Löwe-Rosenberg. Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz: Band 7 §§ 256-295 [27th newly revised edition] 9783110274967, 9783110274783

Volume 7 contains comprehensive commentary on §§ 256–257 StPO on the main hearing and procedures for adjudicating orders

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Löwe-Rosenberg. Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz: Band 7 §§ 256-295 [27th newly revised edition]
 9783110274967, 9783110274783

Table of contents :
Die Bearbeiter der 27. Auflage
Vorwort
Hinweise für die Benutzung des Löwe-Rosenberg
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
ZWEITES BUCH. Verfahren im ersten Rechtszug
SECHSTER ABSCHNITT. Hauptverhandlung
§ 256 Verlesung der Erklärungen von Behörden und Sachverständigen
§ 257 Befragung des Angeklagten und Erklärungsrechte nach einer Beweiserhebung
§ 257a Form von Anträgen und Anregungen zu Verfahrensfragen
§ 257b Erörterung des Verfahrensstands mit den Verfahrensbeteiligten
§ 257c Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten
§ 258 Schlussvorträge; Recht des letzten Wortes
§ 259 Dolmetscher
§ 260 Urteil
§ 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung
§ 262 Entscheidung zivilrechtlicher Vorfragen
§ 263 Abstimmung
§ 264 Gegenstand des Urteils
§ 265 Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes oder der Sachlage
§ 265a Befragung des Angeklagten vor Erteilung von Auflagen oder Weisungen
§ 266 Nachtragsanklage
§ 267 Urteilsgründe
§ 268 Urteilsverkündung
§ 268a Aussetzung der Vollstreckung von Strafen oder Maßregeln zur Bewährung
§ 268b Beschluss über die Fortdauer der Untersuchungshaft
§ 268c Belehrung bei Anordnung eines Fahrverbots
§ 268d Belehrung bei vorbehaltener Sicherungsverwahrung
§ 269 Verbot der Verweisung bei Zuständigkeit eines Gerichts niederer Ordnung
§ 270 Verweisung bei Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung
§ 271 Hauptverhandlungsprotokoll
§ 272 Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls
§ 273 Beurkundung der Hauptverhandlung
§ 274 Beweiskraft des Protokolls
§ 275 Absetzungsfrist und Form des Urteils
SIEBENTER ABSCHNITT Entscheidung über die im Urteil vorbehaltene oder die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung
§ 275a Einleitung des Verfahrens; Hauptverhandlung; Unterbringungsbefehl
ACHTER ABSCHNITT Verfahren gegen Abwesende
Vorbemerkungen zu § 276
§ 276 Begriff der Abwesenheit
§§ 277 bis 284 (weggefallen)
§ 285 Beweissicherungszweck
§ 286 Vertretung von Abwesenden
§ 287 Benachrichtigung von Abwesenden
§ 288 Öffentliche Aufforderung zum Erscheinen oder zur Aufenthaltsortsanzeige
§ 289 Beweisaufnahme durch beauftragte oder ersuchte Richter
§ 290 Vermögensbeschlagnahme
§ 291 Bekanntmachung der Beschlagnahme
§ 292 Wirkung der Bekanntmachung
§ 293 Aufhebung der Beschlagnahme
§ 294 Verfahren nach Anklageerhebung
§ 295 Sicheres Geleit
Sachregister

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Großkommentare der Praxis

Löwe-Rosenberg

Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz Großkommentar

27., neu bearbeitete Auflage herausgegeben von Jörg-Peter Becker, Volker Erb, Robert Esser, Kirsten Graalmann-Scheerer, Hans Hilger, Alexander Ignor Siebter Band §§ 256–295

Bearbeiter: §§ 256–260, 262–295: Carl-Friedrich Stuckenberg §§ 261: Günther M. Sander Sachregister: Christian Klie

ISBN 978-3-11-027478-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-027496-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038118-4 Library of Congress Control Number: 2019937005 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz/Datenkonvertierung: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Die Bearbeiter der 27. Auflage Jörg-Peter Becker, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe und Obernburg a. D. Dr. Johannes Berg, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Camilla Bertheau, Rechtsanwältin in Berlin Gabriele Cirener, Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof, Leipzig Dr. Volker Erb, Professor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Dr. Robert Esser, Professor an der Universität Passau Dr. Karsten Gaede, Professor an der Bucerius Law School, Hamburg Dr. Klaus Ferdinand Gärditz, Professor an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Richter am OVG Nordrhein-Westfalen im Nebenamt, stellvertretender Richter am VerfGH Nordrhein-Westfalen Kerstin Gärtner, Richterin am Kammergericht Berlin Dr. Dirk Gittermann, Richter am Oberlandesgericht Celle Dr. Sabine Gleß, Professorin an der Universität Basel Dr. Dr. h.c. Karl Heinz Gössel, em. Professor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht a. D., München Dr. Kirsten Graalmann-Scheerer, Generalstaatsanwältin in Bremen, Honorarprofessorin an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Bremen Klaus-Peter Hanschke, Richter am Kammergericht Berlin Dr. Pierre Hauck, Professor an der Justus-Liebig-Universität Gießen Dr. Hans Hilger, Ministerialdirektor im Bundesministerium der Justiz a. D., Bad Honnef Dr. Dr. Alexander Ignor, Rechtsanwalt in Berlin, Apl. Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Christian Jäger, Professor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Dr. Matthias Jahn, Professor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Richter am Oberlandesgericht Frankfurt a. M. Dr. Björn Jesse, Richter am Landgericht Berlin Dr. Pascal Johann, Rechtsanwalt in Frankfurt a. M. Dr. Daniel M. Krause, Rechtsanwalt in Berlin Dr. Matthias Krauß, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Heiner Kühne, em. Professor an der Universität Trier Detlef Lind, Richter am Kammergericht Berlin Dr. Holger Matt, Rechtsanwalt in Frankfurt am Main, Honorarprofessor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main Dr. Markus Mavany, Richter am Landgericht Trier Dr. Eva Menges, Richterin am Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Andreas Mosbacher, Richter am Bundesgerichtshof, Leipzig, Honorarprofessor an der Universität Leipzig Dr. Ali B. Norouzi, Rechtsanwalt in Berlin Dr. Günther M. Sander, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Leipzig, Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Frank Peter Schuster, Professor an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg Dr. Wolfgang Siolek, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Celle a. D. Dr. Carl-Friedrich Stuckenberg, Professor an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Dr. Michael Tsambikakis, Rechtsanwalt in Köln, Honorarprofessor an der Universität Passau Dr. Brian Valerius, Professor an der Universität Bayreuth Marc Wenske, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe Dr. Raik Werner, Richter am Oberlandesgericht München

V https://doi.org/10.1515/9783110274967-202

Vorwort Der LÖWE-ROSENBERG feierte 2019 seinen 140.Geburtstag und ist damit das älteste weiterhin aktuelle Erläuterungswerk zur Strafprozessordnung und der mit ihr verbundenen Gesetze. Ein Großkommentar hat die Aufgabe, den Erkenntnisstand und die rechtlichen Probleme des Strafverfahrensrechts möglichst vollständig darzustellen und Wege zur Lösung auch entlegener Fragen aufzuzeigen. In einem an Praxis und Wissenschaft gleichermaßen gerichteten Werk muss dabei der Praxisbezug theoretischer Streitfragen und die historische Entwicklung heute gültiger Normen deutlich werden. Die Entwicklungsgeschichte der Strafprozessordnung und der Strafgerichtsverfassung seit dem Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze, nebst dem Strafverfahrensrecht der DDR und dem Recht der Vereinigung Deutschlands, sowie die Entstehungsgeschichte der einzelnen Vorschriften sind sorgfältig darzustellen – gerade auch vor dem Hintergrund der letzten größeren, teilweise von einer Expertenkommission des BMJV vorbereiteten Reformen des deutschen Strafprozessrechts im Jahr 2017 und der in jüngerer Zeit ergangenen Änderungen zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben, u.a. durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019. Die Entwicklung des Strafprozessrechts in Deutschland über 140 Jahre, die fortlaufenden Änderungen sowie eine sich zunehmend verfeinernde und immer stärker ausdifferenzierende wissenschaftliche Entwicklung und Rechtsprechung bilden eine stetige Herausforderung. Ein Großkommentar muss sowohl den Rückgriff auf die Grundprinzipien ermöglichen als auch die Ausdifferenzierung dokumentieren und soweit erforderlich bewerten und systematisieren. Inhaltlich wird die Konzeption des LÖWE-ROSENBERG auch in der 27. Auflage im Wesentlichen beibehalten. Zudem werden der Einfluss der Menschenrechte, des Rechts der Europäischen Union und der Rechtsprechung internationaler und europäischer Gerichte auf das Strafverfahrensrecht und das Recht der Strafgerichtsverfassung sowie die Rechtsprechung nationaler Gerichte hierzu eingehend berücksichtigt. Die gesonderte Kommentierung der für das Strafverfahren bedeutsamen Vorschriften der EMRK und des IPBPR wird weitergeführt. Auf der Grundlage dieser Konzeption ist jeder Autor für den Inhalt seiner Kommentierung verantwortlich. Die zunehmende Flut der Veröffentlichungen hat inzwischen einen Umfang erreicht, der es nicht mehr in allen Bereichen möglich macht, den Grundsatz der vollständigen Dokumentation des Materials uneingeschränkt zu erfüllen. Es bleibt daher der Verantwortung eines jeden Autors überlassen, ob und in welchem Umfang er eine Auswahl trifft. Für die 27. Auflage sind derzeit zwölf Bände geplant (darunter auch Teilbände), insgesamt in einem Umfang von voraussichtlich 14.000 Seiten. Das Werk wird bandweise erscheinen und soll im Jahre 2021 abgeschlossen werden. Sechs Herausgeber betreuen den Kommentar, jeweils zwei Herausgeber sind als Bandredakteure verantwortlich. Die Autoren werden im Autorenverzeichnis eines Bandes genannt; ergänzend wird auf die Verzeichnisse im Nachtrag der 26. Auflage verwiesen. Verlag, Herausgeber und Autoren sind bemüht, die hohen Erwartungen zu erfüllen, die sich mit dem LÖWE-ROSENBERG seit jeher verbinden. Der hiermit vorgelegte Band 7 hat weitgehend den Bearbeitungsstand Juli 2020; teilweise – insbesondere bei der Kommentierung der einzelnen Vorschriften – konnten auch noch später erschienene Rechtsprechung und Literatur berücksichtigt werden. Band 7 behandelt aus dem Zweiten Buch der StPO (Verfahren im ersten Rechtszug) den abschließenden Teil des 6. Abschnitts (Hauptverhandlung, §§ 256 bis 275 StPO), den VII https://doi.org/10.1515/9783110274967-203

Vorwort

Siebten Abschnitt (Entscheidung über die im Urteil vorbehaltene oder die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung, § 275a StPO) sowie den Achten Abschnitt (Verfahren gegen Abwesende, §§ 276 bis 295 StPO). Berlin, im September 2020

Die Herausgeber

VIII

Hinweise für die Benutzung des Löwe-Rosenberg 1. Inhalt der Kommentierung Der LÖWE-ROSENBERG kommentiert die StPO, das EGStPO, das GVG und das EGGVG mit Ausnahme der nur den Zivilprozess betreffenden Teile, sowie – mit dem Schwerpunkt auf den strafverfahrensrechtlich besonders bedeutsamen Regelungen – die EMRK und den IPBPR. Wenig bekannte oder schwer auffindbare strafverfahrensrechtliche Nebengesetze, deren Wortlaut für die Kommentierung erforderlich ist, werden bei den einschlägigen Erläuterungen im Kleindruck wiedergegeben.

2. Erscheinungsweise und Stand der Bearbeitung Die 27. Auflage des LÖWE-ROSENBERG erscheint in Bänden, deren ErscheinungsReihenfolge von der des Gesetzes abweichen kann. Die Bände werden in der vom Gesetz vorgegebenen Reihenfolge durchnummeriert. Der Stand der Bearbeitung ist dem Vorwort jedes Bandes zu entnehmen. Die Autoren sind bemüht, besonders wichtige Änderungen und Entwicklungen auch noch nach diesem Stichtag bis zur Drucklegung des Bandes zu berücksichtigen.

3. Bearbeiter Jeder Bearbeiter (in der Fußzeile angegeben) trägt für seinen Teil die alleinige inhaltliche Verantwortung. Die Stellungnahmen zu Rechtsfragen, die an mehreren Stellen des Kommentars behandelt werden, können daher voneinander abweichen. Auf solche Abweichungen wird nach Möglichkeit hingewiesen.

4. Aufbau der Kommentierung Neben der umfassenden Einleitung zum Gesamtwerk sind den Untereinheiten der kommentierten Gesetze (Bücher, Abschnitte, Titel), soweit erforderlich, Vorbemerkungen vorangestellt, die das für die jeweilige Untereinheit Gemeinsame erläutern. Der den Vorbemerkungen und den Kommentierungen der einzelnen Vorschriften erforderlichenfalls vorangestellte Abschnitt Geltungsbereich enthält Hinweise auf zeitliche und örtliche Besonderheiten. Der Abschnitt Entstehungsgeschichte gibt, abgesehen von ganz unwesentlichen Änderungen, die Entwicklung der geltenden Fassung der Vorschrift vom Erlass des jeweiligen Gesetzes an wieder. Fehlt er, so kann davon ausgegangen werden, dass die Vorschrift unverändert ist. Der Hinweis auf geplante Änderungen verzeichnet Änderungsvorschläge, die sich beim Abschlusszeitpunkt der Lieferung im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren befinden. Die Erläuterungen sind nach systematischen Gesichtspunkten gegliedert, die durch Überschriften oder Stichworte hervorgehoben sind. In der Regel ist den Erläuterungen eine systematische Übersicht vorangestellt. Soweit angebracht wird sie bei besonders umfangreichen Erläuterungen durch eine alphabetische Übersicht ergänzt. Bei den Erläuterungen selbst werden für jede Vorschrift (zur Erleichterung des Zitierens) durchlaufende Randnummern verwendet. IX https://doi.org/10.1515/9783110274967-204

Hinweise für die Benutzung des Löwe-Rosenberg

5. Schrifttum Der Kommentar enthält am Anfang jedes Bandes ein allgemeines Literaturverzeichnis, das nur die häufiger verwendete oder allgemeine Literatur enthält. Den Vorbemerkungen und den Kommentierungen der einzelnen Vorschriften sind Schrifttumsverzeichnisse vorangestellt, die einen Überblick über das wesentliche Schrifttum zu dem jeweils behandelten Thema geben.

6. Zitierweise Literatur, die in diesen Schrifttumsverzeichnissen enthalten ist, wird im laufenden Text im allgemeinen nur mit dem Namen des Verfassers (ggfs. mit einer unterscheidenden Kurzbezeichnung) oder der sonstigen im Schrifttumsverzeichnis angegebenen Kurzbezeichnung zitiert, doch wird bei Veröffentlichungen in Zeitschriften vielfach auch die genaue Fundstelle nachgewiesen. Sonst sind selbständige Werke mit (gelegentlich verkürztem) Titel und Jahreszahl, unselbständige Veröffentlichungen (auch Beiträge in Festschriften u. ä.) mit der Fundstelle angegeben. Auflagen sind durch hochgestellte Zahlen gekennzeichnet; fehlt eine solche Angabe, so wird aus der Auflage zitiert, die im allgemeinen Schrifttumsverzeichnis angegeben ist. Hat ein Werk Randnummern, so wird nach diesen, sonst nach Seitenzahl oder Gliederungspunkten zitiert. Befindet sich beim Zitat anderer Kommentare die in Bezug genommene Stelle im gleichen Paragraphen, so wird nur die Randnummer oder (bei deren Fehlen) der Gliederungspunkt angegeben; wird auf die Erläuterungen bei einem anderen Paragraphen Bezug genommen, so wird dieser genannt. Entsprechend wird auch im LÖWE-ROSENBERG selbst verwiesen. Bei diesem wird, wenn nichts anderes angegeben ist, auf die gegenwärtige 27. Auflage verwiesen. Ist der Band mit den Erläuterungen, auf die verwiesen werden soll, noch nicht erschienen, so ist, soweit dies sachdienlich erschien, in Klammern ergänzend die genaue Fundstelle in der 26. Auflage angegeben. Zeitschriften werden regelmäßig mit dem Jahrgang zitiert. Ausnahmen (Bandangabe) bilden namentlich ZStW, GA (bis 1933) und VRS; hier ist regelmäßig die Jahreszahl zusätzlich angegeben. Bei der Angabe der Fundstelle eines amtlichen Verkündungsblattes wird die Jahreszahl nur angegeben, wenn sie von der Jahreszahl der Rechtsvorschrift abweicht. Entscheidungen werden im allgemeinen nur mit einer Fundstelle angegeben. Dabei hat die amtliche Sammlung eines obersten Bundesgerichtes den Vorrang, sonst die Fundstelle, die die Entscheidung mit Anmerkung oder am ausführlichsten wiedergibt.

7. Abkürzungen Die verwendeten Abkürzungen, namentlich von Gesetzen, Verwaltungsvorschriften, Entscheidungssammlungen, Zeitschriften usw. sind im Abkürzungsverzeichnis nachgewiesen.

X

Inhaltsverzeichnis Die Bearbeiter der 27. Auflage V VII Vorwort Hinweise für die Benutzung des Löwe-Rosenberg XIII Abkürzungsverzeichnis XLVII Literaturverzeichnis

IX

Strafprozeßordnung ZWEITES BUCH Verfahren im ersten Rechtszug SECHSTER ABSCHNITT Hauptverhandlung 1 § 256 Verlesung der Erklärungen von Behörden und Sachverständigen § 257 Befragung des Angeklagten und Erklärungsrechte nach einer Beweis29 erhebung 42 § 257a Form von Anträgen und Anregungen zu Verfahrensfragen 52 § 257b Erörterung des Verfahrensstands mit den Verfahrensbeteiligten 57 § 257c Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten 136 § 258 Schlussvorträge; Recht des letzten Wortes 165 § 259 Dolmetscher 170 § 260 Urteil 216 § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung 394 § 262 Entscheidung zivilrechtlicher Vorfragen 414 § 263 Abstimmung 422 § 264 Gegenstand des Urteils § 265 Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes oder der Sach480 lage § 265a Befragung des Angeklagten vor Erteilung von Auflagen oder Weisun528 gen 533 § 266 Nachtragsanklage 548 § 267 Urteilsgründe 637 § 268 Urteilsverkündung § 268a Aussetzung der Vollstreckung von Strafen oder Maßregeln zur Bewäh662 rung 671 § 268b Beschluss über die Fortdauer der Untersuchungshaft 675 § 268c Belehrung bei Anordnung eines Fahrverbots 677 § 268d Belehrung bei vorbehaltener Sicherungsverwahrung § 269 Verbot der Verweisung bei Zuständigkeit eines Gerichts niederer Ord680 nung § 270 Verweisung bei Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ord687 nung 708 § 271 Hauptverhandlungsprotokoll 740 § 272 Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls 746 § 273 Beurkundung der Hauptverhandlung 776 § 274 Beweiskraft des Protokolls 791 § 275 Absetzungsfrist und Form des Urteils XI

Inhaltsverzeichnis

SIEBENTER ABSCHNITT Entscheidung über die im Urteil vorbehaltene oder die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung § 275a Einleitung des Verfahrens; Hauptverhandlung; Unterbringungsbe825 fehl ACHTER ABSCHNITT Verfahren gegen Abwesende 851 Vorbemerkungen zu § 276 853 § 276 Begriff der Abwesenheit 856 §§ 277 bis 284 (weggefallen) 856 § 285 Beweissicherungszweck 860 § 286 Vertretung von Abwesenden 860 § 287 Benachrichtigung von Abwesenden § 288 Öffentliche Aufforderung zum Erscheinen oder zur Aufenthaltsortsan860 zeige 863 § 289 Beweisaufnahme durch beauftragte oder ersuchte Richter 864 § 290 Vermögensbeschlagnahme 868 § 291 Bekanntmachung der Beschlagnahme 869 § 292 Wirkung der Bekanntmachung 872 § 293 Aufhebung der Beschlagnahme 874 § 294 Verfahren nach Anklageerhebung 876 § 295 Sicheres Geleit Sachregister

887

XII

Abkürzungsverzeichnis AA a. A. a. a. O. Abg. AbgG abl. ABl. ABlEG ABlEU ABMG Abs. Abschn. abw. AChRMV AcP AdoptG AdVermiG a. E. AEPC ÄndG ÄndVO a. F. AfkKR AfP AG AGIS

AGGewVerbrG AGGVG AGS AGStPO AHK AIDP AJIL AktG AktO allg. M. Alsb.E Alt. a. M. AMRK amtl.

Auswärtiges Amt anderer Ansicht am angegebenen Orte Abgeordneter Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages (Abgeordnetengesetz – AbgG) vom 18.2.1977 i. d. F. der Bek. vom 21.2.1996 (BGBl. I S. 326) ablehnend Amtsblatt Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften; Ausgabe C: Mitteilungen und Bekanntmachungen; Ausgabe L: Rechtsvorschriften (zit.: ABlEG Nr. L … /(Seite) vom …) Amtsblatt der Europäischen Union (ab 2003); Ausgabe C: Mitteilungen und Bekanntmachungen; Ausgabe L: Rechtsvorschriften (zit.: ABlEU Nr. L …/(Seite) vom …) Autobahnmautgesetz für schwere Nutzfahrzeuge vom 5.4.2002 (BGBl. I S. 1234) Absatz Abschnitt abweichend Afrikanische Charta der Rechte der Menschen und Völker vom 26.6.1981, deutsche Übersetzung EuGRZ 1990, 348 Archiv für die civilistische Praxis Adoptionsgesetz vom 2.7.1976 (BGBl. I S. 1749) Adoptionsvermittlungsgesetz vom 27.11.1989 (BGBl. I S. 2014) i. d. F. der Bek. vom 22.12.2001 (BGBl. 2002 I S. 354) am Ende Association of European Police Colleges Änderungsgesetz Änderungsverordnung alte Fassung Archiv für katholisches Kirchenrecht Archiv für Presserecht, Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht Amtsgericht; in Verbindung mit einem Gesetz: Ausführungsgesetz Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 22.7.2002 über ein Rahmenprogramm für die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen – AGIS (ABlEG Nr. C 203 vom 1.8.2002, S. 5) Ausführungsgesetz zum Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933 (RGBl. I S. 1000) Gesetz zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes (Landesrecht) Zeitschrift für das gesamte Gebührenrecht und Anwaltsmanagement Ausführungsgesetz zur Strafprozessordnung (Landesrecht) Alliierte Hohe Kommission Association Internationale de Droit Pénal American Journal of International Law Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) vom 6.9.1965 (BGBl. I S. 1089) Anweisung für die Verwaltung des Schriftguts bei den Geschäftsstellen der Gerichte und der Staatsanwaltschaften (Aktenordnung) allgemeine Meinung Die strafprozessualen Entscheidungen der Oberlandesgerichte, herausgegeben von Alsberg und Friedrich (1927), 3 Bände Alternative anderer Meinung Amerikanische Menschenrechtskonvention vom 22.11.1969 (Pact of San José), deutsche Übersetzung EuGRZ 1980, 435 amtlich

XIII https://doi.org/10.1515/9783110274967-206

Abkürzungsverzeichnis

amtl. Begr. Anh. AnhRügG Anl. Anm. AnwBl. AöR AO AOStrÄndG apf APR APuZ ArbGG ArchKrim. ArchPF ArchVR arg. Art. ASIL AsylG ATDG

AtomG

AufenthG

aufg. Aufl. AUILR AUR AuR ausf. AuslG AusnVO

AV AVG AVR AWG Az

amtliche Begründung Anhang Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) vom 9.12.2004 (BGBl. I S. 3220) Anlage Anmerkung Anwaltsblatt Archiv des öffentlichen Rechts Abgabenordnung vom 16.3.1976 (BGBl. I S. 613) i. d. F. der Bek. vom 1.10.2002 (BGBl. I S. 3866) Gesetz zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 10.8.1967 (BGBl. I S. 877) Ausbildung Prüfung Praxis – Zeitschrift für die staatliche und kommunale Verwaltung Allgemeines Persönlichkeitsrecht Aus Politik und Zeitgeschichte (Zeitschrift) Arbeitsgerichtsgesetz vom 3.9.1953 i. d. F. der Bek. vom 2.7.1979 (BGBl. I S. 853) Archiv für Kriminologie Archiv für das Post- und Fernmeldewesen Archiv des Völkerrechts argumentum Artikel The American Society of International Law Asylgesetz i. d. F. der Bek. vom 2.9.2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch Art. 48 des Gesetzes vom 20.11.2019 (BGBl. I S. 1626) Gesetz zur Errichtung einer standardisierten zentralen Antiterrordatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten von Bund und Ländern (Antiterrordateigesetz – ATDG) v vom. 22.12.2006 Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) vom 31.10.1976 (BGBl. I S. 3053) i. d. F. der Bek. vom 15.7.1985 (BGBl. I S. 1565) Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG), neugefasst durch Bek. vom 25.2.2008 (BGBl. I S. 162); zuletzt geändert durch Artikel 4b des Gesetzes vom 17.2.2020 (BGBl. I S. 166) Art. 1 des Gesetzes vom 12.7.2018 (BGBl. I S. 1147) aufgehoben Auflage American University International Law Review Agrar- und Umweltrecht Arbeit und Recht (Zeitschrift) ausführlich Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (Ausländergesetz) vom 9.7.1990 (BGBl. I S. 1354), außer Kraft getreten am 31.12.2004 Ausnahme-(Not-)Verordnung (1) VO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 1.12.1930 (RGBl. I S. 517) (2) VO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 6.10.1931 (RGBl. I S. 537, 563) (3) VO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutz des inneren Friedens vom 8.12.1931 (RGBl. I S. 743) (4) VO über Maßnahmen auf dem Gebiet der Rechtspflege und Verwaltung vom 14.6.1932 (RGBl. I S. 285) Allgemeine Verfügung Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (Österreich) Archiv des Völkerrechts Außenwirtschaftsgesetz vom 28.4.1961 (BGBl. I S. 481) Aktenzeichen

XIV

Abkürzungsverzeichnis

AZR-Gesetz

Gesetz über das Ausländerzentralregister (AZR-Gesetz) vom 2.9.1994 (BGBl. I S. 2265) i. d. F. der Bek. vom 23.12.2003 (BGBl. I S. 2848)

BAFin BAG BAGE BÄO

Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesärzteordnung, neugefasst durch Bek. vom 16.4.1987 (BGBl. I S. 1218); zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 15.8.2019 (BGBl. I S. 1307) Blutalkoholkonzentration Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Bundesanzeiger Baden-Württemberg Bayern, bayerisch Bayerisches Gesetz zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen des Bundes vom 23.6.1981 (BayGVBl. S. 188) Bereinigte Sammlung des Bayerischen Landesrechts (1802 bis 1956) Bayerisches Oberstes Landesgericht Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz – PAG) i. d. F. d. Bek. vom 14.9.1990 (GVBl. S. 397), zuletzt geändert durch § 1 des Gesetzes vom 10.12.2019 (GVBl. S. 691) Bayerische Rechtssammlung (ab 1.1.1983) Bayerisches Strafvollzugsgesetz Verfassung des Freistaates Bayern vom 2.12.1946 (BayBS. I 3) Bayerischer Verfassungsgerichtshof s. BayVGHE Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes, des Bayerischen Dienststrafhofs und des Bayerischen Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern (1905–34) Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bundesbeamtengesetz vom 14.7.1953 (BGBl. I S. 551) i. d. F. der Bek. vom 31.3.1999 (BGBl. I S. 675) Brandenburg Brandenburgisches Verfassungsgericht Business Compliance (Zeitschrift) Band Bundesdisziplinargesetz vom 9.7.2001 (BGBl. I S. 1510) Bundesdisziplinarhof (jetzt Bundesverwaltungsgericht) Bundesdatenschutzgesetz i. d. F. der Bek. vom 14.1.2003 (BGBl. I S. 66) besonderes elektronisches Anwaltspostfach Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (Beamtenstatusgesetz – BeamtStG) vom 17.6.2008 (BGBl. I S. 1010) Begründung Verordnung über die Begrenzung der Geschäfte des Rechtspflegers bei der Vollstreckung in Straf- und Bußgeldsachen vom 26.6.1970 (BGBl. I S. 992) i. d. F. der Bek. vom 16.2.1982 (BGBl. I S. 188) Zweites Gesetz zur Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes vom 14.9.1965 (BGBl. I S. 1315) Bekanntmachung Strafprozeßordnung i. d. F. der Bek. vom 22.3.1924 (RGBl. I S. 299, 322)

BAK BAMF BAnz. BaWü. Bay. BayAGGVG BayBS BayObLG BayObLGSt BayPAG

BayRS BayStVollzG BayVerf. BayVerfGH BayVerfGHE BayVerwBl. BayVGH BayVGHE

BayZ BB BBG Bbg. BbgVerfG BC Bd. BDG BDH BDSG beA BeamtStG Begr. BegrenzungsVO

BEG-SchlußG Bek. Bek. 1924

XV

Abkürzungsverzeichnis

Bek. 1950 Bek. 1965 Bek. 1975 Bek. 1987 ber. BerathG BerlVerfGH BerRehaG

Beschl. Bespr. BeurkG BewHi. BezG Bf. BFH BFHE BfJG

BGB BGBl. I, II, III BGer BGH BGH-DAT BGH (ER) BGHE Strafs. BGHGrS BGHR BGHRZ BGHSt BGHZ BGSG BGSNeuRegG BHRJ BinnSchiffG BinSchiffVfG BJM BJOG BKA BKAG

Bln. Bln.GVBl.Sb.

Strafprozeßordnung i. d. F. der Bek. vom 12.9.1950 (BGBl. I S. 629) Strafprozeßordnung i. d. F. der Bek. vom 17.9.1965 (BGBl. I S. 1373) Strafprozeßordnung i. d. F. der Bek. vom 7.1.1975 (BGBl. I S. 129) Strafprozeßordnung i. d. F. der Bek. vom 7.4.1987 (BGBl. I S. 1074) berichtigt Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz) vom 18.6.1980 (BGBl. I S. 689) Berliner Verfassungsgerichtshof Gesetz über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet (Berufliches Rehabilitierungsgesetz – BerRehaG) vom 23.6.1994 (BGBl. I S. 1314) Beschluss Besprechung Beurkundungsgesetz vom 28.8.1969 (BGBl. I S. 1513) Bewährungshilfe (Zeitschrift) Bezirksgericht Beschwerdeführer Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) Gesetz über die Errichtung des Bundesamtes für Justiz = Art. 1 des Gesetzes zur Errichtung und zur Regelung der Aufgaben des Bundesamtes für Justiz vom 17.12.2006 (BGBl. I S. 3171) Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.8.1896 (RGBl. S. 195) i. d. F. der Bek. vom 2.1.2002 (BGBl. I S. 42, ber. S. 2909 und BGBl. 2003 I S. 738). Bundesgesetzblatt Teil I, II und III Schweizerisches Bundesgericht Bundesgerichtshof Datenbank der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf CD-ROM, herausgegeben von Werner Theune Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Strafsachen auf CD-ROM, herausgegeben von Mitgliedern des Gerichts Bundesgerichtshof, Großer Senat (hier in Strafsachen) BGH-Rechtsprechung in Strafsachen (Loseblattsammlung) BGH-Rechtsprechung in Zivilsachen (Loseblattsammlung) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Gesetz über den Bundesgrenzschutz (Bundesgrenzschutzgesetz – BGSG) vom 19.10.1994 (BGBl. I S. 2978) Gesetz zur Neuregelung der Vorschriften über den Bundesgrenzschutz (Bundesgrenzschutzneuregelungsgesetz – BGSNeuRegG) vom 19.10.1994 (BGBl. I S. 2978) Business and Human Rights Journal Gesetz betr. die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt (Binnenschifffahrtsgesetz) vom 15.6.1895 i. d. F. der Bek. vom 15.6.1898 (RGBl. S. 868) Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Binnenschiffahrts- und Rheinschiffahrtssachen vom 27.9.1952 (BGBl. I S. 641) Basler Juristische Mitteilungen An International Journal of Obstetrics and Gynaecology Bundeskriminalamt Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz – BKAG) vom 7.7.1997 (BGBl. I S. 1650) Berlin Sammlung des bereinigten Berliner Landesrechts, Sonderband I (1806 bis 1945) und II (1945 bis 1967)

XVI

Abkürzungsverzeichnis

Blutalkohol BMI BMinG

BMJV BNDG Bonn.Komm. BORA BPolBG BR BRAGO BRAK BRAK-Mitt. BranntWMonG BRAO BRat BRDrucks. BReg. Brem. BRJ BRProt. BS BSG Bsp. BT BTDrucks. BtG BtMG BTProt. BTRAussch. BTVerh. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerfGK BVerfSchG

BVerwG BVerwGE BV-G BW BWahlG bzgl. BZRG

XVII

Blutalkohol, Wissenschaftliche Zeitschrift für die medizinische und juristische Praxis Bundesminister(-ium) des Innern Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Bundesregierung (Bundesministergesetz) vom 17.6.1953 (BGBl. I S. 407) i. d. F. der Bek. vom 27.7.1971 (BGBl. I S. 1166) Bundesminister(-ium) der Justiz und für Verbraucherschutz Gesetz über den Bundesnachrichtendienst vom 20.12.1990 (BGBl. I S. 2979) i. d. F. der Bek. vom 9.1.2002 (BGBl. I S. 361 ff.) Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Loseblattausgabe) Berufsordnung für Rechtsanwälte i. d. F. der Bek. vom 1.11.2001 Bundespolizeibeamtengesetz i. d. F. der Bek. vom 3.6.1976 (BGBl. I S. 1357) s. BRat Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte vom 26.7.1957 (BGBl. I S. 907); ersetzt durch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) Bundesrechtsanwaltskammer Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Branntweinmonopolgesetz vom 8.4.1922 (RGBl. I S. 405; BGBl. III 612-7) Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1.8.1959 (BGBl. I S. 565); zuletzt geändert durch Art. 14 des Gesetzes vom 12.12.2019 (BGBl. I S. 2602) Bundesrat Drucksachen des Bundesrats Bundesregierung Bremen Bonner Rechtsjournal Protokolle des Bundesrates Sammlung des bereinigten Landesrechts Bundessozialgericht Beispiel Bundestag Drucksachen des Bundestags Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz – BtG) vom 12.9.1990 (BGBl. I S. 2002) Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz) vom 28.7.1981 (BGBl. I S. 681) i. d. F. der Bek. vom 1.3.1994 (BGBl. I S. 358) s. BTVerh. Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags Verhandlungen des Deutschen Bundestags Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vom 12.3.1951 i. d. F. der Bek. vom 11.8.1993 (BGBl. I S. 1473) Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz) vom 20.12.1990 (BGBl. I S. 2954) Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bundesverfassungsgesetz (österreichische Verfassung) Baden-Württemberg Bundeswahlgesetz neugefasst durch Bek. vom 23.7.1993 BGBl. I S. 1288, 1594 bezüglich Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz), neugefasst durch Bek. vom 21.9.1984 (BGBl. I S. 1229, 1985 I S. 195); zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 12.12.2019 (BGBl. I S. 2510)

Abkürzungsverzeichnis

2. BZRÄndG bzw.

Zweites Gesetz zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes (2. BZRÄndG) vom 17.7.1984 (BGBl. I S. 990) beziehungsweise

CAT Causa Sport CCBE CCC CCJE CCPR CCZ CD

siehe UN-CAT Die Sport-Zeitschrift für nationales und internationales Recht sowie für Wirtschaft Council of the Bars and Law Societies of the European Union Constitutio Criminalis Carolina Consultative Council of European Judges siehe HRC Corporate Compliance Zeitschrift Collection of Decisions Bd. 1 bis 46 (1960 bis 1974), Entscheidungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte über die Zulässigkeit von Beschwerden CDDH Steering Committee for Human Rights (Europarat) CDE Cahiers de droit européen (Zeitschrift) CDPC European Committee on Crime Problems CEAS Common European Asylum System CELJ China-EU Law Journal CEPEJ European Commission on the Efficiency of Justice CEPOL European Police College (Budapest) CERD Internationales Übereinkommen zur Beseitigung von jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD) vom 7.3.1966 CERT Computer Emergency Response Team CETS (vgl. CTS) ChE Chiemsee-Entwurf (Verfassungsausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz der Westlichen Besatzungszonen. Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23.8.1948) (1948) ChemG Chemikaliengesetz i. d. F. der Bek. vom 20.6.2002 (BGBl. I S. 2090) CJ Corpus Juris CJEL Columbia Journal of European Law CMLRev Common Market Law Review COSI Ständiger Ausschuss für die operative Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit (EU) COVuR COVID-19 und alle Rechtsfragen zur Corona-Krise (Zeitschrift) CPP Code de procédure pénale CPS Crown Prosecution Service CPT Committee for the Prevention of Torture – Europäischer Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Europarat) CR Computer und Recht (Zeitschrift) CRC Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989 (BGBl. 1992 II S. 122) Crim.L.R. Criminal Law Review CrimeLawSocChange Crime, Law and Social Change (Zeitschrift) CSW Cross-Border Surveillance Working Group CWÜAG Ausführungsgesetz zum Chemiewaffenübereinkommen vom 2.8.1994 (BGBl. I S. 1954) DA DAG DAJV-Newsletter DAR DAV DB DDevR DDR

Dienstanweisung Deutsches Auslieferungsgesetz vom 23.12.1929 (BGBl. I S. 239), aufgehoben durch IRG vom 23.12.1982 (BGBl. I S. 2071) Zeitschrift der Deutsch-Amerikanischen Juristen-Vereinigung e.V. Deutsches Autorecht (Zeitschrift) DeutscherAnwaltVerein Der Betrieb (Zeitschrift) Deutsche Devisen-Rundschau (1951–59) Deutsche Demokratische Republik

XVIII

Abkürzungsverzeichnis

ders. DERechtsmittelG DG Die Justiz Die Polizei dies. Diss. DiszO DJ DJT DJZ DNA-AnalyseG DNA-IFG DNP DNutzG DÖD DÖV DOGE DPA DR

DRechtsw. DRiG DRiZ DRpfl. DRsp. Drucks. DRZ DSB DSteuerR DStR DStRE DStrZ DStZ dt. DtBR DtZ DuD DuR DVBl. DVO DVollzO DVOVereinf.VO DVOZust.VO

DVP DVR DWiR

XIX

derselbe Diskussionsentwurf für ein Gesetz über die Rechtsmittel in Strafsachen, im Auftrag der JMK vorgelegt von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Strafverfahrensreform (1975) Disziplinargesetz (der Länder) Die Justiz, Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg Die Polizei (seit 1955: Die Polizei – Polizeipraxis) dieselbe Dissertation Disziplinarordnung (der Länder) Deutsche Justiz, Rechtspflege und Rechtspolitik (1933–45) Deutscher Juristentag (s. auch VerhDJT) Deutsche Juristenzeitung (1896–1936) Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse vom 12.8.2005 (BGBl. I S. 2360) DNA-Identitätsfeststellungsgesetz vom 7.9.1998 (BGBl. I S. 2646; 1999 I S. 1242) Die Neue Polizei Gesetz zur effektiveren Nutzung von Dateien im Bereich der Staatsanwaltschaften vom 10.9.2004 (BGBl. I S. 2318) Der Öffentliche Dienst Die Öffentliche Verwaltung Entscheidungen des Deutschen Obergerichts für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet Deutsches Patentamt Deutsches Recht (1931 bis 1945) Decisions and Reports (ab 1975): Entscheidungen über die Zulässigkeit von Beschwerden; Berichte der Europäischen Kommission für Menschenrechte; Resolutionen des Ministerkomitees des Europarates Deutsche Rechtswissenschaft (1936–43) Deutsches Richtergesetz, neugefasst durch Bek. vom 19.4.1972 (BGBl. I S. 713); zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 22.11.2019 (BGBl. I S. 1755) Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechtspflege (1936–1939) Deutsche Rechtsprechung, herausgegeben von Feuerhake (Loseblattsammlung) Drucksache Deutsche Rechts-Zeitschrift (1946 bis 1950) Datenschutz-Berater Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Strafrecht (1934 bis 1944) Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst (Zeitschrift) Deutsche Strafrechts-Zeitung (1914 bis 1922) Deutsche Steuer-Zeitung deutsch Das Deutsche Bundesrecht, Gesetzessammlung mit Erläuterungen (Loseblattausgabe) Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Datenschutz und Datensicherheit (Zeitschrift) Demokratie und Recht (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Durchführungsverordnung Dienst- und Vollzugsordnung Verordnung zur Durchführung der Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung und der Rechtspflege vom 8.9.1939 (RGBl. I S. 1703) Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sonderstrafgerichte sowie sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften vom 13.3.1940 (RGBl. I S. 489) Deutsche Verwaltungspraxis – Fachzeitschrift für die öffentliche Verwaltung Datenverarbeitung im Recht (Zeitschrift) Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

Abkürzungsverzeichnis

E E. & P. ebda. EA EAG EAGV EAJLG EAkte EAkteJEG EAW EB EBA EBAO ECBA ECG ECJ ECLAN ECOSOC ECPI ECPT ECRI ECRIS EDS/EDU EDV EEA EFG EG EGBGB EGFaxÜbk

EGFinSchÜbk

EGFinSchG

EGG EGGVG EGH EGInsO EGKS EGKSV EGMR EGMR (GK) EGMR (K)

Entwurf International Journal of Evidence & Proof Ebenda Vertrag über Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft i. d. F. nach dem 1.5.1999 Europäische Atomgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25.3.1957, Ges. vom 27.7.1957 (BGBl. II S. 753), Bek. vom 27.12. 1957 (BGBl. 1958 II S. 1) European-Asian Journal of Law and Governance Elektronische Akte Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5.7.2017 (BGBl. I S. 2208) European Arrest Warrant, siehe EuHb Ergänzungsband Europäische Beweisanordnung Einforderungs- und Beitreibungsanordnung i. d. F. der Bek. vom 1.4.2001 European Criminal Bar Association European Cooperation Group on Undercover Activities (ECG) siehe EuGH (European Court of Justice) European Criminal Law Academic Network Wirtschafts- und Sozialrat (UN) European Criminal Policy Initiative Europäisches Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vom 26.11.1987 (ETS 126; BGBl. 1989 II S. 946) European Commission against Racism and Intolerance/Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz European Criminal Records Information System Europäische Drogeneinheit (Vorläufer von Europol)/European Drug Unit Elektronische Datenverarbeitung Europäische Ermittlungsanordnung/European Investigation Order (EIO) Entscheidungen der Finanzgerichte (Zeitschrift) Vertrag zur Gründung einer Europäischen Gemeinschaft i. d. F. nach dem 1.5.1999 (vor dem 1.5.1999: EGV); Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18.8.1896 (RGBl. S. 604) i. d. F. der Bek. vom 21.9.1994 (BGBl. I S. 2494) Abkommen vom 26.5.1989 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vereinfachung und Modernisierung der Verfahren zur Übermittlung von Auslieferungsersuchen (BGBl. 1995 II S. 969) Übereinkommen vom 26.7.1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (PIF-Übereinkommen; ABlEG Nr. C 316 vom 27.11.1995, S. 49) Gesetz zu dem Übereinkommen vom 26. Juli 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (EG-Finanzschutzgesetz – EGFinSchG) vom 10.9.1998 (BGBl. II S. 2322) Gesetz über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsverkehr-Gesetz – EGG) vom 14.12.2001 (BGBl. I S. 3721) Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz vom 27.1.1877 (RGBl. S. 77) Ehrengerichtshof in Anwaltssachen Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung vom 5.10.1994 (BGBl. I S. 2911) Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag über die Gründung der EGKS vom 18.4.1951 (BGBl. II S. 447) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (Große Kammer) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (Kammer) EGMR Serie A/B;

XX

Abkürzungsverzeichnis

Reports EGMRVerfO EG-ne bis in idem-Übk EGOWiG EGStGB 1870 EGStGB 1974 EGStPO EGV EGVollstrÜbk EGZPO EhrenGHE EHRLR EhrRiVG Einf. EinigungsV

EinigungsVG

Einl. EIO EIS EJB

EJF EJG

EJKoV EJN EJTAnV

EJTN EKMR EKMRVerfO EL eIDAS

XXI

Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Sammlung in deutscher Übersetzung, Band, Seite; ab 1996: Reports of Judgments and Decisions) Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Rules of Court) i. d. F. der Bek. vom 1.1.2020 (www.echr.coe.int) Übereinkommen vom 25.5.1987 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über das Verbot der doppelten Strafverfolgung – EG-ne bis in idem-Übk (BGBl. 1998 II S. 2227) Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24.5.1968 (BGBl. I S. 503) Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 31.5.1870 (RGBl. S. 195) Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2.3.1974 (BGBl. I S. 469) Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung vom 1.2.1877 Vertrag zur Gründung einer Europäischen Gemeinschaft i. d. F. vor dem 1.5.1999 (nach dem 1.5.1999: EG) Übereinkommen vom 13.11.1991 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft über die Vollstreckung ausländischer strafrechtlicher Verurteilungen Einführungsgesetz zur Zivilprozeßordnung vom 30.1.1877 (RGBl. S. 244) Ehrengerichtliche Entscheidungen (der Ehrengerichtshöfe der Rechtsanwaltschaft des Bundesgebietes und des Landes Berlin) European Human Rights Law Review Gesetz zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der Verfahrensvorschriften zur Wahl und Berufung ehrenamtlicher Richter vom 21.12.2004 (BGBl. I S. 3599) Einführung Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31.8.1990 (BGBl. II S. 889) Gesetz zu dem Vertrag vom 31.8.1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertragsgesetz – und der Vereinbarung vom 18.9.1990 vom 23.9.1990 (BGBl. II S. 885) Einleitung siehe EEA Europol-Informationssystem Beschluss des Rates (2002/187/JI) vom 28.2.2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (ABlEG Nr. L 63 vom 6.3.2002, S. 1), geändert durch Beschluss 2003/659/JI des Rates vom 18.6.2003 (ABlEU Nr. L 245 vom 23.9.2003, S. 44) und den Beschluss 2009/426/JI des Rates vom 16.12.2008 zur Stärkung von Eurojust (ABlEU Nr. L 138 vom 4.6.2009, S. 14 Entscheidungen aus dem Jugend- und Familienrecht (1951–1969) Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses (2002/187/JI) des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (Eurojust-Gesetz – EJG) vom 12.5.2004 (BGBl. I S. 902) Verordnung über die Koordinierung der Zusammenarbeit mit Eurojust (Eurojust-Koordinierungs-Verordnung –) vom 26.9.2012 (BGBl. I S. 2093) Europäisches Justitielles Netz/European Judicial Network Verordnung über die Benennung und Einrichtung der nationalen Eurojust-Anlaufstelle für Terrorismusfragen (Eurojust-Anlaufstellen-Verordnung –) vom 17.12.2004 (BGBl. I S. 3520) European Judicial Training Network Europäische Kommission für Menschenrechte Verfahrensordnung der Europäischen Kommission für Menschenrechte i. d. F. der Bek. vom 29.5.1991 (BGBl. II S. 838) Ergänzungslieferung elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt

Abkürzungsverzeichnis

eIDASDG

ELJ ELRev EMCDDA EmmingerVO EMöGG

EMRK

ENeuOG ENFSI EntlG Entsch. entspr. Entw. Entw. 1908 Entw. 1909

Entw. 1919/1920

Entw. 1930

Entw. 1939 EP

Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 über und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/ 93/EG (eIDAS-Durchführungsgesetz) vom 18.7.2017 (BGBl. I S. 2745) European Law Journal European Law Review European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4.1.1924 (RGBl. I S. 23) Gesetz zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen (Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG) vom 8.10.2017 (BGBl. I S. 3546) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 (BGBl. II S. 685, 953) i. d. F. der Bek. vom 22.10.2010 (BGBl. II S. 1198) 1. ZP-EMRK vom 20.3.1952 (BGBl. 1956 II S. 1880) 2. P-EMRK vom 6.5.1963 (BGBl. 1968 II S. 1112) 3. P-EMRK vom 6.5.1963 (BGBl. 1968 II S. 1116) 4. ZP-EMRK vom 16.9.1963 (BGBl. 1968 II S. 423) 5. P-EMRK vom 20.1.1966 (BGBl. 1968 II S. 1120) 6. ZP-EMRK vom 28.4.1983 (BGBl. 1988 II S. 662) 7. ZP-EMRK vom 22.11.1984 8. P-EMRK vom 19.3.1985 (BGBl. 1989 II S. 547) 9. P-EMRK vom 6.11.1990 (BGBl. 1994 II S. 490) 10. P-EMRK vom 25.3.1992 (BGBl. 1994 II S. 490) 11. P-EMRK vom 11.5.1994 (BGBl. 1995 II S. 578) 12. ZP-EMRK vom 4.11.2000 13. ZP-EMRK vom 3.5.2002 (BGBl. 2004 II S. 982) 14. P-EMRK vom 13.5.2004 (BGBl. 2006 II S. 138) 14bis P-EMRK vom 27.5.2009 15. P-EMRK vom 24.6.2013 (BGBl. 2014 II S. 1034) 16. P-EMRK vom 2.10.2013 Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (Eisenbahnneuordnungsgesetz – ENeuOG) vom 27.12.1993 (BGBl. I S. 2378) European Network of Forensic Institute Gesetz zur Entlastung der Gerichte vom 11.3.1921 (RGBl. S. 229) Entscheidung entsprechend Entwurf Entwurf einer Strafprozeßordnung und Novelle zum Gerichtsverfassungsgesetz nebst Begründung (1908), E 1908, MatStrR-Ref. Bd. 11 Entwürfe 1. eines Gesetzes, betreffend Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes, 2. der Strafprozeßordnung (1909), E 1909 RT-Verhandl. Bd. 254 Drucks. Nr. 1310 = MatStrRRef Bd. 12; Bericht der 7. Kommission des Reichstags 1909 bis 1911 zur Vorbereitung der Entwürfe 1. eines Gesetzes betreffend die Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes, 2. einer Strafprozeßordnung, 3. eines zu beiden Gesetzen gehörenden Einführungsgesetzes = MatStrRRef. Bd. 13 Entwürfe 1. eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes (1919), 2. eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen (1920), E 1919/1920, MatStrRRef. Bd. 14 Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetz 1930, EGStGB-Entw. 1930, RT-Drucks. Nr. 2070 = MatStrRRef. Bd. 7 Entwurf einer Strafverfahrensordnung und einer Friedens- und Schiedsmannsordnung (1939), StPO-Entw. 1939, Nachdruck 1954 Europäisches Parlament

XXII

Abkürzungsverzeichnis

EPA EPO EPPO EPZ ERA ERA-Forum ErbR erg. Erg. ErgBd. Erl. ESA/EPO EStG ETS EU EuAbgG EuAlÜbk EUAlÜbk

EuArch EUBestG

EUC EUCARIS EuCLR eucrim EuDrogenÜbk

EuG EuGeldwÜbk EuGH EuGH Slg. EuGHG

EuGRAG

EuGRZ EuHb EuHbG

EuJCCCJ EuKonv

XXIII

Europäisches Patentamt siehe ESA European Public Prosecutor's Office/Europäische Staatsanwaltschaft Europäische Politische Zusammenarbeit Europäische Rechtsakademie (Trier) ERA-Forum (Zeitschrift) Zeitschrift für die gesamte erbrechtliche Praxis ergänzend Ergänzung; Ergebnis Ergänzungsband Erlass; Erläuterung(en) Europäische Schutzanordnung/European Protection Order Einkommensteuergesetz European Treaty Series; Übereinkommen des Europarates (fortlaufend nummeriert; www.coe.int; ab 1949) Vertrag über die Europäische Union Europaabgeordnetengesetz vom 6.4.1979 (BGBl. I S. 413) Europäisches Auslieferungsübereinkommen vom 13.12.1957 (ETS 024; BGBl. 1964 II S. 1369); 2. ZP EuAlÜbk vom 17.3.1978 (ETS 098; BGBl. 1990 II S. 118; 1991 II S. 874) Übereinkommen vom 27.9.1996 aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABlEG Nr. C 313/11 vom 23.10.1996; BGBl. 1998 II S. 2253) Europa-Archiv Gesetz zu dem Protokoll vom 27. September 1996 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (EU-Bestechungsgesetz – EUBestG) vom 10.9.1998 (BGBl. II S. 2340) Charta der Grundrechte der Europäischen Union Vertrag über ein Europäisches Fahrzeug- und Führerscheininformationssystem European Criminal Law Review (Zeitschrift) Journal for the Protection of the Financial Interests of the European Communities Übereinkommen vom 31.1.1995 über den unerlaubten Verkehr mit Drogen auf hoher See zur Durchführung des Art. 17 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 20.12.1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (ETS 156; BGBl. 2000 II S. 1313) Europäisches Gericht erster Instanz (Luxemburg) Übereinkommen vom 8.11.1990 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten (ETS 141; BGBl. 1998 II S. 519) Gerichtshof der Europäischen Union Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) – Amtliche Sammlung Gesetz vom 6.8.1998 betreffend die Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens auf dem Gebiet der polizeilichen Zusammenarbeit und der justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 35 des EU-Vertrages – EuGHG (BGBl. 1998 I S. 2035; 1999 II S. 728) Gesetz zur Durchführung der Richtlinie des Rates der EG vom 22.3.1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte vom 16.8.1980 (BGBl. I S. 1453) Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europäischer Haftbefehl/European Arrest Warrant (EAW) Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz – EuHbG) vom 21.7.2004 (BGBl. I S. 1748) und vom 20.7.2006 (BGBl. I S. 1721) European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice (Zeitschrift) Europäischer Konvent

Abkürzungsverzeichnis

EUMC EuOEÜbk EuR EuRAG EuRhÜbk

EURhÜbk

EurJCrimeCrLJ EURODAC Eurojust Europol EuropolG EuropolÜbk EuropolVO

EuroPris EUStA EuTerrÜbk EUV EUVEntw

EUVereinfAlÜbk

EuVKonv

EuZ EuZA EuZW evt. EWG EWGV EWiR EWR-Abk. EYHR EZAR EzSt

f., ff. FamFG

siehe ECRI Europäisches Übereinkommen vom 24.11.1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (ETS 116; BGBl. 2000 II S. 1209) Europarecht (Zeitschrift) Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland vom 9.3.2000 (BGBl. I S. 182) Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20.4.1959 (ETS 30; BGBl. 1964 II S. 1369; 1976 II S. 1799); ZP EuRhÜbk vom 17.3.1978 (ETS 99; BGBl. 1990 II S. 124; 1991 II S. 909); 2. ZP EuRHÜbk vom 8.11.2001 (ETS 182) Rechtshilfeübereinkommen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 29.5.2000, ABlEG Nr. C 197 vom 12.7.2000, S. 1; ZP EURHÜbk vom 16.10.2001 (ABlEG Nr. C 326 vom 21.11.2001, S. 1) European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice Daktyloskopische Datenbank im Rahmen von Asylantragsverfahren Europäische Justitielle Clearing- und Dokumentationsstelle (Den Haag) Europäisches Polizeiamt (Den Haag) Europolgesetz vom 16.12.1997 (BGBl. II S. 2150) Übereinkommen vom 26.7.1995 auf Grund von Artikel K.3 des EUV über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamtes, ABlEG Nr. C 316 vom 27.11.1995, S. 1 Verordnung (EU) 2016/794 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung (Europol) und zur Ersetzung und Aufhebung der Beschlüsse 2009/371/JI, 2009/934/JI, 2009/935/JI, 2009/936/JI und 2009/968/JI des Rates, ABlEU Nr. L 135 vom 23.5.2016, S. 53 European Organisation of Prison and Correctional Services Europäische Staatsanwaltschaft Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27.1.1977 (ETS 90; BGBl. 1978 II S. 321, 907) Vertrag über die Europäische Union Entwurf einer Europäischen Verfassung i.d.F des am 18.6.2004 zwischen den Staatsund Regierungschefs erzielten Konsenses (Dokument der Regierungskonferenz CIG 86/04 vom 25.6.2004) Übereinkommen vom 10.3.1995 aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABlEG Nr. C 78 vom 30.3.1995, S. 1; BGBl. 1998 II S. 2229) Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa – vom Europäischen Konvent im Konsensverfahren angenommen am 13.6. und 10.7.2003 – dem Präsidenten des Europäischen Rates in Rom überreicht am 18.7.2003 Zeitschrift für Europarecht (Schweiz) Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25.3.1957 (BGBl. II S. 766) Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Gesetz zu dem Abkommen vom 2.5.1992 über den Europäischen Wirtschaftsraum European Yearbook on Human Rights Entscheidungssammlung zum Zuwanderungs-, Asyl- und Freizügigkeitsrecht Entscheidungssammlung zum Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 1983 bis 1990 (Loseblattausgabe) folgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), Artikel 1 des Gesetzes vom 17.12.2008 (BGBl. I

XXIV

Abkürzungsverzeichnis

FAG FamPLG FamRZ FAO FG FGG FGO

FGPrax 1. FiMaNoG

2. FiMaNoG

FinB FinVerwG FLF FlRG

FIU Fn. FN A FN B FO FoR FP-IPBPR 2. FP-IPBPR

FPR FRA FRONTEX FS FS (Name) FuR G 10

GA

XXV

S. 2586, 2009 I S. 1102); zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 19.3.2020 (BGBl. I S. 541) Gesetz über Fernmeldeanlagen vom 6.4.1892 i. d. F. der Bek. vom 3.7.1989 (BGBl. I S. 1455); ersetzt durch das TKG Gesetz über Aufklärung, Verhütung, Familienplanung und Beratung vom 27.7.1992 (BGBl. I S. 1398) Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fachanwaltsordnung i. d. F. der Bek. vom 1.7.2019, zuletzt geändert durch Beschluss der Satzungsversammlung vom 26.11.2018 (BRAK-Mitt. 2019, 81) Finanzgericht/Festgabe Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17.5.1898 i. d. F. der Bek. vom 20.5.1898 (RGBl. S. 771) Finanzgerichtsordnung, neugefasst durch Bek. vom 28.3.2001 (BGBl. I S. 442, 2262, 2002 I S. 679); zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 12.12.2019 (BGBl. I S. 2633) Praxis der freiwilligen Gerichtsbarkeit Erstes Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Erstes Finanzmarktnovellierungsgesetz) vom 30.6.2016 (BGBl. I S. 1514) Zweites Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz) vom 23.6.2017 (BGBl. I S. 1693) Finanzbehörde Gesetz über die Finanzverwaltung vom 6.9.1950 (BGBl. I S. 448) i. d. F. der Bek. vom 30.8.1971 (BGBl. I S. 1426) Finanzierung Leasing Factoring (Zeitschrift) Gesetz über das Flaggenrecht der Seeschiffe und die Flaggenführung der Binnenschiffe (Flaggenrechtsgesetz) vom 8.2.1951 i. d. F. der Bek. vom 29.10.1994 (BGBl. I S. 3140) Financial Intelligence Unit Fußnote Fundstellennachweis des Deutschen Bundesrechts, Bundesrecht ohne völkerrechtliche Vereinbarungen und Verträge mit der DDR Fundstellennachweis des Deutschen Bundesrechts, Völkerrechtliche Vereinbarungen und Verträge mit der DDR Fernmeldeordnung i. d. F. der Bek. vom 5.5.1971 (BGBl. I S. 541) Forum Recht (Zeitschrift) (1.) Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 (BGBl. 1992 II S. 1247) 2. Fakultativprotokoll zu dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe vom 15.12.1989 (BGBl. 1992 II S. 390) Familie Partnerschaft Recht Agentur der Europäischen Union für Grundrechte/Agency for Fundamental Rights Europäische Grenzschutzagentur Forum Strafvollzug – Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe (früher ZfStrV) Festschrift, auch Festgabe usw. (angefügt Name des Geehrten) Familie und Recht Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vom 26.6.2001 (BGBl. I S. 1254), zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 17.8.2017 (BGBl. I S. 3202), (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) Goltdammer’s Archiv für Strafrecht, zitiert nach Jahr und Seite (bis 1933: Archiv für Strafrecht und Strafpolitik, zitiert nach Band und Seite)

Abkürzungsverzeichnis

GASP GBA GBl. GBl./DDR I, II GedS gem. GemDatG

GemProt. GenG

GenStA GerS Ges. GeschlkrG GeschO GETZ GewO GewSchG

GewVerbrG GG ggf. GKG GKI GKÖD GLY GmbH GmbHG GMBl. GmS-OGB GnO GNotKG

GoJIL GoltdA GRC grds. GRECO GreifRecht GRETA GREVIO GrSSt Gruchot GRUR

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Generalbundesanwalt Gesetzblatt Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil I und II (1949 bis 1990) Gedächtnisschrift (angefügt Name des Geehrten) gemäß Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder vom 22.12.2006 (Gemeinsame-Dateien-Gesetz) (BGBl. I S. 3409) Gemeinsames Protokoll Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom 1.5.1889, neugefasst durch Bek. vom 16.10.2006 (BGBl. I S. 2230); zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom 17.7.2017 (BGBl. I S. 2541) Generalstaatsanwaltschaft Der Gerichtssaal (1849–1942) Gesetz Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 23.7.1953 (BGBl. I S. 700) Geschäftsordnung Gemeinsames Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum Gewerbeordnung vom 21.6.1869, neugefasst durch Bek. vom 22.2.1999 (BGBl. I S. 202); zuletzt geändert durch Art. 15 des Gesetzes vom 22.11.2019 (BGBl. I S. 1746) Gesetz vom 11.12.2001 zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung (Gewaltschutzgesetz – GewSchG; BGBl. I S. 3513) Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24.11.1933 (RGBl. I S. 995) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949 (BGBl. S. 1) gegebenenfalls Gerichtskostengesetz vom 5.5.2004 (BGBl. I S. 718); zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 9.12.2019 (BGBl. I S. 2146) Gemeinsame Kontrollinstanz (jeweils eingerichtet bei Europol und Eurojust) Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht German Law Journal (Internet-Zeitschrift; www.germanlawjournal.de) Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 20.4.1892 (RGBl. S. 477); zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes vom 17.7.2017 (BGBl. I S. 2446) Gemeinsames Ministerialblatt Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gnadenordnung Gesetz über Kosten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für Gerichte und Notare (Gerichts- und Notarkostengesetz) vom 23.7.2013 (BGBl. I S. 2586); zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 17.12.2018 (BGBl. I S. 2573). Göttingen Journal of International Law (Online-Zeitschrift) s. GA Europäische Grundrechtecharta grundsätzlich Group of States against Corruption Greifswalder Halbjahresschrift für Rechtswissenschaft Group of Experts on Action against Trafficking in Human Beings Expertengruppe zur Überwachung des Übereinkommens zum Schutz von Frauen vor Gewalt und häuslicher Gewalt (CETS 210) Großer Senat in Strafsachen Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts, begründet von Gruchot Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift)

XXVI

Abkürzungsverzeichnis

GRURInt GS GSNW GSSchlH GStA GSZ GÜG

GuP GÜV GV GVBl. GVBl. II GVG GVGA GVGÄG 1971 GVGÄG 1974 GVG/DDR

GVO GVVG-ÄndG GVVO

GWB GwG GWR GYIL Haager Abk. HalbleiterschutzG Hamb. HambJVBl. Hans. HansGZ HansJVBl. HansOLGSt HansRGZ HansRZ

HdR Hess. HESt

XXVII

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht International (Zeitschrift) Gesetzessammlung Sammlung des bereinigten Landesrechts Nordrhein-Westfalen (1945–56) Sammlung des schleswig-holsteinischen Landesrechts, 2 Bände (1963) Generalstaatsanwalt Zeitschrift für das Gesamte Sicherheitsrecht Gesetz zur Überwachung des Verkehrs mit Grundstoffen, die für die unerlaubte Herstellung von Betäubungsmitteln mißbraucht werden können (Grundstoffüberwachungsgesetz – GÜG) vom 7.10.1994 (BGBl. I S. 2835) Gesundheit und Pflege (Zeitschrift) Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24.5.1961 (BGBl. I S. 607) Gemeinsame Verfügung (mehrerer Ministerien) Gesetz- und Verordnungsblatt Sammlung des bereinigten Hessischen Landesrechts Gerichtsverfassungsgesetz vom 27.1.1877 i. d. F. der Bek. vom 9.5.1975 (BGBl. I S. 1077) Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher Gesetz zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 8.9.1971 (BGBl. I S. 1513) Gesetz zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 25.3.1974 (BGBl. I S. 761) Gesetz über die Verfassung der Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik – Gerichtsverfassungsgesetz – vom 27.9.1974 (GBl. I S. 457), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5.7.1990 (GBl. I S. 595) Gerichtsvollzieherordnung Gesetz zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten vom 12.6.2015 (BGBl. I S. 926) Verordnung zur einheitlichen Regelung der Gerichtsverfassung vom 20.3.1935 (RGBl. I S. 403) in der im BGBl. III Gliederungsnummer 300-5 veröffentlichten bereinigten Fassung Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27.7.1957 i. d. F. der Bek. vom 26.8.1998 (BGBl. I S. 2546) Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz – GwG) vom 25.10.1993 (BGBl. I S. 1770) Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) German Yearbook of International Law (Zeitschrift) Haager Abkommen über den Zivilprozeß vom 17.7.1905 (RGBl. 1909 S. 409) Gesetz über den Schutz der Topographien von mikroelektronischen Halbleitererzeugnissen (Halbleiterschutzgesetz) vom 22.10.1987 (BGBl. I S. 2294) Hamburg Hamburgisches Justizverwaltungsblatt Hanseatisch Hanseatische Gerichtszeitung (1880 bis 1927) Hanseatisches Justizverwaltungsblatt (bis 1946/47) Entscheidungen des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Strafsachen (1879 bis 1932/33) Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift (1928–43), vorher: Hanseatische Rechtszeitschrift für Handel, Schiff-Fahrt und Versicherung, Kolonialund Auslandsbeziehungen sowie für Hansestädtisches Recht (1918 bis 1927) HbStrVf/Verfasser Handbuch zum Strafverfahren, hrsg. von Heghmanns/Scheffler Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, herausgegeben von Stier-Somlo und Elster (1926 bis 1937) Hessen Höchstrichterliche Entscheidungen, Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der Obersten Gerichte in Strafsachen (1948–49)

Abkürzungsverzeichnis

HGB HKÜ h. M. HmbStVollzG HRC HRLR HRN HRR HRRS HRSt HRLJ Hs. HSOG HStVollzG HUDOC HuV-I HV IAGMR ICC ICC-Statut ICJ ICLQ ICLR ICPA ICTR ICTY i. d. F. i. d. R. i. e. S. IFCCLGE IGH i. H. v. IKV ILEA ILO InfAuslR INPOL InsO INTERPA IPBPR IPBPRG IPWSKR IRG

i. S. i. S. d.

Handelsgesetzbuch vom 10.5.1897 (RGBl. S. 219) Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 herrschende Meinung Hamburgisches Strafvollzugsgesetz Human Rights Committee – UN-Menschenrechtsausschuss Human Rights Law Review Hamburger Rechtsnotizen (Zeitschrift) Höchstrichterliche Rechtsprechung (1928 bis 1942) Online-Zeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht (www.hrr-strafrecht.de) Entscheidungen zum Strafrecht, Strafverfahrensrecht und zu den Nebengebieten (Höchstrichterliche Rechtsprechung) (ab 1996) Human Rights Law Journal Halbsatz Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung Hessisches Strafvollzugsgesetz Human Rights Documentation des Europarates Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften Hauptverhandlung Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte siehe IStGH siehe IStGH-Statut siehe IGH The International and Cooperative Law Quarterly International Criminal Law Review International Corrections and Prisons Association Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in der Fassung in der Regel im engeren Sinne International Forum on Crime and Criminal Law in the Global Era (Peking) Internationaler Gerichtshof ICJ (Den Haag) in Höhe von Internationale Kriminalistische Vereinigung International Law Enforcement Academy International Labour Organization (Internationale Arbeitsorganisation) Informationsbrief Ausländerrecht Informationssystem der Polizei Insolvenzordnung vom 5.10.1994 (BGBl. I S. 2866); zuletzt geändert durch Art. 24 Abs. 3 des Gesetzes vom 23.6.2017 (BGBl. I S. 1693) International Association of Police Academies Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 (BGBl. 1973 II S. 1534) Zustimmungsgesetz zu dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 15.11.1973 (BGBl. II S. 1533) Internationaler Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte vom 19.12.1966 (BGBl. 1973 II S. 1570) Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen i. d. F. der Bek. vom 27.6.1994 (BGBl. I S. 1537); zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 10.12.2019 (BGBl. I S. 2128) im Sinne im Sinne des/der

XXVIII

Abkürzungsverzeichnis

IStR i. S. v. IStGH IStGHG IStGHSt ITRB Iurratio i. V. m. IWG i. w. S. JA JahrbÖR JahrbPostw. JAVollzO

Internationales Steuerrecht – Zeitschrift für europäische und internationale Wirtschaftsberatung im Sinne von Internationaler Strafgerichtshof ICC (Den Haag) Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof vom 21.6.2002 (BGBl. I S. 2144) Gesetz vom 4.12.2000 zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 – IStGH-Statutgesetz (BGBl. II S. 1393) IT-Rechts-Berater Zeitschrift für Stud. Iur und junge Juristen in Verbindung mit International Working Group on Police Undercover Activities im weiteren Sinne

Juristische Arbeitsblätter für Ausbildung und Examen Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Jahrbuch des Postwesens (1937 bis 1941/42) Jugendarrestvollzugsordnung vom 12.8.1966 i. d. F. der Bek. vom 30.11.1976 (BGBl. I S. 3270) JBeitrO Justizbeitreibungsordnung vom 11.3.1937 (RGBl. I S. 298) JBl. Justizblatt/Juristische Blätter (Österreich) JBlRhPf. Justizblatt Rheinland-Pfalz JBlSaar Justizblatt des Saarlandes JGG Jugendgerichtsgesetz vom 4.8.1953 i. d. F. der Bek. vom 11.12.1974 (BGBl. I S. 3427) JICJ Journal of International Criminal Justice JIR Jahrbuch für internationales Recht JK Jura-Kartei JKassO Justizkassenordnung JKomG Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz (Justizkommunikationsgesetz – JKomG) vom 22.3.2005 (BGBl. I S. 832) JKostG Justizkostengesetz (Landesrecht) JLCJ Journal of Law and Criminal Justice jM juris – Die Monatsschrift JMBl. Justizministerialblatt JMBlNRW, JMBlNW Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen JMK Justizministerkonferenz (Konferenz der Landesjustizministerinnen und -minister) JoJZG Journal der Juristischen Zeitgeschichte JOR Jahrbuch für Ostrecht JöR Jahrbuch des öffentlichen Rechts JP Juristische Person JR Juristische Rundschau JRP Journal für Rechtspolitik JSt Journal für Strafrecht JugG Jugendgericht JugK Jugendkammer JugSchG Jugendschöffengericht JugStrafgG Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetz) vom 10.4.1995 (BGBl. I S. 485) Jura Juristische Ausbildung (Zeitschrift) JUFIL Journal on the Use of Force and International Law JurBüro Das juristische Büro (Zeitschrift) JurJahrb. Juristen-Jahrbuch JuS Juristische Schulung (Zeitschrift) Justiz Die Justiz, Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg JV Justizverwaltung

XXIX

Abkürzungsverzeichnis

JVA JVBl. JVEG

JVerwA JverwB JVKostG JVKostO JVollz. JVollzGB JW JZ 1. JuMoG 2. JuMoG

Kap. KAS kes KFZ KG KGJ KJ KO KoDD KOM KonsG KostÄndG KostRMoG 2. KostRMoG KostMaßnG KostO

KostRÄndG 1994 KostRspr. KostVfg. K&R KrG Kriminalist Kriminalistik KrimJ

Justizvollzugsanstalt Justizverwaltungsblatt Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz) vom 5.5.2004 (BGBl. I S. 718) Justizverwaltungsakt Justizverwaltungsbehörde Gesetz über Kosten in Angelegenheiten der Justizverwaltung vom 23.7.2013 (BGBl. I S. 2586) Verordnung über Kosten im Bereich der Justizverwaltung vom 14.2.1940 (RGBl. I S. 357) – ersetzt durch das JVKostG mit Wirkung zum 1.8.2013 Jugendstrafvollzugsordnung: s. auch JAVollzO Gesetzbuch über den Justizvollzug in Baden-Württemberg Juristische Wochenschrift Juristen-Zeitung Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz) vom 24.8.2004 (BGBl. I S. 2198) Zweites Gesetz zur Modernisierung der Justiz (2. Justizmodernisierungsgesetz) vom 22.10.2006 (BGBl. I S. 3416) Kapitel Konrad-Adenauer-Stiftung Zeitschrift für Informations-Sicherheit Kraftfahrzeug Kammergericht/Kommanditgesellschaft Jahrbuch der Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in Kosten-, Stempel- und Strafsachen (1881–1922) Kritische Justiz (Zeitschrift) Konkursordnung vom 10.2.1877 i. d. F. der Bek. vom 20.5.1898 (RGBl. S. 612) Koordinierungsdauerdienst (Eurojust) Dokument(e) der Europäischen Kommission Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (Konsulargesetz) vom 1.9.1974 (BGBl. I S. 2317) Gesetz zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften vom 26.7.1957 (BGBl. I S. 861) Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5.5.2004 – Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (BGBl. I S. 718) Zweites Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts vom 23.7.2013 – 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (BGBl. I S. 2586) Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiet des Kostenrechts vom 7.8.1952 (BGBl. I S. 401) Gesetz über die Kosten in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit i. d. F. der Bek. vom 26.7.1957 (BGBl. I S. 861) – ersetzt durch das GNotKG mit Wirkung zum 1.8.2013 Gesetz zur Änderung von Kostengesetzen und anderen Gesetzen (Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 – KostRÄndG 1994) vom 24.6.1994 (BGBl. I S. 1325) Kostenrechtsprechung (Loseblattsammlung) Kostenverfügung, Durchführungsbestimmungen zu den Kostengesetzen Kommunikation und Recht (Zeitschrift) Kreisgericht Der Kriminalist (Zeitschrift) Kriminalistik, Zeitschrift für die gesamte kriminalistische Wissenschaft und Praxis Kriminologisches Journal

XXX

Abkürzungsverzeichnis

KrimPäd. KriPoZ Krit. KritV/CritQ/RCrit

KronzG KronzVerlG

2. KronzVerlG

KSI KSZE KSzW KUG KUP KuR KUR k+v KVGKG KWKG

LegPer. Lfg. LFGB LG LJV LKA LKV LM LMBG

LMG (1936) LPartG LPG LRE Ls. LuftFzgG LuftVG LuftVO LV LVerf. LVG LZ

XXXI

Kriminalpädagogische Praxis (Zeitschrift) Kriminalpolitische Zeitschrift Kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft/Critical Quarterly for Legislation and Law/Revue critique trimestrielle de jurisprudence et de législation Gesetz zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (Art. 4 des StGBÄndG 1989) vom 9.6.1989 (BGBl. I S. 1059) Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (Kronzeugen-Verlängerungs-Gesetz) vom 16.2.1993 (BGBl. I S. 238) Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (2. Kronzeugen-Verlängerungs-Gesetz) vom 19.1.1996 (BGBl. I S. 58) Krisen-, Sanierungs- und Insolvenzberatung (Zeitschrift) Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht Gesetz über das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Fotografie vom 9.1.1907 (RGBl. S. 7) Kriminologie und Praxis (Schriftenreihe der Kriminologischen Zentralstelle) Kirche und Recht (Zeitschrift) Kunst und Recht (Zeitschrift) Kraftfahrt und Verkehrsrecht, Zeitschrift der Akademie für Verkehrswissenschaft Kostenverzeichnis (Anlage 1 zum GKG) Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen i. d. F. der Bek. vom 22.11.1990 (BGBl. I S. 2506) Legislaturperiode Lieferung Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch Landgericht Landesjustizverwaltung Landeskriminalamt Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs (Loseblattsammlung), hrsg. von Lindenmaier/Möhring u. a. Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen (Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz) i. d. F. der Bek. vom 9.9.1997 (BGBl. I S. 2297) Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen (Lebensmittelgesetz) vom 5.7.1927 i. d. F. der Bek. vom 17.1.1936 (RGBl. I S. 17) Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft (Lebenspartnerschaftsgesetz) vom 16.2.2001 (BGBl. I S. 266) Landespressegesetz Sammlung lebensmittelrechtlicher Entscheidungen Leitsatz Gesetz über Rechte an Luftfahrzeugen vom 26.2.1959 (BGBl. I 57) Luftverkehrsgesetz i. d. F. der Bek. vom 27.3.1999 (BGBl. I S. 550) Luftverkehrs-Ordnung i. d. F. der Bek. vom 27.3.1999 (BGBl. I S. 580) Literaturverzeichnis, Schrifttumsverzeichnis Landesverfassung Landesverwaltungsgericht Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht (1907 bis 1933)

Abkürzungsverzeichnis

MABl. MarkenG

Mat. MatStrRRef. MBl. MDR MedR medstra MEPA MiStra. MittKV MMR MOG MONEYVAL Mot. MR MRG MSchrKrim. MSchrKrimPsych. MStGO Muster-Entw. MV m.w.B. m.w.N. NachtrSichVG NATO-Truppenstatut Nds. NdsAGGVG NdsRpfl. n. F. N.F. Nieders. GVBl. Sb. I, II NJ NJECL NJOZ NJVollzG NJW NKrimpol. NLMR noeP NordÖR

Ministerialamtsblatt Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (Markengesetz – MarkenG) vom 25.10.1994 (BGBl. I S. 3082, 1995 I S. 156, 1996 I S. 682); zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 11.12.2018 (BGBl. I S. 2357) s. Hahn Materialien zur Strafrechtsreform, herausgegeben vom BMJ, Bd. 1–15 (1954–1960) (s. auch Entw.) Ministerialblatt Monatsschrift für Deutsches Recht Medizinrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für Medizinstrafrecht Mitteleuropäische Polizeiakademie Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen vom 15.3.1985 i. d. F. der Bek. vom 29.4.1998, bundeseinheitlich Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung (1889 bis 1914; 1926 bis 1933) MultiMedia und Recht (Zeitschrift) Gesetz zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation vom 31.8.1972 (BGBl. I S. 1617) Committee of Experts on the Evaluation of Anti-Money Laundering Measures and the Financing of Terrorism Begründung zur Strafprozeßordnung bei Hahn (s. dort) Medien und Recht (Österreich) Militärregierungsgesetz Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform (1904/05 bis 1936) Militärstrafgerichtsordnung i. d. F. der Bek. vom 29.9.1936 (RGBl. I S. 755) Muster-Entwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes, verabschiedet von der JMK am 10./11.6.1976, geändert durch Beschluss der JMK vom 25.11.1977 Mecklenburg-Vorpommern mit weiteren Beispielen mit weiteren Nachweisen Gesetz zur Einführung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23.7.2004 (BGBl. I S. 1838) Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags vom 19.6.1951 über die Rechtsstellung ihrer Truppen (BGBl. 1961 II S. 1183, 1190), Bek. vom 16.6.1963 (BGBl. II S. 745) Niedersachsen Niedersächsisches Ausführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz vom 5.4.1963 (GVBl. S. 225) Niedersächsische Rechtspflege neue Fassung Neue Folge Niedersächsisches Gesetz und Verordnungsblatt, Sonderband I und II, Sammlung des bereinigten niedersächsischen Rechts Neue Justiz (bis 1990 DDR) New Journal of European Criminal Law Neue Juristische Online-Zeitschrift (nur über beck-online abrufbar) Niedersächsisches Justizvollzugsgesetz Neue Juristische Wochenschrift Neue Kriminalpolitik (Zeitschrift) Newsletter Menschenrechte Nicht offen ermittelnder Polizeibeamter Zeitschrift für Öffentliches Recht in Norddeutschland

XXXII

Abkürzungsverzeichnis

NotVO NPA NRO NRW NRWO NStE NStZ NStZ-RR NuR NVwZ NWB NWVBl. NZA NZA-RR NZI NZM NZS NZV NZWehrr NZWiSt OASG OBLG OECD OEG OER OG OGH OGHSt ÖJZ OLAF OLG OLG-NL OLGR OLGSt OLGSt N. F OLGVertrÄndG OPCAT OpferRRG 2. OpferRRG 3. OpferRRG OpferschutzG OrgKG

XXXIII

s. Ausn. VO Neues Polizei-Archiv Nichtregierungsorganisation Nordrhein-Westfalen (österreichisches) Bundesgesetz über die Wahl des Nationalrates (Nationalrats-Wahlordnung 1992) Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ – Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift, ab 1996) Natur und Recht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NWB Steuer- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Nordrheinwestfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZA-Rechtsprechungs-Report Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Neue Zeitschrift für Wehrrecht Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht Gesetz zur Sicherung der zivilrechtlichen Ansprüche der Opfer von Straftaten (Opferanspruchsicherungsgesetz) vom 8.5.1998 (BGBl. I S. 905) Oberstes Landesgericht Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten vom 11.5.1976 (BGBl. I S. 1181) i. d. F. der Bek. vom 7.1.1985 (BGBl. I S. 1) Osteuropa-Recht Oberstes Gericht der DDR Oberster Gerichtshof (Österreich) Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen (1949/50) Österreichische Juristen-Zeitung Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung (Office Européen de Lutte Anti-Fraude) Oberlandesgericht OLG-Report Neue Länder OLG-Report Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht (Loseblattausgabe, bis 1983) Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht, Neue Folge (Loseblattausgabe, ab 1983) Gesetz zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten vom 23.7.2002 (BGBl. I S. 2850) siehe UNCAT Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (Opferrechtsreformgesetz – OpferRRG) vom 24.6.2004 (BGBl. I S. 1354) Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren (2. Opferrechtsreformgesetz) vom 29.7.2009 (BGBl. I S. 2280) Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz) vom 21.12.2015 (BGBl. I S. 2525) Erstes Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren (Opferschutzgesetz) vom 18.12.1986 (BGBl. I S. 2496) Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15.7.1992 (BGBl. I S. 1302)

Abkürzungsverzeichnis

OrgStA ÖRiZ ÖRZ OStA ÖstAnwBl. öStVG ÖStZ OSZE ÖVerfG OVG OWG/DDR

OWiG OWiGÄndG

PaO ParlStG PartG PaßG PatG PAuswG PD-I PD-IM PD-JS PD-RfA PD-SEF PD-WP PflVG PJZS PKH PKHÄndG PlenProt. PNR POGNW PolGBW Polizei PostG PostO PostStruktG Pr. prALR PräsLG PräsOLG

Anordnung über Organisation und Dienstbetrieb der Staatsanwaltschaften Österreichische Richterzeitung Österreichische Raiffeisen-Zeitung Oberstaatsanwalt Österreichisches Anwaltsblatt Österreichisches Strafvollzugsgesetz Österreichische Steuerzeitung Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Österreichischer Verfassungsgerichtshof Oberverwaltungsgericht Gesetz zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten (der Deutschen Demokratischen Republik) vom 12.1.1968 (GBl. I S. 101), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29.6.1990 (GBl. I S. 526) Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, neugefasst durch Bek. vom 19.2.1987 (BGBl. I S. 602); zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 9.12.2019 (BGBl. I S. 2146) Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 7.7.1986 (BGBl. I S. 977) Patentanwaltsordnung vom 7.9.1966 (BGBl. I S. 557); zuletzt geändert durch Art. 16 des Gesetzes vom 12.12.2019 (BGBl. I S. 2602) Gesetz über die Rechtsverhältnisse der parlamentarischen Staatssekretäre vom 24.7.1974 (BGBl. I S. 1538) Gesetz über die politischen Parteien (Parteiengesetz) neugefasst durch Bek. vom 31.1.1994, BGBl. I S. 149 Paßgesetz vom 19.4.1986 (BGBl. I S. 537) Patentgesetz, neugefasst durch Bek. vom 16.12.1980 (BGBl. 1981 I S. 1); zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 8.10.2017 (BGBl. I S. 3546) Gesetz über Personalausweise vom 19.12.1950 (BGBl. I S. 807) i. d. F. der Bek. vom 21.4.1986 (BGBl. I S. 548) Practice Direction – Institution of Proceedings (EGMR) Practice Direction – Interim Measures (EGMR) Practice Direction – Just Satisfaction Claims (EGMR) Practice Direction – Request for Anonymity (EGMR) Practice Direction – Secured Electronic Filing (EGMR) Practice Direction – Written Pleadings (EGMR) Gesetz über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter i. d. F. der Bek. vom 5.4.1965 (BGBl. I S. 213) Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen Prozesskostenhilfe Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Prozeßkostenhilfe (Prozeßkostenhilfeänderungsgesetz – PKHÄndG) vom 10.10.1994 (BGBl. I S. 2954) Plenarprotokoll, Stenographische Berichte der Sitzungen des Deutschen Bundestages Passenger Name Record Polizeiorganisationsgesetz (des Landes NRW) i. d. F. der Bek. vom 22.10.1994 (GVNW S. 852) Polizeigesetz (des Landes BW) i. d. F. der Bek. vom 13.1.1992 (GBl. S. 1) s. Die Polizei Gesetz über das Postwesen i. d. F. der Bek. vom 3.7.1989 (BGBl. I S. 1449) Postordnung vom 16.5.1963 (BGBl. I S. 341) Gesetz zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost (Poststrukturgesetz – PoststruktG) vom 8.6.1989 (BGBl. I S. 1026) Preußen Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Präsident des Landgerichts Präsident des Oberlandesgerichts

XXXIV

Abkürzungsverzeichnis

PräsVerfG PrGS PrG Prot. ProzeßkostenhG Pro-Eurojust PrPG PrZeugnVerwG PStR PsychPbG PTNeuOG PUAG PV PVG PVR RA RabelsZ RAG/DDR RAHG RANotz.PrG RAO RAussch. RB RBEuHb

RBerG

RdA RdErl. RDG RDH RDIDC RdJB RdK RdM RDStH RDStO RDV Recht recht RefE Reg. RegBl.

XXXV

Gesetz über die Änderung der Bezeichnungen der Richter und ehrenamtlichen Richter und der Präsidialverfassungen der Gerichte vom 26.5.1972 (BGBl. I S. 841) Preußische Gesetzessammlung (1810–1945) Pressegesetz (Landesrecht) Protokoll Gesetz über die Prozeßkostenhilfe vom 13.6.1980 (BGBl. I S. 677) Vorgänger- und Gründungseinheit von Eurojust Gesetz zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie (PrPG) vom 7.3.1990 (BGBl. I S. 422) Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk vom 25.7.1975 (BGBl. I S. 1973) Praxis Steuerstrafrecht Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren, Art. 4 des Gesetzes vom 21.12.2015 (BGBl. I S. 2525, 2529, Nr. 55) Gesetz zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation (Postneuordnungsgesetz – PTNeuOG) vom 14.9.1994 (BGBl. I S. 2325) Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (Untersuchungsausschussgesetz – PUAG) vom 19.6.2001 (BGBl. I S. 1142) Personenvereinigung Polizeiverwaltungsgesetz Praxis Verkehrsrecht Rechtsanwalt Rabels-Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rechtsanwaltsgesetz der Deutschen Demokratischen Republik vom 13.9.1990 (GBl. I S. 1504) s. RHG Gesetz zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter vom 24.6.1992 (BGBl. I S. 1386) Reichsabgabenordnung vom 13.12.1919, aufgehoben durch AO vom 16.3.1976 Rechtsausschuss Rahmenbeschluss (Art. 34 EU) Rahmenbeschluss des Rates (2002/584/JI) vom 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABlEU Nr. L 190 vom 18.7.2002, S. 1) Gesetz zur Verhütung von Mißbrauch auf dem Gebiet der Rechtsberatung vom 13.12.1935 (RGBl. I S. 1478); aufgehoben durch Art. 20 des Gesetzes vom 12.12.2007 (BGBl. I S. 2840) Recht der Arbeit Runderlass Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (Rechtsdienstleistungsgesetz – RDG) vom 12.12.2007 (BGBl. I. S. 2840) Revue des Droits de l’Homme Revue de droit international et de droit comparé Recht der Jugend und des Bildungswesens (Zeitschrift) Das Recht des Kraftfahrers (1926–43, 1949–55) Recht der Medizin Entscheidungen des Reichsdienststrafhofs (1939–41) Reichsdienststrafordnung vom 26.1.1937 (RGBl. I S. 71) Recht der Datenverarbeitung Das Recht, begründet von Soergel (1897 bis 1944) Information des Bundesministers der Justiz Referentenentwurf Regierung Regierungsblatt

Abkürzungsverzeichnis

RegE RegE TKÜ

RehabG Res. RevMC Rev.trim.dr.h. RG RGBl., RGBl. I, II RGRspr. RGSt RGZ RheinSchA RHG RHGDVO RhPf. RiA RichtlRA RiG/DDR RiJGG RiStBV

RiVASt RIW RKG(E) RL RMBl. RMilGE Rn. ROW RpflAnpG RpflAnpÄndG Rpfleger RpflEntlG RpflG RpflVereinfG RPsych Rspr. RT RTDE RTDrucks. RTh

Regierungsentwurf Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/EG vom 18.4.2007 Rehabilitierungsgesetz (der Deutschen Demokratischen Republik) vom 6.9.1990 (GBl. I S. 1459), aufgehoben durch StrRehaG Resolution Revue du Marché commun et de l’Union européenne Revue trimestrielle des droits de l’homme Reichsgericht Reichsgesetzblatt, von 1922 bis 1945 Teil I und II Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen (1879 bis 1888) Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Revidierte Rheinschiffahrtsakte (Mannheimer Akte) i. d. F. der Bek. vom 11.3.1969 (BGBl. II S. 597) Gesetz über die innerdeutsche Rechts und Amtshilfe in Strafsachen vom 2.5.1953 (BGBl. I S. 161) Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen vom 23.12.1953 (BGBl. I S. 1569) Rheinland-Pfalz Recht im Amt Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts – Richtlinien gem. § 177 Abs. 2 Satz 2 BRAO vom 21.6.1973 Richtergesetz der Deutschen Demokratischen Republik vom 5.7.1990 (GBl. I S. 637) Richtlinien zum Jugendgerichtsgesetz Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren vom 1.12.1970 (BAnz. Nr. 17/1971), i. d. F. der Bek. vom 1.2.1997 mit spät. Änderungen, bundeseinheitlich Richtlinien für den Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Reichskriegsgericht (Entscheidungen des RKG) Richtlinie Reichsministerialblatt, Zentralblatt für das Deutsche Reich (1923–45) Entscheidungen des Reichsmilitärgerichts Randnummer Recht in Ost und West (Zeitschrift) Gesetz zur Anpassung der Rechtspflege im Beitrittsgebiet (Rechtspflege-Anpassungsgesetz – RpflAnpG) vom 26.6.1992 (BGBl. I S. 1147) Gesetz zur Änderung des RechtspflegeAnpassungsgesetzes – RpflAnpG vom 7.12.1995 (BGBl. I S. 1590) Der Deutsche Rechtspfleger Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.1.1993 (BGBl. I S. 50) Rechtspflegergesetz vom 5.11.1969 (BGBl. I S. 2065) Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 17.12.1990 (BGBl. I S. 2847) Rechtspsychologie (Zeitschrift) Rechtsprechung Reichstag Revue trimestrielle de droit européen Drucksachen des Reichstags Zeitschrift für Logik und Juristische Methodenlehre, Rechtsinformatik, Kommunikationsforschung, Normen- und Handlungstheorie, Soziologie und Philosophie des Rechts – eJournal

XXXVI

Abkürzungsverzeichnis

RTVerh. RuP RVerf. RVG RVO RW RZ R&P r+s S. Sa. SaAnh. SaBremR SächsArch. SächsOLG SAM SchAZtg SchiedsmZ SchiedsstG SchlH SchlHA SchrR SchrRAGStrafR SchRG SchrRBRAK SchwarzArbG SchwGBG SchwJZ SchwZStr SDÜ

1. SED-UnberG 2. SED-UnberG SeeAufgG SeemG SeuffBl. SFHÄndG SFHG

XXXVII

Verhandlungen des Reichstags Recht und Politik (Zeitschrift) s. WeimVerf. Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte – Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vom 5.5.2004 (BGBl. I S. 718) Reichsversicherungsordnung vom 19.7.1911 i. d. F. der Bek. vom 15.12.1924 (RGBl. I S. 779) Rechtswissenschaft – Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Forschung siehe: ÖRiZ Recht und Psychiatrie (Zeitschrift) Recht und Schaden (Zeitschrift) Satz, Seite Sachsen Sachsen-Anhalt Sammlung des bremischen Rechts (1964) Sächsisches Archiv für Rechtspflege, seit 1924 (bis 1941/42) Archiv für Rechtspflege in Sachsen, Thüringen und Anhalt Annalen des Sächsischen Oberlandesgerichts zu Dresden (1880 bis 1920) Steueranwaltsmagazin Schiedsamtszeitung Schiedsmannszeitung (1926 bis 1945), seit 1950 Der Schiedsmann Gesetz (der Deutschen Demokratischen Republik) über die Schiedsstellen in den Gemeinden vom 13.9.1990 (GBl. I S. 1527) Schleswig-Holstein Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schriftenreihe Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im Deutschen Anwaltverein Gesetz über Rechte an eingetragenen Schiffen und Schiffsbauwerken vom 15.11.1940 (RGBl. I S. 1499) Schriftenreihe der Bundesrechtsanwaltskammer Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz – SchwarzArbG) vom 23.7.2004 (BGBl. I S. 1842) Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und Steuerhinterziehung (Schwarzgeldbekämpfungsgesetz) vom 28.4.2011 (BGBl. I S. 676) Schweizerische Juristenzeitung Schweizer Zeitschrift für Strafrecht Übereinkommen vom 19.6.1990 zwischen dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg und dem Königreich der Niederlande zur Durchführung des am 14.6.1985 in Schengen unterzeichneten Übereinkommens betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (Schengener Durchführungsübereinkommen; ABlEG Nr. L 239 vom 22.9.2000, S. 19) Erstes Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht (Erstes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz – 1. SED-UnberG) vom 29.10.1992 (BGBl. I S. 1814) Zweites Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht (Zweites SED-Unrechtsbereinigungsgesetz – 2. SED–UnBerG) vom 23.6.1994 (BGBl. I S. 1311) Gesetz über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschiffahrt (Seeaufgabengesetz – SeeAufgG) vom 24.5.1965 i. d. F. der Bek. vom 27.9.1994 (BGBl. I S. 2802) Seemannsgesetz vom 26.7.1957 (BGBl. II S. 713) Seufferts Blätter für Rechtsanwendung (1836–1913) Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz (SFHÄndG) vom 21.8.1995 (BGBl. I S. 1050) Gesetz zum Schutz des vorgeburtlichen/werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, für Hilfe im Schwangerschaftskonflikt und zur Rege-

Abkürzungsverzeichnis

SGb SGB

SGG SGV.NW SIAK SichVG SIRENE SIS SJIR SJZ SkAufG

s. o. SortSchG SozVw SprengG SprengstG

SpuRt SR SRÜ StA

lung des Schwangerschaftsabbruchs (Schwangeren- und Familienhilfegesetz) vom 27.7.1992 (BGBl. I S. 1398) Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) Sozialgesetzbuch SGB I – Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil (1. Buch), vom 27.12. 2003 (BGBl. I S. 3022) SGB II – Sozialgesetzbuch, Grundsicherung für Arbeitsuchende (2. Buch), vom 24.12.2003 (BGBl. I S. 2954), SGB III – Sozialgesetzbuch, Arbeitsförderung (3. Buch), vom 27.12. 2003 (BGBl. I S. 3022), SGB IV – Sozialgesetzbuch, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (4. Buch) vom 24.7.2003 (BGBl. I S. 1526), SGB V – Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Krankenversicherung (5. Buch) vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022), SGB VI – Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Rentenversicherung (6. Buch) vom 29.4.2004 (BGBl. I S. 678), SGB VII – Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Unfallversicherung (7. Buch) vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3019), SGB VIII – Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfe (8. Buch) vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022), SGB IX – Sozialgesetzbuch, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (9. Buch) vom 23.4.2004 (BGBl. I S. 606), SGB X – Sozialgesetzbuch, Verwaltungsverfahren (10. Buch) vom 5.4.2004 (BGBl. I S. 718), SGB XI – Sozialgesetzbuch, Soziale Pflegeversicherung (11. Buch) vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022), SGB XII – Sozialgesetzbuch, Sozialhilfe (12. Buch) vom 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022) Sozialgerichtsgesetz, neugefasst durch Bek. vom 23.9.1975 (BGBl. I S. 2535); zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 22.3.2020 (BGBl. I S. 604) Sammlung des bereinigten Gesetz- und Verordnungsblatts für das Land NordrheinWestfalen (Loseblattsammlung) Zeitschrift für Polizeiwissenschaft und polizeiliche Praxis (Österreich) Gesetz zur Rechtsvereinheitlichung der Sicherungsverwahrung (SichVG) vom 16.6.1995 (BGBl. I S. 818) Supplementary Information Request at the National Entry (nationale Kontaktstelle des SIS) Schengener Informationssystem Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht Schweizerische Juristen-Zeitung/Süddeutsche Juristenzeitung (1946–50), dann Juristenzeitung Gesetz über dieRechtsstellung ausländischer Streitkräfte bei vorübergehenden Aufenthalten in der Bundesrepublik Deutschland (Streitkräfteaufenthaltsgesetz – SkAufG) vom 20.7.1995 (BGBl. II S. 554) siehe oben Gesetz über den Schutz von Pflanzensorten (Sortenschutzgesetz) vom 20.5.1968 i. d. F. der Bek. vom 4.1.1977 (BGBl. I S. 105) Die Sozialverwaltung (Zeitschrift) Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz – SprengG) vom 13.9.1976 (BGBl. I S. 2737) i. d. F. der Bek. vom 17.4. 1986 (BGBl. I S. 577) Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz) vom 25.8.1969 (BGBl. I S. 1358, ber. BGBl. 1970 I S. 224), aufgehoben durch SprengG vom 13.9.1976 Sport und Recht (Zeitschrift) Soziales Recht (Zeitschrift) Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10.12.1982 (BGBl. 1994 II S. 1799) Staatsanwalt, Staatsanwaltschaft

XXXVIII

Abkürzungsverzeichnis

StAG/DDR StaatsGH StaatsschStrafsG StÄG StAZ StBerG StGB StGB/DDR

StGBÄndG 1976

StGBÄndG 1989

StORMG StPÄG 1964 StPÄG 1972 StPÄG 1978 StPÄG 1986 StPÄG 1988 StPO StPO/DDR StraFo StrafrAbh. StraftVVG StRÄndG

XXXIX

Gesetz über die Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik vom 7.4.1977 (GBl. I S. 93), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5.7.1990 (GBl. I S. 635) Staatsgerichtshof Gesetz zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutz-Strafsachen vom 8.9.1969 (BGBl. I S. 1582) s. StRÄndG Das Standesamt (Zeitschrift) Steuerberatungsgesetz, neugefasst durch Bek. vom 4.11.1975 (BGBl. I S. 2735); zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom 21.12.2019 (BGBl. I S. 2875) Strafgesetzbuch, neugefasst durch Bek. vom 13.11.1998 (BGBl. I S. 3322); zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 3.3.2020 (BGBl. I S. 431) Strafgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 12.1.1968 in der Neufassung vom 14.12.1988 (GBl. I S. 93), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29.6.1990 (GBl. I S. 526) Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Bundesrechtsanwaltsordnung und des Strafvollzugsgesetzes vom 18.8.1976 (BGBl. I S. 218l) Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 9.6.1989 (BGBl. I S. 1059) Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs vom 26.6.2013 (BGBl. I S. 1805) Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19.12.1964 (BGBl. I S. 1067) Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 7.8.1972 (BGBl. I S. 1361) Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 14.4.1978 (BGBl. I S. 497) Paßgesetz und Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 19.4.1986 (BGBl. I S. 537) Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 17.5.1988 (BGBl. I S. 606) Strafprozeßordnung vom 1.2.1877 i. d. F. der Bek. vom 7.4.1987 (BGBl. I S. 1074) Strafprozeßordnung der Deutschen Demokratischen Republik vom 12.1.1968 in der Neufassung vom 19.12.1974 (GBl. 1975 I S. 61) Strafverteidiger Forum (Zeitschrift) Strafrechtliche Abhandlungen, herausgegeben von Bennecke, dann von Beling, v. Lilienthal und Schoetensack Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten vom 30.7.2009 (BGBl. I S. 2437) Strafrechtsänderungsgesetz 1. ~ vom 30.8.1951 (BGBl. I S. 739) 2. ~ vom 6.3.1953 (BGBl. I S. 42) 3. ~ vom 4.8.1953 (BGBl. I S. 735) 4. ~ vom 11.6.1957 (BGBl. I S. 597) 5. ~ vom 24.6.1960 (BGBl. I S. 477) 6. ~ vom 30.6.1960 (BGBl. I S. 478) 7. ~ vom 1.6.1964 (BGBl. I S. 337) 8. ~ vom 25.6.1968 (BGBl. I S. 741) 9. ~ vom 4.8.1969 (BGBl. I S. 1065) 10. ~ vom 7.4.1970 (BGBl. I S. 313) 11. ~ vom 16.12.1971 (BGBl. I S. 1977) 12. ~ vom 16.12.1971 (BGBl. I S. 1779) 13. ~ vom 13.6.1975 (BGBl. I S. 1349) 14. ~ vom 22.4.1976 (BGBl. I S. 1056) 15. ~ vom 18.5.1976 (BGBl. I S. 1213) 16. ~ vom 16.7.1979 (BGBl. I S. 1078) 17. ~ vom 21.12.1979 (BGBl. I S. 2324)

Abkürzungsverzeichnis

18. ~ vom 28.3.1980 (BGBl. I S. 379) – Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität 19. ~ vom 7.8.1981 (BGBl. I S. 808) 20. ~ vom 8.12.1981 (BGBl. I S. 1329) 21. ~ vom 13.6.1985 (BGBl. I S. 963) 22. ~ vom 18.7.1985 (BGBl. I S. 1510) 23. ~ vom 13.4.1986 (BGBl. I S. 1986) 24. ~ vom 13.1.1987 (BGBl. I S. 141) 25. ~ vom 20.8.1990 – § 201 StG – (BGBl. I S. 1764) 26. ~ vom 24.7.1992 – Menschenhandel – (BGBl. I S. 1255) 27. ~ vom 23.7.1993 – Kinderpornographie – (BGBl. I S. 1346) 28. ~ vom 13.1.1994 – Abgeordnetenbestechung – (BGBl. I S. 84) 29. ~ vom 31.5.1994 – §§ 175, 182 StGB – (BGBl. I S. 1168) 30. ~ vom 23.6.1994 – Verjährung von Sexualstraftaten an Kindern und Jugendlichen – BGBl. I S. 1310) 31. ~ vom 27.6.1994 – 2. Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität – (BGBl. I S. 1440) 32. ~ vom 1.6.1995 – §§ 44, 69b StGB – (BGBl. I S. 747) 33. ~ vom 1.7.1997 – §§ 177, 178 StGB (BGBl. I S. 1607) 34. ~ vom 22.8.2002 – § 129b StGB (BGBl. I S. 3390) 35. ~ vom 22.12.2003 – Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln (BGBl. I S. 2838) 36. ~ vom 30.7.2004 – § 201a StGB (BGBl. I S. 2012) 37. ~ vom 18.2.2005 – §§ 180b, 181 StGB (BGBl. I S. 239) 40. ~ vom 22.3.2007 – Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen (Anti-Stalking-Gesetz) (BGBl. I S. 354) 41. ~ vom 7.8.2007 – Bekämpfung der Computerkriminalität (BGBl. I S. 1786) 42. ~ vom 29.6.2009 – Anhebung der Höchstgrenze des Tagessatzes bei Geldstrafen (BGBl. I S. 1658) 43. ~ vom 29.7.2009 – Strafzumessung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe (BGBl. I S. 2288) 44. ~ vom 1.11.2011 – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (BGBl. I S. 2130) 45. ~ vom 6.12.2011 – Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt (BGBl. I S. 2557) 46. ~ vom 10.6.2013 – Beschränkung der Möglichkeit zur Strafmilderung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe (BGBl. I S. 1497) 47. ~ vom 24.9.2013 – Strafbarkeit der Verstümmelung weiblicher Genitalien (BGBl. I S. 3671) 48. ~ vom 23.4.2014 – Erweiterung des Straftatbestandes der Abgeordnetenbestechung (BGBl. I S. 410) 49. ~ vom 21.1.2015 – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht (BGBl. I S. 10) 50. ~ vom 4.11.2016 – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung (BGBl. I S. 2460) 51. ~ vom 11.4.2017 – Strafbarkeit von Sportwettbetrug und der Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben (BGBl. I S. 815) 52. ~ vom 23.5.2017 – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften (BGBl. I S. 1226) 53. ~ vom 11.6.2017 – Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern (BGBl. I S. 1612) 54. ~ vom 17.7.2017 – Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (BGBl. I S. 2440) 55. ~ vom 17.7.2017 – Wohnungseinbruchdiebstahl (BGBl. I S. 2442) 57. ~ vom 3.3.2020 – Versuchsstrafbarkeit des Cybergroomings (BGBl. I S. 431)

XL

Abkürzungsverzeichnis

StraßenVSichG

StREG StrEG STREIT StrFG

StRG

StRR StrRehaG

st.Rspr. StudZR StUG

StuR StuW StV StVÄG 1979 StVÄG 1987 StVÄG 1999 StVG StVO StVollstrO StVollzG StVollzGK StVollzK 1. StVRErgG 1. StVRG StVZO s. u. SubvG SVR SZ SZIER

XLI

58. ~ vom 12.6.2020 – Strafrechtlicher Schutz bei Verunglimpfung der Europäischen Union und ihrer Symbole (BGBl. I S. 1247) 1. Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs (Straßenverkehrssicherungsgesetz) vom 19.12.1952 (BGBl. I S. 832) 2. Zweites ~ vom 26.11.1964 (BGBl. I S. 921) Gesetz über ergänzende Maßnahmen zum 5. StrRG (Strafrechtsreformergänzungsgesetz) vom 28.8.1975 (BGBl. I S. 2289) Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen vom 8.3.1971 (BGBl. I S. 157) Feministische Rechtszeitschrift Straffreiheitsgesetz – 1949 vom 31.12.1949 (BGBl. I S. 37) – 1954 vom 17.7.1954 (BGBl. I S. 203) – 1968 vom 9.7.1968 (BGBl. I S. 773) – 1970 vom 20.5.1970 (BGBl. I S. 509) Gesetz zur Reform des Strafrechts 1. ~ vom 25.6.1969 (BGBl. I S. 645) 2. ~ vom 4.7.1969 (BGBl. I S. 717) 3. ~ vom 20.5.1970 (BGBl. I S. 505) 4. ~ vom 23.11.1973 (BGBl. I S. 1725) 5. ~ vom 18.6.1974 (BGBl. I S. 1297) 6. ~ vom 26.1.1998 (BGBl. I S. 164) StrafRechtsReport – Arbeitszeitschrift für das gesamte Strafrecht Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz – StrRehaG) vom 29.10.1992 (BGBl. I S. 1814) i. d. F. der Bek. vom 17.12.1999 (BGBl. I S. 2664) ständige Rechtsprechung Studentische Zeitschrift für Rechtswissenschaft Heidelberg Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz – StUG) vom 20.12.1991 (BGBl. I S. 2272) Staat und Recht (Zeitschrift DDR, 1950 bis 1990) Steuern und Wirtschaft (Zeitschrift) Strafverteidiger (Zeitschrift) Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 vom 5.10.1978 (BGBl. I S. 1645) Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 vom 27.1.1987 (BGBl. I S. 475) Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 vom 2.8.2000 (BGBl. I S. 1253) Straßenverkehrsgesetz vom 3.5.1909 i. d. F. der Bek. vom 19.12.1952 (BGBl. I S. 837) Straßenverkehrsordnung vom 16.11.1970 (BGBl. I S. 1565, ber. 1971, S. 38) Strafvollstreckungsordnung vom 1.4.2001 (BAnz. Nr. 87) bundeseinheitlich Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung – Strafvollzugsgesetz – vom 16.3.1976 (BGBl. I S. 581) Strafvollzugsgesetz-Kommissionsentwurf, herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz Blätter für Strafvollzugskunde (Beilage zur Zeitschrift „Der Vollzugsdienst“) Gesetz zur Ergänzung des 1. StVRG vom 20.12.1974 (BGBl. I S. 3686) Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 9.12.1974 (BGBl. I S. 3393) Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 13.11.1937 i. d. F. der Bek. vom 28.9.1988 (BGBl. I S. 1793) siehe unten Subventionsgesetz vom 29.7.1976 (BGBl. I S. 2034) Straßenverkehrsrecht (Zeitschrift) Süddeutsche Zeitung Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht

Abkürzungsverzeichnis

TerrorismusG TerrorBekG TerrorBekErgG TFTP ThUG Thür. TiefseebergbauG TierschG TKG TKÜG

TKO TMG TREVI TVöD TV/L Tz. UCLAF UdG ÜAG

ÜberlG ÜberstÜbk

Übk ÜF UFITA UHaftÄndG UN UNCAT

UN-CAT UN-FoltKonv. UNHCR UNO-Pakt UnterbrSichG UrhG UVollzO

Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus vom 19.12.1986 (BGBl. I S. 2566) Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) vom 9.1.2002 (BGBl. I S. 361) Gesetz zur Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes (Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz) vom 5.1.2007 (BGBl. I S. 2) Terrorist Finance Tracking Program Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (Therapieunterbringungsgesetz) vom 22.12.2010 (BGBl. I S. 2300, 2305) Thüringen Gesetz zur vorläufigen Regelung des Tiefseebergbaus vom 16.8.1980 (BGBl. I S. 1457) Tierschutzgesetz vom 24.7.1972 (BGBl. I S. 1277) Telekommunikationsgesetz (TKG) vom 25.7.1996 (BGBl. I S. 1120) Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21.12.2007 (BGBl. I S. 3198) Telekommunikationsordnung vom 16.7.1987 (BGBl. I S. 1761) Telemediengesetz vom 26.2.2007 (BGBl. I S. 179) Terrorisme, Radicalisme, Extremisme et Violence Internationale (1975) – Koordinierungsgruppe Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder Teilziffer Unité de Coordination de la Lutte Anti-Fraude Urkundsbeamter der Geschäftsstelle Gesetz vom 26.9.1991 zur Ausführung des Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen vom 21.3.1983 – Überstellungsausführungsgesetz (BGBl. 1991 I S. 1954) Gesetz zur Überleitung von Bundesrecht nach Berlin (West) (Sechstes Überleitungsgesetz) vom 25.9.1990 (BGBl. I S. 2106) Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 21.3.1983 (ETS 112; BGBl. 1991 II S. 1006; 1992 II S. 98); ZP ÜberstÜbk vom 18.12.1997 (ETS 167) Übereinkommen Übergangsfassung Archiv für Medienrecht und Medienwissenschaft Gesetz zur Abänderung der Untersuchungshaft vom 27.12.1926 (RGBl. I S. 529) Vereinte Nationen Übereinkommen (der Vereinten Nationen) gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984 (BGBl. 1990 II S. 246) OPCAT – Fakultativprotokoll vom 18.12.2002 zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe; Gesetz vom 26.8.2008 (BGBl. 2008 II S. 854) United Nations Committee against Torture – UN-Anti-Folter-Ausschuss Siehe UNCAT United Nations High Commissioner for Refugees – Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen s. IPBPR Gesetz zur Reform des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16.7.2007 (BGBl. I S. 1327) Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) vom 9.9.1965 (BGBl. I S. 1273) Untersuchungshaftvollzugsordnung vom 12.2.1953 i. d. F. der Bek. vom 15.12.1976, bundeseinheitlich

XLII

Abkürzungsverzeichnis

UZwG UZwGBw

VA VBlBW VDA VDB VerbrbekG VerbringungsverbG VereinfVO

VereinhG

VereinsG VerfGH VerfO Verh. 1. VerjährungsG 2. VerjährungsG VerkMitt. VerpflichtG VerschG VersR VerständigungsG VerwArch VG VGH vgl. Vhdlgen VIS VIZ VO VOBl. VOR VR VRR VRS

XLIII

Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes vom 10.3.1961 (BGBl. I S. 165) Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie zivile Wachpersonen vom 12.8.1965 (BGBl. I S. 796) Vorzeitige Anwendung (internationaler Übereinkommen) Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg (Zeitschrift) Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Allgemeiner Teil, Bd. 1 bis 6 (1908) Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Besonderer Teil, Bd. 1 bis 9 (1906) Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetz (Verbrechensbekämpfungsgesetz) vom 28.10.1994 (BGBl. I S. 3186) Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24.5.1961 (BGBl. I S. 607) Vereinfachungsverordnung 1. ~ über Maßnahmen auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung und Rechtspflege vom 1.9.1939 (RGBl. I S. 1658) 2. ~ zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 13.8.1942 (RGBl. I S. 508) 3. ~ zur Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 29.5.1943 (RGBl. I S. 342) 4. ~ zur Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 13.12.1944 (RGBl. I S. 339) Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12.9.1950 (BGBl. I S. 455) Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz) vom 5.8.1964 (BGBl. I S. 593) Verfassungsgerichtshof Verfahrensordnung (siehe EGMRVerfO) Verhandlungen des Deutschen Bundestages (BT), des Deutschen Juristentages (DJT) usw. Gesetz über das Ruhen der Verjährung bei SED-Unrechtstaten vom 26.3.1993 (BGBl. I S. 392) Gesetz zur Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 27.9.1993 (BGBl. I S. 1657) Verkehrsrechtliche Mitteilungen Gesetz über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen (Verpflichtungsgesetz) vom 2.3.1974 (BGBl. I S. 469) Verschollenheitsgesetz vom 15.1.1951 (BGBl. I S. 59) Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29.7.2009 (BGBl. I S. 2353) Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Verfassungsgerichtshof; Verwaltungsgerichtshof vergleiche s. Verh. Visa-Informations-System Vermögens- und Immobilienrecht (Zeitschrift) Verordnung; s. auch AusnVO Verordnungsblatt Zeitschrift für Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht Verwaltungsrundschau VerkehrsRechtsReport Verkehrsrechts-Sammlung

Abkürzungsverzeichnis

VRÜ VStGB VStGBG VVDStRL VVStVollzG VwGO VwRehaG

VwVfG VwZG WDO WehrbeauftrG WeinG Wiener Übereinkommen

WiJ 1. WiKG 2. WiKG WiStG WisteV wistra WLR WoÜbG WRV WStG WM WuV WuW WÜD WÜK WVK WWSUV

WWSUVG WZG YB

Verfassung und Recht in Übersee Völkerstrafgesetzbuch Gesetz vom 26.6.2002 zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches (BGBl. I S. 2254) Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz (bundeseinheitlich) vom 1.7.1976 Verwaltungsgerichtsordnung, neugefasst durch Bek. vom 19.3.1991 (BGBl. I S. 686); zuletzt geändert durch Art. 56 des Gesetzes vom 12.12.2019 (BGBl. I S. 2652) Gesetz über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz – VwRehaG) vom 23.6.1994 (BGBl. I S. 1311) Verwaltungsverfahrensgesetz vom 25.5.1976 (BGBl. I S. 1253) Verwaltungszustellungsgesetz vom 3.7.1952 (BGBl. I S. 379) Wehrdisziplinarordnung vom 15.3.1957 i. d. F. der Bek. vom 9.6.1961 (BGBl. I S. 697) Gesetz über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages i. d. F. der Bek. vom 16.6.1982 (BGBl. I S. 673) Gesetz über Wein, Likörwein, Schaumwein, weinhaltige Getränke und Branntwein aus Wein (Weingesetz) vom 14.1.1971 (BGBl. I S. 893) 1. Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18.4.1961 (Zustimmungsgesetz vom 6.8.1964, BGBl. II S. 957) 2. Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24.4.1963 (Zustimmungsgesetz vom 26.8.1969, BGBl. II S. 1585) Journal der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e.V. Erstes Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 29.7.1976 (BGBl. I S. 2034) Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15.5.1986 (BGBl. I S. 721) Gesetz zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts (Wirtschaftsstrafgesetz 1954) vom 9.7.1954 i. d. F. der Bek. vom 3.6.1975 (BGBl. I S. 1313) Wirtschaftsstrafrechtliche Vereinigung e.V. Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Weekly Law Reports (Zeitschrift) Gesetz zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 (akustische Wohnraumüberwachung) vom 24.6.2005 (BGBl. I S. 1841) Weimarer Verfassung, Verfassung des Deutschen Reichs vom 11.8.1919 (RGBl. S. 1383) Wehrstrafgesetz vom 30.3.1957 i. d. F. der Bek. vom 24.5.1974 (BGBl. I S. 1213) Wertpapiermitteilungen (Zeitschrift) Wirtschaft und Verwaltung (Zeitschrift) Entscheidungssammlung der Zeitschrift Wirtschaft und Wettbewerb s. 1. Wiener Übereinkommen s. 2. Wiener Übereinkommen Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23.5.1969 (BGBl. 1985 II S. 926) Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18.5.1990 (BGBl. II S. 537) Gesetz zu dem Vertrag vom 18.5.1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion … vom 25.6.1990 (BGBl. II S. 518) Warenzeichengesetz vom 5.5.1936 i. d. F. der Bek. vom 2.1.1968 (BGBl. I S. 29) Yearbook of the European Convention of the Human Rights, the European Commission and the European Court of Human Rights/Annuaire de la Convention Euro-

XLIV

Abkürzungsverzeichnis

YEL ZAG ZahlVGJG ZAkDR ZaöRV ZAP ZAR ZBJV ZBlJugR ZBR ZCG ZD ZDRW ZER ZESAR ZEUP ZEuS ZEV ZfBR ZfC ZfDG ZfJ ZfL ZfRV ZfS ZFSH SGB ZfStrVo ZfWG ZfZ ZG ZInsO ZIP ZIR ZIS ZJJ ZJS ZKA ZKJ ZLR ZOV ZÖR ZollG. ZP ZPO ZRFC ZRP ZSchG

XLV

péenne des Droits de l’Homme; Commission et Cour Européenne des Droits de l’Homme, hrsg. vom Europarat Yearbook of European Law Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz Gesetz über den Zahlungsverkehr mit Gerichten und Justizbehörden vom 22.12.2006 = Art. 2 des 2. Justizmodernisierungsgesetzes (BGBl. 2006 I S. 3416) Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht (1934–44) Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für die Anwaltspraxis Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für Corporate Governance Zeitschrift für Datenschutz Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft Zeitschrift für Europarecht (Österreich)ZERP Zentrum für europäische Rechtspolitik (Universität Bremen) Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für europäisches Privatrecht Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht Zeitschrift für Compliance Gesetz über das Zollkriminalamt und die Zollfahndungsämter (Zollfahndungsdienstgesetz) vom 16.8.2002 (BGBl. I S. 3202) Zentralblatt für Jugendrecht Zeitschrift für Lebensrecht Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Zeitschrift für Schadensrecht Zeitschrift für die sozialrechtliche Praxis Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe (jetzt: FS – Forum Strafvollzug) Zeitschrift für Wett- und Glücksspielrecht Zeitschrift für Zölle und Verbrauchssteuern Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Interne Revision Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (Online-Zeitschrift) Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe Zeitschrift für das Juristische Studium (Online-Zeitschrift) Zollkriminalinstitut Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe Zeitschrift für Lebensmittelrecht Zeitschrift für offene Vermögensfragen Zeitschrift für öffentliches Recht Zollgesetz vom 14.6.1961 i. d. F. der Bek. vom 18.5.1970 (BGBl. I S. 529) Zusatzprotokoll Zivilprozeßordnung vom 30.1.1877 i. d. F. der Bek. vom 12.9.1950 (BGBl. I S. 533) Zeitschrift für Risk, Fraud & Compliance Zeitschrift für Rechtspolitik Gesetz vom 30.4.1998 zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren und zur Verbesserung des Opferschutzes (Zeugenschutzgesetz – ZSchG), (BGBl. I S. 820)

Abkürzungsverzeichnis

ZSE ZSEG ZSHG ZSR ZST ZSteu ZStW ZTR ZUM ZUM-RD ZUR ZusatzAbk. Zusatzvereinb.

ZuSEntschG zust. ZustErgG

ZustG ZustRG ZustVO Zuwanderungsgesetz ZVG

ZWehrR ZWF ZWH ZwHeiratBekG

ZZP

Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen vom 26.7.1957 i. d. F. der Bek. vom 1.10.1969 (BGBl. I S. 1756); abgelöst durch das JVEG vom 5.5.2004 Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen (Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz) vom 11.12.2001 (BGBl. I S. 3510) Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für Schweizer Recht Zeitschrift für Steuern und Recht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Tarif-, Arbeits- und Sozialrecht des öffentlichen Dienstes Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht – Rechtssprechungsdienst Zeitschrift für Umweltrecht Zusatzabkommen zum NATOTruppenstatut vom 3.8.1959 (BGBl. 1961 II S. 1183, 1218) Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Durchführung und Auslegung des am 31.8.1990 in Berlin unterzeichneten Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 18.9.1990 (BGBl. II S. 1239) Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen zustimmend Gesetz zur Ergänzung von Zuständigkeiten auf den Gebieten des Bürgerlichen Rechts, des Handelsrechts und des Strafrechts (Zuständigkeitsergänzungsgesetz) vom 7.8.1952 (BGBl. I S. 407) Gesetz über die Zuständigkeit der Gerichte bei Änderung der Gerichtseinteilung vom 6.12.1933 (RGBl. I S. 1037) Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellung im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz – ZustRG) vom 25.6.2001 (BGBl. I S. 1206) Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften vom 21.2.1940 (RGBl. I S. 405) Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 30.7.2004 (BGBl. I S. 1950) Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (Zwangsversteigerungsgesetz) vom 24.3.1897 i. d. F. der Bek. vom 20.5.1898 (RGBl. S. 369, 713) Zeitschrift für Wehrrecht (1936/37–44) Zeitschrift für Wirtschafts- und Finanzstrafrecht (Österreich) Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften vom 23.6.2011 (BGBl. I S. 1266) Zeitschrift für Zivilprozeß

XLVI

Literaturverzeichnis Achenbach/Ransiek/Rönnau AE-EV

AE-EuStV AE-StuM

Ahlbrecht/Böhm/Esser/ Eckelmans AK

AK-GG AK-StGB AnwK AnwK-StGB AnwK-UHaft Albrecht Albrecht (Krim.) Alsberg Ambos Ambos/König/Rackow Arloth Arloth/Krä Aschrott

Artkämper Artkämper/Esders/Jakobs/ Sotelsek Aubert Barton Barton (Verfahrensg.) Barton (Strafverteidigung) Baumann Baumann/Weber/Mitsch/ Eisele Baumbach/Lauterbach/ Hartmann/Anders/Gehle Beck/Berr/Schäpe Beck/Müller Beck’sches Formularbuch Beling Bender/Nack/Treuer

Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl. (2019) Alternativ-Entwurf Reform des Ermittlungsverfahrens (AE-EV); Entwurf eines Arbeitskreises deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer (2001) Alternativentwurf Europäische Strafverfolgung; hrsg. von Schünemann (2004) Alternativ-Entwurf Strafjustiz und Medien (AE-StuM: Entwurf eines Arbeitskreises deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer (2004) Ahlbrecht/Böhm/Esser/Eckelmans, Internationales Strafrecht, 2. Aufl. (2017) Alternativkommentar zur Strafprozessordnung, Bd. I (§§ 1 bis 93; 1988), Bd. II 1 (§§ 94 bis 212b; 1992), Bd. II 2 (§§ 213 bis 275; 1993), Bd. III (§§ 276 bis 477; 1996) Alternativkommentar zum Grundgesetz, 2. Aufl., Bd. I (Art. 1 bis 37; 1989), Bd. II (Art. 38 bis 146; 1989) Alternativkommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. I (§§ 1 bis 21; 1990), Bd. III (§§ 80 bis 145d; 1986) Krekeler/Löffelmann/Sommer, AnwaltKommentar zur Strafprozessordnung, 2. Aufl. (2010) Leipold/Tsambikakis/Zöller (Hrsg.), AnwaltKommentar StGB, 3. Aufl. (2020) König (Hrsg.), AnwaltKommentar Untersuchungshaft (2011) Albrecht, Jugendstrafrecht, 3. Aufl. (2000) Albrecht, Kriminologie, 4. Aufl. (2010) Alsberg, Der Beweisantrag im Strafprozess, 7. Aufl. (2019) Ambos, Internationales Strafrecht, 5. Aufl. (2018) Ambos/König/Rackow (Hrsg.), Rechtshilferecht in Strafsachen (2014) Arloth, Strafprozeßrecht (1995) Arloth/Krä, Strafvollzugsgesetz, 4. Aufl. (2017) Reform des Strafprozesses, kritische Besprechung der von der Kommission für die Reform des Strafprozesses gemachten Vorschläge, hrsg. von Aschrott (1906) Artkämper, Die „gestörte“ Hauptverhandlung, 5. Aufl. (2017) Artkämper/Esders/Jakobs/Sotelsek, Praxiswissen Strafverfahren bei Tötungsdelikten (2012) Aubert, Fernmelderecht I, 3. Aufl. (1976) Barton, Mindeststandards der Strafverteidigung (1994) Barton, Verfahrensgerechtigkeit und Zeugenbeweis (2002) Barton, Einführung in die Strafverteidigung, 2. Aufl. (2013) Baumann, Grundbegriffe und Verfahrensprinzipien des Strafprozeßrechts, 3. Aufl. (1979) Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Lehrbuch, 12. Aufl. (2016) Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, Zivilprozessordnung, Kurz-Kommentar, 78. Aufl. (2020) Beck/Berr/Schäpe, OWi-Sachen im Straßenverkehrsrecht, 7. Aufl. (2017) Beck/Müller, Fälle und Lösungen zur StPO, 6. Aufl. (2020) Hamm/Leipold (Hrsg.), Beck’sches Formularbuch für den Strafverteidiger, 6. Aufl. (2018) Beling, Deutsches Reichsstrafprozeßrecht (1928) Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Aufl. (2014)

XLVII https://doi.org/10.1515/9783110274967-207

Literaturverzeichnis

Benfer/Bialon Bernsmann/Gatzweiler Berz/Burmann Beulke/Swoboda Beulke/Ruhmannseder Birkenstock Birkmeyer Bittmann/Köhler/Seeger/ Tschakert Bock Bockemühl Bohnert Bohnert/Bülte Bonn.Komm. Booß Bosbach Bouska/Laeverenz Böhm/Feuerhelm Böhm (Strafvollzug) Böse Böttger Brandstetter Brenner Brettel/Schneider Breyer/Mehle/Osnabrügge/ Schaefer von Briel/Ehlscheid Bringewat Brodag Brunner Brunner/Dölling Bruns/Schröder/Tappert Brüssow/Gatzweiler/ Krekeler/Mehle Buddendiek/Rutkowski

Burchardi/Klempahn/ Wetterich Burhoff (Ermittlungsv.) Burhoff (Hauptv.) Burhoff/Stephan Burhoff/Kotz Burmann/Heß/ Hühnermann/Jahnke

Benfer/Bialon, Rechtseingriffe von Polizei und Staatsanwaltschaft, 4. Aufl. (2010) Bernsmann/Gatzweiler, Verteidigung bei Korruptionsfällen, 2. Aufl. (2014) Berz/Burmann, Handbuch des Straßenverkehrsrechts, Loseblattausgabe, 2 Bände, 40. Aufl. (2019) Beulke, Strafprozessrecht, 14. Aufl. (2018) Beulke/Ruhmannseder, Die Strafbarkeit des Verteidigers, 2. Aufl. (2010) Birkenstock, Verfahrensrügen im Strafprozess – Rechtsprechungssammlung, 2 Bände (2004) Birkmeyer, Deutsches Strafprozeßrecht (1898) Handbuch der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung: Sicherstellung – Einziehung – Opferentschädigung (2020) Bock, Criminal Compliance, 2. Aufl. (2013) Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, hrsg. von Bockemühl, 7. Aufl. (2018) Bohnert, Beschränkungen der strafprozessualen Revision durch Zwischenverfahren (1983) Bohnert/Bülte, Ordnungswidrigkeitenrecht, 5 Aufl. (2016) Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Loseblattausgabe (ab 1950) Booß, Straßenverkehrsordnung, Kommentar, 3. Aufl. (1980) Bosbach, Verteidigung im Ermittlungsverfahren, 8. Aufl. (2015) Bouska/Laeverenz, Fahrerlaubnisrecht, 3. Aufl. (2004) Böhm/Feuerhelm, Einführung in das Jugendstrafrecht, 4. Aufl. (2004) Böhm, Strafvollzug, 3. Aufl. (2002) Böse (Hrsg.), Europäisches Strafrecht, Enzyklopädie Europarecht, Band 9 (2013) Böttger (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht in der Praxis, 2. Aufl. (2015) Brandstetter, Straffreiheitsgesetz, Kommentar (1956) Brenner, Ordnungswidrigkeitenrecht (1996) Brettel/Schneider, Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. 2018 Breyer/Mehle/Osnabrügge/Schaefer, Strafprozessrecht (2005) von Briel/Ehlscheid, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. (2000) Bringewat, Strafvollstreckung, Kommentar zu den §§ 449 bis 463d StPO (1993) Brodag, Strafverfahrensrecht, 13. Aufl. (2014) Brunner, Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft, 14. Aufl. (2019) Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 13. Aufl. (2017) Bruns/Schröder/Tappert, Kommentar zum strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (1993) Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle, Strafverteidigung in der Praxis, 4. Aufl. (2007) Buddendiek/Rutkowski, Lexikon des Nebenstrafrechts, zugleich Registerband zum Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 42. Aufl. (2019) Burchardi/Klempahn/Wetterich, Der Staatsanwalt und sein Arbeitsgebiet, 5. Aufl. (1982) Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl. (2018) Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl. (2019) Burhoff/Stephan, Strafvereitelung durch Strafverteidiger (2008) Burhoff/Kotz, Handbuch für strafrechtliche Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, 2. Aufl. (2016) Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. (2020)

XLVIII

Literaturverzeichnis

Ciolek-Krepold Cirener/Jahn/Radtke Corstens/Pradel Cramer Cramer/Bürgle Cramer/Cramer Cryer/Friman/Robinson/ Wilmshurst Cullen/Jund Dahs (Hdb.) Dahs (Rechtl. Gehör) Dahs Daimagüler Dalcke/Fuhrmann/Schäfer Dallinger/Lackner Dannecker/Knierim Deckers Delmas-Marty Delmas-Marty/Vervaele Detter Diemer/Schatz/Sonnen Dölling/Duttge/Rössner/ König Dörndorfer Doswald-Beck/Kolb

Eb. Schmidt

Eb. Schmidt (Geschichte) Eb. Schmidt (Kolleg) Eberth/Müller/Schütrumpf Eidam Eisenberg/Kölbel Eisenberg (Beweismittel) Eisenberg (Beweisrecht) Eisenberg/Kölbel Endriß (BtM-Verfahren) Engländer

XLIX

Ciolek-Krepold, Durchsuchung und Beschlagnahme in Wirtschaftsstrafsachen (2000) Cirener/Jahn/Radtke (Hrsg.), Bild-Ton-Dokumentation und „Konkurrenzlehre 2.0“ (2020) Corstens/Pradel, European Criminal Law (2002) Cramer, Straßenverkehrsrecht StVO – StGB, Kommentar, 2. Aufl. (1977) Cramer/Bürgle, Die strafprozessualen Beweisverwertungsverbote, 2. Aufl. (2004) Cramer/Cramer, Anwalts-Handbuch Strafrecht (2002) Cryer/Friman/Robinson/Wilmshurst, An Introduction to International Criminal Law and Procedure, 4th ed. (2019) Cullen/Jund, Strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union nach Tampere (2002) Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 8. Aufl. (2015) Dahs, Rechtliches Gehör im Strafverfahren (1963) Dahs, Die Revision im Strafprozess, 9. Aufl. (2017) Daimagüler, Der Verletzte im Strafverfahren – Handbuch für die Praxis (2016) Dalcke/Fuhrmann/Schäfer, Strafrecht und Strafverfahren, Kommentar, 37. Aufl. (1961) Dallinger/Lackner, Jugendgerichtsgesetz und ergänzende Vorschriften, Kommentar, 2. Aufl. (1965) Dannecker/Knierim, Insolvenzstrafrecht, 3. Aufl. (2018) Deckers, Der strafprozessuale Beweisantrag, 3. Aufl. (2013) Delmas-Marty, Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union (1998) Delmas-Marty/Verwaele, The Implementation of the Corpus Juris in the Member States, 4 Bände (2001) Detter, Revision im Strafverfahren (2011) Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 7. Aufl. (2015) Dölling/Duttge/Rössner/König, Gesamtes Strafrecht – Handkommentar 4. Aufl. (2017) (zit.: HK-GS/Verfasser) Dörndorfer, Rechtspflegergesetz, Kommentar, 2. Aufl. (2014) Doswald-Beck/Kolb, Judicial Process and Human Rights – United Nations, European, American and African Systems – Texts and summaries of international case law, 2004 Eberhard Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, Teil I: Die rechtstheoretischen und die rechtspolitischen Grundlagen des Strafverfahrensrechts, 2. Aufl. (1964); Teil II: Erläuterungen zur Strafprozeßordnung und zum Einführungsgesetz (1957); Teil III: Erläuterungen zum Gerichtsverfassungsgesetz und zum Einführungsgesetz (1960), Nachtrag I: Nachträge und Ergänzungen zu Teil II (1967), Nachtrag II: Nachtragsband II (1970) Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl. (1965) Schmidt, Deutsches Strafprozeßrecht, ein Kolleg (1967) Eberth/Müller/Schütrumpf, Verteidigung in Betäubungsmittelsachen, 7. Aufl. (2018) Eidam, Unternehmen und Strafe, 5. Aufl. (2018) Eisenberg/Kölbel, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 21. Aufl. (2020) Eisenberg, Persönliche Beweismittel in der StPO, 2. Aufl. (1996) Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Spezialkommentar, 10. Aufl. (2017) Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, 7. Aufl. (2017) Endriß, Verteidigung in Betäubungsmittelverfahren (1998) Engländer, Examensrepetitorium Strafprozessrecht, 10. Aufl. (2020)

Literaturverzeichnis

Erbs/Kohlhaas Erhardt ERST Eser Eser/Hassemer/Burkhardt Esser Esser, EuStR Esser/Ida Fahl Fahrner Feest/Lesting/Lindemann Fehn/Wamers Feisenberger Ferner Fezer FG Beulke Fischer Flore/Tsambikakis Franke/Wienroeder Freyschmidt/Krumm Fromm Frowein/Peukert FS 45. DJT FS Achenbach FS Adamovich FS AG Strafrecht DAV FS Amelung FS Androulakis FS Augsburg FS Baudenbacher FS Baumann FS Baumgärtel FS BayVerfGH FS Bemmann FS Bernhardt FS Beulke FS Beusch FS Binding

Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Kurzkommentar, Loseblattausgabe, 228. Aufl. (2020) Erhardt, Strafrecht für Polizeibeamte, 6. Aufl. (2020) Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 2017 Eser, Einführung in das Strafprozeßrecht (1983) Eser/Hassemer/Burkhardt, Die deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende (2000) Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht (2002) Esser, Europäisches und Internationales Strafrecht, 2. Aufl. (2018) Esser/Ida (Hrsg.), Menschenrechtsschutz und Zusammenarbeit im Strafrecht als globale Herausforderung (2018) Fahl, Rechtsmißbrauch im Strafprozeß (2004) Fahrner, Handbuch Internationale Ermittlungen (2020) Feest/Lesting/Lindemann (Hrsg.), Kommentar zum Strafvollzugsgesetz (AK-StVollzG), 7. Aufl. (2017) Fehn/Wamers, ZfdG – Zollfahndungsdienstgesetz – Handkommentar (2003) Feisenberger, Strafprozeßordnung und Gerichtsverfassungsgesetz (1926) Ferner, Strafzumessung (2005) Fezer, Strafprozeßrecht, 2. Aufl. (1995) Strafverteidigung – Grundlagen und Stolpersteine: Symposion für Werner Beulke (2012) Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, Kommentar, 67. Aufl. (2020) Flore/Tsambikakis (Hrsg.), Steuerstrafrecht, 2. Aufl. (2016) Franke/Wienroeder, BtMG, 3. Aufl. (2007) Freyschmidt/Krumm, Verteidigung in Straßenverkehrssachen, 11. Aufl. (2019) Fromm, Verteidigung in Straßenverkehrs- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, 2. Aufl. (2015) Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRKKommentar, 3. Aufl. (2009) Festschrift für den 45. Deutschen Juristentag (1964) Festschrift für Hans Achenbach zum 70. Geburtstag (2011) Staatsrecht und Staatswissenschaften in Zeiten des Wandels – Festschrift für Ludwig Adamovich zum 60. Geburtstag (1992) Strafverteidigung im Rechtsstaat – 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins (2009) Grundlagen des Straf- und Strafverfahrensrechts – Festschrift für Knut Amelung zum 70. Geburtstag (2009) Festschrift für Nikolaos Androulakis zum 70. Geburtstag (2003) Recht in Europa – Festgabe zum 30-jährigen Bestehen der Juristischen Fakultät Augsburg (2002) Economic law and justice in times of globalisation – Festschrift für Carl Baudenbacher (2007) Festschrift für Jürgen Baumann zum 70. Geburtstag (1992) Festschrift für Gottfried Baumgärtel zum 70. Geburtstag (1990) Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (1997) Festschrift für Günther Bemmann zum 70. Geburtstag (1997) Recht zwischen Umbruch und Bewahrung – Festschrift für Rudolf Bernhardt (1995) Ein menschengerechtes Strafrecht als Lebensaufgabe –Festschrift für Werner Beulke zum 70. Geburtstag (2015) Festschrift für Karl Beusch zum 68. Geburtstag (1993) Festschrift für Karl Binding zum 4. Juni 1911

L

Literaturverzeichnis

FS BGH

FS II BGH FS Blau FS Bockelmann FS Böhm FS Böttcher FS Boujong FS BRAK FS Brauneck FS Breidling FS Bruns FS Burgstaller FS Carstens FS Dahs FS Damaska FS Delbrück FS Dencker FS Doehring FS Donatsch FS Dreher FS Dünnebier FS Eide FS Eisenberg FS Eisenberg II FS Engisch FS Ermacora FS Eser FS Eser II FS Europa-Institut FS Everling FS Faller FS Fezer FS Fiedler FS Fischer FS Flume FS Friauf FS Friebertshäuser FS Frisch FS Fuchs

LI

Festschrift aus Anlass des 50-jährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof (2000) 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, hrsg. von Roxin/Widmaier, Bd. IV: Strafrecht (2000) Festschrift für Günter Blau zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Paul Bockelmann zum 70. Geburtstag (1979) Festschrift für Alexander Böhm zum 70. Geburtstag (1999) Recht gestalten – dem Recht dienen, Festschrift für Reinhard Böttcher zum 70. Geburtstag (2007) Verantwortung und Gestaltung, Festschrift für Karlheinz Boujong zum 65. Geburtstag (1996) Festschrift zu Ehren des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer (2006) Ehrengabe für Anne-Eva Brauneck (1999) Festschrift für Ottmar Breidling zum 70. Geburtstag (2017) Festschrift für Hans-Jürgen Bruns zum 70. Geburtstag (1978) Festschrift für Manfred Burgstaller zum 65. Geburtstag (2004) Einigkeit und Recht und Freiheit, Festschrift für Karl Carstens zum 70. Geburtstag (1984) Festschrift für Hans Dahs zum 70. Geburtstag (2005) Festschrift for Mirjan Damaska (2008) Liber Amicorum Jost Delbrück (2005) Festschrift für Friedrich Dencker zum 70. Geburtstag (2012) Staat und Völkerrechtsordnung – Festschrift für Karl Doehring; Beiträge zum ausländischen Recht und Völkerrecht Bd. 98 (1989) Festschrift für Andreas Donatsch (2017) Festschrift für Eduard Dreher zum 70. Geburtstag (1977) Festschrift für Hanns Dünnebier zum 75. Geburtstag (1982) Human rights and criminal justice for the downtrodden; Essays in honour of Asbjørn Eide (2003) Festschrift für Ulrich Eisenberg zum 70. Geburtstag (2009) Für die Sache – Kriminalwissenschaften aus unabhängiger Perspektive – Festschrift für Ulrich Eisenberg zum 80. Geburtstag (2019) Festschrift für Karl Engisch zum 70. Geburtstag (1969) Fortschritt im Bewußtsein der Grund- und Menschenrechte, Festschrift für Felix Ermacora zum 65. Geburtstag (1988) Menschengerechtes Strafrecht, Festschrift für Albin Eser zum 70. Geburtstag (2005) Scripta amicitiae – Freundschaftsgabe für Albin Eser zum 80. Geburtstag (2015) Europäische Integration und Globalisierung, Festschrift zum 60-jährigen Bestehen des Europa-Instituts (2011) Festschrift für Ulrich Everling (1993) Festschrift für Hans Joachim Faller (1984) Festschrift für Gerhard Fezer zum 70. Geburtstag (2008) Verfassung – Völkerrecht – Kulturgüterschutz, Festschrift für Wilfried Fiedler zum 70. Geburtstag (2011) Festschrift für Thomas Fischer (2018) Festgabe für Werner Flume zum 90. Geburtstag (1998) Festschrift für Karl Heinrich Friauf (1996) Festgabe für den Strafverteidiger Dr. Heino Friebertshäuser (1997) Grundlagen und Dogmatik des gesamten Strafrechtssystems – Festschrift für Wolfgang Frisch zum 70. Geburtstag (2013) Festschrift für Helmut Fuchs zum 65. Geburtstag (2014)

Literaturverzeichnis

FS Gallas FS Geerds FS Geiger FS Geiß FS Geppert FS Gollwitzer FS Gössel FS Graf-Schlicker FS Graßhoff FS Grünwald FS Grützner FS Hacker FS Haffke FS Hamm FS Hanack FS Hassemer FS Heinitz FS Heintschel-Heinegg FS Heinz FS Heldrich FS Helmrich FS Henkel FS Herzberg FS Heusinger FS Hilger FS Hirsch FS B. Hirsch FS H. J. Hirsch FS Höpfel FS HU Berlin FS Hubmann FS Huber FS Imme Roxin FS Ismayr FS Jahrreiß FS II Jahrreiß FS Jakobs FS Jescheck FS Jung FS JurGes. Berlin

Festschrift für Wilhelm Gallas zum 70. Geburtstag (1973) Kriminalistik und Strafrecht, Festschrift für Friedrich Geerds zum 70. Geburtstag (1995) Verantwortlichkeit und Freiheit. Die Verfassung als wertbestimmende Ordnung; Festschrift für Willi Geiger zum 80. Geburtstag (1989) Festschrift für Karlmann Geiß zum 65. Geburtstag (2000) Festschrift für Klaus Geppert zum 70. Geburtstag (2011) Verfassungsrecht – Menschenrechte – Strafrecht, Kolloquium für Dr. Walter Gollwitzer zum 80. Geburtstag (2004) Festschrift für Karl Heinz Gössel zum 70. Geburtstag (2002) Festschrift zu Ehren von Marie Luise Graf-Schlicker (2018) Der verfasste Rechtsstaat, Festgabe für Karin Graßhoff (1998) Festschrift für Gerald Grünwald zum 70. Geburtstag (1999) Aktuelle Probleme des Internationalen Strafrechts, Festschrift für Heinrich Grützner zum 65. Geburtstag (1970) Wandel durch Beständigkeit, Festschrift für Jens Hacker (1998) Das Dilemma des rechtsstaatlichen Strafrechts: Symposium für Bernhard Haffke zum 65. Geburtstag (2009) Festschrift für Rainer Hamm zum 65. Geburtstag (2008) Festschrift für Ernst-Walter Hanack zum 70. Geburtstag (1999) Festschrift für Winfried Hassemer zum 70. Geburtstag (2010) Festschrift für Ernst Heinitz zum 70. Geburtstag (1972) Festschrift für Bernd von Heintschel-Heinegg zum 70. Geburtstag (2015) Festschrift für Wolfgang Heinz zum 70. Geburtstag (2012) Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag (2005) Für Staat und Recht, Festschrift für Herbert Helmrich zum 60. Geburtstag (1994) Grundfragen der gesamten Strafrechtswissenschaft, Festschrift für Heinrich Henkel zum 70. Geburtstag (1974) Strafrecht zwischen System und Telos, Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg zum 70. Geburtstag (2008) Ehrengabe für Bruno Heusinger (1968) Datenübermittlungen und Vorermittlungen, Festgabe für Hans Hilger (2003) Berliner Festschrift für Ernst E. Hirsch (1968) Mit Recht für Menschenwürde und Verfassungsstaat, Festgabe für Burkhard Hirsch (2007) Festschrift Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag (1999) Vielfalt des Strafrechts im internationalen Kontext – Festschrift für Frank Höpfel zum 65. Geburtstag (2018) Festschrift 200 Jahre Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin (2010) Beiträge zum Schutz der Persönlichkeit und ihrer schöpferischen Leistung, Festschrift für Heinrich Hubmann zum 70. Geburtstag (1985) Recht als Prozess und Gefüge, Festschrift für Hans Huber zum 80. Geburtstag (1981) Festschrift für Imme Roxin zum 75. Geburtstag (2012) Analyse demokratischer Regierungssysteme, Festschrift für Wolfgang Ismayr zum 65. Geburtstag (2010) Festschrift für Hermann Jahrreiß zum 70. Geburtstag (1964) Festschrift für Hermann Jahrreiß zum 80. Geburtstag (1974) Festschrift für Günther Jakobs zum 70. Geburtstag (2007) Festschrift für HansHeinrich Jescheck zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Heike Jung zum 65. Geburtstag (2007) Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin (1984)

LII

Literaturverzeichnis

FS Kaiser FS Kargl FS Katoh FS Arthur Kaufmann FS Kern FS Kerner FS Kielwein FS Kindhäuser FS Kirchberg FS Kirchner FS Klecatsky FS Klein FS Kleinheyer FS Kleinknecht FS Klug FS Koch FS Kohlmann FS Kralik FS Krause FS Krauss FS Kreuzer FS Kriele FS Krey FS Kroeschell FS Kunert FS Kühl FS Kühne FS Küper FS Lackner FS Lampe FS Landau FS Lange FS Leferenz FS Lenckner FS Lerche FS Loebenstein FS Loewenstein FS von Lübtow

LIII

Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht, Festschrift für Günther Kaiser zum 70. Geburtstag (1998) Festschrift für Walter Kargl zum 70. Geburtstag (2015) Blick über den Tellerrand, Festschrift für Hisao Katoh (2008) Strafgerechtigkeit, Festschrift für Arthur Kaufmann zum 70. Geburtstag (1993) Tübinger Festschrift für Eduard Kern (1968) Kriminologie – Kriminalpolitik – Strafrecht, Festschrift für Hans-Jürgen Kerner zum 70. Geburtstag (2013) Dogmatik und Praxis des Strafverfahrens, Beiträge anläßlich des Colloquiums zum 65. Geburtstag von Gerhard Kielwein (1989) Festschrift für Urs Kindhäuser zum 70. Geburtstag (2019) Festschrift für Christian Kirchberg zum 70. Geburtstag (2017) Festschrift für Hildebert Kirchner zum 65. Geburtstag (1985) Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerechtigkeit, Festschrift für Hans Klecatsky zum 60. Geburtstag (1980) Festschrift für Franz Klein zum 60. Geburtstag (1914) Festschrift für Gerd Kleinheyer zum 70. Geburtstag (2001) Strafverfahren im Rechtsstaat, Festschrift für Theodor Kleinknecht zum 75. Geburtstag (1985) Festschrift für Ulrich Klug zum 70. Geburtstag (1983) Strafverteidigung und Strafprozeß, Festgabe für Ludwig Koch (1989) Festschrift für Günter Kohlmann zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Winfried Kralik zum 65. Geburtstag (1986) Festschrift für Friedrich-Wihelm Krause zum 70. Geburtstag (1990) Prozessuales Denken als Innovationsanreiz für das materielle Strafrecht, Kolloquium zum 70. Geburtstag von Detlef Krauss (2006) Mittler zwischen Recht und Wirklichkeit – Festschrift für Arthur Kreuzer zum 80. Geburtstag (2018) Staatsphilosophie und Rechtspolitik, Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag (1997) Festschrift für Volker Krey zum 70. Geburtstag (2010) Wirkungen europäischer Rechtskultur – Festschrift für Karl Kroeschll zum 70. Geburtstag (1997) Freiheit, Gesetz und Toleranz, Symposium zum 75. Geburtstag von Karl Heinz Kunert (2006) Festschrift für Kristian Kühl zum 70. Geburtstag (2014) Festschrift für Hans-Heiner Kühne zum 70. Geburtstag (2013) Festschrift für Wilfried Küper zum 70. Geburtstag (2007) Festschrift für Karl Lackner zum 70. Geburtstag (1987) Jus humanum: Grundlagen des Rechts und Strafrechts, Festschrift für Ernst-Joachim Lampe zum 70. Geburtstag (2003) Grundgesetz und Europa – Liber Amicorum für Herbert Landau zum Ausscheiden aus dem Bundesverfassungsgericht (2016) Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag (1976) Kriminologie – Psychiatrie – Strafrecht, Festschrift für Heinz Leferenz zum 70. Geburtstag (1983) Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag (1998) Wege und Verfahren des Verfassungslebens, Festschrift für Peter Lerche zum 65. Geburtstag (1993) Der Rechtsstaat in der Krise – Festschrift für Edwin Loebenstein zum 80. Geburtstag (1991) Festschrift für Karl Loewenstein zum 80. Geburtstag (1971) De iustitia et iure – Festschrift für Ulrich von Lübtow zum 80. Geburtstag (1980)

Literaturverzeichnis

FS Lüderssen FS Machacek und Matscher FS Maelicke FS Maihofer FS Maiwald FS Maiwald II FS Mangakis FS Manoledakis FS Maurach FS Mayer FS Mehle FS Merkel FS Meyer-Goßner FS Mezger FS Middendorf FS Miebach FS Miklau FS Miyazawa FS Möhring FS Mosler

FS E. Müller FS E. Müller II FS Müller-Dietz FS Nehm FS Neumann FS Nishihara FS Odersky FS Oehler FS Ostendorf

FS Otto FS Paarhammer FS Paeffgen FS Partsch FS Paulus

FS Pavisic

Festschrift für Klaus Lüderssen zum 70. Geburtstag (2002) Rechtsschutz gestern – heute – morgen, Festgabe zum 80. Geburtstag für Rudolf Machacek und Franz Matscher (2008) Wertschöpfung durch Wertschätzung, Festschrift für Bernd Maelicke zum 70. Geburtstag (2011) Festschrift für Werner Maihofer zum 70. Geburtstag (1988) Fragmentarisches Strafrecht, Für Manfred Maiwald aus Anlass seiner Emeritierung (2003) Gerechte Strafe und legitimes Strafen, Festschrift für Manfred Maiwald zum 75. Geburtstag (2010) Festschrift für Georgios Mangakis (1999) Festschrift für Ioannis Manoledakis (2005) Festschrift für Reinhard Maurach zum 70. Geburtstag (1972) Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft, Festschrift für Hellmuth Mayer zum 70. Geburtstag (1966) Festschrift für Volkmar Mehle zum 65. Geburtstag (2009) Festschrift für Reinhard Merkel zum 70. Geburtstag (2020) Festschrift für Lutz Meyer-Goßner zum 65. Geburtstag (2001) Festschrift für Edmund Mezger zum 70. Geburtstag (1954) Festschrift für Wolf Middendorf zum 70. Geburtstag (1986) NStZ-Sonderheft – Zum Eintritt in den Ruhestand für Klaus Miebach (2009) Strafprozessrecht im Wandel, Festschrift für Roland Miklau zum 65. Geburtstag (2006) Festschrift für Koichi Miyazawa (1995) Festschrift für Philipp Möhring zum 65. Geburtstag (1965) Völkerrecht als Rechtsordnung, Internationale Gerichtsbarkeit, Menschenrechte; Festschrift für Hermann Mosler zum 70. Geburtstag (1983) Opuscula Honoraria, Egon Müller zum 65. Geburtstag (2003) Festschrift für Egon Müller zum 70. Geburtstag (2008) Grundlagen staatlichen Strafens, Festschrift für Heinz Müller-Dietz zum 70. Geburtstag (2001) Strafrecht und Justizgewährung, Festschrift für Kay Nehm zum 65. Geburtstag (2006) Rechtsstaatliches Strafrecht, Festschrift für Ulfrid Neumann zum 70. Geburtstag (2017) Festschrift für Harua Nishihara zum 70. Geburtstag (1998) Festschrift für Walter Odersky zum 65. Geburtstag (1996) Festschrift für Dietrich Oehler zum 70. Geburtstag (1985) Strafrecht – Jugendstrafrecht – Kriminalprävention in Wissenschaft und Praxis – Festschrift für Heribert Ostendorf zum 70. Geburtstag (2015) Festschrift für Harro Otto zum 70. Geburtstag (2007) In mandatis meditari, Festschrift für Hans Paarhammer zum 65. Geburtstag (2012) Strafe und Prozess im freiheitlichen Rechtsstaat – Festschrift für HansUllrich Paeffgen zum 70. Geburtstag (2015) Des Menschen Recht zwischen Freiheit und Verantwortung, Festschrift für Karl Josef Partsch zum 75. Geburtstag (1989) Festgabe des Instituts für Strafrecht und Kriminologie der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg für Rainer Paulus zum 70. Geburtstag (2009) Kazneno Pravo, Kazneno Postupovno I Kriminalistika, Festschrift für Berislav Pavisic zum 70. Geburtstag (2014)

LIV

Literaturverzeichnis

FS Peters FS Peters II FS Chr. Pfeiffer FS Pfeiffer

FS Pfenniger FS Platzgummer FS Posser FS Pöttering FS Puppe FS Rebmann FS Reichsgericht

FS Reichsjustizamt FS Remmers FS Rengier FS Ress FS Richter FS Rieß FS Rill FS Rissing-van Saan FS Rittler FS Rogall FS Rolinski FS Rosenfeld FS Rowedder FS Roxin FS Roxin II FS Rössner Rudolphi-Symp. FS Rudolphi FS Rüping FS Rüter FS Salger

FS Samson FS Sarstedt

LV

Einheit und Vielfalt des Strafrechts, Festschrift für Karl Peters zum 70. Geburtstag (1974) Wahrheit und Gerechtigkeit im Strafverfahren, Festgabe für Karl Peters zum 80. Geburtstag (1984) Kriminologie ist Gesellschaftswissenschaft, Festschrift für Christian Pfeiffer zum 70. Geburtstag (2014) Strafrecht, Unternehmensrecht, Anwaltsrecht, Festschrift für Gerd Pfeiffer zum Abschied aus dem Amt als Präsident des Bundesgerichtshofes (1988) Strafprozeß und Rechtsstaat, Festschrift zum 70. Geburtstag von H. F. Pfenniger (1976) Festschrift für Winfried Platzgummer zum 65. Geburtstag (1995) Anwalt des Rechtsstaats – Festschrift für Diether Posser zum 75. Geburtstag (1997) Processus Criminalis Europeus, Festschrift für Hans-Gert Pöttering (2008) Strafrechtswissenschaft als Analyse und Konstruktion, Festschrift für Ingeborg Puppe zum 70. Geburtstag (2011) Festschrift für Kurt Rebmann zum 65. Geburtstag (1989) Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Bd. 5, Strafrecht und Strafprozeß (1929) Vom Reichsjustizamt zum Bundesministerium der Justiz, Festschrift zum 100jährigen Gründungstag des Reichsjustizamtes am 1.1.1877 (1977) Vertrauen in den Rechtsstaat, Beiträge zur deutschen Einheit im Recht, Festschrift für Walter Remmers (1995) Festschrift für Rudolf Rengier zum 70. Geburtstag (2018) Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte, Festschrift für Georg Ress zum 70. Geburtstag (2005) Verstehen und Widerstehen, Festschrift für Christian Richter II zum 65. Geburtstag (2006) Festschrift für Peter Rieß zum 70. Geburtstag (2002) Grundfragen und aktuelle Probleme des öffentlichen Rechts – Festschrift für Heinz Peter Rill zum 60. Geburtstag (1995) Festschrift für Ruth Rissing-van Saan zum 65. Geburtstag (2011) Festschrift für Theodor Rittler zu seinem achtzigsten Geburtstag (1957) Systematik in Strafrechtswissenschaft und Gesetzgebung – Festschrift für Klaus Rogall zum 70. Geburtstag (2018) Festschrift für Klaus Rolinski zum 70. Geburtstag (2002) Festschrift für Ernst Heinrich Rosenfeld zu seinem 80. Geburtstag (1949) Festschrift für Heinz Rowedder zum 75. Geburtstag (1994) Festschrift für Claus Roxin zum 70. Geburtstag (2001) Festschrift für Claus Roxin zum 80. Geburtstag (2011) Über allem: Menschlichkeit – Festschrift für Dieter Rössner zum 70. Geburtstag (2015) Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts, Symposium zu Ehren von HansJoachim Rudolphi zum 60. Geburtstag (1995) Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi zum 70. Geburtstag (2004) Recht und Macht: zur Theorie und Praxis von Strafe, Festschrift für Hinrich Rüping zum 65. Geburtstag (2008) Festschrift für C. F. Rüter zum 65. Geburtstag (2003) Straf- und Strafverfahrensrecht, Recht und Verkehr, Recht und Medizin, Festschrift für Hannskarl Salger zum Abschied aus dem Amt als Vizepräsident des Bundesgerichtshofes (1995) Festschrift für Erich Samson zum 70. Geburtstag (2010) Festschrift für Werner Sarstedt zum 70. Geburtstag (1981)

Literaturverzeichnis

FS Sauer FS G. Schäfer FS Schäfer FS Schaffstein FS Scharf FS W. Schiller FS Schindler FS Schlochauer FS Schlothauer FS Schlüchter

FS Schmidt FS H. Schmidt FS Schmidt-Leichner FS Schmitt-Glaeser FS Schneider FS Schomburg FS Schöch FS Schreiber FS Schroeder FS Schüler-Springorum FS Schünemann FS Schultz FS Schwind FS Seebode FS Seidl-Hohenveldern

FS Sellert FS Sendler FS Spendel FS Spinellis FS StA Schleswig-Holstein FS Steinberger FS Steinhilper FS Stober FS Stock FS Stöckel

Festschrift für Wilhelm Sauer zu seinem 70. Geburtstag (1949) NJW-Sonderheft für Gerhard Schäfer zum 65. Geburtstag (2002) Festschrift für Karl Schäfer zum 80. Geburtstag (1980) Festschrift für Friedrich Schaffstein zum 70. Geburtstag (1975) Festschrift für Ulrich Scharf zum 70. Geburtstag (2008) Festschrift für Wolf Schiller zum 65. Geburtstag (2014) Im Dienst an der Gemeinschaft, Festschrift für Dietrich Schindler zum 65. Geburtstag (1989) Staatsrecht – Völkerrecht – Europarecht, Festschrift für Hans Jürgen Schlochauer (1981) Festschrift für Reinhold Schlothauer zum 70. Geburtstag (2018) Freiheit und Verantwortung in schwieriger Zeit, Kritische Studien aus vorwiegend straf(prozess-)rechtlicher Sicht zum 60. Geburtstag von Ellen Schlüchter (1998) Festschrift für Eberhard Schmidt zum 70. Geburtstag (1961) Kostenerstattung und Streitwert, Festschrift für Herbert Schmidt (1981) Festschrift für Erich Schmidt-Leichner zum 65. Geburtstag (1975) Recht im Pluralismus, Festschrift für Walter Schmitt-Glaeser zum 70. Geburtstag (2003) Kriminologie an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Festschrift für Hans Joachim Schneider zum 70. Geburtstag (1998) Justice Without Borders – Essays in Honour of Wolfgang Schomburg (2018) Festschrift für Heinz Schöch zum 70. Geburtstag (2010) Strafrecht, Biorecht, Rechtsphilosophie, Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Friedrich-Christian Schroeder zum 70. Geburtstag (2006) Festschrift für Horst Schüler-Springorum zum 65. Geburtstag (1993) Festschrift für Bernd Schünemann zum 70. Geburtstag (2014) Lebendiges Strafrecht. Festgabe zum 65. Geburtstag von Hans Schultz (1977) Kriminalpolitik und ihre wissenschaftlichen Grundlagen, Festschrift für Hans-Dieter Schwind zum 70. Geburtstag (2006) Festschrift für Manfred Seebode zum 70. Geburtstag (2008) Völkerrecht, Recht der Internationalen Organisationen, Weltwirtschaftsrecht; Festschrift für Ignaz Seidl-Hohenveldern zum 70. Geburtstag (1988) Zur Erhaltung guter Ordnung – Beiträge zur Geschichte von Recht und Justiz, Festschrift für Wolfgang Sellert zum 65. Geburtstag (2000) BürgerRichterStaat, Festschrift für Horst Sendler zum Abschied aus seinem Amt (1991) Festschrift für Günter Spendel zum 70. Geburtstag (1992) Festschrift für Dionysios Spinellis zum 70. Geburtstag (1999–2003) Strafverfolgung und Strafverzicht, Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Staatsanwaltschaft Schleswig-Holstein (1992) Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift für Helmut Steinberger (2002) Kriminologie und Medizinrecht, Festschrift für Gernot Steinhilper zum 70. Geburtstag (2013) Festschrift für Rolf Stober, Wirtschaft – Verwaltung – Recht (2008) Studien zur Strafrechtswissenschaft, Festgabe für Ulrich Stock zum 70. Geburtstag (1966) Strafrechtspraxis und Reform, Festschrift für Heinz Stöckel zum 70. Geburtstag (2010)

LVI

Literaturverzeichnis

FS Strauda

FS Stree/Wessels FS Streng FS Szwarc FS Tepperwien FS Tiedemann FS Tolksdorf FS Tondorf FS Trechsel FS Triffterer FS Tröndle FS Trusen FS Verdross FS Verdross II FS Verosta FS Volk FS von Simson FS Vormbaum FS Wassermann FS v. Weber FS Weber FS Weißauer FS Welp

FS Welzel FS Wessing FS Widmaier

FS Winkler FS Wolff FS Wolter FS Würtenberger FS Würtenberger II FS Würzburger Juristenfakultät FS Yamanaka

LVII

Festschrift zu Ehren des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer anlässlich seiner 196. Tagung vom 13.– 15.10.2006 in Münster (2006) Beiträge zur Rechtswissenschaft, Festschrift für Walter Stree und Johannes Wessels zum 70. Geburtstag (1993) Festschrift für Franz Streng zum 70. Geburtstag (2017) Vergleichende Strafrechtswissenschaft, Frankfurter Festschrift für Andrzej J. Szwarc zum 70. Geburtstag (2009) NJW-Festheft zum 65. Geburtstag von Ingeborg Tepperwien (2010) Strafrecht und Wirtschaftsstrafrecht, Festschrift für Klaus Tiedemann zum 70. Geburtstag (2008) Festschrift für Klaus Tolksdorf zum 65. Geburtstag (2014) Festschrift für Günter Tondorf zum 70. Geburtstag (2004) Strafrecht, Strafprozessrecht und Menschenrechte, Festschrift für Stefan Trechsel zum 65. Geburtstag (2002) Festschrift für Otto Triffterer zum 65. Geburtstag (1996) Festschrift für Herbert Tröndle zum 70. Geburtstag (1989) Festschrift für Winfried Trusen zum 70. Geburtstag (1994) Völkerrecht und zeitliches Weltbild, Festschrift für Alfred Verdross zum 70. Geburtstag (1960) Ius humanitas, Festschrift für Alfred Verdross zum 90. Geburtstag (1980) Völkerrecht und Rechtsphilosophie, Internationale Festschrift für Stephan Verosta zum 70. Geburtstag (1980) In dubio pro libertate, Festschrift für Klaus Volk zum 65. Geburtstag (2009) Grundrechtsschutz im nationalen und internationalen Recht – Festschrift für Werner von Simson zum 75. Geburtstag (1983) Strafrecht und Juristische Zeitgeschichte – Symposium anlässlich des 70. Geburtstages von Thomas Vormbaum Festschrift für Rudolf Wassermann zum 60. Geburtstag (1985) Festschrift für Hellmuth von Weber zum 70. Geburtstag (1963) Festschrift für Ulrich Weber zum 70. Geburtstag (2004) Ärztliches Handeln – Verrechtlichung eines Berufsstandes; Festschrift für Walther Weißauer zum 65. Geburtstag (1986) Strafverteidigung in Forschung und Praxis, Kriminalwissenschaftliches Kolloquium aus Anlaß des 70. Geburtstages von Jügen Welp (2006) Festschrift für Hans Welzel zum 70. Geburtstag (1974) Unternehmensstrafrecht – Festschrift für Jürgen Wessing zum 65. Geburtstag (2015) Strafverteidigung, Revision und die gesamten Strafrechtswissenschaften – Festschrift für Gunter Widmaier zum 70. Geburtstag (2008) Beiträge zum Verfassungs- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Günther Winkler (1989) Festschrift für Ernst Amadeus Wolff zum 70. Geburtstag (1998) Festschrift für Jürgen Wolter zum 70. Geburtstag (2013) Kultur, Kriminalität, Strafrecht, Festschrift für Thomas Würtenberger zum 70. Geburtstag (1977) Verfassungsstaatlichkeit im Wandel, Festschrift für Thomas Würtenberger zum 70. Geburtstag (2013) Raum und Recht, Festschrift 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät (2002) Rechtsstaatliches Strafen, Festschrift für Keiichi Yamanaka zum 70. Geburtstag (2017)

Literaturverzeichnis

FS Zeidler FS Zoll Full/Möhl/Rüth Gaede Gaier/Wolf/Göcken GedS Bleckmann GedS Blomeyer GedS Blumenwitz GedS Bruns GedS Eckert GedS Geck GedS Heine GedS Heinze GedS Joecks GedS A. Kaufmann GedS H. Kaufmann GedS Keller GedS Küchenhoff GedS Lisken

GedS Meurer GedS Meyer GedS Noll GedS H. Peters GedS Ryssdal

GedS Schlüchter GedS Schröder GedS Seebode GedS Tröndle GedS Trzaskalik GedS Walter GedS Weßlau GedS Vogler GedS Zipf Geerds Geiger/Khan/Kotzur Gercke/Leimenstoll/Stirner Gerland Gerold/Schmidt/v. Eicken/ Madert/Müller-Rabe Gerson

Festschrift für Wolfgang Zeidler (1987) Rechtsstaat und Strafrecht, Festschrift für Andrzej Zoll zum 70. Geburtstag (2012) s. Rüth/Berr/Berz Gaede, Fairness als Teilhabe – das Recht auf konkrete und wirksame Teilhabe durch Verteidigung gemäß Art. 6 EMRK (2007) Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl. (2019) Rechtsstaatliche Ordnung Europas – Gedächtnisschrift für Albert Bleckmann (2007) Recht der Wirtschaft und Arbeit in Europa. Gedächtnisschrift für Wolfgang Blomeyer (2004) Iustitia et Pax, Gedächtnisschrift für Dieter Blumenwitz (2008) Gedächtnisschrift für Rudolf Bruns (1980) Gedächtnisschrift für Jörn Eckert (2008) Verfassungsrecht und Völkerrecht, Gedächtnisschrift für Wilhelm Karl Geck (1989) Strafrecht als ultima ratio – Gießener Gedächtnisschrift für Günter Heine (2015) Gedächtnisschrift für Meinhard Heinze (2005) Strafrecht – Wirtschaftsstrafrecht – Steuerrecht – Gedächtnisschrift für Wolfgang Joecks (2018) Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann (1986) Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann (1986) Gedächtnisschrift für Rolf Keller (2003) Recht und Rechtsbesinnung, Gedächtnisschrift für Günter Küchenhoff (1987) Lauschen im Rechtsstaat – Zu den Konsequenzen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff, Gedächtnisschrift für Hans Lisken (2004) Gedächtnisschrift für Dieter Meurer (2002) Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer (1990) Gedächtnisschrift für Peter Noll (1984) Gedächtnisschrift für Hans Peters (1967) Protection des droits de l’homme: la perspective européenne/Protecting Human Rights: The European Perspective, Gedächtnisschrift für Rolv Ryssdal (2000) Gedächtnisschrift für Ellen Schlüchter (2002) Gedächtnisschrift für Horst Schröder (1978) Im Zweifel für die Freiheit – Gedächtnisschrift für Manfred Seebode (2015) Gedächtnisschrift für Herbert Tröndle (2020) Gedächtnisschrift für Christoph Trzaskalik (2005) Kriminologie – Jugendkriminalrecht – Strafvollzug, Gedächtnisschrift für Michael Walter (2014) Rechtsstaatlicher Strafprozess und Bürgerrechte – Gedächtnisschrift für Edda Weßlau (2016) Gedächtnisschrift für Theo Vogler (2004) Gedächtnisschrift für Heinz Zipf (1999) Handbuch der Kriminalistik, begr. von H. Groß, neubearbeitet von Geerds, 10. Aufl. (Bd. I 1977, Bd. II 1978) Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, Kommentar, 6. Aufl. (2017) Gercke/Leimenstoll/Stirner, Handbuch Medizinstrafrecht (2020) Gerland, Der Deutsche Strafprozeß (1927) Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, Kommentar, 24. Aufl. (2019) Gerson, Das Recht auf Beschuldigung (2016)

LVIII

Literaturverzeichnis

Gerst Glaser Göbel Göhler Gössel Gössel/Dölling Goldschmidt Grabenwarter/Pabel Grabitz/Hilf/Nettesheim Graf Graf/Goers (BGH Jahr)

Graf/Jäger/Wittig Graf zu Dohna Greeve/Leipold Grote/Marauhn/Dörr Grunau/Tiesler von der Grün Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas Guradze Gürtner Habschick Hackner/Schierholt Hahn Haller/Conzen Hamm/Hassemer/Pauly Hamm Hanack-Symp. Hansens Hartmann/Toussaint Hartung/Schons/Enders Haupt/Weber/Bürner/ Frankfurth/Luxemburger/ Marth HdbStR HdbVerfR Hecker Heghmanns/Herrmann Heghmanns, Verteidigung

LIX

Gerst (Hrsg.), Zeugen in der Hauptverhandlung, 2. Aufl. (2020) Glaser, Handbuch des Strafprozesses, in Binding, Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft (Bd. I 1883, Bd. II 1885) Göbel, Strafprozess, 8. Aufl. (2013) Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, Kurzkommentar erläutert von Erich Göhler, fortgef. von Peter König und Helmut Seitz, 17. Aufl. (2017) Gössel, Strafverfahrensrecht, Studienbuch (1977) Gössel/Dölling, Strafrecht, Besonderer Teil 1, 2. Aufl. (2004) Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage (1925) Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. (2016) Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, begr. von Grabitz, Loseblattausgabe, 68. Aufl. (2019) Graf, Strafprozessordnung, 3. Aufl. (2018) Graf, BGH-Rechtsprechung Strafrecht 2010 (2011); 2011 (2012); 2012/2013 (2013); 2014 (2014); 2015 (2015); 2016 (2016); 2017 (2017); 2018 (2018); 2020 (2020) Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl. (2017) Graf zu Dohna, Das Strafprozeßrecht, 3. Aufl. (1929) Greeve/Leipold, Handbuch des Baustrafrechts (2004) Grote/Marauhn/Dörr, EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2. Aufl. (2013) Grunau/Tiesler, Strafvollzugsgesetz, Kommentar, 2. Aufl. (1982) von der Grün, Verdeckte Ermittlungen (2015) Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, Loseblattausgabe, 3. Aufl. (ab 2008) Guradze, Die Europäische Menschenrechtskonvention, 1968 Das kommende deutsche Strafverfahren, Bericht der amtlichen Strafprozeßkommission, hrsg. von Gürtner (1938) Habschick, Erfolgreich Vernehmen, 4. Aufl. (2016) Hackner/Schierholt, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Aufl. (2017) Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozeßordnung und dem Einführungsgesetz, Bd. I (1880), Bd. II (1881) Haller/Conzen, Das Strafverfahren, 8. Aufl. (2018) Hamm/Hassemer/Pauly, Beweisantragsrecht, 3. Aufl. (2019) Hamm, Die Revision in Strafsachen, 7. Aufl. (2010) Aktuelle Probleme der Strafrechtspflege, Beiträge eines Symposions anläßlich des 60. Geburtstags von Ernst Walter Hanack (1991) Hansens, RVG, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 9. Aufl. (2018) Hartmann/Toussaint, Kostengesetze, 50. Aufl. (2020) Hartung/Schons/Enders, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), Kommentar, 3. Aufl. (2017) Haupt/Weber/Bürner/Frankfurth/Luxemburger/Marth, Handbuch Opferschutz und Opferhilfe, 2. Aufl. (2003) Handbuch des Strafrechts, hrsg. von Hilgendorf/Kudlich/Valerius, ab 2018 Handbuch des Verfassungsrechts, hrsg. von Benda/Maihofer/Vogel, 2. Aufl. (1994) Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl. (2015) Heghmanns/Herrmann, Das Arbeitsgebiet des Staatsanwalts, 5. Aufl. (2017) Heghmanns, Verteidigung in Strafvollstreckung und Strafvollzug, 2. Aufl. (2012)

Literaturverzeichnis

Heghmanns/Scheffler Hellebrand Hellmann Henkel Henssler/Prütting Hentschel Hentschel/König/Dauer Herrmann Herrnfeld/Brodowski/ Burchard Heselhaus/Nowak Herzog/Mülhausen von Hippel HK HK-GS Höflich/Schriever/Bartmeier Hömig/Wolff Hofmann von Holtzendorff HRRS-FG Fezer Ignor/Mosbacher IK-EMRK

Ipsen Isele Jacobs/White/Ovey Jahn/Krehl/Löffelmann/ Güntge Jahn/Nack (I) Jahn/Nack (II) Jahn/Nack (III) Jahn/Nack (IV)

Jahn/Radtke (V)

Jahn/Radtke (VI) Jakobs Janiszewski Jansen

Heghmanns/Scheffler, Handbuch zum Strafverfahren (2008) (zit.: HbStrVf/Verfasser) Hellebrand, Die Staatsanwaltschaft (1999) Hellmann, Strafprozessrecht, 2. Aufl. (2005) Henkel, Strafverfahrensrecht, Lehrbuch, 2. Aufl. (1968) Bundesrechtsanwaltsordnung, Kommentar, hrsg. von Henssler/Prütting, 5. Aufl. (2019) Hentschel, Trunkenheit, Fahrerlaubnisentziehung, Fahrverbot im Strafund Ordnungswidrigkeitenrecht, 10. Aufl. (2006) Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. (2019) Herrmann, Untersuchungshaft (2007) Herrnfeld/Brodowski/Burchard, European Public Prosecutor's Office, 2020 Heselhaus/Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte, 2. Aufl. (2020) Herzog/Mülhausen, Geldwäschebekämpfung und Gewinnabschöpfung (2006) von Hippel, Der deutsche Strafprozeß, Lehrbuch (1941) Heidelberger Kommentar zur Strafprozessordnung, 6. Aufl. (2019) siehe Dölling/Duttge/Rössner Höflich/Schriever/Bartmeier, Grundriss Vollzugsrecht, 4. Aufl. (2014) Hömig/Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. (2018) Hofmann, IPBPR Erläuterung, in: Das Deutsche Bundesrecht I A 10c (1986) von Holtzendorff, Handbuch des deutschen Strafprozesses (1879) HRRS-Festgabe für Gerald Fezer zum 70. Geburtstag (2008) Ignor/Mosbacher, Handbuch Arbeitsstrafrecht, 3. Aufl. (2016) Pabel/Schmahl (Hrsg.), Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Loseblattausgabe, 21. Lfg., Kommentar, 8. Aufl. (2015) Ipsen, Völkerrecht, 7. Aufl. 2018 Isele, Bundesrechtsanwaltsordnung, Kommentar (1976) Jacobs/White/Ovey, The European Convention on Human Rights, 7ed. 2017 Jahn/Krehl/Löffelmann/Güntge, Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen, 2. Aufl. (2017) Jahn/Nack (Hrsg.), Strafprozessrechtspraxis und Rechtswissenschaft, 1. Karlsruher Strafrechtsdialog (2007) Jahn/Nack (Hrsg.), Rechtsprechung, Gesetzgebung, Lehre: Wer regelt das Strafrecht?, 2. Karlsruher Strafrechtsdialog (2009) Jahn/Nack (Hrsg.), Gegenwartsfragen des europäischen und deutschen Strafrechts, 3. Karlsruher Strafrechtsdialog (2011) Jahn/Nack (Hrsg.), Rechtsprechung in Strafsachen zwischen Theorie und Praxis – zwei Seiten einer Medaille?, 4. Karlsruher Strafrechtsdialog (2013) Deutsche Strafprozessreform und Europäische Grundrechte – Herausforderungen auch für die Rechtsprechung des BGH in Strafsachen? – Referate und Diskussionen auf dem 5. Karlsruher Strafrechtsdialog (2015) Der Bundesgerichtshof im Spiegel der Öffentlichkeit – Referate und Diskussionen auf dem 6. Karlsruher Strafrechtsdialog (2017) Jakobs, Strafrecht Allg. Teil, Lehrbuch, 2. Aufl. (1991) Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, 5. Aufl. (2004) Jansen, Zeuge und Aussagepsychologie, 2. Aufl. (2012)

LX

Literaturverzeichnis

Janssen Jarass Jarass/Pieroth Jescheck/Weigend Joachimski/Haumer Joecks Joecks/Jäger/Randt Johann John Jung Junker Junker/Armatage Kaiser Kaiser/Schöch/Kinzig Kamann Kammeier/Pollähne Karpenstein/Mayer Katholnigg Kämmerer/Eidenmüller Kindhäuser Kindhäuser/Schumann Kinzig Kirsch Kissel/Mayer KK KK-OWiG Klein/(Orlopp) Klemke/Elbs Klesczewski KMR Knierim/Rübenstahl/ Tsambikakis Koch/Scholtz König Koeniger Körner/Patzak/Volkmer Kohlmann Kohlrausch

LXI

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MAH MAH (WSSt) Malek Malek (BtMG) Malek/Popp (Internet) von Mangoldt/Klein/Starck Marberth-Kubicki Marschner//Lesting/ Stahmann Marx/Roderfeld Marxen/Tiemann Matt/Renzikowski Maunz/Dürig Maurach/Zipf

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Peter (Opferanwalt) Peter Peters/Altwicker (EMRK) Peters Peters (Fehlerquellen) Pfeiffer Pfordte/Degenhard Piller/Hermann Plötz (Fürsorgepflicht) Pohlmann/Jabel/Wolf Poller/Teubel Popp Potrykus Protokolle Püschel/Bartmeier/Mertens Putzke/Scheinfeld Quedenfeld/Füllsack Quellen

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Strafprozeßordnung Vom 1. Februar 1877 in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 10.07.2020 (BGBl. I S. 1648)

ZWEITES BUCH Verfahren im ersten Rechtszug SECHSTER ABSCHNITT Hauptverhandlung § 256 Verlesung der Erklärungen von Behörden und Sachverständigen (1) Verlesen werden können die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen a) öffentlicher Behörden, b) der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie c) der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen, 2. unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen, 3. ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben, 4. Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung, 5. Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und 6. Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3. (2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.

1.

Schrifttum Ahlf Zur Ablehnung des Vertreters von Behördengutachten durch den Beschuldigten im Strafverfahren, MDR 1978 981; Dostmann Die Rechtsstellung des Kriminalbeamten (beim Landeskriminalamt) als Sachverständiger im Strafverfahren unter besonderer Berücksichtigung dienstrechtlicher Vorschriften (dargestellt am Beispiel des Landeskriminalamts Rheinland-Pfalz), DVBl. 1974 153; Gollwitzer Behördengutachten in der Hauptverhandlung des Strafprozesses, FS Weißauer (1986) 23; Gössel Behörden und Behördenangehörige als Sachverständige vor Gericht, DRiZ 1980 363; Hanack Zum Problem der persönlichen Gutachterpflicht, insbesondere in Kliniken, NJW 1961 2041; Jessnitzer Gerichtliche Sachverständigengutachten von privaten Organisationen, NJW 1971 1075; Jessnitzer/Ulrich Der gerichtliche Sachverständige12 (2007); Kintzi Möglichkeiten zur Vereinfachung und Beschleunigung von Strafverfahren de lege ferenda, DRiZ 1994 325; Krüger Unmittelbarkeit und materielles Recht (2014); ders. Erklärungen von Behörden, Sachverständigen und Ärzten im Strafprozess, FS Imme Roxin (2012) 601; ders. Zur Änderung von § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglichen Ausgestaltung des Strafverfahrens“, StV 2018 316; Leineweber Die Rechtsstellung der Polizeibediensteten als Sachverständige vor Gericht, MDR 1980 7; Meyer-Mews Wieder die „Leseritis“ – kurze Abhandlung zur Verlesung von Behördengutachten in der Hauptverhandlung, StraFo 2013 497; Rogall

1 https://doi.org/10.1515/9783110274967-001

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Behördengutachten im Strafverfahren, FS Gössel (2002) 511; Schnellbach Sachverständigengutachten kollegialer Fachbehörden im Prozeß, Diss. Marburg 1964; Seyler Das Behördengutachten im Strafprozeß, GA 1989 546; Stein Persönliche Gutachterpflicht eines Klinikleiters, NJW 1969 2304; Steinke Sachverständige und Vertreter von Behördengutachten im Strafprozeß, Zeitschrift für das gesamte Sachverständigenwesen 1983 129; Toepel Grundstrukturen des Sachverständigenbeweises im Strafprozeß (2002).

Entstehungsgeschichte Art. 1 Nr. 75 des 1. StVRG hat Absatz 1 erweitert und in Satz 1 die Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes den Behörden gleichgestellt sowie einen Satz 2 neu eingefügt, der die Verlesbarkeit auf einige für die Praxis besonders wichtige Schriftstücke (heute Abs. 1 Nr. 3 und 4) ausdehnt. Art. 3 Nr. 13 des 1. JuMoG hat zwecks besserer Verständlichkeit die beiden Sätze des Absatzes 1 durch eine nummerierte Liste ersetzt und diese um die Gutachten vereidigter Sachverständiger (Nr. 1b) und die Protokolle über Ermittlungshandlungen (Nr. 5) erweitert. Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen vom 5.7.2017 (BGBl. I S. 2208) hat in Absatz 1 die Nr. 6 hinzugefügt. Art. 3 Nr. 32 des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.8.2017 (BGBl. I S. 3202) hat die Beschränkung der Verlesbarkeit ärztlicher Protokolle auf Tatvorwürfe nicht schwerer Körperverletzungen in Nr. 2 gestrichen. Bezeichnung bis 1924: § 255.

I.

II.

Übersicht Bedeutung und Anwendungsbereich der Vorschrift 1 1. Ausnahmen vom Verleseverbot (Absatz 1) 2 a) Begründung 3 b) Anwendungsbereich 10 2. Gutachten von Kollegialbehörden (Absatz 2) 11 Die einzelnen Fälle des Absatzes 1 12 1. Zeugnisse und Gutachten von Behörden, Sachverständigen, Gerichtsärzten (Nr. 1) 12 a) Begriff des Zeugnisses 12 b) Begriff des Gutachtens 13 c) Ausnahme: Leumundszeugnisse 14 aa) Grundsätzliches 15 bb) Einzelfälle 19 2. Erklärungen öffentlicher Behörden (Nr. 1a) 22 a) Begriff 22 b) Verlesbare Erklärung 29 c) Behördenzeugnis 34 d) Behördengutachten 38 e) Formfragen 41 3. Erklärungen vereidigter Sachverständiger (Nr. 1b) 43 4. Erklärungen der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes (Nr. 1c) 44

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III.

IV.

V.

Ärztliche Atteste über Körperverletzun46 gen (Nr. 2) a) Begriff 46 b) Verlesbarkeit 47 c) Zusätzliche Angaben 48 6. Ärztliche Berichte zur Entnahme der Blutprobe (Nr. 3) 50 7. Sonstige Routinegutachten (Nr. 4) 51 8. Protokolle und Erklärungen über Ermittlungshandlungen (Nr. 5) 54 9. Übertragungsvermerke gem. § 32e Abs. 3 (Nr. 6) 57 Sonstige Verfahrensfragen 58 1. Anordnung der Verlesung 58 2. Sitzungsniederschrift 60 3. Einwirkung allgemeiner Beweisgrundsätze 61 Vertretung des Gutachtens einer kollegialen Fachbehörde (Absatz 2) 63 1. Voraussetzung 63 2. Ersuchen des Gerichts 64 3. Der Beauftragte des Kollegiums 68 4. Monokratisch organisierte Behörden 69 Revision 70 1. Verstoß gegen §§ 250, 256 70 2. § 261 71 3. Verletzung der Aufklärungspflicht 72

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I. Bedeutung und Anwendungsbereich der Vorschrift Die Vorschrift enthält zwei sachlich nur entfernt zusammengehörende Regelungen, 1 die beide in unterschiedlicher Weise der Verfahrenserleichterung dienen. Im Strengbeweisrecht erlaubt Absatz 1 eine weitere Durchbrechung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit, indem er den Kreis der in § 251 geregelten Ausnahmen vom Verlesungsverbot des § 250 um bestimmte schriftliche Erklärungen erweitert. Die Hauptverhandlung soll durch Verzicht auf Ladung und Vernehmung von Zeugen oder Anhörung von Sachverständigen vereinfacht und beschleunigt werden, was zugleich die betroffenen Zeugen und Sachverständigen entlastet und ihnen Zeit und Kosten erspart. Absatz 2 ergänzt § 83 Abs. 3 und gestattet kollegial organisierten Behörden die mündliche Erläuterung eines verlesenen Behördengutachtens in der Hauptverhandlung durch einen Vertreter anstelle des gesamten Kollegiums. 1. Ausnahmen vom Verleseverbot (Absatz 1). Die in Absatz 1 genannten Beweis- 2 mittel (Gutachten und Zeugnisse) werden durch Verlesen oder im Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 in die mündliche Verhandlung eingeführt, auch wenn die Voraussetzungen des § 251 nicht vorliegen. Die Verfasser brauchen nicht als Zeugen oder Sachverständige in der Hauptverhandlung persönlich gehört zu werden. Der Form nach handelt es sich daher um Urkundenbeweis,1 der an die Stelle des Zeugen- oder Sachverständigenbeweises tritt. a) Begründung. Absatz 1 enthält eine Kann-Regelung, die die Aufklärungspflicht 3 des Gerichts nicht vermindert. Die Ausnahme vom Verleseverbot des § 250 ist daher nur gerechtfertigt, wenn der Zweck der Verfahrenserleichterung bei gleichzeitiger vollständiger Erfüllung der Aufklärungspflicht aus § 244 Abs. 2 und damit des verfassungsrechtlichen Gebots der Verwendung des bestmöglichen Beweismittels2 erreicht werden kann. Dies ist nur möglich, wenn das Verlesen der Urkunde kein Beweismittel geringerer Qualität im Vergleich zur Zeugenvernehmung oder mündlichen Gutachtenerstattung darstellt. Dies trifft nur für solche schriftlichen Erklärungen zu, bei denen weitere Nachfragen zur Aufklärung und Beurteilung des Beweiswerts nicht erforderlich oder nicht ergiebig sind. Bei Sachverständigengutachten müssen folglich Sachkunde, Richtigkeit, Vollständigkeit und Klarheit außer Zweifel stehen, bei Zeugnissen über Wahrnehmungen müssen Glaubhaftigkeit der Bekundung und Glaubwürdigkeit des Zeugen abschließend beurteilbar sein, was regelmäßig ebenso nur dann der Fall sein dürfte, wenn sie unzweifelhaft feststehen. Der Gesetzgeber hat Fallgruppen aufgezählt, in denen Verfasser oder Gegenstand der 4 Erklärung eine hohe Beweisqualität der Urkunde und damit einen Verzicht auf die mündliche Beweiserhebung nahelegen. Das dem Gericht von Absatz 1 eingeräumte Ermessen, ob es diese Möglichkeit nutzen will, wird durch die Aufklärungspflicht begrenzt. Das Gericht darf sich also nicht mit dem Verlesen der Erklärungen begnügen, wenn die Umstände des Einzelfalls darauf hindeuten, dass die persönliche Vernehmung des Urhebers in der

1 RGSt 1 383; BGHSt 1 94, 96; BGH NStZ 1993 397; 2012 585, 587; Alsberg/Dallmeyer 531; AK/Rüping 1; Eisenberg (Beweisrecht) 2170; Meyer-Goßner/Schmitt 1; SSW/Franke 1; Ahlf MDR 1978 982; Dästner MDR 1979 546; Gössel § 27 D II d; Gössel DRiZ 1980 373; Hanack NJW 1961 2041; Jessnitzer/Ulrich 87; Rogall FS Gössel 511, 521; a. A. Hegler Rechtsgang I 385; Schnellbach (Sachverständigenbeweis) 68. 2 Vgl. nur BVerfGE 57 250, 277; 63 45, 61; 70 297, 309; 130 1, 27; BVerfG NJW 2003 2444, 2445; 2007 1933, 1938; BGHSt 46 73, 79; 50 40, 48; OLG Düsseldorf StV 2007 518 f.

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Hauptverhandlung zur besseren Sachaufklärung beitragen kann.3 Dies gilt insbesondere, wenn die schriftlichen Ausführungen unklar oder missverständlich sind, wenn konkret begründete Zweifel, auch aufgrund in der Hauptverhandlung veränderter oder neu eingetretener Umstände, an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der verlesenen Erklärung geltend gemacht werden4 oder wenn ein Sachverständiger sein Gutachten nur unter dem Eindruck der Hauptverhandlung sachgerecht erstatten kann (RiStBV Nr. 111 Abs. 3 Satz 2 2. Hs). In allen Fällen des § 256 besteht zudem die Gefahr, dass die scheinbare Autorität des schriftlichen Textes erörterungsbedürftige Fragen verdeckt, die bei Befragung der Beweisperson erkannt worden wären.5 Die Ausnahmevorschrift ist daher eng auszulegen,6 bedarf behutsamer Handhabung und stellt besondere Anforderungen an die kritische Aufmerksamkeit sowohl des Gerichts als auch der Verteidigung, auf dass die Prozessökonomie nicht zu Lasten der Qualität der Beweisführung gehe, deren Gewährleistung nicht allein vom Geschick der Verteidigung, die nötigen Beweisanträge zu stellen, abhängen darf. 5 Die Fallgruppen umfassen schriftliche Erklärungen von Behörden, vereidigten Sachverständigen und Ärzten eines gerichtsärztlichen Dienstes (Abs. 1 Nr. 1), bei denen die Verlesbarkeit nicht vom Inhalt der Erklärung – etwa vom Inhalt des Attestes – abhängt,7 mit der einzigen Einschränkung, dass es sich nicht um ein Leumundszeugnis handeln darf. Bei den übrigen in Absatz 1 erwähnten Erklärungen ist dagegen ihr Inhalt maßgebend. Nur soweit die in Absatz 1 Nr. 2 bis 6 genannten Schriftstücke den dort bezeichneten Inhalt haben, kann ihre Verlesung die Vernehmung ihres Urhebers in der Hauptverhandlung ersetzen. Als wesentliche – allerdings nicht zweifelsfreie8 – Begründung der Fallgruppen gilt 6 heute,9 dass bei öffentlichen Behörden und Ärzten des gerichtsärztlichen Dienstes sowie einfachen ärztlichen Attesten (Abs. 1 Satz 1 a. F.; Abs. 1 Nr. 1a, 1c, 2 n. F.) sowohl die gutachterliche Sachkunde als auch die Objektivität schriftlich bezeugter Wahrnehmungen und daraus gezogener Schlussfolgerungen aufgrund der Fachkunde und Erfahrung der zur Unparteilichkeit verpflichteten Behörde oder der berufsrechtlich verpflichteten Ärzte hinreichend gewährleistet erscheint,10 so dass Nachfragen, die eine mündliche Beweis-

3 BTDrucks. 7 551 S. 81; BGHSt 1 94; BGH NStZ 1993 397; bei Pfeiffer NStZ 1981 95; BayObLGSt 1952 228 = NJW 1963 194; BayObLGSt 2001 157, 160 = StV 2002 646; Alsberg/Dallmeyer 522; KK/Diemer 10; KMR/ Paulus 3; Meyer-Goßner/Schmitt 2; MüKo/Krüger 4; OK-StPO/Ganter 2; Radtke/Hohmann/Pauly 1; SK/Velten 17 f.; Eb. Schmidt 2; SSW/Franke 2; Krüger FS Imme Roxin 601, 605. Auf Art. 103 Abs. 1 GG stellt MeyerMews StraFo 2013 497, 499 ab mit Verweis auf BVerfG NJW 1998 2272 (zu § 402 ZPO); nach BVerfG 24.8.2015 – 2 BvR 2915/14 Rn. 19; BVerfGK 20 218, 225; 319, 320 ist eine mündliche Anhörung des Sachverständigen jedoch nur geboten, wenn darin ein „Mehrwert“ liegt, was sich mit der Notwendigkeit einer Anhörung nach § 244 Abs. 2 decken dürfte. 4 BGH NStZ 1993 397; BayObLGSt 2001 157, 160 = StV 2002 646; OLG Schleswig SchlHA 1978 88. 5 Anschaulich Neuhaus StV 2005 47, 52; auch Knauer/Wolf NJW 2004 2932, 2936; Roxin/Schünemann § 46, 24. 6 OLG Düsseldorf NStZ 2008 358; HK/Julius/Bär 1; Geppert FS von Lübtow 773, 780. 7 RG DRiZ 1931 Nr. 707; BGH VRS 48 (1975) 209. 8 Erwägenswerte Kritik an der Rechtfertigung mit der besonderen Objektivität der Behörden bei Eisenberg (Beweisrecht) 1504; Seyler GA 1989 546, 559; HK/Julius/Bär 1; SK/Velten 4 ff.; s. a. Rogall FS Gössel 511, 512 f.; sehr krit. Meyer-Mews StraFo 2013 497 f. 9 Die Motive des Entwurfs hielten hingegen die Verlesung behördlichen Urkunden allein deshalb für geboten, weil Behörden, die nicht nur aus einem Beamten bestehen, als solche überhaupt nicht mündlich vernommen werden könnten, Hahn 195; vgl. Rogall FS Gössel 511, 515 m. w. N.; SK/Velten 2 ff. 10 OLG Koblenz NJW 1984 2424; Alsberg/Dallmeyer 522; KMR/Paulus 2; Meyer-Goßner/Schmitt 1; Eb. Schmidt 1; SSW/Franke 1; Krüger 110 f., 115 f.; ders. FS Imme Roxin 601, 604 ff.; ders. StV 2018 316; Ahlf MDR 1978 982.

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erhebung erforderten, regelmäßig nicht zu erwarten sind. Der Ausschluss von Leumundszeugnissen beruht darauf, dass es sich um subjektive Werturteile handelt (Rn. 14 f.), und ist daher folgerichtig. Die Ergänzung der Vorschrift um bestimmte Arten von Routinegutachten (Abs. 1 Satz 2 a. F.; Abs. 1 Nr. 3, 4 n. F.) durch das 1. StVRG beruht darauf, dass es sich um standardisierte technische Verfahren handelt, die eine hohe Beweisqualität gewährleisten. Hinzu tritt der Gesichtspunkt, dass in diesen Fällen der Gutachter in der Hauptverhandlung ohnehin in der Regel kaum mehr bekunden kann als das, was als Ergebnis der Untersuchungen bereits schriftlich festgelegt ist, so dass Nachfragen weder nötig noch ergiebig wären.11 In all diesen Fällen erfordert die Pflicht zur erschöpfenden Sachaufklärung in der Regel – ob diese Regelannahme zutrifft, muss das Gericht im Einzelfall freilich prüfen (Rn. 4) – nicht die persönliche Einvernahme des Verfassers in der Hauptverhandlung. Es dient der Prozesswirtschaftlichkeit und der Verfahrensbeschleunigung und entspricht dem Bedürfnis der Praxis,12 die Verlesung zuzulassen. Das uneingeschränkte Festhalten am Unmittelbarkeitsgrundsatz würde in Fällen, wo kein Gewinn für die Sachaufklärung ersichtlich ist, wegen der anderweitigen Verpflichtungen der Gutachter und Zeugen nur die Terminierung der Hauptverhandlung erschweren, ihre Durchführung verzögern und diese Beweispersonen nutzlos ihren anderen Aufgaben entziehen13 und unnötige Kosten verursachen.14 Die Sachautorität der vereidigten privaten Sachverständigen hat der Gesetzgeber 7 des 1. JuMoG aufgrund des mittlerweile, anders als noch zu Zeiten der Schaffung der Norm, hoch entwickelten Sachverständigenwesens als so hoch angesehen, dass sie der der Behörden gleichzustellen sei (Abs. 1 Nr. 1b n. F.).15 So plausibel dies einerseits ist, so weckt andererseits die zunehmende Durchlöcherung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes Bedenken, weil sich dadurch die oben (Rn. 4 a. E.) beschriebene Gefahr vergrößert, da auch bei unbezweifelbarem Sachverstand jedes Gutachten eine Interpretation von Daten und Erfahrungssätzen aufgrund bestimmter Hintergrundannahmen darstellt16 und in vielfältiger Weise anfechtbarer sein kann als ein verlesener Text erkennen lässt.17 Ob der erhoffte Vereinfachungseffekt tatsächlich eintritt, erscheint zweifelhaft.18 Protokolle und Vermerke über Routinevorgänge der Ermittlungsbehörden mit 8 der ausdrücklichen Ausnahme von Vernehmungsprotokollen hat das 1. JuMoG ebenfalls für verlesbar erklärt (Abs. 1 Nr. 5) mit der Begründung, dass wie in den übrigen Fällen die Objektivität der schriftlichen Fixierung der Wahrnehmungen gewährleistet sei und zudem der Verfasser mündlich kaum mehr bekunden könne als das, was schriftlich festgehalten sei.19 Dies hat berechtigte Kritik hervorgerufen, weil aufgrund des Strafverfolgungsinteresses von Polizei und Staatsanwaltschaft keine „strikte Neutralität erwartet werden“ kann,20 mithin die Objektivität der Ermittlungsbehörden trotz § 160 Abs. 2 gera11 SK/Velten 6; Krüger 122 f.; Kintzi DRiZ 1994 325, 331 („Farce“); krit. Frister FS Fezer 211, 219. 12 Begr. zum RegE des 1. StVRG, BTDrucks. 7 551 S. 81. 13 RGSt 14 6; KK/Diemer 1; Eb. Schmidt 1; Leineweber MDR 1980 7; Schneidewin JR 1951 486. Vgl. auch Seyler GA 1989 546, 559; HK/Julius/Bär 1. 14 Hahn 196; Begr. zum RegE des 1. JuMoG, BRDrucks. 378/03 S. 60 f. = BTDrucks. 15 1508 S. 26. 15 Begr. zum RegE des 1. JuMoG, BTDrucks. 15 1508 S. 26; zust. Krüger 113 f.; ders. FS Imme Roxin 601, 606 f.; a.A. Meyer-Mews StraFo 2013 497, 501. 16 Eingehend Toepel 63 ff., 169 ff., zusf. 389. 17 Krit. daher Radtke/Hohmann/Pauly 10; SK/Velten 8 f., 13 ff.; Neuhaus StV 2005 47, 52; Knauer/Wolf NJW 2004 2932, 2936; Knierim/Rettenmaier StV 2006 155, 156; Sommer StraFo 2004 295, 297 f.; dagegen wiederum MüKo/Krüger 17. Für unbeschränkte Verlesbarkeit hingegen Dölp ZRP 2004 235, 237. 18 SSW/Franke 6 m. w. N. 19 Begr. zum RegE des 1. JuMoG, BTDrucks. 15 1508 S. 26; vgl. schon Kintzi DRiZ 1994 325, 331. 20 BVerfGE 103 142, 154; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt 1; SK/Velten 10, 16; Kerner/Trüg FS Weber 457, 472.

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de nicht im gleichen Maße gewährleistet erscheint wie die am Verfahren unbeteiligter Behörden.21 Vor der Gesetzesänderung bestand Einigkeit darüber, dass Erklärungen von mit derselben Sache befassten Strafverfolgungsbehörden, obschon vom Wortlaut erfasst (Abs. 1 Satz 1 a. F.; Abs. 1 Nr. 1a n. F.), nicht nach § 256 verlesen werden dürften,22 um das System der §§ 250 ff. nicht außer Kraft zu setzen; dies gilt jetzt nur noch für Vernehmungsprotokolle. Auch bisher war aber eine Verlesung bei allseitigem Einverständnis nach § 251 Abs. 2 Satz 1 a. F. (§ 251 Abs. 1 Nr. 1 n. F.) zulässig, weshalb die Notwendigkeit und Tauglichkeit der Gesetzesergänzung zweifelhaft ist.23 Zwar erscheint zutreffend, dass eine mündliche Äußerung dann keine höhere Beweisqualität als die schriftliche Aufzeichnung aufweist, wenn der als Zeuge vernommene Beamte bei Routinevorgängen, die in großer Zahl anfallen oder sich auf technische Messverfahren beschränken, seine Erinnerung nur noch auf die schriftliche Aufzeichnung stützen kann, so dass auch erforderliche Nachfragen unergiebig blieben; hier mag die Verlesung der schriftlichen Aufzeichnung sogar das zuverlässigere Beweismittel sein.24 Anders als die Routinegutachten der Nr. 3 und 4 haben die Protokolle und Erklärungen über Ermittlungshandlungen aber keinen klar definierten Inhalt, so dass stets genau zu prüfen ist, ob die dem Gesetz zugrundeliegende Regelannahme, dass die Aufklärungspflicht keine Nachfragen gebiete oder diese unergiebig blieben, im Einzelfall zutrifft.25 Bei Berichten über ganz oder vorwiegend technische Vorgänge mögen regelmäßig wenig Bedenken bestehen, anders als, wenn die Schriftstücke Bewertungen (Interpretation, Stellungnahmen) der Beamten von Geschehnissen, Aussagen oder Personen enthalten.26 Von Abs. 1 Nr. 5 sollte daher nur zurückhaltender Gebrauch gemacht werden.27 Das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen sieht für den 9 Übertragungsvermerk gem. § 32e Abs. 3 den erweiterten Urkundsbeweis vor (Abs. 1 Nr. 6), weil eine Vernehmung der an der Umwandlung beteiligten Personen nur selten zu einem Erkenntnisgewinn führen werde.28 Das ist insoweit plausibel, als es sich auch hierbei voraussichtlich um zahlreiche gleichförmige Routinevorgänge handeln wird, bei denen die schriftliche Dokumentation das bessere Beweismittel sein dürfte. Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese Prognose zutrifft.

21 Eisenberg (Beweisrecht) 2200; Meyer-Goßner/Schmitt 1; Knauer/Wolf NJW 2004 2932, 2936; Knierim/ Rettenmaier StV 2006 155, 156; Neuhaus StV 2005 47, 52; Sommer StraFo 2004 295, 298 = AnwBl. 2004 506, 507 f.; auch MüKo/Krüger 42; Radtke/Hohmann/Pauly 20; Roxin/Schünemann § 46, 24. 22 RGSt 2 301; 37 212; BGH NStZ 1982 79; 1988 420; 1995 143; BayObLG StV 2000 9; AK/Rüping 11; KK/ Diemer 2, 5; KMR/Paulus 12; LR/Gollwitzer25 5, 17, 22 m. w. N.; Meyer-Goßner47 8; SK/Velten 21; Eb. Schmidt 4; G. Schäfer 779. 23 Zutr. Neuhaus StV 2005 47, 52; eine Effizienzsteigerung bezweifeln Knauer/Wolf NJW 2004 2932, 2936; Sommer StraFo 2004 295, 298 angesichts zu erwartender Beweisanträge. 24 So BGH NStZ 2008 529 = StV 2008 506 für einen Vermerk über Datum und Uhrzeit der Anzeigeerstattung; auch KK/Diemer 9a. 25 BGH NJW 2016 1601, 1602; OLG Düsseldorf NStZ 2008 358; OLG Stuttgart NStZ-RR 2007 382, 385 = VRS 113 (2007) 124, 131; LG Berlin StV 2015 544, 545 mit Anm. Krüger StV 2015 546. 26 S. Müller Betrifft Justiz 2014 133, 136. 27 Alsberg/Dattelmeyer 552; Eisenberg (Beweisrecht) 2200; MüKo/Krüger 43; Radtke/Hohmann/Pauly 2; Knauer/Wolf NJW 2004 2932, 2936; Neuhaus StV 2005 47, 52; auch LG Berlin StV 2015 544, 545 („wohlbedachter Umgang“). Unklar ist der Vorschlag von MüKo/Krüger 44 und ders. StV 2015 546, 547 einer „Orientierung an § 251 Abs. 3“, da § 256 ohnehin nur im Strengbeweisverfahren gilt; nicht einleuchtend auch die nicht ausgearbeitete Differenzierung nach tat- und täterbezogenen Merkmalen bei Krüger 329 ff., 349; ders. FS Imme Roxin 601, 613; ders. StV 2018 316, 318; krit. dazu auch Frister GA 2016 781, 783 f. 28 BTDrucks. 18 9416 S. 53, 63.

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b) Anwendungsbereich. Für fernmündliche Erklärungen im Strafverfahren gilt 10 Absatz 1 nicht.29 § 420 Abs. 1 bis 3 erweitert für das beschleunigte Verfahren und für das Verfahren nach vorangegangenem Strafbefehl (§ 411 Abs. 2) die Verlesbarkeit. Nach § 420 Abs. 2, 3 dürfen bei Zustimmung des in der Hauptverhandlung anwesenden Angeklagten, Verteidigers und Staatsanwalts Erklärungen von Behörden und sonstige Stellen über ihre dienstlichen Wahrnehmungen, Untersuchungen und Erkenntnisse sowie über diejenigen ihrer Angehörigen auch dann verlesen werden, wenn die Voraussetzungen des § 256 nicht vorliegen. Eine gleichartige Regelung für das Verfahren bei Ordnungswidrigkeiten enthält § 77a OWiG, der darüber hinaus auch gestattet, dass das Gericht eine behördliche Erklärung fernmündlich einholt und deren wesentlichen Inhalt in der Hauptverhandlung bekanntgibt (§ 77a Abs. 3 OWiG). Die Anforderung eines nach § 256 StPO i. V. m. § 71 OWiG verlesbaren Schriftstücks unterbricht nach § 33 Abs. 1 Nr. 2 OWiG die Verjährung, da sie an die Stelle der Anordnung oder Durchführung einer Zeugenvernehmung tritt.30 2. Gutachten von Kollegialbehörden (Absatz 2). Während bei monokratisch orga- 11 nisierten Behörden ihr Leiter und die von ihm generell oder im Einzelfall beauftragten Personen die Behörde nach außen vertreten, kann bei Kollegialbehörden nur das Kollegium in seiner Gesamtheit dazu befugt sein. Vor allem die Erstattung eines Behördengutachtens kann dem Kollegium vorbehalten sein, wie etwa bei Gutachterausschüssen.31 Absatz 2 soll eine erforderliche mündliche Erläuterung des Gutachtens dadurch erleichtern, dass es dazu nicht aller Mitglieder des die Behörde vertretenden Kollegiums bedarf, sondern schon ein Mitglied genügt. II. Die einzelnen Fälle des Absatzes 1 1. Zeugnisse und Gutachten von Behörden, Sachverständigen, Gerichtsärzten (Nr. 1) a) Begriff des Zeugnisses. Das Zeugnis, dessen Verlesung der § 256 zulässt, ist be- 12 grifflich verschieden von dem Zeugnis, das der 6. Abschnitt des Ersten Buchs regelt. Der Unterschied ergibt sich daraus, dass als Zeuge i. S. d. letztgenannten Abschnitts jemand anzusehen ist, der im Verfahren über seine eigene Wahrnehmung aussagen soll, und dass er – wenigstens in der Regel – nicht durch andere Zeugen oder andere Beweismittel ersetzbar ist.32 Beim Zeugnis einer Behörde braucht derjenige, der es ausstellt, mit dem Wahrnehmenden nicht identisch zu sein. Andererseits muss er aber befugt sein, die im Zeugnis liegende Erklärung über deren amtliche Erkenntnisse nach außen für die Behörde abzugeben.33 Der Übergang zum Gutachten ist fließend, was aber für die Verlesbarkeit nach § 256 keine Rolle spielt. Bei allgemein vereidigten privaten Sachverständigen und Gerichtsärzten kommen hingegen entgegen dem Wortlaut nur sachverständige Äu-

29 OLG Karlsruhe MDR 1976 247; LR/Cirener/Sander § 250, 37. 30 OLG Brandenburg NStZ-RR 1999 279 f. 31 Gutachterausschüsse mit Behördeneigenschaft gibt es in den verschiedensten Formen; vgl. etwa OLG Nürnberg NJW 1967 401 (Vorstand der Patentanwaltskammer) oder Gutachterausschüsse nach § 192 BauGB; zu den vor allem im Zivilprozess strittigen Fragen vgl. etwa BGHZ 62 93 und die Kommentare zu §§ 402 ff. ZPO. 32 RGSt 47 105; vgl. LR/Ignor/Bertheau Vor § 48, 8 ff.; Alsberg/Dallmeyer 532. 33 Vgl. Rn. 29, 34.

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ßerungen, nicht Erklärungen über sonstige Wahrnehmungen (vgl. § 85), in Betracht,34 weil weder ein gesetzgeberischer Wille noch ein sachlicher Grund ersichtlich sind, die §§ 251 ff. auch insoweit (vgl. Rn. 35) zu durchbrechen. 13

b) Begriff des Gutachtens. Gutachten sind Äußerungen, die auf Grund besonderer Sachkunde oder Fachkenntnisse unter Verantwortung der Behörde in deren Namen von einer dazu befugten Person, von einem allgemein verteidigten Sachverständigen oder Gerichtsarzt abgegeben werden.35 Verlesbar sind auch die im Gutachten mitgeteilten Befundtatsachen. Soweit das Gutachten Zusatztatsachen enthält, kann es zugleich ein amtliches Zeugnis sein, das ebenfalls nach § 256 verlesen werden darf;36 andernfalls muss der Behördenbedienstete, der die Tatsache wahrgenommen hat, als Zeuge vernommen werden.

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c) Ausnahme: Leumundszeugnisse. Entgegen der missverständlichen Fassung durch das 1. JuMoG bezieht sich das Verbot der Verlesung von Leumundszeugnissen auf die gesamte Nr. 1 des Absatzes 1.37 In den Fällen der Nr. 2 bis 4 können Leumundszeugnisse nicht begegnen, ebenso wenig38 in den neuen Nr. 5 und 6. Die Verlesung behördlicher Leumundszeugnisse ist daher nach wie vor schlechthin unstatthaft (Beweisverbot), ganz gleich, ob es den Angeklagten, einen Zeugen oder einen Dritten betrifft,39 ob eine eigene oder fremde Meinung wiedergegeben wird40 und ob die Verfahrensbeteiligten damit einverstanden sind.41 Damit sollte der Gefahr vorgebeugt werden, dass Behörden derartige Zeugnisse auf Grund subjektiver Eindrücke erstellen und dass die Laienrichter durch derartige Äußerungen über Gebühr beeindruckt werden.42 Soweit es auf personelle Wertungen ankommt, muss sich das Gericht hierüber unbeeinflusst von der Ansicht anderer selbst eine Meinung bilden.43 Leumundszeugnisse können von Sympathie oder Antipathie ihres Verfassers gefärbt sein, eine Fehlerquelle, die bei Verlesen weit schwerer erkennbar ist als bei dessen persönlichen Einvernahme als Zeugen.44 Dieses Verbot des Urkundenbeweises musste bei § 256 besonders ausgesprochen werden. Bei privaten Leumundszeugnissen steht § 250 Satz 2 in der Regel ebenfalls der Verlesung entgegen, sofern nicht § 251 Abs. 1 eine Ausnahme zulässt.45 Der Beweis über den Leumund eines Menschen kann nur durch Vernehmung von Zeugen über ihre Wahrnehmung der dafür maßgebenden Tatsachen erhoben werden. Aber auch beim Leumundszeugnis sind die zu beweisenden Tatsachen nicht die Glaubwürdigkeit oder andere

34 Meyer-Goßner/Schmitt 5. 35 Zum Begriff des Gutachtens vgl. LR/Krause Vor § 72, 7 ff.; vgl. BGHSt 53 238, 246. 36 BGH bei Dallinger MDR 1955 397; OLG Karlsruhe NJW 1973 1426; Alsberg/Dallmeyer 534; KK/Diemer 2; KMR/Paulus 15; Meyer-Goßner/Schmitt 6; SK/Velten 20; Leineweber MDR 1980 9. 37 Alsberg/Dallmeyer 535; Meyer-Goßner/Schmitt 7; MüKo/Krüger 22; Radtke/Hohmann/Pauly 9; SSW/ Franke 4. 38 Erwägend aber Meyer-Goßner/Schmitt 10. 39 RGSt 30 439; 41 429; RG GA 38 (1891) 328; KK/Diemer 7; Meyer-Goßner/Schmitt 8; SK/Velten 26. 40 Alsberg/Dallmeyer 536; Meyer-Goßner/Schmitt 8; a. A. Hartung ZStW 50 (1930) 224. 41 RG HRR 1936 Nr. 856; Alsberg/Dallmeyer 538; KMR/Paulus 14; Meyer-Goßner/Schmitt 7. 42 Hahn 196, 870; BayObLG 17.5.1999 – 1 St RR 95/99; vgl. AK/Rüping 12 (subjektive Wertungen generell wenig zuverlässig). 43 BayObLG 17.5.1999 – 1 St RR 95/99; KK/Diemer 7. 44 Alsberg/Dallmeyer 536. 45 RGSt 53 280; Alsberg/Dallmeyer 538; HK/Julius/Bär 4; KK/Diemer 7; KMR/Paulus 14; vgl. Rn. 21.

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innere Eigenschaften eines Menschen, sondern äußere Vorgänge, aus denen sich das Gericht selbst ein Urteil über jene Eigenschaften bilden kann.46 aa) Grundsätzliches. Unter Leumund ist nicht ausschließlich der gute oder schlechte Ruf zu verstehen, der einem Menschen nach einem in weiten Kreisen verbreiteten, auf sein Verhalten und bestimmte Vorkommnisse gestützten Urteil zukommt, sondern jedes Werturteil über einen anderen, durch das sein Charakter und seine sittlichen Eigenschaften eingeschätzt werden. Unerheblich ist, ob diese Beurteilung die Meinung eines größeren oder kleineren Personenkreises ist oder die Ansicht einzelner Personen, namentlich solcher, die berufen sind, ein Urteil abzugeben.47 Sind einzelne Tatsachen und nicht der Leumund als solcher Gegenstand der Erklärung, so greift das Verbot des § 256 nicht ein, auch wenn die Tatsachen als solche geeignet sind, Schlüsse auf den Leumund zuzulassen.48 Ausnahmen vom Verbot der Verlesung finden nur insofern statt, als eine Schrift, die den Gegenstand der Untersuchung verkörpert, auch dann, wenn sie sich als Leumundszeugnis darstellt, verlesen werden darf;49 auch beim Vortrag eines in einer Strafsache oder einem bürgerlichen Rechtsstreit ergangenen Urteils ist eine in diesem wiedergegebene Würdigung von der Verlesung nicht ausgeschlossen.50 Im Übrigen muss, wenn ein Teil einer zur Verlesung kommenden Schrift ein Leumundszeugnis ist, von der Verlesung dieses Teils abgesehen werden.51 Dies setzt aber voraus, dass der verlesbare Teil aus sich heraus verständlich ist und keinen Rückgriff auf den Inhalt der nicht verlesenen Aussage über den Leumund erfordert. Ist die Verlesung unstatthaft, so darf der Vorsitzende den Inhalt eines Leumundszeugnisses auch nicht auf andere Weise bekanntgeben. Insbesondere kann ein formfreier Vorhalt nicht dazu gebraucht werden, um das Verlesungsverbot zu umgehen und dem Gericht Kenntnis vom guten oder schlechten Leumundszeugnis zu verschaffen.52 Einzelne Tatsachen hieraus können vorgehalten werden.

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bb) Einzelfälle. Mit Rücksicht auf den Zweck des Gesetzes wird der Begriff weit 19 ausgelegt.53 Maßgebend ist aber immer nur der Inhalt, nicht Bezeichnung, Form oder Anlass der jeweiligen Erklärung.54 Als Leumundszeugnisse sind insbesondere folgende Erklärungen öffentlicher Behörden anzusehen: Schulzeugnisse, soweit sie sich nicht nur über die Leistungen und geistigen Fähigkeiten eines Schülers und die durch sie bedingte Glaubwürdigkeit,55 sondern auch über sein sonstiges Verhalten, seine Charaktereigen46 RGSt 39 364. 47 RGSt 53 280; 59 374; RG HRR 1927 Nr. 27; OGHSt 3 80; 59 374; OLG Hamburg StV 1985 496; Alsberg/ Dallmeyer 358; 536; AK/Rüping 11; KK/Diemer 7; KMR/Paulus 13; Meyer-Goßner/Schmitt 8; Eb. Schmidt 5; Schneidewin JR 1951 486. 48 HK/Julius/Bär 4; KK/Diemer 7; KMR/Paulus 13; Meyer-Goßner/Schmitt 9; SK/Velten 26, Eb. Schmidt 5; Alsberg/Dallmeyer 537; Dallinger JZ 1953 434; vgl. Rn. 20. 49 Vgl. LR/Cirener/Sander § 250, 13. 50 RG GA 48 (1901) 365; RG Recht 1924 Nr. 884; Alsberg/Dallmeyer 537; vgl. LR/Mosbacher § 249, 19. 51 RGRspr. 1 523; RG JW 1934 2779; BGH nach Alsberg/Dallmeyer 538; Bedenken wegen Trennbarkeit Eisenberg (Beweisrecht) 2187; Mannheim JW 1930 3486. 52 RGSt 59 374, 375; RG Recht 1917 Nr. 1530; JW 1923 516; Alsberg/Dallmeyer 538; KK/Diemer 7 (Verwertungsverbot); KMR/Paulus 14; Meyer-Goßner/Schmitt 10; OK-StPO/Ganter 6 (Verwertungsverbot); SK/Velten 26 (auf Vorhalte erstrecktes Verlesungsverbot); SSW/Franke 4; a. A. RG HRR 1940 Nr. 844. 53 Meyer-Goßner/Schmitt 8; Alsberg/Dallmeyer 536. 54 Alsberg/Dallmeyer 536. 55 RGSt 1 234.

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schaften und seine Wahrheitsliebe aussprechen;56 behördliche, vor allem polizeiliche Auskünfte über die Einschätzung des Charakters und der Eigenschaften einer Person;57 Berichte der Jugendgerichtshilfe58 oder eines kirchlichen Jugend- und Wohlfahrtsamts über die Anlagen, insbesondere die sittlichen Eigenschaften des Angeklagten;59 Anträge eines Jugendamts auf Entziehung der mütterlichen Fürsorge, sofern sie über den Lebenswandel der Mutter und ihre Beziehungen zu Männern urteilen;60 Beurteilungen von Beamten und Soldaten,61 militärische Eignungsberichte, die Angaben über die sittliche Lebensführung des Beurteilten enthalten;62 Äußerungen eines Strafanstaltsvorstandes über die Führung eines Gefangenen in der Anstalt,63 Stellungnahmen zu einem Gnadengesuch.64 Kein Leumundszeugnis sind dagegen das nur Leumundstatsachen wiedergebende 20 Führungszeugnis nach dem BZRG,65 Zeugnisse, die sich nur über körperliche oder geistige Fähigkeiten oder Leistungen aussprechen,66 oder psychiatrische oder psychologische Gutachten über die Glaubwürdigkeit einer Person.67 Auch dem Gutachten einer kriminalbiologischen Sammelstelle war die Eigenschaft eines Leumundszeugnisses nicht ohne weiteres beizumessen.68 Ferner stehen Entscheidungen der Behörden in Dienstaufsichts- und Dienststrafsachen sowie Urteile, in denen die Glaubwürdigkeit erörtert wird, den Leumundszeugnissen nicht gleich.69 Keine Anwendung findet § 256 auf den Beweis mit Leumundszeugnissen, die nicht 21 von einer öffentlichen Behörde, sondern im bürgerlichen Rechtsverkehr, insbesondere von einem Arbeitgeber, ausgestellt sind; die Zulässigkeit der Verlesung solcher Zeugnisse richtet sich nach §§ 250 ff., also grundsätzlich danach, ob § 251 Abs. 1 eine Ausnahme vom Verbot des § 250 Satz 2 zulässt. 2. Erklärungen öffentlicher Behörden (Nr. 1a) 22

a) Begriff. Öffentliche Behörde ist bei § 256 im weiten Sinne zu verstehen.70 Der Vorschrift unterfällt jede nach öffentlichem Recht errichtete, mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben beauftragte Stelle des Staates oder der Körperschaften, Anstalten, Stif-

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RGSt 53 280; RGRspr. 7 757; RG HRR 1942 511; SK/Velten 26. RG HRR 1940 Nr. 844; OLG Hamburg StV 1985 496; Meyer-Goßner/Schmitt 9. RG JW 1935 2378; Eisenberg (Beweisrecht) 2185; s. Rn. 33. RG HRR 1936 Nr. 856. KG JW 1930 3485. BayObLG 17.5.1999 – 1 St RR 95/99; SK/Velten 26. RG GA 45 (1897) 430; 57 (1910) 225; Recht 1924 Nr. 244; OGHSt 3 80; Meyer-Goßner/Schmitt 9. RG HRR 1935 Nr. 154; 1286; dazu Eb. Schmidt 6; Dallinger JZ 1953 434; Meyer-Goßner/Schmitt 9; SK/ Velten 26. 64 RG JW 1901 689. 65 Alsberg/Dallmeyer 537; SK/Velten 26; a. A. für polizeiliche Führungszeugnisse nach früherem Recht RG GA 45 (1897) 430. 66 RGSt 1 234; Alsberg/Dallmeyer 537; KK/Diemer 7. 67 Alsberg/Dallmeyer 537; KMR/Paulus 14; Meyer-Goßner/Schmitt 9; OK-StPO/Ganter 6; SK/Velten 26. 68 RG JW 1935 2378. 69 RGSt 24 263; RG GA 48 (1900) 365; RG Recht 1924 Nr. 887; Alsberg/Dallmeyer 358; 537 m. w. N. 70 Im öffentlichen Recht gibt es keinen durchgängig einheitlichen Behördenbegriff, vgl. Dreher Die Amtshilfe (1959) 35; Rasch VerwA 1959 10 ff.; Wolff/Bachof/Stober/Kluth Verwaltungsrecht II (2010)7 § 82, 96 ff.; Ehlers/Pünder/Burgi Allgemeines Verwaltungsrecht (2016)15 § 8, 29; Maurer/Waldhoff Allgemeines Verwaltungsrecht (2017)19 § 21, 31; ferner die Kommentare zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen.

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tungen oder einer sonstigen Organisationsform des öffentlichen Rechts,71 die in ihrem Bestand von den sie vertretenden Personen unabhängig ist.72 Nicht notwendig ist, dass der Stelle obrigkeitliche Befugnisse mit Zwangsgewalt übertragen sind73 oder dass sie Aufgaben der öffentlichen Verwaltung im engeren Sinn74 wahrnimmt. Unter § 256 fallen auch Stellen, die im Bereich der leistungsgewährenden Verwaltung lediglich Aufgaben der Daseinsfürsorge wahrnehmen oder denen rein fiskalische Aufgaben zugewiesen sind.75 Kirchliche Einrichtungen sind trotz öffentlich-rechtlicher Grundlage keine staatlichen Stellen.76 Notwendig ist jedoch, dass die betreffende Stelle ihre öffentlichen Aufgaben nicht 23 durch Privatpersonen wahrnimmt, sondern durch Bedienstete ausübt, die, wie vor allem Beamte oder Angestellte im öffentlichen Dienst, in einem Dienstverhältnis stehen, das von öffentlich-rechtlichen Pflichten geprägt wird.77 Die von § 256 vorausgesetzte Verlässlichkeit der schriftlichen Erklärung, die sich nicht zuletzt auf deren dienstrechtliche Verantwortlichkeit gründet, hängt auch hiervon ab. Nicht entscheidend ist die Art des Organisationsaktes (Rechtsvorschrift, Verwal- 24 tungsanordnung), durch den die Behörde errichtet wurde, es muss sich lediglich um eine Maßnahme des öffentlichen Rechts handeln. Eine unter Verwendung der Gestaltungsformen des privaten Rechts (als Verein, Handelsgesellschaft, Genossenschaft) errichtete Stelle ist dagegen keine Behörde, auch wenn sie von der öffentlichen Hand kontrolliert wird und mit der Wahrnehmung einzelner öffentlicher Aufgaben betraut sein sollte.78 Im Übrigen ist es unerheblich, ob die Stelle unmittelbar in den staatlichen Behördenaufbau eingegliedert ist oder ob sie zu einer rechtsfähigen Körperschaft oder Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts gehört, die mittelbar Staatsaufgaben wahrnimmt. Dies gilt insbesondere für die Einrichtung der kommunalen Gebietskörperschaften,79 die als solche nach der vorherrschenden Meinung keine Behörden sind, sondern Behörden haben. Zu den Behörden rechnen auch die mit Verwaltungsaufgaben beauftragten Führungsstellen militärischer Einheiten, z. B. der Kompaniechef.80 Die innere Organisation ist für die Frage, ob eine Behörde vorliegt, unerheblich; 25 es kommt also nicht darauf an, ob die Behörde monokratisch oder kollegial verwaltet

71 Wie etwa Zweckverbände oder kommunale Verwaltungsgemeinschaften. 72 Vgl. BVerfGE 10 48; BGH MDR 1964 68; VRS 11 (1956) 451; BayObLGSt 1964 38 = NJW 1964 1192; OLG Celle MDR 1954 248; OLG Düsseldorf JMBlNW 1951 20; OLG Hamburg NJW 1969 571; OLG Karlsruhe NJW 1973 1426; OLG Koblenz NJW 1984 2424; OLG Schleswig StV 2015 541, 542. Im Wesentlichen ähnlich RGSt 8 5; 17 346; 18 250; 25 141; 26 138; 32 366; 38 18; 40 161; 47 49; 52 198; 54 150; 57 324; RG GA 56 (1909) 22; JW 1925 2468; vgl. ferner etwa Hanack NJW 1961 2041; KK/Diemer 3; KMR/Paulus 6; Meyer-Goßner/ Schmitt 12; MüKo/Krüger 9; OK-StPO/Ganter 8; Radtke/Hohmann/Pauly 3; SK/Velten 21; SSW/Franke 5; Kleinewefers/Wilts NJW 1964 428; und Alsberg/Dallmeyer 523 m. w. N. 73 RGSt 40 164; BGHZ 25 188; OLG Celle MDR 1954 248; OLG Karlsruhe NJW 1973 1426; OLG Stuttgart RdK 1955 124; Alsberg/Dallmeyer 523; KMR/Paulus 6; Meyer-Goßner/Schmitt 12; SK/Velten 21. 74 Vgl. § 1 Abs. 4 VwVfG. 75 OLG Karlsruhe NJW 1973 1426; Alsberg/Dallmeyer 523 m. w. N. 76 Ablehnend BGH StV 2010 289; KK/Diemer 5; offenlassend BGH NStZ 1985 36; HK/Julius/Bär 6. 77 OLG Karlsruhe NJW 1973 1426; OLG Schleswig StV 2015 541, 542. Der beliehene Unternehmer ist auch dann, wenn er die ihm übertragene öffentliche Aufgabe wahrnimmt, keine Behörde i. S. des § 256. 78 BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 211 (Stiftung privaten Rechts); KMR/Paulus 6; vgl. Fn. 110 und 117. 79 Vgl. RGRspr. 1 770; RGSt 6 247; 14 130; 40 162. 80 RGSt 18 249; Alsberg/Dallmeyer 524; Meyer-Goßner/Schmitt 13; SK/Velten 21.

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wird. Die innere Organisation ist dagegen maßgebend für die Frage, wer befugt ist, für die Behörde Erklärungen abzugeben.81 Zum Beispiel wurden von der Rechtsprechung als öffentliche Behörden i. S. des 26 § 256 angesehen: das ehemalige Reichsbankdirektorium, das innerhalb des einschlägigen Gebiets durch die Falschgeldabteilung der Reichsbank vertreten wurde;82 die Bundesbank und die Landeszentralbanken;83 das Direktorium der Reichsdruckerei;84 Staatsarchive;85 Berufskonsuln;86 Justizvollzugsanstalten;87 staatliche meteorologische Anstalten und Wetterwarten;88 die Physikalisch-Technische Bundesanstalt;89 Universitätskliniken und Krankenhäuser der öffentlichen Hand;90 Gesundheitsämter;91 Polizeiärzte, soweit sie zu Äußerungen namens der Behörde befugt sind;92 Polizeidienststellen;93 Bundeskriminalamt und Landeskriminalämter;94 auch ein kriminaltechnisches Institut beim Kriminalpolizeiamt;95 Bundesnachrichtendienst;96 chemische Untersuchungsämter;97 Institute deutscher Universitäten, insbesondere rechts- bzw. gerichtsmedizinische Institute oder ein Institut für Pharmakologie und Toxikologie;98 staatliche Blutalkoholuntersuchungsstellen,99 insbesondere, soweit sie Gutachten über den Blutalkoholgehalt erstatten; eine staatliche bakteriologische Untersuchungsanstalt;100 ferner ein staatliches Veterinäruntersuchungsamt;101 Zollinspektionen102 und das Zollkriminalamt in Köln103; Gerichts81 82 83 84 85 86 87 88 89 90

Vgl. Rn. 30. RGSt 63 122; RG Recht 1922 Nr. 513. Alsberg/Dallmeyer 524; KMR/Paulus 7; Meyer-Goßner/Schmitt 13; SK/Velten 21. RG JW 1932 245. Jessnitzer/Ulrich 83. RG GA 56 (1909) 222; HRR 1938 Nr. 191. Alsberg/Dallmeyer 524; vgl. BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 295. RG Recht 1917 Nr. 904; Alsberg/Dallmeyer 524 m. w. N. OLG Koblenz NJW 1984 2424. BGH NStZ 1984 231; 1993 397; VRS 34 (1968) 344; OLG Jena DRiZ 1931 Nr. 365 (Direktor einer öffentl. Heilanstalt); OLG Karlsruhe NJW 1973 1426; OLG Zweibrücken NJW 1968 2301; Alsberg/Dallmeyer 524; KK/ Diemer 4; Meyer-Goßner/Schmitt 13; SK/Velten 21; Hanack NJW 1961 2041; Kleinewefers/Wilts NJW 1964 428. Zu den hier bestehenden Fragen der Zurechnung vgl. Rn. 30. 91 BGHSt 1 95; BGH bei Dallinger MDR 1955 397. 92 RG DRiZ 1931 Nr. 707; vgl. Rn. 29. 93 HessVGH VGRspr. 1979 57; Leineweber MDR 1980 7. 94 BGH NJW 1968 206; OLG Hamburg NJW 1969 571; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1982 123; 1984 105; Alsberg/Dallmeyer 524; KK/Diemer 4; Meyer-Goßner/Schmitt 13; KMR/Paulus 7; Ahlfs MDR 1978 981; Dästner MDR 1979 545; Gössel DRiZ 1980 363. 95 OLG Düsseldorf JMBlNW 1951 20. 96 BGHSt 53 238, 246. 97 BGH NJW 1953 1801; BayObLG NJW 1953 194; OLG Hamm NJW 1953 1528; 1969 572; LG Stuttgart RdK 1955 125; Alsberg/Dallmeyer 524; KK/Diemer 4; Meyer-Goßner/Schmitt 13; a. A. OLG Frankfurt NJW 1952 757. 98 BGH VRS 34 (1968) 344; 48 (1975) 209; NJW 1967 299; MDR bei Dallinger 1956 651; bei Spiegel DAR 1977 176; 1978 155; bei Becker NStZ-RR 2001 262; StV 2015 534 f.; OLG Celle MDR 1954 248; OLG Düsseldorf StV 1982 273 mit Anm. Neixler; OLG Frankfurt VRS 44 (1973) 37; OLG Hamburg NJW 1963 408; OLG Hamm MDR 1969 599; OLG Koblenz VRS 39 (1970) 202; OLG Köln NJW 1964 2218, zust. Eb. Schmidt JZ 1970 343; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1969 153; 1972 160; Alsberg/Dallmeyer 524; SK/Velten 21; SSW/Franke 5; a. A. Meyer-Mews StraFo 2013 497, 498. 99 BayObLG NJW 1953 194; OLG Schleswig SchlHA 1978 88; bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1979 205. 100 BayObLGSt 1964 36 = NJW 1964 1192. 101 OLG Celle NJW 1966 1881. 102 RG JW 1929 1050. 103 Alsberg/Dallmeyer 524; Meyer-Goßner/Schmitt 13.

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vollzieher.104 Behördeneigenschaft haben auch die Vorstände (Präsidenten) der Rechtsanwaltskammern;105 die sonstigen als Körperschaft des öffentlichen Rechts errichteten Berufskammern; Handwerkskammern;106 Industrie- und Handelskammern107 sowie etwa die Sachverständigenkammern.108 Auch beim Gutachterausschuss des Landes NordrheinWestfalen wurde das angenommen.109 Verneint wird die Eigenschaft einer öffentlichen Behörde beim Technischen Über- 27 wachungsverein (TÜV);110 beim Deutschen Kraftfahrzeug-Überwachungsverein (DEKRA);111 beim Hygienischen Institut des Ruhrgebiets,112 da der Träger der Einrichtungen ein privater Verein ist, bei einem konfessionellen Krankenhaus, dessen Träger ein Orden ist,113 ferner beim preußischen Notar.114 Keine Behörden sind die in Form einer GmbH oder AG betriebenen Einrichtungen der öffentlichen Hand, Verkehrsbetriebe, Krankenhäuser,115 so auch seit der Neuorganisation die Nachfolger der Bundespost (Post AG, Telekom AG, Postbank AG).116 Die Vorstände der Berufsgenossenschaften werden nicht zu den Behörden gerechnet.117 Für die Erklärungen ausländischer und internationaler Behörden gilt § 256 eben- 28 falls.118 Die für sie maßgebende Rechtslage und Organisationsform muss aber im Wesentlichen mit den innerstaatlichen Behörden vergleichbar sein, so etwa bei einer Erklärung in einer von einem öffentlichen Notar des Staates Illinois errichteten Urkunde,119 gleiches gilt für Behörden der ehemaligen DDR.120 b) Verlesbare Erklärung. Eine verlesbare Erklärung einer öffentlichen Behörde 29 liegt nur vor, wenn diese dabei nicht völlig außerhalb ihrer Zuständigkeit gehandelt

104 105 106 107 108 109 110

BayObLGSt 2001 157 = StV 2002 646; Alsberg/Dallmeyer 524; Meyer-Goßner/Schmitt 13. KG JW 1918 271; Alsberg/Dallmeyer 524. Alsberg/Dallmeyer 524; KMR/Paulus 7. RGSt 52 198, 200; Alsberg/Dallmeyer 524; KMR/Paulus 7; Meyer-Goßner/Schmitt 13. RGSt 22 258 (zu § 46 KunstUrhG); KMR/Paulus 7. Vgl. OVG Münster StV 1982 430 mit Anm. Tondorf. BayObLGSt 1955 89 = VRS 8 (1955) 467; OLG Hamm Blutalkohol 1981 276; OLG Köln MDR 1964 254; Alsberg/Dallmeyer 524; Jessnitzer NJW 1971 1075; ders. StV 1982 177, 179; HK/Julius/Bär 2; KK/Diemer 5; KMR/Paulus 6 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 14; SK/Velten 21; Eb. Schmidt Nachtr. I 2. 111 OLG Koblenz MDR 1980 336; OLG Köln MDR 1964 254; Alsberg/Dallmeyer 524; HK/Julius/Bär 2; KK/ Diemer 5; KMR/Paulus 7. 112 OLG Düsseldorf JMBlNW 1954 182. 113 BGH StV 2010 289; KK/Diemer 5; SSW/Franke 5. 114 RGSt 18 246, 249; Alsberg/Dallmeyer 524; anders die beamteten Notare in Baden-Württemberg, KK/ Diemer 5; Meyer-Goßner/Schmitt 14; SK/Velten 21; für bayerische Notare nehmen KMR/Paulus 7 und Eb. Schmidt 3 Behördeneigenschaft an. 115 BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1988 19; NStZ-RR 2015 146; StV 2015 534; BGH 13.4.2015 – 5 StR 110/ 15 (insoweit nicht in NStZ 2015 539); Meyer-Goßner/Schmitt 14; OK-StPO/Ganter 10; SK/Velten 21. 116 Alsberg/Dallmeyer 524; HK/Julius/Bär 2; Meyer-Goßner/Schmitt 14; SK/Velten 21; zum Ganzen Gramlich NJW 1994 2787; anders die früheren Ämter der Bundes- oder Reichspost. 117 RGSt 34 367; Alsberg/Dallmeyer 524; KMR/Paulus 6; Meyer-Goßner/Schmitt 14. 118 RGRspr. 10 450; RG JW 1938 2965; RG Recht 1914 Nr. 2023; BGH NJW 1992 58, 59 (insoweit nicht in BGHSt 38 26); BGH 5.6.2018 – 4 StR 524/17; Alsberg/Dallmeyer 523; KK/Diemer 4; KMR/Paulus 6; MeyerGoßner/Schmitt 12; MüKo/Krüger 9; Radtke/Hohmann/Pauly 4; Eb. Schmidt 3; SSW/Franke 5; a. A. SK/ Velten 21 (nur Zeugnisse nach § 256, Gutachten nur nach § 251); Meyer-Mews StraFo 2013 497, 498. 119 RG HRR 1938 Nr. 191. 120 BGH ROW 1960 71.

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hat.121 Die Abgabe der Äußerung, vor allem die Erstattung eines Gutachtens, braucht jedoch nicht ausdrücklich durch Rechtssatz oder Anordnung des Dienstherrn zur Dienstaufgabe erklärt worden zu sein. Es genügt, wenn sich die Behörde im Einzelfall zu einer auch ihren Aufgabenbereich berührenden Angelegenheit äußert. 30 Das Zeugnis oder Gutachten muss von einer zur Vertretung der Behörde berechtigten Person im Namen der Behörde nach außen hin abgegeben worden sein. Nicht notwendig ist, dass die Erklärung stets vom Leiter der Behörde oder von seinem ständigen Vertreter unterschrieben ist, es kann genügen, wenn ein Sachbearbeiter die Erklärung „im Auftrag“ unterfertigt hat122 oder dass sonst eine ersichtlich für die Behörde abgegebene Erklärung vorliegt. Notwendig ist aber stets, dass derjenige, der die Erklärung abgegeben hat, nach der bestehenden Organisationsordnung allgemein oder kraft einer Anordnung des an sich Vertretungsberechtigten im Einzelfall123 befugt war, die Erklärung für die Behörde abzugeben,124 und dass er dies auch wollte.125 Ob die Erklärung eines Ministerialbeamten eine Erklärung des Ministeriums bedeutet,126 ist daher im Einzelfall ebenso zu prüfen wie die Frage, ob der angestellte Arzt eines von der öffentlichen Hand getragenen Krankenhauses das Gutachten im Auftrag des Leiters für dieses erstattet hat127 oder ob der Vorstand einer öffentlichen Heilanstalt eine Erklärung für diese abgegeben oder ob er sich nur persönlich als behandelnder Arzt geäußert hat.128 Aufschluss mag auch erst die Rechnung geben.129 Zweifel sind anhand der für die Behörde und ihre innere Organisation jeweils geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu klären. Gegebenenfalls ist eine Auskunft der Behörde oder ihrer vorgesetzten Stelle über die Dienstaufgaben der Behörde und über die zur Abgabe von Erklärungen nach außen ermächtigten Personen einzuholen (Rn. 42). 31 Der Adressat der Erklärung der Behörde ist für die Verlesbarkeit nach § 256 unerheblich. Es ist gleich, ob die Erklärung für das anhängige Strafverfahren vom Gericht, von der Staatsanwaltschaft oder einem anderen Verfahrensbeteiligten eingeholt wurde130 oder ob sie von der Behörde aus einem anderen Anlass abgegeben worden ist. Die Möglichkeit der Einholung eines Zeugnisses kann durch gesetzliche Vorschriften, vor

121 BGH VRS 48 (1975) 209; OLG Hamburg NJW 1969 408; OLG Karlsruhe NJW 1973 1426; Justiz 1977 104 (Gutachten des Arztes einer Justizvollzugsanstalt über Erwerbsfähigkeit des Angeklagten); vgl. BVerwGE 53 212; ferner Alsberg/Dallmeyer 528; Gössel DRiZ 1980 369; KK/Diemer 3; KMR/Paulus 17; MeyerGoßner/Schmitt 15; Radtke/Hohmann/Pauly 6. 122 BGH StV 2010 289; BayObLGSt 1964 36 = NJW 1964 1192; OLG Hamburg NJW 1969 570. Die Unterzeichnung „i.A.“ spricht zwar ebenso wie „i. V.“ für ein Handeln für die Behörde; ob aus dem Fehlen der umgekehrte Schluss gezogen werden kann (so BGH NStZ 1984 231; 1985 36; 1988 283; OLG Köln NStZ 1996 245, 246 mit Anm. Schäfer; KK/Diemer 3), hängt vom Einzelfall ab; vgl. Rn. 41; zu eng OLG Köln NStZ 1996 245 mit abl. Anm. Schäfer; vgl. Alsberg/Dallmeyer 528; Meyer-Goßner/Schmitt 15; Radtke/Hohmann/ Pauly 6; SSW/Franke 5; SK/Velten 22. 123 OLG Karlsruhe NJW 1973 1426. 124 Alsberg/Dallmeyer 528; KK/Diemer 3; KMR/Paulus 17; Meyer-Goßner/Schmitt 15. 125 Vgl. BGH VRS 11 (1956) 449; 34 (1968) 344; OLG Hamburg NJW 1963 408; 1969 571; SK/Velten 22. 126 RGSt 64 78. 127 BGH NStZ 1984 231. 128 OLG Jena DRiZ 1931 Nr. 365. Zur strittigen Abgrenzung zwischen persönlichen Gutachten und Behördengutachten vgl. Gollwitzer FS Weißauer 23; Gössel DRiZ 1980 368; Leineweber MDR 1980 7; ferner bei Ärzten der Krankenhäuser der öffentlichen Hand; BGH NStZ 1984 231; OLG Schleswig bei Ernesti/ Lorenzen SchlHA 1984 105 und bei Gutachten von Polizeiangehörigen Ahlfs MDR 1978 981. 129 BGH StV 2015 534. 130 RGSt 19 264; Alsberg/Dallmeyer 530; Gössel DRiZ 1980 369; KMR/Paulus 17; Meyer-Goßner/Schmitt 4.

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allem besondere Geheimhaltungsvorschriften und die §§ 54, 96, eingeschränkt sein,131 desgleichen die Verwertbarkeit einer aus anderem Anlass abgegebenen Erklärung. Ausschließlich für den innerdienstlichen Gebrauch bestimmte Stellungnahmen 32 oder Berichte sind keine verlesbaren Zeugnisse oder Gutachten nach Absatz 1, denn hierzu gehört, dass die Behörde sich nach außen – und nicht etwa nur innerdienstlich – geäußert hat. Der Bericht eines Beamten der Polizei oder der Staatsanwaltschaft an seine vorgesetzte Dienststelle ist daher nicht nach Absatz 1 Nr. 1 (sondern allenfalls nach Nr. 5) verlesbar,132 ebenso wenig der Bericht eines Richters an den Gerichtspräsidenten über die in seinem Auftrag durchgeführte Geschäftsprüfung eines Notars.133 Die Berichte der Gerichtshilfe und der Jugendgerichtshilfe dürfen, auch soweit sie 33 nicht ohnehin unverlesbare Leumundszeugnisse enthalten, in der Hauptverhandlung in der Regel nicht nach § 256 verlesen werden, sofern es sich um Äußerungen der jeweiligen Gerichtshelfer, nicht aber um eine Behördenerklärung handelt.134 Entfallen ist nach Einfügung der Nr. 5 des Absatzes 1 die früher135 zusätzlich angeführte Begründung, dass es sich um für das Strafverfahren selbst durchgeführte Ermittlungen handelt, ohne dass Nr. 5 die Verlesung gestatten würde (Rn. 54). c) Behördenzeugnis. Zeugnis einer öffentlichen Behörde ist jede Bescheinigung 34 über amtliche Unterlagen oder Erkenntnisse, die von der Behörde einem Außenstehenden erteilt wird. Sie hat – oftmals auf Grund der bei der Amtsstelle geführten Unterlagen, Bücher, Register, Akten – amtlich festgestellte Tatsachen zum Gegenstand, die auf der Mitteilung eines Dritten an die Behörde oder auf der unmittelbaren Wahrnehmung eines Beamten beruhen können.136 Doch ist es nicht ausgeschlossen, dass das Zeugnis sonstige Wahrnehmungen wiedergibt, die ein Beamter innerhalb seines amtlichen Wirkungskreises als Repräsentant seiner Behörde – und nicht nur bei Gelegenheit amtlichen Tätigwerdens – gemacht hat. Hierzu rechnen Auskünfte aus den amtlich geführten Büchern und Registern, wie etwa Zeugnisse des Amtsgerichts über Eintragungen im Grundbuch, im Vereins-, Güterrechts- oder Musterregister, Auskünfte des Einwohnermeldeamts über die polizeiliche An- oder Abmeldung, aber auch nicht aktenkundig gemachte Wahrnehmungen.137 Vorgänge dagegen, die nicht Gegenstand einer amtlichen Tätigkeit waren, son- 35 dern die ein Beamter der Behörde nur zufällig anlässlich einer amtlichen Verrichtung

131 132 133 134

RG JW 1892 415; vgl. bei § 96. Zu Abs. 1 a. F. RGSt 2 301; RG GA 38 (1891) 341; RG Recht 1910 Nr. 254; Alsberg/Dallmeyer 530. RGSt 26 138; RGRspr. 8 264. Alsberg/Dallmeyer 528; HK/Julius/Bär 4, 26; KK/Diemer 5; Meyer-Goßner/Schmitt 15; OK-StPO/Ganter 13; Radtke/Hohmann/Pauly 5; SK/Velten 21; Eisenberg StV 1998 311; s. a. Schlüchter 536.3 Fn. 481 (Leumundszeugnis); vgl. bei § 160; LR/Becker Vor § 226, 68 f. m. w. N.; ferner die Kommentare zu § 38 JGG; offen gelassen in BGH NStZ 2008 709, 710. Ob der Vertreter der Gerichtshilfe in der Hauptverhandlung den eigenen Bericht vorlesen darf (so BGH NStZ 1984 467 mit abl. Anm. Brunner; BGH NStZ 2008 709, 710), ist strittig, vgl. HK/Julius/Bär 4; Meyer-Goßner/Schmitt § 160, 26; Eisenberg NStZ 1985 86; ein Verlesen nach § 256 liegt darin nicht. 135 OLG Koblenz OLGSt § 338, 19; HK/Julius/Bär 4; KMR/Paulus 12; LR/Gollwitzer25 18; so noch KK/ Diemer 5, s. aber dort Rn. 9a; SK/Velten 21. 136 RGSt 9 88, 92; RG GA 37 (1889) 187. 137 RGSt 9 88, 92; BayObLGSt 1953 194; Alsberg/Dallmeyer 532; AK/Rüping 8; KMR/Paulus 10; MeyerGoßner/Schmitt 5; Eb. Schmidt 4; a. A. OLG Frankfurt NJW 1952 757 (nur Auskünfte aus Unterlagen); SK/ Velten 20 (nur feststellende Verwaltungsakte).

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wahrgenommen hat, können nicht Gegenstand eines nach § 256 verlesbaren Zeugnisses sein; über sie muss der Beamte als Zeuge vernommen werden.138 36 Nach bisheriger Ansicht schieden die aus Anlass des Strafverfahrens, vor allem im Vorverfahren bei der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder bei Gericht angefallenen Vorgänge wegen ihres verfahrensinternen Verwendungszwecks insgesamt als Gegenstand eines nach § 256 verlesbaren amtlichen Zeugnisses aus.139 Diese Ansicht beruht auf der systematischen Erwägung, dass andernfalls die differenzierte Regelung der §§ 250 ff. gerade für wesentliche Beweismittel funktionslos wäre, und wird durch die Änderungen durch das 1. JuMoG (Rn. 8) bestätigt, weil es sonst der Ausnahmevorschriften der Nr. 5 und 6 nicht bedürfte. Die Ausnahme beschränkt sich auch auf die in Nr. 5 erstmals erlaubte Verlesbarkeit von Protokollen und Vermerken über routinemäßige Ermittlungshandlungen der Strafverfolgungsbehörden sowie auf die von Nr. 6 erfassten Umwandlungsvermerke nach Einführung der elektronischen Aktenführung. Alle sonstigen anlässlich des Verfahrens entstandenen Schriftstücke, nicht nur die ausdrücklich ausgeklammerten Vernehmungsprotokolle, bleiben unverlesbar; für sie gelten nach wie vor die §§ 250 ff. 37 So kann beispielsweise ein Vermerk, den ein im Verfahren tätiger Richter im Hinblick auf den § 3 JGG über die geistigen oder sittlichen Fähigkeiten eines von ihm vernommenen jugendlichen Beschuldigten oder über die Glaubwürdigkeit eines von ihm gehörten Zeugen in den Akten angebracht hat, Gegenstand eines Zeugnisses des Amtsgerichts auch dann nicht sein, wenn der zugezogene Schriftführer sich der Äußerung angeschlossen hat.140 Erklärungen einer mit der Sache selbst nicht befassten Strafverfolgungsbehörde, etwa eine Auskunft über ein anderswo anhängiges Strafverfahren oder über den Aufenthalt bestimmter Personen, können nach § 256 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5 (Rn. 55) verlesen werden.141 Die Verlesbarkeit der Äußerungen anderer, nicht unmittelbar mit der Strafverfolgung beauftragter Stellen, die aus Anlass des Strafverfahrens erholt wurden,142 bleibt zulässig.143 d) Behördengutachten. Bei der Fertigung eines Behördengutachtens können mehrere Angehörige der Behörde mitgewirkt haben.144 Ob es sich dabei um selbständige Teilgutachten handelt oder um Hilfsgutachten, auf denen das Gesamtgutachten aufbaut, ob die maßgeblichen Feststellungen von einem Repräsentanten der Behörde oder einem Mitarbeiter145 gemacht wurden, ist für die Anwendbarkeit des § 256 ohne Bedeutung, sofern nur alle Beiträge als Gutachten der Behörde anzusehen sind, weil sie von deren Verantwortung umfasst sind. 39 Gutachten von Behörden über den Blutalkoholgehalt sind auch nach Absatz 1 Nr. 1 verlesbar;146 dies kann auch für die Diagnose des blutentnehmenden Arztes über den Grad der Trunkenheit gelten, sofern die Diagnose von den Amtsaufgaben mit um-

38

138 RGSt 9 91; RGRspr. 7 200; RG GA 38 (1891) 341; Alsberg/Dallmeyer 532; KMR/Paulus 11; MeyerGoßner/Schmitt 5; Eb. Schmidt 4; a. A. RG JW 1932 3356 mit abl. Anm. Mannheim. Fn. 22. RGSt 37 212; RGRspr. 7 199; 9 489; KMR/Paulus 12. KMR/Paulus 12; Radtke/Hohmann/Pauly 7. Vgl. etwa die Gutachten nach § 83 Abs. 3. A. A. OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1984 105 für ein aus Anlass des konkreten Strafverfahrens eingeholtes Gutachten zur Schuldfähigkeit. 144 Vgl. Hanack NJW 1961 2041; Seyler GA 1989 546, 551; KMR/Paulus 15. 145 BGH bei Tolksdorf DAR 2002 203. 146 Vgl. Rn. 26.

139 140 141 142 143

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fasst ist.147 Der durch das 1. StVRG eingefügte Satz 2 des Absatzes 1 (jetzt Nr. 4 des Absatzes 1), bei dem die Behördeneigenschaft keine Rolle mehr spielt, macht diese Fragen jedoch praktisch bedeutungslos (vgl. Rn. 51). Behördliche Rechtsgutachten fallen ebenfalls unter § 256.148 Allerdings steht es 40 dem Gericht frei, das Recht in jeder beliebigen Weise festzustellen. Soweit es dies für zweckdienlich hält, kann es Rechtsgutachten von Behörden ebenso wie von privaten Personen ohne Bindung an die für den Beweis von Tatsachen geltenden Vorschriften in der Hauptverhandlung verlesen.149 e) Formfragen. Eine besondere Form der behördlichen Gutachten und Zeugnisse 41 wird von § 256 nicht vorausgesetzt. Die äußere Form kann zwar Anhaltspunkte dafür geben, ob eine Äußerung einer Behörde oder ein privates Schreiben des Verfassers vorliegt, sie ist aber nicht allein entscheidend.150 Es kann sich auch aus dem Inhalt der Schrift oder sonstigen Umständen wie etwa einem Begleitschreiben ergeben, dass es als verantwortliche Äußerung der Behörde gewollt ist.151 Es ist unschädlich, wenn Dienstsiegel oder Amtsstempel fehlen,152 sogar, wenn die Unterschrift fehlt, sofern trotzdem eindeutig festgestellt ist, dass und von wem die Erklärung für die Behörde abgegeben wurde.153 Ist dies zweifelhaft, oder ist fraglich, ob etwa eine mit dem Briefkopf der Behörde 42 abgegebene Erklärung eine solche der Behörde oder aber eine private Erklärung des Behördenleiters ist – vor allem bei Direktoren von Universitätsinstituten kann das fraglich sein –, so muss dies durch eine Rückfrage bei der Behörde im Freibeweisverfahren154 möglichst schon vor der Hauptverhandlung geklärt werden.155 Dasselbe gilt, wenn fraglich ist, ob der Behördenangehörige, der die Erklärung unterzeichnet hat, befugt war, sie für die Behörde abzugeben.156 Stellt sich ein Gutachten nach Form (Kopf, Unterschrift usw.), Inhalt und den Begleitumständen eindeutig als Äußerung einer Behörde dar, dann zwingt der Umstand, dass der unterzeichnende Gutachter berechtigt ist, Gutachten gleichen Inhalts in privater Nebentätigkeit zu erstatten, bei Fehlen aller anderen Anhaltspunkte nicht dazu, vor der Verlesung aufzuklären, in welcher Eigenschaft der Gutachter tätig wurde.157 Umgekehrt liegt auch nicht schon deshalb allein ein Privatgut-

147 OLG Koblenz VRS 39 (1970) 202 einerseits; OLG Hamm NJW 1965 1041 andererseits. 148 BGH NJW 1996 1355, 1358; Meyer-Goßner/Schmitt 6; a. A. LR/Gollwitzer25 26; Radtke/Hohmann/Pauly 8.

149 Alsberg/Dallmeyer 273 ff.; LR/Becker § 244, 8 m. w. N.; ferner LR/Krause Vor § 72, 12. 150 Wenn unter Hinweis auf RGSt 64 80; BayObLGSt 1964 36 = NJW 1964 1192 gefordert wird, dass sich der amtliche Charakter der Urkunde aus ihrem Inhalt selbst ergeben muss (so etwa Alsberg/Nüse/Meyer5 299; Ahlfs MDR 1978 982), kann dem nur insoweit zugestimmt werden, dass primär bei Prüfung dieser Frage von Form und Inhalt auszugehen ist, dass aber Zweifel im Freibeweisverfahren zu klären sind; vgl. Alsberg/Dallmeyer 529; Schäfer Anm. zu OLG Köln NStZ 1996 245; SK/Velten 22. 151 KK/Diemer 3; KMR/Paulus 17; vgl. etwa BGH VRS 11 (1956) 449; 48 (1975) 208. 152 RGSt 43 405; Alsberg/Dallmeyer 529; Meyer-Goßner/Schmitt 15. 153 RGRspr. 7 200; Alsberg/Dallmeyer 529; vgl. BGH StraFo 2007 331 (zu Abs. 1 Nr. 3). 154 Etwa OLG Düsseldorf StV 1983 273 mit Anm. Nexler; AK/Rüping 10. 155 BGH VRS 11 (1956) 449; 44 (1973) 39; OLG Düsseldorf JMBlNW 1954 182; StV 1983 273 mit Anm. Neixler; OLG Hamburg NJW 1969 571; OLG Karlsruhe NJW 1973 1426; Alsberg/Dallmeyer 529; KMR/Paulus 17; Meyer-Goßner/Schmitt 15; vgl. auch Rn. 30; Gössel DRiZ 1980 369. 156 Vgl. etwa BGH StV 1984 142 (Oberarzt); ferner Rn. 29 m. w. N. 157 OLG Frankfurt VRS 44 (1973) 37.

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achten vor, weil im Kopf des Gutachtens der Name des Institutsleiters vorangestellt ist.158 43

3. Erklärungen vereidigter Sachverständiger (Nr. 1b). Das 1. JuMoG hat die Möglichkeit geschaffen, auch Zeugnisse (siehe aber Rn. 12 a. E.) und Gutachten privater Sachverständiger, die allgemein für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art vereidigt sind (vgl. § 79, 10 ff.), zu verlesen, weil deren Sachkunde der öffentlicher Behörden mittlerweile gleich zu achten sei (näher Rn. 7).159 Dazu zählen insbesondere vereidigte Sachverständige im Kfz-Gewerbe, im Versicherungswesen und der Schriftkunde.160 Nur in Zweifelsfällen soll es noch notwendig sein, dass der Sachverständige sein Gutachten persönlich erläutert.161 Erläuterungsbedarf mag jedoch anhand eines schriftlichen Gutachtens schwerer erkennbar sein als bei einer Vernehmung (zur Kritik Rn. 4, 7). Wie in allen Fällen des § 256 muss das Gericht genau prüfen, ob die Aufklärungspflicht im Einzelfall nicht doch eine mündliche Anhörung und Befragung gebietet (Rn. 3 f.); wenn die übrigen Verfahrensbeteiligten solchen Aufklärungsbedarf annehmen, können sie durch geeignete Beweisanträge die persönliche Vernehmung verlangen.162

4. Erklärungen der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes (Nr. 1c). Die Erklärungen der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes werden hinsichtlich der Verlesbarkeit den Erklärungen der Behörden gleichgestellt, auch wenn sie nach der Struktur dieses Dienstes nicht namens der Behörde erstattet werden. Beim Landgerichtsarzt in Bayern wurde früher die Ansicht vertreten, dass er zwar einer Behörde angehöre, sie aber bei der Gutachtenerstattung nicht vertrete und dass sein Gutachten deshalb nicht verlesbar sei.163 Absatz 1 Nr. 1c ermöglicht es, die Gutachten und Zeugnisse der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes ohne Rücksicht auf dessen interne Organisation zu verlesen. Einschließlich der auch hier zu beachtenden Ausnahme für Leumundszeugnisse (Rn. 14 ff.) gilt im Übrigen das für die Zeugnisse und Gutachten öffentlicher Behörden Gesagte. Die bei Justizvollzugsanstalten angestellten Ärzte rechnen nicht zum gerichtsärztlichen Dienst.164 45 Auf die im eigenen Namen und nicht für die Behörde erstatteten Gutachten anderer, dem öffentlichen Dienst angehörender Sachverständiger ist die Ausnahmevorschrift für den gerichtsärztlichen Dienst nicht übertragbar.165 Dies gilt auch für die Ärzte der rechts- oder gerichtsmedizinischen Institute der Universitäten,166 sofern sie nicht im Nebenamt auch zu Landgerichtsärzten bestellt worden sind.167

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158 159 160 161 162 163

BGH VRS 44 (1973) 209. Vgl. BGH NStZ 2020 94, 95 mit Anm. Ventzke. BTDrucks. 15 1508 S. 26. BTDrucks. 15 1508 S. 26. Meyer-Goßner/Schmitt 16; vgl. Fn. 51. BayObLGSt 1949/51 304 unter Hinweis auf RGSt 64 80; vgl. BGH NJW 1970 1981. Seit der Neuregelung durch Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst vom 12.7.1986 (BayGVBl. 120), jetzt Art. 5 Abs. 2 des Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetzes (GDVG) vom 24.7.2003 (BayGVBl. 452), sind die Gutachten der bayerischen Landgerichtsärzte Behördengutachten. 164 OLG Karlsruhe Justiz 1977 104; Meyer-Goßner/Schmitt 17. 165 Rieß NJW 1975 86. 166 KK/Diemer 6; KMR/Paulus 8; Meyer-Goßner/Schmitt 17. 167 Dies geschieht im Einzelfall; in Bayern können nach Art. 5 Abs. 2 Satz 3 GDGV (Fn. 163) die Leiter der rechtsmedizinischen Institute mit der Wahrnehmung der Aufgaben des Landgerichtsarztes betraut werden.

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5. Ärztliche Atteste über Körperverletzungen (Nr. 2) a) Begriff. Es muss sich um die Bestätigung eines ordnungsgemäß nach dem für 46 ihn geltenden Berufsrecht168 bestellten Arztes169 handeln, in der dieser Art und Umfang einer von ihm im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit wahrgenommenen Körperverletzung beschreibt.170 Eine schriftliche Erklärung, die keine Äußerung über einen eigenen Befund, also über eine eigene Wahrnehmung enthält, sondern eine gutachtliche Stellungnahme zu der Wahrnehmung eines anderen, ist kein Attest im Sinne des § 256.171 Stellvertretung scheidet aus.172 Niederschriften über die frühere Vernehmung eines Arztes über eine Körperverletzung fallen nicht unter § 256.173 Im Übrigen stellt § 256 keine besonderen Formerfordernisse an das Attest. Es genügt, wenn es von einem approbierten Arzt ausgestellt wurde, dessen Person eindeutig feststeht,174 weshalb in der Regel eine Unterschrift175 erforderlich ist. Auf die Lesbarkeit der Unterschrift kommt es ebenso wenig an wie auf den Zweck, für den das Attest ursprünglich ausgestellt worden war.176 Auch die Eintragungen eines Arztes in ein Krankenblatt können die Voraussetzungen des § 256 erfüllen.177 Das zulässigerweise verlesene Attest kann ein Gutachten im Sinne des § 244 Abs. 4 Satz 2 sein.178 Ein behördlicherseits vom Arzt angefordertes Attest darf auch dann verlesen werden, wenn der Arzt nicht auf sein Zeugnisverweigerungsrecht hingewiesen worden ist.179 b) Verlesbarkeit. Soweit das Attest eine Körperverletzung zum Gegenstand hat, ist 47 es nach neuer Rechtslage uneingeschränkt verlesbar. Anders als nach der zur früheren Fassung der Nr. 2 einhellig vertretenen Ansicht180 kommt es in der durch Gesetz vom 17.8.2017 geänderten geltenden Fassung ausdrücklich nicht mehr darauf an, dass die Körperverletzung auch Gegenstand des Tatvorwurfs ist. Aufgegeben wurde zugleich die Beschränkung auf „nicht schwere“ Körperverletzungen, die zuvor dazu führte, dass ärztliche Atteste nur verlesen werden durften zum Nachweis einer Straftat nach §§ 223 bis 225, 229, 340 StGB. Nunmehr ist ein Attest auch verlesbar zum Nachweis anderer, selbst schwerer Straftaten oder im Rahmen der Bestimmung der Rechtsfolgen.181 Die Neufassung vereinfacht zum einen die Rechtsanwendung, weil es nur noch auf den Inhalt des Attests ankommt, und soll zum anderen zur Effektuierung der Hauptver168 Dies dürfte auch für im Ausland approbierte Ärzte gelten, selbst wenn sie nicht nach EU-Recht zur Berufsausübung in der Bundesrepublik berechtigt sind; vgl. die ähnliche Rechtslage bei den ausländischen Behörden, Rn. 28. 169 RGSt 14 55; 19 364; BGHSt 4 156; Alsberg/Dallmeyer 539; KK/Diemer 8; KMR/Paulus 20; MeyerGoßner/Schmitt 19; SK/Velten 28; Eb. Schmidt 8; Krüger FS Imme Roxin 601, 608. 170 RGSt 19 364; RG GA 61 (1914) 350; AK/Rüping 11; OK-StPO/Ganter 16. 171 RG Recht 1913 Nr. 3321; BGHSt 4 155; Alsberg/Dallmeyer 540; KMR/Paulus 20. 172 OLG Nürnberg NStZ 2013 543, 545. 173 RGSt 6 254; RGRspr. 1 633. 174 Alsberg/Dallmeyer 539. 175 OLG Düsseldorf StV 2015 542 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 19. 176 RGSt 19 364; RG Recht 1910 1469; Alsberg/Dallmeyer 539; KMR/Paulus 20; Meyer-Goßner/Schmitt 18. 177 OLG Koblenz VRS 62 (1982) 287. 178 BGHSt 52 322 f. 179 OLG Zweibrücken NJW 1968 2310. 180 Dazu LR/Stuckenberg26 46 ff. m. w. N. Vgl. zuletzt BGHSt 57 24 mit Anm. Gössel JR 2012 220; König StV 2012 709; Ventzke StV 2013 6 und Bespr. Trendelenburg ZJS 2012 261. 181 HK/Julius/Bär 6; Meyer-Goßner/Schmitt 20.

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handlung beitragen, weil nun auf Ladung und Vernehmung von Ärzten allein zu dem Zweck, Angaben dazu zu machen, welche körperlichen Beeinträchtigungen sie an einer bestimmten Person zu einem bestimmten Zeitpunkt festgestellt haben, verzichtet werden kann.182 c) Zusätzliche Angaben. Enthält das Attest außer den Angaben über den Befund der Körperverletzung noch zusätzliche Angaben, insbesondere ein Gutachten über deren Folgen oder die Heilungsaussichten, dürfen diese mit dem Attest verlesen werden.183 Zusätzliche Angaben, die nicht Gegenstand des Urkundenbeweises nach § 256 sein können, da es sich um ohne besondere Sachkunde feststellbare Zusatztatsachen handelt, dürfen jedoch nicht mitverlesen werden. Dies gilt insbesondere, wenn der Arzt Angaben des Verletzten oder eines Dritten über die Entstehung der Körperverletzung, über das Verhalten des Verletzten, sein Eintreffen in der Arztpraxis, über den Krankheitsverlauf oder über den Zustand der Kleider des Verletzten in das Attest mit aufgenommen hat.184 Sollen aus der Art der Verletzung Rückschlüsse auf die Tatbegehung gezogen werden, ist der Arzt als Zeuge zu vernehmen,185 sofern nicht die Beteiligten der Verlesung nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 zustimmen.186 49 Ist die Verlesung unstatthaft, dann darf der Inhalt des Attests auch nicht dadurch zu Beweiszwecken in die Verhandlung eingeführt werden, dass der Vorsitzende ihn bekanntgibt187 oder dass andere Personen als der Aussteller über den Inhalt des Attestes als Zeugen vernommen werden.188 Unzulässig ist auch, ein solches Zeugnis zu Vorhalten zu verwenden mit dem Ziel, dass der Befragte aus eigenem Wissen von sich aus Art und Umfang der Körperverletzung glaubhaft bestätigen oder widerlegen kann.189 Ein Vorhalt mit Benutzung, aber ohne Bekanntgabe des Inhalts des Attests ist hingegen stets möglich.190 Im Übrigen schließt § 256 nicht aus, den Arzt oder andere Zeugen, die über die Körperverletzung Bescheid wissen, darüber als Zeugen zu vernehmen. Dies muss trotz Verlesbarkeit des Attestes geschehen, wenn besondere Umstände zu einer weiteren Sachaufklärung drängen. Im Freibeweisverfahren, vor allem zur Feststellung verfahrenserheblicher Tatsachen, ist die Verlesung ärztlicher Atteste nicht an die Einschränkungen des § 256 gebunden.191 Ist das Attest von einer ärztliche Aufgaben wahrnehmen-

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182 BTDrucks. 18 11277 S. 36; zust. HK/Julius/Bär 6; unklar die Kritik Krügers StV 2018 316, 318. 183 RGSt 19 364; RG JW 1891 505; Alsberg/Dallmeyer 541; Meyer-Goßner/Schmitt 19. 184 RG GA 46 (1898/99) 199; JW 1903 218; Recht 1903 Nr. 1218; BGHSt 4 155 = LM Nr. 2 mit Anm. Krumme; 57 24, 25; BGH bei Dallinger MDR 1955 397; StV 1984 142; StraFo 2011 95 f.; OLG Düsseldorf StV 2015 542, 543; OLG Hamburg StV 2000 9; Alsberg/Dallmeyer 541; KK/Diemer 8; KMR/Paulus 23; MeyerGoßner/Schmitt 19; MüKo/Krüger 34; OK-StPO/Ganter 16; Radtke/Hohmann/Pauly 14; SK/Velten 34; Eb. Schmidt 11; SSW/Franke 8; Krüger 118 f. 185 BGHSt 57 24, 25 f.; BGH NJW 1980 651; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 211. 186 Meyer-Goßner/Schmitt 21. 187 RG GA 61 (1914) 130; 64 (1917) 372; JW 1914 435; Recht 1925 Nr. 2570; Alsberg/Dallmeyer 543; KMR/ Paulus 24; Meyer-Goßner/Schmitt 19; Radtke/Hohmann/Pauly 15. 188 RGSt 14 4. 189 AK/Rüping 20; a. A. BGH bei Holtz MDR 1993 9; StraFo 2009 152; NStZ 2010 466; KK/Diemer 8; KMR/Paulus 24; Meyer-Goßner/Schmitt 19; MüKo/Krüger 36; LR/Gollwitzer25 44; Radtke/Hohmann/Pauly 15; SSW/Franke 8; Alsberg/Dallmeyer 543; Eisenberg (Beweisrecht) 2190; Schneidewin JR 1951 486. 190 HK/Julius/Bär 14; KMR/Paulus 24; Meyer-Goßner/Schmitt 21. 191 BGH NStZ-RR 1997 304; BGH 19.11.2009 – 4 StR 276/09 Rn. 7 (insoweit nicht in NStZ 2010 585); KK/ Diemer 8; KMR/Paulus 22; OK-StPO/Ganter 18; vgl. LR/Becker § 244, 36; LR/Cirener/Sander § 251, 71 ff.

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den Behörde ausgestellt,192 gelten die Beschränkungen hinsichtlich der Verlesbarkeit ebenfalls nicht. 6. Ärztliche Berichte zur Entnahme der Blutprobe (Nr. 3). Ärztliche Berichte zur 50 Entnahme der Blutprobe, also die vom Arzt bei Entnahme der Blutprobe getroffenen Feststellungen über Ort und Zeit der Entnahme und das Erscheinungsbild und das Verhalten des Betroffenen einschließlich seiner dabei gemachten Angaben, können nach Absatz 1 Nr. 3 ebenfalls durch Verlesen in die Hauptverhandlung eingeführt werden.193 Dies umfasst auch die dabei durchgeführten klinischen Tests.194 Damit entfällt der frühere Streit, ob diese für die Bestimmung des Blutalkoholgehalts wichtigen Tatsachen durch die Vernehmung des Sachverständigen, der den Blutalkoholgehalt begutachtet, in die Hauptverhandlung eingeführt werden müssen. Herkunft und Verfasser des Berichts müssen aber eindeutig feststehen,195 wobei genügen kann, dass dem nicht unterschriebenen Bericht eine vom selben Arzt erstellte und unterzeichnete Liquidation beigefügt ist.196 7. Sonstige Routinegutachten (Nr. 4). Die aufgrund allgemein anerkannter wissen- 51 schaftlicher Erkenntnisse und Erfahrungssätze erstellten Routinegutachten197 über die Auswertung eines Fahrtschreiberdiagramms,198 über die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung, dürfen zur Verfahrensvereinfachung und zur Entlastung der Gutachter199 verlesen werden, auch wenn sie nicht von einer Behörde (amtliche Untersuchungsstelle, Universitätsinstitut) erstellt worden sind, sondern von einer privaten Stelle oder einem privaten Sachverständigen. Maßgebend für die Verlesbarkeit ist nur der Inhalt des Gutachtens. Ob ein Behördengutachten im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1a vorliegt, ist nur noch von Bedeutung, wenn das Gutachten Feststellungen enthält, die über die inhaltliche Begrenzung der nach Absatz 1 Nr. 4 verlesbaren Erklärungen hinausgehen. Durch Verlesen in die Hauptverhandlung einführbar sind nach Absatz 1 Nr. 4 immer 52 nur die zum jeweiligen Gutachten gehörenden Befundtatsachen und Schlussfolgerungen sowie das gefundene Ergebnis. Dies schließt auch Feststellungen über das ordnungsgemäße Funktionieren des Fahrtschreibers200 oder über Besonderheiten der untersuchten Blutprobe mit ein.201 Sonstige Erkenntnisse, die außerhalb der standardisierten Untersuchung liegen, sowie sonstige Tatsachen, die der Sachverständige aus Anlass der Begutachtung festgestellt hat, können nicht durch Verlesen nach Absatz 1 Nr. 4 in die Hauptver-

192 Hahn 196; zu Entstehungsgeschichte und Zweck dieser Regelung vgl. auch RGSt 39 286, 289 ff.; BGHSt 33 389, 391 ff. 193 BGH bei Spiegel DAR 1979 186; Alsberg/Dallmeyer 551; KK/Diemer 9; KMR/Paulus 25; Meyer-Goßner/ Schmitt 22; Rieß NJW 1975 87. 194 BGH bei Spiegel DAR 1979 186; Rieß NJW 1975 87 Fn. 86; KK/Diemer 9; KMR/Paulus 25; MeyerGoßner/Schmitt 22; SK/Velten 30. 195 BayObLGSt 1988 89 = StV 1989 6; Meyer-Goßner/Schmitt 22; SSW/Franke 9. 196 BGH StraFo 2007 331. 197 Begr. zu Art. 1 Nr. 75 des 1. StVRG, BTDrucks. 7 551 S. 81. 198 Mit Auswertung des Fahrtschreibers ist die Auswertung der Aufzeichnungen dieses Geräts gemeint; OLG Celle JR 1978 122 mit Anm. Puppe; Alsberg/Dallmeyer 549; KK/Diemer 9; Meyer-Goßner/Schmitt 24. 199 KK/Diemer 9. 200 OLG Celle JR 1978 122 mit abl. Anm. Puppe; Alsberg/Dallmeyer 549; KK/Diemer 9; KMR/Paulus 25; Meyer-Goßner/Schmitt 24; SK/Velten 31; Schlüchter 537 Fn. 484. 201 Alsberg/Dallmeyer 551; KMR/Paulus 25; Meyer-Goßner/Schmitt 25.

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handlung eingeführt werden, sondern nur durch Vernehmung des Sachverständigen.202 Dies gilt etwa für Feststellungen über Manipulationen am Fahrtenschreiber.203 Vor Verwertung der verlesenen Gutachten bei der Beweiswürdigung ist stets zu prü53 fen, ob die ihnen zugrunde liegenden tatsächlichen Annahmen noch dem Ergebnis der Beweisaufnahme entsprechen. Dies gilt vor allem bei der Rückrechnung des Blutalkoholgehalts. Ist dies nicht der Fall und kann das Gericht die Auswirkungen der veränderten Sachlage nicht aus eigener Sachkunde sicher beurteilen, muss es in Erfüllung seiner Aufklärungspflicht den Sachverständigen in der Hauptverhandlung hören oder ein neues, der veränderten Beweislage Rechnung tragendes Gutachten einholen. Auch sonst können Unstimmigkeiten oder ein konkreter Verdacht von Unregelmäßigkeiten die persönliche Anhörung des Sachverständigen erfordern.204 8. Protokolle und Erklärungen über Ermittlungshandlungen (Nr. 5). Die durch das 1. JuMoG neu eingeführte Vorschrift205 ermöglicht die Verlesung von Protokollen und Vermerken der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, um deren Angehörige, insbesondere Polizeibeamte zu entlasten (zur Kritik s. Rn. 8) als Ausnahme von dem Grundsatz, dass aus Anlass des Verfahrens entstandene Schriftstücke nicht unter § 256 fallen (Rn. 36). Auch diese Ausnahmeregelung ist eng auszulegen. Aus Anlass des Verfahrens entstandene Schriftstücke, die nicht nach Nr. 5 oder 6 verlesen werden können, können wie bisher auch nicht nach Nr. 1a verlesen werden (Rn. 36 f.). 55 Strafverfolgungsbehörden sind Staatsanwaltschaft und Polizei. Nach Nr. 5 können weder Protokolle und Erklärungen des Gerichts noch der Gerichtshilfe oder Jugendgerichtshilfe verlesen werden; zwar ist die Gerichtshilfe ein besonderes Ermittlungsorgan206 und die Jugendgerichtshilfe ein Prozessorgan eigener Art,207 aber beide sind keine Strafverfolgungsbehörden. Unter Ermittlungshandlungen verstand der Gesetzgeber Routinevorgänge wie Beschlagnahmen, Spurensicherung, Festnahmen, Sicherstellungen, Hausdurchsuchungen usw.,208 ohne aber den Gesetzeswortlaut darauf zu beschränken, so dass, von Vernehmungen abgesehen, im Grundsatz schriftliche Berichte über jegliche Ermittlungsmaßnahme verlesbar sind.209 Dazu gehören auch Vermerke über die Erstattung einer Strafanzeige,210 Observationsberichte,211 Stellungnahmen zum Tatort und dortigen Geschwindigkeitsbegrenzungen,212 technische Auswertungen von Messungen im Straßenverkehr213 wie die des Video-Brücken-Abstandsmessverfahrens,214 aber keinesfalls polizeiliche Vermerke über Auswertungen von Videoaufzeichnungen einer

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KK/Diemer 9; Puppe JR 1978 122. OLG Celle JR 1978 122 mit Anm. Puppe; w. N. vgl. Fn. 200. Zu den Erfordernissen der Aufklärungspflicht vgl. LR/Becker § 244, 89. BTDrucks. 15 1508 S. 26. Vgl. BGH NStZ 2008 709; LR/Erb § 160, 81 ff. Brunner/Dölling § 38, 1b JGG; Eisenberg § 38, 23 JGG, jew. m. w. N. BTDrucks. 15 1508 S. 26; zu Durchsuchungsberichten BGH NStZ 2011 532; zu Festnahmeberichten BGHR § 256 Abs. 1 Nr. 5 Ermittlungsmaßnahmen 1. 209 BGH NJW 2016 1601 f.; OLG Celle NStZ 2014 175, 176; KG 18.12.2017 – (2) 161 Ss 104/17 (6/17), Rn. 44; Meyer-Goßner/Schmitt 26; MüKo/Krüger 46; OK-StPO/Ganter 21; Radtke/Hohmann/Pauly 19. 210 BGH NStZ 2008 529 = StV 2008 506. 211 BGH NJW 2016 1601 f.; OLG Celle NStZ 2014 175 f.; LG Berlin StV 2015 544 f. mit Anm. Krüger; MeyerGoßner/Schmitt 26; OK-StPO/Ganter 21; a. A. Eisenberg (Beweisrecht) 2199; SK/Velten 33; Lickleder/Sturm HRRS 2012 74, 77. 212 OLG Hamm NStZ-RR 2014 287. 213 Vgl. OLG Hamm ZfSch 2008 408. 214 OLG Stuttgart NStZ-RR 2007 382, 385 = VRS 113 (2007) 124.

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Überwachungskamera in einem Kaufhaus, die das Gericht selbst in Augenschein nehmen muss.215 Der Wortlaut umfasst sowohl Vorgänge, die das anhängige Verfahren betreffen, als auch solche aus anderen Verfahren.216 Die problematische Vorschrift dürfte nur bei zurückhaltender Anwendung mit der Aufklärungspflicht des Gerichts vereinbar sein, nötigenfalls müssen die übrigen Verfahrensbeteiligten durch Beweisanträge auf Aufklärung hinwirken (näher Rn. 8). Protokolle über Vernehmungen sind von der Verlesungserlaubnis ausdrücklich 56 ausgeschlossen und unterfallen weiterhin allein §§ 251 ff., deren differenzierte Regelung der Gesetzgeber nicht außer Kraft setzen wollte.217 Auch sonstige Vermerke oder Berichte dürfen nicht verlesen werden, soweit darin der Inhalt einer Vernehmung wiedergegeben wird.218 Der Begriff der Vernehmung ist hier weit auszulegen und umfasst auch informatorische Befragungen.219 9. Übertragungsvermerke gem. § 32e Abs. 3 (Nr. 6). § 32e sieht vor, dass nicht 57 elektronische Ausgangsdokumente in elektronische Form übertragen werden, worüber ein Übertragungsnachweis mit vorgeschriebenem Inhalt zu erstellen ist. Nr. 6 erlaubt, diese Vermerke zu verlesen anstatt die Person, die die Übertragung vorgenommen hat, als Zeugen zu vernehmen, zumal diese sich regelmäßig kaum an mehr erinnern wird, als von ihr im Vermerk niedergelegt wurde.220 Enthält der Vermerk über den notwendigen Inhalt hinausgehende Informationen, so können diese nicht nach Nr. 6 verlesen werden.221 Inwieweit Nr. 6 praktische Relevanz erlangen wird, bleibt abzuwarten. Sobald Integrität und Authentizität des Ausgangsdokuments in Frage stehen, wird das Gericht ohnehin das Original heranziehen müssen.222

III. Sonstige Verfahrensfragen 1. Anordnung der Verlesung. Die Anordnung der Verlesung steht im pflichtgemä- 58 ßen Ermessen des Gerichts (Kann-Vorschrift, Rn. 3 f.).223 Sie erlässt in den Fällen des Absatzes 1 der Vorsitzende.224 Widerspricht ein Verfahrensbeteiligter der Verlesung, so entscheidet darüber das Gericht nach § 238 Abs. 2. Gleiches gilt, wenn der Vorsitzende die Verlesung ablehnt und der Antragsteller dagegen das Gericht anruft.225 Eine Zustimmung der Verfahrensbeteiligten ist für die Verlesung nicht erforderlich. Das Verlesen selbst ist grundsätzlich Sache des Gerichts (Vorsitzender, Beisitzer); ob auch ein Zeuge

215 OLG Düsseldorf StV 2007 518 f.; Alsberg/Dattelmeyer 552; KK/Diemer 9a. 216 BGH NStZ 2015 539 mit zust. Anm. Braun JR 2016 261; Meyer-Goßner/Schmitt 26; SSW/Franke 11; a. A. SK/Velten 33.

217 BTDrucks. 15 1508 S. 26. 218 BTDrucks. 15 1508 S. 26; OLG Schleswig StV 2015 541; Meyer-Goßner/Schmitt 27. 219 BGH NJW 2010 3383, 3384 (formlose Befragungen); Krüger NStZ 2011 595; Eisenberg (Beweisrecht) 2200a; Meyer-Goßner/Schmitt 27; MüKo/Krüger 47; Radtke/Hohmann/Pauly 20; Knauer/Wolf NJW 2004 2932, 2936. 220 HK/Julius/Bär 11. 221 BTDrucks. 18 9416 S. 54. 222 BTDrucks. 18 9416 S. 54. 223 Hahn 1562; KK/Diemer 10. 224 HK/Julius/Bär 12; KK/Diemer 11; Meyer-Goßner/Schmitt 29; MüKo/Krüger 49; OK-StPO/Ganter 3; Radtke/Hohmann/Pauly 1; a. A. SK/Velten 35 (Gerichtsbeschluss analog § 251 Abs. 4 S. 1 und 2). 225 KK/Diemer 11; Meyer-Goßner/Schmitt 29.

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ein nicht von ihm stammendes Attest verlesen darf, erscheint fraglich;226 allerdings wird in solchen Fällen bei richtiger Wiedergabe des Inhalts ausgeschlossen werden können, dass dadurch der Inhalt des Urteils beeinflusst worden ist. 59 Die Rechtsprechung hält es für zulässig, wenn an Stelle des wörtlichen Verlesens der Inhalt der Schrift vom Vorsitzenden oder von einem beisitzenden Richter bekanntgegeben wird.227 Dieser Ansicht kann nicht beigetreten werden.228 Das Selbstleseverfahren ist durch § 249 Abs. 2 Satz 1 jetzt zugelassen.229 60

2. Sitzungsniederschrift. In der Sitzungsniederschrift sind Anordnung und Ausführung der Verlesung einer unter Absatz 1 fallenden Erklärung unter genauer Bezeichnung des verlesenen Schriftstücks als wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens ausdrücklich zu beurkunden;230 einer Wiedergabe des Inhalts der verlesenen Schrift bedarf es nicht. Zu beurkunden ist auch Anordnung und Durchführung des Selbstleseverfahrens231 sowie, wenn ein Beteiligter das Gericht nach § 238 Abs. 2 angerufen hat, dessen darauf ergangene Entscheidung. Ein Vermerk, wonach „festgestellt wird, dass eine bestimmte Blutalkoholkonzentration ermittelt“ worden ist, bezeugt nicht die Verlesung.232 Hält man den Ersatz der Verlesung durch einen Bericht des Vorsitzenden für zulässig, ist auch dieser unter genauer Bezeichnung der jeweiligen Schrift im Protokoll zu vermerken.233 Die gleichen Grundsätze gelten auch, wenn das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde (Absatz 2) durch Verlesen in die Hauptverhandlung eingeführt wird und deren anwesender Vertreter das Gutachten mündlich erläutert; dessen Anwesenheit und Erklärungen zum Inhalt des verlesenen Gutachtens sind keine wesentlichen Förmlichkeiten. Nur wenn er sich darüber hinaus auch als persönlicher Sachverständiger äußert, ist diese Tatsache eine zusätzlich im Protokoll zu beurkundende wesentliche Förmlichkeit, wobei in den von § 273 Abs. 2 erfassten Fällen dann auch das wesentliche Ergebnis seiner Ausführungen als persönlicher Sachverständiger aufzunehmen ist.

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3. Einwirkung allgemeiner Beweisgrundsätze. Ist die Verlesung einer Erklärung oder eines Attestes nach § 256 zulässig, dann ist dem Beweiserhebungsanspruch genügt, wenn diese Erklärung verlesen wird. Das Gericht darf den Antrag auf persönliche Vernehmung des Ausstellers der Erklärung oder des Attestes ablehnen, sofern nicht besondere Umstände diese nach § 244 Abs. 2234 oder zur Wahrung des Konfrontations226 OLG Koblenz VRS 62 (1982) 287 hält dies für unschädlich; vgl. Alsberg/Dallmeyer 561 (nur in Ausnahmefallen: Verfasser einer schwer lesbaren Handschrift). 227 Vgl. etwa BGHSt 1 94; OLG Düsseldorf VRS 59 (1980) 269; OLG Hamm NJW 1969 572; KG VRS 14 (1958) 453; OLG Köln VRS 73 (1987) 136; Alsberg/Dallmeyer 574 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt 29; OK-StPO/ Ganter 1; a. A. AK/Rüping 19; Eisenberg (Beweisrecht) 2202; SK/Velten 34; Eb. Schmidt 2; vgl. LR/Mosbacher § 249, 45. 228 Zum Streitstand vgl. LR/Mosbacher § 249, 44 ff. 229 MüKo/Krüger 3, 43; OK-StPO/Ganter 1; a. A. Eisenberg (Beweisrecht) 2202. 230 OLG Koblenz DAR 1973 274; KK/Diemer 11; KMR/Paulus 29. 231 Vgl. LR/Mosbacher § 249, 78 ff. 232 OLG Koblenz DAR 1973 274; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1982 123; vgl. LR/Stuckenberg § 273, 16. 233 Meyer-Goßner/Schmitt § 249, 27; § 273, 9 m. w. N.; vgl. bei § 249. 234 BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 295; BayObLGSt 1952 228 = NJW 1953 194; Meyer-Goßner/Schmitt 2; Alsberg/Dallmeyer 522 (Antrag ist der Sache nach kein Beweisantrag); Rogall FS Gössel 511, 527 Fn. 135 (Beweisanregung); s. a. BGHSt 52 322 (Ablehnung wegen § 244 Abs. 4 S. 2); a. A. SK/Velten 12 ff., 17 m. w. N.; Grünwald Beweisrecht (1993) 115; Meyer-Mews StraFo 2013 497, 500 f.; krit. auch Frister FS Fezer 211, 219 f.

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rechts gem. Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK235 geboten erscheinen lassen. Im Übrigen gelten die allgemeinen Grundsätze. So darf ein Beweisantrag auf Einholung der Erklärung einer öffentlichen Behörde nicht abgelehnt werden, weil das Gegenteil der zu beweisenden Tatsachen feststehe.236 Ob der Antrag, zusätzlich zu dem in Form des Urkundenbeweises verlesenen Behördengutachten einen weiteren Sachverständigen zu hören, als Antrag nach § 244 Abs. 3; Abs. 4 Satz 1 zu behandeln ist237 oder, was trotz der verschiedenen Beweismittel näher liegt, als Antrag auf Anhörung eines weiteren Gutachters nach § 244 Abs. 4 Satz 2,238 dürfte in der Praxis keine große Rolle spielen. In solchen Fällen wird in der Regel zu fordern sein, dass erst ein Vertreter der Behörde das Gutachten mündlich erläutert, sofern nicht die Aufklärungspflicht ohnehin ein weiteres Gutachten erfordert.239 Bei der Beweiswürdigung ist das Gericht auch gegenüber den Zeugnissen öffentli- 62 cher Behörden und den ärztlichen Attesten völlig frei; insbesondere kommt dem Zeugnis einer öffentlichen Behörde keine erhöhte Beweiskraft zu.240

IV. Vertretung des Gutachtens einer kollegialen Fachbehörde (Absatz 2) 1. Voraussetzung. Voraussetzung des Absatzes 2 ist, dass ein schriftliches Gutach- 63 ten einer Kollegialbehörde Gegenstand der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung ist und dort zu Beweiszwecken verlesen wird.241 Die Verlesung des Gutachtens soll durch die Vernehmung des Mitglieds der Behörde nur ergänzt, nicht aber ersetzt werden.242 2. Ersuchen des Gerichts. Ob die Fachbehörde um Benennung eines Mitglieds 64 zu ersuchen ist, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung seiner Aufklärungspflicht. Bei Vorbereitung der Hauptverhandlung hat regelmäßig der Vorsitzende bei der Ladung der Beweispersonen nach §§ 214, 221 darüber zu befinden, ob er ein solches Ersuchen an die Behörde richten will.243 Das Ersuchen kann aber auch bereits bei Einholen des schriftlichen Gutachtens an die Behörde gerichtet werden. Die Auswahl des Mitglieds, das die Kollegialbehörde vertritt, muss der Behörde 65 vorbehalten bleiben. Das von ihr erstattete Gutachten stellt in der Regel die Meinung der Mehrheit dar.244 Ein Mitglied, dessen Meinung in der Minderheit geblieben ist, wird deshalb in der Regel von der Behörde nicht benannt werden.245 Da es sich um ein 235 Roxin/Schünemann § 46, 24; Braun JR 2016 261, 262 f. m. w. N.; Meyer-Mews StraFo 2013 497, 500; s. a. SK/Velten 12 ff.

236 RG JW 1930 3417; vgl. LR/Becker § 244, 181 ff. 237 Gössel DRiZ 1980 374 nimmt dies wegen der Verschiedenartigkeit des Beweismittels an; zur Unterschiedlichkeit der Beweismittel vgl. Alsberg/Dallmeyer 522; Rn. 1.

238 So jetzt BGHSt 52 322 f.; a. A. Rogall FS Gössel 511, 526 f. 239 Bei mündlicher Erläuterung in der Hauptverhandlung hält auch Gössel DRiZ 1980 375 den § 244 Abs. 4 Satz 2 für anwendbar; er weist im Übrigen zu Recht darauf hin, dass auch bei Anwendbarkeit des § 244 Abs. 4 Satz 1 das Gericht die Ablehnung auf die durch das Behördengutachten gewonnene eigene Sachkunde stützen kann. 240 Dästner MDR 1979 545. 241 RGSt 39 141; Eb. Schmidt 13. 242 Hahn 870, 1348; Gössel DRiZ 1980 370 (streng akzessorisch); dazu Rogall FS Gössel 511, 516 ff. 243 KK/Diemer 12; Meyer-Goßner/Schmitt 28. 244 Es kann auch Kollegialbehörden geben, die Einstimmigkeit fordern. 245 Vgl. RGSt 44 400.

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Behördengutachten handelt, ist die Auswahl des Vertreters Sache der Behörde und nicht des Gerichts,246 das allenfalls die Beauftragung einer bestimmten Person anregen kann.247 Befugt zu dem Ersuchen ist nur das Gericht, nicht aber die anderen Verfahrensbe66 teiligten,248 die ein solches Ersuchen bei Gericht anregen können. Das Gericht ist an die von der Fachbehörde getroffene Wahl auch dann gebunden, wenn die Fachbehörde ohne ein solches richterliches Ersuchen ihm mitteilt, welches ihrer Mitglieder befugt ist, das Gutachten im Bedarfsfall zu vertreten. Es hat nicht die Möglichkeit, ein anderes Mitglied dieser Behörde zur Vertretung des Gutachtens zu laden.249 Die Fachbehörde wird durch § 256 nicht verpflichtet, dem Ersuchen stattzugeben, 67 selbst nicht unter den Voraussetzungen des § 75.250 Kommt sie dem Ersuchen nicht nach, so kann das Gericht zwar die ihr übergeordnete Behörde im Aufsichtsweg um Abhilfe ersuchen,251 solange aber kein Mitglied benannt ist, hat es nur die Wahl, sich mit der Verlesung des Gutachtens zu begnügen oder auf die Verlesung zu verzichten und einen anderen Sachverständigen zuzuziehen. 68

3. Der Beauftragte des Kollegiums. Der Beauftragte des Kollegiums hat in der Hauptverhandlung bei der mündlichen Erläuterung des Behördengutachtens die Funktion eines Sachverständigen.252 Er wird dabei aber für die Gutachten erstattende Behörde tätig, nicht als persönlicher Sachverständiger. Er kann deshalb nicht als Vertreter der Kollegialbehörde den Gutachtereid leisten.253 Seine Beeidigung kommt nur in Betracht, soweit er über die Erläuterung des Inhalts des Behördengutachtens hinaus als persönlicher Gutachter bestellt und tätig wird.254 Dann kann die Berufung auf den Diensteid nach § 79 Abs. 3 in Frage kommen, sofern die Gutachtenerstattung Dienstaufgabe der Fachbehörde ist.255 Eine Ablehnung des Behördengutachtens wegen Befangenheit der Behörde ist nicht möglich.256 Ob dagegen ihr Vertreter, der in der Hauptverhandlung

246 KMR/Paulus 31; Radtke/Hohmann/Pauly 22; SK/Velten 36; Ahlf MDR 1978 982; Gössel DRiZ 1980 375; Leineweber MDR 1980 7; Seyler GA 1989 546, 551. 247 Davon zu unterscheiden ist die Bestellung eines Behördenangehörigen als persönlichen Sachverständigen, vgl. Rn. 68. 248 RGSt 39 141; Gössel DRiZ 1980 375; KMR/Paulus 32; Meyer-Goßner/Schmitt 28. 249 RGSt 44 400; SK/Velten 36; Eb. Schmidt 13. 250 AK/Rüping 25; Meyer-Goßner/Schmitt 28; a. A. Gössel DRiZ 1980 375 (Behörde gem. § 75 zur Benennung verpflichtet); Seyler GA 1989 546, 550. 251 RGSt 44 400; KMR/Paulus 32. 252 Meyer-Goßner/Schmitt 28; Eb. Schmidt 13; ähnl. SK/Velten 36; a. A. Rogall FS Gössel 511, 517 ff., 522 f. (freibeweisliche Struktur). 253 KMR/Paulus 32; Gollwitzer FS Weißauer 23, 33; Gössel DRiZ 1980 376; Leineweber MDR 1980 9; Rogall FS Gössel 511, 523 f. 254 Zulässig, vgl. Gössel DRiZ 1980 376; AK/Rüping 25; KMR/Paulus 32; Jessnitzer/Ulrich 88. Das Behördengutachten bleibt daneben weiterhin verwertbar. Zum Erfordernis einer Aussagegenehmigung vgl. § 54, 5 ff.; ferner Ahlfs MDR 1978 982; Dästner MDR 1979 546; Gössel DRiZ 1980 375. 255 KMR/Paulus 33; Meyer-Goßner/Schmitt § 83, 5; Eb. Schmidt 13. 256 Ahlfs MDR 1978 983; Gössel MDR 1980 375; Rogall FS Gössel 511, 524; AK/Rüping 22; vgl. ferner Dästner MDR 1979 547; auch zur Verwendbarkeit eines Gutachtens, das behördenintern von einem Beamten erstellt wurde, der nach den für das Verwaltungshandeln maßgebenden Vorschriften (etwa §§ 20, 21 VwVfG) im konkreten Fall nicht hätte tätig werden dürfen; insoweit ist aber entscheidend, für welchen Zweck das Gutachten erstellt wurde. Zu den ähnlichen Fragen bei § 406 ZPO vgl. die einschlägigen Kommentare m. N. zur Rspr. sowie bei § 74.

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das Gutachten erläutert, nach § 72 abgelehnt werden kann, ist strittig,257 aber zu bejahen, da auch eine Behörde nur durch unbefangene Personen handeln darf.258 4. Monokratisch organisierte Behörden. Monokratisch organisierte Behörden fal- 69 len nicht unter § 256 Abs. 2. Aber auch hier ist es grundsätzlich Sache der Behörde, durch welchen Bediensteten sie sich bei der Erläuterung ihres Gutachtens in der Hauptverhandlung vertreten lässt.259 Der Beauftragte muss selbst sachkundig sein. Bei einem mehrere Sachgebiete umfassenden Behördengutachten müssen deshalb unter Umständen mehrere Behördenangehörige für die Vertretung des Gutachtens vor Gericht benannt werden.260 Für den Behördenvertreter gelten hinsichtlich Beeidigung und Ablehnung die gleichen Grundsätze wie beim Vertreter einer Kollegialbehörde.261

V. Revision 1. Verstoß gegen §§ 250, 256. Werden Erklärungen einer Behörde oder ärztliche 70 Zeugnisse verlesen, die nach § 256 nicht verlesen werden dürfen, so kann dieser Verfahrensfehler die Revision begründen,262 wenn das verlesene Schriftstück im Urteil für eine Sachentscheidung verwendet wurde und nicht nur im Freibeweisverfahren als Grundlage für eine Verfahrensentscheidung.263 Ein Verstoß gegen § 250 Satz 2 kann auch vorliegen, wenn ein nur zum Teil nach § 256 verlesbares Schriftstück vollständig verlesen wurde.264 Bei der Begründung der Rüge ist das verlesene Schriftstück genau zu bezeichnen und sein Inhalt soweit erforderlich, also ggf. vollständig mitzuteilen,265 und darzulegen, dass das Schriftstück für eine Sachentscheidung verwertet wurde, ohne dass § 256 oder eine andere Ausnahme von § 250 Satz 2 die Verlesung gestattet hat.266 Mitzuteilen ist ggf. auch, ob das Schriftstück im Zuge einer zeugenschaftlichen Vernehmung, mithin 257 OLG Hamm GA 71 (1927) 116; Dästner MDR 1979 545; Gössel DRiZ 1980 375 (Sachverständigenstellung) nehmen dies an; a. A. Ahlfs MDR 1978 981 (Erläuterung keine eigenverantwortliche Sachverständigentätigkeit, nur von untergeordneter Bedeutung, Vereinfachungszweck des § 256 in Frage gestellt); Leineweber MDR 1980 9 (Sache des Dienstherrn); Rogall FS Gössel 511, 525. Vgl. bei § 74. 258 SK/Velten 36. Vgl. §§ 20, 21 VwVfG und die vergleichbaren Vorschriften mit den für die Behörde jeweils maßgebenden Regelungen. Das Gericht, das die mündliche Anhörung angeordnet hat, muss begründeten Bedenken gegen den Behördenvertreter im eigenen Verfahren Rechnung tragen, auch wenn es dessen Auswahl nicht beeinflussen konnte. Dies kann schon deshalb nicht dem jeweiligen Verwaltungsverfahren überlassen bleiben, weil die im Strafverfahren Ablehnungsberechtigten nicht notwendig Beteiligte eines Verwaltungsverfahrens sind; selbst wenn dies der Fall wäre, könnten sie die fehlerhafte Beauftragung des betreffenden Bediensteten nur im Zusammenhang mit der Anfechtung der Hauptsache geltend machen; vgl. die Kommentare zu den §§ 20, 21 VwVfG; ferner Gollwitzer FS Weißauer 34. 259 Ahlfs MDR 1978 982; Gössel DRiZ 1980 374; Seyler GA 1989 546, 551; vgl. Rn. 29. 260 Vgl. LR/Cirener/Sander § 250, 32. 261 Ahlfs MDR 1978 982; vgl. Rn. 68, vor allem Fn. 256 f. 262 BGHSt 4 155; BGH NJW 1980 651; StV 1988 469; HK/Julius/Bär 22; KK/Diemer 13; Meyer-Goßner/ Schmitt 30; Radtke/Hohmann/Pauly 23; SK/Velten 37; SSW/Franke 13. 263 BGH NStZ-RR 1997 304 mit Hinweisen zur Rügebegründung; s. a. KK/Diemer 13. 264 BGHSt 4 155. 265 Vgl. BGH 3.12.1997 – 3 StR 599/97 (zit. bei Miebach NStZ-RR 1999 1, 5); 5.6.2013 – 1 StR 185/13; KK/ Diemer 13; OK-StPO/Ganter 23. 266 BGH StV 1990 345 (L); NStZ 2017 299; OLG Düsseldorf StV 1995 120 mit Anm. Hellmann; OLG Hamm NZV 2010 215; HK/Julius/Bär 22; vgl. Widmaier StraFo 2006 437, 40. Dies ist in jedem Fall ratsam, auch wenn ausweislich des Protokolls kein anderer Verlesungsgrund, insbesondere nicht § 251 Abs. 1 Nr. 1 vorlag. Vgl. auch BGH StraFo 2009 425.

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als Vorhalt, verlesen wurde267 und ob sein Urheber als Zeuge vernommen wurde.268 Wird behauptet, dass das verlesene Schriftstück nicht von einer Behörde stammt, kann das vom Revisionsgericht im Wege des Freibeweises geklärt werden.269 Soweit es um die Zulässigkeit der Verlesung, mithin die Eröffnung des gerichtlichen Ermessens geht, hängt die Zulässigkeit der Rüge auch nach der vorherrschenden Meinung nicht davon ab, dass gegen die Anordnung des Vorsitzenden das Gericht nach § 238 Abs. 2 angerufen wurde.270 Ob auszuschließen ist, dass das Urteil auf dem Verstoß beruht, ist im Einzelfall zu prüfen271 und etwa bei unzulässiger Verlesung eines ärztlichen Attests272 kaum zu verneinen. Bei einer urteilstragenden Tatsache kann dies nur ausgeschlossen werden, wenn feststeht, dass diese zugleich noch auf eine andere Weise zulässig und beweiskräftig273 in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist.274 Ein Verstoß gegen § 256 a. F. ist unschädlich, wenn die Revisionsentscheidung erst nach Inkrafttreten des 1. JuMoG ergeht und die Verlesung nach § 256 n. F. erlaubt gewesen wäre.275 71

2. § 261. § 261 ist verletzt, wenn das Gericht eine Urkunde zu Beweiszwecken verwendet hat, obwohl sie ausweislich des Protokolls nicht zu Beweiszwecken in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist, so auch, wenn danach nur Teile einer Äußerung oder eines Gutachtens verlesen wurden, das Urteil sich aber auf den Gesamtinhalt gründet.276 Der Verstoß gegen § 261 entfällt nicht etwa deshalb, weil der Inhalt des Gutachtens in der Hauptverhandlung erörtert und nicht bestritten worden ist.277

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3. Verletzung der Aufklärungspflicht. Als Verletzung der Aufklärungspflicht gem. § 244 Abs. 2 kann beanstandet werden, wenn sich das Gericht mit der Verlesung einer nach § 256 verlesbaren Urkunde begnügt, obwohl die Umstände des Einzelfalls es nahelegen, den Aussteller als Zeugen zu hören.278 Die Aufklärungspflicht kann aber auch verletzt sein, wenn das Gericht ein vorliegendes und nach § 256 verlesbares beweiser-

267 BGH StraFo 2009 152; NStZ 2010 466 f. 268 OLG Celle NStZ 2014 175, 176. 269 BGH VRS 44 (1973) 32, 39; OLG Düsseldorf StV 1983 273 mit Anm. Neixler; HK/Julius/Bär 22; MeyerGoßner/Schmitt 30.

270 BGH NStZ 2012 585, 586 f.; 2017 299; OLG Düsseldorf StV 1983 273 mit Anm. Neixler; StV 2015 542; Eisenberg (Beweisrecht) 2203; HK/Julius/Bär 24; KK/Diemer 11, 13; KMR/Paulus 34; Meyer-Goßner/Schmitt 30; OK-StPO/Ganter 23; SSW/Franke 13; offenlassend BGH StV 2015 534, 535; s. a. MüKo/Krüger 55. 271 Vgl. etwa BGH StV 1982 59 mit Anm. Schwenn (nur Rechtsfolgenausspruch); NStZ 2007 235; 2012 585; NStZ-RR 2004 20; KG StV 1983 273. 272 BGH StV 2007 569. 273 Die Bestätigung einer Tatsache nach Vorhalt reicht vor allem dann nicht, wenn der Betreffende deren Richtigkeit selbst gar nicht beurteilen kann, wie etwa bei der Feststellung des Blutalkoholgehalts, vgl. Rn. 49. 274 Vgl. OLG Düsseldorf StV 2007 518, 519 (Verlesung nur Hilfserwägung). 275 BayObLG NJW 2005 1592; vgl. allg. LR/Franke26 § 354a, 6 m. w. N. 276 BGH StV 1991 549; 2001 667; BayObLG 2003 152, 153; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1982 123; vgl. auch BGH NStZ 2010 466, 467. 277 A. A. OLG Düsseldorf StV 1995 210 mit abl. Anm. Hellmann. 278 BGHSt 1 96; 57 24, 27; BGH NStZ 1993 397; OLG Celle NStZ 2014 175, 176; OLG Karlsruhe Justiz 1981 404; vgl. BayVerfGH BayVBl. 2007 757, 758; KMR/Paulus 34; Meyer-Goßner/Schmitt 30; OK-StPO/Ganter 23; Radtke/Hohmann/Pauly 23; SSW/Franke 13; ferner HK/Julius/Bär 23 mit dem Hinweis auf mögliche negative Auswirkungen einer unterlassenen Antragstellung auf die Aufklärungsrüge; vgl. dazu LR/Becker § 244, 50; 362.

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hebliches Schriftstück nicht zu Beweiszwecken herangezogen279 oder nur zum Vorhalt280 benutzt hat.

§ 257 Befragung des Angeklagten und Erklärungsrechte nach einer Beweiserhebung (1) Nach der Vernehmung eines jeden Mitangeklagten und nach jeder einzelnen Beweiserhebung soll der Angeklagte befragt werden, ob er dazu etwas zu erklären habe. (2) Auf Verlangen ist auch dem Staatsanwalt und dem Verteidiger nach der Vernehmung des Angeklagten und nach jeder einzelnen Beweiserhebung Gelegenheit zu geben, sich dazu zu erklären. (3) Die Erklärungen dürfen den Schlußvortrag nicht vorwegnehmen. Schrifttum Burhoff Fragerecht, Erklärungsrecht und Schlußvortrag des Verteidigers in der Hauptverhandlung, ZAP 1984 831; Burkhard Erklärungsrecht des Verteidigers, § 257 Abs. 2 StPO, StV 2004 390; Dahs Vertretung des Angeklagten durch seinen Verteidiger bei Erklärungen gemäß § 257 StPO, NJW 1962 2238; Dahs Die Ausweitung des Widerspruchserfordernisses, StraFo 1998 253; Hammerstein Verteidigung in jeder Lage des Verfahrens, FS Salger (1995) 293; Hammerstein Die Grenzen des Erklärungsrechtes nach § 257, FS Rebmann (1989) 233; Hartwig Strafprozessuale Folgen des verspäteten Widerspruchs gegen eine unzulässige Beweisverwendung, JR 1998 359; Hohmann Das Erklärungsrecht von Angeklagtem und Verteidiger nach § 257 StPO, StraFo 1999 153; Kiel Neues Verwertungsverbot bei unverstandener Beschuldigtenbelehrung und neue Tücken für die Verteidigung, NJW 1999 1267; Kindhäuser Rügepräklusion durch Schweigen im Strafverfahren, NStZ 1987 529; Leipold Form und Umfang des Erklärungsrechts nach § 257 StPO und seine Auswirkungen auf die Widerspruchslösung des Bundesgerichtshofes, StraFo 2001 300; Meyer-Goßner/Appl Die Ausweitung des Widerspruchserfordernisses, StraFo 1998 258; E. Müller § 257 Abs. 3 StPO – Eine überflüssige Norm, FS Fezer (2008) 153; Salecker Das Äußerungsrecht des Angeklagten und seines Verteidigers gemäß § 257 StPO (2009); Wesemann Beanstandungs- und Erklärungsrechte zur Schaffung von Freiräumen der Verteidigung, StraFo 2001 293.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift bestand ursprünglich, als § 256, nur aus dem jetzigen Absatz 1 in einer etwas weiteren Fassung: „Nach der Vernehmung eines jeden Zeugen, Sachverständigen oder Mitangeklagten, sowie nach der Verlesung eines jeden Schriftstücks soll der Angeklagte befragt werden, ob er etwas zu erklären habe.“

Art. 7 Nr. 11 StPÄG dehnte 1964 das Erklärungsrecht auf Verteidiger und Staatsanwalt, jedoch ohne eine ausdrückliche Begrenzung auf die Beweisaufnahme vorzusehen, durch Einfügung eines § 257a aus, welcher lautete:

279 Vgl. LR/Becker § 244, 65 ff.; 368. 280 BGH StraFo 2006 291.

29 https://doi.org/10.1515/9783110274967-002

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„Auf Verlangen ist dem Staatsanwalt und dem Verteidiger Gelegenheit zur Abgabe von Erklärungen zu geben.“

Die Neufassung durch Art. 1 Nr. 12 des 1. StVRErgG 1974 hat diesen § 257a als Absatz 2 nach § 257 mit etwas einschränkendem Wortlaut übernommen, da beide Absätze nun klarstellen, dass sich die Erklärungen auf die vorhergehende Beweiserhebung („dazu“) beziehen müssen, während der neue Absatz 3 zur Vermeidung von Missbrauch ausdrücklich hervorhebt, dass die Schlussvorträge nicht vorweggenommen werden dürfen. Art. 1 Nr. 18 StVÄG 1987 hat Absatz 1 neu gefasst, um klarzustellen, dass der Angeklagte nach jeder Beweiserhebung und nicht nur nach den in der früheren Fassung aufgezählten Beweiserhebungsvorgängen befragt werden soll. Bezeichnung des Absatzes 1 bis 1924: § 256.

1. 2.

3.

4.

Übersicht Bedeutung der Vorschrift 1 Erklärungsrecht des Angeklagten (Absatz 1) 6 a) Berechtigte 6 b) Fragepflicht des Vorsitzenden 8 c) Einlassung zur Sache 11 Erklärungsrecht des Staatsanwalts und Verteidigers (Absatz 2) 12 a) Berechtigte 12 b) Keine Fragepflicht des Vorsitzenden 14 Grenzen des Erklärungsrechts 16 a) Zeitliche Grenzen 17

b) c)

5.

6. 7.

Sachliche Grenzen 20 Insbesondere: Keine Vorwegnahme der Schlussvorträge (Absatz 3) 23 d) Sonstiges 27 Verfahren 31 a) Sachleitungsbefugnis des Vorsitzenden 31 b) Anrufung des Gerichts 32 Protokoll 34 Revision 37

1. Bedeutung der Vorschrift. Das inhaltlich begrenzte Erklärungsrecht des Angeklagten nach Absatz 1 kann seine Anhörung zur Sache (§ 243 Abs. 5) ergänzen und steht zeitlich zwischen dem Fragerecht an Zeugen und Sachverständige (§§ 240 Abs. 2, 241a Abs. 2) und den Schlussvorträgen (§ 258). Die Möglichkeit, unmittelbar nach jeder Vernehmung eines Mitangeklagten und nach jeder Beweiserhebung – und nicht erst nach Abschluss der gesamten Beweisaufnahme – zu dieser Stellung zu nehmen, war als Ersatz für die frühere Spezialinquisition und Gewährleistung einer „richtigen kontradiktorischen Behandlung der Beweise“ gedacht.1 Die spätere Einräumung eines entsprechenden Erklärungsrechts für Staatsanwalt und Verteidiger durch Absatz 2 ist folgerichtig. Der Zweck der Vorschrift liegt aus heutiger Sicht in der Sicherung der Mitwirkungsrechte und damit der Subjektstellung der Beteiligten (Rn. 2),2 womit zugleich dem Gebot eines fairen Verfahrens Rechnung getragen wird, sowie in der Förderung der Sachaufklärung (Rn. 3). 2 Absatz 1 trägt zur Erfüllung des Anspruchs des Angeklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK)3 und, ebenso wie das Erklärungsrecht des Verteidigers aus Absatz 2, auf effektive Verteidigung bei, die somit nicht auf eine bloße 1

1 Vgl. Hahn 864. 2 Vgl. BVerfGE 64 135, 144; HK/Julius/Bär 1; KMR/Stuckenberg 3; MüKo/Cierniak/Niehaus 2; Hammerstein FS Rebmann 233 f.; Hohmann StraFo 1999 153, 154. 3 Vgl. AK/Rüping 2; HK/Julius/Bär 1; KK/Diemer 1; KMR/Stuckenberg 1, 3; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/ Cierniak/Niehaus 2; OK-StPO/Eschelbach 1; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 1; SK/Velten 2; SSW/Franke 1; Eisenberg (Beweisrecht) 802; Hamm 1098; Dahs NJW 1962 2238, 2240; Schroeder NJW 1987 301, 302.

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„Schlussverteidigung“ beschränkt ist. Die Bedeutung der Vorschrift liegt dabei weniger in der Gewährung des rechtlichen Gehörs überhaupt (dies sichert § 258), sondern gerade zu dem Zeitpunkt, in dem die Anhörung für die Verteidigung regelmäßig am wirkungsvollsten ist.4 Eine unmittelbar dem Beweismittel oder der Äußerung des Mitangeklagten folgende Stellungnahme ist eindrucksvoller und wirksamer als eine erst später abgegebene, weil der Sinneseindruck vom jeweiligen Beweismittel allen Beteiligten noch unmittelbar präsent ist.5 Darin liegt namentlich bei umfangreichen und langwierigen Verfahren ein großer Vorzug im Vergleich zum viel späteren Schlussvortrag.6 Außerdem ist so auch die Gefahr am geringsten, dass der Angeklagte – ebenso wie nach Absatz 2 Verteidiger und Staatsanwalt – später eine für notwendig erachtete Stellungnahme zu einer Vernehmung oder verlesenen Schrift versehentlich unterlässt. Zugleich kann mit einer unmittelbar anschließenden Erklärung der vorschnellen Festlegung des Gerichts auf vorläufige Beweisergebnisse entgegengewirkt7 sowie ein „offenes Rechtsgespräch“ mit dem Gericht8 – worauf allerdings kein Anspruch besteht (Rn. 33) – angeregt werden. Schließlich werden die Schlussvorträge entlastet und Wiederholungen vermieden. Weiterhin kann die unmittelbare Stellungnahme des Angeklagten sowie von Staats- 3 anwalt und Verteidiger auch die Sachaufklärung fördern9 auf zweifache Weise: Indem § 257 sogleich im Anschluss an jede Beweiserhebung Klarstellungen, Ergänzungen oder Korrekturen durch die Prozessbeteiligten erlaubt, können zum einen neue Gesichtspunkte und Zusammenhänge oder Widersprüche aufgezeigt und so der weitere Gang der Beweisaufnahme in geeigneter Weise beeinflusst werden – was nicht möglich wäre, wenn solche Hinweise erst im Schlussvortrag zur Sprache kommen dürften. Zum anderen kann die Erklärung des Angeklagten seine Vernehmung zur Sache (§ 243 Abs. 5 Satz 2) ergänzen und damit insoweit selbst zum Beweismittel werden (Rn. 11). Absatz 3 will der Gefahr eines Missbrauchs der Erklärungsrechte für verfahrens- 4 fremde Zwecke, insbesondere der Gefahr einer Verfahrensverschleppung durch uferlose Erklärungen, vorbeugen. Die Neufassung hat deshalb bewusst die Erklärungen auf den vorhergehenden Akt der Beweisaufnahme beschränkt und die Vorwegnahme der Schlussvorträge ausdrücklich verboten, was auf den ersten Blick einleuchtend erscheint, aber in der praktischen Handhabung einige Schwierigkeiten aufwirft (Rn. 21 ff.). Eine weitere Funktion ist § 257 durch die Rechtsprechung zugewiesen worden als 5 spätester Zeitpunkt eines Widerspruchs gegen die Verwertbarkeit von Beweismitteln,10 ohne dass dies in Wortlaut und Zielsetzung der Vorschrift eine Stütze fände. Die Rechtsprechung knüpft ihre umstrittene Widerspruchslösung an § 257 wohl nur an, weil das dort vorgesehene Recht, zur jeweiligen Beweiserhebung Stellung zu nehmen, nahelegt, sich dabei auch auf die Mängel einer früheren Einvernahme und ein sich daraus ergebendes relatives Beweisverwertungsverbot zu berufen. Die Einzelheiten dieser prae-

4 Dahs (Hdb.) 526; Hammerstein FS Rebmann 233 (Verteidigungsrecht mit ähnlichem, wenn nicht höherem Stellenwert als § 258); Hohmann StraFo 1999 153 f. (mit Hinweis auf zu seltene Nutzung durch Verteidiger); OK-StPO/Eschelbach 1; s. a. Burkhard StV 2004 390, 395. 5 Hahn 864; KMR/Stuckenberg 1; LR/Gollwitzer25 1. 6 Burkhard StV 2004 390, 395. 7 Hammerstein FS Rebmann 233, 234; HK/Julius/Bär 1; KMR/Stuckenberg 2; OK-StPO/Eschelbach 1; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 2; SK/Velten 2. 8 HK/Julius/Bär 2; Hohmann StraFo 1999 153, 154. 9 HK/Julius/Bär 1; KMR/Stuckenberg 2, 3; Meyer-Goßner/Schmitt 1; SSW/Franke 1; Schlothauer StV 1994 468, 469; diff. SK/Velten 2 f. 10 Vgl. BGHSt 38 214; 39 349, 352; 42 15, 22 f.; 50 272, 274; 52 38, 41 f.

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ter legem entwickelten Einschränkung eines praeter legem anerkannten Beweisverbots sind bei den jeweiligen Beweisverboten erörtert.11 2. Erklärungsrecht des Angeklagten (Absatz 1) a) Berechtigte. Nur dem Angeklagten persönlich steht das Erklärungsrecht des Absatzes 1 zu. Eine Vertretung des anwesenden Angeklagten durch den Verteidiger oder durch eine andere Person ist nicht möglich12 und im Hinblick auf die in Absatz 2 geregelten eigenen Rechte des Verteidigers auch nicht nötig. Dem Angeklagten verfahrensrechtlich gleichstehende Personen sollen insoweit 7 ebenfalls nach § 257 Abs. 1 befragt werden. Nebenbeteiligte haben im Rahmen ihrer Beteiligung (§ 427 Abs. 1 Satz 1, § 435 Abs. 3 Satz 2, § 438 Abs. 3 Satz 1) das Recht zur persönlichen Abgabe von Erklärungen nach § 257 Abs. 1.13 Nach § 67 Abs. 1 JGG steht auch den Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertretern im Verfahren gegen Jugendliche – nicht aber gegen Heranwachsende (§ 109 Abs. 1 JGG)14 – das Erklärungsrecht nach Absatz 1 zu.15 Denn dieses umfasst nicht nur die allein dem Angeklagten zukommende Möglichkeit einer weiteren Einlassung zur Sache, sondern auch die Befugnis zu argumentativer Auseinandersetzung mit dem Beweisergebnis. Es ist kein Grund ersichtlich, warum diese entgegen dem Wortlaut des § 67 JGG den Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertretern vorenthalten werden sollte.

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b) Fragepflicht des Vorsitzenden. Der Angeklagte, der bereits während der Beweisaufnahme durch Ausübung seines Fragerechts (§ 240) das Wissen der vernommenen Person für seine Verteidigung nutzen kann, hat zusätzlich das Recht, nach der Vernehmung dazu Stellung zu nehmen. Damit er aus Unkenntnis oder Befangenheit nicht auf diese Verteidigungsmöglichkeit verzichtet, sieht Absatz 1 vor, dass er nach jeder Beweiserhebung ausdrücklich „dazu“ befragt werden soll. Die grundsätzliche Verpflichtung (Rn. 9) des Vorsitzenden nach Absatz 1, den Angeklagten zu befragen, ob er sich äußern wolle, setzt ein Äußerungsrecht des Angeklagten als bestehend voraus; seine Befugnis dazu hängt nicht davon ab, dass ihn der Vorsitzende dazu auffordert. Die ausdrückliche Frage nach einer Stellungnahme aktualisiert als Maßnahme der Prozessleitung nur den Zeitpunkt der Ausübung; auch ohne eine solche Aufforderung ist der Angeklagte berechtigt, sich nach Abschluss des jeweiligen Beweiserhebungsvorgangs von 11 Näher LR/Gössel Einl L 53 ff.; LR/Gleß § 136, 82 ff.; MüKo/Cierniak/Niehaus 19 ff.; OK-StPO/Eschelbach 20 ff.; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 24 ff.; s. a. Meyer-Goßner/Appl StraFo 1998 258, 262 f.; Dahs StraFo 1998 253 ff.; Leipold StraFo 2001 300, 301 ff.; Burhoff StraFo 2003 267 ff.; Velten FS Grünwald 753 ff., alle m. w. N. 12 RGSt 44 284, 285; 64 164, 165; BGH NStZ 2000 439; KMR/Stuckenberg 11; OK-StPO/Eschelbach 8; Eb. Schmidt 1; Weber Der Verteidiger als Vertreter in der Hauptverhandlung (1982) 167; dagegen SK/Velten 3; Dahs NJW 1962 2238 ff. (zur Rechtslage vor dem StPÄG 1964); s. a. Leipold StraFo 2001 300, 301. 13 KK/Diemer 1; KMR/Stuckenberg 12; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Cierniak/Niehaus 4; OK-StPO/ Eschelbach 2; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 1; SSW/Franke 3; Salecker 72 f.; a. A. SK/Velten 3 (nur nach Absatz 2). 14 HK/Julius/Bär 13; KMR/Stuckenberg 12. 15 Strittig; wie hier AK/Rüping 3; HK/Julius/Bär 13; KMR/Stuckenberg 12; MüKo/Cierniak/Niehaus 4; OKStPO/Eschelbach 3; Eb. Schmidt 4; SSW/Franke 3; ferner Diemer/Schatz/Sonnen § 67, 20 JGG; Eisenberg (Beweisrecht) 803; Eisenberg § 67, 9 JGG; HK-JGG/Schatz § 67, 23 JGG (mit Verweis auf BVerfGE 107 104); MüKo-JGG/Kaspar, § 67, 12; Ostendorf § 67, 11 JGG; Salecker 72; a. A. BGH bei Spiegel DAR 1977 176; KK/ Diemer 2; Meyer-Goßner/Schmitt 3; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 1; SK/Velten 3; Brunner/Dölling § 67, 6 JGG.

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sich aus dazu zu äußern. Formal muss er dann allerdings von sich aus beantragen, dass ihm das Wort dafür erteilt wird. Absatz 1 ist zwar dem Wortlaut nach eine Sollvorschrift, die einen Hinweis des 9 Vorsitzenden auf das Äußerungsrecht nicht zwingend vorschreibt, sondern in das durch den Regelungszweck gebundene Ermessen des Vorsitzenden stellt.16 Da es sich aber um die gesetzliche Konkretisierung einer Pflicht zur Sicherung einer effektiven Gewährung des Rechts des Angeklagten auf Gehör handelt und zudem auch die Aufklärungspflicht es nahelegt, festzustellen, ob und was der Angeklagte zur Beweiserhebung zu sagen hat, wäre es in der Regel mit einer pflichtgemäßen Ermessensausübung unvereinbar, wenn der Vorsitzende von einem solchen Hinweis überhaupt absehen wollte. Sein Ermessen reduziert sich hier darauf, ob er, was zweckmäßig ist, die Frage an den Angeklagten nach jedem Akt der Beweisaufnahme wiederholt oder ob er, was zulässig, aber nur in Ausnahmefällen angezeigt und bei rechtsunkundigen oder unverteidigten Angeklagten bedenklich ist,17 sich darauf beschränken will, den Hinweis allgemein zu erteilen, etwa bei Beginn der Verhandlung oder vor der Beweisaufnahme.18 Allenfalls bei Vorliegen triftiger Gründe, welche jede Befragung von vornherein als zwecklose Formalität erscheinen lassen, darf der Vorsitzende davon absehen,19 so, wenn der Angeklagte eindeutig zu erkennen gegeben hat, dass er sich in keinem Fall äußern werde. Zu verhindern ist stets, dass der Angeklagte bloß „aus Schüchternheit“ oder Scheu, „in den Gang der Verhandlung einzugreifen“,20 auf eine Erklärung verzichtet. Dass der Angeklagte von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, rechtfertigt für 10 sich allein das Absehen von der Befragung nicht, da das Schweigen zur Sache eine Stellungnahme zu den einzelnen Beweiserhebungen nicht ausschließt.21 Die Befragung des Angeklagten wird nicht schon dadurch überflüssig, dass sich bereits sein Verteidiger zu dem Beweisvorgang erklärt hat.22 Der nach § 247 während einer Zeugenvernehmung von der Verhandlung ausgeschlossene Angeklagte ist nach der Unterrichtung gem. § 247 Satz 4 zu befragen (Rn. 18). Auch eine aggressive Wortwahl des Angeklagten erlaubt noch keine Ordnungsmittel (Rn. 31). c) Einlassung zur Sache. Der Angeklagte kann den Zeitpunkt des § 257 auch nut- 11 zen, um sich erstmals zur Sache einzulassen oder seine frühere Sachaussage zu erläutern, zu ergänzen oder zu korrigieren.23 Für die Beachtlichkeit einer solchen Einlassung zur Sache ist es nicht entscheidend, ob sie den Bezug zur vorangegangenen Beweisaufnahme wahrt oder ob sie darüber hinausgeht, denn solche Äußerungen des Angeklagten sind unabhängig von der Verfahrenslage immer vom Gericht zu beachten und bei der Urteilsfindung zu verwerten. Wenn sie außerhalb des Rahmens des § 257 liegen, hat dies nur insofern Bedeutung, als die Erklärung dann zu einer ergänzenden Vernehmung wird 16 KMR/Stuckenberg 13; LR/Gollwitzer25 14; MüKo/Cierniak/Niehaus 6; OK-StPO/Eschelbach 2; Radtke/ Hohmann/Forkert-Hosser 6; SK/Velten 4; a. A. AK/Rüping 5 (wegen Art. 103 Abs. 1 GG zwingendes Recht); Eisenberg (Beweisrecht) 802. 17 KMR/Stuckenberg 13; SK/Velten 4. 18 Meyer-Goßner/Schmitt 2. 19 Meyer-Goßner/Schmitt 2; MüKo/Cierniak/Niehaus 6; OK-StPO/Eschelbach 2; SSW/Franke 2. 20 Hahn 864. 21 KMR/Stuckenberg 14; MüKo/Cierniak/Niehaus 7; vgl. BGH StV 1985 2 f. (zu § 240). 22 KMR/Stuckenberg 14; Meyer-Goßner/Schmitt 2; MüKo/Cierniak/Niehaus 7; Radtke/Hohmann/ForkertHosser 10. 23 Hahn 864; RGSt 44 284, 285; RG GA 46 (1898/99) 434 f.; KMR/Stuckenberg 15; MüKo/Cierniak/Niehaus 14; Hamm 1099; vgl. auch Hammerstein FS Rebmann 233, 239; zur problematischen Praxis der durch den Verteidiger übermittelten Sacheinlassung OK-StPO/Eschelbach 8 m. w. N.

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und, wie bei der erstmaligen Einlassung zur Sache, eine andere Sachbehandlung auslösen kann. Enthält die Erklärung des Angeklagten Tatsachenangaben, wird sie Teil seiner Gesamteinlassung, die das Gericht nach § 261 zu berücksichtigen und dann in den Urteilsgründen anzugeben hat,24 wobei eine erstmalige Einlassung im Rahmen des § 257 in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen ist (Rn. 35). Das Gericht ist ferner berechtigt, ihm bei der Befragung nach § 257 Vorhalte zu machen oder Fragen zu stellen, ohne jedoch die Vernehmung zur Sache nach § 243 Abs. 5 dadurch ersetzen zu dürfen.25 3. Erklärungsrecht des Staatsanwalts und Verteidigers (Absatz 2) a) Berechtigte. Staatsanwalt und Verteidiger haben im gleichem Umfang („auch“) wie der Angeklagte das Recht, Erklärungen abzugeben. Dem Staatsanwalt stehen Privat- (§ 385 Abs. 1 Satz 1) und Nebenkläger (§ 397 Abs. 1 Satz 3) gleich.26 Bei mehreren Sitzungsvertretern der Staatsanwaltschaft ist jeder von ihnen erklärungsbefugt.27 Der Verteidiger, ebenso der Prozessbevollmächtigte eines Nebenbeteiligten 13 (§ 434),28 ist aus eigenem Recht und daher unabhängig vom Willen des Angeklagten erklärungsbefugt, selbst wenn sein Mandant die Einlassung zur Sache verweigert. Der Verteidiger wird dadurch nicht gehindert, Erklärungen für das Schweigen seines Mandanten abzugeben sowie darüber, wie sich der Sachverhalt aus der Sicht der Verteidigung darstellt. Das Erklärungsrecht besteht nach jeder Vernehmung eines Angeklagten und nach jedem Akt der Beweisaufnahme für alle dazu Berechtigten, bei mehreren Angeklagten also bei Vernehmung jedes Angeklagten für alle Verteidiger. Hat ein Angeklagter mehrere Verteidiger, hat jeder von ihnen das Recht.29 12

b) Keine Fragepflicht des Vorsitzenden. Staatsanwalt und Verteidiger braucht der Vorsitzende nicht von sich aus zu fragen, ob sie eine Erklärung nach Absatz 2 abgeben wollen. Er muss ihnen nur Gelegenheit dazu geben, wenn sie sich zu Wort melden.30 Äußern dürfen sie sich erst, wenn der Vorsitzende ihnen ausdrücklich oder stillschweigend das Wort erteilt hat;31 § 257a ist nicht anwendbar. In der relativ geringen Zeitspanne, die § 257 eröffnet (Rn. 17), können die Erklä15 rungsberechtigten nach Absatz 2 selbst entscheiden, wann sie sich dafür zu Wort melden wollen,32 sofern der Vorsitzende den genauen Zeitpunkt dafür nicht durch eine entsprechende Frage von sich aus vorgibt.33 Dazu ist er kraft seiner Sachleitungsbefugnis (§ 238 Abs. 1) berechtigt; sein Gestaltungsraum ist aber ebenfalls durch den Zweck des

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24 OLG Bremen StV 1987 429, 430; OLG Hamburg StV 1990 153, 154; HK/Julius/Bär 6; KMR/Stuckenberg 4; Meyer-Goßner/Schmitt 1.

25 BGH NStZ 1986 370, 371. 26 BGHSt 28 272, 274; OLG Hamburg StV 1990 153, 154; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/Cierniak/Niehaus 5; OK-StPO/Eschelbach 13.

27 Meyer-Goßner/Schmitt 5; OK-StPO/Eschelbach 13; SK/Velten 5; SSW/Franke 5. 28 HK/Julius/Bär 3; KK/Diemer 3; KMR/Stuckenberg 17; Meyer-Goßner/Schmitt 3; SK/Velten 5; Gollwitzer FS Schäfer 65, 79.

29 Meyer-Goßner/Schmitt 5; OK-StPO/Eschelbach 13; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 12; SK/Velten 5; SSW/Franke 5.

30 BGH NStZ 2007 234, 235. 31 Meyer-Goßner/Schmitt 5; Burkhard StV 2004 390, 392. 32 Zu prozesstaktischen Überlegungen vgl. SK/Velten 9; Hammerstein FS Rebmann 233, 235; s. a. Hohmann StraFo 1999 153, 154; Burkhard StV 2004 390, 391. 33 Kleinknecht JZ 1965 159.

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§ 257 Abs. 2 begrenzt. Aus § 257 Abs. 2 folgt im übrigen auch seine Pflicht, eine Äußerung zur vorangegangenen Beweiserhebung zu gestatten.34 4. Grenzen des Erklärungsrechts. Anders als § 256 a. F. und § 257a a. F. sieht § 257 16 in der seit 1974 geltenden Fassung neben einer zeitlichen („nach“ der Beweiserhebung) auch eine inhaltliche Beschränkung („dazu“) vor, die durch Absatz 3 verstärkt wird, der eine Vorwegnahme der Schlussvorträge verbietet. a) Zeitliche Grenzen. Die Erklärung darf, wie Absatz 1 und 2 formulieren, nur 17 „nach“ der Vernehmung eines jeden Mitangeklagten und „nach“ jeder einzelnen Beweiserhebung zu dieser abgegeben werden, also nur zwischen der Beendigung des eigentlichen Beweiserhebungsvorgangs35 und dem Beginn einer neuen Beweiserhebung oder dem Abschluss der Beweisaufnahme ausgeübt werden. Ein Eingriff in eine noch laufende Vernehmung durch Abgabe einer „Zwischenerklärung“ ist nicht gestattet.36 Solange nicht in eine neue Beweiserhebung eingetreten ist, ist eine vom Vorsitzenden nicht angeforderte Erklärung zum vorangegangenen Beweiserhebungsvorgang auch später noch möglich. Insoweit ist es dann unerheblich, ob die Beweisperson schon nach § 248 entlassen wurde. Dass der Angeklagte der Entlassung zugestimmt hat (§ 248 Satz 2), schließt sein Erklärungsrecht nicht aus. Das Fragerecht nach § 240, das während der Vernehmung einer Beweisperson aus- 18 zuüben ist, darf auch nicht dazu missbraucht werden, Erklärungen nach § 257 schon vor Abschluss der jeweiligen Beweiserhebung abzugeben; der Vorsitzende kann dies gem. §§ 240 Abs. 2, 241a Abs. 2 unterbinden. Der Unterschied zum Fragerecht hat nicht nur wegen des unterschiedlichen Gegenstands der Äußerungen Bedeutung, sondern auch für den Verfahrensgang: Wenn nach § 247 eine Beweisaufnahme ohne den Angeklagten durchgeführt würde, kann er nach seiner Wiederzulassung und Unterrichtung über die Aussage zunächst sein Fragerecht ausüben; erst wenn nach Beantwortung aller Fragen das Gericht den jeweiligen Beweiserhebungsvorgang endgültig abgeschlossen hat, ist Raum für das Erklärungsrecht.37 Ist der Verteidiger oder sonst ein Äußerungsberechtigter auf Grund besonderer, von 19 ihm nicht zu vertretender Umstände außerstande, sich sofort dazu zu erklären, etwa weil in einer umfangreichen Sache eine Zeugeneinvernahme unerwartet vorgezogen wurde, kann dies einen Antrag auf Unterbrechung oder Aussetzung (§ 265 Abs. 4) rechtfertigen.38 Im Hinblick auf das Erfordernis einer zügigen Verfahrensabwicklung ist immer zu prüfen, ob es nicht genügt, die Erklärung zu dem betreffenden Beweisvorgang später, und sei es in den Schlussvorträgen, nachzuholen. b) Sachliche Grenzen. Das Erklärungsrecht gilt, wie die Fassung von 1987 klar- 20 stellt,39 für alle Arten der Beweiserhebung einschließlich Augenscheinsnahme und Verfahren nach § 249 Abs. 2 sowie Vernehmung der (Mit-)Angeklagten. 34 Burkhard StV 2004 390, 392. 35 HK/Julius/Bär 4; KMR/Stuckenberg 7; LR/Gollwitzer25 7, 18; MüKo/Cierniak/Niehaus 17; OK-StPO/ Eschelbach 4; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 15; SSW/Franke 2; Hammerstein FS Rebmann 233, 235; näher Hohmann StraFo 1999 153, 154 f.; Burkhard StV 2004 390, 391. 36 RG Recht 1924 Nr. 1607; KMR/Stuckenberg 7; MüKo/Cierniak/Niehaus 17. 37 Vgl. BGH NJW 1985 1478, 1479. 38 HK/Julius/Bär 9; Odenthal NStZ 1988 540 f.; großzügiger Burkhard StV 2004 390, 391 f.; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 14. 39 BTDrucks. 10 1313 S. 29.

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Die Erklärung muss thematisch den unmittelbar vorangegangenen Akt der Beweisaufnahme, einschließlich der Vernehmung der Angeklagten zur Sache (dazu näher Rn. 29), betreffen.40 Erklärungen, welche jeden Bezug „dazu“ vermissen lassen, gestattet § 257 nicht. Zweck der Erklärung ist vielmehr, die Aufmerksamkeit des Gerichts auf solche Gesichtspunkte zu lenken, die der Erklärende für entscheidungserheblich hält und die ihm deshalb als Ergebnis der jeweiligen Beweiserhebung besonders beachtenswert erscheinen. Diese können sich sowohl aus dem letzten Beweismittel für sich allein genommen, z. B. seine Zulässigkeit und Verwertbarkeit, seinen Beweiswert (Glaubwürdigkeit eines Zeugen, innere Widersprüche einer Aussage, Echtheit einer Urkunde, Sachkunde eines Sachverständigen usw.) und etwaige materiell-rechtliche Konsequenzen als auch aus der Bedeutung des letzten Beweismittels im Zusammenhang mit früheren Beweiserhebungen,41 etwa deren Bestätigung, Widerspruch oder Modifikation, ergeben. 22 Das Erklärungsrecht der Verfahrensbeteiligten besteht sodann nur, soweit der jeweils abgeschlossene Verfahrensvorgang eigene Verfahrensinteressen des Erklärenden (im weit verstandenen Sinn) und nicht etwa nur die eines Mitangeklagten berühren kann.42 Vermag der Erklärende einen solchen Bezug nicht aufzuzeigen und äußert er sich nur zu einer ihn in keiner Hinsicht betreffenden Beweisaufnahme, so ist ihm das Wort zu entziehen. 21

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c) Insbesondere: Keine Vorwegnahme der Schlussvorträge (Absatz 3). Eine Vorwegnahme der Schlussvorträge ist, wie Absatz 3 anordnet, unzulässig. Zweck der Vorschrift ist, einem sachlich nicht erforderlichen Ausufern der Erklärungen vorzubeugen, Missbrauch zu verhindern und das Verbot der Vorwegnahme der Beweiswürdigung auch gegenüber den erklärungsberechtigten Beteiligten zu sichern. Das Beweisergebnis dürfe nicht abschließend gewürdigt werden, wenn noch andere Beweisaufnahmen bevorstünden.43 Absatz 3 fügt der thematischen Beschränkung der Absätze 1 und 2 nichts hinzu, was nicht aus diesen bereits vernünftigerweise ableitbar wäre, ist also am besten als deren Bekräftigung zu verstehen. Eine Erklärung nach § 257 und ein Schlussvortrag nach § 258 unterscheiden sich durch den Zeitpunkt im Verfahrensgang und haben daher, außer nach der letzten Beweiserhebung, unterschiedliche Bezugspunkte: zum einen die noch andauernde, zum anderen die abgeschlossene Beweisaufnahme.44 Die Erklärung nach § 257 soll sich mit einem einzelnen, eben dem letzten Beweismittel befassen, dieses für sich allein und, sofern nötig, im Vergleich mit allen damit zusammenhängenden anderen Beweismitteln sowie dessen Bedeutung für die weitere Beweisaufnahme würdigen („Spezialwürdigung“45). Der Schlussvortrag hingegen erlaubt eine umfassende und endgültige Würdigung aller erhobenen Beweise („Gesamtwürdigung“); zusätzlich werden noch Folgerungen für die gerichtliche Entscheidung gezogen sowie weitere da-

40 BTDrucks. 7 2989 S. 8; krit. Hanack FG H. Schultz 299, 308 f. 41 HK/Julius/Bär 5; KMR/Stuckenberg 8; Meyer-Goßner/Schmitt 8; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 11; SK/Velten 7; Burhoff Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung8 (2016) 1467 f.; Salecker 64; Hammerstein FS Rebmann 233, 234 f. („Erklärungsketten“), 237 f. (mit vielen Beispielen); Hohmann StraFo 1999 153, 154 ff.; Burkhard StV 2004 390, 393 f.; Wesemann StraFo 2001 293, 298 f. 42 KMR/Stuckenberg 8. 43 BTDrucks. 7 2989 S. 8; s. a. H. J. Vogel NJW 1975 1217, 1225; Weber GA 1975 289, 297; Rudolphi JA 1979 1, 6; näher Fahl 389 ff. m. w. N. 44 Dass vor Abschluss der Beweisaufnahme kein Schlussvortrag im eigentlichen Sinne gehalten werden kann, so Burkhard StV 2004 390, 393 f., liegt auf der Hand und ist daher ersichtlich nicht gemeint. 45 Ausdruck von Hammerstein FS Rebmann 233, 237.

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für erhebliche Fragen etwa zur Person des Angeklagten oder zur Strafzumessung erörtert.46 Es wäre ein Missverständnis, aus Absatz 3 zu folgern, dass eine Erklärung nach 24 § 257 Abs. 1 und 2 niemals auf andere zuvor erhobene Beweismittel eingehen dürfte, da unbestritten eine Erklärung zum gerade erhobenen Beweismittel dieses auch in den Zusammenhang mit einzelnen oder allen vorherigen Beweiserhebungen stellen (Rn. 20) – sonst ließen sich nicht einmal Widersprüche verschiedener Zeugenaussagen aufweisen47 – und Folgerungen für den weiteren Gang der Beweisaufnahme aufzeigen können muss, was ein Eingehen auf andere Beweismittel unumgänglich macht.48 Wäre das nicht möglich, würde das Erklärungsrecht als effektives Verteidigungsmittel drastisch entwertet. Der Vorschrift ist ferner keine Beschränkung auf wenige Sätze49 zu entnehmen, die freilich sowohl im Interesse der Verfahrensbeschleunigung als auch der Verteidigung50 empfehlenswert sein mag; vielmehr hängt der Umfang der Erklärung davon ab, was sachlich geboten ist.51 Unnötige Wiederholungen und sachferne Weitschweifigkeiten sind dabei freilich unzulässig.52 Vielmehr bestätigt Absatz 3, dass diejenigen Elemente, die im Schlussvortrag üb- 25 lich – da er inhaltlich rechtlich nicht näher bestimmt ist –, aber nicht in nachvollziehbarer Weise mit einer Erklärung „zu“ dem jeweils letzten Beweismittel verbunden sind, nicht in einer Erklärung nach § 257 enthalten sein dürfen. Unzulässig sind folglich sowohl Ausführungen, die sich vorrangig mit anderen als dem letzten Beweismittel, das nur als Einstieg angesprochen wird, befassen als auch längere Folgerungen53 für Schuldund ggf. Strafausspruch nebst Ausführungen zur Strafzumessung. Ausgeschlossen sind erst recht Erklärungen nach Art54 eines Schlussvortrags mit dem erklärten Ziel, nach einer – oder gar nach jeder – einzelnen Beweiserhebung ein vorläufiges „Zwischenergebnis“ im Sinne einer Bestandsaufnahme der gesamten bisherigen Beweisaufnahme zu formulieren. Auch nach der erkennbar letzten Beweiserhebung ist der Ort für eine nun, wenn eine Fortsetzung der Beweisaufnahme nicht zu erwarten steht, faktisch mögliche Gesamtschau nicht die Erklärung nach § 257, sondern der Schlussvortrag. Den Kritikern55 des § 257 Abs. 3 ist zuzugeben, dass die Erklärung zu einem einzel- 26 nen Beweismittel, dessen Beweiswert etwa in mannigfacher Weise mit allen vorherigen 46 Vgl. Hammerstein FS Rebmann 233, 237; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 19; SK/Velten 7; SSW/Franke 6.

47 Zutr. Burkhard StV 2004 390, 393. 48 Dies als „Gesamtwürdigung“ zu bezeichnen, so Burkhard StV 2004 390, 393 f., ist misslich, weil mehrdeutig: Zwar kann erforderlichenfalls auf alle bisherigen Beweismittel eingegangen werden (insofern durchaus „Gesamtwürdigung“), doch soll § 257 nicht dazu benutzt werden, nach jeder Beweiserhebung eine Zwischensumme zu ziehen (insofern keine – vorläufige – „Gesamtwürdigung“), Rn. 25. 49 So aber tendenziell LR/Gollwitzer25 20; dagegen Hammerstein FS Rebmann 233, 236, 238, 239; Hohmann StraFo 1999 153, 154; Burkhard StV 2004 390, 396; Fahl 392; Salecker 66. 50 Dahs (Hdb.) 528; Hohmann StraFo 1999 153, 156. 51 HK/Julius/Bär 5; KMR/Stuckenberg 10; SK/Velten 7; SSW/Franke 6; Eisenberg (Beweisrecht) 805a; Hammerstein FS Rebmann 233, 236, 238; Hohmann StraFo 1999 153, 154; Burkhard StV 2004 390, 393, 396. 52 BTDrucks. 7 2989 S. 8; RGSt 44 284, 285; vgl. Hammerstein FS Rebmann 233, 238. 53 HK/Julius/Bär 5; Hammerstein FS Rebmann 233, 237; a. A. Hohmann StraFo 1999 153, 155; Burkhard StV 2004 390, 394. 54 Vgl. oben Fn. 44. 55 Schmidt-Leichner NJW 1975 417, 420; Hammerstein FS Rebmann 233, 235 ff. (239: laufe „teilweise leer“); Hohmann StraFo 1999 153, 154 ff. (155: „wenig tauglich“); Müller FS Fezer 153, 155 ff. („überflüssig“); Wesemann StraFo 2001 293, 299; Burkhard StV 2004 390, 394 („völlig sinnentleerte Vorschrift“); zusammenfassend Fahl 390 ff. m. w. N.

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Beweismitteln zusammenhängt, einer Gesamtschau ähneln kann und dennoch natürlich nicht verboten ist, weil das Aufzeigen von Zusammenhängen zulässig ist – allerdings bestehen solche umfassenden Zusammenhänge keineswegs immer. Auf andere Beweismittel darf dann nicht eingegangen werden, wenn diese in keiner denkmöglichen Hinsicht für die Würdigung des zuletzt erhobenen relevant sein können. In allen Fällen bleibt zudem nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers56 den Erklärungsberechtigten ebenso wie dem Gericht die Formulierung „vorläufiger Ergebnisse der Beweisaufnahme“ untersagt; da aber auch eine begrenzte Vorauswürdigung seitens des Gerichts bisweilen unumgänglich ist,57 erscheint eine knappe Lagebeurteilung, die zudem der Verfahrenseffizienz dienen kann,58 seitens der Erklärungsberechtigten hinnehmbar, etwa wenn die Erklärung in die Begründung eines Beweisantrags oder in die Anregung eines Verzichts auf ein Beweismittel (§ 245 Abs. 1 Satz 2) übergeht. Daher werden sich in der Praxis je nach Sachlage oft keine scharfen Grenzen des noch Zulässigen angeben lassen, so dass nur erhebliche Überschreitungen der thematischen Grenzen dem Verbot des Absatzes 3 unterfallen, also nicht schon die frohlockende Schlussbemerkung eines Verteidigers, dass sein Mandant nach dem bisherigen Stand der Beweisaufnahme wohl freizusprechen wäre.59 Zur Vermeidung unnützen Streites, etwa ob ein Zusammenhang mit einem früheren Beweismittel noch plausibel ist oder nicht, und zur Wahrung der Verteidigungsrechte darf der Vorsitzende hier nicht kleinlich sein (Rn. 31).60 d) Sonstiges. Wenn der Angeklagte die Anhörung zum Anlass nimmt, sich erstmalig oder ergänzend zur Sache einzulassen, ist er dabei nicht an den Bezug zum letzten Beweismittel gebunden (Rn. 11). Macht ein Nebenkläger zusätzliche Angaben zur Sache, ist für deren Beweisver28 wendung notwendig, dass er insoweit als Zeuge behandelt und dass auch über seine Vereidigung entschieden wird.61 Für eine Darlegung der Prozessstrategie der Verteidigung oder eine Gegendar29 stellung zur Anklage („opening statement“) ist besteht jetzt in umfangreichen Verfahren nach § 243 Abs. 5 Satz 3 auf Antrag Gelegenheit, andernfalls, sofern nicht gem. § 243 der Vorsitzende dazu vorher, etwa nach Verlesung der Anklage nach § 238 Abs. 1, das Wort erteilt hat, im Rahmen des § 257 Abs. 2 nur nach der Vernehmung des Angeklagten zur Sache gem. § 243 Abs. 5 Satz 2 Raum. Da diese den gesamten Prozessgegenstand erfasst, stehen die inhaltlich sonst durch das vorangegangene einzelne Beweismittel gezogenen Grenzen hier – und nur hier – einer solchen Erklärung nicht entgegen.62 Anders als nach dem aufgehobenen ehemaligen § 257a hat der Verteidiger nach Verlesung der Anklage nicht mehr die Befugnis zur Abgabe einer Gegendarstellung. Sofern er eine solche überhaupt für zweckmäßig hält,63 kann er sie nur mit Einwilligung des Gerichts im Einverständnis mit allen Prozessbeteiligten zu diesem Zeitpunkt abgeben, sonst muss er damit warten, bis er nach Vernehmung des Angeklagten zur Sache Gelegenheit dazu erhält. 27

56 57 58 59 60 61 62 63

BTDrucks. 7 2989 S. 8; a. A. Burkhard StV 2004 390, 394. Vgl. LR/Becker § 244, 183. Vgl. Hohmann StraFo 1999 153, 154, 157. Insoweit zutr. Burkhard StV 2004 390, 394. Ähnl. OK-StPO/Eschelbach 18; Salecker 67. OLG Hamburg StV 1990 133; Meyer-Goßner/Schmitt 6. BTDrucks. 7 2989 S. 8. Dahs (Hdb.) 513; vgl. andererseits Hammerstein FS Salger 297.

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Das Recht der Verfahrensbeteiligten, eigene Anträge, vor allem Beweisanträge zu 30 stellen, wird durch § 257 nicht eingeschränkt.64 Vielmehr wird sich oft anbieten, Anträge mit der Erklärung zu verbinden.65 5. Verfahren a) Sachleitungsbefugnis des Vorsitzenden. Der Vorsitzende muss kraft seiner 31 Sachleitungsbefugnis (§ 238 Abs. 1, vgl. §§ 241 Abs. 2, 241a Abs. 3) im Interesse einer zügigen Verfahrensabwicklung darüber wachen, dass die zeitlichen und thematischen Grenzen des § 257 eingehalten werden. Er kann die Erklärung unterbrechen, wenn sie z. B. jeden Bezug auf die vorhergehende Vernehmung oder Beweisaufnahme vermissen lässt oder sich in Wiederholungen oder Abschweifungen verliert (Rn. 21 ff., 24), und die Überschreitung abmahnen; bleiben Mahnungen fruchtlos, kann er dem Erklärenden das Wort entziehen.66 Ob und wann er einschreiten soll, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das das Gebot der Verfahrensbeschleunigung ebenso berücksichtigen muss wie die Forderung, den Angeklagten im Interesse einer fairen Verfahrensgestaltung ausreichend zu Wort kommen zu lassen. Der Vorsitzende muss, ohne dabei kleinlich zu sein, für eine zügige, straffe und vor allem sachbezogene Durchführung des Verfahrens sorgen. Weder darf er thematisch zulässige Ausführungen zeitlich begrenzen noch darf er erzwingen, dass der Erklärende sich kurz fasst.67 Die Möglichkeit zur Sachdarstellung darf er dem Angeklagten aber selbst dann nicht abschneiden, wenn dieser sich dabei in der Wortwahl vergreift.68 Gleiches gilt, wenn er auch über den Rahmen des § 257 Abs. 1 hinaus die Erklärungsbefugnis zum Anlass nimmt, seine Einlassung nach § 243 Abs. 5 Satz 2 zu ergänzen, zu korrigieren oder zu widerrufen (Rn. 11). b) Anrufung des Gerichts. Die Anrufung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 ist gegen 32 die Anordnungen des Vorsitzenden im Rahmen des § 257 möglich.69 Damit können vor allem die sachleitenden Anordnungen des Vorsitzenden beanstandet werden, mit denen dieser das Wort zu einer Erklärung nach § 257 erteilt oder versagt oder wegen der Überschreitung der Grenzen des Erklärungsrechts entzieht. Das Gericht entscheidet aber nur darüber, ob die Anordnung des Vorsitzenden rechtmäßig war. Darüber hinaus gibt es keine Pflicht des Gerichts, sich in einem Zwischenverfahren 33 über Beweisergebnisse zu Inhalt oder Verständnis der einzelnen Beweisaufnahme zu äußern, etwa darzutun, wie es eine einzelne Zeugenaussage versteht. Gericht und Vorsitzender sind auch nicht gehalten, eine vom Verteidiger im Rahmen des § 257 Abs. 2 geäußerte falsche Auffassung vom Beweisergebnis zu korrigieren.70

64 KMR/Stuckenberg 10; Meyer-Goßner/Schmitt 8; OK-StPO/Eschelbach 10 f.; Schmidt-Leichner NJW 1975 417, 420. 65 So schon RG GA 46 (1898/99) 434. 66 AK/Rüping 8; KMR/Stuckenberg 10; Meyer-Goßner/Schmitt 8; Eisenberg (Beweisrecht) 806; Gollwitzer GedS Meyer 168. 67 Eisenberg (Beweisrecht) 805a; Hammerstein FS Rebmann 233, 238. 68 OLG Koblenz MDR 1980 76; KMR/Stuckenberg 16. 69 AK/Rüping 8; HK/Julius/Bär 10; KK/Diemer 4; KMR/Stuckenberg 19; Meyer-Goßner/Schmitt 8; OKStPO/Eschelbach 5, 12, 19; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 7; SK/Velten 10; Salecker 92 ff.; Kleinknecht JZ 1965 159. 70 BGHSt 43 212, 215 = JZ 1998 54 mit Anm. Herdegen = StV 1997 561 mit abl. Anm. König StV 1998 113; dazu auch Amelung AnwBl 2002 39; MüKo/Cierniak/Niehaus 12; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 5; SSW/ Franke 1; Salecker 86 ff.; a. A. Eisenberg (Beweisrecht) 804; krit. OK-StPO/Eschelbach 1, 11.

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6. Protokoll. In der Sitzungsniederschrift ist die Befragung nach § 257 Abs. 1 (wesentliche Förmlichkeit nach § 273) zu beurkunden. Sie muss aber nicht notwendig einzeln festgehalten werden. Es genügt eine allgemeine Feststellung, die sich auf alle Fälle des Absatzes 1 bezieht.71 Ist der Hinweis bei einem einzelnen Beweismittel zu Recht oder Unrecht unterblieben, muss dies allerdings dann neben dem allgemeinen Vermerk im Protokoll besonders hervorgehoben werden. Bei Äußerungen des Angeklagten auf die Befragung nach § 257 Abs. 1 hin ist zwischen 35 Erklärungen in seiner Rolle als Prozesssubjekt und Einlassungen zur Sache, durch die er sich selbst zum Beweismittel macht, deutlich zu unterscheiden.72 Dass er sein Erklärungsrecht überhaupt ausgeübt hat, braucht im Protokoll nicht festgehalten werden,73 anders als dabei gestellte Anträge. In die Sitzungsniederschrift aufzunehmen ist aber stets, wenn der Angeklagte sich anlässlich einer Erklärung nach § 257 Abs. 1 erstmals zur Sache einlässt, da andernfalls der anfängliche Protokollvermerk über sein Schweigen fortgelten würde,74 so dass ein Urteil, das sich auf eine solche Einlassung stützte, wegen der negativen Beweiskraft gem. § 274 nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261) geschöpft wäre.75 Für bloß ergänzende Angaben zu einer bereits vorher erfolgten (und protokollierten) Äußerung zur Sache gilt dies folglich nicht.76 Zu beurkunden ist ferner, wenn der Vorsitzende dem Angeklagten das Wort entzogen hat, nicht aber die vorangegangenen Abmahnungen, diese ebenfalls festzuhalten dürfte in einem solchen Fall jedoch zweckmäßig sein. Die Abgabe einer Erklärung nach Absatz 2 ist in der Sitzungsniederschrift ebenso 36 zu beurkunden wie etwa der Umstand, dass dem Staatsanwalt oder Verteidiger entgegen ihrem Verlangen die Abgabe einer Erklärung versagt wurde.77 Dagegen braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden, wenn Staatsanwalt und Verteidiger die Gelegenheit zu Erklärungen nicht verlangen. Im Protokoll festzuhalten ist, wenn wegen eines relativen Beweisverbots gegen die Beweisverwertung Widerspruch erhoben wurde.78 Zu beurkunden sind ferner die Anträge, mit denen eine Entscheidung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 herbeigeführt wird, und die darauf ergehende Entscheidung.

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7. Revision. Die jetzt in Absatz 1 enthaltene Regelung wurde früher als Ordnungsvorschrift angesehen, auf deren Verletzung die Revision nicht gestützt werden konnte.79 71 Hahn 865; BGH bei Dallinger MDR 1967 175; KMR/Stuckenberg 20; Meyer-Goßner/Schmitt 4; MüKo/ Cierniak/Niehaus 9; OK-StPO/Eschelbach 12; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 10; SK/Velten 11; SSW/Franke 7; zu den Beweisschwierigkeiten vgl. Hamm 1101. 72 Schlothauer StV 1994 468, 469 m. Fn. 14; vgl. Fezer JR 1980 83, 84; so schon Dahs NJW 1962 2238 ff. 73 BGH StV 1994 468 mit Anm. Schlothauer; 1995 513; HK/Julius/Bär 8; KK/Diemer 6; Meyer-Goßner/ Schmitt 4; SK/Velten 11. 74 BGH StV 1995 513 f.; 2000 123, 124; HK/Julius/Bär 8; KMR/Stuckenberg 20; Meyer-Goßner/Schmitt § 273, 7; MüKo/Cierniak/Niehaus 9; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 10; SK/Velten 11; SSW/Franke 7; Schlothauer StV 1994 468, 469; ferner allgemein zur Protokollierungspflicht der erstmaligen Einlassung zur Sache BGH bei Kusch NStZ-RR 1998 246 m. w. N.; missverständlich BGH StV 1994 468 (dazu BGH StV 1995 513, 514); vgl. bei § 273. 75 Unten Fn. 92. 76 Schlothauer StV 1994 468, 469. 77 KMR/Stuckenberg 20; Meyer-Goßner/Schmitt 7; MüKo/Cierniak/Niehaus 10; SK/Velten 11; SSW/Franke 7; Burkhard StV 2004 390, 397. 78 BayObLG NJW 1997 404; OLG Celle StV 1997 68; OLG Stuttgart NStZ 1997 405; MüKo/Cierniak/Niehaus 11. 79 Hahn 865 („instruktionelle Vorschrift“); RGSt 32 321; 42 168, 169; 44 284; RGRspr. 1 31; OGHSt 1 110, 111; BGH VRS 34 (1968) 344, 346; BGH bei Dallinger MDR 1967 175; OLG Koblenz VRS 46 (1974) 449, 453; Kleinknecht JZ 1965 159; Meyer-Goßner/Schmitt 9.

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Nachdem der BGH die frühere Rechtsprechung zu den Ordnungsvorschriften aufgegeben hat und auch insoweit unter Umständen die Revision zulässt,80 kann die Verletzung des § 257 Abs. 1 nunmehr zu Recht mit der Revision geltend gemacht werden,81 denn mit einem Verweis auf den viel späteren Schlussvortrag wäre gerade bei langwierigen Verfahren den Beteiligten nur schlecht gedient.82 Obwohl Absatz 1 als Sollvorschrift dem Gericht im Regelfall kaum noch einen Ermessensspielraum einräumt, muss die Revision einen Fehlgebrauch des Ermessens bei Anwendung dieser Vorschrift dartun.83 Es sind nach § 344 Abs. 2 die Tatsachen vorzutragen, aus denen sich ergibt, dass der Angeklagte sich nicht äußern konnte, der Inhalt seiner beabsichtigten Erklärung und wieso der Verlust der Möglichkeit, sie im Rahmen des § 257 Abs. 1 abzugeben, ihn in seiner Verteidigung unzulässig beschränkt hat.84 Verstöße gegen Absatz 2 (eventuell i. V. m. Absatz 3) können mit der Revision nur beanstandet werden, wenn zuvor gegen die Ablehnung der Worterteilung durch den Vorsitzenden oder die Entziehung des Wortes das Gericht angerufen und ein Beschluss nach § 238 Abs. 2 erwirkt wurde.85 Da die Erklärungsberechtigten nach Absatz 2 sich selbst zu Wort melden müssen, ist darzutun, dass der Revisionsführer dies getan hat, dass ihm aber trotzdem die Abgabe einer Erklärung versagt oder ihm das Wort zu Unrecht entzogen wurde. Aufzuzeigen ist ferner, dass er dadurch an urteilsrelevanten Ausführungen verhindert wurde, oder insbesondere, dass ihm dadurch der rechtzeitige Widerspruch gegen die Beweisverwendung wegen eines ebenfalls unter Anführung aller Tatsachen konkret darzulegenden Beweisverbotes unmöglich wurde.86 Im Allgemeinen werden derartige Revisionsrügen aber kaum Erfolg haben. Es liegt in der Natur der Vorschrift, dass bei den Verstößen gegen Absatz 1 ebenso wie bei denen nach Absatz 2 meist ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil darauf beruht. Wird der Hinweis nach Absatz 1 unterlassen, wurde eine Erklärung nach Absatz 2 nicht zugelassen oder zu Unrecht verkürzt, so ist der Betroffene im allgemeinen nicht gehindert, seine Erklärungen später, vor allem bei den Schlussvorträgen nachzuholen.87 Sein Recht, Beweispersonen zu befragen und Beweisanträge zu stellen, wird durch eine unrichtige Anwendung des § 257 ohnehin nicht behindert. Daraus folgt auch, dass eine im Urteil fortwirkende Verletzung des verfassungsmäßig garantierten Rechts auf Gehör in einem Verstoß gegen § 257 in der Regel ebenfalls

80 Näher LR/Franke26 § 337, 15 ff. 81 Vgl. BGH StV 1984 454 f.; AK/Rüping 9; KK/Diemer 5; KMR/Stuckenberg 22; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Cierniak/Niehaus 24; OK-StPO/Eschelbach 23; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 21; Eb. Schmidt 3; SK/Velten 12; SSW/Franke 9; Eisenberg (Beweisrecht) 807; Hamm 1101; Fahl 407; Salecker 137 ff.; Hammerstein FS Rebmann 233, 236; Hohmann StraFo 1999 153, 157; s. a. Neuhaus FS Herzberg 871, 877. 82 Eb. Schmidt Nachtr. I 7; KMR/Stuckenberg 22; LR/Gollwitzer25 28. 83 Vgl. OLG Bremen StV 1987 429, 430. 84 Vgl. BGH StV 1984 454, 455; Hammerstein FS Rebmann 233, 236; KK/Diemer 5; KMR/Stuckenberg 23. 85 BGH NStZ 2007 234, 235; HK/Julius/Bär 10; KK/Diemer 5; KMR/Stuckenberg 24; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Cierniak/Niehaus 236; SSW/Franke 9; Eisenberg (Beweisrecht) 807; dazu Hohmann StraFo 1999 153, 156 f.; a. A. SK/Velten 12. 86 Vgl. BGH StV 1997 337; NStZ 2007 234, 235. 87 BGH NStZ 2007 234, 235; BGH 23.8.2016 – 3 StR 166/16; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1975 190; KMR/Stuckenberg 25; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Cierniak/Niehaus 27; OK-StPO/Eschelbach 23; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 21 f.; Hamm 1102; Leipold StraFo 2001 300, 301; a. A. SK/Velten 12 (wegen Inertia-Effekt); Burkhard StV 2004 390, 398 (Beruhen nie auszuschließen, weil Verteidiger Argumente später vergessen haben kann).

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nicht liegt, weil es genügt, dass mit den Schlussvorträgen und dem letzten Wort eine hinreichende Möglichkeit zur Abgabe einer eigenen Stellungnahme besteht.88 Es lässt sich deshalb meist auch ausschließen, dass ein Beschluss des Gerichts nach 42 § 238 Abs. 2, der den Verteidiger zu Unrecht an der Abgabe einer Erklärung nach § 257 Abs. 2 hindert, die Verteidigung in einem wesentlichen Punkt auf Dauer beschränkt hat (§ 338 Nr. 8). Einzelne Ausnahmefälle, in denen dies nicht ausgeschlossen werden kann, weil in ihnen der Zeitfaktor eine wesentliche Rolle spielt, sind aber denkbar, etwa bei Großverfahren, die sich über Wochen und Monate hin erstrecken.89 Die Verletzung der Aufklärungspflicht kann nicht schon damit begründet werden, 43 dass das Gericht § 257 nicht beachtet habe. Es müssen besondere, von der Revision darzulegende Umstände (§ 344 Abs. 2) hinzukommen, welche ergeben, dass das Gericht zur weiteren Aufklärung gedrängt worden wäre, vor allem, dass es auf Grund besonderer Umstände verpflichtet gewesen ist, darauf hinzuwirken, dass sich der Angeklagte zu einem bestimmten, offengebliebenen Punkt erklärt.90 Dass im Urteil ein Beweisanzeichen für den Angeklagten nachteilig verwertet wurde, ohne dort darzulegen, ob und was der Angeklagte dazu erklärt hatte oder ob er bei der Beweiserhebung dazu nach § 257 überhaupt die Möglichkeit hatte, wurde als Verstoß gegen § 261 gewertet.91 Stützt sich ein Urteil auf die geständige Einlassung des Angeklagten, die womöglich im Rahmen des § 257 abgegeben, aber nicht protokolliert wurde, ist § 261 ebenfalls verletzt, weil die gerichtliche Überzeugung nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft ist.92

§ 257a Form von Anträgen und Anregungen zu Verfahrensfragen 1 Das Gericht kann den Verfahrensbeteiligten aufgeben, Anträge und Anregungen zu Verfahrensfragen schriftlich zu stellen. 2Dies gilt nicht für die in § 258 bezeichneten Anträge. 3§ 249 findet entsprechende Anwendung.

Schrifttum Krahl Mißachtung rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze durch die schriftliche und selbstlesende Hauptverhandlung, GA 1998 329; Münchhalffen Der neue § 257a StPO und seine praktischen Auswirkungen, StraFo 1995 20; dies. § 257a StPO. Ein Einfallstor für richterliche Willkür und die Notwendigkeit seiner Beseitigung durch den Gesetzgeber, FS Friebertshäuser (1997) 139; Wesemann Zur Praxis des neuen § 257a StPO, StV 1995 220; Vgl. ferner das Schrifttum zum Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 und seine Entwürfe, Einl. F 147 ff.

Entstehungsgeschichte Ein früherer § 257a, der durch das StPÄG 1964 eingefügt worden war und der vorschrieb, Staatsanwaltschaft und Verteidigern auf Verlangen Gelegenheit zur Abgabe von 88 BayVerfGH BayVBl. 1975 585, 586; KMR/Stuckenberg 23. 89 Eb. Schmidt § 257a (a. F.) Nachtr. I 7; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 23; vgl. Burkhard StV 2004 390, 398. 90 KMR/Stuckenberg 25. 91 OLG Bremen StV 1987 429 f. 92 BGH StV 2000 123, 124.

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Erklärungen zu geben, ist durch Art. 1 Nr. 14 des 1. StVRErgG vom 20.12.1974 entfallen; wobei ein Teil seines Inhalts in § 257 übernommen wurde (vgl. dessen Entstehungsgeschichte). Der jetzige § 257a wurde durch Art. 4 Nr. 7 des VerbrbekG eingefügt.

1. 2.

3.

Übersicht Zweck der Vorschrift 1 Anwendungsbereich 7 a) Anträge und Anregungen zu Verfahrensfragen 7 b) Alle Verfahrensbeteiligten 10 c) Zeitliche und gegenständliche Beschränkbarkeit 11 Voraussetzungen 12 a) Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen 12 b) Umfangssachen 13 c) Verhinderung von Missbrauch, unbeschränkte Anordnung 14 d) Keine generelle Anordnung 16 e) Zumutbarkeit 17

4.

5.

6. 7.

18 Verfahren a) Hauptverhandlung 18 b) Begründung 19 c) Änderung, Aufhebung 20 Rechtsfolgen der Anordnung 21 a) Schriftliche Antragstellung 21 b) Behandlung des Antrags 22 c) Mündlicher Antrag 23 d) Entscheidung über schriftlichen Antrag 24 Sitzungsniederschrift 25 Rechtsmittel 26 a) Beschwerde 26 b) Revision 27

1. Zweck der Vorschrift. Der Gesetzgeber hat die Vorschrift mit dem Ziel begründet, 1 eine „straffere Durchführung von Umfangssachen“ zu erreichen, weil „zunehmend berichtet“ werde, dass die Begründung von Verfahrensfragen betreffenden Anträgen viel Zeit benötige. Es handele sich um Beweisanträge, Einstellungsanträge usw., die die Verfahrensbeteiligten nach schriftlicher Vorbereitung außerhalb der Hauptverhandlung mündlich vortrügen. § 257a erlaube dem Gericht nun, „in geeigneten Fällen“ anzuordnen, Anträge oder Anregungen nur noch schriftlich zu stellen. Die schriftlichen Anträge sollen zweckmäßigerweise im durch Satz 3 für anwendbar erklärten Selbstleseverfahren des § 249 Abs. 2 oder durch Mitteilung des wesentlichen Inhalts durch den Vorsitzenden in die Hauptverhandlung eingeführt werden.1 Zweck der Vorschrift ist demnach die Beschleunigung des Verfahrens in Sonderfällen, nämlich den genannten Umfangssachen; von der oftmals daneben oder vorrangig angeführten Verhinderung von Missbrauch prozessualer Rechte (Rn. 5) redet die Begründung des Gesetzentwurfs nicht. Anordnungen nach § 257a führen, erst recht in Kombination mit § 249 Abs. 2, zu 2 dem Kuriosum eines teilweise schriftlichen Verfahrens unter Anwesenden und sind damit Fremdkörper im Hauptverhandlungsmodell, das der StPO zugrunde liegt. Die Vorschrift erlaubt eine weitere und damit grundsätzlich bedenkliche Ausnahme vom Grundsatz der Mündlichkeit (§ 261), aus der sich zwangsläufig eine Beeinträchtigung der Öffentlichkeit des Verfahrens (§ 169 GVG) und der ihr zugedachten Kontrolle ergibt, weil die Zuhörer den Gang der Verhandlung bei einer beschränkten Anordnung weniger, bei einer unbeschränkten Anordnung womöglich kaum noch nachvollziehen können dürften.2 Dass das Gesetz keine tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anordnung benennt – die Entwurfsbegründung spricht nichtssagend von „geeigneten Fällen“3 – und damit die Verantwortung für die Deformation der Hauptverhandlung im Einzelfall allein dem formell uneingeschränkten gerichtlichen Ermessen (dazu Rn. 12) anheimgibt,

1 BTDrucks. 12 6853 S. 34. 2 Hamm StV 1994 456, 458 („Geisterverhandlungen“); Schünemann StraFo 2005 177, 179. 3 BTDrucks. 12 6853 S. 34.

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ist ebenfalls ein Systembruch in einem prinzipiell von Formenstrenge beherrschten Prozess. 3 Das Recht auf rechtliches Gehör hingegen ist nicht verletzt, denn alle Verfahrensbeteiligten haben bei schriftlicher Antragstellung in Verbindung mit dem Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 eine mindestens – in Großverfahren vielleicht sogar bessere, weil umfangreiche und kompliziert begründete Anträge bei mündlichem Vortrag die Aufnahmefähigkeit der Zuhörer überfordern können – genauso gute Möglichkeit der Kenntnisnahme vom schriftlichen Antrag und seiner Begründung wie bei einem mündlichen Vortrag; sie können sich bei ihrer Anhörung nach § 33 Abs. 1 in der Hauptverhandlung dazu äußern, bevor die dort zu verkündende Entscheidung über den Antrag ergeht. Art. 103 Abs. 1 GG garantiert überdies keine bestimmte Form der Anhörung,4 sondern überlässt diese dem Gesetzgeber oder, mangels gesetzlicher Vorschriften, dem Ermessen des Gerichts.5 Weder ergibt sich aus der Verfassung ein Grundrecht auf „Gehör“ im Wortsinne nebst mündlicher Äußerung noch ein Anspruch auf mündliche Verhandlung und persönliche Anhörung.6 Wenn das Gesetz eine mündliche Verhandlung vorsieht, so hat der Bürger das Recht, sich in dieser zu äußern,7 woraus aber kein Anspruch auf die Mündlichkeit jeglicher Äußerung in diesem Verfahren abzuleiten ist. Hier bleibt ferner die mündliche Äußerungsmöglichkeit vor allem nach §§ 243, 257, 258 bestehen. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass die schriftliche Antragstellung eine weniger wirksame Form der Anhörung ist, da sie sich wegen des Zeitaufwands für Niederschreiben und Lesen des Antrags für eine sofortige Reaktion auf Vorgänge in der Hauptverhandlung nicht eignet, worin eine Erschwerung der Verteidigung liegt. Vorzugswürdig, wenn auch verfassungsrechtlich nicht geboten, ist daher fraglos eine mündliche Gewährung von Gehör und Anhörungsmöglichkeit.8 Zudem bestehen erhebliche Zweifel an der Zwecktauglichkeit der Vorschrift.9 4 Sie kann die mündliche Hauptverhandlung nur dadurch entlasten, dass sie den sonst unerlässlichen mündlichen Vortrag umfangreicher Anträge und Anregungen und ihrer Begründung aus ihr fernhält; für deren Erörterung und die Entscheidung darüber gilt dies nicht. Dafür müssen die Anträge und Anregungen nun schriftlich angefertigt und den anderen Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis gebracht werden. Verläse der Vorsitzende die Anträge nebst Begründung nach § 249 Abs. 1, so verzögerte sich das Verfahren um die für die Anfertigung der Anträge nötigen Zeitspanne und statt der angestrebten Beschleunigung träte das Gegenteil ein.10 Die Entwurfsbegründung (Rn. 1) rät deshalb folgerichtig zum Selbstleseverfahren des § 249 Abs. 2; ob aber Niederschreiben eines umfangreichen Antrags, erst recht wenn dafür noch eine Unterbre4 KMR/Stuckenberg 2; LR/Gollwitzer25 2; a. A. Krahl GA 1998 329, 334 f.; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 1; tendenziell auch Meyer-Goßner/Schmitt 1; Bandisch StV 1994 153, 158; Schlüchter GA 1994 397, 428 Fn. 226. 5 BVerfGE 89 381, 391; 101 106, 129; 112 185, 207 f.; BVerfGK 19 377; BVerfG 13.6.2018 – 1 BvR 1040/17 Rn. 8. 6 BVerfGE 36 85, 87; 60 175, 210 f.; 89 381, 391; 112 185, 205 f. 7 BVerfGE 42 364, 376; BVerfGK 19 377; BVerfG 13.6.2018 – 1 BvR 1040/17 Rn. 8. 8 Insoweit ist HK/Julius/Bär 1; Meyer-Goßner/Schmitt 1; Bandisch StV 1994 153, 158; Schlüchter GA 1994 397, 428 Fn. 226 zuzustimmen. 9 HK/Julius/Bär 1; KMR/Stuckenberg 3; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/Cierniak/Niehaus 3; OK-StPO/ Eschelbach 1; Pfeiffer 1; Schlüchter GA 1994 397, 427; Hamm StV 1994 456, 457; Huber NStZ 1996 530, 532 f.; Krahl GA 1998 329, 331 f.; Meyer-Goßner ZRP 2000 345, 350 („unpraktikabel“); Münchhalffen StraFo 1995 20, 21; Münchhalffen FS Friebertshäuser 139, 141; auch SSW/Franke 2; a. A. Nehm/Senge NStZ 1998 377, 385. 10 Scheffler NJW 1994 2191, 2194; KK/Diemer 6; KMR/Stuckenberg 1; Meyer-Goßner/Schmitt 10.

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chung (Rn. 21) nötig wird, nebst stillem Lesen durch die anderen Verfahrensbeteiligten zügiger verläuft als ein mündlicher Vortrag nebst gleichzeitigem Zuhören, ist nicht ausgemacht. Insgesamt droht die Hauptverhandlung wohl eher schwerfälliger und damit langwieriger zu werden.11 Große praktische Bedeutung scheint die Vorschrift noch nicht erlangt zu haben;12 höchstrichterliche Entscheidungen zu ihrer Anwendung fehlen bislang. Da die Vorschrift einen teilweisen Entzug des (gesprochenen) Wortes erlaubt, eignet 5 sie sich so augenscheinlich zur Disziplinierung der Verteidigung wegen tatsächlich oder vermeintlich sachfremden oder exzessiven Gebrauchs prozessualer Befugnisse, dass sich die Schlussfolgerung aufdrängt, darin liege, obschon weder Gesetzestext noch -begründung dies deutlich machen, ein weiterer oder gar ihr vorrangiger Zweck. Dieser Schluss ist im Schrifttum verbreitet gezogen worden13 und hat seit Bekanntwerden des Entwurfs zu im Grundsatz zutreffender heftiger Kritik14 geführt. So berechtigt das Anliegen ist, gezielte Verfahrenssabotage zu unterbinden, so ungeeignet und mit der StPO unverträglich erscheint § 257a als Lösungsweg.15 Überdies stellt die schriftliche Antragstellung selbst ein „neues Instrument für Prozeßverschleppung und Missbrauch“ für findige Verfahrensbeteiligte bereit.16 Insgesamt ist die Streichung der Vorschrift wegen ihrer Systemwidrigkeit und an- 6 zunehmenden17 Unzweckmäßigkeit ernsthaft zu erwägen. Bis dahin bedarf § 257a wenigstens einer einschränkenden Auslegung,18 um sowohl die angestrebte, aber nicht ohne weiteres zu erzielende Beschleunigung als auch die möglichst weitgehende Wahrung der Prinzipien der Mündlichkeit und einer effektiven Verteidigung und damit eines fairen Verfahrens19 zu erreichen.

11 Drastisches Beispiel bei Wesemann StV 1995 220 ff. 12 Senge NStZ 2002 225, 232; MüKo/Cierniak/Niehaus 5; SSW/Franke 2. 13 HK/Julius/Bär 1; MüKo/Cierniak/Niehaus 1; OK-StPO/Eschelbach 1; SK/Velten 1 f.; Bandisch StV 1994 153, 158 („Maulkorb“); Hamm StV 1994 456, 458; Meyer-Goßner ZRP 2000 345, 350 („Prozessbeteiligtenbekämpfungsgesetz“); Scheffler NJW 1994 2191, 2194; Dahs NJW 1995 553, 556; Münchhalffen FS Friebertshäuser 139, 140 ff.; dagegen Nehm/Senge NStZ 1998 377, 385; KK/Diemer 1, 4. 14 Bandisch StV 1994 153, 158; Dahs NJW 1995 553, 556 f.; Hamm StV 1994 456, 459; Krahl GA 1998 329, 333 ff.; Meyer-Goßner ZRP 2000 345, 349 f.; Münchhalffen StraFo 1995 20 f.; Münchhalffen FS Friebertshäuser 139, 140 ff.; Scheffler NJW 1994 2191, 2194; Schlüchter GA 1994 397, 427 f.; Schünemann StraFo 2005 177, 179; Wesemann StV 1995 220 ff.; dagegen Nehm/Senge NStZ 1998 377, 385; Senge NStZ 2002 225, 231 f.; zusammenfassend Fahl 394 f. 15 S. aber BGH 16.3.2005 – 5 StR 514/04 S. 4 (§ 257a als milderes Mittel gegenüber Untersagung der Stellung eigener Beweisanträge nach BGHSt 38 111). 16 Dahs NJW 1995 553, 556 f.; Münchhalffen StraFo 1995 20, 21; zust. OK-StPO/Eschelbach 9. 17 In Einzelfällen mögen sich durchaus Beschleunigungseffekte ergeben, wie etwa der von Nehm/Senge NStZ 1998 377, 384 berichtete Rückgang frivoler Protokollierungsanträge. Anekdotische Evidenz allein kann die Norm jedoch ebenso wenig rechtfertigen wie Mutmaßungen. Es wäre eine empirische Untersuchung wert, ob und welche Anwendung sie bisher findet, um die praktischen Vor- und Nachteile fundiert bilanzieren zu können. 18 HK/Julius/Bär 2; KMR/Stuckenberg 5; Meyer-Goßner/Schmitt 2; MüKo/Cierniak/Niehaus 6; Pfeiffer 1; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 5; diff. KK/Diemer 2; im Erg. wohl auch SSW/Franke 2 (teleologische Reduktion unnötig, auf extreme Ausnahmefälle beschränkte Anwendung genügt); a. A. Krahl GA 1998 329, 338 ff. (die Vorschrift bleibe „rechtswidrig bzw. verfassungswidrig“); Münchhalffen FS Friebertshäuser 139, 142 (nutzlos); für Verfassungswidrigkeit auch SK/Velten 2; unklar OK-StPO/Eschelbach 1 (verfassungswidrig), 2 (Beschränkung auf extreme Ausnahmefälle festgestellten Missbrauchs). 19 Vgl. König/Seitz NStZ 1995 1, 5.

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2. Anwendungsbereich a) Anträge und Anregungen zu Verfahrensfragen. Nur für Anträge oder Anregungen zu Verfahrensfragen kann das Gericht die schriftliche Antragstellung anordnen, vor allem also für Beweisanträge, Beweisermittlungsanträge und sonstige Beweisanregungen, aber auch für sonstige Anträge zur Verfahrensgestaltung, wie etwa Einstellungs-, Aussetzungs- oder Unterbrechungsanträge oder Ausführungen zur Zulässigkeit der Beweisverwendung einzelner Beweismittel20 sowie Protokollierungsanträge. Betroffen ist jeweils der vollständige Antrag einschließlich Begründung. Unerheblich ist, ob die Anträge und Anregungen das Streng- oder das Freibeweisverfahren betreffen. Ausdrücklich ausgeschlossen sind nach § 257a Satz 2 die gesamten Schlussvorträ8 ge21 und das letzte Wort nach § 258. Den früheren Ausschluss der Richterablehnung in § 26 Abs. 1 Satz 2 hat das Gesetz vom 17.8.2017 (BGBl. I S. 3202) in der Weise verändert, dass zwar nicht die Antragstellung, aber die Begründung in Schriftform binnen angemessener Frist aufgegeben werden kann.22 Mangels Verweises gilt dies nicht für die Ablehnung eines Sachverständigen (§ 74).23 Begrifflich nicht erfasst sind Ausführungen zur Sache und zur materiellen 9 Rechtslage wie das Verlesen der Anklage (§ 243 Abs. 3 Satz 1) und das Äußerungsrecht des Angeklagten dazu (§ 243 Abs. 5), Äußerungen zur Sache oder materiellen Rechtslage im Rahmen des § 257, Fragen und Vorhalte (§§ 240 Abs. 2, 241a Abs. 2),24 sowie verfahrensrelevante Erklärungen ohne Antrags- oder Anregungscharakter,25 vor allem Zustimmungs- oder Verzichtserklärungen, wie der Verzicht auf die Beweiserhebung nach § 245 Abs. 1 Satz 2, der Widerspruch gegen eine beabsichtigte Verfahrensmaßnahme wie das Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 oder die Zustimmung zur Verlesung von Urkunden nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 Nr. 3 oder zur Erhebung der Nachtragsanklage nach § 266 Abs. 1; ferner die Ausübung der Anhörungs- und Erklärungsrechte, etwa nach § 33 Abs. 1, § 248 Satz 2 und, wenn man den Regelungszweck berücksichtigt, auch die Befugnis, sachleitende Anordnungen des Vorsitzenden zu beanstanden (§ 238 Abs. 2). 7

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b) Alle Verfahrensbeteiligten. Die Anordnung ist gegen alle Verfahrensbeteiligten zulässig, die berechtigt sind, Anträge zu Verfahrensfragen zu stellen oder mit Anregungen an das Gericht heranzutreten, also nicht nur gegenüber dem Angeklagten und seinem Verteidiger, sondern auch gegenüber Staatsanwalt und Nebenkläger sowie Nebenbeteiligten.26

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c) Zeitliche und gegenständliche Beschränkbarkeit. Die Anordnung kann für die ganze weitere Hauptverhandlung erlassen werden; sie kann aber auch zeitlich, etwa

20 BTDrucks. 12 6853 S. 34. 21 Zum misslungenen Wortlaut, der die Intention des Gesetzgebers nur unvollkommen ausdrückt, Fahl 395.

22 BTDrucks. 18 11277 S. 18 f.; krit. Meyer-Goßner/Schmitt § 26, 2a. 23 KK/Diemer 3; KMR/Stuckenberg 8; Meyer-Goßner/Schmitt 7; MüKo/Cierniak/Niehaus 8; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 3. 24 König/Seitz NStZ 1995 1, 5; HK/Julius/Bär 3; KK/Diemer 3; KMR/Stuckenberg 7; Meyer-Goßner/Schmitt 8; MüKo/Cierniak/Niehaus 10; OK-StPO/Eschelbach 5; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 3; SSW/Franke 4. 25 HK/Julius/Bär 3; KMR/Stuckenberg 7; Meyer-Goßner/Schmitt 8. 26 KK/Diemer 1; KMR/Stuckenberg 10; Meyer-Goßner/Schmitt 5; MüKo/Cierniak/Niehaus 9; OK-StPO/ Eschelbach 5; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 4.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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nur auf einen bestimmten Verfahrensabschnitt, eine bestimmte Beweisaufnahme, einen Tag beschränkt werden.27 Auch die gegenständliche Beschränkung auf bestimmte Arten von Anträgen, etwa nur Beweisanträge und Beweisermittlungsanträge, ist zulässig. Letzteres ist meist ratsam, damit andere verfahrensbezogene kurze Anträge weiterhin sofort mündlich gestellt werden können und Auseinandersetzungen vermieden werden, ob ein bestimmter Antrag vom Schriftlichkeitsgebot des § 257a erfasst wird. 3. Voraussetzungen a) Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen. Das Gesetz nennt keine Vo- 12 raussetzungen,28 sondern stellt die Anordnung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts, das sich am Zweck der Vorschrift – eine zusätzliche Möglichkeit zur Straffung und Beschleunigung der Hauptverhandlung vor allem für Umfangssachen zu schaffen (Rn. 1) – auszurichten hat. Eine Beschränkung auf Missbrauchsfälle ist weder dem Normtext noch der Entwurfsbegründung zu entnehmen. Da die Grundsätze der Mündlichkeit und Öffentlichkeit der Hauptverhandlung unverändert fortbestehen, kann eine Anordnung nach § 257a stets nur die Ausnahme, nicht aber eine gleichwertige generelle Alternative zum Regelfall der mündlichen Antragstellung darstellen. Im Sinne der gebotenen einschränkenden Auslegung (oben Rn. 6) ist sie nur zulässig, wenn zwei Voraussetzungen vorliegen: Erstens muss das Gericht in einer Beurteilung ex ante und unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte,29 wie Umfang und Gegenstand des Verfahrens und bisheriges Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten, prüfen, ob zu erwarten ist, dass durch die Anordnung die zügige Weiterführung der Hauptverhandlung mehr gefördert wird als bei Fortsetzung der Verhandlung mit normaler mündlicher Antragstellung (Rn. 13). Zweitens muss, zur Wahrung eines fairen Verfahrens, die zu erwartende Beschleunigung die nachteiligen Folgen – insbesondere die Beeinträchtigung der Verteidigung – aufwiegen, was nicht der Fall ist, wenn die schriftliche Antragstellung dem Betroffenen unmöglich oder unzumutbar ist (Rn. 17). Bei der Beurteilung hat das Gericht auch zu erwägen, ob andere mildere Maßnahmen, die die Mündlichkeit der Verhandlung wahren, vorzugswürdig wären.30 b) Umfangssachen. Eine Anordnung nach § 257a kann der Verfahrenserleichterung 13 oder Beschleunigung in der Regel nur dienen, wenn in einem Verfahren mit sehr vielen oder sehr umfangreichen Anträgen zu rechnen ist, deren zeitraubender Vortrag und Protokollierung die Hauptverhandlung erheblich belasten würde.31 Doch auch bei einem einzelnen, äußerst umfangreichen und vom Antragsteller bereits schriftlich festgehaltenen Beweisantrag, der eine Reihe von Beweismitteln umfasst, kann die Prozesswirtschaftlichkeit es rechtfertigen, durch einen auf diesen Antrag beschränkten Beschluss nach § 257a dessen schriftliche Einbringung unter Verzicht auf einen langwierigen Vortrag zu ermöglichen.

27 KMR/Stuckenberg 9; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/Cierniak/Niehaus 14; OK-StPO/Eschelbach 5. 28 SK/Velten 2 hält die Norm daher für verfassungswidrig und nichtig; ebenso OK-StPO/Eschelbach 1; dagegen MüKo/Cierniak/Niehaus 7. 29 KK/Diemer 5. 30 Vgl. Schlüchter GA 1994 397, 427 mit Fn. 227, die dort erwähnte Beschränkung der Redezeit kann dafür geeignet sein, doch nicht bei umfangreichen Anträgen, da die Befugnis zu deren Begründung nicht abgeschnitten werden darf; krit. Fahl 394. 31 HK/Julius/Bär 4; KK/Diemer 5; KMR/Stuckenberg 11; Meyer-Goßner/Schmitt 2.

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§ 257a

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

c) Verhinderung von Missbrauch, unbeschränkte Anordnung. Eine Anordnung nach § 257a kommt ferner zur Verhinderung von Missbrauch prozessualer Rechte in Betracht. Hierbei hat das Gericht das gesamte bisherige Prozessverhalten des Antragstellers insoweit zu berücksichtigen, als es ein Indiz für sein zu erwartendes künftiges Verhalten ist. Aus einem früheren Missbrauch des Antragsrechts darf daher im Einzelfall unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände geschlossen werden, dass auch im weiteren Verlauf des Verfahrens verfahrensverzögernde umfangreiche Antragstellungen oder sonst ein Missbrauch des Antragsrechts zur Störung des Verfahrensablaufs zu erwarten sind. Zwingend folgt dies aber nicht aus jeder früheren vom Gericht als missbräuchlich erachteten Antragstellung. Es kommt auf deren Form und Anlass an, ob sie die Gefahr weiterer Störungen rechtfertigt. Dabei darf nicht aus den Augen verloren werden, dass die Anordnung nach § 257a keine Sanktion für vergangenes Prozessverhalten ist,32 sondern eine Präventivmaßnahme, die den künftigen Verlauf der Hauptverhandlung entlasten und Störungen und Verzögerungen vorbeugen soll. 15 Eine unbeschränkte Anordnung gegenüber einzelnen Verfahrensbeteiligten für alle künftigen Anträge dürfte regelmäßig nur in Betracht kommen, um der Fortsetzung bereits festgestellten Missbrauchs zu begegnen.33 Das Gericht ist jedoch nicht ausnahmslos verpflichtet, den Missbrauch abzuwarten. In Einzelfällen mögen schon die bloße Ankündigung eines als Missbrauch einzustufenden Verhaltens oder sonstige darauf hindeutende konkrete Umstände eine solche Anordnung rechtfertigen.

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d) Keine generelle Anordnung. Eine generelle Anordnung für die ganze weitere Hauptverhandlung und gegen alle Verfahrensbeteiligten lässt der Gesetzeswortlaut zwar zu, dürfte aber kaum jemals zur Erreichung des Beschleunigungszwecks notwendig oder mit dem Gebot einer restriktiven Auslegung vereinbar sein. Auch konkret befürchtete Störungen und Verzögerungen des Verfahrensverlaufs sind meist nicht von allen Verfahrensteilnehmern zu erwarten, so dass die Anordnung auf diejenigen Verfahrensbeteiligten zu beschränken ist, bei denen konkrete Anhaltspunkte eine solche Befürchtung begründen, auch wenn die darin liegende Differenzierung das Verfahrensklima belastet.

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e) Zumutbarkeit. Bei seiner Ermessensentscheidung muss das Gericht zudem immer prüfen, ob einem bestimmten Verfahrensbeteiligten wegen Gründen, die in seiner Person liegen, eine schriftliche Antragstellung nicht möglich oder nicht zumutbar ist.34 § 257a ermöglicht nur, die Form zu regeln, in der bestimmte Verfahrensbefugnisse ausgeübt werden können, ihre Ausübung der Sache nach darf er nicht einschränken. Gegenüber unverteidigten Angeklagten wird eine Anordnung nach § 257a daher kaum je in Frage kommen.35 4. Verfahren

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a) Hauptverhandlung. In der Hauptverhandlung entscheidet das Gericht (einschließlich Schöffen), nicht etwa der Vorsitzende allein, durch einen dort zu verkünden32 KK/Diemer 5; MüKo/Cierniak/Niehaus 12; Pfeiffer 2; SSW/Franke 6. 33 HK/Julius/Bär 4; KMR/Stuckenberg 12; Meyer-Goßner/Schmitt 2, 3; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 4, 5; Krahl GA 1998 329, 340; a. A. KK/Diemer 5; Pfeiffer 2; Fahl 398 f.; Senge NStZ 2002 225, 231 (aber empfehlenswert); Beispiel bei Nehm/Senge NStZ 1998 377, 385. 34 BTDrucks. 12 6853 S. 34. 35 Dahs NJW 1995 553, 556; KMR/Stuckenberg 12.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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den Beschluss über die Anordnung. Zuvor sind die betroffenen Verfahrensbeteiligten anzuhören (§ 33 Abs. 1).36 b) Begründung. Der Beschluss ist zu begründen;37 dies wird wegen der Revisibilität 19 aus § 34 hergeleitet, ferner daraus, dass die restriktive Ausübung des Ermessens nachprüfbar sein muss. Der Beschluss muss deshalb den Grund für die Anordnung aufzeigen. Es sind die Umstände darzulegen, auf die sich die Ansicht gründet, dass die geforderte schriftliche Antragstellung zur Beschleunigung oder Vereinfachung der weiteren Hauptverhandlung beiträgt. Liegt das bei einem Verfahren mit umfangreichem und unübersichtlichem Prozessstoff auf der Hand, kann es genügen, wenn darauf und auf den mit der schriftlichen Antragstellung erstrebten Rationalisierungseffekt hingewiesen wird.38 Ergeht dagegen die Anordnung zur Verhütung künftigen Missbrauchs, muss das Gericht die Tatsachen angeben, auf die sich diese Annahme stützt;39 wenn bereits eine missbräuchliche Antragstellung vorausging, muss es diese aufzeigen. Der Beschluss muss ferner erkennen lassen, dass das Gericht sich bei seiner Ermessensausübung der aus dem Regelungszweck folgenden Einschränkungen und Abwägungspflichten bewusst war. Zur Protokollierung s. Rn. 25. c) Änderung, Aufhebung. Das Gericht kann seinen Beschluss im Laufe des Verfah- 20 rens jederzeit abändern. Es kann bestimmte Verfahrenshandlungen aus ihm herausnehmen, wenn sich ergibt, dass bei diesen die mündliche Antragstellung die zügige Abwicklung der Hauptverhandlung erleichtert. Es kann den Beschluss auch völlig aufheben, wenn es auf Grund des weiteren Verfahrensgangs zu der Überzeugung kommt, dass er zur Sicherung der zügigen Verfahrensabwicklung und zur Verhütung eines Missbrauchs nicht mehr nötig ist oder wenn er sich unter den besonderen Verhältnissen der jeweiligen Hauptverhandlung als ungeeignet für diesen Zweck erweist. Mit Verkündung des abändernden oder aufhebenden Beschlusses entfällt insoweit die Pflicht zur schriftlichen Antragstellung, die Anträge müssen und können dann mündlich in der Hauptverhandlung gestellt werden. 5. Rechtsfolgen der Anordnung a) Schriftliche Antragstellung. Mit der Verkündung des Beschlusses erlischt das 21 Recht des davon betroffenen Verfahrensbeteiligten, in der Hauptverhandlung die vom Beschluss bezeichneten Anträge mündlich zu stellen.40 Seine vorher mündlich gestellten Anträge bleiben wirksam, auch wenn sie noch nicht beschieden sind. Nach der Verkündung des Beschlusses kann er solche Anträge dagegen nur noch schriftlich dem Gericht übergeben. Dafür genügen auch handschriftliche Anträge, sofern sie leserlich sind;41 es kann nicht gefordert werden, dass sie in Maschinenschrift eingereicht werden.

36 KMR/Stuckenberg 13; OK-StPO/Eschelbach 7; SK/Velten 5; a. A. (Anhörung nur zweckmäßig, aber nicht geboten) KK/Diemer 4; LR/Gollwitzer25 9; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 7; SSW/Franke 5; wohl auch HK/Julius/Bär 5; Meyer-Goßner/Schmitt 5; vgl. Senge NStZ 2002 225, 231 (in Missbrauchsfällen vorherige Abmahnung empfehlenswert). 37 HK/Julius/Bär 5; KK/Diemer 4; KMR/Stuckenberg 13; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/Cierniak/Niehaus 13; OK-StPO/Eschelbach 5, 6; Pfeiffer 4; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 7; SK/Velten 5; SSW/Franke 5. 38 Vgl. KK/Diemer 4. 39 Meyer-Goßner/Schmitt 2, 3, 6; MüKo/Cierniak/Niehaus 13. 40 Pfeiffer 5. 41 KMR/Stuckenberg 15; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Cierniak/Niehaus 15; OK-StPO/Eschelbach 9; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 8; SSW/Franke 7.

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§ 257a

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Damit der Antragsteller dem Gebot der schriftlichen Antragstellung genügen kann, ist ihm nötigenfalls durch Unterbrechung der Hauptverhandlung Gelegenheit zur schriftlichen Abfassung seiner Anträge zu geben,42 vor allem, wenn er durch die Prozessentwicklung gehindert war, die schriftliche Antragstellung außerhalb der Hauptverhandlung vorzubereiten. Einen darauf gerichteten Antrag sollte das Gericht im Interesse der Verfahrensvereinfachung auch zulassen, wenn er seinerseits nicht schriftlich gestellt wurde. Da mit der Anordnung die Mündlichkeit der Antragstellung in der Hauptverhandlung entfällt, wird es auch als ausreichend angesehen, wenn der Antragsteller seinen Antrag mit Begründung in der Sitzungspause schriftlich bei Gericht einreicht und in der Hauptverhandlung darauf Bezug nimmt.43 – Zur Protokollierungspflicht vgl. Rn. 25. 22

b) Behandlung des Antrags. Wird ein dem § 257a unterfallender Antrag in der Hauptverhandlung in schriftlicher Fassung dem Gericht übergeben, sind weitere Erklärungen des Antragstellers dazu weder erforderlich noch zulässig. In gleicher Weise wie bei einem mündlich gestellten Antrag muss das Gericht den Antrag entgegennehmen. Da der Antragsteller nun seinen Antrag nicht mehr selbst in der Hauptverhandlung vortragen darf, muss das Gericht dies tun, und zwar hat dies in der Form des Urkundenbeweises zu geschehen, wie Satz 3 festlegt, der § 249 für entsprechend anwendbar erklärt. Der Antrag muss entweder nach § 249 Abs. 1 verlesen werden oder der Vorsitzende muss das Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 in die Wege leiten, damit alle Verfahrensbeteiligten den Wortlaut des Antrags und seiner Begründung zur Kenntnis nehmen können;44 den anderen Mitangeklagten sind wegen Art. 103 Abs. 1 GG Ablichtungen auszuhändigen.45 Die Ansicht, unter Berufung auf den Mündlichkeitsgrundsatz das Selbstleseverfahren grundsätzlich auszuschließen und nur die Verlesung nach § 249 Abs. 1 zuzulassen,46 findet weder im Wortlaut des Satzes 3 noch im Zweck der Regelung eine Stütze. Bei einem Vorlesen umfangreicher Anträge entfiele der mit der Regelung erstrebte Vereinfachungszweck weitgehend.47 Außerdem wird durch die Notwendigkeit, den Abschluss des Selbstleseverfahrens durch Feststellung der Gelegenheit zur Kenntnisnahme in der Hauptverhandlung ausdrücklich anzusprechen (§ 249 Abs. 2 Satz 3) und die anderen Verfahrensbeteiligten zum Antrag zu hören (§ 33 Abs. 1), der volle Inhalt des Antrags in der Hauptverhandlung zur Erörterung gestellt, bevor das Gericht darüber entscheidet und dies in der Hauptverhandlung verkündet. Anders als beim eigentlichen Urkundenbeweis48 erscheint es hier zulässig, Verlesung oder Selbstleseverfahren mit Zustimmung aller Beteiligten durch einen zusammenfassenden Inhaltsbericht des Vorsitzenden zu ersetzen.49

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c) Mündlicher Antrag. Ein entgegen § 257a mündlich gestellter Antrag hat keine Wirkung, er ist im Interesse der Verfahrensklarheit vom Vorsitzenden sofort als unzuläs42 Dahs NJW 1995 553, 556; HK/Julius/Bär 1; KMR/Stuckenberg 15; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Cierniak/Niehaus 3, 4; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 9; SSW/Franke 7. 43 Pfeiffer 5. 44 HK/Julius/Bär 6; KK/Diemer 6; Meyer-Goßner/Schmitt 10; Pfeiffer 7; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 14; SSW/Franke 9. 45 HK/Julius/Bär 7; KK/Diemer 5; KMR/Stuckenberg 15; OK-StPO/Eschelbach 8. 46 So früher SK/Schlüchter 9. 47 Vgl. Scheffler NJW 1994 2191, 2194; KK/Diemer 6; KMR/Stuckenberg 1; Meyer-Goßner/Schmitt 10; MüKo/Cierniak/Niehaus 3; OK-StPO/Eschelbach 10; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 13; SK/Velten 4. 48 Dazu LR/Gollwitzer25 § 249, 44 ff. 49 Vgl. BTDrucks. 12 6853 S. 34; HK/Julius/Bär 6; KK/Diemer 6; KMR/Stuckenberg 15; Meyer-Goßner/ Schmitt 10; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 15; SSW/Franke 9; a. A. LR/Gollwitzer25 13; OK-StPO/Eschelbach 10.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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sig zurückzuweisen. Wenn der Antragsteller trotzdem dazu mündliche Ausführungen vortragen will, darf ihm das Wort entzogen werden. Der Beschluss nach § 257a soll allerdings nicht ausschließen, dass das Gericht trotzdem auch eine mündliche Antragstellung zulässt, wenn dies den zügigen Ablauf des Verfahrens fördert und nicht behindert.50 Folgt man dieser Ansicht, ist im Interesse der Verfahrensklarheit zu fordern, dass alle Verfahrensbeteiligten in der Hauptverhandlung darauf hingewiesen werden, dass das Gericht den mündlichen Antrag als wirksam behandeln will, denn nur dann besteht für sie ein Anlass, zu seinem sachlichen Gehalt Stellung zu nehmen, bevor das Gericht darüber entscheidet. Werden allerdings mehrmals mündliche Anträge ausnahmsweise zugelassen, dann wird das Gericht zu prüfen haben, ob es seinen Beschluss nach § 257a nicht aufhebt oder aber zumindest gegenständlich so einschränkt, dass er der mündlichen Stellung der übrigen Anträge nicht mehr im Wege steht. d) Entscheidung über schriftlichen Antrag. Für die Entscheidung über den 24 schriftlich gestellten Antrag gelten keine Besonderheiten.51 Über ihn entscheidet das Gericht nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten (§ 33) nach den allgemeinen Grundsätzen. Die Entscheidung ist, sofern es sich nicht um einen erst im Urteil zu bescheidenden Hilfsantrag handelt, in der Hauptverhandlung bekanntzugeben. Die allgemeinen Grundsätze sind auch maßgebend dafür, ob dem Gericht die Entscheidung obliegt oder ob es genügt, wenn der Vorsitzende sich mit der Anregung befasst. 6. Sitzungsniederschrift. Der Beschluss, der die schriftliche Antragstellung anord- 25 net, ist mit Begründung in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen,52 gleiches gilt für den Beschluss, der eine solche Anordnung aufhebt oder ändert. Als wesentliche Förmlichkeit (§ 273 Abs. 1) dort zu beurkunden sind auch die Einreichung der schriftlichen Anträge und Anregungen, die als Anlage zum Protokoll genommen werden dürfen, sowie die weitere Sachbehandlung,53 also ihre Verlesung nach § 249 Abs. 1 oder Anordnung und Abschluss des Selbstleseverfahrens nach Maßgabe des § 249 Abs. 2,54 ferner die Entscheidung des Gerichts über den Antrag.55 Aufzunehmen sind nach § 273 Abs. 1 auch entgegen § 257a gestellte mündliche Anträge und ihre Zurückweisung als unzulässig.56 Wenn ein solcher Antrag ausnahmsweise zugelassen und sachlich beschieden wird, sollte die Sachbehandlung ebenfalls aus dem Protokoll ersichtlich sein. 7. Rechtsmittel a) Beschwerde. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Gerichts wird durch § 305 26 Satz 1 ausgeschlossen. Den von der Anordnung Betroffenen bleibt nur die Möglichkeit einer Gegenvorstellung.57 50 KMR/Stuckenberg 15; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Cierniak/Niehaus 15; Pfeiffer 5; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 8; SSW/Franke 7. 51 HK/Julius/Bär 6; KMR/Stuckenberg 17; Meyer-Goßner/Schmitt 11; OK-StPO/Eschelbach 11; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 11. 52 HK/Julius/Bär 6; KK/Diemer 4; KMR/Stuckenberg 13; MüKo/Cierniak/Niehaus 13; OK-StPO/Eschelbach 5, 7; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 7; SK/Velten 5; SSW/Franke 10. 53 KMR/Stuckenberg 15; Meyer-Goßner/Schmitt 9; OK-StPO/Eschelbach 8; SSW/Franke 10. 54 Vgl. LR/Mosbacher § 249, 88 ff. 55 KMR/Stuckenberg 17; Meyer-Goßner/Schmitt 11. 56 MüKo/Cierniak/Niehaus 15; SSW/Franke 10. 57 KK/Diemer 7; KMR/Stuckenberg 14; Meyer-Goßner/Schmitt 12; MüKo/Cierniak/Niehaus 17; OK-StPO/ Eschelbach 12; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 16; SK/Velten 6; SSW/Franke 11.

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§ 257b

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Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

b) Revision. Die rechtlich fehlerhafte Anwendung des § 257a kann mit der Revision nach § 337 gerügt werden, wenn durch den Beschluss des Gerichts die Verteidigung in einem wesentlichen Punkt beschränkt wurde, auch nach § 338 Nr. 8.58 Der Rechtsfehler kann in der Ermessensausübung, aber auch in Verfahrensfehlern liegen, etwa darin, dass nicht das Gericht, sondern der Vorsitzende die Anordnung getroffen hat. Voraussetzung für den Erfolg der Revision ist aber stets, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil auf dem Fehler beruht; dies setzt voraus, dass der betroffene Verfahrensbeteiligte dadurch in der Wahrnehmung seiner Verfahrensinteressen irreparabel behindert wurde. Dass er die Anträge schriftlich statt mündlich stellen musste, ist zumeist keine solche Behinderung, denn die Antragsbefugnis wird dadurch inhaltlich nicht eingeschränkt, und auch der Erfolg des Antrags hängt in der Regel von seinem sachlichen Gewicht und nicht von der Art seines Vortrags ab. Nur in Ausnahmefällen, etwa wenn eine ordnungsgemäße schriftliche Antragstellung nicht möglich war, weil das Gericht eine dazu erforderliche und erbetene Unterbrechung der Verhandlung versagte oder weil ein nicht rechtskundiger Angeklagter mit der schriftlichen Antragstellung überfordert war, kann dies anders zu beurteilen sein. In solchen Fällen kann mit der Aufklärungsrüge beanstandet werden, dass der Verfahrensbeteiligte durch die fehlerhafte Anordnung verhindert war, einen für die Sachaufklärung relevanten Beweisantrag zu stellen.59

§ 257b Erörterung des Verfahrensstands mit den Verfahrensbeteiligten Das Gericht kann in der Hauptverhandlung den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift wurde durch Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29.7.2009 (BGBl. I S. 2353) eingefügt.

1. 2. 3. 4.

1

Übersicht Bedeutung der Vorschrift Beteiligte 3 Entscheidung des Gerichts Zeitpunkt 7

1 4

5. 6. 7. 8.

8 Ablauf Gegenstand der Erörterungen Befangenheit 11 Sitzungsniederschrift 12

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1. Bedeutung der Vorschrift. Die Vorschrift bildet mit §§ 160b, 202a, 212 eine Gruppe von weitgehend gleichlautenden Vorschriften, die durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29.7.2009 eingefügt wurden und Erörterungen über den Stand des Verfahrens vorsehen.1 Während die übrigen Vorschriften das Ermittlungs58 HK/Julius/Bär 9; KK/Diemer 7; KMR/Stuckenberg 18; Meyer-Goßner/Schmitt 13; Pfeiffer 8; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 17; SK/Velten 6; SSW/Franke 11. 59 HK/Julius/Bär 9; KK/Diemer 7; KMR/Stuckenberg 18; Meyer-Goßner/Schmitt 13; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 17; abw. (§ 338 Nr. 8) MüKo/Cierniak/Niehaus 18; OK-StPO/Eschelbach 13. 1 Zur Entstehungsgeschichte vgl. Niemöller/Schlothauer/Weider 2 f. sowie Niemöller/Schlothauer/Weider A 18 ff.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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(§ 160b) und Zwischenverfahren (§ 202a) sowie Erörterungen vor und außerhalb2 der Hauptverhandlung (§ 212) regeln, betrifft § 257b alle nicht auf eine Verständigung gerichteten (Rn. 9) Erörterungen seitens des Gerichts in der Hauptverhandlung. Das gesetzgeberische Ziel dieser Vorschriften ist die Förderung der Kommunikation 2 unter den Verfahrensbeteiligten im Sinne eines „transparenten Verfahrensstils“,3 der durch § 257b auch in die Hauptverhandlung eingeführt werden soll. Mit der Vorschrift sollen zum einen alle Erörterungen ermöglicht werden, die einem möglichst effizienten und zweckgerichteten Verfahrensfortgang dienlich sind. Dies soll namentlich dem Interesse der anderen Verfahrensbeteiligten entgegenkommen, ihr weiteres Prozessverhalten möglichst sachgerecht zu gestalten;4 ein genereller Anspruch auf gerichtliche Information oder ein Rechtsgespräch bleibt ihnen jedoch weiterhin versagt (Rn. 6). Zum anderen soll klargestellt werden, dass sich das Gericht allein durch die Bekanntgabe seiner Einschätzung des Verfahrensstandes noch nicht dem Vorwurf der Befangenheit aussetze.5 Da dies in jeder Hinsicht dem vorherigen Rechtszustand entspricht,6 kommt der Norm allenfalls deklaratorische Bedeutung zu,7 zumal der Gesetzgeber über den Begriff der Befangenheit nicht verfügen kann (Rn. 11). Ihre praktische Bedeutung wird bisher als gering eingeschätzt, weil die öffentliche Erörterung nicht den Interessen der Verfahrensbeteiligten entspreche.8 Im Übrigen ist nicht zu übersehen, dass die gesetzgeberische Ermunterung zu Zwischenerörterungen, die vor Abschluss der Hauptverhandlung nur auf vorläufigen Einschätzungen unter Heranziehung des Akteninhalts sowie Spekulationen über künftige Beweisergebnisse beruhen können, die Tendenz zur Entwertung der Hauptverhandlung als allein maßgeblichem Entscheidungsfindungsvorgang fördert.9 2. Beteiligte. Unter den „Verfahrensbeteiligten“, mit denen die Erörterung stattfin- 3 den kann, sind die Personen und Stellen zu verstehen, die im Hinblick auf den Anklagevorwurf in der Hauptverhandlung mit eigenen Verfahrensrechten ausgestattet sind, somit der Angeklagte und sein Verteidiger, der Staatsanwalt, der Nebenkläger, in Steuerstrafverfahren auch die Finanzbehörde, nicht jedoch der Verletzte, Zeugen, Sachverständige und sonstige Dritte.10 3. Entscheidung des Gerichts. Das Gericht im Sinne dieser Vorschrift bezeichnet 4 die Gesamtheit der Richter einschließlich der Schöffen.11 Ob und worüber im Einzelnen Erörterungen stattfinden, entscheidet somit das Gericht nach Zwischenberatung unter 2 3 4 5 6

BTDrucks. 16 12310 S. 12; krit. OK-StPO/Eschelbach 10. BTDrucks. 16 12310 S. 12. Sehr krit. OK-StPO/Eschelbach 11. BTDrucks. 16 12310 S. 13; BGH NStZ 2011 590; 2011 591. Vgl. die Nachw. in Fn. 41; HK/Temming 1; KMR/v. Heintschel-Heinegg 2 m. w. N., 9; Meyer-Goßner/ Schmitt 1; MüKo/Kudlich 1; OK-StPO/Eschelbach 3; krit. SK/Velten 1 m. w. N. 7 OK-StPO/Eschelbach 2.3 (zudem weder erforderlich noch geeignet); Altenhain/Haimerl JZ 2010 327, 334; Jahn/Müller NJW 2009 2625, 2627; a. A. wohl SK/Velten 3 (§ 257b erweitere die bisher analog § 265 anerkannte Hinweispflicht bei erkannten Missverständnissen der Verteidigung auf deutlich erkennbare abweichende Bewertungen des Beweisergebnisses – dass der Gesetzgeber eine solche Pflicht begründen wollte, ist jedoch weder der Gesetzesbegründung noch dem Gesetzeswortlaut zu entnehmen); SSW/Franke 2 ff., 5. 8 OK-StPO/Eschelbach 10; Rönnau FS Schlothauer 367, 371; Pfister StraFo 2016 185, 195 („Dornröschenschlaf“). 9 OK-StPO/Eschelbach 6 f.; vgl. Roxin/Schünemann § 47, 5. 10 BTDrucks. 16 12310 S. 11 f.; HK/Temming 12; KK/Wenske 12; KMR/v. Heintschel-Heinegg 4 ff.; OK-StPO/ Eschelbach 8; SSW/Franke 8. 11 BTDrucks. 16 12310 S. 13.

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Einbeziehung der Schöffen, denen dabei die nötige Aktenkenntnis nicht vorenthalten werden darf,12 worin eine Abkehr von der vorherigen Absprachenpraxis liegt.13 Ob das Gericht eine Erörterung des Verfahrensstandes in öffentlicher Hauptverhand5 lung für förderlich hält, steht in seinem Ermessen.14 Des Einverständnisses der anderen Verfahrensbeteiligten bedarf es nicht.15 Das Gericht wird diese Möglichkeit vor allem nutzen, um eine Reaktion der übrigen Verfahrensbeteiligten zu erhalten, sei es in Gestalt von Anregungen oder Anträgen, sei es durch Zustimmung zum geplanten weiteren Ablauf der Beweisaufnahme.16 Obschon der Gesetzgeber in der gerichtlichen Initiative zu solchen Erörterungen noch keinen Anschein der Befangenheit sah (Rn. 2), ist dennoch Zurückhaltung angebracht (vgl. Rn. 11).17 Die übrigen Verfahrensbeteiligten können eine gerichtliche Stellungnahme anregen, 6 doch hat ihnen der Gesetzgeber keinen Anspruch auf eine gerichtliche Einschätzung des Verfahrensstandes, ein Rechtsgespräch oder auch nur auf die Ausräumung möglicher Missverständnisse eingeräumt,18 sondern nur auf ermessensfehlerfreie Entscheidung.19 Eine denkbare Ermessensreduzierung dürfte nur in den bisher schon anerkannten Fällen vorkommen, wo eine Hinweispflicht sich aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens oder des rechtlichen Gehörs ergibt.20 7

4. Zeitpunkt. § 257b legt nicht fest, zu welchem Zeitpunkt in der Hauptverhandlung die Erörterungen über den Verfahrensstand erfolgen können. Der systematischen Stellung hinter den Vorschriften über die Beweisaufnahme kommt insofern keinerlei Bedeutung zu.21 Die Erörterungen können daher jederzeit während der Hauptverhandlung stattfinden, wenn das Gericht sie für dienlich hält.

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5. Ablauf. Das Gesetz trifft keine Regelung über den Ablauf der Erörterungen, deren Gestaltung dem Vorsitzenden im Rahmen seiner Verhandlungsleitung gemäß § 238 Abs. 1 obliegt.22 Den anderen Verfahrensbeteiligten ist, wenn das Gericht seine Einschätzung des Verfahrensstandes mitgeteilt hat, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.23

12 HK/Temming 5; KK/Wenske 10 (ggf. mündliches Referat des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen); MüKo/Kudlich 8; OK-StPO/Eschelbach 8; SK/Velten 5; näher Rönnau FS Schlothauer 367, 371 ff., 378 f.; Harrendorf/Lagler StV 2019 428, 432; s. a. Schünemann FS Geppert 649, 651; Weigend FS Maiwald 829, 834 f.; zur umstrittenen Frage der Aktenkenntnis der Schöffen siehe § 200, 27 m. w. N. 13 Vgl. OK-StPO/Eschelbach 10. 14 Zur Problematik dieses Ermessens Salditt FS Tolksdorf 377, 380 ff. 15 Niemöller/Schlothauer/Weider 7. 16 Niemöller/Schlothauer/Weider 6. 17 Niemöller/Schlothauer/Weider 7; Jahn/Müller NJW 2009 2625, 2627. 18 HK/Temming 4, 13; KK/Wenske 3, 8; KMR/v. Heintschel-Heinegg 10; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/ Kudlich 11 ff.; Niemöller/Schlothauer/Weider 7; OK-StPO/Eschelbach 3, 12; SSW/Franke 11; teilw. a. A. SK/ Velten 1, 3. 19 OK-StPO/Eschelbach 12; SK/Velten 2; SSW/Franke 11; vorsichtig erwägend MüKo/Kudlich 13; a. A. HK/ Temming 13; KK/Wenske 8. 20 Vgl. LR/Stuckenberg § 265, 51 ff., 76, 84 ff.; a. A. SK/Velten 3; diff. MüKo/Kudlich 12 (Ermessensreduzierung zur Vermeidung von Befangenheit). 21 HK/Temming 1, 8; KK/Wenske 9; MüKo/Kudlich 4; OK-StPO/Eschelbach 4, 6; SK/Velten 5; vgl. MeyerGoßner/Schmitt § 257c, 1. 22 BTDrucks. 16 12310 S. 13; OLG Frankfurt NStZ-RR 2010 213 f.; HK/Temming 5; KMR/v. Heintschel-Heinegg 3, 8; Meyer-Goßner/Schmitt 4; Niemöller/Schlothauer/Weider 8; SK/Velten 6; SSW/Franke 7. 23 HK/Temming 5 (Diskussion erforderlich); KK/Wenske 5 f. (diskursiver Austausch nötig); MüKo/Kudlich 7; OK-StPO/Eschelbach 8; SK/Velten 5.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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6. Gegenstand der Erörterungen. Der mögliche Gegenstand der Erörterungen ist 9 mit „Stand des Verfahrens“ denkbar weit gefasst und kann sowohl Verfahrensfragen als auch die sachlich-rechtliche Fragen betreffen. Das Erfordernis der Eignung, „das Verfahren zu fördern“, zieht nur die Grenze des Selbstverständlichen. Der Entstehungszusammenhang der Vorschrift legt nahe, dass es weniger um die Förderung des herkömmlichen Prozessziels der Wahrheitsfindung durch umfassende Sachaufklärung gehen könnte als um das neue Prozessziel der ökonomischen Verfahrensbeendigung in gegenseitigem Einvernehmen. Doch während nach dem Willen des Gesetzgebers die Erörterungen gemäß §§ 202a, 212 auch Möglichkeit und Umstände einer Verständigung im Hauptverfahren betreffen können,24 was der neue § 243 Abs. 4 Satz 1 bestätigt, soll sich aus dem systematischen Zusammenhang mit § 257c die negative Abgrenzung ergeben, dass § 257b auf Gespräche beschränkt ist, die der Transparenz und Verfahrensförderung dienen, aber nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung gerichtet sind.25 Freilich können sie auch der Vorbereitung einer Verständigung dienen,26 zumal 10 die Gesetzesbegründung selbst die Angabe einer Ober- und Untergrenze der nach gegenwärtigem Verfahrensstand zu erwartenden Strafe durch das Gericht als Beispiel nennt,27 was nur mit Blick auf das Ziel einer Verständigung sinnvoll erscheint.28 Ferner ist an Gespräche über eine einstweilige Bewertung von Zeugenaussagen oder anderen Beweiserhebungen gedacht,29 verbunden mit der Prognose, ob weitere Beweiserhebungen der Aufklärung dienen könnten oder nicht,30 was ebenfalls der Vorbereitung einer Verständigung dienen kann. Nach Ansicht des BVerfG zählen zu den verfassungsrechtlich unbedenklichen „unverbindlichen Erörterungen“ im Sinne einer „offenen, kommunikativen Verhandlungsführung“ auch Hinweise auf die vorläufige Beurteilung der Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses.31 Solche Prognosen und Hinweise allein haben somit keine Bindungswirkung.32 Ergibt es sich, dass Erörterungen zum Verfahrensstand in unmittelbar auf den Inhalt einer Verständigung gerichtete „Verhandlungen“ übergehen, so unterliegen sie dann der Regelung des § 257c,33 auch wenn nur das Gericht dies intendiert.34 Allerdings erscheint zweifelhaft, ob die vom Gesetzgeber gewollte Unterscheidung von Erörterungen, die auf eine Verständigung „gerichtet“ sind,

24 BTDrucks. 16 12310 S. 12; krit. Altenhain/Haimerl JZ 2010 327, 334. 25 BTDrucks. 16 12310 S. 12 f.; BGH NStZ 2015 535, 536 f.; BGH 8.12.2015 – 5 StR 467/15 Rn. 2; OLG Hamm NStZ 2016 565, 566 mit abl. Anm. Bittmann. 26 BGH NStZ 2011 590, 591; 2015 535, 536 mit Anm. Kudlich StV 2016 89; NStZ 2016 118, 119; HK/ Temming 3; KK/Wenske 2, 5; KMR/v. Heintschel-Heinegg 9; Meyer-Goßner/Schmitt 2; MüKo/Kudlich 3, 10; Radtke/Hohmann/Ambos/Ziehn 2; SK/Velten 1, 3; Altenhain/Haimerl JZ 2010 327, 334; Trück ZWH 2013 169, 172; krit. OK-StPO/Eschelbach vor 1 und 1.1; Gierhake JZ 2013 1030, 1037. 27 BTDrucks. 16 12310 S. 12. 28 Altenhain/Haimerl JZ 2010 327, 334; Jahn/Müller NJW 2009 2625, 2627; auch HK/Temming 9 f.; krit. Kempf StraFo 2014 105, 108; Rode StraFo 2015 89, 90 (das „Rechtsgespräch“ würde dann zwangsläufig „Tatsachenfeststellungsgespräch“); zu „Überfall“situationen ungefragter Strafprognosen krit. Salditt StraFo 2015 1, 5; s. a. ders. FS Tolksdorf 377, 380 ff. 29 BTDrucks. 16 12310 S. 13. 30 Niemöller/Schlothauer/Weider 5. 31 BVerfGE 133 168, 228 Rn. 106; a. A. noch Caspari DRiZ 2013 6, 8. 32 BGH StV 2012 392, 393; 2013 432 f.; NStZ 2015 535, 536. 33 BTDrucks. 16 12310 S. 13; BGH NStZ 2018 49; KMR/v. Heintschel-Heinegg 9; Meyer-Goßner/Schmitt 2; Niemöller/Schlothauer/Weider 10. 34 BGH NStZ 2016 688, 689 mit abl. Anm. Pfister und Bittmann NStZ-RR 2016 348; abl. auch ders. NStZ 2016 425, 426 (nur, wenn dieses Ziel wenigstens von zwei potentiellen Verständigungspartnern verfolgt wird).

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und solchen, die ihnen anderweitig vorgelagert sind, praktikabel ist, schließlich werden Erörterungen in der Hauptverhandlung in der Regel nicht ziellos erfolgen.35 Sie hätte auch die seltsame Konsequenz, dass das Gesetz Vorgespräche zu Verständigungen vor und außerhalb der Hauptverhandlung (§§ 202a, 212), aber nicht in der Hauptverhandlung vorsieht,36 womit die angestrebte Transparenz nicht erhöht würde. Einige jüngere Judikate neigen dazu, Gespräche, die die Möglichkeit einer Verständigung klären sollen, gleichsam als „Verständigungsvorgespräche“37 unter § 257b zu fassen38 mit der Folge, dass zu differenzieren wäre zwischen verständigungsindifferenten und verständigungsvorbereitenden Erörterungen unter § 257b sowie den eigentlichen Verständigungsgesprächen nach § 257c mit unterschiedlichen Mitteilungs- (§ 243 Abs. 4 Satz 2)39 und Protokollierungspflichten (§ 273 Abs. 1 Satz 2 bzw. Abs. 1a). Zur derzeit unklaren Abgrenzung40 zwischen unverbindlichen und mitzuteilenden verständigungsvorbereitenden Erörterungen s. die Erl. zu § 243. 11

7. Befangenheit. Die bloße Abgabe einer Einschätzung zum Verfahrensstand begründete auch nach bisheriger Ansicht noch keinen Anschein der Befangenheit.41 Die mit der Einfügung des § 257b bezweckte Klarstellung (Rn. 2) ändert daran nichts. Im Übrigen könnte der Gesetzgeber ein gerichtliches Verhalten, das als befangen anzusehen ist, auch nicht per Gesetz als unbefangen definieren, weil der Begriff der verbotenen Befangenheit sich aus dem Verfassungsgebot des unparteilichen Richtens (Art. 101 Abs. 1 Satz 2, Art. 97 GG) ableitet,42 das wiederum als Teil des rechtsstaatlichen Objektivitätsgebotes43 auch dem verfassungsändernden Gesetzgeber entzogen44 und zudem noch völkerrechtlich fundiert (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) ist. Folglich wird das Gericht, das nach § 257b vorgeht, darauf achten müssen, durch den Inhalt seiner Ausführungen nicht die Schwelle zum Anschein der Parteilichkeit zu überschreiten, mithin jegliche Besorgnis einer endgültigen Festlegung auf bestimmte Beweisergebnisse, rechtliche Einschätzungen oder Verfahrensziele meiden sowie alle Verfahrensbeteiligten in die Er-

35 Ebenso König/Harrendorf AnwBl. 2013 321, 322 (eine wirklich unverbindliche Konversation gebe es im Strafprozess nicht); Duttge FS Schünemann 875, 882; s. a. OK-StPO/Eschelbach § 275c, 4 f.; Ziegler FS v. Heintschel-Heinegg 521, 531 f. 36 Altenhain/Haimerl JZ 2010 327, 334 (skurriles Ergebnis); Trück ZWH 2013 169, 172; krit. zum Verhältnis von § 257b zu § 257c auch Meyer in: 39. Strafverteidigertag 129, 139 mit Fn. 31. 37 Ausdruck von Bittmann NStZ 2016 119, 120; s. a. ders. NStZ 2016 567, 568. 38 BGH NStZ 2015 535, 536 mit Anm. Kudlich StV 2016 89; NStZ 2016 118, 119 mit Anm. Bittmann. 39 Da die Erörterungen nach § 257b in der Hauptverhandlung stattfinden, bedarf es keiner Mitteilung darüber gem. § 243 Abs. 4. Anders könnte es sein, wenn die Erörterungen in einem Teil der Hauptverhandlung, bei dem die Öffentlichkeit ausgeschlossen war, stattfanden, verneinend BGH NStZ 2016 118 f. mit Anm. Bittmann; krit. BVerfG 16.2.2016 – 2 BvR 107/16; dagegen krit. Pfister StraFo 2016 187, 196. 40 Auf die Thematisierung eines Gegenseitigkeitsverhältnisses („synallagmatischen Konnexes“) im Anschluss an BVerfGE 133 168, 216 f. Rn. 85 stellen ab BVerfG NStZ 2016 422, 424; BGH NStZ 2014 217, 218; 529 f. mit Anm. Allgayer; 2015 535, 536 f. mit Anm. Kudlich StV 2016 89; NStZ 2015 657, 658; NStZ-RR 2017 181 f. m. w. N.; NStZ 2019 684, 685 mit Anm. Bittmann; NStZ 2020 237 f. mit Anm. Bittmann; dazu krit. OKStPO/Eschelbach 1; hingegen lässt BGH NStZ 2016 688, 689 mit abl. Anm. Pfister genügen, dass die Gespräche auf ein Einvernehmen abzielen und deshalb „als Vorbereitung einer Verständigung verstanden werden können“ (ebenfalls im Anschluss an BVerfGE 133 168, 216 f. Rn. 85). 41 Vgl. BGHSt 42 46, 48 f.; 45 312, 316; 50 40, 46; a. A. noch BGHSt 37 298, 303 f. 42 St. Rspr., BVerfGE 3 377, 381; 4 331, 346; 14 377, 381; 18 241, 255; 21 139, 145 f.; 30 149, 153; 82 286, 298; 89 28, 36; BVerfGK 5 269, 279 f.; 12 139, 143; BVerfG NJW 2010 2421; VersR 2010 2036. 43 BVerfGE 82 159, 194; BVerfG NJW 1992 2075 f.; DtZ 1992 281. 44 OK-StPO/Eschelbach 5 m. w. N.; Harrendorf/Lagler StV 2019 428, 429.

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örterungen einbeziehen45 und den Angeklagten nicht zu einem Geständnis drängen.46 Unabgestimmte Einzelmeinungen des Vorsitzenden als Erörterungen „nach § 257b“, mithin Ansicht des ganzen Gerichts, auszugeben, kann den Eindruck der Voreingenommenheit erwecken und ist daher zu vermeiden.47 8. Sitzungsniederschrift. Obwohl die von der Vorschrift geregelten Erörterungen 12 keine prozessualen Rechtsfolgen nach sich ziehen,48 hat der Gesetzgeber sie als wesentliche Förmlichkeiten des Verfahrens betrachtet und im neu eingefügten § 273 Abs. 1 Satz 2 angeordnet, dass Inhalt und wesentlicher Ablauf von Erörterungen nach § 257b zu protokollieren sind.49

§ 257c Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten (1) 1Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. 2§ 244 Absatz 2 bleibt unberührt. (2) 1Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. 2Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. 3Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein. (3) 1Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. 2 Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. 3Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. 4Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen. (4) 1Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. 2Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. 3Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. 4Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen. (5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

45 A. A. KK/Wenske 13 f. (die nicht einbezogenen seien aber anschließend zu unterrichten). 46 Vgl. MüKo/Kudlich 2; SK/Velten 8. 47 Befangenheit verneinend OLG Hamburg StV 2019 382; dagegen mit beachtlichen Gründen Harrendorf/Lagler StV 2019 428, 429 ff. 48 KK/Wenske 15; OK-StPO/Eschelbach 13. 49 Für Streichung KK/Wenske 15 f. Zu widersprüchlichem Protokollinhalt vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2010 213 f.

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Schrifttum Deutsches Recht. Altenhain Zum zukünftigen Umgang mit „brauchbarer Illegalität“, in: Jahn/Nack (Hrsg.), Rechtsprechung in Strafsachen zwischen Praxis und Theorie – zwei Seiten einer Medaille? (2013) 63; ders. Absprachen im Ermittlungsverfahren, in: Barton/Kölbel/Lindemann (Hrsg.), Wider die wildwüchsige Entwicklung des Ermittlungsverfahrens (2015) 219; Altenhain/Dietmeier/May Die Praxis der Absprachen im Strafverfahren (2013); Altenhain/Hagemeier/Haimerl Die Vorschläge zur gesetzlichen Regelung der Urteilsabsprachen im Lichte aktueller rechtstatsächlicher Erkenntnisse, NStZ 2007 71; Altenhain/Hagemeier/Haimerl/Stammen Die Praxis der Absprachen in Wirtschaftsstrafverfahren (2007); Altenhain/Haimerl Modelle konsensualer Erledigung des Hauptverfahrens (unter Berücksichtigung des Beschlusses des Großen Senats für Strafsachen vom 3. März 2005), GA 2005 281; dies. Vom Vorgespräch zur Urteilsabsprache – Modell einer außerhalb der Hauptverhandlung vorbereiteten Verständigung, DRiZ 2005 56; dies. Die gesetzliche Regelung der Verständigung im Strafverfahren – eine verweigerte Reform, JZ 2010 327; Altvater Kann nach der gesetzlichen Regelung der Verständigung im Strafverfahren auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Urteilsabsprache zurückgegriffen werden? FS Rissing-van Saan (2011) 1; ders. Überprüfung der Verständigung durch die Revision, StraFo 2014 221; Arenhövel Dealer in schwarzen Roben? DRiZ 2013 370; Arnold Geständniß statt des Verdicts, GS 7 (1855) 265; Baumann Von der Grauzone zur rechtsstaatlichen Regelung – Ein Vorschlag zur Einführung des Rechtsgesprächs in § 265 StPO, NStZ 1987 157; Becker Transparenz in Mauschelhausen? – Die strafprozessuale Verständigung seit der Entscheidung BVerfGE 133, 168, JA 2017 641; ders. Strafrechtliche Verständigung und philosophische Wahrheitstheorien, FS Fischer (2018) 603; Berenbrink Absprache und Rechtsmittelverzicht, JA 2005 889; ders. Der übereilte Rechtsmittelverzicht des Angeklagten. Eine Untersuchung unter normativen und erfahrungswissenschaftlichen Gesichtspunkten (2005); Bernsmann Die „Ambivalenz“ von Absprachen im Strafprozess, in: Goldbach (Hrsg.), Der Deal mit dem Recht. Absprachen im Strafprozess (2004) 21; Beulke Strafbarkeitsrisiken des Strafverteidigers bezüglich seiner Mitwirkung an einer prozessordnungswidrigen Verständigung im Strafverfahren, FS Schlothauer (2018) 315; Beulke/Satzger Der fehlgeschlagene Deal und seine prozessualen Folgen – BGHSt 42, 191, JuS 1997 1072; Beulke/Stoffer Bewährung für den Deal? JZ 2013 662; Beulke/Swoboda Zur Verletzung des Fairtrial-Grundsatzes bei Absprachen im Strafprozess, JZ 2005 67; Bittmann Gesetzliche Regelung der Verständigung im Strafverfahren, DRiZ 2007 22; ders. Das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren, wistra 2009 414; ders. Die kommunikative Hauptverhandlung im Strafprozess, NJW 2013 3017; ders. Übersicht über die Rechtsprechung zum Verständigungsgesetz seit 2010, ZWH 2013 260; ders. Das Verständigungsgesetz in der Rechtsprechung seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19.3.2013, ZWH 2014 249; ders. Rechtsprechung zum Verständigungsgesetz 2014/15, ZWH 2015 249; ders. Missverstandene Verständigung – Mythen, Unfehlbarkeit, Folgsamkeit, Bodenhaftung, NStZ 2015 545; ders. Rechtsprechung zum Verständigungsgesetz 2015/16, ZWH 2016 261; ders. Rechtsprechung zum Verständigungsgesetz 2016/ 17, ZWH 2017 233; ders. Rechtsprechung zum Verständigungsgesetz 2017/18, ZWH 2018 239; ders. Rechtsprechung zum Verständigungsgesetz 2018/19, ZWH 2019 201; Blaschke Die Verständigung im Strafverfahren aus der Sicht der Inhaftierten, NJ 2018 108; Bode Verständigung im Strafprozeß, DRiZ 1988 281; Bohlander Entlastung der Strafrechtspflege – Ersetzung des § 244 II StPO durch § 288 I ZPO? NStZ 1992 578; Bommer et al. Alternativ-Entwurf Abgekürzte Strafverfahren im Rechtsstaat (AE-ASR), Entwurf eines Arbeitskreises deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer (Arbeitskreis AE), GA 2019 1; Böttcher Der Deutsche Juristentag und die Absprachen im Strafprozeß, FS Meyer-Goßner (2001) 49; Böttcher/Dahs/Widmaier Verständigung im Strafverfahren – eine Zwischenbilanz, NStZ 1993 375; Böttcher/Widmaier Absprachen im Strafprozeß? – Besprechung des Urteils des BGH vom 23.1.1991 – 3 StR 365/90, JR 1991 353; Bottke Strafprozedurale Fairneß und Bindung an eine für den Fall des Geständnisses genannte Strafmaßobergrenze, GedS Zipf (1999) 451; Brand/Petermann Der „Deal“ im Strafverfahren, das Negativattest und die Beweiskraft des Protokolls, NJW 2010 268; Braun Die Absprache im deutschen Strafverfahren (1998); ders. Gründe für das Auftreten von Absprachen im Strafverfahren, AnwBl. 2000 222; ders. Vorschlag für eine Abspracheregelung im Strafverfahren, StraFo 2001 77; Brocke Justiz unter Beobachtung – Das Urteil des BVerfG zur Verständigung in Strafsachen und seine Auswirkungen auf die staatsanwaltschaftliche und strafrichterliche Praxis, StraFo 2013 441; Bung Verständigung, FS Wolf Schiller (2014) 103; Busch-Gervasoni Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verständigung im Strafprozess: Auswirkungen und praktischer Reformbedarf für das Strafverfahren aus staatsanwaltlicher Sicht, FS Schiller 109; Bussmann Die Entdeckung der Informalität (1991); Bussmann/Lüdemann Klassenjustiz oder Verfahrensökonomie? Aushandlungen in Wirtschafts- und allgemeinen Strafverfahren (1995); dies. Rechtsbeugung oder rationale Verfahrenspraxis? –

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Über informelle Absprachen in Wirtschaftsstrafverfahren, MschrKrim. 1988 81; Caspari Deal or no Deal – ohne größere Veränderungen wird es nicht gehen, DRiZ 2013 6; ders. Verständigung? Wenn’s Recht ist …, DRiZ 2013 160; Cramer Absprachen im Strafprozeß, FS Rebmann (1989) 145; Dahs Absprachen im Strafprozess. Chancen und Risiken, NStZ 1988 153; ders. Absprachen im Strafprozeß – Wirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts, NStZ 2005 580; Deal (Weider) Der strafprozessuale Vergleich, StV 1982 545; Deiters Aufklärungspflicht und Verständigung, GA 2014 701; Demuth Beim „Deal“ sind die Beteiligten vorsichtiger geworden, DRiZ 2014 122; Dencker Beschleunigung des Strafprozesses. Vereinfachte Feststellung von Sachverhalten, die von den Verfahrensbeteiligten als „unstreitig“ bezeichnet werden, StV 1994 503; ders. Zum Geständnis im Straf- und Strafprozeßrecht, ZStW 102 (1990) 51; Dencker/Hamm Der Vergleich im Strafprozeß (1988); Deutscher Fünf Jahre Verständigungsgesetz – Verständigungen in verkehrsrechtlichen Verfahren am Amtsgericht, VRR 2014 410; Dießner Der „Deal“ nach „alter Schule“ im Lichte des Verständigungsgesetzes – eine strafrechtliche Risikoanalyse, StV 2011 43; Dippel Urteilsabsprachen im Strafverfahren und das Prozessziel der Wiederherstellung des Rechtsfriedens, FS Widmaier (2008) 105; Dose/Voigt Kooperatives Recht: Norm und Praxis, in: Dose/Voigt (Hrsg.), Kooperatives Recht (1995) 11; Drews Die Königin unter den Beweismitteln? Eine interdisziplinäre Untersuchung des (falschen) Geständnisses (2013); Duttge Möglichkeiten eines Konsensualprozesses nach deutschem Strafprozessrecht, ZStW 115 (2003) 539; ders. Von Flutwellen, Sümpfen und Wetterzeichen – zu den aktuellen Bestrebungen, Urteilsabsprachen per Gesetz zu „zähmen“, FS Böttcher (2007) 53; ders. Die Urteilsabsprache als Signum einer rechtlichen Steuerungskrise, FS Schünemann (2014) 875; F. Eckstein Die Einstellung des Verfahrens gem. § 154 StPO im Rahmen einer Verständigung gem. § 257c StPO, NStZ 2017 609; K. Eckstein Informelle Absprachen und ökonomische Geständnisse – zugleich eine Besprechung von Karsten Altenhain/Frank Dietmeier/Markus May, Die Praxis der Absprachen in Strafverfahren, NK 2014 103; Eidam Die strafprozessuale Selbstbelastungsfreiheit am Beginn des 21. Jahrhunderts (2007); El-Ghazi Auswirkungen einer konsensualen Verfahrensbeendigung auf das Berufungsverfahren, JR 2012 406; Ellscheid Noch einmal: Der „Strafbescheid“ als Alternative zum Deal? in: KritV-Sonderheft, Winfried Hassemer zum 60. Geburtstag (2000) 37; Engländer Gemeinwohl und Urteilsabsprachen im Wirtschaftsstrafverfahren, in: Kempf/Lüderssen/Volk (Hrsg.), Gemeinwohl im Wirtschaftsstrafrecht (2013) 303; ders. Verständigung im Strafverfahren, in: Paal/Poelzig (Hrsg.), Effizienz durch Verständigung (2015) 23; Erb Absprachen im Strafverfahren als Quelle unbeherrschbarer Risiken für den Rechtsstaat, GedS Blomeyer (2004) 743; ders. Zur Strafbarkeit von Grenzüberschreitungen bei Verfahrensabsprachen, StV 2014 103; Erler Absprachen im Strafprozess – ein Jahr nach der Entscheidung des BVerfG, JZ 2015 183; Eschelbach Absprachen in der strafrechtlichen Hauptverhandlung, JA 1999 694; ders. Absprachepraxis versus Wiederaufnahme des Verfahrens, HRRS 2008 190; ders. Regina probationum, FS Rissing-van Saan (2011) 115; ders. Rechtsmittelverzicht nach Urteilsabsprachen im Strafverfahren, ZAP 2014 523; ders. Informelle Urteilsabsprachen, FS Paeffgen (2015) 637; ders. Effizienz durch Verständigung im Strafverfahren – die Kraft des Faktischen, in: Paal/Poelzig (Hrsg.), Effizienz durch Verständigung (2015) 37; Eser Funktionswandel strafrechtlicher Prozeßmaximen: Auf dem Weg zur „Reprivatisierung“ des Strafverfahrens? ZStW 104 (1992) 361; Fahl Der abgesprochene Rechtsmittelverzicht, ZStW 117 (2005) 605; Fahl/Geraats Absprachen im Strafprozess, JA 2009 791; Fezer Inquisitionsprozess ohne Ende? NStZ 2010 177; ders. Vom (noch) verfassungsgemäßen Gesetz über den defizitären Vollzug zum verfassungswidrigen Zustand, HRRS 2013 117; Fischer Regelung der Urteilsabsprache – ein Appell zum Innehalten, NStZ 2007 433; ders. Absprache-Regelung: Problemlösung oder Problem? StraFo 2009 177; ders. Unternehmensstrafrecht in der Revision, StraFo 2010 329; ders. Ein Jahr Absprache-Regelung, ZRP 2010 249; ders. Die Deal-Entscheidung. Polemik über die rasselnden Federn der Justiz, FS Kühne (2013) 203; ders. Strafbarkeit beim Dealen mit dem Recht? Über Lausbuben- und Staatsstreiche, HRRS 2014 324 = GedS Seebode (2015) 59; Förschner Der Deal und seine Folgen … Geständniswiderruf und Wiederaufnahme, StV 2008 443; von Frankenberg Konsens als Regel – Was gilt in Mauschelhausen? MschrKrim. 2011 228; dies. Grundlagen konsensualer Konfliktlösungsprozesse (2013); Friehe Der Verzicht auf Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen – Zugleich ein Beitrag zur Problematik strafprozessualer Absprachen (1997); Frisch Rechtsmittelverzicht, Rechtsmittelrücknahme und Absprachen, FS Dencker (2012) 95; ders. Zur Renaissance der Verfahrensrüge in der Judikatur zur Verständigung, GedS Weßlau (2016) 127; ders. Schuldprinzip und Absprachen, FS Streng (2017) 685; Frister Zur strafmildernden Wirkung eines schuldanerkennenden Geständnisses, FS Rengier (2018) 377; Fromm Deals im Straßenverkehrs-Ordnungswidrigkeitenverfahren, NZV 2010 550; ders. Protokollierung von Absprachen und Befangenheit im Wirtschaftsstrafprozess, ZWH 2015 4; Frommann Die strukturelle Parteilichkeit des Strafrichters unter besonderer Berücksichtigung des Verständigungsverfahrens (2015); Gaede/Rübenstahl Die Effektivierung der

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revisionsgerichtlichen Rechtskontrolle von Urteilsabsprachen durch die Unwirksamkeit des absprachebedingten Rechtsmittelverzichts, HRRS 2004 342; Gallandi Vertrauen im Strafprozeß, MDR 1987 801; Gatzweiler Die Verständigung im Strafprozeß – Standortbestimmung eines Strafverteidigers, NJW 1989 1903; Geiger Die Verständigung im Strafverfahren – Entwicklung und Perspektiven, FS Nehm (2006) 269; Gerlach Absprachen im Strafverfahren. Ein Beitrag zu den Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen im Strafverfahren (1992); Gieg Letzter Anlauf für eine gesetzliche Regelung von Verständigungen im Strafverfahren? GA 2007 469; Gössel Über die sog. „Einigung“ im Strafverfahren, GedS Blomeyer (2004) 759; ders. Zur Zulässigkeit von Absprachen im Strafverfahren in der Rechtsprechung, FS Böttcher (2007) 79; ders. Quo vadis, Strafverfahren? Zweckmäßigkeit versus Gerechtigkeit: Vom rechtsstaatlichen Strafprozess zum geheimen Willkürverfahren in der babylonischen Gefangenschaft der Justiz, FS Fezer (2008) 495; ders. Über den unaufhebbaren Gegensatz zwischen Wahrheitsermittlungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) und verfahrensverkürzenden Abreden (§ 257c StPO) im Strafprozess. Auch: Über mögliche Gründe einer unzulänglichen verfassungsgerichtlichen Argumentation, FS Beulke (2015) 737; Graf Fehlerquellen bei der Verständigung im Strafverfahren, DRiZ 2016 308; Graumann Vertrauensschutz und strafprozessuale Absprachen (2006); ders. Die Absprache über die Nichtverfolgung einer Tat gemäß § 154 StPO, HRRS-FG Fezer 53; ders. Die gesetzliche Regelung von Absprachen im Strafverfahren – Die Gesetzesentwürfe und der Vertrauensschutz des Angeklagten bei einer fehlgeschlagenen Verständigung über das Strafmaß, HRRS 2008 122; Greco „Fortgeleiteter Schmerz“ – Überlegungen zum Verhältnis von Prozessabsprache, Wahrheitsermittlung und Prozessstruktur, GA 2016 1; Grünwald Zur Ankündigung von Strafmilderung für den Fall eines Geständnisses, NJW 1960 1941; ders. Menschenrechte im Strafprozeß, StV 1987 453; Günter Verständigung im Strafprozeß – nicht grenzenlos, DRiZ 1987 406; ders. Der Gesetzgeber muß notfalls Konsequenzen ziehen, DRiZ 1989 151; Gutterer Der Deal: Strafzusage gegen Geständnis (1995); G. Haas Vereinbarungen im Strafverfahren – Ein Beitrag zur Lehre von den Prozeßhandlungen, NJW 1988 1345; V. Haas Zur Verbindlichkeit und Zulässigkeit strafprozessualer Absprachen, GedS Keller (2003) 45; Hamm Absprachen im Strafverfahren? Grundlagen, Gegenstände und Grenzen, ZRP 1990 337; ders. Braucht die StPO, um wieder zu gelten, ein Dealgesetz? FS Welp (2006) 57; ders. Ist die Entformalisierung des Strafrechts und des Strafprozessrechts unaufhaltsam? in: Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie (Hrsg.), Jenseits des rechtsstaatlichen Strafrechts (2007) 521; ders. Ist Strafverteidigung noch Kampf? NJW 2006 2084; ders. Quo vadis Strafprozess? FS Egon Müller (2008) 235; ders. Rechtsgespräch oder Urteilsabsprachen? Der Deal erreicht die Revision, FS Dahs (2005) 267; ders. Von der Unmöglichkeit, Informelles zu formalisieren – das Dilemma der Urteilsabsprachen, FS Meyer-Goßner (2001) 33; ders. Urteil oder Vergleich? – § 257c StPO und die Wahrheitssuche, FS Dencker (2012) 147; ders. Wie kann das Strafverfahren jenseits der Verständigung künftig praxisgerechter gestaltet werden – sind Reformen des Strafprozesses erforderlich? StV 2013 652; Hammerstein Das Geständnis und sein Wert – Lippenbekenntnisse in der Strafzumessung, StV 2007 48; Hanack Das Legalitätsprinzip und die Strafrechtsreform, FS Gallas (1973) 339; ders. Vereinbarungen im Strafprozeß, ein besseres Mittel zur Bewältigung von Großverfahren? StV 1987 500; Harms Die konsensuale Verfahrensbeendigung, das Ende des herkömmlichen Strafprozesses? FS Nehm (2006) 289; R. Hassemer/Hippler Informelle Absprachen in der Praxis des deutschen Strafverfahrens, StV 1986 360; W. Hassemer Pacta sunt servanda – auch im Strafprozeß? – BGH NJW 1989, 2270, JuS 1989 890; ders. Förmlichkeiten im Strafprozess, FS Volk (2009) 207; ders. Konsens im Strafprozeß, FS Hamm (2008) 171; Hauer Geständnis und Absprache (2007); dies. Das neue Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren – Die verpasste Chance eines Neuanfangs! NJ 2010 10; Heger/Pest Verständigungen im Strafverfahren nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, ZStW 126 (2014) 446; Heghmanns Strafmilderungen für Geständnis oder Kooperation? FS Dencker (2012) 155; Heister-Neumann Absprachen im Strafprozess – Der Vorschlag Niedersachsens zu einer gesetzlichen Regelung, ZRP 2006 137; Hellebrand Geständniswiderruf und Wiederaufnahmeverfahren. Gedanken zu Urteilsabsprachen unter dem Aspekt des Wiederaufnahmerechts, NStZ 2004 413; ders. Geständniswiderruf und Wiederaufnahmeverfahren. Urteilsabsprachen unter dem Aspekt des Wiederaufnahmerechts nach der Rechtsprechung des BVerfG, NStZ 2008 374; J. Heller Die gescheiterte Urteilsabsprache. Verfahrensfairneß gegenüber dem Angeklagten im Anschluß an BGHSt 43, 195 (2004); M. Heller Das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren – No big deal? (2012); Henckel Faires Verständigungsverfahren durch Transparenz (2018); Herrmann Rechtliche Strukturen für Absprachen in der Hauptverhandlung, JuS 1992 1162; Herzog Die Krise der geistigen und sozialen Grundlagen des reformierten Strafprozesses, in: Herzog (Hrsg.), Quo vadis, Strafprozeß? (1998) 21; ders. „Deals“ zu Lasten Dritter in vorgängigen abgetrennten Verfahren und die Besorgnis der Befangenheit, StV 1999 455; ders. „Dealen“ im Strafverfahren – Wahrheit, Schuld – rich-

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terliche Berufsethik, GA 2014 688; Hettinger Von der Gleichheit vor dem Gesetz zur Ungleichheit vor Gericht? Absprachen und Strafprozessrecht, FS Egon Müller (2008) 261; ders. Die Absprache im Strafverfahren als rechtsstaatliches Problem, JZ 2011 292; Hildebrandt Gesetzliche Regelung der Verständigung im Strafverfahren: Kann der Strafprozess im Geiste der StPO von 1877 durch den Gesetzgeber gerettet werden? (2010); Hofmann Die Wirksamkeit einer Norm als verfassungsrechtlicher Geltungsgrund? NJW 2014 442; Höland Verhandlungs- und vertragsorientierte Ansätze im Strafverfahren, FS Beulke (2015) 787; Höll Die Entscheidung des BVerfG zum „Deal“ im Strafprozess aus Sicht des Steuerstrafverteidigers – Ein Appell zur Rückbesinnung auf strafprozessuale Ziele, NZWiSt 2013 134; Hönig Die strafmildernde Wirkung des Geständnisses im Lichte der Strafzwecke (2004); Hörnle „Justice as Fairness“ – Ein Modell auch für das Strafverfahren? Rechtstheorie 35 (2004) 175; Hsu Die Bewertung des Geständnisses in der Strafzumessung und in der Beweisaufnahme als Sonderproblem der Urteilsabsprache, Diss.iur. Tübingen 2007; Huttenlocher Dealen wird Gesetz – die Urteilsabsprache im Strafprozess und ihre Kodifizierung (2007); Ignor Die Urteilsabsprache und die leitenden Prinzipien der StPO, FS BRAK (2006) 321; ders. Die Zukunft des Strafverfahrens – Abschied vom Rechtsstaat? ZStW 119 (2007) 927; ders. Die Bedeutung der „schützenden Formen“ bei der Verständigung, in: Jahn/Nack (Hrsg.), Rechtsprechung in Strafsachen zwischen Praxis und Theorie – zwei Seiten einer Medaille? (2013) 71; Ioakimidis Die Rechtsnatur der Absprache im Strafverfahren (2001); Isfen Die Befangenheit des „dealenden“ Richters, ZStW 125 (2013) 325; Jahn Zurück in die Zukunft. Die Diskurstheorie des Rechts als Paradigma des neuen konsensualen Strafverfahrens, GA 2004 272; ders. Die Konsensmaxime in der Hauptverhandlung. Zur Rekonstruktion des Amtsermittlungsgrundsatzes in § 244 Abs. 2 StPO unter Berücksichtigung der aktuellen Gesetzesentwürfe zur Verständigung im Strafverfahren, ZStW 118 (2006) 427; ders. Moralunternehmergewinne und Gewissheitsverluste, JZ 2011 340; ders. Entwicklungen und Tendenzen zwei Jahre nach Inkrafttreten des Verständigungsgesetzes, StV 2011 497; Jahn/Bendrick Wie es wurde, was es ist – Die Ursprünge der Absprachen im deutschen Strafverfahren vor 1982 unter besonderer Berücksichtigung des Wirtschaftsstrafprozesses, ZNR 38 (2016) 261; Jahn/Kett-Straub Die Verständigung vor dem Schwurgericht, StV 2010 271; Jahn/Müller Der Widerspenstigen Zähmung – Aktuelle Gesetzgebungsvorschläge zu den Urteilsabsprachen im Strafprozess, JA 2006 681; dies. Das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren. Legitimation und Reglementierung der Absprachenpraxis, NJW 2009 2625; Janke Verständigung und Absprachen im Strafverfahren (1995/1997); Jungfer Zur Psychologie des Vergleichs im Strafverfahren, StV 2007 380; Kaiser/Meinberg „Tuschelverfahren“ und „Millionärsschutzparagraph“? NStZ 1984 343; Keller/Schmid Möglichkeiten einer Verfahrensbeschleunigung in Wirtschaftsstrafsachen, wistra 1984 201; Kempf Gesetzliche Regelung von Absprachen im Strafverfahren? oder: Soll Informelles formalisiert werden? StV 2009 269; Kintzi Verständigungen im Strafrecht – Überlegungen zu den Thesen und dem Gutachten der Großen Strafrechtskommission, JR 1990 309; ders. Verständigung im Strafverfahren, DRiZ 1992 245; ders. Verständigung im Strafverfahren – steht die Diskussion vor dem Abschluß? FS Hanack (1999) 177; Kirsch Die gesetzliche Regelung der Verständigung im Strafverfahren, StraFo 2010 96; Klug Zum Strafverfahren als Parteiprozeß, ZRP 1999 288; Knauer Die Entscheidung des BVerfG zur strafprozessualen Verständigung (Urteil vom 19.3.2013 – 2 BvR 2628/10 – 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11, NStZ 2013, 295) – Paukenschlag oder Papiertiger? NStZ 2013 433; ders. Wirtschaftsstrafverfahren, Absprachen und die Staatsanwaltschaft – Abgesang auf eine langjährige Praxis? FS v. Heintschel-Heinegg (2015) 245; Knauer/ Lickleder Die obergerichtliche Rechtsprechung zu Verfahrensabsprachen nach der gesetzlichen Regelung – ein kritischer Überblick, NStZ 2012 366; Kölbel Bindungswirkung von Strafmaßabsprachen, NStZ 2002 74; ders. Geständnisverwertung bei mißglückter Absprache, NStZ 2003 232; Kölbel/Selter Achtung: Absprache! Zur Transparenz strafprozessualer Verständigung, JR 2009 447; König Das Geständnis im postmodernen, konsensualen Strafverfahren, NJW 2012 1915; ders. Wie viel Wahrheit verträgt der Strafprozess? AnwBl. 2012 982; König/Harrendorf „Deal“: Ein Freispruch auf Bewährung und seine Auswirkungen, AnwBl. 2013 321; Kotsoglou Über die „Verständigung“ im Strafverfahren als Aussageerpressung, ZIS 2015 175; D. Krause Partizipation und Strafverfahren – Zweckmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung von Absprachen im Strafprozess, AnwBl. 2002 36; I. Krause Verständigung im Strafverfahren – zwei Jahre nach Inkrafttreten des Verständigungsgesetzes (2012); Krauß Das Prinzip der materiellen Wahrheit im Strafprozeß, FS Schaffstein (1975) 411; Kremer Absprachen zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten im Strafprozeß (1994); Kröpil Die gesetzliche Regelung der Verständigung im Strafverfahren und das strafprozessuale Verfahrensziel, JR 2010 96; ders. Zum Geständnis und seiner Überprüfung bei Absprachen, DRiZ 2016 106; M. Kruse Urteilsabsprachen in der neuesten Rechtsprechung des BGH, StraFo 2000 146; P. Kruse Verständigung zwischen Staatsanwalt und Verteidiger vor Eröffnung des Hauptverfahrens über Tragfähigkeit der Beweismittel und Umfang

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des anzuklagenden Sachverhalts, FS Richter (2006) II 331; Kubiciel Zwischen Effektivität und Legitimität – Zum Handlungsspielraum des Gesetzgebers nach der „Deal“-Entscheidung des BVerfG, HRRS 2014 204; Kubik Die unzulässige Sanktionsschere (2014); Kuckein Zur Verwertbarkeit des Geständnisses bei einer gescheiterten Verständigung im Strafverfahren, FS Meyer-Goßner (2001) 63; Kuckein/Pfister Verständigung im Strafverfahren – Bestandsaufnahme und Perspektiven, FS BGH (2000) 641; Kudlich Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit – die Entscheidung des BVerfG zur strafprozessualen Verständigung, NStZ 2013 379; ders. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den strafprozessualen Absprachen – Konsequenzen für den Gesetzgeber? ZRP 2013 162; ders. Nichtigkeit eines Strafurteils nach informeller Verständigung und fehlender Sachaufklärung, NJW 2013 3216; ders. Konsens und Gerechtigkeit? – Konsens und Gerechtigkeit! FS Schlothauer (2018) 335; Kühne Die Protokollierung von Absprachen, FS Kerner (2013) 747; Küpper/Bode Absprachen im Strafverfahren, Jura 1999 351; 393; Lam Die Willkür ist die Feindin der Form – Zum Beruhen des Urteils auf der fehlerhaften Protokollierung von Verständigungen, StraFo 2014 407; Landau Die Pflicht des Staates zum Erhalt einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, NStZ 2007 121; ders. Das Urteil des Zweiten Senats des BVerfG zu den Absprachen im Strafprozess vom 19. März 2013, NStZ 2014 425; ders. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013 zu den Verfahrensabsprachen, FS Rössner (2015) 829; Landau/Bünger Urteilsabsprache im Strafverfahren (Erwiderung zu ZRP 2005, 235), ZRP 2005 268; Landau/Eschelbach Absprachen zur strafrechtlichen Hauptverhandlung, NJW 1999 321; Lawaczeck Das Phänomen des falschen Geständnisses im Strafverfahren (2010); Leibold Der Deal im Steuerstrafrecht (2016); Leitmeier § 257c Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 244 Abs. 2 StPO?! HRRS 2013 362; ders. Sind rechtswidrig „gedealte“ Urteile nichtig? NStZ 2014 690; Leitner Schutz gegen Druck und Einschüchterung – welche prozessualen Regelungen kommen dafür in Betracht? AnwBl. 2002 42; ders. Die Verständigung im Strafverfahren aus Sicht der Verteidigung, FS BRAK (2006) 365; ders. Mehr Kommunikation wagen! DRiZ 2013 162; Lien Analytische Untersuchung der Ursachen des andauernden Streits um Absprachen, GA 2006 129; Linden Zur Ökonomisierung des Strafverfahrens, FS BRAK (2006) 381; Löffelmann Die normativen Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafverfahren. Ideen zu einer Kritik der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege (2008); Lüdemann/Bussmann Diversionschancen der Mächtigen? Eine empirische Studie über Absprachen im Strafprozeß, KrimJ 1989 54; Lüderssen Die Verständigung im Strafprozeß, StV 1990 415; ders. „Regulierte Selbstregulierung“ in der Strafjustiz? Ein unorthodoxer Beitrag zur Frage der Legitimation der „Absprachen“, FS Fezer (2008) 531; ders. Verständigung im Strafverfahren. Das Modell und seine Implikationen, FS Hamm (2008) 419; Magnus Strafbarkeitsrisiken für Anwälte im Rahmen von Abmahnungen und Deals, JR 2017 628; Malek Die Aussageerpressung im strafgerichtlichen Alltag – Bemerkungen zu § 343 StGB, StraFo 2005 441; ders. Abschied von der Wahrheitssuche, in: Abschied von der Wahrheitssuche, 35. Strafverteidigertag Berlin 2011 (2012) 9 = StV 2011 559; Marsch Grundregeln bei Absprachen im Strafverfahren, ZRP 2007 220; Matt/ Vogel Urteilsabsprachen im Strafverfahren: Ein Alternativvorschlag einer gesetzlichen Regelung, FS BRAK (2006) 391; M.E. Mayer Das Leugnen des Angeklagten als Strafschärfungsgrund, ZStW 27 (1907) 921; F. Meyer Willensmängel beim Rechtsmittelverzicht des Angeklagten im Strafverfahren. Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Absprachenproblematik (2003); ders. Der vereinbarte Rechtsmittelverzicht. Zugleich eine Anmerkung zu BGH 3 StR 368/02 und BGH 3 StR 415/02, StV 2004 41; ders. Der vereinbarte Rechtsmittelverzicht ist wirksam, ist unwirksam, ist wirksam, HRRS 2005 235; ders. Zurück zur gesetzlichen Beweistheorie? Beobachtungen zu den Legitimationsanforderungen an ein künftiges Abspracheverfahren, ZStW 119 (2007) 633; ders. Vertrauensschutz bei unzulässigen Absprachen, HRRS 2011 17; ders. Die faktische Kraft des Normativen – Das BVerfG und die Verständigung im Strafverfahren, NJW 2013 1850; ders. Praxis und Reform der Absprache im Strafverfahren, StV 2015 790; ders. Grundlagen der Hauptverhandlung: Absprachenpraxis, in: Welche Reform braucht das Strafverfahren? 39. Strafverteidigertag Lübeck 2015 (2016) 129; ders. Plea Bargaining und EMRK, FS Donatsch (2017) 427; Meyer-Goßner Domestikation der Absprachen im Strafprozeß, Schünemann-Symp. 235; ders. Absprachen im Strafprozess. Entwicklung – gegenwärtiger Zustand – Zukunftsaussichten, Gollwitzer-Koll. 161; ders. Entlastung der Strafrechtspflege – ein ungewöhnlicher Vorschlag, NStZ 1992 167; 579; ders. Strafverfolgung und Gerechtigkeit – ist der Strafprozeß noch zu retten? DRiZ 1996 180; ders. Absprachen im Strafprozess: nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des BGH, FS Böttcher (2007) 105; ders. Die Rechtsprechung zur Verständigung im Strafprozess, StraFo 2001 73; ders. Der gescheiterte Deal, StraFo 2003 401; ders. Gesetzliche Regelung der „Absprachen im Strafprozess“? ZRP 2004 187; ders. Zum Vorschlag der Bundesrechtsanwaltskammer für eine gesetzliche Regelung der Urteilsabsprache im Strafverfahren, StV 2006 485; ders. Die Zukunft des Strafverfahrens – Abschied vom Rechtsstaat? ZStW 119 (2007) 938; ders. Rechtsprechung durch Staatsanwaltschaft und Ange-

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klagten? – Absprachen im Rechtsstaat des Grundgesetzes, NStZ 2007 425; ders. Was nicht Gesetz werden sollte! Einige Bemerkungen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verständigung im Strafverfahren, ZRP 2009 107; Moldenhauer Eine Verfahrensordnung für Absprachen im Strafverfahren durch den Bundesgerichtshof? (2004); ders. Die Verständigung in Strafsachen und die Berufungsinstanz – zugleich Anmerkung zum Beschluss des OLG Karlsruhe vom 7. März 2014 (3 [6] Ss 642 –13), NStZ 2014 493; Moldenhauer/ Wenske Die Verständigung in Strafsachen und die Berufungsinstanz, NStZ 2012 184; H. Möller Verfassungsrechtliche Überlegungen zum „nemo-tenetur“-Grundsatz und zur strafmildernden Berücksichtigung von Geständnissen, JR 2005 314; Momsen Zur Beweiskraft des Sitzungsprotokolls bei Verfahrensabsprachen, FS II Roxin (2011) 1403; Momsen/Washington Verständigungsversuche, informelle Beweiswürdigung, informelle Verwertungsverbote, FS Rogall (2018) 594; Mosbacher Praktische Auswirkungen der Entscheidung des BVerfG zur Verständigung, NZWiSt 2013 201; M. Müller Probleme um eine gesetzliche Regelung der Absprachen im Strafverfahren (2008); M.M. Müller Rechtsfolgen gescheiterter Urteilsabsprachen im Hinblick auf erbrachte Verständigungsbeiträge (2017); Müller-Piepenkötter Verständigung – ein Instrument des Opferschutzes? DRiZ 2013 163; Murmann Über den Zweck des Strafprozesses, GA 2004 65; ders. Reform ohne Wiederkehr? – Die gesetzliche Regelung der Absprachen im Strafverfahren, ZIS 2009 526; ders. Probleme der gesetzlichen Regelung der Absprachen im Strafverfahren, FS II Roxin (2011) 1385; ders., Absprachen im Strafprozess, in: Abschied von der Wahrheitssuche, 35. Strafverteidigertag Berlin 2011 (2012) 81; Mylonopoulos Zur Möglichkeit einer theoretischen Begründung des plea bargaining, FS Kühne (2013) 259; Nehm Die Verständigung im Strafverfahren auf der Zielgeraden? StV 2007 549; Nelles Deal-Bargaining im Strafprozess, in: Däubler-Gmelin/Mohr (Hrsg.), Recht schafft Zukunft (2003) 226; Nestler Gibt es Neues? – Schünemanns Gutachten zu den Absprachen im Strafverfahren von 1990, Schünemann-Symp. 15; Nestler-Tremel Der Handel um die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, in: Lüderssen/Nestler-Tremel/Weigend (Hrsg.), Modernes Strafrecht und Ultima-ratio-Prinzip (1990) 159; ders. Der Handel um die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, DRiZ 1988 288; A. Neumann Informelle Urteilsabsprachen aus Sicht des Angeklagten, NJ 2013 240; Niemöller Absprachen im Strafprozeß, StV 1990 34; ders. Urteilsabsprachen im Strafprozess – noch ein Regelungsvorschlag, GA 2009 172; ders. Sofortige Rücknahme eines eingelegten Rechtsmittels bei Verständigung, StV 2010 474; ders. Der Deal in der Rechtsprechung zum Verständigungsgesetz, NZWiSt 2012 290; ders. Rechtsmittelverzicht und -rücknahme nach Verständigung, NStZ 2013 19; ders. Zum Geltungsanspruch und -umfang des Verständigungsgesetzes, GA 2014 179; Niemz Urteilsabsprachen und Opferinteressen – in Verfahren mit Nebenklagebeteiligung (2011); dies. Rationalisierung und Partizipation im Strafrechtssystem (2016); Nistler Der Deal – Das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren, JuS 2009 916; Noak Urteilsabsprachen im Jugendstrafrecht, StV 2002 445; Norouzi Vom Umgang mit dem Werk fremder Gärtner im eigenen Garten, FS Schlothauer (2018) 355; Nowak Zur Zulässigkeit einer Verständigung im Jugendstrafverfahren, JR 2010 248; Ordner Die Verständigungseignung von vermögensabschöpfenden Rechtsfolgen, wistra 2017 50; Pankiewicz Absprachen im Jugendstrafrecht (2008); Park Die prozessuale Verwertbarkeit verschiedener Formen der Beschuldigtenvernehmung im Strafverfahren, StV 2001 589; Pfister Entwicklungen und Tendenzen in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu verfahrensbeendenden Absprachen, in: Goldbach (Hrsg.), Der Deal mit dem Recht. Absprachen im Strafprozess (2004) 5; ders. Die Verständigung im Strafverfahren. Die Praxis, das geltende Recht, die obergerichtliche Rechtsprechung und der Gesetzgeber, DRiZ 2004 178; ders. Die Verständigung im Strafverfahren aus Sicht der Revision, StraFo 2006 349; ders. Transparenz über alles! Die Verständigung in der Revision seit BVerfGE 133, 168, StraFo 2016 187; Polomski Zwei Jahre Verständigung im Strafprozess – Fluch oder Segen? DRiZ 2011 315; Prantl Nachruf auf den aufgeklärten Strafprozess, Sonderheft 20 Jahre ZAP (2009) 60; Rabe Das Verständigungsurteil des Bundesverfassungsgerichts und die Notwendigkeit von Reformen im Strafprozess (2017); Reichertz/Schneider Sozialgeschichte des Geständnisses. Zum Wandel der Geständniskultur (2007); Rex Verständigung im Strafverfahren – Gutachten der Großen Strafrechtskommission des DRB, DRiZ 1991 31; Rieß Der vereinbarte Rechtsmittelverzicht, FS Meyer-Goßner (2001) 645; ders. Gedanken über das Geständnis im Strafverfahren, FS Richter II (2006) 433; ders. Über die Aufgaben des Strafverfahrens, JR 2006 269; ders. Thesen zur rechtsdogmatischen und rechtspolitischen Fernwirkung der gesetzlichen Regelung der Urteilsabsprache, StraFo 2010 10; Rode Das Geständnis in der Hauptverhandlung, StraFo 2007 98; ders. Die streitige Hauptverhandlung nach gescheiterter Absprache, StraFo 2015 89; Rönnau Die Absprache im Strafprozeß (1990); ders. Die neue Verbindlichkeit bei den strafprozessualen Absprachen, wistra 1998 49; ders. Das deutsche Absprachemodell auf dem Prüfstand – zwischen Pest und Cholera, ZIS 2018 167; ders. Der Schöffe als „Marionette“ im Verständigungsverfahren, FS Schlothauer (2018) 367; Rosenau Die Absprachen im deut-

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schen Strafverfahren, in: Rosenau/Kim (Hrsg.), Straftheorie und Strafgerechtigkeit. Deutsch-Japanischer Strafrechtsdialog (2010) 45; Rubach Urteilsabsprachen im Strafprozess – die (mutmaßliche) Sicht des Beschuldigten, ZIS 2006 537; Rückel Verteidigertaktik bei Verständigungen und Vereinbarungen im Strafverfahren – Mit Checkliste, NStZ 1987 297; Ruhs Rechtsbehelfe bei Verständigungen (2018); Sacher Diskurstheorie als Legitimation für die Absprachen im Strafverfahren? FS Schünemann (2014) 957; Salditt Das unzuverlässige Geständnis – die zwiespältige Rolle des an einer Absprache beteiligten Verteidigers, FS Widmaier (2008) 545; ders. Eckpunkte – Streitfragen des partizipatorischen Strafprozesses, StV 2001 311; ders. Möglichkeiten eines Konsensualprozesses nach deutschem Strafprozessrecht. Ergänzende Überlegungen aus forensischer Sicht, ZStW 115 (2003) 570; ders. Kommunikation, StV 2007 275; ders. Rechtsgespräch, FS AG Strafrecht DAV (2009) 794; ders. Ermessen – Zum Richterbild des Verständigungsgesetzes, FS Tolksdorf (2014) 377; ders. Strafverteidiger in streitiger Hauptverhandlung, StraFo 2015 1; Saliger Absprachen im Strafprozess. Wirksamkeit eines abgesprochenen Rechtsmittelverzichts, JA 2005 684; ders. Absprachen im Strafprozess an den Grenzen der Rechtsfortbildung – BGH (GS), NJW 2005, 1440, JuS 2006 8; Sander Die Verständigung vor neuen Herausforderungen, in: Jahn/Nack (Hrsg.), Rechtsprechung in Strafsachen zwischen Praxis und Theorie – zwei Seiten einer Medaille? (2013) 53; Satzger Die Unwirksamkeit eines „ausgehandelten“ Rechtsmittelverzichts – BGHSt 45, 227, JuS 2000 1157; Satzger/Höltkemeier Zur Unwirksamkeit eines abgesprochenen Rechtsmittelverzichts, NJW 2004 2487; Sauer Konsensuale Verfahrensweisen im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (2008); ders. Erfolgsaussichten der Revision bei unzulässigen Urteilsabsprachen, wistra 2009 141; Sauer/Münkel Absprachen im Strafprozess, 2. Aufl. (2014); Scheffler/Lehmann Verständigung und Rechtsmittel – ein Verteidigerdilemma, StV 2015 123; Schlothauer Die Rechtsprechung zum Verständigungsgesetz – eine Zwischenbilanz, StraFo 2011 487; ders. Verteidigung, Vertretung, Verständigung, FS Beulke (2015) 1023; Schlothauer/Weider Das „Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren“ vom 3. August 2009, StV 2009 600; Schlüchter Zur Relativierung der gerichtlichen Aufklärungspflicht durch Verständigung im Strafverfahren, FS Spendel (1992) 737; Schmidt-Hieber Vereinbarungen im Strafverfahren, NJW 1982 1017; ders. Verständigung im Strafverfahren (1986); ders. Der strafprozessuale „Vergleich“ – eine illegale Kungelei? StV 1986 355; ders. Absprachen im Strafprozeß – Privileg des Wohlstandskriminellen? NJW 1990 1884; ders. Absprachen im Strafprozeß, Rechtsbeugung und Klassenjustiz? DRiZ 1990 321; ders. Hinweis auf die strafmildernden Wirkungen eines Geständnisses? FS Wassermann (1985) 995; Schmitt Zu Rechtsprechung und Rechtswirklichkeit verfahrensbeendender Absprachen im Strafprozeß, GA 2001 411; ders. Die Verständigung in der Revision – eine Zwischenbilanz, StraFo 2012 386; ders. Die Verständigung im Strafprozess nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013, FS Tolksdorf (2014) 399; Schmitz-Remberg Verständigung und positive Generalprävention, Diss. Düsseldorf 2014; H. Schneider Übersicht über die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Verfahrensverständigung im Anschluss an das Urteil des BVerfG vom 19. März 2013 – Teil 1, NStZ 2014 192; Teil 2, NStZ 2014 252; ders. Verständigung in der Berufungsinstanz, NZWiSt 2015 1; G. Schöch Konnexität und Vertrauensschutz bei versuchter Verständigung im Strafverfahren, NJW 2004 3462; dies. Urteilsabsprachen in der Strafrechtspraxis (2007); Schoop Der vereinbarte Rechtsmittelverzicht (2006); Schreiber Die Bedeutung des Konsenses der Beteiligten im Strafprozeß, in: G. Jakobs (Hrsg.), Rechtsgeltung und Konsens (1976) 71; Schreiber-Klein Schuld gegen Effizienz? – Deal or No deal? JA 2015 888; Schumacher Die Hauptverhandlung als gruppendynamischer Prozeß, StV 1995 442; Schunder Der Deal im Strafverfahren – unverzichtbare Entlastung der Strafgerichte oder rechtsstaatswidriges Gemauschel? (2006); Schünemann Summum ius = summa iniuria in der Strafzumessung, in: Institut für Konfliktforschung (Hrsg.), Pönometrie. Rationalität oder Irrationalität in der Strafzumessung (1977) 73; ders. Reflexionen über die Zukunft des deutschen Strafverfahrens, FS Gerd Pfeiffer (1988) 461; ders. Informelle Absprachen und Vertrauensschutz im Strafverfahren, JZ 1989 984; ders. Die Verständigung im Strafprozeß – Wunderwaffe oder Bankrotterklärung der Verteidigung? NJW 1989 1895; ders. Absprachen im Strafverfahren? Grundlagen, Gegenstände und Grenzen, Gutachten B für den 58. DJT (1990); ders. Die informellen Absprachen als Überlebenskrise des deutschen Strafverfahrens, FS Baumann (1992) 361; ders. Wetterzeichen einer untergehenden Strafprozeßkultur? Wider die falsche Prophetie des Absprachenelysiums, StV 1993 657; ders. Wohin treibt der deutsche Strafprozeß? ZStW 114 (2002) 1; ders. Ein Linsengericht zum Tausch für den Strafprozess von 1877? StraFo 2004 293; ders. Zur Reform des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens in Europa: Kontradiktorische Ausbalancierung statt Partizipation, GedS Vogler (2004) 81; ders. Strafprozessuale Absprachen in Deutschland. Der Rechtsstaat auf dem Weg in die „Bananenrepublik“, Schriften der Juristischen Gesellschaft Mittelfranken e.V., Heft 29 (2005); ders. Wetterzeichen vom Untergang der deutschen Rechtskultur – Die Urteilsabsprachen im Strafprozess als Abgesang auf die

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Gesetzesbindung der Justiz und den Beruf unserer Zeit zur Gesetzgebung (2005); ders. Zur Entstehung des deutschen „plea bargaining“, FS Heldrich (2005) 1177; ders. Bundesrechtsanwaltskammer auf Abwegen (zum Strafrechtsausschuss der BRAK, ZRP 2005, 235, und Landau/Bünger, ZRP 2005, 268), ZRP 2006 63; ders. Die Zukunft des Strafverfahrens – Abschied vom Rechtsstaat? ZStW 119 (2007) 945; ders. Die Absprachen im Strafverfahren – Von ihrer Gesetz- und Verfassungswidrigkeit, von der ihren Versuchungen erliegenden Praxis und vom dogmatisch gescheiterten Versuch des 4. Strafsenats des BGH, sie im geltenden Strafprozeßrecht zu verankern, FS Rieß (2002) 525; ders. Ein deutsches Requiem auf den Strafprozess des liberalen Rechtsstaats, ZRP 2009 104; ders. Risse im Fundament, Flammen im Gebälk: Die Strafprozessordnung nach 130 Jahren, ZIS 2009 484; ders. Die Hauptverhandlung im Strafverfahren, StraFo 2010 90; ders. Vom Tempel zum Marktplatz. Wie die Strafjustiz scheinbar die ökonomische Analyse des Rechts in Praxis, government in governance und Souveränität in Kooperation verwandelt hat (2013); ders. Die Urteilsabsprachen im Strafprozess – ewige Wiederkehr des Gleichen? FS Wolter (2013) 1107; ders. Faires Verfahren und Urteilsabsprachen im Strafverfahren, GA 2018 181; Schünemann/Hauer Absprachen im Strafverfahren. Zentrale Probleme einer künftigen gesetzlichen Regelung, AnwBl. 2006 439; Schuster Schuld, Strafe, Rechtsfolge und das BVerfG, StV 2014 109; Sebastian Die Strafprozessordnung im Lichte verfahrensbeendender Verständigung (2014); ders. Reform des Strafprozesses? – Plädoyer für eine „große Lösung“ im Hinblick auf verfahrensbeendende „Deals“, NJ 2014 508; Seer Konsensuale Paketlösungen im Steuerstrafverfahren, FS Kohlmann (2003) 535; Seier Der strafprozessuale Vergleich im Lichte des § 136a StPO, JZ 1988 683; Sickor Das Geständnis (2014); Sinn/Schößling (Hrsg.) Praxishandbuch zur Verständigung im Strafverfahren (2017); Sinner Der Vertragsgedanke im Strafprozeßrecht (1999); Siolek Verständigung im Strafverfahren – eine verfassungswidrige Praxis! DRiZ 1989 321; ders. Neues zum Thema Verständigung im Strafverfahren, DRiZ 1993 422; ders. Verständigung in der Hauptverhandlung (1993); ders. Zur Fehlentwicklung strafprozessualer Absprachen, FS Rieß (2002) 563; Sommer Der moderne Strafverteidiger und die neuen Deal-Strategien, AnwBl. 2010 197; Spaniol Anforderungen an die Verständigung nach BVerfGE, StraFo 2014 366; dies. Das Recht des Angeklagten auf Eigenverteidigung bei Verständigung im Strafverfahren, FS Eser II (2015) 431; Stalinski Aussagefreiheit und Geständnisbonus (2000); Staudinger Verständigung und Rechtsmittelverzicht, HRRS 2010 347; Steinberg Richterliche Gewalt und individuelle Freiheit (2010); Steinhögl Der strafprozessuale Deal – Perspektiven einer Konsensorientierung im Strafrecht (1998); Stephan Der abgesprochene Rechtmittelverzicht im Strafprozess (2011); Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer Vorschlag einer gesetzlichen Regelung der Urteilsabsprache im Strafverfahren, BRAK-Stellungnahme Nr. 25/2005 (auch in NJW-Sonderdruck „Der Deal im Strafverfahren“; abgekürzt in ZRP 2005 235); Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins Soll der Gesetzgeber Informelles formalisieren? StraFo 2006 89; Strate Ende oder Wende des Strafzumessungsrechts? NStZ 2010 362; Stratenwerth Überlegungen zur Ungleichheit der Beteiligten im Absprache-Verfahren, GA 2013 111; Streng Verfahrensabsprachen und Strafzumessung, FS Schwind (2006) 447; Swoboda Wenn Urteilsabsprachen zu Gefahrenquellen geraten – Zur Überwachung von Absprachen in Strafverfahren, FS Kindhäuser (2019) 1061; Terhorst Informelle Absprachen im Strafprozeß, DRiZ 1988 296; ders. Kriterien für konsensuales Vorgehen im Strafverfahren – freie Wahl für Urteilsabsprachen? GA 2002 600 = in: Kohlmann/Nestler/Seier/Walter/Walther/Weigend (Hrsg.), Entwicklungen und Probleme des Strafrechts an der Schwelle zum 21. Jahrhundert (2004) 43; Theile Die Bedrohung prozessualer Freiheit durch materielles Wirtschaftsstrafrecht, wistra 2004 121; ders. Wirtschaftsstrafverfahren. Entstehung eines neuartigen Verfahrenstyps? NKrimpol. 2005 142; ders. Wirtschaftskriminalität und Strafverfahren. Systemtheoretische Überlegungen zum Regulierungspotential des Strafrechts (2009); ders. Strafrechtliche Hypertrophie und ihre Folgen. Das Beispiel der verfahrenserledigenden Urteilsabsprachen in Wirtschaftsstrafverfahren, MschrKrim. 2010 147; ders. Wahrheit, Konsens und § 257c StPO, NStZ 2012 666; Trück Strafprozessuale Verständigungen auf dem Prüfstand des BVerfG – mehr Fragen als Antworten, ZWH 2013 169; ders. Die konkludente Urteilsabsprache als Anzeichen eines Klimawandels in der Rechtsprechung zur Verständigung, ZWH 2014 179; Trüg Effizienz durch Verständigung im Strafverfahren – Die Akzeptanz von Verantwortung als legitimierendes Prinzip, in: Paal/Poelzig (Hrsg.), Effizienz durch Verständigung (2015) 61; Tsambikakis Die Zukunft der strafprozessualen Verständigung, ZWH 2013 209; Tscherwinka Absprachen im Strafprozess (1995); Turner/Weigend The Constitutionality of Negotiated Criminal Judgments in Germany, German Law Journal 15 (2014) 81; Tzannetis Zur Freiwilligkeit des abgesprochenen Geständnisses, ZIS 2016 281; Velten Die Rückabwicklung unzulässiger Absprachen – Kritik der aktuellen Rechtsprechung zur Reichweite der §§ 257c Abs. 4 S. 3, 136a StPO, StV 2012 172; Ventzke Die Verteidigung in der Revision – „… ist insoweit ersichtlich nichts erwiesen“, StraFo 2012 212; Viering Absprachen als verfahrensökonomi-

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sche Lösung des Schuldnachweisproblems im Strafverfahren (2009); J. Vogel Chancen und Risiken einer Reform des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, JZ 2004 827; Volk Diverse Wahrheiten, FS Salger (1995) 411; H. Wagner Das einvernehmliche Verfahren, FS Gössel (2002) 585; ders. Ziele des Strafprozesses? GedS J. Eckert (2008) 939; Volp Die Quadratur des Kreises. Versuch einer verfassungsgemäßen Verständigung im Strafverfahren, in: Becker/Lange (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Band 3 (2014) 389; Wagner/Rönnau Die Absprachen im Strafprozeß. Ein Beitrag zur Gesamtreform des Strafverfahrens mit Gesetzesvorschlägen, GA 1990 387; dies. Das „einvernehmliche Verfahren“ im Strafprozeß, RuP 1990 161; Wahle Gescheiterte Verständigung – einmal anders. Ein Lehrstückchen? FS Richter II (2006) 539; Waltenberg Die Möglichkeiten einer Verständigung mit Strafverfolgungsbehörden bei Bestechungsfällen in Deutschland, den USA und Großbritannien, wistra 2018 191; Walter Zur Verständigung vor den Wehrdienstgerichten, NZWehrr 2016 203; A. Walther Der Öffentlichkeitsgrundsatz im Kontext der Verständigung im Strafverfahren, NStZ 2015 383; F. Walther Über die processualische Wirkung des Geständnisses im Schwurgerichtsverfahren, ArchCrim NF 18 (1851) 225; ders. Das Schwurgericht. Geständniß und Verdikt und Kollision zwischen beiden, GA 18 (1870) 530; Wegerich Moderne Kriminalgesetzgebung: Produzent von Parteiverrrat? Auswirkungen strafprozessualer Absprachen und Aufklärungshilfen auf den Parteiverrat in Strafsachen (§ 356 StGB) (2015); Wehnert Die tatsächliche Ausgestaltung der Absprachepraxis in staatsanwaltschaftlichen Wirtschaftsermittlungsverfahren aus anwaltlicher Sicht, StV 2002 219; Weichbrodt Das Konsensprinzip strafprozessualer Absprachen (2006); Weider Vom Dealen mit Drogen und Gerechtigkeit (2000); ders. Der verweigerte Deal – oder: Die Rache des Schwurgerichts? StV 2002 397; ders. Revisionsrechtliche Kontrolle bei gescheiterter Absprache? NStZ 2002 174; ders. Der aufgezwungene Deal, StraFo 2003 406; ders. Rechtsmittelverzicht und Absprache, FS Lüderssen (2002) 773; ders. Das Verbot der Verständigung über Maßregeln der Besserung und Sicherung – § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO, FS Rissing-van Saan (2011) 731; Weidhaas Verständigung im Arztstrafverfahren, in: Aktuelle Entwicklungen im Medizinstrafrecht, 6. Düsseldorfer Medizinstrafrechtstag (2016) 117 ff.; Weigend Abgesprochene Gerechtigkeit. Effizienz durch Kooperation im Strafverfahren? JZ 1990 774; ders. Der BGH vor der Herausforderung der Absprachenpraxis, FS II BGH (2000) 1011; ders. Eine Prozeßordnung für abgesprochene Urteile? NStZ 1999 57; ders. Unverzichtbares im Strafverfahren, ZStW 113 (2001) 271; ders. Strafverteidigung im Zeitalter abgesprochener Urteile, in: Weigend/Walther/Grunewald (Hrsg.), Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen (2008) 357; ders. Verständigung in der Strafprozessordnung – auf dem Weg zu einem neuen Verfahrensmodell? FS Maiwald (2010) 829; ders. Neues zur Verständigung im deutschen Strafverfahren? in: Leblois-Happe/Stuckenberg (Hrsg.), Was wird aus der Hauptverhandlung?/Quel avenir pour l’audience de jugement (2014) 199; ders. Alle sind sich einig – und das Opfer? Der Verletzte beim konsensualen Abschluss des Strafverfahrens, FS Streng (2017) 781; Weimar/Mann Die gesetzliche Regulierung der Verständigung im Strafverfahren aus der Perspektive erstinstanzlicher Gerichte, StraFo 2010 12; Wenske Die Verständigung im Strafverfahren – Teil 1, DRiZ 2011 393; Teil 2, DRiZ 2012 123; Teil 3, DRiZ 2012 198; ders. Das Verständigungsgesetz und das Rechtsmittel der Berufung, NStZ 2015 137; Weßlau Opferschonendes Prozeßverhalten als Strafmilderungsgrund? KJ 1993 461; dies. Das Konsensprinzip im Strafverfahren – Leitidee für eine Gesamtreform? (2002); dies. Absprachen im Strafverfahren, ZStW 116 (2004) 150; dies. Absprachen und Strafverteidigung, StV 2006 357; dies. Das Konsensprinzip als Leitidee des Strafverfahrens, StraFo 2007 1; dies. Strategische Planspiele oder konzeptionelle Neuausrichtung? Zur aktuellen Kontroverse um eine gesetzliche Regelung der Absprache im Strafverfahren, FS Egon Müller (2008) 779; Widmaier Der strafprozessuale Vergleich, StV 1986 357; ders. Die Urteilsabsprache im Strafprozess – ein Zukunftsmodell? NJW 2005 1985; Wimmer Gestehen und Leugnen im Strafprozeß, ZStW 50 (1930) 538; Wohlers Das partizipatorische Ermittlungsverfahren: Kriminalpolitische Forderung oder unverfügbarer Bestandteil eines fairen Strafverfahrens? GA 2005 11; Wolfslast Absprachen im Strafprozeß, NStZ 1990 409; Wußler Der Staatsanwalt als „Deal-Verderber“? DRiZ 2013 161; Zabel Urteilsabsprachen und Konkurrenzlehre, KritV 2009 57; ders. Strafrecht und Governance: ein neues Modell moderner Punitivität? JZ 2011 617; Ziegert Die revisionsrechtliche Überprüfung von Absprachen in der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, StraFo 2014 228; Ziegler Die Verständigung im Strafverfahren aus der Sicht der Praxis, FS von Heintschel-Heinegg (2015) 521; Zierl Der Vergleich im Strafverfahren – Oder „Tausche Geständnis gegen Bewährung“, AnwBl. 1985 505; Zschockelt Die Urteilsabsprache in der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH, NStZ 1991 305; ders. Der Richter ist kein Handelspartner, FS Salger (1995) 435. Ausländisches Recht und Rechtsvergleichung. Alschuler The Prosecutor’s Role in Plea Bargaining, 36 University of Chicago Law Review [U. Chi. L. Rev.] 50 (1968); ders. The Defense Attorney’s Role in Plea

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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Bargaining, 84 Yale Law Journal [Yale L.J.] 1179 (1975); ders. The Trial Judge’s Role in Plea Bargaining. Part I, 76 Columbia Law Review [Colum.L.Rev.] 1059 (1976); ders. Plea Bargaining and Its History, 79 Columbia Law Review [Colum.L.Rev.] 1 (1978–79) = 13 Law & Society Review [Law & Soc’y Rev.] 211 (1979); ders. The Changing Plea Bargaining Debate, 69 California Law Review [Cal.L.Rev.] 652 (1981); ders. Implementing the Defendant’s Right to Trial: Alternatives to the Plea Bargaining System, 50 University of Chicago Law Review [U. Chi. L. Rev.] 931 (1983); Ashworth/Redmayne The Criminal Process (2010)4; Bickel Das förmliche Geständnis im US-amerikanischen Strafprozess als Beispiel der Verfahrenserledigung (2001); Blumberg Anwälte mit Überzeugungen, StV 1988 79; Bogner Absprachen im deutschen und italienischen Strafprozeßrecht. Verfahrensbeschleunigung durch die applicazione della pena su richiesta delle parti und das giudizio abbreviato, ein Modell für den künftigen deutschen Strafprozeß? (2000); Boll Plea Bargaining and Agreement in the Criminal Process. A Comparison between Australia, England and Germany (2009); Bömeke Rechtsfolgen fehlgeschlagener Absprachen im deutschen und englischen Strafverfahren (2001); Brants-Langeraar Consensual Criminal Procedures: Plea and Confession Bargaining and Abbreviated Procedures to Simplify Criminal Procedure, Electronic Journal of Comparative Law 11.1 (2007) (www.ejcl.org); Brodowski Die verfassungsrechtliche Legitimation des US-amerikanischen „plea bargaining“ – Lehren für Verfahrensabsprachen nach § 257c StPO? ZStW 124 (2012) 733; Damaška Der Austausch von Vorteilen im Strafverfahren: Plea-Bargaining und Absprachen, StV 1988 398; Dielmann „Guilty Plea“ und „Plea Bargaining“ im amerikanischen Strafverfahren – Möglichkeiten für den deutschen Strafprozeß? GA 1981 558; K. Dreher Kontrollierbarkeit konsensualer Verfahrensweisen am Beispiel des US-amerikanischen Strafprozessrechts (2003); Dubber American Plea Bargains, German Lay Judges, and the Crisis of Criminal Procedure, 49 Stanford Law Review [Stan. L. Rev.] 547 (1997); Easterbrook Criminal Procedure as a Market System, 12 Journal of Legal Studies 289 [J. Legal Stud.] (1983); ders. Plea Bargaining as Compromise, 101 Yale Law Journal [Yale L.J.] 1969 (1992); Eidgenössisches Justizdepartement Aus 29 mach 1. Konzept einer eidgenössischen Strafprozessordnung, Bericht der Expertenkommission „Vereinheitlichung des Strafprozessrechts“ (2007); Feeley The Process Is the Punishment (1979); ders. Legal Complexity and the Transformation of the Criminal Process: The Origins of Plea Bargaining, 31 Israel Law Review 183 (1997); Felstiner Plea Contracts in West Germany, 13 Law & Society Review [Law & Soc’y Rev.] 309 (1979); Festa Absprachen im deutschen und italienischen Strafprozess (2003); G. Fisher Plea Bargaining’s Triumph. A History of Plea Bargaining in America (2003); Gazal-Ayal Partial Ban on Plea Bargaining, 27 Cardozo Law Review 2295 [Cardozo L.Rev.] (2006); Gilliéron Strafbefehlsverfahren und plea bargaining als Quelle von Fehlurteilen (2010); Halberstam Towards Neutral Principles in the Administration of Criminal Justice: A Critique of Supreme Court Decisions Sanctioning the Plea Bargaining Process, 73 Journal of Criminal Law and Criminology [J. Crim. L. & Criminology] 1 (1982); Haller Plea Bargaining: The Nineteenth Century Context, 13 Law & Society Review [Law & Soc’y Rev.] 273 (1979); Hamdan Absprachen im französischen Strafverfahren? Das Verfahren der „Comparution sur reconnaissance préalable de culpabilité“ (2018); Hessick/Saujani Plea Bargaining and Convicting the Innocent: the Role of the Prosecutor, the Defense Counsel, and the Judge, 16 Brigham Young University Journal of Public Law [BYU J.Publ.L.] 189 (2002); Hofmański Absprachen im polnischen Strafverfahren, ZStW 116 (2004) 113; Jaggi Die prototypische Absprache. Legitimität im Lichte des Strafzumessungsrechts (2006); Jung Plea Bargaining and its Repercussions on the Theory of Criminal Procedure, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 5 (1997) 112; Jung/Nitschmann Das Bekenntnis zum Schuldbekenntnis – zur Einführung des plaider coupable im französischen Strafprozeß, ZStW 116 (2004) 785; Kato Konsensuales Strafverfahren – insbesondere Opportunitätseinstellungen und Absprachen in Japan, in: Rosenau/Kim (Hrsg.), Straftheorie und Strafgerechtigkeit. Deutsch-Japanischer Strafrechtsdialog (2010) 31; Kobor Bargaining in the Criminal Justice Systems of the United States and Germany (2008); Kreß Absprachen im Rechtsvergleich, ZStW 116 (2004) 172; Kunz Absprache und abgekürztes Verfahren nach künftigem Schweizerischem Strafprozessrecht, FS Egon Müller (2008) 383; Lagodny Absprachen im transnationalen Strafverfahren, FS Widmaier (2008) 311; Langbein Torture and Plea Bargaining, 46 University of Chicago Law Review [U. Chi. L. Rev.] 3 (1978–79) = The Public Interest Nr. 58 (1980) 43; ders. Understanding the Short History of Plea Bargaining, 13 Law & Society Review [Law & Soc’y Rev.] 261 (1979); Langer From Legal Transplants To Legal Translations: The Globalization of Plea Bargaining and the Americanization Thesis in Criminal Procedure, 45 Harvard International Law Journal [Harv. Int’l L.J.] 1 (2004); ders. Rethinking Plea Bargaining: The Practice and Reform of Prosecutorial Adjudication in American Criminal Procedure, 33 American Journal of Criminal Law [Am. J. Crim. L.] 223 (2005/06); Laliashvili Abspracheverfahren im deutschen, US-amerikanischen und georgi-

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schen Strafverfahrensrecht in vergleichender Sicht (2012); Lehner Verfahrensabsprachen in Wirtschaftsstrafsachen. Regelungen in England und Wales und die österreichische Situation, ZWF 2015 275; Lippke The Ethics of Plea Bargaining (2011); Małolepszy Abschied von der Suche nach der Wahrheit im deutschen und polnischen Strafverfahren: Eine parallele Tendenz? ZStW 126 (2014) 489; Massaro Das amerikanische Plea-Bargaining-System: Staatsanwaltschaftliches Ermessen bei der Strafverfolgung, StV 1989 454; Maynard Inside Plea Bargaining. The Language of Negotiation (1984); F. Meyer Plea Bargaining im Krieg gegen den Terror, HRRS 5 (2006) 178; McConville/Mirsky Jury Trials and Plea Bargaining. A True History (2005); Nahrwold Die Verständigung im Strafverfahren. Eine rechtsvergleichende Untersuchung zwischen Deutschland undn der Schweiz – zugleich ein Beitrag zum deutschen Verständigungsgesetz und zum abgekürzten Verfahren der Schweiz (2014); Nasheri Betrayal of Due Process (1998); Note The Unconstitutionality of Plea Bargaining, 83 Harvard Law Review [Harv. L. Rev.] 1387 (1970); Orlandi Absprachen im italienischen Strafverfahren, ZStW 116 (2004) 120; Palmer Abolishing Plea Bargaining: An End to the Same Old Song and Dance, 26 American Journal of Criminal Law [Am. J. Crim. L.] 505 (1999); Pieth Besondere Strafverfahrensarten: das abgekürzte Verfahren, ZStrR 128 (2010) 161; Ransiek Zur Urteilsabsprache im Strafprozess: ein amerikanischer Fall, ZIS 2008 116; Rhodes Plea Bargaining: Who Gains? Who Loses? (1978); Rosenau Plea bargaining in deutschen Strafgerichtssälen: Die Rechtsvergleichung als Auslegungshilfe am Beispiel der Absprachen im Strafverfahren, FS Puppe (2011) 1597; Ross The Entrenched Position of Plea Bargaining in United States Legal Practice, 54 American Journal of Comparative Law [Am. J. Comp. L.] (Supplement) 717 (2006); Saal Absprachen im deutschen und polnischen Strafprozess: eine rechtsvergleichende Darstellung des Konsensualverfahrens (2009); Salditt „Massenproduktion“ – Plea Bargaining in England, FS Mehle (2009) 581; Schulhofer Is Plea Bargaining Inevitable? 97 Harvard Law Review [Harv. L. Rev.] 1037 (1984); ders. Plea Bargaining as Disaster, 101 Yale Law Journal [Yale L.J.] 1979 (1992); K.F. Schumann Der Handel mit Gerechtigkeit (1977); ders. Der Handel mit Gerechtigkeit – ein Nachtrag, GedS Weßlau (2016) 331; Schünemann Zur Kritik des amerikanischen Strafprozessmodells, FS Fezer (2008) 555; Schwander Plea Bargaining als „abgekürztes Verfahren“ im Entwurf für eine Schweizerische Strafprozessordnung, SJZ 103 (2007) 142; Sinner Der Vergleich im neuen italienischen Strafverfahren und die deutsche Diskussion um Absprachen, ZRP 1994 478; Taleb Le „plaider coupable“ français: quel avenir pour l’audience de jugement? in: Leblois-Happe/Stuckenberg (Hrsg.), Was wird aus der Hauptverhandlung?/Quel avenir pour l’audience de jugement (2014) 221; Taubald Konsensuale Erledigung von Strafverfahren in Deutschland und Frankreich (2009); Trüg Erkenntnisse aus der Untersuchung des US-amerikanischen plea bargaining-Systems für den deutschen Absprachendiskurs, ZStW 120 (2008) 331; ders. Lösungskonvergenzen trotz Systemdivergenzen im deutschen und US-amerikanischen Strafverfahren (2003); Trüg/ Kerner Formalisierung der Wahrheitsfindung im (reformiert) inquisitorischen Strafverfahren? Betrachtungen unter rechtsvergleichender Perspektive, FS Böttcher (2007) 191; Tsujimoto Eine inhaltliche Analyse der Verständigung im deutschen Strafprozess aus der Perspektive eines Außenstehenden, ZIS 2012 612; Turner Judicial Participation in Plea Negotiations: A Comparative View, 54 American Journal of Comparative Law [Am. J. Comp. L.] 199 (2006); dies. Plea Bargaining Across Borders (2009); B. Vogel Strafprozessuale Verständigungen und Kronzeugenregelungen – Sensibilisierung durch Entwicklungen im englischen Recht, GA 2011 520; M. Vogel Coercion to Compromise (2007); R. Vogler Konsensuale Elemente im Strafprozess in England und Wales sowie in den USA, ZStW 116 (2004) 129; Weigend Strafzumessung durch die Parteien – Das Verfahren des plea bargaining im amerikanischen Recht, ZStW 94 (1982) 200; ders. Absprachen in ausländischen Strafverfahren (1990); ders. Bedenken gegen das Dealen. Auch eine rechtsvergleichende Betrachtung, in: Goldbach (Hrsg.), Der Deal mit dem Recht. Absprachen im Strafprozess (2004) 37; ders. The Decay of the Inquisitorial Ideal: Plea Bargaining Invades German Criminal Procedure, FS Damaška (2008) 39; ders. Rechtsvergleichende Bemerkungen zur Wahrheitssuche im Strafverfahren, FS Rissing-van Saan (2011) 749; Wen Urteilsabsprachen im deutschen und taiwanesischen Recht (2007); Wohlers Das abgekürzte Verfahren im schweizerischen Strafprozess, StV 2011 567; Yenisey Mediation und Verständigung im türkischen Strafverfahren, FS Kühne (2013) 399; Zaponig Von „Absprachen“ und „Verständigungen“ im Strafprozess – eine rechtsvergleichende Untersuchung zwischen Österreich und Deutschland (2011).

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 257c

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift wurde durch Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29.7.2009 (BGBl. I S. 2353) eingefügt.1

I.

II.

III.

Übersicht Bedeutung der Vorschrift 1 1. Einführung 1 2. Verfassungsrechtliche Vorgaben 6 3. Vorgaben der EMRK 11 4. Das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren 12 5. Das Urteil des BVerfG vom 19.3.2013 19 6. Reformbedarf 22 Regelungsgehalt und Anwendungsbereich 23 1. Regelungsgehalt 23 a) Rechtsnatur der Verständigung 25 b) Bindungswirkung 26 c) Geltung des Untersuchungsgrundsatzes 27 2. Zeitlicher und örtlicher Anwendungsbereich 28 3. Sachlicher Anwendungsbereich 30 Zulässige Gegenstände einer Verständigung (Absätze 1 und 2) 33 1. Grundsatz 33 2. Rechtsfolgen 37 a) Inhalt des Urteils 37 b) Dazugehörige Beschlüsse 38 3. Verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren 39 4. Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten 41 5. Geständnis als fakultativer Bestandteil 44 a) Nur fakultativer Bestandteil 45 b) Begriff 46 c) Überprüfung des Geständnisses 47 d) Drittbelastende Geständnisse 48 6. Zulässigkeit der Verknüpfung 49

IV.

Ablauf der Verständigung (Absätze 3 und 5) 51 1. Beteiligte 51 2. Ablauf 53 a) Initiativrecht des Gerichts 53 b) Vorschlag des möglichen Inhalts 54 c) Sanktionsschere 56 d) Belehrung (Absatz 5) 57 e) Gelegenheit zur Stellungnahme 58 f) Zustandekommen 59 3. Fehler und Fehlerfolgen 62 V. Wirkung der Verständigung 63 1. Bindung des Gerichts 63 2. Formalien 66 3. „Leistungsstörungen“ 67 VI. Wegfall der Bindungswirkung der Verständigung (Absatz 4) 68 1. Gründe für nachträgliches Scheitern 68 a) Allgemeines 68 b) Übersehen von rechtlich oder tatsächlich bedeutsamen Umständen 72 c) Neu hervorgetretene rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände 73 d) Prognosewidriges Prozessverhalten des Angeklagten 74 2. Rechtsfolgen des Scheiterns 75 3. Ablauf 79 VII. Sitzungsniederschrift 80 VIII. Gesetzeswidrige Absprachen 82 1. Begriff 82 2. Rechtsfolgen 84 IX. Rechtsbehelfe 87 1. Grundsatz 87 2. Berufung 88 3. Revision 89 a) Sachrüge 89

1 Zu den verschiedenen Gesetzgebungsvorschlägen und Entwurfsfassungen im Gesetzgebungsverfahren vgl. Niemöller/Schlothauer/Weider A 18 ff., § 257c, 2 ff.; KMR/v. Heintschel-Heinegg 1 ff.; Jahn/Müller NJW 2009 2625, 2626; Müller 363 ff. Zu den Vorschlägen im Schrifttum umfassend Huttenlocher, insb. 521 ff.; Müller 281 ff.

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b) c) d)

Verfahrensrüge Beruhen 95 Sonstiges 98

90

4.

Wiederaufnahme des Verfahrens 99

Alphabetische Übersicht Ablauf – der Lösung von der Verständigung 79 – der Verständigung 53 ff. Absprachen – „alten Typs“ 26, 82 ff. – heimliche, informelle, illegale 24, 28, 36, 81 ff., 90 ff., 99 Aktenlage, Überprüfung von Geständnissen anhand der 10, 14, 18, 30, 47, 92 Anerkenntnis, prozessuales 9 f., 46 f. Anwendungsbereich – sachlicher 30 ff. – zeitlicher, örtlicher 28 f. Aufklärungsgrundsatz, Aufklärungspflicht 7, 13, 27, 33, 39, 47, 49, 75, 92 Aufklärungsrüge 92 Befangenheit 17, 28, 53, 91 Befristung 54 Belehrung – gem. Absatz 5 57, 95 – qualifizierte gem. § 35a Satz 3 66 – über die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses 15, 83 Berufung, Berufungsgericht 30, 41, 64, 88 Bewährungsauflagen 38 Beweisantrag 3, 39, 49 Beweisverwertungsverbot 57, 64, 69, 77 f., 88, 98 Beweiswürdigung 3, 14, 47, 55, 89, 92 Bindung – des Angeklagten 26, 62 – des Gerichts 9, 25 f., 63 – des Staatsanwalts 26, 62, 67 – Entfall der Bindung des Gerichts 68 ff. Bindungswirkung, Rechtsnatur der 25 f. charge bargaining 33 Druck, unzulässiger 16, 18, 38, 91 Einstellung des Verfahrens 38 f., 42, 49, 67, 76 Einziehung 37 fact bargaining 33 Fahrverbot 37 faires Verfahren, Grundsatz des 6, 26, 49, 57, 67, 77 f., 85 Fehlerfolgen 62, 84 ff. Fernwirkung 77 Feststellungen 10, 14, 32 f., 89 Förmlichkeit des Verfahrens, formale Garantien 3 Garantie des bestmöglichen Beweises 6, 10 Gegenstände der Verständigung, zulässige 33 ff. Gesamtlösung 35, 38 f., 42

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Geständnis – Begriff 46 – Beweiswert 10, 15, 27, 45 ff. – drittbelastendes 48 – falsches 10, 15 – qualifiziertes 27, 46 – schlankes 33, 46, 91 – Strafzumessungsfaktor 9, 16, 55 – taktisches 10, 15 f., 47 – Verwertungsverbot 57, 64, 69, 77 f., 88, 98 – Widerruf 74, 77, 99 Gründe für das Aufkommen von Verständigungen 2 f. Gründe für nachträgliches Scheitern der Verständigung 68 ff. guilty plea 2, 9, 15 f., 47 Handel mit Gerechtigkeit 3, 7 Inbegriff der Hauptverhandlung 10, 14, 47 Indizkonstruktion, doppelte 16 Inquisitionsprozess 1 f., 18 Instruktionsmaxime s. Aufklärungsgrundsatz Interessen der Beteiligten 3, 11, 17 Interessenkonflikt 17 f. Irrtümer der Beteiligten 62 Jugendgericht 31 Jugendstrafrecht, Anwendbarkeit 32 Kadijustiz 3 Konsens, Konsensmaxime 2, 9, 18, 25, 69 Leistungsstörungen 67 Maßregeln der Besserung und Sicherung 34 Missbrauch 3 Mitangeklagte 48, 51, 77 Mündlichkeit, Grundsatz der 3, 10, 14 Nebenfolgen 37, 68 Nebenkläger 49, 51, 59 Nebenstrafen 37 Negativattest 81, 96 f. Nemo tenetur se ipsum prodere s. Schweigerecht Neutralität, richterliche 17 Nichtigkeit illegaler Absprachen 84 Öffentlichkeitsgrundsatz 3, 10, 14, 22 Opferschutz 5, 45, 55 Ordnungswidrigkeitenverfahren 23 package deal s. Gesamtlösung Pflichtverteidigung 31, 52 plea bargaining 2, 5, 15, 17 Protokoll s. Sitzungsniederschrift Prozessgrundsätze 3, 14 Prozessökonomie s. Verfahrensökonomie

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

Prozessverhalten 33, 41 ff., 49, 55, 67, 74, 90 Punktstrafe 37, 89 Rechtsfolgen – des Scheiterns der Verständigung 75 ff. – der Verständigung 63 ff. Rechtsmittelverzicht 33, 43 ff., 66, 87 Rechtsnatur der Verständigung 25 reformatio in peius 64 Reformbedarf 22 reformierter Strafprozess 1, 14, 22, 44 Revision 89 ff. Rückabwicklung 76 ff. Sanktionsschere 18, 23, 55 f., 91 Scheitern der Verständigung, nachträgliches 68 ff. schuldangemessene Strafe 7 f., 10, 13, 16, 49 f., 68, 72 f., 89, 91 Schuldspruch 13, 33, 90 Schweigerecht 3, 9, 13, 15 Sicherungsverwahrung 33, 90 f. Sitzungsniederschrift 80 ff. Strafaussetzung zur Bewährung 37, 68 Strafbarkeit illegaler Absprachen 84 Strafgerechtigkeit 3 f., 9, 68 Strafobergrenze, Strafuntergrenze 55 f., 63, 90

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Strafrecht, materielles 2, 4 Strafvollstreckung 39, 90 Strafzumessung 4, 6, 10, 16, 31, 46, 48 ff., 55, 79, 89 Strafzwecke 4 Strengbeweis 14, 27, 47, 89 Teilunwirksamkeit 36, 86, 93 teilweises Scheitern 71 Unmittelbarkeitsgrundsatz 3, 10, 14, 91 Unschuldsvermutung 3, 15, 17 Untersuchungsgrundsatz s. Aufklärungsgrundsatz Untersuchungshaft 38, 91 Unterwerfung 18 Unwirksamkeit verbotener Absprachen 24, 28, 36, 80, 82 ff., 90 Verdachtsstrafe 13 Verfahrensökonomie 3 f., 9 f. verfassungsrechtliche Vorgaben 6 ff. Vertrauensschutz 26, 42, 61, 67, 77, 85 Vorschlag des Gerichts 54 ff. Wahrheit, materielle 1, 3 f., 6 f., 9 f., 13, 22 Wiederaufnahme 99 Zustandekommen der Verständigung 59 ff.

I. Bedeutung der Vorschrift 1. Einführung. § 257c ist die zentrale Vorschrift des Gesetzes zur Regelung der Ver- 1 ständigung im Strafverfahren, in dem sich der Gesetzgeber erstmals mit Absprachen2 über das Ergebnis eines Strafverfahrens befasst. Solche contra legem3 geschlossenen Absprachen rückten zu Beginn der 1980er Jahre4 in das Licht der Öffentlichkeit5 und haben seitdem6 derart überhandgenommen,7 dass die Praxis sie zumeist als unverzichtbar ansieht. Eine Stellungnahme des BVerfG fehlte jahrzehntelang und erging erst 2013.8 Zuvor sah lediglich eine Kammerentscheidung9 aus dem Jahr 1987 in einem Sonderfall, in dem der Angeklagte nach Abschluss der Beweisaufnahme am Ende einer langdauernden Hauptverhandlung selbst eine Urteilsabsprache anregte, die ein Geständnis nebst 2 Zur terminologischen Vielfalt vgl. nur Dencker/Hamm 13 f., 38 f.; eingehend Bussmann 142 ff.; Lüdemann/Bussmann KrimJ 1989 54 Endn. 4 (69); Kintzi JR 1990 309, 312; Weßlau (Konsensprinzip) 13 ff. 3 KMR/Eschelbach Vor § 213, 78, 80; OK-StPO/Eschelbach 1.6; SK/Velten 1; Roxin/Schünemann § 17, 7; Dencker/Hamm 44 ff., 73; Dencker FS Fezer 115, 116; Duttge/Schoop StV 2005 421, 423; Fischer NStZ 2007 433; Haas GedS Keller 45, 70, 73 f.; Klemke/Elbs 781; Kruse StraFo 2000 146; Schünemann FS Heldrich 1177, 1178 f.; ders. (Wetterzeichen) 14, 21 Fn. 50; ders. StraFo 2010 90, 95; wohl auch Meyer-Goßner Gollwitzer-Koll. 161 f.; Weigend FS II BGH 1011, 1015. 4 Für die Zeit davor s. Bussmann 21 ff., 29; Jahn/Bendrick ZNR 38 (2016) 261 ff. 5 Beginnend mit Deal (Weider) StV 1982 545 und Schmidt-Hieber NJW 1982 1017. 6 Bereits Bussmann/Lüdemann MschrKrim. 1988 81, 82; Bussmann 21 ff. gehen von der Ubiquität der Absprachen in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen aus. 7 Zu empirischen Studien s. Niemz (Opferinteressen) 39 ff. m. w. N.; dies. (Rationalisierung) 149 ff. 8 BVerfGE 133 168 (s. Rn. 19); noch offenlassend BVerfG NJW 2012 1136, 1137. 9 BVerfG NJW 1987 2662 = NStZ 1987 419 mit Anm. Gallandi. Im Fall BVerfG StV 2000 3 erging keine Sachentscheidung wegen Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde.

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Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

Rechtsmittelverzicht gegen eine milde, noch schuldangemessene Strafe und Absehen von der Verfolgung weiterer Taten nach § 154 zum Gegenstand hatte, wegen der „besonderen Sachverhaltsgestaltung keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken“ gegen eine „Verständigung über Stand und Aussichten des Verfahrens“. Zu Beginn der 1990er Jahre erließen die Generalstaatsanwälte ohne gesetzliche Grundlage Hinweise an die Staatsanwälte für Verständigungen im Strafverfahren.10 Nachdem der BGH den Absprachen zunächst einige Zeit lang kritisch gegenüber stand,11 sprach der 4. Strafsenat 1997 eine Duldung des Absprachenwesens aus,12 indem er Richtlinien dafür aufstellte, welche allerdings von den Tatgerichten vielfach missachtet13 wurden. Die übrigen Senate sind dem 4. Strafsenat schließlich im Wesentlichen gefolgt.14 Im Jahr 2005 rief der Große Senat für Strafsachen15 den Gesetzgeber auf, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, weil die Urteilsabsprachen sich zunehmend vom in der StPO verankerten Leitbild der materiellen Wahrheit entfernten, so dass Korrekturversuche der obergerichtlichen Rechtsprechung nur unvollkommen gelingen könnten und an die Grenze höchstrichterlicher Rechtsfortbildung führten. Das am 4.8.2009 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren schreibt dennoch das bisherige Richterrecht mit nur wenigen Modifikationen fest. In großer Eile und ohne in der Gesetzesbegründung auf die Tragweite einzugehen wurde mit der Einfügung des § 257c und den flankierenden Normen der §§ 35a, 160b, 202a, 212, 257b nebst Änderungen der §§ 243, 267, 273 und 302 der schwerste Eingriff in das Gefüge der StPO16 seit ihrem Erlass 1877 vorgenommen und das im 19. Jahrhundert entwickelte Modell des reformierten Strafverfahrens aufgegeben zugunsten eines verkürzten, fast reinen Inquisitionsprozesses. 2013 hat das BVerfG die Regelungen des Verständigungsgesetzes für „derzeit“ nicht verfassungswidrig erklärt, angesichts des erheblich defizitären Gesetzesvollzugs dem Gesetzgeber aber eine Beobachtungs- und ggf. Nachbesserungspflicht auferlegt (Rn. 19).17 Die Ergebnisse einer von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Studie zur Evaluierung des Verständigungsgesetzes werden 2020 erwartet (Rn. 21).

10 Abgedruckt bei Siolek DRiZ 1993 422, 427; Richtlinien des hessischen GenStA in StV 1992 347 f.; vgl. Böttcher/Dahs/Widmaier NStZ 1993 375; krit. Siolek DRiZ 1993 422, 428 f.; Zschockelt FS Salger 435, 442. 11 Z. B. BGHSt 36 210, 214 f.; 37 10; 37 99, 103 ff.; 37 298, 304; 38 102; 42 46, 48 ff.; 42 191, 193; NStZ 1994 196; 1997 611 f.; NStZ-RR 1997 173 f.; s. a. LR/Rieß25 Einl. G 66 ff.; Kuckein/Pfister FS BGH 641, 649 ff.; Meyer-Goßner StraFo 2001 73 ff.; Pfister Der Deal mit dem Recht 5, 7 ff.; Zschockelt NStZ 1991 305, 306 f.; ders. FS Salger 435, 436 ff., jew. m. w. N. 12 BGHSt 43 195; dazu Artkämper NJ 1998 409; Kintzi JR 1998 249; Lemke NJ 1998 42; Rönnau wistra 1998 49; Satzger JA 1998 98; Fahl/Geraats JA 2009 791; Herrmann JuS 1999 1162; auch Weigend NStZ 1999 57; Kruse StraFo 2000 146. 13 Altenhain/Hagemeier/Haimerl/Stammen 332 ff.; Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007 71 ff., 77; Altenhain/Haimerl JZ 2010 327, 328; Gössel FS Fezer 497, 510; Harms FS Nehm 289, 292 f.; Pfister DRiZ 2004 178, 181 m. w. N.; Schmitt GA 2001 411 ff., 425 f.; Wagner GedS Eckert 939, 949 f.; ders. FS Gössel 585, 593; Weider StraFo 2003 406, 407; auch Fischer NStZ 2007 433 f.; näher Meyer-Goßner Gollwitzer-Koll. 161, 167 ff. 14 Vgl. BGHSt 48 161; 49 84; BGH StV 2004 417; 2004 470; 2004 639 und die Nachw. bei Kuckein/ Pfister FS BGH 641, 651; Pfister Der Deal mit dem Recht 5, 7 ff.; Weigend FS II BGH 1011, 1017 ff. 15 BGHSt 50 40, 63 f. mit Anm. Dahs NStZ 2005 580; Duttge/Schoop StV 2005 421; Koch HRRS 2005 245; Meyer HRRS 2005 235; Rieß JR 2005 435; Saliger JuS 2006 8; Seher JZ 2005 634; Theile StraFo 2005 409; Widmaier NJW 2005 1985; auch Altenhain GA 2005 281; Fahl ZStW 117 (2005) 605, 614 ff. 16 Fezer NStZ 2010 177, 182; Hettinger JZ 2011 292, 301; Jahn StV 2011 497; ähnl. Altenhain/Haimerl JZ 2010 327; Hauer NJ 2010 10, 12; Meyer-Goßner/Schmitt Einl 119h; Schünemann ZRP 2009 104. 17 BVerfGE 133 168, 225 ff.

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Bei Urteilsabsprachen handelt sich nicht um eine spezifisch deutsche Erscheinung, 2 sondern um einen internationalen Trend,18 zum Zweck der Verfahrensvereinfachung auch inquisitorisch geprägte Prozeßrechte um systemfremde guilty plea-Derivate anzureichern, dem sich nur wenige19 verweigern, zumal der Europarat20 dies sogar empfohlen hat. Dieser Trend ist allerdings weder als strafverfahrensrechtliche noch als rechtsstaatliche Fortschrittsbewegung anzusehen, im Gegenteil: In gleicher Weise21 wie das plea bargaining eine Degenerationserscheinung des Geschworenenprozesses im Common Law-Rechtsraum ist,22 so stellen sich Absprachen über das Verfahrensergebnis zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten im deutschen Recht als Degenerationserscheinung23 des reformierten Inquisitionsprozesses der StPO dar.24 In beiden Fällen breiten sich diese Umgehungstechniken zunächst schleichend, heimlich und ohne theoretische Fundierung aus, indem die professionellen Akteure der Strafrechtspflege sie annehmen und sich allmählich so sehr daran gewöhnen, dass sie, von Wissenschaft und Öffentlichkeit kaum beachtet, im Laufe weniger Jahrzehnte trotz fehlender Positivierung schließlich die regulären Verfahrensformen fast völlig verdrängen, obwohl sie tradierten und offiziell nie aufgegebenen Verfahrensidealen evident zuwiderlaufen. Begünstigt werden diese empirisch nur ansatz18 Vgl. die vorstehend angegebene auslandsrechtliche und rechtsvergleichende Literatur sowie die Beiträge in ZStW 116 (2004) 113 ff.; zusf. Kreß ZStW 116 (2004) 172 ff. 19 Wie der österreichische OGH (unten Fn. 72). 20 Empfehlung Nr. R (87) 18 des Ministerkomitees zur Vereinfachung der Strafjustiz vom 17.9.1987, sub III.7. ff., allerdings unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit nationalen Verfassungstraditionen. 21 Zur Parallelität der Entwicklung wie hier Rosenau (Absprachen) 45, 57 = ders. FS Puppe 1597, 1613 f., der Absprachen allerdings nicht für eine Fehlentwicklung hält. 22 Anders als vielfach, z. B. von Schünemann (Wetterzeichen) 22; Trüg/Kerner FS Böttcher 191, 204 ff. m. w. N., angenommen wird, liegen Schuldanerkenntnisse nebst Verständigungen über das Ergebnis nicht umstandslos „in der Logik“ des anglo-amerikanischen Strafprozesses – überdies eine ahistorische Annahme: warum hat es dann 700 Jahre gedauert, bis diese Logik entdeckt wurde? –, sondern sind in ihm, weil der Strafprozess sich nie von der Grundstruktur des Zivilprozesses emanzipiert und der Herausbildung der öffentlichen Strafe angepasst hat, nur ohne weiteres integrierbar. Bis in das 19. Jahrhundert hinein waren guilty pleas selten, denn die Gerichte standen ihnen ablehnend gegenüber und versuchten die Angeklagten davon abzubringen. Zur Geschichte des plea bargaining, das in den U.S.A. gegen Ende des 19. Jh. entstand, sich in den 1920er Jahren durchsetzte und seit den 1960er Jahren bis zu 99 % aller Strafverfahren entscheidet und in den anderen Staaten des Common Law-Rechtskreises ähnlich vorherrscht, siehe nur G. Fisher 19 ff.; McConville/Mirsky 139 ff.; Nasheri 78 ff., 99 ff.; M. Vogel 91 ff.; LaFave/Israel Criminal Procedure (2. Aufl. 1992) 898 ff.; Kobor 45 ff.; Alschuler 79 Colum.L.Rev. 1 ff. (1979); Friedman 13 Law & Soc’y Rev. 247 ff. (1979); Langbein 46 U.Chi.L.Rev. 3, 8 ff. (1978–79); ders. 13 Law & Soc’y Rev. 261 ff. (1979); Haller 13 Law & Soc’y Rev. 273 ff. (1979); Mather 13 Law & Soc’y Rev. 281 ff. (1979); Brodowski ZStW 124 (2012) 733, 765 ff m. Fn. 192; Dielmann GA 1981 558, 561 ff.; Dreher 96 ff.; Ransiek ZIS 2008 116 ff.; Rosenau (Absprachen) 45, 53 ff., 57 = ders. FS Puppe 1597, 1611 ff.; Schwander SJZ 103 (2007) 142 ff.; Trüg ZStW 102 (2008) 331, 340 ff.; Vogler ZStW 116 (2004) 129, 132 ff.; Weigend ZStW 94 (1982) 200, 203 ff. Zu England siehe Archbold Criminal Pleading, Evidence and Practice (2018) § 4–173 ff., § 5–122 ff.; Ashworth/Redmayne 296 ff.; zu England und Australien siehe Boll (Plea Bargaining) 2 ff.; Buss Staatsanwaltschaft und Crown Prosecution Service (2010); instruktiv Salditt FS Mehle 581 ff.; zu Schottland Hertel ZJS 2010 198 ff.; zu Kanada Nasheri 47 ff., 121 ff. 23 A. A. Greco GA 2016 1, 6 ff., 10, 15: „wahres Gesicht“ der StPO infolge unvollkommener Vertreibung des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses. 24 Die Zeiten, in denen amerikanische Autoren das deutsche Strafverfahren als leuchtendes Gegenbeispiel zum plea bargaining preisen konnten, vgl. Alschuler 50 U.Chi.L.Rev. 931, 956 ff. (1983), Langbein 46 U.Chi.L.Rev. 3, 21 f. (1978–79); ders. 78 Mich. L.Rev. 204, 212 f. (1979); Felstiner 13 Law & Soc’y Rev. 309 ff. (1979); Stepan Possible Lessons From Continental Criminal Procedure, in: Rottenger (Hrsg.), The Economics of Crime and Punishment (1973) 181, 196; Vlasihin 12 Loy.L.A. L.Rev. 833 (1979); Weigend 2 Crime & Just. 381 ff. (1980), sind nun endgültig vorüber.

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weise erforschten und organisationstheoretisch25 noch nicht hinlänglich erklärten Fehlentwicklungen jeweils durch sich zunehmend verschlechternde Anwendungsbedingungen des Normalverfahrens:26 Dazu zählen wesentlich dessen fortwährendes Raffinement, wozu auch die „erweiterte Revision“ gehört,27 das als unerwünschte Nebenwirkung das Normalverfahren so verkomplizieren und verzögern kann, dass es sowohl für das alltägliche Massengeschäft problemloser Fälle als auch für besonders schwierige und umfangreiche Verfahren28 immer weniger taugt oder als tauglich erscheint. Als Reaktion auf solche Überforderung wird Vermeideverhalten ausgelöst, wozu im deutschen Recht im Bereich der geringfügigen bis mittleren Kriminalität auch die Wucherung des Strafbefehlsverfahrens und die Fehlentwicklung des § 153a, der bereits ein guilty plea-Verfahren etabliert,29 gehört.30 Zur Krise des jeweiligen Normalverfahrens tragen weiter bei die Hypertrophie des materiellen Strafrechts,31 steigende Fallzahlen, unzureichende Ausbildung32 und Ausstattung der Justiz, tatsächliche oder vorgeschobene33 Arbeitsüberlastung, zweckwidrige, Quantität über Qualität stellende Pensenbewertung,34 bisweilen auch amtsvergessene Bequemlichkeit35 und Korruption.36 Die Umgehungstechniken üben auf die beteiligten Akteure einen starken Reiz aus, weil so weitaus mehr Fälle mit weitaus geringerem Aufwand erledigt werden können als im Normalverfahren; für die Angeklagten liegt der Reiz in der Aussicht auf einen schnellen, sicheren Strafrabatt im Vergleich zur Belastung eines langwierigen Normalverfahrens mit unsicherem Ausgang und eventuell höherer Strafe. Sobald 25 Dazu Schulhofer 97 Harv.L.Rev. 1037, 1041 ff., 1096 (1984); Schünemann Gutachten 58. DJT, B 57 ff. 26 Vgl. nur KMR/Eschelbach Vor § 213, 67 ff.; Braun AnwBl. 2000 222 ff.; Fischer NStZ 2007 433, 435 f.; Kuckein/Pfister FS BGH 641, 643 f.; Landau/Eschelbach NJW 1999 321 f.; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 16 ff., 27 ff.; s. a. LR/Kühne Einl. G 58 m. w. N. 27 Eschelbach Effizienz durch Verständigung 37, 46. 28 Zu den verschiedenen Fallklassen, die im Wege der Absprache erledigt werden, s. Schünemann Gutachten 58. DJT, B 19 ff., 54 ff.; Bussmann 24 ff. 29 Stuckenberg Untersuchungen zur Unschuldsvermutung (1997) 566 m. w. N.; s. a. OK-StPO/Eschelbach 1; Salditt FS Egon Müller 611 ff.; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 20 ff.; Wagner GedS Eckert 939, 942 ff.; zu § 153a als Vorläufer der Absprache s. Hamm StV 2013 652, 653 („Einstiegsdroge“); empirisch Jahn/ Bendrick ZNR 38 (2016) 261, 272 ff. 30 Vgl. nur Schmidhäuser JZ 1973 529, 536; Terhorst GA 2002 600, 609; Wagner GedS Eckert 939 ff., 955 f., 958; Weßlau ZStW 116 (2004) 150, 152 ff., 162 ff.; dies. StraFo 2007 1, 5; Hettinger JZ 2011 292, 293, 295 f. 31 Die Akzeptanz des amerikanischen plea bargaining bei Praktikern verdankt sich ganz überwiegend den dramatisch überzogenen Strafrahmen des materiellen Rechts, die sich nur durch fact bzw. charge bargaining vermeiden lassen, was lediglich bedeutet, ein Übel in Kauf zu nehmen, um ein noch größeres zu verhüten, eingehend Stuntz The Collapse of American Criminal Justice (2011) 66, 82, 257 ff. 32 Eschelbach Effizienz durch Verständigung 37, 40. 33 Näher Braun AnwBl. 2000 222, 224 f.; Kintzi JR 1990 309, 310, 313; Schünemann FS Pfeiffer 461, 463 ff.; krit. OK-StPO/Eschelbach 1.11 f.; Hassemer FS Hamm 171, 182 f.; Marsch ZRP 2007 220; Damaška StV 1988 398, 400; Dencker/Hamm 59 ff., 86 ff.; Erb GedS Blomeyer 743, 747; diff. Bernsmann Der Deal mit dem Recht 21, 22 ff. Schon Bussmann/Lüdemann MSchrKrim. 1988 81, 90; Lüdemann/Bussmann KrimJ 1989 54, 57 f., 66; Siolek 58 f.; ders. DRiZ 1993 422, 426 und nun Altenhain/Hagemeier/Haimerl/Stammen 59 ff., 331 gehen davon aus, dass Arbeitsbelastung allein keine genügende Erklärung sei. Gleiches gilt für das amerikanische plea bargaining, vgl. Nardulli 70 J.Crim.L. & Criminology 89 ff. (1979); Feeley 244 ff. sowie die Nachw. bei Weigend ZStW 94 (1982) 200, 203 f. 34 Eschelbach HRRS 2008 190, 195 f.; ders. Effizienz durch Verständigung 37, 42 ff.; Hettinger JZ 2011 292, 293. 35 Erb GedS Blomeyer 743, 747; Gössel FS Fezer 497, 499; Hettinger JZ 2011 292, 293 Fn. 18; Marsch ZRP 2007 220; Schmidt-Hieber DRiZ 1990 321, 324; Terhorst DRiZ 1988 296, 297; ders. GA 2002 600, 608; Wagner GedS Eckert 939, 958; Wippfelder DRiZ 1990 126, 129; a. A. Schmitt GA 2001 411, 426. 36 Vgl. nur Alschuler 79 Colum.L.Rev. 1, 24 ff. (1979); Langbein 46 U.Chi.L.Rev. 3, 18 f. m. w. N. (1978–79).

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die ubiquitär gewordene Absprachenpraxis nicht mehr zu übersehen ist und Kritik erfährt, finden sich in beiden Fällen nachträgliche Versuche rechtlicher und rechtstheoretischer Rechtfertigung, die auf die wechselseitigen Vorteile, namentlich die höhere Effizienz, verweisen sowie auf das konsensuale Element, so dass allen Freud und niemand Leid widerfahre,37 was schon für sich genommen implausibel ist.38 Doch bleibt jeweils ein eklatantes Theoriedefizit,39 zumal Konsens als bloße Methode40 zur kooperativen Nutzenmaximierung weder einen Wert an sich darstellt (wie Kartelle, Kollusion, Korruption und gemeinsame Tatentschlüsse bei Mittäterschaft zeigen) noch sich in allen sozialen Kontexten zur Entscheidungsfindung eignet41 (wie bei der Benotung von Klausuren42 oder Messung sportlicher Leistungen) noch gar eine „spezifische Richtigkeitsgewähr“43 verspricht, schon gar nicht bei der Zumessung schuldangemessener Strafe,44 so dass es einer materiellen Begründung bedürfte, ob und unter welchen Bedingungen ausgerechnet der gravierendste staatliche Grundrechtseingriff in Gestalt der Strafe auf die Einigkeit ausgewählter45 Akteure gestützt werden dürfte.46 Die Notwendigkeit theoretischer Anstrengung verspüren indes nur wenige, vielmehr wird wie schon bei § 153a das Funktionieren im Alltag als „Bewährung“ ausgegeben,47 so dass jegliche Einwände ohne inhaltliche Auseinandersetzung a limine als realitäts- und praxisfern abgetan werden können. Das mächtigste Argument liegt beide Male im Hinweis auf die angeblich unüberwindliche Faktizität, dass nämlich ohne das Absprachewesen die Strafjustiz zusammenbreche, wovor auch Obergerichte48 bereit37 Exemplarisch Easterbrook 12 J. Legal Stud. 289, 297 (1983); krit. zu dieser „jurisprudence of joy“ Alschuler (nächste Fn.). 38 Alschuler 69 Cal.L.Rev. 652, 659 bei Fn. 13, 683 ff., 695 ff. (1981); Terhorst GA 2002 600, 607. 39 Ähnl. Weigend NStZ 1999 57, 58; ders. FS Damaška 39, 62 ff.; Weßlau FS Schünemann 995 ff.; auch Eidam 271; Fischer StraFo 2009 177, 180; Hettinger FS Egon Müller 261, 280 ff.; Lien GA 2006 129, 134; Schünemann StV 1993 657; ders. FS Baumann 361, 370; Steinberg 181. 40 Zutr. Weßlau StraFo 2007 1, 6 f.; Duttge FS Schünemann 875, 884. 41 Dazu Kipnis 86 Ethics 93, 104 f. (1976); ders. 13 Law & Soc’y Rev. 555, 559 f. (1979); Alschuler 69 Cal.L.Rev. 652, 679 f., 705 f. (1981). 42 Kipnis, Alschuler wie Fn. 41. 43 Strafrechtsausschuss BRAK 4 (sub 7.); ähnl. Schünemann Pönometrie 73, 74; dagegen Lien GA 2006 129, 135 ff.; Murmann ZIS 2009 526, 532; Weigend Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen 357, 370. 44 Harms FS Nehm 289, 294; Duttge FS Schünemann 875, 885. 45 Die Verheißung, kooperative Verfahrensmodelle wirkten akzeptanzsteigernd und beförderten den Rechtsfrieden, so z. B. Rosenau (Absprachen) 60 = ders. FS Puppe 1597, 1624, überzeugt schon deshalb nicht, weil die harmonische Lösung eines sozialen Konflikts wenigstens die Beteiligung der Opfer erforderte, zutr. Damaška StV 1988 398, 401; Trück ZWH 2013 169, 174 f. Bei einer Straftat ist allerdings zudem noch die gesamte Rechtsgemeinschaft am Konflikt beteiligt. Akzeptanzsteigernd wirkt bei Angeklagten allenfalls der faire Umgang mit ihnen, Hörnle Rechtstheorie 35 (2004) 175, 185 f.; Rubach ZIS 2006 537 f., jew. m. w. N., der sich bei Absprachen typischerweise nicht findet. Dazu, dass bei einer Absprache der Angeklagte oftmals nicht angemessen beteiligt wird, s. Altenhain/Hagemeier/Haimerl/Stammen 83 ff., 91 ff., 332; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 43 f.; Wagner/Rönnau RuP 1990 161 f.; dazu, dass ihm die Kooperation aufgezwungen wird, siehe Rn. 18; a. A. Bernsmann Der Deal mit dem Recht 21, 28 ff. 46 Vgl. nur Weßlau StraFo 2007 1, 6 f.; dies. (Konsensprinzip) 66 ff.; Lien GA 2006 129 ff. 47 Vgl. Grünwald StV 1987 453, 455, 457 (Scheinlegitimation); Hettinger FS Egon Müller 261, 270. 48 BGHSt 50 40, 53 f.; U.S. Supreme Court, Santobello v. New York, 404 U.S. 257, 260 (1971); ebenso Meyer-Goßner/Schmitt Einl. 119a; Radtke/Hohmann/Ambos/Ziehn 2; Meyer-Goßner ZStW 119 (2007) 938, 940; Nestler-Tremel DRiZ 1988 288, 290; Pfister StraFo 2006 349, 350; Widmaier StV 1986 357; Schmitt GA 2001 411, 426; Krey/Windgätter FS Achenbach 233, 246 f.; krit. OK-StPO/Eschelbach 1.11 f.; KMR/Eschelbach Vor § 213, 73; Fischer NStZ 2007 433, 435; ders. StraFo 2009 177, 180; ders. ZRP 2010 249; Gössel FS Fezer 497, 500 ff.; Klemke/Elbs 781 (hausgemachte Überlastung); Malek StV 2011 559, 564 („Lüge von den fehlenden Ressourcen der Justiz“); Zschockelt FS Salger 435, 440 f.

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willig resignieren, sowie, dass sich Absprachen als Notstandshandlungen49 nicht mehr beseitigen oder verbieten ließen,50 ein Verbot sie lediglich ins Verborgene verlagere.51 Ob die erste der beiden trübsinnig stimmenden Behauptungen zutrifft, in der nicht weniger als die Kapitulationserklärung der Strafjustiz liegt,52 ist nicht nur Evidenzerlebnissen, sondern fundierter Klärung zugänglich;53 eine normative Rechtfertigung liefert sie nicht54 („Niemals ist etwas schon deshalb richtig, weil es ist …“55). Die zweite Behauptung, die der Rechtstreue aller an der Strafjustiz Beteiligten ein Armutszeugnis ausstellt,56 ist normativ irrelevant57 – andernfalls müssten alle massenhaft gebrochenen Verbote, etwa im Straßenverkehr, wegen Ineffizienz aufgehoben werden. Die notwendige Frage, ob diese Faktizität denn normativ überhaupt akzeptabel ist,58 ob also das, was da derzeit im Absprachewege so gut zu funktionieren scheint, den Namen rechtstaatlicher Strafjustiz überhaupt verdient, wird in Deutschland indes zu selten gestellt.59 Dabei ist offensichtlich die Bedro49 So schon Bode DRiZ 1988 281, 285; vgl. StPO-Kommission des Deutschen Richterbundes DRiZ 1987 244. 50 Altenhain/Hagemeier/Haimerl/Stammen 341; Cramer FS Rebmann 145, 148 ff.; Erb GedS Blomeyer 743, 748; Jung Eur.J.Crime, Crim.L. & Crim.Just. 5 (1997) 112, 118; Kuckein/Pfister FS BGH 641, 661; Kühne 750; Fezer NStZ 2010 177, 183 m. Fn. 99, 185; Meurer NJW 2000 2936, 2944; Meyer-Goßner/Schmitt Einl. 119a; Meyer-Goßner Gollwitzer-Koll. 161, 163 f.; ders. NStZ 2007 425, 429; Rieß JR 2005 435, 437; ders. StraFo 2010 10; Schmitt GA 2001 411, 425 f.; Weigend NStZ 1999 57, 63; ders. FS II BGH 1011, 1013; ders. Der Deal mit dem Recht 37, 47; ders. Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen 357, 363 f., 380, 393; Widmaier StV 1986 357; Wolfslast NStZ 1990 409, 416; ähnl. Bussmann/Lüdemann MSchrKrim. 1988 81, 89; krit. KMR/Eschelbach Vor § 213, 73; Schünemann (Wetterzeichen) 14 Fn. 34; ders. FS Rieß 525, 531 f. 51 Meyer-Goßner Gollwitzer-Koll. 161, 163; ders. NStZ 2007 425, 429; Rieß JR 2005 435, 437; Weigend FS Maiwald 829; so für die U.S.A. bereits Fed.R.Crim.P. § 11(e)(6) advisory committee note; w. Nachw. bei Alschuler 50 U.Chi.L.Rev. 931, 935 Fn. 38, 961 ff. (1983); Schulhofer 97 Harv.L.Rev. 1037, 1039 ff. (1984). 52 Haller DRiZ 2006 277. 53 Ablehnend für die U.S.A. National Advisory Commission on Criminal Justice Standards and Goals Courts (1973) 46 f. (Standard 3.1 Abolition of Plea Negotiation); Alschuler 50 U.Chi.L.Rev. 931, 937 ff. (1983); Schulhofer 97 Harv.L.Rev. 1037 ff. (1984); krit. auch Ashworth/Redmayne 318. Nach dem Verbot von plea bargaining von 1975 bis 1993 durch den Attorney-General von Alaska ist dort die Strafrechtspflege nicht zusammengebrochen, vgl. Dielmann GA 1981 558, 569; Weigend ZStW 94 (1982) 200, 208 Fn. 26; Rubinstein & White 13 Law & Soc’y Rev. 367 ff. (1979); Rubinstein, Clarke & White Alaska Bans Plea Bargaining (National Institute of Justice 1980); Carns & Kruse 75 Judicature 310 ff. (1992); Alaska Judicial Council Alaska’s Plea Bargaining Ban Re-evaluated (1991). Zu weiteren Verboten siehe Dreher 233 ff.; Weiniger 35 UCLA L.Rev. 265 ff. (1987); Gazal-Ayal 27 Cardozo L.Rev. 2295, 2342 ff. (2006). 54 Zutr. Duttge FS Böttcher 53, 53 Fn. 6; Gössel FS Fezer 497, 503 f.; Trüg StV 2005 161, 163; Trüg/Kerner FS Böttcher 191, 212; auch Scheinfeld ZIS 2008 62, 65 f. 55 Radbruch Rechtsphilosophie (8. Aufl. 1975) § 2 S. 93. 56 Alschuler 50 U.Chi.L.Rev. 931, 961 ff., 964 (1983); Hettinger FS Egon Müller 261, 269 Fn. 31; Schünemann FS Rieß 525, 531 f.; ders. ZRP 2009 104. 57 OK-StPO/Eschelbach 1.11; Schünemann FS Rieß 525, 532 spricht treffend von der „normativen Dreistigkeit des Arguments von der Unausrottbarkeit der Absprachenpraxis“; Steinberg 181. 58 So z. B. Brady v. United States, 397 U.S. 742, 752 f.; 90 S.Ct. 1463, 1471; 25 L.Ed.2d 747 (1970); Alschuler 69 Cal.L.Rev. 652, 703 ff. (1981); Church 13 Law & Soc’y Rev. 509, 511 f. (1979); Kipnis 13 Law & Soc’y Rev. 555, 557 ff. (1979); LaFave/Israel Criminal Procedure (1992)2 899 ff. 59 Siehe aber Bussmann/Lüdemann MSchrKrim. 1988 81, 88 f.; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 55 ff.; Trüg ZStW 102 (2008) 331, 332. In den U.S.A. ist das plea bargaining bis heute ebenso heftig wie folgenlos umstritten, siehe dazu nur die in Fn. 22 genannten Monographien von Fisher, McConville/Mirsky, Nasheri, Vogel, Kobor sowie die Kritiken von Alschuler 36 U.Chi.L.Rev. 50 ff. (1968); ders. 69 Cal.L.Rev. 652 ff. (1981); ders. 50 U.Chi.L.Rev. 931 ff. m. w. N. in Fn. 4 (1983); Damaška StV 1988 398, 400 ff.; Halberstam 73 J.Crim.L. & Criminology 1 ff. (1982); Langbein (Fn. 24); Palmer 26 Am.J.Crim.L. 505, 512 ff. (1999); Schulhofer 97 Harv.L.Rev. 1037 ff. (1984); ders. 101 Yale L.J. 1979 ff. (1992); Note 83 Harv.L.Rev. 1387 ff. (1970); knapper Überblick bei Brodowski ZStW 124 (2012) 733, 758 f.; Dielmann GA 1981 558, 566 ff.; Ross 54 Am.J.Comp.L.

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hung der rechtsstaatlichen Strafrechtspflege durch eine willkürliche Absprachenpraxis ungleich ernster als durch die Überlastung der Justiz.60 Beiden Fehlentwicklungen ist weiterhin gemein, dass angesichts der manifesten, 3 scheinbar auch allseitigen Vorteile der jeweiligen Umgehungstechnik nicht nur die Gesetzestreue zahlreicher Akteure,61 sondern verbreitet auch das Verständnis für den Sinn des lästig gewordenen Prozessgesetzes, ja sogar der tragenden Prinzipien und Begriffe von Strafe und Strafjustiz überhaupt geschwunden ist. An die Stelle der traditionellen Verfahrensziele Wahrheit und Gerechtigkeit tritt vordergründig die Verfahrensökonomie als dominantes Paradigma,62 als ob die gesellschaftliche Funktion der Strafjustiz die bloße Erledigung von Fällen sei und nicht die Verwirklichung der Ziele des materiellen Strafrechts,63 doch ist Verfahrensökonomie letztlich nur eine Chiffre für den Eigennutz der Beteiligten, der die Haupttriebfeder der Absprache bildet.64 Insoweit handelt es sich um ein Korruptionsphänomen.65 Etabliert wird eine informelle Praxis – die auch ein Gesetz nicht formalisieren können wird66 –, die einerseits zum ausgiebig dokumentierten67 und längst nicht mehr als Ausnahmefall marginalisierbaren68 Missbrauch einlädt, andererseits bei redlich gesonnenen Akteuren fraglos auch zu gerechten Ergebnissen führen kann, was gern von Befürwortern hervorgehoben69 wird – allerdings zu Unrecht, weil es dafür keine formalen Garantien gibt.70 Denn von der Pra-

(Supp.) 717, 723 ff. (2006); Turner 50 ff. Die Kritik reißt auch in jüngster Zeit nicht ab, s. nur die Beiträge in dem Sammelband „The Tyranny of the Trial Penalty: The Consensus that Coercive Plea Practices Must End“, 31 Federal Sentencing Reporter 215–368 (2019). 60 Treffend OK-StPO/Eschelbach 1.12; zum Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn die Rechtsanwendungsgleichheit durch die Selbststeuerung der Arbeitslast der Gerichte gefährdet wird, vgl. BVerfGE 54 277, 293; Eschelbach FS Rissing-van Saan 115, 130. 61 Bussmann 218 f. konstatierte schon 1991, dass das Recht für die Akteure der Strafrechtspraxis insoweit keine Relevanz mehr besitzt. 62 Bussmann/Lüdemann MSchrKrim. 1988 81, 89; Lüdemann/Bussmann KrimJ 1989 54, 61; Bussmann 222 ff.; Ostendorf ZIS 2013 172 ff., 176; Sommer Effektive Strafverteidigung 3(2016) 2485; Stübinger JZ 2008 798, 799; vgl. auch Weigend FS Maiwald 829, 845 ff. (Tendenz zum administrativen Strafverfahren); ders. Der Deal mit dem Recht 37, 38 f., 44 f.; befürwortend Viering 85 ff., 191 ff. 63 Zutr. Gössel FS Böttcher 79, 92; ders. FS Fezer 497, 502 f.; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 61; s. a. Neumann ZStW 101 (1989) 52 ff. 64 Terhorst GA 2002 600, 606, 608. 65 OK-StPO/Eschelbach 1, 1.8, 13.1, 21.4; SK/Velten Vor § 257b, 21; Erb StV 2014 103, 107; Herzog GA 2014 688, 689 f.; Weßlau zit. nach Herzog ibid. 690; Stuckenberg ZIS 2013 212, 214. 66 Fischer NStZ 2007 433, 435; ders. StraFo 2009 177, 185; ders. StraFo 2010 329, 331 mit Fn. 6; Marsch ZRP 2007 220, 222; Kunz FS Egon Müller 383, 393; Kühne 750; Theile MSchrKrim. 2010 147, 158; Weigend Der Deal mit dem Recht 37, 48; vgl. auch National Advisory Commission on Criminal Justice Standards and Goals Courts (1973) 48. 67 Aus der Judikatur siehe nur BGH StV 2000 539; 2004 360; 2004 470; 2004 636; 2009 174; 2011 74 f.; NStZ 2007 711 f.; 2008 170 f.; OLG Bremen StV 1989 145, 146; LG Nürnberg-Fürth StV 2010 136 f.; sowie die Nachw. bei MüKo/Jahn/Kudlich 3; SK/Velten Vor § 257b, 1; Bernsmann Der Deal mit dem Recht 21, 23 ff.; Dahs NStZ 1988 153, 154 f.; Dencker/Hamm 126 ff.; Erb GedS Blomeyer 743, 750 ff.; Fischer StraFo 2009 177, 179 f. Hamm FS Egon Müller 235, 243 f. Hammerstein StV 2007 48, 50; Jungfer StV 2007 380, 383; Kempf StV 2009 269, 270 f.; Malek StraFo 2005 441, 443 ff.; ders. StV 2011 559, 565; Pfister DRiZ 2004 178, 179; ders. StraFo 2006 349 f., 351; Salditt FS AG Strafrecht DAV 794, 794 f.; Schünemann (Wetterzeichen) 19 f.; Siolek FS Rieß 563, 571 ff.; Wagner/Rönnau RuP 1990 161, 166 f.; Weider StV 2002 397 ff. 68 Pfister DRiZ 2004 178, 179; ders. StraFo 2006 349, 351. 69 Vgl. Böttcher/Dahs/Widmaier NStZ 1993 375; Dahs NStZ 1988 153, 158, 159; Ignor ZStW 119 (2007) 927, 930, 932 f. (auf das rechtsstaatliche Ethos abhebend); Rosenau (Absprachen) 68, 72. 70 Vgl. Fischer ZRP 2010 249, 250 bei Fn. 9; Terhorst GA 2002 600, 613.

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xis mit erstaunlichem Gleichmut übergangen wird jeweils in beiden Fällen, dass bisher als fundamental angesehene Prozessmaximen und -grundrechte wie die Unschuldsvermutung, das Schweigerecht und die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sowie die Suche nach der materiellen Wahrheit71 und damit die Durchsetzung des materiellen Strafrechts, im deutschen Recht zudem noch die Inquisitionsmaxime und die Prinzipien der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit sowie der freien Beweiswürdigung aufgegeben werden, was hinlänglich dargelegt worden ist.72 Dabei machen die aufgegebenen Prozessgrundsätze die Justizförmigkeit, d. h. diejenigen Förmlichkeiten des Verfahrens aus, die gleichmäßige, grundrechtswahrende und inhaltlich zutreffende Entscheidungen unabhängig von der bona fides der mit dem Einzelfall befassten Akteure sicherstellen sollen.73 Die Form ist immer noch „die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit. Denn die Form hält der Verlockung der Freiheit zur Zügellosigkeit das Gegengewicht.“74 Diese formelle (Verfahrens-)Gerechtigkeit als Definiens des formellen Rechtsstaats (bzw. rule of law) wird im informellen Absprachenwesen ersetzt

71 Die materielle Wahrheit ist entgegen verbreiteten Fehlvorstellungen ein zentrales Prinzip auch des Strafprozesses im Common Law-Raum, der sich nicht etwa mit formeller Wahrheit zufrieden gibt, vgl. nur Lord Denning in Jones v. National Coal Board [1957] Q.B. 55, 63; Tehan v. United States ex rel. Shott 382 U.S. 406, 416; 86 S.Ct. 459; 15 L.Ed.2d 453 (1966); Stovall v. Denno 388 U.S. 293, 297 f.; 87 S.Ct. 1967; 18 L.Ed.2d 1199 (1967) („the basic purpose of a trial is the determination of truth“); LaFave/Israel Criminal Procedure (1992)2 § 1.6(a); zutr. Ransiek ZIS 2008 116 m. w. N.; Rosenau FS Puppe 1597, 1618; Rosenau (Absprachen) 45, 56 Fn. 75; Weigend Der Deal mit dem Recht 37, 45 f.; Cramer FS Rebmann 145, 156; missverständl. Trüg/Kerner FS Böttcher 191, 196 f., 198. 72 Vgl. nur KMR/Eschelbach Vor § 213, 110 ff.; OK-StPO/Eschelbach 58.1; Baumann NStZ 1987 157 f.; Beulke/Swoboda 394a; Braun 35 ff.; Bussmann/Lüdemann MSchrKrim. 1988 81, 88 f.; Bussmann 224; Dencker/ Hamm 50 ff.; Engländer Effizienz durch Verständigung 23, 29 ff.; Fahl ZStW 117 (2005) 605 f.; Gössel FS Fezer 497, 511 ff.; Günter DRiZ 1987 406; Hassemer JuS 1989 890, 892 f.; Hettinger FS Egon Müller 261, 272 f.; Kühne 748; Küpper/Bode Jura 1999 351, 356 ff.; Kunz ZStW 121 (2009) 572, 585 f.; Meyer-Goßner Gollwitzer-Koll. 161; Müller 81 ff.; Nestler-Tremel Modernes Strafrecht und Ultima-ratio-Prinzip 159, 165, 174; Prantl 60 f.; Saliger JuS 2006 8, 12; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 80 ff., 146 ff.; ders. FS Baumann 361, 372; ders. StV 1993 657, 658 f.; Steinhögl 16 ff.; de Vries ZRP 2011 209 f.; Weigend JZ 1990 774, 777 f.; ders. FS II BGH 1011, 1012; ders. Der Deal mit dem Recht 37, 40 f.; ders. Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen 357, 364; Weßlau ZStW 116 (2004) 150, 166 ff.; Wohlers NJW 2010 2471, 2473; Ashworth/Redmayne 312 ff.; Dreher 216 ff.; Langbein 46 U.Chi.L.Rev. 3, 21 (1978–79); Vogler ZStW 116 (2004) 129, 139 ff. Nach Auffassung des österreichischen OGH sind Absprachen wegen „eklatanten Widerspruches zu den tragenden Grundprinzipien des österreichischen Strafverfahrensrechtes, namentlich jenem zur – ein Kontrahieren des Gerichtes mit (mutmaßlichen) Rechtsbrechern ausschließenden – Erforschung der materiellen Wahrheit, prinzipiell abzulehnen“, OGH 24.8.2004 – 11 Os 77/04, ÖJZ 2005 275, 276 = JBl. 2005 127, dazu Birklbauer ZIS 2009 101, 103; Schmoller GA 2009 505, 528 m. w. N. auch dazu, dass sich die Praxis nicht darum kümmert, Rosenau (Absprachen) 45, 64; Zaponig 12 ff.; OGH 4.3.2010 – 13 Os 1/10m, JBl. 2011 63 mit Anm. Medigovic; zum Schweizer Recht: Oberholzer Grundzüge des Strafprozessrechts dargestellt am Beispiel des Kantons St. Gallen (2005)2 311 („Der Deal verstösst gegen praktisch sämtliche Prinzipien des Strafprozessrechts.“); Pieth Schweizerisches Strafprozessrecht 3(2016) 249 f., 255 ff.; ders. ZStrR 128 (2010) 161 ff.; Wohlers StV 2011 567 ff.; Nahrwold 86 ff.; zum italienischen pattegiamento und giudizio abbreviato: Orlandi ZStW 116 (2004) 120, 125. Kompatibilistisch hingegen MüKo/Jahn/Kudlich 44 ff.; SSW/ Ignor 12 ff.; Ignor FS BRAK 321, 323 ff.; Ioakimidis 45 ff.; Kintzi JR 1990 309, 314 ff.; Landau/Eschelbach NJW 1999 321, 324 f.; Rosenau (Absprachen) 45, 53 ff. = ders. FS Puppe 1597, 1614 ff.; Wolfslast NStZ 1990 409, 411 ff., 416; krit. LR/Rieß25 Einl. G 70; Niemöller StV 1990 34, 35. 73 Fischer StraFo 2009 177, 184 f.; ders. § 46, 112 StGB; Hamm NJW 2006 2084, 2086; ders. FS MeyerGoßner 33; Hassemer JuS 1989 890, 893 f.; ders. FS Volk 207 ff., 221 f.; Pfister StraFo 2006 349, 353; Salditt ZStW 115 (2003) 570, 573; Schünemann ZStW 119 (2007) 945, 953; Wagner/Rönnau RuP 1990 161, 163 f., 167. 74 Von Ihering Geist des römischen Rechts, 2. Theil/2. Abt. (6./.7. Aufl. 1923) 471.

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durch die Hoffnung auf wechselseitige Vorteile beliebiger75 Art, deren regellose Aushandlung im Rahmen einer zwischenmenschlichen Vertrauensbeziehung76 der professionellen Akteure bestenfalls im Einzelfall zufällig materielle Gerechtigkeit hervorbringen kann. Hierin liegt eine Abkehr von den formalen Qualitäten des modernen Rechts und Rückkehr zur Kadijustiz im Weberschen Sinne.77 Die abstrakte Idee der Verfahrensgerechtigkeit ist offenbar chancenlos gegen das konkrete Krämerglück, das ein gelungener Deal bereiten kann; die Idee des formellen Rechtsstaats geht in den reziproken Egoismen des Justizalltags unter.78 Wie von einem Mahlstrom werden dabei auch alle anderen Normen der StPO – etwa Beweisantragsrechte, Beweiserhebungs- und -verwertungsverbote – erfasst, ohne Rücksicht auf ihren disponiblen oder zwingenden Charakter ihres ursprünglichen Sinns entkleidet und stattdessen mit Zuerkennung eines Lästigkeitswerts (für den Gegner; dem entspricht ein eigener Nützlichkeitswert) verrechenbar gemacht und bei Bedarf in den Handel eingestellt.79 Insoweit hatte die Strafjustiz die Gesetzesanwendung eingestellt. Es fragt sich, wie diese völlige Prinzipienvergessenheit – die sich gern im Vorwurf der „Prinzipienreiterei“ an die Kritiker des Absprachenwesens manifestiert80 – und dieser offene Gesetzesungehorsam zu erklären sind, wenn nicht durch den vorherigen Kollaps des Rechtsverständnisses vieler Akteure der Strafjustiz. Die Degeneration des Strafverfahrens führt notgedrungen zur Degeneration des 4 materiellen Strafrechts, das sich nur aufgrund des Prozesses verwirklichen kann:81 Wenn die Wahrheitssuche zugunsten der Verfahrensökonomie aufgegeben ist, indem auf den akribischen Nachweis der Verwirklichung eines Straftatbestandes als Voraussetzung der Sanktionierung verzichtet wird, und Strafzumessung sich statt an den Strafzwecken nun an Zeitersparnis orientiert, dann erhält auch die gesetzliche Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge einen anderen Sinn, womit der Strafzweck denaturiert. Vergeltender Schuldausgleich kommt als Sinn der Strafe nicht mehr in Frage, wenn die ergebnisrichtige Feststellung individueller Schuld nicht mehr leitendes Prozessziel ist. Auch general- und spezialpräventive Ausrichtungen der Strafe kommen ohne möglichst genaue Aufklärung, ob und in welchem Maß ein Rechtsbruch, dem zu

75 Wagner GedS Eckert 939, 957 f.; ähnl. SK/Velten Vor § 257b, 21. 76 Dazu Bussmann/Lüdemann MSchrKrim. 1988 81, 87; Gallandi MDR 1987 801 ff.; auch Hassemer/Hippler StV 1986 360, 361; Haas GedS Keller 45, 63; Fischer § 46, 112 StGB. 77 Vgl. Weber Wirtschaft und Gesellschaft 463 f., 510 f., 563 ff. (5. Aufl. 1972); ähnl. Fischer § 46, 112 StGB („vor-rechtsstaatliche Stufe“); Hassemer JuS 1989 890, 894; Heußner DRiZ 1987 312, 314; Schünemann (Wetterzeichen) 26; Schwander SJZ 103 (2007) 142, 146; Terhorst DRiZ 1988 296, 297; ders. GA 2002 600, 608; Wagner GedS Eckert 939, 956 f. 78 Ähnl. Altenhain/Haimerl JZ 2010 327, 328; Weigend Der Deal mit dem Recht 37, 39. Zur Interessenlage vgl. nur MüKo/Jahn/Kudlich 5 ff.; Bussmann/Lüdemann MSchrKrim. 1988 81, 85; Bussmann 105 ff.; Hammerstein StV 2007 48, 50; Jungfer StV 2007 380, 384 ff.; A. Neumann NJ 2013 240, 241 ff.; Schuhmacher StV 1995 442, 443 f.; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 44 ff.; Steinhögl 108 ff.; ähnl. schon Alschuler 69 Cal.L.Rev. 652, 690 ff. (1981); Rhodes 39 ff.; Schumann (Handel) 85 ff.; vgl. auch Dreher 142 ff.; zu agency costs Schulhofer 17 J. Legal Stud. 43, 49 ff. (1988); ders. 101 Yale L.J. 1979, 1987 ff. (1992); Viering 139 f. 79 Weigend FS II BGH 1011, 1014; SK/Velten Vor § 257b, 21 (korruptive Strukturen); vgl. Weßlau FS Egon Müller 779, 783. Zur Ablösung des rechtlichen Codes „Recht/Unrecht“ durch den wirtschaftlichen Code „Zahlung/Nichtzahlung“ Theile MSchrKrim. 2010 147, 156. 80 Z. B. Niemöller/Schlothauer/Weider Einl. 7 (die Strafprozesswissenschaft müsse „von ihren Prinzipienrössern absteigen“); dagegen schon zutr. Dencker/Hamm 51 Fn. 75: „Mangel an Prozeßtheorie“. 81 Eingehend Dencker/Hamm 55 ff., 88 f.; Weßlau (Konsensprinzip) 106 ff., 206 ff.; vgl. Haas GedS Keller 45, 74; Meyer ZStW 119 (2007) 633, 660, 662; Prantl 60, 62; Schünemann FS Fezer 555, 560, 566; ders. GA 2006 378, 379; Theile MSchrKrim. 2010 147, 155; Volk FS Dahs 495, 502 f.; Weigend JZ 1990 774, 780 f.; ders. FS II BGH 1011, 1014; ders. Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen 357, 358 Fn. 3.

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widersprechen wäre, vorliegt, oder ob und in welchem Maße auf diesen individuellen Angeklagten eingewirkt werden muss, nicht aus.82 Es findet somit ein Perspektivenwechsel83 statt weg von der Einzelfallgerechtigkeit hin zu einer Gesamtbetrachtung des Sozialkontrollsystems, das möglichst kostengünstig einen hinreichenden Gesamtrepressionseffekt erzielen soll.84 „Strafe“ dient dann nur noch als halbblind angewandtes Mittel einer undeutlich sprechenden Abschreckungsrepression, der es genügt, dass es im Großen und Ganzen schon die Richtigen treffen wird, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass sich die Sanktion im Einzelfall ebenso als zufällig passgenau erweisen mag wie das von einem desinteressierten Arzt verordnete Breitbandantibiotikum. Geht es aber vorrangig nicht mehr um Strafgerechtigkeit, sondern um schleunige Erledigung zwecks Befriedigung systemischer Eigeninteressen im Wege informeller Programme,85 so dankt der Rechtsstaat ab.86 Die Reaktion der Öffentlichkeit auf das plea bargaining, dessen Ausmaß im 5 Rechtsbewusstsein der Bevölkerung der Common Law-Länder noch immer nicht richtig präsent ist, zumal in den Medien an der Folklore des jury trial festgehalten wird, schwankt zwischen Unverständnis und Zynismus.87 Dass die von den professionellen Akteuren gepriesenen Vorzüge des Absprachenwesens sich der deutschen Öffentlichkeit besser erschließen, dürfte ebenso wenig zu erwarten sein. Vielmehr ist zu befürchten, dass das Vertrauen in die Unparteilichkeit und Gewissenhaftigkeit der Justiz abnimmt,88 die sich hauptsächlich nur noch für sich selbst interessiert. Zu den Existenzbedingungen eines Rechtssystems gehört, dass es in erkennbarer Weise nach Maximen funktioniert, die der Rechtsüberzeugung der Bürger entsprechen,89 was weder bei plea bargaining 82 Dencker/Hamm 57; Schünemann FS Baumann 361, 379; Langbein 46 U.Chi.L.Rev. 3, 17 Fn. 36 m. w. N. (1978–79).

83 Zutr. Weßlau StraFo 2007 1, 3. 84 Vgl. Dencker/Hamm 58 („daß Taten solcher Art nicht generell folgenlos bleiben“), 71 ff.; ähnl. Schünemann Gutachten 58. DJT, B 19 ff. („Rumpf-Sanktionierung“); befürwortend Mylonopoulos FS Kühne 259, 274 ff. 85 Zu informellen Programmen Hassemer StV 1982 377 ff.; ders. JuS 1989 890, 894 f.; Gallandi MDR 1987 801 ff.; Bussmann 218 ff. 86 Ähnl. Dencker/Hamm 57 f., 62 ff., 81 ff.; Duttge ZStW 115 (2003) 539, 569; Fornauf KritV 2010 217, 228 („Verfahrensabsprachen und rechtsstaatliches Strafrecht sind nicht kompatibel.“); Gössel GedS Blomeyer 759, 771; ders. FS Fezer 497, 529; Harms FS Nehm 289, 295 (Willkür); Kempf StV 2009 269, 276; Prantl 60, 62 f. (Entrechtlichung); Schmidt-Hieber DRiZ 1990 321, 325; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 60 f.; ders. StraFo 2010 90, 95; Sinner 292 f. (Naturzustand); Terhorst GA 2002 600, 608; Weigend FS II BGH 1011, 1015; ders. FS Maiwald 829, 845 ff. Vgl. auch Schmidt-Hieber NJW 1990 1884, 1885 (Willkür); Volk ZStW 97 (1985) 871, 911. Schon National Advisory Commission on Criminal Justice Standards and Goals Courts (1973) 48 empfahl die Abschaffung von plea negotiations wegen deren Rationalitätsdefizit und Strafzweckwidrigkeit. 87 Langbein 46 U.Chi.L.Rev. 3, 16 f. m. w. N. (1978–79); Vogler ZStW 116 (2004) 129, 143 m. w. N.; Cohen & Doob 32 Crim.L.Qu. 85, 97 (1989–90) (empirische Studie zur ablehnenden Haltung der kanadischen Bevölkerung). 88 Vgl. BGH StV 2009 174; Duttge ZStW 115 (2003) 539, 552; Fischer NStZ 2007 433, 434; ders. StraFo 2009 177, 185; Gössel FS Böttcher 79, 83; ders. FS Fezer 497, 527 f.; Harms FS Nehm 289, 294; Hettinger FS Egon Müller 261, 272; Keller/Schmidt wistra 1984 201, 207; Kunz FS Egon Müller 383, 389, 392; Meyer ZStW 119 (2007) 633, 647; Niemz (Opferinteressen) 302 f.; Pfister DRiZ 2004 178, 179; Radtke/Hohmann/Ambos/ Ziehn 3; Schmidt-Hieber NJW 1990 1884, 1886; Schuhmacher StV 1995 442, 445 (aus sozialpsychologischer Sicht); Schünemann FS Baumann 361, 380; Siolek DRiZ 1989 321, 323; Zschockelt NStZ 1991 305, 309. 89 Nachw. bei Alschuler 69 Cal.L.Rev. 652, 706 f. (1981); vgl. Murmann ZIS 2009 526, 532. Zu eher unerwünschten generalpräventiven Effekten des Dealens Bussmann/Lüdemann MSchrKrim. 1988 81, 88; Lüdemann/Bussmann KrimJ 1989 54, 59.

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noch bei Absprachen der Fall sein dürfte. Wenn der Staat es mit seinen eigenen Strafgesetzen nicht mehr ernst meint, warum sollte es dann der Bürger tun?90 Eine Untergrabung der gesamtgesellschaftlichen Stabilisierungsfunktion von Strafrecht und Strafprozess ist daher abzusehen.91 Die Opfer der Straftat, mit deren Schutz bisweilen für Absprachen geworben wird,92 sind von den Absprachen regelmäßig ausgeschlossen93 und bringen insbesondere für milde Strafen wenig bis kein Verständnis auf.94 2. Verfassungsrechtliche Vorgaben. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die 6 Strafjustiz, die zur Beurteilung des Absprachewesens heranzuziehen sind, fußen vor allem auf dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG.95 Daraus ergibt sich die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten und insbesondere die Durchführung eingeleiteter Strafverfahren sicherzustellen. Hierauf kann und darf er nicht nach seinem Belieben generell oder im Einzelfall verzichten, vielmehr muss der Strafanspruch durchgesetzt werden. Der Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn sichergestellt ist, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden.96 Wesentlich ist dafür die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne die das materielle Schuldprinzip, das seinerseits Verfassungsrang hat, nicht verwirklicht werden kann.97 Gericht und Staatsanwaltschaft sind von Verfassungs wegen verpflichtet, die materielle Wahrheit zu erforschen, um auf dieser Grundlage die Entscheidung über Schuld oder Nichtschuld und die daraus zu ziehenden rechtlichen Folgerungen zu treffen, was auch bedeutet, dass sie alles tun müssen, damit nur der Schuldige seiner Schuld gemäß bestraft, der unschuldig in Verdacht Geratene aber baldmöglich aus dem Verfahren entlassen oder freigesprochen wird.98 Es gilt daher eine „grundsätzliche Garantie des bestmöglichen Beweises“ bzw. der bestmöglichen Klärung des Sachverhalts;99 Strafe darf nur verhängt werden, wenn „ihre tatsächlichen Vo-

90 Vgl. Dencker/Hamm 76. 91 Theile MSchrKrim. 2010 147, 155 f.; ähnl. OK-StPO/Eschelbach 1.13; Murmann ZIS 2009 526, 532; Weigend FS Maiwald 829, 830.

92 BTDrucks. 16 12310 S. 14, 19; MüKo/Jahn/Kudlich 8. 93 In einer gesetzeskonformen Verständigung könne sogar ein „weiteres traumatisierendes Erlebnis“ für Opfer einer Gewalttat liegen, das zur Erhöhung der Opferrente führt, LSG BW 7.12.2017 – L 6 VG 6/17 Rn. 52 ff. 94 Krit. daher Fischer § 46, 111; OK-StPO/Eschelbach 19, 28.3; KMR/v. Heintschel-Heinegg 33; Fischer StraFo 2009 177, 182; Gössel FS Böttcher 79, 86; ders. GedS Blomeyer 759, 766 f.; ders. FS Fezer 497, 502, 526; Haller DRiZ 2006 277; Niemz (Opferinteressen) 13, 18, 227 ff.; dies. (Rationalisierung) 160, 195 ff., 320 ff.; Terhorst GA 2002 600, 607; Vogler ZStW 116 (2004) 129, 145 m. w. N.; auch KMR/v. HeintschelHeinegg 33. 95 Zusammenfassende Auflistung bei BVerfGE 133 168, 197–203. 96 BVerfGE 46 214, 222 f.; 133 168, 199; BVerfG NJW 1987 2662, 2663; auch BVerfGE 32 373, 381; 33 367, 383; 49 24, 54; 51 324, 343 f.; 70 297, 308; 107 104, 118; 115 166, 192. 97 BVerfGE 57 250, 275; 80 367, 378; 100 313, 389; 106 28, 48; 107 104, 118; 118 212, 231; 133 168, 197 ff.; BVerfG NJW 1987 2662, 2663. Mitunter wird das Argument umgekehrt, so dass die Pflicht zur Wahrheitserforschung aus dem Schuldprinzip folge, BVerfGE 133 168, 221, 225–227, 233; s. a. BVerfGE 140 317, 344; ebenso Landau NStZ 2011 537, 540; ders. NStZ 2014 425, 428, zust. Schünemann FS Wolter 1107, 1113 ff., 1128, was methodisch fehlerhaft, wenn auch im Ergebnis unschädlich ist, dazu Stuckenberg GA 2016 689, 692 ff.; ähnl. Weigend StV 2013 424, 425 Fn. 6; im Ansatz auch Jahn GA 2014 588, 593 f.; MüKo/Jahn/ Kudlich 48. 98 BVerfG NJW 1987 2662, 2663; vgl. BVerfGE 63 45, 63. 99 BVerfGE 57 250, 280; 70 297, 308; 118 212, 231; 133 168, 201, 225 f.; krit. Jahn GA 2014 588, 592 ff.

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raussetzungen durch die Gerichte genauestens geprüft worden sind“.100 Strafzumessung auf der Grundlage eines lückenhaften oder korrekturbedürftigen Sachverhalts verletzt den Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.101 Diese Grundsätze schließen es nach Ansicht des BVerfG102 aus, die Handhabung der 7 richterlichen Aufklärungspflicht, die rechtliche Subsumtion und die Grundsätze der Strafbemessung in einer Hauptverhandlung ins Belieben oder zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts zu stellen. Dem Gericht und der Staatsanwaltschaft ist es deshalb untersagt, sich auf vertragsähnliche Vereinbarungen, einen Vergleich im Gewande des Urteils, auf einen Handel mit der Gerechtigkeit einzulassen. Der Richter darf sich nicht mit einem Geständnis des Angeklagten begnügen, das dieser gegen die Zusage oder das In-Aussicht-Stellen einer Strafmilderung abgelegt hat, obwohl das Ziel der Wahrheitserforschung und der schuldangemessenen, gerechten Ahndung der Tat zu weiterer Beweiserhebung gedrängt hätten. Unzulässig ist auch ein Hinweis auf geständnisbedingte Strafmilderung, die den Boden schuldangemessenen Strafens verließe.103 Ungeachtet dessen ist die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung des Angeklagten vor beachtenswerter Beeinträchtigung geschützt, vgl. § 136a. Der Angeklagte darf infolgedessen nicht durch ein gesetzlich nicht vorgesehenes Vorteilsversprechen oder durch Täuschung oder Drohung zu einem Geständnis gedrängt werden.104 8 Nicht ausgeschlossen sind nach Auffassung des Gerichts indes „unverbindliche Erörterungen der Beurteilung der Sach- und Rechtslage zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten“ im Sinne einer „offenen, kommunikativen Verhandlungsführung“. „Rechtsgespräche und Hinweise auf die vorläufige Beurteilung der Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses“ seien unbedenklich und stellten auch die Unvoreingenommenheit des Gerichts nicht in Frage, solange sie transparent blieben und kein Verfahrensbeteiligter hiervon ausgeschlossen sei.105 Den speziellen Regeln des Verständigungsgesetzes unterliegen solche Erörterungen jedenfalls dann, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt (s. § 257b, 10). 9 Sind der staatliche Strafanspruch und die Pflicht zur Wahrheitserforschung wie dargelegt nicht disponibel, so sind Gestaltungen des Strafverfahrens, deren Ergebnis nicht ausschließlich auf der Suche nach der materiellen Wahrheit,106 sondern auf dem Kon100 101 102 103 104 105 106

BVerfGE 118 212, 231. BVerfGE 118 212, 230 f. BVerfGE 133 168, 227 f.; BVerfG NJW 1987 2662, 2663. BVerfGE 133 168, 231. BVerfGE 133 168, 231 f.; BVerfG NJW 1987 2662, 2663. BVerfGE 133 168, 228; BVerfG NJW 1987 2662, 2663 mit Hinweis auf BGHSt 1 387 f.; 20 268 f. Der alltagstheoretische Wahrheitsbegriff im Sinne der klassischen adaequatio rei et intellectus ist im Strafprozess schon deshalb nicht durch utilitaristische Wahrheitskonzeptionen zu ersetzen, weil zum maßgeblichen Adressatenkreis, der von der Wahrheitsbehauptung überzeugt werden muss, nicht nur die unmittelbar Verfahrensbeteiligten, sondern auch die Öffentlichkeit, genauer die gesamte Rechtsgemeinschaft zählt, zutr. Hörnle Rechtstheorie 35 (2004) 175, 181 ff., 184 f.; Sacher FS Schünemann 957, 961 ff.; Engländer Gemeinwohl im Wirtschaftsstrafrecht 303, 310 ff., 315; Becker FS Fischer 603, 608 ff., jew. m. w. N. gegen Jahn GA 2004 272, 279 f.; s. a. Meyer 39. Strafverteidigertag 129, 151 f.; Weigend Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen 357, 365 Fn. 37, 370 Fn. 60; Schroeder/Kudratov/Stuckenberg Die strafprozessuale Hauptverhandlung zwischen inquisitorischem und adversatorischem Modell (2014) 39, 42 f., ganz abgesehen davon, dass die Voraussetzungen diskursiver Wahrheitsmodelle im Strafprozess eindeutig nicht vorliegen, dazu Sacher FS Schünemann 957, 964 ff.; Engländer Effizienz durch Verständigung 23, 30 f.; ders. Gemeinwohl im Wirtschaftsstrafrecht 303, 310 ff.; Leitmeier HRRS 2013 362, 364 f.; Rode StraFo

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sens der Beteiligten gründet,107 verfassungswidrig. Im Übrigen sind (teilweiser) Verzicht auf den staatlichen Strafanspruch (milde Strafe) und Verfahrensbeschleunigung (qua Geständnis) schlechterdings keine kommensurablen Größen.108 Staatliche Strafe lässt sich nicht in ein umfassendes utilitaristisches Kalkül einstellen,109 „denn die Gerechtigkeit hört auf, eine zu sein, wenn sie sich für irgend einen Preis weggibt“110 und sei es der der Verfahrensökonomie. Eine Strafe ist nicht deshalb gerecht, weil sie kostengünstig erzielt wurde. Verfahrenserleichterung darf ebenso wenig mit Strafnachlass belohnt werden wie die verfahrensverzögernde Ausübung des Schweigerechts und sonstiger prozessualer Befugnisse zu Strafschärfung führen darf.111 Hierbei ist auch keine Unterscheidung möglich: Strafmilderung für Wohlverhalten ist die unablösbare Kehr-

2015 89; Salditt FS Tolksdorf 377, 393 f.; Herzog GA 2014 688, 691 ff.; Bung FS Schiller 103, 108, und dass Habermas selbst von einem auf Akzeptabilität abstellenden Wahrheitsbegriff abgerückt ist, Wahrheit und Rechtfertigung (1999) 48 ff., 246 ff. Soziale, also auch rechtliche Kommunikation kommt ohne Tatsachenbehauptungen mit Wahrheitsanspruch i. S. eines naiven externen Realismus nicht aus, vgl. Stuckenberg GA 2016 689, 696 m. w. N. Dies übersieht auch Gerson Das Recht auf Beschuldigung (2016) 653 ff., 725 ff., der dem extremen Konstruktivismus von Glaserfelds folgt. 107 So etwa Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer (Vorschlag) 4; Herrmann JuS 1999 1162, 1167; Gallandi MDR 1987 801, 802; ders. NStZ 1987 419, 420; Ignor FS BRAK 321, 332 f.; Jahn GA 2004 272 ff.; ders. ZStW 118 (2006) 427, 441 ff.; Jahn/Müller JA 2006 681, 685 f.; Kudlich FS Schlothauer 335, 341 f.; MüKo/Jahn/Kudlich 43; s. a. Lüderssen StV 1990 415 ff., 419; ders. FS Fezer 531 ff.; Satzger StraFo 2006 42, 48 f.; Weichbrodt 75 ff., 113 f.; auch Trüg Effizienz durch Verständigung 61, 77 ff.; w. Nachw. bei Trüg ZStW 102 (2008) 331, 339 f., 371; Rabe 205 ff., 228 ff., 246 f.; zur Kritik s. Fn. 115. 108 Im Gegensatz zu Brady v. United States, 397 U.S. 742, 753; 90 S.Ct. 1463, 1471; 25 L.Ed.2d 747 (1970), der Leitentscheidung zur Zulässigkeit von plea bargaining, wo es für zulässig gehalten wird, den Vorteil (benefit) der Verfahrensverkürzung mit dem Vorteil der Strafmilderung zu belohnen; vgl. auch in England sec. 144 Criminal Justice Act 2003 mit Sentencing Guidelines Council Reduction in Sentence for a Guilty Plea (2017) 5 f. (mit zwingender Strafmilderung, deren Höhe von der Frühzeitigkeit des Schuldanerkenntnisses abhängt, von einem Drittel bis zu einem Zehntel). Im deutschen Recht mittlerweile ebenso BGHSt 43 195, 209; BGH NStZ 2014 169; LK/Theune § 46, 206; MüKo/Jahn/Kudlich 108; Niemöller/Schlothauer/ Weider 93, 100; SSW/Ignor 53 a. E.; Hörnle GA 2007 440, 444; Matt/Vogel FS BRAK 391, 396; Nahrwold 59 f.; Niemöller StV 1990 34, 36 Fn. 16; ders. GA 2009 172, 178; Schmidt-Hieber Rn. 169 ff.; ders. StV 1986 355, 356; ders. FS Wassermann 995, 997 ff.; ders. DRiZ 1990 321, 321 f.; Wolfslast NStZ 1990 409, 412 ff.; einschränkend Hauer 164 ff., 170 ff., 303 ff., 312; Schünemann ZIS 2009 484, 494; Schünemann/Hauer AnwBl. 2006 439, 444; ebenso eine verbreitete Praxis, vgl. Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007 71, 72; Altenhain/Dietmeier/May 113 f.; a. A. wie hier HK/Temming 18; OK-StPO/Eschelbach 6, 13.1, 14.1, 17, 21.4; SK/Velten Vor § 257b, 19b; Dencker ZStW 102 (1990) 51, 58 ff.; Eidam 266 ff.; Erb GedS Blomeyer 743, 746 f.; Eschelbach FS Rissing-van Saan 115, 130 f.; ders. Effizienz durch Verständigung 37, 57; Fischer StraFo 2009 177, 181 f.; Grünwald StV 1987 453, 454; Haas GedS Keller 45, 67, 69; Hettinger FS Egon Müller 261, 278; ders. JZ 2011 292, 299; Hönig 62 ff.; Hsu 95 ff.; Kruse StraFo 2000 146, 147; Murmann ZIS 2009 526, 533; ders. 35. Strafverteidigertag 81, 86 f.; Nestler-Tremel DRiZ 1988 288, 293 Fn. 59; Prantl 60, 62; Schönke/ Schröder/Stree/Kinzig § 46, 41e; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 112 f.; ders. FS Baumann 361, 379; Sickor 357 ff., 364 ff.; Siolek 186; Steinberg 181; Steinhögl 48 f.; auch Bruns (Strafzumessungsrecht) 596; Weigend FS Maiwald 829, 834; ders. Der Deal mit dem Recht 37, 43; ders. Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen 357, 382 f.; Wenske DRiZ 2011 393, 398; Weßlau KJ 1993 461, 466; Alschuler 69 Cal.L.Rev. 652, 670 ff. (1981); Langbein 46 U.Chi.L.Rev. 3, 17 Fn. 36 m. w. N. (1978–79). 109 Dazu eingehend Alschuler 69 Cal.L.Rev. 652, 670 ff., 695 ff., 703 ff. (1981). 110 Kant Die Metaphysik der Sitten, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre (1798) A 197/B 227. 111 Grundlegend BGHSt 1 105, 106; OK-StPO/Eschelbach 22; SK/Velten Vor § 257b, 8b; Dencker ZStW 102 (1990) 51, 56, 59; Dencker/Hamm 43 f., 54; Erb GedS Blomeyer 743, 747; Grünwald StV 1987 453, 454; Haas GedS Keller 45, 67; Hamm FS Welp 57, 70; Hammerstein StV 2007 48, 50; Jerouschek ZStW 102 (1990) 793, 806 f.; Kruse StraFo 2000 146, 148; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 113; ders. FS Baumann 361, 380;

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seite von Strafschärfung für Obstruktion und genauso unzulässig.112 Quasi-vertragliche, vergleichsartige Bindungen des Gerichts, alle Arten von Gegenseitigkeitsverhältnissen sind damit ausgeschlossen. Mit formeller Wahrheit wie im Zivilprozess ist im Strafprozess dem Rechtsstaatsgebot nicht genügt. Kein Angeklagter kann „auf den Schutz des Prinzips der materiellen Wahrheit“ verzichten,113 weil es – anders als die Rechtspositionen aus der EMRK, die der Straßburger Gerichtshof grundsätzlich als verzichtbar ansieht (Rn. 11) – als objektives Gebot der Rechtsstaatlichkeit nicht zu seiner Disposition steht.114 Konsens taugt als Grundlage für den staatlichen Strafeingriff nicht,115 erst recht nicht in Gestalt der schizophrenen „Alford plea“ (prozessuales Schuldanerkenntnis bei gleichzeitiger Unschuldsbeteuerung),116 die allerdings hierzulande117 auch schon gesichtet wurde. 10 Muss also von Verfassungs wegen die Wahrheit erforscht, das bestmögliche Beweismittel118 verwendet und, wenn eine Straftat festgestellt ist, die schuldangemessene Strafe verhängt werden, so ist für konstitutive Absprachen über das Verfahrensergebnis

ders. FS Rieß 525, 540; Sickor 334 ff.; Siolek DRiZ 1989 321, 329; Weigend JZ 1990 774, 778; ders. NStZ 1999 57, 59, 60 f.; ders. FS II BGH 1011, 1042; ders. Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen 357, 382 f., 385; Weßlau KJ 1993 461, 466; s. a. dies. StV 2006 357, 361; schon M.E. Mayer ZStW 27 (1907) 921, 922; Wimmer ZStW 50 (1930) 538, 538 f.; a. A. Niemöller/Schlothauer/Weider 100 f. 112 So schon M.E. Mayer ZStW 27 (1907) 921, 922; auch Eidam 245 f.; Eschelbach FS Rissing-van Saan 115, 130 f.; Hauer NJ 2010 10, 16; Leitmeier JR 2014 372, 373 f.; Möller JR 2005 314, 319; Schünemann FS Rieß 525, 541; Seier JZ 1988 683, 688; Stalinski 119; a. A. Frister FS Rengier 377, 384 ff. 113 So aber MüKo/Jahn/Kudlich 41; Ignor ZStW 119 (2007) 927, 931; ders. FS BRAK 321, 329, 330 f.; wohl auch Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer (Vorschlag) 27 (zu Art. 1 Nr. 7: § 302 neu); Fezer NStZ 2010 177, 184 m. w. N. 114 Eine „Güterabwägung“ zwischen den Prozessmaximen im Sinne Hesses „praktischer Konkordanz“, so Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer (Vorschlag) 4 (sub 4.); Rosenau (Absprachen) 71 = ders. FS Puppe 1597, 1626, verbietet sich schon deshalb, vgl. bereits Grünwald StV 1987 453, 457. 115 Eingehend Alschuler 69 Cal.L.Rev. 652, 683 ff. (1981); Duttge ZStW 115 (2003) 539, 542 ff.; ders. FS Schünemann 875, 884 f., 887; Hamm FS Welp 57, 67 f.; Harms FS Nehm 289, 294; Hassemer JuS 1989 890, 894 f.; ders. FS Hamm 171 ff., 180 ff.; Hörnle Rechtstheorie 35 (2004) 175, 181 ff., 186 ff.; Landau NStZ 2011 537, 540 f.; ders. NStZ 2014 425, 428; Leitmeier HRRS 2013 362, 364 f.; Lien GA 2006 129, 139 ff.; Meyer 39. Strafverteidigertag 129, 151; Murmann ZIS 2009 526, 531 f.; Pfister StraFo 2006 349, 353; Radtke FS Schreiber 375, 385; Sinner 265 ff.; Schünemann FS Fezer 555, 560; ders. GA 2018 181, 185; Schünemann/Hauer AnwBl. 2006 439, 444; Steinberg 184 ff.; SK/Velten Vor § 257b, 12 ff.; Weigend ZStW 113 (2001) 271, 304; ders. FS Damaška 39, 60; ders. Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen 357, 364 ff., 370 ff.; diff. Weßlau (Konsensprinzip) 66 ff., 255 ff., 280; dies. StraFo 2007 1, 3 ff.; krit. auch Hamm FS Egon Müller 235, 248 f. 116 Nach North Carolina v. Alford, 400 U.S. 25, 28 ff.; 91 S.Ct. 160; 27 L.Ed.2nd 162 (1970), dazu Schumann 169 ff.; Ransiek ZIS 2008 116, 121; Weigend (Absprachen) 70; Gooch 63 Vand.L.Rev. 1755 ff. (2010); Bibas 88 Cornell L.Rev. 1361 ff. (2003). Alford bekannte sich eines Totschlags schuldig, um dem Risiko der Todesstrafe zu entgehen, falls die Jury ihn des angeklagten Mordes für schuldig befinden sollte, bestritt aber, die Tat überhaupt begangen zu haben. 117 Nachw. bei OK-StPO/Eschelbach 6.2; zurückgewiesen in BGH NStZ 2006 408. Das „schlanke Geständnis“ (Rn. 46) wird teils als bloße Prozesserklärung, der Anklage nicht entgegentreten zu wollen, im Sinne eines nolo contendere gedeutet, vgl. Volk FS Salger 411, 419; Wagner GedS Eckert 939, 948. 118 Dagegen kann nicht eingewendet werden, dass es natürlich kein „Gebot der Wahrheitserforschung um jeden Preis“ gebe, so aber Rosenau (Absprachen) 45, 65. Denn dass das verfassungskräftige Gebot des bestmöglichen Beweises Einschränkungen durch ranggleiche Normsätze erleidet, bedeutet ja nicht, dass es zur Disposition stünde oder gar allseitiger Bequemlichkeit oder vermeintlicher Effizienzsteigerung weichen müsste. Dass Absprachen die Wahrheit „nicht totaliter verfehlen“, ibid. 66, ist offensichtlich ungenügend.

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kein Raum. Denn das Grundmuster der Absprachenpraxis ist der Tausch119 von „Zeitersparnis gegen Schonung“.120 Wenn das Gericht aber alle zur Erforschung der Wahrheit nötigen Beweiserhebungen anordnen muss und unnötige Beweisaufnahmen ohnehin unterlässt, ist der Spielraum für Zeitersparnis nicht groß. Dass die Schöpfer der RStPO das Geständnis bewusst nicht nach englischem Muster und wie in einigen Partikularrechten als anerkenntnisgleiche Prozesshandlung ausgestaltet, sondern nach französischem Muster als ein Beweismittel unter vielen behandelt haben,121 worin ein Schutzmittel gegen falsche Geständnisse gesehen wurde,122 hat im Staat des Grundgesetzes eine verfassungsrechtliche Fundierung erhalten. Ein Geständnis ist bekanntlich „kein Ersatz für eine saubere Beweisführung“123 und muss folglich sorgfältig auf seinen Wahrheitsgehalt überprüft werden; dass der verbreitete124 bloße Abgleich des in seinem Beweiswert ohnehin dubiosen taktischen Geständnisses125 mit den Akten, der nach der Rechtsprechung genügen kann,126 ein schlechteres Prüfverfahren ist als eine Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung, war schon im 19. Jahrhundert bekannt.127 Die bloße Überprüfung anhand der Akten genügt – auch ohne Absprachenkontext128 – nicht nur dem Verfassungsgebot des bestmöglichen Beweises nicht,129 sondern gibt das Ziel der Wahrheitssuche überhaupt auf,130 abgesehen davon, dass dann die Überzeugung von der Schuld eben nicht allein aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft ist (Rn. 14)131 mit der weiteren Folge der Beeinträchtigung des im Rechtsstaats- und Demokratieprinzip wurzelnden132 Grundsatzes der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung. Völlig unzureichend, aber ebenfalls nicht selten ist es, das Geständnis gar nicht mehr zu überprü119 Dazu von Frankenberg 78 ff.; Höland FS Beulke 787, 793. 120 Hassemer JuS 1989 890, 892. Nicht übersehen werden darf aber, dass die Anzahl möglicher Erscheinungsformen abgesprochener Verfahrensbeendigung so unerschöpflich ist wie die Phantasie der Beteiligten, vgl. nur die deprimierenden Beispiele bei Bernsmann Der Deal mit dem Recht 21, 23 ff. 121 So ausdrücklich der Bundesratsentwurf und die Reichsjustizkommission, Hahn 221, 1531; vgl. zuvor nur Arnold GS 7 (1855) 265 ff.; Walther ArchCrim NF 18 (1851) 225 ff. 122 Walther GA 18 (1870) 530, 531. 123 Stern StV 1990 563, 564. 124 Altenhain/Hagemeier/Haimerl/Stammen 251 ff., 254 ff.; Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007 71, 76. 125 Zutr. OK-StPO/Eschelbach 5.1, 8 f.; SK/Velten 34a ff., 35; Eschelbach FS Rissing-van Saan 115, 133 f.; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 82 f.; ders. FS Baumann 361, 373; Schünemann/Hauer AnwBl. 2006 439, 440 f.; Weigend FS II BGH 1011, 1040; auch Hauer 188 ff., 201, 345. 126 BGHSt 50 40, 49. 127 Arnold GS 7 (1855) 265, 268 ff.; heute Ransiek ZIS 2008 116, 121; eingehend Hauer 174 ff. Das bedeutet nicht, dass die in der StPO konzipierte Hauptverhandlung der beste oder gar einzige Weg zur materiellen Wahrheit wäre, vgl. Schünemann Gutachten 58. DJT, B 145 f. 128 Auch wenn das in der Praxis eingerissen ist, Meyer-Goßner Gollwitzer-Koll. 161, 166. S.a. Schlüchter FS Spendel 737, 747 ff. 129 OK-StPO/Eschelbach 8 f. Daraus resultiert weiterhin, dass das Strafbefehlsverfahren verfassungsrechtlich dubios ist, vgl. LR/Gössel26 Vor § 407, 26 ff. m. w. N.; krit. auch Weßlau ZStW 116 (2004) 150, 158 ff. m. w. N. Zur defizitären „Strafbefehlswahrheit“ Volk FS Salger 411, 418; Wagner GedS Eckert 939, 944. Keine Bedenken haben BVerfGE 3 248, 253; 25 158, 164; 133 168, 227; EGMR NJW 1993 717. Österreich hat sein Mandatsverfahren (§§ 460–462 öStGB) wegen rechtsstaatlicher Bedenken abgeschafft durch die Strafprozeßnovelle 1999, öBGBl. I Nr. 55/1999, vgl. die Regierungsvorlage, 1581 Beilagen XX. GP, S. 17, 22 f. 130 Eschelbach HRRS 2008 190, 196 f.; ders. FS Rissing-van Saan 115, 120 ff., 134, 136 ff.; Fezer NStZ 2010 177, 179, 181; Fornauf KritV 2010 217, 228; Wagner GedS Eckert 939, 945 ff., 948 f.; wohl auch Rieß FS Richter II 433, 441, siehe aber 438 („Übersteigerung der Unmittelbarkeitsmaxime“). 131 BVerfGE 133 168, 209; vgl. schon RGSt 1 81, 82. 132 BVerfGE 103 44, 63.

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fen.133 Auch für die Gegenleistung der Schonung ist – jenseits des Bagatellbereichs, in den das Opportunitätsprinzip eingebrochen ist – kein Raum: Das Gebot der Erforschung der materiellen Wahrheit und der Verwirklichung des staatlichen Strafanspruchs schließt – außerhalb von Beschränkungen wie nach §§ 153, 154, 154a, soweit diese in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise durch die Prozessökonomie motiviert sind134 – auch die Disposition über die Feststellungen („charge bargaining“) grundsätzlich aus, also sich beispielsweise mit der Feststellung einer leichteren Tat, etwa aufgrund eines Teilgeständnisses, zu begnügen. Das Verfassungsgebot der schuldangemessenen Strafe lässt für Absprachen über die Rechtsfolgen („sentence bargaining“) keinen erkennbaren Spielraum; soweit bei der Festsetzung des schuldangemessenen Strafmaßes ein Spielraum besteht, ist dieser nach Maßgabe anerkannter Strafzumessungsgesichtspunkte zu konkretisieren, wozu die Verfahrensbeschleunigung usw. nicht gehören (Rn. 9). 11

3. Vorgaben der EMRK. Aus der EMRK ergeben sich nach135 der jüngeren Straßburger Rechtsprechung hingegen deutlich weniger Vorgaben. Der EGMR sieht plea bargains als gemeineuropäische Rechtsfigur sowie grundsätzlich als wünschenswert und zulässig an, weil der Beschuldigte auf die Verfahrensrechte aus Art. 6 EMRK verzichten könne. Die Wirksamkeitsanforderungen an den Verzicht (Eindeutigkeit, Freiwilligkeit, Einhaltung von Minimalgarantien wie richterlicher Kontrolle) stellen neben – bislang noch nicht konturierten – „important public policy interests“ die einzigen Grenzen ausgehandelter Verurteilungen dar.136 Das Aufzeigen einer Sanktionenschere sei die Basis einer guilty plea und daher noch kein unzulässiger Druck, sondern unter Art. 6 EMRK völlig unbedenklich, es sei denn, die Sanktionsdifferenz und der dadurch erzeugte Druck seien so groß, dass sie als unzulässig anzusehen seien,137 wofür es derzeit noch an Beispielen und Kriterien mangelt. Bislang ist die Judikatur ebenso spärlich wie permissiv und hat auch die georgische Variante der Alford plea – Einverständnis mit dem Strafmaß bei gleichzeitiger Unschuldsbeteuerung – nicht beanstandet.138

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4. Das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren. Wenn man die grundgesetzlichen Vorgaben ernst nimmt, so dass für Absprachen kaum ein sinnvoller Anwendungsbereich verbleibt, dann muss sich die Absprachenpraxis angesichts ihres heutigen Umfangs notwendigerweise oftmals im Bereich des verfassungsrechtlich Bedenk133 BVerfGE 133 168, 209; Altenhain/Hagemeier/Haimerl/Stammen 251 ff.; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 23 f.

134 Krit. Schünemann Gutachten 58. DJT, B 143 f.; nach Wagner GedS Eckert 939, 940 ff. ist die Wahrheitssuche dabei längst aufgegeben.

135 Zuvor zu einem möglichen Verstoß gegen Art. 6 EMRK Ashworth/Redmayne 312 ff.; Esser Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht (2002) 622; Kühne 748; Müller 162 ff.; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 92 ff.; Schwander SJZ 103 (2007) 142, 146. 136 EGMR Natsvlishvili and Togonidze v. Georgien, 29.4.2014, Nr. 9043/05, §§ 87 ff.; Navalnyy and Ofitserov v. Russland, 23.2.2016, Nr. 46632/13, 28671/14, § 100; auch schon Babar Ahmad et al. v. Vereinigtes Königreich, Partial Decision as to the Admissibility, 6.7.2010, Nr. 24027/07, 11949/08, 36742/08, § 168; Litwin v. Deutschland, 3.11.2011, Nr. 29090/06, § 38; näher mit Kritik Meyer FS Donatsch 427, 431 ff., 439 ff.; s. a. OK-StPO/Eschelbach 59. 137 EGMR Babar Ahmad et al. v. Vereinigtes Königreich (Fn. 136), § 168. Zuvor vgl. EGMR Kriegisch/ Deutschland, 23.11.2010, Nr. 21698/06, S. 12 = NJW 2011 3633, 3635 (Sanktionsschere von sechs bis zwölf Jahren wecke Zweifel, ob unzulässiger Druck; im Ergebnis verneint); EKMR X/Vereinigtes Königreich, 23.3.1972, Nr. 5076/71, CD 40 64, 67 (kein unzulässiger Druck erkennbar); siehe aber EGMR Deweer/Belgien, 27.2.1980, Nr. 6903/75, Serie A Nr. 35, § 51; J.B./Schweiz, 3.5.2001, Nr. 31827/96. 138 EGMR Natsvlishvili and Togonidze v. Georgien (Fn. 136), §§ 87–94.

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lichen oder Unzulässigen bewegen. Daher hätte ein Verbot der Absprachen nahegelegen,139 weil deren inhärente Mängel durch erhöhte Formalisierung und Transparenz nicht zu kurieren sind.140 Davon hat der Gesetzgeber aus mehreren Gründen, von denen die Entwurfsbegründung nur den wichtigsten mitteilt, nämlich dass eine sachgerechte Regelung sachgerecht sei,141 verbunden mit der befremdlichen Verwechslung, es gehe wie bei einem bürgerlichen Rechtsstreit um die Regelung der „Interessen der am Strafverfahren Beteiligten“,142 sowie in dem noch befremdlicheren Irrtum, dass die wissenschaftliche Literatur dem Absprachenwesen mehrheitlich zustimme,143 was sie bis heute nicht tut, abgesehen. Der Gesetzgeber war ersichtlich bemüht, die verfassungsrechtlichen Vorgaben 13 durch die Regelung in § 257c Abs. 1 Satz 2, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht unberührt bleibe, und durch das Verbot von Absprachen über den Schuldspruch in § 257c Abs. 2 Satz 3 in § 257c einzubauen. Verfassungsrechtlich bedenklich ist die gesamte Regelung des § 257c jedoch schon deshalb,144 weil sie mit der „Verständigung“ ein Handlungsmodell einführt, das nur dann effektiv ist, wenn die verfassungsrechtlichen Schranken gerade nicht eingehalten werden, also die gebotene Aufklärung (Rn. 27) unterbleibt.145 Dabei wächst nachweislich die Bereitschaft, trotz fehlender Schuldüberzeugung Verdachtsstrafen zu verhängen,146 ebenso wie die zur Verhängung zu milder, mitunter auch zu harter, jedenfalls nicht schuldangemessener Strafen,147 womit eines der

139 Gössel GedS Blomeyer 759, 773; Haller DRiZ 2006 277; Harms FS Nehm 289, 297; Hsu 160 ff.; Kreß ZStW 116 (2004) 172, 187; M.M. Müller 37; Trüg ZStW 102 (2008) 331, 372; ders. StV 2005 161, 163; Trüg/ Kerner FS Böttcher 191, 211 f.; Weigend JZ 1990 774, 781 f.; s. a. Günter DRiZ 1989 151, 152; Küpper/Bode Jura 1999 393, 400; auch Busch-Gervasoni FS Schiller 109, 115 f. Für ein Verbot des plea bargaining schon National Advisory Commission on Criminal Justice Standards and Goals Courts (1973) 46 f. (Standard 3.1, Verbot von plea negotiations bis 1978 durchsetzen); Schulhofer 101 Yale L.J. 1979 ff. (1992); Palmer 26 Am.J.Crim.L. 505, 528 ff. (1999); zum zeitweisen Verbot in Alaska s. Fn. 53; zur Kritik Fn. 59. Nach OGH ÖJZ 2005 275, 276 (oben Fn. 72) setzen sich die an einer Absprache „Beteiligten disziplinärer (§ 57 RDG) und strafrechtlicher Verantwortlichkeit (§ 302 StGB)“ aus. Zur disziplinarischen und strafrechtlichen Relevanz von Absprachen s. u. Fn. 568. 140 Zutr. schon National Advisory Commission on Criminal Justice Standards and Goals Courts (1973) 48 zu plea negotiations. S.a. Prantl 60, 62. 141 BTDrucks. 16 12310 S. 8; krit. KMR/v. Heintschel-Heinegg 8; Fischer StraFo 2009 177, 180; Trüg ZStW 102 (2008) 331 f.; Weßlau StraFo 2007 1, 2 f. 142 Zutr. krit. Weßlau StraFo 2007 1, 2 f. 143 BTDrucks. 16 12310 S. 7; vgl. nur OK-StPO/Eschelbach 1.6, 1.10 m. w. N.; SK/Paeffgen § 202a, 3b, 6a. 144 Für Verfassungswidrigkeit wohl OK-StPO/Eschelbach 58.1; SK/Paeffgen § 202a, 18 ff.; Klemke/Elbs 793c; zuvor schon Siolek DRiZ 1989 321, 330; ähnl. Meyer-Goßner55 5; ders. NStZ 2007 425, 428 (wegen Beteiligung der Staatsanwaltschaft). 145 Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer (Vorschlag) 3 = ZRP 2005 235, 236; Altenhain/ Hagemeier/Haimerl NStZ 2007 71, 76; Altenhain/Haimerl JZ 2010 327, 329; Fischer StraFo 2009 177, 181 f.; Gössel FS Böttcher 79, 88; Hamm FS Meyer-Goßner 33, 44; Hettinger FS Egon Müller 261, 278; Ignor FS BRAK 321, 328 f.; Kempf StV 2009 269, 272; ders. StraFo 2014 105, 107; Kölbel/Selter JR 2009 447, 449; Linden FS BRAK 381, 385; Murmann ZIS 2009 526, 532 f.; Ransiek ZIS 2008 116, 119; Schmitt GA 2001 411, 421; Schünemann (Wetterzeichen) 11 f.; Tsambikakis ZWH 2013 209, 211; Wagner GedS Eckert 939, 948 (Absprachen haben „mit dem Prinzip der materiellen Wahrheit nichts gemein“); Weigend JZ 1990 774, 777; ders. FS Maiwald 829, 832. 146 Schünemann Gutachten 58. DJT, B 22 ff., 114; ders. FS Heldrich 1177, 1191, 1193 m. w. N.; ders. FS Rieß 525, 541; Steinhögl 7 ff.; vgl. Wagner GedS Eckert 939, 948, 953 f.; OK-StPO/Eschelbach 6.2; Klemke/Elbs 793g. 147 Was nicht selten vorkommt, Altenhain/Hagemeier/Haimerl/Stammen 129 f., 160 ff., 339 f.; Altenhain/ Hagemeier/Haimerl NStZ 2007 71, 77; Altenhain/Haimerl JZ 2010 327, 330; schon Dencker/Hamm 55 ff.; Gössel FS Fezer 497, 510 ff.; Hamm FS Meyer-Goßner 33, 44; Harms FS Nehm 289, 294; Hörnle Rechtstheorie 35 (2004) 175, 190 f.; Linden FS BRAK 381, 385 f.; Pfister StraFo 2006 349, 351 f.; Schmitt GA 2001 411, 419.

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in der Aufklärungszeit überwunden geglaubten Übel des gemeinrechtlichen Prozesses, unzureichenden Schuldbeweis durch Strafmilderung zu kompensieren,148 wiederaufersteht. Zum erwartbaren Verstoß gegen den Nemo tenetur-Satz siehe Rn. 15. Die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des § 257c besteht zwar, indem in jedem Einzelfall die möglichst vollständige Erforschung der materiellen Wahrheit eingefordert wird, doch hat die Norm dann keinen sinnvollen Anwendungsbereich mehr und erreicht ihren Entlastungszweck nicht,149 was das BVerfG verkannt hat (Rn. 20). 14 Ungeachtet verfassungsrechtlicher Bedenken liegt in der Etablierung der „Verständigung“ ein Rückschritt, der die Errungenschaften des reformierten Strafprozesses, der sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts unter ungeheurer theoretischer Anstrengung herausbildete, in unreflektierter Weise beseitigt. Möglich ist nach den neuen Vorschriften, dass das Gericht aufgrund bloßer Aktenlektüre150 den Angeklagten vor die Wahl stellen kann, gegen Ablegung eines Geständnisses ein angegebenes Strafniveau zu erhalten oder bei Durchführung der Hauptverhandlung das Risiko höherer Bestrafung einzugehen. Aufgegeben wird damit die Hauptverhandlung als maßgeblicher Entscheidungsfindungsvorgang mit den Maximen der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme sowie der Kontrolle durch die Öffentlichkeit. Die Überzeugung von der Schuld schöpft das Gericht nicht mehr aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung – selbst wenn dort das Geständnis abgegeben wird, beruht die Überzeugung maßgeblich, wenn nicht ausschließlich, auf dem Akteninhalt, der regelmäßig nicht in die Hauptverhandlung eingeführt werden dürfte –, sondern aus einem schriftlichen, mittelbaren, nichtöffentlichen Vorgang,151 der wesentlich die Ergebnisse des heimlichen und nicht-kontradiktorischen Ermittlungsverfahrens übernimmt. Praktisch wird die Überzeugung wohl endgültig im Zwischenverfahren gebildet,152 das seine Kontrollfunktion längst nicht mehr erfüllt;153 die Feststellungen werden folglich faktisch der Polizei und Staatsanwaltschaft überlassen.154 Aufgegeben wird neben der Bindung an den Strengbeweis auch das Prinzip der freien Beweiswürdigung, weil das Geständnis fast wieder die Bedeutung wie in der gemeinrechtlichen Legalbeweistheorie erlangt.155 In jedem Fall wird damit zwangsläufig § 261 verletzt,156 was der Gesetzgeber verkannt hat. Das dem Verständigungsvorschlag folgende Geschehen verdient die Bezeichnung als „Verfahren“ im Sinne 148 Vgl. Stuckenberg Untersuchungen zur Unschuldsvermutung (1997) 28 ff. m. w. N. 149 Vgl. KMR/v. Heintschel-Heinegg 69. 150 Manchen Gerichten soll sogar – horribile dictu – die Lektüre des Anklagesatzes genügen, Eschelbach HRRS 2008 190, 195; Fischer StraFo 2009 177, 179; Murmann ZIS 2009 526, 538; Schünemann (Wetterzeichen) 19 f.; Weider StraFo 2003 406, 408; manche lesen die Akten gar nicht, vgl. OLG Bremen StV 1989 145, 146, was ebenso auch bei Verteidigern vorkommt, Wagner/Rönnau RuP 1990 161, 162. 151 Zur Bedeutung der Öffentlichkeit für die „symbolische Ordnung des Rechts“ Höland FS Beulke 787, 788 ff., 800. 152 Vgl. Meyer-Goßner ZStW 119 (2007) 938, 943. 153 Vgl. nur Eschelbach HRRS 2008 190, 194 ff. 154 Krit. Eschelbach HRRS 2008 190, 192 ff.; Fezer NStZ 2010 177, 181 Fn. 59; Kühne 748, 749.8; Meyer ZStW 119 (2007) 633, 648, 653; Rönnau wistra 1998 49, 52; Schünemann (Wetterzeichen) 26; ders. ZRP 2009 104, 106; Sommer Effektive Strafverteidigung3 (2016) 2480; Weidhaas Aktuelle Entwicklungen im Medizinstrafrecht 117, 150 f. 155 Dazu Meyer ZStW 119 (2007) 633, 640 ff. 156 KMR/Stuckenberg § 261, 10; OK-StPO/Eschelbach 6.1, 8.2, 8.4, 9; Baumann NStZ 1987 157, 158; Niemöller StV 1990 34, 37 f.; s. a. BGH StV 1997 572, 573; Eschelbach HRRS 2008 190, 191; ders. Effizienz durch Verständigung 37, 48 Fn. 50, 51; Hassemer JuS 1989 890, 892; Hauer 202, 345 f.; Kölbel/Selter JR 2009 447, 450; Lien GA 2006 129, 132; Meyer ZStW 119 (2007) 633, 654; Rönnau 155 f.; ders. wistra 1998 49, 52; Schünemann (Wetterzeichen) 16; ders. FS Wolter 1107, 1123; Schünemann/Hauer AnwBl. 2006 439,

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eines ergebnisoffenen Entscheidungsfindungsvorgangs nicht mehr, 157 weil es regelmäßig nur noch der Bestätigung der bereits getroffenen Entscheidung dient (zum Verstoß gegen die Unschuldsvermutung siehe nächste Rn.). Überdies führt die Existenz der Absprachemöglichkeit zwangsläufig zu ungerechtfertigter Ungleichbehandlung, indem die Angeklagten benachteiligt werden, die keinen Vereinbarungsstoff anzubieten haben,158 wodurch die Gesetze des Marktes159 sachfremden Einfluss auf die Strafjustiz gewinnen. Die Qualität eines so erlangten Geständnisses als Beweismittel leidet zusätzlich 15 daran, dass es abgenötigt wird, wodurch es zudem für Strafzumessungszwecke (Rn. 16) gänzlich unbrauchbar wird. Wie beim plea bargaining wird eine Nötigungssituation geschaffen, indem der Angeklagte vor die Wahl zwischen zwei Übeln verschiedener Größe gestellt wird, wobei für einen rationalen Entscheider die vom Gericht favorisierte Alternative regelmäßig die attraktivere ist.160 Wirklich schuldige Angeklagte werden diese Vergünstigung gern ergreifen; unschuldige oder nicht in dem angeklagten Maße schuldige Angeklagte, denen Mut und Nervenstärke fehlen, es auf die Hauptverhandlung ankommen zu lassen, werden zu falschen Geständnissen verleitet.161 Wie beim

441 f.; wohl auch Hauer NJ 2010 10, 17; a. A. Cramer FS Rebmann 145, 149; Deiters GA 2014 701, 711 f.; Krekeler NStZ 1994 196, 197; Siolek DRiZ 1989 321, 328. 157 Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007 71, 73; Eschelbach FS Rissing-van Saan 115, 136; vgl. Salditt ZStW 115 (2003) 570, 573. 158 Fischer § 46, 111; OK-StPO/Eschelbach 1.3; SK/Paeffgen § 202a, 2; SK/Velten Vor § 257b, 19 f.; so schon Bussmann/Lüdemann MSchrKrim. 1988 81, 90 f.; Dencker/Hamm 87 f.; Fischer StraFo 2009 177, 183; Gössel GedS Blomeyer 759, 772 f.; Hörnle Rechtstheorie 35 (2004) 175, 191; Jung Eur.J.Crime, Crim.L. & Crim.Just. 5 (1997) 112, 116 f.; Landau NStZ 2011 537, 540; Linden FS BRAK 381, 386; Lüdemann/Bussmann KrimJ 1989 54, 64 f., 66 ff.; Murmann ZIS 2009 526, 535; Prantl 60, 62; Schmidt-Hieber DRiZ 1990 321, 323 ff.; ders. NJW 1990 1884 ff.; Schünemann (Wetterzeichen) 18; Stuntz The Collapse of American Criminal Justice (2011) 58 f.; Terhorst GA 2002 600, 608; Theile MSchrKrim. 2010 147, 158; Trück ZWH 2013 169, 177 f.; Wagner GedS Eckert 939, 954 Fn. 64; Weigend JZ 1990 774, 780; a. A. Marsch ZRP 2007 220. 159 Näher Alschuler 69 Cal.L.Rev. 652, 690 ff. (1981); befürwortend Easterbrook 12 J. Legal Stud. 289 ff. (1983); s. a. Viering 111 ff. Vgl. Prantl 60, 61 f.; Salditt StV 2009 375, 378 („merkantile Kommunikation“); Weider FS Lüderssen 773, 780; Weigend Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen 357, 370; krit. auch Jung Eur.J.Crime, Crim.L. & Crim.Just. 5 (1997) 112, 121; Neumann ZStW 101 (1989) 52, 71; Volk ZStW 97 (1985) 871, 911. 160 Vgl. schon Grünwald StV 1987 453, 455; ähnl. Steinberg DRiZ 2012 19, 22. 161 Vgl. BGH StV 2009 629 f.; KG NStZ 2006 468, 469 mit Anm. König StraFo 2006 170 f.; OK-StPO/ Eschelbach 1.5, 1.13, 14.2; SK/Velten Vor § 257b, 15 ff.; Dencker/Hamm 124 ff.; Drews 140 ff., 194 ff., 206; Erb GedS Blomeyer 743, 755; Eschelbach HRRS 2008 190 Fn. 2, 193; ders. FS Rissing-van Saan 115, 123 ff.; Fischer StraFo 2009 177, 183; Förschner StV 2008 443; Gössel FS Fezer 497, 512; Hamm StV 1989 147, 148; König NJW 2012 1915, 1917; Kühne 749.1; Niemz (Opferinteressen) 295; Rönnau 174 ff., 185 ff.; Schumann GedS Weßlau 331, 342 f.; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 82 m. w. N. in Fn. 211; Schwander SJZ 103 (2007) 140, 145; Siolek DRiZ 1989 321, 328; de Vries ZRP 2011 209 f.; Viering 138; Weigend JZ 1990 774, 780; s. a. Dahs NStZ 1988 153, 156; Widmaier StV 1986 357, 358 f.; a. A. wider die empirische Evidenz MüKo/Jahn/ Kudlich 129; Schmitt GA 2001 411, 420; zu eng BGH wistra 2012 355; NStZ 2014 459, 460 (nicht regelmäßig falsch). Allgemein zu falschen Geständnissen vgl. Drews 117 ff.; Beijer EJCCLCJ 18 (2010) 311, 315 ff.; Sickor 297 ff.; Stern StV 1990 563 ff.; Steller FS Eisenberg 213 ff.; in: Volbert/Steller/Volbert/Böhm Handbuch der Rechtspsychologie (2008) 253, 257 ff. Studien zeigen, dass „Deal“-Angebote die Bereitschaft Unschuldiger zu falschen Geständnissen drastisch (43 %) erhöhen kann, vgl. nur Russano/Meissner/Narchet/Kassin Psychological Science 16 (2005) 481, 484 f. Rund die Hälfte der befragten Verteidiger gab an, Mandanten hätten auf eine Sanktionsschere hin schon einmal ein möglicherweise falsches Geständnis abgelegt, Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007 71, 77; Altenhain/Dietmeier/May 134.

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plea bargaining162 ist eine beträchtliche Quote falscher Geständnisse zu erwarten, die nicht etwa gegen eine angenommene Effizienzsteigerung aufgewogen werden kann163 und worin somit, weil nachweislich falsche von wahren Geständnissen nur schwer zu unterscheiden sind,164 erst recht bei bloßer Überprüfung anhand der Aktenlage, eine strukturelle Gefährdung der Wahrheitssuche liegt. Schon in der Eröffnung dieser Wahl durch das Gericht liegt zudem ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung165 und eine Verletzung des Schweigerechts,166 weil dem, der nicht gestehen will und darauf beharrt, dass der Staat den an sich ihm obliegenden Schuldnachweis erbringt, die Vergünstigung schneller milder Strafe versagt und stattdessen eine Belastung in Aussicht gestellt wird. Um eine beachtenswerte Beeinträchtigung der Willensentschließungsfreiheit handelt es sich dabei stets dann, wenn der Geständnisanreiz so groß wird, dass rational entscheidende Personen sich regelmäßig dazu bereitfinden,167 berechtigte Freiheitsinteressen zu opfern. Maßgebend für den Verstoß gegen den Nemo tenetur-Grundsatz ist der faktische Geständnisdruck,168 der auch durch Positivie-

162 Vgl. nur Alschuler 69 Cal.L.Rev. 652, 713 ff. (1981); Ashworth/Redmayne 312 ff.; Bohlander NStZ 1992 578 f.; Damaška StV 1988 398, 400; National Advisory Commission on Criminal Justice Standards and Goals Courts (1973) 48; Schulhofer 101 Yale L.J. 1979, 1981 ff. (1992); Royal Commission on Criminal Justice Report, Cm 2263 (1993) (sog. “Runciman Commission”) 110 § 42; Turner 54 Am.J.Comp.L. 199, 204 ff. (2006); Stuntz The Collapse of American Criminal Justice (2011) 58 f.; empirisch Gross et al. Exonerations in the United States, 1989 Through 2003 (2004) 12 ff.; dazu Howe 58 Okla. L.Rev. 599, 630 ff. (2006); auch Gilliéron 147 ff. 163 So aber Royal Commission on Criminal Justice Report, Cm. 2263 (1993) 110 § 45; scharf abl. Ashworth/ Redmayne 314. 164 Vgl. statt vieler Levine/Kim/Blair Human Communication Research 36 (2010) 82, 88 ff., 96 ff.; Drews 225 ff.; Volbert/Steller/Volbert/Böhm Handbuch der Rechtspsychologie (2008) 253, 261 m. w. N., auch dazu, dass Angehörige der Strafverfolgungsbehörden sogar mehr als Durchschnittsbürger dazu neigen, falsche Geständnisse zu glauben. 165 SK/Paeffgen § 202a, 24 f.; Beulke/Swoboda 394a; Braun 60, 62; Dencker/Hamm 53; Kühne 748; ders. JZ 2010 821, 825; Moldenhauer 57; Müller 97, 163, 165; Salditt StraFo 2015 1, 5; ders. FS Tolksdorf 377, 394 ff., 396; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 93 ff.; ders. FS Baumann 361, 372; ders. StV 1993 657, 658; Siolek DRiZ 1989 321, 327; Steinhögl 32 ff.; Weigend ZStW 94 (1982) 200, 206 f.; ders. JZ 1990 774, 777, 780; vgl. Stuckenberg Untersuchungen zur Unschuldsvermutung (1997) 541 f., 567 f.; Ashworth/Redmayne 312 ff.; siehe unten Fn. 193. A. A. MüKo/Jahn/Kudlich 50; Eschelbach JA 1999 694, 698; KMR/Eschelbach Vor § 213, 117, der darin nur eine Arbeitshypothese sieht wie im hinreichenden Tatverdacht nach §§ 170, 203: Dies ist nur in den Fällen richtig, in denen sich das Gericht noch nicht festgelegt hat und auch das Geständnis in einer §§ 244 Abs. 2, 261 genügenden Weise ernsthaft zu prüfen bereit ist, was indes zumeist nicht zu erwarten ist. Überzeugungsbildung durch Aktenlektüre ist aber nicht der gesetzlich vorgesehene „Gegenbeweis“. 166 OK-StPO/Eschelbach 22; SK/Velten Vor § 257b, 8b; Kotsoglou ZIS 2015 175, 192 f. (Aussageerpressung); Nahrwold 278 f.; Schwander SJZ 103 (2007) 140, 145; Steinhögl 33; Weigend JZ 1990 774, 778 f.; a. A. wohl KMR/Eschelbach Vor § 213, 118 ff.; Hönig 176. Leitmeier JR 2014 372, 375 ff. folgert aus der Verletzung des Schweigerechts, dass es keinen Verfassungsrang haben könne. 167 Dazu, dass dies keine bloß theoretische Befürchtung ist, vgl. Altenhain/Hagemeier/Haimerl/Stammen 188 ff., 332; Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007 71, 77; Ransiek ZIS 2008 116, 120; Siolek DRiZ 1989 321, 327. 168 Zutr. Dencker/Hamm 54; Eidam 242 ff.; Frisch FS Streng 685, 694; Grünwald NJW 1960 1941, 1942; ders. StV 1987 453, 455; Hauer 269 ff., 314 ff., 347 f.; Hsu 110 ff.; Ignor FS BRAK 321, 326, 328; Jaggi 66, 72 f., 197 ff., 211; Jungfer StV 2007 380, 383 m.w. Beispielen; Kempf StV 2009 269, 272; Kotsoglou ZIS 2015 175, 186 ff.; Möller JR 2005 314, 319 f.; Niemz (Opferinteressen) 295; Radtke/Hohmann/Ambos/Ziehn 3; Ransiek ZIS 2008 116, 119 f., 122; Rosenau FS Puppe 1597, 1621; SK/Velten 26; SK/Paeffgen § 202a, 15, 26; Salditt StV 2002 273, 276; Schünemann GA 2018 181, 184 f.; Seier JZ 1988 683, 688; Siolek DRiZ 1989 321, 327; Stalinski 110 ff.; Wagner FS Gössel 585, 596 ff.; ders. GedS Eckert 939, 952, 959; Wagner/Rönnau RuP 1990 161, 164;

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rung169 nicht zulässig würde. Hierin liegt der Unterschied zum üblichen,170 allerdings nicht minder bedenklichen,171 weil als Belehrung stets überflüssigen172 Hinweis auf die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses, der im übrigen nur angebracht wäre, „wenn dies im Stande der Hauptverhandlung eine sachliche Grundlage findet“,173 was beim taktischen Geständnis gerade nicht der Fall ist. Ein nach der Tat abgelegtes Geständnis als Strafzumessungsfaktor zu berücksichti- 16 gen ist allenfalls vorstellbar, wenn darin eine Umkehrleistung („Reue“) in Gestalt nunmehriger Normanerkennung überzeugend zum Ausdruck kommt, die in präventiver Hinsicht eine restlose Ausschöpfung der tatschuldangemessenen Strafe nicht mehr geboten erscheinen lässt.174 Keine tragfähigen Grundlagen sind hingegen die früher bemühte „doppelte Indizkonstruktion“175 und gar die aus dem Geständnis resultierende Verfahrensverkürzung (Rn. 9), obschon viele Praktiker irrig meinen, ihre Motive für eine Absprache seien auch gesetzlich zulässige Strafzumessungsfaktoren.176 Mit generellen präventiven Überlegungen ist die im Zuge einer Verständigung praktizierte Geständnismilderung allerdings noch nicht zureichend begründet, denn es ist unzutreffend und wird auch

Weigend JZ 1990 774, 778 f.; ders. FS II BGH 1011, 1041; ders. Der Deal mit dem Recht 37, 44; auch Ashworth/Redmayne 314 f.; Kipnis 13 Law & Soc’y Rev. 555, 561 f. (1979); Langbein 46 U.Chi.L.Rev. 3, 12 ff. (1978–79); Vogler ZStW 116 (2004) 129, 142; auch Küpper/Bode Jura 1999 351, 359. A. A. insoweit Hörnle Rechtstheorie 35 (2004) 175, 190 (normativ liege nur ein Angebot vor, das freilich illegitim sei) im Anschluss an Gutmann Freiwilligkeit als Rechtsbegriff (2001) 106 ff.; auch Steinberg 177 (nur legaler Druck); Steinhögl 45 f., 58 ff.; Tzannetis ZIS 2016 281, 289 ff.; Verrel Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren (2001) 51 ff. halten diese Ausnahmekonstellation für hinnehmbar; verharmlosend Kudlich FS Schlothauer 335, 337 ff.; auch MüKo/Jahn/Kudlich 56. 169 Unzulässig wäre erst recht die Einrichtung von zwei Verfahrenswegen mit unterschiedlichen Strafrahmen (der mildere greift bei Geständnis), Hamm FS Meyer-Goßner 33, 40 f.; Wagner GedS Eckert 939, 959; so aber Altenhain/Hagemeier/Haimerl/Stammen 341 f.; Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007 71, 78 m. w. N.; Matt/Vogel FS BRAK 391, 396, 401; Meyer-Goßner/Schmitt Einl 119l; Meyer-Goßner NStZ 1992 167, 168 f.; 579; ders. NStZ 2007 425, 431 f.; Schünemann/Hauer AnwBl. 2006 439, 444; Weichbrodt 286 ff., 394. Vgl. demgegenüber United States v. Jackson, 390 U.S. 570, 581 ff.; 88 S.Ct. 1209, 1216 f.; 20 L.Ed.2d 138 (1968), worin der U.S. Supreme Court ein Gesetz, das für Kidnapping die Todesstrafe nur im Geschworenenprozess und nicht nach guilty plea vorsah, wegen Verstoßes gegen das Schweigerecht für verfassungswidrig erklärte, weil die bloße Erschwerung der Rechtsausübung genüge. Kaum vereinbar damit ist aber die spätere Rspr. zum plea bargaining, vgl. Weigend ZStW 94 (1982) 200, 222 m. w. N. 170 Vgl. nur Meyer-Goßner Gollwitzer-Koll. 161, 176. 171 Siehe nur Grünwald NJW 1960 1941, 1942; krit. auch Dencker ZStW 102 (1990) 51, 57, 78 f.; Eidam 266 ff., 282 f.; Jerouschek ZStW 102 (1990) 793, 807; Weßlau KJ 1993 461, 465; auch Schmitt GA 2001 411, 421 f.; vgl. LR/Gleß § 136a, 57; a. A. Schmidt-Hieber FS Wassermann 995 ff. 172 Zutr. Wagner/Rönnau RuP 1990 161, 164. Umgekehrt folgern daraus die Zulässigkeit BGHSt 20 268; Schmidt-Hieber Rn. 176. 173 BVerfG NJW 1987 2662, 2663. 174 Frisch FS Streng 685, 695 f. m. w. N.; Frister FS Rengier 377, 381 ff.; Rode StraFo 2007 98, 101 f.; eingehend Sickor Geständnis 314 ff., 320 ff., 327 ff., 331, 367 ff.; zweifelnd HK/Temming 18. 175 Krit. Dencker ZStW 102 (1990) 51, 56 f.; Eidam 264 ff.; Eschelbach FS Rissing-van Saan 115, 130 f.; OK-StPO/Eschelbach 21.3; Frisch ZStW 99 (1987) 751, 779 ff.; ders. FS Streng 685, 695; Frister FS Rengier 377, 380 f.; Grünwald StV 1987 453, 454; Hammerstein StV 2007 48, 49; Hauer 81 ff., 112 ff., 344 f.; dies. NJ 2010 10, 14; Hönig 68 ff.; Hörnle GA 2007 440, 443 f.; Hsu 81 ff.; Jaggi 53 ff.; Kruse StraFo 2000 146, 147; Rieß FS Richter II 433, 442 ff.; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig § 46, 41b, 41e a. E. StGB m. w. N.; Sickor 320 ff., 362 ff.; Steinhögl 50 ff.; Streng FS Schwind 447, 449; Weigend JZ 1990 774, 779; ders. FS II BGH 1011, 1041 f.; ders. Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen 357, 383 ff.; Wimmer ZStW 50 (1930) 538, 580 ff. 176 Altenhain/Dietmeier/May 104 ff.

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durch stete Wiederholung nicht wahrer, dass jedes Geständnis ein Anzeichen von Reue177 und damit gleichsam der erste Schritt zur Resozialisierung178 getan sei. Falsch ist die Begründung, die daraus, dass der Zweifelssatz auch bei der Strafzumessung gilt, folgert, dass strafmildernde Unrechtseinsicht in dubio pro reo zu vermuten sei,179 denn der Zweifelssatz greift überhaupt nur dort ein, wo nach Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten ein begründeter Zweifel besteht, also tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Tatsachenannahme wahr sein könnte; er gilt nicht für einzelne Indiztatsachen.180 Ebenso wenig wie die bloß abstrakte Möglichkeit der Unschuld des Täters einen Freispruch rechtfertigt, kann die bloß abstrakte Möglichkeit der Reue eine Strafmilderung rechtfertigen.181 Beim prozesstaktischen Geständnis liegt – auch aus Sicht der Betroffenen182 – Reue nicht einmal nahe,183 vielmehr spricht der berechnende Einsatz dagegen und daher für eine Strafschärfung,184 wenn es nicht wegen Verstoßes gegen § 136a ohnehin unverwertbar wäre.185 Im Übrigen kann auch Leugnen auf Scham beruhen und eine Distanzierung von der Tat ausdrücken, so dass im Zweifel auch jede Verweigerung eines Geständnisses als strafmildernd anzusehen wäre.186

177 Eschelbach FS Rissing-van Saan 115, 130 f. sieht darin sogar eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG, weil das wirklich reumütige Geständnis entwertet wird; Sickor 332. 178 Zur guilty plea Alschuler 69 Cal.L.Rev. 652, 661 ff. (1981). Krit. Weigend Der Deal mit dem Recht 37, 42 f. 179 BGHSt 43 195, 209; eingeführt von Schmidt-Hieber Rn. 174; ders. FS Wassermann 995, 1000; ders. StV 1986 355, 356; ders. NStZ 1988 302, 304; ders. DRiZ 1990 321; Siolek 182 ff., 186; ders. DRiZ 1993 422, 426; auch Hsu 102 ff.; dagegen HK/Temming 18; OK-StPO/Eschelbach 21; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig § 46, 41e StGB; SK/Velten Vor § 257b, 19b Fn. 143; Dencker ZStW 102 (1990) 51, 58 Fn. 30, 76; Eidam 265 Fn. 1167; Hettinger FS Egon Müller 261, 278; Hönig 91 ff.; Jaggi 71 ff.; Kruse StraFo 2000 146, 147 mit Fn. 24; Lien GA 2006 129, 133; Rönnau 100 f.; ders. wistra 1998 49, 53; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 110, 112; ders. FS Rieß 525, 540; Sickor 322 ff. (Fiktion), 431; Weigend NStZ 1999 57, 61; ders. FS II BGH 1011, 1042; ders. Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen 357, 384; auch Rieß FS Richter II 433, 443. 180 KMR/Stuckenberg § 261, 100; LR/Sander § 261, 192; SK/Velten Vor § 257b, 19b Fn. 143; § 261, 93, jew. m. w. N. 181 Dencker ZStW 102 (1990) 51, 76; Eidam 265; Kruse StraFo 2000 146, 147; Steinhögl 49 f. 182 Blaschke NJ 2018 108, 110. 183 HK/Temming 18; Niemöller/Schlothauer/Weider 93; OK-StPO/Eschelbach 21.3, 21.5; SK/Velten 16; Vor § 257b, 19b; Dencker ZStW 102 (1990) 51, 57; Erb GedS Blomeyer 743, 745 f.; Frisch FS Streng 685, 698 f.; Haas GedS Keller 45, 67 ff.; Hammerstein StV 2007 48, 50; Hettinger FS Egon Müller 261, 278 („Etikettenschwindel“); Hönig 92; Hörnle GA 2007 440, 443 f.; Jaggi 76 f.; Kunz FS Egon Müller 383, 392; Lien GA 2006 129, 133; Niemöller GA 2009 172, 178; Rode StraFo 2007 98, 102 f.; Rönnau 94 ff.; ders. wistra 1998 49, 53; Schünemann NJW 1989 1895, 1897 f.; ders. Gutachten 58. DJT, B 39, 110 ff.; ders. FS Baumann 361, 379; ders. FS Rieß 525, 540; ders. (Wetterzeichen) 12 m. w. N., 23; Sickor 430 f.; Steinberg 180 f.; Stübinger JZ 2008 798, 800; Weigend NStZ 1999 57, 61; ders. Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen 357, 384; Weßlau KJ 1993 461, 462; s. a. Altenhain/Dietmeier/May 105 (verfehlte Annahme); a. A. Kubik 110 ff.; Rabe 162, jew. m. w. N. 184 Schünemann Gutachten 58. DJT, B 112. 185 So schon Grünwald NJW 1960 1941, 1942; zust. Braun 67 ff.; Eidam 239 ff., 260 f.; Nestler-Tremel Modernes Strafrecht und Ultima-ratio-Prinzip 159, 172 f.; Rönnau wistra 1998 49, 53; Seier JZ 1988 683, 688; Weigend JZ 1990 774, 778 f.; ders. Der Deal mit dem Recht 37, 43 f.; ders. Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen 357, 385; ders. FS II BGH 1011, 1041 f.; jüngst Hauer 269 ff., 335 ff., 340 f., 349; Nahrwold 278 f.; ähnl. Siolek DRiZ 1989 321, 326; Schünemann FS Rieß 525, 541. Vgl. BGH StV 2004 636 mit Anm. Eidam StV 2005 201. 186 Grünwald StV 1987 453, 454 mit Verweis auf BGH NJW 1955 1158; ebenso Erb GedS Blomeyer 743, 746; Hammerstein StV 2007 48, 50; Hsu 112 f.; Kruse StraFo 2000 146, 147 Fn. 24; Nestler-Tremel DRiZ 1988 288, 293; Sickor 321 ff.; Stalinski 142 ff.; Steinhögl 49; Alschuler 69 Cal.L.Rev. 652, 667 (1981).

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Erschwerend kommt hinzu, dass nach dem Modell des § 257c diese Nötigungssituati- 17 on nicht wie beim plea bargaining durch den Verfahrensgegner, sondern durch das Gericht geschaffen wird, das mit eigenen Interessen involviert ist, so dass der Angeklagte dessen Unparteilichkeit rationalerweise in Zweifel ziehen muss. Die Rolle des Gerichts als neutraler Entscheider – Verfahrens„beteiligter“ ist es per definitionem nicht187 – wird dadurch aufgegeben,188 was dazu führt, dass nicht nur das Ansehen der Justiz beschädigt wird,189 sondern dass es sich bei einem auf Absprache beruhenden Urteil nicht mehr um einen Akt der Rechtsprechung im Sinne von Art. 92 GG in der schlichtesten Definition von Streitentscheidung durch einen unbeteiligten Dritten handelt,190 sondern um eine Vereinbarung, bei der das Gericht – in grundgesetzwidriger Weise – über den staatlichen Strafanspruch disponiert. Deshalb ist eine Beteiligung des Gerichts am plea bargaining im Common Law-Rechtskreis weithin verboten,191 ebenso im „abgekürzten Verfahren“ des neuen eidgenössischen Strafprozesses der Schweiz.192 Weiterhin ist das Gericht, das eine Verständigung vorgeschlagen hat, wenigstens wenn diese scheitert, für die nachfolgende Hauptverhandlung als befangen anzusehen, was das Gesetz indes übersieht. In dieser strukturellen Gefährdung der Unbefangenheit des Gerichts193 liegt zudem eine weitere Verletzung der Unschuldsvermutung.

187 A. A. MüKo/Jahn/Kudlich 63 m. w. N. „Beteiligt“ ist das Gericht aber nur in einem äußerlichen, nicht im begrifflichen Sinne, wie hier von Hippel 230 f.

188 OK-StPO/Eschelbach 1.15, 5, 6; SK/Paeffgen § 202a, 11; deutlich Ellscheid 37; Eschelbach FS Rissingvan Saan 115, 136; ders. Effizienz durch Verständigung 37, 56 ff.; Fornauf KritV 2010 217, 228 f.; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 116 ff.; ders. (Wetterzeichen) 24 ff.; ders. ZStW 119 (2007) 945, 952; ders. ZRP 2009 104, 107; ders. ZIS 2009 484, 492; ders. FS Wolter 1107, 1109 f.; Roxin/Schünemann § 17, 29; auch Duttge FS Böttcher 53, 64; Eschelbach HRRS 2008 190, 201; Esser Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht (2002) 622; Günter DRiZ 1987 406; Hauer 180 ff.; Ignor FS BRAK 321, 326 f.; Jung Eur.J.Crime, Crim.L. & Crim.Just. 5 (1997) 112, 117; Kempf StV 2009 269, 273; Meyer ZStW 119 (2007) 633, 661; Rieß StraFo 2010 10, 11 f.; Salditt GedS Schlüchter 65, 74 f.; ders. ZStW 115 (2003) 570, 575 f.; ders. FS Tolksdorf 377, 393; Wagner GedS Eckert 939, 948; Wagner/Rönnau RuP 1990 161, 164 f.; Weßlau ZStW 116 (2004) 150, 167; vgl. Wolfslast NStZ 1990 409, 416; Zierl AnwBl. 1985 505; Zschockelt FS Salger 435 ff.; krit. auch SK/ Velten Vor § 257b, 8b; Nestler-Tremel Modernes Strafrecht und Ultima-ratio-Prinzip 159, 173 f.; a. A. Nahrwold 254; Rabe 259 ff. 189 Wobei Richter, die allen Ernstes bei ihrer Amtsausübung von „Sommerschlussverkauf“ oder „Kurz-, Mittel- und Langstreckentarif“ reden, vgl. statt vieler Weider StraFo 2003 406, 408, freilich kein Ansehen mehr zu verlieren haben. 190 Zutr. Alschuler 69 Cal.L.Rev. 652, 703 f. (1981); Haas GedS Keller 45, 65, 70; vgl. auch Schünemann Gutachten 58. DJT, B 55 f. 191 Vgl. Federal Rules of Criminal Procedure (2009), Rule 11(c)(1) Satz 2; American Bar Association ABA Standards for Criminal Justice: Pleas of Guilty (3rd ed. 1999), Standard 14-3-3(c), S. 134 f.; Damaška StV 1988 398, 399 ff.; Turner 54 Am.J.Comp.L. 199, 202 ff., 267 (2006); Trüg ZStW 102 (2008) 331, 349 ff. Allerdings kommt es in einigen Gebieten durchaus vor, dass Tatrichter aktiv an den Absprachen mitwirken, vgl. Alschuler 76 Colum.L.Rev. 1059 ff. (1976); Ryan/Alfini 13 Law & Soc’y Rev. 479 ff. (1979); Weigend ZStW 94 (1982) 200, 211 ff.; zu England Ashworth/Redmayne 317 f. 192 Art. 358 ff.; dazu krit. Kunz FS Egon Müller 383, 387 ff.; Pieth Schweizerisches Strafprozessrecht3 (2016) 255 ff.; Schwander SJZ 103 (2007) 142 ff. Ablehnend schon Eidgenössisches Justizdepartment Aus 29 mach 1, S. 50 ff., 52. 193 OK-StPO/Eschelbach 1.15, 40.2; Radtke/Hohmann/Ambos/Ziehn 36; SK/Velten 47; Hauer NJ 2010 10, 16; Isfen ZStW 125 (2013) 325, 336 f.; Małolepszy ZStW 126 (2014) 489, 501; Nahrwold 266; Rode StraFo 2015 89, 94; Schünemann ZStW 119 (2007) 945, 951 f.; ders. ZIS 2009 484, 494; ders. ZRP 2009 104, 107; Vogel GA 2011 520, 523; Weigend FS Maiwald 829, 841; Weßlau StV 2006 357, 359; grundsätzlich Schünemann StV 2000 159 ff.; auch Hettinger JZ 2011 292, 300 f.

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Insgesamt handelt es sich bei § 257c mit seinen Begleitvorschriften um die Etablierung eines weiteren Prozesstyps, nämlich eines fast reinen Inquisitionsprozesses194 mit dominanter Stellung des Gerichts, dessen Ziel die Erlangung eines Geständnisses als regina probationum ist, das neben dem Akteninhalt als Urteilsgrundlage genügt, nur dass als Druckmittel nicht mehr die Folter, sondern die – im Wesen der deutschen Absprache liegende195 und in England verbotene196 – Sanktionsschere197 zur Verfügung steht. Die „Verständigung“ ist ein neues Machtmittel des Gerichts zur Verfahrensabkürzung, das es fast nach Belieben einsetzen198 und den Angeklagten „als Mittel zum Zweck der Justizentlastung“ vereinnahmen,199 mithin zum Verfahrensobjekt degradieren200 kann. Von einem bisweilen gepriesenen Konsens201 oder einer Förderung der Teilhabe des Angeklagten am Entscheidungsprozess kann keine Rede sein,202 ebenso wenig wie beim plea bargaining,203 wenn ihm eine prozesstaktische Entscheidung abgenötigt wird, deren Tragweite er selbst kaum übersehen kann, eher von der „Rückkehr der Lügenstrafe“204 für den vom Schweigerecht Gebrauch machenden oder seine Unschuld behauptenden Angeklagten. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass der Angeklagte auch seinem Verteidiger mit Misstrauen begegnen muss, weil dieser in der Absprachensituation ebenfalls einem Interessenkonflikt ausgesetzt ist.205 In beiden Fällen handelt es sich

194 Ähnl. HK/Temming 3; Eschelbach HRRS 2008 190, 201; Hsu 159; Schünemann NJW 1989 1895, 1901 f.; ders. FS Baumann 361, 373, 377; ders. ZStW 119 (2007) 945, 951 f.; ders. ZRP 2009 104, 105, 106; Weigend JZ 1990 774, 778; ders. FS Maiwald 829, 833 ff.; vgl. Dencker/Hamm 83; Harms FS Nehm 289, 296; Sickor 423 ff.; Stübinger JZ 2008 798, 800; vgl. Greco GA 2016 1, 6 ff. (Rache des Inquisitionsprozesses); zum autoritären Charakter Fezer NStZ 2010 177, 179, 181; zum plea bargaining Langbein 46 U.Chi.L.Rev. 3, 12 ff. (1978–79); a. A. Jahn/Müller NJW 2009 2625; wohl auch Rosenau (Absprachen) 45, 57 ff. Hettinger FS Egon Müller 261, 280 sieht darin den alten Akkusationsprozess und Zustand von 1532 wiederhergestellt; der wesentliche Unterschied besteht indes darin, dass heute das Gericht als (dominante) „Partei“ hinzutritt und das Geständnis faktisch erzwingen kann. Vom reinen Inquisitionsprozess trennt das Absprachenwesen nur noch die notwendige Mitwirkung der Staatsanwaltschaft bei Anklage und Verständigung. 195 Ignor FS BRAK 321, 325 f.; Schünemann (Wetterzeichen) 11. 196 Salditt FS Mehle 581, 589 m. w. N. 197 Jegliche Sanktionsdifferenz genügt, mag sie sich auch im Rahmen des Schuldangemessenen bewegen, siehe oben Rn. 15 sowie die Nachw. bei Schünemann (Wetterzeichen) 12 Fn. 23. Zur drastischen Sanktionsschere im amerikanischen plea bargaining s. nur Alschuler 69 Cal.L.Rev. 652, 654 ff., 680 ff. (1981); Turner 54 Am.J.Comp.L. 199, 251 (2006); Dervan 27 Ga.St.U.L.Rev. 239, 245 m. w. N. (2011). Zur funktionalen Äquivalenz von Folter und plea bargaining vgl. Langbein 46 U.Chi.L.Rev. 3, 12 ff. (1978–79); ähnl. Dencker/ Hamm 83; Eidam 259; Schünemann FS Baumann 361, 373. 198 Zutr. Weigend FS Maiwald 829, 833 f., 845; OK-StPO/Eschelbach 26.1; ähnl. Weßlau ZStW 116 (2004) 150, 170. 199 Treffend Sinner 304. 200 Zutr. Eschelbach HRRS 2008 190, 201; Klemke/Elbs 780, 793h; Schünemann FS Baumann 361, 375; ders. FS Fezer 555, 568; Weigend JZ 1990 774, 779 f.; vgl. Salditt ZStW 115 (2003) 570, 582. 201 Vgl. Fn. 107. 202 Eher im Gegenteil, zutr. Eschelbach HRRS 2008 190, 198 f.; Ellscheid 37; OK-StPO/Eschelbach 1.1; Hamm NJW 2006 2084, 2087; ders. FS Welp 57, 67 (weltfremd); Roxin/Schünemann § 17, 27; Salditt StV 2002 273, 276 f.; ders. ZStW 115 (2003) 570, 578; ders. FS Egon Müller 611, 621; Schünemann FS Baumann 361, 378; ders. ZStW 119 (2007) 945, 952 f.; ders. (Wetterzeichen) 18; ders. FS Fezer 555, 572; ders. FS Wolter 1107, 1119; Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins StraFo 2006 89, 92; Weigend ZStW 94 (1982) 200, 224 ff.; ders. Der Deal mit dem Recht 37, 39, 47; ders. FS Damaška 39, 56 ff., 59 f. 203 Vgl. nur Alschuler 69 Cal.L.Rev. 652, 668 ff. m. w. N. (1981). 204 SK/Velten 45; Vor § 257b, 21. 205 Hamm NJW 2006 2084, 2088; Terhorst GA 2002 600, 607; Weider 149, 156; Weigend Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen 357, 368 f.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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um ein Konzessions- oder Unterwerfungssystem,206 das der rechtsstaatlichen Justizgewährungspflicht Hohn spricht.207 Nach allem ist die Vorstellung des Gesetzgebers, ihm sei eine Integration der Verständigung in das geltende Strafprozessrecht gelungen, „ohne die das Strafverfahren prägenden Grundsätze … anzutasten“,208 nicht nachvollziehbar.209 5. Das Urteil des BVerfG vom 19.3.2013. Das Urteil des BVerfG vom 19.3.2013210 hat 19 das Verständigungsgesetz für derzeit nicht verfassungswidrig befunden. Dabei sind die 1987 formulierten Grundsätze (Rn. 6 ff.) allesamt bestätigt und zum Teil präzisiert worden wie das Verbot, Schuldspruch und Strafzumessung einschließlich der Wahl des Strafrahmens, auch besonders oder minder schwerer Fälle, zur Disposition der Verfahrensbeteiligten zu stellen,211 oder die zwingende Überprüfung des Geständnisses in einer Hauptverhandlung (Rn. 10, 47). Eine Verfahrensverkürzung um den Preis der Erforschung der materiellen Wahrheit sei ausgeschlossen.212 Das Gericht erkennt, dass Verständigungen im Strafprozess die verfassungsrechtlichen Anforderungen „berühren“213 und das Risiko in sich tragen, „dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht in vollem Umfang beachtet werden“.214 Diese Gefahren werden auch deutlich benannt: die Gefahr falscher Geständnisse,215 die Gefährdung der Neutralität des erkennenden Gerichts durch eine mit der Aussicht auf Verfahrensverkürzung einhergehende „Motivationsver-

206 Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007 71, 78; Bussmann 229; OK-StPO/Eschelbach 17; König NJW 2012 1915, 1917; Roxin/Schünemann § 17, 20, 27; Schünemann ZStW 114 (2002) 1, 26; ders. ZRP 2009 104, 106; ders. ZIS 2009 484, 490 f.; Salditt FS Mehle 581, 593; Sommer Effektive Strafverteidigung 3(2016) 2480; Trüg ZStW 102 (2008) 331, 366; Wagner GedS Eckert 939, 948, 953 f.; Weigend Der Deal mit dem Recht 37, 50; vgl. Langbein 46 U.Chi.L.Rev. 3, 12 ff. (1978–79); s. a. Meyer 39. Strafverteidigertag 129, 151. 207 So auch Eschelbach HRRS 2008 190, 206. 208 BTDrucks. 16 12310 S. 9; unkrit. ebenso BVerfGE 133 168, 204 ff., das diese dogmatsiche Frage freilich nicht autoritativ entscheiden kann, wie Schmitt FS Tolksdorf 399, 401 f. meint. 209 Vgl. Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer (Vorschlag) 3 = ZRP 2005 235, 236 („wirklichkeitsfremd“); Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007 71, 76; Altenhain/Haimerl JZ 2010 327, 329 (Orwell’sche „Leugnung des Faktischen“); Fezer NStZ 2010 177, 182; Fischer58 § 46, 120 StGB („Augenwischerei“); ders. StraFo 2009 177, 181 ff.; ders. ZRP 2010 249, 250; HK/Temming 3 („Lippenbekenntnis“); Hettinger JZ 2011 292, 297 Fn. 74 („steht die Unwahrhaftigkeit auf die Stirn geschrieben“), 299; Kirsch StraFo 2010 96, 97; Murmann ZIS 2009 526, 532, 534 („die Wirklichkeit verfehlende Heuchelei“); Rieß StraFo 2010 10, 11; Schünemann ZRP 2009 104, 106; Theile MSchrKrim. 2010 147, 158; Trüg ZStW 102 (2008) 331, 367 f.; Weigend FS Maiwald 829, 832 f.; Weßlau FS Egon Müller 779, 792 sowie unten Fn. 276. 210 BVerfGE 133 168; dazu Beulke/Stoffer JZ 2013 662; Brocke StraFo 2013 441; Fezer HRRS 2013 117; Fischer FS Kühne 203; Globke JR 2014 9; Hauer NJ 2013 395; Heger/Pest ZStW 126 (2014) 446; Hofmann NJW 2014 442; Höll NZWiSt 2013 134; Knauer NStZ 2013 433; König/Harrendorf AnwBl. 2013 321; Kühne 749.7 ff.; Kudlich NStZ 2013 379; Landau NStZ 2014 425; ders. FS Rössner 829; Löffelmann JR 2013 333; Meyer NJW 2013 1850; Mosbacher NZWiSt 2013 201; MüKo/Jahn/Kudlich 20 ff.; Niemöller StV 2013 419; Roxin/Schünemann § 17, 33 ff.; Scheinfeld ZJS 2013 296; Schmitt FS Tolksdorf 399; Schünemann FS Wolter 1107, 1127 ff.; Stuckenberg ZIS 2013 212; SK/Paeffgen § 202a, 3c ff.; SK/Velten Vor § 257b, 8a ff.; Trück ZWH 2013 169; Tsambikakis ZWH 2013 209; Volp Linien der Rechtsprechung 389 ff.; Weigend StV 2013 427; Leblois-Happe/Stuckenberg/Weigend Was wird aus der Hauptverhandlung? (2014) 199, 210 ff.; monographisch Rabe 37 ff.; zur mündlichen Verhandlung s. König AnwBl. 2013 982 f. 211 BVerfGE 133 168, 229 f. 212 BVerfGE 133 168, 230; dagegen MüKo/Jahn/Kudlich 43, 46 a. E. 213 BVerfGE 133 168, 225. 214 BVerfGE 133 168, 228. 215 BVerfGE 133 168, 230.

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schiebung“,216 die Beeinträchtigung der Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten durch die „für eine Verständigung typische Anreiz- und Verlockungssituation“,217 durch Drohungen seitens des Gerichts mit der Sanktionsschere, die zur Aufhebung eines der angegriffenen Urteile führte, sowie durch den Interessengleichlauf der beteiligten Berufsjuristen.218 Dennoch habe der Gesetzgeber Verständigungen erlauben dürfen, sofern er hinreichende Schutzmechanismen zur Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben vorsehe. Die Transparenz- und Kontrollmechanismen des Verständigungsgesetzes hält das Gericht für ausreichend, einer verfassungskonformen Auslegung nach § 79 BVerfGG bedürfe es nicht.219 Das erstaunt, weil die Praxis, wie das vom Senat in Auftrag gegebene Gutachten220 exemplarisch für Nordrhein-Westfalen belegt, gerade diese Schutzvorschriften in horrendem Ausmaß – mehr als die Hälfte der befragten Richter gab an, überwiegend informelle Absprachen zu treffen, ein Drittel, Geständnisse nicht stets zu überprüfen – missachtet und augenscheinlich weiter so agiert wie vor 2009.221 Doch auch dieser „in erheblichem Maße defizitäre Vollzug des Verständigungsgesetzes führt derzeit nicht zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung.“222 Das Gericht führt diese pervasive rechtswidrige Praxis nicht auf strukturelle Mängel des gesetzlichen Regelungskonzepts, sondern auf Eingewöhnungsschwierigkeiten und „interessengeleitete Missverständnisse“ der Praktiker zurück,223 weshalb die rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit klargestellt wird, dass die Bedürfnisse der Praxis keinen Gesetzesungehorsam erlauben und vom Gesetz nicht erlaubte informelle Absprachen verboten sind. Zugleich hat das Gericht die Ansicht geäußert, die Verletzung vieler Transparenzvorschriften könne die Revision begründen.224 Angesichts des defizitären Gesetzesvollzugs wird die Rolle der Staatsanwaltschaft als Hüterin des Gesetzes betont225 und dem Gesetzgeber eine Beobachtungs- und ggf. Nachbesserungspflicht auferlegt: „Sollte sich die gerichtliche Praxis weiterhin in erheblichem Umfang über die gesetzlichen Regelungen hinwegsetzen und sollten die materiellen und prozeduralen Vorkehrungen des Verständigungsgesetzes nicht ausreichen, um das festgestellte Vollzugsdefizit zu beseitigen und dadurch die an eine Verständigung im Strafverfahren zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu erfüllen, muss der Gesetzgeber der Fehlentwicklung durch geeignete Maßnahmen entgegenwirken“, wozu auch die Revidierung der Entscheidung für die Zulassung strafprozessualer Absprachen, mithin ihr Verbot gehört.226 Das Urteil hat vielfache Kritik sowohl von Befürwortern wie Gegnern der Abspra20 chen erfahren. Als hauptsächlicher Kritikpunkt ist anzusehen, dass das Gericht sich seiner Kontrollaufgabe entzogen und die verfassungsrechtlichen Maßstäbe nur aufgezählt, 216 217 218 219 220

BVerfGE 133 168, 232, s. a. 225 f. BVerfGE 133 168, 231. BVerfGE 133 168, 232. BVerfGE 133 168, 236; Landau NStZ 2014 425, 426. Altenhain/Dietmeier/May 27 ff., zusf. 181 ff.; ähnliche Befunde schon bei der bundesweiten Studie von Niemz (Opferinteressen) 16, 164 f., 174 ff., 292. 221 Zur Kontinuität der Absprachenpraxis Schünemann FS Wolter 1107, 1117 ff., 1124 f. m. w. N.; Brocke StraFo 2013 441. 222 BVerfGE 133 168, 233. 223 BVerfGE 133 168, 233 ff. 224 BVerfGE 133 168, 223 ff. 225 BVerfGE 133 168, 220 f.; krit. OK-StPO/Eschelbach 1.2; ders. Effizienz durch Verständigung 37, 43 (praktisch unmöglich); König/Harrendorf AnwBl. 2013 321, 322; Roxin/Schünemann § 17, 35; Schünemann FS Wolter 1107, 1129; Weigend StV 2013 424, 426; skeptisch Beulke/Stoffer JZ 2013 662, 672; Hamm StV 2013 652, 655. 226 BVerfGE 133 168, 228 f., 236.

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aber das Verständigungsgesetz nicht darunter subsumiert hat, sondern es genügen ließ, dass der Gesetzgeber diese Maßstäbe einhalten wollte.227 Nicht nachvollziehbar ist sodann die Ursachenanalyse des katastrophalen Gesetzesungehorsams der Praxis:228 Nichts spricht dafür, dass dieser lediglich Folge von Lernschwierigkeiten oder Unwillen der Praktiker ist, viel jedoch dafür, dass er auf dem nun auch im Gesetz selbst enthaltenen Zielkonflikt zwischen Verfahrensverkürzung und Wahrheitserforschung beruht – den das Gericht durchaus sieht, aber nicht wahrhaben will.229 Das Gesetz selbst führt die Rechtsanwender in die Versuchung, das erste Ziel auf Kosten des zweiten zu verwirklichen, weil der Daseinszweck der Absprache in der Verfahrensverkürzung durch Beschränkung der Wahrheitserforschung liegt, da sie andernfalls sinnlos wäre.230 Inkonsistent ist die Annahme, die gesetzeswidrige Praxis mache das Gesetz jetzt nicht verfassungswidrig, wohl aber später, wenn diese Praxis andauere.231 Unklar ist auch, nach welchen Maßstäben der Gesetzgeber die zu beobachtende Praxis beurteilen soll und wo die Schwelle zum legislativen Einschreiten genau liegt.232 Unklar sind weiterhin die Aussagen zur Revisibilität der Verletzung der Transparenzvorschriften, die mit dem Beruhenserfordernis des § 337 Abs. 1 nicht sämtlich vereinbar sind.233 Die Auswirkungen des Urteils lassen sich auch nach über fünf Jahren noch nicht 21 sicher beurteilen. Vielfach wird angenommen, das Gericht habe den Spielraum für Verständigungen erheblich eingeschränkt,234 obschon es lediglich den Gesetzeswortlaut verfassungsrechtlich abstützt. Nach dem Urteil schwankten die Prognosen zwischen der Annahme, die Verständigung sei nun praktisch „tot“,235 und der, die Praxis werde im Wesentlichen weitermachen wie bisher.236 Das Insistieren auf akribische Einhaltung der Transparenzvorschriften237 könnte die Verständigung in der Praxis unattraktiver machen, aber auch bewirken, dass vermehrt auf informelles Einvernehmen („Verständigungspantomime“) ausgewichen wird.238 Die Zahl krasser Missbräuche könnte als Folge 227 MüKo/Jahn/Kudlich 20; OK-StPO/Eschelbach 1.1; Fezer HRRS 2013 117; Kühne 749.8; Stuckenberg ZIS 2013 212, 214 ff., 216, 218 f.; Tsambikakis ZWH 2013 209, 210; Weigend StV 2013 424, 425; auch Jahn GA 2014 588, 593; Niemöller StV 2013 419, 422, 424; Sommer Effektive Strafverteidigung 3(2016) 2481; Schünemann FS Wolter 1107, 1128. 228 Näher SK/Paeffgen § 202a, 3f f.; SK/Velten Vor § 257b, 8b; Stuckenberg ZIS 2013 212, 217; Fezer HRRS 2013 117, 118; Greco GA 2016 1, 6; Knauer NStZ 2013 433, 434; Małolepszy ZStW 126 (2014) 489, 503 f.; Weigend StV 2013 424, 426; ähnl. Trück ZWH 2013 169, 179; a. A. Rabe 294 ff. 229 BVerfGE 133 168, 210. 230 Rn. 27 und Stuckenberg ZIS 2013 212, 215, 218; Weigend StV 2013 424, 426 Fn. 14; Greco GA 2016 1, 6; Gössel FS Beulke 737 ff.; krit. Pfister StraFo 2016 187 Fn. 8. 231 Stuckenberg ZIS 2013 212, 217; Tsambikakis ZWH 2013 209, 210; Fezer HRRS 2013 117, 119; Knauer NStZ 2013 433, 434; Niemöller StV 2013 419, 423 f.; Weigend StV 2013 424, 426; ähnl. MüKo/Jahn/Kudlich 21; so aber BVerfGE 133 168, 236; Landau NStZ 2014 425, 428 f. 232 Knauer NStZ 2013 433, 434; Meyer NJW 2013 1850, 1852; Niemöller StV 2013 419, 423; Stuckenberg ZIS 2013 212, 217 f.; Weigend StV 2013 424, 426. 233 Stuckenberg ZIS 2013 212, 216; näher Henckel 204 ff. m. w. N. 234 Beulke/Stoffer JZ 2013 662, 665. Das entspricht der eigenen Einschätzung des Senats, BVerfGE 133 168, 210. 235 Kudlich NStZ 2013 379, 380; Meyer NJW 2013 1850; Busch-Gervasoni FS Schiller 109, 110, 116; Greco GA 2016 1, 5 m. w. N.; vgl. HK/Temming 3 („jegliche Attraktivität verloren“); MüKo/Jahn/Kudlich 35. 236 OK-StPO/Eschelbach 1.4, 1.9; Knauer NStZ 2013 433, 436; Weigend StV 2013 424, 426; Höland FS Beulke 787, 798. 237 Vgl. MüKo/Jahn/Kudlich 57 („erdrosselnde Wirkung“); Meyer 39. Strafverteidigertag 129 („präzedenzloser Dokumentations- und Mitteilungsfetischismus“); Schünemann wistra 2015 161, 164. 238 König/Harrendorf AnwBl. 2013 321, 324; Meyer NJW 2013 1850, 1852; ders. StV 2015 790 f.; Tsambikakis ZWH 2013 209, 211; s. a. Demuth DRiZ 2014 122 f.

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der eindringlichen Pflichtenmahnung abnehmen.239 Empirische Belege fehlen bisher. Die Bundesregierung hat Ende 2017 eine Studie zur Evaluierung des Verständigungsgesetzes in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse für das Frühjahr 2020 erwartet wurden.240 Es bleibt abzuwarten, ob dadurch der Gesetzgeber zu Maßnahmen genötigt wird. Zweifelhaft ist angesichts der widersprüchlichen Passagen241 der Urteilsbegründung der verfassungsrechtliche Status und die Bindungswirkung der vom Gericht vorgenommenen „präzisierenden Auslegung“242 des einfachen Rechts wie z. B., Geständnisse seien stets in der Hauptverhandlung zu überprüfen (Rn. 47),243 oder der erstaunlichen Ansicht, dass die Schutzmechanismen auch für illegale informelle Absprachen gelten sollen.244 Vergrößert hat sich vorübergehend auch die Rechtsunsicherheit in Einzelfragen der Revisibilität der Verletzung von Transparenzvorschriften245 nebst der Zahl der einschlägigen Revisionsentscheidungen246 (Rn. 95 f.; § 243, 115). 22

6. Reformbedarf. Die Mehrheit der Verfahren, die nicht mangels Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 oder ohne Auflage nach §§ 153 ff. eingestellt werden, wird derzeit entweder nach § 153a quasi-sanktioniert247 oder im Strafbefehlsverfahren erledigt.248 Den durch Urteil erledigten erstinstanzlichen Verfahren249 liegt laut Statistik nur in ein bis zehn Prozent eine Verständigung zugrunde, während Stimmen aus der Praxis250 einen weitaus höheren Anteil schätzen. Erschütternd ist, dass in keinem dieser Wege – § 153a, Strafbefehl, Absprache – die beiden zentralen Anliegen, die die Existenz von Strafjustiz überhaupt rechtfertigen, nämlich die gewissenhafte Erforschung der Wahrheit und die

239 Hamm bei Demuth DRiZ 2014 122, 123; Meyer 39. Strafverteidigertag 129, 133. 240 Zum Gemeinschaftsprojekt der Universitäten Düsseldorf, Frankfurt a. M. und Tübingen s. www.verstaendigung-in-strafverfahren.de.

241 S. nur Fischer FS Kühne 203, 204 f. 242 BVerfGE 133 168, 203 f., 206. 243 Bejahend Roxin/Schünemann § 17, 34; Fischer FS Kühne 203, 204 f.; Globke JR 2014 9, 16; Schmitt FS Tolksdorf 399, 400; offenlassend Landau NStZ 2014 425, 426 f.; zweifelnd OK-StPO/Eschelbach 1.5; Jahn NStZ 2014 170 f.; Sander Rechtsprechung in Strafsachen zwischen Praxis und Theorie 53, 57 ff.; ablehnend MüKo/Jahn/Kudlich 32 ff.; Niemöller StV 2013 419, 421 („freie, nicht gesetzesgebundene Rechtsschöpfung“); ders. GA 2014 179, 186 f.; Deiters GA 2014 701, 705 ff.; Schuster StV 2014 109, 112; eingehend Rabe 61 ff.; s. a. Beulke/Stoffer JZ 2013 662, 663 f.; Ungern-Sternberg AöR 138 (2013) 1, 20 f. 244 Krit. Niemöller StV 2013 419, 421; ders. GA 2014 179, 186 f. 245 Insbesondere zur sog. „normativen“ Beruhensprüfung, die in den Kammerentscheidungen BVerfG NStZ 2015 170, 172; 172, 174 mit Anm. Knauer/Pretsch; Niemöller NStZ 2015 489, angeraten wurde, krit. BGHSt 59 130, 134 ff.; BGH NJW 2016 513, 514 ff. mit Anm. Strate NJW 2016 450 und Allgayer NStZ 2016 227; Rabe 405 ff.; dazu wiederum BVerfG 23.5.2016 – 2 BvR 2477/15 Rn. 3; s. nur Landau NStZ 2014 425, 430; Norouzi FS Schlothauer 355, 361 ff.; Pfister StraFo 2016 187, 191 ff., jew. m. w. N. 246 Siehe nur Frisch GedS Weßlau 127, 134 ff. m. w. N. 247 Siehe nur Salditt FS Egon Müller 611 ff.; Stuckenberg Untersuchungen zur Unschuldsvermutung (1997) 565 ff.; Wagner GedS Eckert 939 ff.; Weßlau ZStW 116 (2004) 150, 152 ff. 248 2017 wurde in 424.049 Fällen Anklage erhoben und in 531.795 Fällen Strafbefehl beantragt, 169.801 Fälle wurden nach § 153a o. ä. erledigt, der Rest der 4.858.212 Eingänge bei den Staatsanwaltschaften eingestellt oder anderweitig erledigt, also abgegeben, verbunden usw., Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.6 Rechtspflege: Staatsanwaltschaften S. 26. 249 2017 ergingen 266.443 erstinstanzliche Urteile der Amtsgerichte, denen in 4.062 (1,52 %) Fällen eine Verständigung vorausging, und 8.691 erstinstanzliche Urteile der Strafkammern mit 942 (10,84 %) Verständigungsfällen, Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.3 Rechtspflege: Strafgerichte S. 24, 28, 62, 66. 250 Sommer Effektive Strafverteidigung 3(2016) 2458 (etwa zwei Drittel).

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

genaue Subsumtion unter das Strafgesetz,251 im Vordergrund stehen, sondern zügige Erledigung; auch eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit findet nicht statt. Die vollständige Durchführung einer Hauptverhandlung nach §§ 226 ff., die von allen derzeit normierten Verfahrenstypen allein dem verfassungsrechtlichen Leitbild (Rn. 6 ff.) rechtsstaatlicher Strafrechtspflege gerecht wird, scheint zunehmend zur seltenen und teuren Luxusoption zu geraten, was die seit langem beklagte fundamentale Krise des deutschen Strafprozesses belegt.252 Eine solche massive Fehlentwicklung ist weder mit Lamentieren noch mit legislativem Flickwerk zu beheben. Wenn der reformierte Strafprozess trotz oder wegen aller Modernisierungen in den heutigen Umständen seine Funktionsfähigkeit eingebüßt haben sollte, so muss über seine Reform nachgedacht werden,253 zumal die Entscheidung des BVerfG von 2013 die Strukturprobleme nicht beheben kann.254 Dazu braucht es zunächst die empirische Klärung des Zustands der deutschen Strafjustiz;255 mit den vom BVerfG und nun von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Studien ist ein Anfang gemacht. Der Appell muss sodann an die Strafprozessrechtswissenschaft gehen, auf der Grundlage solider Analyse des Istzustandes normative Konzepte zu entwickeln,256 die dem rechtsstaatlichen Niveau des Grundgesetzes besser entsprechen als das traurige Trio von § 153a, Strafbefehl und Deal. Einen Schritt in diese Richtung unternimmt der Arbeitskreis Alternativ-Entwurf mit dem Vorschlag eines umfassenden Reformansatzes.257 Überfällig ist dabei eine Rezeption der nun über fünfzigjährigen Erfahrungen und Diskussionen aus dem Mutterland des Deals.258 Anzugehen ist schließlich vor allem auch die angesichts des bisherigen Ausmaßes ungesetzlichen Handelns erwartbare,259 von der Altenhain-Studie ans Licht gebrachte massive Erosion des Rechtsbewusstseins innerhalb der Strafjustiz, die in einem Rechtsstaat nicht hinnehmbar ist.

251 Hassemer StV 2006 321, 327. 252 Vgl. nur Eschelbach HRRS 2008 190, 190 f.; Herzog (Krise) 21 ff.; Kirsch StraFo 2010 96, 101; Rieß ZIS 2009 466, 482; Schünemann FS Baumann 361, 365 ff., 382; Weßlau FS Egon Müller 779, 794.

253 Ähnl. Fezer NStZ 2010 177, 183 ff. (Bildung einer Großen Strafprozessrechtskommission); Fischer NStZ 2007 433, 436 (konzeptionelle Anstrengung nötig und möglich); ders. ZRP 2010 249, 251; Haas GedS Keller 45, 74; Roxin/Schünemann § 17, 31–32; § 69, 1 ff. m. w. N.; Schünemann StV 1993 657, 663 („neues Haus des Strafverfahrens“); Weigend Strafverteidigung vor neuen Herausforderungen 357, 394 Fn. 132; ders. FS Maiwald 829, 847 (offene Grundsatzdiskussion); Weßlau FS Egon Müller 779, 794. Die Forderung ist keineswegs neu, vgl. schon Rieß ZRP 1977 67 ff.; ders. FS Lackner 966 ff.; Schünemann ZStW 114 (2002) 1, 51 ff. 254 Zu Reformbedarf und Handlungsmöglichkeiten nach BVerfGE 133 168 s. Bittmann NJW 2013 3017, 3019; Busch-Gervasoni FS Schiller 109, 116 ff.; Hamm StV 2013 652; Kudlich ZRP 2013 162; Kubiciel HRRS 2014 204; Leibold 208 ff.; Meyer StV 2015 790, 792 ff.; ders. 39. Strafverteidigertag 129, 137 ff.; Nahrwold 326 ff.; Sebastian NJ 2014 508, 511 ff.; Greco GA 2016 1, 11 ff.; s. a. MüKo/Jahn/Kudlich 22 Fn. 95 m. w. N. 255 Auch der Gesetzentwurf vermerkt das Fehlen belastbarer Erkenntnisse zur Praxis der Verständigungen, BTDrucks. 16 12310 S. 7, von einzelnen älteren oder sektoriellen Studien abgesehen wie Schünemann Gutachten 58. DJT, B 17 ff.; ders. FS Heldrich 1177, 1185 ff.; Siolek 31 ff.; ders. DRiZ 1993 422 ff.; Altenhain/ Hagemeier/Haimerl/Stammen (Praxis); dazu Jahn JZ 2011 340, 341 ff., obwohl schon R. Hassemer/Hippler StV 1986 360, 363 dies angemahnt hatten. Überblick bei Niemz (Opferinteressen) 39 ff. 256 Resignierend zur legislativen Bedeutung der Wissenschaft Fischer NStZ 2007 433, 435. De Vries ZRP 2011 209, 211 schlägt eine Lösung durch Änderung des Vergütungssystems der Strafverteidiger vor. 257 Bommer et al. GA 2019 1 ff., 7 ff., 49 ff. 258 Vgl. nun Brodowski ZStW 124 (2012) 733. 259 Vgl. nur Fischer StraFo 2010 329, 330 ff.; Hamm FS Egon Müller 235, 248; ders. FS Welp 57, 71 f.

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II. Regelungsgehalt und Anwendungsbereich 1. Regelungsgehalt. Mit der Vorschrift ist beabsichtigt, eine rechtliche Grundlage für Absprachen im Strafverfahren (Absatz 1) zu schaffen und deren inhaltliche Grenzen (Absatz 2) festzulegen. Der Ablauf einer Verständigung in der Hauptverhandlung wird in Absatz 3 geregelt, die dabei erforderlichen Hinweise an den Angeklagten in Absatz 5, die Folgen etwaigen Scheiterns in Absatz 4. Die zentrale Frage, welchen Inhalt eine Verständigung haben darf, beantwortet das Gesetz nicht; dies ergibt sich nur indirekt und unvollständig aus den zulässigen Gegenständen. Auch die Rechtsfolgen einer wirksamen Verständigung werden nur indirekt ausgedrückt. Zahlreiche Einzelfragen sowie aus der bisherigen Absprachenpraxis bekannte Probleme (z. B. die Sanktionsschere, Rn. 56) bleiben ungelöst. Über §§ 46, 71 OWiG ist die Vorschrift auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren anwendbar.260 24 Die gesetzliche Regelung ist abschließend. Formen des Einvernehmens über Ablauf und Ergebnis eines Strafverfahrens, die nicht den vom Verständigungsgesetz vorgesehenen Anforderungen entsprechen, namentlich solche, die nicht dokumentiert und somit der Kontrolle der Öffentlichkeit entzogen sind („informelle Absprachen“), sind gesetzeswidrig und von Verfassungs wegen untersagt, wie das BVerfG klargestellt hat,261 und zwar in allen Spielarten wie „konkludente“ Abreden262 oder einseitige Bindungserklärungen des Gerichts.263 Illegale Abreden sind grundsätzlich unwirksam (näher Rn. 82 f.). 23

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a) Rechtsnatur der Verständigung. Die Rechtsnatur der Verständigung wurde im Gesetzgebungsverfahren nicht erörtert und ist völlig ungeklärt.264 Das Gesetz spricht zwar bewusst von „Verständigung“ und nicht von „Absprache“ oder „Vereinbarung“, um nicht den unzutreffenden Eindruck zu erwecken, dass die Verständigung als Grundlage des Urteils einen quasi-vertraglich bindenden Charakter hätte265 – wobei sich fragt, welchen Zweck sie sonst haben sollte. Eine Definition des Begriffs der „Verständigung“ hielt der Gesetzgeber aber für verzichtbar, weil dieser im allgemeinen Sprachgebrauch hinreichend präzise erfasst sei; sein wesentliches Merkmal sei der Begriff des Einvernehmens.266 Mit Verweis auf den außerjuristischen Sprachgebrauch ist ein Rechtsbegriff jedoch offensichtlich unterbestimmt.267 Denn wesentlicher Zweck des § 257c ist gerade, eine rechtliche Bindung des Gerichts zu begründen, auch wenn diese sich erst im Umkehrschluss aus Absatz 4 Satz 1 entnehmen lässt. Zwar kommt anders als nach der An260 Fromm NZV 2010 550, 551. 261 BVerfGE 133 168, 212 f., 232 f., 235; dazu Niemöller GA 2014 179 ff.; BVerfG NStZ 2016 422 mit Anm. Bittmann; Meyer-Goßner/Schmitt 4a. 262 BGHSt 59 21, 24 ff. mit Anm. Knauer NStZ 2014 115; ders. FS v. Heintschel-Heinegg 245, 250 ff.; Kudlich JZ 2014 471; Norouzi NJW 2014 874; Deiters ZJS 2014 583; abl. Niemöller JR 2014 216; OLG Köln NStZ 2014 727 mit abl. Anm. Schneider NStZ 2015 53, 54 f.; krit. auch Bittmann NStZ 2015 545 f.; OLG Hamm NStZ 2016 565 mit abl. Anm. Bittmann. 263 OLG München StV 2014 523 mit krit. Anm. Wenske. 264 Zum Versuch einer Einordnung siehe Niemöller/Schlothauer/Weider 8; OK-StPO/Eschelbach 6; SK/ Velten 2 ff., 8; zuvor Ioakimidis 109 ff.; Sinner 139 ff.; s. a. MüKo/Jahn/Kudlich 61. 265 BTDrucks. 16 12310 S. 8; krit. Niemöller/Schlothauer/Weider 7; OK-StPO/Eschelbach 5; Weigend FS Maiwald 829, 831 Fn. 14 (verschleiernder Euphemismus); Schünemann ZRP 2009 104, 106. Zur „Karriere“ dieses Ausdrucks seit 1987 und seinem verharmlosenden Charakter, der das Machtgefälle der Beteiligten und die Schutzbedürftigkeit des Angeklagten kaschiert, s. schon Bussmann 153 ff., 202 f., 226, 230. 266 BTDrucks. 16 12310 S. 13. 267 Krit. auch OK-StPO/Eschelbach 6; KMR/v. Heintschel-Heinegg 18.

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sicht der bisherigen Rechtsprechung die Bindung nicht durch einseitige Zusage des Gerichts, sondern gemäß Absatz 3 Satz 4 nur dann zustande, wenn Staatsanwaltschaft und Angeklagter dem Vorschlag des Gerichts zustimmen, jedoch wollte der Gesetzgeber ausdrücklich „keine neue Form … einer konsensualen Verfahrenserledigung“268 einführen. Ein dreiseitiger öffentlich-rechtlicher Vertrag oder eine prozessuale Übereinkunft eigener Art269 kann darin auch deshalb nicht erblickt werden, weil jegliche Disposition über den staatlichen Strafanspruch von Verfassungs wegen ausgeschlossen ist (Rn. 6 f.). Ein Vertrag mit dem Gericht (!) über den Ausgang des Verfahrens hätte auch mit Rechtsprechung nichts mehr zu tun. Dies erklärt die ersichtliche Scheu des Gesetzgebers, den Inhalt der Verständigung näher zu benennen, und den halbherzigen Ansatz, nur die einzelnen in das Einvernehmen eingebrachten Beiträge, aber nicht das Wesentliche, nämlich deren Verknüpfung oder Wechselbezüglichkeit (Rn. 49), zu regeln.270 b) Bindungswirkung. Die Bindung des Gerichts (Rn. 63 ff.) dürfte, wie vor Inkraft- 26 treten des Gesetzes von der Rechtsprechung entwickelt,271 allenfalls auf das Gebot des Vertrauensschutzes bzw. Verbot widersprüchlichen Staatshandelns – vermittelt über den fair trial-Grundsatz als Ausprägung des Rechtsstaatsgebots – gestützt werden können. Warum es dann aber auf ein „Einvernehmen“ zweier Verfahrensbeteiligter zur gerichtlichen Zusage ankommen soll, erschließt sich nicht ohne weiteres. Klargestellt ist damit jedenfalls, dass Absprachen „alten Stils“ nun nicht mehr dieselbe Bindungswirkung hervorrufen können (Rn. 24, 82 f.). Eine rechtliche Bindung des Angeklagten und des Staatsanwalts wird durch die Vorschrift nicht begründet.272 Sie sind frei, die von ihnen zugesagten Leistungen zu erbringen oder nicht. Die Auffassung, dass sie an ihre Zustimmungserklärung gebunden seien,273 ist daher rechtlich folgenlos, weshalb es auf einen Rechtsbindungswillen auch nicht ankommt.274 Nichtleistung wird rechtlich nicht sanktioniert, sondern es bleibt lediglich der erhoffte Vorteil – milde Strafe und schnelle Verfahrensbeendigung – aus. Bricht die Staatsanwaltschaft verfahrensbezogene Zusagen, kann dies allerdings unter Vertrauensschutzgesichtspunkten bzw. als Verletzung des fair trialGrundsatzes Rechtsfolgen auslösen (Rn. 67); zu Fall bringen kann sie die Verständigung nicht, da das Gesetz diese Option nur dem Gericht zugesteht (Rn. 67). c) Geltung des Untersuchungsgrundsatzes. Gemäß Absatz 1 Satz 2 bleibt die 27 Pflicht des Gerichts zur umfassenden Aufklärung des angeklagten Sachverhalts, die sich 268 BTDrucks. 16 12310 S. 8; krit. MüKo/Jahn/Kudlich 43. 269 So aber Niemöller/Schlothauer/Weider 8: einseitig bindender öffentlicher Vertrag eigener Art, der Elemente eines Vertrages und eines Urteils in sich vereinige; anders HK/Temming 4 f. (dreiseitiges quasiVertragsverhältnis); Schlothauer StraFo 2014 426, 428 (Vertrag mit Vergleichselementen); s. a. Fischer61 § 46, 116 StGB („quasi-vertragliche Einigung“); so auch Radtke/Hohmann/Ambos/Ziehn 32; für Vertragscharakter auch M.M. Müller 44 ff., 49. 270 Niemöller/Schlothauer/Weider 7. 271 BGHSt 36 210, 214; 43 195, 210; 49 84, 87; 52 165, 172; BGH NJW 2005 445, 446; zutr. Kritik bei KMR/Eschelbach Vor § 213, 76 ff. m. w. N.; Meyer HRRS 2011 17, 18; s. a. eingehend Graumann 184 ff. 272 HK/Temming 30; KK/Moldenhauer/Wenske 26; Radtke/Hohmann/Ambos/Ziehn 33; SSW/Ignor 89 f.; Beulke/Swoboda 395b, 396e; Altvater FS Rissing-van Saan 1, 28; Kuhn StV 2012 10, 11; unklar Niemöller/ Schlothauer/Weider 38 (Bindung des Staatsanwalts bejahend), 111 f. (Bindung verneinend); a. A. für die Staatsanwaltschaft MüKo/Jahn/Kudlich 153; OK-StPO/Eschelbach 31; SK/Velten 30 in der Annahme, die Verständigung begründe einklagbare subjektiv-öffentliche Leistungsrechte. 273 BGHSt 57 273, 278 mit Anm. Kudlich NStZ 2013 119; Meyer-Goßner/Schmitt 25; Altvater FS Rissingvan Saan 1, 26. 274 BVerfG NStZ 2016 422, 424 mit Anm. Bittmann gegen BGH 25.6.2015 – 1 StR 120/15.

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aus § 244 Abs. 2 ergibt, unberührt. Damit ist klargestellt, dass im Verurteilungsfalle die Verständigung die gerichtliche Überzeugung von dem von ihm festzustellenden Sachverhalt nicht ersetzt.275 Weil aber, wie oben dargelegt (Rn. 13), der Sinn einer Verständigung allein darin liegt, an sich nötige Aufklärung zu unterlassen – sonst bedürfte es ihrer nicht –, ist die Zielsetzung der gesetzlichen Regelung in sich widersprüchlich276 und somit zwar nicht logisch, aber teleologisch, mithin praktisch perplex. Da das verfassungsrechtliche Gebot der Erforschung des wahren Sachverhalts weder zur Disposition des Gerichts noch der Verfahrensbeteiligten steht (Rn. 6) und auch keine Reduktion auf ein Gebot bloß ungefährer Richtigkeit277 erleidet, ist auch keine Verständigung darüber möglich, ob bereits genug aufgeklärt worden sei und man das bisherige Beweisergebnis nicht für wahr halten könne278 – dies bleibt vielmehr alleinige Pflicht und Verantwortung des Gerichts. Damit verbleibt als verfassungskonformer (Rn. 13 a. E.) Anwendungsbereich der Norm nur die Klasse der – möglicherweise nicht allzu zahlreichen – Fälle, in denen der Angeklagte ein derart qualifiziertes und umfassendes Geständnis ablegt, dass das Gericht in Verbindung mit anderem in der Hauptverhandlung im Wege des Strengbeweises erhobenen Beweismaterial darauf nicht nur seine Überzeugung nach § 261 stützen darf, sondern damit auch seine Pflicht zur umfassenden Aufklärung und Aburteilung des angeklagten Sachverhalts erfüllt. 28

2. Zeitlicher und örtlicher Anwendungsbereich. Unmittelbar gilt § 257c nur für Verständigungen während und in der Hauptverhandlung.279 Außerhalb der Hauptverhandlung stattfindende Absprachen, ob offen oder heimlich, sind daher unzulässig und unwirksam; eine Bindungswirkung lösen sie nicht aus (Rn. 24, 82 f.). Nicht verboten sind Gespräche des Richters mit Verfahrensbeteiligten außerhalb der Hauptverhandlung, doch muss er über diese in der Hauptverhandlung berichten, um sich nicht dem Verdacht der Heimlichkeit und damit dem Vorwurf der Befangenheit auszusetzen.280 Zur

275 BTDrucks. 16 12310 S. 8, 13. 276 KMR/v. Heintschel-Heinegg 23 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 3, 13; OK-StPO/Eschelbach 2, 8 f.; Radtke/ Hohmann/Ambos/Ziehn 17; SK/Paeffgen § 202a, 26b; SK/Velten Vor § 257b, 8b; Altenhain/Haimerl JZ 2010 327, 329 Fn. 31; Becker JA 2017 641, 642; Bittmann NJW 2013 3017, 3018; Busch-Gervasoni FS Schiller 109, 111 f.; Duttge FS Schünemann 875, 884; Fezer NStZ 2010 177, 179, 183; Fischer StraFo 2009 177, 181, 183; Gössel FS Beulke 737, 740 f., 744 f.; Greco GA 2016 1, 6; Hamm StV 2013 652; Hauer NJ 2010 10, 13; Jahn/ Müller NJW 2009 2625, 2631; Kempf StV 2009 269, 272; ders. StraFo 2014 105, 106; Knauer NStZ 2013 433; Knauer/Lickleder NStZ 2012 366, 367; Kotsoglou ZIS 2015 175, 185; Leibold 57; Meyer 39. Strafverteidigertag 129; Murmann ZIS 2009 526, 532; ders. 35. Strafverteidigertag 81, 84 ff.; Nahrwold 296 ff., 325; Rieß StraFo 2010 10, 11; Rönnau ZIS 2018 167, 175; Schünemann ZRP 2009 104, 106; Steinberg 178 f.; ders. DRiZ 2012 19; Theile NStZ 2012 666, 669; Volp Linien der Rechtsprechung 389, 409; Weßlau StraFo 2007 1, 2; Wohlers NJW 2010 2471, 2474; krit. MüKo/Jahn/Kudlich 23 f., 40 ff.; a. A. BVerfGE 133 168, 210; Niemöller/Schlothauer/Weider 72 (nur Spannungsverhältnis); SK/Frister § 244, 27 f.; SK/Velten 34 (in gewissem Umfang kompatibel); SSW/Ignor 22, 26 (nur Durchbrechung der Grundsätze der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit – die im Gesetz aber keine Grundlage findet); Deiters GA 2014 701 ff.; Kröpil JR 2010 96, 99; ders. DRiZ 2016 106, 108; Leitmeier HRRS 2013 362 ff. Siehe auch die Stimmen in Fn. 209. 277 So aber wohl Meyer-Goßner55 4; s. a. MüKo/Jahn/Kudlich 41 ff. („modifizierte Interpretation“ des Amtsermittlungsgrundsatzes: Anspruch auf Wahrheit als verzichtbares Recht). 278 So aber MüKo/Jahn/Kudlich 41 ff., 46; Jahn/Müller NJW 2009 2625, 2631; Jahn/Kett-Straub StV 2010 271, 272 Fn. 7, die meinen, die Aufklärungspflicht in § 257c Abs. 1 Satz 2 sei eine andere als in § 244 Abs. 2, vgl. zuvor Jahn ZStW 118 (2005) 427, 457 ff.; dagegen zutr. Niemöller/Schlothauer/Weider 74; SK/Velten 36a; unklar KMR/v. Heintschel-Heinegg 23. 279 KMR/v. Heintschel-Heinegg 13. 280 BGH wistra 2011 72 f.

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schwierigen Abgrenzung zwischen informatorischem Gespräch und Anbahnung einer Verständigung vgl. § 257, 10. Die systematische Stellung der Vorschrift hinter den Regeln über die Beweisauf- 29 nahme und vor den Schlussvorträgen ist verfehlt,281 weil die Verständigung gerade dazu dient, die Beweisaufnahme abzukürzen bzw. überflüssig zu machen (Rn. 13), und daher zu Beginn der Hauptverhandlung getroffen wird, weshalb frühere Entwürfe282 sie in § 243a loziert hatten. Die vorbereitenden Gespräche in der Hauptverhandlung regelt § 257b („Erörterungen“). Gespräche über den Stand des Verfahrens zur Verfahrensförderung im Ermittlungsverfahren regelt § 160b, im Zwischenverfahren regelt sie § 202a, der nach Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 212 entsprechend gilt. 3. Sachlicher Anwendungsbereich. Eine Verständigung über „den weiteren Fort- 30 gang und das Ergebnis des Verfahrens“ (Rn. 33 ff.) kann gemäß Abs. 1 Satz 1 nur „in geeigneten Fällen“ erfolgen. Dieses völlig inhaltsleere Erfordernis wird in der Gesetzesbegründung mit der ebenso nichtssagenden Erläuterung versehen, wann ein „geeigneter Fall“ vorliege, hänge von den konkreten Umständen ab.283 Grundsätzlich kommen Verständigungen in jeder Tatsacheninstanz, also auch im Berufungsverfahren (§ 332),284 in Betracht. Welche Fälle ungeeignet sind, ist bislang kaum geklärt. Arbeitsersparnis ist kein zulässiges Auswahlkriterium.285 Im Schrifttum wird erwogen, etwa Schwurgerichtsverfahren,286 Staatsschutzdelikte287 oder die Frage der besonderen Schuldschwere nach § 57a StGB288 für ungeeignet zu halten, sei es, weil komplexe normative Tatbestandsmerkmale kaum zugestanden werden können, sei es, weil richterliche Beurteilungsspielräume verblieben. Ungeeignet sind jedenfalls alle Fälle, in denen auch ein umfassendes glaubhaftes Geständnis keine ausreichende Tatsachengrundlage bieten kann, etwa weil die Schuldfähigkeit in Zweifel steht289 und nur mit sachverständiger Hilfe zu klären ist, komplexe Tatsachenzusammenhänge etwa aus dem Wirtschaftsleben zu beurteilen sind, die sich der Wahrnehmung Einzelner entziehen,290 einzelne Mitglieder einer Bande291 betroffen sind usw. Auch Verfahren gegen unverteidigte Angeklagte scheiden aus292 (Rn. 52). Es ist aber stets dem Gericht überlassen, den im Raum stehenden Sachverhalt

281 HK/Temming 2; KK/Moldenhauer/Wenske 7; Meyer-Goßner/Schmitt 1; Niemöller/Schlothauer/Weider 6, 30; OK-StPO/Eschelbach 2; ähnl. KMR/v. Heintschel-Heinegg 12; SK/Velten 19; Meyer-Goßner ZRP 2009 107, 108; milder MüKo/Jahn/Kudlich 59. 282 Z. B. BTDrucks. 16 4197 S. 5 f.; Entwurf der Bundesrechtsanwaltskammer ZRP 2005 235, 237. 283 BTDrucks. 16 12310 S. 13; zust. SSW/Ignor 17; krit. auch HK/Temming 6; KMR/v. Heintschel-Heinegg 19; SK/Paeffgen § 202a, 3a. 284 LG Freiburg StV 2010 236, 237. 285 OK-StPO/Eschelbach 6; Steinberg 176; ders. DRiZ 2012 19, 22; vgl. BVerfGE 54 277, 294 f. 286 Zweifelnd KMR/v. Heintschel-Heinegg 20; a. A. HK/Temming 6; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/Jahn/ Kudlich 88 f.; Jahn/Kett-Straub StV 2010 271, 272 ff. 287 KMR/v. Heintschel-Heinegg 19; a. A. HK/Temming 6. 288 KMR/v. Heintschel-Heinegg 20; OK-StPO/Eschelbach 7.3; SK/Velten 11; zutr. SSW/Ignor 42: keine disponible Rechtsfolge; a. A. HK/Temming 26; KK/Moldenhauer/Wenske 16; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/ Jahn/Kudlich 89; Altvater FS Rissing-van Saan 1, 14; Jahn/Kett-Straub StV 2010 271, 272 ff. 289 BGH StV 2011 647 f. mit Anm. Schlothauer; NStZ-RR 2012 140, 141; OLG Nürnberg 3.4.2018 – 1 Ws 104/18 H; vgl. KK/Moldenhauer/Wenske 12; OK-StPO/Eschelbach 7.2; a. A. MüKo/Jahn/Kudlich 91. 290 Vgl. Kruse StraFo 2000 146, 149; a. A. MüKo/Jahn/Kudlich 92. 291 BGH NStZ 2012 519, 521 (Besorgnis der Befangenheit); s. a. BGH NStZ 2015 537, 539. 292 OLG Naumburg NStZ 2014 116, 117 mit abl. Anm. Wenske und Ruhs NStZ 2016 706, 708; OK-StPO/ Eschelbach 7 (immer ungeeignet); SK/Velten 9; Kudlich Gutachten 68. DJT, C66; ähnl. MüKo/Jahn/Kudlich 83; a. A. für das Berufungsverfahren OLG Bamberg NStZ 2015 184.

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rechtlich zu würdigen und diese Würdigung bei einer Verständigung prognostizierend zu antezipieren, so dass immer dann, wenn sich das Gericht zu einem Vorschlag im Sinne des Absatzes 3 in der Lage fühlt, ein Fall „geeignet“ sein kann.293 Nach Ansicht des Gesetzgebers darf das Gericht jedenfalls nicht vorschnell auf eine Verständigung ausweichen, ohne zuvor pflichtgemäß die Anklage tatsächlich anhand der Akten und insbesondere auch rechtlich überprüft zu haben,294 was sich jedoch schon aus dem nach Absatz 1 Satz 2 unberührt bleibenden Untersuchungsgrundsatz aus § 244 Abs. 2 ergibt. 31 Als „zumeist“ ungeeignete Fälle sieht der Gesetzgeber Jugendstrafverfahren an, in denen § 257c an sich über § 2 JGG anwendbar ist. Völlig ausschließen wollte er Verständigungen im Jugendrecht jedoch nicht, sie sollen aber nur in „besonderen Ausnahmefällen“ in Betracht kommen.295 Zur Begründung werden die besonderen jugendstrafrechtlichen Strafzumessungsregeln und Aspekte des Erziehungsgedankens angeführt. Auch sei es unter erzieherischen Gesichtspunkten „regelmäßig problematisch, die Sanktionsentscheidung zum Gegenstand einer durch gegenseitige Zugeständnisse geprägten und im Bewusstsein des oder der Jugendlichen möglicherweise quasi ‚ausgehandelten‘ Verständigung zu machen“.296 – Warum dies im Erwachsenenstrafrecht unter spezialpräventiven Gesichtspunkten weniger problematisch sein sollte, ist dann eine offene Frage. Wenn die Verständigung aus Sicht des Gesetzgebers eine nicht recht ernstzunehmende oder überzeugende Form staatlicher Rechtsdurchsetzung darstellt, so sollte sie im Erwachsenenverfahren ebenso regelmäßig „ungeeignet“ sein.297 – Die Zusage einer Strafobergrenze soll auch gegenüber Jugendlichen zulässig sein.298 Wenn im Jugendstrafverfahren eine Verständigung vorgenommen wird, stellt, wenigstens bei jugendlichen Angeklagten, dies regelmäßig einen Fall notwendiger Verteidigung dar.299 In Verfahren gegen Heranwachsende ist eine Vereinbarung über die Anwendung 32 von Jugendstrafrecht oder Erwachsenenstrafrecht wie nach der vorherigen Rechtsprechung300 unzulässig,301 weil dem Gericht durch § 105 JGG kein Ermessen eingeräumt wird und die Tatbestandsvoraussetzungen ebenso wenig verhandelbar sind wie die übrigen Tatsachenfeststellungen (Rn. 33).

III. Zulässige Gegenstände einer Verständigung (Absätze 1 und 2) 33

1. Grundsatz. Absatz 1 Satz 1 legt fest, dass sowohl der Fortgang als auch das Ergebnis des Verfahrens Gegenstand einer Verständigung sein können. Der „Fortgang“ wird in Absatz 2 als „sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren“ sowie „Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten“ näher bestimmt. 293 Ähnl. Murmann ZIS 2009 526, 534. 294 BTDrucks. 16 12310 S. 13 mit Zitat von BGHSt 50 40, 49. 295 BTDrucks. 16 12310 S. 10; ebenso BGH 6.3.2018 – 5 StR 512/17; s. a. Nowak JR 2010 248 ff.; Radtke/ Hohmann/Ambos/Ziehn 15; eingehend Pankiewicz; HK/Temming 6; krit. OK-StPO/Eschelbach 7.1; a. A. (immer ausgeschlossen) SK/Velten 9; Eisenberg NStZ 2008 698. 296 BTDrucks. 16 12310 S. 10; zust. Meyer-Goßner/Schmitt 7; krit. MüKo/Jahn/Kudlich 86. 297 Ebenso Schünemann/Hauer AnwBl. 2006 439, 443. 298 BGHSt 52 165, 169 mit abl. Anm. Eisenberg NStZ 2008 698; SSW/Ignor 40; diff. Nowak JR 2010 248, 252 ff. 299 BTDrucks. 16 12310 S. 10. 300 BGH NStZ 2001 555, 556 mit Anm. Eisenberg; NStZ-RR 2006 187. 301 KK/Moldenhauer/Wenske 18; Niemöller/Schlothauer/Weider 82; OK-StPO/Eschelbach 7.1, 13; Radtke/ Hohmann/Ambos/Ziehn 20; SSW/Ignor 40; Beulke/Swoboda 395 f.; Nowak JR 2010 248, 252; a. M. HK/ Temming 23; KMR/v. Heintschel-Heinegg 20; Meyer-Goßner/Schmitt 7; Meyer-Goßner ZRP 2009 107 f.

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Hinsichtlich des „Ergebnisses“ nimmt Absatz 2 die weiteren Einschränkungen vor, dass nur die Rechtsfolgen, die Gegenstand eines Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, in Frage kommen, mit Ausnahme des Schuldspruchs und der Maßregeln der Besserung und Sicherung nach § 61 StGB. Das Verbot der Verständigung über den Schuldspruch ist die Konsequenz aus der Anordnung der uneingeschränkten Geltung des Aufklärungsgrundsatzes in Absatz 1 Satz 2, so dass weder die Feststellungen (fact bargaining) noch deren rechtliche Würdigung (charge bargaining) verhandelbar sind.302 Das anscheinend beliebte Wegdealen von Qualifikationstatbeständen wie bandenmäßige oder bewaffnete Begehung bei §§ 249 ff. StGB, §§ 30 f. BtMG303 ist somit unzulässig. Der Disposition entzogen ist somit auch der anwendbare Strafrahmen und zwar nach Ansicht des BVerfG einschließlich der Regelbeispiele304 sowie unbenannter minder oder besonders schwerer Fälle,305 die bislang der Kategorie „Rechtsfolgen“ zugeschlagen wurden und in der Praxis, wenn es um die Bewährungsfähigkeit der Strafe geht, eine besondere Bedeutung306 hatten. Daraus ergeben sich allerdings Spannungen zum Schuldgrundsatz, wenn das Geständnis des Angeklagten die Anwendung eines solchen Sonderstrafrahmens nahelegt.307 Alle diese Verbote können leicht dadurch unterlaufen werden, dass erlaubterweise Teile des angeklagten Sachverhalts nach §§ 154, 154a eingestellt bzw. ausgeschieden werden308 oder indem das Gericht sich in rechtswidriger Weise mit einem maßgeschneiderten Geständnis zufrieden gibt, das nur einen Teil des angeklagten Sachverhalts einräumt.309 Das Verbot der Verständigung über Maßregeln geht über die vorherige Recht- 34 sprechung hinaus, die dies nur für die Sicherungsverwahrung ausgesprochen hatte.310 Bedeutsam ist das Verbot vor allem für die praktisch häufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) einschließlich der Folgeentscheidungen wie etwa über die Dauer der Sperrfrist (§ 69a StGB).311 Der pauschale Ausschluss überzeugt kaum,312 zumal im Verhältnis §§ 44, 69 StGB. Ein Rechtsmittelverzicht wird von § 302 Abs. 1 Satz 2 ausgeschlossen, obgleich 35 dieser in der vorherigen Praxis ein wesentlicher, weil für das Gericht besonders attraktiver Bestandteil einer Absprache war. Verboten sind auch Umgehungsversuche313 wie

302 Krit. Weigend FS Maiwald 829, 839. 303 Z. B. BGHSt 58 184, 187; BGH NJW 2011 1526; OK-StPO/Eschelbach 1.10; Radtke/Hohmann/Ambos/ Ziehn 27; SSW/Ignor 57; s. a. Jahn StV 2011 497, 505. 304 BVerfGE 133 168, 211; Meyer-Goßner/Schmitt 10; SSW/Ignor 59; krit. Schuster StV 2014 109, 110; abl. MüKo/Jahn/Kudlich (nicht verbindlich); anders noch Rieß StraFo 2010 10, 11. 305 BVerfGE 133 168, 211 f., 230, 240; Beulke/Stoffer JZ 2013 662, 665 f.; a. A. BGH NStZ 2017 363, 365 mit Anm. Bittmann; krit. auch HK/Temming 26; MüKo/Jahn/Kudlich 26 f., 117; OK-StPO/Eschelbach 11.2, 12; Fischer FS Kühne 203, 205; Kudlich NStZ 2013 379, 380 f.; Mosbacher NZWiSt 2013 201, 203; Niemöller StV 2013 419, 421 Fn. 8; Rabe 174 ff.; Salditt FS Tolksdorf 377, 382 („artifiziell“); Schuster StV 2014 109, 112 ff.; Spaniol StraFo 2014 366, 369. 306 Dazu Schmitt FS Tolksdorf 399, 403 f. 307 Vgl. BGH NStZ 2013 540 f.; KK/Moldenhauer/Wenske 18; s. a. MüKo/Jahn/Kudlich 117. 308 OK-StPO/Eschelbach 11.7; Altenhain/Haimerl JZ 2010 327, 331; Schlothauer/Weider StV 2009 600, 602; Schumann GedS Weßlau 331, 341. 309 KMR/v. Heintschel-Heinegg 26; MüKo/Jahn/Kudlich 118; OK-StPO/Eschelbach 11 f., 21. 310 BGH NStZ-RR 2005 39; NStZ 2005 526; 2008 620; StV 2006 118. 311 Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Jahn/Kudlich 115; OK-StPO/Eschelbach 1.14; SSW/Ignor 60; Weider FS Rissing-van Saan 731, 736 ff.; a. A. OLG Nürnberg StraFo 2016 473, 476 f.; Altvater FS Rissing-van Saan 1, 5. 312 HK/Temming 27; MüKo/Jahn/Kudlich 114; OK-StPO/Eschelbach 11.5. 313 Vgl. Fischer StraFo 2010 329, 330 ff.

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„Nichtanfechtbarkeitsvereinbarungen“,314 kombinierte Rechtsmitteleinlegung nebst -rücknahme315 sowie Rechtsmittelbeschränkungen316 oder etwa Verzicht auf bestimmte Verfahrensrügen.317 Das gilt erst recht für einen Rechtsmittelverzicht in anderen Verfahren, wobei es sich zudem um eine unzulässige Gesamtlösung handelt.318 Zu befürchten bleibt freilich, dass in der Praxis die informelle Erwartung bestehen bleibt, dass von der Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, kein Gebrauch gemacht wird.319 36 Im Gegenschluss zur abschließenden Aufzählung der erlaubten Bestandteile sind daher auch alle in Absatz 2 nicht erwähnten Verhaltensweisen der Verfahrensbeteiligten als Verständigungsgegenstände ausgeschlossen, namentlich solche, die mit dem Strafverfahren in keinem Zusammenhang stehen wie Erfüllung von Steuerforderungen oder Spenden an Opferschutzorganisationen,320 denen somit nicht erst das Fehlen einer zulässigen Verknüpfung (Rn. 49) entgegensteht. Eine Verständigung, die unzulässige Gegenstände oder eine unzulässige Verknüpfung für sich zulässiger Bestandteile enthält, ist insoweit unwirksam (Rn. 82 f.). 2. Rechtsfolgen 37

a) Inhalt des Urteils. Gegenstand einer Verständigung ist regelmäßig der Strafausspruch, wobei die Möglichkeiten der Vereinbarung der Rechtsfolgen weiter dadurch eingeschränkt sind, dass keine bestimmte Strafe (Punktstrafe) vereinbart werden darf,321 wie sich aus Absatz 3 Satz 2 ergibt, wonach das Gericht eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben kann. Eine Begründung dafür bleibt der Gesetzgeber schuldig, obschon gerade darauf das Interesse des Angeklagten gerichtet ist und die Praxis früher wie heute Umgehungen zu finden weiß. Wenn schon eine Unter- und Obergrenze vereinbart werden darf, womit das Gericht sich stärker bindet als nach bisheriger Praxis, die nur eine Obergrenze kannte,322 ist es wenig konsequent, die Zusage einer bestimmten Strafe zu unterbinden, sondern bloße Augenwischerei, um den Schein einer gerichtlichen Entscheidung als Urteilsgrundlage aufrechtzuerhalten.323 Im Unterschied zur vorherigen Rechtsprechung können über die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewäh-

314 Meyer-Goßner/Schmitt 15b; Rieß FS Meyer-Goßner 645, 656 f.; ders. JR 2005 435, 438. 315 BGHSt 55 82, 86 mit Anm. Gericke NStZ 2011 110; Hauer NJ 2010 522; Malek StraFo 2010 251; Niemöller StV 2010 474; Staudinger HRRS 2010 347; s. a. Dießner StV 2011 43, 45; Meyer-Goßner StV 2011 53; Niemöller StV 2011 54, 55. 316 OLG München StV 2014 79, 80; OK-StPO/Eschelbach 17.6, 46.2; offenlassend OLG Stuttgart StV 2014 397, 398; a. A. OLG Braunschweig NStZ 2016 563, 564; OLG Hamburg NStZ 2014 534, 535 f.; 2017 307, 309; OLG Karlsruhe NStZ 2014 536; OLG Nürnberg StraFo 2016 473, 475 f.; Schneider NZWiSt 2015 1, 5 f.; Wenske NStZ 2015 137, 139 f. 317 OK-StPO/Eschelbach 17.7. 318 OK-StPO/Eschelbach 16, 46.2; a. A. OLG Hamburg NStZ 2017 307, 309 mit abl. Anm. Bittmann; KG NStZ 2015 236, 237 mit abl. Anm. Knauer/Pretsch und Mosbauer JuS 2015 701, 703; Meyer-Goßner/Schmitt 15b; offenlassend BGH NStZ 2016 177 mit krit. Anm. Ventzke; zweifelnd Graf DRiZ 2016 308, 311; s. u. bei Fn. 406. 319 KMR/v. Heintschel-Heinegg 65; OK-StPO/Eschelbach 3. 320 Meyer-Goßner/Schmitt 15a; Radtke/Hohmann/Ambos/Ziehn 23; vgl. BGHSt 49 84, 87 ff. 321 BGH NStZ 2010 650 mit Anm. Bockemühl/Staudinger StraFo 2010 425; BGH StV 2011 75, 76; 2011 78 f.; 2011 338 f.; NStZ-RR 2015 379, 380; KG wistra 2015 288; OLG Köln StV 2014 80, 81; OLG Oldenburg StV 2018 340 f.; KMR/v. Heintschel-Heinegg 27; Meyer-Goßner/Schmitt 11; MüKo/Jahn/Kudlich 97, 119. Zuvor schon BGHSt 51 84, 86 m. w. N. 322 OK-StPO/Eschelbach 12; krit. Huttenlocher 578; Niemöller GA 2009 172, 180. 323 Krit. KMR/v. Heintschel-Heinegg 74; Meyer-Goßner/Schmitt 11.

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rung in den Grenzen des § 56 StGB324 Vereinbarungen getroffen werden, womit dem Gericht ein besonders effektives Druckmittel mit Missbrauchspotential zur Verfügung steht.325 Verhandelbar ist ferner die Höhe der Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung, nicht deren Vorliegen (Rn. 90), im Rahmen der richterrechtlichen Vollstreckungslösung.326 Möglich sind Verständigungen auch über Nebenstrafen und Nebenfolgen327 wie Fahrverbot328 (§ 44 StGB), Verlust der Amtsfähigkeit (§ 45 StGB) usw. nur, soweit sie nicht zwingend zu verhängen sind wie die Einziehung von Taterträgen (§§ 73 ff. n. F. StGB).329 Umstritten ist, ob der Angeklagte ein Einverständnis mit der form- und entschädigungslosen Einziehung eigener Sachen erklären darf,330 doch steht dies in seinem Belieben als Eigentümer; problematisch ist vielmehr die Gefahr unzulässiger Druckausübung.331 b) Dazugehörige Beschlüsse. Dass auch die zum Urteil „dazugehörigen Beschlüs- 38 se“ verhandelbar sind, stellt Absatz 2 Satz 1 klar. Dies sind die Beschlüsse nach §§ 268a und 268b sowie zur Verfahrenseinstellung und -beschränkung nach § 153 Abs. 2,332 § 153a Abs. 2, § 154 Abs. 2,333 § 154a Abs. 2,334 sofern sie mit dem Urteil verkündet werden, um den Anklagevorwurf umfassend zu erledigen; unzulässig ist aber der Gebrauch der §§ 153 ff. zur verdeckten Sachverhalts- oder Schuldspruchabrede335 sowie zur Einbeziehung anderer Verfahren (zu verbotenen „Gesamtlösungen“ s. nächste Rn.). Gegenstand einer Verständigung kann daher sein: die Gestaltung der Bewährungsauflagen im Beschluss nach § 268a, etwa die Dauer der Bewährungszeit, Auflagen und Weisungen, namentlich solche zur Schadenswiedergutmachung oder zum Täter-Opfer-Ausgleich usw. Wenn eine Bewährungsstrafe zugesagt wird, muss zur Wahrung des Grundsatzes des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK) auf die in Betracht kommenden 324 HK/Temming 24; KK/Moldenhauer/Wenske 15; Meyer-Goßner/Schmitt 12; MüKo/Jahn/Kudlich 102; Niemöller/Schlothauer/Weider 57; Radtke/Hohmann/Ambos/Ziehn 19; SSW/Ignor 41; s. a. Schneider NStZ 2014 192, 196. 325 Niemöller/Schlothauer/Weider 57; zu Recht krit. OK-StPO/Eschelbach 15; KMR/v. Heintschel-Heinegg 27, 75. 326 BGHSt 61 43, 44; HK/Temming 23; KK/Moldenhauer/Wenske 15; Meyer-Goßner/Schmitt 10; MüKo/ Jahn/Kudlich 123; OK-StPO/Eschelbach 11.3; Graf DRiZ 2016 308, 311; Wenske DRiZ 2011 393, 395. 327 HK/Temming 25; KK/Moldenhauer/Wenske 15; KMR/v. Heintschel-Heinegg 28; MüKo/Jahn/Kudlich 101; Niemöller/Schlothauer/Weider 60 ff.; OK-StPO/Eschelbach 15 (krit. zum Verfall); zweifelnd Meyer-Goßner/Schmitt 10. 328 KK/Moldenhauer/Wenske 15; MüKo/Jahn/Kudlich 101; Fromm NZV 2010 550, 550 f. 329 BGH NStZ 2018 366 f.; MüKo/Jahn/Kudlich 101; Niemöller/Schlothauer/Weider 53, 63; OK-StPO/ Eschelbach 15; Ordner wistra 2017 50, 53 m. w. N.; zweifelnd SSW/Ignor 60; Bittmann wistra 2009 414, 415; Schlothauer/Weider StV 2009 600, 602; a.M. HK/Temming 25. Möglich ist aber eine Verfahrensbeschränkung nach § 421 n. F. (§§ 442, 430 a. F.), BGH ibid. 330 Bejahend HK/Temming 16; KMR/v. Heintschel-Heinegg 28; Meyer-Goßner/Schmitt 10; Niemöller/ Schlothauer/Weider 65; Altenhain Wider die wildwüchsige Entwicklung 219, 240 f. m. w. N.; a. A. Hüls/ Reichling StraFo 2009 198 f. 331 SSW/Ignor 61 a. E. 332 BVerfG NStZ 2016 422, 424 mit Anm. Bittmann; BGH NStZ 2018 49 mit Anm. Bittmann. 333 Wie vorige Fn. und BGH NStZ 2016 221, 226 mit Anm. Allgayer; OLG Nürnberg NStZ-RR 2017 350, 351. 334 BVerfG NStZ 2016 422, 424 mit Anm. Bittmann; a. A. (da Abrede über Schuldspruch) BGH NStZ 2017 244, 245 mit abl. Anm. Bittmann; dagegen derselbe 2. Senat in BGH NStZ 2018 49 mit Anm. Bittmann; krit. HK/Temming 26. 335 BVerfG NStZ 2016 422 mit Anm. Bittmann; KK/Moldenhauer/Wenske 15; Radtke/Hohmann/Ambos/ Ziehn 21; s. a. SSW/Ignor 58.

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Bewährungsauflagen hingewiesen werden, um den Angeklagten nicht mit dem Bewährungsbeschluss zu überraschen.336 Auch der Beschluss über die Fortdauer der Untersuchungshaft nach § 268b kann einbezogen werden,337 womit das Gericht über ein erhebliches Druckpotential verfügt.338 In Betracht kommt dies freilich nur, soweit ein glaubhaftes Geständnis den Haftgrund der Verdunkelungs- oder, vermittelt durch eine mögliche Strafmilderung, Fluchtgefahr entfallen lassen könnte.339 3. Verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren. Gemeint sind Maßnahmen des Gerichts im Unterschied zum gesondert genannten Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten (unten 4.), obgleich die Gesetzesbegründung340 keine klare Abgrenzung vornimmt. Ausgeschlossen sind damit jedenfalls Entscheidungen, die Prozesssituationen außerhalb des gegenständlichen Erkenntnisverfahrens betreffen wie Entscheidungen im Strafvollstreckungsverfahren – deshalb scheiden Verständigungen über die Reststrafenaussetzung nach § 57 StGB,341 Straferlaß nach § 56g StGB342 ebenso aus wie Zusagen nach § 456a343 –, Entscheidungen über andere, nicht angeklagte Taten344 oder Entscheidungen in Strafverfahren, die bei anderen Spruchkörpern anhängig sind.345 Die in der Praxis offenbar beliebten Gesamtlösungen, bei denen andere vor demselben Gericht anhängige Verfahren einbezogen werden, oder gar „Familienlösungen“346 sind gesetzeswidrig;347 zu Einstellungen nach § 154 durch die Staatsanwaltschaft s. Rn. 42, 49 a. E. 40 Als zulässige Beispiele werden in der Gesetzesbegründung genannt: Einstellungsentscheidungen – auch seitens der Staatsanwaltschaft – und Beweiserhebungen, freilich sofort verbunden mit dem Hinweis darauf,348 dass das Beweisantragsrecht aller Verfahrensbeteiligten und die Sachaufklärungspflicht des Gerichtes stets insoweit unberührt bleibe, als der Verzicht auf Beweiserhebungen sich nicht außerhalb dessen bewegen 39

336 BGHSt 59 172, 174 mit zust. Anm. Bachmann JR 2014 357 und Fleischmann NJ 2014 308; BGH NJW 2014 3173, 3174; NStZ-RR 2016 379; NStZ 2018 420 mit Anm. Gehm NZWiSt 2018 300; OLG Frankfurt NJW 2015 1974, 1975; OLG Hamm NStZ 2016 565, 566 f.; OLG Saarbrücken NJW 2014 238, 239; OLG Köln NJW 1999 373, 374; Meyer-Goßner/Schmitt 12; MüKo/Jahn/Kudlich 103; OK-StPO/Eschelbach 15, 27; SSW/Ignor 41; Beulke/Swoboda 395a; zweifelnd BGH StV 2015 277, 278; a. A. OLG Rostock NStZ 2015 663 f. Anders für Weisungen nach § 56c StGB BGH NStZ 2015 179 (Mitteilung des Wohnsitzwechsels); Schneider NStZ 2014 192, 196; zweifelnd OLG Frankfurt NJW 2015 1974, 1976. 337 BGH NStZ 2014 219; HK/Temming 22; KK/Moldenhauer/Wenske 17; Meyer-Goßner/Schmitt 15a; MüKo/Jahn/Kudlich 102; s. a. BGH NStZ 2015 294, 295 (Gespräch über Haftverschonung gegen Kaution noch keine Verständigung). 338 Vgl. BGH StV 2004 260 f.; 2004 636, 637 f. mit Anm. Eidam StV 2005 201; KMR/Eschelbach Vor § 213, 119; Eidam HRRS 2008 241, 243 ff.; Gieg GA 2007 469, 477; Wagner/Rönnau RuP 1990 161, 163; zum Missbrauch auch Malek StraFo 2005 441, 443 f.; Weider StraFo 2003 406, 408. 339 KMR/Eschelbach Vor § 213, 119; Niemöller/Schlothauer/Weider 68. 340 BTDrucks. 16 12310 S. 13. 341 BGH StV 2011 74 f. mit Anm. Bachmann/Goeck JR 2011 168; KK/Moldenhauer/Wenske 18; MeyerGoßner/Schmitt 10, 15a; OK-StPO/Eschelbach 11.6; Niemöller/Schlothauer/Weider 32; Radtke/Hohmann/ Ambos/Ziehn 19; SK/Velten 17; SSW/Ignor 35. 342 OLG Oldenburg StV 2018 340 f. 343 MüKo/Jahn/Kudlich 111; SSW/Ignor 35; vgl. BGH StV 2011 338. 344 BGH StV 2000 539 mit Anm. Weider. 345 BTDrucks. 16 12310 S. 13; OLG Oldenburg StV 2018 340 f. 346 Vgl. G. Schöch 147; s. a. BVerfGE 133 168, 195. 347 BVerfGE 133 168, 214; MüKo/Jahn/Kudlich 111; SSW/Ignor 34; a. A. Bittmann NStZ 2015 545, 551, der zu Unrecht nur auf die Zuständigkeit abstellt. 348 BTDrucks. 16 12310 S. 13.

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könne, was durch die unverändert geltende Sachaufklärungspflicht des Gerichtes bestimmt sei, wie das BVerfG unterstrichen, aber nicht weiter geklärt hat.349 Hier setzt sich die Perplexität aus Absatz 1 Satz 2 fort:350 Den Verzicht auf unnötige Beweiserhebungen zu vereinbaren ist sinnlos, auf im Sinne der Aufklärungspflicht notwendige Beweiserhebungen zu verzichten ist einfachrechtlich und verfassungsrechtlich verboten. Im Übrigen kommen nur solche Maßnahmen in Betracht, bei denen dem Gericht ein Ermessen oder Beurteilungsspielraum eingeräumt ist, denn prozessual unzulässige Maßnahmen können durch eine Verständigung nicht zulässig werden.351 Derzeit ist noch wenig geklärt, welche Maßnahmen sinnvoller- und zulässigerweise in eine Verständigung eingebracht werden könnten. In Betracht kommen verhandlungsleitende Maßnahmen, Entscheidungen über Aussetzung, Unterbrechung des Verfahrens oder Entbindung des Angeklagten von der Anwesenheitspflicht.352 4. Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Zulässige Bestandteile von Ver- 41 einbarungen sind nach der Vorstellung des Gesetzgebers353 auch Verhaltensweisen des Angeklagten wie Stellung oder Unterlassen von Befangenheits- oder Beweisanträgen, ein Geständnis (Rn. 44) oder die Zusage von Schadenswiedergutmachung, ferner auch Handlungen von Staatsanwaltschaft und Nebenklage, namentlich das Stellen oder Unterlassen weiterer Anträge,354 aber nicht (vgl. Rn. 35) in der Berufungsinstanz die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch,355 die zu Unrecht als geständnisgleiche Leistung verbucht wird. In Betracht kommt aber der Verzicht auf Kompensation bei überlanger Verfahrensdauer (Rn. 37 a. E.). Bedenken erregt hierbei zum einen der Umstand, dass das Gericht nun überhaupt von Gesetzes wegen dem Angeklagten ansinnen kann, auf Verteidigungsrechte zu verzichten, und zum anderen die Möglichkeit unsachgemäßer Verknüpfungen (dazu Rn. 49). Ein Totalverzicht auf Verteidigung in der Form der Zusicherung, „sämtliche aus Sicht der Kammer zur beschleunigten Beendigung der Hauptverhandlung erforderlichen prozessualen Erklärungen abzugeben“, kommt der Aufgabe der Subjektstellung des Angeklagten gleich356 und kann auch unter § 257c Abs. 2 Satz 1 nicht zulässiger Gegenstand einer Verständigung sein.357 Erwogen wurde auch, dass die Staatsanwaltschaft Zusagen im Rahmen ihrer ge- 42 setzlichen Befugnisse zur Sachbehandlung in anderen, bei ihr anhängigen Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten, wie z. B. eine Einstellung nach § 154, abgibt (siehe aber Rn. 49 a. E.), obwohl, wie die Entwurfsbegründung erkennt,358 solche Zusa349 BVerfGE 133 168, 208, 239 f.; dagegen MüKo/Jahn/Kudlich 113. 350 Krit. auch HK/Temming 15, 22; KMR/v. Heintschel-Heinegg 29, 31; Meyer-Goßner/Schmitt 13, 14; MüKo/Jahn/Kudlich 112 f.; s. a. SSW/Ignor 48; radikal Bittmann NStZ 2015 545, 550: keine Urteilsverständigung. 351 Meyer-Goßner/Schmitt 13; Niemöller/Schlothauer/Weider 33 f.; SK/Velten 13; Niemöller GA 2009 172, 181. 352 Niemöller/Schlothauer/Weider 35; SK/Velten 11. 353 BTDrucks. 16 12310 S. 13. 354 Vgl. MüKo/Jahn/Kudlich 104; Niemöller/Schlothauer/Weider 37 f.; Radtke/Hohmann/Ambos/Ziehn 23; abl. Schäfer JR 2010 319, 320. 355 S.o. Fn. 316 sowie LG Freiburg StV 2010 236, 237; Meyer-Goßner/Schmitt 17b; MüKo/Jahn/Kudlich 105; Altvater FS Rissing-van Saan 1, 15; krit. OK-StPO/Eschelbach 17.6; Jahn StV 2011 497, 500. 356 BGH NStZ 2006 586. 357 OK-StPO/Eschelbach 17.5; Niemöller/Schlothauer/Weider 37; SK/Velten 18; a. A. HK/Temming 21 (Verständigung ist stets Unterwerfung). 358 BTDrucks. 16 12310 S. 13; Jahn/Müller NJW 2009 2625, 2628; a. A. (für Bindung) Niemöller/Schlothauer/Weider 38, siehe aber 111 (Bindung verneinend).

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gen naturgemäß nicht an der Bindungswirkung teilnehmen können, die eine zustande gekommene Verständigung nach Maßgabe des Absatzes 4 für das Gericht entfaltet359 – womit sich die Grenzen zum informellen gentleman’s agreement verwischen.360 Das BVerfG diskutiert diese praktisch bedeutsame361 Variante der Gesamtlösung im Zusammenhang mit gesetzeswidrigen informellen Absprachen und nimmt an, solche Zusagen könnten nicht einmal „schutzwürdiges Vertrauen“ auslösen.362 Über ihre Zulässigkeit wird seitdem gestritten,363 obschon die nicht bindenden364 Aussagen des BVerfG über die Gesetzesbegründung nicht hinausgehen. Praktischen Nutzen haben Zusagen ohne Bindungsabsicht freilich nicht.365 Zum Bruch solcher Zusagen siehe Rn. 67. 43 Ausgeschlossen sind wiederum alle Verhaltensweisen, die in andere Verantwortlichkeit als derjenigen fallen, die am Erkenntnisverfahren beteiligt sind366 (vgl. auch Rn. 39). Ausgeschlossen ist ferner die Disposition über zwingendes Recht, da § 257c die Möglichkeiten der Verfahrensbeteiligten insoweit nicht erweitern kann,367 was einer Selbstabschaffung des Strafverfahrensrechts gleichkäme. Sofern etwa Vernehmungsprotokolle nach §§ 251 ff. nicht verlesbar sind, kann dies auch nicht im Rahmen einer Verständigung erreicht werden.368 44

5. Geständnis als fakultativer Bestandteil. Absatz 2 Satz 2 bestimmt, dass ein Geständnis Bestandteil jeder Verständigung sein soll. Damit erfährt das Geständnis erstmals eine legislative Aufwertung als Prozesshandlung, die ihm bislang zu Recht versagt blieb,369 womit seiner üblichen großen Überschätzung in der Praxis370 als Beweismittel und Strafzumessungsfaktor weiter Vorschub geleistet wird. Zum darin liegenden strafprozesstheoretischen Rückschritt um wenigstens 200 Jahre in das Zeitalter vor dem reformierten Strafprozess siehe Rn. 10, 14.

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a) Nur fakultativer Bestandteil. Ein Geständnis „soll“ nur abgelegt werden, ist mithin nicht zwingend erforderlich, was während der Gesetzesberatung heftig umstritten war,371 schließlich war das Geständnis zuvor Dreh- und Angelpunkt aller Absprachen.

359 360 361 362 363

BGHSt 61 92, 98 mit Anm. Pflaum wistra 2017 34; BGH NStZ 2017 56 mit Anm. Bittmann; SSW/Ignor 36. Ähnl. Trück ZWH 2013 169, 173. Dazu Tsambikakis ZWH 2013 209, 211 f.; Brocke StraFo 2013 441, 443. BVerfGE 133 168, 214; ohne Bedenken noch BVerfG NJW 1987 2662, 2663. Bejahend BGH NStZ 2017 56 mit Anm. Bittmann; SSW/Ignor 36; näher F. Eckstein NStZ 2017 609 ff.; Ignor Rechtsprechung in Strafsachen zwischen Praxis und Theorie 71, 73; Mosbacher NZWiSt 2013 201, 204; Knauer NStZ 2013 433, 435; Spaniol StraFo 2014 366, 369; Brocke StraFo 2013 441, 443 (aber nicht empfehlenswert); dagegen OK-StPO/Eschelbach 16.1, 18; Schmitt FS Tolksdorf 399, 405; Schneider NStZ 2014 192, 196; ders. NStZ 2016 171, 176; Tsambikakis ZWH 2013 209, 211 f.; Heger/Pest ZStW 126 (2014) 446, 453; unentschieden Beulke/Stoffer JZ 2013 662, 666 f. 364 Niemöller StV 2013 419, 421. 365 Zutr. Schmitt FS Tolksdorf 399, 405; F. Eckstein NStZ 2017 609 f. 366 BTDrucks. 16 12310 S. 13. 367 KK/Moldenhauer/Wenske 15; MüKo/Jahn/Kudlich 95; OK-StPO/Eschelbach 11; SK/Velten 12, 14, insb. 15 ff.; auch Niemöller/Schlothauer/Weider 33; Radtke/Hohmann/Ambos/Ziehn 20, 28; SSW/Ignor 45; a. A. HK/Temming 17 (mangels Unterschieds zwischen gebundenen und ungebundenen Entscheidungen). 368 Zweifelnd Meyer-Goßner/Schmitt 14a. 369 Vgl. nur Dencker ZStW 102 (1990) 51 ff. 370 Vgl. nur LR/Rieß25 Einl. G 56; Dencker ZStW 102 (1990) 51 ff.; Eschelbach FS Rissing-van Saan 115, 119 ff. 371 Der Bundesrat schlug ein obligatorisches Geständnis vor, BRDrucks. 69/09 S. 2 = BTDrucks. 16 12310 S. 18 f.; krit. Meyer-Goßner/Schmitt 16 f.; Altenhain/Haimerl JZ 2010 327, 330 f.; Bittmann wistra 2009 414, 415.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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Darauf hat der Gesetzgeber genauso wie auf die Festlegung der erforderlichen „Qualität“ eines Geständnisses bewusst verzichtet, weil die denkbaren Fallgestaltungen „zu mannigfaltig“ seien und zusätzliche Kriterien wie die Umfänglichkeit oder Nachprüfbarkeit eines Geständnisses zu unbestimmt wären und Besonderheiten des Einzelfalles nicht ausreichend Rechnung tragen könnten.372 Auch seien Fälle denkbar, in denen die umfängliche Nachprüfbarkeit eines Geständnisses nur durch die Aussage des Opfers in der Hauptverhandlung ermöglicht werden könnte, was dem Bestreben zuwiderlaufen würde, dem Opfer eine erneute Vernehmung im gerichtlichen Verfahren und damit eine Wiederholung seiner Traumatisierung zu ersparen373 – zur Untauglichkeit des Opferschutzes als Argument für Absprachen siehe Rn. 5. Dagegen hat das BVerfG das Erfordernis einer Nachprüfung betont, soweit diese zur Wahrheitsermittlung notwendig ist (Rn. 47). Warum aber deshalb ein Geständnis überhaupt verzichtbar sein soll, sagt die Begründung nicht. In der Tat fragt sich, durch welches sonstige Prozessverhalten der Angeklagte denn den üblicherweise ausgehandelten erheblichen Strafrabatt verdienen sollte.374 Durchdacht ist auch diese Regelung nicht. Die Rechtsprechung nimmt an, ein Geständnis sei in der Regel zu fordern.375 b) Begriff. Was ein „Geständnis“ im Sinne der Vorschrift ist, ist ebenso wenig näher 46 bestimmt. Aus dem Zweck des Geständnisses, sowohl ein Beweismittel als auch – entgegen der hier vertretenen Ansicht (Rn. 16) – ein Strafzumessungsindiz zu liefern, folgt, dass es sich um eine in der Hauptverhandlung vom Angeklagten persönlich vorgetragene mündliche Einlassung handeln muss,376 die den Anklagevorwurf durch eine eingehende und glaubhafte Schilderung des Tathergangs bestätigt („qualifiziertes Vollgeständnis“377), soweit dies möglich ist (also nicht Umstände außerhalb seiner Wahrnehmung wie z. B. Fremdpsychisches, etwa der Irrtum des Betrugsopfers378). „Schlanke“ oder Formalgeständnisse, die ohne nennenswerte Sachverhaltsschilderung den Anklagevorwurf im Ergebnis anerkennen oder ihm – vergleichbar dem plea of nolo contendere des Common Law – „nicht entgegentreten“, hatten sich zwar eingebürgert, sind aber weder als Beweismittel noch als Strafzumessungsfaktor ernsthaft diskutabel (Rn. 16) und somit keine Geständnisse im Sinne der Vorschrift, wie das BVerfG klargestellt hat.379 Die nächste Verdünnungsstufe ist das „Prozessverhalten mit Geständnis-

372 BTDrucks. 16 12310 S. 13 f. 373 BTDrucks. 16 12310 S. 14; dagegen zu Recht sehr krit. OK-StPO/Eschelbach 22; auch Eidam 268; zuvor Kruse StraFo 2000 146, 149; Weßlau KJ 1993 461, 467 ff.

374 HK/Temming 18; Meyer-Goßner/Schmitt 16; OK-StPO/Eschelbach 20; Leitmeier JR 2014 372, 374. 375 BGH NStZ-RR 2013 313, 314; zust. Meyer-Goßner/Schmitt 16; MüKo/Jahn/Kudlich 124; Bittmann wistra 2009 414, 415; Leitmeier HRRS 2013 362, 365; a. A. König NJW 2012 1915, 1916 f.

376 OK-StPO/Eschelbach 20; vgl. BGHSt 52 78, 82; RiStBV Nr. 45 Abs. 2. 377 KK/Moldenhauer/Wenske 13; Meyer-Goßner/Schmitt 17; OK-StPO/Eschelbach 21. 378 BGH StV 2012 653, 654; NStZ 2014 644, 645 mit Anm. Schuhr ZWH 2015 16 und Kudlich ZWH 2015 105; MüKo/Jahn/Kudlich 45; Radtke/Hohmann/Ambos/Ziehn 22; Eschelbach FS Rissing-van Saan 115, 135; Niemöller GA 2009 172, 178 mit Fn. 37; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 83. 379 BVerfGE 133 168, 209, 239; BGHSt 59 21, 27; BGH StraFo 2013 250; OLG Celle NStZ-RR 2012 252, 253; OLG Nürnberg StraFo 2016 473, 474; HK/Temming 19; KK/Moldenhauer/Wenske 13; Meyer-Goßner/Schmitt 17a; Niemöller/Schlothauer/Weider 91; OK-StPO/Eschelbach 20.1 f., 23; Radtke/Hohmann/Ambos/Ziehn 25 f.; SSW/Ignor 53; Eschelbach FS Rissing-van Saan 115, 132 ff.; vgl. BGHSt 50 40, 49; OLG Celle StV 2011 341, 343; Gieg GA 2007 469, 475; Hauer 39 f., 175 ff.; Schmitt FS Tolksdorf 399, 402; a. A. Jahn/Müller NJW 2009 2625, 2628; MüKo/Jahn/Kudlich 127: detailarmes Geständnis könne genügen mit Verweis auf § 362 Nr. 4, der dafür jedoch nichts hergibt.

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wert“,380 etwa in Gestalt der vom Verteidiger verlesenen Sacheinlassung,381 die noch weniger als Geständnis im Sinne des § 254382 oder des § 257c anzusehen ist,383 auch wenn der Angeklagte sie knapp bestätigt und „als eigene verstanden wissen will“.384 47

c) Überprüfung des Geständnisses. Hinsichtlich der Überprüfung des Geständnisses bleibt es bei der allgemeinen Aufklärungspflicht aus § 244 Abs. 2, die ohnehin ausnahmslos die Überprüfung eines Geständnisses fordert, wenn dieses zur Überzeugungsbildung herangezogen werden soll.385 Das BVerfG hat diese Pflicht verfassungsrechtlich untermauert und mit Blick auf § 261 die Überprüfung durch Beweiserhebung in der Hauptverhandlung, mithin durch Strengbeweis, gefordert,386 die auch im Wege des Vorhalts oder Selbstleseverfahrens erfolgen könne. Danach sollen an die Überprüfung eines verständigungsbasierten Geständnisses zwar keine strengeren Anforderungen zu stellen sein, doch müsse das situationsbedingte Risiko (teilweise) falscher Geständnisse bedacht werden.387 Diese Aussage ist widersprüchlich: Wenn verständigungsinduzierte Geständnisse wegen der Anreiz- und Verlockungssituation eine höhere Fehleranfälligkeit aufweisen,388 dann ist allein folgerichtig, dass sie besonders kritisch geprüft werden müssen.389 Die bloße Überprüfung im Wege des Freibeweises anhand der Akten genügt entgegen verbreiteter Praxis schon wegen § 261 keinesfalls.390 Dies ist keine mit § 261 unvereinbare „Beweis(würdigungs)regel“,391 sondern umgekehrt zwingende Folge des Gebots, nur die zum Inbegriff der Hauptverhandlung gehörenden Strengbeweismittel, zu denen die Akten nicht gehören, der Überzeugung zugrundezulegen. Daher sind auch beim substantiierten Geständnis strengbeweislich aufgeklärte Zusatzindizien zur Absicherung zu fordern.392 380 LG Waldshut-Tiengen StraFo 2006 298. 381 Vgl. BGH NStZ 2005 703 f.; 2006 408. Zu neuen Formen des Geständnisses bzw. „alternativen Einlassungsformen“ KMR/v. Heintschel-Heinegg 34; Pfister NStZ-Sonderheft für Miebach (2009) 25 ff. m. w. N.; Altenhain/Haimerl JZ 2010 327, 330; Eschelbach HRRS 2008 190, 197; auch Dencker FS Fezer 115, 120 ff.; vgl. Olk Die Abgabe von Sacheinlassungen durch den Verteidiger (2006) 65 ff., 115 ff. 382 BGH StV 2009 454. 383 OK-StPO/Eschelbach 20.1 f., 23; Radtke/Hohmann/Ambos/Ziehn 26; Eschelbach HRRS 2008 190, 197. 384 BGH wistra 2011 276, 277 sah dies als genügend an. 385 BTDrucks. 16 12310 S. 14; krit. OK-StPO/Eschelbach 8 ff., 20 ff.; KMR/v. Heintschel-Heinegg 33; MeyerGoßner/Schmitt 17. 386 BVerfGE 133 168, 209 f., 230, 239; BGHSt 61 277, 282; wenigstens durch Vernehmung des polizeilichen Ermittlungsführers BGH NStZ 2017 173, 174; krit. Knauer FS v. Heintschel-Heinegg 245, 255 („Pseudobeweisaufnahme“); Landau NStZ 2014 425, 430; Schneider NStZ 2014 192, 194 (unzureichend); Ziegert StraFo 2014 228 („affirmative Rituale“). 387 BVerfGE 133 168, 209, 230; BGH NJW 2014 2132, 2133; NStZ 2017 173, 174; 727. 388 BGH 21.8.2013 – 5 StR 354/13. 389 OK-StPO/Eschelbach 9, 25; SK/Velten 33; a. A. MüKo/Jahn/Kudlich 128 f.; SSW/Ignor 53. 390 Oben Rn. 10; BVerfGE 133 168, 209 f. (gegen BGHSt 50 40, 49); BGH NStZ 2014 170 mit abl. Anm. Jahn; OK-StPO/Eschelbach 20, 24 f.; Ignor Rechtsprechung in Strafsachen zwischen Praxis und Theorie 71, 73 f.; SK/Velten 34b; Knauer NStZ 2013 433, 435; Kröpil DRiZ 2016 106, 107 f.; Kudlich NStZ 2013 379, 380; Mosbacher NZWiSt 2013 201, 202; Schneider NStZ 2014 192, 194; Trück ZWH 2013 169, 170; a. A. Altvater StraFo 2014 221, 223; Deiters GA 2014 701, 711 f.; Jahn NStZ 2014 170, 171; Sander Rechtsprechung in Strafsachen zwischen Praxis und Theorie 53, 57 f.; wohl auch Meyer-Goßner/Schmitt 17. 391 So aber MüKo/Jahn/Kudlich 25; Sander Rechtsprechung in Strafsachen zwischen Praxis und Theorie 53, 57; Altvater StraFo 2014 221, 223; Jahn NStZ 2014 170, 171; Schneider NStZ 2014 192, 193; Norouzi FS Schlothauer 355, 360. 392 Zutr. OK-StPO/Eschelbach 25. Missverständlich ist die Rede von der „(vollständigen) Ausschöpfung des Beweismaterials“ (BGHSt 59 21, 28; BGH NStZ 2014 53; 170 mit abl. Anm. Jahn; StV 2013 703 f.; BGH 9.1.2014 – 3 StR 304/13 Rn. 20), die auch sonst von § 261 nicht gefordert wird, Bittmann ZWH 2014 249, 254.

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Schließlich ist der Akteninhalt kein „Inbegriff des wahren Sachverhalts“393 und daher kein tauglicher externer objektiver Kontrollmaßstab für die Wahrheit eines Geständnisses, sofern deren Übereinstimmung Ziel der Absprache ist394 und damit ein confirmation bias395 besteht, zumal als entscheidend für die Erkennung falscher Geständnisse die Bereitschaft dazu gilt.396 Da taktische Geständnisse als Beweismittel wertlos sind,397 ist eine reguläre Beweisaufnahme durchzuführen, als ob es das Geständnis nicht gäbe, was zwar dem Zweck des Gesetzes zuwider läuft, aber die einzige verfassungskonforme Vorgehensweise darstellt (Rn. 13). d) Drittbelastende Geständnisse. Da Verständigungen „zu Lasten Dritter“ nicht 48 ausgeschlossen sind,398 sondern umgekehrt durch § 46b StGB nahegelegt werden, bedürfen drittbelastende Geständnisse besonders sorgfältiger Prüfung und Würdigung.399 Schlanke Geständnisse oder Einlassungen durch Verteidigerschriftsatz taugen als Beweismittel zu Lasten Dritter erst recht wenig,400 zumal „Kronzeugen“ besonderen Verlockungen zur Falschaussage ausgesetzt sind.401 Dazu sind insbesondere die Umstände des Zustandekommens des Geständnisses aufzuklären.402 6. Zulässigkeit der Verknüpfung. Jede Verständigung hat wenigstens zwei Be- 49 standteile, weil nach der Binnenlogik einer Absprache als synallagmatische Nutzenmaximierung wenigstens zwei Seiten einen eigenen Beitrag einbringen müssen.403 Mit der Eingrenzung der zulässigen Gegenstände, d. h. der offerierten Leistungen und Gegenleistungen, ist indes weder die Gesetzmäßigkeit noch die Fairness einer Vereinbarung gesichert.404 Nur in der Entwurfsbegründung wird darauf hingewiesen, dass „keine unsachgemäße Verknüpfung“ des jeweils angesonnenen oder in Aussicht gestellten Verhaltens stattfinden dürfe, weil dies sowohl der Verfahrensfairness als auch dem grundlegenden Umstand widerspräche, dass die Regelungen zur Verständigung einen „Verfahrensweg“ vorgäben, aber sowohl prozessuale Grundsätze wie u. a. die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung des Gerichtes und die Verteidigungsrechte des Angeklagten als auch die Grundsätze der Strafzumessung unberührt lassen sollen. Ausgeschlossen sei daher etwa die Zusage eines bestimmten Strafrahmens durch das Gericht bei Verzicht des Angeklagten auf weitere Beweisanträge405 oder die Rücknahme der Berufung in einem anderen Ver393 Zutr. OK-StPO/Eschelbach 25. 394 Zutr. Meyer 39. Strafverteidigertag 129, 151; s. a. Frisch FS Streng 685, 687; OK-StPO/Eschelbach 1.5 („Perfektionierung der sich selbst erfüllenden Prophezeiung aus dem Eröffnungsbeschluss“), 25; Trüg StV 2010 528, 533; Schneider NStZ 2014 192, 194; zur Problematik einer bloßen „Bestätigungsvernehmung“ Lawaczeck 185. 395 Dazu Drews 241 f. 396 Drews 257; s. a. OK-StPO/Eschelbach 1.4. 397 Fn. 125. 398 OK-StPO/Eschelbach 10; a. A. Jahn/Müller NJW 2009 2625, 2628. 399 BGHSt 52 78, 82; 58 184, 189 f.; BGH NStZ 2012 465; 2013 353 mit Anm. Kudlich; StV 2012 393; 652 f.; 2014 392; MüKo/Jahn/Kudlich 47, 135; OK-StPO/Eschelbach 10 ff.; Niemöller/Schlothauer/Weider 91; SSW/ Ignor 54; Beulke/Swoboda 395g; vgl. zuvor BGHSt 48 161, 167 ff.; 52 78, 83 mit Anm. Schmitz NJW 2008 1751; Stübinger JZ 2008 798; BGH StV 2006 118, 121. 400 BGH StV 2009 174, 175; s. a. Eschelbach FS Stöckel 199, 215 ff. 401 OK-StPO/Eschelbach 10.2. 402 Näher OK-StPO/Eschelbach 10. 403 Vgl. BVerfG NStZ 2016 422 (synallagmatische Verknüpfung). 404 Eingehend Niemöller/Schlothauer/Weider 85 ff.; SK/Velten 12 ff. 405 BTDrucks. 16 12310 S. 13; dagegen MüKo/Jahn/Kudlich 107.

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fahren.406 Da die „Leistung“ des Gerichts in den meisten Fällen in einer günstigeren Rechtsfolge besteht, kommt es für die Zulässigkeit der Verknüpfung daher auf die Rechtsfolgenrelevanz der „Leistung“ des Angeklagten an, Maßstab ist mithin der Schuldgrundsatz.407 Die sachlich nicht zu rechtfertigende Verknüpfung von prozessualem Wohlverhalten mit der Rechtsfolgenbemessung ist ohnehin grundsätzlich als inkonnex und daher unzulässig anzusehen,408 weshalb der Bundesrat die Einbeziehung des Prozessverhaltens zu Recht streichen wollte.409 Zweifelhaft ist auch, ob der Verzicht des Nebenklägers auf einen Beweisantrag im Gegenzug für eine Schadenswiedergutmachung zulässig ist.410 Ferner ist nicht ersichtlich, wie etwa die Einstellung eines anderen Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft im Tausch gegen ein Geständnis mit dem Schuldgrundsatz zu vereinbaren sein soll.411 Bei Bemessung der Rechtsfolgen darf, wie sonst auch, der Rahmen der schuldange50 messenen Strafe nicht verlassen, insbesondere nicht unterschritten werden. Die Grundsätze der Strafzumessung gelten insoweit unverändert, vgl. Absatz 3 Satz 2 (Rn. 55), wobei in der Revisionsinstanz praktisch nur eine Vertretbarkeitskontrolle möglich ist. Zur durch die bisherige Absprachenpraxis belegten Gefahr auffällig bis unvertretbar milder Urteile siehe Rn. 13.

IV. Ablauf der Verständigung (Absätze 3 und 5) 51

1. Beteiligte. Beteiligte an einer Verständigung im Sinne des § 257c sind das Gericht und die Verfahrensbeteiligten. Das Gericht bezeichnet die Gesamtheit der Richter einschließlich der Schöffen.412 Verfahrensbeteiligte meint die Personen und Stellen, die im Hinblick auf den Anklagevorwurf in der Hauptverhandlung mit eigenen Verfahrensrechten ausgestattet sind, somit der Angeklagte und sein Verteidiger, der Staatsanwalt, der Nebenkläger, in Steuerstrafverfahren auch die Finanzbehörde, nicht jedoch der Verletzte,413 Zeugen, Sachverständige und sonstige Dritte.414 Mitangeklagte, die nicht von der Verständigung betroffen sind, sind nur nach Absatz 3 Satz 3 anzuhören,415

406 S.o. Fn. 318. Zur Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme BGH NStZ 2016 177 (selbst bei unzulässiger Verständigung) mit Anm. Ventzke; OLG Hamburg NStZ 2017 307; a. A. OK-StPO/Eschelbach 46.2.

407 A. A. wohl MüKo/Jahn/Kudlich 106 ff., die auf eine Analogie zum verwaltungsrechtlichen Koppelungsverbot (§ 56 Abs. 1 Satz 2 VwVfG) abstellen und dies weitherzig verstehen – zu Unrecht, denn das Koppelungsverbot besagt, dass die Gegenleistung (hier des Angeklagten) demselben öffentlichrechtlichen Interesse dienen muss wie die Leistung der Behörde, hier also dem Sanktionsinteresse des Staates, das sich nach der Strafzumessungsschuld bestimmt, so dass sich in der Sache kein Unterschied ergibt. 408 Fischer § 46, 117, 119a StGB; KK/Moldenhauer/Wenske 22; OK-StPO/Eschelbach 1.3, 17.1 ff.; KMR/v. Heintschel-Heinegg 31; Meyer-Goßner/Schmitt 14 ff.; Radtke/Hohmann/Ambos/Ziehn 35; SK/Velten 18; Beulke/Swoboda 395a, 396a; Meyer-Goßner StV 2006 485, 487; ders. ZRP 2009 107, 108; w. Nachweise in Fn. 108; a. A. MüKo/Jahn/Kudlich 107, die den Verzicht auf prozessuale Rechte als „Minus zum Vollgeständnis“ deuten. 409 BRDrucks. 69/09 S. 2 = BTDrucks. 16 12310 S. 18. 410 Schlothauer/Weider StV 2009 600, 603 Fn. 27; zweifelnd Jahn/Müller NJW 2009 2625, 2628. 411 OK-StPO/Eschelbach 16.2 a. E. 412 BTDrucks. 16 12310 S. 13; § 257b, 4. Zu damit verbundenen Problemen s. Rönnau FS Schlothauer 367, 369 ff.; Schünemann FS Wolter 1107, 1123 f. 413 Krit. Weigend FS Streng 781, 796 f. 414 BTDrucks. 16 12310 S. 11 f.; § 257b, 3; KMR/v. Heintschel-Heinegg 4 ff. 415 MüKo/Jahn/Kudlich 79; Niemöller/Schlothauer/Weider 15.

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sollen aber, um jeden Anschein von Voreingenommenheit zu vermeiden, „umfassend und unverzüglich“ informiert werden.416 Der Katalog der Fälle notwendiger Verteidigung wurde durch das Gesetz vom 52 29.7.2009 nicht erweitert. Der unverteidigte Angeklagte wird allerdings mit der Entscheidung, einem gerichtlichen Vorschlag zuzustimmen, oft überfordert sein. Regelmäßig ist nach § 140 Abs. 2 Satz 1 ein Pflichtverteidiger zu bestellen.417 Zur notwendigen Verteidigung bei Verständigung im Jugendstrafverfahren siehe Rn. 31. 2. Ablauf a) Initiativrecht des Gerichts. Absatz 1 Satz 1 stellt die Initiierung einer Verständi- 53 gung in das Belieben des Gerichts,418 das auch generell auf dieses Instrument verzichten kann.419 Damit wollte der Gesetzgeber zugleich regeln, dass der Vorwurf einer Befangenheit des Gerichts mit einem solchen Vorgehen nicht verbunden sein könne,420 was jedoch nicht in seiner Macht steht (§ 257b, 11). Die Verfahrensbeteiligten haben weder einen Anspruch auf Unterrichtung über die Möglichkeit einer Verständigung421 noch auf Erörterung der Sach- und Rechtslage mit der Aussicht auf eine Verständigung.422 Sie können sie nur unverbindlich anregen, was für die Verteidigung nicht ohne Risiko423 ist. Oft werden ohnehin schon Gespräche nach §§ 160b, 202a, 212 vorausgegangen sein, da in diesen „Vorgesprächen“ die Essenz der Absprache liegt.424 Da eine Verständigung regelmäßig zu milderen Strafen führt, kann ein Gleichbehandlungsproblem entstehen, wenn das Gericht diese Vergünstigung Angeklagten ohne sachlichen Grund vorenthält.425 b) Vorschlag des möglichen Inhalts. Gemäß Absatz 3 Satz 1 gibt das Gericht in der 54 Hauptverhandlung (Rn. 28) bekannt, welchen Inhalt eine Verständigung haben könnte. Der Vorschlag ist eine Entscheidung des Gerichts und ergeht durch Verkündung (§ 35) eines Beschlusses,426 für den eine Zwei-Drittel-Mehrheit (§ 263 Abs. 1) nötig ist.427 Voraussetzung ist somit stets, dass die Schöffen über die vorläufige Sach- und Rechtslage

416 417 418 419

BGH StV 2011 72, 73; 2012 393; näher KK/Moldenhauer/Wenske 11. KMR/v. Heintschel-Heinegg 14; SK/Velten 9; SSW/Ignor 32; ähnl. MüKo/Jahn/Kudlich 84 (häufig). Krit. Steinberg DRiZ 2012 19, 21 (Willkür). A. A. Meyer-Goßner/Schmitt 6; Knauer FS v. Heintschel-Heinegg 245, 255; Landau NStZ 2014 425,

429.

420 BTDrucks. 16 12310 S. 13; zur Zurückhaltung raten MüKo/Jahn/Kudlich 137. 421 OLG Celle NStZ 2012 285, 286 mit Anm. Altenhain/Haimerl StV 2012 397; MüKo/Jahn/Kudlich 185. 422 BTDrucks. 16 12310 S. 13; BGH NStZ 2015 537, 539; HK/Temming 7; KK/Moldenhauer/Wenske 12; KMR/ v. Heintschel-Heinegg 21; OK-StPO/Eschelbach 5.

423 Zur Neigung, Verständigungsbereitschaft als irreversibles („point of no return“) Schuldindiz zu werten s. OK-StPO/Eschelbach 5.2 m. w. N.; Drews 199; Schünemann NJW 1989 1895, 1899 f.

424 Vgl. nur Schünemann (Wetterzeichen) 17 f. 425 KMR/v. Heintschel-Heinegg 21; krit. OK-StPO/Eschelbach 5, 7; Altenhain/Haimerl JZ 2010 327, 330; Salditt FS Tolksdorf 377, 383 ff.; Steinberg 176; Strate NStZ 2010 362, 365; zu einem aus dem Gleichheitssatz folgenden Anspruch s. Globke JR 2014 9, 21 ff.; Steinberg DRiZ 2012 19, 21 f.; Ventzke StraFo 2012 212, 216. 426 HK/Temming 10; KK/Moldenhauer/Wenske 23; MüKo/Jahn/Kudlich 138; Niemöller/Schlothauer/Weider 24; SSW/Ignor 64; a. A. Schlothauer/Weider StV 2009 600, 604. 427 KK/Moldenhauer/Wenske 23; KMR/v. Heintschel-Heinegg 48; Meyer-Goßner/Schmitt 23; MüKo/Jahn/ Kudlich 139; OK-StPO/Eschelbach 27; SSW/Ignor 64; Schlothauer/Weider StV 2009 600, 604; diff. HK/Temming 10.

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unterrichtet worden sind.428 Eine vorherige Anhörung zum Inhalt nach § 33 Abs. 1 ist nicht sinnvoll,429 zumal regelmäßig vorherige Erörterungen stattgefunden haben werden und anschließend Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist (Rn. 58). Einer Begründung des nicht selbständig anfechtbaren (§ 305 Satz 1) Beschlusses nach § 34 bedarf es nicht.430 Ratsam im Hinblick auf die nötige Dokumentation erscheint, die nicht verständigungsfähige Tatsachengrundlage und den Verständigungsgegenstand klar zu trennen.431 Nicht unüblich ist eine Befristung des gerichtlichen „Angebots“, was zwar im Interesse der Verfahrensbeschleunigung liegt, aber auch den Druck auf den Angeklagten weiter erhöhen kann.432 Dabei kann insbesondere eine Ober- und Untergrenze der Strafe („kleiner Straf55 rahmen“) angegeben werden, Absatz 3 Satz 2. Bei mehreren Gesamtstrafen erfolgt dies für jede Gesamtstrafe gesondert.433 Zuvor durfte nur eine Obergrenze zugesagt werden,434 die sich freilich regelmäßig mit der später ausgeworfenen Strafe deckte. Warum nun zwei Grenzen anzugeben sind, erläutert die Gesetzesbegründung nicht, doch dürfte die Angabe einer Untergrenze im Interesse der nun zustimmungspflichtigen Staatsanwaltschaft435 liegen. Dieses Erfordernis zu umgehen, indem Ober- „oder“ Untergrenze gelesen wird,436 verstößt gegen den klaren Wortlaut, der durch Absatz 4 Satz 1 („der in Aussicht gestellte Strafrahmen“) bestätigt wird.437 Entgegen kritischen Stimmen438 muss dies ebenso wenig auf die Angabe einer bestimmten Strafe (Rn. 37) hinauslaufen wie zuvor.439 Das Gericht ist nach Zustandekommen der Absprache nicht gehindert, die angegebene Untergrenze zu überschreiten oder die Obergrenze als Strafe zu verhängen.440 Mit der Ober- und Untergrenze ist nicht die „Sanktionsschere“ (Rn. 56) gemeint, sondern der konkrete Strafrahmen für den Fall erfolgreicher Verständigung (vgl. Absatz 4 Satz 1),441 der natürlich die gesetzlichen Strafrahmengrenzen weder unter- noch überschreiten442 und keine Ausmaße erreichen darf, die strafzumessungsrechtlich unvertretbar sind.443 Um das klarzustellen, spricht die Vorschrift davon, dass die Einschätzung der Strafbemessung „unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der 428 429 430 431 432

BGH NStZ 2011 590, 591; KK/Moldenhauer/Wenske 10; s. a. BGHSt 56 109, 118. Niemöller/Schlothauer/Weider 25; a. A. HK/Temming 11; MüKo/Jahn/Kudlich 138; SSW/Ignor 64. HK/Temming 11; KK/Moldenhauer/Wenske 23; Niemöller/Schlothauer/Weider 26; SSW/Ignor 64. Bittmann NStZ 2015 545, 549 (Zweiteilung). HK/Temming 11; KK/Moldenhauer/Wenske 23; Niemöller/Schlothauer/Weider 26: krit. OK-StPO/ Eschelbach 29; abl. SK/Velten 18. 433 BGH StV 2014 67, 68; s. a. NStZ-RR 2013 373. 434 Vgl. nur BGHSt 43 195, 207 f.; 50 40, 47. 435 BGH StV 2011 75, 76; Niemöller/Schlothauer/Weider 44, 46. 436 So Niemöller/Schlothauer/Weider 46; SK/Velten 21; Bittmann wistra 2009 414, 415; Bockemühl/Staudinger StraFo 2010 425, 426; Weigend FS Maiwald 829, 840. 437 BGH StV 2011 338 f.; NStZ 2013 671; 2015 358, 359; BGH 11.11.2014 – 3 StR 497/14 Rn. 4; HK/Temming 23; Meyer-Goßner/Schmitt 20; MüKo/Jahn/Kudlich 97; Jahn StV 2011 497, 499; dazu neigend BGH NStZ-RR 2011 171 f.; StV 2010 227, 228; 2011 75 f. 438 Meyer-Goßner/Schmitt 21 geht davon aus, dass künftig die als Untergrenze angegebene Strafe verhängt werden wird, ebenso Schönke/Schröder/Stree/Kinzig § 46, 41f StGB; Bockemühl/Staudinger StraFo 2010 425 f.; Klemke/Elbs 793c, während Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007 71, 73 dies für die Obergrenze annehmen; etwas anders Altenhain/Haimerl JZ 2010 327, 331 mit Fn 59. 439 KMR/v. Heintschel-Heinegg 37; Niemöller/Schlothauer/Weider 54. 440 BGH NStZ 2010 650 mit zust. Anm. Goeck NJ 2010 436 und abl. Anm. Bockemühl/Staudinger StraFo 2010 425; BGH wistra 2012 355; NStZ 2013 417, 419 mit krit. Anm. Klötzer-Assion/Velke ZWH 2013 427. 441 Meyer-Goßner/Schmitt 19; Altenhain/Hagemeier/Haimerl NStZ 2007 71, 73 mit Fn. 27. 442 Vgl. BGH NStZ-RR 2004 235 ff. 443 KMR/v. Heintschel-Heinegg 39; krit. OK-StPO/Eschelbach 12.1, 13.2.

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allgemeinen Strafzumessungserwägungen“ erlangt werden soll. Dieser Wortlaut ist nicht nur grammatisch verfehlt (freie Würdigung … der allgemeinen Strafzumessungserwägungen?), sondern teils unklar444 (wovon ist die Würdigung frei? Gemeint dürfte wohl eine nach § 261 freie hypothetische Beweiswürdigung445 einschließlich eines künftigen glaubwürdigen Geständnisses sein, denn eine „freie“ hypothetische Strafzumessung kann es nicht geben.), teils überflüssig (alle Umstände des Falles sind immer zu würdigen), teils undurchführbar446 (Einhaltung der allgemeinen Strafzumessungskriterien, weil die Strafbemessung gerade ausgehandelt wird). Letzteres ist der Fall, weil ein vereinbartes Geständnis den üblichen erheblichen Strafrabatt nicht zu rechtfertigen vermag (Rn. 16), da es meistens eben kein Indiz für Reue ist und Prozessverhalten (Schonung des Opfers, der Justizressourcen, generell Abkürzung des Verfahrens) mit der Tatschuld inkommensurabel sind447 (Rn. 9). Das Gericht sollte zum Vergleich den gesetzlichen Strafrahmen der in Rede stehenden Straftaten ebenfalls angeben und klar benennen, welche Leistungen es vom Angeklagten erwartet.448 c) Sanktionsschere. Von größerem Interesse als der Verständigungsstrafrahmen ist 56 für den Angeklagten wie bisher die Kenntnis der „Sanktionsschere“, also der zu erwartenden Strafe bzw. Strafobergrenze im Fall einer Verhandlung ohne Verständigung.449 Die Abschätzung des im Normalverfahren zu erwartenden Strafrahmens ist in § 257c nicht vorgesehen, aber auch nicht verboten;450 im Rahmen des § 257b ist sie ohne weiteres möglich (§ 257b, 10), muss dann aber auch protokolliert werden (§ 273 Abs. 1 Satz 2). Ob ein Hinweis auf die Normalstrafe als Zusatzinformation im Vorschlag nach § 257c Abs. 3 Satz 1 auch in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen ist, ist ungeregelt,451 aber anzunehmen. Einen Anspruch auf die Angabe einer Strafobergrenze für den Fall des Scheiterns der Vereinbarung hat der Angeklagte nicht.452 Wenn man die „Sanktionsschere“ nicht wie hier für gänzlich unzulässig hält (Rn. 15), wird man zumindest mit der bisherigen Rechtsprechung annehmen müssen, dass sie nicht zu weit auseinanderklaffen darf. Scharfe Grenzen werden sich kaum angeben lassen. Bislang wurde verbreitet angenommen, dass der bei der Verständigung gewährte Strafrabatt nicht mehr als etwa ein Drittel betragen sollte,453 wobei es sich nur um einen ersten Anhaltspunkt handelt, da es maßgeblich auf den Einzelfall ankomme.454 Das BVerfG sieht dies offenbar strenger, da es schon in der Offerte von zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung nach Geständnis und 444 445 446 447

Fischer § 46, 115 StGB; OK-StPO/Eschelbach 13 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt 22. Niemöller/Schlothauer/Weider 55. Ähnl. KMR/v. Heintschel-Heinegg 40; Fischer StraFo 2009 177, 182; vgl. auch SK/Velten 38. So im Grundsatz auch die Rspr., aber nicht stets konsequent, vgl. nur Fischer § 46, 50 ff. StGB m. w. N. und oben Fn. 108. 448 Niemöller/Schlothauer/Weider 27. 449 Zutr. Meyer-Goßner/Schmitt 19. 450 MüKo/Jahn/Kudlich 131; OK-StPO/Eschelbach 12, 12.3; zweifelnd SSW/Ignor 71; a. A. Niemöller/ Schlothauer/Weider 47; Schlothauer StV 2011 205, 207; s. a. SK/Velten 16, 26, 50 (Verstoß gegen § 136a); offenlassend BGH NStZ 2013 671 mit Anm. Trück ZWH 2014 86. 451 Krit. Altenhain/Haimerl JZ 2010 327, 332. 452 BGH NStZ 2013 671 mit Anm. Trück ZWH 2014 86; BGH NStZ 2015 358, 359; MüKo/Jahn/Kudlich 97, 131; s. a. Ziegert StraFo 2014 228, 231 f.; Niemöller NZWiSt 2012 290, 292. 453 Näher Meyer-Goßner/Schmitt 19 m. w. N.; Meyer-Goßner ZRP 2009 107, 109; Altenhain/Hagemeier/ Haimerl NStZ 2007 71, 78; Kubik 86 ff., 165; krit. OK-StPO/Eschelbach 14 ff.; s. a. Hauer 245 ff.; dies. NJ 2010 10, 15. 454 BGH StV 2011 202, 204 mit abl. Anm. Schlothauer (unter Zurückweisung mathematischer Grenzziehungen).

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drei bzw. vier Jahren bei „streitiger“ Verhandlung eine „nicht zu rechtfertigende Spannweite“ und „nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung der Selbstbelastungsfreiheit“455 erblickt hat. Nach Scheitern einer Verständigung kann das zuvor avisierte Höchstmaß durchaus überschritten werden (Rn. 89 a. E.). 57

d) Belehrung (Absatz 5). Zusammen mit der Bekanntgabe des möglichen Inhalts einer Verständigung ist der Angeklagte über die Folgen und Voraussetzungen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht genommenen Ergebnis zu belehren. Der systematisch unglückliche Standort der Belehrungspflicht ist nicht dahin zu verstehen, dass die Belehrung erst dann erfolgen müsse, wenn das Gericht sich von einer zustande gekommenen Verständigung wieder lösen will,456 denn die Belehrung soll nach dem Willen des Gesetzgebers im Interesse eines fairen Verfahrens dem Angeklagten die Tragweite seiner Mitwirkung an einer Verständigung bewusst machen, muss also vor seiner Zustimmung erfolgen.457 Das BVerfG hat die Bedeutung der Belehrung betont,458 die es dem Angeklagten ermöglichen soll, eine „autonome Entscheidung“ über das mit seiner Mitwirkung an der Verständigung durch Aufgabe seines Schweigerechts verbundene Risiko treffen. Der Angeklagte kann zwar auf die Belehrung verzichten,459 doch sollte das Gericht nur dann von einer Belehrung absehen, wenn feststeht, dass der Angeklagte von seinem Verteidiger oder zuvor nach §§ 202a, 212, 257b hinreichend informiert wurde. Die Belehrung ist in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen (Rn. 80). Fehlt sie oder ist sie nicht ordnungsgemäß erfolgt, begründet dies nach Auffassung des BVerfG regelmäßig die Revision (Rn. 95), macht die Verständigung aber nicht „unwirksam“460 und begründet kein Verwertungsverbot461 hinsichtlich des abgegebenen Geständnisses. Ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht kann geheilt werden, indem auf den Fehler und die daraus folgende Unverbindlichkeit der Zustimmungserklärung ausdrücklich hingewiesen und die Belehrung dann ordnungsgemäß nachgeholt wird.462

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e) Gelegenheit zur Stellungnahme. Nach Bekanntgabe des möglichen Inhalts und Belehrung gibt das Gericht den Verfahrensbeteiligten (Rn. 51) Gelegenheit zur Stellung-

455 BVerfGE 133 168, 240; krit. KK/Moldenhauer/Wenske 74. 456 BVerfGE 133 168, 237; BVerfG NJW 2014 3506; BGH NStZ 2013 728 mit Anm. Radtke und Eisenberg StV 2014 69; BGH NStZ 2015 358, 359; NStZ-RR 2015 225; 2017 120; 151; 2019 169; StV 2018 11; KMR/v. Heintschel-Heinegg 58; Meyer-Goßner/Schmitt 30; Niemöller/Schlothauer/Weider 26, 153; OK-StPO/Eschelbach 42; SK/Velten 53; Schlothauer/Weider StV 2009 600, 604. 457 BTDrucks. 16 12310 S. 15. 458 BVerfGE 133 168, 224, 237 ff. 459 HK/Temming 12; KK/Moldenhauer/Wenske 50; KMR/v. Heintschel-Heinegg 59; Meyer-Goßner/Schmitt 30; MüKo/Jahn/Kudlich 183; OK-StPO/Eschelbach 42.2; a. A. SK/Velten 53; SSW/Ignor 117. 460 Die Rede von „(Un-)Wirksamkeit“ der Verständigung, vgl. SK/Velten 32; M.M. Müller 87, ist zudem im Hinblick auf die Folgen für die Revision unnötig verwirrend. Zur Unwirksamkeit der aufgrund einer wegen Belehrungsmangel fehlerhaften Verständigung getätigten Prozesshandlungen s. KG ZInsO 2017 879; OLG Braunschweig NStZ 2016 563, 564; OLG Stuttgart StV 2014 397; OLG München StV 2014 79; SSW/Ignor 118; a. A. OLG Hamburg NStZ 2017 307 mit Anm. Bittmann. 461 BGH StV 2011 76; KK/Moldenhauer/Wenske 32, 52; krit. Schlothauer StraFo 2011 487, 493; a. A. OLG München StV 2014 79; OLG Rostock StV 2014 81, 82 (dem folgend Meyer-Goßner/Schmitt 31; erwägend OK-StPO/Eschelbach 42.4) wegen der vom BVerfG hergestellten Parallele zu § 136 Abs. 1 Satz 2, wohl obiter, denn sonst käme es auf die zuvor erörterte Frage, ob der Angekl. auch nach Belehrung gestanden hätte, nicht an. 462 BGH NStZ 2013 728, 729 mit Anm. Radtke und Eisenberg StV 2014 69; BGH NStZ-RR 2017 151; MeyerGoßner/Schmitt 30; krit. OK-StPO/Eschelbach 42.3.

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nahme (Absatz 3 Satz 3). Sofern zuvor noch keine hinreichenden Erörterungen nach §§ 160b, 202a, 212 stattgefunden haben sollten, kann der Angeklagte eine Unterbrechung der Hauptverhandlung nach § 228, ausnahmsweise nach § 265 Abs. 4 auch eine Aussetzung verlangen, um sich auf die veränderte Sachlage einzustellen. Es kann in Reaktion auf die Stellungnahmen auch zur Abänderung des gerichtlichen Vorschlags kommen, der wieder nach Absatz 3 Satz 1 bekanntzugeben und zu protokollieren (Rn. 80) ist.463 f) Zustandekommen. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und 59 Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichts zustimmen, Absatz 3 Satz 4, und zwar ausdrücklich.464 Da es sich nicht um eine höchstpersönliche Erklärung handelt, kann der Verteidiger den Angeklagten vertreten.465 Der Verteidiger selbst kann aus eigenem Recht eine Verständigung weder herbeiführen noch verhindern;466 eine Vertretung bei Erbringung der vereinbarten Leistungen kommt vor allem beim Prozessverhalten467 in Betracht. Der Nebenkläger ist zwar anzuhören, seine Zustimmung ist aber nicht erforderlich,468 zumal er auch sonst keinen Einfluss auf die Rechtsfolgen nehmen kann, vgl. § 400 Abs. 1. Wenn sich nur Gericht und Verteidigung einigen, aber die Staatsanwaltschaft sich 60 verweigert, kommt – anders als nach überwiegender Praxis zuvor469 – eine Verständigung im Sinne des Gesetzes nicht zustande, womit die Position des Angeklagten schwächer ist als zuvor. Darin wird außerdem ein Übergriff in die rechtsprechende Gewalt und eine Verletzung von Art. 92 GG erblickt.470 Jedoch erscheint es unbedenklich,471 dass Abweichungen vom Normalverfahren der Rechtsfindung, namentlich beschleunigte Erledigungsformen minderer rechtsstaatlicher Qualität wie auch § 153a Abs. 2, an die Zustimmung des Angeklagten und des Staatsanwalts gebunden sind, solange dem Gericht die „Kompetenz-Kompetenz“ verbleibt, ob es diese Abkürzung nehmen will. Kommt eine Verständigung nicht zustande, darf sich das Gericht nicht für an einen 61 in Aussicht gestellten Strafrahmen gebunden halten,472 es sei denn, es habe von der missglückten Verständigung unabhängige Vertrauenstatbestände geschaffen.473 Da ein gescheiterter Verständigungsvorschlag auf einer vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage beruht, muss das Gericht bei einer Abweichung davon die Hinweispflicht nach § 265 Abs. 2 Nr. 2 beachten.474 Wenn sich das Gericht trotz Widerspruchs der Staatsanwaltschaft und Scheiterns der Verständigung dennoch an den der Verteidigung zugesagten Strafrahmen hält, bleibt der Staatsanwaltschaft nur die – regelmäßig wenig aussichtsreiche – Strafmaßrevision.475

463 464 465 466 467 468 469

Schlothauer/Weider StV 2009 600, 604. BGH NStZ-RR 2017 87; NStZ 2019 688, 689 mit Anm. Kudlich. HK/Temming 13; Meyer-Goßner/Schmitt 25; MüKo/Jahn/Kudlich 144; a. A. SK/Velten 23. Schlothauer/Weider StV 2009 600, 604; Schlothauer StV 2011 648, 649. Schlothauer FS Beulke 1023, 1034 ff. BTDrucks. 16 12310 S. 14. Offenlassend BGHSt 50 40, 51; BGH NStZ 2006 708; wie jetzt aber schon BGH StV 2003 481 mit Anm. Schlothauer; krit. Meyer-Goßner StraFo 2003 401, 402. 470 Meyer-Goßner55 5; Meyer-Goßner NStZ 2007 425, 428; ähnl. KMR/v. Heintschel-Heinegg 76; Duttge FS Böttcher 53, 63. 471 MüKo/Jahn/Kudlich 75; Niemöller/Schlothauer/Weider 17; Jahn/Müller NJW 2009 2625, 2631. 472 BGH NStZ 2018 232 mit Anm. Schneider; 2018 419, 420. 473 BGH NJW 2011 3463, 3464. 474 LR/Stuckenberg § 265, 47 ff.; Schneider NStZ 2018 232, 233. 475 KMR/v. Heintschel-Heinegg 15.

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3. Fehler und Fehlerfolgen. Da die Verständigung zwar ein Einvernehmen darstellen, aber keinen vertragsartigen Charakter haben soll, fehlt konsequenterweise eine umfassende Regelung über Willensmängel, Anfechtbarkeit usw.476 Hat das Gericht sich bei Abgabe seiner Prognose geirrt, kann es nach Absatz 4 verfahren und sich von der Bindung befreien (Rn. 68 ff.). Entsprechende Regeln für Staatsanwalt und Angeklagten fehlen, sie bleiben daher an ihre Zustimmung gebunden,477 die als gestaltende Prozesshandlung nach allgemeinen Regeln478 unanfechtbar und unwiderruflich ist.479 Dies ist insoweit unbedenklich, als beide ohnehin von der Verständigung selbst nicht weiter gebunden werden (Rn. 26).480 Hat der Angeklagte oder Staatsanwalt sich geirrt, so bleibt es jedem von ihnen unbenommen, seine Leistung nicht zu erbringen. Wenn der Angeklagte seine Zusage bricht – etwa das Geständnis verweigert, weil er nun doch einen Freispruch erreichen will –, kann er dadurch nach Absatz 4 Satz 2 das Scheitern der Verständigung herbeiführen. Der Staatsanwalt hingegen kann die Verständigung nur dadurch zum Scheitern bringen, indem er das Gericht auf Umstände hinweist, die nach Absatz 4 zu beachten sind (Rn. 67); findet er beim Tatgericht kein Gehör, muss er dies im Wege der Revision geltend machen.

V. Wirkung der Verständigung 1. Bindung des Gerichts. Welche Rechtsfolgen eine nach Absatz 3 zustande gekommene Verständigung nach sich zieht, regelt das Gesetz nur indirekt in Absatz 4 Satz 1: „Bindung des Gerichts“ und zwar nur des Gerichts, nicht der übrigen Beteiligten (Rn. 26). Demnach ist das Gericht verpflichtet, im vereinbarten Sinne zu entscheiden, mithin eine Strafe aus dem angekündigten Strafrahmen zu entnehmen, sonstige Rechtsfolgen vereinbarungsgemäß (nicht) auszusprechen usw.481 Gebunden soll jeweils nur das Tatgericht sein, das an der Verständigung beteiligt war, also nicht die neue, möglicherweise auch anders besetzte Tatsacheninstanz nach Aussetzung und Neubeginn der Hauptverhandlung.482 64 Nach der Gesetzesbegründung sollen weder das Berufungsgericht, das Revisionsgericht noch das neue Tatgericht nach Zurückverweisung insoweit gebunden sein,483 sondern nur über das generelle Verbot der reformatio in peius (§§ 331, 358),484 das entgegen 63

476 477 478 479 480 481

OK-StPO/Eschelbach 5; eingehend SK/Velten 24 ff. Meyer-Goßner/Schmitt 25; Niemöller/Schlothauer/Weider 28; SK/Velten 25. LR/Kühne Einl. K 30 m. w. N. BGH NJW 2012 3113, 3114; KK/Moldenhauer/Wenske 25; Niemöller/Schlothauer/Weider 28, 111. OK-StPO/Eschelbach 31.4; Niemöller/Schlothauer/Weider 112. Krit. zur Vereinbarkeit mit Art. 97, 101 GG, Art. 6 EMRK und § 261 OK-StPO/Eschelbach 31; ders. FS Rissing-van Saan 115, 136. 482 HK/Temming 32; MüKo/Jahn/Kudlich 148; OK-StPO/Eschelbach 31.1. 483 BTDrucks. 16 12310 S. 15; BGH NStZ-RR 2013 373; NStZ 2017 373, 374; HK/Temming 32; KK/Moldenhauer/Wenske 26, 37; Meyer-Goßner/Schmitt 25a; MüKo/Jahn/Kudlich 148; Niemöller/Schlothauer/Weider 110; Niemöller/Schlothauer/Weider C 71 ff., 98 (mit Unverwertbarkeit des Geständnisses in der Berufungsinstanz); OK-StPO/Eschelbach 30, 47; SSW/Ignor 88; El-Ghazi JR 2014 406, 410 f.; Moldenhauer/Wenske NStZ 2012 184, 186; M.M. Müller 76 ff.; Niemöller NZWiSt 2012 290, 294; Schlothauer StraFo 2011 487, 494; diff. SK/Velten 29; a. A. Kuhn StV 2012 10, 11 f. 484 BGH StV 2010 470 mit Anm. Wattenberg; Meyer-Goßner/Schmitt 25a; krit. Beulke/Swoboda 395b. Zur Praxis einer „Sperrberufung“ StA Nürnberg-Fürth StraFo 2014 426 mit Anm. Schlothauer (für ein Anschlussrechtsmittel wie in der ZPO); Wenske NStZ 2015 137, 141.

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einigen Vorschlägen485 nicht eingeschränkt wurde, aber nur hilft, wenn nicht auch die Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten Rechtsmittel einlegt. Im Einzelnen ist manches noch wenig geklärt; zur Frage der Verwertbarkeit des Geständnisses in der Berufungsinstanz s. Rn. 88, nach Zurückverweisung durch das Revisionsgericht s. Rn. 98. Hinsichtlich des Revisionsgerichts ist die Redeweise von der fehlenden Bindung missverständlich, denn die Nichteinhaltung einer bindenden Verständigung kann unbestritten im Wege der Revision korrigiert werden (Rn. 90), so dass die Bindungswirkung nicht mit Einlegung des Rechtsmittels entfallen kann.486 Bleibt eine Verständigung in der Revision unbeanstandet, kann auch das nächste Tatgericht nach Zurückverweisung daran gebunden sein.487 Im Übrigen verdrängt die Bindung des Tatgerichts die allgemeinen Vorschriften wie 65 § 258 oder die Hinweispflichten des § 265 nicht noch relativiert es sie,488 etwa, wenn der Angeklagte aufgrund seines Geständnisses wegen einer anderen Beteiligungsform als in Anklage oder Eröffnungsbeschluss enthalten verurteilt werden soll. 2. Formalien. Neben den Protokollierungspflichten aus § 273 Abs. 1a (Rn. 80) trifft 66 das Gericht ferner die Pflicht, nach Verkündung eines auf einer Verständigung beruhenden Urteils zwei Belehrungen des Angeklagten vorzunehmen: Zum einen die allgemeine Rechtsmittelbelehrung nach § 35a Satz 1, zum zweiten die zusätzliche Belehrung nach § 35a Satz 3, dass er ungeachtet der Verständigung frei ist, ein Rechtsmittel einzulegen. Diese Vorschrift war ursprünglich als Positivierung der vom Großen Senat entwickelten qualifizierten Belehrung gedacht,489 blieb aber unnötigerweise unverändert erhalten, nachdem die in der Entwurfsfassung noch vorgesehene Möglichkeit eines Rechtsmittelverzichts später durch das gänzliche Verbot desselben ersetzt wurde, womit die zusätzliche „qualifizierte Belehrung“ ihres Zwecks verlustig ging.490 Der Umstand der Belehrung, jedoch nicht deren Wortlaut,491 ist in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen. Schließlich ist in den Urteilsgründen anzugeben, ob dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist, § 267 Abs. 3 Satz 5; die Angabe des Inhalts der Verständigung ist nicht erforderlich.492 Sofern eine Milderung der Strafzumessungsschuld durch die Abgabe eines Geständnisses angenommen wird, ist dies im Einzelnen darzulegen und zu begründen.493 3. „Leistungsstörungen“. „Leistungsstörungen“ bei Durchführung der Verständi- 67 gung sind nur teilweise ausdrücklich geregelt: Erbringt nach Ansicht des Gerichts der Angeklagte seine Leistung, vor allem sein Geständnis nicht, entfällt die Bindung des 485 BRDrucks. 65/09 S. 5 = BTDrucks. 16 12310 S. 20; Entwurf der Bundesrechtsanwaltskammer ZRP 2005 235, 237; dazu Niemöller/Schlothauer/Weider C 1 ff.; Niemöller GA 2009 172, 174, 184 ff.

486 Eingehend SK/Velten 29; krit. auch Niemöller/Schlothauer/Weider C 71 ff., der zugleich den Eintritt der Folge nach Absatz 4 Satz 3 annimmt.

487 MüKo/Jahn/Kudlich 149; Niemöller/Schlothauer/Weider C 57; a. A. wohl Niemöller/Schlothauer/Weider 110; s. a. HK/Temming 32.

488 BGHSt 56 235, 237; OK-StPO/Eschelbach 41; Knauer/Lickleder NStZ 2012 366, 368; Niemöller NZWiSt 2012 290, 293; a. A. MüKo/Jahn/Kudlich 162; Jahn/Rückert NStZ 2012 48 f. (§ 257c Abs. 4 Satz 4 sei lex specialis). 489 BTDrucks. 16 12310 S. 10 f. 490 Meyer-Goßner/Schmitt § 35a, 17. 491 Offenlassend KMR/v. Heintschel-Heinegg 62; verneinend zur vorherigen qualifizierten Belehrung BGH StraFo 2009 335. 492 BGH NStZ 2010 348; NStZ-RR 2011 171 f. 493 KMR/v. Heintschel-Heinegg 38.

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Gerichts (Rn. 68). Ist nur der Staatsanwalt mit dem Geständnis unzufrieden oder sieht er sonst die Voraussetzungen von Absatz 4 Satz 1 oder 2 gegeben, hat er kein Lösungsrecht.494 Erbringt das Gericht seine Leistung nicht, indem es im Urteil andere als die vereinbarten Rechtsfolgen verhängt, kann die Revision begründet sein (Rn. 90). Sofern auch die Staatsanwaltschaft Prozessverhalten wie die Mitwirkung an Einstellungsentscheidungen zugesagt hat, die sie nun verweigert, ist zu erwägen, ob der Grundsatz des fairen Verfahrens es gebietet, den Angeklagten so zu stellen, als ob die Staatsanwaltschaft zugestimmt hätte,495 bzw. eine Kompensation im Wege der Strafzumessung oder einer Vollstreckungslösung vorzunehmen.496 Hat sie die Einstellung anderer Verfahren in Aussicht gestellt, aber dann nicht vorgenommen, kann sich dies nur in den betroffenen Verfahren auswirken.497 Hat die Staatsanwaltschaft zugesagt, bestimmte Beweisanträge nicht zu stellen, tut sie es aber dennoch, so sind diese gleichwohl wirksam.498 VI. Wegfall der Bindungswirkung der Verständigung (Absatz 4) 1. Gründe für nachträgliches Scheitern 68

a) Allgemeines. In grundsätzlicher Übereinstimmung mit der vorherigen Rechtsprechung zählt Absatz 4 die Gründe auf, wegen derer eine Verständigung und damit die Bindung des Gerichts daran hinfällig werden kann: Zum einen bei subjektiv oder objektiv neuen, rechtlich oder tatsächlich bedeutsamen Umständen, die den vereinbarten Strafrahmen als nicht mehr tat- und schuldangemessen erscheinen lassen (Rn. 70 ff.), zum anderen bei Nichteinhaltung der Verständigung durch den Angeklagten (Rn. 74). Ausgeschlossen ist lediglich die bloße Meinungsänderung dergestalt, dass das Gericht, ohne dass sich ihm die Sach- und Rechtslage anders darstellt, nur aufgrund „besserer Einsicht“ zu einer abweichenden, für den Angeklagten nachteiligen Bewertung des schon bekannten Prozessstoffes gelangt.499 Nötig ist also stets, dass aufgrund des neuen Umstands der „in Aussicht gestellte Strafrahmen“ der Anwendung des Schuldgrundsatzes nicht mehr entspricht und somit der Strafgerechtigkeit nicht mehr genügt. Zu eng ist allerdings der nur auf den „Strafrahmen“ abstellende Wortlaut, denn es können ja auch andere Rechtsfolgen, die Gegenstand einer Verständigung sein dürfen, betroffen sein wie die Strafaussetzung zur Bewährung oder Nebenfolgen. Dass sonstige „verfahrensbezogene Maßnahmen“ sich als nicht mehr angemessen erweisen, genügt hingegen nicht; der Fall dürfte aber praktisch selten sein.

494 BGHSt 57 273, 278 mit Anm. Kudlich NStZ 2013 119; BGH NStZ 2017 373; vgl. OLG Jena 22.11.2007 – 1 Ws 431/07; El-Ghazi JR 2012 406, 409; KK/Moldenhauer/Wenske 25, 34; Meyer-Goßner/Schmitt 25; MüKo/ Jahn/Kudlich 73, 130, 146; OK-StPO/Eschelbach 31.5, 32.3; Radtke/Hohmann/Ambos/Ziehn 35; SSW/Ignor 77; Altvater FS Rissing-van Saan 1, 26. 495 So Niemöller/Schlothauer/Weider 39; SK/Velten 30; SSW/Ignor 90; Beulke/Swoboda 396e; F. Eckstein NStZ 2017 609, 613 ff.; s. a. Lindemann JR 2009 82, 85; Sauer wistra 2009 141, 143 f.; vgl. BGHSt 52 165, 172. 496 KK/Moldenhauer/Wenske 36. 497 KK/Moldenhauer/Wenske 36; OK-StPO/Eschelbach 16.2, 35; SK/Velten 30; SSW/Ignor 90 (Verfahrenshindernis); vgl. BGHSt 37 10, 13 f.; 52 165, 173 (Strafmilderungsgrund, nur ausnahmsweise Verfahrenshindernis) mit Anm. Fezer JZ 2008 1059 f.; Graumann HRRS-FG Fezer 53, 68 f.; Meyer-Goßner StraFo 2003 401; Sauer wistra 2009 141, 143; s. a. Meyer-Goßner/Schmitt § 160b, 10 f. 498 OK-StPO/Eschelbach 35. 499 HK/Temming 34; KMR/v. Heintschel-Heinegg 51; OK-StPO/Eschelbach 32.4; SSW/Ignor 93; krit. Murmann ZIS 2009 526, 536; so noch BGHSt 38 102, 105.

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Insgesamt kann sich das Gericht demnach ohne nennenswerte Mühe immer von der 69 Bindung an die Verständigung befreien, wenn es das geschickt anstellt; folglich ist es an eine Verständigung nur solange gebunden, wie es das will – für den Angeklagten ist daher die gesetzlich statuierte Bindung fast nichts wert.500 Dies kann nicht verwundern, denn der gesetzgeberische Versuch, eine Bindung des Gerichts zu statuieren, ohne zugleich ein neues konsensuales Verfahren einzuführen und deshalb die jeglicher Bindung widersprechende Freiheit des Gerichts zur Urteilsfindung zu bewahren, war objektiv unmöglich und konnte keine sinnvolle Regelung ergeben. Das Risiko des nachträglichen Scheiterns einer Vereinbarung trägt stets der vorleistende Angeklagte,501 was durch das Beweisverwertungsverbot des Absatzes 4 Satz 3 kompensiert werden soll (Rn. 77). Unklar, aber praktisch unerheblich ist, ob die Bindungswirkung ex lege entfällt, 70 sobald das Gericht in einer Zwischenberatung einen der genannten Gründe bejaht, oder ob es der Mitteilung nach Absatz 4 Satz 4 bedarf, mithin, ob diese Mitteilung deklaratorisch502 oder konstitutiv503 ist. Im Interesse der Rechtssicherheit ist ein actus contrarius zum gerichtlichen Vorschlag nach Absatz 3 Satz 1 zu fordern, mithin der Beschluss (Rn. 79) nach Absatz 4 Satz 4. Ungeklärt ist derzeit auch, ob es ein teilweises Scheitern geben kann504 oder ob 71 die Verständigung stets im Ganzen hinfällig wird. Sofern die Gegenstände trennbar sind wie bei mehreren gleichzeitig verhandelten Taten im prozessualen Sinne, wäre ein teilweiser Entfall der Bindungswirkung an sich vorstellbar, wenn sich etwa die Sachlage nur bei einer Tat ändert; die Verständigung wird in solchen Fällen aber regelmäßig die Rechtsfolgen in Gestalt einer Gesamtstrafe umfassen, die von der Veränderung einer Einsatzstrafe kaum völlig unbeeinflusst bleiben wird. Hier können daher „Nachverhandlungen“ naheliegen. Hängen die Gegenstände der Verständigung untrennbar zusammen, so ist die Verständigung insgesamt als hinfällig anzusehen. b) Übersehen von rechtlich oder tatsächlich bedeutsamen Umständen. In Über- 72 einstimmung mit der Ansicht des Großen Senats505 können auch subjektiv, also bloß für das Gericht neue Umstände die Verständigung hinfällig werden lassen, wenn bei deren Berücksichtigung die in Aussicht genommenen Rechtsfolgen – nicht nur der „Strafrahmen“ (Rn. 68) – nicht mehr tat- und schuldangemessen sind. Wurde etwa ein Strafschärfungsgrund oder ein Umstand übersehen, der einen angenommenen Milderungsgrund entfallen lässt,506 so kann und muss das Gericht dieses Versehen korrigieren. Entsprechendes gilt für übersehene Entlastungsgründe.507 Der Angeklagte, der sich auf eine Verständigung einlässt, trägt somit das Risiko, dass das Gericht sich bei der Abgabe seiner Rechtsfolgenprognose geirrt hat, weil es dafür wesentliche Umstände übersehen

500 Ähnl. Niemöller/Schlothauer/Weider 107; Radtke/Hohmann/Ambos/Ziehn 34; Weigend FS Maiwald 829, 841 f. 501 KMR/v. Heintschel-Heinegg 51; Schünemann/Hauer AnwBl. 2006 439, 443; Weigend FS Maiwald 829, 843. 502 SSW/Ignor 96; Altvater FS Rissing-van Saan 1, 24 f.; offenlassend noch BGH NStZ-RR 2011 253, 254. 503 BGHSt 57 273, 278 f. mit Anm. Kudlich NStZ 2013 119; BGH NJW 2012 3113, 3114; Meyer-Goßner/ Schmitt 27b; MüKo/Jahn/Kudlich 163; Niemöller/Schlothauer/Weider 113; SSW/Ignor 91. 504 Für Anwendung des Rechtsgedankens der § 139 BGB, § 59 Abs. 3 VwVfG MüKo/Jahn/Kudlich 180; Niemöller/Schlothauer/Weider 116; s. a. Lindemann JR 2009 82, 83; a. A. KK/Moldenhauer/Wenske 33; Meyer-Goßner StraFo 2003 401, 404. 505 BGHSt 50 40, 50; anders noch BGHSt 43 195, 210. 506 Vgl. KK/Moldenhauer/Wenske 28; KMR/v. Heintschel-Heinegg 56; OK-StPO/Eschelbach 32.4. 507 Niemöller/Schlothauer/Weider 121.

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hat, sei es auch infolge von Nachlässigkeit.508 Als Grund gibt der Gesetzgeber an, dass „das Ergebnis des Prozesses stets ein richtiges und gerechtes Urteil sein muss“509 – wobei sich fragt, ob dann Absprachen überhaupt zuzulassen sind. 73

c) Neu hervorgetretene rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände. Objektiv neue Umstände, die das Gericht bei seiner Prognose noch nicht berücksichtigen konnte, erzwingen in entsprechender Weise ein Abweichen von der Verständigung, wenn deren Rechtsfolgen bei gegenwärtiger Beurteilung nicht mehr tat- und schuldangemessen sind.

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d) Prognosewidriges Prozessverhalten des Angeklagten. Verhält sich der Angeklagte nicht so, wie in der Verständigung zugesagt, so entfällt die Bindung des Gerichts dann, wenn – dies ergibt sich aus der Formulierung „Gleiches gilt …“510 – die avisierten Rechtsfolgen nun nicht mehr tat- und schuldangemessen sind.511 Hier taucht das Problem der zulässigen Verknüpfung von Prozessverhalten und Rechtsfolgenbemessung (Rn. 49) erneut auf, namentlich der unzulässigen Einwirkung des Gerichts auf die Verteidigungsrechte des Angeklagten.512 Unbedenklich ist dies allenfalls bei nach Ansicht der Rechtsprechung strafzumessungsrelevantem Prozessverhalten, so im Hauptanwendungsfall, dem unzureichenden,513 verweigerten oder später widerrufenen Geständnis, wohl auch noch bei der Zusage einer Schadenswiedergutmachung.514 Hingegen kann sich die Nichteinhaltung einer Zusage, Beweisanträge nicht zu stellen oder zurückzunehmen, auf die Strafbemessung ohnehin nicht auswirken.515 Wenig durchdacht ist auch diese Regelung, weil der Verteidiger, der nicht an der Verständigung beteiligt ist, Anträge aus eigenem Recht stellen kann,516 so dass sich fragt, ob der Angeklagte, der etwa zugesagt hat, keine weiteren Beweisanträge mehr zu stellen, entsprechend auf seinen Verteidiger einwirken und sich ggf. dessen verständigungsstörende Beweisanträge zurechnen lassen müsste.

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2. Rechtsfolgen des Scheiterns. Spätestens (Rn. 68) nach der Mitteilung gemäß Absatz 4 Satz 4 entfällt die Bindungswirkung der Verständigung für das Gericht. Es ist folglich namentlich bei der Bemessung der Rechtsfolgen nur an das Strafgesetz gebunden. Am Umfang der Aufklärungspflicht ändert sich nichts, weil diese auch unter der Absprache von Gesetzes wegen unberührt bleibt, Absatz 1 Satz 2. Im Gesetz nicht vorgesehen, aber je nach den Umständen des Einzelfalles nicht von vornherein auszuschließen ist die Möglichkeit von „Nachverhandlungen“, die zu einer neuen, modifizierten Verständigung führen.517 Ansonsten verläuft die Hauptverhandlung nach dem „norma508 Krit. HK/Temming 34; Meyer-Goßner/Schmitt 26; MüKo/Jahn/Kudlich 164; OK-StPO/Eschelbach 32.1; SSW/Ignor 93; Murmann ZIS 2009 526, 538; ders. FS II Roxin 1385, 1397 ff., 1400. 509 BTDrucks. 16 12310 S. 14. 510 KMR/v. Heintschel-Heinegg 57; Meyer-Goßner/Schmitt 27; SK/Velten 45. 511 BGHSt 57 273, 279 mit Anm. Kudlich NStZ 2013 119; BGH NStZ 2013 417, 419 mit krit. Anm. KlötzerAssion/Velke ZWH 2013 427. 512 HK/Temming 35; Meyer-Goßner/Schmitt 27; OK-StPO/Eschelbach 33; SK/Velten 45; SSW/Ignor 98; relativierend MüKo/Jahn/Kudlich 169. 513 Vgl. BGH NStZ 2013 417, 418 f. 514 KMR/v. Heintschel-Heinegg 57; MüKo/Jahn/Kudlich 171; Niemöller/Schlothauer/Weider 97 ff.; OKStPO/Eschelbach 34. 515 Vgl. KMR/v. Heintschel-Heinegg 57; SK/Velten 45; Strate NStZ 2010 362, 365. 516 Dazu OK-StPO/Eschelbach 33. 517 Schlothauer/Weider StV 2009 600, 604.

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len“ Gesetzesprogramm. Dass derselbe Spruchkörper für die nachfolgende „normale“ Hauptverhandlung zuständig bleibt, ist zu Recht heftig kritisiert worden.518 Wäre die Verständigung eine vertragliche Vereinbarung, müsste ihre Rückabwick- 76 lung erwogen werden, etwa in Gestalt der Zurückversetzung des Verfahrens in den status quo ante, d. h. in den Zustand, den es im Zeitpunkt des gerichtlichen Vorschlages nach Absatz 3 Satz 1 hatte.519 Das Gesetz sieht lediglich eine einzige Restitutionsfolge vor, nämlich die „Kondiktion“ des Geständnisses des Angeklagten (siehe folgende Rn.); ob er sonstige Leistungen zurückfordern kann, erscheint zweifelhaft520 – bei Schadensersatzleistungen an Tatopfer kommt es auf Bestehen zivilrechtlicher Ansprüche an. Ob der Staatsanwalt Leistungen zurückfordern, etwa zugesagte Verfahrenseinstellungen widerrufen kann, ist wenig geklärt, aber nach allgemeinen Regeln521 zu bejahen.522 Mangels entgegenstehender gesetzlicher Regelung behalten abgegebene Prozesserklärungen ihre Wirksamkeit, z. B. die Zustimmung zur Urkundenverlesung nach § 251 Abs. 2 Nr. 3.523 Hat der Verletzte einen Strafantrag oder eine Privatklage zurückgenommen, so bleibt es dabei (§ 77d StGB, § 392 StPO).524 Aus den Gründen der Verfahrensfairness525 ordnet Absatz 4 Satz 3 die Unverwert- 77 barkeit des Geständnisses an, das der Angeklagte als Beitrag im Vertrauen auf den Bestand der Verständigung abgegeben hat. Das Verwertungsverbot unterliegt der Disposition des Angeklagten, dem es freisteht, das Geständnis später in zweite, neue Verständigung einzubringen.526 Es passt freilich nicht recht, wenn der Angeklagte sein Geständnis später widerruft und dadurch der Verständigung selbst die Grundlage entzieht.527 Das Beweisverwertungsverbot gilt auch in der Rechtsmittelinstanz,528 ohne dass es eines Widerspruchs bedürfte,529 sowie nach Zurückverweisung vor dem neuen Tatgericht.530 Ob ihm Fernwirkung zukommt, mithin aufgrund des Geständnisses bereits erlangte weitere Beweise ebenfalls unverwertbar werden, hat der Gesetzgeber nicht entschieden und ist nach allgemeinen Regeln531 im Grundsatz zu verneinen.532 Im Verhältnis zu Mitangeklagten, zu denen kein Vertrauenstatbestand vorliegt, ist das Ge518 Oben Fn. 193. 519 Niemöller/Schlothauer/Weider C 78 ff.; OK-StPO/Eschelbach 40; dagegen Niemöller/Schlothauer/ Weider 131 ff.

520 Dazu Niemöller/Schlothauer/Weider 138 ff.; bejahend KK/Moldenhauer/Wenske 33; Radtke/Hohmann/Ambos/Ziehn 36; SSW/Ignor 104.

521 LR/Kühne Einl. K 25. 522 Niemöller/Schlothauer/Weider 140. 523 HK/Temming 39; OK-StPO/Eschelbach 40.5; Altvater FS Rissing-van Saan 1, 28; s. a. Niemöller/ Schlothauer/Weider 137; a. A. Niemöller/Schlothauer/Weider C 78; SSW/Ignor 105 f. (innerprozessuale Bedingung des Bestands der Verständigung); Kirsch StraFo 2010 96, 99. 524 Niemöller/Schlothauer/Weider 141. 525 BTDrucks. 16 12310 S. 14; vgl. zuvor BGHSt 36 210, 212; 43 195, 210; dazu Graumann HRRS 2008 122, 124 f. m. w. N.; krit. Bittmann wistra 2009 414, 416; abl. Steinberg 179 (sachlich nicht begründet und sozial nicht vermittelbar). 526 BGH StV 2018 10. 527 OK-StPO/Eschelbach 34; Niemöller/Schlothauer/Weider 147; anders SK/Velten 46. 528 OLG Düsseldorf StV 2011 80, 81 f.; OLG Hamm 22.11.2017 – 1 RVs 79/17 Rn. 20; HK/Temming 38; OKStPO/Eschelbach 37, 46.3. 529 OK-StPO/Eschelbach 37.2; a. A. Schneider NZWiSt 2015 1, 3. 530 KMR/v. Heintschel-Heinegg 53; OK-StPO/Eschelbach 45; Schlothauer StV 2013 195, 197. 531 LR/Gössel Einl. L 171 ff.; LR/Gleß § 136a, 75 f. 532 HK/Temming 38; KMR/v. Heintschel-Heinegg 52; Meyer-Goßner/Schmitt 28; Niemöller/Schlothauer/ Weider 150; krit. OK-StPO/Eschelbach 38; diff. MüKo/Jahn/Kudlich 174 (bei Verschulden des Gerichts); Niemöller/Schlothauer/Weider C 61 f. (nur bei gravierendem „Übersehen“ des Tatgerichts); ähnl. Beulke/

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ständnis ebenfalls unverwertbar,533 weil sich sonst kaum lösbare Konfliktsituationen ergäben.534 Ungeklärt ist, ob das Verwertungsverbot nur zugunsten oder auch zulasten des Angeklagten wirkt, ob also die gezeigte „Kooperationsbereitschaft“ wie zuvor535 strafmildernd in Ansatz gebracht werden kann,536 wofür nach hiesiger Ansicht (vgl. Rn. 16) kein Anlass besteht. Anders als bei § 136a Abs. 3 kann der Angeklagte auf die Geltendmachung des Verwertungsverbots verzichten.537 78 Noch nicht geklärt ist, ob eine analoge Anwendung des Verwertungsverbots über die in Absatz 4 geregelten Fälle hinaus anzunehmen ist, wie sie etwa für den Bruch einer staatsanwaltschaftlichen Zusage,538 im Fall einer unzulässigen Absprache als abschreckende Sanktion (Rn. 85), als Kondiktion einer schutzwürdigen Vertrauensdisposition bzw. Folgenbeseitigung539 auch unterhalb der Schwelle des § 136a540 oder bei staatsanwaltlicher Berufung (Rn. 88) vorgeschlagen wird. Die für fehlerhafte Verständigungen entwickelte Auffassung des 1. Strafsenats, § 257c Abs. 4 Satz 3 sei keiner analogen Anwendung fähig,541 weil sich der Wortlaut nur auf gescheiterte Verständigungen beziehe, führt wegen Zirkularität nicht weiter. 79

3. Ablauf. Sobald sich das Gericht für eine Abweichung von einer Verständigung entschieden hat, muss es dies den Verfahrensbeteiligten unverzüglich mitteilen (Absatz 4 Satz 4),542 am besten in Form eines Beschlusses,543 der ebenfalls die Zweidrittelmehrheit des § 263 erfordert.544 Obzwar unanfechtbar (§ 305 Satz 1), ist der Beschluss zu begründen, damit die Revision ihn überprüfen kann.545 Diese Mitteilung ist zu protokollieren (Rn. 80). Der Zweck der Mitteilung ist, allen Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit zu geben, ihr weiteres Prozessverhalten auf die neue Lage abzustellen, insbesondere den Angeklagten unverzüglich in den Stand zu setzen, sein weiteres Verteidigungsverhalten, etwa durch Stellung neuer Beweisanträge, auf die geänderte Lage anzupassen.546 Dazu kann eine Unterbrechung, ausnahmsweise auch eine Aussetzung der Hauptverhandlung erforderlich Swoboda 396c; Jahn/Müller NJW 2009 2625, 2629; Murmann ZIS 2009 526, 538; Rode StraFo 2015 89, 91; Schlothauer/Weider StV 2009 600, 605; a. A. (immer) SK/Velten 51; SSW/Ignor 110; Rogall FS Rengier 435, 442; Weigend FS Maiwald 829, 844. 533 Meyer-Goßner/Schmitt Einl. 57b; MüKo/Jahn/Kudlich 173; Niemöller/Schlothauer/Weider 149; Niemöller/Schlothauer/Weider C 60; SSW/Ignor 111; erwägend OK-StPO/Eschelbach 39; a. A. HK/Temming 38; KMR/v. Heintschel-Heinegg 52. 534 Niemöller/Schlothauer/Weider C 60. 535 BGHSt 42 191, 194. 536 Offen lassend OK-StPO/Eschelbach 37.3; krit. Bittmann wistra 2009 414, 416; s. a. Altvater FS Rissingvan Saan 1, 27; Radtke/Hohmann/Ambos/Ziehn 37. 537 Niemöller/Schlothauer/Weider 152; OK-StPO/Eschelbach 38. 538 So SK/Velten 48. 539 Meyer HRRS 2011 17, 18 ff., 21; ähnl. Meyer-Goßner/Schmitt 31; Meyer-Goßner StraFo 2003 401, 405; eingehend Heller 95 ff. 540 Dazu Heller 128 ff.; Beulke/Swoboda JZ 2005 67, 73. 541 BGH StV 2011 337, 338; 2012 134; NStZ 2013 353 mit Anm. Kudlich; HK/Temming 37; zw. MeyerGoßner/Schmitt 2; a. A. OK-StPO/Eschelbach 37.4; SK/Velten 48. 542 MüKo/Jahn/Kudlich 161. 543 BGHSt 57 273, 279; BGH NJW 2012 3113, 3114; KK/Moldenhauer/Wenske 30; Meyer-Goßner/Schmitt 29; Niemöller/Schlothauer/Weider 113; OK-StPO/Eschelbach 41; SSW/Ignor 99; Knauer/Lickleder NStZ 2012 366, 377; s. Rn. 70. 544 Niemöller/Schlothauer/Weider 113; SSW/Ignor 99. 545 BGHSt 57 273, 281; Niemöller/Schlothauer/Weider 113; Niemöller/Schlothauer/Weider C 51; vgl. zuvor BGH StraFo 2009 239, 241. 546 BTDrucks. 16 12310 S. 15.

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sein (§ 265 Abs. 4).547 Wegen der Unverwertbarkeit des Geständnisses kann der Versuch einer nochmaligen Vernehmung des Angeklagten erforderlich sein sowie die Erhebung derjenigen Beweise, die wegen der Verständigung unterblieb.548 Die aufgrund einer fehlgeschlagenen Verständigung bereits erbrachten Leistungen des Angeklagten wie eine Schadenswiedergutmachung sind bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.549

VII. Sitzungsniederschrift Das Gesetz vom 29.7.2009 strebt umfassende „Transparenz und Dokumentation“ des 80 Verständigungsgeschehens an, was sich in zahlreichen Protokollierungspflichten niederschlägt.550 Gemäß § 273 Abs. 1a Satz 1 muss die Sitzungsniederschrift den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung wiedergeben, mithin von wem die Anregung ausging, welche Verfahrensbeteiligten an der Erörterung beteiligt waren, von welchem Sachverhalt sie dabei ausgingen, welche Vorstellungen sie vom Ergebnis hatten, ob die Verständigung zustande gekommen ist und mit welchem Inhalt.551 Nach § 273 Abs. 1a Satz 2 sind auch die Belehrungen und Mitteilungen nach § 257c Abs. 4 und 5 zu protokollieren. Insbesondere sind die Gründe für den Entfall der Bindung zu nennen. Wie zuvor552 können aus nicht protokollierten Absprachen keine Rechte hergeleitet werden (näher Rn. 82). Das in § 273 Abs. 1a Satz 3 vorgesehene „Negativattest“, dass eine Verständigung 81 nicht stattgefunden hat, soll dazu dienen, „mit höchst möglicher Gewissheit und auch in der Revision überprüfbar die Geschehnisse in der Hauptverhandlung zu dokumentieren und auszuschließen, dass ‚stillschweigend‘ ohne Beachtung der gesetzlichen Förmlichkeiten solche Verhaltensweisen stattgefunden haben“.553 Um mit der Beweiskraft des § 274 festzustellen, dass keine Verständigung stattgefunden hat, hatte bisher deren Nichterwähnung im Protokoll ausgereicht, so dass die Vorschrift des § 273 Abs. 1a insofern überflüssig wäre.554 Es bleibt wohl nur übrig, den Zweck des Satzes 3 nicht in der Dokumentation, sondern in der besonderen Pflichtenmahnung zur Befolgung des § 257c zu sehen (Disziplinierungsfunktion).555 Darin, dass das Negativattest nach dem Willen des Gesetzgebers auch zum Ausdruck bringen soll, dass keine gesetzeswidrigen Verständigungen stattgefunden haben, liegt freilich durchaus eine Zumutung; angesichts der bisherigen Absprachenpraxis erscheint das gesetzgeberische Misstrauen jedoch nicht unbegründet. Zur Beweiskraft und Revisibilität des (fehlenden) Negativattests s. § 273, 35 ff.; § 274, 25.

547 548 549 550 551

Niemöller/Schlothauer/Weider 154; SSW/Ignor 100. Vgl. BTDrucks. 16 12310 S. 15; KMR/v. Heintschel-Heinegg 49; Niemöller/Schlothauer/Weider 136. Vgl. BGHSt 49 84, 89; Meyer-Goßner/Schmitt 29. Krit. OK-StPO/Eschelbach 43 m. w. N. BVerfGE 133 168, 217; vgl. KMR/v. Heintschel-Heinegg 43; Globke JR 2014 9, 21 („volles Inhaltsprotokoll“); krit. Beulke/Stoffer JZ 2013 662, 668 („an der Grenze zum Wortprotokoll“); Meyer NJW 2013 1850, 1851; ders. 39. Strafverteidigertag 129; Ziegler FS v. Heintschel-Heinegg 521, 529. 552 BGH NStZ 2001 555, 556 mit Anm. Eisenberg; StV 2001 554; bei Cierniak NStZ-RR 2009 1; MeyerGoßner/Schmitt 31. 553 BTDrucks. 16 12310 S. 15. 554 Zutr. BRDrucks. 69/09 S. 5 = BTDrucks. 16 12310 S. 19; Meyer-Goßner/Schmitt § 273, 12c; a. A. KMR/ v. Heintschel-Heinegg 44. 555 Vgl. LR/Stuckenberg § 273, 36 m. w. N.; SK/Velten 55.

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VIII. Gesetzeswidrige Absprachen 1. Begriff. Da die gesetzliche Regelung abschließend und zwingend ist (Rn. 24), sind alle Abreden über Fortgang und Ergebnis des Verfahrens, die praeter legem erfolgen, auch ausnahmslos contra legem. Alle Abreden, die die formellen Anforderungen des Verständigungsgesetzes zu umgehen suchen und in der Regel dadurch gekennzeichnet sind, dass sie das gesetzlich verordnete Licht der Öffentlichkeit scheuen („informelle“, heimliche Ansprachen, „Verständigungspantomimen“,556 „teilnehmende Beobachtung“557 usw.), sind gesetzeswidrig, verboten und unwirksam in dem Sinn, dass sie keine Bindung des Gerichts bewirken.558 Gleiches gilt für inhaltlich unzulässige Vereinbarungsgegenstände wie Schuldspruchabreden oder Rechtsmittelverzichte.559 83 Erhebliche Unsicherheiten bestehen allerdings darüber, wann eine informelle „Abrede“ vorliegt, denn es liegt in der Natur der Sache, dass eine verbotene heimliche Absprache in der Regel nur indirekt erkennbar560 ist. Es erscheint zweifelhaft, ob in allen Verfahren, in denen über mögliche Ergebnisse auch vom Gericht gesprochen wurde, ohne dass, aus welchen Gründen auch immer, eine förmliche Verständigung zustandekam, von einer informellen Absprache auszugehen ist, wenn das Urteil sich im Rahmen der zuvor erörterten Rechtsfolgen hält.561 Denn nach wie vor soll der bloße rechtliche Hinweis, dass ein Geständnis strafmildernd sein kann und dann ggf. auch eine Strafaussetzung in Betracht komme, zulässig bleiben und noch keinen Verständigungsvorschlag darstellen.562 Maßgebend soll, ungeachtet allfälliger verbaler Distanzierungen, sein, was bei einer „Gesamtschau der vorliegenden Umstände“563 mit den Äußerungen und Verfahrenshandlungen unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs und des Empfängerhorizonts den Umständen nach „wirklich gemeint“ war.564 Als Gegenstand der Kommunikation muss eine synallagmatische Verknüpfung, ein Verhältnis des „do ut des“, hinreichend deutlich erkennbar sein.565

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2. Rechtsfolgen. Ein Urteil, das auf einer verbotenen Abrede beruht, ist aufzuheben (Rn. 90). In extremen Fällen, in denen die Aktivität des Gerichts nicht mehr als Rechtsprechung erkennbar ist, erscheint die Nichtigkeit des darauf beruhenden Urteils zwar

556 Vgl. BGHSt 59 21, 24 ff. mit Anm. Norouzi NJW 2014 874. 557 Vgl. MüKo/Jahn/Kudlich 156. 558 BGH NStZ 2011 107, 108 mit Anm. Bachmann/Goecke JR 2011 168; BGH StV 2011 645; KK/Moldenhauer/Wenske 44; Meyer-Goßner/Schmitt 4a; MüKo/Jahn/Kudlich 156; Niemöller/Schlothauer/Weider 14; OKStPO/Eschelbach 1, 30, 50.3; SK/Velten 32; SSW/Ignor 119; Beulke/Swoboda 396f; Dießner StV 2011 43, 44; El-Ghazi JR 2012 406,407; Eschelbach FS Paeffgen (2015) 637, 639 f.; Schlothauer/Weider StV 2009 600, 601; Wenske DRiZ 2012 123, 127; insoweit auch M.M. Müller 91 ff.; krit. Meyer HRRS 2011 17, 18: offenlassend BGH NJW 2018 2062. 559 KK/Moldenhauer/Wenske 44; Jahn StV 2011 497, 500; OK-StPO/Eschelbach 30; a. A. HK/Temming 30. 560 Zu Beweisanzeichen s. Wenske StV 2014 525, 527 m. w. N. 561 Vgl. die krit. Stellungnahmen in Fn. 262 f. 562 BGH NStZ 2015 352 f. 563 BGHSt 59 21, 24 mit insoweit abl. Anm. Niemöller JR 2014 268, 269 ff.; krit. Trück ZWH 2014 179 ff. 564 BVerfG NStZ 2016 422, 424 mit Anm. Bittmann; BGHSt 59 21, 25 f. 565 BVerfG NStZ 2016 422, 424; vgl. Schneider NStZ 2015 53 ff.; krit. Bittmann ZWH 2016 261, 262 ff. Die Ergebnisse sind nicht stets zweifelsfrei, vgl. BGH NStZ 2019 684, 685; 2020 237 f., jew. mit Anm. Bittmann sowie die Nachw. in § 257b, 10 Fn. 40.

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naheliegend,566 führt aber zu ungeklärten Folgeproblemen.567 Die Strafbarkeit der am illegalen Deal Beteiligten ist bislang noch wenig geklärt;568 Strafverfolgung bleibt bislang anscheinend aus.569 Die sonstigen Folgen sind weniger klar: Wenn auch das „Erfüllungsinteresse“ der 85 Beteiligten keinen Schutz verdient, muss dies nicht auch für das „Vertrauensschutzinteresse“570 des Angeklagten gelten. Umstritten ist, ob eine verbotene Absprache nicht einmal einen Vertrauenstatbestand begründen kann, dessen Beachtung mit der Rüge der Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens geltend gemacht werden könnte.571 Allerdings ist zu beachten, dass Vertrauensschutzgesichtspunkte keine derogatorische Wirkung entfalten dürfen in der Weise, dass mit verbotenen informellen Absprachen ebenfalls eine Bindung des Gerichts erreicht werden könnte, womit der Gesetzeszweck des § 257c unterlaufen würde.572 Zu erwägen ist freilich, ob nicht die unwirksame Absprache einer gescheiterten Verständigung gleichzustellen ist, ob also ein auf einer nicht protokollierten heimlichen und daher verbotenen Absprache beruhendes Geständnis in entsprechender Anwendung von Absatz 4 Satz 3 unverwertbar ist,573 um zu verhindern, dass das Gericht von illegalen Praktiken profitiert. Sofern unzulässiger Druck oder eine Täuschung, etwa über die Verbindlichkeit der Absprache, zu dem Geständnis geführt hat, kommt eine Unverwertbarkeit schon nach § 136a in Betracht.574 Nach Ansicht des BVerfG sollen verbotene Deals allerdings die Schutzwirkungen einer Verständigung auslösen, also ein Rechtsmittelverzicht unwirksam sein (Erl. zu § 302),575 außerdem sollen sie zu protokollieren sein (Erl. zu § 273). 566 OLG München NJW 2013 2371; offenlassend OLG Karlsruhe 20.7.2017 – 2 Ws 162/17 Rn. 17 ff.; abl. KK/Moldenhauer/Wenske 55; Meyer-Goßner/Schmitt 33a; Einl 104; MüKo/Jahn/Kudlich 207; OK-StPO/ Eschelbach 50.3; Kudlich NJW 2013 3216; Leitmeier NStZ 2014 690; Meyer-Goßner StV 2013 613; Wenske StV 2014 525, 529 Fn. 62; gegen Nichtigkeit zuvor schon BGH wistra 1992 309. 567 Dazu Meyer-Goßner StV 2013 613, 615. 568 MüKo/Jahn/Kudlich 210 ff.; Niemöller/Schlothauer/Weider Teil D; OK-StPO/Eschelbach 68 ff.; Altenhain Rechtsprechung in Strafsachen zwischen Praxis und Theorie 63, 66 ff.; Brocke StraFo 2013 441, 450 ff.; Beulke/Stoffer JZ 2013 662, 672 m. w. N. in Fn. 128; Dießner StV 2011 43, 45 ff.; Erb GedS Blomeyer 743, 758 m. w. N.; ders. StV 2014 103 ff.; Fischer FS Kühne (2013) 203, 212; ders. HRRS 2014 324 ff.; Globke JR 2014 9, 17 ff.; Heger/Pest ZStW 126 (2014) 446, 482 ff.; Kotsoglou ZIS 2015 175, 194 ff. (§ 343 StGB bei jeder Verständigung); Kubik 169 ff.; Rabe 474 ff.; Rönnau 227 ff.; Ruhs 211 ff.; Schlothauer/Weider StV 2009 600, 606; Schünemann Gutachten 58. DJT, B 131 ff.; ders. FS Rieß 525, 531 f.; Verjans FS Feigen 281 ff.; zur Strafbarkeit des Strafverteidigers Beulke FS Schlothauer 315 ff.; Magnus JR 2017 628, 634 ff.; Wegerich 108 ff. Zur Anwaltshaftung OK-StPO/Eschelbach 60 ff. Krit. Bittmann NStZ 2015 545, 552. 569 Vgl. StA München II und GenStA München StV 2014 569 f.; krit. OK-StPO/Eschelbach 2.2, 56; ders. FS Paeffgen 637, 643 f. 570 Ausdrücke von SK/Velten 32 u.ö. 571 Verneinend BGH NStZ 2011 107, 108; Meyer-Goßner/Schmitt § 202a, 2; MüKo/Jahn/Kudlich 156; Niemöller/Schlothauer/Weider 14; bejahend Meyer HRRS 2011 17, 18 ff.; OK-StPO/Eschelbach 30 a. E.; SSW/ Ignor 120 f.; offenlassend BGH NStZ 2011 107, 108; zweifelnd BGH StV 2011 74 f.; diff. KK/Moldenhauer/ Wenske 48. 572 Vgl. Meyer HRRS 2011 17, 18. 573 OLG Düsseldorf StV 2011 80, 81 f.; KG StV 2012 654, 655 (jeweils unter Rückgriff auf den fair trialGrundsatz); Beulke/Swoboda 396f; Meyer-Goßner/Schmitt 31; MüKo/Jahn/Kudlich 157; OK-StPO/Eschelbach 37.4, 43.5, 50.6; SK/Velten 48; SSW/Ignor 124; s. a. zuvor Meyer-Goßner StraFo 2003 401, 405; Brocke StraFo 2013 441, 449; Velten StV 2012 172, 173 f., 176; abl. BGH NJW 2011 1526 f.; StV 2012 134 (Absprache über Schuldspruch); NStZ 2013 353 (informelle Absprache) mit abl. Anm. Kudlich; KK/Moldenhauer/Wenske 44. 574 Meyer-Goßner/Schmitt 31; Beulke/Swoboda 396g; dies. JZ 2005 67, 73. 575 BVerfGE 133 168, 213 f.; BGHSt 59 21, 26 mit zust. Anm. Deiters ZJS 2014 583; Knauer NStZ 2014 115; ders. FS v. Heintschel-Heinegg 245, 250 ff.; Kudlich JZ 2014 471; Norouzi NJW 2014 874; abl. Niemöller JR

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Ist eine Verständigung nur teilweise fehlerhaft, etwa durch Vereinbarung eines unzulässigen Gegenstands neben mehreren zulässigen Bestandteilen, so fragt sich, ob die Verständigung insgesamt unwirksam und das Urteil aufzuheben ist und insoweit eine geltungserhaltende Reduktion vorgenommen werden kann.576 Dies setzt voraus, dass die Beteiligten die Verständigung auch ohne den unzulässigen Teil geschlossen hätten, was hinsichtlich der Rechtsfolgen regelmäßig nicht anzunehmen sein dürfte.577 Die Rechtsprechung hat dies aber zuvor bei unzulässigem Rechtsmittelverzicht bejaht, der die Verbindlichkeit der Verständigung im Übrigen nicht beeinträchtige;578 siehe auch Rn. 93.

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1. Grundsatz. Entgegen anderslautender Vorschläge579 sieht das Gesetz vom 29.7.2009 bewusst keine Einschränkung der Rechtsmittelbefugnis vor,580 auch nicht etwa im Wege der Verwirkung von Verfahrensrügen581 – im Gegenteil, nach vorausgegangener Verständigung ist ein Rechtsmittelverzicht gänzlich ausgeschlossen,582 § 302 Abs. 1 Satz 2. Aus der Tatsache, dass dem angefochtenen Urteil eine Verständigung vorausging, folgt zudem keine Einschränkung des Prüfungsumfangs im Vergleich zum Normalverfahren, weder bei der amtswegigen Prüfung der Prozessvoraussetzungen noch der materiell-rechtlichen Überprüfung auf die Sachrüge hin noch bei der Verfahrensrüge.583 Der Umstand, dass der Angeklagte und der Vertreter der Staatsanwaltschaft dem Rechtsfolgenausspruch zugestimmt haben, ist ohne Belang,584 auch bei der Beruhensfrage.

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2. Berufung. Folglich ist es nach einerVerständigung vor dem Amtsgericht weder dem Angeklagten noch der Staatsanwaltschaft verwehrt, Berufung einzulegen. Das Berufungsgericht ist an die Verständigung der Vorinstanz nicht gebunden (Rn. 63 f.). Vorge-

2014 216; s. a. Trück ZWH 2014 179, 182; OLG Celle StV 2012 141, 142 mit zust. Anm. Meyer-Goßner; OLG Köln NStZ 2014 727 mit abl. Anm. Schneider NStZ 2015 53; OLG München StV 2013 493; 495, 499 mit abl. Anm. Meyer-Goßner; MüKo/Jahn/Kudlich 28, 187; OK-StPO/Eschelbach 45; Schlothauer StraFo 2011 487, 496; Knauer/Lickleder NStZ 2012 366, 377; a. A. Kirsch StraFo 2010 96, 101; Niemöller NStZ 2013 19, 22. Anders, wenn das Gericht nicht beteiligt war, OLG Hamm NStZ 2017 725, 726. Zur Unwirksamkeit einer vereinbarten Berufungsbeschränkung bei Dokumentationsmängeln OLG Stuttgart StV 2014 397, 400; a. A. OLG Hamburg NStZ 2014 534, 535. 576 Bejahend SK/Velten 32; krit. M.M. Müller 90 f. 577 Niemöller/Schlothauer/Weider C 43. 578 BGHSt 52 165, 170 f. mit Anm. Lindemann JR 2009 83; Rieß FS Meyer-Goßner 645, 652; zust. MeyerGoßner/Schmitt 15b; krit. HK/Temming 21; OK-StPO/Eschelbach 17.6; El-Ghazi JR 2012 406, 407. 579 Oben Fn. 485, vgl. auch BGHSt 50 40, 52. 580 BTDrucks. 16 12310 S. 2, 9; BGHSt 57 3, 4 f.; BGH StV 2009 680; NStZ-RR 2010 383 f. 581 So aber BGH StV 2009 169 f. (Zurückweisung eines Befangenheitsantrags) mit Anm. Beulke/Witzigmann 394; Pfister StV 2009 550, 553; Beulke StV 2009 554, 556 f.; BGH StV 2010 470 (Auswechslung des Pflichtverteidigers) mit abl. Anm. Wattenberg; offenlassend BGH NStZ 2011 54, 55; krit. Knauer/Lickleder NStZ 2012 366, 369; diff. BGHSt 57 3, 5; abl. MüKo/Jahn/Kudlich 208 f.; SSW/Ignor 24. 582 Ein vor Inkrafttreten des Gesetzes wirksam vereinbarter Rechtsmittelverzicht bleibt davon unberührt, BGHSt 54 167. 583 KK/Moldenhauer/Wenske 67; Niemöller/Schlothauer/Weider C 5 ff. 584 KK/Moldenhauer/Wenske 57; Niemöller/Schlothauer/Weider C 8, 12; OK-StPO/Eschelbach 48, 50.

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schlagen wird aber die entsprechende Anwendung von Absatz 4 Satz 3,585 wenn die Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten Berufung einlegt mit dem Ziel einer höheren als in erster Instanz vereinbarten Strafobergrenze, weil dann das Erfüllungsinteresse des Angeklagten enttäuscht worden sei und die Verständigung rückabgewickelt werden müsse. Über dieses Verwertungsverbot sei der Angeklagte entsprechend § 257c Abs. 4 Satz 4 qualifiziert zu belehren,586 ein Belehrungsmangel führe aber nicht automatisch zur Unverwertbarkeit einer im Berufungsverfahren erfolgten geständigen Einlassung.587 Verwertet werden dürfe das erstinstanzliche Geständnis nur, wenn das Berufungsgericht sich an die ordnungsgemäß zustandegekommeine erstinstanzliche Verständigung halte und den Angeklagten zu Beginn der Berufungshauptverhandlung unverzüglich darüber informiere.588 Aus dem Verwertungsverbot wird gefolgert, dass Schuldspruch und Rechtsfolgenausspruch nicht mehr selbständig beurteilt werden können, so dass eine Beschränkung der Berufung589 – ebenso der Revision590 – von Seiten der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsmittelausspruch eines verständigungsbasierten Urteils unwirksam sei. 3. Revision a) Sachrüge. Mit der Sachrüge kann beanstandet werden, dass die Feststellungen 89 den Schuld- und Strafausspruch nicht tragen, namentlich die Beweiswürdigung des vereinbarten Geständnisses lückenhaft oder widersprüchlich ist.591 Die Zustimmung des Angeklagten zum Strafausspruch entbindet das Gericht nicht davon, dass aus den Urteilsgründen erkennbar sein muss, welchen Inhalt das Geständnis hatte, wobei dessen vollständige Wiedergabe nicht vonnöten ist, und auf welche Weise das Gericht sich von dessen Glaubhaftigkeit überzeugt hat, d. h. durch welche Strengbeweismittel es bestätigt wurde.592 Auf die Sachrüge hin wird zudem geprüft, ob das Strafgesetz fehlerhaft angewendet und die Strafzumessung rechtsfehlerhaft erfolgt, insbesondere das Verfassungsgebot schuldangemessenen Strafens verletzt worden ist, was bei Verhängung einer unzulässigerweise zugesagten Punktstrafe593 anzunehmen ist. Dass das Urteil einem Verständigungsvorschlag des Gerichts entspricht, der mangels Zustimmung der Staats-

585 OLG Düsseldorf StV 2011 80, 81 f. mit krit. Anm. Kuhn StV 2012 10 und Moldenhauer/Wenske NStZ 2012 184; zust. Jahn StV 2011 497, 501; Mosbacher JuS 2011 708 f.; El-Ghazi JR 2012 406 ff.; OLG Karlsruhe NStZ 2014 294, 295 mit zust. Anm. Moldenhauer 493 und krit. Anm. Norouzi StV 2014 661; OLG Hamm 22.11.2017 – 1 RVs 79/17 Rn. 20; OK-StPO/Eschelbach 47; SK/Velten 48; Beulke/Swoboda 396c; s. a. Altvater StraFo 2014 221, 222; Schneider NZWiSt 2015 1, 4 (Beweisverwertungsverbot aus Art. 6 EMRK); im Erg. auch MüKo/Jahn/Kudlich 179; KK/Moldenhauer/Wenske 37, 41 f. (nicht § 257c Abs. 4 Satz 3 analog, sondern Vertrauensschutz durch Fortgeltung des Verständigungsstrafrahmens); Wenske NStZ 2015 137, 141 f.; dazu neigend BGH NStZ 2017 373, 375; offenlassend OLG Nürnberg NStZ-RR 2012 255, 256; a. A. HK/Temming 32. 586 OLG Karlsruhe NStZ 2014 294, 295; OK-StPO/Eschelbach 47; El-Ghazi JR 2012 406, 412 ff.; Schneider NZWiSt 2015 1, 5; Wenske NStZ 2015 137, 142. 587 OLG Karlsruhe NStZ 2014 294, 295 (Abwägung). 588 OLG Karlsruhe NStZ 2014 294; OK-StPO/Eschelbach 47; Schneider NZWiSt 2015 1, 4. 589 OLG Düsseldorf StV 2011 80; OLG Hamm 22.11.2017 – III-1 RVs 79/17 Rn. 17 ff. 590 OLG Naumburg NStZ 2018 238, 239. 591 KK/Moldenhauer/Wenske 64; Niemöller/Schlothauer/Weider C 9; OK-StPO/Eschelbach 49; Frisch GedS Weßlau 127, 131 f. 592 Vgl. BGHSt 50 40, 49 f.; BGH NStZ 2009 467; NStZ-RR 2007 307, 309; KK/Moldenhauer/Wenske 64; Niemöller/Schlothauer/Weider C 9. 593 BGHSt 51 84, 86; BGH NStZ 2011 231; 648; KG wistra 2015 288; MüKo/Jahn/Kudlich 189; SSW/Ignor 135.

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anwaltschaft nicht zustande kam, begründet für sich allein noch keinen Rechtsfehler.594 Ist eine Verständigung gescheitert, so liegt kein Rechtsfehler darin, wenn das Gericht nach einer langen Hauptverhandlung das im Zwischenverfahren für den Fall einer streitigen Hauptverhandlung in Aussicht gestellte Höchstmaß deutlich überschreitet.595 90

b) Verfahrensrüge. Hält sich das Gericht nicht an eine bindende Verständigung, stellt dies eine mit der Verfahrensrüge angreifbare Verletzung von § 257c dar,596 die allerdings nicht vorliegt, wenn das Gericht die angegebene Strafobergrenze ausschöpft597 oder an der Untergrenze des vereinbarten Strafrahmens bleibt, aber die Konkurrenzen falsch beurteilt.598 Fehlt die Angabe einer Strafuntergrenze in dem Vorschlag nach Absatz 3 Satz 1, so ist dadurch allenfalls die Staatsanwaltschaft, nicht aber der Angeklagte beschwert.599 Fehlerhaft ist es, wenn das Gericht zu Unrecht die Voraussetzungen einer Lösung nach Absatz 4 angenommen hat,600 allerdings sind die hierfür maßgeblichen Strafzumessungserwägungen nur eingeschränkt nachprüfbar.601 Verständigungen, die nicht nach § 257c erlaubt sind, sind verboten und können mit der Verfahrensrüge beanstandet werden,602 etwa wegen verbotenen Inhalts wie der Abrede über den Schuldspruch,603 der Zusage einer bestimmten Strafe (deren Verhängung die Sachrüge begründen kann, Rn. 89), des Absehens von der Sicherungsverwahrung,604 der Halbstrafenaussetzung nach § 57 Abs. 2 StGB605 oder der wahrheitswidrigen Bejahung rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung nebst Kompensation.606 Gerügt werden kann ferner die unzulässige Verknüpfung von Prozessverhalten und Rechtsfolgen, etwa Strafrabatt für den Verzicht auf die Ausübung prozessualer Rechte. Die Rechtsprechung fordert allerdings, dass der verteidigte Angeklagte ihm unzulässig erscheinenden Inhalten widerspricht, um die Rüge zu erhalten.607 Diesem Versuch, eine „Widerspruchslösung“ ohne gesetzliche Grundlage einzuführen, kann nicht gefolgt werden. Auch bei einer gegen Absatz 4 Satz 3 verstoßenden Verwertung eines Geständnisses608 oder des

594 BGH HRRS 2011 Nr. 46. 595 BGH StV 2011 202, 203 f. mit abl. Anm. Schlothauer; OK-StPO/Eschelbach 49. 596 BGH NStZ 2008 620, 621; StV 2010 227; wistra 2011 276, 277; HK/Temming 29; KK/Moldenhauer/ Wenske 72; Meyer-Goßner/Schmitt 33a; OK-StPO/Eschelbach 50.5; SK/Velten 57. Zum nötigen Vortrag s. KK/ Moldenhauer/Wenske 69. 597 BGH NStZ 2010 650 mit abl. Anm. Bockemühl/Staudinger StraFo 2010 425. 598 BGH NStZ 2013 48, 49; a. A. MüKo/Jahn/Kudlich 202. 599 BGH StV 2011 75 f.; NStZ-RR 2011 171 f.; a. A. MüKo/Jahn/Kudlich 203. 600 MüKo/Jahn/Kudlich 194; Niemöller/Schlothauer/Weider C 47 ff., 56 f. auch zur Frage, ob nach Zurückverweisung das neue Tatgericht an die wirksame Verständigung gebunden ist; dazu Rn. 63; SSW/ Ignor 140. 601 Vgl. BGHSt 57 273, 280 f.; BGH NStZ 2017 373, 374 (weiter Beurteilungsspielraum des Tatgerichts); KK/Moldenhauer/Wenske 30, 77; a. A. SK/Velten 41 (eng auszulegen). 602 Zur präzisen Angabe der verletzten Vorschrift s. Wenske StV 2014 525, 526. 603 BGH StV 2012 134 mit Anm. Velten 172; KK/Moldenhauer/Wenske 73; a. A. (Sachrüge) Meyer-Goßner/ Schmitt 33a; undeutlich BVerfGE 133 168, 223 f. 604 Vgl. Fn. 310. 605 BGH StV 2011 74 f. mit Anm. Bachmann/Goeck JR 2011 168; MüKo/Jahn/Kudlich 95. 606 BGHSt 61 43,45; BGH StV 2011 74, 75 mit Anm. Bachmann/Goeck JR 2011 168; MüKo/Jahn/Kudlich 122. 607 BGH NStZ 2010 293; HK/Temming 40; auch KK/Moldenhauer/Wenske 68, 76; a. A. OK-StPO/Eschelbach 50. 608 MüKo/Jahn/Kudlich 189, 195; Niemöller/Schlothauer/Weider 151; Niemöller/Schlothauer/Weider C 59.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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Verstoßes gegen Mitteilungspflichten609 ist kein Widerspruch erforderlich, um die Revisionsrüge zu erhalten. Ist mit einer zu weit geöffneten Sanktionsschere (Rn. 56) gedroht worden,610 kommt 91 ein Verstoß gegen § 136a in Betracht nebst Verwertungsverbot611 des resultierenden Geständnisses; dies gilt ebenso für andere Formen unzulässigen Drucks, wie die Androhung der Untersuchungshaft612 oder der Sicherungsverwahrung.613 Zugleich kann dadurch die Besorgnis der Befangenheit begründet sein.614 Bei unzulässiger Druckausübung sind die vorgenannten Rügen vorrangig gegenüber der Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens.615 Auch hier neigt die Rechtsprechung zu Unrecht dazu, jedenfalls vom verteidigten Angeklagten zum Rügeerhalt zu verlangen, dass er unzulässigem Druck durch Widerspruch oder Befangenheitsantrag entgegentritt.616 Ebensowenig führt es zum Rügeverlust, wenn die Verteidigung nicht auf die – gesetzlich ohnehin vorgeschriebene – Protokollierung der fraglichen Vorgänge hingewirkt hat.617 Werden naheliegende Beweiserhebungen unterlassen, insbesondere ein zu schlankes 92 Geständnis nicht auf seine Glaubhaftigkeit überprüft oder neue Umstände nicht angemessen bewertet, so liegt darin ein Verstoß gegen den Aufklärungsgrundsatz aus § 244 Abs. 2 i. V. m. § 257c Abs. 1 Satz 2.618 Dies gilt auch, wenn Verständigungsbemühungen außerhalb der Hauptverhandlung stattfinden und diese trotz sich aufdrängender Relevanz für die Beweisführung nicht in die Beweisaufnahme eingeführt werden.619 Die Aufklärungsrüge verwirkt der Angeklagte nicht dadurch, dass er auf Beweisanträge verzichtet hat.620 Mit der Verfahrensrüge kann als Verletzung von § 261 auch beanstandet werden, dass das Tatgericht Beweismittel verwertet hat, die nicht Gegenstand der Hauptverhandlung waren, etwa das Geständnis nur anhand der nicht in die Verhandlung eingeführten Akten überprüft hat. Umgekehrt ist § 261 wegen Verstoßes gegen die Pflicht zu erschöpfender Würdigung der Beweismittel auch dann verletzt, wenn Inhalt und Begleitumstände einer Verständigung für die Beweiswürdigung relevant sein können – wie bei einer Verständigung mit einem Mitangeklagten –, aber in den Urteilsgründen nicht berücksichtigt wurden.621 609 BGHSt 52 252, 256 mit abl. Anm. Grube NStZ 2014 603, 604; OLG Dresden 25.11.2014 – 2 OLG 23 Ss 469/14 Rn. 7; ebenso Schneider NStZ 2014 252; a. A. Altvater StraFo 2014 221, 226; offengelassen von BGH StV 2014 650, 651. 610 BVerfGE 133 168, 240; vgl. zuvor BVerfG StV 2006 57; BGH StV 2002 637, 639; 2004 470; NStZ 2005 393; 2008 170; Kasuistik bei Kubik 148 ff. 611 BGH NStZ 2008 170, 171; 2018 419, 420; KK/Moldenhauer/Wenske 75; OK-StPO/Eschelbach 53; SSW/ Ignor 137. Leugnet der Angeklagte jedoch weiterhin, kann es am Beruhen fehlen, BGH NStZ 2018 419, 420. 612 BGH StV 2004 260 f.; 2004 470, 471. 613 Oben Fn. 310; OK-StPO/Eschelbach 53. 614 BVerfGK 7 83; BGH NStZ 2008 170, 171; KK/Moldenhauer/Wenske 75; Niemöller/Schlothauer/Weider C 28. Zur Verwirkung der Befangenheitsrüge, wenn das Verfahren nach Ablehnung des Befangenheitsantrags mit einer Absprache beendet wurde, BGH NJW 2009 690, 691 mit Anm. Beulke/Witzigmann StV 2009 394; Pfister StV 2009 550, 553; Beulke StV 2009 554, 556 f.; Ventzke HRRS 2009 28; krit. OK-StPO/Eschelbach 51.1; abl. SSW/Ignor 24. 615 BGH NStZ 2009 168. 616 BGH NStZ 2005 526 (bestätigt in BVerfGK 7 83, 85 f.); 2009 168; zust. KK/Moldenhauer/Wenske 76; abl. MüKo/Jahn/Kudlich 133, 195; SSW/Ignor 137. 617 BVerfG NJW 2012 1136, 1137; anders noch BGH NStZ 2010 293. 618 Niemöller/Schlothauer/Weider C 19 ff., 42; zur Nachweisschwierigkeit s. KK/Moldenhauer/Wenske 80; abw. MüKo/Jahn/Kudlich 191 wegen angeblicher „konsensmaximenkompatibler“ Reduktion der Aufklärungspflicht. 619 BGHSt 58 184, 189. 620 OK-StPO/Eschelbach 54; Beulke/Witzigmann StV 2009 394, 397. 621 BGHSt 58 184, 189.

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§ 257c

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

Bei einer nur teilweise fehlerhaften Verständigung beruht das Urteil auf dem Rechtsverstoß stets dann, wenn nicht – wie in der Regel – auszuschließen ist, dass die Verständigung ohne den fehlerhaften Bestandteil nicht zustande gekommen wäre.622 Ist eine Verständigung mangels Zustimmung der Staatsanwaltschaft nicht zustan94 de gekommen und erklärt der Vorsitzende in der Hauptverhandlung gleichwohl, dass die Kammer „grundsätzlich dazu stehe, was sie gesagt habe“, soll darin kein Befangenheitsgrund liegen, weil damit lediglich eine vorläufige Prognose ausgedrückt sei.623 Dennoch sollte das Gericht besser jeden Anschein einer unzulässigen Bindung weiträumig vermeiden. 93

c) Beruhen. Ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach Absatz 5 wurde früher regelmäßig ausgeschlossen, wenn ein Fall des Absatzes 4 nicht eingetreten ist und wenn das Geständnis des Angeklagten, auf dem die Überzeugungsbildung des Gerichts fußt, nicht durch die fehlende Belehrung beeinflusst wurde.624 Nach Auffassung des BVerfG wird die vom Gesetzgeber vorgesehene Schutzfunktion dieser Belehrungspflicht „als zentrale rechtsstaatliche Sicherung des Grundsatzes des fairen Verfahrens und der Selbstbelastungsfreiheit“625 nur wirksam gewährleistet, wenn bei einem Verstoß regelmäßig davon ausgegangen wird, dass das Geständnis und damit auch das Urteil auf dem Unterlassen der Belehrung beruht. Ein Beruhen könne nur ausnahmsweise verneint werden, wenn sich feststellen lasse, dass der Angeklagte das Geständnis auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte,626 wofür vom Revisionsgericht konkrete Feststellungen zu treffen seien.627 Das wird sich nur in wenigen Fällen sicher sagen lassen, etwa wenn der Angeklagte den Inhalt des Absatzes 5 auch ohne richterliche Belehrung durch seinen Verteidiger nachweislich kannte628 oder die Belehrung zwar verspätet, aber noch vor der Aussage des Angeklagten erfolgt ist629 (zur Heilung des Belehrungsmangels s. Rn. 58) oder das Geständnis nach der Belehrung wiederholt wurde.630 Nach Ansicht der Rechtsprechung muss der Revisionsführer weder vortragen, dass er den Inhalt der Belehrung nach Absatz 5 nicht gekannt hat, noch dass er bei ordnungsgemäßer Belehrung nicht gestanden hätte.631 Ebenso soll nach Auffassung des BVerfG ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß 96 gegen § 257c nicht auszuschließen sein, wenn die Negativmitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 1632 oder das Negativattest nach § 273 Abs. 1a Satz 3633 fehlt, „sofern nicht ausnahmsweise zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche gegeben hat, in denen 95

622 623 624 625 626 627

MüKo/Jahn/Kudlich 204. BGH StV 2011 453 f. BGH StV 2010 675; 2011 75, 76; 2011 76, 78; HRRS 2010 Nr. 1057. BVerfGK 20 347, 352. BVerfGE 133 168, 225, 238 f.; krit. Kudlich NStZ 2013 379, 381. BVerfGE 133 168, 238; BVerfGK 20 347, 352 ff.; BVerfG NJW 2014 3506, 3507 (gegen BGH NStZ 2013 728 mit Anm. Radtke und Eisenberg StV 2014 69; danach BGH 5.11.2014 – 5 StR 253/13); dem folgend BGH NStZ-RR 2013 350; 2014 185; 2015 225; NStZ 2015 358, 359; StV 2014 518, 519; 2018 11 f.; BGH 6.3.2018 – 5 StR 585/17 Rn. 7; OLG Köln StV 2014 80, 81; OLG München StV 2014 79 f.; OLG Rostock StV 2014 81 f.; zust. KK/Moldenhauer/Wenske 79; OK-StPO/Eschelbach 42.1 ff., 50; Rabe 370 ff., 381 ff.; krit. Kudlich NStZ 2013 379, 381; s. zuvor Jahn StV 2011 497, 502; Schlothauer StraFo 2011 487, 493. 628 BGH NStZ-RR 2013 350; a. A. MüKo/Jahn/Kudlich 200. 629 BGH NStZ 2013 728 mit Anm. Radtke und Eisenberg StV 2014 69. 630 BGH NStZ 2013 727 f. 631 BGH StV 2014 518, 519; BGH 6.3.2018 – 5 StR 585/17 Rn. 6. 632 Dazu LR/Becker § 243, 115 m. umfangr. N. 633 Dazu LR/Stuckenberg § 273, 37, 67 Fn. 249.

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§ 257c

die Möglichkeit einer Verständigung im Raum stand.“634 Denn bei „einem Verstoß gegen Transparenz- und Dokumentationspflichten wird sich in den meisten Fällen nicht sicher ausschließen lassen, dass das Urteil auf eine gesetzwidrige ‚informelle‘ Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgeht.“635 Betrifft die unzureichende Mitteilung und Protokollierung nur einen Mitangeklagten, wird ein anderer Angeklagter dadurch aber regelmäßig nicht in seinen Rechten verletzt.636 Kritik. Die Auffassung des BVerfG ist sowohl hinsichtlich des Belehrungsverstoßes 97 als auch der Negativmitteilungen abzulehnen: Das Beruhenserfordernis betrifft den Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensfehler und Entscheidungsinhalt und ist daher eine tatsächliche, keine (verfassungs-)rechtliche Frage.637 Als empirische Regelannahme ist der Indizienschluss des BVerfG von der Verletzung der Belehrungspflicht,638 der Mitteilungspflicht639 sowie einer (isolierten) Verletzung der Protokollierungspflicht640 auf das Vorliegen einer gesetzeswidrigen Verständigung nicht plausibel, weshalb es sich um eine non-empirische,641 widerlegbare642 verfassungsgerichtliche Beruhensvermutung handelt. § 337 Abs. 1 wird dadurch modifiziert, weil die bei jeder hypothetischen Erwägung unvermeidbare Unsicherheit die vom BVerfG geforderten „konkreten Feststellungen“ ausschließt. Dasselbe gilt für die „normative“ Beruhensprüfung der Verletzung von § 243 Abs. 4643 und § 273 Abs. 1a.644 Der Sache nach hat das BVerfG damit eine Beweislastumkehr645 dekretiert, die nur im Wege einer verfassungskonformen Auslegung möglich sein dürfte, die das Gericht in der Senatsentscheidung allerdings ausdrücklich nicht vorgenommen haben will.646 Wenn der Gesetzgeber die Schutzvorschriften für 634 BVerfGE 133 168, 223 f. mit Verweis auf OLG Celle StV 2012 394 mit Anm. Altenhain/Haimerl. Zur divergenten Judikatur der Strafsenate des BGH s. SK/Frisch § 337, 197a ff. m. w. N. OLG Nürnberg StV 2015 282, 283 nimmt bei einem Verstoß gegen „§ 273 Abs. 1a“ – unterlassene Protokollierung eines in der Hauptverhandlung gemachten gescheiterten Verständigungsangebots – unter Berufung auf BVerfGE 133 168 einen „absoluten Revisionsgrund“ an. 635 BVerfGE 133 168, 223 f.; BVerfG NJW 2014 3504, 3506; Kirsch StraFo 2010 96, 100; Schlothauer StV 2011 205, 206; ähnl. Schmitt StraFo 2012 386, 390. 636 BVerfG NStZ 2014 528; BGH NStZ 2015 657; Meyer-Goßner/Schmitt § 273, 12c. 637 Zutr. BGHSt 59 130, 135; BGH NStZ 2016 221, 223; LR/Becker § 243, 115 m. w. N.; Altvater StraFo 2014 221, 225 Fn. 38; s. a. OLG Hamburg NStZ 2014 534, 535 f. 638 Kudlich NStZ 2013 379, 381. 639 Sehr krit. LR/Becker § 243, 115 m. umfangr. N. 640 Zutr. SK/Frister § 273, 54a mit Fn. 207. 641 Terminologie nach Perelman/Foriers/Wróblewski Les présomptions et les fictions en droit (1974) 83 ff.; s. a. Stuckenberg Untersuchungen zur Unschuldsvermutung (1997) 456: Non-empirische Vermutungen sind nicht empirischen Regeln nachgebildet, können aber empirisch widerlegt werden. 642 Daher keine Fiktion, wie Meyer NJW 2013 1850, 1851 meint. 643 BVerfG NStZ 2015 170, 172; 2015 172, 174 mit Anm. Knauer/Pretsch; Niemöller NStZ 2015 489; sehr krit. LR/Becker § 243, 115 m. w. N.; Pfister StraFo 2016 187, 192 (Rückfall hinter 1877). 644 Im Ergebnis wie hier SK/Frisch § 337, 197e; ders. GedS Weßlau 127, 145 („Deformation des Begriffs“ des Beruhens). 645 Mit Verschiebung des Beweisthemas von positiver Kausalitätsfeststellung zum Gegenbeweis des negativen Kausalitätsausschlusses, vgl. Stuckenberg Untersuchungen zur Unschuldsvermutung (1997) 453 ff., 469 ff., 474 m. w. N. Wenn BVerfG 9.12.2015 – 2 BvR 1043/15 Rn. 8 ff. von „Indizwirkung“ spricht, liegt darin kein sachlicher Unterschied. 646 BVerfGE 133 168, 236. Die Kammerentscheidungen sprechen hingegen vom „verfassungsrechtlich gebotenen Beruhensmaßstab“, BVerfG NJW 2014 3506, 3507; ähnl. BVerfGK 20 347, 353. Zur fehlenden Bindungswirkung s. BGH NStZ 2016 221, 225. Lam StraFo 2014 407, 409 f. leitet eine „verfassungskonforme Auslegung“ des § 337 aus Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ab, was aber konsequenterweise nicht nur für Verständigungsregeln gelten könnte und das Normkonzept des § 337 gänzlich umgestaltete.

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so wesentlich hält, dass von ihrer peniblen Beobachtung der Bestand jeglicher Verständigung im Rechtsmittelweg abhängt, dann hätte er Verstöße dagegen zu absoluten Revisionsgründen ausformen müssen, was sich freilich noch nachholen lässt.647 98

d) Sonstiges. Verweist das Revisionsgericht zu erneuter Verhandlung zurück, so bleibt, wenn die zugrunde liegende Verständigung wirksam bleibt, auch das Geständnis in der neuen Tatsacheninstanz verwertbar.648 Wird das Urteil wegen Verstoßes gegen § 257c aufgehoben, ist ein im Zuge der Verständigung abgegebenes Geständnis unverwertbar.649 Wird das Urteil auf die Sachrüge der Staatsanwaltschaft hin aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, so stellt sich, da das neue Tatgericht an die frühere Verständigung nicht gebunden ist (Rn. 64), ebenfalls (vgl. Rn. 88) die Frage der Verwertbarkeit des in erster Instanz abgelegten Geständnisses, die grundsätzlich zu verneinen ist.650

99

4. Wiederaufnahme des Verfahrens. Die Wiederaufnahme des Verfahrens ist nach allgemeinen Regeln möglich651 und kommt bei verbotenen Absprachen auch nach §§ 359 Nr. 3, 362 Nr. 3 in Betracht.652 Der Widerruf eines Geständnisses ist grundsätzlich ein Wiederaufnahmegrund gem. § 359 Nr. 5.653

§ 258 Schlussvorträge; Recht des letzten Wortes (1) Nach dem Schluß der Beweisaufnahme erhalten der Staatsanwalt und sodann der Angeklagte zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort. (2) Dem Staatsanwalt steht das Recht der Erwiderung zu; dem Angeklagten gebührt das letzte Wort. (3) Der Angeklagte ist, auch wenn ein Verteidiger für ihn gesprochen hat, zu befragen, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe. Schrifttum Alsberg Das Plädoyer (Nachdruck), AnwBl. 1978 1; Baudisch Niederschreiben der Urteilsformel vor den Schlußvorträgen, NJW 1960 135; Bock Die Entwertung des letzten Wortes – Wann muss einem Angeklagten erneut das letzte Wort (§ 258 Abs. 2, 3 StPO) erteilt werden? ZStW 129 (2017) 745; Bottke Die Wahrheitspflicht des Verteidigers, ZStW 96 (1984) 726; Dahs sen. Das Plädoyer des Strafverteidigers, AnwBl. 1959 1; ders. Das Plädoyer des Staatsanwalts, DRiZ 1960 106; Dahs Das Plädoyer des Staatsanwalts aus der Sicht des Verteidigers, AnwBl. 1979 106; Dästner Schlußvortrag und letztes Wort im Strafverfahren, RuP 1982 180; Gubitz/Bock Letztes Wort und Schlussvortrag des Angeklagten – ein Fallstrick mit Konse-

647 648 649 650 651

Dafür MüKo/Jahn/Kudlich 30; SK/Frisch § 337, 197e; Kudlich ZRP 2013 162, 164 f. BGH StV 2010 470 f.; KK/Moldenhauer/Wenske 59; SK/Velten 57. KK/Moldenhauer/Wenske 59. Dazu neigend BGH NStZ 2017 373, 375. Dazu Schünemann Gutachten 58. DJT, B 128 ff.; Hellebrand NStZ 2004 413 ff.; ders. NStZ 2008 374 ff.; Eschelbach HRRS 2008 190, 199 ff. 652 Meyer-Goßner/Schmitt 34; OK-StPO/Eschelbach 56; Schlothauer/Weider StV 2009 600, 606; eingehend Ruhs 205 ff. Zur strafrechtlichen Beurteilung verbotenen Verständigungsverhaltens siehe die Nachw. in Fn. 139. 653 BGH NStZ-RR 1997 173, 174; KG NStZ 2006 468, 469 mit Anm. König StraFo 2006 170; OLG Köln StV 1989 98 f.; OLG Stuttgart NJW 1999 375, 376; OK-StPO/Eschelbach 56.2; Eschelbach FS Rissing-van Saan 115, 140 m. w. N. und die in Fn. 651 Genannten; allgemein Stern StV 1990 563 ff.

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quenzen für die Revision, JA 2009 136; Häger Zu den Folgen staatsanwaltschaftlicher, in der Hauptverhandlung begangener Verfahrensfehler, GedS Meyer (1990) 171; Hammerstein Verteidigung mit dem letzten Wort, FS Tröndle (1989) 485; ders. Verteidigung wider besseres Wissen? NStZ 1997 12; Hoffmann Niederschreiben der Urteilsformel vor den Schlußvorträgen, NJW 1959 1526; Lüderssen Wie abhängig ist der Strafverteidiger von seinem Auftraggeber? Wie abhängig kann und soll er sein? FS Dünnebier (1982) 263; Milhan Das letzte Wort des Angeklagten, Diss. München 1971; Nehm Verpflichtung zum Plädoyer? FS Geiß (2000) 111; Reuß Das Plädoyer des Anwalts, JR 1965 162; Rübenstahl Der „Wiedereintritt in die Verhandlung“ und die erneute Erteilung des letzten Worts (zur Auslegung von § 258 II, III StPO), GA 2004 33; Salditt Das Letzte Wort des schweigenden Angeklagten, FS Samson (2010) 699; Schlothauer Wiedereröffnung der Hauptverhandlung und letztes Wort, StV 1984 134; ders. Das kann doch nicht das letzte Wort sein!? FS II Eisenberg (2019) 271; Schütz Unterbleiben des Schlußvortrags des Staatsanwalts als Revisionsgrund, NJW 1963 1589; Seibert Das letzte Wort, MDR 1964 471; Traut/Nickolaus Der Ankereffekt: Schattendasein im Strafprozess. Plädoyer für eine Reform des § 258 StPO, StraFo 2015 485; Weinberg Einführung in die Probleme der Sitzungsvertretung, JuS 1980 335. Hinweise auf das Schrifttum zur Rhetorik finden sich bei Dahs (Hdb.) Vor 714.

Bezeichnung bis 1924: § 257. Übersicht I. II.

III.

1 Bedeutung Zeitpunkt der Schlussvorträge 2 1. Nach dem Schluss der Beweisaufnahme 2 2. Erneuerung der Schlussvorträge 4 a) Ausdrücklicher Wiedereintritt in die Verhandlung 5 b) Stillschweigender Wiedereintritt 6 aa) Beispielsfälle 7 bb) Keine Wiedereröffnung 10 c) Erneute Schlussvorträge 12 3. Schlussvorträge und Beratung 14 Schlussvorträge (Absatz 1) 17 1. Berechtigte 17 2. Worterteilung 19 3. Reihenfolge 20 4. Verpflichtung zu Schlussausführungen 22 a) Grundsätzlich keine Verpflichtung 22 b) Staatsanwaltschaft 23

c) Verteidiger 24 Form und Inhalt der Schlussvorträge 25 a) Form 25 b) Inhalt 27 6. Recht zur Erwiderung 34 IV. Recht auf das letzte Wort 37 1. Berechtigte 37 2. Reihenfolge 39 3. Kein Ausschluss 42 4. Befragung des Angeklagten 44 5. Inhalt 47 V. Grenzen der Redefreiheit 50 1. Grenzen 50 2. Maßnahmen 52 VI. Sitzungsniederschrift 54 VII. Rechtsbehelfe 58 1. Anrufung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 58 2. Revision 59 a) Mögliche Verfahrensrügen 59 b) Begründung 67 c) Beruhen 68 5.

I. Bedeutung § 258 garantiert den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, unmittelbar vor der end- 1 gültigen Beratung (§ 260 Abs. 1) des Gerichts zu dem gesamten (im Gegensatz zu § 257) Ergebnis der Hauptverhandlung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Stellung und somit auf die Urteilsfindung Einfluss zu nehmen. Die verfassungsrechtliche Pflicht, allen Verfahrensbeteiligten, soweit sie Grundrechtsträger sind,1 rechtliches Gehör zu gewäh1 OK-StPO/Eschelbach 1; SSW/Franke 1.

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ren (Art. 103 Abs. 1 GG), wird dadurch konkretisiert.2 Die Verpflichtung, dem Angeklagten das letzte Wort zu gewähren (Absatz 2), gestaltet zudem seinen Gehörsanspruch über das verfassungsrechtlich Notwendige hinaus als besonders wirksames Verteidigungsmittel aus,3 da sein letztes Wort als frischester Sinneseindruck von der Hauptverhandlung gleichsam mit den Richtern „in das Beratungszimmer“ geht.4 Die Schlussvorträge und das letzte Wort gehören zum Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 und sind daher vom Gericht zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Überzeugungsfindung zu berücksichtigen.5 Somit dienen die abschließenden kontradiktorischen Stellungnahmen zum Prozessstoff auch der Wahrheitsfindung.6 Sie fördern durch Herausstellen gegensätzlicher Auffassungen und Argumente seine gedankliche Durchdringung und erleichtern dem Gericht, die für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände vollständig zu erkennen, sie in ihrer Bedeutung richtig zu erfassen und sie gegeneinander abzuwägen. Entsprechende Regelungen gelten für die Berufungsverhandlung in § 326 und für die Revision in § 351 Abs. 2.

II. Zeitpunkt der Schlussvorträge 1. Nach dem Schluss der Beweisaufnahme. Nach dem Zweck des § 258 ist „Beweisaufnahme“ weit auszulegen, so dass darunter nicht nur die eigentliche Beweiserhebung, sondern jede Prozesshandlung, die einen Wiedereintritt in die Hauptverhandlung darstellt und die Sachentscheidung des Gerichts beeinflussen könnte (Rn. 4, 6 ff.), zu verstehen ist. Es bedarf keiner förmlichen Feststellung durch Gerichtsbeschluss oder Anordnung des Vorsitzenden, dass die Beweisaufnahme geschlossen werde.7 Ausreichend ist, wenn der Vorsitzende den Verfahrensbeteiligten unmissverständlich zu erkennen gibt, dass nunmehr mit den abschließenden Ausführungen zum Ergebnis der Verhandlung begonnen werden könne, weil keine weiteren Beweise zu erheben sind und auch sonst keine den Verfahrensstoff erweiternden Verfahrenshandlungen mehr anstehen. Der Hinweis des Vorsitzenden und Vermerk im Protokoll, dass die Beweisaufnahme geschlossen werde, ist üblich und zweckmäßig, aber nicht notwendig. 3 Der Schluss der Beweisaufnahme hat stets nur vorläufigen Charakter.8 Er hindert weder die Verfahrensbeteiligten, neue Beweisanträge zu stellen, noch das Gericht, auf Grund eines solchen Antrags oder von Amts wegen noch während der mündlichen Urteilsbegründung erneut in die Beweisaufnahme einzutreten, Hinweise zu erteilen oder

2

2 BVerfGE 54 140, 141; MüKo/Cierniak/Niehaus 2; OK-StPO/Eschelbach 1; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 1; SK/Velten 4; zum Recht auf Gehör vgl. LR/Kühne Einl. I 75 ff. 3 Vgl. BGHSt 9 77, 79; AK/Dästner 1; Roxin/Schünemann § 44, 5; empirische Zweifel wegen des sog. Ankereffekts äußern Traut/Nickolaus StraFo 2015 485, 487 ff. m. w. N.; Volbert/Steller/Englich, Handbuch der Rechtspsychologie (2008) 486, 491; auch MüKo/Cierniak/Niehaus 2; OK-StPO/Eschelbach 8. 4 Dahs (Hdb.) 765. 5 OGHSt 2 193, 195; BGHSt 11 74, 75; BGH StV 1983 402; StraFo 2010 71; KK/Ott 28; Meyer-Goßner/ Schmitt 1. 6 OLG Hamm JMBlNW 1980 81, 82; KK/Ott 1; KMR/Stuckenberg 1; Bock ZStW 129 (2017) 745, 754; a. A. SK/Velten 4, 6, 40, 43. 7 HK/Julius/Beckemper 2; KK/Ott 2; KMR/Stuckenberg 2; Meyer-Goßner/Schmitt 2; OK-StPO/Eschelbach 2; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 2; SK/Velten 13; OLG Köln NJW 1954 46 (förmlicher Beschluss kann sogar irreführend sein, wenn er mit dem Zusatz versehen wird, dass die Beweisaufnahme im allseitigen Einverständnis geschlossen werde, weil die Vorläufigkeit dieser Feststellung für prozessunkundige Personen nicht ersichtlich sei; zust. Eb. Schmidt 1). 8 KK/Ott 2; KMR/Stuckenberg 2; Meyer-Goßner/Schmitt 27 ff.; OK-StPO/Eschelbach 3; SK/Velten 13, 47 ff.

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sonst über eine Frage zu verhandeln. Ein Anspruch auf Wiedereintritt besteht jedoch nur bis zum Beginn der Urteilsverkündung;9 späteren Beweisanträgen muss das Gericht nur im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachgehen.10 2. Erneuerung der Schlussvorträge. Die Pflicht, Schlussvorträge und letztes Wort 4 erneut zu ermöglichen, entsteht nach jedem Wiedereintritt in die Verhandlung – nicht nur „in die Beweisaufnahme“ im eigentlichen Sinne11 – und deren abermaliger Schließung,12 weil jeder Wiedereintritt die vorherigen Erklärungen zwar nicht unbeachtlich oder gegenstandslos macht, ihnen aber die formale rechtliche Eigenschaft als „Schlussvorträge“ bzw. „letztes“ Wort nimmt.13 Eines Gerichtsbeschlusses oder einer sonstigen ausdrücklichen Anordnung bedarf es für die Wiedereröffnung der Verhandlung nicht;14 folglich kann dies auch stillschweigend geschehen.15 a) Ausdrücklicher Wiedereintritt in die Verhandlung. Wird der Wiedereintritt 5 vom Vorsitzenden oder in einem Beschluss des Gerichts ausdrücklich erklärt, so folgt schon allein daraus die Pflicht zur Wiederholung, da die Verfahrensbeteiligten ihre Prozessführung darauf eingestellt haben können. Ob der Wiedereintritt nötig war und ob danach Prozesshandlungen stattfanden, die sachlich eine Wiederaufnahme der Verhandlung darstellten, ist unerheblich.16 b) Stillschweigender Wiedereintritt. Für einen stillschweigenden Wiedereintritt 6 genügt jede Betätigung, in welcher der Wille des Gerichts, mit der Untersuchung und der Aburteilung des Falles fortzufahren, erkennbar zutage tritt,17 ungeachtet dessen, ob das Gericht darin eine Wiedereröffnung der Verhandlung erblickte oder diese wirklich wollte.18 Dies ist der Fall bei jedem Vorgang, der die Sachentscheidung des Gerichts beeinflussen könnte,19 sei es auch nur mittelbar, indem er eine tatsächliche oder rechtli9 RGSt 57 142, 143; 59 420, 421 f.; 68 88, 89; BGHSt 21 118, 123 f.; BGH StV 1981 330; 1985 398; KK/Ott 27 m. w. N. 10 BGH bei Dallinger MDR 1975 24; VRS 36 (1969) 368; SK/Velten 13, 53. 11 „Wiedereintritt in die Beweisaufnahme“ meint Wiedereröffnung der Verhandlung, vgl. BGH bei Dallinger MDR 1966 893; NStZ 1993 551; 2015 105; NJW 2018 414, 415; Meyer-Goßner/Schmitt 28; krit. zur Terminologie Rübenstahl GA 2004 33, 34 ff., 47 f. 12 St. Rspr.: RGSt 6 254, 255 f.; RGRspr. 6 248; RG JW 1891 450; DRiZ 1930 Nr. 22; BGHSt 13 53, 59; 18 84, 85; 20 273, 274; 22 278, 279; BGH NJW 1969 473; NStZ-RR 2010 152; StV 1981 221; 1982 4; 1984 104; 1992 551, 552; bei Dallinger MDR 1966 893; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1970 199; Schlothauer StV 1984 134. 13 BGHSt 20 273, 275; 22 278, 279 f.; BGH bei Dallinger MDR 1966 893; NStZ 1984 521; 2013 612 mit Anm. Ferber; NStZ-RR 1998 15; 1999 260; StV 1981 221; 1982 4; 1984 104; KK/Ott 23; Meyer-Goßner/Schmitt 27. 14 RGSt 59 420, 421; OLG Düsseldorf StV 1991 554 f.; Schlothauer StV 1984 134, 136; HK/Julius/Beckemper 15; KK/Ott 24; KMR/Stuckenberg 3; Meyer-Goßner/Schmitt 28; OK-StPO/Eschelbach 3; SK/Velten 48. 15 BGH bei Dallinger MDR 1966 893. 16 BGHSt 22 278, 279 f.; Ingelfinger JR 2002 120; Schlothauer StV 1984 134, 136; s. a. OLG Hamm StraFo 2001 64. 17 RGSt 59 420, 421 f.; BGH NStZ 2015 105; 658; NJW 2018 414, 415; OLG Düsseldorf StV 1991 554 f.; KK/ Ott 24; MüKo/Cierniak/Niehaus 20. 18 LR/Gollwitzer25 8 Fn. 30; KMR/Stuckenberg 5; ähnl. Rübenstahl GA 2004 33, 43 f.; a. A. wohl BGH bei Kusch NStZ-RR 1998 261, 262 = 1999 14. 19 BGH StV 1992 551, 552; 1993 344; 1997 339, 340; NStZ 2015 658; OLG Frankfurt StV 1993 463, 464; HK/Julius/Beckemper 15; KK/Ott 24; OK-StPO/Eschelbach 5, 25a; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 26; SK/ Velten 48; Schlothauer StV 1984 134; ähnl. Rübenstahl GA 2004 33, 43 ff.; Versuch einer Systematisierung bei Bock ZStW 129 (2017) 745, 755 ff.

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che Bewertung des bisherigen Verfahrensergebnisses zum Ausdruck bringt,20 also stets bei einer allseitigen Erörterung der Sach- und Rechtslage.21 Auf Umfang und Bedeutung der nochmaligen Verhandlungen kommt es dabei nicht an.22 7

aa) Beispielsfälle. Demnach ist ein Wiedereintritt anzunehmen bei jeder Prozesshandlung, die ihrer Natur nach in den Bereich der Beweisaufnahme gehört,23 wie die Entgegennahme von Beweisanträgen,24 nachträgliche Vereidigung eines Zeugen,25 die Verwendung eines weiteren Beweismittels,26 selbst die Frage an den Verteidiger nach einer im Plädoyer erwähnten Urkunde,27 auch die Erörterung der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten.28 Legt ein Angeklagter im Schlussvortrag oder beim letzten Wort ein Geständnis ab, muss in der Regel den anderen Verfahrensbeteiligten, vor allem den Mitangeklagten, Gelegenheit zur nochmaligen Äußerung gegeben werden; dies erfordert auch die Pflicht zur Gewährung des rechtlichen Gehörs;29 ebenso, wenn er erst jetzt einen wesentlichen Alibibeweis antritt, den das Gericht nicht übergehen darf.30 Gleiches gilt für die Erörterung31 oder Ablehnung eines im vorangegangenen Schlussvortrag gestellten Beweisantrags, und zwar selbst dann, wenn das Gericht die behauptete Tatsache als wahr unterstellt,32 oder einer Beweisanregung33 sowie eines Antrags, die Beweisaufnahme wieder zu eröffnen,34 da die Mitteilung der Gründe für die Ablehnung wegen ihres Inhalts Anlass zu einer Äußerung geben kann. Anders ist es nur, wenn ein hilfsweise oder bedingt gestellter Beweisantrag, der an sich in den Urteilsgründen abgelehnt werden könnte, ohne jede Erörterung in der Hauptverhandlung gleichzeitig mit der Urteilsverkündung durch einen besonderen Beschluss abgelehnt wird.35

20 21 22 23

Schlothauer StV 1984 134, 135. BGH NStZ 2012 587. BGHSt 20 273, 275; 22 278, 279; OLG Düsseldorf StV 2000 297; KK/Ott 26; KMR/Stuckenberg 7. Eb. Schmidt 1; ebenso BGH bei Miebach NStZ 1990 28; BayObLGSt 1957 88, 89 = NJW 1957 1289, 1290; SK/Velten 48; Bock ZStW 129 (2017) 745, 756 ff.; Rübenstahl GA 2004 33, 37, 43 f.; Schlothauer StV 1984 134. 24 Eb. Schmidt 1; Rübenstahl GA 2004 33, 43; siehe aber Rn. 10. 25 Schlothauer StV 1984 134; KMR/Stuckenberg 5; Meyer-Goßner/Schmitt 29. 26 BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 357 Nr. 28 (unklarer Zweck des Verlesens eines Schreibens); Schlothauer StV 1984 134. 27 BGH StV 1987 284. 28 BGH NStZ 2003 371. 29 BGH 11.6.1975 – 2 StR 88/75; KMR/Stuckenberg 5; Meyer-Goßner/Schmitt 1; SK/Velten 52. 30 BGH NStZ 2001 160; KK/Ott 27. 31 BGH StraFo 2014 251, 252; NJW 2018 414, 415. 32 RGSt 20 380, 381; 26 32, 33; RGRspr. 7 519; RG JW 1922 1037; BGH bei Kusch NStZ-RR 1998 26; 1999 36; StV 1989 239; 1998 63 (L); BGHR § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 6; OLG Düsseldorf VRS 64 (1983) 203; KK/ Ott 24a; KMR/Stuckenberg 5; Meyer-Goßner/Schmitt 29; SK/Velten 49; a. A. RG JW 1922 496. 33 BGH bei Holtz MDR 1977 639. 34 BayObLGSt 1957 88 = NJW 1957 1289; KMR/Stuckenberg 5; missverständlich BGH NStZ 1986 182 (mit Beweisantrag während Urteilsverkündung), s. Rn. 10. 35 RGSt 29 438, 439; 55 109 f. m. w. N.; BGHSt 32 10, 13; BGH NStZ 1984 468; NJW 2018 414, 415; OLG Karlsruhe MDR 1966 948; Eb. Schmidt 1, wonach der Angeklagte mit Stellung des Eventualantrags grundsätzlich darauf verzichtet, dass dieser vor den Schlussworten verbeschieden wird; Bock ZStW 129 (2017) 745, 758 f.; krit. Julius NStZ 2002 104, 105; anders, wenn der Staatsanwalt auf den Hilfsantrag erwidert hat, OLG Celle StV 1985 7, oder der Hilfsantrag in der Hauptverhandlung erörtert wurde, BGH bei Kusch NStZ-RR 1999 260.

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Auch ein sonstiges Verhandeln über einzelne Vorgänge wie eine Rechtsmittelrück- 8 nahme36 oder sonstige Anträge eröffnen erneut die Schlussvorträge, so die Ablehnung eines Aussetzungs- oder Unterbrechungsantrags aus Sachgründen,37 der Hinweis auf die Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunkts nach § 265 Abs. 1,38 etwa die Möglichkeit einer Nebenfolge,39 auch die Entgegennahme und Protokollierung der Erklärung eines Mitangeklagten, er sei mit der Einziehung außergerichtlich sichergestellten Gutes einverstanden,40 die Geldzahlung des Angeklagten an den Nebenkläger aufgrund eines im Adhäsionsverfahren geschlossenen Vergleichs,41 die Nichtzulassung einer Nachtragsanklage42 oder die Gewährung von Prozesskostenhilfe an den Nebenkläger für ein Adhäsionsverfahren.43 Erlass,44 Aufrechterhaltung45 und Aufhebung46 eines Haftbefehls, sofern dies nicht als Teil der Endentscheidung angesehen werden kann,47 die Erörterung seiner Invollzugsetzung48 oder von Maßnahmen nach § 116,49 die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a50 erfordern stets die Erneuerung der Schlussanträge und des letzten Worts, wenn das Gericht dadurch inzidenter zum dringenden Tatverdacht Stellung nimmt. Wird das Verfahren gegen einen Mitangeklagten51 oder werden einige der angeklag- 9 ten Taten abgetrennt,52 so ist § 258 nur dann erneut anzuwenden, wenn die Abtrennung Rückschlüsse auf die vorläufige Beweiswürdigung des Gerichts erlaubt oder die Verteidigung beeinflusst.53 Bei teilweiser Einstellung des Verfahrens in Anwendung des § 154a oder nach §§ 153 ff. ist ebenso zu unterscheiden: Wird über die Frage der Einstellung verhandelt, ist § 258 anzuwenden.54 Bei bloßer Verkündung des Einstellungsbeschlus36 BGH NStZ 1984 521. 37 RG HRR 1938 Nr. 193; BGH bei Pfeiffer NStZ 1982 190; BGH StV 1993 344; vgl. aber auch BGH NStZ 1993 94 (kein Einfluss auf Entscheidung); KG JR 1950 633; KK/Ott 24a; KMR/Stuckenberg 5; Schlothauer StV 1984 134, 135. 38 BGHSt 22 278, 280; BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 295; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 494 f. Nr. 16; 1993 551; 2013 612 mit Anm. Ferber; NStZ-RR 1998 15; BayObLG bei Rüth DAR 1982 253; Bock ZStW 129 (2017) 745, 765. 39 BGH NStZ 1987 36; NStZ-RR 2010 152; OLG Brandenburg NStZ 2008 586. 40 BGH NStZ-RR 2010 152; OLG Hamm StV 2001 264. 41 BGH NStZ 2015 105; Bock ZStW 129 (2017) 745, 761, 766. 42 BGH StV 1981 221 (auch wenn sie nur einen Mitangeklagten betrifft); 1982 4. 43 BGH NStZ-RR 2014 15. 44 BGH NStZ-RR 2001 372; KK/Ott 24a; Meyer-Goßner/Schmitt 29a. 45 BGH NStZ 1984 376; StraFo 2009 333 f. 46 BGH StV 2011 339 f. (auch Aufhebung des Haftbefehls nur des Mitangeklagten); OLG Hamm StraFo 2001 64. 47 Vgl. BGH NStZ-RR 2001 372: Haftbefehl vier Tage vor Urteil verkündet. 48 BGH NStZ 1986 470; StV 1997 339; Schlothauer StV 1984 134, 135; HK/Julius/Beckemper 15; KK/Ott 24a; KMR/Stuckenberg 5; Meyer-Goßner/Schmitt 29a; SK/Velten 49. Ebenso auch bei bloßer Erörterung der Sach- und Rechtslage, die zur Rücknahme eines Haftprüfungsantrags führt, BGH StV 1992 551, oder nach Antrag des Staatsanwalts auf Haftfortdauer, BGH StraFo 2009 109. 49 BGH StV 1988 93 (Wegfall einer Meldeauflage); 2001 438 (Verschärfung der Haftverschonungsauflagen). 50 OLG Düsseldorf NStZ-RR 2014 16. 51 BGH NStZ 1988 512; StV 1984 233; vgl. dazu Schlothauer StV 1984 134; KMR/Stuckenberg 5; SK/Velten 49. 52 BGH StV 1982 4; 1983 232; 1984 104; HK/Julius/Beckemper 15; KK/Ott 24a; KMR/Stuckenberg 5; MeyerGoßner/Schmitt 29. 53 BGH 21.2.1979 – 2 StR 473/78 bei BGH StV 1985 221, 222 und Schlothauer StV 1984 134, 135 Fn. 6. 54 Zu §§ 153 ff.: BGH bei Miebach NStZ 1989 220 Nr. 13; offenlassend BGH NJW 1985 1479 mit Anm. Pelchen JR 1986 166; BGH bei Miebach NStZ 1990 228 Nr. 15; zu § 154 Abs. 2: BGH NStZ 2018 290, 291; zu § 154a: BGH bei Dallinger MDR 1966 893; OLG Hamm VRS 23 (1962) 54; Schlothauer StV 1984 134, 135; Bock ZStW 129 (2017) 745, 765; offenlassend BGH NStZ 1999 244; NJW 2001 2109.

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ses nach dem letzten Wort soll eine Wiederholung der Schlussvorträge allenfalls dann geboten sein, wenn eine sachliche und argumentative Verflechtung der abgeurteilten und eingestellten Verfahrensteile besteht und der Angeklagte durch die Verfahrensweise unzulässig überrascht wurde.55 Zufälligkeiten und Äußerlichkeiten, ob der Einstellungsbeschluss vor oder nach der Urteilsformel verkündet wurde, sind hingegen nicht maßgebend.56 Die neuere Rechtsprechung sieht auch eine nach dem letzten Wort und unmittelbar vor dem Urteil verkündete Teileinstellung als Bestandteil der abschließenden Endentscheidung des Gerichts an, so dass eine wiederholte Anwendung von § 258 ausscheidet, selbst wenn durch den Einstellungsbeschluss mittelbar über einen das gesamte Verfahren betreffenden Hilfsbeweisantrag entschieden wird.57 10

bb) Keine Wiedereröffnung. Keine Wiedereröffnung der Verhandlung liegt in Vorgängen, die auf die gerichtliche Sachentscheidung keinen Einfluss haben können,58 wie die Protokollierung einer Negativmitteilung gem. § 243 Abs. 459 oder die Entlassung von Zeugen und Sachverständigen.60 Gibt etwa ein Zeuge nach Beendigung der Beweisaufnahme unaufgefordert eine Erklärung ab, so braucht den Prozessbeteiligten nicht nochmals das Wort erteilt zu werden, vorausgesetzt, diese Erklärung wird nicht vom Vorsitzenden zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.61 Im Urteil darf eine solche Erklärung dann aber keinesfalls verwertet werden. Dasselbe gilt bei Unmutsäußerungen oder Zwischenbemerkungen des Staatsanwalts ohne konkreten Inhalt,62 Äußerungen aus dem Publikum63 oder wenn der Vorsitzende den Angeklagten beim letzten Wort zu einer Ergänzung auffordert, ohne dabei in eine Vernehmung überzugehen,64 oder nachfragt, ob das alles war, was der Angeklagte sagen wolle.65 Erklärt der Staatsanwalt unmittelbar vor der Urteilsverkündung auf Frage des Richters, dass er der Einstellung nach § 153 nicht zustimme, so bedarf es ebenfalls keiner Wiederholung der Schlussvorträge; etwas anderes gilt jedoch, wenn der Staatsanwalt hierbei Ausführungen macht, die auch für die Schuld- oder Straffrage bedeutsam sein können.66 Zur Teileinstellung s. Rn. 9. Nimmt der Vorsitzende nach Beginn der Urteilsverkündung einen Beweisantrag67 oder

55 BGH StV 1996 297. 56 BGH NStZ 1999 257; NJW 2001 2109; vgl. BGH StV 1996 297. 57 BGH NJW 2001 2109 mit zust. Anm. Ingelfinger JR 2002 120 und krit. Anm. Julius NStZ 2002 104, unter ausdrücklicher Aufgabe von BGH NStZ 1983 469; zust. KK/Ott 25; Meyer-Goßner/Schmitt 30; OKStPO/Eschelbach 3. Zuvor noch offenlassend BGH NJW 1985 1479, 1480 mit Anm. Pelchen JR 1986 166; NStZ 1990 228; 1999 244; 1999 257. 58 BGH StV 1987 284; 1988 512; 1997 339; bei Miebach NStZ 1989 220 Nr. 13; NStZ 1993 94, 95; 551; 2016 118, 119; 2018 290, 291; KK/Ott 25; KMR/Stuckenberg 6; a. A. SK/Velten 51. 59 BGH NStZ 2015 658; Meyer-Goßner/Schmitt 30; s. a. BGH NStZ 2016 118, 119 mit krit. Anm. Bittmann 121 f. 60 OLG Hamm 19.9.2017 – 4 RBs 349/17. 61 KK/Ott 25; Meyer-Goßner/Schmitt 30; OK-StPO/Eschelbach 2. 62 OLG Saarbrücken JBlSaar 1961 14; KK/Ott 25; KMR/Stuckenberg 6; Meyer-Goßner/Schmitt 30. 63 BGH NStZ-RR 2017 316. 64 BGH 27.1.1956 – 5 StR 550/55; KK/Ott 25; KMR/Stuckenberg 6; Meyer-Goßner/Schmitt 30; anders bei einem Geständnis, oben Rn. 7. 65 OLG Hamm 5.4.2016 – 4 RVs 27/16 zit. nach Bock ZStW 129 (2017) 745, 764. 66 BGH 21.2.1979 – 2 StR 473/78; OLG Hamm VRS 23 (1962) 54; KK/Ott 25; KMR/Stuckenberg 6; MeyerGoßner/Schmitt 30. 67 BGH NStZ 1986 182; bei Kusch NStZ-RR 1998 261, 262; a. A. Rübenstahl GA 2004 33, 45 f.; vgl. LR/ Becker § 244, 125; § 246, 2.

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Hilfsbeweisantrag68 bloß entgegen, so soll darin noch kein Wiedereintritt in die Hauptverhandlung liegen, was nicht zweifelsfrei erscheint, da die mündliche Antragstellung zumeist mit Sachvortrag verbunden ist69; anders aber, wenn der Staatsanwalt auf den Antrag erwidert70 oder das Gericht weitere Konkretisierung verlangt hat.71 Sitzungspolizeiliche Maßnahmen lösen § 258 nicht erneut aus,72 ebenso wenig die Bekanntgabe eines Verbindungsbeschlusses zur gemeinsamen Urteilsverkündung.73 Ob ein Wiedereintritt in die Verhandlung verneint werden kann, wenn lediglich die 11 Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten erörtert wurde,74 erscheint fraglich,75 da hierbei vielfach nicht auszuschließen sein wird, dass auch Gesichtspunkte zur Sprache kamen, die auch für die Sachentscheidung relevant sein könnten. Unter diesem Blickwinkel ist auch zu beurteilen, ob in der Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs ein Wiedereintritt liegt.76 Abzulehnen ist dies jedenfalls bei der Verwerfung eines nach Verkündung der Urteilsformel angebrachten Ablehnungsantrags.77 c) Erneute Schlussvorträge. Auch wenn der Wiedereintritt bedeutungslos war oder 12 nur einen von mehreren Tatvorwürfen betraf, müssen die Schlussvorträge und das letzte Wort im vollen Umfang hinsichtlich des ganzen Verfahrensgegenstands78 – und nicht etwa nur hinsichtlich des vom Wiedereintritt betroffenen Teils – erneuert werden. Bei mehreren Mitangeklagten sind diejenigen erneut nach § 258 berechtigt, die von der zum Wiedereintritt führenden Prozesshandlung betroffen sind.79 Die früheren Schlussvorträge haben durch den Wiedereintritt zwar rechtlich den 13 Charakter als Schlussausführungen verloren,80 sind aber ansonsten nicht gegenstandslos geworden – insbesondere die in ihnen gestellten Anträge bleiben wirksam. Die Verfahrensbeteiligten und der Angeklagte sind nicht gezwungen, ihre früheren Ausführungen und die dabei gestellten Anträge nochmals zu wiederholen.81 Es genügt, wenn sie ausdrücklich oder stillschweigend darauf Bezug nehmen oder sonst zu erkennen geben, dass es trotz des Wiedereintritts bei ihren früheren Ausführungen sein Bewenden haben soll.82 Gibt ein nicht rechtskundiger Angeklagter keine oder nur eine auf den nach Wie68 BGH StV 1987 91 (insoweit nicht in BGHSt 34 209) mit zust. Anm. Gollwitzer JR 1988 341; BGH bei Kusch NStZ-RR 1998 261, 262 m. w. N.; NStZ 2004 505, 507; NJW 2018 414, 415; HK/Julius/Beckemper 15; KK/Ott 25; KMR/Stuckenberg 6; Meyer-Goßner/Schmitt 30; MüKo/Cierniak/Niehaus 21; Pfeiffer 6; SK/Velten 51; a. A. Rübenstahl GA 2004 33, 45 f. In der Entgegennahme eines Hilfsbeweisantrags unmittelbar vor Urteilsverkündung hat RGSt 59 420, 422 „unbedenklich“ einen Wiedereintritt gesehen. 69 Rübenstahl GA 2004 33, 45; Bock ZStW 129 (2017) 745, 760. 70 OLG Celle StV 1985 7. 71 BGH StV 1995 176; NJW 2018 414, 415. 72 BGH NStZ 2006 650; Meyer-Goßner/Schmitt 30. 73 BGH wistra 2000 459; NStZ-RR 2001 241; Meyer-Goßner/Schmitt 30. 74 So BGH bei Miebach NStZ 1990 228 Nr. 14; ebenso KMR/Stuckenberg 6; SK/Velten 51. 75 Zweifelnd auch Meyer-Goßner/Schmitt 30. 76 Ablehnend bei Verwerfung als unzulässig KK/Ott 25; Meyer-Goßner/Schmitt 30; Rübenstahl GA 2004 33, 47 f.; diff. Bock ZStW 129 (2017) 745, 763; a. A. SK/Velten 51; offenlassend BGH NStZ 1985 464, 465 (Ablehnung von Sachverständigen); vgl. ferner BGH bei Spiegel DAR 1986 197. 77 BGH bei Miebach NStZ 1988 448 Nr. 12. 78 BGHSt 20 273, 275; 22 278, 280; BGH NStZ-RR 2014 15; StraFo 2014 251, 252; NStZ 2018 290, 291; VRS 30 (1966) 121; bei Dallinger MDR 1966 893; KK/Ott 26; KMR/Stuckenberg 7; Meyer-Goßner/Schmitt 27; MüKo/Cierniak/Niehaus 22; SSW/Franke 16; siehe aber zur Beruhensfrage in diesen Fällen unten Rn. 69. 79 BGH StV 1997 339, 340. 80 Vgl. Rn. 4. 81 KK/Ott 26; KMR/Stuckenberg 8. 82 BGH bei Dallinger MDR 1966 893; KK/Ott 26; KMR/Stuckenberg 8; SK/Velten 54.

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dereintritt verhandelten Verfahrensteil beschränkte Erklärung ab, so kann daraus allerdings nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass er in Kenntnis seines Rechts, umfassende Ausführungen zu machen, auf diese verzichten will. Dies wird in der Regel nur bei einer entsprechenden Belehrung durch das Gericht angenommen werden können.83 Ein solch besonderer Hinweis ist dagegen beim Verteidiger oder beim Staatsanwalt entbehrlich.84 3. Schlussvorträge und Beratung. Der Inhalt der Schlussvorträge einschließlich des letzten Worts des Angeklagten gehört zum Inbegriff der Verhandlung im Sinne des § 261.85 Das Gericht darf seine Überzeugung nicht ohne Berücksichtigung der Schlussvorträge bilden. Dies setzt voraus – und ergibt sich bereits aus Art. 103 Abs. 1 GG –, dass die Richter den Schlussanträgen mit der gebotenen Aufmerksamkeit zuhören86 und alles vermeiden, was sie davon ablenken könnte, wie das Studium anderer Akten, das Sprechen untereinander oder mit dritten Personen. In einem solchen Fall wird nur bei ganz kurzfristigen und die Aufmerksamkeit des Richters nicht voll beanspruchenden Abhaltungen angenommen werden können, dass dem Richter keine wesentlichen Teile des Schlussvortrags entgangen sind. Andernfalls liegt ein Verstoß gegen § 258 und gegen § 261 vor, der die Revision begründet.87 15 Die Niederschrift der Urteilsformel während der Sitzung durch den Richter beim Amtsgericht als Strafrichter ist entgegen der Rechtsprechung88 nicht nur als „schlechter Stil“,89 sondern als Verstoß gegen § 258 (und § 261) anzusehen.90 Die Annahme der Rechtsprechung, die Aufnahmefähigkeit des Richters sei nicht zwingend beeinträchtigt und bei der Niederschrift handele es sich regelmäßig um einen bloßen Entwurf und nicht um eine unzulässige verfrühte Festlegung, bürdet dem Revisionsführer den praktisch kaum je zu erbringenden Nachweis auf, dass der Richter die weiteren Ausführungen der Beteiligten nicht mehr beachtet habe. Wie bei der Besorgnis der Befangenheit aber muss hier bereits der manifeste Anschein der Ablenkung und vorzeitigen Festlegung genügen.

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83 BGHSt 20 273, 274 f.; 22 278, 279; BGH NStZ 1987 36; OLG Düsseldorf GA 1976 371 (L); KK/Ott 26; KMR/Stuckenberg 8; Meyer-Goßner/Schmitt 27; SK/Velten 54.

84 BGHSt 20 273, 274; 22 278, 279; BGH NStZ 1993 94, 95; Meyer-Goßner/Schmitt 27; Hanack JZ 1972 274, 275.

85 Rn. 1 Fn. 5; vgl. LR/Sander § 261, 40. 86 Sarstedt JR 1956 274; Eb. Schmidt JZ 1970 340; KK/Ott 28; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 3; SK/ Velten 44.

87 BGHSt 11 74; BGH NJW 1962 2212; bei Dallinger MDR 1956 398; ferner etwa Marr NJW 1963 310; Ostler DRiZ 1958 64; KK/Ott 28. 88 BGHSt 11 74, 75 ff.; OLG Bremen VRS 5 (1956) 297; OLG Celle NJW 1957 1002; OLG Frankfurt JR 1965 431; OLG Köln NStZ 2005 710 f.; zust. Baudisch NJW 1960 135; Lienen NJW 1960 136; Swarzenski JZ 1958 31; ferner KK/Ott 29; Meyer-Goßner/Schmitt § 260, 3; MüKo/Maier § 260, 12. 89 Paulus bei KMR/Stuckenberg 10; ähnl. (sollte unterbleiben) Sarstedt JR 1956 274; AK/Dästner 29; KK/ Ott 29; LR/Gollwitzer25 51 a. E.; SSW/Franke 12. 90 Wie hier OLG Hamburg VRS 10 (1956) 374; OLG Köln NJW 1955 1291; OLG Hamm DAR 1956 254; AK/ Maiwald § 261, 4; HK/Julius/Beckemper § 260, 6; KMR/Stuckenberg 10; § 261, 11; OK-StPO/Eschelbach 26 (§ 24; Verstoß gegen § 261 und Art. 103 Abs. 1 GG); SK/Velten 44 (Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG); Hanack JZ 1972 313, 314; Hoffmann NJW 1959 1526; Hamm 1115 (nur Verstoß gegen § 261); Eb. Schmidt JZ 1970 337, 340; Schlüchter 727; erwägend MüKo/Cierniak/Niehaus 25, s. a. 12, 23; vgl. LR/Franke26 § 338, 44. Zur Möglichkeit einer Ablehnung nach § 24 Abs. 2 vgl. BayObLG bei Rüth DAR 1979 239; Befangenheit bejahend AG Fürth 24.7.2018 – 411 OWi 704 Js 105668/18 (2).

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Die Beratung muss den Schlussvorträgen und dem letzten Wort des Angeklagten 16 zeitlich nachfolgen. Wurde die Sache schon vorher beraten, was nicht unzulässig ist91 und stets dann zutrifft, wenn das Gericht nach durchgeführter Beratung noch einmal in die Verhandlung eintritt, darf – auch wenn sich kein neuer Prozessstoff ergeben hat – ein schon vorher beschlossenes Urteil erst verkündet werden, nachdem das Gericht erneut beraten hat,92 näher § 260, 9 f.

III. Schlussvorträge (Absatz 1) 1. Berechtigte. Absatz 1 nennt nur den Staatsanwalt und den Angeklagten. Das 17 Recht zu Schlussausführungen steht aber auch dem Nebenkläger zu (§ 397 Abs. 1 Satz 3),93 dem Privatkläger (§ 385 Abs. 1 Satz 1)94 und dem Widerkläger (§ 388), ferner – soweit sachlich betroffen und anwesend – den Einziehungsbeteiligten (§ 424 Abs. 1) sowie dem Vertreter einer juristischen Person oder einer Personenvereinigung (§ 444 Abs. 2) und deren Prozessbevollmächtigten (§ 428).95 Bei einem jugendlichen Angeklagten müssen anwesende Erziehungsberechtigte und gesetzliche Vertreter von Amts wegen das Wort erhalten (§ 67, § 104 Abs. 1 Nr. 9 JGG), und zwar auch dann, wenn sie in einem früheren Verfahrensabschnitt bereits gehört wurden.96 Für den Staatsanwalt kann auch ein der Staatsanwaltschaft zur Ausbildung zugeteilter Referendar die Ausführungen machen und Anträge stellen, wenn er unter der Aufsicht eines Vertreters der Staatsanwaltschaft steht (§ 142 Abs. 3 GVG).97 Der Verteidiger wird in Absatz 1 nicht genannt. Wie Absatz 3 zeigt, geht das Gesetz 18 aber davon aus, dass er den Schlussvortrag für den Angeklagten halten kann.98 Da der Wunsch des Verteidigers, Schlussausführungen zu machen, regelmäßig bereits dadurch zum Ausdruck kommt, dass er vor Gericht auftritt, ist es sachgerecht, wenn der Vorsitzende auch dem anwesenden Verteidiger wie von Amts wegen das Wort zu den Schlussvorträgen erteilt; einen Anspruch auf das Wort hat er indes nur, wenn er anwesend ist99 und er oder der Angeklagte es verlangt.100 Im Übrigen ist der Verteidiger be-

91 Vgl. BGHSt 17 337, 339; BGH bei Spiegel DAR 1977 178; 1978 154. 92 RGSt 58 253; BGHSt 19 156, 157; 24 170, 171; BGH NStZ 1988 470; StV 2006 399 f.; KK/Ott 30. 93 So auch schon vor der Neufassung des § 397, vgl. RGSt 16 253 f.; BGHSt 28 272, 274; BGH NJW 2001 3137; KK/Ott 3; KMR/Stuckenberg 11; Meyer-Goßner/Schmitt 4; OK-StPO/Eschelbach 10; SSW/Franke 2; Gollwitzer FS Schäfer 79. 94 KK/Ott 3; Meyer-Goßner/Schmitt 4; OK-StPO/Eschelbach 10; SSW/Franke 2. 95 AK/Dästner 10; KK/Ott 3; KMR/Stuckenberg 11; Meyer-Goßner/Schmitt 6; OK-StPO/Eschelbach 10; SK/ Velten 17; SSW/Franke 2. 96 BGHSt 21 288; BGH NStZ 1985 230; 1996 612; 1999 426; 2013 289; OLG Frankfurt StV 1994 604; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1970 199; AK/Dästner 10; KK/Ott 3; KMR/Stuckenberg 11; OK-StPO/ Eschelbach 10; SK/Velten 17; ferner die Kommentare zu § 67 JGG. Soweit ein Heranwachsender einen gesetzlichen Vertreter haben sollte (etwa bei Entmündigung), wäre auch dieser im Falle des § 109 Abs. 2 JGG zu hören. 97 Vgl. Weinberg JuS 1980 355; Kammler JuS 1987 217. 98 RGSt 42 51, 54; BGH bei Holtz MDR 1980 274; OLG Hamm JMBlNW 1980 81; KG NStZ 1984 523; OLG Koblenz VRS 55 (1978) 278; Meyer-Goßner/Schmitt 4; OK-StPO/Eschelbach 11; Radtke/Hohmann/ForkertHosser 7. 99 BGH NStZ 2012 462. 100 RGSt 42 51, 52; KG NStZ 1984 523; KK/Ott 5; KMR/Stuckenberg 13; a. A. (von Amts wegen) BayObLGSt 1955 269, 270; VRS 62 (1982) 374; OLG Hamm JMBlNW 1954 156; VRS 48 (1975) 433, 434; LR/Gollwitzer25 12; Meyer-Goßner/Schmitt 5; SK/Velten 18; SSW/Franke 2; Hamm 1105.

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fugt, für den Angeklagten zu sprechen, wenn dieser zu Schlussausführungen nach Absatz 1 aufgefordert wird.101 Da strittig ist, ob insoweit eine Rechtspflicht des Gerichts besteht, ist es – auch zur Absicherung einer späteren Revisionsrüge – angezeigt, dass der Verteidiger ausdrücklich das Wort für die Schlussausführungen verlangt.102 Einem Verteidiger, der bei den Schlussanträgen nicht anwesend war, der aber vor Verkündung des Urteils erscheint, muss auf Antrag Gelegenheit zum Plädoyer gegeben werden103 ohne Rücksicht darauf, ob er seine Abwesenheit während der Schlussausführungen zu vertreten hat.104 19

2. Worterteilung. Der Vorsitzende erteilt das Wort zu den Schlussvorträgen von Amts wegen, ohne Rücksicht darauf, ob es von den dazu berechtigten Personen verlangt wird. Die Worterteilung braucht nicht ausdrücklich geschehen, sie muss aber unmissverständlich sein.105 Eine bloße Handbewegung genügt nur, wenn die Wortergreifung zeigt, dass sie verstanden wurde;106 Schweigen des Angeklagten kann nicht als Verzicht gedeutet werden.107 Ein rechtsunkundiger Angeklagter ist nach Wiedereintritt in die Verhandlung zu belehren (Rn. 13). Wenn Staatsanwalt und Verteidiger dagegen später das Wort erneut zu einer Erwiderung nach Absatz 2 wünschen, müssen sie sich selbst zu Wort melden. Der Vorsitzende ist nicht verpflichtet, sie von sich aus dazu ausdrücklich aufzufordern.108 Vor der Worterteilung muss der Vorsitzende gegebenenfalls durch eine Rückfrage klären, welche Zeit für die Vorbereitung der Schlussvorträge benötigt wird. Dies ist vor allem in größeren oder schwerwiegenden Sachen besonders wichtig, denn Staatsanwalt und Verteidiger können beanspruchen, dass ihnen für die sachgerechte Vorbereitung der Plädoyers eine ausreichende Zeit eingeräumt wird.109

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3. Reihenfolge. Die Reihenfolge der Schlussvorträge wird von Absatz 1 nicht zwingend vorgeschrieben – nur das letzte Wort des Angeklagten nach Absatz 2 kommt notwendigerweise am Schluss (Rn. 39) –, entspricht allerdings einer zweckmäßigen110 Verfahrensgestaltung. Der Vorsitzende kann jedoch von ihr abweichen, wenn er das für sachdienlich hält.111 So kann er – entgegen dem Grundgedanken des Absatzes 1 – ausnahmsweise den Nebenkläger nach dem Verteidiger zu Wort kommen lassen.112 Zweckmäßig ist dies im Regelfall allerdings nicht, da der Verteidiger sich dann in einer Erwide101 Vgl. etwa RGSt 42 51, 52; KK/Ott 5; KMR/Stuckenberg 13. 102 RGSt 41 51, 52; BGHSt 20 273, 274; 22 278, 279; BGH bei Holtz MDR 1980 274; OLG Koblenz VRS 55 (1978) 278; KK/Ott 5; KMR/Stuckenberg 13; a. A. OLG Hamm VRS 48 (1975) 433; wohl auch BayObLG VRS 62 (1982) 374. 103 BayObLG VRS 61 (1981) 128; OLG Hamm MDR 1970 784; KMR/Stuckenberg 13; Meyer-Goßner/Schmitt 5. 104 OLG Hamm JMBlNW 1980 81. 105 BGH StV 1989 187; BayObLGSt 1955 269, 270; BayObLG StV 1982 258; KK/Ott 4; KMR/Stuckenberg 12; Meyer-Goßner/Schmitt 7; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 17; SK/Velten 21. 106 RGSt 61 317, 318. 107 RGSt 61 317, 318; KK/Ott 4; KMR/Stuckenberg 12. 108 Vgl. BGH NStZ 1984 468; AK/Dästner 9. 109 BGH StV 1989 187; NStZ 1993 94, 95; KG NStZ 1984 523; AK/Dästner 7; KK/Ott 5; Meyer-Goßner/ Schmitt 33; SK/Velten 23; Hamm 1107; unten Fn. 268. 110 A. A. Traut/Nickolaus StraFo 2015 485, 487 ff., 491 (wegen des psychologischen Ankereffekts müsse die Verteidigung zuerst plädieren). 111 RGSt 64 133, 134; OLG Hamburg JR 1955 233; KK/Ott 6; KMR/Stuckenberg 14; Meyer-Goßner/Schmitt 8; MüKo/Cierniak/Niehaus 4; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 2; SSW/Franke 3; Bock ZStW 129 (2017) 745, 752; a. A. (zwingend) SK/Velten 22; Gössel § 30 B I c 1; Traut/Nickolaus StraFo 2015 485, 486. 112 BGH 14.5.1962 – 5 StR 121/62; KK/Ott 6.

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rung mit dessen Argumenten auseinandersetzen muss.113 Für die Berufungsverhandlung gilt § 326 Satz 1, für die Revision § 351 Abs. 2 Satz 1. Mehrere Staatsanwälte können den Schlussvortrag nach eigenem Ermessen unter 21 sich teilen,114 desgleichen mehrere Verteidiger eines Angeklagten. Sind mehrere Angeklagte vorhanden, so bestimmt der Vorsitzende kraft seiner Verhandlungsleitung (§ 238 Abs. 1) nach pflichtgemäßem Ermessen auch die Reihenfolge, in der sie und ihre Verteidiger sprechen können.115 Gleiches gilt für die Reihenfolge, in der Nebenbeteiligte und die sonstigen zu Schlussausführungen berechtigten Verfahrensbeteiligten zu Worte kommen. Schlagen die Verfahrensbeteiligten, vor allem die Verteidiger, eine bestimmte Reihenfolge vor, in der sie sprechen wollen, so ist darauf nach Möglichkeit Rücksicht zu nehmen, es sei denn, dass darin ein Missbrauch liegt oder ein nicht verteidigter Angeklagter benachteiligt würde. 4. Verpflichtung zu Schlussausführungen a) Grundsätzlich keine Verpflichtung. § 258 begründet grundsätzlich keine Ver- 22 pflichtung zu Schlussausführungen.116 Dies gilt für den Angeklagten, dessen Schweigerecht auch insoweit nicht eingeschränkt ist, und für die ihm insoweit gleichstehenden Nebenbeteiligten; dies gilt ebenso für alle Verfahrensbeteiligten, die, wie der Nebenkläger, ohnehin nicht zur Anwesenheit verpflichtet sind.117 Es beeinträchtigt den Fortgang des Verfahrens nicht, wenn sie von der durch § 258 eingeräumten Möglichkeit keinen Gebrauch machen, nachdem sie der Vorsitzende dazu aufgefordert hat. Sie können auch ausdrücklich auf Ausführungen oder auf Anträge verzichten. b) Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur dienstrechtlich,118 son- 23 dern auch aufgrund der ihr gesetzlich zugewiesenen prozessualen Stellung die (ungeschriebene) Pflicht, Schlussausführungen zu machen und Anträge zu stellen.119 Sie ist nicht befugt, in zweifelhaften Fällen die Entscheidung dem Gericht anheimzugeben und sich der Stellung eines Antrags zu enthalten; dies auch dann nicht, wenn in der Berufungsverhandlung allein über die Berufung des Nebenklägers entschieden wird, denn auch dann liegt weiterhin ein auf öffentliche Klage erhobenes Verfahren vor.120 Weigert sich der Staatsanwalt, einen Schlussvortrag zu halten, so darf das Gericht nicht weiterverhandeln, sondern muss den Dienstvorgesetzten um eine entsprechende Weisung er113 Meyer-Goßner/Schmitt 8; SK/Velten 22. 114 LR/Becker § 227, 9 ff. 115 RGSt 57 265, 266; KK/Ott 6; KMR/Stuckenberg 15; Meyer-Goßner/Schmitt 8; SSW/Franke 3; a. A. AK/ Dästner 11, der darin eine veraltete Prozessauffassung sieht, nach ihm können die Verteidiger die Reihenfolge ihrer Plädoyers selbst absprechen, der Vorsitzende entscheidet nur im Streitfall; so auch SK/Velten 22. 116 AK/Dästner 12; KK/Ott 7; KMR/Stuckenberg 17; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Cierniak/Niehaus 5; OK-StPO/Eschelbach 13; SK/Velten 19; SSW/Franke 5; Eb. Schmidt 10. 117 KK/Ott 7; SK/Velten 19. 118 Vgl. Nr. 138, 139 RiStBV. 119 BGH NStZ 1984 468; OLG Düsseldorf NJW 1963 1167; OLG Köln GA 1964 156; OLG Stuttgart NStZ 1992 98 f.; OLG Zweibrücken StV 1986 51 f.; Häger GedS Meyer 176; HK/Julius/Beckemper 20; KK/Ott 8; KMR/Stuckenberg 18; Meyer-Goßner/Schmitt 10; OK-StPO/Eschelbach 13; Pfeiffer 4; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 4; SSW/Franke 5; Nehm FS Geiß (2000) 111, 114 f.; a. A. MüKo/Cierniak/Niehaus 5; SK/Velten 20; Schütz NJW 1963 1589 (nur innerdienstliche Pflicht); Eb. Schmidt Nachtr. I 7; Koeniger 425; offenlassend BGHSt 19 377, 378. 120 RGSt 63 53, 55; OLG Köln GA 1964 156; OLG Zweibrücken StV 1986 51; KK/Ott 8; KMR/Stuckenberg 18; Meyer-Goßner/Schmitt 10; a. A. OLG Frankfurt NJW 1956 1250; SK/Velten 20.

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suchen. Andernfalls liegt zwar kein Verfahrenshindernis,121 aber ein revisibler Rechtsfehler vor,122 auf dem das Urteil freilich kaum beruhen dürfte.123 Nur wenn auch dann keine Antragstellung zu erreichen ist, fordert das Beschleunigungsgebot, dass es das Verfahren auch ohne Antragstellung abschließt.124 Welche Anträge der Staatsanwalt stellen will, steht ihm dagegen frei. Er ist keinesfalls gezwungen, bei einer nach seiner Ansicht nicht genügend aufgeklärten Sache zwischen Verurteilung und Freisprechung zu wählen, sondern kann in diesen Fällen die Beiziehung weiterer Beweismittel,125 Einstellung126 oder die Aussetzung beantragen. 24

c) Verteidiger. Der Verteidiger wird schon nach dem Wortlaut des § 258 nicht zu Schlussvorträgen verpflichtet,127 auch nicht in den Fällen der notwendigen Verteidigung oder als Pflichtverteidiger.128 Es ist zwar eine wesentliche Aufgabe der Verteidigung, das Verhandlungsergebnis aus ihrer Sicht in den Schlussvorträgen umfassend zu würdigen. Es muss aber der eigenen Entscheidung des Verteidigers überlassen bleiben, in welcher Form und mit welchen Erklärungen er die Verteidigung führen will. Anders als der Staatsanwalt darf er sich jeder aktiven Mitwirkung enthalten und dem Gericht die Entscheidung anheimstellen. Die völlige Verweigerung eines Schlussvortrags wird aber regelmäßig eine Pflichtverletzung gegenüber seinem Mandanten darstellen.129 Gegen seinen Willen kann das Gericht den Schlussvortrag nicht erzwingen.130 Weigert er sich, obwohl er dazu in der Lage wäre, ist dem Verfahren Fortgang zu geben;131 anders ist es im Fall notwendiger Verteidigung nur, wenn die Verweigerung des Schlussvortrags zugleich bedeutet, dass der Verteidiger die Verteidigung insgesamt nicht mehr führen will im Sinne des § 145 Abs. 1 Satz 1.132 121 OLG Stuttgart NStZ 1992 98 f.; KK/Ott 8; KMR/Stuckenberg 20 m. w. N.; Häger GedS Meyer 177; Nehm FS Geiß 111, 116. 122 OLG Düsseldorf NJW 1963 1167; OLG Stuttgart NStZ 1992 98 f.; OLG Zweibrücken StV 1986 51, 52; KMR/Stuckenberg 19; Meyer-Goßner/Schmitt 10, 33; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 31; Hamm 1108; offenlassend BGH NStZ 1984 468; BGHR § 258 Abs. 1 Schlussvortrag 2; a. A. OLG Frankfurt NJW 1956 1250; AG Bad Oldesloe MDR 1976 776 f.; KK/Ott 8; MüKo/Cierniak/Niehaus 5; SK/Velten 20; Häger GedS Meyer 177; Nehm FS Geiß 111, 116; Schütz NJW 1963 1589 f.; zweifelnd Eb. Schmidt Nachtr. I 7. 123 Zutr. KK/Ott 8; Nehm FS Geiß 111, 117; vgl. Dahs 380. 124 OLG Stuttgart NStZ 1992 98; vgl. Häger GedS Meyer 177 (kein die Revision begründender Verfahrensfehler des Gerichts). 125 BGHR § 258 Abs. 1 Schlussvortrag 2; vgl. OLG Stuttgart NStZ 1992 98 (Beweisantrag); KMR/Stuckenberg 20; Meyer-Goßner/Schmitt 10; auch AG Bad Oldesloe MDR 1976 776 (Beweisermittlungsantrag); a. A. OLG Düsseldorf NJW 1963 1167. 126 Offenlassend BGH NStZ 1984 468; Meyer-Goßner/Schmitt 10; zum Antrag auf Nichteinstellung des Verfahrens s. BGHR § 258 Abs. 1 Schlussvortrag 2. 127 BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 295. 128 OLG Köln StV 1991 9, 10 f. (kein Abberufungsgrund nach § 142 Abs. 1 Satz 3); KMR/Stuckenberg 21; Meyer-Goßner/Schmitt 11; ausführl. Nehm FS Geiß 111, 120 ff.; a. A. OK-StPO/Eschelbach 13 (bei Pflichtverteidigung in komplizierten Fällen); SK/Velten 19; Schlüchter 561.3 (§ 145 sei anzuwenden; dagegen Nehm FS Geiß 111, 126 ff.); s. a. Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 8; Eb. Schmidt Nachtr. I 10 (kommt Niederlegung des Mandats gleich); vgl. dagegen BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 295 (Angeklagte noch ordnungsgemäß vertreten i. S. d. § 338 Nr. 5); Hamm 1109 (nur Entpflichtung des Pflichtverteidigers). 129 KMR/Stuckenberg 21; Meyer-Goßner/Schmitt 11; SSW/Franke 5; a. A. OLG Köln StV 1991 9, 11; offenlassend OLG Frankfurt StV 1994 288, 289. 130 Siehe vorige Fn. 131 BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 295; OLG Köln StV 1991 9; Hamm 1109; AK/Dästner 12, 17; KK/Ott 5; KMR/ Stuckenberg 21; Meyer-Goßner/Schmitt 11; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 8; vgl. Hilger NStZ 1983 341. 132 So in den Fällen BGHR § 145 Abs. 1 Weigerung 1 und 2.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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5. Form und Inhalt der Schlussvorträge a) Form. Das Gesetz schreibt keine Form für die Schlussvorträge vor; die Möglich- 25 keit der Anordnung der Schriftform besteht nach § 257a Satz 2 ausdrücklich nicht. Am wirkungsvollsten sind Schlussvorträge in freier Rede,133 zulässig ist aber auch das Verlesen schriftlicher Aufzeichnungen134 und die Verwendung von Modellen und Skizzen.135 Die bloße Bezugnahme auf eine Schutzschrift macht diese aber nicht zum Verfahrensgegenstand.136 Eine bestimmte Redezeit darf weder im voraus noch während der Ausführungen 26 festgesetzt werden, denn das Recht, die für erforderlich angesehenen Ausführungen zu machen, darf nicht begrenzt werden,137 auch wenn sie in Großverfahren Wochen dauern können.138 Eine solche Begrenzung würde die Revision selbst dann begründen, wenn der Angeklagte oder der sonstige Prozessbeteiligte deswegen erklärt hat, er wolle dann auf Ausführungen überhaupt verzichten. Verzögerungen und Unbequemlichkeiten sind im Interesse der Rechtsfindung und der Verteidigung hinzunehmen.139 Lediglich für Ausführungen, die der Vorsitzende als nicht zur Sache gehörig ganz unterbinden könnte, kann er eine begrenzte Redezeit gewähren.140 Die von einem Verfahrensbeteiligten beantragte interne Tonaufzeichnung der Schlussvorträge kann – unabhängig von der Verbotsnorm des § 169 Abs. 1 Satz 2 GVG – vom Vorsitzenden nach pflichtgemäßem Ermessen auch abgelehnt werden, wenn kein konkreter Missbrauch zu befürchten, die Möglichkeit eines solchen aber nicht auszuschließen ist.141 b) Inhalt. Die Schlussvorträge dürfen sich nur mit Inhalt und Ergebnis der Haupt- 27 verhandlung (§ 261) befassen,142 nicht aber Tatsachen erörtern, über die nicht mündlich verhandelt wurde. Die Einführung eines verhandlungsfremden Stoffes, so die Einführung privaten Wissens143 oder die Bezugnahme auf den Inhalt einer anderen Untersuchung oder Verhandlung,144 das Vortragen oder Vorlesen von Schriften, über die nicht verhandelt worden ist,145 ist ebenso unzulässig wie das Verlesen der ganzen Anklageschrift, obschon es etwa zu Verteidigungszwecken statthaft sein kann, einzelne Teile aus ihr vorzutragen.146 Etwas anderes gilt nur, wenn die neuen Tatsachen nicht in Würdi133 Vgl. Reuß JR 1965 162 f.; Dahs (Hdb.) 714 ff., 718. 134 BGHSt 3 368; KK/Ott 9; Meyer-Goßner/Schmitt 12; MüKo/Cierniak/Niehaus 6; OK-StPO/Eschelbach 9; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 12; SSW/Franke 4; s. aber BGH MDR 1964 72 (Weitschweifigkeit).

135 OLG Hamm VRS 35 (1968) 370; KK/Ott 9; Meyer-Goßner/Schmitt 12. 136 AK/Dästner 13. 137 RGSt 64 57, 58; BGH bei Dallinger MDR 1953 598; AK/Dästner 31; KK/Ott 9; KMR/Stuckenberg 23; Meyer-Goßner/Schmitt 15; MüKo/Cierniak/Niehaus 7; OK-StPO/Eschelbach 8; Radtke/Hohmann/ForkertHosser 14; SK/Velten 24. 138 Fromm StraFo 2017 146, 150. 139 RGSt 41 259, 261; vgl. BGHSt 9 77, 80. 140 A. A. SK/Velten 32 f. 141 BGHSt 10 202, 205 ff.; OLG Düsseldorf MDR 1995 1161; KK/Ott 9; vgl. bei § 169 GVG sowie wegen der Tonaufzeichnung für den Gerichtsgebrauch LR/Sander § 261, 42. 142 Hahn 196; RGSt 16 365, 367; 41 259, 261; KK/Ott 9; KMR/Stuckenberg 31; Meyer-Goßner/Schmitt 13. 143 KMR/Stuckenberg 31; Meyer-Goßner/Schmitt 13; Mayer SchlHA 1955 348 Fn. 4; a. A. OK-StPO/Eschelbach 9; SK/Velten 25. 144 RGRspr. 8 271, 272. 145 RG GA 60 (1913) 432 f.; KMR/Stuckenberg 31; Meyer-Goßner/Schmitt 13; SK/Velten 26; Peters § 29 V 5; a. A. RGRspr. 5 550. 146 RGSt 41 259, 261 f.; Eb. Schmidt 4.

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gung der bisherigen Verfahrensergebnisse, sondern zur Begründung eines den Wiedereintritt in die Beweisaufnahme bezweckenden Haupt- oder Hilfsantrags vorgetragen werden. Eine Aufteilung der Schlussvorträge im Sinne eines (informellen) Tat- oder Schuldinterlokuts, so dass zunächst abschließend nur die Schuldfrage und danach die Rechtsfolgen behandelt würden, ist im Gesetz zwar nicht vorgesehen, kann aber manchmal zweckmäßig sein und ist zulässig, wenn alle Verfahrensbeteiligten zustimmen.147 Für die Schlussvorträge aller dazu befugten Personen148 gilt, dass sie um so wirkungsvoller sind, je mehr es gelingt, unter Vermeidung aller tönenden Phrasen die Sache sprechen zu lassen und die Zusammenhänge klar und einsichtig darzustellen. Wird der Prozessstoff wohlgeordnet, objektiv und unter Hervorhebung aller tatsächlichen und rechtlichen Zweifelsfragen unter Konzentration auf das Wesentliche knapp erörtert, dann stellen die Schlussvorträge – gerade wenn sie strittige Fragen kontradiktorisch herausstellen – eine wesentliche Entscheidungshilfe für das Gericht dar.149 Dies bedeutet aber nicht, dass der Prozessstoff schematisch und trocken abgehandelt werden soll. Zu Grenzen der Redefreiheit und Missbrauch s. Rn. 50 ff. Für die Ausführungen des Staatsanwalts gilt das Gebot absoluter Objektivität und Unvoreingenommenheit im besonderen Maße.150 Nicht der Inhalt der Anklageschrift, sondern allein das Ergebnis der Hauptverhandlung darf die Grundlage seiner sowohl die tatsächliche wie auch die rechtliche Seite des Falls umfassenden Erörterungen sein. Die Anträge des Staatsanwalts sollen sich auf alle Punkte erstrecken, die das Gericht in dem Tenor der vom Staatsanwalt vorgeschlagenen Entscheidung zu treffen hat. Der Inhalt des staatsanwaltlichen Schlussvortrags ist dienstrechtlich eingehend geregelt.151 Er hat, wenn er die Verurteilung beantragt, Art und Höhe der Haupt- und Nebenstrafen ebenso konkret zu bezeichnen wie die in Frage kommenden Nebenfolgen oder Maßregeln der Sicherung und Besserung. Kommt Strafaussetzung zur Bewährung in Frage, hat er sich auch damit auseinanderzusetzen. Bei in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten ist außerdem die Notwendigkeit der Haftfortdauer zu erörtern. Beantragt der Staatsanwalt Freispruch, muss er auch dazu Stellung nehmen, ob dem Angeklagten die Erstattung der notwendigen Auslagen zu versagen ist. Die Frage der Weisungsgebundenheit ist bei § 146 GVG erläutert. Bewusst unrichtige Anträge zu Lasten des Angeklagten – dazu gehört auch das vorsätzliche Stellen überhöhter Strafanträge – setzen den Staatsanwalt der Gefahr einer Strafverfolgung nach § 344 StGB aus.152 Unzulässig sind ferner Ausführungen, die sich über ein Verwertungsverbot hinwegsetzen (Rn. 51). Der Angeklagte ist gänzlich frei, ob er etwas und was er zum Verfahren sagen will. Spricht er selbst – und nicht sein Verteidiger für ihn –, so sind tatsächliche Angaben als Teil seiner Sacheinlassung verwertbar. Sowohl der Schlussvortrag als auch das letzte 147 Meyer-Goßner/Schmitt 17 m. w. N.; KMR/Stuckenberg 29; Pfeiffer 2; krit. SK/Velten 14; siehe auch BGH NStZ 1985 561; AK/Dästner 8; Kleinknecht FS Heinitz 651 ff.; Roxin/Schünemann § 44, 82 m. w. N. 148 Zum Plädoyer des Staatsanwalts vgl. etwa Dahs DRiZ 1960 106; zu dem des Verteidigers Dahs AnwBl. 1959 1 ff.; Dahs (Hdb.) 714 ff.; Detter StraFo 1997 198; Hammerstein NStZ 1997 12; Ostendorf NJW 1978 1345; Reuß JR 1965 162; Schäfer 882; Zieger StV 1982 305; zur Bedeutung des dialektischen Zusammenwirkens von Staatsanwalt, Verteidiger und Gericht für die Urteilsfindung Mangakis GA 1966 327 ff. 149 Zur sachlichen Gediegenheit des Plädoyers Dahs (Hdb.) 722, 728 ff.; Schäfer 882 f. 150 Dahs DRiZ 1960 106, 108; Schäfer 885 ff.; KK/Ott 11; KMR/Stuckenberg 25; Meyer-Goßner/Schmitt 14; Eb. Schmidt Nachtr. I 7. 151 RiStBV Nr. 138, 139; vgl. Schäfer 890; Dahs DRiZ 1960 106; Brunner/von Heintschel-Heinegg Staatsanwaltschaftlicher Sitzungsdienst (2018)15 113 ff.; Heghmanns/Herrmann Das Arbeitsgebiet des Staatsanwalts (2017)5 1099 ff. 152 KMR/Stuckenberg 25; Leß JR 1951 193; Mohrbotter JZ 1969 491, 494 f.

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Wort können zur (erstmaligen) Abgabe eines Geständnisses genutzt werden, woraufhin wieder in die Verhandlung einzutreten ist (Rn. 7). Der Schlussvortrag des Verteidigers wird von diesem zwar für den Angeklagten, 33 aber in eigener Verantwortung gehalten.153 Obschon Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO), darf der Verteidiger einseitig die zugunsten des Angeklagten sprechenden Umstände herausstellen.154 Er muss und darf seine Erörterungen auf das Ergebnis in der Hauptverhandlung beschränken und aus diesem seine Anträge begründen. Er darf sich nicht darauf verlassen, dass das Gericht ihn besonders darauf hinweisen werde, wenn es einer für den Angeklagten günstigeren Ansicht im Plädoyer des Staatsanwalts nicht folgen wolle. Zu einem solchen Hinweis ist das Gericht nicht verpflichtet.155 Eigenes privates Wissen hat er dabei unbeachtet zu lassen. Er darf deshalb, ohne seine Standespflicht zu verletzen oder ohne sich wegen Begünstigung strafbar zu machen, auch dann die Freisprechung beantragen, wenn er die Schuld des Angeklagten kennt. Unzulässig ist nur die bewusste Verdunkelung des Sachverhalts und die Verwendung unerlaubter verfahrensrechtlicher Mittel.156 6. Recht zur Erwiderung. Absatz 2 sieht nur für den Staatsanwalt ein Recht zur 34 Erwiderung ausdrücklich vor; einer Aufforderung dazu durch das Gericht bedarf es nicht.157 Für den Nebenkläger folgt dieses Recht aus § 397 Abs. 1,158 für den Privatkläger aus § 385 Abs. 1 Satz 1. Für den Angeklagten und seinen Verteidiger bedurfte es einer solchen ausdrücklichen Bestimmung nicht, da dem Angeklagten ohnehin das letzte Wort zusteht und der Verteidiger befugt ist, hierbei für den Angeklagten zu sprechen.159 Aus der Regelung des Absatzes 2 ist zu folgern, dass kein Prozessbeteiligter im Rah- 35 men der Schlussvorträge Anspruch darauf hat, mehr als zweimal das Wort zu erhalten.160 Eine sachlich begründete Bitte um erneute Erteilung des Worts wird jedoch nicht abgelehnt werden können, so wenn auf einen neu angeschnittenen Gesichtspunkt erstmals erwidert werden soll.161 Der Vorsitzende und – falls seine Entscheidung beanstandet wird – das Gericht ist aber befugt, die nochmalige Worterteilung zu versagen, wenn in dem öfteren Sprechen eine missbräuchliche Ausdehnung der Schlussvorträge auf nicht zur Sache gehörende Gesichtspunkte zu finden ist (Rn. 51). Der anwesende Vertei-

153 Vgl. LR/Jahn Vor § 137, 66 ff. 154 AK/Dästner 16; KMR/Stuckenberg 28; Meyer-Goßner/Schmitt 15; Pfeiffer 4; SK/Velten 31; Schäfer 852; abw. wohl LR/Gollwitzer25 24. 155 BGH bei Dallinger MDR 1971 18. 156 RGSt 66 316, 325 f.; BGHSt 2 375, 377 f.; 22 99, 107; BGH bei Dallinger MDR 1957 267; HK/Julius/ Beckemper 36; KK/Ott 11; KMR/Stuckenberg 28; MüKo/Cierniak/Niehaus 13; Hammerstein NStZ 1997 12 ff.; Lüderssen FS Sarstedt 158. Zur Wahrheitspflicht des Verteidigers vgl. Beulke Der Verteidiger im Strafverfahren (1980), 149 f.; Bottke ZStW 96 (1984) 726; Dahs (Hdb.) 46 f.; Ostendorf NJW 1978 1345; Pfeiffer DRiZ 1984 341; ferner LR/Jahn Vor § 137, 104 ff., 114. 157 BGH NStZ 2013 58, 59. 158 BGHSt 28 272, 274; BGH bei Holtz MDR 1978 281; NJW 2001 3137. 159 RGSt 41 51, 52; BGH NJW 1976 1951; BGH bei Holtz MDR 1978 281; OLG Bremen MDR 1967 608; OLG Oldenburg NJW 1957 839 f.; HK/Julius/Beckemper 27; KK/Ott 13; KMR/Stuckenberg 37; Meyer-Goßner/ Schmitt 5; OK-StPO/Eschelbach 18; SK/Velten 35 (wegen Art. 103 Abs. 1 GG). 160 RGSt 11 135, 136 f.; OLG Bremen MDR 1967 608 f.; OLG Oldenburg NJW 1957 839; KK/Ott 13; KMR/ Stuckenberg 38; Meyer-Goßner/Schmitt 18; MüKo/Cierniak/Niehaus 13; SK/Velten 34; SSW/Franke 6; anders wohl OK-StPO/Eschelbach 18; Bock ZStW 129 (2017) 745, 761. 161 AK/Dästner 19; HK/Julius/Beckemper 27; KK/Ott 13; KMR/Stuckenberg 38; Meyer-Goßner/Schmitt 18; SK/Velten 34.

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diger und Angeklagte muss aber immer wieder gehört werden, wenn der Staatsanwalt noch ein weiteres Mal gesprochen hat.162 Nur das Recht zur mehrmaligen Erwiderung kann bei Missbrauch beschränkt wer36 den, nicht aber das Recht, Anträge zu stellen und zu begründen.163 Auch dem Prozessbeteiligten, der kein Recht zur Erwiderung mehr hat, muss das Wort erteilt werden, wenn er zum Zwecke der Antragstellung darum nachsucht. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Vorsitzende oder das Gericht die Überzeugung gewinnt, der Angeklagte beabsichtige nicht seine Verteidigung zu fördern, sondern verfolge unter dem Schein der Antragstellung ausschließlich unzulässige Zwecke.164 Eine solche Überzeugung muss jedoch eingehend begründet werden, da andernfalls eine den Bestand des Urteils gefährdende Beschränkung der Verteidigung vorliegt.165

IV. Recht auf das letzte Wort 1. Berechtigte. Das letzte Wort steht dem Angeklagten zusätzlich zu seinen Erklärungen nach § 257166 und seinem Schlussvortrag bzw. dem seines für ihn sprechenden Verteidigers167 zu. Dies gilt auch in der Berufungs- (§ 326 Satz 2) und Revisionsverhandlung (§ 351 Abs. 2 Satz 2). Dem Angeklagten gleichgestellt sind Nebenbeteiligte im Umfang ihrer Beteiligung,168 auch im selbständigen Verfahren,169 sowie Erziehungsberechtigte und gesetzliche Vertreter (§ 67 Abs. 1 JGG, auch vor dem Erwachsenengericht, § 104 Abs. 1 Nr. 9 JGG).170 Als höchstpersönliches Recht ist das letzte Wort seiner Natur nach nicht übertrag38 bar.171 Es ist dem Angeklagten vorbehalten, mit eigenen Worten abschließend zu sprechen.172 Eine Vertretung beim letzten Wort ist nicht möglich, auch der Verteidiger ist nur befugt, sich für den anwesenden Angeklagten, nicht aber an seiner Stelle als letzter zu äußern.173 Daher ist der Verteidiger beim abwesenden Angeklagten weder zum Schlusswort aufzufordern noch kann er verlangen, nach seinem Schlussvortrag noch 37

162 BGH NJW 1976 1951; bei Holtz MDR 1978 281; BayObLG VRS 61 (1981) 128; OLG Bremen MDR 1967 608; OLG Celle StV 1985 7; OLG Koblenz VRS 55 (1978) 278; OLG Oldenburg NJW 1957 839; KK/Ott 13; KMR/Stuckenberg 38; Meyer-Goßner/Schmitt 18; SK/Velten 35. 163 RGSt 22 335, 336; KK/Ott 13; SK/Velten 34. 164 RGSt 22 335, 336. 165 RGSt 12 335, 336 f.; 13 151, 153; 20 206, 207; 22 335, 336 f.; vgl. Rn. 59. 166 BayObLGSt 1955 269, 270. 167 BGHSt 18 84, 86 f.; 20 273, 274; OLG Hamburg StV 2005 205. 168 BGHSt 17 28, 32 f.; KK/Ott 18; KMR/Stuckenberg 41; Meyer-Goßner/Schmitt 23; SK/Velten 36. 169 BGHSt 17 28, 32. 170 BGHSt 21 288, 289; BGH StV 1985 155; NStZ 1999 426; 2000 435 f.; 2000 535 mit Anm. Eisenberg NStZ 2001 334; BGH StraFo 2003 277; NStZ-RR 2002 346; 2008 291; BayObLG StV 2001 173; OLG Hamm ZJJ 2005 446; NStZ 2006 520; OLG Köln StV 2008 119 f.; OLG Zweibrücken StV 2003 455; KK/Ott 20; Meyer-Goßner/Schmitt 23. 171 BGH bei Holtz MDR 1978 460; KK/Ott 14; KMR/Stuckenberg 40; Meyer-Goßner/Schmitt 20; MüKo/ Cierniak/Niehaus 14; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 22; SSW/Franke 7; Bock ZStW 129 (2017) 745, 754. 172 RGSt 64 133, 134; BGHSt 18 84, 87; BGH VRS 41 (1971) 159; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 494 Nr. 16; AK/Dästner 20; KK/Ott 14; KMR/Stuckenberg 40; Meyer-Goßner/Schmitt 21; MüKo/Cierniak/Niehaus 14. 173 Vgl. BGH bei Spiegel DAR 1978 153; KG 30.8.1999 – 2 Ss 161/99; OLG Koblenz NJW 1978 2257; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1970 199; Eb. Schmidt 11; Weiß NJW 1983 89.

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ein letztes Wort zu haben.174 Jedoch kann der Angeklagte sein letztes Wort durch den Verteidiger wahrnehmen,175 so dass neben dem anwesenden Angeklagten seinem Verteidiger im Rahmen dessen letzten Worts auf Verlangen Gelegenheit zu Ausführungen zu geben ist.176 2. Reihenfolge. Während die im Gesetz vorgesehene Reihenfolge der Schlussvor- 39 träge nach Absatz 1 nicht zwingend ist (Rn. 20), hat der Angeklagte zwingend immer das (aller-)letzte Wort, ohne Rücksicht auf die Reihenfolge der Schlussvorträge und die Zahl der Erwiderungen. Soweit Absatz 2 das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und den für ihn sprechenden Personen einerseits und dem Staatsanwalt und Nebenkläger177 andererseits regelt, brauchte dies an sich nicht unbedingt nach dem Verteidiger oder Beistand geschehen.178 Jedoch folgt aus Absatz 3 – und auch aus dem Begriff des letzten Worts nach Absatz 2 –, dass die letzten Ausführungen immer dem Angeklagten persönlich zustehen, und zwar auch dann, wenn er bereits früher das Wort für Schlussausführungen erhalten hat und wenn danach nur für ihn andere Personen, namentlich sein Verteidiger, gesprochen haben.179 Denn es soll sichergestellt werden, dass der Angeklagte noch Ausführungen machen kann, zu denen er erst dadurch veranlasst wird, so wenn er meint, sein Verteidiger habe die Verteidigung nicht in der gewünschten Richtung geführt, oder auf die er erst durch die Vorträge des Staatsanwalts oder des Verteidigers aufmerksam wurde.180 Das gilt auch im Verhältnis zu den Ausführungen seines Erziehungsberechtigten oder gesetzlichen Vertreters,181 zumal in keinem dieser Fälle ohne weiteres davon ausgegangen werden darf, dass sich die Ausführungen inhaltlich decken werden.182 Maßgebend ist nicht allein,183 dass ein Beteiligter insofern dieselben aktiven Verfahrensrechte wie der Angeklagte genießt, sondern dass der Angeklagte als zentrales Verfahrenssubjekt das übergeordnete Verteidigungsinteresse hat, weshalb ihm immer das „allerletzte“ Wort gebührt; gleichrangig mit ihm sind somit nur weitere Mitangeklagte. Daher steht dem Angeklagten auch im Verhältnis zu den Nebenbeteiligten das letzte Wort zu. Er ist nach ihnen nochmals zu hören.184 Bei mehreren Angeklagten bestimmt der Vorsitzende zweckmäßigerweise nach 40 Abstimmung mit den Verteidigern die Reihenfolge, in der sie und ihre Verteidiger spre-

174 BGHSt 17 28, 32; BGH bei Holtz MDR 1978 460; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 494 f. Nr. 16; BayObLG VRS 61 (1981) 128; KK/Ott 14; KMR/Stuckenberg 40; Meyer-Goßner/Schmitt 20; SK/Velten 38; a. A. LR/ Gollwitzer25 28; ähnl. HK/Julius/Beckemper 13. 175 BGHSt 18 84, 86; OLG Koblenz VRS 55 (1978) 278 f. = NJW 1978 2257. 176 BGH NJW 1976 1951; OLG Oldenburg NJW 1957 839 f.; OLG Bremen MDR 1967 608, 609. 177 OLG Düsseldorf StV 2000 297; OLG Saarbrücken VRS 17 (1959) 63. 178 Vgl. RGRspr. 7 191, 192. 179 RGSt 64 133, 134; BGHSt 17 28, 33; 18 84, 86 f.; 20 273, 274; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 494 f. Nr. 16; BayObLG bei Bär DAR 1988 363; KK/Ott 14; KMR/Stuckenberg 40; Meyer-Goßner/Schmitt 21; SK/Velten 38; Hammerstein FS Tröndle (1989) 485; a. A. Eb. Schmidt 11 und Nachtr. I 11. 180 RGSt 9 69; BGHSt 17 28, 33. 181 KK/Ott 20; KMR/Stuckenberg 41; SK/Velten 37; Schlothauer FS II Eisenberg 271, 278 ff.; a. A. RGSt 57 265, 266; BGHSt 48 181, 182; ausführl. BGH NStZ-RR 2017 349 f. mit abl. Anm. Eisenberg ZJJ 2017 386 f.; BGH 10.12.1965 – 4 StR 561/65; Meyer-Goßner/Schmitt 23 (Ermessen des Vorsitzenden); OK-StPO/Eschelbach 19; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 30. 182 Vgl. BGHSt 20 273, 274; AK/Dästner 24; abw. OK-StPO/Eschelbach 19. 183 So aber BGHSt 48 181, 182; BGH NStZ-RR 2017 349, 350; dagegen (wie hier) auch Eisenberg ZJJ 2017 386, 387; Schlothauer FS II Eisenberg 271, 278 ff., 280. 184 Meyer-Goßner/Schmitt 21.

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chen können.185 Der Verpflichtung zur Erteilung des Schlussworts ist genügt, wenn jeder Angeklagte nach den gegen oder für ihn sprechenden Personen (Verteidiger, Beistand usw.) als letzter zu Wort kam.186 Dass nach ihm noch ein anderer Angeklagter sein Schlusswort spricht, liegt bei mehreren Angeklagten in der Natur der Sache und ist daher verfahrensgemäß;187 die Ausführungen können allerdings Anlass für eine erneute Wortmeldung sein, wenn sie neue, bisher nicht erörterte Tatsachen zum Gegenstand haben. Äußert sich hingegen nach dem letzten Wort eines Mitangeklagten der Verteidiger eines anderen Mitangeklagten noch einmal zur Sache, so ist dem einen Mitangeklagten das letzte Wort erneut zu gewähren.188 Auch hier besteht kein Grund, das letzte Wort eines gesetzlichen Vertreters oder Erziehungsberechtigten eines Mitangeklagten dem eines Mitangeklagten gleichzustellen.189 Werden nach einem Wiedereintritt in die Hauptverhandlung nur Vorgänge angesprochen, die einen Mitangeklagten betreffen, so braucht einem anderen Mitangeklagten nicht nochmals das letzte Wort gewährt zu werden, wenn sie auf das Urteil gegen diesen ohne jeden Einfluss sind.190 Nicht notwendig ist dagegen, dass der Angeklagte im Rahmen der Schlussvorträge 41 ebenso oft das Wort erhält wie sein Verteidiger oder Beistand; insbesondere muss ihm nicht, sofern er das nicht ausdrücklich verlangt, bei jeder Erwiderung erneut Gelegenheit zu Ausführungen gegeben werden. Unerlässlich ist nur, dass er als letzter sprechen kann. 3. Kein Ausschluss. Wegen der großen rechtsstaatlichen Bedeutung, die der Gewährung des letzten Worts zukommt, verwirkt ein Angeklagter es nicht dadurch, dass er sich eigenmächtig (§ 231 Abs. 2) aus der Hauptverhandlung entfernt hat und bei den Schlussvorträgen nicht anwesend war. Erscheint er vor der Urteilsverkündung wieder, hat er Anspruch auf das letzte Wort.191 Davon darf auch ein Angeklagter, der aus dem Sitzungssaal nach § 231b entfernt worden ist, nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden. Das Gericht darf von dem Versuch, ihm das letzte Wort zu erteilen, nur absehen, wenn der Versuch von vornherein als völlig aussichtslos erscheint.192 In der Regel muss es den Angeklagten wieder hinzuziehen, um zu erkunden, ob er die Gelegenheit zu seiner Verteidigung nutzen will. 43 Auch sonst muss das Gericht alles tun, um dem Angeklagten das letzte Wort zu ermöglichen. Erleidet der Angeklagte während des letzten Worts einen Schwächeanfall, so obliegt es dem Gericht, sich davon zu überzeugen, ob er sich so weit erholt hat, dass er seine Ausführungen fortsetzen kann, und es muss ihm dann dazu die Gelegenheit geben.193 Hindert den Angeklagten eine sich plötzlich verschlimmernde Sprachstörung 42

185 RGSt 57 265, 266; KK/Ott 19; KMR/Stuckenberg 42; Meyer-Goßner/Schmitt 22; Gollwitzer FS Sarstedt 18; nach AK/Dästner 25 ist dies den Verteidigern überlassen; der Vorsitzende entscheidet nur im Streitfall; ähnl. HK/Julius/Beckemper 14. 186 Vgl. KK/Ott 19. 187 BGHSt 48 181, 182; BGH StV 2017 797, 798; AK/Dästner 25; SSW/Franke 9. 188 BGHSt 48 181, 182 mit insoweit zust. Anm. Rübenstahl GA 2004 33, 42; BGH StV 2017 797, 798. 189 So aber BGHSt 48 181, 182. 190 BGH StV 1997 339. 191 BGH NStZ 1986 372; 1990 291; OLG Hamm NStZ-RR 2001 334; OLG Stuttgart NStZ-RR 2015 285, 286; KK/Ott 22; KMR/Stuckenberg 44; Meyer-Goßner/Schmitt 20; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 24; SSW/ Franke 7. 192 RGSt 35 433, 435 ff.; BGHSt 9 77, 81; BGH NJW 2005 2466, 2469; KG StV 1987 519 mit Anm. Frister; OLG Koblenz MDR 1975 424; KK/Ott 22; KMR/Stuckenberg 44; Meyer-Goßner/Schmitt 20. 193 RG DRiZ 1932 453; KMR/Stuckenberg 43.

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am Schlusswort, so soll er das dem Gericht durch Zeichen oder schriftlich mitteilen.194 Bleibt er passiv, entbindet das das Gericht allerdings nicht von der eigenen Prüfung, ob der Angeklagte nicht sprechen will oder ob er nicht sprechen kann.195 4. Befragung des Angeklagten. Absatz 3 will sicherstellen, dass der Angeklagte 44 persönlich als letzter zu Wort kommt, und zwar auch dann, wenn ein Verteidiger für ihn gesprochen hat.196 Der Angeklagte – auch wenn er es nicht verlangt – muss deshalb am Schluss der Verhandlung vom Vorsitzenden befragt werden, was er zu seiner Verteidigung noch auszuführen habe. Von Amts wegen zu erteilen ist das letzte Wort auch den dem Angeklagten gleich gestellten Personen (Rn. 37) wie insbesondere Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertretern, und zwar auch dann, wenn sie zuvor das Zeugnis verweigert hatten.197 Eine förmliche Frage198 oder Verwendung des Gesetzeswortlauts ist nicht nötig,199 45 aber empfehlenswert, denn unumgänglich ist, dass der Angeklagte nach seinem Verteidiger das letzte Wort persönlich200 und unmissverständlich201 erhält, sofern er es nicht schon von sich aus ergriffen hat. Eine den Verzicht auf eigene Ausführungen in den Mund legende Suggestivfrage („Sie schließen sich doch den Ausführungen Ihres Verteidigers an?“) verbietet sich.202 Stellt das Gericht nach Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung nur noch eine Einzelfrage zur Erörterung, so kann es nicht ohne weiteres annehmen, der Angeklagte wisse ohne Hinweis von sich aus, dass er sich nochmals umfassend zum ganzen Verfahren äußern könne.203 Die Aufforderung zur nochmaligen Antragstellung kann nicht ohne weiteres der Aufforderung zur umfassenden Stellungnahme gleichgestellt werden.204 Eine fehlerhafte Erteilung steht der Nichterteilung gleich.205 Die ausdrückliche Befragung nach Absatz 3 erübrigt sich beim unverteidigten An- 46 geklagten.206 Beim verteidigten Angeklagten erübrigt sie sich nur, wenn er sich in Kenntnis seines Rechts als letzter zur Sache äußert oder wenn er von sich aus um das Wort bittet, um Ausführungen zu machen oder um sich den Ausführungen seines Verteidigers anzuschließen.207 Es muss sich dabei aber immer erkennbar um Schlussausführungen im Sinne des § 258 handeln. Eine Erklärung, die der Angeklagte nach § 257 ab194 RG JW 1932 3105 mit abl. Anm. Oetker. 195 Oetker Anm. zu RG JW 1932 3105. 196 RGSt 9 69; 23 319 f.; 42 51, 52; BGHSt 17 28, 33; 18 84, 86; 20 273, 275; OLG Hamm VRS 41 (1971) 159, 160. 197 Zutr. BGH NStZ-RR 2008 291. 198 So aber OLG Schleswig SchlHA 1956 212; Hamm 1119. 199 RGSt 23 319, 320; 61 317, 318; BGHSt 18 84, 86 f.; OLG Hamm NJW 1959 1933; VRS 41 (1971) 159, 160; KK/Ott 17; Meyer-Goßner/Schmitt 24. 200 BGH StV 1999 5; OLG Hamburg StV 2005 205, 206; OLG Hamm StV 2000 298; KK/Ott 17. 201 RGSt 61 317, 318; BGHSt 18 84, 87; 20 273, 275; OLG Hamm VRS 41 (1971) 159; KK/Ott 17; KMR/ Stuckenberg 45; Meyer-Goßner/Schmitt 24; MüKo/Cierniak/Niehaus 15; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 25; SK/Velten 21. 202 AK/Dästner 24. 203 BGHSt 20 273, 274 f.; BGH bei Dallinger MDR 1966 893; OLG Düsseldorf GA 1976 371; Hanack JZ 1972 274, 275; KK/Ott 17; KMR/Stuckenberg 46; MüKo/Cierniak/Niehaus 15. 204 BGH StV 1999 5; Hanack JZ 1972 274, 276 zu BGHSt 18 84, 86. 205 RGSt 61 317, 318; BGHSt 3 368, 370; BGH StV 1985 355, 356; OLG Braunschweig NdsRpfl. 1956 77; OLG Hamburg StV 2005 205, 206; KMR/Stuckenberg 55; SK/Velten 55. 206 RGSt 23 319; BGHSt 18 84, 85 f.; SSW/Franke 9. 207 BGHSt 18 84, 86 f.; 20 273, 274; KK/Ott 16; KMR/Stuckenberg 46.

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gibt, ersetzt selbst dann nicht das letzte Wort, wenn ihr keine weitere Erklärung eines Prozessbeteiligten folgt.208 Gleiches gilt, wenn der Angeklagte nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung vom Gericht nochmals vernommen worden ist.209 5. Inhalt. Da Sinn des letzten Worts vor allem ist, dass der Angeklagte seine subjektive Sicht der Dinge darlegen kann und dadurch als Prozesssubjekt ernst genommen wird, ist ihm „weitestgehende Verteidigungsfreiheit“ einzuräumen.210 Daher ist der Angeklagte grundsätzlich frei darin, was er im Rahmen seines Schlussvortrags und des letzten Worts ausführen will. Es soll ihm ermöglicht werden, am Schluss des Verfahrens selbst auf die Überzeugungsbildung des Gerichts mit eigener Sachschilderung und eigenen Argumenten Einfluss zu nehmen und für ihn günstige Umstände herauszustellen. Er kann sich jetzt erstmals211 oder wiederholt zur Sache einlassen, ein Geständnis abgeben oder ein Alibi vortragen (Rn. 32). Bis zu einem gewissen Umfang muss er auch mit Ausführungen gehört werden, die über den Verfahrensgegenstand im strengen Sinne hinausgehen, etwa die Beweggründe seiner Tat212 oder unbedeutende Nebenpunkte betreffen oder die neben der Sache liegen. Er darf auch unabhängig vom Vortrag seines Verteidigers eigene Rechtsausführungen machen.213 Nur wenn der Angeklagte alles, was ihm wichtig erscheint, vortragen kann, hat er das Empfinden, dass er fair behandelt wurde.214 48 Der Vorsitzende kann im Rahmen seiner Sachleitungsbefugnis den Angeklagten unterbrechen und Fragen stellen,215 um zur Sache zurückzuführen, eine geordnetere Gliederung oder eine Ergänzung des Vortrags zu veranlassen. Entsteht daraus eine ergänzende Vernehmung, so ist freilich erneut nach § 258 zu verfahren. Der Vorsitzende darf den Angeklagten durch Unterbrechungen und Fragen nicht aus dem Konzept bringen216 oder ihn unter Androhung des Wortentzugs zur Wahrheit ermahnen,217 obschon er ihm den Ernst der Situation vor Augen führen darf. Dem Angeklagten darf auch nicht verwehrt werden, bei seinen Ausführungen schriftliche Aufzeichnungen zu verwenden218 oder die Unfallvorgänge anhand eines Modells zu erklären.219 49 Das wichtige Verteidigungsmittel des letzten Worts darf schließlich keinesfalls zum Zweck der Erleichterung oder Beschleunigung des Verfahrens beschränkt oder gar abgeschnitten werden,220 etwa durch Begrenzung der Redezeit oder durch vorzeitigen Auf47

208 BayObLGSt 1955 270. 209 OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1973 187. 210 BGHSt 9 77, 79; BGH StV 1985 355, 356; KK/Ott 21; KMR/Stuckenberg 47; Meyer-Goßner/Schmitt 25; SSW/Franke 8; Eb. Schmidt 10; Seibert MDR 1964 471 f.; zur sinnvollen Nutzung vgl. Hammerstein FS Tröndle 435 ff. m. w. N. 211 Dazu Salditt FS Samson 699 ff. 212 RGSt 64 57, 58 f.; BGH StV 1985 355, 356; auch politische Hintergründe: BGHSt 31 16, 18 ff. mit Anm. Gössel JR 1983 118 (Angriffe auf die Gesellschaftsordnung); KK/Ott 21; KMR/Stuckenberg 47; Meyer-Goßner/Schmitt 25; SK/Velten 41 ff. 213 BGH bei Dallinger MDR 1957 527 m. w. N.; KK/Ott 21; KMR/Stuckenberg 47; SSW/Franke 8. 214 Seibert MDR 1964 471, 472. 215 BGH bei Dallinger MDR 1957 527; Meyer-Goßner/Schmitt 25. 216 BGH bei Dallinger MDR 1957 527; Seibert MDR 1964 471 f. 217 BGH JR 1965 348; AK/Dästner 22; KK/Ott 21; Meyer-Goßner/Schmitt 25. 218 BGHSt 3 368; BayVerfGHE 24 178; KK/Ott 21; Meyer-Goßner/Schmitt 12, 25; SK/Velten 42 f.; Radtke/ Hohmann/Forkert-Hosser 22; SSW/Franke 8. 219 OLG Hamm VRS 35 (1968) 370; KK/Ott 21; Meyer-Goßner/Schmitt 12. 220 BGHSt 9 77, 80; s. a. Meyer-Goßner/Schmitt 25; OK-StPO/Eschelbach 25; Radtke/Hohmann/ForkertHosser 23 SSW; Franke 8.

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bruch des Gerichts.221 Der Vorsitzende sollte deshalb nur eingreifen, wenn dies für einen geordneten Verfahrensfortgang unerlässlich ist, vgl. Rn. 50 ff.

V. Grenzen der Redefreiheit 1. Grenzen. Der Vorsitzende, dessen Pflicht zur Leitung der Verhandlung (§ 238 50 Abs. 1) sich auch auf die Schlussvorträge erstreckt,222 darf nur einschreiten, wenn die Befugnis zu den Schlussausführungen oder zum letzten Wort von einem Prozessbeteiligten offensichtlich missbraucht wird und dies sonst unerlässlich ist, um die Ordnung in der Sitzung und einen geregelten Verhandlungsgang zu wahren.223 Dies kann der Fall sein, wenn Ausführungen in den Plädoyers sich über ein Beweis- 51 verwertungsverbot hinwegsetzen224 oder unter Ausschluss der Öffentlichkeit (§ 171b, § 172 Nr. 2, 3 GVG) verhandelten und unter ein Schweigegebot (§ 174 Abs. 3 GVG) gestellten Prozessstoff offenbaren,225 falls dies nicht aus Sachgründen unvermeidbar ist. Unzulässig und strafbar226 sind Beeinträchtigungen der Ehre eines Verfahrensbeteiligten oder Dritter, die nicht zur tatsächlichen und rechtlichen Würdigung des Prozessstoffs unvermeidbar und dann gerechtfertigt (§ 193 StGB) sind, also insbesondere Formalbeleidigungen (§ 192 StGB).227 Zu unterbinden ist ferner offensichtlicher Missbrauch des Schlussvortrags für sachfremde Ausführungen und prozessfremde Zwecke,228 zu fortwährenden Wiederholungen oder unnützen Weitschweifigkeiten.229 Hält aber das Schlusswort die sehr weit gezogenen äußeren Grenzen ein, ist es nicht Sache des Gerichts oder des Vorsitzenden, seinen Inhalt und den Schwerpunkt der Ausführungen zu bestimmen. Der jeweilige Verfahrensbeteiligte hat eigenverantwortlich selbst zu befinden, mit welchen Ausführungen er seine Verfahrensinteressen vertreten will. Die Möglichkeit dazu darf ihm nicht beschnitten werden.230 Dies gilt in erhöhtem Maße für das letzte Wort des Angeklagten, bei dem nur eingeschritten werden kann, wenn der Angeklagte unablässig keinerlei zur Sache gehörende und für seine Verteidigung bestimmte Ausführungen macht231 oder sich stets nur wiederholt232 oder es sonst offensichtlich missbraucht. Freilich kann ein Eingreifen des Vorsitzenden durch Fragen oder Hinweise auch dem Interesse des jeweiligen Verfahrensbeteiligten dienen, um einen völlig neben 221 OLG Neustadt GA 1961 186. 222 Hahn 196; RG HRR 1939 Nr. 210; KK/Ott 10; KMR/Stuckenberg 30; a. A. SK/Velten 43 (nur Unterbindung rechtswidriger Äußerungen). KK/Ott 10. Meyer-Goßner/Schmitt 13. Meyer-Goßner/Schmitt 13. BGHSt 18 204 f.; 31 16, 17 mit abl. Anm. Gössel JR 1983 118. RG GA 39 (1891) 308 f.; BGH StV 1987 533 f.; KG JR 1988 522 f.; NStZ-RR 1998 12; OLG Jena NJW 2002 1890 f.; OLG Saarbrücken AnwBl. 1979 193; LG Hechingen NJW 1984 1766; HK/Julius/Beckemper 35; KK/Ott 10; KMR/Stuckenberg 33; Meyer-Goßner/Schmitt 26; MüKo/Cierniak/Niehaus 8; OK-StPO/Eschelbach 15; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 14; SK/Velten 43; SSW/Franke 10; Krekeler AnwBl. 1976 190; s. a. BVerfG NJW 2000 199 f.; BGH JZ 1962 486 mit Anm. Weitnauer 489. 228 RGSt 16 365, 367; 41 259, 261; 64 57, 58; BGH StV 1985 355, 356; SSW/Franke 10; Rüping/Dornseifer JZ 1977 419; Schorn NJW 1958 1333 (Glosse); Seibert MDR 1964 471. 229 BGHSt 3 368, 369; BGH bei Dallinger MDR 1953 598; 1957 527; 1964 72; OLG Hamm VRS 35 (1968) 370, 371; Meyer-Goßner/Schmitt 16; MüKo/Cierniak/Niehaus 8; SSW/Franke 10. 230 BGH StV 1985 355; OLG Köln VRS 69 (1985) 444; KK/Ott 10; s. Fn. 220 f. 231 RGSt 64 57, 58. 232 Vgl. BGH MDR 1964 72.

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der Sache liegenden Schlussvortrag zum Gegenstand des Prozesses zurückzuführen oder um die ergänzende Erörterung eines nach Ansicht des Gerichts wichtigen Punkts anzuregen.233 2. Maßnahmen. Der Vorsitzende muss in Erfüllung seiner Sachleitungsaufgabe in der Regel Ungehörigkeiten abmahnen, im Übrigen soll er den Ausführungen größtmöglichen Freiraum lassen. Er soll nur bei völlig neben der Sache liegenden Ausführungen durch Hinweise, Anregungen oder Fragen zu steuern versuchen. Die Entziehung des Worts ist nur als das letzte Mittel und bei den Schlussvorträ53 gen234 wie beim letzten Wort235 regelmäßig nur dann zulässig, wenn wiederholte Mahnungen ohne Erfolg geblieben sind. Der Vorsitzende kann sodann sowohl dem Angeklagten als auch dem Verteidiger, dem Staatsanwalt oder dem Nebenkläger oder sonst einem nach § 258 zu Schlussausführungen Berechtigten das Wort entziehen. Das Recht, Beweisanträge zu stellen, darf dadurch aber nicht beeinträchtigt werden.236

52

VI. Sitzungsniederschrift 54

Als wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens ist zu beurkunden, dass nach Abschluss der Beweisaufnahme alle dazu berechtigten Personen Schlussvorträge gehalten haben, auch, dass ihnen das Wort zu den Schlussausführungen erteilt worden ist,237 dass der Angeklagte gegebenenfalls nach Absatz 3 befragt wurde,238 dass ihm das letzte Wort gewährt wurde239 und ob er sich geäußert hat. Soweit es auf die Reihenfolge der Verfahrensvorgänge und die eventuelle Erneuerung der Schlussvorträge und des letzten Worts ankommt, ist die protokollierte Reihenfolge maßgebend. Eine wesentliche Förmlichkeit liegt ferner in der Anordnung, die einem Verfahrensbeteiligten das Wort zu Schlussausführungen ausdrücklich verweigert oder es ihm entzieht,240 ferner, wenn gegen eine Beanstandung des Vorsitzenden das Gericht angerufen wurde sowie die hierauf ergangene Entscheidung des Gerichts.241 Die Beobachtung dieser Förmlichkeiten kann nach § 274 nur durch das Protokoll bewiesen werden.242 Nutzt der Angeklagte sein letztes Wort zur erstmaligen Sacheinlassung, so ist dies als wesentliche Förmlichkeit 233 Vgl. KK/Ott 10; AK/Dästner 30. 234 AK/Dästner 31; KK/Ott 10; KMR/Stuckenberg 34; MüKo/Cierniak/Niehaus 10; OK-StPO/Eschelbach 15; SK/Velten 43; wohl nur eine vergebliche Abmahnung lassen HK/Julius/Beckemper 7; Meyer-Goßner/ Schmitt 16 genügen; auf die Umstände des Einzelfalls stellt LR/Gollwitzer25 42 Fn. 158 ab. 235 RGSt 64 57, 59; KK/Ott 21; KMR/Stuckenberg 48; weiter Meyer-Goßner/Schmitt 26. 236 RGSt 11 135, 137 f.; anders für offensichtlich prozessfremden Zwecken dienende Scheinbeweisanträge: RGSt 20 206, 207; 22 335, 336; SK/Velten 43. 237 OLG Koblenz OLGSt 5; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1970 199; OLG Zweibrücken StV 1986 51; KK/Ott 31; KMR/Stuckenberg 49; Meyer-Goßner/Schmitt 31; MüKo/Cierniak/Niehaus 17; SK/Velten 45; SSW/Franke 17. 238 BGHSt 22 278; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 494; OLG Hamm VRS 41 (1971) 159; OLG Koblenz VRS 76 (1989) 44; h. M., vgl. bei § 273. 239 BGH StV 1982 103; 2002 530; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 494; KK/Ott 31; KMR/Stuckenberg 49; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 21, 29. 240 KMR/Stuckenberg 49; Meyer-Goßner/Schmitt 31; SK/Velten 45. 241 Vgl. bei § 273; zur negativen Beweiskraft vgl. OLG Zweibrücken MDR 1969 780. 242 BGHSt 13 53, 59; 22 278, 280; BGH StV 1982 103; 1986 51; 1987 284; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 212; BGHR § 258 Abs. 3 letztes Wort 1; OLG Hamm JMBlNW 1954 156; VRS 41 (1971) 159, 160; OLG Köln VRS 76 (1989) 444.

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zu protokollieren, wozu der Vermerk „der Angeklagte hatte das letzte Wort“ nicht ausreicht.243 Das Protokoll muss nicht den Gesetzeswortlaut wiederholen; sein Inhalt ist ausle- 55 gungsfähig,244 wobei die dienstlichen Äußerungen des Vorsitzenden und des Protokollführers außer Betracht zu bleiben haben.245 Nach früherer Rechtsprechung war eine Protokollberichtigung, die der bereits erhobenen Revisionsrüge den Boden entziehen würde, ausgeschlossen.246 Seit der Entscheidung des Großen Senats BGHSt 51 298 ist eine solche Berichtigung, die zur Rügeverkümmerung führt, unter den dort beschriebenen Voraussetzungen möglich.247 Die positive und negative Beweiskraft des Protokolls entfällt nur, wenn die Vermerke widersprüchlich248 oder unklar sind,249 weil ihre Auslegung selbst mehrere Möglichkeiten offen lässt; dann ist im Wege des Freibeweises unter Heranziehung dienstlicher Erklärungen zu prüfen, ob das letzte Wort tatsächlich erteilt worden ist.250 Verbleibende Zweifel, ob das letzte Wort gewährt wurde, gehen in der Revision zu Lasten des Betroffenen.251 Schließt die Sitzungsniederschrift in der Angabe über die Schlussvorträge nur mit 56 dem Satz ab „Die Beteiligten/der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte blieben bei ihren Anträgen“ bzw. „Ausführungen“, so wird dadurch nicht ersichtlich, dass dem Angeklagten das letzte Wort gewährt wurde.252 Vermerke, dass dem Angeklagten „neben Staatsanwalt und Verteidiger Gelegenheit zu Ausführungen“253 oder „Anträgen“ gegeben worden sei,254 dass mehrere Angeklagte zusammen gefragt wurden, ob sie selbst „noch etwas zu ihrer Verteidigung auszuführen“ hätten,255 oder dass „die Angeklagten keine weiteren Erklärungen abgaben“,256 beweisen nicht, dass der Angeklagte nach Absatz 3 befragt wurde, zumal „Ausführungen“ zu machen dem Angeklagten auch nach § 258 Abs. 1, § 326 Abs. 1 zusteht. Hingegen soll der Vermerk „Der Angeklagte hatte das letzte Wort“ sowohl beweisen, dass der Angeklagte gemäß Absatz 3 befragt wurde,257 als auch, dass der Verteidiger Gelegenheit zur Erwiderung hatte sowie für den

243 BGH StV 2000 123, 124; Miebach NStZ 2000 234, 240; KK/Ott 21. 244 RG JW 1926 2761; BGHSt 13 53, 59; BGH VRS 34 (1968) 346; NStZ-RR 2005 259 f.; StV 2012 523; OLG Köln VRS 76 (1989) 444; Bedenken bei Hanack JZ 1972 274, 275.

245 BGHSt 13 53, 59; 22 278, 280; BGH NStZ 1993 94; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 212; StV 1982 103; 1986 420; 1992 410; BGHR § 258 Abs. 3 letztes Wort 1; OLG Hamm JMBlNW 1954 156; KK/Ott 31; KMR/ Stuckenberg 50. 246 BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 494; StV 1999 585; OLG Zweibrücken MDR 1969 780. 247 Näher LR/Stuckenberg § 271, 58 ff.; z. B. BGH StV 2012 523 f. 248 Vgl. OLG Hamburg StV 2005 205 f.; OLG Hamm JMBlNW 1954 156; OLG Köln VRS 62 (1982) 281; LR/ Stuckenberg § 274, 29 ff. 249 BGH bei Kusch NStZ 1997 71. 250 Vgl. BGH StV 1999 5; OLG Braunschweig NdsRpfl. 1956 77; OLG Hamm VRS 48 (1975) 433. 251 OLG Düsseldorf NStZ-RR 2002 58. 252 OLG Köln GA 1971 217; KMR/Stuckenberg 51; Meyer-Goßner/Schmitt 32; SK/Velten 46; a. M. BGHSt 13 53, 59 f.; 18 84, 87; OLG Hamm VRS 41 (1971) 159, 160; KK/Ott 17; dazu Hanack JZ 1972 274, 276. 253 OLG Hamburg StV 2005 205 f. 254 BGH StV 1999 5; KMR/Stuckenberg 51; vgl. BGHSt 20 278, 279. 255 OLG Hamm StV 2000 298 (an der Benutzung des Wortlauts von § 258 Abs. 3 ist freilich nichts auszusetzen, doch wurde hier nicht jeder einzelne Angeklagte persönlich befragt). 256 BGHR § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 1; BGH StV 1986 420; bei Kusch NStZ-RR 1999 36; HK/Julius/Beckemper 19; KK/Ott 17; KMR/Stuckenberg 51; Meyer-Goßner/Schmitt 32; SK/Velten 46. 257 BGH bei Kusch NStZ 1997 71 Nr. 11; OLG Hamm NJW 1959 1933 f.; anders noch OLG Hamm NJW 1958 1836 mit abl. Anm. O. Schmitt NJW 1959 62; a. A. Eb. Schmidt Nachtr. I 11.

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Angeklagten vor dessen letztem Wort sprechen konnte.258 Auch die Formulierung „Der Staatsanwalt und sodann der Verteidiger sowie der Angeklagte erhielten zu ihren Ausführungen das Wort. Der Staatsanwalt beantragte …, der Verteidiger beantragte …“ soll aufgrund der Reihenfolge beweisen, dass der Angeklagte das letzte Wort hatte; die Anführung der Anträge sei nicht als erneute Worterteilung, sondern Konkretisierung der Ausführungen zu verstehen.259 Hinreichend soll auch „die Angeklagten und ihre gesetzlichen Vertreter erhielten erneut das Wort zum Schlussvortrag“ sein,260 obwohl dies wegen der fehlenden Differenzierung der Rechte aus § 258 Abs. 1 und Abs. 2 a. E. zweifelhaft ist. 57 Es ist erstaunlich, dass nicht selten Urteile schon wegen solcher Ungenauigkeiten des Protokolls aufzuheben waren, denn die Einhaltung dieser sehr einfachen Förmlichkeit261 stellt keinerlei Schwierigkeit dar. Zwar muss der Gesetzeswortlaut nicht benutzt werden, doch um Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden, empfiehlt es sich, die persönliche Befragung eines jeden Angeklagten nach Absatz 3 – soweit sie nötig ist (Rn. 46) – und die Gewährung des letzten Worts im Protokoll ausdrücklich und eindeutig festzustellen,262 also: „Der Angeklagte … wurde befragt, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe, und hatte das letzte Wort.“263 Ein zusätzlicher Hinweis auf eine etwaige Belehrung des Angeklagten über den Umfang des letzten Worts ist nicht notwendig, kann aber zweckmäßig sein.

VII. Rechtsbehelfe 58

1. Anrufung des Gerichts nach § 238 Abs. 2. Gegen sachleitende Maßnahmen des Vorsitzenden wie Beschränkung oder Entziehung des Worts kann das Gericht angerufen werden.264 2. Revision

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a) Mögliche Verfahrensrügen. Nach §§ 337, 258 kann mit der Revision gerügt werden, dass einem dazu berechtigten Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit zu Schlussvorträgen versagt265 oder verkürzt wurde. Eine solche unzulässige Verkürzung kann darin liegen, dass er nicht alles, was er für erforderlich hielt, vortragen durfte,266 aber auch darin, dass ihm entgegen seinem Antrag die erforderliche Zeit für die Vorbereitung des 258 So BGH NJW 1979 1668 (offen lassend, ob wesentliche Förmlichkeit); vgl. BayObLGSt 1955 269; OLG Koblenz NJW 1978 2257 = VRS 55 (1978) 278 f.; OLG Köln VRS 57 (1980) 32; KK/Ott 31; Meyer-Goßner/ Schmitt 32. Soweit es dem Verteidiger überlassen ist, neben dem Angeklagten für diesen zu sprechen, dürfte auch keine wesentliche Förmlichkeit vorliegen. 259 BGH NStZ 2005 280 f. 260 BGH NStZ-RR 2005 259, 260. 261 Eb. Schmidt Nachtr. I 11. 262 So schon Eb. Schmidt Nachtr. I 11; ders. JR 1969 235; KMR/Stuckenberg 52; abw. LR/Gollwitzer25 53 (Vermerk über Befragung nicht nötig); O. Schmitt NJW 1959 62 („überspannte Formenstrenge“). 263 Vgl. BGH NStZ-RR 2005 259 f.; KK/Ott 17; Meyer-Goßner/Schmitt 31; MüKo/Cierniak/Niehaus 17. 264 H. M.; so schon RGRspr. 4 151; 9 271; RG HRR 1939 Nr. 210; 1939 Nr. 1450; KK/Ott 10; KMR/Stuckenberg 53; Meyer-Goßner/Schmitt 16; MüKo/Cierniak/Niehaus 11; OK-StPO/Eschelbach 15; Radtke/Hohmann/ Forkert-Hosser 39; ferner KG NStZ 1984 523 (Weigerung des Vorsitzenden, die Hauptverhandlung zur Vorbereitung des Plädoyers zu unterbrechen). 265 OLG Koblenz VRS 55 (1978) 278; OLG Köln VRS 69 (1985) 444. 266 RGSt 64 57, 58 f.; BGH bei Dallinger MDR 1953 598; auch OLG Köln VRS 69 (1985) 444.

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Plädoyers, auf die er jedoch hinweisen muss,267 versagt wurde.268 Gerügt werden kann auch, dass das Gericht ohne jeden Schlussvortrag der Staatsanwaltschaft entschieden hat,269 nicht aber, dass der Verteidiger nicht befragt wurde270 oder auf einen Schlussvortrag verzichtet hat.271 Gerügt werden kann ferner, wenn der Angeklagte oder ein ihm gleichgestellter Verfahrensbeteiligter272 weder das letzte Wort hatte noch nach Absatz 3 befragt worden war273 oder dass die Befragung ungenügend war, weil sie nicht erkennbar machte, dass damit die Möglichkeit eröffnet wurde, im vollen Umfang Ausführungen zur Verteidigung zu machen.274 Der Nichtgewährung des letzten Worts steht eine unzulässige Beschränkung gleich.275 Die Rüge greift vor allem auch durch, wenn nach einem Wiedereintritt in die Verhandlung versäumt wurde, den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zu geben, die Schlussvorträge und das letzte Wort zu wiederholen (Rn. 4 ff.). Soweit die Beschränkung der Äußerungsbefugnis zur Folge hatte, dass ein Verfahrensbeteiligter sich zu neuem tatsächlichen Vorbringen nicht äußern konnte, ist sein verfassungsrechtlich verbürgtes Recht auf Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt,276 was zusätzlich zum Verstoß gegen § 258 mit der Revision geltend gemacht werden kann und zur Erhaltung der Verfassungsbeschwerde auch geltend gemacht werden muss. Ein Verstoß gegen § 261 und eventuell auch gegen § 338 Nr. 1 (geistig abwesend) kann vorliegen, wenn ein Richter den Schlussvorträgen und dem letzten Wort nicht das für ihre Würdigung unerlässliche Mindestmaß an Aufmerksamkeit schenkt.277 Wird das Urteil nach Wiedereintritt in die Verhandlung ohne nochmalige Beratung verkündet, ist die Revision wegen Verstoßes gegen §§ 260 Abs. 1, 261 begründet.278 Hat das Gericht eine nach § 238 Abs. 2 (Rn. 58) beanstandete, den Verteidiger oder Angeklagten belastende Anordnung des Vorsitzenden zu Unrecht bestätigt, so kann dies als die Verteidigung beschränkender Beschluss auch nach § 338 Nr. 8 gerügt werden.279 Verstöße gegen § 258, insbesondere die Nichtgewährung des letzten Worts, können bis zur – nicht nach280 – Beendigung der Urteilsverkündung dadurch geheilt werden, dass sie ordnungsgemäß nachgeholt werden.281 Die vorherige Anrufung des Gerichts gemäß § 238 Abs. 2 gegen die Maßnahmen des Vorsitzenden ist zur Erhaltung der Verfahrensrüge nicht erforderlich bei Nichtertei267 BGH NStZ 2005 650. 268 KG NStZ 1984 523; vgl. BGH StV 1989 187, 189 (überraschende Urteilsverkündung); AK/Dästner 33; KK/Ott 5; KMR/Stuckenberg 54; Meyer-Goßner/Schmitt 33; oben Fn. 109.

269 Oben Fn. 122. 270 BGHSt 20 273, 274; KK/Ott 5. 271 BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 295 (auch nicht § 338 Nr. 5); bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1987 217 Nr. 3; KK/Ott 5; a.A Schlüchter 561.3 (bei notwendiger Verteidigung); krit. Dahs 380; Hamm 1109. Vgl. die Nachw. zu Rn. 37. Vgl. Rn. 44 ff. Vgl. Rn. 45. RGSt 61 317, 318; BGHSt 3 368, 370; BGH StV 1985 355, 356; vgl. Rn. 47 ff. BVerfGE 54 140, 141 f.; OLG Düsseldorf VRS 64 (1983) 205; OLG Köln VRS 69 (1985) 444. BGH NJW 1962 2212; s. a. BGHSt 2 14, 15; 11 74, 75; BGH bei Dallinger MDR 1956 398; vgl. Rn. 14 ff.; KMR/Stuckenberg 56. 278 RGSt 42 85, 86 f.; 43 51 f.; 46 373, 375; OGHSt 2 193, 195; BGH NJW 1951 206. 279 RG HRR 1939 Nr. 1450; BGH NJW 1976 1951; OLG Hamm NJW 1970 1696; JMBlNW 1980 81 f.; OLG Oldenburg NJW 1957 839. 280 BGH StV 2013 378 f. 281 OLG Hamm JMBlNW 1955 237; OLG Jena NStZ-RR 2006 278 f.; HK/Julius/Beckemper 32; KMR/Stuckenberg 58; Schmid JZ 1969 763 m. w. N.

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lung des Worts zu Schlussvortrag und letztem Wort sowie bei Beschränkungen, die einer Nichterteilung gleichkommen, etwa wenn der Vorsitzende Gelegenheit zu Schlussvorträgen und letztem Wort nicht in klar erkennbarer Weise oder nur mit unzulässiger zeitlicher Beschränkung oder Verbot der Benutzung schriftlicher Aufzeichnungen gegeben hat.282 Dies folgt – unabhängig von der allgemein bei § 238 vertretenen Auffassung283 – schon daraus, dass das Gericht nicht entscheiden darf, wenn es nicht vorher den Verfahrensbeteiligten, vor allem dem Angeklagten, Gelegenheit gegeben hat, sich abschließend umfassend zum Verfahrensergebnis zu äußern. Die Beanstandung ist gleichwohl ratsam, weil die Untätigkeit des Verteidigers bei Prüfung der Beruhensfrage zu werten ist.284 Hingegen verlangt die Rechtsprechung einen Antrag nach § 238 Abs. 2 bei anderen 65 Anordnungen des Vorsitzenden, die einer Nichterteilung des Worts nicht gleichkommen.285 Für eine Differenzierung zwischen sachleitenden Anordnungen des Vorsitzenden, die einer Nichterteilung des Worts gleichkommen, und anderen gegen § 258 verstoßenden Anordnungen, die einer Nichterteilung nicht gleichkommen sollen, ist jedoch kein Raum,286 denn jede unzulässige Beschränkung der Äußerungsmöglichkeit – ganz gleich in welcher Form – verletzt § 258 und damit zwingendes Recht, dessen Beachtung in die unmittelbare Gesamtverantwortung des Gerichts fällt. Beschwer. Grundsätzlich ist nur der Beteiligte beschwert, dessen eigenes Äuße66 rungsrecht nach § 258 verkürzt oder vereitelt wurde. Die Versagung des letzten Worts beschwert allein den Angeklagten, nicht aber andere Verfahrensbeteiligte, etwa den Nebenkläger oder den Staatsanwalt.287 An einer eigenen Beschwer eines Mitangeklagten fehlt es auch, wenn nur bei einem anderen Mitangeklagten gegen § 258 verstoßen wurde.288 Hingegen kann der Angeklagte mit seiner Revision nach § 337 geltend machen, dass sein eigener Verteidiger oder sonst eine für ihn an der Hauptverhandlung teilnehmende Person entgegen § 258 in ihren Äußerungsrechten beschnitten wurde. Der Angeklagte kann auch rügen, dass das Urteil ohne Schlussvortrag des Staatsanwalts erging.289 67

b) Begründung. Für die Begründung der Rüge der Verletzung des § 258 ist erforderlich, dass die behauptete Verletzung des § 258 durch Angabe aller Tatsachen (§ 344 Abs. 2 Satz 2) dargetan wird, die den konkreten Fehler – sehr oft ein Unterlassen – lückenlos belegen.290 Die bloße Behauptung des Verstoßes als solchen genügt nicht. In der Regel ist die vollständige Darlegung des für die Beurteilung der Rüge relevanten 282 RG JW 1933 1591; BGHSt 3 368, 370; 21 288, 290; BGH JR 1965 348; StV 2017 797 f.; OLG Karlsruhe MDR 1966 948 f.; OLG Köln GA 1971 217; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1970 199; Fuhrmann NJW 1963 1235; Hanack JZ 1972 274, 276; AK/Dästner 33; HK/Julius/Beckemper 32; KK/Ott 33; KMR/Stuckenberg 59; Meyer-Goßner/Schmitt 33; MüKo/Cierniak/Niehaus 27 (siehe aber 11); OK-StPO/Eschelbach 28; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 31, 34; SSW/Franke 22; Eb. Schmidt Nachtr. I 4; a. A. RG GA 46 (1898/ 99) 337; OLG Neustadt GA 1961 186. 283 Vgl. LR/Becker § 238, 43 ff. 284 BGH bei Dallinger MDR 1953 598; HK/Julius/Beckemper 24; KMR/Stuckenberg 59. 285 BGH bei Dallinger MDR 1957 527 m. w. N.; sowie BGHSt 3 368, 369 f.; BGH NStZ 1993 94, 95 (Pause im Plädoyer); KG StV 1984 413 (ungenügende Vorbereitungszeit); zust. KK/Ott 33; Pfeiffer 9; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 39; abl. SK/Velten 55. 286 LR/Gollwitzer25 55; KMR/Stuckenberg 59; SSW/Franke 22; ähnl. Eb. Schmidt Nachtr. I 11. 287 BGH 19.1.1961 – 4 StR 411/61; KK/Ott 34; KMR/Stuckenberg 60; MüKo/Cierniak/Niehaus 27. 288 MüKo/Cierniak/Niehaus 25; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 38; s. a. BVerfG NStZ 2014 528, 529 (obiter). 289 Fn. 122. 290 BGHSt 21 288, 290; BGH bei Kusch NStZ 1995 19.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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Verfahrensverlaufs notwendig, so etwa der Vorgänge, die einen Wiedereintritt in die Hauptverhandlung bedeuteten, der Anwesenheit des Angeklagten am Schluss der Verhandlung291 und des sich daran anschließenden Verfahrensgangs, aus dem sich die Nichtbeachtung einer von § 258 geforderten Verfahrensgestaltung ergibt292 nebst dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls.293 Dagegen muss nicht angegeben werden, welche Anträge und Ausführungen der in seinem Recht Verletzte vorgebracht hätte.294 Um der Möglichkeit vorzubeugen, dass das Revisionsgericht das Beruhen verneint, können diese Angaben aber angebracht sein.295 c) Beruhen. Die Nichtbeachtung des § 258 ist zwar ebenso wenig wie der Verstoß 68 gegen § 260 Abs. 1 oder gegen § 261 ein absoluter Revisionsgrund, doch wird das Urteil in der Regel auf der Verletzung des § 258 beruhen, weil das Revisionsgericht nicht weiß, was der Berechtigte vorgetragen hätte. Folglich kann bei Versagung des letzten Worts, dessen Sinn gerade ist, dass der Angeklagte noch im letzten Augenblick entlastende Umstände vorbringen kann,296 nur in besonderen Ausnahmefällen ausgeschlossen werden, dass er dadurch das Urteil zu seinen Gunsten hätte beeinflussen können.297 Dies gilt erst recht, wenn er sich bislang nicht zur Sache eingelassen298 oder die Tatvorwürfe bestritten299 hatte. Wegen des möglichen Wegfalls des Bindungswirkung nach § 257c Abs. 4 Satz 1 schließt auch eine Verständigung ein Beruhen nicht ohne weiteres aus.300 Diese strengen Maßstäbe gelten nicht für die Versagung der Erwiderung des Nebenklägers, der nicht dasselbe Gewicht zukommt wie dem letzten Wort des Angeklagten.301 Allerdings ist die Rechtsprechung uneinheitlich;302 so wurde in folgenden Fällen 69 verneint, dass das Urteil auf der Versagung des letzten Worts beruhe: 291 OLG Jena VRS 108 (2005) 215 f. 292 BGH bei Miebach NStZ 1990 230 Nr. 24; StV 1995 176 mit abl. Anm. Ventzke; KG StraFo 2017 460; OLG Jena NStZ-RR 2006 278 f.; KMR/Stuckenberg 61; Meyer-Goßner/Schmitt 33; MüKo/Cierniak/Niehaus 29; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 36; SK/Velten 58; SSW/Franke 21; vgl. auch HK/Julius/Beckemper 31 (ausführliche Schilderung empfehlenswert). 293 OLG Jena VRS 108 (2005) 215 f. 294 RGSt 9 69, 70; RG JW 1933 1591 Nr. 12; BGHSt 10 202, 207; 21 288, 290; BGH bei Spiegel DAR 1978 153; OLG Düsseldorf StraFo 2001 312 f.; OLG Hamm NStZ 2006 520; OLG Zweibrücken StV 2003 455; OLG Schleswig SchlHA 1953 248; HK/Julius/Beckemper 31; KK/Ott 34; KMR/Stuckenberg 61; Meyer-Goßner/ Schmitt 33; MüKo/Cierniak/Niehaus 29; OK-StPO/Eschelbach 28; Radtke/Hohmann/Forkert-Hosser 36; anders bei der auf Versagung des letzten Worts und Art. 103 Abs. 1 GG gestützten Rechtsbeschwerde nach § 80 OWiG: BayObLG NJW 1992 1907; OLG Düsseldorf VRS 83 (1993) 435, 437; 94 (1998) 281 f.; OLG Jena VRS 106 (2004) 273 f. 295 BGHSt 22 278, 282; BGH NJW 2001 3137, 3138; OLG Hamm VRS 41 (1971) 159, 160; OLG Köln GA 1971 217; HK/Julius/Beckemper 31; KK/Ott 34; KMR/Stuckenberg 61; OK-StPO/Eschelbach 28. 296 BGH StV 1987 284; 1989 239. 297 BGHSt 21 288, 290; 22 278, 280 f. mit abl. Anm. Eb. Schmidt JR 1969 235; BGH NJW 1969 473; BGH bei Dallinger MDR 1966 893; bei Holtz 1977 639; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 357; 1984 521 f.; 1985 464, 465; 1993 551; StV 1984 104; BayObLGSt 2001 105, 107; OLG Brandenburg NStZ-RR 2003 89; OLG Karlsruhe MDR 1966 948 f.; OLG Koblenz VRS 47 (1974) 444, 445; KK/Ott 35; KMR/Stuckenberg 62; Meyer-Goßner/ Schmitt 34; a. A. (Beruhen sei immer anzunehmen) BayObLGSt 1957 88, 89; Eb. Schmidt JR 1969 234, 235; Hanack JZ 1972 274, 276; krit. auch Roxin/Schünemann § 44, 6. 298 BGH StV 2000 296; 2002 234; StraFo 2014 251, 252; BGHR § 258 Abs. 3 letztes Wort 1; Wiedereintritt 6; Meyer-Goßner/Schmitt 34; MüKo/Cierniak/Niehaus 28. 299 BGH NJW 2018 414, 415. 300 BGH NStZ-RR 2010 152; KK/Ott 35. 301 BGH NJW 2001 3137 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 34. 302 Vgl. KK/Ott 35 m. w. N.

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für den Schuldspruch, wenn der Angeklagte geständig war; hingegen sei fast nie auszuschließen, dass der Rechtsfolgenausspruch darauf beruht;303 für den Schuldspruch, wenn ein nur für die Strafzumessung bedeutsamer Hinweis (etwa auf Gesetzeskonkurrenz) ergangen war; der Strafausspruch aber ist aufzuheben;304 ebenso, wenn Beweisanträge des in allen Einzelheiten geständigen Angeklagten abgelehnt wurden, die nur auf den Strafausspruch zielten;305 hinsichtlich der Feststellungen des äußeren Tatgeschehens, wenn der Angeklagte dieses eingeräumt und nur die subjektiven Voraussetzungen bestritten hatte;306 für solche Taten, die vom Wiedereintritt in die Verhandlung nicht betroffen waren und die der Angeklagte gestanden hatte;307 bei Erteilung eines rechtlichen Hinweises an geständige Angeklagte, die sich vor Wiedereintritt umfassend äußern konnten;308 wenn der Angeklagte nach Verkündung eines Beschlusses nach §§ 154, 154a das letzte Wort nicht erhält, dies aber die Verteidigung nicht beeinflussen konnte (zweifelhaft, vgl. Rn. 9);309 wenn der Angeklagte sich in seinem Schlussvortrag den Ausführungen seines Verteidigers anschloss und danach der Verteidiger das letzte Wort hatte;310 wenn Gegenstand des Wiedereintritts nur die Frage einer Strafantragstellung war;311 bei Erörterung einer Rechtsmittelrücknahme, die weder den Sanktionsrahmen noch sonst irgendeinen rechtsfolgenrelevanten Umstand beeinflussen konnte;312 für den Schuldspruch – anders für den Strafausspruch –, wenn der gesetzliche Vertreter oder Erziehungsberechtigte des schweigenden jugendlichen Angeklagten das letzte Wort nicht erhielt;313 ist hingegen nicht auszuschließen, dass Ausführungen im letzten Wort für die Beweiswürdigung von Belang sein könnten,314 etwa weil der Angeklagte den Tatvorwurf bestreitet,315 so ist jedoch auch der Schuldspruch aufzuheben, selbst wenn die äußerungsberechtigte Person zuvor das Zeugnis verweigert hatte316; wenn im Jugendverfahren der Erziehungsberechtigte zugleich Mitangeklagter ist und in der einen Eigenschaft von seinem letzten Wort keinen Gebrauch gemacht hat, in der anderen Eigenschaft aber nicht erneut befragt wurde;317

303 BGH StV 1985 355, 356; 1992 410; 1999 585; 2000 296; NStZ-RR 1998 15; 2010 152; NStZ 2003 371; 2015 105; 2018 290, 291; BGHR § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 2; OLG Celle NdsRpfl 2015 238 f.; OLG Düsseldorf StV 2000 297, 298; OLG Schleswig SchlHA 2007 287; Meyer-Goßner/Schmitt 34; MüKo/Cierniak/Niehaus 28; OK-StPO/Eschelbach 30; Dahs 386; Hamm 1113, 1120. 304 BGH NStZ 1993 551; anders wohl BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 295. 305 BGH NStZ-RR 1997 268 (Ls.). 306 BayObLGSt 2001 105, 107. 307 BGH NStZ-RR 1999 260; vgl. aber BGHSt 20 273, 274 f.; BGH bei Dallinger MDR 1966 893. 308 BGHSt 22 278, 281; unklar. 309 BGH StV 1985 221, 222. 310 OLG Karlsruhe MDR 1966 948, 949. 311 BayObLG bei Rüth DAR 1979 242. 312 BGH NStZ 1984 521 f. 313 BGH NStZ 1999 426 f.; 2000 435 f.; 2000 553; BGHR § 67 JGG Erziehungsberechtigter 3; ähnl. BGH StraFo 2003 277. 314 BGH NStZ 2000 553; OLG Zweibrücken StV 2003 455 (jeweils Zweifel an strafrechtlicher Verantwortlichkeit möglich); s. a. BayObLG StV 2001 173. 315 OLG Köln StV 2008 119 f.; s. a. OLG Braunschweig StraFo 2009 208. 316 BGH NStZ-RR 2008 291. 317 BGH JR 1997 79 mit abl. Anm. Eisenberg/Düffer.

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(12) bei einer Haftentscheidung, die nur einen Mitangeklagten betrifft und die Verteidigungsposition des anderen nicht berührt;318 (13) bei Verhandlung nur über Rechtsmittel anderer Mitangeklagter;319 (14) nach Verkündung eines Beschlusses gem. § 231 Abs. 2 gegen einen Mitangeklagten, wobei hier schon eine Verletzung des § 258 fraglich ist.320

§ 259 Dolmetscher (1) Einem der Gerichtssprache nicht mächtigen Angeklagten müssen aus den Schlußvorträgen mindestens die Anträge des Staatsanwalts und des Verteidigers durch den Dolmetscher bekanntgemacht werden. (2) Dasselbe gilt nach Maßgabe des § 186 des Gerichtsverfassungsgesetzes für einen hör- oder sprachbehinderten Angeklagten. Schrifttum Basdorf Strafverfahren gegen der deutschen Sprache nicht mächtige Beschuldigte, GedS Meyer (1990) 19; Braitsch Gerichtssprache für Sprachunkundige im Lichte des „fair trial“ (1991); Kabbani Dolmetscher im Strafprozeß, StV 1987 410; Kotz Anspruch auf Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen im Strafverfahren, StV 2012 626; Kranjčić Dolmetschen im Strafverfahren: wider die Wörtlichkeit und für wirkliche Zweckorientierung (oder: Wem dient der Dolmetscher?), NStZ 2011 657; Kreutz Gesetzlich normierte Kommunikationshilfen für Gehörlose, ZFSH/SGB 2008 586; J. Meyer „Die Gerichtssprache ist deutsch“ – auch für Ausländer? ZStW 93 (1981) 505; Sommer Verteidigung und Dolmetscher, StraFo 1995 45; weitere Nachweise bei §§ 185, 186 GVG.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift wurde erstmals durch Art. 16 Nr. 3 OLGVertrÄndG geändert, indem in Absatz 2 der Begriff „taub“ durch „hör- oder sprachbehindert“ ersetzt und die Art der Verständigung durch Verweis auf § 186 GVG dessen Neufassung angepasst wurde. Bezeichnung bis 1924: § 258.

1. 2. 3.

Übersicht Bedeutung der Vorschrift 1 Anwendungsbereich 2 Voraussetzungen 7 a) Mangelnde Sprachkenntnisse (Absatz 1) 7

4. 5.

b) Hörbehinderte Sitzungsniederschrift Revision 10

8 9

1. Bedeutung der Vorschrift. Ist ein Angeklagter der deutschen Gerichtssprache 1 (§ 184 GVG) nicht mächtig, muss gemäß §§ 185, 187 GVG, Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK ein Dolmetscher hinzugezogen werden, um zu verhindern, dass er zu einem unverstandenen Ob-

318 BGH StV 1997 339, 340. 319 OLG Köln GA 1971 217. 320 Insoweit offen lassend BGH bei Kusch NStZ 1993 29 Nr. 14.

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jekt des Verfahrens herabgewürdigt wird.1 Für hör- oder sprachbehinderte Angeklagte trifft § 186 GVG eine entsprechende Regelung und gibt ein Wahlrecht bezüglich der Verständigungsart. Zu übermitteln sind alle wesentlichen Vorgänge, Schriftstücke und Äußerungen.2 Als Ausnahme davon normiert § 259 nur für die Schlussvorträge einen eigenen Mindeststandard, der die Übersetzungspflicht auf die Anträge reduziert und damit eine Einschränkung der §§ 185 ff. GVG darstellt. Begründet wurde diese seit 1877 unveränderte Einschränkung damit, dass zum einen die Übertragung eines umfassenden Schlussvortrags nach dessen Beendigung nicht ausführbar sei und zum anderen die Übersetzung jedes einzelnen Satzes einen zusammenhängenden Vortrag unmöglich mache;3 die Möglichkeit des Vorsitzenden, eine ausführlichere Übertragung anzuordnen, bleibt indes unberührt,4 nur die Pflicht dazu lässt § 259 entfallen. Ob die damals angenommenen Sachzwänge heute noch unverändert bestehen, erscheint zweifelhaft.5 Ungeachtet des § 259 kann überdies im Einzelfall durchaus eine Rechtspflicht zu einer weitergehenden Übertragung bestehen, die sich aus dem im Rechtsstaatsprinzip und in Art. 6 EMRK verankerten Gebot eines fairen Verfahrens ergibt (Rn. 5). Angesichts der heutigen verfassungs- und menschenrechtlichen Anforderungen an ein rechtsstaatliches Strafverfahren erscheint § 259 sowohl überholt als auch überflüssig und ist restriktiv anzuwenden (Rn. 5 f.).6 2. Anwendungsbereich. Nur die Vermittlung der Schlussvorträge (§ 258) an den sprachunkundigen oder hörbehinderten Angeklagten wird durch § 259 eingeschränkt. Die Einschränkung der Übertragungspflicht in Absatz 1 betrifft nur die Sprachübertragung durch einen Dolmetscher. Dieselbe Einschränkung gilt nach Absatz 2, wenn das Gericht einen Gebärdendolmetscher7 zugezogen hat oder eine andere in § 186 Abs. 1 GVG aufgeführte Form der Verständigung, etwa die schriftliche, benutzt wird. Soweit allerdings der Angeklagte durch technische Vorrichtungen in die Lage versetzt wird, allen mündlichen Ausführungen in der Hauptverhandlung zu folgen, ist nach dem Sinn des § 259 Abs. 2 für die Anwendung seiner Einschränkung kein Raum.8 3 § 259 gilt nicht für alle übrigen Vorgänge der Hauptverhandlung, deren Inhalt nach § 185 GVG vollständig übertragen werden muss.9 Vollständig zu übertragen sind die eigenen Erklärungen des Angeklagten einschließlich seines letzten Worts ebenso wie die sonstigen Erklärungen in der Hauptverhandlung, etwa der Vortrag des Anklagesatzes10 oder die Ausführungen nach § 257 oder alle Vorgänge im Rahmen der Beweiserhebung (Aussagen der Zeugen, Ausführungen eines Sachverständigen usw.) und auch die mündliche Urteilsbegründung.11

2

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Vgl. BVerfGE 64 135, 145; BVerfG NJW 2004 50. Unten Fn. 21. Hahn 196; BGH GA 1963 148, 149. Hahn 196. Siehe Fn. 28. HK/Julius/Beckemper 1; KK/Ott 1; MüKo/Kotz 1, 6; OK-StPO/Eschelbach 1; SK/Velten 2, 4; Kotz StV 2012 626, 628; zurückhaltender SSW/Franke 2; s. a. Sommer StraFo 1995 45 f. 7 Dazu Kreutz ZFSH/SGB 2008 586 ff., 597 f. 8 LR/Gollwitzer25 Nachtr. 4. 9 BVerfGE 64 135, 148; RGSt 36 355, 356; HK/Julius/Beckemper 8; KK/Ott 1; KMR/Stuckenberg 2; MeyerGoßner/Schmitt 1; Pfeiffer 1; Radtke/Hohmann/Gorka 1; SK/Velten 2; Eb. Schmidt Nachtr. I 1; Basdorf GedS Meyer 19, 21; vgl. ferner bei § 185 GVG. 10 BGH StV 1993 2; OLG Hamburg StV 1994 65. 11 BGH GA 1963 148 f.; KK/Ott 1; KMR/Stuckenberg 2; Radtke/Hohmann/Gorka 1; Eb. Schmidt Nachtr. I 1; Kabbani StV 1987 410, 412.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 259

Die Schlussanträge von Staatsanwalt und Verteidiger, aber auch die Anträge sons- 4 tiger Verfahrensbeteiligter, wie etwa eines Nebenklägers oder eines Nebenbeteiligten,12 müssen einem der deutschen Sprache unkundigen oder hörbehinderten Angeklagten durch einen Dolmetscher oder nach § 186 GVG wörtlich zur Kenntnis gebracht werden,13 obschon ansonsten die Wiedergabe des wesentlichen Inhalts des Verhandelten genügt.14 Für den übrigen Inhalt der Schlussvorträge fordert § 259 keine Übertragung. Er 5 überlässt es dem pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden, anzuordnen, ob auch sie dem Angeklagten wörtlich übersetzt werden sollen oder ob es genügt, wenn ihm wenigstens ihr wesentlicher Inhalt in einer Zusammenfassung mitgeteilt wird,15 und zwar auch bei umfangreichen Verfahren.16 Dieses Ermessen wird jedoch eingeschränkt17 durch das in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie in Art. 6 Abs. 1 EMRK begründete Recht auf ein faires Verfahren und auf Verteidigung, das für sprachunkundige Ausländer gleichermaßen gilt,18 namentlich dessen Ausprägung in Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK und §§ 185, 187 GVG, hinter deren Anforderungen der Mindeststandard des § 259 zurückbleibt.19 Aus dem Verfassungsgebot eines fairen Verfahrens ergibt sich die Pflicht des Vorsitzenden, stets zu prüfen, ob zusätzlich eine wörtliche Übersetzung der Vorträge oder deren Zusammenfassung nötig ist.20 Auch Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK verlangt, dass alle Dokumente und mündlichen Erklärungen zu übersetzen sind, die zu verstehen Bedingung eines fairen Verfahrens ist,21 was allerdings Zusammenfassungen nicht ausschließt22 und grundsätzlich mündlich23 erfolgen kann. Aus dem Unionsrecht24 ergeben sich keine weitergehenden Vorgaben. Daraus folgt, dass es immer dann – und damit wohl im Regelfall – geboten ist, den 6 Angeklagten in einer ihm verständlichen Sprache (Absatz 1) oder Übermittlungsweise (Absatz 2) zumindest vom wesentlichen Inhalt der Schlussvorträge in Kenntnis zu setzen, wenn ihm nur so ermöglicht werden kann, im Rahmen seines letzten Worts selbst auf die vorgetragenen Argumente einzugehen.25 Würden nur die Anträge übersetzt und nicht die diesen zugrundeliegende Darstellung und Bewertung des Verfahrensergebnis12 Vgl. § 258, 17 f.; KMR/Stuckenberg 3; MüKo/Kotz 8; OK-StPO/Eschelbach 3; Radtke/Hohmann/Gorka 1; Gollwitzer FS Schäfer 65, 80; gegen eine Beschränkung gegenüber § 185 GVG insoweit SK/Velten 2. 13 BVerfGE 64 135, 148; Kissel/Mayer § 185, 10; SK/Velten 4. 14 RGSt 36 355, 356; 43 441, 443; 76 177, 178; OGHSt 3 141, 146. 15 Hahn 196; Meyer-Goßner/Schmitt 1; Pfeiffer 1; Radtke/Hohmann/Gorka 4; krit. HK/Julius/Beckemper 1; MüKo/Kotz 6; OK-StPO/Eschelbach 4; SK/Velten 4; auch SSW/Franke 6. 16 BGH GA 1963 148, 149; a. A. AK/Dästner 3; SK/Velten 4. 17 A. A. Braitsch 281 (Wegfall des Ermessens). 18 BVerfGE 40 95, 98 f.; BVerfG NJW 2004 50. 19 Vgl. AK/Dästner 2; HK/Julius/Beckemper 1; KMR/Stuckenberg 5; MüKo/Kotz 7; Katholnigg GVG3 § 185, 3. 20 BVerfGE 64 135, 148. 21 EGMR Lüdicke, Belkacem, Koç/Deutschland, 28.11.1978, Nr. 6210/73, 6877/75, 7132/75, Serie A 29, § 48 = NJW 1979 1091 f.; Kamasinski/Österreich, 19.12.1989, Nr. 9783/82, Serie A 168, § 74; Lagerblom/ Schweden, 14.1.2003, Nr. 26891/95, § 61; Hermi/Italien, 18.10.2006, Nr. 18114/02, § 69; Protopara/Türkei, 24.2.2009, Nr. 16084/90, §§ 79 ff.; Vizgirda/Slowenien, 28.8.2018, Nr. 59868/08, §§ 75 ff.; Knox/Italien, 24.1.2019, Nr. 76577/13, § 182; BVerfG NJW 2004 50 f.; BGHSt 48 178, 184; s. a. OGH ZfRV 1974 148 mit Anm. Liebscher; LR/Esser26 Art. 6, 828 ff., 838 EMRK. 22 EGMR Lüdicke (Fn. 21) § 48; Kamasinski (Fn. 21) § 74. 23 EGMR Kamasinski (Fn. 21) § 74; Protopara (Fn. 21) § 80. 24 Maßgebend sind auch hier die Gewährleistung eines fairen Verfahrens und effektiver Wahrnehmung der Verteidigungsrechte, was Zusammenfassungen nicht ausschließt, vgl. Art. 2 Abs. 2 und 8, Art. 3 Abs. 7 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.10.2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren, ABl.EU 2010 L 280/1. 25 Vgl. BVerfGE 64 135, 148; weitergehend Braitsch 281 (immer vollständige Übersetzung).

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ses mit der Folge, dass er dazu nicht Stellung nehmen könnte, würde auch sein Recht auf das letzte Wort entwertet.26 Unerlässlich ist die wörtliche Übersetzung, wenn in den Schlussvorträgen neue Tatsachen und Argumente vorgetragen wurden, zu denen der Angeklagte sich bisher noch nicht äußern konnte.27 Die Förderung der Prozessökonomie muss dahinter zurückstehen, zumal zweifelhaft ist, ob die in den Motiven angeführten Schwierigkeiten der Übersetzung der Schlussvorträge größer sind als etwa bei einer langen Zeugenvernehmung.28 Die Einschränkung nach § 259 ist daher restriktiv anzuwenden;29 regelmäßig sollte auf sie verzichtet werden. 3. Voraussetzungen 7

a) Mangelnde Sprachkenntnisse (Absatz 1). Ob ein Dolmetscher zum Verfahren zugezogen werden muss, weil der Angeklagte der deutschen Sprache nicht mächtig ist, und unter welchen Voraussetzungen begrenzte deutsche Sprachkenntnisse des Angeklagten als ausreichend zum Verständnis aller Verfahrensvorgänge und zur Wahrung seiner Verfahrensrechte angesehen werden dürfen, ist bei § 185 GVG erläutert.

8

b) Hörbehinderte. Während Absatz 2 früher nur taube Angeklagte betraf, schließt die Neufassung durch das OLGVertrÄndG jetzt auch hörbehinderte mit ein. Hörbehinderter Angeklagter ist jeder Angeklagte, dessen Fähigkeit, das gesprochene Wort der anderen Teilnehmer der Hauptverhandlung zu verstehen, nicht nur unbeträchtlich eingeschränkt ist, so dass er auch die Schlussausführungen nicht ohne besondere Hilfestellung durch das Gericht, wie etwa die Anweisung eines akustisch günstigen Platzes oder die Einschaltung eines Gebärdendolmetschers, sicher verstehen kann. Auf welchem der in § 186 Abs. 1 GVG aufgezeichneten Wege der Unterrichtung dies erreicht wird, ist unerheblich. Da die Entscheidung für eine der dort aufgezeigten Verständigungsmöglichkeiten aber für die ganze Hauptverhandlung gilt, wird die dafür gewählte Übermittlungsform in der Regel auch für die Schlussvorträge in Frage kommen. Wenn der Angeklagte seine Beeinträchtigung jedoch durch ein von ihm in der Hauptverhandlung benutztes Hilfsmittel (Hörgerät) so ausgleichen kann, dass er in der Lage ist, die Schlussausführungen und Schlussanträge selbst zu verstehen, bedarf es keiner Maßnahmen des Gerichts, um das nach Absatz 2 unerlässliche Mindestmaß seiner Unterrichtung sicherzustellen. Dass Absatz 2 neben dem hörbehinderten auch den sprachbehinderten Angeklagten erwähnt, geht ins Leere, da es hier nur um die passive Wahrnehmung der Schlussvorträge, mithin um den Ausgleich einer Hörbehinderung gehen kann.30

9

4. Sitzungsniederschrift. Wird der Dolmetscher zur ganzen Verhandlung hinzugezogen und die Zuziehung als wesentliche Förmlichkeit31 im Protokoll vermerkt, braucht die Beachtung der einschränkenden Vorschrift des § 259 ebenso wenig beurkundet zu werden32 wie jedes einzelne Tätigwerden, da vermutet wird, dass die Funktion gesetzes-

26 27 28 29 30 31 32

AK/Dästner 3; KMR/Stuckenberg 5; Braitsch 281 f.; Kabbani StV 1987 410, 411. LR/Gollwitzer25 3. Dazu Kabbani StV 1987 410, 411 f.; HK/Julius/Beckemper 8 m. w. N.; KMR/Stuckenberg 5. LR/Wickern26 § 185, 16 GVG; AK/Dästner 2; HK/Julius/Beckemper 2, 4, 8; KMR/Stuckenberg 5. LR/Gollwitzer25 Nachtr. 1. Vgl. bei § 273 und bei § 185 GVG. RGSt 1 137, 138; 397, 398; 43 441, 442; KK/Ott 4; KMR/Stuckenberg 8; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/ Kotz 10; OK-StPO/Eschelbach 6; Radtke/Hohmann/Gorka 8; zweifelnd AK/Dästner 4.

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§ 259

gemäß ausgeübt wurde,33 wobei der Gegenbeweis zulässig ist.34 Auch Maßnahmen, die der Vorsitzende zum Zweck der Verständigung trifft, brauchen nicht beurkundet zu werden, da es sich insoweit um keine wesentliche Förmlichkeit handelt.35 Nach § 273 Abs. 1 im Protokoll festzuhalten ist dagegen, dass der Dolmetscher nach § 189 Abs. 1 GVG vereidigt wurde oder dass er sich nach § 189 Abs. 2 GVG auf einen allgemein geleisteten Eid berufen hat.36 5. Revision. Wurden entgegen § 259 nicht einmal die Schlussanträge übertragen, so 10 kann unter Angabe der nach § 344 Abs. 2 erforderlichen Tatsachen37 die Revision darauf gestützt werden.38 Ob die Übertragung der durch das Sitzungsprotokoll gem. §§ 273, 274 nachgewiesenen Anträge zu Unrecht unterblieben ist, muss – da es sich insoweit um keine wesentliche Förmlichkeit handelt – im Wege des Freibeweises (dienstliche Erklärungen, eventuell auch Akten) geklärt werden.39 Das Urteil beruht auf der fehlenden Übersetzung, wenn nicht auszuschließen ist, dass der Angeklagte sich in seinem letzten Wort anders verteidigt hätte. Fehlte ein Dolmetscher ganz, obwohl seine Hinzuziehung nach §§ 185, 186 GVG ge- 11 boten gewesen wäre, oder war er gänzlich ungeeignet, so liegt ein Verfahrensfehler nach § 338 Nr. 5 vor.40 Als Verstoß gegen § 189 GVG kann nach § 337 gerügt werden, dass der Dolmetscher nicht vereidigt wurde.41 Unzureichende Dolmetscherleistungen können ebenfalls die Revision begründen,42 wofür aber die allgemeine Behauptung, der Dolmetscher sei zu einer richtigen Übersetzung außerstande gewesen oder habe unrichtig übertragen, nicht ausreicht;43 vielmehr bedarf es konkreten Tatsachenvortrags zu Übersetzungsfehlern und deren Auswirkungen auf die Fähigkeit des Angeklagten, dem Gang des Verfahrens verständig zu folgen.44 Ob es eines Dolmetschers bedarf, wenn der Angeklagte teilweise der deutschen Sprache mächtig ist, unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts, das nur auf Überschreiten der Ermessensgrenzen überprüft werden kann.45 Zu Einzelheiten s. die Erl. zu §§ 185 ff. GVG.

33 34 35 36 37 38

RGSt 1 397, 398; KK/Ott 4; KMR/Stuckenberg 8; Meyer-Goßner/Schmitt 2; Radtke/Hohmann/Gorka 9. RGSt 43 441, 442 und vorige Fn. BGH LM Nr. 1; OLG Freiburg JZ 1951 23. LR/Wickern26 § 189, 10 GVG m. w. N. Vgl. BGH StV 1992 54. KMR/Stuckenberg 9; Meyer-Goßner/Schmitt 3; OK-StPO/Eschelbach 7 f.; Pfeiffer 2; SK/Velten 6; SSW/ Franke 7; Eb. Schmidt 1. 39 Vgl. Rn. 9; KK/Ott 3; KMR/Stuckenberg 9; Meyer-Goßner/Schmitt 3, MüKo/Kotz 11; Radtke/Hohmann/ Gorka 8; Eb. Schmidt 3; SSW/Franke 7. 40 BGHSt 3 285 f.; BGH StV 1992 54; KK/Ott 3; KMR/Stuckenberg 10; MüKo/Kotz 11; Radtke/Hohmann/ Gorka 7; s. LR/Franke26 § 338, 100; LR/Wickern26 § 185, 37 GVG. 41 Vgl. LR/Wickern26 § 189, 12 GVG m. w. N. 42 Für § 337 BGH bei Holtz MDR 1991 1025; s. a. BGH NStZ 1985 376 f.; nun § 338 Nr. 8 erwägend BGH NJW 2017 3797; Meyer-Goßner/Schmitt § 185, 10 GVG; Radtke/Hohmann/Gorka 9; a. A. (Richtigkeit und Vollständigkeit der Übertragung überprüfe der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen und sei vom Revisionsgericht grundsätzlich nicht nachprüfbar) BGH 18.5.1976 – 5 StR 529/75; KK/Ott 3; vgl. Basdorf GedS Meyer 19, 22. 43 BGH NStZ 1985 376 f.; KK/Ott 3 m. w. N.; Meyer-Goßner/Schmitt § 185, 10 GVG; Radtke/Hohmann/ Gorka 9. 44 BGH NJW 2017 3797. 45 BGHSt 3 285; BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 295; 1984 328; StV 1990 101; offenlassend BGH StV 1992 54; krit. Kühne StV 1990 102; s. a. Basdorf GedS Meyer 19, 21; a. A. noch RGSt 76 177, 178; RG GA 68 (1920) 348.

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§ 260

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

§ 260 Urteil (1) Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils. (2) Wird ein Berufsverbot angeordnet, so ist im Urteil der Beruf, der Berufszweig, das Gewerbe oder der Gewerbezweig, dessen Ausübung verboten wird, genau zu bezeichnen. (3) Die Einstellung des Verfahrens ist im Urteil auszusprechen, wenn ein Verfahrenshindernis besteht. (4) 1Die Urteilsformel gibt die rechtliche Bezeichnung der Tat an, deren der Angeklagte schuldig gesprochen wird. 2Hat ein Straftatbestand eine gesetzliche Überschrift, so soll diese zur rechtlichen Bezeichnung der Tat verwendet werden. 3 Wird eine Geldstrafe verhängt, so sind Zahl und Höhe der Tagessätze in die Urteilsformel aufzunehmen. 4Wird die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten, die Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung zur Bewährung ausgesetzt, der Angeklagte mit Strafvorbehalt verwarnt oder von Strafe abgesehen, so ist dies in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen. 5Im übrigen unterliegt die Fassung der Urteilsformel dem Ermessen des Gerichts. (5) 1Nach der Urteilsformel werden die angewendeten Vorschriften nach Paragraph, Absatz, Nummer, Buchstabe und mit der Bezeichnung des Gesetzes aufgeführt. 2Ist bei einer Verurteilung, durch die auf Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt wird, die Tat oder der ihrer Bedeutung nach überwiegende Teil der Taten auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden, so ist außerdem § 17 Abs. 2 des Bundeszentralregistergesetzes anzuführen. Schrifttum Achenbach Strafprozessuale Ergänzungsklage und materielle Rechtskraft, ZStW 87 (1975) 74; Berz Der Urteilstenor bei Zusammentreffen von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, Zeitschrift für Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht 1973 262; Bindokat Freispruch bei fehlendem Strafantrag, NJW 1955 1863; Bloy Zur Systematik der Einstellungsgründe im Strafverfahren, GA 1980 161; Foth „Die besondere Schwere der Schuld“ i. S. von § 57a StGB, NStZ 1993 368; Furtner Das Urteil im Strafprozeß (1970); Granderath Erschwerungsgründe in der strafgerichtlichen Urteilsformel, MDR 1984 988; Grünhut Das Minderheitsvotum, FS Eb. Schmidt (1961) 620; Hamm Öffentliche Urteilsberatung, NJW 1992 3147; Hohmann Zu den Möglichkeiten einer Einstellung des Hauptverfahrens im Strafprozeß wegen eines Verfahrenshindernisses, NJ 1993 110; Jasper Die Sprache des Urteils, MDR 1986 198; Koch Freispruch oder Einstellung? GA 1961 344; Kühl Unschuldsvermutung, Freispruch, Einstellung (1983); Kugler/Solbach Zur Fassung der Urteilsformel im Strafverfahren, DRiZ 1971 56; Kuhlmann Teilurteile im Strafverfahren, DRiZ 1975 77; Lemke Probleme der strafprozessualen Vorab- und Ergänzungsklage, ZRP 1980 141; Lenzen Die besondere Schwere der Schuld i. S. von § 57a StGB in der Bewertung durch die Oberlandesgerichte, NStZ 1983 543; Meyer-Goßner Hinweise zur Abfassung des Strafurteils aus revisionsrechtlicher Sicht, NStZ 1988 529; Michel Die Urteilsformel bei Freispruch und Einstellung, MDR 1993 110; Naucke Die Formulierung des Tenors bei der Verurteilung zur Geldstrafe, NJW 1978 407; Palder Anklage, Eröffnungsbeschluß, Urteil. Eine Trias mit Tücken, JR 1986 94; Peters Die Parallelität von Prozeß- und Sachentscheidungen, ZStW 68 (1956) 374; Regel Gesamtstrafe aus Geldstrafen bei Tagessätzen unterschiedlicher Höhe, MDR 1977 446; Rieß Die Behandlung von Regelbeispielen im Strafverfahren, GA 2007 377; Roeder Die Begriffsmerkmale des Urteils im Strafverfahren, ZStW 79 (1967) 250; Schnapp Zur Tenorierung bei natürlicher Handlungseinheit und Fortsetzungszusammenhang, DRiZ 1966 187; SternbergLieben Einstellungsurteil oder Freispruch, ZStW 108 (1996) 721; Stree Teilrechtskraft und fortgesetzte Tat, FS Engisch (1969) 676; Stuckenberg Untersuchungen zur Unschuldsvermutung (1998); Sulanke Die Entschei-

Stuckenberg https://doi.org/10.1515/9783110274967-008

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 260

dung bei Zweifeln über das Vorhandensein von Prozeßhindernissen und Prozeßvoraussetzungen im Strafverfahren (1974); Többens Der Freibeweis und die Prozeßvoraussetzungen im Strafprozeß, NStZ 1982 184; ders. Der Freibeweis und die Prozeßvoraussetzungen im Strafprozeß, Diss. Freiburg 1979; Wagner Die selbständige Bedeutung des Schuldspruchs im Strafrecht, insbesondere beim Absehen von Strafe gemäß § 16 StGB, GA 1972 33; Willms Zur Fassung der Urteilsformel in Strafsachen, DRiZ 1976 82.

Entstehungsgeschichte § 260 hatte ursprünglich folgenden Wortlaut: § 259 Die Hauptverhandlung schließt mit der Erlassung des Urteils. Das Urteil kann nur auf Freisprechung, Verurteilung oder Einstellung des Verfahrens lauten. Die Einstellung des Verfahrens ist auszusprechen, wenn bei einer nur auf Antrag zu verfolgenden strafbaren Handlung sich ergibt, dass der erforderliche Antrag nicht vorliegt, oder wenn der Antrag rechtzeitig zurückgenommen ist.

und blieb in dieser Form unverändert bis 1933. Art. 2 Nr. 21 AGGewVerbrG fügte als Absatz 2 den gegenwärtigen Absatz 2 in inhaltlich gleicher Form ein und ergänzte Absatz 1 Satz 1 um die Erwähnung der Anordnung oder Zulassung von Maßregeln der Sicherung und Besserung. Durch § 8 des Gesetzes über Reichsverweisungen vom 23.3.1934 (RGBl. I S. 213) wurde dort die Erwähnung der „Zulassung“ wieder gestrichen. Art. 9 § 8 der 2. VereinfVO fügte Absatz 4 in folgender Fassung ein: „Der Urteilsspruch gibt die Tat, deren der Angeklagte schuldig gesprochen wird, und ihre Bezeichnung an. Strafen oder Maßregeln der Sicherung und Besserung, die neben anderen verwirkten Strafen oder Maßregeln nicht vollstreckt werden können, werden in den Urteilsspruch nicht aufgenommen; sie werden nur in den Urteilsgründen aufgeführt. Im übrigen unterliegt die Fassung des Urteilsspruchs dem Ermessen des Gerichts.“

Das VereinhG gab dem Absatz 1 Satz 1, Absatz 3 und Absatz 4 Satz 1 ihre jetzige Fassung. Durch Art. 4 Nr. 28 des 3. StRÄndG wurde als neuer Absatz 4 Satz 2 der jetzige Satz 3, beschränkt auf die Strafaussetzung zur Bewährung, eingefügt. § 65 des BZRG ergänzte Absatz 4 Satz 1 um die Verpflichtung zur Angabe der angewendeten Strafvorschrift. Durch die Neufassung in Art. 21 Nr. 66 EGStGB 1974 erhielt die Vorschrift weitgehend ihre jetzige Fassung. Das 2. BZRÄndG fügte in Absatz 5 Satz 2 ein; die dortige Verweisung auf das BZRG wurde durch Art. 2 Nr. 1 des 23. StRÄndG der Umnumerierung der Paragraphenfolge angepasst. Durch das gleiche Gesetz wurde Absatz 4 Satz 5, nach dem nicht vollstreckbare Strafen oder Maßregeln nicht in den Urteilsspruch aufzunehmen waren, gestrichen. Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21.8.2002 (BGBl. I S. 3344) hat in Absatz 4 Satz 4 hinter „Wird die“ die Worte eingefügt „Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten, die“. Bezeichnung bis 1924: § 259.

Übersicht I. II.

171

1 Bedeutung der Vorschrift Urteilsberatung und Urteilsverkündung 5

III.

Das Urteil 12 1. Begriff 12 2. Urteilsarten

13

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§ 260

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

3.

b) c) d) e)

Besondere Urteilsformen 16 a) Zwischenurteile 16 b) Teilurteile 17 c) Feststellungsurteile 20 d) Vorbehaltsurteile 21 e) Ergänzungsurteile 22 4. Erlass des Urteils 24 5. Bestandteile 27 6. Nichtigkeit 28 7. Berichtigung 29 IV. Der Inhalt der Urteilsformel. Allgemeines 30 1. Grundsatz der freien Gestaltung der Urteilsformel 30 2. Eindeutigkeit 31 3. Vollständigkeit 34 4. Erschöpfung des Verfahrensgegenstandes 36 V. Freispruch 37 1. Voraussetzungen 37 a) Allgemeines 37 b) Vorrang der Sachentscheidung 38 c) Einheitlichkeit der Entscheidung 40 2. Fassung der Urteilsformel 45 a) Freispruch ohne Abstufungen 45 b) Nebenentscheidungen 48 c) Absehen von Strafe 50 VI. Teilweise Freisprechung 51 1. Handlungseinheit, Tateinheit 51 2. Tatmehrheit 55 3. Fortgesetzte Tat, Dauerstraftat, Sammelstraftat 59 a) Fortsetzungszusammenhang 59 b) Dauerstraftaten 64 c) Gewerbsmäßige, gewohnheitsmäßige und geschäftsmäßige Handlungen 65 4. Wahldeutige Anklage 66 VII. Verurteilung 67 1. Allgemeines 67 2. Schuldspruch 70 a) Rechtliche Bezeichnung der Tat 70

Strafzumessungsregeln 77 Konkurrenzen 80 Fortgesetzte Handlung 84 Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage 85 3. Rechtsfolgenausspruch 86 a) Allgemeines 86 b) Freiheitsstrafe 89 c) Geldstrafe 90 d) Gesamtstrafe 91 e) Vorbehaltene Sicherungsverwahrung 95 f) Aussetzung zur Bewährung 96 g) Verwarnung mit Strafvorbehalt 97 h) Absehen von Strafe 98 i) Anrechnung der Untersuchungshaft 99 j) Maßregeln der Besserung und Sicherung 104 k) Berufsverbot 106 l) Einziehung, Wertersatz 107 m) Bekanntmachung des Urteils 111 VIII. Einstellung des Verfahrens (Absatz 3) 112 1. Allgemeines 112 a) Voraussetzungen 113 b) Umfang der Einstellung 116 c) Feststellung von Verfahrenshindernissen 118 d) Wirkung der Einstellung 123 2. Fassung der Urteilsformel 126 IX. Liste der angewandten Strafvorschriften (Absatz 5) 127 1. Allgemeines 127 2. Bei Verurteilungen 132 3. Bei Freispruch 135 4. Bei Einstellung 136 5. Richtigstellung der Liste 137 X. Revision 138 1. Verstoß gegen Absatz 1 138 2. Unrichtige Urteilsformel 139 3. Verstoß gegen Absatz 3 140 4. Fehlerhafte Paragraphenliste 141

Alphabetische Übersicht Absehen von Strafe 20, 50, 68, 98, 133 Adhäsionsverfahren 17 Anrechnungsregelung 99 ff., 131, 133 Anwesenheitserfordernis 1, 24 Auffangdelikte 76

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Aussetzung – der Strafe oder Maßregel 21, 96, 133 – des Verfahrens 1, 44, 94, 114 Bekanntmachung des Urteils 111 Beratung 5 ff., 128, 137, 138

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

– am Tatort 6 – im Sitzungssaal 6, 10 f. – Beratungsgeheimnis 6 ff., 11 – Beratungszimmer 6 – Dauer 7, 138 – Sitzungsniederschrift 11 Berichtigung des Urteils 22, 29, 34, 89 Berufsverbot 48 f., 69, 106 Besondere Schuldschwere 89 Betäubungsmittelabhängigkeit 134 Beteiligungsform 75, 132 Bewährungsauflagen 2, 24, 69, 96 f., 104 Beweismittel, präsente 38 Bewertungseinheit 56, 59 Bezeichnung der Tat 70 ff. Blankettgesetze 132 Bußgeldverfahren 30, 33, 71, 127 Dauerstraftat 53, 59, 64 Einstellung des Verfahrens 3, 14, 32, 38 f., 40 ff., 51, 53, 112 ff., 136, 140 – Beweisaufnahme 119 ff. – Vorrang der Sachentscheidung 38 ff., 113, 140 – Wirkung 123 ff. Einziehung 23, 48, 86, 107 ff., 135 Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen 2, 35, 48, 68, 126 Entziehung der Fahrerlaubnis 48, 69, 93, 101 f. Ergänzungsurteil 22 Ersatzfreiheitsstrafe 90, 92 Fahrverbot 88, 101 f. Feststellungsurteile 20 Fortgesetzte Handlung 56, 59 ff., 65, 84, 117, 121 Freibeweis 118, 138 Freiheitsstrafe 87, 89, 92, 99 f., 131 Freispruch 3, 20, 31, 37 ff., 117, 135, 139 f. – bei mehreren Anklagevorwürfen 55 ff. – Vorrang vor Einstellung 38 ff., 113, 140 Geldstrafe 90, 92, 131 Gesamtstrafe 87, 91 ff., 100, 103, 116 Gewerbsmäßige Tatbegehung 65, 73 Jugendarrest 100 Jugendstrafe 78, 93, 100 Konkurrenzen 36, 56, 80, 132 Kostenentscheidung 48, 68, 97 f., 126, 131 Liste der angewandten Gesetzesbestimmungen 127 ff. – Richtigstellung 137, 141 Maßregel der Besserung und Sicherung 38, 48, 67, 87 f., 96, 104 f., 133, 135 Minderheitsvotum 8 Nachberatung 9 ff., 138 Nachtragsanklage 17, 36, 63 Nachverfahren 23, 95

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§ 260

Nebenfolgen 37, 67 f., 83, 86, 88, 93, 133, 135 Ordnungswidrigkeit 41, 52, 72, 74 Postpendenzfeststellung 66, 85 Prozessentscheidung, -urteil 13 ff., 123 Rauschtat 56, 76 Rechtsfolgen, nicht vollstreckbare 87 Rechtsfolgenausspruch 86 ff., 133 Rechtskraft 13 ff., 44, 61, 123 ff. Rechtsmittelinstanzen 15, 18, 32, 91, 137 Regelbeispiel 73, 78 Revision 138 ff. Sachentscheidung 13, 32, 38 ff., 113, 115 f., 123 ff. Sachrüge 139 Sammeldelikt 65 Schuld, besondere Schwere der 89 Schuldspruch – bedingter 21 – Fassung 70 ff. – isolierter 19 Schuldunfähigkeit 48, 135 Selbständiges Sicherungsverfahren 105 Sitzungsniederschrift 6, 11, 25, 128, 138 Strafantrag 44, 118, 123 Strafaussetzung zur Bewährung 21, 96, 133 Strafbefehlsverfahren 33, 115 Straffreiheitsgesetz 21, 38, 122 Strafzumessungsregeln 73, 77, 131 Teilurteil 17 f. Unbrauchbarmachung 110 Unterbringung 48 f., 87, 105 Untersuchungshaft, Anrechnung der 99 ff., 131, 133 Unzulässigkeit eines Rechtsbehelfs 115 Urteil – Begriff 12 – Formen 13 ff., 16 ff. – Nichtigkeit 28 – unter Vorbehalt 17, 21 f. Urteilsformel – Fassung allgemein 30 ff. – Inhalt 45 ff., 70 ff., 86 ff., 126 ff., 139 – Schweigen 34 f. Urteilsgründe 24 ff., 45 f. Urteilsurkunde 26 Urteilsverkündung 24 ff. Verfahrensdauer, überlange 103 Verfahrenshindernisse, behebbare 44, 114, 123 Verfahrenstrennung 17 f., 100 Verfahrensvoraussetzungen 14, 38 ff., 112 ff. Verjährung 42, 117, 121, 123, 125, 136, 140 Verkündungsversehen 34 Verurteilung 67 ff. Verwarnung mit Strafvorbehalt 21, 97, 133 Verweisung 113, 139 f.

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§ 260

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Vorbehalt der Einziehung 110 Vorbehalt der Sicherungsverwahrung 21, 95, 133 Wahlfeststellung 58, 66, 85, 132 Wertersatz 107, 109

Wiedereintritt in die Verhandlung 9 ff., 138 Zahlungserleichterungen 90 Zwischenurteil 16

I. Bedeutung der Vorschrift Absatz 1 bestimmt für den Regelfall, dass die Hauptverhandlung durch ein die Instanz beendendes Urteil abgeschlossen werden muss, soweit nicht das Gesetz ausdrücklich eine andere Form vorschreibt, wie in § 153 Abs. 2 oder § 270. Absatz 1 verdeutlicht ferner, dass die Verkündung des Urteils den letzten Teil der Hauptverhandlung darstellt.1 Für sie gelten deshalb die Anwesenheitserfordernisse der §§ 226, 230 ff. sowie das Gebot der Öffentlichkeit gem. §§ 169 ff. GVG.2 Außerhalb der Hauptverhandlung kann das Verfahren durch Beschluss endgültig eingestellt werden, wenn es an einer Verfahrensvoraussetzung fehlt und der Mangel auch ohne Hauptverhandlung einwandfrei festgestellt werden kann, vgl. §§ 206a, 206b. In den Fällen, in denen die Hauptverhandlung geschlossen wird, ohne zugleich das Verfahren in der Instanz zu beenden, wie bei bloßer Aussetzung (§§ 228, 246 Abs. 2, 265 Abs. 3 und 4) oder nur vorläufiger Einstellung des Verfahrens nach § 205, wird durch Beschluss entschieden.3 2 Die Absätze 2 bis 4 regeln in unvollständiger und systematisch unbefriedigender4 Weise den Inhalt des Urteilsspruchs, soweit er die Entscheidung über Schuld und Unschuld bzw. Verfahrenseinstellung betrifft. Die nach Sachlage ebenfalls im Urteil zu treffenden weiteren Entscheidungen etwa zu Kosten (§§ 464 ff.) oder Entschädigung (§§ 2 ff., 8 StrEG) sind gesondert geregelt, ebenso mit dem Urteil zu verbindende Beschlüsse (§§ 268a, 268b) und Belehrungen (§§ 268c, 268d). 3 Anfangs bestimmte Absatz 1 Satz 2 a. F., dass das Urteil nur auf Freisprechung, Verurteilung oder Einstellung des Verfahrens lauten könne, womit sowohl die Abkehr des reformierten Prozesses von gemeinrechtlichen Entscheidungsformen wie der Instanzentbindung festgeschrieben als auch eine Unterscheidung verschiedener Freispruchsformen (aus tatsächlichen oder aus Rechtsgründen) verworfen wurde.5 Diese Regelung scheint so selbstverständlich geworden zu sein, dass der Gesetzgeber die inzwischen um die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung ergänzte Vorschrift 1974 durch Art. 21 Nr. 66 EGStGB aufhob, um den Eindruck zu vermeiden, die darin enthaltene Aufzählung sei abschließend,6 obschon dies ursprünglich durchaus so gemeint war. Die Beschränkung auf die Grundformen Freispruch, Verurteilung, Maßregelanordnung oder Einstellung (vgl. Rn. 32) gilt jedoch auch heute noch.7 Die heutigen Absätze 2 bis 4 regeln einige Einzelheiten und stellen im Übrigen die Fassung des Urteilsspruchs in das Ermessen des Gerichts (Absatz 4 Satz 5). 1

1 Vgl. Hahn 1373; BGHSt 4 279, 280 ff. m. w. N.; 16 178, 180. 2 BGHSt 4 279. 3 BGHSt 25 242 = JR 1974 522 mit Anm. Kohlhaas; vgl. § 205, 39; LR/Becker § 228, 16; § 246, 18; und bei § 265. 4 Siehe nächste Rn.; krit. auch HK/Julius/Beckemper 1; Willms DRiZ 1976 82; Peters Der neue Strafprozeß (1975) 176 f. 5 Hahn 197. 6 Willms DRiZ 1976 82; gegen die Streichung Peters Der neue Strafprozeß 176. 7 Zutr. LR/Gollwitzer25 25; vgl. § 354 Abs. 1.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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Absatz 5 enthält eine fehlplazierte Vorschrift,8 denn die vorgeschriebene Aufzäh- 4 lung der angewendeten Vorschriften gehört weder zum Urteilsspruch noch zu den Gründen und wird folglich weder verkündet noch sonst mündlich eröffnet, sondern dient als stummer technischer Bestandteil des schriftlichen Urteils der registermäßigen Erfassung der Entscheidung.

II. Urteilsberatung und Urteilsverkündung An die Schlussvorträge und das letzte Wort (§ 258) schließt sich die Beratung an, 5 auf die wiederum unmittelbar die Urteilsverkündung folgen muss, ohne dass sich ein anderer Verhandlungsteil dazwischen schieben darf.9 Vor- und Zwischenberatungen sind zulässig,10 dürfen aber die Schlussberatung nicht ersetzen.11 Die Urteilsberatung nebst Abstimmung ist nichtöffentlich (§ 193 Abs. 1 und 2 GVG) 6 und geheim (§§ 43, 45 Abs. 1 Satz 2 DRiG, § 193 Abs. 3 GVG). Ort der Beratung ist grundsätzlich ein außerhalb des Sitzungssaals gelegenes Beratungszimmer.12 Die Richter können dafür aber auch einen anderen dafür geeigneten Raum benutzen. Die Beratung ist allein Sache der erkennenden Richter, also nicht der Ergänzungsrichter; teilnahmeberechtigt sind aber zur Ausbildung zugewiesene Personen gem. § 193 Abs. 1 GVG. Ein Protokollführer wird nicht hinzugezogen (Rn. 11). Der Strafrichter als Einzelrichter kann sich sein Urteil auch im Sitzungssaal überlegen und entwerfen,13 tunlichst während einer kurzen Unterbrechung der Sitzung,14 nicht schon während der Schlussvorträge.15 Eine Beratung nach der Ortsbesichtigung am Tatort ist wegen der Möglichkeit neuer, nicht zum Inbegriff der Hauptverhandlung gehörender Eindrücke unzulässig,16 sofern nicht schon gegen §§ 226 ff., 230 verstoßen würde. Die Dauer der Beratung ist – abgesehen von der auch sie begrenzenden Höchstfrist 7 für die Urteilsverkündung (§ 268 Abs. 2 Satz 2) – zeitlich nicht festgelegt. Wie lange und in welcher Form das Gericht sein Urteil beraten hat, ist nicht nur nicht protokollierungsbedürftig (siehe aber Rn. 11), sondern wegen des Beratungsgeheimnisses grundsätzlich der Nachprüfung entzogen.17 Dies gilt auch, wenn die Beratung von außen ersichtlich nur von kurzer Dauer war, obwohl anschließend ein langes und kompliziertes Urteil verkündet wird. Denn die zu entscheidenden Fragen können längst in Vorberatungen geklärt worden sein, so dass auch in einem langen und umfangreichen Verfahren die Schlussberatung nur noch eine kurze Verständigung der Richter erfordert. Ein revisibler

8 Vgl. Peters Der neue Strafprozeß 177. 9 BGHSt 24 170, 171 = LM Nr. 38 mit Anm. Martin; BGH NJW 1951 206; 1987 3210; NStZ 1988 470; StV 1991 547; KK/Ott 2; KMR/Stuckenberg 1; Meyer-Goßner/Schmitt 2; MüKo/Maier 8, 16; OK-StPO/Eschelbach 1, 3; SK/Velten 4. 10 RGSt 42 85, 86; OGHSt 2 193, 195; BGHSt 17 337, 339 f. 11 BGH NStZ 1988 470; MüKo/Maier 17 f.; OK-StPO/Eschelbach 8. 12 Vgl. RGSt 42 85, 86; BGHSt 19 156, 157; BGH StV 1998 530, 531; Meyer-Goßner/Schmitt 3. 13 OLG Saarbrücken OLGSt Bd. 5 § 261 StPO S. 8, 9; OLG Köln NStZ 2005 710 f.; w. N. bei § 258, 15. 14 Ein Zwang zur Unterbrechung besteht nicht, vgl. HK/Julius/Beckemper 6; Meyer-Goßner/Schmitt 3; SK/Velten 4. 15 § 258, 15 m. w. N. 16 RGSt 66 28, 29; OLG Hamm NJW 1959 1192; KK/Ott 6; KMR/Stuckenberg 6; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Maier 31; OK-StPO/Eschelbach 9; Radtke/Hohmann/Gorka 18; SK/Velten 6. 17 BGHSt 37 141, 143 f. mit krit. Anm. Rüping NStZ 1991 193; HK/Julius/Beckemper 6, 26; KK/Ott 5; MüKo/ Maier 25 f.; OK-StPO/Eschelbach 8; Radtke/Hohmann/Gorka 21; SK/Velten 4, 70.

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Verfahrensfehler liegt nur vor, wenn in der aufgewendeten Zeit eine ordnungsgemäße Beratung schlechthin auszuschließen ist.18 Zur Gedächtnisstütze angefertigte schriftliche Aufzeichnungen oder Tonbandauf8 nahmen über Vorgänge der Hauptverhandlung dürfen die Richter in der Beratung verwenden und den anderen Richtern des Kollegialgerichts zugänglich machen.19 Da solche Notizen bereits Niederschlag des Verhandlungsergebnisses sind, brauchen sie nicht durch Verlesen in die Hauptverhandlung eingeführt zu werden. Der Ablauf der Beratung ist in §§ 192 bis 197 GVG geregelt, die jeweils nötigen Mehrheiten bei der Abstimmung in § 263 StPO und § 196 GVG. Die Bekanntgabe eines Minderheitsvotums sieht das Gesetz (anders als § 30 Abs. 2 BVerfGG) nicht vor; die abweichende Auffassung einzelner Richter ist daher wie der Verlauf der Beratung insgesamt vor den Verfahrensbeteiligten auch in der mündlichen und schriftlichen Urteilsbegründung geheimzuhalten.20 9 Eine Nachberatung wird notwendig nach jedem Wiedereintritt in die Hauptverhandlung. Dann muss nach § 258 erneut die Gelegenheit zu Schlussanträgen und zum letzten Wort des Angeklagten gegeben (§ 258, 4 ff.) und das Urteil erneut beraten werden (§ 258, 16),21 auch wenn sich kein neuer Prozessstoff ergeben hat.22 Sofern früher angenommen wurde, eine nochmalige Beratung sei ausnahmsweise unnötig, wenn der neue Verhandlungsteil „ohne jeden sachlichen Gehalt“ geblieben sei, etwa auf einen Hinweis nach § 265 sich kein Verfahrensbeteiligter geäußert hat,23 so ist dies mit dem in § 260 enthaltenen Gebot, dass die Urteilsverkündung unmittelbar auf die Beratung folgt, unvereinbar; zudem kann das Gericht ohne erneute Beratung gar nicht feststellen, ob ein Verhandlungsteil für das Ergebnis irrelevant ist.24 Schon die Wiederholung früherer Anträge,25 erst recht ein wiederholtes letztes Wort,26 gibt einem Verhandlungsteil stets „sachlichen Gehalt“. 10 Auch die nochmalige Beratung sollte grundsätzlich außerhalb des Sitzungssaals stattfinden.27 Es wird jedoch als zulässig angesehen, dass in den Fällen, in denen über einfache Fragen eine „rascheste Verständigung“ zwischen allen Richtern (Berufs- und Laienrichtern) möglich ist, diese im Sitzungssaal stattfinden darf, doch ist dieses Verfahren nur mit größter Zurückhaltung anzuwenden,28 mithin keinesfalls, wenn sich der Angeklagte nach Wiedereintritt in die Verhandlung zum ersten Mal geäußert hat.29 Diese Nachberatung muss in einer für alle Verfahrensbeteiligten äußerlich erkennba-

18 19 20 21

BGHSt 37 141, 144. RGSt 65 435, 436; 71 326, 328; BGHSt 19 193, 195. KK/Ott 4; MüKo/Maier 9. RGSt 58 253; BGHSt 19 156, 157; 24 170, 171; BGH NStZ 1988 470; NJW 1987 3210; 1992 3181; 3182; StV 1991 547; 1998 530, 531; 2006 399 f.; KK/Ott § 258, 30; Meyer-Goßner/Schmitt 3 f.; MüKo/Maier 19; Radtke/Hohmann/Gorka 19, 22; SSW/Franke 2. 22 BGH NStZ 1988 470; 2001 106; 2010 650. 23 OGHSt 2 193, 196; BGHSt 24 170, 171; BGH NJW 1992 3181 f.; anders zu Recht BGH NStZ 2001 106; 2010 650. 24 RGSt 42 85, 86 f.; MüKo/Maier 20. 25 Wie in BGH NStZ 1988 470; StV 1991 547; KK/Ott 2; MüKo/Maier 20; Radtke/Hohmann/Gorka 22. 26 Vgl. OGHSt 2 193, 196; BGH StV 2006 399 f. (wiederholte Unschuldsbeteuerung genügt). 27 BGH NStZ-RR 2002 71 f. (empfehlenswert). 28 BGHSt 19 156, 157; 24 170, 171; BGH NJW 1992 3182; StV 1998 530, 531; NStZ 2001 106; krit. auch MüKo/Maier 22; OK-StPO/Eschelbach 9; missverständlich BGH NJW 1987 3210 und StV 1991 547; dazu BGH NJW 1992 3181 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 4. 29 BGH StV 1991 547; vgl. aber BGH NJW 1992 3181 mit krit. Anm. R. Hamm NJW 1992 3147, 3148.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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ren Weise zwischen allen Mitgliedern des erkennenden Gerichts erfolgen.30 Es genügt nicht, dass der Vorsitzende die anderen Richter nur fragt, ob sie eine neue Beratung wünschen,31 oder dass in der vorhergehenden Beratung beschlossen wurde, nur dann noch einmal zu beraten, wenn sich einer der Verfahrensbeteiligten nach dem Wiedereintritt zur Sache äußern sollte.32 Dass wegen des Beratungsgeheimnisses Ablauf und Inhalt der Beratung nicht in 11 die Sitzungsniederschrift aufgenommen werden können und dürfen, liegt auf der Hand.33 Darüber hinaus ist nach überwiegender Ansicht ebenfalls nicht zu beurkunden, ob und wann eine Beratung stattgefunden hat,34 weil sie nicht Teil der Hauptverhandlung und somit § 273 entzogen sei.35 Ebenso soll die Nachberatung im Sitzungssaal keine durch das Protokoll zu beweisende wesentliche Förmlichkeit sein,36 obschon auch die Rechtsprechung empfiehlt, sie dennoch in das Protokoll aufzunehmen.37 Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Vielmehr ist immer zu beurkunden, dass das Gericht sich zur Beratung zurückzieht oder im Sitzungssaal berät.38 Das Beratungsgeheimnis wird dadurch nicht berührt. Dass die Beratung von § 273 nicht erfasst werde, weil sie nicht „Teil der Hauptverhandlung“ sei, überzeugt nicht. Denn zum einen verwendet das Gesetz den Begriff der „Verhandlung“ schon in §§ 260 Abs. 1, 261, 268 Abs. 3 Satz 1 und 2 nicht einheitlich, zum anderen liegt die Beratung ebenso „außerhalb des Rahmens der ‚eigentlichen Verhandlung‘“39 im engen Sinne des Verhandelns zur Sache wie die Urteilsverkündung, die fraglos Bestandteil der Hauptverhandlung ist.40 § 273 Abs. 1 schreibt vor, „den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen“ wiederzugeben. Der Gang der Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache (§ 243 Abs. 1) und schließt erst mit der Urteilsverkündung (Abs. 1). Die Beratung ist notwendige Bedingung der Verkündung, somit ein nicht nur wesentlicher, sondern notwendiger – wenn auch außerhalb des öffentlichen Verhandlungsgeschehens stattfindender – Bestandteil, d. h. notwendiger Schritt im Gang der Hauptverhandlung.

30 RGSt 42 85, 87; OGHSt 2 193, 197; BGHSt 19 156, 157 f.; 24 170, 171; BGH StV 1991 547; 1998 530, 531; NJW 1987 3210; 1992 3182; NStZ-RR 2002 71 f.; KK/Ott 6; KMR/Stuckenberg 4; Meyer-Goßner/Schmitt 4; MüKo/Maier 23; Radtke/Hohmann/Gorka 19; SK/Velten 5; krit. HK/Julius/Beckemper 7. 31 BGHSt 19 156, 157; BGH NJW 1987 3210; 1992 3181 f.; StV 1991 547; KMR/Stuckenberg 4; Meyer-Goßner/ Schmitt 4; MüKo/Maier 23; Radtke/Hohmann/Gorka 19; SK/Velten 5. 32 BGH NStZ 1988 470; KK/Ott 2; SK/Velten 5. 33 OGHSt 3 121, 122. 34 OGHSt 3 121, 122; BGHSt 5 294 f.; 37 141, 143; BGH NJW 1992 3181; 1992 3182; NStZ 2009 105, 106; OLG Hamm StraFo 1997 210; OLG Köln NStZ-RR 2002 337 f. 35 BGHSt 5 294 und die Nachw. in der vorigen Fn.; LR/Gollwitzer25 3; HK/Julius/Beckemper 6; KK/Ott 3; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Maier 13 f.; OK-StPO/Eschelbach 2, 7; Pfeiffer 1; Radtke/Hohmann/Gorka 17; krit. Pauly FS Rissing-van Saan 425, 435 f.; a. A. Eb. Schmidt 2; § 273, 10; KMR/Stuckenberg 8; SK/Velten 4, 69. 36 BGHSt 5 294; BGH NJW 1987 3210; NStZ 2009 105, 106; StraFo 2011 317; OLG Karlsruhe Justiz 1985 173; LR/Gollwitzer25 4; Meyer-Goßner/Schmitt 4; a. A. Eb. Schmidt § 273, 10. 37 BGH NJW 1987 3210; 1992 3182 mit Anm. R. Hamm NJW 1992 3147; NStZ-RR 2002 71 f.; KK/Ott 6; Meyer-Goßner/Schmitt 4; MüKo/Maier 14; OK-StPO/Eschelbach 2; Pfeiffer 1; Radtke/Hohmann/Gorka 17; nach HK/Julius/Beckemper 25 sollte die Verteidigung die Aufnahme eines solchen Vermerks zur Beweissicherung beantragen. 38 Eb. Schmidt § 273, 10; KMR/Stuckenberg 8; SK/Velten 4, 69; Kahlo FS Meyer-Goßner 447, 468. 39 RG HRR 1940 Nr. 50. 40 Oben Fn. 1.

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III. Das Urteil 12

1. Begriff. Urteile sind in und aufgrund einer vollständig durchgeführten Hauptverhandlung ergehende Entscheidungen, die entweder das Verfahren insgesamt beenden oder jedenfalls den Rechtszug abschließen,41 sofern das Gesetz nicht die Beschlussform vorschreibt (wie in § 153 Abs. 2, § 153a Abs. 2, § 270 Abs. 1). Entscheidungen, die entweder nicht aufgrund einer Hauptverhandlung erlassen werden oder nicht den Zweck haben, den Prozess überhaupt oder doch in der Instanz zu beenden, können daher nicht als Urteile gelten. Folglich sind Inhalt und Funktion einer Entscheidung maßgebend dafür, ob sie als Beschluss oder als Urteil anzusehen ist, und nicht ihre Bezeichnung durch das Gericht.42 Trägt eine aufgrund einer Hauptverhandlung erlassene, instanzbeendende Entscheidung die Überschrift „Beschluss“, so ist sie, sofern das Gesetz nicht die Beschlussform vorschreibt, trotzdem Urteil und wie ein Urteil anzufechten. Umgekehrt ist eine Entscheidung, die ohne urteilsmäßigen Inhalt in der äußeren Erscheinung eines Urteils auftritt, als Beschluss zu werten.43

2. Urteilsarten. Zu unterscheiden ist zwischen Sachentscheidungen im engeren Sinn und bloßen Prozessentscheidungen (Formalentscheidungen).44 Die reinen Prozessentscheidungen beruhen durchweg auf der Unzulässigkeit des Prozesses oder der Prozessart oder der Prozesshandlung, die den Prozess in die Rechtsmittelinstanz weitertreiben will; sie sprechen sich niemals über die Begründetheit der Anklage oder des Rechtsmittels oder sonstigen Antrags aus. Wo immer ein Urteil über die Begründetheit ergeht, liegt eine Sachentscheidung vor. Sachurteile sind der materiellen Rechtskraft fähig, verbrauchen also die Strafklage, während Prozessurteile grundsätzlich nur formell rechtskräftig werden, also nach Beseitigung des Prozesshindernisses einer neuen Strafklage wegen derselben Tat gegen denselben Angeklagten nicht entgegenstehen (zu Ausnahmen Rn. 124). 14 Von den in erster Instanz erlassenen Urteilen gehören die auf Freisprechung, Verurteilung, Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung oder einer sonstigen Rechtsfolge lautenden zu den Sachentscheidungen. Dagegen sind die Urteile, die es wegen des Mangels einer Prozessvoraussetzung ablehnen, in eine Sachentscheidung einzutreten (Absatz 3), oder die das Verfahren gemäß § 389 einstellen, weil der Prozess zwar nicht überhaupt, aber doch in der gewählten besonderen Prozessart unzulässig ist, reine Prozessentscheidungen. 15 In den Rechtsmittelinstanzen sind nur die Urteile, die sich wegen Unzulässigkeit des Rechtsmittels weigern, darüber zu befinden, ob das angefochtene Urteil dem Angriff des Beschwerdeführers standhalte oder nicht, als reine Prozessentscheidungen anzusehen. Alle anderen Urteile der Rechtsmittelgerichte sind Sachentscheidungen, gleichviel, welchen Inhalt die angefochtene Entscheidung hat und ob das Rechtsmittelgericht ver13

41 RGSt 65 397, 398; BGHSt 18 381, 384; 26 106, 108; KK/Ott 15; KMR/Stuckenberg 12; Meyer-Goßner/ Schmitt 5; MüKo/Maier 43; SK/Velten 9 m. w. N.; Eb. Schmidt I 36; Peters § 52 I 1; Roxin/Schünemann § 23, 1, 5; § 48, 1; Schäfer 902; Beling 224; Gössel § 33 D I; Oetker JW 1930 3556. Nach Roeder ZStW 79 (1967) 250, 270 ist die Instanzbeendigung Wirkung und nicht Begriffsmerkmal des Urteils. 42 RGSt 63 246, 247; 65 397, 398; RG JW 1933 967; BGHSt 8 383, 384; 18 381, 384 f.; 25 242, 243; KG JR 1956 478; OLG Celle NJW 1960 114; vgl. LR/Gollwitzer25 Vor § 296, 43 m. w. N.; ferner KK/Ott 15; KMR/ Stuckenberg 12; MüKo/Maier 45; SK/Velten 9. 43 BGHSt 25 242 = LM Nr. 39 mit Anm. Börtzler; Oetker JW 1930 3557. 44 KK/Ott 16; KMR/Stuckenberg 12; Meyer-Goßner/Schmitt 7; MüKo/Maier 46; SK/Velten 20; Gerland 278; Beling 224; Graf zu Dohna 179; Roxin/Schünemann § 48, 1; Sauer (Grundlagen) 518; Oetker JW 1930 3555.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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anlasst ist, das den Gegenstand der Klage bildende Ereignis zu ermitteln oder die Anwendung des Strafgesetzes auf den festgestellten Sachverhalt nachzuprüfen oder sich nur mit einer verfahrensrechtlichen Frage zu beschäftigen.45 Stützt der Beschwerdeführer die Revision ausschließlich auf einen Mangel im Verfahren, so ist das Urteil des Revisionsgerichts, obwohl es sich auf die Überprüfung des behaupteten Verfahrensfehlers beschränkt, doch Sachentscheidung. Zur Rechtsnatur der Verwerfungsurteile nach §§ 329, 412 siehe die dortigen Erläuterungen. 3. Besondere Urteilsformen a) Zwischenurteile. Die Strafprozessordnung kennt keine Zwischenurteile, durch 16 die einzelne Fragen vorab entschieden werden, da die zugelassene Anklage durch eine einheitliche Entscheidung, durch ein Urteil, erschöpfend erledigt werden muss (vgl. Rn. 36). Einzelne Sach- oder Rechtsfragen oder einzelne Rechtsfolgen können nicht Gegenstand eines gesonderten Urteils sein. Die Möglichkeit, die Nachprüfung der Rechtsmittelgerichte auf einzelne Urteilsteile zu beschränken, ist bei § 318 erörtert; zu einer Ausnahme siehe Rn. 18. b) Teilurteile. Teilurteile, mit denen das Gericht unselbständige, nicht abtrennbare 17 Teile des Prozessstoffs vorweg erledigt, kennt das geltende Strafprozessrecht nicht.46 Nur im Adhäsionsverfahren lässt § 406 Abs. 1 Satz 2 dies bei den geltend gemachten zivilrechtlichen Ansprüchen zu. Die strafrechtliche Aburteilung einer Tat im verfahrensrechtlichen Sinn kann nicht aufgespalten werden. Rechtlich unzulässig ist es, dass über eine einheitliche Tat nach einzelnen tatsächlichen Richtungen oder unter einzelnen rechtlichen Gesichtspunkten durch Urteil entschieden und gleichzeitig – sei es durch Beschlussfassung gemäß § 270 oder in anderer Weise – die Erledigung im übrigen einem späteren Urteil vorbehalten wird.47 Einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren rechtlichen Gesichtspunkten kann das Gericht nur nach § 154a Abs. 2 ausscheiden. Bilden dagegen mehrere selbständige Taten im Sinne des § 264 den Gegenstand der Anklage oder sind sie im Wege der Nachtragsanklage in die Verhandlung einbezogen worden, dann hindert § 260 Abs. 1 das Gericht nicht, das Verfahren hinsichtlich einer Tat, die noch der weiteren Aufklärung bedarf, abzutrennen und auszusetzen und zunächst den nicht abgetrennten Teil durch Urteil zu entscheiden.48 Die Rechtsprechung lässt allerdings ausnahmsweise im Interesse der Verfahrensbe- 18 schleunigung Teilentscheidungen im Revisionsverfahren zu, nicht nur in vertikaler Weise durch Abtrennung einzelner von mehreren selbständigen Taten,49 sondern ausnahmsweise auch in horizontaler Weise über einen Teil des Verfahrensgegenstandes,50 wenn bestimmte Verfahrensteile entscheidungsreif (z. B. Schuld- und Strafausspruch) sind, aber andere Teile (z. B. Maßregelanordnung) sich wegen aufwendiger Vorlageverfahren erheblich verzögern. 45 Oetker JW 1930 3557; MüKo/Maier 47. 46 RGSt 18 297, 298; BGHSt 49 209, 211 f.; KK/Ott 17; KMR/Stuckenberg 13; Meyer-Goßner/Schmitt 8; MüKo/Maier 50 ff.; SK/Velten 7.

47 RGSt 61 225, 226 m. w. N. 48 BGH bei Dallinger MDR 1975 23; vgl. bei § 237; KK/Ott 17; KMR/Stuckenberg 13; SK/Velten 7; ferner Kuhlmann DRiZ 1975 77, der de lege ferenda auch für den Strafprozess Teil- und Zwischenurteile fordert. 49 BGH wistra 2000 219, 226 f. (Vorlage an den EuGH); 2004 475 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 8. 50 BGHSt 49 209, 211 ff. (Vorlage an Großen Senat); Meyer-Goßner/Schmitt 8; Fezer FS Widmaier 177, 186 f.

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Ein isolierter Schuldspruch ohne eine Entscheidung über die Rechtsfolgen ist nach geltendem Recht grundsätzlich nicht zulässig,51 sofern nicht in einem Sonderfall das Gesetz ausdrücklich etwas anderes vorsieht (§ 27 JGG). Er könnte für sich allein ebensowenig Bestand haben wie ein isolierter Rechtsfolgenausspruch, bei dem der Schuldspruch fehlt.52

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c) Feststellungsurteile. Bloße Feststellungsurteile sind dem Strafverfahren insofern fremd, als es kein bloßes Feststellungsbegehren gibt. In der Sache laufen freilich alle diejenigen Urteile auf ein Feststellungsurteil hinaus, die keine vollstreckbaren oder gestaltenden Rechtsfolgen anordnen, so die Schuldigsprechung mit Straffreierklärung53 oder Absehen von Strafe gemäß § 60 StGB,54 ebenso ein Freispruch ohne Maßregelanordnung.

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d) Vorbehaltsurteile. Ein bedingter Schuldspruch oder ein Urteil unter einem Vorbehalt sind nach der Strafprozessordnung grundsätzlich nicht zulässig. Die vom Gericht zu treffende Entscheidung hat aufgrund der Ergebnisse der Hauptverhandlung zu ergehen und darf nicht von späteren, außerhalb der Hauptverhandlung zu treffenden Feststellungen abhängig gemacht werden, es sei denn, das Gesetz sieht einen solchen Vorbehalt ausdrücklich vor wie beim Vorbehalt der Einziehung55 und bei der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung,56 vgl. Absatz 4 Satz 4. Fehlt eine derartige Ausnahmeregelung, so darf es auch dann nicht mit einem entsprechenden Vorbehalt verurteilen, wenn etwa die Anwendbarkeit eines Straffreiheitsgesetzes noch nicht beurteilt werden kann, weil diese vom Ausgang eines anderen Strafverfahrens abhängt.57 Die Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 StGB) ist die Anordnung einer besonderen Vollstreckungsregelung, die Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) ist die Verhängung einer besonderen Rechtsfolge. Das Urteil, das eine dieser Folgen ausspricht, ist kein Vorbehaltsurteil im verfahrensrechtlichen Sinn.58

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e) Ergänzungsurteile. Ein Ergänzungsurteil, durch das ein ergangenes Urteil hinsichtlich eines versehentlich unterbliebenen Teils des Entscheidungssatzes nachträglich ergänzt wird, ist in der Strafprozessordnung nicht vorgesehen.59 Die Möglichkeit und die Grenzen einer Berichtigung des Urteilsspruchs sind bei § 268 erörtert; die strittigen Fragen der Nachholung einer unterbliebenen Kosten- oder Auslagenentscheidung bei § 464.

51 BGHSt 20 120; BayObLGSt 1959 129 = NJW 1959 1646; OLG Hamm NJW 1981 697; Roeder ZStW 79 (1967) 250, 291; Wagner GA 1972 33.

52 OLG Hamm NJW 1981 697. Zu den Sonderfällen der Rechtsfolgenfestsetzung ohne Schuldspruch im Sicherungsverfahren vgl. BGH bei Holtz MDR 1985 449; §§ 413 ff.; ferner für das selbständige Einziehungsverfahren §§ 435 ff. 53 RGSt 65 60, 63. 54 BGH NJW 1957 552; BayObLG NJW 1972 696. 55 Vgl. § 74f Abs. 1 Satz 2 StGB; ferner bei §§ 433, 436. 56 § 66a StGB; siehe § 275a. 57 BGH NJW 1953 1522; BayObLGSt 1975 91 = VRS 50 (1976) 96; KMR/Stuckenberg 17; a. A. OLG Frankfurt NJW 1950 477; OLG Braunschweig NdsRpfl. 1951 110; OLG Köln NJW 1952 808; vgl. bei § 264. 58 BGHSt 5 350; BayObLGSt 1975 91; SK/Velten 8; vgl. Rn. 97. 59 RGSt 61 391; BGHSt 10 109; 25 333; BGH NStZ 1984 279; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1970 199; KK/Ott 17; KMR/Stuckenberg 13, 91; Meyer-Goßner/Schmitt 8; SK/Velten 8.

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Ein Nachverfahren hinsichtlich einzelner Urteilsfolgen ist nur dort und nur in dem 23 Umfang zulässig, in dem dies das Gesetz ausdrücklich vorsieht, wie in den §§ 275a, 433, 436. 4. Erlass des Urteils. Rechtlich existent wird das Urteil durch Verkündung (§§ 35, 24 268). Die Urteilsverkündung ist mit der anschließenden Rechtsmittelbelehrung (§ 35a) der letzte Teil der Hauptverhandlung,60 schließt diese und damit den Rechtszug ab, bei Unanfechtbarkeit oder unterlassener Anfechtung auch das gesamte Erkenntnisverfahren. Die Verkündung geschieht gemäß § 268 Abs. 2 Satz 1 durch Verlesung der Urteilsformel und Eröffnung der Urteilsgründe; sie ist erst beendet, wenn die Mitteilung beider Urteilsteile abgeschlossen ist.61 Wesentlicher Teil der Hauptverhandlung im Sinne der durch § 338 Nr. 5 sanktionierten Anwesenheitspflicht ist jedoch nur die Verkündung des Urteilsspruchs.62 Die Rechtsmittelbelehrung nach § 35a gehört nicht mehr zur Urteilsverkündung,63 ebensowenig die Verkündung der Beschlüsse nach §§ 268a, 268b.64 Der authentische Wortlaut der Urteilsformel ergibt sich allein aus der Sitzungsniederschrift.65 Näheres siehe bei § 268. Ohne Verkündung des Tenors liegt ein Urteil im Rechtssinne keinesfalls vor.66 Ob- 25 schon die Verkündung beide Urteilsteile umfassen muss, wird heute angenommen, dass das Urteil bereits mit der vollständigen Verkündung des Tenors rechtswirksam wird; die mündliche Eröffnung der Urteilsgründe (§ 268 Abs. 2 Satz 1) ist für den Urteilsspruch demnach nicht wesentlich67 und dient nur der vorläufigen Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten. Die nach Verlesen des Tenors eintretende Unfähigkeit des Vorsitzenden, mit der Mitteilung der Urteilsgründe fortzufahren,68 die Abwesenheit des Angeklagten dabei69 oder das gänzliche Unterlassen der mündlichen Urteilsbegründung70 berührt die Wirksamkeit des Urteils nicht. Für die Anfechtbarkeit hingegen sind ohnehin nur die schriftlichen Gründe maßgebend.71 Die gesetzlich vorgeschriebene Urteilsurkunde (§ 275) ist demnach kein wesentli- 26 ches Merkmal des Urteils, da es schon mit der Verkündung rechtlich entstanden ist. Wenn es, was die Regel ist, in Gegenwart des Angeklagten verkündet wurde, wird es mangels Anfechtung mit dem Ablauf der in § 314 Abs. 1 und § 341 Abs. 1 gesetzten Fristen rechtskräftig, auch wenn die Urteilsurkunde zu dieser Zeit noch nicht angefertigt ist. Selbst die Unmöglichkeit der Abfassung beeinträchtigt die Rechtskraft des verkündeten Urteils nicht. Stirbt der Strafrichter, der auf Freisprechung erkannt hat, vor der Niederschrift des Urteils, so ist die Sache, wenn keine Berufung eingelegt wird, durch das Urteil endgültig erledigt. Unvollständigkeit72 oder Verlust der Urteilsurkunde nach Verkün60 61 62 63 64 65 66

Oben Fn. 1. RGSt 61 388, 390; BGHSt 8 41; 15 263; 25 333, 335 m. w. N. BGHSt 15 263, 265; KK/Ott 8; SK/Velten 21. BGH NStZ 1984 279. BGHSt 25 333, 338. Vgl. BGHSt 34 11, 12; BGH NStZ-RR 2002 100, ferner die Erl. zu §§ 268, 275. RGSt 71 377, 379; BGHSt 8 41, 42; 15 263, 264; 16 178, 180; KK/Ott 8; Meyer-Goßner/Schmitt 5; MüKo/ Maier 35; OK-StPO/Eschelbach 13; SK/Velten 21. 67 BGHSt 8 41 f.; 15 263, 264; KK/Ott 9; Meyer-Goßner/Schmitt 5; SK/Velten 21; a. A. RGSt 47 323 f.; offen lassend RGSt 71 377, 379; siehe aber §§ 275, 338 Nr. 7. 68 BGHSt 8 41; KK/Ott 9; KMR/Stuckenberg 11; SK/Velten 21. 69 BGHSt 16 178, 180. 70 BGHSt 15 263, 264 f.; KK/Ott 9. 71 BGHSt 7 363, 370 f.; 15 263, 265; KK/Ott 9; MüKo/Maier 35. 72 OLG Hamm VRS 60 (1981) 206; Roeder ZStW 79 (1967) 250 ff.; LR/Franke26 § 333, 4 ff. m. w. N.

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dung73 sind für die Wirksamkeit des Urteils ebenso unerheblich wie eine verspätete Abfassung der Urteilsgründe (dann aber §§ 275, 338 Nr. 7) und stehen weder der Anfechtung des Urteils mit der Berufung oder Revision74 noch, sofern nur eine Abschrift der Urteilsformel gemäß § 451 – etwa mit Hilfe der Sitzungsniederschrift – erteilt werden kann, der Vollstreckung entgegen. 27

5. Bestandteile. Formal besteht das schriftliche Urteil aus fünf Elementen: dem Rubrum (§ 275 Abs. 3), dem Tenor (Urteilsformel, -spruch, -satz; § 260 Abs. 2 bis 4), der Liste der angewendeten Vorschriften (§ 260 Abs. 5), den Gründen (§§ 267, 268 Abs. 2, 275) und den Unterschriften der Richter (§ 275 Abs. 2). Wenngleich Formel und Gründe des Urteils ein Ganzes derart bilden, dass jene aus den Gründen ausgelegt und unter gewissen Voraussetzungen ergänzt werden kann,75 wenn Art und Umfang der getroffenen Entscheidung unklar sind, so muss doch zwischen beiden scharf unterschieden werden. Grundsätzlich ist eine Entscheidung, die in der Formel keinen Ausdruck gefunden hat, nicht getroffen (Rn. 34 f.). Andererseits kann nur eine Gesetzesverletzung, die die Entscheidung in der Formel beeinflusst hat, den Erfolg einer Revision begründen.76

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6. Nichtigkeit. Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen sind Urteile wegen eines ihnen anhaftenden groben Mangels nichtig, mit der Folge, dass sich die Nichtigkeit auch durchsetzt, wenn kein Rechtsmittel eingelegt wird. Wegen Einzelheiten siehe Einl. K 105 ff.

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7. Berichtigung. Zur Berichtigung von Urteilsformel und Urteilsgründen siehe § 268, 38 ff.

IV. Der Inhalt der Urteilsformel. Allgemeines 30

1. Grundsatz der freien Gestaltung der Urteilsformel. Das Gesetz stellt in Absatz 4 Satz 5 den Grundsatz der freien Gestaltung der Urteilsformel auf, der zugleich durch die Vorgaben von Absatz 2 und Absatz 4 Sätze 1 bis 4 sowie durch weitere Vorschriften wie § 464 Abs. 1 und § 200 StGB eingeschränkt wird. Soweit dem Gericht ein Ermessen verbleibt, muss es sich am Zweck der Urteilsformel ausrichten, die Entscheidung des Gerichts klar und unmissverständlich auszudrücken, namentlich im Verurteilungsfall das begangene Unrecht zu kennzeichnen und die getroffenen Rechtsfolgenanordnungen zu verlautbaren.77 Diese Vorgaben des § 260 gelten auch im Bußgeldverfahren (§ 71 Abs. 1 OWiG).78

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2. Eindeutigkeit. Die Urteilsformel muss die Entscheidung des Gerichts so klar und eindeutig ausdrücken, dass sie von den Verfahrensbeteiligten und der Öffentlichkeit verstanden werden kann.79 Sie muss im Fall der Verurteilung, um als Vollstreckungsgrundlage dienen zu können, aus sich selbst heraus verständlich sein und darf keine Zweifel 73 74 75 76 77 78

OLG Hamm Alsb. E 2 133 Nr. 96; Schmid FS R. Lange 781 ff. RGSt 40 184; vgl. SK/Velten 22; vgl. bei §§ 268, 275; LR/Franke26 § 338, 115 ff. RGSt 2 379; 4 180; 46 326; 54 291; vgl. bei § 268 m. w. N. RGSt 63 185; BGH StV 1994 63; Meyer-Goßner JR 1985 452; vgl. LR/Jesse26 Vor § 296, 57. BGH bei Becker NStZ-RR 2003 290 f. Nr. 8. BayObLGSt 1999 88 = VRS 97 (1999) 356; OLG Düsseldorf VRS 98 (2000) 362, 363 m. w. N.; DAR 2001 39; OLG Hamm VRS 97 (1999) 185; OLG Karlsruhe VRS 54 (1978) 68. 79 Vgl. BGH bei Becker NStZ-RR 2004 35 Nr. 12, 13.

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daran aufkommen lassen, welche Entscheidung das Gericht für jede angeklagte, rechtlich selbständige Straftat getroffen hat. Der Tenor ist daher in knapper, verständlicher Sprache abzufassen und von allem freizuhalten, was nicht unmittelbar der Erfüllung seiner Aufgabe dient.80 Es muss daher erkennbar sein, ob es sich um eine Prozess- oder um eine Sachent- 32 scheidung (Rn. 13) handelt, sowie, welchen Inhalt die Sachentscheidung hat – Freispruch, Verurteilung, Maßregelanordnung oder Einstellung (§ 260 Abs. 1 Satz 2 a. F., Rn. 3). Bezugnahmen sind unzulässig; allenfalls können Entscheidungen der Rechtsmittelgerichte auf einen Urteilssatz der Vorinstanz Bezug nehmen, sofern hierdurch keine Unklarheiten entstehen.81 Hat das Revisionsgericht ein Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, so darf das neue, wiederum verurteilende Erkenntnis des Tatgerichts nicht lauten: „Das erste Urteil wird aufrechterhalten“; die Verurteilung muss vielmehr in der üblichen Form erneut ausgesprochen werden.82 Ist der Hauptverhandlung ein Strafbefehls- oder ein Bußgeldverfahren vorausge- 33 gangen, so kommt dies in der Urteilsformel nicht zum Ausdruck. Ist der Einspruch gegen den Strafbefehl oder gegen den Bußgeldbescheid wirksam, dann ist das Urteil so zu fassen, als ob diese Bescheide nicht vorhanden wären.83 Die förmliche Aufhebung des Bußgeldbescheids ist dagegen notwendig, wenn der Verurteilung wegen einer Straftat ein rechtskräftiger Bußgeldbescheid wegen der gleichen Tat vorangegangen ist.84 Gleiches gilt für das Ersturteil nach Zurückweisung gemäß §§ 328 Abs. 2, 354 Abs. 2.85 Bei Teilrechtskraft einer früheren Entscheidung dient aber eine deklaratorische Feststellung der Klarheit und erleichtert die Vollstreckung.86 3. Vollständigkeit. Der Tenor muss das vom Gericht Beschlossene grundsätzlich 34 vollständig wiedergeben. Rechtsfolgen, die notwendig in die Formel aufzunehmen sind, gelten als nicht verhängt oder als abgelehnt, wenn die verkündete Urteilsformel über sie schweigt.87 Eine nachträgliche Ergänzung der Formel im Wege der Berichtigung ist nur zur Korrektur offensichtlicher Verkündungsversehen in Ausnahmefällen möglich, näher § 268, 38 ff. Bei Entscheidungen, deren Aufnahme in die Urteilsformel nicht zwingend vorge- 35 schrieben ist und die auch isoliert ergehen können, liegt im Schweigen der Formel dagegen noch keine Ablehnung. Bei der Entscheidung nach § 8 StrEG war dies strittig, da eine Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung nur ergehen darf, wenn sie in der Hauptverhandlung nicht möglich ist (§ 8 Abs. 1 Satz 2 StrEG). Nach vorherrschender Meinung bedeutet das Schweigen des Urteils keine Ablehnung der Entschädigung, vielmehr könne die Entscheidung darüber nachgeholt werden, auch wenn das Urteil insoweit keinen Vorbehalt enthalte.88 80 BGHSt 27 287, 289; BGH NStZ 1983 524; bei Becker NStZ-RR 2003 290 f.; BayObLGSt 1999 88 = VRS 97 (1999) 356; OLG Düsseldorf NJW 1987 1958; Radtke/Hohmann/Gorka 47; SK/Velten 23; Meyer-Goßner/ Appl 27 ff.; Jasper MDR 1986 198; Meyer-Goßner NStZ 1988 529 f.; Willms DRiZ 1976 82, 83. 81 KMR/Stuckenberg 18. 82 RG GA 55 (1908) 331; KK/Ott 28; Meyer-Goßner/Schmitt 20; SK/Velten 23. 83 RGSt 63 343, 345; OLG Düsseldorf JMBlNW 1972 84; KK/Ott 28; Meyer-Goßner/Schmitt 20; SK/Velten 23. 84 BayObLGSt 1978 187 = NJW 1979 827. Wegen der Einzelheiten vgl. die Kommentare zu § 86 OWiG. 85 RG GA 55 (1908) 331; KMR/Stuckenberg 29; Meyer-Goßner/Schmitt 20. 86 Pfeiffer 10. 87 RGSt 63 184, 185; BGH StV 1994 63; OLG Hamburg NStZ-RR 2018 205; wistra 2018 438, 439; KK/Ott 17; MüKo/Maier 188; Pfeiffer 10. 88 BayObLG bei Rüth DAR 1973 210; OLG Düsseldorf NJW 1973 1660; OLG Hamm NJW 1974 374; OLG München NJW 1977 2090; OLG Koblenz GA 1985 461; OLG Zweibrücken VRS 47 (1974) 443.

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4. Erschöpfung des Verfahrensgegenstandes. Die Urteilsformel muss den Prozessgegenstand (§ 264), so wie er sich aus der zugelassenen Anklage und einer eventuellen Nachtragsklage – nicht aus einem rechtlichen Hinweis89 – ergibt, erschöpfend erledigen.90 Dies bestimmt sich durch Vergleich der zugelassenen Anklage in der Gestalt, die sie durch den Eröffnungsbeschluss erhalten hat, sowie etwaiger Nachtragsanklagen91 mit der Urteilsformel.92 Ausnahmsweise ist das Ergebnis der Hauptverhandlung für die Fassung des Tenors maßgebend, wenn die zugelassene Anklage das Konkurrenzverhältnis der angeklagten Handlungen offensichtlich fehlerhaft bestimmt hat (Rn. 54, 56). Jede angeklagte materiell-rechtlich selbständige Tat bedarf einer eigenen Entscheidung, ob freizusprechen, zu verurteilen oder das Verfahren einzustellen ist. Soweit eine Verurteilung die Anklage nicht ausschöpft, muss Teilfreispruch ergehen (Rn. 51 ff.). V. Freispruch 1. Voraussetzungen

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a) Allgemeines. Freispruch ist geboten, wenn die Schuld des Angeklagten aus tatsächlichen Gründen nicht zur Überzeugung des Gerichts (§ 261) erwiesen ist oder seine Unschuld feststeht oder aus rechtlichen Gründen ein Schuldspruch ausscheidet.93 Sind diese Voraussetzungen gegeben, muss das Gericht freisprechen, auch wenn ein Verfahrenshindernis besteht, das an sich die Einstellung erlauben würde (Rn. 38), oder wenn zugleich eine Maßregel der Besserung und Sicherung oder eine Nebenfolge angeordnet94 wird.

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b) Vorrang der Sachentscheidung. Stellt sich ein unbehebbares Prozesshindernis erst in der Hauptverhandlung heraus, ist die Sache aber zugleich schon entscheidungsreif im Sinne des Freispruchs, dann gebührt regelmäßig dem Freispruch Vorrang vor der Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses,95 etwa aufgrund eines Straffreiheitsgesetzes.96 Dieser bislang kaum begründete97 Vorrang ist zumeist bei Fehlen bestimmter Verfahrensvoraussetzungen anerkannt worden, die direkt das öffentliche Bestrafungs- bzw. Strafverfolgungsinteresse, insoweit dem materiellen Recht nahestehend, 89 Meyer-Goßner/Schmitt 10; a. A. OLG Saarbrücken NJW 1974 375, 376. 90 BGHSt 49 209, 211; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 212; 1998 551; StV 1994 63; NStZ-RR 2018 55; KMR/Stuckenberg 15; Meyer-Goßner/Schmitt 10; MüKo/Maier 186; OK-StPO/Eschelbach 13; Radtke/Hohmann/Gorka 47. 91 OLG Hamm JMBlNW 1965 34. 92 BGH NJW 1993 3338; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 212; bei Miebach NStZ 1988 212; bei Schmidt MDR 1984 186; BGH NStZ-RR 2017 212, 213; BayObLGSt 1960 116 = NJW 1960 2014; OLG Köln NJW 1958 838; VRS 64 (1983) 206; KK/Ott 18; Meyer-Goßner/Schmitt 10; KMR/Stuckenberg 15; SK/Velten 10; Schäfer 989; Schlüchter 568 ff. 93 OLG Frankfurt HESt 2 253; KK/Ott 24; KMR/Stuckenberg 30; MüKo/Maier 64; Eb. Schmidt 6. 94 BGH NStZ-RR 1998 142 Nr. 12; bei Becker NStZ-RR 2003 98 Nr. 8; HK/Julius/Beckemper 10; KK/Ott 24; KMR/Stuckenberg 30; Meyer-Goßner/Schmitt 18; MüKo/Maier 71, 230; OK-StPO/Eschelbach 20; Radtke/ Hohmann/Gorka 49; SK/Velten 40; vgl. auch Willms DRiZ 1976 82. 95 BGHSt 20 333, 335; 44 209, 218 f.; 46 130, 136 f.; BGH NStZ-RR 1996 299; BayObLGSt 1963 44, 47; OLG Celle NJW 1968 2119; OLG Oldenburg NJW 1982 1166; AK/Wassermann 17; HK/Julius/Beckemper 8; KK/Ott 50; KMR/Stuckenberg 31; Meyer-Goßner/Schmitt 44; OK-StPO/Eschelbach 19; Radtke/Hohmann/Gorka 45; SK/Velten 52; SSW/Franke 7; Kühl Unschuldsvermutung 88; Hanack JZ 1972 313; Hillenkamp JR 1975 140; Jagusch NJW 1962 1417; Koch GA 1961 344. 96 RGSt 70 193, 196; BGHSt 13 268, 273; OLG Düsseldorf NJW 1950 360; KK/Ott 50a. 97 Rieß FS II BGH 809, 839 f.; vgl. Sternberg-Lieben ZStW 108 (1996) 721, 748 ff.; s. jetzt SK/Velten 46 ff., 52.

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betreffen wie Verjährung, Amnestie oder Strafantrag.98 Nicht möglich ist ein Freispruch hingegen bei fehlender Anklage,99 weil die verhandelte Tat nicht Prozessgegenstand geworden und folglich keiner Sachentscheidung zugänglich ist; ebensowenig nach Einstellung gem. § 154 Abs. 2,100 weil das Verfahren nicht mehr anhängig ist. Erscheint der Freispruch noch nicht gesichert, sondern weitere Aufklärung vonnöten, so ist zu unterscheiden: Ist diese Aufklärung durch präsente Beweismittel ohne nennenswerte Verfahrensverzögerung möglich, dann ist es ein nobile officium des Gerichts, vor der Entscheidung diese Beweismittel zu benutzen.101 Umgekehrt kommt eine Sachentscheidung nicht in Frage, wenn noch eingehende Erörterungen zur Schuldfrage nötig sind.102 Ergibt sich bei einer angeklagten Straftat, die nur ein Strafgesetz verletzt, aufgrund 39 des Ergebnisses der Hauptverhandlung eine veränderte rechtliche Würdigung und kann die Straftat in der nun hervortretenden rechtlichen Gestalt nicht verfolgt werden, weil ein Verfahrenshindernis vorliegt, so soll es nach der vorherrschenden Meinung103 – wie beim tateinheitlichen Zusammentreffen einer freispruchsreifen und einer einzustellenden Gesetzesverletzung (Rn. 41 ff.) – auf das Wertverhältnis zwischen der in der Anklage bezeichneten Rechtsverletzung und der nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung geschehenen Rechtsverletzung ankommen. Fällt die nicht verfolgbare Rechtsverletzung schwerer ins Gewicht oder ist sie der anderen mindestens gleichwertig, so wird das Verfahren eingestellt; sonst wird der Angeklagte freigesprochen. Diese Einschränkung ist aus den in Rn. 43 genannten Gründen abzulehnen. c) Einheitlichkeit der Entscheidung. Betrifft das Verfahrenshindernis nur einen 40 von zwei in Gesetzeseinheit104 oder Tateinheit zusammentreffenden Straftatbeständen, kann im Urteil nur einheitlich entschieden werden. Vor allem darf wegen einer und derselben Straftat im Urteilsspruch nicht gleichzeitig auf Freisprechung und auf Einstellung erkannt werden. Hier wird unterschieden, ob das Verfahrenshindernis bereits endgültig eingetreten ist (Rn. 41 ff.) oder ob es noch entfallen kann (Rn. 44). Ist bei einem der tateinheitlich zusammentreffenden Delikte das Verfahrenshinder- 41 nis unbehebbar, während das andere Delikt freispruchreif ist, so gilt nach der vorherrschenden, freilich nicht überzeugenden (Rn. 43) Meinung der Vorrang der Sachentscheidung nicht uneingeschränkt. Freispruch soll vielmehr nur ergehen, wenn der nicht erwiesene Tatvorwurf schwerer wiegt als der nicht verfolgbare;105 dem Angeklagten soll billigerweise durch den Freispruch bestätigt werden, dass sich der schwerer belastende

98 Rieß FS II BGH 809, 840 f. m. w. N. 99 BGHSt 46 130, 136 f. m. zust. Anm. Krack JR 2001 423 und Vogl NJ 2000 660; s. a. Rn. 116; KK/Ott 50a; Meyer-Goßner/Schmitt 45; MüKo/Maier 65 f., 148; Radtke/Hohmann/Gorka 45. BGH NStZ-RR 2007 83; Meyer-Goßner/Schmitt 45; MüKo/Maier 67, 149; Radtke/Hohmann/Gorka 45. LR/Gollwitzer25 100; KMR/Stuckenberg 31; MüKo/Maier 68 f. BGH NStZ-RR 1996 299, 300. Nachw. wie in Fn. 105. Vgl. BayObLGSt 1991 39 = NJW 1991 3292. RGSt 66 51, 53; BGHSt 1 231, 235; 7 256, 261; 36 340 f.; 50 16, 30; BGH GA 1959 17; 1978 371; NJW 1955 838, 839; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 495 Nr. 17; StV 1992 10, 11; StraFo 2004 211; bei Becker NStZ-RR 2005 259 Nr. 8; BGHR § 260 Abs. 3 Freispruch 1, 3; BayObLGSt 1961 186; 1963 44, 47 f.; 1978 158 = MDR 1979 518; OLG Bremen VRS 28 (1965) 440; OLG Braunschweig NdsRpfl. 1956 208; OLG Celle MDR 1957 117; 1970 164; OLG Düsseldorf NJW 1982 2883, 2884; VRS 78 (1990) 112, 115; OLG Frankfurt NJW 1980 2824, 2825; OLG Hamburg NJW 1964 2435 f.; OLG Hamm VRS 7 (1954) 207, 208; DAR 1955 307; KG VRS 8 (1955) 468; OLG Karlsruhe MDR 1975 426 f.; OLG Köln NJW 1962 2118; OLG Stuttgart NJW 1957 1488; 1963 1417; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1963 190; 1976 171; HK/Julius/Beckemper 8; KK/Ott 51;

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Vorwurf, der in der Regel die Optik des Verfahrens in der Öffentlichkeit bestimmt, nicht bestätigt hat. Bei Gleichwertigkeit soll folglich eingestellt werden.106 Bei Beurteilung des Wertverhältnisses, in dem die einzelnen rechtlichen Gesichts42 punkte untereinander stehen, muss von der gesetzlichen Einteilung der Straftaten in Verbrechen und Vergehen ausgegangen werden.107 Dies gilt entsprechend in dem nicht seltenen Fall, wenn ein angeklagtes Vergehen nicht nachweisbar, die damit rechtlich zusammentreffende Ordnungswidrigkeit aber verjährt ist.108 Innerhalb der gleichen Deliktsart ist die Höhe der gesetzlichen Strafdrohung maßgebend.109 Freizusprechen ist auch, wenn die angeklagte vorsätzliche Tat nicht erwiesen und die fahrlässige Tat verjährt ist.110 Eine Wertung, die darauf abstellt, ob eine Tat mit Kriminalcharakter mit einer Tat ohne einen solchen zusammentrifft,111 wird zwar sehr oft zum gleichen Ergebnis führen, ist aber praktisch wenig brauchbar, vor allem, wenn es sich um Straftaten aus dem Bereich des Nebenstrafrechts handelt. 43 Vorzuziehen ist die Gegenmeinung,112 dass in allen Fällen, in denen das Verfahrenshindernis endgültig eingetreten ist, die Sachentscheidung den Vorrang vor der Formalentscheidung hat. Für diese Auffassung spricht ihre Folgerichtigkeit. Denn bei einer Verurteilung hat die Sachentscheidung nach einhelliger Ansicht113 ebenfalls den Vorrang vor der Formalentscheidung, ohne dass es auf das Wertverhältnis ankommt, da eine Verurteilung niemals allein in den Urteilsgründen angesprochen werden kann, sondern immer nur in der Formel, während die Formalentscheidung, welche die Verfolgbarkeit eines rechtlichen Gesichtspunkts wegen eines Verfahrenshindernisses verneint, in den Urteilsgründen abgehandelt werden kann. Praktisch betreffen die Verfahrenshindernisse ohnehin fast immer die leichtere Tat, weil nur sie ein Antragserfordernis oder die kürzere Verjährungsfrist aufweist. Freilich ist von dieser Freispruchsmöglichkeit nur vorsichtig Gebrauch zu machen, also die Endgültigkeit des Prozesshindernisses stets sorgfältig zu klären. 44 Ist das Verfahrenshindernis noch behebbar, etwa weil die Strafantragsfrist noch nicht abgelaufen ist, so scheidet ein Freispruch aus und das Verfahren ist hinsichtlich der betroffenen Tat im verfahrensrechtlichen Sinn einzustellen,114 sofern nicht eine Unterbrechung oder Aussetzung des Verfahrens sachdienlicher ist, weil Wegfall oder Endgültigkeit des Verfahrenshindernisses in absehbarer Zeit geklärt sein wird (vgl. Rn. 114). Meyer-Goßner/Schmitt 46; Pfeiffer 21; Radtke/Hohmann/Gorka 46; SSW/Franke 7; Schäfer 990; Hertweck NJW 1968 1462; wohl auch MüKo/Maier 76 ff., 154; anders Bindokat NJW 1955 1863, 1865 (Einstellung zur Erhaltung etwaiger Antragsbefugnis, ähnl. noch RGSt 46 363, 366, 370 f.). 106 Meyer-Goßner/Schmitt 46; Michel MDR 1993 110; offenlassend BGH GA 1959 17, 18. 107 BGHSt 1 231, 235; 7 256, 261; BGH NJW 1955 838, 839; GA 1959 17; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 495; bei Becker NStZ-RR 2005 259 Nr. 8. 108 BGHSt 6 375, 377; BGH GA 1978 371; OLG Düsseldorf DAR 1977 246; VRS 68 (1985) 357, 359; 75 (1988) 344, 345; 78 (1990) 112, 115; JR 1991 250, 252 mit Anm. Bottke; OLG Hamburg VRS 28 (1965) 109; OLG Karlsruhe VRS 57 (1979) 114, 115 f.; OLG Oldenburg NJW 1985 1177; Göhler NStZ 1986 22. 109 OLG Düsseldorf NJW 1982 2883, 2884; OLG Frankfurt NJW 1980 2824, 2825; KK/Ott 51; Meyer-Goßner/Schmitt 46. 110 BGHSt 36 340. 111 Koch GA 1961 344; Peters ZStW 68 (1956) 374, 377 ff., 392 f. 112 OLG Karlsruhe VRS 57 (1979) 114, 115 f.; KMR/Stuckenberg 33; Eb. Schmidt 27; wohl auch LR/Gollwitzer25 105; SK/Velten 52 Fn. 241. 113 Rn. 116 Fn. 331. 114 RGSt 46 363, 366 ff.; 66 51, 52; 72 296, 300; BGHSt 1 231, 235; 7 256, 261; 32 1, 10; BGH GA 1959 17; 1966 340; BayObLGSt 1991 39 = NJW 1991 3292, 3293; Eb. Schmidt 28; KMR/Stuckenberg 34; MüKo/Maier 83; SK/Velten 54.

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Die Einstellung ist auch dann auszusprechen, wenn für das Gericht nicht feststellbar ist, ob das Verfahrenshindernis bereits endgültig eingetreten ist, etwa, wenn die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, dass für einen Strafantragsberechtigten die Antragsfrist noch läuft. Der Grund liegt darin, dass die Rechtskraftwirkung des Freispruchs die Strafklage für die Tat insgesamt verbrauchen und damit eine noch bestehende Antragsbefugnis entwerten würde. Ein auf Einstellung lautendes Formalurteil lässt hingegen die Möglichkeit offen, die Tat später unter dem rechtlichen Gesichtspunkt zu verfolgen, bei dem gegenwärtig die Prozessvoraussetzungen noch fehlen. Da das Einstellungsurteil nur bezweckt, die Beseitigung des Prozesshindernisses, etwa durch Stellung des Strafantrags, zu ermöglichen, hat es für das vom Prozesshindernis nicht betroffene Delikt die Rechtskraftwirkung eines Sachurteils, auch wenn sich dies erst aus den Gründen ergibt.115 Auf das gegenseitige Wertverhältnis der konkurrierenden Gesichtspunkte kommt es insoweit nicht an.116 2. Fassung der Urteilsformel a) Freispruch ohne Abstufungen. Die Strafprozessordnung trifft keine Regelung 45 über den Tenor des Freispruchs;117 dass in § 260 Abs. 1 Satz 2 a. F. nur von „Freisprechung“ die Rede war, stellte eine bewusste Ablehnung möglicher Differenzierungen dar, die den Urteilsgründen vorbehalten sein sollten.118 Auch heute gibt es nur eine Art von Freispruch. Die Urteilsformel lautet also: „Der Angeklagte wird freigesprochen“. Bei einem Urteil, das zu mehreren Anklagepunkten ergeht und das teils verurteilt, teils freispricht oder einstellt, genügt der „Freispruch im übrigen“.119 Anders als bei Verurteilung enthält der Urteilstenor keine Bezeichnung des Tatvorwurfs, da der Freispruch die Tat nicht nur hinsichtlich des angeklagten Vorwurfs, sondern unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt erfasst. Bei mehreren Anklagepunkten mit teilweiser Verurteilung kann allerdings eine Klarstellung angebracht sein, worauf sich der Freispruch bezieht, wenn die Urteilsformel sonst nicht klar oder eindeutig wäre. In die Urteilsformel dürfen keine Zusätze wie „wegen erwiesener Unschuld“, „man- 46 gels Beweises“, „aus Rechtsgründen“ aufgenommen werden.120 Warum freigesprochen wird, gehört allein in die Urteilsgründe (§ 267 Abs. 5 Satz 2). Eine Belastung des freigesprochenen Angeklagten durch nicht ausgeräumte Verdachtsmomente ist rechtsstaatlich nicht vertretbar,121 weil es keine rationale Beziehung zwischen der Eindeutigkeit der Beweislage und der Schuld oder Unschuld des Angeklagten gibt, denn es hängt nicht notwendigerweise von ihm und den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln ab, ob gegen ihn

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RGSt 46 363, 368; BGH GA 1959 17; Eb. Schmidt 28 a. E.; KMR/Stuckenberg 34. RGSt 72 296, 300; KMR/Stuckenberg 34. Krit. HK/Julius/Beckemper 1. Hahn 197 (der Tenor sollte weder auf Klagfreisprechung noch Straffreisprechung, Freisprechung aus tatsächlichen oder Rechtsgründen lauten). 119 KK/Ott 24; KMR/Stuckenberg 35; Meyer-Goßner/Schmitt 17; MüKo/Maier 233; OK-StPO/Eschelbach 18; Radtke/Hohmann/Gorka 49; SK/Velten 39. 120 BGHSt 16 374, 384; HK/Julius/Beckemper 9; KK/Ott 25; KMR/Stuckenberg 36; Meyer-Goßner/Schmitt 17; MüKo/Maier 228; OK-StPO/Eschelbach 18; Radtke/Hohmann/Gorka 50; Kempf NJW 1997 1729, 1735; Schwenck NJW 1960 1932; Seibert JZ 1970 543 (Freispruch mit Bedauern); vgl. Stuckenberg (Unschuldsvermutung) 123 ff. m. w. N. 121 Daher ist die frühere kostenrechtliche Differenzierung der Freisprüche in § 467 Abs. 2 a. F. zu Unrecht von BVerfGE 22 254, 265 gebilligt worden; vgl. aber BVerfGE 25 327, 331.

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vorliegende Verdachtsgründe ausgeräumt werden können oder nicht.122 Eine Belastung durch Aufnahme des Freispruchsgrundes in den Tenor wäre willkürlich; in diesem Sinne besteht die unwiderlegte Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK „fort“.123 Der Angeklagte hat keinen Anspruch, aus einem bestimmten Grund freigespro47 chen zu werden. Sobald feststeht, dass er freizusprechen ist, muss diese Entscheidung grundsätzlich ohne weitere Sachaufklärung ergehen.124 Ein Freispruch, der sich auf § 20 StGB stützt, aber offen lässt, ob der Angeklagte die Tat überhaupt begangen hat, ist indes nur angebracht, wenn der Sachverhalt aufgrund der Hauptverhandlung nicht weiter aufklärbar ist und eine Anordnung nach § 63 StGB ausscheidet. Kommt das Gericht dagegen zu der Überzeugung, dass dem Angeklagten die Tat nicht nachweisbar ist, so muss es deswegen und nicht wegen § 20 StGB freisprechen.125 b) Nebenentscheidungen. Neben einem Freispruch enthält die Urteilsformel immer zugleich einen Ausspruch über die Kosten, insbesondere zur Erstattung der notwendigen Auslagen des Freigesprochenen (§§ 464, 464a, 467 Abs. 1 bis 3). Außerdem hat das Gericht gegebenenfalls nach § 8 StrEG grundsätzlich im Urteil, eventuell auch durch besonderen Beschluss, darüber zu befinden, ob ein Anspruch auf Entschädigung für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen besteht.126 Neben einem Freispruch aus § 20 StGB können die Maßregeln der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer sonstigen Anstalt sowie ein Berufsverbot, Einziehung oder die Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet werden (§ 71 StGB). 49 Mit dem Urteil haben, sofern nötig, gleichzeitig Beschlüsse über die Aufhebung der Untersuchungshaft oder Unterbringung (§§ 116, 120 Abs. 1, 126a, 268b), der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder des vorläufigen Berufsverbots (§ 132a Abs. 2) zu ergehen.

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c) Absehen von Strafe. Die Schuldigsprechung, bei der das Gericht den Angeklagten für straffrei erklärt (§ 199 StGB) oder von Strafe absieht (vgl. §§ 46a, 60 StGB), ist keine Freisprechung, sondern Verurteilung, wie Absatz 4 Satz 4 und § 468 zeigen.127

VI. Teilweise Freisprechung 51

1. Handlungseinheit, Tateinheit. Nimmt der Eröffnungsbeschluss nur eine Handlung oder eine Tat im materiell-rechtlichen (§ 52 StGB) Sinne an, so kann das Urteil wegen ein und derselben Tat eines und desselben Angeklagten nur einheitlich auf Verurteilung oder Freispruch oder Einstellung lauten.128 122 So die zutreffende Begründung zur Abschaffung der kostenrechtlichen Differenzierung der Freispruchsgründe in BTDrucks. V 2600/2601, S. 19.

123 BTDrucks. V 2600/2601, S. 19. 124 BGHSt 16 374, 378 ff.; a. A. OLG Schleswig JZ 1958 374 mit Anm. Eb. Schmidt; vgl. SK/Frisch Vor § 296, 153 ff. und die Nachw. bei Stuckenberg (Unschuldsvermutung) 116 ff.

125 HK/Julius/Beckemper 10; MüKo/Maier 70; Schwenck NJW 1964 1455. Dies gilt unabhängig von der strittigen Frage, ob in dem auf § 20 StGB gestützten Freispruch dann eine Rechtsmittel auslösende Beschwer liegt, vgl. LR/Jesse26 Vor § 296, 75; SK/Frisch Vor § 296, 159 ff. m. w. N. 126 BGH NJW 1975 350 („dem Grunde nach“); vgl. Rn. 35. 127 KK/Ott 24; KMR/Stuckenberg 70; Wagner GA 1972 38. Vgl. Rn. 98. 128 RGSt 57 302, 303; 66 51, 54; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 15 f.; OLG Stuttgart VRS 67 (1984) 356, 357; OLG Zweibrücken VRS 85 (1993) 206, 208; KK/Ott 19; KMR/Stuckenberg 16; Meyer-Goßner/Schmitt 12; SK/Velten 10; Eb. Schmidt 7, 26; Schlüchter 568; Schäfer 987.

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Folglich ist ein Teilfreispruch unzulässig, wenn das erkennende Gericht die ange- 52 klagte Tat rechtlich anders würdigt als die zugelassene Anklage, etwa nicht als Täterschaft, sondern als Teilnahme,129 oder nicht als Diebstahl, sondern als Unterschlagung,130 oder einen die Strafbarkeit erhöhenden Umstand nicht mehr für gegeben erachtet (kein „Freispruch von der Qualifikation“)131 oder die angeklagte Tat nicht im vollen Umfang (z. B. Entwendung von 10 statt von 20 Uhren) als erwiesen ansieht.132 Gleiches gilt, wenn eine tateinheitlich angeklagte Gesetzesverletzung entfällt.133 Wird nur wegen einer Ordnungswidrigkeit und nicht wegen der angeklagten Straftat verurteilt, so ist nach der herrschenden Meinung für einen gesonderten Freispruch kein Raum.134 Eine abweichende Meinung135 fordert dagegen, dass zur Wiederherstellung der durch die Anklage angetasteten sozialen Stellung des Angeklagten auch in der Urteilsformel zum Ausdruck gebracht werde, dass der Vorwurf einer schwerer wiegenden Tat entfällt. Ein trotz Unzulässigkeit ergehender Teilfreispruch wäre rechtlich bedeutungslos, nicht rechtskraftfähig und nicht selbständig anfechtbar.136 Ergehen wegen derselben Tat unzulässigerweise zwei Eröffnungsbeschlüsse und 53 werden die beiden Verfahren zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden, so erledigt das in der Sache ergehende Urteil beide Verfahren, ohne dass in einem auf Einstellung oder Freisprechung gesondert zu erkennen wäre.137 Ein Teilfreispruch ist dagegen angezeigt, wenn die Annahme von Tateinheit bereits 54 bei Eröffnung rechtlich fehlerhaft war, weil die dem Angeklagten zur Last gelegten Gesetzesverletzungen schon nach dem dort zugrunde gelegten Sachverhalt offensichtlich in Tatmehrheit gestanden haben, oder wenn die Hauptverhandlung klar ergeben hat, dass der nicht erwiesene oder aus sonstigen Gründen nicht zur Bestrafung führende Vorwurf mit dem zur Verurteilung führenden in Tatmehrheit gestanden hätte. Dann entspricht es der Billigkeit, den Angeklagten von dem gesonderten Vorwurf freizusprechen,138 da nur so die nach Sach- und Rechtslage gebotene Kostenteilung möglich ist und der Umfang des Verbrauchs der Strafklage klargestellt wird (zur Teileinstellung vgl. Rn. 116 a. E.). 2. Tatmehrheit. Hat die zugelassene Anklage Tatmehrheit (§ 53 StGB) angenommen 55 und führt eine der Anschuldigungen nicht zur Bestrafung, so ist der Angeklagte insoweit freizusprechen,139 und zwar auch dann, wenn die materiell-rechtlich selbständigen Handlungen ausnahmsweise zu einer Tat im verfahrensrechtlichen Sinn (§ 264) ge129 130 131 132 133

BGH StV 2008 226, 227. RGSt 3 43, 45. RGSt 9 324, 327; Eb. Schmidt 7; KMR/Stuckenberg 17. RGSt 18 297, 298; vgl. KK/Ott 19; Meyer-Goßner/Schmitt 10. RGRspr. 4 210, 211; 5 604; RGSt 52 190; 53 50, 51; 57 302, 303; 66 51, 54; RG JW 1928 2265; BGH NJW 1984 135, 136; OLG Hamm VRS 53 (1977) 125; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1970 200; OLG Stuttgart VRS 67 (1984) 356; LG Bochum MDR 1978 510. 134 OLG Karlsruhe NJW 1973 1989 f.; KK/Ott 20; KMR/Stuckenberg 17; MüKo/Maier 91; Schlüchter 569; vgl. die Kommentare zu § 21 OWiG. 135 Kugler/Solbach DRiZ 1971 56, 58. 136 RG JW 1928 2265 mit Anm. Mezger; LG Bochum MDR 1978 510; KK/Ott 19; KMR/Stuckenberg 17. 137 RG HRR 1939 Nr. 478; vgl. LR/Becker § 237, 5 f. 138 BGH NJW 1993 2125, 2126; NStZ-RR 1996 202; BayObLGSt 1960 116, 117 = NJW 1960 2014; OLG Hamm VRS 43 (1972) 370; 46 (1974) 338; OLG Köln NJW 1958 838; OLG Saarbrücken JBlSaar 1961 219; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1970 200; HK/Julius/Beckemper 13; KK/Ott 20; KMR/Stuckenberg 15, 18; Meyer-Goßner/Schmitt 12; a. A. RGSt 52 190, 191; SK/Velten 10. 139 BGHSt 44 196, 202; BGH StraFo 2012 103; OLG Düsseldorf VRS 74 (1988) 297, 299.

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hören.140 Wird bei Serientaten nicht wegen der angeklagten Höchstzahl von Taten verurteilt, ohne dass von § 154 Abs. 2 Gebrauch gemacht wurde, so ist im übrigen freizusprechen,141 seitdem selbständige Taten nicht mehr zu einem Fortsetzungszusammenhang verbunden werden. 56 Bei fehlerhafter Annahme von Tatmehrheit im Eröffnungsbeschluss oder bloßem Hinweis darin, dass auch Tateinheit in Betracht käme,142 ist zu unterscheiden: Teilfreispruch muss ergehen, wenn eine der selbständig angeklagten Gesetzesverletzungen nicht erwiesen ist und das Gericht – sofern es zur Verurteilung gekommen wäre – nur eine einzige Tat,143 natürliche Handlungseinheit,144 Tateinheit,145 Bewertungseinheit146 oder Fortsetzungszusammenhang147 mit der erwiesenen Tat hätte annehmen müssen oder eine einheitliche Rauschtat148 bestanden hätte. Kein Teilfreispruch erfolgt hingegen, wenn das gesamte Geschehen erwiesen ist, aber abweichend vom Eröffnungsbeschluss rechtlich als eine Tat gewertet wird,149 etwa früher als fortgesetzte Tat150 oder heute als Bewertungseinheit,151 einheitliche Trunkenheitsfahrt152 oder eine Rauschtat nach § 323a StGB,153 weil die Verurteilung wegen dieser einen Gesetzesverletzung den Eröffnungsbeschluss hinsichtlich aller Anschuldigungen erschöpft. Dies gilt auch, wenn eine selbständig angeklagte Tat im Wege der Gesetzeskonkurrenz verdrängt wird, sich etwa als subsidiär154 oder als straflose Nachtat155 erweist. 57 Gleichermaßen darf kein Teilfreispruch ergehen, wenn nach Eröffnungsbeschluss eine minderschwere Dauerstraftat zu zwei unter sich selbständigen Handlungen jeweils in Tateinheit steht, ohne dass Verklammerung zu Tateinheit eintritt, und in der Hauptver-

140 BGHR § 260 Abs. 1 Teilfreispruch 7; OLG Saarbrücken NJW 1974 375, 376; NStZ 2005 117; HK/Julius/ Beckemper 12; KK/Ott 21; KMR/Stuckenberg 19; Meyer-Goßner/Schmitt 13; a. A. SK/Velten 10; Roxin/Schünemann § 49, 13 (keine Aufspaltung der prozessualen Tat). 141 BGHSt 40 44, 48; BGHR § 260 Abs. 1 Teilfreispruch 10, 11, 13. 142 BGH StraFo 2007 332. 143 BGH NJW 1992 989. 144 RGSt 50 351 f.; BGH VRS 39 (1970) 187, 190; OLG Hamm MDR 1970 347; 1974 597; OLG Karlsruhe VRS 43 (1972) 261. 145 BGHSt 44 196, 202; BGH NJW 1969 756, 757; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 212; bei Miebach NStZ 1988 212; bei Becker NStZ-RR 2007 131 Nr. 10; 2008 287; 316; 2016 118; 2018 55; StraFo 2007 332; BGHR § 260 Abs. 1 Teilfreispruch 2, 7; BGH 30.5.2017 – 5 StR 135/17; BayObLGSt 1960 116, 117 f. 146 BGH NStZ-RR 2016 246. 147 RG 59 (1912) 328; BGH NJW 1952 342; bei Holtz MDR 1980 987; bei Kusch NStZ 1993 29 Nr. 17; OLG Celle NdsRpfl. 1963 95; a. A. noch RG GA 46 (1898/99) 109. 148 OLG Köln VRS 64 (1983) 207 f.; KK/Ott 21; KMR/Stuckenberg 20; Meyer-Goßner/Schmitt 13. 149 BGHSt 44 196, 202; BGH NStZ 2003 546, 548; 2004 109; 2009 347; bei Becker NStZ-RR 2002 72 Nr. 26; 2008 316. In BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 212 Nr. 23 hatte das Tatgericht „keine Entscheidung“ zu einer selbständig angeklagten Tat getroffen; undeutlich, ob auch in BGH bei Miebach NStZ 1988 212 Nr. 14. 150 BGH NJW 1952 432. 151 BGH NStZ 1994 547, 548; 2004 109; die gegenteilige Auffassung in BGH NStZ 1997 90, 91 ist mit BGHR § 260 Abs. 1 Teilfreispruch 14 = bei Becker NStZ-RR 2003 98 f. Nr. 9 aufgegeben; Meyer-Goßner/ Schmitt 13. 152 BGH VRS 21 (1961) 341, 343 f. 153 BGHSt 13 223, 225; BGH bei Kusch NStZ 1993 29 Nr. 18; OLG Hamm VRS 53 (1977) 125; OLG Köln VRS 64 (1983) 207 f.; KK/Ott 21; KMR/Stuckenberg 21; Meyer-Goßner/Schmitt 13; Hanack JZ 1952 313; vgl. RG HRR 1936 Nr. 854. 154 BGH bei Becker NStZ-RR 2002 72 Nr. 26. 155 OLG Hamm JMBlNW 1957 177, 178; KK/Ott 21; KMR/Stuckenberg 21.

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handlung nur eine der schwereren Handlungen nachgewiesen ist,156 also bei einheitlicher Trunkenheitsfahrt ein Vorwurf der unerlaubten Entfernung vom Unfallort (§ 142 StGB) entfällt und die beiden Abschnitte zu einer Trunkenheitsfahrt nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a oder § 316 StGB verschmelzen,157 deren Aburteilung den ganzen angeklagten Vorgang abdeckt. Anders ist es, wenn die verklammernde Dauerstraftat entfällt (vgl. Rn. 54).158 Nimmt das Gericht bloße Tatsachenalternativität zwischen den tatmehrheitlich 58 angeklagten Taten an (unechte Wahlfeststellung) und verurteilt auf wahldeutiger Grundlage, so ist für einen Teilfreispruch ebenfalls kein Raum.159 3. Fortgesetzte Tat, Dauerstraftat, Sammelstraftat a) Fortsetzungszusammenhang. Durch die geänderte Rechtsprechung160 ist die 59 Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung als Zusammenfassung mehrerer an sich selbständiger gleichartiger Straftaten zu einer Tat entfallen. Danach soll die Rechtsfigur einer fortgesetzten Tatbegehung allenfalls dann noch in Betracht kommen, wenn sie „zur sachgerechten Erfassung des verwirklichten Unrechts und der Schuld unumgänglich“ ist. Seit der Entscheidung des Großen Senats ist dies allerdings in keinem einzigen Fall bejaht worden, so dass die fortgesetzte Handlung in der Praxis abgeschafft ist.161 Die allenfalls noch denkbare fortgesetzte Handlung neuen Typs nähert sich ohnehin den Straftatbeständen, die so gefasst sind, dass sie eine Mehrzahl verschiedener strafbarer Handlungen zu einer einzigen Straftat zusammenfassen; im Betäubungsmittelstrafrecht und im Kartellrecht kommt ihr die von der Rechtsprechung162 entwickelte tatbestandliche Bewertungseinheit nahe.163 Diese mehreren Akte müssen dann als Teile einer einzigen Tat gewertet werden, so dass der Wegfall einer oder mehrerer ihrer Teilakte grundsätzlich keinen Teilfreispruch auslösen kann. Da die Spannweite der Zusammenfassung zu einer einheitlichen Tat im materiellen Sinn aber von der Fassung des jeweiligen Straftatbestands abhängt, können dessen Besonderheiten auch bei der Frage der Notwendigkeit eines Teilfreispruchs genauso eine Rolle spielen wie bisher bei einem Fortsetzungszusammenhang oder einer Dauerstraftat. Hierfür können die Grundgedanken der bisherigen Rechtsprechung zur fortgesetzten Handlung und die daraus sich ergebenden Entscheidungsvarianten weiterhin Bedeutung haben.164 Mit dieser Maßgabe gilt weiterhin: Werden die mehrfachen Tatbestandsverwirklichungen als eine Tat angeklagt, darf 60 kein teilweiser Freispruch erfolgen, wenn das Gericht einige der bei Eröffnung angenommenen unselbständigen Einzelhandlungen als nicht nachgewiesen ansieht, sofern 156 BGH VRS 21 (1961) 341, 343 f. 157 BayObLG bei Rüth DAR 1986 247; VRS 45 (1973) 275; OLG Hamm VRS 50 (1976) 419, 420; 53 (1977) 125; KG VRS 60 (1981) 107, 108; OLG Stuttgart VRS 67 (1984), 356 f.; OLG Zweibrücken VRS 85 (1993) 206, 208 m. w. N.; KK/Ott 21; KMR/Stuckenberg 21; Meyer-Goßner/Schmitt 13; vgl. SK/Velten 15 f. 158 BGH 1.6.2011 – 2 StR 90/11 Rn. 19; Meyer-Goßner/Schmitt 12. 159 BGHSt 36 262, 269 = JR 1990 203 mit Anm. Otto = JZ 1990 195 mit Anm. Rudolphi; KMR/Stuckenberg 21; Meyer-Goßner/Schmitt 12; a. A. Prittwitz/Schloderer NStZ 1990 387. 160 BGHSt 40 138; vgl. dazu die Kommentare zum StGB, etwa Fischer Vor § 52, 47 ff.; ferner etwa Geppert NStZ 1996 59; Gribbohm FS Odersky 387; Gubitz JR 1998 419; Hamm NJW 1994 1636; Schlüchter/Duttge NStZ 1996 465; Ruppert MDR 1994 973; Zschockelt NStZ 1994 361. 161 Vgl. nur KK/Ott 22; Meyer-Goßner/Schmitt 14; SK/Velten 14; Fischer Vor § 52, 49 StGB; LR/Rissingvan Saan Vor § 52, 65 StGB m. w. N. 162 BGHSt 30 28, 31; dazu Körner StV 1998 626, 627 f.; vgl. die Kommentare zu § 29 BtMG; zu kartellrechtlichen Ordnungswidrigkeiten s. BGHSt 41 385, 394; BGH 2004 1539, 1540. 163 Vgl. SK/Velten 17 m. w. N. 164 Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt 14a; SK/Velten 14.

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wegen fortgesetzter Handlung im angeklagten Umfang verurteilt wird,165 und zwar auch dann nicht, wenn nicht feststeht, ob die unbewiesenen Handlungen, wenn sie nachgewiesen wären, überhaupt in den Fortsetzungszusammenhang fallen würden.166 Kein Freispruch ergeht ferner, wenn zwar der im Eröffnungsbeschluss angenommene Fortsetzungszusammenhang in Einzeltaten aufgelöst, aber wegen des gesamten angeklagten Sachverhalts verurteilt wird.167 61 Dagegen muss das Gericht, wenn es den angeklagten Fortsetzungszusammenhang ganz oder teilweise auflöst und nur wegen einer oder wegen mehrerer selbständiger Handlungen verurteilt und die anderen als unselbständige Teilhandlungen beurteilten Einzelhandlungen für nicht erwiesen hält, hinsichtlich dieser Einzelhandlungen freisprechen. Andernfalls wäre die zugelassene Anklage nicht erschöpft, denn die Rechtskraft der Verurteilung würde nur die abgeurteilten Handlungen erfassen.168 Bleibt nur ein einziger Teilakt übrig, so wird wegen dieser Einzeltat unter Freisprechung im Übrigen verurteilt.169 Ist keiner der angeklagten Einzelakte erwiesen, so muss insgesamt freigesprochen werden.170 Ein Freispruch erübrigt sich also nur, wenn das Urteil an dem Zusammenhang festhält, seine Rechtskraft sich also mit dem Umfang der zugelassenen Anklage deckt. 62 Nimmt die zugelassene Anklage mehrere selbständige Handlungen, das Urteil dagegen eine einzige Tatbestandsverwirklichung an, aus der es jedoch einzelne Fälle als nicht erwiesen ausscheidet, dann muss es insoweit freisprechen.171 Werden jedoch alle Einzelhandlungen in die Verurteilung mit einbezogen, so bedarf es keines Freispruchs. 63 Nimmt die zugelassene Anklage nur eine aus einer einzigen Handlung bestehende Tat an, ergibt aber die Hauptverhandlung, dass es sich um den Teil einer mehrere Einzelhandlungen einschließenden (fortgesetzten) Tat handelt, ist der Angeklagte deswegen zu verurteilen, vorausgesetzt, dass er zugleich damit auch wegen des angeklagten Tatteils verurteilt wird. Andernfalls ist er freizusprechen,172 sofern nicht die anderen Taten durch Nachtragsanklage nach § 266 in das Verfahren mit einbezogen worden sind. Hat der Erstrichter weitere, nach dem Eröffnungsbeschluss begangene Teile der angeklagten fortgesetzten Handlung zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, so muss, wenn diese einbezogenen Einzelhandlungen nicht nachweisbar sind, insoweit Freispruch erfolgen, auch wenn die Verurteilung allein den Eröffnungsbeschluss abdecken würde.173

165 RGSt 39 146; 57 302, 303; BGHSt 19 280, 285; BGH bei Miebach NStZ 1988 448 f.; OLG Hamm HESt 1 187, 189; OLG Tübingen NJW 1953 1605; KK/Ott 22; KMR/Stuckenberg 23; Eb. Schmidt 8; Schlüchter 573; a. A. Peters § 52 II 2 (Freispruch wegen der nicht erwiesenen Einzelakte). 166 RGSt 57 302, 303 f.; KK/Ott 22; KMR/Stuckenberg 23; Meyer-Goßner/Schmitt 14a. 167 BGHR § 260 Abs. 1 Teilfreispruch 5. 168 RGSt 51 81; 57 304; RG GA 53 (1906) 279; JW 1930 3222; 1931 945; 1611; 1826; BGH NJW 1951 411, 412; 726; JZ 1951 309; LM Nr. 7; BGH bei Holtz MDR 1980 987; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1981 295; 1985 13; bei Miebach NStZ 1988 448 f.; bei Kusch NStZ 1993 29 Nr. 16; 1996 324; OLG Celle NdsRpfl. 1958 195; OLG Hamm NJW 1960 1025; JMBlNW 1965 34; MDR 1970 347; 1974 597; KMR/Stuckenberg 24; Meyer-Goßner/ Schmitt 14a; Eb. Schmidt 9; Schlüchter 574; Oetker JW 1925 1012. 169 BGH NJW 1951 726 f.; 1984 501; BGHR § 260 Abs. 1 Teilfreispruch 1, 4; OLG Hamm NJW 1960 1025; MDR 1970 347; a. A. noch RGSt 53 216 f. 170 BGHSt 27 115, 116; BayObLGSt 1963 115, 117 f. 171 Oben Fn. 147. 172 BGHSt 9 324; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 13; BayObLGSt 1963 115; 1966 108; OLG Köln JMBlNW 1964 215. 173 OLG Hamm JMBlNW 1965 34; vgl. auch OLG Hamm MDR 1970 347.

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b) Dauerstraftaten. Bei Dauerstraftaten beurteilt sich die Notwendigkeit eines Teil- 64 freispruchs nach den gleichen Gesichtspunkten wie bisher bei der fortgesetzten Tat.174 Nimmt das Urteil einen kürzeren Zeitraum der Dauerstraftat an als die Anklage, bedarf es wegen des überschießenden Teils keiner Teilfreisprechung, sofern dadurch nicht der tateinheitliche Zusammenhang mit einer weiteren selbständigen Tat, die nicht erwiesen ist, verlorengeht;175 dies gilt auch, wenn ein mit der Dauerstraftat tateinheitlich zusammentreffendes schwereres Delikt mit angeklagt worden war, das als nicht erweislich wegfiel (Rn. 57). c) Gewerbsmäßige, gewohnheitsmäßige und geschäftsmäßige Handlungen. 65 Gewerbsmäßige, gewohnheitsmäßige und geschäftsmäßige Handlungen wurden, soweit die Gewerbsmäßigkeit, Gewohnheitsmäßigkeit oder Geschäftsmäßigkeit der Begehung Tatbestandsmerkmal war, vom Reichsgericht früher als Sammelstraftat zu einer rechtlichen Einheit zusammengefasst. Wurden nur Teilstücke erwiesen, tauchten für den Urteilsspruch ähnliche Fragen auf wie bei der fortgesetzten Handlung.176 Mit dem Beschluss des Großen Senats (RGSt 72 164) leitete das Reichsgericht eine Entwicklung ein, die sachlichrechtlich wie verfahrensrechtlich beim Sammeldelikt die Verbrechenseinheit aufgab.177 Der BGH und das neuere Schrifttum sind dieser Auffassung gefolgt.178 Damit entfallen bei den gewerbs-, gewohnheits- und geschäftsmäßig begangenen Straftaten die Besonderheiten. Zur Aufnahme der Gewerbsmäßigkeit in den Urteilsspruch siehe Rn. 73. 4. Wahldeutige Anklage. Enthält der Eröffnungsbeschluss zwei selbständige Taten 66 im Alternativverhältnis und wird der Angeklagte nur wegen einer der beiden Alternativtaten eindeutig schuldig gesprochen, etwa im Wege der Postpendenzfeststellung,179 so ist wegen der anderen Tat freizusprechen.180 Hingegen ist im Fall einer unechten Wahlfeststellung, also der eindeutigen Verurteilung auf alternativer Tatsachengrundlage, für einen Teilfreispruch kein Raum (Rn. 58), ebenso bei einer wahlweisen Verurteilung im Wege echter Wahlfeststellung, die die Strafklage für alle einbezogenen Tatalternativen verbraucht.181

VII. Verurteilung 1. Allgemeines. Absatz 4 enthält Bestimmungen, wie der Urteilsspruch bei Verurtei- 67 lung zu fassen ist. Den Schuldspruch betreffen die Sätze 1 und 2, die Sätze 3 und 4 regeln die Festsetzung der aufgrund dieses Schuldspruchs angeordneten Rechtsfolgen – Hauptund Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßregeln der Besserung und Sicherung. Für die 174 BGHSt 19 280, 285; KK/Ott 23; KMR/Stuckenberg 25; Meyer-Goßner/Schmitt 15; SK/Velten 16, 18. 175 BGHSt 19 280, 285 f.; BGH wistra 1992 184, 186; KK/Ott 23; KMR/Stuckenberg 25; Meyer-Goßner/ Schmitt 15; MüKo/Maier 85; SK/Velten 16. 176 RGSt 33 142; 51 81. 177 RGSt 72 257; 285; 313; 401; 73 216. 178 BGHSt 1 41; s. a. 18 376; 26 284; KMR/Stuckenberg 26. 179 BGH NStZ 2011 510; NStZ-RR 2018 49, 50; OLG Hamburg NStZ-RR 2016 118; Meyer-Goßner/Schmitt 27a. 180 BGHSt 38 172, 173 f. mit krit. Anm. Rieß NStZ 1992 548, 549; BGH NStZ 1998 635; BGH 25.10.2017 – 2 StR 495/12 Rn. 29 (insoweit nicht in NStZ-RR 2018 47); KK/Ott 21; KMR/Stuckenberg 27; Meyer-Goßner/ Schmitt 15a; MüKo/Maier 86, 273; SK/Velten 19. 181 BGHSt 32 146, 150 f.; KMR/Stuckenberg 27.

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Untersagung der Berufsausübung enthält Absatz 2 eine Sonderregelung. Im Übrigen entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen, wie die Urteilsformel zweckgemäß zu fassen ist (Absatz 4 Satz 5; Rn. 30). 68 Der Tenor einer Verurteilung enthält mindestens drei Teile: den Schuldspruch, die Entscheidung über die Rechtsfolgen (Verhängung von Strafe, Nebenstrafe, Strafaussetzung, Maßregeln, Nebenfolgen oder die Anordnung, dass sie unterbleiben, etwa nach §§ 60, 199 StGB), den Ausspruch über die Kostenfolge und gegebenenfalls als viertes Element eine Entscheidung über die Entschädigung nach § 8 StrEG. 69 Nach den Umständen des Einzelfalls kann zusätzlich der Erlass von Beschlüssen nötig werden, etwa über die Bewährungszeit und -auflagen (§ 268a), Fortdauer, Aufhebung oder Außervollzugsetzung von Untersuchungshaft oder einstweiliger Unterbringung (§ 268b), Aufhebung oder Fortdauer von Beschlagnahmen (§§ 94, 111c), vorläufiger Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a), eines vorläufigen Berufsverbots (§ 132a) oder Anordnung eines dinglichen Arrests (§ 111d). 2. Schuldspruch a) Rechtliche Bezeichnung der Tat. Der Urteilsspruch muss die rechtliche Bezeichnung der Tat (Absatz 4 Satz 1) enthalten, womit die materiellrechtliche Straftat182 gemeint ist. Dabei sind grundsätzlich („soll“) die Bezeichnungen zu verwenden, die das Gesetz selbst in der Überschrift für bestimmte Straftaten gebraucht (Absatz 4 Satz 2).183 Merkmale des tatsächlichen Geschehens sind nicht anzugeben, sofern sie nicht von der Gesetzesüberschrift umfasst werden, also nicht „wegen Fahrraddiebstahls“ oder „Unterschlagung eines Rundfunkempfängers“ oder Handeln mit Betäubungsmitteln in „geringer Menge“.184 Fehlen gesetzliche Überschriften oder passen sie nicht für den abgeurteilten Tat71 bestand,185 sind die herkömmlichen Bezeichnungen zu verwenden, andernfalls eine sonst die Tat charakterisierende Bezeichnung, die aus sich selbst heraus verständlich ist und die Tat unter Verzicht auf wenig aussagekräftige Generalisierungen186 knapp und anschaulich und so genau wie möglich kennzeichnet. Die Urteilsformel soll durch eine knappe und prägnante Fassung für Angeklagten und Öffentlichkeit leichter verständlich werden. Alles, was nicht unmittelbar zur verständlichen Kennzeichnung der Straftat dient, ist wegzulassen (Rn. 31). Die Formel soll – auch im

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SK/Velten 26. Vgl. etwa BGH bei Kusch NStZ 1997 71 („unerlaubter Waffenhandel“). BGH bei Becker NStZ-RR 2003 290 f. Nr. 8. Vgl. die Überschrift des § 132a StGB für das unerlaubte Tragen von Uniformen (§ 132a Abs. 1 Nr. 4 StGB) oder des § 160 StGB für das Verleiten zur falschen Versicherung an Eides statt, BGH NJW 2011 2448, 2449; vgl. BGH StV 2012 339, 342 (zu § 129 StGB); BGH NStZ-RR 2016 109 (zu § 176a Abs. 3 StGB: „schwerer sexueller Missbrauch von Kindern in kinderpornographischer Absicht“); BGH StV 2012 540 (zu § 184b StGB); OLG Saarbrücken StV 2016 658, 661 (zu § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthaltG bei Erschleichen einer Duldung); KK/Ott 29. 186 Vgl. BGH bei Kusch NStZ 1992 546; 1995 19 Nr. 11; NJW 2011 1979, 1981 (insoweit nicht in BGHSt 56 196): statt „Verstoß gegen das Waffengesetz“ „unerlaubte Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladekurzwaffe“; oder „wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln“ und nicht „wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz“; OLG Düsseldorf 4.10.2012 – III-2 RVs 140/12: „Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz“; nach BGHR § 260 Abs. 4 Satz 1 Tatbezeichnung 9; BGH wistra 2012 484 soll „wegen Steuerhinterziehung“ genügen; s. a. BayObLG NStZ-RR 1999 277, 278; HK/Julius/Beckemper 14; KK/Ott 29; Meyer-Goßner/Schmitt 23; MüKo/Maier 248; OK-StPO/Eschelbach 22; Radtke/Hohmann/Gorka 53; SK/Velten 26; Granderath MDR 1984 988; H.W. Schmidt MDR 1981 881 m. w. N.

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Bußgeldverfahren – nach Möglichkeit keine Paragraphen enthalten,187 da deren Anführung nach der Urteilsformel (Absatz 5) genügt. Nur wenn weder eine geeignete Gesetzesüberschrift noch sonst eine allgemein bekannte oder aus sich selbst heraus verständliche Bezeichnung für die Tat in der gebotenen knappen Form zu finden ist,188 kann ausnahmsweise in der Urteilsformel auch der Paragraph des verletzten Strafgesetzes – möglichst in Verbindung mit einem die Tat charakterisierenden Begriff – aufgenommen werden.189 Die rechtliche Bezeichnung der Tat wird nicht dadurch entbehrlich, dass nach der Urteilsformel die angewandten Strafvorschriften in einer Liste aufzuführen sind.190 Die Klassifizierung der Tat als Verbrechen, Vergehen oder Ordnungswidrigkeit 72 ist zu ihrer rechtlichen Bezeichnung nicht erforderlich.191 Ein solcher Zusatz ist zwar nicht untersagt, er macht den Urteilsspruch jedoch sprachlich schwerfällig, so dass darauf verzichtet werden sollte. Ist unter Verwendung echter Qualifikationsmerkmale ein eigener Straftatbe- 73 stand mit eigenem Strafrahmen gebildet worden, ist dieser mit seiner Bezeichnung, auch wenn eine eigene gesetzliche Überschrift fehlt,192 in die Urteilsformel aufzunehmen,193 im Gegensatz zu unbenannten oder benannten Strafzumessungsregeln, etwa Regelbeispielen (Rn. 77 f.). Soweit Gewerbsmäßigkeit, gemeinschaftliche oder bandenmäßige Begehung straferschwerend wirkt, ist zu beachten, dass diese Umstände in uneinheitlicher Weise teils als tatbestandliche Qualifikation,194 teils als Regelbeispiel195 ausgestaltet sind.

187 OLG Düsseldorf VRS 98 (2000) 362, 363; OLG Hamburg NStZ-RR 1999 57, 59; OLG Hamm DAR 2012 340; OLG Karlsruhe VRS 54 (1978) 68, 70; 58 (1980) 263, 264; KK/Ott 29; KMR/Stuckenberg 43; MeyerGoßner/Schmitt 23. 188 Vgl. BGH wistra 1990 150 („gewerbsmäßiger Schmuggel“); KK/Ott 29; KMR/Stuckenberg 43; s. a. Meyer-Goßner/Appl 42. 189 KK/Ott 29; KMR/Stuckenberg 37; Meyer-Goßner/Schmitt 23; SK/Velten 26. 190 KK/Ott 29; KMR/Stuckenberg 38. 191 BGH bei Dallinger MDR 1973 730; NJW 1986 1116; BGHR § 260 Abs. 4 Satz 1 Tatbezeichnung 3; KMR/ Stuckenberg 56; Meyer-Goßner/Schmitt 22; OK-StPO/Eschelbach 22; Radtke/Hohmann/Gorka 55; SSW/Franke 10; Michel MDR 1992 432. 192 Vgl. zu § 177 StGB a. F. BGHR § 260 Abs. 4 Satz 1 Urteilsformel 4; BGH NStZ 2002 656; BGH bei Becker NStZ-RR 2004 35; 2007 173 f. (§ 177 Abs. 4 StGB a. F.: „besonders schwere Vergewaltigung“, unter Aufgabe von BGH NStZ 2000 254 (Nr. 5), 255; BGH 15.2.2002 – 3 StR 574/00); dazu Pfister NStZ-RR 2001 353, 360; BGH NStZ 2015 603 („schwere Vergewaltigung“); NStZ 2019 674 (§ 244 Abs. 4 StGB: „schwerer Wohnungseinbruchsdiebstahl“), a. A. BGH 29.8.2018 – 5 StR 371/18; NStZ 2010 101 („besonders schwerer Raub“, wenn § 250 Abs. 2 StGB erfüllt ist im Unterschied zum „schweren Raub“ nach § 250 Abs. 1 StGB); NStZ-RR 2017 111, 112; BGH 2.8.2012 – 3 StR 259/12; 21.9.2017 – 2 StR 327/17 Rn. 14 („besonders schwere räuberische Erpressung“); Meyer-Goßner/Schmitt 25a; MüKo/Maier 280, 286. 193 BGHSt 27 287, 289; BGH NStZ 1982 29 f. (zu § 260 StGB gewerbsmäßige Hehlerei); NStZ 1994 284, 285 f.; bei Kusch NStZ 1995 19; 2007 173; NStZ-RR 2012 124; wistra 2018 51; BGHR § 260 Abs. 4 Satz 1 Urteilsformel 4 (zu § 177 Abs. 3 bzw. 4 StGB a. F., s. a. vorige Fn.); weitere Beispiele: „Diebstahl mit Waffen“ § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB; „schwerer Raub“ § 250 StGB; „unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen“ § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; vgl. dazu KK/Ott 30 m. w. N.; Meyer-Goßner/Schmitt 25a; MüKo/ Maier 275 ff.; OK-StPO/Eschelbach 22; Radtke/Hohmann/Gorka 54; SK/Velten 26; SSW/Franke 10; MeyerGoßner/Appl 48; Granderath MDR 1984 988. 194 Vgl. BGH NStZ-RR 2007 111 (§ 260 StGB); 638 f. (§ 146 StGB); 2012 124; NStZ 2011 516, 517 und vorstehende Fn. 195 Z. B. BGH NStZ-RR 2005 79; 2015 144 (§ 29 Abs. 3 Nr. 1 BtMG); bei Becker NStZ-RR 2002 259 (§ 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB a. F.).

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Zur rechtlichen Bezeichnung der Tat gehört, auch bei Ordnungswidrigkeiten, die Angabe, ob der Tatbestand vorsätzlich oder fahrlässig verwirklicht wurde, wenn dies zur Kennzeichnung der Tat erforderlich ist, insbesondere, wenn der gleiche Tatbestand sowohl vorsätzlich wie auch fahrlässig begangen werden kann (§§ 316, 323a StGB) und beide Begehungsformen nicht gleichwertig sind.196 Kann die Tat nur vorsätzlich begangen werden, ist die Erwähnung des Vorsatzes überflüssig,197 nach der Rechtsprechung auch bei Delikten, deren fahrlässige Begehung nur ausnahmsweise strafbar ist.198 Zur besonderen Schwere der Schuld nach § 57a StGB siehe Rn. 89. Zur rechtlichen Bezeichnung der Tat gehört ferner, dass nur ein Versuch vorliegt,199 75 sowie die Beteiligungsform. Es muss ersichtlich sein, ob der Verurteilte Täter, Teilnehmer oder Anstifter, nicht dagegen, ob er unmittelbarer oder mittelbarer Allein- oder Mittäter war.200 Bei § 30 StGB ist der Versuch der Beteiligung oder die Verabredung des jeweiligen Verbrechens, das konkret zu nennen ist – in Zweifelsfällen das allgemeinere Delikt201 –, kenntlich zu machen.202 Bei Auffangdelikten gilt anderes. Bei einer Verurteilung nach § 323a StGB braucht 76 die im Rausch begangene Tat im Urteilsspruch nicht zu erscheinen.203

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b) Strafzumessungsregeln. Tatbestände, die keine eigene Straftat beschreiben, sondern nur Strafzumessungsregeln enthalten, sind in die Urteilsformel nicht aufzunehmen,204 so beispielsweise die verminderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB205 oder die 196 BGH VRS 65 (1983) 359, 361; bei Miebach/Kusch NStZ 1991 229 Nr. 16; BGH NStZ 2012 698 („wegen vorsätzlicher Körperverletzung“); OLG Celle NVZ 2012 345, 348; OLG Jena NStZ-RR 1998 144, 145; OLG Koblenz NStZ 1984 370; für Bußgeldverfahren: OLG Hamm NStZ-RR 2000 178; OLG Karlsruhe VRS 54 (1978) 68; 58 (1980) 263; OLG Koblenz VRS 58 (1980) 379; NStZ 1984 370; Schalscha DRiZ 1958 193; HK/ Julius/Beckemper 14; KK/Ott 30; KMR/Stuckenberg 45; Meyer-Goßner/Schmitt 24; MüKo/Maier 256; OKStPO/Eschelbach 23; krit. SK/Velten 26 a. E.; a. A. (nur fahrlässige Begehung kennzeichnen) KK/Ott 30; Radtke/Hohmann/Gorka 54; SSW/Franke 10; s. a. Fn. 198. 197 BGHR § 260 Abs. 4 Satz 1 Urteilsformel 2; BGH 20.5.2014 – 1 StR 90/14 Rn. 16; 24.7.2014 – 3 StR 314/ 13 Rn. 35 (insoweit nicht in BGHSt 59 271); KMR/Stuckenberg 45; Meyer-Goßner/Schmitt 24; MüKo/Maier 255; Michel MDR 1992 432. 198 BGH NStZ 1992 546 zu Betäubungsmitteldelikten: nur Angabe der fahrlässigen Begehung; KK/Ott 30. 199 HK/Julius/Beckemper 14; KK/Ott 30; KMR/Stuckenberg 47; Meyer-Goßner/Schmitt 24; MüKo/Maier 260; OK-StPO/Eschelbach 23; Radtke/Hohmann/Gorka 54; SK/Velten 26; SSW/Franke 10. 200 BGHSt 27 287, 289; BGH bei Holtz MDR 1977 108; NStZ 1999 205; NStZ-RR 1999 139; 2002 59; bei Becker NStZ-RR 2003 290 f.; 2009 248; BGHR § 260 Abs. 4 Satz 1 Tatbezeichnung 8; OLG Oldenburg NJW 2015 2745, 2746; OLG Celle 6.11.2017 – 3 Ss 43/17 Rn. 13; HK/Julius/Beckemper 14; KK/Ott 30 m. w. N.; Meyer-Goßner/Schmitt 24; MüKo/Maier 259; OK-StPO/Eschelbach 23; Radtke/Hohmann/Gorka 54 f.; SK/ Velten 26; SSW/Franke 10; Willms DRiZ 1976 82, 83. 201 BGH bei Becker NStZ-RR 2005 259 Nr. 9 (bei ungenau geplantem Banküberfall etwa §§ 253, 255 statt § 249 StGB). 202 Vgl. BGHSt 2 360; BGH bei Dallinger MDR 1969 777; NStZ 1987 72; bei Kusch NStZ 1997 332; NStZRR 1998 262; bei Becker NStZ-RR 2005 259 Nr. 9; BGHR § 260 Abs. 4 Satz 1 Tatbezeichnung 1, 4; Schalscha DRiZ 1958 193 zu § 49a StGB a. F.; KK/Ott 30; KMR/Stuckenberg 47; Meyer-Goßner/Schmitt 24; MüKo/Maier 261 f.; OK-StPO/Eschelbach 23; SSW/Franke 10; Meyer-Goßner/Appl 47. 203 RGSt 69 187; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1970 239; KK/Ott 32; KMR/Stuckenberg 61; Meyer-Goßner/ Schmitt 24; MüKo/Maier 295; SK/Velten 26. 204 BGHSt 27 389; BGH wistra 2018 51; HK/Julius/Beckemper 14; KK/Ott 31; KMR/Stuckenberg 39; MeyerGoßner/Schmitt 25; MüKo/Maier 291 OK-StPO/Eschelbach 22; Radtke/Hohmann/Gorka 55; SK/Velten 26; SSW/Franke 10; Schalscha DRiZ 1958 193. 205 BGHSt 23 237, 238; 27 287, 289; Meyer-Goßner/Appl 51; Radtke/Hohmann/Gorka 55.

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Anwendung unbenannter Strafschärfungs- oder Strafmilderungsgründe (§ 12 Abs. 3 StGB: besonders schwere oder minder schwere Fälle).206 Dies gilt auch, trotz der Tatbestandsähnlichkeit, für die benannten Strafzumes- 78 sungsregeln, namentlich Regelbeispiele,207 also keine Verurteilung wegen „Diebstahls im besonders schweren Fall“ oder „Einbruchsdiebstahls“, erst recht nicht wegen „schweren Diebstahls“.208 Anders ist es ausnahmsweise, wenn das betreffende Regelbeispiel eine gesetzliche Überschrift hat wie § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 a. F. = § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 n. F. StGB „Vergewaltigung“.209 Bei Verhängung von Jugendstrafe scheidet die Bezeichnung als besonders schwerer Fall schon wegen der anderen Bemessungsgrundlage aus.210 Umstände, die zu prozessualen Privilegierungen wie dem Antragserfordernis bei 79 Geringwertigkeit der Tat (§ 248a StGB) führen, gehören nicht zur rechtlichen Bezeichnung der Tat.211 c) Konkurrenzen. Die Konkurrenzform der Tateinheit (§ 52 StGB; § 19 OWiG) oder 80 Tatmehrheit (§ 53 StGB; § 20 OWiG) ist immer anzugeben.212 Bei tateinheitlichem Zusammentreffen sind alle verletzten Tatbestände aufzuführen, ohne den Eindruck zu erwecken, es handele sich um mehrere Taten. Sind ein Verbrechen und ein Vergehen tateinheitlich verwirklicht, ist das Verbrechen voranzustellen.213 Das Vorliegen der Tateinheit ist durch eine dem § 52 StGB entsprechende Formulierung deutlich zu machen („zugleich“ oder „durch dieselbe Handlung“, „in Tateinheit mit“; hingegen macht die Wendung „rechtlich zusammentreffend mit“ den Tenor unnötig umständlich214). Bei gleichartiger Tateinheit ist anzugeben, wie oft der Tatbestand verwirklicht wurde.215

206 BGHSt 27 287, 289; BGH NJW 1978 230; NStZ 1999 205; NStZ-RR 2002 259; bei Becker NStZ-RR 2007 131 Nr. 11; BGHR § 260 Abs. 4 Satz 1 Tatbezeichnung 2, 3, 5; KK/Ott 32; KMR/Stuckenberg 58; Meyer-Goßner/Schmitt 25; SK/Velten 26; vgl. ferner Granderath MDR 1984 988; Willms DRiZ 1976 82, 83. 207 BGHSt 23 254, 256; 27 287, 289 f.; BGH NStZ 1984 262; 1992 546; 1999 205; bei Kusch NStZ-RR 1993 29 Nr. 20; 2002 259; BGH NStZ-RR 2009 248; KK/Ott 33; KMR/Stuckenberg 59; Meyer-Goßner/Schmitt 25; MüKo/Maier 292; OK-StPO/Eschelbach 22; Radtke/Hohmann/Gorka 54; Meyer-Goßner/Appl 50; wohl auch Rieß GA 2007 377, 390; abw. (nicht unzulässig) LR/Gollwitzer25 61; SK/Velten 26; Fabry NJW 1986 15, 17; die gegenteilige, vorübergehend „einhellige Auffassung“ in BGH NJW 1970 2120; 1977 1830; bei Holtz MDR 1975 543 ist wieder aufgegeben, dazu Granderath MDR 1984 988; Börtzler NJW 1971 682. 208 Vgl. Börtzler NJW 1971 682, der „Diebstahl in einem besonders schweren Fall“ für zulässig hält. Nach Granderath MDR 1984 988 streicht der BGH diese Bezeichnung in jeder Urteilsformel. 209 BGH NStZ 1998 510; 1999 186; 2000 254 Nr. 4; 2007 478 (wonach „sexuelle Nötigung im besonders schweren Fall (Vergewaltigung)“ statt der üblichen Fassung „wegen Vergewaltigung“ keiner Berichtigung bedarf); NStZ-RR 1999 78; 2002 259; NJW 2001 2185; BGH 9.1.2018 – 3 StR 587/17; KMR/Stuckenberg 59; Meyer-Goßner/Schmitt 25; MüKo/Maier 292; Radtke/Hohmann/Gorka 54; Fischer § 177, 161 m. w. N.; Renzikowski NStZ 1999 377, 382. 210 BGH MDR 1976 769; KK/Ott 33; Kaiser NJW 1981 1028. 211 OLG Düsseldorf NJW 1987 1958 mit abl. Anm. Naucke NStZ 1988 220; OLG Hamm 13.10.2011 – 3 RVs 73/11; KK/Ott 32; KMR/Stuckenberg 60; Meyer-Goßner/Schmitt 25; MüKo/Maier 297; SK/Velten 26; a. A. HK/ Julius/Beckemper 14. 212 RGSt 27 86; OGHSt 1 30, 34; vgl. HK/Julius/Beckemper 14; KMR/Stuckenberg 48; Meyer-Goßner/Appl 53 ff.; MüKo/Maier 249, 263 ff.; OK-StPO/Eschelbach 24; Radtke/Hohmann/Gorka 54; SSW/Franke 10. 213 BGH NStZ 2002 656. 214 BGH NJW 1986 1116, 1117; BGHR § 260 Abs. 4 Satz 1 Urteilsformel 2. 215 BGH NStZ 1996 610; BGH 23.6.2006 – 2 StR 79/06; KK/Ott 34; KMR/Stuckenberg 48; Meyer-Goßner/ Schmitt 26; MüKo/Maier 266; SK/Velten 27.

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Falls der Tenor dadurch zu unübersichtlich würde, kann das Gericht ausnahmsweise davon absehen, alle Fälle ausdrücklich zu erwähnen.216 Sind mehrere Alternativen eines Tatbestands tateinheitlich erfüllt,217 so müssen 81 sie im Schuldspruch angegeben werden, um den Umfang der Tat zu kennzeichnen. Haben die Alternativen verschiedene gesetzliche Bezeichnungen wie § 244 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB, so müssen diese auch zum Ausdruck kommen,218 wobei sich die Schwierigkeit ergibt, dass nur die Qualifikationsmerkmale konkurrieren, der Grundtatbestand also nicht mehrfach zu benennen ist (besser also: „wegen Bandendiebstahls mit Waffen“).219 Wenn jedoch der Straftatbestand nur eine einzige gesetzliche Überschrift hat wie § 250 StGB, kann durchaus nicht nur undifferenziert „wegen schweren Raubs“ verurteilt werden, vielmehr sind für die verschiedenen Qualifikationsformen, wie sonst auch (Rn. 73), prägnante Bezeichnungen zu finden; allenfalls ausnahmsweise kann darauf verzichtet werden, um Klarheit und Verständlichkeit des Tenors zu erhalten.220 82 Bei Tatmehrheit muss die Urteilsformel alle verletzten Tatbestände anführen und durch die verbindenden Worte erkennen lassen, dass es sich um mehrere selbständige Straftaten handelt („wegen … und wegen …“, „sowie“, „in Tatmehrheit mit“; umständlicher ist wiederum „sachlich zusammentreffend mit“221). Erforderlichenfalls ist jeweils die Zahl der Fälle hervorzuheben („wegen Betrugs in drei Fällen, davon in einem in Tateinheit mit Urkundenfälschung“). Einer näheren Kennzeichnung der einzelnen Taten bedarf es nicht,222 es sei denn, die Verständlichkeit des Tenors erfordert dies.223 Wenn zweifelhaft bleibt, ob der Angeklagte den Straftatbestand durch eine oder mehrere Taten verwirklicht hat, wird er aufgrund des Zweifelssatzes nur wegen einer verurteilt.224 83 Bei Gesetzeseinheit ist dagegen allein die angewandte Strafvorschrift in den Urteilsausspruch aufzunehmen, selbst wenn Nebenfolgen aus einer verdrängten Vorschrift angeordnet worden sind.225 So kommt etwa die fahrlässige Begehung neben der am gleichen Tatobjekt vollendeten Vorsatztat nicht zum Ausdruck.226

216 BGHSt 49 177, 185; BGH NStZ 1996 610; JR 1995 124 mit Anm. v. Hippel; BGH NStZ-RR 2016 274; BGH 24.11.2010 – 2 StR 519/10 Rn. 5; 15.1.2015 – 4 StR 503/14 Rn. 3 m. w. N.; vgl. BGH NJW 2018 3398, 3399 mit Anm. Leitmeier; MüKo/Maier 266. 217 Vorgeschaltet ist stets die materiellrechtliche Frage, ob die Tatbestandsalternativen selbständige Erschwerungsgründe enthalten; in der Rspr. besteht hier die Neigung zu großzügiger Annahme von Gesetzeseinheit, s. Fn. 220. 218 So noch BGH bei Dallinger MDR 1971 363 („wegen Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit Bandendiebstahl“); NStZ-RR 2016 109 (§ 176a Abs. 2 Nr. 1 und § 176a Abs. 3 StGB); KMR/Stuckenberg 49; MüKo/ Maier 268; a. A. Meyer-Goßner/Schmitt 12; Radtke/Hohmann/Gorka 54; Meyer-Goßner/Appl 58; vgl. BGHSt 19 107, 109; BGH bei Holtz MDR 1982 624; NStZ 1994 285, 286 und NJW 1994 2034, 2035; NJW 2010 2742, 2743. 219 Vgl. Jakobs 31/24 m. w. N. 220 NK/Puppe Vor § 52, 5, 15; vgl. Fischer § 250, 30; Jakobs 31/24 m. w. N.; Jescheck/Weigend § 69 II 1; zu weitgehend BGH NStZ 1994 285 f. (1. Senat; trotz Tateinheit sei nur „wegen schweren Raubes“ zu tenorieren); KMR/Stuckenberg 49; a. A. (Gesetzeseinheit statt Tateinheit bei § 250 StGB) BGH (4. Senat) NStZ 1994 284; NJW 1994 2034, 2035 mit Anm. von Hippel JR 1995 125; von Heintschel-Heinegg JA 1994 538; Altenhain ZStW 107 (1995) 382, 386. 221 Wie in Fn. 214. 222 Vgl. etwa BGH NJW 1986 1116; KK/Ott 34; SK/Velten 27; Meyer-Goßner/Appl 53. 223 Vgl. BGH bei Becker NStZ-RR 2004 35 Nr. 13. 224 Vgl. LR/Sander § 261, 201 f. 225 KK/Ott 34; KMR/Stuckenberg 51; Meyer-Goßner/Schmitt 26; MüKo/Maier 269; Radtke/Hohmann/Gorka 54; SK/Velten 27; Dünnebier GA 1954 274; Hartung NJW 1954 587. 226 BGHSt 39 195, 199.

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d) Fortgesetzte Handlung. Sofern dies überhaupt noch in Betracht kommen sollte, 84 wird bei Verurteilung wegen einer fortgesetzten Handlung dies nicht im Urteilsspruch ausgedrückt.227 Der Angeklagte ist nicht beschwert, wenn es unterbleibt.228 Besteht die fortgesetzte Handlung zum Teil aus vollendeten, zum Teil aus versuchten Straftaten, ist im Entscheidungssatz nur wegen einer vollendeten fortgesetzten Tat zu verurteilen.229 Schließt die fortgesetzte Handlung eine einzelne schwerere Begehungsart mit ein, dann hat dieser Einzelfall nicht die Kraft, die Bezeichnung der ganzen Fortsetzungstat zu prägen und so den irrigen Eindruck zu erwecken, der Täter wäre fortgesetzt in der erschwerten Form strafbar geworden. Hier entspricht es dem Zweck des § 260, wegen der leichteren Form zu verurteilen und den Einzelfall mit der erschwerten Form daneben gesondert zu erwähnen („wegen fortgesetzter Erpressung, in einem Fall in der Form der versuchten räuberischen Erpressung“).230 e) Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage. Zur Fassung des Urteils- 85 spruchs bei einer Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage ist zu unterscheiden. Bei der „echten“, ungleichartigen Wahlfeststellung ist umstritten, ob der Schuldspruch alternativ231 („wird wegen … oder … verurteilt“) oder eindeutig232 nach dem milderen Gesetz zu fassen ist. Üblich ist die alternative Form, doch ist die eindeutige Fassung vorzuziehen, wenn es ein milderes Gesetz gibt, weil sie den Angeklagten weniger belastet.233 Dabei sollte auf die wahldeutige Grundlage hingewiesen werden, um zu vermeiden, dass spätere Entscheidungen eine eindeutige Verurteilung aus dem milderen Gesetz als einschlägige Vorstrafe interpretieren.234 Keinen Ausdruck im Tenor findet bloße Tatsachenalternativität („unechte“, gleichartige Wahlfeststellung), ebenso wenig die Anwendung des Zweifelssatzes bei unechter Gesetzesalternativität („in dubio mitius“).235 Bei Prä- oder Postpendenzfeststellung wird das nicht angewendete Strafgesetz nicht angeführt.236 3. Rechtsfolgenausspruch a) Allgemeines. Die Bezeichnung „Rechtsfolgen der Tat“ ist dem Strafgesetzbuch 86 entnommen (vgl. Überschrift des Dritten Abschnitts). Sie umfasst alle staatlichen Reakti227 BGHSt 27 287, 289; BGH nach Schmidt MDR 1978 7; OLG Düsseldorf VRS 74 (1988) 180; Willms DRiZ 1976 82, 83; KK/Ott 34; KMR/Stuckenberg 37; Meyer-Goßner/Schmitt 26; SK/Velten 26 (nicht unzulässig), 27.

228 Vgl. BGHSt 6 93; OLG Bremen DRZ 1950 165. 229 OGHSt 2 352; BGH NJW 1957 1288; bei Dallinger MDR 1975 542; OLG Düsseldorf SJZ 1950 284; KK/Ott 34. 230 BGH NJW 1957 1288; bei Dallinger MDR 1958 564; KMR/Stuckenberg 52; SK/Velten 26; vgl. die inzwischen überholten Beispiele bei Börtzler NJW 1971 682; ferner BGHSt 10 230 (für den gleichgelagerten Fall der natürlichen Handlungseinheit). 231 BGHSt 8 34, 37; BGH NJW 1952 114; obiter BGHSt 15 63, 65 f.; 25 182, 186; HK/Julius/Beckemper 14; KK/Ott 35; Meyer-Goßner/Schmitt 27; MüKo/Maier 272; OK-StPO/Eschelbach 22; Radtke/Hohmann/Gorka 54; Fischer § 1, 47; LK/Gribbohm11 § 1, 138; LK/Dannecker12 Nach § 1, 158; NK/Frister Nach § 2, 71; SK/Wolter Anh. zu § 55, 82; Schönke/Schröder/Hecker § 1, 106; sympathisierend LR/Gollwitzer25 § 261, 168. 232 BGHSt 4 340, 343; BGH NJW 1959 1139, 1140; BayObLG JZ 1965 775; LK/Tröndle10 § 1, 114 ff. m. w. N.; für Ermessen des Tatgerichts: BGHSt 1 302, 304; LK/Gribbohm11 § 1, 138; LR/Gollwitzer25 § 261, 167; SK/ Velten 28. 233 LK/Tröndle10 § 1, 115; KMR/Stuckenberg 53. 234 LK/Tröndle10 § 1, 117; KK/Ott 35; KMR/Stuckenberg 53. 235 Meyer-Goßner/Schmitt 27. 236 Vgl BGHSt 35 86, 87; BGH NStZ 1989 266; 574; StV 1995 522; OLG Hamburg MDR 1994 712; KMR/ Stuckenberg 54; Meyer-Goßner/Schmitt 27a; MüKo/Maier 274; Pfeiffer 13; SK/Velten 28.

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Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

onen, auf die der Strafrichter wegen der Straftat erkennen kann, also Strafen, Maßregeln der Besserung und Sicherung, und alle sonstigen Nebenfolgen, wie etwa Einziehung und Verfall. Die Urteilsformel muss die Rechtsfolgen nach Art und Umfang klar und eindeutig benennen, wobei die im materiellen Strafrecht verwendeten Bezeichnungen zu gebrauchen sind. Welche Rechtsfolge das Gericht im Einzelfall verhängen darf oder muss, richtet sich nach dem materiellen Recht. 87 In die Urteilsformel sind alle Rechtsfolgen aufzunehmen, die das Gericht aufgrund des Schuldspruchs verhängt. Dies gilt auch für solche Rechtsfolgen, die neben anderen nicht vollstreckbar sind.237 Wird neben lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe die Sicherungsverwahrung238 oder Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet,239 so ist die Maßregel auch im Tenor auszusprechen. Werden mehrere Rechtsfolgen für mehrere Straftaten verhängt, muss die Urteils88 formel eindeutig ersehen lassen, für welche Tat jede einzelne Rechtsfolge festgesetzt wird. Dies ist insbesondere bei neben der Hauptstrafe ausgesprochenen Nebenstrafen, Maßregeln der Besserung und Sicherung und sonstigen Nebenfolgen zu beachten. Beispielsweise muss der Urteilsspruch erkennen lassen, wenn nur wegen eines von mehreren Verkehrsdelikten ein Fahrverbot ausgesprochen worden ist.240 89

b) Freiheitsstrafe. Bei Freiheitsstrafe ergeben sich die Grenzen aus den §§ 38, 39 StGB. Die Bemessung nach Tagen oder Bruchteilen von Zeiteinheiten241 ist ausgeschlossen; im Übrigen ist es aber zulässig, eine kleinere Zeiteinheit auch bei Überschreiten der nächstgrößeren beizubehalten (7 Wochen; 15 Monate usw.).242 Erkennt das Gericht anstelle einer vom Gesetz ausschließlich angedrohten Freiheitsstrafe auf eine Geldstrafe (§ 47 StGB), so ist nur die Geldstrafe anzuführen. Nicht nur bei § 211 StGB, sondern in allen Fällen lebenslanger Freiheitsstrafe gehört die Bejahung der besonderen Schwere der Schuld (§ 57a Abs. 1 StGB) durch das Gericht in den Tenor,243 nicht aber ihre Verneinung, die in den Gründen darzulegen ist.244 Eine Nachholung ist nicht möglich, ein Berichtigungsbeschluss wäre unbeachtlich.245 Unzulässig ist ein Ausspruch über die Mindestverbüßungsdauer.246

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c) Geldstrafe. Bei Geldstrafe schreibt Absatz 4 Satz 3 vor, dass Zahl und Höhe der Tagessätze in die Urteilsformel aufzunehmen sind. Der Gesamtbetrag, der sich aus der Höhe des einzelnen Tagessatzes und der Zahl der Tagessätze ergibt, wird nicht in den 237 Seit der Streichung des Absatzes 4 Satz 5 durch das 23. StrÄndG gilt dies ausnahmslos; vgl. KK/Ott 36; KMR/Stuckenberg 62; Meyer-Goßner/Schmitt 29; vgl. auch Rn. 102.

238 BGHSt 34 138, 142 ff., 146. 239 BGHSt 37 160 mit Anm. Schüler-Springorum StV 1991 561. 240 OLG Köln JR 1969 392 mit Anm. Koffka; KMR/Stuckenberg 62; Meyer-Goßner/Schmitt 31; SK/Velten 29.

241 BGHSt 7 322 („ein halber Monat“). 242 Vgl. BayObLG NJW 1976 1951; KK/Ott 37; KMR/Stuckenberg 63; Meyer-Goßner/Schmitt 33; SK/Velten 30; krit. Blei JA 1976 801; vgl. ferner die Kommentare zu §§ 38, 39 StGB. 243 BGHSt 39 121, 123 f. mit Anm. Meurer JR 1993 250; BGH NJW 1997 878; NStZ 2000 194; HK/Julius/ Beckemper 15; KK/Ott 33; KMR/Stuckenberg 46; Meyer-Goßner/Schmitt 33; MüKo/Maier 305; OK-StPO/ Eschelbach 25; Radtke/Hohmann/Gorka 54; SK/Velten 26; SSW/Franke 12; vgl. BVerfGE 86 288, dazu Meurer JR 1992 441. 244 BGH NJW 1993 2001; MüKo/Maier 305; SK/Velten 26. 245 BGH NStZ 2000 194. 246 HK/Julius/Beckemper 15; Meyer-Goßner/Schmitt 33; MüKo/Maier 305; auch nicht in den Gründen, BGH StV 2003 17; StraFo 2003 208.

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Urteilsspruch aufgenommen;247 desgleichen erübrigt sich die Angabe der Ersatzfreiheitsstrafe. Ihr Umfang ist jetzt bereits durch § 43 StGB festgelegt.248 Bewilligte Zahlungserleichterungen (§ 42 StGB) sind anzuführen.249 d) Gesamtstrafe. Wird bei Tatmehrheit nach §§ 53, 54 StGB auf eine Gesamtstrafe 91 erkannt, ist nur diese in den Urteilsspruch aufzunehmen.250 Die Anführung der Einzelstrafen im Urteilsspruch ist zwar nicht unzulässig,251 aber unüblich, denn sie würde den Urteilsspruch oft unübersichtlich und schwerfällig machen; es genügt, dass die Einzelstrafen in den Urteilsgründen ausgewiesen werden. Im Einzelfall kann es jedoch geboten sein, eine Einzelstrafe im Tenor aufzuführen, etwa wenn die Verurteilung wegen Beleidigung mehrerer Personen ergeht, denen nach § 200 StGB Veröffentlichungsbefugnis zugesprochen wird; ebenso, wenn Einzelstrafen im Rechtsmittelzug geändert werden.252 Werden Freiheitsstrafe und Geldstrafe nicht zu einer Gesamtstrafe zusammenge- 92 fasst, so darf auch nicht für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe eine aus der Freiheitsstrafe und der Ersatzfreiheitsstrafe gebildete Gesamtstrafe festgesetzt werden.253 Treffen mehrere Straftaten zusammen, bei denen jeweils Freiheitsstrafe und Geldstrafe getrennt festgesetzt werden müssen, so sind aus Freiheitsstrafen und Geldstrafen gesonderte Gesamtstrafen zu bilden,254 nicht dagegen, wenn mehrere Freiheits- und Geldstrafen zu einer einzigen Gesamtfreiheitsstrafe zusammengezogen werden.255 Bereits rechtskräftig erkannte Einzelstrafen einer früher verhängten Gesamtstrafe, 93 die unter Auflösung der früheren Gesamtstrafe gemäß § 55 StGB in eine neue einbezogen werden, bestehen als solche in dieser fort. Durch die neue Gesamtstrafenbildung entfällt nur die frühere Gesamtstrafe, nicht aber das frühere Urteil256 und die darin festgesetzten Einzelstrafen. Diese werden so, wie sie rechtskräftig festgesetzt sind, in die neue Gesamtstrafe einbezogen.257 Der Urteilstenor muss neben dem Wegfall der früheren Gesamtstrafe eindeutig erkennen lassen, welche Einzelstrafen aus der früheren Verurteilung in die neu gebildete Gesamtstrafe einbezogen worden sind. Neben der neuen Gesamtstrafe bleiben nach § 53 Abs. 2 Satz 1 StGB nicht einbezogene Geldstrafen und die nicht in die Gesamtstrafe einzubeziehenden Nebenfolgen bestehen.258 Sie müssen aber

247 KK/Ott 38; KMR/Stuckenberg 64; Meyer-Goßner/Schmitt 34; MüKo/Maier 318; OK-StPO/Eschelbach 25; Radtke/Hohmann/Gorka 56; SK/Velten 31; Göhler NJW 1974 829; Zipf JuS 1974 139; a. A. HK/Julius/ Beckemper 15; Naucke NJW 1978 407; Vogler JR 1978 353. Vgl. die Kommentare zu § 40 StGB m. w. N. 248 KK/Ott 38; KMR/Stuckenberg 64. 249 RGSt 60 16, 17; KK/Ott 38; KMR/Stuckenberg 64; Meyer-Goßner/Schmitt 34; SK/Velten 31; vgl. die Kommentare zu § 42 StGB. 250 RGSt 25 297, 309; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1951 50, 51; OLG Hamm JR 1979 74 f.; vgl. HK/Julius/ Beckemper 15; KK/Ott 37; KMR/Stuckenberg 66; Meyer-Goßner/Schmitt 36; MüKo/Maier 299; Radtke/Hohmann/Gorka 56; SSW/Franke 12; Eb. Schmidt 17. 251 OLG Hamm JMBlNW 1956 68; KMR/Stuckenberg 66; Roxin/Schünemann § 49, 11. 252 Vgl. OLG Zweibrücken NStZ 2000 610 mit zutr. abl. Anm. Meyer-Goßner/Cierniak 611 f.; dazu auch KK/Ott 37. 253 BayObLGSt 1971 7 = MDR 1971 860; 1971 141 = NJW 1971 2318; vgl. Meyer-Goßner NStZ 1988 529, 530. 254 BGHSt 23 200. 255 BayObLGSt 1971 141 = NJW 1971 2318. 256 Vgl. BGH bei Kusch NStZ 1992 225 Nr. 5: Einbezogen werden nicht das frühere Urteil, sondern die darin ausgesprochenen Strafen; anders bei § 31 Abs. 2 Satz 1 JGG. 257 BGHSt 12 99 f.; BGH bei Kusch NStZ 1992 225; KK/Ott 37; KMR/Stuckenberg 67; Meyer-Goßner NStZ 1988 529, 530. 258 Vgl. KG JR 1986 119 sowie nachf. Fn.

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nicht im Tenor nochmals einzeln aufgeführt werden,259 der pauschale Hinweis, dass sie aufrechterhalten bleiben, genügt. Sind sie allerdings durch Zeitablauf bereits erledigt, wie etwa eine im früheren Urteil ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis, ist dies auszusprechen.260 Strittig ist, wie bei der nachträglichen Bildung einer Gesamtgeldstrafe Tagessätze unterschiedlicher Höhe zusammenzufassen sind.261 Müssen in eine neu zu bildende einheitliche Jugendstrafe mehrere rechtskräftige frühere Verurteilungen mit einbezogen werden (§ 31 Abs. 2 JGG), müssen die Urteile, deren Sanktionen übernommen wurden, im Urteilstenor aufgeführt werden.262 Das erkennende Gericht darf eine ihm mögliche Gesamtstrafenbildung nicht dem 94 nachträglichen Beschlussverfahren gemäß § 460 überlassen.263 Etwas anderes kann gelten, wenn die Einbeziehung weiterer Strafen den Abschluss des Verfahrens verzögernde Ermittlungen (Aussetzung) erfordern würde264 oder wenn der Bestand der einzubeziehenden Einzelstrafen wegen eines aussichtsreichen Wiedereinsetzungsantrags zweifelhaft ist.265 In solchen Fällen muss das Urteil in den Gründen darlegen, warum es von der Einbeziehung absieht. Das Schweigen zu einer nach der Sachlage naheliegenden Einbeziehung einer früheren Verurteilung könnte sonst als sachlich-rechtlicher Mangel des Urteils gewertet werden.266 Wegen der weiteren Einzelheiten vgl. bei § 460. 95

e) Vorbehaltene Sicherungsverwahrung. Bleibt die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten gemäß § 66a StGB, ist dies im Urteilstenor hinter dem Schuldspruch und der Angabe der vom Gericht verhängten Strafen und sonstigen Rechtsfolgen in einem weiteren Satz oder Halbsatz anzufügen (Absatz 4 Satz 4).267 Ein Nachverfahren nach § 275a über die Sicherungsverwahrung ist nur zulässig, wenn dieser Vorbehalt im Urteilsspruch ausgedrückt ist; andernfalls wäre die Strafklage auch hinsichtlich einer nicht ausdrücklich vorbehaltenen Rechtsfolge verbraucht. Werden Rechtsfolgen für verschiedene Taten verhängt, muss der Urteilstenor klarstellen, wegen welcher der abgeurteilten Taten die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten wird. Nur diese ist dann Gegenstand des Nachverfahrens nach § 275a.

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f) Aussetzung zur Bewährung. Die Aussetzung einer Strafe (§ 56 StGB) oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung (§§ 67b, 70a StGB) zur Bewährung ist im Urteilsspruch ausdrücklich anzuordnen (Absatz 4 Satz 4). Schweigt der Urteilsspruch darüber, so bedeutet das, dass die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt ist. In den Urteilsspruch gehört nur die Anordnung der Aussetzung. Die Dauer der Bewährungsfrist und etwaige Bewährungsauflagen (§§ 56a ff., 68a ff. StGB) sind in einem gesondert zu verkündenden Beschluss (§ 268a) festzulegen.268

259 Vgl. BGH NJW 1979 2133; BGH 6.11.1984 – 4 StR 549/84; MüKo/Maier 301; SK/Velten 32; MeyerGoßner NStZ 1988 529, 530. 260 BGH bei Meyer-Goßner NStZ 1988 529, 530 Fn. 15; MüKo/Maier 302; Fischer § 55, 29, 38. 261 Vgl. die Kommentare zu § 55 StGB, etwa Fischer § 55, 25 ff. 262 Vgl. BGH bei Holtz MDR 1992 933 sowie die Kommentare zu § 31 JGG. 263 BGHSt 12 1; dazu Fitzner NJW 1966 1206; BGHSt 23 98; 25 382; 32 190; 35 208; OLG Stuttgart Justiz 1968 233; KMR/Stuckenberg 58; a. A. Bohnert GA 1994 110; vgl. die Kommentare zu § 55 StGB m. w. N. 264 RGSt 34 267; 37 284; BGHSt 12 1, 10; 23 98 mit Anm. Küper MDR 1970 885, OLG Hamm NJW 1970 1200 mit Anm. Küper NJW 1970 1559; KMR/Stuckenberg 58. 265 BGHSt 23 98 mit Anm. Küper MDR 1970 885. 266 BGHSt 23 98; OLG Stuttgart Justiz 1968 233. 267 Meyer-Goßner/Schmitt 30a; Meyer-Goßner/Appl 103a. 268 KK/Ott 39; KMR/Stuckenberg 68; SK/Velten 35.

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g) Verwarnung mit Strafvorbehalt. Bei Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) 97 ist sowohl die Verwarnung als auch der Vorbehalt einschließlich der bereits bestimmten Strafe in den Urteilsspruch aufzunehmen.269 Die Nebenentscheidungen über Bewährungszeit und Auflagen (§ 59a StGB) bleiben einem Beschluss nach § 268a vorbehalten. Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 Abs. 1 Satz 2. h) Absehen von Strafe. Wird von Strafe abgesehen (§§ 46a, 60 StGB), so ist das im 98 Urteilsspruch neben dem Schuldspruch zum Ausdruck zu bringen (Absatz 4 Satz 4).270 Die Pflicht, die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 465 Abs. 1 Satz 2), ist ebenfalls auszusprechen.271 Sinngemäß dasselbe gilt für die Straffreierklärung gem. § 199 StGB (zur Kostenentscheidung vgl. § 468). i) Anrechnung der Untersuchungshaft. Die Anrechnung der Untersuchungshaft 99 und anderer Freiheitsentziehungen auf die festgesetzte Freiheits- oder Geldstrafe braucht das Gericht nicht mehr ausdrücklich anzuordnen, da dies nunmehr kraft Gesetzes allgemein vorgeschrieben ist (§ 51 StGB).272 Ein deklaratorischer Ausspruch ist rechtlich unwirksam und somit überflüssig.273 Die Anrechnung kraft Gesetzes ist Aufgabe der Strafvollstreckungsbehörde. Dies gilt auch, wenn mehrere Gesamtfreiheitsstrafen verhängt werden,274 wenn die Untersuchungshaft für eine nicht zur Verurteilung führende Tat bereits beendet war, bevor die abgeurteilte Tat begangen wurde,275 oder wenn eine einbezogene rechtskräftige Freiheitsstrafe bereits verbüßt ist.276 Eine besondere richterliche Entscheidung in der Urteilsformel ist nur dann notwen- 100 dig, wenn ausnahmsweise eine konstitutive Entscheidung ergeht, so wenn das Gericht abweichend von der Regel die Nichtanrechnung anordnet,277 oder wenn es den Maßstab für die Anrechnung einer Freiheitsentziehung im Ausland nach § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB nach seinem Ermessen zu bestimmen hat,278 und zwar auch bei Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe.279 Einer Anordnung bedarf es ferner, wenn Zweifel über die Art und Weise der Anrechnung bestehen können. Beispiele: Es werden mehrere Freiheitsstrafen oder verschiedenartige Strafen (Geld- und Freiheitsstrafen) nebeneinander verhängt und es muss über die Anrechnung auf die verschiedenen Strafen entschieden werden280 oder bei einer die Freiheitsstrafe übersteigenden Dauer der Untersuchungs269 KMR/Stuckenberg 69; MüKo/Maier 307 f.; SK/Velten 35; Meyer-Goßner/Appl 117. 270 KK/Ott 40; KMR/Stuckenberg 70; Meyer-Goßner/Schmitt 37; MüKo/Maier 308; Meyer-Goßner/Appl 113.

271 Vgl. OLG Hamm VRS 5 (1953) 399, 400; ferner bei § 465. 272 BGHSt 24 29, 30; 27 287, 288; BGH GA 1972 366; NStZ 1983 524; KK/Ott 41; KMR/Stuckenberg 71; Meyer-Goßner/Schmitt 35; MüKo/Maier 311 f.; Radtke/Hohmann/Gorka 58; SSW/Franke 12; Mösl NStZ 1983 494; a. M. Dreher MDR 1970 965, 966. 273 BGHSt 27 287, 288. 274 BGHR § 260 Urteilsspruch 3. 275 BGHSt 28 29 = JR 1979 73 mit Anm. Tröndle; OLG Schleswig NJW 1978 115; a. A. RGSt 58 95; 71 140. 276 BGHSt 21 186 (schon zur früheren Rechtslage); KK/Ott 41. 277 BGHSt 27 287, 288; Horstkotte NJW 1969 1605; vgl. die Kommentare zu § 51 Abs. 1 Satz 2 StGB. 278 BGH GA 1982 470; StV 1982 72; 1985 503; NStZ 1984 214; 1985 21; NJW 1990 228; 2004 3789; BGH 4.7.2007 – 1 StR 298/07; 14.3.2012 – 2 StR 520/11; OLG Oldenburg NJW 1982 2741; 1983 495; KK/Ott 41; KMR/Stuckenberg 72; Meyer-Goßner/Schmitt 35; MüKo/Maier 314 f.; OK-StPO/Eschelbach 25; Radtke/Hohmann/Gorka 58; SK/Velten 33; Meyer-Goßner/Appl 100 f.; Mösl NStZ 1982 454. 279 BGH NJW 2004 3789. 280 BGHSt 24 29, 30; 27 287, 288; BGH bei Dallinger MDR 1970 196; StV 1985 503 f.; OLG Frankfurt NStZ 1990 147; KK/Ott 41; KMR/Stuckenberg 72; SK/Velten 33; Meyer-Goßner/Appl 100.

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haft ist klarzustellen, dass die Strafe nicht durch die Untersuchungshaft in voller Höhe, sondern schon durch die Untersuchungshaft gleicher Zeitdauer verbüßt ist.281 Ist der Angeklagte in zwei getrennten Verfahren verurteilt worden, so ist die Untersuchungshaft, die er im zweiten Verfahren erlitten hat, auf die aus beiden Verurteilungen nach § 55 StGB zu bildende Gesamtstrafe auch dann anzurechnen, wenn sie die Einzelstrafen übersteigt, die in der zweiten Sache verhängt wurden.282 Eines Ausspruchs über die Anrechnung bedarf es auch, wenn die in einem nach § 154 eingestellten Verfahren erlittene Untersuchungshaft auf die in der anderen Sache erkannte Freiheitsstrafe angerechnet werden soll.283 Wird ein Verfahren, für das sich der Angeklagte in Untersuchungshaft befand, später getrennt, so ist bei Freispruch im ersten Urteil die Entscheidung über Haftentschädigung bzw. Anrechnung der Untersuchungshaft einheitlich dem späteren Urteil vorzubehalten.284 Nach § 52a Satz 2, 3 JGG bedarf es einer ausdrücklichen Entscheidung des Tatrichters285 über die Anrechnung der Untersuchungshaft auf Jugendstrafe oder Jugendarrest, wenn diese nicht kraft Gesetzes nach § 52a Satz 1 JGG angerechnet werden soll.286 Die Anrechnung einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis oder einer Be101 schlagnahme oder Sicherstellung des Führerscheins auf ein Fahrverbot oder eine Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis nach § 69a Abs. 4 StGB wird nach § 51 Abs. 5 StGB ebenfalls automatisch vorgenommen, wenn die Urteilsformel nichts Gegenteiliges bestimmt.287 Rechtsfolgen, die durch eine Anrechnungsregelung ausgeglichen und deshalb 102 nicht mehr zu vollstrecken sind, wie eine durch Untersuchungshaft verbüßte Freiheitsstrafe oder ein wegen der Anrechnung der vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung nicht mehr zu vollstreckendes Fahrverbot, sind als solche verhängt und deshalb in die Urteilsformel aufzunehmen.288 Im Tenor ist auszusprechen, welcher bezifferte Teil einer Strafe als Entschädigung 103 für überlange Verfahrensdauer289 oder wegen Nichterstattung erbrachter Leistungen bei Wegfall der Bewährung durch Bildung einer Gesamtstrafe gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB290 als vollstreckt gilt. 104

j) Maßregeln der Besserung und Sicherung. Die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung (§ 61 StGB) ist mit dem abstrakten gesetzlichen Wortlaut in die Urteilsformel aufzunehmen,291 üblicherweise im Anschluss an den Strafausspruch. Zugleich sind die sonstigen Anordnungen zu treffen, soweit diese nach materiellem 281 BGH bei Dallinger MDR 1974 544; KK/Ott 41; SK/Velten 33. 282 BGHSt 3 297; KK/Ott 41. 283 Vgl. BVerfG StV 1999 102 (Anrechnung bei funktionaler Einheit beider Verfahren); anders wohl OLG Oldenburg NdsRpfl. 1984 100; KK/Ott 41; SK/Velten 33. 284 OLG Schleswig SchlHA 1976 71. 285 Nicht des Revisionsrichters, BGH GA 1972 366. 286 Vgl. BGHSt 37 75 mit Anm. Walter/Pieplow NStZ 1991 332 sowie die Kommentare zu § 52a JGG. 287 OLG Köln VRS 44 (1973) 14; KK/Ott 41; KMR/Stuckenberg 71; SK/Velten 33. 288 BGHSt 29 58. 289 BGHSt 52 124, 147; KK/Ott 39a; Meyer-Goßner/Schmitt 35a; s. a. dort Art. 6 MRK 9 f. m. w. N.; MüKo/ Maier 309 f.; Radtke/Hohmann/Gorka 59; SSW/Franke 12. Die bloße Feststellung der Verzögerung muss nicht ausgesprochen werden, BGH NStZ-RR 2009 248; KK/Ott 39a. 290 BGHSt 36 378; BGH 4.9.2012 – 3 StR 334/12 Rn. 2; KK/Ott 39a; Meyer-Goßner/Schmitt 35a; MüKo/ Maier 317. 291 RG HRR 1940 Nr. 50; BGH bei Dallinger MDR 1952 530; KMR/Stuckenberg 73; Meyer-Goßner/Schmitt 38; Meyer-Goßner/Appl 103 ff.

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Recht in den Urteilsspruch und nicht in den besonderen Beschluss nach § 268a gehören oder dem Vollstreckungsverfahren vorbehalten bleiben können.292 Die Anordnung, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist (§ 67 Abs. 2 StGB), ergeht im Urteilsspruch, desgleichen die Bestimmung der Reihenfolge der Vollstreckung nach § 72 Abs. 3 Satz 1 StGB.293 Der Grund der Anordnung („wegen Schuldunfähigkeit“) oder die Anlasstat ist auch im Sicherungsverfahren nicht anzugeben.294 Die Ablehnung eines Antrags auf Anordnung einer Maßregel der Sicherung gehört 105 nur dann in den Urteilsspruch, wenn im selbständigen Sicherungsverfahren der Antrag auf Unterbringung abgelehnt wird (§ 414 Abs. 2 Satz 2). Nur in diesem Falle bildet die Ablehnung des Antrags den einzigen Inhalt der Entscheidung. In allen übrigen Fällen bildet sie nur einen Teil der im Übrigen die Freisprechung oder die Verurteilung aussprechenden Entscheidung, so dass sie nur in den Urteilsgründen zu erörtern ist.295 Enthält aber der andere Entscheidungen umfassende Urteilsspruch nichts über die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung, so bedeutet das Schweigen darüber die Ablehnung eines darauf gerichteten Antrags.296 k) Berufsverbot. Bei einem Berufsverbot nach § 70 StGB muss der Urteilsspruch 106 dessen zeitliche Dauer sowie den Beruf, das Gewerbe oder den Gewerbezweig, dessen Ausübung untersagt wird, genau bezeichnen (Absatz 2),297 auch um den Bestimmtheitsanforderungen des § 145c StGB zu genügen.298 Das Verbot, „sich als Manager zu betätigen“, genügt diesen Anforderungen nicht,299 ebenso wenig das Verbot des,,Kaufmannsgewerbes“300 oder „jeder selbständigen Geschäftstätigkeit“.301 Dagegen kann die Untersagung der Ausübung „des Berufs eines Redakteurs oder Verlegers“,302 „jedweden Handelsgewerbes“303 oder der „Ausübung des Vertreterberufs im weitesten Sinn“304 noch genügen. Es ist zulässig, einem Gewerbetreibenden, der nur in einem Zweig seines Gewerbes Straftaten begangen hat, die Ausübung dieses Gewerbes allgemein zu untersagen. Etwaige Zweifel über die Tragweite eines Berufsverbots hat das Gericht nach § 458 zu entscheiden. l) Einziehung, Wertersatz. Wird auf Einziehung einer Sache oder eines Rechts er- 107 kannt, so sind die betroffenen Gegenstände grundsätzlich in der Urteilsformel aufzuzählen und einzeln so genau zu bezeichnen, dass bei der Vollstreckung ihre zweifelsfreie

292 So die Bezeichnung einer bestimmten Anstalt; vgl. RGSt 70 176, 177; KK/Ott 36; KMR/Stuckenberg 73; MüKo/Maier 319. 293 Meyer-Goßner/Schmitt 38. 294 BGH bei Holtz MDR 1985 449; BGHR § 260 Abs. 4 Satz 1 Sicherungsverfahren 1; KMR/Stuckenberg 73. 295 Fn. 291; KK/Ott 42; KMR/Stuckenberg 73; Meyer-Goßner/Schmitt 38; SK/Velten 34. 296 RG HRR 1940 Nr. 50; BGH bei Dallinger MDR 1952 530. 297 Zur analogen Anwendung im ehrengerichtlichen Verfahren s. BGH NJW 1992 1181. 298 BGH bei Dallinger MDR 1952 530; OLG Karlsruhe NStZ 1995 446 mit Anm. Stree. 299 BGH bei Dallinger MDR 1958 139. 300 BGH bei Dallinger MDR 1956 143; 1958 783. 301 BGH VRS 30 (1966) 275; BGH bei Dallinger MDR 1952 530; ferner BGH bei Dallinger MDR 1974 12 (zu unbestimmt: „Geschäftstätigkeit, die Verfügung über fremde Gelder ermöglicht“); KK/Ott 42; KMR/ Stuckenberg 74; MüKo/Maier 320 f.; SK/Velten 34. 302 BGH NJW 1965 1388, 1389; KK/Ott 42; KMR/Stuckenberg 74; SK/Velten 34. 303 RGSt 71 69; BGH NJW 1958 1404; 1965 1388, 1389; BGH NStZ-RR 2009 384; 2015 16. 304 OLG Celle NJW 1965 265; KMR/Stuckenberg 74; str., vgl. die Kommentare zu §§ 70, 145c StGB.

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Identifizierung möglich ist.305 Dazu kann die Angabe von Art und Menge der einzuziehenden Sachen erforderlich sein.306 Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, insbesondere auch, ob der einzuziehende Gegenstand bereits im amtlichen Gewahrsam ist; dann kann eine Gattungsbezeichnung ausreichen.307 Es kann auch genügen, das „bei der Tat benutzte Messer“ einzuziehen, wenn dieses Messer sichergestellt ist und für alle zweifelsfrei erkennbar ist, dass sich die Anordnung nur auf dieses Messer bezieht. Ist dies dagegen nicht der Fall, dann muss das betreffende Messer so genau beschrieben werden, dass feststellbar ist, an welchem Gegenstand der Staat nach § 75 StGB mit Rechtskraft des Urteils Eigentum erwirbt und worauf sich das Veräußerungsverbot des § 75 Abs. 3 StGB bezieht. Wird ein Kraftfahrzeug eingezogen, sind nach Möglichkeit dessen Zulassungsmerkmale anzuführen.308 Werden mehrere Gegenstände eingezogen, so kann deren Beschreibung in einer (mit zu verkündenden) Anlage zum Urteilsspruch aufgenommen werden.309 Eine Bezugnahme auf „die sichergestellten Gegenstände“310 oder eine in die Anklageschrift aufgenommene Aufstellung dieser Gegenstände311 oder auf ein Asservatenverzeichnis312 ist dagegen nicht zulässig, denn das Urteil muss aus sich heraus verständlich sein. Wird eine Schrift allgemein eingezogen, so müssen der volle Titel und das Impressum dieser Schrift in die Urteilsformel oder die Anlage dazu aufgenommen werden.313 Wird die Einziehung gegen einen Dritten ausgesprochen (§§ 73b, 74a, 74b Abs. 2 108 StGB), so sind dessen Personalien im Urteil genau zu bezeichnen.314 Nur wenn allein der Angeklagte betroffen ist, erübrigt sich dies. Ordnet das Urteil die Einziehung des Wertersatzes an (§§ 73c, 74c StGB), so muss 109 es den Betrag des Wertersatzes in der Urteilsformel angeben.315 Anzugeben ist auch, wenn die Angeklagten als Gesamtschuldner haften.316 Der Vorbehalt der Einziehung ist zugleich mit der Anweisung, die Gegenstände 110 unbrauchbar zu machen oder zu ändern oder über sie in einer bestimmten Weise zu verfügen, in den Fällen des § 74f Abs. 1 Satz 2 StGB in die Urteilsformel aufzunehmen.317 Die zur Vermeidung der Einziehung zu treffenden Maßnahmen sind dabei genau zu bezeichnen.

305 RGSt 70 338, 341; BGHSt 8 205, 211 f.; 9 88, 89; BGH bei Kusch NStZ 1992 226; 1996 22; 2017 88; StraFo 2004 394; 2015 22; KMR/Stuckenberg 75; Meyer-Goßner/Schmitt 39; Meyer-Goßner/Appl 97.

306 Z. B. bei Betäubungsmitteln, BGH NStZ 1993 95; BGH 5.11.2014 – 2 StR 418/14; 30.6.2015 – 3 StR 179/ 15; 1.6.2016 – 2 StR 355/15 Rn. 15; KK/Ott 43; Meyer-Goßner/Appl 97; zu Falschgeld: BGH bei Kusch NStZ 1994 228 Nr. 11. 307 BGHSt 9 88, 90; Meyer-Goßner/Schmitt 39; SK/Velten 36. 308 BGHSt 8 205, 212; SK/Velten 36. 309 BGHSt 9 88, 90; BGH NStZ-RR 2009 384; BGH LM Nr. 28; nach BGH StV 1981 396; bei Pfeiffer NStZ 1981 295 genügt äußerstenfalls die genaue Beschreibung in den Urteilsgründen. 310 BGH bei Dallinger MDR 1954 529; bei Kusch NStZ 1994 228 Nr. 11; bei Becker NStZ-RR 2004 227 Nr. 10; 2015 16; StraFo 2004 394. 311 Vgl. BGH NJW 1962 2019; bei Pfeiffer NStZ 1981 295; NStZ-RR 2009 384; StV 1981 396; BGHR § 260 Abs. 4 Satz 5 Einziehung 1; OLG München GA 1961 59; KMR/Stuckenberg 75; Meyer-Goßner/Schmitt 39; SK/Velten 37; Meyer-Goßner NStZ 1988 529, 530 m. w. N. 312 BGH bei Becker NStZ-RR 2004 227 Nr. 10; Meyer-Goßner/Schmitt 39; SK/Velten 37. 313 BGH NJW 1962 2019; OLG München GA 1961 59; KMR/Stuckenberg 75; vgl. die Kommentare zu § 74d StGB. 314 KK/Ott 43; SK/Velten 36; vgl. die Kommentare zum StGB und bei §§ 424 ff. 315 Vgl. zum früheren Recht BGHSt 8 46, 53; KK/Ott 43; KMR/Stuckenberg 75; SK/Velten 36. 316 BGH NStZ 2012 382; BGH 6.9.2016 – 3 StR 530/15; KK/Ott 43; Meyer-Goßner/Schmitt 39. 317 Vgl. die Kommentare zu § 74f StGB.

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m) Bekanntmachung des Urteils. Wird die Bekanntmachung des Urteils angeord- 111 net, so muss die Urteilsformel so gefasst werden, dass die Vollstreckung keinen Schwierigkeiten begegnet. Wenn Zweifel möglich sind, vor allem, wenn nur ein Teil der Verurteilung veröffentlicht werden soll, ist im Urteilsspruch selbst anzugeben, welche Urteilsteile zur Veröffentlichung bestimmt sind318 und wie diese zu fassen ist. Wird die Veröffentlichung nicht von Amts wegen angeordnet (z. B. im Falle des § 200 Abs. 2 StGB), dann ist der Verletzte, dem die Veröffentlichungsbefugnis zugestanden wird, im Urteil mit Namen zu bezeichnen.319 Die Art der Bekanntmachung ist unter Festlegung des Veröffentlichungsvorgangs nach Inhalt, Form und Frist genau zu bestimmen, etwa beschränkt auf die Beleidigung oder falsche Verdächtigung, wenn noch andere Straftaten tateinheitlich oder -mehrheitlich hinzutreten.320 Dem Verletzten darf nicht die Auswahl unter mehreren Tageszeitungen überlassen bleiben.321 Das Urteil ist ferner so zu fassen, dass von mehreren Verletzten jeder die Veröffentlichung unabhängig von den anderen betreiben kann.322

VIII. Einstellung des Verfahrens (Absatz 3) 1. Allgemeines. Die alte Fassung des § 260 ordnete nur an, dass die Einstellung des 112 Verfahrens auszusprechen sei, wenn bei einer nur auf Antrag zu verfolgenden Straftat sich ergebe, dass der erforderliche Antrag nicht vorliege, oder wenn der Antrag zurückgenommen sei (§ 260 Abs. 2 a. F.). Die auf das Vereinheitlichungsgesetz 1950 zurückgehende Fassung des jetzt geltenden Absatzes 3 trägt den Erkenntnissen Rechnung, zu denen Rechtsprechung und Rechtslehre in der Zwischenzeit hinsichtlich der Lehre von den Verfahrensvoraussetzungen gelangt sind. Die Prozessvoraussetzungen sind in der Einleitung K 35 ff. und bei § 206a, 25 ff. näher erläutert.323 a) Voraussetzungen. Voraussetzung für eine Einstellung durch Urteil nach Absatz 3 113 ist, dass es sich um ein unbehebbares Verfahrenshindernis handelt und die Einstellung in der Hauptverhandlung erfolgt. Außerhalb der Hauptverhandlung ist durch Beschluss gemäß § 206a einzustellen (vgl. § 206a, 5). Ist das Verfahrenshindernis während einer Unterbrechung der Hauptverhandlung entstanden, ist ebenfalls Absatz 3 und nicht § 206a anzuwenden.324 Dass es sich nur um voraussichtlich unbehebbare Verfahrenshindernisse handeln darf, ergibt sich nicht aus § 260 Abs. 3, sondern aus der (entsprechenden) Anwendung des § 205 (Rn. 114). Vorausgesetzt ist weiter, dass kein Fall des Vorrangs der Sachentscheidung vorliegt (Rn. 38 ff.) und dass das Gesetz keine andere Entscheidung vorschreibt wie einen Verweisungsbeschluss wegen sachlicher Unzustän318 319 320 321

BGHSt 10 306, 311. Vgl. RiStBV Nr. 231 Satz 1; BGHSt 3 377, 380; KK/Ott 44; Meyer-Goßner/Appl 96. RG JW 1937 3301; BGHSt 3 377, 380; 10 306, 311 f.; BayObLGSt 1961 141 f.; KMR/Stuckenberg 76. BayObLGSt 1954 71; KK/Ott 44; KMR/Stuckenberg 76; Meyer-Goßner/Schmitt 40; Radtke/Hohmann/ Gorka 62; SK/Velten 38. 322 RG DR 1941 1402 f.; BayObLGSt 1961 141; OLG Hamm NJW 1974 466; KK/Ott 44; KMR/Stuckenberg 76; Radtke/Hohmann/Gorka 62; SK/Velten 38. 323 Zahlreiche Beispiele auch bei KK/Ott 47; MüKo/Maier 116 ff.; grundsätzlich SK/Velten 41 ff., Beispiele 55 ff. 324 Vgl. § 206a, 5 m. w. N.; KG NStZ 1993 297; NJW 1993 673, 674 mit Anm. Jahntz NStZ 1993 298; Bartlsberger DVBl 1993 333, 339; MüKo/Maier 102; OK-StPO/Eschelbach 15; Radtke/Hohmann/Gorka 38; SK/Velten 53; a. A. SK/Paeffgen § 206a, 5 m. w. N.; Paeffgen NJ 1993 152, 161; Hohmann NJ 1993 295, 296; Meurer JR 1993 89, 95; diff. HK/Julius/Beckemper 18.

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digkeit (vgl. §§ 270, 328 Abs. 2, 355) oder eine Einstellung durch Beschluss nach §§ 153 Abs. 2, 153a Abs. 2, 154 ff. 114 Nur vorübergehende oder noch zu behebende Verfahrenshindernisse führen auch in der Hauptverhandlung (§ 205, 8) zur vorläufigen Einstellung durch Beschluss in entsprechender Anwendung des § 205. Bei Verfahrenshindernissen, mit deren Behebung in absehbarer Zeit zu rechnen ist, kann es die Prozessökonomie gebieten, das Verfahren nur zu unterbrechen oder auszusetzen,325 um ihre Beseitigung, etwa die Nachholung eines fehlenden Antrags, zu ermöglichen. Bei Unzulässigkeit eines Rechtsbehelfs ist nicht das weitere Verfahren einzustel115 len, sondern der Rechtsbehelf zu verwerfen.326 Eine zu Unrecht auf diesen Rechtsbehelf hin ergangene Sachentscheidung ist aufzuheben, etwa, wenn trotz Rechtskraft eines Strafbefehls aufgrund des verspäteten Einspruchs eine Sachentscheidung erlassen worden ist.327 Wird dagegen in Unkenntnis der Rücknahme des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid ein Urteil erlassen, so ist die Einstellung des ganzen gerichtlichen Verfahrens möglich, da der Bestand des Bußgeldbescheids dadurch nicht berührt wird.328 b) Umfang der Einstellung. Der Umfang der Einstellung reicht so weit wie die fehlende Prozessvoraussetzung. Sie erfasst aber die jeweilige Straftat im vollen Umfang, auch wenn der Schuldspruch rechtskräftig ist oder nur noch eine Rechtsfolge, wie etwa die Gesamtstrafe, zur Entscheidung offen steht.329 Teileinstellung erfolgt, wenn bei einer von mehreren selbständigen Taten im Sinne des § 264 oder einer von mehreren real konkurrierenden Gesetzesverletzungen (§ 53 StGB) innerhalb der gleichen Tat im verfahrensrechtlichen Sinn die Voraussetzungen für ein Sachurteil fehlen; im Übrigen ergeht Sachentscheidung.330 Betrifft der Mangel dagegen nur eine in Tateinheit stehende Gesetzesverletzung (§ 52 StGB), so entfällt diese, ohne dass im Urteilstenor die Einstellung neben dem verurteilenden Erkenntnis ausgesprochen werden müsste; dabei ist es ohne Bedeutung, ob das Verfahrenshindernis einen milderen oder schwereren rechtlichen Gesichtspunkt betrifft.331 Jedoch ist eine Teileinstellung auszusprechen, wenn sich die Annahme von Tateinheit in der Anklage als verfehlt erweist (vgl. die entsprechende Praxis zum Teilfreispruch, Rn. 54).332 117 Bei irriger Annahme von Tatidentität bedarf es im Hinblick auf eine ohne Anklage oder Eröffnungsbeschluss zum Gegenstand des Strafverfahrens gemachte Straftat neben dem Freispruch wegen der angeklagten, aber nicht erwiesenen Straftat nach einer An-

116

325 RGSt 77 34, 36; BGH NJW 2000 1964, 1965; BayObLGSt 1991 39 = NJW 1991 3292, 3293; OLG Düsseldorf JMBlNW 1961 111; NStZ-RR 1999 304, 305; KK/Ott 46; KMR/Stuckenberg 78; Meyer-Goßner/Schmitt 43; MüKo/Maier 107; Radtke/Hohmann/Gorka 40; SK/Velten 54. 326 OLG Hamm VRS 41 (1971) 381; zur Frage, ob die wirksame Anfechtung eine Verfahrensvoraussetzung des Rechtsmittelverfahrens ist, vgl. bei § 206a, 28. 327 BGH VRS 18 (1960) 157; OLG Karlsruhe DAR 1960 237. 328 OLG Koblenz NJW 1973 2118. 329 BGHSt 8 269 = JZ 1956 417 mit Anm. Jescheck; BGH NJW 1954 1776. 330 OLG Karlsruhe VRS 57 (1979) 114, 115 f. 331 RGSt 52 270 f.; 53 50; 67 233, 235; RG JW 1924 1878 Nr. 7; OGHSt 3 44, 46; BGHSt 7 305, 306 f.; BGH GA 1966 340; BayObLGSt 1963 157; 1976 147, 149; OLG Stuttgart Justiz 1971 147; 1972 107; KMR/Stuckenberg 80; Meyer-Goßner/Schmitt 43; MüKo/Maier 162; OK-StPO/Eschelbach 14; Radtke/Hohmann/Gorka 40. Zum tateinheitlichen Zusammentreffen einer nicht nachweisbaren und einer nicht verfolgbaren Straftat oben Rn. 40 ff., dort auch zur Frage des noch behebbaren Prozesshindernisses (Rn. 44). 332 BGH NJW 2009 2546, 2547.

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sicht keiner ausdrücklichen Einstellung,333 weil nur die angeklagte Tat Prozessgegenstand sei, so dass sich die Frage eines Prozesshindernisses (fehlende Anklage) und einer Einstellung wegen der „festgestellten“ Tat erübrige. Dieses begriffliche Argument ist verfehlt, denn eine Einstellung erklärt ein Verfahren für unzulässig, was nur voraussetzt, dass es ein Verfahren gibt, das nicht fortgeführt werden darf, nicht aber, dass dieses Verfahren auch einen ordnungsgemäßen Gegenstand hatte; vielmehr ist gerade wegen dieses Mangels die Einstellung geboten. Der BGH hält daher zu Recht eine Einstellung für nötig, weil das Verfahren ein ordnungsgemäßes Ende finden müsse und sonst keine Kostenentscheidung getroffen werden könne.334 Einzustellen ist das Verfahren auch, wenn wegen einer Namensverwechslung der Bußgeldbescheid einer falschen Person zugestellt und über dessen Einspruch verhandelt wurde.335 Freispruch und nicht Einstellung ist aber angezeigt, wenn bei einer angeklagten fortgesetzten Handlung die in nichtverjährter Zeit liegenden Tathandlungen nicht erweisbar, die nachgewiesenen aber verjährt sind.336 c) Feststellung von Verfahrenshindernissen. Das Gericht muss von Amts wegen 118 prüfen, ob alle erforderlichen Verfahrensvoraussetzungen vorliegen. Da sie jedoch nicht zu den Tatbestandsmerkmalen gehören, so bedarf es ihrer Erörterung in der Verhandlung nur, wenn hierzu Anlass besteht.337 Soweit das Gericht dazu Feststellungen treffen muss, gilt Freibeweis,338 sofern es sich nicht um eine doppelrelevante Tatsache339 handelt. So ist es dem Ermessen des Gerichts überlassen, in welcher Weise es das Vorhandensein eines Strafantrags feststellen will. Der Antrag muss zwar nicht verlesen werden,340 doch ist dies zweckmäßig, weil er zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht werden muss. Es würde gegen das Gebot zur Gewährung des rechtlichen Gehörs verstoßen, wollte das Gericht das Vorhandensein des Antrags nur im Beratungszimmer aus den Akten entnehmen. Die Strafprozessordnung enthält keine Bestimmungen über den Umfang der Be- 119 weisaufnahme bei Einstellung des Verfahrens, ob alsbald und ohne Eingehen auf die Sache das Urteil gefällt werden darf oder ob vorher die Hauptverhandlung, insbesondere die Beweisaufnahme, vollständig durchgeführt werden muss. Die Frage ist je nach der Art des Hindernisses verschieden zu beantworten: Ist das Hindernis unabhängig von der strafrechtlichen Würdigung der Tat und 120 kann infolgedessen das Ergebnis der die Sache selbst betreffenden Beweisaufnahme die Antwort auf die Frage, ob ein Hindernis vorliegt, nicht beeinflussen, so ist es trotz § 245 333 BayObLGSt 1978 158 = MDR 1979 518 unter teilweiser Aufgabe von BayObLGSt 1970 29; 1974 58; VRS 58 (1980) 432; ferner KG VRS 64 (1983) 42; OLG Koblenz VRS 63 (1982) 372; OLG Stuttgart VRS 71 (1986) 295 (unter Aufgabe der früheren Rspr.); LR/Gollwitzer25 107; KMR/Stuckenberg 81 (die Auffassung gebe ich auf). 334 BGHSt 27 115, 117; 46 130, 136 mit zust. Anm. Krack JR 2001 423; BGH NJW 2006 522, 530 (insoweit nicht in BGHSt 50 331); BayObLGSt 1999 29; OLG Jena 29.6.2003 – 1 Ss 286/03; OLG Oldenburg StraFo 2006 412, 413; Meyer-Goßner/Schmitt 45. 335 OLG Karlsruhe Justiz 1985 211. 336 BayObLGSt 1963 4; 52; KMR/Stuckenberg 68. 337 RGRspr. 4 207. 338 Vgl. § 206a, 35, 91. BGHSt 14 137, 139; 16 164, 166 m. w. N.; 21 81; OLG Frankfurt NJW 1983 1208, 1209; OLG Karlsruhe GA 1985 134 f.; KK/Ott 48; KMR/Stuckenberg 78; MüKo/Maier 156 f.; OK-StPO/Eschelbach 15; Radtke/Hohmann/Gorka 40; a. A. SK/Velten 51; Roxin/Schünemann § 21, 23; Többens NStZ 1982 184, 185 ff. m. w. N. 339 Vgl. LR/Becker § 244, 34 f.; Meyer-Goßner/Schmitt § 244, 8 m. w. N. 340 RGSt 4 264.

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statthaft, alsbald das Urteil zu fällen; ebenso darf nach § 206a das Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung durch Beschluss eingestellt werden, wenn ohne Durchführung der Hauptverhandlung ein Verfahrenshindernis einwandfrei festgestellt werden kann (§ 206a, 5). 121 Anders verhält es sich, wenn das Hindernis von der strafrechtlichen Würdigung der Sache abhängt und eine Abweichung des Urteils von der Würdigung des Sachverhalts im Eröffnungsbeschluss möglich wäre. In solchen Fällen müsste streng genommen die Beweisaufnahme stets durchgeführt werden, da rechtlich die Möglichkeit niemals auszuschließen ist, dass sie zu einer anderen Beurteilung der Tat führt (§ 264). Doch würde es dann vielfach zu nutzlosen Beweisaufnahmen kommen. Es ist deshalb richtig, auch in solchen Fällen die sofortige Urteilsfällung zuzulassen, sofern das Gericht nach Prüfung der Akten keinen Anhalt für die Annahme findet, es könne die Beweiserhebung eine veränderte Würdigung der Tat zur Folge haben. Das Gericht ist auch durch § 245 Abs. 1 nicht genötigt, einen für die Vorfrage bedeutungslosen Beweis nur deshalb zu erheben, weil die Beweismittel zur Stelle sind. Ob ein Antrag nach § 245 Abs. 2 abgelehnt werden kann, weil jeder Zusammenhang mit dem Gegenstand der Urteilsfindung fehlt, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls.341 § 245 greift aber ein, wenn und soweit sich die Beweismittel auf Tatsachen beziehen, auf die es bei der Entscheidung der Vorfrage ankommen kann. Sind einzelne abtrennbare Teile einer fortgesetzten Handlung nach § 154a Abs. 1 und 2 vorläufig ausgeschieden worden, so müssen sie wieder einbezogen werden, wenn anderweitig die Verjährung der fortgesetzten Tat nicht abschließend beurteilt werden kann.342 Wieweit das Verfahren fortzusetzen ist, wenn die Voraussetzungen eines Straffrei122 heitsgesetzes gegeben sind, richtet sich mitunter nach den speziellen Vorgaben des jeweiligen Gesetzes.343 Zur Frage des Übergangs vom Strafverfahren zum Sicherungsverfahren vgl. bei § 416. 123

d) Wirkung der Einstellung. Die Einstellung im Urteil nach § 260 Abs. 3 beendet das anhängige Strafverfahren hinsichtlich der vom Verfahrenshindernis betroffenen prozessualen Taten insgesamt (vgl. § 206a, 100 f.); eine Beschränkung der Einstellungswirkung durch einen entsprechenden Zusatz im Urteilstenor auf einzelne Verfahrensabschnitte ist nicht möglich.344 Das Einstellungsurteil stellt nur das Verfahrenshindernis fest, ist folglich Prozessurteil und somit der formellen, aber nicht der materiellen Rechtskraft fähig, verbraucht also die Anklage nicht (Rn. 13). Eine beschränkte materielle Sperrwirkung kommt dem unanfechtbar gewordenen Einstellungsurteil insofern zu, als es bindend feststellt, dass im Zeitpunkt seines Erlasses der Sachentscheidung ein bestimmtes Prozesshindernis entgegenstand,345 auch wenn diese Feststellung unrichtig ist. Auf welches Prozesshindernis sich diese Entscheidung bezieht und ob die Sachentscheidung dadurch endgültig oder nur vorübergehend ausgeschlossen ist, muss den Urteilsgründen entnommen werden. Hieraus ergibt sich, ob die Bindungswirkung des 341 342 343 344

Vgl. LR/Becker § 245, 73. BGH NJW 1980 2821; vgl. auch bei § 154a. Wegen weiterer Einzelheiten vgl. bei § 206a, 57. BayObLGSt 1985 52, 56 mit Anm. Ranft JR 1986 432, 434; zweifelnd OLG Köln NJW 1962 1358; dazu § 207, 85 ff. m. w. N. 345 Vgl. § 206a, 112 ff. m. w. N. sowie RGSt 32 50, 52; BGHSt 18 1, 5; 32 209; BayObLGSt 1985 52, 56; LR/ Gollwitzer25 115 m. Fn. 273; MüKo/Maier 174; OK-StPO/Eschelbach 15; Radtke/Hohmann/Gorka 44; SK/ Velten 59; SK/Paeffgen § 206a, 31 ff. m. w. N.; SK/Frister Vor § 359, 16; KMR/Sax6 Einl. XIII 12; Gössel § 33 E III a 2; Peters § 54 III 2; Roxin/Schünemann § 50, 18; Schlüchter 601; Többens NStZ 1982 184, 186.

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rechtskräftigen Einstellungsurteils jedes neue Verfahren hindert oder ob nach Wegfall des Hindernisses ein neues Verfahren wegen des von der Einstellung umfassten Vorwurfs möglich ist. Bei einem unbehebbaren Verfahrenshindernis wie Verjährung oder Ablauf der Strafantragsfrist wirkt das Einstellungsurteil wie ein die Strafklage verbrauchendes Urteil.346 Wird hingegen die fehlende Verfahrensvoraussetzung nachträglich geschaffen,347 steht das Einstellungsurteil einer neuen Anklage nicht entgegen. Das Einstellungsurteil kann aber zugleich eine im Tenor nicht zum Ausdruck ge- 124 kommene Sachentscheidung mit umfassen, etwa, wenn das Gericht ein ideell konkurrierendes, weniger schwerwiegendes Delikt sachlich geprüft und nicht für erwiesen gehalten hat, da die überwiegende Meinung hier eine Einstellung statt Freispruch für angebracht hält.348 Insoweit erledigt auch ein formell nur auf Einstellung lautendes Urteil die Strafklage endgültig. Die Tat, deren Nichterweislichkeit in den Urteilsgründen festgestellt ist, kann später nicht erneut angeklagt werden,349 wohl aber die sachlich damit zusammentreffende Straftat, hinsichtlich der das Verfahren eingestellt wurde. Dass es sich hierbei um ein und dieselbe Tat im verfahrensrechtlichen Sinn handelt, steht nach der wohl herrschenden Meinung dieser Aufspaltung nicht entgegen. Die Verzehrwirkung der materiellen Rechtskraft reicht nicht weiter als die Befugnis des Gerichts zur Sachentscheidung. Sie umfasst daher zwar die im Urteil mitenthaltene oder die bei Ausschöpfung des Verfahrensgegenstands (§ 264) mögliche Sachentscheidung,350 nicht aber den wegen eines Verfahrenshindernisses davon ausgenommenen Tatteil.351 Der Ablauf der Frist für die Verfahrensverjährung nach § 78b StGB wird auch durch 125 ein Einstellungsurteil gehemmt.352 Stellt erst das Revisionsgericht das Verfahren wegen Verjährung ein, bleiben die Feststellungen bindend, falls sie nicht auch aufgehoben sind.353 Die Wirkung eines auf Einstellung lautenden Urteils hat auch ein unangefochten bleibender, in der Hauptverhandlung ergehender Beschluss des erkennenden Gerichts, durch den es sich sachlich und örtlich für unzuständig erklärt.354 2. Fassung der Urteilsformel. Der Urteilstenor lautet nur auf Einstellung des Ver- 126 fahrens, ohne Schuldspruch355 oder weitere Zusätze. Weder wird der Grund der Einstellung in die Urteilsformel aufgenommen356 noch Bedingungen oder Befristungen,357 falls das Gericht für möglich hält, dass eine im Zeitpunkt der Urteilsfällung fehlende Verfahrensvoraussetzung später vorliegen könne. Es genügt, dass aus den Urteilsgründen hervorgeht, dass und welches Hindernis der Sachentscheidung zur Zeit entgegensteht. Das Einstellungsurteil muss ferner eine Entscheidung über die Kosten (§ 464 Abs. 1, §§ 467,

346 BayObLG VRS 77 (1989) 136; HK/Julius/Beckemper 20; KK/Ott 49; KMR/Stuckenberg 83; Meyer-Goßner/Schmitt 48; MüKo/Maier 174; Radtke/Hohmann/Gorka 44; SK/Velten 59. 347 Vgl. § 206a, 114 m. w. N.; KK/Ott 49; SK/Velten 59. 348 Vgl. Rn. 40 ff.; s. a. BGHSt 18 383, 384 f. (Verweisungsbeschluss mit Freispruchscharakter). 349 RGSt 46 363, 368 ff.; 66 51, 54; BGH LM § 207 StPO Nr. 5; BGH wistra 1986 69; BayObLGSt 1985 52, 56 mit Anm. Ranft JR 1986 432; BayObLG VRS 77 (1989) 136; OLG Frankfurt NStZ 1987 573 f.; OLG Köln NJW 1962 1358; 1981 2208. 350 Vgl. dazu Peters ZStW 68 (1956) 374, 386 ff. 351 RGSt 32 57; 37 88; 46 368; BGHSt 18 1, 5; Eb. Schmidt I 269. 352 BGHSt 32 209. 353 BGHSt 41 305. 354 BGHSt 18 1, 5; Hanack JZ 1972 313; vgl. § 204, 23. 355 BGHSt 20 225 f. 356 RGSt 42 152, 155; MüKo/Maier 165; SK/Velten 58. 357 RGSt 4 211; 52 259, 264; KMR/Stuckenberg 84; SK/Velten 58.

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470) sowie ggf. über eine Entschädigung (§ 8 StrEG) enthalten. Je nach Lage des Einzelfalls müssen zugleich die in Rn. 49 genannten Beschlüsse ergehen.

IX. Liste der angewandten Strafvorschriften (Absatz 5) 127

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1. Allgemeines. Zur Entlastung der Urteilsformel vom Paragraphenwerk und zur Erleichterung einer zuverlässigen Erfassung des Urteils im Bundeszentralregister (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 6, § 20 BZRG) und anderen Registern schreibt Absatz 5 vor, dass nach der Urteilsformel die angewandten Gesetzesbestimmungen aufgeführt werden.358 Im Bußgeldverfahren gilt Absatz 5 Satz 1 entsprechend (§ 72 Abs. 4 Satz 2 OWiG). Die Liste gehört weder zum Tenor noch zu den Urteilsgründen,359 sondern ist selbständiger, vom Gericht in der Beratung ebenfalls zu beschließender Bestandteil des schriftlichen Urteils, der seinen Platz „nach der Urteilsformel“ (Absatz 5 Satz 1) und vor den Gründen360 hat. Folglich wird die Liste weder gemäß § 268 Abs. 2 Satz 1 verkündet361 noch anderweitig, etwa im Rahmen der mündlichen Urteilsbegründung, bekanntgegeben.362 Üblich, aber nicht notwendig, ist es, die Liste schon in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen. Sie muss bei der Urteilsverkündung nicht schriftlich vorliegen, sondern kann erst später zusammengestellt werden. Zweckmäßig und auch zur Selbstkontrolle des Gerichts hilfreich ist es allerdings, die Vorschriften bereits bei der Beratung niederzuschreiben, denn in die Liste sind diejenigen Vorschriften genau und detailliert aufzunehmen, auf die das Gericht bei der Beratung sein Urteil gestützt hat.363 Die Unterschrift der Richter unter dem Urteil bestätigt auch die Übereinstimmung der Aufstellung mit dem Beratungsergebnis.364 Anzugeben sind die angewendeten Rechtsvorschriften genau nach Gesetz, Paragraphen, Absatz, Nummer, Buchstabe oder sonstiger für die genaue Kennzeichnung vom Gesetzgeber verwendeter Bezeichnung (Artikel, Abschnitt u. a.). Das angewandte Gesetz muss mit der vom Gesetzgeber vorgesehenen oder, wenn eine solche fehlt, einer allgemein üblichen Kurzbezeichnung oder Abkürzung angegeben werden; jedoch darf die Eindeutigkeit und Verständlichkeit der Aussage darunter nicht leiden. Bei mehreren Angeklagten ist für jeden eine gesonderte Liste zu erstellen. Nur wenn die anzuführenden Vorschriften bei den Angeklagten vollständig übereinstimmen, ist eine Zusammenfassung vertretbar.365 Nicht aufzunehmen sind in allen Fällen solche Vorschriften, die nicht die Besonderheiten des jeweiligen Falls charakterisieren, sondern bei Verurteilung zu Freiheitsoder Geldstrafe stets geltende allgemeine Grundsätze enthalten, wie etwa die allgemeinen Klassifizierungen des § 12 StGB, das Vorsatzerfordernis des § 15 StGB, die Grundbe358 Krit. Peters Der neue Strafprozeß 177 („welcher Paragraphenwust“). 359 BGH NStZ-RR 1997 166; BGH 18.7.2007 – 2 StR 280/07; Meyer-Goßner/Schmitt 51; Radtke/Hohmann/ Gorka 63; SK/Velten 61; SSW/Franke 12.

360 OLG Karlsruhe VRS 54 (1978) 68, 70; 58 (1980) 263. 361 HK/Julius/Beckemper 21; KK/Ott 52; KMR/Stuckenberg 85; Meyer-Goßner/Schmitt 51; OK-StPO/ Eschelbach 29; SK/Velten 61; Grauham DRiZ 1975 171.

362 BGH NStZ-RR 1997 166; MüKo/Maier 332; OK-StPO/Eschelbach 29; Radtke/Hohmann/Gorka 63; SK/ Velten 61. 363 Vgl. Meyer-Goßner NStZ 1988 529, 530; Meyer-Goßner/Schmitt 52; SK/Velten 62 (Beurkundung in der Sitzungsniederschrift zweckmäßig, aber nicht notwendig). 364 Meyer-Goßner/Schmitt 53; SK/Velten 62; Meyer-Goßner NStZ 1988 529, 530. 365 HK/Julius/Beckemper 24; KK/Ott 55; KMR/Stuckenberg 86; Meyer-Goßner/Schmitt 55; MüKo/Maier 335; SK/Velten 64; vgl. Nr. 141 Abs. 1 Satz 4 RiStBV.

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stimmungen der Freiheitsstrafe (§§ 38, 39 StGB) und Geldstrafe (§§ 40, 43 StGB) sowie die Strafzumessungs- und Anrechnungsregeln der §§ 46, 47, 49, 51 Abs. 1 Satz 1 StGB.366 Die für Annexentscheidungen maßgebenden Vorschriften sind auch nicht in die Liste aufzunehmen. Dies gilt für die Vorschriften über die Verfahrenskosten (§§ 464 ff.) ebenso wie für die Entscheidung über die Entschädigung und für die Bestimmungen, auf die sich die zugleich mit dem Urteil verkündeten Beschlüsse stützen.367 2. Bei Verurteilungen. Bei Verurteilungen sind hintereinander zunächst die den 132 Schuldspruch und (ohne Abtrennung) anschließend die den Rechtsfolgenausspruch tragenden Vorschriften aufzuführen. Bezogen auf den Schuldspruch sind zunächst die Straftatbestände – bei Blankettgesetzen auch die ausfüllende Norm368 – mit den einschlägigen Modalitäten (wie vorsätzliche oder fahrlässige Begehensweise bei § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2 StGB), Qualifikationen und Privilegierungen (z. B. §§ 244, 248a StGB), Strafschärfungs- und -milderungsgründen (z. B. §§ 213, 243 StGB) anzugeben, sodann Vorschriften des Allgemeinen Teils des StGB, soweit sie zusätzlich zur Kennzeichnung des Unrechts und der Schuld der konkreten Tat nötig sind, wie z. B. Verhaltensform (§ 13 StGB), Versuch (§ 22 StGB), Beteiligungsform (§§ 25 Abs. 2, 26, 27, 30 StGB) und Konkurrenzen (§§ 52, 53 StGB). Bei Wahlfeststellung sind die alternativen Tatbestände anzuführen. Die für die Bestimmung der Rechtsfolgen maßgebenden besonderen Vorschriften 133 müssen anschließend in der Liste ausgewiesen werden; allgemeine Grundsätze werden nicht aufgenommen (Rn. 131). Im Einzelnen sind aufzunehmen: bei Geldstrafe die §§ 41, 42 StGB; besondere Schärfungs- oder Milderungsvorschriften, etwa die Vorschriften, die eine Strafmilderung nach § 49 StGB vorsehen wie §§ 16 Abs. 2, 17 Satz 2, 21, 35 Abs. 2 StGB; bei Anrechnung einer Freiheitsentziehung auf die Strafe auch § 51 Abs. 1 Satz 2 oder § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB; die Bewährungsaussetzung nach § 56 StGB; die besondere Schwere der Schuld gemäß § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB; § 59 StGB bei Verwarnung mit Strafvorbehalt und § 60 bzw. § 46a StGB, wenn das Gericht von Strafe abgesehen hat; die Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßregeln nach §§ 44, 45, 61 ff.; 73 ff.; 165, 200 StGB; der Vorbehalt nach § 66a StGB, Anordnungen nach §§ 67 Abs. 2, 72 Abs. 3 StGB; im Fall des § 21 Abs. 1 Satz 2 OWiG auch die subsidiäre Bußgeldvorschrift. Bei Verurteilungen zu einer zwei Jahre nicht übersteigenden Freiheits- oder Gesamt- 134 freiheitsstrafe ist nach der ausdrücklichen Regelung in Absatz 5 Satz 2 außerdem § 17 Abs. 2 BZRG in die Liste aufzunehmen, wenn die Tat oder der nach seiner Bedeutung überwiegende Teil der Taten aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurde.369 3. Bei Freispruch. Bei einem Freispruch sind die Vorschriften, auf die sich die An- 135 klage stützt, nicht angewendet worden. Sie sind deshalb nicht in der Liste anzuführen. Beruht der Freispruch dagegen auf Schuldunfähigkeit, so ist § 20 StGB anzugeben (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 BZRG). Aufzunehmen sind ferner die Vorschriften, die für Rechtsfolgen bestimmend sind, die neben einem Freispruch verhängt werden, wie etwa Maßregeln der Besserung und Sicherung, Verfall, Einziehung u. a.370 366 KMR/Stuckenberg 90; Meyer-Goßner/Schmitt 58; SK/Velten 65. 367 KK/Ott 53; KMR/Stuckenberg 90; Meyer-Goßner/Schmitt 59; MüKo/Maier 333; Meyer-Goßner/Appl 192.

368 KMR/Stuckenberg 87; Meyer-Goßner/Schmitt 57; SK/Velten 65. 369 Vgl. dazu OLG Stuttgart NStZ-RR 2001 343 f. 370 KK/Ott 54; KMR/Stuckenberg 88; Meyer-Goßner/Schmitt 60; MüKo/Maier 338; SK/Velten 66.

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4. Bei Einstellung. Bei einem Einstellungsurteil (nicht bei Beschlüssen nach §§ 153 Abs. 2, 153a Abs. 2) sind nach dem Wortlaut des Absatzes 5 ebenfalls die angewandten Vorschriften anzuführen. Bei einer Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung sind dies die einschlägigen Verjährungsregelungen, insbesondere § 78 StGB.371 Werden neben der Einstellung Nebenfolgen verhängt, ist deren Rechtsgrundlage (etwa §§ 73 ff. StGB zusammen mit § 76a StGB) anzuführen.372

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5. Richtigstellung der Liste. Die Richtigstellung der Liste bleibt bis zur Absendung an das BZR jederzeit möglich, wenn sie das Beratungsergebnis unvollständig oder unrichtig wiedergibt.373 Das Rechtsmittelgericht darf ebenfalls die vom Erstrichter erstellte Liste berichtigen oder ergänzen, auch wenn es das Rechtsmittel verwirft.374 Wenn es selbst in der Sache entscheidet, hat es die bei der eigenen Entscheidung angewandten Vorschriften anzugeben, wobei eine eigene Liste zur Klarstellung zweckmäßig ist. Bei Urteilsteilen, die nicht angefochten sind, ist dem Rechtsmittelgericht eine Berichtigung möglich, um die Übereinstimmung mit dem aus Urteilsgründen und Urteilstenor ersichtlichen Beratungsergebnis herzustellen, nicht aber, um einen nicht angefochtenen Urteilsteil rechtlich zu korrigieren.375

X. Revision 138

1. Verstoß gegen Absatz 1. Wird das Urteil, insbesondere nach Wiederaufnahme der Verhandlung, ohne die gebotene (erneute) Beratung erlassen, so kann dieser Verstoß gegen § 260 Abs. 1 und zugleich (vgl. § 258, 54 ff.) gegen §§ 258, 261; Art. 103 Abs. 1 GG mit der Revision gerügt werden;376 in der Regel wird nicht auszuschließen sein, dass das Urteil darauf beruht,377 sofern nicht alle Verfahrensbeteiligten nur ihre früheren Anträge wiederholten oder darauf verwiesen.378 Auch ein bloßer Ausdruck des Bedauerns im letzten Wort kann zumindest den Rechtsfolgenausspruch beeinflusst haben.379 Allerdings kann der Nachweis der fehlenden Beratung schwierig sein, weil selbst der Umstand, dass eine Beratung stattgefunden hat, nach herrschender Meinung nicht protokolliert werden muss (Rn. 11), und folglich dem Freibeweis unterliegt.380 Da das Gesetz keine bestimmte Dauer der Beratung vorschreibt (Rn. 7), die überdies auch nicht in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen ist, kann sie vom Revisionsgericht nicht nachgeprüft werden.381

371 372 373 374

KK/Ott 54; KMR/Stuckenberg 89; Meyer-Goßner/Schmitt 61; MüKo/Maier 338; SK/Velten 67. KMR/Stuckenberg 89; Meyer-Goßner/Schmitt 61; MüKo/Maier 338; SK/Velten 67. KK/Ott 52; KMR/Stuckenberg 94; Meyer-Goßner/Schmitt 62; MüKo/Maier 340; SK/Velten 68. BGH NJW 1979 1259, 1260; 1986 1116, 1117; KK/Ott 56; KMR/Stuckenberg 94; Meyer-Goßner/Schmitt 62; SK/Velten 68. 375 BayObLGSt 1972 1 = MDR 1972 342; OLG Saarbrücken MDR 1975 334; KMR/Stuckenberg 94; SK/ Velten 73; SSW/Franke 14. 376 Zu den Rügeanforderungen s. BGH StV 2011 728. 377 BGHSt 24 170, 172 f.; BGH NJW 1951 206; StV 1987 477; 1991 547 f.; 1992 553; 2006 399; KK/Ott 2; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Maier 24; OK-StPO/Eschelbach 36; SSW/Franke 17. 378 BGH NStZ 1988 470; 2001 106; 2010 650; s. a. OGHSt 2 193, 198 f. 379 BGH NStZ-RR 2002 71 f. 380 Dazu HK/Julius/Beckemper 26; R. Hamm NJW 1992 3147 f. 381 BGHSt 37 141 mit Anm. Rüping NStZ 1991 193; BGH NStZ 2009 105, 106; OK-StPO/Eschelbach 36; SSW/Franke 17.

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2. Unrichtige Urteilsformel. Ist die Urteilsformel unrichtig, so kann dies mit der 139 Verfahrensrüge nach § 260 geltend gemacht werden, wobei die Revisionsbegründung die entsprechenden Tatsachen (§ 344 Abs. 2) vortragen muss.382 Eine unrichtige Urteilsformel ist jedoch auch im Rahmen der Sachrüge zu beachten,383 weil sie auf eine unrichtige Anwendung des sachlichen Rechts hinweisen kann.384 Ein bloßer Bezeichnungsmangel (§ 260 Abs. 4), der nicht zugleich einen sachlichen Mangel der Entscheidung darstellt, kann nicht mit der Revision angegriffen werden.385 Beschränkt sich der Fehler auf die unrichtige Fassung der Urteilsformel, etwa, weil ein gebotener Teilfreispruch unterblieben ist, so kann das Revisionsgericht dies in der Regel richtigstellen, ohne dass deshalb eine Zurückverweisung erforderlich wird,386 auch ein unrichtiger Schuldspruch kann geändert oder ergänzt oder auch nachgeholt werden, sofern eindeutige Feststellungen in den Urteilsgründen dafür ausreichen.387 Mit der Revision kann unter dem Blickwinkel eines Verstoßes gegen § 264 auch geltend gemacht werden, dass das Urteil den Verfahrensgegenstand nicht erschöpft (Rn. 36), weil es einen durch die zugelassene Anklage seiner Kognition unterstellten Sachverhalt übergangen hat oder weil es zu Unrecht seine Entscheidung auf eine Tat erstreckte, die nicht durch eine wirksame Anklage und Eröffnung oder einen diesen gleichzuachtenden Verfahrensvorgang Verfahrensgegenstand geworden war (Rn. 117). 3. Verstoß gegen Absatz 3. Mit der Revision kann ferner gerügt werden, dass das 140 Verfahren zu Unrecht nach § 260 Absatz 3 eingestellt wurde, sei es, dass überhaupt kein Verfahrenshindernis vorlag,388 sei es, dass wegen des Verfahrenshindernisses eine andere Entscheidung, etwa die Verweisung an ein anderes Gericht oder die Zurückverweisung, geboten war,389 oder aber, dass aufgrund des bereits festgestellten Sachverhalts statt der Einstellung ein Freispruch hätte ergehen müssen.390 Beschwert ist der Angeklagte regelmäßig nur, wenn statt des möglichen Freispruchs das Verfahren eingestellt wird,391 wenn das Verfahren statt wegen eines behebbaren wegen eines unbehebbaren Verfahrenshindernisses hätte endgültig eingestellt werden können,392 nicht aber, wenn bei noch ungeklärter Sachlage das Verfahren wegen des Verfahrenshindernisses nicht weitergeführt wurde. Unzulässig ist daher auch eine Revision gegen eine Einstellung wegen Verjährung, wenn der Angeklagte nicht einmal durch die Nebenentschei-

382 OLG Karlsruhe NJW 1973 1989 f. 383 BGH NJW 1952 432; OLG Karlsruhe VRS 43 (1972) 261, 266; NJW 1973 1989, 1990; OLG Koblenz NStZ 1984 370; HK/Julius/Beckemper 26; KMR/Stuckenberg 98; OK-StPO/Eschelbach 40; Pfeiffer 26; SK/Velten 72; zur Berichtigung der Formel vgl. BGHSt 34 11. 384 Vgl. etwa OLG Hamm JMBlNW 1981 107; OLG Stuttgart JZ 1951 345. 385 BGH 19.12.1972 – 1 StR 564/72; KK/Ott 29; KMR/Stuckenberg 98. 386 Vgl. etwa BGH bei Kusch NStZ 1994 25; 1995 220; 1998 262; OLG Karlsruhe VRS 43 (1972) 261. 387 OLG Hamm NJW 1981 697; vgl. aber auch OLG Düsseldorf StV 1985 361 (kein Ersatz des Freispruchs durch Schuldspruch, wenn Angeklagter wegen des Freispruchs Urteilsfeststellungen nicht angreifen konnte); ferner bei § 354. 388 Vgl. SK/Velten 71 (dann meist auch Verfahrensrüge). 389 Vgl. etwa BGH NStZ 1996 47; ferner Rn. 113. 390 BGH bei Becker NStZ-RR 2005 259 Nr. 8; vgl. Rn. 38 ff. m. w. N. 391 OLG Hamburg JZ 1967 546 f.; vgl. auch BGH GA 1959 17, 18; NJW 2007 3010, 3011; OLG Frankfurt NJW 1980 2824, 2825; OLG Oldenburg NJW 1985 1177; HK/Julius/Beckemper 27; KK/Ott 51; KMR/Stuckenberg 99; Meyer-Goßner/Schmitt Vor § 296, 14; MüKo/Maier 182; OK-StPO/Eschelbach 15, 41; SK/Velten 11; SSW/Franke 20; Göhler NStZ 1986 18, 22. 392 BGH NJW 2011 2310, 2311; NStZ 2011 650.

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dungen beschwert ist.393 Reicht der festgestellte Sachverhalt nicht aus, um zu entscheiden, ob die Aburteilung einer Straftat an einem Verfahrenshindernis scheitert, kann das Verfahren an die Vorinstanz zurückverwiesen werden.394 141

4. Fehlerhafte Paragraphenliste. Eine unrichtige oder unvollständige Paragraphenliste nach Absatz 5 kann nicht mit der Revision angegriffen werden.395 Die in der Liste angeführten Vorschriften können allenfalls als Anzeichen dafür herangezogen werden, dass sich hinter einem unklaren Urteil ein Rechtsirrtum verbirgt. Das Revisionsgericht kann die Liste ändern oder ergänzen, und zwar auch dann, wenn ein Teil des Urteils bereits unanfechtbar geworden ist.396

§ 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung. Schrifttum Allgemeines. Albrecht Überzeugungsbildung und Sachverständigenbeweis in der neueren strafrechtlichen Judikatur zur freien Beweiswürdigung, NStZ 1983 486; Alwart Darf ein Angeklagter aus Mangel an Beweisen verurteilt werden? Eine Studie zur Überzeugungsbildung des Strafrichters (§ 261 StPO), GA 1992 545; Arzt Zum Verhältnis von Strengbeweis und freier Beweiswürdigung, FS Peters (1974) 223; Atzler Das Recht des ehrenamtlichen Richters, die Verfahrensakten einzusehen, DRiZ 1991 207; Bach Wider Vermutungen im Strafverfahren, MDR 1976 19; Bauer Die alternative Rüge gemäß §§ 244 Abs. 2, 261 StPO, NStZ 2000 72; Baumhöfener/Daber/Wenske Die Akteneinsicht des Verletzten in der Konstellation Aussagegegen-Aussage, NStZ 2017 562; Bender Der Irrtum ist der größte Feind der Wahrheitsfindung vor Gericht, StV 1982 484; ders. Merkmalskombinationen in Aussagen. Theorie und Empirie zum Beweiswert beim Zusammentreffen von Glaubwürdigkeitskriterien (1987); Bender/Nack Grundzüge einer Allgemeinen Beweislehre, DRiZ 1980 121; Bendix Zur Psychologie der Urteilstätigkeit des Berufsrichters (1968); Berkemann Die richterliche Entscheidung in psychologischer Sicht, JZ 1971 537; Beulke Äußerungen des Strafverteidigers in der Hauptverhandlung als Einlassung des Angeklagten? FS Strauda (2006) 87; Boetticher/Koller/ Böhm/Brettel/Dölling/Höffler/Müller-Metz/Pfister/U. Schneider/Schöch/Wolf Rechtliche Rahmenbedingungen für Prognosen im Strafverfahren, NStZ 2019 553; Bohne Zur Psychologie der richterlichen Überzeugungsbildung (1948); Brause Zum Zeugenbeweis in der Rechtsprechung des BGH, NStZ 2007 505; ders. Glaubhaftigkeitsprüfung und -bewertung einer Aussage im Spiegel der höchstrichterlichen Rechtsprechung, NStZ 2013 129; Bruns Der Verdächtige als schweigeberechtigte Auskunftsperson und als selbständiger Prozeßbeteiligter neben dem Beschuldigten und Zeugen? FS Schmidt-Leichner (1975) 1; ders. Richterliche Überzeugung bei Prognoseentscheidungen über Sicherungsmaßregeln, JZ 1958 647; Bull Von der Bequemlichkeit, einem Zeugen zu glauben, DRiZ 1972 205; Ceffinato Beweiswürdigung und Indizkonstruktionen im Wirtschaftsstrafrecht, ZStW 128 (2016) 804; Cierniak Fahrlässige Körperverletzung und Tötung im Straßenverkehr als Straftat? SVR 2012 127; Conen Der Kronzeuge, StraFo 2018 227; Deckers Glaubhaftig-

393 BGH NStZ-RR 1996 299, 300. 394 Zur Zurückverweisung bei fraglichem Verfahrenshindernis vgl. etwa BGHSt 16 399, 403; OLG Celle MDR 1960 343; OLG Hamm MDR 1986 778; OLG Karlsruhe GA 1985 134; OLG Neustadt GA 1962 125; ferner OLG Hamm MDR 1986 778; SK/Velten 71; vgl. bei § 337. 395 BGH NStZ-RR 1997 166; bei Becker NStZ-RR 2007 290 Nr. 6; BGH 18.7.2007 – 2 StR 280/07; MeyerGoßner NStZ 1988 529, 531; HK/Julius/Beckemper 26; KK/Ott 52; KMR/Stuckenberg 98; Meyer-Goßner/ Schmitt 62; MüKo/Maier 341; OK-StPO/Eschelbach 44; Radtke/Hohmann/Gorka 63; SK/Velten 73. 396 Wie Fn. 375.

Sander https://doi.org/10.1515/9783110274967-009

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keitsprüfung, in: Deckers/Köhnken (2007) 89; ders. Höchstrichterliche Anforderungen an besondere Beweiskonstellationen – Aussage gegen Aussage, Aussagen von Mitbeschuldigten oder des „Kronzeugen“, StraFo 2010 372; ders. Der aussagepsychologische Realkennzeichenkatalog von Steller/Köhnken (1989) aus juristischer Sicht, FS Schlothauer (2018) 273; ders. Aussagekonstanz aus juristischer und aussagepsychologischer Sicht, StV 2017 50; ders. Glaubhaftigkeitsprüfung 2018, in: Deckers/Köhnken (2019) 181; Deckers/Köhnken Die Erhebung von Zeugenaussagen im Strafprozess (2007) (zit. Deckers/Köhnken/Bearbeiter Erhebung); dies. Die Erhebung und Bewertung von Zeugenaussagen im Strafprozess (2019) (zit. Deckers/Köhnken/Bearbeiter Erhebung und Bewertung); Deppenkemper Beweiswürdigung als Mittel prozessualer Wahrheitserkenntnis, Diss. Osnabrück 2004; Detter Der Zeuge vom Hörensagen – eine Bestandsaufnahme, NStZ 2003 1; ders. Einige Gedanken zu audiovisueller Vernehmung, V-Mann in der Hauptverhandlung und der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in der Sache El Motassadeq, StV 2006 544; Döhring Die Erforschung des Sachverhalts im Prozeß (1964); Drescher Stiefkind Gegenerklärung, NStZ 2003 296; Duttge Laienrichter in der Strafgerichtsbarkeit – Anspruch und Wirklichkeit, JR 2006 358; Eisenberg Zeugenschutzprogramme und Wahrheitsermittlung im Strafprozess, FS Fezer (2008) 193; ders. Übertölpelung durch Vertrauensperson (VP) und Verdeckten Ermittler (VE) ohne Anfangsverdacht, GA 2014 404; Epik Die Selbstbelastungs- und Aussagefreiheit des Beschuldigten nach deutschem und englischem Recht, ZStW 131 (2019) 131; Erb Zur „Legitimation“ von Fehlverurteilungsrisiken, FS Rieß (2002) 77; ders. Die Abhängigkeit des Richters vom Sachverständigen, ZStW 121 (2009) 882; J. Esser Richterrecht, Gerichtsgebrauch, Gewohnheitsrecht, FS von Hippel (1967) 95; R. Esser Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht (2002); ders. Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO und Strafzumessung: Ein schwieriger Spagat zwischen Unschuldsvermutung und Strafklageverbrauch, StV 2019 492; R. Esser/Gaede/Tsambikakis Übersicht zur Rechtsprechung des EGMR in den Jahren 2010 bis 2011 (Teil 2), NStZ 2012 619; Fezer Tatrichterlicher Erkenntnisprozeß – „Freiheit“ der Beweiswürdigung, StV 1995 95; ders. Reduktion von Beweiserfordernissen – Systemverändernde Tendenzen der tatrichterlichen Praxis und der Gesetzgebung, StV 1995 263; Fincke Die Gewißheit als hochgradige Wahrscheinlichkeit, GA 1973 266; Fischer Glaubwürdigkeit aus Glaubwürdigkeit? Zur Abgrenzung von Zirkelschluß und erlaubter Beweiswürdigung, StV 1993 670; ders. Glaubwürdigkeitsbeurteilung und Beweiswürdigung. Von der Last der „ureigenen Aufgabe“, NStZ 1994 1; ders. Aussagewahrheit und Glaubhaftigkeitsbegutachtung, FS Widmaier (2008) 191; Foth Tatgericht, Revisionsgericht – Wer würdigt die Beweise? DRiZ 1997 201; Francke Die irrationalen Elemente der richterlichen Entscheidung, in: Heckel, Das Richteramt (1958); Franke Die Beweiswürdigung in der Revision – insbesondere die Abgrenzung von bedingtem Vorsatz zur Fahrlässigkeit, StraFo 2016 269; Freund Normative Probleme der Tatsachenfeststellung (1987); Frister Die Unschuldsvermutung, GedS Weßlau (2016) 149; Geerds Revision bei Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze, FS Peters (1974) 267; Gehm Problemfeld Schätzung im Steuer- und Steuerstrafverfahren, NZWiSt 2012 408; Geppert Der Zeuge vom Hörensagen, Jura 1991 538; ders. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, Jura 2004 105; ders. Schriftliche oder mündliche Erklärungen des Verteidigers als Einlassung des Angeklagten selbst? FS Rudolphi (2004) 643; Gercke/Wollschläger Videoaufzeichnungen und digitale Daten als Grundlage des Urteils, StV 2013 106; Graßberger Psychologie des Strafverfahrens, 2. Aufl. (1968); Greger Beweis und Wahrscheinlichkeit (1978); Griesel Die Schätzung im Steuerstrafverfahren, PStR 2007 101; Gschwind/ Peterson/Rautenberg Die Beurteilung psychiatrischer Gutachten im Strafprozeß (1982), Günther Die Schweigebefugnis des Tatverdächtigen im Straf- und Bußgeldverfahren aus verfassungsrechtlicher Sicht, GA 1978 193; ders. Judex dormans, MDR 1990 875; Guradze Schweigerecht und Unschuldsvermutung im englisch-amerikanischen und bundesdeutschen Strafprozeß, FS Karl Loewenstein (1971) 151; Habscheid Über das Verhältnis Richter und Recht, Beiträge zum Richterrecht (1968); Hamm Der strafprozessuale Beweis der Kausalität und seine revisionsrechtliche Überprüfung, StV 1997 159; ders. Zur Revisibilität der Beweiswürdigung in Fällen von „Aussage gegen Aussage“ StraFo 2000 253; Hanack Maßstäbe und Grenzen richterlicher Überzeugungsbildung im Strafprozeß, JuS 1977 727; Haustein Zu den Entscheidungsnormen bei Aussage gegen Aussage (2017); Hebenstreit Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, HRRS 2008 172; ders. Gedanken zur Alternativrüge, FS Widmaier (2008) 267; Hellmann Richterliche Überzeugungsbildung und Schätzung bei der Bemessung strafrechtlicher Sanktionen, GA 1997 503; Herdegen Tatgericht und Revisionsgericht – insbesondere Kontrolle verfahrensrechtlicher Ermessensentscheidungen, FS Kleinknecht (1985) 173; ders. Bemerkungen zur Beweiswürdigung, NStZ 1987 193; ders. Die Rüge des Nichtausschöpfens eines Beweismittels, FS Salger (1995) 301; ders. Die Überprüfung der tatrichterlichen Feststellung durch das Revisionsgericht auf Grund der Sachrüge, StV 1992 527; ders. Die Überprüfung der

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tatrichterlichen Feststellung durch das Revisionsgericht auf Grund einer Verfahrensrüge, StV 1992 590; ders. Die strafprozessuale Beweiswürdigungstheorie des Bundesgerichtshofs, FS Hanack (1999) 311; Hetzer Wahrheitsfindung im Strafrecht (1982); Hiegert Die Sphäre der Offenkundigkeit in der Strafprozeßordnung (1980); Hilgert Aussagepsychologische Gutachten im Strafprozess, NJW 2016 985; Himmelreich Verwertung der getilgten Ordnungswidrigkeiten, NJW 1978 800; v. Hippel Gefahrurteile und Prognoseentscheidungen in der Strafrechtspraxis (1972); ders. Pragmatische Aspekte zur Rollenverkehrung beim Sachverständigenbeweis, FS Peters (1974) 285; Hirschberg Das Fehlurteil im Strafprozeß (1960); Höcherl Die richterliche Überzeugung, FS Peters II (1984) 17; Hofmann Schätzung und Aufklärungspflicht bei der tatrichterlichen Sachverhaltsfeststellung, StraFo 2003 70; Hruschka Die Konstitution des Rechtsfalls (1965); ders. Über Schwierigkeiten mit dem Beweis des Vorsatzes, FS Kleinknecht (1985) 191; Husmann Zur Revision in Strafsachen. Die Rüge der fehlenden Übereinstimmung des festgestellten Sachverhalts mit dem Inbegriff der Verhandlung, MDR 1977 894; H. Jäger Subjektive Verbrechensmerkmale als Gegenstand psychologischer Wahrheitsfindung, Kriminologie im Strafprozeß (1980) 173; M. Jäger Anforderungen an die Sachdarstellung im Urteil bei Steuerhinterziehung, StraFo 2006 477; Jahn Grundlagen der Beweiswürdigung und Glaubhaftigkeitsbeurteilung im Strafverfahren, Jura 2001 450; Jahn/Nack Rechtsprechung in Strafsachen zwischen Theorie und Praxis – zwei Seiten einer Medaille? (2013); Jähnke Über die Befugnis des Revisionsgerichts zur Nachprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung, FS Hanack (1999) 355; Jansen „Da bin ich mir ganz sicher“ – Zur subjektiven Gewissheit des Zeugen, FS E. Müller (2003) 309; Jarass Strafrechtliche Grundrechte im Unionsrecht, NStZ 2012 611; Jerouschek Wie frei ist die freie Beweiswürdigung? GA 1992 493; Jung Der Kronzeuge – Garant der Wahrheitsfindung oder Instrument der Überführung, ZRP 1986 38; Käser Wahrheitserforschung im Strafprozeß (1974); Kalf Die Gestaltung der staatsanwaltschaftlichen Gegenerklärung, NStZ 2005 190; Kaspar Freie Beweiswürdigung und moderne Kriminaltechnik (1975); Kaufmann Die Beurteilung hypothetischer Erfolgsursachen im Strafrecht, FS Schmidt (1961) 200; Keiser Die Anwendung des „nemo-tenetur-Grundsatzes“ auf das Prozeßverhalten des Angeklagten, StV 2000 633; Keller Verwissenschaftlichung versus Rationalität der strafprozessualen Beweiswürdigung, GA 1999 256; Klemme/Schubert § 266a StGB: Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Schadens ohne Buchführung – der juristische Ansatz auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht, NStZ 2010 606; Klug Die Verletzung von Denkgesetzen als Revisionsgrund, FS Möhring (1965) 363; König Zur fahrlässigen Drogenfahrt nach „länger“ zurückliegendem Drogenkonsum, NStZ 2009 425; ders. Alkoholfahrten und Vorsatz – zugleich Besprechung von BGH NJW 2015, 1834 (DAR 2015, 390), DAR 2015 737; ders. Aktuelle obergerichtliche Rechtsprechung zum Verkehrsstraf- und –ordnungswidrigkeitenrecht, DAR 2020 362; Körner Die Glaubwürdigkeit und die Strafbarkeit von V-Personen, StV 1982 382; Krauß Das Prinzip der materiellen Wahrheit im Strafprozeß, FS Schaffstein (1975) 411; ders. Richter und Sachverständiger im Strafverfahren, ZStW 85 (1973) 320; ders. Schweigepflicht und Schweigerecht der ärztlichen Sachverständigen im Strafprozeß, ZStW 97 (1985) 81; D. Krause Schätzung und Aufklärungspflicht bei der tatrichterlichen Sachverhaltsfeststellung, StraFo 2002 249; F.-W. Krause Grenzen richterlicher Beweiswürdigung im Strafprozeß, FS Peters (1974) 323; Kröber/Brettel/Rettenberger/Stübner Erfahrungswissenschaftliche Empfehlungen für kriminalprognostische Gutachten, NStZ 2019 574; Krüger Beweisführung durch vertrauliche Hinweise, Polizei 1983 77; Kube Kommunikationsprobleme zwischen Polizei und Gericht, JZ 1976 17; Kuchinke Grenzen der Nachprüfbarkeit tatrichterlicher Würdigung und Feststellungen in der Revisionsinstanz (1964); Kühl Freie Beweiswürdigung des Schweigens des Angeklagten und der Untersuchungsverweigerung eines angehörigen Zeugen, JuS 1986 115; Küper Die Richteridee der Strafprozeßordnung und ihre geschichtliche Grundlage (1967); ders. Historische Bemerkungen zur „freien Beweiswürdigung“ im Strafprozeß, FS Peters II (1984) 24; Kunert Strafprozessuale Beweisprinzipien im Wechselspiel, GA 1979 401; Lampe Richterliche Überzeugung, FS Pfeiffer (1988) 353; Landau Das Urteil des Zweiten Senats des BVerfG zu den Absprachen im Strafprozess vom 19. März 2013, NStZ 2014 425; Larenz Über die Bindungswirkung von Präjudizien, FS Hans Schima (1969) 247; Leiwesmeyer Der schweigende Angeklagte, Diss. Kiel 1994; Lenckner Mitbeschuldigter und Zeuge, FS Peters (1974) 333; Liebhart Die Gesamtwürdigung im Indizienverfahren, NStZ 2016 134; Ling An den Grenzen rationaler Aufhellbarkeit. Überzeugung und richterliche Verantwortung am Beispiel des Vorsatznachweises bei atypischen Sachverhalten, JZ 1999 335; Lohse Konfrontationsrecht, Verfahrensfairness und Beweiswürdigung, JR 2018 183; Luther Freie Beweiswürdigung und ihre revisionsgerichtliche Überprüfung im Strafverfahren, NJ 1994 294 und 364; Maeffert „Licht und Schatten“. Einzelfragen zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Polizeibeamten, StV 1982 386; Magnus Anforderungen an die Beweiswürdigung beim bewussten Mitsichführen von Waffen und gefährlichen Gegenständen, JR

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2018 437; Maier Aussage gegen Aussage und freie Beweiswürdigung, NStZ 2005 246; Maiwald Kausalität und Strafrecht, Studien zum Verhältnis von Naturwissenschaften und Jurisprudenz (1980); Mattil Überzeugung, GA 1954 334; Maul Die Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen durch das Revisionsgericht in der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, FS Pfeiffer (1988) 409; Mengler Die lückenhafte Beweiswürdigung in tatgerichtlichen Urteil (2017); Meurer Denkgesetze und Erfahrungsregeln, FS Ernst Wolf (1985) 483; ders. Beweis und Beweisregeln im deutschen Strafprozeß, FS Oehler (1985) 357; ders. Beweiswürdigung und Strafurteil, FS Kirchner (1985) 249; ders. Beweiserhebung und Beweiswürdigung, GedS Hilde Kaufmann (1986) 947; ders. Beweiswürdigung, Überzeugung und Wahrscheinlichkeit, FS Tröndle (1989) 533; Meyer-Goßner Über die „Gerichtskundigkeit“, FS Tröndle (1989) 551; ders. Fortschritt durch Rückschritt um 100 Jahre? DRiZ 1997 471; Michel Einlassung durch den Anwalt? MDR 1994 648; Miebach Der teilschweigende Angeklagte – materiell-rechtliche und prozessuale Fragen anhand der BGHRechtsprechung, NStZ 2000 234; ders. Die revisionsrechtliche Überprüfung problematischer Zeugenaussagen, GedS Joecks (2018) 133; Mitsch/Stumm Die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen mittels Vermögenszuwachsrechnung, INF 2005 539; Mittendorf Prozeßvereitelung und Fehlurteil, SchlHA 1973 2; Momsen Zur Zulässigkeit der strafprozessualen Sachrüge bei Angriffen gegen die Beweiswürdigung, GA 1998 564; Mößner Die Überprüfung des bedingten Tötungsvorsatzes in der Revision, Diss. München 2010; Mößmer/Moosburger Besteuerung im Rotlichtmilieu: Schutzgeldzahlungen an den Fiskus? wistra 2008 457; Mosbacher Das Ideal richterlicher Wahrheitsfindung und die Betrübnisse des wirklichen Lebens, FPPK 9 (2015) 82; H. E. Müller Behördliche Geheimhaltung und Entlastungsvorbringen des Angeklagten (1992); Nack Der Indizienbeweis, MDR 1986 366; ders. Verteidigung bei der Glaubwürdigkeitsbeurteilung von Aussagen, StV 1994 555; ders. Der Zeugenbeweis aus aussagepsychologischer und juristischer Sicht, StraFo 2001 1; ders. Revisibilität der Beweiswürdigung StV 2002 510 und 558; ders. Abhängigkeit des Richters vom Sachverständigen, GA 2009 201; Nell Wahrscheinlichkeitsurteile in juristischen Entscheidungen (1983); Nickl Das Schweigen des Beschuldigten und seine Bedeutung für die Beweiswürdigung, Diss. München 1978; Niemöller Die strafrichterliche Beweiswürdigung in der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, StV 1984 431; Olk Die Abgabe von Sacherklärungen des Angeklagten durch den Verteidiger, Diss. Regensburg 2006; Pelz Die revisionsgerichtliche Überprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung, NStZ 1993 361; Peter Zur Feststellung des Irrtums bei Massenbetrugsfällen, StraFo 2019 186; Peters Fehlerquellen im Strafprozeß Bd. 1 bis 3 (1970, 1972, 1974); ders. Zur Problematik der freien Beweiswürdigung, Kriminologische Aktualität (1974) 29; ders. Übergänge im Strafprozeß. Dargestellt am Grundsatz der freien Beweiswürdigung, FS Rudolf Gmür (1983) 311; Pfister Die Prüfung der Glaubhaftigkeit einer Aussage im Spiegel höchstrichterlicher Rechtsprechung, in: Deckers/Köhnken (2007) 42; ders. Neue Formen der Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung – neue Chancen, neue Risiken, FS Miebach (2009) 25; ders. Deal und Fehlurteil, FPPK 7 (2013) 250; Pötters Richterrecht und richterliches Gewissen, Beiträge zum Richterrecht (1968); Prüfer Aussagebewertung in Strafsachen. Abgrenzungsmerkmale und Beurteilungskriterien (1986); Reichenbach Die Mitwirkung blinder Richter im Strafverfahren, NJW 2004 3160; Renning Die Entscheidungsfindung durch Schöffen und Berufsrichter in rechtlicher und psychologischer Sicht (1993); Richter II Reden – Schweigen – Teilschweigen. Anmerkungen zum Verteidigungsverhalten eines Beschuldigten, StV 1994 687; Rieß Zur Revisibilität der freien tatrichterlichen Überzeugung, GA 1978 257; Rödig Die Theorie des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens (1973); Rogall Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst (1977); Roschmann Das Schweigerecht des Beschuldigten im Strafprozeß. Seine rechtlichen und tatsächlichen Grenzen, Diss. Bremen 1983; Rostalski Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für spezifische Fehlverhaltensfolgen bei alternativer Tatsachengrundlage und statistischen (Kausal-)Zusammenhängen am Beispiel des Bottroper Apothekerfalls, GA 2018 700; Sachs Beweiswürdigung und Strafzumessung (1932); Safferling/Kirsch Völkerstrafrechtspolitik (2014); Saimeh Können psychische Erkrankungen die Aussagefähigkeit bei Sexualdelikten beeinflussen? in: Deckers/Köhnken (2007) 61; Samson Hypothetische Kausalverläufe im Strafrecht (1972); Sander Zur Beweiswürdigung, vor allem bei Aussage gegen Aussage, StV 2000 45; ders. Verteidigung gegen die Berücksichtigung verjährter und ausgeschiedener Taten oder Tatteile bei der Strafzumessung, StraFo 2004 47; ders. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Affekt, insbesondere zur insoweit erforderlichen Beweiswürdigung, FS Eisenberg (2009) 359; ders. Die Verständigung in Strafsachen vor neuen Herausforderungen. in: Jahn/ Nack 53; ders. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur nachträglichen Bildung der Gesamtstrafe, NStZ 2016 584 und 656; ders. Die strafgerichtliche Schätzung – und anderes, FS Eisenberg II (2019) 497; Sarstedt Beweisregeln im Strafprozeß, FS Hirsch (1968) 171; G. Schäfer Freie Beweiswürdigung und revisi-

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onsrechtliche Kontrolle, StV 1995 147; ders. Die Abgrenzung der Verfahrensrüge von der Sachrüge, FS Rieß (2002) 477; ders. Die Einlassung zur Sache durch den Verteidiger, FS Hans Dahs (2005) 441; Scharbius „Aussage gegen Aussage“ in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen, Diss. Bielefeld 2017; Scheffler/Halecker Die Problematik der Beweiswürdigung bei drogenbedingter Fahrunsicherheit iSd § 316 StGB, Blutalkohol 41 (2004) 422; Schefold Zweifel des erkennenden Gerichts (1971); Schlothauer Unvollständige und unzutreffende tatrichterliche Urteilsfeststellungen, StV 1992 134; Schlüchter Wahrunterstellung und Aufklärungspflicht bei Glaubwürdigkeitsfeststellungen (1992); Schmandt Höchstrichterliche Anforderungen an besondere Beweiskonstellationen – Aussage gegen Aussage, Aussagen von Mitbeschuldigten oder des „Kronzeugen“, StraFo 2010 446; B. Schmitt Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß (1992); ders. Die Verständigung in der Revision – eine Zwischenbilanz, StraFo 2012 386; E. Schneider Logik für Juristen2 (1972); ders. Der mögliche Einfluß von Soziologie und Psychologie auf den Entscheidungsvorgang des Richters, DRiZ 1975 265; H. Schneider Die strafprozessuale Beweiswürdigung des Schweigens des Beschuldigten und angehörigen Zeugen, Jura 1990 572; ders. Zur strafprozessualen Verwertbarkeit des Schweigens von Beschuldigten – Allgemeiner Teil, NStZ 2017 73; ders. Zur strafprozessualen Verwertbarkeit des Schweigens von Beschuldigten – Besonderer Teil, NStZ 2017 126; Schöneborn Das Problem der Rollenvertauschung und des Zeugnisverweigerungsrechts bei mehreren Mitbeschuldigten in vergleichender Betrachtung, ZStW 86 (1974) 921; Schreiber Akteneinsicht für Laienrichter, FS Welzel (1974) 941; Schulz Sachverhaltsfeststellung und Beweistheorie (1992); Schweling Die Revisibilität der Erfahrung, ZStW 83 (1971) 435; Schwenn Merkmale eines Fehlurteils, FPPK 7 (2013) 258; Sello Die Irrtümer der Strafjustiz und ihre Ursachen (1911); Stam Die Feststellung niedriger Beweggründe beim schweigenden Täter, JR 2016 293; Stamp Die Wahrheit im Strafverfahren; eine Untersuchung zur prozessualen Wahrheit unter besonderer Berücksichtigung der Perspektive des erkennenden Gerichts in der Hauptverhandlung, Diss. Kiel 1998; Steffen Der Geständniswiderruf als forensisches Erkenntnisproblem, StV 1990 563; Stein Das private Wissen des Richters (1893); Steinberg Indizwert einer höchst lebensgefährlichen Tathandlung für den Tötungsvorsatz, JZ 2010 712; Stimpfig Prüfkriterien für den Aussagewert eines Zeugenbeweises, MDR 1995 451; Täschner Probleme der Aussagetüchtigkeit bei Drogenabhängigen, NStZ 1993 322; Terhorst Information und Aktenkenntnis der Schöffen im Strafprozeß, MDR 1988 809; Thomann Der Polizeibeamte als Zeuge, Kriminalistik 1982 110, 156; Traut Fehlerquellen bei Schadenshochrechnungen in Abrechnungsbetrugsverfahren gegen Ärzte, ArztuR 2002 164; Undeutsch Die Verwendbarkeit unwillkürlicher Ausdruckserscheinungen bei der Aussagewürdigung, ZStW 87 (1975) 650; Unger Kausalität und Kausalitätsbeweis produktverursachter Gesundheitsschädigungen, Diss. Regensburg 2001; Vest Zur Beweisfunktion des materiellen Strafrechts im Bereich des objektiven und subjektiven Tatbestandes, ZStW 103 (1991) 584; Vogler Die strafschärfende Verwertung strafbarer Vor- und Nachtaten bei der Strafzumessung und die Unschuldsvermutung, FS Kleinknecht (1985) 429; Volbert Falsche Geständnisse, FPPK 7 (2013) 230; Volbert/May Falsche Geständnisse in polizeilichen Vernehmungen – Vernehmungsfehler oder immanente Gefahr? R& P 34 (2016) 4; Volk Anscheinsbeweis und Fahrlässigkeit im Strafprozeß, GA 1973 177; ders. In dubio pro reo und Alibibeweis, JuS 1975 25; ders. Wahrheit und materielles Recht im Strafprozeß (1980); ders. Diverse Wahrheiten, FS Salger (1995) 411; ders. Kausalität im Strafrecht, NStZ 1996 105; ders. Zur Schätzung im Steuerstrafrecht, FS Kohlmann (2003) 579; H. Wagner Die Beweiswürdigungspflicht im tatrichterlichen Urteil im Falle der Verurteilung, ZStW 106 (1994) 259; M. Wagner Öffentlichkeitsgrundsatz und Inaugenscheinnahme im Rahmen der strafprozessualen Hauptverhandlung, StV 2019 858; Waider Die Bedeutung der präsumptio doli für die Strafrechtsentwicklung in Deutschland, JuS 1972 305; G. Walter Freie Beweiswürdigung (1979); Weigend Zur Reichweite der Unschuldsvermutung, FS Rogall (2018) 739; Weimar Psychologische Strukturen richterlicher Entscheidung (1969); Werle/Burghardt Der Völkermord in Ruanda und die deutsche Strafjustiz, ZIS 2015 46; Wessing/Katzung Die Schätzung im Steuerstrafverfahren im Überblick, SAM 2008 21; Wilhelm „Versteckte Gesetzesverstöße“ in der Revision – Zur Revisibilität der fehlerhaften oder unvollständigen Mitteilung der Ergebnisse der Beweisaufnahme in der Urteilsniederschrift, ZStW 117 (2005) 143; Wimmer Parapsychologen als Sachverständige, NJW 1976 1131; ders. Parapsychologie, Wissenschaft und Rechtsordnung, NJW 1979 5; von Wistinghausen VStGB und Strafverfahren: Beweisaufnahme und Angeklagtenrechte. in: Safferling/Kirsch 199; Wohlers Generelle Kausalität als Problem richterlicher Überzeugungsbildung, JuS 1995 1019; ders. Die „besonders vorsichtige Beweiswürdigung“ bei gesperrten Beweismitteln, StV 2014 563; Zopfs Die Eigengefährdung des „Rasers“ als vorsatzkritischer Gesichtspunkt, DAR 2018 375.

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Zum Grundsatz im Zweifel für den Angeklagten: Bringewat Fortsetzungstat und in dubio pro reo, JuS 1970 329; Foth Bemerkungen zum Zweifelssatz (in dubio pro reo), NStZ 1996 423; Frisch Zum Wesen des Grundsatzes in dubio pro reo, FS Henkel (1974) 273; Gräbener Zweifelssatz und Verbandsstrafe, Diss Köln 2018; Hauf Beweisverwertungsverbot: „In dubio pro reo“ beim Nachweis von Verfahrensfehlern, MDR 1993 195; Heine Beweislastumkehr im Strafverfahren, JZ 1995 651; v. Hippel Über funktional gleichwertige Tatbestandsbildungen im Strafprozeß, FS Oehler (1985) 43; Holtappels Die Entwicklungsgeschichte des Grundsatzes in dubio pro reo (1960); Hoyer Der Konflikt zwischen richterlicher Beweiswürdigungsfreiheit und dem Prinzip „in dubio pro reo“, ZStW 105 (1993) 523; Lehmann Die Behandlung zweifelhaften Tatverstoßes im Strafprozeß (1983); Mann Die Anwendbarkeit des Grundsatzes „In dubio pro reo“ auf Prozeßvoraussetzungen, ZStW 76 (1964) 264; Michael Der Grundsatz in dubio pro reo im Strafverfahrensrecht (1981); Montenbruck In dubio pro reo (1985); Sax Zur Anwendbarkeit des Satzes in dubio pro reo im prozessualen Bereich, FS Stock (1966) 143; Seibert In dubio pro reo und Revision, NJW 1955 172; Stree In dubio pro reo (1962); Terhorst Bewährungsprognose und der Grundsatz in dubio pro reo, MDR 1978 973; Volk In dubio pro reo und Alibibeweis, JuS 1975 25; Wolter Contra in dubio pro reo, MDR 1981 441; Zopfs Der Grundsatz „in dubio pro reo“ (1999). Zur Verurteilung aufgrund mehrdeutiger Tatsachenfeststellungen: Beulke/Fahl Prozessualer Tatbegriff und Wahlfeststellung – Strafprozessuale Probleme bei alternativen Tatsachenfeststellungen, Jura 1998 262; Blei Wahlfeststellung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit, NJW 1954 500; Ceffinato Das Institut der Wahlfeststellung und seine verfassungsmäßige Zulässigkeit, Jura 2014 655; Dreher Im Irrgarten der Wahlfeststellung, MDR 1970 369; Endruweit Die Wahlfeststellung und die Problematik der Überzeugungsbildung, der Identitätsbestimmung, der Urteilssyllogistik sowie der sozialen und personalen Gleichwertigkeit von Straftaten (1973); Fuchs Die Wahlfeststellung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht, Diss. Freiburg 1962; ders. Wahlfeststellung und Tatidentität, NJW 1966 1110; ders. Die rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit bei der Wahlfeststellung, DRiZ 1967 16; ders. Zur Wahlfeststellung, DRiZ 1968 16; Günther Verurteilungen im Strafprozeß trotz subsumptionsrelevanter Tatsachenzweifel (1976); Heinitz Die Grenzen der zulässigen Wahlfeststellung im Strafprozeß, JZ 1952 100; ders. Zum Verhältnis der Wahlfeststellung zum Satz in dubio pro reo, JR 1957 126; v. Hippel Zum Problem der Wahlfeststellung, NJW 1963 1533; ders. Über funktional gleichwertige Tatbestandsbildungen im Strafprozeß, FS Oehler (1985) 43; Hruschka Zum Problem der Wahlfeststellungen, MDR 1967 265; ders. Zur Logik und Dogmatik von Verurteilungen aufgrund mehrdeutiger Beweisergebnisse im Strafprozeß, JZ 1970 637; ders. Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und sachlicher Begünstigung? NJW 1971 1392; Jakobs Probleme der Wahlfeststellung, GA 1971 257; Joerden Postpendenz- und Präpendenzfeststellungen im Strafverfahren, JZ 1988 847; Küper Wahlfeststellung und Anwendung des § 158 StGB bei einander widersprechenden Zeugenaussagen, NJW 1976 1828; ders. Probleme der „Postpendenzfeststellung“ im Strafverfahren, FS Lange (1976) 65; Mannheim Zur wahldeutigen Tatsachenfeststellung, ZStW 44 (1924) 440; Montenbruck Wahlfeststellung und Werttypus im Strafrecht und Strafprozeßrecht (1976); ders. Wahlfeststellung – und kein Ende, GA 1988 531; Nüse Das Problem der Zulässigkeit von Alternativschuldfeststellungen, Strafrechtl. Abh. 324; ders. Die Zulässigkeit von wahlweisen Feststellungen, GA 1953 33; Otto In dubio pro reo und Wahlfeststellung, FS Peters (1974) 373; Pohlreich Die Vereinbarkeit der echten Wahlfeststellung mit dem Grundgesetz, ZStW 128 (2016) 676; Rheinen Zur Praxis der Wahlfeststellungen im Strafprozeß, NJW 1957 942; Richter Die Postpendenzfeststellung, Jura 1994 130; Sax Wahlfeststellung bei Wahldeutigkeit mehrerer Taten, JZ 1965 745; von Schack Die Grenzen der wahldeutigen Feststellungen im Strafrecht, Strafrechtl. Abh. 380 (1937); Schaffstein Die neuen Voraussetzungen der Wahlfeststellung im Strafverfahren, NJW 1952 725; Schneidewin Vollrausch und Wahlfeststellung, JZ 1957 324; Schönke Wahlfeststellung im Strafprozeß, DRiZ 1947 48; Schorn Die Problematik wahlweiser Feststellungen im Strafprozeß, DRiZ 1964 45; Schröder Wahlfeststellung und Anklageprinzip, NJW 1985 780; Joachim Schulz Wahlweise Feststellung einer nicht verwirklichten Straftat, NJW 1983 265; Jochen Schulz Wahlfeststellung und Tatbestandsreduktion, JuS 1974 635; Schwarz Rauschtat und Wahlfeststellung, NJW 1957 401; Siever Das Verhältnis der wahldeutigen Feststellung zu dem Grundsatz in dubio pro reo, Diss. Münster 1950; Tröndle Zur Begründung der Wahlfeststellung, JR 1974 133; Weber Zur Frage der Zulässigkeit der Wahlfeststellung im Strafrecht, Diss. Freiburg 1950; Willms Zum Begriff der Wahlfeststellung, JZ 1962 628; Wolter Alternative und eindeutige Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage im Strafrecht (1972); ders. Grundfälle zu „in dubio pro reo“ und Wahlfeststellung, JuS 1983 363, 602 und 769; 1984 37, 530 und 606; ders. Wahlfeststellung und in dubio pro reo (1987); ders. Normative und sachlogische Stufenverhältnisse im System der Entscheidungs-

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regeln bei alternativer Tatfeststellung, FS Rogall (2018) 773; Zeiler Verurteilung aufgrund wahldeutiger Tatsachenfeststellung, ZStW 40 (1919) 168; ders. Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage, ZStW 64 (1952) 156; ders. Zur Frage der Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage, ZStW 72 (1960) 4; Ziegert Die prozessuale Wahlfeststellung, StV 1996 279. Zu (insbesondere) kriminalistischen, kriminaltechnischen und psychiatrisch-psychologischen Erkenntnismethoden: Arntzen Psychologie der Zeugenaussage, 3. Aufl. (1993); Artkämper DNA – Wissenschaft und Praxis eines (angeblich) objektiven Beweismittels, StV 2017 553; Artkämper/Artkämper Kriminaltechnische und rechtsmedizinische Untersuchungen, Kriminalistik 2018 384; Artkämper/Artkämper/Baumjohann Geruchsspuren, Hunde und Mantrailing, Kriminalistik 2015 347; Artkämper/Baumjohann (Zu) Viele Fragezeichen??? – je zehn Fragen an den Juristen, die Kriminalbiologin und die Hundeführer. in: Schüler/ Kaul 117; Axmann/Siegenthaler/Kneubühl/Jackowski Physik vor Gericht, Kriminalistik 2016 477; Bastsisch/ Schmitter DNA-Analyse. in: MAH § 71; Binz/Baumgartner Haaranalytik: Anwendung, Herausforderungen und Limitationen, Kriminalistik 2020 476; Boetticher Das Urteil über die Einführung von Mindeststandards in aussagepsychologischen Gutachten und seine Wirkungen, FS G. Schäfer (2002) 8; Boetticher/Dittmann/ Nedopil/Nowara/Wolf Zum richtigen Umgang mit Prognoseinstrumenten durch psychiatrische und psychologische Sachverständige und Gerichte, NStZ 2009 478; Boetticher/Kröber/Müller-Isberner/Böhm/MüllerMetz/Wolf Mindestanforderungen für Prognosegutachten, NStZ 2006 537; Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß Mindestanforderungen für Schuldfähigkeitsgutachten, NStZ 2005 57; Braune/Weber Werkzeugspuren, Kriminalistik 2016 613; Brummer/Hoch Das Kraftfahrzeug als Beweismittel, Kriminalistik 2017 643; Clas Identifizierung durch Ohrabdruckspuren, Kriminalistik 2014 371; Dellwo/Hove/Leemann/Kolly Verbrecherjagd mit gesprochener Sprache, Kriminalistik 2014 119; Drohsel Der Lügendetektor vor Gericht – ein Problem in Sachsen, StV 2018 827; Eisenberg Gegenständliche Voraussetzungen der Identifizierbarkeit von Personen auf Grund von Schrift- oder Sprechmaterial, NStZ 2010 680; Fobbe Fingierte Lernersprachen, ZGL 2014 196; Greuel Qualitätsstandards aussagepsychologischer Gutachten zur Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen, MschrKrim 2000 59; Groten/Schmelz Die Bedeutung der mitochondrialen DNA-Analyse für das Strafverfahren, Kriminalistik 2019 358; Hamatschek Dream-Reality Monitoring, RPsych 2019 457; Hecker Das Handschriftengutachten als Sachbeweis, NStZ 1990 463; Hellmiß Interpretation und Einbeziehung von kriminaltechnischen Gutachten in die Urteilsfindung – Gedanken über ein grundsätzliches Problem und Vorschläge für eine Vorgehensweise, NStZ 1992 24; Hohoff Aktuelle Fragen der aussagepsychologischen Begutachtung von Opferzeugen in Strafverfahren, NStZ 2020 387; Katterwe/Brandes/Eisgruber/Grimmer/ Küppers/Marquardt/Pohl Harmonisierte Befundbewertungsskala für kriminaltechnische Untersuchungen, Kriminalistik 2007 745; Köhnken Fehlerquellen in aussagepsychologischen Gutachten, in: Deckers/Köhnken (2007) 1; ders. Beurteilung der Zuverlässigkeit und Glaubhaftigkeit von Aussagen – was können Gerichte selbst beurteilen und wann ist die Einholung eines Gutachtens sinnvoll? FS Ostendorf (2015) 519; ders. Fehlerquellen in aussagepsychologischen Gutachten, in: Deckers/Köhnken (2019) 25; Köhnken/Sporer Identifizierung von Tatverdächtigen durch Augenzeugen (1990); Konrad/Huchzermeier ICD-11: Ändert sich die forensisch-psychiatrische Begutachtung im Strafrecht? R&P 2019 84; Kunz/Grove/Adamec Eingrenzung der Größe und Oberflächenstruktur eines Tatwerkzeuges anhand von Bluttropfspuren, Kriminalistik 2015 728; Maatz Atemalkoholmessung – Forensische Verwertbarkeit und Konsequenzen aus der AAK-Entscheidung des BGH, Blutalkohol 39 (2002) 21; Mertn/Schwarz/Walser Wiedererkennungsverfahren, Kriminalistik 1998 421; Meurer/Sporer Zum Beweiswert von Personenidentifizierungen (1991); Müller-Luckmann Spezielle Probleme psychiatrisch-psychologischer Begutachtung (Glosse), FS Schüler-Springorum (1993) 557; Neuhaus Kriminaltechnik für den Strafverteidiger – Eine Einführung in die Grundlagen, StraFo 2001 8 und 115; Odenthal Die Gegenüberstellung zum Zwecke des Wiedererkennens, NStZ 1985 433; ders. Identifizierung von Verdächtigen, Gegenüberstellung und Wahllichtbildvorlage, StraFo 2013 62; Pott Beweiswert einer Wiedererkennung durch Eigenrecherche im Internet, JR 2015 462; Rodenbeck Lügendetektor 2.0 – Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur Aufdeckung bewusst unwahrer Aussagen im Strafverfahren, StV 2020 479; Rolf/Wiegand Analyse biologischer Spuren, Rechtsmedizin 2004 473; Rösing/Hirthammer Identifikation von Personen auf Bildern. in: MAH 2715; Rösing/Quarch/Danner Zur Wahrscheinlichkeitsaussage im morphologischen Identitätsgutachten, NStZ 2012 548; Schindler/Stadler Tatsituation oder Fahndungsfotos, StV 1991 38; P. Schneider/H. Schneider/Fimmers/Brinkmann Allgemeine Empfehlungen der Spurenkommission zur statistischen Bewertung von DNA-Datenbank-Treffern, NStZ 2010 433; P. Schneider/Anslinger/ Eckert/Fimmers/H. Schneider Erläuterungen zu den wissenschaftlichen Grundlagen biostatistischer Wahrscheinlichkeitsberechnungen im Rahmen von DNA-Spurengutachten, NStZ 2013 693; P. Schneider/Fim-

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222

6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 261

mers/H. Schneider/Brinkmann Allgemeine Empfehlungen der Spurenkommission zur Bewertung von DNAMischspuren, NStZ 2007 447; Schott Das Anthropologische Vergleichsgutachten, Kriminalistik 2014 303; Schüler/Kaul Faszinosum Spürhunde: Gefahren sichtbar machen – Gefahren abwenden (2017); Seibt Forensische Handschriftenuntersuchung, Kriminalistik 2005 175; Seiterle Zur Frage der „völligen Ungeeignetheit“ (§ 244 Abs. 3 Satz 2 Var. 4 StPO) einer polygraphischen Untersuchung („Lügendetektor“), StraFo 2014 58; Steller Revitalisierung der Lügendetektion? R&P 2018 173; ders. Die Entdeckung der Scheinerinnerung, in: Deckers/Köhnken (2019) 71; Ulbrich/Anslinger/Bäßler/Eckert/Fimmers/Hohoff/Kraft/Leuker/Molsberger/ Pich/Razbin/H. Schneider/Templin/Wächter/Weirich/Zierdt/P. Schneider Gemeinsame Empfehlungen der Projektgruppe „Biostatistische DNA-Berechnungen“ und der Spurenkommission zur biostatistischen Bewertung von DNA-analytischen Befunden, NStZ 2017 135; D. Walter Sachverständigenbeweis zur Schuldfähigkeit und strafrichterliche Überzeugungsbildung, Diss. Berlin 1982; Willuweit/Weirich/P. Schneider/Roewer Gemeinsame Empfehlungen der Projektgruppe „Biostatistische DNA-Berechnungen“ und der Spurenkommission zur biostatistischen Bewertung von Y-chromosomalen DNA-Befunden, NStZ 2018 437; Woidtke Mantrailing – Fakten und Fiktionen (2016). Weiteres Schrifttum: zu den Beweisverboten vgl. Einleitung vor Abschn. K; zur Revisibilität der Beweiswürdigung und der Tatsachenfeststellung vgl. Vor § 337; zur Wahlfeststellung vgl. die Kommentare zum StGB.

Bezeichnung bis 1924: § 260.

I.

II.

III.

223

Übersicht 1 Bedeutung 1. Strafprozessuale Grundsatznorm 1 2. Pflichten des Gerichts 3 3. Verhältnis zu § 267 6 Die richterliche Überzeugung 7 1. Voraussetzungen der Überzeugung 7 a) Begriff 7 b) Ursächlicher Zusammenhang 10 c) Prognosen 12 2. Persönliche Überzeugung und objektive, rational einleuchtende Beweiswürdigung 13 Inbegriff der Verhandlung 15 1. Inhalt der Hauptverhandlung 15 2. Gesamteindruck der Hauptverhandlung 16 3. Außerhalb der Hauptverhandlung erworbene Erkenntnisse 19 a) Inhalt anderer Hauptverhandlungen 19 b) Kommissarische Vernehmungen 20 c) Sonstige Erkenntnisquellen 21 d) Privates Wissen 26 4. Offenkundige Tatsachen 27 a) Keine Beweisbedürftigkeit, aber Erörterung 27 b) Erfahrungssätze 28 c) Sonstige Verfahrensfragen 29

5.

IV.

Verpflichtung zum eigenen Urteil 31 a) Eigenständige Tatsachenbewertung 31 b) Kenntnis der Schöffen von Anklageschrift und Akteninhalt 33 c) Eigene Bemessung der Rechtsfolgen 36 6. Beschränkung der richterlichen Wahrnehmungsfähigkeit 37 7. Keine vorzeitige Festlegung des Urteils 40 8. Aufzeichnungen über die Verhandlung 42 9. Sitzungsniederschrift 43 Inhalt und Grenzen der freien Beweiswürdigung 44 1. Grundsätze 44 2. Beachtung der Denkgesetze, Erfahrungssätze und wissenschaftlichen Erkenntnisse 47 a) Denkgesetze 47 b) Erfahrungssätze 58 c) Wissenschaftliche Erkenntnisse 67 3. Erschöpfende Beweiswürdigung 72 a) Pflicht zur erschöpfenden Würdigung 72 b) Urteilsgründe 74 4. Indizienbeweis 77

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§ 261

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

5.

213 Freispruch Rückgriff auf den mit Sicherheit gegebenen Tatbestand 214 c) Sachlogisches Stufenverhältnis 215 d) Auffangtatbestände 218 e) Normatives Stufenverhältnis 219 3. Alleinige Tatsachenalternativität 223 a) Eindeutigkeit des Schuldspruchs 223 b) Gleichwertige Tatbestandsmerkmale 225 4. Verurteilung bei alternativ verletzten Strafgesetzen 227 a) Mehrere alternativ verletzte Strafbestimmungen 227 b) Echte Alternativität (Rechtsprechung) 229 c) Unterschiedliche Auffassungen im Schrifttum 232 d) Beispiele aus der Rechtsprechung 235 5. Verfahrensfragen 240 a) Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten 240 b) Überzeugungsbildung 241 c) Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts 245 d) Festsetzung der Strafe 246 e) Tenorierung 247 f) Urteilsgründe 252 VIII. Revision 253 1. Verfahrensrügen 254 a) Inbegriffsrügen 254 b) Differenzrügen 257 c) Ausschöpfungsrügen 261 d) Begründung einer Verfahrensrüge 265 2. Sachrüge 267 a) Tatrichterliche Überzeugung 268 b) Rechtliche Anforderungen an die Überzeugungsbildung 269 c) Zureichende Tatsachengrundlage 270 d) Beweiswürdigung 272 e) Verletzung der Pflicht zur eigenen Entscheidung 274 3. Alternativrügen 275

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224

Einschränkungen, Beweisverbote, Beweisvermutungen 99 6. Sonstige verfahrensrechtliche Bindungen 105 V. Einzelfragen der Beweiswürdigung 106 1. Unabhängigkeit von der Verfahrensrolle 106 2. Aussageverhalten des Angeklagten 110 a) Einlassung des Angeklagten 110 b) Schweigen 119 3. Beweiswert, insbesondere beim Zeugenbeweis 126 a) Glaubhaftigkeit der Aussage 128 b) Fehlerträchtige Ermittlungen 133 c) Höchstrichterliche Beweisregeln 136 d) Weitere Konstellationen 149 e) Schweigen des Zeugen 151 4. Sachverständigenbeweis 155 5. Urkundenbeweis 176 6. Augenscheinsbeweis 179 VI. Im Zweifel für den Angeklagten 182 1. Bedeutung 182 a) Rechtsstaatlicher Fundamentalgrundsatz 182 b) Rechtliche Zweifelsfragen 184 2. Keine Beweislast 186 3. Geltung bei Anwendung des materiellen Rechts 190 a) Nur sicher erwiesene Tatsachen 190 b) Tatbestandsmerkmale 191 c) Keine Anwendung auf einzelne Indizien 193 d) Schätzungen 195 e) Einzelfragen 201 f) Unterstellung der günstigeren Möglichkeit 205 4. Verfahrensvoraussetzungen 209 5. Sonstige verfahrensrelevante Tatsachen 210 VII. Verurteilung aufgrund mehrdeutiger Tatsachenfeststellungen (Wahlfeststellung) 211 1. Mehrere Möglichkeiten des Tatverlaufs 211 2. Anwendung des Grundsatzes „im Zweifel für den Angeklagten“ 213

a) b)

6. Abschnitt. Hauptverhandlung

Alphabetische Übersicht Absprachen 114 Akteneinsicht 42, 107 Akteninhalt 3, 22, 275 Aktenkenntnis – der Schöffen 33 ff. – eines Zeugen 107 Aktenwidrigkeit 258, 275 Alibi 98, 121, 194 Allgemeinkundige Tatsachen 26 f. Alternative Verfahrensrügen 275 Anatomisch korrekte Puppen 159 Anfangswahrscheinlichkeit 126 Angeklagter 16, 43 – Einlassung 16, 110 ff., 125, 191 f., 272 – Schweigen 100, 119 ff. – Teilweises Schweigen 122 f. Anklage, wesentliches Ergebnis der Ermittlungen 33 ff. Anknüpfungstatsachen 164, 191 Anthropologische Gutachten 172 Auditive Wahlgegenüberstellung 135 Auffangtatbestand 218, 220 Aufklärungspflicht 2, 15, 240, 258, 275 Aufzeichnungen, gerichtsinterne 42 Augenschein 176, 179, 181 Augenscheinsprotokolle 181 Auskunftsperson, geisteskranke 108 Auskunftspflichten, außerstrafprozessuale 125 Auskunftsverweigerungsrecht 119 Ausländisches Recht 184 Aussage gegen Aussage 107, 139 f. Aussageanalyse 129 ff. Aussageentstehung 113 Aussagepsychologie 129 ff. Außenkriterien von Gewicht 143 f. Ausschöpfungsgebot 15, 75 f. Ausschöpfungsrüge 15, 261 ff. Befundtatsachen 23 Belastungswahrscheinlichkeit 126 Beweis des ersten Anscheins 186 f. Beweisantrag 110 Beweislast 186 Beweislücke 24, 48 ff. Beweisregeln 2, 4, 44, 127, 136 ff. Beweisverbote 15, 46, 72, 99 f., 125 Beweisvermutungen 99 Beweiswert 126 ff., 143, 176 Beweiswürdigung – erschöpfende 5, 66 ff., 72 – freie 44 ff., 272 ff. – lückenhafte 48 ff. – rationale 1 ff., 13 f., 45, 270 – unabhängig von Verfahrensrolle 106

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§ 261

– widersprüchliche 53 ff. Bewertungseinheit 201 Bewertungsskala, standardisierte 158 Bindung an andere Entscheidungen 104, 177, 274 Blutalkohol 205 Blutalkoholkonzentration 82, 166 Blutgruppenbestimmung 166 Borderline-Persönlichkeitsstörung 108 Bürgerlich-rechtliche Ansprüche 103 f. Bußgeldkatalog 36, 101 Daktyloskopisches Gutachten 166 Dauerdelikt 201 Denkgesetze 47 ff., 77, 80 Differenzrüge 257 ff. DNA-Analyse 79, 156, 167 ff., 171 – Einzelspur 167 – fremde Ethnie 169 – Hauptkomponente 167, 168 – Mischspur 168 – mitochondriale 156, 171 – Zellkern156, 167 ff. Drogenabhängigkeit 109 Eingestellte Tatteile 19 Einlassung des Angeklagten 110 ff. Entscheidungsregel 182 Erfahrungssätze 28, 58 ff., 78 – Allgemeingültigkeit 59, 61 – nicht bestehende 63 f. – Wahrscheinlichkeitsaussagen 60 Erklärung der Verteidigung 110 Ermittlungen, fehlerträchtige 133 ff. Erscheinungsbild des Angeklagten/Zeugen 18 Exklusive Alternativität 213, 227 Fährtenhund 174 Faserspurengutachten 160 Filme 179 Flucht 64, 116 Fragen des Gerichts 24 Fragenkatalog 138 Freibeweis 29, 256 f., 275 Freiheit vom Selbstbelastungszwang 125 Freispruch 8, 76, 227, 244 Gegenüberstellung 18, 133 Gemeinschuldnerbeschluss 125 Gerichtshilfe 22 Gerichtskundige Tatsachen 21, 26 f., 30 Gesamtwürdigung 72, 78, 107, 132, 193 Gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse 67 ff. Geständnis 111 ff. Gestik 121 Gewissheit 8, 14 Glaubhaftigkeit der Aussage 128 Glaubhaftigkeitsgutachten 129, 170

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§ 261

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

Glaubwürdigkeit 31, 106, 111, 128 ff. Gleicher Unrechtskern 233 Grundsatznorm 1 Haaranalytik 173 Haarvergleich 160 Handschriftengutachten 173 Hochrechnung 66, 197 Inbegriff der Hauptverhandlung 2 f., 15 ff., 254 ff. Inbegriffsrüge 15, 254 ff. Indizienbeweis 77 ff., 193 Indizienkette 83, 126 Indizienring 83, 126 In dubio pro reo, s. Zweifelssatz Informatorische Bekanntgabe 16, 22 Inhaltsanalyse 112 Innere Tatseite 80 ff., 220 Internet 30 Intuitive Einsichten 14, 45 Irrtum 203 Jugendgerichtshilfe 22 Kernbereich der Aussage 130 Kinder als Zeugen 109 Kollegialgericht 12, 31 Kommissarische Einvernahme 20 Konfrontative Befragung 141 f. Künstliche Intelligenz 159 Letztes Wort 16 Lichtbilder 22, 134, 179 f., 259 Lücke 48 ff. Lügen 116, 122 Lügendetektor 159 Mantrailer 174 Massenbetrugstaten 97, 117 Maßregeln der Besserung und Sicherung 204, 252 Menschenrechtskonvention 1, 141 f., 182 Messverfahren, standardisierte 166 Mimik 121 Mitochondriale DNA 156, 171 Mündlichkeit der Hauptverhandlung 2, 33 Nachtragsanklage 244 Nebenfolgen 252 Nebenkläger 17 Nebenstrafen 252 nemo tenetur …, s. Freiheit vom Selbstbelastungszwang Notstand 203 Notwehr 203 Obergutachten 165 Offenkundige Tatsachen 27 ff. Ortskenntnisse des Richters 25 Plausibilität der Aussage 112, 114 Polygraph 159 Postpendenz 217, 239 Posttraumatische Belastungsstörung 158

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Präpendenz 217 Pressegesetze 102 Privatkläger 17 Prognosen 11, 185, 204 Psychiatrische Gutachten 170 Psychologische Gutachten 170 Psychosoziale Prozessbegleitung 131 Randbereich der Aussage 130 Realkennzeichen 129 Rechtliches Gehör 2, 16, 22, 27 f., 260 Rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit 229 Rechtsfolgenentscheidung 36 Rechtsstaatsprinzip 1, 182 Regelbeispiele 189 Rekonstruktion des Inhalts der Beweisaufnahme 257 ff., 262, 275 Revision 253 ff. Richter – Auffassung anderer Personen 31 – blinder 39 – dienstliches Wissen 21 – Erkenntnisse außerhalb der Hauptverhandlung 19 – Erörterung mit Dritten 32 – Ortskenntnisse 25 – privates Wissen 26 – schlafender 38 – tauber 39 – Unabhängigkeit 4 – uneingeschränkte Aufmerksamkeit 15 – Wahrnehmungsfähigkeit 37 ff. Sachrüge 267 ff. Sachverständiger 23 f., 28, 32, 132, 155 ff. Schätzungen 66, 189, 195 ff. Schluss auf – Betrugsvorsatz 92 – Brandstiftungsvorsatz 93 – innere Tatsachen 84 ff. – Körperverletzungsvorsatz 91 – räuberischen Vorsatz 92 – Steuerhinterziehungsvorsatz 96 – subjektive Teile von Mordmerkmalen 90 – Tötungsvorsatz 85 ff. – Untreuevorsatz 96 – Vergewaltigungsvorsatz 93 – Vorsatz bei Betäubungsmitteldelikten 95 – Vorsatz bei Trunkenheit im Verkehr 94 – Vorstellungsbild des Geschädigten 97, 117 Schlüsse, mögliche 80 ff. Schöffen, Unvoreingenommenheit 33 Schuldfähigkeit 203, 218 Schuldfähigkeitsgutachten 170 Schweigepflicht, Entbindung 124

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

Selbstbezichtigung 111 Selbstleseverfahren 16, 22, 259, 261 Serientaten 66, 197 Sitzungsniederschrift 43, 125, 256, 275 Spürhund 174 Standardisierte Bewertungsskala 158 Standardisierte Messverfahren 166 Standardisierte Untersuchungsmethoden 166 Statistische Wahrscheinlichkeiten 9, 66 Steuerstraftaten 199 Stimmenvergleich 135 Strafregistereintrag 22 Strafzumessungsempfehlungen 36 Strengbeweisrecht 16, 22, 43, 99, 257 f. Stufenverhältnis 208, 213, 215, 219 ff. Tateinheit 202 Tatmehrheit 202 Tatsachenalternativität, alleinige 223 Tatsachengrundlage 45, 78 Taxen 136 Technische Regelwerke 70 Tonaufzeichnungen 34, 42, 179 „Überspannte“ Anforderungen 269 Überzeugung, richterliche 1, 4, 7 ff., 31 ff., 183, 241 ff., 268 ff. Unechte Wahlfeststellung 223 Ungleichartige (echte) Wahlfeststellung 227 ff. Unmittelbarkeit 2, 33 Unschuldsvermutung 1, 182 Unterhaltspflicht 103 Unterstellungen, entgegengesetzte 205 Untersuchungsmethoden, standardisierte 166 ff. Urkundenbeweis 22, 176 ff. Ursachenzusammenhang 10 f. Urteilsberatung 40 f. Urteilsformel – bei wahldeutiger Verurteilung 247 ff. – vorzeitige Niederschrift 40 Urteilsgründe 6, 74, 77, 118, 125, 155, 179, 183, 252, 263, 275 Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts 245 Verdacht 14, 78, 182 Verfahrensrüge 254 ff. Verfahrensrüge, Begründung 210, 265 f. Verfahrensrolle 106 Verfahrensvoraussetzungen 209, 244 Verhalten der Verhandlungsteilnehmer 18 Verhältnis zu § 267 6 Verjährung 209 Verkehrszentralregister 22 Verkürzung der Beweislage 147 f.

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§ 261

Vermutungen 14, 101 ff., 270 Verpflichtung zum eigenen Urteil 31 ff. Verständigungen 114 Verteidiger, Erklärungen 17, 110, 124 Vertrauensleute 31, 137 f. Verwandtschaft des Rechtsguts 233 Videoaufzeichnungen 42 Vollständige Ausschöpfung des Beweismaterials 113 Vorentscheidungen, Bindung an 105 Vorhalt 16, 34, 178 Vorsatz 84 ff., 220 Vorwegnahme der Beweiswürdigung 105 Vorwegverteidigung 194 Wahldeutige Verurteilungen 210 ff. – Beispiele aus der Rechtsprechung 235 ff. Wahlfeststellung – unechte 223 – ungleichartige (echte) Wahlfeststellung 227 ff. Wahlgegenüberstellung 133 Wahllichtbildvorlage 134 Wahrnehmungsfähigkeit, richterliche 37 ff. Wahrscheinlichkeitsberechnungen 66, 70 Wahrunterstellung 105 Werkzeugspuren 173 Werturteile 31 Widerspruch 53 ff. Wiedererkennen 133 ff., 180 Willkürverbot 182 Wirkstoffgehalt von Betäubungsmitteln 166 Wissenschaftliche Erkenntnisse 67 Würdigung, erschöpfende 5 Zeitungsberichte 32 Zellkern-DNA 156, 167 ff. Zeuge – äußerer Eindruck 18, 154 – Fragen an 24 – klassischer 149 – „kranker“ 139 – schweigender 18, 100, 151 f. Zeuge vom Hörensagen 31, 137 Zeugentauglichkeit 107 f. Zeugnisverweigerung 152 ff. Zirkelschluss 57 Zufallszeuge 137 Zuhörer 18 Zusatztatsachen 23 Zweifel, rationale 8 Zweifelsfragen, rechtliche 184 Zweifelssatz 182 ff., 212 ff., 240, 271

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§ 261

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

I. Bedeutung 1. Strafprozessuale Grundsatznorm. § 261 ist eine das gesamte Strafverfahren bestimmende Grundsatznorm. Aus ihr folgt, dass die für das Urteil maßgebenden tatsächlichen Feststellungen als Ergebnis einer logischen, also insbesondere in sich schlüssigen und nachvollziehbaren Würdigung aller für und gegen sie sprechenden Umstände von der vollen persönlichen Überzeugung des Richters von ihrer Richtigkeit getragen werden müssen. Das Gericht muss demzufolge darlegen, dass es selbst von der Richtigkeit seines Urteils überzeugt ist und diese Gewissheit frei von sachfremden Überlegungen und Willkür gewonnen hat.1 Erst dadurch wird der Schuldspruch zu dem über einen bloßen Verdacht oder eine Vermutung hinausreichenden „gesetzlichen Nachweis“ der Schuld, der im Falle der Verurteilung notwendig ist, um die verfassungsrechtlich durch Rechtsstaatsprinzip und Grundrechtsschutz sowie international durch Art. 6 Abs. 2 EMRK, Art. 14 Abs. 2 IPBPR2 garantierte Unschuldsvermutung3 zu widerlegen.4 2 Diese (subjektive) Gewissheit5 kann nicht durch die Bindung an eine zu Beweisregeln verfestigte „generalisierte Durchschnittserfahrung“ gewonnen werden, sondern nur durch einen individuellen Erkenntnisakt, aufgrund dessen der Richter nach vorangegangener rationaler Würdigung der Beweisergebnisse im Wege logischer Schlussfolgerungen den für die Rechtsanwendung erheblichen Sachverhalt persönlich für erwiesen hält. Die hierin liegende Freiheit der Beweiswürdigung, die § 261 gewährt, bildet neben der Pflicht des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit (§ 244 Abs. 2) einen tragenden Eckpfeiler des Beweisrechts.6 Durch das damit verknüpfte Gebot, die richterliche Überzeugung nur aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu schöpfen, stützt § 261 in Ergänzung der §§ 250 ff. auch die Grundsätze der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit.7 Das Verfassungsgebot, vor einer gerichtlichen Entscheidung stets rechtliches Gehör zu gewähren, wird dadurch in der bestmöglichen Form verwirklicht, nämlich der Beweiserhebung in Gegenwart aller Verfahrensbeteiligten.8 1

3

2. Pflichten des Gerichts. § 261 umfasst im Wesentlichen folgende Pflichten des Gerichts: 1 Vgl. etwa BVerfGE 18 85, 96; 74 102, 127; zur Verfassungsmäßigkeit des § 261 s. auch BVerfGE 130 1, 36 ff.

2 Zu entsprechenden Bestimmungen in Art. 8 Abs. 2 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention, Art. 7 Abs. 1 lit. b der Afrikanischen Menschenrechtscharta, Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Arabischen Menschenrechtscharta sowie Art. 48 Abs. 1 der Europäischen Grundrechtecharta s. Frister GedS Weßlau 149, 150; zum letztgenannten Regelungswerk ausführlich Jarass NStZ 2012 611, 613 f. 3 Vgl. BVerfGE 19 342, 347; 22 254, 265; 74 385; 82 106, 114; BVerfG NJW 1991 1530; dazu LR/Kühne Einl. J 74 ff.; LR/Esser26 Art. 6, 445 ff. EMRK; Weigend FS Rogall 739; s. auch BGHR MRK Art. 6 Abs. 2 Unschuldsvermutung 1. 4 HK/Julius/Beckemper 2; Meyer-Goßner/Schmitt 2a; SK/Rogall Vor § 133, 76. 5 Der Begriff der Gewissheit wird in verschiedener Weise gebraucht, oft als Synonym für Überzeugung i. S. v. subjektivem Nichtbezweifeln; nach Greger 21 sollte er nur für die objektive Unbezweifelbarkeit verwendet werden. 6 Zur Entwicklung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung Jerouschek GA 1992 493; Meurer FS Kirchner 249; ferner Fezer NStZ 1987 194; StV 1992 528; 1995 95; F.-W. Krause FS Peters 323; Kunert GA 1979 401; Küper FS Peters 25; AK/Maiwald 2; KMR/Stuckenberg 1 f. 7 BGH NStZ 1988 374; NJW 1990 585; LR/Kühne Einl. I 53 ff.; Geppert 138, 141; ferner zum Zusammenhang dieser Grundsätze mit dem Erfordernis der subjektiven Überzeugung Peters FS Gmür 319; Walter 329; SK/Velten 1 und Vor § 261, 26; s. auch LR/Cirener/Sander § 250, 1. 8 LR/Kühne Einl. I 75, 88; vgl. Geppert 236 ff.

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Der Richter darf seine Überzeugung von den Tatsachen, auf die sich seine Entscheidung über Schuld und Rechtsfolgen stützt, nur aus dem Inhalt der Hauptverhandlung selbst schöpfen, nicht aber aus anderen Erkenntnisquellen, wie etwa dem Akteninhalt oder privatem Wissen.9 Er darf seiner Entscheidung nur die eigene Überzeugung, nicht aber die von ihm 4 nicht voll geteilte Meinung anderer Personen zugrundelegen.10 In Berücksichtigung des Grundsatzes, dass im Zweifel zugunsten des Angeklagten zu entscheiden ist,11 darf er ein verurteilendes Erkenntnis nur auf Tatsachen stützen, die er nach umfassender Würdigung aller in die Hauptverhandlung zulässig eingeführten Erkenntnisquellen selbst für erwiesen hält. Bei dieser Wertung ist er grundsätzlich unabhängig, aber selbstverständlich nur in den Grenzen der auch hier geltenden Verpflichtung zu einer alle objektiven Gegebenheiten einbeziehenden rationalen und intersubjektiv nachvollziehbaren Beurteilung.12 Er ist nicht gezwungen, etwas gegen seine Überzeugung für erwiesen zu halten,13 derartiges ist ihm vielmehr untersagt. Die Beweisfragen hat er grundsätzlich ohne Bindung durch ein System vorgegebener, formaler Beweisregeln zu entscheiden.14 Das Gesetz kann Ausnahmen von diesem Grundsatz zulassen. Diese sind jedoch eng zu begrenzen. Der Kernbereich der von der Verfassung garantierten richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) darf durch diese Ausnahmen nicht ausgehöhlt werden.15 Es ist jedoch unbedenklich, dass die Rechtsprechung zum Schutz des Angeklagten Beweisregeln entwickelt hat, die seine Verurteilung in bestimmten Konstellationen, in denen insbesondere die Verteidigungsmöglichkeiten nicht unerheblich erschwert sein können, nur unter erhöhten Anforderungen zulassen (Rn. 136 ff.). Damit diese Freiheit nicht zur Willkür wird, erwächst aus ihr die Pflicht für das 5 Gericht, sie auch selbst zu nutzen. Seine Mitglieder müssen alle Vorgänge der Hauptverhandlung mit uneingeschränkter Aufmerksamkeit nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern alle in der Hauptverhandlung zulässig gewonnenen Erkenntnisse und Beweisergebnisse in ihre Überlegungen einbeziehen und erschöpfend würdigen.16 3. Verhältnis zu § 267. § 261 betrifft die Überzeugungsbildung des Richters als 6 Grundlage der Urteilsfindung, § 267 die nachträgliche Dokumentation der tragenden Urteilsgründe. Die Beachtung des § 261 und die Einhaltung der daraus hergeleiteten Grundsätze kann jedoch von den nachfolgenden Instanzen nur anhand dessen überprüft werden, was in den Urteilsgründen festgehalten worden ist oder dort nach § 267 bzw. nach den von der Rechtsprechung aus dem materiellen Recht und aus § 261 entwickelten Anforderungen an die Wiedergabe der Beweiswürdigung im Urteil hätte festgehalten werden müssen.17 Ist etwa das Rechtsmittel wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt, so bedarf es in aller Regel keiner die Feststellungen zum Schuldspruch be9 Vgl. etwa AK/Maiwald 3, 5; SK/Velten 55; SSW/Schluckebier 1; Rn. 15 ff. 10 Vgl. BGHSt 17 382; 29 109; 34 15; BGH bei Dallinger MDR 1973 190; OLG Saarbrücken VRS 30 (1966) 52; dies gilt auch für die Gutachten Sachverständiger, vgl. SK/Velten 8 ff.; Rn. 155. 11 Vgl. Rn. 182 ff. 12 H. M.; etwa KK/Ott 49; KMR/Stuckenberg 28 f.; Mosbacher FPPK 9 (2015) 82, 84. 13 Vgl. BGH bei Pfeiffer NStZ 1982 190; F.-W. Krause FS Peters 323, 330; ferner Geppert 183, wonach Beweisregeln, die zwingend die Beweiskraft eines bestimmten Beweismittels festlegen, mit dem Prinzip der freien Beweiswürdigung grundsätzlich unvereinbar sind. Ausnahme: § 191 StGB; vgl. Rn. 7, 100. 14 BGHSt 39 291, 295; BGH StV 1988 239. 15 Dies schließt einzelne Beweisregeln und Beweisverbote nicht aus; vgl. Rn. 99. 16 Vgl. Rn. 44 ff.; LR/Franke26 § 337, 121 ff.; SK/Velten 74 sowie die Erläuterungen zu § 267. 17 Der Umfang der Darlegungspflicht ist streitig, vgl. LR/Franke26 § 337, 94 ff. sowie die Erläuterungen zu § 267; ferner etwa Eisenberg Beweisrecht Rn. 96 f.; Jerouschek GA 1992 506 ff.; Niemöller StV 1984 432.

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treffenden Beweiswürdigung mehr.18 Die beiden genannten Vorschriften überdecken sich deshalb vielfach trotz ihrer in der Zielsetzung unterschiedlichen Regelungsgegenstände. In der nicht einheitlichen Rechtsprechung wird von Fall zu Fall einmal der eine oder der andere Gesichtspunkt in den Vordergrund gestellt.19 II. Die richterliche Überzeugung 1. Voraussetzungen der Überzeugung 7

a) Begriff. Unter Überzeugung20 ist eine bestimmte innere Stellungnahme des Richters zum Gegenstand der Untersuchung zu verstehen, die ausschließlich aus dem Inbegriff der Verhandlung erwachsen darf. Der Richter muss seine Überzeugung von einem tatsächlichen Hergang nach einer gewissenhaften Prüfung der erhobenen Beweise aufgrund objektivierbarer und rational einleuchtender Erwägungen21 gewinnen. Dabei ist der Grundsatz streng zu beachten, dass von mehreren ernsthaft in Betracht kommenden Möglichkeiten allemal die dem Angeklagten günstigere anzunehmen ist. Überzeugt ist der Richter aber erst, wenn er die derart gewonnene Erkenntnis von einer zumindest hohen Wahrscheinlichkeit des Geschehens auch subjektiv für zutreffend22 hält. Hierbei üben nicht nur verstandesmäßige Erwägungen einen Einfluss aus; vielmehr wirkt auch das Gefühl mit.23 Die richterliche Überzeugungsbildung ist somit ein komplexer Vorgang, zu dem u. a. nicht quantifizierbare Wahrscheinlichkeitserwägungen und sich wechselseitig beeinflussende Beurteilungen gehören.24 Die den objektivierbaren rationalen Erkenntnisvorgang bestätigende subjektive Überzeugung, dass das gefundene Ergebnis dem tatsächlichen Lebenssachverhalt entspricht oder dies wegen eines konkreten Umstands zweifelhaft bleibt, ist Sache des Tatrichters.25 Diesem muss zur Erfüllung seines Amts ein eigenverantwortlicher Entscheidungsraum verbleiben, wenn aufgrund rationaler Beweiswürdigung nur eine sehr hohe, durch keine erkennbaren Umstände in Frage gestellte Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Sachhergangs

18 BGH Beschl. v. 16.4.2019 – 5 StR 86/19. 19 Vgl. Jerouschek GA 1992 511 ff.; Niemöller StV 1984 432 (Beweiswürdigungsfehler und Darstellungsmangel verschmelzen in der Sicht des Revisionsgerichts); ferner Rn. 253 ff. 20 BGH Urt. v. 9.11.2010 – 5 StR 297/10. 21 Vgl. BGH NStZ-RR 1998 275 (nur gedachte, abstrakt-theoretische Möglichkeiten reichen nicht). Vgl. im Übrigen Rn. 14. 22 Im Sinne von wirklich geschehen, vgl. Peters FS Gmür 312, 316 (Überzeugung, dass realer Vorgang der Außenwelt stattgefunden hat). Zum Wahrheitsbegriff im Strafprozess LR/Kühne Einl. H 23 ff.; Krauß FS Schaffstein 411; Lampe FS Pfeiffer 367; Rieß GA 1978 257; Schmidt JuS 1973 204; vgl. ferner Fezer StV 1995 95; Geppert 181; Greger 34; Herdegen FS Hanack 312, 318; Küper FS Peters 45; Volk (Wahrheit) 8; AK/ Maiwald 10; KK/Ott 2; Meyer-Goßner/Schmitt 1; KMR/Stuckenberg 22 f.; SK/Velten 6. 23 Mösl DRiZ 1970 11: „Vielschichtiges geistig-seelisches Geschehen, das vom logisch geschulten Verstand ebenso getragen wird wie vom Gefühl“; ferner Fezer StV 1995 99; Herdegen StV 1992 531 ff.; Mayer FS Mezger 455 ff.; Francke: „Die irrationalen Elemente der richterlichen Entscheidung“; Francke DRiZ 1960 434 gegen Böhme DRiZ 1960 20; Greger 19 ff.; Niese GA 1954 148; Mattil GA 1954 334; Wimmer DRZ 1950 390; Hamm 909 (Überzeugung ist subjektiv individuelles Gewissheitserlebnis, das in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zum objektivierbaren rationalen Erkenntnisvorgang steht); Peters § 37 XI lehnt die Mitwirkung des Gefühls bei der Wertung ab; a. A. auch Hoyer ZStW 103 (1993) 533 (objektive Wahrscheinlichkeit bei subjektiver Überzeugung von ihr). 24 Zum psychologischen Faktor des Erkenntnisvorgangs vgl. AK/Maiwald 10, 12 m. w. N. von Schrifttum zur Psychologie des Strafverfahrens. 25 S. nur BGH Urt. v. 17.8.2004 – 5 StR 591/03.

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feststellbar ist. Lässt in solchen Fällen aber die von Verstand und Gefühl beherrschte Wertung auch nur einen leisen realen Zweifel an der schuldhaften Tatbeteiligung des Angeklagten übrig, so fehlt es, wenn auch erdrückende Verdachtsgründe bestehen, doch an der zur Verurteilung erforderlichen Überzeugung.26 Der die Verurteilung hindernde Zweifel darf allerdings nicht lediglich aus dem 8 Bewusstsein der allgemeinen Unzulänglichkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens hergeleitet werden.27 Von dem Gedanken „Ich sehe, dass wir nichts wissen können“ darf sich ein Tatrichter nicht leiten lassen. Vielmehr gibt immer nur der reale, d. h. rational hergeleitete Zweifel den Ausschlag, der im Hinblick auf die besondere Beschaffenheit des einzelnen Falls nicht überwindbar erscheint. Maßgebend ist allein der auf konkrete Tatsachen gestützte eigene Zweifel des Richters und nicht der im Hinblick auf die Unvollkommenheit menschlicher Erkenntnis an sich abstrakt denkbare, theoretische Zweifel.28 Die richterliche Überzeugung setzt keine mathematische, jede theoretische Möglichkeit des Gegenteils ausschließende objektive Gewissheit, nach ständiger Rechtsprechung des BGH insbesondere auch keinen „zwingenden Beweis“ voraus.29 Ein ausreichendes Maß an Sicherheit, dergegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr laut werden können, genügt als Grundlage der Überzeugung.30 Lässt ein Urteil aber keine Anhaltspunkte für einen rational begründbaren Zweifel ersehen, indem es etwa keinen gegen eine Täterschaft des Angeklagten sprechenden Umstand schildert,31 so kann dies den Schluss nahelegen, das Gericht habe nur einen abstrakt bestehenden theoretischen Zweifel für nicht ausräumbar gehalten und damit die Anforderungen an seine Überzeugungsbildung verkannt („überspannt“).32

26 RGSt 66 163; RG JW 1928 116; BGH NStZ 1988 237; VRS 39 (1970) 103; 62 (1982) 120; bei Spiegel DAR 1978 160; LM Nr. 6; BayObLGSt bei Bär DAR 1988 368; OLG Koblenz VRS 65 (1983) 377; Eisenberg Beweisrecht Rn. 90; Fezer StV 1995 100; Mannheim JW 1928 117; v. Scanzoni JW 1928 2181; Ehrenzweig JW 1929 85; Alsberg JW 1929 863; 1930 761. 27 RGSt 61 206; 66 163; BGH NJW 1951 83; MDR 1951 122; 1989 371; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 15; bei Miebach NStZ 1990 28; bei Kusch NStZ 1997 377; NStZ-RR 1998 275; GA 1969 181; s. auch Urt. v. 27.1.2011 – 4 StR 502/10; Urt. v. 25.9.2013 – 2 StR 190/13. 28 BGHSt 5 34; 25 365; 34 29; 34 206, BGH NStZ 1982 478; 1983 277; 1988 373; 1990 402; NStZ-RR 2013 117, 118; OLG Koblenz VRS 46 (1974) 38; 67 (1984) 267; 70 (1986) 18; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1977 182; KK/Ott 12; Mengler 130. 29 BGHSt 58 212, 215; BGH Urt. v. 20.10.2004 – 1 StR 232/04; Urt. v. 3.7.2007 – 1 StR 3/07; Urt. v. 6.8.2013 – 1 StR 201/13. 30 RGSt 51 127; 66 164; BGH NJW 1951 83 (dazu kritisch v. Scanzoni NJW 1951 222); 1951 325; 1967 360; 1967 1643; 1993 606; JZ 1996 315 m. Anm. Puppe; MDR 1967 226; NStZ 1982 478; 1983 277; NStZ-RR 1988 102; 1988 275; GA 1954 152; 1969 181; StV 1990 5; 1994 580; VRS 16 (1959) 438; 24 (1963) 207; 29 (1965) 14; 39 (1970) 103; 49 (1975) 429; 53 (1977) 110; 55 (1978) 186; 63 (1982) 39; bei Holtz MDR 1978 806; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 212; bei Schmidt MDR 1986 974; bei Spiegel DAR 1978 157, 160; 1985 197; Urt. v. 1.6.2016 – 1 StR 597/15; BayObLG GA 1970 186; OLG Celle NJW 1976 2030; OLG Düsseldorf VRS 66 (1984) 358; OLG Hamm VRS 41 (1971) 30; JMBlNW 1976 18; OLG Karlsruhe VRS 22 (1962) 368; NJW 1972 2237; Justiz 1982 26; OLG Koblenz VRS 44 (1973) 44; 45 (1973) 118; 46 (1974) 37; 65 (1983) 377; 67 (1984) 267; GA 1975 220; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1974 183; 1975 190; OLG Zweibrücken JZ 1968 675; Hanack JuS 1977 727; Niese GA 1954 148; Mösl DRiZ 1970 110; Peters JR 1978 82; ferner KMR/Stuckenberg 25. 31 BGH Urt. v. 10.11.2015 – 5 StR 300/15. 32 S. z. B. BGH NStZ-RR 2017 5, 6; vgl. auch HK/Julius/Beckemper 8 (objektive Beweismaßkriterien grenzen subjektive Beweiswürdigung in beiden Richtungen ein); KMR/Stuckenberg 25; ferner Schlüchter 55 (am Ende), die Unterschiede zwischen der subjektiven und der objektiven Theorie werden dadurch praktisch weitgehend eingeebnet; ähnlich Meurer FS Tröndle 533, 541, 545; krit. zur Begrifflichkeit Mengler 130.

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Nach anderer Auffassung genügt die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit eines durch festgestellte Tatsachen schlüssig belegten Sachhergangs für die von § 261 geforderte Überzeugung, auch wenn das Gericht keine darüber hinausreichende volle subjektive Gewissheit erlangt hat. Das RG hat mit Rücksicht auf die Unerreichbarkeit einer unbedingten Gewissheit in einer viel kritisierten Entscheidung33 ausgesprochen, dass der Richter in der geistigen Arbeit, die er bei der abschließenden Würdigung des Verhandlungsergebnisses zu leisten hat, sich durchgehend mit einem so hohen Grad von Wahrscheinlichkeit begnügen dürfe, wie er bei möglichst erschöpfender und sorgfältiger Anwendung der vorhandenen Erkenntnismittel entstehe; ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit gelte als Wahrheit.34 Dagegen spricht zunächst, dass es einen bedeutsamen Unterschied darstellt, etwas für wahr oder lediglich für wahrscheinlich zu halten. Mit dem Verzicht auf die subjektive Gewissheit des Tatrichters als unabdingbares Element der Überzeugung würde zudem ein zwar nur ausnahmsweise praxisrelevantes, dann aber unentbehrliches Korrektiv aufgegeben. Denn es ist etwas qualitativ anderes, ob ein Tatrichter sich damit begnügen kann, nur objektiv die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit des Sachhergangs festzustellen, oder ob er das Urteil darüber hinaus als Ergebnis seiner persönlichen Überzeugung zu verantworten hat. Auch ist weder abstrakt noch konkret quantifizierbar, ab welchem Grad die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit „grenzt“. Aber selbst wenn eine sichere Einstufung des Wahrscheinlichkeitsgrades praktisch möglich wäre, würde eine nur darauf gestützte Verurteilung ohne das richterliche Gewissheitsurteil an Überzeugungskraft verlieren. Die tatgerichtlichen Entscheidungen würden dann nicht nur wie jetzt hinsichtlich der ausreichenden Darlegung ihrer objektiven Grundlage nachprüfbar, sondern sie würden in beiden Richtungen zum Ergebnis einer Wahrscheinlichkeitsberechnung werden. Nicht die auf Menschenkenntnis und Erfahrung beruhende subjektive Überzeugung des Tatrichters, sondern der Umstand würde dann über Freispruch oder Verurteilung entscheiden, ob die Wahrscheinlichkeit des Sachhergangs etwa mit 96 oder nur 95 % zu bewerten ist.35 Die höchstrichterliche Rechtsprechung hält daher überzeugend daran fest, dass zu dem objektiven, für Jedermann nachvollziehbaren Wahrscheinlichkeitsurteil die subjektive Gewissheit des Richters hinzukommen muss.36

33 RGSt 61 202; hierzu Mengler 112 ff.; vgl. auch RG DRiZ 1929 Nr. 75; JW 1930 761; 1933 454; 1935 543; ähnliche Sätze finden sich in BGHSt 5 34; BGH NJW 1953 83; 1953 122; 1988 3273; StV 1995 453; GA 1969 181; ferner Bohne NJW 1953 1377; Bender/Nack DRiZ 1980 121; Herdegen NStZ 1987 198 (hoher Wahrscheinlichkeitsgrad genügt); ders. JZ 1998 56; FS Hanack 328 (Argumentation, die sich auf Schlussregeln stützen kann, die die Folgerungen als im hohen Maße plausibel erscheinen lassen). Zur Problematik Fincke GA 1973 266; Greger 38 ff., 60 ff.; Hanack JuS 1977 730; Meurer FS Tröndle 533 ff. 34 Vgl. etwa Herdegen JZ 1998 54; FS Hanack 328. Greger 60 nimmt aufgrund einer Gesamtwürdigung an, dass sich diese Entscheidungen nur missverständlich ausgedrückt haben und in Wirklichkeit das Erfordernis der subjektiven Überzeugung gar nicht in Frage stellen, sondern nur die Anforderungen an deren objektive Grundlagen zurechtrücken wollten. 35 Vgl. die mathematischen Wahrscheinlichkeitserwägungen bei Hoyer ZStW 103 (1993) 533, 548; gegen die Übersetzung der Wahrscheinlichkeit in Zahlenwerte Eisenberg Beweisrecht Rn. 919. 36 So auch BGHSt 10 208; 25 367; 29 20 = JR 1980 169 m. Anm. Peters; BGH NJW 1967 360; GA 1954 152; LM Nr. 6 und 14; BayObLG NJW 1959 1189 („die bloße,Annahme‘ ist noch keine Überzeugung“); GA 1970 186; OLG Celle NdsRpfl. 1976 181; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1974 183; Hartung SJZ 1948 586; Lampe FS Pfeiffer 353; G. Schäfer StV 1995 148; Volk NStZ 1996 106; Erb FS Rieß 77, 88 ff.; ferner etwa KMR/Stuckenberg 24 (notwendige Bedingung); Eb. Schmidt 11, 12; JZ 1970 337; Mösl DRiZ 1970 110; vgl. OLG Hamburg DAR 1952 187; wonach dies nicht zu einer Beweisvermutung zulasten des Angeklagten führen dürfte; ferner Greger 113.

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b) Ursächlicher Zusammenhang. Für die Bildung der richterlichen Überzeugung 10 vom ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Handlung oder Unterlassung des Angeklagten und einem bestimmten Erfolg gilt grundsätzlich nichts anderes als sonst. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Erfolg verursacht durch eine Handlung, wenn diese nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele.37 Auch vom ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Handlung des Angeklagten und einem bestimmten Erfolg muss der Richter subjektiv überzeugt sein.38 Dies setzt aber voraus, dass die Überzeugung vom Kausalverlauf im konkreten Fall auf der Grundlage logischer und die Feststellungen ausschöpfender Erwägungen gewonnen wurde. Diese müssen den Erkenntnissen der Wissenschaft und der Lebenserfahrung entsprechen und ein so ausreichendes Maß an Sicherheit begründen, dass keine vernünftigen Zweifel am Ursachenzusammenhang fortbestehen;39 hierfür muss nicht jede theoretische Möglichkeit eines abweichenden Verlaufs ausgeschlossen werden.40 Anderenfalls fehlt es an einer ausreichend objektivierbaren Grundlage für die Bejahung der Kausalität. Wenn in der Wissenschaft umstritten ist, ob nach den derzeitigen Erkenntnissen im konkreten Fall überhaupt ein genereller Ursachenzusammenhang zwischen der Handlung und dem Erfolg bejaht werden kann, besteht kein das Gericht bindendes allgemeingültiges Erfahrungswissen. Hält man dann das Gericht zu einer eigenen Stellungnahme dazu nicht für befugt, müsste es freisprechen, weil es am Nachweis der Kausalität fehlt. Nimmt man dagegen an, dass das Gericht in diesen Fällen – ähnlich wie bei einem Widerstreit nicht zwingender Erfahrungssätze – zur eigenen Beweiswürdigung berechtigt und verpflichtet ist,41 dann muss es sich im Rahmen seiner eigenen Meinungsbildung auch mit der nicht sicher feststehenden, aber nach der einen Ansicht gegebenen oder mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehenden generellen Kausalität befassen.42 Es hat sich mit den Argumenten des Meinungsstreits auseinanderzusetzen und in einer Gesamtwürdigung aller Tatsachen des konkreten Falls selbst darüber zu entscheiden. Im Urteil muss zudem logisch nachvollziehbar dargelegt werden, warum das Gericht nach Ausschluss aller anderen in Betracht kommenden Möglichkeiten von der Kausalität überzeugt ist oder aufgrund welcher Tatsachen und Erwägungen es diese Überzeugung nicht hat gewinnen können.43 Abzulehnen ist die Ansicht, dass an das Urteil über den ursächlichen Zusammen- 11 hang zwischen einem bestimmten Verhalten und einem bestimmten Erfolg weniger strenge Anforderungen zu stellen seien als sonst bei der richterlichen Überzeugungsbildung, vor allem, wenn die Ursächlichkeit einer Unterlassung zu beurteilen sei, und dass insoweit eine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ genügt.44 Für diese Unter37 Vgl. RGSt 56 348; 57 393; 58 130; 63 214; 63 392; 66 184; 69 47; 75 49; BGHSt 1 332; 2 24; zum strafrechtlichen Kausalitätsbegriff s. die Erläuterungsbücher zum StGB. 38 MüKo/Miebach 60. 39 Vgl. Rn. 203; zur Kausalität eines Unterlassens BGHSt 59 292, 301 ff. 40 BGH StV 2013 698. 41 Vgl. BGHSt 37 106 (Lederspray); dazu Kuhlen NStZ 1990 566; Samson StV 1991 183; GA 1994 348; JZ 1994 1144; ferner LG Frankfurt NStZ 1990 512; BGHSt 41 206 (Holzschutzmittel); dazu Hamm StV 1997 159; Herdegen FS Hanack 320; Hilgendorf NStZ 1994 456; GA 1995 522; FS Lenckner 699; Hoyer ZStW 105 (1993) 525, 529; GA 1996 160; Puppe JR 1992 31; JZ 1996 318; Volk NStZ 1996 105; Wohlers JuS 1995 1019 ff.; SK/Velten 14; ferner LG Aachen JZ 1971 510 (Contergan); dazu A. Kaufmann JZ 1971 570; Keller GA 1999 255, 270. 42 Ebenso Unger 222 ff. 43 Dazu eingehend Wohlers JuS 1995 1019 ff. m. w. N. zum Streitstand; vgl. ferner Eisenberg Beweisrecht Rn. 107; Hoyer ZStW 105 (1993) 525, 529 ff., der auf den hohen Grad objektiver Wahrscheinlichkeit abstellt. 44 So etwa RGSt 15 151; 51 127; 58 130; 63 211; 75 49; 75 324; 75 372; RG JW 1928 2716; 1931 2576; 1937 3087, dazu Greger 64.

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scheidung fehlt es an einem zureichenden Grunde.45 Hinsichtlich der subjektiven Gewissheit kann zwischen richterlicher Überzeugung, die einen Ursachenzusammenhang betrifft, und derjenigen, die sich auf andere dem Schuldspruch zugrundeliegende Tatsachen bezieht, nicht plausibel unterschieden werden.46 Der BGH hat in diesem Sinne klargestellt, dass die – bei (unechten) Unterlassungsdelikten weiterhin verwendete –47 Formulierung „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ nur die „überkommene Beschreibung des für die richterliche Überzeugung erforderlichen Beweismaßes“ darstellt,48 ohne dass hierdurch die inhaltlichen Anforderungen gesenkt werden sollen. Allerdings sind manche Entscheidungen nicht ganz frei von missverständlichen Formulierungen,49 etwa wenn im Zusammenhang mit der Frage, ob die bloß gedachte Möglichkeit eines anderen Kausalverlaufs zu berücksichtigen ist, von der „Überzeugung von der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit des Gegenteils“ gesprochen wird,50 obwohl andere Ausführungen des bezeichneten Urteils dahin verstanden werden können, dass sich die richterliche Überzeugung vom Ursachenzusammenhang von der richterlichen Überzeugung zu anderen Teilen des Schuldspruchs nicht unterscheidet.51 12

c) Prognosen. Entscheidungen, die eine Voraussage von Entwicklungen erfordern, wie etwa die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung und die Frage, ob die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, müssen sich hinsichtlich der Prognose mit einer Wahrscheinlichkeitsfeststellung begnügen.52 Soweit eine solche Entscheidung allerdings von zeitlich vor dem Urteilsspruch liegenden Tatsachen abhängig ist, hat sie das Gericht in einer Weise für erwiesen zu halten, die sich durch nichts von der Überzeugung unterscheiden darf, die es von den sonstigen dem Schuld- und Rechtsfolgenausspruch zugrundeliegenden Tatsachen gewinnen muss.53 Daneben muss das Gericht aber regelmäßig prüfen, ob eine bestimmte Entwicklung zu erwarten ist, etwa, ob eine Maßregel der Besserung und Sicherung erforderlich ist, um einer vom Angeklagten in der Zukunft ausgehenden Gefahr zu begegnen,54 oder ob diesem eine günstige Kriminalprognose gestellt werden kann. Die Meinungsbildung des Gerichts über das zukünftige Verhalten eines Menschen unterscheidet sich ähnlich von dem Fürwahrhalten eines in der Vergangenheit liegenden Vorgangs wie eine Wettervorhersage von der 45 Eb. Schmidt 12, I Nr. 374; Mösl DRiZ 1970 110. Greger 177 ff. verneint ebenfalls einen Unterschied im Beweismaß, nimmt als Bezugsgröße des Beweismaßes aber an, dass es genügt, wenn das Gericht von der nach der Lebenserfahrung bestehenden Wahrscheinlichkeit der Kausalität überzeugt ist. Vgl. Keller GA 1999 255, 270 (Indizwirkung im Rahmen freier Beweiswürdigung). 46 BGH LM Nr. 6 m. Anm. Neumann; LM Nr. 14; NJW 1951 122; VRS 16 (1959) 432; OLG Celle NJW 1976 2030; OLG Koblenz GA 1975 220; vgl. Greger 67, 176 ff. 47 S. nur BGHSt 43 381, 397; 61 21, 27; BGH NStZ 2019 662, 664. 48 BGHSt 37 106, 126 f.; 59 292, 302. 49 BGH NJW 1954 1047; 1955 1487; VRS 10 (1956) 359; bei Dallinger MDR 1951 274; 1953 20; bei Holtz MDR 1978 806. 50 BGHSt 11 1. 51 Vgl. den durch BGHSt 11 1 erledigten Vorlagebeschluss OLG Hamm VRS 13 (1957) 39; ferner Greger 67; Mezger JZ 1958 281. 52 F.-W. Krause FS Peters 323, 326; Meyer-Goßner/Schmitt 27; vgl. Nell Wahrscheinlichkeitsurteile in juristischen Entscheidungen; Greger 39; Montenbruck „In dubio“ 96; ferner etwa BVerfGE 70 313; Rn. 204; zu den rechtlichen Rahmenbedingungen Boetticher/Koller/Böhm/Brettel/Dölling/Höffler/Müller-Metz/Pfister/ U. Schneider/Schöch/Wolf NStZ 2019 553 sowie zu erfahrungswissenschaftlichen Empfehlungen Kröber/ Brettel/Rettenberger/Stübner NStZ 2019 574. 53 Vgl. BGH bei Dallinger MDR 1973 990; SK/Velten 7; s. auch Rn. 204. 54 Hierzu etwa BGH Urt. v. 22.11.2018 – 4 StR 253/18.

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Aussage über das Wetter des vorherigen Tages. An die Stelle des Fürwahrhaltens muss notwendig die unter Verwertung aller in Betracht kommenden Anhaltspunkte zustandegekommene Einschätzung treten, dass sich der Angeklagte nach aller Erfahrung wahrscheinlich so und nicht anders verhalten werde. Die vom Gesetz in Fällen dieser Art geforderte Bewertung hinsichtlich eines zukünftigen Verhaltens muss nach dem Grad der Sicherheit notwendigerweise hinter der Überzeugung über ein abgeschlossenes Ereignis zurückstehen. Daher darf beispielsweise eine günstige Kriminalprognose im Rahmen der Bewährungsentscheidung gemäß § 56 StGB nicht erst dann gestellt werden, wenn eine bedenkenfreie, jeden Zweifel ausschließende Gewissheit, eine „sichere Gewähr“ oder auch nur ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad straffreier Führung in der Zukunft vorliegt. Umgekehrt genügt hierfür die bloße Hoffnung oder Möglichkeit künftiger Straflosigkeit nicht, zumal der Grundsatz in dubio pro reo insoweit nicht anwendbar ist55 (Rn. 185). 2. Persönliche Überzeugung und objektive, rational einleuchtende Beweiswür- 13 digung. Die durch die Beweiswürdigung gewonnene, von Zweifeln freie Gewissheit des Tatrichters von einem bestimmten Geschehensverlauf ist höchstpersönlich. Es handelt sich um einen inneren Zustand, der jedoch beschreibend verbalisiert werden kann.56 Eine übereinstimmende Überzeugung bei einem Kollegialgericht wird durch das gemeinsame Erleben der Hauptverhandlung (vgl. Rn. 15 ff.) und durch den Meinungsbildungsprozess in der Beratung häufig entstehen. Notwendig ist dies allerdings auch bei einer Verurteilung nicht, vielmehr sieht § 263 für jede dem Angeklagten nachteilige Entscheidung zur Schuldund Rechtsfolgenfrage eine Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen als ausreichend an. Hat ein Tatrichter aufgrund der Hauptverhandlung eine bestimmte Überzeugung gewonnen, so kann sie nicht deshalb in Frage gestellt werden, weil die – ggf. im Wege des Ausschlussverfahrens –57 gezogenen Schlüsse zwar möglich, aber nicht zwingend sind58 oder ein anderer vielleicht noch gezweifelt hätte.59 Er hat den Angeklagten dann zu verurteilen,60 wenn nicht beispielsweise eine Verfahrenserledigung gemäß § 153a in Betracht kommt. Zur Freiheit der Überzeugung gehört auch die Freiheit der Entschließung, einen an sich objektiv möglichen Zweifel zu überwinden.61 Konnte umgekehrt der Tatrichter die erforderliche Gewissheit nicht erlangen, so ist dies – sofern alle relevanten Gesichtspunkte erschöpfend und fehlerfrei gewürdigt sind – namentlich vom Revisionsgericht ebenfalls hinzunehmen, auch wenn nach den Urteilsgründen ein anderer Geschehensverlauf wahrscheinlicher erscheint. Fast ausnahmslos gibt es keine Normen, die verbindlich festlegen, welche Überzeugung ein Richter aufgrund bestimmter Beweise haben müsse, insbesondere, welchen Wert er bestimmten Beweisen beizumessen habe.62 55 Schäfer/Sander/van Gemmeren Strafzumessung Rn. 202 ff. m. w. N.; MüKo/Miebach 75; SSW/Schluckebier 54. 56 Ähnlich Mengler 126. 57 BGH StraFo 2012 466. 58 BGHSt 10 208; 25 367; 26 63; 29 20 = JR 1980 169 m. Anm. Peters; BGH NJW 1951 325; 1967 359; NStZ 1982 478; 2010 292, 293; VRS 30 (1966) 101; 32 (1967) 198; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 357; 1984 17; bei Spiegel DAR 1983 206; 1985 15. 59 Eine solche Feststellung wäre ohnehin hypothetisch, da die richterliche Überzeugung, die subjektive Gewissheit, sich nur in der Hauptverhandlung mit ihren oft unwägbaren Nuancierungen bilden kann. Sie ist für einen Dritten nicht nachvollziehbar. 60 BGH Urt. v. 24.6.2010 – 3 StR 69/10. 61 BGH NJW 1967 360; GA 1954 152; bei Spiegel DAR 1983 206; vgl. auch NStZ 1983 277; 1985 516. 62 BGHSt 10 208; BGH VRS 33 (1967) 431; 55 (1978) 186; bei Pfeiffer NStZ 1982 190; bei Spiegel DAR 1978 160; OLG Köln MDR 1954 631; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1984 105; Eb. Schmidt JR 1957 387; 1970 337.

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Das Abstellen auf die subjektive Gewissheit als unerlässliches Erfordernis63 der richterlichen Überzeugung bedeutet aber nicht, dass sie allein schon für eine Verurteilung hinreicht. Dazu ist nach ganz herrschender Meinung unerlässlich, dass die Überzeugung von einem konkreten Tathergang durch als erwiesen erachtete64 Tatsachen getragen wird sowie durch rationale und daher intersubjektiv nachvollziehbare Erwägungen gewonnen wurde.65 Das Für und Wider aller bedeutsamen Gesichtspunkte muss dabei lückenlos und fehlerfrei erwogen worden sein.66 Subjektive Gewissheit ist ein auf Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen des Richters aufbauendes Korrektiv der rationalen Beweiswürdigung. Es ersetzt sie aber nicht. Rein intuitive Einsichten oder bloße Vermutungen vermögen keine Verurteilung zu tragen,67 mag die gerichtliche Überzeugung in den Urteilsgründen auch noch so sehr betont werden.68 Deswegen ist im Urteil die feste Tatsachengrundlage69 darzutun, um ersichtlich zu machen, dass die gewonnene Überzeugung mehr ist als nur eine nicht objektiv verifizierte bloße Vermutung. Ohne die schlüssige Darlegung der wesentlichen Tatsachen und der sich daraus ergebenden Beweisführung ist allenfalls eine nicht hinreichende Wahrscheinlichkeit, ein bloßer Verdacht belegt, der eine Verurteilung nicht zu tragen vermag.70 Eine richterliche Überzeugung, welche des rationalen Unterbaus einer objektiv hohen Wahrscheinlichkeit des Tatgeschehens (vgl. Rn. 45) ermangelt, wäre willkürlich und damit fehlerhaft.71 Dies gilt vor allem dort, wo

63 Zur Unersetzlichkeit der subjektiven Gewissheit vgl. Greger 113 ff.; KMR/Stuckenberg 22 ff. und 29; ferner Rn. 8 f. 64 BGH NJW 2005 2322, 2325. 65 S. etwa Mosbacher FPPK 9 (2015) 82, 84. 66 BGH NStZ 1981 33; 1982 478; JR 1981 304 m. Anm. Peters; StV 1988 93 m. Anm. Sessar; StV 1988 138 m. Anm. Schlothauer; 1993 510; 1995 453; bei Holtz MDR 1980 631; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1988 19; bei Spiegel DAR 1978 160; BayObLGSt 1971 129 = JR 1972 30 m. Anm. Peters; BayObLG bei Rüth DAR 1985 245; OLG Köln NJW 1977 398; VRS 80 (1991) 34; OLG Zweibrücken StV 1985 358; Albrecht NStZ 1983 488; Eisenberg Beweisrecht Rn. 91; Geerds SchlHA 1964 65; Herdegen StV 1992 527; Luther NJ 1994 297; Hamm 907; Peters JR 1977 84; Roxin/Schünemann § 45, 43; Schneider MDR 1962 868; 951; vgl. ferner Klug FS Möhring 363; F.-W. Krause FS Peters 323, 332; Stree In dubio pro reo 40; Herdegen FS Kleinknecht 175; FS Hanack 321, 324; AK/Maiwald 9; KK/Ott 50 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 2. 67 Beispiele aus der Praxis finden sich bei BGH wistra 2005 106 (Umsatzsteuerhinterziehung trotz nicht festgestellter Spirituosenpreise bejaht); NStZ-RR 2008 273; 2009 351, 352; 2016 222; Beschl. v. 7.7.2010 – 2 StR 100/10 (Fehlen „jeglichen greifbaren Tatsachenkerns“). 68 BGH Beschl. v. 18.6.2008 – 2 StR 225/08. 69 BGH NStZ 2019 461 („nicht durch konkrete Fakten belegt“); StV 2018 231, 232 („tragfähige, verstandesmäßig einsehbare Tatsachengrundlage“); s. auch Beschl. v. 15.9.2015 – 2 StR 130/15. 70 BGH Beschl. v. 5.3.2008 – 5 StR 611/07; Urt. v. 27.1.2011 – 4 StR 487/10; Beschl. v. 4.4.2018 – 3 StR 644/ 17 (betreffend zur Vorbereitung eines Marihuanaverkaufs eingesetzten Mobilfunkgeräten); MDR 1980 849; NJW 1982 2882; NStZ 1986 373; 1994 501; StV 1982 256; 1985 92 (Ls.); 1986 61; 1992 262; 1994 429; 1995 453; 1996 5; 1997 120; bei Pfeiffer NStZ 1981 296; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1986 208; BayObLG bei Rüth DAR 1984 225; 1985 245; OLG Düsseldorf VRS 71 (1986) 287; 85 (1993) 112; KG StV 1996 488; OLG Köln NJW 1977 398; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1984 104; OLG Stuttgart VRS 71 (1986) 281; OLG Zweibrücken StV 1985 359; vgl. auch BGH bei Spiegel DAR 1983 207 (keine Beweisgrundlagen); Herdegen NStZ 1987 198; HK/Julius/Beckemper 22; KK/Ott 49; Meyer-Goßner/Schmitt 2a; SK/Schlüchter 56; a. A. AK/Maiwald 10 (keine Abwertung der Überzeugung als Vermutung). 71 BVerfG NJW 1994 847; weitgehend h. M.; zur Wissenschaftlichkeit der Beweiswürdigung vgl. Rn. 67 ff.; ferner Fincke GA 1973 266; Gössel GA 1974 241; Herdegen FS Kleinknecht 178; F.-W. Krause FS Peters 323, 332; Musielak/Stadler JuS 1980 427; Peters Der neue Strafprozeß 172; Peters JR 1980 168; Roxin/Schünemann § 45, 49 ff.; Rieß GA 1978 257; G. Schäfer 937; Schlüchter 567; Stree In dubio pro reo 40; ders. JR 1977 84.

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nach der objektiven Beweislage verstandesmäßig die erforderliche Gewissheit nicht gewonnen werden kann.72

III. Inbegriff der Verhandlung 1. Inhalt der Hauptverhandlung. Das Gericht hat nach § 261 seine Überzeugung 15 aus dem Inbegriff der Verhandlung zu schöpfen. Dies hat zwei Konsequenzen. Zum einen folgt daraus der Grundsatz, dass der Richter bei der Überzeugungsbildung nur das benutzen darf, was in verfahrensrechtlich zulässiger Weise Gegenstand der Verhandlung geworden ist,73 also beispielsweise nicht sein privates Wissen.74 Die Revision kann einen Verstoß hiergegen mit der sog. Inbegriffsrüge geltend machen.75 Zum anderen ergibt sich die Verpflichtung, alles ordnungsgemäß in die dem Urteil zugrundeliegende76 Hauptverhandlung Eingeführte zu berücksichtigen, sofern dem nicht ausnahmsweise ein Beweisverbot entgegensteht.77 Die an sich auf Beibringung des Verfahrensstoffs zur Hauptverhandlung gerichtete Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2) setzt sich notwendig in der Pflicht fort, den gesamten beigebrachten Verfahrensstoff zu würdigen. Denn ohne die Verpflichtung zu umfassender Beweiswürdigung (sog. Ausschöpfungsgebot)78 verlöre die vorgelagerte Beweisaufnahme ihren Sinn. Alle Beweiserhebungsvorgänge und alle -ergebnisse sind erschöpfend zu würdigen, alle Möglichkeiten, die sich daraus und aus den Ausführungen der Verfahrensbeteiligten ergeben können, sind in Betracht zu ziehen.79 Will die Revision einen insofern begangenen Verfahrensfehler bemängeln, kann sie die folgerichtig so bezeichnete Ausschöpfungsrüge erheben.80 Die Richter, und zwar Berufs- ebenso wie Laienrichter, müssen deshalb den Geschehnissen in der Hauptverhandlung mit uneingeschränkter Aufmerksamkeit folgen. 2. Gesamteindruck der Hauptverhandlung. Zum Inbegriff der Verhandlung ge- 16 hört alles, was in ihr vom Aufruf der Sache bis einschließlich des letzten Worts81 verhandelt wurde,82 mithin nicht mehr das während der mündlichen Urteilsbegründung83 oder danach gezeigte Verhalten des Angeklagten (Nichteinlegung eines Rechts72 Vgl. etwa BGH NStZ 1988 236; NJW 1999 1562 m. Anm. Salditt NStZ 1999 420; bei Miebach/Kusch NStZ 1991 229; ferner etwa NStZ 1995 204; StV 1994 175; 1994 528 (vage umschriebene Tatvorwürfe); zu dem als alleiniges Indiz nicht ausreichenden Schluss vom Halter auf den Fahrer eines Kraftfahrzeugs s. BGHSt 25 365. 73 Vgl. BGHSt 19 195 (nur Wissen, das in und durch Verhandlung erworben wurde). 74 S. Rn. 19 ff. 75 S. Rn. 254 ff. 76 Hierzu gehört auch die vor der Abtrennung des Verfahrens abgegebene Einlassung eines Mitangeklagten; BGH NJW 2002 1963, 1964. Hingegen wäre es rechtsfehlerhaft, in einer früheren Hauptverhandlung getroffene, jedoch vom Revisionsgericht aufgehobene Feststellungen in die Beweiswürdigung einzubeziehen; vgl. BGH Urt. v. 23.11.2006 – 3 StR 366/06. 77 S. hierzu nur BGHSt 58 84, 96 ff. 78 MüKo/Miebach 7. 79 S. nur BGH Urt. v. 26.4.2017 – 5 StR 445/16; vgl. Rn. 72 ff. Auch die Aufklärungspflicht, deren Hauptziel das Beibringen der Beweismittel für die Hauptverhandlung ist, fordert das Ausschöpfen der erhobenen Beweismittel in der Hauptverhandlung; vgl. LR/Becker § 244, 64. 80 S. Rn. 261 ff. 81 Hierzu BGHSt 11 74, 75; BGH StraFo 2010 71; SSW/Schluckebier 3. 82 BGH NStZ 2017 375, 376; KK/Ott 16; SK/Velten 47; vgl. Rn. 5. 83 BGH Beschl. v. 30.9.2008 – 5 StR 251/08.

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mittels)84 oder andere erst dann erlangte Erkenntnisse.85 Dies schließt auch eine Zeugeneinvernahme mit ein, die nach § 247a mittels einer Bild-Ton-Verbindung in die Hauptverhandlung einbezogen worden ist. Auch wenn wegen verschiedener Taten gegen mehrere Angeklagte gemeinsam verhandelt wird, bildet die Hauptverhandlung eine einheitliche Erkenntnisquelle, die das Gericht für und gegen jeden Angeklagten verwenden darf.86 Für Vorgänge, die vor der Verbindung oder nach einer Trennung der Verfahren liegen, gilt das nicht.87 Verwendbar für die Beweiswürdigung ist aber nur, was in einer für den jeweiligen Beweiszweck zulässigen Form in die Hauptverhandlung eingeführt wurde. Beispielsweise bedarf es der in § 249 Abs. 2 Satz 3 vorgesehenen Feststellung, damit die dem außerhalb der Hauptverhandlung erfolgten Selbstleseverfahren zugeführten Urkunden als Beweisstoff herangezogen werden dürfen.88 Soweit eine Beweisverwendung im Rahmen des für die Schuld- und Rechtsfolgenfrage geltenden Strengbeweisrechts notwendig ist, reichen nur informatorisch erörterte Tatsachen89 nicht aus. Denn verwendbar sind dann nur die durch den Gebrauch der förmlichen Beweismittel90 oder durch die Einlassung des Angeklagten ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführten Erkenntnisse. Lediglich vorgehaltene Tatsachen gehören nicht dazu;91 dies gilt auch, wenn ein Schriftstück nur zu diesem Zweck verlesen wurde. Für die Entscheidung verwertbar ist dann ausschließlich, was der Angeklagte oder Zeuge aufgrund des Vorhalts bekundet hat.92 Macht er hierzu keine Angaben, dürfen die vorgehaltenen Tatsachen für die Urteilsfindung nicht herangezogen werden, es sei denn, dass sie auf einem ihre unmittelbare Beweisverwertung gestattenden anderen Weg zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sind.93 Der nach Wortlaut und Sinn des § 261 umfassend zu verstehende Inbegriff der 17 Hauptverhandlung reicht aber über die Würdigung der zur Beweisverwendung nach dem Strengbeweisrecht herangezogenen Verhandlungsvorgänge hinaus.94 Er umfasst – unbeschadet ihrer Beweismitteleignung – auch die zwar nicht als Beweismittel verwendbaren, wohl aber vom Gericht bei seiner Entscheidungsfindung argumentativ in Erwägung zu ziehenden Ausführungen aller Verfahrensbeteiligten. Dies folgt aus dem Recht auf Gehör95 und vor allem aus der Funktion der mündlichen Verhandlung, die darauf angelegt ist, dass die richterliche Meinungsbildung in kontradiktorischer Erörterung der 84 85 86 87 88 89

BGH Urt. v. 5.8.2010 – 3 StR 195/10; s. auch Beschl. v. 23.1.2018 – 3 StR 654/17; MüKo/Miebach 12. BGH NStZ 2017 375. Vgl. LR/Becker Vor § 226, 3; Eb. Schmidt JZ 1970 342. BGH JR 1985 125 m. Anm. Gollwitzer; StV 1984 186; vgl. LR/Becker § 230, 10 ff.; § 231c, 21. S. nur BGH NStZ 2017 722, 723 m. w. N.; Urt. v. 11.10.2012 – 1 StR 213/10; MüKo/Miebach 46. BGH StV 1994 527; Beschl. v. 8.12.2016 – 5 StR 475/16 (Angaben einer „informatorisch gehörten“ Person). 90 Was beim Gebrauch der förmlichen Beweismittel zum Inbegriff der Hauptverhandlung wird, ist bei diesen erörtert; vgl. LR/Mosbacher § 249, 38 ff. (Verlesung von Urkunden) und 53 ff. (Selbstleseverfahren); LR/Cirener/Sander § 250, 25 ff. (Zeugen vom Hörensagen) und 34 (Befundtatsachen beim Sachverständigenbeweis). Zur abschließenden Festlegung der Beweismittel sowie zur Unverwertbarkeit informatorischer Befragung LR/Becker § 244, 17. 91 BGH StV 2017 7, 8. 92 S. etwa BGH Beschl. v. 10.3.2020 – 2 StR 504/19. 93 Vgl. LR/Mosbacher § 249, 93; ferner etwa BGH bei Kusch NStZ 1993 30; StV 1990 533. 94 Es ist strittig, ob § 261 nur die Würdigung der förmlichen Beweismittel regelt – so etwa Prittwitz 170 ff. unter Hinweis auf das Wechselspiel zwischen freier Beweiswürdigung und Bindung bei der Beweisaufnahme; ferner Seebode/Sydow JZ 1980 512 – oder ob er für sämtliche prozessual zulässigen Erkenntnisquellen gilt; vgl. etwa KMR/Stuckenberg 4; SK/Velten 47 und 57 ff. 95 Vgl. LR/Kühne Einl. I 75 ff.

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Beweisergebnisse gewonnen wird. Zum Inbegriff der Hauptverhandlung rechnen daher nicht nur die Einlassung des Angeklagten96 einschließlich seines letzten Worts,97 sondern auch Äußerungen des Privat- und Nebenklägers; letzterer muss aber – anders als beim Privatkläger, der nicht Zeuge sein kann98 – in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommen werden, wenn seine Aussage über seine Wahrnehmungen nicht nur argumentativ, sondern als Beweismittel verwendet werden soll.99 Erklärungen des Verteidigers müssen vom Gericht als Verteidigungsmittel gewürdigt werden100; als Beweismittel gegen den Angeklagten dürfen sie nur herangezogen werden, wenn der Verteidiger sie als Einlassung des Angeklagten mit dessen ausdrücklicher oder stillschweigender Billigung vorträgt101 oder er ausnahmsweise hierüber als Zeuge vernommen wird. Der Inbegriff der Hauptverhandlung umfasst das gesamte (auch nonverbale) Ver- 18 halten der Verhandlungsteilnehmer,102 ihre Angaben unter besonderer Berücksichtigung des Sprachverhaltens (etwa eines Dialekts oder von Nervositätsanzeichen),103 ihre Reaktion bei bestimmten Verhandlungsvorgängen,104 wie etwa bei einer Gegenüberstellung,105 den Eindruck, den sie machen, ferner ihr Erscheinungsbild (Alter, Ähnlichkeit mit anderen für den Fall relevanten Personen, Statur und sonstige offen erkennbare Körperbeschaffenheit usw.),106 und zwar unabhängig davon, ob der Angeklagte von seinem Recht zum Schweigen Gebrauch macht oder der erschienene Zeuge berechtigt die Aussage verweigert.107 Ausnahmen von dem Grundsatz, dass das Gericht das Gesamtverhalten der Verhandlungsteilnehmer bei der Beweiswürdigung berücksichtigen darf und muss, können sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben.108 Erkenntnisse, die das Gericht aus der Beobachtung von Zuhörern der Hauptverhandlung gewonnen hat, gehören hierdurch allein nicht schon zum Inbegriff der Hauptverhandlung. Vielmehr

96 BGHSt 3 384; 21 285; 23 372; BayObLG MDR 1973 692; OLG Hamm VRS 44 (1973) 46; Eb. Schmidt JZ 1970 342. 97 BGHSt 11 74; BGH StV 1983 402; soweit der Angeklagte dabei neue Tatsachen vorträgt oder ein Geständnis ablegt, gehört dies zum Inbegriff der Hauptverhandlung, auch wenn das Gericht in der Regel nicht ohne Erörterung eine Verurteilung darauf stützen darf; vgl. OLG Köln NJW 1961 1224. 98 BayObLGSt 1953 26 = MDR 1953 377; OLG Hamm RPfl. 1956 240; Meyer-Goßner/Schmitt Vor § 374, 6. 99 Prittwitz 166. 100 Auch wenn der Inhalt der Erklärung nicht als Beweismittel zulasten des Angeklagten verwendet werden kann, gehört sie entgegen OLG Köln VRS 59 (1980) 349 zum Inbegriff der Hauptverhandlung; SK/ Velten 57. 101 BGH StV 1994 467; BayObLGSt 1974 36; 1982 156 = VRS 47 (1974) 115; 64 (1983) 134; ferner unter dem Blickwinkel des Revisionsvortrags BayObLG VRS 91 (1996) 47; Michel MDR 1994 648; SSW/Schluckebier 5; § 234, 16 m. w. N. 102 KK/Ott 40; hinsichtlich des Beweiswertes skeptisch OK-StPO/Eschelbach 24. 103 SSW/Schluckebier 7. 104 S. etwa BGH Urt. v. 17.9.2014 – 2 StR 39/14. 105 Vgl. LR/Ignor/Bertheau § 58, 9 ff.; LR/Becker § 243, 8, 70; § 244, 27; s. auch BVerfGE 56 42 und zum Wiedererkennen in der Hauptverhandlung etwa BGH NStZ 1982 342; StV 1986 287; OLG Köln StV 1986 12; AG Unna StV 1982 109 m. Anm. Budde; Nöldeke NStZ 1982 194; Odenthal NStZ 1984 137; Rogall 37; ferner Rn. 154, 180. 106 BGH Urt. v. 17.9.2014 – 2 StR 39/14. 107 BGH GA 1965 108; LR/Becker § 244, 23; Pfeiffer 3. Ferner für den Angeklagten BGH bei Dallinger MDR 1974 368; KG NJW 1979 1668; OLG Koblenz VRS 47 (1974) 441; ob es dazu bei einem die Aussage zu Recht verweigernden Zeugen der Anordnung eines Augenscheins bedarf, ist strittig; vgl. OLG Hamm VRS 48 (1975) 105; Rogall MDR 1975 813. 108 Vgl. Rn. 151.

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müssen die beobachteten Tatsachen vom Gericht in der Hauptverhandlung erörtert werden und die Verfahrensbeteiligten dazu Stellung nehmen können.109 3. Außerhalb der Hauptverhandlung erworbene Erkenntnisse 19

a) Inhalt anderer Hauptverhandlungen. Die Beweiswürdigung darf nur auf die Erkenntnisse der Hauptverhandlung gestützt werden, in der über die Anklage gegen den jeweiligen Angeklagten entschieden wird. Der Inhalt anderer Hauptverhandlungen, auch früherer in derselben Sache, gehört nicht zum Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261. Gegen diesen Grundsatz wird erfahrungsgemäß leicht verstoßen, wenn Verfahren gegen mehrere Angeklagte verbunden, getrennt oder gar abermals verbunden werden.110 Nach § 154 Abs. 2 vorläufig eingestellte Tatkomplexe oder nach § 154a Abs. 2 ausgeschiedene Teile einer Tat dürfen in die Beweiswürdigung erst einbezogen werden, wenn die ihnen zugrundeliegenden Tatsachen in der Hauptverhandlung konkret festgestellt wurden und ein Angeklagter, der infolge der gerichtlichen Entscheidung auf eine Nichtberücksichtigung vertrauen durfte, vorher darauf hingewiesen worden ist111 (zur Einführung gerichtskundiger Tatsachen vgl. Rn. 27 ff.).

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b) Kommissarische Vernehmungen. Die Aussage, die ein Zeuge vor einem ihn kommissarisch vernehmenden Berufsrichter macht, ist kein Teil der Hauptverhandlung. Sie wird es erst, wenn sie durch Verlesen der Vernehmungsniederschrift oder durch Vorführen ihrer Bild-Ton-Aufzeichnung (§ 255a) dort eingeführt wird. Der persönliche Eindruck, den der Richter bei der Einvernahme gewonnen hat, einschließlich seiner Wahrnehmungen über das nonverbale Aussageverhalten darf bei der Urteilsfindung nur verwertet werden, wenn er in der Niederschrift über die Vernehmung festgehalten und der Vermerk in der Hauptverhandlung verlesen worden ist.112 Verwendbar ist aber, was das erkennende Gericht selbst wahrnehmen kann, wenn in der Hauptverhandlung die Bild-Ton-Aufzeichnung einer solchen Vernehmung zu Beweiszwecken vorgeführt wird.

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c) Sonstige Erkenntnisquellen. Dienstliches Wissen, das ein Richter außerhalb der Hauptverhandlung erlangt hat, darf er – unbeschadet der Möglichkeit eines Vorhalts – als solches grundsätzlich bei der Beweiswürdigung nicht verwerten, so etwa Äußerungen, die ein Angeklagter außerhalb der Hauptverhandlung abgegeben hat, oder

109 BGH NStZ 1995 609; KK/Ott 22 und 40; MüKo/Miebach 10. 110 Vgl. etwa BGHSt 33 119; BGH JR 1985 125 m. Anm. Gollwitzer; JR 1986 165 m. Anm. Pelchen; StV 1984 186; 1984 364; 1985 354 m. Anm. Rogall; OLG Düsseldorf VRS 77 (1989) 137; OLG Hamm VRS 95 (1998) 83; KK/Ott 21; ferner LR/Becker § 230, 10 ff.; § 237, 27 m. w. N. 111 BGHSt 30 147; 30 197; 31 302; 33 119 = StV 1985 354 m. Anm. Rogall; BGH NJW 1985 1479; NStZ 1998 51; StV 1984 364; 1985 221;bei Holtz MDR 1995 121; gebilligt (bezüglich einer Verwendung bei der Strafzumessung) von EGMR NJW 2019 203, 206; hierzu Esser StV 2019 492; Weigend FS Rogall 739, 745 f.; vgl. bei § 154 und zur Rechtsprechung und zum Schrifttum ferner etwa Schimansky MDR 1986 283; SK/ Schlüchter 28; Vogler FS Kleinknecht 429 lehnt wegen der Unschuldsvermutung die Verwertung nicht rechtskräftig verurteilter Taten ab; dagegen etwa Jähnke FS Salger 51; Tepperwien FS Salger 196; differenzierend Sander StraFo 2004 47. 112 BGHSt 2 1; 45 354, 359 f.; BGH NStZ 1983 182; 1986 469; 1989 382 m. Anm. Itzel; bei Holtz MDR 1977 108; OLG Koblenz MDR 1980 689; HK/Julius/Beckemper 6; KK/Ott 21; KMR/Stuckenberg 6; zu den strittigen Fragen vgl. LR/Jäger § 223, 35, 42.

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die Stellungnahme eines Ministeriums oder eines Fachverbandes.113 Eine Ausnahme gilt nur, wenn das Wissen in zulässiger Weise als gerichtskundig in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist (Rn. 27). Auf den Inhalt der Akten darf das Gericht nicht zurückgreifen und ihnen Beweise 22 entnehmen, die nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.114 In der Hauptverhandlung darf den übrigen Verfahrensbeteiligten, vor allem dem Angeklagten und seinem Verteidiger, nichts unbekannt bleiben, was für die Bildung des Urteils Bedeutung hat. Sie müssen dazu in der Hauptverhandlung Stellung nehmen können; dies folgt aus dem Recht auf Gehör. Soweit Beweise dem Strengbeweisrecht unterliegen, können diese außerdem nur unter den im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen und unter Beachtung der dafür vorgeschriebenen Formen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden. Deshalb gestattet eine informatorische Bekanntgabe des Inhalts einer bei den Akten befindlichen Zeugeneinvernahme, die lediglich zur Klärung erfolgt, ob es dieses Zeugen bedarf, deren Verwendung bei der Beweiswürdigung nicht.115 Das Gericht verletzt § 261, wenn es die Aussage eines Zeugen, der in der Verhandlung nicht vernommen und dessen Zeugnis nicht verlesen oder durch das Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 eingeführt wurde, oder ein zwar zu den Akten gereichtes, in der Verhandlung aber nicht vorgetragenes Gutachten berücksichtigt. Für einen Verstoß gegen § 261 spricht auch, wenn das Urteil umfangreiche Schriftstücke wörtlich wiedergibt, obwohl diese nicht im Wege des Urkundenbeweises in die Verhandlung eingeführt, sondern nur zu einem Vorhalt verwendet wurden. Denn dann erscheint es in der Regel ausgeschlossen, dass das Gericht nur die auf den Vorhalt hin abgegebene Erklärung der Beweisperson als Beweismittel herangezogen hat.116 § 261 ist ferner verletzt, wenn in den Akten befindliche Schriften und Unterlagen, wie etwa ein Lichtbild,117 das Ergebnis einer Radarmessung118 oder die Mitteilung über Eintragungen im Straf- oder Verkehrszentralregister,119 im Urteil verwertet werden, ohne dass sie vorher ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind. Soweit für die Strafzumessung der Bericht der Gerichtshilfe oder Jugendgerichtshilfe verwertet werden soll, müssen alle Umstände, die das Gericht daraus berücksichtigen will, ebenfalls in der Hauptverhandlung bewiesen werden.120 Beim Sachverständigenbeweis ist – sofern nicht die Beweisverwendung eines 23 schriftlichen Gutachtens zugelassen ist (vgl. §§ 251, 256) – ausschließlich das in der

113 Vgl. etwa BGH StV 1985 401; OLG Koblenz GA 1977 313 (Äußerung des Angeklagten vor der Hauptverhandlung); VRS 65 (1983) 379 (Stellungnahme eines Ministeriums oder Fachverbandes); zur ordnungsgemäßen Einführung solcher Äußerungen vgl. LR/Mosbacher § 249, 13 ff.; LR/Cirener/Sander § 250, 6 ff. 114 So schon RGRspr. 2 529; RGSt 1 81; 2 76; z. B. auch BGH bei Martin DAR 1971 122; StV 1985 401 m. Anm. Sieg; OLG Düsseldorf VRS 77 (1989) 136; Husmann MDR 1977 896. 115 BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 33; KK/Ott 19. 116 OGHSt 2 334; 3 26; BGHSt 11 29; BGH NJW 1954 361; StV 1985 401 m. Anm. Sieg; 1989 4; 1991 340; 1994 358; OLG Düsseldorf StV 1993 515; OLG Hamburg StV 1981 333; vgl. aber auch Rn. 178; LR/Mosbacher § 249, 102; LR/Cirener/Sander § 250, 15. 117 H. M.; vgl. etwa BGH StV 1991 149; 1998 471; bei Kusch NStZ 1993 30; NStZ-RR 1999 37 sowie LR/ Mosbacher § 249, 8. 118 OLG Celle VRS 30 (1966) 199. 119 Vgl. etwa OLG Düsseldorf VRS 64 (1983) 128; OLG Koblenz VRS 65 (1983) 379; ferner LR/Becker § 243, 84 ff.; LR/Mosbacher § 249, 23. 120 Vgl. auch LR/Becker § 244, 41, auch 56; s. zur Gerichtshilfe die Erläuterungen bei § 160; zur Jugendgerichtshilfe bei §§ 38, 50 JGG; ferner etwa BGH MDR 1984 682; Schaffstein FS Dünnebier 661, 673; LR/ Becker Vor § 226, 68 f.

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Hauptverhandlung mündlich erstattete Gutachten Beweisgrundlage.121 Soweit sich dieses auf außerhalb der Hauptverhandlung getroffene Feststellungen (Akteninhalt, Ergebnis eigener Befragungen) stützt, ist zwischen den sog. Befundtatsachen und den Zusatztatsachen zu unterscheiden. Die Befundtatsachen, die der Sachverständige nur kraft seiner besonderen Sachkunde wahrnehmen oder verstehen kann, dürfen über das Gutachten selbst in die mündliche Verhandlung eingeführt werden. Die Zusatztatsachen, die ohne besondere Sachkunde, also grundsätzlich von Jedermann hätten wahrgenommen werden können (wie etwa ein aggressives Verhalten des Angeklagten in der Untersuchungshaft),122 müssen durch eine gesonderte Beweisaufnahme, beispielsweise durch zeugenschaftliche Vernehmung des Sachverständigen, zum Gegenstand der Verhandlung gemacht werden. Ist dies unterblieben, dürfen sie bei der Entscheidung nicht verwertet werden.123 Setzt ein Sachverständiger sich in seinem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten mit einem in einem anderen Verfahren abgegebenen Gutachten auseinander, so wird dadurch ein als Tatsachengrundlage verwendetes früheres Gutachten in die Hauptverhandlung eingeführt,124 was allerdings nur zulässig ist, wenn es sich dabei um Befundtatsachen handelt. 24 Sind nach dem Schluss der Beweisaufnahme Lücken in der Beweiserhebung ersichtlich geworden oder Zweifelsfragen aufgetaucht, so darf das Gericht diese nicht durch außerhalb der Hauptverhandlung gestellte Fragen an Zeugen oder Sachverständige125 oder gar durch ein erst nach der Urteilsverkündung eingeholtes Gutachten126 beheben. Ergibt sich die Notwendigkeit derartiger Fragen, muss das Gericht vielmehr nochmals in die Verhandlung eintreten, denn es darf nicht vom Beratungszimmer aus ermitteln.127 Dagegen darf sich das Gericht wissenschaftliche Werke, auf die ein Sachverständiger sein Gutachten gestützt hat, von diesem in das Beratungszimmer bringen lassen. Nach Ansicht des RG ist es zulässig, dass das Gericht außerhalb der Verhandlung technische Versuche anstellt, um sich darüber schlüssig zu werden, ob es der Anhörung eines Sachverständigen bedarf.128 25 Gegen § 261 wird verstoßen, wenn einzelne Richter die Kenntnis einer Örtlichkeit, die sie für sich allein gewonnen haben, bei der Urteilsfällung verwerten;129 sie dürfen sie aber zu Vorhalten verwenden, um eine als Beweis geeignete Äußerung herbeizuführen. Daraus allein, dass einzelne Mitglieder des erkennenden Gerichts aus eigenem Entschluss den Tatort angesehen haben, kann ein Verstoß gegen § 261 nicht hergeleitet werden, sofern nichts dafür spricht, dass das Gericht seine Überzeugung aus einer Quelle geschöpft hat, die in der Hauptverhandlung nicht erschlossen wurde.130 Diese Prämisse ist freilich nicht erfüllt, wenn die Berufsrichter in Abwesenheit der übrigen Verfahrensbeteiligten den Tatort in Augenschein nehmen, über dessen Ergebnis lediglich die Schöf-

121 Nicht also ein regelmäßig vorab erstelltes schriftliches Gutachten; s. BGH Beschl. v. 19.7.2016 – 5 StR 231/16. BGH Beschl. v. 14.9.1993 – 1 StR 450/93. Wegen der Einzelheiten vgl. LR/Krause Vor § 72, 11; LR/Cirener/Sander § 250, 33 ff. BGH bei Holtz MDR 1977 108. RG HRR 1939 Nr. 1214; BGH bei Dallinger MDR 1952 532; OLG Stuttgart NJW 1968 2022; zu großzügig RGSt 71 326; nach Eb. Schmidt 4 verstoßen solche Besprechungen im Beratungsstadium gegen § 261. 126 BGH NStZ 2017 375, 376. 127 OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1974 183 (Einholen einer Auskunft). 128 RGSt 45 104; RG GA 74 (1930) 200. 129 RGSt 26 272; 50 155; BGH NStZ 2013 357; OLG Frankfurt StV 1983 192; OLG Hamburg NJW 1952 1271; OLG Hamm VRS 12 (1957) 448; OLG Koblenz MDR 1971 507; KK/Ott 22. 130 RG HRR 1938 Nr. 65; KG VRS 17 (1959) 285; s. auch LR/Jäger § 225, 9.

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fen informieren und das derart erlangte Wissen in den Urteilsgründen als „gerichtsbekannt“ verwerten.131 d) Privates Wissen. Privat erworbenes, aber nicht offenkundiges Tatsachenwis- 26 sen darf ein Richter nicht zur Grundlage der Beweiswürdigung machen.132 Er darf es nur zum Vorhalt verwenden. Verwertbar ist aber ebenfalls nur, was die Auskunftsperson erwidert hat. Der Vorhalt selbst wird weder Gegenstand der Beweisaufnahme noch Grundlage der Würdigung.133 Der Richter kann sein privates Wissen auch nicht etwa dadurch zum Gegenstand der Hauptverhandlung machen, dass er es in ihr bekanntgibt, denn er kann nicht zugleich Zeuge sein.134 Auch für die Bekanntgabe privaten Wissens in Form einer „dienstlichen Erklärung“ ist – zumindest soweit nicht dienstliche Belange berührt sind135 – kein Raum.136 Nur die allgemeinkundigen oder gerichtsbekannten Tatsachen dürfen vom Gericht in das Verfahren eingeführt und nach Erörterung in der Hauptverhandlung der Entscheidung zugrundegelegt werden.137 Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass das Gericht besonderes Fachwissen für sich beansprucht.138 4. Offenkundige Tatsachen a) Keine Beweisbedürftigkeit, aber Erörterung. Offenkundige Tatsachen bedür- 27 fen, wie § 244 Abs. 3 Satz 2 zeigt, keines Beweises in der Hauptverhandlung.139 Sie müssen aber trotzdem durch einen Hinweis des Vorsitzenden oder sonst in geeigneter Weise zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht werden, damit sie bei der Urteilsfällung verwendet werden dürfen.140 Der Grundsatz, dass die Hauptverhandlung die alleinige Erkenntnisquelle ist, darf in seinem wesentlichen Gehalt auch nicht durch die Verwertung offenkundiger Tatsachen angetastet werden.141 Zu erörtern sind sowohl die Tatsache als auch ihre Offenkundigkeit.142 Die Prozessbeteiligten müssen Gelegenheit haben, zu beidem Stellung zu nehmen.143 Dies gilt für allgemein- gleich wie für gerichtskundige Tatsachen144 und ist nur insofern einzuschränken, als unter den offenkundigen Tatsachen solche hervortreten, die so unerschütterlich feststehen und so selbstverständlich sind oder deren Bedeutung für die Untersuchung allen Beteiligten so

131 BGH NStZ 2013 357. 132 H. M.; vgl. etwa Arzt FS Peters 223; KK/Ott 23; SK/Velten 53. 133 Vgl. RGSt 40 54; BGH bei Dallinger MDR 1952 532; OLG Frankfurt NJW 1952 638; OLG Hamburg NJW 1952 1271; vgl. LR/Mosbacher § 249, 92 ff. m. w. N. 134 Vgl. etwa OLG Frankfurt StV 1983 192 (Hinweis auf eigene Ortskenntnisse). 135 Vgl. BGH StV 1993 507. 136 LG Aachen StV 1984 20; Schmid GA 1980 285. 137 Vgl. Rn. 27 ff. 138 Vgl. LR/Becker § 244, 69, 339; strittig. 139 Vgl. LR/Becker § 244, 10, 203. 140 BVerfGE 10 183; RGSt 16 328; 28 172; RG GA 39 342, 343; JW 1903 94; Recht 1919 Nr. 846; BGHSt 6 295; BGH NJW 1963 598; BayObLG bei Rüth DAR 1986 247; vgl. LR/Becker § 244, 213 m. w. N.; ferner Schlothauer StV 1986 228, der die Hinweispflicht dem Grundsatz des fairen Verfahrens zuordnet. 141 BGHSt 26 61; BGH StraFo 2018 434, 436; vgl. LR/Becker § 244, 213. 142 Vgl. BGH StraFo 2018 434. 143 BVerfGE 10 179, 183; 10 274, 282; 48 209; BGHSt 6 292; BGH StV 1981 223 m. Anm. Schwenn/Strate; 1985 514; OLG Hamm VRS 41 (1971) 49; StV 1985 225; BSG MDR 1975 965; Alsberg/Güntge 1116; Nüse GA 1955 74; KK/Ott 25; KMR/Stuckenberg 5; Meyer-Goßner/Schmitt 7; vgl. LR/Becker § 244, 213 m. w. N. 144 S. etwa BGH NStZ 2016 123.

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offensichtlich ist, dass es keiner ausdrücklichen Erörterung bedarf.145 Gerichtsbekannt kann etwa ein Modus Operandi bei „Blitzeinbrüchen“ sein.146 Die Voraussetzungen, unter denen Tatsachen als allgemeinkundig oder gerichtskundig behandelt werden dürfen, sind bei § 244, 203 ff. erläutert.147 28

b) Erfahrungssätze. Auch Erfahrungssätze (vgl. Rn. 58 ff.) können, sofern weite Kreise vermöge allgemeiner Lebenserfahrung und Bildung an ihnen teilhaben, allgemeinkundig sein. Sofern sie aufgrund besonderer Sachkunde für das Gericht feststehen, können sie zudem gerichtskundig sein.148 Die in dem jeweiligen Verfahren beweisbedürftigen Tatsachen können nur mit Hilfe der aus der Beobachtung anderer Lebensvorgänge gewonnenen, zuverlässigen Erfahrungen festgestellt und zu dem abgeschlossenen Bild ineinandergefügt werden, das als das Ergebnis der Verhandlung der rechtlichen Würdigung zu unterziehen ist.149 Wo immer die dem Gericht ohne Weiteres zu Gebot stehenden Erfahrungssätze für die Beurteilung nicht ausreichen, muss es sich des Beistands eines Sachverständigen bedienen, um die fehlenden Kenntnisse zu beschaffen. Die für offenkundige Tatsachen angeführten Regeln sind zwar nicht durchweg, aber doch in weitem Maße hinsichtlich der Voraussetzungen der Offenkundigkeit von Erfahrungssätzen und ihrer Verwertung im Verfahren anzuwenden.150 Erfahrungssätze sind zwar keine Tatsachen, sondern hypothetische Urteile von allgemeingültiger Bedeutung.151 Sie kommen mitunter allgemeinkundigen Tatsachen sehr nahe, da der Unterschied zwischen einer aufgrund allgemeinkundigen Wissens feststehenden und einer aus gesichertem Erfahrungswissen nur gefolgerten Tatsache praktisch meist gering ist. Es liegt daher nahe, wenn insoweit nicht nur die Tatsachen, an die das Erfahrungswissen anknüpft und die meist ihrerseits wieder allgemeinkundig sind, sondern auch bestimmte, für die Schlussfolgerung herangezogene Erfahrungssätze oder auch das Ergebnis der Schlussfolgerung in der Verhandlung wie offenkundige Tatsachen zur Erörterung gestellt werden. Soweit die Erfahrungssätze bestimmte tatsächliche Gegebenheiten, also räumlich und zeitlich fixierbare Tatsachen betreffen, fordert der Grundsatz der Gewährung des rechtlichen Gehörs ihre Erörterung in der Hauptverhandlung.152 Davon zu unterscheiden sind die zahlreichen, vielfach unbewusst verwendeten Erfahrungssätze, deren Inhalt kein konkretes Ereignis betrifft und die selbstverständlich und allgemein geläufig sind. Bei diesen kann sowohl die Allgemeinkundigkeit als auch der Einfluss auf die Sachgestaltung so sehr auf der Hand liegen, dass sich die ausdrückliche Erörterung in der Hauptverhandlung erübrigt.153

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c) Sonstige Verfahrensfragen. Die Erörterung der Offenkundigkeit einer Tatsache in der Hauptverhandlung ist keine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens, die in der

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Alsberg/Güntge 1114; s. auch SK/Velten 50. BGH Beschl. v. 11.4.2018 – 5 StR 90/18. Vgl. auch Alsberg/Güntge 1049 ff. Alsberg JW 1923 758; Klee GA 70 (1926) 158; Alsberg/Güntge 1099 m. w. N. Stein 12 ff.; Sauer Grundlagen 66. RGSt 45 403; RG LZ 1915 754. Eb. Schmidt 22. Vgl. BVerfGE 10 183; BGHSt 26 59; BayObLG JR 1966 227; OLG Köln VRS 68 (1985) 51; KK/Ott 26; KMR/Stuckenberg 5; LR/Becker § 244, 213; auch BGH NStZ-RR 2014 251, 252; BVerwG NStZ 1983 738; SK/ Velten 60 f.; ferner Rn. 27 m. w. N. 153 Stein 98; Roxin/Schünemann § 24, 11; vgl. Rn. 27; LR/Becker § 244, 213; ferner Alsberg/Güntge 1114 m. w. N.

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Sitzungsniederschrift festgehalten werden muss.154 Zum Nachweis (Freibeweis), dass die Beteiligten hierzu gehört wurden, kann dies aber trotzdem zweckmäßig sein.155 Die Feststellung einer offenkundigen Tatsache setzt nicht voraus, dass die Kenntnis 30 von ihr bei allen zur Entscheidung berufenen Richtern vorhanden ist.156 Bei allgemeinkundigen Tatsachen, die jeder kennt oder ohne besonderes Fachwissen aus gesicherten Quellen (Nachschlagewerken, Kursbüchern, durchaus auch zuverlässigen Seiten im Internet usw.) fundiert feststellen kann,157 wird diese Frage zwar kaum auftauchen. Sie ist aber von Bedeutung bei den gerichtskundigen Tatsachen. Für die Gegenansicht, wonach die sonst für die gerichtliche Meinungsbildung maßgebenden Vorschriften der § 196 GVG und § 263 hier nicht eingreifen, ist kein einleuchtender Grund ersichtlich. Die nach den genannten Vorschriften maßgebliche Mehrheit, die von der Richtigkeit einer Tatsache überzeugt ist, kann durch die Minderheit nicht zu einer weiteren Beweiserhebung über eine Tatsache gezwungen werden, gleichgültig, worauf die Überzeugung der Mehrheit beruht.158 5. Verpflichtung zum eigenen Urteil a) Eigenständige Tatsachenbewertung. Die Verpflichtung zum eigenen Urteil 31 kann das Gericht dadurch verletzen, dass es seiner Entscheidung nicht die von ihm durch die Hauptverhandlung selbst festgestellten Tatsachen zugrundelegt, sondern die Auffassung anderer Personen oder Stellen, gleich ob Gerichte, Behörden oder Privatpersonen, ungeprüft übernimmt. Es darf sich weder mit der bloßen Berufung auf Feststellungen in anderen Entscheidungen,159 Bescheiden160 oder auf allgemein verbreitete Meinungen oder Werturteile begnügen (Angeklagter als Schläger „allgemein bekannt“),161 noch darf es sich ohne eigene Prüfung die Beurteilung der Glaubwürdigkeit zu eigen machen,162 die ein Zeuge vom Hörensagen seinem Gewährsmann beimisst oder ein Polizeibeamter dem von ihm Vernommenen.163 Ebenso ist es ihm nicht gestattet, als Indiz für die Glaubhaftigkeit der Angaben eines Zeugen zu werten, dass ihm der polizeiliche Vernehmungsbeamte im Ermittlungsverfahren164 oder andere Zeugen geglaubt haben.165 Hat die Kriminalpolizei zur Förderung der Ermittlungen eine sog. Täter- oder operative Fallanalyse erstellt, hat allein das Tatgericht zu bewerten, ob die dabei ver-

154 RGSt 28 171; RG Recht 1902 Nr. 1539; 1919 Nr. 846; 1921 Nr. 1481; BGHSt 36 354 (für gerichtskundige Tatsachen); BGH NJW 1963 598; bei Spiegel DAR 1977 175; OLG Hamm NJW 1956 1729; VRS 41 (1971) 49; StV 1985 225; OLG Koblenz VRS 63 (1982) 134; Alsberg/Güntge 1118; a. A. Eb. Schmidt Nachtr. I § 273, 4. Zum Streitstand vgl. Meyer-Goßner FS Tröndle 560 sowie LR/Becker § 244, 215 m. w. N. 155 BGH NJW 1963 598. 156 Vgl. LR/Becker § 244, 212 m. w. N. zum Streitstand. 157 BGHSt 6 192; BGH StraFo 2018 434, 435. 158 Alsberg/Güntge 1105 ff. m. w. N. 159 BGHSt 43 106, 107 f.; BGH NStZ 2010 529 (zu Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils zu früherem Tatgeschehen); s. auch 2019 224, 225; OK-StPO/Eschelbach. 160 BGH NStZ-RR 2010 207; wistra 2019 103, 104 (jeweils zur Bezugnahme auf steuerliche Bewertung durch Finanzbehörde). 161 BGH bei Dallinger MDR 1973 190; vgl. auch OLG Saarbrücken JZ 1968 308; KK/Ott 44; KMR/Stuckenberg 13. 162 Vgl. BGHSt 17 382; 29 111; 34 15; LR/Cirener/Sander § 250, 27. 163 Vgl. BGH Beschl. v. 20.10.2010 – 2 StR 377/10. 164 BGH NStZ-RR 2007 150. 165 BGH Beschl. v. 3.4.2002 – 3 StR 33/02.

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wendeten Kriterien auf eine Täterschaft des Angeklagten indiziell hinweisen.166 Auch die Ansicht eines Sachverständigen darf das Gericht im Rahmen des ihm fachlich Möglichen nicht ungeprüft übernehmen (vgl. Rn. 13), sondern muss sich – beispielsweise bei der Prüfung der Voraussetzungen der §§ 20, 64 StGB – die Eigenständigkeit der Beurteilung bewahren.167 Holt es eine Stellungnahme des Auswärtigen Amtes – z. B. zur Frage der erheblichen Gefährdung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland (§ 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG) – ein, so hat es die ihm darin mitgeteilten Tatsachen selbständig zu würdigen.168 Wenn Auffassungen anderer Personen über das Ergebnis der Beweisaufnahme – 32 etwa durch Zeitungsnachrichten – dem Richter zur Kenntnis kommen, dürfen sie keinen Einfluss auf die Bildung seiner Überzeugung gewinnen.169 Geschähe dies, würde dadurch § 261 verletzt werden. Ein Nachweis für eine durch solche Vorgänge verursachte Verletzung des § 261 wird freilich kaum erbracht werden können.170 Ein Verstoß gegen § 261 kann je nach den Umständen vorliegen, wenn der Richter außerhalb der Hauptverhandlung und vor der Urteilsverkündung die Sache mit einem Dritten bespricht.171 Bloße Vermutungen insoweit reichen allerdings nicht aus, den Verstoß zu begründen.172 33

b) Kenntnis der Schöffen von Anklageschrift und Akteninhalt. Während die Aushändigung der Anklageschrift mit dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen (§ 200 Abs. 2 Satz 1) an die Berufsrichter nicht zu beanstanden ist,173 hielt die Rechtsprechung es bislang für einen Verstoß gegen die durch § 261 gesicherten Grundsätze der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit, wenn auch die Schöffen die vollständige Anklageschrift erhielten. Denn es wurde befürchtet, dass sich die Eindrücke, die den Schöffen aus verschiedenen Quellen zufließen, verwischen und sie deshalb ihre Überzeugung nicht mehr allein aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung bilden, sondern durch die Bewertung des Tatverdachts durch die Staatsanwaltschaft als hinreichend beeinflusst werden könnten.174 Nr. 126 Abs. 3 Satz 1 RiStBV sieht deshalb vor, dass den Schöffen die Anklageschrift „nicht zugänglich gemacht werden“ darf. § 261 ist aber nicht schon bei einer Missachtung dieser – den Richter ohnehin nicht bindenden – Verwaltungsanordnung verletzt, sondern allenfalls dann, wenn ein Schöffe vor Abschluss der Hauptverhandlung vom Inhalt der Anklage, namentlich vom wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen, auch tatsächlich Kenntnis genommen hat.175 Der BGH hat eine Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit des Verfahrens (§ 261) sogar in dem Falle bejaht, dass ein Schöffe dem neben ihm sitzenden armamputierten Berufsrichter 166 BGH NStZ 2006 712, 713; 2009 284; s. auch NStZ-RR 2008 148; zusammenfassend Nack GA 2009 201, 211. 167 BGHR StGB § 64 Hang 3; BGH NStZ-RR 2014 271, 272; Beschl. v. 22.8.2012 – 4 StR 308/12; Beschl. v. 28.10.2015 – 5 StR 422/15. 168 BGHSt 53 128, 136. 169 OLG Saarbrücken JZ 1968 308; KK/Ott 44 f.; Eb. Schmidt DRiZ 1962 402; 1963 376; JZ 1970 337. Vgl. den Bericht der Bundesregierung „Öffentliche Vorverurteilung und faires Verfahren“, BTDrucks. 10 4608 vom 27.12.1985. 170 RGSt 65 436. 171 OLG Hamm NJW 1958 74; da die Konstellationen sehr unterschiedlich sind, kommt es auf den Einzelfall an. 172 OLG Saarbrücken JZ 1968 308. 173 RG HRR 1935 Nr. 1640; GA 62 (1915/16) 155; vgl. auch Schreiber FS Welzel 941. 174 RGSt 32 318; 53 178; 69 120; RG LZ 1920 834; JW 1922 1039; BGHSt 5 261; 13 73 = JR 1961 30 m. zust. Anm. Eb. Schmidt; BGH GA 1959 148; 1960 314; LG Kiel SchlHA 1977 56 stellt auf den Einzelfall ab. 175 BGH bei Dallinger MDR 1973 19; AG Dortmund StV 1994 413; KK/Ott 20.

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während der Verhandlung beim Umblättern der Anklageschrift behilflich war und dadurch Gelegenheit erhielt, die Anklageschrift teilweise zu lesen, dies auch tat und das in ihr enthaltene Ermittlungsergebnis mit den Angaben des Angeklagten und Bekundungen von Zeugen in der Hauptverhandlung verglich.176 Das OLG Hamburg hat gebilligt, dass das Landgericht die Schöffen von einer Haftentscheidung ausschloss, damit sie nicht während der noch laufenden Beweisaufnahme Kenntnis vom Inhalt der Akten erhielten.177 Vor allem spätere Entscheidungen des BGH zweifeln zu Recht an der Stichhaltigkeit 34 dieser Besorgnis und der sich darauf gründenden Rechtsprechung,178 die – anders als sonst, wenn in der Hauptverhandlung ein Umstand angesprochen wird, der für die Urteilsfindung nicht verwertet werden darf – einen Verstoß gegen § 261 schon dann annimmt, wenn ein Schöffe von der für die Anklageerhebung maßgebenden Würdigung des Ermittlungsergebnisses durch die Staatsanwaltschaft Kenntnis erhalten hat. Nach heutiger Auffassung haben die Schöffen als gleichberechtigte Richter (§ 30 Abs. 1 GVG) sogar ein Recht auf Akteneinsicht.179 Ihnen dürfen, wie auch § 249 Abs. 2 für den Urkundenbeweis bestätigt, Unterlagen aus den Akten überlassen werden, so auch zum besseren Verständnis die Abschriften eines in der Hauptverhandlung vorgespielten Tonbands180 oder sonstigen Datenträgers. Zwar hat noch keine neuere Entscheidung die angezweifelte Rechtsprechung, dass schon die Kenntnisnahme eines Schöffen vom wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen gegen § 261 verstoße, ausdrücklich aufgegeben.181 Es wurde aber für andere Fälle ein solcher Verstoß verneint, etwa wenn der Staatsanwalt versehentlich einen nicht zugelassenen Anklagesatz verliest, vom Vorsitzenden unterbrochen und das Versehen durch Verlesen des tatsächlich zur Verhandlung anstehenden Anklagesatzes richtiggestellt wird182 oder wenn in der Hauptverhandlung des um Übernahme ersuchten Gerichts fälschlich der Vorlagebeschluss (§ 209 Abs. 2) verlesen wird, in dem das vorläufige Ermittlungsergebnis bewertet worden ist.183 Auch in der Verlesung eines vom Revisionsgericht aufgehobenen Urteils in der neuen Hauptverhandlung zu Informationszwecken hat der BGH keine unzulässige Beeinträchtigung der Unvoreingenommenheit der Schöffen gesehen.184 In der heutigen Informationsgesellschaft sind die Schöffen hinsichtlich der Tat häu- 35 fig schon vor und während der Hauptverhandlung vielerlei Fremdeinflüssen ausgesetzt. Vor allem in den Medien werden bei bestimmten Verfahren die Verdachtsmomente schon vorher ausgiebig erörtert. § 261 geht davon aus, dass sich die Schöffen – ebenso wie die Berufsrichter – von solchen Einflüssen frei machen können und sie, nicht zuletzt auf176 BGHSt 13 73 = JR 1961 30 m. zust. Anm. Eb. Schmidt; abl. Hanack JZ 1972 314 („rechtlich nicht gebotene Ängstlichkeit“). 177 OLG Hamburg MDR 1973 69 m. Anm. Stadie (zu LG Hamburg); OLG Schleswig NStZ 1990 198; a. A. OLG Düsseldorf MDR 1984 424. 178 BGHSt 43 36 = JR 1999 297 m. Anm. Imberger-Bayer = StV 1997 450 m. Anm. Lunnebach; BGH GA 1976 368; JR 1987 389 m. Anm. Rieß; HK/Julius/Beckemper 3. 179 Näher LR/Gittermann26 § 30, 4 ff. GVG m. w. N. 180 BGHSt 43 36 = StV 1997 450 m. abl. Anm. Lunnebach = JR 1999 297 m. zust. Anm. Imberger-Bayer; ferner die h. M. im Schrifttum: Hanack JZ 1972 314; Rieß JR 1987 389; Schreiber FS Welzel 941; Terhorst MDR 1988 809; Volk FS Dünnebier 382; HK/Julius/Beckemper 3; vgl. LR/Gittermann § 30, 4 ff. GVG m. w. N. zum Streitstand. 181 Zu einer (wohl) als Teil der Beweisaufnahme verlesenen Seite aus dem über 50 Seiten umfassenden wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen s. aber BGH NStZ-RR 2014 251, 252. 182 BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 15. 183 BGHSt 43 360 = NJW 1998 1163. 184 BGH GA 1976 368; Terhorst MDR 1988 811; KK/Ott 20.

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grund der gemeinsamen Beratung, in der Lage sind, ausschließlich das Ergebnis der Hauptverhandlung und die dort zulässig eingeführten Tatsachen unter Ausschaltung sonstigen Wissens zu berücksichtigen. Zumindest unter den heutigen Verhältnissen185 kann daher nicht mehr verallgemeinernd angenommen werden, dass jede vorzeitige Kenntnis eines Schöffen von den nach Ansicht der Staatsanwaltschaft wesentlichen Ergebnissen der Ermittlungen diesen auf ein bestimmtes Bild vom Sachverhalt festlegt, so dass er dann sein Urteil nicht mehr allein aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung schöpfen kann. Dies gilt umso mehr, als die Gerichte in Zusammenarbeit mit eigenständigen Schöffenverbänden zu Beginn jeder Wahlperiode zahlreiche Einführungsveranstaltungen durchführen, in denen die neuen ehrenamtlichen Richterinnen und Richter auf ihre besonderen Rechte und Pflichten hingewiesen werden, und zudem umfangreiches Informationsmaterial zur Verfügung stellen.186 Nicht übersehen sollte man zudem, dass von den Schöffen auch sonst verlangt wird, in der Hauptverhandlung angesprochene Tatsachen bei ihrer Überzeugungsbildung unberücksichtigt zu lassen, wie etwa beim Vorhalt187 oder bei einem eingreifenden Beweisverwertungsverbot, und dass sie die meist viel intensiveren Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft in der Verhandlung, vor allem aber in den Schlussplädoyers, bei ihrer Überzeugungsbildung ebenso verarbeiten müssen wie diejenigen der Verteidigung sowie ggf. der Nebenklage. Es ist daher nicht einsichtig, allein aus der Tatsache, dass ein Schöffe vom wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen Kenntnis erhalten hat,188 zu folgern, dass er dann auch entgegen § 261 seine Überzeugung nicht mehr allein auf der Basis der Hauptverhandlung gewonnen hat. Ein Verstoß gegen § 261 kommt allenfalls dann in Frage, wenn – wie auch sonst – im Einzelfall festgestellt werden kann, dass durch diese Kenntnis die Beweiswürdigung unzulässig beeinflusst worden ist.189 36

c) Eigene Bemessung der Rechtsfolgen. Die Verpflichtung zum eigenen Urteil gilt auch bei der Bemessung der Strafen und der anderen Rechtsfolgen. Der Richter hat nur die vom Gesetz aufgestellten Voraussetzungen (vgl. §§ 46 ff. StGB) zu beachten. In deren Rahmen hat er frei zu entscheiden, ohne dass er an örtliche (z. B. gerichtsübliche) Taxen oder gar Strafzumessungsempfehlungen amtlicher oder privater Stellen gebunden wäre. Zu Recht hat daher der 72. Deutsche Juristentag tabellarische Vorgaben, Strafzumessungsregeln oder Strafzumessungskataloge mit überwältigender Mehrheit als für eine gerechte Strafzumessung ungeeignet angesehen.190 Entsprechendes gilt auch für die Bußgeldkataloge der Verwaltungsbehörden. All diese Verwaltungsvorschriften, Regelsätze oder Empfehlungen haben für das Gericht nur die Bedeutung einer Orientierungshilfe. Sie dürfen im Interesse der Gleichbehandlung gleichgelagerter Sachverhalte nicht völlig außer acht gelassen werden, sie entbinden das Gericht aber nicht von der Verpflichtung, die Strafe oder sonstige Rechtsfolge unter Würdigung aller Umstände des

185 Es mag dahinstehen, ob frühere Schöffengenerationen zu Recht für unkritischer und obrigkeitsgläubiger gehalten wurden. Hierzu (zugleich kritisch zum Schöffensystem insgesamt) Duttge JR 2006 358. Hanack JZ 1972 315; KMR/Stuckenberg 16; vgl. LR/Mosbacher § 249, 93 f. Unerheblich ist insoweit, ob dies durch einen Verstoß gegen § 243 Abs. 3 geschehen ist. Vgl. KMR/Stuckenberg 16; nach Meyer-Goßner/Schmitt 40 stellt die neuere Rechtsprechung darauf ab, dass besondere Umstände eine Beeinflussung der Schöffen befürchten lassen; a. A. Imberger-Bayer JR 1999 301. Zu den verschiedenen Konstruktionen der Revisionsrüge vgl. Rieß JR 1987 392. 190 S. Beschlüsse des 72. Deutschen Juristentages Leipzig 2018 – Abteilung Strafrecht – S. 20, 21 (abgerufen unter https://www.djt.de/fileadmin/downloads/72/Beschluesse_gesamt_final.pdf am 1.11.2019).

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Einzelfalls eigenverantwortlich in (insgesamt) schuldangemessener Höhe festzusetzen.191 Andererseits muss es ins Gewicht fallende Abweichungen begründen.192 6. Beschränkung der richterlichen Wahrnehmungsfähigkeit. Eine die Revision 37 begründende Verletzung des § 261 kann unter Umständen darin liegen, dass einer der mitwirkenden Richter seiner Aufgabe, bei der Bildung seiner Überzeugung den gesamten Inbegriff der Hauptverhandlung zu erfassen und zu berücksichtigen, nicht entspricht oder nicht entsprechen kann.193 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Wahrnehmungsfähigkeit als Folge einer Erkrankung oder Verletzung nicht nur vorübergehend kurzfristig aufgehoben ist194 oder wenn der Richter in seiner Aufmerksamkeit durch eine mit der Verhandlung der Sache nicht zusammenhängende Tätigkeit (z. B. Durchsicht von Häftlingsbriefen, Studium anderer Akten usw.) von den Vorgängen in der Hauptverhandlung abgelenkt wird, sofern ihm dadurch wesentliche Teile entgehen.195 Schläft ein Richter während eines solchen Teils der Hauptverhandlung, so verletzt 38 dies neben § 338 Nr. 1 grundsätzlich auch § 261. Dauert der Schlaf eine nicht nur völlig unerhebliche Zeitspanne an, so wird das Beruhen des Urteils auf diesem Verstoß nicht ausgeschlossen werden können.196 Eine auf Übermüdung oder auf sonstigen Gründen beruhende, nur vorübergehende Unaufmerksamkeit wird dagegen von § 338 Nr. 1 nicht erfasst.197 Ob sie § 261 verletzt, hängt davon ab, ob dem Richter wegen ihrer Dauer wesentliche Teile der Hauptverhandlung entgangen sind.198 Die Mitwirkung eines blinden Richters an der Hauptverhandlung verstößt nach 39 allerdings strittiger Auffassung nicht schlechthin gegen § 261.199 Sie ist nach einhelliger Meinung aber ausgeschlossen, wenn die Verwertung visueller Eindrücke (etwa Ortsbesichtigung, Einsicht in Karten, Pläne usw.) nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung im Einzelfall für die Beweiswürdigung unerlässlich ist.200 Für die Aufgabe des Vorsitzenden wird die Fähigkeit zur Wahrnehmung visueller Eindrücke ebenfalls als unver191 BVerfG NJW 1996 1809; BGHSt 38 125; 38 231; BayObLGSt 1969 125 = MDR 1970 258; 1974 62; OLG Celle NdsRpfl. 1972 122; VRS 40 (1971) 125; NStZ 1986 464 m. Anm. Schall; OLG Hamburg NJW 1972 1150; OLG Hamm NJW 1972 1150; VRS 43 (1972) 215; 50 (1976) 377; OLG Köln NJW 1972 1152; OLG Stuttgart VRS 38 (1970) 211; OLG Schleswig SchlHA 1971 225; Jagusch NJW 1970 401; Janiszewski NStZ 1985 544; Tröndle DRiZ 1971 211; Peters und Schröder Gutachten für den 41. DJT; ferner KK/Ott 46; KMR/Stuckenberg 15; ferner die Erläuterungen bei § 267. 192 OLG Düsseldorf VRS 52 (1977) 367; 58 (1980) 268; 61 (1981) 454; OLG Hamm JMBlNW 1981 69; Janiszewski NStZ 1985 544; vgl. Rn. 101 und die Erläuterungen bei § 267. 193 BGHSt 4 193; Meurer GedS H. Kaufmann 958; vgl. auch LR/Franke26 § 338, 38 ff. m. w. N. 194 BGH bei Dallinger MDR 1971 723; vgl. LR/Franke26 § 338, 42 m. w. N. 195 BGH NJW 1962 2212 = JR 1963 229 m. Anm. Eb. Schmidt; dazu Marr NJW 1963 309; Hanack JZ 1972 315; Seibert NJW 1963 1044; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1982 125; w. N. LR/Franke26 § 338, 44; Eb. Schmidt JZ 1970 340 hält insoweit einen strengeren Standpunkt für angebracht, da alle Vorgänge in der Hauptverhandlung die ungeteilte Aufmerksamkeit des Richters erforderten; vgl. ferner KMR/Stuckenberg 12. 196 BGHSt 2 14; 11 77; strenger Hanack JZ 1972 315; AK/Maiwald 4; vgl. LR/Franke26 § 338, 43 m. w. N. 197 Vgl. LR/Franke26 § 338, 44 m. w. N. 198 BGHSt 2 14; 11 74; Meyer-Goßner/Schmitt § 338, 14. 199 BGHSt 11 78; 18 51; zust. Hanack JZ 1972 314; vgl. BGHSt 4 191; 5 354; BGH MDR 1964 522; BVerfGE 20 55; BVerwG DÖV 1983 121; ferner zum Streitstand LR/Franke26 § 338, 39; BGH bei Miebach/Kusch NStZ 1989 220; Schulze MDR 1988 736; 1995 670; Wolf ZRP 1992 15; SK/Schlüchter 9. Die Mitwirkungsfähigkeit selbst als Beisitzer wird verneint von BGH bei Miebach/Kusch NStZ 1991 122; Fezer NStZ 1987 335; 1988 375; Eb. Schmidt JZ 1970 340; Meyer-Goßner/Schmitt § 338, 11. 200 BGHSt 4 191 = JZ 1953 670 m. Anm. Wimmer; 5 354; 11 78; 18 51; BGH MDR 1964 522; OLG Hamm VRS 11 (1956) 223; JMBlNW 1969 308; h. M.; vgl. LR/Franke26 § 338, 39 m. w. N.

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zichtbar und nicht durch den geschärften Gehörsinn kompensierbar angesehen.201 Nach diesen sachgerechten Maßstäben verletzt die Streichung eines ehrenamtlichen Richters wegen mangelnder Sehfähigkeit von der Schöffenliste nicht Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG.202 Ein tauber Richter, der, anders als ein nur schwerhöriger, den Verlust seiner Hörfähigkeit nicht durch Hilfsmittel ausgleichen kann, darf an der mündlichen Verhandlung nicht mitwirken.203 7. Keine vorzeitige Festlegung des Urteils. Eine vorzeitige Festlegung des Urteils vor Abschluss der mündlichen Verhandlung würde § 261 verletzen. Es verstößt jedoch nicht gegen diese Vorschrift, wenn der Richter schon vor der Hauptverhandlung einen Entwurf des Tenors vorbereitet.204 In den Akten haben solche Entwürfe aber vor der Verkündung nichts zu suchen. Schon der böse Schein einer Voreingenommenheit muss vermieden werden. Gleiches gilt für die Niederschrift der Urteilsformel noch während der Verhandlung.205 Ein Verstoß gegen § 261 liegt vor, wenn das Gericht nicht den ganzen Verfahrensstoff 41 in seine Beratung einbezieht. Das kann etwa der Fall sein, wenn es nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung mit neuen Beweiserkenntnissen eine erneute Beratung unterlässt.206

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8. Aufzeichnungen über die Verhandlung. § 261 verbietet weder, dass der Vorsitzende die Verhandlung in Kurzschrift oder auf Tonband (oder einem sonstigen Datenträger) aufnehmen lässt, noch, dass er diese Aufzeichnungen, die den übrigen Prozessbeteiligten nicht vorgelegt zu werden brauchen, den Mitgliedern des Gerichts zugänglich macht.207 Die Entscheidung über Form und Umfang solcher Aufzeichnungen steht im Ermessen des Vorsitzenden; die Verfahrensbeteiligten haben keinen Anspruch hierauf.208 Ob solche für den internen Gebrauch bestimmten Tonbandaufnahmen nur mit Zustimmung des Sprechenden zulässig sind, war strittig,209 ist aber nach dem Inkrafttreten des sog. Zeugenschutzgesetzes210 zu verneinen.211 Solche Aufzeichnungen (Notizen,

201 BGHSt 35 164 = NStZ 1988 378 m. Anm. Fezer; BGH bei Miebach NStZ 1989 220; AK/Maiwald 4; KK/ Ott 42; KMR/Stuckenberg 11; Meyer-Goßner/Schmitt § 338, 11; a. A. OLG Zweibrücken MDR 1991 1083 (für Berufungsstrafkammer) m. Anm. Schulze; dazu BVerfG NJW 1992 2075 (engerer Schutzbereich des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht verletzt); vgl. LR/Franke26 § 338, 39. 202 BVerfG – 3. Kammer des Zweiten Senats – NJW 2004 2150; hiergegen mit beachtlichen, aber letztlich nicht durchdringenden Argumenten Reichenbach NJW 2004 3160. 203 Vgl. LR/Franke26 § 338, 41. 204 BVerfGE 9 215; vgl. aber LR/Stuckenberg26 § 258, 15. 205 BGHSt 11 74; dazu Hanack JZ 1972 314; Eb. Schmidt JZ 1970 340; vgl. LR/Stuckenberg26 § 258, 15. 206 OGHSt 2 193; BGHSt 24 171; BGH NJW 1951 206; wegen der Einzelheiten vgl. LR/Stuckenberg26 § 258, 16, 61 und die Erläuterungen bei § 268. 207 RGSt 65 436; BGHSt 19 193; OLG Koblenz NStZ 1988 42; Hanack JZ 1971 170; 1972 314; Eb. Schmidt JZ 1964 538; KK/Ott 48; Meyer-Goßner/Schmitt § 169, 11 GVG; vgl. LR/Wickern26 § 169, 45 ff. GVG. 208 Zu deren Möglichkeit, mit Erlaubnis des Vorsitzenden Verhandlungsteile für persönliche Zwecke selbst aufzeichnen zu lassen, falls davon kein Missbrauch zu befürchten ist, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt § 169, 12 GVG. 209 Dazu BGH bei Dallinger MDR 1968 729; OLG Hamburg MDR 1968 729; OLG Schleswig NStZ 1992 399 m. Anm. Molketin; NStZ 1993 145; Kleinknecht NJW 1966 1541; Marxen NJW 1977 2189; Praml MDR 1977 14; Roggemann JR 1966 47; Meyer-Goßner/Schmitt § 169, 11 GVG (Zustimmung nur für weitergehende Zwecke). 210 Vom 30.4.1998 (BGBl. I 820). 211 Vertiefend LR/Wickern26 § 169, 47 GVG m. w. N.

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Abschriften von Tonbändern) unterliegen jedenfalls nicht der Akteneinsicht,212 auch wenn sie sich versehentlich bei den Akten befinden. Etwas anderes gilt nur, wenn sie ausdrücklich zu den Akten genommen worden sind.213 Die Richter dürfen in der Beratung selbstverständlich die Aufzeichnungen verwerten, die sie sich während der Verhandlung gemacht haben. Ihre Verwendbarkeit hängt nicht davon ab, dass sie in der Hauptverhandlung verlesen werden, weil sie keine zusätzlichen Erkenntnisquellen neben der Hauptverhandlung sind, sondern lediglich selbst Niederschlag des Verhandlungsergebnisses. Von der Aufzeichnung zu ausschließlich gerichtsinternen Zwecken des erkennenden Gerichts sind die Videoaufzeichnungen einer Zeugeneinvernahme zur Sicherung ihrer Beweisverwendung in einer anderen Hauptverhandlung (vgl. § 255a) zu unterscheiden. Diese sollen nach § 247a Satz 4 bei Vorliegen der dort festgelegten Voraussetzungen angeordnet werden. Ihre durch eine Zweckbindung eingeschränkte Verwendbarkeit und Löschung ist durch die §§ 247a Satz 5, 58a Abs. 2 geregelt. 9. Sitzungsniederschrift. Ob das Urteil ausschließlich auf den Erkenntnissen be- 43 ruht, die aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung gewonnen wurden, ist aufgrund der Sitzungsniederschrift nur bei den Vorgängen feststellbar, bei denen es sich um wesentliche Förmlichkeiten des Verfahrens (§ 273) handelt. Nur insoweit ist die Sitzungsniederschrift (positiv und negativ) beweiskräftig (§ 274). Aus ihr ergibt sich vor allem im Falle erforderlichen Strengbeweises, ob und auf welche Weise ein Beweismittel in der Hauptverhandlung verwendet wurde (vgl. Rn. 256 und bei § 273), so insbesondere, welche Zeugen vernommen wurden, aber auch, ob der Angeklagte anwesend war und sich zur Sache eingelassen hat.214

IV. Inhalt und Grenzen der freien Beweiswürdigung 1. Grundsätze. Die Bedeutung der freien Beweiswürdigung besteht darin, dass 44 der Richter nicht an Beweisregeln, d. h. an gesetzliche Vorschriften über die Wirkung der Beweise und an Bestimmungen darüber, unter welchen Voraussetzungen eine Tatsache als bewiesen anzusehen sei, gebunden ist.215 Das Gesetz trägt damit dem Umstand Rechnung, dass sich allgemeingültige Regeln, die mit Sicherheit auch im Einzelfall Geltung beanspruchen können, nicht aufstellen lassen, insbesondere, dass sich der Wert eines Beweismittels vielfach nicht rein abstrakt beurteilen lässt.216 Aus der Freiheit, die das Gesetz dem Tatrichter einräumt, erwächst ihm die häufig schwere Aufgabe, „nach seiner persönlichen Umsicht und Erfahrung, seinem Verantwortungsbewusstsein und Wissen“ über die Ergebnisse der Beweisaufnahme zu entscheiden.217 Diese Freiheit bei der Beweiswürdigung ist aber niemals Freiheit zur Willkür, denn 45 sie entbindet den Richter nicht von der Verpflichtung zu einer rationalen Beweisführung. Auch wenn seine Entscheidung letztlich immer nur von seiner subjektiven Gewissheit getragen werden kann, ist sie nur dann rechtsfehlerfrei zustande gekommen, wenn

212 Praml MDR 1977 16; Marxen NJW 1977 2189 fordert unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit, sie dem Verteidiger zugänglich zu machen. 213 OLG Karlsruhe Justiz 1981 483; vgl. die Erläuterungen bei § 271. 214 Etwa BGH StV 1983 8; 1992 1; BayObLGSt 1995 202; wegen w. N. vgl. die Erläuterungen bei § 273. 215 RGSt 20 323; BGHSt 29 18 = JR 1980 168 m. Anm. Peters; BGH NJW 1982 2883; NStZ 1984 180. 216 Peters § 37 XI; Roxin/Schünemann § 45, 46. 217 Peters § 37 XI.

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sie auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage218 und auf verstandesmäßig einsichtigen Schlussfolgerungen beruht,219 die alle (zulässig) gewonnenen Ergebnisse der Beweisaufnahme in einer Gesamtschau berücksichtigen (vgl. Rn. 272 f.). Die Denkgesetze und die gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen dabei ebenso beachtet werden wie das vielfältige Erfahrungswissen, das aus der Lebenskenntnis und den Erkenntnissen der für den jeweiligen Fall relevanten Wissenszweige, vor allem aus kriminalistischen, psychologischen, medizinischen und naturwissenschaftlichen Gegebenheiten, erwächst.220 Die subjektive Überzeugung muss sich auf rationale Überlegungen von intersubjektiver Gültigkeit stützen, die mit dem heutigen Bildungsgut und aktuellen Stand der Wissenschaft vereinbar sind. Persönliche Offenbarungen, intuitive Eingebungen und sonstige, nicht von Tatsachen rational ableitbare Einsichten reichen dafür nicht aus.221 Diese Grenzen der freien Beweiswürdigung,222 namentlich ihre Einschränkung 46 durch übergeordnete verfahrensrechtliche Gesichtspunkte223 oder eine ausdrückliche gesetzliche Regelung,224 sind zu beachten. Gegenstand der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung sind daher grundsätzlich nur diejenigen Beweismittel und Vorgänge in der Hauptverhandlung, deren Verwertung nach dem Verfahrens-, vor allem nach dem Beweisrecht zulässig ist.225 2. Beachtung der Denkgesetze, Erfahrungssätze und wissenschaftlichen Erkenntnisse 47

a) Denkgesetze. Denkgesetze, also die Regeln der Logik, muss das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung beachten. Sie sind etwa verletzt, wenn sich das festgestellte Tatgeschehen so nicht ereignet haben kann, weil die zur Verfügung stehende Zeit hierfür nicht ausgereicht hätte226 oder die räumlichen Verhältnisse es nicht zugelassen hätten.227 Vor allem muss seine Argumentation klar, folgerichtig und frei von Lücken 218 S. nur BGH NStZ-RR 2016 144, 145 m. Anm. Löffelmann JR 2017 310; BGHR MRK Art. 6 Abs. 2 Unschuldsvermutung 1 (objektive Grundlage); zu unzureichender Tatsachenbasis s. auch BGH Beschl. v. 20.12.2012 – 3 StR 399/12 (Überzeugung von Täterschaft aufgrund verlesener Strafanzeige in verbundenem Verfahren); Beschl. v. 24.2.2015 – 4 StR 11/15 (kein Beweismittel für festgestellte Faustschläge); Beschl. v. 2.11.2016 – 3 StR 356/16 (kein Beleg für festgestellte Marihuanamenge); Beschl. v. 3.7.2018 – 1 StR 264/18; Beschl. v. 17.3.2020 – 1 StR 631/19 (Realitätsbezug von Dateiinhalten fraglich); zum Führen eines Kraftfahrzeuges unter Wirkung von Cannabis BGHSt 62 42, 46 ff. 219 BGH StV 1988 93 m. Anm. Sessar; 1988 138 m. Anm. Schlothauer; Urt. v. 26.8.2009 – 2 StR 223/09; BayObLGSt 1971 128 = JR 1972 30 m. Anm. Peters; zur heute allgemein anerkannten Notwendigkeit einer rationalen Beweisführung vgl. etwa Eisenberg Beweisrecht Rn. 91; KMR/Stuckenberg 27 ff.; dazu Rn. 14, 66. 220 Z. B. BGHSt 17 385: Gericht darf nicht die sich aus den Erfahrungen des Lebens, den Gesetzen der Wissenschaft und der Logik, insbesondere auch der Zeugenpsychologie, ergebenden Gesichtspunkte unberücksichtigt lassen. Wegen der Einzelheiten vgl. Rn. 126 ff. 221 BGH NJW 1978 1207 (Parapsychologie); Krause FS Peters 328; Wimmer NJW 1976 1131 (keine wissenschaftlichen Beweise für okkulte Phänomene) m. w. N.; dagegen Bender NJW 1977 1089; vgl. Rn. 14. 222 Vgl. OLG Bremen VRS 47 (1974) 37 (§ 261 ist verletzt, wenn die Grenzen zu eng oder zu weit angenommen werden). 223 Z. B. Verwertungsverbote, die aus der Verletzung einer bestimmten Verfahrensvorschrift erwachsen (vgl. LR/Becker § 244, 187 ff. sowie die Erläuterungen bei LR/Gössel Einl. L; ferner Rn. 120, 152). 224 Vgl. Rn. 99 und die Erläuterungen bei § 262. 225 Hanack JZ 1972 314; vgl. Rn. 15. 226 Zu einem eindrucksvollen Beispiel BGH Urt. v. 27.6.2013 – 3 StR 115/13. 227 Hierzu BGH Beschl. v. 15.1.2013 – 2 StR 512/12.

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(vgl. Rn. 48 ff.),228 Begriffsverwechslungen,229 Rechenfehlern,230 Widersprüchen (vgl. Rn. 53 ff.)231 und Kreis- bzw. Zirkelschlüssen (vgl. Rn. 57)232 sein. Die Denkgesetze sind auch verletzt, wenn das Gericht in Verkennung einer bestehenden Alternative seine Schlussfolgerung als einzig mögliche und damit als zwingend ansieht.233 Deshalb ist es beispielsweise rechtsfehlerhaft, wenn die zur Häufigkeit der Taten gemachte Angabe der Geschädigten, jedes Mal, wenn sie von Freitag bis Sonntag beim Angeklagten gewesen sei, hätte dieser sie sexuell missbraucht, auf die Zahl der Nächte bezogen wird, obwohl die Aussage ebenso gut dahin verstanden werden kann, dass es (nur) bei jedem Besuchswochenende zu einem sexuellen Übergriff gekommen ist.234 Eine in dem Sinne ideale Beweiswürdigung, dass die räumlich-zeitliche Lücke zwi- 48 schen dem Prozessstoff und der historischen Tat vollständig geschlossen würde, ist nicht erreichbar. Vielmehr kann sie als lückenlos angesehen werden, wenn sie die Differenz zum angeklagten Geschehen so weit überbrückt, wie es die vorhandenen Beweismittel erlauben.235 Dabei kann die tatgerichtliche Beweiswürdigung jedoch in aller Regel in den Urteilsgründen nicht alle nur denkbaren Gesichtspunkte ausdrücklich abhandeln.236 Werden einzelne von ihnen nicht erwähnt, kann deshalb nicht ohne Weiteres angenommen werden, das Tatgericht habe auf der Hand liegende Umstände nicht bedacht.237 Lückenhaft ist die Beweiswürdigung nach der Rechtsprechung des BGH aber insbesondere dann, wenn sie für die Entscheidung wesentliche Feststellungen nicht oder nur isoliert – also ohne umfassende Gesamtwürdigung – erörtert oder sich mit tatsächlichen Anhaltspunkten für naheliegende andere Möglichkeiten nicht auseinandersetzt.238 Hierfür genügt es freilich nicht, dass weitere Darlegungen möglich oder wünschenswert gewesen wären, um dem Leser das Tatgeschehen plastischer vor Augen zu führen.239 Es ist zudem nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, auf die Sachrüge hin Mutmaßungen darüber anzustellen, ob weitere Beweismittel zur Tataufklärung zur Verfügung gestanden hätten oder weitere Beweise erhoben, im Urteil jedoch nicht gewürdigt worden sind.240 Insofern bedürfte es einer entsprechenden Verfahrensrüge (vgl. Rn. 261).

228 Vgl. etwa BGH StV 1994 360; 1995 341; NStZ-RR 1999 96. 229 BGHSt 3 213; 28 310; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1983 111; Niemöller StV 1984 435; Hamm 979; SK/Velten 41. 230 Vgl. etwa BGH StV 1996 583; Beschl. v. 12.7.2011 – 1 StR 147/11; Beschl. v. 13.3.2012 – 5 StR 73/12; Urt. v. 20.7.2016 – 2 StR 18/16 (bei wöchentlicher Begehung in [nahezu] siebenwöchigem Zeitraum neun Taten festgestellt); OLG Bremen VRS 54 (1978) 656; Hamm 973; Mengler 149 f.; Nack StV 2002 510, 513. 231 Vgl. etwa BGH StV 1982 343; 1995 341; Hamm 970; KK/Ott 51; SK/Velten 41. 232 Vgl. etwa BGHSt 3 214; 19 34; 28 311; BGH StV 1986 467; 1993 59 m. abl. Anm. Weider; dagegen Fischer StV 1993 670; 1996 366; BGH bei Dallinger MDR 1974 365; VRS 35 (1968) 264; KG StV 1986 469; OLG Koblenz VRS 59 (1980) 125; OLG Köln VRS 30 (1966) 313; 58 (1980) 23; OLG Schleswig bei Ernesti/ Lorenzen SchlHA 1983 112; OLG Stuttgart StV 1990 257; OLG Zweibrücken VRS 45 (1973) 443; Meurer FS Wolf 486; Niemöller StV 1984 435 (mit Beispielen); KK/Ott 51; LR/Franke26 § 337, 140; SK/Velten 41. 233 Etwa BGHSt 12 316; BGH StV 1995 341; s. auch StraFo 2005 161; NStZ 2008 453; bei Herlan MDR 1955 19; ferner LR/Franke26 § 337, 141. 234 BGH Beschl. v. 9.1.2008 – 2 StR 502/07. 235 Mengler 137 f., auch 154, 164. 236 S. hierzu nur BGH NStZ-RR 2016 54, 55; Urt. v. 8.6.2016 – 2 StR 539/15. 237 BGH NStZ-RR 2016 54, 55; Urt. v. 28.10.2010 – 4 StR 285/10; Urt. v. 5.12.2013 – 4 StR 371/13. 238 BGH NStZ 2016 338; NStZ-RR 2016 54, 55; wistra 2018 263, 264; Urt. v. 16.6.2016 – 1 StR 49/16; Urt. v. 13.7.2017 – 3 StR 188/17; s. auch NStZ 2015 355, 358; Urt. v. 8.6.2016 – 2 StR 539/15. 239 Jähnke FS Hanack 355, 364. 240 BGH NStZ-RR 2016 54, 55.

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Nach diesen Maßstäben besteht eine relevante Lücke, wenn eine Verurteilung auf die Angaben eines zeugenschaftlich gehörten (eventuellen) Mittäters gestützt wird, ohne zu erörtern, dass dieser den Angeklagten zu Unrecht belastet haben könnte, um seinen ebenfalls der selben Tat angeklagten Bruder zu entlasten,241 wenn im Zusammenhang mit dem Fehlen von Blutspuren auf der Kleidung des Angeklagten nicht die Möglichkeit erwogen wird, die bei der Tat getragene Kleidung könnte gewaschen oder beseitigt worden sein,242 wenn offenbleibt, ob auf der Kleidung des Angeklagten, der mit einer Waffe viermal geschossen haben soll, Schmauchspuren gefunden worden sind,243 wenn beim Vorwurf der Betäubungsmitteleinfuhr nicht mitgeteilt wird, was der Angeklagte in den (etwa) 24 Stunden nach seiner Ankunft in Amsterdam unternommen hat,244 wenn bei einem Tötungsdelikt angenommen wird, das Opfer sei nicht arglos gewesen, ohne darauf einzugehen, dass es dem Täter ohne Weiteres in das Schlafzimmer gefolgt ist,245 wenn ein Springmesser als Teil einer Sammlung angesehen wird, ohne sich damit auseinanderzusetzen, dass es griffbereit in der Hosentasche des Angeklagten aufgefunden wurde,246 wenn der Angeklagte „während des Tatgeschehens perplex daneben gestanden“ haben soll, obwohl er gegenüber einem Zeugen eingeräumt hat, es habe sich um eine „Bestrafungsaktion aufgrund einer Familiensache“ gehandelt,247 wenn das schwerverletzte Opfer als noch handlungsfähig eingestuft wird, ohne zu erwägen, dass es trotz vorhandener Möglichkeiten keine Hilfe gerufen hat,248 wenn festgestellt wird, ein Brand habe sich vom Innenraum einer Laube ausgebreitet, ohne in den Blick zu nehmen, dass in ihrer Nähe (außerhalb) zwei Glasflaschen mit einem Benzinrest bzw. mit Stofffetzen aufgefunden wurden,249 wenn festgestellt wird, erworbenes Kokain und Amphetamin sei vollständig zum Weiterverkauf bestimmt gewesen, obgleich von einem Eigenbedarf des Angeklagten an diesen Drogen ausgegangen wird,250 wenn eine Tötung durch einen unbekannten Dritten wegen fehlender Einbruchsspuren verneint wird, obwohl zumindest am Tag nach der Tat die unverschlossene Terrassentür ohne Weiteres aufzudrücken war,251 wenn festgestellt wird, der Angeklagte habe sein Fahrzeug noch kurz vor seiner Festnahme alkoholisiert geführt, und keinerlei Tatzeitpunkt mitgeteilt wird,252 wenn beim Vorwurf des sexuellen Missbrauchs die Bekundung zweier Zeugen, das (mögliche) Tatopfer habe nach dem Geschlechtsverkehr mehrfach „Ich liebe Dich“ gemurmelt, außer Betracht bleibt,253 wenn nicht berücksichtigt wird, dass der Angeklagte, dem ein Raub zur Last gelegt wird, zwei Stunden vor dieser Tat an einem anderen Raubüberfall beteiligt war,254 wenn ein Bauunternehmer bereits in einem parallelen Fall Zahlungen an einen Kommunalpolitiker für dessen Stimmabgabe hinsichtlich eines Bauleitplans geleistet hat255 oder in einem wegen Zuhälterei und Menschenhandels geführten Verfah241 242 243 244 245 246 247 248 249 250 251 252 253 254 255

BGH Beschl. v. 10.1.2006 – 1 StR 527/04. BGH Urt. v. 22.5.2007 – 1 StR 582/06. BGH StV 2008 236. BGH Urt. v. 23.11.2016 – 2 StR 222/16. BGH Urt. v. 17.4.2019 – 5 StR 25/19. BGH NStZ 2019 419. BGH Urt. v. 7.11.2018 – 2 StR 361/18. BGH Urt. v. 17.8.2016 – 2 StR 562/15. BGH NStZ-RR 2015 255, 256. BGH Beschl. v. 25.2.2015 – 4 StR 516/14. BGH Beschl. v. 7.10.2015 – 4 StR 327/15. BGH Beschl. v. 18.7.2018 – 4 StR 170/18. BGH Beschl. v. 31.1.2007 – 2 StR 594/06. BGH Urt. v. 11.5.2006 – 3 StR 23/06. BGH wistra 2008 218, 219.

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ren die (möglicherweise) Geschädigte bereits an anderen Orten und für andere Personen der Prostitution nachgegangen und zudem aus ihrem Heimatland freiwillig in das Bordell des Angeklagten zurückgekehrt ist,256 wenn beim Vorwurf des Betäubungsmittelhandelns einen Gewinn von 132.000 Pfund ausweisende Abrechnungen außer Betracht bleiben, obwohl die durch den angeblich ausschließlich durchgeführten Transport von Stahlplattenbündeln verursachten Kosten den Wert der Güter weit überstiegen,257 wenn bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes die von der Angeklagten nach den Messerstichen an das Opfer gerichtete Aufforderung „Geh’ raus, lass mich endlich in Ruhe!“ nicht in die Gesamtwürdigung eingestellt wird,258 wenn nicht begründet wird, warum ein nach seiner Einlassung an der ihm zur Last gelegten Geiselnahme Unbeteiligter sich bereit gefunden hat, das Lösegeld zu zählen, und sich dabei von einem der Täter filmen ließ,259 wenn die Angabe des Angeklagten, auf ihn sei zuerst geschossen worden, mit dem Fehlen entsprechender Einschussspuren widerlegt wird, ohne zu erwägen, der Kontrahent könne eine Schreckschusswaffe verwendet haben,260 und wenn der Befund einer gynäkologischen Untersuchung, das Hymen der Zeugin sei intakt, außer Betracht bleibt, obwohl diese den Angeklagten beschuldigt hatte, sie mehrfach zum vaginalen Geschlechtsverkehr gezwungen und hierdurch eine starke Blutung hervorgerufen zu haben.261 Eine Beweiswürdigungslücke besteht auch, wenn einem Angeklagten Bissverletzun- 50 gen zugerechnet werden, obwohl dem geschädigten Kind schon zuvor erhebliche Verletzungen durch andere Personen zugefügt worden waren,262 wenn hinsichtlich des Motivs für eine vorsätzliche Tötung nicht bedacht wird, dass der Angeklagte dem Getöteten einen goldenen Ring vom Finger gezogen hat,263 wenn nicht dargelegt wird, welchen Sinn ein vom Angeklagten behaupteter, während des Überfalls auf eine Spielothek, in der sich acht Personen befanden, vollzogener Tausch der verwendeten Gesichtsmasken hätte haben sollen264 oder weshalb eine Zeugin die Haare eines Täters „bis zum Vorhandensein eines Scheitels“ beschreiben konnte, obwohl dieser eine den größten Teil des Kopfes bedeckende Mütze trug,265 je nach der Fallgestaltung auch, wenn ausgeführt wird, eine andere Zweckbestimmung eines mitgeführten Brieföffners als zu Angriffsoder Verteidigungszwecken bei einem Betäubungsmittelgeschäft sei nicht ersichtlich, obgleich dieser nach den Feststellungen am Tattag anlässlich eines Ladendiebstahls zum Abtrennen von Sicherungsetiketten verwendet worden war,266 wenn einschlägige Vorstrafen267 – ggf. auch Einzelheiten der zugrundeliegenden Taten, die für den neuen Tatvorwurf268 oder etwa für die Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Anordnung einer Maßregel vorliegen,269 indiziell sein können –, (namentlich) bei einem Eigentums-

256 257 258 259 260 261 262 263 264 265 266 267 268 269

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BGH Beschl. v. 20.4.2004 – 4 StR 67/04. BGH Urt. v. 1.2.2007 – 4 StR 474/06. BGH NStZ-RR 2007 199. BGH Urt. v. 20.12.2007 – 4 StR 306/07. BGH Urt. v. 16.2.2005 – 5 StR 547/04. BGH Beschl. v. 24.6.2008 – 3 StR 169/08. BGH Beschl. v. 10.6.2008 – 5 StR 109/08. BGH Urt. v. 16.2.2005 – 5 StR 547/04. BGH Beschl. v. 17.2.2005 – 5 StR 555/04. BGH Urt. v. 27.10.2005 – 4 StR 234/05. BGH Beschl. v. 2.5.2018 – 3 StR 39/18. BGH Urt. v. 8.5.2008 – 3 StR 53/08; Urt. v. 14.1.2016 – 4 StR 361/15. S. etwa BGH NStZ-RR 2017 383; Urt. v. 2.2.2017 – 4 StR 423/16. BGH Beschl. v. 9.1.2019 – 5 StR 476/18 (Hang bei § 66 StGB).

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oder Vermögensdelikt die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten,270 bei einem vom Angeklagten behaupteten einvernehmlichen vaginalen Geschlechtsverkehr im Enddarm der Geschädigten271 oder bei einer Messerstecherei am Messer des Getöteten gesicherte DNA-Spuren272 nicht erörtert werden, ebenso wenn ein mit der angeklagten Tat deutliche Parallelen aufweisender Vorfall, der sich einige Monate später ereignet hat, nicht berücksichtigt wird273 oder nicht begründet wird, warum einem wegen Betäubungsmittelgeschäften Angeklagten bewusst gewesen sein soll, dass ein Mittäter ein ihm gehörendes Springmesser im Badezimmer der gemeinsam genutzten Wohnung abgelegt hat,274 wie im Zeitraum von Ende Februar bis Ende März 2017 wöchentlich bei einem Angeklagten Betäubungsmittel gekauft werden konnten, wenn dieser sich nach dem 19.2.2017 „für längere Zeit in stationäre Behandlung begeben“ hat,275 oder wie zahlreiche in einem Zeitraum von fast anderthalb Monaten durchgeführte Geldtransaktionen über insgesamt 13,5 Millionen Euro manipulationslos durchgeführt werden konnten, ohne dass die Geschäftsleitung der betroffenen Unternehmensgruppe dies bemerkt hat.276 Weiter sind Beweiswürdigungen als lückenhaft angesehen worden, weil beim Vor51 wurf der Umsatzsteuerhinterziehung nicht berücksichtigt wurde, dass der Lieferungsort in den Rechnungen absichtlich falsch deklariert worden war,277 weil in der Wohnung des Angeklagten aufgefundene, der Beschreibung durch das überfallene Opfer „deutlich entsprechende“ Gegenstände (Gaspistole, Kapuzenshirt, Tasche) nicht näher dargestellt wurden,278 weil nicht mitgeteilt wurde, weshalb das (angebliche) Opfer sexuellen Missbrauchs zuvor in zwei Tatsacheninstanzen eines anderen Strafverfahrens eine Begehung der Tat durch den Angeklagten in Abrede gestellt hatte,279 weil nicht erörtert wurde, warum das (mutmaßliche) Opfer eines erpresserischen Menschenraubes nach der Tat gemeinsam mit dem Angeklagten zu Bett gegangen war und der Polizei gegenüber erklärt hatte, „es sei alles in Ordnung“,280 weshalb bzw. inwieweit der Geschädigte das Geschehen wahrnehmen und sich hieran erinnern konnte, obwohl festgestellt ist, dass er sich währenddessen in Tief- oder zumindest Halbschlaf befunden haben soll,281 und weil die Frage unbeantwortet blieb, aus welchem Grund eine angeblich überfallene Spielhallenaufsicht den vorhandenen Alarm nicht ausgelöst hat282 bzw. weswegen ein Bankmitarbeiter von der deutschen Sprache kaum mächtigen, in Niedriglohnsektoren beschäftigten Kreditantragstellern vorgelegte Nachweise über angeblich monatlich erzielte Gehälter in Höhe von etwa 4.000 Euro nicht als Fälschung erkannt hat,283 ferner, weshalb eine BAK von 1,3 Promille zu einer Einschränkung der Wahrnehmungs- und Erinnerungsfähigkeit eines Zeugen geführt haben soll.284 Wird einer Zeugenaussage eine „hohe Konstanz“ bescheinigt, so müssen zuvor erhebliche Divergenzen hinsichtlich ein270 271 272 273 274 275 276 277 278 279 280 281 282 283 284

BGH Urt. v. 21.6.2007 – 5 StR 532/06; Urt. v. 23.8.2007 – 4 StR 180/07. BGH Urt. v. 29.4.2010 – 3 StR 63/10. BGH Urt. v. 17.6.2009 – 2 StR 105/09. BGH Urt. v. 2.4.2015 – 3 StR 635/14. BGH Beschl. v. 22.5.2018 – 4 StR 4/18. BGH Beschl. v. 12.9.2018 – 5 StR 400/18. BGH wistra 2015 18, 20. BGH wistra 2011 465, 466. BGH Urt. v. 11.1.2012 – 2 StR 482/11. BGH Beschl. v. 19.4.2012 – 2 StR 5/12. BGH Beschl. v. 20.6.2012 – 5 StR 221/12. BGH NStZ-RR 2020 151, 152. BGH Urt. v. 26.4.2012 – 5 StR 82/12. BGH wistra 2016 401, 403. BGH Urt. v. 24.8.2016 – 2 StR 120/16.

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zelner Angaben (Verlauf der Fahrt zum Tatort, Reihenfolge von Beschaffung der Waffe und Fahrtantritt) gewürdigt werden.285 Hält ein Tatgericht es für möglich, eine Frau könne durch sexuelle Handlungen überrumpelt und dadurch in einen „Schockzustand“ versetzt worden sein, so muss es erläutern, weswegen nach deren Bericht die den Zustand beschreibenen Symptome bereits während eines vorgelagerten Aufenthalts in einem Restaurant bestanden haben sollen.286 Stuft es die Angaben eines Zeugen als glaubhaft ein, der behauptet hat, ihm sei im Falle einer Zeugenaussage die Einstellung eines gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens zugesagt worden, darf es nicht darüber hinweggehen, dass der zuständige Staatsanwalt dies bestritten hat.287 Zieht es einen Suizid des (möglichen) Opfers in Betracht, so muss es sich dazu äußern, ob es durch die Verletzungen (Beinschlagader, Brustkorb, Oberarm) zu einer Einschränkung der Handlungsfähigkeit gekommen sein kann und weshalb in der Tatortwohnung kein Messer mit Blutanhaftungen gefunden wurde.288 Es ist nicht hinreichend, ohne weitere Erörterung einen Freispruch damit zu begrün- 52 den, dass ein Zeuge zum Tatvorwurf in der Hauptverhandlung nichts bekundet hat, wenn er nach den Feststellungen „die Tat wie angeklagt“ anderen Zeugen gegenüber geschildert hatte,289 festzustellen, eine Angeklagte habe keine Einstiche beim Opfer gesehen, obgleich dieses nach einem Stich in die Wange so schwer verletzt war, dass sich sein Mund mit Blut gefüllt und sich seine Hose damit großflächig verschmutzt habe,290 anzunehmen, es sei vereinbart gewesen, dem Opfer mit einer analen Vergewaltigung lediglich zu drohen, wenn die Täter neben einem Dildo auch Gleitgel zum Tatort mitgenommen haben,291 einen Angeklagten vom Vorwurf eines sexuellen Übergriffs freizusprechen, ohne beim Opfer festgestellte Verletzungen und im Slip gesicherte Spermaspuren hinreichend zu erörtern,292 Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu verneinen, ohne in den Blick zu nehmen, dass der arbeitslose Angeklagte über mehrere Handys verfügte, bei der Festnahme 230 Euro bei sich hatte und bei ihm „Zahlungslisten“ sichergestellt wurden,293 oder es zu bejahen, ohne die hierfür indiziell herangezogenen Einkommensverhältnisse des Angeklagten darzulegen,294 ein mehrfaches Handeltreiben mit Betäubungsmitteln ausschließlich aufgrund der Einlassung eines Angeklagten festzustellen, wenn dieser zu den Tatzeiten erheblich abweichende Angaben gemacht hatte,295 zwischen Tatbeteiligten einen ständigen Telefonkontakt von 19.40 Uhr bis 0.05 Uhr des Folgetages zugrundezulegen, obgleich es zwischen ihnen lediglich zu einer Telefonverbindung um 22.00 Uhr gekommen war,296 anzunehmen, der Angeklagte habe „lediglich in die Luft geschossen“, ohne mitzuteilen, in welche Richtung der auf den Bildern einer Videokamera deutlich erkennbare „ausgestreckte Arm“ zeigte,297 einen Angeklagten vom Vorwurf des Handels mit Betäubungsmitteln freizusprechen, ohne auf deren

285 286 287 288 289 290 291 292 293 294 295 296 297

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BGH Urt. v. 25.10.2016 – 5 StR 255/16. BGH Urt. v. 10.11.2015 – 5 StR 303/15. BGH StV 2014 721, 722. BGH Urt. v. 29.4.2015 – 5 StR 79/15. BGH Urt. v. 11.2.2016 – 3 StR 454/15. BGH Urt. v. 3.5.2018 – 3 StR 38/18. BGH Urt. v. 9.1.2020 – 5 StR 333/19. BGH Urt. v. 8.6.2016 – 5 StR 570/15. BGH Urt. v. 18.5.2016 – 2 StR 406/15. BGH Beschl. v. 15.4.2014 – 2 StR 626/13. BGH NStZ-RR 2017 51. BGH Beschl. v. 3.11.2017 – 3 StR 293/17. BGH Urt. v. 19.12.2018 – 2 StR 247/18.

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Verpackung gesicherte Fingerabdrücke in die Gesamtschau einzustellen,298 die eine BAK von mindestens 2,3 Promille voraussetzende Widerstandsunfähigkeit des Opfers festzustellen, ohne dessen Alkoholisierungsgrad zu errechnen,299 bei einem notwehrbedingten Freispruch die Reihenfolge dreier Schüsse offenzulassen, ohne Feststellungen zu Schusskanälen und Schmauchspuren zu treffen und die in diesem Zusammenhang verwendeten Begriffe des Primär- und Sekundäreinschusses zu erläutern,300 einen bei einem Betäubungsmittelgeschäft mitgeführten Trommelrevolver für „möglicherweise ungeladen“ zu halten, ohne zu erörtern, dass der Angeklagte diesen mit 155 Schuss Munition erst wenige Tage zuvor erworben und bereits für Schussversuche eingesetzt hatte,301 einen von vornherein bestehenden Wegnahmevorsatz abzulehnen, ohne in den Blick zu nehmen, dass für die Tat der Wochentag gewählt worden war, an dem das Opfer bekanntermaßen über einiges Bargeld verfügte,302 oder die Voraussetzungen des § 21 StGB im Hinblick auf ein „ausnehmend gutes Leistungsverhalten“ beim Führen eines Lkw abzulehnen, wenn der alkoholisierte Angeklagte während der Fahrt mit einem Radfahrer kollidiert war, Rotlicht zeigende Ampeln missachtet hatte und auf eine von der Fahrbahn abgesetzte Straßenbahntrasse geraten war.303 Ein die Sachrüge begründender Widerspruch besteht nicht schon darin, dass ein53 zelne Beweismittel miteinander Unvereinbares ergeben haben.304 Allerdings muss sich das Tatgericht mit den divergierenden Ergebnissen auseinandersetzen und begründet darüber befinden, „in welchen von ihnen die Wahrheit ihren Ausdruck gefunden hat“.305 Kommt es dieser Aufgabe nicht nach, werden also derartige Widersprüche in den Urteilsgründen nicht aufgelöst, so liegt hierin ein Rechtsfehler.306 Nach diesen Grundsätzen hat der BGH die Verneinung eines Betrugsvorsatzes als 54 widersprüchlich angesehen, obwohl dem Angeklagten nach den Feststellungen bereits bei einer fünf Tage zuvor begangenen Tat klar war, dass bei ähnlichen Gelegenheiten die erforderliche Darlehensgewährung gescheitert war,307 zudem, dass betreffend dieselben Taten von unterschiedlichen Schadenssummen ausgegangen308 und eine Einlassung einerseits als von „überflüssigen Details“ und „sehr originellen Einzelheiten geprägt“, andererseits als wenig „ausschmückend und detailliert“ berichtend bewertet wurde.309 Nicht miteinander vereinbar sind auch die Feststellungen, ein Messereinsatz sei vom Tatentschluss des Angeklagten nicht umfasst gewesen, während es an anderer Stelle heißt, die in den Messerstichen liegenden körperlichen Misshandlungen seien vom gemeinsamen Tatplan der Angeklagten gedeckt gewesen,310 der Angeklagte sei nicht am Tatort gewesen, während ein Zeuge ihn dort „glaubhaft“ gesehen habe,311 die Nebenklä298 BGH Urt. v. 5.4.2017 – 2 StR 593/16. 299 BGH NStZ-RR 2018 150. 300 BGH Urt. v. 8.11.2017 – 2 StR 125/17; zur genannten Begrifflichkeit Niewöhner/Wenz in: MAH § 69 Rn. 20 f. 301 BGH Urt. v. 22.6.2017 – 1 StR 652/16. 302 BGH NStZ-RR 2016 43, 44. 303 BGH NStZ-RR 2018 136. 304 BGH NStZ-RR 2016 54, 55. 305 BGH NStZ-RR 2016 54, 55. 306 S. etwa BGH NStZ 2016 469, 470; Beschl. v. 15.1.2013 – 2 StR 512/12. 307 BGH Urt. v. 16.2.2005 – 2 StR 384/04. 308 BGH wistra 2006 385, 386. 309 BGH Beschl. v. 21.7.2011 – 5 StR 32/11; zu ähnlichen Divergenzen bei der Würdigung einer Zeugenaussage Urt. v. 26.4.2018 – 4 StR 364/17 (Angaben werden trotz „origineller Details“ als unbestimmt bewertet). 310 BGH NStZ-RR 2007 43, 44. 311 BGH Urt. v. 15.1.2004 – 3 StR 352/03.

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gerin habe sich „nach eigenem Bekunden nicht gewehrt“, während sie in der Hauptverhandlung ausgesagt habe, „sie habe ihn mit der Hand weggeschubst“,312 dem Angeklagten habe „aufgrund seiner affektiven Erregung“ das Bewusstsein, die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers auszunutzen, gefehlt, obwohl ihm im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung nicht erheblich beeinträchtigte „Wachheit, Orientierung, Auffassung und Aufmerksamkeit“ bescheinigt wird,313 eine besonders gefährliche Gewaltanwendung des Angeklagten fehle, obgleich an der Leiche als prämortale Verletzungen u. a. ein Lendenwirbelbruch sowie eine Rippenserienfraktur verursacht worden waren,314 der Angeklagte konsumiere täglich ein bis anderthalb Gramm Methamphetamin, die bei ihm aufgefundene Menge von 38 Gramm sei jedoch nicht für den Eigenverbrauch bestimmt,315 ein Zeuge habe bei seiner polizeilichen Vernehmung einen sexuellen Vorfall in der Dusche „dramatisch ausgeschmückt“, obwohl zu einem vergleichbaren Geschehen im Zelt die tatgerichtliche Einschätzung dahingeht, ihm fehle es an den intellektuellen Fähigkeiten und der Phantasie, so etwas auszudenken,316 die Schilderung der (nach der Anklage) Geschädigten werde durch die Angaben einer weiteren Zeugin „nachhaltig gestützt“, die ausweislich der Urteilsgründe hingegen keine Angaben zum Tatvorwurf machen konnte,317 die Annahme, das Messer sei mit einer Handbewegung von unten nach oben geführt worden, während es in der Beweiswürdigung heißt, es seien verschiedene Stichbewegungen denkbar,318 die Gewalteinwirkung habe mindestens drei Tage vor dem Tod des Opfers stattgefunden, an anderer Stelle des Urteils jedoch eine tödliche Verletzung am Todestag für möglich gehalten wird,319 der Realitätsbezug des Angeklagten sei „ähnlich wie bei Schizophrenen beeinträchtigt gewesen“, er habe jedoch „weder Dinge verkannt noch Wahrnehmungsstörungen erlitten noch sei er verwirrt gewesen“,320 oder der Angeklagte habe Betäubungsmittel an eine Person verkauft, die aber als Zeuge glaubhaft bekundet habe, nicht er, sondern der Angeklagte sei der Käufer gewesen.321 Ein unaufgelöster Widerspruch besteht auch, wenn bei der Strafzumessung zulasten 55 des Angeklagten gewertet wird, er habe eine konkrete Lebensgefahr herbeigeführt, während als Ergebnis des diesbezüglichen Gutachtens mitgeteilt wird, das Leben des Opfers sei abstrakt gefährdet gewesen,322 wenn eine Suchterkrankung des Täters zu einem die Schuld mindernden Affekt (§ 21 StGB) beigetragen hat, von einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hingegen mit der Begründung abgesehen wird, ein Hang i. S. d. § 64 StGB sei für die Affekttat nicht mitursächlich gewesen,323 wenn es einerseits heißt, an dem als mögliches Tatwerkzeug sichergestellten Ziegelstein seien keine Blutspuren vorhanden gewesen, während andererseits mitgeteilt wird, die auf diesem Stein befindlichen Blutanhaftungen hätten vom Geschädigten hergerührt,324 oder wenn ausgeführt wird, der Angeklagte habe eine größere Kokainmenge nicht beschaffen können, wäh312 313 314 315 316 317 318 319 320 321 322 323 324

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BGH NStZ-RR 2014 152, 153. BGH NStZ-RR 2017 278, 279; zu § 20 StGB s. auch StV 2014 336. BGH Urt. v. 10.4.2019 – 1 StR 590/18. BGH NStZ-RR 2013 387; s. auch Beschl. v. 12.9.2018 – 5 StR 400/18. BGH StV 2008 237, 238. BGH Beschl. v. 20.4.2004 – 4 StR 67/04. BGH Beschl. v. 22.2.2006 – 5 StR 583/05. BGH NStZ-RR 2009 180. BGH NStZ 2009 569, 570. BGH Beschl. v. 1.9.2009 – 5 StR 285/09. BGH Beschl. v. 23.10.2019 – 4 StR 538/18. BGH Urt. v. 23.1.2020 – 3 StR 332/19. BGH Beschl. v. 22.10.2019 – 4 StR 227/19.

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rend es an anderer Stelle heißt, zu deren Auslieferung sei es aufgrund von Bedenken wegen des Übergabeorts nicht gekommen,325 es sei zum Oralverkehr beim Angeklagten durch den (sich hieran nicht mehr erinnernden) Jungen gekommen, während der Angeklagte ausschließlich eingeräumt hat, seinerseits Oralverkehr an seinem Opfer ausgeübt zu haben,326 der Angeklagte sei nicht betäubungsmittelabhängig, während das Tatgericht im Urteil bereits seine Zustimmung zu einer eine solche Abhängigkeit gerade voraussetzenden Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG erklärt,327 das Landgericht die Aussage einer Zeugin auch wegen „einer Vielzahl nebensächlicher Details“ als glaubhaft ansieht, während es sich zugleich „vollumfänglich“ gutachterlichen Ausführungen anschließt, wonach „allein die Angaben zum Kerngeschehen als ausreichend zuverlässig anzusehen seien“,328 der Angeklagte sei „von einer für ihn selbst gefahrlosen späteren Entzündung des Gases aus dem Nachbarraum“, zugleich aber auch „von einem von Beginn an unkontrollierbaren Vorgang ausgegangen“,329 einerseits habe die Einsichtsfähigkeit weiterbestanden, andererseits hätte der Angeklagte keine Unrechtseinsicht gehabt,330 eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei zu verneinen, obwohl es anderenorts heißt, der Tatbegehung habe „aufgrund seiner Erkrankung keine Hemmschwelle … entgegengestanden“,331 der Beschuldigte habe geglaubt, der Zeuge habe das Messer wahrgenommen, obgleich es an anderer Stelle heißt, er habe es von diesem unbemerkt aus der Tasche gezogen,332 der Angeklagte habe seine von ihm getötete Ehefrau durch das anschließende Entkleiden herabwürdigen wollen, während festgestellt wird, er habe ihre Kleidung in die Waschmaschine getan, um die Tatspuren zu beseitigen,333 die Tat sei zwei Stunden vor dem Tod des Opfers verübt worden, obwohl der Angeklagte zu ihr erst aufgefordert worden sein soll, nachdem sein „Präsident“ vom Suizid des Opfers erfahren hatte,334 in einem Zeitraum von 21 Wochen seien 19 Taten begangen worden, obwohl sie sich „etwa alle zwei Wochen“ ereignet haben sollen,335 der vom 1. bis 30.8.2012 stationär untergebrachte Angeklagte habe die Tat am 22.8.2012 in Freiheit verübt,336 die Taten seien von Anfang 1992 bis Januar 1993 begangen worden, obwohl der im November 1983 geborene Geschädigte ausgesagt hat, er sei im Alter von vier bis acht Jahren missbraucht worden,337 eine Zeugenaussage sei „leichtgradig verarmt“ und zugleich detailreich,338 der Angeklagte habe auf den Einsatz einer Pistole geschlossen, obwohl an anderer Stelle mitgeteilt wird, ein Mittäter habe ihm diesen zuvor angekündigt,339 die Angeklagte habe bei der Tat auch hinsichtlich des Eintritts der Todesgefahr vorsätzlich gehandelt (§ 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB), obwohl festgestellt wird, sie habe erst durch das hitzebedingte Zerbersten des Fensters realisiert,

325 326 327 328 329 330 331 332 333 334 335 336 337 338 339

BGH StraFo 2019 17, 20. BGH Beschl. v. 4.6.2013 – 2 StR 3/13. BGH Beschl. v. 9.12.2013 – 3 StR 345/13. BGH Urt. v. 20.9.2018 – 3 StR 618/17. BGH Beschl. v. 16.9.2013 – 1 StR 264/13. BGH Beschl. v. 25.10.2018 – 4 StR 400/18. BGH Beschl. v. 25.10.2018 – 4 StR 400/18. BGH NStZ 2019 263, 264. BGH NStZ-RR 2018 334. BGH Beschl. v. 25.7.2012 – 2 StR 111/12. BGH Beschl. v. 22.3.2017 – 2 StR 595/16. BGH Beschl. v. 10.9.2013 – 4 StR 330/13. BGH Beschl. v. 5.3.2013 – 5 StR 39/13. BGH Beschl. v. 15.3.2017 – 2 StR 270/16. BGH Beschl. v. 11.9.2014 – 2 StR 269/14.

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die Feuerentwicklung nicht beherrschen zu können,340 das Opfer habe sich die Schlinge des Henkersknotens selbst um den Hals gelegt und zugezogen, obwohl auszuschließen sei, dass es noch Bodenkontakt gehabt habe,341 eine Mutter würde ihrem Sohn ohne dessen Wissen keine große Menge Drogen unterschieben, während es an anderer Stelle heißt, der angeklagten Mutter wäre „das Schicksal ihres Sohnes erkennbar gleichgültig“ gewesen,342 die Angeklagte habe Unrechtseinsicht gehabt, dies sei aber nur „möglicherweise“ der Fall gewesen,343 eine Mutter habe ihrer Tochter die vor der Einschulung berichtete Tat wegen der „Neigung zur Erzählung erfundener Geschichten“ nicht geglaubt, obwohl festgestellt wird, dass sich diese Neigung erst im Laufe der Schulzeit entwickelt hat,344 der Täter habe aufgrund seiner psychischen Erkrankung gemeint, sich verteidigen zu müssen, während es an anderer Stelle heißt, er habe nicht zur Abwehr eines vermeintlichen Angriffs gehandelt,345 die Angeklagte sei über ihre Lebenssituation „frustriert und verzweifelt“ gewesen, wenn zugleich aus Sprachnachrichten geschlossen wird, sie sei „fröhlich und unbesorgt“ gewesen,346 sowie die Feststellung, eine Mutter habe ihr einjähriges Kind bedingt vorsätzlich verhungern und verdursten lassen, dabei aber wegen gezeigter „mütterlicher Gefühle“ nicht grausam gehandelt.347 Zu der Bejahung eines bedingten Tötungsvorsatzes ist die Feststellung als wider- 56 sprüchlich angesehen worden, nach den Messerstichen in den Oberkörper ihres Mannes sei die Angeklagte in Panik geraten, „da es ihr unmöglich erschien, dass sie seinen Tod verursacht haben könnte“.348 Gleiches gilt für die Einschätzung, es sei kein Tatmotiv erkennbar, obgleich festgestellt ist, der Angeklagte habe dem Opfer „aus Rache für die vorausgegangene körperliche Auseinandersetzung aus vollem Lauf ein Messer wuchtig in den Rücken“ gestoßen.349 Dagegen ist die Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes mit der gleichzeitigen Annahme direkten Vorsatzes, das Opfer erheblich zu verletzen, logisch miteinander zu vereinbaren.350 Ein Zirkelschluss liegt vor, wenn ein Umstand als durch sich selbst bewiesen ange- 57 sehen wird,351 also etwa aus einer Aussage selbst auf ihre Glaubhaftigkeit geschlossen wird, beispielsweise insoweit bestehende Bedenken durch sonst unbestätigte Angaben desselben Zeugen zerstreut werden352 oder aus der bloßen Behauptung von Details auf deren Richtigkeit geschlossen wird.353 Ebenso verhält es sich, wenn ein anderes Beweismittel als Indiz für die Richtigkeit der Zeugenaussage gewertet wird, obwohl es die ihm entnommene Bedeutung erst erlangt, wenn es entsprechend den Angaben des Zeugen gedeutet wird.354 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine von der (möglicherweise) Geschädigten gesandte SMS so verstanden wird, dass sie – wie von ihr behauptet – vom 340 341 342 343 344 345 346 347

BGH NStZ 2017 290, 291. BGH NStZ 2016 469, 470. BGH Beschl. v. 28.12.2011 – 2 StR 523/11. BGH Beschl. v. 21.12.2010 – 4 StR 540/10. BGH Beschl. v. 1.3.2011 – 3 StR 22/11. BGH Beschl. v. 23.4.2020 – 1 StR 106/20. BGH Beschl. v. 29.4.2020 – 2 StR 386/19. BGH NStZ-RR 2009 173; zu divergierenden Feststellungen zum Vorsatz im Rahmen des § 221 Abs. 1 und 3 StGB s. auch NStZ 2009 385. 348 BGH NStZ-RR 2007 199. 349 BGH Urt. v. 16.4.2008 – 2 StR 95/08. 350 BGH Urt. v. 23.8.2007 – 4 StR 295/07. 351 KK/Ott 51; SSW/Schluckebier 19. 352 BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 32 m. w. N.; BGH Beschl. v. 13.4.1999 – 4 StR 101/99. 353 BGH Beschl. v. 23.10.2001 – 1 StR 415/01. 354 S. Mengler 151.

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Angeklagten eine Entschuldigung verlange, obwohl sich aus dem Wortlaut der Nachricht nichts derartiges ergibt,355 wenn die Annahme, der Angeklagte habe die illegale Herkunft der Fahrzeuge gekannt, auf seine „vergeblichen Versuche, seinen guten Glauben dazulegen“, gestützt wird,356 oder wenn der Umstand, dass sein Handy zur maßgeblichen Zeit nicht am Tatort eingeloggt war, als Beleg für eine freilich erst noch zu beweisende detaillierte Planung des Angeklagten herangezogen wird.357 Zirkulär ist es auch, wenn das Tatgericht davon ausgeht, dass ein Zeuge bis zu seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung keine Kenntnis vom Anklagevorwurf hatte, weil er seit der Tat, deren Augenzeuge er gewesen sein soll, keinen Kontakt zu dem Angeklagten hatte,358 wenn eine psychische Erkrankung einer Zeugin als Beleg für die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben herangezogen wird, „da sie sonst nicht nur in der Sache selbst hätte lügen, sondern auch noch psychische Schwierigkeiten hätte vortäuschen müssen“, obwohl ein Zusammenhang zwischen Tat und Erkrankung nicht festgestellt ist und daher zirkelschlüssig angenommen wird,359 wenn bei einer fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) im Straßenverkehr in die Berechnung der vor der eingeleiteten Bremsung gefahrenen Geschwindigkeit eine Wahrnehmungsdauer eingestellt wird, die ihrerseits unter Heranziehung dieser erst noch zu ermittelnden Geschwindigkeit bestimmt worden ist,360 oder wenn auf die Täterschaft der Angeklagten mit dem Argument geschlossen wird, diese habe durch das Säubern einer Eisschale das einzige objektive Beweismittel vernichtet, obwohl gerade nicht bewiesen war, dass sich nur an dieser Schale das tödliche Gift befunden haben konnte, sondern in gleicher Weise eine anderen zugängliche Eispackung in Betracht kam.361 Dagegen handelt es sich nicht um einen Zirkelschluss, wenn Teile einer Aussage, aus deren Wahrheit auf die Glaubhaftigkeit anderer Aussageteile geschlossen wird, eine außerhalb der Aussage liegende, d. h. „externe“ Bestätigung gefunden haben. Insofern hat es der BGH genügen lassen, dass aus dem Ablauf der Vernehmung oder dem dabei gezeigten Verhalten des Zeugen auf die Glaubhaftigkeit seiner Angaben geschlossen wurde.362 Soweit es als ebenfalls ausreichend angesehen worden ist, diesen Schluss aus der inhaltlichen Struktur der Aussage zu ziehen,363 überzeugt dies nicht. Denn die „Struktur“ einer Aussage stellt keinen externen Gesichtspunkt dar. Jedoch kann sie – wie auch der Umstand, dass ein Zeuge Einzelheiten geschildert hat, die grundsätzlich überprüfbar sind364 – als Kriterium im Rahmen der lege artis durchgeführten Aussageanalyse (vgl. Rn. 128 ff.) verwendet werden, ohne dass dies einen Zirkelschluss darstellen würde. 58

b) Erfahrungssätze. Erfahrungssätze existieren objektiv und stehen mithin nicht zur gerichtlichen oder gesetzgeberischen Disposition.365 Es handelt sich um empirisch aus der Beobachtung der Umwelt und Verallgemeinerung von Einzelfällen und nicht

355 356 357 358 359 360 361 362 363 364 365

BGH Beschl. v. 15.8.2007 – 2 StR 257/07; s. ferner Urt. v. 25.5.2011 – 2 StR 605/10. BGH Beschl. v. 13.8.2015 – 2 StR 26/15. BGH Urt. v. 12.1.2017 – 1 StR 360/16. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 32. BGH StV 2008 238; s. auch NStZ 2009 106, 107. BGH NStZ-RR 2020 90. BGH NJW 1999 1562, 1564; s. ferner Urt. v. 29.7.1998 – 1 StR 152/98. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 32 m. w. N. BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 17. BGH Beschl. v. 23.10.2001 – 1 StR 415/01. Mengler 73.

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durch reines Denken gewonnene Einsichten.366 Sie werden beispielsweise unterschieden nach Erkennbarkeit und dem Grad der allgemeinen Gültigkeit. Bei der Erkennbarkeit wird differenziert, ob sie für jedermann aufgrund eigener Erfahrung einsichtig sind, weil sie Vorgänge des täglichen Lebens betreffen, oder ob ihre Erkennbarkeit örtlich oder zeitlich begrenzt oder gar durch Spezialkenntnisse bedingt ist. Die erstgenannten Sätze werden meist als „Lebenserfahrung“, die zweitgenannten als „spezielle Erfahrungssätze“ bezeichnet. Der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht es z. B., dass Messerstiche in den oberen Rückenbereich in hohem Maße lebensgefährlich sein können.367 Mit ihr steht dagegen die Annahme nicht in Einklang, eine gerade einer Vergewaltigung entronnene Frau habe „unmittelbar anschließend in gelöster Stimmung freiwillig … an dem Angeklagten sexuelle Handlungen vorgenommen“.368 Hinsichtlich des Grades der Allgemeingültigkeit der in den Sätzen enthaltenen 59 Aussage wird danach unterschieden, ob die Erfahrungssätze eine generell gültige, im Anwendungsbereich (anscheinend) ausnahmslos zutreffende Aussage enthalten oder ob sie nur eine mehr oder weniger große Wahrscheinlichkeit für die Verknüpfung zweier Gegebenheiten aufzeigen, also der Ergänzung durch andere Beweise bedürfen. Nach dem bisherigen Erkenntnisstand ausnahmslos geltende Erfahrungssätze, also Sätze, die ähnlich den Naturgesetzen im praktischen Anwendungsbereich mit einer der Sicherheit gleichzuachtenden Wahrscheinlichkeit gelten, so dass ihre Beachtung verbindlich ist, werden oft als allgemeine Erfahrungssätze bezeichnet.369 Auch für sie gilt jedoch als Einschränkung, dass es erkenntnistheoretisch absolut sichere, eine Ausnahme völlig ausschließende Erfahrungssätze nicht geben kann; denn sie können zwar unter Umständen falsifiziert, niemals aber verifiziert werden.370 Rechtsprechung und Schrifttum verwenden diese Bezeichnungen aber keines- 60 falls einheitlich.371 Weder die verfahrensrechtliche Behandlung noch die Beurteilung der Bedeutung eines Erfahrungssatzes für die richterliche Beweiswürdigung hängen von der gewählten Bezeichnung ab. Maßgebend ist vielmehr, ob das Gericht unabhängig von der gewählten Bezeichnung Erkennbarkeit und Gültigkeitsgrad des herangezogenen Erfahrungssatzes richtig beurteilt hat. Die allgemeine Bekanntheit hat Bedeutung für die Art und Weise, in der ein Erfahrungssatz in die Hauptverhandlung einzuführen ist. Für die richterliche Beweiswürdigung ist dagegen entscheidend, ob der Erfahrungssatz – bezogen auf den entscheidungserheblichen Anwendungsbereich – eine schlechthin zwingende Folgerung enthält oder nur eine Wahrscheinlich366 BGH NJW 1982 2455, 2456; dazu Schweling ZStW 83 (1971) 435 ff.; ferner Meurer FS Wolf 493 ff.; KK/ Ott 52 („generalisierende Schlussfolgerungen“); MüKo/Miebach 28; SK/Velten 42.

367 BGH Urt. v. 16.4.2008 – 2 StR 95/08; s. auch Urt. v. 5.2.2015 – 3 StR 504/14 („äußerst naheliegend“, dass bei einer Amphetaminlieferung im zweistelligen Kilogrammbereich Auftraggeber und Kurier ihre Erreichbarkeiten austauschen). 368 BGH NStZ-RR 2010 182, 183. 369 Vgl. BGHSt 31 89 = JR 1983 128 m. Anm. Katholnigg; Geerds FS Peters 267; Hellmiß NStZ 1992 24; LR/Franke26 § 337, 144 ff. m. w. N.; Schweling ZStW 83 (1971) 447 ff. unterscheidet neun Stufen, von dem mit Gewissheit ausnahmslos geltenden Erfahrungssatz über die mit Ausnahmen geltende Erfahrungsregel bis zu den Stufen einer immer weniger sicheren Erfahrung; dies erscheint wenig praxisgerecht. Das OLG Köln VRS 48 (1975) 24 stellt die zwingenden „allgemeinen Erfahrungssätze“ der nicht immer und unbedingt geltenden „Alltagserfahrung“ gegenüber. Es folgt damit der Rechtsprechung des BVerwG (MDR 1974 957; Grave-Mühle MDR 1975 278 m. w. N.) und des BSG (NJW 1971 167); ähnlich OLG Koblenz VRS 50 (1976) 296. Der BGH verwendet in Zivilsachen die Bezeichnung Erfahrungssatz auch für die nicht ausnahmslos geltenden Sätze, die nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit begründen (vgl. BGH MDR 1973 748). 370 Mengler 73, 107, 158. 371 Schweling ZStW 83 (1971) 464 m. w. N.

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keitsaussage. Zwingenden Erfahrungssätzen muss das Gericht bei seiner Beweiswürdigung entsprechen. Wahrscheinlichkeitsaussagen, die ein bestimmtes Ergebnis als naheliegend erscheinen lassen, muss es insoweit Rechnung tragen, als es sich mit ihnen auseinandersetzt, an Hand weiterer Beweisanzeichen prüft, ob diese ausreichen, um die Wahrscheinlichkeit zur Gewissheit werden zu lassen, und sie ggf. als – wenn auch schwaches – Indiz in die Gesamtwürdigung der Beweise einfließen lässt.372 Setzt sich das Gericht über eine solche Wahrscheinlichkeitsaussage hinweg, muss es im Urteil die Gründe dafür aufzeigen, wenn es seiner Verpflichtung zur erschöpfenden Beweiswürdigung genügen will. 61 Ob ein Erfahrungssatz besteht und welches Maß von Allgemeingültigkeit ihm zukommt, kann mitunter zweifelhaft sein.373 Insbesondere besteht hier die Gefahr, dass rein persönliche Erfahrungen zu Unrecht verallgemeinert374 oder Pauschalurteile unbedacht übernommen werden375 oder dass eine Allgemeinaussage, die allenfalls eine Wahrscheinlichkeit begründen kann, als zwingend einer Schlussfolgerung zugrunde gelegt wird.376 Bei seiner Beweiswürdigung darf das Gericht aber auch eine solche Wahrscheinlichkeit nicht übergehen, sondern muss sich mit ihr auseinandersetzen.377 Aber selbst wenn einem Erfahrungssatz mitunter eine hohe Wahrscheinlichkeit entnommen werden kann, trägt er eine Verurteilung für sich allein nicht. Er muss immer durch weitere Tatsachen bestätigt werden.378 Wenn es sich um nicht allgemeinkundige Erfahrungssätze aus besonderen Lebensbereichen handelt, kann es der Zuziehung eines Sachverständigen bedürfen. Offenkundige Erfahrungssätze müssen, auch wenn sie nicht Gegenstand der Beweisaufnahme sind, grundsätzlich in der Hauptverhandlung erörtert werden.379 62 Ein vom Revisionsgericht nachprüfbarer Verstoß gegen Erfahrungssätze kann darin liegen, dass das Gericht einen bestehenden Erfahrungssatz ohne hinreichenden Grund missachtet, beispielsweise dem negativen Befund eines am Tag nach der behaupteten Vergewaltigung bei einer gynäkologischen Untersuchung vorgenommenen Abstrichs „keinerlei Beweiswert“ zuerkannt hat, obwohl nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft ein Nachweis von Spermatozoen nach dem Geschlechtsverkehr

372 Mengler 81, auch 140. 373 Vgl. beispielsweise BGH MDR 1970 253 (zur Frage, ob es einen Erfahrungssatz gibt, dass ein Kraftfahrer Übermüdung wahrnimmt) und BGHSt 19 82 (alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit der Radfahrer). Vgl. LR/Franke26 § 337, 143. 374 Hartung SJZ 1948 579; Schneider MDR 1962 954 (Verallgemeinerungen können Denkfehler sein). Vgl. etwa BGH StV 1981 605 (von früherer Einlassung abweichende Aussage unrichtig); bei Holtz MDR 1982 972 (gleichförmige Tatausführung Indiz für Reife); BayObLG VRS 67 (1984) 427 (ausgeschlossen, dass niemand in verkehrsdichter Straße feststellungsbereit gewesen wäre); OLG Karlsruhe VRS 56 (1979) 359 (alle Türken lügen vor Gericht); OLG Koblenz VRS 64 (1983) 281; OLG Köln VRS 48 (1975) 24 (Polizeibeamte ziehen niemanden in Gegenwart von Zeugen an den Haaren). 375 BGH StV 1993 116; VRS 63 (1982) 452; OLG Düsseldorf StV 1993 572. 376 Vgl. etwa BGH StV 1982 60; 1988 513; LR/Franke26 § 337, 148 m. w. N. 377 Vgl. SK/Velten 42 ff. 378 So z. B. bei der DNA-Analyse, deren negatives Ergebnis zwingend ist, während die festgestellten Übereinstimmungen nur eine (mitunter allerdings sehr) hohe statistische Wahrscheinlichkeit begründen und es daher grundsätzlich (s. aber Rn. 156) der Bestätigung durch weitere Beweisanzeichen bedarf, BGHSt 37 157; 38 320 = JR 1993 123 m. Anm. von Hippel = JZ 1993 102 m. Anm. Keller; ferner Anm. Vogt StV 1993 175; BGH NStZ 1994 554; Eisenberg Beweisrecht Rn. 103, 1680 ff., 1904 ff.; die Erläuterungen zu §§ 81e und 81 f. 379 Dazu und zu den Ausnahmen vgl. Rn. 28.

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bis 24 Stunden zu erwarten ist und sogar bis 72 Stunden für möglich gehalten wird,380 entgegen kriminalistischer Erfahrung angenommen hat, der Angeklagte hätte sich ohne Waffe „angesichts der Überzahl der teilweise bewaffneten Gegner in einen hochgradig selbstgefährdenden Kampf begeben“,381 oder nicht bedacht hat, dass Beamte erfahrungsgemäß ausweichen, wenn ein Kraftfahrer eine Polizeisperre durchbrechen will,382 oder der Verzicht auf eine naheliegende Mehrbelastung des Angeklagten ein Hinweis auf eine erlebnisbasierte Aussage sein kann.383 In der forensischen Praxis deutlich häufiger ist dagegen die umgekehrte Konstel- 63 lation, dass das Gericht zu Unrecht einen solchen Satz angenommen oder es seine Allgemeingültigkeit unzutreffend bejaht oder verneint hat.384 So gibt es keinen Erfahrungssatz, dass ab einer bestimmten Blutalkoholkonzentration (und ohne Rücksicht auf psychodiagnostische Kriterien) ein gemäß den §§ 20, 21 StGB relevanter Alkoholrausch vorliegt,385 ein Fahrzeugführer mit einer über 1,1 Promille liegenden BAK seine (absolute) Fahruntüchtigkeit erkennt,386 bei diese Grenze erheblich überschreitendem Blutalkoholwert jedoch (wieder) ein vorsatzausschließender Glaube an die Fahrtüchtigkeit eintrete (vgl. auch Rn. 94),387 dass einer Zeugenaussage – zumal zu unterschiedlichen Lebenssachverhalten – nur entweder insgesamt geglaubt oder nicht geglaubt werden kann,388 die Vernehmung eines Kindes etwa drei Jahre nach Tat „nicht sinnvoll“ sei,389 selbstverletzendes Verhalten typische Folge eines erlittenen Missbrauchs sei,390 der Wunsch, das alleinige Sorgerecht zu erhalten, nicht ausreichend sein könne, eine Falschbelastungsmotivation zu entwickeln,391 ein Mensch eine auf sich gerichtete Pistole nicht an sich heranzieht, wenn er diese wegzunehmen versucht,392 „im Trinkermilieu Blutanhaftungen üblicherweise in Form von Spritzspuren entstehen“,393 mit einem Kilogramm Heroin in einschlägigen Kreisen nicht unbewaffnet Handel getrieben wird,394 in einer größeren Cannabisplantage stets eine Überwachung des Verantwortlichen stattfindet,395 pro ausgewachsener erntereifer Cannabispflanze von einem Ertrag von jedenfalls 25 Gramm verkaufsfähigem Marihuana auszugehen ist,396 bei nach demselben Muster durchgeführten Geschäften eines Zwischenhändlers mit seinem Abnehmer die Betäubungsmittel stets aus dersel-

380 381 382 383 384

BGHR StPO § 261 Erfahrungssatz 7. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 18. BGH NStZ-RR 2014 371, 373. BGH Urt. v. 13.3.2014 – 4 StR 445/13. Vgl. etwa BGH NStZ 1991 481 (BAK); StV 1993 116; 1993 570; 1997 460; bei Spiegel DAR 1983 206; s. auch NStZ 2013 120; Beschl. v. 18.6.2008 – 2 StR 225/08; w. N. bei LR/Franke26 § 337, 145, 148. Zu den Typen der Verstöße gegen Erfahrungssätze vgl. Meurer FS Wolf 483, 494. 385 BGHSt 43 66, 71; BGH NStZ 2015 634; 2016 670; NStZ-RR 2015 367, 368; ebenso für eine Blutwirkstoffkonzentration NZV 2015 562. 386 BGHSt 60 227, 230. 387 BGHSt 60 227, 232. 388 BGH StraFo 2014 75; NStZ 2018 160; 2019 746, 747; Urt. v. 21.2.2006 – 1 StR 278/05; Urt. v. 11.12.2019 – 5 StR 391/19. 389 BGH NStZ 2015 419. 390 BGH Urt. v. 25.1.2011 – 5 StR 418/10. 391 BGH NStZ 2017 551, 552. 392 BGH Beschl. v. 9.12.2014 – 2 StR 239/14. 393 BGH NStZ-RR 2009 90, 91. 394 BGH StV 2000 69; Nack StV 2002 510, 513. 395 BGH NStZ-RR 2010 51, 52. 396 BGH NStZ 2010 526, 527.

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ben Quelle stammen,397 eine Rauschgiftmenge stets dem Fassungsvermögen des zu ihrer Aufbewahrung genutzten Behältnisses entspricht,398 Betäubungsmittelgeschäfte ab einer bestimmten Größenordnung nicht uneigennützig durchgeführt werden,399 der Gehilfe eines Drogentransports sich eine Lieferung „im 100-Kilo-Bereich“ vorstellt,400 Crystal nicht im nahe zur Grenze zu Tschechien liegenden Inland erworben werden kann,401 Hilfe beim Eintreiben von Schulden stets entgeltlich erbracht wird,402 erwachsene Opfer eines sexuellen Übergriffs sich in aller Regel sofort nach der Tat offenbaren403 oder nach einer Festnahme Unmutsäußerungen des Beschuldigten zu erwarten sind.404 Dasselbe gilt für die Einschätzung, dass es gegen eine Täterschaft spreche, wenn 64 ein Verdächtigter keine Fluchttendenzen zeigt,405 oder ein Angeklagter von einen Mitangeklagten zu Unrecht belastenden, während der Untersuchungshaft gemachten Angaben nach seiner Entlassung abrücke,406 ferner dass die Knebelung eines Opfers „typischerweise dazu dient, dieses nur vorübergehend daran zu hindern, sich verbal durch Hilferufe bemerkbar zu machen (…) und auch nicht von vornherein die Atmung durch die Nase hindert“,407 „sich ein bestimmter Typ Autofahrer in einer bestimmten Art von Kraftfahrzeug grundsätzlich sicher fühlt und jegliches Risiko für die eigene Unversehrheit ausblendet“,408 Schrankfächer den einzelnen Nutzern einer Wohnung fest zugeteilt seien,409 ein Betäubungsmittelkonsument zu eigenverantwortlicher Entscheidung nicht fähig sei410 oder derjenige, der gestohlene, zur Verschiffung nach Übersee vorgesehene Fahrzeuge zu einem Speditionsgelände bringt, Mitglied der handelnden Hehlerbande ist.411 Ebenso wird es weder von aussagepsychologischen noch von forensischen Erfahrungen getragen, dass „ein Lügner es grundsätzlich vermeide, zu vage oder widersprüchliche Angaben zu machen“,412 „alle Kinder Menschen besser wiedererkennen als Erwachsene“,413 sich eine beeinflusste Person regelmäßig von der suggestiven Erinnerung distanziere, wenn sie vom Suggestor getrennt sei,414 oder das prozessuale Schweigerecht bestimmten Personengruppen, z. B. Vorbestraften, ohnehin bekannt ist.415 Dies ist insbesondere auch der Fall, wenn aus einer Tatsache ein Schluss auf eine andere gezogen wird, obwohl kein einsichtiger Grund diese Schlussfolgerung trägt, wie etwa beim Schluss von einem ehebrecherischen Verhältnis auf die Begehung

397 398 399 400 401 402 403 404 405 406 407 408 409 410 411 412 413 414 415

BGH Urt. v. 17.9.2009 – 4 StR 174/09. BGH NStZ 2017 486, 487. BGH NStZ-RR 2014 375. BGH Beschl. v. 6.5.2015 – 2 StR 359/14. BGH StV 2015 740. BGH Beschl. v. 22.10.2019 – 4 StR 227/19. BGH Beschl. v. 27.3.2019 – 4 StR 544/18. BGH Beschl. v. 10.6.2020 – 5 StR 109/20. BGH Beschl. v. 5.6.2017 – 2 StR 236/17. BGH Urt. v. 10.5.2017 – 2 StR 258/16. BGH NStZ-RR 2016 204, 205. BGHSt 63 88, 96. Vgl. BGH NStZ-RR 2015 343. BGH StV 2014 601, 602. BGH NStZ 2008 570, 571. BGH StraFo 2004 209, 210. Meyer-Goßner/Appl Rn. 368. BGH StV 2018 226, 228 f. BGHSt 38 214, 225.

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eines Ladendiebstahls416 oder dem nur bei weiteren Beweisanzeichen möglichen Schluss vom Halter auf den Fahrer eines Kraftfahrzeugs.417 Auch wenn ein typischer Geschehensablauf nach der Lebenserfahrung den 65 Schluss auf ein bestimmtes Verhalten des Angeklagten nahelegt, beispielsweise jede Form des Schießens mit einer scharfen Waffe auf einen Menschen wegen der außergewöhnlichen Lebensgefahr den Schluss auf einen Tötungsvorsatz,418 müssen andere – ernsthaft – in Betracht kommende Varianten ausgeschieden werden, bevor die Überzeugung sich auf den Erfahrungssatz stützen darf. Ob ernsthafte Möglichkeiten eines anderen Geschehensablaufs bestehen, unterliegt der richterlichen Beweiswürdigung. Nachprüfbar ist insofern nur, ob die Alternativen erkannt und fehlerfrei gewürdigt worden sind und ob gegen die Aufklärungspflicht verstoßen worden ist, indem eine Tatsache, die auf einen von dem angenommenen Erfahrungssatz abweichenden Sachhergang hindeuten kann, unbeachtet geblieben ist (s. zum sog. Beweis des ersten Anscheins Rn. 186). Eine unzulängliche Schlussfolgerung liegt vor, wenn sie aus den festgestellten 66 Tatsachen allein nicht gezogen werden konnte. Sie macht die Beweiswürdigung fehlerhaft.419 Insbesondere dürfen sich Schlüsse nicht so sehr von den festgestellten Tatsachen entfernen, dass sie nach der Lebenserfahrung letztlich nicht mehr als Vermutungen sind, die allenfalls einen Verdacht begründen.420 Statistische Wahrscheinlichkeitsberechnungen, etwa die „Hochrechnung“ der Zahl der einzelnen Taten bei Serientätern, reichen als Grundlage des Schuldspruchs nicht aus.421 Jede Tat, deretwegen verurteilt wird, muss durch Feststellung der konkret bei ihr für erwiesen erachteten objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale belegt werden. Ist bei einer Vielzahl gleichartiger Taten die konkrete Bezifferung der Einzelakte, die diesen Tatbestand mit Sicherheit er416 OLG Hamm GA 1969 26. Vgl. dazu Eb. Schmidt JZ 1970 339, der die schwer zu bestimmende Grenze der Nachprüfbarkeit der Schlussfolgerungen dort ziehen will, wo keinerlei „Adäquanzverhältnis“ besteht, wo also nach vernünftiger Würdigung der Umstände des Einzelfalls ein innerer Zusammenhang zwischen den durch die Schlussfolgerung verknüpften Tatsachen nicht ersichtlich ist, insbesondere auch vom Tatgericht nicht ersichtlich gemacht wird; beispielsweise BGH bei Dallinger MDR 1969 194, wo es als rechtlich bedenklich bezeichnet wird, wenn das Tatgericht die Überzeugung, die Pistole des Räubers sei geladen gewesen, allein damit begründet, der Räuber habe einige Tage vorher bei einem anderen Raub eine geladene Pistole mit sich geführt. An sich dürfte aber der natürlich nicht zwingende Schluss von einer „üblichen Arbeitsweise“ des Täters auf die Begehungsweise der angeklagten Tat möglich sein. 417 Z. B. BGHSt 25 365 = JR 1975 382 m. Anm. Gollwitzer; BayObLGSt 1980 79 = VRS 59 (1980) 348; BayObLG VRS 62 (1982) 273; bei Rüth DAR 1973 197; 1982 253; 1983 252; OLG Bremen VRS 48 (1975) 435; OLG Celle VRS 45 (1973) 445; OLG Düsseldorf DAR 1974 246; VRS 55 (1978) 360; OLG Hamburg MDR 1980 780; VRS 59 (1986) 351; OLG Hamm NJW 1974 249; KG VRS 45 (1973) 287; OLG Karlsruhe VRS 49 (1975) 47; 49 (1975) 117; OLG Koblenz VRS 58 (1980) 377; 59 (1980) 434; 64 (1983) 281; OLG Köln VRS 47 (1974) 39; 191; 56 (1979) 149; 57 (1979) 429; 61 (1981) 361; OLG Saarbrücken VRS 47 (1974) 438; OLG Schleswig SchlHA 1976 158; bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1979 205; bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1982 123; OLG Stuttgart VRS 69 (1985) 295; a. A. OLG Hamm NJW 1973 159; JMBlNW 1973 233. Bei privaten Kleinflugzeugen hält OLG Frankfurt MDR 1974 688 es für zulässig, allein aus der Eigenschaft als Halter zu schließen, dieser sei der Pilot gewesen; dagegen Bach MDR 1976 19. Vgl. ferner OLG Frankfurt VRS 64 (1983) 221 (Schluss vom Abholen des abgeschleppten Fahrzeugs auf Täterschaft beim Falschparken). Vgl. Rn. 14. 418 BGH Beschl. v. 7.2.2008 – 5 StR 453/07. 419 Vgl. etwa BayObLG VRS 66 (1984) 34 (Schluss von der Aufgabe eines Briefes auf Zugang); weitere Beispiele: OLG Zweibrücken StV 1985 359; Niemöller StV 1984 434; ferner Rn. 14, 62 ff. 420 BGH MDR 1980 948; vgl. Rn. 45. 421 Zur Zulässigkeit der Schätzung des Mindestumfangs der für erwiesen erachteten Tat bei der Strafzumessung vgl. etwa BGH StV 1998 473; Hellmann GA 1997 503 und die Erläuterungen bei § 267; s. auch Mengler 87.

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füllen, nicht möglich, wie etwa bei gleichartigen Vermögensdelikten, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, so wird es für zulässig gehalten, deren Mindestzahl ebenso wie auch sonst den Schuldumfang im Rahmen einer dem Zweifelssatz Rechnung tragenden Schätzung zu ermitteln (vgl. Rn 198).422 c) Wissenschaftliche Erkenntnisse. Gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse können sowohl auf rein rational erschlossenen Gesetzmäßigkeiten (Denkgesetzen) als auch auf empirisch gewonnenen speziellen Erfahrungssätzen beruhen. Meist tragen beide Erkenntnisquellen dazu bei, dass eine bestimmte Folgerung zu einer wissenschaftlichen Erkenntnis geworden ist. 68 Über derartige Erkenntnisse der Wissenschaft darf sich das Tatgericht bei der Beweiswürdigung nicht hinwegsetzen.423 Nimmt es z. B. an, das Opfer sei im Alter von neun Jahren sexuell schwer missbraucht worden und an einer „Aufarbeitung“ der Tat infolge einer durch diese verursachten chronischen Anpassungsstörung sieben Jahre gehindert gewesen, so muss es sich damit auseinandersetzen, dass eine derartige Störung ausweislich der psychiatrischen Fachliteratur regelmäßig innerhalb eines Monats nach dem belastenden Ereignis beginnt und meist nicht länger als sechs Monate andauert.424 Folgt aus wissenschaftlichen Erkenntnissen eine bestimmte, für das Verfahren erhebliche Tatsache zwingend, muss es sie in die Beweiswürdigung einstellen.425 Zur Feststellung, ob solche gesicherten Erkenntnisse vorliegen, wird sich das Gericht oft eines Sachverständigen bedienen müssen.426 Ergibt die Anhörung, dass die betreffende Frage Gegenstand eines wissenschaftlichen Meinungsstreits ist, muss das Tatgericht trotz aller Schwierigkeiten selbst entscheiden, welcher Meinung es sich anschließen will.427 Vereinzelte Ansichten, die sich nicht auf eine ausreichende Erfahrungsbreite stützen können, vermögen jedoch in der Regel die Verbindlichkeit des von der h. L. als gesichert erachteten Wissens nicht zu beseitigen.428 Das Gericht darf hiervon nur abweichen, wenn es seine Gegenmeinung auf sorgfältige und überzeugende Gegenuntersuchungen oder auf die Meinung anerkannter Autoritäten stützen kann.429 67

422 BGHSt 42 107; BGH NStZ 1995 204; 1998 208; 1999 381; 1999 581; bei Holtz MDR 1978 803. Dies gilt nach Wegfall der „fortgesetzten“ Tat aufgrund der Entscheidung des Großen Senats auch uneingeschränkt für alle jetzt selbständigen Einzeltaten eines Serientäters (BGHSt 40 138, 159 ff.), da nicht mehr auf den Gesamtumfang der einheitlichen (fortgesetzten) Tat oder eine nicht nachgewiesene, sondern nur geschätzte Mindestzahl von Taten abgestellt werden kann. Vgl. auch BGHSt 40 374; abl. Bohnert NStZ 1995 460; Geppert NStZ 1996 63; vgl. aber auch BGHSt 36 320; 38 186; BGH StV 1993 66; 1998 474 mit Anm. Hefendehl; Niemöller StV 1984 434; ferner Rn. 195 ff.. Zur Beweiskraft statistischer Wahrscheinlichkeiten vgl. Allgaier MDR 1986 626; Rostalski GA 2018 700 (zum sog. Bottroper Apothekerfall). 423 Vgl. etwa BGHSt 5 34; 6 70; 10 211; 17 385; 21 159; BGHR StPO § 261 Erfahrungssätze 1 bis 5; Eb. Schmidt JZ 1970 338; ferner LR/Franke26 § 337, 143 ff. Die zahlreichen Entscheidungen, die zu einzelnen naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten ergangen sind, wie etwa zu den Methoden des Vaterschaftsnachweises, zur Blutgruppen- und Blutalkoholbestimmung, zur Fahrgeschwindigkeitsbestimmung oder zum Nachweis von Unfallursachen, sind in den Übersichtsblättern der Deutschen Rechtsprechung IV 456 bei § 261 nachgewiesen. Bei Heranziehung der Rechtsprechung ist zu beachten, dass der Ausdruck Erfahrungssätze sehr oft auch für zwingende naturwissenschaftliche Erkenntnisse verwendet wird. 424 BGH NStZ 2009 108. 425 BGHSt 5 34; 6 70; 10 211; 21 159; 24 203; 25 248; BGH NJW 1978 1207; bei Holtz MDR 1980 987; bei Spiegel DAR 1982 206; s. auch NStZ 2010 102, 103. 426 Vgl. LR/Becker § 244, 69 ff., 339 ff. 427 Eb. Schmidt JZ 1970 338. 428 BGHSt 6 70 = LM Nr. 17 m. Anm. Kohlhaas; vgl. Mösl DRiZ 1970 113; im Schrifttum ist insbesondere auf Eb. Schmidt JZ 1970 337 und auf Sarstedt FS Hirsch 171 hinzuweisen. 429 BGH bei Dallinger MDR 1952 274; vgl. LR/Becker § 244, 76 f.

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An gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse ist das Gericht auch dann gebunden, 69 wenn es die Richtigkeit der Ergebnisse selbst nicht nachprüfen kann, wie dies insbesondere bei den mitunter äußerst komplizierten Gesetzmäßigkeiten im Bereich der Naturwissenschaften der Fall ist.430 Ob gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse oder nur Erfahrungssätze im Sinne einer Wahrscheinlichkeitsaussage vorliegen, ist mitunter zweifelhaft. Die Rechtsprechung verwendet den Begriff Erfahrungssatz oftmals auch bei gesicherten Erkenntnissen (z. B. „nach den Ergebnissen der wissenschaftlichen Erfahrung“ usw.). Maßgebend für die richterliche Beweiswürdigung ist aber nicht die gewählte Bezeichnung, sondern nur, ob der Satz, bezogen auf den entscheidungserheblichen Anwendungsbereich, eine zwingende Folgerung enthält oder lediglich eine Wahrscheinlichkeitsaussage. Die Bindung besteht grundsätzlich auch, wenn die naturwissenschaftliche For- 70 schung das Ergebnis nur durch Wertungen und Wahrscheinlichkeitsrechnungen gewinnen konnte,431 sofern nur – wenn auch eventuell unter Berücksichtigung einer Toleranzgrenze – im praktischen Anwendungsbereich eine genügende Sicherheit des Ergebnisses gewährleistet bleibt. Ist aber in diesem wissenschaftlichen Bereich lediglich eine Wahrscheinlichkeitsaussage möglich, dann besteht keine Bindung. Das Tatgericht muss dann in freier Beweiswürdigung entscheiden, ob es unter Beachtung des zu berücksichtigenden Wahrscheinlichkeitsgrades (vgl. Rn. 60) und anderer Indizien den Beweis für erbracht hält.432 Ob technische Regelwerke die Bedeutung einer Festlegung allgemein geltender wissenschaftlich-technischer Erfahrungswerte haben oder ob darin auch nicht zwingend notwendige, aber wünschenswerte Sollvorgaben enthalten sind, lässt sich nicht allgemein beurteilen, sondern muss im Einzelfall für die jeweilige Aussage geprüft werden.433 Bei Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse muss das Gericht in den Urteils- 71 gründen seine Sachkunde ausweisen und unter Umständen auch die Quelle angeben, aus der es diese Erkenntnis gewonnen hat.434 Eine Ausnahme gilt bei den allgemein bekannten Sätzen, deren Gültigkeit offenkundig (vgl. Rn. 27 ff.) ist. 3. Erschöpfende Beweiswürdigung a) Pflicht zur erschöpfenden Würdigung. Die Freiheit, die dem Richter bei der 72 Beweiswürdigung eingeräumt ist, findet ihre Ergänzung in der Verpflichtung, sie auch verantwortungsvoll zu nutzen.435 Der Richter muss alle aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse zur Bildung seiner Überzeugung heranziehen und unter allen für die Urteilsfindung wesentlichen Gesichtspunkten erschöpfend würdigen.436 Soweit kein Beweisverwertungsverbot entgegensteht, sind alle in die Hauptverhandlung ordnungsgemäß eingeführten oder dort zutage getretenen Umstän430 Vgl. BGHSt 10 208; 21 159; OLG Hamm JMBlNW 1969 260; ausführlich zur „Unüberwindbarkeit des Kenntnisdefizites“ Erb ZStW 121 (2009) 882, 883 ff., 888 ff.

431 BGHSt 21 159; dazu Haffke JuS 1972 448; Mösl DRiZ 1970 113; Eb. Schmidt JZ 1970 338; zur unterschiedlichen Denkweise vgl. auch Arbab-Zadeh NJW 1970 1214; zur wissenschaftlichen Nachweisbarkeit der Kausalität Rn. 10 f. 432 BGH NJW 1973 1411. Die Fehlbewertung statistischer Häufigkeiten ist ein Rechtsfehler, vgl. etwa BGHSt 37 157; 38 320; BGH StV 1999 583. 433 Vgl. etwa Rittstieg NJW 1983 1098; Nicklisch NJW 1983 841; BB 1983 261; auch BVerfGE 49 135 ff. 434 Vgl. LR/Becker § 244, 73 f. und die Erläuterungen bei § 267. 435 Vgl. Rn. 5; zum Verhältnis zur Aufklärungspflicht Niemöller StV 1984 431. 436 BGH Urt. v. 26.4.2017 – 5 StR 445/16; Urt. v. 15.5.2018 – 1 StR 159/17; Beschl. v. 1.7.2020 – 6 StR 175/ 20.

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de in die Überlegung einzubeziehen und in ihrem Beweiswert gegeneinander abzuwägen.437 Erforderlich ist sowohl vor einer Verurteilung als auch vor einem Freispruch eine Gesamtschau. Es genügt nicht, wenn die erhobenen Beweise ohne Wertung schlicht aneinandergereiht438 oder einzelne Vorgänge allein für sich und ohne Zusammenhang mit den sonst festgestellten Tatsachen beurteilt werden.439 Dies gilt etwa bei einem Freispruch, wenn zwar einzelne Indizien jeweils gesondert unverfänglich erklärt werden können, hierbei aber außer Acht gelassen wird, dass ihnen insgesamt ein belastender Beweiswert zukommen kann.440 Dabei kann auch Beweismitteln, die den Tatvorwurf nicht unmittelbar belegen, Indizwert zukommen.441 Deshalb hat sich beispielsweise ein Freispruch vom Vorwurf des schweren Raubes als nicht tragfähig erwiesen, da in der zugrundeliegenden Gesamtschau unberücksichtigt geblieben war, dass der Angeklagte zuvor eine entsprechende Tat geplant und gegenüber seinem Bruder Realitätskriterien enthaltende Angaben zum Ablauf der ihm nun vorgeworfenen Tat gemacht hatte, die auf Täterwissen hindeuteten, zudem an in einem Bahnhofsschließfach sichergestellten Geldscheinen nicht aufgeklärter Herkunft seine Fingerabdrücke und bei möglichen Mittätern ebenfalls nicht unerhebliche Geldmittel sowie eventuelle Tatmittel, insbesondere in Betracht kommende Pistolen nebst Munition, gefunden worden waren.442 Von der Gesamtwürdigung dürfen einzelne Beweismittel auch nicht deshalb von vornherein ausgeschlossen werden, weil sie keinen zwingenden, sondern nur einen möglichen Schluss zulassen443 oder weil ihre Wertung schwierig ist. 73 Lässt eine Tatsache oder ein Tatsachenkomplex verschiedene Deutungen zu, darf sich das Tatgericht nicht für eine von ihnen entscheiden, ohne die übrigen in seine Überlegung einzubeziehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Es braucht zwar nicht jeder denkbaren, den Umständen nach fernliegenden Fallgestaltung nachzugehen, es darf aber von mehreren naheliegenden tatsächlichen Möglichkeiten nicht nur eine in Betracht ziehen und die anderen außer Acht lassen.444 Welche Möglichkeiten naheliegen, beurteilt sich nach der Lebenserfahrung sowie danach, ob der Gang der Hauptverhandlung oder dort festgestellte Tatsachen konkrete Anhaltspunkte für eine solche Möglichkeit ergeben haben.445 Naheliegend ist eine Möglichkeit insbesondere dann, wenn 437 RGSt 77 79; BGHSt 12 315; 14 164; 25 285; 29 109; 31 42; ferner BGH GA 1974 61; NJW 1967 140; 1980 2423; 1988 290; VRS 53 (1977) 109; NStZ 1982 478; 1983 277; StV 1981 14; 1981 221; 1982 210; bei Pfeiffer/Miebach 1983 357; 1984 17; 212; 1985 495; bei Spiegel DAR 1978 157; OLG Düsseldorf VRS 65 (1983) 381; 66 (1984) 358; KK/Ott 56; KMR/Stuckenberg 3; Meyer-Goßner/Schmitt 6; SK/Velten 74. 438 KK/Ott 15 und 207. 439 BGH NJW 1980 2423; bei Dallinger MDR 1974 548; bei Holtz MDR 1978 988; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 357; bei Spiegel DAR 1986 202; BayObLG NJW 1994 3177; Niemöller StV 1984 439. 440 BGH NStZ-RR 2005 45, 46; NStZ 2017 600, 601; Urt. v. 29.8.2007 – 2 StR 284/07; Urt. v. 30.7.2020 – 4 StR 603/19. 441 BGH NStZ-RR 2005 321, 322. 442 BGH Urt. v. 23.8.2007 – 4 StR 180/07; s. auch NStZ 2017 600, 601 (Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion); Urt. v. 1.7.2008 – 1 StR 654/07 (Totschlag). 443 BGH StV 1994 6; HK/Julius/Beckemper 21. 444 BGHSt 10 208; 12 315; 25 365 = JR 1975 381 m. Anm. Gollwitzer; BGH NJW 1959 780; GA 1974 61; VRS 53 (1977) 110; StV 1981 221; 1981 508; 1982 59; 1982 508; 1983 359; 1994 360; bei Pfeiffer NStZ 1981 296; bei Pfeiffer/Miebach 1983 212; 1983 358; 1984 17; bei Spiegel DAR 1982 206; 1983 206; OLG Bremen VRS 48 (1975) 270; OLG Köln VRS 50 (1976) 348; 51 (1976) 213; OLG Saarbrücken VRS 47 (1974) 438; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1976 171; 1977 182; ferner die zahlreichen Entscheidungen zum Schluss vom Halter auf den Fahrer eines Kraftfahrzeugs bei Rn. 64; vgl. auch Niemöller StV 1984 440. 445 S. etwa BGH StV 2017 522, 523.

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die Beweisanzeichen nach der gegebenen Sachlage mit ihr ebenso zu vereinen sind wie mit dem vom Gericht für erwiesen erachteten Sachverhalt.446 b) Urteilsgründe. Die Pflicht des Gerichts, in den schriftlichen Urteilsgründen auf- 74 zuzeigen, dass seine Überzeugung von den Tatsachen, die die Anwendung des materiellen Rechts tragen, auf einer umfassenden, von rational nachvollziehbaren Überlegungen bestimmten Beweiswürdigung beruht, wird heute von den Revisionsgerichten allgemein bejaht.447 Sie fordern schon bei der Nachprüfung der materiellen Rechtsanwendung, das Urteil müsse ersehen lassen, dass die Beweise erschöpfend gewürdigt worden sind. Auch wenn das Gericht nicht gehalten ist, auf jedes Vorbringen einzugehen,448 jede Würdigungsvariante ausdrücklich zu erwägen449 und jeden erhobenen Beweis im Urteil zu behandeln,450 muss es unter Würdigung der dafür und dagegen sprechenden relevanten451 Beweise und Überlegungen lückenlos darlegen, was für die Bildung seiner Überzeugung maßgebend war.452 Umstände, welche geeignet sind, die Entscheidung wesentlich zu beeinflussen, dürfen nicht stillschweigend übergangen werden.453 Für jede ernsthaft in Betracht kommende Fallgestaltung ist aufzuzeigen, dass das Gericht diese Möglichkeit erwogen und die Beweisbedeutung der jeweils in Betracht kommenden Tatsachen erkannt hat,454 ferner, aus welchen rational einsichtigen Gründen es eine der Möglichkeiten für erwiesen und die anderen für ausgeschlossen erachtet hat. Der die Nachprüfung des Revisionsgerichts beschränkende Grundsatz, dass die Beweiswürdigung des Tatgerichts und die von ihm gezogenen Schlüsse denkgesetzlich möglich, aber nicht zwingend sein müssen, greift nur ein, wenn das Urteil den festgestellten Sachverhalt, soweit er Schlüsse zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zulässt, erschöpfend gewürdigt hat.455 Um der Nachprüfbarkeit willen fordert die Rechtsprechung, dass sich die Urteilsgrün- 75 de mit allen festgestellten Tatsachen auseinandersetzen müssen, wenn diese unter irgendeinem Gesichtspunkt entscheidungserheblich sein können (sog. Ausschöpfungsgebot).456 Es wird beanstandet, wenn die Beweisbedeutung der festgestellten Tatsachen nicht in jede Richtung geprüft wird.457 Die Erörterungsbedürftigkeit wird dabei auch aus dem konkreten Vorbringen der Verfahrensbeteiligten,458 vor allem aus der Verteidigung

446 BGHSt 25 367; BGH bei Holtz MDR 1977 284; 1983 793; KK/Ott 56. 447 Zur Ableitung der in § 267 nicht vorgesehenen Begründungspflicht und der Forderung, die Grundlagen für die Anwendung des materiellen Rechts lückenlos aufzuzeigen, vgl. HK/JuIius/Beckemper 267, 13 (Verfassungsgebot). 448 Eine solche Pflicht folgt auch nicht aus dem Recht auf Gehör, vgl. BVerfGE 5 24; 13 149; 42 368; und die Erläuterungen bei § 267. 449 BGH StraFo 2010 386. 450 BGH NJW 1951 325; Urt. v. 10.10.2018 – 5 StR 179/18; vgl. die Erläuterungen bei § 267. 451 BGH Beschl v. 15.12.2010 – 1 StR 556/10. 452 Etwa BGH bei Holtz MDR 1978 281; 1979 637; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 212; bei Spiegel DAR 1985 197; OLG Düsseldorf VRS 66 (1984) 36; vgl. die Erläuterungen bei § 267. 453 BGH Urt. v. 26.4.2017 – 5 StR 445/16. 454 BGH StV 1982 157; VRS 55 (1978) 186; bei Holtz MDR 1976 813. 455 BGH NJW 1964 325; GA 1974 61; StV 1981 227. 456 BGH NJW 1980 2423; GA 1974 61; NStZ 1981 401; bei Holtz MDR 1980 806; BayObLG bei Rüth DAR 1986 248; Niemöller StV 1982 210; 1984 440; vgl. Rn. 15, 16, 261. 457 Vgl. die Erläuterungen bei § 267; ferner etwa BGH bei Spiegel DAR 1983 206. 458 Etwa auch aus Gesichtspunkten, die bei der Würdigung einer Zeugenaussage eine Rolle spielen können, vgl. BGH NStZ 1981 271; StV 1983 496; 1984 412.

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des Angeklagten,459 dessen ggf. erfolgte Einlassung regelmäßig wiederzugeben ist,460 mitunter auch schon aus der Logik des zur Aburteilung stehenden Vorgangs461 hergeleitet. Ihr muss durch Anführung sachlicher Erwägungen genügt werden.462 Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen genügt es nicht, wenn ohne Darle76 gung des festgestellten Sachverhalts und daran anknüpfender sachlicher Erwägungen lediglich mitgeteilt wird, das Gericht habe „verbleibende letzte Zweifel nicht überwunden“.463 Vielmehr sind der Anklagevorwurf und – sofern überhaupt vorhanden –464 die erwiesenen Tatsachen darzustellen.465 Hierzu können im Einzelfall auch Feststellungen zur Person gehören, z. B. – insbesondere bei Gewalt- und Sexualdelikten – zu den Vorstrafen,466 der Ausbildung und Geschäftserfahrung oder dem sonstigen Werdegang, sofern sie für die materiell-rechtliche Prüfung bedeutsam sind.467 Eine schematische Betrachtungsweise verbietet sich,468 weshalb je nach den getroffenen Feststellungen Mitteilungen zu den persönlichen Verhältnissen auch entbehrlich sein können.469 Namentlich bei Eigentums- und Vermögensdelikten,470 aber auch beim Handeln mit Betäubungsmitteln können indes Feststellungen zur wirtschaftlichen Lage des Angeklagten geboten sein.471 Soll sich die Tat in einer Partnerschaft oder im familiären Bereich ereignet haben, so sind die persönlichen Verhältnisse in den Blick zu nehmen.472 Im Rahmen der umfassenden Beweiswürdigung ist schließlich zu begründen, weshalb die für eine Verurteilung (zusätzlich) erforderlichen Feststellungen nicht getroffen werden konnten473 (§ 267 Abs. 5 Satz 1). Die Anforderungen sind umso höher, je erheblicher der gegen den Angeklagten bestehende Tatverdacht ist.474 77

4. Indizienbeweis. Beim Indizienbeweis wird auf die unmittelbar entscheidungserheblichen Tatsachen aus anderen Tatsachen geschlossen.475 Vom direkten Beweis unter459 Vgl. etwa BGH NStZ 1985 136; StV 1984 411; OLG Hamm VRS 69 (1985) 221; Niemöller StV 1984 439; ferner zur subjektiven Tatseite BGH StV 1984 411. 460 Vgl. BGH Beschl. v. 24.4.2008 – 4 StR 133/08. 461 Vgl. Rn. 45. 462 Vgl. Rn. 14, 45. 463 OLG Köln MDR 1978 338. Vgl. ferner BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 212 (Fehlen realer Anknüpfungspunkte für Irrtum der Zeugen); vgl. die Erläuterungen bei § 267 und LR/Franke26 § 337, 135. 464 BGH Urt. v. 28.10.2010 – 3 StR 317/10; Urt. v. 30.6.2011 – 3 StR 41/11; Urt. v. 27.11.2014 – 3 StR 334/14. 465 BGH StV 2018 199; Urt. v. 24.7.2008 – 3 StR 261/08; Urt. v. 4.2.2010 – 4 StR 487/09; Urt. v. 29.7.2010 – 4 StR 190/10; Urt. v. 30.9.2010 – 4 StR 150/10; Urt. v. 27.1.2011 – 4 StR 487/10; Urt. v. 24.3.2011 – 4 StR 602/ 10; Urt. v. 11.10.2011 – 1 StR 134/11; Urt. v. 26.4.2012 – 4 StR 599/11; Urt. v. 11.2.2014 – 1 StR 485/13; Urt. v. 24.2.2015 – 5 StR 621/14; Urt. v. 14.9.2017 – 4 StR 303/17; s. auch NStZ-RR 2018 151, 152; Rn. 269. 466 BGH NStZ 2014 419, 420; NStZ-RR 2017 38, 39; Urt. v. 15.10.2009 – 4 StR 287/09; Urt. v. 13.8.2014 – 2 StR 573/13; Urt. v. 14.1.2016 – 4 StR 361/15; Urt. v. 2.2.2017 – 4 StR 423/16; Urt. v. 10.5.2017 – 2 StR 258/ 16; Urt. v. 4.7.2018 – 5 StR 650/17; Urt. v. 20.11.2019 – 2 StR 554/18; s. aber auch BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 18. 467 BGH NJW 2008 2792, 2793; NStZ 2010 529; NStZ-RR 2008 206, 207; 2009 116, 117; 2012 216, 217; wistra 2010 219, 220; Urt. v. 9.5.2019 – 5 StR 645/18. 468 BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 18; BGH StraFo 2016 347, 348; Urt. v. 13.10.2016 – 4 StR 239/16. 469 S. etwa BGH Urt. v. 17.4.2019 – 5 StR 34/19. 470 BGH NStZ 2014 172; Urt. v. 1.8.2018 – 5 StR 30/18. 471 BGH Urt. v. 21.3.2017 – 5 StR 511/16. 472 S. etwa BGH NStZ-RR 2013 52; Urt. v. 13.3.2014 – 4 StR 15/14. 473 BGH Urt. v. 1.2.2007 – 4 StR 474/06; Urt. v. 20.3.2008 – 4 StR 5/08. 474 BGH wistra 2007 18, 19; 2008 22, 24; s. auch NStZ-RR 2016 47, 49. 475 Mittelbar beweiserhebliche Tatsachen, vgl. OGHSt 1 166; LR/Becker § 244, 7, 216; auch zu den Hilfstatsachen, die den Wert eines Beweismittels betreffen, ferner Nack MDR 1986 368.

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scheidet er sich allein dadurch, dass er lediglich mehr Schlüsse als dieser erfordert.476 Der Indizienbeweis stellt also keine qualitativ andere Beweisart dar. Auch für ihn gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung.477 Die Verpflichtung, die Beweise erschöpfend zu würdigen478 und sie in den Gründen – im Interesse der Verständlichkeit des Urteils regelmäßig nicht in den Feststellungen, sondern im Rahmen der Beweiswürdigung –479 lückenlos darzulegen, erlangt hier besonderes Gewicht. Lassen die festgestellten Tatsachen mehrere Möglichkeiten zu, so ist aufzuzeigen, dass das Gericht dies erkannt und warum es sich für eine entschieden hat.480 Trifft es bei einem derart ambivalenten Beweisanzeichen eine vertretbare Entscheidung, welche Beweisbedeutung ihm konkret zukommt, so ist dies vom Revisionsgericht hinzunehmen.481 Wählt es bei mehreren Indizien jeweils eine eher fernliegende Deutungsvariante, so muss es sich dieses Umstands im Rahmen der Gesamtwürdigung bewusst sein.482 Zudem kann es gegen die Denkgesetze verstoßen, wenn das Gericht die Ambivalenz eines Indizes nicht erkannt hat.483 Die Tatsachen, von denen der Indizienbeweis ausgeht, müssen als solche zwei- 78 felsfrei feststehen.484 Der Indizienbeweis darf nicht mit einer als widerlegt erachteten Behauptung des Angeklagten485 oder mit sonst unerwiesenen Tatsachen geführt werden,486 wohl aber mit erwiesenen Indizien, die nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit (einen „Verdacht“) für eine unmittelbar entscheidungserhebliche (indizierte) Tatsache begründen.487 Auch sie dürfen folglich nicht mit der Begründung außer Betracht gelassen werden, es handele sich um „keine sicheren, eindeutig oder zweifelsfrei belastenden“ Beweisanzeichen.488 Dies gilt auch für die Heranziehung noch wenig erprobter wissenschaftlicher Untersuchungsmethoden.489 Es ist nicht erforderlich, dass ein einzelnes Beweisanzeichen für sich allein schon dem Richter die volle Gewissheit verschafft, denn maßgebend für die gerichtliche Überzeugung ist bei mehreren auf die entscheidungserhebliche Tatsache hindeutenden Indizien die Gesamtschau aller be- und entlastenden 476 Grünwald FS Honig 60; vgl. ferner etwa Alsberg/Güntge 1125; KK/Ott 76; Meyer-Goßner/Schmitt 25. 477 RGSt 48 246; BGH NJW 1991 1894; NStZ 1983 133; JR 1983 84 m. Anm. Peters. 478 Zu einem Indizienprozess in einem Mordfall ohne aufgefundene Leiche s. BGH StV 2015 337; vgl. Rn. 72 ff.; ferner zur Prüfung, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine belastende Schlussfolgerung aus dem Indiz herzuleiten ist, Nack NJW 1983 1035; MDR 1986 368. 479 BGH StraFo 2017 458; NJW 2020 559, 560 f.; Liebhart NStZ 2016 134, 137. 480 BGHSt 12 316; 25 285; BGH StV 1993 509; OLG Bremen VRS 48 (1975) 276; OLG Schleswig SchlHA 1956 184. 481 S. BGH NStZ 2015 355, 358. 482 BGH NStZ-RR 2009 248; 2010 85; wistra 2010 310, 312; Liebhart NStZ 2016 134, 137. 483 BGH NJW 1991 1894. 484 OGHSt 1 166; 1 361; BGHSt 36 286; BGH NJW 1980 2433; JR 1954 468; JR 1975 34 m. Anm. Peters; StV 1985 48 (Ls.); NStZ-RR 2017 88; StV 2017 7, 8; Urt. v. 31.10.2019 – 1 StR 219/17; OLG Hamm NJW 1960 398; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1970 199; Hamm 895; G. Schäfer StV 1995 150; Liebhart NStZ 2016 134, 136; KK/Ott 77; KMR/Stuckenberg 100; Meyer-Goßner/Schmitt 25; MüKo/Miebach 123; Eb. Schmidt 13; SSW/Schluckebier 17; a. A. (Wahrscheinlichkeit genügt): Bender/Nack DRiZ 1980 121; Grünwald FS Honig 58; Montenbruck In dubio 143; Nack MDR 1986 370; Volk NStZ 1983 423; vgl. Rn. 193 m. w. N. 485 S. z. B. BGH NStZ 2015 516, 517; NStZ-RR 2014 379, 380; 2015 170; 2016 55, 56; StV 2015 763, 765; Urt. v. 20.3.2014 – 3 StR 304/13; Beschl. v. 25.10.2018 – 1 StR 275/18. 486 BGH bei Dallinger MDR 1969 194: „Aus mehreren Wahrscheinlichkeiten darf keine Gewissheit konstruiert werden“; NStZ 2017 86, 87 (Angeklagter „wahrscheinlich“ Beifahrer im drei Tage zuvor entwendeten Auto); Beschl. v. 28.7.2015 – 4 StR 132/15. 487 BGH JR 1975 34 m. Anm. Peters. 488 BGH Urt. v. 2.12.2015 – 1 StR 292/15. 489 BGH StV 1994 227.

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Umstände,490 d. h. das Gericht darf sich nicht mit einer isolierten Würdigung einzelner Indizien begnügen,491 etwa für die Täteridentifizierung492 oder einen Betrugsvorsatz493 wesentliche Beweisanzeichen jeweils einzeln abhandeln.494 Denn der Beweiswert eines Indizes ergibt sich häufig erst im Zusammenhang mit anderen; alle miteinander in Bezug zu setzen, ist mithin eine besonders bedeutsame tatgerichtliche Aufgabe.495 79 Die Gesamtwürdigung ist allerdings kein Selbstzweck. Sie hat nur dann eigenständige Bedeutung, wenn sich die Belastungselemente gegenseitig ergänzen oder verstärken können.496 Entsprechendes gilt für entlastende Umstände.497 Sind etwa an tatrelevanten Kleidungsstücken DNA-Spuren des Angeklagten gefunden worden, so dürfen Anhaltspunkte nicht aus dem Blick geraten, nach denen die Kleidung von mehreren als Täter in Betracht kommenden Personen wechselseitig getragen worden sein kann.498 In einem gegen den Angeklagten wegen Vergewaltigung geführten Verfahren wird dem Umstand, dass an dem am Tattag getragenen Slip der (möglicherweise) Geschädigten ausschließlich von einem anderen Mann stammendes DNA-Material gefunden wurde, indizielle Bedeutung zukommen.499 Aus der Notwendigkeit einer Gesamtwürdigung folgt zudem, dass deren Ergebnis häufig – etwa bei einer Indizienkette – fehlerhaft wird, wenn die Tragfähigkeit nur eines Indizes verkannt500 oder wenn es überhaupt zu Unrecht mit verwendet wurde, wie etwa bei der Annahme eines nicht existierenden Erfahrungssatzes.501 Beispielsweise ist eine Beweiswürdigung als rechtsfehlerhaft angesehen worden, die einer DNA-Spur des Angeklagten, die sich an einem bei der Tat verwendeten Rucksack befand, dadurch zu große Bedeutung beigemessen hat, dass die Möglichkeit, die Spur könne bereits vor der Tat entstanden sein, nicht hinreichend berücksichtigt wurde,502 oder die den Beweiswert einer DNA-Spur nicht in Frage gestellt hat, obwohl dem Zwillingsbruder des Angeklagten die Beteiligung an derselben Tat vorgeworfen wurde.503 Die weiteren Einzelheiten, die sich aus dem Grundsatz ergeben, dass im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden ist, sind unter Rn. 193 erläutert. Die Schlüsse, die den Indizienbeweis tragen, müssen denkgesetzlich möglich, sie 80 brauchen aber nicht zwingend zu sein.504 Beispielsweise darf aus dem Fehlen jeglicher 490 BGH JR 1975 34 m. Anm. Peters; NStZ 1983 133; 1991 596; 1998 265; bei Pfeiffer NStZ 1987 220; bei Dallinger MDR 1974 584; bei Herlan MDR 1955 18; StV 1987 238; 1993 509; NJW 2008 2792, 2794; Urt. v. 20.6.2013 – 4 StR 159/13; Urt. v. 20.12.2018 – 4 StR 395/18; OLG Stuttgart Justiz 1971 63; Nack MDR 1986 368; KK/Ott 77; KMR/Stuckenberg 100; Meyer-Goßner/Schmitt 25. 491 BGH NStZ 1983 133; 2017 600, 601; NStZ-RR 2016 47, 49; wistra 2018 171, 174; Urt. v. 20.8.2008 – 5 StR 15/08; Urt. v. 16.12.2009 – 1 StR 491/09; Urt. v. 7.11.2012 – 5 StR 322/12. 492 BGH NStZ 2017 104, 105 m. Anm. Eisenberg. 493 BGH Urt. v. 4.7.2018 – 2 StR 340/17. 494 S. auch BGH Urt. v. 2.2.2017 – 4 StR 423/16. 495 BGH NStZ 2019 224, 226; wistra 2015 191, 193; Urt. v. 2.12.2015 – 1 StR 292/15; Urt. v. 24.8.2016 – 2 StR 135/16. 496 BGH Urt. v. 22.7.2008 – 5 StR 61/08; Urt. v. 4.3.2010 – 3 StR 559/09. 497 Zu einer „Häufung von Fragwürdigkeiten“ BGH NStZ-RR 2010 83, 84. 498 BGH Urt. v. 27.10.2005 – 4 StR 235/05. 499 BGH Beschl. v. 9.10.2007 – 5 StR 344/07. 500 BGH StV 1995 453; Beschl. v. 14.1.2010 – 5 StR 435/09. 501 Vgl. BayObLG JR 1990 436 m. Anm. Loos. 502 BGH Beschl. v. 25.9.2007 – 4 StR 348/07. 503 BGH StraFo 2007 65. 504 BGH NStZ 1997 269; StV 1998 116; bei Dallinger MDR 1970 198; bei Spiegel DAR 1983 206; wistra 2018 171, 174; Urt. v. 20.5.2009 – 2 StR 85/09; Urt. v. 20.6.2013 – 4 StR 159/13; s. auch Beschl. v. 19.2.2014 – 5 StR 4/14; Urt. v. 2.7.2015 – 4 StR 509/14; Urt. v. 26.10.2016 – 2 StR 275/16; Beschl. v. 27.6.2017 – 3 StR 218/ 17; Urt. v. 13.7.2017 – 1 StR 536/16; Urt. v. 16.8.2017 – 2 StR 335/15; Rn. 72 ff.; LR/Franke26 § 337, 119 m. w. N.;

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Legitimationspapiere geschleuster Personen auf deren illegale Einreise bzw. unerlaubten Aufenthalt geschlossen werden.505 Bei schweren Gewaltdelikten kann einschlägigen Vorstrafen indizielle Bedeutung zukommen, namentlich dann, wenn deren jeweiliger Modus Operandi den Umständen der angeklagten Tat ähnelt.506 Eine Tötung aus niedrigen Beweggründen (§ 211 StGB) liegt bei einem außergewöhnlich brutalen, eklatant menschenverachtendem Tatbild nahe.507 Die nächtliche Flucht einer unbekleideten Frau auf die Straße kann als ein den Verdacht einer zu ihrem Nachteil verübten Sexualstraftat stützendes Indiz angesehen werden.508 Dasselbe gilt hinsichtlich eines sexuellen Missbrauchs eines Kindes, wenn dieses schlafend unter einer Decke mit dem Angeklagten aufgefunden wird und sein Kopf dabei neben dessen unbekleideten Penis liegt.509 Hingegen ist ein zuverlässiger Schluss aus festgestellten Verhaltensauffälligkeiten oder körperlichen Symptomen auf einen vorherigen sexuellen Missbrauch nach bisherigen Forschungsergebnissen nicht möglich.510 Eine deutlich unsichere, waghalsige und fehlerhafte Fahrweise kann auf eine rauschmittelbedingte Fahruntüchtigkeit auch dann hinweisen, wenn sie auf der Flucht vor der Polizei gezeigt wird.511 Der mehrjährige Besitz eines gefälschten Prüfstempels hat hinsichtlich der Vorbereitung der Fälschung von Fahrzeugpapieren (§§ 275 Abs. 1 Nr. 1, 276a StGB) nur geringe Aussagekraft, wenn es während dieser Zeit zu keinen Taten gekommen ist.512 Das Tatgericht darf davon überzeugt sein, dass der Angeklagte mehrere Brandstiftungen begangen hat, wenn dieser in einem Fall in Tatortnähe identifiziert wird, in seinem Navigationsgerät sämtliche Tatorte eingespeichert sind und im Kofferraum seines Dieselfahrzeugs ein teilweise gefüllter Benzinkanister aufgefunden wird.513 Für eine bandenmäßige Begehungsweise können insbesondere die Anzahl der Beteiligten, viele innerhalb eines beträchtlichen Zeitraums verübte Taten, das Bereithalten von Verstecken für erwartete Beute, das Verbergen von Tatwerkzeugen an einem jedem Beteiligten zugänglichen Ort514 sowie ein professionelles Vorgehen515 sprechen. Die Annahme der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 InsO) kann vor allem auf die mit einer betriebswirtschaftlichen Methode gewonnenen Ergebnisse, aber auch auf „wirtschaftskriminalistische Beweisanzeichen“ gestützt werden.516 Im ersten Fall bedarf es einer stichtagsbezogenen Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten einer- und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder kurzfristig zu beschaffenden Mittel andererseits; diese ist mit einer die nächsten 21 Tage umfassenden Finanzplanrechnung zu ergänzen, um eine bloße Zahlungsstockung auszuschließen.517

ferner EKMR NJW 1977 2011; Grünwald FS Honig 57; Peters § 37 VII fordert dagegen, dass die gezogenen Schlüsse zwingend sind; die unmittelbar erwiesenen Tatsachen dürfen keine anderen Folgerungen zulassen. 505 BGH Beschl. v. 7.2.2017 – 5 StR 592/16. 506 BGH NStZ-RR 2019 57, 58; Urt. v. 14.1.2016 – 4 StR 361/15; zu Vorwürfen sexuellen Missbrauchs s. auch Urt. v. 24.8.2016 – 2 StR 135/16. 507 BGHSt 62 52, 55 f.; krit. Stam JR 2016 293, 299. 508 BGH Urt. v. 4.7.2018 – 2 StR 485/17. 509 BGH Urt. v. 6.12.2016 – 5 StR 179/16. 510 Deckers/Köhnken/Köhnken Erhebung und Bewertung 25, 33 f. m. w. N. 511 BGH NStZ-RR 2017 123, 124; LK/König § 316, 111 f. m. w. N. 512 BGH NStZ 2016 338, 339. 513 BGH Urt. v. 20.6.2013 – 4 StR 159/13. 514 S. nur BGH StraFo 2013 128 m. w. N.; StV 2020 243, 245. 515 BGH Beschl. v. 7.8.2014 – 3 StR 105/14; s. aber auch NStZ-RR 2017 340, 341. 516 BGH NJW 2009 157, 158; NStZ 2014 107, 108; 2019 83 m. Anm. Bittmann; NStZ-RR 2015 341, 342; 2018 216; 2019 381; wistra 2017 30; Beschl. v. 25.8.2016 – 1 StR 290/16; Beschl. v. 11.7.2019 – 1 StR 456/18. 517 Ausführlich BGH wistra 2019 206, 207.

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Werden beim Angeklagten Marihuana, Streckmittel, eine Feinwaage, Wurfsterne und ein (selbst gefertigter) Schlagstock beschlagnahmt, so lässt dies den Schluss zu, dass er bewaffnet mit zumindest einem Teil der Betäubungsmittel Handel getrieben hat.518 Die insofern notwendige räumliche Nähe ist regelmäßig vorhanden, wenn sich die Waffe in dem Raum befindet, in dem Handel getrieben wird.519 Für ein Handeltreiben spricht auch, wenn beim Angeklagten (neben als Streckmittel geeignetem Coffein) eine große Rauschgiftmenge sichergestellt wird, beispielsweise knapp 60 g Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von fast 96 %.520 Haben mehrere Zeugen ein Amphetamingemisch glaubhaft als „stark“ bzw. „penetrant riechend“ und „stinkend“ beschrieben, so ist es dem Tatgericht nicht verwehrt, die Überzeugung zu gewinnen, dass auch die mit einem uneingeschränkten Geruchssinn ausgestattete Angeklagte den aus ihrer Handtasche entweichenden ungewöhnlichen Geruch wahrgenommen hat.521 Werden in der Zwischenlage eines Betäubungsmittelpakets Fingerabdrücke gesichert, so darf auf eine Mitwirkung ihres Verursachers geschlossen werden.522 Für die Frage, ob ein Beteiligter Besitz an Betäubungsmitteln begründen hat, stellt die Dauer seiner tatsächlichen Sachherrschaft ein Indiz dar.523 Gegen ein mittäterschaftliches Handeltreiben mit einer großen Betäubungsmittelmenge kann beispielsweise sprechen, dass der Angeklagte nicht über die für ihren Erwerb und die Frachtkosten notwendigen Mittel verfügte.524 Soweit hingegen in tatgerichtlichen Urteilen häufig die „szenetypische Stückelung“ beim Angeklagten sichergestellten Geldes als Beleg für diesem vorgeworfenen Betäubungsmittelhandel herangezogen wird, erscheint der Wert dieses Indizes angesichts der mitgeteilten, eher alltäglich wirkenden Scheinwerte mitunter als gering.525 War der Täter erheblich alkoholisiert, so ist jedenfalls ab einer Blutalkoholkon82 zentration (BAK) von 2,0 Promille ein i. S. d. § 21 StGB gemindertes Hemmungsvermögen in Betracht zu ziehen.526 Daher ist mitzuteilen, welche BAK bei Begehung der Tat maximal bestanden hat.527 Auf diesen Wert ist entweder auf der Basis festgestellter Trinkmengen mit Hilfe der sog. Widmark-Formel hin- oder ausgehend von dem mit einer nach der Tat entnommenen Blutprobe erzielten Ergebnis zurückzurechnen.528 Eine derartige Rückrechnung ist nach dem jetzigen wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht möglich, wenn lediglich das Ergebnis einer Atemalkoholkontrolle vorliegt.529 Allein wegen einer bestimmten BAK brauchen die Voraussetzungen des § 21 StGB freilich nicht bejaht zu werden.530 Vielmehr ist diese gemeinsam mit im konkreten Fall vorliegenden psychodiagnostischen Beweisanzeichen, die sich namentlich auf das Erschei81

518 BGH Urt. v. 8.10.2014 – 1 StR 350/14. 519 BGH NStZ 2019 418, 419; Urt. v. 31.1.2019 – 4 StR 389/18; zur indiziellen Bedeutung der räumlichen Distanz s. auch NStZ 2020 233, 234. BGH NStZ-RR 2014 344, 345. BGH Urt. v. 2.3.2017 – 4 StR 397/16. BGH NStZ 2014 475. BGH StV 2019 336. BGH StV 2019 317, 319. S. etwa BGH StV 2017 652, 653. BGHSt 43 66, 69. BGH Beschl. v. 19.3.2020 – 3 StR 443/19. Instruktiv zu den erforderlichen Rechenvorgängen LK/Schöch § 20, 107 ff.; s. auch BGH Beschl. v. 18.3.2020 – 4 StR 487/19; zu möglichen Schlüssen aus einer den analytischen Grenzwert erreichenden THC-Konzentration im Blut BGHSt 62 42. 529 OLG Düsseldorf DAR 2016 395; Hentschel/König/Dauer/König § 316, 55. 530 Grundlegend BGHSt 43 66, 71 f.; ebenso 57 247, 250.

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nungsbild des Täters vor, während und nach der Tat beziehen, zu würdigen.531 Je höher die BAK ist, desto größer wird ihr indizielles Gewicht einzuschätzen sein.532 Ihr Beweiswert wird hingegen umso geringer sein, je mehr aussagekräftige psychodiagnostische Kriterien zur Verfügung stehen.533 Auf eine relevante alkoholbedingte Enthemmung können z. B. Redseligkeit, Euphorie, zornige Gereiztheit und Weinerlichkeit, zudem eine „schwere Sprache“ und Orientierungslosigkeit hindeuten.534 Gegen eine Alkoholintoxikation lässt sich nicht unbedingt anführen, dass kein entsprechender Geruch im Atem des Angeklagten wahrgenommen wurde; denn dies kann z. B. beim Trinken von Wodka durch dessen geringen Eigengeruch bedingt sein.535 Neben der Art der Ausführung der Tat können auch ihre Vorgeschichte, ihr Anlass, die Motive für ihre Begehung sowie das anschließende Verhalten des Täters in den Blick zu nehmen sein,536 beispielsweise der Umstand, dass er den kritischen Zustand des Geschädigten erkannt und sachgerechte Hilfsmaßnahmen ergriffen hat.537 Handelt es sich um einen alkoholgewöhnten Angeklagten, ist zu bedenken, dass äußeres Leistungsverhalten und Steuerungsfähigkeit durchaus weit auseinander fallen können.538 Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 63 StGB kann gegen eine zukünftige Gefährlichkeit sprechen, wenn der Beschuldigte ungeachtet seit langem bestehender Erkrankung mehrere Jahre lang nicht (erheblich) straffällig geworden ist.539 Neben mehrjährigem Rauschmittelkonsum können hierdurch beeinträchtigte Gesundheit sowie Arbeits- und Leistungsfähigkeit indiziell auf einen Hang (§ 64 StGB) hinweisen.540 Mehrere Indizien können sich gegenseitig stützen, wenn sie sich unabhängig von- 83 einander auf denselben beweiserheblichen Umstand beziehen (Indizienring),541 oder sie können logisch aufeinander aufbauen (Indizienkette).542 Sind mehrere Zwischenschlüsse erforderlich, so muss die Beweiskette, also die logisch aufeinander aufbauenden Folgerungen aus den in diese Kette eingeordneten erwiesenen Indizien, lückenlos sein.543 Dass Indizien mitunter nur einen sehr geringen Beweiswert haben, muss das Gericht ebenso erkennbar berücksichtigen wie den Umstand, dass sie oft auch noch eine andere Deutungsmöglichkeit zulassen.544 Weder der Beweiswert noch die Tragfähigkeit eines einzelnen Indizes darf überschätzt werden.545 Der Indizienbeweis ist relativ sicher, soweit er mit objektiven Beweismitteln geführt werden kann. Er wird um so unsicherer, je mehr er auf persönlichen Beweismitteln beruht und je mehr Zwischen531 532 533 534 535 536 537 538 539

BGHSt 57 247, 252; BGH Beschl. v. 18.7.2018 – 1 StR 321/18. LK/Schöch § 20, 100; s. auch KK/Ott 86. BGHSt 57 247, 252. LK/König § 316, 122 m. w. N. BGH Beschl. v. 24.1.2019 – 5 StR 559/18; LK/König § 316, 122. BGH Beschl. v. 8.10.2019 – 2 StR 362/19; s. auch Beschl. v. 10.11.2015 – 5 StR 421/15. BGH Urt. v. 25.5.2016 – 5 StR 85/16. S. nur BGH NStZ-RR 2018 367; Beschl. v. 23.1.2019 – 1 StR 448/18. BGH Beschl. v. 23.5.2017 – 1 StR 164/17; Beschl. v. 13.6.2017 – 2 StR 174/17; Beschl. v. 31.8.2017 – 4 StR 221/17. 540 S. nur BGH Beschl. v. 30.7.2013 – 2 StR 174/13. 541 KK/Ott 78; vgl. KMR/Stuckenberg 100; Meyer-Goßner/Schmitt 25; ferner Grünwald FS Honig 59; Nack MDR 1986 368; Liebhart NStZ 2016 134; Mengler 100, 163 schlägt vor, von Indiziendelta zu sprechen, da einzelne Beweisanzeichen zusammenfließen und sich verstärken. 542 Hierzu Mengler 98 ff.; Liebhart NStZ 2016 134, 135. 543 Vgl. BGH StV 1981 114; bei Pfeiffer/Miebach 1988 19; Nack MDR 1986 368; Hamm 902 („Wenn-dannVerhältnis“); LR/Franke26 § 337, 125 m. w. N. 544 BGH StV 1993 509. 545 BGH StV 1994 227; 1995 453.

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schlüsse er erfordert.546 Sofern die Schlussfolgerung nicht schlechthin zwingend ist, kann er nicht mit einem einzelnen Indiz geführt werden.547 Er kann sich nicht ausschließlich auf Tatsachen von geringem Beweiswert stützen, die der Tat weit vorgelagert sind,548 sich verschieden deuten lassen549 oder in keiner unmittelbaren Beziehung zur Tat stehen, wie etwa Lebenswandel und Vorstrafen des Angeklagten.550 Dasselbe gilt für die festgestellte Begehung einer oder mehrerer anderer Taten. Diese dürfen aber im Rahmen der Gesamtschau als Indiz herangezogen werden.551 Dies gilt besonders dann, wenn es sich um gleichgelagerte Taten innerhalb einer Tatserie mit ähnlicher oder gar identischer Begehungsweise handelt.552 Auch kann der Wirkstoffgehalt eines sichergestellten Betäubungsmittels ein Indiz darstellen für die Güte einer anderen Rauschgiftlieferung.553 Statthaft und in vielen Fällen sogar unerlässlich ist es, von äußeren Umständen auf 84 die innere Einstellung des Angeklagten zur Tat zu schließen (zum Geschädigten vgl. Rn. 97), um die Feststellung treffen zu können, ob er vorsätzlich,554 bedingt vorsätzlich, leichtfertig555 oder fahrlässig556 und mit welchem Motiv er gehandelt hat.557 Derartiger objektiver Anknüpfungstatsachen bedarf es jedenfalls bei einem schweigenden Angeklagten, damit die tatgerichtlichen Darlegungen zu Vorstellungsbild und Motivation nicht spekulativ bleiben.558 In der forensischen Praxis kann häufig nur auf diesem Weg die Frage beantwortet 85 werden, ob ein zumindest bedingter Tötungsvorsatz bestanden hat.559 In ständiger Rechtsprechung sieht der BGH hierfür die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit des Vorgehens als wesentlichen Indikator für beide Vorsatzelemente an.560 Ihre Bejahung liegt bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe.561 Als solche sind regelmäßig etwa das Schlagen mit 546 Meyer-Goßner/Schmitt 25 (Kette so stark wie ihr schwächstes Glied); vgl. auch LR/Becker § 244, 7, 220.

547 OLG Frankfurt VRS 64 (1983) 221; vgl. die umfangreiche Rechtsprechung zum Schluss vom Halter auf den Fahrer Rn. 64; ferner zur Wertung der Beweiskraft der Indizien Nack MDR 1986 369.

548 BGH StV 1981 330; bei Pfeiffer NStZ 1981 296; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 495. 549 Vgl. etwa BayObLG NJW 1994 3177; OLG Düsseldorf JMBlNW 1998 81. 550 BGH bei Holtz MDR 1985 630; auch NStZ 1986 325 (Tatsache, dass ein anderer Tatbeteiligter seine Verurteilung nicht angefochten hat). 551 BGH wistra 2007 18, 20; 2008 218, 219; Urt. v. 11.5.2006 – 3 StR 23/06. 552 BGH StraFo 2006 411; NStZ-RR 2008 148, 149; Beschl. v. 3.4.2008 – 5 StR 525/07. 553 BGH Beschl. v. 23.11.2007 – 1 StR 562/07. 554 BGH Beschl. v. 20.12.2017 – 4 StR 515/17 (direkter Tötungsvorsatz bei 33 Messerstichen). 555 Zu für eine leichtfertig verübte Geldwäsche (§ 261 Abs. 5 StGB) sprechenden Indizien s. BGH wistra 2018 43, 45. 556 BGH bei Dallinger MDR 1970 198; zu den Anforderungen vgl. etwa StV 1998 584; NStZ-RR 1996 4; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 18; BayObLGSt 1971 129 = JR 1972 30 m. Anm. Peters. 557 BGH NStZ 2005 332, 333 f. 558 S. hierzu MüKo/Miebach 66. 559 Zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) und Kriegsverbrechen (§§ 8 f. VStGB) BGHSt 64 10; zu bei derartigen Delikten häufig bestehenden besonderen Beweisproblemen s. Werle/Burghardt ZIS 2015 46; von Wistinghausen 199 ff. 560 BGH NStZ-RR 2013 89, 90; 2013 341, 342; 2018 371, 372; Urt. v. 29.11.2017 – 5 StR 276/17; Urt. v. 31.1.2019 – 4 StR 432/18; Urt. v. 15.1.2020 – 2 StR 304/19; Urt. v. 18.6.2020 – 4 StR 482/19 (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen); Beschl. v. 23.6.2020 – 5 StR 601/19; s. auch Urt. v. 26.3.2015 – 4 StR 442/14. 561 BGH StraFo 2009 162, 163 m. w. N.; 2009 372; NStZ 2019 208 m. Anm. Beining; 2020 288, 289; Urt. v. 12.6.2007 – 1 StR 73/07; Beschl. v. 30.4.2008 – 2 StR 82/08; Urt. v. 20.9.2011 – 1 StR 120/11; Beschl. v. 27.10.2011 – 3 StR 351/11; Urt. v. 23.2.2012 – 4 StR 608/11; hierzu Franke StraFo 2016 269, 272, 274.

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einem gefährlichen Gegenstand562 oder das Treten mit festem Schuhwerk gegen den Kopf eines wehr- oder gar bewusstlosen Opfers,563 namentlich in der Form sog. Stampftritte,564 und ein mehrminütiges Würgen565 anzusehen, aber auch das die Atemwege verlegende Knebeln eines (zumal älteren) Opfers,566 ebenso das 20minütige Zuhalten von Mund und Nase.567 Dasselbe gilt für einen Messerstich in den Hals- oder Brustbereich,568 den Bauch,569 den Unterleib570 oder wegen der Gefahr, eine Hauptschlagader zu treffen, auch in den Oberschenkel,571 zudem für einen Stich mit einem abgebrochenen Flaschenhals in den Hals,572 vor allem aber für jedes Schießen mit einer scharfen Waffe in Richtung auf einen Menschen.573 Ein solches Verhalten stellt ein gewichtiges Beweisanzeichen für einen Tötungsvorsatz dar, das weder zu gering veranschlagt noch durch die Behauptung relativiert werden darf, es gäbe für Tötungsdelikte eine deutlich höhere Hemmschwelle.574 Freilich handelt es sich insofern um keinen zwingenden Beweisgrund (im Sinne einer Beweisregel),575 weil im Einzelfall auch andere Umstände

562 BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 64 (wuchtige Schläge mit einem Baseballschläger gegen den Kopf); BGH Urt. v. 11.6.2013 – 1 StR 86/13 (zur Bewusstlosigkeit führende Schläge mit einer etwa 1 kg schweren Stabtaschenlampe gegen den Hinterkopf); Urt. v. 13.9.2018 – 1 StR 611/17 (Hammer mit Stahlkopf); Urt. v. 15.1.2020 – 2 StR 304/19 (Zimmermannshammer, dessen Spitze aufgrund der Wucht des Schlages im Kopf steckenbleibt). 563 BGH NStZ 2014 35 m. Anm. Schiemann; 2016 25, 26 (zur Zertrümmerung des Mittelgesichts führende Tritte); Urt. v. 14.1.2016 – 4 StR 72/15; Urt. v. 13.12.2017 – 2 StR 230/17; zum „mehrfachen massiven Schütteln“ eines Säuglings s. StV 2020 314. 564 BGH NStZ 2016 341, 342; NStZ-RR 2018 371, 372 f. 565 BGH NStZ-RR 2018 44, 45; s. auch NStZ 2019 204, 205; Urt. v. 13.11.2019 – 2 StR 217/19 (für einen zur Tatzeit 16 Jahre alten Angeklagten). 566 BGH NStZ-RR 2016 204, 205. 567 BGH NStZ 2020 217, 218. 568 S. etwa BGH NStZ 2013 538, 539 (mehr als 16 cm tiefer Stich ins Herz); StraFo 2013 467; Urt. v. 12.6.2014 – 3 StR 154/14; Urt. v. 16.4.2015 – 3 StR 645/14 (mit Durchtrennung der Gesichtsschlagader); Urt. v. 9.7.2015 – 3 StR 577/14. 569 BGH NStZ 2020 288; Beschl. v. 23.1.2013 – 5 StR 602/12; Urt. v. 19.10.2017 – 3 StR 158/17; Urt. v. 13.9.2018 – 1 StR 611/17; Beschl. v. 18.3.2020 – 4 StR 487/19 (Oberbauch); s. aber auch NStZ 2019 344 (Messer mit Klingenlänge von nur 3 cm). 570 BGH Beschl. v. 19.4.2016 – 5 StR 118/16. 571 BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 67 (Stichkanaltiefe ca. 20 cm); BGH Urt. v. 19.10.2017 – 3 StR 158/17. 572 BGH Beschl. v. 25.2.2016 – 2 StR 537/15 (mit Durchtrennung eines Seitenastes der Hauptschlagader). 573 BGH NJW 2016 1970, 1971; JR 2017 123, 124 (mehrere aus maximal fünf Metern Entfernung auf den Oberkörper abgegebene Schüsse) m. Anm. Hinz; NStZ-RR 2018 373, 374; Beschl. v. 21.7.2015 – 3 StR 84/15 (Schuss mit einem Kleinkalibergewehr in die Brust aus zwei Metern Entfernung); zu Schüssen mit einem Druckluftnagler („Nagelpistole“) aus gut einem Meter Entfernung NStZ 2013 705 sowie die zweite Revisionsentscheidung NStZ 2017 149, 150 f.; ebenso zum vaginalen und analen Einführen eines sog. Analplugs mit zwölf Zentimetern Durchmesser NStZ 2010 389, 390; zum mehrere Minuten dauernden, die Atmung behindernden Ansichpressen eines Neugeborenen NStZ 2010 214; zu einem in Selbsttötungsabsicht mit hoher Geschwindigkeit herbeigeführten Straßenverkehrsunfall NStZ 2010 515; s. auch NStZ 2017 281; zu einem skalpierenden Schlag mit einer Machete NStZ-RR 2011 110. 574 BGH NStZ 2018 206, 207 m. Anm. Stam; 2019 208 m. Anm. Beining; NStZ-RR 2018 371, 372; Urt. v. 5.6.2014 – 4 StR 439/13; Urt. v. 22.11.2016 – 1 StR 194/16; kritisch gegenüber der „Hemmschwellentheorie“ bei Tötungsdelikten schon Urt. v. 22.3.2012 – 4 StR 558/11; s. auch Franke StraFo 2016 269, 274. 575 BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 64; BGH NStZ-RR 2006 8, 9; 2010 144; NStZ 2016 668, 669; 2018 37, 39; s. auch NStZ-RR 2008 370, 371 zur Berücksichtigung der „Kampfeslage“; 2013 242, 243; zusammenfassend Mößner 6 ff., 305 ff.

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indiziell bedeutsam sein können, so dass sich jede schematische Lösung verbietet.576 Zu würdigen ist etwa, wenn der Angeklagte auf einen glimpflichen Ausgang des lebensgefährlichen Tuns vertraut haben will; diese Einschätzung darf freilich nicht auf bloßen Hoffnungen beruhen, sondern muss tatsachenfundiert sein.577 Insofern kann auch der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts eine Rolle spielen.578 86 In die demnach gebotene – bei mehreren Beteiligten jeweils gesondert vorzunehmende –579 Gesamtbetrachtung580 kann aber beispielsweise auch die konkrete Angriffsweise des Täters einzubeziehen sein, zu seinen Gunsten etwa der Umstand, dass er mit der Pistole einen „nur“ auf einen Fuß bzw. die unteren Gliedmaßen gezielten Schuss abgegeben,581 bei den Messerstichen die ohnehin maximal nur zehn Zentimeter lange Klinge durch Daumen und Zeigefinger noch verkürzt,582 mit einem Nothammer auf einen durch die Kapuze einer Winterjacke geschützten Kopf geschlagen,583 mit seinem länger andauernden Würgen lediglich eine kleine Rötung am Hals, aber keine sonstigen Verletzungen herbeigeführt584 oder vor der Tür einer Wohnung einen Brand gelegt hat, hinter der sich sogleich ein ihm bekannter Rauchmelder befand,585 ferner, dass er sein Opfer nicht tödlich getroffen hat, obwohl er hierzu als „langjähriger und zielsicherer Jäger und geübter Schütze in der Lage gewesen sei“.586 Fraglich erscheint, ob dies auch für den Umstand gilt, dass der Täter durch eine die Geschwindigkeit des Projektils verlangsamende Wohnungstür geschossen hat.587 Auf einen Tötungsvorsatz kann dagegen hindeuten, wenn der Täter mit einem Messer wuchtig588 oder (gar mehrmals) weit ausholend zugestochen,589 es seinem Opfer insbesondere in den Bauch „gerammt“,590 ein Mehrparteienhaus zur Nachtzeit591 in Brand gesetzt592 oder es sich um mehrere oder länger andauernde gefährliche Einwirkungen gehandelt hat.593 Ebenso verhält es sich bei in flachem Winkel aus einer großkalibrigen Pistole auf die Straße abgefeuerten Projektilen, weil die hierdurch entstehenden Risiken kaum kalkulierbar sind.594 Handelt es sich um ein dynamisches Kampfgeschehen, so verfängt die Über-

576 So BGH NJW 2016 1970, 1971 (zwei Schüsse aus kurzer Distanz). 577 BGH NStZ 2019 208 m. Anm. Beining; Beschl. v. 23.6.2020 – 5 StR 601/19; Urt. v. 15.7.2020 – 6 StR 43/20; MüKo-StGB/Schneider § 212, 70.

578 BGH Urt. v. 18.6.2020 – 4 StR 482/19 (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). 579 S. nur BGH NStZ 2020 290, 291. 580 S. nur BGH NStZ-RR 2013 341, 342; 2018 174, 176; zu Manipulationen im Rahmen der Verteilung postmortal „gespendeter“ Lebern BGHSt 62 223, 239 ff. BGH StV 2003 213; NStZ-RR 2018 373, 374. BGH NStZ 2016 668, 669. BGH Urt. v. 8.12.2016 – 1 StR 351/16. BGH NStZ 2019 204, 205. S. BGH NStZ-RR 2013 277; s. auch NStZ 2019 514. BGH Beschl. v. 23.6.2020 – 5 StR 601/19. So aber BGH StV 2017 535. BGH NStZ 2013 538, 540; Beschl. v. 23.1.2013 – 5 StR 602/12; Urt. v. 9.6.2015 – 1 StR 606/14; s. auch Urt. v. 19.4.2016 – 5 StR 594/15 (sechs „schwungvolle“ Stiche u. a. in den Oberkörper). 589 BGH Urt. v. 28.5.2013 – 3 StR 78/13; Urt. v. 22.11.2016 – 1 StR 194/16. 590 BGH NStZ-RR 2013 341. 591 Zu einem zur späten Mittagszeit gelegten Brand BGH Beschl. v. 9.7.2019 – 1 StR 222/19. 592 BGH NJW 2018 1411, 1412 f.; s. auch NStZ 2019 208 m. Anm. Beining. 593 BGH NStZ 2015 216, 217 m. Anm. Hoven; zu massivem Vorgehen mehrerer bewaffneter Angreifer Urt. v. 28.11.2018 – 5 StR 379/18. 594 BGH NStZ 2016 404.

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legung, ein Tatmittel (z. B. ein Baseballschläger) sei dosiert eingesetzt worden, in aller Regel nicht.595 In gleicher Weise kann die psychische Verfassung relevant sein, wenn es sich ei- 87 nerseits z. B. um eine in affektiver Erregung,596 unüberlegt oder spontan597 oder bei einer „Massenschlägerei“ begangene598 oder gruppendynamisch geprägte Tat599 gehandelt hat oder der Täter hochgradig alkoholisiert600 oder hirnorganisch geschädigt601 oder wenn er andererseits voll schuldfähig war,602 insbesondere überlegt und zielgerichtet vorgegangen ist.603 Auch die Tatmotivation kann für die Bewertung maßgeblich sein,604 wenngleich einem lediglich bedingt vorsätzlich agierenden Täter ein Tötungsmotiv i. e. S. fehlt.605 Gegen das voluntative Vorsatzelement kann beispielsweise sprechen, wenn dem Opfer lediglich ein „Denkzettel“ erteilt606 oder es „außer Gefecht gesetzt“ werden sollte607 oder es sich bei ihm um das eigene Kind gehandelt hat.608 Anders liegt es, wenn der Täter vor oder während der Tat äußert, er werde den Angegriffenen umbringen,609 dieser werde „den Morgen nicht erleben“ und könne „verrecken“.610 Hat das Tatgericht bei einer Brandstiftung einen Gefährdungsvorsatz hinsichtlich einer konkreten Todesgefahr (§ 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB) rechtsfehlerfrei angenommen, so lässt dies

595 S. beispielsweise BGH Urt. v. 27.9.2016 – 5 StR 84/16; ferner NStZ 2014 84, 85; s. aber auch NStZ 2019 725.

596 BGH NStZ 2015 266, 268; 2016 668, 670; 2019 468, 469 (einen Anhänger von Borussia Dortmund „wie besessen“ angreifende „Fans“ des FC Schalke 04); Beschl. v. 25.3.2020 – 4 StR 388/19; s. auch NStZ 2016 670, 672; NStZ-RR 2016 204; Urt. v. 29.11.2017 – 5 StR 276/17. 597 BGH NStZ 2009 629, hierzu Steinberg JZ 2010 712; 2014 35 m. Anm. Schiemann; 2016 670, 672; 2020 288, 289; StV 2017 532, 534; Urt. v. 9.6.2015 – 1 StR 606/14; einige Entscheidungen bewerten dieses Beweisanzeichen als ambivalent, etwa StraFo 2013 467. 598 BGH Beschl. v. 25.2.2016 – 2 StR 537/15. 599 BGH StV 2017 528, 529 f. 600 BGH NStZ 2009 503; 2016 25, 26 (BAK von 2,57 Promille); 2018 37, 39 (BAK etwa 3 Promille); 2020 218, 219 (2,39 Promille); 2020 288, 289; Urt. v. 9.7.2015 – 3 StR 577/14; Beschl. v. 18.3.2020 – 4 StR 487/19 (mehr als 2,02 Promille); Beschl. v. 25.3.2020 – 4 StR 388/19 (1,93 Promille); zu einer BAK von 1,46 Promille bei zusätzlichem Kokainkonsum BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 13; s. auch Beschl. v. 1.9.2010 – 2 StR 179/10 zu einem „Stich mit einem Küchenmesser in den linken oberen Rückenbereich“ durch einen erheblich alkoholisierten und unter Medikamenteneinfluss stehenden Angeklagten; Urt. v. 27.9.2016 – 5 StR 84/ 16; hat die Alkoholisierung die Hemmschwelle für besonders gravierende Gewalthandlungen herabgesetzt, kann dies jedoch auch auf eine billigende Inkaufnahme eines Todeserfolges hindeuten, s. NStZ-RR 2018 373, 375. 601 BGH NStZ 2018 206, 207 m. Anm. Stam; zu einem Täter „mit stark verlangsamter, qualitativ geringer Leistungsfähigkeit im unteren Bereich menschlicher Durchschnittsintelligenz“ in einer Überforderungssituation Urt. v. 14.1.2015 – 5 StR 494/14. 602 BGH NStZ 2013 538, 540. 603 BGH NStZ-RR 2013 341, 342; s. auch Urt. v. 22.11.2016 – 1 StR 194/16. 604 BGH Urt. v. 3.2.2016 – 2 StR 159/15 (zwei wuchtige Schläge mit einem Bügelbrettgestänge auf den Kopf des neuen Partners der früheren Freundin, um „diesem eine Abreibung zu verpassen“); s. auch NStZ 2020 349, 350 m. Anm. H. Schneider. 605 Hierzu BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 67; BGH NJW 2016 1970, 1971; NStZ-RR 2016 79, 81; 2017 38, 40; 2018 371, 373; StraFo 2018 127; NStZ 2019 608, 610; 2020 288, 289. 606 S. aber auch BGH NStZ 2015 392, 394. 607 Vgl. BGH NStZ-RR 2016 111, 112. 608 Hierzu BGH StraFo 2015 290. 609 BGH NStZ 2018 206 m. Anm. Stam. 610 BGH Urt. v. 31.3.2016 – 4 StR 574/15.

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keinen Raum mehr dafür, das kognitive Element eines bedingten Tötungsvorsatzes zu verneinen.611 Führt ein riskantes Verhalten im Straßenverkehr zum Tode eines anderen Ver88 kehrsteilnehmers, so ist als wesentlicher vorsatzkritischer Gesichtspunkt zu berücksichtigen, inwieweit der Täter eine kollisionsbedingte Gefährdung der eigenen körperlichen Integrität in Betracht gezogen hat.612 Insofern kommen dem von ihm genutzten Verkehrsmittel sowie den konkret drohenden Unfallszenarien indizielle Bedeutung zu. Denn es kann sich unterschiedlich auf das diesbezügliche Vorstellungsbild des Täters auswirken, ob er sich z. B. in einem Auto oder auf einem Motorrad befindet und ob Zusammenstöße mit Fußgängern, Radfahrern, Autos oder gar Lastkraftwagen drohen.613 Auch ist ggf. eine äußerst riskante Fahrweise in den Blick zu nehmen, beispielsweise bei einem mit hoher Differenzgeschwindigkeit erfolgten dichten Auffahren auf einen sich auf der Überholspur einer Autobahn befindenden Vordermann614 oder bei einer Fahrt mit einem Tempo von mindestens 130 km/h auf der Gegenfahrbahn einer innerstädtischen Straße,615 ebenso der Umstand, dass der Täter nicht angeschnallt war616 und sofort nach erkanntem Unfallrisiko eine Vollbremsung eingeleitet hat.617 Fährt der Täter mit seinem Auto auf gerader Strecke über etwa 30 Meter auf einen vor ihm gehenden Fußgänger zu, liegt die Annahme (nur) fahrlässigen Verhaltens fern.618 Ebenso verhält es sich, wenn er nach dem Einfahren auf einen Parkplatz die Geschwindigkeit auf zwischen 40 und 50 km/h erhöht und in engem räumlich-zeitlichen Zusammenhang zwei Kollisionen herbeiführt.619 Weiter kann ein Vorgeschehen relevant sein, zum einen etwa in der Vergangenheit 89 zugefügte erhebliche Verletzungen,620 eine seit Jahren bestehende Feindschaft621 oder der Umstand, dass der Täter seinem Opfer wenige Tage zuvor im Rahmen sadomasochistischer Handlungen in ebenfalls schon hochgradig gefährlicher Weise die Atemwege mit Klebeband verlegt hatte,622 zum anderen bisherige Unbestraftheit.623 Schließlich kann das Nachtatverhalten in den Blick zu nehmen sein,624 etwa eine weitere Verfolgung des Verletzten,625 die Mitteilung seitens des Täters, er habe das Opfer „abgestochen“626 oder

611 BGH Urt. v. 31.1.2019 – 4 StR 432/18; ausführlich Radtke NStZ 2000 88, 89. 612 Ausführlich BGHSt 63 88, 94 ff.; BGH NStZ 2018 460, 462; NStZ-RR 2018 154, 155; 2019 343, 344; Urt. v. 18.6.2020 – 4 StR 482/19 (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen); zum Gesichtspunkt der Eigengefährdung auch Zopfs DAR 2018 375, 376. 613 BGHSt 63 88, 95; ebenso BGH NStZ 2018 460, 462; Urt. v. 18.6.2020 – 4 StR 482/19 (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen); s. auch NStZ-RR 2018 154, 155. 614 Cierniak SVR 2012 127, 132. 615 BGH NStZ 2019 276. 616 BGH NStZ 2018 460, 462; Urt. v. 18.6.2020 – 4 StR 482/19 (zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). 617 BGH NStZ-RR 2018 154, 155. 618 BGH NStZ-RR 2016 79, 80; s. auch NStZ 2019 608. 619 BGH NStZ-RR 2016 79, 80. 620 BGH Urt. v. 19.10.2017 – 3 StR 158/17. 621 BGH Beschl. v. 21.7.2015 – 3 StR 84/15. 622 BGH NStZ 2014 398. 623 BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 64. 624 S. nur BGH NStZ 2012 384; 2013 159, 161; NStZ-RR 2012 369, 370; Urt. v. 25.11.2010 – 3 StR 364/10; Beschl. v. 5.4.2011 – 3 StR 66/11; Beschl. v. 2.8.2011 – 3 StR 225/11; Beschl. v. 28.2.2012 – 3 StR 17/12; Beschl. v. 11.2.2015 – 1 StR 629/14. 625 BGH Urt. v. 22.11.2016 – 1 StR 194/16. 626 BGH Beschl. v. 19.4.2016 – 5 StR 118/16.

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„das Schwein erledigt“,627 oder auch ein den Verletzten missachtendes Gebahren in der Hauptverhandlung.628 Als vorsatzkritisch können namentlich entfaltete Rettungsbemühungen gewichtet werden,629 auch der Umstand, dass der Täter nach seinem Tritt gegen den Kopf „wie erschrocken innegehalten“ hat,630 dem mit ihm befreundeten Verletzten sofort gefolgt ist, um sich zu entschuldigen,631 beim Weglaufen vom Tatort äußerte „Hoffentlich stirbt er nicht!“632 oder erleichtert war, als ihm mitgeteilt wurde, das Opfer lebe.633 Verhält sich der Täter bei seinem Notruf „panisch aufgeregt“, so kann dies auch von der Sorge um das eigene Wohl geleitet sein.634 Soll ein Angeklagter wegen Heimtückemordes (§ 211 StGB) verurteilt werden, so 90 setzt dies voraus, dass er die von ihm erkannte Arg- und darauf beruhende Wehrlosigkeit seines Opfers bewusst zur Tatbegehung ausgenutzt hat. Indiziell auf ein derartiges Ausnutzungsbewusstsein kann hindeuten, wenn der Täter dem Opfer in den Rücken schießt, die gedankliche Erfassung dieses Geschehens folglich auf der Hand liegt,635 oder er mit einem bis dahin verborgen gehaltenen Messer auf sein überraschtes Opfer eingestochen hat,636 zumal dann, wenn er es zuvor durch täuschendes Verhalten in Sicherheit gewiegt hat.637 Als Beweisanzeichen gegen die subjektive Komponente dieses Mordmerkmals kommt in Betracht, dass der Täter sich in einem psychischen Ausnahmezustand befunden hat, der auch unterhalb der Schwelle zum § 21 StGB angesiedelt sein kann,638 er etwa stark affektiv erregt gehandelt hat.639 Freilich bezieht sich dieser Gesichtspunkt vor allem auf das Hemmungsvermögen; es bedarf deshalb gesonderter Erörterung, ob hiervon auch die Fähigkeit betroffen war, die Tatsituation richtig einzuschätzen.640 Gegen ein Ausnutzungsbewusstsein spricht, wenn der Angeklagte den Entschluss zur Tat spontan gefasst641 oder vor dem Angriff durch ein Geräusch642 oder gar durch eine gerufene Ankündigung, er werde alle umbringen, auf sich aufmerksam gemacht hat.643 Eine starke affektive Erregung kann zudem gegen die Annahme sprechen, die Beweggründe des Täters für die Tötung seien niedrig gewesen.644 Wird einem Erkrankten durch einen Garanten die notwendige Medikation und Nah- 91 rungsaufnahme vorenthalten, so spricht spätestens ein erkennbar besorgniserregender

627 628 629 630 631 632 633 634 635 636 637

BGH Beschl. v. 20.12.2017 – 4 StR 515/17. BGH NStZ 2015 216, 217 m. Anm. Hoven. BGH NStZ 2015 266, 267 (alsbald abgesetzter Notruf); NStZ-RR 2014 139. BGH NStZ-RR 2013 169. BGH StV 2015 300, 301. BGH StV 2015 696, 697. BGH NStZ 2019 523 (mit Medikamenten vergiftete Kleinkinder). BGH NStZ 2019 608, 610; s. auch Urt. v. 15.1.2020 – 2 StR 304/19. BGH NStZ 2018 97, 98 m. Anm. H. Schneider; s. auch NStZ-RR 2020 40. BGH Urt. v. 9.7.2015 – 3 StR 577/14. BGH Beschl. v. 22.10.2014 – 5 StR 451/14 (Vorwand, um die Wohnung betreten zu dürfen, belangloses Gespräch und scheinbares Abwenden zum Gehen). 638 BGH NStZ 2014 507, 509 („Tunnelblick“) m. Anm. Schiemann; 2014 574 m. Anm. Liebhart. 639 BGH NStZ 2015 392, 394. 640 BGH NStZ 2020 348, 349; s. auch NStZ-RR 2020 40. 641 BGH NStZ 2014 507, 509 m. Anm. Schiemann; 2014 574 m. Anm. Liebhart; 2015 392, 393; 2019 142 m. Anm. Drees; NStZ-RR 2017 278, 279. 642 BGH Beschl. v. 25.8.2016 – 2 StR 559/15 (Schlag mit dem Baseballschläger auf den Boden). 643 BGH NStZ 2019 142 m. Anm. Drees. 644 BGH Urt. v. 21.2.2018 – 1 StR 351/17; zu diesem Mordmerkmal s. auch NStZ 2020 215 m. Anm. Drees; Urt. v. 19.4.2016 – 5 StR 594/15.

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Zustand für einen (zumindest bedingten) Körperverletzungsvorsatz.645 Reißt ein Täter hingegen sein fliehendes Opfer zurück, so versteht sich ein auf eine infolgedessen entstandene sturzbedingte Verletzung bezogener Vorsatz nicht von selbst.646 Dasselbe soll gelten, wenn ein aufgrund der Bedrohung mit einer Softair-Pistole in Todesangst geratener Geschädigter nach Luft schnappt und ihm übel und schwindelig wird.647 Selbst bei grob fehlerhafter Behandlung ist vorsatzkritisch zu berücksichtigen, dass ein Arzt sich dabei regelmäßig am Wohl des Patienten orientiert.648 War für die Begehung eines Raubes die Anwendung lediglich „leichter Gewalt“ ver92 einbart worden, erweist es sich aber als notwendig, gravierender auf den Überfallenen einzuwirken, so ist eine entsprechende Vorsatzerweiterung auch für den im Nebenraum nach werthaltigen Sachen suchenden Mittäter zu prüfen, sofern er das entstandene Gerangel und insbesondere die lauten und anhaltenden Schmerzensschreie wahrgenommen hat.649 Wird einem Opfer während einer Vergewaltigung das Handy entrissen, um das Herbeirufen von Hilfe zu verhindern, so bedarf eine diesbezügliche räuberische Absicht sorgfältiger Begründung; auf eine solche kann indiziell hindeuten, wenn der Täter das fremde Mobiltelefon alsbald nach der Tat mit einer eigenen SIM-Karte in Betrieb genommen hat.650 Wird auf ein Opfer zu viert und unter Einsatz einer Eisenstange eingewirkt, um es zur Zahlung eines Geldbetrages zu bringen, so deuten diese Umstände nicht darauf hin, dass die Angeklagten von einem gerichtlich durchsetzbaren Anspruch ausgingen (§§ 253, 255 StGB).651 Besondere Schwierigkeiten kann es bei komplexen Entscheidungsprozessen z. B. im Zusammenhang mit Kreditgewährungen geben. Hier kann gegen einen Schädigungsvorsatz sprechen, wenn ein Täter zur Sicherung eines Projektes eine persönliche Bürgschaft in einer sein gesamtes Vermögen übersteigenden Höhe übernommen hat.652 Das Gericht muss diese Tatsachen im Urteil anführen.653 Ein Vergewaltigungsvorsatz liegt beispielsweise auf der Hand, wenn das gewalt93 sam zu Boden gezogene Opfer um Hilfe ruft, sich mit einem Tritt zur Wehr setzt und den Täter anfleht, die Tat nicht fortzusetzen,654 nicht aber, wenn es grundsätzlich mit sexuellen Handlungen einverstanden war, sich jedoch hierbei zugefügte Schläge und Bisse verbeten hat.655 Die subjektive Tatseite bedarf besonderer Erörterung, wenn sich das Opfer hinsichtlich einer angesonnenen sexuellen Handlung ambivalent verhält, bei645 BGH NStZ 2017 219, 221 („Leichenkälte“ der nur noch gut 34 kg wiegenden Hilfsbedürftigen); Urt. v. 4.8.2015 – 1 StR 624/14 (massive Unterernährung, blaue Fingerkuppen, gravierende Lungenfunktionseinschränkung); zur Garantenstellung eines Kindes gegenüber seinen Eltern s. NStZ 2018 34; zu derjenigen eines Täters, der einem anderen den Konsum von Gammabutyrolacton (GBL) ermöglicht hat, s. BGHSt 61 318. 646 BGH Beschl. v. 3.3.2016 – 2 StR 430/15. 647 So BGH NStZ-RR 2019 76, 77. 648 BGH StV 2014 601, 603. 649 BGH NStZ 2013 400. 650 BGH NStZ-RR 2018 118, 119; zur (versuchten) gewaltsamen Ansichnahme des an eine Prostituierte gezahlten Geldes, bevor diese sexuelle Leistungen erbracht hat, s. NStZ 2015 699, 700. 651 BGH NStZ 2017 465, 467 m. Anm. Bock. 652 BGH NJW 2005 2242, 2244. 653 Vgl. BGHSt 35 145; 36 1; BGH NStZ 1983 19; 1987 362 m. Anm. Puppe; JR 1988 115 m. Anm. Freund StV 1984 187; 1984 411; 1991 510; OLG Koblenz StV 1994 290 (Vorstrafen als Indiz); zum Vorsatznachweis ferner etwa Frisch GedS Meyer 550; Hruschka FS Kleinknecht 191; Ling JZ 1999 335; Otto NJW 1978 8; zum Betrugsvorsatz BGH NStZ-RR 2017 313; wistra 2015 311, 320; zum betrügerischen Beihilfevorsatz bei sog. berufstypischem Tun NStZ 2017 461; 2018 328; wistra 2014 176, 178 f. 654 BGH Urt. v. 17.9.2014 – 2 StR 39/14. 655 BGH NStZ 2019 407, 408.

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spielsweise einen Oralverkehr zunächst ablehnt, ihn aber dann ohne weitere Einwirkung des Täters auszuüben beginnt,656 einige Zeit später mit dem Täter, mit dem es sich eine „Beziehung“ vorstellen könnte, freiwillig geschlechtlich verkehrt657 oder wenn in Betracht kommt, dass der Täter mit einer Einwilligung des schlafenden Sexualpartners gerechnet hat.658 Die Annahme, ein Angeklagter habe damit gerechnet, sein Opfer könnte durch die Tat einen psychischen Schaden erleiden, ist nicht ohne Weiteres tragfähig, wenn dieses während des Geschlechtsverkehrs tief geschlafen hat.659 Schiebt ein Täter seine Hand in die Unterhose einer Frau, die mit ihm zuvor vereinbart hat, „dass sie ihn ‚entjungfern‘ werde“, ist unklar, weswegen er damit hätte rechnen sollen, sie könnte sich hierdurch sexuell belästigt fühlen (§ 184i Abs. 1 StGB).660 Ein Brandstiftungsvorsatz liegt nahe, wenn das Verhalten des Täters es als wahrscheinlich erscheinen lässt, dass hierdurch ein Objekt in Brand gesetzt wird,661 wenn er beispielsweise in einem Wohnhaus auf dem Zimmerboden Verdünner verschüttet und mit einem Feuerzeug anzündet662 oder auf Lkw-Wechselbrücken einen Brand legt, welche sich „in unmittelbarer Nähe“ einer Lagerhalle befinden, auf die das Feuer übergreift.663 Ebenso verhält es sich, wenn er in suizidaler Absicht eine Bettdecke entzündet, weil es typischerweise entweder einer nicht völlig unerheblichen Brandentwicklung oder der Bildung umfangreicher toxischer Rauchgase bedarf, um den Tod herbeizuführen.664 Auf das Fehlen des Vorsatzes, wesentliche Gebäudeteile in Brand zu setzen, deutet es dagegen hin, wenn der Täter sich in einem Wohnhaus schlafen legt, nachdem er in dessen Keller liegende Zeitungen angezündet hat,665 oder nachdem er bereits zwei Wochen zuvor die Erfahrung gemacht hatte, dass ein von ihm in gleicher Weise gelegter Brand nicht auf das Gebäude übergegriffen hatte.666 Zu den maßgeblichen Umständen können namentlich die baulichen Gegebenheiten sowie die psychische Verfassung des Täters gehören.667 Handelt es sich um einen untauglichen Versuch (vgl. § 23 Abs. 3 StGB), so stellt dies ein den Täter entlastendes Indiz nur dar, wenn er diesen Umstand erkannt hat.668 Die Annahme des Rechtsbeugungsvorsatzes eines Richters oder Staatsanwaltes kann auf durch diesen systematisch begangene Verschleierungshandlungen,669 etwa Scheinverfügungen,670 gestützt werden. Auf einen doppelten Vorsatz i. S. d. § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB (Gefährdung des Stra- 94 ßenverkehrs) deutet es hin, wenn ein Fahrer auf der Flucht vor der Polizei seinen im Stadtgebiet mit einer Geschwindigkeit von „deutlich über 100 km/h“ geführten Pkw 656 657 658 659 660 661

BGH NStZ 2019 717, 718 m. Anm. Ziegler. BGH Urt. v. 9.10.2019 – 1 StR 39/19. S. BGH NStZ-RR 2014 108, 109. BGH StV 2019 544. BGHR StGB § 184i Abs. 1 Tathandlung 1. BGH NStZ-RR 2017 373, 374; zum Entzünden eines „unmittelbar vor der Haustür“ liegenden Zeitungsstapels NStZ 2020 402. 662 BGH Urt. v. 10.7.2014 – 3 StR 210/14. 663 BGH NStZ 2019 733, 735. 664 BGHR StGB § 63 Beweiswürdigung 2. 665 BGH NJW 2009 2903, 2904; s. auch JZ 2019 948, 949 m. Anm. Mengler; ferner StraFo 2014 25 (zu einem vom Beschuldigten zum Löschen mit Wasser gefüllten Eimer). 666 BGH NStZ-RR 2010 241. 667 S. BGH NStZ-RR 2020 108 m. w. N. 668 BGH NStZ-RR 2020 203, 204. 669 BGH NStZ 2010 92; zu gegen einen entsprechenden Vorsatz sprechenden Gesichtspunkten NZWiSt 2017 399, 404 f. 670 BGHSt 62 312, 319.

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plötzlich und ohne zu blinken in die rechte Spur lenkt, obwohl dort ein anderes Auto fortbewegt wird.671 Für die Annahme, ein Angeklagter habe (zumindest bedingt) vorsätzlich eine Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 StGB) begangen, stellt die Blutalkoholkonzentration ein gewichtiges Beweisanzeichen dar; je höher sie liegt, desto eher deutet sie auf eine vorsätzliche Tat hin (vgl. auch Rn. 63).672 Auch die Umstände des Alkoholkonsums, insbesondere Trinkverlauf und -ende können bedeutsam sein,673 zudem vom Täter bemerkte erhebliche Ausfallerscheinungen,674 von ihm wahrgenommene Versuche Dritter, ihn im Hinblick auf seine Alkoholisierung von einer Fahrt abzuhalten,675 oder sonstige Warnhinweise,676 nicht zuletzt auch eine (nicht allzu lange zurückliegende) einschlägige Vorstrafe,677 allenfalls eingeschränkt hingegen das Nachtatverhalten.678 Wer als Kurier Betäubungsmittel nach Deutschland einführt, ohne dessen Menge 95 beeinflussen oder prüfen zu können, wird regelmäßig damit rechnen müssen, dass ihm mehr Rauschgift zum Transport übergeben wird, als ihm offenbart worden ist.679 Da die Tatbestände des BtMG keinen „materiellen Betäubungsmittelbegriff“ verwenden, setzt der Vorsatz, mit Drogen unerlaubt Handel zu treiben, voraus, dass der Täter es zumindest für möglich hält, dass sie dem § 1 Abs. 1 BtMG unterfallen, mithin in den in Bezug genommenen Anlagen I bis III aufgelistet sind.680 Die Annahme, ein Betäubungsmittelhändler habe eine Schusswaffe oder einen sonst gefährlichen Gegenstand bewusst gebrauchsbereit mit sich geführt, liegt etwa fern, wenn sich diese(r) in einem bei der polizeilichen Durchsuchung erstmals nach einem Jahr wieder – zudem mit nicht unerheblichem Kraftaufwand – geöffneten Sitzteil der Wohnzimmercouch befunden hat.681 Anders kann es sich z. B. bei einem in unmittelbarer Nähe zu den Betäubungsmitteln positionierten, nicht als Sportgerät verwendeten Baseballschläger aus Aluminium682 und in Schubladen aufbewahrten und damit in der Regel jederzeit griffbereiten Gegenständen verhalten.683 Bei einer Waffe im technischen Sinne bedarf die Feststellung, der Täter habe sie bewusst gebrauchsbereit bei sich gehabt, regelmäßig keiner näheren Ausführungen in den Urteilsgründen, zumal dann, wenn er mehrere Waffen vorrätig hält.684 Fährt ein Täter zu einer von ihm betriebenen Cannabisplantage mit einem Auto, das ihm von seiner Verlobten zur allgemeinen Nutzung zur Verfügung gestellt worden ist, so macht sich diese nur dann wegen Beihilfe (§ 27 StGB) strafbar, wenn sie von dieser Verwendung weiß.685

671 BGH Beschl. v. 15.1.2019 – 4 StR 569/18. 672 BGHSt 60 227, 231; krit. gegenüber der empirischen Absicherung dieser Aussage König DAR 2015 737, 740; zum gemäß § 24a Abs. 2 und 3 StVG ordnungswidrigen Führen eines Kraftfahrzeuges unter der Wirkung von Cannabis BGHSt 62 42 46 ff.; König NStZ 2009 425, 427. 673 Ausführlich LK/König § 316, 196 ff. 674 LK/König § 316, 199. 675 BGHSt 60 227, 233. 676 LK/König § 316, 200. 677 KG NStZ-RR 2015 91; LK/König § 316, 202. 678 LK/König § 316, 205; zum sog. Nüchternschock auch König DAR 2020 362, 367. 679 BGH StraFo 2017 433; NStZ 2020 44; zu gegenläufigen Indizien s. StV 2020 389. 680 BGHSt 63 11, 15 f. 681 BGH NStZ 2014 466. 682 BGH NStZ-RR 2019 253; Urt. v. 18.7.2018 – 5 StR 547/17 (zumal in einem ausschließlich für Betäubungsmittelgeschäfte genutzten Appartement). 683 S. BGH NStZ 2017 714, 715 m. Bespr. Magnus JR 2018 437. 684 BGH NStZ 2017 714, 715 m. Bespr. Magnus JR 2018 437. 685 BGH StV 2017 292; zu unterstützenden „neutralen“ berufstypischen Handlungen BGHSt 46 107, 112.

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Auf den Vorsatz, durch eine behördliche Entscheidung eine Untreue (§ 266 StGB) 96 zu begehen, kann hindeuten, dass der Mitarbeiter die ihm vorgelegten Unterlagen ohne entsprechenden Verwaltungsvorgang gleichsam „blind“ unterschreibt, zumal dann, wenn der zuarbeitende Kollege zuvor gebotene Ermittlungen nicht durchgeführt hat.686 Bei unternehmerischen Risikogeschäften kommt dem vom Täter erkannten Gefährdungsgrad indizielles Gewicht zu.687 Sind die Voraussetzungen des § 266a StGB zu prüfen, so muss der Täter namentlich seine Stellung als Arbeitgeber und die daraus resultierende sozialversicherungspflichtige Abführungspflicht zumindest für möglich gehalten haben.688 Hinsichtlich der Arbeitgebereigenschaft ist etwa zu berücksichtigen, wenn die tätig gewordenen und der deutschen Sprache nicht mächtigen Ausländer ihr Gewerbe unter der Anschrift des Angeklagten angemeldet und in den an die Auftraggeber gestellten Rechnungen jeweils dessen Kontoverbindung benannt hatten.689 Gegen den Vorsatz, Umsatzsteuer zu hinterziehen, kann sprechen, wenn eine Vielzahl von Umsatzsteuersonderprüfungen und -nachschauen ergebnislos verlaufen sind und zudem von sog. Missing Tradern und Buffern erworbene Ware tatsächlich an die in der Kette handelnden Beteiligten geliefert worden ist,690 oder wenn der Angeklagte an einer mittel bis schwer ausgeprägten Intelligenzminderung und Legasthenie leidet.691 Im Falle unerlaubter Einreise i. S. d. AufenthG liegt die Annahme des subjektiven Tatbestandes bei Jugendlichen keineswegs fern; erhöhte Anforderungen an die Beweiswürdigung sind aber bei geschleusten Kindern zu stellen.692 Auch hinsichtlich des für die Prüfung eines Rücktritts (§ 24 StGB) relevanten Vor- 97 stellungsbildes des Angeklagten kann auf die objektiven Umstände zurückgegriffen werden,693 sofern festgestellt werden kann, dass dieser sie wahrgenommen hat.694 Soweit ein Tatbestand eine entsprechende Prüfung erfordert, kann in vergleichbarer Weise auf die innere Einstellung eines Geschädigten geschlossen werden. Daher kann sich das Tatgericht z. B. bei einem Betrugsvorwurf (§ 263 StGB) aufgrund äußerer Umstände695 und ggf. unter Heranziehung von Erfahrungssätzen die indiziengestützte Überzeugung bilden, der vom Angeklagten Getäuschte habe irrtumsbedingt über sein Vermögen verfügt.696 Hierbei kann es eine Rolle spielen, ob der Verfügende für sich handelte oder in

686 Hierzu ausführlich BGHSt 61 305, 316. 687 BGH NStZ 2013 715, 716. 688 Zur zumindest erforderlichen Parallelwertung in der Laiensphäre bezüglich der Wertungen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts ausführlich BGH NJW 2019 3532, 3533 (Vermittlung osteuropäischer Pflegekräfte in Privathaushalte); s. auch wistra 2020 260; zum formellen Geschäftsführer einer GmbH, der einen faktischen neben sich duldet, StraFo 2020 210. 689 BGH NStZ 2019 146, 147. 690 S. nur BGH wistra 2018 131, 132; zur berechtigten Annahme, bestimmte Ausgaben als Betriebskosten geltend machen zu können, s. NZWiSt 2019 113, 116 f. m. Anm. Antoine; ferner Urt. v. 11.2.2020 – 1 StR 119/ 19. 691 BGH NZWiSt 2019 298 m. Anm. Gehm. 692 S. nur BGH NStZ 2019 283, 284 m. Anm. Mitsch. 693 Vgl. nur BGH Urt. v. 10.4.2019 – 1 StR 646/18; s. auch NStZ 2013 703, 704 f. („Ach, Du lebst ja noch“); 2014 143 m. Anm. Nestler; NStZ-RR 2019 137. 694 BGH NStZ 2013 703, 704; 2019 594. 695 S. etwa BGH NStZ 2014 318, 321 (Erkenntnisse über Anlagegelder, Verkaufsprospekte, Werbematerialien, Hergang von Verkaufsgesprächen und wirtschaftliche Interessen der getäuschten Kunden); Urt. v. 24.10.2018 – 5 StR 477/17. 696 BGH NStZ 2015 98, 100 f. m. Anm. Krehl; 2019 43, 44 m. Anm. Frank; Urt. v. 24.10.2018 – 5 StR 477/ 17; zur zweitgenannten Entscheidung Peter StraFo 2019 186; s. auch BGHSt 59 195, 204; BGH NStZ 2014 215.

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eines anderen Interesse verpflichtet war, sich von der Wahrheit der Behauptungen des Täters zu überzeugen.697 In den praxisrelevanten Fällen gleichförmiger, massenhafter oder routinemäßiger Geschäfte (sog. Massenbetrugstaten), die erfahrungsgemäß von selbstverständlichen Erwartungen geprägt sind, billigt es der BGH in inzwischen gefestigter Rechtsprechung, wenn das Tatgericht auf der Grundlage eines „sachgedanklichen Mitbewusstseins“ indiziell auf die täuschungsbedingte Fehleinschätzung schließt.698 Ist das relevante Vorstellungsbild „normativ geprägt“, kommt auch in Betracht, nur einen (kleinen, möglichst repräsentativen)699 Teil von zahlreichen Geschädigten zu vernehmen und aus den derart erlangten Erkenntnissen Schlüsse auf die übrigen Taten zu ziehen.700 Danach wird es nur in komplexeren Konstellationen erforderlich sein, alle Getäuschten als Zeugen zu vernehmen.701 Unzulässig ist jedoch grundsätzlich die Schätzung einer „Irrtumsquote“.702 Hat das Opfer dem Täter vor dessen tödlichem Angriff den Rücken zugewandt, kann dies indiziell auf seine Arglosigkeit (§ 211 StGB) hindeuten.703 Der Alibi-Beweis ist eine besondere Form des Indizienbeweises. Er kann ein unter 98 Umständen zwingendes Indiz dafür schaffen, dass der Angeklagte nicht der Täter gewesen sein kann. Sein Scheitern ist für sich allein aber noch kein Indiz für die Täterschaft des Angeklagten (dazu Rn. 194). Gleiches gilt für die Behauptung des Angeklagten, er wisse nicht, wo er zur Tatzeit gewesen sei.704 99

5. Einschränkungen, Beweisverbote, Beweisvermutungen. Ausdrückliche Ausnahmen vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung stellen diesen als solchen nicht in Frage, solange sie nur vereinzelt zur Verwirklichung rechtsstaatlicher Zielsetzungen oder zum Schutze öffentlicher oder privater Belange von Gewicht sind,705 die Verwertung bestimmter Beweisergebnisse insgesamt ausschließen oder die für ihren Nachweis zulässigen Beweismittel einschränken, wie etwa § 274. Gleiches gilt für die generellen Grenzen, die die StPO der freien Beweiswürdigung dadurch setzt, dass es diese bei der Schuld- und Rechtsfolgenfrage auf die nach den Regeln des Strengbeweises gewonnenen Erkenntnisse beschränkt. Auf anderem Weg gewonnene Beweisergebnisse hat das Tatgericht bei seiner Würdigung dann insoweit ebenso außer Betracht zu lassen wie sonst nicht verwertbares dienstliches oder privates Wissen.706 Es muss vorher allerdings prüfen, ob das jeweilige Verbot seiner Zielsetzung nach den Rückgriff auf ein Beweisergebnis schlechthin untersagt oder ob es nur die Verwertung zum Nachteil des Angeklagten ausschließt.707 697 BGH NStZ 2009 506, 507; 2013 422, 423. 698 BGH NStZ 2014 459, 460; 2015 98, 100 m. Anm. Krehl; 2019 40, 41; wistra 2017 495, 497; Beschl. v. 13.11.2019 – 2 StR 307/19; krit. Ceffinato ZStW 128 (2016) 804, 810 ff.

699 So BGH NStZ 2014 318, 321. 700 BGH NStZ 2014 215; 2014 459, 460; 2018 215, 217 f.; 2019 40, 41; wistra 2017 495, 497; s. auch NStZ 2014 644, 645; 2016 280, 283; NStZ-RR 2019 112, 114; Urt. v. 24.10.2018 – 5 StR 477/17; Beschl. v. 13.11.2019 – 2 StR 307/19; krit. Ceffinato ZStW 128 (2016) 804, 818 f. 701 BGH NStZ 2014 459, 460. 702 BGH NStZ 2013 422, 424; NStZ-RR 2017 375, 376. 703 Vgl. BGH Urt. v. 23.7.2020 – 3 StR 77/20. 704 BGH VRS 90 (1996) 389. 705 Zu den Gründen solcher Beschränkungen der freien Beweiswürdigung vgl. etwa BVerfGE 9 167; 34 238; 36 188; Amelung (Informationsbeherrschungsrechte) 14; Arzt FS Peters 223; Rogall ZStW 91 (1979) 8; HK/Julius/Beckemper 10 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt Einl. 50 ff.; ferner LR/Gössel Einl. L 11 ff.; LR/Becker § 244, 187 ff. 706 Zur Problematik bei den Prozessvoraussetzungen vgl. etwa Többens 90 ff.; Volk (Prozeßvoraussetzungen) 57; ferner LR/Becker § 244, 30 m. w. N. 707 „Belastungsverbot“; vgl. Rogall ZStW 91 (1979) 38; s. auch BGHSt 27 108; LR/Gössel Einl. L 34 ff.

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Die Rechtsgrundlagen für solche Einschränkungen finden sich bei den jeweiligen 100 Einzelregelungen, etwa für den Wahrheitsbeweis in § 190 StGB708 oder für die Verwertung von Vorstrafen selbst als Indiz in den §§ 51, 52 BZRG.709 Auch aus der StPO erwachsen solche Verbote, z. B. aus den §§ 81c Abs. 3 Satz 5, 97, 100d Abs. 2, 100i Abs. 2 Satz 2, 108 Abs. 2 und 3, 136a Abs. 3, 160a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 3, 161 Abs. 3 und 257c Abs. 4 Satz 3.710 Die Einzelheiten sind bei den jeweiligen Vorschriften erläutert.711 Das Verbot, das Schweigen des Angeklagten zu seinem Nachteil zu verwerten, ist außerdem bei Rn. 119 ff. behandelt, das Verbot, aus dem Verhalten eines befugt schweigenden Zeugen Schlüsse zulasten des Angeklagten zu ziehen, bei Rn. 152 ff. Soweit das materielle Recht an bestimmte Tatbestandsmerkmale Vermutungen an- 101 knüpft, die den Schuldnachweis erleichtern sollen,712 ändert es nur das Beweisthema sowie den Beziehungspunkt für die Beweiswürdigung. Eine darüber hinausgehende Einschränkung der freien Beweiswürdigung liegt darin aber ebensowenig wie etwa eine Überbürdung der Beweislast auf den Angeklagten.713 Das Gericht hat auch insoweit den Sachverhalt im vollen Umfang von Amts wegen zu erforschen und frei zu würdigen.714 Die Regel-Ausnahme-Verhältnisse, die das materielle Strafrecht beispielsweise in § 69 Abs. 2 StGB oder bei den Regelbeispielen für besonders schwere Fälle wie etwa § 243 Abs. 1 Satz 2 StGB aufstellt, erleichtern dem Gericht zwar die Begründung bei Annahme eines Regelfalls, sie schränken aber die freie Beweiswürdigung nicht ein.715 Soweit der Verordnungsgeber eine Vorbewertung dadurch trifft, dass er zur Sicherung der Gleichbehandlung bei bestimmten, häufig vorkommenden Verstößen bestimmte Sanktionen vorgibt, wie etwa für den Straßenverkehr in der auf § 26a StVG beruhenden BKatV, binden diese Sanktionsempfehlungen den Richter nur insoweit, als er auf ihrer Grundlage im Rahmen einer Gesamtwürdigung prüfen muss, ob die Besonderheiten des von ihm zu entscheidenden Einzelfalls eine davon nach oben oder unten abweichende Sanktion erfordern.716 Dass er sich dieser Prüfungspflicht bewusst war, muss er auch dann im Urteil zum Ausdruck bringen, wenn er nicht vom Regelsatz abweicht.717 708 RGSt 44 257; KG GA 74 (1930) 32. Zur Frage, ob § 190 StGB als Beweisverbot oder als Beweisregel zu betrachten ist, vgl. LR/Becker § 244, 190 (Beweisthemenverbot) und die Kommentare zum StGB; ferner Meurer FS Oehler 375; Stern FS Oehler 486 (verfassungsrechtliche Bedenken); Mengler 79 f., 161. 709 Dazu BVerfGE 36 188; BGH Beschl. v. 9.2.1993 – 5 StR 611/92; Beschl. v. 9.2.2010 – 4 StR 660/09; ferner KK/Ott 149; KMR/Stuckenberg 44; Meyer-Goßner/Schmitt 14; MüKo/Miebach 157; SSW/Schluckebier 59 und 69; Segger NJW 1976 1189; LR/Becker § 244, 195 m. w. N.; ferner zum Verhältnis zu § 190 StGB Dähn JZ 1973 51; zu straßenverkehrsrechtlichen Ordnungswidrigkeiten s. BGH NJW 2018 1621, 1624 (in BGHSt 63 88 nicht abgedruckt). 710 Vgl. KK/Ott 148; Rogall ZStW 91 (197) 4; ferner Alsberg/Güntge 894 ff. m. w. N.; zum Verwertungsverbot nach unterlassener Beschuldigtenbelehrung s. BGHSt 51 367, 376, sowie nach bewusster Täuschung BGH NStZ 2017 241, 242 f. m. Anm. Gubitz; s. zudem 2019 36 m. Anm. Vogler (Selbstbelastungsfreiheit). 711 S. zudem die Erläuterungen bei LR/Gössel Einl. L. 712 Zu den engen verfassungsrechtlichen Grenzen solcher Vermutungen vgl. BVerfGE 9 167; BayVerfGHE 35 47; KG NStZ 1986 560. 713 BGHSt 6 292; BayVerfGHE 35 47; OLG Hamm VRS 41 (1971) 49; KG NStZ 1986 560; KK/Ott 151; MeyerGoßner/Schmitt 23; Louven MDR 1970 295. 714 Vgl. BayObLGSt 1972 39 = GA 1972 349 (zu § 395 AO a. F.). Ob es im Zweifelsfall contra reum zu entscheiden hat, ist eine Auslegungsfrage des materiellen Strafrechts und dort meist streitig; vgl. etwa Eb. Schmidt I 372; Rn. 187 ff.; ferner zum ehem. § 245a StGB: LG Heidelberg NJW 1959 1932 m. Anm. Schröder NJW 1959 1903; OLG Braunschweig MDR 1964 342. 715 KK/Ott 151; vgl. Rn. 189. 716 Vgl. BVerfG NJW 1996 1809; BGHSt 38 125; 38 231; Hentschel/König/Dauer/König § 26a StVG, 1; s. auch Rn. 36. 717 Vgl. etwa BGH NStV 1992 135; OLG Düsseldorf VRS 90 (1996) 47.

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Soweit landesrechtliches Strafrecht möglich ist, können auch dort Vermutungen zulasten des Angeklagten begründet werden. Das wichtigste Beispiel dürfte die (widerlegbare) Vermutung der Kenntnis und Billigung der Veröffentlichung zum Nachteil des verantwortlichen Redakteurs in § 11 Abs. 1 HPresseG sein.718 Die in anderen Rechtsgebieten bestehenden Beweisregeln binden das Strafgericht 103 grundsätzlich nicht. Dies wurde auch für die in den Vorschriften des bürgerlichen Rechts aufgestellten Beweisvermutungen früher allgemein angenommen.719 In Schrifttum und Rechtsprechung gibt es allerdings auch Stimmen, wonach das Strafgericht diese Vermutungen ebenfalls zu beachten habe, wenn es inzidenter über das Bestehen eines bürgerlichrechtlichen Anspruchs, wie etwa der Unterhaltspflicht im Rahmen des § 170 StGB, entscheidet.720 Jedoch wird ihnen angesichts der in § 262 Abs. 1 getroffenen Regelung nicht mehr als eine indizielle Bedeutung zukommen können. Eine Einschränkung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung im eigentlichen 104 Sinne liegt dagegen nicht vor, soweit das erkennende Gericht an Vorentscheidungen anderer Gerichte oder Verwaltungsbehörden gebunden ist, denn insoweit entfällt die Entscheidungskompetenz überhaupt und nicht nur die freie Würdigung bei einer der richterlichen Entscheidung offenen Frage.721 102

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6. Sonstige verfahrensrechtliche Bindungen. Die Zusage der Wahrunterstellung bestimmter Tatsachen schränkt die freie Beweiswürdigung als solche nicht ein. Kommt das Gericht zu der Erkenntnis, dass die als wahr unterstellte Tatsache nicht zutrifft, kann und muss es die Bindung, die es mit der Zusage der Wahrunterstellung eingegangen ist, in einer den verfahrensrechtlichen Anforderungen genügenden Form noch in der Hauptverhandlung wieder lösen.722 Das Verbot der Vorwegnahme der Beweiswürdigung soll sichern, dass das Gericht sich seine endgültige Überzeugung erst nach Ausschöpfung der vorhandenen Beweismittel bildet.723

V. Einzelfragen der Beweiswürdigung 106

1. Unabhängigkeit von der Verfahrensrolle. Freie Beweiswürdigung bedeutet, dass es dem Gericht grundsätzlich freisteht, aus den durch die Hauptverhandlung erschlossenen Erkenntnisquellen die von ihm für richtig gehaltenen, denkgesetzlich möglichen Schlüsse zu ziehen, ohne an die Auffassung der anderen Prozessbeteiligten gebunden zu sein. Bei einem Widerspruch zwischen mehreren Erkenntnisquellen entscheidet es ohne Rücksicht auf deren Art und Zahl darüber, in welchen von ihnen die Wahrheit ihren Ausdruck gefunden hat. Stehen die Bekundungen eines Zeugen (oder auch eines Mitangeklagten)724 den Einlassungen des Angeklagten gegenüber, dann hat 718 Vgl. auch BayVerfGHE 35 47 zu § 11 Abs. 3 Satz 1 a. F. BayPrG. MüKo/Miebach 159; KMR/Stuckenberg 40 hält dies für verfassungsrechtlich bedenklich.

719 RGSt 36 333; 57 277; RG GA 53 (1906) 73; 59 (1912) 342; Motive zum BGB 4 883; vgl. KMR/Stuckenberg 46 sowie die Erläuterungen bei § 262. 720 OLG Stuttgart NJW 1960 2204; OLG Celle NJW 1962 600 (a. A. NJW 1955 563); OLG Braunschweig NJW 1964 214; OLG Köln NJW 1966 2131; Schröder JZ 1959 346; Koffka JR 1968 228; Mattmer NJW 1967 1593; Eggert MDR 1974 445; Kaiser NJW 1972 1847; ferner die Kommentare zu § 170 StGB. 721 Vgl. die Erläuterungen bei § 262. 722 Zu Einzelheiten LR/Becker § 244, 310; vgl. auch § 265 Abs. 2 Nr. 2 sowie BGH NStZ 2019 103 m. Anm. H. Schneider. 723 S. LR/Becker § 244, 46 und 183. 724 BGH Beschl. v. 16.7.2009 – 5 StR 84/09.

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das Gericht auch insoweit frei zu entscheiden, wem es Glauben schenkt. Auf die Verfahrensrollen kommt es dabei nicht an,725 denn maßgebend ist nicht die formale Stellung im Prozess, sondern der innere Wert der jeweiligen Aussage.726 Auch wenn Aussage gegen Aussage727 steht, darf das Gericht den Bekundungen 107 des Anzeigenerstatters oder (möglicherweise) Verletzten nicht von vornherein ein größeres Gewicht beimessen als den Angaben des Angeklagten.728 Dies gilt ebenso, wenn der Angeklagte schweigt.729 Das Tatgericht muss dann in einer eingehenden Gesamtwürdigung aller Umstände entscheiden, ob und wieweit es einer Aussage glauben will,730 und diese Überlegungen in den Urteilsgründen erkennen lassen.731 Alle im konkreten Fall in Betracht kommenden „Defizite“ des Zeugen sind in den Blick zu nehmen.732 In diese Würdigung sind insbesondere Person und Motivation733 des Aussagenden, die innere Plausibilität der Aussage,734 – gerade bei Sexualdelikten – ihre Entstehungsgeschichte (Aussagegenese)735 und die Aussagekonstanz736 beim Kerngeschehen sowie ihre Vereinbarkeit mit anderen vom Gericht für erwiesen erachteten Tatsachen einzube-

725 BGHSt 18 238; 26 62; BGH GA 1968 303; StV 1982 501; wistra 2013 195, 198; OLG Düsseldorf VRS 94 (1998) 273; OK-StPO/Eschelbach 16; Deckers/Köhnken/Pfister Erhebung 42, 44. Zu den strittigen Fragen des Rollentausches vgl. etwa Bruns FS Schmidt-Leichner 1; v. Hippel FS Peters 285; Lenckner FS Peters 333; Prittwitz Der Mitbeschuldigte im Strafprozeß (1984); Rogall NJW 1978 2535; Schöneborn ZStW 86 (1974) 921. 726 BGH NStZ 2004 635, 636; NStZ-RR 2016 54, 55. 727 Diese Beweiskonstellation ist ausdrücklich wohl erstmals in BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1 angesprochen worden; vgl. Deckers/Köhnken/Pfister Erhebung 42, 54. 728 BGH NStZ 2004 635; OLG Bremen NJW 1991 508 (Ls.); OLG Düsseldorf VRS 94 (1998) 273; OLG Koblenz VRS 48 (1975) 29; die zur Rolle des Verletzten als Zeugen geäußerten Bedenken (s. Hamm StraFo 2000 253, 255) greifen nur durch, wenn dieser Grundsatz nicht beachtet wird. 729 BGH StV 1998 250; Beschl. v. 30.5.2013 – 5 StR 239/13; Beschl. v. 23.8.2013 – 1 StR 135/13; Sander StV 2000 45, 46; Deckers StraFo 2010 372, 375; Schmandt StraFo 2010 446, 447; Brause NStZ 2013 129, 130; Haustein 82; s. aber auch BGH NStZ 2003 498, 499; Beschl. v. 22.3.2005 – 3 StR 47/05. 730 BGH NStZ-RR 1997 405; 1998 15; 2010 317; 2013 19; StV 1987 428 (Ls.); 1991 409; 1991 451; 1994 6; 1994 358; 1995 5; 1995 340; 1996 582; 1997 514; 1999 136; 1999 304; 2020 446; NStZ 2017 551, 552; StV 2019 519, 520; Beschl. v. 9.7.2009 – 4 StR 124/09; Beschl. v. 29.1.2020 – 4 StR 434/19; Beschl. v. 7.4.2020 – 4 StR 622/19; Beschl. v. 13.5.2020 – 2 StR 367/19; vgl. etwa auch SK/Velten 36. 731 BGH NStZ-RR 2018 244 (besondere Darlegungs- und Begründungsanforderungen); Urt. v. 17.3.2004 – 2 StR 474/03; Beschl. v. 2.9.2008 – 5 StR 248/08; Beschl. v. 18.3.2020 – 1 StR 67/20; Beschl. v. 6.8.2020 – 1 StR 178/20; Sander StV 2000 45, 47; Miebach GedS Joecks 133, 134; Scharbius 187 ff. 732 KK/Ott 29; Haustein 87. 733 BGH NStZ-RR 2018 220, 221; StV 2017 4, 5; StV 2019 519, 521; Beschl. v. 4.6.2019 – 2 StR 202/18; s. auch Beschl. v. 11.6.2013 – 5 StR 246/13; Urt. v. 6.4.2016 – 2 StR 408/15. 734 BGH NStZ-RR 2012 148, 149; 2018 220, 221; StV 2019 519; Urt. v. 7.3.2012 – 2 StR 565/11; Beschl. v. 13.6.2017 – 2 StR 94/16; Beschl. v. 4.6.2019 – 2 StR 202/18. 735 BGH NStZ 2002 161, 162 (Anzeigeerstattung viele Jahre nach der Tat); NStZ-RR 2005 232, 233; 2016 87, 88; 2018 188, 189; 2018 220, 221; StraFo 2008 508; StV 2017 367, 368; 2018 202, 204; 2018 226, 229; 2019 519, 520; Beschl. v. 25.8.2005 – 5 StR 329/05; Beschl. v. 9.8.2007 – 3 StR 281/07; Beschl. v. 27.4.2010 – 5 StR 127/10; Beschl. v. 23.8.2013 – 1 StR 135/13; Beschl. v. 9.9.2014 – 5 StR 381/14; Urt. v. 22.4.2015 – 2 StR 351/14; Beschl. v. 13.6.2017 – 2 StR 94/16; Urt. v. 22.6.2017 – 4 StR 1/17; Beschl. v. 21.9.2017 – 2 StR 275/17; Beschl. v. 13.12.2017 – 2 StR 273/17; Beschl. v. 4.6.2019 – 2 StR 202/18; Beschl. v. 13.5.2020 – 2 StR 367/19; s. auch NStZ-RR 2014 219; Miebach GedS Joecks 133, 138. 736 BGH StV 2005 488, 489; 2007 284, 285; 2017 5, 6; 2018 226, 228; 2019 525, 526; 2019 519, 520 f.; 2020 446, 448; StraFo 2006 411; 2014 75; NStZ 2009 106; NStZ-RR 2016 87, 88; Beschl. v. 27.4.2010 – 5 StR 127/10; Urt. v. 16.3.2011 – 2 StR 521/10; Beschl. v. 4.5.2011 – 5 StR 124/11; Beschl. v. 23.1.2013 – 5 StR 625/12; Beschl. v. 5.4.2016 – 1 StR 53/16; Beschl. v. 13.12.2017 – 2 StR 273/17; Beschl. v. 4.6.2019 – 2 StR 202/

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ziehen,737 ferner eine etwaige Vorstrafe wegen falscher Verdächtigung.738 Nicht erörterungsbedürftig ist in der Regel der Umstand, dass dem Zeugen (ggf. mittelbar) Akteneinsicht nach § 406e Abs. 1 und 3 gewährt worden ist.739 Anderes mag gelten, wenn Hinweise auf eine Falschbelastungsmotivation bestehen.740 Werden die Angaben des Zeugen zur Tat selbst hingegen durch andere Beweismittel – beispielsweise Lichtbilder von Verletzungen, ergänzende Zeugenaussagen, etwa zum Tathintergrund oder zum Zustand des Opfers nach seiner Heimkehr, Ergebnisse einer rechtsmedizinischen Untersuchung, Arztberichte oder Inhalte eines Chats –741 bestätigt, liegt die genannte Konstellation gerade nicht vor.742 Denn diese ist dadurch charakterisiert, dass die Entscheidung allein davon abhängt, wem das Tatgericht glaubt.743 Daraus folgt, dass ein Angeklagter regelmäßig nur eingeschränkte Verteidigungsmöglichkeiten durch eine Einlassung zur Sache hat.744 Die besondere Anforderung an die Beweiswürdigung dient somit primär seinem Schutz.745 Dessen muss sich das Tatgericht bewusst sein. 108 Die Verfahrenslage und die Verfahrensstellung, in der die Aussage gemacht wurde, sind daher mit zu berücksichtigen,746 so vor allem, ob bei den Angaben eines Mitangeklagten oder an der Tat Mitbeteiligten die Möglichkeit besteht, dass dieser sich oder möglicherweise einen anderen durch falsche Angaben entlasten will,747 oder ob sonst eine Motivation des Aussagenden für eine Falschbelastung vorliegt,748 dieser sich beispiels-

18; Beschl. v. 29.1.2020 – 4 StR 434/19; Beschl. v. 18.3.2020 – 1 StR 67/20; Beschl. v. 7.4.2020 – 4 StR 622/ 19; zu einem eindrucksvollen Beispiel fehlender Aussagekonstanz s. Beschl. v. 21.5.2008 – 5 StR 197/08; zu teilweise unzutreffenden Angaben Urt. v. 7.2.2008 – 4 StR 575/07; zur Akteneinsicht des Nebenklägers vgl. Rn. 130. 737 BGH StV 1994 64; 1995 6; 1998 362; Beschl. v. 27.11.2012 – 3 StR 464/12 (VHS-Kassette mit Gespräch zwischen Angeklagtem und möglicherweise sexuell missbrauchter Nichte). 738 BGH Beschl. v. 25.3.2003 – 5 StR 48/03; s. auch NStZ-RR 2016 54, 55. 739 BGH JR 2016 390 m. Anm. Eisenberg; NStZ 2016 367 m. Anm. Gubitz; s. auch NJW 2005 1519, 1520; SSW/Schluckebier 43; a. A. Miebach GedS Joecks 133, 144 f.; Baumhöfener/Daber/Wenske NStZ 2017 562, 566; Hohoff NStZ 2020 387, 390; krit. auch OK-StPO/Eschelbach 59.1 und 59.5; diff. KK/Ott 96, auch 121. 740 BGH NStZ 2016 367 m. Anm. Gubitz; SSW/Schluckebier 43. 741 Zu den genannten Beweismitteln s. BGH Beschl. v. 19.5.2014 – 5 StR 177/14; Beschl. v. 18.8.2015 – 5 StR 305/15; Urt. v. 23.9.2015 – 2 StR 485/14; Urt. v. 7.1.2016 – 2 StR 100/15; Urt. v. 9.5.2018 – 2 StR 213/17; KG NStZ 2019 360 m. Anm. Kannegießer/Eisenberg; weitere Beispiele bei Haustein 84; krit. gegenüber der bislang nicht präzisen Definition Scharbius 53 ff., zusammenfassend 122 f. 742 BGH NStZ 2003 498, 499; 2004 635, 636; NJW 2005 1519, 1520; NStZ-RR 2003 268; StV 2020 445, 446; Urt. v. 30.8.2012 – 4 StR 108/12 („mehrere andere Beweismittel“); Urt. v. 29.4.2015 – 2 StR 14/15 (andere objektive Beweismittel); Beschl. v. 13.4.2015 – 5 StR 110/15; Urt. v. 4.7.2019 – 4 StR 508/18; KG NStZ 2019 360 (zwei Zeugen) m. Anm. Kannegießer/Eisenberg; Haustein 83; skeptisch gegenüber dem häufig nur als Schlagwort gebrauchten Begriff auch Meyer-Goßner/Schmitt 11a; Deckers/Köhnken/Pfister Erhebung 42, 54 ff. 743 BGH NStZ-RR 2005 149; 2005 232, 233; Beschl. v. 15.1.2008 – 4 StR 533/07. 744 BGH StV 2009 230; NStZ 2013 57, 58; Beschl. v. 20.4.2004 – 4 StR 67/04; Miebach GedS Joecks 133, 136. 745 BGH NJW 2006 925, 928. 746 BGH StV 1982 2, aber auch StV 1982 501. 747 BGH StV 1992 98; 1992 149; 1993 4; 1997 441; 2000 243, 244; 2007 284, 285; 2009 174 zum Versuch der Mitbeschuldigten, „ihre Tat in einem etwas milderen Licht zu schildern“; bei Holtz MDR 1990 1071; NStZ-RR 2010 352, 353; 2013 88, 89; Beschl. v. 8.1.2009 – 5 StR 578/08; Beschl. v. 9.1.2009 – 2 StR 541/08; Beschl. v. 30.5.2013 – 5 StR 239/13. 748 Vgl. BGH NStZ-RR 1997 405; 1998 276; 2005 232, 233; StV 1990 485; 1992 97; 1992 149; 1994 562; 1998 362; 1999 306.

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weise eine Strafmilderung nach § 31 BtMG „verdienen“ will bzw. wollte.749 Entsprechendes gilt für die belastenden Angaben desjenigen, der sich durch diese in den Genuss einer Milderung gemäß § 46b StGB bringen möchte (vgl. Rn. 131).750 Ferner ist Bedacht darauf zu nehmen, ob sonst ein die Zeugentauglichkeit einschränkender Umstand ersichtlich ist,751 etwa zur Tatzeit eine erhebliche Alkoholisierung bestand,752 ein gravierender Drogeneinfluss vorlag,753 der Zeuge sich im Tief- oder zumindest Halbschlaf befand754 oder an einer (mehrere Monate stationär behandelten) paranoid-halluzinatorischen Psychose,755 einer posttraumatischen Belastungsstörung756 oder einer Borderline-Persönlichkeitsstörung litt.757 Insoweit können somatische, psychopathologische, persönlichkeitsstrukturelle und entwicklungsbedingte Faktoren bedeutsam sein.758 Dass das Gericht diese Grundsätze beachtet und alle für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Person und Glaubhaftigkeit seiner Angaben im konkreten Fall wesentlichen Gesichtspunkte erkannt und gewürdigt hat, muss es besonders in kritischen Fällen in den Urteilsgründen objektiv nachvollziehbar darlegen.759 So muss es begründen, weshalb es einem Belastungszeugen nur hinsichtlich eines Teils seiner Bekundungen Glauben schenkt760 oder warum es ihm glaubt, obwohl dieser in einem wesentlichen Punkt seine Aussage geändert hat761 (vgl. Rn. 139). Hat das Gericht deswegen ein sog. Glaubwürdigkeitsgutachten eingeholt, muss es sich nicht nur mit den wechselnden Zeugenangaben, sondern auch mit den wesentlichen Anknüpfungstatsachen des Sachverständigen und dessen Ausführungen auseinandersetzen.762 Fehlen derartige Besonderheiten, so zwingt allein der Umstand, dass Aussage gegen Aussage steht, nicht dazu, einen Sachverständigen zu beauftragen.763

749 BGH NStZ 2004 691; 2010 228; NStZ-RR 2005 88, 89; Urt. v. 22.12.2005 – 4 StR 268/05; Beschl. v. 22.5.2007 – 5 StR 94/07; Beschl. v. 15.1.2008 – 4 StR 533/07; Beschl. v. 26.9.2012 – 5 StR 402/12; Beschl. v. 13.3.2013 – 4 StR 547/12; Beschl. v. 25.6.2013 – 5 StR 276/13; Beschl. v. 9.1.2020 – 2 StR 355/19; s. auch NStZRR 2009 212. 750 Ebenso Deckers StraFo 2010 372, 379; Schmandt StraFo 2010 446, 451; s. auch Conen StraFo 2018 227. 751 Hierzu Haustein 89. 752 BGH Beschl. v. 2.10.2007 – 3 StR 412/07; Beschl. v. 23.11.2010 – 3 StR 386/10. 753 BGH NStZ 2014 667. 754 BGH NStZ-RR 2020 151, 152. 755 BGH Beschl. v. 19.10.2006 – 4 StR 251/06; zu Verhaltensauffälligkeiten Beschl. v. 9.11.2006 – 4 StR 426/06. 756 BGH Urt. v. 23.9.2015 – 2 StR 485/14; zur häufig unzutreffend gestellten Diagnose Deckers/Köhnken/ Steller Erhebung und Bewertung 71, 83. 757 BGH Beschl. v. 30.6.2015 – 5 StR 215/15; zur aus psychiatrischer Sicht evidenten Bedeutung dieser Störung Deckers/Köhnken/Steller Erhebung und Bewertung 71, 81; s. auch Deckers/Köhnken/Köhnken Erhebung und Bewertung 25, 29. 758 Deckers/Köhnken/Saimeh Erhebung 61, 64 ff. 759 BGH StV 1990 99; NStZ 1990 402; 1992 347. 760 BGH NStZ 1990 603; 2007 538; NStZ-RR 2010 152; StV 2011 336, 337; Urt. v. 11.1.2005 – 1 StR 478/04; Beschl. v. 22.9.2011 – 2 StR 263/11; Beschl. v. 15.3.2017 – 2 StR 270/16; StV 1994 358: Schon eine gegenteilige Wahrunterstellung kann ergeben, dass das Gericht einen Teil der Zeugenaussage für objektiv unrichtig hält; vgl. StV 1990 485; OLG Zweibrücken StV 1988 363. 761 Vgl. BGH NJW 1998 3788; 1999 802; StV 1990 533; 1992 149 (Ls.); 1992 261; 1992 556; 1994 6; 1994 64; 1996 367; OLG Zweibrücken StV 1988 363. 762 BGH StV 1993 235; 1994 359. 763 BGH Beschl. v. 21.9.2007 – 2 StR 390/07.

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Dieser Grundsatz gilt auch, wenn ein Angeklagter oder sonst eine Auskunftsperson jugendlich, psychisch erkrankt, intelligenzgemindert oder drogenabhängig ist.764 Im Einzelfall kann sich anderes ergeben, beispielsweise wenn die von einem Jugendlichen geschilderten Taten bereits mindestens sechs Jahre zurückliegen765 oder Anhaltspunkte dafür bestehen, ein kindlicher Zeuge766 könnte nicht zuletzt infolge eines gegenüber einem Erwachsenen bestehenden Autoritätsgefälles oder sonstiger Beeinflussung bestrebt sein, sich entsprechend den Wünschen des Erwachsenen zu verhalten.767 Ausnahmsweise kann es auch geboten sein, sich sachverständiger Hilfe zu bedienen, um zu klären, ob ein Zeuge überhaupt „aussagetüchtig“, d. h. zu einer richtigen und vollständigen Aussage in der Lage ist.768 Rühren die Zweifel daran von einer geistigen Erkrankung oder einer sonstigen psychopathologischen Ursache her, wird die Beiziehung eines psychiatrischen Sachverständigen angezeigt sein.769 2. Aussageverhalten des Angeklagten

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a) Einlassung des Angeklagten. Die für den Erkenntnisprozess bedeutsame Einlassung des Angeklagten hat das Gericht ebenso wie seinen äußeren Eindruck770 und sein ganzes Verhalten in der Verhandlung ohne Voreingenommenheit frei zu würdigen.771 Hierbei muss es dieselben Anforderungen erfüllen wie bei der Bewertung sonstiger Beweismittel.772 Es darf den Angaben nicht kritiklos folgen (vgl. Rn. 112),773 sondern muss sich vergewissern, ob die vorgetragenen be- und entlastenden Umstände zutreffen774 oder gar „lebensfremd“ sind.775 Dies gilt auch, wenn die Einlassung des Angeklagten durch Verlesen776 oder durch eine Erklärung seines Verteidigers („Mein Mandant er-

764 BGHSt 2 269; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 209; OLG Hamm StV 1999 360; OLG Karlsruhe Justiz 1999 327; vgl. etwa Hetzer/Pfeiffer NJW 1964 441; Niemöller StV 1984 438; Täscher NJW 1984 638 (Drogenabhängige); ferner LR/Becker § 244, 84 ff.; LR/Ignor/Bertheau Vor § 48, 14 f. 765 BGH NStZ-RR 2013 119, 120. 766 Zur kindlichen Amnesie eines zur Tatzeit Zweijährigen s. BGH NJW 2007 92, 93; zur angeblich „ganz genauen“ Erinnerung an im Alter von sieben Monaten Erlebtes s. Urt. v. 16.3.2011 – 2 StR 521/10; ferner NStZ-RR 2015 86, 87; zur regelmäßig die ersten drei Lebensjahre erfassenden infantilen Amnesie Deckers/ Köhnken/Köhnken Erhebung und Bewertung 25, 28 (aus psychologischer Sicht); Deckers/Köhnken/Steller Erhebung und Bewertung 71, 78 f. (aus psychiatrischer Sicht). 767 BGH Urt. v. 21.1.2004 – 1 StR 379/03. 768 Schumacher StV 2003 641; s. etwa BGH NStZ 2008 116, 117 und betreffend ein infolge der Tat sehr schwer hirnverletztes Opfer NStZ-RR 2004 270. 769 BGH NJW 2005 1519, 1521. 770 Vgl. Rn. 18; LR/Becker § 244, 23. 771 Etwa BGH StV 1983 8; OLG Düsseldorf VRS 65 (1983) 43; OLG Koblenz VRS 71 (1986) 42; Niemöller StV 1984 439. 772 S. nur BGH NStZ-RR 2013 51; 2017 183, 184; 2018 20, 21; Urt. v. 5.7.2017 – 2 StR 110/17; Urt. v. 13.11.2019 – 5 StR 466/19; OK-StPO/Eschelbach 16; MüKo/Miebach 167; Haustein 92 m. w. N. 773 BGH NStZ 2020 217, 218; Urt. v. 8.4.2009 – 5 StR 65/09. 774 BGHSt 25 287; BGH bei Holtz MDR 1978 108; 1979 637; bei Pfeiffer NStZ 1982 190; bei Kusch NStZ 1996 325; OLG Hamm JZ 1968 676; OLG Koblenz VRS 60 (1981) 217; ferner OLG Düsseldorf NStZ 1985 81 (keine undifferenzierte Bewertung als „Schutzbehauptung“); BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1986 208 (keine ungeprüfte Übernahme als unwiderlegbar); Niemöller StV 1984 434. 775 S. etwa BGH NStZ 2013 578, 579. 776 BGH StV 1994 468; OLG Düsseldorf VRS 41 (1971) 436; 55 (1978) 360; vgl. LR/Becker § 231a, 27; § 232, 23 f.; § 233, 30; § 234, 16; § 243, 73 ff.; insbesondere zu den möglichen Gründen hierfür G. Schäfer FS Hans Dahs 441, 447, 449.

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klärt“)777 in die Hauptverhandlung eingeführt wurde.778 Lässt der Angeklagte in einem solchen Fall keine Nachfragen zu, muss er jedoch damit rechnen, dass der Einlassung nur ein erheblich geminderter Beweiswert zugemessen wird, weil die Glaubhaftigkeit der Angaben auch wegen des fehlenden Eindrucks vom Aussageverhalten nur eingeschränkt nachprüfbar ist.779 Äußern sich mehrere Angeklagte im Wege ersichtlich aufeinander abgestimmter Erklärungen, darf auch dieser Umstand den Beweiswert mindernd berücksichtigt werden.780 Zur Einlassung gehören allerdings nicht vom Verteidiger in dieser Erklärung oder vom Angeklagten selbst vorgebrachte rechtliche Erwägungen,781 die lediglich eine Prozesserklärung darstellen.782 Auch eine Tatsachenbehauptung in einem Beweisantrag kann nicht ohne Weiteres als Einlassung des Angeklagten angesehen werden, sofern sich dieser hierzu nicht erklärt.783 Eine an das Gericht gesandte schriftliche Stellungnahme eines schweigenden Angeklagten zum Anklagevorwurf stellt keine Einlassung dar, da diese nach der gesetzlichen Konzeption mündlich abzugeben ist.784 Aufgrund der aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewonnenen Überzeugung 111 von dessen Glaubhaftigkeit kann es einem dort abgelegten Geständnis folgen,785 sofern es über ein „schlankes“786 oder gar „inhaltsleeres Formalgeständnis“ hinausgeht,787 sich insbesondere nicht auf die bloße Erklärung des Angeklagten beschränkt, er „trete den Vorwürfen der Anklage nicht entgegen und akzeptiere das in Aussicht genommene Strafmaß“.788 Die geständige Einlassung muss genügend Substanz enthalten, um dem Tatgericht die gebotene und für seine Überzeugungsbildung789 unabdingbare Prüfung zu ermöglichen, ob die Angaben nicht widersprüchlich,790 sondern in sich (auch psychologisch)791 stimmig792 und zudem mit sonstigen Ermittlungsergebnissen zu vereinba777 BGHSt 52 78, 82; BGH StV 1998 59 m. krit. Anm. Park; vgl. auch Rn. 17; ferner etwa OLG Zweibrücken StV 1986 290; ausführlich und differenzierend Beulke FS Strauda 87; zu weiteren eindeutigen Formulierungen G. Schäfer FS Hans Dahs 441, 451. 778 Ausführlich hierzu Geppert FS Rudolphi 643. 779 BGH NStZ 2008 476; NJW 2015 360, 361 („allenfalls sehr untergeordneter Beweiswert“); Beschl. v. 23.5.2018 – 5 StR 170/18; Urt. v. 11.3.2020 – 2 StR 69/19; s. auch NStZ 2014 170 m. krit. Anm. Jahn; Beschl. v. 27.8.2008 – 2 StR 261/08; Beschl. v. 8.1.2009 – 5 StR 578/08; Urt. v. 9.11.2010 – 5 StR 297/10; Beschl. v. 23.4.2013 – 5 StR 145/13; Urt. v. 5.6.2013 – 1 StR 457/12; Urt. v. 13.11.2019 – 5 StR 466/19; KG NStZ 2010 533; OK-StPO/Eschelbach 16; KK/Ott 89; MüKo/Miebach 200; Pfister FS Miebach 25, 29. 780 BGH Urt. v. 8.6.2016 – 5 StR 570/15. 781 S. nur BGH Beschl. v. 23.1.2013 – 1 StR 459/12. 782 BGH NStZ-RR 2008 21; s. auch Beschl. v. 11.8.2020 – 4 StR 46/20; Olk 72 f. 783 BGH NStZ 1990 447; 2000 495, 496; 2006 650, 651; 2015 207, 208; 2017 96, 98 m. Anm. Ventzke; Urt. v. 11.3.2020 – 2 StR 69/19; MüKo/Miebach 202; G. Schäfer FS Hans Dahs 441, 451; ebenso zu einem Beweisantag des Nebenklägers BGH Beschl. v. 11.3.2020 – 4 StR 589/19. 784 BGHSt 52 175, 177 f.; Pfister FS Miebach 25, 27. 785 Hierzu BGH NStZ-RR 2012 256; s. auch G. Schäfer FS Hans Dahs 441, 445; zur Glaubhaftigkeit eines unmittelbar nach der Tat spontan abgegebenen Geständnisses MüKo/Miebach 144. 786 Zu einem „denkbar einfach gelagerten Fall“ s. aber BGH NStZ 2017 173, 174. 787 BGHSt (Großer Senat) 50 40, 49; BGH NStZ-RR 2007 20; s. auch NStZ 1999 92, 93 (nicht nur prozessuales Anerkenntnis oder „formale Unterwerfung“); ebenso AnwK/Martis 6; OK-StPO/Eschelbach 15.5. 788 BGH NStZ 2004 509; s. auch StraFo 2013 250 (Angeklagter ohne Erinnerung an die Tat stellt Vorwurf „nicht in Abrede“); Beschl. v. 22.9.2011 – 2 StR 383/11. 789 Hierzu BGH NStZ 2014 170 m. krit. Anm. Jahn; 2017 173, 174. 790 BGH wistra 2003 351. 791 Hierzu BGH Urt. v. 17.8.2016 – 2 StR 562/15. 792 S. etwa BGH NStZ 2013 578, 579; NStZ-RR 2017 352, 353 f.; 2018 380, 381; LR/Becker § 244, 9 („plausibel“); zu einem Fall inkonsistenter Angaben BGH Beschl. v. 11.3.2020 – 2 StR 380/19.

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ren sind,793 etwa mit der belastenden Aussage des Geschädigten.794 Dabei darf die Gefahr eines (zumindest teilweise) falschen Geständnisses nicht aus dem Blick geraten. Zwar mögen derartige unwahre Selbstbezichtigungen selten sein.795 Die forensische Praxis zeigt aber, dass sie im Einzelfall dennoch vorkommen. Hierfür werden vielfältige Gründe erwogen.796 In Betracht gezogen werden aus psychiatrisch-psychologischer Sicht beispielsweise ein pathologisches Streben nach Berühmtheit, ein schuldgefühlbasierter Wunsch nach „Selbstbestrafung“, eine krankheitsbedingte Beeinträchtigung der Realitätskontrolle oder eingeschränkte „Wehrfähigkeit“ bei jugendlichen oder intelligenzgeminderten Beschuldigten.797 Es können aber auch rationale Erwägungen ursächlich sein, etwa das Ziel, durch die unzutreffende Einlassung von einer tatsächlich begangenen schwerer wiegenden Tat oder vom eigentlichen Täter abzulenken.798 Eine sorgfältige Inhaltsanalyse stellt das beste Mittel dar, falsche Geständnisse zu 112 erkennen. Entscheidend sind hierbei Qualität und Plausibilität der Angaben.799 Diese sind daher nach den „Regeln der Kunst“ zu analysieren, also insbesondere auf ihre Entstehung, innere Stimmigkeit, Detailliertheit, Konstanz und Motive hin. Insofern gilt nichts anderes als in einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation (vgl. Rn. 107). Wie bei dieser das Tatgericht den belastenden Angaben des Zeugen Glauben schenken kann, wenn es sich mit Hilfe der genannten Kriterien von ihrer Richtigkeit überzeugt hat,800 so darf es auch einen glaubhaft geständigen Angeklagten grundsätzlich allein aufgrund seiner Einlassung verurteilen.801 Hierdurch wird nicht gegen die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2) verstoßen. Dies wird deutlich, wenn man sich – quasi als Lackmustest – einen Fall vorstellt, in dem keinerlei Beweismittel existieren, sondern allein ein Geständnis des Angeklagten vorliegt. Ergibt dessen Prüfung seine Validität, so kann es nach den Maßstäben der freien Beweiswürdigung nicht zweifelhaft sein, dass der Angeklagte aufgrund seiner Tatschilderung verurteilt werden darf.802 113 Angesichts dessen vermag es nicht zu überzeugen, wenn es als unzulässig angesehen wird, dem Urteil einen Sachverhalt zugrundezulegen, der nicht „auf einer Überzeugungsbildung unter vollständiger Ausschöpfung des Beweismaterials beruht“.803 Sofern damit gemeint sein sollte, sämtliche im Ermittlungsverfahren erzielten Erkenntnisse müssten im Wege des Strengbeweises in die Hauptverhandlung „transportiert“ werden, wäre solches nicht nur prozessunökonomisch, sondern auch ohnehin kaum einmal realisierbar. Vor allem aber wäre es von § 244 Abs. 2 – von Ausnahmefällen abgesehen – nicht gefordert; so verhielte es sich sogar, wenn der Angeklagte schweigen oder den gegen ihn erhobenen Tatvorwurf bestreiten würde. Denn stets müssen Beweise in der Hauptverhandlung nur insoweit erhoben werden, wie es § 244 Abs. 2 vom Tatgericht verlangt. Es darf (und muss) zur diesbezüglichen Prüfung, ob konkrete Umstände zu

793 794 795 796 797 798 799 800 801 802 803

BGH NStZ 2014 53; NStZ-RR 2012 256; 2013 309; 2017 352, 354; StV 2013 703, 704. BGH NStZ-RR 2019 223. Volbert FPPK 7 (2013) 230, 236 (kein „Massenphänomen“). Hierzu ausführlich Eisenberg Beweisrecht Rn. 730 ff.; s. auch MüKo/Miebach 170. S. Volbert/May R&P 34 (2016) 4, 7, 9; s. auch Mosbacher FPPK 9 (2015) 82, 88. Zu allen Gesichtspunkten Volbert FPPK 7 (2013) 230; s. auch OK-StPO/Eschelbach 15.1 und 15.3. S. etwa BGH Urt. v. 10.5.2017 – 2 StR 258/16; s. auch Beschl. v. 17.12.2019 – 2 StR 340/19. Jahn/Nack/Sander 53, 57. S. schon G. Schäfer 934, auch 910; ebenso LR/Becker § 244, 9. Jahn/Nack/Sander 53, 57. So aber BGHSt 59 21, 28; BGH NStZ 2014 53; 2014 170 m. krit. Anm. Jahn (unzulässige Beweiswürdigungs-Regel); StV 2013 703; wie hier KK/Ott 94.

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weiterer Aufklärung drängen, (gerade auch) den Akteninhalt heranziehen.804 Ist dies zu verneinen, braucht auch der in diesem Zusammenhang häufig angeführte polizeiliche Ermittlungsführer nicht mehr zu den Früchten seiner Arbeit gehört zu werden; hierin läge eine überflüssige (und damit im Grunde sogar unzulässige) „pro-forma-Beweisaufnahme“,805 die den Normzweck des § 261 verfehlen würde. Hält das Tatgericht dagegen die Schilderung des Angeklagten nicht für plausibel oder gar für in sich widersprüchlich, wird es sie selbstverständlich durch weitere Beweismittel (z. B. eben die Vernehmung des Ermittlungsführers, aber auch Durchsuchungsprotokolle, Erkenntnisse aus Observationen und Kommunikationsüberwachung, kriminaltechnische Gutachten, Atteste, Lichtbilder etc.)806 auf ihren Wahrheitsgehalt abzuklopfen haben.807 Zu einer derart inhaltskritischen Herangehensweise ist es auch dann verpflichtet, 114 wenn der Angeklagte aufgrund einer – in den Urteilsgründen in der Regel nicht notwendig ihrem Inhalt nach zu dokumentierenden (§ 267 Abs. 3 Satz 5) –808 Absprache (§ 257c) gesteht.809 In diesem Fall sind an diese Prüfung freilich keine strengeren, sondern dieselben Anforderungen zu stellen wie bei einem nicht verständigungsbasierten Geständnis.810 Denn wie bei diesem geht es auch hier um die Bildung tatrichterlicher Überzeugung vom Wahrheitsgehalt der Einlassung, für die vor allem deren inhaltliche Plausibilität ausschlaggebend sein kann, nicht aber die mitunter geäußerte Befürchtung „erhöhter Fehleranfälligkeit“,811 für die ohnehin eine forensische Bestätigung fehlt.812 Es leuchtet daher nicht ein, wenn verlangt wird, geständige Angaben ungeachtet ihrer qualitativen Gleichwertigkeit an unterschiedlichen Maßstäben zu messen, je nachdem, ob ihnen prozessual eine Verständigung vorausgegangen ist.813 Entgegen der Ansicht des BVerfG814 lässt sich eine derartige Forderung insbesondere nicht aus dem Grundgesetz herleiten, sondern missachtet schlicht strafprozessuale Prinzipien und gesetzliche Bestimmungen.815 Denn ein Rechtssatz des Inhalts, dass jeder Aussage oder Einlassung nur dann gefolgt werden darf, wenn sie strengbeweislich bestätigt worden ist, existiert nicht.816 Eine solche Beweisregel in das Strafverfahren einzuführen, liegt außerhalb der Kompetenz des BVerfG.817 Ein im Rahmen einer gescheiterten Verständigung abgelegtes Geständnis darf nicht verwertet werden (§ 257c Abs. 4 Satz 3).818

804 BGHSt (Großer Senat) 50 40, 49; BGH StV 2011 202, 204; Schmitt StraFo 201, 386, 387 f.; G. Schäfer 934; ders. FS Hans Dahs 441, 445; Jahn/Nack/Sander 53, 58; KK/Ott 20; LR/Becker § 244, 9; s. aber BVerfGE 133 168; Landau NStZ 2014 425, 430. 805 Jahn/Nack/Sander 53, 58. 806 S. nur BGH NStZ 2017 173, 174; Beschl. v. 8.3.2006 – 1 StR 34/06; Beschl. v. 10.10.2006 – 1 StR 468/06. 807 Jahn/Nack/Sander 53, 58. 808 BGH NStZ 2010 348; s. aber auch NStZ-RR 2013 52, 53; a. A. SSW/Schluckebier 26. 809 Vgl. BGHSt 43 195; BGH NJW 1999 370; StV 1998 175; wistra 2013 272, 274; StraFo 2014 335; NStZRR 2016 147, 148; Beschl. v. 4.11.2008 – 1 StR 489/08 (Bestätigung durch geständige Einlassung eines Mitangeklagten); Beschl. v. 6.10.2016 – 2 StR 330/16. 810 BVerfGE 133 168, 209; BGH NStZ 2013 727; 2014 459, 460; 2017 173, 174; Beschl. v. 23.5.2012 – 1 StR 208/12; Landau NStZ 2014 425, 430; KK/Ott 93; MüKo/Miebach 77 und 172; SSW/Schluckebier 26. 811 S. hierzu BVerfGE 133 168; BGH Beschl. v. 21.8.2013 – 5 StR 354/13. 812 BGH NJW 2014 2132, 2133; KK/Ott 93; SSW/Schluckebier 26. 813 Jahn/Nack/Sander 53, 58; s. auch KK/Ott 94. 814 BVerfGE 133 168. 815 Ebenso LR/Becker § 244, 9a. 816 LR/Becker § 244, 9b. 817 Zutreffend LR/Becker § 244, 9b, zudem 9c und § 243, 115 (zur teilweise fehlenden Bindungswirkung der Entscheidung BVerfGE 133 168). 818 MüKo/Miebach 146 und 173.

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Grundsätzlich kann dem Tatgericht nicht vorgeschrieben werden, wann und unter welchen Umständen es die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung gewinnen darf.819 Es kann deshalb ein aufrechterhaltenes Geständnis für unglaubhaft halten,820 ein widerrufenes für glaubhaft erachten,821 aus einer vom Angeklagten eingeräumten Tatsache, die der Richter aufgrund der Einlassung für erwiesen hält, eine von ihm bestrittene Tatsache folgern, die Einlassung des Angeklagten teils annehmen, teils verwerfen,822 den Wechsel in der Einlassung – insbesondere deren Anpassen an den jeweiligen Verfahrensstand –823 als Indiz für deren Unglaubhaftigkeit werten824 oder der Bezichtigung eines Mitangeklagten gegen einen anderen Glauben schenken.825 Nach diesen Maßstäben ist es vom BGH beispielsweise gebilligt worden, dass das Tatgericht sich zwar von der Vornahme sexueller Handlungen überzeugt hat, nicht aber davon, dass diese – wie der Angeklagte ebenfalls eingeräumt hatte – durch angedrohte Schläge veranlasst worden waren, da das Opfer selbst von einer derartigen Nötigung nichts berichtet hatte.826 116 Dass der Angeklagte einen für ihn günstigen Umstand nicht sogleich geltend macht, rechtfertigt für sich allein noch nicht den Schluss auf die Unrichtigkeit dieser Einlassung.827 Ein solcher Schluss ist nur bei Hinzutreten weiterer Umstände zulässig.828 Entsprechendes gilt für einen spät gestellten Beweisantrag, zumal auch insofern unverfängliche Erklärungen für den Antragszeitpunkt in Betracht kommen können.829 Hält das Gericht für erwiesen, dass der Angeklagte lügt, ist dies in der Regel noch kein tragfähiges Indiz für seine Täterschaft, da auch ein Unschuldiger zu seiner Verteidigung eine unwahre Einlassung vorbringen kann.830 Dieser Gedanke steht in gleicher Weise der für 115

819 BGH NStZ-RR 2007 20. 820 Zu einem „pauschalen“ Geständnis s. BGH Urt. v. 25.8.2005 – 5 StR 205/05; vgl. auch OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1980 175 (Einräumung des Verkehrsverstoßes als solchen genügt nicht, Geständnis muss sich auf Tatsachen beziehen); ferner OLG Koblenz VRS 60 (1981) 217 („A. räumt ein“ lässt nicht erkennen, ob die Tatsachen zur Überzeugung des Gerichts feststehen). 821 BGHSt 21 285 = LM Nr. 52 mit Anm. Martin (Gericht muss aber sorgfaltig prüfen, weshalb der Angeklagte die früheren Angaben gemacht und weshalb er sie widerrufen hat); Eb. Schmidt JZ 1970 342; ebenso Meyer-Goßner/Appl Rn. 359; vgl. zum Geständniswiderruf Steffen StV 1990 563; ferner OLG Köln NJW 1961 1224 (Prüfungspflicht). 822 In der Regel bedarf es dann einer näheren Begründung, die diese Differenzierung einsichtig macht. Vgl. etwa BGH StV 1984 411; Niemöller StV 1984 438; ferner Rn. 106. 823 BGH NStZ-RR 2012 18; Urt. v. 11.3.2020 – 2 StR 69/19. 824 BGH StraFo 2011 400. 825 BGHSt 3 384; 21 285; 22 375; dazu Eb. Schmidt JZ 1970 342; BGH NStZ 1985 136; Beschl. v. 5.8.2015 – 5 StR 276/15. Zur Prüfung etwaiger Motive für eine Falschbelastung vgl. Rn. 106; ferner LR/Becker § 244, 4 m. w. N. 826 BGH Urt. v. 20.11.2007 – 1 StR 442/07; s. auch Urt. v. 13.1.2009 – 4 StR 301/08 (Fall „Pascal“); ferner Urt. v. 24.5.2018 – 4 StR 642/17. 827 Vgl. BGH bei Kusch NStZ 1995 20; Beschl. v. 6.7.2010 – 3 StR 219/10 (jeweils Nachschieben entlastender Angaben in der Hauptverhandlung); s. auch Beschl. v. 29.9.2011 – 3 StR 298/11. 828 BGHSt 41 153; BGH StV 1997 956; OLG Köln JMBlNW 1964 6; StV 1986 192; auch OLG Hamm JMBlNW 1970 71; 1970 238; ferner LR/Becker § 246, 1. 829 BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 26. 830 BGHSt 25 287; 41 153, 156; BGH NStZ 1986 325; 1997 96; StV 1982 158; 1985 356; 1994 175; 2016 139; NStZ-RR 2015 286, 287; StraFo 2015 156; bei Holtz MDR 1979 637; Beschl. v. 17.1.2007 – 2 StR 499/06; Beschl. v. 16.12.2010 – 4 StR 508/10; Beschl. v. 16.12.2015 – 1 StR 503/15; Beschl. v. 18.5.2017 – 2 StR 473/ 16; vgl. auch bei Pfeiffer NStZ 1982 190; bei Spiegel DAR 1986 202; Urt. v. 21.11.2017 – 1 StR 261/17; Beschl. v. 23.1.2019 – 5 StR 694/18; Beschl. v. 18.3.2019 – 5 StR 659/18; OLG Köln StV 1986 192; zu einem möglichen

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den Angeklagten nachteiligen Berücksichtigung eines Fluchtversuchs entgegen.831 Auch eine widerrufene Einlassung kann für sich allein keine Grundlage einer für den Angeklagten ungünstigen Sachverhaltsfeststellung sein.832 Ebenso darf dem Angeklagten nicht zur Last gelegt werden, dass er sich fragwürdiger Verteidigungsmittel bedient hat.833 Gleiches gilt für das Verhalten seines Verteidigers.834 Andererseits dürfen Angaben des Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keinen unmittelbaren Beweis gibt, nicht ohne Weiteres als unwiderlegt dem Urteil zugrunde gelegt werden. Auch wenn sich ihr Gegenteil nicht feststellen lässt, hat das Gericht aufgrund des Gesamtergebnisses der Beweisaufnahme zu entscheiden, ob es ihnen für seine Überzeugungsbildung Gewicht beimessen will (vgl. Rn. 192).835 Für Schuld- und Rechtsfolgenausspruch tragende Feststellungen können auf ein 117 Geständnis allerdings nur gestützt werden, soweit der Angeklagte über die hierfür relevanten Tatsachen aus eigener (ggf. mittelbar erlangter) Kenntnis berichten kann. Dies trifft beispielsweise selbst bei einem insofern nicht versierten Angeklagten regelmäßig für steuerrechtlich erhebliche Tatsachen zu, wie z. B. den Umsatz und die Betriebseinnahmen und -ausgaben.836 Kann der Angeklagte hingegen maßgebliche Umstände nicht selbst bekunden, so ist das Tatgericht zu anderweitiger Aufklärung mittels des Strengbeweises verpflichtet (§ 244 Abs. 2), und zwar selbstverständlich auch dann, wenn im Verfahren eine Verständigung (§ 257c) erzielt worden ist.837 Dies kann etwa hinsichtlich des Wirkstoffgehalts eines Betäubungsmittels notwendig sein, sofern es auf dessen exakte Bestimmung ankommt.838 Bei einem Betrug (§ 263 StGB) wird dem Angeklagten häufig die Angabe nicht möglich sein, dass der von ihm Getäuschte gerade irrtumsbedingt über sein Vermögen verfügt hat.839 Die von ihm geschilderten Tatumstände können aber dem Tatgericht zumindest in einfacher gelagerten Konstellationen den indiziengestützten Schluss auf einen tatbestandlichen Irrtum ermöglichen;840 hierbei darf es auch allgemeine Erfahrungssätze heranziehen (zu sog. Massenbetrugsfällen vgl. Rn. 97).841 Beim Vorwurf der Geldwäsche (§ 261 StGB) versteht es sich nicht von selbst, dass sich der geständige Angeklagte aus eigener Wahrnehmung auch zur

Irrtum des Angeklagten BGH NStZ 2004 392, 395; KMR/Stuckenberg 60; Meyer-Goßner/Schmitt 25; MüKo/ Miebach 181; Niemöller StV 1984 434. Zum Scheitern des Alibi-Beweises vgl. Rn. 194. 831 BGH NStZ 2008 303; Beschl. v. 30.4.2008 – 2 StR 82/08; Beschl. v. 20.2.2019 – 5 StR 660/18; zu einer Konstellation, bei der nur der Täter Anlass zur Flucht hatte, NStZ-RR 2010 20; hierzu MüKo/Miebach 204. 832 BGH NStZ 1997 96; bei Kusch NStZ 1995 220; StV 1985 356; 1986 369; 1998 251; BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 5; OLG Koblenz StV 1996 14; vgl. auch BGH NStZ-RR 1996 73 (Ausschluss eines Rechtfertigungsgrundes); 2017 303, 304 (Rücktrittshorizont). 833 OLG Koblenz StV 1996 14. 834 BGH NStZ 1990 447; StV 1986 515; OLG Celle NStZ 1988 426; KMR/Stuckenberg 59. 835 BGHSt 34 34; BGH NJW 1980 2423; VRS 27 (1964) 105; bei Spiegel DAR 1983 159; 1986 201; Hanack JR 1974 383; Niemöller StV 1984 434, 442. 836 BGH NStZ 2009 639, 640; Beschl. v. 25.10.2016 – 1 StR 120/15 (überhöhte Rechnungen zur Finanzierung von sog. Schmiergeldern); s. aber auch NStZ 2018 341, 342 (Angaben eines Masseurs und Physiotherapeuten bzw. eines Kochs) m. Anm. Welnhofer-Zeitler. 837 BGH Beschl. v. 9.6.2015 – 3 StR 169/15; Beschl. v. 6.10.2016 – 2 StR 330/16. 838 Hierzu BGH NStZ-RR 2018 380, 381. 839 Zum allein maßgeblichen Tatentschluss des Angeklagten beim versuchen Betrug s. BGH wistra 2017 405. 840 BGH NStZ 2015 98, 100 m. Anm. Krehl; Urt. v. 2.2.2016 – 1 StR 437/15. 841 BGH NStZ 2019 43, 44 m. Anm. Frank.

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Herkunft des Geldes842 oder zum gewerbsmäßigen Handeln ihm (angeblich) unbekannter Vortäter äußern kann.843 In den Urteilsgründen ist die Einlassung wenigstens in ihren wesentlichen Grund118 zügen mitzuteilen,844 und zwar auch dann, wenn sie verständigungsbasiert abgegeben worden ist.845 Das Urteil muss sich mit ihr in der Regel auseinandersetzen, um die Tragfähigkeit seiner Grundlagen aufzuzeigen.846 Nur bei völlig einfacher Sach- und Rechtslage mag es unschädlich sein, wenn dies unterbleibt.847 In der Regel, aber besonders dann, wenn der Angeklagte etliche ihn entlastende Gesichtspunkte vorgebracht hat,848 muss das Urteil ersehen lassen, dass es seine Einlassung bei der Beweiswürdigung in Betracht gezogen hat und aus welchen nachvollziehbaren Erwägungen und welchen Indizien es ihr gefolgt ist oder sie für widerlegt gehalten hat (vgl. Rn. 272).849 Dies gilt auch im Falle eines Freispruchs.850 Folgt das Tatgericht einem in der Hauptverhandlung abgelegten Geständnis, ist es nicht gehalten, ergänzend den genauen Wortlaut von im Ermittlungsverfahren gemachten Angaben wiederzugeben.851 Schließt das Gericht hingegen auf die Unglaubhaftigkeit aus dem Wechsel der Einlassung, sind die verschiedenen Einlassungen mitzuteilen.852 Es versteht sich schließlich von selbst, dass die rechtliche Würdigung der geständigen Angaben allein dem Tatgericht überantwortet ist.853 119

b) Schweigen. Eine Einschränkung der freien Beweiswürdigung ergibt sich daraus, dass das Recht des Angeklagten, zu den gegen ihn erhobenen Beschuldigungen zu schweigen, nach der h. M. grundsätzlich nicht dadurch verkürzt werden darf, dass dieses Verhalten als belastendes Indiz verwertet wird.854 Dies würde dem Sinn des Weigerungsrechts widersprechen, da der Angeklagte anderenfalls gezwungen wäre, sich zur Sache zu äußern, schon um zu verhindern, dass in seinem Schweigen ein Eingeständnis der Schuld gesehen wird.855 Die Gründe, warum ein Angeklagter schweigt, können sehr 842 BGH wistra 2019 235, 236; 2019 336, 337. 843 BGH wistra 2013 19. 844 BGHSt 59 21, 27 f.; BGH NStZ 2014 325, 326; 2015 299; 2016 463; 2016 489, 490; JZ 2019 948, 949 m. Anm. Mengler; Urt. v. 30.9.2010 – 4 StR 150/10; Urt. v. 8.3.2012 – 4 StR 629/11; Urt. v. 13.8.2014 – 2 StR 573/13; Urt. v. 1.7.2015 – 2 StR 524/14; Beschl. v. 28.10.2015 – 5 StR 397/15; Beschl. v. 19.10.2016 – 2 StR 272/ 16; Beschl. v. 24.6.2020 – 2 StR 416/19; s. auch NStZ-RR 2019 214, 215; Beschl. v. 10.1.2017 – 2 StR 412/16. 845 Vgl. BGH StraFo 2014 335; NStZ-RR 2016 147. 846 BGH NStZ-RR 1999 45; 2016 147; 2020 152, 153; StV 1990 438; Beschl. v. 22.3.2017 – 2 StR 595/16; OLG Düsseldorf NStZ 1985 323; OLG Köln VRS 87 (1994) 205; s. auch BGH Beschl. v. 27.8.2014 – 5 StR 259/14. 847 BGH bei Dallinger MDR 1975 198. 848 BGH Beschl. v. 25.8.2016 – 1 StR 290/16. 849 BGH GA 1965 208; bei Holtz MDR 1978 108; NStZ-RR 2020 152, 153; Beschl. v. 29.4.2010 – 3 StR 103/ 10; BayObLGSt 1972 103 = NJW 1972 1433; OLG Celle NJW 1966 2325; OLG Düsseldorf VRS 65 (1983) 43; 66 (1984) 36; NStZ 1985 81; StV 1986 378; OLG Koblenz VRS 71 (1986) 42; OLG Stuttgart Justiz 1972 209; vgl. die Erläuterungen bei § 267; LR/Franke26 § 337, 123 m. w. N.; zur Erörterungspflicht bei Widersprüchen mit Zeugenaussagen vgl. OLG Düsseldorf VRS 66 (1984) 36; ferner Niemöller StV 1984 437. 850 BGH Urt. v. 30.9.2010 – 4 StR 150/10. 851 BGH NStZ-RR 2018 221, 222. 852 BGH Urt. v. 7.10.2010 – 3 StR 168/10; BayObLG bei Rüth DAR 1985 245; vgl. auch BGH NStZ 1981 488 (Wechsel hinsichtlich des Tatmotivs); StV 1986 191 (sofern kein besonderer Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, muss Gericht den Angeklagten nicht darauf hinweisen, dass es seine Einlassung für widerlegt hält); NStZ-RR 2017 183, 184; Urt. v. 5.7.2017 – 2 StR 110/17; Urt. v. 21.11.2017 – 1 StR 261/17. 853 S. nur BGH NStZ-RR 2019 203, 204. 854 BGH NStZ 2016 220, 221 m. w. N.; s. auch Beschl. v. 22.8.2017 – 3 StR 249/17 (Gefährlichkeitsprognose bei der Prüfung des § 63 StGB); Beschl. v. 5.7.2018 – 1 StR 42/18. 855 Ebenso H. Schneider NStZ 2017 73, 74; Epik ZStW 131 (2019) 131, 135.

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verschiedenartig sein, so dass sich auch deshalb ein sicherer Schluss auf seine Schuld verbietet. Das Gericht darf den Motiven für das Schweigen im Übrigen auch gar nicht nachforschen.856 Dies gilt ebenso, wenn sich der Angeklagte bei einer früheren Einvernahme als Zeuge auf sein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 berufen hatte, denn dieses Recht ist eine notwendige Ergänzung des Schweigerechts.857 Wählt der Angeklagte das Schweigen als eine ihm durch den Hinweis ausdrücklich 120 freigestellte Verteidigungsform, so darf das Gericht dies weder bei der Beweiswürdigung noch bei der Strafzumessung zu seinen Ungunsten werten.858 Auch bei der Bescheidung von Verfahrensanträgen ist es unzulässig, hieraus ungünstige Schlüsse herzuleiten.859 Das Tatgericht muss sich stattdessen bemühen, den Sachverhalt ohne Mitwirkung des Angeklagten aufzuklären, dabei muss es auch allen den Angeklagten entlastenden Umständen nachgehen, für die konkrete Anhaltspunkte ersichtlich sind. Rein theoretisch denkbare Möglichkeiten kann es dagegen ohne weitere Sachaufklärung für ausgeschlossen erachten (vgl. Rn. 191).860 Aus dem Schweigen des Angeklagten dürfen belastende Schlüsse nicht gezogen 121 werden, auch wenn er sich früher zur Sache eingelassen hatte.861 Dasselbe gilt, wenn er in einem früheren Verfahrensstadium – etwa bei seiner Einvernahme durch die Polizei – geschwiegen hatte und sich erst in der Hauptverhandlung zur Sache äußert,862

856 Dahs/Langkeit NStZ 1993 213; Günther JR 1978 94; Wessel JuS 1966 172; AK/Maiwald 21; KK/Ott 153; KMR/Stuckenberg 53; Meyer-Goßner/Schmitt 16; SK/Velten 64.

857 BGHSt 38 302, 304 f.; MüKo/Miebach 151; Dahs/Langkeit NStZ 1993 214; H. Schneider NStZ 2017 126, 129. 858 BVerfG NJW 1981 1431; NStZ 1995 555; BGHSt 20 281 = LM Nr. 48 mit Anm. Martin; dazu Kleinknecht JR 1966 270; 25 368; 32 140; 34 324 = JR 1988 78 m. Anm. J. Meyer; BGH NStZ 1984 377; 1986 325; GA 1969 307; bei Dallinger MDR 1971 18; bei Spiegel DAR 1986 202; BayObLGSt 1980 79 = NJW 1981 1385; OLG Braunschweig JZ 1966 618; OLG Celle NJW 1974 202; JZ 1982 341; OLG Hamburg VRS 59 (1980) 351; OLG Hamm VRS 42 (1972) 219; 43 (1972) 346; 46 (1974) 143; 46 (1974) 292; KG VRS 42 (1972) 217; OLG Koblenz VRS 45 (1973) 365; 58 (1980) 377; 73 (1987) 72; OLG Oldenburg NJW 1969 806 m. Anm. Ostermeyer und Güldenpfennig NJW 1969 1187, 1867; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1972 160; bei Ernesti/ Lorenzen SchlHA 1980 175; OLG Stuttgart NStZ 1981 272; 1986 182; VRS 69 (1985) 295; OLG Zweibrücken StV 1986 290; Arndt NJW 1966 870; Berz DAR 1974 197; Schmidt-Leichner NJW 1966 190; Seibert NJW 1966 1706; Spendel NJW 1966 1105; Stree JZ 1966 593; Tzschach DAR 1973 286; Wessel JuS 1966 171; a. A. RG JW 1930 713; Kohlhaas DRiZ 1965 299; NJW 1965 2282; Liepmann ZStW 44 (1924) 673; Stümpfler DAR 1973 1 (mehr im Grundsätzlichen als im Regelfall im Ergebnis); vgl. auch LR/Kühne Einl. J 87 ff.; LR/Gleß § 136, 36 ff. 859 BGH StV 1985 485. 860 BGH StV 1998 250; Urt. v. 23.1.2014 – 3 StR 373/13; BayObLG bei Rüth DAR 1969 237; 1971 206; OLG Hamburg VRS 41 (1971) 195; OLG Hamm VRS 46 (1974) 366; KG VRS 45 (1973) 287; OLG Koblenz VRS 70 (1986) 18; Kleinknecht JR 1966 271; KK/Ott 162; Meyer-Goßner/Schmitt 16; zum Grundsatz in dubio pro reo vgl. Rn. 191. 861 BGHSt 20 281; 38 302; BGH NStZ 1999 47; bei Dallinger MDR 1971 18; OLG Schleswig bei Ernesti/ Lorenzen SchlHA 1986 107; OLG Hamm NJW 1974 1880; OLG Köln NStZ 1991 52; OLG Zweibrücken StV 1986 290; KK/Ott 158; Meyer-Goßner/Schmitt 18; a. A. Rogall 250 ff. 862 BGHSt 20 281 = LM Nr. 19 m. Anm. Martin; 34 324; 38 302, 305; BGH GA 1969 307; NStZ 1999 47; 2007 417, 419; 2016 220, 221; StV 1983 321; 1984 143; 2015 763, 765; Beschl. v. 25.3.2014 – 3 StR 300/13 („nach mehr als einjähriger Untersuchungshaft“); Beschl. v. 5.8.2014 – 3 StR 332/14 („Beweisaufnahme fast beendet“); Beschl. v. 7.8.2014 – 3 StR 318/14 („Monate nach seiner Verhaftung“); Beschl. v. 9.12.2014 – 3 StR 462/14 („nicht anlässlich einer vorangegangenen mündlichen Haftprüfung“); Beschl. v. 19.3.2019 – 5 StR 633/18; Beschl. v. 17.7.2019 – 4 StR 150/19; Beschl. v. 12.11.2019 – 5 StR 451/19 („trotz monatelanger Untersuchungshaft“); OLG Düsseldorf MDR 1984 164; OLG Hamm JMBlNW 1968 154; NJW 1974 1881; OLG Karlsruhe DAR 1983 93; OLG Stuttgart StV 1986 191; zu einem „spät“ gestellten Beweisantrag des Verteidigers BGH NStZ 2016 59 m. Anm. Miebach.

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sogar, wenn er sich dabei erstmals auf Notwehr863 oder ein Alibi864 beruft. Anderenfalls könnte ein Beschuldigter nicht unbefangen darüber entscheiden, ob er von dem ihm eingeräumten Schweigerecht (§§ 136 Abs. 1 Satz 2, 163a Abs. 4 Satz 1, 243 Abs. 5 Satz 1) Gebrauch macht.865 Das Verbot greift auch ein, wenn er nur zum Tathergang schweigt und zur Frage der Rechtsfolgen aussagt866 oder umgekehrt und wenn er nur zu einer von mehreren ihm zur Last gelegten Straftaten schweigt,867 selbst zu einer früheren Tat, die für das anhängige Verfahren lediglich indizielle Bedeutung hat.868 Dem völligen Schweigen steht es bei der gebotenen normativen Betrachtung869 gleich, wenn der Angeklagte sich auf die allgemeine Erklärung beschränkt, er sei nicht der Täter, er sei unschuldig,870 er „habe mit dem Vorfall nichts zu tun“,871 er wolle sich seine Äußerung noch überlegen, er wolle dazu beitragen, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu klären,872 oder die Bekundungen der Belastungszeugin seien frei erfunden.873 Selbiges gilt, wenn er – ohne konkrete Angaben zum Tathergang – andere, die Tat nur allgemein in Abrede stellende Äußerungen abgibt,874 etwa, er sei zwar der Halter des Kraftfahrzeugs, habe es aber zur Tatzeit nicht gefahren,875 oder wenn er nur den vorangegangenen Alkoholgenuss bestreitet und im Übrigen schweigt,876 lediglich Rechtsausführungen macht,877 beispielsweise auf ein Verfolgungshindernis hinweist,878 oder Verfahrensrechte ausübt.879 Eine der Beweiswürdigung offene Teileinlassung liegt in solchen Erklärungen nicht, wohl aber in einer am Tatort einer Polizeibeamtin gegenüber gemachten Mitteilung des u. a. eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr Beschuldigten, er sei 863 BGH StV 1984 143; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 16. 864 BGH StV 1985 401; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1986 208. Vgl. Rn. 98. 865 BGH NStZ 2014 666, 667; StV 2015 763, 764 f.; Beschl. v. 17.2.2016 – 1 StR 582/15; Beschl. v. 17.7.2019 – 4 StR 150/19; H. Schneider NStZ 2017 73, 74 f. 866 BayObLGSt 1983 153; Meyer-Goßner/Schmitt 16; Miebach NStZ 2000 234, 235. 867 OLG Köln VRS 61 (1981) 361; Hanack JR 1981 432; Kleinknecht JR 1966 270; Kühl JuS 1986 119; Rüping JR 1974 135; Stree JZ 1966 597. 868 BGHSt 32 140 = JR 1985 70 m. Anm. Pelchen = NStZ 1984 m. Anm. Volk; AK/Maiwald 21; HK/Julius/ Beckemper 26; H. Schneider NStZ 2017 126 f.; ferner zur Auskunftsverweigerung als Zeuge in einem anderen Verfahren OLG Stuttgart NStZ 1981 272. 869 Hierzu Keiser StV 2000 633, 635; ausführlich Leiwesmeyer 79 ff. 870 BGHSt 34 324 = JR 1988 78 m. Anm. J. Meyer; BGH StV 1992 548; NStZ 2009 705; OLG Celle NJW 1974 864; OLG Hamburg MDR 1976 864; OLG Hamm NJW 1973 1708; s. auch BGH NStZ 2013 57 (Notwehrlage geltend gemacht). 871 BGH NStZ 2007 417, 419. 872 BGH NStZ 1997 147. 873 H. Schneider NStZ 2017 126, 128. 874 BGHSt 25 368; 34 324 = JR 1988 78 m. Anm. J. Meyer; BGH JR 1981 432 m. Anm. Hanack; BayObLG VRS 66 (1984) 207; bei Rüth DAR 1985 245; OLG Celle NJW 1974 202; OLG Düsseldorf VRS 55 (1978) 360; OLG Hamburg VRS 50 (1976) 366; 51 (1976) 44; OLG Hamm NJW 1973 1708; 1974 1880; OLG Karlsruhe VRS 54 (1978) 158; OLG Saarbrücken VRS 47 (1974) 440; OLG Stuttgart VRS 69 (1985) 295; Dencker StV 1985 498. 875 BVerfG NJW 1994 847; BayObLG NJW 1981 138; VRS 59 (1980) 348; OLG Celle NJW 1974 202; OLG Köln VRS 61 (1981) 361; 79 (1990) 29. 876 OLG Düsseldorf MDR 1988 796; Meyer-Goßner/Schmitt 16. 877 BayObLG JZ 1988 670. 878 Z. B. Verjährung: BayObLG VRS 62 (1982) 373; bei Rüth DAR 1980 270; OLG Hamburg VRS 59 (1980) 351; OLG Koblenz VRS 59 (1980) 434; OLG Stuttgart VRS 69 (1985) 295; vgl. auch BayObLG bei Rüth DAR 1983 252 (Zahlung des Verwarnungsgeldes). 879 Vgl. BGH NStZ 1990 447; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1980 175 (Stellungnahme zu Beweisantrag); SK/Velten 64.

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gefahren und die verletzte Beifahrerin sei eine Bekannte.880 Unverwertbar ist ggf. auch das sonstige Verhalten des schweigenden Angeklagten, so seine Mimik und Gestik, mit der er Verfahrensvorgänge begleitet.881 Körperliche Eigenschaften des Angeklagten, die von seinem prozessualen Verhalten unabhängig sind, dürfen dagegen bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden, beispielsweise eine vorhandene Armverletzung.882 Dasselbe gilt für den Umstand, dass ein sich erstmals gegen Ende der Hauptverhandlung äußernder Angeklagter Gelegenheit hatte, seine Einlassung den aus der Beweisaufnahme gewonnenen Erkenntnissen anzupassen.883 Das teilweise Schweigen des Angeklagten zu einem einheitlichen Tatkomplex 122 steht dagegen nach der h. M., namentlich der höchstrichterlichen Rechtsprechung,884 der Beweiswürdigung offen. Wenn der Angeklagte sich zur Sache äußert, sich damit selbst zum Beweismittel macht und nur zu einigen Punkten eines einheitlichen Sachverhalts Angaben ablehnt oder lückenhaft, ausweichend oder gar nicht antwortet, kann das Gericht aus der nach seiner Einschätzung unvollständigen Einlassung885 für ihn ungünstige Schlüsse ziehen.886 Dies gilt freilich nur, sofern er eine Antwort verweigert, die ihm erkennbar möglich ist, nicht aber, wenn es glaubhaft ist, dass er sich nicht erinnern kann.887 Sofern die Rechtsprechung weiter verlangt, nicht gemachte Angaben zu einem bestimmten Punkt müssten zudem zu erwarten gewesen sein,888 handelt es sich um einen im Einzelfall durchaus schwer bestimmbaren Maßstab. Den Urteilsgründen muss sich ggf. entnehmen lassen, weshalb sich der Angeklagte zu weiteren Erläuterungen hätte veranlasst sehen müssen, etwa warum er bei einer Kontrolle seines Fahrzeugs Angaben zu sämtlichen aufgefundenen Gegenständen hätte machen sollen.889 Bewertbar ist, wenn er die Tat voll eingeräumt hat und sich danach weigert, weitere Einzelfragen zu beantworten.890 Gleiches gilt für den Widerruf einer umfangreichen Einlassung in der Hauptverhandlung und ihren späteren Ersatz durch eine dem Verhandlungsergebnis angepasste andere Tatversion,891 wobei auch die zuvor erfolgte Verscho-

880 A. A. BGH NStZ 2016 332 („fragmentarische Angaben“). 881 BGH StV 1993 458; HK/Julius/Beckemper 25; Meyer-Goßner/Schmitt 16; a. A. KK/Ott 157; SK/Velten 68; H. Schneider NStZ 2017 126, 131; diff. MüKo/Miebach 193.

882 Keiser StV 2000 633, 636. 883 BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 21; BGH NStZ-RR 2012 18; H. Schneider NStZ 2017 73, 75; KK/Ott 90 und 159; MüKo/Miebach 177; SSW/Schluckebier 36. 884 S. etwa BGH NStZ 2003 45 m. krit. Anm. Chr. Jäger JR 2003 166; Beschl. v. 22.11.2007 – 1 StR 497/ 07; Beschl. v. 16.12.2014 – 1 StR 496/14; Urt. v. 10.5.2017 – 2 StR 258/16. 885 Sie stellt den eigentlichen Anknüpfungspunkt für die tatgerichtliche Würdigung dar; hierzu Epik ZStW 131 (2019) 131, 137. 886 BGHSt 20 298 = LM Nr. 49 m. Anm. Martin = JR 1966 351 m. Anm. Meyer; 38 302, 307 = JR 1993 378 m. Anm. Rogall; BGH wistra 2013 195, 196; Urt. v. 5.6.2013 – 1 StR 457/12; OLG Celle NJW 1974 202; OLG Hamm NJW 1974 1880; OLG Köln VRS 57 (1979) 429; OLG Oldenburg NJW 1969 806; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1985 132; OLG Stuttgart NStZ 1981 272; OLG Zweibrücken StV 1986 209; KK/Ott 163; Meyer-Goßner/Schmitt 17; zur Gegenmeinung vgl. SK/Velten 66; Roxin/Schünemann § 25, 33; Rieß JA 1980 295. 887 OLG Hamm NJW 1974 249. 888 BGH NStZ 2015 601; StV 2015 771, 772; Beschl. v. 16.12.2010 – 4 StR 508/10; Urt. v. 1.8.2018 – 3 StR 651/17; zu ersichtlich „fragmentarischen“ Angaben NStZ 2003 45; 2015 601; NStZ-RR 2011 118; H. Schneider NStZ 2017 73, 76. 889 BGH Beschl. v. 12.3.2019 – 2 StR 584/18. 890 BGH NStZ 1994 325. 891 BGH NStZ 1998 209; Meyer-Goßner/Schmitt 16; zweifelnd HK/JuIius/Beckemper 25 f.; H. Schneider NStZ 2017 126, 129 (wirkt „verkrampft“); s. auch BGH Urt. v. 18.9.2008 – 3 StR 296/08.

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nung vom Vollzug der Untersuchungshaft berücksichtigt werden darf.892 Durfte der Angeklagte hingegen in einem anderen denselben Tatkomplex betreffenden Verfahren als Zeuge unter Berufung auf § 55 Auskünfte verweigern, so ist es nicht gestattet, dies zu seinem Nachteil zu verwerten.893 Nach der im Schrifttum vertretenen Gegenansicht894 ist auch das Teilschweigen 123 der Beweiswürdigung entzogen, da es dem Angeklagten freistehe, wieweit er sich zum Beweismittel machen und an der Sachaufklärung mitwirken wolle. Dieses Recht würde durch die Möglichkeit einer Würdigung des Teilschweigens als Schuldindiz entwertet. Die Motive des Teilschweigens können vielfältig sein und nicht nur in der Unfähigkeit zu einer sachgerechten Verteidigung liegen. Im Hinblick darauf müssen auch nach der h. M. die aus einem Teilschweigen hergeleiteten Schlussfolgerungen immer der konkreten Situation des Angeklagten Rechnung tragen895 und den als Schuldindiz meist nur geringen Beweiswert berücksichtigen.896 124 Verweigert der Angeklagte durch ein sonstiges Verhalten einen Beitrag zur Sachaufklärung, gibt er beispielsweise eine „freiwillige“ Speichel- oder eine Schriftprobe nicht ab oder nimmt er an Tests oder Tatrekonstruktionen nicht teil,897 so dürfen – da er hierzu ebenfalls nicht verpflichtet ist –898 allein daraus keine nachteiligen Schlüsse hergeleitet werden, wenn er auch sonst geschwiegen hat.899 Es hängt, ebenso wie beim Teilschweigen, von den Umständen des Einzelfalls ab, wieweit ein solches Verhalten neben einer Einlassung bewertbar ist.900 Dies gilt ebenso, wenn der Angeklagte sich weigert, einen Zeugen, der zu einer von ihm selbst aufgestellten Schutzbehauptung etwas bekunden könnte, von der Schweigepflicht zu entbinden.901 Ob ein solches Verhalten nachteilig verwertet werden darf, hängt davon ab, ob sich der Angeklagte hierdurch in einen Selbstwiderspruch verwickelt.902 Schlüsse zu seinen Ungunsten dürfen jedenfalls nicht daraus hergeleitet werden, dass er keine entlastenden Beweisanträge gestellt hat.903 Denn anderenfalls könnte ein Angeklagter nicht mehr unbefangen von 892 BGH Urt. v. 21.8.2008 – 3 StR 262/08. 893 BGHSt 38 302, 304 f.; MüKo/Miebach 151; H. Schneider NStZ 2017 126, 129 f. 894 So etwa Dahs GA 1978 90; Eisenberg Beweisrecht Rn. 907 ff.; Eser ZStW 79 (1967) 576; Günther JR 1978 91; Kühl JuS 1986 120; Rogall 255; Rüping JR 1974 138; H. Schneider Jura 1990 570; ders. NStZ 2017 73, 75; Eb. Schmidt Nachtr. I 17, vgl. aber auch JZ 1970 34; Stree JZ 1966 598 (Schlussfolgerung nur aus Schweigen zu entlastenden Tatsachen zulässig); ferner AK/Maiwald 21; wohl auch HK/Julius/Beckemper 26 („problematisch“) und KMR/Stuckenberg 58. 895 Vgl. SK/Velten 66; Wessels JuS 1966 172; Eisenberg Beweisrecht Rn. 908b weist auf die faktischen Schwierigkeiten hin, auf die Motive des Schweigens zu schließen; s. auch LR/Gleß § 136, 38. 896 KMR/Stuckenberg 58. 897 S. hierzu SSW/Schluckebier 29. 898 BGHSt 1 347; 20 298; OLG Stuttgart Justiz 1986 328; a. A. OLG Düsseldorf StV 1990 442 (Ausübung eines Prozessrechts unterliegt nicht Beweiswürdigung); zur in der DDR (u. a. von Benjamin) postulierten Pflicht des Angeklagten, „an der Aufdeckung der Wahrheit mitzuwirken“ Deppenkemper 217 ff. 899 BGHSt 49 56; Meyer-Goßner/Appl Rn. 359; MüKo/Miebach 205. 900 Dingeldey JA 1984 413; Günther JR 1978 94; dagegen stellen Meyer JR 1966 352 und Meyer-Goßner/ Schmitt 17 darauf ab, ob nach der Lebenserfahrung ein Unschuldiger sich da verteidigt hätte, wo der Angeklagte geschwiegen hat. Ob dies aber sicher beurteilt werden kann, ist zweifelhaft; vgl. HK/Julius/ Beckemper 24; KMR/Stuckenberg 59; ferner SK/Velten 67; Eb. Schmidt JZ 1970 341 (kein Erfahrungssatz). 901 BGHSt 20 298; BGH Beschl. v. 5.10.2010 – 3 StR 370/10; KK/Ott 161; Miebach NStZ 2000 234, 237; a. A. Schmidt-Leichner NJW 1966 190. Vgl. auch Stree JZ 1966 599, wonach aus der Weigerung des Angeklagten, die Entlastungsbehauptung näher zu substantiieren, auf die Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens geschlossen werden darf. 902 BGHSt 45 367, 368 ff.; ebenso H. Schneider NStZ 2017 126, 134. 903 BGH StV 1988 286; KK/Ott 161.

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seinem Recht auf Aussage- und Mitwirkungsfreiheit Gebrauch machen.904 Gibt der Verteidiger in der Hauptverhandlung Erklärungen zur Sache ab, ohne dass der schweigende Angeklagte sie bestätigt, liegt darin keine das Schweigen als Teilschweigen bewertbar machende Teileinlassung.905 Gleiches gilt für den sachlichen Gehalt der vom Angeklagten oder vom Verteidiger gestellten Beweisanträge906 sowie regelmäßig für beispielsweise nach § 257 Abs. 1 abgegebene Erklärungen des Angeklagten.907 Nur wenn der Verteidiger sich für den Angeklagten mit dessen ausdrücklicher oder stillschweigender Billigung zur Sache äußert, kann darin eine Einlassung des im Übrigen schweigenden Angeklagten liegen.908 Dass das Schweigen nicht zulasten des Angeklagten gewürdigt werden kann, 125 schließt nicht aus, die frühere Äußerung durch ein zulässiges anderes Beweismittel in die Hauptverhandlung einzuführen und bei der Urteilsfindung zu verwerten,909 sofern nicht insoweit ein Beweisverwertungsverbot entgegensteht. Ein solches kann sich aus dem Verbot jedes Zwangs zur Selbstbezichtigung für solche Angaben ergeben, die der Angeklagte in Erfüllung einer strafbewehrten außerstrafprozessualen Auskunftspflicht machen musste.910 Neuere Gesetze sehen für dergestalt zu erteilende Auskünfte spezielle Verwertungsverbote vor, für das Insolvenzverfahren beispielsweise in § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO und (eingeschränkt) für das Steuerverfahren in § 393 Abs. 2 Satz 1 AO.911 Verwertbar sind dagegen Angaben, die ohne den Druck einer Strafsanktion verlangt werden, wie etwa privaten Stellen zu erteilenden Auskünfte.912 Ob und wie sich ein Angeklagter in der Hauptverhandlung zur Sache eingelassen hat, beurteilt das Revisionsgericht im Rahmen der Sachrüge nur an Hand der schriftlichen Urteilsgründe.913 Ist dagegen eine entsprechende Verfahrensrüge erhoben worden, belegt allein die Sitzungsniederschrift beweiskräftig (§ 274), ob der Angeklagte sich zur Sache eingelassen hat.914 3. Beweiswert, insbesondere beim Zeugenbeweis. Das Tatgericht hat bei allen 126 Strengbeweismitteln zu prüfen, welche Aussagekraft sie im konkreten Fall jeweils haben. Denn in die Gesamtwürdigung der Beweise dürfen diese nur mit dem ihnen tatsäch-

904 BGHSt 45 363, 364 f.; zur Frage nachteiliger Schlüsse aus prozessualem Verhalten eines Angeklagten, der sich zur Sache eingelassen hat, s. BGHSt 45 367; zu beiden Entscheidungen Keiser StV 2000 633. BGHSt 39 305 = NStZ 1994 184 m. Anm. Seitz; KMR/Stuckenberg 54; Meyer-Goßner/Schmitt 16a. BGH NStZ 1990 447; KMR/Stuckenberg 53. H. Schneider NStZ 2017 126, 132. BGH StV 1994 467; 1998 59 m. abl. Anm. Park; vgl. auch NStZ 1994 352; Meyer-Goßner/Schmitt 16a; Miebach NStZ 2000 234, 239. 909 Etwa BGHSt 1 337; BGH NJW 1966 1524; bei Dallinger MDR 1968 202; 1971 18; OLG Celle JR 1982 475 m. Anm. Rengier; NJW 1985 640; OLG Hamm NJW 1974 1880; OLG Koblenz VRS 45 (1973) 365; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1977 182; OLG Zweibrücken StV 1986 290; LG Hamburg MDR 1984 867; Geppert DAR 1981 305; Günther DRiZ 1971 379; Kühl JuS 1986 120; Rejewski NJW 1967 200; KK/Ott 158; Meyer-Goßner/Schmitt 18; s. auch BGH Urt. v. 3.8.2011 – 2 StR 167/11. 910 Vgl. etwa BVerfGE 56 50 (Gemeinschuldner), dazu Dingeldey NStZ 1984 529; K. Schäfer FS Dünnebier 11; Stürner NJW 1981 1757; LR/Kühne Einl. J 98; vgl. auch BGHSt 36 240 sowie nachf. Fn. 911 BGH NStZ 2004 582; s. auch NStZ 2006 41. 912 Vgl. etwa BGHSt 36 328; OLG Düsseldorf StV 1992 503 m. Anm. Kadelbach; Ventzke StV 1990 279 (Angaben im Asylverfahren); BVerfG NStZ 1995 599; OLG Celle NJW 1985 640; KG NStZ 1995 146 (Angaben gegenüber Versicherung); OLG Karlsruhe NStZ 1989 287 m. Anm. Rogall (Angaben gegenüber Arbeitgeber); SK/Rogall Vor § 133, 135 ff. m. w. N.; KMR/Stuckenberg 55; MüKo/Miebach 208. 913 BGH bei Holtz MDR 1981 268. 914 Vgl. BGH StV 1999 360; Rn. 43, 256.

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lich zukommenden Beweiswert eingestellt werden. Dies gilt namentlich für den Indizienbeweis, bei dem aus Beweisanzeichen (Indizien) erst auf die Haupttatsache geschlossen wird. Dabei hat sich das Tatgericht zunächst darüber klar zu werden, ob ein bestimmtes Indiz be- oder entlastend ist. Das insoweit erzielte Ergebnis wird mit der ersten (intuitiven) Einschätzung nicht immer übereinstimmen.915 Denn die sich etwa aus einer am Tatort gefundenen Spur (z. B. einem Haar oder Sperma) ergebene Belastungswahrscheinlichkeit hängt wesentlich von der sog. Anfangswahrscheinlichkeit ab. Als solche wird der Grad der Wahrscheinlichkeit für die Existenz der Haupttatsache bezeichnet, die anzunehmen ist, bevor das zu prüfende Indiz berücksichtigt wird. Es ist mit anderen Worten zu prüfen, inwieweit sich die Anfangswahrscheinlichkeit durch das Indiz verändert.916 Dies kann wiederum von der Zahl der konkret in Betracht kommenden Tatverdächtigen abhängen. Nicht nur in Zweifelsfällen sollte sich das Tatgericht nicht scheuen, den konkreten Beweiswert mit Hilfe des vom englischen Mathematiker Bayes entwickelten Theorems mathematisch zu bestimmen.917 Oft werden allerdings für die Anwendung der Formel notwendige Häufigkeiten nicht exakt bekannt sein, etwa wie verbreitet eine bestimmte am Tatort sichergestellte Faser ist. Dann hat das Tatgericht eine vorsichtige Schätzung in die Berechnung einzustellen und kann den Beweiswert so wenigstens auf einem Plausibilitätsniveau bestimmen.918 Bei mehreren Beweisanzeichen muss es beachten, ob diese einen Beweisring oder eine Beweiskette bilden. Denn bei einer Beweiskette können sich die bei den einzelnen Indizien bestehenden Unsicherheiten multiplizieren. Beispielsweise ergeben zwei voneinander abhängende Schlussfolgerungen mit einer Sicherheit von 80 % aufgrund der Produktregel einen Gesamtschluss mit nur noch 64 %iger Sicherheit.919 Besonders behutsam sind Indizien zu werten, die voneinander abhängig sind oder wo dies zumindest naheliegt (z. B. Sicherstellung von Spuren großer Füße und großer Hände am Tatort), weil sich deren jeweiliger Aussagewert mindert.920 Diese sollten nicht einzeln, sondern als sog. Indizfamilien bei der Beweiswürdigung verwendet werden.921 Die Prüfung der Beweiskraft ist nicht zuletzt auch bei Aussagen von Zeugen erfor127 derlich. Denn insoweit ist inzwischen anerkannt, dass der Wert des Zeugenbeweises häufig hinter objektiven Beweismitteln zurückbleibt.922 Das Tatgericht muss sich bewusst sein, dass die menschliche Fähigkeit, Geschehnisse wahrzunehmen, sich an diese zu erinnern und sie wiederzugeben, durch zahlreiche natürliche Grenzen eingeschränkt sein kann,923 und versuchen, diesem Umstand durch eine sorgfältige Bewertung der Zeugenaussage zu entsprechen (Rn. 128 ff.). Für erfahrungsgemäß fehlerträchtige Ermittlungsmaßnahmen zur Identifizierung des Täters haben sich besondere Anforderungen herausgebildet (Rn. 133 ff.). Weiter hat die höchstrichterliche Rechtsprechung für bestimmte Fallgestaltungen, in denen namentlich die Verteidigung aus verschiedenen, 915 Verblüffende Beispiele finden sich bei Nack MDR 1986 366, 369; StV 2002 558, 564. 916 Bender/Nack/Treuer Rn. 589 ff.; Nack MDR 1986 366, 369; StV 2002 558, 564. 917 BGH NStZ 2016 490, 492 f. m. Anm. Eisenberg/Müller; ausführlich hierzu Bender/Nack/Treuer Rn. 644 ff.; instruktiv Mengler 89 ff.; s. auch Eisenberg Beweisrecht Rn. 1942a.

918 Bender/Nack/Treuer Rn. 660 f.; Nack MDR 1986 366, 368; s. auch BGH Urt. v. 26.5.1999 – 3 StR 110/ 99.

919 Nack MDR 1986 366, 369 aufgrund folgender Berechnung: 0,8 x 0,8 = 0,64; s. zur Produktregel BGH NStZ 1992 601, 602.

920 Zu Angaben verschiedener Zeugen über jeweils zu ihrem Nachteil begangene Missbrauchstaten s. BGH Urt. v. 24.8.2016 – 2 StR 135/16.

921 Bender/Nack/Treuer Rn. 668 ff.; Nack MDR 1986 366, 369. 922 S. nur Miebach GedS Joecks 133 (das am wenigsten zuverlässige Beweismittel). 923 S. nur Brause NStZ 2007 505, 506; Jansen FS E. Müller 311 f.

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aber gewichtigen Gründen erschwert ist, Rechtssätze entwickelt, die als richterliche Beweisregeln (Beweiswürdigungsregeln)924 bezeichnet werden können (Rn. 136 ff.). Auch dem Umstand, dass die Beweisgrundlage durch staatliches Verhalten insgesamt verringert wird, ist schließlich bei der Beweiswürdigung Rechnung zu tragen (Rn. 147 f.). a) Glaubhaftigkeit der Aussage. Bei der Würdigung der Zeugenaussage ist der 128 Tatrichter ebenfalls nicht an feste Regeln gebunden. Er hat zu entscheiden, wie eine Aussage zu verstehen ist925 und welche Bedeutung ihr in der Gesamtschau zukommt. Auf dem Weg zu dieser Bewertung muss er kraft seiner Menschenkenntnis unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und der Erkenntnisse der Aussagepsychologie ein eigenes Bild von der Aussagefähigkeit und Glaubwürdigkeit des Zeugen zu gewinnen suchen. Er hat sich aufgrund des äußeren Eindrucks vom Zeugen, seines Aussageverhaltens926 und aller anderen hereinspielenden Umstände,927 wie Persönlichkeitsstruktur,928 Alter, kognitiven Fähigkeiten, Lebenserfahrung, Geistes- und sonstigem Gesundheitszustand,929 persönlichem Verhältnis zum Angeklagten930 und seiner affektiven Einbindung in das Geschehen931 darüber schlüssig zu werden, wieweit die Wahrnehmungen des Zeugen verlässlich sind und er ihnen unter Berücksichtigung des sonstigen Beweisergebnisses glauben darf. Befindet sich der Zeuge nicht im Gerichtssaal, sondern wird er per audio-visueller Übertragung (§ 247a) oder gar optisch-akustisch verfremdet vernommen, hat das Tatgericht zu erwägen, ob der infolgedessen eingeschränkte unmittelbare Eindruck den Beweiswert verringert.932 Im Zentrum seiner Prüfung hat jedoch die Glaubhaftigkeit der konkreten Aussage (vgl. § 68 Abs. 4) zu stehen; hierauf lässt die „generelle“ personale Glaubwürdigkeit (sog. Leumund) allenfalls begrenzte Rückschlüsse zu.933 Dabei geht es primär um die Analyse des Aussageinhalts mit dem Ziel der Beurteilung, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben einem tatsächlichen Erleben des Zeugen entsprechen.934 Als hilfreiche Richtschnur für diese Analyse können die wissenschaftlichen Anfor- 129 derungen dienen, die an aussagepsychologische Begutachtungen (sog. Glaubhaftig924 G. Schäfer StV 1995 147, 150. 925 BGHSt 15 347; 21 151; 26 62; 29 20; BGH VRS 37 (1969) 28; 38 (1970) 104. 926 BGH MDR 1986 950; NStZ 2020 240 m. Anm. Miebach; Urt. v. 3.2.2016 – 2 StR 481/14 (jeweils wechselnde Angaben); vgl. z. B. Undeutsch ZStW 87 (1975) 650; Bender StV 1984 127; Eisenberg Beweisrecht Rn. 1362 ff.; ferner Bull DRiZ 1972 205; Kühne NStZ 1985 252; Niemöller StV 1984 438; Peters § 44; ders. ZStW 87 (1975) 663; Prüfer DRiZ 1977 41; Reinecke MDR 1986 630; Schuhmacher DRiZ 1960 286; Wegener Typische Fehlerquellen bei Aussagen von Opferzeugen im Strafverfahren in „Die Behandlung des Opfers von Straftaten im Strafverfahren“ (1985) 52; HK/Julius/Beckemper 27 ff. 927 Vgl. BGH StV 1982 255 m. Anm. Bendler (Umstände und Zeitpunkt der Einführung des Zeugen); StV 1983 496 (Tatbeteiligung). 928 BGH NStZ-RR 2010 152, 153 zu einer „außerordentlich problematischen Persönlichkeit“; ebenso Urt. v. 3.2.2016 – 2 StR 481/14. 929 Vgl. KK/Ott 96; Knippel MDR 1980 112; LR/Becker § 244, 84 ff.; ferner etwa BGH NStZ 1982 432; StV 1981 330; 1984 143; 1984 412; bei Pfeiffer NStZ 1982 190; OLG Düsseldorf StV 1982 12; zur Demenz Deckers/Köhnken/Köhnken Erhebung und Bewertung 25, 29. 930 Zu einem mit dem Angeklagten befreundeten Zeugen BGH Beschl. v. 27.8.2013 – 4 StR 274/13. 931 Vgl. etwa Eisenberg Beweisrecht Rn. 1369a, speziell zum sog. Waffenfokus Rn. 1392; hierzu und zu existenzbedrohenden Tatsituationen auch BGHR StPO § 261 Identifizierung 16; BGH NStZ-RR 2006 212, 213; Beschl. v. 18.12.2007 – 5 StR 201/07. 932 BGHSt 45 188, 196; 51 232, 235; MüKo/Miebach 272 f. 933 BGH StV 1994 64; NStZ 2004 635; Boetticher FS G. Schäfer 8, 12 f. 934 BGHSt 45 164; BGH NJW 2005 1519, 1521; zu Angaben eines Zeugen zu einer nicht verfahrensgegenständlichen, aber für den Anklagevorwurf indiziellen Tat s. NStZ 2016 122.

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keitsgutachten) gestellt werden.935 Wendet das Tatgericht diese zutreffend an, belegt es seine Sachkunde.936 Danach sind die Angaben des Zeugen zunächst auf ihre inhaltliche Konsistenz i. S. einer inneren Stimmigkeit (Plausibilität) zu überprüfen.937 Diesem aussagebezogenen Ansatz liegt die durch empirische Befunde gestützte Annahme zugrunde, dass zwischen der Schilderung eines wahren und der eines bewusst unwahren Geschehens ein grundlegender Unterschied bezüglich der jeweils zu erbringenden geistigen Leistung des Aussagenden besteht. Während einerseits ein Bericht aus dem Gedächtnis rekonstruiert wird, konstruiert andererseits eine lügende Person ihre Aussage aus ihrem gespeicherten Allgemeinwissen. Da es eine schwierige Aufgabe mit hohen Anforderungen an die kognitive Leistungsfähigkeit darstellt, eine Aussage über ein (komplexes) Geschehen ohne eigene Wahrnehmungsgrundlage zu erfinden und zudem über längere Zeiträume aufrechtzuerhalten, ist im zweiten Fall die Wahrscheinlichkeit beispielsweise nebensächlicher Details, sog. abgebrochener Handlungsketten, unerwarteter Komplikationen oder phänomengemäßer Schilderungen unverstandener Handlungselemente gering. Auf der Basis dieser Annahmen sind für die Inhaltsanalyse Merkmale zusammengestellt worden, denen indizielle Bedeutung für die Entscheidung zukommen kann, ob die Angaben des Zeugen auf tatsächlichem Erleben beruhen. Wird dies bejaht, bedarf es jedoch ggf. der weiteren Prüfung, ob die Erfahrung des Zeugen gerade auf der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat beruht.938 Bei den sog. – empirisch gestützten – Realkennzeichen handelt es sich um aussageimmanente Qualitätsmerkmale (z. B. logische Konsistenz,939 quantitativer Detailreichtum,940 raumzeitliche Verknüpfungen, Schilderung ausgefallener Einzelheiten und psychischer Vorgänge, Entlastung des Beschuldigten, deliktsspezifische Aussageelemente), deren Auftreten in einer Aussage als Hinweis auf die Glaubhaftigkeit der Angaben gilt.941 Sie dürfen jedoch nicht schematisch und unkritisch angewandt werden.942 Das Tatgericht muss sich bewusst sein, dass es nicht möglich ist, von einem festgestellten Merkmal zwingend auf die Glaubhaftigkeit der Angaben und aus dem Vorliegen einer bestimmten Anzahl von Merkmalen im Sinne eines Schwellenwertes auf die Qualität einer Aussage zu schließen. Darüber hinaus hat es stets zu beachten, dass die Realkennzeichen ungeeignet sind, zur Unterscheidung zwischen einer wahren und einer suggerierten Aussage beizutragen. Denn bei durch Suggestion verursachten Angaben bestehen die bereits dargelegten Gründe nicht, die eine unterschiedliche Qualität zwischen wahren und bewusst unwah935 Ebenso Brause NStZ 2007 505, 510; Nack StraFo 2001 1, 2; MüKo/Miebach 220; SSW/Schluckebier 41; zu den Anforderungen Greuel MschrKrim 2000 59; zu möglichen Fehlerquellen Deckers/Köhnken/ Köhnken Erhebung 1 ff. 936 Nack StraFo 2001 1, 3; s. auch BGH Beschl. v. 16.5.2002 – 1 StR 553/01 („geeignetes Instrumentarium“); Urt. v. 14.5.2002 – 1 StR 46/02; OK-StPO/Eschelbach 9; Deckers/Köhnken/Deckers Erhebung und Bewertung 181; abschwächend BGH NStZ-RR 2003 206. 937 Hierzu BGH NStZ-RR 2016 144, 146 m. Anm. Löffelmann JR 2017 310; Bender/Nack/Treuer Rn. 282 ff. 938 KK/Ott 116. 939 BGH Beschl. v. 17.12.2014 – 3 StR 510/14. 940 Bender/Nack/Treuer Rn. 371 ff.; hierzu auch BGH Beschl. v. 22.5.2007 – 5 StR 94/07; zu „blutleeren“ Angaben Urt. v. 12.8.2010 – 2 StR 185/10. 941 Ausführlich hierzu BGHSt 45 164, 170, auch zu den Folgen des Bemühens der lügenden Person, auf sein Gegenüber glaubwürdig zu erscheinen; Bender/Nack/Treuer Rn. 313 ff.; Eisenberg Beweisrecht Rn. 1426 ff.; ausführlich Deckers FS Schlothauer 273 ff.; ferner Fabian StV 1995 97; Fabian/Greuel/Stadler StV 1996 347; Fezer StV 1995 97; Meurer/Sporer StV 1992 348; Michaelis-Arntzen StV 1990 71; Nack StV 1994 555. 942 BGH NStZ-RR 2002 308; s. auch Deckers/Köhnken/Köhnken Erhebung und Bewertung 25, 47 (keine „mechanistische Anwendung“).

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ren Aussagen verursachen können, da die aussagende Person sich weder als besonders glaubwürdig darstellen noch sich auf von ihr erdachte Umstände konzentrieren muss.943 Für die Frage, ob der Angeklagte zutreffend bezichtet wird oder der wahre Tatbeteiligte durch die Aussage gedeckt werden soll, sind Realkennzeichen dann wenig bedeutsam, wenn der Zeuge selbst an der Tat mitgewirkt war.944 Die sich mit der Qualität einer Aussage befassende Inhaltsanalyse ist regelmäßig 130 durch die sog. Konstanzanalyse zu ergänzen. Diese bezieht sich auf aussageübergreifende Qualitätsmerkmale, die sich aus dem Vergleich von Angaben über denselben Sachverhalt zu unterschiedlichen Zeitpunkten ergeben. Falls ein Zeuge mehrfach vernommen, ggf. zudem von einem Sachverständigen exploriert worden ist, ist daher ein Aussagevergleich im Hinblick auf Übereinstimmungen, Widersprüche, Ergänzungen und Auslassungen vorzunehmen.945 Dieser ist in den Urteilsgründen so weit darzustellen, wie es nötig ist, um dem Revisionsgericht eine Überprüfung des erzielten Ergebnisses zu ermöglichen.946 Die Konstanz ist nicht belegt, wenn der Zeuge in seinen vor der Hauptverhandlung gemachten Angaben über die Tat „ohne Nennung jeglicher Einzelheiten“ berichtet hat.947 Bei dem Vergleich stellt allerdings nicht jede Inkonstanz einen Hinweis auf mangelnde Glaubhaftigkeit der Angaben insgesamt dar.948 Vielmehr können vor allem Gedächtnisunsicherheiten eine hinreichende Erklärung für festgestellte Abweichungen darstellen.949 Vorsicht ist allerdings geboten, wenn ein Zeuge eine nur schwer erklärliche Erinnerungslücke geltend macht, etwa zur Frage, ob es bereits vor der Tat sexuelle Kontakte mit dem Angeklagten gegeben habe.950 Hingegen haben Schwächen einer Aussage wie etwa fehlende Konstanz oder Genauigkeit nur verhältnismäßig geringes Gewicht, wenn sie nicht den Kernbereich des Vorwurfs betreffen.951 Die Frage, was zum Kern- und was zum Randbereich gehört, lässt sich nicht abstrakt, sondern nur unter Berücksichtigung des Einzelfalls beantworten, etwa mit Blick auf die den jeweiligen Tatbestand konstituierenden Umstände.952 Hierbei kommt es auch auf die Sicht des Zeugen an, nicht zuletzt auch darauf, ob dieser lediglich bekundet, was er als Außenstehender beobachtet hat, oder ob er selbst tatbeteiligt war,953 namentlich als Opfer. Nach diesen Maßstäben hat es der BGH als fernliegend angesehen, dass es aus der Sicht eines achtjährigen Mädchens, das heftig an den Haaren gezogen wird und das Geschlechtsteil eines Erwachsenen gegen seinen Widerstand in den Mund gestoßen bekommt, von besonderer Wichtigkeit ist, ob es dabei kniete oder stand.954 Als Abweichungen im Kernbereich (sämtlich bei Sexualstraftaten) wurden dagegen divergierende

943 BGHSt 45 164, 171 f.; BGHR StPO § 261 Zeuge 22; zu Pseudoerinnerungen BGH NStZ 2016 122, 123; OK-StPO/Eschelbach 3.4 und 3.6.

944 BGH Beschl. v. 12.5.2020 – 1 StR 596/19 („keine wesentlich glaubhaftigkeitssteigernden Aspekte“). 945 Hierzu Deckers StV 2017 50. 946 S. nur BGH NStZ-RR 2015 52; 2016 87, 88; StV 2017 4, 5; 2017 9; 2018 195, 196; Beschl. v. 13.4.2011 – 4 StR 7/11; Urt. v. 30.3.2016 – 2 StR 92/15; Beschl. v. 27.5.2020 – 1 StR 98/20. 947 BGH Beschl. v. 10.11.2010 – 2 StR 403/10. 948 BGH NStZ-RR 2014 152, 153. 949 BGHSt 45 164, 172; BGH NStZ 2012 110; Urt. v. 6.12.2016 – 5 StR 179/16; Bender/Nack/Treuer Rn. 394; s. auch Miebach GedS Joecks 133, 142 f. 950 BGH NStZ-RR 2012 383, 384. 951 BGH NStZ-RR 2003 332, 333; 2004 118, 119; Urt. v. 21.10.2004 – 4 StR 166/04; Urt. v. 13.1.2005 – 4 StR 422/04 (zu Angaben eines über mehrere Jahre sexuell missbrauchten Kindes). 952 Deckers StV 2017 50, 52. 953 Bender/Nack/Treuer Rn. 115 ff. 954 BGH NStZ-RR 2004 118, 119; vergleichbar auch Urt. v. 23.2.2006 – 5 StR 416/05.

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Angaben zu Zeitpunkt,955 Ort und Reihenfolge der Taten,956 zu deren Anzahl,957 zu den dabei erlittenen Verletzungen,958 zu fehlender oder vorhandener Bekleidung,959 zur Art der sexuellen Betätigung des Täters,960 zu deren Reihenfolge,961 zum Eindringen962 sowie zum Samenerguss in die Scheide963 bzw. in den Mund964 gewertet, ferner betreffend einen Raubüberfall unterschiedliche Aussagen zur Maskierung der Täter965 und bei einem Mord zum tödlichen Messerstich.966 131 Das mit den beiden dargelegten Analysemethoden gefundene Ergebnis ist schließlich in Relation zu setzen zu den spezifischen (etwa intellektuellen) Kompetenzen und (beispielsweise sexuellen) Erfahrungen des Zeugen967 sowie – vor allem bei Kindern –968 zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Aussage. Dies gilt namentlich, wenn diese unter Einschaltung mehrerer Personen oder einer Beratungsstelle zustandegekommen ist969 oder eine „psychosoziale Prozessbegleitung“ (§ 406g)970 stattgefunden hat, die ohne eine Thematisierung des Prozessinhaltes kaum denkbar erscheint.971 Denn speziell das Vorhandensein einzelner (bei der Inhaltsanalyse verwendeter) Realkennzeichen hängt mit hoher Wahrscheinlichkeit auch von Merkmalen der Person des Zeugen ab. Insofern ist mit den Mitteln der Fehlerquellen- sowie der Kompetenzanalyse zu prüfen, ob eine – ggf. qualitativ hochwertige und infolgedessen 955 BGH Beschl. v. 11.6.2013 – 5 StR 246/13 (Taten sollen einerseits zwei bis drei Jahre zurückliegen, andererseits ein bis vier Monate).

956 BGH StraFo 2004 209 (erster Geschlechtsverkehr im Gartenhaus oder im Kinderzimmer). 957 BGH Urt. v. 9.3.2011 – 2 StR 467/10 (zwei oder 20 bis 50 Fälle); Beschl. v. 9.2.2012 – 2 StR 316/11 (zwei, acht oder 15 Taten).

958 BGH NStZ 2010 100, 101. 959 BGH StV 2008 237 (Opfer mit Pullover bekleidet oder nackt); s. auch NStZ 2003 165, 166 (Entkleidung des Opfers durch dieses selbst oder durch den Täter). 960 BGH Beschl. v. 21.9.2007 – 2 StR 390/07 (Masturbation oder Geschlechtsverkehr); Beschl. v. 21.5.2008 – 5 StR 197/08; Beschl. v. 2.7.2020 – 6 StR 104/20 (Vaginal- oder Oralverkehr); s. auch Beschl. v. 17.6.2009 – 2 StR 178/09 sowie zu einer weiteren Vergewaltigung durch denselben Täter NStZ-RR 2003 332, 333; zu „Bissattacken“ eines Hundes während einer behaupteten Vergewaltigung NStZ-RR 2010 317. 961 BGH Beschl. v. 26.11.2008 – 5 StR 506/08. 962 BGH Urt. v. 7.4.2005 – 5 StR 544/04. 963 BGH StV 2008 238. 964 BGH Urt. v. 25.1.2011 – 5 StR 418/10. 965 BGH Beschl. v. 26.9.2002 – 4 StR 168/02; zu unterschiedlichen Angaben des Opfers zu seinen Bewegungen während gegen ihn gerichteten Messerstichen Beschl. v. 6.10.2015 – 2 StR 373/14. 966 BGH NStZ 2019 746, 747. 967 Deckers/Köhnken/Deckers Erhebung 89, 100: Hätte der Zeuge mit den ihm gegebenen Kompetenzen diese Aussage auch machen können, ohne dass sie auf einem Erlebnis basiert?; zur möglichen Übertragung von aus Medien (z. B. Fernsehen, Internet) stammenden Informationen auf den erhobenen Tatvorwurf MüKo/Miebach 227. 968 BGH NStZ-RR 2016 87, 88; Beschl. v. 9.7.2009 – 5 StR 225/09; Brause NStZ 2007 505, 510. 969 BGH StV 2017 7, 9; 2018 202, 204; s. auch NStZ 2017 551, 552 (Erstoffenbarung gegenüber einer „Präventologin“); Beschl. v. 9.9.2014 – 5 StR 381/14 (Anzeigeerstattung während laufender Therapie); OKStPO/Eschelbach 3.6; KK/Ott 102 und 122; Miebach GedS Joecks 133, 138 f.; Deckers/Köhnken/Deckers Erhebung und Bewertung 181, 195 f.; Brause NStZ 2013 129, 133; Hohoff NStZ 2020 387, 389 f. (auch zum sog. Zeugencoaching durch Opferschutzeinrichtungen); krit. gegenüber der Tätigkeit etwa von „Wildwasser“, „Zartbitter“, „Allerleirauh“ und „Violetta“ Schwenn FPPK 7 (2013) 258, 261 f. 970 Eingefügt durch das Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz) vom 21.12.2015 (BGBl. I 2525). 971 Zu Recht skeptisch gegen diese von einem in „Opferschutzeuphorie befangenen Gesetzgeber“ eingeführten Neuerung OK-StPO/Eschelbach 9.7 („neue Dimension möglicher Wahrheitsverfälschung“) und 59.5; Hohoff NStZ 2020 387, 390.

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einen Erlebnisbezug indizierende – Aussage nach aussagepsychologischen Kriterien als zuverlässig eingestuft werden972 oder beispielsweise auf der Übertragung eines Parallelerlebnisses beruhen kann.973 Hierbei kann auch die sog. Motivationsanalyse bedeutsam sein. Diese zielt auf die Feststellung möglicher Motive für eine unzutreffende Belastung des Angeklagten durch den Zeugen ab.974 Insofern ist z. B. zu prüfen, ob die Anzeige im Zusammenhang mit persönlichen,975 insbesondere vor dem Familiengericht ausgetragenen Auseinandersetzungen steht,976 die (angestrebte) Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm die Angaben beeinflusst haben kann,977 der Zeuge durch die Bezichtigung des Angeklagten von einem eigenen Fehlverhalten ablenken will,978 sich aus einer „momentanen Drucksituation“ befreien wollte,979 einen Antrag auf Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz (§ 1 Abs. 1 OEG) gestellt hat980 oder bei ihm ein Aufmerksamkeits- und Geltungsbedürfnis handlungsleitend gewesen sein kann.981 Wird der Angeklagte durch eine ebenfalls strafrechtlich verfolgte Person belastet, kann zu erwägen sein, ob diese so ausgesagt hat, um sich selbst zu entlasten,982 selbst eine geringere Strafe zu erhalten (z. B. gemäß § 31 BtMG, § 46b StGB),983 zumal dann, wenn in dem gegen sie geführten Verfahren eine Verständigung getroffen worden war,984 einen anderen Tatbeteiligten zu decken985 oder aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden.986 Sofern der Zeuge aus Rache, Verbitterung, Wut oder Enttäuschung gehandelt hat, muss das Tatgericht dies in die Gesamtschau einstellen,987 sich dabei aber bewusst sein, dass daraus nicht ohne Weiteres die Unrichtigkeit der Angaben folgt.988 Denn derartige emotionale Reaktionen gegenüber demjenigen, der einem einen (zumal gravierenden) Nachteil zugefügt hat, sind psychologisch nachvollziehbar.989

972 973 974 975 976

BGHSt 45 164, 172 ff.; Bender/Nack/Treuer Rn. 288 ff. BGH Beschl. v. 27.3.2012 – 3 StR 47/12. BGHSt 45 164, 173. BGH Urt. v. 30.3.2016 – 2 StR 92/15; Urt. v. 9.10.2019 – 5 StR 90/19. BGH NStZ 1999 45; StraFo 2011 400; s. auch StV 2013 5, 6; 29.5.2013 – 5 StR 157/13; Beschl. v. 18.9.2019 – 1 StR 217/19 (zu einem mit dem Ziel, die Nichtigkeit der Ehe feststellen zu lassen, geführten kirchenrechtlichen Verfahren); KK/Ott 102; Deckers/Köhnken/Deckers Erhebung und Bewertung 181, 196. 977 S. zu den diesbezüglichen Risiken Eisenberg FS Fezer 193, 197 ff. 978 S. nur BGH Urt. v. 6.4.2016 – 2 StR 408/15; Miebach GedS Joecks 133, 143. 979 BGH StV 2018 195, 196 („inquisitorische“ Befragung durch „sehr beharrliche und nervige“ Freundin). 980 S. hierzu Deckers/Köhnken/Steller Erhebung und Bewertung 71, 81 und 90. 981 S. BGH StV 2017 4, 5; zu einer Zeugin mit ausgeprägtem „Jagdeifer“ NStZ-RR 2016 144, 146 m. Anm. Löffelmann JR 2017 310. 982 BGH wistra 2018 169, 170; Beschl. v. 29.5.2013 – 5 StR 196/13; Beschl. v. 10.9.2014 – 5 StR 351/14; Pfister FPPK 7 (2013), 250, 254. 983 S. BGH StV 2008 451; NStZ-RR 2010 352, 353; 2014 115; NStZ 2014 287; Beschl. v. 22.5.2007 – 5 StR 94/07; Beschl. v. 26.9.2012 – 5 StR 402/12; Urt. v. 16.8.2017 – 2 StR 344/15; Beschl. v. 9.1.2020 – 2 StR 355/ 19; Beschl. v. 12.5.2020 – 1 StR 596/19; s. aber auch NStZ-RR 2018 289, 290. 984 BGH NStZ-RR 2009 212; 2019 226; NStZ 2014 287; Beschl. v. 18.7.2013 – 4 StR 171/13; Beschl. v. 9.1.2020 – 2 StR 355/19; Beschl. v. 29.1.2020 – 1 StR 471/19; Pfister FPPK 7 (2013), 250, 254. 985 BGH StV 2007 402; 2008 231; NStZ-RR 2017 384, 385. 986 BGH Beschl. v. 18.12.2007 – 5 StR 201/07; Beschl. v. 13.9.2011 – 5 StR 308/11; Nack StraFo 2001 1, 4. 987 BGH NStZ-RR 2008 254, 255; StraFo 2012 103; Beschl. v. 22.5.2007 – 5 StR 94/07; Beschl. v. 9.2.2012 – 2 StR 316/11; Urt. v. 7.3.2012 – 2 StR 565/11; s. auch Beschl. v. 11.6.2013 – 5 StR 246/13. 988 BGH NStZ-RR 2003 206; Urt. v. 21.1.2004 – 1 StR 379/03; MüKo/Miebach 240. 989 S. Deckers/Köhnken/Köhnken Erhebung und Bewertung 25, 41.

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Es bedarf stets einer Gesamtwürdigung aller für und gegen die Richtigkeit einer Aussage sprechenden Umstände.990 Eine Zeugenaussage darf nie isoliert gewürdigt werden. Im Übrigen kann schon das Zusammentreffen mehrerer für sich allein erklärbarer Unstimmigkeiten zu gewichtigen Zweifeln an der Richtigkeit der Aussage führen.991 Als Ergebnis kann das Gericht beispielsweise bei einem Widerspruch zwischen einer beeidigten und einer unbeeidigten Zeugenaussage der unbeeidigten Aussage oder einer Zeugenaussage nur bezüglich eines Beweisthemas glauben,992 es muss eine solche Differenzierung aber mit vertretbaren Erwägungen begründen.993 Besteht Anlass, Glaubhaftigkeit oder Beweiswert einer Zeugenaussage besonders kritisch zu prüfen, wie etwa bei einem Zeugen, der sich erkennbar selbst entlasten will, bei einem im Ausland kommissarisch vernommenen Zeugen,994 bei durch ein gemeinsames Ziel verbundenen Zeugen995 oder bei Kindern als sog. Opferzeugen,996 müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass sich das Gericht dieses Umstands bewusst war.997 Der Beweiswert einer Aussage kann auch gemindert sein, wenn der Zeuge zuvor im Einzelnen wusste, was andere Zeugen zu dem fraglichen Beweisthema bekundet haben.998 Der Beweiswert des Wiedererkennens eines Beschuldigten durch einen Zeugen (vgl. Rn. 133 ff.) ist reduziert, falls ein zweiter, intellektuell vergleichbar begabter Zeuge aus ähnlicher Wahrnehmungssituation eine andere Person als Tatverdächtigen wiedererkannt hat.999 Ein Sachverständigengutachten über die Glaubhaftigkeit1000 kann im Einzelfall hilfreich sein (vgl. Rn. 129 ff.), es entbindet das Tatgericht aber niemals von der eigenen Verantwortung für diese mitunter sehr schwierige Entscheidung,1001 die kritische Distanz, Einfühlungsvermögen und Lebensklugheit erfordert. Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen durch andere Richter in einem früheren Verfahren kann die eigene Entscheidung nicht ersetzen.1002 Aktenkenntnis schließt die Einvernahme nicht aus,1003 kann aber das Gericht zur Aufklärung veranlassen, wieweit der Zeuge eigene Wahrnehmungen aus seiner Erinnerung wiedergibt.

990 BGHSt 20 333, 341; BGH NJW 1980 2423; StV 1991 409; 1992 261; 1998 250; 1999 307; auch MDR 1986 950 (Zusammentreffen mehrerer Umstände); OLG Hamm StV 1999 360; ferner ausführlich Eisenberg Beweisrecht Rn. 1363 ff. (Einschränkung der Aussagefähigkeit) und 1426 ff. (Glaubhaftigkeit); KK/Ott 101; KMR/Stuckenberg 63. 991 BGH StV 1996 98; 1996 582; 1998 117; 1998 496; 1999 307; Meyer-Goßner/Schmitt 11a. 992 Vgl. BGH NJW 1993 2451; StV 1996 365; 1998 580; 1999 305; OLG Köln NJW 1968 1247; vgl. auch OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen 1977 182 (es begründet keine höhere Zuverlässigkeit, dass der Zeuge die Aussage hätte verweigern können). 993 BGH StV 1981 330; 1984 412; 1986 236; Urt. v. 12.8.2010 – 2 StR 185/10; Niemöller StV 1984 438. 994 Vgl. LR/Cirener/Sander § 251, 60. 995 Etwa KG JR 1984 393 m. Anm. Peters; Nack StV 1994 555; zu zwei Polizeibeamten KG NStZ 2019 360 m. krit. Anm. Kannegießer/Eisenberg; vgl. LR/Becker § 244, 348. 996 Vgl. etwa BGH NStZ 1996 98; StV 1994 227; 1995 6; 1995 451; 1996 365; OLG Düsseldorf JR 1994 379 m. Anm. Blau sowie etwa Drewes DRiZ 1999 249; Lorenz DRiZ 1999 253; Kilian DRiZ 1999 256; MeyerGoßner/Schmitt 4; ferner die Erläuterungen bei §§ 247a, 255a. 997 BGH StV 1982 382; 1982 509; vgl. auch LR/Cirener/Sander § 250, 27 und die Erläuterungen bei § 267. 998 BGH StraFo 2010 253, 254. 999 BGH Beschl. v. 21.7.2009 – 5 StR 235/09. 1000 Zu der in Ausnahmefällen bestehenden Notwendigkeit zur Zuziehung eines solchen vgl. LR/Becker § 244, 84 ff.; ferner BGH NStZ 1998 528; StV 1990 532; 1995 398; 1997 63; OLG Brandenburg StV 1999 481; LG Gera NJW 1996 2437. 1001 BGHSt 21 62; 23 8; BGH bei Holtz MDR 1977 284; LR/Becker § 244, 87. 1002 H. M.; vgl. OLG Hamm VRS 40 (1971) 456; ferner Rn. 32. 1003 OLG Oldenburg VRS 58 (1980) 31.

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b) Fehlerträchtige Ermittlungen. Besondere Vorsicht ist geboten bei der Identifi- 133 zierung dienenden Ermittlungsmaßnahmen, da diese erfahrungsgemäß häufig fehlerhaft durchgeführt werden.1004 Ist etwa zu klären, ob der Beschuldigte der Täter ist, soll eine Wahlgegenüberstellung durchgeführt werden, d. h. dem Zeugen ist neben dem Beschuldigten eine Reihe anderer Personen desselben Geschlechts, ähnlichen Alters und ähnlicher Erscheinung gegenüberzustellen (vgl. Nr. 18 Satz 1 RiStBV). Obwohl es selbstverständlich sein sollte, dass dabei nicht erkennbar sein darf, bei wem es sich um den Beschuldigten handelt, gibt es auch insofern Defizite in der praktischen Anwendung, die schon darin bestehen können, dass die Vergleichspersonen anders bekleidet sind als der Beschuldigte oder Polizeibeamte als solche eingesetzt werden.1005 Der die Ermittlungsmaßnahme durchführende Beamte sollte dabei selbst nicht wissen, wer der Tatverdächtigte ist.1006 Forschungsergebnisse deuten daraufhin, dass eine sog. sequentielle (sukzessive) Wahlgegenüberstellung, bei der dem Zeugen die Personen nacheinander, aber ohne Kenntnis von deren Zahl gezeigt werden, wegen der verlässlicheren Ergebnisse der herkömmlich praktizierten seriellen vorzuziehen ist1007 und ihr deshalb regelmäßig ein höherer Beweiswert zuzubilligen sein wird. Ursache hierfür dürfte der Umstand sein, dass dem Zeugen mangels gleichzeitig vorgeführter Personen eine Identifizierung am Maßstab einer relativen Ähnlichkeit mit dem Gesuchten verschlossen ist.1008 Entsprechendes gilt für im Vergleich zu Wahlgegenüberstellungen allerdings weniger 134 zuverlässige Wahllichtbildvorlagen (vgl. Nr. 18 Satz 2 RiStBV).1009 Es ist daher beispielsweise fehlerhaft, wenn auf den vorgelegten Bildern allein der Angeklagte „haarlos“ abgebildet1010 oder dessen Foto größer ist als das der übrigen – wenigstens sieben –1011 Personen.1012 Gibt der Zeuge an, er habe eine Person erkannt, sollten ihm dennoch die übrigen in Betracht kommenden Lichtbilder gezeigt werden, um den Beweiswert nicht zu schmälern.1013 Hat vor einer Identifizierungsmaßnahme bereits eine andere stattgefunden, ist dem Zeugen zuvor ein einzelnes Foto1014 einer dem wahren Täter ähnelnden Person vorgelegt worden oder war er an der Fertigung einer Phantomzeichnung beteiligt, so kann da-

1004 Einen ernüchternden Bericht zur praktischen Handhabung der Wiedererkennungsverfahren geben Mertn/Schwarz/Walser Kriminalistik 1998 421; zu einem Fall massiver Ermittlungsdefizite s. BGH NStZ-RR 2006 212; ferner Beschl. v. 28.5.2009 – 4 StR 101/09 (Identifizierung des Beschuldigten in der polizeilichen Verwahrzelle). 1005 Bender/Nack/Treuer Rn. 1366 ff.; Mertn/Schwarz/Walser Kriminalistik 1998 421, 426. 1006 Odenthal StraFo 2013 62, 68. 1007 BGH StV 2000 603; Urt. v. 12.3.2020 – 4 StR 544/19; Bender/Nack/Treuer Rn. 1367 ff.; Eisenberg Beweisrecht Rn. 1405 m. w. N.; Mertn/Schwarz/Walser Kriminalistik 1998 421; Nack StV 2002 558, 562. 1008 BGH Urt. v. 14.4.2011 – 4 StR 501/10. 1009 BGH NStZ 2012 172, 173; 2013 725; Urt. v. 14.4.2011 – 4 StR 501/10; Beschl. v. 22.11.2017 – 4 StR 468/17; Bender/Nack/Treuer Rn. 1388 ff.; zu Vor- und Nachteilen der sequentiellen Wahllichtbildvorlage Odenthal StraFo 2013 62, 67 f.; zur Durchsicht zweier Lichtbildkarteikästen der Polizei BGH NStZ 2013 541, 542; zu computergenerierten Vergleichsbildern MüKo/Miebach 261. 1010 BGHR StPO § 261 Identifizierung 17. 1011 BGH NStZ 2012 172, 173; 2013 725. 1012 BGH NStZ 1998 266, 267; s. auch Urt. v. 14.4.2011 – 4 StR 501/10; Odenthal StraFo 2013 62, 66. 1013 BGH NStZ 2012 172, 173. 1014 BGH NStZ 2013 725; NStZ-RR 2017 90 („deutlich geringerer Beweiswert“); Urt. v. 11.9.2003 – 3 StR 316/02; zu Radarfotos vgl. etwa BGHSt 16 204; 28 310; BGH NStZ 1982 342; 1987 288; 1997 355; 1998 265; 1998 266; StV 1986 287; 1995 452; BayObLGSt 1994 248; OLG Düsseldorf StV 1994 8; OLG Köln StV 1992 412; 1994 67; 1998 640; OLG Oldenburg StV 1994 8; OLG Schleswig SchlHA 1993 228; LG Berlin StV 1996 423; LG Frankfurt 1986 291; LG Gera StV 1997 180; LG Hamburg StV 1998 150; AG Bremen StV 1992 214.

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durch die originäre Erinnerung „überschrieben“ worden sein.1015 Das Tatgericht muss in Fällen sog. wiederholten Wiedererkennens ggf. in den Urteilsgründen darlegen, dass es sich dieser Möglichkeit und des eventuell verringerten Beweiswerts bewusst gewesen ist.1016 Dabei ist klarzustellen, auf welchen Wiedererkennungsakt es abstellt.1017 In diesem Zusammenhang können auch durch den Zeugen – namentlich im Internet – durchgeführte Recherchen nach dem Täter bedeutsam sein.1018 Gleiches gilt hinsichtlich der kriminalistischen Erkenntnis, dass bei der ersten Identifizierungsmaßnahme gemachte Fehler später nicht mehr „repariert“ werden können;1019 dieser Umstand ist ggf. im Urteil ebenfalls zu erörtern.1020 Auch das Wiedererkennen erschwerende Tatumstände sind zu berücksichtigen, etwa Wahrnehmungseinschränkungen in der Tatsituation,1021 die z. B. aus einer Maskierung des Täters1022 oder einer nur kurzen Beobachtungszeit resultieren können.1023 Erkennt der Zeuge den Täter erstmals in der Hauptverhandlung wieder, ist zu erwägen, ob dies auf dessen Platzierung im Sitzungssaal zurückzuführen sein kann.1024 Im Einzelfall kann auch eine auditive Wahlgegenüberstellung in Betracht kom135 men, bei der einem Zeugen Stimmproben des Beschuldigten und von Vergleichspersonen vorgespielt werden. Diese müssen von Sprechern gleichen Geschlechts, ähnlichen Alters und ggf. entsprechender dialektischer Färbung herrühren.1025 Die Identifizierung von Stimmen wird allerdings zusätzlich dadurch erschwert, dass die menschliche Fähigkeit zur Wahrnehmung und Verarbeitung auditiver Reize allgemein schlechter ausgebildet ist als die visuelle Einflüsse betreffende.1026 Als für die Stimmenidentifizierung wichtige Faktoren gelten die Wahrnehmungsdauer, die Aufnahmesituation, die z. B. durch Hintergrundgeräusche oder eine schlechte Telefonverbindung beeinträchtigt, durch die Sichtbarkeit des Gesprächspartners dagegen verbessert sein kann, die Art des Sprechens, wobei ein Dialekt oder ein Akzent das Risiko mit sich bringen kann,

1015 BGH NStZ 2010 53; 2013 725; NStZ-RR 2017 90, 91; Urt. v. 27.10.2005 – 4 StR 234/05; Beschl. v. 30.3.2016 – 4 StR 102/16; Eisenberg Beweisrecht Rn. 1402 ff. und zu den Methoden der „Phantomdarstellung“ Rn. 1351 ff. 1016 BGHSt 16 204, 206; BGH NStZ 1996 350, 351; 2008 232; NStZ-RR 2006 212, 213; 2017 90, 91; 2019 137, 138; StV 2005 421; 2019 236, 237; StraFo 2017 111, 112; Beschl. v. 22.11.2017 – 4 StR 468/17; Bender/ Nack/Treuer Rn. 1356; Brause NStZ 2007 505, 509; Odenthal StraFo 2013 62, 63; Haustein 112 f.; zu Konstellationen, in denen das Tatgericht zu entsprechender Erörterung veranlasst ist, s. BGH StV 1997 454; NStZRR 2012 381, 382 f.; ferner zur Beweiswürdigung des Wiedererkennens bei Gegenüberstellungen Niemöller StV 1984 435; Odenthal Die Gegenüberstellung im Strafverfahren 11 ff., 59 ff., 105 ff.; ders. NStZ 1985 433; Schlüchter 397; ferner HK/Julius/Beckemper 41; Meyer-Goßner/Schmitt 11b; SK/Velten 34d und 36; zur Identifizierung von Personen vgl. die von einer Arbeitsgruppe aufgestellten Standards zur anthropologischen Identifikation lebender Personen aufgrund von Bilddokumenten NStZ 1999 230. 1017 OK-StPO/Eschelbach 55. 1018 Odenthal StraFo 2013 62, 65; eingehend zu Internetsuchen Pott JR 2015 462. 1019 BGHSt 16 204, 206; Nack StraFo 2001 1, 7; MüKo/Miebach 264. 1020 Odenthal StraFo 2013 62, 64. 1021 Odenthal StraFo 2013 62, 64 f. 1022 BGH StV 2005 421; NStZ-RR 2017 90, 91; s. auch StraFo 2016 154 (Tuch vor dem Mund). 1023 Hierzu BGH StraFo 2017 111, 112. 1024 Hierzu KK/Ott 107. 1025 Zu den einzuhaltenden Vorgaben LG Frankfurt (Oder) Urt. v. 12.6.2015 – 22 Ks 3/14. 1026 Vgl. etwa BGHSt 40 66; BGH NStZ 1994 597 m. Anm. Eisenberg; OLG Düsseldorf StV 1996 370; OLG Köln StV 1998 178 m. Anm. Meurer; ausführlich Eisenberg Beweisrecht Rn. 1395 ff.; Bender/Nack/ Treuer Rn. 1393 f.; SSW/Schluckebier 45.

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dass der Zeuge jeden Sprecher mit dieser Auffälligkeit als Täter identifiziert,1027 der Zeitablauf1028 sowie eine ggf. bestehende Bekanntschaft mit dem Zeugen.1029 c) Höchstrichterliche Beweisregeln. Der BGH hat für drei Fallgestaltungen 136 Rechtssätze aufgestellt, die Beweisregeln genannt werden können.1030 Diese beziehen sich auf Konstellationen, in denen der Beweiswert der Angaben eines Belastungszeugen aus unterschiedlichen Gründen so stark eingeschränkt ist, dass die Aussage im Rahmen der Beweiswürdigung regelmäßig durch andere Beweismittel von Gewicht ergänzt werden muss, soll auf sie eine Verurteilung des Angeklagten gestützt werden. Durch eine derart qualifizierte Beweiswürdigung soll zugleich ein Verteidigungsdefizit ausgeglichen werden, das in vielen Fällen bestehen wird. Angesichts dessen wird auch von „Vorsichtsregeln für die Würdigung besonderer Beweislagen“ gesprochen.1031 Schon 1962 hat der BGH entschieden, dass Feststellungen zulasten des Angeklagten 137 aufgrund von Angaben eines Zeugen vom Hörensagen1032 nur getroffen werden dürfen, wenn „diese Bekundungen durch andere wichtige Gesichtspunkte bestätigt“ werden (z. B. durch Hilfstatsachen zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des die Wahrnehmung mitteilenden Dritten, sonstige bestätigende Indizien).1033 Denn es besteht grundsätzlich eine erhöhte Gefahr, dass ein Zeuge vom Hörensagen die ihm von einem Dritten mitgeteilten Angaben unvollständig, verzerrt oder gar unzutreffend wiedergibt. Deshalb ist der Beweiswert eingeschränkt1034 und umso geringer, je größer die Zahl der Zwischenglieder ist.1035 Das Tatgericht muss sich der daraus folgenden rationalen Grenzen seiner Überzeugungsbildung bewusst sein, insbesondere der erheblich erschwerten Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Dritten,1036 und in den Urteilsgründen ersichtlich machen, dass es die deshalb an seine Beweiswürdigung gestellten erhöhten Anforderungen beachtet hat.1037 Für diese ist es grundsätzlich ohne Bedeutung, ob es die Exekutive ist, die eine bessere Aufklärung durch den tatnäheren Zeugen verhindert,1038 da es allein auf die eingeschränkte Beweiskraft ankommt. Die Anforderungen 1027 1028 1029 1030 1031 1032 1033

Vgl. hierzu BGHSt 54 15, 19 f. Hierzu LG Frankfurt (Oder) Urt. v. 12.6.2015 – 22 Ks 3/14. Bender/Nack/Treuer Rn. 1398. Kritisch diesen gegenüber Deckers/Köhnken/Pfister Erhebung 42, 57 („Systembruch“). OK-StPO/Eschelbach 51; Haustein 114 f. Vgl. LR/Cirener/Sander § 250, 25 ff. BGHSt 17 382, 386; bestätigt u. a. von 42 15, 25 f.; 45 321, 340; 49 112, 119 f.; BGH NStZ-RR 2018 21, 22; wistra 2013 400; StV 2016 774, 775; Beschl. v. 20.10.2010 – 2 StR 377/10; Beschl. v. 9.4.2013 – 5 StR 138/ 13; Urt. v. 3.5.2017 – 2 StR 66/16; s. auch BVerfGE 57 277; 292; BVerfG StV 1995 561; BGHSt 33 83; 33 178; 36 159; 39 151; BGH StV 1994 637; 1996 147; OLG Köln StV 1994 289; ferner Eisenberg GA 2014 404, 418; LR/Esser26 Art. 6, 770 f. EMRK; SK/Velten 37. 1034 BGH StraFo 2019 17, 20; Beschl. v. 4.3.2003 – 4 StR 543/02; s. auch Urt. v. 29.11.2012 – 3 StR 139/ 12. 1035 BGHSt 17 382, 385: Gedanke der „stillen Post“; s. auch BGH StV 1998 3; Beschl. v. 14.5.2009 – StB 21/09 zu zudem „mehrfach ineinander verschachtelten Aussagen von Zeugen vom Hörensagen“; wistra 2017 66, 69; KK/Ott 99; Geppert Jura 1991 539. 1036 S. nur BGHSt 45 203, 208; BGH StV 2003 604. 1037 BVerfGE 57 293; BVerfG NJW 1981 1719; 1996 448; StV 1991 449; 1995 562; 1997 1 m. Anm. Kintzig; BGHSt 17 382, 385; 29 111; 33 83; 33 178; 34 15; 36 159; 42 15; BGH NStZ 1988 144; StV 1989 518; 1991 101; 1991 197; 1994 413; bei Dallinger MDR 1954 400; OLG Frankfurt NJW 1968 1000; 1976 985; OLG Hamm NJW 1970 821; MDR 1976 1040; OLG Köln StV 1996 441; OLG Stuttgart NJW 1972 66; Eisenberg Beweisrecht Rn. 1033 ff.; G. Schäfer StV 1995 147, 152; Eb. Schmidt I Nr. 367 ff.; vgl. Rn. 30. 1038 Nach BGHSt 49 112, 120 „darf dabei nicht übersehen werden, dass die Exekutive eine erschöpfende Sachaufklärung verhindert“.

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gelten daher nicht nur bei einem sog. Zufallszeugen wie einer Privatperson, die beispielsweise über die letzten, auf den Angeklagten als Täter hinweisenden Worte des von ihm aufgefundenen tödlich Verletzten berichtet,1039 sondern in gleicher Weise auch dann, wenn etwa ein Ermittlungsrichter den Inhalt der von ihm durchgeführten Zeugenvernehmung1040 oder ein Vernehmungs- bzw. sog. Führungsbeamter Angaben eines dem Gericht und den übrigen Verfahrensbeteiligten unbekannt gebliebenen Gewährsmanns (z. B. eines Verdeckten Ermittlers, einer „gesperrten“ V-Person oder eines Informanten der Polizei, dem Vertraulichkeit zugesichert worden ist) bekundet.1041 Bei der letztgenannten praxisrelevanten Konstellation des Zeugnisses vom Hörensa138 gen müssen die sonstigen Beweismittel, welche die Aussage stützen, sogar von besonderem Gewicht sein. Denn da der Gewährsmann „im Dunkeln bleibt“, können sich weder das Tatgericht noch die anderen an der Hauptverhandlung Beteiligten ein Bild machen von seiner Persönlichkeit, seinem Lebenslauf, seinem Charakter, seiner Zuverlässigkeit,1042 seinen Beweggründen für die Belastung des Angeklagten, zu denen etwa der Erhalt einer Entlohnung im „Erfolgsfall“ gehören kann,1043 und insgesamt vom Beweiswert seiner Bekundungen.1044 Dies gilt zumal dann, wenn er womöglich seinerseits nur Zeuge vom Hörensagen ist.1045 Angesichts der genannten Umstände genügt es nicht, wenn das Wissen des Zeugen vom Hörensagen nur durch Angaben anderer Personen bestätigt wird, die in der Hauptverhandlung nicht selbst gehört wurden.1046 Ergibt sich gar, dass ein V-Mann in anderen Punkten die Unwahrheit gesagt hat, darf auch seinen übrigen Angaben nicht ohne Weiteres vertraut werden.1047 Durch die anderen wichtigen Beweisanzeichen braucht allerdings nicht jedes Detail der durch den Zeugen vom Hörensagen eingeführten Tatsachen bestätigt zu werden, wohl aber beim letztlich nicht durchgeführten Betäubungsmittelgeschäft größeren Umfangs die den Schuldgehalt prägenden Mengenangaben.1048 Als ausreichend ist die (neben weiteren Anzeichen erfolgte) Aussage eines Zeugen angesehen worden, dem der Angeklagte erzählt hatte, er habe kurz nach einem Überfall eine große Geldsumme für den Ankauf eines Lokals aufgewendet,1049 ebenso die baldige Ablieferung des gehandelten Betäubungsmittels durch die

1039 Ebenso BGHSt 50 11, 15 zu den Bekundungen einer Betreuerin über eine ihr berichtete Vergewaltigung; BGH StV 2008 236 zur Aussage von Mutter und Großmutter zu ihnen gegenüber gemachten Angaben eines Kindes über einen sexuellen Missbrauch; zu Privatpersonen als Zeugen vom Hörensagen s. schon BGHSt 1 373; MüKo/Miebach 293; kritisch zur Anwendung der erhöhten Anforderungen auf Privatpersonen Detter NStZ 2003 1, 9. 1040 Detter NStZ 2003 1, 3. 1041 BGHSt 33 178, 181: auch als vom Gericht „gerufener Zeuge“; s. zudem BGH StV 1994 413; NStZ 2014 277; NStZ-RR 2018 21, 22; wistra 2017 66, 69; Urt. v. 3.5.2017 – 2 StR 66/16; ferner zur besonders kritischen Herangehensweise an die Aussage eines Offiziers des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR über Angaben eines von ihm geführten sog. inoffiziellen Mitarbeiters BGHSt 38 276, 279. 1042 BGH wistra 2017 66, 69. 1043 BGH NStZ 2014 277, 280; Beschl. v. 9.5.2012 – 5 StR 41/12; s. auch StV 2018 791, 792; Eisenberg GA 2014 404, 415 (Versteuerung des Honorars in Höhe von 10 % soll pauschal von der Innenverwaltung an das Finanzamt abgeführt werden). 1044 Grundlegend BGHSt 17 382, 386; s. auch Geppert Jura 1991 539 (Doppelung der Glaubwürdigkeitsbeurteilung). 1045 BGH wistra 2017 66, 69; s. auch Beschl. v. 11.4.2019 – 4 StR 89/19. 1046 BGH StV 1996 583. 1047 LG Aachen StV 1991 341. 1048 BGH NStZ 1994 502; NStZ-RR 2002 176; kritisch NStZ 2007 103. 1049 BGH Urt. v. 11.9.2003 – 3 StR 316/02.

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Vertrauensperson bei der Polizei,1050 während im Fahrzeug eines (möglichen) Mittäters aufgefundene Diebeswerkzeuge als Beleg für die Tatbeteiligung auch des Angeklagten nicht genügten.1051 Um die Minderung des Beweiswertes zu begrenzen, sollte das Tatgericht in geeigneten Fällen nach Maßgabe seiner Aufklärungspflicht unter Einbeziehung der übrigen Verfahrensbeteiligten einen Fragenkatalog erstellen und dem Gewährsmann über den Vernehmungsbeamten zur Beantwortung vorlegen.1052 An diese Rechtsprechung hat der BGH im Jahr 1998 angeknüpft. Steht Aussage ge- 139 gen Aussage (vgl. Rn. 107) und hält der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung seine Vorwürfe zumindest teilweise nicht mehr aufrecht (z. B. hinsichtlich einer von zwei angezeigten Taten1053 oder gar betreffend die zuvor am detailliertesten geschildete Tat1054), wird seiner anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt, so dass insoweit Freispruch ergeht1055 oder das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 eingestellt wird,1056 oder stellt sich sogar die Unwahrheit eines Aussageteils heraus,1057 weil dem Angeklagten beispielsweise für eine von mehreren ihm zur Last gelegten Taten der Alibibeweis gelingt,1058 so müssen vom Tatgericht jedenfalls regelmäßig außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe festgestellt werden, wenn es der Aussage im Übrigen folgen will.1059 Ebenso verhält es sich bei einer belastenden Einlassung eines Mitangeklagten;1060 dies soll allerdings grundsätzlich anders sein, wenn dieser lediglich hinsichtlich seiner eigenen Mitwirkung wahrheitswidrig ausgesagt hat.1061 Derartige sog. Außenkriterien sind für eine Verurteilung erforderlich, weil infolge der bezeichneten Umstände die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen in schwerwiegender Weise in Frage gestellt ist.1062 Dies gilt allerdings nur dann, wenn die Aussage eines dergestalt „kranken“ Zeugen in einem wesentlichen Teil als bewusst falsch anzusehen ist.1063 Hierzu hat sich das Tatgericht im Urteil zu äußern.1064 Denn eine allein auf die Bekun1050 1051 1052 1053

BGH NStZ 1994 502; weitere Beispiele gibt Detter NStZ 2003 1, 4. BGH Beschl. v. 8.5.2007 – 4 StR 591/06. S. BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d Verhörsperson 2; Detter StV 2006 544, 547. BGHR StGB § 176 Abs. 1 Beweiswürdigung 3; BGH NStZ-RR 2008 254 (auch zu weiteren Abschwächungen der ursprünglich erhobenen Vorwürfe); Urt. v. 23.5.2006 – 5 StR 62/06. 1054 BGH Beschl. v. 25.10.2010 – 1 StR 369/10. 1055 Ein prägnanter Fall liegt der Entscheidung BGH NStZ 1995 558 zugrunde; s. auch BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; BGH NStZ 1996 98; StV 2011 336, 337; 2018 195; 2020 444, 445; Beschl. v. 21.4.1999 – 5 StR 634/98; Beschl. v. 24.2.2011 – 4 StR 488/10; Beschl. v. 22.9.2011 – 2 StR 263/11; Beschl. v. 18.9.2013 – 1 StR 380/13; Urt. v. 20.2.2014 – 3 StR 289/13; Beschl. v. 28.4.2020 – 2 StR 494/19. 1056 BGHSt 44 153, 160; BGH StV 1999 305 (Einstellung von 305 der angeklagten 320 Fälle des sexuellen Missbrauchs); Urt. v. 20.2.2014 – 3 StR 289/13. 1057 BGH Urt. v. 9.3.2011 – 2 StR 467/10; Beschl. v. 12.9.2012 – 5 StR 401/12. 1058 Sander StV 2000 45, 48. 1059 BGHSt 44 153, 159; BGH NStZ 2013 57, 58; Urt. v. 13.1.2005 – 4 StR 422/04; Beschl. v. 12.9.2012 – 5 StR 401/12; Beschl. v. 3.6.2015 – 5 StR 166/15; Hamm StraFo 2000 253, 256; Sander StV 2000 45; MüKo/ Miebach 236; SSW/Schluckebier 39. 1060 BGH NJW 2019 945. 1061 BGH Beschl. v. 13.9.2011 – 5 StR 308/11. 1062 S. dazu auch BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 13; BGH NStZ-RR 2008 180; 2015 86. 1063 Vgl. BGH NStZ 2019 746, 747; NStZ-RR 2015 86; StV 2017 6, 7; Beschl. v. 4.5.2011 – 5 StR 126/11; Beschl. v. 3.6.2015 – 5 StR 166/15; s. auch NStZ-RR 2017 152; Beschl. v. 6.2.2014 – 1 StR 700/13; Scharbius 234 ff. 1064 BGHSt 44 256; BGH Urt. v. 7.4.2005 – 5 StR 544/04 (zu möglicherweise fabulierender Zeugin); Beschl. v. 12.4.2005 – 4 StR 59/05; Urt. v. 19.4.2007 – 4 StR 23/07; Beschl. v. 20.10.2010 – 2 StR 377/10; Urt. v. 30.3.2016 – 2 StR 92/15; s. auch NStZ-RR 2020 43; Beschl. v. 11.1.2007 – 4 StR 497/06; Urt. v. 20.2.2014 – 3 StR 289/13; Beschl. v. 16.12.2015 – 1 StR 503/15; Beschl. v. 4.12.2019 – 2 StR 208/19; MüKo/Miebach 231.

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dungen eines Zeugen gestützte Verurteilung bleibt nach wie vor möglich, wenn dieser lediglich irrtümlich falsch ausgesagt hat oder von früheren Angaben abgewichen ist.1065 Wird das Verfahren wegen eines Teils der aufgrund der Angaben des Zeugen angeklagten Taten gemäß § 154 Abs. 2 eingestellt, so hat das Tatgericht die Gründe hierfür im Urteil darzulegen, besonders dann, wenn prozessökonomische Gründe für die Einstellung fernliegen, weil der Zeuge umfassend gehört worden war.1066 Denn diese können für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen von Bedeutung sein,1067 etwa wenn die Einstellung erfolgt ist, weil das Tatgericht es für „extrem problematisch“ gehalten hat, die Angaben des Zeugen als Bestätigung der Vorwürfe anzusehen,1068 oder weil der Zeuge insofern trotz eines für ihn angeblich bedeutsamen Geschehens „keine klaren und hinreichenden Erinnerungen“ mehr hatte.1069 Außenkriterien von Gewicht. Kein Außenkriterium stellen in diesem Zusammen140 hang Beweisanzeichen dar, welche die Angaben des Zeugen zur Tat selbst bestätigen, weil dann bereits per definitionem nicht Aussage gegen Aussage steht (vgl. Rn. 107). Es kann sich daher ausschließlich um Indizien handeln, die den erhobenen Vorwurf mittelbar stützen. Diese dürfen zudem mit den Angaben des Zeugen inhaltlich nicht so eng verknüpft sein, dass ihnen keine selbständige Bedeutung mehr zukommt. Ein Indiz darf vielmehr erst dann als Außenkriterium gewertet werden, wenn es vom Inhalt der Aussage unabhängig ist und ihm deshalb trotz des gebotenen strengen Maßstabs1070 eine Verurteilung mittragende Beweiskraft zuerkannt werden kann. Dies kann beispielsweise bejaht werden, wenn die polizeilichen Ermittlungen die vom Zeugen zu den örtlichen und zeitlichen Verhältnissen gemachten Angaben bestätigt haben1071 oder es zu vergleichbaren Übergriffen des Angeklagten auf andere Geschädigte gekommen ist.1072 Dasselbe kann für das Verhalten eines Zeugen nach der von ihm behaupteten Tat1073 und eine ärztliche Behandlung gelten,1074 ebenso für einen Brief, den ein Zeuge unter Umgehung der Postkontrolle aus der Untersuchungshaft an seine Lebensgefährtin gesandt hat,1075 einen Zettel, auf welchem die Beute verzeichnet ist,1076 sowie nach den Umständen des Einzelfalls auch für die psychische Verfassung eines Zeugen während seiner polizeilichen Vernehmung,1077 nicht aber für die dabei gemachten Äußerungen

1065 BGH Beschl. v. 14.6.1994 – 1 StR 214/94; Sander StV 2000 45, 48. 1066 BGH NStZ 2008 581, 582; StV 2019 524; Beschl. v. 26.8.2014 – 5 StR 358/14; Beschl. v. 5.4.2016 – 1 StR 53/16; Beschl. v. 2.6.2016 – 3 StR 85/16; s. auch StV 2020 446, 448 (zu einer weiteren gar nicht erst angeklagten Tat); Beschl. v. 13.2.2020 – 1 StR 473/19; Meyer-Goßner/Appl Rn. 371. 1067 BGHSt 44 153, 160; BGHR StPO § 154 Abs. 2 Teileinstellung 1; BGH NStZ 2003 164, 165; 2018 618 m. Anm. Gubitz/Buchholz; StV 2009 116, 117; Beschl. v. 5.3.2002 – 4 StR 18/02; Beschl. v. 23.8.2012 – 4 StR 207/12; Beschl. v. 2.5.2018 – 2 StR 373/17; differenzierend G. Schäfer FS Rieß 477, 487 (Erörterung nur geboten, wenn die Gründe für die Einstellung für die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage bedeutsam sind); s. auch BGH Beschl. v. 3.6.2014 – 5 StR 199/14. 1068 BGH StV 1999 305. 1069 BGH StV 2008 238 (Defloration durch den Stiefvater); ähnlich NStZ-RR 2008 254. 1070 Vgl. BGHSt 51 150, 157. 1071 BGH NStZ 2008 50, 51. 1072 BGH NStZ 2001 161 m.w.Bsp.; Haustein 105. 1073 BGH Urt. v. 19.11.2008 – 2 StR 394/08; Haustein 106; s. auch KK/Ott 101. 1074 BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 29; zu gynäkologisch festgestellten Verletzungen BGH NStZRR 2003 206, 209; StV 2005 533, 534. 1075 BGH NStZ 2005 224 m. insoweit krit. Anm. Esser JR 2005 248, 255; s. auch NStZ 2018 51 m. Anm. Arnoldi. 1076 BGH StV 1999 7. 1077 BGH NStZ 2008 50, 51.

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selbst.1078 Bedenklich ist es, ein aussagepsychologisches Gutachten als Außenkriterium anzusehen, solange dieses ausschließlich auf den Angaben des Zeugen basiert.1079 Vergleichbares gilt für die Heranziehung von Tatschilderungen gegenüber einem Dritten, soweit es nicht um qualifizierende Umstände wie etwa emotionale Betroffenheit geht.1080 Liegt ein Außenkriterium vor, muss stets seine Reichweite geprüft werden, d. h. inwieweit es die Darstellung des Zeugen zu stützen geeignet ist. So stellen etwa die Befeuchtung der Hose einer Zeugin an den Knien und Spermaspuren an ihrer Jacke keine „starken Indizien“ für den von ihr behaupteten Oralverkehr dar, da sie sich in gleicher Weise mit einer in kniender Haltung vorgenommenen manuellen Befriedigung des Angeklagten vereinbaren lassen.1081 Wann einem Außenkriterium das erforderliche Gewicht zukommt, der Aussage eines „kranken“ Zeugen folgen zu können, lässt sich nicht allgemein bestimmen. Insofern kommt dem Tatgericht ein Beurteilungsspielraum zu, dessen Anwendung in den Urteilsgründen dokumentiert werden muss. Unter dem Einfluss der Rechtsprechung des EGMR1082 hat der BGH im Jahr 2000 im 141 Wege der konventionskonformen Auslegung des deutschen Strafprozessrechts ausdrücklich eine weitere Beweiswürdigungsanforderung aufgestellt. Danach darf auf die Angaben eines Belastungszeugen,1083 den der Angeklagte entgegen Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK zu keinem Zeitpunkt, d. h. weder in der Hauptverhandlung noch in einem früheren Verfahrensstadium befragen (lassen) konnte, eine Verurteilung ebenfalls nur gestützt werden, wenn die Bekundungen durch „andere wichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden“.1084 Diese erhöhten Anforderungen gelten (jedenfalls) dann, wenn die fehlende Gelegenheit zur Befragung der Justiz zuzurechnen ist, wobei es nicht darauf ankommt, ob diese insofern absichtlich, versehentlich oder rechtsirrig gehandelt hat.1085 Hierdurch soll die Verletzung des Rechts auf sog. konfrontative Befragung1086 mit dem Ziel ausgeglichen werden, dass das Verfahren insgesamt als fair anzusehen und somit kein Konventionsverstoß gegeben ist. Es kommt darauf an, dass der Angeklagte noch immer eine effektive Chance zur Verteidigung

1078 BGHSt 51 150, 158. 1079 Deckers StraFo 2010 372, 378; Haustein 106; a. A. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 29 unter unzutreffender Inbezugnahme von BGHSt 44 256, da in dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall lediglich ein Missverständnis zur Annahme eines anderen Tattages geführt hatte; s. auch BGH NJW 1995 1501 und für ein auch auf Zusatztatsachen beruhendes Gutachten Urt. v. 11.2.2004 – 2 StR 378/03; KK/Ott 116; Scharbius 255 f.; kritisch gegenüber der Heranziehung von Angaben gegenüber einem Dritten Schmandt StraFo 2010 446, 448 (problematische „Doppelung“). 1080 Deckers StraFo 2010 372, 374. 1081 BGH Beschl. v. 2.4.2008 – 5 StR 42/08. 1082 Vertiefend R. Esser 638 ff.; ders. NStZ 2007 106; zur vom EGMR angewandten Drei-Stufen-Theorie s. BGH NStZ 2018 51, 52 f. m. Anm. Arnoldi; Lohse JR 2018 183. 1083 BGH NStZ 2005 224, 225; NStZ-RR 2005 321: Unter den Begriff des Belastungszeugen können auch Personen fallen, die in einem anderen Verfahren als Beschuldigte ausgesagt haben; erfasst sind zudem Mitangeklagte, Beschl. v. 9.7.2009 – 4 StR 461/08. 1084 BGHSt 46 93 (die Entscheidung hat zudem wesentliche Bedeutung für die konventionskonforme Auslegung des § 141 Abs. 2 Nr. 3); ebenso z. B. BGH NStZ-RR 2005 321; NStZ 2008 50, 51; zusammenfassend KK/Lohse/Jakobs Art. 6, 105 ff. EMRK; hinsichtlich der Pauschalität zweifelnd BGH NStZ 2018 51, 54 m. Anm. Arnoldi; Lohse JR 2018 183, 185. 1085 BGHSt 51 150, 155 f.: entgegen § 168c Abs. 5 Satz 1 keine Benachrichtigung des Verteidigers von der bevorstehenden ermittlungsrichterlichen Vernehmung des Zeugen und grundloser Ausschluss des Beschuldigten (vgl. § 168c Abs. 3) während dieser Vernehmung. 1086 Zu möglichen Inhalten aus Verteidigersicht Deckers/Köhnken/Deckers Erhebung und Bewertung 181, 200 ff.

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besitzt.1087 Dem Ganzen liegt der vom EGMR entwickelte Gedanke zugrunde, der Beweiswert der Aussage eines Zeugen hänge auch davon ab, ob seine Befragung durch den Angeklagten (oder den Verteidiger) aus einem von der Justiz zu vertretenen Grund unterblieben ist.1088 Dementsprechend hat der BGH die bezeichnete Beweisregel nicht angewandt, son142 dern lediglich eine besonders sorgfältige Beweiswürdigung verlangt in Fällen, in denen ein Zeuge verstorben war,1089 aus einem anderen, von der Justiz „keineswegs verschuldeten“ Grund nicht zur Verfügung stand1090 oder sich in der Hauptverhandlung auf ein ihm zustehendes Zeugnis-1091 oder umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht1092 berufen hat, so dass seine früheren Angaben durch die Verhörsperson eingeführt worden waren (zum ggf. zu erstellenden Fragenkatalog vgl. Rn. 138), und in denen ein Mitangeklagter es abgelehnt hatte, Fragen des Verteidigers (§ 240 Abs. 2 Satz 2) des von ihm belasteten Angeklagten zu beantworten.1093 Das Tatgericht muss in solchen Konstellationen erkennen lassen, dass es sich des defizitären Beweiswertes derartiger Angaben bewusst war, mithin erhöhte Anforderungen an die Abfassung der Urteilsgründe erfüllen.1094 Es ist selbstverständlich nicht gehalten, auf den baldigen Abschluss eines gegen einen sich auf § 55 berufenen Zeugen vor einem anderen Gericht geführtes Verfahrens zu drängen.1095 Das Konfrontationsrecht wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass dem Angeklagten keine frontale Sicht auf den Zeugen gewährt wird.1096 Eine allgemeine Zurechnung von Verfahrensvorgängen, die sich in einem anderen Mitgliedsstaat der EMRK ereignet haben, hat der BGH als „durch die Konvention nicht geboten“ angesehen.1097 Die soeben skizzierte Differenzierung ist nach den Maßstäben der allgemeinen Be143 weislehre kaum überzeugend, weil die Ursache für die fehlende Befragung in der Regel für den Beweiswert der Angaben irrelevant sein wird (vgl. Rn. 137). Dieser wird vielmehr generell gemindert, wenn der Angeklagte nicht den Versuch unternehmen konnte, auf eine Vervollständigung der Aussage (vgl. § 69 Abs. 2) hinzuwirken.1098 Der BGH 1087 Hierzu R. Esser/Gaede/Tsambikakis NStZ 2012 619, 621. 1088 BGHSt 51 150, 155 m. w. N.; BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 lit. d Fragerecht 9. 1089 BGH StraFo 2013 209; Beschl. v. 9.2.2005 – 4 StR 552/04; ebenso KK/Ott 111; s. auch BGH Beschl. v. 12.11.2011 – 1 StR 540/10 (keine Verpflichtung zur Durchführung einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung einer 85 Jahre alten Zeugin); R. Esser JR 2005 248, 250; zu dieser Konstellation ausführlich R. Esser/ Gaede/Tsambikakis NStZ 2012 619, 620 ff. 1090 BGH NStZ-RR 2010 83; s. ferner NStZ 2017 602, 603 f. (Zeuge ist unbekannten Aufenthalts) m. Anm. Esser; 2018 51 m. Anm. Arnoldi; Beschl. v. 3.5.2011 – 5 StR 119/11; Urt. v. 28.6.2017 – 2 StR 92/17 (Vernehmungsunfähigkeit). 1091 BGHSt 45 203, 208; BGH NStZ 2007 652; s. auch Urt. v. 11.7.2008 – 5 StR 74/08. 1092 BGH NStZ 2004 691; Beschl. v. 22.5.2007 – 5 StR 94/07; Beschl. v. 22.9.2011 – 2 StR 263/11; Beschl. v. 12.5.2020 – 1 StR 596/19; ferner StV 2007 284, 286; NStZ-RR 2009 212; 2014 246, 248 f.; Urt. v. 6.8.2013 – 1 StR 201/13; Beschl. v. 23.10.2013 – 5 StR 401/13; Beschl. v. 12.5.2020 – 5 StR 139/20; s. aber Urt. v. 19.2.2015 – 3 StR 597/14, dem sich zum relevanten prozessualen Geschehen freilich keine Einzelheiten entnehmen lassen. 1093 BGH Beschl. v. 9.6.2009 – 4 StR 461/08; Urt. v. 9.11.2010 – 5 StR 297/10; Beschl. v. 13.9.2011 – 5 StR 308/11; Beschl. v. 23.3.2017 – 5 StR 495/16. 1094 Hierzu BGH NStZ 2018 51, 53 m. Anm. Arnoldi. 1095 BGH Beschl. v. 28.8.2019 – 5 StR 339/19; zu Maßnahmen, die nach einer Abtrennung des Verfahrens gegen einen Mitangeklagten dessen Zeugenvernehmung ermöglichen können, s. NStZ 2014 660, 662. 1096 BGH NStZ 2019 297. 1097 BGHSt 55 70 = NStZ 2010 410, 411. 1098 Ebenso in ergänzenden „Bemerkungen“ BGH NStZ 2018 51, 54 m. Anm. Arnoldi; Lohse JR 2018 183, 185; s. auch OK-StPO/Eschelbach 58; KK/Ott 111.

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selbst hat das „Defizit an Unmittelbarkeit“ hervorgehoben, das sogar schon bei einer mittels Bild-Ton-Leitung in die Hauptverhandlung übertragenen Vernehmung im Vergleich zur konfrontativen Befragung im Gerichtssaal besteht.1099 Eine Ausnahme ist allerdings anzunehmen, wenn der Angeklagte infolge eigenverantwortlichen Handelns den Zeugen nicht befragen konnte, beispielsweise sich zum Zeitpunkt der Vernehmung auf der Flucht befunden hat.1100 Denn anderenfalls hätte er es vielfach in der Hand, den Beweiswert der Angaben eines Zeugen zu senken. Die Aufstellung der dritten Beweisregel mag mit Blick auf europarechtliche Vorga- 144 ben erforderlich gewesen sein. Für das Gros der bislang vom BGH entschiedenen Fälle hätte es ihrer aber nicht bedurft. Denn dabei handelte es sich um Fallgestaltungen, bei denen die Angaben des Belastungszeugen über einen Dritten, also einen Zeugen vom Hörensagen, in die Hauptverhandlung eingeführt worden waren.1101 Daher wären schon aus diesem Grund andere wichtige Gesichtspunkte zur Bestätigung der Angaben notwendig gewesen (vgl. Rn. 137). Auch in dem Verfahren, das zu dem grundlegenden Urteil des BGH geführt hatte, war zu der im Ermittlungsverfahren gemachten Aussage des nunmehr gemäß § 52 schweigenden Zeugen der Ermittlungsrichter gehört worden.1102 Der Entscheidung lässt sich insbesondere nicht entnehmen, dass zum Ausgleich der Kumulation der den Beweiswert senkenden Umstände die Aussage bestätigende Gesichtspunkte von besonderem Gewicht verlangt werden sollten. Eine derartige Abstufung wäre auch nur theoretisch denkbar, in der tatgerichtlichen Praxis aber nicht umzusetzen, und ist deshalb abzulehnen. Das insofern erforderliche Maß kann daher nicht abstrakt bestimmt werden, sondern hängt von der im Einzelfall jeweils bestehenden Beweislage ab. Ausnahmsweise kann eine Verletzung des Rechts auf konfrontative Befragung je- 145 doch eigenständige Bedeutung erlangen. Dies kommt etwa in Betracht, wenn ein Zeuge in der Hauptverhandlung zwar teilweise aussagt, eine Befragung durch den Angeklagten und die Verteidigung aber unter Berufung auf ein ihm zustehendes Zeugnis-1103 oder ggf. auch (umfassendes) Auskunftsverweigerungsrecht1104 ablehnt, beispielsweise zu ihm gegenüber gemachten Äußerungen des Angeklagten.1105 Obwohl damit das Recht nach Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK nicht wahrgenommen werden konnte, hat der BGH nicht die in diesem Zusammenhang aufgestellte Beweisregel herangezogen, sondern lediglich verlangt, „ein solches Aussageverhalten (sei) im Rahmen der Beweiswürdigung bei der Beurteilung der Aussage des betreffenden Zeugen kritisch zu bewerten“.1106 Vorzugswürdig erscheint es jedoch, auch bei dieser Fallgestaltung für eine Verurteilung weitere Beweisanzeichen von Gewicht außerhalb der Zeugenaussage zu verlangen. Denn durch die fehlende Möglichkeit der konfrontativen Befragung mindert sich auch hier der Beweiswert der Angaben (vgl. Rn. 143).1107 Auch wenn namentlich das Gericht durch die Aufklärungspflicht gehalten ist, den Zeugen umfassend zu befragen, wird ihm dies oft nicht möglich sein, weil ihm nur dem Angeklagten eigenes Wissen insbesondere zur Tat fehlt.

1099 Ausführlich zu den Vernehmungsschwächen BGHSt 45 188, 196; s. auch BGH NStZ 2002 656, 658; 2008 232, 233; Urt. v. 11.7.2008 – 5 StR 74/08. 1100 Vgl. BGH NStZ 2005 224 m. Anm. Esser JR 2005 248, 249. 1101 S. beispielsweise BGHSt 51 150. 1102 BGHSt 46 93. 1103 BGH StV 2003 604. 1104 BGHSt 47 220; s. auch Brause NStZ 2007 505, 508. 1105 BGH NStZ 2013 238 m. Anm. Widmaier. 1106 BGHSt 47 220, 223 f.; s. auch BGH StV 2003 604. 1107 Ebenso AnwK/Martis 8.

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Die fehlende Fragemöglichkeit des Angeklagten ist zwar der Justiz nicht unmittelbar zuzurechnen, beruht aber auf der Wahrnehmung eines dem Zeugen durch den Gesetzgeber des die Strafverfolgung betreibenden Staates eingeräumten Rechts. 146 In der Literatur wird gelegentlich angeregt, die Beweisregeln für die drei bezeichneten Gruppen auf vergleichbare Konstellationen auszuweiten. Beispielsweise wird vorgeschlagen, entsprechende Vorgaben für den Fall einer grenzüberschreitenden audiovisuellen Vernehmung eines Zeugen aufzustellen.1108 Insofern hat der BGH auf die durch das technische Medium und die fehlende körperliche Anwesenheit des Zeugen begrenzte Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und weitere Vernehmungsdefizite hingewiesen.1109 Die sich daraus für den Beweiswert ergebenden Beschränkungen haben aber nicht solches Gewicht, dass sie denjenigen der Konstellationen des Zeugen vom Hörensagen, des „kranken“ Zeugen und der fehlenden konfrontativen Befragung gleichwertig sind. Daher genügt es, sie in die Beweiswürdigung allgemein einzubeziehen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Einhaltung der für die Hauptverhandlung geltenden wesentlichen Verfahrensgarantien gewährleistet, insbesondere eine unbeeinflusste Vernehmung möglich ist.1110 Anders könnte es sich ausnahmsweise verhalten, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Zeuge in oder gar von dem um die Rechtshilfe ersuchten Staat namentlich durch Gewalt oder Drohung unter Druck gesetzt worden ist. 147 Schließlich hat der BGH im Jahr 2004 eine weitere Einschränkung der freien Beweiswürdigung vorgenommen. Diese betrifft den Fall, dass ein nach dem sonstigen Ermittlungsergebnis für die Wahrheitsfindung zentrales Beweismittel1111 infolge einer Sperrerklärung (§ 96) oder einer verweigerten Aussagegenehmigung (§ 54) nicht in die Beweisaufnahme eingeführt werden kann, obwohl dies ohne das prozessuale Hindernis durch die gerichtliche Aufklärungspflicht geboten wäre oder ein darauf gerichteter Beweisantrag nicht aus einem der in § 244 Abs. 3 bis 5 vorgesehenen Gründe abgelehnt werden könnte.1112 Bei dieser – durchaus nicht nur den Zeugenbeweis betreffenden – Sachlage verschlechtert sich im Unterschied zu den drei zuvor dargestellten Konstellationen (Rn. 137 ff.) nicht nur der Wert eines bestimmten Beweismittels, sondern die Beweisgrundlage wird insgesamt verkürzt, da ein Beweismittel völlig unerreichbar bleibt. Dies hat zur Folge, dass nicht einmal verlässlich prognostiziert werden kann, ob seine Erhebung für den Angeklagten Ent- oder Belastendes erbracht hätte. Damit eine derartige Verhinderung einer Beweiserhebung durch den die Strafverfolgung betreibenden Staat1113 dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereicht, verlangt der BGH als Ausgleich eine besonders vorsichtige Beweiswürdigung. Diese soll ungeachtet der Frage, ob die Sperrerklärung bzw. Verweigerung der Aussagegenehmigung rechtmäßig ist,1114 so vorgenommen werden, dass das Tatgericht in seine abschließende Bewertung die Möglichkeit einbezieht, das gesperrte Beweismittel hätte das Entlastungsvorbringen bzw. die entlastende Beweisbehauptung des Angeklagten bestätigt, wenn es in die Haupt-

1108 1109 1110 1111

Hamm StraFo 2000 253, 257. BGHSt 45 188, 196. BGHSt 45 188, 194 f. Etwa einen an den Anschlägen vom 11.9.2001 auf das World Trade Center in New York und andere Objekte Beteiligten, vgl. BGHSt 49 112, 125. 1112 BGHSt 49 112, 118; hierzu Wohlers StV 2014 563, 567 f. 1113 Die entwickelten Grundsätze sollen allerdings auch für die Sachlage gelten, dass ein anderer Staat die Beweiserhebung verhindert, wenn er ein erhebliches eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens und sich grundsätzlich zur Rechtshilfe im Verhältnis zu Deutschland verpflichtet hat, diese aber selektiv gewährt; BGHSt 49 112, 124 f. 1114 Zustimmend H. E. Müller JZ 2004 926, 927; differenzierend Mosbacher JR 2004 523, 525.

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verhandlung eingeführt worden wäre. Im Anschluss hat es zu entscheiden, ob das potentiell entlastende Ergebnis der unterbliebenen Beweiserhebung durch die verwertbaren sonstigen Beweismittel so weit entkräftet wird, dass trotz der geschmälerten Erkenntnisgrundlage der Inbegriff der Hauptverhandlung die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten trägt.1115 Dabei ist der Zweifelssatz – wie stets (vgl. Rn. 183) – nur bei der Gesamtwürdigung 148 zu beachten, nicht aber auf die einzelne (fragliche) Beweistatsache anzuwenden. Der Sache nach handelt es sich bei dem vom BGH gewählten Weg um eine Wahrunterstellung eines Beweisergebnisses, also um ein Weniger zur Wahrunterstellung einer beweiserheblichen Tatsache nach § 244 Abs. 3 Satz 2.1116 Diese ermöglicht zwar grundsätzlich den gebotenen angemessenen Ausgleich für die staatlich verursachte Verkürzung der Beweisgrundlage. Hieraus erwächst aber für die Tatgerichte die ungewöhnliche und praktisch nur schwer zu bewältigende Aufgabe, den Wert der nur fiktiven Beweiserhebung plausibel zu bestimmen.1117 Dies gilt in über das Übliche weit hinausgehendem Maße für die Prüfung der Glaubhaftigkeit der unterstellten Angaben eines Zeugen und dessen Glaubwürdigkeit.1118 Denn für die Beweiswürdigung ist regelmäßig nicht allein entscheidend, was ein Zeuge bekundet, sondern wie er dies tut.1119 Insoweit aber fehlt jeglicher tatsächliche Anknüpfungspunkt. Unabhängig davon verlangt der BGH bei einer Verurteilung vom Tatgericht einen umso höheren „argumentativen Aufwand“ zur Begründung seiner Überzeugung von der Schuld des Angeklagten, je mehr sich das Ergebnis der Beweisaufnahme mit dem Entlastungsvorbringen in Einklang bringen lassen könnte, je näher das gesperrte Beweismittel zu der Tat steht und je stärker es daher potentiell zu deren Aufklärung hätte beitragen können.1120 d) Weitere Konstellationen. Generell gelten zudem folgende einzelne Maßgaben: 149 Glaubt das Gericht einem Zeugen nicht, sind im Urteil zusammen mit der Wiedergabe der Aussage die Gründe dafür aufzuzeigen.1121 Gleiches gilt, wenn Aussagen in einem entscheidungserheblichen Punkt einander widersprechen1122 oder der Zeuge sich an einen Umstand nicht erinnert, der ihm unmöglich entgangen sein könnte.1123 Es ist ein Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung, wenn sich das Gericht bei der Bewertung einer Zeugenaussage durch einen nicht bestehenden Satz der Alltagserfahrung für gebunden hält, so, wenn es einem Zeugen glaubt, weil er ein „klassischer Zeuge“ sei1124 (vgl. Rn. 106), oder wenn es die Glaubhaftigkeit einer Aussage auf Tatsachen stützt, die es durch diese Aussage erfahren hat1125 (vgl. Rn. 57), oder wenn es die Aussagekonstanz al1115 BGHSt 49 112, 123; s. auch zur Umsetzung dieser Vorgaben durch das OLG Hamburg BGH NJW 2007 384, 387.

1116 Zutreffend Mosbacher JR 2004 523, 524; eine Wahrunterstellung der beweiserheblichen Tatsache befürwortet H. E. Müller 80 ff. 1117 BGHSt 49 112, 126. 1118 Kritisch Detter StV 2006 544, 549: tatsächlich unmöglich und beweisrechtlich zweifelhaft; H. E. Müller JZ 2004 926, 928: Praktikabilität zweifelhaft. 1119 Mosbacher JR 2004 523, 526. 1120 BGHSt 49 112, 126. 1121 BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 212; StV 1983 186 (LS); 1986 6 (bei Behauptung von Putativnotwehr); bei Spiegel DAR 1986 201; OLG Hamm JMBlNW 1982 30. 1122 Vgl. LR/Stuckenberg26 § 267, 64; ferner BGH StV 1983 445; OLG Düsseldorf VRS 66 (1984) 36. 1123 BGH StV 1986 287 (Exzess des Täters). 1124 OLG Bremen VRS 47 (1974) 37; vgl. auch BayObLG MDR 1995 304. 1125 Vgl. BGH StV 1993 59; dazu Fischer StV 1993 670; Weider StV 1993 60; ferner BGH StV 1996 412 (Ls.). NStZ 1999 45 (Verwendung struktureller Elemente der Aussage kein Kreisschluss).

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lein daraus herleitet, dass nur der Zeuge selbst bestätigt, sich früher in gleicher Weise geäußert zu haben.1126 Kann ein Polizeibeamter sich an den zur Anzeige führenden Verkehrsvorgang nicht mehr erinnern und erklärt er nur, er hätte den Verkehrsteilnehmer unter den von diesem behaupteten Umständen nicht angezeigt, so unterfällt es der freien Beweiswürdigung des Gerichts, ob es nach Aufklärung der Umstände, unter denen der Verkehrsvorgang beobachtet und die Anzeige erstattet wurde,1127 diese Äußerung zur Widerlegung der Einlassung des Angeklagten als ausreichend ansieht. Fehlerhaft wäre es dagegen, wenn es insoweit einen nicht bestehenden Erfahrungssatz annehmen würde, wonach eine solche Aussage schlechthin beweiskräftig sei,1128 oder wenn von der Richtigkeit ihres Inhalts ausgegangen würde, obwohl der Zeuge an ihrer Abfassung weder mitgewirkt noch sich sonst von ihrer Richtigkeit überzeugt hatte.1129 Weiter wird gefordert, dass ein beeidigtes Zeugnis als unbeeidigt gewürdigt wer150 de, wenn sich nachträglich ergibt, dass der Zeuge, insbesondere etwa wegen des Verdachts der Teilnahme, unbeeidigt hätte vernommen werden müssen.1130 Dem Tatgericht wird hierdurch nichts Unzumutbares abverlangt. Denn es stellt in der strafgerichtlichen Praxis keine Besonderheit dar, ein prozessuales Geschehen bei der Gesamtwürdigung außer Betracht zu lassen. Dies ist etwa so, wenn sich die Unverwertbarkeit eines erhobenen Beweises erst nachträglich herausstellt. Die Problematik hat infolge der Neuregelung der §§ 59 ff. durch das 1. JuMoG1131 ohnehin an Bedeutung erheblich verloren. 151

e) Schweigen des Zeugen. Schweigt ein Zeuge in der Hauptverhandlung unberechtigt ganz oder teilweise, so kann das Tatgericht aus diesem Schweigen im Rahmen seiner Beweiswürdigung Schlüsse ziehen, sofern nach den ganzen Umständen das Motiv dieses Schweigens erkennbar wird.1132 Die Verwertbarkeit für die Beweiswürdigung hängt nicht davon ab, ob das Gericht versucht hat, gemäß § 70 den Zeugen zu einer Aussage zu veranlassen;1133 ob dies notwendig ist, beurteilt sich nach den Erfordernissen der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2).1134 1126 OLG Stuttgart StV 1990 257; ob hier wirklich ein unzulässiger Zirkelschluss vorliegt, hängt von den Umständen ab, vgl. Fischer StV 1993 670; ferner OLG Hamburg StV 1992 102 (Ls.).

1127 OLG Düsseldorf VRS 62 (1974) 282; ZfS 1981 387; OLG Hamm VRS 57 (1979) 291; OLG Köln NStZ 1981 76; VRS 61 (1981) 360; 65 (1983) 376; allgemein zu Polizeibeamten als Zeugen Kube JZ 1976 17; Maeffert StV 1982 386; Thomann Kriminalistik 1982 110, 156; ferner zur Pflicht, handschriftliche Aufzeichnungen zuzuziehen, die die Grundlage der Anzeige bildeten, OLG Hamm JMBlNW 1980 70; LR/Becker § 244, 67. 1128 BGHSt 23 213 = LM Nr. 57 m. Anm. Martin; BGH NJW 1970 1558; vgl. OLG Köln JR 1969 392 m. zust. Anm. Eb. Schmidt JR 1969 473; s. auch die durch die angeführten Entscheidungen des BGH erledigten Vorlagebeschlüsse des OLG Hamm NJW 1969 2032; 1970 264. Wegen ähnlicher Fälle vgl. BGH NStZ-RR 1999 272; OLG Hamm MDR 1967 1029; VRS 52 (1977) 431; 53 (1977) 40; 55 (1978) 135; Kohlhaas DAR 1971 165; ferner OLG Köln VRS 62 (1982) 451 (strengere Anforderungen, wenn Polizeibeamter ein ihn selbst betreffendes Verkehrserlebnis angezeigt hat) und OLG Hamm JMBlNW 1982 30 (Anforderungen an Beweiswürdigung, wenn Insassen den Bekundungen widersprechen). 1129 Für die gelegentlich geforderte Erklärung, der Zeuge „übernehme die Verantwortung“ (was immer sie besagen soll), fehlt es dann an jeder tatsächlichen Grundlage, da der Zeuge aus eigenem Wissen einen Irrtum bei der Anzeigenerstattung nicht ausschließen kann; vgl. OLG Köln VRS 60 (1981) 205; 65 (1983) 376; OLG Hamm VRS 52 (1977) 431; 53 (1977) 40; 54 (1958) 138; 55 (1978) 134. 1130 So RGSt 59 94; 72 219; RG JW 1931 1599; BGHSt 4 131; BGH NJW 1952 1146; 1982 1602; 1986 266; vgl. aber auch StV 1986 89; dazu Schlothauer StV 1986 90. 1131 Vom 24.8.2004 (BGBl. I 2198). 1132 BGH NJW 1966 351, dazu Meyer JR 1966 351; KK/Ott 169; Meyer-Goßner/Schmitt 19a. 1133 Meyer-Goßner/Schmitt 19a. 1134 Vgl. LR/Becker § 244, 64.

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Bei einer berechtigten Zeugnisverweigerung ist die freie Beweiswürdigung hinge- 152 gen eingeschränkt, wenn der Zeuge nach den §§ 52, 53 und 53a sein Zeugnis verweigert oder die Beeidigung nach § 61 ablehnt. Hier fordert der Schutz der Entscheidungsfreiheit des Zeugen, dass aus der Tatsache der Zeugnisverweigerung keine Schlüsse zulasten des Angeklagten gezogen werden;1135 die Motive für die Weigerung sind nicht zu erforschen.1136 Schlüsse zugunsten des Angeklagten bleiben zulässig.1137 Das Verbot einer nachteiligen Würdigung gilt auch, wenn das Aussageverhalten des Angehörigen wechselt, etwa, wenn er erst in der Berufungsverhandlung das Zeugnis verweigert1138 oder im Ermittlungsverfahren1139 bzw. in der Hauptverhandlung zunächst das Zeugnis verweigert, dann aber doch noch ausgesagt hatte und das Gericht zu prüfen hat, ob seine den Angeklagten entlastenden Angaben glaubhaft sind.1140 Ebenso liegt es, wenn der Zeuge zwar belanglose Angaben macht, hinsichtlich aller für die Sachentscheidung wesentlichen Tatsachen aber sein Weigerungsrecht ausübt,1141 oder wenn er nur zu einem von mehreren getrennt zu beurteilenden Tatkomplexen aussagt.1142 Ebenfalls darf bei der Beweiswürdigung nicht zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden, dass er einen zur Zeugnisverweigerung berechtigten Zeugen verspätet benannt1143 oder er die Zeugnisverweigerung seines Angehörigen erwartet oder gewollt hat.1144 Äußert der Zeuge sich dagegen zu einem einheitlichen Tatgeschehen und verweigert nur zu Teilfragen die Aussage, muss das Gericht das teilweise Schweigen bei der Beweiswürdigung berücksichtigen, da es von indizieller Bedeutung für die Bewertung der Bekundungen sein kann, deren Lückenhaftigkeit nicht außer Betracht gelassen werden darf.1145 Bei der Beweiswürdigung verwertbar ist auch, wenn der Zeuge zwar trotz eines Weigerungsrechts aussagt, aber die Überprüfung seiner Aussage durch eine von seiner Zustimmung abhängige Untersuchung verweigert.1146 Hat der Zeuge in Kenntnis seines Aussageverwei1135 BGHSt 22 113 = LM Nr. 54 m. Anm. Pelchen; 32 140 = JR 1985 70 m. Anm. Pelchen; 34 324 = JR 1988 78 m. Anm. J. Meyer; BGH NJW 1980 794; 1984 136; JR 1981 432 m. Anm. Hanack; StV 1982 101; 1985 485; 1991 450; 1997 171; bei Pfeiffer NStZ 1981 296; NStZ 2014 415; NStZ-RR 2016 117; StV 2018 786; Beschl. v. 29.10.2015 – 3 StR 288/15; OLG Hamm VRS 46 (1974) 364; KG NJW 1966 605 m. Anm. Arndt NJW 1966 869; OLG Karlsruhe GA 1975 182; KK/Ott 166; KMR/Stuckenberg 71; Meyer-Goßner/Schmitt 20; SK/ Velten 69; Eb. Schmidt JZ 1970 340; a. A. Ostermeyer NJW 1968 1789; die Rechtsprechung hatte früher die nachteilige Verwertung der Tatsache der Zeugnisverweigerung zugelassen, vgl. RGRspr. 8 502; RGSt 55 20; BGHSt 2 351; dagegen schon Alsberg JW 1931 1596; Buchwald SJZ 1949 360; zu diesen Fragen ferner Schneider JuS 1970 271. 1136 BGH NJW 1954 1496; KG NJW 1966 605; KK/Ott 166; KMR/Stuckenberg 71; vgl. auch (zur Unzulässigkeit ihrer Protokollierung) die Erläuterungen bei § 168a. 1137 BGH NStZ 1988 561; StV 1991 450; 1992 97; 1993 61; 1997 171; HK/JuIius/Beckemper 36; KMR/ Stuckenberg 71. 1138 BayObLG NJW 1969 200. 1139 BGH NStZ 2010 101, 102; 2016 301; NStZ-RR 2017 316; StV 2018 786. 1140 BGH NJW 1980 794; NStZ 1985 87; 1989 281; StV 1987 188; 1987 281; 1992 97; Beschl. v. 29.5.2012 – 3 StR 162/12; Urt. v. 21.5.2015 – 3 StR 575/14; BayObLGSt 1968 83 = NJW 1969 200; OLG Karlsruhe DAR 1983 93; vgl. LR/Cirener/Sander § 252, 9, 14. 1141 BGH JR 1981 432 m. Anm. Hanack JZ 1979 766; NStZ 1985 87; KK/Ott 169; Meyer-Goßner/Schmitt 20. 1142 Die zum partiellen Schweigen des Angeklagten entwickelten Grundsätze gelten auch hier; vgl. Rn. 122 f. 1143 BGH StV 1993 61; SK/Velten 67. 1144 OLG Hamm MDR 1970 162. 1145 BGHSt 32 140 = JR 1985 70 m. Anm. Pelchen; Hanack JR 1981 432; Meyer-Goßner/Schmitt 21; s. auch BGH NStZ 2014 415; NStZ-RR 2016 117; a. A. Kühl JuS 1986 121. 1146 BGHSt 32 140 (Verweigerung der Blutprobe nach § 81c Abs. 3 Satz 1).

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gerungsrechts ausgesagt, so darf und muss seine Aussage auch dann verwertet werden, wenn er sich in derselben Hauptverhandlung, aber nach dem Abschluss seiner Vernehmung auf sein Aussageverweigerungsrecht beruft (vgl. § 52 Abs. 3 Satz 2).1147 Schützt dagegen das Zeugnisverweigerungsrecht nicht das Verhältnis zwischen 153 dem Zeugen und dem Angeklagten und scheidet es deshalb aus, dass der Zeuge durch die Möglichkeit einer dem Angeklagten nachteiligen Verwertung seiner Zeugnisverweigerung in seiner freien Entscheidung über den Gebrauch seines Zeugnisverweigerungsrechts beeinträchtigt wird, wie etwa im Falle des § 54 und auch in den meisten Fällen des § 55, kann die Tatsache der Zeugnisverweigerung bei der Beweiswürdigung mit herangezogen werden.1148 Dann besteht kein zwingender Grund, den Grundsatz der freien Beweiswürdigung ausnahmsweise einzuschränken. Allerdings wird in diesen Fällen eine Verwertung zulasten des Angeklagten häufig daran scheitern, dass die Motivation zur Zeugnisverweigerung, die ja gerade nicht in bezug auf den Angeklagten erfolgt, nicht eindeutig aufklärbar ist.1149 Schlüsse zugunsten des Angeklagten erscheinen dagegen eher möglich.1150 154 Den durch Augenschein feststellbaren äußeren Eindruck, den der Zeuge macht, darf das Gericht bei seiner Entscheidung verwerten, auch wenn der Zeuge berechtigt die Aussage verweigert.1151 155

4. Sachverständigenbeweis. Beim praktisch bedeutsamen1152 Sachverständigenbeweis hat das Gericht nicht nur bei den Rechtsfragen (wie etwa der Erheblichkeit der Verminderung der Steuerungsfähigkeit),1153 sondern auch bei den Fachfragen die letzte Entscheidung in eigener Würdigung zu treffen, und zwar ggf. aufgrund der ihm vom Sachverständigen vermittelten Sachkunde.1154 Dies müssen die Urteilsgründe erkennen lassen.1155 Denn die Bewertung eines Gutachtens gehört zu der dem Tatgericht durch § 261 übertragenen Beweiswürdigung1156 auch dann, wenn es sich beim Sachverständigen um einen erprobten und zuverlässigen Vertreter seines Fachs handelt.1157 Abgesehen von den Fällen des § 256 ist dabei grundsätzlich das in der Hauptverhandlung mündlich erstattete Gutachten maßgebend, nicht die bei den Akten befindliche schriftliche Fassung.1158 Be-

1147 BGH StV 1984 326; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 493. 1148 RGSt 55 20; OLG Hamm JMBlNW 1950 62; KK/Ott 168; KMR/Stuckenberg 72; SSW/Schluckebier 38; G. Schäfer 690, 693; hinsichtlich der Praktikabilität skeptisch Meyer-Goßner/Schmitt 20; a. A. Rogall 235; JR 1993 378; vgl. LR/Ignor/Bertheau § 55, 27 ff. 1149 Vgl. BGH StV 1992 158; 1984 233 (Urteil muss sich mit Motiven auseinandersetzen); HK/Julius/ Beckemper 36; KK/Ott 168; KMR/Stuckenberg 72; vgl. LR/Ignor/Bertheau § 55, 27 ff. m. w. N. 1150 Meyer-Goßner/Schmitt 20 („liegen nahe“). 1151 BGH GA 1965 108; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1972 160; KK/Ott 167; MüKo/Miebach 150; vgl. Rn. 18; ferner OLG Köln VRS 57 (1979) 425 (kein Schluss vom äußeren Verhalten auf Wissen). 1152 Zur Häufigkeit von Sachverständigengutachten bei bestimmten Deliktsgruppen s. Nack GA 2009 201. 1153 BGHSt 7 238; BGH NStZ 2005 149, 150; NStZ-RR 2007 43, 45; vgl. Kaufmann JZ 1985 1065; Walter Sachverständigenbeweis zur Schuldfähigkeit und strafrichterliche Überzeugungsbildung; Diss. Berlin 1982; ferner auch Geppert FS v. Lübtow (1980) 773. 1154 BGHSt 8 117; 12 311; BGH NJW 1993 3082; NStZ 1982 342; bei Holtz MDR 1977 637; OLG Köln GA 1983 43; Albrecht NStZ 1983 490; Hellmiß NStZ 1992 24; ferner zur Distanzierung gegenüber sich differenzierenden wissenschaftlichen Erkenntnissen Keller GA 1999 255; vgl. LR/Becker § 244, 75. 1155 S. nur BGH NStZ-RR 2019 170; Beschl. v. 22.8.2012 – 4 StR 308/12. 1156 BGH Urt. v. 12.4.2011 – 5 StR 467/10; s. auch Beschl. v. 25.5.2011 – 2 StR 585/10; Beschl. v. 19.12.2019 – 2 StR 599/18. 1157 MüKo/Miebach 308. 1158 BGHSt 54 177, 178; BGH NJW 1970 525; Meyer-Goßner/Schmitt 8.

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steht aber ein entscheidungserheblicher Widerspruch zwischen beiden, muss das Gericht diesen in der Hauptverhandlung aufzuklären versuchen und sich im Urteil damit auseinandersetzen,1159 sofern sich den Gründen nicht entnehmen lässt, dass die gutachterliche Meinungsänderung auf erst in der Hauptverhandlung angefallenen Erkenntnissen beruht.1160 Wie bei allen Beweismitteln hat das Tatgericht auch bei einem Sachverständigen- 156 gutachten dessen Beweiswert zutreffend zu bestimmen. Hierbei ist insbesondere die sog. Anfangswahrscheinlichkeit zu berücksichtigen, sofern die insofern bedeutsamen Daten bekannt sind (vgl. Rn. 126),1161 um die Gefahr zu beseitigen, sich von einem – möglicherweise nur vermeintlich – hohen Ergebnis blenden zu lassen. Gravierende Fehlbewertungen der Beweiskraft von statistisch belegten Häufigkeitswerten (z. B. hinsichtlich einer Blutspur) begründen regelmäßig einen Rechtsfehler.1162 Dies gilt grundsätzlich auch für das Ergebnis der Analyse einer DNA-Spur, das die Würdigung aller Beweisumstände nicht überflüssig macht.1163 Jedoch wird wegen der inzwischen erreichten Standardisierung der molekulargenetischen Untersuchung der Zellkern-DNA1164 (vgl. Rn. 167 ff.) ein Seltenheitswert im Millionen- oder – wie inzwischen häufig – (zumindest) Milliardenbereich1165 für die tatgerichtliche Überzeugung, dass eine lege artis gesicherte Spur1166 vom Angeklagten herrührt, regelmäßig ausreichen.1167 Je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass zufällig eine andere Person identische Merkmale aufweist, desto höher kann das Tatgericht den Beweiswert einer Übereinstimmung einordnen und sich ggf. allein deshalb von der Täterschaft des Angeklagten überzeugen.1168 Dies enthebt es aber nicht der Prüfung, ob zwischen der DNA-Spur und der Tat ein Zusammenhang besteht.1169 Je nach den Umständen des Falls kann beispielsweise zu erörtern sein, ob die am Tatort gesicherte, mit hoher Wahrscheinlichkeit DNA-Material des Angeklagten enthaltende Spur nicht zur Tatzeit1170 oder überhaupt nicht durch diesen, sondern auf andere Weise gelegt worden sein kann, etwa im Wege der grundsätzlich möglichen Übertragung auf einen Dritten (sog. Sekundär- oder gar Tertiärübertragung).1171 Dies 1159 BGH NStZ 1990 224; 2005 161; 2007 538; 2016 432, 433; 2019 691; StV 2020 445; Urt. v. 16.3.2011 – 2 StR 521/10; MüKo/Miebach 310. 1160 BGH NStZ 2013 98, 99. 1161 S. Nack StV 2006 558, 565, zur DNA-Analyse einerseits und zu Faserspuren andererseits. 1162 BGH StV 1996 583. 1163 BGHSt 38 320; BGH StraFo 2017 372; 2017 457, 458. 1164 Hierzu Bastisch/Schmitter § 71, 7. 1165 BGH StraFo 2017 457, 458 gibt den errechneten Wert mit 1:231 Quintilliarden wieder; zu befürworteten Obergrenzen NStZ 2016 490, 494 (1:30 Milliarden) m. Anm. Eisenberg/Müller. 1166 Zu möglichen die Spurensicherung und -auswertung betreffenden Fehlerquellen s. Artkämper StV 2017 553, 555 ff. 1167 BGH NStZ 2009 285 (1:256 Billiarden); 2012 403, 404; Nack GA 2009 201, 210; KK/Ott 139 und 146; SSW/Schluckebier 51; s. aber auch die Bedenken in BGH NStZ 2012 464 sowie zu den allgemeinen Empfehlungen der Spurenkommission zur statistischen Bewertung von DNA-Datenbank-Treffern Schneider/Schneider/Fimmers/Brinkmann NStZ 2010 433. 1168 BGHSt 58 212, 215; BGH NStZ 2016 490, 493 m. Anm. Eisenberg/Müller; NStZ-RR 2018 288; StraFo 2017 457, 458; StV 2014 587; 2016 418, 419. 1169 S. etwa BGH StV 2017 783, 784 f.; Beschl. v. 10.10.2019 – 1 StR 411/19; Bastisch/Schmitter § 71, 41. 1170 S. hierzu BGH StraFo 2015 156; Beschl. v. 19.6.2012 – 5 StR 256/12; dies kann auch bei einem Fingerabdruck fraglich sein; vgl. Beschl. v. 25.1.2012 – 5 StR 541/11. 1171 Vgl. BGH NStZ-RR 2013 20, 21; StraFo 2017 457, 458; Urt. v. 6.8.2013 – 1 StR 201/13; Urt. v. 10.12.2014 – 5 StR 413/14; Beschl. v. 26.11.2019 – 2 StR 300/19; OK-StPO/Eschelbach 40.1; zur Möglichkeit, dass das eventuelle Opfer das vom Angeklagten stammende Zellmaterial selbst an das beweisrelevante Kleidungsstück gebracht hat, s. BGH Urt. v. 20.7.2016 – 2 StR 59/16.

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wird freilich eher fernliegen, wenn DNA des Angeklagten an mehreren am Tatort aufgefundenen Gegenständen gesichert werden konnte.1172 Ist dies der Fall, so sind die Einzelspuren zueinander in Beziehung zu setzen, um abschätzen zu können, welche Beweisbedeutung ihnen in der Gesamtschau zukommt;1173 die Fundorte sind ggf. genau zu bezeichnen.1174 Hiervon zu unterscheiden ist die Untersuchung der mitochondrialen DNA, d. h. der außerhalb des Kerns in den Mitochondrien enthaltenden DNA, deren Aussagekraft nach dem aktuellen wissenschaftlichen Stand zwar noch begrenzt ist, der aber dennoch im Einzelfall, etwa wenn lediglich ein telogenes Haar sichergestellt worden ist, ausschlaggebende Bedeutung zukommen kann (vgl. Rn. 171).1175 Ein deutlich gesteigerter Beweiswert kann sich ergeben, wenn die Untersuchungsergebnisse beider Arten von DNA-Analyse im Sinne der Produktregel (vgl. Rn. 126) dergestalt voneinander unabhängig sind, dass sie als Faktoren miteinander kombiniert werden können.1176 Gerade bei kriminaltechnischen Gutachten hat sich das Gericht zu vergewissern, 157 dass die Suche und Sicherung einer Spur lege artis erfolgt sind, weil es sich insoweit um fehlerträchtige Vorgänge handelt.1177 Es versteht sich beispielsweise von selbst, dass das Ergebnis eines Gutachtens unzutreffend sein wird, wenn es auf der Untersuchung zweier an sich voneinander unabhängiger, aber durch Unachtsamkeit vermischter Spuren beruht.1178 Deshalb sind namentlich bei der DNA-Analyse in den Laboren organisatorische Mängel und menschliche Schwächen zu beheben bzw. zu kontrollieren, um beispielsweise Kontaminationen, Verwechslung von Proben, Übertragungsfehler bei der Datenerhebung und damit eine Verringerung des Beweiswertes zu vermeiden. 158 Werden nicht quantifizierbare Daten vom Sachverständigen beurteilt, ist eine standardisierte Bewertungsskala zu fordern. Ohne diese ist es dem Tatgericht nur erschwert oder mitunter auch gar nicht möglich, das vom Sachverständigen vertretene Ergebnis zu überprüfen, beispielsweise nachzuvollziehen, warum eine am Tatort gefundene Werkzeugspur „sehr wahrscheinlich“ oder „möglicherweise“ mit einem Schraubendreher des Angeklagten verursacht worden ist. Bemühungen, etwa für kriminaltechnische Untersuchungen von technischen Formspuren (u. a. Werkzeug-, Schuh- und Reifenspuren) bundeseinheitliche Befundbewertungsskalen zu erarbeiten, sind deshalb zu begrüßen.1179 Bis zur angestrebten Skalierung wird daher einem sachverständigen Wertungsakt, ein Werkzeugprofil stimme mit einer Tatortspur überein, allenfalls geringer Indizwert zukommen.1180 Entsprechende Einwände bestehen z. Z. etwa betreffend forensisch-linguistische Vergleiche von Texten und Sprechproben.1181 159 Auch bei einem psychiatrischen oder psychologischen Gutachten kann der Sachverständige grundsätzlich frei entscheiden, welcher Untersuchungsmethoden er sich be-

1172 1173 1174 1175

Vgl. BGH Urt. v. 12.1.2012 – 4 StR 499/11. S. BGH Urt. v. 18.2.2016 – 1 StR 409/15. BGH Beschl. v. 27.6.2017 – 2 StR 572/16 („an“ oder „auf“ der Fingerkuppe eines Handschuhs). Eisenberg Beweisrecht Rn. 1909 f.; Brodersen/Anslinger/Rolf DNA-Analyse und Strafverfahren, 2003, Rn. 262 ff.; Rolf/Wiegand Rechtsmedizin 2004 473; Groten/Schmelz Kriminalistik 2019 358. 1176 BGHSt 54 15, 25; 56 72, 73; MüKo/Miebach 322. 1177 Neuhaus StraFo 2001 8 ff. unter Aufstellung einer „Checkliste“; zu verunreinigten Wattestäbchen im Fall des „Phantoms von Heilbronn“ s. auch die Berichte in der FAZ vom 27.3.2009, S. 9. 1178 S. das Beispiel von Neuhaus in Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle, § 29 Rn. 76. 1179 Katterwe/Brandes/Eisgruber/Grimmer/Küppers/Marquardt/Pohl Kriminalistik 2007 745; s. auch Braune/Weber Kriminalistik 2016 613, 617. 1180 S. aber BGH Beschl. v. 15.9.2010 – 5 StR 345/10. 1181 Zusammenfassend Eisenberg NStZ 2010 680, 682 ff.; zur vergleichenden Handschriftenuntersuchung s. auch Hecker NStZ 1990 463; Seibt Kriminalistik 2005 175, 178 f.

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dient.1182 Er muss aber den Verfahrensbeteiligten transparent machen können, auf welche Weise er zu dem von ihm vertretenen Ergebnis gelangt ist1183 und welche Validität die von ihm gewählten Mittel aufweisen.1184 Denn beispielsweise sind die bezüglich der Glaubhaftigkeitsbeurteilung mitunter erhobenen Forderungen der „psychologischen Traumatologie“ wissenschaftlich nicht anerkannt.1185 In gleicher Weise fehlen belastbare Belege für mitunter vorgenommene Deutungen von Zeichnungen oder kindlichem Spielen mit „anatomisch korrekten Puppen“.1186 Soweit in diesem Zusammenhang Messungen mittels eines Polygraphen (sog. Lügendetektor) vorgenommen werden, sind diese bislang bei allen entwickelten Methoden ohne jegliche Aussagekraft.1187 Die durchschlagenden Argumente bestehen auch gut 20 Jahre nach der grundlegenden Entscheidung des BGH fort.1188 Insbesondere gibt es keine spezifisch physiologische Lügenreaktion.1189 Bei der Vergleichsfragenmethode werden sog. Kontrollfragen gestellt, die unschuldige Personen erregen und schuldige Personen nicht mehr erregen sollen als die zudem gestellten Tatfragen.1190 Dieses Verfahren basiert auf nicht belegbaren Postulaten.1191 Die Tatwissentechnik ist nach ihrer Konstruktion (allenfalls) in einem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens einsetzbar1192 und daher kaum einmal praktikabel. Soweit neuerdings versucht wird, auf sog. künstlicher Intelligenz (KI) fußende Verfahren zu entwickeln, haben diese ebenfalls keine validen Ergebnisse erbracht. Solche sind auch nicht zu erwarten, denn die gegen die herkömmlichen polygraphischen Methoden sprechenden Einwände gelten für KI-Systeme in zumindest gleicher Weise.1193 Bei Schuldfähigkeits- und Prognosegutachten sind besondere Mindestanforderun- 160 gen zu beachten,1194 die sich namentlich auf verwendete (statistische) Prognoseinstrumente beziehen.1195 Diese können zwar generell Anhaltspunkte liefern, ersetzen aber nicht die stets erforderliche differenzierte Einzelbetrachtung,1196 z. B. des im konkreten Fall bestehenden Rückfallrisikos.1197 Beruht das Gutachten nicht auf zwingenden Erkenntnissen, sondern auf wissenschaftlichen Erfahrungssätzen, die nur eine hohe Wahrscheinlichkeit begründen, muss zudem erkennbar sein, dass das Gericht geklärt hat, ob und wieweit die Wahrscheinlichkeitsaussage durch andere Beweismittel bestätigt

1182 1183 1184 1185 1186 1187 1188

S. nur BGH Beschl. v. 23.2.2016 – 3 StR 481/15. BGHSt 45 164, 178; BGH NStZ 2001 45; vertiefend Boetticher FS G. Schäfer 8; KK/Ott 125. Fischer FS Widmaier 191, 216. BGH NStZ-RR 2011 51, 52; KK/Ott 53; MüKo/Miebach 256. S. nur Deckers/Köhnken/Köhnken Erhebung und Bewertung 25, 34 f. m. w. N. BGHSt 44 308; KK/Ott 137. BGHSt 44 308 (die dieser Entscheidung zugrundeliegenden Gutachten sind publiziert im PdRSonderheft Juli 1999); BGH NStZ 2011 474, 475; die konzeptionellen Einwände missachtet AG Bautzen Urt. v. 26.3.2013 – 40 Ls 330 Js 6351/12; ebenfalls krit. hierzu Seiterle StraFo 2014 58, 64; Steller R&P 2018 173, 177. 1189 Steller R&P 2018 173, 174; Seiterle StraFo 2014 58; Drohsel StV 2018 827, 829. 1190 Drohsel StV 2018 827, 829. 1191 S. nur Steller R&P 2018 173, 175 zu zahlreichen gravierenden Einwänden. 1192 Steller R&P 2018 173, 174. 1193 Ausführlich hierzu Rodenbeck StV 2020 479, 481 ff. 1194 Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß NStZ 2005 57; Boetticher/Kröber/Müller-Isberner/Böhm/MüllerMetz/Wolf NStZ 2006 537; s. auch BGH NStZ-RR 2010 77. 1195 Boetticher/Dittmann/Nedopil/Nowara/Wolf NStZ 2009 478. 1196 S. nur BGH NStZ-RR 2014 42 (zum Verfahren historical clinical risk management – HCR 20); MüKo/ Miebach 328. 1197 BGH NStZ-RR 2010 203, 204; Beschl. v. 22.7.2010 – 3 StR 169/10; s. auch NStZ-RR 2017 307, 308; StV 2017 591, 592; Beschl. v. 23.2.2016 – 3 StR 481/15 (zur sog. Psychopathy-Checklist).

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wird.1198 Dies gilt etwa bei der DNA-Analyse (s. aber Rn. 156),1199 bei Faserspurengutachten1200 oder Haarvergleichen1201 sowie bei vielen anderen Mess- und Untersuchungsmethoden.1202 Weicht das Gericht mit seiner Beweiswürdigung von der Ansicht des Sachverständi161 gen ab, dann muss es die Gegengründe des Sachverständigen, dessen Rat es bei der Beauftragung für erforderlich hielt, ausführlich erörtern und mit eigenen Gründen so widerlegen, dass ersichtlich wird, dass es das von ihm nunmehr – durchaus auch aufgrund durch das Gutachten gewonnener Erkenntnisse – beanspruchte bessere Fachwissen auf dem zur Erörterung stehenden Teilbereich des fremden Wissensgebietes zu Recht für sich in Anspruch nimmt.1203 Ist die Abweichung dadurch begründet, dass das Gericht von anderen Anknüpfungstatsachen ausgeht als der Sachverständige, so ist diesem insofern Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.1204 162 Schließt sich das Gericht dem Gutachten des Sachverständigen an, dann muss es im Urteil kenntlich machen, dass es dies aufgrund eigener Überzeugung getan hat.1205 Dazu reicht in der Regel nicht aus, dass es nur das Ergebnis des Sachverständigengutachtens wiederholt oder dessen Ergebnis pauschal als „überzeugend“ oder „einleuchtend“ bezeichnet.1206 Das Gericht muss vielmehr im Urteil die gedankliche Schlüssigkeit durch Wiedergabe der wesentlichen Anknüpfungstatsachen und sich daraus ergebenden Folgerungen aufzeigen1207 und zu erkennen geben, dass und warum es die Ausführungen des Sachverständigen in eigener Verantwortung billigt.1208 Übernimmt es beispielsweise dessen Einschätzung, für die Glaubhaftigkeit der Angaben des möglichen 1198 Hellmiß NStZ 1992 24; Keller GA 1999 255; Schweling ZStW 83 (1971) 444; HK/Julius/Beckemper 38. 1199 BGHSt 37 157; 38 320 = JR 1993 123 m. Anm. v. Hippel = JZ 1993 102 m. Anm. Keller; m. Anm. Vogt StV 1993 174; BGH StV 1993 58; 1994 580; w. N. bei Eisenberg Beweisrecht Rn. 1904 ff.; HK/Julius/Beckemper 39. 1200 BGH StV 1993 340; 1994 114; 1996 251; Adolf NStZ 1990 66; Eisenberg Beweisrecht Rn. 1920 ff. 1201 BGH StV 1992 312; Eisenberg Beweisrecht Rn. 1903b; s. auch BGH StV 1993 340. 1202 Vgl. Eisenberg Beweisrecht Rn. 1895 ff.; Foth/Karcher NStZ 1989 166; HK/Julius/Beckemper 39; s. auch BGH NStZ 1995 96 zu Atemalkoholtestgeräten; OLG Zweibrücken NJW 1989 2765 zu sog. Teströhrchen. 1203 Vgl. etwa BGH GA 1977 275; NStZ 1983 377; 1985 421; 1994 563; 2013 55, 56; 2015 539, 540; 2018 90, 91; 2019 691; NStZ-RR 2006 242, 243; 2009 116, 117; 2010 105, 106; 2012 287, 288; 2015 82, 83; 2016 380, 381; 2017 88, 89; 2017 368; StV 2018 199, 200; 2019 226, 227; Urt. v. 20.3.2008 – 4 StR 5/08; Urt. v. 4.8.2010 – 2 StR 194/10; Urt. v. 9.3.2011 – 2 StR 467/10; Urt. v. 21.5.2014 – 1 StR 116/14; Urt. v. 8.10.2015 – 4 StR 86/15; Urt. v. 7.6.2017 – 1 StR 628/16; Urt. v. 12.7.2017 – 1 StR 408/16; Beschl. v. 18.10.2017 – 3 StR 368/17; bei Dallinger MDR 1972 570; bei Holtz MDR 1977 284; 1977 637; 1977 810; bei Pfeiffer NStZ 1981 296; OLG Stuttgart Justiz 1971 312; ferner LR/Becker § 244, 75. 1204 BGH Urt. v. 13.1.2005 – 4 StR 422/04. 1205 Vgl. etwa BGHSt 12 311; BGH NStZ 1982 342; OLG Hamm VRS 40 (1971) 197; KK/Ott 141; MeyerGoßner/Schmitt § 267, 13; Mösl DRiZ 1970 113; w. N. bei den Erläuterungen zu § 267. 1206 BGH NStZ 1982 342; KK/Ott 141. 1207 BGH NStZ 2019 614, 616 m. Anm. Bittmann; NStZ-RR 2014 8; 2016 239; 2017 203; 2019 44, 45; StV 2016 720; BGHR StGB § 63 Zustand 47; BGH Beschl. v. 15.7.2014 – 4 StR 228/14; Beschl. v. 30.7.2014 – 5 StR 292/14; Beschl. v. 19.11.2014 – 4 StR 497/14; Beschl. v. 2.4.2015 – 3 StR 103/15; Beschl. v. 27.1.2016 – 2 StR 314/15; Beschl. v. 14.6.2016 – 1 StR 221/16; Urt. v. 4.7.2018 – 5 StR 580/17; Beschl. v. 6.2.2019 – 3 StR 479/ 18; Beschl. v. 19.2.2019 – 2 StR 599/18; Beschl. v. 25.4.2019 – 1 StR 427/18; Beschl. v. 10.10.2019 – 4 StR 96/ 19 (zu der von einem Verkehrsunfallsachverständigen berechneten Fahrzeuggeschwindigkeit); Beschl. v. 9.1.2020 – 2 StR 263/19 (zu einem Grundstückswertgutachten); Beschl. v. 2.4.2020 – 1 StR 28/20; Beschl. v. 6.5.2020 – 2 StR 391/19 (zur Ertragserwartung einer Cannabisplantage). 1208 Vgl. etwa BGHSt 7 238; 8 113; 12 311; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 14; BGH NJW 1959 780; StV 1986 47; 1991 339; VRS 31 107; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 17; 2012 650, 651; NStZ-RR 2011 241, 242; 2012 140, 141; 2015 315, 316; OLG Bremen VRS 48 (1975) 272; 54 (1978) 65; OLG Celle MDR 1963 334; VRS

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Opfers seien gegenüber den ersten polizeilichen Vernehmungen aufgetretene „Aussageerweiterungen“ nicht „kritisch“, so müssen diese näher dargelegt werden.1209 Weicht es von einer Annahme des Sachverständigen ab, etwa weil es von einem anderen Tatmotiv ausgeht, muss es darlegen, warum es trotzdem dessen Ergebnis für richtig hält.1210 Wenn dem Gericht eine eigene wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Gut- 163 achten nicht möglich ist,1211 hat es wenigstens dessen wesentliche tatsächliche Grundlagen und die daraus vom Sachverständigen gezogenen Schlüsse, denen es folgen will, insoweit mitzuteilen, als dies zum Verständnis des Gutachtens und seiner gedanklichen Schlüssigkeit notwendig ist.1212 Das Tatgericht hat auf diese Weise zu verdeutlichen, dass es selbst das Gutachten verstanden und seiner Aufgabe entsprochen hat, auf der Basis einer selbständigen Bewertung zu entscheiden.1213 Die tragenden Anknüpfungstatsachen1214 müssen lückenlos wiedergegeben und 164 unter allen vernünftigerweise in Betracht kommenden Erklärungsmöglichkeiten gewürdigt werden.1215 Ob beispielsweise eine affektive Erregung zu einer während der Tat bestehenden tiefgreifenden Bewusstseinsstörung geführt hat, ist anhand einer Gesamtwürdigung der für und gegen einen Affekt sprechenden tat- und täterbezogenen Kriterien zu beurteilen.1216 Das Gericht hat besonders darauf zu achten, dass der Sachverständige seinem Gutachten nur solche Tatsachen zugrunde gelegt hat, die in ordnungsgemäßer Form in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind1217 und die es für erwiesen erachtet. Hier besteht vor allem bei den Zusatztatsachen die Gefahr eines Verstoßes gegen § 261, wenn der Sachverständige sein Gutachten unter Verwendung der Akten oder der Angaben dritter Personen vorbereitet hat.1218

25 (1963) 55; 42 (1972) 41; OLG Düsseldorf VRS 64 (1983) 208; OLG Frankfurt StV 1994 9; VRS 51 (1976) 120; OLG Hamm NJW 1963 405; 1967 691; VRS 40 (1971) 197; 41 (1971) 276; OLG Koblenz DAR 1974 134; VRS 51 (1976) 116; 55 (1978) 46; 67 (1984) 443; OLG Köln GA 1965 156; 1983 43; VRS 47 (1974) 281; 56 (1979) 446; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1977 271; Albrecht NStZ 1983 486; ferner die nachf. Fn.; zu Schriftgutachten vgl. BGH NJW 1982 2882; dazu Peters JR 1983 164; Eisenberg Beweisrecht Rn. 1965 ff.; LR/Becker § 244, 73 m. w. N. 1209 BGH Beschl. v. 24.6.2009 – 2 StR 215/09. 1210 Vgl. BGH StV 1997 290. 1211 Vgl. Rn. 69. 1212 BGHSt 12 331; BGH NStZ 1981 488; 2013 177, 178; StV 1989 332 m. krit. Anm. Wasserburg; VRS 71 (1986) 23; NStZ-RR 2019 189; Beschl. v. 22.5.2019 – 1 StR 79/19; auch VRS 27 (1964) 264; BayObLGSt 1968 70 = NJW 1968 2299; Detter NStZ 1998 60; Seibert NJW 1960 1285; ausführlich zur Problematik Erb ZStW 121 (2009) 882, 883 ff., 888 ff. 1213 Hierzu Fischer FS Widmaier 191, 218. 1214 Zur Unterscheidung zwischen Befund- und Zusatztatsachen vgl. LR/Krause Vor § 72, 11 und LR/ Cirener/Sander § 250, 33 ff.; der Unterschied ist wegen der Form der Einführung in die Hauptverhandlung wichtig, nicht für die Darlegungspflicht, da das Gutachten aus beiden Tatsachengruppen seine Schlüsse ziehen kann. Ferner LR/Becker § 244, 333 f. 1215 OLG Hamm VRS 40 (1971) 94; vgl. LR/Becker § 244, 73 und die Erläuterungen bei § 267 m. w. N. 1216 BGH NStZ 2009 571, 572; zu den Anforderungen an die Prüfung eines Affekts s. Sander FS Eisenberg 359 m. w. N. 1217 Vgl. etwa BGHSt 9 293; 13 3; 18 108; 22 271; 28 236; BGH NStZ 1985 135; 182; ferner LR/Cirener/ Sander § 250, 35 m. w. N. und zur Pflicht des Gerichts, den Sachverständigen anzuleiten, sein Gutachten dem Beweisergebnis anzupassen, BGH StV 1986 138 m. Anm. Deckers. 1218 Vgl. BGH bei Spiegel DAR 1986 200; bei Holtz MDR 1993 407; Sarstedt NJW 1968 180; vgl. Rn. 23; LR/Cirener/Sander § 250, 35.

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Liegen mehrere Sachverständigengutachten vor, die sich widersprechen, muss das Gericht entscheiden und schlüssig begründen,1219 welcher Auffassung es folgen will. Es genügt nicht, lediglich die unterschiedlichen Ergebnisse mitzuteilen,1220 vielmehr sind die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen der Sachverständigen wiederzugeben.1221 Von der für den Angeklagten günstigsten Meinung darf es nur ausgehen, wenn es die Widersprüche nicht aufklären kann, etwa dadurch, dass es ein weiteres Gutachten einholt.1222 Regelmäßig wird aber seine durch die Gutachten erlangte Sachkunde für eine eigenständige Bewertung ausreichen, so dass es keinen weiteren Sachverständigen zuzuziehen braucht.1223 Grundsätzlich sind alle Gutachten nach der Überzeugungskraft ihrer Argumente zu beurteilen, ein – in der StPO ohnehin nicht vorgesehenes – „Obergutachten“1224 hat dabei keine höhere Beweiskraft. 166 Die Frage, wie ausführlich sich das Tatgericht in den Urteilsgründen zu Inhalt und Ergebnissen eines eingeholten Gutachtens zu äußern hat, lässt sich nicht abstrakt beantworten. Vielmehr richtet sich der Umfang der Darlegungspflicht nicht zuletzt nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt.1225 Bei ständig wiederkehrenden Sachverständigenfragen, die wegen ihrer Häufigkeit in der Gerichtspraxis allen Beteiligten geläufig sind, kann die Schlüssigkeit des Ergebnisses bei einfachen Fragen unter Umständen auch ohne nähere Darlegung der standardisierten Untersuchungsmethoden zweifelsfrei sein,1226 wie etwa bei der Blutalkoholanalyse1227 oder der Bestimmung von Blutgruppen,1228 ebenso bei einem daktyloskopischen Gutachten1229 und der Bestimmung des Wirkstoffgehalts sichergestellter Betäubungsmittel;1230 die Anknüpfungstatsachen, also etwa die Umstände der Spurensicherung, müssen aber auch dann in ausreichendem Maße dargelegt werden.1231 Bei einem standardisierten Messverfahren genügt es regelmäßig, dieses zu bezeichnen und das mit ihm gewonnene Ergebnis sowie einen berücksichtigten Toleranzwert zu benen165

1219 BGH NStZ 1981 488; 1990 244; 1994 503; bei Spiegel DAR 1978 158; vgl. LR/Becker § 244, 76; MüKo/Miebach 313 und die Erläuterungen bei § 267 m. w. N. BGH StV 1983 8. BGH NStZ 2019 240. BGH StV 1997 62. BGH bei Holtz MDR 1977 810; vgl. LR/Becker § 244, 71. Vgl LR/Becker § 244, 324. BGH NStZ 2000 106, 107; NStZ-RR 2019 189; Beschl. v. 25.4.2019 – 1 StR 427/18; Beschl. v. 22.5.2019 – 1 StR 79/19; Beschl. v. 6.5.2020 – 2 StR 391/19. 1226 BGHSt 12 314; 28 238; 39 291; BGH NStZ 1982 342; 1993 95; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 17; OLG Karlsruhe VRS 43 (1972) 135; 48 (1975) 129; OLG Köln VRS 56 (1979) 446 (Urteil beruht nicht auf Fehlern); HK/Julius/Beckemper 39; KMR/Stuckenberg 78; Meyer-Goßner/Appl Rn. 381 (z. B. Daktyloskopie); zum Umgang mit Messergebnissen, die mit anerkannten Geräten in standardisierten Verfahren gewonnen werden, s. zudem BGHSt 39 291, 297, 300 (technische Geschwindigkeitsmessung) und 43 277, 284. 1227 S. nur BGH Urt. v. 23.1.2020 – 3 StR 433/19; Beschl. v. 2.4.2020 – 1 StR 28/20. 1228 BGHSt 54 15, 22; 63 187, 188; BGH NStZ 2019 294; NStZ-RR 2019 189; NJW 2020 350; Beschl. v. 22.5.2019 – 1 StR 79/19; Beschl. v. 19.12.2019 – 4 StR 496/19; zum Verhältnis von Blutalkohol- zu Atemalkoholmesswerten s. BGHSt 46 358, 365 f.; Beschl. v. 26.1.2010 – 5 StR 520/09; Beschl. v. 18.9.2019 – 2 StR 187/ 19. 1229 BGHSt 63 187, 188; BGH NStZ 2019 294; NStZ-RR 2019 189; NJW 2020 350; Beschl. v. 15.9.2010 – 5 StR 345/10; Beschl. v. 22.5.2019 – 1 StR 79/19; Beschl. v. 19.12.2019 – 4 StR 496/19; Urt. v. 23.1.2020 – 3 StR 433/19; Beschl. v. 2.4.2020 – 1 StR 28/20. 1230 BGH NStZ-RR 2015 14, 15; Urt. v. 23.1.2020 – 3 StR 433/19; Beschl. v. 2.4.2020 – 1 StR 28/20; Beschl. v. 21.7.2020 – 2 StR 187/20; KK/Ott 142. 1231 BGH VRS 27 (1964) 264; 31 (1966) 107.

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nen,1232 etwa bei einer im Straßenverkehr vorgenommenen Geschwindigkeitsmessung.1233 Im Einzelfall mitunter bestehende Gerätemängel, begangene Bedienungsfehler oder systemimmanente Ungenauigkeiten muss das Tatgericht allerdings erörtern.1234 Dieselben Grundsätze gelten bei der inzwischen routinemäßig anhand von 16 gene- 167 tisch voneinander unabhängigen Systemen1235 erfolgenden Analyse von Zellkern-DNA (vgl. Rn. 156).1236 Da über das hierbei zur Feststellung von Übereinstimmungen zwischen Spuren- und Vergleichsmaterial zumeist angewendete PCR-Verfahren1237 (polymerase chain reaction oder Polymerasekettenreaktion) hinaus mittlerweile auch die biostatistische Wahrscheinlichkeitsberechnung standardisiert ist, braucht das Tatgericht das Gutachtenergebnis lediglich noch in numerischer Form anzugeben.1238 Es genügt daher beispielsweise die Mitteilung, dass es 30 Milliarden wahrscheinlicher sei, die sichergestellte DNA-Spur stamme vom Angeklagten als von einer mit ihm nicht verwandten anderen Person (1:30 Milliarden).1239 Diese Darstellungserleichterung betrifft allerdings nach dem aktuellen wissenschaftlichen Stand (noch nahezu) ausschließlich Einzelspuren, die also eindeutig auf nur einen Verursacher zurückzuführen sind,1240 was den Urteilsgründen zu entnehmen sein muss.1241 Ihnen gleichgestellt sind freilich Mischspuren, in denen eine Hauptkomponente erkennbar ist, deren Peakhöhen bei allen heterozygoten Systemen im Verhältnis von 4:1 zu denjenigen der Nebenkomponente stehen.1242 Soweit die frühere Rechtsprechung weitere Daten (Anzahl der untersuchten Systeme, festgestellte Übereinstimmungen sowie unabhängige Vererblichkeit der untersuchten Merkmalssysteme) verlangt hat,1243 ist sie ausdrücklich aufgegeben worden.1244 Versäumt es das Tatgericht, die Wahrscheinlichkeit zu beziffern, teilt es aber mit, alle untersuchten Systeme seien in den verglichenen Materialien identisch gewesen, so kann diesem Umstand nicht jeglicher Beweiswert abgesprochen werden.1245

1232 BGHSt 39 291, 300 ff.; s. ergänzend 43 277, 284. 1233 Ausführlich hierzu Hentschel/König/Dauer/König § 3 StVO, 56b m.w.N; MüKo/Miebach 321 m.w.Bsp. 1234 SSW/Schluckebier 48. 1235 BGH NStZ 2014 477, 478 ff. m. Anm. Allgayer; 2019 427; P. Schneider/Anslinger/Eckert/Fimmers/H. Schneider NStZ 2013 693, 694; Artkämper StV 2017 553, 554; zu früheren Anforderungen BGH NStZ 1994 554, 555. 1236 BGH NStZ 2012 403, 404; 2012 464; 2013 177, 178. 1237 Hierzu BGH Urt. v. 6.2.2019 – 1 StR 449/18; Bastisch/Schmitter § 71, 38. 1238 BGHSt 63 187, 189; ebenso BGH NStZ 2019 294; 2019 427; NStZ-RR 2019 94, 95; 2019 189; NJW 2020 350; Urt. v. 24.9.2018 – 5 StR 528/17 (1:3,1 Trilliarden); Beschl. v. 17.4.2019 – 5 StR 603/18 (1:57 Trilliarden und 1:506 Quadrillionen); Beschl. v. 22.5.2019 – 1 StR 79/19; Urt. v. 14.8.2019 – 5 StR 5/19; Beschl. v. 8.10.2019 – 2 StR 341/19; Beschl. v. 15.1.2020 – 2 StR 352/18; Beschl. v. 18.3.2020 – 4 StR 374/19; s. auch Beschl. v. 11.7.2017 – 5 StR 172/17; Beschl. v. 11.12.2018 – 5 StR 373/18. 1239 BGHSt 63 187, 189 (im konkreten Fall: 1:150 Trilliarden); s. auch BGH Urt. v. 24.9.2018 – 5 StR 528/ 17. 1240 BGHSt 63 187, 189. 1241 BGH StV 2019 331; s. auch NStZ 2019 294. 1242 BGH Beschl. v. 29.7.2020 – 6 StR 183/20; Beschl. v. 29.7.2020 – 6 StR 211/20; P. Schneider/Fimmers/ H. Schneider/Brinkmann NStZ 2007 447, 449. 1243 S. hierzu etwa BGHSt 58 212, 217; ebenso BGH StV 2014 591, 592 f.; 2017 502, 504 f.; NStZ 2015 476, 477; 2017 723, 724; NStZ-RR 2016 118, 119; Beschl. v. 25.2.2015 – 4 StR 39/15; Beschl. v. 1.12.2015 – 4 StR 397/15; Beschl. v. 30.3.2016 – 4 StR 102/16; Beschl. v. 22.2.2017 – 5 StR 606/16; Beschl. v. 23.11.2017 – 4 StR 219/17; Beschl. v. 18.1.2018 – 4 StR 377/17; Beschl. v. 17.7.2018 – 1 StR 518/17. 1244 BGHSt 63 187, 189. 1245 Vgl. BGH Beschl. v. 18.5.2015 – 5 StR 148/15; KK/Ott 139.

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Strengere Anforderungen hat das Tatgericht freilich zu erfüllen, wenn es sich bei dem Untersuchungsmaterial um eine Mischspur handelt, also Zellmaterial von zumindest zwei Verursachern nachgewiesen werden kann,1246 weil etwa zwei Personen an einer Zigarette gezogen oder aus einem Glas getrunken haben.1247 Bei dieser Konstellation ist – neben dem Ergebnis der Wahrscheinlichkeitsberechnung – weiterhin mitzuteilen, wieviele Systeme untersucht worden sind, und zudem, ob und welche Übereinstimmungen festgestellt werden konnten.1248 Zudem ist die Angabe empfehlenswert, wieviele Spurenverursacher in Betracht kommen,1249 weil von einer biostatistischen Berechnung wegen regelmäßig sinkender Qualität der Spur abgesehen werden sollte, wenn diese von mehr als drei Personen herrührt.1250 Ebenso sollte der Typ der Mischspur bezeichnet werden,1251 da beispielsweise eine vorhandene Hauptkomponente1252 für eine aussagekräftige Untersuchung geeignet sein kann (vgl. Rn. 167).1253 169 Erweiterte Darlegungspflichten folgen in der Regel nicht allein daraus, dass der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört.1254 Denn auch dann ist für die biostatistischen Berechnungen grundsätzlich die am Tatort lebende Mehrheitsbevölkerung als Vergleichs- bzw. Referenzpopulation heranzuziehen.1255 Dies kann ausnahmsweise anders sein, wenn nach dem Beweisergebnis konkrete Anhaltspunkte existieren, dass der Täter ausschließlich in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zu finden ist.1256 Auch zu diesem Darlegungserfordernis ist frühere strengere Rechtsprechung1257 mithin überholt. Bei nicht standardisierten Gutachten hat das Tatgericht hingegen erhöhte Darle170 gungsanforderungen zu erfüllen.1258 Hierzu zählen die in der Praxis besonders relevanten sachverständigen Angaben zur Schuldfähigkeit des Angeklagten,1259 weswegen in

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1246 Zur Definition BGH NStZ-RR 2019 189, 190; Beschl. v. 22.5.2019 – 1 StR 79/19; Beschl. v. 18.3.2020 – 4 StR 374/19; P. Schneider/Fimmers/H. Schneider/Brinkmann NStZ 2007 447, 450. 1247 Bastisch/Schmitter § 71, 65. 1248 BGH NStZ 2017 723; 2019 427; NStZ-RR 2019 189, 190; NJW 2020 350; Beschl. v. 12.4.2016 – 4 StR 18/16; Beschl. v. 22.5.2019 – 1 StR 79/19; Beschl. v. 28.8.2019 – 5 StR 419/19; Beschl. v. 19.12.2019 – 4 StR 496/19; Beschl. v. 18.3.2020 – 4 StR 374/19; Beschl. v. 10.6.2020 – 5 StR 109/20; Beschl. v. 29.7.2020 – 6 StR 211/20. 1249 BGH NStZ 2019 427, 428; NStZ-RR 2019 189, 190; NJW 2020 350; Beschl. v. 27.6.2017 – 2 StR 572/ 16. 1250 S. Ulbrich / Anslinger / Bäßler / Eckert / Fimmers / Hohoff / Kraft / Leuker / Molsberger / Pich / Razbin / H. Schneider/Templin/Wächter/Weirich/Zierdt/P. Schneider NStZ 2017 135, 136. 1251 BGH NStZ 2019 427, 428; NStZ-RR 2019 189, 190; NJW 2020 350; Beschl. v. 27.6.2017 – 2 StR 572/ 16; zur Klassifikation von Mischspuren P. Schneider/Fimmers/H. Schneider/Brinkmann NStZ 2007 447. 1252 S. etwa BGH NStZ-RR 2017 91, 92. 1253 Ulbrich/Anslinger/Bäßler/Eckert/Fimmers/Hohoff/Kraft/Leuker/Molsberger/Pich/Razbin/H. Schneider/Templin/Wächter/Weirich/Zierdt/P. Schneider NStZ 2017 135, 137. 1254 S. nur BGH NStZ 2018 303. 1255 Ausführlich BGH NStZ 2016 490, 491 f. m. abl. Anm. Eisenberg/Müller; s. auch NStZ 2019 427, 428; KK/Ott 138. 1256 BGH NStZ 2016 490, 492 m. abl. Anm. Eisenberg/Müller; NJW 2015 2594, 2597 m. Anm. Magnus; Beschl. v. 17.4.2019 – 5 StR 603/18; Schneider/Anslinger/Eckert/Fimmers/H. Schneider NStZ 2013 693, 696; Ulbrich/Anslinger /Bäßler/Eckert/Fimmers /Hohoff/Kraft/ Leuker/Molsberger/Pich/ Razbin/H. Schneider/ Templin/Wächter/Weirich/Zierdt/P. Schneider NStZ 2017 135, 139. 1257 S. etwa BGH NStZ 2012 464; 2013 177, 178; NStZ-RR 2014 115, 116; 2016 118, 119; Beschl. v. 1.12.2015 – 4 StR 397/15; Beschl. v. 12.4.2016 – 4 StR 18/16; s. auch NStZ 2012 403; Beschl. v. 15.5.2012 – 3 StR 164/12; s. aber auch Beschl. v. 18.3.2020 – 4 StR 374/19. 1258 BGH Beschl. v. 25.4.2019 – 1 StR 427/18. 1259 S. etwa BGH Beschl. v. 19.2.2019 – 2 StR 599/18.

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den Urteilsgründen nicht lediglich die getroffene Diagnose bezeichnet werden darf.1260 Denn diese allein ist für die Beurteilung der Schuldfähigkeit grundsätzlich selbst dann nicht verbindlich, wenn sie als psychische Störung in der International Classification of Diseases (ICD-10)1261 bzw. im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-V) verzeichnet ist.1262 Vielmehr hat sich das Tatgericht z. B. im Falle einer psychischen Erkrankung des Angeklagten nicht nur mit deren Beginn, Verlauf, Symptomen, (ggf. stationärer) Behandlung inklusive erfolgter Medikation und namentlich mit deren Relevanz in der konkreten Tatsituation, sondern auch mit vorhandenen diagnostischen Kriterien1263 und einem früheren strafrechtlich relevanten Verhalten auseinanderzusetzen.1264 Vergleichbares gilt für gutachterliche Ergebnisse, die eine Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung in einer Maßregel der Besserung und Sicherung (§§ 63, 64 und 66 StGB) tragen sollen,1265 und für aussagepsychologische Gutachten (sog. Glaubhaftigkeitsgutachten).1266 Diese sind lediglich ausnahmsweise in problematischen Fällen einzuholen, wenn die tatgerichtliche Sachkunde nicht hinreicht.1267 Hierher können Konstellationen gehören, in denen bereits die Aussagefähigkeit des Zeugen als zweifelhaft erscheint, etwa bei sehr jungen, alten, psychisch erkrankten, intelligenzgeminderten oder in der konkreten Tatsituation z. B. durch Medikamente oder Betäubungsmittel beeinträchtigten Menschen.1268 Ebenso kann es sich verhalten, wenn Scheinerinnerungen in Betracht kommen.1269 Hierbei handelt es sich um das Ergebnis auto- und heterosuggestiver Prozesse (suggerierte „Gedächtnisillusionen“),1270 die beispielsweise durch die Lektüre von sog. Selbsthilfeliteratur, Internetrecherchen, die Teilnahme an Foren oder Gesprächsgruppen und insbesondere durch „Aufdeckungsarbeit“ in Gang gesetzt werden können.1271

1260 BGH NStZ-RR 2017 203, 204; BGHR StGB § 63 Zustand 47; Beschl. v. 6.2.2019 – 3 StR 479/18. 1261 S. auch Konrad/Huchzermeier R&P 2019 84 zu in der von der Weltgesundheitsorganisation verabschiedeten Novelle (ICD-11) vorgesehenen Änderungen, die in Deutschland am 1.1.2022 in Kraft treten soll.

1262 BGH NStZ 1992 380; Konrad/Huchzermeier R&P 2019 84, 89. 1263 Zu psychopathologischen Persönlichkeitsstörungen s. etwa BGHSt 49 45, 50 f.; BGH NStZ-RR 2017 368.

1264 Zu einzelnen Kriterien BGH NStZ-RR 2015 315, 316; 2016 239; 2017 203, 205; 2019 44, 45; StV 2016 720, 722; Beschl. v. 15.7.2014 – 4 StR 228/14; Beschl. v. 30.7.2014 – 5 StR 292/14; Beschl. v. 19.11.2014 – 4 StR 497/14; Beschl. v. 27.1.2016 – 2 StR 314/15; Beschl. v. 14.6.2016 – 1 StR 221/16; Beschl. v. 22.8.2017 – 5 StR 341/17; Beschl. v. 17.7.2018 – 4 StR 145/18; Beschl. v. 19.2.2019 – 2 StR 599/18; s. auch Beschl. v. 11.4.2018 – 4 StR 446/17. 1265 S. etwa BGH Urt. v. 21.5.2014 – 1 StR 116/14; Beschl. v. 30.7.2014 – 4 StR 183/14; Urt. v. 8.10.2015 – 4 StR 86/15; Urt. v. 7.6.2017 – 1 StR 628/16; Beschl. v. 18.10.2017 – 3 StR 368/17; Urt. v. 4.7.2018 – 5 StR 580/ 17 (jeweils zu § 63 StGB); NStZ 2015 539, 540; StV 2017 286 (jeweils zu § 64 StGB); NStZ 2018 90, 91 (zu § 66 StGB). 1266 BGH Urt. v. 25.1.2011 – 5 StR 418/10; s. auch NStZ 2019 691; NStZ-RR 2015 82, 83; 2016 380, 381; Beschl. v. 25.4.2006 – 1 StR 579/05; Urt. v. 12.7.2017 – 1 StR 408/16; OK-StPO/Eschelbach 3.4; Hilgert NJW 2016 985 (auch zur Einsichtnahme des Zeugen in die Akten und das Gutachten); Deckers/Köhnken/Köhnken Erhebung und Bewertung 25, 53 f. 1267 Köhnken FS Ostendorf 519; KK/Ott 129. 1268 Köhnken FS Ostendorf 519, 521 ff.; MüKo/Miebach 246 m.w.Bsp. 1269 Köhnken FS Ostendorf 519, 527 ff.; zu Träumen als Basis für Scheinerinnerungen Hamatschek RPsych 2019 457. 1270 Deckers/Köhnken/Steller Erhebung und Bewertung 71, 80; s. auch Deckers/Köhnken/Deckers Erhebung und Bewertung 181, 197. 1271 Deckers/Köhnken/Steller Erhebung und Bewertung 71, 76, 82 und 86; hierzu auch Hohoff NStZ 2020 387, 389.

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Auch die mitochondriale DNA-Analyse1272 (vgl. Rn. 156) ist bislang nicht standardisiert.1273 Sie hat einerseits den praktischen Vorteil, dass es für die Untersuchung außerhalb des Kerns in den Mitochondrien enthaltender DNA tendenziell weniger Materials bedarf.1274 Sie ermöglicht andererseits lediglich eine Gruppen- und keine Individualidentifizierung,1275 da die mitochondriale DNA maternal vererbt wird, so dass sie – von seltenen Mutationen abgesehen –1276 bei allen Nachkommen einer Frau identisch bleibt.1277 Obgleich sie im Zellkern enthalten sind (vgl. Rn. 156),1278 gilt Entsprechendes für die ausschließlich paternal vererbten Y-Chromosomen, die demzufolge bei in direkter väterlicher Linie miteinander verwandten männlichen Personen in der Regel identisch sind.1279 Aufgefundene Profile (sog. Haplotypen) werden einem direkten Vergleich mit Populationsdatenbanken1280 unterzogen, um so ihre Häufigkeit in der relevanten Bevölkerungsstichprobe zu ermitteln.1281 Der gefundene Wahrscheinlichkeitsgrad hat umso größeren Beweiswert, desto umfangreicher und repräsentativer die Gruppe der Referenzdaten ist.1282 Bei Mischspuren ohne abgrenzbare Hauptkomponente stößt diese Untersuchungsmethode nach dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand an ihre Grenzen.1283 Beide Analysearten ermöglichen aber ggf. den sicheren Ausschluss eines Tatverdächtigten.1284 Praxisrelevant sind zudem anthropologische Identitätsgutachten. Bei diesen wer172 den vom Täter zumeist von einer Raumüberwachungskamera – beispielsweise in Banken, Casinos und Stadien oder an Tankstellen und Bahnhöfen – gefertigte Aufnahmen (sog. Bezugsbild) mit vom Tatverdächtigten angefertigten Lichtbildern (sog. Vergleichsbild) hinsichtlich Übereinstimmungen bzw. Abweichungen verglichen.1285 Die Methode basiert auf der Variabilität menschlicher Körperformen. Für die Bewertung einer Identität der abgebildeten Personen spielen die Zahl der auszuwertenden Merkmale, deren Häufigkeit in der Bevölkerung und die Güte der Erkennbarkeit eine Rolle.1286 Um eine Untersuchung zu ermöglichen, wird die menschliche Gestalt in viele Einzelbereiche aufgeteilt. Zu den dabei bedeutsamsten morphologischen Kriterien gehören namentlich die Formprägungen des Gesichts (z. B. Augenbrauen, Nasenrücken und -flügel, Kinnform, mimische Furchen) und der Ohren, denen besondere Aussagekraft zugemessen werden kann.1287 Insge171

1272 1273 1274 1275 1276 1277 1278 1279 1280

Hierzu Bastisch/Schmitter § 71, 91. BGHSt 54 15, 22; s. auch SSW/Schluckebier 50. Bastisch/Schmitter § 71, 95 f.; Groten/Schmelz Kriminalistik 2019 358. Bastisch/Schmitter § 71, 92 f. Willuweit/Weirich/P. Schneider/Roewer NStZ 2018 437. Bastisch/Schmitter § 71, 92; Groten/Schmelz Kriminalistik 2019 358, 359. Bastisch/Schmitter § 71, 7. Bastisch/Schmitter § 71, 86 f.; Willuweit/Weirich/P. Schneider/Roewer NStZ 2018 437. Für mitochondriale DNA beispielsweise die European DNA Profiling Group mtDNA Population Database (EMPOP; https://empop.online/) mit etwa 50.000 Einträgen, für Y-chromosomale DNA die Y-STR Haplotype Reference Database (YHRD; https://yhrd.org/; jeweils abgerufen am 20.4.2020) mit mehr als 300.000 Einträgen. 1281 Bastisch/Schmitter § 71, 89; Willuweit/Weirich/P. Schneider/Roewer NStZ 2018 437; Groten/Schmelz Kriminalistik 2019 358, 359. 1282 BGHSt 54 15, 22. 1283 Willuweit/Weirich/P. Schneider/Roewer NStZ 2018 437. 1284 Groten/Schmelz Kriminalistik 2019 358, 359. 1285 Rösing/Hirthammer § 79, 30 f. 1286 Rösing/Hirthammer § 79, 26; Rösing/Quarch/Danner NStZ 2012 548. 1287 Schott Kriminalistik 2014 303, 305; s. auch Rösing/Hirthammer § 79, 39.

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samt werden etwa 250 allgemeine Merkmale genannt.1288 Aussagekraft können darüber hinaus persönliche Auffälligkeiten haben, etwa Narben oder Pigmentflecken.1289 Das tatgerichtliche Urteil hat die gefundenen morphologischen Übereinstimmungen zu bezeichnen.1290 Um den Beweiswert beurteilen zu können, muss es aber auch das verwendete Bildmaterial und dessen Qualität beschreiben1291 und sich schließlich zur Häufigkeit der jeweiligen Merkmale in der Bevölkerung äußern.1292 Insofern sind nach jetzigem Stand lediglich Schätzungen möglich, da diesbezügliches biostatistisches Vergleichsmaterial noch nicht in erforderlichem Ausmaß vorliegt.1293 Angesichts dessen sind die Untersuchungsergebnisse auch subjektiv geprägt, so dass Gutachter auf der üblicherweise verwendeten, im Urteil mitzuteilenden1294 Bewertungsskala zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen können,1295 was den Beweiswert begrenzt (vgl. Rn. 158). Infolgedessen kann die in Rede stehende Methode nicht als standardisiert angesehen werden.1296 Zeigt sich bei einem Merkmal freilich auch nur eine eindeutige – nicht anderweitig, etwa durch mangelnde Bildqualität erklärbare – Abweichung, so scheidet der Verdächtigte als Täter aus.1297 Mit der Photogrammetrie wird versucht, die Körpergröße eines durch eine Kamera aufgenommenen Täters zu ermitteln.1298 Erhöhte Darlegungsanforderungen gelten nach den bisherigen Forschungsständen 173 für die Begutachtung von Werkzeugspuren,1299 zudem bei der Untersuchung beispielsweise von Schuh- oder Reifenspuren.1300 Ebenso verhält es sich bei der – von der auf das Erkennen charakterlicher Eigenschaften des Urhebers eines Textes abzielenden Graphologie zu unterscheidenden –1301 schriftvergleichenden Handschriftenuntersuchung,1302 der Eingrenzung von Größe und Oberflächenstruktur eines Tatwerkzeugs anhand von Bluttropfspuren,1303 der Bestimmung des Todeszeitpunktes im Wege der Rückrechnung der festgestellten Leichentemperatur,1304 der Ertragsprognose für eine Cannabisplantage,1305 der Auswertung von (z. B. an der Außenseite einer aufgebrochenen Wohnungstür hinterlassenen) Ohrabdruckspuren,1306 sog. Streckfaltengutachten,1307 ferner bei den Ergebnissen der namentlich zur Identifizierung eingesetzten Methoden der Phonetik,1308 der Analyse, ob sich der Täter sprachlich verstellt, 1288 1289 1290 1291 1292 1293 1294 1295

Rösing/Hirthammer § 79, 38. Rösing/Quarch/Danner NStZ 2012 548, 549. BGH NStZ 2017 723, 724. BGH NStZ 1991 596; 2017 723, 724; s. auch NStZ-RR 2014 115, 116; 2017 222, 223. BGH NStZ 1991 596, 597; Urt. v. 26.5.1999 – 3 StR 110/99. Rösing/Hirthammer § 79, 14 und 53; Rösing/Quarch/Danner NStZ 2012 548, 550. BGH Beschl. v. 9.4.2013 – 5 StR 138/13. Rösing/Hirthammer § 79, 53; Rösing/Quarch/Danner NStZ 2012 548; s. auch BGH Beschl. v. 9.4.2013 – 5 StR 138/13; Schott Kriminalistik 2014 303, 305. 1296 Rösing/Quarch/Danner NStZ 2012 548, 553; Artkämper/Artkämper Kriminalistik 2018 384, 389. 1297 BGH NStZ 1984 521; Rösing/Hirthammer § 79, 23; Schott Kriminalistik 2014 303, 306. 1298 Hierzu BGH NStZ 1991 596, 597; 2017 300 m. Anm. Ventzke. 1299 BGH Beschl. v. 15.9.2010 – 5 StR 345/10; Beschl. v. 29.7.2020 – 6 StR 211/20. 1300 MüKo/Miebach 325. 1301 Artkämper/Artkämper Kriminalistik 2018 384, 391: „Spökenkiekerei“. 1302 Hecker NStZ 1990 463. 1303 Hierzu Kunz/Grove/Adamec Kriminalistik 2015 728. 1304 S. BGH Urt. v. 5.6.2014 – 2 StR 624/12. 1305 BGH Beschl. v. 21.7.2020 – 2 StR 187/20. 1306 Clas Kriminalistik 2014 371. 1307 Hierzu Artkämper/Artkämper Kriminalistik 2018 384, 389. 1308 Dellwo/Hove/Leemann/Kolly Kriminalistik 2014 119 (auch zu die Aussagekraft einschränkenden Umständen).

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insbesondere eine ausländische Herkunft vorgetäuscht hat,1309 beim Auslesen und Bewerten der in einem modernen Kraftfahrzeug mittlerweile zahlreich gespeicherten Daten,1310 bei physikalischen, insbesondere ballistischen Experimenten,1311 bei der Haaranalytik1312 sowie beim sog. Jeansfaltenvergleichsgutachten.1313 Wird der Marktwert eines Anlage- oder Derivatgeschäfts unter Anwendung finanzmathematischer Berechnungen bzw. betriebswirtschaftlicher Bewertungskriterien bestimmt, sind die benutzte mathematische Formel, exemplarisch der Rechenweg sowie ggf. herangezogene Vergleichsfälle nebst der Auswahlkriterien mitzuteilen.1314 Im Falle betrügerisch erlangter Leasingfahrzeuge kann die Höhe der festgestellten Schäden ohne Kenntnis der vom Sachverständigen zugrundegelegten Parameter in der Regel nicht nachvollzogen werden.1315 In jüngerer Zeit waren des öfteren die Ergebnisse zu bewerten, die mit zu Ermitt174 lungszwecken eingesetzten, auf unterschiedliche Gerüche konditionierten Fährtenoder Spürhunden erzielt worden waren. Neben dem herkömmlichen Auffinden beispielsweise von versteckten Betäubungsmitteln kommt zunehmend der bestimmten Rassen (z. B. Bloodhounds, Beagles, Bassets und Laufhunden) gestellte Aufgabe Bedeutung zu, als sog. Mantrailer eine menschliche Spur zu verfolgen,1316 die sich (möglicherweise) aus einer Vielzahl verlorener Hautzellen bzw. -schuppen bildet1317 und (wohl) einen genetisch festgelegten Individualgeruch darstellt (sog. Odortyp).1318 In allen Fällen soll der Umstand genutzt werden, dass der hündische Geruchssinn aufgrund einer großen Zahl olfaktorischer Sinneszellen bis 2,4 Millionen Mal besser entwickelt sein soll als der menschliche.1319 Freilich sind etliche Fragen noch ungeklärt, etwa binnen welchen Zeitraums nach dem Legen der Spur ein Hund diese noch verfolgen1320 und ob er diese auch entgegen ihrer zeitlichen Entstehung „lesen“ kann.1321 Zu den Standards, die sich bislang herausgebildet haben, zählt, dass der Hundeführer beim konkreten Einsatz über den Stand der Ermittlungen möglichst wenig informiert sein sollte, um den Hund nicht (unbewusst) zu beeinflussen,1322 und dass der gesamte „Trail“ zur besseren Nachvollziehbarkeit nebst GPS videografiert werden sollte.1323 Mit Blick auf die oft fehlende Möglichkeit, das konkrete Suchergebnis valide zu überprüfen, versteht es sich zudem von selbst, dass ausschließlich sorgfältig ausgesuchte und trainierte Hunde eingesetzt werden dürfen. Zur Qualitätssicherung existiert beispielsweise in Bayern eine drei Stufen 1309 Fobbe ZGL 2014 196 mit eindrucksvollen Beispielen aus der Praxis. 1310 Brummer/Hoch Kriminalistik 2017 643. 1311 S. hierzu BGH Urt. v. 23.1.2020 – 3 StR 433/19; Axmann/Siegenthaler/Kneubühl/Jackowski Kriminalistik 2016 477.

1312 Eingesetzt vor allem zum Nachweis erfolgten Drogenkonsums und verabreichter sog. KO-Tropfen; hierzu Binz/Baumgartner Kriminalistik 2020 476. 1313 BGH NStZ 2000 106. 1314 Hierzu BGH Beschl. v. 25.4.2019 – 1 StR 427/18; zur für das Vorliegen eines Bankrotts (§ 283 Abs. 2 StGB) relevanten Berechnung der Profitabilität von Untermietverhältnissen NStZ-RR 2017 177, 178 m. Anm. Floeth; zur Wertermittlung einer Einlage wistra 2019 154, 155. 1315 BGH NStZ 2019 614, 616 m. Anm. Bittmann. 1316 Artkämper/Artkämper Kriminalistik 2018 384, 385. 1317 Artkämper/Baumjohann 117, 128; Artkämper/Artkämper/Baumjohann Kriminalistik 2015 347, 349. 1318 Artkämper/Baumjohann 117, 119, 129. 1319 Artkämper/Artkämper/Baumjohann Kriminalistik 2015 347. 1320 Woidtke 212; zu sog. Cartrails s. auch 216 ff. 1321 Woidtke 221 ff. (sog. Backtrail). 1322 Artkämper/Baumjohann 117, 124; Woidtke 207. 1323 Artkämper/Baumjohann 117, 125.

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umfassende Prüfungsordnung für Personensuchhundeführer und Personensuchhunde.1324 Werden die bezeichneten Vorgaben eingehalten, so kann das erzielte Ermittlungsergebnis jedenfalls „als weiteres stützendes Beweisanzeichen mit allerdings nur geringem Beweiswert“ in die Gesamtwürdigung eingestellt werden.1325 Während der Hundeführer regelmäßig als sachverständiger Zeuge (§ 85) vernommen werden wird,1326 sollte ergänzend ein Sachverständiger zum aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand gehört werden. Stützt das Tatgericht die Entscheidung im Wesentlichen auf eigene Feststellungen 175 und Überlegungen, die ohne Mitwirkung des Sachverständigen gewonnen wurden, dann kann es genügen, wenn das Urteil den Inhalt des Gutachtens und Anknüpfungstatsachen nur bezüglich des bei der Entscheidung mitverwendeten Teils wiedergibt,1327 vorausgesetzt, dass dadurch das Verständnis der mitgeteilten Erwägungen nicht leidet. 5. Urkundenbeweis. Beim Urkundenbeweis gilt die freie Beweiswürdigung für die 176 Auslegung des Urkundeninhalts,1328 für die Beurteilung des Beweiswerts der Urkunde und die daraus zu ziehenden Schlüsse. Dies ist Sache des Tatgerichts. Diesem kommt bei der Würdigung von Urkunden wie etwa Verträgen, Erklärungen und Verwaltungsakten, auch E-Mails,1329 WhatsApp-1330 oder sonstigen Schriftnachrichten ein weiter, nur eingeschränkter revisionsgerichtlicher Überprüfung unterliegender1331 Spielraum zu.1332 Die unrichtige Feststellung des Wortlauts einer verlesenen Urkunde im Urteil wird dadurch aber selbstverständlich nicht gedeckt.1333 Im Übrigen bestehen auch hier die Grenzen, die der freien Beweiswürdigung allgemein gesetzt sind, vor allem ihre Bindung an Denkgesetze und zwingende Erfahrungssätze,1334 zu denen auch allgemeine Auslegungsregeln gehören.1335 Dabei kommt es primär auf Wortlaut und sprachlichen Kontext an,1336 aber auch außerhalb eines Schriftstücks liegende Begleit1324 Hierzu Artkämper/Baumjohann 117, 124 f.; Artkämper/Artkämper/Baumjohann Kriminalistik 2015 347, 350 f. 1325 So BGH Beschl. v. 7.3.2018 – 5 StR 41/18; s. auch Beschl. v. 7.5.2014 – 5 StR 151/14 („gewisser Indizwert“); LG Dortmund Urt. v. 10.5.2013 – 37 Ks 6/12, 190 Js 514/11 („bestätigendes Indiz“; zitiert nach Artkämper/Baumjohann 117, 123 Fn. 19); strenger für die Konstellation, dass die Anwesenheit des Angeklagten allein durch das Verfolgen einer Spur bewiesen werden soll, LG Nürnberg-Fürth StraFo 2013 384; ferner BGH NStZ 2009 226, 227; MüKo/Miebach 120. 1326 Artkämper/Baumjohann 117, 124. 1327 OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1971 271. 1328 BGH Urt. v. 24.10.2018 – 5 StR 477/17; KG JR 1980 291 m. Anm. Volk; OLG Köln NStZ 1981 183; JMBlNW 1984 47; W. Schmid ZStW 85 (1973) 377. 1329 S. etwa BGH NZWiSt 2017 362, 365; StV 2014 283, 284. 1330 BGH Urt. v. 27.10.2016 – 4 StR 254/16. 1331 BGH NStZ 2015 342, 343; 2015 636, 637; Urt. v. 27.10.2016 – 4 StR 254/16. 1332 BGH NStZ 2006 625, 627; Urt. v. 4.9.2014 – 1 StR 75/14; Urt. v. 24.10.2018 – 5 StR 477/17; BGHR StGB § 266 Abs. 1 Pflichtwidrigkeit 4; s. auch BGH NStZ-RR 2017 318, 319. 1333 Die Überzeugungsbildung beruht dann auf einer Tatsachengrundlage, die nicht dem Inbegriff der Hauptverhandlung entnommen sein kann. Diesen Verstoß kann das Revisionsgericht feststellen, da es dazu keiner Rekonstruktion der Hauptverhandlung bedarf, BGHSt 29 21 = JR 1980 168 m. Anm. Peters; BGH StV 1983 321 (Ls.); 1984 411; 1991 548; 1993 115; bei Holtz MDR 1976 989; 1986 625; NZWiSt 2017 362, 365; NStZ-RR 2018 78; BayObLG StV 1985 226; OLG Bremen VRS 48 (1975) 372; OLG Hamm MDR 1973 516; 1975 245; OLG Köln NJW 1974 1150; StV 1998 364; OLG Zweibrücken StV 1994 545; KK/Ott 195; MeyerGoßner/Schmitt 38a und § 337, 14; a. A. Willms FS Heusinger 405. 1334 BGH NStZ 2006 625, 627; BGHR StGB § 266 Abs. 1 Pflichtwidrigkeit 4. 1335 BGH Urt. v. 4.9.2014 – 1 StR 75/14. 1336 BGH NStZ 2015 636, 637.

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umstände können zu berücksichtigen sein, sofern sie einen Schluss auf den Sinngehalt einer Erklärung zulassen.1337 Dieser muss vollständig ausgeschöpft werden,1338 naheliegende Auslegungsmöglichkeiten dürfen nicht übergangen werden.1339 Kommt es dagegen nicht nur auf den Wortlaut, sondern auf die materielle Beschaffenheit oder das Erscheinungsbild (Schriftbild, Korrekturen, Veränderungen) einer Urkunde an, genügt es nicht, dass deren Wortlaut nach § 249 in das Verfahren eingeführt wurde. Vielmehr muss die Urkunde dann ausdrücklich auch zum Gegenstand eines im Hauptverhandlungsprotokoll festzuhaltenden Beweises durch Augenschein (vgl. Rn. 179) gemacht werden.1340 Die StPO kennt keine Regelung, die bestimmten Urkunden einen besonderen Be177 weiswert zuerkennt. Insbesondere sind die Erklärungen öffentlicher Behörden mit keiner verstärkten Beweiskraft ausgestattet;1341 die Ausnahme des § 274 ist für die tatgerichtlichen Sachverhaltsfeststellungen ohne praktische Bedeutung. Bei der Bewertung automatisiert erstellter Tank- und Einkaufsbelege darf das Tatgericht berücksichtigen, dass derartige Quittungen regelmäßig von solcher Qualität sind, dass die mit Hilfe elektronischer Registrierkassen erfassten Umsätze von der Finanzverwaltung als Nachweis im Steuerrecht anerkannt werden.1342 Bei – namentlich thematischen, stilistischen und textgestalterischen – Übereinstimmungen, die sich durch Analyse sog. Bekennerschreiben ergeben haben, handelt es sich regelmäßig um Indizien mit einem allenfalls äußerst geringen Beweiswert.1343 Das Gericht kann aus einem in der Hauptverhandlung verlesenen rechtskräftigen Strafurteil nicht nur den Beweis der Verurteilung herleiten, sondern es auch für erwiesen halten, dass und wie der Verurteilte die Tat begangen hat.1344 Ebenso verhält es sich bei einem bestandskräftigen Bußgeldbescheid.1345 Es ist grundsätzlich auch insoweit zur freien Beweiswürdigung berechtigt und verpflichtet. Es darf jedoch nicht von einer eigenen Würdigung der Tatsachen absehen.1346 Die tatsächliche und rechtliche Würdigung, die ein gleichgelagerter Sachverhalt durch andere Gerichte erfahren hat, bindet nur in Ausnahmefällen.1347 Eine eigene Sachprüfung muss es durchführen, wenn ein nicht rechtskräftiges Urteil verlesen wird, dessen Inhalt vom Angeklagten bestritten wird.1348 Wird eine richterliche Vernehmung z. B. wegen eines Verstoßes gegen

1337 BGH NStZ 2014 606, 607 m. w. N.; 2015 636, 637; s. auch NStZ-RR 2018 142, 144. 1338 BGH NStZ 2014 606, 607. 1339 BGH Urt. v. 27.10.2016 – 4 StR 254/16; s. auch StV 2014 283, 284; Urt. v. 16.6.2016 – 3 StR 124/16 (zum Erklärungsinhalt einer mündlichen Äußerung). 1340 BGH NJW 1990 1189; NStZ 1991 143 (Vergleich zweier Schriftstücke) OLG Schleswig StV 1998 365; vgl. wegen w. N. vgl. LR/Mosbacher § 249, 30. Dies gilt für das Verfahren nach § 249 Abs. 2 ebenfalls. Auch wenn bei diesem die Verfahrensbeteiligten die Urkunde selbst (und nicht nur eine Ablichtung) in die Hand bekommen sollten und damit auch ihre Beschaffenheit feststellen können, erübrigt sich dadurch der besondere Augenschein nicht, denn das Verfahren nach § 249 Abs. 2 kann nur das Verlesen der Urkunde in der Hauptverhandlung ersetzen. 1341 Zum Beweiswert eines Behördengutachtens des Bundesamtes für Verfassungsschutz s. BGH NStZ 2019 546; ferner MüKo/Miebach 87 (Erkenntnisse eines Geheimdienstes, ohne Quellen anzugeben). 1342 BGH wistra 2007 108, 110; s. auch StraFo 2008 431. 1343 BGH Beschl. v. 11.3.2010 – StB 15/09. 1344 Vgl. BGH Urt. v. 19.12.2018 – 2 StR 291/18; LR/Mosbacher § 249, 18 ff.; ferner etwa Alsberg/Dallmeyer 442 f. 1345 BayObLG NZV 2004 48, 49. 1346 BGHSt 17 390; LR/Mosbacher § 249, 20. 1347 Vgl. BGH NJW 1973 1805; s. § 262. 1348 BGH Urt. v. 19.12.2018 – 2 StR 291/18.

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§ 168c lediglich als nichtrichterliche in die Hauptverhandlung eingeführt, so hat sich das Tatgericht des dann minderen Beweiswertes bewusst zu sein.1349 Voraussetzung für die Einbeziehung einer Urkunde in die freie Beweiswürdigung 178 ist aber immer, dass deren Inhalt in einer verfahrensrechtlich zulässigen Weise zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden ist.1350 Dies muss – vor allem, wenn es nicht auf den genauen Wortlaut ankommt – nicht notwendig in den für den Urkundenbeweis vorgeschriebenen Formen (§§ 249 ff.) geschehen.1351 Denn der Inhalt einer Urkunde kann auch durch Zeugenaussagen oder durch Bekundungen des Angeklagten in die Hauptverhandlung eingeführt werden,1352 wobei die Urkunde selbst auch zum Zwecke des Vorhalts oder sonst als Vernehmungsbehelf verwendet werden kann. Beweisgegenstand ist dann aber nicht die Urkunde selbst, sondern allein das, was der Angeklagte oder Zeuge zu ihr erklärt hat.1353 Deshalb spricht es für einen Verstoß gegen § 261, wenn der Inhalt einer längeren Urkunde im Urteil ganz oder zum Teil wörtlich wiedergegeben wird, obwohl diese selbst nicht nach § 249 zu Beweiszwecken in die Hauptverhandlung eingeführt worden war.1354 Denn anders als bei einem einzelnen kurzen Satz lässt sich durch einen Vernommenen zwar der Sinn, regelmäßig aber nicht der genaue Wortlaut eines längeren Textes in die Hauptverhandlung einführen.1355 6. Augenscheinsbeweis. Beweisgegenstände, die ordnungsgemäß durch Augen- 179 schein zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurden,1356 kann das Gericht bei seiner Beweiswürdigung berücksichtigen, beispielsweise Video- und Tonaufnahmen, sonstige Abbildungen wie eine Wahllichtbildvorlage, auch Skizzen, Zeichnungen sowie namentlich Tatmittel (etwa Einbruchswerkzeuge, Schusswaffen und Messer) und sog. Beziehungsgegenstände wie Falschgeld und Betäubungsmittel.1357 Hierher können auch Experimente und insbesondere die Besichtigung des Tatortes gehören, wenngleich häufig die situative Konstellation zur Tatzeit nicht exakt rekonstruierbar sein wird.1358 Kommt es auf das äußere Erscheinungsbild einer Urkunde oder auf in ihr enthaltene bildliche Darstellungen an, so ist sie in Augenschein zu nehmen.1359 Die Beweiswürdi-

1349 BGH NStZ-RR 2019 222. 1350 Vgl. Rn. 22; LR/Mosbacher § 249, 2, 37. Maßgebend ist insoweit die Sitzungsniederschrift, sofern es sich um eine wesentliche Förmlichkeit handelt, vgl. BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 495; vgl. die Erläuterungen bei § 273. 1351 Wieweit die Aufklärungspflicht gebietet, den Wortlaut einer Urkunde nach § 249 in die Hauptverhandlung einzuführen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab; vgl. LR/Becker § 244, 47 ff.; LR/ Mosbacher § 249, 2. 1352 Etwa BGHSt 6 143; 11 159; BGH NJW 1985 465; Beschl. v. 21.7.2015 – 3 StR 206/15 („überschaubarer Inhalt“); Beschl. v. 17.10.2017 – 3 StR 177/17 (auf Vorhalt vom Angeklagten bestätigt); vgl. LR/Mosbacher § 249, 2, 31, 93, 102. 1353 S. etwa BGH Beschl. v. 10.3.2020 – 2 StR 504/19; zu den Grenzen dieser Verfahrensgestaltung, die sich aus § 244 Abs. 2 und § 261 ergeben, vgl. Rn. 22 und LR/Mosbacher § 249, 93, 102. 1354 BGH NStZ 2017 722, 723 (wörtliche Wiedergabe mehrseitiger Urkunden). 1355 Vgl. Rn. 259 m. w. N. 1356 Vgl. Rn. 15; LR/Becker § 244, 342 ff.; ferner zum Nachweis des Augenscheins durch die Sitzungsniederschrift BGH StV 1985 223 (Ls.); bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 495; OLG Hamm VRS 56 (1979) 362; zu modernen Möglichkeiten, einen Beweisgegenstand nicht nur von den Verfahrensbeteiligten am „Richtertisch“ in Augenschein nehmen zu lassen, sondern auch der Öffentlichkeit zu zeigen, sowie den dabei mit Blick auf Straf-, Persönlichkeits- und Urheberrecht zu beachtenden Grenzen s. Wagner StV 2019 858, 861 f. 1357 S. MüKo/Miebach 47. 1358 BGH Urt. v. 12.6.2007 – 1 StR 73/07. 1359 KK/Ott 35; s. auch BGH NStZ 1991 143, 144; MüKo/Miebach 45 und 337.

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gung ist auch insoweit grundsätzlich frei,1360 muss sich aber – wie stets – im Rahmen der Denkgesetze, der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der allgemeinen Erfahrungssätze halten.1361 Das Gericht darf insbesondere aus dem Beweisgegenstand keine Schlüsse herleiten, die nach der Natur der Sache aus diesem nicht gezogen werden können,1362 oder sich mit der Darlegung einer von mehreren möglichen Folgerungen begnügen.1363 Wieweit der Gegenstand des Augenscheins in den Urteilsgründen darzustellen ist, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls.1364 Sind Bilder, Filme, Tonaufnahmen o. ä. bei der Beweiswürdigung entscheidungserheblich, muss das Gericht ihren Inhalt in dem für das Verständnis seiner Beweiswürdigung erforderlichen Umfang im Urteil sprachlich schildern, wobei die Möglichkeit der Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 Satz 3 eine gewisse Vereinfachung der Detailbeschreibung der Abbildung(en) erlaubt.1365 Bild-Ton-Aufzeichnungen von Vernehmungen, die nach § 255a in Anwendung der für den Urkundenbeweis geltenden Grundsätze in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind, müssen zum Gegenstand der umfassenden Beweiswürdigung des Gerichts gemacht und deshalb im gebotenen Umfang auch in den Urteilsgründen erörtert werden, sofern sie entscheidungserheblich sind.1366 Werden Lichtbilder (z. B. Radarfotos) zur Identifizierung einer Person herangezo180 gen, genügt es in der Regel nicht, nur festzustellen, dass das Gericht von der Identität überzeugt ist. Die Urteilsgründe müssen dartun, worauf sich diese Überzeugung stützt. Soweit sich dies nicht durch die Verweisung nach § 267 Abs. 1 Satz 3 erübrigt, muss das Urteil (neben der Bildqualität)1367 die charakteristischen Merkmale anführen und aufzeigen, wieweit sie bei der Abbildung mit der zu identifizierenden Person übereinstimmen.1368 Bei der Beweiswürdigung können – vor allem wenn der Vergleich zu keinem eindeutigen Ergebnis führt – auch sonstige, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewonnene Erkenntnisse herangezogen werden.1369 Aus der Tatsache, dass ein von der Pflicht zum Erscheinen entbundener Angeklagter (Betroffener) der Hauptverhandlung fernbleibt, kann nicht geschlossen werden, er sei nur ferngeblieben, um seine Identifizierung an Hand eines Bildes zu verhindern1370 (zum Wiedererkennen des Täters vgl. im Übrigen Rn. 133 ff.).1371 181 Protokolle über einen außerhalb der Hauptverhandlung vorgenommenen Augenschein sind nach den Regeln des Urkundenbeweises (§ 249) in die Hauptverhandlung ein-

1360 1361 1362 1363 1364 1365 1366

S. nur BGH Beschl. v. 9.10.2018 – 5 StR 487/18 (zur Bewertung von Videoaufnahmen). Vgl. Rn. 14; 45; 47 ff. Vgl. OLG Düsseldorf VRS 68 (1985) 220; OLG Stuttgart VRS 71 (1986) 281; Rn. 66. Vgl. Rn. 72 ff. Zu den strittigen Fragen vgl. Rn. 74 ff.; LR/Franke26 § 337, 110 f. sowie die Erläuterungen bei § 267. Wegen der Einzelheiten vgl. die Erläuterungen bei § 267 und LR/Franke26 § 337, 111 f. Vgl. die Erläuterungen bei § 255a und § 267; ferner Rn. 74 ff. und zur Freiheit der Beweiswürdigung BGHSt 29 18 = JR 1980 168 m. Anm. Peters. 1367 BGH NStZ-RR 2018 120, 121. 1368 BGHSt 29 18 = JR 1980 168 m. Anm. Peters; 41 376; BGH StV 1981 55; NStZ-RR 2018 120, 121; BayObLGSt 1994 248; BayObLG MDR 1996 841; 1996 1059; VRS 61 (1981) 41; OLG Celle NStZ 1995 243; OLG Frankfurt NJW 1984 1128; OLG Hamm VRS 90 (1996) 196; OLG Karlsruhe Justiz 1996 65; OLG Köln VRS 61 (1981) 437; 94 (1998) 112; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1985 132; OLG Stuttgart VRS 71 (1986) 281; Justiz 1991 202; LG Frankfurt StV 1985 228; 1986 13; 1986 291; Knußmann StV 1983 127; vgl. Rn. 18; 154. 1369 Vgl. Rn. 18. 1370 OLG Düsseldorf VRS 68 (1985) 220. 1371 S. auch LR/Ignor/Bertheau § 58, 11 ff.

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zuführen.1372 Dabei dürfen Angaben einer Auskunftsperson, die zum besseren Verständnis in das Protokoll aufgenommen wurden, zwar mitverlesen werden, sie dürfen aber, da sie kein zulässiges Beweismittel sind, bei der Beweiswürdigung nicht berücksichtigt werden.1373 Erforderlichenfalls ist die Auskunftsperson als Zeuge zu vernehmen. VI. Im Zweifel für den Angeklagten 1. Bedeutung a) Rechtsstaatlicher Fundamentalgrundsatz. Die gesamte Urteilsfindung wird 182 von diesem Grundsatz beherrscht. Er besagt, dass bei Anwendung des materiellen Strafrechts jeder nach umfassender Beweiswürdigung nicht behebbare Zweifel im Tatsächlichen zugunsten des Angeklagten ausschlagen müsse (in dubio pro reo). Dieser „rechtsstaatliche Fundamentalgrundsatz“1374 ist allgemein anerkannt. Nicht abschließend geklärt sind lediglich die Rechtsnatur und die Ableitung des in der Strafprozessordnung nirgends ausdrücklich ausgesprochenen Satzes.1375 Dass nicht zu überwindende Tatsachenzweifel einer Verurteilung entgegenstehen, folgt jedoch schon daraus, dass § 261 bezüglich des Schuld- und Rechtsfolgenausspruchs die volle Überzeugung des Gerichts von den ihn tragenden Tatsachen voraussetzt. Verdachtsstrafen kennt das heutige Strafrecht nicht mehr; sie wären schon mit Blick auf die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG) unzulässig. Nichts anderes bedeutet der Zweifelssatz.1376 Ob er zudem der ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden, in einigen Länderverfassungen und in Art. 6 Abs. 2 EMRK sowie in Art. 14 Abs. 2 IPBPR festgelegten Unschuldsvermutung entspricht, ist umstritten.1377 Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist das Gebot, bei bestehenden Zweifeln für den Angeklagten zu entscheiden, ferner Ausdruck des dem Grundrechtsschutz und einer fairen Verfahrensgestaltung verpflichteten Rechtsstaatsprinzips. Dieses lässt einen Eingriff in die verfassungsrechtlich verbürgten Rechte und Freiheiten, insbesondere aber jede Bestrafung nur dann zu, wenn die vom Gesetz tatbestandsmäßig festgelegten Voraussetzungen (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG) erfüllt sind,1378 d. h.

1372 1373 1374 1375

Vgl. LR/Mosbacher § 249, 24 ff. BGHSt 33 217 = NStZ 1985 468 m. Anm. Danckert; vgl. LR/Cirener/Sander § 250, 12. Roxin25 § 15, 31 ff.; KK/Ott 63. Zur rechtsgeschichtlichen Entwicklung vgl. Holtappels Die Entwicklungsgeschichte des Grundsatzes in dubio pro reo; Sax FS Stock 143 ff.; Stree 14; Zopfs 107 ff.; Wasserburg ZStW 94 (1982) 922; ferner die Darstellungen bei Lehmann 65; Montenbruck In dubio 17 ff.; OLG Hamm NJW 1951 286 nimmt eine „gewohnheitsrechtlich entstandene Rechtsnorm“ an; ähnlich Schünemann ZStW 84 (1972) 870. Montenbruck (a. a. O.) hält diese „vulgärrechtliche Formel“ (65) zur Lösung der Zweifelsfragen für entbehrlich. 1376 Ausführlich hierzu Gräbener 131 f. 1377 S. hierzu BGHR MRK Art. 6 Abs. 2 Unschuldsvermutung 1; KMR/Stuckenberg 88; vgl. auch Stuckenberg Unschuldsvermutung 419 ff., 480 ff. und 579 (Zusammenfassung); verneinend Gräbener 80 und 176; Montenbruck In dubio 67 ff. Nach Hoyer ZStW 105 (1993) 538 stellt die Unschuldsvermutung der EMRK keine eigenen Anforderungen für den Schuldnachweis auf, sondern verweist auf die ohnehin bestehenden Anforderungen des innerstaatlichen Rechts. Vgl. HK/Julius/Beckemper 16 (verstärkt Unschuldsvermutung). 1378 BayVerfGH 35 48 = NJW 1983 100 (Teilhabe am Verfassungsrang des Grundsatzes nulla poena sine culpa, sonst Freispruch geboten); Born Wahrunterstellung 28; Schöneborn MDR 1975 444; Wasserburg ZStW 94 (1982) 922; vgl. auch den Bericht der BReg BTDrucks 10 4608 Nr. 27 ff. (prozessuale Ergänzung des Satzes nulla poena sine culpa); ferner BGHSt 18 27 (Ausdruck fortschreitender Entwicklung rechtsstaatlichen Denkens); BVerfG MDR 1975 469; NJW 1988 477; 1992 35 lassen den eigenen Verfassungsrang des Zweifelssatzes offen. Nach KMR/Stuckenberg 87 nimmt der Satz als Ausprägung des Willkürverbots an dessen Verfassungsrang teil.

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die entsprechende Schuld des Angeklagten zur vollen gerichtlichen Überzeugung nachgewiesen ist. Eine Verurteilung, die trotz vorhandener Zweifel hinsichtlich des die Rechtsanwendung tragenden Sachverhalts erfolgt, verletzt auch das sachliche Recht, weil die für dessen Anwendung notwendigen Feststellungen defizitär sind. Dies ist auf die Sachrüge hin zu beachten.1379 Insoweit ist der Zweifelssatz „die Kehrseite des materiellrechtlichen Schuldprinzips“, das eine Verurteilung auf Verdacht nicht zulässt.1380 Er reicht aber darüber hinaus.1381 Er verdeutlicht und ergänzt die Regeln über die richterliche Überzeugungsbildung im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 261. Aus ihm ergibt sich, wie zu entscheiden ist, wenn das Gericht die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit (Rn. 7 ff.) von einem bestimmten Sachverhalt oder einer entscheidungserheblichen Tatsache nicht gewinnen kann. 183 Daher handelt es sich beim Grundsatz „in dubio pro reo“ anerkanntermaßen nicht um eine Beweis-, sondern um eine Entscheidungsregel.1382 Diese bestimmt somit nicht, wie die richterliche Überzeugung zu bilden ist;1383 sie zwingt das Tatgericht auch nicht zu bestimmten Feststellungen.1384 Ihr ist namentlich nicht zu entnehmen, dass das Gericht bei Vorliegen bestimmter Beweistatsachen zweifeln müsse oder bei mehreren möglichen Schlussfolgerungen nur die für den Angeklagten günstigste für erwiesen halten dürfe.1385 Eine Verletzung des Zweifelssatzes liegt nicht schon vor, wenn der Richter verurteilt hat, obwohl er – nach Ansicht Dritter, insbesondere des Revisionsführers – aufgrund bestimmter objektiver Gegebenheiten hätte zweifeln müssen, sondern nur dann, wenn die Urteilsgründe ersehen lassen, dass er hinsichtlich eines seine Entscheidung tragenden Umstandes gezweifelt hat.1386 Das ist etwa der Fall, wenn er die Beweisergebnisse dahingehend zusammenfasst, „nach alledem (könne) nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte diese Taten begangen hat“,1387 eine Verurteilung auf 1379 OGHSt 1 166; 1 361; BGHSt 10 37; 14 274; BGH LM Nr. 19; OLG Celle MDR 1957 435; OLG Koblenz VRS 44 (1973) 192; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1959 115; Arndt NJW 1959 7; Seibert NJW 1955 172; 1960 20; Sarstedt FS Hirsch 186; Stree JZ 1974 299; Volk JuS 1975 25; KK/Ott 63; Meyer-Goßner/Schmitt 26; Pfeiffer 20; vgl. ferner SK/Velten 7869 (materiell- und verfahrensrechtliche Sicht kumulativ); andererseits etwa KMR/Stuckenberg 88 (nur Regel des Verfahrensrechts); jeweils m. w. N. zum Streitstand; dieser fällt praktisch kaum ins Gewicht, weil die aus den Urteilsgründen ersichtlichen Zweifel nach der h. M. schon auf die Sachrüge hin zu beachten sind; dass dadurch gleichzeitig auch das Verfahrensrecht verletzt ist, spielt dann keine Rolle, desgleichen auch der Verfassungsverstoß; ferner LR/Franke26 § 337, 14 m. w. N. 1380 Lehmann 83; Sax 1958 179; vgl. Frisch FS Henkel 283 (materiellrechtliche Rechtsanwendungsnorm); Montenbruck In dubio 52 ff. (Behandlung begünstigender Normen als negative Tatbestandsmerkmale); Volk JuS 1975 26 (zur Frage Beweisregel oder Beweislastregel); vgl. auch LR/Franke26 § 337, 14 und Ceffinato Jura 2014 655, 656. 1381 Vgl. BGHSt 18 274; Montenbruck In dubio 33 ff.; früher war strittig, ob der Zweifelssatz für Strafausschließungsgründe gilt (verneinend etwa OGHSt 1 389; 2 126). 1382 BGH NStZ 2006 650; 2010 102, 103; 2012 171, 172; 2015 458, 459; NStZ-RR 2008 350, 351; 2009 90, 91; 2015 83, 85; 2017 183, 184; StraFo 2005 297; Urt. v. 1.7.2008 – 1 StR 654/07; Urt. v. 25.10.2017 – 2 StR 495/12; Urt. v. 19.12.2018 – 2 StR 247/18; Urt. v. 4.6.2019 – 1 StR 585/17; BayVerfGH 35 48 = NJW 1983 100; vgl. KK/Ott 63; Meyer-Goßner/Schmitt 26; SK/Velten 84 f. 1383 Vgl. etwa Meyer-Goßner/Schmitt 26; SK/Velten 85. 1384 OLG Koblenz VRS 44 (1973) 192. Vgl. Volk NStZ 1983 423 (die tatsächliche Ungewissheit bleibt, gesichert wird lediglich die eindeutige Rechtsentscheidung). 1385 BGH NStZ-RR 2007 43. 1386 So h. M.; s. nur BGH NStZ 2015 458, 459; Urt. v. 17.8.2004 – 5 StR 591/03; anders wohl nur, wenn allein auf die hohe objektive Wahrscheinlichkeit als Grundlage der Verurteilung abgestellt wird, der Zweifelssatz also nicht nach abgeschlossener Überzeugungsbildung greifen soll, vgl. etwa Hoyer ZStW 105 (1993) 523. 1387 BGH StraFo 2013 463.

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eine Tatsache stützt, die er nicht für erwiesen, sondern nur für wahrscheinlich oder unwiderlegbar gegeben hält,1388 beispielsweise bei einer Verurteilung wegen schwerer Brandstiftung (§ 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB) ausführt, der Stützbalken habe „sehr wahrscheinlich sogar gebrannt“,1389 oder einen alkoholbedingten Fahrfehler i. S. des § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB bejaht, obwohl er einen Suizidversuch des Angeklagten für möglich hält.1390 Der Grundsatz „in dubio pro reo“ kommt erst nach abschließender Beweiswürdigung zum Zuge,1391 wenn also das Gericht alle Mittel der Sachaufklärung erschöpft hat, um zu eindeutigen Feststellungen zu gelangen.1392 Er gilt für die Feststellung rechtserheblicher Tatsachen, nicht aber für deren Bewertung.1393 Hat das Gericht unter seiner Heranziehung einen Sachverhalt festgestellt, darf es diesen nicht wieder relativieren. Ist es beispielsweise zu der Einschätzung gelangt, der Angeklagte sei vermindert steuerungsfähig gewesen, darf es eine Milderung gemäß § 21 StGB nicht mit der Erwägung ablehnen, die Schuldmilderung sei lediglich aufgrund des Zweifelssatzes unterstellt worden.1394 Lässt das Gericht bei seiner Beweiswürdigung naheliegende Umstände, die zugunsten des Angeklagten sprechen, ersichtlich außer Betracht oder entbehrt seine Überzeugung einer rational tragfähigen Grundlage, so dass sie in Wirklichkeit nur als eine Vermutung erscheint, so rechtfertigt diese Verletzung der für die Überzeugungsbildung maßgebenden Grundsätze zwar die Revision;1395 der Zweifelsgrundsatz als solcher ist aber nicht verletzt, weil er erst nach abgeschlossener Meinungsbildung des Gerichts eingreift.1396 b) Rechtliche Zweifelsfragen. Bei rechtlichen Zweifelsfragen, insbesondere bei der 184 Gesetzesauslegung, ist der Satz „in dubio pro reo“ nicht anwendbar.1397 Er gilt also beispielsweise nicht bei der Prüfung, wie ein Mordmerkmal (§ 211 StGB) auszulegen ist, der Begriff der Bande zu definieren ist oder unter welchen Voraussetzungen eine Buchführungspflicht i. S. d. § 283 Abs. 1 Nr. 5, 6 StGB besteht, auch nicht für die Frage, ob eine verminderte Steuerungsfähigkeit i. S. d. § 21 StGB „erheblich“ war.1398 Ob eine Auslegung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten angebracht ist, richtet sich vielmehr nach den für das Verständnis der jeweiligen Norm maßgebenden Gesichtspunkten. So ist etwa bei Grundrechten der für den Bürger günstigeren Auslegung grundsätzlich der Vorzug

1388 Dies wird bei Rügen, die eine Verletzung dieses Grundsatzes behaupten, häufig übersehen, obwohl dies der h. M. entspricht, vgl. etwa BVerfG MDR 1975 469; BayVerfGH 35 48; BGH NJW 1957 1039; StV 2003 542; 2007 286 (Zeugenaussage, die das Tatgericht selbst in Zweifel zieht); bei Dallinger MDR 1970 899; OLG Nürnberg DRiZ 1950 423; dazu krit. Wimmer DRZ 1950 395; ferner BGH NJW 1951 286; GA 1970 86; NStZ 2015 458, 459; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1971 216; Seibert NJW 1955 172; KMR/Stuckenberg 194. 1389 BGH Urt. v. 29.11.2017 – 5 StR 276/17. 1390 BGH NStZ 2014 87 m. Anm. Piel. 1391 BGH NJW 2009 2690, 2693 f.: Vorherige Erörterung der Beweisanzeichen, die „mit nicht geringem Gewicht für eine Strafbarkeit des Angeklagten sprechen können“. 1392 BGH NStZ 2006 650; 2008 216, 218; StraFo 2005 297; zum Vorrang der Aufklärungspflicht vgl. BGHSt 13 328; BGH NStZ-RR 1997 269; LR/Becker § 244, 46 m. w. N. 1393 BGH bei Martin DAR 1974 122. 1394 BGH NStZ 2014 510. 1395 S. beispielsweise BGH NStZ-RR 2016 222; vgl. Rn. 1, 13 f. 1396 BGH NStZ 1992 48; StV 1997 120; führen dagegen wegen des Mangels einer tragfähigen Grundlage für die Verurteilung insoweit auch den Zweifelsgrundsatz an; vgl. auch Hoyer ZStW 105 (1993) 523, der den Zweifelsgrundsatz schon vorher greifen lassen will. 1397 BGHSt 14 73; BGH bei Dallinger MDR 1972 572; OLG Hamm JMBl 1964 203; KK/Ott 71; MeyerGoßner/Schmitt 37; Roxin/Schünemann § 45, 64; vgl. auch OLG Celle GA 1969 153. 1398 BGH NStZ 2000 24; NStZ-RR 2007 43, 45; MüKo/Miebach 345 und 359.

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zu geben.1399 Der Zweifelssatz gilt nicht bei der zur Gesetzesanwendung zählenden Vertragsauslegung,1400 ferner nicht für die Bewertung der festgestellten Tatsachen1401 und auch nicht bei Schwierigkeiten bei der Ermittlung ausländischen Rechts. 185 Eine sachbedingte Einschränkung seines Anwendungsbereichs erfährt der Zweifelssatz dort, wo das materielle Recht eine zukunftsbezogene Wahrscheinlichkeitsaussage erfordert. Hierher gehören Prognosen bezüglich eines Verhaltens, wenn etwa eine Rechtsfolgenentscheidung an die Erwartung künftiger Straffreiheit oder die Gefahr weiterer Straftaten anknüpft. In solchen Fällen ist der Zweifelssatz auf die Einschätzung des künftigen Verhaltens selbst unanwendbar;1402 die Basistatsachen, von denen die Prognose ausgeht, müssen aber zur Überzeugung des Gerichts erwiesen sein,1403 wenn daraus auch Schlüsse zulasten des Angeklagten gezogen werden sollen. Dagegen können zweifelhafte Tatsachen, die eine dem Angeklagten günstige Prognoseentscheidung rechtfertigen könnten, vom Gericht für seine Entscheidung mit herangezogen werden,1404 nach vorzugswürdiger Ansicht allerdings nur mit dem ihnen zukommenden Wahrscheinlichkeitsgrad. Hängt die günstige Kriminalprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) beispielsweise davon ab, ob der Angeklagte eine auf Dauer angelegte Arbeit oder eine feste persönliche Bindung gefunden hat, ist dies aber zweifelhaft und nicht weiter aufzuklären, so darf dieser Umstand nicht zugunsten des Angeklagten unterstellt werden, sondern ist mit der ihm zukommenden Unsicherheit bei der Prognoseentscheidung zu berücksichtigen.1405 Derartige Tatsachen werden dann Bestandteil der Einschätzung der größeren oder geringeren Wahrscheinlichkeit des zu erwartenden Verhaltens. Für dem Urteil vorgelagerte vorläufige Entscheidungen, die während des Strafverfahrens vielfach getroffen werden müssen, gilt der Zweifelssatz nicht. Für sie reicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit aus, insbesondere bei den an einen Tatverdacht unterschiedlicher Stärke gebundenen vorläufigen Anordnungen und Eingriffen.1406 186

2. Keine Beweislast. Zulasten des Angeklagten darf das Gericht nur Tatsachen verwerten, die es für erwiesen hält. Dies gilt auch bei negativen Tatbestandsmerkmalen. Es gibt keine Umkehrung der Beweislast;1407 es ist nicht Sache des Angeklagten, seine Unschuld darzutun.1408 Für den Strafprozess wird die Rechtsfigur des Beweises des

1399 1400 1401 1402 1403

BVerfGE 15 281; 30 162. BGH bei Dallinger MDR 1972 572. BGH bei Martin DAR 1974 122. Ebenso SSW/Schluckebier 54. BayObLGSt 1994 186; OLG Koblenz NJW 1978 2034; VRS 53 (1977) 29; AK/Maiwald 31; krit. KMR/ Stuckenberg 102; a. A. SK/Velten 95; auch Montenbruck In dubio 100 ff. zieht den Ansatz der h. M. in Zweifel (Auslegungsproblem); zu den strittigen Fragen vgl. Montenbruck (a. a. O.) 96 ff., 131 ff.; ferner Rn. 204 und die Kommentare zu §§ 56, 57, 63 ff. StGB m. w. N. 1404 BGH bei Dallinger MDR 1973 900; ausführlich zur Problematik Zopfs 301 ff. 1405 Schäfer/Sander/van Gemmeren Praxis der Strafzumessung Rn. 205. 1406 Meyer-Goßner/Schmitt 28. 1407 OLG Celle NdsRpfl. 1969 214; OLG Hamburg MDR 1953 121; OLG Hamm JMBlNW 1963 182; 1976 68; KG VRS 13 (1957) 53; Gössel § 22 C; Louven MDR 1970 295. Soweit die Rechtsprechung (z. B. BGH NJW 1951 530; 1968 1888) bei § 182 StGB a. F. annahm, bis zum Nachweis des Gegenteils sei von der Unbescholtenheit auszugehen, ist sie im Schrifttum auf Ablehnung gestoßen, vgl. Deubner NJW 1969 147; Stree 21; Van Els MDR 1971 635. Vgl. auch Volk JuS 1975 25. 1408 Eb. Schmidt I 366 ff.; vgl. etwa BGH StV 1983 186 (fehlerhaft, wenn Urteilsgründe besorgen lassen, das Gericht habe sich nicht streng daran gehalten, dass es nicht Sache des Angeklagten sei, seine Unschuld darzutun).

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ersten Anscheins zu Recht allgemein,1409 insbesondere vom BGH in ständiger Rechtsprechung abgelehnt.1410 Daran ändert nichts, dass die Überzeugungsbildung aufgrund von Erfahrungssätzen dem Beweis des ersten Anscheins im Ergebnis nahekommen kann.1411 Die den Strafprozess beherrschenden Grundsätze für die richterliche Aufklärungspflicht und Überzeugungsbildung aufgrund von Erfahrungssätzen (evtl. auch bei mehrdeutiger Tatsachengrundlage) würden durch die Übernahme dieses Rechtsbegriffs nur verdunkelt. Soweit einzelne Entscheidungen wegen einer unzulässigen Verwendung des „Beweises des ersten Anscheins“ angegriffen werden, verbirgt sich hinter dieser Kritik oft der Vorwurf, dass das Gericht entweder eine bloße Wahrscheinlichkeit der Schuld als hinreichend angesehen oder aber einen in Wirklichkeit nicht bestehenden Erfahrungssatz seiner Überzeugungsbildung zugrundegelegt habe. Ein Strafgericht darf sich daher nicht damit begnügen, dass der sich auf den Sachher- 187 gang gründende erste Anschein die Schuld des Angeklagten nach der Lebenserfahrung als (äußerst) wahrscheinlich erscheinen lässt. Das gilt auch dann, wenn der Angeklagte nichts vorgetragen hat, was diese Wahrscheinlichkeit erschüttern könnte. Es muss vielmehr entsprechend seiner Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2) allen konkreten Anhaltspunkten für einen anderen Geschehensablauf nachgehen und es darf nur verurteilen, wenn es sich von der Schuld des Angeklagten überzeugt hat. Dass der auf einen typischen Geschehensablauf nach der Lebenserfahrung bestehende erste Anschein dafür spricht, bindet das Gericht nicht mehr als andere, nicht zwingende Erfahrungssätze.1412 In den wenigen Ausnahmefällen, in denen das materielle Recht die Beweisanzei- 188 chen für das an sich strafwürdige Verhalten zu Tatbestandsmerkmalen verselbständigt hat (wie früher bei den Umständen i. S. d. § 259 StGB a. F.), genügt deren sichere Feststellung.1413 Insoweit gilt der Grundsatz „in dubio pro reo“ aber uneingeschränkt. Auch die im materiellen Strafrecht immer häufiger vorgesehenen Regelbeispiele 189 verschieben nur den Bezugspunkt für Beweisaufnahme und -würdigung.1414 Sie heben aber den Zweifelsgrundsatz hinsichtlich der Feststellung der gesetzlichen Merkmale nicht auf. Soweit das materielle Strafrecht bei der Bemessung bestimmter Rechtsfolgen (§ 40 Abs. 3 StGB: Tagessatzhöhe; § 73d Abs. 2 StGB: Umfang und Wert von Taterträgen) Schätzungen erlaubt,1415 gilt dasselbe für die vom Tatgericht zugrundegelegten Ausgangstatsachen. 3. Geltung bei Anwendung des materiellen Rechts a) Nur sicher erwiesene Tatsachen. Der Grundsatz, dass im Zweifel für den Ange- 190 klagten zu entscheiden ist, gilt uneingeschränkt für die tatsächlichen Feststellungen, 1409 BayObLG VRS 63 (1982) 277; OLG Hamm JMBlNW 1976 68; Henkel FS Eb. Schmidt 589; Louven MDR 1970 295. 1410 S. nur BGH NStZ-RR 2005 147; 2007 86; Urt. v. 28.10.2010 – 4 StR 285/10. 1411 Volk GA 1973 161, 175 (dort m. w. N. zur zivilprozessualen Handhabung des „Beweises des ersten Anscheins“). 1412 Vgl. Rn. 61 ff. 1413 Henkel FS Eb. Schmidt 578; Sarstedt FS Heusinger 349; Roxin/Schünemann § 45, 57 weisen darauf hin, dass das materielle Strafrecht heute eigentliche Schuldvermutungen nicht mehr kennt. Die Ausnahmen seien nur scheinbar, so sei z. B. § 186 StGB als Risikodelikt ausgestaltet; ausführlich zu dieser Norm Gräbener 39 und 148 ff.; vgl. Rn. 101 ff. m. w. N. 1414 Vgl. Rn. 101. 1415 Vgl. Rn. 195 ff.; ferner LR/Becker § 244, 11 ff.; Sander FS Eisenberg II 497 ff.; darüber hinaus sieht § 8 Abs. 3 Satz 1 WiStG die Schätzung der Höhe des sog. Mehrerlöses vor; hierzu Hellmann GA 1997 503, 521 ff.

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die die Anwendung des materiellen Rechts einschließlich der Bestimmung der Rechtsfolgen betreffen.1416 Diese tragen eine Verurteilung nur, wenn sie zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen.1417 Dieses muss einen zugunsten des Angeklagten wirkenden Umstand unterstellen, wenn es dessen Nichtvorhandensein nicht sicher für ausgeschlossen hält (s. aber auch Rn. 191, 193).1418 Hat die Beweisaufnahme beispielsweise ergeben, der Angeklagte sei mit „mehr als 10 km/h bis höchstens 39 km/h“ auf einen Polizeibeamten zugefahren, so ist der Berechnung der diesem zur Verfügung stehenden Ausweichzeit die niedrigstmögliche Geschwindigkeit zugrundezulegen.1419 Hat das Tatgericht festgestellt, ein Angeklagter habe „50 bis 100 Gramm“ Marihuana erhalten, so muss es bei der rechtlichen Subsumtion von der geringsten in Betracht kommenden Menge ausgehen.1420 Es darf zulasten des Angeklagten keine Rechtsfolgen festsetzen, wenn es eine dafür erhebliche Tatsache nicht für erwiesen hält, weil insoweit noch Zweifel bestehen.1421 Lässt sich nicht sicher klären, bei welcher von mehreren Taten ein strafschärfender Umstand vorlag, darf das Gericht ihn bei keiner annehmen.1422 191

b) Tatbestandsmerkmale. Der Zweifelsgrundsatz findet Anwendung bei allen Umständen, in denen das Gericht die Merkmale des gesetzlichen Tatbestands sieht. Dies trifft auch zu, wenn der Angeklagte die vom Gericht bezweifelte Tatsache selbst zu seiner Entlastung behauptet hat.1423 Das Gericht darf aus der Einlassung des Angeklagten nur dann eine für ihn nachteilige Folgerung ableiten, wenn es von deren Richtigkeit überzeugt ist1424 oder nach Lage des Falles für den Angeklagten günstigere Feststellungen nicht in Frage kommen,1425 nicht aber, wenn es die Behauptung lediglich „für nicht widerlegt“ hält.1426 Andererseits fordert der Zweifelssatz nach ständiger Rechtsprechung des BGH nicht, dass das Gericht von der dem Angeklagten günstigsten Fallgestaltung auch dann ausgehen muss, wenn hierfür keine Anhaltspunkte bestehen.1427 Denn es ist nicht geboten, zugunsten des Angeklagten eine Tatvariante zu unterstellen, für die ein realer Anknüpfungspunkt fehlt,1428 so dass es sich bei einem in diese Richtung gehenden Zweifel um 1416 Vgl. Rn. 7 ff.; 66. 1417 Ein fortbestehender Zweifel kommt z. B. dadurch zum Ausdruck, dass ein Gericht eine Tatsache „mit großer Wahrscheinlichkeit“ für gegeben hält (OLG Saarbrücken VRS 44 [1973] 218); vgl. KMR/Stuckenberg 194. 1418 RGSt 73 58; BGH bei Holtz MDR 1979 635; StV 1990 535 (Ls.). 1419 BGH Beschl. v. 24.10.2017 – 4 StR 334/17. 1420 BGH StV 2017 287, 290. 1421 BGH NJW 1951 283; StV 1983 457; BayObLGSt 1958 244; vgl. Rn. 13. 1422 BGH StV 1990 535 (Ls.). 1423 Vgl. OGHSt 1 361; BayObLGSt 1988 97; vgl. auch nachf. Fn. 1424 BGH NJW 1951 532; 1967 3267; 1988 779; NStZ 1986 325; 1987 474; VRS 30 (1966) 99; MeyerGoßner/Schmitt 29; SK/Velten 91. 1425 OLG Hamm VRS 44 (1973) 46. 1426 BGH NJW 1951 532; 1967 2367; VRS 30 (1966) 99; bei Dallinger MDR 1975 198; bei Holtz MDR 1979 637; OLG Hamm VRS 47 (1974) 279. 1427 BGHSt 25 365; BGH Urt. v. 20.6.2013 – 2 StR 113/13; Urt. v. 21.3.2018 – 2 StR 408/17; Beschl. v. 12.12.2018 – 5 StR 582/18; s. auch BVerfG MDR 1957 468; BayVerfGH NJW 1983 1600; OLG Koblenz VRS 44 (1973) 192; 67 (1984) 267; KK/Ott 90; KMR/Stuckenberg 90; Meyer-Goßner/Schmitt 26a; MüKo/Miebach 212. 1428 BGH NJW 2002 2188, 2189; 2007 92, 94; NStZ 2009 630; StraFo 2019 17, 20; Urt. v. 14.9.2004 – 1 StR 180/04; Urt. v. 11.10.2005 – 1 StR 195/05; Urt. v. 12.6.2007 – 1 StR 73/07; Urt. v. 19.6.2007 – 1 StR 16/07; Urt. v. 21.6.2007 – 5 StR 532/06; Urt. v. 24.1.2008 – 5 StR 253/07; Urt. v. 19.3.2009 – 4 StR 516/08; Urt. v. 14.4.2011 – 4 StR 501/10; Beschl. v. 23.8.2011 – 1 StR 153/11; Urt. v. 23.1.2014 – 3 StR 373/13; Urt. v. 29.4.2015 – 2 StR 14/15; Urt. v. 16.9.2015 – 2 StR 431/14; Beschl. v. 25.2.2016 – 3 StR 142/15; Urt. v. 26.1.2017 – 1 StR 385/16; s. auch NStZ-RR 2005 147, 148 zum schweigenden Angeklagten.

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eine lediglich abstrakt-theoretische Möglichkeit handelt.1429 So verhält es sich etwa, wenn das Tatgericht annimmt, der überfallene Zeuge könnte sich selbst Pfefferspray in die Augen gesprüht haben,1430 fünf Polizeibeamte hätten sich infolge eines gruppendynamischen Prozesses Benzingeruch an den Händen des Angeklagten nur eingebildet,1431 die am Schalthebel des Fahrzeugs des Angeklagten gesicherte Schmauchspur könne im Vergleich zum Tattag jüngeren Datums und zudem durch einen Dritten dorthin übertragen worden sein,1432 an der Innenseite der Fahrertür des Autos des Angeklagten gefundenes Blut des Opfers könnte als Folge von Nasenbluten mit einem Tuch dorthin gewischt worden sein1433 oder der Kunde einer Carsharingfirma, der ein Fahrzeug mittels eines in seinen Führerschein eingeklebten Chips und einer ihm zugeteilten persönlichen Identifizierungsnummer (PIN) geöffnet und damit einen Verkehrsverstoß begangen haben soll, könnte seine Papiere nebst der Geheimzahl an eine andere Person weitergegeben haben.1434 Dies gilt umso mehr, wenn gewichtige Beweisanzeichen festgestellt sind, die gegen die Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten sprechen.1435 Daher ist z. B. die Annahme fehlerhaft, der Angeklagte, der zuvor mittäterschaftlich das Opfer geschlagen und getreten hatte, könne den Tatort vor dem tödlichen Messerstich verlassen haben, wenn dies in den festgestellten Indizien keine Stütze findet.1436 Dasselbe gilt für die Verneinung eines Tötungsvorsatzes, wenn der sein Opfer würgende Täter zum Tatort eine Garotte (sog. Würgeeisen) mitnimmt und sich im Kofferraum seines (rückwärts in der Einfahrt geparkten) Fahrzeugs eine Plane befindet, auf der er nach der Tat die Leiche zum Abtransport ablegt.1437 Auch liegt die Feststellung fern, der Angeklagte, der sein Opfer in einen von ihm zu diesem Zweck betretenen Tiefkühlraum eingesperrt hat, könne dessen Funktion und die dort herrschende Temperatur von minus 20° C nicht bemerkt haben.1438 Hält das Gericht aufgrund der getroffenen Feststellungen jedoch konkret eine für den Angeklagten günstigere Fallgestaltung für gleichfalls möglich,1439 muss es von dieser auch dann ausgehen, wenn der Angeklagte hierzu nichts vorgetragen hat.1440 Dem Angeklagten darf kein Nachteil daraus erwachsen, dass er dazu nicht in der Lage ist, weil er die Tat bestreitet1441 oder zu dem gegen ihn erhobenen Vorwurf schweigt. Hat der Angeklagte sich hingegen geäußert, brauchen seine Angaben auch dann 192 nicht ohne Weiteres als „unwiderlegt“ den Feststellungen zugrundegelegt zu werden, wenn es für ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit keine Beweise gibt.1442 Vielmehr sind 1429 BGH NStZ-RR 2007 86, 87; Urt. v. 20.10.2004 – 1 StR 232/04; Urt. v. 19.12.2006 – 1 StR 326/06; Urt. v. 6.2.2014 – 3 StR 315/13; Urt. v. 9.1.2020 – 3 StR 288/19. 1430 BGH Urt. v. 17.7.2014 – 4 StR 129/14. 1431 BGH Urt. v. 14.9.2017 – 4 StR 303/17. 1432 BGH NStZ-RR 2015 349, 350. 1433 BGH NStZ-RR 2005 147, 148. 1434 A. A. KG VRS 126 (2014) 26, 28. 1435 BGH Urt. v. 30.10.2008 – 3 StR 416/08. 1436 BGH NStZ 2005 261. 1437 BGH Beschl. v. 19.6.2008 – 1 StR 217/08. 1438 BGH Urt. v. 17.3.2005 – 4 StR 581/04. 1439 Hierzu BGH Urt. v. 30.10.2014 – 3 StR 355/14 (technischer Defekt eines Haushaltsgerätes als Brandursache); zur Bestimmung des für den eigenen Konsum vorgesehenen Anteils einer größeren Betäubungsmittelmenge s. StV 2017 652; Beschl. v. 22.1.2013 – 1 StR 619/12; Beschl. v. 13.3.2013 – 4 StR 547/12. 1440 Vgl. BGH StV 1986 5. 1441 BGH StV 1990 9; Meyer-Goßner/Schmitt 26a. 1442 BGHR StPO § 261 Einlassung 7; BGH NStZ 2016 154, 155; Urt. v. 16.12.2015 – 1 StR 423/15 (Angeklagter will sich „in Kreisen der Hochfinanz“ bewegt und „zahlreiche afrikanische Staaten in Finanzangelegenheiten beraten“ haben, ohne Näheres mitzuteilen); Urt. v. 17.4.2019 – 5 StR 25/19; Beschl. v. 12.11.2019 – 5 StR 451/19.

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sie zuvor auf ihre Plausibilität1443 und anhand des übrigen Beweisergebnisses auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen (vgl. Rn. 110 f.).1444 Dies gilt insbesondere für dargelegte Mengen getrunkenen Alkohols,1445 vor allem, wenn diese in einem auffallenden Widerspruch zum Leistungsverhalten des Angeklagten bei der Tatbegehung stehen,1446 ebenso für die Behauptung, Betäubungsmittel in großer Menge und über einen langen Zeitraum konsumiert zu haben, wenn die Lebensführung einschließlich der Berufstätigkeit sowie die Gesundheit des Angeklagten unbeeinträchtigt geblieben sind,1447 aber auch hinsichtlich der Anknüpfungstatsachen für eine geltend gemachte Spielsucht.1448 Behauptet beispielsweise der Transporteur von Betäubungsmitteln, er habe diese lediglich im Auftrag eines Dritten nach Deutschland eingeführt, individualisiert diesen aber nicht, so braucht das Tatgericht dieser Schilderung nicht zu folgen, wenn keine zuverlässigen Anhaltspunkte für Auftrag und Person des Auftraggebers vorliegen.1449 Anders verhält es sich, wenn die Gesamtwürdigung ergibt, dass mehrere Umstände die Version des Angeklagten stützen.1450 Aus einer nicht bewiesenen Tatsache, die zugunsten eines Angeklagten als wahr unterstellt wird, darf keine für ihn oder einen Mitangeklagten nachteilige Folgerung hergeleitet werden.1451 Dies kann zu wechselnden Unterstellungen zwingen (Rn. 205). Bleibt zweifelhaft, welche von mehreren Handlungen des Täters den Erfolg herbeigeführt hat, muss das Gericht von der Handlung ausgehen, bei der die Rechtslage für den Angeklagten am günstigsten ist.1452 193

c) Keine Anwendung auf einzelne Indizien. Beim Indizienbeweis (Rn. 77 ff.) gilt der Zweifelsgrundsatz für jede unmittelbar entscheidungserhebliche Tatsache (Tatbestandsmerkmal usw.), die durch Indizien bewiesen werden soll.1453 Sie muss nach der Gesamtwürdigung aller Beweisanzeichen zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Auf die einzelnen Verdachtsmomente, auf die sich der Indizienbeweis stützt, ist der Grundsatz „in dubio pro reo“ jedoch nicht zusätzlich anwendbar.1454 Diese sind nur vorgelagerte, unselbständige Bestandteile des komplexen Vorgangs der einheitlichen richterli1443 BGH NStZ 2006 652, 653: „fraglicher Wahrheitsgehalt“; 2008 510, 511; 2010 503, 504: „vom Angeklagten geschildertes Geschehen … weit außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit“; NStZ-RR 2007 279; 2014 152, 153 (behauptetes Verhalten der Nebenklägerin vor dem kulturellen Hintergrund sehr ungewöhnlich); 2017 352, 353; wistra 2004 265, 267: „wenig plausible Einlassung“; 2017 153, 157; 2018 477, 479 (von Steuerberater blanko unterschriebene Finanzierungsunterlagen); Urt. v. 7.9.2016 – 2 StR 101/16; Urt. v. 1.12.2016 – 3 StR 331/16 (kostendeckender Betäubungsmittelhandel nach der Einlassung kaum möglich); Urt. v. 15.11.2017 – 5 StR 338/17; s. auch Urt. v. 12.4.2011 – 1 StR 674/10; Beschl. v. 20.10.2011 – 1 StR 354/ 11. 1444 BGH NStZ-RR 2005 45; 2005 147; NStZ 2009 285; wistra 2018 477, 479 (im Einvernehmen mit dem Angeklagten wahrheitswidrige Angaben eines Dritten gegenüber einer Bank); Urt. v. 28.10.2009 – 1 StR 205/09; s. auch NStZ-RR 2017 352, 353 f.; Urt. v. 16.6.2016 – 1 StR 50/16. 1445 BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 41; BGH NStZ 2007 266; Beschl. v. 8.2.2005 – 3 StR 500/ 04; Urt. v. 18.9.2008 – 5 StR 224/08; Beschl. v. 7.10.2014 – 4 StR 397/14; Urt. v. 25.10.2017 – 2 StR 118/16. 1446 BGH Beschl. v. 16.1.2008 – 3 StR 479/07. 1447 BGH NStZ-RR 2009 59; Beschl. v. 1.12.2009 – 3 StR 458/09. 1448 BGHSt 49 365, 370 f.; BGH Urt. v. 21.8.2003 – 3 StR 234/03. 1449 BGHSt 51 324. 1450 BGH NJW 2008 386, 388. 1451 RG JW 1931 2030; BGH StV 1983 140 m. Anm. Strate 1983 321; s. auch NStZ-RR 2014 282, 283; vgl. LR/Becker § 244, 300 m. w. N. 1452 RGSt 71 365; BGH bei Holtz MDR 1979 279; 1984 542; vgl. aber auch Wolter MDR 1981 441; ferner zur Unterstellung des jeweils günstigsten Sachverhalts Rn. 205. 1453 KK/Ott 81; Meyer-Goßner/Schmitt 29. 1454 S. nur BGH NStZ-RR 2017 183, 184; Urt. v. 26.5.1999 – 3 StR 110/99.

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chen Beweiswürdigung.1455 Deshalb darf aus dem Umstand, dass ein Tatmotiv lediglich „nicht zu erkennen“ ist, nicht auf das Fehlen eines solchen Motivs geschlossen werden.1456 Das bedeutet aber nicht, dass ein Verdacht auf unbewiesene Tatsachen gestützt werden darf. Die Ausgangstatsachen (Beweisanzeichen) als solche müssen zur Überzeugung des Gerichts feststehen,1457 anderenfalls scheiden sie aus der Beweismasse aus. Bleibt ungewiss, ob die Tatsachen vorliegen, aus denen ein Verdachtsmoment gefolgert werden könnte, darf dieses auch im Rahmen des Indizienbeweises nicht zulasten des Angeklagten herangezogen werden.1458 Das Gericht ist aber andererseits nicht gehalten, bei der Gesamtwürdigung der Beweise zugunsten des Angeklagten zu unterstellen, dass das Verdachtsmoment widerlegt sei. Es kann insoweit im Rahmen der seiner Überzeugungsbildung gesetzten Grenzen diesen Umstand frei würdigen.1459 Eine für den Angeklagten günstige unerwiesene Indiztatsache darf bei der Beweiswürdigung nicht zu dessen Gunsten als wahr unterstellt werden, sie ist aber in die auch Wahrscheinlichkeiten als solche mitberücksichtigende Gesamtbeweiswürdigung einzubeziehen.1460 Da der Zweifelsatz nicht auf die einzelnen Indizien anwendbar ist, können im Übrigen im Rahmen des Indizienbeweises auch Verdachtsmomente, die nur eine Wahrscheinlichkeit für den indizierten Vorgang begründen, in die Gesamtbeweiswürdigung mit einbezogen werden. Sie müssen sich aber auf erwiesene Ausgangstatsachen gründen.1461 Bei der unerlässlichen Gesamtschau muss das Gericht alle be- und entlastenden Indizien in ihrem Verhältnis zueinander unter Berücksichtigung ihres mitunter relativ geringen Beweiswerts würdigen, vor allem auch bei Wahrscheinlichkeitsaussagen.1462 Bei unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten sind alle in Erwägung zu ziehen. Die dadurch gewonnene Überzeugung muss das Tatgericht lückenfrei und nachvollziehbar darlegen. Der Alibi-Beweis macht hiervon keine Ausnahme. Wegen der erstrebten negativen 194 Ausschließlichkeit des aus ihm abzuleitenden Schlusses stellt er lediglich eine besondere Form des Indizienbeweises dar.1463 Die Pflicht, im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden, zwingt das Gericht daher nicht, ein misslungenes Alibi bei der Gesamtwür1455 Etwa Foth NJW 1974 1572; Grünwald FS Honig 65; Hanack JR 1974 383; JuS 1977 731; Schneider MDR 1974 945; Schöneborn MDR 1975 444; Stree JZ 1974 298; Tenckhoff JR 1978 348; Volk NStZ 1983 423; ferner KMR/Stuckenberg 100. 1456 BGH NStZ-RR 2009 90, 91; s. auch NStZ-RR 2014 202, 203; 2014 241, 242; StV 2018 711, 712. 1457 OGHSt 1 166; 1 361; BGHSt 36 286; BGH StV 1985 48 (Ls.); JR 1954 468; NJW 1990 779; NStZ 1981 33; bei Dallinger MDR 1969 194; Herdegen NStZ 1984 342; AK/Maiwald 26; HK/Julius/Beckemper 17, 40; KK/Ott 82; KMR/Stuckenberg 100; Meyer-Goßner/Schmitt 29; MüKo/Miebach 349; SK/Velten 93; a. A. Grünwald FS Honig 58; Nack MDR 1986 368; Montenbruck Wahlfeststellung 55, der darauf hinweist, dass der Streit um die Zulässigkeit von Schlussfolgerungen aus wahrscheinlich vorliegenden Indizien meist ein Scheinproblem ist, da sich die Wahrscheinlichkeit ihrerseits auf festgestellte Tatsachen gründet. W.N. zum Streitstand Rn. 78 f. 1458 BGHSt 25 285 = JR 1975 34 m. Anm. Peters; BGH LM 19; VRS 30 (1966) 99; 78 (1990) 202; OLG Hamm VRS 40 (1971) 363; OLG Stuttgart Justiz 1971 63. 1459 Es gelten die allgemeinen Grundsätze für die Beweiswürdigung einschließlich der Bindung durch Erfahrungsgrundsätze und an zwingende Schlussfolgerungen; vgl. etwa Tenckhoff 1978 349. 1460 Vgl. BVerfG MDR 1975 468; BGHSt 35 308, 316; 36 286; 36 390 = JR 1990 294 m. Anm. Blau; 43 66; BGH NJW 1983 1865; 1989 1043; 2005 2322, 2324; NStZ 2001 609; JR 1978 348 m. abl. Anm. Tenckhoff; KMR/Stuckenberg 100; insoweit besteht Übereinstimmung, auch wenn sonst strittig ist, ob der Zweifelssatz auch auf unerwiesene entlastende Indizien angewendet werden kann, so etwa BGH JR 1989 337 m. Anm. Blau; Herdegen NStZ 1984 342; vgl. dazu KK/Ott 83. 1461 Vgl. Rn. 78 f. 1462 Vgl. etwa BGH NStZ-RR 1997 269; StV 1993 509. 1463 Alsberg/Güntge 1126; Hanack JR 1974 383; Schneider MDR 1974 945; Stree JZ 1972 299; Volk JuS 1975 27; a. A. Peters § 37 III 1 d (Alibifrage ist keine Indizfrage). Vgl. Rn. 98.

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digung der Beweise zugunsten des Angeklagten als zutreffend zu unterstellen.1464 Der Angeklagte muss aber sein Alibi nicht beweisen. Ein misslungener Alibi-Beweis ist für sich allein kein Beweisanzeichen für die Täterschaft.1465 Dasselbe gilt, wenn der Angeklagte erklärt, er wisse nicht, wo er zur Tatzeit war.1466 Auch dass der Angeklagte bestrebt war, sich ein falsches Alibi zu verschaffen, trägt für sich allein den Schluss auf seine Täterschaft nicht.1467 Anders liegt es, wenn er dabei im Wege der sog. Vorwegverteidigung versucht hat, einen Tatumstand zu entkräften, der zu diesem Zeitpunkt ausschließlich dem Täter bekannt war.1468 Ein ungeklärtes Alibi muss – ebenso wie andere behauptete beweiserhebliche Tatsachen – bei der Gesamtbeweiswürdigung mit der ihm zukommenden Ungewissheit in die Erwägungen einbezogen werden.1469 Das Gericht hat diesen Umstand in freier Beweiswürdigung ebenso zu prüfen wie eine andere nicht erwiesene, aber auch nicht widerlegte Einlassung des Angeklagten1470 (vgl. Rn. 193). Es muss entscheiden, ob es unter Berücksichtigung aller Umstände einschließlich des ungeklärten Alibis des Angeklagten seine Tatbeteiligung für nicht erwiesen hält oder diese infolge anderer Umstände zu seiner Überzeugung feststeht, das Alibi also damit aufgrund der Würdigung aller Beweise widerlegt ist.1471 195

d) Schätzungen. Auch soweit das Tatgericht Umstände der Tat im Wege der Schätzung feststellen darf, ist der Zweifelsgrundsatz zu beachten. Er ist freilich nur hinsichtlich der maßgeblichen Tatsachen bedeutsam und nicht auf das Ergebnis der Schätzung selbst anzuwenden.1472 Soweit es der Gesetzgeber beispielsweise in den §§ 40 Abs. 3, 73d Abs. 2 StGB (sog. Schätzklauseln)1473 – verfassungsrechtlich unbedenklich –1474 gestattet hat, die Höhe eines Tagessatzes bzw. Umfang und Wert des (durch oder für eine Tat) Erlangten zu schätzen, begrenzt dies daher ausschließlich die gerichtliche Pflicht, die entscheidungserheblichen Umstände bestmöglich aufzuklären (§ 244 Abs. 2), auf ein dem jeweiligen Fall angemessenes Maß.1475

1464 BGHSt 25 286 = LM Nr. 61 m. Anm. Willms. Die Entscheidung wird wegen einiger in ihrer Allgemeinheit missverständlicher Sätze kritisiert, vgl. die Anm. von Blei JA 1974 468; Stree JZ 1974 298; Hanack JR 1974 383; Foth NJW 1974 1574; Schneider 1974 512; Volk JuS 1975 25; auch Peters Der neue Strafprozeß 174; s. ferner BGH JR 1978 348 m. Anm. Tenckhoff; NStZ 1983 422 m. Anm. Volk; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 39; OLG Hamm JZ 1968 676; OLG Celle JR 1977 82 m. Anm. Peters; KMR/Stuckenberg 101. 1465 BGHSt 41 158; BGH NStZ 1983 422 m. Anm. Volk; 1996 363; NStZ-RR 1998 303; StV 1982 158 m. Anm. Strate; StV 1986 369; 1992 259; 1994 175; 1997 9 (Ls.); VRS 90 (1996) 389; HK/Julius/Beckemper 40; KK/Ott 85; Meyer-Goßner/Schmitt 25; SK/Velten 94. 1466 BGHSt 41 153; BGH StV 1982 158 m. Anm. Strate; Meyer-Goßner/Schmitt 25; SK/Velten 94. 1467 BGH StV 1984 495; NStZ 1999 423: anders, wenn damit ein nur dem Täter, nicht aber den Ermittlungsbeamten bekannter Tatumstand entkräftet werden sollte; vgl. auch Rn. 98. 1468 BGH NStZ 1999 423; Urt. v. 1.2.2011 – 1 StR 408/10; KK/Ott 91; MüKo/Miebach 183. 1469 BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 39; BGH NStZ 1999 523; VRS 90 (1996) 389; SSW/Schluckebier 34. 1470 BGH NStZ 1983 133; 1986 325; OLG Köln StV 1986 192; vgl. Rn. 110 ff. m. w. N. 1471 BGH NStZ 1983 422 m. Anm. Volk; ferner etwa HK/Julius/Beckemper 17; vgl. auch BGH bei Holtz 1978 460 (Wahrunterstellung des Alibis). 1472 BGH NStZ-RR 2019 142; Sander FS Eisenberg II 497, 501, 503 f. m. w. N. 1473 S. BGH NStZ-RR 2019 142; Beschl. v. 9.1.2019 – 5 StR 435/18. 1474 BVerfG (2. Kammer des 2. Senats) NStZ-RR 2015 335. 1475 OLG Celle JR 1983 203 m. Anm. Stree mN; Alsberg/Tsambikakis Rn. 1594; MüKo/Trüg/Habetha § 244 Rn. 32; SSW-StGB/Claus § 40 Rn. 16; Schäfer/Sander/van Gemmeren Strafzumessung Rn. 142 und 1308; Sander FS Eisenberg II 497, 498 m. w. N.; die gegenteilige Auffassung des Sonderausschusses (BTDrucks. V 4095 21) hat sich nicht durchgesetzt.

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§ 261

Über diese lediglich Rechtsfolgen betreffenden Vorschriften hinaus lässt es die 196 Rechtsprechung auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung zu, in bestimmten Konstellationen sogar für den Unrechts- und Schuldgehalt einer Tat relevante Umstände zu schätzen. Die Befugnis hierzu folgt gerade aus den Prinzipien der freien Beweiswürdigung. Denn § 261 berechtigt und verpflichtet die Tatgerichte dazu, die erhobenen Beweise umfassend zu würdigen. Eine Schätzung als übliches Mittel logischen Denkens verstößt demnach für sich genommen nicht gegen die genannte Bestimmung. Vielmehr kann die stets gebotene Gesamtschau sie im Einzelfall gerade erforderlich machen.1476 Sie setzt in der Regel voraus, dass Beweismittel fehlen, die eine annähernd genaue Berechnung ermöglichen würden,1477 also solche, die anderenfalls gemäß § 244 Abs. 2 ausgeschöpft werden müssten. Darüber hinaus wird sie als zulässig erachtet, wenn eine weitere Aufklärung zwar möglich wäre, aber einen völlig unangemessenen, mithin unverhältnismäßigen Aufwand nach sich ziehen und eine vom exakten Berechnungsergebnis nur zu vernachlässigende Abweichung erwarten lassen würde. Stets müssen die als Schätzgrundlage herangezogenen Parameter tragfähig sein und alle relevanten Tatsachen in den Urteilsgründen im Rahmen der den Grundsatz in dubio pro reo beachtenden Beweiswürdigung dargelegt werden.1478 Sofern hierbei lediglich Schlüsse aus im anhängigen Verfahren angefallenen Beweisen gezogen werden, das Gericht beispielsweise aufgrund des Preises und fehlender Kundenreklamationen eine bestimmte Qualität des gehandelten Betäubungsmittels oder auf der Basis von Trinkmengenangaben und psychodiagnostischen Beweisanzeichen entsprechend seiner Verpflichtung hierzu1479 eine Blutalkoholkonzentration festgestellt hat, handelt es sich der Sache nach um nichts anderes als einen Unterfall des Indizienbeweises.1480 Von einer Schätzung sollte deswegen nur gesprochen werden, wenn zur Bestimmung eines unrechts- oder schuldrelevanten Umstandes auf sonstige Erkenntnisse zurückgegriffen wird,1481 wie dies etwa im Steuerstrafrecht anerkannt ist.1482 Schätzungen über die Zahl der Taten bei Serientätern sowie Schätzungen über 197 den Tatumfang vermögen als Wahrscheinlichkeitsaussage für sich allein ein Urteil nicht zu tragen. Das Gericht darf nur von der Mindestzahl der Taten ausgehen, die es für erwiesen hält;1483 dasselbe gilt für deren Mindestumfang.1484 Hierzu bedarf es einer auf konkreten Anhaltspunkten basierenden,1485 umfassenden und nachvollziehbaren Beweiswürdigung, die auch auf einem Indizienbeweis beruhen kann, in den die Schätzungen einfließen. Eine Hochrechnung der untersuchten Fälle auf die Gesamtzahl der Taten ist nicht zulässig.1486 Gegenstand der Verurteilung kann stets nur eine wenigstens in den Umrissen noch genügend individualisierte Tat sein, deren äußerer und innerer 1476 1477 1478 1479 1480 1481 1482

Sander FS Eisenberg II 497, 508 f. BGH NStZ-RR 2019 116, 117; s. auch Beschl. v. 7.11.2018 – 1 StR 333/18. Sander FS Eisenberg II 497, 501 f. BGH Beschl. v. 23.1.2019 – 1 StR 448/18. Vgl. Rn. 193. Sander FS Eisenberg II 497, 508 f. Vgl. Rn. 199; zu einer lege artis vorgenommenen Schätzung, welcher Anteil von Computernutzern eine sog. Firewall aktiviert hatte, s. BGH MMR 2018 469, 470 f. 1483 S. nur BGH NStZ-RR 2008 338; ferner 2007 343, 344; 2018 151, 152 f. 1484 BGHSt 40 138, 159; 40 374; 42 107; BGH GA 1978 279; bei Theune NStZ 1986 493; StV 1998 472; 1998 474; Pelchen MDR 1982 10; vgl. LR/Stuckenberg26 § 267, 40; ferner zum Mindestumfang einer fortgesetzten Tat BGH bei Dallinger MDR 1971 545; StV 1984 243 (Ls.). 1485 BGH NStZ-RR 2008 349; NStZ 2009 467, 468. 1486 BGH StV 1996 362; 1998 63; bei Holtz MDR 1978 803; vgl. zur Problematik solcher Schätzungen im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität Körner StV 1998 627; ferner Rn. 66.

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§ 261

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Tatbestand nach Überzeugung des Gerichts erwiesen ist. Kann die Zahl gleichartiger Taten nicht festgestellt werden, muss das Urteil von der erwiesenen Mindestzahl ausgehen (vgl. Rn. 66). Vor allem bei Taten, die sich gegen höchstpersönliche Rechtsgüter richten, wie etwa bei solchen gegen die sexuelle Selbstbestimmung, würde die Verteidigung des Angeklagten unerträglich eingeengt, wenn er die Möglichkeit verlöre, sich konkret gegen jede einzelne ihm vorgeworfene Tat zu wehren.1487 Auch eine bloße Einschätzung des Ausmaßes des Schadens kann das Erfordernis des zur Überzeugung des Gerichts feststehenden Mindestumfangs jeder einzelnen Tat nicht ersetzen, auch nicht bei Vermögensdelikten.1488 Gleiches gilt für den Tatumfang, etwa bei Betäubungsmittelstraftaten.1489 Hier ist die Wirkstoffkonzentration des Rauschgiftes ggf. unter Heranziehung bestimmter Kriterien, z. B. Ein- und Verkaufspreis,1490 Herkunft,1491 Bewertung durch Konsumenten,1492 auch Handelsstufe,1493 Aussehen und Verpackung,1494 oder anhand repräsentativer Stichproben,1495 von Begutachtungen in Parallelverfahren1496 oder des im jeweiligen Gerichtsbezirk erfahrungsgemäß gehandelten Stoffes1497 zu schätzen,1498 ebenso der für den eigenen Konsum bestimmte Teil einer im Übrigen zum Handeltreiben vorgesehenen Betäubungsmittelmenge1499 und die zu erwartende Ertragsmenge einer Cannabisplantage.1500 Hat das Tatgericht auf diese Weise beispielsweise den Wirkstoffgehalt nachvollziehbar geschätzt, gebietet es der Zweifelssatz nicht, von dem Ergebnis noch einen Sicherheitsabschlag vorzunehmen.1501 Strittig ist, ob es bei Serientaten genügt, wenn nur der als erwiesen erachtete Gesamt198 schaden festgestellt wird, oder ob auch dann der Schaden auf die einzelnen Straftaten aufgeteilt werden muss. Geht man davon aus, dass nach dem Wegfall der fortgesetzten Handlung jede einzelne Straftat selbständig ist und deshalb auch prozessual ein eigenständiges Schicksal (Rechtsmittelbeschränkung, Wiederaufnahme, Strafklageverbrauch usw.) haben kann, dann zeigt sich, dass die getrennte Feststellung des Schadens für jede Tat ebenso unerlässlich ist wie die Festsetzung der daran anknüpfenden Einzelstrafe, auch wenn dann wegen der tatsächlichen Schwierigkeiten einer genauen Zuordnung bei Beachtung des Zweifelssatzes der den Einzeltaten mit Sicherheit zuzuordnende Mindestschaden in der

1487 Vgl. BGHSt 42 107; BGH StV 1998 472; 474 m. Anm. Hefendehl; vgl. auch KMR/Stuckenberg 98. 1488 Zur Schätzung des Betrugsschadens (§ 263 StGB) BGH NStZ-RR 2019 82, 83; StV 2019 741, 743. 1489 Vgl. Bohnert NStZ 1995 460; Geppert NStZ 1996 118; Körner StV 1998 626; Zschockelt NStZ 1998 238.

1490 BGH Beschl. v. 18.3.2020 – 1 StR 600/19. 1491 BGH Beschl. v. 18.3.2020 – 1 StR 600/19. 1492 BGH StV 2013 703; NStZ-RR 2019 116, 117; Beschl. v. 1.10.2008 – 2 StR 360/08; Beschl. v. 18.3.2020 – 1 StR 600/19.

1493 BGH StV 2013 703; NStZ-RR 2017 377, 378. 1494 BGH Beschl. v. 18.3.2020 – 1 StR 600/19; Sander FS Eisenberg II 497, 508; Hofmann StraFo 2003 70, 71.

1495 BGH StraFo 2010 71, 72; Beschl. v. 1.10.2008 – 2 StR 360/08; Beschl. v. 12.7.2011 – 1 StR 147/11; Beschl. v. 3.9.2013 – 5 StR 340/13; Beschl. v. 7.2.2018 – 1 StR 582/17 (zur Untersuchung mehrere Monate nach der angeklagten Tat sichergestelltem Rauschgift). 1496 BGH StV 2013 703; NStZ-RR 2017 377, 378. 1497 BGH NStZ-RR 2015 77, 78. 1498 BGH Beschl. v. 10.1.2019 – 5 StR 648/18; Beschl. v. 5.6.2019 – 2 StR 287/18; Beschl. v. 11.12.2019 – 2 StR 176/19. 1499 BGH Beschl. v. 22.1.2013 – 1 StR 619/12; Beschl. v. 13.3.2013 – 4 StR 547/12; s. aber Beschl. v. 8.1.2019 – 5 StR 650/18. 1500 BGH Urt. v. 22.12.2016 – 4 StR 360/16; Beschl. v. 6.5.2020 – 2 StR 391/19. 1501 BGH NStZ-RR 2019 116, 117; Urt. v. 1.8.2018 – 3 StR 651/17; s. auch Urt. v. 3.5.2017 – 2 StR 66/16.

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Summe hinter dem als erwiesen angesehenen Gesamtschaden zurückbleibt.1502 Es wird allerdings für zulässig gehalten, die Aufteilung des festgestellten Gesamtschadens im Wege der Schätzung vorzunehmen, weil sich der wesentliche Unrechtsgehalt der Serientaten nicht so sehr in ihrer Zahl als in ihrem Ausmaß offenbart.1503 Diese Überlegungen können aber unter dem Blickwinkel des Zweifelssatzes nicht rechtfertigen, bei der Festsetzung der Einzelstrafen über den jeweils zur Überzeugung des Gerichts feststehenden Mindestumfang der Tatfolgen hinauszugehen. Weder erlauben sie, die Zahl der mindestens festgestellten Taten zu überschreiten, noch den Umfang des Schadens bei der Bildung der Gesamtstrafe höher festzustellen, als er sich aus der Summe der bei den Einzeltaten festgestellten Mindesthöhe des Schadens ergibt.1504 Eine Hochrechnung ist daher nur dann mit dem Zweifelssatz vereinbar, wenn sie sich nicht allein in der Wiedergabe einer (meist hohen) Wahrscheinlichkeit erschöpft, sondern wenn ihr Ergebnis in eine alle Indizien umfassende, nachvollziehbare Beweiswürdigung eingeht, auf die sich die Überzeugung des Gerichts von dem für erwiesen erachteten Mindesttatumfang gründet.1505 Dies gilt auch im Steuerstrafrecht, wo das Tatgericht nicht von den mittels Schätzung 199 nach § 162 AO festgesetzten Steuern ausgehen darf, sondern nur von den mit Sicherheit als verkürzt nachgewiesenen Beträgen.1506 Denn im steuerrechtlichen Festsetzungsverfahren können sich Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit des Sachverhalts zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirken.1507 Das Gericht darf deshalb die Schätzungen des Finanzamts oder von der Zollverwaltung angegebene Werte auch dann nicht ungeprüft übernehmen,1508 wenn der Angeklagte gegen diese Berechnung keine Einwände erhoben hat.1509 Wenn eine konkrete Berechnung im Einzelfall nicht möglich ist1510 – namentlich dann, wenn der Angeklagte Aufzeichnungspflichten verletzt hat –,1511 wird hingegen in der Rechtsprechung eine eigene Schätzung der Besteuerungsgrundlagen – nicht aber der Steuer selbst1512 – für zulässig gehalten, sofern diese in sich schlüssig ist1513 und das Gericht die ihr zugrundeliegenden Tatsachen selbst feststellt sowie in den Urteilsgründen nachvollziehbar darlegt.1514 Dabei wird es sich regelmäßig (zumindest) einer der bewährten Schätzungs1502 Vgl. Bohnert NStZ 1995 461 (Verzicht auf fortgesetzte Tat eröffnet Strafbarkeitslücken). 1503 BGHSt 40 374; BGH NStZ 1994 586; StV 1998 472; 1998 474 m. Anm. Hefendehl; wistra 1999 99; BGHR StGB § 54 Serienstraftaten 1; 3; KMR/Stuckenberg 97. 1504 In diesem Sinne auch BGHSt 40 374, 377; BGH NStZ-RR 2007 343, 344; Urt. v. 21.4.2004 – 5 StR 540/03. 1505 Eine durch Hochrechnung gewonnene Wahrscheinlichkeitsaussage von 99 % genügt für sich allein nicht, anders BGH NStZ 1990 149 m. Anm. Salditt. Zur Ansicht, die nur auf die objektive Wahrscheinlichkeit abstellen will, vgl. Hoyer ZStW 105 (1993) 523 ff. 1506 BGH NJW 1953 873; BB 1967 948; OLG Braunschweig NJW 1952 67; OLG Düsseldorf MDR 1973 337 (Ls.); s. auch KK/Ott 187; Lohmeier SchlHA 1970 83. 1507 Klein/Rüsken § 162, 38; Griesel PStR 2007 101; zur Bezugnahme auf einen Erlass des Bundesfinanzministeriums s. zudem BGH NStZ 2003 550, 551. 1508 BGH StraFo 2010 71, 72; NStZ 2010 338; s. auch NStZ 2019 153, 154; wistra 2015 147, 148; Beschl. v. 21.1.2019 – 1 StR 475/18. 1509 BGH wistra 2014 486. 1510 BGH Beschl. 10.8.2016 – 1 StR 233/16. 1511 S. nur BGH NJW 2019 165, 167; NStZ-RR 2020 22, 23 NZWiSt 2020 109, 110 m. Anm. Gehm. 1512 M. Jäger StraFo 2006 477, 480. 1513 BGH StraFo 2010 71, 72 (zur branchenüblichen Nettolohnquote bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen). 1514 BGH StV 1992 260; NStZ 2018 335, 336 f.; Beschl. v. 5.9.2019 – 1 StR 12/19; BGHR AO § 370 Steuerschätzung 1, 2; Volk FS Kohlmann 581, 587; D. Krause StraFo 2002 249, 253; Mitsch/Stumm INF 2005 539, 543, befürworten, einen Abschlag von der Schätzung der Finanzverwaltung vorzunehmen; s. auch BGH wistra 2014 102; 2019 244, 245 m. Anm. Antoine.

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methoden (etwa Betriebsvermögensvergleich, Einnahme-Überschuss-Rechnung)1515 bedienen oder diese ggf. kombinieren,1516 um so den tatsächlichen Verhältnissen möglichst nahezukommen; es kann sich ggf. auch auf die in der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen enthaltenen Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze stützen.1517 Bei der Auswahl kommt ihm ein revisionsgerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu.1518 Bei einem Gaststättenbetrieb oder Imbiss wird es beispielsweise naheliegen, den Umsatz auf der Basis in einem bestimmten Zeitraum eingekaufter Getränke und sonstiger Lebensmittel zu kalkulieren,1519 bei einem Bordell zudem unter Berücksichtigung der von den Prostituierten erzielten Einnahmen und deren Abgaben (Anteil am Erlös, Zimmermiete) an den Betreiber.1520 Bei unversteuert in das Zollgebiet der Europäischen Union eingeführten Zigaretten kann die Schätzung der verkürzten Einfuhrabgaben am üblichen Importpreis für Markenzigaretten des unteren Preissegments ansetzen oder die vom Bundesministerium der Finanzen festgesetzten „Anhaltswerte“ heranziehen.1521 Ist die Buchhaltung eines Arbeitgebers unvollständig, kann die Höhe der Löhne und 200 Gehälter unter Berücksichtigung der Branchenüblichkeit geschätzt und daraus der Umfang der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge berechnet werden.1522 Die Schwarzlohnsumme darf grundsätzlich auf zwei Drittel der Nettoumsätze geschätzt werden.1523 Die Grundsätze, die die Rechtsprechung für Taten nach § 370 AO entwickelt hat,1524 gelten insoweit entsprechend.1525 Deswegen genügt es nicht, die nicht gezahlten Beiträge in den Urteilsgründen lediglich der Höhe nach anzugeben, weil so eine revisionsgerichtliche Überprüfung nicht möglich ist. Hierfür bedarf es der Mitteilung der Berechnungen und ihrer Grundlagen.1526 201

e) Einzelfragen. Ob mehrere Tatbestandsverwirklichungen selbständige Straftaten sind oder unselbständige Teile einer einheitlichen Tat, richtet sich zunächst danach, ob sie rechtlich einem mehrere Begehungsakte umfassenden Tatbestand zuzuordnen sind, etwa unter dem Blickwinkel eines Dauerdelikts oder einer Bewertungseinheit.1527 Für die damit verbundenen Rechtsfragen gilt der Zweifelssatz nicht.1528 Er ist aber anzuwen1515 BGH Urt. v. 6.9.2011 – 1 StR 633/10; s. auch NStZ 2016 164, 169; 2016 728, 729 f.; NZWiSt 2013 33, 35 m. Anm. Rolletschke; 2020 109, 110 m. Anm. Gehm; wistra 2020 154, 157. 1516 Einen Überblick geben Wessing/Katzung SAM 2008 21, 23 ff.; s. auch Klein/Rüsken § 162, 41 ff.; M. Jäger StraFo 2006 477, 481; Mitsch/Stumm INF 2005 539; Sander FS Eisenberg II 497, 507; Gehm NZWiSt 2012 408, 413 f., und allgemein D. Krause StraFo 2002 249, 252. 1517 BGH NStZ 2014 337, 338; 2015 281; 2016 728, 730; StraFo 2017 254, 255; wistra 2020 154, 157. 1518 BGH StraFo 2010 71, 72; NStZ 2011 645. 1519 BGH wistra 2011 346 (Menge verbrauchten Fladenbrotes bekannt); zu Testkäufen zur Ermittlung der Verkaufspreise s. NStZ-RR 2019 346, 347; Beschl. v. 24.7.2019 – 1 StR 44/19. 1520 Vertiefend zur Besteuerung im Rotlichtmilieu Mößmer/Moosburger wistra 2008 457; zu durch den Betrieb eines Fahrgastschiffes erzielten Erlösen BGH wistra 2020 154. 1521 BGH NStZ 2010 338; s. auch wistra 2020 114, 115. 1522 BGH NStZ 2011 645; Urt. v. 11.8.2010 – 1 StR 199/10; s. auch NZWiSt 2019 266, 268. 1523 BGH wistra 2010 148; 2013 277, 279; Urt. v. 11.8.2010 – 1 StR 199/10; im Wesentlichen zustimmend Klemme/Schubert NStZ 2010 606, 609; s. auch BGH wistra 2019 74. 1524 Vgl. Rn. 199. 1525 BGH NStZ-RR 2010 376; NStZ 2017 352, 353; wistra 2020 260, 261. 1526 BGH NStZ 2018 221, 222; NZWiSt 2019 216, 217 f. m. Anm. Gehm; wistra 2018 49, 51; 2018 257, 259; 2019 74, 75; s. auch NStZ 2017 352, 353 f. zu gegenüber einer Krankenkasse begangenen Abrechnungsbetrugstaten Beschl. v. 27.1.2015 – 1 StR 393/14. 1527 Eine solche ist etwa zu bejahen, wenn mehrere Betäubungsmittelverkäufe aus einem Gesamtvorrat erfolgen; BGH Beschl. v. 19.2.2014 – 5 StR 44/14. 1528 Vgl. Rn. 184.

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den, wenn das Vorliegen einer für die Zuordnung entscheidenden Tatsache zweifelhaft bleibt. Ohne einen solchen konkreten Ansatzpunkt für einen Zweifel im Tatsächlichen ist von selbständigen Taten auszugehen.1529 Deshalb ist z. B. wegen zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit stehender Hehlereien zu verurteilen, wenn nichts darauf hindeutet, dass der Angeklagte mehrere aus jeweils gesondert begangenen Diebstählen stammende Gegenstände gemeinsam erworben haben könnte.1530 Die Rechtsprechung nimmt vielfach schon dann mehrere rechtlich selbständige Taten als den Regelfall an, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für den rechtlichen Gesichtspunkt nicht erwiesen sind, der die Zugehörigkeit mehrerer Tatbestandsverwirklichungen zu einer einheitlichen Tat begründet, so etwa, wenn nicht feststeht, dass mehrere Verkäufe von Betäubungsmitteln aus derselben für den Absatz erworbenen Rauschgiftmenge getätigt wurden1531 oder eine zunächst „auf Kommission“ erhaltene Menge erst beim Kauf einer zweiten bezahlt wurde.1532 Bestehen freilich Anhaltspunkte etwa dafür, dass mehrere verkaufte Betäubungsmittel aus einem Vorrat – etwa Cannabisernte –1533 stammen, so verlangt sie zuvor eine den Grundsatz in dubio pro reo in den Blick nehmende Prüfung.1534 Eine „in Anwendung des Zweifelssatzes“ ergangene Verurteilung wegen nur eines Erwerbsgeschäfts kann sich zudem als für den Angeklagten nachteilig erweisen, wenn dieser bei Annahme zweier Handlungen jeweils keine nicht geringe Menge angekauft hätte.1535 Die soeben skizzierten Grundsätze gelten nach ständiger Rechtsprechung des BGH für vergleichbare Konstellationen des Inverkehrbringens von Arzneimitteln (§§ 95 f. AMG) entsprechend.1536 Ob Tateinheit oder Tatmehrheit vorliegt, kann ebenfalls eine Frage der rechtlichen 202 Subsumtion sein1537 und damit nicht unter den Grundsatz „in dubio pro reo“ fallen. Hängt aber die Subsumtion von einer Tatsache ab, die das Gericht für nicht erwiesen hält, greift insoweit der Grundsatz ein. Im Zweifel ist dann zugunsten des Angeklagten von Tateinheit auszugehen.1538 Allerdings müssen – den allgemeinen Maßstäben entsprechend (vgl. Rn. 191) – hinreichende Anhaltspunkte etwa für eine rechtliche Hand-

1529 HK/Julius/Beckemper 18; KMR/Stuckenberg 94. 1530 BGH NStZ-RR 2018 47, 48. 1531 BGH StV 1995 417; 1997 20; 1997 470; 1997 636; 1998 594; 1999 431; NStZ-RR 2015 313; 2016 211, 212; 2018 184; Urt. v. 26.10.2015 – 1 StR 317/15; BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 4 bis 6; Körner StV 1998 628; Zschockelt NStZ 1998 239; Meyer-Goßner/Schmitt 31; zur früheren Handhabung bei der seit BGHSt 40 138 faktisch aufgegebenen Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung s. LR/Stuckenberg26 § 267, 43. 1532 BGH NStZ-RR 2016 211, 212; Urt. v. 31.1.2019 – 4 StR 389/18. 1533 BGH Beschl. v. 4.10.2018 – 3 StR 155/18. 1534 S. z. B. BGH NStZ-RR 2015 313; 2019 115; 2019 250; Beschl. v. 19.12.2012 – 4 StR 384/12; Beschl. v. 3.2.2016 – 4 StR 547/15; Beschl. v. 23.5.2019 – 4 StR 417/18; Beschl. v. 14.8.2019 – 5 StR 355/19; Beschl. v. 12.11.2019 – 1 StR 310/19. 1535 BGH Beschl. v. 18.10.2016 – 3 StR 329/16; zu jeweils die Grenze der nicht geringen Menge nicht überschreitenden Marihuanaernten NStZ 2018 226, 227; zur gleichmäßigen Verteilung monatlicher Einfuhrmengen Beschl. v. 3.9.2013 – 1 StR 206/13. 1536 BGH NStZ 2012 218; NStZ-RR 2019 86, 88; 2019 155; Beschl. v. 25.7.2019 – 1 StR 273/17. 1537 KK/Ott 72; vgl. Montenbruck In dubio 108 ff. 1538 BGH NStZ 1983 365; StV 1984 242; 1988 202; 1992 54; bei Dallinger MDR 1972 925; bei Holtz MDR 1987 978; 1995 443; NStZ-RR 2018 44, 45; 2019 7; Beschl. v. 21.11.2017 – 4 StR 438/17; KK/Ott 72; Montenbruck In dubio 110 ff. wirft zutreffend die Frage auf, ob die Annahme von Tateinheit für den Angeklagten immer günstiger ist.

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lungseinheit gegeben sein, beispielsweise dafür, dass der Angeklagte mehrere Verträge zugleich bei einer von ihm geschädigten Versicherung eingereicht hat.1539 Der Zweifelssatz gilt bei allen entscheidungserheblichen Tatsachen, vor allem bei 203 den objektiven und subjektiven1540 Tatbestandsmerkmalen einschließlich einer ggf. erforderlichen Kausalitätsprüfung.1541 Er ist daher z. B. anwendbar, wenn zweifelhaft ist, ob der Angeklagte mit direktem oder (nur) bedingtem Vorsatz,1542 überhaupt vorsätzlich1543 oder mit Ausnutzungsbewusstsein i. S. des § 211 StGB1544 gehandelt hat oder ob er Täter,1545 Anstifter oder Gehilfe war.1546 Ebenso verhält es sich, wenn die tatsächlichen Grundlagen eines Tatbestandsirrtums1547 oder eines Verbotsirrtums1548 oder die Voraussetzungen der Notwehr1549 oder des Notstands nicht sicher feststellbar sind1550 oder wenn Zweifel hinsichtlich der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht behoben werden können.1551 Der Grundsatz „in dubio pro reo“ gilt auch, wenn zweifelhaft bleibt, ob sonstige zugunsten des Angeklagten sprechende Umstände vorliegen, so bei Zweifeln hinsichtlich der Tatzeit1552 sowie des praxisrelevanten freiwilligen Rücktritts vom Versuch.1553 Ebenso ist er heranzuziehen, wenn nicht zweifelsfrei geklärt werden kann, ob ein für die Strafzumessung wesentlicher Umstand besteht,1554 ob etwa der Angeklagte eine Bekannte zur Begehung der Tat ausgenutzt,1555 die Tat während einer Bewährungszeit verübt1556 oder hierdurch gravierende Folgen beim Opfer verursacht hat,1557

1539 1540 1541 1542

BGH Beschl. v. 23.1.2008 – 2 StR 575/07. Ausdrücklich hierzu BGH NStZ 2000 498, 499. BGHSt 59 292, 303. BGH NJW 1984 1693; das Gericht muss dann unter Umständen prüfen, welche Annahme für den Angeklagten günstiger ist. Vgl. ferner bei Holtz MDR 1984 542. 1543 BGH Beschl. v. 24.10.2017 – 4 StR 334/17. 1544 Vgl. BGH NStZ 2015 30. 1545 BGH Urt. v. 1.8.2012 – 5 StR 176/12. 1546 Vgl. etwa BGH JZ 1983 115 m. Anm. Baumann = NStZ 1983 165 m. Anm. Dingeldey; Urt. v. 21.10.2014 – 1 StR 78/14; eine Wahlfeststellung scheidet insoweit aus, vgl. Rn. 221. 1547 RGSt 64 26; MüKo/Miebach 358. 1548 BGH NStZ-RR 2008 12; BayObLG NJW 1954 811; MüKo/Miebach 358. 1549 BGH NStZ 2005 85; StV 2015 146; StraFo 2017 115. 1550 BGH NStZ 1983 453; StV 1986 6 (Putativnotwehr); 1991 511; 1995 463; Meyer-Goßner/Schmitt 30; ferner zum rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB Montenbruck In dubio 126 ff. (mit Hinweis, dass Anwendung des Zweifelssatzes oft Wertung verdeckt). 1551 RGSt 70 127; 73 44; BGHSt 8 113; 14 70; 18 167; 33 308; BGH NJW 1967 297; 1990 778; NStZ 1987 70; GA 1965 250; bei Holtz MDR 1983 619 (Zweifel an Stärke des Affekts); StraFo 2016 252 (konkrete Auswirkungen einer chronischen paranoiden Schizophrenie „nicht bestimmbar“); Beschl. v. 5.3.2013 – 5 StR 25/13; Beschl. v. 19.11.2014 – 4 StR 497/14 (keine „eindeutigen Hinweise“ auf aufgehobene Steuerungsfähigkeit); Beschl. v. 14.6.2016 – 1 StR 221/16 (schizoidie Persönlichkeitsstörung „nicht gesichert feststellbar“); Montenbruck In dubio 132; zur strittigen Frage der Zweifel an der Schuldunfähigkeit bei Rauschtaten i. S. v. § 323a StGB vgl. Rn. 218. 1552 BGHSt 18 274; OLG Oldenburg GA 1960 28. 1553 BGH NStZ 2008 508, 509; 2013 703, 705; 2014 634; 2014 634, 635; StV 1995 509; 2018 711, 712; 2020 83, 85; bei Dallinger MDR 1966 892; 1969 532; NStZ-RR 2014 202, 203; 2014 241, 242; s. auch Urt. v. 8.12.2010 – 2 StR 536/10. 1554 BGH bei Holtz MDR 1986 622; Beschl. v. 13.4.2011 – 2 StR 664/10 (Taten vor oder nach Zäsur bildendem Urteil begangen). 1555 BGH Beschl. v. 14.3.2017 – 4 StR 533/16. 1556 BGH Beschl. v. 27.11.2017 – 5 StR 520/17; Beschl. v. 22.5.2018 – 4 StR 598/17. 1557 BGH NStZ 2020 345; Beschl. v. 28.8.2018 – 4 StR 320/18; Beschl. v. 10.4.2019 – 2 StR 338/18 (jeweils Auswirkungen sexuellen Missbrauchs eines Kindes).

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ferner bezüglich der besonderen Umstände i. S. des § 56 Abs. 2 StGB,1558 des Bestehens einer Gesamtstrafenlage1559 sowie der tatsächlichen Voraussetzungen des § 157 StGB,1560 des § 199 StGB,1561 des § 213 StGB,1562 des § 320 Abs. 1 StGB1563 sowie für die Anwendung von Jugendstrafrecht.1564 Hat eine lediglich nicht auszuschließende Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Verurteilung wegen Vollrauschs geführt, steht eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit jedoch fest, so ist bei der Prüfung, ob der Strafrahmen des § 323a Abs. 1 StGB gemäß § 21 StGB gemildert werden soll, vergleichend hierzu der entsprechend gesenkte Strafrahmen der Rauschtat in den Blick zu nehmen, um eine Schlechterstellung des Angeklagten zu vermeiden.1565 Zweifel, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Maßregel der Besserung 204 und Sicherung1566 vorliegen, sind, soweit es im Rahmen der Gesamtwürdigung auf die zweifelhafte Tatsache überhaupt ankommt,1567 zugunsten des Angeklagten zu entscheiden, etwa ob bei ihm ein Hang i. S. des § 64 StGB besteht.1568 Ebenso verhält es sich, wenn die voraussichtlich erforderliche Therapiedauer zweifelhaft ist.1569 Soweit es um Tatsachen geht, die für eine vom Gesetz vorgesehene Prognose bedeutsam sind, gilt dies allerdings nur in dem bereits dargestellten Rahmen (vgl. Rn. 185). In dubio pro reo hat das Tatgericht auch bei den sonstigen Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) zu entscheiden, so dass etwa die niedrigste in Betracht kommende Summe einzuziehen ist, wenn der erlangte Betrag (§ 73 Abs. 1 StGB) unsicher bleibt.1570 Letztlich richtet es sich nach der jeweiligen Vorschrift, welche Folge es hat, wenn das Gericht nach dem Ausschöpfen aller Beweismittel die dort vorausgesetzte Erwartung nicht sicher beurteilen kann.1571 Eine Beweislast trifft den Angeklagten aber auch insoweit nicht. f) Unterstellung der günstigeren Möglichkeit. Die Unterstellung der günstigeren 205 Möglichkeit ist dafür maßgebend, ob und gegebenenfalls welche Rechtsfolge bei einem offenen Sachverhalt festgesetzt werden darf.1572 Was im Einzelfall für den Angeklagten 1558 1559 1560 1561

BGH bei Dallinger MDR 1973 900. BGH Beschl. v. 23.10.2019 – 4 StR 488/19; s. auch Sander NStZ 2016 584, 587. BGH GA 1968 304; bei Dallinger MDR 1952 407. BGHSt 10 373 = JZ 1958 373 m. Anm. Kern; dazu Küper JZ 1968 656; BayObLGSt 1958 244; Roxin/ Schünemann § 45, 59; a. A. Reiff NJW 1958 982; Schwarz NJW 1958 10. 1562 BGH NStZ 2019 408; KK/Ott 69. 1563 BGHSt 61 76, 80. 1564 BGHSt 5 366; 12 116; 12 129, 134; BGH bei Holtz MDR 1982 104; Urt. v. 3.2.2005 – 4 StR 492/04; Beschl. v. 2.4.2020 – 1 StR 28/20; OLG Schleswig SchlHA 1978 193; LG Münster NJW 1979 938. 1565 BGH NStZ 2017 711. 1566 So setzt etwa die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat zumindest vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war; vgl. BGHSt 18 167 m. Anm. Foth JZ 1963 404; BGH NJW 1967 297; GA 1965 250; bei Holtz MDR 1981 98; 1981 265; StV 1986 16; 1999 489; Beschl. v. 29.7.2014 – 5 StR 286/14 („mit höchster Wahrscheinlichkeit“); Urt. v. 9.8.2017 – 1 StR 63/17; ferner auch BVerfGE 70 313; Bruns JZ 1958 647; Mösl NStZ 1982 456. 1567 Vgl. Rn. 185; ferner Montenbruck 101 ff., wonach bei Prognosen die sog. Basistatsachen in der Regel in der Gesamtbetrachtung aufgehen. 1568 BGH Beschl. v. 7.10.2014 – 1 StR 317/14. 1569 S. BGH NStZ-RR 2019 207, 208. 1570 BGH Beschl. v. 11.12.2018 – 5 StR 587/18. 1571 Vgl. etwa BGH NJW 1978 768 zu § 60 StGB. 1572 Insoweit liegt der Entscheidung eine ungeklärte Tatsachenalternative zugrunde, also ebenso wie bei der sog. Wahlfeststellung eine mehrdeutige Tatsachengrundlage; mitunter stehen die Alternativen auch in einem Stufenverhältnis, das den Rückgriff auf einen mit Sicherheit erfüllten Tatbestand erlaubt, wie etwa bei Vollendung und Versuch; vgl. Rn. 221; ferner BGH JZ 1984 852 m. Anm. Ulsenheimer.

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günstiger ist, kann letztlich nur nach den Rechtsfolgen beurteilt werden, die jede der betreffenden Tatsachen, sofern sie zur Gewissheit des Gerichts feststünde, auslösen würde.1573 Da ein zweifelhafter Sachverhalt oft für verschiedene Rechtsfolgen von Bedeutung sein kann, muss für jede von ihnen gesondert geprüft werden, welche Annahme die für den Angeklagten günstigste ist. Dies kann zu entgegengesetzten Unterstellungen bei einem und demselben Angeklagten führen.1574 Hat das Tatgericht beispielsweise zugunsten eines Angeklagten angenommen, die bei einer versuchten schweren räuberischen Erpressung vorgehaltene Schreckschusspistole sei ungeladen gewesen, so kann es der Zweifelsgrundsatz gebieten, bei der Prüfung eines Rücktritts (§ 24 StGB) eine geladene Waffe zugrundezulegen.1575 Auch kann bei der Feststellung des Blutalkoholgehalts für die Beurteilung der Schuldfähigkeit von einem hohen und für die Bewertung der Fahrtüchtigkeit von einem niedrigeren Wert auszugehen sein.1576 Bei einem zweiaktigen Tatgeschehen kann dies bedeuten, dass ein Erfolg keinem der beiden Akte zugerechnet werden kann.1577 Wendet das Gericht den für den Angeklagten günstigsten Tatbestand an, darf es die darin vorgesehenen schuld- oder straferhöhenden Umstände nur dann zulasten des Angeklagten annehmen, wenn diese zu seiner Überzeugung feststehen.1578 Bei mehreren Angeklagten muss für jeden von den für ihn günstigsten Möglichkei206 ten ausgegangen werden.1579 Dies kann die Annahme mehrerer, einander ausschließender Fallgestaltungen zur Folge haben.1580 Wenn die Tatbeteiligung des einen Angeklagten beispielsweise nicht zweifelsfrei feststellbar ist und dieser deshalb freigesprochen wird, muss bei dem wegen der Tat allein verurteilten anderen Angeklagten trotzdem davon ausgegangen werden, dass der Freigesprochene daran teilgenommen hat,1581 sofern dies den Schuldgehalt der verurteilten Tat mindert. Ebenso verhält es sich, wenn nicht aufklärbar ist, welcher von mehreren Mitangeklagten der Täter und welcher der Gehilfe war, weil dann bei jedem unterstellt werden muss, er sei nur Gehilfe gewesen.1582 Lässt sich nicht klären, durch wie viele Handlungen ein Angeklagter als Mittäter oder Gehilfe eine Tat gefördert hat, ist zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass er nur einmal gehandelt hat.1583 Haben mehrere unabhängig voneinander einen Dritten vergiftet, steht aber nicht fest, wessen Gift den Tod herbeigeführt hat, dann können alle nur wegen Versuchs bestraft werden.1584 Eine lediglich unwiderlegte Einlassung eines Ange1573 BGH NStZ-RR 1997 268; bei Holtz MDR 1981 455; bei Spiegel DAR 1982 206; KK/Ott 67. 1574 Vgl. etwa BGHSt 25 250; BGH NJW 1957 1643, dazu abl. Peters GA 1958 97; BGH StV 1992 7 (Ls.); VRS 12 (1957) 211; 21 (1961) 54; Beschl. v. 22.7.2020 – 1 StR 220/20. 1575 BGH NStZ 2014 634, 635. 1576 BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1986 114; StV 1993 519; VRS 21 (1961) 54; 23 (1962) 209; s. auch Beschl. v. 10.4.2013 – 5 StR 74/13; OLG Hamm NJW 1977 344; Martin DAR 1962 70; Salger DRiZ 1989 174; KK/Ott 67; KMR/Stuckenberg 91; Meyer-Goßner/Schmitt 32; SK/Velten 91; zur Berechnung der Blutalkoholkonzentration im Zusammenhang mit der möglichen Widerstandsunfähigkeit des Opfers BGH NStZ 2010 212. 1577 BGH StV 1996 131; NStZ 1988 565 (Körperverletzung mit Todesfolge und versuchter Mord); ähnlich bei Holtz MDR 1979 279 (versuchter Totschlag oder Körperverletzung mit Todesfolge); dazu kritisch Wolter MDR 1981 441; KK/Ott 67. 1578 BGH StV 1988 328; BayObLGSt 1998 97. 1579 BayObLGSt 1952 45. 1580 MüKo/Miebach 361. 1581 BGH StV 1992 260; 1996 131; OLG Köln NJW 1953 157. 1582 RGSt 71 365; BGHSt 4 216; 10 373. 1583 BGH NStZ 1997 121; NStZ-RR 2017 306, 307. 1584 BGH GA 1992 470; KK/Ott 67; Meyer-Goßner/Schmitt 32; s. auch BGH Beschl. v. 11.2.2020 – 4 StR 583/19; zu einem nicht auszuschließenden Mittäterexzess NStZ-RR 2020 143, 144.

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klagten darf nicht zum Nachteil eines Mitangeklagten verwendet werden;1585 dasselbe gilt für einen Angeklagten betreffende Feststellungen, die lediglich unter Anwendung des Zweifelsatzes getroffen werden.1586 Soweit jedoch eine Rechtsfolge bei einem Angeklagten zu beurteilen ist, kann der 207 Grundsatz „in dubio pro reo“ innerhalb eines Geschehnisses auf die Beweislage nur einmal angewendet werden. Die Unterstellung des für den Angeklagten günstigsten Sachverhalts bei Beurteilung der Schuldfrage kann beispielsweise nicht etwa deshalb ihrerseits wieder in Frage gestellt werden, weil die Möglichkeit eines eine schwerere Schuld begründenden Tathergangs nicht ausgeschlossen ist.1587 Führt der Zweifelssatz beispielsweise zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte den Entschluss zur Zueignung der Beute erst nach der Tötung des Opfers gefasst hat und er daher nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlags und Unterschlagung zu verurteilen ist, so vermag die Annahme, auf der Konkurrenzebene sei der Grundsatz „in dubio pro reo“ nochmals anzuwenden und daher wegen Totschlags in Tateinheit mit Unterschlagung (bzw. nach Einführung der Subsidiaritätsklausel in § 246 StGB allein wegen Totschlags1588) zu verurteilen,1589 nicht zu überzeugen. Die Verpflichtung, im Zweifelsfall den für den Angeklagten günstigsten Tatsachen- 208 verlauf zu unterstellen, gilt grundsätzlich auch, wenn diese Unterstellung nicht zum Freispruch, sondern nur zu einer milderen rechtlichen Beurteilung führt (in dubio mitius).1590 Die zahlreichen Fragen, die sich hier stellen, insbesondere, ob und unter welchen Voraussetzungen eine solche (ggf. wahldeutige) Tatsachenfeststellung überhaupt noch eine Verurteilung zu tragen vermag, und vor allem die Anforderungen an die Einordnung der Tatbestände in ein diese Bewertung ermöglichendes Stufenverhältnis werden an anderer Stelle (Rn. 213 ff.) erörtert. 4. Verfahrensvoraussetzungen. Bei den Verfahrensvoraussetzungen ist im Einzel- 209 nen strittig, ob und wieweit der Grundsatz „in dubio pro reo“ gilt. Der BGH geht davon aus, dass eine einheitliche Lösung für alle Prozessvoraussetzungen und Verfahrenshindernisse nicht möglich ist, so dass diese Frage jeweils gesondert geprüft werden müsse.1591 Der derzeitige Sach- und Streitstand und die Einzelheiten sind bei den jeweiligen Prozessvoraussetzungen dargestellt.1592 Überwiegend und vom BGH in jeweils ständiger Rechtsprechung wird jedoch angenommen, dass der Zweifelssatz etwa für die Frage der Verjährung1593 und des Strafklageverbrauchs,1594 das Vorliegen eines form- und frist1585 OLG Köln VRS 14 (1958) 368. 1586 BGH NStZ-RR 2014 282, 283. 1587 Peters GA 1958 97 abl. zu BGH GA 1958 109 = NJW 1957 1643. Vgl. BGH NStZ 1999 205; Foth NStZ 1996 423; ferner zu entgegengesetzten Unterstellungen bei den einzelnen Rechtsfolgen Rn. 206. BGHSt 47 243. BGHR StGB § 52 Abs. 1 in dubio pro reo 4. S. etwa BGH NStZ 2015 458, 459; NStZ-RR 2020 172, 173. BGHSt 18 274; BayObLGSt 1968 75; NJW 1968 2118; s. auch Gräbener 154 ff., zudem 134 ff. zur Frage, ob der Zweifelssatz auch hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen einer objektiver Bedingung der Strafbarkeit anzuwenden ist. 1592 Vgl. LR/Kühne Einl. I 48; K 44; LR/Stuckenberg § 206a, 37 ff.; ferner etwa KK/Ott 73; Meyer-Goßner/ Schmitt 34; SK/Velten 87 ff.; Zopfs 345 ff., 381 ff.; aber auch HK/Julius/Schmidt § 206a, 5 (Einstellung, da Staat zum Nachweis der Prozessvoraussetzungen verpflichtet ist). 1593 BGHSt 18 274; BGH NStZ 1995 406, 407; NStZ-RR 2009 270; 2018 172; 2020 172, 173; wistra 2014 486; Urt. v. 24.1.2006 – 1 StR 362/05; Beschl. v. 16.6.2005 – 4 StR 124/05; Beschl. v. 1.12.2010 – 2 StR 469/ 10; Beschl. v. 19.1.2011 – 2 StR 556/10; Beschl. v. 13.8.2013 – 4 StR 281/13; Beschl. v. 22.1.2015 – 3 StR 277/ 14; Beschl. v. 25.9.2018 – 5 StR 428/18. 1594 BGH NStZ-RR 2019 259, 260; Beschl. v. 20.3.2002 – 5 StR 574/01.

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gerechten Strafantrages1595 sowie die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses durch die Staatsanwaltschaft1596 gilt. Ebenso verhält es sich, wenn es ungewiss ist, ob es eines Strafantrages überhaupt bedarf, weil beispielsweise nicht festgestellt werden kann, ob Täter und Opfer miteinander verlobt sind1597 oder in einer häuslichen Gemeinschaft (§ 247 StGB) lebten.1598 Auch das Revisionsgericht hat ihn ggf. anzuwenden, etwa wenn nicht aufgeklärt werden kann, ob die Rücknahme einer Revision schon zuvor durch ein Schreiben für gegenstandslos erklärt1599 oder eine Rechtsmittelbegründung rechtzeitig in den landgerichtlichen Nachtbriefkasten eingeworfen worden ist.1600 Es ist jedoch ebenso wie das Tatgericht zu weiterer Prüfung im Freibeweisverfahren nur bei vorhandenen realen Anknüpfungstatsachen gedrängt.1601 Ist eine solche Konstellation gegeben, so kann es die Sache zum Nachholen fehlender Feststellungen auch an das Tatgericht zurückgeben, sofern das Ermitteln der maßgebenden Tatsachen eine Beweisaufnahme wie in einer tatgerichtlichen Hauptverhandlung erforderlich machen würde.1602 210

5. Sonstige verfahrensrelevante Tatsachen. Beim Nachweis der sonstigen verfahrensrechtlich erheblichen Tatsachen wendet die Rechtsprechung den Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ nicht an.1603 Welche Bedeutung es hat, wenn eine für die Verfahrensgestaltung erhebliche Tatsache nicht sicher festgestellt werden kann, muss grundsätzlich nach Sinn und Zweck der jeweils in Betracht kommenden verfahrensrechtlichen Norm und unter Berücksichtigung der jeweiligen Verfahrensbelange und Verantwortungsbereiche entschieden werden. Eine undifferenzierte, formelhafte Heranziehung des nur zugunsten des Angeklagten wirkenden Zweifelssatzes würde dem nicht gerecht. So geht es etwa zulasten der Behörde, wenn interne Verfahrensabläufe ungeklärt bleiben.1604 Ausnahmeregelungen sind nur anwendbar, wenn ihre Voraussetzungen sicher vorliegen. Desgleichen greift eine Verfahrensrüge nur durch, wenn der behauptete Verfahrensverstoß nachgewiesen ist.1605 Insoweit kann der staatsanwaltschaftlichen Gegenerklärung (§ 347) in der Praxis große Bedeutung zukommen.1606 1595 1596 1597 1598 1599

BGH Beschl. v. 11.2.2014 – 4 StR 568/13. BGH Beschl. v. 30.7.2013 – 4 StR 247/13. MüKo/Miebach 346. KK/Ott 73. BGH Beschl. v. 15.6.2016 – 1 StR 72/16; zur Frage der Wirksamkeit einer Revisionsrücknahme s. auch Beschl. v. 5.2.2014 – 1 StR 527/13. 1600 BGH Beschl. v. 11.10.2017 – 5 StR 377/17. 1601 BGH Beschl. v. 23.10.2008 – 1 StR 526/08. 1602 BGHSt 46 307, 309 f.; BGH NStZ-RR 2016 42, 43; StraFo 2019 17, 19; s. auch BGHSt 56 6, 10. 1603 BGHSt 16 164; 17 353; 21 10; BGH NStZ 2008 620, 621; Beschl. v. 3.5.2011 – 3 StR 277/10; Beschl. v. 8.6.2016 – 5 StR 48/16 (Rüge eines Verstoßes gegen § 338 Nr. 3); Urt. v. 8.2.2018 – 3 StR 274/17 (Rüge der Verletzung des § 243 Abs. 4); w. N. Lehmann 52 ff.; ferner etwa Foth JR 1976 255; Sax FS Stock 165; Stree 78; SK/Velten 87 ff.; KK/Ott 75. Im Schrifttum ist die Frage strittig. So neigen etwa Meyer-Goßner/Schmitt 35; Roxin/Schünemann § 45, 63; Eb. Schmidt JR 1962 109; Wasserburg ZStW 94 (1982) 514 zu einer differenzierenden Betrachtung. Zu den einzelnen Lösungsansätzen Lehmann 36 ff.; dieser lehnt zwar die Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ ab, kommt aber unter Berufung auf das Rechtsstaatsprinzip und die Justizförmigkeit des Verfahrens zur Beachtlichkeit zweifelhafter Verfahrensverstöße; ähnlich Hauf MDR 1993 195. 1604 Vgl. etwa OLG Hamm NStZ 1997 97; KMR/Stuckenberg 163. 1605 Dies gilt nach BGHSt 16 164 selbst für die Behauptung eines Verstoßes gegen § 136a; ausführlich BGH NStZ 2008 353 m. w. N. Wegen der strittigen Einzelheiten vgl. die Erläuterungen zu den einzelnen Verfahrensvorschriften, insbesondere LR/Gleß § 136a, 77 f. m. w. N.; ferner Montenbruck In dubio 163 ff.; KK/Ott 75; KMR/Stuckenberg 161; Meyer-Goßner/Schmitt 35; je m. w. N. zum Streitstand. 1606 Vgl. Drescher NStZ 2003 296; Kalf NStZ 2005 190.

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VII. Verurteilung aufgrund mehrdeutiger Tatsachenfeststellungen (Wahlfeststellung)1607 1. Mehrere Möglichkeiten des Tatverlaufs. Ist das Gericht nach dem Ausschöp- 211 fen aller zur Sachaufklärung dienlichen Mittel nicht von einem bestimmten Hergang, sondern lediglich davon überzeugt, dass mehrere Geschehensabläufe möglich sind, dann stellt sich die Frage, ob es den Angeklagten aufgrund dieser Alternativfeststellungen verurteilen darf oder nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ freisprechen muss, weil keine der ausschließlich in Betracht kommenden Tatvarianten zu seiner Überzeugung erwiesen ist.1608 Es sind insofern verschiedene Fallgruppen zu unterscheiden, die auch kombiniert1609 auftreten können. Nachfolgend werden die wichtigsten erörtert. Dabei wird jedoch immer vorausgesetzt, dass sich die Möglichkeiten des Tathergangs im Rahmen der angeklagten Tat (oder der angeklagten Taten) i. S. d. § 264 halten, die Aburteilungsbefugnis des Gerichts also nicht überschritten wird.1610 Unter dieser Voraussetzung ist eine Wahlfeststellung bei einer echten Alternative des historischen Geschehens auch zwischen Vorgängen möglich, die verschiedene prozessuale Taten sind.1611 Für sie ist hingegen kein Raum, wenn das festgestellte Geschehen bei zutreffender rechtlicher Würdigung lediglich die Voraussetzungen eines Tatbestandes verwirklicht; dann ist selbstverständlich allein wegen dieses Deliktes zu verurteilen.1612 Bei mehreren Tatbeteiligten eines nur alternativ feststellbaren Sachhergangs 212 muss für jeden Einzelnen gesondert geprüft werden, welche Geschehensvarianten bei ihm in Frage kommen und welche von ihnen die für ihn günstigste Beurteilung ermöglicht. 2. Anwendung des Grundsatzes „im Zweifel für den Angeklagten“ a) Freispruch. Der Grundsatz, dass im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden 213 ist, führt zum Freispruch, wenn von den aufgrund konkreter Anhaltspunkte1613 in Frage kommenden Möglichkeiten des Sachhergangs eine Alternative nicht sicher auszuschließen ist, bei der jede Strafbarkeit entfällt (exklusive Alternativität). Denn jede Verurteilung setzt voraus, dass zur sicheren Überzeugung des Gerichts feststeht, dass der Ange-

1607 Der übliche Begriff „Wahlfeststellung“ ist irreführend; vgl. Willms JZ 1962 628; LK/Tröndle10 § 1, 64; LK/Dannecker Anh § 1, 2 und 20 (ungenau).

1608 Vgl. Rn. 203. 1609 Vgl. Hruschka NJW 1971 1392; 1973 1804; Jakobs GA 1971 258; Küper FS Lange 65; Wolter JuS 1983 363; 1983 602; 1983 769; 1984 37; 1984 530; 1984 606.

1610 BGHSt 10 137; 32 146, dazu Schröder NJW 1985 780; 35 86; 38 172; BGH NJW 1955 1240; 1957 1886; GA 1967 184; JZ 1970 327; OLG Celle NdsRpfl. 1986 259 (unter Aufgabe von NJW 1968 2390); OLG Hamm GA 1974 84; a. A. BayObLGSt 1965 52 = JR 1965 430 m. abl. Anm. Koffka; vgl. ferner BayObLG NJW 1989 2828; NStZ 1991 405 (Erwähnung der Sachverhaltsalternative in der Anklage genügt); OLG Düsseldorf JR 1980 470; vgl. HK/Julius/Beckemper 19; KK/Ott 172; KMR/Stuckenberg 153; SK/Velten 141; Rn. 244 und die Erläuterungen bei § 264 m. w. N. 1611 Wenn z. B. nicht feststeht, welche von zwei verschiedenen Aussagen falsch ist; s. RGSt 72 342; BGHSt 2 351; BGH NJW 1957 1887; OLG Braunschweig JZ 1951 235; NJW 1952 38. Auch bei BGHSt 13 70 lagen zwei alternierende Sachverhalte vor. Vgl. auch die Erläuterungen bei § 264. 1612 Vgl. BGH Beschl. v. 31.1.2019 – 4 StR 471/18. 1613 Hierzu BGH NStZ-RR 2015 148.

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klagte sich nach jedem in Betracht kommenden Tatverlauf strafbar gemacht hat.1614 Dies erfordert häufig eine eingehende Begründung.1615 214

b) Rückgriff auf den mit Sicherheit gegebenen Tatbestand. Dieser Rückgriff bildet das alleinige Lösungsprinzip in all den Fällen, in denen ein Straftatbestand mit Sicherheit gegeben ist und die Tatsachenalternativität sich nur darauf beschränkt, dass daneben oder aber statt dessen auch ein anderer Straftatbestand erfüllt sein kann. Hier ist stets die dem Angeklagten günstigste Möglichkeit zu unterstellen. Wenn es die Anwendung des Zweifelssatzes ermöglicht, von einem eindeutig gegebenen Tatbestand auszugehen, hat dieser Weg den Vorrang vor einer wahldeutigen Verurteilung.1616 Ist der sicher festgestellte Tatbestand der mildere, ist der Angeklagte nur wegen dieses Tatbestands zu verurteilen; würde dagegen die offengebliebene Alternative zu einer milderen Beurteilung der Tat führen, so ist zugunsten des Angeklagten von ihr auszugehen.1617 Die Probleme der echten Gesetzesalternativität stellen sich bei dieser Fallgruppe nicht, denn der Rückgriff auf einen mit Sicherheit erfüllten minderschweren Tatbestand oder die Unterstellung eines nicht mit Sicherheit ausschließbaren Tathergangs zugunsten des Angeklagten ist immer zulässig. Hierher rechnen vor allem die Fälle, in denen die alternativ in Frage kommenden Straftatbestände in einem gesetzeslogischen oder wertmäßigen Stufenverhältnis stehen, und die sog. Auffangtatbestände (vgl. Rn. 218).

c) Sachlogisches Stufenverhältnis. Ein (sachlogisches) Stufenverhältnis liegt vor, wenn die zur Überzeugung des Gerichts festgestellten Tatsachen einen Straftatbestand erfüllen und der nicht eindeutig feststellbare Teil des Hergangs sich nur auf Tatbestandsmerkmale bezieht, die denselben Grundtatbestand straferschwerend oder -mildernd abwandeln, so dass ihr Vorwurf ein „Mehr“ oder „Weniger“ bedeutet.1618 Hier greift der Grundsatz „in dubio pro reo“ ein. Ist das strafrechtlich relevante Mehr nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, darf selbstverständlich nur wegen des mit Sicherheit erfüllten weniger schweren Tatbestands verurteilt werden. Es stehen sich auf der normativen Ebene in Wahrheit nicht zwei einander ausschließende Alternativen gegenüber; das Lösungsprinzip ist hier die durch den Grundsatz „in dubio pro reo“ gebotene Reduktion des strafbaren Verhaltens auf einen sicher verwirklichten Grundtatbestand.1619 Im Ergebnis verhält es sich ebenso, wenn beispielsweise unsicher bleibt, ob der Angeklagte den von ihm Verletzten töten wollte, so dass lediglich wegen des erfüllten Körperverletzungsdelikts verurteilt werden kann.1620 216 Ein solches sachlogisches Stufenverhältnis besteht zwischen allen Grundtatbeständen und den darauf aufbauenden Qualifizierungen1621 und Privilegierungen, etwa 215

1614 BGHSt 12 386; 16 184; 38 85; BGH NStZ 1987 474; StV 1987 378; OLG Celle NJW 1988 1225; OLG Hamm NJW 1972 836; Hruschka JW 1971 1392. 1615 Etwa BGH NJW 1983 405; NStZ 1981 333; 1986 373; KMR/Struckenberg 110; vgl. auch OLG Stuttgart NJW 1996 2879 (kein Ausschluss weiterer Varianten). 1616 BGH NJW 1983 405; GA 1984 373; OLG Hamm NJW 1981 2269; VRS 77 (1989) 136. 1617 BGHSt 11 100; 22 156; BayObLGSt 1975 98 = NJW 1976 860 m. Anm. Küper; vgl. ferner Rn. 216. 1618 S. nur BGH NStZ 2018 465, 466 m. Anm. Krell. 1619 BGH NStZ 2018 465 m. Anm. Krell; Schulz JuS 1974 635; NJW 1983 268; Küper NJW 1976 1828; ferner KK/Ott 173; Meyer-Goßner/Schmitt 36; auch die Kommentare zu § 1 StGB. 1620 BGH NJW 1991 990; vgl. auch MDR 1993 671. 1621 BayObLGSt 1954 41 = NJW 1954 122; s. auch Ceffinato Jura 2014 655, 657: „wenn der eine Tatbestand den anderen notwendigerweise mit umfasst“.

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zwischen § 153 und § 154 StGB1622 sowie zwischen § 242 und §§ 244, 244a StGB einerseits und § 248b StGB andererseits,1623 aber auch zwischen Mord und Totschlag.1624 Die Rechtsprechung hat dies beispielsweise zudem angenommen zwischen versuchter Gewaltunzucht und versuchter Notzucht,1625 Verführung und Notzucht,1626 Beihilfe zum Diebstahl und Hehlerei und der Hehlerei allein,1627 Diebstahl und Raub,1628 ferner zwischen Versuch und Vollendung.1629 Bleibt zweifelhaft, ob der Angeklagte auch an der Ausführung eines verabredeten Verbrechens beteiligt war, ist er nur wegen der Verbrechensverabredung zu verurteilen.1630 Präpendenz, Postpendenz. Eine ebenfalls nach dem Zweifelssatz zu behandelnde 217 einseitige Sachverhaltsungewissheit1631 besteht, wenn von zwei sachlich aneinander anknüpfenden Taten die eine erwiesen ist, während die Beteiligung an der anderen möglich ist, aber nicht sicher festgestellt werden kann. Handelt es sich bei der sicher festgestellten Tat um die erste Tat und ist der Tatbestand der anderen nur möglicherweise erfüllt, spricht man von Präpendenz, während der umgekehrte Fall als Postpendenz bezeichnet wird.1632 Die korrespondierenden Sachverhalte können je nach Konstellation eine oder mehrere prozessuale Taten (§ 264) sein. Soweit die Anklageschrift beide Sachverhalte umfasst, darf auf den mit Sicherheit erfüllten (milderen) Tatbestand auch dann zurückgegriffen werden, wenn diese Tat bei Erweislichkeit der vorangegangenen Tat nur eine straflose Nachtat wäre, denn deren Tatbestand liegt vor und ist strafbar, wenn die Haupttat als nicht erweislich nach dem Zweifelssatz außer Betracht bleibt.1633 Ist dies der Fall, bleibt auch eine Verurteilung wegen Nichtanzeige dieser Haupttat (§ 138 StGB) grundsätzlich zulässig.1634 Die Frage, ob diese Grundsätze auch gelten, wenn die spätere Tat beim Nachweis der vorangegangenen tatbestandslos würde, etwa, weil ein erforderliches Tatbestandsmerkmal, nämlich die für ihren Tatbestand relevante Vortat eines anderen (z. B. § 259 StGB), nicht sicher erweislich ist, ist strittig,1635 aber zu bejahen. Ein Postpendenzverhältnis wurde in der Rechtsprechung etwa angenommen zwischen

1622 BGHSt 13 70; BGH NJW 1957 1886; bei Dallinger MDR 1957 396; SK/Velten 112 und 117 (begriffslogisches oder normatives Stufenverhältnis). 1623 Vgl. KK/Ott 173. 1624 BGHSt 35 305; Hruschka MDR 1967 265; nach BGH GA 1967 182 scheidet ein Stufenverhältnis aus, wenn nicht feststellbar ist, ob die Tat Mord, Totschlag oder leichte Körperverletzung war und der Tatbeitrag der beiden beteiligten Personen nicht aufklärbar ist. 1625 BGHSt 11 100 (zu § 176 Abs. 1 Nr. 1/§ 177 Abs. 1 StGB a. F.). 1626 BGHSt 22 154 (zu § 177/182 StGB a. F.); a. A. Deubner NJW 1969 147. 1627 BGHSt 15 66. 1628 BGH NStZ 2018 465, 466 m. Anm. Krell. 1629 RGSt 41 352; BGHSt 22 156. 1630 Vgl. BGHSt 38 83 = JR 1993 247 m. Anm. Schmoller; KMR/Stuckenberg 126. 1631 Hierzu Ceffinato Jura 2014 655, 658; Pohlreich ZStW 128 (2016) 676, 677 f. 1632 Hruschka JZ 1970 641; NJW 1971 1393; ferner etwa BGHSt 35 86; Beulke/Fahl Jura 1998 266; Joerden JZ 1988 852; Küper FS Lange 69; Wolter 39; ders. JuS 1983 602; KMR/Stuckenberg 130 ff.; SK/Velten 130 ff. 1633 BGH JZ 1968 710; bei Dallinger MDR 1955 269; OLG Hamm JMBlNW 1955 236; 1974 190; vgl. KMR/ Stuckenberg 133; SK/Velten 130 f.; ferner BGH GA 1984 373 (keine wahldeutige Verurteilung wegen Beihilfe zum Diebstahl und anschließender Hehlerei). 1634 BGH NStZ 2010 449 m. Anm. O. Hohmann NStZ 2011 33. 1635 Hruschka JZ 1970 641; ders. NJW 1971 1392 nimmt dies an, ebenso etwa Joerden JZ 1988 852, während die Rechtsprechung zur wahldeutigen Verurteilung neigt, etwa BGHSt 23 360; 35 86 = NStZ 1988 555 m. Anm. Wolter; BGH NJW 1990 1867; NStZ 1974 804; bei Holtz MDR 1991 482; DRiZ 1972 30; OLG Hamm JMBlNW 1967 138; OLG Saarbrücken NJW 1976 65 (auf Erlangung von Eigenbesitz gerichteter Betrug und Hehlerei); ebenso KMR/Stuckenberg 134; zu den strittigen Fragen ferner Günther JZ 1976 665;

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Hehlerei und zweifelhafter Mittäterschaft am vorangegangenen Betrug,1636 Diebstahl,1637 Diebstahl und Unterschlagung1638 und an der vorherigen schweren räuberischen Erpressung1639 sowie zwischen Geldwäsche und erpresserischem Menschenraub.1640 Hingegen soll einer Verurteilung wegen durch Beseitigung der Leiche zugunsten des Täters des Tötungsdeliktes begangener Strafvereitelung der persönliche Strafaufhebungsgrund des § 258 Abs. 5 StGB entgegenstehen, wenn sich nicht klären lässt, ob der Angeklagte ebenfalls an der Vortat beteiligt war.1641 218

d) Auffangtatbestände. Auffangtatbestände sollen nach dem Willen des Gesetzgebers eingreifen, wenn die Verwirklichung eines anderen, meist schwereren Tatbestands nicht nachweisbar ist. Bei ihnen bleibt daher kein Raum für eine Verurteilung auf wahldeutiger Grundlage (vgl. Rn. 214).1642 Beispielsweise wird § 323a StGB als Auffangtatbestand bzw. unter Verzicht auf diesen Begriff als Beispiel für ein normatives Stufenverhältnis1643 angesehen. Die Vorschrift ist anwendbar, wenn nicht feststellbar ist, ob der Täter bei einer im Rausch begangenen Tat schuldunfähig oder nur vermindert schuldfähig war; eine wahldeutige Verurteilung zwischen § 323a StGB und der im Zustand verminderter Schuldfähigkeit (im Rausch) begangenen Tat scheidet nach der gesetzlichen Regelung aus.1644 Überwiegend wird auch § 246 StGB als Auffangtatbestand angesehen.1645 Hinsichtlich der Rechtsfolgen ist dem Zweifelssatz Rechnung zu tragen.1646

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e) Normatives Stufenverhältnis. Anders als bei dem gesetzeslogischen Stufenverhältnis, das durch den Tatbestandsaufbau vorgegeben ist und bei dem immer ein mit Sicherheit erfüllter, milderer Straftatbestand bleibt, besteht bei dem sog. wertlogischen, normativen Stufenverhältnis an sich eine echte Alternativität der Straftatbestände. Keine der in Betracht kommenden Straftaten kann mit Sicherheit festgestellt werden. Es läge daher eine wahldeutige Verurteilung vor. Die Besonderheit besteht jeKüper FS Lange 65; Montenbruck Wahlfeststellung 182; Otto FS Peters 374; Richter Jura 1994 133; Röhmel JA 1975 378; Schröder JZ 1971 141; Wolter GA 1974 161; JuS 1983 603; SK/Velten 130 ff.; ferner die Kommentare zum StGB. 1636 BGH NJW 1989 1867; vgl. OLG Hamburg MDR 1994 712. 1637 BGH NStZ 1989 574; NStZ-RR 2018 49, 50; Beschl. v. 24.2.2011 – 4 StR 651/10; Beschl. v. 1.12.2015 – 4 StR 397/15; anders aber bei Holtz MDR 1991 482 und wohl auch NStZ-RR 2018 47, 48; SK/Velten 133; vgl. auch OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999 304; OLG Hamburg MDR 1994 712. 1638 OLG Stuttgart MDR 1991 176; offengelassen BGH NJW 1974 1957; a. A. BGHSt 25 182. 1639 BGH StV 1988 196. 1640 OLG Hamburg MDR 1994 712; allgemein zum Verhältnis zur Vortat BGHSt 61 245. 1641 BGH NStZ-RR 2020 175, 176. 1642 Ob und mit welcher Tragweite eine Strafnorm Auffangtatbestand ist, ist durch Auslegung des materiellen Strafrechts zu ermitteln; vgl. auch Rn. 221 f. 1643 BGHSt 32 48, 55; BGH StV 1997 18; KMR/Stuckenberg 128; s. auch SK/Velten 124. 1644 Vgl. (zum Teil zu früheren Fassungen) BGHSt 9 390; 16 187; 32 48; BGH GA 1968 371; VRS 50 (1976) 358; 56 (1979) 447; BayObLGSt 1977 178; 1978 161 = NJW 1978 957 m. Anm. Montenbruck; vgl. zum Problem BGH NStZ-RR 2019 60; zu den strittigen Einzelfragen OLG Hamm VRS 53 (1977) 24; OLG Karlsruhe MDR 1979 778; OLG Köln VRS 60 (1981) 41; 68 (1985) 38; OLG Schleswig MDR 1977 247; bei Ernesti/ Lorenzen SchlHA 1980 173; Dencker NJW 1980 2162; JZ 1984 453; Heiß NStZ 1983 67; Horn JR 1982 6; Montenbruck GA 1978 265; Wahlfeststellung 376; Otto FS Peters 382; Ranft JA 1983 197; Schuppner/Sippel NStZ 1984 67; Wolter JuS 1983 775; KMR/Stuckenberg 128; SK/Velten 124 sowie die Kommentare zu § 323a StGB m. w. N. 1645 BGH NStZ 2018 465, 466 m. Anm. Krell; Urt. v. 11.7.2019 – 1 StR 683/18; vertiefend MüKo-StGB/ Hohmann § 246 Rn. 6 und 63. 1646 BGH MDR 1992 504; StV 1986 5; 1988 328; s. auch NStZ 2017 711.

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doch darin, dass keine in etwa gleichwertigen Tatbestände zur Wahl stehen, sondern ungleichwertige, die nach der Art der Rechtsgutverletzung und nach ihrer Einordnung in den mehrdeutigen Geschehensablauf so miteinander korrespondieren, dass bei einem Unrechtsvergleich eine wertende Abstufung sicher möglich ist. Ähnlich wie beim echten Stufenverhältnis hält es eine allerdings strittige Auffassung für zulässig, die Verurteilung in Anwendung des Zweifelssatzes auf die mildeste Form der in Betracht kommenden Rechtsgutverletzungen zu stützen.1647 Die Hilfskonstruktion der Rechtsprechung vom Auffangtatbestand bezweckt im Grunde nichts anderes. Ein solches Stufenverhältnis besteht zwar nicht in logischer, aber in rechtlich wer- 220 tender Betrachtung zwischen der vorsätzlichen und der fahrlässigen Begehung desselben Delikts.1648 Zwar ist die vorsätzliche Begehung im begriffslogischen Sinn kein Mehr gegenüber der fahrlässigen Tatbestandsverwirklichung.1649 Denn die Fahrlässigkeit erfordert eine andere innere Einstellung als der Vorsatz. Beide sind qualitativ verschieden1650 und schließen einander aus. In der rechtlichen Bewertung wiegt jedoch die Fahrlässigkeit regelmäßig weniger schwer als die vorsätzliche Tat. Die Einschätzung, dass sich der Täter fahrlässig verhalten hat, ist dem Gericht häufig auch möglich, wenn es nicht festzustellen vermag, dass der Täter vorsätzlich gehandelt hat. Es kann deshalb, wenn es die Überzeugung von einem vorsätzlichen Handeln des Angeklagten nicht erlangt hat, dieses nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ verneinen und wegen einer fahrlässigen Tat verurteilen, sofern feststeht, dass die Tat zumindest fahrlässig begangen wurde.1651 Die Rechtsprechung des BGH, die zunächst eine Wahlfeststellung angenommen hatte, begründete dieses Ergebnis zuerst unter dem Blickwinkel des Auffangtatbestands1652 und später mit dem normethischen Stufenverhältnis.1653 Für eine wahlweise Verurteilung zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Tatbestandsverwirklichung ist dann kein Raum.1654 Etwas anderes gilt nur für den Ausnahmefall, dass zwei getrennte tatsächliche Vorgänge zur Wahl stehen, von denen einer vorsätzlich, der andere fahrlässig begangen worden ist.1655

1647 Zur Problematik vgl. etwa Schröder JZ 1970 422 zu BGHSt 23 203; ferner BGH bei Holtz MDR 1979 635; Hruschka JZ 1970 637; Löhr JuS 1976 715; außerdem KK/Ott 174; wegen der Einzelheiten vgl. die Kommentare zum StGB. 1648 Ebenso OK-StPO/Eschelbach 50. 1649 So aber etwa RGSt 7 185; 41 389; 59 83. 1650 Vgl. Fuchs GA 1964 65: „Vorsatz ist wertfrei, kognitiv-psychologische Tatsache auf der Seins-Ebene, Fahrlässigkeit normativer Begriff auf der Wertebene.“ Dagegen Otto FS Peters 378 (Vorsatz ist als „Mehr“ zu verstehen; unterschiedlicher Grad der Rechtsgutverletzung). Vgl. ferner Blei NJW 1954 500; Heinitz JR 1957 126; v. Hippel FS Oehler 43; Jakobs GA 1971 260; Peters GA 1958 104; Schneider DRiZ 1956 12; Schröder JZ 1970 423; Schulz NJW 1983 268; KK/Ott 174; Eb. Schmidt § 244, 11. 1651 BVerfG GA 1969 246; im Ergebnis auch KK/Ott 174; KMR/Stuckenberg 120; Meyer-Goßner/Schmitt 36. 1652 BGHSt 17 210 in Anlehnung an 9 390; dazu Dreher MDR 1970 370; v. Hippel NJW 1963 1533; Willms JZ 1962 628. 1653 BGHSt 32 48, 56; 35 305; BGH Urt. v. 10.2.2011 – 4 StR 576/10; KMR/Stuckenberg 120. 1654 Vorherrschende Meinung; vgl. Nachw. in den vorst. Fn.; SK/Velten 119 ff.. Anders BGHSt 4 340, wo die Wahlfeststellung zwischen Meineid und unbewusst fahrlässigem Falscheid für zulässig erklärt wird, obwohl, wie die Urteilsbegründung zeigt, die festgestellten Tatsachen die Bewertung der Tat als fahrlässigen Falscheid rechtfertigen, weil der Angeklagte die Unrichtigkeit seiner Aussage hätte erkennen können und nur der für den Vorsatz erforderliche zusätzliche Nachweis fehlte, dass er die Unrichtigkeit auch erkannt hat. 1655 Fuchs GA 1964 74; vgl. Montenbruck Wahlfeststellung 360.

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Ist nicht aufklärbar, ob der Angeklagte als Täter oder als Gehilfe gehandelt hat, dann ist er aus der gleichen Überlegung heraus, dass er für den geringeren Unwert einzustehen habe, unter Anwendung des Zweifelssatzes als Gehilfe zu verurteilen.1656 Entsprechendes gilt im Verhältnis zwischen Beihilfe und Anstiftung.1657 Bleibt dagegen offen, ob Täterschaft oder Anstiftung vorliegt, ist eine Verurteilung auf wahldeutiger Grundlage möglich.1658 Ist nicht feststellbar, ob ein strafrechtlich relevanter Erfolg durch ein Tun oder ein 222 Unterlassen herbeigeführt worden ist, wird – obwohl auch hier kein logisches Stufenverhältnis vorliegt – wegen der Strafmilderungsmöglichkeit nach § 13 Abs. 2 StGB im Zweifel zugunsten des Angeklagten von einer Tatbegehung durch Unterlassen auszugehen sein.1659 221

3. Alleinige Tatsachenalternativität a) Eindeutigkeit des Schuldspruchs. Bei der alleinigen Tatsachenalternativität (sog. unechte Wahlfeststellung) legt das Gericht seinem Urteil zwar auch eine mehrdeutige Tatsachenfeststellung zugrunde, diese führt aber zu keiner alternativen Gesetzesanwendung. Das bedeutet, dass die Eindeutigkeit des Schuldspruchs1660 von ihr nicht berührt wird. Eine solche Tatsachenalternativität liegt zunächst vor, wenn die Ungewissheit über 224 den tatsächlichen Geschehensverlauf überhaupt kein Tatbestandsmerkmal, sondern sonst für die Rechtsanwendung – etwa nur für die Strafzumessung – bedeutsame Umstände betrifft. Sie kann aber auch daraus herrühren, dass nicht aufklärbar ist, ob der Angeklagte dasselbe Tatbestandsmerkmal durch das eine oder andere Verhalten erfüllt hat. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ungewiss bleibt, zu welchem Zeitpunkt oder durch welche von mehreren Handlungen er es verwirklicht hat, etwa, welcher von mehreren Schüssen tödlich war,1661 aus welchen von mehreren als niedrig zu bewertenden Motiven ein Mord1662 oder an welchem von zwei in Betracht kommenden Tagen die 223

1656 BGHSt 23 207; 31 136 (dazu nachf. Fn.); BGH Beschl. v. 10.8.2011 – 4 StR 369/11; s. auch NStZ 2018 462 m. Anm. Drees. Ähnlich wie hier RGSt 71 365 (leichtere Form) und Dreher MDR 1970 369; BGHSt 23 204 (dazu Fuchs NJW 1970 1953) kommt zu gleichem Ergebnis, die Entscheidung will aber den Grundsatz „in dubio pro reo“ nur analog anwenden; ein Stufenverhältnis (in logischem Sinn) wird wegen der psychologischen Andersartigkeit der Tatbegehung verneint; zust. Schröder JZ 1970 422; a. A. BGH MDR 1953 21 (Wahlfeststellung); Löhr JuS 1976 715; BayObLGSt 1966 137 = NJW 1967 361 (Auffangtatbestand), dazu abl. Fuchs NJW 1967 739; Otto FS Peters 379 (psychologische Andersartigkeit begründet keinen Artunterschied innerhalb des Unrechts); ferner Jakobs GA 1971 272. Wie hier KK/Ott 174; KMR/Stuckenberg 122; SK/Velten 123; vgl. ferner OLG Hamm NJW 1981 2269 (zu § 14 OWiG). 1657 BGHSt 31 136 (= JZ 1983 115 m. Anm. Baumann = NStZ 1983 166 m. Anm. Dingeldey = JR 1983 202 m. Anm. Hruschka JR 1983 177) behandelt die Beihilfe als wertungsmäßige Abstufung gegenüber der Anstiftung und wendet deshalb den Grundsatz „in dubio pro reo“ an. 1658 Wahlfeststellung nehmen an BGHSt 1 127; OLG Düsseldorf NJW 1976 579; s. aber auch BGH NStZ 2009 258; ferner KK/Ott 182. 1659 BGH NJW 1964 731 m. Anm. Schröder JR 1964 227; KMR/Stuckenberg 126; vgl. auch Montenbruck In dubio 124 ff. 1660 Hruschka MDR 1967 579; MüKo/Miebach 390. 1661 BGHSt 22 12; BGH bei Holtz MDR 1981 267; vgl. etwa auch OLG Karlsruhe VRS 33 (1967) 127 (verschiedene Unfallursachen). 1662 BGH NJW 1957 1643; dazu abl. Peters GA 1958 97; NJW 1966 1823; StV 1987 378; NStZ-RR 1999 106; VRS 62 (1982) 274; vgl. KK/Ott 178; ferner Montenbruck Wahlfeststellung 45 ff. (Lösung durch höheren Abstraktionsgrad des normativen Begriffs).

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Tat begangen wurde.1663 Schwierigkeiten ergeben sich bei dieser Fallgruppe nur, wenn die alternativen Tatsachen, welche den Straftatbestand erfüllen, örtlich und zeitlich so weit auseinanderliegen, dass sie nicht mehr demselben Lebensvorgang, d. h. derselben Tat i. S. d. § 264 angehören.1664 b) Gleichwertige Tatbestandsmerkmale. Eine alternative Tatsachenfeststellung, 225 die den tenorierten Schuldspruch nicht beeinflusst, obwohl sie – anders als die vorerwähnten Fälle – zu einer alternativen Gesetzesanwendung führt, liegt vor, wenn nicht aufgeklärt werden kann, ob das Verhalten des Angeklagten das eine oder das andere gleichwertige Tatbestandsmerkmal desselben Straftatbestands erfüllt hat.1665 Eine solche Alternativverurteilung, die nur in den Urteilsgründen zum Ausdruck kommt, wird seit jeher für zulässig gehalten, insbesondere auch für die alternative Annahme von Mordmerkmalen.1666 Sie liegt beispielsweise vor, wenn nicht feststellbar ist, ob sich ein Unfall auf die 226 eine oder andere, vom Angeklagten aber in jedem Fall verschuldete Weise ereignet hat, sofern hier nicht ohnehin nur dasselbe Tatbestandsmerkmal erfüllt worden ist,1667 oder ob der Tod eines Menschen durch die eine oder andere fahrlässige Verhaltensweise herbeigeführt worden ist.1668 In diesen Fällen berührt die Alternativfeststellung den Schuldspruch des Urteils nicht, das Gericht muss aber im Übrigen, etwa bei der Bemessung der Rechtsfolgen, zugunsten des Angeklagten stets von der Alternative ausgehen, die nach der konkreten Fallgestaltung für den Angeklagten am günstigsten ist.1669 4. Verurteilung bei alternativ verletzten Strafgesetzen a) Mehrere alternativ verletzte Strafbestimmungen. Eine Verurteilung wegen 227 zweier oder mehrerer alternativ verletzter Strafbestimmungen, also die eigentliche wahldeutige Verurteilung, greift Platz, wenn eine eindeutige Verurteilung durch Rückgriff auf einen mit Sicherheit „zumindest“ erfüllten Tatbestand nicht möglich ist.1670 Aufgrund der vom Gericht festgestellten Tatsachen müssen sich mehrere für die rechtliche Zuordnung der Tat relevante Möglichkeiten des Tathergangs derart gegenüberstehen, dass sie sich gegenseitig ausschließen, das Gericht aber keine Überzeugung von der Richtigkeit einer Variante erlangen kann. Darüber hinaus muss für das Gericht zweifelsfrei feststehen, dass der Angeklagte entweder der einen oder der anderen Straftat schuldig ist,1671

1663 1664 1665 1666

OLG Braunschweig JZ 1951 255. Vgl. Rn. 211 und die Erläuterungen bei § 264. Vgl. Heinitz JZ 1952 100. Etwa BGHSt 22 12; BGH NStZ 2012 441, 442: jeweils Mord aus niedrigen Beweggründen oder zur Verdeckung einer Straftat. KK/Ott 178; SK/Velten 110. 1667 Vgl. BGHSt 2 351; BGH NJW 1959 1139; VRS 12 (1957) 213; 15 (1958) 432; bei Dallinger MDR 1955 270; BayObLGSt 1952 45; OLG Braunschweig JZ 1951 235; NJW 1952 38; OLG Celle VRS 40 (1971) 16; OLG Hamm VRS 8 (1953) 155; 10 (1956) 364; 16 (1959) 353; KG VRS 35 (1968) 390; OLG Karlsruhe VRS 33 (1967) 127; OLG Köln JMBlNW 1959 208; OLG Neustadt VRS 23 (1962) 448; MDR 1956 312; GA 1957 256; vgl. Rn. 223. 1668 OLG Karlsruhe NJW 1980 1859 gegen OLG Koblenz NJW 1965 1926; OLG Schleswig SchlHA 1978 185. 1669 BGH NJW 1959 1139. 1670 Vgl. etwa BGHSt 22 154; BGH MDR 1980 948; zu deren Vorrang vgl. Rn. 214; zum Erfordernis einer erschöpfenden Sachaufklärung vgl. Rn. 240. 1671 BGHSt (Großer Senat) 62 164, 169.

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so dass die grundgesetzlich gewährleistete Unschuldsvermutung1672 nicht verletzt ist.1673 Es muss mit anderen Worten die Möglichkeit eines Tathergangs, bei dem sich der Angeklagte überhaupt nicht strafbar gemacht hätte, mit Sicherheit ausschließen können („tertium non datur“).1674 Anderenfalls ist nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ freizusprechen (vgl. Rn. 213).1675 228 Diese sog. ungleichartige (echte) Wahlfeststellung verstößt nicht gegen das Grundgesetz.1676 Allerdings hatte der 2. Strafsenat des BGH im Hinblick auf das in Art. 103 Abs. 2 GG geregelte Analogieverbot verfassungsrechtliche Bedenken erhoben. Diese hatte er nach durchgeführtem Anfrageverfahren,1677 in dem keiner der übrigen Strafsenate ihm gefolgt war,1678 dem Großen Senat für Strafsachen letztlich wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 4 GVG)1679 zur Entscheidung vorgelegt.1680 Auch dieser hat eine Verletzung des strengen Gesetzlichkeitsprinzips nicht zu erkennen vermocht, das nur für das materielle Recht gilt.1681 Hingegen handelt es sich bei der ungleichartigen Wahlfeststellung um eine prozessuale Entscheidungsregel.1682 Diese gibt dem Tatgericht vor, wie es zu entscheiden hat, wenn nach abgeschlossener Beweisaufnahme Zweifel über zwei (oder mehr), für sich genommen aber jeweils eine Strafbarkeit des Angeklagten ergebende Sachverhalte bestehen. Sie ist daher wie der Zweifelsgrundsatz1683 dem Verfahrensrecht zuzuordnen.1684 Schon deshalb verstößt sie nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG (und § 1 StGB).1685 Zudem wirkt sie selbst nicht strafbegründend.1686 Denn die wahlweise in Betracht kommenden Tatbestände sind vorab gesetzlich normiert worden, so dass der Beteiligte nicht darüber im Unklaren sein kann, ob sein Verhalten strafbar ist.1687 Dieses richterrechtlich entwickelte Verständnis und die darauf fußende forensische Praxis sind im Übrigen durch den nachkonstitutionellen Gesetzgeber erkennbar gebilligt worden.1688 Hieran hat sich – selbstverständlich – durch die in den

1672 Vgl. Rn. 1 und 182. 1673 BGH NStZ-RR 2015 39, 40. 1674 BGHSt 12 386; 15 63; BGH NJW 1983 405; s. auch NStZ 2014 42; NStZ-RR 2014 307; Beschl. v. 12.5.2010 – 4 StR 92/10; vgl. Rn. 213. 1675 BGHSt (Großer Senat) 62 164, 169. 1676 BGHSt 61 245, 247; dezidiert a. A. OK-StPO/Eschelbach 50.1 ff., da eine gesetzesalternative Verurteilung zumindest auch materiell-rechtlich zu qualifizieren sei; SK/Velten 101 ff. 1677 BGH NStZ 2014 392. 1678 BGH NStZ-RR 2014 308 (1. Strafsenat); 2015 39 (3. Strafsenat); 2015 40 (4. Strafsenat); 2014 307 (5. Strafsenat). 1679 Eine zunächst im selben Verfahren nach § 132 Abs. 2 und 4 GVG erfolgte Vorlage (BGH StV 2016 212) war zunächst zurückgenommen worden (StV 2017 818 m. Anm. Brodowski); zum gesamten Ablauf des Verfahrens s. die dieses abschließende Entscheidung NStZ-RR 2018 47. 1680 BGH Beschl. v. 2.11.2016 – 2 StR 495/12. 1681 Ebenso Pohlreich ZStW 128 (2016) 676, 688 m. w. N. 1682 BGHSt (Großer Senat) 62 164, 168; s. auch BGH NStZ-RR 2014 307; 2015 39; offengelassen von 2015 40, 41. 1683 Vgl. Rn. 182 ff. 1684 S. schon RGSt 68 257, 262; BGH NStZ-RR 2014 308. 1685 BGHSt (Großer Senat) 62 164, 168. 1686 BGH NStZ-RR 2014 307; 2015 39. 1687 BGHSt (Großer Senat) 62 164, 170; s. auch BGH NStZ-RR 2014 308, 309; 2015 40; Ceffinato Jura 2014 655, 663 f.: „Gesetzlichkeitsprinzip nicht berührt“. 1688 BGHSt (Großer Senat) 62 164, 173 ff. unter Bezugnahme auf BTDrucks. I 3713 S. 19; s. auch BVerfGE 118, 212, 243 m. w. N.

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§§ 246 Abs. 1, 261 Abs. 9 Satz 2 StGB getroffenen jeweils das Verhältnis zu anderen Delikten regelnden Klauseln nichts geändert.1689 b) Echte Alternativität (Rechtsprechung). Besteht eine solche echte Alternativität 229 der Straftatbestände, dann lässt die Rechtsprechung des BGH1690 im Anschluss an diejenige des RG1691 eine wahldeutige Verurteilung allerdings aus rechtsstaatlichen Gründen nur zu, wenn die in Betracht kommenden Tatbestände rechtsethisch und psychologisch vergleichbar sind.1692 Eine rechtsethische Gleichwertigkeit besteht, wenn bei Berücksichtigung aller Umstände, die den besonderen Unrechtscharakter der Straftatbestände ausmachen, den möglichen Taten im allgemeinen Rechtsempfinden eine gleiche oder ähnliche sittliche Bewertung zuteil wird.1693 Das ist zu bejahen, wenn die Tatbestände nach ihrem kriminellen Gehalt untereinander nahe verwandt sind und sich gegen dasselbe oder zumindest gegen ein ähnliches Rechtsgut richten.1694 Das Merkmal der psychologischen Gleichwertigkeit ist erfüllt, wenn die Handlungsweisen die gleiche sittliche Missbilligung verdienen und eine im Wesentlichen gleichartige innere Einstellung des Täters für ihre Begehung erfordern.1695 Wie die angeführten Beispiele (Rn. 235 ff.) zeigen, sind die von der Rechtsprechung gezogenen Grenzen im Einzelnen fließend und umstritten. Eine möglicherweise zunächst bestehende Tendenz, die Formel von der Vergleichbarkeit aus Gerechtigkeitserwägungen auszuweiten,1696 ist in der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht mehr zu beobachten. Vielmehr wird deren begrenzende Funktion hervorgehoben, die im Übrigen durch die herausgebildeten Fallgruppen gewährleistet wird.1697 1689 BGHSt (Großer Senat) 62 164, 174 ff.; zu § 261 Abs. 9 Satz 2 StGB BGHSt 61 245, 247 f.; ebenso Wolter FS Rogall 773, 778 f. 1690 BGHSt (Großer Senat) 9 390, 394; 20 100, 101 f.; 21 152, 153; (Großer Senat) 62 164, 171; BGH NStZ 2018 465, 466 m. Anm. Krell; dem hat sich nur ein Teil des Schrifttums angeschlossen; vgl. etwa Fuchs DRiZ 1967 16; Koeniger 551; KK/Ott 179; abl. etwa Alwart GA 1992 562; ferner zum Streitstand Rn. 232 ff. 1691 RGSt (Vereinigte Strafsenate) 68 257, 261; das RG hatte die Verurteilung aufgrund doppeldeutiger Feststellungen zunächst nur zugelassen, wenn verschiedene Ausführungsarten desselben Delikts (wenn auch in verschiedenen Vorschriften geregelt) in Betracht kamen. Erst in der genannten Entscheidung erklärten die Vereinigten Strafsenate die Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Hehlerei für zulässig, um „einem dringenden praktischen Bedürfnis“ zu genügen, wobei hervorgehoben wurde, dass „bei fester stofflicher Beschränkung“ damit „weder eine schwere Gefahr für die Urteilsfindung noch eine ernste Einbuße in der Urteilswirkung verknüpft“ sei. Der kurz darauf im Jahre 1935 eingefügte § 2b RStGB führte die wahldeutige Verurteilung allgemein ein. Nach seiner Aufhebung durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 kehrte die Rechtsprechung zu den reichsgerichtlichen Grundsätzen zurück und ließ die wahldeutige Verurteilung innerhalb der dort angezeigten Grenzen zu (OGHSt 2 89); ausführlich zur Historie Entwicklung Pohlreich ZStW 128 (2016) 676, 681 ff. 1692 Hierzu MüKo/Miebach 392; im Schrifttum wird die Abgrenzungsformel von der rechtsethischen und psychologischen Vergleichbarkeit als unzutreffend und unbrauchbare Leerformel bekämpft; vgl. Hruschka MDR 1967 265; Deubner JuS 1962 23; NJW 1969 147; Dreher MDR 1957 179; Tröndle GA 1966 4; kritisch auch Pohlreich ZStW 128 (2016) 676, 702 ff. (kein fester rechtlicher Prüfungskern). 1693 BGHSt 21 152, 153; BGH NStZ 1985 123; 2014 392; 2018 465, 466 m. Anm. Krell; NStZ-RR 2014 308. 1694 BGHSt 25 182, 184; 30 77, 78; s. auch Ceffinato Jura 2014 655, 662. 1695 BGHSt (Großer Senat) 9 390, 394; 21 152, 153; 25 182, 184; BGH NStZ 1985 123; 2014 392; NStZ-RR 2014 308; bei Holtz MDR 1985 89; BayObLG NJW 1958 560; JR 1974 208; OLG Hamm NJW 1974 1958; 1982 192; GA 1974 85; OLG Karlsruhe NJW 1976 902; OLG Koblenz NJW 1965 1928; OLG Saarbrücken NJW 1976 67; ferner s. auch Ceffinato Jura 2014 655, 662: „wenn die Verhaltensnormen in die gleiche Richtung zielen“. 1696 Vgl. etwa die Kritik von Hruschka NJW 1973 1804; Tröndle JR 1974 133. 1697 BGHSt (Großer Senat) 62 164, 171; kritisch Wolter FS Rogall 773, 780.

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Ob einzelne Tatbestände vergleichbar sind, ist immer anhand der im Einzelfall alternativ in Betracht kommenden konkreten Formen der Tatbestandsverwirklichung zu ermitteln und nicht allgemein durch einen abstrakten Normenvergleich der mitunter sehr weitgespannten Tatbestände. Es ist erforderlich und ausreichend, wenn die Tatbestände in ihren konkreten Begehungsformen den Anforderungen genügen.1698 Liegt die notwendige Vergleichbarkeit nur bei einem Teil der alternativ möglichen 231 Straftatbestände vor, so schließt das die wahldeutige Verurteilung nicht aus; es müssen jedoch diejenigen Tatbestände oder qualifizierenden Tatbestandsmerkmale außer Betracht bleiben, bei denen diese Vergleichbarkeit fehlt, z. B. weil sie nur bei einer Alternative mit einem der vergleichbaren Tatbestände rechtlich zusammentreffen oder weil sie einen vergleichbaren Grundtatbestand zu einer unvergleichbar schwereren Tat qualifizieren.1699 Daher kann eine wahldeutige Verurteilung beispielsweise zwar zwischen gewerbsmäßiger Hehlerei (§ 260 Abs. 1 Nr. 1 StGB) und gewerbsmäßig verübtem Diebstahl (§§ 242 Abs. 1, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB) erfolgen, infolge der unterschiedlichen Ausgestaltung der §§ 244 Abs. 1 Nr. 2, 260 Abs. 1 Nr. 2 StGB aber nicht unbedingt auch bei bandenmäßiger Begehung.1700

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c) Unterschiedliche Auffassungen im Schrifttum. Die unterschiedlichen Auffassungen des Schrifttums reichen von der Ablehnung der wahldeutigen Verurteilung aus rechtsstaatlichen Überlegungen1701 bis zur Bejahung ihrer Zulässigkeit über die Rechtsprechung hinaus aus dem Blickwinkel eines kriminalpolitischen Bedürfnisses.1702 An Stelle der ethischen und psychologischen Vergleichbarkeit sieht eine im Schrift233 tum vertretene Auffassung in der Verwandtschaft des verletzten Rechtsguts und im gleichen Unrechtskern der Delikte die Voraussetzungen für die wahlweise Feststellung zwischen den bestehenden Tatbestandsalternativen.1703 In Varianten wird dabei abgestellt auf die Vergleichbarkeit des vertypten Unrechtswertgehalts, die Ähnlichkeit der Rechtsgutverletzung und die Gleichwertigkeit des Unrechtsgehalts der Handlungsabläufe,1704 auf die Zurückführbarkeit der graduellen Unwertverschiedenheit auf einen gemeinsamen Grundtatbestand1705 oder auf einen im Wege der Abstraktion gewonnenen Werttypus.1706 Generell lässt sich feststellen, dass die bisherigen Ansätze im Vergleich zum Lösungsweg der Rechtsprechung keine präzisere Begrifflichkeit hervorgebracht 232

1698 OLG Saarbrücken NJW 1976 65; auch BayObLGSt 1977 35 = JR 1978 25 m. Anm. Hruschka; OLG Karlsruhe NJW 1976 902; Schulz JuS 1974 637; Wolter 107 ff.; KMR/Stuckenberg 140; BGH StV 1985 92 lässt dies offen; a. A. wohl BGHSt 11 28; 20 101; Günther JZ 1976 665. 1699 BGHSt 25 182 für Unterschlagung und den im schweren Raub enthaltenen Diebstahl; dazu Hruschka NJW 1973 1466; Schulz JuS 1974 635; Tröndle JR 1974 133; BGH NStZ 2008 646 für Hehlerei und den im Wohnungseinbruchdiebstahl enthaltenen „einfachen“ Diebstahl. 1700 BGHSt 61 245, 247; BGH Beschl. v. 27.11.2012 – 5 StR 377/12. 1701 Z. B. Endruweit 189 ff.; ferner (nur beschränkt auf die Erscheinungsformen desselben Delikts) Heinitz JZ 1952 100; ders. JR 1957 126; Eb. Schmidt § 244, 17; Schorn DRiZ 1964 45; SK/Velten 101 ff. 1702 v. Hippel NJW 1963 1533; Nüse GA 1953 33; Zeiler ZStW 64 (1952) 156; 72 (1960) 4; dazu KMR/ Stuckenberg 136 und 147 ff. (mit der Forderung einer gesetzlichen Regelung). 1703 Deubner NJW 1967 738; 1969 147; JuS 1962 23; Fleck GA 1966 336; Hartwig FS Eb. Schmidt 484; Hruschka JR 1978 26; Jakobs GA 1971 270; Otto FS Peters 373; Tröndle JR 1974 133; vgl. dazu Montenbruck Wahlfeststellung 141 ff. 1704 Wolter 117; GA 1974 161; JuS 1984 609. 1705 Vgl. etwa Günther 106, 123; JZ 1976 665; ferner OLG Saarbrücken NJW 1976 67; v. Hippel FS Oehler 43 (funktionsgleichwertige Tatbestandsbildungen). 1706 Montenbruck Wahlfeststellung 117 ff.

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haben.1707 Soweit dabei die Anforderungen an die Kriterien der Gleichwertigkeit von Art und Unrechtsgehalt nicht gelockert werden, führen die im Schrifttum vertretenen Auffassungen im Übrigen weitgehend zu den selben Ergebnissen wie die Kriterien der Rechtsprechung,1708 weil bei deren konkreter Anwendung gleichartige Bewertungsgesichtspunkte herangezogen werden. Teilweise wird die Lösung in einer (erweiterten) Anwendung des Grundsatzes „in 234 dubio pro reo“ gesucht, wonach bei Nichterweisbarkeit des schwereren Tatbestands der bei der Verneinung des schwereren sicher gegebene leichtere Tatbestand Anwendung finden soll.1709 d) Beispiele aus der Rechtsprechung. Die nachfolgenden Beispiele aus der Recht- 235 sprechung sind zum Teil zu Straftatbeständen des materiellen Rechts ergangen, die sich inzwischen – mitunter mehrfach – geändert haben. Sie können daher nicht ohne Weiteres für das gegenwärtig geltende Strafrecht übernommen werden (vgl. Rn. 237). Unter (zumeist ausdrücklicher) Bejahung der ethischen und psychologischen Ver- 236 gleichbarkeit wurde die alternative Verurteilung zugelassen zwischen – vollendeter Abtreibung entweder in Tateinheit mit vollendetem Totschlag oder in Tatmehrheit mit versuchtem Totschlag;1710 – falscher Aussage und wissentlich falscher Verdächtigung;1711 – Meineid und falscher Verdächtigung,1712 Meineid und falscher Versicherung an Eides Statt,1713 Meineid und fahrlässigem Falscheid1714 (beide Taten müssen aber der Urteilsfindung unterstellt sein, vgl. Rn. 211, 244); – Betrug und Untreue,1715 Betrug und Hehlerei,1716 Betrug und Unterschlagung,1717 Betrug und Diebstahl in besonderen Fällen (Trick-Diebstahl)1718 sowie Betrug und Computerbetrug;1719 – betrügerischem Bankrott und Gläubigerbegünstigung;1720 – Diebstahl und Hehlerei,1721 auch wenn als dritte Möglichkeit noch die Beihilfe in Tatmehrheit mit Hehlerei dazukommt,1722 zwischen Diebstahl und (sachlicher) Begünsti1707 Kritisch auch Pohlreich ZStW 128 (2016) 676, 704 f. 1708 Vgl. KMR/Stuckenberg 142. 1709 Dreher MDR 1970 371; wegen weiterer Einzelheiten vgl. die Kommentare und Erläuterungsbücher zum StGB. BGHSt 10 294. BGHSt 32 146; OLG Braunschweig NJW 1959 1114; BayObLG JZ 1974 392. BayObLGSt 1977 35 = JR 1978 25 m. Anm. Hruschka. OLG Hamm GA 1974 84. BGHSt 4 340; BayObLG NJW 1962 2211. BGH GA 1970 24; OLG Hamburg JR 1956 28. BGH NJW 1974 804 (jedoch nicht abschließend entschieden). OLG Hamm MDR 1974 682; NJW 1974 804; OLG Saarbrücken NJW 1976 65; dazu Günther JZ 1976 66. 1718 OLG Karlsruhe NJW 1976 902; BGH bei Holtz MDR 1985 89 lässt dies offen (vgl. auch Rn. 238). 1719 BGH NStZ 2014 42; Urt. v. 18.6.2008 – 2 StR 115/08; zu jeweils versuchten Taten bei alternativem Tatentschluss wistra 2017 405. 1720 BGH GA 1955 365 bei Herlan. 1721 BGHSt 1 302; 12 386; BGH NJW 1952 114; 1988 115; OLG Celle GA 1955 29; NdsRpfl. 1986 258. 1722 BGHSt 15 63; vgl. auch OLG Hamm MDR 1950 57; BGH bei Dallinger MDR 1970 13 lässt offen, ob die Wahlfeststellung auch zwischen Diebstahl und gewohnheitsmäßiger Hehlerei möglich ist; die Frage stellt sich aber nur, wenn die Gewohnheitsmäßigkeit durch mehrere Hehlereihandlungen, die sicher – und nicht nur auf wahldeutiger Grundlage – festgestellt sind, nachgewiesen ist. Vgl. ferner BGH bei Dallinger MDR 1967 549; 1971 547.

1710 1711 1712 1713 1714 1715 1716 1717

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gung1723 sowie Diebstahl und Pfandkehr,1724 ferner zwischen schwerem Diebstahl und gewerbsmäßiger Hehlerei,1725 gewerbsmäßig verübtem Diebstahl und gewerbsmäßiger Hehlerei,1726 schwerem Bandendiebstahl und gewerbs- und bandenmäßigem Computerbetrug,1727 Erpressung und Hehlerei1728 sowie Mundraub und Hehlerei (zum Verhältnis zur Unterschlagung vgl. Rn. 237);1729 bei den Regelbeispielen (§ 243 Abs. 1 Satz 2 StGB) für besonders schwere Fälle scheidet eine wahldeutige Verurteilung aus, da die einzelnen Modalitäten der erschwerten Tatbegehung keine Tatbestandsqualität haben; eine wahlweise Feststellung zwischen verschiedenen Begehungsformen des § 243 StGB ist aber möglich; – Fahren in angetrunkenem Zustand und der Duldung, dass ein anderer in einem solchen Zustand oder ohne Fahrerlaubnis fährt;1730 – einem vom Halter selbst begangenen Parkverstoß und der Förderung des Parkverstoßes eines anderen;1731 – Mitgliedschaft in einer inländischen oder einer ausländischen kriminellen oder terroristischen Vereinigung;1732 – Raub und räuberischer Erpressung,1733 Verabredung eines Raubes und räuberischer Erpressung1734 sowie zwischen versuchtem schweren Raub und versuchtem räuberischen Diebstahl;1735 Geiselnahme und Verabredung eines Verbrechens der Geiselnahme1736 und – Steuerhinterziehung und Steuerhehlerei.1737 Der BGH hat die Auffassung, betreffend Raub und räuberische Erpressung sei eine 237 Wahlfeststellung zulässig, inzwischen ausdrücklich aufgegeben. Vielmehr ist allein wegen des Erpressungsdelikts schuldig zu sprechen, da die §§ 253, 255 StGB den spezielleren Raubtatbestand mitumfassen.1738 Unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung hat er auch ein wahlweise wegen Diebstahls oder Unterschlagung ergangenes Urteil aufgehoben; vielmehr ist infolge der seit 1.4.1998 vorgenommenen Ausgestaltung des § 246 StGB als „subsidiärer Auffangtatbestand“1739 allein wegen Unterschlagung schuldig zu

1723 BGHSt 23 260 = JZ 1971 141 m. Anm. Schröder; dazu Hruschka NJW 1971 1392; Wolter GA 1974 167. 1724 OLG Düsseldorf NJW 1989 115. 1725 BGHSt 11 26 (zugrundelagen gewerbsmäßig begangene Taten, die von dem den schweren Diebstahl zur Tatzeit unter Strafe stellenden § 243 StGB tatbestandlich nicht erfasst waren); s. auch BGH NJW 1954 931; JR 1959 300. 1726 BGHSt (Großer Senat) 62 164; BGHSt 61 245, 247; BGH NStZ-RR 2018 47 48 f.; StV 2020 243; Beschl. v. 27.11.2012 – 5 StR 377/12. 1727 BGH Beschl. v. 11.9.2019 – 5 StR 243/19. 1728 BGH NStZ 2014 172. 1729 OLG Neustadt NJW 1953 1443. 1730 OLG Celle NJW 1965 1173; OLG Hamm NJW 1982 192; OLG Karlsruhe NJW 1980 1859; OLG Köln GA 1968 24; a. A. OLG Koblenz NJW 1965 1926. 1731 BayObLG bei Rüth DAR 1983 107; OLG Hamm VRS 61 (1981) 368; KG StV 1984 107. 1732 BGH Beschl. v. 13.9.2011 – 3 StR 231/11. 1733 BGHSt 5 280; s. aber zu dieser inzwischen aufgegebenen Rechtsprechung Rn. 237; vgl. auch v. Hippel FS Oehler 55. 1734 BayObLGSt 1954 41 = NJW 1954 1248. 1735 BGH NStZ 1984 506. 1736 BGHSt 38 83 = JR 1993 245 m. Anm. Schmoller. 1737 BGHSt 4 128; 8 37; BGH GA 1954 242; BayObLGSt 1951 592; 1953 177 = NJW 1954 122. 1738 BGH NStZ 2014 640; NStZ-RR 2018 140. 1739 Durch das 6. StrRG vom 26.1.1998 (BGBl. I 164).

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sprechen.1740 Dem ist ungeachtet der Frage, ob das Verhältnis der §§ 242, 246 StGB demjenigen von Raub und räuberischer Erpressung entspricht, zumindest für den Grundtatbestand (§ 246 Abs. 1 StGB) beizupflichten, weil dessen alleinige Anwendung durch den Grundsatz in dubio pro reo geboten wird (vgl. Rn. 214, 218).1741 Nichts anderes wird etwa für das Verhältnis von Hehlerei und Unterschlagung zu gelten haben. Soweit der BGH bei möglicher Geiselnahme und zugleich in Betracht kommender Verabredung zur Geiselnahme eine Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage als möglich angesehen hat, lag der Entscheidung die ungewöhnliche Konstellation zugrunde, dass es sich bei der vollendeten und der verabredeten Tat nicht um dieselben Geiselnahmen handelte. Aus diesem Grund hat er nicht auf ein sonst anzunehmendes normatives Stufenverhältnis abgestellt,1742 sondern nach dem Zweifelsgrundsatz einen Schuldspruch lediglich wegen der Verbrechensverabredung als möglich erachtet.1743 238 Abgelehnt wurde eine wahldeutige Verurteilung beispielsweise zwischen – Mord und schwerer Körperverletzung,1744 Totschlag und Bedrohung,1745 vorsätzlicher Tötung und Beihilfe zur Körperverletzung1746 sowie Beteiligung an einem Tötungsdelikt und Strafvereitelung zugunsten anderer Täter dieses Delikts;1747 – der Nichtanzeige eines Verbrechens und der Beteiligung an der anzuzeigenden Straftat (vgl. aber Rn. 217);1748 – Landesverrat und landesverräterischer Fälschung;1749 – Diebstahl und Betrug,1750 Diebstahl und Beihilfe zum Versicherungsbetrug,1751 Diebstahl und Erpressung,1752 Diebstahl und Vortäuschen einer Straftat1753 sowie zwischen Diebstahl, Hehlerei und Unterschlagung (vgl. Rn. 237);1754 – schwerem Raub und Hehlerei1755 sowie Beihilfe zum Raub und Strafvereitelung;1756 – Betrug und Bestechlichkeit,1757 Betrug und Urkundenfälschung,1758 Betrug und Steuerhinterziehung1759 sowie Abtreibung und versuchtem Betrug;1760 1740 BGH Urt. v. 11.7.2019 – 1 StR 683/18; im Ergebnis ebenso bereits OLG Stuttgart NStZ 1991 285 m. Anm. Stree; MüKo-StGB/Hohmann § 246 Rn. 63; zur vorherigen Rechtslage ergangene abweichende Rechtsprechung ist überholt, beispielsweise BGHSt 5 182 (zu Diebstahl als Grundtatbestand des Raubes und Unterschlagung); 16 184 (zu [schwerem] Diebstahl, Unterschlagung und Hehlerei); OLG Köln GA 1974 121 (zu Diebstahl und Unterschlagung); BayObLGSt 1958 17 = NJW 1958 560 (zu Diebstahl und erschwerter Amtsunterschlagung); s. ferner Hruschka NJW 1973 1864; Tröndle JR 1974 133. 1741 Insofern ebenso BGH Urt. v. 11.7.2019 – 1 StR 683/18. 1742 S. hierzu Rn. 221. 1743 BGHSt 38 83, 85 f. = JR 1993 245 m. Anm. Schmoller. 1744 BGH NJW 1991 990. 1745 OLG Karlsruhe MDR 1981 430. 1746 BGH NJW 1991 990; GA 1967 182. 1747 BGH NStZ-RR 2020 175, 176; Urt. v. 12.5.2010 – 2 StR 46/10. 1748 BGHSt 36 167, 174; BGH StV 1988 202; bei Holtz MDR 1979 635; 1986 791. 1749 BGHSt 20 100; krit. Fleck GA 1966 334. 1750 BGH StV 1985 92 (für Sachbetrug); OLG Karlsruhe Justiz 1973 57. 1751 BGH NStZ 1985 123. 1752 BGH DRiZ 1972 30; NStZ 2018 465, 466, m. Anm. Krell. 1753 OLG Köln NJW 1982 347. 1754 OLG Stuttgart NStZ 1991 285 m. Anm. Stree. 1755 BGHSt 21 152. 1756 BGH bei Holtz MDR 1989 111. 1757 BGHSt 15 99. 1758 OLG Düsseldorf NJW 1974 1833. 1759 BGH bei Holtz MDR 1984 89. 1760 BGH bei Dallinger MDR 1958 739.

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Strafvereitelung und einem Betäubungsmitteldelikt;1761 Hehlerei und Untreue;1762 Gefährdung des Straßenverkehrs und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte1763 sowie – Vollrausch (§ 323a StGB) und der im Rausch begangenen Tat.1764 239 Soweit BGHSt 21 152 die wahldeutige Verurteilung zwischen schwerem Raub und Hehlerei abgelehnt hatte,1765 ist die Entscheidung zum Teil in BGHSt 25 182 aufgegeben worden (vgl. Rn. 236). Eine wahldeutige Verurteilung wegen Beihilfe zum Diebstahl und anschließender Hehlerei scheidet aus, weil die Alternativen sich nicht gegenseitig ausschließen1766 (zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Postpendenzverhältnis anzunehmen ist, vgl. Rn. 217). – – –

5. Verfahrensfragen 240

a) Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten. Bevor das Tatgericht sich zu einer Verurteilung auf einer mehrdeutigen Tatsachengrundlage entschließt, muss es kraft seiner Aufklärungspflicht alle Beweismöglichkeiten ausschöpfen, um zu versuchen, doch noch zu eindeutigen Feststellungen zu gelangen.1767 Erst wenn alle Beweismöglichkeiten erschöpft sind, darf es sich mit der Feststellung einer doppeldeutigen Tatsachengrundlage begnügen, sofern es dann alle anderen Handlungsverläufe ausschließen kann, die – eventuell unter Anwendung des Zweifelssatzes – zu einem Freispruch führen würden. An Stelle der im Regelfall notwendigen Überzeugung, dass der Angeklagte so und nicht anders gehandelt hat, tritt die Überzeugung, dass nur mehrere, im Einzelnen genau umschriebene, sich gegenseitig ausschließende Möglichkeiten vorgelegen haben können und alle anderen Varianten auszuschließen sind.

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b) Überzeugungsbildung. Für diese Überzeugungsbildung gelten im Übrigen die allgemeinen Regeln. Das Gericht darf deshalb unglaubhafte oder nur nicht widerlegte Angaben des Angeklagten den Varianten, von denen es unter Ausschluss aller anderen Möglichkeiten bei der Urteilsfindung ausgehen möchte, grundsätzlich ebensowenig zugrundelegen wie bei eindeutigen Feststellungen.1768 Nur wenn neben der Möglichkeit oder den Möglichkeiten, die das Gericht aus anderen Gründen als gegeben ansieht, nach seiner Überzeugung die Darstellung des Angeklagten richtig sein muss, falls jene andere Variante nicht zutreffen sollte, darf es bei Verurteilung auf doppeldeutiger Grundlage auch von der nicht widerlegten, vielleicht sogar für nicht sehr glaubhaft gehaltenen Darstellung des Angeklagten als einer weiteren Möglichkeit ausgehen.1769 Vermag das 1761 1762 1763 1764 1765

BGHSt 30 77 = JR 1982 80 m. Anm. Günther. BGHSt 15 266. OLG Hamm VRS 20 (1961) 347. BGHSt 1 275; 9 390; 32 48; vgl. zur Problematik auch BGH NStZ-RR 2019 60 sowie Rn. 218. Vgl. dazu Deubner NJW 1967 738; Oellers MDR 1967 506; Fuchs DRiZ 1968 16; ferner Deubner NJW 1962 95, wonach die Wahlfeststellung zwischen der Unterschlagung und den als ihre Vortaten in Betracht kommenden Aneignungsdelikten zulässig ist. 1766 BGH GA 1984 373. 1767 RGSt 71 343; RG JW 1939 221; 1939 365; BGHSt 11 100; 12 388; 21 152; 22 154; BGH LM Nr. 16; NJW 1954 932; GA 1970 24; bei Holtz MDR 1985 285; BayObLG NJW 1967 361; OLG Hamburg NJW 1955 920; JR 1962 229; a. A. OLG Zweibrücken NJW 1966 1828 (bei Bagatellfällen in der Revisionsinstanz); vgl. auch LR/Becker § 244, 47. 1768 BGH NJW 1954 932; bei Spiegel DAR 1983 159; vgl. Meyer-Goßner/Appl Rn. 345. 1769 BGH LM Nr. 16.

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Gericht mehrere Varianten des Handlungshergangs nicht auszuschließen, ist die dem Angeklagten günstigste zugrundezulegen. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ wandelt sich im Falle der Verurteilung auf doppel- oder mehrdeutiger Grundlage zum Grundsatz „in dubio mitius“ ab.1770 Allen diesen Fällen der Verurteilung auf doppel- oder mehrdeutiger Tatsachen- 242 grundlage ist gemeinsam, dass der Urteilsspruch zum Teil auf einer tatsächlichen Annahme beruht, von deren Richtigkeit das Gericht, anders als im Regelfall, nicht die volle Überzeugung erlangen kann, weil es auch mindestens einen weiteren tatsächlichen Geschehensverlauf für nicht ausgeschlossen hält. Es muss darüber hinaus aber der Überzeugung sein, dass außer den in die wahldeutige Verurteilung einbezogenen Tatvarianten keine weitere Modalität des Hergangs in Betracht kommt (exklusive Alternativität).1771 Die für erwiesen erachteten Tatsachen, in denen die Merkmale der Straftat liegen, sind für alle – sich gegenseitig ausschließenden – Varianten in der von § 267 geforderten Weise im Urteil nach Ort, Zeit und Umständen festzustellen.1772 Sind die Voraussetzungen für eine wahldeutige Feststellung gegeben, darf das Gericht nicht von ihr absehen.1773 Eine wahldeutige Verurteilung entfällt nicht deshalb, weil eine der in Frage kom- 243 menden Strafvorschriften bei einer Alternative mit einer weiteren Strafvorschrift rechtlich zusammentreffen würde. Der nur hier zusätzlich gegebene rechtliche Gesichtspunkt, der bei den anderen Varianten keine Entsprechung findet, darf jedoch der Verurteilung nicht mit zugrundegelegt werden.1774 Eine wahldeutige Verurteilung ist dagegen unzulässig, wenn auch nur bei einer für 244 die Alternativverurteilung in Betracht kommenden Tat ein Verfahrenshindernis entgegensteht.1775 Handelt es sich bei den alternierenden Sachverhalten um zwei verschiedene Taten i. S. d. § 264, setzt die wahldeutige Verurteilung voraus, dass die Anklage alle in Betracht kommenden Taten umfasst.1776 Ist dies nicht der Fall, weil nur eines von zwei historischen Geschehen angeklagt ist, muss das andere im Wege der Nachtragsanklage oder, falls dies beispielsweise wegen fehlender Zustimmung des Angeklagten nicht möglich ist, im Wege einer getrennten Anklageschrift und nachträglichen Verfahrensverbindung zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sein. Anderenfalls ist eine wahldeutige Verurteilung nicht möglich; der Zweifelssatz würde dann Freispruch hinsichtlich der allein angeklagten Tat erfordern. c) Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts. Das Gericht muss den Angeklag- 245 ten auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts nach § 265 Abs. 1 hinweisen, wenn es ihn statt der angeklagten Straftat wahlweise auch wegen einer anderen verurteilen will,1777 sofern diese in der zugelassenen Anklage noch nicht enthalten war. Dabei genügt der Hinweis, dass auch eine Verurteilung wegen der anderen Straftat in Betracht

1770 Vgl. Rn. 208. 1771 BGH JR 1981 305 m. Anm. Peters; NJW 1983 405; NStZ 1986 373; KMR/Stuckenberg 110 und 137; Meyer-Goßner/Appl Rn. 340; vgl. Rn. 227.

1772 BGH GA 1967 182; 184; JR 1981 305 m. Anm. Peters; NJW 1954 932; NStZ 1986 373; vgl. die Erläuterungen bei § 267. 1773 BayObLGSt 1953 177 = NJW 1954 122. 1774 BGH NJW 1957 1643; 1961 790; GA 1970 24. 1775 OLG Braunschweig NJW 1951 38. 1776 Zur wahldeutigen Anklageerhebung vgl. BGH NJW 1957 1886; Beulke/Fahl Jura 1998 263. KMR/ Stuckenberg 153; SK/Velten 141; ferner Rn. 211 m. w. N. zu den teilweise strittigen Fragen. 1777 Vgl. die Erläuterungen bei § 265; ferner etwa KMR/Stuckenberg 153.

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kommen kann; auf die Möglichkeit einer Wahlfeststellung als solcher braucht sich der Hinweis in der Regel nicht zu erstrecken.1778 In Einzelfällen kann dies wegen der Veränderung der Sachlage und der differierenden Verteidigungsmöglichkeiten aber trotzdem angebracht sein.1779 246

d) Festsetzung der Strafe. Die Strafe ist dem Gesetz zu entnehmen, das nach der Lage des Einzelfalls die mildeste Bestrafung zulässt.1780 Hierfür hat das Tatgericht nach ständiger Rechtsprechung alle für die in Betracht kommenden Sachverhalte zu bestimmenden Strafen miteinander zu vergleichen, indem es prüft, auf welche Strafe jeweils zu erkennen wäre, wenn das eine oder das andere strafbare Verhalten nachgewiesen wäre; sodann hat es die geringste Strafe zu verhängen.1781 Dabei sind auch die konkret relevanten Milderungsmöglichkeiten eines an sich strengeren Gesetzes mit in Betracht zu ziehen.1782 Es ist nicht ersichtlich, weshalb eine solche Prüfung – noch dazu mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbare – „Ungenauigkeiten“ nach sich ziehen1783 oder einem Tatgericht Unzumutbares, gar Unmögliches abverlangen sollte.1784 Vielmehr ähnelt sie derjenigen, die in der Praxis nicht selten vorgenommen werden muss, um das gemäß § 2 Abs. 1 und 3 StGB anzuwendende Recht zu bestimmen.1785 Der Angeklagte darf durch die wahldeutige Feststellung keinen Nachteil erleiden, insbesondere darf der Verdacht der schweren Verfehlung nicht zu seinen Ungunsten ins Gewicht fallen. Diese Grundsätze gelten auch für Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB), insbesondere für Maßregeln der Besserung und Sicherung. Auf sie darf nur erkannt werden, wenn sie bei allen die Verurteilung tragenden Tatbeständen rechtlich zulässig und bei jedem der möglichen Geschehensabläufe sachlich gerechtfertigt sind.1786

e) Tenorierung. Die Fassung des Urteilsspruchs ist bei alleiniger Tatsachenalternativität (gleichartige Wahlfeststellung) unproblematisch, da die in Betracht kommenden Tatabläufe denselben Straftatbestand erfüllen und schon deshalb im Tenor nicht erscheinen.1787 Auch bei einer Postpendenzfeststellung wird – wie bei allen dem Zweifelssatz Rechnung tragenden eindeutigen Verurteilungen – nur das angewandte Strafgesetz in die Urteilsformel aufgenommen.1788 Wie der Schuldspruch bei der Verurteilung aufgrund alternativ angewandter 248 Strafbestimmungen (Gesetzesalternativität) zu lauten hat, ist nirgends vorgeschrieben. Seine Fassung steht somit nach § 260 Abs. 4 Satz 5 im Ermessen des Gerichts.1789 Die 247

1778 BGH bei Dallinger MDR 1974 369. 1779 Vgl. die Erläuterungen bei § 265. 1780 RGSt 68 363; 69 373; 70 281; 71 73; BGHSt 25 186; BGH NJW 1952 114; 1954 931; 1959 119; bei Dallinger MDR 1957 397; Nüse GA 1953 42; Otto FS Peters 391; KMR/Stuckenberg 156; sowie die Kommentare zum StGB; dies gilt auch für Postpendenzfälle BGH NStZ-RR 2018 49, 50. 1781 BGHSt (Großer Senat) 62 164, 177; BGH NStZ-RR 2014 307, 308; 2015 39, 40; MüKo/Miebach 397; kritisch Pohlreich ZStW 128 (2016) 676, 696 ff. 1782 BGHSt 13 70 (zu § 158 StGB); KMR/Stuckenberg 156. 1783 So aber BGH NStZ 2014 392, 395. 1784 BGHSt (Großer Senat) 62 164, 177 (keine unüberwindlichen Schwierigkeiten); BGH NStZ-RR 2014 307, 308. 1785 S. zur Vorgehensweise beispielsweise BGH NStZ 1997 188. 1786 RGSt 68 263; KK/Ott 180. 1787 KK/Ott § 260, 35; Meyer-Goßner/Schmitt § 260, 27. 1788 BGHSt 35 86, 89; BGH NStZ 1989 266; 574; Meyer-Goßner/Schmitt § 260, 27a. 1789 BGHSt 1 302; 4 130; OLG Zweibrücken NJW 1966 1828; früher schrieb § 267b Abs. 1 vor, dass in die Formel nur das anzuwendende (mildere) Gesetz aufzunehmen sei; hierzu Meyer-Goßner/Appl Rn. 68.

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Rechtsprechung hat sowohl zugelassen, dass nur das mildeste Gesetz in den Urteilsspruch aufgenommen wird,1790 als auch, dass die wahlweise Verurteilung und das angewandte Strafgesetz im Tenor angeführt werden.1791 Im Schrifttum wird sowohl die Auffassung vertreten, dass die wahlweise angewandten Gesetze in der Urteilsformel erscheinen müssen,1792 als auch, dass nur das mildeste Gesetz angeführt werden darf, um eine Benachteiligung des Angeklagten zu vermeiden.1793 Verschiedentlich wird zudem gefordert, dass zum Schutze des Angeklagten kenntlich zu machen ist, dass die Verurteilung aufgrund einer Wahlfeststellung erfolgt, etwa durch den Zusatz „Wahlfeststellung“ oder „auf wahldeutiger Grundlage“.1794 Vertreten werden auch einige dazwischenliegende Varianten, etwa, dass nur gleich schwer wiegende Vorschriften nebeneinander angeführt werden müssen, während sonst nur das mildere Gesetz anzugeben ist.1795 Geht man davon aus, dass die Fassung im pflichtgemäßen, am Zweck der Formel 249 auszurichtenden Ermessen des Gerichts steht, dann erscheint es angezeigt, diejenige Formel zu wählen, welche sicherstellt, dass der Angeklagte durch den Urteilsspruch – der allein im Strafregister eingetragen wird – nicht über Gebühr belastet wird. Das wäre aber beispielsweise der Fall, wenn später eine nur möglicherweise gegebene Straftat als voll erwiesen behandelt werden könnte. Welcher Teil der Verurteilung insofern einmal – z. B. unter dem Gesichtspunkt des Strafklageverbrauchs – Bedeutung erlangen wird, lässt sich jedoch nicht mit Sicherheit vorhersehen.1796 Dies spricht dafür, die wahldeutige Verurteilung stets in der Urteilsformel kenntlich zu machen1797 und hier die alternativ verletzten Gesetze anzuführen oder zumindest auf die Wahldeutigkeit in der Urteilsformel hinzuweisen. Wenn der Verurteilung in Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ Tatbe- 250 stände zugrundeliegen, zwischen denen zumindest in der juristischen Wertung ein Stufenverhältnis besteht, ist hingegen allein das mildeste Gesetz in die Urteilsformel aufzunehmen.1798 Wird der Angeklagte lediglich wegen einer der Alternativtaten verurteilt, weil das 251 Gericht sich letztlich von seiner Schuld insofern überzeugt hat, erfolgt also eine eindeutige Verurteilung, so muss er vom Vorwurf der anderen zur Entscheidung unterbreiteten Tat freigesprochen werden, weil anderenfalls der Prozessgegenstand nicht ausge1790 BGHSt 1 302; 4 340; BGH NJW 1959 1140; JZ 1952 116; dazu Heinitz JZ 1952 100; OLG Celle NdsRpfl. 1951 91; OLG Hamburg MDR 1950 57; OLG f. Hessen HESt 2 110; OLG Hamm HESt 3 54; OLG Neustadt NJW 1953 1443; OLG Zweibrücken NJW 1966 1828. 1791 RGSt 68 261; OGHSt 2 93; BGHSt 8 34; 15 66; 25 186; BGH NJW 1973 1466; 1952 114; OLG Celle HannRpfl. 1947 48; JZ 1951 465; OLG Hamm SJZ 1950 55; OLG Braunschweig NJW 1957 1933. 1792 Jakobs GA 1971 272; Schönke/Schröder/Eser/Hecker § 1, 107; Eb. Schmidt 13, 14; HK/Julius/Beckemper § 260, 14; KK/Ott § 260, 35; Meyer-Goßner/Schmitt § 260, 27. 1793 Deubner JuS 1962 23; NJW 1967 359; Heinitz JZ 1952 101; Henkel § 92 Fn. 4; Jescheck/Weigend AT § 16 III 2 d; KMR/Stuckenberg 154. 1794 KMR/Stuckenberg 154. 1795 Hruschka MDR 1967 269; NJW 1973 1805. 1796 Man denke z. B. an die vorzeitige Straftilgung im Rahmen eines auf bestimmte Deliktsgruppen beschränkten Straffreiheitsgesetzes. Nach BGH bei Dallinger MDR 1970 899 war der Angeklagte bei der durch § 17 StGB a. F. (entsprach dem aufgehobenen § 48 StGB) geschaffenen Rechtslage nicht beschwert, wenn er statt wahldeutig wegen Diebstahls und Hehlerei allein wegen Hehlerei verurteilt wird. 1797 Ebenso BGH NStZ-RR 2015 40; Meyer-Goßner/Appl Rn. 68 mit einem Beispiel für die Fassung des Urteilsspruchs. 1798 H. M.; vgl. etwa BGH GA 1954 22 (fahrlässiger Falscheid bei Zweifel, ob dieser oder Meineid vorliegt); Meyer-Goßner/Appl Rn. 344.

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schöpft wird und die Grenzen des Strafklageverbrauchs teilweise unbestimmt bleiben.1799 252

f) Urteilsgründe. Wie auch sonst müssen die Urteilsgründe die sicher erwiesenen Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit dies an nicht behebbaren Zweifeln scheitert, die gerade zur Wahlfeststellung geführt haben, ist an deren Stelle der äußere und innere Sachverhalt der alternativen Verhaltensweise zu schildern, die nach der Überzeugung des Gerichts als allein möglich in Betracht kommt. Es muss erkennbar sein, dass und warum unter Ausschöpfung aller Beweismittel keine eindeutigen Feststellungen möglich waren1800 und statt dessen zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass nur eine der aufgezeigten, sich nach der konkreten Sachlage gegenseitig ausschließenden Varianten in Betracht kommt1801 und insbesondere die Annahme eines straflosen Verhaltens mit Sicherheit ausscheidet. Dabei darf die Ungewissheit, welcher von mehreren Tatbeständen verwirklicht ist, nur darauf beruhen, dass jeweils die Verwirklichung der anderen Möglichkeit(en) nicht ausgeschlossen werden kann.1802 Da mit Divergenz und Anzahl der als möglich in Betracht kommenden Geschehensverläufe die Gefahr eines Irrtums wächst, werden an die Darstellung aller Tatmodalitäten und an die Ausführungen zum Ausschluss jeder anderen Möglichkeit strenge Anforderungen gestellt.1803 Bei der Ermittlung des nach der jeweiligen Sachlage mildesten Gesetzes sind zwar alle konkret in Betracht kommenden Umstände, insbesondere auch die für jede Alternative spezifischen Strafmilderungsgründe (hypothetisch) zu berücksichtigen, es ist aber nicht erforderlich, zu Vergleichszwecken für jede Tat die angemessene Rechtsfolge in den Urteilsgründen zu bestimmen.1804 Wenn sich das nicht von selbst ergibt, kann es aber zweckmäßig sein, in den Gründen aufzuzeigen, aus welchen Erwägungen die Strafvorschriften, die für die Bemessung der Strafe bestimmend waren, als milderes Gesetz angesehen wurden. Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB), namentlich Maßregeln der Besserung und Sicherung, können nur angeordnet werden, wenn sie bei allen alternativ in Frage kommenden Tatbeständen rechtlich zulässig und sachlich angemessen sind.1805

VIII. Revision 253

In der forensischen Praxis wenden sich Revisionen oft gegen die tatgerichtliche Beweiswürdigung. Lässt sich ein diesbezüglicher Fehler den Urteilsgründen selbst entnehmen, so kann er mit der Sachrüge geltend gemacht werden (Rn. 267 ff.). Ist dies jedoch nicht der Fall, bedarf es einer den Mangel präzise benennenden Verfahrensrüge;1806 diese muss die Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 erfüllen (Rn. 265 f.). Drei Ausgestaltungen sind erfahrungsgemäß besonders häufig: Einerseits wird gerügt, das Tatgericht habe ein nicht in die Hauptverhandlung eingeführtes Beweismittel verwendet (sog. 1799 BGHSt 38 172, 173 f.; BGH NStZ 1998 635; Beschl. v. 21.4.2016 – 1 StR 81/16; Meyer-Goßner/Appl Rn. 68. 1800 OLG Hamburg NJW 1955 920; OLG München HRR 1936 1594; KMR/Stuckenberg 155; Meyer-Goßner/ Appl Rn. 345. 1801 OLG Celle VRS 40 (1971) 16; vgl. Rn. 211. 1802 BGHSt 12 386. 1803 BGH NJW 1983 405; NStZ 1986 373; JR 1981 304 m. Anm. Peters. 1804 BGH bei Dallinger MDR 1957 397; vgl. KMR/Stuckenberg 156. 1805 RGSt 68 257; KK/Ott 180; KMR/Stuckenberg 156. 1806 S. etwa BGHSt 58 184, 189.

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Inbegriffsrüge; Rn. 254 ff.). Andererseits wird vorgebracht, ein Beweis sei zwar erhoben, sein Ergebnis aber im Urteil nach Ansicht des Revisionsführers nicht zutreffend wiedergegeben (sog. Differenzrüge; Rn. 257 ff.) oder aber zu Unrecht überhaupt nicht berücksichtigt worden (sog. Ausschöpfungsrüge; Rn. 261 ff.). 1. Verfahrensrügen a) Inbegriffsrügen. Hat das Gericht Tatsachen, die nicht (oder nicht prozessord- 254 nungsgemäß)1807 zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sind, bei seiner Urteilsfindung verwendet, kann dies mit der Verfahrensrüge nach § 261 geltend gemacht werden (sog. Inbegriffsrüge). Das Gebot, nur den Inbegriff der Hauptverhandlung der Entscheidung zugrundezulegen, ist etwa verletzt, wenn das Gericht in seine Überlegungen Erkenntnisse einbezieht, die es während oder gar erst nach der Urteilsverkündung1808 oder nicht in der Verhandlung gegen den betreffenden Angeklagten gewonnen hat.1809 Ein solcher Fehler liegt z. B. vor, wenn die Urteilsgründe Feststellungen enthalten, die aus einem Verfahrensteil stammen, in dem nicht gegen den betreffenden Angeklagten, sondern ausschließlich gegen Mitangeklagte verhandelt wurde.1810 Dasselbe gilt, wenn die Feststellungen weder in den verwendeten Beweismitteln 255 noch in den sonstigen zum Inbegriff der Hauptverhandlung gehörenden Vorgängen eine Grundlage finden können.1811 Das ist etwa der Fall, wenn das Tatgericht sich auf eine nicht in die Hauptverhandlung eingeführte Aussage eines Zeugen,1812 das Gutachten eines dort nicht anwesenden Sachverständigen1813 oder sonst auf ein Beweismittel stützt, das nicht oder nicht in zulässiger Form in der Hauptverhandlung verwendet worden ist,1814 beispielsweise auf nicht in Augenschein genommene Lichtbilder1815 oder Videoaufnahmen,1816 auf eine Urkunde, aus deren nicht erfolgter Inaugenscheinnahme die Überzeugung gewonnen wurde, es handele sich um eine Fälschung,1817 auf einen nicht verlesenen Bundeszentralregisterauszug1818 oder auf sonstige Urkunden,1819 sofern über 1807 Vgl. BGH Beschl. v. 8.12.2016 – 5 StR 475/16 (Angaben einer „informatorisch gehörten“ Person). 1808 BGH NStZ 2017 375, 376 (Einholung eines Sachverständigengutachtens nach der Urteilsverkündung); NStZ-RR 2018 105 (Angeklagter vom Schuldspruch nicht beeindruckt); s. auch Beschl. v. 3.8.2017 – 2 StR 12/17; Beschl. v. 15.2.2018 – 4 StR 594/17. 1809 Vgl. dazu Rn. 19 ff. 1810 Vgl. Rn. 19; LR/Becker § 231c, 24; 237, 27 m. w. N. 1811 BGH bei Spiegel DAR 1983 207; Beschl. v. 21.7.2020 – 5 StR 250/20. 1812 BGH bei Dallinger MDR 1976 989; NStZ 2010 409; NStZ-RR 2012 257; StV 2012 706, 707; Beschl. v. 12.9.2012 – 2 StR 219/12 (Zeuge hatte gemäß § 52 geschwiegen). 1813 BGH Beschl. v. 10.6.2015 – 1 StR 193/15: Dabei war zudem auf den Eindruck abgestellt worden, den der Sachverständige vom Angeklagten in der Hauptverhandlung gewonnen haben sollte. 1814 Vgl. Rn. 15, 20; h. M.; etwa BGH StV 1985 401 m. Anm. Sieg; 1992 359 (nicht verlesene Urkunde); OLG Köln StV 1998 364; vgl. ferner LR/Mosbacher § 249, 109 (Vorhalt); LR/Cirener/Sander § 250, 38 f. 1815 BGH Beschl. v. 2.11.2017 – 3 StR 318/17; KG Beschl. v. 14.9.2017 – 3 Ws (B) 262/17-122 Ss 144/17; zu einer von den Berufsrichtern „privat“ durchgeführten Inaugenscheinnahme des Tatortes vgl. BGH NStZ 2013 357 und Rn. 25. 1816 S. Gercke/Wollschläger StV 2013 106, 110. 1817 BGH Beschl. v. 22.9.2016 – 1 StR 316/16. 1818 BGH Beschl. v. 15.3.2007 – 1 StR 27/07. 1819 BGH NStZ 2012 346; Beschl. v. 27.3.2012 – 5 StR 121/12 (jeweils Mitschriften aus Telekommunikationsüberwachung); Beschl. v. 30.8.2011 – 2 StR 652/10 (Kontoauszüge); StraFo 2014 23 (Schriftverkehr mit Finanzamt); StV 2019 816, 817 (vom BGH aufgehobenes Urteil); Beschl. v. 7.5.2020 – 4 StR 66/20 (Chatprotokolle); s. allgemein Beschl. v. 24.1.2017 – 3 StR 335/16; speziell zum Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2) NStZ 2017 722; Beschl. v. 29.1.2020 – 1 StR 421/19.

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deren Inhalt nicht auf andere Weise Beweis erhoben worden ist.1820 Hierher gehört ebenso ein erstes im selben Verfahren ergangenes, jedoch vom Revisionsgericht aufgehobenes Urteil, wenn es nach Zurückverweisung der Sache lediglich zur Information über das bisherige Prozessgeschehen, nicht aber auch zu Beweiszwecken (§ 249 Abs. 1 Satz 2) verlesen worden ist.1821 Entsprechendes gilt, wenn das Gericht irrigerweise einen Verfahrensvorgang als in der Hauptverhandlung geschehen behandelt, so, wenn es Schlussfolgerungen aus einer in Wirklichkeit unterbliebenen Belehrung1822 oder Vereidigung1823 herleitet. Als Verstoß gegen § 261 kann auch gerügt werden, wenn das Gericht seinem Urteil offenkundige oder gerichtskundige Tatsachen zugrundelegt, ohne dass diese vorher in der Hauptverhandlung zur Erörterung gestellt worden waren.1824 Der Nachweis eines solchen Verstoßes gegen § 261 kann durch Vergleich der schrift256 lichen Urteilsgründe mit dem Sitzungsprotokoll erbracht werden, dessen positive und negative Beweiskraft (§ 274) die Einhaltung der wesentlichen Förmlichkeiten und die Verwendung der Beweismittel in der Hauptverhandlung bezeugt.1825 Nur soweit die Beweiskraft der Sitzungsniederschrift nicht den Rückgriff auf andere Beweismittel verwehrt, weil es sich nicht um protokollierungspflichtige wesentliche Förmlichkeiten handelt oder die Beweiskraft ausnahmsweise erschüttert ist, gilt der Freibeweis, so etwa für die Frage, ob offen- oder gerichtskundige Tatsachen in der Hauptverhandlung erörtert worden sind.1826 Dann kann der Nachweis durch andere Erkenntnisquellen geführt werden, nicht zuletzt auch durch dienstliche Erklärungen der Richter und anderer Verfahrensbeteiligter.1827 b) Differenzrügen. Von der Rüge, der Beweisstoff sei außerhalb der Verhandlung geschöpft worden, ist diejenige zu unterscheiden, ein in der Hauptverhandlung verwendetes Beweismittel habe inhaltlich etwas anderes ergeben, als im Urteil festgestellt worden ist. Da mithin behauptet wird, ein Beweisergebnis stimme mit den Urteilsgründen nicht überein, kann von einer Differenzrüge gesprochen werden. Diese scheitert in der Regel daran, dass die Feststellung, welchen Inhalt ein in der Hauptverhandlung verwendetes Beweismittel, etwa die Aussage eines dort gehörten Zeugen, hatte, grundsätzlich Sache des Tatgerichts ist. Was es darüber in den Urteilsgründen festgestellt hat, bindet das Revisionsgericht bei der aufgrund der Sachrüge erfolgten Urteilsüberprüfung. 258 Aber auch der Versuch eines Gegenbeweises im Rahmen einer Verfahrensrüge scheitert grundsätzlich daran, dass dem Revisionsgericht die Rekonstruktion des Inhalts 257

1820 BGH Beschl. v. 21.7.2015 – 3 StR 206/15 (Zeuge zu „überschaubarem Inhalt“ einer Urkunde vernommen); s. auch StraFo 2014 23; Beschl. v. 20.2.2018 – 5 StR 383/17; Beschl. v. 20.9.2018 – 1 StR 190/18 (Chatprotokolle von Zeugen auf Vorhalt bestätigt); s. aber Beschl. v. 26.6.2019 – 2 StR 415/18 (ausgeschlossen, dass eine ca. 45 Minuten vernommene Zeugin auf Vorhalt 1.122 auf 25 Seiten tabellarisch zusammengestellte Bestellvorgänge mit jeweils mehreren Daten hat bekunden können); Beschl. v. 7.5.2020 – 4 StR 66/20; s. auch MüKo/Miebach 410. 1821 BGH StV 2019 816, 817. Ein solches Urteil kann selbst dann beweisbedeutsam sein, wenn es mitsamt seinen Feststellungen (§ 353 Abs. 2) aufgehoben worden ist; vgl. LR/Mosbacher § 249, 18. 1822 BayObLGSt 1964 141 = JZ 1965 291. 1823 BGH bei Dallinger MDR 1955 297; vgl. aber zur neuen Rechtslage LR/Ignor/Bertheau § 59, 31 ff. 1824 BGH NStZ 1995 246; 2016 123; BayObLG StV 1994 532; OLG Frankfurt StV 1999 138; vgl. Rn. 27 f. 1825 Zum Selbstleseverfahren gemäß § 249 Abs. 2 BGH NJW 2010 3382, 3383; NStZ 2017 722, 723; StraFo 2014 23; Beschl. v. 14.9.2010 – 3 StR 131/10; Beschl. v. 15.10.2010 – 5 StR 119/10; vgl. Rn. 43 und die Erläuterungen bei den §§ 273, 274. 1826 BGHSt 36 354. 1827 Vgl. etwa BGHSt 22 26; Husmann MDR 1977 896; zur staatsanwaltschaftlichen Gegenerklärung s. z. B. BGH StraFo 2014 23.

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der Beweisaufnahme verwehrt ist. Es darf (und kann) in aller Regel weder selbst feststellen, welchen Inhalt eine Aussage in der tatgerichtlichen Hauptverhandlung hatte, etwa um zu prüfen, ob sie in den Urteilsgründen richtig wiedergegeben ist, noch sonst das Ergebnis eines Beweiserhebungsvorgangs selbst würdigen.1828 Mit der Revision kann daher grundsätzlich nicht geltend gemacht werden, dass die im Strengbeweis getroffenen Feststellungen des Urteils dem Ergebnis der Hauptverhandlung nicht entsprechen.1829 Dies gilt auch dann, wenn die Aufzeichnungen eines Verfahrensbeteiligten über den Inhalt einer Zeugenaussage (als Anlage) zum Protokoll genommen worden sind.1830 Noch weniger Raum ist für die Rüge der Aktenwidrigkeit der im Urteil getroffenen Feststellungen.1831 Denn etwaige Differenzen dieser Art können im Rahmen der Beweisaufnahme eine plausible Erklärung gefunden haben.1832 Abweichungen zum Akteninhalt können daher allenfalls unter Darlegung aller dafür erforderlichen Tatsachen zur Begründung einer Aufklärungsrüge herangezogen werden.1833 Das Revisionsgericht muss grundsätzlich die tatgerichtlichen Feststellungen über den Inhalt einer Aussage1834 und über das Ergebnis eines Sachverständigengutachtens oder eines Augenscheins1835 als richtig und vollständig hinnehmen. Dasselbe gilt für die Einlassung des Angeklagten,1836 und zwar selbst dann, wenn dieser eine schriftliche, dem Gericht übergebene Erklärung verlesen hat. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BGH wird nur der mündliche Vortrag zum Gegenstand der Hauptverhandlung und ist demzufolge nicht rekonstruierbar.1837 Anders kann es sein, wenn die schriftlich vorbereitete Einlassung ausnahmsweise im Wege des Urkundenbeweises eingeführt worden ist.1838 Nur in den Ausnahmefällen, in denen es keiner inhaltlichen Rekonstruktion der Be- 259 weisaufnahme bedarf, weil schon äußere Umstände ergeben, dass das Urteil sich auf Vorgänge oder Tatsachen stützt, die so nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewonnen worden sein können, kann die Revision Erfolg haben. Wenn das Gericht sein Urteil beispielsweise auf den Wortlaut oder den Inhalt einer in der Hauptverhandlung verlesenen Vernehmungsniederschrift oder einer verlesenen bzw. nach § 249 Abs. 2 in die Hauptverhandlung eingeführten Urkunde gründet, die in Wirklichkeit einen anderen In1828 BGHSt 21 149; 21 371; 26 56; 29 21; BGH bei Holtz MDR 1986 625; StV 1993 459; vgl. LR/Stuckenberg26 § 267, 176; ferner etwa KK/Ott 191; KMR/Stuckenberg 175; Meyer-Goßner/Schmitt 38a; einschränkend Fezer JZ 1992 108. 1829 Vgl. etwa BGHSt 15 347; 17 352; 21 149; 26 56; 43 212; BGH NJW 1992 2840; 2013 1688, 1689; NStZRR 1998 17; StV 1992 2; 1993 115; 1993 459; 1997 561; VRS 37 (1969) 28; bei Dallinger MDR 1975 369; 1981 268; bei Holtz MDR 1986 625; LM Nr. 15 m. Anm. Hengsberger; OLG Hamm NJW 1997 69; Husmann MDR 1977 894; Eb. Schmidt JZ 1970 340; Hamm 281; Willms FS Heusinger 402 Fn. 25; KK/Ott 192; KMR/Stuckenberg 175; Meyer-Goßner/Schmitt 38a. 1830 BGHSt 15 347; 43 212; BGH NStZ 1990 35; Herdegen JZ 1998 55; KMR/Stuckenberg 175; MeyerGoßner/Schmitt 38a. 1831 BGH NJW 1992 2840; OLG Koblenz VRS 46 (1974) 441; Hamm 281; KMR/Stuckenberg 175; Eb. Schmidt 34. 1832 S. nur BGH Urt. v. 2.3.2005 – 5 StR 518/04. 1833 Vgl. LR/Becker § 244, 363; ferner etwa Herdegen FS Salger 313; Herdegen StV 1992 540; Pelz NStZ 1993 364; G. Schäfer StV 1995 147, 156; Schlothauer StV 1992 134; aber auch Rn. 275. 1834 BGHSt 21 149; 21 372; 26 62; BGH bei Holtz MDR 1986 625; OLG Hamm NJW 1974 1150. 1835 BGH bei Kusch NStZ 1995 220; Beschl. v. 12.3.2014 – 1 StR 605/13; Meyer-Goßner/Schmitt 38a; vgl. Rn. 179 f. 1836 BGH bei Dallinger MDR 1975 369; ferner bei Holtz MDR 1981 268; OLG Hamm MDR 1973 516; VRS 29 (1965) 39; die Erläuterungen bei § 267. 1837 BGH StraFo 2015 381; NStZ 2019 168; NStZ-RR 2019 190; Beschl. v. 30.8.2018 – 5 StR 183/18; Beschl. v. 19.3.2019 – 5 StR 429/18; s. auch KK/Ott 28; G. Schäfer FS Hans Dahs 441, 448. 1838 BGH Beschl. v. 30.8.2018 – 5 StR 183/18; s. auch MüKo/Miebach 32.

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halt oder Wortlaut hatte,1839 kann dies vom Revisionsgericht ohne jede Rekonstruktion der Hauptverhandlung und ohne Eingriff in den eigentlichen Beweiswürdigungsvorgang festgestellt werden.1840 Gleiches gilt für ein sog. Behördengutachten (§ 256 Abs. 1 Nr. 1a)1841 sowie bei Aussagen, die nach § 273 Abs. 3 wörtlich in das Protokoll aufgenommen und genehmigt worden sind1842 oder deren Inhalt deshalb eindeutig festgestellt werden kann, weil sie nach den §§ 247a, 255a durch eine Tonband- oder Videoaufzeichnung in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind.1843 Ebenso liegt es, wenn das im Urteil für den Identitätsnachweis herangezogene Lichtbild absolut unergiebig ist, so dass schlechthin ausgeschlossen werden kann, dass darauf irgendwelche Vergleiche haben gestützt werden können.1844 Die Grenze besteht dort, wo das Bild trotz seiner den Beweiswert erheblich mindernden Mängel noch die Heranziehung seines Inhalts für die Beweiswürdigung ermöglicht, denn diese ist dann allein Sache des Tatgerichts.1845 Gleiches dürfte bei einer mangelhaften oder lückenhaften Bild-Ton-Aufzeichnung gelten, bei der dann – zumindest in dem von den Mängeln betroffenen Bereich – die sichere Feststellung eines Fehlers einer Rekonstruktion der Beweisaufnahme bedürfte, die dem Revisionsgericht verwehrt ist. 260 Rügt die Revision, zugleich mit § 261 sei auch der Verfassungsgrundsatz der Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt worden, weil sich das Urteil auf Tatsachen stützt, zu denen der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung nicht gehört wurde, so hat das Revisionsgericht nach Ansicht des BGH unter Heranziehung aller Beweismittel im Wege des Freibeweises nachzuprüfen, ob der behauptete Verfassungsverstoß, der zugleich ein Verfahrensverstoß wäre, zutrifft. Es würde der Prozesswirtschaftlichkeit widersprechen, die Entscheidung hierüber nach Erschöpfung des Rechtszugs dem BVerfG zu überlassen.1846 Unterbleibt eine demnach uneingeschränkt mögliche Verfahrensrüge, hat dies zur Folge, dass eine spätere Verfassungsbeschwerde an der Nichtausschöpfung des Rechtswegs scheitert. 261

c) Ausschöpfungsrügen. Gerügt werden kann zudem, das Gericht habe Teile der Verhandlung nicht berücksichtigt und seiner Entscheidung somit fehlerhaft nicht das ganze Ergebnis der Hauptverhandlung zugrundegelegt. Denn § 261 ist nicht nur bei

1839 BGH StV 2008 566; NZWiSt 2015 263, 265 f.; Beschl. v. 30.8.2018 – 5 StR 183/18; zur Frage, wann ein anderer Inhalt vorliegt, vgl. bei Miebach NStZ 1988 212; zu einer inhaltlich zutreffend wiedergegebenen Urkunde wistra 2018 214, 215; OK-StPO/Eschelbach 66. 1840 Vgl. BGH NStZ 2018 158. 1841 BGH Beschl. v. 7.12.2010 – 4 StR 401/10; s. auch zu einem rechtsmedizinischen Sektionsprotokoll StraFo 2019 38. 1842 BGHSt 38 14, 16 = JZ 1992 106 m. Anm. Fezer; BGH NStZ 1991 500; OLG Zweibrücken StV 1994 545. 1843 A. A. BGHSt 48 268, 273; BGH Beschl. v. 19.6.2019 – 4 StR 489/18; offen gelassen von Beschl. v. 19.12.2018 – 4 StR 58/18; vgl. zudem die Erläuterungen bei § 255a; ferner Gercke/Wollschläger StV 2013 106, 110, 112; KMR/Stuckenberg 176, auch zur Konstruktion der Rüge („nicht existenten Inhalt des Beweismittels gewürdigt“, bzw. ohne Rekonstruktion der tatrichterlichen Beweisaufnahme offensichtlicher Fehler); MüKo/Miebach 341. 1844 Vgl. etwa BGHSt 41 376, 381; Herdegen StV 1992 594; Maul FS Pfeiffer 424; G. Schäfer StV 1995 147, 156; KMR/Stuckenberg 176; ferner BGH NStZ 2017 723, 724. 1845 Vgl. BGHSt 29 18 = JR 1980 168 m. Anm. Peters; BGH NStZ-RR 2016 178, 179; Meyer-Goßner/Schmitt 38b; vgl. aber auch BGHSt 23 64 (Schallplattenaufnahme). 1846 BGHSt 22 26 m. zust. Anm. Eb. Schmidt JZ 1968 435; zust. Hanack JZ 1973 729; OLG Düsseldorf VRS 64 (1983) 128; Husmann MDR 1977 896; Meyer FS Kleinknecht 275; KMR/Stuckenberg 174; nach Herdegen StV 1992 593; ders. FS Salger 315 ff. ist der Umweg über Art. 103 Abs. 2 GG nicht nötig, da es sich um eine Frage des äußeren Ablaufs der Hauptverhandlung und nicht um die Feststellung und Würdigung eines Beweisergebnisses handelt.

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Überschreiten seiner Rahmenfunktion verletzt (vgl. Rn. 254 ff.), sondern auch dann, wenn der Inbegriff der Hauptverhandlung nicht ausgeschöpft wurde. Die Angriffsrichtung der Revision zielt mithin auf einen Verfahrensfehler ab, der das konstellative Gegenteil des mit einer Inbegriffsrüge geltend gemachten Mangels darstellt.1847 Zur terminologischen Abgrenzung erscheint es daher vorzugswürdig, an dieser Stelle von einer Ausschöpfungsrüge zu sprechen.1848 Diese greift durch, wenn schon äußere Umstände den bezeichneten Fehler belegen. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn aus der Sitzungsniederschrift erkennbar ist, dass das Gericht sein Urteil nach einem Wiedereintritt in die Hauptverhandlung ohne erneute Beratung und damit ohne Berücksichtigung des noch verhandelten Verfahrensstoffes verkündet hat.1849 Ebenso verhält es sich, wenn sich ergibt, dass Mitglieder des Gerichts einen Teil der Vorgänge in der Hauptverhandlung nicht wahrgenommen haben können, sei es, dass ihre Fähigkeit zur Wahrnehmung der Verhandlungsvorgänge aufgehoben war (Schlaf, andere Abhaltungen, ungünstige räumliche Gegebenheiten usw.), sei es, dass ihnen die Kenntnisnahme unmöglich war, weil ihnen Schriften, die nach § 249 Abs. 2 in die Verhandlung eingeführt werden sollten, nicht zugänglich gemacht worden waren.1850 Die Nichtberücksichtigung eines Verhandlungsteils liegt auch dann vor, wenn das 262 Gericht im Urteil davon ausgeht, dass der Angeklagte (oder auch ein Mitangeklagter)1851 zu den Vorwürfen geschwiegen hat, während er sich tatsächlich zur Sache geäußert hatte,1852 wenn es eine verlesene Urkunde nicht in seine Würdigung miteinbezieht, obwohl diese eine nicht unbedeutende Indiztatsache enthält,1853 den Inhalt einer verlesenen kommissarischen Vernehmung nicht vollständig ausschöpft1854 oder wenn es in der irrigen Annahme eines Beweisverwertungsverbots einen in die Hauptverhandlung eingeführten entscheidungserheblichen Umstand bei der Urteilsfindung unberücksichtigt gelassen hat. Letztlich führen alle Verfahrensfehler, die den für die Urteilsfindung zu würdigenden Verhandlungsstoff zu Unrecht schmälern, zugleich auch zu einem Verstoß gegen § 261. Das Rekonstruktionsverbot1855 gilt auch hier, weswegen das Revisionsgericht den Inhalt einer von der Revision in den Urteilsgründen vermissten Zeugenaussage nicht selbst ermitteln darf1856 und insbesondere ein Beruhen des Urteils auf dem Fehler (§ 337 Abs. 1) mit Erwägungen, was beispielsweise Inhalt der nicht gewürdigten 1847 S. Rn. 253 ff. 1848 Vgl. Rn. 15 und 75 f.; in Betracht kommt auch der Begriff der „verlängerten Aufklärungsrüge“; diese Art der Rügen hat den BGH zumindest seit 2012 zu deutlich mehr begründeten Entscheidungen veranlasst als Inbegriffsrügen. 1849 Vgl. etwa BGHSt 24 170; Rieß GA 1978 263; KK/Ott 17; Rn. 15 ff.; LR/Stuckenberg26 § 260, 9 m. w. N. 1850 Vgl. LR/Mosbacher § 249, 111. 1851 Hierzu BGH NStZ 2018 113. 1852 BGH StV 1983 8; 1992 1; 2008 235; NStZ 2018 113; NStZ-RR 2018 356; BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 52; Beschl. v. 16.5.2013 – 1 StR 79/13; KK/Ott 16; KMR/Stuckenberg 178; vgl. auch OLG Koblenz VRS 71 (1986) 42 (Verpflichtung, sich mit der im Urteil nicht erwähnten, im Protokoll aber festgehaltenen Einlassung des Angeklagten auseinanderzusetzen). s. aber auch StraFo 2018 159; Beschl. v. 30.1.2018 – 4 StR 521/17. 1853 BGH NStZ 2014 606, 607 (E-Mail); 2015 227, 228 f. (für die Prüfung des § 31 BtMG relevante schriftliche Erklärung des Angeklagten); StV 2019 228, 229 (für die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB bedeutsamer ärztlicher Untersuchungsbericht); s. auch StV 2018 202, 203 f. (gynäkologischer Befund). 1854 BGH StV 2015 757. 1855 S. Rn. 257 f. 1856 BGH NStZ-RR 2014 15; NStZ 2015 473; Beschl. v. 3.7.2019 – 4 StR 459/18; s. auch NStZ-RR 2017 185; Urt. v. 24.10.2018 – 5 StR 229/18; zum Beweis der Angaben eines Zeugen durch ein gemäß § 273 Abs. 3 Satz 1 aufgenommenes Wortprotokoll BGHSt 38 14, 16.

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Einlassung des Angeklagten gewesen sein könnte, regelmäßig nicht ausschließen kann.1857 Hingegen müssen wesentlicher Ablauf, Inhalt und Ergebnis einer Verständigung, die mit einem den Angeklagten belastenden Mitangeklagten getroffen worden ist, dem Sitzungsprotokoll (§ 273 Abs. 1a) zu entnehmen sein.1858 Grundsätzlich kann zwar nicht allein aus dem Schweigen der Urteilsgründe der 263 Schluss hergeleitet werden, das Gericht habe einen Vorgang der Hauptverhandlung oder ein verwendetes Beweismittel, etwa den Vortrag eines Verfahrensbeteiligten oder die Aussage eines Zeugen, zu Unrecht nicht gewürdigt. Das Tatgericht muss nicht alles, was Gegenstand der Hauptverhandlung war, in die schriftlichen Urteilsgründe aufnehmen.1859 Soweit dies jedoch notwendig ist, um die gewonnene Überzeugung und ihre objektive, rationale Grundlage nachvollziehbar darzulegen, fordert die höchstrichterliche Rechtsprechung eine Auseinandersetzung mit allen sich nach der Sachlage aufdrängenden wesentlichen beweiserheblichen Umständen.1860 Eine generelle Grenzziehung für die Erörterungspflicht ist insoweit nicht möglich.1861 264 Wird ein Angeklagter freigesprochen, bedarf es aber in aller Regel der Würdigung, dass er ausweislich eines verlesenen Urteils bereits rechtskräftig wegen einer Tat verurteilt worden ist, die mit der ihm nunmehr zur Last gelegten „fast identisch“ ist,1862 ebenso, wenn ein verlesenes Gutachten zu auf dem Handy des Angeklagten aufgefundenen pornographischen Bild- und Videodateien indiziell die Angaben der Nebenklägerin stützen könnte.1863 Im Falle einer Verurteilung wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln darf eine einschlägige Vorstrafe der den Angeklagten belastenden Zeugin nicht unberücksichtigt bleiben, sofern diese für die Bewertung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage bedeutsam ist.1864 Stützt das Tatgericht die Verurteilung im Wesentlichen auf die belastenden Angaben eines Mitangeklagten, der sich absprachegemäß geäußert hat, so müssen zuvor in der Hauptverhandlung erfolgte Verständigungsgespräche bei der Bewertung seiner Angaben berücksichtigt werden.1865 Anders verhält es sich bei ein Auskunftsverweigerungsrecht von Zeugen begründenden Verfügungen des Vorsitzenden, da diese zum Freibeweis gehören.1866 Weichen die in der Hauptverhandlung gemachten Zeugenangaben eines durch einen Verkehrsunfall Geschädigten erheblich von der Schilderung ab, die in der verlesenen Schadensanzeige an die Versicherung abgegeben worden ist, so hat sich das Tatgericht mit den Widersprüchen auseinanderzusetzen.1867 Über Tele1857 Vgl. etwa BGH NStZ 2018 113; NStZ-RR 2018 356 (zu „Spontaneinlassungen“ des Angeklagten); BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 52; s. auch BGH NZWiSt 2018 106, 109 m. Anm. Gehm; Beschl. v. 16.5.2013 – 1 StR 79/13; Beschl. v. 19.3.2019 – 5 StR 429/18. 1858 S. zu einer entsprechenden Verfahrensrüge BGHSt 58 184, 186 ff. 1859 Etwa BGH NJW 1992 2849; 2010 882, 883; StV 1991 340; Urt. v. 15.5.2018 – 1 StR 159/17; Urt. v. 20.9.2018 – 3 StR 195/18; Urt. v. 10.10.2018 – 5 StR 179/18; Beschl. v. 19.2.2020 – 3 StR 522/19. 1860 Vgl. Rn. 269 ff.; zu einem Fall fehlenden „Aufdrängens“ BGH Urt. v. 17.3.2015 – 2 StR 281/14. 1861 Vgl. Rn. 6 und bei § 267; ferner LR/Franke26 § 337, 82 ff. und die dortige Darstellung der Revisionsrechtsprechung, in der sich in diesem Bereich die Unterschiede zwischen Verfahrens- und Sachrüge verwischt haben. 1862 BGH Urt. v. 21.11.2006 – 1 StR 392/06; s. aber Urt. v. 6.11.2007 – 1 StR 394/07 (Grundlagen der Vorstrafe dürfen sachgerecht zusammengefasst werden); ferner NStZ 2019 224, 225; Urt. v. 15.9.2005 – 4 StR 107/05 zu einem für den erhobenen Betrugsvorwurf relevanten Schreiben. 1863 BGH Urt. v. 26.4.2017 – 5 StR 445/16. 1864 BGH NStZ 2008 475. 1865 BGHSt 48 161, 168; 52 78, 83; 58 184; BGH NStZ-RR 2007 116; NStZ 2012 465. 1866 BGH Urt. v. 15.5.2018 – 1 StR 159/17; s. auch Beschl. v. 31.3.2015 – 3 StR 584/14. 1867 BGH NStZ-RR 2008 83; zu differierenden Angaben des Angeklagten im Rahmen polizeilicher Vernehmungen s. Beschl. v. 8.7.2008 – 3 StR 167/08.

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fonverbindungsdaten darf es nicht hinweggehen, wenn diese die Angaben des Angeklagten zu stützen geeignet sind, erst zu einem späteren Zeitpunkt am Tatort eingetroffen zu sein,1868 über den Inhalt eines Notrufs nicht, wenn dieser die Darstellung der Geschädigten, mit einem Messer bedroht worden zu sein, bestätigen kann.1869 d) Begründung einer Verfahrensrüge. Zur Begründung einer Verfahrensrüge muss 265 der Revisionsführer nach § 344 Abs. 2 Satz 2 sämtliche Tatsachen anführen, die notwendig sind, um den Verstoß gegen § 261 unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden tatsächlichen Varianten aufzuzeigen.1870 Der Umfang des erforderlichen Tatsachenvortrags ist je nach Art und Angriffsrichtung der Rüge unterschiedlich. Während es genügen kann, wenn vorgetragen wird, dass die Urteilsfeststellung über den Blutalkoholgehalt des Angeklagten ohne Beweiserhebung getroffen worden sei,1871 weil kein dazu taugliches Beweismittel verwendet worden ist, etwa das Gutachten eines Sachverständigen ohne dessen Anhörung in der Hauptverhandlung verwertet worden sei,1872 bedarf es in anderen Fällen für die Rüge der Verwertung einer nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewonnenen Tatsache (Inbegriffsrüge) eines eingehenderen Tatsachenvortrags. Denn dieser muss aufzeigen, dass die festgestellte Tatsache weder durch die Einlassung des Angeklagten noch durch ein Beweismittel in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist.1873 Wird beanstandet, dass im Urteil eine Urkunde zu Unrecht verwertet wurde, muss die Revision den Inhalt der Urkunde anführen und darlegen, dass diese auf keinem zulässigen Weg als Beweismittel in die Hauptverhandlung eingeführt wurde,1874 vorsorglich unter Umständen auch, dass der Inhalt nicht dadurch zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurde, dass er aufgrund eines Vorhalts von einer Beweisperson bestätigt worden ist.1875 Eine Ausschöpfungsrüge muss stets vortragen, dass und auf welche Weise ein be- 266 stimmtes Beweismittel, dessen Nichtberücksichtigung bei der Beweiswürdigung bemängelt wird, in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist.1876 Rügt die Revision beispielsweise, das Tatgericht habe sich im Urteil mit einer für die Prüfung des § 31 BtMG relevanten schriftlichen Erklärung des Angeklagten nicht befasst, so hat sie deren Inhalt mitzuteilen.1877 Anders verhält es sich, wenn geltend gemacht wird, Aussagen eines Mitangeklagten oder Zeugen seien in den Urteilsgründen zu Unrecht unerwähnt geblieben. Zwar wird mitunter auch insofern der Vortrag des jeweiligen Inhalts verlangt.1878 Bei 1868 BGH StV 2008 568. 1869 BGH Urt. v. 15.12.2010 – 2 StR 495/10; zu sich aus einem verlesenen Durchsuchungsbericht ergebenden Hinweisen auf geleistete Aufklärungshilfe s. Beschl. v. 10.3.2011 – 2 StR 49/11; ferner NStZ 2012 709. 1870 Zu den strengen Zulässigkeitsvoraussetzungen s. die seit 1999 jährlich von Miebach, Sander, Cirener und Herb erstellten Übersichten zur entsprechenden Rechtsprechung des BGH, zuletzt Herb NStZ-RR 2019 97 und 132. 1871 Vgl. etwa OLG Hamburg MDR 1981 693. 1872 BGH StV 2002 524. 1873 BGH bei Sander NStZ-RR 2006 69. 1874 MüKo/Miebach 413. 1875 Vgl. etwa BGH NJW 1990 1189; StV 1999 197 (Ls.); NStZ 2001 425; OLG Düsseldorf StV 1995 38 m. abl. Anm. Hellmann; OLG Köln StV 1998 364; s. auch BGH NStZ 2019 422 m. Anm. Ventzke; vgl. LR/ Mosbacher § 249, 102, 108; MüKo/Miebach 49. 1876 Zur Einlassung des Angeklagten BGH Beschl. v. 3.3.2020 – 3 StR 15/20; zu verlesenen Vernehmungsniederschriften Urt. v. 10.10.2018 – 5 StR 179/18. 1877 BGH NStZ 2015 227, 228 f. 1878 BGH bei Sander NStZ-RR 2006 69 (für Zeugen); NStZ 2018 114 (für Mitangeklagten) m. abl. Anm. Ventzke.

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dieser Konstellation kann aber die Zulässigkeit der Rüge von dessen Darstellung nicht abhängen, weil die Angaben der jeweils vernommenen Person dem Rekonstruktionsverbot unterfallen. Eine Revisionsbegründung, die sich nur in Angriffen gegen die Beweiswürdigung erschöpft, genügt nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2. 267

2. Sachrüge. Mit der Sachrüge können nur die aus den Urteilsgründen ersichtlichen Fehler oder Mängel bei der Beweiswürdigung, Verstöße gegen Beweisverbote, zu strenge oder zu geringe Anforderungen an die Überzeugungsbildung oder die Verwertung nicht erwiesener Tatsachen gerügt werden, so auch, wenn die Schlussfolgerungen des Urteils einer hinreichenden Tatsachengrundlage entbehren und mangels jeder objektiv einsichtigen und nachvollziehbaren Beweiswürdigung nur Vermutungen sind, die eine Verurteilung nicht zu tragen vermögen.1879 Mit der Sachrüge kann ebenso beanstandet werden, wenn das Urteil keine Beweisgründe und keine Beweiswürdigung enthält, weil dann nicht nachprüfbar ist, ob es auf einer tragfähigen Beweisgrundlage beruht.1880 Auf urteilsfremdes Vorbringen können sachlich-rechtliche Beanstandungen nach ständiger Rechtsprechung des BGH nicht gestützt werden.1881

268

a) Tatrichterliche Überzeugung. Die tatrichterliche Überzeugung, die subjektive Gewissheit vom Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts als solche, muss das Revisionsgericht ebenso hinnehmen wie das aus konkreten Umständen abgeleitete Unvermögen des Tatgerichts, verbliebene Zweifel zu überwinden.1882 Es darf und kann – schon weil ihm die aus dem Inbegriff der gesamten Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse fehlen und es ihm aufgrund der gesetzlichen Ausgestaltung des Revisionsverfahrens verwehrt ist, Teile der Beweisaufnahme im Freibeweis zu wiederholen oder zu ergänzen –1883 seine eigene Überzeugung nicht an die Stelle der tatgerichtlichen setzen.1884

269

b) Rechtliche Anforderungen an die Überzeugungsbildung. Nachprüfbar anhand der Urteilsgründe ist aber, ob das Tatgericht die rechtlichen Anforderungen an die Überzeugungsbildung verkannt hat. Dies ist der Fall, wenn die Urteilsausführungen zeigen, dass an das für die objektiven oder subjektiven Grundlagen der Überzeugung erforderliche Maß an Gewissheit zu niedrige oder zu hohe Anforderungen gestellt worden sind. Waren die Anforderungen überhöht („überspannt“), wird dies meist zur Aufhebung eines Freispruchs oder einer den Angeklagten sonst begünstigenden Entscheidung führen, z. B. eines die Tat nur teilweise erfassenden Schuld- oder eines ungerechtfertigt milden Rechtsfolgenausspruchs. Dies ist etwa zu bejahen, wenn das Tatgericht annimmt, die Überzeugung setze eine mathematische Sicherheit und den Ausschluss jedes abstrakt denkbaren, im Einzelfall aber nur theoretischen Zweifels voraus.1885 Denn eine absolute, das Gegenteil logisch ausschließende und von niemandem 1879 BGH NStZ 1981 33; 1986 373; 1990 501; bei Kusch NStZ-RR 1997 377; StV 1982 95; Meyer-Goßner/ Schmitt 38; vgl. Rn. 14; zu kritisch OK-StPO/Eschelbach 67 („Simulation einer effektiven Rechtsschutzmöglichkeit“); a. A. KMR/Stuckenberg 168 (Verfahrensrüge methodisch richtig). 1880 Zu den Einzelheiten § 337, 99 ff.; BGH NStZ-RR 1999 45. 1881 S. nur BGH Urt. v. 22.9.2016 – 2 StR 27/16. 1882 Vgl. Rn. 13; s. auch LR/Franke26 § 337, 130 ff. m. w. N. 1883 S. SSW/Schluckebier 66. 1884 BGH Urt. v. 15.2.2005 – 5 StR 449/04; Urt. v. 20.6.2007 – 2 StR 161/07; Urt. v. 9.11.2010 – 5 StR 297/10. 1885 Zu Einzelheiten s. Rn. 8 ff.; § 337, 157 ff.; BGHR StPO § 261 Einlassung 5; s. auch BGH NStZ 2013 648, 653; NStZ-RR 2013 117, 118; Urt. v. 27.3.2013 – 2 StR 384/12; Rn. 8; LR/Franke26 § 337, 135 m. w. N.; Hanack JuS 1977 731; ferner etwa OLG Koblenz VRS 70 (1986) 18 (unwahrscheinlicher Geschehensverlauf kann nur unterstellt werden, wenn dies im Urteil plausibel begründet wird).

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anzweifelbare Gewissheit ist gerade nicht erforderlich, vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht mehr zulässt.1886 Daher bedarf es zur Überführung eines Angeklagten auch nicht unbedingt einer „geschlossenen Indizienkette“1887 oder „zwingender Schlussfolgerungen“.1888 Ein Tatgericht, das zwar „keine ernsthaft in Betracht kommenden Hinweise dafür“ sieht, dass die den Angeklagten belastenden Bekundungen eines Zeugen unrichtig sein könnten, diesem aber dennoch nicht glaubt, stellt zu hohe Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung.1889 Auch im Falle des Freispruchs sind regelmäßig die von ihm getroffenen Feststellungen mitzuteilen, da das Revisionsgericht anderenfalls nicht prüfen kann, ob die Entscheidung auf rechtsfehlerfreien Erwägungen, namentlich auf einer zutreffenden Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo beruht.1890 c) Zureichende Tatsachengrundlage. Vom Revisionsgericht überprüfbar ist ferner, 270 ob die Überzeugung des Tatgerichts in den getroffenen Feststellungen und den daraus hergeleiteten Schlussfolgerungen objektiv eine zureichende Grundlage findet.1891 Es ist heute allgemein anerkannt,1892 dass sich die subjektive Gewissheit des Tatrichters auf tragfähige, konkrete Tatsachenfeststellungen sowie rationale und lückenlose Schlüsse gründen muss, die mit den Denkgesetzen und der Lebenserfahrung vereinbar sind und das gefundene Ergebnis auch objektiv durch die hochgradige Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung mit der Wirklichkeit als hinreichend gesichert1893 erscheinen lassen. Bloße Vermutungen oder eine rein irrational fundierte Gewissheit genügen dafür nicht.1894 Deuten z. B. im Pass enthaltene Ein- und Ausreisestempel darauf hin, dass der Angeklagte sich zur Tatzeit in Serbien aufgehalten hat, so kann dies mit der Erwägung, „der Pass könne durch andere Personen benutzt und an der Grenze, eventuell gegen Bestechung, auch nachträglich mit Originalstempeln versehen worden sein“, nur dann entkräftet werden, wenn sich hierfür den Urteilsgründen tatsächliche Anhaltspunkte 1886 BGH NStZ-RR 2007 43, 44; wistra 2008 107; NStZ 2010 292; 2017 25, 26; StV 2018 199, 200; Urt. v. 4.2.2004 – 2 StR 355/03; Urt. v. 8.2.2006 – 5 StR 431/05; Urt. v. 21.12.2006 – 3 StR 427/06.

1887 BGH Urt. v. 29.8.2007 – 2 StR 284/07; Urt. v. 20.12.2007 – 4 StR 306/07. 1888 BGH NStZ 2010 102, 103; Urt. v. 25.2.2004 – 4 StR 475/03; Urt. v. 1.7.2008 – 1 StR 654/07; Beschl. v. 19.6.2008 – 1 StR 217/08; Urt. v. 30.7.2009 – 3 StR 273/09; Urt. v. 22.5.2019 – 2 StR 353/18; s. auch NStZ-RR 2004 238, 240; Urt. v. 29.10.2003 – 5 StR 358/03; Urt. v. 21.4.2011 – 3 StR 46/11; Urt. v. 25.9.2013 – 2 StR 190/13; Urt. v. 8.3.2018 – 3 StR 571/17. 1889 BGH NStZ-RR 2005 149; Urt. v. 4.12.2008 – 4 StR 371/08. 1890 BGH NStZ-RR 2018 151, 152; Urt. v. 11.2.2014 – 1 StR 485/13; Urt. v. 16.6.2016 – 1 StR 50/16; Urt. v. 14.9.2017 – 4 StR 303/17; s. auch Urt. v. 13.12.2012 – 4 StR 271/12; zu Einzelheiten Rn. 75 f. 1891 S. etwa BGH StV 2018 231, 232; Beschl. v. 24.1.2008 – 3 StR 486/07; Beschl. v. 5.12.2017 – 4 StR 513/17. 1892 Vgl. etwa Fincke GA 1973 272; Gössel GA 1979 241; Gössel Tatsachenfeststellung in der Revisionsinstanz, in Schlosser/Jonquères/Tasenack/Chapus/Gössel/Decocq Arbeiten zur Rechtsvergleichung Bd. 112 (1982) 132; Herdegen FS Kleinknecht 175; ders. NStZ 1987 193; ders. StV 1992 527; Jerouschek GA 1992 493; Klug FS Möhring 363; Krause FS Peters 45; Küper FS Peters II 45; Maul FS Pfeiffer 409; Paeffgen FS Peters II 85; Peters FS Gmür 316; ders. JR 1972 30; ders. JR 1977 84; Rieß GA 1978 257; Roxin/Schünemann § 45, 43; Hamm 909; G. Schäfer StV 1995 147; G. Schäfer 935, 937; Schlüchter 567, 694.1; Schneider MDR 1962 868; Stree In dubio pro reo 40; s. auch Rn. 14. 1893 Im Schrifttum (vgl. Rn. 9 ff.) werden an den Grad der Wahrscheinlichkeit unterschiedliche Anforderungen gestellt (hinreichend, hochgradig, an Sicherheit grenzend usw.); vgl. dazu KMR/Stuckenberg 27 ff.; große Bedeutung dürften diese Unterscheidungen kaum haben, da die Revisionsgerichte die als Ausdruck rationaler Argumentation geforderte hohe Plausibilität der Gründe immer nur einzelfallbezogen beurteilen. 1894 S. beispielsweise BGH NJW 2017 1894, 1895; Beschl. v. 15.9.2015 – 2 StR 130/15; Beschl. v. 4.4.2017 – 1 StR 432/16; Beschl. v. 30.5.2017 – 3 StR 102/17; vgl. wegen der Einzelheiten Rn. 14; 45 ff.

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entnehmen lassen.1895 Der BGH hat beispielsweise eine gemäß § 74 Abs. 1 StGB angeordnete Einziehung aufgehoben, weil die tatrichterliche Überzeugung, Mobilfunkgeräte seien zur Vorbereitung eines Marihuanaverkaufs eingesetzt worden, in den Urteilsgründen keine Stütze fand.1896 Stehen nach den insoweit allein maßgeblichen schriftlichen Urteilsgründen die ge271 troffenen Feststellungen nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, etwa, weil sich ausdrücklich oder aus dem Gesamtzusammenhang der Darstellung ergibt, dass das Gericht hinsichtlich eines die Entscheidung tragenden Umstands selbst zweifelte, so begründet auch dies eine Revision. So liegt es, wenn die Ausführungen ersehen lassen, dass das Gericht nur von dem wahrscheinlichen Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals oder eines sonst entscheidungstragenden Umstands ausgegangen ist. Denn die Verurteilung darf sich nur auf Tatsachen stützen, die das Gericht für erwiesen hält.1897 Dagegen kann unter dem Blickwinkel des § 261 nicht gerügt werden, dass das Tatgericht hätte zweifeln müssen.1898 Bei einer wahldeutigen Verurteilung müssen sich deren Voraussetzungen aus den Urteilsgründen ergeben.1899 272

d) Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung des Tatgerichts als solche ist der Nachprüfung des Revisionsgerichts entzogen,1900 sofern sich die in den Urteilsgründen mitgeteilten Erwägungen im Rahmen der durch das Gesetz gezogenen Grenzen halten,1901 mit den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen vereinbar sind1902 und der Pflicht zur Darlegung der Beweisgründe und zu einer objektiv nachvollziehbaren und erschöpfenden Beweiswürdigung genügen,1903 mithin rechtsfehlerfrei sind.1904 Die Ausführungen des Urteils dürfen weder Argumentationslücken aufweisen noch die Erörterung sich aufdrängender Gesichtspunkte vermissen lassen,1905 etwa der Frage, ob der Eintritt des Todes des multimorbiden Opfers durch das Strangulieren beschleunigt worden ist;1906 bei einem Freispruch dürfen sie schwerwiegende Verdachtsmomente nicht übergehen.1907 Derartige Erörterungsmängel sind jedoch z. B. anzunehmen, wenn das Urteil zur abgegebenen Einlassung des Angeklagten schweigt,1908 nur die Einlassung des Angeklagten und die Aussagen der Zeugen wiedergibt, ohne sich selbst damit auseinanderzuset-

1895 1896 1897 1898 1899 1900

BGH Beschl. v. 29.10.2015 – 3 StR 288/15. BGH Beschl. v. 4.4.2018 – 3 StR 644/17; s. auch Beschl. v. 3.7.2018 – 1 StR 264/18. Vgl. Rn. 182. Vgl. LR/Franke26 § 337, 134. Wegen der Einzelheiten vgl. Rn. 252. Zum nach ständiger Rechtsprechung des BGH eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstab s. nur BGH Urt. v. 12.4.2018 – 4 StR 336/17; vgl. zudem Rn. 44 ff., 72 ff.; unter dem Gesichtspunkt des gesetzlichen Richters kritisch zu der Entwicklung, die revisionsgerichtliche Kontrolle auszuweiten, Foth NStZ 1992 444. 1901 Vgl. Rn. 46 ff. 1902 S. nur BGH Urt. v. 16.8.2017 – 2 StR 335/15; vgl. Rn. 47 ff.; LR/Franke26 § 337, 138 ff. 1903 Vgl. etwa Herdegen StV 1992 590; Rn. 72 ff. 1904 BGH NJW 2005 2322, 2326; 2007 384, 387; StV 2018 562, 563. 1905 Vgl. etwa BGH StV 1993 115; 1999 139; NStZ-RR 1999 301; Beschl. v. 17.6.2014 – 2 StR 61/14 (mögliches Alternativgeschehen); OLG Karlsruhe StV 1999 139. 1906 BGH NStZ 2016 664, 665 m. Anm. Kudlich. 1907 BGH wistra 2010 70, 71; NStZ-RR 2014 281, 282 (gegenüber der Nebenklägerin abgegebenes „Geständnis“ des angeklagten Arztes, entgegen sonstiger Gepflogenheiten abgeschlossenes Untersuchungszimmer, „kopfloses Verlassen der Praxis“); Urt. v. 28.5.2014 – 2 StR 70/14 (Angaben der Nebenklägerin mit „beachtlicher inhaltlicher Konstanz“ und „einigen originellen Details“). 1908 BGH NStZ 2014 325, 326; s. auch NStZ-RR 2015 380; Beschl. v. 10.1.2017 – 2 StR 412/16.

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zen,1909 oder den Ausführungen eines Angeklagten oder Zeugen nur teilweise folgt, ohne plausibel darzutun, warum es den einen Teil der Aussage für glaubhaft hält und den anderen nicht.1910 Allerdings dienen die Urteilsgründe nicht dazu, die Beweisaufnahme – etwa die Ergebnisse sämtlicher überwachter Kommunikation –1911 zu dokumentieren, jede noch so unerhebliche Feststellung zu belegen1912 oder gar den Verfahrensgang insgesamt darzustellen, sondern sie müssen lediglich die für die tatrichterliche Überzeugungsbildung wesentlichen Umstände darstellen (vgl. Rn. 45).1913 Werden hingegen alle erhobenen Beweise ungefiltert und undifferenziert mitgeteilt oder gar nur „aufgezählt“,1914 kann dies die revisionsgerichtliche Besorgnis begründen, das Tatgericht habe sie entgegen seiner Aufgabe nicht eigenverantwortlich gewürdigt1915 oder sei seiner Aufgabe nicht gerecht geworden, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden.1916 Das Revisionsgericht hat nur zu beurteilen, ob das Gericht bei seiner Beweiswürdi- 273 gung diesen Vorgaben Rechnung getragen sowie die sich aus ihnen ergebenden Gesichtspunkte in ihrer Wertigkeit richtig erkannt, gegeneinander abgewogen und folgerichtig bewertet hat. Ein Rechtsfehler kann daher im Einzelfall auch darin liegen, dass das Tatgericht einem Indiz einen zu geringen (oder zu hohen) Beweiswert zugemessen hat.1917 Die revisionsgerichtliche Nachprüfung betrifft grundsätzlich immer nur den rational fassbaren, objektivierbaren Teil der Beweiswürdigung, nicht aber den darauf aufbauenden subjektiven Wertungsvorgang, der letztlich erst die Überzeugung des Tatrichters begründet. Hat die Beweiswürdigung alle festgestellten Tatsachen ausgeschöpft, sind die tatgerichtlichen Schlüsse möglich1918 und mit den getroffenen Feststellungen vereinbar, dann kann das Revisionsgericht das Ergebnis nicht deshalb in Zweifel ziehen, weil es selbst davon nicht überzeugt ist und anders entschieden,1919 beispielsweise im Falle eines Freispruchs Zweifel überwunden und die Beweise für einen Tatnachweis als ausreichend angesehen hätte.1920 Dies gilt – unabhängig von der Bedeutung und dem Gewicht des strafrechtlichen Vorwurfs1921 – nach ständiger Rechtsprechung des BGH selbst dann, wenn die nach Ansicht des Revisionsgerichts mögliche andere Beurteilung

1909 BGH NStZ-RR 1999 45; OLG Hamm VRS 95 (1998) 162; s. auch BGH Urt. v. 8.5.2014 – 1 StR 722/13. 1910 BGH bei Miebach/Kusch NStZ 1991 229; StV 1997 292; NStZ-RR 2010 152, 153; Beschl. v. 3.9.2013 – 1 StR 206/13; Beschl. v. 24.3.2015 – 4 StR 24/15; s. aber auch Urt. v. 11.2.2016 – 3 StR 436/15: Angaben der Nebenklägerin nicht gefolgt, soweit diese nicht durch andere Beweismittel bestätigt worden sind. 1911 BGH StV 2019 340, 341; Beschl. v. 30.6.2015 – 3 StR 179/15; Meyer-Goßner/Appl Rn. 350. 1912 BGH NStZ-RR 2020 28; Beschl. v. 30.5.2018 – 3 StR 486/17; Beschl. v. 16.11.2017 – 3 StR 469/17; MüKo/Miebach 115. 1913 BGH StV 2019 340, 341; Urt. v. 10.3.2016 – 3 StR 483/15; s. auch StraFo 2017 458; Beschl. v. 16.9.2013 – 1 StR 264/13; Beschl. v. 1.9.2015 – 3 StR 227/15; Beschl. v. 14.7.2016 – 3 StR 105/16; Beschl. v. 2.11.2016 – 3 StR 356/16; Beschl. v. 4.10.2017 – 3 StR 145/17; Beschl. v. 11.10.2017 – 1 StR 305/17; Beschl. v. 5.9.2018 – 2 StR 340/17; Beschl. v. 20.11.2018 – 4 StR 329/18; KK/Ott 59. 1914 S. zur bloßen Mitteilung, es seien acht Zeugen vernommen worden, BGH Beschl. v. 15.3.2016 – 4 StR 7/16. 1915 S. nur BGH Beschl. v. 1.9.2015 – 3 StR 227/15. 1916 BGH Urt. v. 7.8.2014 – 3 StR 224/14; mit recht herben Worten Beschl. v. 30.5.2018 – 3 StR 486/17; Meyer-Goßner/Appl Rn. 270a. 1917 BGH Urt. v. 15.10.2009 – 4 StR 287/09. 1918 BGH Beschl. v. 3.12.2013 – 4 StR 434/13; Beschl. v. 19.2.2014 – 5 StR 4/14; Urt. v. 2.7.2015 – 4 StR 509/14; Urt. v. 20.6.2017 – 1 StR 125/17; Urt. v. 13.7.2017 – 1 StR 536/16; Urt. v. 16.8.2017 – 2 StR 335/15. 1919 S. Rn. 271. 1920 BGH NStZ 2013 648, 652; Urt. v. 11.5.2017 – 4 StR 554/16; Urt. v. 19.12.2018 – 2 StR 247/18. 1921 BGH NJW 2005 2322, 2326.

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sogar näher gelegen hätte1922 oder überzeugender gewesen wäre1923 oder die vom Tatgericht getroffenen Feststellungen gar „lebensfremd“ erscheinen.1924 Erst recht ist es dem Revisionsgericht verwehrt, die tatgerichtliche Beweiswürdigung durch seine eigene zu ersetzen,1925 beispielsweise Fotos, auf welche die Urteilsgründe gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 verweisen, „aus eigener Anschauung“ abweichend vom Tatgericht zu würdigen.1926 274

e) Verletzung der Pflicht zur eigenen Entscheidung. Einen auf die Sachrüge zu prüfenden Verstoß gegen § 261 kann es schließlich darstellen, wenn das Tatgericht seiner Verpflichtung zur eigenen Entscheidung1927 nicht entsprochen hat. Dies kommt etwa in Betracht, wenn es sich in einer Frage zu Unrecht an die Vorentscheidung einer anderen Stelle, ein anderes Urteil1928 oder die Festsetzungen bzw. Empfehlungen einer Verwaltungsbehörde1929 gebunden geglaubt und so den ihm eingeräumten Raum zur eigenverantwortlichen Entscheidung nicht genutzt hat.1930 Gleiches gilt auch, wenn es die Ausführungen und das Ergebnis eines Sachverständigengutachtens ungeprüft übernimmt,1931 z. B. bei der Prüfung des § 64 StGB ausführt, „dass nach Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen … die Möglichkeit bestehe“, beim Angeklagten „eine Therapiemotivation zu entwickeln“.1932

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3. Alternativrügen. Nicht abschließend geklärt ist, ob das Urteil mit einer alternativen Verfahrensrüge angegriffen werden kann, wenn die Urteilsgründe einen nach Ansicht der Revision beweiserheblichen Umstand mit Schweigen übergangen haben. Ist der Umstand wirklich (potentiell) für die Entscheidung relevant, stellt sich die Frage, ob das Gericht ihn bei seiner Beweiswürdigung versehentlich unberücksichtigt gelassen oder ob und aus welchen Erwägungen es ihn als unerheblich betrachtet hat. In solchen Fällen kann entweder gegen das Gebot zu einer den Inbegriff der Hauptverhandlung ausschöpfenden Beweiswürdigung1933 oder aber gegen die von der Rechtsprechung entwickelte Pflicht, in den Urteilsgründen nachvollziehbar darzulegen, warum dieser Umstand das Ergebnis seiner Beweiswürdigung nicht beeinflussen konnte, verstoßen worden sein. Die ohne Rekonstruktion der Beweiswürdigung mögliche Überprüfung eines Vorgangs der Beweismittelverwendung 1922 BGH NStZ-RR 2019 223; StV 2018 562, 563; Urt. v. 26.7.2016 – 1 StR 607/15; Urt. v. 19.9.2019 – 3 StR 166/19.

1923 BGH NJW 2007 384, 387; NStZ-RR 2008 309, 310; 2015 178, 179; Urt. v. 15.5.2014 – 3 StR 386/13; Urt. v. 10.8.2016 – 2 StR 493/15; Urt. v. 26.10.2016 – 2 StR 275/16; Urt. v. 21.11.2017 – 1 StR 261/17; s. auch Urt. v. 30.11.2005 – 2 StR 402/05; Urt. v. 7.6.2006 – 2 StR 72/06; Urt. v. 23.8.2007 – 4 StR 295/07; es kommt auch nicht darauf an, was ein anderes Tatgericht hypothetisch entschieden hätte, vgl. Urt. v. 22.7.2008 – 5 StR 61/08. 1924 BGH Urt. v. 27.1.2011 – 4 StR 502/10. 1925 BGHSt 10 208, 210; Dahs Revision im Strafprozess, Rn. 436; Sander in: Handbuch des Strafrechts Band 9 § 61 Rn. 82 (im Erscheinen). 1926 So aber in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren OLG Hamm NStZ 2019 531, 532; zutreffend ablehnend König DAR 2020 362, 373. 1927 Hierzu BGHR StGB § 64 Hang 3; s. auch BGH NStZ-RR 2014 271, 272. 1928 BGH NStZ 2008 685. 1929 S. nur BGH wistra 2019 103, 104 (zur Bezugnahme auf steuerliche Bewertung durch Finanzbehörde). 1930 Vgl. BGH bei Dallinger MDR 1973 190 („als Schläger allgemein bekannt“); s. auch KK/Ott 44; KMR/ Stuckenberg 13 ff.; Rn. 31 ff. m. w. N. 1931 Vgl. zu den Einzelheiten Rn. 31 f. und 162 f. sowie die Kommentierung von § 267; ferner LR/Becker § 244, 322 ff. 1932 BGH Beschl. v. 28.10.2015 – 5 StR 422/15. 1933 S. Rn. 261 ff.

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überschneidet sich hier mit der Möglichkeit, dass die im Urteil nicht erwähnte Tatsache vom Gericht bei seiner Beweiswürdigung zwar berücksichtigt, die Mitteilung des Ergebnisses dieser Würdigung aber pflichtwidrig unterlassen wurde. Gegen die Zulässigkeit einer solchen Alternativrüge wird deshalb eingewandt, dass sie eine unzulässige Rekonstruktion der tatgerichtlichen Beweiswürdigung in der Hauptverhandlung erfordern würde.1934 Dieser Einwand trifft jedoch nur dann zu, wenn zumindest bei der einen Rügealternative aufgeklärt werden müsste, wie das Tatgericht den fraglichen Umstand bei seiner Beweiswürdigung gewichtet hat. Einer solchen Nachprüfung des eigentlichen Beweiswürdigungsvorgangs bedarf es aber in den Fällen nicht, in denen das Tatgericht nach der neueren Rechtsprechung im Urteil aufzeigen muss, warum es einer zumindest potentiell erheblichen Tatsache bei seiner Beweiswürdigung kein entscheidendes Gewicht beigemessen hat.1935 Bei dieser Konstellation ist das Schweigen der Urteilsgründe für das Revisionsgericht bewertbar, ohne dass es einer Rekonstruktion der Beweiswürdigung selbst bedarf. Denn ob die im Urteil übergangene Tatsache zumindest potentiell beweiserheblich und damit erörterungspflichtig war, kann im Wege des Freibeweises durch einen Vergleich mit den Urteilsgründen ebenso festgestellt werden wie der Umstand, dass sie das Gericht bei seiner Beweiswürdigung hätte mit heranziehen müssen, weil sie in die Hauptverhandlung eingeführt worden war oder in Erfüllung der Aufklärungspflicht dort hätte eingeführt werden müssen;1936 mitunter enthält schon das Protokoll hierüber eine beweiskräftige Aussage. Steht die Erörterungsbedürftigkeit fest, kann das Schweigen des Urteils nur bedeuten, dass das Gericht die Tatsache entweder übersehen oder es versäumt hat, im Urteil die Gründe dafür aufzuzeigen, warum es ihr kein entscheidendes Gewicht beigemessen hat. Es hat also entweder seine Aufklärungs- bzw. Ausschöpfungspflicht verletzt oder seine Begründungspflicht. Hinter dem Begründungsmangel kann sich ein Würdigungsfehler verbergen. Diese – soweit die Beweiskraft des Protokolls nicht ohnehin eingreift – dem Freibeweis zugänglichen äußeren Tatsachen einschließlich der Form der Einführung (oder die Nichteinführung) in die Hauptverhandlung sind im Revisionsverfahren ebenso feststellbar wie auch sonst die tatsächlichen Grundlagen anderer Verfahrensrügen. Der Rückgriff auf den Akteninhalt, der nicht mit der unzulässigen Rüge der Aktenwidrigkeit der Urteilsfeststellungen gleichgesetzt werden darf, ist hier, wie auch sonst bei der normalen Aufklärungsrüge, zulässig.1937 Dies spricht für die Ansicht, die eine solche Alternativrüge für die dargelegte Fallgestaltung als zulässig ansieht,1938 auch um zu verhindern, dass sich das Tatgericht seiner Pflicht zu einer erschöpfenden Beweiswürdigung gerade bei einem seiner gewonnenen Überzeugung widerstreitenden Umstand dadurch entziehen kann, dass es diesen entgegen seiner Erörterungspflicht im Urteil mit Stillschweigen übergeht.

1934 BGH NJW 1992 2840; NStZ 1997 294; StV 1995 175; Meyer-Goßner/Schmitt § 337, 15a; vgl. andererseits auch BGH StV 1990 454; 1990 485; 1992 2; OLG Zweibrücken StV 1994 545; dazu ferner G. Schäfer StV 1995 147, 154 ff. 1935 Vgl. Rn. 74. Soweit diese Prämisse nicht greift, ist das Schweigen der Urteilsgründe für das Revisionsgericht nicht bewertbar. 1936 Die Pflicht zum Ausschöpfen der in die Hauptverhandlung eingeführten Tatsachen wird aus der Aufklärungspflicht abgeleitet; vgl. etwa KMR/Stuckenberg 181; ferner Herdegen StV 1992 590 ff.; zur Übereinstimmung dieser Pflichten vgl. auch Rn. 15. 1937 Vgl. LR/Becker § 244, 369. 1938 Etwa Herdegen FS Salger 318; ders. StV 1992 596; Hebenstreit FS Widmaier 267; ders. HRRS 2008 172, 179; Hamm 289; Schlothauer StV 1992 139; Ziegert StV 1996 279; KMR/Stuckenberg 181 sowie LR/ Franke26 § 337, 60; vgl. ferner BGHSt 43 216; BGH NStZ 1999 423 (in engen Grenzen); MüKo/Miebach 422.

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§ 262 Entscheidung zivilrechtlicher Vorfragen (1) Hängt die Strafbarkeit einer Handlung von der Beurteilung eines bürgerlichen Rechtsverhältnisses ab, so entscheidet das Strafgericht auch über dieses nach den für das Verfahren und den Beweis in Strafsachen geltenden Vorschriften. (2) Das Gericht ist jedoch befugt, die Untersuchung auszusetzen und einem der Beteiligten zur Erhebung der Zivilklage eine Frist zu bestimmen oder das Urteil des Zivilgerichts abzuwarten. Schrifttum Arnhold Strafbarer Ungehorsam gegen rechtswidrige Verwaltungsakte, JZ 1977 789; Benfer Zum Begriff „Rechtmäßigkeit der Amtshandlung“ in § 113 Abs. 3 StGB, NStZ 1985 255; Bruns Bindet die Rechtskraft deklaratorischer Urteile der Zivil- und Verwaltungsgerichte auch den Strafrichter? FS Lent (1957) 107; Eggert Die Bedeutung der Statusakte i. S. des § 1600a BGB für den Strafrichter, MDR 1974 445; Erichsen/ Knocke Bestandskraft von Verwaltungsakten, NVwZ 1983 185; Fortun Die behördliche Genehmigung im strafrechtlichen Deliktsaufbau, Diss. Tübingen 1998; Franzheim Die Bewältigung der Verwaltungsrechtsakzessorietät in der Praxis, JR 1988 319; Gerhards Die Strafbarkeit des Ungehorsams gegen Verwaltungsakte, NJW 1978 86; Glauben Strafbarkeit von Amtsträgern, Abfallbesitzern und Anlagenbetreibern bei der Sonderabfallentsorgung, DRiZ 1998 23; Haaf Die Fernwirkung gerichtlicher und behördlicher Entscheidungen. Dargestellt am Problem der Bindung des Strafrichters an Zivil- und Verwaltungsgerichtsurteile sowie an Verwaltungsakte (1984); Hamm Mißbrauch des Strafrechts, NJW 1996 2981; Haueisen Unterschiede in den Bindungswirkungen von Verwaltungsakt, öffentlich-rechtlichem Vertrag, gerichtlichem Vergleich und Urteil, NJW 1963 1329; Heine Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts, NJW 1990 2425; Hellmann Die Bindung des Strafrichters an Straf-, Zivil- und Verwaltungsgerichtsurteile, Diss. Münster 1954; Hundt Die Wirkungsweise der öffentlich-rechtlichen Genehmigung (1994); Isensee Aussetzung des Steuerstrafverfahrens – rechtsstaatliche Ermessensdirektiven, NJW 1985 1007; Jörgensen Die Aussetzung des Strafverfahrens zur Klärung außerstrafrechtlicher Rechtsverhältnisse (1991); Kaiser Die Bindung des Strafrichters an Zivilurteile im Verfahren wegen Verletzung der Unterhaltspflicht, NJW 1972 1847; Kern Die Aussetzung des Strafverfahrens zur Klärung präjudizieller Fragen nach § 262 Abs. 2 StPO, FS Reichsgericht (1929) 131; Kissel „Fremde“ Verfahrensgegenstände des deutschen Strafverfahrens, FS Pfeiffer (1988) 189; Knöpfle „Tatbestands“- und „Feststellungswirkung“ als Grundlage der Verbindlichkeit von gerichtlichen Entscheidungen und Verwaltungsakten, BayVBl. 1982 225; Kühl Probleme der Verwaltungsakzessorietät des Strafrechts, insbesondere im Umweltstrafrecht, FS Lackner (1987) 815; Lagemann Der Ungehorsam gegenüber sanktionsbewehrten Verwaltungsakten (1978); Lorenz Die Folgepflicht gegenüber rechtswidrigen Verwaltungsakten und die Strafbarkeit des Ungehorsams, DVBl. 1971 165; Marx Die behördliche Genehmigung im Strafrecht (1993); Merten Bestandskraft von Verwaltungsakten, NJW 1983 1993; Mittenzwei Die Aussetzung des Prozesses zur Klärung von Vorfragen (1971); Mohrbotter Bindung des Strafrichters an das Handeln der Verwaltung? JZ 1971 213; von Mutius Sind Gerichte im verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren antragsbefugt? VerwArch. 1973 95; Nicklisch Die Bindung des Gerichts an gestaltende Gerichtsentscheidungen und Verwaltungsakte (1969); Ostendorf Die strafrechtliche Rechtmäßigkeit rechtswidrigen hoheitlichen Handelns, JZ 1981 165; Rogall Die Verwaltungsrechtsakzessorietät des Umweltstrafrechts – alte Streitfragen, neues Recht, GA 1995 299; Rühl Grundfragen der Verwaltungsakzessorietät, JuS 1999 521; Scheele Zur Bindung des Strafrichters an fehlerhafte behördliche Genehmigungen (1993); Schenke Probleme der Bestandskraft von Verwaltungsakten, DÖV 1983 320; Schenke Die Strafbarkeit der Zuwiderhandlung gegen einen sofort vollziehbaren, nachträglich aufgehobenen Verwaltungsakt, JR 1970 449; Schima Gedanken zur Auslegung behördlicher Entscheidungen, FS Larenz (1983) 265; Schlüchter Verfahrensaussetzung nach § 296 AO als Funktion des Prozeßzwecks, JR 1985 360; Schmitz Die strafrichterliche Beweiswürdigung außerstrafrechtlicher Vorfragen (2011); Schwab Bindung des Strafrichters an rechtskräftige Zivilurteile? NJW 1960 2169; Schwarz Zum richtigen Verständnis der Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts, GA 1993 318; Skouris Die schwebende Rechtssatzprüfung als Aussetzungsgrund gerichtlicher Verfahren, NJW 1975 713; Trousil Die Bindung des Zivilrichters an strafgerichtliche Erkenntnisse

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(2005); Waniorek Zur Straf- oder Bußgeldbewehrung rechtswidriger Verwaltungsakte – OLG Karlsruhe NJW 1988, 1604, JuS 1989 24; Weber Freiheit und Bindung des Strafrichters bei der Beurteilung bürgerlicher Rechtsverhältnisse (§ 262 Abs. 1 StPO), FS Trusen (1994) 591; Weidemann Tatbestandswirkung und Rechtskraftbindung im Steuerstrafverfahren? GA 1987 205; Wüterich Die Bedeutung von Verwaltungsakten für die Strafbarkeit wegen Umweltvergehen (§§ 324 ff. StGB), NStZ 1987 106; Zaczyk Bindungswirkungen eines rechtskräftigen Strafurteils für das materielle Strafrecht, GA 1988 356. Weitere Hinweise: Zur Frage, wieweit bei den einzelnen Straftatbeständen die materielle Rechtmäßigkeit eines Hoheitsaktes Tatbestandsmerkmal ist, vgl. die Kommentarliteratur zu den einzelnen Straftatbeständen des StGB und des Nebenstrafrechts; zur Vorlage an das BVerfG vgl. bei § 337, 26 ff. sowie die Kommentarliteratur zu Art. 100 GG; zur Vorlage an den EuGH vgl. die Kommentarliteratur zu Art. 267 AEUV.

Bezeichnung bis 1924: § 261

I. II.

III. IV.

Übersicht 1 Bedeutung der Vorschrift Anwendungsbereich 4 1. Grundsatz 4 2. Fehlende Vorfragenkompetenz des Strafgerichts 9 a) Ausschließliche Entscheidungskompetenz einer anderen Stelle 9 b) Ausnahmsweise Bindung an rechtskräftige Entscheidungen 15 3. Fehlende Präjudizialität 16 a) Gestaltungswirkung 16 b) Tatbestandswirkung 24 c) Akte fremder Hoheitsgewalt 30 Rechtsfolgen des Absatzes 1 31 Die Aussetzung des Verfahrens (Absatz 2) 39 1. Anwendungsbereich 39 2. Die Entscheidung über die Aussetzung 46

a) b)

V.

Gerichtliches Ermessen 46 Ausnahmsweise Aussetzungspflicht? 47 3. Beschluss des Gerichts 48 a) Beschluss 48 b) Begründung 49 c) Bekanntmachung 50 4. Fristbestimmung 51 a) Adressat 51 b) Frist 52 c) Fristablauf ohne Klageerhebung 53 5. Folgen der Aussetzung 54 a) Änderbarkeit des Aussetzungsbeschlusses 54 b) Verjährung 55 c) Keine Bindung an Vorfragenentscheidung 56 Rechtsmittel 57 1. Beschwerde 57 2. Revision 60

Alphabetische Übersicht Abhilfeverfahren 52 Anhörung der Verfahrensbeteiligten 48 Asylverfahren 14 Aufforderung zur Klageerhebung 51 ff., 59 Aufklärungspflicht 36, 53, 61 f. Auslegung des Bußgeld- oder Straftatbestandes 21, 24 ff., 27, 35, 38 Auslegungsregeln anderer Rechtsgebiete 32 Ausschließliche Entscheidungskompetenz anderer Stellen 9 ff. Aussetzung des Strafverfahrens 6, 8, 12 f., 39 ff. Beschluss des Gerichts 48 ff., 54 Beamteneigenschaft 19

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Befehlende Verwaltungsakte 21 Berufungsinstanz 40 Beschleunigungsgebot 45 f., 58 Beschwerde 49 f., 57 f. Beschwerdeverfahren 41 Beweisregeln 1, 31 Beweisverwendung anderer Urteile 36, 56 Beweiswürdigung, freie 31 Bindung durch andere Hoheitsakte 15, 16 ff., 24 ff. Bürgerlich-rechtliche Rechtsverhältnisse 1, 6, 34 f. Bußgeldverfahren 7, 14, 40

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§ 262

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Ehe, Gültigkeit 18, 34 Entscheidungen anderer Strafgerichte 37, 45 Entscheidungen für und gegen alle 15 Ermessen des Gerichts 46, 56, 58 Europäischer Gerichtshof 13, 15, 30, 45 Feststellungsurteile 15 Frist für Klageerhebung 51 ff. Gebrauchsmuster 19 Gesetzlicher Richter 3, 62 Gestaltende Urteile und Verwaltungsakte 16 ff. Hoheitsakte, ausländische 30 Kartellgerichte 14 Klageerzwingungsverfahren 42 Landesrecht 9, 12, 30 Musterverfahren 45 Normenkontrolle, verfassungsgerichtliche 10 f. Normenkontrollverfahren (§ 47 VwGO) 12, 15 Nichtige Hoheitsakte 17, 47 Patent 19 Präjudizialität s. Vorgreiflichkeit Prozesswirtschaftlichkeit 45, 56 Rechtsbeschwerdeinstanz 40 Revision 60 ff. Revisionsinstanz 40

Rückwirkung 23 Staatsangehörigkeit 19 Staatsanwaltschaft 42 Statusurteil 15 Steuerstrafverfahren 7, 38 f. Strafregister 20 Tatbestandswirkung 24 ff. Unterhaltspflichtverletzung 34 Urteil eines anderen Gerichts 33 ff. Verfassungsgerichte 10 f., 15 Verjährung 55 Verkehrszeichen 27 Verwaltungsakt – Auslegung 29 – gestaltende 19 ff. – Unanfechtbarkeit, Vollziehbarkeit 23, 28, 47 Vorabentscheidungsverfahren 8, 13 Vorfragenkompetenz 1 ff., 9 ff. Vorgreiflichkeit 4 ff., 16 ff., 44 Vorlagepflicht 10 f., 13 Warenzeichen 19 Zeuge 51 Zwischenverfahren 39, 48

I. Bedeutung der Vorschrift Absatz 1 enthält den Grundsatz, dass der Strafrichter Vorfragen aus anderen Rechtsgebieten selbst entscheiden kann (vgl. § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG) nach den für Strafsachen geltenden Verfahrens- und Beweisregeln. Die seit 1877 unveränderte Vorschrift bezieht sich ausdrücklich nur auf bürgerliche Rechtsverhältnisse, weil zur Entstehungszeit nur das Verhältnis zur Zivilgerichtsbarkeit einer Regelung bedurfte, da erst wenige Länder Verwaltungsgerichte eingerichtet hatten und an die übrigen heute bestehenden Gerichtsbarkeiten noch nicht zu denken war, jedoch ist sie ihrem Zweck nach auf Vorfragen aus allen Rechtsgebieten übertragbar (Rn. 6). Der Grund für die Vorfragenkompetenz des Strafrichters liegt in der Wahrung der strafprozessualen Verfahrensmaximen, vornehmlich der Sicherung des Prinzips der materiellen Wahrheit, mit dem die Anwendung von (Beweis-)Vorschriften anderer Verfahrensordnungen, die anderen Verfahrenszwecken dienen, und insbesondere eine Bindung an die formelle Wahrheit der Zivilurteile unvereinbar ist.1 Aber auch Verfahren, die dem Untersuchungsgrundsatz folgen, weisen zahlreiche Unterschiede zur strafprozessualen Tatsachenfeststellung auf, die eine Bindung des Strafrichters ebenfalls ausschließen.2 2 Die praktisch wenig bedeutsame Vorschrift des Absatzes 2 stellt die Vorfragenkompetenz nicht in Frage, sondern beruht nach den Motiven auf Gründen praktischer Zweckmäßigkeit und soll den Missbrauch der für den Anzeigeerstatter kostengünstigen strafprozessualen Amtsermittlung zur inzidenten Klärung zivilrechtlicher Streitfragen 1

1 Hahn 200 f.; RGSt 14 364, 374; 43 373, 377; OLG Oldenburg NJW 1952 118; vgl. BVerfG NStZ 1991 88, 89 (zu § 396 AO); KK/Ott 3; Radtke/Hohmann/Britz 1; SK/Velten 1. 2 KMR/Stuckenberg 1; Meyer-Goßner/Schmitt 5; Schenke/Roth WiVerw 1997 81, 110 ff. (zum Verwaltungsprozess); krit. Radtke/Hohmann/Britz 3 (Gefahr von Fehlurteilen mangels Sachverstands).

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verhindern.3 Allerdings ist die bloße Fristsetzung dazu untauglich,4 weil im Gegensatz zu § 154d Satz 3 das Verfahren auch dann fortzusetzen ist, wenn die Beteiligten sich weigern, eine Zivilklage zu erheben. Zudem trägt der Missbrauchsgedanke nur im Zivilrecht, nicht beim Verwaltungs-, Finanz- oder Sozialgerichtsprozess, auf welche die Vorschrift nach heute einhelliger Auffassung erstreckt wird (Rn. 6). Der Zweck der Norm ist daher heute abweichend vom historischen Willen des Gesetzgebers so zu bestimmen, dass vor allem – wie bei den Parallelvorschriften der §§ 148, 149 ZPO, § 46 Abs. 2 ArbGG, § 74 FGO, § 114 SGG, § 94 VwGO –, doppelte Beweiserhebungen über denselben Gegenstand sowie einander widersprechende Entscheidungen verschiedener Gerichtszweige vermieden werden sollen (Entscheidungsharmonie).5 Aus der verschiedenartigen Ausgestaltung der Verfahrensrechte kann sich indes ergeben,6 dass das Streben nach Entscheidungsharmonie zurücktreten muss, etwa wenn das Prinzip der materiellen Wahrheit oder der Zweifelssatz im Strafprozess ein von einem vorherigen rechtskräftigen Zivilurteil abweichendes Ergebnis erzwingt.7 Die dem Strafrichter eingeräumte Befugnis, über Vorfragen aus anderen Rechtsge- 3 bieten zu entscheiden, lässt ihn auch für diese Vorfrage zum gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) werden.8 Nur wenn die Kompetenz zur Entscheidung einer Frage ausschließlich einem anderen Richter vorbehalten ist, ist der Strafrichter, da nicht entscheidungsbefugt, auch nicht gesetzlicher Richter.9

II. Anwendungsbereich 1. Grundsatz. § 262 setzt Vorgreiflichkeit (Präjudizialität) der außerstrafrechtlichen 4 Vorfrage in dem Sinne voraus, dass im zu entscheidenden konkreten Fall die Strafbarkeit von der Beurteilung der Rechtsfolge einer außerstrafrechtlichen Norm „abhängt“ (Abs. 1). Die Vorfrage kann sowohl die Schuldfrage, zumeist die Bejahung oder Verneinung eines Tatbestandsmerkmals, betreffen als auch die Strafzumessung, etwa das Schadensausmaß bei § 263 StGB oder § 370 AO.10 Stets muss es auf die Klärung einer außerstrafrechtlichen Rechtsfrage ankommen. 5 § 262 betrifft nicht den Fall, dass Tatsachen, die im Strafverfahren erheblich sind, auch in einem anderen Verfahren Bedeutung haben.11 Die Feststellung dieser Tatsachen darf das Strafgericht nicht dem anderen Verfahren überlassen.12 Tatsächliche Umstände, die etwa in einem Verfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung zu ermitteln 3 Hahn 201 f.; zur Gesetzesgenese Kern FS Reichsgericht 131, 132 f. Zu späteren Entwürfen Hamm NJW 1996 2981 f.; Groß GA 1996 151 ff. Das Problem ist unvermindert aktuell, vgl. nur van Venrooy ZRP 2009 74; auch Reese JR 2006 225 ff. 4 Zutr. Kern FS Reichsgericht 131, 139. 5 BayObLGSt 1994 74, 76; KMR/Stuckenberg 2; MüKo/Miebach 2; Radtke/Hohmann/Britz 2; Schmitz 101 f.; Kissel FS Pfeiffer 189, 197; a. A. OLG Köln wistra 1991 74, 76; LR/Gollwitzer25 5; SK/Velten 1, 13. 6 Vgl. Kissel FS Pfeiffer 189, 197 ff. 7 BGHSt 5 106, 110 f.; Alsberg/Güntge 811 m. w. N. 8 BayVerfGHE NF 16 II 64 = GA 1963 375 f.; BGH NJW 1963 446, 447; MüKo/Miebach 3; SSW/Franke 1. 9 Vgl. BVerfGE 3 359, 363; 9 213, 215; 13 132, 143; 18 442, 447; 23 288, 319; 64 1, 14; 75 329, 346; 80 244, 256; BayVerfGH NJW 1985 2894. Ein Verstoß gegen die verfassungsrechtliche Garantie des gesetzlichen Richters liegt aber nur vor, wenn die Bejahung der eigenen Zuständigkeit willkürlich, nämlich bei objektiver Betrachtung unverständlich und völlig unhaltbar war. 10 Jörgensen 47; a. A. wohl OLG Düsseldorf MDR 1992 989. 11 Vgl. OLG Düsseldorf MDR 1992 989. 12 KK/Ott 7; Meyer-Goßner/Schmitt 10; Radtke/Hohmann/Britz 9.

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sind, muss das Strafgericht selbständig feststellen. Es darf also nicht abwarten, zu welchem Ergebnis die Beweisaufnahme eines denselben Fall betreffenden Schadensersatzprozesses führt.13 6 Ausdrücklich betrifft § 262 nur zivilrechtliche Vorfragen, weil die übrigen heutigen Gerichtszweige bei Schaffung der seit 1877 inhaltlich unveränderten Norm noch fehlten (Rn. 1); die jüngere, erstmals 1931 eingeführte und dem § 262 nachgebildete Parallelvorschrift für das Ermittlungsverfahren (heute § 154d) nennt schon sowohl zivil- als auch verwaltungsrechtliche Vorfragen. Heute besteht Einigkeit darüber, dass beide Absätze des § 262 entsprechend auf Vorfragen aus allen außerstrafrechtlichen Rechtsgebieten anzuwenden sind,14 gleichgültig, ob diese vom Beibringungs- oder Amtsermittlungsgrundsatz beherrscht werden (Rn. 1). Eine Aussetzung entsprechend Absatz 2 ist daher auch möglich, um die Klärung einer entscheidungserheblichen Frage durch die Verwaltungs-, Finanz-, Sozial- oder Arbeitsgerichte anzuregen oder abzuwarten. 7 § 262 gilt auch im Bußgeldverfahren (§ 46 Abs. 1, § 71 OWiG) sowie in Verfahren des Strafvollzugs (§ 120 Abs. 1 StVollzG). Eine Sonderregelung enthält § 396 AO, der dem Strafrichter erlaubt, ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Besteuerungsverfahrens auszusetzen.15 8 Unanwendbar ist § 262, wenn aufgrund gesetzlicher Sonderregeln einer anderen staatlichen Instanz ausschließliche Entscheidungskompetenz über die Vorfrage zukommt (Rn. 9 ff.) oder eine ergangene Entscheidung zu respektieren ist, ohne dass Zwang zur Herbeiführung einer Vorabentscheidung bestünde (Rn. 15) oder wenn sich tatsächlich keine Vorfrage stellt, weil das betreffende Rechtsverhältnis keiner Überprüfung zugänglich, sondern als institutionelle Tatsache hinzunehmen ist (Rn. 16 ff.). 2. Fehlende Vorfragenkompetenz des Strafgerichts a) Ausschließliche Entscheidungskompetenz einer anderen Stelle. Der Grundsatz, dass das Strafgericht Vorfragen aus anderen Rechtsgebieten nach den für den Strafprozess geltenden Grundsätzen selbst entscheidet, erfährt dort Ausnahmen, wo der Gesetzgeber die Entscheidung bestimmter Fragen ausdrücklich einem anderen Gericht oder einer anderen Stelle vorbehalten hat. In diesen Fällen muss das Gericht das Verfahren aussetzen und selbst die Entscheidung der Vorfrage durch die allein dazu berufene Stelle herbeiführen. Landesrecht kann Ausnahmen von den Regeln der §§ 261, 262 nur insoweit zulassen, als die Strafprozessordnung und die §§ 3 und 6 EGStPO sie ausdrücklich gestatten. 10 Über die Verfassungsmäßigkeit nachkonstitutioneller formeller Gesetze entscheidet ausschließlich das BVerfG im Verfahren der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG, § 13 Nr. 11, §§ 80 ff. BVerfGG. Hält das Strafgericht eine Norm, von deren Gül9

13 KK/Ott 7; Eb. Schmidt 5. 14 RGSt 12 1, 3; 17 21, 26; 39 62, 64; 43 373, 377; BayVerfGHE NF 16 II 64, 65 = GA 1963 375, 376; BayObLGSt 1960 94, 95 f. = NJW 1960 1534; OLG Hamburg NStZ 1999 431, 432; OLG Köln wistra 1991 74, 75; AK/Moschüring 2; HK/Julius/Beckemper 1; KK/Ott 2; KMR/Stuckenberg 5; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/Miebach 7; OK-StPO/Eschelbach 11; Radtke/Hohmann/Britz 6; SK/Velten 2, 13; SSW/Franke 1; Eb. Schmidt 2; Schmitz 94; Kaiser NJW 1961 1190; Kirchhof NJW 1985 2982; a. A. Wagner/Hermann NZG 2000 520 für öffentlich-rechtliche Vorfragen (zum Abrechnungsbetrug wegen Scheingesellschaftsvertrags trotz bestandskräftiger Kassenzulassung; die Frage der Beachtlichkeit des Verwaltungsakts betrifft jedoch das materiell-rechtliche Problem der Verwaltungsrechtsakzessorietät). Zur entsprechenden Auslegung des § 154d siehe dort Rn. 4. 15 Siehe § 154d, 7 m. w. N.

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tigkeit die Entscheidung im Einzelfall abhängt, für verfassungswidrig, muss es das Verfahren aussetzen und die Sache dem BVerfG vorlegen.16 Die Verfassungsmäßigkeit von Rechtsverordnungen prüft das Strafgericht selbst.17 Eine Aussetzung nach Art. 100 Abs. 1 GG ohne gleichzeitige Vorlage ist unzulässig, das Gericht darf also nicht lediglich eine anstehende Entscheidung des BVerfG abwarten;18 möglich erscheint aber eine analoge Anwendung von § 262 Abs. 2, siehe Rn. 45. Bei Zweifeln über die Fortgeltung vorkonstitutionellen Rechts als Bundesrecht entscheidet nach Art. 126 GG, § 13 Nr. 14, § 86 Abs. 2 BVerfGG ausschließlich das BVerfG, ebenso darüber, ob eine Regel des Völkerrechts (etwa bei Fragen der Exterritorialität, § 18 GVG) Bestandteil des Bundesrechts ist, Art. 100 Abs. 2 GG, § 13 Nr. 12, §§ 83, 84 i. V. m. §§ 80 ff. BVerfGG.19 Eine Aussetzungspflicht besteht nicht bei landesverfassungsrechtlichen Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO,20 weil der Strafrichter keine „Behörde“ ist, auch wenn die Entscheidung der Oberverwaltungsgerichte über die Gültigkeit von Landesrecht ihn bindet. Jedoch kann das Strafgericht in entsprechender Anwendung das Verfahren nach Absatz 2 aussetzen.21 Soweit dem Europäischen Gerichtshof die Vorabentscheidungskompetenz für Fragen der Auslegung und Gültigkeit von Gemeinschafts- und Unionsrecht eingeräumt ist nach Art. 267 AEUV, Art. 150 EURATOM, kann er von jedem Strafgericht angerufen werden. Eine Vorlage- und Aussetzungspflicht besteht nur für Gerichte letzter Instanz.22 Über die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge als Asylbewerber entscheidet einzig das Bundesamt für Asylverfahren.23 Im Kartellrecht hat die 6. GWB-Novelle die Trennung von kartellrechtlicher Hauptfrage und Vorfrage aufgegeben. Die Kompetenz für Bußgeldsachen richtet sich nun nach §§ 81 ff. GWB;24 kartellrechtliche Beurteilungen wie etwa die der rechtswidrigen Absprache bei § 298 StGB25 nehmen die Strafgerichte selbst vor.

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b) Ausnahmsweise Bindung an rechtskräftige Entscheidungen. Grundsätzlich 15 ist das Strafgericht nicht an rechtskräftige Urteile anderer Gerichte gebunden (Rn. 33 ff.), vielmehr ist es, sofern keine Sondervorschriften bestehen, frei, ob es ein solches Urteil zur Grundlage seiner Entscheidung machen will. Zu den besonders geregelten Ausnahmen, in denen das Gesetz eine solche Bindungswirkung anordnet, gehören Entscheidungen der Verfassungsgerichte,26 sofern sie eine für andere Verfahren geltende Bindung an eine bestimmte Rechtsauffassung entfalten. Wird im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO eine im Rang unter den Landesgesetzen stehende Norm (Verordnung 16 17 18 19 20

Zu den strengen Anforderungen im Einzelnen vgl. die einschlägigen Erläuterungswerke. BVerfGE 1 184 ff. BGHSt 24 6, 8 ff.; OLG Köln NJW 1961 2269; OLG Schleswig SchlHA 1976 178. BGHSt 32 275, 287; 35 216, 218; 37 305, 307 ff., 312. BayVerfGH BayVBl. 1972 327, 329 f.; VGH Mannheim DVBl. 1963 399, 400 f.; HessVGH DÖV 1967 420, 421 f.; a. M. Menger VerwArch. 1963 393, 402; von Mutius VerwArch. 1973 95 ff. 21 BayObLGSt 1994 74, 76 f.; Pfeiffer 2; unten Rn. 45. 22 Vgl. die Erläuterungswerke zu den Verträgen sowie BVerfGE 75 223, 233 ff.; 126 286, 315; 135 155, 232 f; 147 364, 378 ff., jew.m. w. N.; s. a. EuGH 12.2.2019 – C-8/19 PPU. 23 BayObLGSt 1985 39 = NStZ 1985 321. 24 Hingegen besteht die ausschließliche Entscheidungskompetenz der Kartellgerichte nach §§ 87, 95 GWB nur für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, MüKo-GWB/Keßler § 87, 4; Bechtold/Bosch § 87, 4, 8; § 95, 1 GWB. 25 Vgl. nur BGHSt 49 201, 205; BGH NStZ 2006 687. 26 Vgl. § 31 BVerfGG.

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u. a.) für ungültig erklärt, ist dies auch für die Strafgerichte verbindlich.27 Bindend für den Strafrichter sind auch Feststellungsurteile, die für und gegen alle wirken und daher der Wirkung eines Gestaltungsurteils nahekommen (nächste Rn.); hier geht das Interesse an der Entscheidungsharmonie (Einheit der Rechtsordnung) der Durchsetzung der strafprozessualen Verfahrensgrundsätze vor,28 z. B. bei Statusurteilen, die die Vaterschaft feststellen nach § 1600d BGB, § 184 Abs. 2 FamFG (zuvor § 640h Abs. 1 Satz 1 ZPO).29 Die Verbindlichkeit einer in anderer Sache ergangenen strafrichterlichen Entscheidung begründet das Gesetz ausnahmsweise in § 190 StGB. 3. Fehlende Präjudizialität 16

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a) Gestaltungswirkung. Ein Rechtsverhältnis ist nicht mehr vorgreiflich vom Strafgericht zu entscheiden, wenn darüber bereits von anderer Stelle eine konstitutive Entscheidung ergangen ist. Gestaltende Hoheitsakte ändern die materielle Rechtslage. Die Frage, wie das ursprünglich zugrunde liegende Rechtsverhältnis zu beurteilen ist, stellt sich nicht mehr, vielmehr bleibt nur noch die Frage nach der Wirksamkeit oder Nichtigkeit des Gestaltungsakts. Eine Bindung entfällt, wenn das Gestaltungsurteil oder der Verwaltungsakt (gemäß § 44 VwVfG) nichtig ist.30 Das Strafgericht kann, sofern dies nicht ausnahmsweise einem besonderen Verfahren vorbehalten ist, ihre Nichtigkeit selbst feststellen, es kann jedoch auch das Verfahren nach § 262 Abs. 2 aussetzen, wenn die Nichtigkeit Gegenstand eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist. Sofern ein Gestaltungsurteil vor seiner eigenen Entscheidung rechtskräftig ergangen ist, hat der Strafrichter es wegen seiner Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) zu beachten, etwa Ehescheidungs- und -aufhebungsurteile,31 Grenzentscheidungsurteile (§ 920 BGB), Aufhebung eines Verwaltungsakts. Gestaltende Verwaltungsakte hat der Strafrichter zu beachten, wenn sie nicht nichtig sind, etwa die Verleihung der Beamteneigenschaft (§ 11 Abs. 1 Nr. 2a StGB) und deutschen Staatsangehörigkeit,32 Entscheidungen des Patentamts über Erteilung, Nichtigkeit oder Zurücknahme von Patenten33 oder die Eintragung von Warenzeichen in die Zeichenrolle,34 aber nicht von Gebrauchsmustern.35 Über die Tilgung von Eintragungen in das Bundeszentralregister entscheidet allein das Bundesamt für Justiz als Registerbehörde mit gestaltender Wirkung. Zwar muss

27 Vgl. die Kommentare zu § 47 VwGO. 28 RGSt 14 364, 374; BayObLG StV 1990 165; KK/Ott 5; KMR/Stuckenberg 31; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Miebach 8, 10; Radtke/Hohmann/Britz 7; SK/Velten 5; SSW/Franke 4; Spendel NJW 1966 1102, 1104.

29 Vgl. zu § 1600a a. F. BGB, § 640 a. F. ZPO BGHSt 26 111, 115 gegen BGHSt 5 106; OLG Hamm NJW 1973 2306; NStZ 2004 686; OLG Stuttgart NJW 1973 2305; OLG Zweibrücken MDR 1974 1034; LG Zweibrücken NStZ 1993 300; w. N. bei LK/Dippel § 170, 28; KMR/Stuckenberg 15. 30 BayVerfGHE 16 II 64, 65 = GA 1963 375, 376; BayObLGSt 1959 257, 261; KMR/Stuckenberg 18; MeyerGoßner/Schmitt 8; OK-StPO/Eschelbach 11, 12; Radtke/Hohmann/Britz 7; SK/Velten 4. 31 RGSt 14 364, 374; KK/Ott 5; OK-StPO/Eschelbach 3; SK/Velten 3; SSW/Franke 4. 32 KK/Ott 6; KMR/Stuckenberg 18; Meyer-Goßner/Schmitt 8; MüKo/Miebach 13; SK/Velten 4; SSW/Franke 4; Schmitz 119. 33 RGSt 3 252, 254; 7 146, 147; 14 261, 263; vgl. RGZ 59 133; 61 21; BGH GRUR 1957 270; Spendel NJW 1966 1104; KK/Ott 6; KMR/Stuckenberg 19; Meyer-Goßner/Schmitt 8; SK/Velten 4. 34 RGSt 28 275, 277; 30 211, 214; 42 87, 88; 44 192, 194; 46 21, 23; 48 389, 391; KK/Ott 6; KMR/Stuckenberg 19; Meyer-Goßner/Schmitt 8; SK/Velten 4. 35 RGSt 46 92, 93; s. a. BGH GRUR 1957 270 ff.

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der Strafrichter prüfen, ob Eintragungen zu Unrecht getilgt wurden, aber ohne vorherige Registeränderung darf er die getilgte Vorstrafe nicht verwerten.36 Nach verbreiteter Ansicht sollen zu den gestaltenden Verwaltungsakten in einem 21 weiten Sinne auch diejenigen gehören, die vor allem im Polizei- und Ordnungsrecht Pflichten für den Bürger begründen, indem sie bestimmtes Handeln befehlen oder verbieten.37 Dem ist nicht beizupflichten, vor allem nicht der damit angedeuteten Art der Bindung des Strafrichters. Das Kennzeichen gestaltender Hoheitsakte ist, dass sie institutionelle (rechtliche) Tatsachen schaffen, mithin der Vollstreckung weder fähig noch bedürftig sind. Eine ordnungsrechtliche Verfügung hingegen ist regelmäßig ein befehlender Verwaltungsakt, daher vollstreckungsfähig und oft auch -bedürftig. Eine Gleichstellung befehlender mit gestaltenden Hoheitsakten ist aus strafrechtlicher Sicht weder geboten noch sachgerecht. Denn ob die etwa durch Ordnungsverfügungen begründeten Pflichten vom Strafrichter ungeprüft hinzunehmen sind, ob die Strafbarkeit nur an die Wirksamkeit eines Verwaltungsakts anknüpft oder auch dessen Rechtmäßigkeit voraussetzt, ist eine Frage der Auslegung des materiellen Rechts (Rn. 24 ff.). Nach herrschender Meinung muss der Gestaltungsakt vor der Tat erfolgt sein, wenn 22 er ein Tatbestandsmerkmal betrifft.38 Dies ist wegen Art. 103 Abs. 2 GG nur selbstverständlich, wenn die Rechtsgestaltung zur Strafbegründung führt. Umstritten ist, ob ein nachträglicher Gestaltungsakt strafaufhebend wirken kann. Rückwirkende Gestaltungsurteile sollen für den Strafrichter grundsätzlich nicht 23 bindend sein.39 Ein solcher Grundsatz ist jedoch nicht anzuerkennen. Ob und inwieweit etwa rückwirkende zivilrechtliche Statusurteile im Strafrecht zu beachten sind, hängt – ebenso wie die Relevanz sonstiger zivilrechtlicher Fiktionen – vom jeweiligen Straftatbestand ab.40 Insbesondere die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der Tatbestandswirkung entfaltet (unten Rn. 24 ff.), durch das Verwaltungsgericht mit Wirkung ex tunc soll die Strafbarkeit der Zuwiderhandlung nicht entfallen lassen, weil es allein auf die Umstände zum Tatzeitpunkt ankomme.41 Dem ist zu widersprechen. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass die verfassungskonforme Auslegung des materiellen Strafrechts in der Regel ergeben wird, dass die Strafbarkeit nicht nur die Existenz eines Verwaltungsakts, sondern auch dessen Rechtmäßigkeit voraussetzt, weil der Zweck eines Strafgesetzes selten allein die Ahndung bloßer Unbotmäßigkeit ist („Geßlerhuteffekt“);42 dann aber entfaltet der Verwaltungsakt schon keine „Tatbestandswirkung“ und seine Rechtmäßigkeit ist vom Strafrichter selbst zu prüfen (Rn. 25 ff.). Ergibt die Auslegung des Strafgesetzes jedoch, dass es nur auf die Existenz (und Vollziehbarkeit) des Verwaltungsakts ungeachtet seiner Rechtmäßigkeit ankommt, so ist seine rückwirkende Aufhebung im Verwaltungsrechtsweg stets beachtlich. Dies ergibt sich sowohl aus strafrechtlichen als 36 RGSt 56 75, 76; BGHSt 20 205, 206 f. 37 LR/Gollwitzer25 15; Meyer-Goßner/Schmitt 8; MüKo/Miebach 14; dagegen KMR/Stuckenberg 21; SK/ Velten 1a, 4; SSW/Franke 4 a. E.; Schmitz 117 ff., 133 ff.

38 Meyer-Goßner/Schmitt 4; OK-StPO/Eschelbach 4, 11; vgl. BayObLGSt 1959 257, 260; 1961 253, 256. 39 Vgl. OLG Hamm NJW 1969 805; Alsberg/Güntge 810 Fn. 475 m. w. N.; a. A. jetzt OLG Hamm NStZ 2004 686 (zur Vaterschaftsanfechtung). 40 Vgl. LK/Dippel § 170, 28 m. w. N.; OLG Hamm NStZ 2004 686 f. 41 BGHSt 23 86, 91, 93 ff. für Verkehrszeichen; vgl. den Vorlagebeschluss BayObLG VRS 35 (1968) 195 ff., dazu Schreven NJW 1970 155; BGH NJW 1982 189; BayObLGSt 1952 226, 227; 1962 26, 31; OLG Celle NJW 1967 743 f.; 1967 1623; OLG Hamburg NJW 1980 1007 f. mit Anm. Oehler JR 1981 33; OLG Karlsruhe NJW 1978 116 f. = Justiz 1977 354; NJW 1988 1604, 1605; AG Frankfurt NVwZ 1983 702; Alsberg/Güntge 814 Fn. 487 m. w. N.; KK/Ott 8; Meyer-Goßner/Schmitt 8; MüKo/Miebach 14; Horn NJW 1981 1, 8; Lorenz DVBl. 1971 165, 168. Zur Gegenmeinung s. die folgenden Fn. sowie KMR/Stuckenberg 23; SK/Velten 6. 42 Haaf Die Fernwirkung gerichtlicher und behördlicher Entscheidungen (1984) 237.

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auch aus verwaltungsrechtlichen Prinzipien. Aus strafrechtlicher Sicht wäre es ein kaum verständlicher Wertungswiderspruch, wenn nach dem Meistbegünstigungsprinzip des § 2 Abs. 3 StGB die Aufhebung eines zur Tatzeit geltenden Strafgesetzes, einer abstraktgenerellen Norm, die dadurch begründete Strafbarkeit rückwirkend entfallen lässt, hingegen die Aufhebung einer konkret-individuellen (Verwaltungsakt mit individualisierten Adressaten) oder konkret-generellen (Allgemeinverfügung) Norm, wenn sie nicht als Zeitgesetz (§ 2 Abs. 4 StGB) anzusehen ist, die durch sie mitbegründete Strafbarkeit unberührt ließe, mithin die strafbegründende Kraft eines (rechtswidrigen!) Verwaltungsakts die eines Bundesgesetzes überdauerte. Die verwaltungsgerichtliche Aufhebung eines Verwaltungsakts ist demnach der legislativen Aufhebung einer blankettausfüllenden Norm43 gleichzustellen. Aus verwaltungsrechtlicher Sicht wäre es nicht nur ungereimt, sondern rechtsstaatswidrig, wenn zwar zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gesetzesbindung der Verwaltung der rechtswidrige Verwaltungsakt nun „als nicht ergangen zu behandeln“ und die Rechtsstellung des Klägers wiederherzustellen ist, folglich die verwaltungsrechtlichen Vollzugsfolgen zu beseitigen sind44 und er womöglich Schadensersatz aus § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG erhält, aber die Strafbarkeit der Zuwiderhandlung gegen den als „nicht ergangen“ anzusehenden Verwaltungsakt bestehen bliebe. Der aufgehobene Verwaltungsakt – und damit der in ihm verkörperte, vom Verwaltungsgericht festgestellte staatliche Rechtsverstoß – würde ausgerechnet im Strafurteil überleben, seiner schärfsten Folge, denn die Strafbewehrung dient der Verstärkung der Mittel des Verwaltungszwangs.45 Dass konsequenterweise auch sanktionsaufhebende Folgenbeseitigung46 eintreten muss, war schon in der Verwaltungsrechtslehre des 19. Jahrhunderts selbstverständlich.47 Zu Recht anerkannt ist der rückwirkende Wegfall der Strafbarkeit wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, wenn das rechtskräftige Fahrverbot im Wiederaufnahmeverfahren mit dem Urteil aufgehoben wird;48 dies muss erst recht gelten, wenn das Verwaltungsgericht z. B. eine rechtswidrige Fahrerlaubnisentziehung nach § 3 StVG aufhebt.49 24

b) Tatbestandswirkung. Tatbestandswirkung hat ein Urteil, Verwaltungsakt oder sonstiger Hoheitsakt, wenn die anzuwendende Strafnorm nicht auf das vorgreifliche Rechtsverhältnis unmittelbar, sondern allein auf die (rechtliche) Tatsache, dass dazu eine wirksame Entscheidung oder Regelung ergangen ist, abstellt. Die übliche Redeweise, dass der Strafrichter an diesen Hoheitsakt „gebunden“ sei, kann zu Missverständnis43 Vgl. nur Jakobs 4/71; NK-StGB/Hassemer/Kargl § 2, 41 m. w. N. 44 Kopp/Schenke § 113, 8; 80 ff. VwGO; Hk-VwR/Emmenegger § 113, 69 ff.; Posser/Wolff/Decker § 113, 43 ff., 47 VwGO; Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll § 113, 44 f. VwGO; Eyermann/Schmidt/Schübel-Pfister § 113, 32 ff. VwGO; Schoch/Schneider/Bier/Riese § 113, 81 ff. VwGO; Sodan/Ziekow/Wolff § 113, 196 f., 210 ff. VwGO. 45 Berg WiVerw 1982 169, 179. 46 Schenke JR 1970 449, 451; Stern FS Lange 859, 863. 47 Dazu Erichsen Verwaltungs- und verfassungsrechtliche Grundlagen der Lehre vom fehlerhaften belastenden Verwaltungsakt und seiner Aufhebung im Prozeß (1971) 200 Fn. 90 m. w. N.; im Ergebnis wie hier OLG Frankfurt NJW 1967 262; AG Bonn JZ 1968 106; und das verwaltungsrechtliche Schrifttum: Kopp/ Schenke § 80, 32; § 113, 11 m. w. N.; Arnhold Die Strafbarkeit rechtswidriger Verwaltungsakte (1978) 14 ff., 166 ff.; Arnhold JZ 1977 789; Berg WiVerw 1982 169 ff.; Gerhards NJW 1978 86; Janicki JZ 1968 94; Mohrbotter JZ 1971 213 ff.; Schenke JR 1970 449 ff.; Schreven NJW 1970 155; Stern FS Lange 859, 863; Waniorek JuS 1989 24, 25 ff.; Wüterich NStZ 1987 106, 107 f.; ähnlich OLG Frankfurt NVwZ 1988 287; Schenke/Roth WiVerw 1997 81, 110 ff. 48 BayObLG NJW 1992 1120 f., das zu Unrecht keinen Widerspruch zu BGHSt 23 86 sieht. 49 Anders noch BayObLGSt 1952 226, 227.

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sen führen, denn die Bindungswirkung geht nicht von dem Hoheitsakt aus, sondern beruht allein auf dem Strafgesetz, das den Hoheitsakt in Bezug nimmt. § 262 ist daher nicht anwendbar, wenn die Subsumtion unter den Straftatbestand eine „Vorfrage“ über ein außerstrafrechtliches Rechtsverhältnis gar nicht aufwirft, sondern nur die Feststellung einer darauf bereits gegebenen hoheitlichen „Antwort“ erfordert, für deren Nachprüfung kein Bedarf und kein Raum ist. Ob und inwieweit der Strafrichter die Kompetenz insbesondere zur Beurteilung von 25 Verwaltungsakten besitzt, ist weder durch den Grundsatz der Gewaltenteilung noch sonstige Verfassungssätze allgemein festgelegt.50 Als allgemeine Regel des einfachen Rechts ist die den Verwaltungsakten unter der Bezeichnung „Tatbestandswirkung“51 zugeschriebene generelle Drittbindungswirkung gegenüber den Strafgerichten und gar zu Lasten des Angeklagten nicht zu begründen. Es ist eine gesetzgeberische Entscheidung, ob der Richter an Verwaltungsentscheidungen oder Urteile anderer Gerichte gebunden oder ihm Beurteilungskompetenz eingeräumt wird,52 ob die Strafbarkeit von der Existenz (Beachtlichkeit, Wirksamkeit) eines Verwaltungsakts oder von dessen Rechtmäßigkeit53 abhängt. Dabei sind die Anforderungen der jeweils eingeschränkten Grundrechte zu beachten, die ergeben können, dass die Ahndung einer Zuwiderhandlung gegen einen Verwaltungsakt nur bei dessen materieller Rechtmäßigkeit zulässig ist, obwohl für den Vollzug des Verwaltungsakts wegen Situationsgebundenheit oder Eilbedarfs die formelle Rechtmäßigkeit genügt.54 Umgekehrt kann dies dazu führen, dass das Strafgericht sich nicht mit dem Fehlen eines begünstigenden Verwaltungsakts begnügen darf (negative Tatbestandswirkung), sondern selbst prüfen muss, ob der Angeklagte einen Anspruch auf behördliche Erlaubnis usw. hatte.55 Entsprechendes gilt für gerichtliche Entscheidungen, deren Missachtung unter Strafe steht, z. B. gem. § 1 Abs. 1 Satz 1, § 4 GewSchG.56 Ein deutliches Anzeichen für Tatbestandswirkung ist, dass ein Hoheitsakt Tatbe- 26 standsmerkmal oder objektive Strafbarkeitsbedingung einer Strafnorm („ohne Erlaubnis“)57 ist, z. B. Verbot einer Partei oder Ersatzorganisation (§§ 84, 85 Abs. 1 Nr. 2 StGB), Preisregelungsverfügungen (§ 3 WiStG), vollstreckungsfähiges Strafurteil (§§ 145c, 258 Abs. 2 StGB), Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (§§ 283 ff. StGB),58 Verbot eines Vereins (§ 3 VereinsG) oder Feststellungen der Verwaltungsbehörde nach § 8 Abs. 2 Satz 2 VereinsG (§ 20 Nr. 2 VereinsG). Stets ist die Auslegung des materiellen Strafgesetzes im Lichte der Grundrechte 27 maßgebend,59 wobei die Poenalisierung des Ungehorsams auch gegen rechtswidrige Verwaltungsakte deutlich erkennbar sein muss, sonst ist Art. 103 Abs. 2 GG verletzt.60 50 BVerfGE 87 399, 407 f.; SK/Velten 1a, 7 ff. 51 Zu den unterschiedlichen Definitionen dieses auf Kormann AöR 30 (1913) 253, 255 („Wirkung, die ein Staatsakt als solcher durch die bloße Tatsache seines Vorhandenseins hat“) zurückgehenden Begriffs vgl. Kopp/Ramsauer § 43, 16 Fn. 47 m. w. N.; Knöpfle BayVerwBl. 1982 225, 236; ferner Jörgensen 118 f.; Rogall GA 1995 299, 304. 52 BVerfGE 87 399, 407 f.; BGHSt 59 94, 98. 53 Wie bei § 113 Abs. 3, § 136 Abs. 3 StGB. 54 BVerfGE 87 399, 408 ff. (zu § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG); 92 191, 199 ff. (zu § 111 OWiG). 55 Vgl. BVerfG NStZ 2003 488, 489 (zu § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG) mit Anm. Mosbacher; s. a. OLG Schleswig NStZ 2005 408 mit Anm. Schwedler; OLG Hamm NStZ-RR 2013 13, 14 (Anspruch auf Sozialleistungen). 56 BGHSt 59 94, 98. 57 RGSt 32 106, 109 f. 58 RGSt 26 37. 59 Vgl. BVerfGE 75 329, 346 f.; ähnl. SK/Velten 1a, 7 ff.; Lorenz DVBl. 1971 165, 170; Rühl JuS 1999 521, 528. 60 BVerfGE 87 399, 411.

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Die Rechtsprechung hat bisher Verkehrszeichen61 Tatbestandswirkung zuerkannt, ebenso den Hausverboten,62 der Aufforderung im Rahmen der Volkszählung63 und anderen Statistiken,64 der atomrechtlichen Genehmigung65 und der Genehmigung einer Abfallentsorgungsanlage.66 Ein Hoheitsakt mit Tatbestandswirkung „bindet“67 den Strafrichter, wenn er vor 28 Tatbegehung68 ergangen und nicht nichtig ist, unabhängig davon, ob zugleich eine Wirkung inter omnes besteht. Ein Urteil muss regelmäßig rechtskräftig, ein Verwaltungsakt unanfechtbar oder sofort vollziehbar sein, da es nicht vom Belieben des betroffenen Bürgers abhängen kann, ob die Befolgung des Verwaltungsakts für ihn verbindlich ist.69 Zur rückwirkenden Aufhebung von Verwaltungsakten mit Tatbestandswirkung siehe oben Rn. 23. Die Auslegung des Verwaltungsaktes zur näheren Bestimmung seines Gegen29 stands und Inhalts, bei einer Strafbewehrung nicht zuletzt auch zur Kontrolle der erforderlichen rechtsstaatlichen Bestimmtheit, obliegt dem Strafrichter, auch wenn er von dessen Vorliegen auszugehen hat. Er muss den Inhalt nach den für die Auslegung des öffentlichen Rechts maßgebenden Grundsätzen feststellen. Maßgebend ist der erklärte Wille, so wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen muss. Unklarheiten gehen zu Lasten der Verwaltung.70 30

c) Akte fremder Hoheitsgewalt. Die Entscheidungen aller Gerichte der Bundesrepublik sind in dem aufgezeigten Rahmen beachtlich, auch soweit sie nicht auf einer bundeseinheitlichen Verfahrensordnung, sondern auf Landesrecht beruhen. Ausländische Urteile sind insoweit beachtlich, als sich dies aus einem innerstaatlichen Rechtssatz oder dem Völkerrecht, vor allem aus internationalen Vereinbarungen ergibt, so vor allem auch die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union. Aus der bundesstaatlichen Kompetenzordnung folgt ferner, dass auch Hoheitsakte eines anderen Bundeslandes, vor allem rechtsgestaltende Verwaltungsakte, in den anderen Ländern zu beachten sind, und zwar ganz gleich, ob sie auf Grund Bundesrechts71 oder Landesrechts erlassen werden.72 Soweit dies durch Rechtssatz, auch internationale Abkommen, ausdrücklich festgelegt ist, gilt dies auch für Hoheitsakte ausländischer Staaten und Staatengemeinschaften.73 Gleiches gilt nach Art. 18, 19 EinigungsV in den dort bezeichneten Grenzen für Urteile und andere Hoheitsakte der früheren DDR (vgl. 24. Aufl., Nachtr. II Rn. C 4 ff.). 61 BGHSt 23 86, 91 ff.; BayObLGSt 1967 69, 73 f.; 1985 11, 12; OLG Celle NJW 1967 1623, 1624; OLG Hamburg JZ 1970 586; OLG Hamm VRS 30 (1966) 478, 479 f.; OLG Karlsruhe NJW 1967 1625; OLG Stuttgart DÖV 1967 132 mit krit. Anm. Bachof. 62 OLG Karlsruhe NJW 1978 116; OLG Hamburg NJW 1980 1007 f. mit Anm. Oehler JR 1981 33. 63 OLG Karlsruhe NJW 1988 1604, 1605 mit abl. Anm. Waniorek JuS 1989 24, 25 f. 64 BayObLG NStZ 1986 36; OLG Düsseldorf NStZ 1981 68 f. 65 BVerfGE 75 329, 346; LG Hanau NJW 1988 571, 574 ff. mit Anm. Winkelbauer JuS 1988 691. 66 OLG Köln wistra 1991 74 f. 67 Siehe Rn. 24 und RGSt 18 436, 440; 43 373, 375; BGHSt 23 86, 91 f. 68 BayObLGSt 1961 253, 257 f. 69 BTDrucks. 7 550, S. 194; BGHSt 23 86, 91 f.; BayObLGSt 1957 204, 206; 1985 64, 65; OLG Düsseldorf NStZ 1981 68 f.; OLG Karlsruhe NJW 1978 116 f.; 1988 1604, 1605; MüKo/Miebach 14; Jörgensen 144 ff.; Odenthal NStZ 1991 418 ff.; diff. SK/Velten 8; s. a. OVG Münster NVwZ-RR 1993 385, 386. 70 BGHSt 31 314 und Hinweis auf BVerwGE 60 228; Rogall GA 1995 299, 307. 71 So BVerfGE 11 6, 19; vgl. BVerfGE 76 1, 77. 72 Zu den wenig geklärten Fragen vgl. Bleckmann NVwZ 1986 1. 73 Vgl. Bleckmann JZ 1985 1072 m. w. N.; ferner zur Rechtsnatur der öffentlichen Gewalt zwischenstaatlicher Einrichtungen etwa BVerfGE 58 1, 26 ff.; 112 1, 24 ff.

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III. Rechtsfolgen des Absatzes 1 Absatz 1 bestimmt, dass die für das Verfahren und den Beweis in Strafsachen gelten- 31 den Vorschriften auch für die Beurteilung des außerstrafrechtlichen Rechtsverhältnisses gelten, mithin insbesondere die Instruktionsmaxime und der Grundsatz der freien Beweiswürdigung74 nach § 261 einschließlich des Zweifelssatzes.75 In anderen Prozessordnungen76 enthaltene Beweisregeln aller Art – Beweismaß-, formelle und materielle Beweislastregeln – sind im Strafverfahren grundsätzlich unanwendbar.77 Inwieweit spezielle, oft im materiellen Recht platzierte, gesetzliche Vermutungen und Fiktionen anderer Rechtsgebiete ausnahmsweise zu beachten sind, hängt sowohl vom normativ zu bestimmenden Anwendungsbereich78 der jeweiligen Vermutung oder Fiktion als auch vom betroffenen Straftatbestand ab. Oft mag sich erweisen, dass der Regelungszweck der Vermutung im Strafrecht keine Beachtung erheischt;79 anders kann es aber bei Statusregelungen wie den §§ 1591 ff. BGB sein, bei denen ein hohes Interesse an Entscheidungsharmonie und damit an rechtsgebietsübergreifender Anwendung besteht.80 An Auslegungsregeln des Zivilrechts und sonstiger Rechtsgebiete ist der Strafrich- 32 ter hingegen gebunden, weil Auslegung Rechtsanwendung ist.81 Auch die Auslegung eines Verwaltungsakts muss er selbst vornehmen nach den Regeln des Verwaltungsrechts, so dass Unklarheiten zu Lasten der Verwaltung gehen.82 Im Übrigen besteht grundsätzlich keine Bindung des Strafrichters, insbesondere 33 weder an rechtskräftige Urteile noch an die Rechtsansichten83 der Gerichte anderer Gerichtszweige, auch soweit in diesen Verfahren der Grundsatz der Amtsuntersuchung gilt.84 Denn weder aus dem Prinzip der Gewaltenteilung noch aus dem ungeschriebenen Grundsatz der gegenseitigen Respektierung kompetenzgerechter Hoheitsakte noch aus einer nur inter partes bestehenden Rechtskraftwirkung (§ 121 VwGO)85 ergibt sich eine solche umfassende Bindung.86 Ob und wieweit die Vorfragenkompetenz des Strafrichters 74 75 76 77 78

RGSt 43 373, 377. MüKo/Miebach 6; Pfeiffer 1; Weber FS Trusen 591, 593 ff. Z. B. §§ 417 ff. ZPO. Dazu Weber FS Trusen 591, 599 ff. und LR/Sander § 261, 44, 103. In welchen Anwendungskontexten eine Vermutung oder Fiktion gelten soll, bestimmt allein die Entscheidung des Gesetzgebers, die durch Auslegung zu ermitteln ist, vgl. Stuckenberg Untersuchungen zur Unschuldsvermutung (1998) 467 ff. m. w. N. Die äußerliche Klassifizierung einer Regel als „materiell-rechtlich“ oder „verfahrensrechtlich“ hilft allein nicht weiter. 79 Z. B. der § 280 Abs. 1 Satz 2, §§ 891, 1006 Abs. 1 Satz 1, § 1253 Abs. 2 Satz 1, § 1362 BGB; dazu RGSt 36 332, 333 f. 80 Die nach überwiegender Ansicht im Rahmen des § 170 StGB in einem Strafverfahren anwendbar sind, OLG Braunschweig NdsRpfl. 1959 230; OLG Celle NJW 1962 600; OLG Hamm NStZ 2004 686; Koffka JR 1968 228; Mattmer NJW 1967 1593; Schröder JZ 1959 347; vgl. auch OLG Braunschweig NJW 1964 214; a. A. OLG Celle NJW 1955 563. W. Nachw. bei LK/Dippel § 170, 27; Weber FS Trusen 591, 598. 81 Weber FS Trusen 591, 601 f. 82 BGHSt 31 314, 315 f. mit BVerwGE 60 228, 229. 83 BVerfGE 75 329, 346; OLG Hamburg NStZ 1999 431, 432 (bzgl. Strafvollstreckungskammer). 84 KMR/Stuckenberg 1, 5; Meyer-Goßner/Schmitt 5; MüKo/Miebach 12; OK-StPO/Eschelbach 2; SK/Velten 2; SSW/Franke 3; Schmitz 105 ff., 116 f. 85 Zu den Grenzen der nicht nur auf den Bereich der Verwaltungsrechtspflege beschränkten materiellen Bindung der Beteiligten durch § 121 VwGO vgl. die Kommentare zur VwGO; ferner etwa BGHZ 15 19; BGH DÖV 1981 337 (zu § 47 VwGO); NVwZ 1982 148. 86 Zur Ableitung der wechselseitigen Bindung der Gerichte aus allgemeinen Grundsätzen vgl. Knöpfle BayVBl. 1982 225 ff. m. w. N., dessen Erwägungen nicht ohne weiteres auf den Strafprozess übertragbar sind.

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eingeschränkt wird, kann der Gesetzgeber unter Berücksichtigung etwaiger besonderer Schutzanforderungen der betroffenen Grundrechte frei bestimmen.87 Keine Bindung besteht somit auch an Entscheidungen der Zivilgerichte über die Gül34 tigkeit einer Ehe; die Reichstagskommission hatte einen Antrag, der eine abweichende Behandlung dieses Falls bezweckte, abgelehnt.88 Über die Frage der Unterhaltspflicht im Rahmen des § 170 StGB muss der Strafrichter auch dann selbständig entscheiden, wenn bereits ein rechtskräftiges Zivilurteil darüber ergangen ist.89 Hat allerdings das Zivilgericht das Bestehen einer Pflicht zur Zahlung von Unterhalt rechtskräftig verneint, wirkt dies insofern zugunsten des Angeklagten, weil er dann regelmäßig in einem nicht vorwerfbaren Verbotsirrtum gehandelt haben dürfte. Nach umstrittener Ansicht darf darüber hinaus die zivilrechtlich nicht durchsetzbare Pflicht strafrechtlich nicht poenalisiert werden.90 35 Abzulehnen ist insbesondere die Ansicht, dass Zivilurteile, die bereits vor der Tat das Bestehen oder Nichtbestehen eines durch Rechtssatz begründeten Rechtsverhältnisses mit Wirkung gegen den Angeklagten rechtskräftig festgestellt haben, das Strafgericht binden, sofern sie nicht erschlichen sind.91 Die Bindung des Strafgerichts an die Entscheidung eines anderen Gerichts kann nicht davon abhängen, wann diese Entscheidung ergangen ist. Eine andere Frage ist, ob ein vor der Tat ergangenes Urteil nach dem materiellen Recht als eine Pflichten begründende oder beseitigende Tatsache zu beachten ist.92 Dies muss durch Auslegung des einzelnen Straftatbestands ermittelt werden. Im Einzelfall mag eine solche Auslegung des materiellen Rechts angebracht sein, wollte man dies aber allgemein annehmen, so würde das bedeuten, dass jedem Urteil Gestaltungswirkung beigemessen würde. Freilich ergeben die Motive,93 dass die Tatsache eines vor der Tat ergangenen zivilrechtlichen Urteils nicht schlechthin als bedeutungslos bezeichnet werden sollte. Ein solches Urteil kann nicht nur als Beweisanzeichen, sondern aus sachlichrechtlichen oder verfahrensrechtlichen Gründen unmittelbar die Entscheidung des Strafgerichts beeinflussen, wofür der Gesetzgeber aber keine auf alle möglichen Fälle passenden Vorschriften geben zu können glaubte. 36 Eine Bindung tritt auch nicht dadurch ein, dass das Gericht das Verfahren nach Absatz 2 oder nach § 154d ausgesetzt und die Entscheidung eines anderen Gerichts abgewartet hat. Sofern dieser nicht aus einem anderen Grund Bindungswirkung zukommt, steht es in seinem an der Aufklärungspflicht auszurichtenden, pflichtgemäßen Ermessen, ob es ein solches Urteil seiner Entscheidung zugrunde legen will.94 Das Strafgericht, das die Entscheidung eines Zivilgerichts für zutreffend hält, kann, wie die §§ 262, 359 Nr. 4 zeigen, sein Urteil auf diese Entscheidung stützen (unten Rn. 56). 87 Vgl. etwa BVerfGE 75 329, 346; 80 244, 256; 87 399, 407, 410. 88 Hahn 889 ff. 89 BGHSt 5 106, 108 ff.; BayObLGSt 1967 1, 2; BayObLG StV 2001 349; OLG Bremen NJW 1964 1286; OLG Celle NJW 1955 563; OLG Hamm NJW 1954 1340; NStZ 2004 686; 2008 342, 343; OLG Oldenburg NJW 1952 118; OLG Stuttgart NJW 1960 2204; Alsberg/Güntge 810; KK/Ott 3; Meyer-Goßner/Schmitt 4; MüKo/Miebach 5, 11; OKStPO/Eschelbach 3 f.; Pfeiffer 4; SK/Velten 2; SSW/Franke 2; Eb. Schmidt Nachtr. I 6; a. A. BGHSt 26 111, 115; OLG Braunschweig NJW 1953 558; Rosenberg/Schwab/Gottwald § 10 Rn. 8 ff.; Dünnebier JZ 1961 672 f.; Kaiser NJW 1972 1847; Schwab NJW 1960 2169 ff.; diff. HK/Julius/Beckemper 5; vgl. die Kommentare zu § 170 StGB. 90 HK/Julius/Beckemper 5; a. A. BGH NJW 1954 82; OLG Stuttgart NJW 1960 2205; AK/Moschüring 6. 91 Wie hier BGHSt 5 106, 108; OLG Stuttgart NJW 1960 2204; a. A. OLG Königsberg GA 56 (1909) 254; OLG Dresden GA 61 (1914) 370; Binding Abh. 2 306; dazu vgl. Schwab NJW 1960 2169 ff. 92 Die Motive (Hahn 201) sahen in der Unterscheidung nach dem Zeitpunkt des Urteils die Lösung des Problems, ähnlich OLG Braunschweig NJW 1953 558; Dünnebier JZ 1961 672 und Bötticher FS zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentags I 511 ff.; vgl. dazu Schwab NJW 1960 2169 ff. 93 Hahn 202. 94 BayObLGSt 1952 224; OLG Oldenburg NJW 1952 118; KK/Ott 3; SSW/Franke 2.

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Rechtskräftige strafgerichtliche Urteile aus einem anderen Verfahren95 binden den 37 Strafrichter nicht,96 selbst wenn sie dieselbe Tat betreffen, wie etwa das abgetrennte Verfahren gegen einen Mittäter. Nur in ausdrücklich geregelten Ausnahmefällen, wie etwa § 190 StGB, wird der Grundsatz durchbrochen (Rn. 15). Ebenso besteht keine generelle Bindung an Entscheidungen der Verwaltungsbe- 38 hörden, weder aufgrund der Gewaltenteilung (Rn. 25) noch wegen des Instituts der Bestandskraft der Verwaltungsakte, die keine höhere Dignität genießen können als rechtskräftige fachfremde Urteile oder die Rechtsnormen, auf denen sie beruhen,97 noch wegen einer generellen „Tatbestandswirkung“, die nicht ohne Berücksichtigung des Wortlauts und Normzwecks des jeweiligen Strafgesetzes bejaht werden kann, sondern Folge der Ausgestaltung der Strafnorm ist.98 Zwar wird grundsätzlich infolge Vertrauensschutzes99 die Befolgung eines wirksamen, aber rechtswidrigen Verwaltungsakts nicht strafbar sein, doch ob dies auch in Fällen durch Täuschung oder aufgrund Kollusion ergangener Genehmigungen usw. gilt, kann nur die Auslegung der jeweiligen Strafvorschrift klären.100 Umgekehrt wird selten anzunehmen sein, dass Zuwiderhandlung gegen einen wirksamen, aber rechtswidrigen Verwaltungsakt für sich allein Strafe begründen soll. Auch im Steuerstrafverfahren gibt es keine Bindung des Strafgerichts an rechtskräftige Entscheidungen der Finanzbehörden im Besteuerungsverfahren.101 Die Rechtsauffassung anderer Behörden, ihre allgemein oder in der gleichen Sache vertretene Ansicht, ist für den Strafrichter unverbindlich.102 Sie befreit ihn grundsätzlich nicht von der Pflicht, die jeweilige Frage in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht selbst zu prüfen und zu entscheiden, sofern das Strafgesetz der Entscheidung der Behörde keine Tatbestandswirkung beilegt.

IV. Die Aussetzung des Verfahrens (Absatz 2) 1. Anwendungsbereich. Zum sachlichen Anwendungsbereich siehe Rn. 4 ff. Son- 39 dervorschriften enthalten § 154e Abs. 2 mit der Pflicht zur Einstellung des Verfahrens wegen falscher Verdächtigung und Beleidigung bis zum Abschluss des Straf- oder Disziplinarverfahrens und der dem § 262 ähnelnde § 396 AO, der die Möglichkeit der Aussetzung des Steuerstrafverfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Besteuerungsverfahrens eröffnet. Der zeitliche Anwendungsbereich des § 262 Abs. 2 umfasst nicht nur die Hauptverhandlung, auf die er sich, wie die Stellung im Gesetz zeigt, in erster Linie bezieht, sondern auch das Zwischenverfahren sowie das Hauptverfahren vor der Hauptverhandlung.103

95 Zu unterscheiden davon sind die innerhalb des gleichen Verfahrens durch Rechtsmittelbeschränkung oder begrenzter Zurückverweisung eintretenden Bindungen sowie die Bindungen durch § 358 Abs. 1. 96 BGHSt 43 106, 107; BGH NStZ 2008 685; 2010 529; KK/Ott 2; MüKo/Miebach 16. 97 Rühl JuS 1999 521, 524 f. m. w. N. 98 Rn. 24 ff.; w. Nachw. bei Kopp/Ramsauer § 43 Rn. 22 VwVfG. 99 Rühl JuS 1999 521, 525 ff.; vgl. Wagner/Hermann NZG 2000 520 ff. (wirksame Kassenzulassung stehe Betrugsvorwurf wegen Scheingesellschaft entgegen). 100 Zu den Problemfällen BVerfGE 75 329, 346; BGHSt 39 281; vgl. jetzt § 330d Nr. 5 StGB. 101 BVerfG NStZ 1991 88, 89; BGHSt 34 272, 279; BFH NJW 1984 1255 m. w. N.; KMR/Stuckenberg 33. 102 So etwa BVerfGE 75 329, 346; BayObLGSt 1960 94, 95 = NJW 1960 1534 mit Anm. Karch; OLG Karlsruhe Justiz 1983 133; vgl. auch Franzheim JR 1988 319; Rogall GA 1995 306 ff. 103 OLG Köln Alsb.E 2 Nr. 67; KK/Ott 12; KMR/Stuckenberg 34; Meyer-Goßner/Schmitt 9; SK/Velten 13; SSW/Franke 7; Eb. Schmidt 10.

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Absatz 2 gilt über § 332 auch in der Berufungsinstanz. Im Verfahren vor den Revisionsgerichten soll er nach vorherrschender, zumeist unbegründeter Meinung nicht anwendbar sein.104 Dem ist zu widersprechen. Richtig ist, dass ein Anwendungsfall des § 262 Abs. 2 sich aufgrund der eingeschränkten Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts nur selten ergeben wird. Prüft es aufgrund der Sachrüge die Anwendung des materiellen Rechts, ist es auch bei den Vorfragen aus anderen Rechtsgebieten auf die tatrichterlichen Feststellungen in den Gründen des angefochtenen Urteils beschränkt. Sofern es aber auf reine Rechtsfragen aus anderen Rechtsgebieten ankommt, ist § 262 Abs. 2 auch in der Revision anwendbar.105 Entsprechendes gilt für das Rechtsbeschwerdegericht in Bußgeldsachen. Auch hier kann eine Aussetzung in Betracht kommen, etwa wenn die außerstrafrechtliche Rechtsnorm, welche die Grundlage der Verurteilung bildet, Gegenstand eines anhängigen und nicht offensichtlich unbegründeten Normenkontrollverfahrens ist und ein Freispruch auf der Grundlage der sonstigen tatrichterlichen Feststellungen nicht in Betracht kommt.106 Im normalen Beschwerdeverfahren ist § 262 Abs. 2 entsprechend anwendbar, etwa um die Entscheidung über einen Sicherungshaftbefehl bis zur Entscheidung der ausländischen Behörde über ein Auslieferungsbegehren abzuwarten.107 § 262 Abs. 2 gilt auch im Auslieferungsverfahren.108 Die Staatsanwaltschaft ist durch § 262 nicht unmittelbar angesprochen. Sie ist aber ebenfalls befugt, im Ermittlungsverfahren innezuhalten und die gerichtliche Entscheidung eines für das Strafverfahren vorgreiflichen Rechtsverhältnisses abzuwarten. Bei Vergehen bestimmt § 154d als lex specialis, dass dem Anzeigeerstatter eine Frist zur Klageerhebung gesetzt werden kann; nach der Gegenansicht109 soll § 262 Abs. 2 entsprechend anwendbar sein. Der Grundgedanke, auf dem § 262 beruht, gilt freilich auch für das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren.110 Im Klageerzwingungsverfahren fehlt daher das Rechtsschutzbedürfnis, wenn es geboten ist, einen vorgreiflichen Ziviloder Verwaltungsprozess abzuwarten.111 Unanwendbar ist Absatz 2 in den Fällen, in denen der Richter zur eigenen Entscheidung der Vorfrage nicht befugt ist, sei es, (1) dass sich eine Vorfrage nicht stellt, weil er einen Hoheitsakt mit Gestaltungs- oder Tatbestandswirkung (Rn. 16 ff., 24 ff.) hinnehmen muss, so dass eine Aussetzung nicht in Frage kommt, sei es, (2) dass er die Vorfrage nicht beantworten darf wegen der exklusiven Kompetenz eines anderen Gerichts oder einer Behörde mit der Folge einer Aussetzungspflicht (Rn. 9 ff.). Unzulässig mangels Vorgreiflichkeit ist die Aussetzung zu dem Zweck, lediglich die Beweisergebnisse eines anderen Verfahrens (Rn. 5) oder die bevorstehende höchstrichterliche Klärung der einschlägigen einfachrechtlichen – erst recht einer strafrechtlichen – Rechtsfrage abzuwarten. So darf das Gericht eine entscheidungsreife Strafsache nicht etwa deswegen nach § 262 aussetzen, weil der BGH oder dessen Großer Senat die

104 KG VRS 41 (1971) 288, 290; OLG Koblenz OLGSt LMBG § 17 Nr. 42; LR/Gollwitzer25 27; jeweils unter unzutreffender Berufung auf RGSt 3 252, 255 (vgl. dazu BayObLGSt 1994 74, 75 f.). 105 BayObLGSt 1994 74, 75 ff. = NJW 1994 2104 mit eingehender Begründung; ebenso KK/Ott 12; KMR/ Stuckenberg 34; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Miebach 19; SK/Velten 13; Jörgensen 51 ff., 350 ff. 106 BayObLGSt 1994 74, 75; KMR/Stuckenberg 9, 37; Pfeiffer 2. 107 OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1984 105. 108 OLG Karlsruhe NJW 1986 3035; wistra 2005 360. 109 Eb. Schmidt 10; LR/Gollwitzer25 28; a. A. KMR/Stuckenberg 34; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Miebach 19; Jörgensen 61 ff. 110 Eb. Schmidt 10; SK/Velten 15. 111 OLG Stuttgart NStZ-RR 2003 145, 146; 331; s. a. OLG Nürnberg NStZ-RR 2011 211; MüKo/Miebach 23.

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zur Entscheidung anstehende grundsätzliche Frage in einer anderen Sache in Bälde entscheiden wird.112 In diesen Fällen ist aber eine Aussetzung in entsprechender Anwendung des 45 § 262 zu erwägen. Für die Parallelvorschrift des § 94 VwGO nehmen die Verwaltungsgerichte überwiegend in analoger Anwendung eine Aussetzungsmöglichkeit für Musterverfahren über entscheidungserhebliche Rechtsfragen vor Revisionsgerichten, dem BVerfG oder dem EuGH an;113 im Zivilprozess ist diese Möglichkeit bei § 148 ZPO umstritten.114 Zur Wahrung einheitlicher Rechtsprechung und im Interesse der Verfahrensökonomie115 erscheint es ausnahmsweise vertretbar,116 in solchen Fällen § 262 Abs. 2 entsprechend anzuwenden, allerdings wegen des Beschleunigungsgebots nur dann, wenn eine Entscheidung im Muster- oder Grundsatzverfahren unmittelbar bevorsteht und die Verzögerung für den Angeklagten keine unzumutbaren Belastungen mit sich bringt, wobei zu bedenken ist, dass durch eine Aussetzung auch Verzögerungen durch Revision oder Wiederaufnahme (§ 79 Abs. 1, § 95 Abs. 3 BVerfGG) vermieden werden können. 2. Die Entscheidung über die Aussetzung a) Gerichtliches Ermessen. Falls nicht aufgrund ausschließlicher anderweitiger 46 Vorfragenkompetenz die Aussetzung zwingend vorgeschrieben ist,117 hat das Strafgericht nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu befinden, ob es von der Befugnis, das Verfahren nach Absatz 2 auszusetzen, Gebrauch machen will.118 Die Entscheidung ergeht von Amts wegen oder auf Antrag. Nach Art und Bedeutung der Strafsache, Umfang und Schwierigkeit der Vorfrage sowie ihrer Bedeutung für das anhängige Verfahren ist zu entscheiden, ob eine Aussetzung das Verfahren in angemessener Weise fördert und dem Beschleunigungsgebot genügt.119 Unerheblich ist, ob das die Vorfrage betreffende Verfahren schon anhängig ist oder erst anhängig gemacht werden soll. Der Angeklagte kann nicht verlangen, dass die Untersuchung bis zur Entscheidung über einen von ihm anhängig gemachten Zivilprozess ausgesetzt werde.120 Umgekehrt gibt der Umstand, dass noch keine Zivilklage erhoben ist, dem Staatsanwalt auch keine Handhabe, die Aussetzung zu verhindern.

112 OLG Hamm HESt 2 102 f.; AK/Moschüring 30; KK/Ott 7; Meyer-Goßner/Schmitt 10; MüKo/Miebach 20; OK-StPO/Eschelbach 14; Radtke/Hohmann/Britz 9; SK/Velten 16; Eb. Schmidt 7; vgl. Jörgensen 26 ff. 113 Kopp/Schenke § 94, 4a m. w. N. 114 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 148, 20, 29 m. w. N. 115 Vgl. BVerfGE 3 58, 74. 116 So OLG Stuttgart StV 2004 142 (Abwarten der Entscheidung des Großen Senats); OLG Karlsruhe 30.1.2017 – 2 Rb 6 Ss 53/17 (Abwarten der Entscheidung des BGH bei Vorlage nach § 121 Abs. 2 GVG); KMR/ Stuckenberg 37; offen lassend BGH NStZ 1993 296, 297 (für anhängige Verfahren vor dem BVerfG); ebenso BayVerfGH NJW 2000 3705, 3706; abl. LG Osnabrück MDR 1986 517; LR/Gollwitzer25 33; Meyer-Goßner/ Schmitt 10; Knauer ZStW 120 (2008) 826, 845 ff., 848 sowie die Nachw. in Fn. 18. 117 Vgl. RGSt 7 146, 149; KK/Ott 8; MüKo/Miebach 21; OK-StPO/Eschelbach 6; oben Rn. 9 ff. 118 RGSt 49 309, 310; BayVerfGHE 16 II 64 = GA 1963 375; OLG Düsseldorf StV 1995 459 (L); KK/Ott 8; KMR/Stuckenberg 38; Meyer-Goßner/Schmitt 11; MüKo/Miebach 22; OK-StPO/Eschelbach 6; Radtke/Hohmann/Britz 10; SK/Velten 19; SSW/Franke 7; Jörgensen 192; Kissel FS Pfeiffer 189, 196. 119 Eingehend Jörgensen 192 ff.; Kissel FS Pfeiffer 189, 196 ff. 120 RG Recht 1911 Nr. 1856.

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b) Ausnahmsweise Aussetzungspflicht? Eine Reduzierung des Ermessens auf eine Pflicht zur Aussetzung kommt nur ausnahmsweise121 in Betracht, so wenn in einem anderen Verfahren die Nichtigkeit eines rechtsgestaltenden Aktes geltend gemacht wird122 sowie nach der hier vertretenen Ansicht (Rn. 23) auch bei Anfechtung eines vollziehbaren Verwaltungsakts, weil die Strafbarkeit der Zuwiderhandlung gegen ihn entfällt, wenn das Verwaltungsgericht ihn mit Wirkung ex tunc aufhebt. Nach bisher herrschender Auffassung muss in aller Regel ausgesetzt werden, wenn die Entscheidung von der Aufrechnung mit rechtswegfremden Forderungen abhängt,123 die bei § 93 StVollzG und den entsprechenden Landesgesetzen problematisch werden kann;124 mit der Neufassung des § 17 Abs. 2 Satz 2 GVG dürfte diese Ansicht überholt sein.125 Darüber hinaus kann die Vermeidung gegenläufiger Entscheidungen allein auch über die gerichtliche Fürsorgepflicht eine Aussetzungspflicht nie begründen, weil dies dem Sinn der Ermessenseröffnung, nämlich der gesetzgeberischen Entscheidung für die grundsätzliche Vorfragenkompetenz des Strafrichters, widerspricht.126 Vereinzelt wird bei offensichtlichem Missbrauch des Strafverfahrens nur zur Durchsetzung oder Vorbereitung außerstrafrechtlicher Ansprüche eine Aussetzungspflicht unter Hinweis auf den Zweck des § 262 angenommen.127 3. Beschluss des Gerichts

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a) Beschluss. Durch Beschluss ordnet das Gericht die Aussetzung an. In der Hauptverhandlung entscheidet nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten (§ 33) das erkennende Gericht unter Mitwirkung der Schöffen, im Zwischenverfahren und nach Eröffnung des Hauptverfahrens das nach §§ 201 ff. zuständige Gericht.

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b) Begründung. Der Beschluss, der die Aussetzung anordnet, muss entweder das anderweitig anhängige Verfahren und die Frage benennen, wegen der das Strafverfahren ausgesetzt wird oder er muss unter Fristsetzung festlegen, von wem und weswegen eine Klage erhoben werden soll.128 Darüber hinaus bedarf er keiner Begründung,129 sofern er nicht ausnahmsweise (Rn. 58) durch die Beschwerde anfechtbar ist.130 Der Beschluss, durch den ein Antrag auf Aussetzung abgelehnt wird, ist nach § 34 Alt. 2 zu

121 Bei der parallelen Vorschrift des § 396 AO ist die Frage der Ermessensreduzierung umstritten, verneinend: BVerfG NStZ 1991 88 f.; BGHSt 34 272, 274; 37 266, 269; BGH NStZ 1985 126; OLG Karlsruhe JR 1985 387 mit Anm. Schlüchter 360 ff.; LG Bonn NJW 1985 3033 f.; LG Bremen NStZ-RR 2012 14, 15 mit Anm. Weidemann StV 2013 379; LG Halle NZWiSt 2014 385 f.; Rößler NJW 1986 972 f.; a. M. HK/Julius/Beckemper 9 m. w. N.; Isensee NJW 1985 1007 ff.; Kirchhof NJW 1985 2977, 2982 ff.; offenlassend BVerfG NJW 1985 1950. Vgl. die Kommentare zu § 396 AO. 122 A. A. AK/Moschüring 33. 123 Vgl. BGHZ 16 124, 134; BSGE 19 207, 210; BVerwGE 77 19, 24. 124 KG NStZ-RR 2003 317; OLG Hamm NStZ 1987 190, 191; OLG Zweibrücken 22.5.2014 – 1 Ws 83/14 Rn. 9; OLG Naumburg 8.9.2015 – 1 Ws (RB) 91/15 Rn. 7; a. A. OLG München NStZ 1987 45, 46 mit Anm. Seebode; OLG Stuttgart NStZ 1986 47, 48; AK/Moschüring 34. 125 Schenke/Ruthig NJW 1992 2508 ff. m. w. N.; Kopp/Schenke § 40, 45. 126 Kissel FS Pfeiffer 189, 199. 127 HK/Julius/Beckemper 9; erwägend Radtke/Hohmann/Britz 11. 128 KMR/Stuckenberg 41; SK/Velten 21. 129 Vgl. AK/Moschüring 38; KK/Ott 9; Meyer-Goßner/Schmitt 13; MüKo/Miebach 27; OK-StPO/Eschelbach 7. 130 KMR/Stuckenberg 40; a. A. SK/Velten 20 (immer).

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begründen, auch wenn es sich in der Regel um eine Ermessensentscheidung handelt und § 305 Satz 1 der Beschwerde entgegensteht.131 c) Bekanntmachung. Der Beschluss des Gerichts, durch den ein Beteiligter zur Kla- 50 geerhebung binnen einer bestimmten Frist aufgefordert wird, ist allen Verfahrensbeteiligten nach § 35 zur Kenntnis zu bringen. Wird ein Dritter zur Klageerhebung binnen einer bestimmten Frist aufgefordert, so ist er auch diesem bekannt zu machen, sofern er nicht in der Hauptverhandlung in Anwesenheit dieses Beteiligten verkündet wird (§ 35 Abs. 1 Satz 1). Einer förmlichen Zustellung bedarf es nicht, da der Beteiligte trotz Fristsetzung durch den Beschluss zu nichts verpflichtet wird.132 Da er deshalb durch ihn auch nicht beschwert ist, hat er hiergegen kein Beschwerderecht. 4. Fristbestimmung a) Adressat. Wenn das Verfahren nicht ausgesetzt wird, um das Ergebnis eines be- 51 reits anhängigen Verfahrens abzuwarten, muss das Gericht zugleich einem Beteiligten eine Frist für die Klageerhebung setzen. Beteiligte in diesem Sinn sind neben dem Angeklagten alle Personen, die im Strafverfahren als Anzeigeerstatter, Strafantragsteller, Privat- oder Nebenkläger aufgetreten sind.133 Auch ein als Zeuge im Verfahren auftretender Verletzter kann Beteiligter in diesem weiten Sinn sein. Der Beteiligte muss allerdings rechtlich in der Lage sein, durch Klageerhebung eine Klärung des fraglichen Rechtsverhältnisses herbeizuführen und es darf nicht bereits offensichtlich sein, dass er nicht klagen will. b) Frist. Die Frist, die zweckmäßigerweise dem Datum nach bestimmt wird, kann 52 verhältnismäßig kurz bemessen werden, da sie nur für die Klageerhebung gilt134 und dem aussetzenden Gericht Gewissheit verschaffen soll, ob überhaupt die Entscheidung der Vorfrage durch ein anderes Gericht zu erwarten ist. Soweit die Anfechtung eines Verwaltungsaktes in Frage kommt, muss allerdings berücksichtigt werden, dass der Betroffene unter Umständen erst das Vorverfahren nach §§ 68 ff. VwGO durchzuführen hat. Das gleiche gilt, wenn sonst ein Abhilfeverfahren der Klageerhebung vorausgehen muss.135 c) Fristablauf ohne Klageerhebung. Die Fristsetzung begründet für den betroffe- 53 nen Beteiligten keine Verpflichtung zur Klageerhebung. Lässt er die Frist ungenutzt verstreichen, wird das Strafverfahren fortgesetzt, in der Regel also die Hauptverhandlung neu begonnen (§ 229). Förmliche prozessuale Nachteile erwachsen daraus für ihn nicht; allenfalls kann die Nichterhebung der Klage ein im Rahmen der Beweiswürdigung verwertbares Indiz sein, doch ist das Gericht nicht berechtigt zur Verneinung des vorfraglichen Rechtsverhältnisses (vgl. hingegen § 154d Satz 3), worin eine unzulässige Verschiebung der Aufklärungslast auf den Prozessbeteiligten läge. Das Gericht sollte deshalb mit der Bekanntmachung des Beschlusses an den Beteiligten keine Warnung oder 131 RGSt 7 146, 150; HK/Julius/Beckemper 11; KK/Ott 9; KMR/Stuckenberg 40; Radtke/Hohmann/Britz 13; SK/Velten 20; SSW/Franke 8; a. A. Meyer-Goßner/Schmitt 13; MüKo/Miebach 27; vgl. RGSt 57 44 f.

132 AK/Moschüring 39; KMR/Stuckenberg 40; SK/Velten 22. 133 KK/Ott 10; KMR/Stuckenberg 42; Meyer-Goßner/Schmitt 12; MüKo/Miebach 26; SK/Velten 21; Eb. Schmidt 14.

134 Meyer-Goßner/Schmitt 12; Eb. Schmidt 14. 135 KMR/Stuckenberg 42; SK/Velten 21.

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gar Androhung verbinden.136 Eine Warnung wäre überdies für andere Personen als den Angeklagten ohnehin meist bedeutungslos, insbesondere wird sie jemanden, der seine Zivilansprüche erst nach Klärung des Sachverhalts durch das Strafverfahren geltend machen will, kaum zu einer vorzeitigen Klageerhebung unter Übernahme des Prozessrisikos bewegen.137 5. Folgen der Aussetzung 54

a) Änderbarkeit des Aussetzungsbeschlusses. Das Gericht ist an seinen Beschluss nicht gebunden. Es kann schon vor Ablauf der Frist oder trotz Klageerhebung das Verfahren fortsetzen, wenn es dies aus sachlichen Gründen für angezeigt hält.138 Dies ist insbesondere dann angebracht, wenn der Beteiligte dem Gericht zweifelsfrei zu verstehen gibt, dass er nicht beabsichtige, die ihm angesonnene Klage zu erheben.

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b) Verjährung. Setzt das Gericht gemäß § 262 Abs. 2 nach pflichtgemäßem Ermessen das Verfahren aus, so ruht die Verjährung nicht.139 § 78b Abs. 1 StGB trifft nur den Fall, in dem das Gericht das Verfahren wegen der Notwendigkeit der Entscheidung der Vorfrage in einem anderen Verfahren aussetzen muss.140 Sonderregeln für die Verjährung bestehen in den Fällen der § 154e Abs. 3 StPO und § 396 Abs. 3 AO.

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c) Keine Bindung an Vorfragenentscheidung. Welche Bedeutung die abgewartete Entscheidung für das weitere Strafverfahren hat, steht grundsätzlich im Ermessen des Strafrichters.141 Er ist weder an die Rechtsauffassung noch an die in dem anderen Verfahren getroffenen Tatsachenfeststellungen gebunden, sofern nicht einer der oben (Rn. 9 ff.) genannten Ausnahmefälle vorliegt.142 Vielmehr muss der Strafrichter die abgewartete Entscheidung wie jedes andere Beweismittel stets selbstverantwortlich würdigen und darf sie seiner eigenen Entscheidung nur zugrunde legen (vgl. § 359 Nr. 4), wenn er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist.143 Dazu braucht er nach überwiegender Ansicht die Beweise nicht nochmals zu erheben; es soll genügen, wenn er etwa die zivilgerichtliche Beweisaufnahme für ausreichend befindet.144 Demnach kann zum Beispiel ein Zivilurteil, vor allem wenn rechtskräftig, hinsichtlich des Rechtsverhältnisses die strafgerichtliche Beweisführung ersetzen, also selbst als Beweismittel wirken, sofern es für das Strafgericht überzeugend ist, was zwar der Verfahrensökonomie dient, aber mit Blick auf den Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht unbedenklich erscheint. 136 KK/Ott 10; KMR/Stuckenberg 42; SK/Velten 23; Eb. Schmidt 14; a. A. Kern FS Reichsgericht 129, 139. 137 KK/Ott 10; KMR/Stuckenberg 42; SK/Velten 23; Eb. Schmidt 14. 138 KK/Ott 10; KMR/Stuckenberg 43; Meyer-Goßner/Schmitt 13; MüKo/Miebach 27; OK-StPO/Eschelbach 10; Radtke/Hohmann/Britz 13; SK/Velten 25.

139 KK/Ott 11; KMR/Stuckenberg 43; Meyer-Goßner/Schmitt 13; MüKo/Miebach 27; OK-StPO/Eschelbach 10; Radtke/Hohmann/Britz 15; SK/Velten 26; SSW/Franke 8; Eb. Schmidt 18. 140 Vgl. BVerfGE 7 36; BGHSt 24 6, 10; OLG Düsseldorf NJW 1968 117; OLG Hamm GA 1969 63; OLG Schleswig SchlHA 1962 175 f. sowie die Kommentare zu § 78 StGB. 141 Hahn 202. 142 RGSt 14 364, 374 f.; KK/Ott 3; KMR/Stuckenberg 44; MüKo/Miebach 28; OK-StPO/Eschelbach 9; Radtke/Hohmann/Britz 14 (aber de lege ferenda zu erwägen). 143 Vgl. Hahn 202; RG GA 61 (1914) 509; BGHSt 5 106, 108 f.; BayObLGSt 1952 224; OLG Celle NJW 1955 563 f.; OLG Oldenburg NJW 1952 118. 144 KMR/Stuckenberg 44; LR/Gollwitzer25 10; Meyer-Goßner/Schmitt 14; MüKo/Miebach 28; OK-StPO/ Eschelbach 9; Radtke/Hohmann/Britz 14; a. A. SK/Velten 24; Jörgensen 331 ff. (Verstoß gegen Unmittelbarkeitsgrundsatz); vgl. Fn. 96 (keine ungeprüfte Übernahme der Feststellungen aus anderen Urteilen).

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 262

V. Rechtsmittel 1. Beschwerde. Der Beschluss, der die Aussetzung nach § 262 Abs. 2 ablehnt, ist, 57 wenn er vom erkennenden Gericht erlassen worden ist, nicht mit der Beschwerde anfechtbar, da er im Sinne des § 305 Satz 1 der Vorbereitung des Urteils dient.145 Bei dem die Aussetzung anordnenden Beschluss schließt § 305 Satz 1 die Be- 58 schwerde grundsätzlich ebenfalls aus, da auch er die Förderung des Verfahrens bezweckt. Ob das Gericht eine entscheidungserhebliche Vorfrage selbst entscheiden oder die vorgreifliche Entscheidung eines anderen Gerichts abwarten will, ist seinem eigenen pflichtgemäßen Ermessen überlassen, in das ein übergeordnetes Gericht nicht dadurch eingreifen kann, dass es sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens des erkennenden Gerichts setzt.146 Mit der einfachen Beschwerde kann aber unbeschadet147 des § 305 Satz 1 ein Ermessensfehlgebrauch geltend gemacht werden. Dazu gehört, dass ein Ermessen überhaupt nicht eröffnet war, weil die rechtlichen Voraussetzungen für eine Aussetzung nicht vorlagen,148 etwa weil die Strafbarkeit der Tat überhaupt nicht von der Vorfrage abhängt, wegen der ausgesetzt wurde. Die Beschwer liegt dann in der Verletzung des Beschleunigungsgebots. Die neuere Rechtsprechung sieht zum Teil für die Statthaftigkeit der Beschwerde als maßgebend an, aus welchen Gründen und zu welchem Zweck die Aussetzung beschlossen worden ist, wovon abhänge, ob ein innerer Zusammenhang mit der Urteilsfällung im Sinne des § 305 Satz 1 gegeben sei.149 Weiterhin kann der Ermessensnichtgebrauch mit der Beschwerde angefochten werden, wenn also das Gericht irrig die ausschließliche Vorfragenkompetenz einer anderen Stelle angenommen150 und dadurch verkannt hatte, dass es insoweit eine Ermessensentscheidung zu treffen hatte. Sodann kann mit der Beschwerde beanstandet werden, wenn die Aussetzung ersichtlich ermessensfehlerhaft ist, weil nach den Umständen nicht in noch vertretbarer Zeit mit einem entscheidungserheblichen Ergebnis in einem anderen Verfahren zu rechnen ist, die nutzlose Aussetzung also das Verfahren nicht fördern kann und das Beschleunigungsgebot verletzt. Die Aufforderung zur Klageerhebung binnen einer bestimmten Frist (Rn. 51 ff.) 59 kann als solche schon mangels Beschwer von keinem Verfahrensbeteiligten, auch nicht vom Adressaten der Aufforderung, mit der Beschwerde angefochten werden.151 2. Revision. Mit der Revision kann unter dem Blickwinkel einer Verletzung der 60 §§ 261, 262 Abs. 1 beanstandet werden, dass der Strafrichter sich zu Unrecht an ein anderes Urteil oder durch die Auffassung einer Verwaltungsbehörde gebunden glaubte und 145 RGSt 43 179, 181; BayObLGSt 9 (1910) 408; OLG Celle GA 38 (1891) 218 f.; OLG Hamm NJW 1978 283 f. m. w. N.; KG GA 73 (1929) 260 f.; KK/Ott 9; KMR/Stuckenberg 45; Meyer-Goßner/Schmitt 16; MüKo/Miebach 29; OK-StPO/Eschelbach 15; Radtke/Hohmann/Britz 16; SK/Velten 28; SSW/Franke 9; Eb. Schmidt 17. 146 Vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1985 227 zu § 396 AO. 147 Der für den Beschwerdeausschluss erforderliche innere Zusammenhang mit der Urteilsfindung fehlt dann, vgl. bei § 305. 148 OLG Düsseldorf MDR 1992 989; OLG Frankfurt NJW 1954 1012; 1966 992; OLG Rostock 12.11.2012 – 1 Ws 321/12; LG Osnabrück MDR 1986 517; AK/Moschüring 45; HK/Julius/Beckemper 12; KK/Ott 9; KMR/ Stuckenberg 45; Meyer-Goßner/Schmitt 16; MüKo/Miebach 29; OK-StPO/Eschelbach 15; Radtke/Hohmann/ Britz 16; SK/Velten 27; SSW/Franke 9; Eb. Schmidt 16; Roxin/Schünemann § 56, 6. 149 OLG Braunschweig NJW 1955 565; StV 1987 332; OLG Karlsruhe NStZ 1985 227; Justiz 1977 277; OLG Köln StV 1991 551, 552 m. w. N.; OLG Stuttgart NJW 1973 2309, 2310. 150 KMR/Stuckenberg 45. 151 AK/Moschüring 46; HK/Julius/Beckemper 12; KMR/Stuckenberg 45; Meyer-Goßner/Schmitt 16; MüKo/ Miebach 29; Radtke/Hohmann/Britz 16; SK/Velten 27; SSW/Franke 9.

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dieses deshalb ohne eigene Nachprüfung seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.152 Gerügt werden kann auch der umgekehrte Fall, dass das Gericht in Verkennung seiner Entscheidungskompetenz eine Vorfrage selbst entschieden hat, zu deren Prüfung es nicht befugt war, so, wenn es sich dabei zu Unrecht über die Bindung durch die Entscheidung eines anderen Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde hinweggesetzt hat.153 61 Macht das Gericht von der Befugnis, das Verfahren nach § 262 Abs. 2 auszusetzen, keinen Gebrauch, so kann eine Aufklärungsrüge in der Regel nicht darauf gestützt werden.154 Dies gilt auch dann, wenn das Gericht einen Aussetzungsantrag nicht ausdrücklich beschieden hat.155 Denn bei dem weiten Ermessensrahmen des Absatzes 2 ist allenfalls in besonders gelagerten Ausnahmefällen denkbar, dass dem Gericht als einzige sachgerechte Entscheidung nur die Aussetzung verblieb (Rn. 47). Die Revision müsste ein entscheidungserhebliches Aufklärungsdefizit aufzeigen können, etwa dass ein entscheidungstragender Umstand nur durch die Aussetzung hinreichend aufzuklären gewesen wäre. 62 Ein revisibler Verfahrensfehler liegt jedoch stets vor, wenn das Gericht gegen eine spezialgesetzliche Aussetzungs- und Vorlagepflicht verstoßen156 und damit zugleich seine Aufklärungspflicht157 verletzt hat. In der Verletzung einer Aussetzungs- und Vorlagepflicht liegt nur dann zugleich ein Entzug des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn die Bejahung der eigenen Zuständigkeit willkürlich war.158 Ein Verfassungsverstoß liegt im Übrigen nicht bereits vor, wenn der Strafrichter an einen konstitutiven Verwaltungsakt ohne Nachprüfung seiner Rechtmäßigkeit gebunden ist, denn die Betroffenen haben die Möglichkeit, im Verwaltungsverfahren Gehör und richterliche Überprüfung herbeizuführen.159

§ 263 Abstimmung (1) Zu jeder dem Angeklagten nachteiligen Entscheidung über die Schuldfrage und die Rechtsfolgen der Tat ist eine Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen erforderlich. (2) Die Schuldfrage umfaßt auch solche vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen. (3) Die Schuldfrage umfaßt nicht die Voraussetzungen der Verjährung.

152 KK/Ott 13; KMR/Stuckenberg 46; Meyer-Goßner/Schmitt 17; MüKo/Miebach 30; OK-StPO/Eschelbach 16; Radtke/Hohmann/Britz 17; SK/Velten 29; SSW/Franke 10. 153 AK/Moschüring 46; KK/Ott 13; KMR/Stuckenberg 46; MüKo/Miebach 30; OK-StPO/Eschelbach 16; Radtke/Hohmann/Britz 17; SK/Velten 29. 154 RGSt 18 123; BGH NStZ 1985 126; OLG Düsseldorf StV 1995 459; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1973 187; HK/Julius/Beckemper 14; KMR/Stuckenberg 46; Meyer-Goßner/Schmitt 17; SK/Velten 30; SSW/Franke 10; Jörgensen 361 ff.; abw. wohl KK/Ott 13; MüKo/Miebach 30 f.; Radtke/Hohmann/Britz 17. 155 BGH 30.8.1957 – 1 StR 285/57 bei KK/Ott 13; AK/Moschüring 48; Radtke/Hohmann/Britz 17. 156 RGSt 7 146, 149. 157 OLG Saarbrücken JBlSaar 1964 208, 209; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1973 187; Jörgensen 365. 158 Vgl. BVerfGE 3 359, 363; 67 90, 95; 86 133, 143; BGHSt 38 212, 213; 52 24, 30; zur Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV, vormals Art. 234 (Art. 177 a. F.) EGV BVerfGE 82 159, 195 f. 159 Vgl. etwa BVerfG NStZ 1990 545; BGH NJW 1963 446, 447; BayObLGSt 1959 257, 260.

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Schrifttum Beling Bindings Lehre von der Abstimmung im Strafgericht, ZStW 37 (1916) 365; ders. Zur Lehre von der ratsgerichtlichen Abstimmung, ZStW 42 (1921) 599; Binding Die Beschlussfassung im Kollegialgericht, Abh. II 141 (1915); Grünhut Das Minderheitsvotum, FS Eb. Schmidt (1961) 620; Kern Die qualifizierten Mehrheiten im Strafverfahren, DJ 1938 1386; Mellinghoff Fragestellung, Abstimmungsverfahren und Abstimmungsgeheimnis im Strafverfahren (1988); Michel Beratung, Abstimmung und Beratungsgeheimnis, DRiZ 1992 263. Vgl. auch das Schrifttum zu §§ 192 ff. GVG.

Entstehungsgeschichte Ursprünglich (bis 1924) forderte § 263 nur für den Schuldspruch die Zweidrittelmehrheit; im Übrigen genügte die einfache Mehrheit. Absatz 3 ist als Rest der alten Regelung stehen geblieben, nur die Erwähnung des Rückfalls wurde dort durch Art. 21 Nr. 67 Buchst. b EGStGB 1974 gestrichen. Seine jetzige Fassung hat Absatz 1 durch Art. 21 EGStGB erhalten, der eine frühere Neufassung dieses Absatzes durch Art. 2 AGGewVerbrG ablöste. Der 1953 durch das 3. StRÄndG eingefügte Absatz 4, der die Strafaussetzung zur Bewährung betraf, ist durch Art. 21 Nr. 67 Buchst. c EGStGB wieder aufgehoben worden. Bezeichnung bis 1924: § 262.

I.

II.

Übersicht Bedeutung und Anwendungsbereich der Vorschrift 1 1. Verhältnis zu §§ 192 ff. GVG 1 2. Abgrenzung von Schuld- und Rechtsfolgenfrage 2 3. Mehrheit von zwei Dritteln 3 4. Geltungsbereich 4 Mit Zweidrittelmehrheit zu entscheidende Fragen 5 1. Schuldfrage 5 a) Allgemeines 5 b) Umstände, welche die Strafbarkeit ausschließen 8

c)

III.

IV.

Umstände, welche die Strafbarkeit vermindern 9 d) Umstände, welche die Strafbarkeit erhöhen 10 e) Einheit der Entscheidung 11 2. Festsetzung von Rechtsfolgen 14 Einfache Stimmenmehrheit 15 1. Alle sonstigen Fragen 15 2. Verfahrensfragen 16 3. Kosten 17 4. Vermögensrechtliche Ansprüche 18 Revision 19

I. Bedeutung und Anwendungsbereich der Vorschrift 1. Verhältnis zu §§ 192 ff. GVG. Die allgemeinen Regeln der §§ 192 ff. GVG, §§ 43, 45 1 DRiG über Abstimmung und Beratung gelten grundsätzlich auch im Strafprozess.1 Danach entscheidet ein Kollegialgericht gemäß § 196 Abs. 1 GVG mit einfacher absoluter Mehrheit der Stimmen. § 263 bestimmt als davon abweichende Sondervorschrift für das Strafverfahren, dass für den Angeklagten nachteilige Entscheidungen über die Schuldfrage und die Rechtsfolgen der Tat im Kollegialgericht einer Zweidrittelmehrheit der Stimmen bedürfen.

1 KK/Ott 1; KMR/Stuckenberg 1; Meyer-Goßner/Schmitt 1; OK-StPO/Eschelbach 1; SK/Velten 3; SSW/Franke 1, 3; Eb. Schmidt 2.

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2. Abgrenzung von Schuld- und Rechtsfolgenfrage. Ursprünglich war § 263 eine Sonderregel vornehmlich über die für den Wahrspruch der Geschworenen nötige qualifizierte Mehrheit (acht von zwölf Geschworenen); die Bestimmungen des Umfangs der Schuldfrage in den Absätzen 2 und 3 grenzten zugleich die Entscheidungskompetenzen von Geschworenenbank und Richterbank ab.2 Nach der Aufhebung der Geschworenengerichte 1924 blieb nur noch die Funktion der Bestimmung der qualifizierten Mehrheit, die zugleich auf die Bemessung der Strafe, später alle nachteiligen Rechtsfolgenentscheidungen erstreckt wurde. Die Abgrenzung von Schuld- und Rechtsfolgenfrage, die für den ganzen Strafprozess bedeutsam ist und entsprechend §§ 318, 344, 353 vorzunehmen ist,3 ist für das Maß der Stimmenmehrheit heute bedeutungslos. Bei der Abstimmung spielt der Unterschied im Rahmen des § 196 Abs. 3 GVG jedoch weiterhin eine Rolle, da über Schuld- und Straffrage getrennt und über die Schuldfrage einheitlich abzustimmen ist (Rn. 11).

3

3. Mehrheit von zwei Dritteln. Für das Schöffengericht in seinem regelmäßigen Bestand – Richter beim Amtsgericht und zwei Schöffen, § 29 Abs. 1 GVG – ist die Vorschrift ohne Bedeutung, da in diesem die Zweidrittelmehrheit mit der einfachen Mehrheit zusammenfällt. Dasselbe gilt von der kleinen Strafkammer, § 76 Abs. 2 GVG. Dagegen ist bei dem erweiterten, mit zwei Berufsrichtern und zwei Laien besetzten Schöffengericht (§ 29 Abs. 2 GVG) eine Mehrheit von drei Stimmen erforderlich.4 Ebenso kann in der mit drei Richtern und zwei Schöffen besetzten großen Strafkammer (§ 76 Abs. 2 GVG) eine dem Angeklagten nachteilige Entscheidung der Schuldfrage und des Strafmaßes nur mit mindestens vier Stimmen erfolgen. Bei einer nur mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzten großen Strafkammer sind auch für die Zweidrittelmehrheit drei Stimmen notwendig. Entscheidet das Oberlandesgericht als Gericht erster Instanz (§§ 120, 122 Abs. 2 GVG), erfordern seine Entscheidungen nach § 263 Abs. 1, 2 ebenfalls eine Zweidrittelmehrheit von vier Stimmen.5

4

4. Geltungsbereich. § 263 ist über § 332 im Berufungsrechtszug entsprechend anwendbar.6 Für die Revisionsinstanz fehlt eine vergleichbare Vorschrift, denn das Revisionsgericht entscheidet in der Regel nur über Rechtsfragen. Es ist ihm verwehrt, sich eine selbständige Überzeugung über die seinem Spruch zugrunde liegenden Tatsachen zu bilden (§ 354, 1). Folglich genügt die einfache Stimmenmehrheit, es sei denn, das Revisionsgericht entscheidet ausnahmsweise nach § 354 Abs. 1, 1a oder 1b zu Lasten des Angeklagten in der Sache selbst, worauf § 263 analog anzuwenden ist.7 Die Fälle des § 349 Abs. 2 und 4 erfordern Einstimmigkeit.

2 Hahn 202 ff.; vgl. noch BayObLGSt 1949/51 110 f. 3 KMR/Stuckenberg 2; Meyer-Goßner/Schmitt 3; SK/Velten 8; Eb. Schmidt 8; a. A. OLG Hamm MDR 1954 631, das § 157 StGB bei § 263 zur Schuldfrage und bei der Rechtsmittelbeschränkung zur Straffrage rechnet.

4 KMR/Stuckenberg 3; Deisberg/Hohendorf DRiZ 1984 261. 5 KK/Ott 2; KMR/Stuckenberg 3; MüKo/Miebach 3; SK/Velten 7; SSW/Franke 2; Eb. Schmidt 11. 6 KK/Ott 1; KMR/Stuckenberg 4; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/Miebach 4; OK-StPO/Eschelbach 2; Radtke/Hohmann/Britz 2. 7 AK/Moschüring 2; KK/Ott 2; KMR/Stuckenberg 4; Meyer-Goßner/Schmitt § 351, 7 m. w. N.; MüKo/ Miebach 5; OK-StPO/Eschelbach 2; Pfeiffer 1; Radtke/Hohmann/Britz 3; SK/Velten 3; Eb. Schmidt 11; Roxin/Schünemann § 55, 77; erwägend BGHSt 49 371, 375; a. A. Beling 429; ders. GA 67 (1919) 141, 159 ff.; Peters § 75 IV 4; Mellinghoff 46 ff., 149 ff. (Zweidrittelmehrheit bei jeder nachteiligen Sachentscheidung).

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II. Mit Zweidrittelmehrheit zu entscheidende Fragen 1. Schuldfrage a) Allgemeines. Die Zweidrittelmehrheit muss jede dem Angeklagten nachteilige 5 Entscheidung in der Schuldfrage decken, die sich nicht nur auf die Schuld im materiellrechtlichen Sinne bezieht, sondern die gesamte Entscheidung über die tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte8 Verwirklichung eines Straf- oder Bußgeldtatbestands meint einschließlich der Beteiligungs- und Konkurrenzform sowie nötigenfalls der wahldeutigen Verurteilung. Objektive Strafbarkeitsbedingungen sind materielle Strafvoraussetzungen und 6 Bestandteil des Garantietatbestands9 und gehören daher zur (prozessualen) Schuldfrage.10 Bei § 186 StGB ist dies für die Nichterweislichkeit der Wahrheit der behaupteten Tatsache auch von der herrschenden Meinung anerkannt.11 Die Schuldfrage umfasst auch die in Absatz 2 zur Klarstellung besonders aufgeführ- 7 ten strafmildernden, straferhöhenden oder strafausschließenden Umstände (vgl. § 265 Abs. 2, § 267 Abs. 2). Schwierigkeiten ergeben sich daraus, dass die Vorschrift nicht auf den materiell-rechtlichen Verbrechensaufbau, sondern auf die historische Zuordnung einer Frage zu Geschworenen- oder Richterbank (Rn. 2) ausgerichtet ist. b) Umstände, welche die Strafbarkeit ausschließen. Dieser Ausdruck umfasst ne- 8 ben dem Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB)12 sämtliche Rechtfertigungsgründe wie Notwehr, Notstand, rechtlich beachtliche Einwilligung, Wahrnehmung berechtigter Interessen, auch wenn sie sich nicht aus dem Strafgesetz, sondern aus anderen Gesetzen ergeben, wie §§ 228, 904 BGB, §§ 758, 758a ZPO; § 127 Abs. 1 StPO,13 und die Schuldausschließungsgründe, wie unvermeidbarer Verbotsirrtum, Schuldunfähigkeit, Überschreitung der Notwehr, entschuldigender Notstand, als auch die Strafausschließungsgründe (etwa §§ 173 Abs. 3 StGB, 258 Abs. 6 StGB) und die Strafaufhebungsgründe (z. B. §§ 24, 31, 139 Abs. 3 und 4, 163 Abs. 2, 306e, 314a StGB). Die große Strafkammer muss also freisprechen, wenn zwei Richter die Schuldunfähigkeit des Angeklagten bezweifeln oder Notwehr, freiwilligen Rücktritt vom Versuch, Wahrheit der behaupteten ehrenrührigen Tatsache oder rechtzeitiges Löschen des Brandes seitens des Täters für dargetan erachten.14 c) Umstände, welche die Strafbarkeit vermindern. Umstände, welche die Straf- 9 barkeit vermindern, sind alle im Gesetz tatbestandsmäßig abschließend festgelegten Privilegierungen, welche die mildere Beurteilung eines Grundtatbestandes gebieten,15 wie etwa §§ 216, 248a, 263 Abs. 4 StGB sowie §§ 157, 158 StGB.16 § 213 1. Alt StGB ist keine 8 BayObLGSt 1968 70, 73 f. = NJW 1968 2299. 9 Vgl. nur Jakobs 6/53; Roxin (StrafR I) § 5, 41. 10 HK/Julius/Beckemper 3; KMR/Stuckenberg 6; OK-StPO/Eschelbach 4; Radtke/Hohmann/Britz 5; SK/ Velten 6, 10; Mellinghoff 32, 117 f. m. w. N.; Roxin/Schünemann § 48, 13; a. A. KK/Ott 8; LR/Gollwitzer25 15; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/Miebach 2; SSW/Franke 7; Eb. Schmidt 7. 11 RGRspr 4 (1882) 782, 784; KK/Ott 4; LR/Gollwitzer25 7; MüKo/Miebach 10; SK/Velten 10. 12 KK/Ott 4; KMR/Stuckenberg 8; SK/Velten 10. 13 KK/Ott 4; KMR/Stuckenberg 8; Meyer-Goßner/Schmitt 4; SK/Velten 10; Eb. Schmidt 4. 14 RGRspr. 4 (1882) 782, 784. 15 KK/Ott 5; KMR/Stuckenberg 9; Meyer-Goßner/Schmitt 5. 16 Zu § 157 StGB RGSt 1 423, 424 f.; OLG Hamm MDR 1954 631; diff. OLG Braunschweig NdsRpfl 1953 166 f.; a.M. (Straffrage) BGHSt 2 379 f.; Mellinghoff 125 f.

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Privilegierung, sondern dem Wortlaut nach („oder liegt ein sonst minder schweren Fall vor“) selbst ein minder schwerer Fall, über den im Rahmen der Straffrage zu beraten ist.17 Die vom Reichsgericht begründete Gegenmeinung klassifiziert § 213 1. Alt StGB zwar zutreffend als minder schweren Fall, zählt ihn aber dennoch zur Schuldfrage, weil er im Gesetz besonders erwähnt ist, wofür der Wortlaut („besonders vorgesehene Umstände“) des § 263 Abs. 2 spricht. Dies entspricht wohl auch dem Willen des historischen Gesetzgebers, wonach nur die „mildernden Umstände im Allgemeinen“ zur Straffrage gehören und im Schwurgericht den Berufsrichtern vorbehalten sein sollten.18 Heute kann es aber allein auf die „besondere Erwähnung“ nicht mehr ankommen, weil sonst auch alle Regelbeispiele zur Schuldfrage gerechnet werden müssten, was einhellig und zu Recht abgelehnt wird (Rn. 14). Vielmehr wird man diesen Ausdruck im gleichen Sinn zu verstehen haben wie bei § 267 Abs. 2. Über das Vorliegen von nur „in der Regel“ straferhöhenden Umständen oder den unbenannten besonders schweren Fällen ist daher, wie der Gesetzgeber in § 267 Abs. 3 Satz 3 klargestellt hat, im Rahmen der Straffrage zu entscheiden.19 Umstritten ist weiterhin, ob § 21 StGB als strafbarkeitsmindernder Umstand zur Schuldfrage20 oder aber zur Straffrage21 zu zählen ist. Zwar führt die Vorschrift nicht zwingend zur Minderung, doch betrifft sie Fälle geminderter Schuld im engeren materiellen Sinne22 und fällt daher unter § 263 Abs. 2. 10

d) Umstände, welche die Strafbarkeit erhöhen. Umstände, welche die Strafbarkeit erhöhen, sind alle qualifizierenden Merkmale, die tatbestandlich abschließend und zwingend eine gegenüber dem Grundtatbestand erhöhte Strafe anordnen, wie beispielsweise die §§ 224 bis 227 StGB gegenüber der einfachen Körperverletzung oder die öffentliche Begehung einer Beleidigung.23 Hierher gehört bei bestimmten Tatbeständen, dass der Täter Amtsträger ist (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB) oder gewerbs- oder gewohnheitsmäßig gehandelt hat.24 Hingegen gehören unbenannte „besonders schwere“ Strafschärfungsgründe und Regelbeispiele zur Straffrage (Rn. 14).

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e) Einheit der Entscheidung. Für jede Handlung nach Maßgabe des materiellen Strafrechts (§§ 52 ff. StGB)25 ist über die Schuldfrage, d. h. über die Verwirklichung eines bestimmten Straftatbestands (Rn. 13), einheitlich abzustimmen26 und nicht etwa ge17 KMR/Stuckenberg 10; SK/Velten 11; Jakobs 6/103, alle m. w. N.; a. A. RGSt 14 298, 300 f.; BayObLGSt 1949/51 110, 111; KK/Ott 5; Meyer-Goßner/Schmitt 5; MüKo/Miebach 11; LR/Gollwitzer25 8; SSW/Franke 5; Eb. Schmidt 5. 18 Hahn 204. 19 BGH NJW 1959 996 f.; 1977 1830; HK/Julius/Beckemper 4; KMR/Stuckenberg 12, 16; Meyer-Goßner/ Schmitt 6, 8; Pfeiffer 3; SK/Velten 5; Rieß GA 2007 377, 382 f. 20 OLG Hamm NJW 1972 1149; KMR/Stuckenberg 11; Eb. Schmidt 5. 21 OK-StPO/Eschelbach 5; SK-StGB/Rogall § 21, 4; offenlassend LR/Gollwitzer25 8; diff. SK/Velten 12 (Straffrage, wenn nicht § 20 StGB in Betracht kommt). 22 Vgl. nur LK/Schöch § 21, 1 f.; SK-StGB/Rogall § 21, 1; Jakobs 18/28 ff. 23 BayObLGSt 1960 248 = NJW 1961 569; OLG Hamm JMBlNW 1951 63. 24 KK/Ott 6; KMR/Stuckenberg 12; Meyer-Goßner/Schmitt 6; Eb. Schmidt 6. Vgl. auch BGH bei Dallinger MDR 1952 532 (Gewinnsucht). 25 AK/Moschüring 5; HK/Julius/Beckemper 2; KMR/Stuckenberg 13; Meyer-Goßner/Schmitt 2; MüKo/Miebach 6; Radtke/Hohmann/Britz 3; SK/Velten 4; a. A. OGH NJW 1950 195, der auf den verfahrensrechtlichen Tatbegriff des § 264 abstellte. 26 RGSt 18 218, 220; HK/Julius/Beckemper 2; KK/Ott 3; KMR/Stuckenberg 13; Meyer-Goßner/Schmitt 2; OK-StPO/Eschelbach 3; Radtke/Hohmann/Britz 4; SK/Velten 9; SSW/Franke 4; Mellinghoff 30 ff., 116 ff.; Michel DRiZ 1992 263, 264.

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trennt nach einzelnen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkten wie z. B. einzelnen Tatbestandsmerkmalen. In diesem Sinne hat das Gericht eine „Totalabstimmung“27 und keine „Abstimmung nach Gründen“ vorzunehmen. Das schließt nicht aus, die Meinung zu Einzelfragen durch informelle Abstimmungen vorweg abzuklären. Diese rein informatorischen Einzelabstimmungen haben aber keine bindende Wirkung für die einheitliche Abstimmung über die Schuldfrage.28 Gerade in umfangreichen Sachen wird es zweckmäßig sein, etwa vorab den Erkenntniswert eines Beweismittels zu beurteilen oder einzelne Gründe für einen Freispruch darzulegen.29 Umstritten ist, ob über die modifizierenden Umstände nach Absatz 2 gesondert30 12 oder im Zuge der Totalabstimmung31 zu entscheiden ist. Hierbei ist zu unterscheiden: Über alle notwendigen Bedingungen der Strafbarkeit, mithin auch über die Gründe, die zur Verneinung der Strafbarkeit führen, kann nur einheitlich abgestimmt werden.32 Dagegen sind Privilegierungs- und Qualifikationstatbestände selbständig und folglich gesondert abzustimmen.33 Stehen nur Modifikationen des Schuldumfangs oder fakultative Strafmilderung oder Absehen von Strafe in Frage, ist Teilabstimmung zweckmäßig.34 Bei der Totalabstimmung darf freilich die Schuld des Angeklagten nicht nur allge- 13 mein bejaht werden; abzustimmen ist darüber, ob er bei Würdigung aller Gesichtspunkte einer bestimmten Straftat oder Ordnungswidrigkeit schuldig ist.35 Bei mehreren Straftaten ist über jede einzeln abzustimmen, auch wenn sie tateinheitlich zusammentreffen. Bei der fortgesetzten Handlung wurde früher angenommen, dass über jede der nur durch einen Gesamtvorsatz verknüpften Einzeltaten gesondert abzustimmen ist.36 Bei wahldeutiger Verurteilung ist zunächst über die einzelnen zur Wahl stehenden Delikte und sodann über die wahldeutige Verurteilung abzustimmen.37 Wird die Zweidrittelmehrheit für eine bestimmte rechtliche Würdigung der Tat nicht erzielt, indem etwa von den fünf Richtern einer großen Strafkammer drei die Tat als Betrug und zwei als Unterschlagung ansehen, dann kann der Angeklagte wegen dieser Delikte nicht verurteilt werden.38 Verurteilt werden kann aber bei solchen Divergenzen wegen eines Delikts, das in den streitigen Tatbeständen enthalten ist; so kann wegen Diebstahls verurteilt werden, wenn nach der insoweit übereinstimmenden Auffassung von zwei Dritteln der Richter mindestens dessen Voraussetzungen vorliegen, auch wenn im Übrigen strittig bleibt, ob Raub oder Diebstahl vorliegt.39 Ist die notwendige Zweidrittelmehrheit für 27 Vgl. Eb. Schmidt § 194, 11 GVG; Mellinghoff 13, 25 f.; anders im Zivilverfahren Stein/Jonas/Leipold21 § 309, 8 ZPO; Stein/Jonas/Jacobs22, § 194, 6 GVG. 28 RGSt 61 217, 220; BGH bei Holtz MDR 1976 989 f.; OLG Bamberg NStZ 1981 191, 192; KK/Ott 3; KMR/ Stuckenberg 13; Meyer-Goßner/Schmitt 2; MüKo/Miebach 7; OK-StPO/Eschelbach 3; Radtke/Hohmann/Britz 4; SK/Velten 9; Mellinghoff 18 m. w. N., 54. 29 RGSt 61 217, 220; BGH bei Holtz MDR 1976 989 f.; sowie BGHSt 17 337, 339. 30 LR/Wickern26 § 194, 15 f. GVG. 31 Meyer-Goßner/Schmitt § 194, 1 GVG; diff. Eb. Schmidt § 194, 18 ff. GVG; Mellinghoff 33 ff., 115 ff. m. w. N. 32 Eb. Schmidt § 194, 21 GVG; KMR/Stuckenberg 14. 33 Vgl. zur Reihenfolge Eb. Schmidt § 194, 18 f. GVG; MüKo/Miebach 12. 34 Eb. Schmidt § 194, 20 GVG; KMR/Stuckenberg 14; Mellinghoff 124 ff. 35 OLG Hamm MDR 1964 863 f. = JMBlNW 1964 7; AK/Moschüring 6; KK/Ott 3; KMR/Stuckenberg 15; Meyer-Goßner/Schmitt 2; SK/Velten 4, 9; Eb. Schmidt 12. 36 AK/Moschüring 5. 37 AK/Moschüring 6; KK/Ott 3; KMR/Stuckenberg 15; MüKo/Miebach 6; SK/Velten 9. 38 Vgl. HK/Julius/Beckemper 3; KMR/Stuckenberg 15; SK/Velten 9; sowie AK/Moschüring 6 mit weiteren Beispielen; für praktisch irrelevant hält dies MüKo/Miebach 8. 39 Michel DRiZ 1992 263, 265; HK/Julius/Beckemper 3.

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die Subsumtion unter eine bestimmte Vorschrift oder für Wahlfeststellung nicht zu erreichen, so ist der Angeklagte freizusprechen.40 Zu Einzelheiten der Abstimmung siehe die Erläuterungen zu § 194 GVG.41 14

2. Festsetzung von Rechtsfolgen. Bei der Festsetzung der Rechtsfolgen, bei ihrer Auswahl und Bemessung erfordert ebenfalls jede dem Angeklagten nachteilige Entscheidung eine Zweidrittelmehrheit, wobei über jede einzelne Rechtsfolge gesondert42 abzustimmen ist. Dies gilt für Art und Maß aller staatlichen Reaktionsmittel, die im Strafverfahren festgesetzt werden, für die Haupt- und Nebenstrafen ebenso wie für Maßregeln der Besserung und Sicherung und sonstige Nebenfolgen oder die Verhängung einer Geldbuße bei Ordnungswidrigkeiten und die Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel des Jugendrechts. Die Straffrage umfasst insbesondere auch die Entscheidung, ob Jugendrecht oder Erwachsenenrecht anzuwenden ist43 und ob ein unbenannter oder nicht tatbestandlich, sondern durch Regelbeispiele illustrierter, minder oder besonders schwerer Fall vorliegt.44 Zu ihr gehört ferner, ob anstelle einer Freiheitsstrafe nach dem § 47 StGB eine Geldstrafe zu verhängen, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung nach § 51 StGB anzurechnen sowie, ob von Strafe abzusehen oder der Täter für straffrei zu erklären (199 StGB)45 oder ob für eine konventionswidrige Verfahrensverzögerung eine Kompensation im Sinne der Vollstreckungslösung46 geboten ist. Auch bei der Strafaussetzung zur Bewährung bedarf es jetzt nach Wegfall des früheren Absatzes 4 der Zweidrittelmehrheit, wenn sie zu Lasten des Angeklagten versagt werden soll.47

III. Einfache Stimmenmehrheit 15

1. Alle sonstigen Fragen. Bei allen sonstigen im Prozess zu entscheidenden Fragen bleibt es bei der Regel des § 196 Abs. 1 GVG. Es genügt einfache Stimmenmehrheit, insbesondere bei den nachfolgenden Entscheidungen:

16

2. Verfahrensfragen. Über Verfahrensfragen entscheidet das Gericht mit einfacher Mehrheit, namentlich über Verfahrensvoraussetzungen,48 wie Absatz 3 für die Verjäh40 OLG Hamm MDR 1964 863, 864; KK/Ott 3; KMR/Stuckenberg 15; SK/Velten 9; Mellinghoff 37 f. 41 Sowie Eb. Schmidt § 194, 13 ff. GVG; Michel DRiZ 1992 263, 265; Mellinghoff 37 ff. 42 Vgl. § 196 Abs. 3 GVG; KK/Ott 3; KMR/Stuckenberg 16; Meyer-Goßner/Schmitt 8; MüKo/Miebach 14; Pfeiffer 3; SK/Velten 9; Eb. Schmidt 13; § 194, 25 ff. GVG; Mellinghoff 38 ff., 127 ff.; Michel DRiZ 1992 263, 265. 43 BGHSt 5 207, 209; BayObLGSt 1956 7 = NJW 1956 921; AK/Moschüring 8; HK/Julius/Beckemper 7; KK/ Ott 7; KMR/Stuckenberg 17; Meyer-Goßner/Schmitt 8; MüKo/Miebach 14; OK-StPO/Eschelbach 5; Radtke/ Hohmann/Britz 7; SK/Velten 5; SSW/Franke 6; Potrykus NJW 1954 821, 822. 44 BGH NJW 1959 996 f.; 1977 1830; HK/Julius/Beckemper 4; KK/Ott 5, 7; KMR/Stuckenberg 16; MeyerGoßner/Schmitt 8; MüKo/Miebach 12; Pfeiffer 3; Radtke/Hohmann/Britz 7; SK/Velten 5; SSW/Franke 5; oben Rn. 9. 45 A. A. RGSt 17 346, 347. 46 SSW/Franke 6; vgl. BGHSt 54 135, 137 f. 47 KK/Ott 7; KMR/Stuckenberg 16; Meyer-Goßner/Schmitt 8; MüKo/Miebach 14; OK-StPO/Eschelbach 5; Radtke/Hohmann/Britz 7; SSW/Franke 6. 48 BGH bei Dallinger MDR 1952 532; KK/Ott 8; KMR/Stuckenberg 18; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/ Miebach 2; OK-StPO/Eschelbach 2, 6; SK/Velten 6; SSW/Franke 7; Friedlaender JW 1924 277 f.; näher Mellinghoff 40 ff., 112 ff. m. w. N. Zu fehlendem Strafantrag RGSt 20 161, 162 f.

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rung besonders und heute überflüssig49 hervorhebt. Die mit der einfachen Mehrheit getroffenen Feststellungen über die tatsächlichen Grundlagen der Verfahrensvoraussetzungen dürfen allerdings nicht den Feststellungen widersprechen, die im Rahmen der Schuldfrage getroffen worden sind. Dies gilt insbesondere auch für die bei Prüfung der Verjährung getroffene Feststellung über die Tatzeit.50 Mit einfacher Mehrheit wird auch über sonstige Verfahrensfragen abgestimmt, so über die Glaubwürdigkeit eines Zeugen51 oder darüber, auf welches Beweismittel bei der Beratung die Entscheidung gestützt werden soll,52 oder ob das Verfahren nach §§ 153 ff. einzustellen ist.53 Bei doppelrelevanten Tatsachen sind die mit Zweidrittelmehrheit beim Schuldspruch festzustellenden Tatsachen maßgebend.54 3. Kosten. Über Kosten einschließlich der Entscheidung über die Erstattung der not- 17 wendigen Auslagen und über die Entschädigung für unschuldig erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen wird mit einfacher Mehrheit entschieden.55 4. Vermögensrechtliche Ansprüche. Vermögensrechtliche Ansprüche des Verletz- 18 ten gegen den Angeklagten, die im Adhäsionsverfahren nach den §§ 403 ff. geltend gemacht werden, werden nach § 196 Abs. 1 GVG mit einfacher Mehrheit entschieden.56

IV. Revision Fehler bei der Abstimmung können mit der Revision nach § 337 gerügt werden. 19 Sie müssen aber vom Revisionsführer konkret unter Anführung der Tatsachen, aus denen sich der Fehler ergibt, behauptet werden (§ 344 Abs. 2 Satz 2). Die bloße Behauptung, bei der Abstimmung sei gesetzwidrig verfahren worden, genügt nicht.57 Die substantiierte Darlegung einer solchen Rüge und ihr Nachweis werden meist am Beratungsgeheimnis (§ 43 DRiG) scheitern, da grundsätzlich das Ergebnis der Abstimmung weder in den Urteilsgründen noch in sonstiger Weise offenzulegen ist,58 um die richterliche Unabhängigkeit59 und die Autorität der Kollegialentscheidung60 zu wahren. Das Beratungsgeheimnis begründet regelmäßig ein Beweiserhebungsverbot, so dass mit der Revisionsrüge die Offenlegung der Abstimmung, etwa durch die Vernehmung der betreffenden Richter oder durch dienstliche Äußerung, nicht erzwungen werden 49 50 51 52 53 54

Dazu SK/Velten 14. RGSt 15 107; vgl. Koeniger 435. RGSt 61 217, 220; BGH DRiZ 1976 319. KK/Ott 8; MüKo/Miebach 2. KK/Ott 8; KMR/Stuckenberg 18; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/Miebach 2; a. A. Mellinghoff 147 ff., 149. KMR/Stuckenberg 19; OK-StPO/Eschelbach 6; Radtke/Hohmann/Britz 6; Mellinghoff 146 f.; vgl. LR/ Becker § 244, 34 f. 55 RGSt 39 291, 293; KK/Ott 8; KMR/Stuckenberg 18; MüKo/Miebach 2; OK-StPO/Eschelbach 7; SK/Velten 6; SSW/Franke 7; Eb. Schmidt 14. 56 AK/Moschüring 2; KK/Ott 8; KMR/Stuckenberg 18; MüKo/Miebach 2; SK/Velten 6; SSW/Franke 7. 57 BGH VRS 48 (1975) 362, 364; OLG Koblenz MDR 1974 421 f.; KK/Ott 9; KMR/Stuckenberg 20; MeyerGoßner/Schmitt 10; MüKo/Miebach 16; Radtke/Hohmann/Britz 9; SK/Velten 15; SSW/Franke 9. 58 BGH DRiZ 1976 319; Meyer-Goßner/Schmitt 9; vgl. Niebler FS Tröndle 585 ff.; a. A. mit beachtlichen Gründen Mellinghoff 152 ff., 175 ff. 59 BTDrucks. III 516 S. 47; RGSt 26 202, 204; 61 217, 219. 60 Vgl. OGHSt 1 217, 222 f.; OLG Düsseldorf NStZ 1981 25 m. w. N.; Schmidt-Räntsch § 43, 1 ff., 4 DRiG; Spendel ZStW 65 (1953) 403, 406 ff.

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kann.61 Allerdings sollen freiwillige Angaben von Mitgliedern des Spruchkörpers verwertbar sein, auch wenn sie unter Verletzung der Verschwiegenheitspflicht gemacht wurden.62 Eine Verletzung des § 263 kann daher nur in Ausnahmefällen bewiesen werden, so 20 wenn das Gericht in den Urteilsgründen auf ein möglicherweise gesetzwidriges Verfahren, wie einen von ihm selbst erkannten Abstimmungsfehler,63 hinweist, worin eine zulässige und gebotene64 Durchbrechung des Beratungsgeheimnisses liegen kann. Auch bei Zweifeln oder Meinungsverschiedenheiten des Gerichts über Abstimmungsfragen kann es angebracht sein, wenn es von sich aus in der schriftlichen Begründung des Urteils die Art der Abstimmung, die Reihenfolge und das Stimmverhältnis darlegt, um dem Revisionsgericht die rechtliche Nachprüfung zu ermöglichen.65 Schließlich mögen die Richter aus sonstigen die Rechtssicherheit überwiegenden Gründen der Einzelfallgerechtigkeit bereit sein, über Art und Ergebnis der Beratung und Abstimmung auszusagen.66 21 Soweit durch Vortrag der entsprechenden Tatsachen belegbar, kann mit der Revision auch gerügt werden, dass eine Beratung und Abstimmung nicht stattgefunden haben, hingegen nicht, dass die Dauer von Beratung und Abstimmung unzureichend gewesen sei (§ 260, 138).

§ 264 Gegenstand des Urteils (1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. (2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde liegt, nicht gebunden. Schrifttum Achenbach Strafprozessuale Ergänzungsklage und materielle Rechtskraft, ZStW 87 (1975) 74; ders. Tat, Straftat, Handlung und die Strafrechtsreform, MDR 1975 19; Arzt Die fortgesetzte Handlung geht – die Probleme bleiben, JZ 1994 1000; Barthel Der Begriff der Tat im Strafprozeßrecht (1972); Bauer Erneute

61 Str., wie hier RGSt 26 202, 204 ff.; 36 371, 373; 61 217, 219, 221; RG GA 56 (1909) 212; 64 (1917) 553; RG JW 1930 762 mit Anm. Alsberg; OLG Naumburg NJW 2008 3585, 3587 (Fall Görgülü) mit abl. Anm. Erb NStZ 2009 189, Marsch NJ 2009 152 und Mandla ZIS 2009 143; AK/Moschüring 14; KK/Ott 9; KMR/Stuckenberg 20; MüKo/Miebach 18 (19: erwägend aber bei § 339 StGB); Pfeiffer 5; SK/Velten 15; SSW/Franke 9; Michel DRiZ 1992 263, 267 m. w. N.; wohl auch LR/Gollwitzer25 19; a. A. KG NStZ 1990 355 mit Anm. Wohlers NStZ 1991 300; RGZ 89 13, 16 f.; Kissel/Mayer § 193, 12 GVG; LR/Schäfer23 § 43, 24 f. DRiG; Schmidt-Räntsch § 43, 17 DRiG m. w. N.; Spendel ZStW 65 (1953) 403, 413 ff.; offen gelassen von BGH 17.12.1991 – 5 StR 569/ 91; zu Ausnahmen vgl. BTDrucks. III 516 S. 47. 62 OGHSt 1 217, 222; BayObLG JW 1929 1062, 1063 mit Anm. Mannheim; OLG Celle MDR 1958 182; OLG Naumburg NJW 2008 3585, 3587; KK/Ott 9; KMR/Stuckenberg 20; Meyer-Goßner/Schmitt 10; siehe aber RG GA 56 (1909) 212; RGSt 61 217, 219; offenlassend BGH VRS 48 (1975) 362, 364. 63 HK/Julius/Beckemper 5; KK/Ott 9; KMR/Stuckenberg 21; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Miebach 18; OK-StPO/Eschelbach 8; Radtke/Hohmann/Britz 9; SK/Velten 15 m. w. N.; SSW/Franke 9. 64 KK/Ott 9; MüKo/Miebach 19; SK/Velten 15. 65 RGRspr 4 (1882) 198, 204 f.; RGSt 8 218, 219; 60 295, 296; BGH DRiZ 1976 319; BayObLG JW 1929 1062, 1063; OLG Celle MDR 1958 182; OLG Hamm MDR 1964 863 f.; KMR/Stuckenberg 21; Meyer-Goßner/Schmitt 10. 66 KK/Ott 9; KMR/Stuckenberg 21; SK/Velten 15; Eb. Schmidt 15; krit. Mellinghoff 154 ff. m. w. N.

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Neubestimmung des Tatbegriffs als Konsequenz der Postpendenz-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wistra 1990 218; ders. Der Tatbegriff im Steuerstrafrecht, wistra 1991 56; ders. Der prozessuale Tatbegriff, NStZ 2003 174; ders. Der prozessuale Tatbegriff bei Steuerhinterziehung, wistra 2008 374; ders. Der Kartellsenat des BGH und der prozessuale Tatbegriff, NZKart 2013 405; Behrendt Der Tatbegriff im materiellen und formellen Steuerstrafrecht, ZStW 94 (1982) 888; Bertel Die Identität der Tat. Der Umfang von Prozeßgegenstand und Sperrwirkung im Strafprozeß (1970); Beulke Der prozessuale Tatbegriff, FS II BGH (2000) 781; Beulke/Fahl Prozessualer Tatbegriff und Wahlfeststellung – Strafprozessuale Probleme der alternativen Tatsachenfeststellung, Jura 1998 262; Bindokat Zur Frage des prozessualen Tatbegriffs, GA 1967 362; Bohnert Tatmehrheit, Verfahrensmehrheit und nachträgliche Gesamtstrafenbildung, GA 1994 97; Bringewat Fortsetzungstat und in dubio pro reo – BGHSt 23, 33, JuS 1970 329; Büchner Der Begriff der strafprozessualen Tat, Diss. Würzburg 1976; Cording Der Strafklageverbrauch bei Dauer- und Organisationsdelikten (1993); Dedes Die Identität der Tat im Strafprozeß, GA 1965 102; Detmer Der Begriff der Tat im strafprozessualen Sinn (1989); Dreyer Wahlfeststellung und prozessualer Tatbegriff (1999); Dürig Art. 103 III GG und die „Zeugen Jehovas“, JZ 1967 426; Erb Die Reichweite des Strafklageverbrauchs bei Dauerdelikten und bei fortgesetzten Taten, GA 1994 265; Endriß/Kinzig Eine Straftat – zwei Strafen – Nachdenken über ein erweitertes „ne bis in idem“, StV 1997 666; Fezer §§ 129, 129a StGB und der strafprozessuale Tatbegriff, in: K. Schmidt, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik (1990) 125; Fleischer Verhältnis von Dauerstraftat und Einzelstraftaten, NJW 1979 1337; Fliedner Die verfassungsrechtlichen Grenzen mehrfacher staatlicher Bestrafungen auf Grund desselben Verhaltens, AöR 99 (1974) 242; Geerds Zur Lehre von der Konkurrenz im Strafrecht (1961); Geisler Der Beschluß des großen Senats zum Fortsetzungszusammenhang, Jura 1995 74; Gillmeister Zur normativ-faktischen Bestimmung der strafprozessualen Tat, NStZ 1989 1; Greco Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft. Grundlagen und Dogmatik des Tatbegriffs, des Strafklageverbrauchs und der Wiederaufnahme im Strafverfahrensrecht (2015); Grosse-Wilde Strafklageverbrauch nach rechtskräftiger Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung? wistra 2014 130; Grünwald Der Verbrauch der Strafklage bei Verurteilungen nach den §§ 129, 129a StGB, FS Bockelmann (1979) 737; Hamm Das Ende der fortgesetzten Handlung, NJW 1994 1636; v. Heintschel-Heinegg Die Entbehrlichkeit des Fortsetzungszusammenhangs, JA 1994 586; Hellebrand Gerechtigkeit oder Rechtssicherheit? GedS Schlüchter (2002) 473; ders. Rechtsdogmatik und Strafverfolgungsalltag, FS Schwind (2006) 305; Helmken Strafklageverbrauch, Rechtssicherheit contra Einzelfallgerechtigkeit, MDR 1982 715; Herzberg Ne bis in idem, JuS 1972 113; Hruschka Der Begriff der Tat im Strafverfahrensrecht, JZ 1966 700; Jähnke Grenzen des Fortsetzungszusammenhangs, GA 1989 376; Jakobs Probleme der Wahlfeststellung, GA 1971 257; Jung Die fortgesetzte Handlung, JuS 1989 289; Kinnen Zum verfahrensrechtlichen Begriff der Tat, MDR 1978 545; Kahlo/Zabel Schuldgrundsatz und Strafklageverbrauch, FS Fezer (2008) 87; Körner Zur Praxis im Bereich des Betäubungsmittelrechts nach Wegfall der fortgesetzten Tat, StV 1998 626; Kraatz Strafklageverbrauch beim Unterlassungsdauerdelikt, Jura 2007 854; Kröpil Verfahrensrechtliche Konsequenzen aus dem prozessualen Tatbegriff im Verkehrsstrafrecht, DAR 1987 75; ders. Prozessualer Tatbegriff und Wahlfeststellung, NJW 1988 1188; ders. Die prozessuale Tat als Zentralbegriff in der strafrechtlichen Ausbildung und Prüfung, JuS 1986 211; ders. Die Bedeutung der Tatbegriffe für den Strafklageverbrauch, DRiZ 1986 448; Krauth Zum Umfang der Rechtskraftwirkung bei Verurteilung von Mitgliedern krimineller und terroristischer Vereinigungen, FS Kleinknecht (1985) 215; Kring Insolvenzverschleppung: Jahre in der Überschuldung und Fortsetzung nach Verurteilung – beides straflos? wistra 2013 257; van Lessen Handlungseinheit und Strafklageverbrauch bei mitgliedschaftlicher Beteiligung nach §§ 129, 129a StGB – Besprechung von BGH, Beschl. v. 9.7.2015, 3 StR 537/14, NStZ 2016 446; ders. Teilablehnung der Verfahrenseröffnung (§ 207 Abs. 2 Nr. 1 StPO) und prozessuale Spaltung der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung – Besprechung von BGH, Beschl. v. 17.12.2015, StB 15/15, JR 2016 624; Liu Der Begriff der Identität der Tat (1927); Loos Probleme der beschränkten Sperrwirkung strafprozessualer Entscheidungen, JZ 1978 592; Maatz Doppelverurteilung in Fällen fortgesetzter Handlungen, MDR 1986 285; ders. Zur materiell- und verfahrensrechtlichen Beurteilung verbotenen Waffenbesitzes in Notwehrfällen, MDR 1985 881; ders. Strafklageverbrauch und Gerechtigkeit, FS Meyer-Goßner (2001) 257; Marxen Straftatsystem und Strafprozeß (1984); ders. Der prozessuale Tatbegriff in der neueren Rechtsprechung, StV 1985 472; Mitsch Dauerdelikt und Strafklageverbrauch, MDR 1988 1005; ders. Der Strafklageverbrauch des rechtskräftigen Strafbefehls, NZV 2013 63; ders. Strafklageverbrauch durch Verfahrenseinstellung wegen Verjährung – Bemerkungen zu OLG Brandenburg, BeckRS 2016, 11182, NZV 2017 365; Müller Zur Frage des Strafklageverbrauchs bei dem Verleih, der Vermittlung oder der Beschäftigung illegaler Arbeitnehmer,

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NStZ 1985 343; Mutzbauer Strafklageverbrauch bei sukzessiver Tatbestandsverwirklichung, FS Fischer (2018) 751; Neuhaus Der strafverfahrensrechtliche Tatbegriff – ne bis in idem (1985); ders. Fortsetzungszusammenhang und Strafklageverbrauch – BGH NJW 1985, 2429 und NJW 1985, 1174, JuS 1986 964; ders. Der strafprozessuale Tatbegriff und seine Identität, MDR 1988 1012; Oehler Neuere Verschiebungen beim prozessualen Tatbegriff, GedS Schröder (1978) 439; ders. Die Identität der Tat, FS Rosenfeld (1949) 139; Paeffgen § 129a StGB und der prozessuale Tatbegriff, NStZ 2002 281; ders. Prozessualer Tatbegriff und das Kriterium der Untersuchungsrichtung, GedS Heinze (2005) 615; Palder Anklage – Eröffnungsbeschluss – Urteil. Eine Trias mit Tücken, JR 1986 94; R. Peters Was bleibt von der „Idealkonkurrenz durch Klammerwirkung“? JR 1993 265; Puppe Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen (1979); dies. Funktion und Konstitution der ungleichartigen Idealkonkurrenz, GA 1982 143; dies. Die Individualisierung der Tat in Anklageschrift und Bußgeldbescheid und ihre nachträgliche Korrigierbarkeit, NStZ 1982 230; Radtke Zur Systematik des Strafklageverbrauchs verfahrenserledigender Entscheidungen im Strafprozeß (1994); ders. Der strafprozessuale Tatbegriff auf europäischer und nationaler Ebene, NStZ 2012 479; Rolletschke/Roth Wann sind mehrere Steuerhinterziehungen Teil einer Tat im prozessualen Sinn? wistra 2019 228; Rostalski Der Tatbegriff im Strafrecht (2019); Ruppert Der Tag danach: Praktische Auswirkungen des Beschlusses zur fortgesetzten Handlung, MDR 1994 973; Salditt Die vervielfachte Umsatzsteuer-Hinterziehung. PStR 2005 30; ders. Die Tat bei der Hinterziehung von Einkommensteuer, FS Volk (2009) 637; Schlehofer Der Verbrauch der Strafklage für die abgeurteilte Tat, GA 1997 101; Schlüchter Von der Unabhängigkeitsthese zu materiell-rechtlich begrenzter Tateinheit beim Dauerdelikt, JZ 1991 1057; M. J. Schmid Verletzung gleichrangiger Unterhaltspflichten – eine prozessuale Tat? MDR 1978 547; Schöneborn Zum Problem der materiellrechtlichen und prozessualen Tateinheit durch Verklammerung, NJW 1974 735; ders. Alternativität der Handlungsvorgänge als Kriterium des strafprozessualen Tatbegriffs, MDR 1974 529; C. Schröder Wahlfeststellung und Anklageprinzip, NJW 1985 780; Schumann Fortgesetzte Tat, Verjährungsbeginn und Art. 103 Abs. 2 GG, StV 1992 392; Schwinge Identität der Tat im Sinne der Strafprozeßordnung, ZStW 52 (1932) 203; Stein Strafprozessualer Tatbegriff und Alternativität von Vorwürfen, JR 1980 444; Struensee Mehrfache Zivildienstverweigerung, JZ 1984 645; Stuckenberg Strafklageverbrauch bei Besitzdelikten – Zugleich ein Plädoyer für einen funktionalen Tatbegriff, FS von Heintschel-Heinegg (2015) 435; Tiedemann Entwicklungstendenzen der strafprozessualen Rechtskraftlehre (1969); Webel Umsatzsteuer: Voranmeldungen und Jahreserklärung, eine oder mehrere Taten? PStR 2008 109; Werle Die Beteiligung an kriminellen Vereinigungen und das Problem der Klammerwirkung, JR 1979 93; ders. Konkurrenz und Strafklageverbrauch bei der mitgliedschaftlichen Beteiligung an kriminellen und terroristischen Vereinigungen, NJW 1980 2671; ders. Die Konkurrenz bei Dauerdelikt, Fortsetzungstat und zeitlich gestreckter Gesetzesverletzung (1981); Wesemann/Voigt Strafklageverbrauch bei BtM- und Waffen-Delikten, StraFo 2010 452; Wolter Verurteilung aus nicht tatbestandsmäßiger Nachtat, GA 1974 161; ders. Tatidentität und Tatumgestaltung im Strafprozeß, GA 1986 143; ders. Natürliche Handlungseinheit, normative Sinneinheit und Gesamtgeschehen, StV 1986 315; Zschockelt Die praktische Handhabung nach dem Beschluss des Großen Senats für Strafsachen zur fortgesetzten Handlung, NStZ 1994 361; ders. Verbrechen und Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz, NStZ 1998 238.

Bezeichnung bis 1924: 263. Übersicht I.

II.

1 Bedeutung der Vorschrift 1. Regelungsgehalt 1 2. Anwendungsbereich 3 Der verfahrensrechtliche Tatbegriff 4 1. Funktionen 4 2. Normative Vorgaben 9 a) Aufgaben des Tatbegriffs 9 b) Idem crimen, idem factum 10 c) Systematische Vorgaben 11 3. Kriterien der Tatidentität in der Rechtsprechung 14 a) Grundsatz 14

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b) c) d)

4. 5.

Tatumfang 15 Tatmodifikation 19 Normativierung des Tatbegriffs? 20 Einwände und abweichende Vorschläge 22 Tatbegriff und Prozessgegenstand 33 a) Unteilbarkeit 33 b) Prozessgegenstand und Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft 35

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

c)

III.

IV.

Umfassende Kognitionspflicht des Gerichts 37 d) Rechtliche Grenzen der Kognitionspflicht 41 e) Insbesondere: Verwertung nicht angeklagter Taten 44 Die „Umgestaltung“ der Anklage (Absatz 2) 48 1. Allgemeines 48 2. Die „Umgestaltung“ in tatsächlicher Hinsicht 52 3. Die „Umgestaltung“ in rechtlicher Hinsicht 55 Einzelheiten zum Tatbegriff 58 1. Tatumfang 58 a) Materiell-rechtliche Einheiten 59 aa) Natürliche Handlung, tatbestandliche und natürliche Handlungseinheit 59 bb) Fortsetzungszusammenhang 61 cc) Dauerstraftaten und Organisationsdelikte 64 V.

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dd) Sammel- und Serienstraftaten, Wiederholungstaten 67 ee) Bewertungseinheiten 69 ff) Tateinheit 71 gg) Divergenz prozessualer und materieller Tateinheit 74 b) Materiell-rechtliche Tatmehrheit 87 aa) Grundsatz 87 bb) Ausnahmen 88 2. Tatmodifikation (Auswechslung von Tatumständen) 95 a) Allgemeines 95 b) Unwesentliche Veränderungen des Tatbilds 104 c) Wesentliche Veränderungen des Tatbilds 106 3. Alternative Sachverhalte 107 a) Keine Identität aufgrund Alternativität 107 b) Anklageerfordernis 111 4. Subsidiäre Straftaten 114 Rechtsbehelfe 115

Alphabetische Übersicht Adhäsionsverfahren 3 Alternativität der Handlungen 107 ff. Angeklagte, mehrere 18 Angriffsrichtung 20, 27 Anklagegrundsatz 5 Aufklärungspflicht 5, 29, 37 ff. Aussagedelikte 36, 59, 87 Aussetzung der Hauptverhandlung 54, 111 Berichtigungsklage 31 Berufungsgericht 34, 49 Beschränkung nach § 154a 43, 51, 118 Besitzdelikte 69, 72 f., 76, 81 f., 86 Betäubungsmitteldelikt 69, 72 f., 76, 86, 94 Bewertungseinheit 69 f. Brandstiftung und Betrug 89 Dauerstraftat 64 ff., 76 ff., 80 ff., 86 Doppelbestrafung, Verbot der 4 ff., 115 ff. Ehrdelikte 60, 72 Eigentums- und Vermögensdelikte 103, 105 f. Einstellung nach § 154 42 Einstellung nach § 260 Abs. 3 116 Erfolgsdelikte 97 Ergänzungsklage 31, 39 Ersatzdienstverweigerung 64 Erschöpfung der Anklage 37 ff., 55, 117 fortgesetzte Tat 61 ff. Flucht 72, 93

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Freibeweis 115 Freispruch 63 Geheimdienstliche Agententätigkeit 65 Gerechtigkeit, materielle 5, 13 Gesamtplan des Täters 17, 73 Gewerbsmäßigkeit 67 f. Gleichzeitigkeit von Straftaten 72 f. Handlung im natürlichen Sinn 59 Handlungseinheit – natürliche 59 f. – tatbestandliche 59 Hinweispflicht des Gerichts 11, 37, 44, 57, 67, 112 Idem crimen, idem factum 10 Identitätsthese 25, 71 ff. Immunität 41 Inzidentfeststellung nicht angeklagter Taten 44 ff. Klammerwirkung s. Verklammerung Kognitionsmöglichkeit, tatsächliche 29 Kognitionspflicht des Gerichts 37 ff., 76 Korruptionstaten 102, 106 mehraktige Delikte 59 Nachtat 45, 47, 109, 114 Nachtragsanklage 6, 34, 45, 52, 67, 78, 108, 111 Ordnungswidrigkeiten 3, 56, 90 ff. Organisationsdelikte 65, 76 ff., 80 ff., 86 Organisationsdelikt, uneigentliches 66 Postpendenzfeststellung 110

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Prozessgegenstand 4, 33 ff. Rechtshängigkeit, mehrfache 40 Rechtskraft, materielle s. Verbrauch der Strafklage Rechtsmittelbeschränkung 50 Revision 115 ff. Sammelstraftat 67 f. Serienstraftat 67 f., 100 ff. Sexualstraftaten 100 f., 102, 106 Spezialitätsgrundsatz 41 Steuerstraftaten 3, 17, 60, 72, 89 Straßenverkehrsdelikte 56, 72 f., 81 f., 86 f., 90 ff., 105 f. subsidiäre Tatbestände 83, 114 sukzessive Tatbestandsverwirklichung 64 Tatbegriff – einheitlicher 7 – materiell-rechtlicher 8, 25, 59 ff. – Normativierung 20 f., 27 f. – verfassungsrechtlicher 7, 11 Tatbild der Anklage 19, 95 ff. Tateinheit nach § 52 StGB 71 ff. Tätigkeitsdelikte 98 Tatmehrheit nach § 53 StGB 87 ff. Tatmodifikation 9, 19, 53, 95 ff. Tatopfer 102 Tatort 11, 17, 19, 95, 97 f., 100 f., 103, 106 Tatsachenverhandlung, letzte 16, 38, 49, 62, 64 Tatumfang, Bestimmung des 9, 15 ff., 53, 58 ff. Tatzeit 11, 17, 19, 95, 97 f., 101, 103, 106

Teilurteil 39 Trennung des Verfahrens 33, 39 f. Umgestaltung der Strafklage 2, 48 ff. Unschuldsvermutung 45 f., 85 Unterlassungsdauerdelikte 64 Unterlassungsdelikte 99 Untersuchungsgrundsatz 5 ff. Untersuchungspflicht des Gerichts s. Kognitionspflicht Untersuchungsrichtung 30 Urteil, Erledigungswirkung 39 ff., 62 Urteilsfindung, Gegenstand der, s. Kognitionspflicht Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes 55 ff. Verbrauch der Strafklage 4 ff. Vereinsgesetz, Vergehen gegen 69 Verfahrensvoraussetzungen 41 ff., 51 Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft 35 f. Verklammerung 83 ff. Vervollständigungsklage 31, 39 Verteidigung des Angeklagten 6, 54, 57 Völkermord 86 Vorbehalt der anderweitigen Verfolgung 39 Vortat 105, 107, 109 Waffenbesitz; Waffenführen 72 f., 76, 81 f., 86 Wehrdienstverweigerung 68 Wiederaufnahme 4, 12 Zivildienstverweigerung s. Ersatzdienstverweigerung

I. Bedeutung der Vorschrift 1

1. Regelungsgehalt. § 264 behandelt das Verhältnis des Urteils zur Anklage und zum Eröffnungsbeschluss. Bereits § 155 Abs. 1 bestimmt, dass nur die Tat, die durch die Anklage (oder einen sie ersetzenden Verfahrensvorgang) formell der Entscheidung des Gerichts unterbreitet worden ist, den Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung und Entscheidung bildet. § 264 Abs. 1 wiederholt, dass Gegenstand der Urteilsfindung eben diese angeklagte Tat ist, und präzisiert, dass es diese Tat aber in der Gestalt ist, die sie nach dem „Ergebnis der Verhandlung“ erhalten hat. Dies bringt die Konzeption der Prozessordnung zum Ausdruck, dass die Hauptverhandlung nicht nur eine Schlussverhandlung sein soll, die die in der Anklage erhobene Beschuldigung bestätigt oder verwirft, sondern, dass sie die eigentliche Untersuchung ist, in der erst die wahre Beschaffenheit der durch die Anklage vor Gericht gebrachten Tat ermittelt und festgestellt werden muss.1 Das Gericht ist somit zu einer selbständigen und erschöpfenden Beurteilung des ihm in der Hauptverhandlung unterbreiteten Prozessstoffs berechtigt und verpflichtet (§§ 155 Abs. 2, 202, 244 Abs. 2), deren einzige Grenze die Identität der durch die Anklage festgelegten Tat – nicht zuletzt auch zum Schutze des Angeklagten vor Überraschungen – ist. 1 Hahn 206.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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Folgerichtig regeln §§ 155 Abs. 2, 206 und § 264 Abs. 2, dass das Gericht weder an 2 die tatsächliche und rechtliche Beurteilung der Tat seitens der Staatsanwaltschaft in der Anklage gebunden ist noch an die vorherige – regelmäßig eigene – tatsächliche und rechtliche Beurteilung im Eröffnungsbeschluss, der die unmittelbare Verhandlungs- und Urteilsgrundlage2 bildet. Pflicht und Befugnis zu allseitiger Kognition können also dazu führen, dass die angeklagte Tat, obschon sie noch als dieselbe anzusehen ist, am Schluss der Verhandlung ihre Gestalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht deutlich verändert hat; dies wie üblich3 als „Umgestaltung der Strafklage“ zu bezeichnen, ist wenig treffend, weil die Anklage nicht umgestaltet werden kann, sondern vielmehr der gerichtlichen Untersuchung unverrückbare Grenzen setzt.4 2. Anwendungsbereich. Der Tatbegriff des § 264 gilt ebenso im Ordnungswidrigkei- 3 tenrecht (§ 84 OWiG) sowie im Steuerstrafverfahren.5 Im Adhäsionsverfahren ist der Strafrichter nur verpflichtet, solche zivilrechtlichen Ansprüche zu prüfen, die sich aus derselben Tat i. S. des § 264 ergeben können, wegen der der Angeklagte verurteilt wurde.6

II. Der verfahrensrechtliche Tatbegriff 1. Funktionen. Die Strafprozessordnung verwendet den Begriff der „Tat“ in mehre- 4 ren Funktionszusammenhängen, von denen hier, mit Blick auf die Hauptverhandlung,7 zwei interessieren. Zum einen geht es darum, wer den Gegenstand einer aktuellen gerichtlichen „Untersuchung und Entscheidung“ (§ 155 Abs. 1) bzw. der „Urteilsfindung“ (§ 264 Abs. 1) bestimmt, sowie darum, ob und wie dieser Gegenstand geändert werden kann und von wem. Die „Tat“ ist somit wesentlicher Bestandteil des Prozessgegenstands (Rn. 33 ff.). Zugleich ist damit der Umfang der Rechtshängigkeit (§ 12) zur Verhinderung konkurrierender paralleler Verfahren festgelegt. Zum anderen geht es retrospektiv um den Umfang des abgeschlossenen Verfahrens und der damit verbundenen Sperrwirkung für eine erneute Strafverfolgung, mithin um den Umfang der materiellen Rechtskraft, des bildhaft so genannten „Verbrauchs der Strafklage“. Dieses Verbot eines neuen Verfahrens über denselben Prozessgegenstand (ne bis in idem) wird von der Strafprozessordnung, wie am Wiederaufnahmeverfahren ersichtlich, vorausgesetzt, aber nicht ausdrücklich geregelt; eine nur in der Formulierung unvollständige8 Gewährleistung trifft Art. 103 Abs. 3 GG. In beiden Funktionszusammenhängen erfolgt mit der Definition des Tatbegriffs zu- 5 gleich die Fixierung des Verhältnisses von jeweils zwei gegenläufigen Verfahrensprin2 Vgl. Eb. Schmidt 3. 3 Z. B. RGSt 72 99, 105; BGHSt 2 371, 374. Der Ausdruck ist historisch eingeführt als „Anklageänderung“ oder „Klagänderung“, vgl. etwa Hahn 207; krit. SK/Velten 57.

4 Eb. Schmidt 7; I 296 Fn. 528. 5 OLG Frankfurt NStZ-RR 2001 141, 142 m. w. N.; Leise NJW 1953 167 ff.; Reinisch MDR 1966 896; Behrendt ZStW 94 (1982) 888 ff., 910 ff. 6 BGH NStZ 2003 321 f. m. w. N. 7 Im Ermittlungsverfahren kommt dem gesetzlichen Ausdruck „Tat“ notwendigerweise ein anderer Sinn zu, vgl. LR/Kühne Einl. K 59. Zum abweichenden Tatbegriff des § 121 siehe nur LR/Gärtner § 121, 18 ff., 21; BGH StV 2019 564; OLG Naumburg StraFo 2009 148; OLG Nürnberg StV 2017 457; OLG Stuttgart StV 2008 85 f.; Schwarz NStZ 2018 187 ff., alle m. w. N. Bei § 111g a. F. war str., ob der Tatbegriff mit § 264 übereinstimmte, bejahend OLG Hamm wistra 2002 398 ff.; 11.2.2015 – 2 Ws 228/14 Rn. 22; verneinend OLG Köln NJW 2003 2546 ff.; vgl. LR/Johann26 § 111g, 9 m. w. N. 8 BVerfGE 3 248, 250 f.; Radtke/Hohmann 1; Radtke NStZ 2012 479, 480.

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zipien. Bei der Bestimmung des Verfahrensgegenstands schränken sich die Maximen des Anklage- und Untersuchungsgrundsatzes wechselseitig ein: Während das Akkusationsprinzip im Verteidigungsinteresse des Angeklagten nach einem engen und scharf umgrenzten Prozessgegenstand verlangt, wird die Inquisitionsmaxime am besten mit einer weiten und flexiblen Kognitionsbefugnis verwirklicht.9 Bei der Bestimmung des Umfangs des Strafklageverbrauchs stehen sich als gegenläufige Prinzipien die materielle Rechtskraft und die materielle Gerechtigkeit gegenüber. Der Gedanke der materiellen Rechtskraft verlangt die Einmaligkeit und Endgültigkeit des abgeschlossenen Verfahrens ungeachtet etwaiger Fehler und dient damit dem Interesse des Angeklagten, nicht erneut wegen desselben Prozessthemas mit einem Strafverfahren überzogen zu werden und in die Gefahr einer Bestrafung zu geraten,10 sowie der Rechtssicherheit und Schaffung von Rechtsfrieden, somit Elementen der formellen Gerechtigkeit. Die materielle Gerechtigkeit hingegen duldet keine fehlerhafte oder unvollständige Anwendung des materiellen Strafrechts und gebietet daher stets die nachträgliche Korrektur der getroffenen Entscheidung, wenn sich die Kenntnis des Sachverhalts verbessert und dadurch die rechtliche Bewertung verändert hat. 6 Es bedarf einer rechtspolitischen Entscheidung, welche Regelungsziele in welchem Maße Vorrang genießen sollen,11 weil diese Prinzipienkollisionen nicht durch eine bestimmte, sei es enge, sei es weite, Festlegung des Tatbegriffs vermieden werden können.12 Zwar mag ein enger Tatbegriff den Angeklagten vor unvorhergesehener Ausdehnung des Verfahrensstoffs bewahren und ihm die Verteidigung erleichtern, indem die Kognitionsbefugnis des Gerichts und die Möglichkeit zur „Umgestaltung der Strafklage“ eingeschränkt werden, was zugleich das Verfahren erschwert und verzögert, da häufiger Nachtragsanklagen nötig werden. Ein enger Tatbegriff bewirkt aber auch eine eng umgrenzte Rechtskraftwirkung, die wiederum die Gefahr neuer Verfahren aufgrund neuer Erkenntnisse und die Möglichkeit der Verwirklichung des materiellen Strafrechts vergrößert. Ein weit gefasster Tatbegriff erleichtert dem Gericht die Durchführung des Strafverfahrens13 und erschwert die Verteidigung des Angeklagten, gewährt ihm dafür aber größeren Schutz vor erneuter Verfolgung um den Preis verminderter Durchsetzbarkeit des materiellen Strafrechts bei ungenügender Sachaufklärung. 7 Es ist auch kein gangbarer Weg, für jede der beiden Funktionen einen eigenen Tatbegriff zu bilden, etwa einen weiten Tatbegriff für die Kognitionsbefugnis und einen engen Tatbegriff für die Sperrwirkung der Rechtskraft14 oder umgekehrt.15 Der in Art. 103 Abs. 3 GG ausgesprochene „Grundsatz der Einmaligkeit der Strafverfolgung“ will vorrangig dem Angeklagten eine erneute Strafverfolgung wegen des Prozessstoffs, über den

9 Vgl. BGHSt 11 130, 133. 10 BVerfGE 12 62, 66; 56 22, 31 f.; BGHSt 5 323, 328; 28 119, 121; 29 288, 292; Mittermaier ArchCrimR NF 1850 497, 509; Glaser GS 23 (1871) 1, 72; Grünwald Teheran-Beiheft ZStW 86 (1974) 94, 106 f.; ders. FS Bockelmann 737, 755; AK/Loos § 264 Anh. 27; KMR/Stuckenberg 4. 11 LR/Kühne Einl. K 52; MüKo/Norouzi 3. 12 Vgl. LR/Kühne Einl. K 52; KMR/Stuckenberg 5; Gillmeister NStZ 1989 1, 5; Marxen StV 1985 472, 476; Wolter GA 1986 143, 149 ff.; Radtke 118; Radtke/Hohmann 4; ders. NStZ 2012 479, 480. 13 RGSt 28 321, 323. 14 So aber Peters § 36 II, § 54 II 3; Büchner 112 ff., 159 ff.; Marxen StV 1985 472, 476 f.; Neuhaus StV 1990 342, 344; Krauth FS Kleinknecht 215, 227 ff., 233; Bauer NStZ 1999 207, 208; ders. NStZ 2003 174, 177 ff.; Paeffgen GedS Heinze 615, 631 f.; wohl auch Maatz FS Meyer-Goßner 257, 258 f., 262 f.; dazu Detmer 76 ff.; Radtke 113 ff. 15 HK/Julius/Beckemper 2.

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schon einmal rechtskräftig entschieden wurde, ersparen16 sowie das formell-rechtsstaatliche Ziel der Rechtssicherheit befördern. Der Verbrauch der Strafklage ist somit die Kehrseite der Kognitionspflicht und Umgestaltungsbefugnis.17 Der Tatbegriff des Verbots der doppelten Strafverfolgung folgt deshalb grundsätzlich dem Umfang der Kognitionsbefugnis des Gerichts,18 nicht nur dem Umfang der getroffenen Entscheidung, wie schon der Wortlaut des Art. 103 Abs. 3 GG nahelegt.19 Allenfalls ist eine Abweichung der Tatbegriffe in der Weise möglich, dass die Sperrwirkung der Rechtskraft großzügiger bemessen wird, also den Gegenstand der Urteilsfindung überschreitet, jedoch darf sie nicht hinter diesem zurückbleiben.20 Grundsätzlich21 gilt für §§ 155 Abs. 1, 264 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 3 GG daher ein einheitlicher Tatbegriff.22 Außer in den Fällen der Wiederaufnahme nach §§ 359 ff. als vom Verfassungsgeber akzeptierte23 Beschränkung des Art. 103 Abs. 3 GG gibt es daher keine Möglichkeit der Korrektur rechtskräftiger Entscheidungen aufgrund nachträglicher besserer Sachverhaltserkenntnis. Aus dieser Funktionsbetrachtung ergibt sich schließlich, dass allein prozessuale Re- 8 gelungsziele den Inhalt des verfahrensrechtlichen Tatbegriffs bestimmen, der daher grundsätzlich unabhängig von materiell-rechtlicher Begrifflichkeit zu bilden ist,24 16 Zum verfassungsrechtlichen Tatbegriff s. BVerfGE 23 191, 202 ff.; 45 434, 435 f.; 56 22, 27 ff.; BVerfGK 5 7, 8; 7 417, 418; BGHSt 5 323, 328 ff.; 29 288, 292; BGH bei Holtz MDR 1985 92; Dreier/Schulze-Fielitz Art. 103 III, 17 ff. GG; Maunz/Dürig/Remmert Art. 103 Abs. 3, 49 ff. GG; von Mangoldt/Klein/Nolte/Aust Art. 103 Abs. 3, 202 ff. GG; Fliedner AöR 99 (1974) 242 ff.; Maatz FS Meyer-Goßner 257, 262 f. 17 RGSt 72 99, 105. 18 RGSt 4 243, 245; 7 229, 230; 21 78, 80; 24 419; 49 272, 274; 51 241, 242; 51 253, 254; 56 161, 166; 56 324, 325; 66 19, 20; 72 99, 105; BGHSt 15 289 f.; 29 288, 292 mit Anm. Rieß NStZ 1981 74; BGH StV 1999 352, 353; NZWiSt 2017 74, 75 mit Anm. Zeller; OLG Hamm MDR 1972 440, 441; KK/Ott 2; KMR/Stuckenberg 6; MüKo/Norouzi 7; Radtke/Hohmann 10; SK/Velten 5; Eb. Schmidt I 295; Schanze ZStW 4 (1884) 437, 471 ff.; Erb GA 1994 265, 268 f.; Wolter GA 1986 143, 155. 19 Fezer 18/49. Der Umfang der Entscheidung wird freilich maßgebend, wenn das Gericht eine nicht angeklagte Tat aburteilt und dieses fehlerhafte Urteil rechtskräftig wird, s. Krack JR 2001 423 f. 20 Vgl. BGHSt 32 146, 150; a. A. BVerfGE 56 22, 35 f. angesichts der Rspr. zur fortgesetzten Tat und zur Verklammerung; Maunz/Dürig/Remmert Art. 103 Abs. 3, 52 GG; von Mangoldt/Klein/Nolte/Aust Art. 103 Abs. 3, 208 GG; Maatz FS Meyer-Goßner 257, 258 f., 262 f. 21 Anders nach der Rechtsprechung nur in Ausnahmefällen: BVerfGE 56 22, 34 ff.; BGHSt 29 288, 293 ff.; 32 146, 150; BayObLGSt 1991 51, 54 mit Anm. Neuhaus NStZ 1993 202 und Schlüchter JZ 1991 1057 ff.; siehe unten Rn. 80 ff. 22 So bereits das RG (wie Fn. 18); BVerfGE 23 191, 202; 45 434, 435; BGHSt 6 92, 95; 29 288, 292; 32 146, 150; 35 60, 61; 35 318, 323; 59 120, 124; BayObLG NJW 1965 2211, 2212; OLG Stuttgart Justiz 2001 497, 498; AK/Loos 2, § 264 Anh. 27; KK/Ott 3; KMR/Stuckenberg 6; LR/Kühne Einl. K 53; Meyer-Goßner/Schmitt 1; OK-StPO/Eschelbach 3; Pfeiffer 1; Radtke/Hohmann 6, 9, 10, 12; SK/Velten 2, 20 f.; SSW/Rosenau 3; Roxin/ Schünemann § 20, 2; Oehler FS Rosenfeld 139, 142; ders. GedS Schröder 439, 443; Bindokat GA 1967 362, 366 ff., 370; Schöneborn MDR 1974 529, 530; Wolter GA 1986 143, 154 f.; Radtke 117 ff.; a. A. die in Fn. 14 Genannten. 23 Freilich ohne jegliche Erörterung, JöR NF 1 (1951) 741, 743 f. 24 BVerfGE 45 434, 435; 56 22, 29 ff. mit abl. Anm. Grünwald StV 1981 326; BVerfGK 5 7, 8; 7 417, 418; RGSt 61 314, 317; 62 112; 72 339, 340 m. w. N.; BGHSt 23 141, 145; 29 288, 292 mit Anm. Rieß NStZ 1981 74 f; BGHSt 35 60, 61; 35 318, 323; 43 252, 256; 57 175, 179; BGH NJW 1953 1522; BayObLGSt 1957 196, 199; 1960 5, 8; BayObLG VRS 38 (1970) 448 f.; NStZ-RR 1997 279, 280; OLG Düsseldorf NJW 1983 767, 768; NStZRR 1999 176, 177; OLG Frankfurt NStZ-RR 2001 141, 142; OLG Hamm StV 1986 241, 242 mit abl. Anm. Grünwald; OLG Stuttgart NStZ-RR 1996 173; Justiz 2001 497, 498; AK/Loos § 264 Anh. 34; KK/Ott 9; KMR/ Stuckenberg 3; Meyer-Goßner/Schmitt 6; Pfeiffer 2; Radtke/Hohmann 5, 9, 26; Eb. Schmidt I 295, 301; § 264, 8; SSW/Rosenau 9; Erb GA 1994 265, 268; ders. JR 1995 169, 170; Mitsch NStZ 2002 159, 160; Neuhaus StV 1990 342 f.; Oehler FS Rosenfeld 139, 147; Stuckenberg FS von Heintschel-Heinegg 435, 444; diff. SK/Velten 14, 28; krit. MüKo/Norouzi 18; s. a. unten Rn. 74 ff.

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was nicht heißt, dass materiell-rechtlicher und prozessualer Tatbegriff beziehungslos nebeneinander stehen müssen,25 vielmehr mögen sich Überschneidungen ergeben und Anbindungen sachgerecht sein (unten Rn. 58 ff.). Lediglich die Minimalgröße einer prozessualen Tat wird durch die materiell-rechtliche Beschreibung festgelegt, da sie wenigstens so viele Tatsachen umfassen muss als zur Begründung von Strafbarkeit nötig ist (Rn. 11). 2. Normative Vorgaben 9

a) Aufgaben des Tatbegriffs. Die Aufgabe des Tatbegriffs besteht darin, Identitätskriterien für den Prozessgegenstand anzugeben, mithin den Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung, des Urteils und der Rechtskraft in einer Weise zu beschreiben, dass er unverwechselbar ist. Bei der Bestimmung des Umfangs der Rechtskraft stellt sich in der Regel die Frage, ob später neu entdeckte Tatsachen Bestandteil der abgeurteilten Tat sind oder nicht. Während der laufenden Hauptverhandlung können sich faktische oder rechtliche Elemente des Anklagevorwurfs ändern, so dass der Tatbegriff auch die Grenzen noch zulässiger „Umgestaltung der Strafklage“ festlegen muss. Solche Änderungen lassen sich auf zwei Grundformen26 zurückführen: Die Änderung des Tatumfangs, meist als Tatvermehrung (zu den angeklagten Umständen treten weitere kumulativ oder alternativ hinzu), sowie die Tatmodifikation (die angeklagten Umstände werden teilweise durch andere ersetzt).

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b) Idem crimen, idem factum. Es gibt, wie historische und rechtsvergleichende Betrachtung bestätigt, im Grundsatz zwei Möglichkeiten, den Tatbegriff zu definieren, entweder als idem crimen oder idem factum. Idem crimen meint, dass der Prozessgegenstand durch bestimmte Tatsachen und deren materiell-rechtliche Qualifikation bestimmt wird, so dass eine andere rechtliche Wertung derselben Umstände eine andere Tat darstellt. Idem factum hingegen meint, dass der Prozessgegenstand durch die in der Anklage bezeichneten Tatsachen ungeachtet ihrer rechtlichen Qualifikation fixiert wird. Zwischen diesen beiden Polen sind mancherlei Zwischenformen denkbar, etwa dass ein rechtskräftiges Urteil nur die Anwendung solcher Straftatbestände auf dieselben Tatsachen sperrt, die dasselbe oder ein verwandtes Rechtsgut schützen.

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c) Systematische Vorgaben. Aus dem systematischen Zusammenhang des Gesetzes ergeben sich entscheidende Vorgaben für die Bestimmung des prozessualen Tatbegriffs: So wird die „in der Anklage bezeichnete Tat“ gemäß § 200 Abs. 1 (sowie § 409 StPO; § 66 OWiG) durch faktische Umstände wie Zeit und Ort beschrieben, zu der die gesetzlichen Merkmale der Straftat hinzutreten (§ 200, 13). Die Handlung oder Unterlassung muss so individualisiert sein, dass Verwechslungen ausgeschlossen sind.27 Enger als wenigstens eine angeklagte tatbestandliche Handlung kann die prozessuale Tat folglich nicht gefasst werden.28 Eine vorrangig normative Bestimmung der Tat (idem crimen) anhand der behaupteten Verletzung bestimmter Straftatbestände oder Rechtsgüter 25 BGH NStZ 2009 705, 706. 26 Ähnlich Wolter GA 1986 143, 148; vgl. auch Hahn 205 f. 27 Vgl. LR/Stuckenberg § 200, 14 ff. m. w. N. und BGHSt 22 375, 385; 23 336, 340; 40 44, 45; 56 109, 114 f.; BGH NJW 1991 2716; 1994 2966; NStZ 1992 553; StV 1991 245; 1995 113, 114; 1996 362; OLG Düsseldorf NStZ 1996 298, 300; OLG Hamm NStZ-RR 1997 139; SK/Velten 5, 8. 28 SK/Velten 14, 28; Gillmeister NStZ 1989 1, 3. Zur Übereinstimmung der Tatbegriffe in § 200 und § 264 s. SSW/Rosenau 8.

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scheidet gleichwohl aus,29 denn das Gesetz geht davon aus, dass die „Tat“ nicht identisch mit der Verletzung eines Strafgesetzes ist, sondern mehrere Gesetzesverletzungen umfassen kann (§ 154a Abs. 1 Satz 1),30 dass das Gericht frei ist in der rechtlichen Bewertung (§§ 155 Abs. 2, 264 Abs. 2), deren Veränderung allein keine neue Anklage erfordert (vgl. § 207 Abs. 2 Nr. 3, § 265), also den Prozessgegenstand nicht verändert. Auch erhebliche Unterschiede im Unrechtsgehalt berühren die Tatidentität nicht, wie sich an § 373a StPO; §§ 84 Abs. 2 Satz 1, 85 Abs. 3 Satz 2 OWiG zeigt. Der Prozessgegenstand muss folglich im Sinne von idem factum verstanden werden, was dem Willen des historischen Gesetzgebers entspricht.31 Dabei spielt es keine Rolle, ob dem Gericht die Fakten bekannt waren oder sein konnten (§ 359 Nr. 5 StPO; § 85 Abs. 3 Satz 2 OWiG). Da Art. 103 Abs. 3 GG den bei Erlass des Grundgesetzes gesicherten rechtlichen Kernbestand des Verbots doppelter Strafverfolgung aufgreift,32 sind angesichts dieser einfach-rechtlichen Lage und der entsprechenden ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts (Rn. 14) materiell-rechtliche Kriterien wie die Art der Rechtsgutsverletzung oder Schwere des Unrechts als maßgebliche Kriterien zur Bestimmung des einheitlichen Tatbegriffs auch für § 264 verfassungsrechtlich ausgeschlossen.33 Dies ergibt sich zusätzlich aus der teleologischen Auslegung, denn durch Gleichsetzung der prozessualen Tat mit dem materiellrechtlichen crimen würde die Garantie des Art. 103 Abs. 3 GG praktisch wertlos.34 Aus dem Wiederaufnahmerecht folgt unmittelbar nichts für die Bestimmung des 12 Tatbegriffs, da dort vorausgesetzt wird, dass dieselbe rechtskräftig abgeurteilte Tat betroffen ist.35 Da aber der Anwendungsbereich der Wiederaufnahme vom Umfang des Tatbegriffs abhängt, darf dessen Definition das Wiederaufnahmerecht nicht funktionslos machen und insbesondere die gesetzgeberische Entscheidung, keine Wiederaufnahme propter nova zu Ungunsten des Angeklagten vorzusehen, nicht unterlaufen.36 Der Tatbegriff darf also nicht so eng gefasst werden, dass schon neue Fakten oder neue rechtliche Würdigung allein zu einer neuen „Tat“ führen (vgl. Rn. 29). Schließlich ist ein direkter Rückgriff auf die „materielle Gerechtigkeit“, etwa zur 13 Beschränkung des Strafklageverbrauchs bei „völliger Verkennung des Unwertgehalts“ im ersten Verfahren, unzulässig, weil Art. 103 Abs. 3 GG die Abwägung zwischen Individualschutz und Rechtssicherheit auf der einen und umfassender Verwirklichung des materiellen Strafrechts auf der anderen Seite bereits entschieden hat, nämlich zugunsten der ersteren.37 Denn die Wirkung der ne bis in idem-Garantie besteht gerade darin, dass auch ein begründeter Strafanspruch nicht verwirklicht wird, wodurch stets die materiel29 BGHSt 22 105, 106; 35 60, 64; BGH bei Dallinger MDR 1956 394, 395; MüKo/Norouzi 7; Radtke/Hohmann 7; Radtke NStZ 2012 479, 481; Schöneborn MDR 1974 529, 531 ff.; AK/Loos § 264 Anh. 37 m. w. N.; verkannt von Greco 519 ff., 545 ff. (dagegen Stuckenberg ZIS 2017 445, 452) und Rostalski 297 ff. 30 Vgl. BRDrucks. 9/62 S. 36; BTDrucks. 8 976 S. 40. 31 Hahn 205 ff. 32 BVerfGE 3 248, 252 f.; 45 434, 435; 56 22, 27 ff., 34 f.; BVerfGK 7 417, 418; BGHSt 6 122, 125. 33 AK/Loos § 264 Anh. 37; KMR/Stuckenberg 11. 34 Vgl. die Nachweise zum früheren französischen und zum anglo-amerikanischen Recht bei KMR/Stuckenberg 11 a. E. sowie Stuckenberg Double Jeopardy (2000); zust. MüKo/Norouzi 6. 35 Oehler GedS Schröder 437, 441 f.; KMR/Stuckenberg 12. 36 AK/Loos § 264 Anh. 37 a. E.; KMR/Stuckenberg 12; Roxin/Schünemann § 52, 16; Achenbach ZStW 87 (1975) 74, 86 f.; Gillmeister NStZ 1989 1, 5; insoweit zutr. Grünwald Teheran-Beiheft ZStW 86 (1974) 94, 112 ff.; vgl. Radtke 130 ff. 37 AK/Loos § 264 Anh. 31; KMR/Stuckenberg 13; SK/Velten 21; von Mangoldt/Klein/Nolte/Aust Art. 103 Abs. 3, 179 f. GG; Grünwald FS Bockelmann 737, 758; Fliedner AöR 99 (1974) 242, 253 m. w. N.; Erb GA 1994 265, 266 Fn. 7 m. w. N.; Paeffgen GedS Heinze 615, 636; auch RGSt 4 243, 245; 70 26, 30 f.; BGHSt 20 77, 80.

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le Gerechtigkeit leidet (Rn. 5),38 indem das Risiko der unvollständigen Sachaufklärung dem Staat aufgebürdet wird.39 Da Veränderungen im Unrechtsgehalt die Tatidentität nicht berühren, ist der mit der rechtskräftigen Verurteilung aus einem drastisch milderen Gesetz eingetretene Verbrauch der Strafklage auch für einen schweren Gesetzesverstoß trotz materieller „Ungerechtigkeit“ hinzunehmen, sofern nicht Wiederaufnahme zulässig ist (§ 373a StPO; §§ 84, 85 OWiG).40 Es widerspräche dem Sinn der Vorschrift des Art. 103 Abs. 3 GG, den Schutz vor doppelter Strafverfolgung einer Art immanenter „Unerträglichkeitsgrenze“ zu unterwerfen.41 Dass auch Missbräuche nicht auszuschließen sind und durch geschicktes Aussageverhalten der Strafklageverbrauch erschlichen werden mag,42 steht dem nicht entgegen. Eingeschränkt ist das Grundrecht vielmehr allein durch die Wiederaufnahmegründe.43 3. Kriterien der Tatidentität in der Rechtsprechung 14

a) Grundsatz. Die Motive meinten, dass es keine allgemeinen Regeln zur Feststellung der Tatidentität geben, diese vielmehr nur im Einzelfall beurteilt werden könne.44 Das Reichsgericht übernahm diese Ansicht45 und stellte wie vom Gesetzgeber gewollt auf das tatsächliche Geschehen ab. Anders als zuvor das Preußische Obertribunal, das für den Verbrauch der Strafklage die vollständige Übereinstimmung der konkreten Tatsachen verlangte,46 ließ das Reichsgericht für Tatidentität bereits „dasselbe historische Vorkommnis in seinen wesentlichen Momenten“ genügen,47 wobei es Strafklageverbrauch für alle, auch die bei Aburteilung nicht erkannten, rechtlichen Gesichtspunkte annahm.48 Später bildete es die noch heute geläufige Definition aus, wonach die prozessuale Tat „das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch den Eröffnungsbeschluss bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet“, umfasst49 und von materiell-rechtlichen

38 Grünwald JZ 1970 330, 331; ders. StV 1986 243, 245; Herzberg JuS 1972 113, 120; Paeffgen GedS Heinze 615, 636; Hellebrand GedS Schlüchter 473, 493 f.; s. a. LR/Kühne Einl. K 80. 39 OLG München NJW 1967 2219, 2220; sog. „Sanktionsfunktion der Rechtskraft“, vgl. Roxin/Schünemann § 52, 8; Achenbach ZStW 87 (1975) 74, 87; Neuhaus StV 1990 342, 344; ders. NStZ 1993 202, 204; Hellebrand GedS Schlüchter 473, 493; krit. AK/Loos § 264 Anh. 31 a. E.; Loos JZ 1978 592, 593 Fn. 9. 40 RGSt 4 243, 245; 70 26, 30 f.; BGH StV 1983 457; KK/Ott 48; KMR/Stuckenberg 13; LR/Gollwitzer25 10 f.; LR/Schäfer24 Einl. 12 28 ff.; SSW/Rosenau 3; auch bei Strafbefehl BVerfGE 65 377, 381 ff.; zur älteren Rechtslage BVerfGE 3 248. 41 Vgl. Maunz/Dürig/Remmert Art. 103 Abs. 3, 62 GG; von Mangoldt/Klein/Nolte/Aust Art. 103 Abs. 3, 179 f. GG; KMR/Stuckenberg 13; siehe aber Neuhaus NStZ 1987 138, 140; ders. MDR 1989 213, 221; ders. NStZ 1993 202, 203. 42 Dazu Hellebrand GedS Schlüchter 473, 493 f.; Dreier/Schulze-Fielitz Art. 103 III, 35 GG; von Münch/ Kunig Art. 103, 40 GG. 43 Zu deren Verfassungsmäßigkeit BGHSt 5 323, 328 ff.; Grünwald Teheran-Beiheft ZStW 86 (1974) 94, 97, 103; Achenbach ZStW 87 (1975) 74, 98; alle m. w. N.; krit. von Mangoldt/Klein/Nolte/Aust Art. 103 Abs. 3, 222 ff. GG. 44 Hahn 205. 45 RGSt 3 406, 408; 8 135, 139; 9 420, 421; 12 187, 189. 46 PrObTrib GA 22 (1874) 670; w. N. bei KMR/Stuckenberg 14. 47 RGSt 5 249, 250 f.; 8 135, 139; 9 420, 421; 12 187, 188 f.; 15 9, 11; 15 133, 136; 44 28, 30 f.; 54 299, 300; 55 76, 77 f. 48 RGSt 4 243, 244 f.; 8 135, 139 f.; 12 187, 188 f.; 21 78, 80; 44 28, 31; 49 272, 274; 51 241, 242 f.; 56 324, 325; 72 99, 105. 49 RGSt 51 127, 128; 56 324 f.; 61 236, 237; 72 339, 340.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

Wertungen und Begriffen wie der Verschiedenheit der verletzten Rechtsgüter50 unabhängig ist.51 Der Bundesgerichtshof hat diese Judikatur zu diesem sogenannten faktischen, natürlichen, naturalistischen oder auch ontologischen Tatbegriff fortgesetzt. Es gebe keine allgemeine Begriffsbestimmung der „Tat“, die eine zweifelsfreie Entscheidung jedes Falles erlaube; maßgebend sei die Abgrenzung im Einzelfall.52 Zu unterscheiden (Rn. 9) sind im weiteren Änderungen des Tatumfangs, regelmäßig durch Hinzutreten neu bekannt gewordener Umstände, und solche des Tatinhalts durch Auswechslung faktischer Umstände. b) Tatumfang. Ausgangspunkt zur Bestimmung des Tatumfangs ist nach ständiger 15 Rechtsprechung die Definition der Tat im prozessualen Sinn als „das gesamte Verhalten des Beschuldigten, soweit es mit dem durch die Strafverfolgungsorgane bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet“,53 wobei zwischen den einzelnen Verhaltensweisen des Täters eine innere Verknüpfung bestehen müsse dergestalt, „dass ihre getrennte Aburteilung in verschiedenen erstinstanzlichen Verfahren als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würde“.54 Die „natürliche Betrachtung“ kann etwa bei Wirtschaftsstraftaten die Anschauungen des die Taten prägenden Wirtschaftsverkehrs berücksichtigen.55 Gemäß Absatz 1 ist das Ergebnis der Hauptverhandlung die Grundlage für die Beur- 16 teilung der Einheitlichkeit eines Lebensvorgangs. Folglich kommt es nicht darauf an, ob ein Sachverhaltselement in Anklage oder Eröffnungsbeschluss erwähnt oder der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht bekannt war.56 Vom Verbrauch der Strafklage sind sogar solche tatsächlichen Elemente desselben historischen Vorgangs erfasst, die das Gericht weder kannte noch kennen konnte.57 Nötig ist jedoch, dass das Gericht zur Aburteilung aller Elemente der Tat, falls es sie gekannt hätte, rechtlich in der Lage gewesen (Rn. 41)

50 RG JW 1893 333, 334. 51 RGSt 8 135, 140; 9 420, 421; 14 78, 79; 21 78, 83; 25 334, 336; 33 426, 427; 56 324, 325; 61 314, 317; 62 112; 72 339, 340; RG HRR 1940 118. Näher zur Judikatur des RG KMR/Stuckenberg 15 m. w. N.

52 BGHSt 13 21, 25; 43 252, 255; BGH NJW 1999 1413, 1414; StV 1985 181; BGHR § 264 Abs. 1 Ausschöpfung 5; auch OLG Braunschweig NStZ-RR 1997 80, 81; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999 176, 177; OLG Hamm NStZRR 1997 79, 80. 53 BGHSt 10 396, 397; 13 320, 321; 23 141, 145; 22 307, 308; 25 388, 389; 27 168, 172; 29 288, 292; 29 341, 342; 32 215, 216 mit Anm. Roxin JR 1984 346 und Jung JZ 1984 533; BGHSt 35 60, 61; 35 80, 81 mit Anm. Roxin JZ 1988 260; BGHSt 41 292, 297; 43 252, 255; 45 211, 212 f.; 59 4, 8 f.; BGH NJW 1957 1886, 1887; 1992 2838; 2016 1747; 2018 566, 567; 2019 1470, 1472 mit Anm. Arnoldi NStZ 2019 357; BGH NStZ 1995 46, 47; 1996 243; 1996 563 f.; 2004 582 mit Anm. Wegner wistra 2004 273; BGH NStZ 2017 303; 2019 428; NStZRR 2012 355, 356; 2016 47, 49; NZWiSt 2017 74 mit Anm. Zeller; BGH StV 1981 127, 128; 1981 167, 168; 1983 322; 1985 181; BGHR § 264 Abs. 1 Ausschöpfung 5; auch BVerfGE 23 191, 202; 45 434, 435; 56 22, 28; BVerfG 16.3.2001 – 2 BvR 65/01; BayObLGSt 1957 196, 199; 1991 51, 52 mit abl. Anm. Neuhaus NStZ 1993 202 und Anm. Schlüchter JZ 1991 1057 ff.; BayObLGSt 2001 134, 135; OLG Braunschweig NStZ-RR 1997 80 f.; OLG Celle JZ 1985 147, 148; OLG Düsseldorf NJW 1967 1768, 1769; 1983 767 f.; DAR 1987 26; OLG Jena NStZ 1999 516, 517; OLG Karlsruhe Justiz 1973 27; OLG Köln NJW 1990 587; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1955 159; OLG Rostock VRS 109 (2005) 27, 28; OLG Schleswig SchlHA 2007 288; OLG Stuttgart NStZ-RR 1996 173. 54 BGHSt 41 385, 388; BGH NStZ 2014 102, 103 mit Anm. Kirch-Heim; s. Rn. 17. 55 BGH NStZ 1995 46, 47. 56 BGHSt 13 320, 321; 29 341, 342; 32 215, 216; 41 292, 298; 45 211, 213 f.; BGH NJW 1992 1776, 1777; NStZ 1995 46, 47; 1996 243, 244; 1998 199, 200; NStZ-RR 2012 355, 356; OLG Braunschweig NStZ-RR 1997 80 f.; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999 176, 177. 57 BGHSt 6 92, 95; missverständlich LG Memmingen NStZ-RR 1997 140, 141.

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wäre.58 Daher gehören alle Elemente, ob bekannt oder unbekannt, auf die sich die rechtliche Aburteilungsbefugnis des Gerichts nicht erstreckt hat oder nicht erstreckt hätte, nicht zur prozessualen Tat. Die Beendigung der letzten Tatsacheninstanz bildet zugleich die zeitliche Grenze der prozessualen Tat.59 Die zur Einheitlichkeit eines geschichtlichen Vorgangs geforderte innere Ver17 knüpfung (Rn. 15) zwischen den Ereignissen muss in ihnen selbst liegen.60 Herangezogen wurden eine Reihe von Kriterien, von denen keines notwendig oder für sich hinreichend ist61 – umgekehrt hindert deren Divergenz die Bejahung prozessualer Tateinheit auch keineswegs zwingend.62 Die Vorgehensweise ist mithin topisch und führt zur Betrachtung sämtlicher Aspekte des Einzelfalls, die identitätsstiftend sein könnten,63 da „Verknüpfungen aller Art und Intensität eine Rolle spielen“64 können. Beispielhaft: zeitliche oder örtliche Nähe,65 aber zeitliches Zusammentreffen der einzelnen Handlungen ist allein weder erforderlich noch ausreichend,66 ebenso wenig Gleichzeitigkeit der Geschehensabläufe67; teilweises Überschneiden der äußeren Abläufe kann aber im Einzelfall eine enge Verbindung begründen68; monatelange Unterbrechung kann eine Zäsur bewirken;69 Tatort und Tatzeit gelten aber regelmäßig nur als bedeutsam, wenn sie die einzigen Konkretisierungsmerkmale sind,70 so dass auch erhebliche zeitliche Unterschiede die Tatidentität zwingend nicht beseitigen.71 Für sich allein weder notwendig noch hinreichend sind: kausale, finale oder logische Abfolge;72 Identität des verletzten Rechtsguts73 oder Tatobjekts74; Identität der Beteiligten75 oder persönlicher Zusammenhang76 im Sinne des § 3; gleichartige Begehensweise, einheitliche Tatsituation,77 wobei etwa planmäßige arbeitsteilige Bege58 RGSt 32 57, 58; 33 405 ff.; 46 363, 367; 49 272, 274; 56 161, 166; BGHSt 6 92, 95; 15 259 f.; BGH NJW 1953 393; offen lassend BGHSt 44 91, 94 f.; abl. Grünwald Teheran-Beiheft ZStW 86 (1974) 94, 116 mit Fn. 77. 59 Zum Fortsetzungszusammenhang s. Rn. 61. 60 BGHSt 13 21, 26. 61 Vgl. BGH NJW 1992 1776, 1777. 62 RGSt 8 135, 139; 9 420 f. 63 Exemplarisch BGHSt 41 292, 298 ff. 64 BGH StV 1985 181. 65 BGHSt 35 14, 18; 45 211, 213; BGH NStZ 2012 85. 66 BGH NJW 1992 1776, 1777; NStZ 2001 436, 437 mit Anm. Mitsch NStZ 2002 159; NStZ-RR 2012 355, 356; bei Becker NStZ-RR 2007 4; StraFo 2008 383, 384; wistra 2017 193, 196; BayObLGSt 1984 78 f.; OLG Frankfurt NStZ-RR 2001 141, 142. 67 BGHSt 43 317, 319; BGH bei Dallinger MDR 1975 544; bei Holtz MDR 1985 92; NStZ 2000 85; NStZ-RR 2013 82, 83; StV 1983 457; KG NStZ-RR 2008 48 f.; OLG Stuttgart Justiz 2001 497 ff.; unten Rn. 73. 68 BGH NStZ 2002 105, 106. 69 BGHSt 41 292, 299. 70 BGH NJW 1999 802; 1994 2966; StV 1999 243, 244; BGHR § 264 Abs. 1 Tatidentität 9; BGH NStZ 1995 46, 47; StV 1985 181; OLG Frankfurt NStZ 1988 92; OLG München NStZ-RR 2005 350 f. 71 BGHSt 38 37, 40 (Irrelevanz langer Zeiträume zwischen Abgabe der Steuererklärung und weiteren falschen Angaben gegenüber den Finanzbehörden); OLG Hamm NStZ-RR 1997 79, 80 (irrelevant, dass Unterschlagung 2 Jahre früher als angeklagt stattfand); OLG Frankfurt NStZ-RR 2001 141, 142 (Steuerhinterziehungstat kann mehrere Jahre umfassen). 72 BGHSt 41 385, 389; 43 96 98; BGH bei Holtz MDR 1985 92; NStZ 1983 87; 2000 318; vgl. BGHR § 264 Abs. 1 Tatidentität 33 (kausale Verknüpfung genügt nicht). 73 BGHSt 59 4, 9; BGH StV 1981 167, 168. 74 BGHR § 264 Abs. 1 Tatidentität 29; StraFo 2008 383, 384. 75 BGH StV 1981 606; KK/Ott 14. 76 BGHSt 11 130, 132 ff.; 13 21, 25; BGH StV 1985 181; Meyer-Goßner/Schmitt 2b. 77 Vgl. BGHSt 26 284, 287; BGH StV 1981 606; StraFo 2008 383, 384.

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hung im Rahmen desselben Geschäftsbetriebs noch keine „Klammerwirkung durch Gewerbebetrieb“ entfaltet;78 einheitliche Motivation79 oder umfassende Planung (Gesamtplan)80 im Gegensatz zu neuem Willensentschluss81; Gleichzeitigkeit und Identität der Vorbereitungshandlungen.82 Bloße Wiederholung zu anderer Zeit genügt nicht.83 Ein trennender Faktor ist stets die personale Identität. Die Prüfung prozessualer Tat- 18 identität hat für jeden Beteiligten gesondert zu erfolgen.84 Werden Vorwürfe gegen mehrere Beschuldigte auf denselben geschichtlichen Vorgang gestützt, liegen daher so viele Taten vor wie Beschuldigte.85 c) Tatmodifikation. Das Kriterium des „einheitlichen Lebensvorgangs“ betrifft nur 19 die Bestimmung des Tatumfangs und hilft bei (teilweiser) Auswechslung der in der Anklage geschilderten Umstände nicht weiter,86 also etwa, wenn die angeklagte Trunkenheitsfahrt am 13. statt am 16. Tag desselben Monats begangen wurde. Die Rechtsprechung stellt hier darauf ab, ob eine wesentliche Änderung des Tatbildes im Vergleich zur Anklage vorliegt. Unwesentliche Änderungen berühren die Tatidentität nicht. Betrachtet wird die Übereinstimmung von Tatort, Tatzeit und Täterverhalten und der ihm innewohnenden Zielrichtung sowie des Tatobjekts. Einzelheiten unten Rn. 95 ff. d) Normativierung des Tatbegriffs? Einzelne Entscheidungen des Bundesgerichts- 20 hofs haben ergänzend normative Kriterien zur Bestimmung der Tatidentität benutzt. So wurde bei real konkurrierenden Straftaten an zwei aufeinanderfolgenden Tagen die Tatidentität verneint unter Hinweis auf die Verschiedenartigkeit des bedrohten Rechtsguts und des Unrechtsgehalts der Taten,87 andererseits die Irrelevanz unterschiedlicher Angriffsrichtungen für die Tatidentität konstatiert.88 Vor allem BGHSt 32 215 und 35 60 wurden im Schrifttum als Abkehr vom rein faktischen Tatbegriff und Neuorientierung 78 BGHSt 26 284 ff., 287; 35 14, 19; OLG Celle NJW 1992 190; AK/Loos § 264 Anh. 3; Pfeiffer 4; siehe aber OLG Düsseldorf NStZ 1987 375, 376.

79 BGHSt 13 21, 27; 43 317, 319; gleicher Endzweck: BGH NStZ 1983 87; 2009 585 (motivatorischer Zusammenhang mehrfacher Anstiftungsversuche zur Brandstiftung); bei Holtz MDR 1985 92; StV 1981 167, 168; OLG Celle NJW 1992 190; so aber SK/Velten 28, die indes die Problematik der beliebigen Beschreibbarkeit von Handlungen hinsichtlich der Feinkörnigkeit und des Umfangs einräumt. 80 BGHSt 13 21, 26; 23 141, 145; 29 288, 293; 35 14, 17 ff. mit Anm. Otto JR 1988 27; BGHSt 59 4, 9; BGH NZWiSt 2018 469, 470 mit Anm. Gehm; StV 1981 167, 168; 1985 181; 1996 432 f.; BayObLGSt 1985 131, 134; OLG Stuttgart MDR 1986 693. 81 BGHSt 36 151, 153 f.; BGHR § 264 Abs. 1 Tatidentität 22, 29; BGH NStZ 1996 243, 244; BGH 16.1.1992 – 4 StR 509/91, insoweit nicht in NStZ 1992 233; OLG Düsseldorf NJW 1967 1768, 1769 mit Anm. Oppe; so sollen das Ausspähen eines Lokals und der wenige Stunden später stattfindende Überfall zwei Taten darstellen, wenn beim Ausspähen noch nicht feststand, ob und wie ein Überfall erfolgen solle, der somit auf einem neuen Entschluss beruhte, BGH NStZ 2001 436, 437 mit Anm. Mitsch NStZ 2002 159; anders allerdings bei Straßenverkehrsdelikten: BGHSt 23 141, 144 ff.; KG DAR 1968 244; dagegen wiederum OLG München NZV 2005 544 f. 82 BGHSt 35 14, 18; BGH bei Holtz MDR 1985 92; BayObLGSt 1985 131, 133, 135. 83 BGH 27.5.2008 – 4 StR 200/08; Meyer-Goßner/Schmitt 2. 84 BGHSt 32 215, 217; BGH VRS 83 (1992) 185, 188. 85 Meyer-Goßner/Schmitt 1. 86 Detmer 28, 35 ff. 87 BGHSt 13 21, 26; auch OLG Koblenz NJW 1978 716, 717 mit abl. Anm. Kinnen MDR 1978 545 f.; ähnl. OLG Hamm wistra 2002 400; 12.12.2007 – 3 Ss 430/07; OLG Stuttgart Justiz 2001 497, 499. 88 BGHSt 23 270, 275; BGHR § 264 Abs. 1 Ausschöpfung 5.

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hin zu einer Kombination von „Handlungstheorie“ und „Rechtsgutsverletzungstheorie“ gewertet.89 Mit einigem zeitlichem Abstand kann indes ein Richtungswechsel beim Verständnis des prozessualen Tatbegriffs nicht festgestellt werden.90 Zum einen wurden in den fraglichen Judikaten verschiedene prozessuale Taten jeweils unter Betonung der faktischen Differenz des Geschehensabläufe angenommen91 und nur ergänzend auf die unterschiedliche, einmal eigen-, einmal fremdnützige Angriffsrichtung abgestellt.92 Zum anderen sind solche Erwägungen danach eher selten und ebenfalls lediglich ergänzend anzutreffen.93 Allerdings wird trotz steter Betonung der Maßgeblichkeit der natürlichen Betrach21 tungsweise bisweilen in unklarer Weise die strafrechtliche Bedeutung der Vorgänge hervorgehoben.94 Wenn es (zum Steuerstrafrecht) heißt, ob das Verhalten des Angeklagten „nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang“ bilde, könne „nicht unabhängig von der verletzten Strafnorm beurteilt“ werden,95 so ist dieser offensichtliche Widerspruch wohl am besten als zutreffender (vgl. Rn. 28) Verweis auf die materiellrechtliche, namentlich tatbestandliche Einheitenbildung aufzulösen. Weiterhin wird, da der Begriff der Tat eine gewisse Unschärfe aufweise,96 ergänzend auf die materielle Gerechtigkeit des Ergebnisses verwiesen bzw. auf einen „Grundsatz gerechter Gesetzesanwendung“ oder „-auslegung“,97 auf den Vertrauensschutz,98 auf die „Vereinbarkeit mit anderen verfahrensrechtlichen Gestaltungen“99 oder „elementare Gerechtigkeits- und Strafzumessungserwägungen“.100 Diese normativen Gesichtspunkte spielen bisher allenfalls eine untergeordnete Rolle zur Bekräftigung eines mit den herkömmlichen Kriterien begründeten Ergebnisses.101

89 Roxin JR 1984 346, 348; ders. JZ 1988 260, 261; Schlüchter JZ 1991 1057, 1060; Bauer wistra 1995 170, 179 f.; vgl. Marxen StV 1985 472, 473 ff.

90 Ebenso Radtke/Hohmann 25; ähnl. auch BGHR § 264 Abs. 1 Ausschöpfung 5. 91 So von Hehlerei und Raub (BGHSt 35 60, 64) sowie von Diebstahl und Begünstigung. 92 BGHSt 35 80, 82 mit Anm. Roxin JZ 1988 260 und Gillmeister NStZ 1989 1; vgl. auch BGHR § 264 Abs. 1 Tatidentität 9; BGH NStZ-RR 1998 304, 305; OLG Celle NJW 1988 1225, 1226; OLG Frankfurt NStZ 1988 92; OLG Hamm NStZ-RR 1997 79, 80; KG 13.2.2002 – (5) 1 Ss 5/02; abw. OLG Köln NJW 1990 587, 588; s. a. BGH NJW 1989 1867 f. (eine Tat wegen engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhangs von Betrug und Hehlerei). 93 BGH NStZ-RR 2002 98; BayObLGSt 1989 56, 59; siehe aber OLG Celle NdsRpfl. 1997 264; OLG Hamm wistra 2002 400; 12.12.2007 – 3 Ss 430/07; OLG Schleswig SchlHA 2007 288 f.; Bauer wistra 1990 218 f.; 1995 170, 179 f.; krit. Schlüchter/Duttge NStZ 1996 457, 462. 94 BGHSt 13 21, 26; 23 141, 146; 23 270, 273; 41 292, 300; BGH StV 1985 181; BGH 27.5.1992 – 2 StR 94/92 (Art und Gewicht des Unrechts); 16.1.1992 – 4 StR 509/91 (Rechtsgüter); BGHR § 264 Abs. 1 Tatidentität 9 (Richtung auf ein Tatobjekt); OLG Celle NJW 1985 393 (Richtung des Täterverhaltens); NdsRpfl. 1997 264 (Rechtsgüter); OLG Hamburg NStZ-RR 1999 247, 248; OLG Hamm StV 1984 15, 16; NStZ-RR 1997 79, 80; OLG Köln NStZ 1988 568, 569. 95 BGH NStZ-RR 2016 47, 49. 96 BGHSt 43 252, 255. 97 BGHSt 23 141, 150; 29 288, 296, 297; 35 14, 19; 36 151, 155; 41 292, 300; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999 176, 177; OLG Hamburg NStZ-RR 1999 247, 248; OLG Hamm StV 1986 241, 242; krit. Helmken MDR 1982 715, 717. 98 BGHSt 29 288, 296 f.; 35 14, 19 f. mit Anm. Karl NStZ 1988 79; BGHSt 36 151, 155; 43 252, 255, 257; BGH NStZ 2001 436, 438 mit Anm. Mitsch NStZ 2002 159; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999 176, 177. 99 BGHSt 43 252, 255; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999 176, 177. 100 BGHSt 49 359, 364. 101 BGHSt 35 80, 82; 41 292, 299 f.; BGH 16.1.1992 – 4 StR 509/91; BayObLGSt 1989 56, 59; siehe aber OLG Celle NdsRpfl. 1997 264.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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4. Einwände und abweichende Vorschläge. Die Judikatur zum Tatbegriff ist un- 22 übersichtlich und nicht widerspruchsfrei,102 leider nicht nur in schwierigen und seltenen Zweifelsfällen, sondern auch in den typischen Konstellationen alltäglicher Massenkriminalität wie bei Straßenverkehrs-103 und Betäubungsmitteldelikten104 (Rn. 73, 90 ff.). Die Rechtsprechung hat die Problematik ihrer Tatdefinition freilich weder verkannt noch geleugnet.105 Darüber, ob mehrere Vorgänge ein einheitliches geschichtliches Ereignis sind, könnten wegen des weitgefassten Begriffs „sehr oft verschiedene Auffassungen vertreten werden“.106 Dies ist die Konsequenz der vom historischen Gesetzgeber verschuldeten (Rn. 14) haarsträubenden Behauptung, dass es keine allgemeingültigen Abgrenzungskriterien geben könne und die Entscheidung allein von den Besonderheiten des Einzelfalles abhänge. Ernst genommen werden darf diese Aussage offensichtlich nicht, denn wer keine Maßstäbe für eine Unterscheidung angeben kann und will, urteilt nach Willkür, mögen auch die Ergebnisse solcher Kadijustiz (im Weberschen Sinne) im Einzelfall oft plausibel sein. Tatsächlich aber lassen sich die meisten Fälle in klarer konturierte Untergruppen einordnen (Rn. 58 ff.). Es verwundert daher nicht, dass seit langem methodische Kritik an der Begriffsver- 23 weigerung der Rechtsprechung sowie an der kriterienlosen und insoweit „vordogmatischen“107 „heuristischen Formel“ von der „natürlichen Auffassung des Lebens“ geübt wird,108 die ebenso berechtigt wie wohlfeil ist. Über irgendwelche, geschweige denn präzise Merkmale verfügt die „natürliche Einheit“ nicht, so dass ihre Anwendung daher über einen Zirkelschluss nicht hinauskommen kann. Die behauptete Maßgeblichkeit einer „natürlichen Lebensauffassung“ ist überdies irreführend, weil es sich ausnahmslos um eine Beurteilung (materiell-)rechtlich bewerteten Geschehens für (verfahrens-)rechtliche Zwecke, somit um eine rechtliche Betrachtung handelt.109 Ebenso wenig haltbar110 ist die Ansicht, dass der Tatbegriff „vorrechtlich“ sei,111 sich also im „natürlichen Leben“ präexistente Einheiten losgelöst von jeglichem spezifischen Erkenntnisinteresse finden ließen, denn das materielle Strafrecht ist es doch, das erst die Gesichtspunkte liefert, die aus einem Geschehensablauf relevant sind,112 vgl. Rn. 28. Der Zusatz, dass eine getrennte Aburteilung als „unnatürliche“ Aufspaltung empfunden werden müsste, ist tautologisch.113 Die Tatformel ist daher lediglich eine Tarnkappe für ein Bündel von Identitätskriterien für verschiedene Situationen. Ihr einziger Vorzug besteht in der Er102 Zusammenfassend Beulke FS II BGH 781 ff.; s. a. Neuhaus MDR 1988 1012 ff.; ders. MDR 1989 213 ff.; Schlüchter JZ 1991 1057, 1060; Bauer wistra 1995 170, 179 f.

103 Krit. zu Recht Seitz JR 2002 524 f. 104 Zahlreiche Beispiele aus der Praxis bei Hellebrand GedS Schlüchter 473, 480 ff.; ders. FS Schwind 305 ff.

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Oben Fn. 52; BayObLGSt 1989 56, 58 hält sie für „praktisch unbrauchbar“. BGHSt 11 130, 133. Marxen StV 1985 472, 473. Siehe nur Bauer NStZ 2003 174 f.; wistra 2008 374; Bertel 35 f.; Herzberg JuS 1972 113, 115; Hruschka JZ 1966 700, 703; Jescheck JZ 1957 29, 30; Kindhäuser JZ 1997 101; Kühne 642; Marxen StV 1985 472, 473 f.; Neuhaus StV 1990 342; Paeffgen NStZ 2002 281, 286; ders. GedS Heinze 615, 618 ff.; Stuckenberg FS von Heintschel-Heinegg 435 f.; auch BayObLGSt 1989 56, 58; s. a. LR/Kühne Einl. K 61; MüKo/Norouzi 11 ff. 109 Liu 16 ff.; Schwinge ZStW 52 (1932) 203, 220 f.; Bertel 21 f., 35 f.; Hruschka JZ 1966 700, 701; Kindhäuser JZ 1997 101; Stuckenberg FS von Heintschel-Heinegg 435; AK/Loos § 264 Anh. 35 m. w. N.; Radtke/ Hohmann 16, SK/Velten 27. 110 Hruschka JZ 1966 700, 703. 111 BGHSt 43 252, 256; OLG Frankfurt NStZ-RR 2001 141, 142; Rieß NStZ 1981 74, 75. 112 Vgl. BGH StV 1985 181; LR/Gollwitzer25 6, 10. 113 KMR/Stuckenberg 28; Pfeiffer 2.

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möglichung von Flexibilität, mithin einzelfalladäquater Entscheidung,114 ohne zur Begründung dieser Entscheidung etwas beitragen zu können. Ein großer Teil der Literatur stimmt der Auffassung der Rechtsprechung jedenfalls im Grundsatz zu.115 Denn hinter der methodisch haltlosen Tatformel der Rechtsprechung verbargen sich lange Zeit im Kern stabile Fallgruppen (Rn. 58 ff.),116 deren Ergebnisse auch heute noch vom Schrifttum kaum in Frage gestellt werden. Von den zahlreichen abweichenden Vorschlägen des Schrifttums,117 die überwiegend eine Verengung des Tatbegriffs bezwecken oder bewirken, seien die wesentlichen nachfolgend kurz angesprochen, obschon keiner davon sich bis heute durchsetzen konnte. Die früher118 auch von der Rechtsprechung119 weithin vertretene Anbindung des prozessualen Tatbegriffs an den der materiell-rechtlichen Handlung120 und in der Konsequenz damit an die Konkurrenzlehre121 („Identitätsthese“) reduziert die Urteilsungewissheit gegenüber der „natürlichen Betrachtungsweise“ beträchtlich, wenn auch nicht restlos, und dient der Prozessökonomie vor allem in Großverfahren. Andererseits hat der prozessuale Tatbegriff andere Funktionen zu erfüllen als die Strafzumessungsregeln der §§ 52 ff. StGB (Rn. 8).122 Schwierigkeiten ergeben sich zudem daraus, welcher Zeitpunkt für die zur Feststellung rechtlicher Handlungseinheiten nötigen sachlichrechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen wäre: Eine Beschränkung auf die Subsumtion der Anklage verbietet sich nach §§ 155 Abs. 2, 206, 264 Abs. 2; dann aber müsste das Ergebnis der richterlichen Kognition ihren Umfang bestimmen,123 weshalb die Identitätsthese nicht konsequent durchführbar ist. Peters hält die Richtung des Tätigkeitsaktes für maßgebend. So sei ein Schuss in die Luft etwas anderes als ein Schuss auf einen Menschen.124 Wenn dies nicht auf eine rechtliche Wertung hinauslaufen soll, handelt es sich um ein faktenbezogenes Kriterium, dessen Unschärfe keinen Gewinn bringt. Die angeführten Beispiele – Verurteilung wegen Wilderei hindert die Anklage wegen Mordes durch denselben Schuss nicht, wohl aber umgekehrt – überzeugen nicht.125 Gleiches gilt im Ergebnis für den ähnlichen Vorschlag,126 auf den sozialen Sinnzusammenhang abzustellen. Vielfach wird angenommen, dass bei Bestimmung der „Tat“ ohne Einbeziehung der rechtlichen Bewertung nicht auszukommen sei. So müsse etwa zur Identität des geschichtlichen Vorgangs auch Übereinstimmung im wesentlichen Unrechtsgehalt hinzutreten, so dass im klassischen – heute durch § 85 Abs. 3 Satz 2 OWiG überholten – Beispiel127 die Verurteilung wegen Schießens an bewohnten Orten (§ 367 Abs. 1 Nr. 8 114 Zutr. Kindhäuser JZ 1997 101. 115 KK/Ott 5; LR/Gollwitzer25 4 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt 2; Pfeiffer 2; SK/Velten 28; Eb. Schmidt I 296 ff.; SSW/Rosenau 4; Grünwald Teheran-Beiheft ZStW 86 (1974) 94, 107 ff.; Rieß NStZ 1981 74 f. 116 Grünwald JZ 1970 330. 117 Überblicke und weitere Nachw. bei Radtke 109 ff., 113 ff.; Wolter GA 1986 143, 157 ff. 118 Vgl. nur Jescheck JZ 1957 29, 30 m. w. N. 119 Nachw. bei KMR/Stuckenberg 15. 120 Oehler FS Rosenfeld 139, 148 ff., 157 f.; ders. GedS Schröder 439, 444 ff. 121 Behrendt ZStW 94 (1982) 888, 910 ff.; strikt Herzberg JuS 1972 113, 117 ff. (völlige Übereinstimmung materieller und prozessualer Tateinheit mit Ausnahme der fortgesetzten Tat); anders aber Oehler (Fn. 120). 122 Eingehend Wolter GA 1986 143, 157 f. 123 BGHSt 43 252, 256; KMR/Stuckenberg 30; LR/Gollwitzer25 11; Radtke/Hohmann 19; Wolter GA 1986 143, 158; ähnl. MüKo/Norouzi 13. 124 Peters § 54 II 3 b bb, S. 508 ff.; zust. Jescheck JZ 1957 29, 30; ähnl. Gillmeister NStZ 1989 1, 2. 125 Dazu KMR/Sax6 Einl. XIII, 27. 126 Geerds 359 ff., 362 f.; ähnl. Achenbach ZStW 87 (1975) 74, 91. 127 Nach RGSt 4 243, 244 f.; 70 26, 30 f.; vgl. LG Freiburg StV 1991 16 f.

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StGB a. F.) eine Anklage wegen Mordes, begangen durch denselben Schuss, nicht sperre.128 Ähnlich, aber enger nimmt Hruschka Tatidentität nur an, wenn der „rechtliche Kern eines nach Raum, Zeit und Tatgegenstand festlegbaren Vorganges“ übereinstimme. Im Zweifel soll ein wertender Vergleich zwischen den betreffenden Tatbeständen nach dem Vorbild der Wahlfeststellung erfolgen.129 Mitunter wird auch die teilweise Identität der Rechtsgutsverletzung im Sinne der Teilidentität des Rechtsguts und der Verletzungshandlung gefordert.130 Beulke stellt normativierend auf die Zielrichtung bzw. Angriffsrichtung des Handelns ab, die der Tat ihr „rechtliches Gepräge“ gebe.131 Jüngst wird sogar wieder eine vollständige132 oder teilweise133 Rückkehr zum idem delictum-Begriff des Inquisitionsprozesses134 befürwortet. Doch steht, wie oben (Rn. 4 ff., 8) angeführt, allen materiell-rechtlich orientierten Vorschlägen entgegen, dass einerseits das Gesetz zu Recht davon ausgeht, dass die prozessuale Tat unabhängig von der materiell-rechtlichen Bewertung ist und dass andererseits diese Vorschläge – sofern es nicht einzig um die Verbindung real konkurrierender Taten geht – entweder die Pflicht und Befugnis des Gerichts zur allseitigen Kognition und damit die in §§ 155 Abs. 2, 202, 264 Abs. 2 statuierte Subsumtionsfreiheit beschränken135 oder den Umfang der Kognitionsbefugnis von deren Ergebnis abhängig machen müssen (Rn. 25) und somit nur den Umfang des Verbrauchs der Strafklage angeben können, was dem Erfordernis eines einheitlichen Tatbegriffs (Rn. 7) widerstreitet. Schließlich wird vorgeschlagen, die faktische mit der normativen Betrachtungswei- 28 se zu kombinieren: Eine Tat liege vor bei faktisch untrennbaren, ineinander übergehenden Vorgängen sowie bei abtrennbaren und tatmehrheitlich begangenen Straftaten, sofern sie in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen und ihr Unrechtsgehalt vergleichbar sei,136 etwa in Fällen (unechter) Gesetzeskonkurrenz. Teilweise sollen normative Kriterien die „ontologischen“ nur ergänzen: So nimmt Schlüchter 128 Henkel 387. 129 Hruschka JZ 1966 700, 703; ähnlich, aber vager Barthel 93 ff. (Vergleichbarkeit des Unrechtsgehalts unter Einschluss faktischer Aspekte).

130 Bertel 140 ff. 131 Beulke (Strafprozessrecht)13 519, 521; ders. FS II BGH 781, 804 ff.; ebenso Beulke/Swoboda 519, 521; vgl. BGHR § 264 Abs. 1 Tatidentität 33.

132 Rostalski 175 ff., zusf. 335 ff., aufgrund der These, im gesamten Strafrechtssystem (für Strafzumessung, Konkurrenzlehre, Strafverfahren) müsse ein einheitlicher „normativ-funktionaler Begriff der Tat“ im normtheoretischen Sinne eines „hinreichend gewichtigen Verhaltensnormverstoßes“ (118 ff.) gelten, weil jede Phase des Bestrafungsvorgangs dem gemeinsamen Ziel der legitimen Bestrafung des Einzelnen diene (3, 5, 13). Darin liegt sowohl ein klassischer sophistischer Fehlschluss (fallacia a dicto secundum quid ad dictum simpliciter), der zudem die zufällige Gleichheit des Sprachzeichens (Homonyms) mit der Identität des Begriffs verwechselt, als auch das Gegenteil funktionalen Rechtsdenkens, das Begriffe nach Regelungszielen differenziert. Überdies dient die materielle Rechtskraft gerade nicht dem „Ziel der legitimen Bestrafung des Einzelnen“, sondern soll diese verhindern. 133 Greco 468–625, insb. 519, zusf. 627 f. (s. a. Roxin/Schünemann § 20, 14a), aufgrund der Annahme, der Anklagegrundsatz sei ein apriorisches Prinzip der Verfahrensgerechtigkeit, weshalb die „Umgestaltung der Strafklage“ durch das Gericht stark einzuschränken sei; der Schutz des Beschuldigten vor erneuter Inanspruchnahme sei hingegen irrelevant, Greco 383 ff., 427 ff.; dagegen Stuckenberg ZIS 2017 445, 450 ff. 134 Siehe nur Planck Die Mehrheit der Rechtsstreitigkeiten im Prozeßrecht 269 ff., 278 f. m.w.M. (1844). 135 KMR/Stuckenberg 32; LR/Gollwitzer25 10 f.; MüKo/Norouzi 13; Radtke/Hohmann 19; Achenbach ZStW 87 (1975) 74, 89. 136 Roxin25 § 20, 5; ders. JR 1984 346, 348; ders. JZ 1988 260, 261; ähnl. Wolter GA 1986 143, 164 ff., 175 („Untrennbarkeit von Verhaltensweisen oder Wesensgleichheit ihres Sach- und Unrechtskerns ohne Verwechslungsgefahr bei Kontinuität“); Detmer 210 ff., 327; Otto JR 1988 27, 29 f.; ders. NStZ 2005 515 f.;

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zunächst eine natürliche oder ontologische Betrachtung vor, die durch normative Kriterien der Parallelität von Handlung, Handlungsobjekt und Rechtsgut ergänzt werden.137 Daran ist zutreffend, dass bei Straftatbeständen, deren Unrechtsbeschreibung phänotypisch unauffällige, merkmalsarme oder massenhaft auftretende Verhaltensweisen entweder erfasst oder darin typischerweise eingebettet ist (z. B. Unterlassungs- und Straßenverkehrsdelikte), deutlicher bewusst wird als bei typischerweise durch unverwechselbare Vorkommnisse erfüllten Delikten (wie Verletzungsdelikten, auch bestimmten Tätigkeitsdelikten wie Aussagedelikten), dass der angeklagte Sachverhalt stets mit den Augen des Rechtsanwenders138 beurteilt wird, die „natürliche“ Betrachtung natürlich nichts anderes als eine juristische sein kann (Rn. 23). Allerdings steht die grundsätzliche Irrelevanz materiell-rechtlicher Bewertungen jenseits des gemeinsamen Minimums (Rn. 8) ihrer auch nur partiellen Berücksichtigung oder Heranziehung für Sonderfälle entgegen. 29 Einen „Schritt in den Abgrund“139 macht der Vorschlag, den Tatbegriff auf die tatsächliche Kognitionsmöglichkeit des Gerichts zu beschränken,140 um den Verbrauch der Strafklage hinsichtlich solcher Umstände auszuschließen, die das Gericht auch bei sorgfältiger Erfüllung seiner Aufklärungspflicht nicht erkennen konnte. Dagegen spricht nicht die angenommene141 praktische Schwierigkeit festzustellen, was das Gericht bei sorgfältiger Aufklärung hätte kennen können, sondern die Verkennung der ratio der formell-rechtsstaatlichen Garantie des Art. 103 Abs. 3 GG.142 Zugleich würde dem grundsätzlichen Verbot der Wiederaufnahme propter nova zu Ungunsten des Angeklagten der Boden entzogen; auch die Ausnahmen in §§ 373a StPO, 85 Abs. 3 Satz 2 OWiG ließen sich kaum noch erklären.143 30 Auf eine normative Komponente in Gestalt prozessualer Pflichtverletzungen stellt das Kriterium der Untersuchungsrichtung144 ab, wonach alle die Geschehnisse von der prozessualen Tat umfasst werden, die von der Staatsanwaltschaft mitangeklagt oder vom Gericht bei pflichtgemäßer Ausübung seiner Kognition mitverhandelt hätten werden müssen. Dies soll jedenfalls für Geschehnisse gelten, die den Strafverfolgungsbehörden bekannt waren, und wohl auch für solche, die grob fahrlässig unbekannt blieben.145

Gillmeister NStZ 1989 1, 4 f. (faktische Einheit oder tatbestandlicher Bezug zwischen faktisch selbständigen Taten); zuerst wohl Schwinge ZStW 52 (1932) 203, 221 ff., 231 ff.; ders. DJ 1941 1063 f. (Teilidentität der Ausführungshandlung oder Bezug auf dasselbe Rechtsgut oder Fortsetzungszusammenhang bzw. Sammelstraftat). 137 SK/Schlüchter (Loseblattausgabe) 17, 40; dies. JZ 1991 1057, 1060 f.; ähnl. LR/Gollwitzer25 6, 11 für Zweifelsfälle, in denen die normative Unrechtsbeschreibung der angeklagten Tat heranzuziehen sei („faktisch-normativer Tatbegriff“). 138 Geerds 362 spricht zu Recht von der „individualisierenden Funktion der Deliktstypen“; ähnl. LR/ Gollwitzer25 10; Otto JR 1988 27, 29; ders. NStZ 2005 515; vgl. BVerfG 16.3.2001 – 2 BvR 65/01: Der Gegenstand des geschichtlichen Lebenssachverhalts „Unfallflucht“ sei „rechtsgutsorientiert“ zu bestimmen, d. h. die Zeitspanne des § 142 Abs. 2 StGB einzubeziehen. 139 Eb. Schmidt 19. 140 Henkel 388 ff. 141 So aber Radtke 121; SK/Velten 26. 142 Abl. daher Eb. Schmidt I 312 mit Fn. 551; § 264, 19; Achenbach ZStW 87 (1975) 74, 90; Grünwald Teheran-Beiheft ZStW 86 (1974) 94, 109 f.; Bertel 13 f.; AK/Loos § 264 Anh. 27, 33; KMR/Stuckenberg 34; SK/ Velten 26. 143 Zutr. Grünwald Teheran-Beiheft ZStW 86 (1974) 94, 114 f. 144 Paeffgen GedS Heinze 615, 630 ff., 633 ff.; ähnl. zuvor ders. NStZ 2002 281, 286; s.a SK/Paeffgen § 121, 11c. 145 Paeffgen GedS Heinze 615, 634 m. Fn. 110.

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Mithin kommt es nicht nur darauf an, was Staatsanwaltschaft und Gericht kennen konnten, sondern vor allem darauf, was sie kennen mussten. Der Ansatz zielt primär, aber nicht nur, auf die Problemfälle der Dauer- und Organisationsdelikte und betont die bekannte Sanktionsfunktion der Rechtskraft,146 um missbräuchlichen Aufspaltungen von Sachverhalten147 vorzubeugen. Letzteres ist gewiss ein Ziel des Art. 103 Abs. 3 GG, doch ist zum einen alles andere als klar konturiert, welches denn nun die äußeren Grenzen des Prozessstoffs sein sollen, zum anderen treffen diesen Ansatz dieselben Einwände wie den vorherigen, der auf die tatsächliche Kognitionsmöglichkeit, die der Frage nach der Pflichtverletzung vorgelagert ist, abhebt. Sodann wurde zur Vermeidung „unerträglicher Gerechtigkeitsverstöße“ eine Ergän- 31 zungsklage vorgeschlagen, einmal in Form einer Vervollständigungsklage148 zur Erfassung von Umständen, die nach dem rechtskräftigen Urteil eingetreten sind, also darin gar nicht berücksichtigt werden konnten, z. B. wenn das Opfer einer rechtskräftig abgeurteilten Körperverletzung danach an den Verletzungsfolgen stirbt,149 zum anderen in Gestalt einer Berichtigungsklage150 zur nachträglichen Verfolgung von im ersten Verfahren unbekannt gebliebenen Umständen. Beide Formen führten zu Verfahren, in denen über eine rechtskräftig abgeurteilte Tat oder Teile derselben erneut entschieden würde, und sind daher mit Art. 103 Abs. 3 GG unvereinbar,151 der auch eine Reaktion auf die „Nichtigkeitsbeschwerde“152 und den „außerordentlichen Einspruch“153 der NSZeit darstellt.154 Anknüpfungspunkt für die prozessuale Tat muss somit der in der Anklageschrift 32 (Anklagesatz, § 200 Abs. 1 Satz 1) geschilderte Sachverhalt bleiben. Zu eng angesichts §§ 155 Abs. 2, 202, 244 Abs. 2 ist jedoch, zu einer Tat nur die Gesetzesverletzungen zu zählen, die in der Anklageschrift als zeit- und ortgleich bezeichnet sind, 155 weil dies den Verfahrensgegenstand weitgehend auf die crimina reduziert.156 Im Grundsatz zuzustimmen ist dem Ansatz Fezers, der zur Konturierung eines auf das tatsächliche Geschehen bezogenen Tatbegriffs die prozessuale Tat in Abhängigkeit von der richterlichen Kognitionspflicht als den in der Anklageschrift geschilderten Geschehensablauf be-

146 Oben Fn. 39. 147 S.a. Erb NStZ 1998 253, 254; Verrel JR 2002 212, 214; zur Vermehrung der Verfahren zur Pflege des Pensenschlüssels s. Hellebrand FS Schwind 305, 306, 308. 148 Begriff von Achenbach ZStW 87 (1975) 74, 75 f. 149 LR/Schäfer23 Einl. 12 32 Fn. 6; Fezer 17/83; Greco 574; Kühne 650; Roxin § 50, 17; Roxin/Schünemann § 52, 15; Rüping 568. 150 Henkel 388 ff., 390; weitere Nachw. bei Achenbach ZStW 87 (1975) 74, 77 ff.; abl. Roxin/Schünemann § 52, 16. 151 BVerfGE 65 377, 381 mit Anm. Schnarr NStZ 1984 326; Neumann NJW 1984 779; Kühne JZ 1984 376; Groth MDR 1985 716 ff.; AK/Loos § 264 Anh. 46; Bonn.Komm./Pohlreich Art. 103 III, Rn. 46; KMR/ Stuckenberg 35; LR/Schäfer24 Einl. 12 36a; Meyer-Goßner/Schmitt Einl. 171; OK-StPO/Eschelbach 3; Radtke/ Hohmann 66; Eb. Schmidt 19; Schlüchter 604.2 m. w. N.; Detmer 332 ff.; Achenbach ZStW 87 (1975) 74, 80 ff., 95 ff.; Grünwald Teheran-Beiheft ZStW 86 (1974) 94, 115; Herzberg JuS 1972 113, 120 m. w. N.; Krauth FS Kleinknecht 215, 239; Puppe JR 1986 205 f. Fn. 3; ähnl. KMR/Sax6 Einl. XIII, 28, 34; zu früheren Gesetzgebungsvorschlägen vgl. Achenbach ZStW 87 (1975) 74, 80 ff.; Grünwald FS Bockelmann 737, 753 ff. m. w. N. 152 §§ 34 ff. der Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften vom 21.2.1940, RGBl. 1940 I S. 405, 410. 153 § 3 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des allgemeinen Strafverfahrens, der Wehrstrafverfahrens und des Strafgesetzbuchs vom 16.9.1939, RGBl. 1939 I S. 1841. 154 Paeffgen GedS Heinze 615, 617. 155 So Schlehofer GA 1997 101, 109 ff., 117 f. 156 Zutr. Kühne 655.

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stimmt, zu dem dort nicht erwähnte Verhaltensweisen nur dann gehören, wenn sie mit der im Anklagesatz beschriebenen Handlung in natürlicher oder rechtlicher Handlungseinheit stehen oder mit ihr teilidentisch sind;157 zu Ausnahmen siehe unten Rn. 74 ff. 5. Tatbegriff und Prozessgegenstand a) Unteilbarkeit. Der Tatbegriff umgrenzt – in Verbindung mit der Identität der Person des Beschuldigten158 – den Prozessgegenstand (Rn. 4). Das Strafverfahren hat wenigstens eine „Tat“ zum Gegenstand. Die beiden Begriffe der prozessualen Tat und des Prozessgegenstands sind insofern nicht inhaltsgleich, weil zum Prozessgegenstand alle Umstände gehören, die für die Entscheidung von Bedeutung sind (§ 244 Abs. 2); er kann somit mehrere „Taten“ umfassen, wenn über mehrere Taten derselben Person bzw. Taten mehrerer Personen verbunden (§§ 2, 4, 237) verhandelt wird. Abgesehen von der Möglichkeit der Trennung verbundener Verfahren ist der Prozessgegenstand unteilbar. Der Gegenstand des Prozesses wird durch die Anklage vorgegeben (§ 155 Abs. 1)159 34 und endgültig durch den Eröffnungsbeschluss festgelegt, der jedoch nur Beschränkungen in sachlicher und persönlicher Hinsicht (§ 207 Abs. 2) vornehmen und keine Tat zum Gegenstand haben kann, die in der Anklage nicht enthalten ist (vgl. § 207 Abs. 1).160 Diese Festlegung durch Anklage und Eröffnungsbeschluss – und nicht etwa durch das Ersturteil – bindet auch das Berufungsgericht161 und das Tatgericht nach Zurückverweisung gemäß § 354 Abs. 2.162 Eingeschränkt werden kann die Untersuchung aus rechtlichen Gründen (unten Rn. 41 ff.) beim Zusammentreffen von verfolgbaren und nicht mehr verfolgbaren Handlungen. Abgesehen von der Möglichkeit einer „Umgestaltung der Strafklage“ sowie der Nachtragsanklage ist der Prozessgegenstand unveränderlich. Nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses kann auch mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft etwa der identitätsbestimmende Tatzeitraum bei Serientaten nicht mehr geändert werden, auch wenn es sich um die Korrektur eines Versehens handelt (§ 156).163 33

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b) Prozessgegenstand und Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft. Enthält die Anklageschrift mehrere Taten i. S. des § 264, so sind nur diejenigen angeklagt, auf die sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft bezieht. Dies gewinnt besondere Bedeutung bei alternativen Sachverhalten (Rn. 107).164 Erfasst ist stets der im Anklagesatz beschriebene Sachverhaltskomplex unter Berücksichtigung der materiell-rechtlichen Bewertung durch die Staatsanwaltschaft.165 Nötigenfalls ist zur Auslegung der Anklage ergänzend das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen (§ 200 Abs. 2 Satz 1) heranzuziehen.166 Etwas anderes gilt nur, wenn den Akten, dem Anklagesatz oder den Ausführungen zum wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zu entnehmen ist, dass die Staatsanwaltschaft ein bestimmtes, als selbständige prozessuale Tat zu wertendes Geschehen nicht der 157 Fezer 18/14; so auch MüKo/Norouzi 14. 158 BGHSt 30 131, 138 f.; 32 215, 217; BGH NStZ-RR 2016 316, 317; LR/Kühne Einl. K 58; LR/Gollwitzer25 4; Meyer-Goßner/Schmitt 7; Roxin/Schünemann § 20, 3 f.; vgl. Rn. 18. 159 BGHSt 30 131, 138 f. 160 BGH NJW 1959 898; Eb. Schmidt 2 f.; Nachtr. 1. 161 RGSt 61 399; 62 130, 131; BGHSt 16 237, 238 f.; BayObLGSt 1957 217, 219 f.; OLG Koblenz VRS 45 (1973) 289; MüKo/Norouzi 8; Radtke/Hohmann 59. 162 BGHSt 9 324, 326 f.; BayObLGSt 1957 217, 219 f.; MüKo/Norouzi 8. 163 BGHSt 46 130, 135. 164 Dazu Dreyer 162 ff. 165 Näher BGH NStZ-RR 2016 316, 317. 166 § 200, 15, 90 ff.; vgl. nur BGHSt 41 292, 298; 43 96, 100; BGH wistra 2010 219 f.; StV 2018 103, 104.

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Kognition des Gerichts unterwerfen wollte.167 Nicht „Gegenstand der Urteilsfindung“ sind daher Vorgänge, die außerhalb der angeklagten Tat stehen und nur zu deren Beweis oder zum besseren Verständnis der Gesamtumstände in der Anklage erwähnt, aber vom Verfolgungswillen der Staatsanwaltschaft selbst nicht umfasst sind.168 Der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft ist jedoch nur von Bedeutung, wenn bei- 36 läufig erwähntes Geschehen eine weitere selbständige Tat i. S. des § 264 darstellt.169 Da die vom Anklagesatz bezeichnete Tat alle mit dem geschilderten geschichtlichen Vorgang zusammenhängenden Umstände erfasst, die geeignet sind, das Verhalten des Angeklagten unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt als strafbar erscheinen zu lassen, zu qualifizieren oder zu mildern (Rn. 14 ff.), kann auch ein Vorgang zur Tat gehören und damit Gegenstand der Anklage und Urteilsfindung sein, auf den sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft anfangs nicht richtete, weil der Zusammenhang nicht bekannt war oder verkannt wurde.170 Folglich ist der (rechtliche) „Verfolgungswille“ der Staatsanwaltschaft innerhalb der angeklagten Tat unteilbar. Deshalb ist es weder nötig noch vom Gericht erzwingbar, dass die Staatsanwaltschaft eine den angeklagten Sachverhalt rechtlich nicht ausschöpfende, aber bereits zugelassene Anklage nachträglich ergänzt.171 Beschränkungen auf Tatteile sind nur nach § 154a möglich, sonstige faktische Beschränkungen auf bestimmte zur Tat gehörige Vorgänge sind rechtlich unbeachtlich.172 Wird z. B. erst in der Hauptverhandlung bekannt, dass bei einem Unfall mehrere Personen verletzt wurden, hatte die Staatsanwaltschaft aber das besondere öffentliche Interesse gemäß § 230 StGB nur bzgl. einer Person erklärt, so hat das Gericht dennoch alle Körperverletzungen mit abzuurteilen.173 Enthält eine Aussage mehrere falsche Angaben, kann die Verurteilung auch auf einen nicht in der Anklage genannten Teil der Aussage gestützt werden.174 c) Umfassende Kognitionspflicht des Gerichts. Das Gericht muss die Anklage, 37 wie sie im Eröffnungsbeschluss zugelassen ist, vollständig erschöpfen (§ 260, 36), genauer: die den Untersuchungsgegenstand bildende angeklagte Tat restlos nach allen tatsächlichen (§ 244 Abs. 2) und denkbaren rechtlichen (§ 265) Gesichtspunkten aufklären und aburteilen175 ohne Rücksicht auf die der Anklage und dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte rechtliche Bewertung (§§ 155 Abs. 2, 264 Abs. 2), sofern keine 167 BGH NJW 2000 154, 157; s. a. BGH wistra 2003 150 f. 168 BGHSt 13 21, 26; 16 200, 202; 23 141, 146; 32 146, 149; 35 80, 81; 41 292, 297 f.; 43 96, 99 ff.; BGH NJW 1959 898; NStZ 2000 216; StV 1995 522, 523; 1996 432, 433; 1999 415 mit Anm. Pauly und Bauer NStZ 1999 207; BayObLGSt 1991 3; AK/Loos 3; KK/Ott 25; KMR/Stuckenberg 39; MüKo/Norouzi 9; Radtke/Hohmann 60; SK/Velten 51. 169 BGHSt 16 200, 202; BGH StV 1981 127, 128; BayObLGSt 1991 3, 5; OLG Stuttgart MDR 1975 423. 170 BGHSt 32 215, 216; 41 292, 298; vgl. auch BGHSt 35 172, 174 f. 171 So aber OLG Hamm NJW 1977 68 mit abl. Anm. Bliesener 874; vgl. KK/Ott 26 (praktisch bedeutungslos); vgl. § 207 Abs. 3. 172 BGHSt 16 200, 202; 23 270, 275; BGH StV 1981 127, 128; BGHR § 264 Abs. 1 Tatidentität 32; BayObLGSt 1960 160, 161; 1964 95; 1965 46, 48; 1991 3, 4 f.; OLG Braunschweig MDR 1975 862 f.; OLG Düsseldorf NJW 1983 767, 768; OLG Frankfurt StV 1994 119; OLG Jena StV 2007 230, 231; OLG Saarbrücken NJW 1974 375, 376; AK/Loos 3; KK/Ott 25; KMR/Stuckenberg 40; Meyer-Goßner/Schmitt 2b, 7a; Pfeiffer 1; Hanack JZ 1972 355, 356. 173 OLG Braunschweig MDR 1975 862 f. 174 RGSt 61 225 m. w. N.; BGHSt 15 274, 275; BGH bei Dallinger MDR 1969 904; KK/Ott 26; zum Strafklageverbrauch OLG München NJW 1967 2219 gegen OLG Düsseldorf NJW 1965 2070, 2071. 175 RGSt 13 146, 147; BGHSt 16 200, 202 f.; 18 381, 385 f.; 22 105, 106; 25 72, 75 f.; 25 388, 389 f.; 39 164, 165; 49 209, 211; BGH NJW 2018 566, 567; NStZ 1983 174, 175; 1999 415 f.; 2000 208; 2008 471, 472; 2010 222, 223; 2012 168, 169; 2014 599, 600; 2017 410 f.; 2018 90; NStZ-RR 1996 203; 2014 57; 2017 248, 249;

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Beschränkung (§§ 154a, 207 Abs. 2) oder andere rechtliche Gründe (Rn. 41 ff.) entgegenstehen.176 Auch im Strafverfahren sind daher Ordnungswidrigkeiten zu prüfen (§ 82 OWiG)177 und umgekehrt im Bußgeldverfahren auch Straftaten (§ 81 OWiG).178 Diese umfassende gerichtliche Kognitionspflicht gilt bis zur letzten Tatsachenent38 scheidung über den Schuldspruch,179 also auch für die Berufungsinstanz und das Tatgericht, an das infolge Revision zurückverwiesen wurde, soweit keine (horizontale) Teilrechtskraft entgegensteht.180 Folglich ist nach Anklageerhebung wegen einer bestimmten prozessualen Tat ein sie betreffendes Klageerzwingungsverfahren auch dann nicht mehr zulässig, wenn es auf die Verfolgung einer in der Anklage nicht angeführten Gesetzesverletzung oder eines dort nicht gewürdigten Tatteils gerichtet ist.181 Über eine Tat ist nur ein Urteil möglich:182 Die Entscheidung über eine prozessuale 39 Tat kann immer nur einheitlich sein, es darf nicht wegen eines Tatteils verurteilt und wegen eines anderen freigesprochen werden (§ 260, 17, 40 ff.). Es gibt ferner keine Teilurteile (§ 260, 17 f.), keine Teilverweisung nach §§ 225a, 270 innerhalb derselben Tat183 und keine Abtrennung von Tatteilen.184 Unzulässig ist es, etwa die Beweisaufnahme aus Kostengründen auf einen Teil der angeklagten Tat zu beschränken185 oder den Vorbehalt einer anderweitigen Strafverfolgung zu machen, um den Verbrauch der Strafklage einzuschränken.186 Lediglich hinsichtlich einiger Rechtsfolgen lässt die StPO ein Nachverfahren zu.187 Eine Ergänzungsklage oder Vervollständigungsklage sieht die StPO nicht vor (Rn. 31). Wenn z. B. eine Tat als Erpressung verfolgt wird, aber in der Hauptverhandlung nicht nachzuweisen ist, es jedoch möglich ist, dass die Tat nach weiterer, derzeit nicht sogleich durchführbarer Beweisaufnahme als Betrug beurteilt werden kann, so darf wegen § 244 Abs. 2 kein Urteil ergehen, sondern muss die Hauptverhandlung ausgesetzt (§ 228) werden.188 Eine irrigerweise dennoch vorgenommene Beschränkung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt kann nicht verhindern, dass der Strafklage-

2017 352; 2018 75; StV 1981 127, 128; 1987 52 f.; 1999 415 mit Anm. Pauly und Bauer NStZ 1999 207; BayObLGSt 1960 160, 161; 1964 95; 1965 46, 48; 1991 3, 4 f.; OLG Braunschweig MDR 1975 862; OLG Düsseldorf NJW 1983 767, 768; OLG Saarbrücken NJW 1974 375, 376; KK/Ott 2, 27 f.; KMR/Stuckenberg 41; Meyer-Goßner/Schmitt 7, 10; MüKo/Norouzi 35; OK-StPO/Eschelbach 1; Radtke/Hohmann 60, 63; SSW/ Rosenau 21. Zur Berücksichtigung subsidiärer Gesetze siehe BayObLGSt 1991 51, 52 ff. mit abl. Anm. Neuhaus NStZ 1993 202 und Schlüchter JZ 1991 1057 (eingeschränkte Kognitionspflicht für subsidiäre Taten nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG). 176 BGHSt 32 84, 85; BGH NStZ 1983 174 f.; NStZ-RR 1996 203; KK/Ott 33 ff. m. w. N.; KMR/Stuckenberg 41. 177 Bei Tateinheit tritt die Ordnungswidrigkeit hinter die Straftat zurück, § 21 OWiG. 178 BayObLG MDR 1977 246 f. 179 BGHSt 9 324, 326 ff. m. w. N.; KK/Ott 32; KMR/Stuckenberg 42. 180 RGSt 62 130; BGHSt 28 119, 121 f.; OLG Koblenz VRS 45 (1973) 289, 290; KMR/Stuckenberg 42. 181 OLG Karlsruhe NJW 1977 62 f. mit Anm. Ries NJW 1977 860 und Meyer-Goßner JR 1977 216 gegen OLG Hamm MDR 1965 765; NJW 1974 68, 69; Bliesener NJW 1974 874. 182 BGHSt 21 326, 327; 29 341, 342; 49 209, 211. 183 RGSt 61 225, 226; 72 339; BGH bei Dallinger MDR 1975 544; OLG Hamburg wistra 2018 438, 439. 184 BGH NStZ 2002 105, 106; Meyer-Goßner/Schmitt 5; Radtke/Hohmann 65. 185 BGH bei Holtz MDR 1978 460. 186 Hahn 207; RGSt 13 146, 147; 44 116, 118; 48 89, 91; 56 324, 325; 61 225, 226 m. w. N.; BGHSt 18 381, 386 mit Anm. Eb. Schmidt JZ 1963 715; BGH NJW 1953 273; bei Dallinger MDR 1975 544; StV 1987 52, 53; KK/Ott 30; KMR/Stuckenberg 43. 187 Vgl. §§ 275a, 439, 440, 442. 188 Vgl. AK/Loos 8; KK/Ott 30; KMR/Stuckenberg 43.

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verbrauch wie stets die ganze Tat unter allen rechtlichen Gesichtspunkten erfasst,189 einschließlich der nach § 154a ausgeschiedenen Teile,190 ebenso bei „Teilverurteilung“ oder „Teilfreispruch“.191 Bei mehreren Taten i. S. des § 264, die nicht alle entscheidungsreif sind, ist ggf. 40 abzutrennen und gesondert zu entscheiden.192 Wurde versehentlich eine von mehreren angeklagten Taten nicht abgeurteilt, so bleibt sie bei dem Tatgericht anhängig.193 Ist ein einheitlicher Lebensvorgang bei zwei verschiedenen Gerichten angeklagt, muss von Amts wegen nach den für die Beseitigung der doppelten Rechtshängigkeit geltenden Grundsätzen die Voraussetzung für eine umfassende einheitliche Aburteilung geschaffen werden.194 d) Rechtliche Grenzen der Kognitionspflicht. Das Recht und die Pflicht des Ge- 41 richts, innerhalb der durch die Tatidentität gezogenen Grenzen den in der Hauptverhandlung erwiesenen Sachverhalt tatsächlich und rechtlich voll auszuschöpfen, können eingeschränkt sein. So kann der Aburteilung einer Gesetzesverletzung ein Verfahrenshindernis entgegenstehen, z. B. Exterritorialität (§§ 18 ff. GVG),195 Immunität von Abgeordneten,196 Verjährung,197 Fehlen oder Rücknahme des Strafantrags,198 Teilrechtskraft (§§ 318, 344, 352)199 oder in Auslieferungssachen der Grundsatz der Spezialität.200 Die Aburteilung der Tat im übrigen wird dadurch nicht gehindert.201 Wenn das Gericht den von einem ausländischen Staat ausgelieferten Angeklagten wegen einer Tat, derentwegen er nicht ausgeliefert ist, verurteilt und das Urteil rechtskräftig wird, steht jedoch der Einwand der bereits entschiedenen Sache einer späteren, nunmehr die Auslieferungsbedingungen nicht verletzenden Aburteilung wegen derselben Tat entgegen.202

189 RGSt 15 133, 136; 61 225, 226 m. w. N.; 62 112, 113; BGHSt 18 381, 386 mit Anm. Eb. Schmidt JZ 1963 715; BGH bei Dallinger MDR 1975 544; NStZ 1991 549, 550; AK/Loos 8; KMR/Stuckenberg 43; Meyer-Goßner/ Schmitt 10; Eb. Schmidt I 297, jeweils m. w. N. 190 BGHSt 21 326, 327; 29 315, 316; 29 341, 342; BGH MDR 1989 474, 475; NJW 2016 1747, 1748; AK/Loos § 264 Anh. 65; KK/Ott 29; LR/Mavany § 154a, 45 m. w. N. 191 RGSt 61 225 f.; 71 78, 84; BGH StV 1987 52 f. 192 AK/Loos 9; KMR/Stuckenberg 44. 193 Näher Rn. 119. 194 Vgl. BGH NStZ-RR 2000 332 f.; LR/Kühne Einl. K 57; Erl. zu § 12 und § 237. 195 Vgl. BGH NJW 1953 393; OLG Schleswig NStZ 1982 122. Dies kann vor allem für die Umgestaltung der Strafklage nach § 264 bedeutsam werden, wenn der Angeklagte nicht voll von der deutschen Strafgerichtsbarkeit befreit ist, sondern nur in bestimmten Fällen nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden darf; ferner wenn sonst die deutsche Gerichtsbarkeit für bestimmte Straftaten nicht besteht, wie dies etwa früher bei bestimmten Verstößen der Fall war, deren Ahndung sich die Besatzungsmächte vorbehalten hatten. Internationale Vereinbarungen können auch vorsehen, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Aburteilung bestimmter Taten oder Personen ausschließlich einem anderen Staat oder einem internationalen Gerichtshof obliegt. 196 BGHSt 15 274, 275. 197 RGSt 39 353, 355. 198 RGSt 62 83, 87 f.; BGHSt 17 157 f.; OLG Frankfurt NJW 1952 1388. 199 BGHSt 16 237, 239. 200 Vgl. etwa § 11 IRG; Art. 14 EuAlÜbK. RGSt 66 172, 173 f.; 66 347, 348; BGHSt 22 307, 308; BGH NJW 1953 393; NStZ 1999 363 m. w. N.; 2003 186; NStZ-RR 2000 333 f.; StraFo 2004 144; OLG Karlsruhe MDR 1991 1191. 201 RGSt 62 83, 88; zum Auslieferungsrecht vgl. BGHSt 57 138, 141; BGH NStZ 1985 318; 1986 557 f. m. w. N.; 1999 363; 2003 684; KK/Ott 36. 202 LR/Gollwitzer25 70.

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Dies gilt auch, soweit die Sperrwirkung des § 153a Abs. 1 Satz 5 reicht.203 Hat die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren wegen einer Tat nach § 154 Abs. 1 vorläufig eingestellt, kann das Gericht sie mangels Anklage nicht in das eine andere Tat betreffende Strafverfahren miteinbeziehen; anders allerdings, wenn § 154 Abs. 1 fälschlich angewendet wurde und die Einstellung in Wirklichkeit nur einen abtrennbaren Teil der angeklagten Tat i. S. von § 154a betraf.204 Die Staatsanwaltschaft kann die von ihr vorläufig eingestellten Verfahren jederzeit wiederaufnehmen.205 Bei den nach § 154 Abs. 2 – auch irrtümlich206 – vorläufig eingestellten Verfahren ist dies dagegen dem Gericht von Amts wegen nur nach Maßgabe von § 154 Abs. 3 bis 5 möglich. 43 Eine Beschränkung der richterlichen Kognition innerhalb der angeklagten Tat tritt auch ein, wenn rechtliche Gesichtspunkte nach § 154a ausgeschieden worden sind; dies gilt jedoch nur, solange die ausgeschiedenen Teile oder Gesetzesverletzungen nicht wieder einbezogen werden, denn die Verfolgungsbeschränkungen nach § 154a bilden kein Prozesshindernis.207 Zur Wiedereinbeziehung eines ausgeschiedenen Tatteils ist das Gericht von Amts wegen208 verpflichtet, wenn es wegen des nicht ausgeschiedenen Teils nicht verurteilen kann209 oder wenn sich erst dann beurteilen lässt, ob eine Tat verjährt ist.210 Die Pflicht zur Einbeziehung entfällt nur dann, wenn auch wegen des ausgeschiedenen Teils Freispruch geboten wäre.211 42

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e) Insbesondere: Verwertung nicht angeklagter Taten. Die Bindung an die in der Anklage bezeichnete Tat begrenzt nur den Verfahrensstoff, der für die Entscheidung der Schuldfrage maßgebend ist. Ohne förmliche Anklageerhebung können daher Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten festgestellt und, falls sie erwiesen sind,212 als Indizien oder Strafzumessungsgründe für die angeklagte verfahrensgegenständliche Tat verwertet werden, sofern dies lediglich der Würdigung der unter Anklage gestellten Straftat und damit auch der für das Strafmaß wesentlichen Beurteilung der Persönlichkeit des Täters dient.213 Diese anderen Taten müssen so bestimmt festgestellt werden, dass ihr Unrechtsgehalt im wesentlichen abzuschätzen ist und keine Berücksichtigung bloßen Ver-

203 204 205 206

BGH StV 1984 366; OLG Frankfurt NJW 1985 1850. BGHSt 25 388, 390; 49 359, 365 mit krit. Anm. Kudlich JR 2005 170, 171 f. LR/Mavany § 154, 39 m. w. N.; BGHSt 30 165 f.; 37 10, 13; BGH NStZ-RR 2007 20 f. BGH NStZ 2014 46, 47 mit krit. Anm. Allgayer; abl. Löffelmann JR 2015 15 ff.; G. Schäfer JR 2015 47; zust. KK/Diemer § 154, 27a; s. a. BGH NJW 2015 181, 182; Stuckenberg JR 2019 656, 658. 207 Sofern nicht § 154a fälschlich angewendet wurde und prozessual tatsächlich eine Einstellung nach § 154 Abs. 1 vorlag, BGH StraFo 2004 98. 208 BGHSt 21 326 ff. sowie nächste Fn. 209 BGHSt 22 105, 106 f.; 29 315 ff.; 32 84, 85 f. mit Anm. Bruns NStZ 1984 130 und Maiwald JR 1984 479; BGH NJW 1981 354; 1989 2481, 2482 m. w. N.; NStZ 1982 517, 518; NStZ-RR 2006 311; 2001 263; StV 1986 45; StraFo 2016 347 f.; BGHR § 154a Beschränkung 3; BayObLG JR 1990 382, 383 f. mit Anm. Geerds; OLG Hamm NJW 1967 1433, 1434; OLG Hamburg NStZ 1983 170; KK/Ott 35; KMR/Stuckenberg 47; Radtke/ Hohmann 68. 210 BGHSt 29 315; vgl. bei § 154a. 211 BGH NJW 1989 2481, 2482; NStZ-RR 2006 311; StV 1997 566, 567. 212 Bloßer Verdacht genügt nicht, BGH NStZ-RR 1997 130; NStZ 1981 99 f.; 1981 100; 1982 326. 213 Vgl. § 46 Abs. 2 StGB, § 160 Abs. 3 StPO; BVerfG 5.4.2010 – 2 BvR 366/10; BGHSt 30 165, 166; 34 209, 210 f. mit abl. Anm. Vogler NStZ 1987 127; zust. Anm. Gollwitzer JR 1988 341, 344; BGH bei Dallinger MDR 1957 654; NJW 1951 769, 770; 2014 645 mit krit. Anm. Staudinger StV 2014 476; BGH NStZ 1981 99 f.; 1982 326; 2015 635; NStZ-RR 1997 130; StV 2015 552 mit abl. Anm. Staudinger; bei Spiegel DAR 1977 147; BGH 25.4.2017 – 3 StR 81/17 Rn. 9 (insoweit nicht in StV 2018 487); KK/Ott 49; KMR/Stuckenberg 124; MeyerGoßner/Schmitt 11; OK-StPO/Eschelbach 20; Eb. Schmidt 17; SSW/Rosenau 18.

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dachts erfolgt;214 außerdem müssen sie überhaupt Rückschlüsse auf Schuld oder Gefährlichkeit zulassen.215 Dabei war die Rechtsprechung lange Zeit der Ansicht, dass es unerheblich sei, ob die betreffenden Taten verjährt sind, ob ein Strafverfahren darüber mit Verurteilung, Freispruch oder Einstellung geendet hat oder ob sie nach §§ 154, 154a aus dem anhängigen Verfahren ausgeschieden wurden,216 jedoch ist bei nach § 154a ausgeschiedenen Tatteilen ein Hinweis gem. § 265 nötig.217 Erst in jüngerer Zeit sind Zweifel bezüglich der strafschärfenden Verwertung früherer Freisprüche aufgekommen.218 Grundsätzlich steht die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK, Art. 14 Abs. 2 45 IPBPR) der inzidenten Verwertung nicht von der Anklage umfasster Tatsachen nicht entgegen, da sie nach bisher herrschender Ansicht nicht verlangt, (noch) nicht abgeurteilte Straftaten als nicht existent zu betrachten.219 Nach anderer Ansicht ist hingegen nur die Berücksichtigung von Vorkommnissen zulässig, die nicht als selbständige strafbare Handlungen zum Gegenstand einer Anklage gemacht werden können,220 denn da strafbare Vor- und Nachtaten unter dem Schutz der Unschuldsvermutung stünden, könnten sie vom Gericht nur nach förmlicher Einbeziehung gemäß § 266 berücksichtigt werden.221 Die jüngere Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hatte 46 sich der letztgenannten Ansicht partiell angenähert, indem festgestellt wird, dass die Unschuldsvermutung eine Schuldfeststellung außerhalb des Strafverfahrens vor dem zuständigen Tatgericht ausschließt, jedenfalls soweit strafgleiche Nachteile daran geknüpft werden wie z. B. ein Bewährungswiderruf.222 Die Annahme, dass dies für alle strafschärfenden Erwägungen gleichermaßen gelten dürfte, die sich auf die Begehung nicht abgeurteilter Taten, gleichgültig, ob noch nicht verfolgt oder schon eingestellt, stützen,223 hat der Gerichtshof jüngst widerlegt. Die strafschärfende Verwertung von nach § 154 Abs. 2 ausgeschiedenen Taten ist demnach jedenfalls dann zulässig, wenn diese Taten angeklagt und Gegenstand einer umfangreichen Beweisaufnahme waren und das zuständige Gericht von ihrem Vorliegen über jeden vernünftigen Zweifel hinaus überzeugt ist – selbst wenn es sie nicht individualisieren kann.224 Das überzeugt kaum, betrifft zunächst nur bestimmte Fallumstände und dürfte die deutsche Praxis ohnehin nur zum Teil salvie-

214 BGH StV 2015 552 f. m. w. N. und Anm. Staudinger; NStZ 2015 635. 215 BGH NJW 2014 645 mit Anm. Staudinger StV 2014 476. 216 BGHSt 30 147 f.; 30 165 f. mit Anm. Bruns StV 1982 18; BGHSt 31 302; BGH JR 1986 165 mit Anm. Pelchen; KK/Ott 49.

217 BGHSt 30 147 f.; 30 165 f.; 30 197 f.; 31 302 f.; BGH NStZ 1981 100; LR/Beulke § 154a, 37. 218 BGH NStZ 2006 620; dazu Stuckenberg StV 2007 655 ff. 219 BVerfG NJW 1988 1715, 1716; NStZ 1991 30; BVerfG 25.5.1987 – 2 BvR 1383/86; BGHSt 34 209, 210 f. m. w. N.; KMR/Stuckenberg 125; LR/Gollwitzer25 3b; LR/Gollwitzer25 Art. 6, 146 f. EMRK; Meyer-Goßner/ Schmitt Art. 6, 14 EMRK; Stuckenberg Untersuchungen zur Unschuldsvermutung (1998) 570 f.; zusammenfassend ders. StV 2007 655, 657 ff. m. w. N. 220 HK/Julius/Beckemper 3. 221 HK/Julius/Beckemper 3; Vogler FS Kleinknecht 429 ff., 441 ff.; NStZ 1987 127 f.; weitere Nachw. bei Stuckenberg Untersuchungen zur Unschuldsvermutung (1998) 135 ff.; ders. StV 2007 655, 658 f. 222 EGMR Böhmer/Deutschland, 3.10.2002, Nr. 37568/97, § 67, StV 2003 82 mit Anm. Pauly 85 = NJW 2004 43 = NStZ 2004 159 = StraFo 2003 47 mit Anm. Boetticher 51; dazu Neubacher GA 2004 402; Peglau ZRP 2003 242; ders. NStZ 2004 248; Krumm NJW 2005 1832; Seher ZStW 118 (2006) 101; übersehen von BVerfG 5.4.2010 – 2 BvR 366/10. 223 Näher Stuckenberg StV 2007 655, 660 f., 662, 663. 224 EGMR Bikas/Deutschland, 25.1.2018, Nr. 76607/13, §§ 56, 58 f., NJW 2019 203 mit krit. Bespr. Esser StV 2019 492.

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ren.225 Das Gebot „rechtsförmlichen“ Beweises aus Art. 3 der Richtlinie (EU) 2016/443226 wäre nicht erfüllt.227 – Zulässig ist aber die Heranziehung nicht angeklagter Taten etwa zur Persönlichkeitsbewertung.228 Eine zweite Rechtsprechungslinie nimmt an, dass Art. 6 Abs. 2 EMRK es verbiete, die Unschuld eines rechtskräftig Freigesprochenen in Zweifel zu ziehen.229 Die strafschärfende Verwertung früherer Freisprüche wegen abweichender Tatsachenwürdigung, etwa Bejahung fortbestehenden Tatverdachts, verstößt demnach ebenfalls gegen Art. 6 Abs. 2 EMRK.230 Soweit die Verwertung nicht abgeurteilter Taten im Hinblick auf die Unschuldsver47 mutung verfahrensrechtlich231 zulässig bleibt, ist stets sicherzustellen, dass aufgrund solcher „überschießender Feststellungen“ keine anderweitige Tatschuld in die Verurteilung einfließt, also keine nicht angeklagten Taten geahndet werden232 oder eine Mehrfachverwertung etwa von Nachtaten erfolgt. Mithin stehen auch praktische Schwierigkeiten entgegen, die zu Zurückhaltung und Sorgfalt mahnen, weil die Unterscheidung zwischen strafzumessungsrelevanter Indizverwertung und unzulässiger Ahndung der nicht angeklagten Tat233 – und damit die Wahrung des Anklagegrundsatzes und des Doppelbestrafungsverbots – schwer durchzuführen ist.234

III. Die „Umgestaltung“ der Anklage (Absatz 2) 48

1. Allgemeines. Nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung stellt sich der Prozessgegenstand in tatsächlicher, rechtlicher oder beiderlei Hinsicht nicht selten anders dar als im zugelassenen Anklagesatz. Innerhalb der Grenzen der angeklagten Tat ist nach Absatz 1 und 2 der Urteilsfindung nur das Ergebnis der Hauptverhandlung zugrunde zu legen ohne Rücksicht auf die eventuell abweichende Schilderung oder rechtliche Bewertung des Sachverhalts in Anklage und Eröffnungsbeschluss. So mag sich etwa zeigen, dass der Angeklagte innerhalb des einheitlichen geschichtlichen Vorgangs viel mehr oder viel weniger an Strafbarem getan hat, insbesondere dass die angeklagte Handlung einen zuvor nicht bekannten oder einen anderen als bisher angenommenen strafrechtlich relevanten Erfolg verursacht hat.235 Diesen Veränderungen als Folge der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2) und Subsumtionsfreiheit (§§ 155 Abs. 2, 202, 264 225 Zutr. Esser StV 2019 492, 497 f. 226 Richtlinie (EU) 2016/343 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9.3.2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren, ABl.EU 2016 L 65/1. 227 Esser StV 2019 492, 496. 228 EGMR Böhmer/Deutschland (Fn. 222), §§ 55, 64. 229 EGMR Sekanina/Österreich, 25.8.1993, Serie A 266-A = ÖJZ 1993 816, § 30; Asan Rushiti/Österreich, 21.3.2000, Nr. 28389/95, §§ 27 ff., 31; Lamanna/Österreich, 10.7.2001, Nr. 28923/95, §§ 38 ff.; Weixelbraun/ Österreich, 20.12.2001, Nr. 33730/96, §§ 25–31; Vostic/Österreich, 17.10.2002, Nr. 38549/97, §§ 19 ff.; Demir/ Österreich, 5.11.2002, Nr. 35437/97, §§ 27 ff.; O/Norwegen, 11.2.2003, Nr. 29327/95, §§ 39 ff.; Hammern/Norwegen, Nr. 30287/96, § 47; Puig Panella/Spanien, 25.4.2006, Nr. 1483/02, § 57. 230 Näher Stuckenberg StV 2007 655, 661 ff. 231 Zur generellen Zweifelhaftigkeit der Aspekte des Rückfalls oder der „Warnfunktion“ früherer Verfahren Stuckenberg StV 2007 655 ff., 662 f. m. w. N.; zust. MüKo/Norouzi 42. 232 BGH bei Dallinger MDR 1970 199; NStZ 1981 99 f. 233 Bruns StV 1982 18 f. 234 Ablehnend daher HK/Julius/Beckemper 3; Radtke/Hohmann 70; krit. auch KMR/Stuckenberg 126. 235 Zur Möglichkeit einer „Ergänzungs-“ oder „Berichtigungsklage“, wenn diese Folge erst nach dem letzten tatrichterlichen Urteil eintritt, siehe Rn. 31.

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Abs. 2) müssen Staatsanwaltschaft und Tatgericht Rechnung tragen. Dies meint die missverständliche, aber überkommene (Rn. 2) Bezeichnung „Umgestaltung der Strafklage“. Jede über den Schuldspruch urteilende Tatsacheninstanz ist innerhalb der Gren- 49 zen der Tatidentität berechtigt und verpflichtet, das entscheidungsrelevante Tatgeschehen unabhängig von Anklage und Vorinstanzen selbst festzustellen, so vor allem das Berufungsgericht,236 dessen Urteilsfindung bei uneingeschränkter Anfechtung nicht durch das Ersturteil, sondern durch die zugelassene Anklage bestimmt und begrenzt wird.237 Sein Urteil muss sich nicht nur auf alles erstrecken, was vom angefochtenen Urteil im Rahmen des § 264 bei erschöpfender tatsächlicher und rechtlicher Würdigung als die unter Anklage gestellte Tat zu erfassen gewesen wäre, sondern auch noch auf die zu dieser Tat gehörenden Ereignisse, die erst nach dem angefochtenen Urteil eingetreten sind.238 Dies war früher insbesondere bei fortgesetzten Taten und ist heute bei Dauertaten von Bedeutung (Rn. 64). Unerheblich ist dabei, wer das Urteil angefochten hat. Hebt das Revisionsgericht das Urteil im Schuldspruch samt den Feststellungen auf und verweist es die Sache an den Tatrichter zurück, so ist auch dieser zur Umgestaltung befugt.239 Ist dagegen ein Rechtsmittel wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt 50 worden, so endet mit der Möglichkeit der Umgestaltung auch die Möglichkeit der Einbeziehung weiterer, zur abgeurteilten Tat gehörender Einzelhandlungen.240 Gleiches gilt, wenn nach einer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Zurückverweisung der Schuldspruch nicht mehr der Nachprüfung unterliegt. Die rechtlichen Grenzen der Umgestaltungsbefugnis ergeben sich aus den allge- 51 meinen Grenzen der Kognitionsbefugnis des Gerichts, d. h. außer den Grenzen der angeklagten Tat noch aus Prozesshindernissen und Beschränkungen wie nach § 154a (Rn. 41 ff.). Da der Tatbegriff an die Personenidentität gebunden ist (Rn. 18), darf das Gericht die Untersuchung auch nicht auf andere als die angeklagten Personen ausdehnen, also etwa nicht auf einen Zeugen, selbst wenn er einräumt, an der dem Angeklagten vorgeworfenen Tat beteiligt gewesen zu sein oder diese allein begangen zu haben. 2. Die „Umgestaltung“ in tatsächlicher Hinsicht. Jede sachliche Erweiterung oder 52 Veränderung des Prozessgegenstands muss die Identität der angeklagten Tat wahren.241 Der Umfang der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht richtet sich nach der Tat und nicht umgekehrt die Grenzen der Tat nach der notwendigen Sachaufklärung.242 Eine andere Tat darf das Gericht nicht aburteilen, auch wenn sie nur eine Wiederholung der angeklagten Tat ist.243 Eine in der Hauptverhandlung neu entdeckte Tat i. S. der §§ 155 Abs. 1, 264 Abs. 1 kann somit nur durch Nachtragsanklage gem. § 266 noch Prozessgegenstand werden; ist das nicht möglich oder nicht zweckmäßig, muss das Verfahren

236 RGSt 60 39, 43; 62 130, 131; 66 45, 48 f. 237 RGSt 60 39, 43; 62 130, 131; RG JW 1931 2311; OLG Koblenz VRS 45 (1973) 289; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1955 158, 160; OLG Jena 8.6.2005 – 1 Ss 84/05; vgl. bei § 327; zur Nachholung der Entscheidung, wenn das Urteil den Eröffnungsbeschluss nicht erschöpft s. Rn. 119. 238 RGSt 62 130, 131; 66 45, 48; BGHSt 9 324; BayObLGSt 1957 218 = NJW 1958 110. 239 BGHSt 9 324; BayObLGSt 1957 217. 240 Vgl. bei § 318. 241 Vgl. nur BGHSt 32 215, 218; BGH NStZ 1998 304, 305; NStZ-RR 1996 203; 2009 146; WM 2000 2357, 2358. 242 BGHSt 32 215, 221; BGH StV 1997 169; Erb GA 1994 265, 275. 243 RGRspr. 2 (1880) 101 f.; OLG Koblenz VRS 71 (1986) 43, 44 f.

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über seinen derzeitigen Gegenstand fortgeführt oder zwecks späterer Verbindung (§§ 3, 4) mit dem neu einzuleitenden Verfahren ausgesetzt werden. Im Übrigen ist es unerheblich, ob die Umstände, die zur anderen Beurteilung des Prozessstoffes führen, in der Hauptverhandlung neu zu Tage getreten sind,244 oder ob sie schon aus den Akten ersichtlich waren. Die freie Beurteilung des Gerichts greift innerhalb der Grenzen der angeklagten Tat selbst bei solchen Umständen Platz, die als unerheblich oder unerwiesen ausdrücklich ausgeschieden wurden, so auch, wenn – ohne dass ein Fall des § 154a vorlag – die Anklage nur beschränkt zugelassen worden ist. 53 Wie oben erwähnt (Rn. 14 a. E.) lässt sich die Veränderung des Geschehens in zwei Grundformen einteilen: (1.) Zu den angeklagten Umständen treten weitere hinzu: Ob die Identität der Tat gewahrt ist, bestimmt sich nach den Kriterien zur Bestimmung des Tatumfangs, zu Einzelheiten siehe Rn. 58 ff. (2.) Die angeklagten Umstände verändern sich bzw. werden ganz oder teilweise durch andere ersetzt; zu dieser Tatmodifikation siehe Rn. 95 ff. Die praktisch häufigen Mischformen beurteilen sich entsprechend. 54 Die Verteidigung des Angeklagten darf durch die Umgestaltung nicht beeinträchtigt werden. Er muss wissen, aus welchen Tatsachen ein Schuldvorwurf gegen ihn hergeleitet werden soll, um sich dagegen zur Wehr zu setzen und sachgerechte Beweisanträge stellen zu können. Die gegenüber der Anklage veränderten Umstände müssen in einer Form zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht werden, dass für den Angeklagten kein Zweifel besteht, dass auch diese Vorkommnisse Gegenstand des gegen ihn erhobenen Vorwurfs sind, vgl. § 265 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3. Ist der Angeklagte mit seiner Verteidigung nicht genügend darauf vorbereitet, so hat das Gericht unter Umständen die Hauptverhandlung nach § 265 Abs. 4 auszusetzen.245 3. Die „Umgestaltung“ in rechtlicher Hinsicht. Sofern keine rechtlichen Gründe entgegenstehen (Rn. 41 ff., 51), ist das Gericht in rechtlicher Hinsicht zur völligen Ausschöpfung des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat und zur Entscheidung über alle hiernach möglichen Rechtsfolgen verpflichtet. Eine Änderung des Sachverhalts hat häufig auch eine Änderung der rechtlichen Subsumtion zur Folge. Absatz 2 gilt freilich auch dann, wenn in der Hauptverhandlung genau der gleiche wie von der zugelassenen Anklage angenommene Sachverhalt festgestellt wird, jedoch ist eine veränderte rechtliche Bewertung zumeist mit Veränderung der faktischen Grundlage verbunden.246 Soweit die sachliche Umgestaltung der Strafklage (Rn. 52 ff., 95 ff.) zulässig ist, besteht für die rechtliche Umgestaltung grundsätzlich, freilich stets unter Beachtung der §§ 265, 270, 331, 358 Abs. 2, keine Grenze.247 Selbst ein erheblich höherer Unrechtsgehalt beseitigt die Tatidentität nicht, so dass etwa wegen Mordversuches anstelle der angeklagten fahrlässigen Körperverletzung verurteilt werden kann.248 Das Gericht kann auch ein Strafgesetz anwenden, das der Eröffnungsbeschluss ausdrücklich ausschließt.249 56 Hat etwa nach einem Straßenverkehrsunfall die Staatsanwaltschaft den verletzten Strafantragsteller auf den Privatklageweg verwiesen oder das Verfahren insoweit gemäß § 153 eingestellt und die Sache zur Ahndung der derselben Handlung zugrunde liegenden Ordnungswidrigkeit an die Verwaltungsbehörde abgegeben (§ 43 Abs. 1 OWiG), so 55

244 245 246 247

OLG Saarbrücken VRS 46 (1974) 22. BGHSt 8 92, 96 f.; 19 88, 89; KK/Ott 43; KMR/Stuckenberg 53; Radtke/Hohmann 78, 81. Zutr. Oehler FS Rosenfeld 139, 148; ders. GedS Schröder 439, 446. BGH NJW 1989 1867; BayObLGSt 1989 56, 60; OLG Köln NJW 1990 587, 588; KK/Ott 48; KMR/Stuckenberg 54; MüKo/Norouzi 47; Radtke/Hohmann 79. 248 KK/Ott 48; KMR/Stuckenberg 54; Radtke/Hohmann 79; SK/Velten 53; Roxin/Schünemann § 20, 16. 249 RGSt 10 56 f.; 62 130 f.; KMR/Stuckenberg 54.

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muss, wenn gegen einen wegen der Ordnungswidrigkeit ergangenen Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt ist, das Gericht die Tat auch unter dem Gesichtspunkt des § 229 StGB würdigen und gemäß § 81 OWiG ins Strafverfahren übergehen, weil die vorausgegangene Entscheidung der Staatsanwaltschaft kein Verfahrenshindernis begründet, insbesondere keinen Strafklageverbrauch bewirkt hat.250 Auch hier gilt, dass die infolge der „Umgestaltung“ veränderte rechtliche Würdi- 57 gung die Verteidigung des Angeklagten nicht beeinträchtigen darf, so dass regelmäßig ein Hinweis nach § 265 Abs. 2 Nr. 3 geboten ist.

IV. Einzelheiten zum Tatbegriff 1. Tatumfang. Ungeachtet der prinzipiellen Selbständigkeit des prozessualen Tatbe- 58 griffs (Rn. 4 ff., 8) gibt es regelmäßige Anbindungen an die materiell-rechtliche Beurteilung. Da die prozessuale Tat grundsätzlich keinen geringeren Umfang haben kann als eine materielle Straftat (zu Sonderfällen s. Rn. 74 ff.), liegt es nahe, dass auch sonstige materiell-rechtliche Einheiten für den Tatumfang bedeutsam sind: a) Materiell-rechtliche Einheiten aa) Natürliche Handlung, tatbestandliche und natürliche Handlungseinheit. So 59 liegt grundsätzlich in Fällen materiell-rechtlicher Handlungseinheit auch nur eine Tat im prozessualen Sinne vor. Dies ist offenkundig, wenn nur eine Handlung „im natürlichen Sinne“ (eine Körperbewegung) oder eine tatbestandliche Handlungseinheit vorliegt, die mehrere natürliche Handlungen wie mehraktige Delikte zusammenfasst.251 Beispiele: Eine Aussage, die mehrere falsche Angaben enthält, ist in der Regel eine Tat; so ist bei Meineid oder fahrlässigem Falscheid die gesamte beeidigte Aussage Gegenstand des Verfahrens; das Gericht kann also die Verurteilung auch auf in der Anklage nicht genannte Teile der Aussage stützen.252 Auch eine in mehreren Punkten falsche uneidliche Aussage ist nur eine Tat i. S. d. § 264,253 nicht aber mehrere bei verschiedener Gelegenheit abgegebene, inhaltlich verschiedene Aussagen.254 Gleiches gilt für Herstellen und Inverkehrbringen von Falschgeld,255 mehrfache Verletzung der Fürsorgepflicht,256 alle auf Beseitigung derselben Menge Abfall gerichteten Aktivitäten,257 mehrere Rechtsbeugungshandlungen eines Staatsanwalts in demselben Strafverfahren258 oder mehrere Präsentationen, die den Tatbestand der progressiven Kundenwerbung259 erfüllen. Zu den Sonderfällen, in denen ein Tatbestand eine Vielzahl von Handlungen über lange Zeiträume zusammenfassen kann wie bei Dauer- und Organisationsdelikten sowie sukzessiver Tatbestandsverwirklichung, siehe Rn. 64, 80 ff. 250 BayObLG MDR 1977 246, 247; dazu Kellner MDR 1977 626; OLG Hamm MDR 1972 440, 441; vgl. OLG Köln NJW 1970 211.

251 MüKo/Norouzi 21; Radtke/Hohmann 27, 30; Wolter GA 1986 143, 173. 252 RGSt 61 225; 62 154; BGH bei Dallinger MDR 1969 904; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1958 99; zu § 163 StGB vgl. BGHSt 15 274, 275. 253 OLG München NJW 1967 2219 f.; a. A. OLG Düsseldorf NJW 1965 2070 mit Anm. Oppe. 254 BGHSt 32 146, 148 ff.; BGH NJW 1955 1240; 1957 1886, 1887. 255 BGH wistra 1993 193 zu § 146 Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB; NJW 2011 792 zu § 146 Abs. 1 Nr. 3 StGB. 256 BGHSt 8 92, 95; 43 1, 3 zu § 170d a. F./170 n. F. StGB. 257 BGH StV 1994 426, 427 (insoweit nicht in BGHSt 40 79) zu § 326 Abs. 1 Nr. 3 StGB. 258 BGHSt 41 247, 250; KG 18.2.2000 – 3 AR 3/00, 3 Ws 47/00. 259 OLG Jena StraFo 2006 293 f. zu § 6c a. F. UWG.

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Nach der Rechtsprechung liegt eine „natürliche“ Handlungseinheit vor, „wenn zwischen einer Mehrheit gleichartiger strafrechtlich erheblicher Verhaltensweisen ein derart unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, dass das gesamte Handeln des Täters objektiv auch für einen Dritten als ein einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint, und wenn die einzelnen Betätigungsakte auch durch ein gemeinsames subjektives Element miteinander verbunden sind“.260 Bei Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter kommt eine Zusammenfassung jedoch nur ausnahmsweise in Betracht.261 Die Definition ähnelt der des prozessualen Tatbegriffs deutlich, so dass nicht verwundert, dass eine natürliche Handlungseinheit grundsätzlich ebenfalls eine prozessuale Tat darstellt,262 so bei mehrfacher öffentlicher Aufforderung zu Straftaten,263 mehrfachen Beleidigungen264 oder falscher Steuererklärung und anschließender falscher Angaben gegenüber dem Finanzamt zur Verkürzung derselben Steuer;265 dient das Aufsuchen seines Lieferanten verschiedenen Umsatzgeschäften eines Betäubungsmittelhändlers, so werden diese dadurch zu einer natürlichen Handlungseinheit verbunden.266

bb) Fortsetzungszusammenhang. Nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesgerichtshofs267 ist die Figur der fortgesetzten Tat praktisch aufgegeben,268 so dass für Serientaten Tatmehrheit anzunehmen ist (Rn. 67), sofern nicht ausnahmsweise die Verbindung zu einer Bewertungseinheit (Rn. 69 f.) möglich ist. Soweit doch noch eine von einem Gesamtvorsatz zu einer Einheit zusammengefassten Begehung mehrerer an sich selbständiger Tatbestandsverwirklichungen in Frage kommt, behalten die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze ihre Geltung, die ferner bei funktionell ähnlichen Zusammenfassungen wie Dauertaten (Rn. 64) oder Bewertungseinheiten (Rn. 69) weiterhin Beachtung finden. 62 Die fortgesetzte Tat wurde ebenso wie die Dauerstraftat sowohl materiell- als auch verfahrensrechtlich als eine Tat angesehen.269 Alle in Fortsetzungszusammenhang stehenden, auch die nicht in der Anklage aufgeführten Einzelakte gehören zur angeklagten Tat.270 Selbst wenn nur ein einziger vor dem Eröffnungsbeschluss begangener Teilakt angeklagt ist,271 ist Gegenstand der Aburteilung der gesamte Fortsetzungszusammenhang einschließlich der nach dem Eröffnungsbeschluss bis zur Urteilsverkündung in der 61

260 Vgl. nur BGHSt 10 230, 231; 22 67, 76 (Polizeiflucht); 41 368 mit Anm. Puppe JR 1996 513. 261 BGH NStZ 2005 262, 263; 2012 525 f.; NStZ-RR 1998 233; 2010 140 f.; StraFo 2008 353, 354. 262 Vgl. BGHSt 43 96, 98; 43 312, 315 f.; BGH NJW 1999 1413, 1414; BGH bei Holtz MDR 1985 92; BayObLGSt 1985 131, 132; KK/Ott 11; KMR/Stuckenberg 59; zweifelnd AK/Loos § 264 Anh. 48; zu Straßenverkehrsdelikten siehe unten Rn. 90 ff. 263 RG JW 1925 2781 f. mit Anm. Schreiber (zu § 111 StGB). 264 OLG Hamburg NStZ-RR 1997 103. 265 BGHSt 36 105, 115 f.; 38 37, 39 ff. 266 BGHSt 63 1, 4 ff. (GSSt) mit Anm. Immel NStZ 2019 92; BGH NStZ-RR 2018 351. 267 BGHSt 40 138. 268 HK/Julius/Beckemper 4; KMR/Stuckenberg 62; Meurer NJW 2000 2936, 2940; Ruppert MDR 1994 973 ff.; Schlüchter/Duttge NStZ 1996 45, 465 m. w. N.; krit. zur früheren Rspr. AK/Loos § 264 Anh. 49 ff. m. w. N.; zu Einzelheiten vgl. LR/Gollwitzer25 32 ff.; SK/Velten 33 f.; Fischer Vor § 52, 49 StGB; LR/Rissingvan Saan Vor § 52, 65 StGB m. w. N. 269 BGHSt 15 268, 272; 26 284, 285; 29 63, 64; BGH bei Holtz MDR 1989 308; BayObLGSt 1985 131, 132. 270 BGHSt 6 92, 95; 6 122, 124; 27 115, 116; BGH NStZ 1982 128; 1982 213 f.; 1982 519; 1985 325; näher LR/Gollwitzer25 32 m. w. N. 271 BGHSt 27 115, 116.

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letzten Tatsachenverhandlung,272 auch der Berufungsinstanz,273 begangenen Teilakte. Das rechtskräftige Urteil verbraucht im Sinne einer umfassenden Erledigungswirkung die Strafklage für alle zugehörigen Einzelakte, gleichgültig, ob das Gericht sie kannte oder kennen konnte.274 Im Falle des Freispruchs wurde der Strafklageverbrauch aber beschränkt auf die 63 dem Gericht bei Aburteilung tatsächlich bekannten Einzelakte, weil zwischen straflosen und strafbaren Handlungen kein Fortsetzungszusammenhang bestehen könne.275 Das Urteil bildete stets eine Zäsur, so dass danach begangene weitere Teilakte ohne weiteres verfolgbar waren.276 Die fortgesetzte Tat muss allerdings als solche und nicht als selbständiger Einzelakt277 oder nicht nur in einem Teilakt in Tateinheit mit einem schwereren Delikt angeklagt sein. Bei Verkennung des Fortsetzungszusammenhangs im Ersturteil bleibt die spätere Verfolgung weiterer, nicht vom Urteil erfasster Einzelakte somit möglich.278 cc) Dauerstraftaten und Organisationsdelikte. Für Dauerstraftaten gelten diesel- 64 ben Grundsätze wie früher für den Fortsetzungszusammenhang.279 Entsprechendes gilt für Tatbestände, bei denen die Wiederholung bestimmter Tathandlungen erforderlich („Nachstellen“ bei § 238 Abs. 1 StGB) oder typisch („Quälen“ bei § 225 StGB Abs. 1 StGB) ist („sukzessive Tatbestandsverwirklichung“).280 Die Einbeziehung eines Teilaktes ist möglich bis zur letzten Tatsacheninstanz, sofern nicht Teilrechtskraft eingetreten ist281; die Verkündung des tatrichterlichen Urteils stellt stets eine Zäsur dar.282 Dies wurde auch für Unterlassungsdauerdelikte angenommen, so dass, wenn das strafbare Unterlassen nach einer ersten rechtskräftigen Verurteilung fortdauert, erneute Strafverfolgung möglich ist, z. B. bei Insolvenzverschleppung283 oder Verletzung der Unterhaltspflicht.284 Hingegen gilt wiederholte Ersatzdienstverweigerung (§ 53 ZDG) aufgrund der Bindung an dieselbe Gewissensentscheidung i. S. des Art. 4 Abs. 3 GG als eine Tat.285 Mehrere Taten soll jedoch wiederholte Kriegs- oder Zivildienstverweigerung darstellen, wenn 272 273 274 275

BGHSt 9 324, 326, 334; 27 115, 116 f.; BGH StV 1986 141. BGHSt 17 5, 9; 21 256, 259. RGSt 47 397, 400; 51 253, 254; 54 333, 334; BGHSt 6 92, 95; BGH StV 1986 141. RGSt 47 397, 399 ff.; 54 333, 334 f.; 66 26; BGHR § 264 Abs. 1 Tatidentität 19 m. w. N.; OLG Köln VRS 27 (1964) 216; so auch bei Kollektiv- und Sammeldelikten RGSt 23 230, 232; 24 419, 420; 41 108, 110; 66 19, 20. 276 BGHSt 5 136, 138; 6 122, 124 f.; 9 324, 326. 277 RGSt 54 283, 285; BGHSt 29 63, 64; BGH NJW 1963 549 Nr. 16. 278 RGSt 47 307, 401; 54 283, 285; BGHSt 29 63, 64; BGH bei Dallinger MDR 1953 273; NJW 1963 549, 550; StV 1985 183 m. w. N.; a. A. BGHSt 33 122, 123 ff. mit Anm. Gössel JZ 1986 45. 279 BGHSt 8 92, 95; 29 288, 295; BayObLGSt 1957 218, 219 f.; 1971 125, 126; 1980 54; OLG Braunschweig NJW 1964 1237; OLG Düsseldorf VRS 61 (1981) 301, 302 f.; OLG Stuttgart NStZ 1982 514; NZV 1997 243; KK/Ott 17; KMR/Stuckenberg 63; SK/Velten 35. Zum Strafklageverbrauch bei irrtümlicher Annahme einer Dauerstraftat siehe LG Memmingen NStZ-RR 1997 140 f. 280 Dazu Mutzbauer FS Fischer 751 ff., 760 ff. m. w. N. 281 BayObLG GA 1978 81. 282 BGH NStZ 1984 171, 172; 2010 455; OLG Hamm NStZ 2011 102; nicht schon durch einen Bußgeldbescheid: OLG Bamberg NStZ-RR 2014 154, 155. 283 RGSt 47 154, 155; BGHSt 14 280, 281; dazu Kraatz Jura 2007 854, 857 ff.; anders jetzt BGHSt 53 24, 31 f. (obiter); OLG Frankfurt StraFo 2015 326 mit Anm. Floeth EWiR 2016 349; OLG München NZWiSt 2013 270 mit Anm. Bittmann und Ebner NZWiSt 2013 355; Kring wistra 2013 257; Weyand ZInsO 2013 737; Fingerle ZWH 2013 215; Grosse-Wilde wistra 2014 130; abw. OLG Hamm wistra 2014 156. 284 BayObLGSt 1977 39 f. 285 BVerfGE 23 191, 203, 205 f.; BayObLG StV 1983 369 ff. mit Anm. Werner; 1985 315 ff.; LG Duisburg StV 1985 53 ff.; 1986 99 f.; von Mangoldt/Klein/Nolte/Aust Art. 103 Abs. 3, 209 f. GG; SK/Velten 47; abw.

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eine dauerhafte Gewissensentscheidung nicht klar erwiesen ist, etwa bei nicht anerkannten oder abgelehnten Kriegsdienstverweigerern.286 In der Annahme einer Zäsur durch die Verurteilung hat das Bundesverfassungsgericht jedoch nun auch in einem Fall von Kindesentziehung durch Unterlassen287 einen mehrfachen Verstoß gegen das Schuldprinzip erblickt, jedenfalls sofern das Gericht kein erneutes rechtswidriges Verhalten dargetan hat.288 Dass der Staat selbst durch Verweis auf eine Zäsurwirkung die Voraussetzungen für eine erneute Verurteilung schaffe, verletze das Schuldprinzip, weil nicht individuelle Schuld, sondern die Zufälligkeiten des Ablaufs der Strafverfolgung Grundlage der Strafe seien, und zudem die u. U. mehrfache erneute Bestrafung nicht mehr Schuldausgleich sei, sondern Beugemaßnahme wegen des fortdauernden Ungehorsams289 des Täters. Ein erneuter Tatentschluss dürfe nicht mittels der Zäsurwirkung einer Verurteilung fingiert werden. Es wird mithin unterschieden, ob eine einmalige Leistung aufgrund einer einzigen Entscheidung dauerhaft nicht erbracht wird oder wiederholt zu erbringende Leistungen unterlassen werden wie beim dauernden Verstoß gegen die Schulpflicht, wo die Gewissensentscheidung der Eltern dementsprechend teilbar sei.290 Kritik: Dem ist zu widersprechen, sofern zum einen durch die rechtlich verbotene Untätigkeit das betroffene Rechtsgut kontinuierlich weiter geschädigt wird,291 so dass nicht bloßer „Ungehorsam“, sondern materiell begründetes Unrecht vorliegt, dessen schuldhafte Verursachung für eine Verurteilung selbstredend festgestellt werden muss. Zum anderen kann Gegenstand strafender Reaktion stets nur vergangenes Verhalten sein, ein Strafurteil folglich nicht auch künftige Tatwiederholung gleich mit abgelten und somit einen „Freibrief“292 dafür ausstellen, wobei es unerhebliche Äußerlichkeit ist, ob die Wiederholung neuer aktiver Handlungen oder weiteren Nichtstuns bedarf, ob der Tatbestand als Zustands- oder Dauerdelikt ausgestaltet ist. Die Einheitlichkeit des Tatentschlusses oder der Gewissensentscheidung ist kein taugliches Kriterium, wenn man nicht zum Fortsetzungszusammenhang zurückkehren will, und die „Feststellungen“, ob jemand einen alten Tatentschluss erneut betätigt oder einen inhaltsgleichen neuen fasst,293 sind dementsprechend weitgehend fiktiv.294 Bei Organisationsdelikten werden alle Beteiligungsakte, etwa an einer terroristi65 schen Vereinigung,295 als materiell-rechtlich und prozessual einheitliche Tat gewertet. Struensee JZ 1984 645, 649 ff. (Leistung sei nur einmal geschuldet); ebenso AK/Loos § 264 Anh. 64; NestlerTremel StV 1985 343, 352; anders (mehrere Taten, deren Ahndung aber das Übermaßverbot entgegenstehe) Radtke/Hohmann 43; Roxin/Schünemann § 52, 17; Grünwald Teheran-Beiheft ZStW 86 (1974) 94, 117. 286 BVerfG NJW 1983 1600; 1984 1675 f.; BayObLG JZ 1970 609; StV 1983 369 ff. mit Anm. Werner; 1985 315 ff.; OLG Celle JZ 1970 610; StV 1986 8 mit krit. Anm. Struensee JZ 1985 955; OLG Düsseldorf StV 1986 8 f. mit Anm. Friedeck; OLG Nürnberg NStZ 1983 33; abl. SK/Velten 47; Roxin/Schünemann § 52, 17; Werner KJ 1988 104 ff. 287 Zur Zäsur bei § 235 StGB noch BGH NStZ 2006 447, 448. 288 BVerfGK 10 134, 141 f. mit krit. Bespr. Kraatz Jura 2007 854; im Erg. zust. Kahlo/Zabel FS Fezer 87, 103 ff.; BVerfG 23.9.2014 – 2 BvR 2545/12 Rn. 17 f.; Ob auch Art. 103 Abs. 3 GG verletzt sei, ließ die Kammer offen. Die Rechtsprechung ist inzwischen auf die fortgesetzte Insolvenzverschleppung übertragen worden (oben Fn. 283). 289 So RGSt 47 154, 155, wonach die Strafe „die Bedeutung eines Zwangsmittels“ habe. 290 BVerfG NJW 2015 44, 47; krit. MüKo/Norouzi 31. 291 Ebenso MüKo/Norouzi 31; ähnl. Grosse-Wilde wistra 2014 130, 132 f. (neues Unrecht erforderlich). 292 RGSt 47 154, 156; ähnl. Kraatz Jura 2007 854, 858 f. 293 So z. B. BVerfG 23.9.2014 – 2 BvR 2545/12 Rn. 17 (zu § 49 Abs. 2 AufenthG); OLG Hamm wistra 2014 156 (zu § 15 InsO). 294 Vgl. BGHSt 60 308, 318 Rn. 34; Puppe JZ 2016 478, 479; Steinberg/Stam NZWiSt 2012 32; s. a. Rn. 82. 295 BGHSt 29 288, 295 f. zu §§ 129, 129a StGB.

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Weitere Beispiele296 bilden die Fortführung verbotener Parteien und Verstöße gegen ein Vereinigungsverbot (§§ 84, 85 StGB),297 geheimdienstliche Agententätigkeit (§ 99 StGB),298 Beteiligung an verbotenen Vereinen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, aber nicht Nr. 4 VereinsG),299 Verstöße gegen gewerberechtliche Vorschriften (§ 148 GewO),300 Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG).301 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hatte erwogen, mehrere prozessuale Taten anzunehmen, wenn nur einzelne Betätigungen des Mitglieds Gegenstand eines früheren Verfahrens waren und der Angeklagte nicht darauf vertrauen durfte oder konnte, dass durch das zuerst eingeleitete Verfahren alle Betätigungsakte für die Vereinigung erfasst werden.302 Das dürfte für schlichte Beteiligungsakte, die keinen weiteren Straftatbestand erfüllen, mit der Rechtsprechungsänderung in BGHSt 60 308 (Rn. 81) nicht mehr zu vereinbaren sein.303 Zum Zusammentreffen mehrerer Dauerdelikte oder eines Dauerdelikts und eines Zustandsdelikts siehe Rn. 73. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich, wenn andere schwerere Delikte mit Einzelakten von Dauer- oder Organisationsdelikten zusammentreffen, vor allem, wenn letztere einen langen Zeitraum umfassen, dazu unten Rn. 74 ff., 83 ff. Unter dem Topos „uneigentliches Organisationsdelikt“ fasst die Rechtsprechung 66 die Tatbeiträge eines Mittäters, mittelbaren Täters oder Gehilfen zu Errichtung, Aufrechterhaltung oder Ablauf eines auf Straftaten ausgerichteten Geschäftsbetriebs zusammen, wodurch die aus dieser Unternehmensstruktur heraus von Mitarbeitern begangenen Einzeltaten, z. B. Betrügereien in Serie, in der Person dieser Tatbeteiligten zu einer einheitlichen Tat i. S. d. § 52 StGB verbunden werden, die auch eine prozessuale Tat darstelle.304 Von der Handlungseinheit ausgenommen seien nur Einzeldelikte, an denen der Tatbeteiligte individuell mitgewirkt hat; diese seien ihm tatmehrheitlich zuzurechnen.305 Begründung und Definitionsmerkmale dieser Rechtsfigur erscheinen bislang nicht zureichend geklärt. Da für jeden Tatbeteiligten konkurrenzrechtlich ohnehin auf seinen eigenen Tatbeitrag abzustellen ist, erscheint zweifelhaft, inwieweit mit der neuen Bezeichnung sachliche Änderungen verbunden sind.306 dd) Sammel- und Serienstraftaten, Wiederholungstaten. Die geschäfts-, ge- 67 wohnheits- oder gewerbsmäßige Begehensweise mehrerer Handlungen begründet für 296 297 298 299

Vgl. auch BGHSt 43 1, 3. BGHSt 43 312, 214 f. m. w. N. BGHSt 43 1, 4 ff. mit Bespr. Paeffgen JR 1999 89 ff. BGHSt 43 312, 314 f.; 46 6, 9 mit Anm. Puppe JZ 2000 735; BGH NStZ 1999 38; 1999 411, 412; 2001 436, 438 mit Anm. Mitsch NStZ 2002 159; BGH 10.12.1997 – 3 StR 389/97; a. A. OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997 123, 124. 300 BGHR § 264 Abs. 1 Tatidentität 22. 301 LG Memmingen NStZ-RR 1997 140, 141 m. w. N. 302 BGHSt 46 349, 355 ff., 358 mit Anm. Verrel JR 2002 210; BGHSt 59 120, 125; BGH NStZ 2001 436, 438 mit Anm. Mitsch NStZ 2002 159; OLG Bamberg OLGSt GG Art. 103 Nr. 7; vgl. bei Bewertungseinheiten BGHSt 43 252, 257. 303 BGH NJW 2019 1470, 1472 f. mit Anm. Arnoldi NStZ 2019 357 betrifft nur Beteiligungsakte, durch die zugleich weitere Straftatbestände verwirklicht werden. 304 BGHSt 48 331, 341 ff., 343; 49 177, 182 ff., 184; BGH NStZ 2010 103; 2015 334; NZWiSt 2017 190, 193; StV 2013 386, 387; wistra 2013 389 f.; 2017 495 497, jew. m. w. N.; dazu Rissing-van Saan FS Tiedemann 391, 395 ff.; I. Roxin FS Fischer 267; Trüg FS Fischer 279; Reichenbach Jura 2016 139; krit. Fischer § 263, 204 StGB; NK-StGB/Puppe § 52, 49a StGB. 305 BGHSt 49 177, 184; BGH NStZ 2015 334; NZWiSt 2017 190, 193. 306 Trüg FS Fischer 279, 287, 289; s. a. Reichenbach Jura 2016 139, 144 (Handlungseinheit sui generis) m. w. N.; für rechtliche Handlungseinheit SK-StGB/Jäger Vor § 52, 20 StGB.

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sich noch keine einheitliche prozessuale Tat.307 Nur in bestimmten Fällen ermöglicht die Figur der Bewertungseinheit eine Zusammenfassung (unten Rn. 69 f.).308 Die einzelnen Vorfälle einer Serientat, die früher mit Hilfe des Fortsetzungszusammenhanges zusammengefasst werden konnten, sind nunmehr materiell-rechtlich und prozessual selbständige Taten,309 so dass das Gericht nicht wegen einer höheren als der angeklagten Zahl von Einzelfällen verurteilen darf.310 Werden im Laufe der Verhandlung weitere Einzelakte bekannt oder erweitert sich der Tatzeitraum, so genügt ein Hinweis nach § 265 nicht, vielmehr muss Nachtragsanklage (§ 266) erhoben werden.311 Beispiele: Mehrere nicht arbeitsteilig begangene Betrügereien im Rahmen eines Ge68 schäftsbetriebes sind mehrere Taten,312 anders aber, wenn eine einmalige Anordnung oder Planung ein in vielen Einzelakten geplantes Betrugsunternehmen ins Werk setzt.313 Trotz enger zeitlicher und örtlicher Folge mehrerer Diebstähle liegt keine Tatidentität vor, wenn die Vorgänge nicht derart miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einen nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden könnte.314 69

ee) Bewertungseinheiten. Bei Verstößen gegen das BtMG ergeben sich Besonderheiten aufgrund der Figur der Bewertungseinheit,315 die bei Absatzdelikten und § 29 Abs. 1 BtMG alle Einzeltätigkeiten des Täters, die auf ein und denselben Güterumsatz gerichtet sind, zu einer materiell-rechtlichen Tat zusammenfasst, unabhängig davon, ob diese Aktivitäten alle von vornherein geplant waren oder sich der Täter zu ihnen erst im Laufe der Absatzbemühungen entschloss; hier wird auch nur eine prozessuale Tat angenommen.316 Entsprechendes gilt bei verschiedenen Handlungen zur Durchsetzung derselben verbotenen Kartellabsprache;317 bei mehrfachen Verstößen gegen die Buchführungspflicht (§ 283 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 StGB);318 bei Funktionsträgern verbotener Vereine (§ 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG)319 und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gem. § 7 Abs. 1 VStGB.320 307 So auch die Rspr. nach Aufgabe des „Sammeldelikts“: RGSt 72 164, 166 ff.; 73 216 f.; BGHSt 1 41, 42 f.; 35 14, 19; OLG Celle NJW 1992 190 f.; AK/Loos § 264 Anh. 63; KK/Ott 46; KMR/Stuckenberg 67; MüKo/ Norouzi 30; Radtke/Hohmann 42; SK/Velten 47; Roxin/Schünemann § 20, 13; a. M. Eb. Schmidt I 309 ff., 311. 308 Zur Beurteilung dieser Fälle als Handlungseinheit Schlüchter/Duttge NStZ 1996 457, 465 f.; Geppert NStZ 1996 57, 59 ff.; 118, 119; Roxin/Schünemann § 20, 13. 309 BGH NStZ 1995 200; HK/Julius/Beckemper 4; KMR/Stuckenberg 68; Pfeiffer 4. 310 BGH StV 1997 169; bei Kusch NStZ-RR 1999 274; KK/Ott 44; KMR/Stuckenberg 68. 311 BGH StV 1997 169; 1996 361; zur Verwertung solcher Akte im Rahmen der Strafzumessung Ruppert MDR 1994 973, 975 und oben Rn. 44 ff. 312 BGHSt 26 284 ff., 287. 313 BGHSt 26 284, 285 f. m. w. N. 314 BGH NStZ 1997 508; StV 1981 167, 168. 315 Dazu statt vieler BGHSt 30 28, 31; BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 1 ff.; BGH StV 2001 460; Körner/Patzak/Volkmer § 29, 293 ff. BtMG; Weber § 29, 844 ff. BtMG; MüKo-StGB/Oğlakcıoğlu § 29, 477 ff. BtMG; Körner StV 1998 626, 627 f.; s. a. Puppe JZ 2000 735, 736 (Idealkonkurrenz kraft Erfolgseinheit). 316 BGHSt 25 290, 291 f.; 30 28, 31; 42 162, 164; BGH NStZ 1994 495; 1999 192; 2009 705, 706; StV 1981 127, 128; 1982 60; 1984 366 f.; 1995 256; 1996 95; 1996 650; 1997 20; 1997 470; 1997 636; 1998 26; NStZRR 2018 351; OLG Karlsruhe StV 1998 28; dazu Zschockelt NStZ 1997 224, 226 f. m. w. N.; 1998 238, 239 f.; Körner StV 1998 626 ff.; MüKo/Norouzi 22 f.; krit. Radtke/Hohmann 33; Maatz FS Meyer-Goßner 257, 260 ff.; Hellebrand GedS Schlüchter 473, 477 ff. 317 BGHSt 41 385, 394 mit Anm. Kindhäuser JZ 1997 101; BGH NJW 2004 1539, 1540. 318 BGH NStZ 1995 347. 319 BGHSt 46 6, 9 mit krit. Anm. Puppe JZ 2000 735. 320 BGH NJW 2019 2627, 2634.

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Bei einer Bewertungseinheit ist wie bei der vormaligen fortgesetzten Tat dem Gericht 70 die gesamte Tat zur Kognition unterbreitet, auch wenn nur einer der Tätigkeitsakte angeklagt ist.321 Eine rechtskräftige Entscheidung über einen Teilakt eines einheitlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln begründet also Strafklageverbrauch für die gesamte Tat.322 Wie beim Fortsetzungszusammenhang bildet der rechtskräftige Schuldspruch eine Zäsur; nachheriger Absatz einer Restmenge gehört somit nicht mehr zur abgeurteilten Tat.323 Auch im Rahmen der Bewertungseinheit neigt die Rechtsprechung nun zu einer Begrenzung des prozessualen Tatbegriffs,324 dies zu Recht, weil sich durch die weite Ausdehnung dieser materiellen Tateinheit, die „gänzlich anderen Zwecken dient“325 als der prozessuale Tatbegriff, und zudem einen Akt der Wertung erfordert, parallele Probleme ergeben wie bei Dauer- und Organisationsdelikten.326 ff) Tateinheit. Es besteht eine grundsätzliche Parallelität von prozessualer und 71 materieller Tateinheit: Delikte, die gemäß § 52 StGB in Tateinheit stehen, bilden grundsätzlich auch nur eine Tat im prozessualen Sinne,327 da die wenigstens teilidentischen Sachverhalte notwendigerweise „eng zusammenhängen“. Voraussetzung für die Erstreckung der Untersuchung und Urteilsfindung auf ein tateinheitlich verwirklichtes Delikt soll allerdings sein, dass das angeklagte Delikt auch erwiesen ist, denn zwischen einer erwiesenen und einer nicht erwiesenen Tat könne keine Tateinheit (wie früher auch kein Fortsetzungszusammenhang, Rn. 63) bestehen,328 was zweifelhaft erscheint, weil es sich um einen Fall der Tatersetzung handeln dürfte und es zudem regelmäßig nur um einen hypothetischen einheitlichen Lebensvorgang geht. Beispiele für übereinstimmende materielle und prozessuale Tateinheit: mehrere be- 72 leidigende Äußerungen in einem Brief;329 gleichzeitige Einfuhr von Waffen und Drogen;330 gleichzeitige Einfuhr mehrere Betäubungsmittel;331 gleichzeitiger Besitz mehrerer Waffen verbunden mit sonstigen Verstößen gegen das WaffG;332 gleichzeitiger Transport von Waffen und Schriften333 – wobei Gleichzeitigkeit allein richtigerweise noch nicht für Tateinheit genügt (Rn. 73); Vergewaltigung und Menschenhandel, wenn die Vergewaltigung dazu dient, den Widerstand des Opfers gegen die Prostitutionsaus-

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BGH NStZ 1994 495 f. BGH NStZ 1997 508 f. OLG Karlsruhe Justiz 1998 127. Vgl. BGHSt 43 252, 257 f. (offen lassend, da die gewaltsame Wiederbeschaffung gestohlenen, zum Handeltreiben bestimmten Rauschgifts im Verhältnis zum früheren Handeltreiben eine eigene Tat im materiell-rechtlichen und prozessualen Sinn sei) mit Anm. Erb NStZ 1998 253 und Fürstenau StV 1998 482; s. a. Hellebrand GedS Schlüchter 473, 484 ff.; BGH NStZ 1999 411. 325 Vgl. BVerfGE 56 22, 32. 326 Näher Maatz FS Meyer-Goßner 257, 260 ff., 272 ff. m. w. N. 327 BGHSt 8 92, 94 f.; 13 21, 23; 26 284, 285; 29 288, 293; 38 37, 41; 41 385, 389; 43 96, 98; 43 252, 255; 48 153, 161; 59 4, 8 f.; 59 120, 124; BGH NStZ 1984 171, 172; 1991 549; 2009 705, 706; StV 1981 116; 1981 167, 168; 1983 457; 1984 366; BayObLGSt 1957 196, 200; OLG München VRS 109 (2005) 32, 33 f.; AK/Loos § 264 Anh. 38 m. w. N.; KK/Ott 5; KMR/Stuckenberg 73; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/Norouzi 19; OKStPO/Eschelbach 8; Pfeiffer 3; Roxin/Schünemann § 20, 8; a. A. Greco 445 ff., 581 ff.; Rostalski 326 ff. 328 BGHR § 264 Abs. 1 Tatidentität 24; BGH NStZ 2002 328; OLG Hamm VRS 53 (1977) 359, 360. 329 RGSt 62 83, 85; siehe Fischer § 185, 20 StGB m. w. N. 330 BGH NJW 1989 726 f.; OLG Braunschweig NStZ-RR 1997 80, 81 (sowie Menschenhandel). 331 BGH StV 2010 120. 332 BGH NStZ 1984 171 f.; StV 1999 643; 644; 645. 333 BGH NStZ 1995 351 f.

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übung zu brechen;334 Betrug durch Submissionsabsprache und Kartellordnungswidrigkeit.335 Als eine Tat sind Fahren ohne Fahrerlaubnis und vorausgehende räuberische Erpressung angesehen worden, weil es bei dieser, anders als beim Diebstahl von Geld oder kleinen Dingen, wesentlich auf die Art der Flucht ankomme.336 Transportiert der Täter eines Diebstahls die Beute mit dem Kfz ab und begeht dabei eine Tat nach § 21 StVG, § 316 StGB, so bildet die Fahrt mit dem Diebstahl nur dann eine materiell-rechtliche und prozessuale Tat, wenn erst sie zur Vollendung des Diebstahls durch Begründung neuen Gewahrsams führt,337 mithin nicht bei kleinen Gegenständen, wohl aber bei großer oder schwerer Beute.338 Eine Tat können auch Führen eines Kfz ohne Fahrerlaubnis oder in fahruntüchtigem Zustand und ein bei dieser Fahrt begangenes Delikt nach § 237 a. F. StGB339 bzw. nach §§ 177, 178 StGB340 sein. Die Annahme von Tateinheit bei Verkürzung mehrerer Steuern durch denselben äußeren Vorgang341 ist inzwischen aufgegeben.342 Zur Tateinheit mit Dauerdelikten siehe weiter im Folgenden. 73 Treffen mehrere Dauerdelikte oder ein Dauerdelikt und ein Zustandsdelikt zusammen, so begründet allerdings deren bloße Gleichzeitigkeit weder materielle noch prozessuale Tateinheit.343 So bildet eine Straßenverkehrsordnungswidrigkeit mit einer Dauerordnungswidrigkeit nach der StVZO nur dann eine Tat, wenn erstere nicht nur gleichzeitig mit oder gelegentlich der Dauerordnungswidrigkeit begangen ist, sondern Identität in einem für beide Tatbestandsverwirklichungen notwendigen Teil vorliegt.344 Keine einheitliche Tat sind demnach der Verstoß gegen Aufenthaltsbeschränkungen des AsylVfG bei gleichzeitigem Waffenbesitz,345 der gleichzeitige Besitz von Waffen oder Sprengstoff und Drogen346 oder Rauschfahrt mit Drogenbesitz.347 In solchen Fällen mehrere prozessuale Taten anzunehmen wurde als verfassungsrechtlich zulässig angesehen.348 Hier besteht noch einige Unsicherheit,349 die ebenso schon die materiell-rechtlichen Kriterien für Idealkonkurrenz mit Dauerdelikten beherrscht. Die Rechtsprechung nimmt materiell-rechtliche und prozessuale Tateinheit nur an, wenn ein innerer Bezie334 BGH NStZ 1999 311. 335 BGH NStZ 2004 567 f. 336 BGH StV 1996 472; BGHR § 154a Beschränkung 3; krit. Müller-Christmann JuS 1996 726, 727; abl. Radtke/Hohmann 45. Vgl. BGHSt 26 24, 25 f. BGH GA 1961 346 f.; StV 1981 167, 168; NStZ 1997 508; krit. Helmken MDR 1982 715 ff. BGH bei Dallinger MDR 1973 566; StV 1981 116 f.; unten Rn. 83. BGHSt 43 317, 319; BGH bei Dallinger MDR 1975 544; NStZ 2000 85; NStZ-RR 2013 82, 83; StV 1983 457; anders (zwei Taten), wenn der Tatentschluss zu § 178 StGB erst im Lauf der Fahrt gefasst und bei einer Fahrtunterbrechung ausgeführt wurde, OLG Koblenz NJW 1978 716, 717 mit abl. Anm. Kinnen MDR 1978 545 f.; krit. Neuhaus MDR 1989 213, 216 f. m. w. N. 341 BGHSt 33 163; noch BGH NStZ-RR 2017 315. 342 BGH NStZ 2019 154, 155 f. mit Anm. Bittmann; Gehm NZWiSt 2019 31; Ebner HFR 2018 918; Feindt/ Rettke DStR 2018 2383; Mertes ZWH 2019 19; Reichling JR 2019 302; Rolletschke wistra 2019 133. Zu möglichen Auswirkungen auf die prozessuale Tateinheit Rolletschke/Roth wistra 2019 228. 343 Vgl. dagegen aber NK-StGB/Puppe § 52, 37 ff. StGB m. w. N. 344 BGHSt 27 66, 67. 345 OLG Stuttgart Justiz 2001 497, 498 f. 346 BGH NStZ-RR 2013 82, 83; KG NStZ-RR 2008 48 f. 347 Unten Fn. 422 f. und 502. 348 BVerfGK 7 417, 419 f. 349 Vgl. OLG Braunschweig StV 2002 241 (Ladendiebstahl mit Drogenbesitz: eine Tat); OLG Saarbrücken VRS 110 (2006) 362 (Trunkenheitsfahrt mit verbotener Handybenutzung: eine Tat); weitere Beispiele aus dem BtM-Bereich bei Hellebrand GedS Schlüchter 473, 480 ff.; ders. FS Schwind 305, 308 ff.; s. a. Stuckenberg FS von Heintschel-Heinegg 435, 439 ff.

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hungs- oder Bedingungszusammenhang bzw. ein strukturelles Ineinandergreifen der Tatbestände besteht, z. B. wenn die Fahrt gerade zum Transport der Drogen dient, so dass eine Verurteilung nach § 316 StGB die Strafklage sowohl hinsichtlich des unerlaubten Besitzes und tateinheitlich verbundenen Sichverschaffens und Abgebens verbraucht;350 ebenso, wenn der Täter unerlaubt Munition bei sich führt, um seinen Drogenbesitz abzusichern.351 Das Kriterium eines Planungszusammenhangs ist jedoch – wie sonst auch (Rn. 17) – ungeeignet.352 Maßgebend muss vielmehr eine Verhaltenseinheit353 sein dergestalt, dass ein Delikt die (versuchte) Begehung des anderen bewirkt oder mit der Beendigung des Dauerdelikts unverträglich ist. Zur Verklammerung s. Rn. 86, zu Straßenverkehrsdelikten auch Rn. 93 f. gg) Divergenz prozessualer und materieller Tateinheit α) Allgemeines. Früher brachte der weite Umfang der Fortsetzungstat es mit sich, 74 in bestimmten Fällen Ausnahmen vom Gleichlauf materieller und prozessualer Tateinheit zu postulieren (Rn. 63); dies hat die Rechtsprechung nun auch für bestimmte Organisations- und Dauerdelikte anerkannt (Rn. 80). Letztere betreffen vor allem zwei Fallgruppen: Das Zusammentreffen eines Zustandsdelikts mit einem leichteren Dauerdelikt sowie das Zusammentreffen von wenigstens zwei unter sich selbständigen Zustandsdelikten mit einem leichteren Dauerdelikt,354 für die ähnliche Überlegungen gelten. Das Ziel ist jeweils, den Umfang der Tat und damit des Strafklageverbrauchs zu reduzieren. Die Zulässigkeit solcher Ausnahmen wird bestritten mit dem Argument, dass Ideal- 75 konkurrenz ausnahmslos auch zur prozessualen Tatidentität führen müsse, weil alles, das eine einheitliche Rechtsfolge nach sich ziehe, auch Gegenstand eines einheitlichen Verfahrens sein müsse, da das Gesetz – anders bei §§ 53, 55 StGB, 460 StPO – eine nachträgliche Bildung der einheitlichen Strafe nach § 52 StGB nicht kenne.355 Vereinzelt hat der Bundesgerichtshof diese Argumentation übernommen.356 Teilweise wird generell eine materiell-rechtliche Lösung vorgeschlagen, die Tateinheit zum schwereren Delikt aufzulösen und Realkonkurrenz anzunehmen, die regelmäßig wie gewünscht zu ver-

350 BGH NStZ 2004 694 (gegen OLG Oldenburg StV 2002 240 f.) mit Anm. Bohnen; BGH NStZ 2009 705, 706; 2012 709 f. mit Bespr. Mitsch NZV 2013 63 und Kudlich JA 2012 710; BGHR StVG § 24a Abs. 2 Konkurrenzen 1; StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 47; OWiG § 21 Abs. 1 S. 1 Tateinheit 1 = NZV 2012 250 mit Anm. Krumm; s. a. BGH NStZ-RR 2013 320, 321; 2017 123; NZV 2018 145; BGH 12.9.2018 – 5 StR 278/18 Rn. 13; OLG Hamm DAR 2017 393; 13.2.2018 – III-1 RVs 100; OLG Köln 28.6.2016 – 1 RBs 181/16; 14.2.2017 – 1 RVs 294/16; anders noch BGH NJW 1989 726, 727. 351 OLG Bremen StV 2018 480. 352 Vgl. nur Fischer Vor § 52, 25 StGB m. w. N.; Jakobs 33/10; NK-StGB/Puppe § 52, 40 StGB, jew. m. w. N.; Stuckenberg FS von Heintschel-Heinegg 435, 443 f. 353 Stuckenberg FS von Heintschel-Heinegg 435, 444 ff. 354 Zur „Verklammerung“ s. Rn. 83 ff. 355 SK/Velten 40, 42; Schlüchter JZ 1991 1057, 1059 m. w. N.; Schlüchter/Duttge NStZ 1996 457, 461; Grünwald Teheran-Beiheft ZStW 86 (1974) 94, 107 f.; ders. StV 1981 326, 327; ders. StV 1986 243, 244 ff.; ders. FS Bockelmann 742 ff., 747; NK-StGB/Puppe § 52, 60 ff. StGB; Puppe JR 1986 205 f.; Bohnert GA 1994 96, 99; a. A. AK/Loos § 264 Anh. 40; LR/Gollwitzer25 3; Bertel 193 ff.; Erb GA 1994 265, 268, 272 ff.; ders. NStZ 1998 253, 254; Krauth FS Kleinknecht 215, 234 ff.; Mitsch NStZ 2002 159, 160 (anders noch ders. NStZ 1987 457); Neuhaus 48 f., 74 ff.; ders. NStZ 1987 138, 139; ders. StV 1990 342, 343; ders. NStZ 1993 202, 203; Rieß NStZ 1981 74, 75; Schlehofer GA 1997 101, 113 ff. 356 BGH NStZ 1997 508 f.; StV 1999 643.

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schiedenen prozessualen Taten führe.357 Dagegen spricht jedoch die Vervielfachung der Strafbarkeit wegen des aufgespaltenen Dauerdelikts.358 Auch bleibt das Problem bestehen, dass womöglich im früheren Verfahren schon über bestimmte Einzelakte des Daueroder Organisationsdeliktes befunden wurde.359 Geht man von der grundsätzlichen Selbständigkeit eines faktenbezogenen prozes76 sualen Tatbegriffs aus (Rn. 8), so ist die konkurrenzrechtliche Beurteilung nicht entscheidend. Wegen der unterschiedlichen Funktionen der Einheitenbildung im Strafzumessungs- und Prozessrecht ist es trotz weitgehender Parallelität des prozessualen Tatbegriffs mit den Ergebnissen der Konkurrenzlehre nicht geboten,360 auch bei materiell-rechtlichen „Kunstprodukten“361 der Handlungseinheit wie Fortsetzungszusammenhang oder Klammerwirkung prozessuale Tatidentität anzunehmen. So angemessen es ist, alle zu einem Dauerdelikt zusammengefassten Verhaltensweisen auch als eine prozessuale Tat anzusehen, so unangemessen ist es vor allem bei diskontinuierlichen Dauerdelikten wie §§ 129, 129a StGB und den Besitztatbeständen des § 53 WaffG, aber auch Fällen sukzessiver Tatbestandsverwirklichung wie dem Nachstellen gem. § 238 StGB, die Kognitionsbefugnis ohne zusätzliche Anklage auf sämtliche ideal konkurrierenden Straftaten zu erstrecken, ebenso, durch Überdehnung des Strafklageverbrauchs der Verurteilung wegen des Dauerdelikts die Wirkung einer umfassenden Straffreistellung im übrigen für unter Umständen lange Jahre krimineller Existenz zu verleihen. Eine solche Ausdehnung der Kognitionspflicht würde nicht nur die Leistungsfähigkeit des Tatrichters überfordern, der gezwungen wäre, „das ganze Leben des Angeklagten lückenlos zu durchleuchten“, sondern auch den Anklagegrundsatz aushöhlen.362 Die verfehlte363 materiell-rechtliche Struktur dieser Dauerdelikte, insbesondere der Organisationsdelikte, darf nicht prozessual überkompensiert werden.364 Eine funktionsgerechte Lösung, die weder den Tatbegriff zugunsten der Konkur77 renzregeln überfordert noch letztere zugunsten prozessualer Erfordernisse verformt, müsste die materiell-rechtliche Regelung im Zweitverfahren berücksichtigen und dort das materiell-rechtlich richtige Ergebnis herstellen.365 Denn das materiell-rechtliche Erfordernis einer einheitlichen Strafe für mehrere strafbare Verhaltensweisen kann prinzipiell sowohl in einem einzigen als auch in mehreren sukzessiven Verfahren erfüllt werden. Ein Verfahren ist fraglos vorzugswürdig, nicht nur aus Gründen der Prozessökonomie. Bei sukzessiven Verfahren müssen besondere Vorkehrungen getroffen werden, um die Einheitlichkeit der Straffolge herzustellen. Dafür sind mehrere rechtstechnische Möglichkei357 Puppe 210 ff.; NK-StGB/Puppe § 52, 44 ff., 48 f. StGB; dies. GA 1982 143, 159 m. w. N.; dies. JR 1986 205, 206 ff.; zust. Mitsch MDR 1988 1005, 1011 (anders jetzt ders. NStZ 2002 159, 160); ebenso Werle 167 ff., 211 ff.; ders. NJW 1980 2671, 2675 ff.; ders. JR 1979 93, 95 ff.; Detmer 258 ff.; SK/Schlüchter 29–35, 37 m. w. N.; Schlüchter JZ 1991 1057, 1059; SSW/Rosenau 11; s. a. BGHSt 36 151, 153 ff.; OLG Zweibrücken NJW 1986 2841, 2842; zuerst wohl OLG Karlsruhe NJW 1977 2222 f. mit Anm. Meyer JR 1978 35 (zu § 129 StGB), bestätigt in BVerfGE 45 434; siehe unten Rn. 82; abl. SK/Velten 41 f.; Cording 69 ff., 80. 358 Krit. auch Radtke/Hohmann 36; Beulke FS II BGH 781, 804; Erb GA 1994 265, 271 f.; ders. JR 1995 169, 170; Paeffgen GedS Heinze 615, 627 f.; Zeller NZWiSt 2017 76, 78. 359 Vgl. BGHSt 6 92, 96 f.; unten Rn. 84. 360 Mutzbauer FS Fischer 751, 761 f.; Otto JR 1988 27, 29 hält dies sogar für „sachwidrig“; a. A. SK/Velten 42. 361 Ausdruck von Gössel JZ 1986 45, 47. 362 BGHSt 43 252, 257 im Anschluss an Erb GA 1994 265, 267; BGHSt 46 349, 358 mit Anm. Verrel JR 2002 212; ähnl. Neuhaus NStZ 1993 202, 204. 363 Rieß NStZ 1981 74; Grünwald StV 1986 243, 245; Fezer Strafprozeßrecht II (1. Aufl. 1986) 18/91 ff. 364 AK/Loos § 264 Anh. 58; Fezer (wie vorige Fn.). 365 Ebenso AK/Loos § 264 Anh. 58; LR/Gollwitzer25 3; ähnlich Neuhaus NStZ 1987 138 ff.

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ten denkbar, wie die §§ 55 StGB, 460 StPO zeigen. Da die Problemkonstellation bei Prozesshindernissen bzgl. einzelner ideal konkurrierender Straftaten366 zwar lange bekannt, aber praktisch selten ist, und bei Verklammerung mit Dauer- und Organisationsdelikten erst spät auftauchte, fehlen positive gesetzliche Lösungen zur nachträglichen Bildung der einen Strafe nach § 52 StGB. Ein Gegenschluss ist daraus nicht zu ziehen.367 Materiell-rechtliche Tateinheit steht der Annahme mehrerer prozessualer Taten daher an sich nicht zwingend entgegen. Zweifelhaft ist vielmehr, ob ein Eingriff in die Rechtskraft des ersten Urteils prae- 78 ter legem, etwa in Analogie zu §§ 55 StGB, 460 StPO stattfinden darf.368 Die Rechtsprechung stellt den Angeklagten – im Ergebnis zutreffend – auch bei Verneinung prozessualer Tatidentität so, als ob er in einem Verfahren abgeurteilt worden wäre.369 Wäre die im ersten Verfahren verhängte Strafe im zweiten Verfahren nicht ausgesprochen worden, so soll sie wegfallen,370 eine Geldstrafe ist zurückzuzahlen,371 eine verbüßte Freiheitsstrafe könnte jedoch nur durch Anrechnung kompensiert werden.372 Für einen solchen „Wegfall“ der ersten Strafe fehlt indes eine gesetzliche Grundlage.373 Die vom OLG Hamm374 vorgeschlagene Strafmilderung oder Analogie zu § 51 StGB375 ebenso wie die in BGHSt 29 288, 298 erwogene376 Berücksichtigung bereits verbüßter Freiheitsstrafe im Rahmen der Strafvollstreckung lässt das Ersturteil zwar intakt, schafft aber dadurch das Problem, dass zwei Strafaussprüche existieren, wo es nur einen geben dürfte. Auch der derzeit konsequenteste Vorschlag zur Trennung von materiell-rechtlicher und prozessualer Tateinheit von Erb377 entgeht dieser Misslichkeit nicht: Die mehrfache Erfüllung der Bestrafungsvoraussetzungen bei einem Dauerdelikt gemäß § 52 StGB sei nicht für die Strafbegründung, sondern nur für die Strafzumessung relevant. Von Rechtshängigkeit und Rechtskraft erfasst würden nur die in der Anklage oder Nachtragsanklage ausdrücklich bestimmten Einzelakte bzw. Phasen. Die nachträgliche Verfolgung weiterer Einzelakte scheitere nicht an der Rechtskraft, sondern an § 52 Abs. 1 StGB, d. h. dem Gebot der einheitlichen Strafe. Der Verfolgung eines später entdeckten schwereren ideal konkurrierenden Delikts, das nicht zum abgeurteilten geschichtlichen Vorgang gehört,

366 RGSt 49 272, 274; 49 354; 49 356; 50 237, 238; 56 161, 167 f.; 62 83, 87 f., 89 f. m. w. N.; auch RGSt 39 353, 355; 53 50; BGHSt 15 259, 262 f.; zur fortgesetzten Tat: RGSt 74 203, 205 ff.; BGHSt 17 157, 158.

367 Bertel 193 ff.; Neuhaus 206 f.; ders. MDR 1989 213, 217; ders. StV 1990 342 f.; Erb GA 1994 265, 279 f. und Schlehofer GA 1997 101, 114 konstatieren eine „planwidrige Lücke“ bei § 52 StGB; krit. MüKo/Norouzi 26. 368 Neuhaus 206 f.; ders. MDR 1989 213, 217; ders. StV 1990 342 f.; Schlehofer GA 1997 101, 114 f.; van Lessen NStZ 2016 446, 453; für erneuten Schuldspruch mit einheitlicher Strafe unter Wegfall der ersten Strafe: Krauth FS Kleinknecht 215, 234 ff.; AK/Loos § 264 Anh. 40; vgl. den entsprechenden Vorschlag von Maatz FS Meyer-Goßner 257, 274, für Bewertungseinheiten; abl. SK/Velten 42. 369 RGSt 49 272, 274; 50 237, 240 f.; 56 161, 167 f.; BGHSt 15 252, 262 mit Verweis auf § 79 a. F./§ 55 n. F. StGB; BGHSt 29 288, 297 f.; BGH GA 1979 189; zust. van Lessen NStZ 2016 446, 453; vgl. Rieß NStZ 1981 74, 75. 370 RGSt 56 161, 168; BGHSt 15 259, 262 f. 371 BGHSt 15 259, 263; zum Strafbefehl BGH NJW 1951 894 Nr. 25. 372 RGSt 56 161, 168; BGH GA 1979 189; abw. noch RGSt 50 237, 241. 373 RGSt 50 237, 240 f. 374 OLG Hamm StV 1986 241, 243 mit abl. Anm. Grünwald StV 1986 243, 244, s. a. Rn. 120. 375 Ähnl. RGSt 56 161, 168 (Analogie zu § 7 a. F. StGB); dagegen noch RGSt 50 237, 241. 376 Ähnl. schon RGSt 50 237, 240 f. 377 Erb GA 1995 265, 276 ff.; ders. JR 1995 169, 170 f.; ders. NStZ 1998 253, 254; zust. Radtke/Hohmann 36; Mitsch NStZ 2002 159, 160 (dessen Verweis auf § 31 JGG die Probleme im allgemeinen Strafrecht nicht löst); ähnl. auch Mutzbauer FS Fischer 751, 762 f.

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stehe weder die Rechtskraft noch § 52 StGB entgegen, vielmehr müsse die nach § 52 Abs. 2 StGB korrekte Strafe aus dem höheren Strafrahmen ausgesprochen werden unter Anrechnung der ersten Strafe analog §§ 51, 52 Abs. 1 StGB.378 Eine befriedigende Lösung ist unter der gegenwärtigen Gesetzeslage nicht zu erreichen. Daher ist eine gesetzliche Regelung der nachträglichen Bildung der Einheitsstrafe nach dem Vorbild des § 55 StGB wünschenswert. 79 Sofern zwei parallele Verfahren wegen der „materiell-rechtlichen Verzahnung“ dem fair trial-Gebot widersprächen,379 muss der einheitliche prozessuale Tatbegriff nicht aufgegeben werden,380 soweit die Verfahren verbunden werden können bzw. eines ausgesetzt werden kann.381 β) Besonderheiten bei Organisations- und Dauerdelikten. Nach Ansicht der früheren Rechtsprechung soll eine Verurteilung wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung nicht die Strafklage wegen solcher tateinheitlich verwirklichter schwerer wiegender Delikte wie §§ 211 ff. StGB verbrauchen, die tatsächlich nicht Gegenstand der Anklage und Urteilsfindung im früheren Verfahren waren. Dies beruhe auf der besonderen Struktur des § 129 StGB, die mit anderen Dauerdelikten nicht vergleichbar sei, und der gesetzgeberischen Intention, die Strafverfolgung krimineller Vereinigungen zu erleichtern.382 Der Angeklagte sei aber im Ergebnis so zu stellen, als ob nur ein Strafverfahren durchgeführt worden wäre (oben Rn. 78). Gleiches gilt für das leichtere Organisationsdelikt des § 20 Abs. 1 Nr. 1 VereinsG.383 Diese Argumentation wurde auf andere Dauerdelikte übertragen384 wie Zuhälterei,385 Förderung der Prostitution,386 Steuerhinterziehung387 oder sogar Fahren ohne Fahrerlaubnis.388 Ebenso soll eine Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes und Führens einer Waffe ein Strafverfahren wegen eines ideal konkurrierenden schwereren Zustandsdelikts (Tötungsdelikt) nicht hindern.389 Diese Ansicht hat der Bundesgerichtshof 2015 zugunsten einer materiell-rechtli81 chen Lösung aufgegeben und nimmt nunmehr an, dass sämtliche anderen, mit § 129 StGB in Tateinheit verwirklichten Straftatbestände ungeachtet ihrer Schwere untereinander in materiell-rechtlicher und prozessualer Tatmehrheit stehen.390 Damit wird insoweit

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Krit. NK-StGB/Puppe § 52, 44, 61; Paeffgen GedS Heinze 615, 629 f.; auch Bauer NStZ 2003 174, 177. BGHSt 29 288, 297; krit. Rieß NStZ 1981 74, 75; vgl. Erb GA 1994 265, 278 f. So aber Krauth FS Kleinknecht 215, 227 ff., 233; vgl. Radtke 105 f. AK/Loos § 264 Anh. 41. BGHSt 29 288, 293 ff.; 59 120 124 f.; BGH StV 1999 352, 353; krit. Rieß NStZ 1981 74, 75; Werle NJW 1980 2671 ff.; bestätigt in BVerfGE 56 22, 34 ff. mit abl. Anm. Grünwald StV 1981 326, 327 f.; Gössel JR 1982 111 ff.; Krauth FS Kleinknecht 215 ff.; zust. LR/Gollwitzer25 7a; Radtke/Hohmann 40; Fezer Strafprozeßrecht II (1. Aufl. 1986) 18/91 ff.; abl. Cording 207 ff., 211; anders noch OLG Karlsruhe NJW 1977 2222 f. mit Anm. Meyer JR 1978 35: Tatmehrheit. 383 BGH NStZ 2001 436, 437 f. mit Anm. Mitsch NStZ 2002 159. 384 A. A. jetzt aber BGH StV 1999 643; s. a. BGH StV 1981 116, 117 zu §§ 316, 237, 177 StGB. 385 BGHSt 39 390, 391. 386 OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999 176, 177. 387 BGH wistra 1994 57, 61. 388 LG Memmingen NStZ-RR 1997 140, 141. 389 OLG Hamm StV 1986 241 mit abl. Anm. Grünwald; Mitsch NStZ 1987 457; krit. Puppe JR 1986 205; zust. Neuhaus NStZ 1987 138, 140; Kröpil DRiZ 1986 448, 449. 390 BGHSt 60 308, 319 f. mit zust. Anm. Puppe JZ 2016 478; Gazeas StV 2016 502; El-Ghazi jurisPRStrafR 4/2016 Anm. 1; ausführl. Kritik bei van Lessen NStZ 2016 446; BGH NStZ 2016 745, 746 f. mit abl. Bespr. van Lessen JR 2016 624; BGH NZWiSt 2017 74 mit abl. Anm. Zeller; BGH NStZ-RR 2018 10, 12; NJW 2019 1470, 1472 mit zust. Anm. Arnoldi NStZ 2019 357, 358; KK/Ott 21.

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der Gleichlauf zwischen materiell-rechtlicher und prozessualer Einheitenbildung zwar wieder hergestellt,391 die Konsequenz jedoch, dass nun jedes idealkonkurrierende Vergehen die tatbestandliche Handlungseinheit der §§ 129, 129a StGB auflöst, erscheint sowohl materiell-rechtlich als auch prozessual bedenklich.392 Ob dieser Ansatz auch auf andere Organisations- und Dauerdelikte übertragen wird,393 bleibt abzuwarten. Bei Waffendelikten (§ 53 WaffG) hingegen nimmt der Bundesgerichtshof wegen ihrer 82 Besonderheiten Tatmehrheit an.394 Während bei § 129 StGB die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung die Bereitschaft voraussetze, im Sinne der Zielsetzung der Vereinigung kriminell tätig zu werden, so dass ein dahin gehender Entschluss keine Zäsur darstelle, die das Organisationsdelikt teilen könne, gründe die Strafbarkeit beim Dauerdelikt des Waffenbesitzes (entsprechend bei § 316 StGB, § 21 StVG, § 40 Abs. 1 Nr. 3 SprengG395) auf dessen genereller Gefährlichkeit, unabhängig davon, ob der Täter bereit oder gar von vornherein willens sei, die Waffe zu anderen Straftaten zu nutzen. Der Entschluss des Täters, seine Waffe bei einer anderen schwerer wiegenden Straftat zu benutzen, stelle einen entscheidenden Einschnitt dar. Diese sachlich-rechtliche Zäsur führe in der Regel auch zu verschiedenen prozessualen Taten, wenn nicht besondere Umstände deren Zusammenfassung geböten.396 Doch kann der neue Willensentschluss des Täters nicht allein maßgebend sein, weil sonst derjenige, der von Anfang an die bewaffnete Begehung anderer Delikte plant, nur eine Verurteilung nach dem WaffG anzustreben hätte, um Strafklageverbrauch hinsichtlich der schwereren Delikte zu erreichen.397 Diese Judikatur ist inzwischen vereinzelt auf das Verhältnis von Verstößen gegen Aufenthaltsbeschränkungen nach dem AsylVfG und Diebstahlstaten übernommen worden.398 γ) Verklammerung. Anfangs ist die Rechtsprechung von der grundsätzlichen Paral- 83 lelität zwischen materiell-rechtlicher (§ 52 StGB) und prozessualer Tateinheit (§ 264) auch in Fällen der materiell-rechtlichen Figur der Tateinheit durch Verklammerung399 ausgegangen, in denen mehrere unter sich selbständige Handlungen mit Teilakten desselben mehraktigen Delikts oder Dauerdelikts zusammentreffen. Ist die Dauerstraftat schwerer als oder annähernd gleich schwer wie die durch sie verbundenen selbständigen Delikte, so liegt in der Regel auch eine Tat nach § 264 vor.400 Ist das verbindende Delikt minder schwer, so vermag es die mit ihm zusammentreffenden Delikte grundsätzlich nicht zur Tateinheit i. S. des § 52 StGB401 und damit auch nicht zu einer prozessualen Tat zu verschmelzen.402 Gleiches gilt für subsidiäre Auffangdelikte, auch wenn ihre Strafdrohung nicht geringer ist.403 Ist nur eines der Außendelikte schwerer als das 391 392 393 394

BGHSt 60 308, 320 Rn. 41; krit. van Lessen NStZ 2016 446, 453. Zutr. van Lessen NStZ 2016 446, 449 ff., dort 447 ff. auch zu Mängeln der Herleitung. Dafür Puppe JZ 2016 478, 480; s. a. Gazeas StV 2016 502, 505. BGHSt 36 151, 153 f. mit Anm. Mitsch JR 1990 162; Neuhaus StV 1990 342; BGH StV 1999 643, 644; ebenso schon OLG Zweibrücken NJW 1986 2841, 2842 mit Anm. Mitsch NStZ 1987 457; Kröpil DRiZ 1986 448, 449 f.; a. A. OLG Hamm (Fn. 389). 395 BGHSt 60 198, 201. 396 BGHSt 36 151, 154 f.; vgl. BGHSt 21 203, 204 f. zu § 316 StGB. 397 HK/Julius/Beckemper 13; KMR/Stuckenberg 88; Mitsch JR 1990 162, 163. 398 OLG Hamburg NStZ-RR 1999 247, 248; a. A. OLG Stuttgart NStZ-RR 1997 173. 399 Dazu NK-StGB/Puppe § 52, 41 ff.; Fischer Vor § 52, 30 ff. StGB. 400 BGHSt 29 288, 291 f.; BGH bei Dallinger MDR 1973 556; KK/Ott 22; Pfeiffer 5. 401 St. Rspr., BGHSt 1 67, 68 f.; 3 165, 166; 18 66, 69; 23 141, 149; 29 288, 291 f.; 33 4, 6; BGH MDR 1980 684, 685; NStZ 1991 549, 550; 2008 209; NStZ-RR 2013 147, 149; wistra 2012 310, jeweils m. w. N. 402 BGHSt 23 141, 149 f.; 29 288, 291 f.; dagegen Grünwald FS Bockelmann 737, 743 ff.; SK/Velten 40, 42. 403 BGHSt 42 162, 165 f. (zu § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG); s. a. BGH NStZ 2009 705, 706.

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verbindende Delikt, so tritt die sachlich-rechtliche Klammerwirkung gleichwohl ein.404 So verband § 237 a. F. StGB Fahren ohne Fahrerlaubnis und versuchte Vergewaltigung mit der Folge, dass eine Verurteilung wegen § 21 StVG bzw. § 316 StGB die Strafklage auch für die anderen tateinheitlichen Delikte verbrauchte.405 Zwischenzeitlich vertrat die Rechtsprechung eine abweichende Sicht des Inhalts, 84 dass die mit einer minderschweren Fortsetzungs- oder Dauerstraftat zusammentreffenden schwereren Delikte verfahrensrechtlich auch dann zu einer Tat verbunden werden, wenn keine materiell-rechtliche Tateinheit eintrete, weil mit der Aburteilung der Dauerstraftat alle ihre Einzelhandlungen verbraucht seien und daher nicht einmal unter dem Gesichtspunkt des Zusammentreffens mit einer weiteren schwereren Straftat verfolgt werden könnten.406 Diese Ansicht ist im wesentlichen wieder aufgegeben.407 Ob aus der neuen Rechtsprechung zu § 129 StGB (Rn. 81) die Konsequenz gezogen wird,408 die Figur der Verklammerung aufzugeben, bleibt abzuwarten. 85 Kritik hat das Kriterium der Deliktsschwere erfahren.409 Die Unschuldsvermutung ist allerdings durch die schon zu Verfahrensbeginn nötige Bewertung des Gerichts, der Angeklagte habe das schwerere Delikt verwirklicht, nicht einmal berührt,410 da sie den Verdacht einer bestimmten Straftat nicht hindert.411 Maßgebend für die Beurteilung der Einheitlichkeit der prozessualen Tat kann hier allerdings nicht die konkurrenzrechtliche Beurteilung sein, namentlich das Schwerekriterium steht in keinem Zusammenhang mit den Funktionen des Tatbegriffs. Der Strafklageverbrauch hängt vielmehr davon ab, ob bereits abgeurteilte Tatsachen zur Begründung des Tatvorwurfs in einem zweiten Verfahren erneut verwendet werden müssen.412 86 Beispiele aus der Rechtsprechung: § 129 StGB verbindet nicht damit zusammentreffende Verbrechen;413 Förderung der Prostitution verklammert nicht (schweren) Menschenhandel;414 Völkermord verklammert die einzelnen Mordtaten materiell-rechtlich,415 aber nicht zwingend auch prozessual zu einer Tat;416 Trunkenheitsfahrt verbindet in der Regel nicht mehrere voneinander unabhängige Unfallgeschehen zu einer Tat;417 ebenso wenig verklammert Fahren ohne Fahrerlaubnis selbständige Diebstähle an verschiedenen Orten;418 hingegen verklammert eine Trunkenheitsfahrt ohne Fahrerlaubnis mit dem gestohlenen Kfz eine dabei begangene fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung und 404 405 406 407

BGHSt 31 29, 30 f. gegen BGHSt 3 165 ff. BGH bei Dallinger MDR 1973 556; StV 1981 116 f. BGHSt 6 92, 96 f.; BGH VRS 21 (1961) 341, 343 f. gegen BGHSt 3 165, 166. BGHSt 23 141, 149 f.; 23 270, 274 f. (für § 316 StGB im Verhältnis zu §§ 315c, 230 a. F.; 142 StGB); anders aber wieder BGH StV 1983 457. 408 Dafür Puppe JZ 2016 478, 480. 409 AK/Loos § 264 Anh. 55; HK/Julius/Beckemper 13; KMR/Stuckenberg 91; SK/Velten 40; Cording 208 f.; Gillmeister NStZ 1989 1, 3; Krauth FS Kleinknecht 215, 228, 240; dagegen Neuhaus NStZ 1993 202, 204. 410 Entgegen Mitsch MDR 1988 1005, 1009. 411 Stuckenberg Untersuchungen zur Unschuldsvermutung (1998) 76 Fn. 250. 412 Insoweit zutr. BGHSt 6 92, 96 f.; ähnl. AK/Loos § 264 Anh. 55 („Wiederverwendungsverbot“); KMR/ Stuckenberg 91. 413 BGHSt 29 288, 291 f.; oben Rn. 80. 414 OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999 176, 177; Rn. 81. 415 BGHSt 45 65, 89 ff. mit Anm. Ambos NStZ 1999 404; Lüder NJW 2000 269; Lagodny/Nill-Theobald JR 2000 205; Werle JZ 1999 1181; Bungenberg AVR 39 (2001) 170 ff.; BGHSt 48 153, 160 f. 416 BGHSt 48 153, 161 mit Anm. Loos NStZ 2003 680; Gössel JR 2003 517; Ziemann JR 2006 409, 414; s. a. Werle JZ 1999 1181, 1184. 417 BGHSt 23 141, 149 ff. mit krit. Anm. Grünwald JZ 1970 330; BGHSt 23 270, 274 f. 418 BGH GA 1961 346 f., siehe auch oben Rn. 65, 72, 81 ff.

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Unfallflucht mit Diebstahl;419 ein Verstoß gegen das WaffG verklammert nicht mit der unerlaubt geführten Waffe begangene Raub-, Erpressungs- oder Tötungsdelikte;420 umgekehrt ermöglicht eine Anklage wegen eines mit einer Schusswaffe begangenen Tötungsdelikts nicht die Aburteilung des vor- und nachherigen unerlaubten Waffenbesitzes.421 Das Auffangdelikt des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verbindet nicht deren Erwerb und ein konsumbedingtes späteres Straßenverkehrsdelikt zu einer prozessualen Tat.422 Siehe auch Rn. 73; zu Straßenverkehrsdelikten Rn. 90 ff. b) Materiell-rechtliche Tatmehrheit aa) Grundsatz. Bei materiell-rechtlicher Tatmehrheit (§ 53 StGB) liegen regelmäßig 87 auch mehrere prozessuale Taten vor.423 Beispielhaft: Unfallflucht und falsche Angaben Stunden später über einen Unfallbeteiligten;424 Falschaussagen bei verschiedenen Gelegenheiten (vor der Polizei und vor Gericht), auch wenn sie in demselben Strafverfahren erstattet werden und denselben Lebenssachverhalt betreffen, insbesondere, wenn sie sich inhaltlich wesentlich unterscheiden,425 auch wenn die eine den Beweis für die andere erbringt426; mehrere Verletzungen der Unterhaltspflicht sind mehrere prozessuale Taten, wenn der Unterhaltspflichtige Zahlungen an rangverschiedene, voneinander getrennt lebende Unterhaltsberechtigte unterlässt,427 aber nur eine prozessuale Tat, falls die Berechtigten gleichrangige Gläubiger sind428; Übersenden und Verlesen eines beleidigenden schriftlichen Beweisantrags;429 fortgesetzte versuchte Abtreibung und Kindstötung an aufeinanderfolgenden Tagen wegen der „Andersartigkeit des rechtlich missbilligten Verhaltens, des bedrohten Rechtsguts und des Unrechtsgehalts der Tat“;430 Diebstahl und § 214 a. F. StGB;431 versuchter und vollendeter Einbruchsdiebstahl an demselben Tatobjekt in dreitägigem Abstand aufgrund neuen Entschlusses;432 in der Regel Diebstahl und Fahren ohne Fahrerlaubnis zum Tatort und zurück;433 Erpressung und

419 OLG Koblenz VRS 46 (1974) 204 f. 420 BGHSt 36 151 ff.; BGH StraFo 2008 383, 384 (auch nicht Beteiligung an einer Schlägerei); zust. Beulke 519; Schlüchter JZ 1991 1057, 1061; oben Rn. 80 f.

421 BGH NStZ 1981 299. 422 BGH NStZ 2004 694, 695 mit Anm. Bohnen und Ferner SVR 2005 194; dazu auch Hellebrand FS Schwind 305, 308 ff., 312 ff. (zur inneren Beziehung); Stuckenberg FS von Heintschel-Heinegg 435, 439 ff.; BayObLGSt 1991 51, 52 ff. mit Anm. Neuhaus NStZ 1993 202 und Schlüchter JZ 1991 1057. S.a. BVerfGK 7 417, 419 f. und Fn. 502. 423 BGHSt 13 21, 25 f.; 35 14, 19; 36 151, 154; 41 385, 394 f.; 43 96, 99; 44 91, 94 mit Anm. Beulke NStZ 1999 26; BGHSt 57 175, 179; 59 4, 9; BGH NJW 2004 1539, 1540; NStZ 2001 195, 196; 2004 694, 695; 2009 705, 706; OLG Stuttgart NStZ-RR 1996 173; Justiz 2001 497, 498; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/Norouzi 32; OK-StPO/Eschelbach 8; Radtke/Hohmann 47; Roxin/Schünemann § 20, 12. 424 BayObLG bei Rüth DAR 1977 206. 425 RGSt 72 339, 341; BGHSt 32 146, 148; BGH NJW 1955 1240; 1957 1886, 1887 mit Anm. Schmitt; a. A. BGH NJW 1952 755, 756. 426 BGH NJW 1955 1240; anders früher bei Fortsetzungszusammenhang OLG Stuttgart NJW 1978 711 f. 427 BayObLGSt 1960 5, 8. 428 OLG Köln NJW 1958 720, 721; OLG Stuttgart MDR 1977 1034 mit abl. Anm. Schmid MDR 1978 547; OLG Hamm NJW 1978 2210; a. A. BayObLGSt 1960 8. 429 OLG Hamburg NStZ-RR 1997 103 f. 430 BGHSt 13 21, 26 f. 431 RGSt 57 51, 52 (Revolverschüsse bei Einbruchsversuch), zweifelhaft. 432 BGHR § 264 Abs. 1 Tatidentität 29. 433 BGH GA 1961 346, 347; StV 1981 167, 168; siehe Rn. 93 f.

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spätere Wegnahme des Beuteanteils eines anderen;434 Betrug bezüglich derselben Sache durch Täuschung verschiedener Personen;435 Versicherungsbetrug und Betrug durch Anforderung oder Annahme der Versicherungsleistung;436 Untreue und spätere Körperschaftssteuerhinterziehung;437 Untreue und unordentliche Buchführung;438 Herstellen einer unechten Urkunde und deutlich späteres, nicht von vornherein geplantes Gebrauchmachen;439 Bestechlichkeit und Falschbeurkundung im Amt;440 gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr und anschließender geplanter Prozessbetrug bei fingiertem Unfall;441 Verschaffen und Verwerten von Geschäftsgeheimnissen;442 Nichtabführen von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen;443 Steuerhinterziehung im Festsetzungsund im Beitreibungsverfahren;444 Hinterziehung der Einfuhrabgaben bei der Einfuhr von Waren und Umsatzsteuerhinterziehung nach Weiterveräußerung der nämlichen Waren;445 Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten verschiedener Personen.446 Zu bloß gleichzeitigen Dauerdelikten siehe Rn. 73, zu Straßenverkehrsdelikten unten Rn. 90 ff. 88

bb) Ausnahmen. In Ausnahmefällen447 können real konkurrierende Straftaten eine Tat im prozessualen Sinne bilden, wenn zwischen den einzelnen Verhaltensweisen eine innere Verknüpfung derart besteht, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, gewürdigt werden kann und dass ihre getrennte Verfolgung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würde.448 Die notwendige innere Verknüpfung der Straftaten muss sich „unmittelbar aus den ihnen zugrunde liegenden Handlungen oder Ereignissen unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung“ ergeben.449 Dabei ist die Wendung, dass „keine der Beschuldigungen für sich allein 434 435 436 437 438 439 440 441 442 443

BGHSt 35 86, 87 f. mit Anm. Wolter NStZ 1988 456 und Joerden JZ 1988 847; siehe Rn. 109. BGH bei Dallinger MDR 1970 199. BGHSt 11 398 (zu § 265 a. F. StGB). BGH StV 1996 432 f. BGH wistra 2003 111. BayObLGSt 1957 196, 199 f.; KG StraFo 2012 375 f. BGH bei Dallinger MDR 1958 565. BGH 16.1.1992 – 4 StR 509/91 (insoweit nicht in NStZ 1992 233); vgl. aber BGHSt 45 211; Rn. 89. BGHSt 43 96, 98 f. (zu § 17 Abs. 2 Nr. 1, 2 UWG). BGHSt 35 14, 17 ff. mit Anm. Otto JR 1988 27; Karl NStZ 1988 79; OLG Stuttgart MDR 1986 693; BayObLGSt 1985 131, 132 ff. mit Anm. Brauns StV 1986 534; a. A. OLG Zweibrücken NJW 1975 128 f.; OLG Stuttgart NStZ 1982 514. 444 BGH NStZ-RR 2012 372, 373 mit Anm. Stahl NZWiSt 2012 472; Kasiske HRRS 2012 225; s. a. Rn. 89. 445 BGH NStZ 2014 102, 103 mit Anm. Kirch-Heim; s. a. BGH NStZ 2012 639, 640; vgl. dagegen BGH NStZ 2016 296, 298 (eine Tat bei demselben Steuergegenstand und derselben Steuerart) mit Anm. Noltensmeier; Bauer wistra 2016 410; Ebner HFR 2016 575. 446 BayObLGSt 1994 108, 110 f.; 2000 26, 28. 447 BGHSt 41 385, 390; 43 96, 99; 49 359, 363. 448 BVerfGE 45 434, 435 ff.; BVerfGK 7 417, 418 f.; BGHSt 9 10, 11; 10 396, 397; 13 21, 26; 16 200, 202; 23 141, 146 f.; 23 270, 273; 24 185, 186; 29 288, 292 f.; 35 14, 17; 35 318, 323; 41 398, 390; 43 96, 99; 43 252, 255; 45 211, 213; 49 359, 362 f.; BGH NStZ 1983 87; 2002 105, 106; 2008 411 f.; 2009 705, 706; 2014 102, 103 mit Anm. Kirch-Heim; StV 1981 127, 128; 1981 167, 168; 1996 432 f.; 2002 105, 106; BayObLGSt 1983 109; 1985 131, 134 f. mit Anm. Brauns StV 1986 534; BayObLG NStZ-RR 1997 279, 280; OLG Braunschweig NStZ-RR 1997 80 f.; OLG Celle NJW 1992 190; StV 1995 179, 180; OLG Düsseldorf NJW 1983 767, 768; OLG Hamburg NStZ-RR 1997 103 f.; OLG Hamm NJW 1981 237, 238; StV 1984 15, 16; KG DAR 1968 244; OLG Stuttgart NStZ-RR 1996 173; krit. AK/Loos § 264 Anh. 59, 62. 449 BGHSt 13 21, 26; 23 141, 146; 23 270, 273; 29 288, 292 f.; 45 211, 213; BGH StV 1981 127, 128; 1981 167, 168; OLG Stuttgart NStZ-RR 1996 173 f.

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verständlich abgeurteilt werden kann“, kein selbständiges Kriterium.450 Die Formel erscheint bedenklich, weil damit weit auseinanderliegende Handlungssequenzen verknüpft werden können, wenn sie nur sinnhaft zusammenhängen;451 konsequent angewandt, würde sie zudem Tateinheit bei exklusiv alternativen Sachverhalten (Rn. 107) gebieten. Im Einzelfall hält der Bundesgerichtshof es für geboten,452 das Ergebnis auf seine Vereinbarkeit mit anderen verfahrensrechtlichen Gestaltungen, dem Gerechtigkeitsgedanken und dem Gedanken des Vertrauensschutzes zu überprüfen (Rn. 21). Beispiele aus der Rechtsprechung für eine prozessuale Tat trotz Realkonkur- 89 renz:453 Brandstiftung und der darauf beruhende versuchte Betrug zum Nachteil der Versicherung454 sowie Anstiftung zur Brandstiftung und versuchter Betrug zu Lasten der Versicherung455; Geiselnahme zur Erzwingung der Beteiligung eines Mittäters an einem vorgetäuschten Verkehrsunfall und Versicherungsbetrug;456 tatmehrheitliche Körperverletzungen oder Tötungshandlungen an verschiedenen Personen im Rahmen desselben tumulthaften Geschehens;457 Betrug und anschließendes betrügerisches Leugnen im Zivilprozess;458 Körperverletzung und nachfolgende Vergewaltigung;459 Vergewaltigung460 oder Körperverletzungen und anschließende unterlassene Hilfeleistung;461 § 223b a. F. StGB und Mord;462 Raub und Verstoß gegen Aufenthaltsbeschränkungen nach dem AsylVfG;463 auf einheitlicher Nachlässigkeit beruhende mehrfache Verstöße gegen das Lebensmittelrecht;464 mehrfache Verletzung von Mitteilungspflichten gegen den Sozialleistungsträger;465 falsche Umsatzsteuervoranmeldung und anschließende Umsatzsteuerjahreserklärung466 sowie falsche Steuererklärung und spätere Nichtberichtigung,467 auch wenn dazwischen lange Zeiträume liegen. Besondere praktische Bedeutung hat diese Ausnahme für Straßenverkehrsdelikte: 90 Eine Tat trotz Realkonkurrenz liegt vor bei schuldhafter Herbeiführung eines Unfalls im 450 BGHSt 23 141, 146; vgl. BGH StV 1981 167, 168; OLG Karlsruhe Justiz 1973 27; OLG Frankfurt StV 1994 119; OLG Celle StV 1995 179, 180. Krit. auch Radtke/Hohmann 54. BGHSt 23 141, 150; 35 14, 19 f. Vgl. auch SK/Velten 45. BGHSt 45 211, 213 ff. mit Anm. Radtke JR 2000 428; BGH NStZ-RR 2002 259 f.; 2004 366 f.; siehe dagegen aber BGH 16.1.1992 – 4 StR 509/91. 455 BGH NStZ 2006 350 f. 456 BGH NStZ 2002 105 f. 457 BGH NStZ 1996 243, 244. 458 BGH StV 1983 322. 459 BGH NStZ-RR 2003 82 f. 460 OLG Düsseldorf NJW 1983 767, 768. 461 BGHSt 16 200, 202 f.; OLG Celle NJW 1961 1080, 1081; s. a. Rn. 104. 462 BGH StV 1985 181. 463 OLG Stuttgart NStZ-RR 1996 173 f.; a. A. OLG Hamburg NStZ-RR 1999 247 f.; OLG Celle 13.4.2010 – 32 Ss 7/10. 464 Dazu Iburg NStZ 2005 673, 675 f. 465 OLG Brandenburg NZWiSt 2012 30 mit krit. Anm. Steinberg/Stam (zu § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I); OLG Saarbrücken 29.1.2018 – Ss 107/2017 (64/17) Rn. 14 ff., 17; vgl. dagegen OLG Zweibrücken ZFSH/SGB 2017 715, 716. 466 BGHSt 49 359, 362 ff. mit Anm. Kudlich JR 2005 170; Otto NStZ 2005 515; Salditt PStR 2005 30; BGH wistra 2005 145 ff.; 2013 430, 432 mit Anm. Ceffinato wistra 2014 88; Deckers NZWiSt 2013 480; BGH wistra 2019 203 mit Anm. Rolletschke; s. a. Webel PStR 2008 109, 112 f. Hier läge an sich wie in den Fällen in Fn. 265 schon eine materielle Handlungs- oder Bewertungseinheit nahe, so auch Kudlich JR 2005 170, 171 Fn. 13; Salditt PStR 2005 30, 32. 467 BGH NStZ 2008 411 f. mit Anm. Bauer wistra 2008 374 ff. und Leplow wistra 2008 384; krit. Radtke/ Hohmann 54.

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Straßenverkehr und unerlaubtem Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB), wenn der Täter ohne Halt oder nach einer nur kurzfristigen Unterbrechung weitergefahren ist.468 Die notwendige innere strafrechtliche Verknüpfung sei gegeben, gleichviel ob das für den Unfall ursächliche Fehlverhalten eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat darstelle.469 Unerheblich ist auch, ob die Fahrt selbst gegen ein gesetzliches Verbot wie etwa §§ 316 StGB, 21 StVG verstößt.470 Hingegen sind voneinander unabhängige Unfallgeschehen auch verfahrensrechtlich selbständige Taten.471 Daher ist eine auf der Weiterfahrt begangene neue strafbare Handlung nach § 315c StGB auch dann eine andere prozessuale Tat, wenn der gesamte Vorgang zugleich § 316 StGB oder § 21 StVG erfüllt.472 Im Übrigen sollen die Einzelfallumstände entscheiden, ob mehrere im Lauf einer 91 Fahrt verwirklichte Verkehrsstraftaten oder -ordnungswidrigkeiten eine prozessuale Tat bilden.473 Zumeist wird das eine Tat bildende Vorkommnis mit dem Ende eines bestimmten Verkehrsvorgangs abgeschlossen, den ein anderer Vorgang ablöst.474 Auch während einer ununterbrochenen Fahrt von einiger Dauer stellen sich dem Fahrer ständig neue Verkehrslagen, für die er jeweils neue Entscheidungen über sein Fahrverhalten treffen muss.475 Kriterien für die Einheitlichkeit des Verkehrsvorgangs sind enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang, Gleichheit der objektiven und subjektiven Grundsituation,476 namentlich die Einheitlichkeit des Willens,477 wodurch sich zugleich natürliche Handlungseinheit ergeben kann, Gleichheit der Anforderungen der Regelungssituation bzw. besonderen Verkehrssituation, in der der Fahrer versagt.478 92 Beispiele: In der Regel stellen mehrere, auch gleichartige Verstöße während derselben Fahrt mehrere prozessuale Taten dar.479 Mehrfaches unbefugtes Linksfahren jeweils nach Rückkehr auf die rechte Fahrspur sind mehrere Taten,480 ebenso mehrere falsche Überholvorhänge.481 Mehrere trennbare Geschwindigkeitsüberschreitungen sind grundsätzlich mehrere Taten.482 Bei engem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang

468 BGHSt 23 141, 145 ff.; 23 270, 272 ff., 276 f.; 24 185, 186; 25 72, 75 f.; 25 388, 390; KG VRS 34 (1968) 433 f.; 35 (1968) 347 f.; 39 (1970) 71 f.; NZV 2018 145; OLG Celle VRS 54 (1978) 38, 39; OLG Hamburg VRS 49 (1975) 378; OLG Hamm NJW 1970 1244, 1245; 1974 68, 69; OLG München NJW 1970 261, 262; OLG Saarbrücken NJW 1974 375, 376; Brückner NZV 1996 266 ff. 469 BGHSt 23 270, 274. 470 BGHSt 23 270, 274 ff. 471 BGHSt 23 141, 148; 23 270, 273; Pfeiffer 6. 472 BGHSt 23 141, 149 f. mit abl. Anm. Grünwald JZ 1970 330 f. 473 Überblick bei Franke BA 52 (2015) 184 ff. 474 BayObLGSt 2001 134, 136 mit krit. Anm. Seitz JR 2002 524; BayObLG NZV 1994 448; 1997 489, 490; OLG Düsseldorf VRS 67 (1984) 129, 130 m. w. N.; 71 (1986) 375, 376; OLG Hamm VRS 53 (1977) 359, 360; OLG Köln VRS 77 (1989) 278, 279; NStZ 1988 568, 569. 475 BayObLGSt 2001 134, 135 f. mit krit. Anm. Seitz JR 2002 524 f.; OLG München NZV 2005 544 f. 476 OLG Karlsruhe Justiz 1973 27. 477 Hingegen genügt die bloße Neigung, sich über Verkehrsvorschriften hinwegzusetzen, nicht, BayObLGSt 1968 57, 58; 2001 134, 137; OLG Hamm DAR 1974 22, 23. 478 OLG Hamm VRS 46 (1974) 277, 278 ff.; OLG Jena NStZ 1999 516, 517. 479 BayObLGSt 1968 57, 58 f.; 2001 134, 135 mit Anm. Seitz JR 2002 524; OLG Hamm VRS 46 (1974) 277, 278 ff.; OLG Rostock VRS 109 (2005) 27, 28 f.; a. A. OLG Stuttgart VRS 60 (1981) 64, 65 m. w. N. 480 BayObLGSt 1968 57, 58 f. 481 BayObLG bei Rüth DAR 1974 187; OLG München NZV 2005 544 f.; a. A. (ausnahmsweise eine Tat bei dicht aufeinanderfolgenden Überholvorgängen) OLG Karlsruhe VRS 57 (1979) 114 f. 482 BayObLGSt 1995 91, 93 f.; 1995 150, 151; 2001 134, 135 f. (41 Minuten und 107 km Abstand); BayObLG NZV 1997 282; OLG Jena NStZ 1999 516, 517 f. m. w. N. (75 Minuten und 130 km Zwischenraum auf derselben Pkw-Fahrt).

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kann jedoch eine Tat vorliegen,483 so oft bei Verstößen gegen unmittelbar aufeinander folgende Geschwindigkeitsbegrenzungen;484 auch ist der Wille bedeutsam, eine Strecke möglichst schnell zu durchfahren.485 Doch wurden mehrere Straßenverkehrstaten auf einer bestimmten, vom Täter geplanten Fahrt ungeachtet eventueller längerer Unterbrechungen als eine Tat angesehen, so bei einer Trunkenheitsfahrt, auf der mehrere Gaststätten angesteuert werden.486 Bei anhand von Diagrammscheiben festzustellenden Geschwindigkeitsüberschreitungen soll ein neuer Verkehrsvorgang und damit eine neue Tat im prozessualen Sinn gegeben sein, wenn das Fahrzeug zwischendurch – nicht verkehrsbedingt – zum Stillstand gekommen ist; entsprechend wird regelmäßig der gesamte Zeitraum zwischen zwei nicht verkehrsbedingten Anhaltevorgängen eines Lkw als eine Tat angesehen.487 Auf die Art des Nachweises kann es indes nicht ankommen.488 Weitere Beispiele für eine prozessuale Tat im Bereich der Straßenverkehrsdelikte: 93 Straßenverkehrsdelikt und nachfolgender § 113 StGB;489 Straßenverkehrsgefährdung, fahrlässige Unfallflucht und § 142 Abs. 2 StGB;490 falsches Überholen oder Geschwindigkeitsüberschreitung oder Trunkenheitsfahrt mit anschließender Beleidigung491 oder Verweigerung der Personalienangabe492; Trunkenheitsfahrt mit gefälschten Fahrzeugpapieren493 oder verbotener Handybenutzung494; Fahren ohne Fahrerlaubnis mit gefälschtem Führerschein;495 Fahren ohne Fahrerlaubnis und Unfallverursachung496 oder Unfallflucht497; unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und anschließende Unfallflucht, wenn sich der Unfall auf der Flucht vor der das Drogengeschäft verfolgenden Polizei ereignet hat.498 Weitere Beispiele für mehrere prozessuale Taten im Bereich der Straßenverkehrs- 94 delikte: Erwerb von Betäubungsmitteln und Straßenverkehrsgefährdung neben Unfallflucht aufgrund rauschgiftbedingter Fahruntüchtigkeit;499 Trunkenheitsfahrt und bei

483 OLG Hamm ZfSch 2009 651 (zwei Geschwindigkeitsverstöße im Abstand von knapp über einer Minute auf einer 2,3 km langen Strecke derselben Autobahn).

484 OLG Hamburg VRS 27 (1964) 144, 146 (trotz Tatmehrheit); BayObLG VRS 50 (1976) 392 f. (natürliche Handlungseinheit); OLG Düsseldorf VRS 67 (1984) 129, 130; OLG Köln NZV 1994 292 (30 bis 35 Minuten Zwischenraum); OLG Stuttgart NZV 1997 243 m. w. N. 485 BayObLG NZV 1994 448, 449; OLG Düsseldorf VRS 67 (1984) 129, 130; 71 (1986) 375, 376; 75 (1988) 360, 361; 90 (1996) 296, 299; OLG Stuttgart NZV 1997 243; ähnl. OLG Hamm VRS 46 (1974) 277, 278. 486 KG VRS 57 (1979) 354; ähnl. OLG Karlsruhe Justiz 1973 27; OLG Hamburg VRS 35 (1968) 184, 186 f.; OLG Celle VRS 30 (1966) 196, 197; a. A. OLG Düsseldorf NJW 1967 1768, 1769 mit Anm. Oppe für Trunkenheitsfahrt, die aufgrund neuen Handlungsentschlusses fortgesetzt wird. 487 BayObLGSt 1997 17, 18; BayObLG NZV 1997 489, 490; OLG Düsseldorf NZV 1994 118 f.; 1996 503, 504 f.; 2001 273; VRS 90 (1996) 296, 299; OLG Hamm NStZ-RR 1999 23; OLG Köln NZV 1994 292; differenzierend OLG Jena NStZ 1999 516, 517 f. 488 Seitz JR 2002 524. 489 OLG Stuttgart MDR 1975 423; OLG Hamburg NStZ-RR 1999 247 m. w. N. 490 BGH bei Holtz MDR 1982 626; OLG Saarbrücken NStZ 2005 117, 118. 491 BayObLGSt 1971 22 f.; OLG Celle StV 1995 179, 180. 492 OLG Düsseldorf MDR 1971 320 f.; s. a. BayObLGSt 1993 24, 25 (Ruhestörung und verweigerte Personalienangabe). 493 OLG Frankfurt VRS 56 (1979) 37. 494 OLG Saarbrücken VRS 110 (2006) 362. 495 OLG Köln VRS 49 (1975) 360. 496 OLG München VRS 109 (2005) 32. 497 BGH NZV 2018 145; OLG Karlsruhe VRS 92 (1997) 255, 256. 498 OLG Frankfurt StV 1994 119. 499 BayObLGSt 1991 51, 52 ff. mit Anm. Neuhaus NStZ 1993 202 und Schlüchter JZ 1991 1057.

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deren Unterbrechung begangenes Sexualdelikt;500 mehrere Trunkenheitsfahrten;501 Rauschfahrt und Betäubungsmittelbesitz;502 an verschiedenen Tagen begangene Geschwindigkeitsüberschreitungen;503 Nichtvorführung eines Kfz nach § 29 StVZO und dessen spätere Benutzung.504 Mehrere Lenk- und Ruhezeitverstöße werden nicht dadurch zu einer Tat, dass sie in demselben Überprüfungszeitraum begangen werden.505 2. Tatmodifikation (Auswechslung von Tatumständen) a) Allgemeines. Schwieriger noch als die Bestimmung der Grenzen des Umfangs des Prozessgegenstands erscheint die den seit der Antike bekannten philosophischen Paradoxa506 entsprechende Frage, wie viele Veränderungen der in der Anklage umrissene Sachverhalt durch die gerichtliche Untersuchung erleiden darf, bis sich die Identität der Tat ändert. Die Rechtsprechung formuliert, dass keine wesentliche Änderung des Tatbildes eintreten dürfe: „Verändert sich im Laufe des Verfahrens das Bild des Geschehens, auf das die Anklage hinweist, so kommt es stets darauf an, ob die Nämlichkeit der Tat trotz dieser Veränderung noch gewahrt ist. Bedeutsam ist, ob bestimmte Merkmale die Tat als einmaliges unverwechselbares Geschehen kennzeichnen“.507 Das Tatbild kennzeichne sich in der Regel durch Ort und Zeit des Vorgangs, das Täterverhalten, die ihm innewohnende Richtung und das Objekt, auf das sich der Vorgang bezieht,508 wobei kein Kriterium allein maßgebend ist. Bei ineinander übergehenden, sich überschneidenden Geschehensabläufen ist es unschädlich, wenn ein Teil des Geschehens in der Anklage nicht erwähnt war oder wenn es einem mitangeklagten Mittäter zugeordnet war;509 anders jedoch bei trennbaren Geschehensabläufen.510 96 Einziges allgemeines Kriterium zur Abgrenzung, ob es sich noch um „dieselbe Tat“ handelt, ist daher, ob die gleich gebliebenen Umstände den betreffenden Vorgang noch hinreichend individualisieren, folglich Zweifel an der Tatidentität und eine Verwechslungsgefahr mit anderen ähnlichen Taten ausschließen.511 Ein anderes Geschehen darf das die Tat bildende geschichtliche Ereignis, welches der zugelassenen Anklage 95

500 OLG Koblenz MDR 1978 245 f.; krit. Kinnen MDR 1978 545 f. 501 OLG Köln NStZ 1988 568, 569. 502 BVerfGK 7 417, 418 ff. (verfassungsrechtlich unbedenklich); BGH NStZ 2004 694 mit Anm. Bohnen gegen OLG Oldenburg StV 2002 240 f.; dazu Hellebrand FS Schwind 305, 308 ff.; OLG Braunschweig BA 51 (2014) 343; OLG Hamm NStZ-RR 2010 154; KG NStZ-RR 2012 155; a. A. aber noch OLG Köln VRS 108 (2005) 45 f. 503 OLG Köln VRS 77 (1989) 278 f. 504 BayObLG bei Rüth DAR 1971 201. 505 BGHSt 59 4, 9. 506 Wie Theseus’ Schiff, Heraklits Fluss, John Lockes Socke, Jeannots Messer oder Georg Washingtons Axt, bei denen es jeweils darum geht, ob trotz Austauschens einiger bis aller Bestandteile die daraus zusammengesetzte Sache noch „dieselbe“ bleibt. Maßgebend ist die Begriffsverwendung, vgl. Quine Quiddities (1987) 91. 507 BGHSt 32 215, 218 f.; 35 60, 62; BGH NStZ 2002 659; 2019 428 f.; NStZ-RR 1998 304, 305; 2015 82, 83; 2018 353, 354; BGHR § 264 Abs. 1 Tatidentität 51. Eine restriktive Handhabung fordert Radtke/Hohmann 74. 508 BGHSt 32 215, 218, 220 mit Anm. Roxin JR 1984 346; BGHSt 35 60, 63 f.; 35 80, 82 mit Anm. Roxin JZ 1988 260 und Gillmeister NStZ 1989 1; BGHSt 36 151, 154; BGH NStZ 2019 428, 429; NStZ-RR 1998 304, 305; 2018 353; OLG Celle NJW 1985 393; OLG Frankfurt NStZ 1988 92; OLG Köln NStZ 1988 568, 569. 509 BGH NStZ 1996 243 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 9. 510 BGHSt 32 215, 216 f. 511 Puppe NStZ 1982 230 ff., 234; Roxin/Schünemann § 20, 6; Jakobs GA 1971 257, 258; AK/Loos § 264 Anh. 47; KK/Ott 40; KMR/Stuckenberg 104; SK/Velten 5, 8; ähnl. RGRspr. 3 (1881) 493, 494; BGHSt 10 137,

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zugrunde liegt, weder ersetzen noch zu ihm hinzutreten; für seine Einbeziehung fehlen die Prozessvoraussetzungen der Anklageerhebung und des Eröffnungsbeschlusses.512 Die Umgestaltung kann der Anklage jedoch eine völlig andere Richtung geben:513 So darf etwa einem Mitangeklagten anstelle des ursprünglichen Vorwurfs der Beteiligung an einer Straftat des A nunmehr die Teilnahme an einer ebenfalls zu untersuchenden Straftat des B zur Last gelegt werden, sofern die Vorgänge, in denen der neue Vorwurf liegt, schon im zugelassenen Anklagesatz enthalten sind. Erfolgsdelikte sind regelmäßig durch die Art des Erfolges und das Tatopfer oder Tatobjekt hinreichend konkretisiert, etwa einen Leichenfund mit Verdacht auf Tötungsverbrechen,514 so dass Abweichungen vom zugelassenen Anklagesatz hinsichtlich Zeit, Ort, Art der Begehung und/oder Opfer der Tat oft ohne Belang sind.515 Reine Tätigkeitsdelikte wie viele Straßenverkehrsdelikte ohne konkrete Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung sind dagegen regelmäßig nur nach Zeit, Ort und Handlung konkretisierbar. Abweichungen dieser Merkmale beseitigen daher die Tatidentität, wenn diese nicht durch die Beschreibung des Fahrzeugs, des Tathergangs und etwa einer Kontrollstelle gewährleistet ist.516 Bei Unterlassungsdelikten kommt es weniger auf die zeitliche Einordnung als darauf an, ob zwischen den Situationen, die die Handlungspflicht begründen, ein enger Zusammenhang besteht.517 Serientaten sind regelmäßig vor allem durch ihre Anzahl und einen zeitlichen Rahmen bestimmt. Anders als in den Fällen, bei denen der Tatvorwurf nach individualisierenden Eigenheiten der Tatausführung weitgehend unabhängig von der angenommenen Tatzeit konkretisiert ist, können die Veränderung und Erweiterung des Tatzeitraums bei solchen gleichartigen, nicht durch individuelle Tatmerkmale unterscheidbaren Serientaten zum Auseinanderfallen von angeklagten und abgeurteilten Taten führen;518 ebenso bei Änderungen des Tatorts und der Tatmodalitäten.519 Eine Verschiebung der Tatzeit berührt die Tatidentität somit nicht, wenn der historische Lebensvorgang ansonsten eindeutig bestimmt bleibt,520 etwa sich vom gleichförmi139; 22 375, 385; 32 215, 218 f.; 40 44, 46; 46 130, 133; BGH NJW 1999 802; 1994 2966; NStZ 2010 346; 2012 168, 169; 2019 428, 429; NStZ-RR 1998 304, 305; 2015 82, 83; 2018 53, 54; 2018 353, 354; StraFo 2015 68; BayObLG bei Rüth DAR 1978 213; VRS 99 (2000) 467, 468; OLG Celle DAR 1998 241 mit Anm. Schäpe; OLG Hamm GA 1972 60; NStZ-RR 1997 79, 80; OLG Karlsruhe VRS 62 (1982) 278, 279; OLG Saarbrücken VRS 50 (1976) 438, 439; OLG Zweibrücken VRS 85 (1993) 212, 213. 512 BayObLGSt 1957 196, 199; BayObLG NJW 1953 1482; zu weitgehend BGH bei Dallinger MDR 1957 396. 513 BGHSt 2 371, 374. 514 BGHSt 22 375, 385. 515 Puppe NStZ 1982 230, 234; vgl. RGSt 10 149, 151; 23 293, 296; 24 370; BGHSt 40 44, 46; BGH bei Dallinger MDR 1957 397. 516 Vgl. BGHSt 40 44, 46; OLG Celle NZV 1997 531 (zu § 240 StGB); zu § 36 Abs. 2 StVZO vgl. BayObLG VRS 47 (1974) 297, 298 f.; 59 (1980) 270; 61 (1981) 447; 62 (1982) 131; OLG Köln VRS 77 (1989) 278, 279; NJW 1970 961, 962; NStZ 1988 568, 569; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1986 115; OLG Stuttgart VRS 27 (1964) 361; DAR 1972 193; AG Gemünden NJW 1980 1477 gegen OLG Saarbrücken VRS 50 (1976) 438. 517 BGH NStZ 1995 46, 47; KMR/Stuckenberg 108; Meyer-Goßner/Schmitt 9. 518 BGHSt 46 130, 133; BGH NJW 1994 2966; 1999 802; NStZ 2002 659; StV 1996 361; NStZ-RR 2004 146; 2006 316 f.; 2015 286, 287; StraFo 2015 68; OLG München NStZ-RR 2005 350 f.; vgl. aber auch BGH NStZ 1999 42. 519 BGH NStZ-RR 2005 320; 2009 146; NStZ 2012 168, 169; StraFo 2017 26 f. 520 RGRspr. 3 (1881) 493, 494; BGHSt 22 90, 91; BGH NJW 1999 802 (insoweit nicht in BGHSt 44 256; mehrere Tage); BGH NStZ 1999 42; 2010 346; NStZ-RR 2016 223; StraFo 2015 68; vgl. BGHSt 19 88, 89

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gen Handlungsmuster einer Serie klar abhebt.521 Besteht ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen Anklagevorwurf und abgeurteilter Tat, so kann auch eine größere zeitliche Abweichung unschädlich sein.522 Eine exakte Bestimmung der Tatzeit kann entbehrlich sein („in nicht rechtsverjährter Zeit“), wenn andere Umstände die Tat eindeutig charakterisieren; anders ist es aber, wenn eine Begehung der Tat zu einem anderen Zeitpunkt nicht in Betracht käme.523 Unter Umständen ist sogar die fehlende Angabe von Zeit und Ort der Tat unschädlich, wenn die Tat anderweitig hinreichend konkretisiert ist.524 Hingegen kann bei einem Geschwindigkeitsverstoß die bloße zeitliche Verschiebung um zwei Tage die Tatidentität beseitigen.525 Der Tatort kann erheblich sein bei Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten,526 hingegen ist eine Tatortabweichung bei Eigentums- und Vermögensdelikten (Rn. 103) zumeist unschädlich.527 Bei Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung bewirkt der Austausch des Tatop102 fers in aller Regel auch die Änderung der Tatidentität.528 Dies ist aber nicht zwingend,529 da andere Umstände die Tat unverwechselbar beschreiben können. Tötungshandlungen gegen verschiedene bestimmte Personen sind regelmäßig auch verschiedene Taten.530 Bei Bestechung und Bestechlichkeit (§§ 332, 334 StGB) prägt die Person des Vorteilsgebers das Tatbild entscheidend, so dass ein Personenaustausch die Tatidentität aufhebt.531 Bleiben diese und die wesentlichen Umstände aber gleich, ändert auch eine deutliche zeitliche Verschiebung das Tatbild nicht.532 Bei Eigentums- und Vermögensdelikten ist eine Abweichung bzgl. der Person des 103 Geschädigten,533 Ort der Tat,534 Art der Begehung und Gegenstand der Tat (wenn Ort und Zeit gleich bleiben)535 regelmäßig unschädlich.536 Bleibt das Tatobjekt gleich, ändern sich aber Zeit und Durchführung erheblich, kann Tatidentität fehlen.537 Doch wurde zumeist der Identität des Tatobjekts ein gewisser Vorrang gegenüber Übereinstimmung von Tatzeit und Tatort eingeräumt, namentlich im Verhältnis von Diebstahl oder Raub und Hehle(2 Monate); OLG Hamm GA 1972 160; VRS 49 (1975) 128, 129; OLG Frankfurt NStZ-RR 2001 141, 142; OLG Saarbrücken VRS 50 (1976) 438, 439; OLG Karlsruhe VRS 62 (1982) 278, 279. 521 BGH NStZ 2002 659; NStZ-RR 2006 316 f. 522 BGH NJW 1992 1776 (Verrat von Geschäftsgeheimnissen, § 17 UWG); OLG Hamm NStZ-RR 1997 79, 80 (Unterschlagungsakt zwei Jahre früher als angeklagt); vgl. dagegen BGH NJW 1957 1886, 1887 f. (keine Tatidentität von mehr als zehn Monate auseinander liegenden Falschaussagen in verschiedenen Verfahren); 1955 1240 (auch bei nur zwei Monaten Abweichung in verschiedenen Rechtszügen). 523 BGHSt 22 90, 91. 524 KG VRS 57 (1979) 436 f.; OLG Koblenz MDR 1976 1043 f. m. w. N.; OLG Celle DAR 1998 241 mit abl. Anm. Schäpe. 525 AG Gemünden NJW 1980 1477 gegen OLG Saarbrücken VRS 50 (1976) 438, 439 ff. 526 KG VRS 57 (1979) 436 f.; OLG Hamm VRS 36 (1969) 122, 123; OLG Koblenz MDR 1976 1043 f. m. w. N.; OLG Köln NJW 1970 961, 962; OLG Stuttgart VRS 27 (1964) 361; DAR 1972 193; aber BayObLG VRS 99 (2000) 467, 468 und OLG Hamm NJW 1973 1709 (andere Straße beseitigt Tatidentität noch nicht). 527 Unten Fn. 534. 528 BGH bei Dallinger MDR 1956 271 ff.; BGH 31.8.1993 – 4 StR 437/93; KK/Ott 41; KMR/Stuckenberg 112; s. aber BGH bei Dallinger MDR 1954 17 f. 529 Puppe NStZ 1982 230, 234; KMR/Stuckenberg 112. 530 BGH StraFo 2008 383, 384. 531 BGH NStZ 2000 318 mit Anm. Bittmann wistra 2002 405. 532 BGH wistra 2003 385. 533 BGH 17.9.1963 – 5 StR 277/63 bei KK/Ott 41. 534 BGHSt 32 215, 219 f. m. w. N.; BGH NJW 1970 904. 535 RGSt 24 370, 372; BGH bei Dallinger MDR 1954 17; 1957 397. 536 KK/Ott 41; KMR/Stuckenberg 113. 537 BGHR § 264 Abs. 1 Tatidentität 17.

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rei an derselben Sache: Nach ständiger Rechtsprechung können §§ 242, 259 StGB oder §§ 249, 259 StGB eine Tat bilden, wenn der in der Anklage nach Objekt, Ort und Zeit der Handlung konkretisierte Diebstahl oder Raub Grundlage der Verurteilung wegen Hehlerei bleibt;538 umgekehrt verbrauchte eine Verurteilung wegen Hehlerei die Strafklage wegen Diebstahls.539 Nach Ansicht des 4. Senats kann dies nur noch gelten, wenn ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang vorliegt, Identität des Tatobjekts genüge nicht,540 während der 1. Senat an der überkommenen Rechtsprechung festhält,541 ohne die Widersprüche auszuräumen.542 Eine Tat soll vorliegen, wenn beide Vorgänge bereits in der Anklage erörtert werden.543 Zwei Taten liegen dagegen unstrittig vor, wenn Diebstahlsbeteiligung nicht erwiesen ist und die hehlerisch erworbenen Sachen nicht aus dem angeklagten Diebstahl stammen.544 b) Unwesentliche Veränderungen des Tatbilds. Unwesentliche Veränderungen 104 des Tatbilds, die folglich die Tatidentität nicht aufheben, wurden in folgenden Fällen angenommen: Tun statt Unterlassen und umgekehrt;545 Fahrlässigkeit statt Vorsatz und umgekehrt;546 Anstiftung547 oder Beihilfe548 statt Täterschaft und umgekehrt549 – versuchte Anstiftung zur Tötung und die spätere eigenhändige Tötung derselben Person sind jedoch zwei Taten550; versuchte Kettenanstiftung statt versuchter Anstiftung zur Brandstiftung desselben Gebäudes;551 Teilnahme an der Straftat des B statt Teilnahme an der Straftat des A;552 Tatmehrheit statt Tateinheit.553 Weiterhin ist in dem Vorwurf, ein Katalogdelikt aus § 138 StGB begangen oder dazu 105 angestiftet554 zu haben, zugleich auch im Sinne derselben Tat der Vorwurf enthalten, die beabsichtigte Begehung dieses Delikts nicht angezeigt zu haben, und umgekehrt.555 Noch dieselbe Tat ist Unfallflucht statt der zum Unfall führenden Gesetzesverstöße;556 ein Tötungsdelikt statt eines Waffenvergehens oder Wilderei;557 Körperverletzung statt 538 RGSt 5 249, 250 f.; 8 135, 137 ff.; 9 420, 421; 12 187, 189 f.; 55 187 f.; BGH bei Dallinger MDR 1954 17; BGHR § 264 Tatidentität 1; BGH 5.2.2019 – 5 StR 613/18; weitere Nachw. bei BGHSt 32 215, 219 f.; 35 60, 62; s. aber BGHR § 264 Tatidentität 9. 539 RGSt 8 135, 137 ff., 141. 540 BGHSt 35 60, 64 (verneinend für Raub und Hehlerei); BGH NStZ 1999 363 f.; ebenso OLG Frankfurt NStZ 1988 92 f.; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999 304 f. 541 BGHSt 35 172, 174; BGH NStZ 1999 523. 542 Zutr. BayObLGSt 1989 56, 58 f.; Bauer wistra 1990 218. 543 BGHSt 35 60, 63; 35 172, 174 – ungenau; zu Alternativverhältnissen siehe Rn. 107 ff., 109. 544 BGH 4.5.2000 – 1 StR 6/00. 545 RGSt 14 78, 79; 28 321, 322 f.; BGH StV 1985 181; OLG Stuttgart NStZ 1982 514. 546 St. Rspr. seit RGRspr. 1 (1879/80) 798 f.; 2 (1880) 332, 336; RGSt 2 347, 350; BGH NStZ 1983 174; VRS 48 (1975) 354; 49 (1975) 177. 547 RGSt 3 95, 97. 548 RGSt 9 161, 163; 13 146, 147. 549 RGRspr. 6 (1884) 654 f. 550 BGH NStZ 2000 216. 551 BGH NStZ 2009 585. 552 BGHSt 2 371, 374. 553 RGRspr. 2 (1880) 163 f. 554 BGH 24.1.2003 – 2 StR 215/02 (insoweit nicht in BGHSt 48 183) mit Anm. Mitsch NStZ 2004 395. 555 RGSt 14 78, 79; 21 78, 80 f.; 28 12, 13 f.; 53 169, 170; BGH JZ 1955 343, 344 mit Anm. Henkel; BGH NStZ 1993 50 f. m. w. N.; NStZ-RR 1998 204; BGH 25.7.2000 – 4 StR 229/00; auch BGHSt 36 167, 168 f.; KK/ Ott 39 m. w. N. Zur Anwendung des Zweifelssatzes vgl. BGH NJW 2010 2291 mit Anm. Schiemann. 556 BGHSt 25 388, 389 f. 557 Vgl. RGSt 4 243, 244 f.; 70 26, 30 f.

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unterlassener Hilfeleistung;558 tateinheitliche versuchte Körperverletzung und Nötigung statt versuchten schweren Raubes, wenn der Angeklagte bei identischem Opfer und Tatort unter Anwendung von Gewalt einen Vermögensgegenstand herausverlangt hat und nur Tatzeit, Art der Gewaltanwendung und Motive des Täters von der Darstellung in der Anklage abweichen, die Angriffsrichtung aber gleich bleibt;559 Nötigung und Unterschlagung statt schweren Raubes;560 regelmäßig Diebstahl statt Hehlerei und umgekehrt, aber u. U. nicht Raub statt Hehlerei (dazu Rn. 103, 109); Unterschlagung statt Diebstahl;561 Anstiftung zur Unterschlagung statt Hehlerei;562 Unterschlagung statt Betrug und umgekehrt563 oder statt Untreue564; Begünstigung statt Beteiligung an der Vortat565 oder statt Hehlerei an derselben Sache566; Strafvereitelung statt Begehung der Vortat, jedenfalls dann, wenn das Nachtatverhalten in der Anklage beschrieben ist;567 miteinander verknüpfte Ein- und Auszahlungsvorgänge trotz zeitlichen Abstands bei Geldwäsche;568 Geldwäsche statt Beteiligung an erpresserischem Menschenraub;569 Geldwäsche statt Betrugs;570 Betrug zum Nachteil eines anderen Geschädigten;571 Betrug statt Unterschlagung und umgekehrt (siehe weiter oben); Betrug statt Untreue;572 Betrug statt Kapitalanlagebetrug;573 Urkundenfälschung statt Betrug;574 unterlassene Hilfeleistung statt Raubes oder Körperverletzung575 oder statt Beihilfe zum Raub576 oder statt Brandstiftung577 (vgl. Rn. 89); Versprechen eines Vorteils statt Vorteilsgewährung bei Angestelltenbestechung;578 Falschbeurkundung im Amt statt fahrlässiger Tötung;579 Veränderungen von Einzelvorkommnissen bei Verrat und Verwertung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen;580 Fahren über den Gehweg statt Parken darauf;581 Betrug durch Nichtanzeige der Arbeitsaufnahme statt Nichtmitteilung des weiteren Eingangs von Arbeitslosengeld.582

558 559 560 561 562 563 564 565

BGH StV 1984 190, 191. BGH 22.10.1992 – 1 StR 575/92, insoweit nicht in NStZ 1993 141. BGH NStZ-RR 2005 376 f. RGSt 12 88, 90. RGRspr. 9 (1887) 722, 723. RGSt 9 420, 422; 44 118, 120; 46 218, 220 f. RGSt 2 116, 117. RGSt 25 334, 336; 55 76, 77; 62 112; BGHSt 2 372, 374; a. A. im Einzelfall BGHSt 35 80, 81 f.; OLG Frankfurt NStZ 1988 92 f. (jeweils zu Begünstigung statt Diebstahl); diff. OLG Köln NJW 1990 587, 588. 566 BGHSt 13 320, 322. 567 BGH StV 1999 415 mit Anm. Pauly und Bauer NStZ 1999 207. 568 BGH VersR 2002 507. 569 BGH StV 1995 522, 523. 570 BGH NStZ 2012 321, 322 m. w. N. 571 RGSt 13 146, 147; OLG Stuttgart NJW 1965 2218. 572 RG GA 42 (1892) 124. 573 BGH WM 2000 2357, 2358. 574 RGSt 44 29, 32. 575 BGH StV 1984 190, 191; NStZ 1997 127; OLG Celle NJW 1961 1080, 1081. 576 BGH bei Holtz MDR 1985 284 f. 577 BGHSt 39 164, 165 ff. 578 BGH wistra 2003 385. 579 RG JW 1893 333, 334 (falsche Bescheinigung über Trichinenbeschau). 580 BGH NJW 1992 1776, 1777 (zu § 17 Abs. 2 UWG). 581 BayObLG VRS 41 (1971) 209. 582 OLG Hamburg wistra 2004 151 ff. mit Anm. Peglau 316.

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c) Wesentliche Veränderungen des Tatbilds. Wesentliche Veränderungen des 106 Tatbilds wurden regelmäßig angenommen bei Auswechslung des Tatopfers von Straftaten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter, etwa bei Sexualdelikten (Rn. 102); Mord statt Strafvereitelung durch Wegschaffen der Leiche;583 Beteiligung an einer anderen terroristischen Vereinigung;584 Vortäuschen einer Straftat statt Betrugs585 oder statt Begehen der vorgetäuschten Verkehrsstraftat,586 anders aber, wenn beide Handlungsvorgänge im Anklagesachverhalt genannt sind587; Raub statt Hehlerei (Rn. 103); Unterschlagung statt Betrugs zu anderer Zeit mit anderem Schaden;588 Begünstigung durch Aufbewahren von Schmuck statt Diebstahls desselben589 (dazu Rn. 103, 109); Strafvereitelung statt Unfallflucht, ungeachtet engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhangs;590 Betrug durch Gebrauch einer unechten Urkunde erfasst nicht ohne weiteres auch den Vorwurf der Urkundenfälschung;591 Austausch des Vorteilsgebers bei Bestechlichkeit und Bestechung (Rn. 102); fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung und fahrlässige Körperverletzung durch eigenhändiges Fahren im angetrunkenen Zustand statt durch Überlassen des Fahrzeugs an die führerscheinlose Ehefrau592 sowie umgekehrt Überlassen des Fahrzeugs an Mitfahrer ohne Führerschein statt eigenhändiger Trunkenheitsfahrt593; Unterlassen der Ummeldung des Kfz statt verbotswidrigen Parkens;594 Gefährdung durch Linksfahren statt Vorfahrtverstoßes an anderem Ort;595 Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit an anderem Ort und zu anderer Zeit;596 Ausüben der tatsächlichen Gewalt über eine Pistole statt deren zeitlich früherer Erwerb mit Überlassung und Einsatz.597 3. Alternative Sachverhalte a) Keine Identität aufgrund Alternativität. Eine früher vertretene Ansicht nahm 107 an, dass aufgrund eines untrennbaren gedanklichen Zusammenhangs nur eine Tat vorliege bei sich wechselseitig ausschließenden Tatvorwürfen, d. h. zur Tat gehöre auch ihr negatives Spiegelbild,598 so etwa Vortäuschen einer Straftat und Begehung eben dieser Straftat oder wenn bei zwei Verfahren die Gefahr unvereinbarer Entscheidungen beste-

583 584 585 586

BGHSt 32 215, 220 f.; a. A. RGSt 25 334, 336. BGH NStZ-RR 2018 53, 54 (Jabhat al-Nusra statt ISIG). BGH NStZ 1992 555. BayObLG bei Bär DAR 1991 370; OLG Celle NJW 1985 393; NdsRpfl. 1997 264; a. A. noch OLG Celle NJW 1968 2390, 2392 mit Anm. Fuchs; OLG Hamm NJW 1981 237, 238 f. wegen Alternativität, vgl. Rn. 107. 587 BayObLGSt 1989 56, 59 f. (§ 145d statt § 99 StGB). 588 OLG Zweibrücken StraFo 2009 423 f. 589 BGHSt 35 80, 81 f.; KG 27.3.2013 – (4) 161 Ss 51/13 (53/13) Rn. 8 f. 590 BayObLGSt 1984 78 f. unter Aufgabe von BayObLGSt 1983 109. 591 BGH 12.8.1992 – 3 StR 457/91. 592 BayObLG bei Rüth DAR 1979 241. 593 BayObLG VRS 65 (1983) 208, 209 f. 594 OLG Koblenz VRS 58 (1980) 378. 595 OLG Hamm VRS 36 (1969) 122. 596 OLG Köln NJW 1970 961, 962; BayObLG bei Rüth DAR 1985 245. 597 BGH NStZ 2002 328. 598 RGSt 15 133, 137; BGH bei Dallinger MDR 1954 17; BayObLG NJW 1965 2211, 2212 m. w. N.; OLG Celle NJW 1968 2390, 2392 mit Anm. Fuchs; 1979 228; OLG Düsseldorf JR 1980 470; OLG Hamm NJW 1981 237 ff.; OLG Zweibrücken NJW 1980 2144; ebenso Schöneborn MDR 1974 529, 531 ff., 535; Grünwald Teheran-Beiheft ZStW 86 (1974) 94, 108 f.; dazu ausführlich Dreyer 80 ff.; Stein JR 1980 444 ff.; Beulke/Fahl Jura 1998 262 ff.

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he,599 z. B. Nichtanzeige eines Verbrechens und Anstiftung zu diesem Verbrechen. Teilweise wird angenommen, die von einzelnen Tatbeständen wie Begünstigung und Hehlerei tatbestandlich geforderten Negativfeststellungen der Vortatbeteiligung gehörten zur Tat jedenfalls dazu.600 Als allgemeine Kriterien sind diese Vorschläge jedoch zu eng, weil sie sich nicht gegenseitig ausschließende, aber zeitlich eng zusammenhängende Vorgänge nicht erfassen können,601 zum anderen sind sie zu weit, weil die inkompatiblen Vorgänge u. U. zeitlich weit auseinander liegen können.602 Die neuere Rechtsprechung hat dieses Alternativitätskriterium zutreffend abge108 lehnt.603 Auch Sachverhaltsalternativen, von denen nur eine wahr sein kann, bilden daher nach allgemeiner Regel nur dann eine Tat i. S. des § 264, wenn sie in einen nach Tatbild, Tatort, Tatzeit und Tatobjekt604 einheitlichen geschichtlichen Vorgang eingebettet sind.605 Die Gefahren sich widersprechender Entscheidungen sind allerdings mit den Möglichkeiten der §§ 266, 359 nicht gänzlich zu beseitigen.606 Verschiedene prozessuale Taten wegen Verschiedenheit der Lebensvorgänge 109 (dazu Rn. 106) wurden beispielsweise angenommen, wenn nach Anklage wegen Hehlerei sich Beteiligung am vorhergehenden Raub herausstellt,607 ebenso, wenn statt Diebstahlsbeihilfe Begünstigung übrig bleibt, wobei bestätigend auf die unterschiedliche, einmal eigen-, einmal fremdnützige Angriffsrichtung hingewiesen wurde,608 oder Diebstahl eines Beuteanteils statt Beteiligung an einer räuberischen Erpressung.609 Auf Anklage wegen Hehlerei oder Begünstigung ist zwar notwendig zu untersuchen, ob nicht Beteiligung an der Vortat vorliegt,610 die näheren Umstände der Vortat müssen aber nicht festgestellt werden.611 Hingegen erfasst eine Anklage wegen §§ 242, 249 StGB o. ä. eine eventuelle Nachtat nicht notwendigerweise, so dass der Strafklageverbrauch davon abhängen kann, welcher Tatbestand zuerst angeklagt wird.612 Zur Beseitigung unvereinbarer Verurteilungen s. Rn. 120.

599 600 601 602

Grünwald Teheran-Beiheft ZStW 86 (1974) 94, 108 f.; a. A. Stein JR 1980 444, 447 f. Gillmeister NStZ 1989 1, 3 ff.; Bauer wistra 1990 218, 220 f.; SK/Velten 49 f. Vgl. BGHSt 23 141, oben Rn. 90. BGHSt 35 60, 64; OLG Frankfurt NStZ 1988 92; AK/Loos § 264 Anh. 43, 61; KMR/Stuckenberg 116; LR/Gollwitzer25 9, 40 ff., 42; Radtke/Hohmann 55; Roxin25 § 50, 18; Bauer wistra 2008 374, 375; Gillmeister NStZ 1989 1, 4; Stein JR 1980 444, 448 f.; Wolter GA 1986 143, 161 ff. 603 BGHSt 32 146, 148 ff.; 35 60, 62 f. mit Anm. Roxin JZ 1988 260; dem folgend BayObLGSt 1984 78 f.; BayObLG bei Bär DAR 1991 370; OLG Celle NJW 1988 1225 f.; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999 304; OLG Frankfurt NStZ 1988 92 f.; unklar BGH NStZ 2008 411, 412 (obiter zu §§ 242, 259 StGB); OLG Rostock VRS 109 (2005) 27, 28 f. 604 Vgl. BGHSt 35 60, 64 f.; 36 151, 154 f. 605 BGH NStZ 1999 363 f. (Beuteteilung unmittelbar nach der Tat bei §§ 242/259 StGB); 2014 42 mit Anm. Kudlich ZWH 2013 271; OLG Celle NJW 1988 1225 f.; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999 304; KK/Ott 47; MeyerGoßner/Schmitt 2a; siehe aber BGH NStZ 1999 523 f.; unzutr. BayObLGSt 1991 3, 4 (eine Tat schon dann, wenn die Alternativen im Anklagesatz aufgeführt sind). 606 AK/Loos § 264 Anh. 43; KMR/Stuckenberg 117. 607 BGHSt 35 60, 64 mit zust. Anm. Roxin JZ 1988 260; bestätigt durch BVerfG (Kammer) 2 BvR 1394/87 bei Gillmeister NStZ 1989 1, 4; Beulke/Fahl Jura 1998 262, 264; krit. Bauer wistra 2008 374, 375. 608 BGHSt 35 80, 82 mit Anm. Roxin JZ 1988 260; OLG Frankfurt NStZ 1988 92 f.; a. A. RGSt 55 76, 77 f.; OLG Köln NJW 1990 587, 588; OLG Schleswig SchlHA 2007 288 f.; Roxin JZ 1988 260, 261. 609 BGHSt 35 86, 87 f. 610 Gillmeister NStZ 1989 1, 3 ff. 611 BGHSt 35 60, 63; Meyer-Goßner/Schmitt 2a. 612 Krit. Radtke 136.

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Die allgemeinen Regeln gelten ebenso für Postpendenzfeststellungen,613 wo oft 110 ein enger sachlicher Zusammenhang und damit eine Tat vorliegen wird, z. B. Diebstahl und Hehlerei an demselben Tatobjekt;614 ebenso, wenn der Beuteanteil entweder durch Beteiligung an der angeklagten räuberischen Erpressung oder Hehlerei erlangt wurde615 oder durch Betrug oder Hehlerei.616 b) Anklageerfordernis. Betreffen mehrdeutige Feststellungen selbständige prozes- 111 suale Taten, etwa Aussagen zu verschiedenen Zeitpunkten, von denen eine falsch sein muss, so kann die (eindeutige oder wahldeutige) Verurteilung nur erfolgen, wenn sämtliche einbezogenen Taten angeklagt sind,617 ggf. ist Nachtragsanklage bzw. Aussetzung und Verbindung der Verfahren nötig.618 Zur Frage, wann weitere selbständige Taten der Kognition des Gerichts unterbreitet 112 sind, siehe oben Rn. 35 f. Nach der neueren Rechtsprechung bezieht sich der Verfolgungswille regelmäßig auch auf zusätzlich in den Anklagesatz – Erwähnung im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen genügt nicht619 – aufgenommenes tatsächliches Geschehen, insbesondere wenn dieses und die hervorgehobene Tat Wahl- oder Postpendenzfeststellungen zulassen.620 Diese Einbeziehung selbständiger Taten, die nur im Anklagesatz auch ohne Angabe der gesetzlichen Merkmale der Straftat erwähnt sind, folgt konsequent aus dem Untersuchungsgrundsatz, steht aber in Spannung mit dem Akkusationsprinzip, weil eine selbständige Tat Verfahrensgegenstand wird, ohne dass die Erfordernisse des § 200 Abs. 1 und 2 erfüllt sind,621 so dass die Informationsfunktion der Anklage leidet, was durch einen Hinweis nach § 265 zu kompensieren ist.622 Alternativ angeklagte Taten sind jeweils selbständige Taten i. S. des § 264, unab- 113 hängig davon, ob eine eindeutige oder eine mehrdeutige Verurteilung im Wege der Wahlfeststellung erfolgen soll. Wird der Angeklagte nur wegen einer der alternativ angeklagten Taten eindeutig schuldig gesprochen, muss er vom Vorwurf der anderen Tat freigesprochen werden.623 4. Subsidiäre Straftaten. Ob zeitlich getrennte Vorbereitungs-, Verwertungs-, Si- 114 cherungshandlungen oder Anschlusstaten usw. selbständige Taten i. S. des § 264 sind, auch wenn sie materiell-rechtlich als mitbestrafte Vor- oder Nachtat unselbständig sind, bestimmt sich nach den allgemeinen Regeln; dies gilt auch für subsidiäre Beteili613 614 615 616 617

Dazu Bauer wistra 1990 218 ff. BGHSt 35 172, 174; vgl. OLG Schleswig SchlHA 2007 288 f. BGHSt 35 86, 88 mit Anm. Wolter NStZ 1988 456; Joerden JZ 1988 847. BGH NJW 1989 1867 f. Siehe nur BGHSt 32 146, 150 f.; BGH NStZ 1999 363, 364; 2014 42 mit Anm. Kudlich ZWH 2013 271; OLG Celle NJW 1988 1225 f.; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999 304; OLG Köln StV 2016 218, 219; Dreyer 69 ff., 109 ff.; KK/Ott 47; KMR/Stuckenberg § 261, 139 f. m. w. N.; Meyer-Goßner/Schmitt 2b; Radtke/Hohmann 58. 618 BGH wie vorige Fn.; zu den u. U. erheblichen praktischen Schwierigkeiten Beulke/Fahl Jura 1998 262, 266 ff.; ausf. Dreyer 109 ff. 619 BGHR § 264 Abs. 1 Tatidentität 19; BayObLGSt 1989 56, 58. 620 BGHSt 43 96, 100; vgl. BGH StV 1995 522, 523; 1999 415 mit Anm. Pauly und Bauer NStZ 1999 207; BayObLGSt 1989 56, 58 ff.; ungenau 1991 3, 4 f. 621 Krit. Dreyer 170 ff. m. w. N.; Bauer NStZ 1999 207. 622 Vgl. Schlüchter/Duttge NStZ 1996 457, 463 m. w. N. 623 LR/Stuckenberg § 260, 66; KMR/Stuckenberg § 261, 140; BGHSt 38 172, 173 f.; BGH NStZ 1998 635 f.; BGH 21.4.2016 – 1 StR 81/16; Pfeiffer 6; OK-StPO/Eschelbach 14; Radtke/Hohmann 58; a. A. wohl LR/Gollwitzer25 43; unklar BGHSt 35 60, 63 (die Verurteilung wegen eines Geschehnisses verbrauche die Strafklage für beide).

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gungsformen und Delikte.624 Maßgebend ist auch hier, ob der betreffende Lebenssachverhalt von der Anklage umfasst ist.625

V. Rechtsbehelfe Im Rechtsmittelverfahren ist von Amts wegen zu prüfen, ob das Gericht die Grenzen seiner Aburteilungsbefugnis überschritten hat. Es darf keine Taten einbezogen haben, die nicht Gegenstand der zugelassenen Anklage waren.626 Von Amts wegen zu beachten ist ferner, dass, wenn die abgeurteilte Tat anderweitig rechtshängig oder bereits Gegenstand eines früheren Strafverfahrens war, die neue Befassung eines Gerichts somit gegen das verfassungsrechtliche Verbot der Doppelbestrafung verstößt.627 Dies ist vom Revisionsgericht selbständig und auf Grund einer eigenen Untersuchung der Sache im Freibeweisverfahren aufzuklären.628 Sind dazu weitere Beweiserhebungen erforderlich, kann das Revisionsgericht die Ermittlung und Würdigung dieser Tatsachen dem Tatrichter überlassen und die Sache unter Aufhebung des Urteils an diesen zurückverweisen.629 Bei tatsächlichen Zweifeln darüber, ob die Sache anderweitig rechtshängig ist oder die Strafklage bereits verbraucht ist, gilt in dubio pro reo zugunsten des Angeklagten.630 116 Hat das Gericht die Abgrenzung des Prozessgegenstands in sachlicher oder persönlicher Hinsicht überschritten, ist die Entscheidung insoweit aufzuheben und das Verfahren wegen Prozesshindernisses (fehlende Anklage, § 151) einzustellen, §§ 206a, 260 Abs. 3.631 Ist allein wegen einer nicht angeklagten Tat verurteilt worden, so spricht das Revisionsgericht frei, wenn die angeklagte Tat nicht erwiesen war; zusätzlich ist das ohne Anklage geführte Verfahren einzustellen.632 War auch wegen einer nicht angeklagten Tat verurteilt worden, so korrigiert das Revisionsgericht den Schuldspruch.633 Ist wegen einer nicht angeklagten Tat freigesprochen worden, so hebt das Revisionsgericht 115

624 BGH NJW 1986 1820, 1821; NStZ 2000 216; OLG Celle NJW 1961 1080, 1081; KK/Ott 11; KMR/Stuckenberg 123; SSW/Rosenau 12; a. A. Detmer 241 ff. 625 Zutr. BGH StV 1999 415 mit Anm. Pauly und Bauer NStZ 1999 207; KMR/Stuckenberg 123; a. A. zum Auffangdelikt des § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG BayObLGSt 1991 51, 53 f. mit Anm. Neuhaus NStZ 1993 202 und Schlüchter JZ 1991 1057. Zu § 138 StGB s. Rn. 105; zu § 145d StGB s. Rn. 106; zu §§ 257, 259 StGB s. Rn. 103, 109; zu § 258 StGB und zu § 323c StGB s. Rn. 105 f. 626 BGHSt 27 115, 117. 627 BGHSt 6 92, 93; 9 190, 192; 20 292, 293; BGH NJW 1952 432; KK/Ott 3; KMR/Stuckenberg 127; MeyerGoßner/Schmitt Einl. 145, 171 ff.; SK/Velten 58. 628 LR/Franke26 § 337, 29; Meyer-Goßner/Schmitt § 337, 6, jew. m. w. N. 629 BGHSt 16 399; OLG Düsseldorf MDR 1997 716; OLG Karlsruhe GA 1985 134. 630 BGHSt 35 318, 324; BGH StV 1996 472, 473; 2002 235, 236; BayObLG NJW 1968 2118 f.; OLG Schleswig StV 1988 56; KG StV 1989 197; KK/Ott 50; KMR/Stuckenberg § 261, 142; MüKo/Norouzi 48; Radtke/Hohmann 82; SSW/Rosenau 26; anders aber BGHSt 35 318, 324 f.; BGH StV 1993 288 für das Vorliegen eines Gesamtvorsatzes einer fortgesetzten Tat. 631 BGHSt 27 115, 117; 35 80; BGH NJW 1992 2838; NStZ 1981 519; AK/Loos 11; KK/Ott 50; KMR/Stuckenberg 129; Radtke/Hohmann 83. 632 BGHSt 27 115, 117; 46 130, 135 ff.; BayObLGSt 1970 29 f.; 1974 58, 62; OLG Jena StV 2007 230; LR/ Stuckenberg § 260, 117; KMR/Stuckenberg 129; Meyer-Goßner/Schmitt 12; Radtke/Hohmann 83; SSW/Rosenau 25; a. A. zuvor BayObLG VRS 57 (1979) 39, 41; 58 (1980) 432, 434; NJW 1994 2303, 2305; KG VRS 64 (1983) 42, 43; OLG Koblenz VRS 63 (1982) 372, 373; OLG Stuttgart VRS 71 (1986) 294, 295 f.; LR/Gollwitzer25 73. 633 OLG Koblenz VRS 71 (1986) 43, 45; KMR/Stuckenberg 129; MüKo/Norouzi 48; Meyer-Goßner/Schmitt 12; Radtke/Hohmann 83.

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das Urteil auf und stellt das Verfahren ein.634 Das Verbot der Doppelbestrafung ist auch dann zu berücksichtigen, wenn erst nach Erlass des angefochtenen Urteils eine irrige, aber rechtskräftige Einbeziehung einer früheren Verurteilung in eine andere Gesamtstrafe dazu geführt hat.635 Ein Verstoß kann noch in der Strafvollstreckung mit § 458 geltend gemacht werden.636 Umgekehrt berechtigt auch die nicht erschöpfende Aburteilung der angeklagten Tat in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht, in der zugleich ein sachlich-rechtlicher Mangel liegt,637 die Staatsanwaltschaft (Nebenkläger, Privatkläger) zur Revision.638 Zumeist wird auch ein Verstoß gegen § 261 vorliegen; wurden wesentliche Tatsachen nicht geklärt, kann auch die Aufklärungsrüge (§ 244) begründet sein. Dem Angeklagten fehlt die Beschwer.639 Nur bei der fortgesetzten Tat konnte er ausnahmsweise rügen, dass nur ein Teilakt abgeurteilt wurde, weil er durch die Möglichkeit weiterer Strafverfahren wegen der übrigen Teilakte beschwert war.640 Hat der Tatrichter versäumt, nach § 154a vorläufig von der Verfolgung ausgenommene Vorwürfe von Amts wegen in seine Prüfung einzubeziehen, wenn er den Angeklagten von dem Tatvorwurf, auf den die Anklage beschränkt war, freisprechen will, so bedarf es nach bisheriger zutreffender Rechtsprechung der Verfahrensrüge,641 nach Auffassung des 1. Senats genügt die Sachrüge.642 Ist die Anklage in der Weise nicht ausgeschöpft, dass hinsichtlich einer angeklagten Tat ein Urteilsspruch fehlt – festzustellen durch einen Vergleich der Urteilsformel mit der zugelassenen Anklage643 – so bleibt die Tat insoweit beim Tatgericht anhängig.644 Sowohl dem Berufungsgericht645 als auch dem Revisionsgericht ist es verwehrt, darüber eine wie auch immer geartete Entscheidung zu treffen.646 Ein offensichtliches Fassungsversehen kann das Revisionsgericht jedoch korrigieren, etwa einen versehentlich unterbliebenen Teilfreispruch ergänzen.647 Wenn Raub oder Diebstahl und das Anschlussdelikt der Hehlerei verschiedene prozessuale Taten darstellen können (Rn. 103, 109), der Angeklagte demnach zuerst wegen Hehlerei und in einem zweiten Verfahren wegen Raubes oder Diebstahls desselben Tat-

634 635 636 637

BGHSt 46 130, 135 ff. BGHSt 9 190; 20 292; 44 1. OLG Koblenz NStZ 1981 195, 196; HK/Julius/Beckemper 18; Radtke/Hohmann 83. BGH StV 1981 127, 128 m. w. N.; NStZ 1983 174, 175; 2010 222, 223; 2017 410, 411; 2018 90; KK/Ott 29, 50; KMR/Stuckenberg 130; Meyer-Goßner/Schmitt 12; MüKo/Norouzi 49; OK-StPO/Eschelbach 23; Radtke/ Hohmann 84. 638 BGHSt 16 200; BGH StV 1981 127, 128; NJW 2018 566, 567; NStZ 2002 105, 106; NStZ-RR 2012 215; 2014 57; 2017 352, 353; 2018 75; BayObLGSt 1986 100, 102; KK/Ott 29, 50; Meyer-Goßner/Schmitt 12; SK/ Velten 58; vgl. LR/Stuckenberg § 260, 36; KMR/Stuckenberg § 261, 158 ff.; Radtke/Hohmann 84. 639 BayObLGSt 1986 100, 102 f.; Meyer-Goßner JR 1985 452. 640 BayObLGSt 1982 92, 93. 641 BGHSt 32 84, 85 f.; BGH NStZ 1982 517, 518; 1985 515; 1996 241 m. w. N.; NJW 1989 2481; MeyerGoßner/Schmitt 12; MüKo/Norouzi 49; SSW/Rosenau 27. 642 BGH NStZ 1995 540, 541; Radtke/Hohmann 84. 643 BGH NJW 1993 3338, 3339 m. w. N.; LR/Stuckenberg § 260, 36. 644 BGHSt 46 130, 138; BGH NStZ-RR 2002 98; OLG Stuttgart Justiz 2014 198, 200; KK/Ott 31; KMR/ Stuckenberg 132; MüKo/Norouzi 49; OK-StPO/Eschelbach 24; Meyer-Goßner JR 1985 452, 453 f.; Palder JR 1986 94, 94 f.; offenlassend AK/Loos 9 (ungeklärt). 645 BayObLGSt 1999 29, 31. 646 BGH NJW 1993 3338, 3339; 2000 3293, 3295; NStZ 2001 32, 33 m. w. N.; Meyer-Goßner JR 1985 452, 453 f. 647 BGH 14.12.2017 – 3 StR 489/17 Rn. 2; 16.5.2018 – 1 StR 151/18 Rn. 6.

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objekts verurteilt werden kann, so kann die damit unvereinbare Verurteilung wegen Hehlerei nicht bestehen bleiben. Umstritten ist, ob das Gericht die Befugnis zur Aufhebung des wegen Hehlerei ergangenen Urteils mit Anrechnung der dort erkannten Strafe nach § 51 Abs. 2 StGB hat,648 die Aufhebung der ersten Verurteilung nur im Wege der Wiederaufnahme möglich ist649 oder lediglich die Strafe wegen Hehlerei auf die neue Strafe anzurechnen ist.650

§ 265 Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes oder der Sachlage (1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne dass er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist. (2) Ebenso ist zu verfahren, wenn 1. sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen, 2. das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder 3. der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist. (3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen. (4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint. Schrifttum Abraham „Umstände, die sich erst in der Verhandlung ergeben“ – Was sind Nova im Sinne des § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO? HRRS 2020 51; Ceffinato Strafrechtliche Hinweispflichten bei veränderter Sachlage, JR 2020 6; Dahs Das rechtliche Gehör im Strafprozeß (1965); Ditzen Was versteht § 264 Abs. 1 StPO unter einem anderen Strafgesetz, LZ 1917 1213; Furtner Der „schwere“, „besonders schwere“ und „minder schwere Fall“ im Strafrecht, JR 1969 11; Geis Mordverurteilung durch das Revisionsgericht, NJW 1990 2735; Gillmeister Die Hinweispflicht des Tatrichters, StraFo 1997 8; ders. Die Hinweispflicht des Tatrichters, FS Friebertshäuser (1997) 223; Hänlein/Moos Zur Reichweite und rechtlichen Problematik der Hinweispflicht nach § 265 I StPO, NStZ 1990 481; Heldmann Der verhinderte Verteidiger, StV 1981 82; Heubel Die Verschiebung der Hauptverhandlung wegen Verspätung des Verteidigers, NJW 1981 2678; Kästner Aussetzen heißt nicht Unterbrechen – BGH, NJW 2003, 1748, JuS 2003 849; Küpper Die Hinweispflicht nach § 265 StPO bei verschiedenen Begehungsformen desselben Strafgesetzes, NStZ 1986 249; Lachnit Voraussetzungen und

648 Meyer-Goßner/Schmitt 13; zum Ganzen Meyer-Goßner FS Salger 345, 352 ff.; Bauer NStZ 2003 174 ff. 649 Zutr. LG Saarbrücken NStZ 1989 546 f. mit zust. Anm. Gössel; HK/Julius/Beckemper 19; Radtke/Hohmann 57; Roxin/Schünemann § 20, 12; a. A. SSW/Rosenau 29.

650 BGHSt 35 60, 66 mit Anm. Roxin JZ 1988 260.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 265

Umfang der Pflicht zum Hinweis auf die Veränderungen des rechtlichen Gesichtspunktes nach § 265 (1965); Meves Was will § 264 der Strafprozessordnung? GA 38 (1891) 93, 253; Meyer Entsprechende Anwendung des § 265 Abs. 1 StPO bei veränderter Sachlage, GA 1965 257; Michel Die richterliche Hinweispflicht, JuS 1991 850; ders. Richterliche Hinweis- und Protokollierungspflicht, MDR 1996 773; Niemöller Die Hinweispflicht des Strafrichters bei Abweichen vom Tatbild der Anklage (1988); Scheffler Die Rückkehr zur bisherigen Rechtsauffassung nach einem rechtlichen Hinweis gem. § 265 I StPO ohne erneuten Hinweis? JR 1989 232; Schlosser Zur Notwendigkeit eines förmlichen Tatsachenhinweises bei veränderter Sachlage gem. § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO, NStZ 2020 267; Schlothauer Gerichtliche Hinweispflichten in der Hauptverhandlung, StV 1986 213; Schorn Die Fürsorgepflicht im Strafverfahren, MDR 1966 639; Wachsmuth Die Hinweispflicht nach § 265 StPO – Lückenloser Schutz des Angeklagten vor Überraschungsentscheidungen? ZRP 2006 121; dies. Das Recht des Angeklagten auf Orientierung: Hinweispflichten und das Rechtsgespräch in der Hauptverhandlung (2008).

Entstehungsgeschichte Die Fassung des Absatzes 2 geht auf Art. 2 Nr. 23 AGGewVerbrG zurück. Sie ersetzte, ohne dass sich daraus eine sachliche Änderung ergab, die ursprüngliche Fassung: „wenn … Umstände behauptet werden“, durch die Wendung: „wenn sich … Umstände ergeben“, und fügte die Umstände hinzu, welche „die Anordnung einer Maßregel der Sicherung und Besserung rechtfertigen“; im Übrigen hat Art. 3 Nr. 117 VereinhG 1950 die alte Fassung der Absätze 1 und 2 wieder hergestellt. Art. 7 Nr. 12 StPÄG 1964 ersetzte – als Folge der Neufassung des § 207 – in den Absätzen 1 und 3 die Worte „in dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens“ durch „in der gerichtlich zugelassenen Anklage“. Art. 21 Nr. 68 EGStGB hat in Absatz 2 nur die Worte „Sicherung“ und „Besserung“ vertauscht. Der durch Art. 1 Nr. 15 des 1. StVRErgG 1974 neu eingefügte Absatz 5 wurde durch Art. 1 Nr. 19 StVÄG mit Wirkung vom 1.4.1987 wieder gestrichen, da seine Regelung in den neu geschaffenen § 234a übernommen wurde. Absatz 2 erhielt seine jetzige Fassung durch Art. 3 Nr. 33 des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.8.2017 (BGBl. I S. 3202); der Inhalt des vormaligen Absatzes 2 wird in der jetzigen Nr. 1 erweitert, der Verweis in Absatz 3 wurde angepasst und die Worte „im zweiten Absatz“ durch „in Absatz 2 Nummer 1“ ersetzt. Bezeichnung bis 1924: § 264.

I.

II.

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Übersicht Bedeutung der Vorschrift 1 1. Regelungsziel 1 2. Regelungszusammenhang 5 Die Hinweispflichten nach Absatz 1 und 2 9 1. Anderes Strafgesetz (Absatz 1) 9 a) Allgemeine Voraussetzungen 9 aa) Abweichung der rechtlichen Beurteilung von der Anklage 9 bb) Der Anklage gleichstehende Entscheidungen 11 cc) Weiterer Verfahrensgang 14 dd) Nur bei Verurteilung 17

b)

Begriff des „anderen Strafgesetzes“ 21 aa) Verschiedene Begehungsweisen 23 bb) Wahldeutige Verurteilung 25 cc) Anwendung eines milderen Gesetzes 26 dd) Änderung der Zurechnungsform 27 ee) Änderung der Konkurrenzen 30 ff) Allgemein geltende Vorschriften 31 gg) Bestimmung der Unrechtsfolgen 32

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2.

3.

4.

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hh) Anwendung von Jugendrecht 33 c) Beispiele aus der Rechtsprechung 34 aa) Hinweis erforderlich 35 bb) Hinweis entbehrlich 36 Straferhöhende Umstände, Maßnahmen, Nebenstrafen und Nebenfolgen (Absatz 2 Nr. 1) 37 a) Neue Umstände 38 b) Erhöhung der Strafbarkeit 39 c) Maßnahmen 44 d) Nebenstrafen und Nebenfolgen 46 Abweichung von einer mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage (Absatz 2 Nr. 2) 47 Veränderte Sachlage (Absatz 2 Nr. 3) 50 a) Umfang der Hinweispflicht 51 b) Veränderung der Verfahrenslage 55 Art und Weise der Erteilung des Hinweises 58 a) Vorsitzender 58 b) Adressat 59 c) Zeitpunkt des Hinweises 67 d) Form 69 e) Inhalt 73 f) Gelegenheit zur Verteidigung 77

III.

IV.

V.

6. Wirkung 79 7. Sitzungsniederschrift 81 Aussetzung bei veränderter Sach- und Rechtslage (Absatz 3) 84 1. Recht auf Aussetzung 84 2. Voraussetzungen 85 a) Veränderung der Sachlage 85 b) Anwendung eines schwereren Strafgesetzes 87 c) Bestreiten 88 d) Antrag 89 3. Entscheidung des Gerichts 91 Aussetzung bei veränderter Sachlage (Absatz 4) 93 1. Bedeutung des Absatzes 4 93 2. Veränderungen 97 a) Änderung des Sachverhalts 97 b) Änderung der Verfahrenslage 99 3. Entscheidung des Gerichts 104 4. Dauer der Aussetzung 107 Rechtsbehelfe 108 1. Antrag auf gerichtliche Entscheidung 108 2. Beschwerde 109 3. Revision 110 a) Verstoß gegen die Absätze 1 bis 4 110 b) Begründung der Revision 113 c) Beruhen 115 d) Andere Verfahrensrügen 117

Alphabetische Übersicht Abwesenheit des Angeklagten 60 ff. Akteneinsicht, ungenügende 100 Alibi 52 allgemein geltende Vorschriften 31 Anklage, Konkretisierung ungenauer 53, 98 Anklage im beschleunigten Verfahren 11 Änderung – der Person des Verletzten 24 – der Tatbeteiligten 52, 74 – des Tatbildes, wesentliche 52 – der Tatrichtung 52 – der tatsächlichen Grundlagen 3, 6, 24, 50 ff., 74, 83, 112 – der Tatzeit 52 f. Aufklärungspflicht 7, 63, 104, 117 Aussetzung 84 ff., 93 ff. – Dauer 92, 107 – Entscheidung des Gerichts über 91, 104 f. – Recht des Angeklagten auf 84, 92

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– unzulässige Gründe 95 Begehungsweisen – verschiedene 23, 73 – wesensgleiche 23 Beispiele aus der Rechtsprechung 26, 34 ff. Berufungsverfahren 14 Beschleunigungsgebot 92, 104 f. Beschwerde 109 Beteiligungsform, Änderung der 26 Beweismittel, neue 86 Bußgeldbescheid 11 Dauerstraftat 98 Einbeziehung ausgeschiedener Taten oder Tatteile 56 Einstellung des Verfahrens 18 Einvernahme, kommissarische 64, 68 Einvernahme zur Anklage (§ 243 Abs. 5) 68 Ermessen des Gerichts bei Aussetzung 84, 92 f., 104, 107, 111

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

Fahrverbot 45 faires Verfahren 1, 4 f., 54 f., 57, 76, 94, 100, 104 fortgesetzte Tat 30, 98 Freibeweis 83, 112 Freispruch 17 Fürsorgepflicht 5, 42, 80, 104, 117 Gang der Hauptverhandlung 42, 113 Hinweis, förmlicher 58 ff., 69 ff. – an Angeklagten 59 ff. – an Verteidiger 60 ff., 65 – bei mehreren Angeklagten 59 – bei bloß tatsächlichen Veränderungen 3, 50 ff. – durch Vorsitzenden 58, 70 – Ersatz durch Erörterung im Verfahren 14 f., 17, 70 f. – Inhalt 73 ff. – wesentliche Förmlichkeit 81 ff., 112 – Wiederholung 13 ff. – Wirkung 79 ff. – Zeitpunkt 67 Hinweis nach § 81 Abs. 2 OWiG 11 Jugendrecht 33 Kompensation 29 Konkurrenzen 30 Maßnahmen 44 Maßregeln der Besserung und Sicherung 17, 32, 44 f., 70, 85 f. Nebenbeteiligte 93, 107 Nebenkläger 70, 93, 110 Nebenstrafen, Nebenfolgen 46 Ordnungswidrigkeiten 11, 17 f., 22 Privatklageverfahren 84 rechtliches Gehör 6, 104, 117 Rechtsfolgen 32 Rechtsmittelverfahren 14 f. Regelbeispiele 40 f.

§ 265

Revision 110 ff. Revisionsverfahren 15 Rücknahme eines Hinweises 48, 80 Schreibfehler in Anklage 9 Sitzungsniederschrift 69, 81 ff., 106, 112 Strafantrag 29 strafbarkeitserhöhende Umstände 21, 32, 38 f., 87 Strafbefehl 11, 45 Straffreiheitsgesetz 19 Strafgesetz – anderes 21 ff. – milderes 26 ff., 38, 43 Strafmilderungsgründe 43 Strafschärfungsgründe, unbenannte 31 subjektive Tatseite, Änderung 27 Tatumfang 98 Tatzeit 52 f. Unterbrechung der Verhandlung 92 f., 101, 107 Unterlassen 23 Verfahrenslage, Veränderung der 55 ff. Verjährung 22 Verständigung 71 Versuch 27, 115 Verteidiger, Verhinderung, Wechsel 101 ff. Vertrauenslage, von Gericht geschaffene 3, 47 ff., 80 Verurteilung 17 ff. Verweisungsbeschluss 12, 20, 71, 113 wahldeutige Verurteilung 25 Wahrunterstellung 49, 56 Wegfall straferhöhender Umstände 38 Wegfall von Straftatbeständen 28, 30 Wiederaufnahmeverfahren 16 Wiederholung der Beweisaufnahme 107 Wiederholung des Hinweises 13 ff. Zahl der Straftaten 24

I. Bedeutung der Vorschrift 1. Regelungsziel. § 265 dient der Sicherstellung einer effektiven Verteidigung1 1 und damit eines fairen Verfahrens (Rn. 5) durch die Verpflichtung, den Angeklagten auf Veränderungen des gegen ihn erhobenen Vorwurfs im Zuge der Hauptverhandlung hinzuweisen (Absätze 1 und 2) und ihm nötigenfalls die erforderliche Zeit einzuräumen, um seine Verteidigung daran anzupassen (Absätze 3 und 4). Absatz 2 Nr. 2 erstreckt die 1 Hahn 208; RGSt 53 185; 59 423; BGHSt 2 371, 373; 11 18, 19; 13 320, 323; 18 66, 68; 18 288, 289; 23 95, 96; 25 287, 289; 29 124, 128; 29 274, 278; 48 183, 187 f.; BGH NJW 1964 459; 1980 714; StV 1982 408; 1985 489 f.; 1998 582, 583; BayObLGSt 1954 45; 1964 133, 135; OLG Hamm NJW 1980 1587; HK/Julius/Beckemper 1; KK/Kuckein/Bartel 1; KMR/Stuckenberg 1; Meyer-Goßner/Schmitt 2; MüKo/Norouzi 1; Radtke/Hohmann 1; Eb. Schmidt 1, 3; SK/Velten 3; SSW/Rosenau 1; Roxin25 § 42, 24; Berz NStZ 1986 86; Küpper NStZ 1986 249 f.; Scheffler JR 1989 232 f.; Schlothauer StV 1986 213, 216.

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förmliche Hinweispflicht auf Veränderungen der gerichtlichen Bewertung der Sach- und Rechtslage, sofern diese den Verfahrensbeteiligten mitgeteilt wurden. 2 Um sich wirkungsvoll verteidigen zu können, muss der Angeklagte wissen, welcher strafrechtliche Vorwurf gegen ihn erhoben wird, d. h. welches Strafgesetz er durch welches Verhalten erfüllt haben soll (Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK, Art. 14 Abs. 3 lit. a IPBPR). Die §§ 200 Abs. 1, 201 Abs. 1, 215, 243 Abs. 3 sorgen dafür, dass der Angeklagte Kenntnis von der Anklageschrift und dem eventuell nach § 207 Abs. 2 Nr. 3 abgeänderten Eröffnungsbeschluss erhält. Die Hinweise nach § 265 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 ergänzen diese Informationspflichten2 und schützen den Angeklagten vor Überraschungsentscheidungen, wenn der Prozessgegenstand in der Hauptverhandlung infolge der umfassenden Kognitionspflicht des Gerichts Änderungen erfährt. Denn das Gericht muss in der Hauptverhandlung den in der zugelassenen Anklage umschriebenen tatsächlichen Vorgang, die Tat im Sinne des § 264, unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten umfassend würdigen (§ 244 Abs. 2; vgl. § 260, 36; § 264, 37 ff.). Es ist an die Rechtsauffassung der Anklage nicht gebunden (§§ 155 Abs. 2, 264 Abs. 2) und zur „Umgestaltung der Strafklage“ (§ 264, 2, 48 ff.) befugt, so dass in der Hauptverhandlung neue rechtliche und tatsächliche Gesichtspunkte auftreten können, die Schuldspruch und Strafmaß beeinflussen. 3 Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 17.8.2017 betrafen die in § 265 Abs. 1 und 2 a. F. statuierten Hinweispflichten nur Veränderungen des rechtlichen Gesichtspunkts. Da tatsächliche Abweichungen vom angeklagten Sachverhalt für die Verteidigung genauso bedeutsam sein können wie neue rechtliche Bewertungen, stand es seit langem außer Zweifel, dass das Gericht den Angeklagten trotz gleichbleibenden rechtlichen Vorwurfs auch auf wesentliche Änderungen der Tatsachen hinweisen muss, aus denen er hergeleitet werden soll; allein die Rechtsgrundlage und der genaue Umfang dieser Pflicht waren umstritten (Rn. 50). Zur Stärkung der Transparenz der Verfahrensführung3 hat der Gesetzgeber im Anschluss an die Empfehlungen der Expertenkommission4 die Hinweispflichten bei Veränderungen rechtlicher Gesichtspunkte in Absatz 2 Nr. 1 erweitert und das Erfordernis eines Hinweises bei geänderter Sachlage, wenn dies im Interesse der Verteidigung ist, nunmehr in Absatz 2 Nr. 3 festgeschrieben. Dazwischen hat der Gesetzgeber, systematisch wenig überzeugend, die Hinweispflicht des Absatzes 2 Nr. 2 eingeordnet, die Änderungen vom Gericht geschaffener Vertrauenstatbestände betrifft. 4 Eine wirkungsvolle Ausübung des Verteidigungsrechts erfordert neben der Kenntnis des Vorwurfs auch genügend Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK, Art. 14 Abs. 3 lit. b IPBPR), die schon nach Absatz 1 zu gewähren sind und, für den Fall, dass eine Unterbrechung dazu nicht genügt, durch die Aussetzungsmöglichkeiten nach den Absätzen 3 und 4 ergänzt werden. Der Aussetzungsanspruch des Absatzes 3 schließt an die Hinweispflicht der Absätze 1 und 2 an, besteht aber nur – insoweit enger als die Hinweispflicht – bei Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes zu Lasten des Angeklagten oder bei möglicher Anordnung der in Absatz 2 Nr. 1 genannten Rechtsfolgen. Absatz 4 geht darüber weit hinaus und eröffnet eine Aussetzungsmöglichkeit nach Ermessen des Gerichts zur Gewährleistung eines fairen Ver-

2 BGHSt 13 320, 324; BayObLGSt 1964 133, 134; KK/Kuckein/Bartel 1; KMR/Stuckenberg 1; Meyer-Goßner/ Schmitt 6; MüKo/Norouzi 4; Wachsmuth ZRP 2006 121, 122; dies. StV 2008 343. 3 BTDrucks. 18 11277 S. 15. 4 Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens (2015) 125 f.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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fahrens5 bei jedweder veränderten Sachlage, also auch zur besseren Vorbereitung der Anklagevertretung. Ob die Spezialregelung des Absatzes 3 angesichts des Absatzes 4 nicht verzichtbar wäre, erscheint erwägenswert.6 2. Regelungszusammenhang. Indem § 265 verhindern soll, dass der Angeklagte 5 durch eine Verlagerung der rechtlichen Bewertung überrascht und gehindert wird, seine Verteidigung dieser Änderung anzupassen, lässt er sich als gesetzlich geregelter Fall der gerichtlichen Fürsorgepflicht7 sowie als Ausprägung des Anspruchs auf ein faires Verfahren8 (Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 14 Abs. 1 IPBPR), das ohne eine präzise und vollständige Information über die tatsächliche und rechtliche Seite des Anklagevorwurfs nicht denkbar ist,9 verstehen. Das Verhältnis des § 265 zu der verfassungsrechtlichen Garantie des Rechts auf 6 rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG wird uneinheitlich beurteilt. Die Hinweispflichten der präkonstitutionellen Vorschrift des § 265 können in der Tat nicht ohne Weiteres als bloße Ableitungen aus dem Prozessgrundrecht oder als dessen Konkretisierung oder Sicherung verstanden werden,10 auch wenn mit der Neufassung des Absatzes 2 und Erstreckung auf die Veränderung tatsächlicher Gesichtspunkte in Nr. 3 eine Annährung an Art. 103 Abs. 1 GG erfolgt ist, der vorrangig auf Tatsachen bezogen wurde (Rn. 50 ff.). Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet, dass einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweismittel zugrunde gelegt werden dürfen, zu denen sich die Beteiligten vorher äußern konnten,11 was die Kenntnis dieser Tatsachen erfordert. Daher ergibt sich aus Art. 103 Abs. 1 GG auch ein Anspruch auf Information über den Verfahrensstoff als notwendige Bedingung des Anhörungsrechts.12 Damit sind Hinweispflichten allerdings nur im Kern garantiert,13 zumal die als Minimalgarantie14 konzipierte Verfassungsnorm dem Gericht keine umfassende Informationspflicht auferlegt.15 Zwar gewährleistet Art. 103 Abs. 1 GG den Verfahrensbeteiligten auch das Recht, sich zur Rechtslage zu äu-

5 Vgl. BGH NJW 1965 2164, 2165 mit Anm. Schmidt-Leichner; OLG Celle NJW 1965 2264; krit. Heubel NJW 1981 2678, 2679. 6 Mitsch NStZ 2004 395, 396. 7 KK/Kuckein/Bartel 1; KMR/Stuckenberg 4; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Norouzi 1; Pfeiffer 1; Radtke/ Hohmann 5; SK/Velten 3, 5, 9, 63; SSW/Rosenau 2; Roxin/Schünemann § 44, 26 f.; Küpper NStZ 1986 249; Maiwald FS Lange 745, 746; Scheffler JR 1989 232, 233; Schorn MDR 1966 639, 640; vgl. LR/Kühne Einl. I 121 ff.; LR/Becker Vor § 226, 23 f. 8 BGHSt 29 274, 278; OLG Hamm NJW 1980 1587; KMR/Stuckenberg 4 f.; MüKo/Norouzi 1; Pfeiffer 1; Radtke/Hohmann 4; SK/Velten 49; SSW/Rosenau 2; vgl. BGHSt 36 305, 308 ff.; krit. AK/Loos 2; Hanack JZ 1972 433, 434; Schlothauer StV 1986 213, 215. 9 Vgl. EGMR Pélissier et Sassi v. Frankreich, Nr. 25444/94, § 52; dazu Sommer StraFo 1999 402, 406; w. Nachw. bei KMR/Stuckenberg 5. 10 LR/Gollwitzer25 4; Radtke/Hohmann 3; so aber BGHSt 11 88, 91; 22 29, 30 f.; BGH StV 1994 232, 233; 1996 197, 198; BayObLGSt 1964 133, 134; OLG Celle NdsRpfl. 1964 234, 235; Bonn.Komm./Rüping Art. 103 I, 58 GG; Maunz/Dürig/Remmert Art. 103 I, 84 GG; AK/Loos 2; Meyer-Goßner/Schmitt 5; OK-StPO/Eschelbach 4; SK/Velten 5, 39, 52; SSW/Rosenau 2; Roxin/Schünemann § 44, 27; Dahs (Rechtliches Gehör) 96 ff.; Schlothauer StV 1986 213, 214 f.; Eb. Schmidt JZ 1960 228; vgl. schon RGSt 25 340, 342; siehe auch KG VRS 53 (1977) 42, 43; das Verhältnis der beiden Vorschriften offenlassend BGHSt 16 47, 48 f. 11 St. Rspr., BVerfGE 7 275, 278; 13 132, 144 f.; 20 280, 282; 26 37, 40; 67 96, 99; 84 188, 190. 12 AK/Loos 2; KMR/Stuckenberg 3. 13 Maunz/Dürig/Remmert Art. 103 I, 82, 84 GG. 14 Vgl. BVerfGE 7 53, 56 f.; 60 7, 14. 15 BVerfGE 66 116, 147; 67 90, 96; 74 1, 5; 84 188, 190; 96 189, 204.

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ßern,16 doch ist ein Gericht von Verfassungs wegen zu einem Rechtsgespräch oder zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung nur ausnahmsweise verpflichtet, nämlich nur dann, wenn sonst der Anspruch auf rechtliches Gehör leerliefe, weil auch ein gewissenhafter und kundiger Verfahrensbeteiligter mit diesen rechtlichen Gesichtspunkten nicht zu rechnen brauchte; im Übrigen muss ein Verfahrensbeteiligter auch bei umstrittener oder problematischer Rechtslage grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen.17 Insoweit geht § 265 über Art. 103 Abs. 1 GG deutlich hinaus und kann als dessen einfachrechtliche ausweitende Ausgestaltung angesehen werden. Folglich liegt in einem Verstoß gegen § 265 Abs. 1 oder 2 nicht zwangsläufig auch eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG.18 Schließlich können die Hinweise nach § 265 zwar zur Aufklärung des Sachverhalts 7 beitragen,19 indem der Angeklagte sich zur veränderten Rechts- und Sachlage einlässt. Die Sachaufklärung ist jedoch kein Zweck des § 265, da der Hinweis unabhängig davon zu erteilen ist, ob der Angeklagte sich äußern wird oder sein Schweigen sicher zu erwarten ist.20 Um dem Zweck der Sicherung der sachgerechten Verteidigung und ggf. des rechtli8 chen Gehörs gerecht zu werden, sind die Hinweispflichten der § 265 Abs. 1 und 2 grundsätzlich in großzügiger Weise auszulegen und anzuwenden,21 somit ist in Zweifelsfällen stets ein Hinweis zu erteilen. II. Die Hinweispflichten nach Absatz 1 und 2 1. Anderes Strafgesetz (Absatz 1) a) Allgemeine Voraussetzungen 9

aa) Abweichung der rechtlichen Beurteilung von der Anklage. Absatz 1 setzt voraus, dass sich – mit oder ohne Veränderung der tatsächlichen Umstände22 – die rechtliche Beurteilung der Tat gegenüber der zugelassenen Anklage ändert, der Angeklagte also auf Grund eines anderen Strafgesetzes verurteilt werden soll. Die Veränderung muss sich im Rahmen einer zulässigen Umgestaltung der Strafklage (§ 264, 48 ff.) bewegen. 16 BVerfGE 60 175, 210 ff.; 64 135, 143; 65 227, 234; BVerfG 3.11.1983 – 2 BvR 348/83; 7.10.2009 – 1 BvR 178/09 Rn. 8 = GRUR-RR 2009 441 f. 17 BVerfGE 84 188, 190; 86 133, 144 f.; 96 189, 204; 98 218, 263; BVerfG 7.10.2009 – 1 BvR 178/09 Rn. 8 = GRUR-RR 2009 441 f.; 15.10.2009 – 1 BvR 3522/08 = BauR 2009 1793; BayVerfGHE 51 49, 54; BayVerfGH 27.10.2004 – 11-VI-02 Rn. 46; weitergehend OLG Hamm DAR 2010 99; OLG Jena VRS 113 (2007) 330, 331. 18 BGHSt 16 47, 48 f.; 22 336, 339 f.; Maunz/Dürig/Remmert Art. 103 I, 84 GG (aber doch oft zugleich); Eb. Schmidt Nachtr. I 2; KK/Kuckein/Bartel 1; LR/Gollwitzer25 4, 116 Fn. 409; Radtke/Hohmann 3; SK/ Velten 5; a. A. Arndt NJW 1959 1297, 1300; Jarass/Pieroth Art. 103, 30 GG; Dahs (Rechtliches Gehör) 97 ff.; Schlothauer StV 1986 213, 214 f.; offenlassend BVerfGE 8 197, 206; BGHSt 13 320, 325 mit Anm. Eb. Schmidt JZ 1960 228. Vgl. BVerfG NJW 2004 1443; zur Unzulässigkeit der pauschalen Rüge, ein Verstoß gegen § 265 verletze Art. 103 Abs. 1 GG siehe BVerfG 21.8.2001 – 2 BvR 2290/00. Zum gleichlautenden Art. 91 Abs. 1 BayVerf siehe BayVerfGHE 11 II 190, 195 mit Anm. Röhl NJW 1959 285; BayVerfGHE 15 II 38, 40; 17 II 72, 74; 33 II 103, 105 (dass § 265 Abs. 1 sich nicht mit dem Recht auf rechtliches Gehör überschneide, ist für Art. 103 Abs. 1 GG durch die jüngere Rspr. des BVerfG überholt); BayVerfGH 27.10.2004 – 11-VI-02 Rn. 46. 19 RGSt 5 211, 212 f.; 76 82, 85; BGHSt 19 141, 142; 28 196, 198; BayObLGSt 1964 133 f.; Meyer-Goßner/ Schmitt 4; Pfeiffer 1; SK/Velten 2. 20 AK/Loos 3; KMR/Stuckenberg 6; MüKo/Norouzi 4; Radtke/Hohmann 6. 21 BayObLGSt 1964 133, 134; KMR/Stuckenberg 10; Radtke/Hohmann 4; krit. MüKo/Norouzi 3. 22 BGHSt 18 288; KK/Kuckein/Bartel 2; Meyer-Goßner/Schmitt 8a; Radtke/Hohmann 12.

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Eine andere prozessuale Tat kann nicht durch rechtlichen Hinweis zum Verfahrensgegenstand gemacht werden, sondern nur durch Nachtragsanklage und Einbeziehung nach § 266.23 Geht es nicht einmal um eine Änderung der rechtlichen Bewertung, sondern nur um die Beseitigung eines Schreibfehlers oder eines sonstigen Versehens in der zugelassenen Anklage, wenn etwa eine falsche Paragraphenzahl angeführt ist oder die Angabe der verletzten Strafbestimmung überhaupt fehlt, die Tat aber mit ihren gesetzlichen Merkmalen richtig bezeichnet ist, dann bedarf es keines Hinweises nach § 265.24 Vergleichsmaßstab ist die Anklage, so wie sie vom Gericht im Eröffnungsbeschluss 10 gemäß § 207 zugelassen wurde. Hat das Gericht die Anklage nur mit Änderungen zugelassen, etwa mit einer anderen rechtlichen Würdigung nach § 207 Abs. 2 Nr. 3, so ist sie in dieser Form und nicht etwa in der ursprünglichen Fassung maßgebend. Es ist also ein Hinweis notwendig, wenn das Gericht zu der Rechtsauffassung der ursprünglichen Anklage zurückkehren will.25 Zur Anklage im Sinne des § 265 Abs. 1 gehört auch das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen (§ 200 Abs. 2 S. 1), ein darin enthaltener Hinweis kann genügen.26 Es reicht aber nicht aus, dass ein Strafgesetz nur in der Paragraphenliste erscheint.27 Bei der Möglichkeit der Heilung mangelhafter Anklagen durch einen Hinweis nach § 265 ist zu unterscheiden, ob der Mangel in der Umgrenzungsfunktion vorliegt, den das Gericht grundsätzlich nicht heilen kann, oder in der Informationsfunktion, siehe § 200, 91, 93. bb) Der Anklage gleichstehende Entscheidungen. Der zugelassenen Anklage ste- 11 hen gleich der Strafbefehl,28 die mündliche Anklage im beschleunigten Verfahren nach § 418 Abs. 3 sowie die Nachtragsanklage mit Einbeziehungsbeschluss nach § 266, wobei bei den mündlich erhobenen Anklagen der Vermerk über ihren Inhalt im Sitzungsprotokoll maßgebend ist.29 Gleiches gilt für den Hinweis nach § 81 Abs. 2 OWiG, durch den das gerichtliche Bußgeldverfahren in ein Strafverfahren übergeleitet wird. Will das Gericht den Angeklagten wegen eines rechtlichen Gesichtspunktes verurteilen, der nicht Gegenstand des Hinweises nach § 81 Abs. 2 OWiG war, muss es ihn nach § 265 Abs. 1 auf die erneute Veränderung hinweisen.30 Neben dem Hinweis nach § 81 Abs. 2 OWiG kann aber der Bußgeldbescheid insoweit weiterhin die zugelassene Anklage ersetzen, als das übergeleitete Strafverfahren zusätzlich auch Ordnungswidrigkeiten umfasst. Ebenso tritt im gerichtlichen Bußgeldverfahren, in dem § 265 entsprechend anwendbar ist, der Bußgeldbescheid an die Stelle der zugelassenen Anklage.31

23 Vgl. BGH NStZ 1994 495 f.; 1995 245; NStZ-RR 1999 274; 2000 290; 2002 258; 2018 353, 354; StV 1985 488; 1997 169; StraFo 2004 98; OLG Jena 22.6.2006 – 1 Ss 232/04 (insoweit nicht in StV 2007 230). 24 RGSt 6 169, 170; 53 185, 186; RG GA 46 (1898/99) 214; KK/Kuckein/Bartel 3; KMR/Stuckenberg 14; Meyer-Goßner/Schmitt 8a; MüKo/Norouzi 8; Radtke/Hohmann 14; Eb. Schmidt 8; SSW/Rosenau 4; zurückhaltend SK/Velten 12. 25 OLG Hamm HESt 3 52; AK/Loos 6; KK/Kuckein/Bartel 2; KMR/Stuckenberg 13; MüKo/Norouzi 8; Radtke/Hohmann 15, 21; SK/Velten 13; Scheffler JR 1989 232, 233. 26 OGHSt 2 322; BGH NStZ 2001 162. 27 BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 358 Nr. 34. 28 BayObLGSt 2004 43 = NJW 2004 2607. 29 KK/Kuckein/Bartel 4; KMR/Stuckenberg 12; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/Norouzi 9; Radtke/Hohmann 16; SK/Velten 12; Eb. Schmidt 6; SSW/Rosenau 5. 30 Vgl. die Kommentare zu § 81 OWiG. 31 BGH VRS 59 (1980) 129; BayObLGSt 1981 25; BayObLG NStZ 1984 225; OLG Koblenz VRS 63 (1982) 372; 71 (1986) 209; OLG Oldenburg NZV 1993 278.

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Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

Verweist das Gericht die Sache nach § 270 an ein Gericht höherer Ordnung, so tritt der Verweisungsbeschluss an die Stelle der zugelassenen Anklage. Auf die dort angeführten rechtlichen Gesichtspunkte braucht demnach nicht nochmals besonders hingewiesen zu werden.32 Wenn das Gericht in der rechtlichen Würdigung von diesem Beschluss abweichen will, muss es auf die Veränderung selbst dann hinweisen, wenn es zur ursprünglichen Rechtsauffassung der Anklage zurückkehrt,33 sogar, wenn neben dem Verweisungsbeschluss fälschlich der ursprüngliche Anklagesatz mitverlesen wurde.34 Gleiches gilt für den Beschluss, mit dem ein Gericht eine Sache übernimmt, die außerhalb der Hauptverhandlung nach § 225a abgegeben wurde, ferner für ein Verweisungsurteil. 13 Wird die Verhandlung nach einem Hinweis nach § 265 ausgesetzt, um dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, seine Verteidigung der veränderten Rechtslage anzupassen, dann bedarf es in der erneuerten Hauptverhandlung in der Regel keines nochmaligen Hinweises. Dies gilt auch sonst bei einer Aussetzung des Verfahrens, sofern nicht nach den Umständen anzunehmen ist, dass der Angeklagte den früheren Hinweis vergessen haben kann.35 12

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cc) Weiterer Verfahrensgang. In der Berufungsinstanz gilt § 265 entsprechend (§ 332). Das Berufungsgericht muss den Angeklagten darauf hinweisen, wenn sich der rechtliche Gesichtspunkt gegenüber der zugelassenen Anklage ändert. Ein in erster Instanz ordnungsgemäß erteilter Hinweis braucht in der Regel jedoch nicht wiederholt zu werden,36 auch wenn nicht dem Hinweis entsprechend verurteilt wurde,37 sofern nicht ausnahmsweise anzunehmen ist, dass ihn der Angeklagte nicht mehr in Erinnerung hat.38 Im Zweifel empfiehlt sich aber, den Hinweis zu wiederholen, sofern der rechtliche Gesichtspunkt nicht in das Urteil eingegangen ist und nicht ersichtlich ist, dass der Angeklagte bei seiner Verteidigung auch den früheren Hinweis berücksichtigt.39 Hat allerdings bereits das Erstgericht wegen eines veränderten Gesichtspunkts verurteilt, dann bedarf es insoweit keines Hinweises mehr,40 auch wenn der Hinweis in der ersten Instanz unterlassen wurde. Ein solcher kann aber umgekehrt angezeigt sein, wenn das Berufungsgericht wieder zur rechtlichen Würdigung der Anklage zurückkehren will. Nur wenn der Angeklagte nach der Verfahrenslage ohnehin damit rechnen muss, dass dies geschehen kann, ist der Hinweis entbehrlich.41 Bei einer der Anklage entsprechenden Verurteilung erübrigt sich der ausdrückliche Hinweis in der Berufungsinstanz aber nicht 32 BGHSt 22 29, 31; Hanack JZ 1972 433, 434. 33 RGSt 65 363; AK/Loos 6; KK/Kuckein/Bartel 4; KMR/Stuckenberg 13; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/ Norouzi 10; Radtke/Hohmann 21; SK/Velten 12. 34 RGSt 15 286, 289; KK/Kuckein/Bartel 4; KMR/Stuckenberg 13; Radtke/Hohmann 21; SK/Velten 12; Eb. Schmidt 5. 35 BGH bei Dallinger MDR 1971 364; KK/Kuckein/Bartel 23; KMR/Stuckenberg 17; Meyer-Goßner/Schmitt 26; MüKo/Norouzi 10; SK/Velten 37; Eb. Schmidt 20; BGH NStZ 1998 529 lässt dies offen; krit. MüKo/Norouzi 11. 36 RGSt 59 423; BayObLGSt 1994 158, 162; KK/Kuckein/Bartel 23; KMR/Stuckenberg 17; Meyer-Goßner/ Schmitt 27; Radtke/Hohmann 23; SK/Velten 12; Eb. Schmidt 20; SSW/Rosenau 14; weitergehend LR/Gollwitzer25 13. 37 BGH bei Dallinger MDR 1971 363 f. 38 Vgl. BayObLGSt 1994 158, 162. 39 LR/Gollwitzer25 13; Radtke/Hohmann 23; vgl. OLG Schleswig SchlHA 1956 332. 40 RG GA 71 (1927) 17 f.; OLG Koblenz VRS 52 (1977) 428, 431; OLG Köln NJW 1957 473; OLG Stuttgart MDR 1967 233 f.; KMR/Stuckenberg 17; Meyer-Goßner/Schmitt 27; Radtke/Hohmann 23; SK/Velten 12. 41 OLG Koblenz VRS 52 (1977) 428, 431; KK/Kuckein/Bartel 20; KMR/Stuckenberg 17; SK/Velten 12 f.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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schon allein dadurch, dass im angefochtenen Urteil der nicht zum Tragen gekommene rechtliche Gesichtspunkt bereits mit erörtert wurde.42 In der Revisionsinstanz kann ein Hinweis nach § 265 nicht nachgeholt werden, 15 weil der Angeklagte sich in tatsächlicher Hinsicht nicht mehr verteidigen, insbesondere keine Beweisanträge mehr stellen kann.43 Zur Zulässigkeit der Schuldspruchberichtigung in den Fällen, in denen ein Hinweis nicht nachgeholt werden müsste, vgl. die Erläuterungen zu § 354. Nach Urteilsaufhebung durch das Revisionsgericht und Zurückverweisung soll es keines erneuten Hinweises bedürfen,44 ebenso wenig, wenn der neue Gesichtspunkt im aufgehobenen oder aufhebenden Urteil erörtert wird,45 sofern das aufhebende Urteil dem Angeklagten durch Verlesung46 oder auch nur durch Zustellung47 bekanntgemacht worden ist. Der Schutzzweck des § 265 dürfte hier aber regelmäßig einen Hinweis gebieten, um den Angeklagten nicht zu überfordern,48 namentlich bei umfangreichen und eine Fülle von verschiedenen Fragen betreffenden Entscheidungen des Rechtsmittelgerichts.49 Im Wiederaufnahmeverfahren braucht der Hinweis nicht wiederholt zu werden, 16 wenn der Angeklagte bereits in der früheren Hauptverhandlung unter diesem Gesichtspunkt verurteilt worden war;50 anders dagegen, wenn nicht damit zu rechnen ist, dass ein nicht in das Urteil eingegangener früherer Hinweis dem Angeklagten noch geläufig ist.51 dd) Nur bei Verurteilung. Nur bei einer Verurteilung ist ein Hinweis nach Absatz 1 17 oder 2 erforderlich, nicht aber, wenn das Gericht im Zusammenhang mit einem Freispruch auch andere in der Anklage nicht erwähnte rechtliche Gesichtspunkte erörtert. Eine Verurteilung im Sinne des § 265 Abs. 1, 2 ist jede gegen den Angeklagten ausgesprochene Strafe, Maßregel der Besserung und Sicherung oder sonstige Rechtsfolge. Eine Verurteilung in diesem Sinn liegt auch vor, wenn das Gericht von Strafe absieht (§ 260, 50),52 ferner, wenn es wegen einer Ordnungswidrigkeit eine Geldbuße verhängt oder gegen einen Jugendlichen oder Heranwachsenden auf Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel erkennt.53 Vor einer Einstellung bedarf es in der Regel keines Hinweises. Etwas anderes gilt 18 aber dann, wenn die mitangeklagte Tat, hinsichtlich der das Verfahren eingestellt wird, Auswirkungen auf die Schuld- und Rechtsfolgenfrage eines bis zur Verurteilung fortge42 BayObLG VRS 61 (1981) 31; Radtke/Hohmann 23; SK/Velten 36. 43 RGSt 73 71, 75; 75 52, 55 f.; BGH NJW 1953 752, 754; 1967 789; 1981 1744, 1745; wistra 2016 452; OLG Stuttgart VRS 52 (1977) 33, 36; KMR/Stuckenberg 9; MüKo/Norouzi 6; Radtke/Hohmann 10, 24; Geis NJW 1990 2735 f.; unzutr. Hamm 1179. 44 BGH bei Dallinger MDR 1971 363 f. 45 RG GA 46 (1898/99) 340; 49 (1903) 273; BGHSt 22 29, 31; BGH JZ 1951 655; StV 2008 342 mit krit. Anm. Wachsmuth; OLG Stuttgart MDR 1967 233 f.; NJW 1976 2223, 2225; KK/Kuckein/Bartel 21; LR/Gollwitzer25 12; Meyer-Goßner/Schmitt 26; SK/Velten 11, 36; SSW/Rosenau 16; zurückhaltend MüKo/Norouzi 12. 46 RG GA 49 (1903) 272 f.; krit. Eb. Schmidt 17. 47 RG GA 41 (1893) 262; BGH JZ 1951 655; LR/Gollwitzer25 12; a. A. Eb. Schmidt 20. 48 KMR/Stuckenberg 17; MüKo/Norouzi 12; Radtke/Hohmann 24. 49 Wachsmuth StV 2008 343, 344. 50 RGSt 57 10 f.; 58 52; Meyer-Goßner/Schmitt 28; MüKo/Norouzi 13; a. A. Radtke/Hohmann 25; SK/Velten 36. 51 Vgl. RGSt 65 363 zu § 270; KMR/Stuckenberg 17; MüKo/Norouzi 13. 52 KK/Kuckein/Bartel 5; Meyer-Goßner/Schmitt 7; MüKo/Norouzi 14; Radtke/Hohmann 19; SK/Velten 14; SSW/Rosenau 3. 53 KMR/Stuckenberg 15; MüKo/Norouzi 14; Radtke/Hohmann 19.

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führten anderen Verfahrensteils haben kann, wenn etwa die (verjährte) Verkehrsordnungswidrigkeit weiterhin Bedeutung für den Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung hat,54 vgl. aber Rn. 57. 19 Ein Hinweis ist auch notwendig, wenn das Gericht das Verfahren unter Anwendung eines anderen als des in der Anklage angeführten Strafgesetzes auf Grund eines Straffreiheitsgesetzes einstellen will, weil der Angeklagte dadurch genauso wie durch eine Verurteilung überrascht und in der Wahrnehmung seiner Rechte aus dem Straffreiheitsgesetz beeinträchtigt sein kann.55 Bei anderen Entscheidungen, etwa einem Verweisungsbeschluss nach § 270 oder 20 der Versagung der Auslagenerstattung,56 wird ein Hinweis nicht gefordert. b) Begriff des „anderen Strafgesetzes“. Der Begriff des „anderen Strafgesetzes“ in Absatz 1 ist im Zusammenhang mit den in Absatz 2 Nr. 1 davon unterschiedenen „besonders vorgesehenen Umständen, welche die Strafbarkeit erhöhen“, wenig klar,57 doch wird heute, dem Normzweck folgend, darunter jede Bestimmung verstanden, die zum notwendigen Inhalt des Anklagesatzes gehört und in irgendeiner Weise den Schuldspruch58 oder Rechtsfolgenausspruch beeinflussen und sich damit auf die Gestaltung der Verteidigung des Angeklagten auswirken kann.59 Das andere Strafgesetz kann anstatt oder neben einem in der zugelassenen Anklage 22 angeführten Straftatbestand in Betracht kommen,60 wobei gleichgültig ist, ob dies auf einer anderen rechtlichen Bewertung des in der Anklage geschilderten Sachverhalts oder aufgrund der Würdigung in der Hauptverhandlung neu hervorgetretener Tatsachen beruht.61 Nicht notwendig ist dabei, dass der neue Tatbestand auch in der Urteilsformel erscheint; es genügt, wenn seine Anwendung dem Schuldvorwurf eine andere oder weitere Grundlage gibt oder sonst für die Entscheidung von Bedeutung ist. Es muss deshalb auch auf eine wegen Verjährung nicht anwendbare Strafvorschrift hingewiesen werden62 oder auf eine Ordnungswidrigkeit, auch wenn diese nach § 21 OWiG im Urteilsspruch nicht erscheint.63 Dagegen bedarf es keines Hinweises, wenn das Vorliegen des verjährten Straftatbestands oder des Ordnungswidrigkeitentatbestandes für die Beurteilung der Schuldfrage ohne Bedeutung ist und auch für die Strafzumessung keine Rolle spielt (Rn. 57). 21

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aa) Verschiedene Begehungsweisen. Ein „anderes Strafgesetz“ im Sinne des Absatzes 1 wird auch angenommen, wenn verschiedene Tatbestände aus äußeren Gründen in einem Satz derselben Strafvorschrift zusammengefasst sind, sofern die Begehungsweisen „wesensverschieden“ sind.64 Nur bei einem Wechsel zwischen wesensgleichen 54 BayObLGSt 1964 133, 134 f. = VRS 28 (1965) 215; BayObLG bei Rüth DAR 1978 211; OLG Karlsruhe NJW 1965 1773, 1774; KK/Kuckein/Bartel 5; KMR/Stuckenberg 26; SK/Velten 14. 55 BGH NJW 1952 1346 f.; KK/Kuckein/Bartel 5; KMR/Stuckenberg 15; Meyer-Goßner/Schmitt 7; Eb. Schmidt 7; SK/Velten 14. 56 OLG Köln JMBlNW 1960 222, 223; KMR/Stuckenberg 15. 57 Näher KMR/Stuckenberg 19 f. m. w. N.; Rieß GA 2007 377, 381; Wachsmuth ZRP 2006 121 f. 58 BGHSt 29 124, 127; 29 274, 276 f. 59 OGH NJW 1950 195; BGHSt 23 95, 97 f.; 25 287, 289. 60 BGHSt 22 336, 338; Küpper NStZ 1986 249, 250; Schlothauer StV 1986 213, 216. 61 BGHSt 2 85, 86; 18 288, 289. 62 Vgl. Rn. 18 m. Nachw. in Fn. 54. 63 KMR/Stuckenberg 26. 64 BGHSt 23 95, 96; 25 287, 289; BGH MDR 1953 629; NJW 1954 1616; NStZ 2018 557; StV 1997 237; KK/ Kuckein/Bartel 7; KMR/Stuckenberg 24; Meyer-Goßner/Schmitt 12; MüKo/Norouzi 22; OK-StPO/Eschelbach 13; Pfeiffer 3; SK/Velten 18; SSW/Rosenau 21; eingehend Küpper NStZ 1986 249 f.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 265

Begehungsformen derselben Straftat bedarf es keines Hinweises.65 Ob zwei Begehungsformen gleich sind, bestimmt sich nicht nach ihrem rechtlichen Gewicht, auch nicht allein nach den äußeren Tatbestandsmerkmalen. Entscheidend ist nach dem Regelungszweck, ob der Wechsel des Vorwurfs dem Angeklagten Anlass geben kann, seine Verteidigung zu ändern.66 Bei Tatbestandsmerkmalen, die im konkreten Fall auf andere normausfüllende Tatsachen abstellen oder eine andere innere Einstellung des Täters voraussetzen oder die der Tat eine andere Zielrichtung geben, ferner bei Übergang von einem tatbezogenen zu einem täterbezogenen Merkmal ist in der Regel ein Hinweis geboten. Hinzuweisen ist der Angeklagte auch, wenn an Stelle der Tatbegehung durch ein Tun nunmehr die Tatbestandsverwirklichung durch Unterlassen angenommen wird oder umgekehrt.67 Ist zweifelhaft, ob eine gleichartige Erscheinungsform desselben Straftatbestandes oder aber eine andersartige Begehungsform vorliegt, so empfiehlt sich zur Vermeidung von Revisionsrügen immer ein Hinweis.68 Der qualitativen Veränderung soll eine quantitative Änderung zu Lasten des Ange- 24 klagten durch Erhöhung der Zahl der Verstöße gegen das gleiche Strafgesetz, sofern es sich nicht um selbständige prozessuale Taten handelt (Rn. 9), gleichstehen,69 ebenso, wenn durch das Hinzutreten eines weiteren Verletzten70 nunmehr statt des einen zwei tateinheitliche Verstöße gegen den gleichen Tatbestand in Frage kommen. Wird jedoch abweichend von der Anklage eine andere Person als Verletzter der gleichen Straftat angesehen, so liegt darin nicht die Anwendung eines anderen Strafgesetzes, sondern eine Veränderung der tatsächlichen Grundlage der Anklage.71 Einige Entscheidungen haben dies dagegen unter Hinweis auf den Zweck des Absatzes 1 angenommen.72 Kam hierfür früher eher die analoge Anwendung des Absatzes 1 bei Veränderung der tatsächlichen Grundlagen der Anklage in Frage,73 so fallen diese Konstellationen heute unter Absatz 2 Nr. 3 (Rn. 50 ff.); zur Veränderung der Tatzeit s. Rn. 52. bb) Wahldeutige Verurteilung. Ein anderes Strafgesetz ist auch dann Grund der 25 Verurteilung, wenn es vom Gericht wahlweise mit einem in der Anklage bezeichneten

65 Vgl. etwa RGSt 30 176, 177 f.; 70 357, 359 m. w. N.; BGHSt 21 1 (Verfälschen oder Nachmachen von Wein); BGH MDR 1953 629; bei Miebach NStZ 1988 212, 213 Nr. 18; OLG Stuttgart DAR 1989 392 zum Bußgeldverfahren; KMR/Stuckenberg 28; Meyer-Goßner/Schmitt 13; Radtke/Hohmann 35; SK/Velten 19 f. m. w. N. 66 RGSt 19 401, 403; 24 89, 90; OGH NJW 1950 195; BGHSt 23 95, 97 f. = LM Nr. 29 mit Anm. Martin; 25 287, 289 = LM Nr. 32 mit Anm. Kohlhaas; BGH bei Holtz MDR 1981 102; NJW 1984 2593; NStZ 1983 34; 1984 328; OLG Stuttgart DAR 1989 392; AK/Loos 12; KK/Kuckein/Bartel 7; KMR/Stuckenberg 24; Radtke/Hohmann 35; Hanack JZ 1972 433; Küpper NStZ 1986 249, 250; Schlothauer StV 1986 213, 217. 67 BGH StV 1984 367; 2002 183; BGHR § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 1; HK/Julius/Beckemper 5; KK/Kuckein/Bartel 10; KMR/Stuckenberg 26; Meyer-Goßner/Schmitt 12; MüKo/Norouzi 21; Radtke/Hohmann 30; SK/ Velten 17; SSW/Rosenau 19; Michel MDR 1996 773. 68 KMR/Stuckenberg 24; LR/Gollwitzer25 30; Küpper NStZ 1986 249, 253. 69 BGH bei Holtz MDR 1977 461 (sieben statt der angeklagten fünf Urkundenfälschungen); BGH NStZ 1985 563 (sieben Fälle der Zuhälterei statt eines einzigen); KMR/Stuckenberg 27; Meyer-Goßner/Schmitt 8a; Pfeiffer 3; Radtke/Hohmann 38; SK/Velten 21; krit. AK/Loos 15. 70 Vgl. BGH GA 1962 338 f. (unmittelbar aus Abs. 1); OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1974 183 Nr. 110; KK/Kuckein/Bartel 11; KMR/Stuckenberg 27. 71 LR/Gollwitzer25 31, 79 Fn. 264; KMR/Stuckenberg 27; Radtke/Hohmann 38. 72 OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1974 183 Nr. 110; OLG Stuttgart MDR 1967 233 f.; HK/ Julius/Beckemper 9; KK/Kuckein/Bartel 11; Meyer-Goßner/Schmitt 22; auch Schlothauer StV 1986 213, 224. 73 Zutr. MüKo/Norouzi 25.

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§ 265

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Straftatbestand angewandt werden soll.74 In der Regel genügt der Hinweis, dass auch das andere Strafgesetz in Betracht kommt. Auf die Möglichkeit der Wahlfeststellung als solche braucht dann nach § 265 Abs. 1 nicht noch besonders hingewiesen werden.75 Sind mehrere Straftaten wahldeutig angeklagt, wird aber nur wegen einer von ihnen (eindeutig) verurteilt, bedarf es keines Hinweises.76 26

cc) Anwendung eines milderen Gesetzes. Die Anwendung eines milderen Gesetzes oder einer milderen Begehungsform macht den Hinweis nicht überflüssig.77 Der Angeklagte muss die Möglichkeit erhalten, darzutun, dass auch das mildere Gesetz in seinem Fall nicht verletzt ist,78 oder ein Geständnis abzulegen.79 Beispielhaft wurde eine Hinweispflicht bejaht bei möglicher Verurteilung aus § 145d statt § 164 StGB;80 § 212 statt § 211 StGB;81 § 222 statt § 221 Abs. 3 StGB a. F.;82 § 223a a. F. statt § 212 StGB;83 §§ 240, 246, 52 statt § 250 StGB;84 § 241 statt § 253 StGB;85 § 250 Abs. 1 Nr. 1b statt § 250 Abs. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 3 StGB;86 § 24a StVG statt § 316 StGB;87 § 29a Abs. 1 Nr. 2 statt § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG.88

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dd) Änderung der Zurechnungsform. Eine Änderung der subjektiven Tatseite (Vorsatz statt Fahrlässigkeit89 und umgekehrt90) erfordert einen Hinweis, denn insbesondere der Vorwurf der Fahrlässigkeit erfordert meist eine andere Verteidigung. Dies gilt grundsätzlich auch, wenn beide Begehungsweisen im gleichen Straftatbestand erfasst werden, denn der Angeklagte darf seine Verteidigung allein auf den in der zugelassenen Anklage erhobenen Schuldvorwurf abstellen.91 Fehlt die Angabe der Schuldform 74 RGSt 63 430; RG HRR 1937 Nr. 837; BGH NJW 1985 2488; BGH NStZ 1990 449; bei Holtz MDR 1977 108; OLG Düsseldorf DAR 1970 190 f.; OLG Hamburg NJW 1955 920.

75 BGH bei Dallinger MDR 1974 369; KK/Kuckein/Bartel 11; KMR/Stuckenberg 26; Meyer-Goßner/Schmitt 10; Pfeiffer 3; SK/Velten 21; a. A. AK/Loos 14; HK/Julius/Beckemper 5; MüKo/Norouzi 26; Radtke/Hohmann 39; SK-StGB/Wolter Anh. zu § 55, 92; Wolter GA 2013 271, 286; krit. Hamm 1165. 76 OLG Karlsruhe Justiz 1985 445; KMR/Stuckenberg 26; MüKo/Norouzi 26; i. Erg. Radtke/Hohmann 39. 77 Hahn 209. 78 AK/Loos 13; KK/Kuckein/Bartel 12; KMR/Stuckenberg 23; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Norouzi 18; Radtke/Hohmann 28; SK/Velten 14. Zur Frage der Schuldspruchänderung ohne Hinweis siehe die Erl. zu § 354. 79 BGH NStZ 2018 159. 80 BGHSt 18 56, 57. 81 RG DJZ 1926 379; BGH bei Dallinger MDR 1952 532; NStZ-RR 1996 10; BGHR § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 1; BGH StV 2008 342 mit Anm. Wachsmuth; SK/Velten 14. Jedoch hat die Rechtsprechung hier oft das Beruhen verneint, vgl. Rn. 110 Fn. 479. 82 BGH StV 1983 445. 83 BGH StV 1997 237. 84 BGH NStZ-RR 2005 376 f. 85 OLG Köln StV 2001 158. 86 BGH StV 2002 588. 87 OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1981 94 f. Nr. 68. 88 BGH NStZ 2018 159. 89 BGH VRS 49 (1975) 184; BayObLG bei Rüth DAR 1977 206 Nr. 12; 1986 248 Nr. 11a; OLG Bamberg DAR 2017 383 f.; OLG Celle DAR 2018 384; OLG Dresden DAR 2004 102 (Rotlichtverstoß); OLG Hamm MDR 1973 783; VRS 63 (1982) 56; OLG Koblenz VRS 63 (1982) 50; ZfSch 2003 615. 90 RGSt 6 349; 65 363; BGH bei Dallinger MDR 1952 532; OLG Hamm JMBlNW 1968 284; OLG Neustadt JR 1958 352 mit Anm. Sarstedt; a. A. BayObLG bei Rüth DAR 1971 207 Nr. 3a. 91 OLG Köln NStZ-RR 1998 370; OLG Oldenburg NStZ-RR 2011 380 f.; KK/Kuckein/Bartel 10; KMR/Stuckenberg 26; Meyer-Goßner/Schmitt 9, 11; MüKo/Norouzi 21; Radtke/Hohmann 33.

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überhaupt, bedarf es zumindest dann eines Hinweises, wenn das Gericht Vorsatz annehmen will,92 andernfalls ist vom Vorwurf der Fahrlässigkeit auszugehen.93 Ein Wechsel in der Beteiligungsform – etwa unmittelbare statt mittelbarer Täterschaft, Alleintäterschaft statt Mittäterschaft94 oder umgekehrt,95 Täterschaft statt Anstiftung oder Begünstigung und umgekehrt96 – erfordert wegen der Möglichkeit einer anderen sachgemäßen Verteidigung ebenfalls einen Hinweis nach § 265 Abs. 1,97 desgleichen, wenn mittelbare Täterschaft durch ein uneigentliches Organisationsdelikt statt Mittäterschaft98 oder wenn statt Täterschaft Teilnahme im weiten Sinn des § 14 OWiG angenommen wird.99 Erforderlich ist ein Hinweis auch, wenn Versuch statt Vollendung100 angenommen wird und umgekehrt.101 Der Hinweis ist nur entbehrlich, wenn auszuschließen ist, dass die mildere rechtli- 28 che Beurteilung die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten auch hinsichtlich der verbleibenden Vorwürfe berührt, so, wenn das mildere Gesetz lediglich deshalb angewendet wird, weil ein Tatbestandsmerkmal des in der Anklage bezeichneten schwereren Gesetzes wegfällt und damit keine darüber hinausgehende Umgestaltung des Sachverhalts verbunden ist.102 Dies trifft etwa zu beim Übergang von § 255 StGB zu § 253 StGB oder von § 244 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu § 242 StGB.103 Beim Übergang von Verleumdung zur üblen Nachrede ist dagegen ein Hinweis notwendig, da beide Tatbestände rechtlich „nichts gemein“ haben.104 Eines Hinweises bedarf es nicht, wenn eines von mehreren 92 BayObLG bei Rüth DAR 1986 248; 1988 368 f.; OLG Brandenburg NStZ-RR 2000 54; OLG Braunschweig NStZ-RR 2002 179; OLG Düsseldorf NStZ 1994 347 (aber nicht förmlich); OLG Hamm MDR 1973 783; VRS 61 (1981) 292, 293 f.; 63 (1982) 56; OLG Köln NStZ-RR 1998 370; OLG Oldenburg NJW 2009 3669 f.; NStZ-RR 2011 380, 381; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1975 191; OLG Stuttgart StV 2008 626; KMR/Stuckenberg 26; Meyer-Goßner/Schmitt 11; Radtke/Hohmann 33; Doller DRiZ 1981 202; anders für § 23a Abs. 1a StVO: OLG Karlsruhe Justiz 2015 14. 93 BayObLG DAR 1988 368 f.; OLG Brandenburg NStZ-RR 2000 54; OLG Düsseldorf NStZ 1994 347; OLG Hamm MDR 1973 783; VRS 63 (1982) 56; OLG Karlsruhe ZfSch 2008 112 f.; OLG Schleswig bei Ernesti/ Jürgensen SchlHA 1975 191; 2001 138. 94 RGSt 22 367; BGHSt 11 18, 19; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 358 Nr. 33; 1983 569 f.; 1990 449; 2018 673, 674 f.; StV 1984 368; 1990 54; 1997 64; 2002 236; 2012 710; 2016 778; StraFo 2013 480; OLG Düsseldorf StraFo 1999 200 f.; offenlassend BGH NStZ 1986 85 mit Anm. Berz; zu einem Ausnahmefall BGH 15.5.2018 – 1 StR 159/17 Rn. 76 f. (insoweit nicht in wistra 2019 63). 95 BGHSt 11 18, 19; BGH NJW 1952 1385 Nr. 20; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1981 296; 1984 212 f.; 1992 292, 293; 1995 247; 2005 261; StV 1983 403 f.; 1984 190, 191; 1984 368; 1985 490; 1994 116; 1996 82. 96 BGHSt 56 235, 237; BGH MDR 1977 63; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 358 Nr. 34; StV 1984 368; 2016 272. 97 RGSt 63 430; RGRspr. 5 (1883) 23; 190; RG GA 43 (1895) 393 f.; 54 (1907) 71; HRR 1937 Nr. 984; KK/ Kuckein/Bartel 10; KMR/Stuckenberg 26; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Norouzi 21; OK-StPO/Eschelbach 14; Radtke/Hohmann 31; SK/Velten 17; SSW/Rosenau 20; Schlothauer StV 1986 213, 217. 98 BGH NStZ 2018 673 mit Anm. Ventzke. 99 BayObLGSt 1978 175, 176 = VRS 57 (1979) 33; OLG Düsseldorf VRS 56 (1979) 363 f. 100 RG GA 49 (1903) 272; BGHSt 2 250; BGH bei Miebach/Kusch NStZ 1991 229; 17.12.2014 – 3 StR 510/ 14; BayObLG bei Rüth DAR 1971 207 Nr. 3b; OLG Köln VRS 56 (1979) 281, 282; OLG Schleswig SchlHA 2005 262; KK/Kuckein/Bartel 10; KMR/Stuckenberg 26; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Norouzi 21; Radtke/ Hohmann 34; SK/Velten 14; SSW/Rosenau 18. 101 BGH bei Holtz MDR 1954 531. 102 RGSt 53 100 f.; 59 423, 424; RG GA 55 (1908) 309; JW 1930 2792, 2793; KK/Kuckein/Bartel 12; KMR/ Stuckenberg 30 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 9; SK/Velten 14; a. A. MüKo/Norouzi 18. 103 RGSt 53 100 f.; 56 333, 334 f.; BGH NJW 1970 904, 905; s. a. BGHSt 56 223, 226 (§ 176 statt § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB a. F.); KMR/Stuckenberg 31; Meyer-Goßner/Schmitt 9. 104 RGSt 5 211, 212; 20 33, 34; RG JW 1922 301; a. A. RGRspr. 2 (1880) 191 f.

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tateinheitlich angeklagten Strafgesetzen ausscheidet,105 sofern sich dadurch nicht ausnahmsweise auch andere Verteidigungsmöglichkeiten hinsichtlich der verbleibenden Tat eröffnen können. 29 Ein Hinweis ist jedoch erforderlich, wenn zugleich zusätzliche rechtliche Gesichtspunkte relevant werden, etwa die Strafverfolgung von einem Antrag abhängig wird,106 sich die Möglichkeit einer Kompensation (§ 199 StGB) eröffnet, der Beginn des „unmittelbaren Ansetzens“ zur Tatbestandsverwirklichung sich verändert107 oder wenn nunmehr den Strafrahmen beeinflussende Umstände geltend gemacht werden können.108 30

ee) Änderung der Konkurrenzen. Ein Hinweis ist notwendig, wenn sich das Konkurrenzverhältnis ändert, etwa tatmehrheitliches statt tateinheitliches Zusammentreffen109 und umgekehrt110 angenommen wird. Gleiches galt bei Annahme eines Fortsetzungszusammenhangs statt mehrerer selbständiger Einzelhandlungen111 und umgekehrt112 oder einer fortgesetzten Handlung statt einer Einzeltat113 und umgekehrt.114 Dagegen bedurfte es keines Hinweises nach Absatz 1, wenn einzelne von mehreren Einzelakten in den Fortsetzungszusammenhang einbezogen wurden115 oder aus ihm ausschieden, selbst wenn nur eine Einzeltat übrig blieb116; ferner nicht, wenn statt Tatmehrheit117 oder der fortgesetzten Begehung natürliche Handlungseinheit angenommen wurde.118

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ff) Allgemein geltende Vorschriften. Keines Hinweises nach § 265 bedarf es, soweit in der zugelassenen Anklage nur solche Vorschriften nicht angeführt sind, die, wie etwa § 18 StGB, allgemein bestimmte Straftatbestände zugunsten des Täters inhaltlich ändern,119 oder die neben dem Strafgesetz berücksichtigt werden müssen, wie etwa §§ 11,

105 RGSt 37 102, 106; HK/Julius/Beckemper 6; KK/Kuckein/Bartel 12; KMR/Stuckenberg 31; Meyer-Goßner/Schmitt 9; SK/Velten 14; Eb. Schmidt 13.

106 RGSt 5 199, 200; 7 199, 200 f.; RGRspr. 6 (1884) 213 f.; RG GA 49 (1903) 266; KK/Kuckein/Bartel 12; KMR/Stuckenberg 30; SK/Velten 14; abl. Ditzen LZ 1917 1213, 1222 ff. 107 RGSt 51 125, 126; 53 100 f. (versuchter Diebstahl statt versuchter Einsteigediebstahl); a. M. Eb. Schmidt 12; LR/Gollwitzer25 24 Fn. 62. 108 RGSt 7 199, 200; 17 293, 296; KMR/Stuckenberg 30. 109 RGSt 9 426, 429; 16 437, 438 f.; 56 58; RGRspr. 2 (1880) 163; BGH StV 1991 101, 102; KK/Kuckein/ Bartel 10; KMR/Stuckenberg 26; Meyer-Goßner/Schmitt 15; MüKo/Norouzi 21; OK-StPO/Eschelbach 14; Radtke/Hohmann 32; SK/Velten 17; Schlothauer StV 1986 213, 217. 110 BGH StV 1996 584; a. A. KK/Kuckein/Bartel 12 (anders dort in Rn. 10). 111 RGSt 20 226, 227 f.; RGRspr. 8 (1886) 659; RG GA 58 (1911) 194; BGH bei Dallinger MDR 1951 464; 1974 369; StV 1984 26; 1985 489 f.; OLG Schleswig Ernesti/Jürgensen SchlHA 1973 187 Nr. 89; KK/Kuckein/ Bartel 10; KMR/Stuckenberg 26; SK/Velten 17; Schlothauer StV 1986 213, 217. 112 RGSt 9 426, 429; BGH bei Dallinger MDR 1973 19. 113 RG HRR 1937 Nr. 906; BGH bei Herlan MDR 1954 656; bei Kusch NStZ 1994 24 f. Nr. 14; StV 1984 26; KK/Kuckein/Bartel 10; KMR/Stuckenberg 26. 114 BGHSt 2 250; OLG Hamburg NJW 1955 920. 115 BGH NStZ 1985 325 (aber Unterrichtung nach § 265 Abs. 4). 116 BGH 26.1.1956 – 3 StR 438/55 bei KK/Kuckein/Bartel 10. 117 OLG Frankfurt NStZ-RR 2004 74, 75 (Wegfall erschwerenden Umstands). 118 BGH 24.2.1976 – 1 StR 764/75 nach KK/Kuckein/Bartel 10; ebenso zum umgekehrten Fall OLG Dresden DRiZ 1928 Nr. 969. 119 RGSt 4 40, 41; 29 21 f.; BGHSt 29 274, 277; BGH NJW 1956 1246 (zu § 56 a. F. StGB); AK/Loos 13; HK/ Julius/Beckemper 6; KK/Kuckein/Bartel 6; MüKo/Norouzi 20; Radtke/Hohmann 27; SK/Velten 16; Küpper NStZ 1986 249, 250.

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28, 29 StGB,120 oder die, wie etwa §§ 21, 49 Abs. 1 StGB121 oder §§ 157, 213 StGB, bei der Strafzumessung sich allgemein zugunsten des Angeklagten auswirken.122 Dies wird aus der Funktion des § 265 Abs. 1 und 2, die Anklageschrift zu ergänzen, abgeleitet, so dass Gegenstand des Hinweises nur sein könne, was auch Inhalt des Anklagesatzes sein könne.123 gg) Bestimmung der Unrechtsfolgen. Eine generelle Hinweispflicht auf alle Vor- 32 schriften, die für die Bestimmung der Unrechtsfolgen der Tat allgemein in Betracht kommen können, schreibt § 265 Abs. 1, 2 nicht vor. Wieweit diese in der zugelassenen Anklage aufzuführen sind, ist strittig (§ 200, 31 ff.). Die Hinweispflicht des Absatzes 1 ist grundsätzlich auf die für den Schuldspruch maßgebenden Strafgesetze ausgerichtet, sie betrifft nicht alle Vorschriften, welche die Rechtsfolgen regeln. In Absatz 2 Nr. 1 wird die Hinweispflicht auf die Umstände ausgedehnt, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen. Wegen der Einzelheiten vgl. Rn. 38 ff. Eines besonderen Hinweises, dass neben der lebenslangen Freiheitsstrafe auch die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld (§ 57a StGB) in Betracht kommt, bedarf es nicht, da hierüber bei jeder lebenslangen Freiheitsstrafe entschieden werden muss;124 er empfiehlt sich indes, wenn die Anklageschrift einen solchen Hinweis nicht enthält.125 hh) Anwendung von Jugendrecht. Wird erst in der Hauptverhandlung bekannt, 33 dass der Angeklagte Jugendlicher oder Heranwachsender ist, so muss er auf das Eingreifen der Vorschriften des Jugendgerichtsgesetzes hingewiesen werden.126 Eines erneuten Hinweises bedarf es aber nicht, wenn das Gericht dann trotz eines solchen Hinweises doch Erwachsenenrecht anwendet.127 c) Beispiele aus der Rechtsprechung. Die nachstehend angeführten Beispiele128 34 aus der Rechtsprechung zur Hinweispflicht bei Veränderungen der Tatmodalitäten sind zu verschiedenen Fassungen der jeweiligen Strafgesetze ergangen. Es ist stets im Einzelfall zu prüfen, ob der Grund, warum damals die Hinweispflicht bejaht oder verneint wurde, auch nach dem nunmehr geltenden Recht noch zutrifft.

120 KK/Kuckein/Bartel 6; MüKo/Norouzi 20. 121 BGH NStZ 1988 191 mit Anm. Hilgendorf-Schmidt; Meyer-Goßner/Schmitt 9. 122 RGSt 4 40; 29 21; 53 185; vgl. ferner RGSt 50 11 zum ehem. § 151 GewO (jetzt § 1 StGB); Eb. Schmidt 8 hält diese Entscheidung für bedenklich.

123 BGHSt 16 47, 48; 22 336, 338; 29 124, 127; 29 274, 276 f.; KG VRS 53 (1977) 42, 43; OLG Stuttgart VRS 44 (1973) 134, 135; Meyer-Goßner/Schmitt 6; SK/Velten 32; Meyer GA 1971 518; a. A. Hanack JZ 1972 433.

124 BGH NJW 1996 3285; StV 2006 60 mit abl. Anm. Lüderssen; LR/Gollwitzer25 34; KK/Kuckein/Bartel 8; Pfeiffer 3; Radtke/Hohmann 42; SSW/Rosenau 22; Roxin/Schünemann § 44, 29 Fn. 15; Kintzi DRiZ 1993 343; zweifelnd BGH bei Becker NStZ-RR 2003 291; empfehlend KK/Kuckein/Bartel 15; a. A. MüKo/Norouzi 29; Wollweber NJW 1998 121 f.; für analoge Anwendung unter dem Blickwinkel der Fürsorgepflicht auch HK/Julius/Beckemper 5; für Anwendung von § 265 Abs. 2 Nr. 1 OK-StPO/Eschelbach 28. 125 Meyer-Goßner/Schmitt 15a; KMR/Stuckenberg 21; Radtke/Hohmann 42. 126 HK/Julius/Beckemper 36; KK/Kuckein/Bartel 11; MüKo/Norouzi 28; Pfeiffer 3; Radtke/Hohmann 41; Eb. Schmidt 14; so schon zum früheren Recht RGSt 33 166 ff.; 53 185, 187; abw. OK-StPO/Eschelbach 15 (nur aufgrund des fair trial-Gebots). 127 BGH NJW 1998 3654, 3655; MüKo/Norouzi 28; Radtke/Hohmann 41. 128 Vgl. auch KK/Kuckein/Bartel 8 ff.; KMR/Stuckenberg 25 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 12 ff.; MüKo/Norouzi 22 ff.; SK/Velten 19.

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aa) Hinweis erforderlich. In den folgenden Fällen hielt die Rechtsprechung einen Hinweis für erforderlich: § 113 StGB – tätlicher Angriff statt Widerstandsleistung, wobei zu beachten ist, dass im einzelnen Fall dieselbe Handlung zugleich Angriff und Widerstand sein kann;129 § 123 StGB – widerrechtliches Eindringen statt unbefugten Verweilens;130 § 142 StGB – Absatz 2 statt Absatz 1 und umgekehrt;131 § 146 StGB – Absatz 1 Nr. 3 statt Absatz 1 Nr. 1;132 § 163 StGB – fahrlässige statt vorsätzlicher Verletzung der Eidespflicht.133 Legt jedoch der Eröffnungsbeschluss dem Angeklagten ein Vergehen gegen § 153 in Fortsetzungszusammenhang mit Meineid zur Last, und hält das Gericht nur die Verurteilung wegen Meineids für zulässig, weil die uneidliche Falschaussage durch den Meineid aufgezehrt werde, bedarf es keines Hinweises;134 § 166 StGB – Beschimpfung kirchlicher Gebräuche statt beschimpfenden Unfugs in einer Kirche;135 § 176 Abs. 1 Nr. 1 StGB a. F. – versuchte gewaltsame Vornahme unzüchtiger Handlungen statt versuchter Notzucht;136 § 177 StGB – Verurteilung aus § 177 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB statt nur aus Nr. 1;137 § 181a StGB – verschiedene Begehungsformen;138 §§ 185, 187 StGB – Beleidigung statt Verleumdung; Beleidigung statt Unzucht mit Minderjährigen;139 § 211 StGB – Mord zur Verdeckung einer Straftat oder aus Hass statt Mord zur Befriedigung des Geschlechtstriebs;140 zur Begehung oder Verdeckung einer Straftat und umgekehrt141 oder Tötung aus Rachgier statt aus Habsucht142; grausame Tötung statt aus niedrigen Beweggründen;143 niedere Beweggründe statt Befriedigung des Geschlechtstriebs oder statt Heimtücke; Verdeckungsabsicht statt Wut oder Rachsucht;144 Hinzutreten niedriger Beweggründe zur Verdeckungsabsicht;145 zur Auswechslung der Bezugstat bei Verdeckungs- oder Ermöglichungsabsicht sowie der Tatsachengrundlage der niedrigen Beweggründe s. Rn. 52; § 222 StGB – statt Aussetzung mit Todesfolge (§ 221 Abs. 3 StGB), die trotz § 18 StGB ein anderer Tatbestand ist;146 129 RGSt 28 98, 99; RG GA 48 (1901) 359. 130 RGSt 19 401, 402 f. 131 BayObLG VRS 61 (1981) 31; OLG Brandenburg StraFo 2002 193; OLG Celle VRS 54 (1998) 38, 39 f.; OLG Frankfurt StV 1992 60; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1985 132 Nr. 61. 132 BGH wistra 1993 193 f. 133 RGSt 65 363. 134 BGH LM Nr. 12. 135 RG Recht 1910 Nr. 1470. 136 RG HRR 1940 Nr. 206 (zur früheren Fassung). 137 BGH StV 2006 5 (aber Beruhen verneint). 138 RG JW 1936 2554. 139 BGH GA 1962 338. 140 OGH NJW 1950 195; BGHSt 23 95, 97 f.; OLG Kiel SchlHA 1948 191; Küpper NStZ 1986 249, 251. 141 BGH StV 1984 367; bei Holtz MDR 1981 102; offen gelassen in BGHSt 23 95, 97 f.; 25 287, 289 f.; BGH NStZ-RR 1999 235, 236; Küpper NStZ 1986 249, 251. 142 KG HESt 1 189 = SJZ 1947 447 mit abl. Anm. Exner. 143 BGH bei Dallinger MDR 1970 382 f. 144 BGHSt 25 287, 289 f.; Geis NJW 1990 2735 f.; Küpper NStZ 1986 249, 251. 145 BGH NJW 2017 1253, 1254 mit Anm. Schlund und Gubitz NStZ 2017 242. 146 BGH NStZ 1983 424; Schlothauer StV 1986 213, 217.

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§ 223a a. F./224 n. F. StGB – Verübung mit gefährlichen Werkzeugen statt gemeinschaftlich147 und umgekehrt148 oder durch hinterlistigen Überfall149; § 224 StGB a. F. – andere Tatfolgen;150 § 243 StGB a. F. – Erbrechen eines Behältnisses statt Einbruchs oder Einbruch statt Einsteigen;151 die einzelnen Regelbeispiele der Neufassung des § 243 StGB sind keine Tatbestandsmerkmale mehr, dazu Rn. 40; §§ 243, 252 StGB – schwerer (a. F.) statt räuberischer Diebstahl;152 § 244 StGB – Bandendiebstahl statt Diebstahls unter Mitführung einer Schusswaffe;153 §§ 246, 266 StGB – Unterschlagung statt Untreue154 oder statt Amtsunterschlagung155; § 250 StGB – Bandenraub statt Raubes mit Waffen; Verabredung zum schweren Raub statt Raubes mit Waffen;156 § 257 StGB – persönliche statt sachlicher Begünstigung;157 eigennützige sachliche Begünstigung statt Anstiftung zum Diebstahl und Hehlerei;158 § 259 StGB a. F. – Mitwirken zum Absatz statt Ansichbringens oder Verheimlichens oder dieses statt Ansichbringens;159 § 260 StGB – gewerbsmäßige statt gewohnheitsmäßiger Hehlerei;160 § 266 StGB – Treubruchtatbestand statt des Missbrauchstatbestands;161 für den umgekehrten Fall kann etwas anderes gelten;162 § 267 StGB – Herstellen statt Gebrauchmachen;163 § 274 StGB – Wegnahme statt Unkenntlichmachen eines Grenzmerkmals;164 anders aber bei fälschlichem Setzen statt Verrücken (Rn. 36); § 289 StGB – Wegnahme einer fremden statt der eigenen Sache;165 § 308 StGB a. F. – Übergang von der zweiten zur ersten Alternative;166 § 315c StGB – Abs. 1 Nr. 2d statt Nr. 2b;167 § 316 StGB und § 24a StVG;168

147 RGSt 12 379; 30 177; RGRspr. 9 (1887) 204; BGH NStZ 1984 328; vgl. Küpper NStZ 1986 249, 251 zu den einzelnen Tatbestandsvariationen des § 223a StGB a. F. 148 BGH NStZ 2018 557. 149 BGH nach KK/Kuckein/Bartel 8; vgl. auch BGH NStZ 1997 237. 150 BGH NStZ 1984 328; StV 1997 237; Küpper NStZ 1986 249, 251. 151 RGRspr. 7 (1885) 138; RG GA 46 (1898/1899) 321; Oetker JW 1922 1016. 152 RG Recht 1927 Nr. 231; BGH VRS 65 (1983) 128. 153 BGH bei Dallinger MDR 1974 548. 154 RGSt 46 378. 155 RGSt 17 294. 156 BGHSt 26 167, 174 m. w. N.; BGH NStZ 1994 285; KK/Kuckein/Bartel 8 m. w. N. 157 RG JW 1920 649. 158 BGHSt 2 371. 159 RG GA 42 (1894) 395; 51 (1904) 354; JW 1928 2259; a. A. RG GA 65 (1918) 544. 160 RGSt 27 138 f. 161 BGH NJW 1954 1616; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1988 449 Nr. 14. 162 BGH JR 1985 28 mit Anm. Otto; OLG Oldenburg HESt 2 45; dazu Küpper NStZ 1986 249, 252 f. 163 BGH StV 1985 490. 164 RG GA 52 (1905) 244. 165 RG Recht 1902 Nr. 2772. 166 BGH StV 1989 468, 469. 167 OLG Hamm VRS 42 (1972) 115 f. 168 OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1981 94.

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§ 323a (§ 330a a. F.) StGB – bei Änderungen der Rauschtat;169 oder Verurteilung aus § 323a StGB anstelle der Rauschtat;170 § 348 Abs. 2 StGB – Vernichtung einer amtlich zugänglichen statt einer amtlich anvertrauten Urkunde;171 verschiedene Verkehrsverstöße sind in der Regel keine gleichartigen Erscheinungsformen derselben Tat;172 Art. 6 §§ 1, 2 MietRVerbG – Zerstörung einer Wohnung statt Leerstehenlassen.173 36

bb) Hinweis entbehrlich. Der Hinweis wurde für entbehrlich gehalten: § 117 StGB – vom Eigentümer bestellter Aufseher statt Forstbeamter;174 § 140 Nr. 2 i. V. m. § 126 Abs. 1 Nr. 2 StGB – nicht wesensverschiedene Katalogtaten;175 § 176 Nr. 3 StGB a. F. – Verleitung zur Verübung einer unzüchtigen Handlung statt Verübung einer solchen;176 § 180 StGB a. F. – Absatz 2 statt Absatz 1;177 § 223a StGB a. F. – Benutzung eines gefährlichen Werkzeugs statt einer Waffe;178 § 223b StGB a. F. – Vernachlässigen statt Quälen;179 § 224 a. F. StGB – Lähmung statt Verlust eines Gliedes;180 § 250 StGB – Mittel statt Werkzeugs;181 § 257 StGB – Begünstigung eines Vergehens statt eines Verbrechens;182 § 263 StGB – Vorspiegelung falscher statt Unterdrückung wahrer Tatsachen;183 § 266 StGB – Vermögensgefährdung statt Vermögensbeschädigung;184 § 274 StGB – Unterdrückung statt Vernichtung einer Urkunde;185 fälschliches Setzen eines Grenzsteins statt Verrückung;186 § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB statt § 283b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 StGB;187 § 284 StGB – Bereitstellen einer Einrichtung statt Veranstalten von Glücksspielen;188

169 BGH bei Dallinger MDR 1967 175; BayObLGSt 1954 45 = NJW 1954 1579; OLG Schleswig bei Ernesti/ Jürgensen SchlHA 1969 153 Nr. 61; Schlothauer StV 1986 213, 217.

170 OLG Köln NStZ-RR 1998 370; OLG Oldenburg NJW 2009 3669 f. 171 RGSt 24 89 f. 172 BayObLGSt 1956 286; OLG Hamm VRS 42 (1972) 115; KG VRS 10 (1956) 58; OLG Köln VRS 12 (1957) 284; OLG München DAR 1951 67; OLG Saarbrücken VRS 48 (1975) 187; OLG Schleswig DAR 1962 157; bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1980 176; vgl. aber auch KG VRS 12 (1957) 451. 173 OLG Köln NStZ 1983 31. 174 RGSt 33 224. 175 BGH NStZ 2017 699, 700. 176 RG LZ 1914 784. 177 RGSt 63 160. 178 RGSt 30 176, 177; krit. Küpper NStZ 1986 249, 252. 179 RGSt 70 357, 358 f. 180 BGH NJW 1988 2622 mit abl. Anm Kratzsch JR 1989 295. 181 BGH bei Miebach NStZ 1988 212 f. Nr. 18; BGHR § 265 Hinweispflicht 1. 182 RGSt 13 134, 136. 183 BGH 6.6.1955 – 3 StR 260/54 bei KK/Kuckein/Bartel 9. 184 BGH 24.6.1979 – 1 StR 785/79 bei KK/Kuckein/Bartel 9. 185 RGSt 40 114 f. 186 RGSt 19 401, 402; RGRspr. 4 (1882) 62 f. 187 BGH bei Cierniak/Zimmermann NStZ-RR 2011 225, 230 Nr. 69. 188 OLG Düsseldorf JMBlNW 1991 19, 20.

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§ 286 StGB – Lotterie statt Ausspielung;189 § 302a StGB a. F. (vgl. jetzt § 291 StGB) – Ausbeutung des Leichtsinns statt Notlage;190 § 4 Nr. 1 LebMG a. F. – Verfälschen statt Nachmachen;191 §§ 239, 240 KO a. F. (vgl. jetzt §§ 283 StGB ff.). – Zahlungseinstellung statt Konkurseröffnung;192 einfacher statt betrügerischer Bankrott;193 unordentliches Führen der Bücher statt Unterlassen der Buchführung.194 2. Straferhöhende Umstände, Maßnahmen, Nebenstrafen und Nebenfolgen 37 (Absatz 2 Nr. 1). Mit der Neufassung des Absatzes 2 durch das Gesetz vom 17.8.2017 wurde der bisherige Regelungsgehalt in die neue Nr. 1 verschoben und sachlich erweitert, indem nicht nur neu hervorgetretene straferhöhende Umstände und Maßregeln der Besserung und Sicherung die Hinweispflicht auslösen, sondern alle Maßnahmen im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB, mithin auch Einziehung und Unbrauchbarmachung.195 Explizit genannt sind nun auch die früher umstrittenen Nebenstrafen und Nebenfolgen. a) Neue Umstände. Die allgemeinen Voraussetzungen des Absatzes 1 (Rn. 9 ff.) gel- 38 ten für Absatz 2 Nr. 1 entsprechend. Ausgelöst wird die Hinweispflicht des Absatzes 2 Nr. 1 – wie zuvor unter Absatz 2 a. F. – durch in der Hauptverhandlung neu hervorgetretene Tatsachen, die zur Anwendung einer nach Art oder Umfang schwereren oder einer zusätzlichen Strafsanktion führen können und die der Angeklagte nicht aus der zugelassenen Anklage entnehmen und auf die er sich daher zu seiner Verteidigung nicht vorbereiten konnte.196 Gleichzustellen ist entgegen der Rechtsprechung der Fall, dass in der Anklage bereits benannte Umstände erst in der Hauptverhandlung als straferhöhend usw. erkannt werden,197 zumal dies für die Maßregelanordnung stets anerkannt war (Rn. 44). Beim Wegfall straferhöhender Umstände oder beim Hinzutreten eines strafmildernden Gesichtspunkts198 sowie beim Wegfall in der Anklage genannter strafmildernd wirkender Tatsachen199 bedarf es in der Regel keines Hinweises.

189 RGSt 31 71. 190 RGSt 17 440, 441 f. 191 BGHSt 21 1; dazu Hanack JZ 1972 433; zur Rechtslage nach dem LFBG vgl. die einschlägigen Kommentare. 192 RGSt 36 266. 193 BGH LM Nr. 9. 194 RGSt 3 417, 418; 19 401, 402. 195 BTDrucks. 18 11277 S. 37; OLG Koblenz NJW 2018 2505. 196 RGSt 39 17, 18 f.; 52 249, 250; RG JW 1926 1217; BGHSt 29 274, 279; BGH NStZ 2012 50; OLG Jena StV 2007 230, 231; KK/Kuckein/Bartel 14; KMR/Stuckenberg 32; Meyer-Goßner/Schmitt 17a; MüKo/Norouzi 31; SK/Velten 22; Wachsmuth ZRP 2006 121 ff. 197 AK/Loos 7; HK/Julius/Beckemper 8; KMR/Stuckenberg 32; MüKo/Norouzi 31; OK-StPO/Eschelbach 30; Radtke/Hohmann 44; SK/Velten 23 f.; Eb. Schmidt 12; SSW/Rosenau 24, 28; Schlothauer StV 1986 213, 220, 222; a. A. BGHSt 29 274, 279; KK/Kuckein/Bartel 14; Wachsmuth ZRP 2006 121, 123 f. (keine planwidrige Lücke, daher Gesetzesänderung nötig). 198 RGSt 53 100; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999 310, 311; HK/Julius/Beckemper 7; KK/Kuckein/Bartel 15; KMR/Stuckenberg 33; Meyer-Goßner/Schmitt 17a; MüKo/Norouzi 32; Radtke/Hohmann 45; SK/Velten 27; Eb. Schmidt 12. 199 BGH NJW 1955 31 (zu § 157 StGB); 1988 501 mit Anm. Hilgendorf-Schmidt NStZ 1988 191 (Wegfall des § 21 StGB); KK/Kuckein/Bartel 15; KMR/Stuckenberg 33; Meyer-Goßner/Schmitt 17a; Radtke/Hohmann 45; SK/Velten 27.

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b) Erhöhung der Strafbarkeit. Unter den „vom Strafgesetz besonders vorgesehenen Umständen“, welche die Strafbarkeit erhöhen, ist grundsätzlich dasselbe wie in § 263 Abs. 2 zu verstehen (§ 263, 10).200 Dazu gehören unstreitig alle echten Qualifikationstatbestände, bei denen durch Festlegung bestimmter zusätzlicher Tatumstände ein gegenüber dem Grundtatbestand verselbständigter neuer Tatbestand geschaffen wurde, wie etwa § 221 Abs. 2, 3; §§ 224, 226; § 239 Abs. 3, 4; § 239a Abs. 3 oder § 250 Abs. 1; § 260 Abs. 1 StGB.201 Bei den nur durch Regelbeispiele verdeutlichten Strafschärfungsgründen, die kei40 ne tatbestandsmäßige Verselbständigung bedeuten,202 war die Hinweispflicht strittig, da Absatz 2 a. F. – ebenso wie § 263 Abs. 2, § 267 Abs. 2 – nur auf die tatbestandsmäßig ausformulierten Fälle abstellte. Die vorherrschende Meinung nahm in analoger Anwendung des Absatzes 2 a. F. eine Hinweispflicht an, sofern sich das Vorliegen der für das Regelbeispiel maßgebenden Tatumstände nicht bereits aus dem Sachverhalt der Anklage ergibt,203 vor allem, wenn er erst später hervorgetreten ist, aber auch, wenn er nicht ohne Weiteres dem äußeren Sachverhalt der Anklage zu entnehmen ist. Daran ist für Absatz 2 Nr. 1 n. F. festzuhalten.204 Hingegen fallen unbenannte Strafschärfungsgründe, die für nicht tatbestandsmäßig 41 näher umschriebene besonders schwere Fälle eine höhere Strafe androhen, nicht unter Absatz 2 Nr. 1,205 genau so wenig sonstige schwere Fälle außerhalb vom Gesetz aufgezählter Regelbeispiele.206 Bloße Strafzumessungsgründe, die innerhalb des ordentlichen Strafrahmens zu berücksichtigen sind, fallen nicht unter Absatz 2 Nr. 1.207 Unabhängig von der strittigen Tragweite der analogen Anwendung des Absatzes 2 42 Nr. 1 bleibt in den vorgenannten Fällen bei veränderter Sachlage ein Hinweis nach Absatz 2 Nr. 3 zu bedenken;208 zudem kann die prozessuale Fürsorgepflicht einen ausdrücklichen Hinweis gebieten. Die Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs und zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens erfordert einen Hinweis zudem immer dann, wenn das Gericht einem tatsächlichen Umstand für die Findung des Strafrahmens 39

200 BGHSt 3 30, 32; Meyer-Goßner/Schmitt 18; MüKo/Norouzi 33; krit. Schlothauer StV 1986 213, 220. 201 RGSt 70 357, 358; BGHSt 29 274, 279 f.; BGH NJW 1955 31; 1959 996; 1977 1830; OLG Jena StV 2007 230, 231; KK/Kuckein/Bartel 15; KMR/Stuckenberg 34; Meyer-Goßner/Schmitt 18; MüKo/Norouzi 33; OKStPO/Eschelbach 27; Radtke/Hohmann 46; SSW/Rosenau 24. 202 RGSt 70 357; BGH NJW 1959 996; 1977 1830 mit Anm. Braunsteffer NJW 1978 60. 203 BGH NJW 1980 714 unter Einschränkung von BGH NJW 1977 1830 (für die Gewerbsmäßigkeit beim Handeln mit Betäubungsmitteln); StV 1987 427; ebenso AK/Loos 17; HK/Julius/Beckemper 7; KK/Kuckein/ Bartel 15; KMR/Stuckenberg 35; LR/Gollwitzer25 43; Meyer-Goßner/Schmitt 19; MüKo/Norouzi 33; Radtke/ Hohmann 47; SK/Velten 25 f.; Hamm 1167; Arzt JuS 1972 515, 516 f.; Braunsteffer NJW 1978 60; Fabry NJW 1986 15; Furtner JR 1969 11, 13; Roxin/Schünemann § 44, 30; Schlüchter 366.3; Schlothauer StV 1986 213, 221; Rieß GA 2007 377, 380 ff.; Wessels FS Maurach 295, 308. 204 KK/Kuckein/Bartel 15; OK-StPO/Eschelbach 27; SSW/Rosenau 25; wohl auch Meyer-Goßner/Schmitt 19. 205 RGSt 70 357, 358; RG JW 1935 2433; BGHSt 29 274; 279 f.; BGH NJW 1959 996; 1977 1830; StV 2000 298; VRS 56 (1979) 189, 191; HK/Julius/Beckemper 7; KK/Kuckein/Bartel 15; KMR/Stuckenberg 35; MeyerGoßner/Schmitt 19; OK-StPO/Eschelbach 27; SSW/Rosenau 25; Schlothauer StV 1986 213, 220, 221; a. A. AK/ Loos 17; MüKo/Norouzi 33; Radtke/Hohmann 48; SK/Velten 25. 206 KMR/Stuckenberg 35; Meyer-Goßner/Schmitt 19; LR/Gollwitzer25 44; Arzt JuS 1972 515, 517; a. A. AK/ Loos 17 für Fälle richterlicher Regelbildung; HK/Julius/Beckemper 7; Furtner JR 1969 11, 13; Schlothauer StV 1986 213, 221; unklar Hamm 1167. 207 Vgl. OLG Hamm NJW 1980 1587; die Frage, ob wegen der Befugnis zur Einspruchszurücknahme der Betroffene auf die Möglichkeit einer höheren Geldbuße hinzuweisen ist, ist keine Frage des § 265 Abs. 1, 2; OK-StPO/Eschelbach 29; Radtke/Hohmann 49; SSW/Rosenau 25; vgl. OLG Dresden DAR 2003 181. 208 OK-StPO/Eschelbach 27.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 265

Gewicht beimessen will und dies dem Angeklagten weder aus der Anklage noch aus dem Gang der Hauptverhandlung ersichtlich ist.209 Der Angeklagte muss zu diesen Tatsachen und ihrer Bedeutung gehört werden, er muss seine Verteidigung auch hierauf erstrecken können. Die Anwendung besonderer gesetzlicher Milderungsgründe ist auch ohne einen 43 entsprechenden Hinweis zulässig;210 etwas anderes gilt, wenn sich der mildere Fall zu einem Sonderstraftatbestand verfestigt hat (Rn. 26). c) Maßnahmen. Zu den Maßnahmen gehören gem. § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB die Maßre- 44 geln der Besserung und Sicherung, die Einziehung (§§ 73 ff. StGB) und die Unbrauchbarmachung. Kommt eine Maßregel in Betracht, bedarf es stets eines Hinweises, wenn die Anklage die Möglichkeit ihrer Anordnung nicht erwähnt hat. Dies gilt schon, wenn im Übrigen der angeklagte Sachverhalt unverändert geblieben ist, und es gilt erst recht, wenn erst die in der Hauptverhandlung festgestellten Tatsachen ergeben, dass eine solche Maßregel in Betracht kommen kann. Der Schutzzweck des Absatzes 2 erfordert, dass der Angeklagte nicht im Zweifel darüber bleibt, auf Grund welcher Tatsachen das Gericht die Anordnung einer bestimmten Maßregel erwägt.211 Zweifelhaft ist daher die Ansicht,212 dass die Angabe des genauen Anordnungstatbestands nicht erforderlich sei, sofern es sich um dieselbe Maßregel handele, denn für die Verteidigung kann der Unterschied bedeutsam sein. Da die einzelnen Maßregeln der Besserung und Sicherung ihrem Wesen nach verschieden sind, ersetzt der Hinweis auf eine Maßnahme den Hinweis auf eine andere möglicherweise auch in Betracht zu ziehende Maßnahme nicht. Deshalb muss der Angeklagte nach Absatz 2 auch darauf hingewiesen werden, wenn eine andere Maßregel in Betracht kommt als die zugelassene Anklage angeführt hat.213 Soll beispielsweise ein Berufsverbot ausgesprochen werden, so ist der Angeklagte 45 in der Hauptverhandlung ausdrücklich auf die Möglichkeit dieser Maßregel hinzuweisen, wenn die ihm zur Last gelegten Straftaten im Eröffnungsbeschluss nicht als Voraussetzungen dafür gekennzeichnet sind.214 Ein Hinweis in der Ladungsverfügung, dass ein Sachverständiger mit einem Gutachten beauftragt worden sei, ist jedenfalls dann ungenügend, wenn die fragliche Maßregel nicht genannt wird.215 Gleiches gilt für die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus,216 in einer Entziehungsanstalt,217 für die Anordnung 209 Auch bei höherem Bußgeld: OLG Dresden ZfSch 2019 112; OLG Jena VRS 113 (2007) 330 (Überraschungsentscheidung); KG VRS 113 (2007) 293 (Vertrauenstatbestand); zweifelnd KG NZV 2015 355; anders, wenn der Betr. damit rechnen musste, KG 31.1.2019 – 3 Ws (B) 40/19; OLG Hamm NStZ 2017 592. 210 BGH NJW 1956 1246; Meyer-Goßner/Schmitt 17a; Radtke/Hohmann 45. 211 BGHSt 2 85, 87; 18 288, 289; BGH StV 1988 329; 1991 8; 2015 206 f.; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 358; BGH NStZ 2009 468; OLG Hamm StV 2010 179, 182; OLG Koblenz VRS 50 (1976) 30; Schlothauer 1986 213, 218; AK/Loos 19; KK/Kuckein/Bartel 16; KMR/Stuckenberg 37; Meyer-Goßner/Schmitt 20; MüKo/Norouzi 34; SK/Velten 28. 212 BGH NStZ-RR 2018 23 (zu § 66 Abs. 1 bis 3 StGB); Meyer-Goßner/Schmitt 20; Radtke/Hohmann 51 (aber ggf. Hinweis entsprechend § 265 Abs. 2 a. F.); offenlassend für den Übergang von § 66 Abs. 2 auf Abs. 3 StGB BGH StraFo 2003 198 f.; vgl. OLG Hamm StV 2010 179, 180. 213 RG HRR 1939 Nr. 133; BGHSt 29 274, 279; BGH StV 1991 198; KK/Kuckein/Bartel 15; KMR/Stuckenberg 37; Meyer-Goßner/Schmitt 20; MüKo/Norouzi 34; Radtke/Hohmann 50; SK/Velten 28. 214 BGHSt 2 85. 215 BGH StV 2015 206, 207; s. a. OLG Hamm StV 2010 179, 180. 216 BGHSt 22 29; BGH NJW 1964 459; bei Holtz MDR 1976 815; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 358 Nr. 32; 1992 249; NStZ-RR 2002 271; 2010 215; StV 1982 4; BGH 20.5.2014 – 5 StR 173/14; Schlothauer StV 1986 213, 218. 217 BGH StV 1988 329; 1991 198; 2008 344; 2015 206.

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der Sicherungsverwahrung,218 für die Führungsaufsicht219 und für die Entziehung der Fahrerlaubnis,220 dies auch dann, wenn zuvor im Strafbefehl bereits ein Fahrverbot verhängt worden war.221 Der Hinweis ist auch nicht als entbehrlich anzusehen, wenn der Angeklagte diese Möglichkeit bereits aufgrund einer vorläufigen Sicherungsmaßnahme (etwa nach § 111a) kennt,222 und keinesfalls, wenn diese wieder zurückgenommen worden war.223 Entsprechendes gilt für die Einziehung224 und Unbrauchbarmachung. 46

d) Nebenstrafen und Nebenfolgen. Nach der früher herrschenden Ansicht erstreckte sich Absatz 2 a. F. nicht auf Nebenstrafen und Nebenfolgen,225 weshalb auch in der Rechtsprechung eine analoge Anwendung befürwortet226 wurde. Die Neufassung verlangt nun in Absatz 2 Nr. 1 ausdrücklich, auf die mögliche Anordnung von Nebenstrafen (§ 44 StGB) und Nebenfolgen (§ 45 Abs. 2 und 5, §§ 165, 200 StGB, § 25 StVG) hinzuweisen, wenn sich diese erst in der Hauptverhandlung ergibt. Beim Fahrverbot (§ 44 StGB) sollen nach der Gesetzesbegründung „vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände“ nur solche sein, bei denen in der Regel eine Anordnung zu erfolgen hat,227 wobei die erst später eingefügte Fassung des § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB228 noch nicht bekannt war. Nach der Ausweitung des Anwendungsbereichs des Fahrverbots durch das Gesetz vom 17.8.2017 sollte ein Hinweis außerhalb der Straßenverkehrsdelikte dennoch erfolgen, wenn sich diese eben nicht regelhaft vorsehbare Rechtsfolge in der Hauptverhandlung ergibt, weil sie nach § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB „namentlich in Betracht kommt“, etwa zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung usw.229

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3. Abweichung von einer mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage (Absatz 2 Nr. 2). Hat das Gericht den Beteiligten eine vorläufige Bewertung der Sach- oder Rechtslage, etwa nach § 257b, mitgeteilt – wozu es nach wie vor nicht verpflichtet ist (Rn. 76) –, so hat es damit regelmäßig einen Vertrauenstatbestand geschaffen, von dem es nur abweichen kann, wenn es zuvor einen dahingehenden Hinweis erteilt, um Überraschungsentscheidungen zu vermeiden, vgl. § 257c Abs. 4 Satz 4.230 In

218 BGH GA 1966 180; bei Holtz MDR 1976 815; NStZ 2009 227; 2009 468; 2013 248; NStZ-RR 2004 297; 2009 378; 2013 256; StV 1994 232 f.; zum Wechsel der Anordnungstatbestände des § 66 StGB s. oben Fn. 212. 219 BGH StV 2015 207; Schlothauer StV 1986 213, 219. 220 BGHSt 18 288 = JZ 1963 514 mit Anm. Weber; BGH StV 1991 198; 1993 395; StraFo 2003 276; OLG Koblenz VRS 50 (1976) 30; Schlothauer StV 1986 213, 219. 221 BayObLGSt 2004 43; Meyer-Goßner/Schmitt 20; MüKo/Norouzi 34. 222 So aber BayObLG bei Rüth DAR 1974 182; HK/Julius/Beckemper 7; KMR/Stuckenberg 37; SSW/Rosenau 29; wie hier Radtke/Hohmann 56; SK/Velten 30. 223 OLG Koblenz VRS 71 (1986) 209, 211. 224 BGH NStZ 2019 747, 748 (1. Senat); OLG Koblenz NJW 2018 2505 mit zust. Anm. Habetha. Dem ist der 5. Senat des BGH für die Einziehung entgegengetreten (Anfragebeschluss BGH NStZ 2019 748, 749 ff. mit abl. Anm. Börner; Antwortbeschlüsse: 1. Senat: NStZ 2020 25; 2. Senat: Beschl. v. 15.1.2020 – 2 ARs 236/19; 4. Senat: Beschl. v. 15.1.2020 – 4 ARs 15/19) und hat die Frage dem Großen Senat vorgelegt mit Beschl. v. 14.4.2020 – 5 StR 20/10; krit. Ceffinato JR 2020 6, 10 f.; diff. Abraham HRRS 2020 51, 53 ff. (analoge Anwendung von § 265 Abs. 2 Nr. 2). 225 Dazu LR/Stuckenberg26 35 m. w. N. 226 LR/Stuckenberg26 72 m. w. N. 227 BTDrucks. 18 11277 S. 37. 228 Dazu BTDrucks. 18 12785 S. 43. 229 So auch SSW/Rosenau 27. 230 BTDrucks. 18 11277 S. 37; OLG Düsseldorf StraFo 2019 158 f.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 265

Betracht kommen nicht nur Mitteilungen im Umfeld einer (gescheiterten) Verständigung,231 jedoch immer nur Mitteilungen in, nicht außerhalb der Hauptverhandlung.232 Es fragt sich im Einzelnen, ob nun jeder auch nach § 265 Abs. 1 oder 2 gegebene 48 Hinweis wegen Absatz 2 Nr. 2 die Pflicht zu einem nachfolgenden Änderungshinweis auslöst, wenn das Gericht von der zuerst genannten Rechtsansicht abweichen will.233 Hier dürfte wie bisher auf den genauen Inhalt des ersten Hinweises ankommen, inwieweit von einem Vertrauenstatbestand ausgegangen werden kann (Rn. 80). Vom Gesetzgeber nicht explizit erwogen, aber vom Wortlaut gedeckt wäre ferner, 49 dass einige schon zuvor unter dem Stichwort einer „veränderten Verfahrenslage“ anerkannten Hinweispflichten nun unter Abs. 2 Nr. 2 fallen wie die Abkehr von der Zusage einer Wahrunterstellung (Rn. 56). Ob jede in der Bescheidung eines Beweisantrags nach § 244 Abs. 6 zumindest implizit zum Ausdruck kommende Bewertung der Sachlage durch das Gericht eine Hinweispflicht auslöst, wenn das Gericht seine Auffassung ändert,234 etwa eine Beweistatsache nun als unerheblich angesehen wird,235 erscheint zweifelhaft, zumal fast alles, was das Gericht während der Hauptverhandlung tut, auf einer vorläufigen Einschätzung der Sach- und Rechtslage beruht. Bei Verteidigungsrelevanz ist jedenfalls ein Hinweis nach Absatz 2 Nr. 3 geboten (Rn. 55 ff.). 4. Veränderte Sachlage (Absatz 2 Nr. 3). Die Vorschrift positiviert236 in Absatz 2 50 Nr. 3 die bisherige Rechtsprechung zu einer Hinweispflicht bei veränderter Sachlage in entsprechender Anwendung des § 265 a. F., Art. 6 Abs. 3 lit. a, b EMRK oder Art. 103 Abs. 1 GG, wenn dies zur Wahrung der Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten erforderlich ist.237 Dass der Gesetzgeber darüber hinausgehende Hinweispflichten begründen wollte, ist nicht ersichtlich, so dass an die bisherige Judikatur angeknüpft werden kann.238 Maßstäbe, wann ein Hinweis „zur genügenden Verteidigung erforderlich ist“, gibt das Gesetz nicht vor, so dass nach wie vor bei Änderungen aller subsumtionsrelevanten Tatsachen auf Art. 6 Abs. 3 lit. a, b EMRK239 und bei allen sonstigen entscheidungserheblichen Tatsachen, die der Angeklagte nicht kennt, auf Art. 103 Abs. 1 GG abzustellen ist. Die früher strittigen Fragen, ob der Hinweis förmlich erteilt und protokolliert werden muss,240 haben sich indes mit der Neufassung erledigt. Es genügt nicht mehr,241 dass der Angeklagte aus dem Gang der Verhandlung, etwa aus einer Vernehmung, erfährt, dass das Gericht von einer veränderten Sachlage ausgeht;242 vielmehr ist stets ein förmlicher Hinweis zu erteilen (Rn. 58 ff.). 231 § 257c, 65; BGHSt 56 235, 237 f. mit Anm. Jahn/Rückert NStZ 2012 48; s. a. Schneider NStZ 2018 232, 233.

232 233 234 235 236 237 238

BGH 29.11.2018 – 5 StR 519/18; Meyer-Goßner/Schmitt 21. Dafür OK-StPO/Eschelbach 12, 34; zweifelnd KK/Kuckein/Bartel 17. Dazu KK/Kuckein/Bartel 17. Gegen eine Hinweispflicht bisher BGH NStZ 2013 538, 539. BTDrucks. 18 11277 S. 15, 37 mit Verweis auf BGH NW 2015 233. LR/Stuckenberg26 § 265, 73–75 m. w. N. BGH NStZ 2019 236, 237; 2019 239; 2020 97, 98; BGH 9.5.2019 – 1 StR 688/18 Rn. 15; KK/Kuckein/ Bartel 18b; Meyer-Goßner/Schmitt 22; OK-StPO/Eschelbach 36. 239 Rn. 4; Niemöller (Hinweispflicht) 51 ff. m. w. N.; KMR/Stuckenberg 57. 240 LR/Stuckenberg26 § 265, 73, 80 ff., 83 ff. 241 Zum früheren Streitstand LR/Stuckenberg26 § 265, 82 m. w. N. 242 BGH NStZ 2019 236, 237 (3. Senat) mit zust. Anm. Gubitz; 2019 747, 748 (1. Senat, aber zu § 265 Abs. 2 Nr. 1); KK/Kuckein/Bartel 18; Meyer-Goßner/Schmitt 24; OK-StPO/Eschelbach 25, 50 f.; a. A. BGH NStZ 2019 239 (5. Senat); Arnoldi NStZ 2020 99, 101; Schlosser NStZ 2020 267, 269; wohl auch Ceffinato JR 2020 6, 13; offenlassend BGH NStZ 2020 97, 99 (1. Senat).

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a) Umfang der Hinweispflicht. Die Rechtsprechung hielt bisweilen einen Hinweis nur bei subsumtionsrelevanten Tatsachen für geboten, daher regelmäßig nicht bei Feststellungen, die allein die Tatplanung oder -vorbereitung betreffen243 oder weder einen äußeren Tatumstand betreffen noch unmittelbaren Bezug zu einem Tatbestandsmerkmal haben.244 Dies erscheint zu eng: Geboten ist ein Hinweis bei allen Veränderungen im äußeren Tatgeschehen, die für den Schuldspruch bedeutsam sein können, gleichgültig, ob sie unmittelbar ein Tatbestandsmerkmal betreffen oder nicht.245 Eine Hinweispflicht wurde in der Rechtsprechung bei folgenden Sachverhaltsände52 rungen bejaht: Bei Änderung der Tatrichtung,246 etwa durch Austausch der vorgeworfenen Handlung oder Unterlassung auch ohne Auswirkung auf den Schuldspruch,247 Austausch des Tatopfers248 oder des Tatobjekts,249 etwa Änderung der Bezugstat bei Verdeckungsabsicht250 oder der Tatsachengrundlage bei niedrigen Beweggründen unter § 211 StGB251; Veränderung der Tatzeit, sofern sie für den Schuldspruch relevant ist,252 etwa weil der Angeklagte für die angeklagte Zeit ein Alibi vorbringt253; auch bei Erweiterung des Tatzeitraums;254 bei Wechsel in der Person eines Beteiligten, etwa des Haupttäters bei Anklage wegen Beihilfe, des Mittäters bei Anklage wegen Mittäterschaft.255 Bisweilen wird einschränkend formuliert, es müsse sich um eine wesentliche Änderung des Tatbildes handeln.256 Verneint wurde eine Hinweispflicht bei Wechsel in der Person des Vortäters bei Steuerhehlerei257 oder wenn das tatbestandsverwirklichende Kerngeschehen im Wesentlichen gleichbleibt.258 Maßgebend sind aber nicht bestimmte äußerliche Merkmale, sondern stets nur, ob ein Hinweis für eine sachgemäße Verteidigung erforderlich ist.259 Vielfach wurde eine Hinweispflicht auch bei der Konkretisierung eines ungenau53 en, aber zulässigen Anklagesatzes bejaht, der noch seiner Umgrenzungsfunktion, aber nicht seiner Informationsfunktion genügte, etwa bei Serientaten nur einen Tatzeitraum angibt, während das Gericht von nach Ort, Zeit und Tatbegehung konkret bestimmten 51

243 BGH StV 1988 472, 473; NStZ 2000 48; NStZ-RR 2001 263 f.; bei Cierniak/Zimmermann NStZ-RR 2012 132 Nr. 54; BGH 5.4.2000 – 3 StR 95/00. 244 BGH NStZ 2000 216 (Tatmotiv). 245 KMR/Stuckenberg 58; Roxin/Schünemann § 44, 28. 246 BGH NStZ-RR 1999 37; NStZ 2019 239. 247 BGHSt 28 196, 198; BGH NStZ 1991 550, 551; StV 1991 501, 502; vgl. Schlothauer StV 1986 213, 225. 248 BGH GA 1962 338, 339; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1974 183 Nr. 110; Schlothauer StV 1986 213, 224; wohl auch OLG Stuttgart MDR 1967 233 f.; a. A. BGHSt 19 141, 142 f. 249 BGH StV 1990 249 f. (andere Forderung bei § 288 StGB). 250 BGHSt 56 121, 122 ff. mit Anm. Niemöller JR 2012 86 und Bock ZJS 2011 177. 251 BGH NStZ 2019 236, 237 mit Anm. Gubitz; 2020 97, 98 f. mit Anm. Arnoldi. 252 BGHSt 19 88 mit Anm. Dünnebier JR 1964 66 = LM Nr. 24 mit Anm. Willms; BGHSt 46 130, 133; BGH NJW 1991 1900, 1902; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1987 220 Nr. 18; NStZ-RR 2006 213 f.; StV 1984 368 f.; 1988 9; 1988 95 f.; 1995 116; 1997 237 f.; 1998 381; BGHR § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 8; BGH 9.5.2019 – 1 StR 688/18 Rn. 15; OLG Bremen StV 1996 301 f. 253 BGH NStZ-RR 2006 213 f.; OLG Saarbrücken 6.10.2014 – Ss 50/2014 (36/14) Rn. 11. 254 BGH StV 1996 584 f.; NStZ-RR 2006 316, 317; OLG Frankfurt StV 1985 224; OLG Köln StV 1984 414; OLG Schleswig MDR 1980 516, 517; auch SK/Velten 40. 255 BGH bei Holtz MDR 1977 108 f. (Hinweispflicht aus § 265 Abs. 4); NStZ-RR 2002 98 f.; BGHR § 265 Abs. 4 Hinweis 1; vgl. OLG Hamburg HESt 3 54 (Hinweispflicht aus § 265 Abs. 1). 256 BGHSt 56 121, 123, 125; BGH NStZ 2020 97, 98 mit Anm. Arnoldi; OK-StPO/Eschelbach 36. 257 BGH wistra 2010 154; NStZ 2015 233, 234. 258 BGHR § 265 Abs. 2 Hinweispflicht 8. 259 Zutr. OK-StPO/Eschelbach 36.

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Taten ausgehen will.260 Demgegenüber will die neuere Rechtsprechung dies nur noch ausnahmsweise annehmen, etwa wenn das Tatgericht durch eine zunächst geäußerte Sacheinschätzung einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, aber im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung zu anderen Erkenntnissen gelangt, oder wenn aus dem Verteidigungsverhalten des Angeklagten offenbar wird, dass er nicht erkannt hat, dass sich das ihm mit der Anklage noch unbestimmt vorgeworfene Verhalten in bestimmter Weise konkretisiert hat.261 Richtig daran ist, dass der Maßstab für eine Hinweispflicht auch hier die Garantie der Verteidigungsrechte ist, somit die Frage, ob der Angeklagte in gebotenem Maß über den Verfahrensstand informiert und vor Überraschung geschützt ist, so dass nutzlose Wiederholungen von allen Beteiligten durch den Gang der Verhandlung offensichtlich bekannten Konkretisierungen, etwa der Aussage des einzigen Belastungszeugen,262 nicht geboten sein können. Keine Unterrichtungspflicht besteht dagegen in der Regel, wenn das Gericht selbst 54 weiterhin vom unveränderten Sachverhalt ausgeht, andere Verfahrensbeteiligte aber in ihren Ausführungen solche Änderung für gegeben halten. Das Gericht ist auch nicht verpflichtet, den Angeklagten darauf hinzuweisen, wenn es den für ihn günstigen Ausführungen im Plädoyer des Staatsanwalts nicht folgen will.263 Auf Schlussfolgerungen, die das Gericht aus Tatsachen und Beweisergebnissen zieht, die Gegenstand der Verhandlung waren, muss es in der Regel nur hinweisen, wenn das Gebot eines fairen Verfahrens dies im Einzelfall gebietet.264 b) Veränderung der Verfahrenslage. Aus dem hinter § 265 Abs. 1, 2 stehenden all- 55 gemeinen Rechtsgedanken des Vertrauensschutzes als Ausprägung des Gebots des fairen Verfahrens folgt, dass auch in bestimmten Verfahrenslagen ein Hinweis notwendig sein kann, wenn der Anschein tatsächlich nicht bestehender Verfahrenslagen entstanden ist oder das Gericht Vertrauenstatbestände geschaffen hat, von denen es nun abweichen will.265 Die Rechtsprechung wandte früher in solchen Zusammenhängen in uneinheitlicher Weise § 265 Abs. 1 entsprechend an oder zog den Gedanken des § 265 Abs. 4 heran.266 Nach der Neufassung des Absatzes 2 lassen sich diese Fallgruppen ebenfalls unter die „veränderte Sachlage“ in Nr. 3 fassen,267 sofern nicht zugleich das Gericht eine vorläufige Einschätzung der Sach- oder Rechtslag im Sinne der Nr. 2 mitgeteilt hat (Rn. 49). Eine Hinweispflicht wurde beispielsweise bejaht268 bei Auswechslung der die Ver- 56 urteilung tragenden Indizien;269 bei Abkehr von der Zusage einer Wahrunterstellung270

260 BGHSt 40 44, 45; 43 293, 299; 44 153, 157 (regelmäßig zu protokollieren); BGH NStZ 1999 42 f.; StV 1984 63; 1996 197 f. Zur Heilung sonstiger Anklagemängel durch einen Hinweis nach § 265 siehe die Erläuterungen zu § 200, 91, 93. 261 BGHSt 48 221, 226 ff. mit zust. Anm. Maier NStZ 2003 674; abl. Roxin/Schünemann § 44, 28. 262 Vgl. BGHSt 48 221, 227 f.; Maier NStZ 2004 674, 675. 263 BGH bei Dallinger MDR 1971 18 f.; LR/Gollwitzer25 84. 264 BGH 4.2.1998 – 2 StR 605/97; OLG Hamm StraFo 2000 342, 343 f. (Glaubwürdigkeit eines Zeugen). Zur Hinweispflicht bei neuen Indiztatsachen OK-StPO/Eschelbach 39 ff. 265 BGHSt 36 210, 216 m. w. N.; BGH StV 1986 191; dazu Schlothauer StV 1986 213, 225 ff.; Gillmeister StraFo 1997 8, 11 ff.; Hamm 1187 f. 266 BGH NStZ 1998 312. 267 OK-StPO/Eschelbach 46 ff. 268 Vgl. KMR/Stuckenberg 65 f.; Schlothauer StV 1986 213, 226 f. 269 BGHSt 11 88, 91. 270 BGHSt 1 51, 53 ff.; 21 38 f.; 32 44, 47 m. w. N.

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oder der Zusage, einen Umstand nicht belastend zu verwerten271; vor belastender Verwertung eines Umstands, über den eine Beweisaufnahme zuvor wegen Bedeutungslosigkeit abgelehnt wurde;272 bei Berücksichtigung nach § 154 eingestellter Taten bei der Strafzumessung,273 auch wenn der Angeklagte sie gestanden hat; entsprechendes gilt für die Verwertung gemäß § 154a ausgeschiedener Tatteile im Rahmen der Beweiswürdigung und Strafzumessung274 sowie bei deren Wiedereinbeziehung gemäß § 154a Abs. 3,275 sofern das Gericht im Einzelfall einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, der das Verteidigungshandeln beeinflusst hatte und bei verständiger Einschätzung der Verfahrenslage auch haben konnte;276 wenn das Gericht selbst die teilweise Einstellung des Verfahrens nach § 154 angeregt hat, aber später zu einer anderen Beurteilung gelangt ist.277 Ein Hinweis ist ferner geboten, wenn die Aussage eines fehlerhaft vereidigten Zeugen als unbeeidete gewertet werden soll,278 bei Umstellen der Verlesungsgrundlage innerhalb des § 251279 sowie früher nach gescheiterter Strafmaßabsprache,280 vgl. dazu jetzt § 257c Abs. 4 Satz 4. 57 Hingegen soll keine Notwendigkeit bestehen, auf die Verwertbarkeit prozessordnungsgemäß festgestellten, aber wegen Verjährung nicht verfolgbaren Geschehens im Rahmen der Beweiswürdigung hinzuweisen. Anders als bei einem Vorgehen gemäß §§ 154, 154a könne eine Einstellung wegen Verjährung nicht Grundlage eines nur durch einen Hinweis zu beseitigenden Missverständnisses sein, verjährte Taten blieben in jeder Hinsicht unberücksichtigt.281 Wenn das Gericht aber erkennt, dass die Verteidigung des Angeklagten an einem solchen Irrtum leidet, wird der Grundsatz des fairen Verfahrens und die Fürsorgepflicht einen Hinweis erfordern. 5. Art und Weise der Erteilung des Hinweises 58

a) Vorsitzender. Der Vorsitzende erteilt den Hinweis (§ 238 Abs. 1) für das Gericht.282 Er kann ihn ohne vorgängigen Gerichtsbeschluss aussprechen;283 er muss ihn geben, wenn das Gericht dies (etwa im Rahmen der Urteilsberatung) beschlossen hat. Der Hinweis kann auch durch Gerichtsbeschluss erteilt werden, etwa im Falle des § 238 Abs. 2, wenn der Vorsitzende einen darauf gerichteten Antrag abgelehnt hat. 271 272 273 274 275

BGH StV 2001 387 f. BGH StV 1988 9 f.; 1993 173, 174; vgl. StV 1986 191. BGH StV 2000 656; OLG München NJW 2010 1826 f. Nachw. bei LR/Mavany § 154, 61 ff., 64 Fn. 224; KMR/Stuckenberg 66. BGH NStZ 1994 495; zur Frage der Wiedereinbeziehung von Nebenklagedelikten durch Hinweis nach § 265 Abs. 1 vgl. LR/Mavany § 154a, 39 m. w. N. 276 BGH StV 1985 221 f.; 1997 514 f.; StraFo 2001 236; NStZ 2004 277; BGHR § 154 Abs. 1 Hinweispflicht 1; OLG Hamm NStZ-RR 2002 14 f. 277 BGH StV 1999 353 f. 278 BGHSt 4 130, 131 f.; BGH StV 1981 329; 1982 346; 1986 89; NJW 2000 2517, 2519; OLG Bremen StV 1984 369; differenzierend BGH StV 1986 89 mit abl. Anm. Schlothauer; anders bei Auslandsvernehmung BGH StV 2001 5. 279 BGH StV 1997 512 f. mit Anm. Wönne NStZ 1998 313. 280 BGHSt 36 210, 216; 42 46, 49 f.; 43 195, 210; BGH NJW 2003 1404; NStZ 2002 219 f. mit Bespr. Weider NStZ 2002 174 ff.; BGH NStZ 2005 87 f.; OLG Köln StV 1998 176; auch im Bußgeldverfahren, vgl. OLG Oldenburg NZV 1993 278, 279; Hamm 1185. 281 BGH NStZ 2004 277 f.; zur grundsätzlichen Problematik vgl. Eisenberg (Beweisrecht) 418 ff., 424. 282 BGHSt 22 29, 31; BGH StV 1994 232, 233; AK/Loos 26; KK/Kuckein/Bartel 19; KMR/Stuckenberg 38; Meyer-Goßner/Schmitt 30; MüKo/Norouzi 36; Radtke/Hohmann 54; SK/Velten 29; SSW/Rosenau 6. 283 KMR/Stuckenberg 38; MüKo/Norouzi 36; OK-StPO/Eschelbach 49; SK/Velten 29.

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b) Adressat. Der Hinweis, der den Inhalt der Anklage verändert, ist dem Angeklagten grundsätzlich persönlich zu erteilen.284 Bei mehreren Angeklagten ist im Interesse der Verfahrensklarheit grundsätzlich jeder gesondert und ausdrücklich auf die für ihn in Betracht kommenden Veränderungen hinzuweisen,285 auch wenn die jeweiligen Änderungen zueinander in einem Wechselverhältnis stehen und sich gegenseitig bedingen, wie etwa eine geänderte Rollenverteilung bei der Tatbeteiligung. Ein gemeinsamer Hinweis ist nur dann unschädlich, wenn dadurch die Verständlichkeit nicht leidet und jeder Mitangeklagte eindeutig erkennen kann, was ihm nunmehr zur Last gelegt werden soll. Vor allem bei Angeklagten ohne Verteidiger sind deshalb gesonderte Hinweise vorzuziehen. Sind zwei Angeklagte als Mittäter beschuldigt worden, ersetzt der Hinweis gegenüber dem einen, dass er auch wegen Beihilfe bestraft werden könne, in der Regel nicht den Hinweis an den anderen, dass er nun als Alleintäter angesehen werden könne.286 Die Abwesenheit des Angeklagten lässt die Hinweispflicht des Gerichts unberührt. Ein Hinweis, der dem Angeklagten nicht in der Hauptverhandlung eröffnet werden kann, ist ihm in geeigneter Form zur Kenntnis zu bringen. Vielfach kann er der Ladung beigefügt werden, wenn ein neuer Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung bestimmt werden muss.287 Nur wenn ohne Anwesenheit des Angeklagten verhandelt wird, können nach § 234a dem Verteidiger die Hinweise nach den Absätzen 1 und 2 erteilt werden, unabhängig davon, ob der Verteidiger zur Vertretung des Angeklagten nach § 234 bevollmächtigt ist. Gleiches gilt nach § 74 Abs. 4 OWiG. Die Tragweite dieser Ausnahme ist vor allem dort strittig, wo das Gesetz die Abwesenheitsverhandlung davon abhängig macht, dass der Angeklagte zur Anklage gehört wurde, was auch die Anhörung zu deren Veränderung einschließt. Im Einzelnen: Ist der Angeklagte nach § 247 von der Teilnahme an einzelnen Teilen der Hauptverhandlung zeitweilig ausgeschlossen, ist ihm persönlich der Hinweis nach seiner Wiederzulassung zu erteilen.288 Es genügt nicht, dass der anwesende Verteidiger in seiner Abwesenheit auf die Veränderungen hingewiesen wird. Hat der Angeklagte, der nach § 231b von der Teilnahme an der Verhandlung ausgeschlossen wurde, keinen Verteidiger, so ist ihm der Hinweis nach seiner Wiederzulassung in der Hauptverhandlung zu erteilen. Ist dies nicht möglich oder wegen besonderer Umstände nicht angezeigt, genügt es, wenn ihm der in der Hauptverhandlung ergehende Hinweis schriftlich oder durch einen beauftragten Richter mündlich bekannt gegeben wird.289 Die Fortsetzung der Hauptverhandlung ohne den Angeklagten nach § 231 Abs. 2 setzt dessen Anhörung zur Anklage voraus. Hinweise nach § 265 Abs. 1 und 2 können daher nur erteilt werden, wenn ein Verteidiger mitwirkt (§ 234a),290 sofern nicht andere Gründe, wie etwa die Aufklärungspflicht, die persönliche Anhörung des Angeklagten zu dem geänderten Vorwurf erforderlich erscheinen lassen. 284 BGH NStZ 2013 248; StV 2015 206, 207. 285 RG GA 43 (1895) 393 f.; HK/Julius/Beckemper 24; KK/Kuckein/Bartel 22; KMR/Stuckenberg 39; MüKo/ Norouzi 36; Pfeiffer 9; Radtke/Hohmann 58; SK/Velten 31; SSW/Rosenau 7; dagegen lassen einen mittelbaren und konkludenten Hinweis genügen BGH NStZ 1983 569 f.; 1986 85 mit abl. Anm. Berz; BGHR § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 2; Niemöller (Hinweispflicht) 74 f. Fn. 152. 286 RG GA 43 (1895) 393 f.; AK/Loos 11. 287 Vgl. BayObLG bei Rüth DAR 1986 248; KK/Kuckein/Bartel 21; KMR/Stuckenberg 39; Meyer-Goßner/ Schmitt 31; MüKo/Norouzi 37; Radtke/Hohmann 58; SSW/Rosenau 8. 288 BTDrucks. 10 1313 S. 27; KMR/Stuckenberg 39; LR/Gollwitzer25 68; MüKo/Norouzi 37; Radtke/Hohmann 58; SSW/Rosenau 8. 289 KK/Kuckein/Bartel 22; KMR/Stuckenberg 39; Meyer-Goßner/Schmitt 31; SK/Velten 31. 290 AK/Loos 26; HK/Julius § 231, 8; Meyer-Goßner/Schmitt § 231, 21; Radtke/Hohmann 58; SK/Velten 31; LR/Becker § 231, 28.

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Bei der Abwesenheitsverhandlung nach § 233 kann der Hinweis nach § 265 Abs. 1, 2 dem Angeklagten schon vor der Hauptverhandlung bereits bei seiner kommissarischen Einvernahme nach § 233 Abs. 2 erteilt werden. Gleiches gilt, wenn die sich in der Hauptverhandlung abzeichnende Sach- und Rechtslage seine erneute Einvernahme zur Gewährung des rechtlichen Gehörs oder zur Sachaufklärung notwendig erscheinen lässt. Hingegen genügt es nicht, dass der Hinweis seinem an der Hauptverhandlung teilnehmenden Verteidiger nach § 234a gegeben und diesem überlassen wird, ob er wegen Veränderung die Aussetzung und nochmalige kommissarische Einvernahme beantragen will, sofern der Hinweis den Inhalt der Anklage ändert (das muss bei einem Hinweis gem. Abs. 2 Nr. 2 nicht der Fall sein), zu der der Angeklagte aber nach § 233 Abs. 2 vernommen werden muss.291 65 Dem Verteidiger wird der Hinweis in der Hauptverhandlung dadurch zur Kenntnis gebracht, dass er in seiner Gegenwart dem anwesenden Angeklagten als dem eigentlichen Adressaten erteilt wird, und zwar auch dann, wenn dieser jede Einlassung zur Sache abgelehnt hat.292 Ist allerdings der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht anwesend, gestattet § 234a, dem Verteidiger den Hinweis zu erteilen (Rn. 60 ff.). 66 Die in der Hauptverhandlung anwesenden anderen Verfahrensbeteiligten erhalten schon durch den Hinweis an den Angeklagten Kenntnis von der vom Gericht erwogenen Änderung. Ein zusätzlicher förmlicher Hinweis an sie ist nicht vorgeschrieben und für die sachgemäße Wahrung ihrer Verfahrensinteressen auch entbehrlich. Ein Verfahrensbeteiligter, der nach § 433 Abs. 1 Angeklagtenbefugnisse hat und dem nach § 435 Abs. 2 die Anklage mitzuteilen ist, muss aber auch von deren rechtlicher Veränderung in Kenntnis gesetzt werden, sofern diese auch seine Verfahrensinteressen betrifft und der Hinweis weder in seiner Gegenwart oder in Gegenwart einer ihn vertretenden Person (§ 434) bekannt gegeben wurde.

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c) Zeitpunkt des Hinweises. Ein Zeitpunkt für den Hinweis wird von § 265 nicht vorgeschrieben.293 Aus dem Zweck des § 265, eine sachgemäße Verteidigung zu sichern, folgt jedoch in Übereinstimmung mit Art. 6 Abs. 3 lit. a EMRK, dass der Hinweis so früh wie möglich zu geben ist.294 Dies ist notwendig, damit der Angeklagte möglichst frühzeitig den neuen Gesichtspunkt in seine Verteidigung mit einbeziehen kann; es beugt auch Verfahrensverzögerungen vor, wie sie ein erst kurz vor Verfahrensabschluss erteilter Hinweis auslösen kann. Der Hinweis sollte andererseits aber erst erteilt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür sprechen, dass eine Verurteilung unter dem neuen rechtlichen Gesichtspunkt ernsthaft in Betracht kommen kann (vgl. Rn. 73). 68 Der Hinweis muss dem Angeklagten aber nicht notwendig in der Hauptverhandlung erteilt werden. Er kann ihm auch außerhalb der Hauptverhandlung zur Kenntnis gebracht werden, etwa bei der Einvernahme durch einen ersuchten Richter oder schriftlich bei einer Ladung zu einem neuen Termin oder auch schon im Eröffnungsbeschluss.295 67

291 KK/Gmel § 234a, 3; Meyer-Goßner/Schmitt 31 und § 233, 16; MüKo/Norouzi 37; a. A. HK/Julius § 234a, 2; LR/Gollwitzer25 71; ferner LR/Becker § 234a, 5 m. w. N.; Radtke/Hohmann 58; SK/Deiters § 234a, 5 f.

292 Vgl. BGH NStZ 1983 35; 1993 200. 293 RGRspr. 6 (1884) 174, 175. 294 BGH NStZ 2007 234, 235; AK/Loos 30; HK/Julius/Beckemper 11; KK/Kuckein/Bartel 21; KMR/Stuckenberg 40; Meyer-Goßner/Schmitt 32; MüKo/Norouzi 41; OK-StPO/Eschelbach 22; Radtke/Hohmann 65; SK/ Velten 34; Eb. Schmidt 18; SSW/Rosenau 10. 295 BGHSt 23 304, 306 = LM § 200 Nr. 3 mit Anm. Martin; StV 2015 206 f.; KG NZV 2016 439, 440; OLG Jena NZV 2010 311; AK/Loos 30; KK/Kuckein/Bartel 21; KMR/Stuckenberg 40; Meyer-Goßner/Schmitt 32; OK-StPO/Eschelbach 3; SK/Velten 34.

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Fehlen in der Anklage und dem Eröffnungsbeschluss Angaben dazu, welche Tatbestandsalternative eines Straftatbestandes dem Angeklagten vorgeworfen wird, so ist dies vor der Vernehmung des Angeklagten zur Sache (§ 243 Abs. 5 Satz 2) durch einen Hinweis nachzuholen und klarzustellen.296 Der Hinweis ist zulässig bis zur Verkündung des Urteils; ergibt sich die Notwendigkeit einer Umgestaltung der Strafklage erst in der Urteilsberatung, ist nochmals in die Verhandlung einzutreten und der Hinweis zu erteilen sowie § 258 zu beachten (§ 258, 8, 69).297 d) Form. Der Hinweis nach Absatz 1, 2 muss nicht in einer bestimmten Form erge- 69 hen, sondern kann ebenso mündlich wie schriftlich erteilt werden. Der Wortlaut des Absatzes 1 („besonders hingewiesen“) und der Normzweck erfordern allerdings eine ausdrückliche Erklärung,298 die eine den rechtlichen Rahmen der Hauptverhandlung bestimmende Prozesshandlung ist und nur durch das Sitzungsprotokoll bewiesen werden kann (Rn. 81 ff.). Daher bleibt der förmliche Hinweis auch dann notwendig, wenn der rechtliche Ge- 70 sichtspunkt, auf den hinzuweisen ist, schon im Ermittlungsverfahren,299 sonst vor300 oder in der Hauptverhandlung zwischen den Verfahrensbeteiligten erörtert wurde301 und zwar selbst dann, wenn das Gericht dabei etwa nach §§ 202a, 257b302 mitgewirkt hatte,303 wenn der Staatsanwalt den Hinweis angeregt304 oder die Verurteilung unter diesem Gesichtspunkt beantragt hatte305 oder dieser vom Verteidiger oder sonst einem Verfahrensbeteiligten, Nebenkläger, Zeugen oder Sachverständigen306 oder auch vom Angeklagten selbst angesprochen worden ist.307 Einer solchen Erörterung fehlt die verbindliche Wirkung der gerichtlichen Handlung. Sie würde nicht bedeuten, dass das Gericht die Anwendung des anderen Gesetzes, den straferhöhenden Umstand oder die Maßnahme in Abweichung von der von ihm zugelassenen Anklage ernsthaft erwägt. Dass dies der Fall ist, muss dem Angeklagten unmissverständlich durch das Gericht, in der Regel durch den Vorsitzenden (Rn. 58), selbst zur Kenntnis gebracht werden.308

296 297 298 299 300 301

BGH StV 1984 63; OLG Frankfurt StV 1992 60. BGHSt 19 156; BGH StV 1994 63; NStZ-RR 2005 259; BGHR § 265 Abs. 1 Hinweis 1; Eb. Schmidt 19. KMR/Stuckenberg 41; MüKo/Norouzi 38; Radtke/Hohmann 59; a. A. Niemöller (Hinweispflicht) 74 f. BGH NStZ 2009 227 (Gutachtenauftrag an einen Sachverständigen). BGH StV 2015 206, 207. RGSt 1 254 f.; 20 33, 34; BGHSt 19 141; 22 29, 31; 23 95, 98; BGH MDR 1977 63; NStZ 1998 529 f.; 2007 116 f.; 2009 227; 2009 468; NStZ-RR 2002 271; 2004 297; 2005 376; 2010 215; StV 1994 232, 233; 2003 151; 2008 344; 2015 206; OLG Koblenz VRS 50 (1976) 30, 31; OLG Köln MDR 1975 164, 165; VRS 56 (1979) 281, 282. 302 OK-StPO/Eschelbach 22; SSW/Rosenau 9. 303 Vgl. BGH NJW 1964 459. 304 BGHSt 56 121, 125 mit Anm. Niemöller JR 2012 86 und Bock ZJS 2011 177. 305 BGHSt 16 47, 49; BGH bei Dallinger MDR 1952 532; 1973 19; bei Holtz MDR 1976 815; bei Pfeiffer/ Miebach NStZ 1983 358 Nr. 32; bei Kusch NStZ 1994 25; NStZ-RR 2005 376; bei Becker 2007 5 Nr. 12; StV 1988 329; 1997 64; BayObLG VRS 62 (1982) 129; OLG Hamm VRS 41 (1971) 100, 101; OLG Koblenz VRS 50 (1976) 30, 31; NJW 2018 2505, 2506; OLG Köln VRS 56 (1979) 281, 282. 306 BGH bei Cierniak/Zimmermann NStZ-RR 2012 129, 132 Nr. 55; 2013 256 f.; StV 2015 206. 307 RGSt 20 33; RG JW 1927 2046 (vor Hauptverhandlung eingereichte Schutzschrift); BGHSt 19 141; 22 29; BGH bei Dallinger MDR 1952 532; 1976 815. 308 BGH MDR 1977 63; NStZ 1985 325; NStZ-RR 2002 271; StV 1994 232, 233; 1995 116; 1996 584, 585; 2015 206; OLG Köln MDR 1975 164 f.; AK/Loos 27; HK/Julius/Beckemper 11; KK/Kuckein/Bartel 19; KMR/ Stuckenberg 16; Meyer-Goßner/Schmitt 29; MüKo/Norouzi 15; SK/Velten 29.

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Abgesehen von solchen gerichtlichen Entscheidungen, die – wie etwa ein Verweisungsbeschluss nach § 270 – in Änderung oder Ergänzung des Eröffnungsbeschlusses den neuen Gesichtspunkt förmlich zum Gegenstand der Hauptverhandlung machen (Rn. 12 ff.), wird der Hinweis auch nicht durch Rechtsausführungen in anderen Entscheidungen ersetzt. Es genügt nicht, dass er aus Anlass einer anderen Entscheidung dort angesprochen wurde, etwa, dass der neue rechtliche Gesichtspunkt zur Begründung eines die Haftfortdauer anordnenden Beschlusses mit angeführt worden ist309 oder dass das Gericht damit einen Beweisantrag abgelehnt hat.310 Folglich kann auch in der gerichtlichen Anordnung, ein Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit und einer eventuellen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus einzuholen, nicht zugleich der nach § 265 erforderliche Hinweis liegen,311 ebenso wenig in einer vorbereitenden Sicherungsmaßnahme (Rn. 45). Ein Hinweis wird auch nicht dadurch entbehrlich, dass dem Urteil eine Verständigung nach § 257c vorausgegangen war und das Gericht die Strafe dem Verständigungsstrafrahmen entnommen hat (§ 257c, 65).312 72 Der förmliche Hinweis auf eine Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts ist nicht Teil der Zeugenvernehmung. Ist nur während dieser die Öffentlichkeit ausgeschlossen, darf er erst nach deren Wiederherstellung erteilt werden.313 Die frühere Ansicht, dass der damals nicht förmliche Hinweis auf mögliche tatsächliche Veränderungen Teil einer Zeugenvernehmung sein und auch schon während dieser ausgesprochen werden könne,314 ist mit der Einfügung des Absatzes 2 Nr. 3 obsolet geworden. 71

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e) Inhalt. Auch der Inhalt des Hinweises wird von § 265 nicht näher vorgeschrieben und ergibt sich allein aus dem Zweck der Regelung. Der Hinweis soll Angeklagten und Verteidiger in die Lage versetzen, die Verteidigung auf den neuen Gesichtspunkt einzurichten.315 Aus dem Hinweis selbst – ggf. in Verbindung mit Anklage und Eröffnungsbeschluss und den Umständen der Hauptverhandlung316 – muss eindeutig erkennbar sein, welches Strafgesetz, gegebenenfalls welche Begehungsform,317 das Gericht bei einem bestimmten Sachverhalt in Betracht zieht und in welchen Tatsachen die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale gesehen werden.318 Fehlen etwa die Angaben zur Begehungsform

309 BGHSt 22 29, 31 = LM Nr. 27 mit Anm. Willms; Hanack JZ 1972 433, 434; KK/Kuckein/Bartel 19; MeyerGoßner/Schmitt 29; MüKo/Norouzi 16; Radtke/Hohmann 55. 310 KK/Kuckein/Bartel 19; KMR/Stuckenberg 16; Meyer-Goßner/Schmitt 29; MüKo/Norouzi 16; Radtke/ Hohmann 55; SK/Velten 30. 311 LR/Gollwitzer25 55; MüKo/Norouzi 16; Radtke/Hohmann 56; a. A. (Beschluss muss aber eindeutig erkennen lassen, auf welche Maßregel das Gericht zu erkennen gedenkt) BGH NStZ 1992 249; 2009 468; NStZ-RR 2009 378. 312 BGHSt 56 235, 237 (Mittäterschaft statt Beihilfe) mit abl. Anm. Jahn/Rückert NStZ 2012 48; zust. HK/ Julius/Beckemper 1; Meyer-Goßner/Schmitt 29; OK-StPO/Eschelbach 1. 313 Vgl. BGH NStZ 1996 49; StV 2003 271 f.; MüKo/Norouzi 42. 314 BGH StV 2000 248 mit Anm. Ventzke. 315 BGHSt 2 371, 373; 13 320, 323 f.; 18 56, 57; BGH bei Dallinger MDR 1957 653 f.; 1975 545; StV 1982 408; 1985 489, 490; 1995 462; 1998 582, 583; BayObLGSt 1954 45; OLG Oldenburg NJW 2009 3669 f. 316 Vgl. BGH VRS 65 (1983) 128; KK/Kuckein/Bartel 20. 317 BGHSt 2 371, 373; BGHSt 23 95, 96; 25 287, 288 f.; BGH bei Dallinger MDR 1975 545; NStZ 2005 111; 2007 116; StV 1982 408; 1984 367 f.; 1991 501 f.; 1993 179; 1998 582, 583; 1998 583 f.; s. o. Rn. 35. 318 BGHSt 2 371, 374; 13 320, 323 f. mit Anm. Eb. Schmidt JZ 1960 228; BGHSt 18 56, 57; 19 141, 143; 22 29, 30; 56 121, 122 ff.; BGH bei Dallinger MDR 1970 198 f.; NJW 2017 1253 mit Anm. Schlund; bei Pfeiffer NStZ 1982 190; 2005 111; 2018 673, 674 mit Anm. Ventzke; StV 1982 408; 1985 489, 490; 1988 329; 1993 179; 1998 582, 583; 2007 229; 2013 485, 486; wistra 2018 49, 50 f.; BayObLG bei Rüth DAR 1974 182; OLG Köln StraFo 2001 158; OLG Oldenburg NJW 2009 3669; KK/Kuckein/Bartel 20; KMR/Stuckenberg 42; Meyer-

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schon in der zugelassenen Anklage, muss ein solcher Hinweis sie nachholen.319 Was der Hinweis im Einzelnen enthalten muss, folgt aus der jeweiligen Sachlage und aus seinem Zweck, den Angeklagten im Interesse einer effektiven Verteidigung vor Überraschungen zu schützen. Bei ungeklärter Rechtslage nur vorsorglich erteilte Hinweise auf nur theoretisch denkbare Veränderungen belasten das Verfahren unnötig,320 ebenso eine Vielzahl von Hinweisen auf einander ausschließende Verurteilungsalternativen.321 Erläuterungen tatsächlicher Art können je nach den Umständen zur Ergänzung des 74 Hinweises notwendig werden, wenn dieser von einem Sachhergang ausgeht, der sich von den tatsächlichen Annahmen der zugelassenen Anklage entfernt hat. Je schwerer der neu erhobene Vorwurf wiegt, desto strenger sind die Anforderungen an die Angabe von Tatsachen.322 Verändert sich mit dem rechtlichen Gesichtspunkt auch die Richtung des Vorwurfs (Begünstigung des A statt Hehlerei nach Diebstahl des B), so muss auch das aus dem Hinweis hervorgehen;323 ebenso, wenn dies mit einer Änderung des Tatobjekts oder der Tatbeteiligten verbunden ist. Ein Hinweis auf die Tatsachen erübrigt sich demnach nur dann, wenn sie nach dem Gang der Hauptverhandlung außer Zweifel stehen.324 Verbleiben nach dem Hinweis Unklarheiten, auf welche tatsächlichen Vorgänge das Gericht nunmehr abstellen will, ist es dem Angeklagten oder seinem Verteidiger unbenommen, hierüber vom Gericht eine eindeutige Konkretisierung der Tatsachen zu verlangen, auf die es die rechtliche Veränderung gegenüber der Anklage stützt.325 Nicht genügt die bloße Befragung des Angeklagten, ob er für den Fall der Verände- 75 rung des rechtlichen Gesichtspunktes Anträge zu stellen habe,326 oder, wenn der Angeklagte rechtsunkundig ist, die bloße Bezeichnung der neu in Betracht kommenden Paragraphen – diese können allenfalls ausreichen, wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat,327 sofern für diesen eindeutig ersichtlich ist, in welchen Tatsachen das Gericht die Tatbestandsmerkmale des neuen rechtlichen Gesichtspunktes erblickt328 oder wenn nur eine andere Würdigung des unverändert gebliebenen Sachverhalts erwogen wird.329 Umgekehrt ist es unschädlich, wenn es daneben die Nummern der Paragraphen nicht erwähnt.330 Der Text der neuen Vorschrift muss auch nicht verlesen werden.331 Der Hinweis kann in Ausnahmefällen durch Bezugnahme auf die Ausführungen eines anderen Prozessbeteiligten, etwa des Staatsanwalts, erteilt werden,332 jedoch muss dann stets zweifelsfrei klargestellt werden, dass das Gericht die Anwendung des rechtlichen Gesichtspunkts in Betracht zieht. Goßner/Schmitt 15b ff.; OK-StPO/Eschelbach 23 f.; Radtke/Hohmann 61 f.; SK/Velten 33; Eb. Schmidt 17; SSW/Rosenau 11; Hänlein/Moos NStZ 1990 481. 319 Vgl. etwa BGHSt 40 44; BGH bei Holtz MDR 1991 1025; NJW 1998 3654; 1998 3788; NStZ 1996 295. 320 KMR/Stuckenberg 43, 50; MüKo/Norouzi 41; Pfeiffer 10. 321 Scheffler JR 1989 232 ff. mit eindrucksvollem Beispiel; vgl. Hamm 1162. 322 BGH StV 1998 582, 583. 323 BGHSt 2 371, 373 f.; OLG Köln MDR 1975 164; KMR/Stuckenberg 45 f.; Schlothauer StV 1986 213, 225. 324 BGHSt 13 320; BGH StV 1984 190, 191 f.; Hanack JZ 1972 433, 434; SK/Velten 43. 325 BGHSt 13 320, 325; BGH StV 1984 190, 192; 1998 416 mit Anm. Park; Hanack JZ 1972 433, 434. 326 RGSt 2 116; RGRspr. 8 (1886) 623; Meves 253. 327 BGHSt 13 320, 324; 18 56, 57 f.; BGH bei Dallinger MDR 1957 653, 654; 1970 198 f.; BGHR § 265 Abs. 1 Hinweis 2; BayObLGSt 1964 133, 134; AK/Loos 28; KK/Kuckein/Bartel 20; KMR/Stuckenberg 43; MeyerGoßner/Schmitt 15b; MüKo/Norouzi 39. 328 BGHSt 18 56, 57; AK/Loos 28; KK/Kuckein/Bartel 20; Meyer-Goßner/Schmitt 15b; s. a. Fn. 318. 329 BGH bei Dallinger MDR 1970 198; NStZ 2011 474. 330 BGHR § 265 Abs. 1 Hinweis 2; AK/Loos 28; KK/Kuckein/Bartel 20; KMR/Stuckenberg 43. 331 RG GA 71 (1927) 17, 18. 332 RG ZStW 47 (1927) 269.

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Die Erwägungen, aus denen das Gericht den neuen rechtlichen Gesichtspunkt oder den erschwerenden Umstand für gegeben hält, braucht es bei dem Hinweis nicht offenzulegen.333 Der Hinweis braucht mit keiner Belehrung und keinem Rechtsgespräch, das freilich zulässig (vgl. § 257b sowie §§ 202a, 212) und nicht selten zweckmäßig ist, verbunden zu werden. Zur Offenlegung seiner (vorläufigen) Beweiswürdigung, die dieser Veränderung zugrunde liegen kann, ist es, wie auch sonst, nicht verpflichtet,334 sofern sich dies nicht im Einzelfall aus dem Gebot eines fairen Verfahrens ergibt, weil anders eine sachgerechte Verteidigung nicht möglich ist;335 vgl. auch § 257b.

f) Gelegenheit zur Verteidigung. Nach dem Hinweis muss der Angeklagte ausreichend Gelegenheit zur Verteidigung erhalten. Wenn der Hinweis unmittelbar vor der Urteilsverkündung erteilt wird, vor allem, wenn erst nach der Beratung die Hauptverhandlung zur Erteilung des Hinweises wieder aufgenommen wird (§ 258, 8), muss der Vorsitzende durch sein Verhalten unzweideutig zum Ausdruck bringen, dass das Gericht bereit ist, mit Rücksicht auf die eingetretene Veränderung Erklärungen und Anträge des Angeklagten entgegen zu nehmen.336 Dem Angeklagten muss zu solchen Erklärungen und Anträgen ausreichend Zeit gelassen werden,337 notfalls durch Terminsverschiebung.338 Auch soweit die nochmalige Befragung des Angeklagten nicht schon nach § 243 Abs. 5 geboten ist, erscheint es ratsam, wenn der Vorsitzende den Angeklagten ausdrücklich fragt, was er dem veränderten Gesichtspunkt gegenüber zu seiner Verteidigung anzuführen habe.339 Unerlässlich ist eine Befragung nur, wenn sonst keine Verteidigungsmöglichkeit mehr bestünde.340 78 Bei Erteilung des Hinweises auf die rechtliche Veränderung muss das Gericht den Angeklagten gegebenenfalls auch darüber belehren, dass nunmehr ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt, sowie, dass er die Bestellung eines Pflichtverteidigers beantragen könne. Die geänderte Bewertung der Tat kann das Gericht auch veranlassen, den Pflichtverteidiger von Amts wegen zu bestellen.341 77

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6. Wirkung. Der Hinweis wirkt grundsätzlich für das gesamte weitere Verfahren. Zur Rechtslage bei mehreren Instanzen und nach Aussetzung vgl. Rn. 13 ff. Er gestattet dem Gericht, sein Urteil abweichend von der zugelassenen Anklage auf die im Hinweis angeführten rechtlichen Gesichtspunkte zu stützen, er verwehrt ihm aber auch nicht, 333 BGHSt 13 320, 324; BGH NJW 1954 1089; bei Dallinger MDR 1971 18; BGHR § 265 Abs. 1 Hinweis 2; KK/Kuckein/Bartel 20; KMR/Stuckenberg 47; MüKo/Norouzi 40; Radtke/Hohmann 64; SK/Velten 33. 334 BGHSt 43 212, 214 f. mit Anm. Herdegen JZ 1998 54 und König StV 1998 113; BGH NStZ 2009 468, 469; 2020 97, 98 mit Anm. Arnoldi; bei Becker NStZ-RR 2005 259 Nr. 11; StV 1987 427, 428; 2001 387 f.; StraFo 2003 95; KG StV 2013 491; AK/Loos 24; KMR/Stuckenberg 47; Meyer-Goßner/Schmitt 7a, 15b; MüKo/Norouzi 40; OK-StPO/Eschelbach 5; Radtke/Hohmann 64; SSW/Rosenau 12; Roxin/Schünemann § 44, 27 m. Fn. 12; Meyer GA 1965 257, 260 Fn. 18; krit. König FG Friebertshäuser 211, 216 ff.; von Galen ZRP 2016 42, 44. 335 BGH StV 1987 427, 428; 1988 9 f.; AK/Loos 24; KMR/Stuckenberg 47. 336 BGH NStZ 2013 58, 59. 337 RGSt 21 372, 374; 25 340, 341 ff.; BGH NStZ 1990 449; 2018 673, 675 mit Anm. Ventzke; StV 1996 197 f.; KK/Kuckein/Bartel 25; KMR/Stuckenberg 48; Radtke/Hohmann 89; Eb. Schmidt 18; Dahs (Rechtliches Gehör) 99 f. 338 BayObLG bei Rüth DAR 1986 248. 339 RGSt 25 340, 342; BGH NStZ 2013 58, 59; KMR/Stuckenberg 48; Meyer-Goßner/Schmitt 32a; SK/Velten 34; Eb. Schmidt 18. 340 BGH NStZ 2013 58, 59; Meyer-Goßner/Schmitt 32a. 341 Vgl. etwa OLG Düsseldorf StV 1984 369; KG StV 1995 184; wegen der Einzelheiten vgl. bei §§ 140, 141.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 265

der Rechtsauffassung der zugelassenen Anklage zu folgen.342 Ob im letzten Fall die Rücknahme des Hinweises geboten ist, wurde früher überwiegend verneint,343 da die Prozessbeteiligten, vor allem der Angeklagte und sein Verteidiger, nach einem Hinweis grundsätzlich mit beiden Möglichkeiten rechnen und sie bei ihrem Prozessverhalten berücksichtigen müssten.344 Auch wenn man einen Hinweis als Mitteilung einer vorläufigen Bewertung der Sach- und Rechtslage i. S. d. Absatzes 2 Nr. 2 ansieht (Rn. 48), wird nach seinem Inhalt zu differenzieren sein: Ein neuer Hinweis ist jedenfalls geboten, wenn Gericht oder Vorsitzender aus- 80 drücklich zu erkennen gegeben haben, dass eine Verurteilung unter dem ursprünglichen rechtlichen Gesichtspunkt der Anklage nicht mehr erwogen werde und das Verteidigungsverhalten deswegen auf den neuen Gesichtspunkt beschränkt wurde. Dann erfordert die Fürsorgepflicht wegen des dadurch entstandenen Vertrauenstatbestandes einen neuen Hinweis, wenn das Gericht zur ursprünglichen Rechtsauffassung der Anklage zurückkehren will.345 Die ausdrückliche Erklärung, dass der ursprüngliche Vorwurf nicht mehr erwogen werde, kann zur Prozessbeschleunigung sinnvoll sein, da hierdurch überflüssige Ausführungen und Anträge der Prozessbeteiligten vermieden werden. Im bloßen Hinweis nach § 265 Abs. 1, 2 ist eine solche Erklärung in der Regel jedoch nicht enthalten, auch wenn der Eindruck erweckt wird, die alte Vorschrift komme nicht mehr in Betracht.346 Wollen die Verfahrensbeteiligten auf Grund des Hinweises ihr Prozessverhalten ausschließlich auf den neuen Gesichtspunkt beschränken, ist es deshalb ratsam, vorher eine ausdrückliche Erklärung des Gerichts hierüber herbeizuführen. 7. Sitzungsniederschrift. Als wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens kann der 81 Hinweis nach § 265 Abs. 1, 2 nur durch die Sitzungsniederschrift nachgewiesen werden.347 Ein Vermerk in den Urteilsgründen reicht hierzu nicht aus.348 Zu den wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens gehört aber nicht nur, dass ein 82 Hinweis erteilt wurde, sondern auch, welchen wesentlichen Inhalt er hatte,349 also beispielsweise bei einem Strafgesetz, das mehrere Begehungsarten kennt, die Angabe der Begehungsart, die das Gericht für anwendbar hält. Der Wortlaut des Hinweises muss dabei nicht in das Protokoll aufgenommen werden, doch genügt es nicht, wenn das Protokoll lediglich anführt, dass der Angeklagte auf die mögliche Anwendbarkeit eines bestimmten Paragraphen hingewiesen wurde. Sofern das Gericht nach Absatz 1, 2 342 KK/Kuckein/Bartel 23. 343 BGH NJW 1998 3654, 3655; BGH 3.7.2018 – 5 StR 38/18; KK/Kuckein/Bartel 23; Meyer-Goßner/Schmitt 33a; a. A. MüKo/Norouzi 44; OK-StPO/Eschelbach 12, 34. 344 AK/Loos 32; KK/Kuckein/Bartel 23; KMR/Stuckenberg 50; a. A. SK/Velten 37 (nur wenn Gericht beide Möglichkeiten ausdrücklich offen gelassen hat). 345 BGH bei Dallinger MDR 1972 925; KK/Kuckein/Bartel 23; SSW/Rosenau 13. Weitergehend (stets neuer Hinweis) Scheffler JR 1989 232; HK/Julius/Beckemper 14; MüKo/Norouzi 44. 346 Vgl. BGH bei Dallinger MDR 1972 925. 347 RGSt 1 254 f.; BGHSt 2 371, 373; 19 141, 143; 23 95, 96; BGH bei Dallinger MDR 1970 198 f.; 1975 545; StV 1984 63, 64; 1994 232, 233; 1998 583 f.; BayObLG VRS 62 (1982) 129; OLG Brandenburg NStZ-RR 2000 54; OLG Braunschweig NStZ-RR 2002 179; OLG Hamm JMBlNW 1974 214; NJW 1980 1587; OLG Köln MDR 1975 164; OLG Saarbrücken VRS 48 (1975) 187, 188; OLG Schleswig SchlHA 1980 57; OLG Stuttgart DAR 1989 392. 348 RGRspr. 1 (1879) 67; vgl. LR/Stuckenberg § 274, 21. 349 BGHSt 2 371, 373; 19 141, 143; BGH bei Dallinger MDR 1957 653, 654; 1970 198; BGH 20.5.2014 – 5 StR 173/14 Rn. 9; AK/Loos 31; HK/Julius/Beckemper 33; KK/Kuckein/Bartel 26; KMR/Stuckenberg 51; MeyerGoßner/Schmitt 22; MüKo/Norouzi 45; Radtke/Hohmann 121; SK/Velten 35; SSW/Rosenau 9. Das Reichsgericht (RG JW 1922 1394) hatte dies nicht gefordert.

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mehr zu tun hat (Rn. 73 ff.), muss auch das Protokoll dies ausweisen, denn es ist gemäß § 274 davon auszugehen, dass der Hinweis den aus dem Protokoll ersichtlichen Inhalt hatte. Sofern mit dem Hinweis Erläuterungen der zugrunde liegenden Tatsachen zu verbinden sind (Rn. 74), ist ein Protokollvermerk hierüber jedenfalls zweckmäßig;350 ob er auch erforderlich ist, ist wenig geklärt.351 83 Gibt das Protokoll aber den Wortlaut des Hinweises wieder, so erstreckt sich seine Beweiskraft auch darauf. Will dagegen das Protokoll ersichtlich nicht den genauen Wortlaut des Hinweises beurkunden, sondern ihn nur in einer inhaltlichen Zusammenfassung festhalten, oder ist sonst aus ihm ersichtlich, dass seine Angaben unvollständig sind, dann schließt seine Beweiskraft nach § 274 nicht aus, dass das Revisionsgericht im Wege des Freibeweises feststellt, welchen genauen Inhalt der erteilte Hinweis hatte352 sowie welche Tatsachen zusammen mit ihm vom Gericht angesprochen wurden. Im Wege des Freibeweises sind gegebenenfalls auch die äußeren Umstände festzustellen, unter denen der Hinweis erteilt wurde, ferner, woraus sich ergab, dass die Verfahrensbeteiligten erkannten, welche tatsächlichen Änderungen dem Hinweis zugrunde lagen. Auch wenn es sich nach der vorherrschenden Meinung insoweit nicht um einen protokollierungspflichtigen Umstand im Sinne des § 273 Abs. 1 handelt, wird zu Recht empfohlen, wegen dieser Streitfrage, aber auch zur Erleichterung des Freibeweises etwaige in diesem Zusammenhang erteilten Hinweise schriftlich zu fixieren und in das Protokoll aufzunehmen.

III. Aussetzung bei veränderter Sach- und Rechtslage (Absatz 3) 84

1. Recht auf Aussetzung. Der Angeklagte hat ein uneingeschränktes Recht auf Aussetzung, wenn bei ihm selbst – und nicht etwa nur bei einem Mitangeklagten353 – die Voraussetzungen des Absatzes 3 sämtlich vorliegen und er einen entsprechenden Antrag stellt. Das Gericht besitzt kein Ermessen und darf folglich den Angeklagten nicht etwa darauf verweisen, bis zum nächsten Fortsetzungstermin bleibe ohnehin genügend Zeit zur Vorbereitung.354 Absatz 3 verpflichtet das Gericht nicht, den Angeklagten über diesen Anspruch zu belehren. Ob es in Ausnahmefällen die Fürsorgepflicht gebietet, dass das Gericht einen Angeklagten ohne Verteidiger auf die Möglichkeit eines solchen Antrags hinweist, ist strittig.355 Ein solcher Hinweis kann vor allem bei unverteidigten Angeklagten angezeigt sein, so etwa, wenn der Angeklagte vorträgt, dass er auf die Wi350 BGH NJW 1998 3728; StV 1996 297; bei Kusch NStZ 1997 71; Eb. Schmidt JR 1964 188; LR/Gollwitzer25 78. 351 Dagegen BGHSt 19 141, 143; LR/Gollwitzer25 77; anders wohl BGHSt 2 371, 373; BGH bei Dallinger MDR 1957 653, 654; 1970 198; Niemöller (Hinweispflicht) 77. 352 BGHSt 13 320, 323; 19 141, 143; OLG Frankfurt StV 1985 224; AK/Loos 31; HK/Julius/Beckemper 30; KK/Kuckein/Bartel 26; KMR/Stuckenberg 51; Meyer-Goßner/Schmitt 33; Pfeiffer 12; Radtke/Hohmann 122; SK/Velten 35; a. A. Hänlein/Moos NStZ 1990 481, 482; wohl auch BGHSt 2 371, 373; BGH bei Dallinger MDR 1957 653, 654; 1970 198. 353 HK/Julius/Beckemper 25; Radtke/Hohmann 94; ob die nur bei einem anderen Mitangeklagten gegebenen Voraussetzungen des Absatzes 3 für den davon nicht unmittelbar betroffenen Mitangeklagten eine wesentliche Veränderung sind, auf die ein Aussetzungsantrag nach Absatz 4 gestützt werden kann, hängt davon ab, wieweit sie im Einzelfall auch seine eigenen Verfahrensinteressen berührt, vgl. Gollwitzer FS Sarstedt 15, 32. 354 OLG Jena StV 2007 230, 231; vgl. BGHSt 48 183, 186. 355 Bejahend RGSt 57 147, 148; 65 246, 248; OLG Düsseldorf StV 1982 559, 560; AK/Loos 38; HK/Julius/ Beckemper 15; KK/Kuckein/Bartel 30; KMR/Stuckenberg 73; MüKo/Norouzi 56 (fair trial); Pfeiffer 13; Radtke/ Hohmann 99; SK/Velten 55; Eb. Schmidt 22; a. A. Meyer-Goßner/Schmitt 35; ähnlich LR/Gollwitzer25 86; offenlassend BGH NStZ 1998 82.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 265

derlegung der neuen Sachannahmen nicht genügend vorbereitet sei, oder sonst einen Aussetzungsantrag nicht stellt, obwohl dies vernünftigerweise zu erwarten wäre. Wenn das Gericht sich auch selbst von der Aussetzung eine bessere Förderung des Verfahrens verspricht, kann und muss es dieses unabhängig von jedem Antrag des Angeklagten ohnehin nach Absatz 4 von Amts wegen aussetzen.356 Im Privatklageverfahren entfällt das Recht aus Absatz 3, während die anderen Absätze auch im Privatklageverfahren gelten (§ 384 Abs. 3). 2. Voraussetzungen a) Veränderung der Sachlage. Die Veränderung der Sachlage muss in einem oder 85 mehreren neu hervorgetretenen Umständen bestehen, die zur Anwendung eines schwereren Strafgesetzes oder zur Anordnung einer Maßnahme, Nebenstrafe oder Nebenfolge (Absatz 2 Nr. 1) führen können. Änderungen nur der Tatsachengrundlage – dann kommt Absatz 4 in Betracht – oder nur der rechtlichen Bewertung genügen nicht.357 In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 2 und 3 hat der Gesetzgeber von der Einräumung eines Anspruchs bewusst abgesehen.358 Neu ist ein Umstand bei Hervortreten neuer Tatsachen oder tatsächlicher Verhält- 86 nisse, die der Angeklagte weder aus dem Eröffnungsbeschluss noch aus der Anklageschrift ersehen, auch nicht aus einer früheren Hauptverhandlung entnehmen konnte.359 Aus den bei Rn. 44 f. erörterten Gründen liegen entgegen der Rechtsprechung neue Tatsachen im Sinne des Absatz 3 auch bei ihrer rechtlichen Neubewertung vor, also wenn das Gericht solche Tatsachen als Voraussetzung für die Anwendung eines schwereren Gesetzes oder die Anordnung einer Maßnahme bezeichnet, die Anklage und Eröffnungsbeschluss nicht in diesem Sinne gekennzeichnet haben.360 Gleichgültig ist, ob die neue Tatsache zur äußeren oder inneren Tatseite gehört. Ein neues Beweismittel ist kein neu hervorgetretener Umstand;361 insoweit gilt § 246. b) Anwendung eines schwereren Strafgesetzes. Unter dem schwereren Strafge- 87 setz ist ein solches zu verstehen, das aufgrund einer abstrakt362 schwereren Strafandrohung die Verhängung einer schwereren Strafe gegen den Angeklagten zulässt als das in der zugelassenen Anklage angeführte Strafgesetz, nicht schon der Wegfall einer fakultativen,363 wohl aber einer zwingenden364 Strafmilderungsmöglichkeit. Art und Maß der im vorliegenden Fall wirklich zu verhängenden Strafe kann die Ablehnung des Antrags auf Aussetzung nicht begründen. Es ist nicht vorgeschrieben, das in Betracht kommende

356 357 358 359

So auch Radtke/Hohmann 99; SSW/Rosenau 32. RGSt 39 17, 18. BTDrucks. 18 11227 S. 37 f. RGSt 39 19; 52 250; RGRspr. 7 (1885) 474; BGHSt 48 183, 184; BGH NStZ 2018 558; wistra 2006 191; KK/Kuckein/Bartel 28; Meyer-Goßner/Schmitt 36. 360 MüKo/Norouzi 57; Radtke/Hohmann 95; a. A. BGH NStZ 2018 558; wistra 2006 191; BGH nach KK/ Kuckein/Bartel 28 (Aussetzung nach Absatz 4 zu beurteilen); Meyer-Goßner/Schmitt 36; OK-StPO/Eschelbach 53. 361 RGSt 52 249, 251; BGH NStZ 2018 558; Meyer-Goßner/Schmitt 36; OK-StPO/Eschelbach 54; Radtke/ Hohmann 95; SK/Velten 56. 362 AK/Loos 36; HK/Julius/Beckemper 15; KK/Kuckein/Bartel 28; KMR/Stuckenberg 70; Meyer-Goßner/ Schmitt 36; OK-StPO/Eschelbach 53; Pfeiffer 13; Radtke/Hohmann 96; SK/Velten 56. 363 BGH NStZ 2013 358 (Vollendung statt Versuch); 2018 558; a. A. SSW/Rosenau 34. 364 A. A. BGH NStZ 2018 558 (Mittäterschaft statt Beihilfe).

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Strafgesetz durch Verlesung bekanntzugeben.365 Den Umständen, die die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes rechtfertigen, stehen diejenigen gleich, die straferhöhend wirken oder zur Anwendung einer Maßnahme, Nebenstrafe oder Nebenfolge (Rn. 38 ff.) führen können. 88

c) Bestreiten. Der Angeklagte muss die neu hervorgetretenen Umstände bestreiten, d. h. die Richtigkeit der Tatsachen in Abrede stellen.366 Widerspricht er nur in rechtlicher Beziehung, so liegt die Voraussetzung des Absatzes 3 nicht vor; desgleichen nicht, wenn er die neue Tatsache als solche einräumt, die Aussetzung aber zur besseren Vorbereitung seiner Verteidigung begehrt.367

d) Antrag. Der Angeklagte muss die Aussetzung beantragen368 und behaupten, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein. Die Richtigkeit dieser Behauptung unterliegt nicht der Prüfung des Gerichts;369 dieses darf also die Aussetzung nicht deshalb verweigern, weil eine anderweitige Vorbereitung der Verteidigung nicht erforderlich ist. Eine andere Frage ist die, ob neue Umstände wirklich in der Weise hervorgetreten 90 sind, dass von ihrer Berücksichtigung bei der Urteilsfällung die Rede sein kann. In dieser Beziehung ist das Ermessen des Angeklagten nicht maßgebend, da ihm sonst in vielen Fällen die Handhabe geboten sein würde, willkürlich Aussetzungen herbeizuführen und seine Verurteilung hinzuhalten. Es ist allein Sache des Gerichts, zu beurteilen, ob die Umstände im Urteil als erwiesen angesehen und dem Angeklagten zur Last gelegt werden und ob dies zur Anwendung eines schwereren Strafgesetzes oder zu schwereren Rechtsfolgen oder Maßregeln führen kann. Ist dies nicht der Fall, so kann der Angeklagte aus der Ablehnung seines Aussetzungsantrags keinen Beschwerdegrund entnehmen. Die Frage ist also vom Gericht zu entscheiden.370 89

91

3. Entscheidung des Gerichts. Die Entscheidung des Gerichts über den Aussetzungsantrag soll unverzüglich ergehen.371 Sie hängt aber mitunter von dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme ab. Daher muss das Gericht für befugt erachtet werden, den Beschluss über den Aussetzungsantrag bis zum Schluss der Beweisaufnahme aufzuschieben. Er muss aber noch in der Hauptverhandlung bekanntgegeben und begründet werden, denn der Angeklagte muss nach Ablehnung seines Aussetzungsantrags Gelegenheit haben, noch in der Hauptverhandlung weitere Ausführungen zu machen und weitere Anträge zu stellen.372 Die Entscheidung darf daher nicht dem Urteil vorbehalten werden.

365 RG GA 71 (1927) 17. 366 BGH NStZ 2016 61, 62 mit Anm. Ventzke; krit. Mitsch NStZ 2004 395, 396. 367 BGH wistra 2006 191; HK/Julius/Beckemper 15; KK/Kuckein/Bartel 29; KMR/Stuckenberg 71; Radtke/ Hohmann 97; SK/Velten 57.

368 Vgl. Burhoff StV 1997 432, 434. 369 AK/Loos 37; HK/Julius/Beckemper 15; KK/Kuckein/Bartel 29; KMR/Stuckenberg 72; Meyer-Goßner/ Schmitt 36; MüKo/Norouzi 57; Radtke/Hohmann 101; SK/Velten 57; Eb. Schmidt 23; krit. Mitsch NStZ 2004 395, 396. 370 AK/Loos 36; KK/Kuckein/Bartel 28; KMR/Stuckenberg 72; Radtke/Hohmann 101; SK/Velten 56. 371 KMR/Stuckenberg 74; MüKo/Norouzi 58; Radtke/Hohmann 100; SK/Velten 59; SSW/Rosenau 36. 372 AK/Loos 39; KK/Kuckein/Bartel 30; KMR/Stuckenberg 74; MüKo/Norouzi 58; Radtke/Hohmann 100; SK/Velten 59; vgl. Rn. 105.

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Bei Bemessung der Dauer der Aussetzung muss das Gericht dem Angeklagten un- 92 ter Würdigung seiner im Aussetzungsantrag dafür vorgetragenen Umstände373 ausreichende Zeit für die Vorbereitung seiner Verteidigung gegen den neu aufgetauchten Gesichtspunkt einräumen, im Übrigen bestimmt sich die Dauer der Aussetzung nach dem Ermessen des Gerichts, bei dessen Ausübung auch das Beschleunigungsgebot und die allgemeine Terminlage des Gerichts zu berücksichtigen sind.374 Gerade im Hinblick auf letztere erscheint es auch zulässig, wenn das Gericht den Termin für den Neubeginn der Hauptverhandlung nicht im Aussetzungsbeschluss festlegt, sondern einer späteren Bestimmung vorbehält. Die umstrittene Frage, ob es im Ermessen des Gerichts steht, statt einer Aussetzung eine Unterbrechung der Verhandlung anzuordnen, sofern diese zur Vorbereitung der Verteidigung ausreicht,375 hat die neuere Rechtsprechung376 nicht einheitlich beantwortet.

IV. Aussetzung bei veränderter Sachlage (Absatz 4) 1. Bedeutung des Absatzes 4. Während die nachteilige Veränderung der Sach- und 93 Rechtslage dem Angeklagten unter den Voraussetzungen des Absatzes 3 einen Anspruch auf Aussetzung gibt, steht die Aussetzung bei bloß veränderter Sachlage im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.377 Es muss auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten (Staatsanwalt, Privatkläger, Nebenbeteiligte mit Angeklagtenbefugnissen, aber nicht mehr der Nebenkläger378) oder von Amts wegen prüfen, ob die Veränderung der Sachlage die Aussetzung, eventuell auch nur eine Unterbrechung zur besseren Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung, aber auch allgemein zur besseren Sachaufklärung,379 angezeigt erscheinen lässt. Absatz 4 darf nicht eng ausgelegt werden.380 Er enthält einen über die vorangehen- 94 den Absätze hinausweisenden Grundsatz, der besagt, dass das Gericht im Rahmen seiner Justizgewährungspflicht für eine Verfahrensgestaltung zu sorgen hat, die die Wahrung der Verfahrensinteressen aller Verfahrensbeteiligten, vor allem aber die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht verkürzt. Die Verpflichtung zur fairen Verfahrensgestaltung kommt hierin ebenso zum Ausdruck wie in der Verpflichtung, gegebenenfalls durch entsprechende Hinweise sicherzustellen, dass die Verfahrensbeteiligten die Veränderungen der Sachlage und ihre mögliche Be373 Vgl. HK/Julius/Beckemper 28, wonach der Aussetzungsantrag nach Absatz 3 auch die Mindestzeit angeben sollte, die zur Vorbereitung der Verteidigung benötigt wird. 374 MüKo/Norouzi 58; a. A. SK/Velten 59 (allein maßgebend seien Bedürfnisse der Verteidigung). 375 Bejahend KMR/Stuckenberg 74, 85; Kleinknecht/Meyer-Goßner46 37; Meyer-Goßner/Schmitt 37; LR/ Gollwitzer25 94, 108; verneinend AK/Loos 39; HK/Julius/Beckemper 16; MüKo/Norouzi 58; OK-StPO/Eschelbach 56, 58; Radtke/Hohmann 102; SK/Velten 59; SSW/Rosenau 37. 376 Bejahend BGHR § 265 Abs. 3 Aussetzung 2; verneinend BGHSt 48 183, 186 ff. mit Anm. Mitsch NStZ 2004 395, 396; dazu Kästner JuS 2003 849; Kudlich/Kraemer JA 2004 108. 377 Hahn 209; RGSt 61 217, 221; BGH NJW 1958 1736, 1738. 378 AK/Loos 40; KK/Kuckein/Bartel 31; Meyer-Goßner/Schmitt 39; MüKo/Norouzi 65; vgl. LR/Hilger26 § 397, 10; a. A. KMR/Stuckenberg 84; Radtke/Hohmann 116; SK/Velten 64. 379 Vgl. AK/Loos 40. 380 RG JW 1926 1219; BGH NJW 1958 1736, 1737; NStZ 2018 673, 675 mit Anm. Ventzke; OLG Hamburg NJW 1966 843; OLG Zweibrücken StV 1984 148; LG Duisburg StV 1984 19, 20; AK/Loos 41; KK/Kuckein/ Bartel 31; KMR/Stuckenberg 76; Pfeiffer 14; Radtke/Hohmann 106; SK/Velten 60; krit. MüKo/Norouzi 59; a. A. mit Blick auf den Beschleunigungsgrundsatz Schmitt StraFo 2008 313, 319; tendenziell auch MeyerGoßner/Schmitt 39, aber 41a; SSW/Rosenau 38.

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deutung für die Entscheidung erkennen und bei ihrer Verfahrensführung berücksichtigen und nicht etwa aus Unkenntnis einen aus ihrer Sicht angezeigten Aussetzungsantrag nach Absatz 4 unterlassen. 95 Eine Aussetzung der Hauptverhandlung zu anderen Zwecken, etwa damit das Gericht sich selbst auf die Veränderung besser einstellen kann,381 um dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, sich bis zur nächsten Hauptverhandlung zu bewähren,382 oder um die Entscheidung eines anderen Gerichts abzuwarten,383 kann nicht mit der (analogen) Anwendung des § 265 Abs. 4 begründet werden. Absatz 4 ist nach § 154a Abs. 3 Satz 3 entsprechend anzuwenden, wenn Teile ei96 ner Tat, die nach §§ 154a, 207 Abs. 2 ausgeschieden worden sind, wieder in das Verfahren einbezogen und zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden sollen.384 2. Veränderungen a) Änderung des Sachverhalts. Eine veränderte Sachlage liegt vor, wenn im Rahmen des § 264 Handlungen oder sonstige Tatsachen zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden sollen, die in der zugelassenen Anklage nicht erwähnt worden sind. Diese neuen Tatsachen müssen entscheidungserheblich sein. Sie können den Umfang der Schuld betreffen, sie können aber auch für den Strafausspruch oder die Anordnung einer Maßregel der Besserung oder Sicherung von Bedeutung sein. Es muss sich aber immer um neu zutage getretene, in der zugelassenen Anklage nicht erwähnte tatsächliche Umstände handeln, mit deren Verwertung die Verfahrensbeteiligten nicht zu rechnen brauchten385 und zu denen sie sich daher in der Hauptverhandlung nicht abschließend äußern können. Es hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab, ob die Aussetzung zur 98 genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung erforderlich ist. Dies kann, muss aber nicht zutreffen, wenn bei einer angeklagten Dauerstraftat oder bei einem mehrere Verhaltensweisen tatbestandsmäßig zu einer einzigen Tat zusammenfassenden Straftatbestand („Bewertungseinheit“) oder früher bei einer fortgesetzten Straftat nicht mitangeklagte Taten, die sich als deren unselbständige Teilakte darstellen, in das Verfahren mit einbezogen werden.386 Kommen in einem wegen des Vorwurfs eines Vergehens nach § 171 StGB durchgeführten Strafverfahren Handlungen des Angeklagten zur Sprache, die in der Anklage nicht erwähnt wurden und von denen der Angeklagte deshalb nicht anzunehmen brauchte, dass sie ihm zur Last gelegt werden sollen, so kann diese Veränderung der Sachlage zur Aussetzung zwingen.387 Dass der Umfang der Tat, etwa der Beute eines Diebstahls, größer war als in der Anklage angenommen, wird meist – es kommt auch hier auf den Einzelfall an – noch nicht als eine wesentliche Veränderung der Sachlage aufzufassen sein,388 ebenso, wenn neu eingeführte Sachbe97

381 Insoweit ist auch nur eine Unterbrechung möglich, KMR/Stuckenberg 76; MüKo/Norouzi 59; LR/ Gollwitzer25 95; a. A. Eb. Schmidt 25.

382 OLG Karlsruhe Justiz 1974 97; AK/Loos 41; KK/Kuckein/Bartel 31; KMR/Stuckenberg 76; Radtke/Hohmann 105. BGHSt 31 323, 327; MüKo/Norouzi 59; so aber SSW/Rosenau 38. Vgl. bei § 154a. BayObLGSt 1971 91 = VRS 41 (1971) 374. BGH NStZ 1985 325; bei Kusch NStZ 1994 24; bei Holtz MDR 1992 935; Schlothauer StV 1986 213, 225. 387 BGHSt 8 92, 96 f. = LM Nr. 6 zu § 170d a. F. StGB mit Anm. Kohlhaas. 388 OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1973 187 Nr. 90; KK/Kuckein/Bartel 31a; KMR/Stuckenberg 77.

383 384 385 386

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weismittel dem Angeklagten bereits bekannt sind.389 Vom Einzelfall hängt auch ab, ob die Konkretisierung einer ungenau gefassten Anklage hinsichtlich Ort, Zeit und Tathergang (Rn. 53) eine so wesentliche Veränderung bringt, dass dies die Aussetzung nach Absatz 4 rechtfertigt. b) Änderung der Verfahrenslage. Die Veränderung der Sachlage kann aber auch 99 in Veränderungen der Verfahrenslage liegen, sofern diese eine weitere Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung notwendig macht. Vernimmt beispielsweise das Gericht in der Hauptverhandlung einen neuen Belastungszeugen, so kann zur Vorbereitung der Verteidigung und zur Gewährung des rechtlichen Gehörs die Aussetzung geboten sein, so, wenn der Angeklagte von der Pflicht zum Erscheinen entbunden und auch nicht durch einen Verteidiger vertreten war.390 Gleiches gilt, wenn der Verteidiger keine Gelegenheit hatte, die Stichhaltigkeit des Gutachtens eines erst in der Hauptverhandlung zugezogenen Sachverständigen nachzuprüfen,391 wenn erst in der Hauptverhandlung möglicherweise zur Entlastung geeignete Akten oder Beweismittel (z. B. Lichtbilder) vorgelegt werden,392 wenn dem Verteidiger keine oder nur unzureichende Akteneinsicht gewährt wurde393 oder der Angeklagte die Anklageschrift nicht erhalten hatte.394 Eine ordnungsgemäße Mitteilung der Anklageschrift fehlt auch dann, wenn ein der 100 deutschen Sprache unkundiger Angeklagter die Anklage nur in deutscher Sprache ohne beigefügte Übersetzung erhalten hat.395 Nur ausnahmsweise, etwa wenn der Gegenstand der Anschuldigung leicht überschaubar und dem Angeklagten bereits aus seiner Einvernahme im Ermittlungsverfahren bekannt ist, kann es ausreichen, wenn ihm die Anklage bei Beginn der Hauptverhandlung mündlich übersetzt wird396 (vgl. § 187 Abs. 2 Satz 4 GVG; s. § 201, 16). Zu beachten ist dabei stets, dass das Recht auf ein faires Verfahren es gebietet, den der deutschen Sprache nicht oder nicht hinreichend mächtigen Angeklagten in die Lage zu versetzen, die ihn betreffenden wesentlichen Verfahrensvorgänge verstehen und sich im Verfahren verständlich machen zu können.397 Eine wesentliche Veränderung der Verfahrenslage kann auch dadurch eintreten, dass das Gericht darauf hinweist, dass es an einer früher bestimmt zugesagten Sachbehandlung nicht mehr festhalten will, sofern diese Zusage das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten wesentlich bestimmt hat.398 Einer Aussetzung bedarf es aber nur, wenn Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Änderung bereits im laufenden Verfahren ohne Beein389 390 391 392

LG Bochum NJW 1988 1833; AK/Loos 45; vgl. LR/Becker § 246, 16. Vgl. OLG München HRR 1940 484; BayObLGSt 1971 91 = VRS 41 (1971) 374. OLG Koblenz VRS 60 (1981) 119. BGHSt 36 305, 313; BayObLGSt 1981 14 = VRS 61 (1981) 129; BayObLG VRS 60 (1981) 378; KG StV 1989 8 mit Anm. Danckert; LG Bochum NJW 1988 1533; LG Duisburg StV 1984 19; LG Berlin StV 2014 403 f.; LG Hamburg StV 2014 406; LG Hannover StV 2013 79; LG Nürnberg-Fürth JZ 1982 260; LG Leipzig StV 2008 514; Odenthal StV 1991 441, 446 f.; Schlag FS Koch 238; AK/Loos 43; KMR/Stuckenberg 78; MeyerGoßner/Schmitt 42; MüKo/Norouzi 62; OK-StPO/Eschelbach 68; Radtke/Hohmann 110; SK/Velten 63. 393 BGHSt 50 224, 227 ff.; BGH StV 1985 4; 1996 268; 1998 415; VRS 31 (1966) 188; KG StV 1982 10; OLG Hamburg NJW 1966 843 f.; OLG Köln VRS 85 (1993) 443, 445; LG Berlin StV 2014 403 f.; vgl. OLG Karlsruhe VRS 118 (2010) 211; SSW/Rosenau 41. 394 BGH bei Holtz MDR 1978 111; vgl. auch OLG Celle StraFo 1998 19. 395 BGH NStZ 2017 63, 64. 396 Vgl. OLG Celle StraFo 2005 30 mit abl. Anm. Rübenstahl; OLG Düsseldorf JZ 1985 200; OLG Hamburg MDR 1993 164; KMR/Stuckenberg 79. 397 BVerfGE 64 135, 145; BVerfG NJW 2004 1443. 398 Vgl. etwa BGHSt 36 210; KK/Kuckein/Bartel 32a.

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trächtigung der Verteidigung Rechnung getragen werden kann, so etwa durch Nachholen unterbliebener Beweisanträge. 101 Erhebliche praktische Bedeutung hat Absatz 4 bei der Gewährleistung des Rechts, sich des Beistands eines Verteidigers seines Vertrauens zu bedienen (Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK),399 wenn dieser aus vom Angeklagten nicht zu vertretenden Gründen verhindert ist und ihm nach Lage der Sache eine Verhandlung ohne Verteidiger oder mit einem vom Gericht ad hoc bestellten Verteidiger nicht zumutbar ist.400 § 145 Abs. 3 regelt die Pflicht des Gerichts zur Aussetzung oder Unterbrechung nicht abschließend.401 Er berührt insbesondere die Pflicht des Gerichts nicht, von Amts wegen auszusetzen, wenn dies § 265 Abs. 4 zur Wahrung des Rechts auf Verteidigung erfordert. Gleiches gilt für § 228 Abs. 2.402 Umgekehrt machen diese Vorschriften aber auch deutlich, dass der Angeklagte nicht in jedem Fall wegen der Verhinderung seines Verteidigers die Aussetzung verlangen kann. Es kommt auf Anlass, Vorhersehbarkeit und Dauer der Verhinderung sowie auf die Bedeutung der Sache und die sonstigen Umstände des Einzelfalls an, ob bei Abwägung aller Belange die Aussetzung nach Absatz 4 aus der Sicht des unverteidigten Angeklagten403 geboten ist. 102 In Betracht kommen verschiedenartige Ursachen, sie reichen von der plötzlichen Erkrankung404 oder dem Tod405 des Verteidigers bis zu dessen für den Angeklagten unvorhersehbaren Verhinderung,406 wie etwa infolge einer Fahrzeugpanne.407 Die Verpflichtung, eine sachgerechte Verteidigung zu ermöglichen, kann die Aussetzung erfordern, wenn der Verteidiger für den Angeklagten nicht vorhersehbar sein Mandat zu einem Zeitpunkt niederlegt, in dem es dem Angeklagten nicht mehr möglich war, rechtzeitig einen anderen Verteidiger zu bestellen408 oder wenn ein als Verteidiger geladener Referendar für den abwesenden Angeklagten unvorhersehbar vom Gericht nicht als Wahlverteidiger zugelassen wird409 oder wenn der Verteidiger wegen unvorschriftsmäßiger Kleidung zurückgewiesen wird410 oder wenn dem nicht rechtskundigen Angeklagten die Ablehnung seines rechtzeitig gestellten Antrags auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers so spät mitgeteilt wird, dass er weder eine Änderung des Beschlusses herbeiführen noch einen Wahlverteidiger beauftragen kann.411 Eine Ausset-

399 Vgl. etwa BVerfGE 9 36, 38; 39 238, 243; 68 237, 256; BGH StV 1992 53; 1998 415 sowie bei § 142 und Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK.

400 BGH NJW 2000 1350; BayObLG VRS 64 (1983) 129; OLG Celle NJW 1965 2264; OLG Düsseldorf wistra 1993 352; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 304; OLG Hamm MDR 1971 68; 1972 254; DRiZ 1977 84; OLG Zweibrücken StV 1984 148; KK/Kuckein/Bartel 32; Meyer-Goßner/Schmitt 42a; OK-StPO/Eschelbach 66 f.; Radtke/Hohmann 112; SK/Velten 63; SSW/Rosenau 42; vgl. LR/Becker § 228, 21 ff.; Heldmann StV 1981 82; Heubel NJW 1981 2678; Schlothauer StV 1986 213, 228. 401 BGH NJW 1965 2164, 2165 mit Anm. Schmidt-Leichner; JR 1974 247; NStZ 2013 122, 123 mit Anm. Wohlers JR 2013 376. 402 BGH bei Dallinger MDR 1966 26; OLG Düsseldorf wistra 1993 252; KMR/Stuckenberg 80; Radtke/ Hohmann 112. Vgl. LR/Becker § 228, 21 ff., 25 und bei § 145. 403 BayObLG StV 1983 270 mit Anm. Weider. 404 OLG Celle NJW 1965 2264 f.; OLG Düsseldorf StV 1995 69 f. 405 BayObLG VRS 64 (1983) 129; StV 1983 270 mit Anm. Weider. 406 OLG Düsseldorf VRS 63 (1982) 458; OLG Zweibrücken StV 1984 148; vgl. aber auch BGH MDR 1977 767 mit abl. Anm Sieg; ferner LG Dortmund StV 1986 13; Heldmann StV 1981 82; LR/Becker § 228, 25. 407 BayObLG StV 1985 6 f.; 1989 94, 95; OLG Düsseldorf wistra 1993 352. 408 BGH NJW 2000 1350; OLG Celle NdsRpfl. 1964 234, 235; OLG Zweibrücken MDR 1966 528 f. 409 OLG Köln NJW 1970 720 f. 410 OLG Köln VRS 70 (1986) 21. 411 RGSt 57 147, 148; RG JW 1932 406 f.; OLG Hamm NJW 1973 381 f.

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zung kann aber auch notwendig werden bei unvorhergesehenem Verteidigerwechsel, wenn etwa im Falle einer notwendigen Verteidigung der eine von zwei gewählten Verteidigern das Mandat niederlegt und der andere wegen der zwischen ihnen abgesprochenen Aufgabenteilung die Verantwortung für die ganze Verteidigung nicht zu übernehmen bereit ist,412 ferner, wenn der Angeklagte wegen der Untätigkeit des Pflichtverteidigers413 oder wegen der Verhinderung seines Verteidigers einen Anwalt seiner Wahl beauftragt und dieser sich nicht mehr rechtzeitig vorbereiten kann414 oder wenn bei einem vom Angeklagten nicht zu vertretenden Verteidigerwechsel die Wiederholung der verfahrensentscheidenden Beweisaufnahme in Gegenwart des neuen Verteidigers für die sachgerechte Verteidigung unerlässlich ist,415 was aber auch ohne Aussetzung möglich ist.416 Dasselbe gilt auch, wenn ein neu bestellter Pflichtverteidiger die Verteidigung nach einer für die Schwierigkeit der Sache ersichtlich nicht ausreichenden Vorbereitungszeit übernimmt.417 Grundsätzlich kann jede vom Angeklagten nicht verschuldete Verschlechterung 103 seiner Verteidigungsmöglichkeit den Anlass zur Aussetzung geben, beispielsweise auch, wenn der Verteidiger ohne Verschulden des in der Hauptverhandlung nicht anwesenden Angeklagten außerstande ist, sich bei einem neu aufgetretenen Gesichtspunkt zur Sache zu äußern,418 wenn das Gericht entgegen der in Aussicht gestellten Einstellung in Abwesenheit des Verteidigers dann doch zur Sache verhandelt,419 oder wenn das Gericht nach Weggang des Wahlverteidigers eines minderjährigen Angeklagten vor der Urteilsverkündung unerwartet nochmals in die mündliche Verhandlung eintritt und auf eine vom Angeklagten in der Tragweite nicht übersehbare Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts hinweist;420 unter Umständen auch, wenn dem Gericht mitgeteilt wurde, der Verteidiger werde sich verspäten.421 Andererseits kann der Verteidiger im Falle einer nicht notwendigen Verteidigung die Aussetzung nicht dadurch erzwingen, dass er nach Ablehnung seines Vertagungsantrags zur Hauptverhandlung nicht erscheint422 oder sein Mandat ohne sonst einen dies sachlich rechtfertigenden Grund niederlegt.423 Im Übrigen kann Urlaub des Verteidigers grundsätzlich zu den anzuerkennenden Gründen gehören,424 eine Fortbildungsveranstaltung425 des Wahlverteidigers jedoch nicht ohne weiteres. Ob ein neuer Verteidiger für die Erfüllung seiner Aufgabe hinreichend vorbereitet ist, hat er in erster Linie selbst zu beurteilen und es ist grundsätzlich nicht Sache des Gerichts, dies nachzuprüfen; erklärt also der neu bestellte Verteidiger, er sei zur Verteidi-

412 413 414 415 416 417

RGSt 71 353, 354; OLG Köln VRS 23 (1962) 295; vgl. auch RG JW 1926 1218 mit Anm. Oetker/Mamroth. BGH NJW 1958 1736. BGH VRS 26 (1964) 46; 31 (1966) 188. BGH NJW 2000 1350; vgl. auch BGHSt 13 337, 340. Vgl. BGH NStZ-RR 2002 270 f. BGH NJW 1965 2164 mit Anm. Schmidt-Leichner; MDR 1977 767 mit Anm. Sieg; NStZ 1983 281; 2009

650 f.

418 419 420 421 422 423 424

BayObLG DAR 1957 131. BayObLG VRS 63 (1982) 279. OLG Saarbrücken VRS 25 (1963) 66. Vgl. LR/Becker § 228, 30 m. w. N. OLG Köln VRS 23 (1962) 295. BGH NJW 2000 1350 lässt dies offen. Vgl. OLG Celle StV 1984 503; OLG Frankfurt StV 1997 402; OLG Köln DAR 2005 576 f.; OLG München NStZ 1994 451; auch OLG Hamm NZV 1997 90. 425 BGH NStZ-RR 2007 81 mit Anm. Eidam JR 2007 211.

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gung genügend vorbereitet, darf sich das Gericht im Normalfall darauf verlassen,426 sofern ihm nicht Umstände bekannt sind, die dem widersprechen.427 3. Entscheidung des Gerichts. Ob das Verfahren nach Absatz 4 auszusetzen ist, hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden.428 Für die Ausübung des Ermessens ist neben den Anforderungen, die sich aus der Aufklärungspflicht und der Pflicht zur Gewährung des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG ergeben, vor allem die Pflicht zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens und die daraus folgende Fürsorgepflicht maßgebend. Zu berücksichtigende Gesichtspunkte sind die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage, die Fähigkeit des Angeklagten, sich selbst zu verteidigen, sowie das Beschleunigungsgebot, wobei auch zu bedenken ist, innerhalb welcher Zeit das Gericht bei seiner Geschäftsbelastung mit der Neuverhandlung der Sache beginnen könnte, ob sonstige Verfahrensnachteile wie ein zu befürchtender Beweismittelverlust oder Verlängerung der Untersuchungshaft entgegenstehen.429 Eine Aussetzung liegt daher nahe, wenn die Beeinträchtigung der Verteidigung durch das Gericht verursacht wurde,430 hingegen nicht, wenn der Angeklagte die Verhinderung seines Verteidigers oder die mangelhafte Vorbereitung selbst zu vertreten hat;431 auf ein etwaiges Verschulden des Verteidigers kommt es nicht an,432 vgl. Rn. 103. Wäre infolge veränderter Sachlage dem Angeklagten die Fortsetzung der Hauptverhandlung ohne Beistand eines Verteidigers unzumutbar, kann sich der Ermessenspielraum zur Pflicht verdichten.433 Ein Aussetzungsantrag nach Absatz 4 muss in der Hauptverhandlung beschieden 105 werden und nicht erst mit der Urteilsverkündung.434 Der ablehnende Beschluss muss die dafür wesentlichen Gesichtspunkte anführen.435 Wird das Verfahren nur für eine

104

426 BGH NStZ 1997 401 mit Anm. Rogat JR 1998 252; NStZ 1998 111; 2013 122, 123 mit Anm. Wohlers JR 2013 376; BGH bei Holtz MDR 1996 120; StV 2000 402 mit Anm. Stern sowie bei § 145.

427 Etwa BGH NJW 1965 2164 mit Anm. Schmidt-Leichner; BGH NJW 1973 1985; NStZ 1983 281; 1998 531; vgl. auch Rn. 101; zur Aussetzungs- oder Unterbrechungspflicht im umgekehrten Fall vgl. bei § 145.

428 BGH NJW 1958 1736, 1737; NStZ 2017 63, 64; 2018 673, 675; 2019 481, 483; NStZ-RR 2002 270; StV 2013 485, 486; s. a. BGHSt 48 183, 188 f.; KK/Kuckein/Bartel 31a; MüKo/Norouzi 66; SSW/Rosenau 45. 429 BGH NJW 1973 1985, 1986 mit Anm. Peters JR 1974 248; MDR 1977 767 mit Anm. Sieg; NStZ 1983 281; 2018 673, 675; NStZ-RR 2005 259 f.; StV 2000 183 f.; KG NZV 1993 411; OLG Celle StraFo 1998 19, 20; OLG Düsseldorf StV 1982 559, 560; 1995 69, 70; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 304, 305 m. w. N.; OLG Hamm VRS 41 (1971) 45 f.; 59 (1980) 449; OLG Köln VRS 42 (1972) 284, 285; OLG Koblenz VRS 52 (1977) 428, 430; OLG Stuttgart StV 1988 145 f.; OLG Zweibrücken StV 1984 148; LG Bochum NJW 1988 1533 f.; AK/Loos 45; HK/Julius/Beckemper 21; KK/Kuckein/Bartel 31a; KMR/Stuckenberg 81; Meyer-Goßner/Schmitt 43; MüKo/ Norouzi 66; Radtke/Hohmann 118 f.; SK/Velten 60, 64; krit. OK-StPO/Eschelbach 72; vgl. BVerfG NJW 1984 862 f. (verfassungsrechtlich unbedenklich). 430 BayObLG VRS 63 (1982) 279 f.; StV 1984 13 f.; OLG Düsseldorf GA 1958 54 f.; StV 1982 559 f.; OLG Hamburg NJW 1967 1577, 1578; OLG Koblenz VRS 52 (1977) 428, 430; OLG Stuttgart StV 1988 145, 146; LG Dortmund StV 1986 13. 431 Vgl. BGH NJW 1958 1736, 1737 f.; NStZ-RR 2006 272, 273; OLG Düsseldorf GA 1979 226, 227; OLG Köln VRS 23 (1962) 295 f.; AK/Loos 44; KK/Kuckein/Bartel 32; KMR/Stuckenberg 83; SK/Velten 63. 432 OLG Hamburg NJW 1967 1577, 1578. 433 BayObLG StV 1983 270 mit Anm. Weider; OLG Celle NJW 1965 2264; OLG Düsseldorf GA 1979 226, 227; StV 1982 559 f.; 1995 69 f.; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 304, 305; OLG Hamm GA 1971 25; 1974 346; MDR 1972 254 f.; NJW 1973 381 f.; VRS 47 (1974) 358; OLG Koblenz VRS 52 (1977) 428, 430; OLG Stuttgart StV 1988 145, 146. 434 OLG Dresden GA 72 (1928) 388, 389; AK/Loos 46; HK/Julius/Beckemper 19; KMR/Stuckenberg 85; Meyer-Goßner/Schmitt 45; OK-StPO/Eschelbach 72; Radtke/Hohmann 117; SK/Velten 64; SSW/Rosenau 45. 435 BGH StV 1986 516; KMR/Stuckenberg 85; MüKo/Norouzi 67; OK-StPO/Eschelbach 73; Radtke/Hohmann 117; SK/Velten 64.

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kürzere als die beantragte Zeit ausgesetzt oder unterbrochen, ist auch anzuführen, weshalb (Sachgründe, Beschleunigungsgebot) diese Frist nach Ansicht des Gerichts ausreichen muss. Die Begründung muss den Prozessbeteiligten ermöglichen, noch in der Hauptverhandlung ihr weiteres Prozessverhalten danach einstellen und die entsprechenden Anträge stellen zu können. Der Aussetzungsantrag ist eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens, die im 106 Protokoll festzuhalten ist und nur durch dieses bewiesen werden kann (§ 274). Gleiches gilt für den darüber entscheidenden Gerichtsbeschluss, der eine nach § 273 Abs. 1 im Protokoll aufzunehmende Entscheidung ist. 4. Dauer der Aussetzung. Die Dauer der Aussetzung nach Absatz 3 und 4 wird durch 107 das richterliche Ermessen bestimmt, das danach auszurichten ist, welche Zeit der Angeklagte und sein Verteidiger – im Falle des Absatzes 4 gegebenenfalls auch die Staatsanwaltschaft oder Nebenbeteiligte mit Angeklagtenbefugnissen – brauchen, um ihre Rechte sachgemäß wahrnehmen zu können. Die Schwierigkeiten der Sach- und Rechtslage und die Bedeutung der neu aufgetretenen Umstände sowie das Erfordernis angekündigter Nachforschungen sind dabei zu berücksichtigen. Nach ihnen bemisst sich der Zeitraum, der für die weitere Vorbereitung einschließlich etwaiger notwendig gewordener Ermittlungen zuzubilligen ist. Dem Gericht ist es unbenommen, die Antragsteller über die nach ihrer Ansicht zur weiteren Vorbereitung beabsichtigten Maßnahmen und die dafür erforderliche Zeit zu befragen. Der nach Ansicht des Gerichts dafür angemessene Zeitbedarf ist entscheidend dafür, ob hierfür eine bloße Unterbrechung der Verhandlung genügt – die anders als bei Absatz 3 als zulässig anzusehen ist436 – und wie lange diese zu bemessen ist.437 Mitunter muss ohne Rücksicht auf die Fristen des § 229 die Hauptverhandlung neu begonnen werden, so, wenn bei einem Verteidigerwechsel der neue Verteidiger wichtigen Vorgängen der Beweisaufnahme nicht beiwohnen konnte, ihm also mangels persönlichen Eindrucks eine Beurteilung der wesentlichen Belastungszeugen nicht möglich war.438 In Einzelfällen können allerdings besondere Umstände vorliegen, die zur Wahrung der Verteidigungsinteressen einen Neubeginn der Hauptverhandlung, eventuell aber auch nur eine Wiederholung der Beweisaufnahme erforderlich erscheinen lassen.439 In solchen Fällen muss die sachgemäße Ausübung der prozessualen Rechte von Anklage und Verteidigung gesichert bleiben. Der Angeklagte soll nicht hilflos einer veränderten prozessualen Lage ausgesetzt werden, sondern Gelegenheit erhalten, seine wohlverstandenen Belange im Verfahren wahrzunehmen.440 Ist nach der Sachlage allerdings damit zu rechnen, dass sich ein bei Terminbeginn ausgebliebener Verteidiger lediglich verspätet, ist für eine sofortige Entscheidung über die Aussetzung kein Raum. Das Gericht muss zunächst die nach der Sachlage angemessene Zeit zuwarten, ob der Verteidiger doch noch erscheint.441 436 Meyer-Goßner/Schmitt 39, 45; OK-StPO/Eschelbach 72; Radtke/Hohmann 118; SSW/Rosenau 38; Schmitt StraFo 2008 313, 319; vgl. Rn. 92. Offenlassend BGH NStZ 2017 63, 64; s. a. BGH NStZ 2018 673, 675 mit Anm. Ventzke. 437 Vgl. BGH 12.6.1956 – 5 StR 126/56 bei KK/Kuckein/Bartel 31a (Unterbrechung über Wochenende); BGH StV 1993 289 (zwei Stunden unzureichend bei Mordmerkmalen); Heubel NJW 1981 2678 (Hinausschieben des Verhandlungsbeginns); ferner HK/Julius/Beckemper 19; KMR/Stuckenberg 85; Meyer-Goßner/ Schmitt 45; MüKo/Norouzi 68. 438 BGH NJW 2000 1350; NStZ 1983 281; VRS 26 (1964) 46 (notwendige Verteidigung). 439 Vgl. BGH NJW 2000 1350. 440 OLG Hamm NJW 1973 381; OLG Koblenz VRS 50 (1976) 294; OLG Saarbrücken VRS 65 (1963) 66; KK/Kuckein/Bartel 32. 441 Wegen der Einzelheiten der Wartepflicht vgl. LR/Becker § 228, 30; HK/Julius/Beckemper 20, jew. m. w. N.; zur Fürsorgepflicht des Gerichts OLG Köln StV 1990 257.

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V. Rechtsbehelfe 108

1. Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Der Hinweis nach Absatz 1 und 2 ist keine Anordnung im Sinne des § 238 Abs. 2, so dass gegen ihn das Gericht nicht angerufen werden kann.442 Lehnt der Vorsitzende hingegen einen Hinweis ab, gilt § 238 Abs. 2.443 Ergeht ein Hinweis zu spät, muss die nachfolgende Aufforderung des Vorsitzenden an den Verteidiger, den Schlussvortrag zu halten, nach § 238 Abs. 2 beanstandet werden, um die Rüge eines Fairnessverstoßes zu erhalten.444

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2. Beschwerde. Der Hinweis nach Absatz 1, 2 oder die Unterrichtung über sachliche Veränderungen sind keine beschwerdefähigen Verfügungen im Sinne des § 304 Abs. 1.445 Im Übrigen sind auch gerichtliche Entscheidungen über Erteilung oder Unterlassen eines Hinweises durch § 305 der Beschwerde entzogen. Sie können nur im Rahmen der Urteilsanfechtung beanstandet werden. Gleiches gilt für den Beschluss, der die Aussetzung des Verfahrens ablehnt und grundsätzlich auch für den Beschluss, der nach Absatz 3 oder 4 das Verfahren aussetzt.446 Nur in Ausnahmefällen, in denen der aussetzende Beschluss nicht der Vorbereitung der Urteilsfindung dient, sondern einen von § 265 nicht gedeckten Zweck verfolgt (vgl. Rn. 95), kann ebenso wie bei §§ 228, 246 die Beschwerde zulässig sein.447 3. Revision

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a) Verstoß gegen die Absätze 1 bis 4. Ein Verstoß gegen die Absätze 1 bis 4 eröffnet die Revision nach § 337 und, soweit ein Beschluss des Gerichts die Verteidigung beschränkt hat, etwa einen Aussetzungsantrag des Angeklagten nach Absatz 3 oder 4 zu Unrecht abgelehnt oder nicht beschieden hat, auch nach § 338 Nr. 8.448 Soweit ausschließlich die Verteidigung des Angeklagten gesichert werden soll, kann die Verletzung nicht zu seinen Ungunsten von Staatsanwalt, Nebenkläger oder Privatkläger geltend gemacht werden, § 339.449 Ein Verstoß gegen die Absätze 1 und 2 setzt voraus, dass ein nach diesen Absätzen notwendiger Hinweis überhaupt nicht oder nur mit einem den Gesetzeszweck verfehlenden unzulänglichen Inhalt erteilt wurde. Dass er in der Hauptverhandlung zu spät erteilt wurde, so dass sich die Prozessführung nicht mehr darauf einstellen konnte, kann allenfalls in Verbindung mit einem darauf gestützten Ausset-

442 KK/Kuckein/Bartel 19; KMR/Stuckenberg 86; MüKo/Norouzi 69; Radtke/Hohmann 129; SK/Velten 29; Eb. Schmidt 15.

443 KK/Kuckein/Bartel 19; KMR/Stuckenberg 86; Meyer-Goßner/Schmitt 30; MüKo/Norouzi 69; OK-StPO/ Eschelbach 75; Radtke/Hohmann 129; SK/Velten 29.

444 BGH NStZ 2012 344. 445 KG StV 1989 8, 9 mit Anm. Danckert. 446 OLG Dresden JR 2008 304, 305 mit Anm. Gössel; Meyer-Goßner/Schmitt 37a; OK-StPO/Eschelbach 77; Radtke/Hohmann 130. 447 Vgl. LR/Becker § 228, 35; MüKo/Norouzi 70; Radtke/Hohmann 130. 448 BGH NJW 1965 2164, 2165 f.; NStZ 1983 281; StV 1985 4; 1996 298; 1998 414 f.; 2000 183; OLG Celle NdsRpfl. 1964 234 f.; NJW 1965 2264; OLG Zweibrücken MDR 1966 528; AK/Loos 48; KK/Kuckein/Bartel 33; KMR/Stuckenberg 88; MüKo/Norouzi 71; Radtke/Hohmann 131; Eb. Schmidt 28. 449 RGSt 5 218, 221; BGH bei Dallinger MDR 1966 18; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1974 183; OLG Stuttgart MDR 1955 505; KK/Kuckein/Bartel 33; KMR/Stuckenberg 89; Meyer-Goßner/Schmitt 46; MüKo/Norouzi 71; OK-StPO/Eschelbach 78; Radtke/Hohmann 131; SSW/Rosenau 48; offen lassend BGH bei Dallinger MDR 1955 652.

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zungsantrag unter dem Blickwinkel eines Verstoßes gegen Absatz 4450 oder als nach § 238 Abs. 2 zu beanstandender Fairnessverstoß (Rn. 108) gerügt werden. Ein Verstoß gegen Absatz 3 setzt voraus, dass das Gericht den Aussetzungsantrag des Angeklagten abgelehnt hat, obwohl alle in diesem Absatz dafür geforderten Voraussetzungen vorlagen. Als Verletzung des Absatzes 4 kann dagegen nur geltend gemacht werden, dass 111 das Gericht die Voraussetzungen dieses Absatzes, namentlich die das Ermessen eröffnende Veränderung der Sachlage,451 verkannt oder bei dessen Anwendung Rechtsbegriffe falsch, zu eng oder zu weit ausgelegt oder sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat.452 Formelhafte Begründung des ablehnenden Beschlusses kann auf Ermessensfehlgebrauch hindeuten.453 Fehlerhaft ist es auch, einen Vertagungsantrag, der zur Beibringung von Belegen für ein Verteidigungsvorbringen gestellt wird, mit der Begründung abzulehnen, das Gegenteil der Schutzbehauptung sei erwiesen.454 Ist ein Hinweis nach § 265 Abs. 1 gegeben worden, und ist für die Anwendung des neuen Strafgesetzes ein Tatumstand von Bedeutung, der bei Anwendung des in der Anklage angeführten Strafgesetzes unerheblich gewesen wäre, dann darf der Antrag, die Verhandlung nach Absatz 4 auszusetzen, um das Vorliegen jenes Tatumstands zu klären, nicht als Beweisermittlungsantrag zurückgewiesen werden.455 Nicht überprüfbar ist, ob eine Aussetzung oder eine andere geeignete Maßnahme zur Sicherstellung der Verteidigung zweckmäßiger war.456 Eine Verletzung der Hinweispflicht führt regelmäßig auch zu einem Verstoß gegen Absatz 4, wenn dem Angeklagten die nötige Vorbereitung der Verteidigung genommen wurde.457 Ob ein Verstoß gegen die Absätze 1 oder 2 vorliegt, ist unter Berücksichtigung der 112 Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls zu beurteilen.458 Ob der Angeklagte einen Anspruch auf Aussetzung nach Absatz 3 hatte, kann das Revisionsgericht im Wege des Freibeweises auch unter Heranziehung des Akteninhalts feststellen.459 Gleiches gilt für die tatsächlichen Voraussetzungen der Ermessensentscheidung nach Absatz 4. Es geht zu Lasten des Beschwerdeführers, wenn die Behauptung einer unzureichenden Belehrung im Freibeweisverfahren nicht erwiesen ist.460 b) Begründung der Revision. Zur Begründung der Revision muss der Revisions- 113 führer angeben (§ 344 Abs. 2 Satz 2), wie die zugelassene Anklage in dem betreffenden Punkt lautete, sowie, dass das Gericht den Angeklagten ohne den erforderlichen Hinweis wegen einer anderen Vorschrift oder wegen eines anderen Sachverhalts abgeurteilt hat.461 Die Mitteilung von Anklageschrift und Eröffnungsbeschluss soll nur ausnahms450 BGH NStZ 2007 234, 235; HK/Julius/Beckemper 26, 30; KK/Kuckein/Bartel 21; MüKo/Norouzi 72. 451 RGSt 28 124. 452 BGHSt 8 92, 96; 11 88, 91; BGH NJW 1958 1736; NStZ 1983 281; 1998 82; StV 2013 485, 486; BayObLG VRS 63 (1982) 27; OLG Koblenz VRS 51 (1976) 288; KK/Kuckein/Bartel 33; KMR/Stuckenberg 97 f.; MeyerGoßner/Schmitt 46; Radtke/Hohmann 137; Hamm 1174; a. A. SK/Velten 61, 63, 66. 453 Vgl. BGH StV 1986 516; NStZ 2019 481, 483; OLG Braunschweig StV 2008 293 f. 454 RG GA 75 (1931) 213. 455 RG JW 1933 967. 456 RG HRR 1931 Nr. 636; OLG Dresden JR 2008 304, 305 mit Anm. Gössel; vgl. OLG Stuttgart Justiz 2000 91 ff. m. w. N.; OLG Karlsruhe NStZ 1985 227; OLG Koblenz VRS 51 (1976) 288, 289. 457 BGHSt 8 92, 96 ff. 458 Vgl. Rn. 81 ff. 459 KK/Kuckein/Bartel 33; KMR/Stuckenberg 96. 460 BGHSt 19 143; vgl. aber auch BGH NStZ 1985 325 (Behauptung nicht widerlegt). 461 OLG Hamm NStZ-RR 2001 273 f.

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weise entbehrlich sein, wenn das Revisionsgericht bei der amtswegigen Prüfung der Prozessvoraussetzungen deren Inhalt ohnehin zur Kenntnis nimmt462 – was es freilich immer muss,463 daher kann die Mitteilung nicht notwendig, wohl aber empfehlenswert sein.464 Es empfiehlt sich auch, den Verfahrensgang und etwaige Verweisungsbeschlüsse465 oder das Berufungsurteil466 anzuführen. Wird gerügt, erteilte Hinweise seien unvollständig gewesen, hat dies nur Aussicht auf Erfolg, wenn die Verteidigung um Klärung gebeten hat.467 Sind mehrere Fälle angeklagt, muss die Revision die Einzelfälle bezeichnen, in denen ohne Hinweis von der Würdigung der Anklage abgewichen wurde.468 Die Rüge, das Gericht habe versäumt, auf wesentliche Veränderungen bei den von ihm als entscheidungserheblich angesehenen Tatsachen nach Absatz 2 Nr. 3 hinzuweisen, erfordert von der Revision den Vortrag, in welchen konkreten Tatsachen das Gericht in Abweichung von der zugelassenen Anklage die Merkmale des gesetzlichen Tatbestands gefunden hat, dass das Gericht hierauf nicht hingewiesen hat und warum der Hinweis für die Verteidigung notwendig war.469 Der früher verlangte Vortrag, dass die Bedeutung der Tatsachen für den Revisionsführer auch nicht bereits aus dem Gang der Hauptverhandlung ersichtlich gewesen sei,470 ist für die Rüge der Verletzung des § 265 Abs. 2 Nr. 3 entbehrlich geworden, weil die Hinweispflicht davon nicht mehr abhängt (Rn. 50 a. E.).471 Im Hinblick auf die Beruhensfrage ist es ratsam,472 dass die Revisionsbegründung aufzeigt, welche besseren Verteidigungsmöglichkeiten der Angeklagte bei einem ordnungsmäßigen Hinweis gehabt hätte.473 Wird beanstandet, dass das Gericht die Aussetzung abgelehnt habe, müssen der 114 gestellte Antrag und der ablehnende Beschluss dem Inhalt nach – am besten aber wörtlich – mitgeteilt werden.474 Bei der Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf Aussetzung nach Absatz 3 muss die Sachdarstellung außerdem aufzeigen, dass alle Voraussetzungen dieses Anspruchs gegeben waren, insbesondere der Angeklagte die neuen Tatsachen bestritten hat.475 Bei der Behauptung eines Verstoßes gegen Absatz 4 muss unter Anführung aller Tatsachen dargelegt werden, aus welchen Gründen eine Vertagung geboten gewesen wäre und warum die ablehnende Entscheidung ermessensfehlerhaft 462 OLG Stuttgart MDR 1990 569; OLG Hamm NStZ-RR 2001 273, 274; siehe aber BGH 30.5.1996 – 4 StR 109/96 (insoweit nicht in NStZ-RR 1997 65).

463 Anders für den Bußgeldbescheid OLG Hamm 9.4.2019 – 4 RBs 107/19 Rn. 2. 464 BGH StraFo 2009 115; NStZ 2013 58; Meyer-Goßner/Schmitt 47; ähnl. OLG Hamm NStZ-RR 2001 273, 274.

465 466 467 468 469 470

BGH 30.5.1996 – 4 StR 109/96. OLG Zweibrücken 13.7.2017 – 1 OLG 2 Ss 25/17 Rn. 6. BGH StV 1998 416 mit abl. Anm. Park; krit. auch MüKo/Norouzi 73. BGH bei Herlan MDR 1955 652; bei Holtz MDR 1977 461; KMR/Stuckenberg 90. BGH NStZ 2019 239, 240. BGH StV 1991 502 f.; NStZ 2015 233, 234; BGH 9.3.1995 – 4 StR 60/95; 21.10.2015 – 4 StR 332/15; BayObLGSt 1992 161, 162 f. 471 A. A. BGH NStZ 2019 239, 240; KK/Kuckein/Bartel 33; Meyer-Goßner/Schmitt 47; zutr. hingegen BGH NStZ 2019 236, 237. 472 BGH NStZ 2019 239, 240 scheint dies stets zu verlangen. Nur bei einer Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs muss jedoch vorgetragen werden, was der Beschwerdeführer bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgebracht hätte, vgl. BVerfGE 28 17 ff.; 82 236, 257; BVerfG NJW 2004 1443; OLG Jena VRS 107 (2004) 289 ff. 473 BGHR § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 9; BGH 14.1.2010 – 1 StR 587/09; Meyer-Goßner/Schmitt 48; MüKo/ Norouzi 75; Radtke/Hohmann 133; Hamm 1178. 474 OLG Koblenz VRS 51 (1976) 288, 289. 475 BGH NStZ 2016 61, 62 mit Anm. Ventzke; BGH 22.8.2017 – 1 StR 216/17 Rn. 9 (insoweit nicht in NJW 2017 3397).

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war.476 Ausführungen zum Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensverstoß sind an sich nicht unbedingt erforderlich, sie können aber zweckmäßig sein (vgl. Rn. 115). Wird geltend gemacht, die Verteidigung habe aus Zeitmangel nicht mehr den veränderten Umständen angepasst werden können, muss die Revision diese Umstände und den Verfahrensgang dartun und aufzeigen, warum die Zeit nicht ausreichte und welches Vorbringen und welche Fragen oder Anträge dadurch verhindert wurden.477 c) Beruhen. Die Revision hat Erfolg, wenn nicht auszuschließen ist, dass das Urteil 115 auf dem Verfahrensverstoß beruht (§§ 337, 338 Nr. 8). Dass dies nur wenig wahrscheinlich ist, genügt nicht, um die Möglichkeit einer anderweitigen Verteidigung und damit auch das Beruhen zu verneinen. Ob und wieweit dies ausnahmsweise ausgeschlossen werden kann, hängt von der Sach- und Rechtslage des Einzelfalls ab. Es muss feststehen, dass der Angeklagte und sein Verteidiger sich auch bei einem Hinweis nicht anders und erfolgreicher hätten verteidigen können.478 Dies kann hinsichtlich des Schuldspruchs der Fall sein, wenn ein wegen Mordes Angeklagter wegen Totschlags verurteilt wird, da der Vorwurf des Mordes (in der Regel) den Vorwurf des Totschlags so in sich schließt, dass sich der Angeklagte dagegen nur in derselben Weise verteidigen kann.479 Das Gleiche gilt, wenn Mittäterschaft statt Alleintäterschaft angenommen wird und der Angeklagte alle zum Tatbestand gehörenden Ausführungshandlungen in eigener Person verwirklicht hat480 oder wenn das unveränderte Tatgeschehen nur aus Rechtsgründen statt als vollendeter nur als versuchter Diebstahl gewertet wird.481 Das Beruhen wurde ferner verneint, wenn der Angeklagte und sein Verteidiger zu dem rechtlichen Gesichtspunkt auch ohne Hinweis durch das Gericht in der Hauptverhandlung ausführlich Stellung genommen haben,482 etwa, weil der Staatsanwalt in seinen Schlussausführungen eine dementsprechende Rechtsansicht vertreten hat483 und ersichtlich keine andere Verteidigungsmöglichkeit bestand.484 Dass der veränderte Gesichtspunkt nur von anderen Verfahrensbeteiligten, etwa dem Staatsanwalt, angesprochen wurde, nicht aber vom Angeklagten und seinem Verteidiger, reicht in der Regel nicht, um das Beruhen auszuschließen;485 desglei-

476 BGH StV 1990 532; 1996 298; 1998 414; 2004 303; BGHR § 265 Abs. 4 Verteidigung, angemessene 7; OLG Koblenz VRS 51 (1976) 288, 289; HK/Julius/Beckemper 33; KMR/Stuckenberg 99; Meyer-Goßner/ Schmitt 46; MüKo/Norouzi 77; OK-StPO/Eschelbach 86; Radtke/Hohmann 137; SK/Velten 67. 477 BGH NStZ 1996 99 („ähnlich wie bei Aufklärungsrüge“); vgl. auch BGH StV 1988 HK/Julius/Beckemper 30; KMR/Stuckenberg 96; Meyer-Goßner/Schmitt 47; a. A. MüKo/Norouzi 77. 478 BGHSt 2 250, 251; 29 124, 127 f.; 56 235, 238; BGH bei Dallinger MDR 1974 548; 1977 63; NJW 1952 1385; 1964 459; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 358 Nr. 33; 1992 292, 293; NStZ-RR 1996 10; StV 1988 329, 330; 1998 582, 583; 2008 316; VRS 49 (1975) 184 f.; OLG Frankfurt StV 1992 60 m. w. N.; OLG Köln NJW 1947/48 148 f.; VRS 56 (1979) 281, 282; OLG Neustadt JR 1958 352 mit abl. Anm. Sarstedt; OLG Stuttgart StV 2008 626; HK/Julius/Beckemper 30; KK/Kuckein/Bartel 34; KMR/Stuckenberg 93 ff.; Meyer-Goßner/ Schmitt 48; MüKo/Norouzi 75; Radtke/Hohmann 134; SK/Velten 67. 479 RG DJZ 1926 379; BGH NStZ-RR 1996 10; StV 2008 342 mit Anm. Wachsmuth; anders BGH bei Dallinger MDR 1952 532; KK/Kuckein/Bartel 34. 480 RGSt 63 430, 431; BGH NJW 1952 1385; NStZ 1992 292, 293; 1995 247; im umgekehrten Fall BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 358 Nr. 33. 481 BGH StV 1998 8 (anders zum Strafausspruch). 482 BGH NStZ-RR 2008 316. 483 BGH NJW 1951 726; 1995 247; bei Kusch NStZ 1994 25; StV 1988 329 (L); KG JR 1950 633; OLG Köln NJW 1948 148; KK/Kuckein/Bartel 34; KMR/Stuckenberg 94; SK/Velten 67. 484 BGH MDR 1977 63; OLG Köln MDR 1975 164, 165; OLG Schleswig SchlHA 2003 192. 485 AK/Loos 51.

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§ 265a

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

chen nicht, dass der Angeklagte die Tat insgesamt bestreitet486 oder dass er jede Einlassung zur Sache verweigert,487 denn in diesen und ähnlichen Fällen ist kaum mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, dass er sich anders verteidigt hätte, wenn ihm ein Hinweis des Gerichts die Bedeutung der Veränderung vor Augen geführt hätte. 116 Soweit die Aussetzung nach Absatz 3 oder 4 zu Unrecht abgelehnt wurde, wird das Beruhen des Urteils auf diesem Verstoß nur in Ausnahmefällen verneint werden können.488 117

d) Andere Verfahrensrügen. Ein Verstoß gegen § 265 kann auch gleichzeitig unter dem Blickwinkel einer Verletzung des Rechts auf Gehör489 oder der Aufklärungspflicht beanstandet werden, sofern die tatsächlichen Voraussetzungen für diese Rügen, die nicht notwendig mit denen der Rüge nach § 265 übereinstimmen (Rn. 6), gegeben sind. Gerügt werden können in diesem Zusammenhang etwa auch Verstöße gegen die Fürsorgepflicht oder das Recht auf Anhörung (§ 243 Abs. 5) oder auf Unterrichtung über den Gegenstand der Anklage und die Rechte auf Verteidigung und auf einen Verteidiger der eigenen Wahl (Art. 6 Abs. 3 lit. a, c EMRK; Art. 14 Abs. 3 lit. a, d IPBPR) oder auf Bestellung eines durch die Änderung notwendig gewordenen Pflichtverteidigers.490 Erging der Hinweis nicht in der gebotenen Öffentlichkeit, liegt hierin ein Verstoß gegen § 338 Nr. 6.491 Werden zugleich mit der Verletzung des § 265 auch andere Rechtsvorschriften als verletzt beanstandet, muss die Revision auch insoweit sämtliche Tatsachen, aus denen der (zusätzliche) Rechtsverstoß hergeleitet wird, vollständig und lückenlos zu ihrer Begründung anführen. Wird eine „Inbegriffsrüge“ erhoben, weil das Gericht nach § 154 eingestellte Sachverhalte strafschärfend verwertet habe, ohne sie in der Hauptverhandlung zu erörtern, kann dies als Rüge der Verletzung des § 265 Abs. 1, 2 zu interpretieren sein.492

§ 265a Befragung des Angeklagten vor Erteilung von Auflagen oder Weisungen 1

Kommen Auflagen oder Weisungen (§§ 56b, 56c, 59a Abs. 2 des Strafgesetzbuches) in Betracht, so ist der Angeklagte in geeigneten Fällen zu befragen, ob er sich zu Leistungen erbietet, die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen, oder Zusagen für seine künftige Lebensführung macht. 2Kommt die Weisung in Betracht, sich einer Heilbehandlung oder einer Entziehungskur zu unterziehen oder in einem geeigneten Heim oder einer geeigneten Anstalt Aufenthalt zu nehmen, so ist er zu befragen, ob er hierzu seine Einwilligung gibt. 486 BGH 25.2.1958 – 1 StR 17/58 bei KK/Kuckein/Bartel 34; BGH 2.3.1993 – 1 StR 882/92; OLG Saarbrücken MDR 1970 439; a. A. BGH StV 1998 583 f.; OLG Frankfurt StV 1992 60 f.; HK/Julius/Beckemper 30; LR/ Gollwitzer25 114. 487 MüKo/Norouzi 75. 488 Vgl. etwa BGHSt 8 92, 96; AK/Loos 52; KMR/Stuckenberg 100; MüKo/Norouzi 78; Radtke/Hohmann 139. 489 Vgl. etwa BVerfGE 49 252; 60 305, 310; 74 228, 233; BayVerfGH NJW 1959 285 mit Anm. Röhl, dazu Arndt NJW 1959 1300; BGHSt 16 47; 19 141; 22 336; BGH NJW 1958 1963; ferner auch OLG Düsseldorf (Rechtsbeschwerde nach OWiG) NStZ 1984 320 mit Anm. Bauckelmann 297; Eckert NStZ 1985 32. 490 Vgl. etwa KG StV 1984 184. 491 Vgl. BGH StV 2000 248; 2003 271 f. Zur Beruhensfrage BGH NStZ 1996 49. 492 OLG München NJW 2010 1826, 1827.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 265a

Entstehungsgeschichte § 265a ist durch Art. 9 Nr. 12 des 1. StrRG 1969 eingefügt worden. Er steht im engen Zusammenhang mit der am 1.4.1970 in Kraft getretenen Neuregelung der Strafaussetzung zur Bewährung (§§ 23 ff. StGB a. F.) durch das 1. StrRG. Später hat Art. 21 Nr. 69 EGStGB die Verweisungen auf das Strafgesetzbuch den neuen Paragraphennummern angepasst.

1. 2.

3. 4.

Übersicht Bedeutung und Geltungsbereich der Vorschrift 1 Voraussetzungen der Befragung nach Satz 1 5 a) Wahrscheinlichkeit der Strafaussetzung 5 b) Geeigneter Fall 6 Weisung nach Satz 2 7 Befragung 9 a) Aufgabe des Vorsitzenden 9

b)

5. 6.

bei Abwesenheit des Angeklag10 ten c) Keine Antwortpflicht des Angeklagten 11 d) Zeitpunkt 13 Sitzungsniederschrift 16 Rechtsmittel 17 a) Beschwerde 17 b) Revision 18

1. Bedeutung und Geltungsbereich der Vorschrift. Wird die Freiheitsstrafe zur 1 Bewährung ausgesetzt, so kann das Gericht dem Angeklagten nach § 56b StGB die dort in Absatz 2 vorgesehenen Auflagen machen und es kann ihm nach § 56c StGB Weisungen für seine Lebensführung erteilen. Erbietet sich der verurteilte Angeklagte aber selbst zu angemessenen Leistungen oder macht er Zusagen für seine künftige Lebensführung, so soll das Gericht in der Regel von Auflagen und Weisungen absehen, wenn zu erwarten ist, dass der Angeklagte sein Versprechen hält (§ 56b Abs. 3, § 56c Abs. 4 StGB). Um eine sachgerechte Entscheidung vorzubereiten1 und um dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, seinen Willen zur Wiedergutmachung und Sühne seiner Tat und seine Bereitschaft zur Änderung seiner Lebensführung unter Beweis zu stellen, sieht § 265a Satz 1 vor, dass das Gericht ihm in der Hauptverhandlung Gelegenheit gibt, entsprechende Erklärungen abzugeben. Gleiches gilt bei Auflagen und Weisungen nach § 59a Abs. 2 Satz 3 StGB. § 265a soll ferner dem Gericht ermöglichen, in der Hauptverhandlung den Angeklag- 2 ten dazu zu hören, welche Auflagen und Weisungen für ihn zumutbar (§ 56b Abs. 1 Satz 2, § 56c Abs. 1 Satz 2 StGB) sind.2 Hierdurch kann Auflagen und Weisungen vorgebeugt werden, welche nicht den besonderen Lebensverhältnissen des Täters Rechnung tragen und deshalb leicht ihren Zweck verfehlen. Zugleich soll für den Täter der Anreiz geschaffen werden, sich selbst Gedanken darüber zu machen, auf welche Art er dem Verletzten oder der Allgemeinheit Genugtuung für seine Tat leisten will, sowie, ob eine Änderung seiner Lebensführung angezeigt ist. Es soll ein Anreiz für den Täter geschaffen werden, aktiv – und nicht nur passiv – an der Wiedergutmachung seiner Tat und an seiner Resozialisierung mitzuwirken.3

1 KK/Kuckein/Bartel 1; KMR/Stuckenberg 1; Meyer-Goßner/Schmitt 2; OK-StPO/Eschelbach 1 f.; Radtke/ Hohmann 1; SSW/Rosenau 1; krit. MüKo/Norouzi 1 (Vorschrift laufe in der Praxis weitgehend leer). 2 KK/Kuckein/Bartel 1; Meyer-Goßner/Schmitt 2; Radtke/Hohmann 1; SSW/Rosenau 1; von Dolsperg StraFo 2005 45, 47. 3 AK/Loos 1; HK/Julius/Beckemper 1; SK/Velten 1; SSW/Rosenau 1.

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§ 265a

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

Die nach Satz 2 vorgesehene Frage, ob der Angeklagte bereit ist, sich einer Heilbehandlung oder einer Entziehungskur zu unterziehen oder in einem Heim oder einer geeigneten Anstalt Aufenthalt zu nehmen, ist ferner deshalb notwendig, weil nach § 56c Abs. 3, § 59a Abs. 2 Satz 3 StGB derartige Weisungen die Einwilligung des Angeklagten erfordern. In der Berufungsinstanz und nach Zurückverweisung gemäß § 354 Abs. 2 gilt 4 § 265a ebenfalls, weil über etwaige Auflagen und Weisungen neu zu entscheiden ist (vgl. § 268a, 19). Bei nachträglichen Entscheidungen gemäß § 56e StGB, § 453 StPO ist er entsprechend anzuwenden. Sofern Jugendstrafrecht angewendet wird, gehen hingegen die Sondervorschrift der § 57 Abs. 3, § 109 Abs. 2 JGG vor. 3

2. Voraussetzungen der Befragung nach Satz 1 5

a) Wahrscheinlichkeit der Strafaussetzung. Die genannten Auflagen und Weisungen müssen „in Betracht kommen“. Das Gericht muss also der Ansicht sein, dass ein Schuldspruch und die Aussetzung einer Strafe zur Bewährung mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Es muss ferner in Erwägung ziehen, diese mit Auflagen und Weisungen zu verbinden. Wenn der Angeklagte nicht voll geständig ist, wird diese Einschätzung regelmäßig eine Zwischenberatung erfordern.4

6

b) Geeigneter Fall. Nach Satz 1 muss ein „geeigneter Fall“ vorliegen. Ein solcher dürfte vor allem dann gegeben sein, wenn der Angeklagte nach seiner Persönlichkeit erwarten lässt, dass seine Zusagen glaubhaft sind.5 Bestreitet der Angeklagte seine Schuld nachdrücklich, so wird allerdings bei ihm keine Bereitschaft zu irgendwelchen Zusagen in der Hauptverhandlung bestehen, die seinem Verteidigungsverhalten widersprechen würden.6 Ob dann die Befragung nach Satz 1 trotzdem angebracht ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

3. Weisung nach Satz 2. Wenn eine Weisung nach Satz 2 in Betracht kommt, ist der Angeklagte immer – also nicht nur wie bei Satz 1 „in geeigneten Fällen“ – zu befragen, ob er in die vorgeschriebene Maßnahme einwilligt. Ohne Einwilligung wäre die Weisung nach § 56c Abs. 3 StGB nicht zulässig. Weisungen nach Satz 2 haben in der Regel nur Erfolg, wenn der Angeklagte auch 8 innerlich gewillt ist, die meist längere Zeit erfordernde Behandlung auf sich zu nehmen. Es erscheint daher angezeigt, wenn das Gericht bei Befragung des Angeklagten klärt, ob er dazu bereit ist. Dies setzt voraus, dass der Vorsitzende den Angeklagten über die Bedeutung seiner Einwilligung und über die Behandlungsmaßnahme aufklärt, die das Gericht zum Gegenstand einer Weisung machen will.7 Die nach § 268a Abs. 2 vorgeschriebene Belehrung, die dem Beschluss nachfolgt, der die Auflagen und Weisungen festsetzt, käme zu spät. In ihrem Rahmen ist für die Erörterung der Zweckmäßigkeit 7

4 KK/Kuckein/Bartel 2; KMR/Stuckenberg 3; Meyer-Goßner/Schmitt 5; OK-StPO/Eschelbach 3; Radtke/ Hohmann 4; SK/Velten 4; Schmidt-Hieber NJW 1982 1017, 1020.

5 OLG Koblenz VRS 71 (1986) 44; AK/Loos 4; KK/Kuckein/Bartel 2; KMR/Stuckenberg 4; Meyer-Goßner/ Schmitt 6; MüKo/Norouzi 2; Radtke/Hohmann 5.

6 AK/Loos 4; HK/Julius/Beckemper 2; KMR/Stuckenberg 4; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/Norouzi 2; OKStPO/Eschelbach 2; Radtke/Hohmann 5; SSW/Rosenau 7; Wulf JZ 1970 160, 161.

7 KK/Kuckein/Bartel 1; KMR/Stuckenberg 8; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Norouzi 3; Radtke/Hohmann 8; SK/Velten 5; Eb. Schmidt Nachtr. II 6, 8.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 265a

der einzelnen Maßnahmen kein Raum mehr. Gerade letzteres aber will die Neuregelung erreichen, wenn sie vorschreibt, dass der Angeklagte vorher gehört werden soll. 4. Befragung a) Aufgabe des Vorsitzenden. Die Befragung ist als Maßnahme nach § 238 Abs. 1 9 Aufgabe des Vorsitzenden, der vorher mit den übrigen Mitgliedern des Gerichts abklären muss, ob nach der Verfahrenslage eine solche Frage überhaupt in Betracht kommt (Rn. 5). Da der Angeklagte zu befragen ist, bevor das Gericht über seine Schuld endgültig entschieden hat, muss der Vorsitzende alles unterlassen, was den Eindruck erwecken könnte, er nehme vor Abschluss der Hauptverhandlung deren Ergebnis vorweg (vgl. Rn. 13). b) bei Abwesenheit des Angeklagten. Ist der Angeklagte nicht anwesend, so kann 10 auch ein zu seiner Vertretung berechtigter Verteidiger (§ 234) befragt werden und die entsprechenden Erklärungen für ihn abgeben.8 Bei einem von der Pflicht zum Erscheinen entbundenen Angeklagten (§ 233) ist dieser grundsätzlich bereits bei seiner kommissarischen Einvernahme auch selbst zu befragen.9 c) Keine Antwortpflicht des Angeklagten. Ihm steht es frei, ob er die Frage beant- 11 worten will. Dass er die Einlassung dazu verweigert, darf als solches nicht zu seinem Nachteil verwertet werden.10 Soweit allerdings seine Einwilligung in eine der in Satz 2 aufgeführten Maßnahmen erforderlich ist, darf diese ohne ausdrückliche Zustimmung nicht zum Gegenstand einer Weisung nach § 56 Abs. 3 StGB gemacht werden. Das Gericht muss dann prüfen, ob es die Strafaussetzung mit anderen Weisungen anordnen kann oder ob es überhaupt von ihr Abstand nehmen muss, weil ihr Zweck ohne eine entsprechende Behandlung des Angeklagten nicht erreichbar erscheint. Bleiben Zusagen des Angeklagten bei der Entscheidung nach § 268a unberücksichtigt, muss das Gericht in der Begründung seines Beschlusses auch darauf eingehen.11 Der Angeklagte kann seine Einwilligung bis zur Erteilung der Weisung widerru- 12 fen.12 Ist die Weisung erteilt, kann er nur nach § 56e StGB beantragen, sie nachträglich zu ändern. Das Gericht hat dann im Verfahren nach § 453 darüber zu entscheiden. d) Zeitpunkt. Der Zeitpunkt der Befragung, den das Gesetz nicht festsetzt, ist regelmä- 13 ßig so zu wählen, dass der Eindruck einer Vorverurteilung vermieden werden kann. Die Befragung erscheint in der Regel erst nach Beendigung der Beweisaufnahme vor dem letzten Wort13 angezeigt. Nur in den Fällen, in denen der Angeklagte voll geständig ist, kann es zweckmäßig sein, die Frage schon bei der Vernehmung des Angeklagten zur Sache zu stellen.14 Kommen eine Heilbehandlung, eine Entziehungskur oder sonst ein Anstalts-

8 KK/Kuckein/Bartel 3; KMR/Stuckenberg 6; Meyer-Goßner/Schmitt 9; SK/Velten 4; SSW/Rosenau 3; diff. MüKo/Norouzi 4 (Erklärung nach S. 2 sei höchstpersönlich); vgl. LR/Becker § 233, 37; § 234, 13. Vgl. LR/Becker § 233, 24, 37. AK/Loos 7; KMR/Stuckenberg 7; Meyer-Goßner/Schmitt 8; Radtke/Hohmann 10. HK/Julius/Beckemper 4; vgl. LR/Stuckenberg § 268a, 5. BGHSt 36 97, 99; OLG Celle MDR 1987 956; KMR/Stuckenberg 9; Meyer-Goßner/Schmitt 8; Radtke/ Hohmann 10 f.; SK/Velten 4; SSW/Rosenau 4. 13 AK/Loos 6; KK/Kuckein/Bartel 3; KMR/Stuckenberg 10; Meyer-Goßner/Schmitt 10; OK-StPO/Eschelbach 3; Radtke/Hohmann 9; SK/Velten 3; SSW/Rosenau 5; Wulf JZ 1970 160, 161. 14 SK/Velten 3.

9 10 11 12

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§ 265a

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

aufenthalt als Gegenstand einer Weisung in Betracht, so kann die Frage an den Angeklagten, ob er hiermit einverstanden sei, unter Umständen auch nach Einvernahme eines Sachverständigen, der in seinem Gutachten diese Möglichkeit erörtert hat, gestellt werden.15 Sie ist dann zweckmäßigerweise mit der Befragung nach § 257 zu verbinden. 14 Die Befragung muss vor Verkündung des Urteils nachgeholt werden, wenn das Gericht erst auf Grund der Urteilsberatung zu dem Ergebnis kommt, dass eine Strafaussetzung zur Bewährung mit entsprechenden Auflagen oder Weisungen in Betracht kommt. Das Gericht muss dann nochmals in die Hauptverhandlung eintreten.16 Hält das Gericht eine Befragung des Angeklagten vor Verkündung des Urteils für 15 ungeeignet, so ist es durch § 265a andererseits nicht gehindert, nach Verkündung des Urteils, aber vor Verkündung des Beschlusses nach § 268a, den Angeklagten zu befragen und dann erst den Beschluss nach erneuter Beratung zu erlassen.17 16

5. Sitzungsniederschrift. In die Sitzungsniederschrift ist aufzunehmen, dass der Angeklagte nach Satz 1 und gegebenenfalls auch nach Satz 2 befragt wurde, sowie, ob und welche Zusagen er gemacht und zu welchen Leistungen er sich erboten hat, desgleichen, in welche konkrete Maßnahme nach Satz 2 er einwilligt oder aber die Einwilligung verweigert hat. Die Befragung und die daraufhin abgegebenen Erklärungen sind wesentliche Förmlichkeiten nach § 273 Abs. 1.18 6. Rechtsmittel

17

a) Beschwerde. Mit der Beschwerde gegen den Beschluss nach § 268a kann nur geltend gemacht werden, dass eine Auflage oder Weisung gesetzwidrig ist. Dies ist der Fall, wenn bei einer Weisung nach §§ 56c Abs. 3, 59 Abs. 2 Satz 3 StGB die Einwilligung fehlt19 oder wenn eine Auflage oder Weisung unzumutbar ist. Das bloße Unterlassen der Anhörung als solches macht die Anordnung aber noch nicht gesetzwidrig.20

18

b) Revision. Mit der Revision kann allenfalls unter dem Blickwinkel einer Verletzung der Aufklärungspflicht beanstandet werden, dass das Gericht eine sich nach Sach- und Verfahrenslage aufdrängende Befragung nach § 265a unterlassen und deshalb die Strafaussetzung zur Bewährung versagt hat.21 Im Übrigen aber können Verstöße gegen § 265a schon deshalb nicht mit der Revision geltend gemacht werden, weil auf ihnen nicht das Urteil, sondern allenfalls der Beschluss nach § 268a beruhen kann.22 Werden 15 KMR/Stuckenberg 10. 16 KK/Kuckein/Bartel 3; KMR/Stuckenberg 10; Meyer-Goßner/Schmitt 10; Radtke/Hohmann 9; SK/Velten 3; Eb. Schmidt Nachtr. II 3; SSW/Rosenau 5; vgl. LR/Stuckenberg § 258, 4.

17 KK/Kuckein/Bartel 3; KMR/Stuckenberg 10; Meyer-Goßner/Schmitt 10; MüKo/Norouzi 4; OK-StPO/ Eschelbach 3; Radtke/Hohmann 9; SK/Velten 3; SSW/Rosenau 5; Wulf JZ 1970 160, 161 unter Hinweis auf den schriftlichen Bericht des Sonderausschusses des Bundestags BTDrucks. V 4094 S. 42. 18 AK/Loos 7; HK/Julius/Beckemper 4; KK/Kuckein/Bartel 3; KMR/Stuckenberg 11; Meyer-Goßner/Schmitt 11; MüKo/Norouzi 4; OK-StPO/Eschelbach 4; Radtke/Hohmann 12; SK/Velten 4; Eb. Schmidt Nachtr. II 6, 10; SSW/Rosenau 6. 19 OLG Hamm StV 1990 308. 20 OLG Köln NJW 2005 1671, 1673; AK/Loos 9; KMR/Stuckenberg 13; Meyer-Goßner/Schmitt 12; OK-StPO/ Eschelbach 5; Radtke/Hohmann 14; SSW/Rosenau 10; a. A. MüKo/Norouzi 6. 21 HK/Julius/Beckemper 7; KMR/Stuckenberg 14; Radtke/Hohmann 15; SK/Velten 6; SSW/Rosenau 11; abl. MüKo/Norouzi 7. 22 BGH 8.3.1977 – 5 StR 607/76 nach KK/Kuckein/Bartel 4; KMR/Stuckenberg 14; Meyer-Goßner/Schmitt 13; MüKo/Norouzi 7; Radtke/Hohmann 15; SSW/Rosenau 11; vgl. LR/Stuckenberg § 268a, 5.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 266

Weisungen und Auflagen versehentlich in das Urteil aufgenommen, ist dieser Urteilsteil in Wirklichkeit ein Beschluss nach § 268a; eine sich hiergegen richtende Revision ist als Beschwerde zu behandeln.23

§ 266 Nachtragsanklage (1) Erstreckt der Staatsanwalt in der Hauptverhandlung die Anklage auf weitere Straftaten des Angeklagten, so kann das Gericht sie durch Beschluß in das Verfahren einbeziehen, wenn es für sie zuständig ist und der Angeklagte zustimmt. (2) 1Die Nachtragsanklage kann mündlich erhoben werden. 2Ihr Inhalt entspricht dem § 200 Abs. 1. 3Sie wird in das Sitzungsprotokoll aufgenommen. 4Der Vorsitzende gibt dem Angeklagten Gelegenheit, sich zu verteidigen. (3) 1Die Verhandlung wird unterbrochen, wenn es der Vorsitzende für erforderlich hält oder wenn der Angeklagte es beantragt und sein Antrag nicht offenbar mutwillig oder nur zur Verzögerung des Verfahrens gestellt ist. 2Auf das Recht, die Unterbrechung zu beantragen, wird der Angeklagte hingewiesen. Schrifttum Gubitz/Bock Zur Verbindung weiterer Verfahren während einer bereits begonnenen Hauptverhandlung gegen denselben Angeklagten, StraFo 2007 225; Hilger Kann auf eine Nachtragsanklage (§ 266) die Eröffnung des Hauptverfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts abgelehnt werden? JR 1983 441; Meyer-Goßner Nachtragsanklage und Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens, JR 1984 53; ders. Nachholung fehlender Entscheidungen durch das Rechtsmittelgericht, JR 1985 452; ders. Prozesshindernisse und Einstellung des Verfahrens, FS Eser (2005) 373; Palder Anklage – Eröffnungsbeschluss – Urteil. Eine Trias mit Tücken, JR 1986 94.

Entstehungsgeschichte Eine dem § 266 entsprechende Vorschrift fehlt in den Entwürfen. Sie wurde erst von der Reichstagskommission (Hahn 921, 1377) aufgenommen. Die ursprüngliche Fassung lautete: (1) Wird der Angeklagte im Laufe der Hauptverhandlung noch einer anderen Tat beschuldigt, als wegen welcher das Hauptverfahren wider ihn eröffnet worden, so kann sie auf Antrag der Staatsanwaltschaft und mit Zustimmung des Angeklagten zum Gegenstande derselben Aburteilung gemacht werden. (2) Diese Bestimmung findet nicht Anwendung, wenn die Tat als ein Verbrechen sich darstellt oder ihre Aburteilung die Zuständigkeit des Gerichts überschreitet.

Die jetzt geltende Fassung beruht auf Art. 9 § 7 der 2. VereinfVO vom 13.8.1942 und auf Art. 3 Nr. 118 VereinhG, das die Fassung der 2. Vereinfachungsverordnung übernahm, aber die dort beseitigte Zustimmung des Angeklagten wieder zur Voraussetzung der Einbeziehung machte. Art. 1 Nr. 28 des Gesetzes zur Einführung der elektronischen

23 AK/Loos 10; KK/Kuckein/Bartel 4; KMR/Stuckenberg 14; Meyer-Goßner/Schmitt 13; Radtke/Hohmann 15; SSW/Rosenau 11.

533 https://doi.org/10.1515/9783110274967-015

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§ 266

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

Akte vom 5.5.2017 (BGBl. I S. 2208) hat in Absatz 2 Satz 3 die Worte „die Sitzungsniederschrift“ durch „das Sitzungsprotokoll“ ersetzt. Bezeichnung bis 1924: § 265.

I. II.

III.

Übersicht Zweck und Anwendungsbereich der Vorschrift 1 Die Nachtragsanklage 4 1. Voraussetzungen 4 a) Weitere Straftat 4 b) Hinreichender Tatverdacht 7 c) Ermessen des Staatsanwalts 8 2. Zeitpunkt und Gestaltung 9 a) Zeitpunkt 9 b) Form 10 c) Inhalt 11 Der Einbeziehungsbeschluss 12 1. Voraussetzungen 12 a) Zuständigkeit des Gerichts 12 b) Hinreichender Tatverdacht 16 c) Zustimmung des Angeklagten 17 2. Entscheidung über die Einbeziehung der Nachtragsanklage 21 a) Ermessen des Gerichts 21

IV.

V. VI.

22 b) Inhalt c) Form 23 d) Folgen der Einbeziehung 24 3. Ablehnung der Einbeziehung 25 a) Ablehnungsgründe 25 b) Begründung 27 c) Folgen der Ablehnung 28 Verfahren nach Erlass des Einbeziehungsbeschlusses 29 1. Allgemeines 29 2. Unterbrechung des Verfahrens 32 a) Zur Vorbereitung der Verhandlung 33 b) Von Amts wegen 35 c) Auf Antrag des Angeklagten 36 d) Andere Prozessbeteiligte 37 Sitzungsprotokoll 38 Rechtsbehelfe 40 1. Entscheidung des Gerichts 40 2. Beschwerde 41 3. Revision 42

I. Zweck und Anwendungsbereich der Vorschrift 1

Die Vorschrift dient der Vereinfachung und Beschleunigung, die unter Überspringung gewisser regelmäßig vorgeschriebener Verfahrenshandlungen durch eine außergewöhnliche Art der Verbindung erreicht wird. Die in der Hauptverhandlung mündlich erhobene Nachtragsanklage vereint Anklage und Antrag auf Verbindung des neuen Verfahrens, das ohne Ermittlungs- und Zwischenverfahren gleich in das Hauptverfahren eintreten soll. Die Vermeidung unnötiger Weitläufigkeiten ermöglicht § 266 namentlich dann, wenn die Untersuchung mehrere gleichartige Straftaten betrifft, in der Hauptverhandlung aber sich noch neue Straffälle ergeben, die alsbald ohne Schwierigkeit abgeurteilt werden können,1 weil die Beweismittel präsent sind oder der Angeklagte geständig ist. Eine solche Einbeziehung dient der Prozesswirtschaftlichkeit. Sie kann auch im Interesse des Angeklagten liegen, dem dadurch die Belastungen und Kosten eines gesondert durchgeführten Strafverfahrens erspart werden.2 Um zu verhindern, dass der Angeklagte gleichsam überrumpelt und in seiner Verteidigung beeinträchtigt wird, macht das Gesetz

1 Bericht der Reichstagskommission 71; Hahn 921, 1377; vgl. auch zur Entstehungsgeschichte unter Einbeziehung der Reformentwürfe Rieß FS Reichsjustizamt 373, 403 f.

2 AK/Loos 1; HK/Julius/Beckemper 1; KMR/Stuckenberg 1; OK-StPO/Eschelbach 1; SK/Velten 3 a. E.; SSW/ Rosenau 2; Gollwitzer JR 1985 126.

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die Einbeziehung der neu angeklagten Tat von seiner Zustimmung abhängig und gewährt ihm Gelegenheit zur Verteidigung sowie einen Unterbrechungsanspruch.3 Die Nachtragsanklage ist die einzige Form der Erweiterung des Gegenstands eines 2 laufenden Hauptverfahrens, die das Gesetz vorsieht; eine Anklageerweiterung darf dem Angeklagten auch nicht auf anderen Wegen aufgezwungen werden. Eine Umgehung insbesondere des Zustimmungserfordernisses durch gesonderte Anklage einer weiteren Tat, deren Eröffnung und Verbindung (§ 4) mit der laufenden Hauptverhandlung ist unzulässig; in einem solchen Fall muss mit der Hauptverhandlung neu begonnen werden.4 Anwendbar ist die Vorschrift stets nur vor einem erstinstanzlichen Strafgericht; 3 im Verfahren vor dem Berufungs- und dem Revisionsgericht ist eine Nachtragsanklage nicht möglich (Rn. 13 f.). Im Einspruchsverfahren nach einem Bußgeldbescheid kommt eine entsprechende Anwendung des § 266 nicht in Betracht.5 Im Strafverfahren kann die Staatsanwaltschaft wegen einer Ordnungswidrigkeit Nachtragsanklage nur erheben, wenn sie deren Verfolgung nach § 42 OWiG übernimmt.6 II. Die Nachtragsanklage 1. Voraussetzungen a) Weitere Straftat. Auf „weitere Straftaten“ kann die Anklage erstreckt werden. 4 „Straftat“ ist hier nicht im Sinne des materiellen Strafrechts (§ 53 StGB) zu verstehen, sondern im Sinne des prozessualen Tatbegriffs des § 264. Die Nachtragsanklage setzt begriffsnotwendig voraus, dass eine andere Tat, ein anderes geschichtliches Ereignis als das von der zugelassenen Anklage bereits erfasste Geschehen zusätzlich der Entscheidung des Gerichts unterstellt werden soll,7 wofür ein Hinweis gem. § 265 nicht genügt.8 Die Nachtragsanklage bestätigt den Anklagegrundsatz, denn durch sie wird für die zusätzliche Tat die Prozessvoraussetzung der öffentlichen Klage und durch den Einbeziehungsbeschluss die Prozessvoraussetzung des Eröffnungsbeschlusses erfüllt.9 Innerhalb der angeklagten Tat hat das Gericht ohnehin von Amts wegen die Un- 5 tersuchung auf alle in Betracht kommenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichts3 Krit. zur Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeiten SK/Velten 3. 4 BGHSt 53 108, 111 f.; BGH NStZ-RR 1999 303; StraFo 2010 337; Meyer-Goßner/Schmitt 4 sowie § 4, 9; MüKo/Norouzi 1; OK-StPO/Eschelbach 1; SK/Velten 28; SSW/Rosenau 6; Gubitz/Bock StraFo 2007 225, 227 ff.; offen lassend noch BGH StV 2008 226 f.; a. A. Radtke/Hohmann 2. 5 BayObLGSt 1970 31 = VRS 38 (1976) 36; OLG Koblenz VRS 60 (1981) 49; 60 (1981) 458; 63 (1982) 140; Göhler/Seitz/Bauer § 71, 52 OWiG; HK/Julius/Beckemper 20; KMR/Stuckenberg 5; SSW/Rosenau 5. 6 Göhler/Gürtler § 42, 11; Göhler/Seitz/Bauer § 71, 52 OWiG; HK/Julius/Beckemper 20; Meyer-Goßner/ Schmitt 2; Radtke/Hohmann 6; SSW/Rosenau 5. 7 BGH JZ 1971 105 mit Anm. Kleinknecht; OLG Koblenz VRS 46 (1974) 204; OLG Saarbrücken NJW 1974 375; AK/Loos 2; HK/Julius/Beckemper 2; KK/Kuckein/Bartel 2; KMR/Stuckenberg 2, 6; Meyer-Goßner/ Schmitt 2; MüKo/Norouzi 4; OK-StPO/Eschelbach 1, 2; Radtke/Hohmann 6; SK/Velten 8; SSW/Rosenau 3; Eb. Schmidt 3; Achenbach MDR 1975 19, 20. Dass die 2. VereinfVO „Tat“ durch „Straftat“ ersetzte, ändert daran nichts. Die Formulierung mag durch den damaligen Streit, ob zwischen dem materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Tatbegriff ein Unterschied bestehe (vgl. Eb. Schmidt I 300), beeinflusst worden sein. 8 OLG Jena StV 2007 230. 9 RGSt 66 19, 21; 68 105, 107; BGHSt 9 243, 245; BayObLGSt 1953 1 f.; KK/Kuckein/Bartel 1; KMR/Stuckenberg 2; Meyer-Goßner/Schmitt 6, 21; OK-StPO/Eschelbach 1; Radtke/Hohmann 1; SSW/Rosenau 1; MeyerGoßner JR 1984 53.

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punkte zu erstrecken, so dass es insoweit keiner Nachtragsanklage, sondern nur der „Umgestaltung der Strafklage“ (§ 264, 48 ff.) bedarf.10 Insbesondere muss das Gericht auch ohne Nachtragsanklage weitere, erst nachträglich bekannt werdende Teilakte einer Dauerstraftat oder einer mehrere Tatbestandsverwirklichungen zusammenschließenden einheitlichen Tat (Bewertungseinheit u. a.)11 wie bei der früheren fortgesetzten Handlung12 in die Untersuchung mit einbeziehen,13 aber nicht eine höhere Anzahl von Serientaten.14 Eine Nachtragsanklage ist hingegen notwendig, wenn die in der Anklage allein einem Mitangeklagten zur Last gelegte Tat nunmehr nicht diesem, sondern einem anderen Mitangeklagten als Allein- oder Mittäter angelastet werden soll.15 Die weitere Straftat braucht im Übrigen mit der bereits angeklagten Tat in keinerlei 6 sachlichem Zusammenhang (§ 3) zu stehen.16 Sie braucht weder gleichartig zu sein, noch kommt es darauf an, ob die Bildung einer Gesamtstrafe zu erwarten ist. Gleichgültig ist ferner, ob der Angeklagte wegen der in der zugelassenen Anklage bezeichneten Tat verurteilt oder freigesprochen oder ob das Verfahren wegen der anderen Tat eingestellt wird,17 ferner, ob die weitere Straftat ein Verbrechen (anders die frühere Fassung) oder ein Vergehen18 oder eine Ordnungswidrigkeit ist.19 7

b) Hinreichender Tatverdacht. Voraussetzung für die Erhebung der Nachtragsanklage ist ebenso wie bei der Erhebung der Anklage nach § 170 Abs. 1, dass dafür ein genügender Anlass besteht. Es muss also ein hinreichender Tatverdacht gegeben sein, der eine Verurteilung wahrscheinlich erscheinen lässt.20

8

c) Ermessen des Staatsanwalts. Es steht im pflichtgemäßen Ermessen des Staatsanwalts, ob er Nachtragsanklage erheben oder ob er die Verfolgung der neuen Straftat einem gesonderten Verfahren vorbehalten will.21 Hierbei muss er die je nach Fall verschieden zu gewichtenden Gesichtspunkte der Prozesswirtschaftlichkeit der Einbeziehung und der dadurch mitunter ohne zusätzlichen Prozessaufwand möglichen schnellen Aburteilung der weiteren Tat ebenso abwägen wie die Auswirkungen auf die zügige Erledigung der bereits anhängigen und möglicherweise nach Absatz 3 zu unterbrechenden

10 BGH NJW 1970 904; OLG Saarbrücken NJW 1974 375, 376; Eb. Schmidt 3; KK/Kuckein/Bartel 2; KMR/ Stuckenberg 6; Meyer-Goßner/Schmitt 2; Radtke/Hohmann 6. 11 KMR/Stuckenberg 6; Meyer-Goßner/Schmitt 2; Radtke/Hohmann 8; zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter KRG Nr. 10 vgl. OGHSt 1 260. 12 Dazu LR/Gollwitzer25 3 m. w. N. 13 Vgl. § 264, 59 ff., 64 ff. m. w. N.; Meyer-Goßner/Schmitt 2. 14 BGH StV 1997 169 f.; OK-StPO/Eschelbach 2. 15 BGH StV 1985 448; BGH bei KK/Kuckein/Bartel 2; KMR/Stuckenberg 6; OK-StPO/Eschelbach 2; Radtke/ Hohmann 7; SSW/Rosenau 3. 16 AK/Loos 3; KK/Kuckein/Bartel 2; KMR/Stuckenberg 7; Meyer-Goßner/Schmitt 3; Radtke/Hohmann 9; SK/Velten 8; SSW/Rosenau 4. 17 BGH NStZ 1986 276 lässt offen, ob für eine Nachtragsanklage Raum ist, wenn die andere Tat wegen Fehlens einer Verfahrensvoraussetzung (Eröffnungsbeschluss) eingestellt werden muss; abl. MüKo/Norouzi 4; Radtke/Hohmann 4. 18 KK/Kuckein/Bartel 2; Eb. Schmidt 8. 19 Göhler/Gürtler § 42, 11 OWiG; KMR/Stuckenberg 7. 20 AK/Loos 4, 14; KK/Kuckein/Bartel 1; KMR/Stuckenberg 9; Meyer-Goßner/Schmitt 16; Radtke/Hohmann 9; SK/Velten 9; SSW/Rosenau 6. 21 KMR/Stuckenberg 10; MüKo/Norouzi 5; Meyer-Goßner/Schmitt 4; OK-StPO/Eschelbach 3; Radtke/Hohmann 10; SK/Velten 9; SSW/Rosenau 6; Gollwitzer JR 1996 474, 476; Lüttger GA 1957 193, 206.

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Hauptverhandlung. Das Gericht kann insoweit allenfalls mit Anregungen an die Staatsanwaltschaft herantreten. 2. Zeitpunkt und Gestaltung a) Zeitpunkt. Die Hauptverhandlung muss wegen einer anderen Tat im Sinne des 9 § 264 bereits begonnen haben. Sie darf im Zeitpunkt der Erhebung der Nachtragsanklage noch nicht beendet sein; unerheblich ist dagegen, mit welchem Ergebnis sie danach wegen der anderen Tat abzuschließen ist (Rn. 6). Die Nachtragsanklage kann bis zum Schluss der Verhandlung, also bis zum Abschluss der Urteilsverkündung (§ 268), erhoben werden.22 Die Gegenmeinung hält die Erhebung der Nachtragsanklage dagegen nur bis zum Beginn der Urteilsverkündung für zulässig.23 Diese Streitfrage dürfte kaum große Bedeutung haben. In der Regel wird das Gericht bei einer nach Beginn der Urteilsverkündung erhobenen Nachtragsanklage im Hinblick auf das Beschleunigungsgebot ohnehin die Einbeziehung ablehnen, es sei denn, dass die Nachtragsanklage nur erhoben wird, um das erst verspätet erkannte Fehlen einer Prozessvoraussetzung für eine ohne ordnungsgemäße Anklage zum Gegenstand des Verfahrens und der Urteilsfindung gemachten Tat zu beseitigen. Wird die Nachtragsanklage nach Abschluss der Beweisaufnahme erhoben, muss das Gericht erneut in die mündliche Verhandlung eintreten, den Angeklagten dazu hören und unabhängig von einer etwaigen weiteren Beweisaufnahme erneut Gelegenheit zu den Schlussanträgen und zum letzten Wort (§ 258) gewähren. b) Form. Die Nachtragsanklage muss immer vom Staatsanwalt in der Hauptver- 10 handlung mündlich erhoben werden.24 Der Wortlaut („kann“) scheint auf ein Ermessen hinzudeuten, das aber nicht gemeint sein kann, weil Anträge in der Hauptverhandlung immer mündlich anzubringen sind. Reicht der Staatsanwalt – was zweckmäßig sein kann – vorher eine Anklageschrift ein, wird diese erst dadurch, dass sie in der Hauptverhandlung mündlich vorgetragen wird, zu der in der Hauptverhandlung abzugebenden Prozesserklärung. Dies gilt auch dann, wenn die schriftliche Abfassung der Nachtragsanklage dem Gericht, dem Angeklagten und den anderen Verfahrensbeteiligten zur Verfügung gestellt wurde. Überreicht der Staatsanwalt eine Anklageschrift unter mündlichem Vortrag ihres Inhalts, so kann diese Schrift als Anlage zum Protokoll genommen und zu seinem Bestandteil gemacht werden.25 c) Inhalt. Der Inhalt der Nachtragsanklage muss, auch wenn sie nur mündlich vor- 11 getragen wird, gemäß Absatz 2 Satz 2 dem § 200 Abs. 1 entsprechen. Sie hat entsprechend der Umgrenzungs- und Informationsfunktion26 jeder Anklage die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter Hervorhebung ihrer gesetzlichen Merkmale und der konkreten Tatsachen, die diese Merkmale erfüllen, sowie Ort und Zeit der Tatbegehung

22 KMR/Stuckenberg 9; LR/Gollwitzer25 9; MüKo/Norouzi 7; OK-StPO/Eschelbach 5; Radtke/Hohmann 14. 23 Vgl. BGH bei Dallinger MDR 1955 397; AK/Loos 7; HK/Julius/Beckemper 3; KK/Kuckein/Bartel 4; MeyerGoßner/Schmitt 4; Pfeiffer 2; Eb. Schmidt 7; SK/Velten 12; SSW/Rosenau 7. 24 BGH StV 2015 743; BGH 22.11.2017 – 4 StR 306/17 Rn. 3, AK/Loos 6; HK/Julius/Beckemper 4; KK/ Kuckein/Bartel 3; KMR/Stuckenberg 12; Meyer-Goßner/Schmitt 5; MüKo/Norouzi 8; OK-StPO/Eschelbach 4; Radtke/Hohmann 11; SK/Velten 10; SSW/Rosenau 9; Eb. Schmidt 6. 25 KK/Kuckein/Bartel 3; KMR/Stuckenberg 12; Meyer-Goßner/Schmitt 5, 7; SK/Velten 10; SSW/Rosenau 10; vgl. BayObLG bei Rüth DAR 1985 245 Nr. 2. 26 Vgl. § 200, 3 ff.

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anzuführen und das anzuwendende Strafgesetz zu bezeichnen.27 Das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen braucht nicht mitgeteilt zu werden, denn auf § 200 Abs. 2 wird in Absatz 2 Satz 2 nicht verwiesen.28 III. Der Einbeziehungsbeschluss 1. Voraussetzungen a) Zuständigkeit des Gerichts. Voraussetzung für die Einbeziehung der nachträglichen angeklagten Tat ist, wie Absatz 1 verdeutlicht, die Zuständigkeit des Gerichts. Das Gericht muss zur Aburteilung – einschließlich einer etwaigen Gesamtstrafenbildung29 – sachlich zuständig sein. Die Nachtragsanklage darf nicht die Zuständigkeit eines höheren Gerichts begründen. Dagegen ist es, wie die ursprüngliche Fassung des Absatzes 2 deutlicher gezeigt hat, unschädlich, wenn die nachträglich angeklagte weitere Tat für sich allein vor ein Gericht niederer Ordnung gehören würde (§ 269); das höherrangige Gericht ist auch sonst zur Aburteilung solcher Taten befugt, die mit den in seine Zuständigkeit fallenden Straftaten gemeinsam angeklagt oder verbunden werden. Eine Straftat dagegen, deren Aburteilung seine Zuständigkeit übersteigt, darf das Gericht auch nicht zu dem Zweck einbeziehen, sie danach entweder allein oder zusammen mit den übrigen bereits anhängigen Taten nach § 270 an das zuständige höhere Gericht zu verweisen.30 Stellt sich allerdings erst im Laufe des weiteren Verfahrens heraus, dass die einbezogene Tat vor ein Gericht höherer Ordnung gehört, so kann das Gericht abtrennen und nach § 270 verfahren.31 Die örtliche Zuständigkeit ist stets gegeben (§ 13). 13 In der Berufungsinstanz scheitert die Möglichkeit einer Nachtragsanklage jetzt in der Regel schon daran, dass – abgesehen von der großen Jugendkammer – das mit der Berufung befasste Gericht für ein Verfahren der ersten Instanz funktional nicht mehr zuständig ist, eine Hürde, die auch durch das Einverständnis des Angeklagten nicht beseitigt werden kann.32 Auch vor der Zuständigkeitsänderung durch das Rechtspflegeentlastungsgesetz 1993 war die Zulässigkeit einer Nachtragsanklage vor dem Berufungsgericht wegen des damit verbundenen Instanzverlustes abzulehnen.33 Wenn das Gericht des ersten Rechtszuges den Angeklagten auch wegen einer Tat 14 verurteilt hatte, die nicht von Anklage und Eröffnungsbeschluss umfasst war, soll nach strittiger Ansicht der Mangel dieser Prozessvoraussetzung im Berufungsrechtszuge 12

27 BGH NStZ 1986 276; NStZ-RR 1996 14; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1986 207; BayObLGSt 1953 1 = NJW 1953 674; OLG Koblenz VRS 49 (1975) 43; KK/Kuckein/Bartel 3; KMR/Stuckenberg 13; Meyer-Goßner/ Schmitt 6; OK-StPO/Eschelbach 6; Radtke/Hohmann 12; SK/Velten 11. 28 AK/Loos 5; KK/Kuckein/Bartel 3; KMR/Stuckenberg 13; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/Norouzi 9; OKStPO/Eschelbach 7; Radtke/Hohmann 12; SK/Velten 11; SSW/Rosenau 8; Eb. Schmidt 8. 29 KMR/Stuckenberg 8; SK/Velten 13. 30 RGRspr. 3 (1881) 91; AK/Loos 13; HK/Julius/Beckemper 5; KK/Kuckein/Bartel 6; KMR/Stuckenberg 8; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Norouzi 10; Radtke/Hohmann 22; SK/Velten 13; SSW/Rosenau 12; MeyerGoßner JR 1985 452, 455. Vgl. ferner Deisberg/Hohendorf DRiZ 1984 265 (keine Verweisung vom einfachen an das erweiterte Schöffengericht). 31 KMR/Stuckenberg 8; MüKo/Norouzi 10; Radtke/Hohmann 22; SSW/Rosenau 12; Eb. Schmidt 10. 32 OLG Stuttgart NStZ 1995 51; AK/Loos 8; HK/Julius/Beckemper 5; KMR/Stuckenberg 3; Meyer-Goßner/ Schmitt 10; MüKo/Norouzi 6; OK-StPO/Eschelbach 14; Radtke/Hohmann 4; SK/Velten 5; SSW/Rosenau 13. 33 RGSt 42 91 f.; 62 130, 132; RG GA 42 (1894) 251, 252; Eb. Schmidt 5. Zum Streitstand vgl. Meyer-Goßner JR 1985 452, 454; Palder JR 1986 94, 96 sowie LR/Gollwitzer24 11 m. w. N.

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durch Nachtragsanklage analog § 266 behoben werden können.34 Die fehlende Prozessvoraussetzung der zugelassenen Anklage kann aber nicht im Wege der Nachtragsanklage, die nur die Einbeziehung einer zusätzlichen Tat ermöglichen soll, geheilt werden.35 In der Revisionsinstanz kann keine Nachtragsanklage erhoben werden, weil dem 15 Revisionsgericht in dieser Eigenschaft jede tatrichterliche Zuständigkeit fehlt.36 b) Hinreichender Tatverdacht. Der Einbeziehungsbeschluss erfordert ferner, dass 16 hinsichtlich der einzubeziehenden Tat ein hinreichender Tatverdacht vom Gericht bejaht wird.37 Insoweit besteht kein Unterschied zum Eröffnungsbeschluss. c) Zustimmung des Angeklagten. Der Angeklagte muss zu dem Antrag des Staats- 17 anwalts gehört werden. Er muss der Einbeziehung ausdrücklich und unzweideutig zustimmen. Ausnahmen vom Zustimmungserfordernis kennt das Gesetz nicht.38 Es genügt nicht, dass er schweigt und keine Einwendungen erhebt oder sich nur auf die neu erhobene Anklage einlässt39 oder die Unterbrechung beantragt.40 Wird die Nachtragsanklage gegen mehrere Mitangeklagte erhoben, muss jeder von ihnen für sich zustimmen. Nicht erforderlich ist dagegen die Zustimmung von Mitangeklagten, gegen die sich die Nachtragsanklage nicht richtet.41 Die Zustimmungserklärung des Angeklagten gehört zu den das Verfahren gestal- 18 tenden Willenserklärungen. Die Zustimmung kann deshalb nicht widerrufen werden.42 Ist allerdings im Zeitpunkt des Widerrufs der Einbeziehungsbeschluss des Gerichts noch nicht ergangen, wird das Gericht prüfen müssen, ob es nicht wegen des „Widerrufs“ die beantragte Einbeziehung ablehnen sollte.43 Die Zustimmung zur Einbeziehung kann nur der Angeklagte selbst erteilen. Wird 19 die Hauptverhandlung in seiner Abwesenheit durchgeführt, kann auch ein zur Vertretung des Angeklagten nach § 234 ermächtigter Verteidiger diese Zustimmung nicht für den Angeklagten erklären.44 Ebenso wenig kann es genügen, dass der Verteidiger zustimmt und der anwesende Angeklagte bloß nicht widerspricht, weil dieser damit nicht

34 RGSt 56 113, 114; OLG Hamm JMBlNW 1955 83; OLG Hamburg MDR 1985 604 f.; a. A. Palder JR 1986 94, 96.

35 BGHSt 33 167, 168 mit Anm. Naucke JR 1986 120; AK/Loos 8; KK/Kuckein/Bartel 2, 5; KMR/Stuckenberg 4; Meyer-Goßner/Schmitt 10; Radtke/Hohmann 4; SK/Velten 5; SSW/Rosenau 13; Eb. Schmidt 5; MeyerGoßner JR 1985 452, 454 f. 36 So schon RG HRR 1928 Nr. 295; KMR/Stuckenberg 5; Radtke/Hohmann 5; Eb. Schmidt 5; SK/Velten 5; SSW/Rosenau 14. 37 AK/Loos 14; MüKo/Norouzi 13; OK-StPO/Eschelbach 18; Radtke/Hohmann 23; SSW/Rosenau 20; Hilger JR 1983 441; Lüttger GA 1957 193, 206; Meyer-Goßner JR 1984 53; sowie Fn. 20. 38 BGH NStZ-RR 1999 303 (allenfalls bei missbräuchlicher Verweigerung), dazu krit. Jahn/Schmitz wistra 2001 328, 334. 39 RG GA 47 (1900) 154, 155; BGH NJW 1984 2172 mit Anm. Gollwitzer JR 1985 126; BayObLGSt 1953 1 = NJW 1953 674; KG DAR 1956 334 f.; LG München I MDR 1978 161; KK/Kuckein/Bartel 7; KMR/Stuckenberg 15; Meyer-Goßner/Schmitt 11; Radtke/Hohmann 17; SK/Velten 15; SSW/Rosenau 15; a. A. RGSt 4 76. 40 OLG Hamm StV 1996 532 f. 41 HK/Julius/Beckemper 13 f.; KMR/Stuckenberg 17; Radtke/Hohmann 17; Gollwitzer FS Sarstedt 15, 32. 42 KMR/Stuckenberg 18; Meyer-Goßner/Schmitt 13; MüKo/Norouzi 11; OK-StPO/Eschelbach 17; SSW/Rosenau 16; zweifelnd Radtke/Hohmann 19. 43 AK/Loos 10; KK/Kuckein/Bartel 7; KMR/Stuckenberg 18; Eb. Schmidt 11. 44 AK/Loos 9; HK/Julius/Beckemper 5; KK/Kuckein/Bartel 7; KMR/Stuckenberg 16; Meyer-Goßner/Schmitt 12; OK-StPO/Eschelbach 15; Radtke/Hohmann 18; SK/Velten 15; SSW/Rosenau 15; Eb. Schmidt Nachtr. II 15; vgl. LR/Becker § 234, 11 m. w. N. auch zur Gegenmeinung.

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ausdrücklich zugestimmt hat.45 Eine vom Verteidiger in Gegenwart des Angeklagten erklärte Zustimmung ist unwirksam, wenn der Angeklagte ihr widerspricht.46 Ein Widerspruch des Verteidigers gegen die Einbeziehung ist hingegen unbeachtlich, wenn der Angeklagte ihr zustimmt.47 Hier handelt es sich nicht lediglich um die Ausübung einer prozessualen Befugnis bei Führung der Verteidigung gegenüber der erhobenen Anklage, bei der der Wille des fachkundigen Verteidigers den Vorrang hat, sondern – ähnlich der Rechtslage bei § 297 – um die höchstpersönliche Entscheidung des Angeklagten,48 ob er sich der neuen Anklage sofort stellen will. Selbst wenn er dies nur tut, um sich Aufregung oder Kosten zu sparen, muss sein Wille dem des Verteidigers vorgehen. Dem Angeklagten sollte allerdings Gelegenheit gegeben werden, sich vor einer endgültigen Erklärung mit seinem Verteidiger zu besprechen.49 Eine andere Frage ist, welche Folgerungen das Gericht daraus ziehen muss, wenn der Verteidiger erklärt, er sei außerstande, die Verteidigung wegen der neuen Tat zu führen und ankündigt, dass er dann die Aussetzung beantragen werde. Dann muss das Gericht nach den bei § 265 Abs. 4 erörterten Gesichtspunkten prüfen, ob insoweit die Verhandlung ohne Verteidiger zumutbar ist;50 ist dies nicht der Fall, wird es unter Umständen von der Einbeziehung trotz der Einwilligung des Angeklagten im Interesse der Verfahrensbeschleunigung absehen. 20 Der Mangel der Zustimmung ist ein Verfahrensfehler, der einen gleichwohl ergangenen Einbeziehungsbeschluss unwirksam macht51 und für die in der Nachtragsanklage aufgeführte Tat ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis52 begründet. Die herrschende Gegenmeinung leidet an Widersprüchlichkeit,53 wenn sie sowohl die Unwirksamkeit des Einbeziehungsbeschlusses54 als auch das Vorliegen eines Prozesshindernisses verneint55 und einen nur auf Rüge zu beachtenden Verfahrensverstoß annimmt, der aber gleichwohl zur Einstellung führen soll.56 Wird jedoch mit der Verfahrenseinstellung die Rechtsfolge eines Verfahrenshindernisses ausgesprochen,57 so kann dessen Vorliegen nicht geleugnet, sondern muss vielmehr von Amts wegen geprüft wer45 AK/Loos 9; KMR/Stuckenberg 16; MüKo/Norouzi 11; Radtke/Hohmann 18; SK/Velten 15; a. A. HK/Julius/Beckemper 5; Meyer-Goßner/Schmitt 12; SSW/Rosenau 15; ähnl. LR/Gollwitzer25 16 (ausdrückliche Befragung sei besser und stets möglich). 46 KK/Kuckein/Bartel 7; KMR/Stuckenberg 16; Radtke/Hohmann 18. 47 Beling 151; AK/Loos 9; HK/Julius/Beckemper 5; KK/Kuckein/Bartel 7; KMR/Stuckenberg 16; Meyer-Goßner/Schmitt 12; MüKo/Norouzi 11; Radtke/Hohmann 18; SK/Velten 15; SSW/Rosenau 15; Schlothauer FS Beulke 1023, 1027, 1031; a. A. Rieß NJW 1977 881, 883 Fn. 34; Spendel JZ 1959 737, 741. 48 Vgl. Beling 151 (Abwägung der Vor- und Nachteile der Einbeziehung ist eigene Angelegenheit des Angeklagten); RGSt 4 80; a. A. Schlothauer FS Beulke 1023, 1031. 49 AK/Loos 9; MüKo/Norouzi 11. 50 Dazu § 265, 101 ff. 51 OLG Hamm StV 1996 532; OK-StPO/Eschelbach 17; Radtke/Hohmann 20. 52 LG München I MDR 1978 161; KMR/Stuckenberg 19; Meyer-Goßner/Schmitt 14; MüKo/Norouzi 12; OKStPO/Eschelbach 17; Radtke/Hohmann 20, 38; SK/Velten 19; SSW/Rosenau 17, 31; Meyer-Goßner FS Eser 373, 379 ff.; erwägend AK/Loos 12. 53 Zutr. LG München I MDR 1978 161 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 14 und Einl. 60a; näher Meyer-Goßner FS Eser 373, 379 ff., 381 ff. 54 BGH 24.4.1956 – 5 StR 92/56. 55 BGH bei Holtz MDR 1977 984; NStZ-RR 1999 303, 304; StV 2002 183, 184; OLG Karlsruhe StV 2002 184, 185 mit Anm. Keller/Kelnhofer; KK/Kuckein/Bartel 7a, 11; LR/Gollwitzer25 17, 37; Pfeiffer 3; Greff Die strafverfahrensrechtliche Bewältigung wahldeutiger Verurteilungen bei mehreren prozessualen Taten (2002) 128 f. 56 RG GA 47 (1900) 154, 155; BGH wie Fn. 55; OLG Hamm StV 1996 532, 533; OLG Karlsruhe wie Fn. 55. 57 Meyer-Goßner/Schmitt wie Fn. 53; ebenso OK-StPO/Eschelbach 33; Radtke/Hohmann 20; SK/Velten 19; SSW/Rosenau 17.

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den. Ob der Mangel einer vorherigen Zustimmung dadurch geheilt werden kann, dass der Angeklagte der Einbeziehung nachträglich zustimmt, ist strittig, aber entgegen der vorherrschenden Meinung58 abzulehnen, weil die Verfahrensvoraussetzung nicht rückwirkend geschaffen werden kann.59 2. Entscheidung über die Einbeziehung der Nachtragsanklage a) Ermessen des Gerichts. Auch wenn alle förmlichen Voraussetzungen für eine 21 Einbeziehung gegeben sind und insbesondere auch der Angeklagte damit einverstanden ist, steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob es die weitere Tat einbeziehen will. Entsprechend dem prozessökonomischen Zweck des § 266 wird es dabei zu berücksichtigen haben, dass die Einbeziehung in der Regel nur dann sinnvoll ist, wenn dadurch die weitere Fortsetzung der Hauptverhandlung nicht gefährdet wird.60 Wie Absatz 3 zeigt, muss die Einbeziehung mit dem Gebot der beschleunigten und zügigen Erledigung des bereits anhängigen Verfahrens vereinbar sein. b) Inhalt. Der Beschluss, durch den die weitere Straftat in das Verfahren einbezogen 22 wird, ersetzt den Eröffnungsbeschluss, so dass ebenso wie bei diesem die in die Hauptverhandlung einbezogene Tat in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht eindeutig umrissen sein muss. Nicht notwendig ist aber, dass der Beschluss alle dafür erforderlichen Angaben selbst anführt. Er kann auf die vorgetragene und protokollierte Nachtragsanklage oder auf die als Anlage zum Protokoll genommene Nachtragsanklageschrift Bezug nehmen, falls er nicht in rechtlicher oder tatsächlicher Beziehung von ihr abweicht (§ 207 Abs. 2). In diesem Fall müssen sich die Abweichungen aus dem Beschluss ergeben. Dass für den Einbeziehungsbeschluss nicht dieselbe Formstrenge wie für den Eröffnungsbeschluss gilt, kann daraus entnommen werden, dass § 266 nicht auf § 207 verweist, während hinsichtlich der Nachtragsanklage auf § 200 Abs. 1 verwiesen wird.61 Der Einbeziehungsbeschluss muss aber für sich allein oder in Verbindung mit der aus dem Protokoll ersichtlichen Anklage für alle Verfahrensbeteiligten eindeutig erkennen lassen, welche tatsächlichen Vorgänge und welche rechtlichen Vorwürfe durch die Nachtragsanklage zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden.62 c) Form. Für den Einbeziehungsbeschluss ist keine bestimmte Form vorgeschrie- 23 ben. Er muss nicht schriftlich erlassen,63 wohl aber in der Hauptverhandlung vom Gericht in der Besetzung der Hauptverhandlung64 – nicht vom Vorsitzenden – verkündet

58 Bejahend OK-StPO/Eschelbach 17; LR/Gollwitzer25 17. 59 LG München I MDR 1978 161; AK/Loos 10; KMR/Stuckenberg 19; Radtke/Hohmann 20; SSW/Rosenau 17.

60 AK/Loos 15; KK/Kuckein/Bartel 8; KMR/Stuckenberg 20; MüKo/Norouzi 14; Radtke/Hohmann 24; SK/ Velten 20; SSW/Rosenau 21. 61 OLG Oldenburg MDR 1970 946; KK/Kuckein/Bartel 8; KMR/Stuckenberg 21; Meyer-Goßner/Schmitt 15; MüKo/Norouzi 15. 62 BayObLGSt 1953 1 = NJW 1953 674; AK/Loos 16; HK/Julius/Beckemper 6; KK/Kuckein/Bartel 8; KMR/ Stuckenberg 21; Meyer-Goßner/Schmitt 15; Radtke/Hohmann 24; SK/Velten 22. 63 BGH NJW 1990 1055; StV 1996 5, 6. 64 BGH bei Cierniak/Zimmermann NStZ-RR 2014 165 Nr. 54 (in Abgrenzung zu BGH StV 2011 365); HK/ Julius/Beckemper 6; KK/Kuckein/Bartel 8; Meyer-Goßner/Schmitt 15; MüKo/Norouzi 15; Radtke/Hohmann 24; anders bei nachgeholten Eröffnungsbeschlüssen (BGH NStZ 2014 664; StV 2015 743; NStZ-RR 2017 181) oder Eröffnung und Hinzuverbindung von Parallelsachen (vgl. BGHSt 60 258).

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werden (§ 35 Abs. 1).65 Einer über die eindeutige tatsächliche und rechtliche Umschreibung des erhobenen Vorwurfs hinaus gehenden Begründung bedarf es nicht. Als Verfahrensvoraussetzung ist der Erlass des Einbeziehungsbeschlusses eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens. Er kann nicht „stillschweigend“ dadurch ergehen, dass die Tat nach Erhebung der Nachtragsanklage für die Verfahrensbeteiligten ersichtlich zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wird.66 Ebenso wenig genügt es, dass der Vorsitzende erklärt, ein Einbeziehungsbeschluss sei ergangen.67 In Ausnahmefällen wurde in der Rechtsprechung das Fehlen eines ausdrücklichen Einbeziehungsbeschlusses als unschädlich angesehen, wenn das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, dass die Vorwürfe der Nachtragsanklage Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung sind.68 Dem ist nicht zu folgen.69 Der Einbeziehungsbeschluss ist eine Verfahrensvoraussetzung, die die Kognitionsbefugnis des Gerichts auf die neu einbezogene Tat ausdehnt. Wegen der Folgen der Einbeziehung muss eindeutig und durch das Sitzungsprotokoll nachweisbar sein, dass und mit welchem Inhalt sie förmlich zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurde. 24

d) Folgen der Einbeziehung. Mit der Verkündung des Einbeziehungsbeschlusses wird die nachträglich angeklagte Tat rechtshängig und der Disposition der Staatsanwaltschaft entzogen (§ 156). Auch das Gericht kann die Einbeziehung nicht mehr widerrufen.70 Es treten die vollen Wirkungen der Rechtshängigkeit ein; das Verfahren bleibt auch dann bei dem Gericht rechtshängig, wenn es später insoweit abgetrennt wird; zum weiteren Verfahrensgang siehe Rn. 29 ff. Die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit eines fehlerhaften Einbeziehungsbeschlusses beurteilt sich im Übrigen nach den gleichen Gesichtspunkten wie bei einem normalen Eröffnungsbeschluss (§ 207, 62 ff.). 3. Ablehnung der Einbeziehung

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a) Ablehnungsgründe. Die Nachtragsanklage ist vom Gericht durch Beschluss als unzulässig zurückzuweisen, wenn die rechtlichen Voraussetzungen für eine Anklage bei ihm nicht gegeben sind, etwa, wenn die Sache in die Zuständigkeit eines Gerichtes

65 BGH StV 1995 342; AK/Loos 16; HK/Julius/Beckemper 10; KK/Kuckein/Bartel 8; KMR/Stuckenberg 22; Meyer-Goßner/Schmitt 15; Radtke/Hohmann 24; SK/Velten 21; SSW/Rosenau 21. 66 BGH StV 1995 342; 1996 5, 6; 2002 183, 184; OLG Hamburg 15.9.2004 – II-72/04; AK/Loos 16; KK/ Kuckein/Bartel 9; KMR/Stuckenberg 22; OK-StPO/Eschelbach 24; Radtke/Hohmann 25; SK/Velten 21; SSW/ Rosenau 22. 67 BGH StV 2002 183, 184. 68 OLG Oldenburg JR 1963 109; MDR 1970 946; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1969 153; vgl. ferner den Sonderfall BGH NJW 1990 1055 (Verhandlung nur noch über die Nachtragsanklage nach Einstellung aller anderen Vorwürfe); zustimmend insoweit KK/Kuckein/Bartel 8; Meyer-Goßner/Schmitt 15; OK-StPO/Eschelbach 25; zweifelnd HK/Julius/Beckemper 6. 69 KMR/Stuckenberg 22; MüKo/Norouzi 15; Radtke/Hohmann 25; SK/Velten 21; krit. auch HK/Julius/Beckemper 6; SSW/Rosenau 22. 70 Die formale Aufhebung des Einbeziehungsbeschlusses durch das Gericht, das ihn erlassen hat, ist allenfalls zur Klarstellung zulässig, wenn Wirksamkeit und Bestand des Einbeziehungsbeschlusses ohnehin wegen eines Verfahrensfehlers entfallen würden. Anders früher Oetker Das Verfahren vor den Schwurund Schöffengerichten (1907) 340, 641. Diese Ansicht hängt jedoch mit einer früher vertretenen Rechtsauffassung zusammen, die aus dem ursprünglichen Wortlaut des § 266 („zum Gegenstand derselben Aburteilung gemacht“) eine Akzessorietät der „Zusatz-“ oder „Incident“-Klage herleitete, die diese hinfällig werden ließ, wenn die gemeinsame Aburteilung nicht möglich war, Rosenfeld Reichsstrafprozess (1912) 291.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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höherer Ordnung fällt.71 Hat die Staatsanwaltschaft (zu Unrecht) Nachtragsanklage erhoben, obwohl es sich um einen Teil der bereits angeklagten Tat handelt, so braucht nach einer Ansicht das Gericht keinen förmlichen Beschluss zu erlassen. Es genüge, wenn der Vorsitzende einen Hinweis darauf erteile, dass die Nachtragsanklage überflüssig ist, weil der Sachverhalt der Nachtragsanklage ohnehin bereits als Teil der ursprünglich angeklagten Tat (§ 264) der umfassenden Kognition des Gerichts unterliegt.72 Vorzugswürdig erscheint es aber, die Nachtragsanklage förmlich durch Beschluss als unnötig zurückzuweisen,73 wenn sie nicht von der Staatsanwaltschaft zurückgenommen wird. Ein Einbeziehungsbeschluss erscheint allenfalls in den Fällen vertretbar, in denen 26 es zweifelhaft sein kann, ob es sich noch um die gleiche Tat im Sinne des § 264 handelt und der späteren Rüge einer Überschreitung der Grenzen des § 264 damit vorgebeugt werden kann. Notwendig ist in solchen Fällen jedoch immer eine Klarstellung der Rechtslage in der Hauptverhandlung. Diese kann mit den meist ohnehin erforderlich werdenden Hinweisen nach § 265 verbunden werden.74 Sicherzustellen ist, dass bei den Prozessbeteiligten und insbesondere beim Angeklagten außer jedem Zweifel klargestellt ist, dass die nachträglich angeklagte Tat trotz Zurückweisung der Nachtragsanklage bereits Gegenstand des Verfahrens ist.75 b) Begründung. Der ablehnende Beschluss ist immer zu begründen, da mit ihm 27 ein Antrag der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen wird (§ 34 2. Alt.), obgleich er unanfechtbar ist (§ 210 Abs. 2).76 Dementgegen verneint die wohl überwiegende Meinung eine Begründungspflicht generell, weil es sich um eine Ermessensentscheidung handelt;77 zum Teil wird eine Begründung nur verlangt, wenn das Gericht die Einbeziehung als unzulässig zurückweist, während eine auf der Ausübung des gerichtlichen Ermessens beruhende Zurückweisung keiner Begründung bedürfe.78 Damit ist offenbar gemeint, dass schon die Ablehnung ausdrücke, dass das Gericht die Einbeziehung nicht für sachdienlich hält. Da die Ablehnung aber nicht in jedem Fall auf Ermessensausübung beruhen muss, sondern ebenso auf Verneinung der Voraussetzungen des Ermessens, kann eine generelle Befreiung von der Begründungspflicht darauf nicht gestützt werden.79 Dass Ermessenentscheidungen keiner Begründung bedürften, ist im Übrigen weder ein allgemeiner Grundsatz des Strafprozessrechts80 noch des Verwaltungsrechts81 und trägt auch hier nicht. c) Folgen der Ablehnung. Mit der Ablehnung der Einbeziehung ist die Tat, die den 28 Gegenstand der Nachtragsanklage bildet, nicht mehr bei Gericht anhängig, denn die 71 Vgl. Rn. 12; HK/Julius/Beckemper 7; Meyer-Goßner/Schmitt 19; SK/Velten 23. 72 HK/Julius/Beckemper 18; KK/Kuckein/Bartel 2; LR/Gollwitzer25 23; Meyer-Goßner/Schmitt 19; Kleinknecht JZ 1971 106. 73 AK/Loos 2; KMR/Stuckenberg 24; Radtke/Hohmann 31; SK/Velten 23; SSW/Rosenau 26; Kleinknecht JZ 1971 106. 74 OLG Saarbrücken NJW 1974 375, 376. 75 OLG Saarbrücken NJW 1974 375, 376. 76 KMR/Stuckenberg 25; MüKo/Norouzi 16; OK-StPO/Eschelbach 26; Radtke/Hohmann 33; SSW/Rosenau 24. 77 AK/Loos 15; KK/Kuckein/Bartel 8; Meyer-Goßner/Schmitt 18; Meyer-Goßner JR 1984 53. 78 LR/Gollwitzer25 24; SK/Velten 23. 79 KMR/Stuckenberg 25; LR/Gollwitzer25 24; SK/Velten 23. 80 Vgl. nur LR/Graalmann-Scheerer § 34, 11. 81 Vgl. nur § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG.

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Nachtragsanklage verliert entsprechend der prozessökonomischen Zielsetzung des § 266 mit Ablehnung der Einbeziehung jede verfahrensrechtliche Wirkung, so dass auch ein Eröffnungsbeschluss außerhalb der Hauptverhandlung82 ausscheidet. Sie wird dadurch gegenstandslos, ohne dass es einer Rücknahme nach § 156 bedarf oder einer besonderen Verfahrenseinstellung hinsichtlich ihres Gegenstandes.83 Begründet das Gericht die Ablehnung damit, dass ein hinreichender Tatverdacht nicht bestehe, so löst dies nicht die Sperrwirkung aus, die der Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Gericht normalerweise zukommt. § 211 gilt hier nicht.84 Die Staatsanwaltschaft kann die durch Ablehnung der Einbeziehung nicht rechtshängig gewordene Tat ohne jede Bindung erneut zum gleichen oder einem anderen Gericht anklagen.

IV. Verfahren nach Erlass des Einbeziehungsbeschlusses 1. Allgemeines. Mit Erlass des Einbeziehungsbeschlusses wird die weitere Tat (im Sinne des § 264) der Untersuchung und Entscheidung des Gerichts unterstellt. Einer Verlesung des bereits durch die mündliche Klageerhebung in die Verhandlung eingeführten Anklagesatzes nach § 243 Abs. 3 Satz 1 bedarf es nicht.85 Da die Nachtragsanklage auch noch erhoben werden kann, wenn das ursprüngliche Verfahren bereits einen fortgeschrittenen Stand erreicht hat, kann der regelmäßige Verfahrensgang, so wie ihn die §§ 243, 244 Abs. 1 vorsehen, in der Regel nicht mehr eingehalten werden.86 Eine vorherige Verständigung kann infolge der neu angeklagten Taten gem. § 257c Abs. 4 Satz 1 hinfällig werden.87 30 Für die Entscheidung über die nachträglich angeklagte Tat sind die Vorgänge der gesamten Hauptverhandlung verwertbar, auch soweit sie vor dem Einbeziehungsbeschluss lagen. Sofern sie in Gegenwart des Angeklagten88 stattfanden, gehören sie zum Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261). Die Urteilsfindung kann sich uneingeschränkt darauf stützen. Einer Wiederholung der Beweisaufnahme bedarf es insoweit nicht.89 Das Recht des Angeklagten, sich gegen die Nachtragsanklage zu verteidigen (Absatz 2 Satz 3), schließt aber die Befugnis ein, zu den früheren Beweisergebnissen unter den durch die Nachtragsanklage möglicherweise veränderten Gesichtspunkten erneut Stellung zu nehmen. Ob deswegen eine bereits durchgeführte Beweisaufnahme zu wiederholen ist, richtet sich nach § 244 Abs. 2.90 29

82 BGH StraFo 2005 203; OLG Karlsruhe StV 2002 184,185 mit Anm. Keller/Kelnhofer; Meyer-Goßner/ Schmitt 21a. 83 Vgl. OLG Karlsruhe StV 2002 184, 185; MüKo/Norouzi 16; Radtke/Hohmann 34; SSW/Rosenau 24; a. A. OK-StPO/Eschelbach 9. 84 AK/Loos 15; KMR/Stuckenberg 26; Meyer-Goßner/Schmitt 18; MüKo/Norouzi 13, 16; Radtke/Hohmann 34; SK/Velten 24; SSW/Rosenau 24; Meyer-Goßner JR 1984 53; a. A. OK-StPO/Eschelbach 10, 31; Hilger JR 1983 441, 442 f. 85 KK/Kuckein/Bartel 9; KMR/Stuckenberg 22; vgl. BGH NJW 1956 1366, 1367. 86 BGH bei Dallinger MDR 1955 387. 87 Vgl. zuvor BGH NStZ 2009 562. 88 Anders aber für die Erkenntnisse, die wegen einer zeitweiligen Verfahrenstrennung aus einem allein gegenüber einem Mitangeklagten geführten Verhandlungsteil gewonnen wurden; vgl. BGH NJW 1984 2172 mit Anm. Gollwitzer JR 1985 126. 89 BGH bei Dallinger MDR 1955 397; BGH NJW 1984 2172 mit Anm. Gollwitzer JR 1985 126; KK/Kuckein/ Bartel 9; KMR/Stuckenberg 33; Meyer-Goßner/Schmitt 21; MüKo/Norouzi 18; OK-StPO/Eschelbach 29; Radtke/Hohmann 28; SK/Velten 26; SSW/Rosenau 28. 90 HK/Julius/Beckemper 10.

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Der Angeklagte muss also nach der Einbeziehung zum Gegenstand der Nachtrags- 31 anklage vernommen werden (§ 243 Abs. 5 Satz 2).91 Dass er vor Erlass des Einbeziehungsbeschlusses Gelegenheit hatte, zur Nachtragsanklage Stellung zu nehmen, ersetzt seine spätere Einvernahme zur Sache nicht;92 dies gilt auch für seine Anhörung vor der Entscheidung über die Einbeziehung.93 Eine erneute Belehrung über sein Schweigerecht nach § 243 Abs. 5 Satz 1 ist geboten,94 um dem Angeklagten zu verdeutlichen, dass er zum neuen Vorwurf der Nachtragsanklage auch schweigen darf, obwohl er der Einbeziehung zugestimmt hat. Dass diese – für den neuen Tatvorwurf erstmalige – Belehrung entbehrlich wäre, ergibt sich weder aus § 266, der die Prinzipien des Strafprozessrechts, die die grundlegenden Verteidigungspositionen des Angeklagten gewährleisten, nicht außer Kraft setzt,95 noch aus der Zustimmungserklärung. 2. Unterbrechung des Verfahrens. Der ausdrückliche Hinweis an den Angeklag- 32 ten, dass er das Recht habe, die Unterbrechung der Hauptverhandlung zu beantragen (Absatz 3 Satz 2), ist spätestens nach Erlass des Einbeziehungsbeschlusses und noch vor seiner Einvernahme zur Nachtragsanklage zu erteilen, sofern dies nicht bereits früher, etwa bei der Befragung, ob er der Einbeziehung zustimme, geschehen ist.96 a) Zur Vorbereitung der Verhandlung. Absatz 3 lässt zur Vorbereitung der Ver- 33 handlung über die Nachtragsanklage nur die Unterbrechung der Hauptverhandlung im Rahmen der in § 229 festgelegten Höchstdauer zu und nicht, wie etwa § 265 Abs. 3 und 4, auch die Aussetzung. Der Grund liegt darin, dass eine Tat, bei der die Aussetzung der Hauptverhandlung erforderlich wird, nicht in das Verfahren einbezogen werden soll, weil in diesem Fall der mit Zulassung der Nachtragsanklage erstrebte prozessökonomische Zweck sich in sein Gegenteil verkehren würde.97 Der Angeklagte, dessen Verteidigungsbelange bereits durch das Zustimmungserfordernis geschützt werden, soll nicht die Zustimmung zur Einbeziehung dafür benutzen können, den Fortgang des gesamten Verfahrens durch einen Aussetzungsantrag zu hemmen und eine neue Hauptverhandlung zu erzwingen. Normalerweise wird eine Einbeziehung nur in Frage kommen, wenn die Hauptverhandlung innerhalb der Dreiwochenfrist des § 229 Abs. 1 fortgesetzt werden kann. Erscheint eine längere Unterbrechung im Rahmen des § 229 Abs. 2 möglich und notwendig, so werden in der Regel das Gebot der Verfahrensbeschleunigung und die Erfordernisse der Prozesswirtschaftlichkeit gegen die Einbeziehung sprechen. Zulässig ist eine solche Unterbrechung nach Absatz 3 aber dennoch. Eine Aussetzung des Verfahrens kann zwar nicht auf Absatz 3 gestützt werden, je- 34 doch bleiben andere Aussetzungsgründe davon unberührt.98 Einen Verzicht des Ange91 BGHSt 9 243, 245; BGH NJW 1956 1366, 1367; HK/Julius/Beckemper 10; KK/Kuckein/Bartel 9; KMR/ Stuckenberg 28; Meyer-Goßner/Schmitt 21; OK-StPO/Eschelbach 28; Radtke/Hohmann 27; SK/Velten 27; SSW/Rosenau 28; a. A. OLG Frankfurt HESt 2 109. 92 BGH NJW 1956 1366, 1367. 93 BGHSt 9 243, 245. 94 HK/Julius/Beckemper 10; KMR/Stuckenberg 28; MüKo/Norouzi 18; OK-StPO/Eschelbach 28 (aber ohne Beweisverwertungsverbot nach fehlender Belehrung); Radtke/Hohmann 27; SK/Velten 26; SSW/Rosenau 28; a. A. KK/Kuckein/Bartel 9; LR/Gollwitzer25 25; Meyer-Goßner/Schmitt 21; ähnl. AK/Loos 18 (Belehrung nur ratsam). 95 BGH NJW 1984 2172. 96 AK/Loos 21; HK/Julius/Beckemper 9; KMR/Stuckenberg 31; SSW/Rosenau 29. 97 AK/Loos 19; KK/Kuckein/Bartel 10; KMR/Stuckenberg 32; Meyer-Goßner/Schmitt 22; SSW/Rosenau 29; Eb. Schmidt 16. 98 AK/Loos 19; KK/Kuckein/Bartel 10; KMR/Stuckenberg 32; OK-StPO/Eschelbach 30; Radtke/Hohmann 30; SK/Velten 27.

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klagten auf Aussetzung nach anderen verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten (vor allem § 265 Abs. 4) enthält die Zustimmung des Angeklagten zur Einbeziehung nicht. Es ist zulässig, die mit der Einbeziehung der weiteren Straftat ausgesprochene Verbindung der Strafsachen wieder rückgängig zu machen und nur das Verfahren wegen der einbezogenen Tat nach Abtrennung auszusetzen.99 35

b) Von Amts wegen. Der Vorsitzende und bei längerer Dauer das Gericht (§ 228 Abs. 1 Satz 1) ordnen die Unterbrechung von Amts wegen an (Absatz 3 Satz 1 1. Alt.), wenn sie sie für erforderlich für die sachgemäße Vorbereitung des weiteren Verfahrens halten, insbesondere, um dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, seine Verteidigung vorzubereiten oder um selbst weitere Beweismittel beizuziehen oder um den Verfahrensbeteiligten weitere Nachforschungen zu ermöglichen. Ob diese Voraussetzungen oder sonstige Gründe für eine Unterbrechung von Amts wegen gegeben sind und für welche Zeitspanne die jeweiligen Gründe eine Unterbrechung erfordern, ist dabei unter Berücksichtigung der gesamten Prozesslage nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden.

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c) Auf Antrag des Angeklagten. Auf Antrag des Angeklagten muss der Vorsitzende die Hauptverhandlung unterbrechen, sofern nicht offenkundig ist, dass der Antrag mutwillig, das heißt ohne jeden, ein nachvollziehbares Verteidigungsinteresse verfolgenden sachlichen Grund, etwa aus Lust am Widerspruch oder nur zur Verzögerung des Verfahrens, gestellt ist.100 Diese alleinigen Gründe für die Ablehnung des Unterbrechungsantrags des Angeklagten müssen zweifelsfrei vorliegen.101 Eine mutwillige Antragstellung scheidet schon dann aus, wenn der Angeklagte dafür ein nachvollziehbares Verteidigungsinteresse anführt, denn insoweit ist nur die Sicht des Angeklagten maßgebend. Andere Gründe rechtfertigen es nicht, den Unterbrechungsantrag des Angeklagten abzulehnen.

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d) Andere Prozessbeteiligte. Beantragen dagegen andere Prozessbeteiligte, etwa der Staatsanwalt oder ein Mitangeklagter, dessen Verfahrensinteressen durch die nicht gegen ihn gerichtete Nachtragsanklage berührt werden,102 oder sonst ein Verfahrensbeteiligter die Unterbrechung, dann ist dieser Antrag, sofern er nicht ohnehin nur als eine Anregung der Unterbrechung von Amts wegen zu verstehen ist, nicht an die engen Ablehnungsgründe des Absatzes 3 gebunden. Der Vorsitzende kann den aus anderen Rechtsgrundlagen (§ 265 Abs. 4) herzuleitenden Antrag auch aus anderen als den in Absatz 3 Satz 1 angeführten Gründen ablehnen.

V. Sitzungsprotokoll 38

Die Erhebung der Nachtragsanklage, ihr Inhalt, die Zustimmung des Angeklagten und Inhalt und Verkündung des Einbeziehungsbeschlusses gehören zu den wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens (§ 273), die nur durch das Protokoll bewiesen wer-

99 KMR/Stuckenberg 32. 100 AK/Loos 22; KK/Kuckein/Bartel 10; KMR/Stuckenberg 30; MüKo/Norouzi 19; Radtke/Hohmann 29; SK/Velten 27; SSW/Rosenau 29; krit. Fahl Rechtsmißbrauch im Strafprozeß (2004) 46 f., 599 f. 101 Vgl. auch Burhoff StV 1997 432, 434; HK/Julius/Beckemper 16 (Antragstellung, um Einstellung nach § 154 zu erreichen). 102 HK/Julius/Beckemper 14.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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den können.103 Ist der Wortlaut der Nachtragsanklage in einem besonderen Schriftstück dem Protokoll beigefügt, muss diese Anlage durch ausdrückliche Bezugnahme zum Gegenstand des Protokolls gemacht werden.104 Die Zustimmung des Angeklagten muss dem Protokoll eindeutig zu entnehmen sein; der Satz, dass gegen die Einbeziehung „keine Bedenken erhoben“ wurden, genügt dafür ebenso wenig wie der Vermerk, dass der Angeklagte auf Befragen die Unterbrechung nicht beantragt habe.105 Zu den protokollpflichtigen wesentlichen Förmlichkeiten gehört ferner, dass der An- 39 geklagte hinsichtlich des Gegenstands der Nachtragsanklage zur Sache vernommen wurde,106 sowie, dass er nach Absatz 3 Satz 2 belehrt wurde. In das Protokoll aufzunehmen ist auch, wenn der Angeklagte die Unterbrechung beantragt hat sowie die Entscheidung über diesen Antrag; ferner, wenn gegen eine Entscheidung des Vorsitzenden das Gericht nach § 238 Abs. 2 angerufen wurde sowie dessen Entscheidung hierüber.

VI. Rechtsbehelfe 1. Entscheidung des Gerichts. Die Entscheidung des Vorsitzenden über die Anord- 40 nung der Unterbrechung (§ 228 Abs. 1 Satz 2) ist eine Maßnahme der Sachleitung (§ 238 Abs. 1). Gegen sie kann um Entscheidung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 nachgesucht werden.107 2. Beschwerde. Der Beschluss, der die Einbeziehung einer nachträglich angeklag- 41 ten Tat anordnet, ferner der Beschluss, der die Unterbrechung der Verhandlung nach Absatz 3 Satz 1 anordnet oder ablehnt, wird durch § 305 Satz 1 der Beschwerde entzogen.108 Nicht anfechtbar ist nach der vorherrschenden Meinung auch der Beschluss, der die Einbeziehung der im Wege der Nachtragsanklage vor Gericht gebrachten Tat ablehnt.109 Nur wer entgegen dieser Meinung annimmt, der ablehnende Beschluss löse die Sperrwirkung des § 211 aus, müsste der Staatsanwaltschaft in entsprechender Anwendung des § 210 Abs. 2 das Recht zur sofortigen Beschwerde einräumen.110 3. Revision. Die Erhebung der Nachtragsanklage und der Einbeziehungsbeschluss 42 in einer den Mindestanforderungen genügenden Form111 gehören zu den Verfahrensvoraussetzungen (Rn. 4). Fehlen sie, ist dieser Mangel in jeder Lage des Verfahrens auch ohne diesbezügliche Rüge von Amts wegen zu berücksichtigen und das Verfahren einzu-

103 BGH bei Holtz MDR 1977 984; NJW 1984 2172 mit Anm. Gollwitzer JR 1985 126; StV 2002 183; OLG Hamm StV 1996 532; OLG Koblenz VRS 49 (1975) 43; OLG Stuttgart NStZ 1995 51; LG München I MDR 1978 161; AK/Loos 6, 11, 17; HK/Julius/Beckemper 12; KK/Kuckein/Bartel 3, 7; KMR/Stuckenberg 34; Meyer-Goßner/Schmitt 7, 13, 17; MüKo/Norouzi 21; Radtke/Hohmann 35; SK/Velten 25; SSW/Rosenau 10, 19, 23. 104 BayObLG bei Rüth DAR 1985 245. 105 BGH bei Holtz MDR 1977 984; NJW 1984 2172 mit Anm. Gollwitzer JR 1985 126; OLG Hamm StV 1996 532 f.; AK/Loos 11; KK/Kuckein/Bartel 7; KMR/Stuckenberg 34; Meyer-Goßner/Schmitt 13. 106 OLG Frankfurt HESt 2 109; KK/Kuckein/Bartel 9; KMR/Stuckenberg 34. 107 KK/Kuckein/Bartel 10; KMR/Stuckenberg 36; Meyer-Goßner/Schmitt 22; MüKo/Norouzi 22; Radtke/ Hohmann 36; SSW/Rosenau 30. 108 AK/Loos 23; KK/Kuckein/Bartel 8; KMR/Stuckenberg 35; Meyer-Goßner/Schmitt 24; MüKo/Norouzi 23; OK-StPO/Eschelbach 32; Radtke/Hohmann 37; SK/Velten 29; SSW/Rosenau 30. 109 KMR/Stuckenberg 35; Meyer-Goßner JR 1984 53. 110 OK-StPO/Eschelbach 31; Hilger JR 1983 441, 442 f. 111 BGH NStZ 1986 276; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1986 207; BayObLGSt 1953 1 = NJW 1953 674.

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stellen.112 Das Fehlen einer Nachtragsanklage wird nicht dadurch geheilt, dass das Gericht das Verfahren wegen der einzubeziehenden Tat nach § 270 an ein anderes Gericht verwiesen und der Staatsanwalt diesen Verweisungsbeschluss verlesen hat.113 Die ausdrückliche Zustimmung des Angeklagten zur Einbeziehung ist nach hier vertretener Ansicht (Rn. 20) Wirksamkeitsvoraussetzung des Einbeziehungsbeschlusses und folglich ebenfalls von Amts wegen zu prüfen. Die Umgehung der Anforderungen der Nachtragsanklage (Rn. 2) kann im Wege der Verfahrensrüge als Verletzung von § 266 i. V. mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens geltend gemacht werden.114 Sonstige Fehler bei Anwendung des § 266, wie etwa die unterbliebene oder unzu43 längliche Unterrichtung über das Recht auf Unterbrechung (Absatz 3 Satz 2) oder sonst nur unzulänglich eröffnete Verteidigungsmöglichkeiten oder entgegen § 243 Abs. 5 Satz 2 unterbliebene Vernehmung zur Nachtragsanklage, sind nur auf ausdrückliche Rüge hin zu beachten, sofern der Revisionsführer alle zu ihrer Begründung erforderlichen Tatsachen (§ 344 Abs. 2) vorgetragen hat. Die unnötige Nachtragsanklage stellt zwar einen Verfahrensfehler dar, auf dem das Urteil indes nicht beruhen kann.115 In geeigneten Fällen (etwa bei einem unzulänglichen Einbeziehungsbeschluss116 und einer auch sonst notwendigen Zurückverweisung) kann die Sache statt der an sich gebotenen Einstellung nach § 260 Abs. 3 an die Vorinstanz zurückverwiesen werden.117 Wird die Sache aus anderen Gründen zurückverwiesen, wird danach eine Nachtragsanklage erneut möglich.118 44 Die Ablehnung der Unterbrechung nach Absatz 3 oder eine zeitlich für die Vorbereitung der Verteidigung nicht ausreichende Unterbrechung kann der Angeklagte nach § 338 Nr. 8 rügen, wenn ein Beschluss des Gerichts hierüber ergangen ist.119 Ohne einen solchen Beschluss kann er die ablehnende Entscheidung nach § 337 beanstanden.120 Wieweit ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht, ist im Einzelfall zu prüfen.121

§ 267 Urteilsgründe (1) 1Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. 2Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, 112 BGH NJW 1970 904, 905; StV 1996 5; NStZ 2002 328; wistra 2003 111; BayObLG 17.4.1998 – 3 St RR 44/98; OLG Koblenz VRS 49 (1975) 43; OLG Stuttgart StV 1994 644, 645.

113 BGH StV 1982 256, 257. 114 BGHSt 53 108, 109, 111 f. 115 BGH NJW 1970 904; NStZ 1999 523, 524; OK-StPO/Eschelbach 33; s. a. BGH 1.10.2013 – 3 StR 299/13 Rn. 16;.

116 Vgl. OLG Koblenz VRS 49 (1975) 43. 117 BayObLGSt 1963 115; vgl. BGH NJW 1984 2172 mit Anm. Gollwitzer JR 1985 126; BGH NJW 1970 904 (hier fehlte allerdings keine Verfahrensvoraussetzung, da die Nachtragsanklage gar keine andere Tat im Sinne des § 264 betraf); KK/Kuckein/Bartel 11; KMR/Stuckenberg 38; krit. MüKo/Norouzi 24; a. A. SK/Velten 30. 118 Vgl. BGH NJW 1993 3338, 3339. 119 KMR/Stuckenberg 39; OK-StPO/Eschelbach 35; Radtke/Hohmann 36, 39; SK/Velten 30. 120 KMR/Stuckenberg 39. 121 Vgl. BGH NJW 1970 904, 905 mit Anm. Kleinknecht JZ 1971 106; KK/Kuckein/Bartel 10; KMR/Stuckenberg 39.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 267

sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. 3Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden. (2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden. (3) 1Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. 2Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. 3Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. 4Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. 5Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben. (4) 1Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. 2Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. 3Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. 4Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird. (5) 1Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. 2Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. 3Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden. (6) 1Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. 2Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist. 549

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Schrifttum Appl Über die „Kunst des Urteilschreibens“, FS Rissing-van Saan (2011) 35; Baldus Versäumte Gelegenheiten; zur Auslegung des § 338 Nr. 8 und des § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO, FS Heusinger (1968) 373; Blunk Beweiswürdigung und rechtliche Würdigung im Strafurteil, MDR 1970 470; Brüggemann Die richterliche Begründungspflicht (1971); Brünger Noch einmal: Das abgekürzte Strafurteil, DRiZ 1974 230; Bruns Zum Revisionsgrund der – ohne sonstige Rechtsfehler – „ungerecht“ bemessenen Strafe, FS Engisch (1969) 709; ders. Zum Verbot der Doppelbewertung von Tatbestandsmerkmalen oder strafrahmenbildenden Umständen, FS Mayer (1966) 353; ders. Zur Tragweite des Verbots der Doppelverwertung von Strafmilderungsgründen, JR 1980 226; Cuypers Die Revisibilität der strafrichterlichen Beweiswürdigung, Diss. Bochum 1976; Dahm Das freisprechende Urteil (1936); Doller Urteilsgründe in Bußgeldsachen, DRiZ 1981 209; Eschelbach Sachlich-rechtliche Fehler in Strafurteilen nach aktueller BGH-Rechtsprechung, JA 1998 498; Exner Studien über die Strafzumessungspraxis der deutschen Gerichte (1931); von Feldmann Richter müssen zuviel schreiben, DRiZ 1977 183; Foth Angabe der Beweismittel im Strafurteil, DRiZ 1974 23; Franke Nochmals: Richter müssen zuviel schreiben, DRiZ 1977 244; Frisch Revisionsrechtliche Probleme der Strafzumessung (1971); Fromm Zu den Anforderungen an die schriftlichen Urteilsgründe in Bußgeldsachen, DAR 2013 665; Fuhrmann Ist die Bezugnahme auf ein früheres Urteil in den Urteilsgründen zulässig? JR 1962 81; Furtner Das Urteil im Strafprozess (1970); ders. Feststellung und Beweiswürdigung im Strafurteil, JuS 1969 419; ders. Der „schwere“, „besonders schwere“ und „minder schwere Fall“ im Strafrecht, JR 1969 11; Gercke/Wollschläger Videoaufzeichnungen und digitale Daten als Grundlage des Urteils, StV 2013 106; Gollwitzer Überlegungen zur Dokumentation von Hauptverhandlung und Urteil im Strafverfahren, FS Gössel (2002) 543; Graßberger Die Strafzumessung (1932); Hassemer Die Formalisierung der Strafzumessungsentscheidung, ZStW 90 (1978) 64; Henkel Die „richtige“ Strafe (1969); von Hentig Die Strafe (1932); Huber Das Strafurteil (1993); Hülle Die Begründung der Urteile in Strafsachen, DRiZ 1952 92; Hütwohl Abgekürzte Urteilsfassung gem. § 267 Abs. 4 StPO bei horizontaler Rechtsmittelbeschränkung, NStZ 2016 710; Jäger Anforderungen an die Sachdarstellung im Urteil bei Steuerhinterziehung, StraFo 2006 477; Janke Die Verwendung von Abbildungen bei der Begründung des Strafurteils (2009); Kalf Der Umfang revisionsrechtlicher Prüfung bei minder schweren und besonders schweren Fällen, NJW 1996 1447; Köndgen Ehrverletzung durch Gerichtsentscheid und Spruchrichterprivileg, JZ 1979 246; Krehl Die Ermittlung der Tatsachengrundlage zur Bemessung der Tagessatzhöhe bei der Geldstrafe (1985); Krumm Probleme rund um Messfoto und Messvideo, SVR 2010 321; ders. Täteridentifizierung und Bezugnahme auf Videos und Lichtbilder in den Urteilsgründen – zugleich Besprechung von BGH, Beschl. v. 2.11.2011 – 2 StR 332/11 = NZV 2012, 143, NZV 2012 267; Kudlich/Christensen Zum Relevanzhorizont strafgerichtlicher Entscheidungsbegründungen, GA 2002 337; Maul Die Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen durch das Revisionsgericht in der neueren Rechtsprechung des BGH, FS Pfeiffer (1988) 409; Meurer Beweiswürdigung und Strafurteil, FS Kirchner (1985) 249; Meves Das Urteil im deutschen Strafverfahren, GA 36 (1888) 102; Meyer-Goßner Hinweise zur Abfassung des Strafurteils aus revisionsrechtlicher Sicht, NStZ 1988 529; Noster Die abgekürzte Urteilsbegründung im Strafprozess (2010); Paeffgen Ermessen und Kontrolle, FS II Peters (1984) 61; Pelz Die revisionsgerichtliche Überprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung, NStZ 1993 361; Peters Die Aufgaben des Gerichts bei der Anwendung der Strafen, ZStW 81 (1969) 63; ders. Die Persönlichkeitserforschung im Strafverfahren, GedS Schröder (1978) 425; Rieß Die schriftlichen Urteilsgründe des Tatrichters. Materialien zur Reform des § 267 StPO, FS Rissingvan Saan (2011) 491; Sachs Beweiswürdigung und Strafzumessung (1932); Sander Zur Beweiswürdigung, vor allem bei Aussage gegen Aussage, StV 2000 45; G. Schäfer Freie Beweiswürdigung und revisionsgerichtliche Kontrolle, StV 1995 147; von Schledorn Die Darlegungs- und Beweiswürdigungspflicht des Tatrichters im Falle der Verurteilung (1997); Schlösser Die Darstellung der Schadenshöhe in den Urteilsgründen, StV 2009 157; Schlothauer Unvollständige und unzutreffende tatrichterliche Urteilsfeststellungen – Verteidigungsmöglichkeiten in der Revisions- und Tatsacheninstanz, StV 1992 134; Seebald Ausgeglichene Strafzumessung und tatrichterliche Selbstkontrolle, GA 1974 193; ders. Fehler bei Strafurteilen, DRiZ 1955 32; Seibert Angreifbare Strafurteile, NJW 1960 1285; Streng Die Strafzumessungsbegründung und ihre Orientierungspunkte, NStZ 1989 393; Theune Grundsätze und Einzelfragen der Strafzumessung aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, StV 1985 162; 205; Tröndle Die Aufgabe des Gerichts bei der Anwendung der Strafen, ZStW 81 (1969) 84; Wagner Die Beweiswürdigungspflicht im tatrichterlichen Urteil im Falle der Verurteilung, ZStW 106 (1994) 259; von Weber Die richterliche Strafzumessung (1956); Wenzel Das Fehlen der Beweisgründe im Strafurteil als Revisionsgrund, NJW 1966 577; Werner Das abgekürzte Strafurteil, DRiZ 1974 125; Wilhelm „Versteckte Gesetzesverstöße“ in der Revision: Zur Revisibilität der fehlerhaften

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 267

oder unvollständigen Mitteilung der Ergebnisse der Beweisaufnahme in der Urteilsniederschrift, ZStW 117 (2005) 143; Winkler Schreiben wir uns tot? – Vom Mut zur Kürze bei der Begründung eines Urteils in Strafsachen, SchlHA 2006 245; Wolf Das Wesen des gerichtlichen Urteils, GedS R. Bruns (1980) 221; Zillmer Lückenhafte Beweiswürdigung im Strafprozess als Revisionsgrund, NJW 1961 720. Zu Fragen der freien Beweiswürdigung vgl. das bei § 261 aufgeführte Schrifttum. Wegen des Schrifttums zu den materiell-rechtlichen Fragen der Strafrahmenbestimmung, der besonders schweren und minder schweren Fälle und der Strafzumessung muss auf die Nachweise in den Kommentaren zum StGB verwiesen werden.

Entstehungsgeschichte Die jetzige Fassung des § 267 ist das Ergebnis mehrfacher Änderungen und Ergänzungen, mit denen den Änderungen des materiellen Strafrechts Rechnung getragen und die Anforderungen an die Begründungspflicht teils erweitert, teils wieder vereinfacht wurden. Eine grundlegende Neukonzeption der für die schriftliche Abfassung der Urteile maßgebenden Vorschrift war damit nicht verbunden, wenn man von der Änderung des Absatzes 3 absieht, die ab 1951 zur Angabe der Strafzumessungsgründe verpflichtete. Die Änderungen im Einzelnen: In dem im Prinzip unverändert gebliebenen Absatz 1 hat Art. 21 Nr. 70 Buchst. a EGStGB nur „strafbare Handlung“ durch „Straftat“ ersetzt. Ferner hat Art. 1 Nr. 22 Buchst. a StVÄG 1979 den Satz 3 angefügt. Bei Absatz 3 wurde die ursprüngliche Sollvorschrift des Satzes 1 durch Art. 3 Nr. 119 VereinhG zu einer Mussvorschrift. Der auf Art. 9 Nr. 13 des 1. StrRG beruhende Wortlaut des Satzes 2 wurde durch Art. 21 Nr. 70 Buchst. b EGStGB neu gefasst. Art. 21 Nr. 71 Buchst. c EGStGB fügte gleichzeitig den jetzigen Satz 3 neu ein, während der bisherige Satz 3, der auf Art. 4 Nr. 30 des 3. StRÄndG beruhte, unter Neufassung seines zweiten Halbsatzes zu Satz 4 wurde. Satz 5 wurde durch Art. 1 Nr. 9 Buchst. a des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29.7.2009 (BGBl. I S. 2353) angehängt. Der auf das Entlastungsgesetz 1921 zurückgehende Absatz 4, der ursprünglich sogar die später wieder beseitigte Vereinfachung enthielt, dass bei Angabe der für erwiesen erachteten Tatsachen auf den Eröffnungsbeschluss Bezug genommen werden durfte, wurde durch Art. 1 Nr. 76 Buchst. a des 1. StVRG neugefasst, der die Änderung durch Art. 21 Nr. 70 Buchst. a EGStGB mit übernahm. Zur weiteren Vereinfachung der Urteilsbegründung bei den nicht angefochtenen Urteilen lässt ein durch Art. 1 Nr. 20 Buchst. b StVÄG 1979 bei Satz 1 angefügter Halbsatz jetzt wiederum bei bestimmten Urteilen die Bezugnahme auf den Anklagesatz oder auf ihm gleichstehende Schriftstücke zu. Diese Vereinfachungsmöglichkeit war zunächst nur bei Urteilen des Strafrichters und der Schöffengerichte vorgesehen. Durch Art. 1 Nr. 20 StVÄG 1987 ist diese Einschränkung entfallen. Im Zuge der Neuregelung des beschleunigten Verfahrens hat das Verbrechensbekämpfungsgesetz von 1994 die Verweisung auf den früheren § 212a Abs. 2 Satz 3 ohne sachliche Änderung durch die Verweisung auf § 418 Abs. 3 Satz 2 ersetzt. Art. 14 Nr. 4 des 2. JuMoG hat die Verweisungsmöglichkeit auf Urteile, die auf Verwarnung mit Strafvorbehalt lauten, erstreckt. Der jetzige Satz 2 wurde durch Art. 1 Nr. 9 Buchst. b des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren eingefügt. Bei Absatz 5 hat Art. 1 Nr. 76 Buchst. b des 1. StVRG die Sätze 2 und 3 angefügt. Der Verweis in Satz 3 auf Absatz 4 „Satz 3“ ist durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes vom 17.7.2015 (BGBl. I S. 1332) in „Satz 4“ berichtigt worden. Der auf Art. 2 Nr. 27 AGGewVerbrG und auf Art. 3 Nr. 120 VereinhG zurückgehende Absatz 6 Satz 1 und der auf dem 2. Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs beruhende 551

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§ 267

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

Absatz 6 Satz 2 wurden durch Art. 21 Nr. 70 Buchst. e und f EGStGB redaktionell dem neuen Strafrecht angepasst. Art. 2 Nr. 3 des Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21.8.2002 (BGBl. I S. 3344) hat § 267 Abs. 6 Satz 1 neu gefasst. Die dort normierte Begründungspflicht wurde auf die Anordnung des durch dieses Gesetz neu eingefügten Vorbehalts der Sicherungsverwahrung (§ 66a StGB) ausgedehnt. Gleich wie bei der Sicherungsverwahrung ist die positive und negative Entscheidung zu begründen. Es muss deshalb auch begründet werden, warum entgegen einem in der Hauptverhandlung gestellten Antrag die Sicherungsverwahrung nicht vorbehalten wurde. Bezeichnung bis 1924: § 266.

Übersicht I.

II.

1 Gegenstand und Zweck der Vorschrift 1. Bedeutung der Vorschrift 1 2. Funktionen der schriftlichen Urteilsgründe 3 3. Gegenstand der schriftlichen Urteilsgründe 7 a) Übereinstimmung mit dem Beratungsergebnis 7 b) Keine Dokumentation der Hauptverhandlung 8 c) Verfahrensrechtliche Vorgänge 9 4. Anwendungsbereich 10 Form der Urteilsgründe 11 1. Stil und Darstellungsweise 11 a) Sprachstil 11 b) Art der Darstellung 12 c) Vordrucke, Textbausteine 14 d) Grundsätzliches Verbot von Bezugnahmen 15 2. Bezugnahme auf Abbildungen (Absatz 1 Satz 3) 16 a) Zweck 16 b) Alle Arten von bildlichen Darstellungen 18 c) Bei den Akten befindlich 21 d) Urteilsgründe bei Bezugnahme 25 e) Form der Bezugnahme 26 f) Freisprechende oder einstellende Urteile 27 3. Keine Bezugnahme auf Tonträger und Schriftstücke 28 a) Keine analoge Anwendung von Absatz 1 Satz 3 28 b) Urteilsgründe bei entscheidungserheblichen Schriften 30 c) Urteilsgründe bei Tonträgern 31 4. Bezugnahme auf Urteile 32

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32 Urteile in anderer Sache Urteile in gleicher Sache 33 Ausnahme für Berufungsurteile 34 Feststellungen zum Tathergang 35 1. Merkmale der Straftat 35 a) Aus sich selbst heraus verständliche Darstellung 35 b) Äußere Tatseite 37 c) Innere Tatseite 44 d) Mehrdeutige Tatsachengrundlagen 49 2. Angabe der Beweistatsachen (Absatz 1 Satz 2) 50 a) Pflicht zur Feststellung im Urteil 50 b) Urteilsstelle 54 3. Wiedergabe der Beweiswürdigung 55 a) Keine ausdrückliche Regelung 55 b) Auseinandersetzung mit festgestellten Tatsachen 56 4. Einzelfragen 60 a) Eingehen auf einzelne Beweismittel 60 b) Vorbringen der Prozessbeteiligten 61 c) Zeugenaussagen 64 d) Sachverständigengutachten 67 e) Ergebnis eines Augenscheins 68 f) Verfahrensrechtlich gebotene Erörterung 69 5. Besondere Umstände, die die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen (Absatz 2) 70 a) Begriff 70 a) b) c)

III.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

b)

IV.

V.

553

Erörterungspflicht bei Behauptung 73 c) Keine wesentliche Förmlichkeit 76 d) Erörterungspflicht ohne Behauptung 77 Bezeichnung des angewandten Strafgesetzes (Absatz 3 Satz 1 Halbsatz 1) 78 1. Angewandte Strafgesetze 78 2. Nicht angewandte Bestimmungen 81 3. Weitere Rechtsausführungen 82 Begründung des Rechtsfolgenausspruchs (Absatz 3 Satz 1 2. Halbsatz) 83 1. Allgemeines 83 2. Persönliche Verhältnisse des Angeklagten 85 3. Die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände 89 a) Keine erschöpfende Aufzählung 89 b) Angewandte Strafrahmen 92 c) Selbständige einzelfallbezogene Feststellung 94 d) Feststellung der besonderen Schwere der Schuld 96 4. Geldstrafe 97 5. Geldbußen 98 6. Gesamtstrafe 99 7. Jugendrecht 100 8. Minder schwere und besonders schwere Fälle (Absatz 3 Satz 2 und 3) 101 a) Grundsatz 101 b) Einzelne Fälle 102 c) Antrag 104 9. Freiheitsstrafe unter sechs Monaten 108 10. Strafaussetzung zur Bewährung (Absatz 3 Satz 4) 109 a) Bewilligung, Ablehnung 109 b) Antrag 110 c) Bewährungsanordnungen 114 d) Jugendstrafverfahren 115 11. Verwarnung mit Strafvorbehalt 116 12. Absehen von Strafe (Absatz 3 Satz 4 zweiter Halbsatz) 118 13. Verständigung (Absatz 3 Satz 5) 119 14. Maßregeln der Besserung und Sicherung (Absatz 6) 121 a) Allgemeines 121

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b)

Vorbehalt der Sicherungsverwah124 rung c) Formelle Begründungspflichten 127 d) Entziehung der Fahrerlaubnis 129 15. Fahrverbot 130 16. Einziehung, Unbrauchbarmachung und sonstige Nebenfolgen 131 VI. Abgekürztes Urteil (Absatz 4) 134 1. Anwendungsbereich 134 2. Rechtskraft 135 3. Ermessen des Gerichts 138 4. Inhalt 139 5. Bezugnahme auf Anklage 142 a) Zweck 142 b) Tragende Urteilsfeststellungen 143 c) Voraussetzungen der Bezugnahme 145 d) Gegenstand der Bezugnahme 148 e) Ermessen des Gerichts 151 f) Keine bestimmte Formel 155 6. Hinweis auf Verständigung (Absatz 4 Satz 2) 156 7. Nachträgliche Ergänzung des abgekürzten Urteils 157 a) Zweck 157 b) Frist 158 c) Entsprechende Anwendung 160 d) Sonstige Verfahrensfragen 161 VII. Das freisprechende Urteil 163 1. Begründung nach Absatz 5 Satz 1 163 a) Allgemeines 163 b) Freispruch in tatsächlicher Hinsicht 164 c) Freispruch in rechtlicher Hinsicht 166 d) Bezugnahme auf Abbildungen 167 e) Beachtung der Unschuldsvermutung 168 2. Abgekürztes freisprechendes Urteil 169 3. Maßregel der Besserung und Sicherung 172 VIII. Prozessurteil 173 1. Notwendiger Inhalt des einstellenden Urteils 173

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§ 267

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

2.

IX. X.

Sonstige Formalentscheidungen 174 Förmlichkeiten, Berichtigung 175 Revision 176 1. Allgemeines 176 2. Verstoß gegen Absatz 1 178 a) Nicht genügende Urteilsbegründung 178

3. 4. 5. 6. 7.

b) § 267 Abs. 1 Satz 2 180 c) Beweiswürdigung 182 Absatz 2 183 Anführung des angewandten Gesetzes 186 Strafzumessung 187 Verstoß gegen Absatz 4 190 Verstoß gegen Absatz 6 Satz 1 192

Alphabetische Übersicht Abbildungen, Verweisung auf 15 ff., 68, 167, 173, 179 Abgabenverkürzung 40 Abgekürztes Urteil 134 ff., 145 ff., 169 ff., 173, 190 Absehen von Strafe 118 Akteninhalt 15, 21 ff. Allgemeine, floskelhafte Wendungen 14, 75, 89, 112 Anklage, Bezugnahme auf 142 ff. Antragsabhängige Begründungspflichten 73 ff., 104 ff., 109 ff., 176, 184, 189 Aufklärungspflicht 8 Aufklärungsrüge 185 Aufzählung der Beweismittel 8, 60 Augenschein 26, 68 Ausländerrechtliche Tatfolgen 90 Ausländische Verurteilungen 99 Äußere Tatseite 37 Bagatellfälle 53, 57, 85, 90, 141 Begründungspflicht, formell ausgelöste 140, 189 Beratung 7 f., 89, 176, 181, 188 Berechnungsgrundlagen 30 Berichtigung des Urteils 36, 160, 175, 186 Berufsgerichtliches Verfahren 5 Berufsrechtliche Folgen 123, 187 Berufung, Übergang zur Revision 158 Berufungsurteile 34, 80, 146, 162, 174, 191 Beschleunigte Verfahren 149 Beschleunigungsgebot 85 Besondere Schuldschwere 96 Besonders schwere Fälle 70, 75, 92, 101 ff. Bewährungsanordnungen 114 Beweistatsachen 50 ff., 55, 164 ff. Beweiswürdigung, umfassende 55 ff., 182 Bewertungseinheit 43 Bezugnahmen im Urteil 15 ff., 32 ff., 112, 142 ff., 162, 167, 173, 178, 188 Bezugnahme auf Urteile in gleicher Sache 33 ff. Bildträger 18 f. Blankettgesetze 37, 78 Bußgeldbescheid 15, 149 Bußgeldverfahren 134, 149 Darstellung, geschlossene 12 f., 25, 35, 59, 172

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Denkfehler 57, 182 Diapositive 19 Dienststrafverfahren 5 Doppelverwertungsverbot 92 Einheit der Urteilsgründe 36 Einheitliche Tat 43, 106 Einlassung des Angeklagten 60, 62 Einstellungsurteil 27, 173 Einziehung 131 ff., 145, 147 Elektronische Bildträger 19 Entziehung der Fahrerlaubnis 129 f., 145, 147, 154 Ergebnis der Hauptverhandlung 8 Eröffnungsbeschluss 15, 72 Erwiesene Tatsachen (§ 244 Abs. 3 Satz 2) 69 Eventualbegründungen s. Hilfserwägungen Fachausdrücke 11 Fahrlässige Tatbegehung 44 ff. Fahrverbot 130, 147 Faires Verfahren 4, 9, 84 Fortgesetzte Tat 43 Freibeweis 178, 184 Freiheitsstrafe unter sechs Monaten 108 Freisprechendes Urteil 27, 134, 163 ff. Frist für nachträgliche Urteilsbegründung 158, 171 Gedichtform, Urteile in 11 Geldbuße 90, 98, 134 Geldstrafe 90, 97, 108, 141, 144 f., 147 Generalprävention 108, 187 Gesamtstrafe 99 Gesetzesbindung der Strafgewalt 3 f., 78 Gliederung der Urteilsgründe 12, 87 Gnadenrecht 5 Hilfsbeweisanträge 9 Hilfserwägungen 45, 50, 93, 113 Hypothetischer Sachhergang 92 f. Identifizierung des Angeklagten 25, 68 Individualisierung der Tat 37, 41 Innere Tatseite 44 ff., 62, 165 Jugendrecht 71, 100 Jugendstrafe 100, 115, 134 Kompensation von Rechtsverletzungen 84 Landkarte 20

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

Lockspitzel 187 Lückenhafte Feststellungen 55, 58 ff., 178, 182 Lustige Urteilsgründe 11 Maßregeln der Besserung und Sicherung 121 ff., 172 Mehrdeutige Tatsachengrundlage 49 Merkmale der Straftat 35 ff. Mehrzahl von Straftaten 41 f., 48 Messprotokolle 20 Minder schwere Fälle 70, 92, 101 ff. Mittäter 41, 94 Nachtatverhalten 85, 187 Nachträgliche Urteilsergänzung 157 ff., 171 Nachtragsanklage 150 Nebenfolgen 131 ff., 147 Notwehr 166 Offenkundige Tatsachen 9, 15, 21 Persönliche Verhältnisse des Angeklagten 33, 85 ff., 165, 187 Prognoseentscheidungen 85, 88, 112 f., 121 ff. Prozessurteil 173 f. Prozessvoraussetzungen 9, 72 Rechtfertigungsgründe 62, 70, 166 Rechtliches Gehör 3, 61 Rechtsausführungen 82, 166, 170 Rechtsbegriffe 38 Rechtsfolgen, Bemessung 89 ff., 187 Regelbeispiele 70, 103, 129 Rekonstruktion der Hauptverhandlung 181 Revision 176 ff. Sachrüge 176 ff. Sachverständigengutachten 47, 67, 126 Satirische Urteilsgründe 11 Schätzung 40, 42, 97 Schreibversehen 80 Schriftstücke 15, 20, 29 ff., 32 ff. Schuldausschließungsgründe 166 Schuldfeststellungen bei Freispruch 168 Schuldfähigkeit 47, 71, 87, 122, 166, 170, 183 Serientaten 13, 42 Sicherungsverwahrung 123 ff., 192 f. Sitzungsprotokoll 8, 76, 105, 110, 119, 181 Sprache der Urteilsgründe 11 Strafaussetzung zur Bewährung 109 ff. Strafbarkeit erhöhende oder vermindernde Umstände 70 ff. Strafbefehl 149, 174

§ 267

Strafgesetz, angewandtes 78 ff. Strafrahmen 78, 92 ff. Strafregisterauszug 88 Strafzumessungsempfehlungen 95 Strafzumessungsgründe, bestimmende 89 ff., 187 f. Subsumtion 35 Tabellarische Darstellung von Serientaten u. ä. 41 Täter-Opfer-Ausgleich 187 Textbausteine 14 Tonträger 28 ff., 31, 178 Übernahmebeschluss 150 Umgangssprache 11 Unbrauchbarmachung 131 Unklare Feststellungen 29, 34, 36 Unrechtsbewusstsein 46 Unschuldsvermutung 168 Unterhaltspflichtverletzung 40 Untersuchungsverfahren, standardisierte 67 Urteile, aufgehobene 33 Verbrauch der Strafklage 3, 5, 153 Verfahrensrüge 176 ff. Verfahrensvorgänge 9 Verkehrszuwiderhandlungen 39 Verständigung 6, 9, 39, 62 f., 119 f., 156, 189 Verwarnung mit Strafvorbehalt 116 f., 145, 147 Verweisungsbeschluss nach § 270 150 Verwertbarkeit von Beweisen 60, 181 Videoaufzeichnungen 19, 26 Videodistanzauswertungen 20 Vorbehaltene Strafe 117 Vorbringen der Prozessbeteiligten 3, 61 Vordrucke 14 Vorsatz 45 Vorstrafen 88 Wahrung berechtigter Interessen 166 Wahrunterstellung 69 Wesentliche Förmlichkeit 76, 105, 110 Widersprüchliche Feststellungen 36, 164, 182 Wiederaufnahmeverfahren 5, 23, 164 Wiedereinsetzung 157 f., 171 Zahlungserleichterungen 97 Zeugenaussagen 64 Zeugnis vom Hörensagen 66 Zeugnisverweigerung 66 Zusammenfassungen 41, 43, 48, 99 Zweifelssatz 42 f., 187

I. Gegenstand und Zweck der Vorschrift 1. Bedeutung der Vorschrift. Das Gesetz sieht zwei Formen der Urteilsbegründung 1 vor, eine vorläufige mündliche nach der Entscheidungsverkündung gem. § 268 Abs. 2 und die spätere, aber verbindliche schriftliche, die in § 267 fragmentarisch geregelt ist. Fragmentarisch ist die Regelung in mehrerlei Hinsicht: So betrifft § 267 nur verurteilen555

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Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

de (Absätze 1 bis 4) und freisprechende (Absatz 5) Sachurteile, so dass für das Verfahren einstellende und sonstige Prozessurteile nur die allgemeine Norm des § 34 gilt; jedoch können passende Regeln des § 267 analog angewandt werden (Rn. 173). Auch für die Sachurteile stellt § 267 nur bestimmte verfahrensrechtliche Mindestanforderungen an die Urteilsbegründung auf. Anzugeben sind bei verurteilenden Entscheidungen die für erwiesen erachteten tatsächlichen Grundlagen (Absatz 1 Satz 1, Absatz 2), die die Beweiswürdigungen tragenden Indiztatsachen (Absatz 1 Satz 2), das angewendete Strafgesetz und die die Strafzumessung bestimmenden Umstände (Absatz 3). Ein freisprechendes Urteil muss angeben, ob die angeklagte Tat für nicht erwiesen oder nicht für strafbar erachtet wurde (Absatz 5 Satz 1). Für alle Sachurteile schreibt Absatz 6 eine Begründung der Entscheidung über beantragte oder nach den Feststellungen in Betracht kommenden Maßregeln der Besserung und Sicherung vor. Eine Erörterung von Verfahrensvorgängen ist nicht vorgesehen mit einer rezenten Ausnahme (Absatz 3 Satz 5, Absatz 4 Satz 2) für das Vorliegen einer Verständigung nach § 257c. Bei rechtskräftigen Verurteilungen (Absatz 4) und Freisprüchen (Absatz 5 Satz 2) sind abgekürzte Begründungen zulässig, die zu ergänzen sind, wenn nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand doch noch ein Rechtsmittel eingelegt wird (Absatz 4 Satz 4). 2 Der Normtext des § 267 wird seit geraumer Zeit durch richterrechtliche Begründungspflichten weitgehend überlagert, die die gesetzlichen Vorgaben zum Teil erheblich übersteigen und die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe in der Praxis maßgeblich prägen mit dem Ziel, die Anwendung des materiellen Rechts bei der Schuld- und Rechtsfolgenfrage sowie des § 261 bei der Beweiswürdigung nachvollziehbar und in der Revision nachprüfbar zu machen. So sind nicht nur die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für den Urteilsspruch (positiv) darzutun, sondern zugleich alle vernünftigerweise in Betracht kommenden oder naheliegenden Alternativen dazu (negativ) auszuschließen (Rn. 56 ff.). Der Bedeutungsverlust des Gesetzestextes spiegelt sich in der Revision wider, wo die Verfahrensrüge der Verletzung des § 267 (Rn. 176 ff.) kaum eine Rolle spielt neben der sog. Darstellungsrüge, mit der als Spielart der allgemeinen Sachrüge nach herrschender, wenngleich methodisch verfehlter1 Auffassung nicht nur die Richtigkeit der Anwendung des materiellen Rechts, sondern auch die sich aus § 261 ergebenden verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Beweiswürdigung überprüft werden können. Angesichts ihrer defizitären Orientierungsleistung für die Justizpraxis2 und ihrer offenkundigen regelungstechnischen Probleme wie Umfang, Unübersichtlichkeit und ein unausgewogenes Nebeneinander von Detailfreude und Lückenhaftigkeit erscheint die Vorschrift formal wie inhaltlich reformbedürftig.3 3

2. Funktionen der schriftlichen Urteilsgründe. Die schriftlichen Urteilsgründe erfüllen mehrere Funktionen.4 Ihr Hauptzweck ist es, dem Angeklagten als dem eigentlichen Adressaten5 und den anderen Verfahrensbeteiligten, aber auch der Öffentlichkeit

1 Dazu KMR/Stuckenberg § 261, 146 ff., 150, 162; ähnl. SK/Velten 9, 35, 75. 2 Der Tatrichter, der seine Urteilsbegründung nur an der gesetzlichen Vorschrift über die Fassung der Urteilsgründe orientiert, kann seit Jahrzehnten fast sicher sein, dass sein Urteil der Sachrüge nicht standhält, Rieß FS Rissing-van Saan 491. 3 Rieß FS Rissing-van Saan 491, 492, 509; KMR/Stuckenberg 4; krit. MüKo/Wenske 40. Zu Reformüberlegungen siehe Rieß ibid. 509 ff. 4 KK/Kuckein/Bartel 1; KMR/Stuckenberg 5; MüKo/Wenske 3 ff., 14 ff., 30 ff.; SK/Velten 3, 7; Rieß FS Rissing-van Saan 491, 510; Wagner ZStW 106 (199) 259, 277 ff.; Janke 38 ff. 5 Vgl. BGH GA 1965 208; Wagner ZStW 106 (1994) 259, 277; krit. MüKo/Wenske 36 (Urteilsgründe würden primär für das Revisionsgericht formuliert).

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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Rechenschaft zu geben über die getroffene Entscheidung als gerechte, zumindest aber gesetzmäßige, nachvollziehbare und willkürfreie Ausübung staatlicher Strafgewalt,6 die dem für die Ausübung aller Staatsgewalt verbindlichen Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) entspricht.7 Verurteilende Erkenntnisse müssen zur Legitimation des in ihnen angeordneten Eingriffs aufzeigen, dass und welche rational einsichtigen Erwägungen sie rechtfertigen und die ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Unschuldsvermutung widerlegen.8 Die verfahrensrechtliche Bedeutung der betroffenen Grundrechte kann, namentlich bei Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, ebenfalls eine erhöhte Begründungstiefe bedingen.9 Zudem müssen die Urteilsgründe die Beachtung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) belegen, indem das Gericht sich in den tragenden Gründen seiner Entscheidung mit den wesentlichen vorgetragenen Argumenten auseinandersetzt.10 Insoweit ist § 267 eine „einfach-rechtliche Ausprägung des Grundrechts auf rechtliches Gehör“.11 Allerdings fordert das Grundrecht nicht, dass das Gericht in den Urteilsgründen auf jedes einzelne Vorbringen einzugehen hätte.12 Dass das Gericht auch ein im Urteil nicht erwähntes Vorbringen zur Kenntnis genommen hat, wird vermutet, sofern nicht schon die Urteilsgründe selbst oder andere Tatsachen ergeben, dass dies nicht geschehen ist.13 Hiermit verbunden ist die Funktion, die Kontrolle der im Urteilstenor manifestier- 4 ten Entscheidung durch das übergeordnete Gericht zu ermöglichen.14 Da im Rechtsmittelrecht der Dispositionsgrundsatz herrscht, setzt dies wiederum voraus, dass die Anfechtungsberechtigten die Gründe kennen, auf denen die Entscheidung beruht, um in sachgerechter und effektiver Weise ein Rechtsmittel einlegen zu können.15 Unter diesem Blickwinkel hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch aus dem Gebot eines fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK; Art. 14 Abs. 1 IPBPR) die Pflicht zur Begründung anfechtbarer Entscheidungen hergeleitet.16 Der Zwang, die maßgebenden Ur-

6 KK/Kuckein/Bartel 1 f.; KMR/Stuckenberg 5; Radtke/Hohmann/Hagemeier 1; Wagner ZStW 106 (1994) 259, 281.

7 HK/Julius/Beckemper 1; KMR/Stuckenberg 5; MüKo/Wenske 27 m. w. N.; Wagner ZStW 106 (1994) 259, 277; Noster 103 ff. (auch umfassend zur verfassungsrechtlichen Verankerung 81 ff.); abw. AK/Wassermann 3. 8 Wagner ZStW 106 (1994) 259, 273 ff., 283; HK/Julius/Beckemper 1. 9 Vgl. BVerfG 22.8.2017 – 2 BvR 2039/16 Rn. 41. 10 Bonn.Komm./Rüping Art. 103 Abs. 1, 111 GG; Dreier/Schulze-Fielitz Art. 103 I, 76 GG; Jarass/Pieroth Art. 103, 43 f. GG; von Mangoldt/Klein/Starck/Nolte/Aust Art. 103, 57 GG; Maunz/Dürig/Remmert Art. 103 Abs. 1, 96 GG; von Münch/Kunig Art. 103, 15 GG; Sachs/Degenhart Art. 103, 40 GG; Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Henneke/Schmahl Art. 103, 34 GG; AK/Wassermann 2; HK/Julius/Beckemper 1; Noster 91 ff.; Starck VVDStRL 34 (1976) 72; Wagner ZStW 106 (1994) 273, 278; auch Kunze NJW 1995 2750, 2752; vgl. BVerfGE 54 86, 91 f.; 71 122, 135; 81 97, 106. 11 BVerfG NJW 2004 209, 210. 12 BVerfGE 5 22, 24; 13 132, 149; 22 267, 274; 25 137, 140; 27 248, 252; 28 378, 384; 40 101, 104 f.; 47 182, 187; 54 86, 91; 66 211, 213; 86 133, 146; 87 363, 392 f.; 96 205, 217; 115 166, 180; Bonn.Komm./Rüping Art. 103 Abs. 1, 111 GG; Maunz/Dürig/Remmert Art. 103 Abs. 1, 97 GG. 13 Vgl. BVerfGE 27 248, 251 f.; 40 101, 104 f.; 42 364, 368; 47 182, 187; 51 126, 129; 54 43, 46; BayVerfGHE 20 61. 14 Vgl. dazu LR/Franke26 § 337, 2 ff. 15 AK/Wassermann 2 und Waider StV 2007 348 leiten deshalb die Begründungspflicht auch aus Art. 19 Abs. 4 GG ab. 16 EGMR Hadjianastassiou/Griechenland, 16.12.1992, Serie A 252 § 33, EuGRZ 1993 70; LR/Esser26 Art. 6, 231 EMRK; HK/Julius/Beckemper 1.

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teilsgründe schriftlich festzulegen, dient auch17 der Eigenkontrolle der Richter; schon bei der Beratung müssen sie im Auge behalten, ob das gewonnene Urteil mit den erwiesenen Tatsachen und den sich darauf stützenden nachvollziehbaren Schlussfolgerungen hinreichend zu begründen ist.18 Außerdem haben die schriftlichen Urteilsgründe die Funktion, den Prozessgegenstand 5 klar zu umreißen und dadurch die genaue Bestimmung der Reichweite des Strafklageverbrauchs zu gewährleisten,19 denn ohne schriftlich festgehaltene Gründe wäre der Urteilstenor allein nicht genügend aussagekräftig und könnte auch die Frage, ob ein Wiederaufnahmegrund nach § 359 Nr. 5 gegeben ist,20 nicht beantwortet werden. Die Urteilsgründe bilden schließlich auch eine wichtige Grundlage für die Ausübung des Gnadenrechts, können aber auch für andere Verfahren von großer Bedeutung sein, so für die Strafzumessung, die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem späteren Strafverfahren, für ein Dienststrafverfahren oder ein berufs- oder ehrengerichtliches Verfahren. Wenn sie den Inhalt von Zeugenaussagen wiedergeben, können sie eine Grundlage für ein späteres Verfahren wegen Meineids oder falscher uneidlicher Aussage bieten.21 6 Diese Zielsetzungen und die daraus folgenden Anforderungen gelten unvermindert, wenn dem Urteil eine Verständigung nach § 257c vorausgegangen ist (vgl. Absatz 3 Satz 5), so dass das Tatgericht nicht von der Pflicht entbunden wird, Sorgfalt bei der Abfassung der Urteilsgründe anzuwenden.22 3. Gegenstand der schriftlichen Urteilsgründe 7

a) Übereinstimmung mit dem Beratungsergebnis. Die Urteilsgründe müssen, ohne dass die abweichende Ansicht des überstimmten Urteilsverfassers Ausdruck finden darf, so angegeben werden, wie sie in der Beratung kraft des Willens der Mehrheit oder der nach § 263 maßgebenden Minderheit beschlossen worden sind.23 Dabei hat der Berufsrichter die Überzeugungsbildung der Mehrheit der Laienrichter zu respektieren und darf nicht durch eine bestimmte Fassung der Gründe einer Urteilsaufhebung in der Revision den Weg bereiten.24 Es ist sowohl unzulässig, nachträglich angestellte Erwägungen oder Erkenntnisse hineinzuarbeiten,25 als auch, um das Urteil vor erfolgreicher Anfechtung zu bewahren, Gründe herzustellen, die von denen abweichen, mit denen sich die obsiegende Mehrheit oder Minderheit durchgesetzt hat.26 Auch über die Einzelheiten 17 Historisch ist dieser Gesichtspunkt als erster hervorgetreten, Rieß FS Rissing-van Saan 491, 498; Abg. Becker bei Hahn/Stegemann 877. 18 KK/Kuckein/Bartel 1; KMR/Stuckenberg 5; Radtke/Hohmann/Hagemeier 1; SK/Velten 3; SSW/Güntge 2; Krehl GA 1987 163, 170; Wagner ZStW 106 (1994) 259, 279; vgl. auch Maul FS Pfeiffer 409, 420 (Begründungszwang wirkt objektivierend auf Beratung zurück). 19 KK/Kuckein/Bartel 1; MüKo/Wenske 7 f., 31; Radtke/Hohmann/Hagemeier 1; SSW/Güntge 3; Eb. Schmidt 2; vgl. LR/Stuckenberg § 264, 4 ff. 20 Vgl. LR/Gössel26 § 359, 90, 92. 21 Vgl. LR/Mosbacher § 249, 18 ff. 22 BGH NStZ-RR 2010 336; 2011 213 f.; KG wistra 2015 288. 23 BGHSt 12 374, 376; KK/Kuckein/Bartel 2d; Radtke/Hohmann/Hagemeier 1; SSW/Güntge 1. 24 OLG Oldenburg NStZ 2005 469. 25 RG JW 1928 2270; BGH bei Miebach NStZ 1988 213 (Verhalten des Angeklagten nach Urteilsverkündung); 2017 375 (nach Urteilsverkündung angefordertes schriftliches Gutachten); StraFo 2017 236; AK/ Wassermann 4; KK/Kuckein/Bartel 2d; Meyer-Goßner/Schmitt 1. 26 AK/Wassermann 4; KK/Kuckein/Bartel 2e; KMR/Stuckenberg 8; Jung JW 1927 363; Sachse GA 70 (1926) 161; Seibert MDR 1957 597; teilweise a. A. Alsberg JW 1926 2164; ders. JW 1930 2521; zur Zulässigkeit der Bekanntgabe der abweichenden Meinung vgl. die Erläuterungen zu § 43 DRiG.

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der Urteilsfassung und ihr Übereinstimmen mit dem Beratungsergebnis entscheiden die Berufsrichter mit Stimmenmehrheit.27 b) Keine Dokumentation der Hauptverhandlung. Die Urteilsgründe halten das 8 für den Urteilsspruch maßgebliche Ergebnis der Hauptverhandlung fest, so wie es aufgrund der Beratung zur Überzeugung des Gerichts feststeht,28 nicht aber deren Inbegriff.29 Sie haben die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen aufzuzeigen, auf die sich die im Wesentlichen in der Urteilsformel (§ 260) zum Ausdruck gekommene Entscheidung des Gerichts stützt, nicht aber alle Vorgänge aufzulisten, aus denen das Gericht seine Entscheidung nach § 261 gewonnen hat. Die Dokumentation von Gang und Ergebnis der Hauptverhandlung ist Aufgabe des Sitzungsprotokolls (§ 273), nicht der Urteilsgründe.30 Schweigen sie zu bestimmten Vorgängen in der Hauptverhandlung, so kann daraus allein noch nicht gefolgert werden, dass das Gericht diese Beweismittel nicht gewürdigt habe.31 Die formelhafte Aufzählung der in der Hauptverhandlung herangezogenen Beweismittel beweist insoweit nichts.32 Sie ist ebenso überflüssig wie die bloße inhaltliche Wiedergabe aller Aussagen oder Mitschnitten von Telefongesprächen, die deren Wertung im Rahmen der eigenen Beweiswürdigung nicht ersetzen kann33 und zudem vermeidbare Fehlerquellen und Anlass zu Sachrügen34 schafft. Die Pflicht zur erschöpfenden Würdigung aller Beweise (§ 261) wirkt sich jedoch insoweit auf den Inhalt der schriftlichen Urteilsgründe aus, als diese durch Erörterung der Sachargumente unter Umständen dartun müssen, dass sie beachtet wurde (Rn. 50 ff.). Gleiches gilt für die Erfüllung der Aufklärungspflicht. c) Verfahrensrechtliche Vorgänge. Verfahrensvorgänge sind im Urteil grundsätz- 9 lich nicht zu erörtern.35 Eine Ausnahme gilt dann, wenn die Entscheidung über Anträge, die in der Hauptverhandlung gestellt wurden, dem Urteil vorbehalten worden ist, wie etwa die Entscheidung über Hilfsbeweisanträge.36 Dann muss auch der Inhalt der Hilfs-

27 BGHSt 26 92, 93; vgl. LR/Stuckenberg § 275, 38 m. w. N. 28 KK/Kuckein/Bartel 1 f., 2d; KMR/Stuckenberg 9. 29 BGH NStZ 1998 51; bei Kusch NStZ 1995 20; BGHR § 267 Darstellung 1; KK/Kuckein/Bartel 2; SSW/ Güntge 1; Meyer-Goßner NStZ 1988 529, 531.

30 BGH bei Kusch NStZ 1995 20; NStZ 1997 377 Nr. 12, 13; 2007 720; NStZ-RR 2012 18; KK/Kuckein/Bartel 2; KMR/Stuckenberg 9; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/Wenske 70; Radtke/Hohmann/Hagemeier 2; SSW/ Güntge 1. 31 BGH NJW 1951 325; 1951 413; 1951 533; GA 1961 172; 1965 109; 1969 280; NStZ 2012 49, 50; OLG Hamm NJW 1970 69; MDR 1973 516; VRS 41 (1971) 123; 42 (1972) 43; OLG Koblenz VRS 46 (1974) 436; Foth DRiZ 1974 23 (Erwähnung sinnvoll, soweit das einzelne Beweismittel Gegenstand der ausdrücklichen Beweiswürdigung ist; sonst nur Gefahrenquelle für Bestand des Urteils). 32 BGH GA 1969 280; NJW 1951 533; NStZ 1985 184; 1998 51; 1998 475; 2000 48; 2000 211; NStZ-RR 1997 270; 1998 277; bei Kusch NStZ-RR 2000 293 Nr. 17; OLG Hamm NJW 1970 70; Foth DRiZ 1974 23. 33 BGH NStZ 1997 377; 1998 475; NStZ-RR 1997 290; 1998 277; 1998 474; 1999 272; 2011 386; 2013 52; bei Kusch NStZ 1995 220; 1996 326; NStZ-RR 2000 293; 2001 264; 2014 349; 2018 23; 2018 256; NJW 2012 694, 695; vgl. auch Fn. 32. 34 BGH NStZ 2000 211; NJW 2012 694, 695 m. w. N. (insoweit nicht in BGHSt 57 24); BGH 25.2.2015 – 4 StR 39/15 Rn. 3 (insoweit nicht in NStZ-RR 2015 180). 35 BGHSt 57 273, 281; BGH NJW 2009 2612, 2613; NStZ-RR 2007 244; 2018 113, 114; KK/Kuckein/Bartel 2a; KMR/Stuckenberg 10; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/Wenske 79; OK-StPO/Peglau 13; Radtke/Hohmann/ Hagemeier 2; SSW/Güntge 1. 36 LR/Becker § 244, 150 ff.

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beweisanträge im Urteil mitgeteilt werden.37 Aus § 267 ergibt sich weiterhin keine Verpflichtung des Tatrichters, die Einhaltung verfahrensrechtlicher Vorschriften in den Urteilsgründen zu dokumentieren,38 doch kann es nötig sein, in die Urteilsgründe ausdrückliche Feststellungen aufzunehmen, etwa wenn zweifelhaft ist, ob die Prozessvoraussetzungen vorliegen39 oder ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK) infolge unzulässiger Tatprovokation gegeben ist.40 Im Rahmen der Beweiswürdigung kann sich aus § 261 die Notwendigkeit ergeben, Verfahrensvorgänge näher zu schildern41 wie die verfahrensrechtlichen Umstände eines Geständnisses, etwa sein Zusammenhang mit einer Verständigung42 oder die Gründe für eine Teileinstellung43 nach § 154 Abs. 2. Zur Frage, wieweit die Erörterung der Tatsachen notwendig ist, die in der Hauptverhandlung als offenkundig oder erwiesen behandelt wurden oder deren Unterstellung als wahr zugesichert wurde, vgl. Rn. 69. 10

4. Anwendungsbereich. § 267 gilt unmittelbar für das erstinstanzliche Tatgericht, mit Modifikationen aber auch für das Berufungsgericht (Rn. 34) und für das Jugendstrafverfahren (§ 54 JGG) sowie, wenngleich mit geringeren Begründungsanforderungen,44 auch für das Bußgeldverfahren (§ 46 Abs. 1 OWiG). II. Form der Urteilsgründe 1. Stil und Darstellungsweise

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a) Sprachstil. Der Aufgabe, von der sachlichen und gedanklichen Richtigkeit, der inneren Schlüssigkeit und der Gerechtigkeit der gefällten Entscheidung zu überzeugen, werden die Urteilsgründe am besten gerecht, wenn sie die entscheidenden Überlegungen in klarer und einfacher Sprache aufzeigen. Die Verwendung von Fachausdrücken ist zulässig und oft wegen der anders nicht erzielbaren Genauigkeit des Ausdrucks geboten, solange das Urteil insgesamt verständlich bleibt;45 die Fachausdrücke gehören der deutschen Gerichtssprache (§ 184 GVG) an, auch wenn sie einer Fremdsprache entstammen.46 Stil und Wortwahl der Urteilsgründe sollen der Bedeutung des Strafurteils als eines mitunter in die Rechte eines Bürgers schwer eingreifenden staatlichen Hoheitsakts angemessen, folglich sachlich und objektiv sein. Damit verträgt sich grundsätzlich nicht, dass sie betont lustig, ironisch oder in der Form einer Satire abgefasst werden.47 37 Vgl. etwa BGHSt 2 300, 303; 52 355, 360; OLG Hamm NJW 1962 66; KK/Kuckein/Bartel 2a; LR/Becker § 244, 157 ff. 38 BGH NStZ 2001 53. 39 BGHSt 56 6, 8; NStZ-RR 2012 247, 248; OLG Hamburg MDR 1989 666; OLG Hamm GA 1986 562; KK/ Kuckein/Bartel 2a; KMR/Stuckenberg 10; Meyer-Goßner/Schmitt 1; SSW/Güntge 1; a. A. wohl MüKo/Wenske 82. 40 BGHSt 45 321, 323; BGH StV 2000 604; Rn. 83; LR/Esser26 Art. 6, 249 ff. EMRK. 41 Schaper FS Tepperwien 61 ff. 42 BGHSt 52 78, 82 ff. m. Anm. Stübinger JZ 2008 798 und Schmitz NJW 2008 1751; BGHSt 58 184, 189. 43 BGHSt 44 153, 160; BGH NStZ 2012 709; 2018 618; NStZ-RR 2016 250; StV 2001 552 f.; 2008 449 ff.; 2009 116 f. 44 Vgl. BGHSt 39 291, 300; OLG Saarbrücken ZfSch 2019 351; näher Fromm DAR 2013 665 ff. 45 OLG Hamm NStZ-RR 2010 348, 349. 46 LR/Wickern26 § 184, 3 GVG. 47 BGH bei Kusch NStZ-RR 1999 261; 2000 293 Nr. 16. Zu Urteilen in Gedichtform vgl. etwa OLG Karlsruhe NJW 1990 2009; LG Frankfurt NJW 1982 650; LG Köln NJW 1987 1421; AG München NJW 1987 1425; dazu Putzo NJW 1987 1426; Beaumont NJW 1989 372; ders. NJW 1990 1969.

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Ebenso zu vermeiden sind jegliche sprachliche Manierismen, ein literarischer oder journalistischer Stil48 ebenso umgangssprachliche Wendungen und Redensarten,49 emotionale und moralisierende50 Formulierungen, insbesondere unnötige persönliche Herabsetzungen51 von Angeklagten und Zeugen, die zudem besorgen lassen, das Gericht sei nicht unbefangen.52 Vermieden werden sollten zudem Ausführungen zu Gedanken oder Motiven von Tatbeteiligten, die den Eindruck von Zitaten und daher von Feststellungen erwecken, tatsächlich aber lediglich spekulativ sind.53 Zu einer auf den Einzelfall bezogenen, sachlichen und zugleich lebensnahen Darstellung gehört beispielsweise auch, dass die Verfahrensbeteiligten mit ihrem Namen und nicht etwa nur mit ihrer Verfahrensrolle bezeichnet werden.54 b) Art der Darstellung. Die Urteilsgründe können ihren Zweck nur dann voll erfül- 12 len, wenn sie nach sorgfältiger Sichtung des verhandelten und erwiesenen Stoffes unter Verzicht auf alle unwichtigen Einzelheiten das für die Entscheidung Wesentliche gedanklich und zeitlich gut geordnet und übersichtlich gegliedert darstellen.55 Üblicherweise werden die Urteilsgründe zum leichteren Verständnis in sachlich getrennte Abschnitte unterteilt, die als solche zwar keiner besonderen Überschrift bedürfen, die aber gedanklich und auch in der Form der Darstellung auseinander gehalten werden sollten. Bei einer Verurteilung ergeben sich fünf Hauptabschnitte, nämlich 1. die Erörterungen der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten (Rn. 85 ff.), 2. die Feststellungen zum Tathergang unter Angabe der für erwiesen erachteten äußeren und inneren Tatsachen (Rn. 35 ff.) und der nach Absatz 2 zu berücksichtigenden Umstände (Rn. 70 ff.), 3. die Darlegung der Beweiswürdigung unter Angabe der Tatsachen, die den festgestellten Tathergang tragen (Rn. 50 ff.), 4. die Angaben über das angewandte Recht (Rn. 78 ff.) und 5. die Begründung des Rechtsfolgenausspruchs (Rn. 83 ff.).56 Namentlich der erwiesene Sachhergang sollte in einer geschlossenen Darstellung57 geschildert werden und nicht vom Leser aus verstreuten Einzelfeststellungen einer umfangreichen Beweiswürdigung erschlossen werden müssen.58 Bei umfangreichen Urteilen empfiehlt es sich, eine Inhaltsübersicht voranzu- 13 stellen, die die Gliederung des Urteils nebst den Zwischenüberschriften und die entsprechenden Seitenzahlen wiedergibt.59 Bei einer größeren Zahl von Taten, vor allem bei Serientaten, ist es zur Erleichterung der Übersicht zweckmäßig, die einzelnen Taten mit eigenen Ordnungsziffern so zu kennzeichnen, dass die jeweiligen Ausführun48 49 50 51

BGH NStZ-RR 2009 103, 104. BGH NJW 2014 3382, 3384 f.; BGH 24.1.2019 – 4 StR 261/18. BGH NStZ 2006 96; BGH 14.9.2016 – 4 StR 178/16. Meyer-Goßner/Appl 240; zur Beleidigung durch Urteilsgründe OLG Oldenburg NdsRpfl. 1981 88; Köndgen JZ 1979 246; ferner BGHSt 10 298; BGH NJW 1978 824; BGHZ 70 1 = NJW 1971 824 mit Anm. Wolf; zur Zulässigkeit einer dienstaufsichtlichen Beanstandung vgl. § 26 DRiG. 52 BGH NStZ 2006 96; NStZ-RR 2009 103, 104; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Persönlichkeit 1; Appl FS Rissingvan Saan 35, 51; Radtke/Hohmann/Hagemeier 2. 53 BGH NStZ-RR 2009 103, 104. 54 Obermeyer DRiZ 1971 58; Meyer-Goßner/Appl 220 f. 55 Wegen der Einzelheiten vgl. Meyer-Goßner/Appl 197 ff., insb. auch zum Stil der Urteilsgründe 207 ff. 56 Vgl. Meyer-Goßner/Appl 231 ff.; ferner etwa AK/Wassermann 6, der die Erörterung der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten den Rechtsfolgen zuordnet. 57 BGH VRS 5 (1953) 606; BGH nach KK/Kuckein/Bartel 8; sowie Rn. 35 m. w. N. 58 BGH StV 1991 346; zur Trennung zwischen der Feststellung der erwiesenen Tatsachen und der Beweiswürdigung vgl. BGH bei Kusch NStZ 1992 225; BGHR § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 2 ff. 59 BGH NStZ-RR 2001 107; KK/Kuckein/Bartel 2b; MüKo/Wenske 56; Winkler SchlHA 2006 245 f.

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gen mühelos den einzelnen Taten eindeutig zugeordnet werden können. Dabei kann es sich empfehlen, die Nummerierung der einzelnen Taten aus der Anklage zu übernehmen oder aber, wenn das Urteil die Taten in einer anderen Abfolge wiedergibt, den Ordnungsziffern des Urteils diejenigen der Anklage in Klammern beizufügen,60 wobei eine Vermengung der Zählung in Urteil und Anklageschrift peinlichst zu vermeiden ist.61 14

c) Vordrucke, Textbausteine. Die Verwendung von Vordrucken, heute Textbausteinen, für die Urteilsbegründung ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Es muss aber für die individuelle Feststellung der Besonderheiten des Einzelfalls genügend Raum bleiben und dieser muss auch genutzt werden.62 Die Einzelfallbezogenheit der Urteilsfeststellungen muss erkennbar gewahrt sein. Daran fehlt es, wenn der Vordruck, um einer Vielzahl von Fällen gerecht zu werden, so verallgemeinernd gehalten ist, dass er die Besonderheiten des Tatgeschehens nicht mehr hinreichend kennzeichnet.63 Die von § 267 Abs. 1 Satz 1 geforderten eigenen Feststellungen des konkreten Sachverhalts dürfen nicht durch formelhafte Wendungen ersetzt werden. Ein Vordruck, der für die Feststellung aller Besonderheiten des Einzelfalls Raum lässt, wäre zwar nicht zu beanstanden, sein Rationalisierungseffekt ist aber gering. Die Übersendung des Vordrucks als Urteilsausfertigung an außenstehende Prozessbeteiligte sollte auf jeden Fall unterbleiben, da sie weder der Bedeutung des Strafurteils noch der Würde des Gerichts entspricht.

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d) Grundsätzliches Verbot von Bezugnahmen. Die Urteilsbegründung muss aus sich heraus verständlich sein und allen Erfordernissen des § 267 entsprechen und darf daher weder ganz noch teilweise durch Bezugnahmen auf andere Schriftstücke ersetzt werden,64 auch wenn sie sich in den Akten befinden oder „angesiegelt“65 sind. Auch das „Einrücken“ von Teilen der Anklageschrift in die Urteilsgründe ist als unzulässig anzusehen.66 Nur unter den Voraussetzungen des Absatzes 4 Satz 1 darf die Bezugnahme auf die dort genannten Urkunden an die Stelle der eigenen Sachverhaltsdarstellung treten. Im Übrigen genügt weder ein Hinweis auf die Anklageschrift67 noch auf den Eröffnungsbeschluss68 noch auf einen vorangegangenen Bußgeldbescheid69 noch auf die

60 61 62 63 64

BGH NStZ 1994 400; NStZ-RR 1996 336; 1999 139 (L); bei Kusch NStZ 1997 72. Winkler SchlHA 2006 245 f. BVerfG NJW 1982 29; BayObLG bei Rüth DAR 1977 207; KK/Kuckein/Bartel 7; KMR/Stuckenberg 14. OLG Frankfurt VRS 35 (1968) 375; 37 (1969) 60; MDR 1969 72; OLG Hamm JMBlNW 1980 69. BGHSt 30 225, 227; 33 59, 60; BGH NStZ 1992 49; 1994 400; NStZ-RR 1996 109; 2000 304; 2009 116; StV 1981 396; bei Pfeiffer NStZ 1981 296; bei Kusch NStZ 1992 225; KG NStZ 2015 419, 420; OLG Bremen NJW 1964 738; OLG Köln NStZ-RR 2011 348, 349; OLG Schleswig SchlHA 2005 260; KK/Kuckein/Bartel 3; KMR/Stuckenberg 13, 15; Meyer-Goßner/Schmitt 2; MüKo/Wenske 135, 142; OK-StPO/Peglau 2; Radtke/ Hohmann/Hagemeier 4; SK/Velten 12. 65 BGH NStZ 2007 478, 479; OLG Frankfurt NJW 2010 3107, 3109 mit Anm. Krumm; KK/Kuckein/Bartel 3; Meyer-Goßner/Schmitt 2. 66 BGH wistra 1999 425 f.; NStZ-RR 2011 52; StV 2011 8; OLG Köln NStZ-RR 2011 348, 349; MüKo/Wenske 133. 67 RGSt 4 382, 384; RG HRR 1927 Nr. 769; BGH NStZ 2004 493; bei Becker NStZ-RR 2003 99; BGH bei KK/Kuckein/Bartel 3; OLG Hamm StraFo 2002 132. 68 RGSt 4 382, 384; OLG Braunschweig NJW 1956 27. 69 KG DAR 1988 101, 102; VRS 127 (2014) 312, 313; OLG Bremen NStZ 1996 287; OLG Düsseldorf wistra 1990 78; OLG Hamm NZV 2003 295.

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Sitzungsniederschrift70 noch auf im Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 eingeführte Urkunden71 noch auf den Inhalt eines bei den Akten befindlichen Gutachtens72 oder auf bei den Akten befindliche Schriftstücke73 noch sonst auf den Akteninhalt.74 Unzulässig ist weiterhin die Bezugnahme auf eine bei den Akten befindliche Skizze oder ein dort befindliches Lichtbild,75 sofern sie an die Stelle der Sachverhaltsdarstellung treten sollen.76 Das gilt auch für den offenkundigen Inhalt eines allgemein zugänglichen Werkes.77 Zulässig sind nach Maßgabe des Absatzes 1 Satz 3 nur ergänzende Verweisungen wegen der Einzelheiten auf solche Abbildungen (Rn. 16 ff.). Hinweise auf Schriften in den Urteilsgründen sind grundsätzlich (zu Ausnahmen Rn. 20) für das Revisionsgericht unbeachtlich (Rn. 28 ff.). Sie gefährden den Bestand des Urteils nur dann nicht, wenn dieses unbeschadet des Hinweises selbst alle erforderlichen Feststellungen enthält und die Geschlossenheit und Lückenlosigkeit der Darstellung durch den Hinweis auch nicht in Frage gestellt wird.78 2. Bezugnahme auf Abbildungen (Absatz 1 Satz 3) a) Zweck. Zweck des in Absatz 1 nachträglich eingefügten Satzes 3 ist es, „zur Ver- 16 einfachung der schriftlichen Urteilsgründe und zur Verringerung des Schreibwerks“79 die Bezugnahme auf Abbildungen zuzulassen, die sich bei den Akten befinden. Das Prinzip, dass die Urteilsgründe aus sich selbst heraus verständlich sein müssen, wird beibehalten. Die wenn auch knappe Schilderung des wesentlichen Aussagegehalts der Abbildung bleibt erforderlich,80 nur wegen der Einzelheiten darf ergänzend auf die Abbildung verwiesen werden. Der Gesetzgeber wollte auch bei Abbildungen das Verweisungsverbot nur in „einer vorsichtigen, die Verständlichkeit der schriftlichen Urteilsgründe nicht beeinträchtigenden Form“ lockern.81 Früher musste der Inhalt einer dem Urteil nicht beigefügten Abbildung auch hinsichtlich aller entscheidungserheblichen Einzelheiten in den Urteilsgründen mit Worten umständlich beschrieben werden, obwohl die Betrachtung der bei den Akten befindlichen Abbildung einen viel exakteren

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RGRspr. 1 (1879/80) 558; BGH NStZ-RR 2000 304; BGH bei KK/Kuckein/Bartel 3. BGH NStZ-RR 2013 313, 314. OLG Bamberg DAR 2011 401, 402; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1976 171. BGH NStZ-RR 1999 139 (L); 2000 304; KG VRS 134 (2018) 142 f.; BA 54 (2017) 261; vgl. Rn. 29 ff. RGSt 62 216; BGH NStZ-RR 2012 247, 248; OLG Bamberg NJW 2008 3653; KG NStZ 2015 419, 420. BGH VRS 5 (1953) 393; OLG Braunschweig NJW 1956 72; OLG Frankfurt DAR 1957 191; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1970 200. 76 RGSt 41 22; RG Recht 1915 Nr. 278; 1918 Nr. 1646; BayObLGSt 1996 34 = JR 1997 38 mit Anm. Göhler; OLG Düsseldorf VRS 112 (2007) 43; OLG Frankfurt DAR 1957 191; OLG Jena VRS 110 (2006) 424; OLG Stuttgart DAR 1968 337; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1972 161; Eb. Schmidt 4; eingehend Janke 137 ff. 77 So aber Heiligmann NJW 1972 1961; mit Einschränkung auch W. Schmid ZStW 85 (1973) 903; vgl. LR/ Franke26 § 337, 106. 78 Vgl. BGHSt 57 53, 55; BGH NStZ-RR 1996 109; StraFo 2012 510, 511; KK/Kuckein/Bartel 3; SK/Velten 12. 79 BTDrucks. 8 976 S. 24; vgl. Rn. 25. 80 BayObLGSt 1992 150; NStZ-RR 1996 211; OLG Düsseldorf VRS 74 (1988) 449; JMBlNW 1997 263; OLG Frankfurt JZ 1974 516; OLG Jena VRS 114 (2008) 447, 451; OLG Köln NStZ 2011 476; OLG Stuttgart GA 1979 471; AK/Wassermann 9; HK/Julius/Beckemper 8; KK/Kuckein/Bartel 19; KMR/Stuckenberg 25; MeyerGoßner/Schmitt 10; MüKo/Wenske 138; OK-StPO/Peglau 9; Radtke/Hohmann/Hagemeier 6; SK/Velten 20; Rieß NJW 1978 2279; vgl. Rn. 25. 81 BTDrucks. 8 976 S. 55.

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und anschaulicheren Eindruck vermittelt. Die Anwendung von Absatz 1 Satz 3 kann auch aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes geboten sein, etwa weil es sich verbietet, Kopien pornographischer Bilder in die Urteilsgründe aufzunehmen.82 Durch die Verweisung wird die Abbildung als Ganzes so zum Bestandteil der Ur17 teilsgründe,83 als ob sie in diese aufgenommen worden wäre. Das Revisionsgericht, das bisher bei der Beurteilung einer Abbildung im Rahmen der Sachrüge ausschließlich auf den Urteilsinhalt beschränkt und an die dortigen Feststellungen gebunden war, kann die bei den Akten befindliche Abbildung aus eigener Anschauung würdigen und zumindest prüfen, ob die vom Tatrichter aus der Abbildung gezogenen Schlüsse tatsächlich möglich und rechtlich fehlerfrei sind.84 Damit werden überflüssige Aufhebungen wegen einer ungenügenden Beschreibung der Darstellung in den Urteilsgründen vermieden und dem Revisionsgericht wird eine bessere und umfassendere Überprüfung der Schlüssigkeit der tatsächlichen Urteilsgrundlagen ermöglicht.85 Die technisch mitunter schwierige Aufnahme einer Abbildung in das Urteil erübrigt sich. 18

b) Alle Arten von bildlichen Darstellungen. Alle Arten von bildlichen Darstellungen, also alle durch Gesichts- und Tastsinn in ihrem Aussagegehalt erfassbaren Gebilde,86 können durch Verweisung zum Bestandteil der Urteilsgründe gemacht werden. Der Regierungsentwurf nennt als Beispiele beleidigende oder pornographische Darstellungen oder Lichtbilder, ferner Skizzen zur Verdeutlichung einer Örtlichkeit.87 Es kommt jede Art von Abbildung in Betracht, in der der Tatbestand einer Straftat gefunden wird oder die sonst für eine zu treffende Tatsachenfeststellung von Bedeutung ist, also nicht nur gemalte oder gezeichnete Bilder oder Lichtbilder, sondern auch Lageskizzen oder Landkarten; auch sonstige, der optischen Wahrnehmung durch Augenschein zugängliche Aufzeichnungen gehören hierher, wie etwa technische Diagramme oder die graphische Darstellung einer Statistik. Format und Material des Bildträgers spielen dabei ebenso wenig eine Rolle wie die Mittel der bildlichen Gestaltung oder Gegenstand und Zweck der Darstellung oder die Frage, ob es sich um ein Original oder eine Kopie handelt. Durch die Reproduktion bedingte wesentliche Unterschiede in der Wiedergabe (z. B. schwarz-weiß statt farbig) sind in den Urteilsgründen darzulegen. Soweit sie entscheidungserhebliche Tatsachen betreffen, bedarf es unter Umständen ergänzender Feststellungen.

82 BGH NJW 2006 1890, 1891 (insoweit nicht in BGHSt 50 370); OLG Hamm 10.1.2008 – 3 Ss 550/07; KMR/Stuckenberg 25; Meyer-Goßner/Schmitt 10; MüKo/Wenske 136; OK-StPO/Peglau 10. 83 BGHSt 41 376, 382; BGH NStZ 2000 307, 309 f.; OLG Bamberg NZV 2008 469; OLG Düsseldorf VRS 93 (1997) 178, 180; 112 (2007) 43, 45; OLG Hamm VRS 95 (1998) 232, 234; 108 (2008) 27, 28; Meyer-Goßner/ Schmitt 10; Rieß NJW 1978 2270. 84 Zu den strittigen Fragen, in welchem Umfang die verwiesene Abbildung bei der revisionsrichterlichen Nachprüfung herangezogen werden kann vgl. etwa BGHSt 41 380; BayObLGSt 1992 150; Neumann GA 1988 396; LR/Franke26 § 337, 107 m. w. N. 85 BTDrucks. 8 976 S. 55; KK/Kuckein/Bartel 19; zur Problematik LR/Franke26 § 337, 107. 86 AK/Wassermann 8; HK/Julius/Beckemper 8; KK/Kuckein/Bartel 6, 19; KMR/Stuckenberg 21; MeyerGoßner/Schmitt 9; MüKo/Wenske 140; OK-StPO/Peglau 7; SK/Velten 19; enger Neumann GA 1988 396 (nur Darstellungen, die ein tatsächliches Geschehen beschreiben oder beweisen sollen, nicht Karikaturen); vgl. auch die Erläuterungen zum Begriff der Abbildung bei § 11 Abs. 3 StGB. 87 BTDrucks. 8 967 S. 55.

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Nach Ansicht des BGH88 liegt keine für die Bezugnahme geeignete Abbildung vor, 19 wenn technische Hilfsmittel notwendig sind, um sie betrachten zu können wie bei Videoaufzeichnungen,89 weil die Abbildung dann nicht unmittelbar Bestandteil der Akten geworden sei. Entsprechendes müsste dann für Abbildungen in Mikroformat, bei Diapositiven oder bei Verwendung elektronischer Datenträger90 gelten. Dem ist nicht zu folgen, denn maßgebend kann nur sein, ob das in Bezug genommene Objekt körperlich zu den Akten genommen und die beweiserhebliche Darstellung klar und eindeutig bezeichnet werden kann,91 aber nicht, ob man zur Wahrnehmung Lesebrille, Schreibtischlampe, Lupe oder Bildschirm benötigt. Das Argument, dass es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts sei, das Urteil tragende Umstände selbst herauszufinden, trägt entgegen der Auffassung des BGH92 dann nicht, wenn etwa eine Videosequenz auf dem Speichermedium präzise bezeichnet und eingegrenzt ist. Die Unzulässigkeit der Verweisung auf Schriftstücke (Rn. 29) schließt die Verwei- 20 sung auf Abbildungen nicht aus, wenn diese zu ihrer Ergänzung einen unselbständigen Text enthalten. Soweit sich seine Bedeutung darin erschöpft, das Verständnis der Abbildung zu erleichtern oder sie zu erläutern, wie etwa bei Straßennamen auf Landkarten oder Begleittexten bei Statistiken, wird er von der Bezugnahme mitumfasst. Die Grenze dürfte dort liegen, wo ein auf einer Abbildung angebrachter Vermerk nicht mehr im Wege des Augenscheins, sondern im Wege des Urkundenbeweises nach § 249 in die Hauptverhandlung eingeführt werden muss, weil sein gedanklicher Inhalt aus sich heraus verständlich ist und eine vom Inhalt der Darstellung lösbare eigene Beweisbedeutung hat.93 Keine Abbildungen im Sinne der Vorschrift, sondern Urkunden sind demnach auf Abbildungen beruhende Auswertungen wie Messprotokolle, auch wenn sie auf einem Radarfoto eingeblendet sind,94 oder Videodistanzauswertungen95 oder Fahrausweise.96 c) Bei den Akten befindlich. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Bezugnahme 21 ist, dass sich die Abbildung im Zeitpunkt der Urteilsfindung97 bei den Akten befindet und zu erwarten ist, dass sie zumindest für die Dauer des Verfahrens dort verbleibt. Nur dann ist sie – weil für Gericht und Verfahrensbeteiligte jederzeit einsehbar – geeignet, 88 BGHSt 57 53, 54 f. mit Anm. Deutscher NStZ 2012 229; Sandherr NZV 2012 143; Krumm NZV 2012 267; ferner Gercke/Wollschläger StV 2013 106, 107 f.; BGH StV 2013 73; dem folgend OLG Bamberg OLGSt § 267 Nr. 35; OLG Jena NZV 2012 144, 146; OLG Saarbrücken 11.3.2013 – Ss 88/12 (57/12); zust. MüKo/Wenske 145; so schon Janke S. 66 f.; s. a. Jahn/Brodowski FS Rengier 409, 416 f. m. w. N.; Momsen FS von HeintschelHeinegg 313, 318. 89 A. A. noch OLG Bamberg DAR 2011 401; OLG Brandenburg NStZ-RR 2010 89; OLG Dresden NZV 2009 520, 521; OLG Zweibrücken VRS 102 (2002) 102, 103; LR/Gollwitzer25 14; offenlassend BGHR § 267 Abs. 1 S. 3 Verweisung 3; OLG Brandenburg DAR 2005 635, 637; krit. OLG Schleswig SchlHA 1997 170 („nicht ohne weiteres“); s. a. Krumm NZV 2012 267, 269 f. 90 So OLG Hamm 4.2.2019 – 4 RBs 17/19. 91 KMR/Stuckenberg 22. 92 BGHSt 57 53, 55 mit Anm. Deutscher NStZ 2012 229 und Sandherr NZV 2012 143. 93 Vgl. LR/Mosbacher § 249, 8, 30; LR/Cirener/Sander § 250, 11 ff. 94 OLG Düsseldorf DAR 2016 149, 150; 2018 387, 388; OLG Hamm NStZ-RR 2009 151; 2016 121 f.; VRR 2008 43; OLG Koblenz NZV 2007 255; a. A. KG NZV 2016 293 (Verlesung unnötig, wenn Urkundeninhalt auf einen Blick erfassbar); krit. dazu OK-StPO/Peglau 9.1; zu den Anforderungen der Bezugnahme auf Messfotos s. OK-StPO/Peglau 9.2 m. w. N.; Krumm SVR 2010 321, 324. 95 OLG Brandenburg NStZ 2005 413. 96 OLG Celle NStZ 2008 118, 119. 97 OLG Zweibrücken VRS 102 (2002) 102, 103.

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das Urteil zu ergänzen. Abbildungen im Besitz anderer Behörden oder von Privatpersonen scheiden für die Verweisung ebenso aus wie Abbildungen, die zwar in allgemein zugänglichen, offenkundigen Schriften einsehbar sind,98 ohne dass jedoch ein Stück den Akten beiliegt. Auch auf ein Bild, das sich nur in den Handakten der Staatsanwaltschaft befindet, darf nicht verwiesen werden. 22 Bei den Akten befindet sich eine Abbildung nicht nur dann, wenn sie in die Hauptakten eingeheftet ist; es genügt, wenn sie rechtlich Bestandteil der Akten des betreffenden Strafverfahrens ist, auch wenn sie gesondert aufbewahrt wird.99 Es dürfte ausreichen, wenn sich die Abbildung in den Strafakten eines im Zeitpunkt des Urteils mit dem Verfahren gegen den Angeklagten verbundenen anderen Verfahrens befindet, oder in Akten, die zum Strafverfahren beigezogen worden sind,100 denn auch dann sind die Abbildungen später bei Bedarf für Gericht und Verfahrensbeteiligte greifbar. Abbildungen, die dem Gericht in einem anderen, nicht verbundenen Verfahren vorliegen, kommen dagegen für die Bezugnahme nicht in Betracht. 23 Bei Abbildungen, die nach Rechtskraft des Verfahrens an andere Personen hinausgegeben werden müssen, wie etwa von Dritten erlangte Beweismittel,101 könnte die Zulässigkeit der Bezugnahme fraglich sein. Diese Abbildungen stehen bei einer späteren Verwendung des rechtskräftigen Urteils (Strafvollstreckung, Gnadenverfahren, Wiederaufnahmeverfahren usw.) nicht mehr zur Verfügung und sind unter Umständen später auch nicht mehr beizubringen. Da die Bezugnahme das Urteil jedoch nur hinsichtlich der Einzelheiten ergänzt und seine Allgemeinverständlichkeit nicht beeinträchtigt, scheint sie auch dann noch rechtlich vertretbar, wenn die Abbildung nach Rechtskraft des Urteils aus den Akten entfernt und an eine andere Person hinausgegeben werden muss.102 Praktisch sollte späteren Schwierigkeiten allerdings dadurch vorgebeugt werden, dass in solchen Fällen ein Lichtbild oder eine Kopie der Abbildung dauerhaft zu den Hauptakten genommen wird.103 24 Eine Bezugnahme muss nach dem Sinn der Regelung unterbleiben, wenn sich die betreffende Abbildung im Zeitpunkt der Urteilsabsetzung bereits nicht mehr bei den Akten befindet oder wenn voraussehbar ist, dass sie nicht mehr greifbar sein wird, wenn sich die nächste Instanz, vor allem das Revisionsgericht, mit dem Urteil befasst. Der Umstand, dass das Urteil auf eine Abbildung Bezug genommen hat, würde für sich allein ihre Herausgabe an den Berechtigten (vgl. § 111k) nicht hindern. Schwierigkeiten für die Praxis dürften hieraus allerdings kaum entstehen, denn eine Bezugnahme kommt nur bei entscheidungserheblichen Abbildungen in Frage, also bei Bildern, die ohnehin noch für die Zwecke des Strafverfahrens benötigt werden und bei denen schon deshalb eine vorzeitige Freigabe ausscheidet. 25

d) Urteilsgründe bei Bezugnahme. Die Bezugnahme nach Absatz 1 Satz 3 soll nur die Schilderung der Einzelheiten ersetzen, nicht jedoch die für die Verständlichkeit des Urteils aus sich heraus notwendige zusammenhängende, in sich geschlossene Darstellung aller Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden wer-

98 99 100 101 102 103

Vgl. Rn. 15. Meyer-Goßner/Schmitt 10; vgl. bei § 147 und § 199. OLG Zweibrücken VRS 102 (2002) 102, 103; OK-StPO/Peglau 8; a. A. SK/Velten 18. Vgl. bei §§ 94, 98, 111k. A. A. SK/Velten 18. Vgl. MüKo/Wenske 140 a. E.

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den.104 Was hierzu notwendig ist, bestimmt sich nach den Erfordernissen einer aus sich heraus verständlichen Gesamtdarstellung sowie danach, unter welchem Gesichtspunkt die Abbildung rechtlich für die Urteilsfindung relevant ist, kann also je nach der Bedeutung der Abbildung für die Urteilsfindung unterschiedlich zu beurteilen sein. Aber auch wo ihr Inhalt als solcher den objektiven Straftatbestand erfüllt, genügt es, wenn sich das Urteil auf eine knappe Hervorhebung des Wesentlichen beschränkt. Alle Einzelheiten, etwa die Details einer beleidigenden oder pornographischen Darstellung, können auch dann durch die Verweisung ersetzt werden, wenn sie für die Urteilsfindung von Bedeutung sind.105 Im Zuge von Überwachungsmaßnahmen entstandene Beweisfotos bedürfen keiner näheren Erörterungen, wenn sie generell zur Identifizierung des Fahrers geeignet sind; bestehen aber Zweifel, muss der Richter ausführen, anhand welcher Merkmale er den Betroffenen identifiziert hat.106 e) Form der Bezugnahme. Dass zur Ergänzung der tatsächlichen Feststellungen 26 wegen der Einzelheiten auf eine bestimmte, in den Akten befindliche Abbildung verwiesen wird, muss in den Urteilsgründen deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck kommen.107 Dies braucht, obwohl zweckmäßig, nicht unbedingt mit dem Wortlaut des Gesetzes geschehen.108 Bisher wurde für nicht ausreichend gehalten, wenn die Urteilsgründe lediglich anführen, dass die betreffende Abbildung „in Augenschein“ genommen wurde.109 Soweit der BGH nun dagegen anführt, dass das Gesetz eine besondere Form der Bezugnahme nicht vorschreibe,110 ist dennoch deutlich zu machen, dass nicht nur ein Beweiserhebungsvorgang beschrieben werden soll.111 Auch wenn der Gesetzgeber dies nicht ausdrücklich fordert,112 muss die Bezugnahme das Auffinden der betreffenden Ab104 Vgl. Rn. 35 ff. Unzureichend sind daher Pauschalverweise wie „Die Videoaufzeichnung gibt das objektive Tatgeschehen wieder. Zur Darstellung der Einzelheiten wird auf die Videoaufzeichnung Bezug genommen“, OLG Brandenburg NStZ-RR 2010 89 f. 105 Fn. 82 und BGH AfP 1978 103 (keine Verpflichtung, sexualbezogene Filmszenen mit besonderer Genauigkeit zu schildern); ähnlich OLG Frankfurt JZ 1974 516; OLG Hamm OLGSt § 184 StGB 63. Die bloße Wiedergabe des Ergebnisses der Wertung genügt aber nicht: BGH NStZ-RR 2010 108; OLG Stuttgart GA 1979 471 (Nacktfilme mit pornographischem Inhalt); OLG Karlsruhe NJW 1974 2016; ferner BayObLG NJW 1972 1961. 106 BGHSt 41 376, 381 ff.; BGH NStZ-RR 2018 120, 121; KG VRS 123 (2012) 290; BayObLGSt 96 34 = JR 1997 38 mit zust. Anm. Göhler; OLG Brandenburg ZfSch 2010 527; OLG Dresden DAR 2000 279; ZfSch 2008 707; OLG Düsseldorf ZfSch 2002 256; DAR 2011 408 f.; OLG Hamm VRS 104 (2003) 368; 105 (2003) 353; NStZ-RR 2009 250; OLG Rostock VRS 108 (2005) 29; 109 (2005) 35; OLG Schleswig SchlHA 2001 138; 2003 192; 2005 261 f.; OLG Zweibrücken NZV 2018 177 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 10 m. w. N. 107 BGHSt 41 376, 382; BGH NStZ-RR 2016 178; KG VRS 131 (2016) 197, 199; OLG Jena NZV 2008 165; Meyer-Goßner/Schmitt 8; Radtke/Hohmann/Hagemeier 6. 108 OLG Celle NdsRpfl. 1987 258; OLG Hamm VRS 108 (2005) 27; AK/Wassermann 8; Meyer-Goßner/ Schmitt 8; SK/Velten 20; vgl. auch Fn. 109. 109 KG VRS 113 (2007) 300; 131 (2016) 197,199; OLG Bamberg NZV 2008 469 f.; DAR 2011 401 f.; OLG Brandenburg NStZ-RR 1998 240; OLG Hamm NStZ-RR 1998 238; VRS 92 (1997) 418; 93 (1997) 349; 106 (2004) 463; 107 (2004) 203; 112 (2007) 274; 113 (2007) 432; 23.3.2017 – 4 RVs 30/17 Rn. 5; OLG Köln NJW 2004 3274; OLG Schleswig SchlHA 2003 192; 2005 261; KMR/Stuckenberg 26; Meyer-Goßner/Schmitt 8; OK-StPO/Peglau 9; vgl. auch Fn. 108; a. A. für elektronische Speichermedien BGHSt 57 53, 55 mit Anm. Deutscher NStZ 2012 229 und Sandherr NZV 2012 143 (auch präzise Bezugnahmen sind unzulässig). 110 BGH NStZ-RR 2016 178 f.; dem folgend OLG Bamberg DAR 2017 89; OLGSt § 267 Nr. 34; OLG Hamm 23.3.2017 – 4 RVs 30/17 Rn. 4; OLG Jena VRS 132 (2017) 192, 193 ff.; dazu OK-StPO/Peglau 9.2. 111 KG VRS 131 (2016) 197, 199; OLG Hamm 23.3.2017 – 4 RVs 30/17 Rn. 6. 112 Der Entwurf des Bundesrats (BTDrucks. 8 354 S. 6) hatte eine „Bezugnahme mit Angabe der Aktenstelle“ vorgesehen.

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bildung in den Akten eindeutig ermöglichen, weshalb stets die genaue Aktenstelle anzugeben ist.113 Bei mehreren Abbildungen ähnlichen Inhalts, die nicht alle in Bezug genommen werden, bei umfangreichen Akten oder bei Bezugnahme auf eine den Beiakten einliegende Abbildung ist dies ohnehin unerlässlich. Sofern man die Verweisung auf Videoaufnahmen als zulässig ansieht, ist der Gegenstand der Bezugnahme möglichst genau anzugeben.114 27

f) Freisprechende oder einstellende Urteile. Die Bezugnahme auf Abbildungen nach Absatz 1 Satz 3 ist bei freisprechenden Urteilen im gleichen Ausmaß wie bei verurteilenden Erkenntnissen zulässig.115 Soweit diese tatsächliche Feststellungen enthalten müssen, ging der Gesetzgeber davon aus, dass Absatz 1 Satz 3 aufgrund des Gesamtzusammenhangs des § 267 ebenfalls anwendbar ist. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, die Absatz 1 Satz 3 bei Absatz 5 für entsprechend anwendbar erklärt, wurde für entbehrlich gehalten.116 Bei einstellenden Urteilen muss dann das Gleiche gelten, da insoweit an die Urteilsbegründung auch der Form nach keine strengeren Anforderungen gestellt werden können als bei verurteilenden Erkenntnissen nach § 267 Abs. 1 bis 4. 3. Keine Bezugnahme auf Tonträger und Schriftstücke

a) Keine analoge Anwendung von Absatz 1 Satz 3. Tonträger, deren Inhalt akustisch wahrnehmbar ist, fallen nicht unter den Begriff der Abbildung. Bei ihnen wäre die Möglichkeit einer Bezugnahme genauso sinnvoll und zweckmäßig wie bei Abbildungen. Die analoge Anwendung des Absatzes 1 Satz 3 auf Tonträger läge deshalb nahe. Gegen sie spricht jedoch derzeit, dass der Gesetzgeber die Ausnahmeregelung für Abbildungen bewusst eng gefasst und die Zulässigkeit der Bezugnahme auf Schriftstücke ausdrücklich abgelehnt hat.117 Schriftstücke dürfen nicht durch Verweisung zum Bestandteil der Urteilsgründe 29 gemacht werden, auch wenn sie umfangreich118 sind. Der Gesetzgeber hat dies in Übereinstimmung mit dem Regierungsentwurf entgegen dem Vorschlag des Bundesrates abgelehnt, weil er eine solche Regelung wegen praktischer Schwierigkeiten und der nur geringen Arbeitsentlastung nicht für sachgerecht hielt.119 Der Regierungsentwurf hatte darauf hingewiesen, dass die wörtliche Aufnahme von Schriftstücken in die Urteilsgründe wegen der Möglichkeit, Abdrucke in die Urteilsgründe einzufügen, weder Richter noch Kanzleien wesentlich belaste; wo dies nicht notwendig sei, würde der Zwang, neben der Verweisung noch den wesentlichen Inhalt der Urkunde in eigenen Worten zusammenzufassen, eher zu einer Mehrarbeit führen und außerdem die Gefahr von Unklar-

28

113 KG NJ 2016 393, 394; OLG Bamberg DAR 2017 89, 90; OLG Düsseldorf DAR 2018 387, 388; OLG Jena VRS 132 (2017) 192, 194; MüKo/Wenske 137; vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2009 322 (Verweis auf „die Lichtbilder“ zulässig, wenn Verwechslungen ausgeschlossen und Feststellungen eindeutig sind) und OLG Düsseldorf DAR 2019 215 mit Bespr. Straub 231 (keine Bezugnahme, wenn Gericht sich nur der Bewertung von Messfotos durch den Sachverständigen anschließt). 114 OLG Brandenburg DAR 2005 635 hält daher eine Bezugnahme auf die ganze Aufzeichnung für unzulässig; a. A. OLG Dresden NZV 2009 520 f.; OLG Zweibrücken VRS 102 (2002) 102, 103; offen lassend OLG Hamm VRR 2010 232 f. 115 Vgl. BGH NStZ 1991 596; Meyer-Goßner/Schmitt 8. 116 BTDrucks. 8 976 S. 55. 117 Paeffgen FS II Peters 83; für die Ausdehnung de lege ferenda AK/Wassermann 6. 118 OLG Hamm NStZ-RR 2002 147. 119 RAussch. BTDrucks. 8 1844 S. 32.

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heiten und Widersprüchen in den Urteilsfeststellungen in sich bergen.120 Bei dem erklärten gegenteiligen Willen des Gesetzgebers ist für eine analoge Anwendung des Absatzes 1 Satz 3 auf Schriftstücke kein Raum. b) Urteilsgründe bei entscheidungserheblichen Schriften. Ergeben sich die 30 Merkmale einer Straftat aus einem Schriftstück, etwa einem Brief oder einem Zeitungsaufsatz oder einer anderen Druckschrift, so muss der für die Entscheidung bedeutsame wesentliche Inhalt des Schriftstücks in die Urteilsgründe aufgenommen werden. Diese müssen in sich verständlich sein, eine Verweisung auf das in den Akten enthaltene Schriftstück reicht nicht aus.121 Zulässig ist es jedoch, eine ganze Schrift dem Urteil beizuheften, so dass sie dessen Bestandteil wird,122 sowie bei mehreren gleichen oder ähnlichen Schriftstücken oder Tonträgern den Inhalt eines Exemplars mitzuteilen und bzgl. der übrigen darauf zu verweisen.123 Soweit es auf den Wortlaut ankommt, muss dieser in seinen für die Strafrechtsanwendung wesentlichen Sätzen wiedergegeben werden.124 Entsprechendes gilt für den Kontext etwa einer beleidigenden Äußerung.125 Auch die Berechnungsgrundlagen für die Höhe einer hinterzogenen Abgabe und für den Wertersatz müssen in den Urteilsgründen enthalten sein; auch insoweit dürfen sich diese nicht auf Einzelheiten in den Akten beziehen.126 Zulässig ist dagegen, derartige Berechnungen und Aufstellungen in einer dem Urteil als Bestandteil beigefügten Anlage aufzunehmen.127 Wird entgegen dem zuvor besprochenen Erfordernis im Urteil auf ein den strafbaren Tatbestand erfüllendes Schriftstück ohne ausreichende Wiedergabe seines Inhalts verwiesen, so fehlt die von § 267 geforderte Urteilsbegründung;128 der Bestand des Urteils ist nur dann nicht gefährdet, wenn seine sonstigen Feststellungen ausreichen, um die Verurteilung zweifelsfrei zu tragen. c) Urteilsgründe bei Tonträgern. Erfüllt der Inhalt eines Tonträgers (Text und Mu- 31 sik) den Tatbestand einer strafbaren Handlung, dann müssen die Urteilsgründe den wesentlichen Inhalt der Aufnahme wiedergeben; unter Umständen muss auch die musikalische Untermalung in ihrer Eigenart geschildert werden, soweit dies für die strafrechtliche Würdigung von Bedeutung sein kann.129 4. Bezugnahme auf Urteile a) Urteile in anderer Sache. Auf Urteile, die in einer anderen Sache ergangen sind, 32 darf nicht verwiesen werden, um die vom Gericht selbst zu treffenden tatsächlichen Feststellungen zu ersetzen oder um selbständige Formulierungen zu ersparen. Dabei ist es gleich, ob diese Urteile gegen den Angeklagten oder eine andere Person ergangen

120 BTDrucks. 8 967 S. 55. 121 RGSt 53 258; 62 216; 66 8; RG JW 1929 1051; 1931 1571; HRR 1939 Nr. 548; 1009; BGHSt 11 29, 31; 17 389; 23 78; BayObLG NJW 1972 1961; OLG Braunschweig NJW 1956 72; OLG Hamm NStZ-RR 2002 147 f.; KK/Kuckein/Bartel 3; KMR/Stuckenberg 17; Eb. Schmidt 4; Hanack JZ 1972 488. 122 RGSt 53 257, 258; BGH NStZ 1987 374, 375. 123 RG JW 1929 2739 m. Anm. Werthauer. 124 BayObLG NJW 1972 1961 mit abl. Anm. Heiligmann. 125 Vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 2006 206. 126 RG HRR 1938 Nr. 637. 127 BGH NStZ 1987 374; Meyer-Goßner/Schmitt 2; SK/Velten 12. 128 RGSt 66 4; RG DRiZ 1927 Nr. 841; BGH LM § 352 Nr. 4; vgl. LR/Franke26 § 337, 136. 129 OLG Köln GA 1968 344; vgl. auch BGHSt 23 78.

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sind.130 Auch bei der Bildung einer Gesamtstrafe nach § 55 StGB darf der Tatrichter nicht auf die Strafzumessungsgründe in dem einbezogenen Urteil Bezug nehmen, sondern muss die Strafzumessungserwägungen in dem neuen Urteil wiedergeben, um dem Revisionsgericht eine vollständige Überprüfung der Bildung der Gesamtstrafe, insbesondere der in Bezug genommenen Strafzumessungserwägungen, zu ermöglichen.131 33

b) Urteile in gleicher Sache. Bei Urteilen, die in der gleichen Sache ergangen sind, ist zu unterscheiden: Sind tatsächliche Feststellungen in früheren Urteilen für das weitere Verfahren bindend geworden, etwa weil ein Rechtsmittel wirksam beschränkt oder die Sache nur zum Teil zur neuen Entscheidung zurückverwiesen wurde, darf hierauf verwiesen werden,132 jedoch ist eine Wiederholung oder Bezugnahme nicht erforderlich.133 Insoweit ist das Gericht zu eigenen Feststellungen nicht befugt, die bindend gewordenen Teile der früheren Entscheidungen sind Bestandteil der aus mehreren sich ergänzenden Urteilen zusammengesetzten (einheitlichen) Gesamtentscheidung.134 Unzulässig ist dagegen die Bezugnahme auf frühere Urteile oder Urteilsteile, die samt den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben wurden, so die Bezugnahme auf ein aufgehobenes eigenes Urteil135 oder auf ein Revisionsurteil, das ein früheres Urteil samt Feststellungen aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen hatte.136 Die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten müssen grundsätzlich nach jeder den Rechtsfolgenausspruch betreffenden Aufhebung im neuen Urteil neu festgestellt werden; soweit sie für die zu treffende Entscheidung relevant sind, scheidet die Verweisung auf die Ausführungen in einem früheren Urteil aus.137 Auch bei Begründung der Strafe und der sonstigen Rechtsfolgen, die dem neu erkennenden Gericht eigene Erwägungen und Abwägungen abverlangt, dürfen die Ausführungen aus einem früheren Urteil nicht einfach durch Bezugnahme übernommen werden.138 Dies gilt auch, wenn das neu er-

130 RGSt 4 367; 30 143; RG GA 51 (1904) 394; 69 92; JW 1923 395; 1932 404; 1934 44; BGH NJW 1951 413; NStZ-RR 2007 22; BayObLGSt 1959 71; OLG Köln MDR 1954 413; Fuhrmann JR 1962 81; AK/Wassermann 7; KK/Kuckein/Bartel 4; KMR/Stuckenberg 16; Meyer-Goßner/Schmitt 2; MüKo/Wenske 150; Radtke/Hohmann/Hagemeier 5; SK/Velten 14; vgl. auch BGH NStZ 1992 49 (nur Verweisung wegen Einzelheiten). 131 BGH NStZ-RR 2009 277; BGH 14.2.2017 – 4 StR 628/16. 132 BGHSt 24 274; 30 225; 33 59; BGH NJW 1982 589; 1985 638; Fuhrmann JR 1962 81; KK/Kuckein/ Bartel 4; KMR/Stuckenberg 16; Meyer-Goßner/Schmitt § 354, 46. 133 BGH NStZ-RR 2001 202; NStZ 2002 260. 134 BGHSt 30 225; BGH NJW 1985 638; vgl. aber BayObLG bei Rüth DAR 1983 253 (zum Umfang der Bezugnahme bei Rechtsmittelbeschränkung auf Rechtsfolgenausspruch). 135 RG JW 1934 44; 1938 1814 mit Anm. Klee; HRR 1942 Nr. 746; BGHSt 24 274; BGH JR 1956 307; NJW 1977 1247; NStZ 2017 108; NStZ-RR 2013 22; 2017 385, 386; StV 1982 105; 1991 503; StraFo 2004 211; 2011 97; wistra 2012 356; BGH bei Holtz MDR 1978 460; bei Martin DAR 1975 121; bei Pfeiffer NStZ 1982 196; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 18; bei Miebach/Kusch NStZ 1991 122; bei Spiegel DAR 1985 193; BayObLGSt 1959 71; OLG Bremen NJW 1964 738; a. A. RG JW 1938 513; OLG Saarbrücken NJW 1960 590. BGHSt 30 225 lässt offen, ob dies auch uneingeschränkt gilt, wenn das erkennende Gericht dieselben Feststellungen erneut in eigener Verantwortung getroffen hat; vgl. Fn. 142. 136 RG JW 1938 1814 mit Anm. Klee; BGHSt 24 275; BGH JR 1956 307; NJW 1977 1247; LM § 253 Nr. 4. 137 BGH NJW 1977 1247; NStZ 1985 309; 1992 49; 2017 108; NStZ-RR 2002 99; 2016 25; 2017 385, 386; StV 1981 115; 2015 557;VRS 50 (1976) 342; bei Holtz MDR 1978 460; bei Pfeiffer NStZ 1981 296; bei Pfeiffer/ Miebach NStZ 1983 213; 358; 1984 18; NStZ 1985 207; 1987 220; bei Miebach NStZ 1989 15; bei Miebach/ Kusch NStZ 1991 121; bei Kusch NStZ 1992 29; 1994 25; bei Becker NStZ-RR 2005 66; bei Spiegel DAR 1985 193; BGHR § 267 Abs. 1 Satz 1 Bezugnahme 3; Appl FS Rissing-van Saan 35, 42. 138 BGH StV 1982 105; 1989 5; NStZ-RR 2005 260; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1986 208 Nr. 15; bei Becker NStZ-RR 2003 5; vgl. auch Fn. 139.

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kennende Gericht die gleichen Feststellungen wie im früheren Urteil treffen will.139 Mit dem Ausschluss der Verweisung soll in diesen Fällen nicht nur die Urteilsklarheit, sondern auch die Pflicht zu eigenständiger Würdigung und Feststellung gesichert werden.140 Deshalb kann auch in der wörtlichen Wiederholung der Feststellungen eines aufgehobenen Urteils eine unzulässige Bezugnahme liegen.141 Stimmen einige Absätze des neuen Urteils wörtlich mit dem aufgehobenen Urteil überein, so bedeutet das noch nicht, dass das Gericht seine Überzeugung nicht aus der neuen Hauptverhandlung gewonnen habe.142 Hat die neue Verhandlung die Richtigkeit der Feststellungen des aufgehobenen Urteils ergeben, soll aber eine wörtliche Übernahme zulässig sein.143 c) Ausnahme für Berufungsurteile. Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung le- 34 diglich für Berufungsurteile, in denen auf das gegen den Beschwerdeführer ergangene Urteil der ersten Instanz Bezug genommen wird. Voraussetzung für eine solche Bezugnahme ist aber, dass das Berufungsgericht zu denselben Feststellungen gelangt und dass genau und zweifelsfrei angegeben ist, in welchem Umfang das Berufungsgericht die tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen übernimmt.144 Die Gesamtdarstellung darf dadurch in keinem Stück unsicher oder unklar oder der Umfang der Verweisung zweifelhaft werden.145 Es muss erkennbar sein, dass das Berufungsgericht seiner Pflicht zu eigenen Feststellungen und zur eigenen Beweiswürdigung voll nachgekommen ist.146 Unzulässig sind daher in der Regel Pauschalverweisungen147 und die komplette Übernahme der amtsgerichtlichen Gründe.148 Gleiches gilt für Bezugnahmen „soweit sich nicht aus dem Folgenden Abweichendes ergibt“ oder „im Wesentlichen“, denn das Berufungsgericht darf es nicht dem Leser überlassen, die Abweichungen durch einen Vergleich beider Urteile zu ermitteln.149 Eine Bezugnahme auf Teile des Ersturteils wird mit Recht auch dann als unzulässig angesehen, wenn nicht gesichert erscheint, dass die Pflicht zu eigenen Feststellungen voll beachtet wurde, etwa, wenn auf die Gründe des Ersturteils verwiesen wurde, obwohl das Berufungsurteil auf einer anderen Beweis139 BGH NJW 1977 1247; StV 1991 503; NStZ 2000 441; NStZ-RR 2002 99; bei Holtz MDR 1978 460; bei KK/Kuckein/Bartel 4; OLG Schleswig SchlHA 2005 260.

140 Fuhrmann JR 1962 81; KK/Kuckein/Bartel 4; KMR/Stuckenberg 16. 141 BGH StV 1982 105; OLG Stuttgart NJW 1982 897; vgl. BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 213 (Feststellungen, die nahezu wörtlich mit denen des aufgehobenen Urteils übereinstimmen). Es ist aber immer nach den Besonderheiten des Einzelfalls zu beurteilen, ob die Eigenständigkeit der Feststellungen gesichert ist, so BGHR § 267 Abs. 1 Satz 1 Bezugnahme 3. 142 BGH bei Dallinger MDR 1957 653; KK/Kuckein/Bartel 4. 143 BGH NStZ-RR 2009 91; 2009 148 f.; 2012 272; 2016 25 (identische Einlassung des Angeklagten); LR/ Franke26 § 354, 81 m. w. N.; Meyer-Goßner/Schmitt § 354, 46. 144 Vgl. BVerfG NJW 2004 209, 210; OLG Hamm NStZ-RR 1997 369; StV 2009 403; OLG Schleswig SchlHA 2005 260; OLG Stuttgart NStZ-RR 2003 83; KK/Kuckein/Bartel 5; KMR/Stuckenberg 18; MeyerGoßner/Schmitt 2a (genaue Angabe der in Bezug genommenen Urteilsstellen nach Seite, Absatz und Zeile); MüKo/Wenske 533 ff.; Radtke/Hohmann/Hagemeier 5. 145 BGHSt 33 59; OLG Hamm VRS 94 (1993) 117; StV 2009 403; OLG Köln StV 2018 801, 802. 146 BGH StV 1989 5OLG Köln StV 2018 801, 802; OLG Stuttgart StV 1991 340; NStZ-RR 2003 83; KMR/ Stuckenberg 19. 147 KG StV 2015 703; OLG Stuttgart Justiz 1979 270, 271; OLG Schleswig SchlHA 2000 130; KMR/Stuckenberg 18; SK/Velten 16 (generelles Verweisungsverbot); vgl. Fn. 149. 148 OLG Köln StV 2018 801 f. 149 RGSt 59 78; 59 427; 66 8; RG JW 1931 212; OLG Hamm NJW 1952 77; JMBlNW 1980 71; OLG Karlsruhe Justiz 1974 98; OLG Koblenz GA 1977 248; VRS 53 (1977) 186; OLG Köln VRS 7 (1954) 219; MDR 1954 566; OLG Neustadt VRS 23 (1962) 40; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1954 35; OLG Saarbrücken NJW 1960 590; OLG Stuttgart GA 1968 285; Justiz 1973 332; 1979 271; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1975 191;

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grundlage ergangen ist,150 oder wenn trotz Änderung des Schuldspruchs (Beihilfe statt Mittäterschaft) auf die „zutreffenden“ Strafzumessungsgründe des Ersturteils Bezug genommen wurde.151 Bei einer auf den Strafausspruch beschränkten Berufung bedarf es keiner Bezugnahme auf den rechtskräftigen Schuldspruch.152 III. Feststellungen zum Tathergang 1. Merkmale der Straftat 35

a) Aus sich selbst heraus verständliche Darstellung. Die Urteilsgründe müssen in einer geschlossenen, aus sich selbst heraus verständlichen Darstellung (Rn. 12) die für erwiesen erachteten konkreten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. In der Schilderung des vom Gericht für erwiesen erachteten Sachverhalts müssen alle Merkmale der Straftat, jedoch aufgelöst in bestimmte Tatsachen,153 wiederkehren. Eine Feststellung, die nur die Worte des Gesetzes wiederholt154 oder mit einem gleichbedeutenden Wort oder einer allgemeinen, formelhaften Redewendung155 umschreibt, reicht nicht aus. Umgekehrt sind Nacherzählungen des Ablaufs der Ermittlungen oder des Gangs der Hauptverhandlung ebenso verfehlt, denn die Urteilsgründe beschränken sich auf die wesentlichen, d. h. die Entscheidung tragenden Feststellungen.156 Die abstrakten Tatbestandsmerkmale müssen in einzelne, konkrete Tatsachen des für erwiesen erachteten Lebensvorgangs aufgelöst werden, wobei bei normativen Merkmalen zusätzlich zu den rein deskriptiven Tatsachen auch deren Wertung mitzuteilen ist.157 Die Darstellung muss so eingehend und klar sein, dass das Revisionsgericht nachprüfen kann, ob das Strafgesetz mit Recht auf das nachgewiesene Ereignis angewendet worden ist.158 Die tatrichterliche Subsumtion muss zu erkennen sein, mithin, welche der festgestellten Tatsachen den einzelnen objektiven und Fuhrmann JR 1962 81; Lichti DRiZ 1952 152; Seibert JR 1952 77; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1970 200 hält es für zulässig, wenn auf bestimmte Seiten des Ersturteils „soweit rot eingeklammert“ Bezug genommen wird. Für das Revisionsgericht mag damit zwar der Umfang der Bezugnahme genau erkennbar sein, für die anderen Prozessbeteiligten ist er aber ohne Akteneinsicht nicht feststellbar. 150 OLG Hamm JMBlNW 1970 145; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1954 95. 151 OLG Köln MDR 1979 865; auch OLG Jena NStZ-RR 1998 119, 120; OLG München wistra 2006 160; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1985 133; KMR/Stuckenberg 19; Meyer-Goßner/Schmitt 2a; OKStPO/Peglau 3; vgl. Rn. 94; s. a. OLG München StraFo 2009 290. 152 BGH NStZ-RR 2001 202; OLG Hamm VRS 102 (2002) 206; Meyer-Goßner/Schmitt 2a; OK-StPO/Peglau 4. 153 Dazu LR/Franke26 § 337, 106; ferner etwa BGH NStZ 1992 49; 2000 607; StV 1984 64; BGHR § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 2, 3; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 213; OGHSt 1 87; BayObLGSt 1949/ 51 546. BGH NStZ 1982 79 lässt ausnahmsweise die bloße Angabe der Tatbestandsmerkmale genügen, da die Gesamtheit der Urteilsgründe mit der erforderlichen Sicherheit ergab, dass die zugrunde liegenden Tatsachen einwandfrei festgestellt waren. 154 BGH NStZ 2000 607; NStZ-RR 2011 245; Meyer-Goßner/Schmitt 5; SSW/Güntge 14. 155 BGH NStZ-RR 2010 108 („Pornofilm“); NStZ 2017 644, 646; OLG Köln NStZ 2011 476; Meyer-Goßner/ Schmitt 5. 156 BGH AnwBl. 2016 773; NStZ 2007 720; 2020 102; NStZ-RR 2009 183; 2018 256; vgl. Rn. 12. 157 Vgl. dazu LR/Franke26 § 337, 85 ff. m. w. N.; SK/Velten 24; ferner OLG Düsseldorf JR 1985 157 mit Anm. Lampe und Rn. 25. 158 RGSt 2 419; 3 201; 71 25; RGRspr. 1 (1879/80) 558; 2 (1880) 112; 3 (1881) 636; 4 (1882) 281; OGHSt 1 117; 1 148; BGH NStZ 2000 607; 2020 102; BayObLGSt 1949/51 546; 1952 40; OLG Hamm VRS 43 (1972) 448; KG DAR 1962 56; OLG Koblenz VRS 45 (1973) 210; 47 (1974) 265; 51 (1976) 106; Fuhrmann JR 1962 81; Meyer-Goßner NStZ 1988 529, 531; Seibert NJW 1960 1285.

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subjektiven Tatbestandsmerkmalen zuzuordnen sind und sie ausfüllen können.159 Nach dem Zweck der Urteilsgründe (Rn. 4) darf die geschlossene Darstellung grundsätzlich nicht durch verstreute Feststellungen, vor allem in der Beweiswürdigung, ersetzt werden; denn dann besteht weder die erforderliche Sicherheit, dass alle die Entscheidung tragenden Umstände auch Eingang in die Urteilsgründe gefunden haben, noch ist das Revisionsgericht gehalten, sich die tatsächlichen Feststellungen zusammenzusuchen.160 Die zusammenhängende, zeitlich und gedanklich geordnete Darstellung des 36 Sachverhalts zur äußeren und inneren Tatseite, von dem das Gericht bei der rechtlichen Beurteilung ausgeht, hat keinen verfahrensrechtlichen Selbstzweck in dem Sinne, dass eine sie missachtende Urteilsbegründung bei entsprechender Revisionsrüge stets zur Aufhebung des Urteils führen müsste. Die verfahrensrechtliche Forderung steht vielmehr im Dienste der richtigen Anwendung des sachlichen Rechts. Die Forderung einer in sich geschlossenen Darstellung der für erwiesen erachteten Tatsachen bezweckt, den festgestellten Sachverhalt als Grundlage für die Anwendung des materiellen Rechts eindeutig und nachvollziehbar aufzuzeigen. Da alle Urteilsgründe eine Einheit bilden und deshalb alle als solche erkennbaren tatsächlichen Feststellungen unabhängig von ihrem Standort im Urteil zu berücksichtigen sind,161 wird zwar der Bestand des Urteils nicht schon durch das Fehlen einer geordneten zusammenhängenden Sachdarstellung gefährdet, wohl aber dann, wenn wegen dieses Mangels unklar bleibt, welche Tatsachen das Gericht aufgrund der Hauptverhandlung für erwiesen hält und welchen Sachverhalt es seiner rechtlichen Beurteilung eigentlich zugrunde gelegt hat.162 In sich widersprüchliche, unklare oder unvollständige Feststellungen können dem Revisionsgericht die Nachprüfung der richtigen Anwendung des sachlichen Rechts unmöglich machen.163 Fehlen zwingend vorgeschriebene Urteilsgründe, so können sie durch einen Berichtigungsbeschluss nicht rechtswirksam nachgeschoben werden.164 b) Äußere Tatseite. Die für erwiesen erachteten äußeren Tatsachen müssen sich 37 vollständig aus dem möglichst in gedrängter Kürze darzustellenden, für erwiesen erachteten Sachverhalt ergeben.165 Alle den angewandten Tatbestand tragenden Tatsachen sind konkret anzuführen (Rn. 35), abstrakte Begriffe oder vage allgemeine Umschreibungen ohne Angabe bestimmter, genau umrissener Lebensvorgänge reichen dafür nicht aus.166 Ort und Zeit der Tat sind möglichst genau festzustellen. Sie sind anzuführen,

159 BGHR § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 13; BGH StraFo 2005 214; NStZ 2018 341; NStZ-RR 2008 83; 2016 12, 13; 2017 123; KK/Kuckein/Bartel 8; Meyer-Goßner/Appl 281 ff., 287. 160 BGH StV 1991 346; BGH nach KK/Kuckein/Bartel 8; vgl. auch BGH VRS 5 (1953) 606; StV 1984 213; LR/Franke26 § 337, 94. 161 BGHR § 267 Abs. 1 Satz 1 Feststellungen 1; BGH AfP 1978 103; BGH bei Cierniak/Zimmermann NStZRR 2011 231 Nr. 73; BayObLGSt 1989 4 = VRS 76 (1989) 446; KK/Kuckein/Bartel 8; KMR/Stuckenberg 28; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Wenske 89; OK-StPO/Peglau 12; Bedenken hiergegen bei HK/Julius/Beckemper 9. 162 OGHSt 2 270; BGH NStZ-RR 2017 123; BGH bei Cierniak/Zimmermann NStZ-RR 2011 231 Nr. 73; BGH 5.12.2008 – 2 StR 424/08; OLG Oldenburg NJW 1962 693 (geschlossene Darstellung nicht zwingend; „soll“). 163 RG HRR 1937 Nr. 541; OGHSt 1 146; 2 269; BGHSt 7 77; w. Nachw. in Fn. 153, 158; LR/Franke26 § 337, 124, 127 f. 164 RG HRR 1939 Nr. 1010; vgl. LR/Stuckenberg § 268, 44 ff. m. w. N. 165 BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 213 Nr. 30; 1986 208; bei Miebach NStZ 1989 15 Nr. 6; bei Becker NStZ-RR 2003 4; OLG Düsseldorf JZ 1991 10; StV 1994 545. 166 BGH NStZ 1986 275; 1994 352; NStZ-RR 2008 83; 2010 108; Meyer-Goßner/Schmitt 5.

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wenn dies zu einer ausreichenden Individualisierung der Tat notwendig ist,167 denn die konkret abgeurteilte Tat, ihre Reichweite und ihr Schuldumfang müssen eindeutig und zweifelsfrei feststehen. Gleiches gilt für die Namen der Beteiligten und Verletzten, soweit diese feststellbar sind.168 Bei Blankettgesetzen sind sowohl der Tatbestand der Blankettbestimmung als auch die jeweils blankettausfüllenden Normen durch ausreichende tatsächliche Feststellungen zu belegen. 38 Allgemein bekannte und verständliche Rechtsbegriffe wie Kauf und Verkauf können verwendet werden, ohne dass es ihrer Auflösung in die zugrundeliegenden tatsächlichen Vorgänge bedarf. Im Einzelfall kann dies jedoch zum Verständnis des Geschehens notwendig sein. Kompliziertere oder in ihrem tatsächlichen Gehalt nicht eindeutig festliegende Rechtsbegriffe müssen durch Feststellung der ihnen zugrunde liegenden Tatsachen im Urteil belegt werden.169 Eine formelhafte Wiederholung des Gesetzeswortlauts genügt nicht.170 Bei Verkehrsstrafsachen muss der gesamte Verkehrsvorgang dargestellt werden 39 mit Angaben von Ort und Zeit171 und allen Tatsachen, die den Verkehrsverstoß und die daraus entstandenen Folgen kennzeichnen.172 Dies gilt auch bei Ordnungswidrigkeiten.173 Bei Betäubungsmitteldelikten muss der Tatrichter Feststellungen zur Qualität und zum Wirkstoffgehalt des gehandelten Rauschgifts treffen, ansonsten ließe er einen für die Bestimmung des Schuldumfangs wesentlichen Umstand außer Acht;174 das gilt

167 BGHSt 22 90, 92, dazu Hanack JZ 1972 488; BGH StV 2010 61; KG JW 1927 925; OLG Hamm NJW 1962 66; OLG Koblenz VRS 51 (1976) 41; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1975 191; Schäfer JR 1988 476; vgl. Rn. 41 und LR/Stuckenberg § 264, 97 f. 168 BGH NStZ 1992 602 mit Anm. Molketin; BGH bei Holtz MDR 1985 81; KK/Kuckein/Bartel 9; MüKo/ Wenske 91; OK-StPO/Peglau 19; Radtke/Hohmann/Hagemeier 11; SK/Velten 29. 169 Wie etwa bei Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte alle Umstände einschließlich des Dienstgrades des Beamten, aus denen sich die Rechtmäßigkeit seines Handelns ergibt (OLG Schleswig StV 1983 204) oder der Inhalt einer pornographischen Schrift (BayObLG NJW 1972 1691; OLG Düsseldorf JR 1985 157 mit Anm. Lampe; OLG Stuttgart GA 1979 471; dazu Rn. 30), das Vorliegen einer Pfändung (BayObLGSt 1951 439), das Bestehen einer Unterhaltspflicht (OLG Köln NJW 1958 720), die Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft (OLG Zweibrücken NStZ-RR 2001 56) oder bei Verstößen gegen das Wohnungsbindungsgesetz die überhöhte Mietforderung (OLG Köln MDR 1971 1030). Weitere Beispiele: Vermögensschaden (BGH NStZ-RR 2016 12, 13), Fußgängerüberweg (BGH DAR 2015 702, 703); vgl. ferner LR/Franke26 § 337, 115. 170 OGHSt 1 87 (gemeinschaftlich); OLG Braunschweig NJW 1954 363 (zum öffentlichen Interesse); OLG Köln MDR 1971 1030; s. a. Fn. 155. 171 Vgl. Rn. 37; nur in Ausnahmefällen stellt eine fehlende oder falsche Angabe der Tatzeit die Identität der Tat nicht in Frage; vgl. § 264, 98 m. w. N. 172 Etwa die Unübersichtlichkeit einer Straße (BayObLGSt 1951 546; DAR 1962 272; KG VRS 11 (1956) 71; 30 (1966) 383; OLG Hamm VRS 38 (1970) 50; 51 (1976) 449; OLG Koblenz VRS 53 (1977) 360); die Umstände, aus denen sich die Vorfahrt ergibt (OLG Koblenz VRS 64 (1983) 297; OLG Schleswig SchlHA 1960 148) oder die überhöhte Geschwindigkeit (BGH VRS 38 (1970) 432; OLG Hamm VRS 51 (1976) 448; OLG Koblenz VRS 50 (1976) 289; 53 (1977) 360; OLG Stuttgart DAR 1963 335; OLG Schleswig bei Ernesti/ Jürgensen SchlHA 1979 205; vgl. aber auch KG VRS 33 (1967) 55; OLG Köln VRS 26 (1964) 223). Für weitere Beispiele vgl. etwa BayObLGSt 1952 40; NJW 1968 313; OLG Hamm VRS 48 (1975) 377; OLG Koblenz VRS 61 (1981) 437; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1976 271; LR/Franke26 § 337, 115. 173 OLG Hamm VRS 59 (1980) 271; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1985 132 (Rotlichtverstoß); Doller DRiZ 1981 209. 174 BGH NStZ 2008 471; StV 2006 184; 2008 451 f.; 2017 293; BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 18 und 19 m. w. N.; OLG Köln StV 1999 440; zu Schätzungen BGH NStZ-RR 2015 77.

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auch für verständigungsbasierte Urteile.175 War Rauschgift auch für den Eigenverbrauch bestimmt, darf dessen Mengenanteil nicht offen bleiben.176 Bei Verurteilungen wegen Betruges oder Untreue muss die Schadenshöhe angege- 40 ben werden.177 Bei Abgabenverkürzung müssen die Tatsachen, aus denen sich der verkürzte Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach ergibt, in der Regel für jede Steuerart und jeden Steuerabschnitt im Urteil aufgezeigt werden, um die Berechnung der verkürzten Steuern nachprüfbar zu machen.178 Wird der Mindestumfang der hinterzogenen Steuer durch Schätzung ermittelt, müssen deren auf eigenen Feststellungen des Gerichts beruhende tatsächliche Grundlagen in den Urteilsgründen nachvollziehbar festgestellt werden,179 eine Bezugnahme auf die Feststellungen der Finanzbehörden genügt nicht,180 wohl aber das Geständnis einer sachkundigen Angeklagten.181 Ein freisprechendes Urteil muss Erörterungen zum Inhalt der abgegebenen Steuererklärungen und zu den von den Finanzbehörden festgesetzten Steuern enthalten.182 Bei einer Verurteilung wegen Verletzung der Unterhaltspflicht sind die Einkommensverhältnisse des Angeklagten, seine anderweitigen Verpflichtungen sowie die ihm danach möglichen Leistungen zahlenmäßig darzulegen.183 Bei mehreren Tatbeteiligten muss für jeden Angeklagten festgestellt werden, wor- 41 in sein Tatbeitrag genau besteht.184 Wird ein Angeklagter wegen mehrerer selbständiger Straftaten verurteilt, so müssen die Gründe für jede Tat die erwiesenen Tatsachen angeben, und zwar nach Zeit, Ort und Art der Begehung so deutlich, dass das Revisionsgericht nachprüfen kann, ob das Strafgesetz auf jede einzelne Tat ohne Rechtsirrtum angewandt ist, und dass nach Eintritt der Rechtskraft beim Auftauchen einer neuen Beschuldigung gegen den Verurteilten festgestellt werden kann, ob er wegen dieser Tat schon abgeurteilt worden ist.185 Zusammenfassungen sind nur insoweit möglich, als dadurch die Identifizierung jeder einzelnen Tat in ihrem konkreten Verlauf nicht vereitelt wird.186 Die Sachdarstellung darf nicht durch eine Tabelle mit pauschalen Angaben 175 BGH StV 2017 287. 176 BGH NStZ-RR 2008 153. 177 BGHSt 53 199, 203 f.; dazu Schlösser StV 2010 157; BGH NStZ-RR 2014 13; OLG Dresden StV 2014 691.

178 BGH NJW 1983 404; NStZ 1984 498; 1990 496; 2009 2546; 2016 292; 2018 341; NStZ-RR 2009 311; 2019 79 mit Anm. Gehm NZWiSt 2019 180 und Pflaum wistra 2019 286; BGH NZWiSt 2019 298 mit Anm. Gehm und Handzik/Winkel ZWH 2019 258; BGH StV 1981 222; 1982 458 (L); 1992 260; 1996 375; wistra 1992 103; 2009 68; 2013 353; 2015 477; 2016 268; BGH bei Holtz MDR 1980 455; 1990 1967; BGHR AO § 370 Berechnungsdarstellung 2 bis 8; BayObLGSt 1993 69 = StV 1993 528; OLG Düsseldorf MDR 1973 337; JMBlNW 1984 92; NJW 2005 1960; OLG Saarbrücken wistra 2000 38; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1972 192; näher Jäger StraFo 2006 477 ff. 179 BGH NStZ-RR 2005 209, 211; NStZ 2019 153, 154 mit Anm. Grötsch wistra 2019 205. 180 BGH NStZ 1990 496; StV 1992 260; 1998 473; wistra 2015 147 f.; BGH bei Kusch NStZ 1993 29; BayObLGSt 1993 69 = StV 1993 528. 181 BGH NStZ 2001 200. 182 BGH NStZ-RR 2005 209. 183 BayObLGSt 2000 50; OLG Bremen JR 1961 227; OLG Hamm NJW 1975 457; OLG Jena StV 2005 213; OLG Köln NJW 1958 720; OLG Schleswig StV 1985 110; OLG Oldenburg StraFo 2009 334; ferner Fn. 127. 184 BGH NStZ-RR 2019 29. 185 RG HRR 1939 Nr. 1011; vgl. BGHSt 1 222; BGH GA 1959 371; NStZ 1992 602 mit Anm. Molketin; 2008 352; 2016 280, 281; KK/Kuckein/Bartel 9a; Meyer-Goßner/Schmitt 5; MüKo/Wenske 94; Radtke/Hohmann/ Hagemeier 11. 186 Vgl. etwa BGH NStZ 1982 79; 1994 555; MDR 1992 596; StV 1997 173; OLG Köln StV 1996 369; zur Problematik bei nicht völlig gleichgelagerten Fällen vgl. BGH NStZ 1992 602 mit Anm. Molketin; Achenbach NStZ 1993 429; ferner bei Rn. 42.

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über die einzelnen Taten (Tatzeit, Tatort, Tatbeteiligte, Diebesgut usw.) ersetzt werden, wenn daraus bei der einzelnen Tat weder die Modalitäten der jeweiligen Tatausführung noch die Art des Tatbeitrags der einzelnen Mittäter noch die sonstigen für die Strafzumessung erforderlichen Einzelheiten entnommen werden können.187 Bei Serientaten mit im Wesentlichen gleichen Tatverläufen gelten an sich die glei42 chen Grundsätze. Jede Tat muss mit dem vollen äußeren und inneren Sachverhalt unter Angabe von Tatort, Tatzeit, Tatopfer und dem konkreten Geschehen eindeutig individualisierbar festgestellt werden, wobei es für die Individualisierung als unverwechselbares einmaliges Geschehen aber auch ausreichen kann, wenn einige der an sich erforderlichen Angaben nicht oder nur ungenau möglich sind.188 Eine sich allein mit Wahrscheinlichkeitsüberlegungen begnügende bloße Schätzung der Zahl der Taten würde dem Grundsatz widersprechen, dass der Richter von jeder einzelnen Tat überzeugt sein muss;189 allerdings wird bei Steuer- und Vermögensdelikten eine Schätzung des Schuldumfangs unter Beachtung des Zweifelssatzes für zulässig gehalten.190 Bei nicht mehr näher konkretisierbaren Geschehensverläufen ist es bei gleichartigen Taten aber zulässig, dem Urteil die Mindestzahl der Taten zugrunde zu legen, die nach sicherer Überzeugung des Gerichts innerhalb eines bestimmten Zeitraums begangen wurden, so etwa bei Sexualstraftaten gegenüber dem gleichen Opfer,191 bei einer Serie von Diebstählen oder Betrugstaten192 oder Verstößen gegen das BtMG.193 43 Bei einer rechtlich einheitlichen Tat, die mehrere an sich selbständige Handlungen unter einem rechtlichen Gesichtspunkt (Bewertungseinheit usw.) zusammenfasst wie bei der früheren fortgesetzten Tat, so wie sie bis zur Entscheidung des Großen Senats des BGH194 in der Rechtsprechung anerkannt war, ist das Tatgeschehen grundsätzlich so darzustellen, dass die Tatbestandsmäßigkeit jedes Einzelakts rechtlich nachprüfbar ist.195 Zusammenfassungen bei der Beschreibung gleichartiger Einzelfälle sind zulässig, jedoch ist jeder Einzelfall zusätzlich durch ihn allein betreffende Angaben so zu individualisieren, dass über seine rechtskräftige Aburteilung keine Zweifel auftreten

187 BGH JR 1988 475 mit Anm. G. Schäfer; NJW 1992 1709; NStZ 2008 352; 2016 280, 281 f.; NStZ-RR 2010 54; 2011 213 f.; StV 2010 60; BGHR § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 1, 6; HK/Julius/Beckemper 10; KK/Kuckein/Bartel 8, 9a; Meyer-Goßner/Schmitt 5; MüKo/Wenske 131 f.; Radtke/Hohmann/Hagemeier 11; SK/Velten 25; vgl. aber BGH wistra 1996 62; BayObLGSt 2004 152; Winkler SchlHA 2006 245, 247. 188 Vgl. BGHSt 40 138; 42 107, 109; BGH NStZ 1994 352; 1994 393; 1994 502; 1994 555; 2007 354; StV 1995 287; 1995 342 (L); 1996 6; 1998 472; 1999 137; 2002 523; BGHR § 267 Abs. 1 Satz 1 Mindestfeststellungen 7, 8; KK/Kuckein/Bartel 9a; Meyer-Goßner/Schmitt 6a; MüKo/Wenske 95 ff. m. w. N.; OK-StPO/Peglau 21; Pfeiffer 7; Radtke/Hohmann/Hagemeier 11; SK/Velten 30; SSW/Güntge 14; Erb GA 1995 437; Kuckein StraFo 1997 37. 189 Dies würde eine den Zweifelssatz verletzende Verdachtsverurteilung bedeuten; zur Problematik vgl. Zopfs Anm. zu BGH StV 2000 60; ferner LR/Sander § 261, 66, 197. 190 BGHSt 40 374, 377; 56 153, 162; BGH NStZ 1999 581; 2004 568; OLG Celle StV 2012 456; Fischer StraFo 2012 429 ff.; Hofmann StraFo 2003 70, 72; a. A. Zschockelt StraFo 1996 131, 135; krit. Frister FS Paeffgen 675 ff. 191 Vgl. etwa BGH NStZ 1994 352; 1994 393; 1994 502; 1998 208; 2005 113; NStZ-RR 1999 79; 2018 151; StV 1994 361; 1998 472; 2002 523; BGH bei Holtz MDR 1985 91; BGHR § 267 Abs. 1 Satz 1 Mindestfeststellungen 2; Sachdarstellung 9. 192 Zur Feststellung des Irrtums bei einer Vielzahl von Betrugsopfern s. BGH NJW 2003 1198; NStZ 2019 40 f. 193 BGH NStZ 2014 709. 194 BGHSt 42 138. 195 BGH GA 1965 92; JR 1954 268; NStZ 1982 128; 1984 565.

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können.196 Dem Urteil dürfen nur die mit Sicherheit erwiesenen Teilakte zugrunde gelegt werden.197 Werden mehrere an sich selbständige Handlungen rechtlich zu einer Tat verklammert, wie früher bei der fortgesetzten Handlung, so ist auch hier beim Schuld- und Strafausspruch nur deren erwiesene (Verdacht genügt nicht) Mindestzahl198 anzugeben.199 Die rein mathematische Hochrechnung ist unzulässig.200 Das Fehlen von Angaben über die dem Urteil zugrunde liegende Mindestzahl der festgestellten Einzelhandlungen ist nur dann unschädlich, wenn der erfasste Schuldumfang anderweitig sicher feststeht oder jede Tat anderweitig (Zeit, Ort, Ausmaß, beteiligte Personen) sicher eingegrenzt ist.201 c) Innere Tatseite. Die gesetzlichen Merkmale der inneren Tatseite sind ebenfalls 44 durch tatsächliche Feststellungen zu belegen. Ihr Fehlen ist nur dort unschädlich, wo sie eindeutig schon den Darlegungen zur äußeren Tatseite zu entnehmen sind.202 Unerheblich ist, ob die jeweilige Strafnorm die subjektiven Tatbestandsmerkmale ausdrücklich hervorhebt oder ob sie sich nur aus dem Zusammenhang ergeben.203 Die Rechtsbegriffe des inneren Tatbestandes müssen in ihre tatsächlichen Bestandteile aufgelöst und diese klar aufgezeigt werden.204 Dies gilt vor allem bei fahrlässiger Tatbegehung, bei der auch die Tatsachen anzugeben sind, aus denen die Pflichtwidrigkeit des Handelns und die Vermeidbarkeit des Erfolgs gefolgert wurde.205 Unterscheiden sich zwei Straftatbestände nur durch die subjektive Tatseite, so muss die Urteilsbegründung zweifelsfrei dartun, welche Form des Handlungsunrechts für erwiesen erachtet wurde206 und auf welchen erwiesenen äußeren Tatsachen dies beruht.207 Die Tatsachen, die den Vorsatz des Täters aufzeigen, sowie die daraus gewonnene 45 Überzeugung von der Vorsätzlichkeit der Tatbegehung sind in dem durch die Lage des Einzelfalls gebotenen Umfang festzustellen. Dies gilt auch, wenn der Vorsatz unge196 BGH NStZ 1983 326; 1984 565; 1985 310 (L); 1995 287; StV 1981 542; bei Holtz MDR 1985 91; OLG Düsseldorf JMBlNW 1987 287; VRS 74 (1988) 50; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1975 19; KK/Kuckein/Bartel 9; KMR/Stuckenberg 34; Meyer-Goßner/Schmitt 6; Radtke/Hohmann/Hagemeier 11; SK/ Velten 30; vgl. auch Fn. 195. 197 BGH JR 1954 268. 198 BGH GA 1959 326; JR 1954 268; NStZ 1983 326; bei Dallinger MDR 1971 545; bei Holtz MDR 1985 91; OLG Düsseldorf VRS 74 (1988) 204; OLG Hamm VRS 48 (1979) 239. 199 BGH bei Holtz MDR 1985 326; vgl. LR/Sander § 261, 66, 197. 200 BGH bei Holtz MDR 1978 803; Meyer-Goßner/Schmitt 6; Pfeiffer 7. Der Umfang des Mindestschadens kann im Wege einer statistischen Berechnung ermittelt werden, vgl. BGHSt 36 320 mit Anm. Salditt StV 1990 149; ferner LR/Sander § 261, 66, 197 m. w. N. 201 BGH 1983 326; vgl. auch BGH GA 1959 371. 202 RG JW 1926 1183; OLG Celle NJW 1966 2325; OLG Düsseldorf VRS 87 (1994) 378; OLG Hamm VRS 98 (2000) 440; OLG Koblenz VRS 47 (1974) 24; OLG Saarbrücken VRS 40 (1971) 450; NJW 1974 1391; krit. OLG Frankfurt StV 2016 796, 797; vgl. LR/Franke26 § 337, 116. 203 BGHSt 5 143, 144; KK/Kuckein/Bartel 10; Meyer-Goßner/Schmitt 7; SK/Velten 26; wegen der gegenteiligen frühen Rechtsprechung des RG vgl. Fn. 208. 204 KG DAR 1962 56; OLG Köln VRS 82 (1992) 30; StV 2010 527; OLG Oldenburg VRS 32 (1967) 272; KK/ Kuckein/Bartel 10; KMR/Stuckenberg 36; Meyer-Goßner/Schmitt 7; MüKo/Wenske 106; OK-StPO/Peglau 18; Radtke/Hohmann/Hagemeier 12; SSW/Güntge 15. Wieweit die äußeren Umstände hervorzuheben sind, aus denen sie erschlossen werden, hängt von der Lage des Falles ab. OLG Hamburg MDR 1971 414 verneint dies im Regelfall. Vgl. auch OLG Celle NdsRpfl. 1981 150 (Trunkenheit im Verkehr); LR/Franke26 § 337, 116. 205 BGH NStZ 1983 134; OLG Brandenburg DAR 2000 79 f.; OLG Koblenz VRS 63 (1982) 354; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1971 217. 206 BayObLG DAR 1977 201; OLG Saarbrücken NJW 1974 1391; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1971 220; bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1981 95. 207 Vgl. OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1977 183.

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schriebenes Tatbestandsmerkmal ist und in der Hauptverhandlung kein Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 StGB) behauptet wird.208 Das vorsätzliche Handeln muss für alle relevanten Tatbestandsmerkmale aus der Sicht des Täters festgestellt werden. Es kann, sofern kein glaubwürdiges Geständnis vorliegt, nur aus den festgestellten Indizien erschlossen werden,209 wobei eine Auseinandersetzung mit den kognitiven und voluntativen Vorsatzelementen210 erforderlich sein kann. Die Vorsatzform ist grundsätzlich ausdrücklich festzustellen.211 Bei der Darstellung ist zwischen dem Kennen und Wollen der einzelnen Tatbestandsmerkmale und dem Kennenkönnen und Kennenmüssen deutlich zu unterscheiden, denn beim Vorsatz kommt es darauf an, was der Täter tatsächlich erkannt und gewollt hat und nicht, was er hätte erkennen können und müssen.212 Die sorgfältige Darstellung der inneren Tatseite ist vor allem notwendig beim bedingten Vorsatz, der mit der bewussten Fahrlässigkeit nahe beisammen liegt. Sofern das bedingt vorsätzliche Handeln nicht offen zu Tage liegt,213 ist näher aufzuzeigen, dass der Täter die als möglich erkannte Folge seines Handelns auch für den Fall ihres Eintritts im Voraus billigte, dass also bewusst fahrlässiges Handeln ausscheidet.214 Die Wendung, der Täter habe den Erfolg in Kauf genommen, ist allein noch nicht ausreichend.215 Nötig ist stets eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls.216 Erfordert der Straftatbestand eine bestimmte Absicht, ist darzutun, dass der Angeklagte den betreffenden Erfolg herbeiführen wollte oder dass dieser von seinem Streben mitumfasst war.217 Beim Versuch muss das Vorstellungsbild des Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung (Rücktrittshorizont) dargelegt werden.218 Fehlerhaft sind Darlegungen, die – ohne dass in208 Heute unbestritten, BGHSt 5 143, 144; KK/Kuckein/Bartel 10; KMR/Stuckenberg 36; Meyer-Goßner/ Schmitt 7; Radtke/Hohmann/Hagemeier 12; SK/Velten 26; Eb. Schmidt 8; a. A. früher RGSt 1 169; 8 46; 27 179; 51 204. 209 Zu den Problemen des Nachweises fremdpsychischer Sachverhalte vgl. Freund Normative Probleme der Tatsachenfeststellung (1987); Puppe ZIS 2014 66 ff. (zum Unterschied von Beweisen und Bewerten, mit Replik Fischer ZIS 2014 97); Stuckenberg Vorstudien zu Vorsatz und Irrtum im Völkerstrafrecht (2007) 384 ff.; ders. FS Kindhäuser 533 ff., 547 f. 210 BGHSt 31 1, 11 (Prüfung des voluntativen Vorsatzelementes unerlässlich); BGH NStZ 2013 538; 2015 266, 267; StV 2012 663; 2015 696 f.; OLG Bamberg DAR 2010 708 (Abstandsunterschreitung im Straßenverkehr); OLG Koblenz NZV 2007 255. 211 Vgl. BGHSt 63 54; OLG Oldenburg StV 2009 133; MüKo/Wenske 107. 212 Vgl. BGH NStZ-RR 2017 123, 124; BayObLG VRS 91 (1996) 280; OLG Hamm NStZ-RR 1997 90; MeyerGoßner NStZ 1988 529, 536; HK/Julius/Beckemper 11 („hat erkannt“ und nicht „war für Angeklagten erkennbar“). 213 Vgl. BGH NStZ 2007 150; 2011 210 f. 214 Vgl. RGSt 72 43; 76 115; BGHSt 7 369; 19 101; 36 1, 9; 57 183, 186 ff.; BGH GA 1979 106; NJW 2016 1970; NStZ 1982 506; 1983 407; 1987 362 mit Anm. Puppe; NStZ 1988 175; 2014 84; 2015 266, 267; NStZRR 2015 380; StV 1982 509; 1984 187; 1991 510; 1997 7; 2015 300; 2019 276; VRS 50 (1976) 94; 59 (1980) 183; 64 (1983) 112; bei Dallinger MDR 1952 16; bei Holtz MDR 1977 105; 485; 1978 458; 1980 812; bei Hürxthal DRiZ 1981 103; KG NZV 2016 262 f.; Freund JR 1988 116; Meyer-Goßner NStZ 1986 49; Schneider NJW 1957 372; vgl. LR/Franke26 § 337, 116. 215 Vgl. BGH VRS 50 (1976) 94; bei Holtz MDR 1977 105; HK/Julius/Beckemper 11; KK/Kuckein/Bartel 10; KMR/Stuckenberg 36; Spendel FS Lackner 167. 216 BGHSt 57 183, 186 f.; BGH NStZ 2012 443, 444; 2014 84 f.; 2017 22; 2017 25; 2019 344; NStZ-RR 2013 89; 2013 341; 2016 25. 217 BGHSt 4 107; 16 1; 18 151; BGH NJW 1953 835; 1963 915; Oehler NJW 1966 1633; KK/Kuckein/Bartel 10; KMR/Stuckenberg 37; Radtke/Hohmann/Hagemeier 12; SK/Velten 26; ferner die Erläuterungsbücher zum StGB; unrichtig MüKo/Wenske 108, 110. 218 BGH NStZ 2014 396; 2014 507; 2015 331; 2016 664 f.; NStZ-RR 2017 303; StV 2017 675; 2018 713; 2018 717, 719; krit. Bürger NStZ 2016 578, 579 ff.

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soweit eine wahldeutige Feststellung beabsichtigt ist219 – an die Feststellung, dass der Täter mit direktem Vorsatz gehandelt habe, die Hilfserwägung anschließen, dass er aber jedenfalls mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe. Hilfserwägungen dieser Art erwecken den Verdacht, dass das Gericht entgegen der vorangegangenen Versicherung vom unbedingten Vorsatz nicht überzeugt ist. Dadurch kann eine den Bestand des Urteils gefährdende Unsicherheit in die Feststellungen hineingetragen werden.220 Zur inneren Tatseite gehört auch, ob der Angeklagte das Unrechtsbewusstsein 46 (§ 17 StGB) hatte221 oder ob er sich irrte. Ausführungen im Urteil sind dazu jedoch nur erforderlich, wenn der Angeklagte behauptet hat, im Irrtum gehandelt zu haben, oder wenn der Sachverhalt auch ohne eine diesbezügliche Behauptung des Angeklagten dazu Anlass bietet.222 Zur Frage der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums ist erst Stellung zu nehmen, wenn er feststeht oder seine Möglichkeit nicht ausgeräumt werden kann. Die Schuldfähigkeit braucht im Urteil nur erörtert zu werden, wenn Anhaltspunkte 47 vorliegen, dass sie beeinträchtigt sein könnte. Werden allerdings Umstände ersichtlich, die dies nahelegen, dann muss sich das Urteil ausdrücklich damit auseinandersetzen.223 Je nach den Umständen muss es auch aufzeigen, dass das Gericht die Frage aus eigener Sachkunde beurteilen konnte. Wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt, sind die maßgebenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen sowie die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen wiederzugeben.224 Begeht ein Täter mehrere gleichartige Straftaten, brauchen die dazugehörenden 48 Feststellungen zur inneren Tatseite nicht notwendig in jedem Falle mit besonderen Worten getroffen zu werden. Im Urteil können vielmehr in solchen Fällen aus Gründen der besseren Darstellung oder aus anderen Gründen Feststellungen zur inneren Tatseite, die für mehrere Fälle in gleicher Weise zutreffen, gemeinsam nach der Erörterung der Besonderheiten des äußeren Tathergangs getroffen werden, wenn nur kein Zweifel darüber entstehen kann, auf welche Fälle sich solche Feststellungen zur inneren Tatseite im Einzelnen beziehen.225 d) Mehrdeutige Tatsachengrundlagen. Kann das Gericht zu keinen eindeutigen 49 Tatsachenfeststellungen kommen, weil es keine von mehreren Möglichkeiten des tatsächlichen Geschehens mit Sicherheit ausschließen kann, so muss es an Stelle der für erwiesen erachteten Tatsachen, in denen die Merkmale der Straftat zu finden sind, den äußeren und inneren Sachverhalt der Verhaltensweisen schildern, die nach der Überzeugung des Gerichts als allein möglich in Betracht kommen.226 Die Zulässigkeit der Verur219 Zur Anwendung des Grundsatzes „im Zweifel für den Angeklagten“ vgl. LR/Sander § 261, 182 ff., 190 ff.; KMR/Stuckenberg § 261, 85 ff. 220 RG JW 1931 3559; KK/Kuckein/Bartel 10. 221 BGHSt 2 199; OLG Braunschweig NJW 1957 640; OLG Köln MDR 1980 161; OLG Oldenburg VRS 32 (1967) 276; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1972 161. 222 BGH nach Meyer-Goßner/Schmitt 7; KG NStZ-RR 2002 220, 221; OLG Braunschweig NJW 1957 639, 640; OLG Hamm wistra 1999 436; KK/Kuckein/Bartel 10; KMR/Stuckenberg 40; Radtke/Hohmann/Hagemeier 12; SK/Velten 27; vgl. Rn. 62; LR/Franke26 § 337, 116. 223 Vgl. BGH NJW 1964 2213; VRS 34 (1968) 274; 61 (1981) 261; StV 1984 419; 1984 463; 2017 520, 521; StraFo 2017 247, 249 m. w. N.; OLG Düsseldorf NJW 1983 354 (L); OLG Köln VRS 65 (1983) 426; 68 (1985) 351; JMBlNW 1984 251; OLG Hamburg VRS 60 (1981) 190; 61 (1981) 341; KK/Kuckein/Bartel 10; KMR/Stuckenberg 41; MüKo/Wenske 126; SK/Velten 27; vgl. LR/Becker § 244, 78 ff. 224 Vgl. Rn. 67 und LR/Sander § 261, 164; ferner LR/Becker § 244, 326 ff.; LR/Franke26 § 337, 113. 225 Vgl. OGHSt 3 36; ferner Rn. 43. 226 BGHSt 12 386, 388; BGH JR 1981 305 mit Anm. Peters; KK/Kuckein/Bartel 11; KMR/Stuckenberg 42; MüKo/Wenske 119 ff.; LR/Sander § 261, 252 m. w. N.

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teilung auf einer mehrdeutigen Tatsachengrundlage und die bei der Urteilsbegründung zu beachtenden Einzelheiten sind bei § 261, 240 ff. erörtert. 2. Angabe der Beweistatsachen (Absatz 1 Satz 2) a) Pflicht zur Feststellung im Urteil. Der Entwurf der StPO wollte die Beweisgründe nicht in das Urteil aufnehmen, weil nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten bei dem einen Richter auf anderen Gründen beruhen kann als bei dem anderen.227 Die Reichstagskommission hielt es jedoch für notwendig, das unbeschränkte richterliche Ermessen einer Art von Selbstüberwachung zu unterwerfen; sie nahm deshalb die Bestimmung des Absatzes 1 Satz 2 auf.228 Nach dieser „sollen“ die Beweistatsachen, also die Tatsachen, aus denen der Beweis der Tat „gefolgert“ wird (Anzeichen), in den Urteilsgründen angeführt werden. Wird z. B. der Angeklagte des ihm zur Last gelegten Diebstahls für schuldig erachtet, weil man ihn um die Zeit der Tat in der Nähe des Tatortes bemerkt, weil er nach der Tat ungewöhnliche Ausgaben gemacht hat usw., so bedarf es der Anführung dieser Tatsachen. Nur voll bewiesene Tatsachen, nicht aber nur mögliche oder wahrscheinliche, von deren Vorliegen das Gericht nicht überzeugt ist, können als Beweistatsache festgestellt werden.229 Hilfserwägungen dazu, wie es wäre, wenn bestimmte festgestellte Tatsachen nicht festgestellt worden wären, sind zu vermeiden, weil dadurch die Klarheit der Urteilsbegründung leidet und Missdeutungen hervorgerufen werden können.230 Aus der Fassung der Bestimmung („sollen“) wurde früher gefolgert, dass sie nur 51 eine Ordnungsvorschrift ist, die mangelnde Angabe der Beweistatsachen also unter dem Blickwinkel des § 267 Abs. 1 Satz 2 keine Gesetzesverletzung im Sinn des § 337 enthält.231 Angesichts des Wortlauts und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift wird man nicht bestreiten können, dass die bei der Gesetzgebung beteiligten Organe § 267 Abs. 1 seinerzeit in diesem Sinne verstanden wissen wollten. Dieses Verständnis ist durch die Entwicklung der Rechtsprechung heute überholt (Rn. 2). Abgesehen von den Fällen des Absatzes 4 besteht im Ergebnis weitgehend Übereinstimmung, dass die Gerichte verpflichtet sind, in den Urteilsgründen nicht nur den alle Tatbestandsmerkmale belegenden Sachverhalt anzugeben, von dessen Vorliegen sie überzeugt sind, sondern dass sie, soweit dies zum Verständnis und zur Nachprüfung der Entscheidung notwendig ist232 auch aufzeigen müssen, aufgrund welcher festgestellter Tatsachen und welcher Überlegungen sie diese Überzeugung gewonnen haben.

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227 Hahn 211. 228 Hahn 876 f., 1378 f. Zur Entstehungsgeschichte vgl. Baldus FS Heusinger 373, 385; Meurer FS Kirchner 349 ff.; Wenzel NJW 1966 577.

229 OGHSt 1 166. Zum Indizienbeweis vgl. LR/Sander § 261, 77 ff., 193 ff. und LR/Franke26 § 337, 125. 230 BGH NStZ-RR 2005 264, 265; s. a. Rn. 45, 93. 231 BGHSt 12 311, 315; vgl. auch BGHSt 14 165; so schon RGSt 47 100, 109; ferner z. B. OLG Celle NdsRpfl. 1965 161; OLG Düsseldorf VRS 65 (1983) 381; OLG Karlsruhe Justiz 1977 244; GA 1977 24; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1977 182; 1979 205; Börker DRiZ 1953 64; Wenzel NJW 1966 578; Blunk MDR 1970 47; zu BGHSt 12 311, 315 vgl. Baldus FS Heusinger 373, 384. 232 Vgl. BGH NStZ 1985 184; OLG Bremen VRS 50 (1978) 129; OLG Celle NdsRpfl. 1965 161; OLG Hamburg MDR 1971 414; OLG Hamm VRS 39 (1970) 347; HK/Julius/Beckemper 13; KK/Kuckein/Bartel 18; MeyerGoßner/Schmitt 11; MüKo/Wenske 43, 272; Radtke/Hohmann/Hagemeier 18; Eb. Schmidt 6; SK/Velten 35; SSW/Güntge 16; Baldus FS Heusinger 373, 386; Hanack JZ 1972 489; s. a. Liebhart NStZ 2016 134, 135 ff.

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Diese Begründungspflicht, die nur hinsichtlich Ableitung233 und Abgrenzung234 52 unterschiedlich beurteilt wird, reicht nach heutiger Auffassung über die von § 267 Abs. 1 Satz 2 geforderte Angaben der Beweistatsachen hinaus. Sie wird daraus hergeleitet, dass für die Nachprüfbarkeit der Anwendung des materiellen Rechts die Wiedergabe der Beweiswürdigung einschließlich der ihr zugrunde liegenden Tatsachen erforderlich ist, sowie auch daraus, dass die Angabe der Beweistatsachen notwendig ist, um die von § 261 geforderte erschöpfende Beweiswürdigung nachvollziehbar aufzuzeigen.235 Neben dieser umfassenden Begründungspflicht ist es praktisch ohne Bedeutung, mit welcher Stringenz auch § 267 Abs. 1 Satz 2 die Angabe der Beweistatsachen fordert; die Vorschrift selbst ist obsolet geworden.236 Ob die besonderen Umstände des Falles bei Berücksichtigung der Bedeutung der Sa- 53 che und des Zweckes der Urteilsbegründung (Rn. 3 ff.) erlauben, die Begründungspflicht ausnahmsweise einzuschränken, weil die Bedeutung der Sache so gering und die Rechts- und Sachlage so einfach ist, dass auf die Wiedergabe der Beweistatsachen verzichtet werden kann,237 erscheint zweifelhaft. Der Tatrichter mag zwar noch einen gewissen Ermessensspielraum haben, er ist jedoch schon durch die Sollvorgabe bei seiner Ermessensausübung weitgehend gebunden, zumal er auch in deren Rahmen zu berücksichtigen hat, wenn Begründungspflichten, die sich aus anderen Rechtsgrundsätzen ergeben, wie etwa die Beweiswürdigungspflicht, den nur die Angabe der Beweistatsachen fordernden Absatz 1 Satz 2 mit einschließen. In solchen Fällen einer fehlenden oder unzureichenden Beweiswürdigung wird in der Regel die als Verletzung des materiellen Rechts behandelte Darstellungsrüge im Vordergrund des Revisionsangriffs stehen,238 ob darin zugleich gegen den verfassungskonform auszulegenden Absatz 1 Satz 2 verstoßen wurde,239 kann dahinstehen. b) Urteilsstelle. Die Urteilsstelle, an der die festgestellten Beweistatsachen (Indizi- 54 en) mitzuteilen sind, ist nicht festgelegt. Zweckmäßigkeitsgründe, vor allem die Erfordernisse einer verständlichen Darstellung, entscheiden darüber, ob die Beweisanzeichen bereits in der Sachverhaltsdarstellung oder erst im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung abzuhandeln sind.240 Klarer dürfte regelmäßig die Darstellung im Rahmen der Beweiswürdigung sein, vor allem bei einer Vielzahl von Indizien;241 wichtig ist stets, 233 Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen einer die Beweiswürdigung einschließenden Begründungspflicht vgl. Rn. 3; für die Annahme von Richterrecht bzw. Gewohnheitsrecht vgl. Jerouscheck GA 1992 508; Rieß GA 1978 255, 264 (Gewohnheitsrecht); ferner LR/Franke26 § 337, 118 ff.; MüKo/Wenske 43; SK/Velten 35 (Richterrecht). 234 Vgl. Wagner ZStW 106 (1994) 259 ff. m. w. N.; ferner AK/Wassermann 10 (Verpflichtung); Meyer-Goßner/Schmitt 11 (soweit für Nachprüfbarkeit erforderlich); SK/Velten 34; KK/Kuckein/Bartel 12 (Streit wegen sachlich-rechtlicher Begründungspflicht nur noch von untergeordneter Bedeutung). 235 Vgl. Maul FS Pfeiffer 412, 420 (Gebot einer rational nachvollziehbaren Urteilsfindung macht Wiedergabe der Beweiswürdigung unabweislich). 236 KMR/Stuckenberg 49. 237 BGH bei Dallinger MDR 1975 198; bei Holtz MDR 1980 631; OLG Celle NdsRpfl. 1965 161; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1975 191; 1976 171; KMR/Stuckenberg 52. Nach Wenzel NJW 1966 580 rechtfertigen auch einfach gelagerte Sachen keine Ausnahme, allerdings aufgrund materiell-rechtlicher Ableitung der Begründungspflicht, nicht infolge § 267 Abs. 1 Satz 2. 238 Hanack JZ 1972 489; LR/Franke26 § 337, 117 ff. 239 LR/Gollwitzer25 49. 240 BGH 19.12.2001 – 3 StR 427/01 Rn. 6. 241 BGH NStZ-RR 2014 349; StV 2017 799 f.; BGHR § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 14; KK/Kuckein/ Bartel 18; MüKo/Wenske 89; OK-StPO/Peglau 18, 23; Radtke/Hohmann/Hagemeier 18; Eb. Schmidt Nachtr. I 13; Schäfer 1484.

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dass eindeutig aus dem Urteil ersichtlich ist, welche konkreten Beweisanzeichen das Gericht für erwiesen hält. 3. Wiedergabe der Beweiswürdigung 55

a) Keine ausdrückliche Regelung. Eine Pflicht des Gerichts, die volle Beweiswürdigung im Urteil wiederzugeben, findet sich in § 267 nicht. Der Gesetzgeber hat sich mit der Sollvorschrift über die Angabe der Beweistatsachen beim Indizienbeweis begnügt (vgl. Rn. 51). Die bloße Aneinanderreihung von Beweistatsachen könnte aber keine verfahrensrechtliche Aufgabe erfüllen. Absatz 1 Satz 2 gewinnt nur einen Sinn, wenn die Urteilsgründe auch aufzeigen, welche Schlüsse das Gericht bei seiner Beweiswürdigung aus ihnen gezogen hat.242 Nach heutiger Auffassung setzt die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters objektive Grundlagen voraus, die den rationalen Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit der Wirklichkeit entspricht und nicht nur auf bloßen Vermutungen beruht. Die Beweiswürdigung muss deshalb auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage unter vollständiger Ausschöpfung des verfügbaren Beweismaterials beruhen.243 Über die Angabe der Indiztatsachen und deren Würdigung hinaus müssen die Urteilsgründe daher die tragenden Gründe der Beweiswürdigung aufzeigen, um deren rationale Nachvollziehbarkeit244 sowie die richtige Anwendung des materiellen Rechts zu belegen. Um den Revisionsgerichten diese Nachprüfung, einschließlich der Beachtung der Denkgesetze und Erfahrungssätze zu ermöglichen, muss das Urteil alle unter Berücksichtigung der Einlassung des Angeklagten und sonstiger sich aufdrängender Umstände entscheidungserheblichen Teile der Beweiswürdigung mitteilen.245 Dies gilt aber nur für die nachprüfbaren, rationalen Grundlagen der Überzeugungsbildung; eine Offenlegung aller Einzelheiten des komplexen psychologischen Vorgangs der Gewinnung der richterlichen Überzeugung246 oder aller nur irgendwie denkbaren Gesichtspunkte247 wird nicht gefordert, im Gegenteil, eine übermäßig breite Schilderung rein hypothetischer Geschehensabläufe kann den Bestand des Urteils gefährden.248 Ebenso wenig bedarf es eines Beleges für jedwede, für den Tatvorwurf unwesentliche Feststellung.249 242 Baldus FS Heusinger 386. 243 BGHR § 261 Überzeugungsbildung 26; BGH NStZ 2017 486, 487 m. w. N.; NStZ-RR 2013 387; 2014 15; 2016 144 (Ausschlussmethode) mit Anm. Löffelmann JR 2017 310; 2016 147; BGH StraFo 2017 235, 236; ferner LR/Sander § 261, 45, 74 ff. m. w. N. 244 BGH NStZ-RR 2008 148, 149 f.; 2014 15; StraFo 2017 235, 236; AK/Wassermann 11; HK/Julius/Beckemper 13; KK/Kuckein/Bartel 12, 13; KMR/Stuckenberg 50; Meyer-Goßner/Schmitt 12; MüKo/Wenske 168 f.; OKStPO/Peglau 24; Radtke/Hohmann/Hagemeier 13; SK/Velten 33, 36; SSW/Güntge 17; Maul FS Pfeiffer 412 ff.; Wagner ZStW 106 (1994) 259 ff.; ferner LR/Sander § 261, 45, 74 ff. und bei LR/Franke26 § 337, 117 ff. 245 Z. B. BGHSt 12 311; 14 165; BGH NJW 1961 2069; GA 1965 109; StV 1981 509; bei Dallinger MDR 1971 898; 1974 502; 1975 198; bei Holtz MDR 1980 631; NStZ 2007 538 = JR 2007 127 mit Anm. Deckers; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 15; NStZ-RR 2006 82 f.; 2017 383; OLG Bremen VRS 50 (1976) 129; OLG Celle NdsRpfl. 1976 181; OLG Düsseldorf VRS 65 (1983) 381; OLG Hamm NJW 1966 581; 1972 916; JMBlNW 1980 69; OLG Karlsruhe Justiz 1977 244; OLG Koblenz VRS 57 (1979) 32; 64 (1983) 281; OLG Köln VRS 51 (1976) 213. 246 BGH NJW 1951 413; GA 1961 172; NStZ 2009 403 f.; NStZ-RR 2010 247 f.; OLG Schleswig bei Ernesti/ Jürgensen SchlHA 1979 205; 2009 273 f.; KK/Kuckein/Bartel 13; KMR/Stuckenberg 50; Meyer-Goßner/ Schmitt 12. 247 BGH StraFo 2010 426. 248 BGH NStZ-RR 2003 49. 249 BGH NStZ-RR 2015 180; 2018 23; 2018 256 m. w. N.

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§ 267

b) Auseinandersetzung mit festgestellten Tatsachen. Nach der herrschenden Meinung muss sich das Gericht mit den im Urteil wiedergegebenen Tatsachen und mit den nach der Sachlage naheliegenden Möglichkeiten des Geschehensablaufs unter allen rechtlich oder sachlich für die Entscheidung erheblichen Gesichtspunkten auseinandersetzen.250 Die Begründungsanforderungen zur Gewährleistung einer umfassenden Nachprüfung, die die Schlüssigkeit und Plausibilität der Beweiswürdigung mit einschließt, überlagern die geringeren Anforderungen, die sich aus dem Wortlaut des § 267 Abs. 1 ergeben. Dies stimmt mit den heute in verschiedenen Varianten vertretenen Auffassungen überein, die bei wechselnden Ableitungen im Ergebnis übereinstimmend sowohl einen Mangel in der sachlichen Begründung als auch einen Verfahrensverstoß bejahen, wenn das Urteil zur Beweiswürdigung und den dazu festgestellten Tatsachen schweigt oder seine Ausführungen dazu unvollständig oder lückenhaft sind. Nur in den wenigen Ausnahmefällen aber, in denen wegen der geringen Bedeutung der Sache und wegen einer klaren und einsichtigen Beweislage besondere Ausführungen zur Beweiswürdigung sachlich entbehrlich sind, kann das Urteil nicht schon allein wegen des Fehlens der von § 267 Abs. 1 Satz 2 geforderten eigenen Feststellungen beanstandet werden.251 Der beim partiellen Fehlen von Urteilsausführungen in Betracht kommende Schluss, dass sich dahinter möglicherweise ein Rechts- oder Denkfehler verbergen könnte, ist dann nicht ohne weiteres zulässig.252 Für ihn ist nur Raum, soweit die Begründungspflicht reicht, immer aber, wo der Gesamtzusammenhang des Urteils oder einzelne Ausführungen das Schweigen bewertbar machen, wie etwa, wenn festgestellte Tatsachen, die eine andere Entscheidung hätten rechtfertigen können, ungewürdigt geblieben sind. Die Beweiswürdigung ist trotz ihrer beschränkten Nachprüfbarkeit insoweit darzustellen als dies notwendig ist, um aufzuzeigen, auf welche Tatsachen und rational nachvollziehbare Erwägungen sich die Überzeugung des Gerichts von dem für erwiesen erachteten Sachverhalt gründet, dass hierbei weder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen wurde und dass alle nach der Beweislage naheliegenden Möglichkeiten erwogen worden sind. Die Wiedergabe der Beweiswürdigung ist unvollständig, wenn eine im Urteil festgestellte Tatsache unerörtert bleibt, die für das Hereinspielen eines im Urteil nicht erwähnten rechtlichen Gesichtspunkts spricht oder die an sich geeignet wäre, das Beweisergebnis in einem entgegengesetzten Sinn zu beeinflussen,253 ferner wenn die festgestellten Tatsachen in erheblicher Weise voneinander abweichen.254 Fehlerhaft ist auch, wenn von mehreren naheliegenden Möglichkeiten nur eine erörtert, die Begründung also lückenhaft wird.255 Die im Urteil mitgeteilte Beweiswürdigung muss in sich logisch geschlossen, klar und lückenfrei sein.256 Sie muss die Grundzüge der Überlegungen des Gerichts und die 250 BGHSt 6 68; 12 314; 15 285; 20 315; 20 331; BGH NJW 1959 780; 1980 2423; GA 1974 61; StV 1981 169; 1984 188 mit Anm. Wagner; BayObLGSt 1954 39; OLG Celle NdsRpfl. 1985 47; OLG Koblenz VRS 56 (1979) 360; OLG Celle NdsRpfl. 1985 47; OLG Frankfurt VRS 64 (1983) 34. 251 BGH NStZ 1985 323; bei Dallinger MDR 1975 198; KMR/Stuckenberg 52; SK/Velten 35. 252 Blunk MDR 1970 471; vgl. auch KG JR 1962 389 mit krit. Anm. Dünnebier; a. A. Wenzel NJW 1966 577 ff., der eine Lösung des Problems im Rahmen der Sachrüge sucht. 253 Zur umfangreichen Rspr. vgl. RGSt 77 79; 77 261; BGH NJW 1953 1440; 1959 780; 1962 549; 1967 1140; VRS 53 (1977) 110; MDR 1974 502; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 15; OLG Bremen NJW 1954 613; OLG Hamburg MDR 1971 414; OLG Hamm MDR 1950 120; NJW 1960 398; 1963 405; 1972 916; OLG Köln NJW 1954 1091; OLG Koblenz VRS 56 (1979) 360. 254 OLG Düsseldorf VRS 65 (1983) 42; JMBlNW 1983 274; OLG Saarbrücken VRS 47 (1974) 49. 255 BGHSt 25 365; BGH MDR 1951 276; vgl. LR/Franke26 § 337, 129. 256 BGHSt 3 213; BGH StV 1984 188 mit Anm. Wagner; NStZ-RR 2003 49; 2006 82 f.; vgl. LR/Sander § 261, 48 ff. und LR/Franke26 § 337, 121.

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Vertretbarkeit des gefundenen Ergebnisses sowie die Vertretbarkeit des Unterlassens einer weiteren Würdigung aufzeigen. Es müssen alle aus dem Urteil ersichtlichen Tatsachen und Umstände, die Schlüsse zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zulassen, ausdrücklich erörtert werden.257 Das Urteil enthält einen sachlich-rechtlichen Mangel, wenn seine Beweiserwägungen diesen Anforderungen nicht entsprechen.258 Eine darüber hinausgehende Detailschilderung oder eine erschöpfende Würdigung aller, auch der fernerliegenden Umstände oder nur theoretischen Möglichkeiten kann nicht gefordert werden.259 Denn die Urteilsgründe dienen nicht der Dokumentation der Beweisaufnahme, es besteht keine verfahrensrechtliche Pflicht, im Urteil alles zu erörtern, was Gegenstand der Hauptverhandlung war.260 4. Einzelfragen 60

a) Eingehen auf einzelne Beweismittel. Wieweit auf einzelne Beweismittel im Rahmen der mitgeteilten Beweiswürdigung einzugehen ist, hängt von den Umständen des jeweiligen Falles und nicht zuletzt von der Einlassung des Angeklagten ab. Der Umfang der Darlegungspflicht richtet sich nach Beweislage und Bedeutung der Beweisfrage unter Berücksichtigung von Inhalt und Richtung der Verteidigung.261 Die Verfahrensbeteiligten, insbesondere der Angeklagte, und das Revisionsgericht müssen in der Lage sein, die für die Schuldfeststellung entscheidenden Gründe rechtlich sowie daraufhin zu überprüfen, ob sie auf rational nachvollziehbaren Erwägungen beruhen und im Einklang mit den für die Überzeugungsbildung maßgebenden Grundsätzen, insbesondere den Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen, stehen.262 Das kann mitunter erfordern, auch abweichende Fallgestaltungen oder mögliche Fehlerquellen zu erwähnen und darzulegen, weshalb sie auszuschließen sind.263 Schweigt das Urteil zu einem bestimmten Beweismittel, während es andere erwähnt, so kann daraus allein noch nicht geschlossen werden, das Gericht habe entgegen § 261 das unerwähnt gebliebene Beweismittel bei seiner Beweiswürdigung übersehen.264 Andererseits besagt die bloße Erwähnung eines Beweismittels noch nichts darüber, ob sich daraus etwas Wesentliches für die Urteilsfindung ergeben habe;265 die bloße Aufzählung oder gar vollständige Wiedergabe aller Beweismittel ist überflüssig, da sie die eigene Beweiswürdigung nicht ersetzen kann.266 Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln sind regelmäßig nicht 257 BGH MDR 1974 502; LR/Franke26 § 337, 124. 258 Z. B. BGHSt 1 266; 12 311; 14 162; 15 1; 18 204; w. Nachw. bei LR/Sander § 261, 48, 74, 272 und LR/ Franke26 § 337, 122 ff. 259 BGH NJW 1951 325; Baldus FS Heusinger 373, 390; Koeniger 524 (nur Hauptgesichtspunkte); Eb. Schmidt Nachtr. I 3. 260 BGH AnwBl. 2016 773; NJW 2012 694, 695; NStZ-RR 2006 346; 2014 349; 2018 256; StV 2017 799 f.; wistra 2004 150; bei Becker NStZ-RR 2001 264 Nr. 24; OLG Dresden StV 2013 11; OLG Schleswig SchlHA 2009 273 f.; vgl. Rn. 8. 261 BGHSt 12 311; BGH MDR 1974 562; NJW 1967 1140; NStZ 1985 184; StV 1983 360; 1985 184; OLG Köln VRS 47 (1974) 281; Maul FS Pfeiffer 412. 262 BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 357; BayObLG bei Rüth DAR 1985 246; OLG Düsseldorf VRS 65 (1983) 42; JMBlNW 1983 274; w. Nachw. bei LR/Sander § 261, 47 und LR/Franke26 § 337, 138 ff. 263 BayObLG VRS 61 (1981) 41; 143; OLG Düsseldorf VRS 66 (1984) 359. 264 BGH GA 1969 28; NJW 1951 325; 1951 413; 1951 533; NStZ 2012 49 f.; StV 1991 340; 2001 552 f.; anders im Fall des § 273 Abs. 3, OLG Hamm NStZ-RR 2006 18; Rn. 182. 265 OLG Hamm VRS 41 (1971) 123. 266 BGH NStZ-RR 1999 272; 2002 243; 2009 183; 2014 349; wistra 2004 150; bei Kusch NStZ 1997 377; bei Kusch NStZ-RR 2000 293; oben Fn. 260, Rn. 8 m. w. N.

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geboten;267 anders ist es, wenn ein Beweiserhebungs- oder Beweisverwertungsverbot nach den Umständen naheliegt.268 b) Vorbringen der Prozessbeteiligten. In der Regel ist es nicht notwendig, das 61 tatsächliche Vorbringen der Prozessbeteiligten, insbesondere die Angaben des Angeklagten und seines Verteidigers in allen Einzelheiten referierend wiederzugeben269 und sich mit jeder Schutzbehauptung auseinanderzusetzen.270 Auch das Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) fordert dies nicht.271 In sachlich und rechtlich einfach gelagerten Fällen von geringer Bedeutung wurde es früher für zulässig angesehen, wenn das Gericht auf die Wiedergabe des Prozessvorbringens ganz verzichtet,272 was sich heute nicht mehr empfiehlt.273 Die Einlassung des Angeklagten274 ist grundsätzlich mitzuteilen.275 Ihre Bewer- 62 tung unterliegt denselben Anforderungen wie die sonstiger Beweismittel und ist ebenso in eine umfassende Gesamtwürdigung einzustellen.276 Das Urteil muss daher aufzeigen, wie das Gericht die Einlassung des Angeklagten gewürdigt hat, gegebenenfalls auch, aufgrund welcher festgestellten Tatsachen es sie für zutreffend, für widerlegt oder als neben der Sache liegend erachtet.277 Bei einem als glaubhaft angesehenen Geständnis ist dessen wesentlicher Inhalt mitzuteilen, da sonst nicht beurteilt werden kann, ob dieses alle Feststellungen zur äußeren oder inneren Tatseite trägt,278 ebenso die sonstigen 267 BGHSt 51 1, 5; BGH NStZ-RR 2007 244; NJW 2009 2612, 2613; 2012 694, 695; StraFo 2009 19 f.; StV 2008 63, 65; Meyer-Goßner/Schmitt 12.

268 So können etwa je nach Messmethode Ausführungen zur Anlassbezogenheit von Videoaufnahmen im Straßenverkehr geboten sein, OLG Brandenburg VRR 2011 113 mit Verweis auf BVerfG NJW 2009 3293.

269 BGH NJW 2010 882, 883; NStZ 1985 184; 2000 48; 2000 211; 2007 720; NStZ-RR 1997 270; 1998 277; 2001 264; bei Kusch NStZ 1995 220; 1996 326; BGHR § 267 Abs. 1 Satz 2 Einlassung 1; SK/Velten 37; Basdorf SchlHA 1993 57; Meyer-Goßner NStZ 1988 529, 532; Sander StV 2000 46; ferner bei Rn. 8. 270 BGH GA 1961 172; NJW 1951 325; 1951 413; 1951 533; OLG Hamm NJW 1970 69; VRS 42 (1972) 43; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1972 161. 271 Vgl. die Nachw. in Fn. 12; anders nur, wenn eindeutig erkennbar ist, dass das Gericht wesentliches tatsächliches Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung nicht erwogen hat, vgl. BVerfGE 27 248, 251; 42 364, 368; 47 182, 187 f. Wagner ZStW 106 (1994) 259, 282, fordert, dass das Urteil erkennen lassen muss, ob und gegebenenfalls wie der Angeklagte sich eingelassen hat; vgl. auch BayObLG bei Bär DAR 1994 386. 272 BGH NStZ 1985 323; bei Dallinger MDR 1975 198; OLG Hamm StraFo 2003 133; SK/Velten 37. 273 Ebenso MüKo/Wenske 183 Fn. 352. 274 Sie gehört nicht zur Feststellung des erwiesenen Sachverhalts, sondern ist im Rahmen der Beweiswürdigung zu erörtern, BGH 29.4.1960 – 4 StR 544/59 bei KK/Kuckein7 14. 275 BGH NStZ 2015 299; 2015 473; NStZ-RR 1997 172; NZKart 2019 429; KG StV 2000 188; OLG Düsseldorf StraFo 2017 234; OLG Hamm StraFo 2003 133; StV 2008 401; OLG Jena VRS 114 (2008) 458; OLG Karlsruhe DAR 2017 395; OLG Naumburg BA 52 (2015) 416; KK/Kuckein/Bartel 14; KMR/Stuckenberg 53; Meyer-Goßner/Schmitt 12; MüKo/Wenske 69, 182 ff.; OK-StPO/Peglau 25; Radtke/Hohmann/Hagemeier 15; SK/Velten 37 (soweit dies zur Ermöglichung einer materiell-rechtlichen Nachprüfung geboten ist); SSW/ Güntge 17; Überblick bei Miebach NStZ-RR 2018 265 ff. 276 BGH NStZ-RR 2004 88; 2013 51. 277 BGH GA 1965 109; 1965 208; NJW 1953 1441; NStZ 2014 53; NStZ-RR 1997 172; 2015 380, 381; StV 1981 509; 1984 64 (L); 1984 188 mit Anm. Wagner; BayObLGSt 1972 103 = NJW 1972 1433; VRS 57 (1979) 32; bei Rüth DAR 1979 243; 1970 70; 1972 916; KG StV 2000 188; OLG Düsseldorf NStZ 1985 232; VRS 88 (1995) 444; OLG Köln VRS 87 (1994) 205; StraFo 2003 313; OLG Stuttgart NJW 1977 1410; Justiz 1990 372; OLG Zweibrücken VRS 51 (1976) 213, 214; v. Schledorn 158; Blunk MDR 1970 471; Sander StV 2000 45; Schäfer StV 1995 151; Wagner ZStW 106 (1994) 259, 282; Wenzel NJW 1966 577. 278 BGH NStZ 2004 493; bei Kusch NStZ 1997 72; KG StV 2000 188.

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Beweisergebnisse, auf die der Tatrichter seine Überzeugung von der Glaubhaftigkeit des Geständnisses stützt.279 Der bloße Hinweis, der Angeklagte sei geständig gewesen280 oder habe die Anklagevorwürfe „nicht bestritten“,281 genügt nicht. Erfolgt das Geständnis im Rahmen einer Verständigung, ändert dies nichts an den Begründungsanforderungen.282 Auch für die Feststellungen zur inneren Tatseite, für die Beurteilung eines Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrundes oder bei erheblichen Widersprüchen mit den Bekundungen eines Zeugen283 ist die Mitteilung der Einlassung des Angeklagten in der Regel unentbehrlich. Andernfalls würden mitunter Zweifel bleiben, ob das Gericht sich mit der Einlassung des Angeklagten überhaupt auseinandergesetzt oder ihn zu neu aufgetretenen Tatsachen gehört hat.284 Wechselndes Aussageverhalten, etwa der Widerruf eines „taktischen“ Geständnisses, bedarf sorgfältiger Würdigung und entsprechender Darlegung in den Urteilsgründen.285 Schweigt oder bestreitet der Angeklagte, muss jede ernsthaft in Betracht kommende Fallgestaltung erwogen und abgehandelt werden.286 Lässt sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung anders ein als im Vorverfahren, muss das Gericht sich damit auseinandersetzen.287 Besondere Anforderungen gelten regelmäßig für die Darlegung und Würdigung von 63 drittbelastenden Geständnissen (früherer) Mitangeklagter oder anderer Tatbeteiligter,288 vor allem wenn Falschbelastungsmotive naheliegen, ihnen etwa Haftverschonung oder Strafmilderung zugesagt wurde,289 namentlich im Rahmen einer Verständigung.290 64

c) Zeugenaussagen. Die Zeugenaussagen müssen in den Urteilsgründen grundsätzlich nicht in allen Fällen inhaltlich wiedergegeben und erörtert werden.291 Dies ist nur dann und nur in dem Umfang notwendig, in dem das Verständnis des Urteilsspruchs und seine Nachprüfbarkeit dies erfordern. Maßgebend sind stets die Umstände des Einzelfalls.292 Nach diesen beurteilt sich, was das Gericht anführen muss, um aufzuzeigen, dass es seiner Pflicht zu einer rational nachvollziehbaren und umfassenden Beweiswürdigung genügt hat;293 so ist etwa der Teil der Aussage mitzuteilen, dem bei einem sonst 279 280 281 282 283

BGH NStZ-RR 2016 147, 148. BGH NStZ 2014 53 (erst recht nicht bei komplexem Sachverhalt). OLG Hamm StraFo 2011 515. BGH NStZ-RR 2013 52, 53; 2016 147 f.; oben Rn. 6. Vgl. etwa OLG Düsseldorf VRS 65 (1983) 43; JMBlNW 1983 274; Sander StV 2000 46; Schäfer StV 1995 153; ferner Rn. 65. 284 Vgl. BGHSt 28 196; LR/Franke26 § 337, 123. 285 BGH NStZ-RR 2018 56; StV 2009 419 f.; 2016 417 (bei erwiesener Lüge des Angeklagten): s. a. NStZRR 2013 52, 53 (widersprüchliche Einlassungen). 286 BGH bei Holtz MDR 1980 108; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 212; NStZ-RR 2002 243 f.; 2003 166; 2003 206; OLG Koblenz VRS 57 (1979) 33; vgl. LR/Franke26 § 337, 123; w. Nachw. bei LR/Sander § 261, 120. 287 OLG Hamm StV 2007 630. 288 BGH NJW 2012 3736, 3737; StV 2011 4. 289 BGH NStZ-RR 2014 115. 290 BGHSt 48 161, 168; 52 78, 83; 58 184, 189; BGH NStZ 2013 353; NStZ-RR 2012 179. 291 Vgl. BGH bei Holtz MDR 1979 637; OLG Koblenz VRS 46 (1974) 436; OLG Schleswig bei Ernesti/ Jürgensen SchlHA 1972 161; 1973 87; 1975 191; ferner LR/Sander § 261, 74, 126 ff. und Rn. 60. 292 Stets ungenügend sind inhaltsleere Formeln etwa der Art, dass die Zeugen „die den Urteilsfeststellungen entsprechenden Angaben gemacht“ haben, OLG Brandenburg NStZ-RR 2010 89 f. 293 BGH NStZ 1983 133; bei Holtz MDR 1978 988; 1979 637; 1985 630; bei Spiegel DAR 1985 197; OLG Düsseldorf VRS 88 (1995) 442; OLG Koblenz GA 1976 185; KK/Kuckein/Bartel 15; KMR/Stuckenberg 54; Meyer-Goßner/Schmitt 12a; MüKo/Wenske 204; Radtke/Hohmann/Hagemeier 16; SK/Velten 38; SSW/Güntge 17; Überblick bei Brause NStZ 2007 505, 506 ff.; vgl. LR/Sander § 261, 74; LR/Franke26 § 337, 117 ff.

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unklaren Beweisergebnis entscheidende Bedeutung beigemessen wurde.294 Hat das Gericht einen die Vereidigung des Zeugen ausschließenden Tatverdacht verneint, muss es in den Urteilsgründen nur dann darauf eingehen, wenn die festgestellten Tatsachen einen solchen Verdacht als naheliegend erscheinen lassen.295 Umgekehrt kann eine Pflicht zur Erörterung der Zeugenaussage daraus erwachsen, dass sich das Urteil im Wesentlichen auf die Aussage eines Zeugen stützt, obwohl nach § 61 Nr. 3 a. F. von der Vereidigung mit der Begründung abgesehen wurde, dass die Aussage keine wesentliche Bedeutung habe.296 Eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit Zeugenaussagen verlangt die Recht- 65 sprechung jedoch insoweit, wie die Bedeutung der Aussage oder die Besonderheiten der Beweislage dies erfordern,297 so etwa dann, wenn der Angeklagte schweigt und das Urteil allein auf den Bekundungen von Belastungszeugen beruht298 oder sich auch auf das einmalige299 oder wiederholte Wiedererkennen300 des Angeklagten durch einen Zeugen oder einen Zeugen vom Hörensagen301 stützt, wenn Abweichungen oder Widersprüche aufgetreten sind,302 so wenn Aussage gegen Aussage steht,303 wenn auf Aussagekonstanz abgestellt wird304 oder nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der anderen Urteilsfeststellungen Zweifel in der Zuverlässigkeit einer Zeugenaussage bestehen können,305 etwa weil eine wahre Aussage selbstbelastend wäre,306 ein Zeugenkomplott naheliegt,307 wenn nur ein Teil der Bekundungen für glaubwürdig gehalten wird308 oder

294 295 296 297

BGH NStZ 1985 563 (L). BGH bei Spiegel DAR 1985 194; vgl. LR/Ignor/Bertheau § 60, 36. OLG Schleswig SchlHA 1991 43. Vgl. etwa BGHSt 12 315; BGH StraFo 2017 235, 236; BayObLG bei Rüth DAR 1984 245; OLG Köln VRS 47 (1974) 282; 59 374; KK/Kuckein/Bartel 15a, 15b sowie MüKo/Wenske 206 ff., jew. m. w. N. 298 BGH NStZ-RR 2016 148, 149; OLG Koblenz GA 1976 25; VRS 50 (1976) 442; ferner BGH StV 2000 599 (Angaben eines Mitangeklagten); vgl. LR/Sander § 261, 119 ff. 299 BGH StV 2018 791; OLG Düsseldorf StV 2016 273. 300 BGHSt 16 204, 205; BGH NStZ 1997 355; NStZ-RR 2012 381, 382; 2017 90; 2017 111 f.; StV 2005 421; OLG Koblenz StraFo 2015 286; dazu KK/Kuckein/Bartel 15b; Meyer-Goßner/Schmitt 12b; MüKo/Wenske 232 m. w. N. 301 BGH StV 2018 791, 792. 302 Vgl. RGSt 71 25; BGH NJW 1961 2069; NStZ 2020 240 f. mit Anm. Miebach; NStZ-RR 2016 148, 149; StV 1987 516 (L); 1995 563; 2008 237; 2011 6 f.; bei Martin DAR 1971 123; OLG Köln VRS 30 (1966) 313. 303 BGHSt 44 153; BGH NStZ 2000 496; 2003 165 f.; 2007 538 = JR 2007 127 mit Anm. Deckers; NStZ 2008 254; 2009 106; 2009 107; 2012 110; 2014 667; NStZ-RR 2002 146; 2010 20; 2010 182 f.; 2012 148; 2014 152; 2015 52; 2016 250; 2016 382; 2016 382 f.; 2018 188; 2018 220 f.; StV 1983 445; 1996 365; 1998 250; 1998 362; 2009 347; 2013 7; 2017 4; 2017 5 f.; 2018 195; StraFo 2012 103; KG NStZ 2010 533; OLG Frankfurt NZV 2004 158; OLG Hamm StV 2008 130; Sander StV 2000 45; LR/Sander § 261, 107 f., 139 f.; KK/Kuckein/Bartel 15a; MüKo/Wenske 217 ff. m. w. N. 304 BGH StV 2008 237; 2017 9; NStZ-RR 2015 146, 147; 2017 52. 305 BGH NStZ 1990 402; NStZ-RR 2016 318 (Gesamtwürdigung nötig); 2017 152; StV 1984 190 (L); 1988 237 mit Anm. Weider; StV 1992 2; 1992 556; StraFo 2003 274; OLG Hamm VRS 58 (1960) 380 (Geschwindigkeitsschätzungen); OLG Köln VRS 59 (1980) 374 (Zweifel an Zuverlässigkeit des Zeugen); vgl. LR/Sander § 261, 136 ff.; LR/Franke26 § 337, 122; MüKo/Wenske 212 ff. 306 BGH StV 2008 565 f. 307 OLG Dresden StV 2013 11. 308 BGHSt 44 153, 159; BGH NStZ 2000 496; 2018 116; 2019 746; NStZ-RR 2012 150 f.; 2016 382; StV 1983 321; 1988 8; 1994 358; StV 2017 6, 7; 2018 195; bei Holtz MDR 1978 988; OLG Braunschweig StV 2009 120; OLG Celle OLGSt § 267 Abs. 3, 8; OLG Köln JMBlNW 1973 15; OLG Koblenz VRS 57 (1979) 33; LR/ Sander § 261, 139.

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§ 267

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

bei Aktenkenntnis des Opferzeugen.309 Wird die Aussage in den Urteilsgründen wiedergegeben, müssen diese zweifelsfrei erkennen lassen, ob das Gericht damit nur ihren Inhalt mitteilen wollte oder ob es deren Inhalt als erwiesen der Entscheidung zugrunde gelegt hat. Auch hier kann die Darstellung der erhobenen Beweise die Wiedergabe der eigenverantwortlichen Beweiswürdigung nicht ersetzen.310 Unter besonderen Umständen kann es sogar notwendig sein, den Teil einer Zeugenaussage in den Urteilsgründen mitzuteilen und zu erörtern, den das Gericht bei der Urteilsfindung nicht verwertet hat.311 Mitzuteilen sind stets die näheren Umstände der Verweigerung des Zeugnisses oder 66 der Auskunft. Beruht die Überführung des Angeklagten auf Mitteilungen Dritter (Zeugnis vom Hörensagen) über frühere Angaben von Tatzeugen, die ihrerseits inzwischen die Auskunft wegen Gefahr der Selbstbelastung verweigern, dann muss das Urteil ausweisen, mit welcher Begründung die Auskunft verweigert wurde und, gegebenenfalls, aufgrund welcher Umstände und Erwägungen der Tatrichter dies für berechtigt gehalten hat.312 Konnte der Angeklagte sein Konfrontationsrecht aus Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK nicht ausüben, ist der Tatrichter zu einer besonders sorgfältigen und kritischen Beweiswürdigung und deren ausführlicher Darlegung verpflichtet.313 67

d) Sachverständigengutachten. Bei Sachverständigengutachten fordert die Rechtsprechung neben den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen eine eigene Stellungnahme des Gerichts zu der Fachfrage, um aufzuzeigen, dass es gemäß dem Gebot zur freien Beweiswürdigung (§ 261) die Frage mit Hilfe der Sachverständigen selbst entschieden hat. Schließt sich das Gericht dem Gutachten im Vertrauen auf die Sachkunde des Gutachters an, so muss es dies deutlich zum Ausdruck bringen. Es muss dann die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen des Gutachtens (Anknüpfungstatsachen), die vom Sachverständigen daraus gezogenen Schlussfolgerungen (Befundtatsachen) und die das Gutachten tragenden fachlichen Begründungen insoweit mitteilen, als dies zum Verständnis des Gutachtens und seiner gedanklichen Schlüssigkeit nötig ist.314 Handelt es sich dabei um neue, noch nicht allgemein anerkannte Erkenntnisse, bedürfen sowohl

309 BGH NStZ 2016 367 mit abl. Anm. Gubitz NStZ 2016 367 und Eisenberg JR 2016 391; s. a. OLG Hamburg NStZ 2015 105 mit zust. Anm. Radtke.

310 BGH NJW 1998 1788; 1999 802; NStZ 1985 184; StV 1982 157; 1983 445; 1988 8; 1990 533; 1992 261; 1996 367; Rn. 60; LR/Sander § 261, 106; LR/Franke26 § 337, 123.

311 OLG Celle OLGSt § 267 Abs. 3, 8 (Auseinandersetzung mit Glaubwürdigkeit und Beweiswert der Angaben eines Alibi-Zeugen bei einem Indizienurteil); OLG Köln JMBlNW 1973 151 (Aussage des Verletzten).

312 OLG Brandenburg NStZ 2002 611. 313 BGH NStZ 2018 51, 53 mit Anm. Arnoldi und Bespr. A. Schumann HRRS 2017 354; Lohse JR 2018 183; Gaede StV 2018 175. 314 BGHSt 7 238; 8 118; 12 311; 34 29; 39 291, 296; 55 5; BGH GA 1977 275; NStZ 1981 488; 1986 311; 1991 596; 1998 83; 2000 106; 2009 284; 2012 650; NStZ-RR 2014 244; 2014 305, 306; StV 1982 210; 1983 210; 1984 241; 1987 528; 1991 339; StraFo 2008 120; VRS 27 (1964) 264; 31 (1966) 107; BGH bei Spiegel DAR 1980 208; 1982 206; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 77; 1985 200; bei Kusch NStZ 1994 228; BayObLGSt 1968 70 = NJW 1968 2299; BayObLG bei Rüth DAR 1981 281; 1984 253; 1985 246; KG NStZ 2015 239, 240; VRR 2010 363; VRS 120 (2011) 89; OLG Bremen VRS 48 (1974) 272; OLG Celle MDR 1963 334; 1972 259; VRS 25 (1963) 55; OLG Düsseldorf NStZ 1983 283; VRS 64 (1983) 208; OLG Hamm NJW 1963 405; 1967 691; StraFo 2002 58; VRS 40 (1971) 197; 41 (1971) 276; 47 (1974) 296; 99 (2000) 204; 107 (2004) 371; StV 2000 547; OLG Jena VRS 110 (2006) 115; 197; OLG Karlsruhe Justiz 1977 20; OLG Koblenz VRS 56 (1979) 360; 67 (1984) 442; OLG Köln GA 1965 156; 1983 43; VRS 47 (1974) 281; DAR 2005 699; OLG Koblenz DAR 1974 134; VRS 51 (1976) 116; 53 (1977) 360; 56 (1976) 360; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1977 182; 1983 12; 1984 106; eingehend MüKo/Wenske 233 ff.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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die methodischen Grundlagen des Gutachters einschließlich der Gegenmeinungen als auch die Abwägung der für und gegen die Anwendung im konkreten Fall sprechenden Gesichtspunkte einer eingehenden Erörterung in einem sich darauf stützenden Urteil.315 Will es vom Gutachten abweichen, müssen die Urteilsgründe die Überlegungen des Gutachtens und die nach Ansicht des Gerichts dagegen sprechenden Erwägungen aufzeigen316 und belegen, dass das Tatgericht über das bessere Fachwissen verfügt.317 Gleiches gilt bei einander widersprechenden Gutachten318 oder wenn das Gericht eine nicht allgemeinkundige Fachfrage aus eigenem Wissen entscheidet.319 Die Notwendigkeit, die eigene Sachkunde und unter Umständen auch ihre Grundlage im Urteil darzulegen, entfällt nur dann, wenn die Beweislage so eindeutig und die hereinspielenden Fachfragen so bekannt sind, dass das Revisionsgericht die Richtigkeit des Ergebnisses auch ohne diese Ausführungen beurteilen kann.320 So kann bei standardisierten Untersuchungsverfahren die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens ausreichen, vor allem, wenn von keiner Seite Einwendungen gegen die Begutachtung und das Ergebnis erhoben worden sind.321

315 BGHSt 41 206; BGH NStZ 1994 250; 2000 106; KG VRR 2010 363 (Cannabiskonsum). 316 BGH GA 1977 275; NStZ 1983 377; 1985 421; 1994 503; 2000 550, 551; 2005 628; 2007 114; 2009 571; 2013 55, 56; 2013 180; NStZ-RR 2016 380; 2017 88, 89; 2017 222 f.; 2017 288; 2017 368; 2018 85; StV 1990 248; 1993 234; 1994 359; 2015 675, 676; 2018 199, 200 f.; StraFo 2008 334; 2009 71; bei Dallinger MDR 1972 570; bei Holtz MDR 1977 284; 1977 637; 1977 810; 1994 436; bei Pfeiffer NStZ 1981 296; OLG Stuttgart Justiz 1971 312; Schäfer 1489; w. Nachw. bei LR/Becker § 244, 74; LR/Franke26 § 337, 113; vgl. ferner LR/ Sander § 261, 161; MüKo/Wenske 262 f. 317 BGH NStZ 2013 55, 56; NStZ-RR 2015 82 f.; StV 2018 199, 201. 318 BGH StV 1983 8 f. mit Anm. Jungfer; 1990 339; 2004 580; 2005 653 f.; NStZ 2006 296; 2016 432; 2019 240; NStZ-RR 2015 255, 256; BayObLG NZV 2003 204; OLG Hamm StV 2001 221 mit Anm. Neuhaus; KK/Kuckein/Bartel 16; Meyer-Goßner/Schmitt 13; MüKo/Wenske 262; OK-StPO/Peglau 33; Radtke/Hohmann/Hagemeier 17; SK/Velten 39; SSW/Güntge 18. 319 BGHSt 12 18; vgl. LR/Becker § 244, 74, 319 ff. 320 Vgl. BGH bei Spiegel DAR 1983 207. 321 BGHSt 39 291, 297 ff.; BGH NStZ 1991 596; 1993 95; 2000 106, 107; KG VRS 111 (2006) 449, 451; VRR 2010 363; Meyer-Goßner/Schmitt 13a; MüKo/Wenske 235 ff. Als standardisierte Verfahren wurden angesehen: Blutgruppenbestimmung: BGHSt 12 311, 314; 39 291, 299; Blutalkoholbestimmung: BGHSt 28 235, 237 f.; 39 291, 298; OLG Bamberg BA 50 (2013) 185; chemisch-toxikologische Untersuchungen: BGHSt 39 291, 299; daktyloskopische Gutachten: BGH NStZ 1993 95; ordnungsgemäß benutzte Geschwindigkeitsmessgeräte: BGHSt 39 291, 300 ff.; KG VRS 116 (2009) 446; OLG Bamberg DAR 2014 38; 2016 90 f.; ZfSch 2013 290; OLG Koblenz DAR 2006 101; VRR 2010 123; ZfSch 2014 530, 532 mit Anm. Krenberger; OLG Schleswig NStZ-RR 2014 287; OLG Zweibrücken ZfSch 2013 472; Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren: BGH DAR 1993 474; OLG Düsseldorf DAR 2014 355; OLG Köln VRS 97 (1999) 442; zu DNA-Analysen s. BGHSt 58 212, 217; 63 187, 189 f. (geringere Anforderungen bei eindeutigen Einzelspuren) mit abl. Anm. Müller/Eisenberg JR 2019 46; BGH NJW 2014 2454; NStZ 2012 403; 2013 179; 2015 476; 2016 490 mit Anm. Eisenberg/Müller; 2017 723 f.; 2018 303; 2019 427 f.; NStZ-RR 2014 115; 2016 118; 2018 288; 2018 322; StV 2019 331 (fehlende Angabe, ob Mischspuren oder eindeutige Einzelspuren); näher Schneider/Ansinger/ Eckert/Fimmers/Schneider NStZ 2013 693; KK/Kuckein/Bartel 16a und MüKo/Wenske 241 ff. m. w. N.; abl. für anthropologische Vergleichsgutachten: BGH NStZ 2000 106 (Jeansfaltenvergleichsgutachten); 2005 458; KG VRS 132 (2017) 58; 133 (2017) 142, 148; OLG Bamberg DAR 2010 390; OLG Brandenburg NJ 2016 209; OLG Braunschweig StV 2000 546; OLG Celle NZV 2013 47, 48; NdsRpfl 2016 413; OLG Jena DAR 2006 523; VRS 110 (2006) 115; 110 (2006) 424 f.; StV 2010 123; OLG Oldenburg VRS 115 (2008) 362, 363; OLG Zweibrücken OLGSt StPO § 267 Nr. 37; dazu Rösing/Quarch/Danner NStZ 2012 548; Gabriel/Huckenberck/ Kürpiers NZV 2014 346; s. a. OLG Hamm DAR 2008 395, 397; SVR 2009 269 (humanbiologische Gutachten); ebenso für Schriftsachverständigengutachten: OLG Frankfurt StV 1994 9; morphologische Gutachten: OLG Celle NZV 2002 472 f.; OLG Karlsruhe Justiz 2000 41; aussagepsychologische Gutachten: OLG

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§ 267

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

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e) Ergebnis eines Augenscheins. Ist das Ergebnis eines Augenscheins eine wesentliche Grundlage der Entscheidung, müssen die Urteilsgründe in nachprüfbarer Weise darlegen, auf welche festgestellten Einzelheiten und welche daran anknüpfenden Erwägungen sich die Beweiswürdigung des Gerichts stützt.322 Bei Identifizierung eines Angeklagten anhand eines Bildes (Foto, Videoaufnahme) muss das Urteil, auch wenn es wegen der Einzelheiten der Abbildung auf diese Bezug nimmt,323 in eigener Beweiswürdigung neben der Bildqualität grundsätzlich auch erörtern, in welchen charakteristischen Merkmalen die Abbildung und das Erscheinungsbild der zu identifizierenden Person übereinstimmen, sofern es die Identität von beiden bejahen will.324 Einer solchen Erörterung bedarf es auch, wenn es die Übereinstimmung verneint.

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f) Verfahrensrechtlich gebotene Erörterung. Soweit im vorausgegangenen Verfahren Tatsachen als erwiesen oder unerheblich behandelt oder ihre Unterstellung als wahr zugesichert worden ist, muss die Beweiswürdigung dem Rechnung tragen.325 Wenn nicht offensichtlich ist, dass dies geschehen ist, wird je nach den Umständen in den Urteilsgründen darauf einzugehen sein.326 Wegen der strittigen Einzelheiten vgl. bei § 244 und § 261.327 5. Besondere Umstände, die die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen (Absatz 2)

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a) Begriff. Um die Urteilsbegründung zu erleichtern und nicht mit unnötigen negativen Feststellungen zu belasten, fordert Absatz 2 eine Erörterung der dort genannten Umstände nur, wenn sie behauptet worden sind. Ebenso wie § 263 Abs. 2 betrifft Absatz 2 nur diejenigen Umstände, welche gesetzlich nach Art einer Tatbestandsschilderung konkretisiert sind.328 Sie müssen in einem Gesetz besonders vorgesehen sein. Hierzu gehören die Rechtfertigungs-, Schuld- oder Strafausschließungsgründe sowie die Strafmilderungs- oder -erhöhungsgründe, wenn sie tatbestandsmäßig voll umschrieben sind.329 Beschränkt sich das Strafgesetz darauf, Regelbeispiele für besonders schwere Fälle (z. B. § 243 StGB) oder unbenannte Strafmilderungs- oder Strafschärfungsgründe

Hamm StV 2008 240; Vergleich von Werkzeugspuren: BGH NStZ 2011 171; Abstandsmesssysteme durch Nachfahren: OLG Jena VRS 119 (2010) 366 m. w. N.; zu Spurensuchhunden (Mantrailereinsätzen) LG Nürnberg-Fürth StraFo 2013 384; Artkämper/Artkämper/Baumjohann StRR 2015 92. 322 Vgl. LR/Sander § 261, 179 und bei § 86. 323 Zu Grenzen der Bezugnahme vgl. Rn. 44 ff. 324 Aus der umfangreichen Rechtsprechung vgl. BGHSt 29 18 = JR 1980 169 mit Anm. Peters; BGHSt 41 376; BGH NStZ-RR 2008 148; BayObLGSt 1996 34 = JR 1997 38 mit Anm. Göhler; BayObLG VRS 61 (1981) 41; bei Rüth DAR 1982 253; OLG Düsseldorf VRS 92 (1997) 417; OLG Hamm NStZ 1990 546 mit Anm. Janiszewski; VRS 90 (1996) 290; OLG Köln DAR 1982 24; OLG Oldenburg VRS 92 (1997) 337; OLG Schleswig bei Lorenzen/Schiemann SchlHA 1997 170; OLG Zweibrücken JBlRhPf 2007 271; vgl. Fn. 106; LR/Sander § 261, 180 m. w. N. 325 Vgl. LR/Sander § 261, 165. 326 Vgl. BGH NStZ 2011 231. 327 Zur Wahrunterstellung LR/Becker § 244, 288 ff.; ferner BGH StV 1984 142. 328 AK/Wassermann 13; HK/Julius/Beckemper 15; KK/Kuckein/Bartel 19; KMR/Stuckenberg 44; MeyerGoßner/Schmitt 15; MüKo/Wenske 292; OK-StPO/Peglau 37; Radtke/Hohmann/Hagemeier 19; SK/Velten 41; SSW/Güntge 21; vgl. § 263, 9. 329 AK/Wassermann 13; KK/Kuckein/Bartel 20; KMR/Stuckenberg 44; Meyer-Goßner/Schmitt 15; Radtke/ Hohmann/Hagemeier 19; SK/Velten 41; zweifelnd MüKo/Wenske 293.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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aufzustellen, so fallen diese nicht unter Absatz 2, sondern unter Absatz 3,330 wie dessen Satz 3 klarstellt. Beispielsweise fallen unter Absatz 2 die Voraussetzungen der erheblich verminder- 71 ten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB,331 die Voraussetzungen des § 23 Abs. 2332 und Abs. 3333 StGB, § 24 Abs. 1 StGB,334 § 27 Abs. 2 Satz 2 StGB,335 die Bereicherungsabsicht nach § 41 StGB,336 §§ 46a und 46b StGB,337 ferner § 60 StGB338 oder die Straftatbestände, die auf § 49 StGB verweisen.339 Unter Absatz 2 fallen ferner neben Tatbeständen des besonderen Teils auch zahlreiche Tatbestände des Nebenstrafrechts.340 Auf den in der Hauptverhandlung gestellten Antrag des Verteidigers, Jugendrecht anzuwenden, ist Absatz 2 entsprechend anwendbar.341 Nicht nach Absatz 2 zu beurteilen sind die Begründungspflichten bei der Behaup- 72 tung, dass eine Prozessvoraussetzung fehle342 oder dass die Tat einer vom Eröffnungsbeschluss abweichenden rechtlichen Beurteilung zu unterziehen sei.343 Noch weniger kann von einer Verletzung des Absatzes 2 die Rede sein, wenn andere Behauptungen tatsächlicher Art in den Urteilsgründen nicht widerlegt oder nicht angeführt sind.344 b) Erörterungspflicht bei Behauptung. Werden in der Hauptverhandlung Umstän- 73 de im Sinne des Absatzes 2 behauptet, so muss das Gericht in den Urteilsgründen darlegen, ob sie gegeben sind oder aufgrund welcher tatsächlichen oder rechtlichen Überlegungen sie entfallen. Die Erörterungspflicht nach Absatz 2 wird durch die bloße Behauptung solcher Umstände ausgelöst,345 die auch ohne ausdrückliche Benennung des jeweiligen Umstandes in einem entsprechenden Sachvortrag liegen kann; die bloße Beantragung einer „milden Strafe“ genügt dafür aber nicht.346 Unerheblich ist, ob die Behauptung vom Angeklagten oder seinem Verteidiger oder aber vom Staatsanwalt oder Nebenkläger aufgestellt worden ist, sowie, ob die vom Gericht festgestellten Tatsachen zu der Erörterung dieser Umstände drängten (vgl. aber Rn. 77).

330 KMR/Stuckenberg 45; Meyer-Goßner/Schmitt 15; SK/Velten 41; a. A. KK/Kuckein/Bartel 20; SSW/ Güntge 21; w. Nachw. in § 263, 9 f. 331 BGH StV 2017 520; OLG Hamm NJW 1972 1149; KK/Kuckein/Bartel 20; Meyer-Goßner/Schmitt 15; MüKo/Wenske 292; Radtke/Hohmann/Hagemeier 19; SK/Velten 41; SSW/Güntge 21. 332 KK/Kuckein/Bartel 20; KMR/Stuckenberg 44; Meyer-Goßner/Schmitt 15; MüKo/Wenske 292; SK/Velten 41; SSW/Güntge 21. 333 KMR/Stuckenberg 44. 334 HK/Julius/Beckemper 15; KK/Kuckein/Bartel 20; SK/Velten 41. 335 MüKo/Wenske 292. 336 AK/Wassermann 13; KK/Kuckein/Bartel 20; KMR/Stuckenberg 44; Meyer-Goßner/Schmitt 15; SK/Velten 41. 337 MüKo/Wenske 292. 338 KMR/Stuckenberg 44; Meyer-Goßner/Schmitt 15; MüKo/Wenske 292. 339 AK/Wassermann 13; KK/Kuckein/Bartel 20; SK/Velten 41. 340 Etwa § 31 Nr. 1 BtMG (BGHSt 31 139; OLG Köln JMBlNW 1984 188); vgl. HK/Julius/Beckemper 15; KMR/Stuckenberg 44; Radtke/Hohmann/Hagemeier 19. 341 BGH bei Herlan GA 1956 367; KK/Kuckein/Bartel 19; KMR/Stuckenberg 44; MüKo/Wenske 294. 342 RGSt 53 59; KMR/Stuckenberg 45; Meyer-Goßner/Appl 403. 343 RGSt 20 351; zur materiell-rechtlichen Begründungspflicht, wenn andererseits die festgestellten Umstände zur Erörterung drängten, vgl. Rn. 77. 344 Vgl. dazu Rn. 61; LR/Sander § 261, 110. 345 BGH StV 2017 520; AK/Wassermann 13; HK/Julius/Beckemper 15; KK/Kuckein/Bartel 21; KMR/Stuckenberg 46; MüKo/Wenske 295 f.; OK-StPO/Peglau 38; SK/Velten 41; SSW/Güntge 22. 346 Vgl. BGHSt 31 139.

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Nach Absatz 2 ist auch zu verfahren, wenn solche Umstände entgegen der zugelassenen Anklage für nicht erwiesen erachtet werden;347 denn mit der zugelassenen Anklage wurden diese ausdrücklich zum Gegenstand der Verhandlung, sie sind also in ihr „behauptet“ worden. Das Gericht muss bei einer anderen Würdigung ausdrücklich aussprechen, welche Merkmale nicht festgestellt sind. Dessen bedarf es nicht, wenn es eine Abweichung zwar erwägt, im Ergebnis aber verneint.348 Die Erörterung muss den behaupteten Umstand sachlich und rechtlich erschöp75 fend unter Darlegung der für und gegen ihn sprechenden Umstände349 abhandeln. Die floskelhafte Wendung, „ein besonders schwerer Fall liege nach dem festgestellten Sachverhalt nicht vor“, genügt in der Regel den Anforderungen des Absatzes 2 nicht.350

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c) Keine wesentliche Förmlichkeit. Die Behauptung eines Umstandes nach Absatz 2 in der Hauptverhandlung ist keine wesentliche Förmlichkeit (§ 273), die nur durch das Sitzungsprotokoll nachgewiesen werden könnte (§ 274).351

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d) Erörterungspflicht ohne Behauptung. Auch ohne Behauptung nach Absatz 2 müssen die Urteilsgründe zum Vorliegen der dort genannten Umstände Stellung nehmen, wenn der festgestellte Sachverhalt dies nahelegt und andernfalls die richtige Anwendung des sachlichen Rechts nicht nachgeprüft werden könnte.352

IV. Bezeichnung des angewandten Strafgesetzes (Absatz 3 Satz 1 Halbsatz 1) 78

1. Angewandte Strafgesetze. Die Urteilsgründe müssen die angewandten Strafgesetze ersehen lassen. Absatz 3 Satz 1 trägt der Bindung der Strafgewalt an das Gesetz (Art. 103 Abs. 2 GG) Rechnung,353 wenn er fordert, dass die Urteilsgründe zur Legitimation des angeordneten Eingriffs anführen, welche gesetzlich festgelegten Straftatbestände und welche konkrete Begehungsart das Gericht für gegeben hielt und welche Vorschriften für die Bestimmung der Rechtsfolgen, vor allem für die Bemessung der Strafe maßgebend waren.354 Auch die Vorschriften über den Versuch und die Art der Teilnahme und

347 BGH nach KK/Kuckein/Bartel 21; Eb. Schmidt 17. 348 Vgl. RGSt 60 22 (Hinweis nach § 265 löst keine Erörterungspflicht hinsichtlich der nicht angewandten Tatbestände aus); ob dies auch gilt, wenn auf Umstände nach Absatz 2 hingewiesen wurde, erscheint fraglich. 349 OLG Düsseldorf JR 1948 199; KMR/Stuckenberg 46. 350 BGH bei Dallinger MDR 1972 199; vgl. auch BGHSt 31 139; AK/Wassermann 13. 351 BGHSt 31 139 = NJW 1983 186 mit abl. Anm. Sieg NJW 1983 2014 = NStZ 1983 278 mit abl. Anm. Fezer; BayObLGSt 1960 300 = JR 1961 151; OLG Hamm NJW 1972 1149; HK/Julius/Beckemper 15; KK/Kuckein/Bartel 21; KMR/Stuckenberg 46; MüKo/Wenske 302; SK/Velten 41. Soweit unter Berufung auf RGSt 17 346 die Ansicht vertreten wird, dass der Nachweis einer solchen Behauptung nur aus der Sitzungsniederschrift geführt werden könne, kann dem nicht gefolgt werden. RGSt 17 346 betrifft die Anwendung der §§ 199, 233 StGB, die ohnehin nicht unter Absatz 2, sondern unter Absatz 3 fällt (Eb. Schmidt 15). Das Reichsgericht hat dies in späteren Entscheidungen auch nicht gefordert, vgl. Fn. 705. 352 OLG Braunschweig NJW 1957 639; OLG Düsseldorf NJW 1983 358; OLG Köln MDR 1980 245; VRS 68 (1985) 351; 69 (1985) 38; Meyer-Goßner NStZ 1988 529, 533; HK/Julius/Beckemper 15; OK-StPO/Peglau 38; zur materiell-rechtlichen Begründungspflicht vgl. Rn. 46, 56 f. 353 AK/Wassermann 14; HK/Julius/Beckemper 14; KMR/Stuckenberg 58. 354 RGRspr. 5 (1883) 175; RGSt 54 202; RG GA 45 (1897) 367; KG VRS 16 (1959) 44; DAR 1962 56; AK/ Wassermann 14; KK/Kuckein/Bartel 22; Eb. Schmidt 17.

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die Konkurrenzen gehören hierher;355 ferner die Vorschrift, der der Strafrahmen entnommen wurde, sofern er sich nicht bereits aus dem angeführten Gesetz ergibt.356 Bei Blankettgesetzen sind auch die blankettausfüllenden Normen aufzuführen, bei Tateinheit alle Vorschriften, gegen die der Täter verstoßen hat. Die hinter dem Urteilstenor anzuführende Liste der angewandten Vorschriften (§ 260 Abs. 5) ersetzt die Bezeichnung der angewandten Vorschriften in den Urteilsgründen nicht.357 Zweck der Vorschrift ist es, jeden Zweifel darüber auszuschließen, welche gesetzli- 79 chen Bestimmungen vom Gericht angewendet wurden.358 Es muss eindeutig ersichtlich sein, dass das Gericht die Rechtslage des entschiedenen Falles in ihrer vollen Breite erkannt und in all ihren im konkreten Fall hereinspielenden Verästelungen bedacht und gewürdigt hat. Dies erleichtert sowohl das Verständnis des Urteils als auch seine Nachprüfung. Die Form, in der das angewandte Strafgesetz zu bezeichnen ist, legt Absatz 3 Satz 1 80 nicht näher fest; erforderlich ist nur, dass das Urteil zweifelsfrei ersehen lässt, welche gesetzliche Vorschrift – bei mehreren Begehungsarten eines Straftatbestandes auch, welche von ihnen – das Gericht für gegeben erachtet hat.359 Ein bloßes Schreibversehen bei der Angabe der Paragraphenzahl ist unschädlich. Fehlt diese überhaupt, so genügt auch die zweifelsfreie Bezeichnung des Gesetzes durch Wiedergabe seines Wortlauts.360 Es kann ferner genügen, wenn sich das angewandte Gesetz eindeutig aus dem Zusammenhang der sonstigen Urteilsausführungen361 ergibt, etwa daraus, dass ein Berufungsurteil ausführt, weswegen der Angeklagte in der ersten Instanz verurteilt wurde und dann darlegt, dass die Berufung keinen Erfolg hatte.362 2. Nicht angewandte Bestimmungen. Nicht angewendete gesetzliche Bestimmun- 81 gen, deren Anwendung das Gericht zwar erwogen, dann aber verworfen hat, brauchen nach dem Wortlaut des Absatzes 3 Satz 1 im Urteil nicht erwähnt zu werden, es sei denn, dass das Gericht sich damit wegen der besonderen Begründungspflichten (§ 267 Abs. 2, Abs. 3 Sätze 2 bis 4; Abs. 6)363 oder wegen der besonderen Lage des konkreten Falls364 auseinandersetzen muss. 3. Weitere Rechtsausführungen. Ob und in welchem Ausmaß die Urteilsgründe 82 außer der Anführung des angewandten Strafgesetzes weitere Rechtsausführungen enthalten müssen, hängt von den jeweiligen Umständen ab, vor allem davon, ob solche Betrachtungen zum Verständnis der Rechtsanwendung erforderlich sind. Es darf nicht zweifelhaft bleiben, ob das Gericht eine sich im konkreten Fall aufdrängende Rechtsfra-

355 RGSt 19 213; 25 418; 32 351; OGHSt 1 53; AK/Wassermann 14; KK/Kuckein/Bartel 22; KMR/Stuckenberg 58; Radtke/Hohmann/Hagemeier 20; SK/Velten 42; SSW/Güntge 23.

356 OLG Schleswig SchlHA 1982 96; Mösl NStZ 1981 136. 357 AK/Wassermann 14; KMR/Stuckenberg 58; Meyer-Goßner/Schmitt 17; OK-StPO/Peglau 35; SK/Velten 42. 358 OGHSt 1 54; KG VRS 16 (1959) 44; OLG Hamm MDR 1999 1019 f.; KK/Kuckein/Bartel 22; vgl. BayObLGSt 1988 181 = NJW 1989 1685.

359 KMR/Stuckenberg 59; Radtke/Hohmann/Hagemeier 21; vgl. Fn. 358; ferner BGHSt 1 53. 360 Vgl. RGSt 51 33; KK/Kuckein/Bartel 22; KMR/Stuckenberg 59; SK/Velten 42; ferner Meyer-Goßner NStZ 1988 529, 533 (in der Regel überflüssig). 361 AK/Wassermann 14; KK/Kuckein/Bartel 22; Radtke/Hohmann/Hagemeier 20; SSW/Güntge 23; MeyerGoßner NStZ 1988 529, 533. 362 OGHSt 1 53, 55; OLG Karlsruhe DAR 1959 217; KMR/Stuckenberg 59. 363 Vgl. Rn. 73, 104, 109, 116, 118. 364 Vgl. Rn. 82.

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ge erkannt und wie es sie beurteilt hat.365 Rechtsausführungen sind zum Beispiel auch bei Ermittlung des milderen Gesetzes nach § 2 Abs. 3 StGB im Regelfall angezeigt. Mehr als nach der Sachlage zur Begründung des Urteilsspruches und zur Abhandlung sich aufdrängender Rechtsfragen nötig, sollte jedoch nicht erörtert und entschieden werden.366 Rechtstheoretische Abhandlungen sind in der überwiegenden Mehrzahl aller Fälle ebenso überflüssig wie das Belegen der vertretenen Meinung mit Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum. Hier das rechte Maß zu finden, ist – nicht zuletzt im Hinblick auf das Vorbringen der Verfahrensbeteiligten – auch eine Frage des richterlichen Taktes.367

V. Begründung des Rechtsfolgenausspruchs (Absatz 3 Satz 1 2. Halbsatz) 1. Allgemeines. Seit dem VereinhG 1950 schreibt § 267 Abs. 3 Satz 1 zwingend vor, die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände in den Urteilsgründen wiederzugeben.368 Welche Umstände bei der Strafzumessung berücksichtigt werden dürfen und müssen, hängt davon ab, wie man die Frage nach dem Sinn und Zweck der Strafe beantwortet und welche Anforderungen das sachliche Recht, vor allem §§ 46 ff. StGB, an die Begründung der jeweiligen Rechtsfolge stellt.369 Im Rahmen des Rechtsfolgenausspruchs muss das Gericht aber auch etwaige Beein84 trächtigungen kompensieren, die der Angeklagte dadurch erlitten hat, dass im Zusammenhang mit dem Strafverfahren in seine durch die Verfassung oder durch die Menschenrechtskonventionen geschützten Rechte ungerechtfertigt eingegriffen wurde. Vor allem kommen hier die Verletzung des Beschleunigungsgebots durch einen den Staatsorganen anzulastenden verzögerlichen Betrieb des Strafverfahrens370 oder auch Verstöße gegen das Gebot eines fairen Verfahrens371 in Betracht. Diese erlittene Beeinträchtigung muss das Gericht nach Möglichkeit noch im anhängigen Strafverfahren ausgleichen. Nach früherer Rechtsprechung war insbesondere eine Verletzung des Beschleunigungsgebots durch Milderung der an sich verwirkten Strafe zu kompensieren.372 83

365 KK/Kuckein/Bartel 22; KMR/Stuckenberg 60; Meyer-Goßner/Schmitt 17; vgl. etwa BGH bei Holtz MDR 1980 104.

366 KK/Kuckein/Bartel 22; KMR/Stuckenberg 60; Meyer-Goßner/Schmitt 17; OK-StPO/Peglau 35; Radtke/ Hohmann/Hagemeier 21; Meyer-Goßner/Appl 410; Blunk MDR 1970 473 hält weitere Rechtsausführungen immer für überflüssig. 367 Meyer-Goßner/Appl 224 ff., 410. 368 Zur Umwandlung der ehemaligen Sollvorschrift in zwingendes Recht vgl. Entstehungsgeschichte. 369 Die zur Begründung des Rechtsfolgenausspruchs notwendigen Feststellungen bemessen sich nach dem, was jeweils zur Darlegung der richtigen Anwendung des materiellen Rechts erforderlich ist; insoweit wird auf die Erläuterungsbücher zum StGB verwiesen. 370 BGHSt 24 239; 45 368; 52 124, 134 ff.; BGH NJW 1990 56; NStZ 1982 291 f.; 1983 167; 1986 217; 1992 229; 1996 328; 1999 181; NStZ-RR 1999 108; zu den verschiedenen Aspekten großen zeitlichen Abstands zwischen Tat und Urteil s. BGHSt 62 184, 192 ff.; BGH NZWiSt 2018 347 mit Anm. Budde und Grötsch wistra 2018 122; s. a. BGH NStZ-RR 2016 7; StV 2019 444; vgl. ferner LR/Esser26 Art. 6, 307 EMRK. 371 Vgl. BGHSt 32 345; 41 64; 45 321; 47 44; BGH NJW 2000 1123; NStZ 2004 345; 2005 43 (gegen das Gebot eines fairen Verfahrens, Art. 6 Abs. 1 EMRK, verstoßender Lockspitzeleinsatz). 372 BVerfG NJW 1995 1277; 2003 2225; 2006 680, 681; BVerfGK 2 239, 247; BGHSt 24 239; 49 342, 344 ff.; BGH NJW 2003 2759; NStZ 1997 543, 544; 2004 639, 641; NStZ-RR 1999 108; vgl. LR/Jäger Vor § 212, 23; Meyer-Goßner/Schmitt Art. 6, 9 ff. EMRK.

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Nach dem Urteil des Großen Senats aus dem Jahr 2008373 ist stattdessen die „Vollstreckungslösung“ zu wählen, indem anstelle der Kompensation der rechtsstaatswidrigen Verzögerung im Wege einer Strafmilderung ein Teil der festgesetzten Strafe im Urteilstenor für vollstreckt erklärt wird. Zuvor sind aber wie bisher Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursachen zu ermitteln und als Grundlage für die Strafzumessung im Urteil konkret festzustellen. In wertender Betrachtung ist zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen der Angeklagte wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt war, bei der Straffestsetzung mildernd zu berücksichtigen sind. Diese Erörterungen sind in den Urteilsgründen nach § 267 Abs. 3 Satz 1 kenntlich zu machen, wobei es einer Bezifferung des Maßes der Strafmilderung nicht bedarf. Hieran anschließend ist zu prüfen, ob zur Kompensation die ausdrückliche Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung genügt; ist dies der Fall, so muss diese Feststellung in den Urteilsgründen klar hervortreten. Erst wenn diese Feststellung als Entschädigung nicht genügt, muss das Gericht festlegen, welcher bezifferte Teil der Strafe zur Kompensation der Verzögerung als vollstreckt gilt.374 2. Persönliche Verhältnisse des Angeklagten. Auf die persönlichen Verhältnisse 85 und den Werdegang des Angeklagten einzugehen, fordert § 267 nicht ausdrücklich.375 Nach heutiger Auffassung lässt sich jedoch ohne Kenntnis der Persönlichkeit des Täters, seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und seiner sonstigen Lebensumstände weder das Maß seiner Schuld noch seine Strafempfindlichkeit noch seine Resozialisierungsbedürftigkeit sicher beurteilen.376 Soweit diese Umstände für die Strafzumessung mitbestimmend sind, müssen sie auch in den Urteilsgründen wiedergegeben werden,377 ihr Fehlen stellt einen Sachmangel dar (Rn. 188). Vor allem, wenn eine Prognoseentscheidung zu treffen ist378 oder wenn die Angemessenheit einer Rechtsfolge nicht ohne Ganzheitsbetrachtung von Tatgeschehen und Täterpersönlichkeit sicher beurteilt und die gebotene Berücksichtigung aller Gesichtspunkte vom Revisionsgericht andernfalls nicht nachgeprüft werden kann, muss das Urteil in dem nach Lage des Einzelfalls gebotenen Umfang auch Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des

373 BGHSt 52 124; dazu Bußmann NStZ 2008 236; Gaede JZ 2008 422; Ignor/Bertheau NJW 2008 2209; Keiser GA 2008 686; Kraatz JR 2008 189; Volkmer NStZ 2008 608; Ziegert StraFo 2008 321; Scheffler ZIS 2008 269; ders. StV 2009 719; Celik StV 2010 657; I. Roxin GA 2010 425; dies. FS Volk 617, 624 ff. 374 BGHSt 52 124, 146; 54 236, 240; BGH StV 2008 399; 2008 404 f.; StraFo 2008 297; 2008 336; NStZRR 2009 248; 2010 106; 2011 171; 2011 239; BGH 6.12.2018 – 4 StR 424/18 Rn. 10; OLG Jena StV 2009 132; zum Jugendrecht BGH StV 2009 93. 375 Dies erklärt sich aus der damaligen Sicht, bei der die Ahndung der Tat im Vordergrund der strafrichterlichen Wertung stand. 376 Zur Ganzheitsbetrachtung von Tatgeschehen und Täterpersönlichkeit (als Forderung des materiellen Rechts) vgl. etwa BGHSt 7 31; 16 353; 24 270; BGH JR 1977 162 mit Anm. Bruns; NStZ 1981 389; 2014 171; StV 1990 438; 1992 463; bei Holtz MDR 1979 105; bei Pfeiffer NStZ 1981 296; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 213; 1984 18; bei Spiegel DAR 1978 160; 1982 203; Mösl NStZ 1981 161; Schäfer 1461; HK/Julius/ Beckemper 18; KK/Kuckein/Bartel 26; KMR/Stuckenberg 30; MüKo/Wenske 323 ff.; OK-StPO/Peglau 17; Radtke/Hohmann/Hagemeier 7; Schäfer/Sander/van Gemmeren 1353, 1378. 377 § 267 Abs. 3 Satz 1 fordert damit mitunter weniger als das materielle Recht; vgl. KK/Kuckein/Bartel 26; ferner etwa Bruns NStZ 1982 288; Zipf JR 1980 425; LR/Franke26 § 337, 154. 378 Etwa im Zusammenhang mit einer Maßregel der Besserung und Sicherung oder der Strafaussetzung zur Bewährung vgl. Rn. 121. Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind u. a. für die Bemessung des Tagessatzes unentbehrlich. Zur Feststellung der Vorstrafen vgl. Rn. 88.

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Angeklagten enthalten.379 Ganz weggelassen werden dürfen sie allenfalls bei massenhaft auftretenden, typischen Bagatelltaten, wenn sie weder für die Beurteilung der Tat noch für die Bemessung der im Bereich des Üblichen liegenden Rechtsfolge ins Gewicht fallen.380 In allen anderen Fällen ist ein Mindestmaß an Feststellungen zur Person des Angeklagten unerlässlich. Wenn zwischen der Entscheidung des Berufungsgerichts und dem Ersturteil ein langer Zeitraum vergangen ist, müssen die Feststellungen des Berufungsgerichts zu den persönlichen Verhältnissen auch das Nachtatverhalten in der Zeit nach dem Ersturteil mit umfassen.381 Unterbleiben die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen ganz oder sind sie in wesentlichen Teilen unvollständig, gefährdet diese Lücke den Bestand des Rechtsfolgenausspruchs, da die Revisionsgerichte im Regelfall nicht ausschließen können, dass das Gericht der Pflicht zur umfassenden Würdigung von Tat und Täterpersönlichkeit nicht genügt habe.382 Verweigert der Angeklagte die Angaben hierzu, muss das Gericht versuchen, sich durch andere Beweismittel (Zeugen, frühere Urteile usw.) ein Bild von Person und Lebensumständen des Angeklagten zu machen.383 Soweit ihm auch dann genauere Feststellungen zum Lebensgang des Angeklagten nicht möglich sind, muss das Urteil zumindest darlegen, dass und wodurch sich das Gericht um anderweitige Aufklärung bemüht hat.384 In welcher Ausführlichkeit das Urteil die persönlichen Verhältnisse des Angeklag86 ten erörtern muss, richtet sich nach den Erfordernissen des sachlichen Rechts, nach der Art der Straftat und den in Betracht kommenden Sanktionen. Danach beurteilt sich auch, in welchem Umfang Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten notwendig sind.385 Soweit Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen mit einer Bloßstellung oder sonst mit einem Eingriff in den höchstpersönlichen Bereich des Angeklagten oder einer anderen Person verbunden sind, ist zu prüfen, ob sie zur Begründung des Urteilsspruches überhaupt erforderlich sind, sowie bejahendenfalls, ob bei Abwägung der kollidierenden Interessen die Schwere der Straftat den mit der Erörterung verbundenen Eingriff rechtfertigt. Alle für das Verständnis der Rechtsanwendung nicht erforderlichen Ausführungen, die den Angeklagten unnötig herabwürdigen oder bloßstellen, sollten unterbleiben,386 da sie die Akzeptanz des Urteils erschweren und die Resozialisierung gefährden können. 87 Üblicherweise werden in einem eigenen Abschnitt die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten, sein Werdegang, seine Anlagen und seine Umwelt geschildert. Die Ausführungen stehen meist am Anfang der Urteilsgründe, auch wenn sie nur für den Rechtsfolgenausspruch und nicht auch für den Schuldspruch, wie etwa bei der Be379 Vgl. Fn. 376; BGH JR 1977 162 mit Anm. Bruns; NJW 1976 2220; NStZ 1991 231; 1996 49; StV 1992 463; BGHR § 267 Abs. 3 Satz 1 Strafzumessung 8; ferner etwa BGH NStZ 1981 389 (bei schwereren Schuldvorwürfen sorgfältige Erörterung der Persönlichkeit des Täters und seines Vorlebens unerlässlich). Nach HK/Julius/Beckemper 18 ist das Gewicht der Straftat unerheblich, da jede strafrechtliche Schuld nicht ohne Schilderung der Täterpersönlichkeit plausibel erklärt werden kann. 380 Vgl. Doller DRiZ 1981 209 und Fn. 379. 381 OLG Stuttgart StV 1991 340; vgl. auch Rn. 83. 382 Vgl. BGH NStZ 1981 389; 1982 433 (L); 2014 171; bei Holtz MDR 1979 105; bei Pfeiffer NStZ 1981 296; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 213; 1983 358; 1984 18; 1985 207; OLG Köln GA 1980 267; KK/Kuckein/ Bartel 26; LR/Franke26 § 337, 156. 383 BGH NStZ 1991 231; bei Kusch NStZ 1993 30; BGHR § 267 Abs. 3 Satz 1 Strafzumessung 8 ff.; OLG Stuttgart StV 1991 340; HK/Julius/Beckemper 18. 384 BGH NJW 1976 2220; NStZ 1991 231; NStZ-RR 1998 17; StV 1986 287; 1992 463; KK/Kuckein/Bartel 25, 26; MüKo/Wenske 323 f.; Radtke/Hohmann/Hagemeier 26. 385 Vgl. OLG Düsseldorf MDR 1991 277. 386 Meyer-Goßner/Appl 268; Peters GedS Schröder 426.

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urteilung der Schuldfähigkeit, Bedeutung haben. Notwendig ist dies nicht. Sofern die Klarheit der Urteilsfeststellungen nicht darunter leidet, können die jeweils erforderlichen Feststellungen auch an anderer Stelle der Urteilsgründe mitgeteilt werden.387 Für die Feststellung der für die Rechtsfolgen erheblichen Umstände gelten dieselben 88 Grundsätze wie für die Feststellung der Tatsachen, in denen der Strafrichter die Merkmale der Straftat findet.388 Sie müssen, soweit das Gericht daraus negative Schlüsse herleitet, erwiesen sein. So reicht es beispielsweise nicht aus, eine ungünstige Täterprognose allein daraus herzuleiten, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung einen ungünstigen Eindruck gemacht habe.389 Eine negative Persönlichkeitsbeurteilung muss von den festgestellten Tatsachen getragen werden.390 Pauschalbewertungen, die nicht durch Tatsachen belegt sind, genügen nicht.391 Frühere Verfehlungen sind nach Art, Zeit, Umfang und Vollstreckung festzustellen,392 soweit sie für die getroffene Entscheidung von Bedeutung sind.393 Es ist dann in einer auf das Wesentliche beschränkten, knappen Schilderung der früheren Verfehlung und ihres Anlasses darzutun, weshalb sie im gegebenen Fall straferschwerend ins Gewicht fällt oder eine Prognoseentscheidung beeinflusst.394 Die eigene Feststellung der relevanten Vorstrafen darf nicht dadurch ersetzt werden, dass lediglich ein ungekürzter Ausdruck des Bundeszentralregisters in die Urteilsgründe eingefügt wird.395 Die Verwertungsverbote des BZRG sind zu beachten.396 Bei einer positiven Prognose muss sich das Gericht mit festgestellten Vorstrafen auseinandersetzen.397 Zu den strittigen Fragen, wieweit das Gericht nicht rechtskräftig abgeurteilte Straftaten bei der Strafzumessung berücksichtigen darf, vgl. die Kommentare zum StGB, § 261, 19 und bei § 154. 3. Die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände a) Keine erschöpfende Aufzählung. Absatz 3 Satz 1 fordert nur die Anführung der 89 Umstände, die für die Strafzumessung bestimmend gewesen sind, er verlangt keine er-

387 AK/Wassermann 6; KK/Kuckein/Bartel 26; KMR/Stuckenberg 31; Meyer-Goßner/Schmitt 4; MeyerGoßner/Appl 267; MüKo/Wenske 334; Schäfer/Sander/van Gemmeren 1368; Meyer-Goßner NStZ 1988 529, 531; vgl. BGHSt 24 271; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 358; Bedenken gegen das Voranstellen der Ausführungen finden sich bei Peters GedS Schröder 426. 388 BGHSt 1 51; vgl. Rn. 35 ff.; LR/Franke26 § 337, 154 ff. 389 OLG Köln GA 1967 187; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1969 153. 390 Vgl. OLG Köln VRS 34 (1968) 104; OLG Koblenz VRS 69 (1985) 298; HK/Julius/Beckemper 18; KK/ Kuckein/Bartel 26. 391 BGH wistra 1988 64. 392 BGH bei Dallinger MDR 1976 13 („erheblich vorbestraft“ genügt nicht); OLG Düsseldorf VRS 68 (1985) 65; OLG Koblenz VRS 64 (1983) 215; zur Verwertbarkeit sonstiger Verfehlungen BGHSt 30 147; 30 165; ferner etwa BGH NJW 1954 1416; 1971 1758; BayObLG NStZ 1982 288 mit Anm. Bruns (zu den Grenzen der Verwertbarkeit). 393 BGH bei Becker NStZ-RR 2002 100; BGHR § 267 Abs. 3 Satz 1 Strafzumessung 16; vgl. auch Rn. 86. 394 BGH StV 1984 151; 1992 120; OLG Düsseldorf StV 1992 120; OLG Frankfurt StV 1989 155; NStZ-RR 2009 23; 2013 287; OLG Koblenz VRS 71 (1986) 46; OLG Köln StV 1996 321; VRS 74 (1988) 210. 395 BGH NJW 2011 3463, 3465; NStZ 1995 300; NStZ-RR 2013 287; BGH 14.5.2013 – 3 StR 101/13 (Faksimile); 29.4.2014 – 3 StR 171/14 Rn. 15; KMR/Stuckenberg 79; Meyer-Goßner/Schmitt 4; das Einkopieren eines Auszugs aus dem Strafregister soll nach BayObLGSt 2004 152, 154 hingegen nicht zu beanstanden sein. 396 Es kommt darauf an, ob das Verbot in der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz wirksam geworden ist, vgl. BGH NStZ 1983 30; NStZ-RR 2011 286, 287; OLG Düsseldorf VRS 54 (1978) 50; OLG Hamburg MDR 1977 162; OLG Hamm NStZ 1983 175; VRS 47 (1974) 42; OLG Karlsruhe VRS 55 (1978) 284; OLG Stuttgart Justiz 1985 174; Mösl NStZ 1983 493. 397 OLG Koblenz VRS 62 (1982) 442.

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schöpfende Aufzählung.398 Mit Recht sieht Eb. Schmidt399 den Sinn der Vorschrift darin, dass sie den Tatrichter dazu anhält, diejenigen Umstände und Erwägungen wahrheitsgemäß anzugeben, die ihn bei der Beratung dazu bestimmt haben, diese und keine andere (höhere oder geringere) Strafe zu verhängen.400 Das Gericht muss in einer „Gesamtschau“401 die als erwiesen erachteten Tatsachen, durch die sein Rechtsfolgenausspruch im Wesentlichen bestimmt wird, in einer sie wertenden und gegeneinander abwägenden Darstellung mitteilen.402 Die für Auswahl und Bemessung der Rechtsfolgen maßgebenden Feststellungen und Erwägungen und ihr Bezug zum konkreten Sachverhalt des Schuldspruchs und zur Person des Angeklagten müssen nachvollziehbar sein. Eine bloße Aufzählung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte genügt dafür nicht,403 ebenso wenig allgemeine und nichtssagende Wendungen dergestalt, dass die Strafe nach Abwägung aller strafschärfenden und strafmildernden Umstände angemessen sei oder dass das Gericht sie als angemessene und erforderliche Sühne ansehe.404 Es brauchen aber nicht alle nach materiellem Recht denkbaren Umstände abgehandelt zu werden,405 auch die Feststellungen zur Person sind kein Selbstzweck.406 Aus dem Schweigen des Urteils zu bestimmten Gesichtspunkten kann daher nicht geschlossen werden, diese seien übersehen worden.407 Freilich ist es rechtsfehlerhaft, wenn der Tatrichter bei der Strafrahmenwahl einen bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkt erkennbar außer Acht lässt.408 Der Umfang der Darlegungspflicht und die Gesichtspunkte, auf die hierbei aus90 drücklich einzugehen ist, richten sich nach dem materiellen Strafrecht, vor allem nach §§ 46 ff. StGB, aber auch nach den sich aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls aufdrängenden Umständen.409 Hierbei ist es auch von Bedeutung, ob die vom Gericht ausgesprochene Strafe sich im Rahmen des bei Durchschnittsfällen gleicher Art Üblichen hält. Weicht das Gericht hiervon erheblich nach unten oder oben ab, muss es die Gründe hierfür besonders sorgfältig angeben,410 um aufzuzeigen, dass es bei der Bewertung des Einzelfalls weder willkürlich gehandelt noch bei dem festgestellten Sachverhalt naheliegen398 BGHSt 3 179; 7 28; 8 205; 20 264; 24 268 = NJW 1972 454 mit Anm. Jagusch; BGHSt 27 2; BGH GA 1961 172; VRS 18 (1960) 432; NJW 1976 2220; 1979 21; NStZ 1981 299; NStZ-RR 2008 343 f.; 2012 336, 337; 2014 320; 2015 248; 2017 105, 106; 2018 56; StraFo 2017 196; bei Dallinger MDR 1951 276; 1970 899; 1971 721; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 358; BGHR § 267 Abs. 3 S. 1 Strafzumessung 22; OLG Düsseldorf StraFo 2017 196; OLG Hamburg JZ 1980 160 mit Anm. Spiegel; OLG Hamm NJW 1972 1150; HK/Julius/Beckemper 17; KK/Kuckein/Bartel 24; KMR/Stuckenberg 62; Meyer-Goßner/Schmitt 18; OK-StPO/Peglau 44; Radtke/ Hohmann/Hagemeier 22; SK/Velten 46; SSW/Güntge 24; Mösl NStZ 1981 131. 399 Eb. Schmidt 19. 400 Vgl. Hassemer ZStW 90 (1978) 64 zur Schwierigkeit, Darstellung und emotional mitbeeinflusste Entscheidungsmotive in Einklang zu bringen. 401 Vgl. BGH NStZ 1991 231; bei Kusch NStZ 1996 326. 402 Vgl. BGH StV 1989 546 (L); bei Holtz MDR 1980 105; OLG Koblenz VRS 56 (1979) 338; Bruns ZStW 94 (1982) 123; KMR/Stuckenberg 62; Meyer-Goßner/Schmitt 18; SK/Velten 46; Schäfer 1503. 403 BGH bei Holtz MDR 1980 105. 404 Vgl. BGH NJW 1976 220; BayObLG NJW 1954 1212; OLG Celle StV 1994 131; OLG Frankfurt VRS 37 (1969) 60; OLG Hamm VRS 69 (1985) 137; KK/Kuckein/Bartel 24; Eb. Schmidt 23. 405 Fn. 398. 406 BGHR § 267 Abs. 3 Satz 1 Strafzumessung 20. 407 BGH wistra 1999 376; NStZ-RR 2008 343 f.; 2012 168; 2012 336; 2014 320; KK/Kuckein/Bartel 24. 408 BGH NStZ-RR 2009 203; 2019 227 f. 409 Vgl. etwa Mösl NStZ 1983 496; Meyer-Goßner NStZ 1988 534; Schäfer 1515; AK/Wassermann 17; HK/ Julius/Beckemper 17; KK/Kuckein/Bartel 25; Meyer-Goßner/Schmitt 18; SK/Velten 47; LR/Franke26 § 337, 154, 162 ff. 410 BGHSt 1 136; 20 264, 265; BGH GA 1974 78; MDR 1954 495; NJW 1990 846; NStZ-RR 2012 306; 2013 108; StV 1984 152; 1986 57; 1988 202; 1992 271; 2016 559; StraFo 2012 419; bei Dallinger MDR 1967 698;

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de Strafzumessungserwägungen übersehen oder unzutreffend gewürdigt hat. Je knapper die verhängte Strafe eine an sich noch bewährungsfähige Strafe übersteigt, desto eingehender müssen die Strafzumessungserwägungen ausfallen.411 Bei Verhängung der Höchststrafe dürfen Milderungsgründe nicht unerörtert bleiben.412 Besonderer Darlegungen zum Ausschluss der Willkür bedarf es auch, wenn ein Gericht nach Zurückverweisung trotz niedrigeren Strafrahmens oder neu hervorgetretener mildernder Tatumstände auf die gleiche Strafe erkennt.413 Bei Bagatellfällen, bei denen Geldstrafen oder Geldbußen nahe der unteren Grenze ausgesprochen werden, kann nach den Grundsätzen der Prozessökonomie keine umfangreiche Begründung gefordert werden.414 Erhebliche Abweichungen von den Sätzen eines Bußgeldkatalogs können aber auch hier eine Begründung aus den Besonderheiten des Einzelfalls erfordern.415 Ausländerrechtliche Folgen einer Tat gehören in der Regel nicht zu den bestimmenden Strafzumessungsgründen,416 anders als beamtenrechtliche417 oder drohende berufsrechtliche418 Konsequenzen. Die Strafzumessungsgründe setzen sich aus Tatsachen und Erwägungen zusam- 91 men,419 ohne dass freilich immer scharf zwischen beiden unterschieden werden kann. Soweit das Gericht für die Strafzumessung noch andere Tatsachen als diejenigen, die dem Schuldspruch zugrunde liegen, verwertet, müssen auch diese zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen. Es ist rechtlich fehlerhaft, nicht voll Bewiesenes, nur Mögliches, also einen bloßen Verdacht, strafschärfend zu berücksichtigen.420 Wertneutrale Gesichtspunkte dürfen nicht strafschärfend oder strafmildernd gewichtet werden. Sind aus einer festgestellten Tatsache sowohl strafschärfende als auch strafmildernde Gesichtspunkte abzuleiten, muss sich das Gericht mit beiden Möglichkeiten auseinandersetzen.421 Statt negativen Erwägungen (keine Milderungsgründe ersichtlich) sollten positive Aussagen gewählt werden.422 bei Herlan MDR 1954 331; bei Holtz MDR 1978 623; bei Spiegel DAR 1978 149; BGHR StGB § 46 Beurteilungsrahmen 9; OLG Hamm NJW 1977 2087; OLG Karlsruhe NJW 1980 133; OLG Köln NJW 1954 1053; OLG Naumburg StV 2015 564, 565; Grünwald MDR 1959 714; Hanack JZ 1973 728; Mösl DRiZ 1979 166; Stöckel NJW 1968 1862; Theune StV 1985 205; ders. FS Pfeiffer 455; AK/Wassermann 17; KK/Kuckein/Bartel 25a; KMR/Stuckenberg 65; Meyer-Goßner/Schmitt 18; MüKo/Wenske 340 f.; Radtke/Hohmann/Hagemeier 23; SK/Velten 48; vgl. LR/Franke26 § 337, 159 f., 170 ff. 411 BGH StV 2002 190. 412 BGH bei Dallinger MDR 1976 14 Fn. 3; bei Holtz MDR 1978 110; KK/Kuckein/Bartel 25a; KMR/Stuckenberg 65; vgl. Müller NStZ 1985 158; LR/Franke26 § 337, 160. 413 BGH JR 1983 376 mit Anm. Terhorst; NStZ-RR 2013 113; StV 2017 34; OLG Bamberg NStZ-RR 2012 138; OLG Braunschweig StV 1984 77 (L); OLG Hamm StV 1993 365 (L); StraFo 2005 33; OLG Köln NJW 1986 2328, 2329; OLG München NJW 2009 161; KK/Kuckein/Bartel 25a; Meyer-Goßner/Schmitt 18; MüKo/ Wenske 342. 414 OLG Celle NdsRpfl. 1972 122; OLG Naumburg StV 2015 564, 565; AK/Wassermann 17; KK/Kuckein/ Bartel 25a; KMR/Stuckenberg 65; vgl. BGH VRS 25 (1963) 42 (Strafe an Untergrenze); aber auch OLG Frankfurt VRS 37 (1969) 60. 415 BayObLG NJW 1972 70; 1972 1150; VRS 45 (1973) 472; 50 (1976) 70; 50 (1976) 304; 51 (1976) 294; 54 (1978) 290; OLG Düsseldorf VRS 58 (1980) 268; OLG Koblenz VRS 52 (1977) 200; OLG Köln NJW 1972 1152; vgl. Rn. 95 und bei LR/Sander § 261, 36. 416 BGH NStZ 1996 595; NStZ-RR 2000 297; 2018 41; OLG Stuttgart StV 2000 82; anders bei zwingend folgender Ausweisung, BGH NStZ 1999 240. 417 BGH NStZ-RR 2010 39; StraFo 2018 78. 418 BGH bei Detter NStZ 2000 186; wistra 2017 267; OLG Frankfurt NJW 2018 715. 419 Wimmer NJW 1947/48 126; 176; Bruns ZStW 94 (1982) 121 ff.; LR/Franke26 § 337, 60 ff. 420 RG HRR 1932 Nr. 1183; BayObLG NJW 1951 311; KK/Kuckein/Bartel 26; vgl. bei LR/Sander § 261, 190. 421 BGH StV 1987 62; VRS 56 (1979) 189; Meyer-Goßner/Appl 424. 422 Mösl NStZ 1981 131.

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b) Angewandte Strafrahmen. Der angewandte Strafrahmen muss ausdrücklich angegeben werden, sofern er nicht von selbst feststeht.423 So ist etwa bei einer ungleichen Tateinheit (§ 52 StGB) anzugeben, welcher Vorschrift die Strafe entnommen wurde. Sind Sonderstrafrahmen mit in Betracht zu ziehen, wie sie etwa für minder schwere oder besonders schwere Fälle im Gesetz vorgesehen sein können oder ergibt sich wegen des Vorliegens sogenannter vertypter Milderungsgründe die zwingende oder fakultative Möglichkeit einer Strafmilderung z. B. nach § 49 StGB, so muss das Urteil aufzeigen, von welchem Strafrahmen das Gericht ausgegangen ist und warum es diesen und nicht einen anderen angewendet hat.424 Je nach den Umständen ist aufzuzeigen, dass das Gericht die verschiedenen Möglichkeiten der Strafrahmenbildung erkannt, gegeneinander abgewogen und aus welchen Gründen es sich für eine von ihnen entschieden hat. Das Doppelverwertungsverbot des § 50 StGB ist zu beachten. 93 Auszugehen ist immer nur von den im konkreten Fall festgestellten Umständen. Das Gericht darf nicht stattdessen von einem nur vorgestellten Sachverhalt ausgehen und erwägen, welche Strafe in diesem Falle angemessen wäre. Kann also z. B. die Strafe nach § 49 StGB gemildert werden und entschließt sich das Gericht, von der Möglichkeit der Milderung Gebrauch zu machen, so muss es bei der Strafzumessung von dem danach sich ergebenden Strafrahmen ausgehen. Es widerstreitet der Forderung nach der wahrheitsgemäßen Angabe der bestimmenden Strafzumessungsgründe, müsste allerdings wohl auch als sachlich-rechtlich fehlerhaft angesehen werden, wenn das Gericht zunächst erwägen wollte, welche Strafe angemessen wäre, wenn der Milderungsgrund nicht vorläge, um dann die Strafe zu ermäßigen.425 Eventualbegründungen sind unvereinbar mit dem Erfordernis, bei der Bemessung der Rechtsfolgen eindeutig an dem für erwiesen erachteten Straftatbestand anzuknüpfen. Die Hilfserwägung, das Gericht hätte dieselbe Strafe auch dann ausgesprochen, wenn es bei der Strafzumessung tatsächlich oder rechtlich von einem anderen Sachverhalt hätte ausgehen müssen, als es ihn für erwiesen erachtet hat, ist unbeachtlich. Sie gefährdet zwar einen durch die Haupterwägungen ausreichend getragenen Strafausspruch nicht, sie versagt aber gerade in dem Fall, in dem das Revisionsgericht die Beurteilung des Sachverhalts durch den Tatrichter nicht billigt, sondern im Gegensatz zu ihm gerade diejenige Sach- und Rechtslage für gegeben hält, für die die Hilfserwägung gelten soll.426 92

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c) Selbständige einzelfallbezogene Feststellung. Das Gericht muss die Strafe selbständig und bezogen auf den abzuurteilenden Einzelfall bestimmen. Dem Absatz 3 Satz 1 wird nicht Genüge getan, wenn das Urteil wegen der Strafzumessungsgründe nur pauschal auf die Ausführungen zur Bestimmung des Strafrahmens Bezug nimmt427 oder

423 OLG Düsseldorf StV 2001 224. 424 BGH MDR 1980 104 (Aufhebung, wenn zweifelhaft, ob dies beachtet wurde); BGH NStZ 1983 407; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 213; 1984 357; 1985 30; OLG Celle NdsRpfl. 1985 284; Bruns ZStW 94 (1982) 121; Schäfer 1508; vgl. Rn. 78; LR/Franke26 § 337, 189. 425 RGSt 59 154; OGHSt 1 194; BGHSt 1 115; KK/Kuckein/Bartel 25a. 426 RGSt 70 400, 403; 71 101, 104; RG JW 1935 1938; BGHSt 7 359; 55 174, 179; BGH JR 1955 228; NStZ 1998 305, 306; BGH bei Dallinger MDR 1955 269; OLG Celle DAR 1958 273; OLG Jena NJ 2016 163, 164; OLG Schleswig SchlHA 1978 182; AK/Wassermann 18; KK/Kuckein/Bartel 25a; KMR/Stuckenberg 73; MeyerGoßner/Schmitt 20; MüKo/Wenske 346; SK/Velten 48; anders aber OLG Hamm VRS 12 (1957) 434 (unschädlich, wenn kein Einfluss auf Höhe der Strafe). 427 BGH StV 1991 346.

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wenn es auf ein anderes Urteil428 oder die „ständige Praxis“429 verweist. Die Art, wie Mittäter von anderen Gerichten bestraft worden sind, darf den Tatrichter nur dann zu einer ähnlichen Strafe veranlassen, wenn er sie auch im konkreten Fall nach seiner eigenen Überzeugung für rechtlich geboten hält. Das muss aus dem Urteil hervorgehen.430 Dieses hat aber andererseits auch zu berücksichtigen, dass die bei mehreren Tatbeteiligten verhängten Strafen in einem gerechten Verhältnis zueinander stehen sollen.431 Dem Erfordernis einer auf den konkreten Einzelfall abstellenden Strafzumessung genügt es in der Regel nicht, von einem nicht näher definierten „Durchschnittsfall“ auszugehen und die Strafhöhe des Einzelfalls durch einen Vergleich mit dieser zu bestimmen.432 Wird die Strafe vom Revisionsgericht nebst den dazugehörenden Feststellungen aufgehoben, hat der Tatrichter ohne Bindung an seine frühere Entscheidung die für die Strafzumessung wichtigen Tatsachen, soweit sie nicht durch die Rechtskraft des Schuldspruchs und die diesem zugrundeliegenden Tatsachen feststehen, erneut zu ermitteln und sie mit seinen Erwägungen in den Urteilsgründen darzulegen. Er darf weder ausdrücklich noch stillschweigend auf die – aufgehobenen – früheren Strafzumessungsgründe verweisen oder sich durch sie für gebunden erachten.433 Diese Pflicht ist auch verletzt, wenn der Tatrichter sich durch amtliche oder private 95 Strafzumessungsempfehlungen, Richtsätze oder von der Verwaltung aufgestellte Bußgeldkataloge gebunden glaubt. Die letzteren geben jedoch eine Orientierungshilfe für die gleichmäßige Behandlung massenhaft vorkommender Durchschnittsfälle. Der dem Gebot der Gleichbehandlung ebenfalls verpflichtete Richter muss deshalb im Urteil die besonderen Umstände darlegen, wenn er eine davon erheblich abweichende Strafe oder Buße festsetzen will.434 d) Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Die Feststellung der beson- 96 deren Schwere der Schuld, die nach den §§ 57a, 57b StGB bei einer Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe schon der Tatrichter im Urteil zu treffen hat,435 erfordert

428 BGH NJW 1951 413; OLG Hamm JMBlNW 1980 71; KK/Kuckein/Bartel 25a. 429 BGH JR 1979 382, dazu Bruns JR 1979 353; OLG Hamburg NJW 1963 2387; OLG Hamm NJW 1964 254; OLG Köln NJW 1966 895; OLG Neustadt DAR 1963 304; KK/Kuckein/Bartel 25a; Leonhard DAR 1979 89; vgl. auch LR/Sander § 261, 36 und zur neueren Tendenz, das „für vergleichbare Fälle übliche Maß“ mit heranzuziehen, LR/Franke26 § 337, 176 m. w. N. 430 BGHSt 28 323; BGH NJW 1951 532; NStZ 1991 581; BGH bei Holtz MDR 1977 808; 1979 986; vgl. LR/ Franke26 § 337, 176. 431 BGHSt 56 262, 263 m. w. N. mit Anm. Streng JR 2012 252 und Hörnle HRRS 2011 511; BGH NStZ-RR 2017 40; StV 1991 557; 1998 481; 2009 244, 245; 2009 351; 2011 725; 2011 725, 726; StraFo 2016 477; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Zumessungsfehler 1. 432 BGH NStZ 1984 450; andererseits aber auch BGH StV 1984 450; zur Vergleichbarkeit als Prüfungskriterium vgl. LR/Franke26 § 337, 176. 433 Vgl. Rn. 33. 434 BGH bei Martin DAR 1963 187; BayObLG DAR 1969 277; OLG Braunschweig VRS 52 (1977) 262; OLG Celle NdsRpfl. 1984 16; VRS 40 (1971) 125; OLG Düsseldorf JMBlNW 1969 223; MDR 1991 561; VRS 58 (1980) 268; 61 (1981) 454; 99 (2000) 136; 137; OLG Hamburg VRS 58 (1980) 52; 220; 397; OLG Hamm NJW 1972 1150; 1975 1848; MDR 1964 254; 1987 1050; VRS 53 (1977) 63; 56 (1979) 368; KG VRS 30 (1966) 280; OLG Köln NJW 1966 895; VRS 62 (1982) 138; OLG Stuttgart VRS 38 (1970) 211; Göhler NStZ 1986 19; Jagusch NJW 1970 401; Janiszewski NStZ 1985 544; Schall NStZ 1986 1; Sebald GA 1974 197; AK/Wassermann 18; KK/Kuckein/Bartel 25a; KMR/Stuckenberg 63, 65; Radtke/Hohmann/Hagemeier 29; vgl. Rn. 90, 98; LR/ Sander § 261, 36; LR/Franke26 § 337, 170 ff. 435 BVerfGE 86 288; BGHSt 40 366; dazu Krey JR 1995 223; Krümpelmann NStZ 1995 337; Hamm 79 ff.

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eine einzelfallbezogene Gesamtwürdigung von Tat und Täter. Für diese gelten die gleichen Erfordernisse wie bei den eigentlichen Strafzumessungsgründen.436 97

4. Geldstrafe. Bei der Geldstrafe ist sowohl die Zahl der Tagessätze als auch die Höhe des einzelnen Tagessatzes festzustellen und unter Angabe der dafür maßgebenden Feststellungen und Erwägungen zu begründen und zwar auch dann, wenn die Geldstrafe in eine Gesamtstrafe einbezogen wird.437 Unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten ist aufzuzeigen, welche Gesichtspunkte für die nach den allgemeinen Strafzumessungsgrundsätzen zu bestimmende Zahl der Tagessätze maßgebend waren und wie das Gericht unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten das für die Tagessatzhöhe maßgebende Nettoeinkommen ermittelt hat, gegebenenfalls auch, welche sonstigen Gesichtspunkte für die Festsetzung des Tagessatzes mit in Erwägung gezogen wurden; eine erschöpfende Erörterung aller Umstände ist nicht erforderlich.438 Maßgebend ist vor allem § 46 StGB für die Bemessung der Zahl und § 40 Abs. 2 StGB für die Bestimmung der Höhe der Tagessätze.439 Folgt der Richter der dort aufgestellten Regel nicht, so muss er darlegen, welche besonderen Umstände ihn dazu veranlasst haben. Folgt er dagegen der Regel, so muss er nur bei Vorliegen besonderer Umstände dartun, warum diese keine Abweichung von der Regel erfordern.440 Bei extrem hohen oder niedrigen Gesamtsummen muss dargetan werden, dass sie die Ermessensgrenze nicht überschreiten, die darin liegt, dass Strafe und Bedeutung der Tat in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen.441 Wegen der im Einzelnen mitunter strittigen Fragen wird auf die Erläuterungsbücher zum StGB verwiesen. Macht das Gericht von der Möglichkeit der Schätzung (§ 40 Abs. 3 StGB) Gebrauch, muss es die Tatsachen und Überlegungen, auf die sich seine Schätzung gründet, im Urteil festhalten.442 Die Entscheidung über die Bewilligung von Zahlungserleichterungen braucht zwar nicht nach § 267 Abs. 3 besonders begründet zu werden. Eine Erörterung kann jedoch zur Darlegung der richtigen Anwendung des materiellen Rechts auch unabhängig von jedem Antrag notwendig sein.443

98

5. Geldbußen. Bei Geldbußen nach § 17 OWiG sind die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den Täter trifft, sowie dessen wirtschaftliche Verhältnisse in Betracht zu ziehen.444 Bei geringfügigeren Ordnungswidrigkeiten, die sich im Rahmen des Üblichen halten, braucht jedoch auf letztere im Urteil nicht besonders eingegangen zu werden, wenn sich auch die Geldbuße in diesem Rahmen hält.445 Die 436 437 438 439 440 441

BGH NStZ-RR 1996 321; 2012 339 f.; Stree NStZ 1992 464; Meyer-Goßner/Schmitt 20a. BGHSt 30 93; OLG Hamm JZ 1978 408; Meyer-Goßner/Appl 454; Mösl NStZ 1981 425. OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1976 165; Meyer MDR 1981 280. Meyer-Goßner/Appl 433 ff. BayObLGSt 1975 73 = MDR 1975 1038; KK/Kuckein/Bartel 27. BGH NJW 1976 1510; OLG Hamburg NJW 1978 551 mit Anm. Naucke NJW 1978 1171; Horn NStZ 1990

270.

442 Vgl. LR/Becker § 244, 11 ff. und bei § 261; ferner etwa BGH GA 1978 279; OLG Celle NJW 1984 185; OLG Frankfurt StV 1984 157; OLG Hamm JR 1978 165; OLG Koblenz NJW 1976 1275; Grebing JR 1978 142; Hellmann GA 1997 503 ff.; Meyer MDR 1981 275; Meyer-Goßner/Appl 439. 443 BGHSt 33 40; BGH NStZ-RR 2018 238; Zipf zu OLG Schleswig JR 1980 425. 444 Vgl. die Kommentare zu § 17 OWiG und bei Verkehrsordnungswidrigkeiten zu § 24 StVG; ferner Meyer-Goßner/Appl 783 ff.; Kaiser NJW 1979 1533; dazu Schnupp NJW 1979 2240; Schall NStZ 1986 1 zu OLG Düsseldorf NStZ 1986 36. 445 OLG Düsseldorf VRS 99 (2000) 131; OLG Frankfurt VRS 54 (1978) 290; 57 (1979) 358; OLG Zweibrücken VRS 53 (1977) 61. Wegen der Einzelheiten vgl. Meyer-Goßner/Appl 788 und die Kommentierungen zu § 17 Abs. 3 OWiG.

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§ 267

Anforderungen an die Begründungspflicht dürfen in solchen Fällen nicht überspannt werden. An die Bußgeldkataloge der Verwaltungsbehörden sind die Gerichte nicht gebunden; eine wesentliche Abweichung bedarf jedoch der Begründung.446 6. Gesamtstrafe. Die Bildung der Gesamtstrafe (§§ 54, 55 StGB) ist ein gesonderter 99 Strafzumessungsvorgang, der neben der Bestimmung der Einzelstrafen im Urteil gesondert zu begründen ist.447 Das bedeutet jedoch nicht, dass für jede der Einzelstrafen gesondert alle Gründe schriftlich niedergelegt werden müssten und unabhängig davon die Gründe für die Gesamtstrafe ohne jede Beziehung zu den Einzelstrafen darzulegen sind.448 Schon im Interesse einer übersichtlichen und gefälligen Darstellung ist es den Gerichten nicht verwehrt, eine Mehrzahl von Straftaten für die Darlegung der bestimmenden Strafzumessungsgründe zusammenzufassen, wobei die allen Straftaten eigenen, für die Strafzumessung wichtigen Umstände gemeinsam geschildert und die nur für einige von ihnen kennzeichnenden Tatsachen gesondert angegeben werden.449 Soweit allerdings eine frühere Verurteilung in die Gesamtstrafe miteinbezogen wird, ist die im früheren Urteil festgelegte Begründung der rechtskräftigen Einzelstrafen jeder Neubewertung entzogen, wobei diese Begründung mitzuteilen und nicht etwa bloß in Bezug zu nehmen ist (Rn. 32). Für eine zusammenfassende Würdigung ist insoweit kein Raum.450 Eine von einem ausländischen Gericht verhängte Strafe kann nicht in eine Gesamtstrafe einbezogen werden. Dies ist bei der Bemessung der innerstaatlichen Strafe ausgleichend zu berücksichtigen.451 Eingehend muss die Gesamtstrafe dann begründet werden, wenn eine Einsatzstrafe nur unerheblich überschritten oder die Summe aller Einsatzstrafen nahezu erreicht wird452 oder wenn eine Geldstrafe in die Gesamtstrafe einbezogen wird und die Gesamtstrafe dadurch zu einem schwereren Übel wird, weil die Bedingungen für die Strafaussetzung erschwert werden.453 Überlässt das Gericht die Einbeziehung einer früheren Verurteilung dem Nachverfahren, muss es in den Urteilsgründen darlegen, warum es ausnahmsweise von der Entscheidung über die Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB absehen durfte, etwa weil die dafür erforderlichen Unterlagen unzureichend sind oder weil damit zu rechnen ist, dass die zu bildende Gesamtstrafe wegen anderer Verfahren später wieder aufgelöst werden müsste.454 Ist eine solche Gesamtstrafenbildung nicht mehr möglich, weil die an sich einzubeziehende Strafe bereits vollstreckt ist, muss aufgezeigt werden, wieweit die darin liegende Härte im Rahmen der Strafzumessung ausgeglichen wurde.455 Das Gesamtstrafenübel bedarf

446 447 448 449 450 451 452

Dazu Rn. 95. BGHSt 24 268 = NJW 1972 454 mit Anm. Jagusch; BGH NJW 1995 2234; NStZ-RR 2018 151 f.; h. M. Vgl. BGH NStZ 2009 565. AK/Wassermann 18; KK/Kuckein/Bartel 28. KK/Kuckein/Bartel 28. BGHSt 36 270; BGH NJW 1990 523; NStZ-RR 2000 105. BGHSt 8 205; 24 268, 271; BGH NJW 1995 2234; NStZ-RR 2017 105, 107; 2018 171; OLG Hamburg NJW 1981 1282; vgl. Rn. 90; KK/Kuckein/Bartel 28; LR/Franke26 § 337, 172. 453 BGH VRS 43 (1972) 422; BGH bei Dallinger MDR 1973 17; KK/Kuckein/Bartel 28; vgl. auch OLG Koblenz GA 1978 188 (Begründung der Wahl, Gesamtstrafe zu bilden oder Geldstrafe neben der Freiheitsstrafe gesondert zu verhängen); OLG Schleswig SchlHA 1976 166. 454 BGH NJW 1997 2892; OLG Düsseldorf VRS 68 (1985) 365; OLG Hamm NJW 1970 1200; OLG Stuttgart Justiz 1968 233; Mösl NStZ 1983 493, 495. 455 BGHSt 31 102, 103; 33 131; 34 310 = NStZ 1996 382 mit Anm. Peters; BGHSt 43 34, 36; BGH NStZRR 2008 234; StV 2010 240; 2011 225; KK/Kuckein/Bartel 28; Arnoldi/Rutkowsky NStZ 2011 493, 497; zu Auslandstaten s. BGHSt 43 79, 80 f.; BGHR StGB § 51 Abs. 4 Anrechnung 5, 6.

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einer ausdrücklichen Erörterung dann nicht, wenn es sich nicht in einer außergewöhnlich hohen Strafe ausdrückt.456 100

7. Jugendrecht. Bei Anwendung von Jugendstrafrecht gegen Jugendliche oder Heranwachsende muss auch das Erwachsenengericht bei der Begründung seines Urteils den besonderen (zusätzlichen) Anforderungen von § 54 JGG genügen, bei einer Jugendstrafe ist deren Erziehungszweck (§ 18 Abs. 2 JGG) zu erörtern.457 Hypothetische Erwägungen sind auch hier unzulässig.458 Nach sachlich-rechtlichen Gesichtspunkten bestimmt sich auch, ob Erörterungen über die Tatschwere erforderlich sind, auch wenn die Bewertung als besonders schwerer oder minder schwerer Fall hier keinen eigenen Strafrahmen eröffnet.459 Wird Erwachsenenstrafrecht angewandt (§ 105 Abs. 1 JGG) bedarf dies einer eingehenden Begründung.460 8. Minder schwere und besonders schwere Fälle (Absatz 3 Satz 2 und 3)

101

a) Grundsatz. Die Vorschrift spricht nicht mehr von mildernden Umständen und sonstigen, allgemein umschriebenen Fällen, von denen das Strafrecht Milderungen oder Strafschärfungen abhängig macht, sondern nur noch von minder schweren und besonders schweren Fällen.461 Für die Abgrenzung zu den Fällen des Absatzes 2 ist aber weiterhin von Bedeutung, dass Absatz 2 die tatbestandsmäßig festgelegten, benannten Strafänderungen betrifft,462 während Absatz 3 Satz 2 und 3 die unbenannten Strafänderungen erfasst, einschließlich der Fälle, in denen eine abschließende tatbestandsmäßige Ausformung der Milderungs- und Erschwerungsgründe fehlt. Verfahrensrechtlich muss – unabhängig davon, ob nach dem festgestellten Sachverhalt naheliegende Umstände eine materiell-rechtliche Erörterungspflicht auslösen463 – im Prinzip jeweils nur die Ausnahme von der Regel besonders gerechtfertigt werden.464

102

b) Einzelne Fälle. Bei den minder schweren Fällen, die an die Stelle der mildernden Umstände und des besonders leichten Falls getreten sind,465 muss das Gericht im Urteil die Umstände angeben, auf die es seine Annahme eines solchen Falles stützt. Soweit sich diese nicht bereits aus den Feststellungen zur äußeren und inneren Tatseite ergeben, bedarf es dazu besonderer Feststellungen. Da diese den Strafrahmen bestimmen, sind sie

456 BGH NStZ 2000 137. 457 Vgl. dazu die Kommentare zu § 54 JGG; ferner etwa BGHSt 15 224; BGH StV 1998 334; 2016 702; KG NStZ 2013 291; StV 2013 762: AK/Wassermann 18; HK/Julius/Beckemper 41; KMR/Stuckenberg 69; MeyerGoßner/Schmitt 22. 458 BGH StV 2016 699. 459 BGH NStZ 1993 551; NStZ-RR 2010 88 f.; OLG Celle StV 2017 722, 723; KK/Kuckein/Bartel 29. 460 BGH MDR 1964 694; OLG Hamm MDR 1969 113; OLG Zweibrücken VRS 54 (1978) 115; AK/Wassermann 18. 461 Seit der Neufassung durch Art. 21 Nr. 70 Buchst. b, c EGStGB zur Anpassung an die Änderungen des materiellen Strafrechts. 462 Vgl. Rn. 70. 463 Vgl. Rn. 103. 464 BGH GA 1987 226; NJW 2011 2450; NStZ-RR 2009 203; 2010 57; 2012 207; bei Holtz MDR 1978 987; 1979 105; BayObLGSt 1973 65 = NJW 1973 1808; KG JR 1966 307; OLG Koblenz VRS 57 (1979) 22; AK/ Wassermann 19; HK/Julius/Beckemper 16; KK/Kuckein/Bartel 29; KMR/Stuckenberg 80; Meyer-Goßner/ Schmitt 21; MüKo/Wenske 372; Schäfer 1511. 465 BGHSt 26 97 = JR 1976 24 mit Anm. Zipf.

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§ 267

grundsätzlich von den Ausführungen zur Strafzumessung zu trennen.466 Das Urteil muss zweifelsfrei erkennen lassen, von welchem Strafrahmen das Gericht ausgegangen ist und dass es dabei auch die mögliche Anwendbarkeit anderer Strafrahmen erkannt und erwogen hat.467 Bei der Bestimmung des Strafrahmens kann das Gericht alle Umstände heranziehen, die für die Wertung von Tat und Täter in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder ihr nachfolgen. Entscheidend ist die in Abwägung dieser Umstände gewonnene Gesamtwürdigung.468 Bei den besonders schweren Fällen, die im Strafgesetz durch Regelbeispiele ver- 103 deutlicht sind, stellt Absatz 3 Satz 3 jetzt klar, dass sie nicht unter Absatz 2 fallen und dass die Abweichungen von der Regel besonders zu begründen sind. Das Gericht muss besonders darlegen, warum es trotz Vorliegens der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen eines Regelbeispiels einen besonders schweren Fall verneint und es muss umgekehrt die Umstände dartun, in denen es einen besonders schweren Fall erblickt, wenn kein Regelbeispiel eingreift.469 Wird ein besonders schwerer Fall trotz Vorliegens eines Regelbeispiels verneint und darüber hinaus sogar ein minder schwerer Fall angenommen, so bedarf die nur bei ganz außergewöhnlichen Umständen in Betracht kommende doppelte Milderung des Strafrahmens einer eingehenden Begründung.470 c) Antrag. Bei Verneinung eines minder schweren Falles fordert Absatz 3 Satz 2 eine 104 Begründung nur, wenn in der Hauptverhandlung die Annahme eines solchen Falls etwa in den Schlussanträgen beantragt worden war. Die bloße Behauptung entsprechender Umstände löst – anders als bei Absatz 2 – noch keine Begründungspflicht aus.471 Der Antrag muss nicht ausdrücklich auf die Anwendung des besonderen Milderungs- oder Schärfungsgrundes lauten, es kann genügen, wenn eine Strafe beantragt wird, die nur bei Vorliegen eines solchen Grundes verhängt werden darf. Ein solcher Antrag liegt also auch darin, dass die „mildeste Strafe“ oder eine nur bei Annahme eines minder schweren Falls zulässige Strafe beantragt wird.472 Dass eine „milde Strafe“ beantragt wird, genügt nicht.473 Der Antrag, der die Begründungspflicht auslöst, ist eine wesentliche Förmlichkeit, 105 die nur durch das Sitzungsprotokoll nachgewiesen werden kann (§§ 273, 274).474 Es ist

466 BGH GA 1984 374; NStZ 1983 407; 1984 357; 1985 546; BGH bei Holtz MDR 1980 104; OLG Frankfurt StV 1994 131; Dankert StV 1983 476; Radtke/Hohmann/Hagemeier 31; SK/Velten 44. 467 Zur Strafrahmenwahl vgl. die Beispiele bei Meyer-Goßner/Appl 444 ff., ferner die in den jährlichen Übersichten von Detter angeführten Entscheidungen, etwa NStZ 2006 146; 2006 560; 2007 206; 2007 627; 2008 264; 2008 554; 2009 74; 2009 487; 2010 135; 2010 560; 2010 615; 2011 330; 2011 390; 2012 135; 2012 200; 2013 390; 2014 338; 441; 2015 442; 2016 391; 2017 624; 2018 386. 468 BGHSt 4 8, 9; BGH GA 1976 303; 1979 313; 1979 339; 1984 374; NStZ 1981 389; NStZ-RR 2015 240; StV 1981 169; bei Holtz MDR 1979 105; bei Spiegel DAR 1982 202; OLG Karlsruhe NJW 1980 133; OLG Koblenz VRS 57 (1979) 22; KMR/Stuckenberg 81; Meyer-Goßner/Appl 444 ff. 469 Vgl. BGH GA 1980 143; NJW 2011 2450; NStZ 1982 465; BGH bei Holtz MDR 1975 368; 1976 16; 1977 638; OLG Dresden NStZ-RR 2015 211, 212. 470 BayObLG NJW 1991 1245. 471 BGH bei Dallinger MDR 1953 149; vgl. auch BGH GA 1961 172; KK/Kuckein/Bartel 31; KMR/Stuckenberg 82. 472 RGSt 29 276, 277; 43 297; 45 331; BGH bei Dallinger MDR 1953 149; 1967 15; BayObLGSt 1955 254; OLG Köln NJW 1952 198; AK/Wassermann 19; KK/Kuckein/Bartel 31; KMR/Stuckenberg 82; MüKo/Wenske 372; SK/Velten 45. 473 BGH MDR 1953 149; AK/Wassermann 19. 474 RGSt 29 277; AK/Wassermann 19; KK/Kuckein/Bartel 31; MüKo/Wenske 372; SK/Velten 45; SSW/Güntge 32; Dankert StV 1983 476.

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jedoch unschädlich, wenn das Urteil die Frage erörtert, obwohl das Protokoll zu einem solchen Antrag schweigt.475 Welche Ausführungen zur Begründung notwendig sind, richtet sich nach den Er106 fordernissen des sachlichen Rechts und nach den Umständen des Einzelfalls. Wird einem Antrag nicht entsprochen, so muss sich das Urteil ausdrücklich damit auseinandersetzen. Es dürfte dann nicht genügen, wenn aus dem Gesamtinhalt der Urteilsausführungen die Gründe der versagenden Entscheidung ersichtlich sind,476 jedoch wird in einem solchen Fall ausgeschlossen werden können, dass das Urteil auf dem Unterlassen der Begründung beruht. Der Antrag muss auch abgehandelt werden, wenn die einheitliche Tat mehrere Strafgesetze verletzt, von denen nur eines einen minder schweren Fall vorsieht.477 Dies gilt nach Ansicht des BayObLG jedoch nur, wenn die Annahme zu einem milderen Strafrahmen führen kann.478 107 Eine meist weitergehende Begründungspflicht kann sich daraus ergeben, dass die Darlegung der richtigen Anwendung des materiellen Rechts Ausführungen zu diesen Fragen erfordert. Werden Umstände festgestellt, die einen minder schweren oder besonders schweren Fall nahelegen, muss sich das Gericht im Urteil damit auseinandersetzen, ohne dass es darauf ankommt, ob in der Hauptverhandlung ein diesbezüglicher Antrag gestellt wurde.479 Ob ein minder schwerer oder besonders schwerer Fall vorliegt, ist für jeden Angeklagten in Würdigung seines Tatbeitrags gesondert zu begründen.480 108

9. Freiheitsstrafe unter sechs Monaten. Erkennt das Gericht auf Freiheitsstrafe unter sechs Monaten, so muss es nach § 267 Abs. 3 Satz 2 die Umstände darlegen, aufgrund derer es die Voraussetzungen des § 47 StGB für gegeben erachtete, während umgekehrt eine Begründung nur gefordert wird, wenn ein Antrag auf Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten abgelehnt wurde. Die Rechtslage ist insoweit die gleiche wie bei den minder schweren Fällen.481 Nach der kriminalpolitischen Zielsetzung482 ist dem Begründungserfordernis mit allgemeinen Wendungen nicht genügt.483 Auch wenn dies mit der Verteidigung der Rechtsordnung begründet werden soll, darf dies nicht allein mit generalpräventiven Gesichtspunkten484 geschehen. Damit die Rechtsanwendung nachprüfbar ist, müssen auf den Einzelfall bezogene, aus Tat oder Täter rational hergeleitete Gründe dafür angeführt werden, weshalb die Verhängung einer kurzfristi-

475 476 477 478 479

Eb. Schmidt Nachtr. II 1. KK/Kuckein/Bartel 31; KMR/Stuckenberg 82; a. A. OLG Köln NJW 1952 198. RGRspr. 10 (1888) 158; RGSt 5 156; 14 10. BayObLGSt 1955 254. Etwa BGH NStZ 1982 465; NStZ-RR 2003 110, 111; 2015 16; StV 1981 169; 1999 138; OLG Düsseldorf StV 1991 68; OLG Koblenz VRS 57 (1979) 22; KK/Kuckein/Bartel 29; KMR/Stuckenberg 80; MüKo/Wenske 373, 377; OK-StPO/Peglau 42 f.; Radtke/Hohmann/Hagemeier 31; SK/Velten 44; SSW/Güntge 32; Mösl NStZ 1981 131, 134; 1984 494; Schlothauer StV 1990 101. 480 BGHSt 29 244; BGH NStZ 1982 206; 1984 27. 481 Vgl. Horstkotte NJW 1969 1601 (Ausnahme von der Regel). 482 Eb. Schmidt Nachtr. II 3; Wulf JZ 1970 160. 483 BGH StV 2003 485; OLG Braunschweig NdsRpfl. 1969 67; OLG Dresden NStZ-RR 2012 289, 290; OLG Hamburg StV 2007 305; OLG Karlsruhe Justiz 1981 132; StV 2003 622 f.; 2005 275 f.; 2012 735; OLG Köln NStZ 2003 421 f.; OLG Stuttgart NJW 2002 3188, 3189; StraFo 2009 118; KK/Kuckein/Bartel 32; KMR/Stuckenberg 84; Radtke/Hohmann/Hagemeier 35; SSW/Güntge 31. 484 BGH NStZ 1982 463; 1983 501; 1984 409; 1986 358; OLG Düsseldorf StV 1992 232; OLG Hamburg StV 2000 353; OLG Hamm StV 2019 460.

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gen Freiheitsstrafe unerlässlich ist.485 Der Umfang des formellen Begründungszwangs nach § 267 Abs. 3 Satz 2 deckt sich insoweit mit den strengen Anforderungen, die das materielle Recht an die Darlegung der Unerlässlichkeit einer kurzfristigen Freiheitsstrafe stellt. Die Rechtsprechung nimmt aber auch eine aus der sachlich-rechtlichen Begründungspflicht abgeleitete Erörterungspflicht an, wenn trotz eines gewichtigen Tatvorwurfs, der eine Freiheitsstrafe nahelegt, nur auf eine Geldstrafe erkannt wurde.486 10. Strafaussetzung zur Bewährung (Absatz 3 Satz 4) a) Bewilligung, Ablehnung. Die Bewilligung der Strafaussetzung zur Bewährung 109 ist im Urteil unter Darlegung der dafür maßgeblichen Erwägungen (vgl. § 56 StGB) in einer den Anforderungen des sachlichen Rechts genügenden Weise zu begründen.487 Für die Ablehnung fordert Absatz 3 Satz 4 eine Begründung nur, wenn die Strafaussetzung beantragt worden war.488 b) Antrag. Der Antrag ist nicht dem Angeklagten und seinem Verteidiger vorbehal- 110 ten, auch der Staatsanwalt kann ihn stellen. Der Antrag kann auch hilfsweise, etwa bei den Schlussanträgen in Verbindung mit einem Hauptantrag auf Freispruch, eingebracht werden.489 Wird er ausdrücklich gestellt, ist er als wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens in der Sitzungsniederschrift zu beurkunden.490 Der Antrag muss aber nicht ausdrücklich auf Zubilligung von Strafaussetzung zur Bewährung lauten. Ähnlich wie bei Absatz 3 Satz 2 genügt auch hier, wenn das Begehren nach Strafaussetzung in einem anderen Antrag mittelbar oder hilfsweise mit enthalten ist,491 etwa auf Freispruch oder auf Verwerfung der eine Freiheitsstrafe anstrebenden Berufung der Staatsanwaltschaft.492 Ob ein anderer Antrag das Begehren auf Strafaussetzung sinngemäß mit einschließt, ist eine Auslegungsfrage, die nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist.493 Obwohl § 267 Abs. 3 Satz 4 eine Begründung nur für den Fall vorschreibt, dass die 111 Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder ein darauf gerichteter Antrag abgelehnt wird,

485 BGH NStZ 1996 429; 2004 554; RuP 2006 101; StV 1994 370; 2003 485; BayObLGSt 1971 191; KG StV 2007 35; 2019 459 f.; OLG Braunschweig StV 2019 460; OLG Celle StV 2019 460; OLG Dresden NStZRR 2012 289, 290; OLG Düsseldorf StraFo 2014 337; OLG Frankfurt StV 2019 460; OLG Hamburg StV 2007 305 f.; OLG Naumburg StV 2007 471, 472; 2019 460; OLG Nürnberg StraFo 2006 502 f.; OLG Stuttgart Justiz 2019 200; Eb. Schmidt Nachtr. II 3; wegen der Einzelheiten vgl. die Kommentarliteratur zu § 47 StGB. 486 OLG Braunschweig GA 1970 87; OLG Hamm MDR 1986 72; OLG Koblenz MDR 1970 693; OLG Stuttgart VRS 41 (1971) 413; KK/Kuckein/Bartel 32; KMR/Stuckenberg 83. 487 KG BA 55 (2018) 442 f.; Mösl NStZ 1983 493, 496. 488 BGH StV 1982 61 mit Anm. Schlothauer; StV 1982 257; BGH bei Schmidt MDR 1983 4. 489 BayObLG MDR 1980 951; OLG Düsseldorf StV 1997 123; OLG Hamm VRS 81 (1991) 20; Meyer-Goßner/ Schmitt 23. 490 KK/Kuckein/Bartel 33; MüKo/Wenske 400; SK/Velten 53, 45; SSW/Güntge 35; wegen der ähnlichen Rechtslage vgl. Rn. 105; ferner LR/Stuckenberg § 273, 23. 491 AK/Wassermann 20; HK/Julius/Beckemper 24; KK/Kuckein/Bartel 33; KMR/Stuckenberg 86; SK/Velten 53, 45; Eb. Schmidt 30; SSW/Güntge 35. 492 OLG Braunschweig NJW 1954 284; OLG Bremen NJW 1954 613; KG JR 1964 107. 493 So z. B. auch, ob im Einzelfall im Antrag auf „milde Beurteilung“ ein Antrag nach Absatz 3 Satz 4 enthalten ist; bejahend OLG Braunschweig NJW 1954 284; HK/Julius/Beckemper 24; KMR/Stuckenberg 86; MeyerGoßner/Schmitt 23; verneinend BGH nach KK/Kuckein/Bartel 33; SK/Velten 53, 45. KG JR 1962 389 mit Anm. Dünnebier lässt dies offen. Wegen der weitgehenden Darlegungspflicht bei Anwendung des sachlichen Rechts (Rn. 111) hat diese Frage kaum noch praktische Bedeutung; ebenso KK/Kuckein/Bartel 33.

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kann aus dem Zwang zur Anführung der bestimmenden Strafzumessungsgründe und aus sachlich-rechtlichen Erwägungen die Verpflichtung zu näheren Ausführungen erwachsen; so, wenn nach der Höhe der Strafe und den sonstigen Feststellungen eine Strafaussetzung naheliegt,494 das Gericht von ihr aber absieht, ohne dass ein solcher Antrag gestellt worden war. Das gilt vor allem, wenn der Angeklagte nicht gut einen Antrag auf Strafaussetzung stellen konnte, ohne sich mit seiner sonstigen Verteidigung in Widerspruch zu setzen.495 Die Urteilsgründe müssen in solchen Fällen, aber auch sonst, wenn die festgestellten Umstände dies nahelegen, die Frage der Strafaussetzung unabhängig von jeder Antragstellung erörtern. Zumindest müssen sie erkennen lassen, dass das Gericht die Möglichkeit, nach § 56 StGB zu verfahren, geprüft hat. Ohne solche Darlegungen kann meist nicht ausgeschlossen werden, dass § 56 StGB übersehen wurde oder das Gericht insofern von rechtlich fehlerhaften Erwägungen ausgegangen ist.496 Nur wenn nach den Feststellungen eine Strafaussetzung völlig fernliegt, entfällt aus materiell-rechtlicher Sicht die Begründungspflicht für eine ablehnende Entscheidung des Gerichts.497 Sind keine besonderen Umstände im Urteil festgestellt oder nach der Sachlage naheliegend, in denen Strafaussetzung nach § 56 Abs. 2 StGB ausnahmsweise gewährt werden darf, dann gebietet das materielle Recht auch keine Erörterung dieser Ausnahmefälle im Urteil.498 Eine nähere Begründung der Versagung ist dann nur veranlasst, wenn ein gestellter Antrag die Begründungspflicht nach Absatz 3 Satz 3 auslöst. 112 Zur Erfüllung der Begründungspflicht genügen die Wiederholung des Gesetzeswortlauts oder allgemeine Wendungen nicht,499 auch nicht die Bezugnahme auf die Darlegungen in einem einbezogenen Urteil500 oder der pauschale Hinweis auf Vorverurteilungen. Wird auf letztere abgestellt, müssen die ihnen zugrunde liegenden Taten und die daraus hergeleitete Prognose dargelegt werden.501 Unzureichend ist in der Regel auch die nicht näher begründete Ansicht, dass die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Strafe erfordere.502 Es muss deutlich werden, ob das Gericht die Versagung der Bewährungsaussetzung auf § 56 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB stützt.503 Die Strafaussetzung zur Bewährung darf bei Straftaten bestimmter Art nicht grundsätzlich und allge-

494 BGH NStZ-RR 2015 240; StV 2011 728. Folglich nicht, wenn keine aussetzungsfähige Strafe verhängt wird, BGH StV 2012 393; MüKo/Wenske 403. 495 BGH JR 1955 471; LM Nr. 27 zu § 23 StGB a. F.; BayObLG OLGSt 21; KG JR 1964 107; VRS 22 (1962) 33; KK/Kuckein/Bartel 33; KMR/Stuckenberg 85; Meyer-Goßner/Schmitt 23; SK/Velten 53; SSW/Güntge 35. 496 BGHSt 6 68; 6 167, 172; BGH NStZ 1986 374; NStZ-RR 2012 201; 2015 41, 42; BGHR StGB § 56 Abs. 2 Begründungserfordernis 1; BayObLG bei Rüth DAR 1975 203; KG JR 1964 107; VRS 22 (1962) 33; OLG Dresden NStZ-RR 2013 41; OLG Hamm VRS 8 (1955) 121; 36 (1969) 177; 54 (1978) 28; OLG Koblenz GA 1975 370; OLG Köln NJW 1954 1091; OLG Oldenburg StV 1983 274 (L); OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1984 106; KK/Kuckein/Bartel 33; KMR/Stuckenberg 85; Eb. Schmidt 30; ferner die Kommentare zu § 56 StGB. 497 BGH NStZ-RR 2012 201; s. a. KG JR 1962 389 mit krit. Anm. Dünnebier; vgl. OLG Köln NStZ 1985 139 (L); auch OLG Braunschweig NJW 1954 284. 498 BGH NJW 1976 1414; OLG Hamm VRS 46 (1974) 131; OLG Karlsruhe NJW 1980 133; OLG Köln VRS 61 (1981) 367; vgl. aber auch BGHSt 24 5. 499 BGH bei Holtz MDR 1977 808; BGH StV 1982 569; NJW 1983 1624; 2014 3797; NStZ 2000 607; OLG Celle DAR 1956 248; KG GA 1955 219; KK/Kuckein/Bartel 33; KMR/Stuckenberg 87; MüKo/Wenske 404, 410; SK/Velten 53. Vgl. aber auch OLG Köln MDR 1985 248; Meyer-Goßner/Schmitt 23 (Unterlassen von Ausführungen zu § 56 Abs. 3 StGB nicht immer fehlerhaft); Zipf JR 1974 520. 500 BGH NJW 1983 1624; NStZ 1992 50; HK/Julius/Beckemper 24. 501 OLG Koblenz VRS 71 (1986) 444; OLG Köln StV 1996 321; vgl. OLG Düsseldorf VRS 99 (2000) 117. 502 Meyer-Goßner/Schmitt 23. 503 BGH NJW 2014 3797.

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mein versagt werden.504 Es kommt vielmehr stets auf die Umstände des einzelnen Falles an, die darzulegen sind. Rechtlich fehlerhaft wäre es, die an sich angemessene Strafe höher zu bemessen, weil der Angeklagte keine Strafaussetzung zur Bewährung verdient, sondern seine Strafe verbüßen muss.505 Ob die Strafe zur Bewährung auszusetzen ist, muss aufgrund einer Gesamtwürdi- 113 gung der in § 56 StGB aufgeführten Umstände entschieden werden, wobei unter Umständen eine günstige Täterprognose mit den sich aus § 56 Abs. 3 StGB ergebenden besonderen Belangen abzuwägen ist.506 Kommt eine Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 Abs. 3 StGB nicht in Betracht, kann der Tatrichter auf eine ausdrückliche Erörterung dieser Frage in den Urteilsgründen verzichten, die jedoch unerlässlich ist, wenn Grundlage der Verurteilung ein Sachverhalt ist, der die Notwendigkeit der Vollstreckung zur Verteidigung der Rechtsordnung nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen lässt.507 Ebenso wie bei der Bemessung der Strafart und der Strafhöhe haben auch hier nur hilfsweise mitgeteilte Überlegungen zu unterbleiben, da sie die Entscheidung bei Fehlerhaftigkeit der Haupterwägung in der Regel nicht zu retten vermögen und sie zudem nur unnötig gefährden.508 c) Bewährungsanordnungen. Die Bewährungsanordnungen (Bewährungszeit, 114 Auflagen und Weisungen) werden in einem besonderen Beschluss festgesetzt (§ 268a). In den Urteilsgründen sind diese Anordnungen nicht zu behandeln.509 d) Jugendstrafverfahren. Im Jugendstrafverfahren ist § 267 Abs. 3 Satz 4 auf die 115 Entscheidung über die Aussetzung einer Jugendstrafe entsprechend anzuwenden (§ 57 Abs. 4 JGG).510 11. Verwarnung mit Strafvorbehalt. Für die Verwarnung mit Strafvorbehalt gilt 116 nach § 267 Abs. 3 Satz 4 ebenfalls, dass das Gericht die Anwendung dieser mildesten Sanktion des Strafrechts unter Darlegung der Voraussetzungen des § 59 StGB entsprechend den Anforderungen des materiellen Rechts begründen muss, während die Nichtanwendung nur bei einem entsprechenden Antrag zu erörtern ist. Ein solcher Antrag kann auch hilfsweise im Schlussvortrag gestellt werden.511 Wenn die festgestellten Umstände die Anwendung des § 59 StGB so nahelegen, dass die Unterlassung von Ausführungen nach sachlichem Recht fehlerhaft wäre, besteht unabhängig von der Antragstellung eine Erörterungspflicht.512 504 BGHSt 6 298; KK/Kuckein/Bartel 33; vgl. im Übrigen die Kommentare zu § 56 StGB. 505 BGH NJW 1954 39; KK/Kuckein/Bartel 33. 506 BGH NJW 1955 996; NStZ 1994 336; 1995 341; 2018 29; BayObLGSt 1974 32 = JR 1974 517 mit Anm. Zipf; BayObLG NJW 1988 3027; OLG Hamm NJW 1967 1332; OLG Koblenz VRS 49 (1975) 318; KK/Kuckein/ Bartel 33; KMR/Stuckenberg 87. 507 BGH NStZ 1987 21; 1989 527; 2015 27; OLG Düsseldorf VRS 91 (1996) 355; 96 (1999) 443. 508 BGHSt 7 359; KK/Kuckein/Bartel 33; Meyer-Goßner/Schmitt 23. 509 Vgl. § 268a, 1. 510 Auch wenn ein Antrag nach § 267 Abs. 3 Satz 4 gestellt wird, kann die Entscheidung dem Nachverfahren vorbehalten werden, BGH NJW 1960 587. 511 BayObLG MDR 1980 951; OLG Celle StV 2001 159; OLG Düsseldorf StV 1997 123. Nach Horn NJW 1980 106 ist auch die erfolglose Zustimmung des Angeklagten zur Verfahrenseinstellung als ein die Begründungspflicht auslösender Antrag zu werten. 512 OLG Zweibrücken VRS 66 (1984) 196; KK/Kuckein/Bartel 34; MüKo/Wenske 413; vgl. OLG Düsseldorf JR 1985 376 mit Anm. Schöch = NStZ 1985 362 mit Anm. Horn (materiell-rechtliche Darlegungspflicht nur in Ausnahmefällen); ferner Rn. 111.

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Die vorbehaltene Strafe muss bei der Verwarnung mit Strafvorbehalt in den Urteilsgründen nach den allgemein für die Begründung einer Strafe geltenden Grundsätzen (Rn. 89 ff.) begründet werden.513

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12. Absehen von Strafe (Absatz 3 Satz 4 zweiter Halbsatz). Soweit das Gericht nach § 60 StGB oder aufgrund einer Sondervorschrift wie etwa § 157 Abs. 2, § 158 Abs. 1 oder § 182 Abs. 6 StGB von Strafe absieht, muss es dies begründen. Das gleiche gilt, wenn es einem darauf abzielenden Antrag nicht entspricht. Im Übrigen gelten die gleichen Gesichtspunkte, wie sie bei Rn. 108 ff. erörtert sind. Die Ausführungen des Gerichts müssen erkennen lassen, dass es alle nach der Sachlage sich aufdrängenden Gesichtspunkte rechtsfehlerfrei gegeneinander abgewogen hat.514

13. Verständigung (Absatz 3 Satz 5). Um „für die Urteilsgründe Transparenz herzustellen“,515 ist in den Urteilsgründen anzugeben, ob dem Urteil eine Verständigung gemäß § 257c in der Hauptverhandlung vorausgegangen ist. Die Angabe hat lediglich informatorische Wirkung, denn Beweiswirkung, ob eine Verständigung stattgefunden hat oder nicht, kommt allein dem Protokoll zu (§ 273 Abs. 1a); bei Widersprüchen zwischen Urteilsgründen und Protokoll ist allein das Protokoll maßgeblich.516 Der Wortlaut von Absatz 3 Satz 5 lässt offen, ob nur auf Verständigungen hinzuweisen ist, auf denen das Urteil beruht, oder auch auf solche, die zwar stattgefunden haben, aber nachher gescheitert sind (§ 257c Abs. 4 Satz 4). Das gesetzgeberische Motiv der Transparenz spricht dafür, alle in der Hauptverhandlung zustande gekommenen Verständigungen ungeachtet ihres etwaigen Scheiterns in den Gründen anzugeben.517 Auf nicht zustande gekommene oder (ohnehin verbotene) informelle Absprachen ist Absatz 3 Satz 5 nicht entsprechend anwendbar.518 Der Inhalt der Verständigung muss nicht mitgeteilt werden,519 zumal dies wegen § 273 Abs. 1a entbehrlich ist; anders soll es sein, wenn sonst das Einlassungsverhalten des Angeklagten nicht nachvollziehbar gewürdigt werden kann.520 Anzuführen ist aber, ob sich das Gericht nach § 257c Abs. 4 von der Verständigung gelöst hat.521 Bezieht sich bei mehreren Angeklagten die Verständigung nur auf einzelne von ihnen, ist dies anzugeben.522 An welcher Stelle der Urteilsgründe die Verständigung erwähnt wird, steht im Ermessen des Gerichts. Auch ein Urteil, das auf einer Verständigung beruht, muss den Anforderungen des 120 § 267 genügen523 und eine Beweiswürdigung enthalten, weil das Gericht von der Pflicht, den wahren Sachverhalt aufzuklären, nicht entbunden ist. Begnügen sich die Urteilsgründe mit der Angabe, dass die Feststellungen „auf der Anklageschrift“ beruh119

513 514 515 516 517

KK/Kuckein/Bartel 34. OLG Karlsruhe NJW 1974 1005. BTDrucks. 16 12310 S. 15; krit. Rieß FS Rissing-van Saan 491, 513. Niemöller/Schlothauer/Weider 10. Niemöller/Schlothauer/Weider 5; Meyer-Goßner/Schmitt 23a; SSW/Güntge 37; Schlothauer StV 2013 195, 196; a. A. BGHSt 57 273, 280 f. mit insoweit abl. Anm. Kudlich NStZ 2013 119, 120; KK/Kuckein/Bartel 36. 518 BGHSt 58 184, 188. 519 BGH NStZ 2010 348; 2011 170; StV 2011 76, 78; KK/Kuckein/Bartel 36; KMR/Stuckenberg 95; MeyerGoßner/Schmitt 23a. 520 BGHSt 58 184, 189 f.; BGH NStZ-RR 2013 52 mit krit. Anm. Schlothauer StV 2013 195. 521 Wie Fn. 517. 522 Niemöller/Schlothauer/Weider 8. 523 BGH NStZ-RR 2010 54; 2012 52; StV 2011 608, 609; 2012 653, 654; KK/Kuckein/Bartel 36; KMR/ Stuckenberg 96; MüKo/Wenske 415; Radtke/Hohmann/Hagemeier 37.

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ten, der der Angeklagte nach Maßgabe der getroffenen Verständigung „nicht entgegengetreten“ sei, so ist das Urteil wegen Verstoßes gegen § 261 aufzuheben.524 14. Maßregeln der Besserung und Sicherung (Absatz 6) a) Allgemeines. Absatz 6 stellt ebenfalls die bereits bei Absatz 3 Satz 2 bis 4 erörter- 121 te Regel auf, dass das Urteil angeordnete oder vorbehaltene Maßregeln unter Darlegung der vom materiellen Recht vorausgesetzten Tatsachen und Prognoseentscheidungen zu begründen hat, während beim Unterbleiben einer solchen Anordnung oder eines Vorbehalts verfahrensrechtlich erst ein in der Verhandlung gestellter Antrag die Begründungspflicht auslöst.525 Eine über Absatz 6 hinausgehende Begründungspflicht kann sich jedoch daraus 122 ergeben, dass die ausdrückliche Erörterung einer nach den Umständen in Betracht zu ziehenden Maßregel einschließlich der für die Prognose wichtigen Tatsachen notwendig ist, um die richtige Anwendung des sachlichen Rechts aufzuzeigen.526 So müssen bei fehlender oder erheblich verminderter Schuldfähigkeit die Urteilsgründe erkennen lassen, ob das Gericht die Notwendigkeit der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) geprüft hat, sofern die Sachlage zu Überlegungen in dieser Richtung drängt.527 Gleiches gilt, wenn das Urteil die Frage der Anordnung einer sonstigen Maßregel übergeht, obwohl die festgestellten Umstände dies nahegelegt hätten.528 Die Rechtsprechung stellt hohe Anforderungen an die Begründung, mit der Maß- 123 regeln der Besserung und Sicherung gerechtfertigt werden, wenn diese mit einem erheblichen Eingriff in die Freiheit verbunden sind wie die Sicherungsverwahrung529 oder einen einschneidenden Eingriff in die Handlungsfreiheit bedeuten, wie etwa beim Berufsverbot. Die einzelnen Anforderungen, denen die Begründung genügen muss, ergeben sich aus dem materiellen Recht.530 Soweit die Anordnung der Maßregel im Ermessen des Gerichts steht, muss das Urteil auch erkennen lassen, dass sich das Gericht dieses Umstandes bewusst war und die für und gegen die Anordnung sprechenden Gesichtspunkte erwogen hat.531 Sind den Voraussetzungen nach mehrere Maßregeln zulässig und geeignet, muss das Gericht seine Wahl begründen, wobei gegebenenfalls auch darzulegen ist, weshalb der Angeklagte durch die angeordnete Maßregel am wenigsten beschwert ist.532 Kommt nach dem festgestellten Sachverhalt die Anordnung mehrerer Maßnahmen nebeneinander in Betracht, muss das Urteil sich damit ausdrücklich auseinandersetzen.533 Ordnet das Gericht den Vorwegvollzug der Strafe vor der 524 BGH StV 2012 133 f.; NStZ-RR 2012 256 f.; 2016 148; KMR/Stuckenberg 96. 525 BGH NStZ 1999 473, 474; KK/Kuckein/Bartel 43; KMR/Stuckenberg 90; Meyer-Goßner/Schmitt 37; Meyer-Goßner/Appl 553; MüKo/Wenske 419.

526 BGHSt 50 93, 105; BGH NStZ 1999 473, 474; NStZ-RR 2012 110; 2019 29; HK/Julius/Beckemper 26; KK/Kuckein/Bartel 44; KMR/Stuckenberg 90; Meyer-Goßner/Schmitt 37; MüKo/Wenske 418; OK-StPO/Peglau 76; Radtke/Hohmann/Hagemeier 51; SK/Velten 67. 527 Vgl. BGHR StGB § 64 Anordnung 1. 528 Vgl. etwa BGHSt 37 6; 50 93, 105 (zu §§ 69, 69a StGB); BGH bei Holtz MDR 1990 886 (Entziehungsanstalt); BGH NJW 1999 2606 f. mit Bespr. Eisenberg/Schlüter NJW 2001 188 = JR 2000 207 mit Anm. Schöch (Sicherungsverwahrung). 529 BGH NStZ-RR 2001 103; 2010 77 f.; BGHR StGB § 66 Darstellung 1 ff. 530 Vgl. die Erläuterungen zu §§ 62 ff. StGB; ferner Meyer-Goßner/Appl 553 ff. 531 BGH StV 1994 479; 1996 541; NStZ-RR 2017 307; HK/Julius/Beckemper 26; KK/Kuckein/Bartel 44; Radtke/Hohmann/Hagemeier 49; SK/Velten 67; SSW/Güntge 52. 532 Vgl. BGH bei Holtz MDR 1981 809; auch BGH StV 1988 260. 533 Vgl. BGH NJW 2000 3015.

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Maßregel (§ 67 Abs. 2 StGB) an, bedarf es einer auf die Umstände des Einzelfalls eingehenden besonderen Begründung, die auch darlegen muss, dass dies zur Erreichung des Maßregelziels förderlicher ist als die umgekehrte Reihenfolge.534 Auch die Möglichkeit, einen Teil der Strafe vorweg zu vollstrecken, muss dabei erwogen werden.535 b) Vorbehalt der Sicherungsverwahrung. Nach § 260 Abs. 4 Satz 4 kann das Gericht bei der Verurteilung wegen einer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Straftaten die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung wegen der unsicheren Prognose der künftigen Straffälligkeit einem späteren Nachverfahren vorbehalten. Es muss dann aber in den Urteilsgründen mit derselben Genauigkeit wie bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung darlegen, dass alle anderen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB gegeben sind, so auch die Vorverurteilungen und die frühere Strafverbüßung. Denn nur, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorliegen, hat es Sinn, ihre Anordnung wegen der Unsicherheit der Prognose über die künftige Gefährlichkeit des Angeklagten einem Nachverfahren vorzubehalten. 125 Die von Absatz 6 Satz 1 (erste Alternative) geforderte Begründung des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung verlangt daher – abgesehen von der noch offenen Prognose über die künftige Straffälligkeit des Täters – die lückenlose Darlegung aller vom materiellen Recht geforderten Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung. Die hierüber getroffenen Urteilsfeststellungen sind die allein maßgebenden Grundlagen dafür, wenn später im Nachverfahren über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung zu entscheiden ist. Dieses hat lediglich die Ergänzung des Haupturteils hinsichtlich der nur mehr wegen der Unsicherheit der Prognose vorbehaltenen Entscheidung über diese Maßregel zum Gegenstand, nicht aber das Vorliegen der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung. Die im Haupturteil über Tat und Täter festgestellten Tatsachen und die dort vertretene rechtskräftig gewordene Rechtsauffassung sind für das Nachverfahren verbindlich. Sie müssen daher in den Urteilsgründen mit der gleichen Genauigkeit wie bei der unmittelbaren Anordnung der Sicherungsverwahrung festgestellt werden, damit auf ihrer Grundlage später das Gericht im Nachverfahren die Sicherungsverwahrung verhängen kann, wenn es die künftige Gefährlichkeit des Verurteilten bejahen sollte. Bei der Abfassung der Urteilsgründe ist zu berücksichtigen, dass unterbliebene oder unzureichende Feststellungen über das Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung im Nachverfahren nicht mehr nachgeholt werden können. 126 Zur Rechtfertigung des Vorbehalts muss das Urteil die Gründe aufzeigen, warum das Gericht im Zeitpunkt der Urteilsfindung nicht mit genügender Sicherheit feststellen konnte, ob vom Angeklagten auch künftig erhebliche Straftaten zu befürchten sind, durch die die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden können. Es muss darlegen, warum sich diese Möglichkeit aufgrund der in der Hauptverhandlung gewonnenen Feststellungen über Tat und Täter im Zeitpunkt der Urteilsfällung nicht ausschließen lässt und dass andererseits in diesem Zeitpunkt aber auch nicht mit der für die sofortige Anordnung der Sicherungsverwahrung notwendigen Sicherheit festgestellt werden kann, dass vom Angeklagten im Zeitpunkt seiner Entlassung aus dem Strafvollzug weitere erhebliche Straftaten der vorstehend bezeichneten Art zu erwarten sind.536 Warum beide Alternativen noch offen sind, muss unter Würdigung aller festgestellten Tatsachen und aller in der Hauptverhandlung ausgeschöpften Erkenntnisquellen dargelegt werden,

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534 BGH NJW 1986 141; 1986 142; ferner die Kommentare zu § 67 StGB. 535 Meyer-Goßner NStZ 1988 529, 536. 536 MüKo/Wenske 437.

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wozu auch die Mitteilung der wesentlichen Ergebnisse der angehörten Sachverständigen und eine Auseinandersetzung mit deren Auffassung gehört.537 Damit die richtige Anwendung des materiellen Rechts überprüft werden kann, müssen die Urteilsgründe dies unter Würdigung aller festgestellten Tatsachen lückenlos nachvollziehbar aufzeigen. Dazu gehört auch, welche nach der Sachlage für die Prognose relevanten Umstände offen bleiben mussten, so dass die Anordnung des Vorbehalts notwendig war. c) Formelle Begründungspflichten. Bei Anordnung der Sicherungsverwahrung 127 folgt die Pflicht zur Begründung aus der ersten Alternative des Absatzes 6 Satz 1. Diese deckt sich mit der bereits vorstehend erörterten Pflicht zur Darlegung der richtigen Anwendung des materiellen Rechts. Insoweit besteht auch die formelle Begründungspflicht unabhängig davon, ob und welche Anträge zur Sicherungsverwahrung gestellt wurden. Wieweit sich das Urteil bei Anordnung der Sicherungsverwahrung auch mit den Argumenten auseinandersetzen muss, die für eine Verschiebung dieser Entscheidung in das Nachverfahren vorgebracht wurden, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Wichtig ist, dass die Urteilsgründe zweifelsfrei aufzeigen, warum das Gericht im Zeitpunkt der Urteilsfällung alle Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung für sicher gegeben hielt oder aber, dass ihm eine sofortige Entscheidung über diese Maßregel nicht möglich war, weil es aufgrund des Ergebnisses der Hauptverhandlung die künftige Gefährlichkeit des Angeklagten nicht sicher beurteilen konnte. Die Tatsachen und Erwägungen, die einer sicheren Prognose entgegenstanden, sind darzulegen, denn § 66a StGB lässt das Nachverfahren nur zu, wenn das Gericht nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen kann, ob der Verurteilte für die Allgemeinheit im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB auch künftig gefährlich ist. Die immer bestehende Möglichkeit, dass nach der Strafvollstreckung die vom Gericht im Zeitpunkt der Urteilsfällung mit der erforderlichen Sicherheit für gegeben erachteten Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung später wegfallen, reicht für sich allein nicht aus, um die nach den Feststellungen im Zeitpunkt der Urteilsfällung gebotene sofortige Anordnung der Sicherungsverwahrung durch den Vorbehalt des Nachverfahrens zu ersetzen. Hat das Gericht entgegen einem in der Hauptverhandlung gestellten Antrag von 128 der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen, muss es nach der zweiten Alternative von Absatz 6 Satz 1 seine dafür maßgebenden Erwägungen in den Urteilsgründen darlegen. Diese formelle Begründungspflicht gilt auch, wenn es die Entscheidung dem Nachverfahren vorbehält, statt, wie beantragt, selbst darüber endgültig zu entscheiden. Die formelle Begründungspflicht wird aber nur ausgelöst, wenn das Gericht hinter einem Antrag zurückgeblieben ist, der auf Anordnung der Sicherungsverwahrung oder auf deren Vorbehalt für das Nachverfahren gerichtet war. Das endgültige Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung kann allerdings jetzt nicht mehr damit begründet werden, dass im Zeitpunkt der Urteilsfällung die für eine solche Anordnung unerlässliche Bejahung der künftigen Gefährlichkeit des Verurteilten nicht mit der erforderlichen Sicherheit möglich war. Gerade für diesen Fall sieht das Gesetz jetzt den Vorbehalt vor, der es erlaubt, darüber später unter Verwendung der durch den Strafvollzug gewonnenen zusätzlichen Erkenntnisse über die Person des Verurteilten im Nachverfahren zu entscheiden. d) Entziehung der Fahrerlaubnis. Hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis 129 nach § 69 StGB und der an ihre Stelle tretenden Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis nach § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB erweitert Absatz 6 Satz 2 die Begründungspflicht. Das Gericht muss also nicht nur nach Satz 1 die Anordnung einer solchen Maßnahme 537 Vgl. Rn. 67.

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begründen, sondern es muss auch, ohne Rücksicht darauf, ob ein dementsprechender Antrag gestellt wurde, in den Urteilsgründen darlegen, weshalb es die Maßregel nicht angeordnet hat, wenn ihre Verhängung nach der Art der Straftat in Betracht kam.538 Bei allen mit Strafe bedrohten Handlungen, die bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurden, muss also das Gericht im Urteil zur Anwendbarkeit des § 69 StGB Stellung nehmen, ganz gleich, wie es sich entschieden hat. Die Begründungspflicht besteht ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls bereits dann, wenn die objektiven Voraussetzungen des § 69 StGB gegeben sind.539 Wegen der Erfordernisse der Begründung, insbesondere wegen der Bedeutung der Regelbeispiele des § 69 Abs. 2 StGB, die auch der Erleichterung der Begründung dienen,540 wird auf die Erläuterungen zu § 69 StGB verwiesen. 130

15. Fahrverbot. Für das Fahrverbot nach § 44 StGB, § 25 StVG gilt die erweiterte Begründungspflicht nach Absatz 6 Satz 2 nicht. Wird diese Nebenstrafe verhängt, sind nach § 267 Abs. 3 Satz 1 die dafür bestimmenden Gesichtspunkte in Übereinstimmung mit den Erfordernissen des materiellen Rechts darzulegen,541 wobei mitunter gleichzeitig die Ablehnung der Entziehung der Fahrerlaubnis zu begründen ist (Rn. 129). Wird ein Fahrverbot nicht angeordnet, braucht dies nur begründet zu werden, wenn die festgestellten Umstände dazu drängten und dies notwendig ist, um die fehlerfreie Anwendung des materiellen Rechts aufzuzeigen.542

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16. Einziehung, Unbrauchbarmachung und sonstige Nebenfolgen. Soweit diese Nebenfolgen Strafcharakter haben, folgt die Verpflichtung, die Umstände, die für ihre Verhängung bestimmend waren, im Urteil anzugeben, aus Absatz 3 Satz 1.543 Werden Nebenfolgen verhängt, muss das Urteil die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen dafür angeben. Was im Einzelnen anzuführen ist, richtet sich nach den Anforderungen des materiellen Rechts, dessen richtige Anwendung aufzuzeigen ist. § 267 enthält insoweit keine speziellen Vorschriften. Die Maßnahmen sind in die für die Findung einer schuldangemessenen Sanktion erforderliche Gesamtschau aller Strafen mit einzubeziehen, sofern ihre Auswirkungen dabei ins Gewicht fallen, wie etwa bei Einziehung einer Sache von beträchtlichem Wert.544 Bei Sicherungsmaßnahmen muss wegen des

538 Zweck dieser Erweiterung ist, dem Ergebnis des Strafverfahrens nach § 4 Abs. 3 a. F./§ 3 Abs. 4 n. F. StVG den Vorrang vor Entscheidungen im Verwaltungswege zu sichern; vgl. OLG Hamm VRS 43 (1972) 21; OVG Sachsen DAR 2017 650; Lackner JZ 1965 125; KK/Kuckein/Bartel 44; KMR/Stuckenberg 93; MeyerGoßner/Schmitt 37; MüKo/Wenske 418; SK/Velten 66. 539 OLG Hamm VRS 43 (1972) 21. 540 Vgl. Meyer-Goßner/Appl 588; Schreiner DAR 1978 272. 541 Vgl. Meyer-Goßner/Appl 524; MüKo/Wenske 512. 542 Vgl. Rn. 90. 543 Nach BGH 21.4.1959 – 5 StR 44/59 bei KK/Kuckein/Bartel 35 folgt die Begründungspflicht nur aus dem sachlichen Recht und nicht aus der analogen Anwendung des Absatzes 3 Satz 1; ebenso MüKo/Wenske 511; Radtke/Hohmann/Hagemeier 36, 53; SSW/Güntge 38; noch anders SK/Velten 69, die die Begründungspflicht aus § 34 ableitet, zust. OK-StPO/Peglau 77. 544 BGH GA 1983 521; NStZ 1985 362; 2018 526; NStZ-RR 2012 169; StV 1989 529; 1993 360; 1995 301; 2011 726; 2019 20; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1985 140; anders, wenn nach der Sachlage die Einziehung die Bemessung der Hauptstrafe nicht wesentlich zu beeinflussen vermag, BGH MDR 1984 241; StV 1988 201; vgl. ferner etwa BGHSt 28 369; OLG Köln NJW 1965 2360; OLG Saarbrücken NJW 1975 66.

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auch hier geltenden Übermaßverbotes erörtert werden, ob der Zweck dieser Anordnungen mit weniger einschneidenden Maßnahmen erreichbar ist.545 Bei der Einziehung müssen die Voraussetzungen, von denen sie abhängt, tatbe- 132 standsmäßig aufgezeigt werden, insoweit muss auf die Erläuterungen zu §§ 73 ff. StGB verwiesen werden. Steht die Anordnung im Ermessen des Gerichts, müssen die Gründe erkennen lassen, dass sich das Gericht dieses Umstandes bewusst war.546 Gleiches gilt, wenn dem Gericht mehrere Alternativen zur Wahl standen.547 Voraussetzungen und Grundlagen einer Schätzung (§ 73d Abs. 2 StGB) müssen im Urteil mitgeteilt werden.548 Werden die Einziehung oder die Anordnung einer sonstigen Nebenfolge nicht aus- 133 gesprochen, obwohl sie nach den getroffenen Feststellungen in Betracht kommen oder gar zwingend anzuordnen waren, dann müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, weshalb dies unterblieben ist.549

VI. Abgekürztes Urteil (Absatz 4) 1. Anwendungsbereich. Absatz 4 betrifft nur die abgekürzte Begründung eines ver- 134 urteilenden Erkenntnisses. Für die Abkürzung freisprechender Urteile gilt Absatz 5 Satz 2 und 3.550 Enthält das Urteil neben der Verurteilung einen Freispruch, so ist für Zulässigkeit und Inhalt der abgekürzten Fassung im einen Fall Absatz 4, im anderen Absatz 5 Satz 2 maßgebend. Im Jugendstrafverfahren sind diese Bestimmungen entsprechend anwendbar, das Urteil muss hier jedoch den von § 54 JGG geforderten Inhalt haben, so dass sich bei Verurteilungen der Entlastungseffekt des Absatzes 4 meist in Grenzen hält.551 Im Bußgeldverfahren enthält § 77b OWiG eine weitgehend gleichartige Regelung, die jedoch seit der Neufassung von 1998 die abgekürzte Fassung des Urteils auch in einigen Fällen zulässt, in denen es noch nicht rechtskräftig geworden ist, so, wenn die Staatsanwaltschaft an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hat, ferner bei Geldbußen bis zu 250 A auch, wenn der Betroffene von der Verpflichtung zum Erscheinen entbunden und im Verlauf der Hauptverhandlung von einem Verteidiger vertreten war.552 In diesen Fällen lässt § 77b Abs. 2 OWiG dann die nachträgliche Ergänzung des Urteils zu.553 2. Rechtskraft. Voraussetzung für die abgekürzte Abfassung des Urteils ist, dass 135 das Urteil im Schuld- und Rechtsfolgenausspruch unanfechtbar geworden ist.554 Alle,

545 BGHSt 23 269; BGH bei Holtz MDR 1981 266; OLG Düsseldorf VRS 80 (1991) 23; OLG Stuttgart NJW 1975 66. 546 Vgl. BGHSt 19 256 („war einzuziehen“ genügt dafür nicht); BGH bei Dallinger MDR 1951 657; OLG Köln NJW 1965 2360; OLG Koblenz GA 1974 378; OLG Saarbrücken NJW 1975 66; KMR/Stuckenberg 94; SK/Velten 69. 547 OLG Oldenburg NJW 1971 769; KMR/Stuckenberg 94; vgl. BGHSt 28 369. 548 BGH NStZ-RR 2019 142. 549 BGH NStZ 2017 401,403; 2019 221, 222 mit Anm. Eisenberg; KK/Kuckein/Bartel 35; SK/Velten 69. 550 Vgl. Rn. 169 und zur Frage der abgekürzten Fassung bei Einstellungsurteilen Rn. 173. 551 Peters § 52 IV (§ 54 JGG ist vorgehende Spezialvorschrift); Meyer-Goßner/Appl 746. 552 Vgl. Katholnigg NJW 1998 571. 553 Wegen der Einzelheiten vgl. die Kommentare zu § 77b OWiG. 554 OLG Jena NStZ-RR 2015 181; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1983 112; HK/Julius/Beckemper 28; KK/Kuckein/Bartel 37; KMR/Stuckenberg 104; Meyer-Goßner/Schmitt 24; OK-StPO/Peglau 54 f.; Radtke/Hohmann/Hagemeier 38; SK/Velten 59; SSW/Güntge 40; a. A. MüKo/Wenske 450; Hütwohl NStZ 2016 710; Niehaus NZV 2003 409, 412.

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die den konkreten Urteilsspruch in einem Punkt anfechten können,555 müssen entweder auf Rechtsmittel verzichtet oder innerhalb der eventuell unterschiedlich endenden Anfechtungsfristen kein Rechtsmittel eingelegt haben. Dem steht es gleich, wenn ein eingelegtes Rechtsmittel zurückgenommen worden ist oder wenn ein Anfechtungsberechtigter auf Rechtsmittel verzichtet hat, während die anderen die Anfechtungsfrist ungenutzt verstreichen ließen. Unerlässlich ist seit der Neufassung nur noch, dass im Zeitpunkt der Urteilsabfassung feststeht, dass das Urteil in seinen entscheidenden Teilen, also sowohl hinsichtlich des Schuld- als auch des Rechtsfolgenausspruchs, unanfechtbar geworden ist. Dass die Kostenentscheidung mit Beschwerde nach § 464 Abs. 3 angefochten ist oder dass die Entscheidung nach § 8 Abs. 3 StrEG oder der Beschluss nach § 268a Gegenstand einer Beschwerde ist, schließt die abgekürzte Fassung nicht aus.556 Für Urteile, die überhaupt keiner Anfechtung unterliegen, weil sie mit der Ver136 kündung rechtskräftig werden, wie etwa die Urteile der Revisionsgerichte, gilt Absatz 4 nicht.557 Betraf das Urteil mehrere Angeklagte und ist es nur gegen einen unanfechtbar 137 geworden, so ist die abgekürzte Abfassung nur hinsichtlich solcher Taten möglich, an denen die Mitangeklagten unbeteiligt waren.558 Bei mehreren Taten im Sinne des § 264 kann für die eine die Abkürzung zulässig sein und für die andere nicht.559 138

3. Ermessen des Gerichts. Ob das Gericht von der Möglichkeit des Absatzes 4 Gebrauch machen will, steht in seinem Belieben (Satz 3). Auch wenn die Voraussetzungen vorliegen, ist es dazu nicht verpflichtet. Es kann von der Arbeitsweise her rationeller sein, wenn das Urteil sofort nach der Hauptverhandlung vollständig abgesetzt wird, als abzuwarten, ob nach Ablauf der Anfechtungsfrist die Voraussetzungen für ein abgekürztes Urteil eintreten.560

4. Inhalt. Eine abgekürzte Urteilsfassung sollte das Gericht durch einen entsprechenden Vermerk – zweckmäßigerweise in Verbindung mit der Überschrift „Gründe“ „abgekürzt nach § 267 Abs. 4 StPO“ – kenntlich machen.561 Die abgekürzten Urteilsgründe müssen nur die für erwiesen erachteten Tatsachen 140 angeben, in denen das Gericht die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden hat (vgl. Rn. 35 ff.) sowie das angewandte Strafgesetz (Rn. 78 ff.); Ausführungen zur Beweislage bedarf es nicht. Anzugeben sind ferner die verhängten Rechtsfolgen und die sie tragenden Bestimmungen.562 Die durch § 267 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, 3 und 6 Satz 1 festge139

555 Vgl. BGH bei Dallinger MDR 1971 898; ferner bei § 296. 556 HK/Julius/Beckemper 28; KK/Kuckein/Bartel 37; KMR/Stuckenberg 104; Meyer-Goßner/Schmitt 24; MüKo/Wenske 452; OK-StPO/Peglau 54; SK/Velten 59; SSW/Güntge 40. 557 BVerfG NJW 2004 209, 210 (Berufungsurteil nach Jugendrecht); HK/Julius/Beckemper 28; KK/Kuckein/Bartel 37; KMR/Stuckenberg 104; Meyer-Goßner/Schmitt 24; MüKo/Wenske 453; Radtke/Hohmann/Hagemeier 38; SK/Velten 59; Eb. Schmidt 34; SSW/Güntge 40. 558 BGH bei Dallinger MDR 1971 898; KMR/Stuckenberg 104; MüKo/Wenske 451. 559 HK/Julius/Beckemper 28; KK/Kuckein/Bartel 37; Meyer-Goßner/Schmitt 24; MüKo/Wenske 449 (ggf. zurückhaltend); OK-StPO/Peglau 56; SSW/Güntge 46. 560 Brünger DRiZ 1974 230; Rieß NJW 1975 87; Werner DRiZ 1974 125; KK/Kuckein/Bartel 37; KMR/Stuckenberg 105; Radtke/Hohmann/Hagemeier 38; SSW/Güntge 41. 561 HK/Julius/Beckemper 28; KK/Kuckein/Bartel 37; KMR/Stuckenberg 105; Meyer-Goßner/Schmitt 24; MüKo/Wenske 462 f.; OK-StPO/Peglau 59; Radtke/Hohmann/Hagemeier 39; SSW/Güntge 46; Meyer-Goßner/Appl 613 m.w. Beispielen („bezüglich der Verurteilung wegen … abgekürzt gem. § 267 Abs. 4“ oder „in Richtung gegen den Angeklagten A abgekürzt gem. § 267 Abs. 4“). 562 KK/Kuckein/Bartel 38; KMR/Stuckenberg 106; Meyer-Goßner/Schmitt 25; Meyer-Goßner/Appl 614 ff.

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legten besonderen Begründungspflichten sind für das abgekürzte Urteil nicht zwingend.563 Die Angaben nach Absatz 6 Satz 2 sind dagegen wegen der Bindungswirkung des Strafurteils stets erforderlich.564 Abgesehen von dem durch Absatz 4 Satz 1 und 2 festgelegten Mindestinhalt ent- 141 scheidet das Ermessen des Gerichts, was unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls in die Urteilsbegründung noch aufzunehmen ist. Dieses Ermessen hat sich am Zweck der Urteilsgründe zu orientieren,565 wobei allerdings der Gesichtspunkt, dass dem Revisionsgericht die Nachprüfung der Rechtsanwendung ermöglicht werden soll, ausscheidet. Gedacht ist vor allem an Ausführungen, die für den Strafvollzug, für nachträgliche Entscheidungen über die Rechtsfolgen, wie den Widerruf der Strafaussetzung oder über die bedingte Entlassung, wichtig sind oder die für spätere Verfahren Bedeutung haben, jedoch nicht ohne weiteres aus den Akten feststellbar sind.566 Vor allem bei der Anordnung längerer Freiheitsstrafen oder bei Maßregeln der Besserung und Sicherung ist die Würdigung der Täterpersönlichkeit und die Mitteilung der für die Strafzumessung und die Anordnung der Maßregel bestimmenden Erwägungen am Platze.567 Überhaupt wird auch beim abgekürzten Urteil die Bedeutung der Sache die Ermessensausübung beeinflussen müssen; während sich bei Bagatellsachen, die mit einer Geldstrafe geahndet werden, meist jede über den Mindestinhalt hinausgehende Begründung erübrigt,568 sind bei schwerwiegenden Strafen zusätzliche Ausführungen meist angezeigt. 5. Bezugnahme auf Anklage a) Zweck. Um die schnelle Urteilsabsetzung bei rechtskräftigen Urteilen noch weiter 142 zu erleichtern, Richter und Schreibkanzleien von überflüssigem Aufwand zu entlasten und so zur Verfahrensbeschleunigung beizutragen, lässt Absatz 4 Satz 1 zweiter Halbsatz bei allen Urteilen zu, die nach Satz 1 auch bei abgekürzten Urteilen erforderliche Angabe der erwiesenen tatbestandsrelevanten Tatsachen und der angewandten Rechtsvorschriften durch die Bezugnahme auf den Anklagesatz bzw. die ihm gleichgestellten Schriftstücke (Rn. 149 f.) zu ersetzen.569 Vor allem bei geständigen Tätern ergibt die Hauptverhandlung vielfach den gleichen Sachverhalt wie er bereits der Anklage zugrunde liegt, so dass es als überflüssiges Schreibwerk erscheint, wenn dieser im Urteil nochmals wiederholt werden muss, obwohl er dem Angeklagten und allen Verfahrensbeteiligten bereits aus der Anklageschrift bekannt ist. Die Bezugnahme auf den Anklagesatz soll vor allem den Richtern die besondere Urteilsabsetzung ersparen. Bei allseitigem Rechtsmittelverzicht können sie das Urteil nebst den auf die Bezugnahme beschränkten Gründen

563 Vgl. KK/Kuckein/Bartel 38; KMR/Stuckenberg 106; Meyer-Goßner/Schmitt 25; Meyer-Goßner/Appl 614; SK/Velten 60. Zur Sachdienlichkeit solcher Angaben vgl. Rn. 173.

564 BTDrucks. 8 976 S. 56 (wegen § 4 Abs. 2, 3 a. F. StVG immer erforderlich); BayVerwGH 11.7.2007 – 11 CS 07.535 Rn. 16; OVG Sachsen DAR 2017 650, 652; vgl. auch Rn. 129.

565 BTDrucks. 7 551 S. 82; s. a. Werner DRiZ 1974 125. 566 KK/Kuckein/Bartel 38; Meyer-Goßner/Schmitt 28; SK/Velten 60; ferner etwa Meyer-Goßner/Appl 616; Rieß NJW 1975 87; Schäfer 1538; Werner DRiZ 1974 125. 567 KMR/Stuckenberg 106; Franke DRiZ 1977 244 gegen Feldmann DRiZ 1977 183; Schalast/Leygraf DRiZ 1994 174. 568 Meyer-Goßner/Schmitt 28; Meyer-Goßner/Appl 616; Schäfer 1538; ähnl. MüKo/Wenske 465 f. 569 Das StVÄG 1979 hat die Bezugnahme auf den Anklagesatz erneut zugelassen, nachdem die 1921 eröffnete Möglichkeit der Bezugnahme auf den Eröffnungsbeschluss – später dann auf die Anklageschrift – durch das Vereinheitlichungsgesetz 1950 entfallen war. Zu den früheren Regelungen vgl. Kiesow JW 1921 376; Dittmann JW 1922 993.

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gleich in das Hauptverhandlungsprotokoll gemäß § 275 Abs. 1 Satz 2 aufnehmen.570 Ob der gewünschte Entlastungseffekt beim heutigen Stand der Technik noch eintritt, erscheint zweifelhaft.571 b) Tragende Urteilsfeststellungen. Die tragenden Urteilsfeststellungen werden durch die Bezugnahme auf den Anklagesatz ersetzt. Anders als bei der nur ergänzenden Verweisung auf die Einzelheiten von Abbildungen nach Absatz 1 Satz 3 wird hier der Grundsatz durchbrochen, dass das Urteil aus sich heraus verständlich sein muss.572 Durch die Bezugnahme wird der Wortlaut des Anklagesatzes inhaltlich zum Bestandteil des Urteils.573 Seine Kenntnis ist zum Verständnis des Urteils unerlässlich. Deshalb muss er den Urteilsausfertigungen zumindest dann in Abschrift oder Ablichtung beigefügt werden, wenn diese an Personen oder Stellen hinausgehen, die nicht die Anklageschrift oder die sie ersetzende Schrift (vgl. Rn. 149 f.) in Händen haben.574 Es wird ferner dafür zu sorgen sein, dass die zur Ergänzung des Urteils notwendigen Aktenteile ebenso lange aufbewahrt werden wie das rechtskräftige Urteil. 144 Die Verweisung ist auch wegen einzelner, prozessual selbständiger Taten möglich, bei denen die Tatsachen unverändert geblieben sind.575 Dies gilt allerdings nicht, wenn die auf Geldstrafe lautende Einzelstrafe bei einer solchen Tat in eine auf Freiheitsstrafe lautende Gesamtstrafe mit einbezogen wird.576 Das Urteil als Grundlage der Vollstreckung der Freiheitsstrafe wird in diesen Fällen ohne Verweisungen abzufassen sein. Dies erscheint um so eher angezeigt, als in solchen Fällen der Vereinfachungseffekt der Bezugnahme gering wäre. 143

c) Voraussetzungen der Bezugnahme. Voraussetzungen der Bezugnahme sind, dass das Urteil keine anderen als die in Absatz 4 Satz 1 zweiter Halbsatz angeführten Rechtsfolgen (Geldstrafe, Fahrverbot, Entziehung der Fahrerlaubnis, Einziehung des Führerscheins, Verwarnung mit Strafvorbehalt) verhängt (Rn. 147) und dass es den gleichen Sachverhalt für erwiesen hält, wie der in Bezug genommene Anklagesatz. Liegen diese keiner ausdehnenden Auslegung zugänglichen Voraussetzungen nicht vor, dürfen die auch bei abgekürzten Urteilen in den Urteilsgründen zu treffenden Feststellungen der für erwiesen erachteten Tatsachen (Rn. 140) nicht durch eine Bezugnahme auf den Anklagesatz ersetzt werden. 146 Die frühere Beschränkung der Bezugnahme auf die Urteile des Strafrichters und des Schöffengerichts ist entfallen, so dass jetzt die abgekürzten Urteile aller Gerichte,577 deren Rechtsfolgenausspruch sich in den vorgegebenen Grenzen hält, von dieser Möglichkeit Gebrauch machen können. Dies dürfte sogar für ein Berufungsurteil gelten, das unter Aufhebung des Ersturteils eine Geldstrafe verhängt. In der Regel dürfte dies aber weder eine nennenswerte Vereinfachung bringen noch der Sache gerecht werden. 145

570 BTDrucks. 8 976 S. 56; Rieß NJW 1978 2271. 571 Für Abschaffung der Bezugnahmemöglichkeit daher MüKo/Wenske 461. 572 Hiergegen hatte das Schrifttum bereits früher Bedenken erhoben; vgl. v. Hippel 366; auch MeyerGoßner/Appl 617; Meyer-Goßner NJW 1987 1164. 573 KMR/Stuckenberg 112; Meyer-Goßner/Schmitt 26. 574 AK/Wassermann 26; KMR/Stuckenberg 112; Meyer-Goßner/Schmitt 27; MüKo/Wenske 460; SK/Velten 60. 575 BTDrucks. 8 976 S. 56; KMR/Stuckenberg 109; Meyer-Goßner/Schmitt 26. 576 OLG Braunschweig StraFo 2008 247; KMR/Stuckenberg 109; Meyer-Goßner/Schmitt 26. 577 KK/Kuckein/Bartel 38; vgl. Rieß/Hilger NJW 1987 1164.

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Das Urteil darf nur auf Geldstrafe lauten; daneben darf allenfalls ein Fahrverbot 147 oder die Entziehung der Fahrerlaubnis, eine mit dieser verbundene Einziehung des Führerscheins (§ 69 Abs. 3 Satz 2; § 74 Abs. 4 StGB) sowie eine Verwarnung mit Strafvorbehalt angeordnet worden sein. Geldbußen wegen Ordnungswidrigkeiten stehen den Geldstrafen gleich.578 Bei anderen Strafen oder Nebenfolgen muss wegen der Bedeutung der Strafe oder den Besonderheiten der erkannten Rechtsfolgen die Bezugnahme auf den Anklagesatz unterbleiben. Vor allem bei abgekürzten Urteilen, die auf Freiheitsstrafe lauten oder die eine andere Maßregel der Besserung und Sicherung verhängen, ist für einen Ersatz der eigenen Urteilsbegründung durch eine Bezugnahme kein Raum. d) Gegenstand der Bezugnahme. Gegenstand der Bezugnahme ist der Anklagesatz 148 (§ 200 Abs. 1 Satz 1), so wie ihn das Gericht zugelassen hat. Sofern das Gericht die erhobene Anklage nur mit Änderungen zulässt, ist dies der Anklagesatz der nachgereichten Anklage nach § 207 Abs. 2 Nr. 1, 2 oder der Anklagesatz der gemäß § 243 Abs. 3 Satz 3 mündlich vorgetragenen Anklage nach § 207 Abs. 2 Nr. 3, 4.579 Dabei wird vorausgesetzt, dass letzterer in den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 4 in seinem Wortlaut eindeutig feststellbar ist und keine Unklarheiten entstehen. Fälle einer veränderten Anklage dürften sich deshalb für die Bezugnahme nur in Ausnahmefällen empfehlen. Der zugelassenen Anklage stehen der Anklagesatz im Strafbefehl und im Strafbe- 149 fehlsantrag (§ 408 Abs. 2, § 409 Abs. 1 Nr. 3, 4) gleich,580 ferner die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 im beschleunigten Verfahren.581 Im Bußgeldverfahren folgt aus der sinngemäßen Anwendung (§ 46 OWiG) des § 267 Abs. 4, dass das Urteil auf den Bußgeldbescheid verweisen darf.582 Der Verweisungsbeschluss nach § 270 Abs. 2583 oder der Übernahmebeschluss 150 nach § 225a Abs. 3 scheiden für die Bezugnahme ebenso aus wie die Nachtragsanklage nach § 266 Abs. 2.584 e) Ermessen des Gerichts. Ob die Begründung eines abgekürzten Urteils durch die 151 Bezugnahme auf den Anklagesatz noch weiter verkürzt werden kann, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Entscheidung obliegt an sich nicht dem Vorsitzenden oder dem Urteilsverfasser allein, sondern ist von den für die Urteilsfassung verantwortlichen Berufsrichtern585 zu treffen. Die Ermessensausübung hat sich an dem Zweck der schriftlichen Urteilsgründe zu 152 orientieren, die den Verfahrensbeteiligten und den später mit dem Urteil befassten Personen Klarheit über den Grund der Verurteilung und über den Gegenstand der Urteilsfindung verschaffen sollen. Die Bezugnahme setzt voraus, dass nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung im Wesentlichen die gleichen Tatsachen erwiesen sind, die im An-

578 Vgl. § 46 OWiG; KK/Kuckein/Bartel 38; aber auch § 77b OWiG und Rn. 134. 579 BTDrucks. 8 976 S. 56; KMR/Stuckenberg 110; Meyer-Goßner/Schmitt 27; MüKo/Wenske 457. 580 KK/Kuckein/Bartel 38; KMR/Stuckenberg 110; Meyer-Goßner/Schmitt 27; MüKo/Wenske 455; SK/Velten 60.

581 KK/Kuckein/Bartel 38; KMR/Stuckenberg 110; Meyer-Goßner/Schmitt 27; MüKo/Wenske 455; SK/Velten 60.

582 BTDrucks. 8 976 S. 56; OLG Hamm VRS 62 (1982) 294; 64 (1983) 44; KK/Kuckein/Bartel 38; KMR/ Stuckenberg 110; MüKo/Wenske 458; vgl. aber § 77b OWiG (Absehen von Urteilsgründen).

583 KK/Kuckein/Bartel 38; KMR/Stuckenberg 110. 584 KMR/Stuckenberg 110. 585 Vgl. LR/Stuckenberg § 275, 35 ff.

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klagesatz angegeben wurden. Dies folgt aus der Entstehungsgeschichte586 und dem Vereinfachungszweck der Bezugnahme, der nicht erreicht würde, wenn man neben der Bezugnahme noch abweichende Tatsachenfeststellungen hinsichtlich der gesetzlichen Merkmale der Straftat zulassen würde. Es ist zwar möglich, einige zusätzliche klarstellende Feststellungen in das Urteil aufzunehmen, etwa Tatort oder Tatzeit zu präzisieren, um der Klarheit der Urteilsgründe willen bleibt dafür aber nur ein eng begrenzter Raum.587 Unklarheiten durch die Bezugnahme dürfen nicht entstehen. Sind größere Ergän153 zungen zur Klarstellung notwendig, so ist der mit der Verweisung erstrebte Vereinfachungseffekt ohnehin nicht erreichbar. Grundsätzlich kommt für die Bezugnahme nur ein Anklagesatz in Frage, der sich nach Inhalt und Wortlaut uneingeschränkt dafür eignet, vom Gericht für die Wiedergabe der eigenen Feststellungen übernommen zu werden. Vor allem muss in ihm auch die Tat so konkret beschrieben sein, dass später keine Zweifel hinsichtlich des Gegenstandes der Aburteilung und des Verbrauchs der Strafklage entstehen können. Wird die Anklage nur mit Änderungen zugelassen, so wird vielfach von einer Bezugnahme abzusehen sein.588 154 Unterbleiben sollte die Bezugnahme auch sonst, wenn von ihr keine Vereinfachung zu erwarten ist, etwa bei der Verweisung auf ganz kurze Anklagesätze, deren inhaltliche Wiedergabe im Urteil nicht mehr Aufwand erfordert als die Formulierung der Verweisung, ferner, wenn der Rechtsfolgenausspruch eine nähere Begründung erfordert,589 die auch auf den zum Tatbestand festgestellten Sachverhalt eingehen muss, etwa, um aufzuzeigen, weshalb trotz der festgestellten Tatsachen eine Entziehung der Fahrerlaubnis unterbleiben konnte.590 Eine Bezugnahme auf den Anklagesatz würde in solchen und ähnlichen Fällen nur das Verständnis des Urteils erschweren, ohne dessen beschleunigte Absetzung wesentlich zu fördern. 155

f) Keine bestimmte Formel. Für die Bezugnahme selbst ist keine bestimmte Formel vorgeschrieben; es muss jedoch eindeutig erkennbar sein, dass, gegebenenfalls in welchem Umfang, sich das Gericht die im zugelassenen Anklagesatz enthaltenen Feststellungen zu eigen macht. Dies kann auch dadurch geschehen, dass das Gericht ausführt, es erachte die im Anklagesatz bezeichnete Tat für erwiesen.591

156

6. Hinweis auf Verständigung (Absatz 4 Satz 2). Um auch bei einem abgekürzten Urteil für die Gründe „Transparenz herzustellen“,592 ist der Hinweis, dass dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist, zwingend vorgeschrieben, so dass der im Jahr 2009 eingefügte neue Satz 2 des Absatzes 4 zwar auf den neuen Absatz 3 Satz 5 verweist, sich aber nur darauf beziehen kann, dass innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird, weil ein Rechtsmittelverzicht nach einer Verständigung ausscheidet (§ 302 Abs. 1 Satz 2).

586 BTDrucks. 8 976 S. 56. 587 Vgl. Rieß NJW 1978 2271 (Deckung in allen wesentlichen Feststellungen); KMR/Stuckenberg 111; Schäfer 1539. Vgl. Rn. 148. Vgl. Rn. 141. Vgl. Rn. 140. Vgl. die Beispiele bei Meyer-Goßner/Appl 617; ferner Kiesow JW 1921 376. BTDrucks. 16 12310 S. 15.

588 589 590 591 592

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7. Nachträgliche Ergänzung des abgekürzten Urteils a) Zweck. Absatz 4 Satz 4 lässt die nachträgliche Ergänzung eines abgekürzten Urteils 157 zu, wenn die Unanfechtbarkeit als Voraussetzung für die Kurzfassung nachträglich entfällt, weil einem Anfechtungsberechtigten gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung gewährt worden ist. Der Grundsatz von der Unabänderlichkeit der Urteilsbegründung erfährt dadurch eine Ausnahme.593 Das abgekürzte Urteil ist zwar ein mit Gründen versehenes Urteil im Sinne des § 338 Nr. 7,594 wird es aber der Nachprüfung durch das höhere Gericht unterstellt, muss sein Inhalt den Anforderungen genügen, die sich aus dem sachlichen Recht und den § 267 Abs. 1 bis 3, 6 ergeben.595 Um unnötige Aufhebungen zu vermeiden, ist die nachträgliche Ergänzung notwendig.596 Für eine Bezugnahme auf den Anklagesatz ist dann kein Raum mehr; die Tatbestandsmerkmale sind durch eigene Feststellungen in den Urteilsgründen zu belegen. b) Frist. Die Ergänzung des Urteils ist nur innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 158 zulässig. Diese Frist (fünf Wochen, ggf. länger) läuft von der Verkündung des Urteils an. Nach dem Wortlaut von Absatz 4 Satz 4 könnte angenommen werden, dass die eigentliche Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 auch hier der Ergänzung des Urteils eine absolute zeitliche Grenze setzt, ohne Rücksicht darauf, wann die Wiedereinsetzung gewährt worden ist. Dies würde mit dem Zweck des § 275 Abs. 1 Satz 2 übereinstimmen, der den Gefahren einer zu lange nach der Urteilsverkündung zu Papier gebrachten Urteilsbegründung begegnen will. Gegen diese Auslegung lässt sich aber anführen, dass die Wiedereinsetzung mitunter erst nach Ablauf der von der Urteilsverkündung an laufenden Frist beantragt oder bewilligt wird, es aber nicht Sinn der Regelung sein kann, die Ergänzung der Begründung in diesen Fällen auszuschließen und den Bestand des zulässigerweise in abgekürzter Form erstellten Urteils zu gefährden. Nach vorherrschender Ansicht bestimmt die Verweisung nur die Dauer der Frist.597 Der Beginn des Fristlaufs war lange Zeit umstritten. Die ehemals herrschende Mei- 159 nung stellte auf den Erlass des die Wiedereinsetzung bewilligenden Beschlusses ab,598 andere auf dessen Zustellung599 oder den Eingang der Akten600 bei dem für die Ergän593 OLG Stuttgart MDR 1984 118. Zu unterscheiden ist zwischen der bei allen Urteilen – auch den abgekürzten Urteilen – bestehenden Möglichkeit, die Gründe zu ändern oder zu ergänzen, solange sie den internen Gerichtsbereich noch nicht verlassen haben (vgl. OLG Köln VRS 63 (1982) 460; LR/Stuckenberg § 268, 43; § 275, 55 ff.), und der bei abgekürzten Urteilen unabhängig davon bestehenden, aber erst nach diesem Zeitpunkt praktisch bedeutsamen Änderungsbefugnis nach § 267 Abs. 4 Satz 4. 594 KK/Kuckein/Bartel 37; KMR/Stuckenberg 114. 595 BGH nach KK/Kuckein/Bartel 39; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1983 112. 596 Gössel § 33 D IIIc 5; SK/Velten 62. Peters Der neue Strafprozess (1975) 178 lehnt die nachträgliche Ergänzung wegen der Durchbrechung des Grundsatzes der Unveränderlichkeit des einmal festgelegten Urteils ab. 597 BGHSt 52 349, 352 mit zust. Anm. Rieß NStZ 2009 229 und Stuckenberg JR 2009 166 f. m. w. N.; BayObLGSt 1977 77, 79. 598 BayObLGSt 1981 84 = NJW 1981 2589; vgl. auch BayObLGSt 1979 148 = VRS 58 (1980) 34; BayObLGSt 1977 77 = MDR 1977 778 (aufgegeben in OLG München 23.7.2009 – 4 StRR 107/09); OLG Düsseldorf JMBlNW 1982 139; OLG Köln VRS 63 (1982) 460; AK/Wassermann 27; LR/Gollwitzer25 144. 599 Kleinknecht33 29. 600 Rieß NStZ 1982 441, 445 Fn. 101; HK/Julius/Beckemper 36; KK/Kuckein/Bartel 39; KMR/Stuckenberg 115; Meyer-Goßner/Schmitt 30; Meyer-Goßner/Appl 618; MüKo/Wenske 470; OK-StPO/Peglau 62; Radtke/ Hohmann/Hagemeier 42; SK/Velten 63; SK/Frister § 275, 14; SSW/Güntge 43; obiter auch BGH NStZ 2004 508, 509; bei Becker NStZ-RR 2002 26; BGH 12.6.2008 – 5 StR 114/08.

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zung zuständigen Gericht. Dem Gesetzeszweck, dem Tatgericht in jedem Fall nach gewährter Wiedereinsetzung die Möglichkeit zur Urteilsergänzung innerhalb der Frist des § 275 zu geben, wird nur die letztgenannte Ansicht gerecht,601 denn wenn es auf den Erlass des Wiedereinsetzungsbeschlusses ankäme, hinge es von den Unwägbarkeiten des Aktenrücklaufs zum Tatgericht ab, ob und wieviel Zeit für die Urteilsergänzung zur Verfügung bliebe. Maßgebend ist demnach der anhand des Eingangsstempels leicht feststellbare Eingang bei dem für die Ergänzung zuständigen Gericht, nicht dem zur Ergänzung berufenen Richter selbst.602 Hat das für die Ergänzung zuständige Gericht unter Verstoß gegen § 46 Abs. 1 selbst Wiedereinsetzung in die Frist zur Revisionseinlegung gewährt, so beginnt der Fristlauf indes bereits mit Erlass des Wiedereinsetzungsbeschlusses.603 Eine nach Ablauf der Frist vorgenommene Ergänzung ist für das Revisionsgericht unbeachtlich.604 Im Übrigen aber scheitert die Ergänzung nach Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht daran, dass das Urteil in der abgekürzten Fassung an Verfahrensbeteiligte hinausgegeben worden ist. Wird gegen ein abgekürzt begründetes Urteil nach Wiedereinsetzung in die Rechtsmittelfrist erst Berufung eingelegt und sodann zur Revision übergegangen, so beginnt die Frist zur Urteilsergänzung erst mit dem Übergang von Berufung zur Revision.605 160

c) Entsprechende Anwendung. Wird das Urteil vom Gericht in Unkenntnis seiner rechtzeitigen Anfechtung in abgekürzter Form erstellt, so scheidet nach der vorherrschenden Meinung eine Urteilsergänzung in entsprechender Anwendung von Absatz 4 Satz 4 aus, weil die Voraussetzungen für die Abkürzung von Anfang an nicht vorlagen und der Grundsatz von der Unabänderlichkeit des Urteils es verbiete, bei Rechtsmitteleinlegung nachträgliche Änderungen zuzulassen.606 Anders soll es sein in besonders gelagerten, der Wiedereinsetzung ähnlichen Ausnahmefällen, etwa bei unerkannt unwirksamer Rücknahme einer Revision607 oder wenn die Revisionsschrift zwar fristgemäß in den Gerichtsbriefkasten oder zum Telefaxgerät, aber nicht zu den Akten gelangt war.608 Zwingend ist diese grundsätzliche Ablehnung nicht, zumal der Gesetzgeber den Grundsatz von der Unabänderlichkeit des abgekürzten Urteils aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit selbst gelockert hat, die nachträgliche Ergänzung der Gründe auch keine schützenswerten Belange des Angeklagten und der anderen Verfahrensbeteiligten beeinträchtigt und so eine Urteilsaufhebung aus Formalgründen vermieden werden kann. Die Gründe der Prozesswirtschaftlichkeit, die auch sonst die Auslegung des 601 BGHSt 52 349, 352 ff. mit zust. Anm. Rieß NStZ 2009 229 und Stuckenberg JR 2009 166; BGH StV 2010 120; BGH 4.10.2017 – 3 StR 397/17 Rn. 4; OLG München 23.7.2009 – 4 StRR 107/09; entsprechend für die Rechtsbeschwerde OLG Brandenburg VRS 116 (2009) 450 f.; OLG Hamm VRR 2009 358. 602 BGHSt 52 349, 354. 603 BGH NStZ-RR 2012 49; KMR/Stuckenberg 115; Meyer-Goßner/Schmitt 30; MüKo/Wenske 471. 604 OLG Hamburg MDR 1978 247; KK/Kuckein/Bartel 39; KMR/Stuckenberg 115; Meyer-Goßner/Schmitt 30. Vgl. LR/Stuckenberg § 275, 17. 605 OLG München NJW 2007 96, 97; Meyer-Goßner/Schmitt 30; MüKo/Wenske 472; krit. Rieß NStZ 2009 229, 230. 606 BGH bei Holtz MDR 1990 490; BayObLGSt 1977 77 = MDR 1977 778; 1977 137 = VRS 53 (1977) 441; 1981 84 = NJW 1981 2589; NStZ 1991 342; KG VRS 82 (1992) 135; OLG Celle StV 1997 402; OLG Düsseldorf MDR 1993 894; OLGSt NF 3; OLG Hamm VRS 69 (1985) 137; OLG Koblenz VRS 70 (1980) 24; OLG Köln VRS 56 (1979) 149; 63 (1982) 460; 67 (1984) 45; OLG Nürnberg NStZ-RR 2011 386; OLG Stuttgart MDR 1984 118; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen 1981 95; KK/Kuckein/Bartel 37, 39; OK-StPO/Peglau 65. Vgl. auch BGHSt 43 22 = JR 1998 74 mit Anm. Gollwitzer; OLG Hamburg MDR 1978 247 lässt die Frage offen. 607 BGH NStZ-RR 2002 261; NStZ 2008 646 f.; KK/Kuckein/Bartel 39. 608 BGH NStZ-RR 2012 118; 2013 53; BGH 4.10.2017 – 3 StR 397/17 Rn. 3.

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Absatzes 4 bestimmen, sprechen dafür, seinen Satz 4 entsprechend anzuwenden, wenn das Gericht in Unkenntnis der Anfechtung das Urteil in abgekürzter Form erstellt hat.609 Die Änderungsfrist beginnt dann mit der Kenntnis des Gerichts vom Nichteintritt der Rechtskraft zu laufen.610 Der analogen Anwendung der Ergänzungsbefugnis des Absatzes 4 Satz 4 bedarf es nicht, wenn das abgekürzte Urteil den internen Gerichtsbereich noch nicht verlassen hat. Dann ist seine Ergänzung nach den allgemein für Änderungen geltenden Grundsätzen bis zum Ablauf der Absetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 ohnehin möglich.611 Nach Ablauf dieser Frist ist ebenso wie nach der Hinausgabe aus dem inneren Geschäftsbereich nur noch innerhalb enger Grenzen eine Berichtigung des Urteils zur Richtigstellung offensichtlicher Versehen möglich, die zweifelsfrei erkennbar und klar zu Tage liegen müssen.612 d) Sonstige Verfahrensfragen. Werden die abgekürzten Urteilsgründe zu einer 161 vollständigen Urteilsbegründung ausgeweitet, wird in der Regel zur Vermeidung urteilsgefährdender Unklarheiten die Neufassung der Gründe angezeigt sein. In ihr ist klarzustellen, dass sie an die Stelle der abgekürzten Urteilsfassung tritt, die aber bei den Akten bleibt. Die Wahrung der Ergänzungsfrist ist – ebenso wie bei der ursprünglichen Kurzfassung die Wahrung der Absetzungsfrist (§ 275 Abs. 1 Satz 5) – von der Geschäftsstelle zu vermerken.613 Die neue Fassung des Urteils ist den Verfahrensbeteiligten neu zuzustellen, um die Frist für die Rechtsmittelbegründung in Lauf zu setzen.614 Eine nach Ablauf der Ergänzungsfrist zu den Akten gegebene komplette Fassung des Urteils ist dagegen für das Revisionsgericht unbeachtlich615 und nicht geeignet, das ursprüngliche abgekürzte Urteil zu ersetzen. Mangels einer Verweisung auf § 275 Abs. 1 Satz 4 darf die Urteilsergänzungsfrist auch bei Eintritt eines nicht vorhersehbaren, unabwendbaren Umstands nicht überschritten werden.616 Hat ein Urteil, das nur im Schuldspruch nicht angefochten worden war, zu Unrecht 162 auf den Anklagesatz Bezug genommen, ist die Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam, weil eigene Feststellungen zum Schuldspruch im angefochtenen Urteil fehlen. Das Berufungsgericht muss deshalb zum Schuld- und Rechtsfolgenausspruch neu verhandeln und in seinem Urteil eigene Feststellungen dazu treffen.617 609 So jetzt auch BGH 4.10.2017 – 3 StR 397/17 Rn. 3 (Regelungslücke); ebenso Gollwitzer FS Kleinknecht 169; Rieß NStZ 1982 445; KMR/Stuckenberg 116; SK/Velten 62; ähnl. MüKo/Wenske 478; diff. Meyer-Goßner/ Schmitt 30 (wenn Gericht nach Aktenlage von Rechtskraft ausgehen durfte); SSW/Güntge 45. Vgl. auch BGHSt 43 22, 26 = JR 1998 74 mit Anm. Gollwitzer (zu § 77b OWiG), ferner die Ausweitung der nachträglichen Urteilsbegründung durch den neugefassten § 77 Abs. 2 OWiG. 610 KMR/Stuckenberg 116. 611 BGHSt 43 22; BayObLGSt 1981 84 = NJW 1981 2589; BayObLG bei Rüth DAR 1985 246; OLG Düsseldorf MDR 1993 894; OLG Köln VRS 63 (1982) 460; Meyer-Goßner/Schmitt 39; SK/Velten 70; vgl. LR/Stuckenberg § 268, 43; § 275, 5 ff. 612 BGH GA 1969 119; BayObLG NStZ-RR 1999 140; OLG Düsseldorf MDR 1981 606; Meyer-Goßner/ Schmitt 39; a. A. SK/Velten 73. 613 Vgl. LR/Stuckenberg § 275, 53, 57. 614 BGHSt 12 376; BayObLG NStZ-RR 1999 140; OLG Düsseldorf OLGSt NF 3; vgl. LR/Stuckenberg § 268, 44 ff. 615 OLG Köln VRS 56 (1979) 149; vgl. LR/Stuckenberg § 275, 17. 616 BGHSt 52 349, 354; BGH NStZ 2004 508 f.; BayObLGSt 1979 148, 151; OLG Hamburg MDR 1978 247 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 30; MüKo/Wenske 473; OK-StPO/Peglau 64; SSW/Güntge 44; Rieß NStZ 1982 441, 445; Stuckenberg JR 2009 166, 167; a. A. LR/Gollwitzer25 146 (entsprechende Anwendung möglich). 617 OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1983 112; Rieß NStZ 2009 229, 230.

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VII. Das freisprechende Urteil 1. Begründung nach Absatz 5 Satz 1 163

a) Allgemeines. Das Gesetz geht von einer klaren Dichotomie aus, wonach ein Freispruch entweder aus tatsächlichen Gründen erfolgt, weil die Umstände, die die Voraussetzungen eines Straftatbestands erfüllen würden, nicht zur Genüge erwiesen sind, oder aus rechtlichen Gründen, weil der vollständig erwiesene Sachverhalt keinen Schuldspruch begründet. Hierbei kommt es weniger auf die scharfe Abgrenzung von Tat- und Rechtsfrage, die rechtstheoretisch ohnehin umstritten ist,618 an als darauf, dass das Gericht „in tatsächlicher Beziehung eine deutliche Bezeichnung derjenigen Tatsachen, welche das erkennende Gericht als nicht erwiesen erachtet, und in rechtlicher Beziehung eine Hervorhebung des Rechtsgrundes, welcher für die Entscheidung bestimmend gewesen ist,“619 vornimmt. Die Urteilsgründe müssen den Anklagevorwurf und die für erwiesen erachteten Tatsachen mitteilen sowie anführen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen nicht erwiesen sind, und auf dieser Grundlage den Sachverhalt unter allen für die Entscheidung über die angeklagte Tat (§ 264) nach der Sachlage vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten – also nicht nur unter dem Blickwinkel der von der Anklage angenommenen Straftaten – erschöpfend würdigen,620 wobei die Anforderungen an die Feststellungen nicht geringer sind als bei einem verurteilenden Erkenntnis.621 Dem Revisionsgericht muss die Prüfung ermöglicht werden, ob der Sachverhalt erschöpfend und frei von sachlich-rechtlichen Mängeln gewürdigt worden ist,622 insbesondere, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind.623 Einer vollständigen Darlegung aller Umstände, vor allem der ausdrücklichen Verneinung nicht erwiesener Möglichkeiten, bedarf es aber nicht.624 Ist das Urteil in tatsächlicher oder rechtlicher 618 Fehlerhaft etwa BGH NJW 2016 728, 729 ff. (Zweifel an Schuldfähigkeit als rechtlicher Grund; ebenso BGH NStZ-RR 2019 134, 135) mit abl. Anm. Grosse-Wilde/Stuckenberg StV 2016 784 ff. m. w. N., auch zur rechtstheoretischen Diskussion. 619 So schon RGRspr. 1 (1879/80) 811; RGSt 3 147; 5 225; 13 34; 15 217; 41 19; OLG Hamm MDR 1964 853; vgl. auch Wimmer ZStW 80 (1968) 369 und Fn. 620. 620 BGHSt 37 21, 22; 52 314, 315; BGH NJW 1980 2423; 1999 1015; 2002 1811; NStZ 1990 448; 1991 596; 2002 48; 2009 401, 403; 2009 512, 513; NStZ-RR 2003 333 f.; 2010 182 f.; wistra 2010 219 f.; BGH bei Miebach/Kusch NStZ 1991 230; BGH 22.5.2007 – 1 StR 582/05 mit Anm. Dietmeier ZIS 2008 101; OLG Bamberg OLGSt § 267 Nr. 27; AK/Wassermann 28; HK/Julius/Beckemper 30; KK/Kuckein/Bartel 41; KMR/Stuckenberg 97; Meyer-Goßner/Schmitt 33; MüKo/Wenske 483 ff.; OK-StPO/Peglau 67; Radtke/Hohmann/Hagemeier 45; SK/Velten 54 f.; vgl. auch Fn. 622. 621 BGH NStZ 2002 446; 2009 512, 513; NStZ-RR 2018 151, 152; OLG Bamberg DAR 2011 147; OLGSt § 267 Nr. 27; KK/Kuckein/Bartel 41; KMR/Stuckenberg 98; Meyer-Goßner/Schmitt 33; OK-StPO/Peglau 67; Radtke/ Hohmann/Hagemeier 45. 622 BGHSt 37 21, 22; 52 314, 315; BGH NJW 1959 780; 2005 2322, 2325; BGH wistra 1991 63; 2004 105, 109; NStZ-RR 2009 116; 2010 182; 2019 254 f.; StV 1994 580; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 15; bei Holtz MDR 1980 406; OLG Köln VRS 65 (1983) 383; OLG Oldenburg VRS 57 (1979) 62; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1979 205; KK/Kuckein/Bartel 41 f.; KMR/Stuckenberg 98; Meyer-Goßner/Schmitt 33; MüKo/Wenske 482; SSW/Güntge 48; sowie Fn. 620; Rechtsprechungsübersicht bei Brause NStZ-RR 2010 329; a. A. SK/Velten 55. 623 St. Rspr., BGH NJW 2005 1727; NStZ 2002 48; 2009 401, 402; 2009 512, 513; NStZ-RR 2000 171; 2003 369, 370; 2013 117; 2014 152; 2015 255; NZWiSt 2017 399, 404; wistra 2013 195; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 25; OLG Bamberg OLGSt § 267 Nr. 27. 624 BGH bei Holtz MDR 1978 281; AK/Wassermann 29; KMR/Stuckenberg 97; Meyer-Goßner/Schmitt 33; Meyer-Goßner/Appl 622; vgl. Rn. 50, 56 ff.

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Beziehung mangelhaft, so wird dieser Mangel durch einen Hinweis auf die Anklageschrift625 oder auf die Gründe eines anderen Urteils nicht ersetzt.626 b) Freispruch in tatsächlicher Hinsicht. Hält das Gericht den Angeklagten in tat- 164 sächlicher Hinsicht für nicht überführt, muss die Begründung die erwiesenen Tatsachen feststellen und dartun, welche Merkmale des angeklagten Straftatbestandes vom Gericht für nicht erwiesen gehalten werden.627 Sie muss die getroffenen Feststellungen unter allen nach der konkreten Sachlage naheliegenden Gesichtspunkten würdigen628 und darlegen, warum die getroffenen und möglichen Feststellungen nach seiner Überzeugung zum Nachweis des Straftatbestandes nicht ausreichen. Diese Maßstäbe dürfen jedoch nicht schematisch angewandt werden. Dies gilt insbesondere, wenn weitere Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen nicht möglich sind.629 Es lässt sich daher nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen,630 in welchem Umfang das Gericht im Übrigen gehalten ist, die Grundlagen seiner Beweiswürdigung und den Inhalt der erhobenen, zum Nachweis eines Straftatbestandes nicht ausreichenden oder gegen das Vorliegen eines solchen sprechenden Beweise mitzuteilen. Zu der von Absatz 5 geforderten Angabe, ob der Angeklagte für nicht überführt erachtet worden ist, gehört eine Erörterung der Einzelheiten des warum nicht unbedingt;631 allerdings müssen die gegen den Angeklagten sprechenden Umstände erörtert werden.632 Um die richtige Anwendung des materiellen Rechts aufzuzeigen und um darzutun, dass die Beweiswürdigung des Gerichts frei von Widersprüchen und Denkverstößen ist, dass bei ihr naheliegende Gesichtspunkte nicht außer Acht geblieben sind und dass die Anforderungen an die richterliche Überzeugung nicht überspannt worden sind, muss sich das Gericht mit entscheidungserheblichen Beweisergebnissen,633 mit den für den Freispruch maßgebenden Teilen eines Gutachtens,634 eventuell auch mit Zeugenaussagen635 auseinandersetzen. Bei mehreren Beweisanzeichen ist stets eine, nicht nur formelhafte, Gesamtwürdigung nötig.636 Entlastende Angaben des Angeklagten, deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit offen ist, darf es nicht ohne weiteres als unwiderlegt der Entscheidung zugrunde le625 RGSt 4 137; wegen der nur bei nicht angefochtenen Urteilen zulässigen Bezugnahme vgl. Rn. 142 ff., 169 ff.

626 RGSt 30 145; RG GA 51 (1904) 394; AK/Wassermann 28; KMR/Stuckenberg 97. 627 BGH NJW 2013 1106 f.; NStZ 2014 419, 420; NStZ-RR 2008 206; 2014 220; 2018 151, 152; bei Becker NStZ-RR 2005 67; StV 2018 199, 200; wistra 2016 401; OLG Bamberg NJW 2006 2197, 2198; 2006 2935, 2936; OLGSt § 267 Nr. 27; KK/Kuckein/Bartel 41. 628 BGH GA 1974 61; NJW 1951 325; 1959 780; 1980 2423; bei Holtz MDR 1978 806; 1980 108; NStZ-RR 2013 117, 118; 2014 152; 2014 220; 2018 151, 152; BayObLGSt 1954 39; OLG Köln VRS 65 (1983) 383; OLGSt 51. 629 BGH NStZ-RR 2005 211; 2009 116; 2011 88; BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 12; OLG Bamberg OLGSt § 267 Nr. 27. 630 Vgl. BGH NStZ-RR 2000 171. 631 Blunk MDR 1970 473 hält es für ausreichend, wenn das Gericht beim Freispruch aus tatsächlichen Gründen angibt, welche den Straftatbestand begründenden Tatsachen es für erwiesen und welche es für nicht erwiesen hält; die Beweiswürdigung mitzuteilen, sei nicht erforderlich; ebenso SK/Velten 55. 632 BGH NStZ-RR 2002 338; NStZ 2009 512, 513; NStZ-RR 2010 182; 2013 117, 118; 2015 255; MeyerGoßner/Schmitt 33. 633 Vgl. RGSt 77 160; BGH NJW 1962 549; KK/Kuckein/Bartel 41; MüKo/Wenske 493 ff.; Rn. 56; LR/Franke26 § 337, 135. 634 Vgl. etwa OLG Köln MDR 1978 338 und Rn. 67. 635 Vgl. BGH NStZ-RR 2009 181 und Rn. 55 ff., 64 ff., 68. 636 BGH NJW 2002 1811; NStZ 2002 48; 2012 227, 228; 2013 180, 181; 2017 104 mit Anm. Eisenberg; 2017 600; NStZ-RR 2014 152 f.; 2014 281, 282; 2015 148; 2015 255; 2015 349; 2016 150; 2018 289; NZWiSt 2017

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Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

gen.637 Mitunter wird auch gefordert, die Gründe müssten so ausführlich sein, dass das mit der Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens betraute Gericht die Frage beantworten könne, ob eine falsche Urkunde oder ein falsches Zeugnis oder Gutachten das Urteil im Sinn des § 362 Nr. 1, 2 beeinflusst habe.638 Die Feststellung des äußeren Tatbestands ist zwar nicht unter allen Umständen er165 forderlich; ausnahmsweise kann allein die Verneinung der inneren Tatseite genügen, sofern nur der Rechtsstandpunkt, von dem das Gericht ausging, klar erkennbar ist.639 Für den Regelfall gilt jedoch, dass sich einwandfreie Feststellungen zur inneren Tatseite erst treffen lassen, nachdem zuvor festgestellt ist, was der Angeklagte im Einzelnen getan hat, weil häufig erst daraus Schlüsse auf die Richtung seines Willens und den Inhalt seines Bewusstseins gezogen werden können. Verneinende Feststellungen zur inneren Tatseite vermögen allein die Freisprechung dann nicht zu tragen, wenn sie wegen fehlender – aber möglicher – Aufklärung der äußeren Tatseite der Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 2 ausgesetzt sind.640 Dies gilt insbesondere auch beim Freispruch wegen Schuldunfähigkeit,641 wobei im Einzelfall Angaben zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten nötig sein können.642 Solche Angaben sind entbehrlich, wenn wahrscheinlich ein unbekannter Dritter der Täter ist.643 166

c) Freispruch in rechtlicher Hinsicht. In rechtlicher Hinsicht muss das freisprechende Urteil die Erwägungen aufzeigen, aufgrund derer es im festgestellten Sachverhalt keine Straftat sieht,644 wobei die festgestellten Tatsachen unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu würdigen sind.645 Der Umfang der erforderlichen Rechtsausführungen hängt dabei von den Besonderheiten der jeweiligen Rechtslage ab; er sollte sich jedoch stets auf die für das Verständnis der Entscheidung unerlässlichen Erörterungen beschränken. Bei einem Freispruch unter dem Gesichtspunkt der Notwehr sind deren tatsächliche Voraussetzungen so darzustellen, dass sie die Rechtsanwendung tragen.646 Im Verfahren wegen übler Nachrede (§ 186 StGB) ist grundsätzlich auf die Frage der Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) erst einzugehen, 399 f.; StV 2018 199, 201; KK/Kuckein/Bartel 41; Meyer-Goßner/Schmitt 33; MüKo/Wenske 492, 499 f.; OKStPO/Peglau 67; Radtke/Hohmann/Hagemeier 45; s. a. Liebhart NStZ 2016 134. 637 BGH NStZ 1983 133; 1990 448; 2009 512, 513; NStZ-RR 2013 117; 2014 152, 153; 2015 83, 85; 2015 255; 2018 20; wistra 2013 195; OLG Bamberg OLGSt § 267 Nr. 27; vgl. Rn. 62 und LR/Sander § 261, 110 ff. 638 BayObLG JW 1931 957 mit Anm. Mannheim; OLG Hamm NJW 1964 863; vgl. Fn. 628. 639 RGSt 4 355; 43 397; 47 419; RG JW 1917 555; BGHSt 16 374; 31 286; BGH GA 1974 61; NJW 1980 2423; 1991 2094; 2005 2322, 2325; BGH 18.12.2012 – 1 StR 415/12 Rn. 25 (insoweit nicht in BGHSt 58 72); HK/Julius/ Beckemper 30; KK/Kuckein/Bartel 41; KMR/Stuckenberg 99; Meyer-Goßner/Schmitt 33a; MüKo/Wenske 487; OK-StPO/Peglau 67; Radtke/Hohmann/Hagemeier 46; SK/Velten 55; SSW/Güntge 48; vgl. auch Meyer-Goßner/Appl 626 (seltene Ausnahmefälle); ferner Hirsch Anm. zu BGH JR 1980 113. 640 RGSt 47 417; OGHSt 1 188; BGH NJW 1991 2094; bei Dallinger MDR 1956 272; vgl. BGHSt 14 165; BGH NJW 1962 549; 1980 2423; GA 1974 61; BayObLGSt 1985 61; 1988 148; 1998 15; KK/Kuckein/Bartel 41. 641 BGH NStZ 1983 280; bei Dallinger MDR 1956 272; KK/Kuckein/Bartel 41. 642 BGHSt 52 314, 315 mit zust. Anm. Gössel JR 2009 217; BGH NStZ 2000 91 f.; 2010 529; 2014 172; 2014 419, 420; NStZ-RR 2008 206; 2011 51, 52; 2012 216, 217; 2013 52; 2014 153; 2015 180; 2017 223; 2017 320. 643 BGH NStZ-RR 2015 180. 644 H. M., etwa BGH NStZ-RR 1997 374; KG NStZ-RR 2013 172; OLG Oldenburg VRS 57 (1979) 62; AK/ Wassermann 30; HK/Julius/Beckemper 30; KK/Kuckein/Bartel 42; KMR/Stuckenberg 100; Meyer-Goßner/ Schmitt 34; MüKo/Wenske 501 ff.; Radtke/Hohmann/Hagemeier 47; SK/Velten 56. 645 BGH GA 1974 61; BayObLGSt 1954 42; KK/Kuckein/Bartel 42; MüKo/Wenske 503; SK/Velten 56. 646 BGH NStZ-RR 2009 70, 71; StV 2018 727, 728 f. OLG Hamm Rpfleger 1956 240; KK/Kuckein/Bartel 42; MüKo/Wenske 503; Radtke/Hohmann/Hagemeier 47; SK/Velten 56.

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nachdem die Erweislichkeit der behaupteten oder verbreiteten Tatsache geprüft worden ist.647 Liegen mehrere Rechtfertigungsgründe vor, genügt es, die Voraussetzungen eines von ihnen festzustellen. Rechtfertigungsgründe sind in der Regel vor Schuldausschließungsgründen zu behandeln.648 Rechtsfragen, die dahingestellt bleiben können, sollten nicht erörtert werden. Soweit es nur um Rechtsfragen geht, ist eine Beweiswürdigung entbehrlich.649 d) Bezugnahme auf Abbildungen. Die Bezugnahme auf Abbildungen nach Ab- 167 satz 1 Satz 3 ist auch bei den freisprechenden Urteilen zulässig, soweit diese tatsächliche Feststellungen enthalten müssen.650 e) Beachtung der Unschuldsvermutung. Bei der Begründung eines Freispruchs ist 168 darauf Bedacht zu nehmen, dass das in der Urteilsformel ausgesprochene Verfahrensergebnis in den Urteilsgründen nicht unterlaufen und dadurch die Unschuldsvermutung (Art. 1 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 2 EMRK) verletzt wird.651 Schuldfeststellungen aller Art sind daher in den Gründen unzulässig.652 Insofern ist die überkommene Ansicht, dass der freigesprochene Angeklagte durch die Urteilsgründe nicht beschwert sein könne, als konventionswidrig überholt, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Freispruch aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erfolgt ist;653 das Risiko eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 2 EMRK ist bei Freisprüchen aus rechtlichen Gründen sogar größer, sofern sie ein erwiesenes Straftatgeschehen schildern.654 Feststellungen fortbestehenden Verdachts sind zwar nach der Ansicht des EGMR und des BVerfG655 in den Gründen des freisprechenden Urteils selbst zulässig, sollten aber dennoch tunlichst vermieden werden,656 weil sie keinen prozessualen Zweck erfüllen, folglich einen unnötigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Angeklagten darstellen. Hinzu kommt die Gefahr, dass als Verdachtsbeschreibung gemeinte, aber „unglückliche“, weil ambivalente Formulierungen als Schuldfeststellung missverstanden werden können, zumal die vom 647 BGHSt 4 198; 7 391; 11 273; Meyer-Goßner/Schmitt 33a; Meyer-Goßner/Appl 626; Graul NStZ 1991 437. 648 Hirsch JR 1980 113 zu BGH JR 1980 113, der dahinstehen ließ, ob die Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) gegeben waren, weil der Angeklagte jedenfalls nach § 35 StGB ohne Schuld gehandelt habe; vgl. Schäfer 1534 (Feststellungen zu den nach Deliktsaufbau vorrangigen Gesichtspunkten). 649 OLG Rostock NStZ 2012 572 f.; KK/Kuckein/Bartel 42; KMR/Stuckenberg 100; Meyer-Goßner/Schmitt 34; OK-StPO/Peglau 69; Radtke/Hohmann/Hagemeier 47; SK/Velten 56. 650 Vgl. Rn. 16 ff.; Absatz 1 Satz 3 ist aufgrund des Zusammenhangs des § 267 anwendbar (Rn. 27). 651 Vgl. nur EGMR Cleve/Deutschland, 15.1.2015, Nr. 48144/09, § 64, StV 2016 1, 5 m. w. N. mit zust. Anm. Stuckenberg und abl. Anm. Rostalski HRRS 2015 315; HK/Julius/Beckemper 31; KK/Kuckein/Bartel 41a; KMR/Stuckenberg 101; Grosse-Wilde/Stuckenberg StV 2016 784, 787 f.; s. a. OLG Hamm 13.9.2016 – 4 RVs 116/16 Rn. 7. 652 St. Rspr. seit EGMR Lutz/Deutschland, Serie A Nr. 123, §§ 60, 62, EuGRZ 1987 399, 403; Englert/ Deutschland, Serie A Nr. 123, §§ 37, 39, EuGRZ 1987 405, 409; Nölkenbockhoff/Deutschland, Serie A Nr. 123, §§ 37, 39, EuGRZ 1987 410, 414; w. N. in Cleve (Fn. 651) §§ 53 f. 653 A. A. BGH NJW 2016 728, 730 f. mit zust. Anm. Michalke und mit abl. Anm. Grosse-Wilde/Stuckenberg StV 2016 784, 787 f. m. w. N. 654 Als unzulässig wurde etwa die Begründung angesehen, der Angeklagte habe die Tat zwar begangen, sie sei aber verjährt, EGMR Peltereau-Villeneuve/Schweiz, 28.1.2015, Nr. 20101/09, § 35; Caraian/Rumänien, 23.6.2015, Nr. 34456/07, §§ 74–76; anders aber EGMR Constantin Florea/Rumänien, 19.6.2012, Nr. 21534/05, § 56; dazu Grosse-Wilde/Stuckenberg StV 2016 781, 787. 655 Fn. 652 und BVerfGE 74 358, 371 ff.; 82 106, 117, 119 f. 656 So schon BVerfGE 25 327, 331; s. a. Stuckenberg Untersuchungen zur Unschuldsvermutung (1997) 123 ff., 565 m. w. N.

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EGMR vorgenommene Abgrenzung unzulässiger Schuldfeststellungen von an sich zulässigen Verdachtsfeststellungen mit einem untauglichen Kriterium operiert – maßgebend sei der Wortlaut, aber auch der „wirkliche Sinn“ der Worte – und im Ergebnis daher nicht vorsehbar ist.657 Da nach der Straßburger Rechtsprechung nach einem Freispruch allen anderen staatlichen Stellen auch Verdachtsäußerungen ausnahmslos verboten sind,658 selbst wenn sie die Verdachtserwägungen der Urteilsgründe nur wiederholen,659 sollte dazu kein vermeidbarer Anreiz geboten werden. 2. Abgekürztes freisprechendes Urteil. Ein abgekürztes freisprechendes Urteil ist nach Absatz 5 Satz 2 jetzt ebenfalls zulässig. Die Voraussetzungen sind die gleichen wie bei Absatz 4 Satz 1. Gegen das Urteil darf innerhalb der Einlegungsfrist kein Rechtsmittel eingelegt worden sein. Wegen der Einzelheiten vgl. Rn. 134 ff. 170 Die Urteilsgründe können sich beim abgekürzten Urteil darauf beschränken, anzugeben, ob eine Straftat aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen verneint wurde. Feststellungen zum Sachverhalt erübrigen sich.660 Der Anklagesatz und die nicht für erwiesen gehaltenen Tatbestandsmerkmale sollten in bündiger Kürze angeführt werden,661 zwingend notwendig ist dies jedoch nicht, da er auch aus den Akten festgestellt werden kann. Deshalb ist es unschädlich, wenn das abgekürzte Urteil ausdrücklich darauf verweist.662 Rechtsausführungen sind in der Regel entbehrlich; beim Freispruch aus Rechtsgründen sollte jedoch der für die Rechtsauffassung bestimmende Gesichtspunkt angegeben werden. Bei Freispruch wegen Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) ist dies wegen § 11 BZRG in den Urteilsgründen festzustellen.663 171 Die Ergänzung der abgekürzten Urteilsgründe ist bei Wiedereinsetzung eines Anfechtungsberechtigten gegen die Versäumung der Einlegungsfrist unter den gleichen Voraussetzungen zulässig wie bei Absatz 4 Satz 4. Auch hier beginnt die Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 mit dem Eingang der Akten beim zuständigen Tatgericht.664

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3. Maßregel der Besserung und Sicherung. Wird eine Maßregel der Besserung und Sicherung neben dem Freispruch angeordnet, so gelten für die Begründung des Freispruchs keine Besonderheiten. Zur Begründung der angeordneten Maßregel muss das Urteil jedoch – ebenso wie sonst ein verurteilendes Erkenntnis – den Sachverhalt, auf den es die Maßregel stützt, in einer geschlossenen Schilderung feststellen, insoweit Anknüpfungstatsachen und Beweiswürdigung nach Maßgabe von Absatz 1 Satz 2, Absatz 6 wiedergeben und die angeordnete Rechtsfolge auch sonst nach den Anforderungen des sachlichen Rechts begründen.665 657 Dazu Stuckenberg StV 2016 5 f. m. w. N.; Grosse-Wilde/Stuckenberg StV 2016 781, 787. 658 St. Rspr. seit EGMR Sekanina/Österreich, 25.8.1993, Serie A Nr. 266-A, § 30, ÖJZ 1993 816; w. N. bei Stuckenberg StV 2016 5 f.

659 EGMR Asan Rushiti/Österreich, 21.3.2000, Nr. 28389/95, § 31. 660 KK/Kuckein/Bartel 43; KMR/Stuckenberg 113; Meyer-Goßner/Schmitt 36; MüKo/Wenske 506; SK/Velten 61; Meyer-Goßner/Appl 639 ff.; Schäfer 1540.

661 Vgl. Fn. 660. 662 Absatz 5 Satz 3 verweist nur auf Absatz 4 Satz 4, nicht auf dessen sonstigen Inhalt. Deshalb kann zweifelhaft sein, ob der Gesetzgeber die Bezugnahme auf den Anklagesatz auch für das freisprechende Urteil übernehmen wollte. Die vorherrschende Meinung bejaht dies, vgl. KMR/Stuckenberg 113; MeyerGoßner/Schmitt 36; Radtke/Hohmann/Hagemeier 48. 663 KMR/Stuckenberg 113; Meyer-Goßner/Appl 640; MüKo/Wenske 508; Rieß NJW 1975 87. 664 Wegen der Einzelheiten vgl. Rn. 157 ff. 665 KK/Kuckein/Bartel 44; KMR/Stuckenberg 97; Meyer-Goßner/Schmitt 35; MüKo/Wenske 504; OK-StPO/ Peglau 68; SK/Velten 57; SSW/Güntge 50; Meyer-Goßner/Appl 640.

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VIII. Prozessurteil 1. Notwendiger Inhalt des einstellenden Urteils. Über den notwendigen Inhalt der 173 Begründung eines auf Einstellung lautenden Urteils enthält der auf Sachentscheidungen ausgerichtete § 267 keine Vorschrift. Der Begründungszwang ergibt sich vielmehr aus § 34 und der Natur der Sache.666 Die Begründung muss in revisionsrechtlich nachprüfbarer Weise die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Verfahrenshindernisses feststellen.667 Bei der Mannigfaltigkeit und Unterschiedlichkeit der einzelnen Verfahrensvoraussetzungen und -hindernisse hängt es ganz von der Art des Hindernisses ab, was das Urteil an notwendigen Feststellungen enthalten muss. Ob Feststellungen über die Erwiesenheit der angeklagten Tat in das Urteil aufzunehmen sind, richtet sich nach dem Grund für die Einstellung.668 Solche Feststellungen können z. B. unerlässlich sein, wenn ein Fall der Verjährung vorliegt,669 wenn die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts und damit die deutsche Gerichtsbarkeit verneint wird,670 wenn ein Strafantragserfordernis nach § 247 StGB bejaht wird,671 wenn für die Prüfung der Rechtzeitigkeit des Strafantrags der Zeitpunkt der Tat oder der Zeitpunkt der Kenntnis des Verletzten von ihr Bedeutung gewinnt oder wenn für das Eingreifen eines Amnestiegesetzes die Modalitäten einer Tat oder der Zeitpunkt ihrer Begehung wichtig sind.672 Unter den gleichen Voraussetzungen wie beim verurteilenden oder freisprechenden Erkenntnis nach § 267 dürften aber auch beim einstellenden Urteil Bezugnahmen auf Abbildungen (vgl. Rn. 16) oder nach Eintritt der Rechtskraft eine abgekürzte Fassung zulässig sein, denn an Prozessentscheidungen sind insoweit keine strengeren Anforderungen zu stellen als an Sachentscheidungen.673 2. Sonstige Formalentscheidungen. Formalentscheidungen, die das Verfahren aus 174 sonstigen verfahrensrechtlichen Gründen abschließen, etwa, indem sie den Einspruch gegen den Strafbefehl nach § 412 oder gegen den Bußgeldbescheid nach § 74 Abs. 2 OWiG oder die Berufung nach § 329 verwerfen, fallen ebenfalls nicht unter § 267. Die Pflicht zu ihrer Begründung folgt aus § 34 und den jeweiligen Sondervorschriften, deren Voraussetzungen und richtige Anwendung aufzuzeigen sind. Die Einzelheiten sind bei den betreffenden Vorschriften erläutert.

IX. Förmlichkeiten, Berichtigung § 267 betrifft nur den verfahrensrechtlichen Mindestinhalt der schriftlichen Urteils- 175 gründe. Die Formalien der Urteilsbegründung sind in § 275 geregelt und dort behan666 RGSt 69 157, 159; BGHSt 56 6, 8; OLG Hamm MDR 1986 77; HK/Julius/Beckemper 32; KK/Kuckein/Bartel 45; KMR/Stuckenberg 102; Meyer-Goßner/Schmitt 29; MüKo/Wenske 536; OK-StPO/Peglau 71; Radtke/Hohmann/Hagemeier 41; SK/Velten 64; Eb. Schmidt 38; vgl. Meyer-Goßner/Appl 643; Schäfer 1536 (kein festes Schema). 667 RGSt 69 157, 159; BGHSt 56 6, 9 m. w. N.; OLG Schleswig bei Güntge/Füssinger SchlHA 2015 302; HK/ Julius/Beckemper 32; KK/Kuckein/Bartel 45; KMR/Stuckenberg 102; Meyer-Goßner/Schmitt 29; SK/Velten 64; Eb. Schmidt 38. 668 Vgl. OLG Hamm MDR 1986 778; OLG Köln NJW 1963 1265; Meyer-Goßner/Schmitt 29; MüKo/Wenske 538; SK/Velten 64; Eb. Schmidt 38. 669 BGHSt 56 6, 8 f.; BGH NStZ-RR 1997 374, 375. 670 OLG Koblenz 6.11.2019 – 4 OLG 6 Ss 127/10 Rn. 10 ff. 671 OLG Schleswig bei Güntge/Füssinger SchlHA 2015 302. 672 SK/Velten 64; Eb. Schmidt 38. 673 Vgl. SK/Velten 64.

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delt, desgleichen auch die Fragen des Ersatzes einer verloren gegangenen Urschrift des Urteils. Wegen der Zulässigkeit und der Grenzen einer Berichtigung der Urteilsgründe wird auf § 268, 44 ff. verwiesen; wegen der Übersetzung in eine fremde Sprache siehe §§ 184 ff. GVG.

X. Revision 1. Allgemeines. Fehlen die Urteilsgründe überhaupt oder sind sie nicht fristgerecht zu den Akten gebracht worden, greift der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 durch.674 Die schriftlichen Urteilsgründe sind die allein maßgebliche Grundlage für die Sachrüge.675 Der mündlichen Urteilsbegründung kommt insoweit keine Bedeutung zu,676 ebenso wenig nicht von allen Berufsrichtern (§ 275 Abs. 2) getragenen Ergänzungen, nachträglichen Klarstellungen oder unzulässigen Berichtigungsbeschlüsse (§ 268, 44). Ob die schriftlichen Urteilsgründe wirklich das für das Urteil bestimmende Ergebnis der Hauptverhandlung beurkunden, so wie es aufgrund der Beratung beschlossen wurde, ist für das Revisionsgericht grundsätzlich nicht nachprüfbar.677 177 Die verfahrensrechtliche Vorschrift des § 267 mit ihren aus heutiger Sicht unvollkommen geregelten Begründungserfordernissen hat unter anderem den Zweck, die Nachprüfung des Urteils durch das Revisionsgericht in sachlich-rechtlicher Beziehung sicherzustellen.678 Diesem Zweck dienen auch die speziellen Begründungspflichten der Absätze 2, 3 Satz 2 bis 4 und Absatz 6. Verstöße gegen § 267 führen in der Regel zu unzureichenden Urteilsfeststellungen, bei denen die Sachrüge durchgreift. Deshalb fällt die an sich mögliche Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen § 267 neben der Sachrüge in der Regel kaum ins Gewicht,679 sie erlangt jedoch dort eine eigenständige Bedeutung, wo die formell festgelegten Begründungspflichten des § 267 auch greifen, wenn im Einzelfall weder die Anwendung des materiellen Rechts noch die Darlegung der erschöpfenden Beweiswürdigung im Urteil eine Begründung erfordern würden. Anders als die hier mitunter ebenfalls in Betracht kommenden Verfahrensrügen eines Verstoßes gegen § 244 Abs. 2 oder § 261 kann sie auch nur dahin gehen, dass wegen eines Verstoßes gegen § 267 die Rechtsanwendung des Tatrichters nicht nachprüfbar sei bzw. dass wegen des Fehlens entsprechender Urteilsausführungen nicht ersichtlich sei, ob das Gericht bei der Urteilsfindung den übergangenen Gesichtspunkt berücksichtigt habe. Ansonsten kann das Urteil nicht auf einer Verletzung der Vorschriften über die Abfassung seiner Gründe beruhen.680

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2. Verstoß gegen Absatz 1 178

a) Nicht genügende Urteilsbegründung. Bei einer dem Absatz 1 Satz 1 nicht genügenden Urteilsbegründung, die nicht sämtliche Merkmale des Unrechtstatbestandes

674 Vgl. LR/Stuckenberg § 275, 70; LR/Franke26 § 338, 116. 675 LR/Stuckenberg § 268, 20; § 275, 2, 70 ff.; LR/Franke26 § 337, 75. 676 RGSt 4 382; RG GA 64 (1917) 553; BGHSt 2 66; 7 363, 370; 15 263, 264 f.; BGH bei Dallinger MDR 1951 539; bei Kusch NStZ 1996 326 f. Nr. 20; KK/Kuckein/Bartel 47; KMR/Stuckenberg 118; Radtke/Hohmann/ Hagemeier 56; SK/Velten 76; SSW/Güntge 55; LR/Stuckenberg § 268, 20; LR/Franke26 § 337, 76 m. w. N. 677 Rn. 3, 7; KMR/Stuckenberg 117; vgl. Maul FS Pfeiffer 404. 678 KK/Kuckein/Bartel 47. 679 Vgl. Rn. 35, 55 ff.; KK/Kuckein/Bartel 47; Radtke/Hohmann/Hagemeier 56; SK/Velten 75, 34 f. (mit abweichender Begründung); Hamm 273 ff. 680 Vgl. Mosbacher StV 2018 182, 185 (zu § 267 Abs. 2); krit. KK/Kuckein/Bartel 21.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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durch festgestellte Tatsachen belegt, enthält das Urteil zugleich einen sachlich-rechtlichen Mangel,681 wie beim Fehlen einer in Bezug genommenen Tabelle mit Einzeltaten.682 Deshalb führt in solchen Fällen schon die Sachrüge zum Ziel, ohne dass es einer besonderen, auf die Verletzung des § 267 gestützten Verfahrensrüge bedarf. Geben also die Urteilsgründe entgegen § 267 nicht die für erwiesen erachteten Tatsachen klar und widerspruchsfrei an, in denen das Gericht die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden hat, oder ist sonst nicht sicher erkennbar, welchen Sachverhalt der Tatrichter der Verurteilung zugrunde gelegt hat, etwa durch eine ungenaue Bezugnahme,683 so kann das Revisionsgericht die Anwendung des sachlichen Rechts nicht zuverlässig nachprüfen; das Urteil muss dann schon auf die allgemeine Sachrüge hin aufgehoben werden. Eine unzulässige Verweisung auf die Gründe eines anderen Urteils oder eine andere Urkunde oder einen Bild- oder Tonträger gefährdet den Bestand des Urteils nur dann nicht, wenn die Feststellungen in den Urteilsgründen auch ohne die Verweisung für sich allein noch ausreichen, um das Urteil zu tragen.684 Soweit die Feststellungen eines Urteils unzureichend sind, muss ihre Ergänzung dem Tatrichter überlassen bleiben. Eigene Feststellungen zur Ausfüllung der Lücken sind dem Revisionsgericht verwehrt,685 es darf insoweit auch nicht im Wege des Freibeweises auf die Sitzungsniederschrift zurückgreifen.686 Verstöße gegen Absatz 1 Satz 3 sind für das Revisionsgericht nur insoweit beacht- 179 lich, als durch eine danach unzulässige Bezugnahme die Urteilsfeststellungen unzureichend werden und nicht mehr den an sie zu stellenden inhaltlichen Anforderungen genügen,687 so dass bereits die Sachrüge durchgreift. Dies gilt auch, wenn eine in Bezug genommene Abbildung in den Akten nicht mehr auffindbar ist und deshalb, aus welchen Gründen auch immer, im späteren Verfahren nicht mehr zur Ergänzung des Urteils herangezogen werden kann. Ist eine ausdrückliche Bezugnahme versehentlich unterblieben und kann eine solche Bezugnahme auch nicht der Gesamtheit der Urteilsgründe im Wege der Auslegung entnommen werden, dann ist dem Revisionsgericht die Ergänzung der Urteilsfeststellungen durch einen Rückgriff auf die bei den Akten befindliche Abbildung weiterhin verwehrt.688 b) § 267 Abs. 1 Satz 2. Die Rüge eines Verstoßes gegen § 267 Abs. 1 Satz 2 erscheint 180 zwar möglich,689 gegenüber der Sachrüge hat sie aber wegen der gestiegenen Anforderungen an die Darstellung der materiellen Rechtsanwendung nur geringe selbständige Bedeutung. In Grenzfällen, in denen zweifelhaft ist, ob die Sachrüge beim Schweigen des Urteils zu den Beweistatsachen greift, oder wo dem Revisionsgericht eine über die Bindung an die Urteilsgründe hinausreichende Nachprüfung eröffnet werden soll, kann es zweckmäßig sein, sie zusätzlich zu erheben.690 Ob die Urteilsfeststellungen dem in der Urteilsberatung festgestellten Ergebnis der 181 Hauptverhandlung entsprechen, kann das Revisionsgericht dagegen grundsätzlich

681 682 683 684 685 686 687 688 689 690

631

Vgl. Rn. 5, 35 ff. Zur Darstellungsrüge vgl. etwa Hamm 265 ff.; LR/Franke26 § 337, 94 ff. BGH 9.5.2019 – 1 StR 167/19. Rn. 32 ff. BGH bei Kusch NStZ 1995 20; KK/Kuckein/Bartel 3. Vgl. LR/Franke26 § 337, 105. OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1973 188. Vgl. Rn. 25 ff. Vgl. LR/Franke26 § 337, 80 ff., 109 ff. Rn. 51 ff.; a. A. BGHSt 12 315; w. Nachw. bei LR/Franke26 § 337, 154. Zu den strittigen Fragen vgl. Rn. 51; vgl. LR/Franke26 § 337, 100, 117 ff.

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Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

nicht nachprüfen,691 dies gilt auch für die Frage, ob ein bestimmtes Beweismittel verwertet worden ist.692 Die Feststellung des Inhalts einer Zeugenaussage ist Sache der tatrichterlichen Würdigung und damit der Nachprüfung durch das Revisionsgericht entzogen.693 Eine Beweiserhebung über den Inhalt einer Zeugenaussage ist dem Revisionsgericht grundsätzlich verwehrt; es kann nicht mit der Revision geltend gemacht werden, dass der im Urteil wiedergegebene Inhalt einer Aussage unrichtig wiedergegeben ist, etwa, dass sie nach den Aufzeichnungen eines Verfahrensbeteiligten einen anderen Inhalt hatte,694 und nach der vorherrschenden Meinung auch nicht, dass sie mit den in das Sitzungsprotokoll nach § 273 Abs. 2 aufgenommenen Angaben ihres wesentlichen Inhalts nicht übereinstimmt.695 Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Nichtübereinstimmung der Urteilsfeststellungen mit einem „paraten Beweismittel“, etwa einer im Wortlaut fixierten Aussage nach § 273 Abs. 3 oder in einem in die Hauptverhandlung eingeführten Vernehmungsprotokoll ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung festgestellt werden kann.696 182

c) Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung ist als solche nur angreifbar, wenn das Urteil lückenhaft oder in sich widersprüchlich ist oder wenn die Ausführungen in den Urteilsgründen es als möglich erscheinen lassen, dass sie durch einen Verstoß gegen wissenschaftliche Erfahrungssätze oder einen sonstigen Denkfehler beeinflusst ist.697 Weder kann eine Beweiswürdigung ihrer Natur nach noch muss sie von Rechts wegen erschöpfend in dem Sinne sein, dass alle irgendwie denkbaren Gesichtspunkte und Würdigungsvarianten in den Urteilsgründen ausdrücklich abgehandelt werden. Aus einzelnen denkbaren oder tatsächlichen Lücken in der ausdrücklichen Erörterung kann daher nicht abgeleitet werden, der Tatrichter habe nach den sonstigen Urteilsfeststellungen auf der Hand liegende Wertungsgesichtspunkte nicht bedacht.698 Auch die fehlende Erwähnung einer Indiztatsache in einem bestimmten Beweiszusammenhang begründet nur dann eine revisionsrechtlich relevante Lücke der Beweiswürdigung, wenn sie nach ihrer Beweisbedeutung zwingend ausdrücklich zu erörtern war.699 Fehlt die Beweiswürdigung im Urteil ganz, kann darin eine Verletzung der aus § 261 oder dem materiellen Recht abgeleiteten Begründungspflichten liegen.700

691 Vgl. LR/Sander § 261, 1, 6; ferner LR/Franke26 § 337, 105. 692 Zum Schweigen der Urteilsgründe vgl. Rn. 3, 60, 64, 67. 693 H. M., so BGHSt 15 349; 17 351; 21 151; dazu Hanack JZ 1973 729; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1973 187; OLG Hamm VRS 40 (1971) 456; w. Nachw. bei LR/Sander § 261, 272. 694 BGHSt 15 349. 695 BGHSt 29 18; 38 14 = JZ 1992 106 mit Anm. Fezer; BGH NJW 1967 61; 1969 1074; JR 1966 305 mit Anm. Lackner; BGH bei Dallinger MDR 1966 164; 1974 369; BayObLGSt NStZ 1990 508; OLG Hamm NJW 1970 69; VRS 40 (1971) 456; OLG Koblenz VRS 46 (1974) 435; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1973 187; 1975 192; a. A. LR/Franke26 § 337, 62; vgl. auch LR/Sander § 261, 257 f.; LR/Stuckenberg § 273, 68. 696 BGHSt 38 14; BGH NStZ 1991 500; OLG Bremen VRS 48 (1975) 372; OLG Düsseldorf VRS 64 (1983) 112; OLG Hamm MDR 1973 516; 1975 245; OLG Köln MDR 1974 420; a. A. OLG Schleswig bei Ernesti/ Jürgensen SchlHA 1973 188; LR/Franke26 § 337, 62; vgl. auch Fn. 695, ferner LR/Sander § 261, 259; LR/ Stuckenberg § 273, 68 jew. m. w. N.; Bartel Das Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung (2014) 19 ff. 697 Vgl. LR/Sander § 261, 45, 270 ff. und LR/Franke26 § 337, 127 ff., 138 ff. 698 BGH StraFo 2010 386; NStZ-RR 2011 50. 699 BGH NJW 2005 2322, 2326; StraFo 2009 23; Rn. 60. 700 Rn. 55 ff.; etwa BGH GA 1974 61; NJW 1980 2423; NStZ 1981 401; vgl. LR/Sander § 261, 13, 72 ff. und LR/Franke26 § 337, 98 ff.

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§ 267

3. Absatz 2. Für die in Absatz 2 aufgeführten Umstände gilt, dass ein Urteil auch 183 ohne die Rüge der Verletzung dieser Vorschrift auf die Sachrüge hin aufgehoben werden muss, wenn der Inhalt der Urteilsgründe den Verdacht begründet, dass ungeprüft blieb, ob einer der Umstände vorliegt, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen.701 So muss beispielsweise das Gericht im Urteil erörtern, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert (§ 21 StGB) war, wenn es Umstände (z. B. erheblichen Alkoholgenuss) feststellt, die dies als möglich erscheinen lassen.702 In der Nichterörterung des Eidesnotstandes nach § 157 StGB kann ein die Revision begründender sachlich-rechtlicher Mangel auch dann liegen, wenn der eine Eidesverletzung in Abrede stellende Angeklagte sich nicht darauf beruft (und nach der Art seiner Verteidigung auch nicht gut darauf berufen kann), im Eidesnotstand gehandelt zu haben.703 Die Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen § 267 Abs. 2 hat neben der allgemeinen 184 Sachrüge Bedeutung, wenn die Ausführungen des angefochtenen Urteils keine solchen Umstände ersehen lassen, solche Umstände in der Hauptverhandlung aber behauptet worden sind. Nach Ansicht von BGHSt 31 139704 kann das Revisionsgericht nicht durch eine eigene Beweiserhebung prüfen, ob der Angeklagte besondere Umstände im Sinne des Absatzes 2 vorgetragen hat, denn dies würde auf eine der Ordnung des Revisionsverfahrens widersprechende Wiederholung der tatrichterlichen Verhandlung hinauslaufen. Die frühere Rechtsprechung und das Schrifttum705 vertreten demgegenüber zu Recht706 die Ansicht, dass das Revisionsgericht im Wege des Freibeweises nachprüfen kann, ob in der Hauptverhandlung ein Umstand behauptet wurde, der nach Absatz 2 im Urteil hätte erörtert werden müssen. Dass eine solche Behauptung aufgestellt wurde, kann sich beispielsweise schon aus den Urteilsgründen707 oder aus dem Gang der Hauptverhandlung708 ergeben, so kann aus der Vernehmung eines Psychiaters als Sachverständigen auf die Behauptung der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit geschlossen werden,709 oder aus dem Protokoll710 nach § 273 Abs. 2. Auch die Einholung dienstlicher Erklärungen erscheint zulässig. Die Feststellung, ob in der Hauptverhandlung ein die Begründungspflicht auslösender Umstand im Sinne des Absatzes 2 behauptet wurde, betrifft einen äußeren Vorgang und erfordert in der Regel keine inhaltliche Bewertung des betreffenden Vorbringens.

701 Vgl. Rn. 77; KK/Kuckein/Bartel 21; MüKo/Wenske 304. 702 BGH bei Dallinger MDR 1956 526; OLG Koblenz VRS 43 (1972) 260; OLG Köln MDR 1957 858; vgl. LR/Sander § 261, 74 ff. und unter dem Blickwinkel der Aufklärungsrüge LR/Becker § 244, 78 ff.; ferner bei LR/Franke26 § 337, 121 ff. 703 OLG Düsseldorf StV 1991 68; OLG Hamm JZ 1950 207; vgl. auch BGHSt 17 131. 704 Vgl. Fn. 351; ebenso OLG Hamm HESt 2 255; einschränkend auch KK/Kuckein/Bartel 21; MüKo/ Wenske 303. 705 RG JW 1922 495; 1927 2628; 1930 1601 mit Anm. Alsberg; BayObLGSt 1960 300 = JR 1961 151; Fezer NStZ 1983 278; ders. Hanack-Symp. 89; Herdegen FS Salger 306, 316; Sieg NJW 1983 2014; AK/Wassermann 13; KMR/Stuckenberg 120; Meyer-Goßner/Schmitt 15; SK/Velten 41; Bartel Das Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung (2014) 81 ff., 351; v. Schledorn 153. 706 Vgl. LR/Franke26 § 337, 56; ferner HK/Julius/Beckemper 15; Fezer NStZ 1983 278; Sieg NJW 1983 2014. Da auch keine Protokollierungspflicht besteht (vgl. Fn. 351), würde Absatz 2 andernfalls leerlaufen; es hinge von den Umständen ab, ob ein Verstoß gegen die Begründungspflicht im Rahmen der Sachrüge durchgreifen würde. 707 OLG Dresden JW 1931 1625. 708 BayObLGSt 1960 300 = JR 1961 151. 709 RG JW 1930 1601. 710 OLG Hamm NJW 1972 1149.

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§ 267

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185

Die Aufklärungsrüge ist in solchen Fällen ebenfalls denkbar, sie setzt aber voraus, dass die Sachlage insoweit zu einer weiteren Sachaufklärung drängte,711 was bei der bloßen Behauptung eines Umstandes im Sinne des § 267 Abs. 2 oft, aber nicht immer der Fall sein wird.

186

4. Anführung des angewandten Gesetzes. Fehlt im Urteil die Anführung des angewandten Gesetzes (Absatz 3 Satz 1), so kann dies der Sachrüge nur zum Erfolg verhelfen, wenn auch unter Heranziehung der Urteilsformel und unter Berücksichtigung des Zusammenhangs der Urteilsgründe zweifelhaft bleibt, welche Strafvorschrift das Gericht für gegeben erachtete;712 im Übrigen ist lediglich das Urteil zu berichtigen. Gleiches gilt für die Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen § 267 Abs. 3 Satz 1, die nur Erfolg haben könnte, wenn das Urteil auf diesem Begründungsfehler beruht.713 Dies kann unter Umständen nicht auszuschließen sein, wenn wegen der fehlenden Erörterung einer Gesetzesbestimmung die Möglichkeit besteht, dass eine weitere Feststellungen erfordernde Frage deshalb ungeprüft geblieben ist oder dass bei Abwägungsfragen die volle Tragweite der hereinspielenden rechtlichen Gesichtspunkte nicht erkannt wurde.714

187

5. Strafzumessung. Bei Revisionsangriffen gegen die Strafzumessung und die Anordnung der sonstigen Rechtsfolgen ist ebenfalls das sachliche Strafrecht (§§ 46 ff. StGB) der bessere Ausgangspunkt als § 267 Abs. 3 Satz 1. Soweit der Angriff gegen die Strafzumessung darauf gestützt wird, dass der Tatrichter bei der Strafzumessung unter Verletzung des Zweifelssatzes von verfahrensrechtlich nicht sicher erwiesenen Tatsachen ausgegangen sei, dienen dem Angriff nicht § 267 Abs. 3, sondern andere verfahrensrechtliche Vorschriften zur Stütze.715 Soweit geltend gemacht wird, der Tatrichter habe die von ihm bei der Strafzumessung berücksichtigten Umstände rechtlich fehlerhaft oder unter Verletzung der Denkgesetze oder der Lebenserfahrung falsch gewürdigt, wird nach herrschender Ansicht eine Verletzung des sachlichen Rechts behauptet. Gleiches gilt, wenn gerügt wird, eine nach den Umständen sich aufdrängende Strafzumessungserwägung sei unerörtert geblieben oder das Urteil habe dadurch gegen die allgemeinen Bewertungsgrundsätze verstoßen, dass es einen danach zu berücksichtigenden Gesichtspunkt völlig überging, so, wenn Ausführungen zur Person des Täters,716 zu seinem Vorleben und seinem Nachtatverhalten einschließlich seiner Bemühungen um Schadenswiedergutmachung717 oder zu den für ihn mit der Tat verbundenen Folgen718 fehlen oder wenn sonst nach der Sachlage naheliegende Gesichtspunkte, wie etwa die besonderen Auswirkungen auf das Tatopfer oder Besonderheiten des Tathergangs719 oder die Beteiligung Dritter oder unter Umständen auch die Erfordernisse der Spezialoder Generalprävention720 übergangen werden. Alle diese Gesichtspunkte folgen aus dem materiellen Recht. Dessen richtige Anwendung ist im Rahmen der Sachrüge nicht nur daraufhin zu prüfen, ob die mitgeteilten Strafzumessungserwägungen frei von

711 712 713 714 715 716 717 718 719 720

Vgl. LR/Becker § 244, 40 ff. Vgl. OLG Hamm MDR 1999 1019 f. (OWi); KG 24.7.2019 – 3 Ws (B) 229/19 – 162 Ss 93/19. RGSt 32 35; 43 299; KK/Kuckein/Bartel 22; vgl. Rn. 79, 82; LR/Franke26 § 337, 82. Vgl. Rn. 82. BGHSt 1 51; vgl. Rn. 91; LR/Franke26 § 337, 153 ff. Vgl. Rn. 85 ff. Vgl. BGH bei Detter NStZ 2000 186. Z. B. berufsrechtliche Folgen, oben Fn. 418. Etwa Verleitung durch einen Lockspitzel, BGH NJW 2000 1123; KG NJW 1982 838. Vgl. OLG Düsseldorf StV 1992 232; Theune FS Pfeiffer 453.

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Rechtsfehlern, Denkverstößen und Widersprüchen sind, sondern auch daraufhin, ob sie dem Erfordernis einer umfassenden Würdigung von Tat und Täter genügen.721 Bleiben Erwägungen von Gewicht, die sich aufgrund der festgestellten Tatsachen hätten aufdrängen müssen, völlig unerwähnt,722 ist in der Regel davon auszugehen, dass das Gericht ihnen zu Unrecht keinen bestimmenden Einfluss auf seine Strafzumessung beigemessen hat. Denn die in den schriftlichen Urteilsgründen niedergelegten Strafzumessungserwägungen müssen als die für die Straffindung des Gerichts bestimmenden Gesichtspunkte angesehen werden, die auch hinsichtlich ihrer Vollständigkeit an den strenger gewordenen Anforderungen des materiellen Rechts gemessen werden. Wegen der zu berücksichtigenden einzelnen Gesichtspunkte muss auf die Erläuterungen zu den einschlägigen Vorschriften des StGB verwiesen werden. Die Fragen der grundsätzlichen Revisibilität der Strafzumessung sind in der 26. Auflage bei § 337, 162 ff. behandelt. Wer die Verletzung des § 267 Abs. 3 Satz 1 rügen will, muss geltend machen, dass 188 das Urteil die bestimmenden Strafzumessungsgründe vermissen lasse. Dem völligen Fehlen solcher Ausführungen steht es gleich, wenn das Gericht sich mit allgemeinen, nichtssagenden Wendungen begnügt.723 Dies sind Fehler, die auch im Rahmen der Sachrüge zu beachten sind.724 Die vielfach zu beobachtende Gepflogenheit, Angriffe gegen die Strafzumessung damit zu begründen, dass § 267 Abs. 3 Satz 1 verletzt sei, übersieht die rechtlichen Gegebenheiten. Nicht weil diese Vorschrift verletzt, sondern weil sie beachtet wurde, und die in den Urteilsgründen enthaltenen Strafzumessungsgründe als die bestimmenden Strafzumessungsgründe angesehen werden müssen, ergibt sich die Möglichkeit, sie als fehlerhaft zu bekämpfen. Das kann regelmäßig nur aus sachlich-rechtlichen Erwägungen geschehen. Als Verstoß gegen § 267 Abs. 3 Satz 1 könnte gedanklich die Rüge in Betracht kommen, dass das Gericht der ihm durch § 267 Abs. 3 auferlegten Pflicht zur wahrheitsgemäßen Angabe der Strafzumessungsgründe nicht genügt habe, sondern sich in Wirklichkeit von anderen als in den Urteilsgründen angegebenen Gründen habe leiten lassen. Eine solche Rüge wird jedoch kaum beweisbar sein, denn dass anderen als den in der Begründung angeführten Gesichtspunkten bei der Urteilsberatung Gewicht beigemessen wurde, ist grundsätzlich dem Beweis nicht zugänglich.725 Möglich ist diese Verfahrensrüge dagegen, wenn die Begründung fehlt oder nichtssagend ist oder wenn das Urteil selbst ergibt, dass nicht alle vom Gericht als bestimmend angesehenen Umstände ordnungsgemäß wiedergegeben worden sind, wie etwa bei einer unzulässigen und damit unbeachtlichen Bezugnahme726 oder einem unzulässig abgekürzten Urteil.727 Hat ein Antrag formelle Begründungspflichten nach § 267 Abs. 3 Satz 2 bis 5 oder 189 Abs. 6 Satz 1 ausgelöst, kann auch mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden, dass das Gericht seiner Erörterungspflicht nicht genügt hat, obwohl es dem Antrag nicht

Vgl. LR/Franke26 § 337, 154 ff. Vgl. Rn. 89 und LR/Franke26 § 337, 161. Vgl. Rn. 11; LR/Franke26 § 337, 161. Vgl. BGH NStZ-RR 2010 39; BGHR § 267 Abs. 1 Satz 1 Strafzumessung 8, 10; OLG Bamberg NZV 2011 44, 45; OLG Köln StraFo 2003 313; 2009 242. 725 BGH nach KK/Kuckein/Bartel 47; BGH bei Dallinger MDR 1970 899 spricht nur undifferenziert davon, dass unter verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten gerügt werden kann, dass das Gericht die Umstände nicht anführt, die für die Strafzumessung bestimmend waren. Vgl. Rn. 176. 726 Etwa BGH NStZ-RR 2000 304; vgl. Rn. 32. 727 Vgl. Rn. 135 ff., 169 ff.

721 722 723 724

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entsprochen hatte.728 Dass ein solcher Antrag729 gestellt worden war, muss die Revisionsbegründung unter Angabe der entsprechenden Tatsachen vortragen (§ 344 Abs. 2). Fehlt im Urteil eine nach diesen Vorschriften erforderliche Begründung, so kann dies der Revision zum Erfolg verhelfen, sofern das Urteil auf dem Verstoß beruhen kann;730 dies ist bei einem Verstoß gegen die Hinweispflicht nach Absatz 3 Satz 5 in der Regel nicht anzunehmen,731 wenn auch sonst nicht ersichtlich ist, dass das Gericht die Verständigung bei der Beratung außer Acht gelassen hätte. 6. Verstoß gegen Absatz 4. Ist ein Urteil unter Verstoß gegen Absatz 4, aber innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 in abgekürzter Form zu den Akten gebracht worden, so kann der Mangel ausreichender tatsächlicher Feststellungen (die Verweisung ist dann unbeachtlich)732 der Sachrüge zum Erfolg verhelfen, soweit das Urteil bzw. die Unmöglichkeit seiner Überprüfung auf dem gerügten Verstoß beruht.733 Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 ist dagegen nicht gegeben, denn das abgekürzte Urteil ist kein Urteil ohne Gründe.734 Für das abgekürzte freisprechende Urteil nach Absatz 5 Satz 2, 3 gilt Gleiches. Das Berufungsgericht kann dagegen bei seiner Nachprüfung des Urteils (§ 327) die 191 fehlenden Feststellungen selbst nachholen.735

190

7. Verstoß gegen Absatz 6 Satz 1. Mit der Verfahrensrüge kann als Verstoß gegen Absatz 6 Satz 1 gerügt werden, wenn das Gericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung oder die Anordnung des Vorbehalts nicht begründet hat. Gleiches gilt, wenn die Urteilsgründe nicht aufzeigen, warum entgegen einem in der Hauptverhandlung gestellten Antrag die Sicherungsverwahrung weder angeordnet noch einem Nachverfahren vorbehalten wurde.736 Ist kein diesbezüglicher Antrag in der Hauptverhandlung gestellt worden, liegt im Schweigen des Urteils zu den Gründen, aus denen das Gericht von der Anordnung der Sicherungsverwahrung oder von deren Vorbehalt abgesehen hat, kein Verfahrensfehler nach Absatz 6 Satz 1. 193 Mit der Sachrüge können alle materiell-rechtlichen Fehler bei der Anwendung der §§ 66, 66a StGB in beide Richtungen gerügt werden, also auch, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorbehalt der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung nicht ausreichend dargelegt oder nicht frei von Rechtsfehlern bejaht oder verneint wurden.737 Schweigen die Urteilsgründe zur Frage, warum keine Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten wurde, kann dies, auch wenn insoweit kein förmlicher Antrag gestellt wurde, ein mit der Sachrüge als Rechtsfehler zu beanstandender Mangel 192

728 BGH StV 2008 345 (L); BGH 4.4.2019 – 5 StR 616/18; OLG Düsseldorf StraFo 2004 142; vgl. Rn. 101, 111.

729 Wesentliche Förmlichkeit, vgl. Rn. 105, 110. 730 RGSt 43 298; vgl. BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 359 (nicht auszuschließen, dass der Richter zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre, wenn er die Begründungspflicht erwogen hätte); BGH StV 2011 76, 77 f.; NStZ-RR 2012 201; BayObLG MDR 1980 951. 731 BGHSt 58 184, 188; BGH StV 2011 76, 78; KMR/Stuckenberg 122; Meyer-Goßner/Schmitt 23a; MüKo/ Wenske 416; Schneider NStZ 2014 252, 262; ebenso nicht auf einem irrtümlichen Positivattest BGH NStZ 2013 727. 732 Vgl. Rn. 161. 733 Rn. 161; vgl. LR/Franke26 § 338, 116 ff. 734 BayObLG bei Rüth DAR 1985 246; vgl. Rn. 157 Fn. 594; LR/Franke26 § 338, 117. 735 Vgl. Rn. 162; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1983 112. 736 Vgl. Rn. 189. 737 Vgl. Rn. 122.

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sein. Voraussetzung ist aber, dass nach den im Urteil festgestellten Umständen die Anordnung einer solchen Maßregel oder deren Vorbehalt so nahelag, dass zur Dokumentation der richtigen Rechtsanwendung das Urteil die Gründe aufzeigen muss, warum das Gericht trotzdem davon abgesehen hat.738

§ 268 Urteilsverkündung (1) Das Urteil ergeht im Namen des Volkes. (2) 1Das Urteil wird durch Verlesung der Urteilsformel und Eröffnung der Urteilsgründe verkündet. 2Die Eröffnung der Urteilsgründe geschieht durch Verlesung oder durch mündliche Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts. 3Bei der Entscheidung, ob die Urteilsgründe verlesen werden oder ihr wesentlicher Inhalt mündlich mitgeteilt wird, sowie im Fall der mündlichen Mitteilung des wesentlichen Inhalts der Urteilsgründe soll auf die schutzwürdigen Interessen von Prozessbeteiligten, Zeugen oder Verletzten Rücksicht genommen werden. 4Die Verlesung der Urteilsformel hat in jedem Falle der Mitteilung der Urteilsgründe voranzugehen. (3) 1Das Urteil soll am Schluß der Verhandlung verkündet werden. 2Es muß spätestens am elften Tage danach verkündet werden, andernfalls mit der Hauptverhandlung von neuem zu beginnen ist. 3§ 229 Absatz 3, 4 Satz 2 und Absatz 5 gilt entsprechend. (4) War die Verkündung des Urteils ausgesetzt, so sind die Urteilsgründe tunlichst vorher schriftlich festzustellen. Schrifttum Batereau Die Schuldspruchberichtigung (1971); Bertel Die Urteilsberichtigung im Strafverfahren, Juristische Blätter 1968 541; Hammerstein Beschränkung der Verteidigung durch Hinausschieben der Beratung und Urteilsverkündung, Hanack-Symp. (1991) 71; ders. Der öffentliche Tadel. Über die mündliche Urteilsbegründung im Strafprozeß, FS Beusch (1993) 351; Hillenkamp Die Urteilsabsetzungs- und die Revisionsbegründungsfrist im deutschen Strafprozeß (1998); Laubenthal Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten eines vor Rechtskraft des Urteils verstorbenen Angeklagten? GA 1989 20; Molketin Die Anwesenheit des Verteidigers während der Urteilsverkündung im Strafverfahren, AnwBl. 1983 254; Perels Zum Verhältnis von Wiederaufnahmeantrag und Urteilsberichtigung und seinen kostenrechtlichen Folgen, NStZ 1985 538; Poppe Urteilsverkündung in Abwesenheit notwendiger Prozeßbeteiligter, NJW 1954 1914; ders. Urteilsverkündung unter Ausschluß der Öffentlichkeit, NJW 1955 6; W. Schmid Zur Heilung gerichtlicher Verfahrensfehler durch den Instanzrichter, JZ 1969 757; Schönfelder Die Urteilsberichtigung im Strafverfahren, JR 1962 368; Seibert Berichtigung des Urteilsspruchs in Strafsachen, NJW 1964 239; Thier Aussetzung der Urteilsverkündung im Strafprozeß, NJW 1958 1478; de Vries/Neumann Berichtigung von Strafurteilen, DRiZ 2011 398; Werner Mündliche und schriftliche Urteilsbegründung im Strafprozeß, JZ 1951 779; Wiedemann Die Korrektur strafprozessualer Entscheidungen außerhalb des Rechtsmittelverfahrens (1981); Zietkern Das Urteilsberichtigungsverfahren (1932).

Entstehungsgeschichte Das Gesetz vom 27.12.1926 änderte Absatz 2 und fügte einen Absatz 4 an, der die Rechtsmittelbelehrung vorschrieb und durch Art. 4 Nr. 31 des 3. StRÄndG 1953 mit Rück738 BGH JR 2000 207 mit Anm. Schöch; ferner etwa Kudlich/Christensen GA 2002 337, 340.

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sicht auf die allgemeine Vorschrift des § 35a wieder gestrichen wurde. Im Übrigen hatte Art. 3 Nr. 121 VereinhG 1950 die Frist für die Urteilsverkündung (damals Absatz 2) auf vier Tage verkürzt und im jetzigen Absatz 4 (damals Absatz 3) das Wort „tunlichst“ eingefügt. Die jetzige Fassung beruht im wesentlichen auf Art. 1 Nr. 77 des 1. StVRG, das in einem neuen Absatz 3 den Zeitpunkt, bis zu dem das Urteil verkündet sein muss, neu regelte und im Zusammenhang damit auch Absatz 2 Satz 1 neu fasste. Der bisherige Absatz 3 wurde zu Absatz 4. Art. 1 Nr. 20 StVÄG 1984 hat lediglich Absatz 3 Satz 3 neu gefasst, um durch die Änderung der Verweisung auf § 229 Absatz 3 und Absatz 4 Satz 2 auch den Ablauf der Urteilsverkündungsfrist bei einer Erkrankung des Angeklagten im gleichen Maße wie bei der Unterbrechungsfrist nach § 229 Abs. 3 zu hemmen. Art. 1 Nr. 9 des StORMG hat in Absatz 2 einen Satz 3 eingefügt, der bisherige Satz 3 wurde zu Satz 4. Die Verweisung auf Teile des § 229 in Absatz 3 Satz 3 wurde durch Art. 1 Nr. 29 des Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte vom 5.5.2017 (BGBl. I S. 2208) um die Worte „und Absatz 5“ ergänzt. Bezeichnung bis 1924: § 267.

Übersicht I.

II.

1 Urteilsverkündung 1. Teil der Hauptverhandlung 1 a) Schluss der Verhandlung 1 b) Neue Anträge 3 2. Anwesenheit 5 3. Verkündungstermin 8 4. Frist für die Urteilsverkündung 10 5. Verkündung durch den Vorsitzenden 16 a) Eingangssatz 16 b) Aufgabe des Vorsitzenden 17 c) Reihenfolge 18 d) Urteilsformel und Urteilsgründe 19 e) Verlesen der Urteilsformel 22 f) Jugendlicher Angeklagter 23 g) Öffentlichkeit 24 h) Dolmetscher 25 6. Schriftliche Feststellung der Urteilsgründe (Absatz 4) 26 7. Sitzungsniederschrift 28 8. Zustellung des Urteils 32 9. Rechtsmittelbelehrung 35 a) Vorgabe des § 35a 35 b) Inhalt 36 c) Form 37 Abänderung und Berichtigung des Urteils 38 1. Zulässigkeit der Abänderung 38 a) Urteilsformel 38

b)

III.

IV.

Schriftliche Urteilsbegründung 43 2. Berichtigung 44 a) Keine inhaltliche Änderung 44 b) Abgrenzung zwischen Berichtigung und Änderung 46 c) Zugunsten und zu Ungunsten des Angeklagten 55 3. Beschluss des erkennenden Gerichts 56 4. Anfechtung 58 a) Berichtigungsbeschluss als Teil der Sachentscheidung 58 b) Beschwerde 60 c) Entscheidung nach § 458 Abs. 1 63 Heilung von Mängeln bei der Verkündung 64 1. Nur bis Abschluss der Verkündung 64 2. Zurückverweisung zur Nachholung der Verkündung 65 Revision 66 1. Verkündungsfehler 66 2. Widersprüche 70 3. Überschreitung der Frist 71 4. Anwesenheit 72 5. Öffentlichkeit 73 6. Aufklärungsrüge 74

Alphabetische Übersicht Angeklagter 2, 7, 9, 13 ff., 18, 21, 51, 55 Anrufung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 4

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Anträge, neue 3 ff., 64, 74 Anwesenheitspflicht 5 ff.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

Aufklärungspflicht 4, 74 Ausländer 25, 37 Belehrungen 19, 35 ff., 41 Beratung 4, 8 f., 12 ff., 47, 71 Berechnung der Verkündungsfrist 11 ff. Berichtigung 44 ff. – Anfechtung 58 ff. – Berichtigungsbeschluss 56 – Berichtigungsvermerk auf Urteilsurkunde 57 Beschlüsse nach §§ 268a ff. 2, 19, 36, 41 Beschwerde 60 ff. Dienstliche Erklärungen 56 Dolmetscher 25, 37 Einziehungsbeteiligte 33 Erkrankung des Angeklagten 7, 13 ff. Erkrankung der Richter 13 ff. Fassungsversehen 47 f. Heilung von Verkündungsmängeln 64 Hemmung der Verkündungsfrist 13 ff. Hinausgabe aus dem inneren Gerichtsbereich 27, 43 Jugendlicher Angeklagter 23 f. Kostenentscheidung 36, 54 Ladung zum Verkündungstermin 9 Liste der angewendeten Vorschriften 19 Namensverwechslung 51 Nebenkläger 33 Öffentlichkeit 21, 24, 73 Privatkläger 6 Privatsphäre, Rücksichtnahme auf 21 Rechenfehler 50 Rechtsmittelbelehrung 19, 35 ff., 41 – Merkblätter 37 Referendar 17 Revision 15, 26, 59 ff., 66 ff. Staatsanwalt 6, 35 f. Schluss der Hauptverhandlung 1 f. Schlussvorträge 4 Schreibfehler 50, 70 Sitzungsniederschrift 28 ff., 70 Störung, technische 14a Strafvollstreckung 63

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Tod eines Richters 4, 20 Unterschrift der Berufsrichter 26 Urkundsbeamter 6, 64, 70 Urteil – Eingangssatz 16, 66 – Zustellung 32 ff. Urteilsberichtigung 44 ff. – Abgrenzung zur Änderung 46 ff. – Anfechtung 58 ff. Urteilsformel 2, 19 ff., 22, 28 f., 67 ff., 70 – Eröffnung 2, 20, 38 ff. – Unabänderlichkeit 42 – Verlesen 22, 68 – Widerspruch zwischen Urteilsformel und Urteilsgründen 54, 70 Urteilsgründe – Änderung 27, 43 – Aufnahme ins Protokoll 27 – Eröffnung 2, 20 f., 26 f., 38 ff. – mündliche Begründung 2, 19 ff., 26 ff., 69 f. – schriftliche Urteilsgründe 20, 43, 70 ff. – Widerspruch zwischen mündlichen und schriftlichen Urteilsgründen 70 Urteilsverkündung – Abschluss 18, 25, 64 – Frist 10 ff., 71 – Mängel 17, 26, 66 ff. – Nachholung 65 – Neubeginn 18, 64, 71 – Reihenfolge bei Verkündung 18 – Unterbrechung 4 – Wiederholung 64 Verkündungstermin, besonderer 1, 9, 31 Verletzte, Rücksicht auf Privatsphäre 21 Verteidiger 6 Verwaltungsbehörden 34 Vorberatung 12, 21 Vorführung des Angeklagten 7 Vorsitzender 17, 20, 41 Wesentlicher Teil der Hauptverhandlung 20 Wiedereintritt in mündliche Verhandlung 2, 4

I. Urteilsverkündung 1. Teil der Hauptverhandlung a) Schluss der Verhandlung. Die Urteilsverkündung bildet einen Teil der Haupt- 1 verhandlung (§ 260 Abs. 1 Satz 1), ganz gleich, ob sie sich unmittelbar an die Verhandlung mit den Verfahrensbeteiligten anschließt, also „am Schluß der Verhandlung“ vorgenommen wird, oder erst nachher in einem besonderen Verkündungstermin. Soweit Absatz 3 vom Schluss der Verhandlung spricht, ist damit nur der Schluss des Verhandelns mit den Verfahrensbeteiligten im Gerichtssaal gemeint. Die Ansicht, dass deshalb 639

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die „ausgesetzte“ Urteilsverkündung nicht mehr Teil der mündlichen Verhandlung sei,1 wird – soweit ersichtlich – heute nicht mehr vertreten.2 Die Hauptverhandlung ist erst abgeschlossen, wenn in ihr das Urteil, bestehend 2 aus Urteilsformel und Urteilsgründen, vollständig eröffnet, die Verkündung des Urteils also beendet ist,3 und wenn das Gericht die etwa sonst noch erforderlichen Entscheidungen (§§ 268a, 268b) erlassen und die notwendigen Belehrungen (§§ 35a, 268a Abs. 3, § 268c) erteilt hat. Vorgänge bei der Urteilsverkündung, etwa das Verhalten des Angeklagten während der Urteilsverkündung, dürfen aber nicht mehr in das bereits vorher beschlossene Urteil einfließen.4 Wenn das Gericht sie verwerten will, muss es die Urteilsverkündung unterbrechen, den Vorfall zum Gegenstand der wieder aufgenommenen Verhandlung machen und nach deren ordnungsgemäßem Abschluss und erneuter Beratung das Urteil neu verkünden. b) Neue Anträge. Da die Verkündung Teil der Hauptverhandlung ist, können auch in einem zur Urteilsverkündung anberaumten Termin noch neue Anträge, insbesondere neue Beweisanträge, gestellt werden. Werden sie vor der Verkündung gestellt, müssen sie vom Gericht noch beschieden werden.5 4 Hat das Gericht mit der Verkündung des Urteils begonnen, hat der Antragsteller keinen Anspruch mehr darauf, dass das Gericht die Verkündung unterbricht und ihm Gelegenheit zur Antragstellung gibt, noch weniger, dass es die mündliche Verhandlung nochmals aufnimmt und seinen Antrag sachlich bescheidet.6 Der Vorsitzende, zu dessen Aufgabe die Urteilsverkündung gehört, kann deren Unterbrechung ablehnen. Diese Entscheidung bedarf keiner Begründung.7 Der Antragsteller kann dagegen nicht das Gericht nach § 238 Abs. 2 anrufen.8 Der Vorsitzende darf die Verkündung auch noch fortsetzen, wenn er sich mit dem Kollegium beraten hat, ob der Antrag Anlass zum Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung gibt. Ein Wiedereintritt in die Hauptverhandlung liegt in einer solchen Beratung und der Mitteilung der Ablehnung des Wiedereintritts noch nicht.9 Das Gericht kann aber den Antrag zum Anlass nehmen, nochmals in die Verhandlung einzutreten, solange die Verkündung noch nicht beendet, das Urteil also noch nicht endgültig erlassen und deshalb noch abänderbar ist.10 Es muss dies tun, 3

1 Hegler JW 1932 679. 2 Wie hier KK/Kuckein/Bartel 7; KMR/Voll 2; Meyer-Goßner/Schmitt 14; MüKo/Moldenhauer 8; OK-StPO/ Peglau 5; Pfeiffer 4; SK/Velten 3; Eb. Schmidt 3; SSW/Güntge 6; vgl. LR/Stuckenberg § 260, 1, 24.

3 RGSt 47 232; 57 142; 61 388, 390; BGHSt 8 41; 15 263; 25 333; BGH NJW 1953 155; vgl. Rn. 19. 4 BGH bei Kusch NStZ 2000 203. 5 RG GA 44 (1896) 27; 59 (1912) 343; JW 1926 1215; Recht 1912 Nr. 961; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1976 171; zu Beweisanträgen vgl. LR/Becker § 244, 125; § 246, 2. 6 RGSt 57 142; 59 420; BGHSt 15 263, 264; BGH StV 1985 398; bei Dallinger MDR 1975 23; OLG Neustadt NJW 1962 1632; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1972 161. 7 Dem Gericht ist es jedoch unbenommen, in den schriftlichen Urteilsgründen darzutun, warum die Sachaufklärung keinen Wiedereintritt in die Hauptverhandlung erforderte, BGH NStZ 1986 182. 8 BGH bei Dallinger MDR 1975 24; KK/Kuckein/Bartel 14; Meyer-Goßner/Schmitt 15; MüKo/Moldenhauer 9; Radtke/Hohmann/Hagemeier 10; SK/Velten 4; SSW/Güntge 7; vgl. LR/Becker § 238, 24. 9 BGH bei Dallinger MDR 1975 24; KK/Kuckein/Bartel 14; KMR/Voll 4; Meyer-Goßner/Schmitt 15; MüKo/ Moldenhauer 9; SK/Velten 4; SSW/Güntge 7; Alsberg/Güntge 734; vgl. LR/Stuckenberg § 258, 10. 10 BGHSt 25 333, 336; BGH StV 1985 398; bei Dallinger MDR 1972 199. Zur Möglichkeit des Verteidigers, noch in diesem Verfahrensabschnitt offensichtliche Versehen zu korrigieren vgl. Molketin AnwBl. 1983 254.

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wenn es die Aufklärungspflicht erfordert.11 Tut es das, so muss es die neu aufgenommene mündliche Verhandlung nach den allgemeinen Grundsätzen zu Ende führen und nach Gewährung der Schlussvorträge und des letzten Wortes sowie nach erneuter Beratung das Urteil nochmals neu verkünden.12 2. Anwesenheit. Alle Personen, deren Anwesenheit für die Hauptverhandlung 5 vorgeschrieben ist (§§ 226, 230 Abs. 1, § 145), müssen bei der Verkündung des Urteils anwesend sein. Die Verkündung kann deshalb nur in Gegenwart der Berufs- und Laienrichter, die in der Hauptverhandlung mitgewirkt haben, stattfinden.13 Ist das Gericht aus irgendeinem Grund, zum Beispiel wegen des Todes eines Richters, am Zusammentritt in der früheren Besetzung verhindert, muss die Hauptverhandlung erneuert werden.14 Eine Ausnahme kann selbst dann nicht zugelassen werden, wenn das Urteil schon nach § 268 Abs. 4, § 275 zu den Akten gebracht ist. Bei der Verkündung müssen ferner ein Staatsanwalt, ein Urkundsbeamter der Ge- 6 schäftsstelle sowie, wenn die Verteidigung eine notwendige ist, auch der Verteidiger anwesend sein.15 Die Abwesenheit des Pflichtverteidigers ist unschädlich, wenn mit seinem Einverständnis ein vom Gericht nach § 138 Abs. 2 zugelassener Verteidiger anwesend ist.16 Ob der Privatkläger bei der Urteilsverkündung anwesend sein muss und ob sein Ausbleiben bei einem besonderen Verkündungstermin die Versäumnisfolge des § 391 Abs. 2 nach sich zieht, ist strittig.17 Der Angeklagte muss bei der Verkündung ebenfalls anwesend sein, sofern nicht 7 die Voraussetzungen der §§ 231 Abs. 2, 231a, 231b, 232, 233 vorliegen,18 die die Verhandlung und Urteilsverkündung in seiner Abwesenheit rechtfertigen, oder die Sonderfälle der § 329 Abs. 1, 2, § 412 gegeben sind. Greifen diese Sonderbestimmungen nicht ein, fehlt es etwa an der Eigenmacht im Sinne des § 231 Abs. 2, weil der Angeklagte nach unterbrochener Hauptverhandlung verspätet erscheint19 oder weil er durch eine ernsthafte Erkrankung am Erscheinen verhindert ist, so muss das Gericht die Verhandlung unterbrechen oder, wenn dies nicht ausreicht, aussetzen.20 Der nicht auf freiem Fuß befindliche Angeklagte muss zur Urteilsverkündung gleich wie zur sonstigen Verhandlung vorgeführt werden.21 3. Verkündungstermin. Die Anberaumung eines besonderen Verkündungstermins 8 ist entbehrlich, wenn das Urteil unmittelbar im Anschluss an die mündliche Verhand-

11 BGH NStZ 1986 182; VRS 36 (1969) 368; HK/Julius/Beckemper 8; KK/Kuckein/Bartel 14; KMR/Voll 4; Meyer-Goßner/Schmitt 15; MüKo/Moldenhauer 9; Radtke/Hohmann/Hagemeier 10; SK/Velten 4; SSW/Güntge 7; Alsberg/Güntge 734; Molketin AnwBl. 1983 254. 12 Vgl. LR/Stuckenberg § 258, 4 ff., 12 f.; § 260, 5, 9. 13 Vgl. LR/Becker § 226, 4 ff. 14 RGSt 3 116; 62 198. 15 RGSt 57 264; 63 249 (RGSt 54 292 ist aufgegeben); vgl. LR/Becker § 226, 6 ff., 16 und bei § 140; ferner Molketin AnwBl. 1983 254 (nicht nur nobile officium für jeden Verteidiger). 16 OLG Bremen VRS 65 (1982) 36. 17 Vgl. LR/Hilger26 § 391, 29 ff. 18 Etwa BGHSt 16 180; KK/Kuckein/Bartel 7; KMR/Voll 6; Meyer-Goßner/Schmitt 14; SK/Velten 3; vgl. LR/ Becker § 231, 9 ff. 19 OLG Bremen StV 1985 50. 20 OLG Düsseldorf GA 1957 417; vgl. LR/Becker § 231, 16. 21 RGSt 31 398; RG Recht 1922 696; LR/Becker § 231, 24 ff.

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lung beraten und verkündet werden soll, auch wenn die Beratung – eventuell mit Pausen – bis zum nächsten Tag dauert.22 9 Beabsichtigt das Gericht dagegen nicht, das Urteil unmittelbar im Anschluss an die Verhandlung zu beraten und zu verkünden, muss der Vorsitzende den Zeitpunkt der Urteilsverkündung am Ende der Verhandlung bekanntgeben. Der anwesende Angeklagte braucht nicht geladen zu werden, da der Verkündungstermin Teil der Hauptverhandlung ist. Wird der Termin dagegen außerhalb der Hauptverhandlung bestimmt, etwa nachträglich auf einen früheren oder späteren Zeitpunkt verlegt, so sind die Verfahrensbeteiligten, vor allem der Angeklagte, zum neuen Termin zu laden.23 Dies kann nach § 35 Abs. 2 Satz 2 auch mündlich geschehen.24 4. Frist für die Urteilsverkündung. Nach Absatz 3 soll das Urteil nach Möglichkeit am Schluss der mündlichen Verhandlung, also ohne Anberaumung eines eigenen Verkündungstermins (Rn. 8), verkündet werden. Ist dies nicht möglich, so hat dies spätestens am elften Tag danach zu geschehen, andernfalls muss die Hauptverhandlung von neuem begonnen werden. Die Frist in Absatz 3 Satz 2 entspricht seit der Änderung durch das 1. JuMoG nicht mehr der Normalfrist des § 229 Abs. 1, womit sich wieder die vor dem 1. StVRG bestehende Situation ergibt, dass die Verkündungsfrist kürzer ist als die Unterbrechungsfrist.25 Die frühere Ansicht, die strengere Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2 nur als Ordnungsvorschrift anzusehen, ist mit dem Wortlaut nicht vereinbar, denn danach (keine Verweisung auf § 229 Abs. 2) und nach dem Willen des Gesetzgebers26 ist die Frist für die Urteilsverkündung in Absatz 3 abschließend geregelt.27 Auch in Großverfahren kann die Urteilsverkündung nicht über den elften Tag hinaus aufgeschoben werden.28 Nur für die Zeit der COVID-19-Pandemie sieht § 10 Abs. 2 EGStPO i. d. F. des Gesetzes vom 27.3.2020 (BGBl. I S. 569, 572) eine Hemmung bis zu zwei Monaten vor. 11 Bei der Berechnung der Frist zählen die Sonn- und Feiertage mit; das Urteil muss also spätestens am elften Kalendertag nach dem Schluss der Verhandlung verkündet werden. Kann die Verkündung, die aus Bekanntgabe der Urteilsformel und der Urteilsgründe besteht, wegen ihres Umfangs nicht am elften Tag abgeschlossen werden, so ist dies unschädlich, es sei denn, dass das Gericht nur formal am elften Tag mit der Verkündung begonnen hatte. Ist der elfte Tag ein Sonntag, ein allgemeiner Feiertag oder ein

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22 RG JW 1930 3326; Meyer-Goßner/Schmitt 16; Koeniger 461. 23 KMR/Voll 10. 24 Vgl. BGHSt 38 271, 273; BayObLG NZV 1999 306; OLG Hamm NStZ 1992 498, 499; OLG Köln NStZ 1991 92; Meyer-Goßner/Schmitt 16; a. A. (schriftliche Ladung nötig) BGH NStZ 1984 41 mit abl. Anm. Hilger; OLG Karlsruhe NJW 1981 934; KMR/Voll 10; Radtke/Hohmann/Hagemeier 9; SK/Velten 9; vgl. RiStBV Nr. 117. 25 Damals vier Tage in § 268 Abs. 3 a. F. gegenüber zehn Tagen in § 229 Abs. 1 a. F., vgl. dazu LR/Gollwitzer22 3; damals wurde § 268 Abs. 3 überwiegend als Sollvorschrift gedeutet, BGHSt 9 302, 303 f.; Eb. Schmidt 15 m. w. N. zum früheren Streitstand; so heute obiter auch der 5. Strafsenat in BGH NJW 2007 96 mit abl. Anm. von Freier HRRS 2007 139, 140 f. 26 Vgl. BTDrucks. 15 999 S. 24 f. und 15 1508 S. 25. 27 BGH StraFo 1999 339; NStZ 2004 52; NJW 2007 448 f. mit Anm. Knauer StV 2007 340, 342; dazu auch von Freier HRRS 2007 139 und Mosbacher JuS 2007 724, 725 f.; BGH StV 2006 516; 2007 457 f.; 2007 458 mit Anm. Wolf HRRS 2007 285; BGH StV 2015 280 (keine Fristverlängerung nach § 229 Abs. 2); LR/ Becker § 229, 5; KMR/Voll 23; Meyer-Goßner/Schmitt 16; OK-StPO/Peglau 16 f.; Behm/Wesemann StraFo 2006 354, 357. 28 BTDrucks. 7 551 S. 3; BGH StV 1982 4 mit Anm. Peters; NStZ 2004 52; StV 2006 516; 2007 457; vgl. LR/Becker § 229, 5; KK/Kuckein/Bartel 9; Meyer-Goßner/Schmitt 16; Rieß NJW 1975 86. Bedenken gegen die Länge der Frist haben Hammerstein Hanack-Symp. 71 ff.; MüKo/Moldenhauer 29; OK-StPO/Peglau 16; für eine Angleichung an § 229 Abs. 1 Wolf HRRS 2007 285, 286; MüKo/Moldenhauer 29.

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Sonnabend, dann darf, da Absatz 3 Satz 3 den § 229 Abs. 4 Satz 2 für entsprechend anwendbar erklärt, der Beginn der Verkündung auf den nächstfolgenden Werktag verschoben werden.29 Die Frist läuft auch während der Zeit der Beratung, die nach der herrschenden Mei- 12 nung nicht zur Verhandlung rechnet.30 Die Schwierigkeiten, die sich bei großen Verfahren mit einer längere Zeit erfordernden Beratung ergeben können, müssen dadurch gemeistert werden, dass das Gericht noch während der Hauptverhandlung die einzelnen Punkte vorberät.31 Nicht angängig ist es dagegen, zunächst einen Verkündungstermin unter Einhaltung der Frist des § 268 anzuberaumen und dann in diesem die Urteilsverkündung insgesamt über die Frist des § 229 Abs. 1 hinaus zu verlegen.32 Tritt dagegen das Gericht im Verkündungstermin erneut in die mündliche Verhandlung ein, beginnt die Frist nach deren Abschluss erneut zu laufen.33 Hemmung und Verlängerung der Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2. Der Ablauf der 13 sonst nicht verlängerbaren Höchstfrist für die Urteilsverkündung ist nach dem entsprechend anwendbaren § 229 Abs. 3 gehemmt, wenn ein Angeklagter während ihres Laufes so schwer erkrankt, dass er an dem vorgesehenen Verkündungstermin nicht teilnehmen kann und dieser abgesetzt werden muss, weil kein Fall vorliegt, in dem das Gesetz die Verkündung des Urteils in Abwesenheit des Angeklagten gestattet. Soweit dies zulässig ist, etwa weil § 231 Abs. 2 anwendbar ist, besteht vom Regelungszweck her kein Anlass, die Urteilsverkündung hinauszuschieben. Es ist dann unerheblich, ob der Fristablauf an sich gehemmt wäre. Die Neufassung des § 229 Abs. 3 durch das 1. JuMoG bewirkt, dass eine Fristhemmung auch bei Erkrankung einer zur Urteilsfindung berufenen Person eintritt, sofern kein Ergänzungsrichter oder -schöffe (§ 192 Abs. 2 GVG) bestellt ist.34 War allerdings die Höchstfrist für die Urteilsverkündung bei Eintritt der Erkrankung bereits abgelaufen, bewirkt die spätere Erkrankung keine Hemmung mehr.35 Beginn und Ende der Hemmung sind von Amts wegen (Freibeweis) durch einen 14 unanfechtbaren Gerichtsbeschluss festzustellen. Sind alle Voraussetzungen des § 229 Abs. 3 gegeben, tritt die Hemmung mit Beginn des Tages ein, an dem der Angeklagte durch seine Erkrankung unfähig wurde, am Verkündungstermin teilzunehmen. Es kommt dabei nur auf diese Wirkung und nicht auf Art und Ursache der Erkrankung an. Ist die Erkrankung allerdings von so kurzer Dauer, dass der Angeklagte am vorgesehenen Verkündungstermin wieder teilnehmen kann, hat sie keine Fristhemmung zur Folge. Ist der Angeklagte dagegen am vorgesehenen Verkündungstermin noch teilnahmeunfähig, ist die Verkündungsfrist bis zu dem Tage gehemmt, an dem seine Teilnahmefähigkeit wieder hergestellt ist. Die Hemmung ist allerdings auf höchstens 29 Vgl. LR/Becker § 229, 6. 30 KK/Kuckein/Bartel 8; KMR/Voll 10; Meyer-Goßner/Schmitt 16; Roxin/Schünemann § 44, 7; so auch die herrschende Meinung beim früheren Absatz 2, etwa Eb. Schmidt 13; s. a. LR/Stuckenberg § 260, 11; a. A. Thier NJW 1958 1467; Peters § 53 II, wonach die Beratung noch ein Teil der Verhandlung im Sinne des § 268 ist, so dass die Frist erst vom Beratungsschluss an läuft, die Frist des § 229 muss aber gewahrt bleiben (auch Peters StV 1982 5). Gegen diese Auslegung sprachen der Wortlaut des Absatzes 2 und die Entstehungsgeschichte (Dallinger MDR 1956 528). Für den jetzigen Absatz 3 folgt dies aus der amtlichen Begründung des Entwurfs BTDrucks. 7 551 S. 83. 31 Vgl. LR/Stuckenberg § 258, 16; Bedenken dagegen bei Peters § 53 II 3 (Gefahr der Verletzung des rechtlichen Gehörs vorprogrammiert); vgl. Rn. 21 a. E. 32 Vgl. RGSt 57 423. 33 Die zulässige Dauer der ersten, im Endergebnis nicht zur Urteilsverkündung führenden Unterbrechung beurteilt sich dann unmittelbar nach § 229, vgl. LR/Becker § 229, 14 ff. 34 Vgl. Knauer/Wolf NJW 2004 2932, 2934. 35 BGH bei Kusch NStZ-RR 2000 293.

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sechs Wochen begrenzt. Mit dem Ende der Hemmung beginnt die Zehntagefrist des § 229 Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz zu laufen, so dass das Urteil spätestens an dem ihrem Ablauf folgenden Tag, bzw., wenn dies ein Samstag oder ein Sonn- oder Feiertag ist, an dem darauf folgenden Werktag verkündet werden muss.36 Keine Fristhemmung, sondern eine Verlängerung der Unterbrechungsfrist37 bewirkt 14a die durch das Gesetz zur Einführung der elektronischen Strafakte in § 229 Abs. 5 geschaffene Ausnahme von § 229 Abs. 4 Satz 1, die eine Aussetzung des Verfahrens wegen einer kurzfristig zu beseitigenden technischen Störung vermeiden soll.38 Ihre von Absatz 3 Satz 3 angeordnete entsprechende Geltung im Rahmen des § 268 bewirkt eine entsprechende39 Verlängerung der Verkündungsfrist im Fall einer technischen Störung, die durch Gerichtsbeschluss festzustellen ist (§ 229 Abs. 5 Satz 2). Für Urteile des Revisionsgerichts ist die auf die Verhältnisse der Tatsacheninstan15 zen abstellende Frist des § 268 Abs. 3 ohne Bedeutung.40 5. Verkündung durch den Vorsitzenden 16

a) Eingangssatz. Das Urteil ergeht im Namen des Volkes (Absatz 1), denn nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus; dies gilt mittelbar auch für die richterliche Gewalt.41 Es ist aber kein den Bestand des Urteils gefährdender Verfahrensverstoß (Sollvorschrift), wenn diese Worte nicht gebraucht werden.42

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b) Aufgabe des Vorsitzenden. Es ist Aufgabe des Vorsitzenden als Verhandlungsleiter, die Urteilsformel zu verlesen und den wesentlichen Inhalt der Urteilsgründe mitzuteilen.43 Dass er sich aus besonderen Gründen – etwa bei stimmlicher Behinderung – durch ein berufsrichterliches Mitglied des erkennenden Gerichts darin vertreten lässt, wird man für zulässig halten müssen.44 Unzulässig ist es dagegen, den Staatsanwalt oder einen dem Gericht zur Ausbildung überwiesenen Referendar damit zu betrauen.45 Der Mangel der ordnungsmäßigen Verkündung wird auch nicht durch Zustellung des Urteils geheilt. Das falsch verkündete Urteil ist aber nicht nichtig, sondern nur anfechtbar (§ 338 Nr. 1).

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c) Reihenfolge. Absatz 2 Satz 3 schreibt vor, dass zunächst die Urteilsformel verlesen werden muss, ehe die Urteilsgründe mitgeteilt werden. Dadurch wird die Bedeutung der Urteilsformel besonders hervorgehoben. Die Vorschrift nimmt zugleich Rücksicht auf die Lage des Angeklagten, für den es eine starke seelische Belastung bedeuten kann, einer vielleicht langen Urteilsbegründung folgen zu müssen, ehe er das Ergebnis erfährt, auf das 36 37 38 39 40

Wegen der Einzelheiten vgl. LR/Becker § 229, 6, 14 ff. LR/Becker § 229, 37a. Vgl. BTDrucks. 18 9416 S. 61, 64. Zu den Einzelheiten s. LR/Becker § 229, 37b ff. RGSt 27 116, 118; Meyer-Goßner/Schmitt § 356,1; a. A. KK/Kuckein/Bartel 10; SK/Velten 11 (nach § 356 anwendbar, aber keine Anfechtbarkeit); wohl auch MüKo/Moldenhauer 30. 41 Eingehend dazu AK/Wassermann 2, 3; KK/Kuckein/Bartel 1; vgl. ferner die Kommentare zu Art. 20 Abs. 2 GG und zu den einschlägigen Artikeln der einzelnen Landesverfassungen. 42 RG Recht 1934 Nr. 221; AK/Wassermann 4; KK/Kuckein/Bartel 1, 15; KMR/Voll 21; Meyer-Goßner/ Schmitt 1; MüKo/Moldenhauer 5; OK-StPO/Peglau 1; Radtke/Hohmann/Hagemeier 1, 12; Eb. Schmidt 7; SSW/Güntge 1; Gössel § 33 D IVc. 43 BGH bei Dallinger MDR 1975 24. 44 KK/Kuckein/Bartel 2; KMR/Voll 2; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Moldenhauer 7; Radtke/Hohmann/ Hagemeier 2; SSW/Güntge 2. 45 OLG Oldenburg NJW 1952 1310; Meyer-Goßner/Schmitt 3; OK-StPO/Peglau 13; SK/Velten 6; Eb. Schmidt 6.

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es ihm regelmäßig am meisten ankommt. Wird die Verkündung unterbrochen, um die Formel zu ändern, muss mit der Bekanntgabe der Gründe nochmals neu begonnen werden.46 d) Urteilsformel und Urteilsgründe. Die Verkündung des Urteils muss sich stets, 19 auch wenn der Angeklagte nicht anwesend ist, auf Urteilsformel und Urteilsgründe erstrecken. Beide bilden eine Einheit, so dass die Verkündung des Urteils erst mit Bekanntgabe der Gründe abgeschlossen ist.47 Auch wenn der Angeklagte nicht anwesend ist, wird das Urteil mit der Verkündung – und nicht etwa erst mit der Zustellung an ihn – existent.48 Die Liste der angewendeten Vorschriften (§ 260 Abs. 5) wird nicht mitverkündet.49 Die Verkündung eines Beschlusses nach §§ 268a, 268b und die zu erteilenden Belehrungen gehören nicht mehr zur Urteilsbegründung.50 Nicht zur Verkündung gehört auch ein etwaiges mündliches Vorwort des Vorsitzenden.51 Die Urteilsformel enthält den eigentlichen Urteilsspruch. Nur wenn sie verlautbart 20 wird, liegt ein Urteil im Rechtssinne vor.52 Ihre Bekanntgabe ist ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung im Sinne des § 338 Nr. 5.53 Die mündliche Eröffnung der Urteilsgründe durch den Vorsitzenden ist dagegen keine Wirksamkeitsvoraussetzung für das Urteil. Unterbleibt sie, so liegt trotzdem ein wirksames Urteil vor.54 Dies gilt auch, wenn der Vorsitzende nach der Verlesung der Urteilsformel während der Eröffnung der Urteilsgründe krank wird oder stirbt.55 Die Gründe, auf denen das Urteil beruht, werden nur durch die von allen Berufsrichtern unterzeichnete, schriftliche Begründung des Urteils nachgewiesen, nicht durch die vom Vorsitzenden mündlich eröffneten Gründe.56 Die mündliche Urteilsbegründung hat die Aufgabe, die Verfahrensbeteiligten vorläufig darüber zu unterrichten, welche Gründe das Gericht zu seiner Entscheidung bestimmt haben.57 Unterbleibt sie, vermag dieser Mangel regelmäßig nicht die Anfechtung des Urteils zu begründen.58 Die vorherrschende Meinung sieht in ihrer Eröffnung deshalb keinen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung.59 46 KK/Kuckein/Bartel 5; KMR/Voll 8. 47 RGSt 4 179; 46 326; 61 388, 390; BGHSt 5 5, 9; 25 333, 335; BGH NStZ 1984 279; OLG Düsseldorf MDR 1984 604; OLG Hamm VRS 57 (1979) 35; KK/Kuckein/Bartel 4; KMR/Voll 3; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/ Moldenhauer 10; SK/Velten 3, 8; SSW/Güntge 4; vgl. Rn. 2. 48 Roeder ZStW 79 (1967) 279. 49 BGH NStZ-RR 1997 166; Meyer-Goßner/Schmitt § 260, 51; vgl. LR/Stuckenberg § 260, 128. 50 BGHSt 25 333, 335; BGH NStZ 1984 279; KK/Kuckein/Bartel 6; KMR/Voll 3; Meyer-Goßner/Schmitt 8; MüKo/Moldenhauer 11; LR/Stuckenberg § 268a, 2. 51 KMR/Voll 3; a. A. MüKo/Moldenhauer 18 ff. (Vorwort als Teil der Urteilsbegründung); krit. zu dieser Praxis Thielmann StV 2009 607. 52 BGHSt 8 41; 15 263, 264; 25 333, 335; w. Nachw. bei LR/Stuckenberg § 260, 25. 53 BGH bei Dallinger MDR 1973 373; OLG Bremen StV 1985 50. 54 OLG Düsseldorf MDR 1984 604; KMR/Voll 3, 6 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 6; OK-StPO/Peglau 7; SK/ Velten 5; SSW/Güntge 4. 55 BGHSt 8 41. 56 Vgl. LR/Stuckenberg § 267, 178; § 275, 62. 57 BGHSt 2 66. Anders Peters § 53 II 5, der die mündliche Begründung aufwerten und die „Doppelbegründung“ abschaffen will. Vgl. auch Peters FS v. Weber 384, wo er vorschlägt, entgegen der herrschenden Meinung die in der Hauptverhandlung gegebene Urteilsbegründung für maßgebend zu erklären; der schriftlichen Urteilsbegründung will er aber die Beweiskraft des § 274 beimessen, so dass nur, wenn diese entfällt, der maßgebliche Inhalt der mündlichen Begründung im Wege des Freibeweises festgestellt werden kann. 58 Vgl. Rn. 69. 59 Vgl. BGHSt 8 41, 42; 15 263, 264; HK/Julius/Beckemper 1; KMR/Voll 7; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/ Moldenhauer 25; SK/Velten 3; a. A. RG JW 1938 1644; w. Nachw. bei LR/Franke26 § 338, 85.

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Die Bedeutung der mündlichen Urteilsgründe darf nicht danach beurteilt werden, dass sie für das Revisionsgericht hinter die schriftliche Begründung zurücktreten und dass sich die Frage, ob ein Urteil existent geworden ist, allein nach der Verlesung der Urteilsformel richtet. Während die schriftlichen Urteilsgründe hauptsächlich – wenn auch selbstverständlich nicht nur – ein Werk von Juristen für Juristen sind, ist die mündliche Urteilsbegründung „eine der ganz wenigen Gelegenheiten, wo das Gericht die Welt der Akten verlässt und unmittelbar der Öffentlichkeit gegenübergestellt ist“.60 Die Gründe, die die Entscheidung tragen, sind daher in einer für den Empfängerkreis allgemeinverständlichen Wortwahl sachlich und unter Verzicht auf alle sachlich nicht notwendigen Herabwürdigungen darzulegen.61 Aus Art und Form der mündlichen Urteilsbegründung wird der Angeklagte ein Urteil darüber gewinnen, ob Richter mit Mut und Verantwortungsbewusstsein, mit Menschenkenntnis und Lebenserfahrung, aber auch mit Mitgefühl und Herz bemüht gewesen sind, in seinem Falle das richtige und gerechte Urteil zu finden.62 Auch die breite Öffentlichkeit wird sich ihr Bild von der Strafrechtspflege zu einem nicht geringen Teil aus der mündlichen Urteilsbegründung formen. Im Bewusstsein einer solchen weiten Wirkungsmöglichkeit sollte der Vorsitzende bei der Mitteilung des wesentlichen Inhalts der Urteilsbegründung seine Worte mit Bedacht wählen.63 Auf Vorberatungen beruhende schriftliche Gründe zu verlesen ist nicht unzulässig, sofern sie dem abschließenden Beratungsergebnis entsprechen.64 Auf schutzwürdige Interessen von Prozessbeteiligten, Zeugen oder Verletzten Rücksicht zu nehmen, soweit dies mit der Informationsaufgabe der Begründung vereinbar ist,65 namentlich wenn die Öffentlichkeit zum Schutz der Privatsphäre während der Hauptverhandlung nach §§ 171b, 172 GVG ausgeschlossen worden war, war stets selbstverständlich und wird vom neuen Satz 3 des Absatzes 2 nun ausdrücklich klargestellt.66 Dieser Schutz kann dadurch bewirkt werden, dass etwa statt der Verlesung der Urteilsbegründung nur der wesentliche Inhalt der Urteilsgründe mitgeteilt wird und bei dieser Darstellung auf solche Details aus den privaten Lebensbereichen der Betroffenen verzichtet wird, die deren schutzwürdige Interessen verletzen würden.67

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e) Verlesen der Urteilsformel. Die Urteilsformel muss stets verlesen, folglich vor der Verkündung des Urteils niedergeschrieben werden; die Bestimmung will die Möglichkeit einer Abweichung der verkündeten von der beschlossenen Entscheidung ausschließen.68 Dass die Urteilsformel vor der Verkündung protokolliert, unterschrieben und aus dem Sitzungsprotokoll verlesen werde, ist nicht vorgeschrieben.69 Der Zettel, auf dem die Urteilsformel für das Verlesen niedergeschrieben wird, braucht nicht unterschrieben zu werden.70 Bis zur Verkündung ist die niedergeschriebene Urteilsformel ein

60 Werner JZ 1951 779. 61 AK/Wassermann 8. 62 Der Angeklagte sollte deshalb nach Möglichkeit persönlich angesprochen werden, Less JZ 1951 468; KMR/Voll 5; vgl. auch Nagel DRiZ 1974 79. Ähnlich AK/Wassermann 8; Eb. Schmidt 9; Negativbeispiele bei Kuhlmann HRRS 2014 25 ff. BGH wistra 2005 110 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 6; OK-StPO/Peglau 6. Zutr. OK-StPO/Peglau 10. Vgl. BTDrucks. 17 12735 S. 17. BTDrucks 17 12735 S. 22. RGSt 3 131; BGH NStZ 2015 651; KK/Kuckein/Bartel 3. RGRspr. 4 (1882) 382; RGSt 60 270; Meyer-Goßner/Schmitt 4; SK/Velten 6. OLG Hamm JMBlNW 1975 165; Eb. Schmidt 8.

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jederzeit abänderbarer Entwurf.71 Dies gilt auch bei einer vorgefertigten Urteilsformel, z. B. einem Formular, das bis auf die Strafhöhe ausgefüllt ist.72 f) Jugendlicher Angeklagter. Einem jugendlichen Angeklagten und einem Heran- 23 wachsenden, dessen Tat nach Jugendstrafrecht beurteilt wird (§§ 105, 109 Abs. 2 JGG), sind die Urteilsgründe nicht mitzuteilen, soweit davon Nachteile für die Erziehung zu befürchten sind (§ 54 Abs. 2 JGG).73 g) Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit darf bei Verkündung der Urteilsformel niemals 24 ausgeschlossen werden (§ 173 Abs. 1 GVG; vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK; Art. 14 Abs. 1 IPBPR). Für die Verkündung der Urteilsgründe ist dagegen ein Ausschluss der Öffentlichkeit zulässig.74 Im Jugendgerichtsverfahren ist dagegen die Öffentlichkeit nach § 48 Abs. 1 JGG auch bei der Verkündung des Urteils ausgeschlossen. h) Dolmetscher. Ein Dolmetscher ist zur Urteilsverkündung hinzuzuziehen, wenn 25 der Angeklagte der deutschen Sprache nicht mächtig oder taub oder stumm ist (§§ 185, 186 GVG). Er muss Formel und Begründung des Urteils dem Angeklagten übersetzen.75 Die Verkündung der Urteilsgründe ist erst dann abgeschlossen, wenn der Dolmetscher dem Angeklagten den letzten Satz zur Kenntnis gebracht hat.76 6. Schriftliche Feststellung der Urteilsgründe (Absatz 4). Die vorherige schriftli- 26 che Feststellung der Urteilsgründe ist auch dann nicht zwingend vorgeschrieben, wenn die Urteilsverkündung ausgesetzt war. Absatz 4 ist, wie die Einfügung des Wortes „tunlichst“ zeigt, keine zwingende Vorschrift, so dass die Revision nicht darauf gestützt werden kann, wenn dies unterblieben ist.77 Zur schriftlichen Feststellung der Urteilsgründe gehört die Unterschrift sämtlicher Berufsrichter, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben (§ 275 Abs. 2).78 Auch wenn die Urteilsgründe nach Absatz 4 vorher schriftlich festgestellt worden sind, können sie durch die mündliche Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts eröffnet werden. Eine Verlesung der schriftlichen Gründe ist nicht erforderlich.79 Liegen die in diesem Sinne schriftlich festgestellten Gründe bei der Verkündung als 27 ihre Unterlage vor, dürfen sie unstreitig nachträglich mit nebensächlichen Zusätzen versehen, insbesondere in der sprachlichen Fassung verbessert werden. Strittig ist dagegen, ob sie auch sachlichen Änderungen noch offen sind, solange das fristbezogene Änderungsverbot des § 275 Abs. 1 Satz 3 nicht Platz greift und die Urteilsurkunde den inneren Bereich des Gerichts noch nicht verlassen hat. Da in der mündlichen Eröffnung der Urteilsgründe als solcher noch keine Hinausgabe der schriftlichen Begründung liegen dürf-

71 KMR/Voll 7; Meyer-Goßner/Schmitt 4; SSW/Güntge 3; vgl. LR/Stuckenberg § 258, 15. 72 OLG Hamm JMBlNW 1975 165; OLG Karlsruhe Justiz 1972 42; vgl. LR/Sander § 261, 40; ferner BVerwG BayVerwBl. 1980 56. Wegen der Einzelheiten vgl. die Kommentare zum JGG. Vgl. bei § 173 GVG und LR/Esser26 Art. 6, 419 EMRK. BGH GA 1963 148; SK/Velten 3; vgl. LR/Stuckenberg § 259, 3 und bei § 185 GVG. BGH NStZ-RR 1996 337; HK/Julius/Beckemper 7; KK/Kuckein/Bartel 7; KMR/Voll 3; OK-StPO/Peglau 12; Pfeiffer 4; Radtke/Hohmann/Hagemeier 10. 77 KK/Kuckein/Bartel 19; KMR/Voll 11; Meyer-Goßner/Schmitt 20; OK-StPO/Peglau 18; Radtke/Hohmann/ Hagemeier 7; SK/Velten 12; SSW/Güntge 8. 78 RGSt 13 66, 68; 54 256; 73 217, 219. 79 RGRspr. 9 (1887) 603; Meyer-Goßner/Schmitt 17; OK-StPO/Peglau 19; SK/Velten 12.

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te, wird man die Änderungsbefugnis auch insoweit bejahen können.80 Die von allen Richtern unterschriebene Urteilsbegründung darf aber nicht bereits von dem Vorsitzenden zur Hinausgabe bestimmt und von einem Verfahrensberechtigten eingesehen worden sein. Ist das Urteil nach Absatz 4 in das Protokoll aufgenommen worden, kann es nachträglich nicht mehr als besondere Urkunde nach § 275 Abs. 1 zu den Akten gegeben werden.81 7. Sitzungsniederschrift. Die Verkündung des Urteils muss durch das Protokoll beurkundet werden. Die Urteilsformel ist in das Protokoll aufzunehmen (§ 273 Abs. 1), wobei sich empfiehlt, die vor Verkündung niedergeschriebene Urteilsformel in das Sitzungsprotokoll zu integrieren, indem sie darin eingefügt oder als Anlage zum Protokoll genommen wird.82 Bei den Gründen ist dagegen lediglich zu vermerken, dass sie eröffnet wurden. Sie können aber auch – wie § 275 Abs. 1 zeigt – in die Sitzungsniederschrift aufgenommen werden. Zweckmäßig ist das aber nur bei kurzen Begründungen.83 Weicht die Formel, die in das Protokoll aufgenommen ist, von der Formel ab, die in 29 der Urteilsurkunde wiedergegeben ist, so ist nach § 274 die in der Sitzungsniederschrift beurkundete Fassung maßgebend.84 Gleiches gilt, wenn die protokollierte Formel nicht mit derjenigen in der Schrift übereinstimmt, die zum Verlesen der Urteilsformel gedient hat.85 Ist allerdings der Protokollvermerk selbst widersprüchlich oder ungenau, verliert er seine Beweiskraft.86 Nur der neue Urteilsspruch ist maßgebend, wenn das Gericht die Verkündung un30 terbrochen hat, um nochmals in die mündliche Verhandlung einzutreten oder um seine Entscheidung zu ändern; dann ist nur der neue Urteilsspruch, nicht aber der nicht wirksam gewordene überholte, in das Protokoll aufzunehmen.87 Der erste Urteilsspruch ist dagegen ebenfalls im Protokoll festzuhalten, wenn das Gericht das zweite (korrigierende) Urteil erst zu einem Zeitpunkt erlassen hat, an dem das erste nicht mehr geändert werden durfte.88 Im Protokoll zu beurkunden ist auch, wenn ein besonderer Verkündungstermin 31 bestimmt wird. 28

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8. Zustellung des Urteils. War der Angeklagte bei der Verkündung des Urteils nicht anwesend (§ 231 Abs. 2, § 231a Abs. 2; §§ 232, 233) oder hatte er sich vor Abschluss der Verkündung entfernt, so muss ihm das Urteil mit den Gründen durch Zustellung bekanntgemacht werden.89 Dies gilt nach der vorherrschenden Meinung auch, wenn die 80 KK/Kuckein/Bartel 12; KMR/Voll 11; LR/Gollwitzer25 25; Meyer-Goßner/Schmitt 17; SK/Velten 12; SSW/ Güntge 8; a. A. RGSt 44 308 und die Vorauflagen (z. B. LR/Gollwitzer23 29). BayObLG NStZ-RR 2000 87 lässt dies offen. 81 BayObLG NStZ-RR 2000 87. 82 Vgl. BGH bei Becker NStZ-RR 2002 100; OLG Köln NStZ 2007 481. 83 Vgl. LR/Stuckenberg § 275, 19. 84 BGHSt 34 11, 12; BGH StraFo 2007 502; bei Becker NStZ-RR 2002 100 Nr. 37; BGH 20.10.2009 – 4 StR 340/09; OLG Frankfurt NZV 2015 566; OLG Hamm 7.5.2009 – 3 Ss 85/08 (insoweit nicht in StV 2010 5); OLG Köln NStZ 2007 481; KK/Kuckein/Bartel 16; KMR/Voll 12; Meyer-Goßner/Schmitt 18; SK/Velten 6; de Vries/Neumann DRiZ 2011 398, 400. 85 OLG Hamm VRS 60 (1981) 206. 86 Vgl. OLG Celle NdsRpfl. 1952 231; OLG Hamm VRS 60 (1981) 206; ferner LR/Stuckenberg § 274, 28 ff.; § 275, 63. 87 BGH NJW 1952 155; vgl. auch Fn. 88. 88 Dazu BGH NStZ 1984 279. 89 Vom Vorsitzenden anzuordnen; vgl. BGH bei Holtz MDR 1976 814; BayObLGSt 1982 12 = MDR 1982 600.

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Urteilsformel noch in seiner Gegenwart verkündet worden war.90 Fehlt in der zugestellten Ausfertigung ebenso wie in der Urteilsurschrift versehentlich die Urteilsformel, so ist die Zustellung gleichwohl wirksam.91 Dem Einziehungsbeteiligten, der bei der Urteilsverkündung weder anwesend noch 33 vertreten war, ist das Urteil gemäß § 430 Abs. 4 zuzustellen. Das gleiche gilt für ein Urteil, das gegen eine in der Hauptverhandlung nicht vertretene juristische Person oder eine Personenvereinigung ergeht (§ 444 Abs. 2). Wegen der Einzelheiten wird auf die Erläuterungen zu den § 430 Abs. 4 und § 444 Abs. 2 verwiesen, wegen der Zustellung an den Nebenkläger auf § 401. Soweit Sondervorschriften, wie etwa § 407 Abs. 2 AO bei Steuerstraftaten oder § 83 34 Abs. 1, § 76 Abs. 4 OWiG dies vorschreiben, ist das Urteil auch bestimmten Verwaltungsbehörden mitzuteilen. 9. Rechtsmittelbelehrung a) Vorgabe des § 35a. Bis zum Inkrafttreten des § 35a sah der 1926 eingefügte Ab- 35 satz 4 eine Rechtsmittelbelehrung in der Form einer Ordnungsvorschrift vor (vgl. Entstehungsgeschichte). Nunmehr ist sie durch § 35a allgemein und zwingend vorgeschrieben. Diese Vorschrift greift bei der Verkündung von Urteilen ein, soweit sie durch ein Rechtsmittel anfechtbar sind. Die Unterlassung der Belehrung begründet die Wiedereinsetzung (§ 44 Satz 2). Soweit nur die Staatsanwaltschaft ein Rechtsmittel hat, bedarf es keiner Belehrung.92 b) Inhalt. Der Inhalt der Belehrung ist nicht im einzelnen vom Gesetz vorgeschrieben, 36 jedoch sind der Angeklagte und die sonst Anfechtungsberechtigten außer der Staatsanwaltschaft93 auf alle in Betracht kommenden Rechtsmittel hinzuweisen. Eine in der Hauptverhandlung zu Tage getretene unrichtige Rechtsauffassung hinsichtlich der Anfechtbarkeit des Urteils muss dabei unter Umständen korrigiert werden.94 Die ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung kann auch den Hinweis erfordern, dass das Rechtsmittel in deutscher Sprache eingelegt werden muss.95 Neben die allgemeine Rechtsmittelbelehrung nach § 35a, die auch die Belehrung über die sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung nach § 464 Abs. 3 mit einschließen muss, treten gegebenenfalls noch die in den §§ 268a und 268c vorgesehenen besonderen Belehrungen. c) Form. Die Belehrung ist grundsätzlich mündlich zu erteilen; wegen der Einzel- 37 heiten ist die Verweisung auf ein ausgehändigtes Merkblatt96 möglich. Bei nicht genügend sprachkundigen Ausländern kann sich trotz Übersetzung durch den Dolmetscher empfehlen, ihnen ein Merkblatt in einer ihnen geläufigen Sprache auszuhändigen.97 Die 90 BGHSt 15 263, 265; BayObLGSt 1993 60; OLG Düsseldorf MDR 1984 118; OLG Stuttgart NStZ 1986 521 mit abl. Anm. Paulus; HK/Julius/Beckemper 3; KK/Kuckein/Bartel 7; Meyer-Goßner/Schmitt 19; SK/Velten 3, 21; SSW/Güntge 12; a. A. KG NJW 1955 565. Zur Streitfrage vgl. LR/Franke26 § 341, 22 und bei § 314. 91 BGH wistra 2007 475. 92 Vgl. LR/Graalmann-Scheerer § 35a, 8. 93 Vgl. LR/Graalmann-Scheerer § 35a, 8 ff. 94 So OLG Köln VRS 47 (1974) 189 hinsichtlich der Unwirksamkeit einer bereits im Schlussplädoyer vorsorglich erklärten Anfechtung. 95 BGHSt 30 182; LR/Graalmann-Scheerer § 35a, 20 m. w. N. 96 Vgl. Nr. 142 Abs. 1 RiStBV; LR/Graalmann-Scheerer § 35a, 17 f. 97 Meyer ZStW 93 (1981) 526; vgl. bei LR/Graalmann-Scheerer § 35a, 17 f., 20 und bei § 185 GVG sowie LR/Esser26 Art. 6, 847 EMRK.

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Belehrung ist in der Sitzungsniederschrift festzuhalten.98 War der Angeklagte bei der Verkündung des Urteils nicht anwesend, ist bei der Zustellung des Urteils eine schriftliche Rechtsmittelbelehrung beizufügen.99 Wegen der Einzelheiten, auch wegen der Möglichkeit eines Verzichts auf die Belehrung, vgl. § 35a. II. Abänderung und Berichtigung des Urteils 1. Zulässigkeit der Abänderung a) Urteilsformel. Der Urteilsformel kommt zwar gegenüber den Urteilsgründen das größere Gewicht zu, da sie die Willenserklärung des Gerichts enthält, den Umfang der Rechtskraft bestimmt100 und ein der Rechtskraft fähiges Urteil auch dann vorliegt, wenn die Eröffnung der Urteilsgründe aus irgendeinem Anlass unterbleibt.101 Die Eröffnung der Urteilsgründe bildet aber zusammen mit der Verlesung der Urteilsformel ein zusammengehörendes Ganzes, so dass die Verkündung erst mit der vollständigen Eröffnung beider Urteilsteile abgeschlossen ist (Rn. 19). Bis zum Abschluss der Verkündung kann das in der Urteilsformel zum Ausdruck 39 gekommene Urteil ohne weiteres noch vom Gericht geändert werden, wenn sich hierzu während der Eröffnung – mit oder ohne Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung – ein Anlass ergibt.102 Auch die Ergänzung der Urteilsformel ist bis zu diesem Zeitpunkt zulässig. Dies geschieht am besten dadurch, dass die Verkündung der Gründe an geeigneter Stelle unterbrochen und zur Klarstellung die ganze Formel in der neuen Fassung nochmals bekanntgegeben wird. Jedoch ist es nicht rechtsfehlerhaft, wenn nur die Ergänzung nachgeholt wird,103 sofern die Klarheit des Urteilsspruchs dadurch nicht leidet. Nach der Bekanntgabe der Änderungen der Urteilsformel ist mit der Eröffnung der Urteilsgründe neu zu beginnen.104 Nach Beendigung der Verkündung, also nach dem letzten Satz, mit dem die Be40 kanntgabe der Urteilsgründe erkennbar abgeschlossen wurde,105 ist jede sachliche Änderung oder Ergänzung des ergangenen Urteilsspruchs unstatthaft.106 Nur Fassungsfehler können dann noch berichtigt werden, wenn offen zu Tage liegt, wie das Gericht in Wirklichkeit entscheiden wollte (Rn. 44 ff.). 38

98 Wesentliche Förmlichkeit (§ 273 Abs. 1); vgl. LR/Graalmann-Scheerer § 35a, 17, 29; Nr. 142 Abs. 1 RiStBV. 99 Nr. 142 Abs. 3 RiStBV; LR/Graalmann-Scheerer § 35a, 32. 100 RGSt 57 52; RG DRiZ 1929 Nr. 304. 101 BGHSt 8 41, 42; Rn. 20. 102 RGSt 47 323; 57 142; 61 390; 71 377, 379; BGHSt 8 41; 15 263, 265; 25 333, 336; BGH NJW 1953 155 = LM Nr. 6 mit Anm. Kohlhaas; StV 2013 378; BayObLGSt 1952 110 = MDR 1952 631 mit Anm. Mittelbach; OLG Düsseldorf VRS 89 (1995) 124; 90 (1996) 47; OLG Hamm JMBlNW 1965 105; OLG Hamm 3.9.2013 – III5 RVs 71/13 Rn. 16; OLG Koblenz VRS 49 (1975) 194; 72 (1987) 194; OLG Berlin NJW 1968 1734; AK/Wassermann 11; HK/Julius/Beckemper 6; KK/Kuckein/Bartel 3a; KMR/Voll 7; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Maier § 260, 193; MüKo/Moldenhauer 31; OK-StPO/Peglau 20; Radtke/Hohmann/Hagemeier 11; SK/Velten 14; Eb. Schmidt 5; SSW/Güntge 5; v. Stackelberg NJW 1951 774. 103 OLG Koblenz VRS 49 (1975) 94. 104 Vgl. Rn. 69. 105 Wird das Urteil dem Angeklagten übersetzt, ist dies erst der Abschluss der Sprachübertragung, vgl. Rn. 25. 106 RGSt 28 81; 247; RG JW 1926 553; GA 71 (1927) 379; BGHSt 2 248; 3 245; 25 333, 335; BGH GA 1969 119; NStZ 1984 279; BGH bei Kusch NStZ 1993 30; StV 2013 378; OLG Hamm VRS 57 (1979) 35; vgl. ferner BGH NStZ-RR 1996 337.

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Die Unabänderlichkeit des Urteils tritt auch dann mit dem Abschluss der Urteilsbe- 41 gründung ein, wenn anschließend noch Beschlüsse über Bewährungsauflagen (§ 268a) oder über die Fortdauer der Untersuchungshaft verkündet werden müssen107 oder wenn noch die Rechtsmittelbelehrung108 oder andere Belehrungen zu erteilen sind. Unerheblich ist insoweit auch, dass der Vorsitzende die Hauptverhandlung noch nicht förmlich für geschlossen erklärt hat.109 Ist das Urteil unabänderlich, dann darf das Gericht weder die mündliche Verhand- 42 lung wieder eröffnen, um über einen übergangenen Antrag zu entscheiden110 oder um einen vergessenen Urteilsausspruch nachzuholen,111 noch darf ein sachlicher oder rechtlicher Fehler, etwa die versäumte Gewährung des letzten Worts,112 korrigiert werden. Wird ein solcher nachträglich offenbar, bleibt dem Gericht nur die Möglichkeit, in den schriftlichen Urteilsgründen – sofern sie noch nicht abgefasst sind – auf den Fehler hinzuweisen, um dem Rechtsmittelgericht die Möglichkeit einer Richtigstellung zu eröffnen.113 Für nachträgliche Anordnungen, welche den Urteilsinhalt verändern, ist nur dort Raum, wo sie durch Sondervorschriften ausdrücklich zugelassen sind. b) Schriftliche Urteilsbegründung. Die schriftliche Urteilsbegründung ist nur in- 43 nerhalb der durch § 275 Abs. 1 Satz 2 mit 4 gezogenen Frist und nur solange abänderbar wie das schriftliche Urteil den inneren Bereich des Gerichts noch nicht verlassen hat.114 Wegen der Einzelheiten vgl. § 275, 55 ff. und wegen der Besonderheiten für die Ergänzung abgekürzter Urteile § 267, 158 ff., 171. 2. Berichtigung a) Keine inhaltliche Änderung. Die Berichtigung bedeutet keine inhaltliche Än- 44 derung des vom Gericht beschlossenen Urteils. Sie soll im Gegenteil dem Beschlossenen besseren Ausdruck verleihen, wenn es in der verkündeten Urteilsformel oder in einer aus dem inneren Gerichtsbereich hinausgegebenen schriftlichen Begründung ungenau oder unrichtig wiedergegeben ist. Einer nachträglichen Berichtigung der mündlichen Urteilsbegründung bedarf es dagegen nicht,115 da nicht diese, sondern nur die schriftlichen Urteilsgründe das Beratungsergebnis verbindlich wiedergeben (Rn. 20). Die Strafprozessordnung enthält keine dem § 319 ZPO entsprechende Vorschrift,116 45 jedoch folgern Rechtsprechung und Lehre die Zulässigkeit der Urteilsberichtigung in den oben erörterten Grenzen aus § 267, der das Gericht verpflichtet, im Urteil die Ergeb107 108 109 110 111 112 113 114

BGHSt 25 333 = LM Nr. 15 mit Anm. Börtzler; h. M.; vgl. Fn. 102, 106. BGH NStZ 1984 279. RGSt 5 173; RGRspr. 7 (1885) 245; RG Recht 1911 Nr. 959. H. M., so schon RGSt 42 341; 61 388. OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1970 199; LG Bonn AnwBl. 1978 318. BGH StV 2013 378 f. Kohlhaas NJW 1953 402; Schorn Strafrichter 312 (nobile officium). Vgl. etwa RGSt 54 21; RG GA 71 (1927) 92; BayObLGSt 1963 138 = NJW 1963 1512; OLG Köln VRS 63 (1982) 460; vgl. auch Rn. 27; LR/Stuckenberg § 275, 58 ff. 115 Schönfelder JR 1962 368, 371; AK/Wassermann 12. 116 § 319 ZPO wird teilweise ausdrücklich für entsprechend anwendbar erklärt (z. B. BGHSt 7 75; KG NStZ-RR 2004 240, 241; OLG Hamm MDR 1957 501; OLG Hamburg NJW 1968 215; OLG Saarbrücken VRS 28 [1965] 439; KMR/Voll 14; de Vries/Neumann DRiZ 2011 398 f.), es dürfte aber nicht diese, einem anderen Verfahren zugehörige Vorschrift als solche entsprechend anwendbar sein, sondern der allgemeine Rechtsgedanke, der in § 319 ZPO, § 118 VwGO, § 138 SGG und anderen vergleichbaren Verfahrensvorschriften seinen Ausdruck gefunden hat.

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nisse der Hauptverhandlung (§ 261) so, wie sie in der Beratung gesehen und gewürdigt wurden, vollständig und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Eindeutige Versehen, die diese Übereinstimmung in Frage stellen, können und sollen deshalb durch einen nachfolgenden Beschluss des Gerichts behoben werden.117 b) Abgrenzung zwischen Berichtigung und Änderung. Die Abgrenzung zwischen Berichtigung und Änderung liegt darin, dass bei der Änderung oder Ergänzung des Urteils nachträglich etwas sachlich Neues, eine auf einem neuen Denkvorgang beruhende Erkenntnis rechtlicher oder tatsächlicher Art, in das Urteil hineingenommen wird.118 Eine solche inhaltliche Änderung oder Ergänzung ist nach Beendigung der Urteilsverkündung nicht mehr möglich. Berichtigt werden können danach nur noch offensichtliche Fehler oder Unklarheiten in der äußeren Urteilsfassung, nicht dagegen Fehler bei der Urteilsfindung.119 Irrtümer des Gerichts bei der Beweiswürdigung oder Rechtsfehler dürfen deshalb niemals im Wege der Urteilsberichtigung behoben werden.120 47 Ob ein Fehler des Urteils auf einem bloßen Fassungsversehen oder auf einem Rechts- oder Denkfehler bei der Urteilsfindung beruht, ist mitunter für andere Personen als die beteiligten Richter nicht ersichtlich; so kann beispielsweise die bei der Beratung beschlossene Verhängung einer Nebenstrafe nur versehentlich in der Urteilsformel keinen Ausdruck gefunden haben, das Gericht kann aber auch übersehen haben, darüber bei der Beratung einen Beschluss zu fassen. In solchen Zweifelsfällen kann nicht auf das an sich allein maßgebende Ergebnis der Beratung abgestellt werden, sondern nur auf das, was das Gericht als seine Entscheidung verkündet hat, wobei allerdings das erkennbar Entschiedene nicht allein aus dem Wortlaut der Formel, sondern auch aus der Gesamtheit der Verlautbarungen des Gerichts bei der Verkündung erschlossen werden kann. 48 Es ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass sich hinter der Berichtigung eine unzulässige Abänderung des Urteils verbirgt.121 Die Rechtsprechung ist insoweit nicht immer einheitlich,122 sie stimmt aber grundsätzlich darin überein, dass eine Berichtigung schon dann unzulässig ist, wenn das Versehen des Gerichts und das wirklich 46

117 BGHSt 12 374, 376; Wiedemann 31 ff. 118 RGSt 56 233; 61 388; OGHSt 3 93; BGHSt 2 248; 3 245; 12 374; BGH StV 1985 401 mit Anm. Sieg; OLG Celle GA 1960 218; Sieg MDR 1986 16; KMR/Voll 15; Wiedemann 39; de Vries/Neumann DRiZ 2011 398 f. 119 KMR/Voll 15; Meyer-Goßner/Schmitt 10; MüKo/Maier § 260, 195, 197, 198 ff.; Wiedemann 42; OKStPO/Peglau 22; Radtke/Hohmann/Hagemeier 11; Hanack JZ 1972 489; Schönfelder JR 1962 368; vgl. ferner die Entscheidungen Fn. 118. 120 Vgl. BGH bei Dallinger MDR 1973 902 (Irrtum bei der Bemessung der Einsatzstrafe); BGH NStZ 2007 236, 237 (fehlende Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten). 121 BGHSt 12 374, 376; BGH NJW 1954 730; NStZ-RR 2007 236, 237; 2015 119, 120; 2017 212, 213; 2018 58; StV 2017 800; BGH 4.7.2019 – 5 StR 154/19 Rn. 7; OLG Düsseldorf MDR 1981 606; KK/Kuckein/Bartel § 267, 46; Meyer-Goßner/Schmitt 10; MüKo/Maier § 260, 201; OK-StPO/Peglau § 267, 81; de Vries/Neumann DRiZ 2011 398, 399. 122 Da die einzelnen Entscheidungen auf den Einzelfall und seine Besonderheiten abstellen, sind sie nicht immer vergleichbar. Nach OLG Hamm JMBlNW 1965 105 ist der unterbliebene Ausspruch der Ersatzfreiheitsstrafe (früher notwendig) nicht im Wege der Berichtigung nachholbar; KG JR 1962 69 ließ demgegenüber zu, dass eine bei einer Übertretung ausgesprochene Ersatzfreiheitsstrafe von 30 Tagen Gefängnis in eine Ersatzfreiheitsstrafe von 30 Tagen Haft berichtigt wurde, da es „ausgeschlossen ist, dass das Gericht eine Ersatzgefängnisstrafe auch nur erwogen haben könnte“. Vgl. ferner OLG Neustadt JR 1958 352 (Auswechseln des verletzten Strafgesetzes in der Urteilsformel) mit abl. Anm. Sarstedt; BGHSt 3 145 hielt demgegenüber ein Auswechseln des in der Urteilsformel angeführten Strafgesetzes (§ 174 Abs. 1 Nr. 1 statt § 176 Abs. 1 Nr. 3 StGB a. F.) trotz des offensichtlichen Fehlers für unzulässig; ähnlich BGH bei Pfeiffer/

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Gewollte nicht eindeutig ersichtlich sind und daher die Möglichkeit einer unzulässigen nachträglichen sachlichen Korrektur der Entscheidung nicht ausgeschlossen werden kann.123 Sobald dieser Zweifel Platz greifen kann, hat „das Bedürfnis, die schriftlichen Urteilsgründe dem anzupassen, was das Gericht auf Grund des Ergebnisses der Hauptverhandlung in der allein maßgeblichen Beratung sachlich festgestellt und rechtlich gewollt hat, gegenüber der Geltungskraft zurückzutreten, welche dem von den beteiligten Richtern unterzeichneten und den Verfahrensbeteiligten mitgeteilten Urteil zukommt“.124 Die Berichtigung setzt somit voraus, dass aus dem Zusammenhang der Urteilsgrün- 49 de oder den Vorgängen bei der Verkündung offenkundig ist, dass ein bloßes Fassungsversehen vorliegt, ferner aber auch, dass erkennbar ist, was das Gericht tatsächlich gewollt hat. Es muss also nicht nur das Versehen aus den zu Tage liegenden Tatsachen für alle Verfahrensbeteiligten, einschließlich des Angeklagten – und auch für jeden Dritten, der die gesamten Vorgänge kennt –, zweifelsfrei hervorgehen,125 es muss darüber hinaus auch ersichtlich sein, was das Gericht tatsächlich ausdrücken wollte;126 bei einem Fassungsfehler der Urteilsformel also insbesondere, wie es in Wirklichkeit entschieden hat.127

Miebach NStZ 1983 212; bei Cierniak/Zimmermann NStZ-RR 2013 102 Nr. 44 (Raub und räuberische Erpressung); BGH GA 1969 119 erhob dagegen insoweit keine Bedenken; vgl. ferner RGSt 5 173 (keine nachträgliche Anrechnung der Untersuchungshaft); BGH NJW 1953 155 und RGSt 61 388 (Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte); RGSt 56 233 (Ablehnung der nachträglichen Anordnung des Wertersatzes); BGH NStZ 2009 43 (keine Einbeziehung früherer Verurteilung nach § 31 JGG); OLG Düsseldorf MDR 1981 606 (Nichteinbeziehung einer früheren Verurteilung in Gesamtstrafe). 123 Vgl. etwa zu Ergänzungen oder Änderungen der Urteilsformel BGHSt 3 245; BGH NStZ 1984 279; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 212; bei Kusch NStZ 1993 30; NStZ-RR 2012 81, 82; bei Cierniak/Zimmermann NStZ-RR 2013 102 Nr. 44; BGHR § 260 Abs. 1 Urteilstenor 6; OLG Düsseldorf VRS 88 (1995) 358; 89 (1995) 124; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2008 381 f.; zur Berichtigung der Urteilsgründe BGH bei Miebach NStZ 1990 229; bei Miebach/Kusch NStZ 1991 121. Weitere Beispiele bei MüKo/Maier § 260, 201 ff.; SK/Velten 18. Sprechen die Umstände dafür, dass das Gericht die fehlerhafte Formel bewusst beschlossen hat (Sitzungsniederschrift, schriftliche Festlegung der Formel usw.), so kann sie nach der Verkündung nicht berichtigt werden (BGH NJW 1953 155 für den Fall einer unrichtigen Gesamtstrafe). 124 BGHSt 12 374, 376. In RGSt 61 388, 390 hat das Reichsgericht die früher vertretene Ansicht, die es – selbst wenn das Versehen nicht „offenbar“ war – gestattete, einen beschlossenen, aber nicht mitverkündeten Teil eines Urteils innerhalb der in § 268 bestimmten Frist durch die Verkündung eines Nachtragsurteils herauszubringen (RGSt 15 271; RG GA 41 [1893] 45), mit der zutreffenden Begründung aufgegeben, dass das, was in der Urteilsformel durch Verlesung als Urteil verkündet werde, als das vollständige Urteil, als die beschlossene Entscheidung angesehen werden müsse (im wesentlichen wie hier Eb. Schmidt 20 bis 24). 125 OLG Düsseldorf MDR 1981 606; Schönfelder JR 1962 368, 369; AK/Wassermann 14; HK/Julius/Beckemper 6; MüKo/Maier § 260, 195; enger (Beteiligte): BGHSt 5 5; BGH NJW 1953 155; NStZ-RR 2015 119, 120; OLG Düsseldorf MDR 1990 359; KK/Kuckein/Bartel § 267, 46; KMR/Voll 15; Meyer-Goßner/Schmitt 10; SK/ Velten 17; SSW/Güntge 5. Zur unterschiedlichen Rechtsprechung, für wen der Fehler offensichtlich sein muss, vgl. Vent JR 1980 403; Wiedemann 33 ff. Da es sich um ein offen zu Tage liegendes und damit auch für Dritte bei Kenntnis der Umstände einsichtiges Versehen handeln muss, besteht kaum ein praktischer Unterschied. 126 BGHSt 12 374, 376; BGH NJW 1954 730; GA 1969 119; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 212; NStZRR 2015 119, 120; LG Zweibrücken NZV 2006 610; Schönfelder JR 1962 368, 369; vgl. Sarstedt LM Nr. 17 zu § 267, wonach Berichtigungen im Allgemeinen nur zulässig sind, wenn sie nicht nötig sind; ferner OLG Zweibrücken MDR 1971 597 („Fahrer“ statt „Halter“); LG Flensburg (keine Berichtigung: zehn Tage in zehn Monate). 127 BGH GA 1969 119; BGH bei Pfeiffer/Miebach 1983 212; Wiedemann 38; vgl. auch RG GA 71 (1927) 92.

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Schreib- und Rechenfehler, bei denen sich die Unrichtigkeit eindeutig aus den übrigen Urteilsausführungen ergibt, können berichtigt werden.128 Dies gilt auch, wenn die Gesamtzahl der Taten, deretwegen der Angeklagte verurteilt wurde, falsch zusammengezählt ist, sofern die richtige Zahl aus den in der mündlichen Urteilsbegründung erörterten Einzelfällen zweifelsfrei hervorgeht,129 oder bei einem Multiplikationsfehler.130 Zulässig ist die Berichtigung auch, wenn sich beim Abschreiben einer wörtlich in 51 die schriftlichen Urteilsgründe aufgenommenen Urkunde ein Schreibfehler eingeschlichen hat, der unter Zuhilfenahme des Akteninhalts auch ohne Berichtigung zweifelsfrei als solcher zu erkennen gewesen wäre,131 oder wenn der Name eines in der Hauptverhandlung gehörten Sachverständigen in den Urteilsgründen falsch wiedergegeben wird, sofern ersichtlich ist, dass das Urteil mit dem falschen Namen den wirklich in der Hauptverhandlung gehörten Sachverständigen meinte.132 Auch die Berichtigung des Namens des Angeklagten ist zulässig, wenn sich nachträglich ergibt, dass gegen ihn unter einem falschen Namen verhandelt worden war.133 52 Unter der Voraussetzung, dass eindeutig feststeht, was das Gericht in Wirklichkeit wollte, darf die Urteilsformel ergänzt, geändert und sogar in ihr Gegenteil verkehrt werden, so etwa, wenn die mündliche Urteilsbegründung eindeutig ergibt, dass das Revisionsgericht der Revision stattgeben wollte, während die Formel auf Verwerfung lautete,134 oder wenn ein Vergehen nach § 265a StGB angenommen wurde, die Urteilsformel aber statt dessen § 263 StGB anführte,135 oder wenn ein der Beihilfe zur Aussageerpressung für schuldig befundener Angeklagter im Urteilssatz wegen Aussageerpressung verurteilt worden ist.136 Für zulässig wurde ferner gehalten, eine in der Urteilsformel nicht erwähnte, aber 53 bei Eröffnung der Urteilsgründe erörterte Nebenstrafe im Wege der Berichtigung in die Urteilsformel einzufügen137 oder die schriftlichen Urteilsgründe, die durch ein Übertragungsversehen keine Ausführungen zu den in der mündlichen Urteilsbegründung und in der Hauptverhandlung eingehend erörterten Rückfallvoraussetzungen enthielten, entsprechend zu ergänzen138 oder um das Urteil richtigzustellen, wenn bei einer Frei-

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128 Vgl. die Beispiele bei MüKo/Maier § 260, 205, 208 f.; Schönfelder JR 1962 368, 369; „drei Fässer Bier“ statt „drei Gläser Bier“ oder die Angabe einer erst in der Zukunft liegenden Tatzeit. 129 Etwa OGHSt 3 93; BGH NStZ 2000 386 (Zahl der abgeurteilten Fälle); wistra 2003 99, 100; NStZ-RR 2012 180; StV 2017 800 f.; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 212; bei Kusch NStZ-RR 2000 293; OLG Stuttgart Justiz 2003 564 (Höhe einer Einzelstrafe); MüKo/Maier § 260, 206 ff.; de Vries/Neumann DRiZ 2011 398, 401; Seibert NJW 1964 239 mit weiteren Beispielen; vgl. ferner RGSt 13 267; 28 82; 28 250; 56 233; 61 392. 130 LG Zweibrücken NStZ-RR 1997 311. 131 BGH NJW 1952 797. 132 OLG Köln JMBlNW 1968 130. 133 KG NStZ-RR 2004 240, 241 f.; OLG Düsseldorf MDR 1994 609; OLG Köln MDR 1983 174; de Vries/ Neumann DRiZ 2011 398, 400 f.; a. A. BayObLG JW 1929 2750; zweifelnd Perels NStZ 1985 538; MeyerGoßner/Schmitt Einl. 174; vgl. ferner BVerfG 10.9.2010 – 2 BvR 2242/09, dazu Jahn JuS 2011 83 sowie MeyerGoßner ZIS 2009 519, 525; LR/Kühne Einl. K 122; LR/Becker § 230, 9. 134 BGHSt 5 5; vgl. auch BGHSt 7 75. 135 OLG Saarbrücken JMBlSaar 1962 59. 136 OGH NJW 1950 316. Vgl. ferner OLG Hamburg NJW 1968 215 (Körperverletzung statt Hausfriedensbruch); OLG Saarbrücken MDR 1975 334; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1981 95 (fahrlässige statt vorsätzliche Tatbegehung im Tenor). 137 BGH NJW 1953 155 = LM Nr. 6 mit Anm. Kohlhaas. 138 BGHSt 12 374.

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heitsstrafe von drei Jahren versehentlich die Strafaussetzung zur Bewährung mit verkündet wurde.139 Die nachträglich gefertigte schriftliche Urteilsbegründung reicht für sich allein 54 nicht aus, um gegenüber einer unvollständigen oder unrichtigen Urteilsformel die wahre Entscheidung des Gerichts aufzuzeigen,140 wenn diese nicht auch bereits aus der mündlichen Urteilsbegründung erkennbar geworden ist. Die Berichtigung einer unvollständigen Kostenentscheidung wird deshalb schon aus diesem Grunde sehr oft nicht möglich sein.141 Im Übrigen ist zwar bei einem Widerspruch zwischen Urteilsformel und Gründen die Formel dafür maßgebend, was das Gericht entschieden hat,142 dies gilt aber nur bei einem echten Widerspruch, der durch die Berichtigung ohnehin nicht behebbar ist. Ist dagegen das vom Gericht Gewollte offenkundig, dann kann aus der gedanklichen Einheit des Urteils heraus auch die Formel berichtigt und so die nur scheinbar gestörte Übereinstimmung zwischen Formel und Gründen hergestellt werden.143 c) Zugunsten und zu Ungunsten des Angeklagten. Ist nach den Umständen des 55 Einzelfalls ausgeschlossen, dass sich hinter der Berichtigung eine sachliche Änderung des Urteils verbirgt, und liegen die Voraussetzungen für eine Berichtigung auch im Übrigen vor, dann darf diese durchgeführt werden, ohne Rücksicht darauf, ob sie sich zugunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten auswirkt,144 ob das berichtigte Urteil angefochten oder rechtskräftig ist145 und ob sie einer schon erhobenen Revisionsrüge den Boden entzieht.146 Es kommt insoweit dann auch nicht darauf an, ob die Berichtigung nur einen nebensächlichen oder einen entscheidungserheblichen Umstand betrifft,147 sofern nur die Grenzen der Berichtigung – Offenkundigkeit des Fehlers und des vom Gericht Gewollten – eingehalten werden. 3. Beschluss des erkennenden Gerichts. Die Berichtigung wird durch einen Be- 56 schluss des erkennenden Gerichts herbeigeführt, der auf Anregung eines Beteiligten oder von Amts wegen ergeht. Das Gericht erlässt ihn in der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung zuständigen Besetzung. Da nicht der sachliche Inhalt, sondern für jedermann erkennbare Unstimmigkeiten berichtigt werden können, ist der eine 139 OLG Karlsruhe NStZ-RR 1999 113. 140 OGHSt 3 93; OLG Düsseldorf MDR 1981 606; OLG Hamm JMBlNW 1958 32; 1976 105. 141 Vgl. OLG Celle GA 1960 217 (keine Berichtigung, wenn Berufungsgericht nach Zurückverweisung nicht über die Revisionskosten entschieden hat); BayObLGSt 1960 146 = NJW 1960 2065; OLG Frankfurt NJW 1970 1432; OLG Karlsruhe DRpfl. 1961 350; OLG Koblenz StraFo 2003 425; OLG Saarbrücken JMBlSaar 1962 15 (keine Nachholung der Entscheidung über die notwendigen Auslagen); LG Berlin NJW 1968 1734 (keine Nachholung der unterlassenen Kostenentscheidung); LG Bonn AnwBl. 1978 319; LG Dortmund AnwBl. 1975 367; OLG Hamm JMBlNW 1976 105; OLG Hamm JMBlNW 1954 190 lässt dagegen zu, dass in einem Privatklageverfahren der Freispruch auf Kosten der Staatskasse in einen Freispruch auf Kosten des Privatklägers berichtigt wird. 142 BGH LM Nr. 1; vgl. Rn. 70 m. w. N. 143 Vgl. OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1978 188; Jagusch LM Nr. 7; Schönfelder JR 1962 368, 371; Meyer-Goßner/Schmitt 11; MüKo/Maier § 260, 210 ff.; Eb. Schmidt 26, 27, jew. mit weiteren Beispielen. 144 RGSt 61 388, 392; BGH NStZ-RR 2014 16; Jagusch LM Nr. 7; AK/Wassermann 15; KMR/Voll 17; MüKo/ Maier § 260, 197; Eb. Schmidt 21; Wiedemann 81 (keine echte Änderung). 145 Schönfelder JR 1962 368, 370; AK/Wassermann 15; anders Sarstedt JR 1958 352. 146 BGHSt 12 374; BGH NJW 1952 797; 1953 155; 1954 730; NStZ 1991 195; KG JR 1962 69; KK/Kuckein/ Bartel § 267, 46; KMR/Voll 17; Eb. Schmidt 24. 147 Schönfelder JR 1962 368, 370.

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absolute Mehrheit (§ 196 Abs. 1 GVG) erfordernde Beschluss entgegen vorherrschender Ansicht nicht notwendig den Richtern vorbehalten, die das Urteil erlassen haben.148 Soweit sich der Irrtum nicht ohne weiteres aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt, können dienstliche Erklärungen über die Vorgänge eingeholt werden. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, dass durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden wird.149 Einer Anhörung der betroffenen Verfahrensbeteiligten bedarf es nur, wenn das Gericht nicht lediglich offensichtliche Unrichtigkeiten sofort ohne weiteres bereinigt, sondern wenn es in einem Berichtigungsverfahren Erklärungen anderer Verfahrensbeteiligter eingeholt hat und diese mitverwerten will.150 Der Berichtigungsbeschluss ist den Verfahrensbeteiligten zuzustellen. Auf ihn ist 57 durch einen Vermerk auf der Urteilsurkunde hinzuweisen.151 Er ergänzt das Urteil, dessen Feststellungen er zwar nicht der Sache nach, wohl aber im Sinne einer Klarstellung verändert. Ist der Berichtigungsbeschluss zulässig, so wird die Frist zur Begründung der Revision regelmäßig erst durch die Zustellung des Berichtigungsbeschlusses in Lauf gesetzt,152 sofern die Berichtigung nicht nur die vergessene oder unvollständige Urteilsformel,153 deren maßgeblicher Inhalt sich aus dem Protokoll ergibt, oder einen für die Anfechtung in jeder Hinsicht bedeutungslosen Urteilsinhalt betrifft.154 4. Anfechtung 58

a) Berichtigungsbeschluss als Teil der Sachentscheidung. Der Berichtigungsbeschluss wird Teil der Sachentscheidung und damit Grundlage für die sachliche Überprüfung des Urteils. Ob die Berichtigung zulässig war oder ob der Beschluss eine unzulässige Änderung des Urteils bedeutet, ist im weiteren Verfahren von Amts wegen zu prüfen.155 Eine unzulässige Berichtigung ist grundsätzlich unbeachtlich.156 Dies gilt uneingeschränkt bei lediglich ergänzender Berichtigung. Wird der Urteilsinhalt dagegen durch die Berichtigung geändert, kann dies zur Folge haben, dass der ursprüngliche 148 Strittig; wie hier RGSt 61 388, 392; auch BGHSt 7 75; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1981 95 (aber fehlerhafte Zusammensetzung unschädlich); AK/Wassermann 16; ferner h. M. bei § 319 ZPO, etwa BGHZ 20 192; 78 22, 23; 106 373; BGH NJW-RR 2001 61; OLG Hamburg MDR 1978 583; BAG NJW 1964 1877; ferner bei § 118 VwGO; § 138 SGG. Die Gegenmeinung (nur die Richter, die am Urteil mitgewirkt und das Urteil unterschrieben haben; evtl. ersetzt durch Verhinderungsvermerk) wird im Anschluss an eine Entscheidung des BGH bei Kusch NStZ 1993 30 von OLG Karlsruhe NStZ 2009 587 mit Anm. Beukelmann; KK/Kuckein/Bartel § 267, 46; KMR/Voll 16; Meyer-Goßner/Schmitt § 267, 39; OK-StPO/Peglau § 267, 81; de Vries/Neumann DRiZ 2011 398, 399 vertreten; würde man ihr folgen, dürften die Instanzgerichte im Rahmen ihrer Befugnisse das Urteil zwar sachlich richtigstellen, aber niemals die Wortfassung der Urteilsurkunde selbst berichtigen. 149 BVerfGE 9 231, 235. 150 Vgl. AK/Wassermann 16 (Gewährung rechtlichen Gehörs). 151 RG HRR 1927 Nr. 443; AK/Wassermann 16; KMR/Voll 16. 152 RG HRR 1939 Nr. 1010; BGHSt 12 374, 375, dazu Hanack JZ 1972 489; BGH NStZ 1991 195; NStZ-RR 2015 119, 120; OLG Düsseldorf MDR 1994 87; AK/Wassermann 16; KK/Kuckein/Bartel § 267, 46; KMR/Voll 16; MüKo/Maier § 260, 223. 153 BGH wistra 2007 475; NJW 1999 800 (insoweit nicht in BGHSt 44 251); a. A. OLG Düsseldorf MDR 1994 87; vgl. auch BGH NStZ 1989 584 (fehlerhaftes Rubrum). 154 BayObLGSt 1982 12 = MDR 1982 600; BGHSt 12 374, 375 und RG HRR 1939 Nr. 1010 (Fn. 152) haben dies offen gelassen. 155 OLG Hamm MDR 1973 951; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1981 95. 156 BGHSt 2 248; 3 245; 7 75; BGH NJW 1991 1900; NStZ-RR 2012 81; 2015 119, 120; StV 1985 401 mit Anm. Sieg; BGHR § 260 Abs. 1 Urteilstenor 6; BGH 21.12.2010 – 3 StR 440/10; 18.3.2015 – 3 StR 3/15; OLG Celle GA 1960 217; OLG Düsseldorf VRS 88 (1995) 358.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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Urteilsinhalt nicht mehr durch die Unterschrift der Richter gedeckt ist und die Urteilsgründe dadurch lückenhaft werden.157 Je nach Sachlage kann dies zur Aufhebung des Urteils auf die Sachrüge hin führen. Vor allem das Revisionsgericht hat auch ohne besondere Verfahrensrüge im Rah- 59 men einer zulässigen Revision nachzuprüfen, ob eine Berichtigung zulässig war. Eine vom Tatrichter unterlassene Berichtigung kann es nachholen.158 Es kann in seiner Entscheidung den Urteilsspruch des angefochtenen Urteils auf Grund der darin getroffenen Feststellung auch dann richtigstellen, wenn eine vorgenommene Berichtigung für das Revisionsgericht unbeachtlich ist.159 b) Beschwerde. Nach der vorherrschenden Ansicht ist die Beschwerde gegen den 60 Berichtigungsbeschluss zwar grundsätzlich statthaft, jedoch unzulässig, solange das berichtigte Urteil angefochten werden kann oder wenn es (hinsichtlich des berichtigten Teils) angefochten und damit ohnehin der Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht unterstellt worden ist.160 Dies wird daraus gefolgert, dass der Berichtigungsbeschluss auch ohne gesonderte Anfechtung zusammen mit der Sachentscheidung der Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht unterliegt und dass auch die Beschwerdeentscheidung das Revisionsgericht nicht bindet, dass widersprechende Entscheidungen über die Zulässigkeit der Berichtigung dadurch vermieden werden und dass bei anhängigem Rechtsmittel in der Sache ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis nicht besteht.161 Ein genereller Ausschluss der Beschwerde allein wegen der noch bestehenden Möglichkeit einer Anfechtung durch Berufung und Revision ist zu verneinen (vgl. Rn. 61). Bei einem unanfechtbar gewordenen Urteil besteht ein Bedürfnis für die Überprüfung des Berichtigungsbeschlusses.162 Der Ansicht, dass es der Absicht des Gesetzgebers zuwiderlaufen würde, gegen die Berichtigung einer Entscheidung ein Rechtsmittel zu eröffnen, wenn diese selbst nicht angefochten werden könne,163 ist nicht zu folgen.164 Das Argument, der Berichtigungsbeschluss sei Teil der Sachentscheidung, versagt gerade dort, wo die eigentliche Bedeutung der Beschwerde liegt, nämlich dort, wo geltend gemacht

157 BGHSt 7 75; OLG Celle MDR 1973 951; AK/Wassermann 16. 158 BGH 27.10.2009 – 1 StR 515/09; BayObLG StraFo 1998 382, 383; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1976 172; Meyer-Goßner/Schmitt 12; MüKo/Maier § 260, 222. Vgl. auch OLG Köln VRS 63 (1982) 460 (zur Ergänzung eines abgekürzten Urteils). 159 BGHSt 3 245, 247; vgl. OLG Stuttgart Justiz 1974 270; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1984 106. 160 BayObLG StraFo 1998 382, 383 mit Anm. Bockemühl StraFo 1999 52, 53; OLG Bamberg wistra 2012 164; OLG Düsseldorf MDR 1981 606; OLG Hamburg NJW 1966 362; OLG Oldenburg MDR 1959 60; OLG Stuttgart Justiz 1974 270; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1984 106; bei Lorenzen/Görl SchlHA 1990 119; KK/Kuckein/Bartel § 267, 46; KMR/Voll 17; Meyer-Goßner/Schmitt 12; MüKo/Maier § 260, 225; OKStPO/Peglau § 267, 81; SSW/Güntge 5; de Vries/Neumann DRiZ 2011 398, 399; a. A. (wie hier) SK/Velten 18a. 161 Ob die Zulässigkeit der Beschwerde der StPO ein Rechtsschutzbedürfnis voraussetzt, ist strittig; vgl. verneinend AK/Wassermann 17; LR/Hanack25 Vor § 296, 56. 162 OLG Celle GA 1960 217; OLG Köln JMBlNW 1968 130; OLG Stuttgart Justiz 1972 42; Wiedemann 85; AK/Wassermann 17; HK/Julius/Beckemper 9; KMR/Voll 18; vgl. ferner die Nachw. Fn. 160. 163 OLG Hamm MDR 1957 501. 164 Diese Ansicht knüpft an eine auch bei § 319 ZPO vertretene Meinung an, vgl. OLG Breslau JW 1931 1764 (mit abl. Anm. Roquette); 1938 859; OLG Düsseldorf NJW 1952 1220; OLG Karlsruhe MDR 1968 421; a. A. (Beschwerde statthaft) OLG Braunschweig JW 1935 1046; OLG Frankfurt MDR 1984 823; OLG Hamm MDR 1969 850; ferner die Mittelmeinung OLG Düsseldorf NJW 1973 1132; KG NJW 1972 262. Vgl. dazu die Kommentare zu § 319 ZPO. Zur Unanfechtbarkeit nachgeholter Nebenentscheidungen bei Unanfechtbarkeit der ergänzten Entscheidung vgl. BayObLG GA 1971 247.

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wird, es liege keine Berichtigung eines offensichtlichen Versehens, sondern eine unzulässige Änderung des Urteils vor. Hier bei einer unanfechtbaren Entscheidung die Beschwerde auszuschließen, wäre von der Sache her völlig ungerechtfertigt, zumal die Berichtigung auch einen für die Vollstreckung bedeutsamen Teil der Urteilsformel betroffen haben kann. 61 Die einfache Beschwerde nach § 304 (nicht etwa die sofortige Beschwerde in analoger Anwendung des § 319 Abs. 3 ZPO) sollte aber auch entgegen der vorherrschenden Meinung (Rn. 60) ohne Rücksicht auf Anfechtung und Anfechtbarkeit des Urteils für zulässig angesehen werden.165 Offensichtliche Unrichtigkeiten beschweren wegen der vermeintlichen Dokumentationswirkung und der damit verbundenen Gefahr von Missverständnissen die Verfahrensbeteiligten, die auch insoweit eine in Nebenpunkten richtige und zweifelsfreie Fixierung des ergangenen Urteils beanspruchen können. Sie können auch ein rechtlich anzuerkennendes Interesse daran haben, dass schon vor der Entscheidung über ihr Rechtsmittel geklärt wird, ob die Berichtigung Bestand hat; hiervon kann die Entscheidung über die Durchführung des Rechtsmittels in der Hauptsache abhängen, vor allem, wenn zweifelhaft ist, ob die Grenzen der Berichtigung bei einer Änderung der Urteilsformel nicht überschritten sind.166 Die Beschwerde kann allerdings durch die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts in der Sache überholt werden,167 wenn dieses das berichtigte Urteil zur Grundlage der Rechtsmittelentscheidung macht oder aber, wenn es dabei den Berichtigungsbeschluss für unbeachtlich erklärt. 62 Der Beschluss, der einen Antrag auf Berichtigung ablehnt, dürfte der Beschwerde unter den gleichen Voraussetzungen wie ein Berichtigungsbeschluss zugänglich sein.168 Diese kann jedoch nach Lage der Dinge im wesentlichen nur darauf gestützt werden, dass das Gericht die Voraussetzungen nicht geprüft oder die Berichtigung aus rechtsirrigen Erwägungen, etwa in Verkennung der an die Offenkundigkeit des Fehlers zu stellenden Anforderungen, abgelehnt hat. 63

c) Entscheidung nach § 458 Abs. 1. Über die Zulässigkeit einer sich auf die Strafvollstreckung auswirkenden Berichtigung kann nach Eintritt der Rechtskraft auch nach § 458 Abs. 1 eine Entscheidung des Gerichts herbeigeführt werden.169

III. Heilung von Mängeln bei der Verkündung 64

1. Nur bis Abschluss der Verkündung. Mit dem Abschluss der Verkündung wird auch ein nicht ordnungsgemäß verkündetes Urteil existent.170 Das erkennende Gericht verliert die Befugnis, Formfehler bei der Verkündung und sachliche Fehler des Urteilsinhalts selbst zu beheben. Für Fehler aus der Zeit vor der Urteilsverkündung ist dies un-

165 SK/Velten 18a. 166 Vor allem, wenn dem Rechtsmittel andernfalls die Grundlage entzogen würde; vgl. BGHSt 12 374, 377 und die Fälle Rn. 52 ff. 167 Vgl. Vor § 304. 168 KMR/Voll 18; de Vries/Neumann DRiZ 2011 398, 401. Nach Wiedemann 86 ist die Zurückweisung der Berichtigung nicht mit der Beschwerde anfechtbar, sondern nur mit dem Rechtsmittel gegen das Urteil selbst. Bei § 319 ZPO lässt die herrschende Meinung nach dem ZPO-RG die Beschwerde auch bei greifbarer Gesetzeswidrigkeit oder bei Ablehnung nur aus prozessualen Gründen nicht zu, BGH NJW-RR 2005 214; 2004 1654, 1655; vgl. nur Zöller/Feskorn § 319, 41 ZPO. 169 Vgl. LR/Graalmann-Scheerer26 § 458, 2. 170 OLG Schleswig SchlHA 1979 21.

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streitig.171 Fehler, die bei der Urteilsverkündung begangen werden, können ebenfalls nur bis zum Abschluss der Verkündung durch Wiederholung der Verkündung geheilt werden.172 Vereinzelt wird allerdings eine nachträgliche Heilung durch eine Wiederholung der bereits abgeschlossenen Urteilsverkündung in fehlerfreier Form für zulässig gehalten, sofern dies innerhalb der Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2 möglich ist,173 etwa, dass das versehentlich in Abwesenheit des Urkundsbeamten verkündete Urteil zur Heilung des Verfahrensverstoßes in formgerechter Weise nochmals verkündet wird.174 Für diese Ansicht sprechen zwar Gründe der Prozessökonomie, gegen sie spricht jedoch, dass das fehlerhaft verkündete Urteil, das nur anfechtbar und nicht etwa nichtig ist, mit Beendigung der fehlerhaften Verkündung für das erkennende Gericht unabänderlich geworden ist.175 Jede Wiederholung der Verkündung würde die bereits abgeschlossene Hauptverhandlung wiedereröffnen und Raum für neue Anträge geben, die zu einem anderen Urteil, zumindest aber zu einer neuen Beschlussfassung über das Urteil führen müssten. Es wird also nicht lediglich ein und dasselbe Urteil zweimal verkündet, sondern das bereits existente Urteil unzulässigerweise durch ein zweites ersetzt, das aber ebenfalls nicht nichtig ist und deshalb – im Gegensatz zum ersetzten Urteil – in Rechtskraft erwachsen kann, wenn es unangefochten bleibt.176 Ob man eine Neuverkündung der Urteilsformel als Beschluss zur Berichtigung des Urteils umdeuten kann,177 hängt vom Gegenstand und Inhalt der Richtigstellung ab (inhaltlicher Fehler, nicht äußerer Verfahrensfehler bei der Verkündung). 2. Zurückverweisung zur Nachholung der Verkündung. Aus denselben Gründen 65 erscheint auch fraglich, ob das Revisionsgericht bei einer entsprechenden Rüge des Verkündungsfehlers das Urteil lediglich zur Nachholung der ordnungsgemäßen Verkündung und nicht zur erneuten Verhandlung an die Vorinstanz zurückverweisen kann.

IV. Revision 1. Verkündungsfehler. Wird entgegen Absatz 1 bei der Verkündung des Urteils 66 nicht zum Ausdruck gebracht, dass das Urteil im Namen des Volkes ergeht, so begründet dies nicht die Revision.178 Gleiches gilt, wenn der Sollvorschrift des Absatzes 4 nicht entsprochen wurde.179 Ist die Verkündung der Formel völlig unterblieben, liegt kein Urteil im Rechtssinne 67 vor (Rn. 20). Dies schließt jedoch nicht aus, diesen Fehler mit der Revision zu rügen, da auch nur scheinbar existente Urteile im Rechtsmittelverfahren beseitigt werden kön-

171 Vgl. RG JW 1906 475; BGH StV 2013 378 f.; OLG Bremen StV 1985 50; OLG Hamm JMBlNW 1955 237; Rn. 40 ff. 172 Vgl. Rn. 39; W. Schmid JZ 1969 762. 173 Poppe NJW 1954 1914; 1955 6; dagegen Eb. Schmidt 4; W. Schmid JZ 1969 764; AK/Wassermann 11; zur Gegenmeinung vgl. auch Fn. 174. 174 OLG Bremen StV 1985 50; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1954 34; vgl. auch RG GA 41 (1893) 45 (Wiederholung der nicht öffentlichen Urteilsverkündung); a. A. (wie hier) KMR/Voll 13. 175 BGHSt 25 333, 335; BGH NStZ 1984 279; vgl. Rn. 40 ff.; LR/Franke26 § 337, 76 m. w. N. 176 BGH NStZ 1984 279; KMR/Voll 13. 177 Vgl. OLG Oldenburg NdsRpfl. 1994 165. 178 Rn. 16. 179 Vgl. Rn. 26.

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nen.180 Ist das Urteil von einer dazu nicht befugten Person verkündet worden, kann dies nach § 338 Nr. 4 beanstandet werden.181 Ist die Formel nicht durch Verlesen verkündet worden, bildet dies nicht ohne wei68 teres einen Revisionsgrund, zumal das Urteil nicht auf diesem Verfahrensfehler beruht.182 Es muss eine Verschiedenheit zwischen der verkündeten Urteilsformel (Protokoll183) und der Urteilsformel in der Urteilsurkunde behauptet und deren Erheblichkeit für die Entscheidung durch Anführung aller relevanter Tatsachen dargetan werden.184 Ein Widerspruch kann aber auch aufgrund der Sachrüge beachtlich sein, wenn die Urteilsgründe die in der Formel verkündete Entscheidung nicht zu tragen vermögen (vgl. Rn. 70). Unterblieb die Eröffnung der Urteilsgründe, vermag dieser Mangel der Revision 69 nicht zum Erfolg zu verhelfen.185 Auf dem Verstoß gegen Absatz 2 kann das vorher beschlossene Urteil nicht beruhen (§ 337). Gleiches gilt, wenn das Gericht die Verkündung der Urteilsgründe unterbrochen hat, um die Urteilsformel zu berichtigen oder zu ergänzen, und wenn es danach die Verkündung der Gründe einfach fortgesetzt und nicht, wie es die Reihenfolge des Absatzes 2 Satz 3 erfordert, damit nochmals neu begonnen hat.186 Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 gilt nur für die schriftlichen Entscheidungsgründe, nicht für die mündliche Urteilsbegründung nach § 268 Abs. 2.187 Allerdings beginnt der Lauf der Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels in diesem Falle nicht schon mit der Verkündung, sondern erst mit der (deshalb hier notwendigen) Zustellung des Urteils.188 70

2. Widersprüche. Bei einem Widerspruch zwischen den mündlich eröffneten und den schriftlich festgestellten Urteilsgründen sind letztere maßgebend. Auf die Nichtübereinstimmung der mündlich verkündeten Gründe mit den schriftlich abgefassten kann die Revision nicht gestützt werden.189 Dagegen kann ein echter Widerspruch zwischen der Urteilsformel und den schriftlichen Urteilsgründen die Revision begründen, da beide zusammen eine untrennbare Einheit bilden, deren Inkongruenz in einem

180 HK/Julius/Beckemper 11; KMR/Voll 22; SK/Velten 20; SSW/Güntge 10; LR/Kühne Einl. K 129; MeyerGoßner/Schmitt Einl. 109; Gössel § 33 D III d 2; IV c 1.

181 BGH bei Dallinger MDR 1954 151; OLG Oldenburg NJW 1952 1310; vgl. Rn. 17. 182 RGRspr. 4 (1882) 398 f.; RGSt 71 377, 379; BGH NJW 1986 1820; OLG Düsseldorf VRS 88 (1985) 358; OLG Hamm VRS 60 (1981) 206; 3.9.2013 – III-5 RVs 71/13 Rn. 18 ff.; KK/Kuckein/Bartel 16; KMR/Voll 22; MüKo/Moldenhauer 32; Radtke/Hohmann/Hagemeier 12; SK/Velten 6; SSW/Güntge 10; vgl. OLG Hamm JMBlNW 1975 165 (Verwendung eines Vordrucks, in dem nachträglich die Geldbuße eingesetzt wird). 183 Vgl. Rn. 29. 184 RGSt 3 131; 16 317; RGRspr. 4 (1882) 398; 7 (1885) 233; BGH NStZ-RR 2012 81; HK/Julius/Beckemper 11; KK/Kuckein/Bartel 16; KMR/Voll 22; MüKo/Moldenhauer 32; SK/Velten 6; SSW/Güntge 10; Schmid FS Lange 781, 785. 185 RGRspr. 1 (1879/80) 249; 467; 2 (1880) 51; BGHSt 8 41 f.; 15 263, 265; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt 20; SK/Velten 20. 186 BGH nach KK/Kuckein/Bartel 5; SK/Velten 20; vgl. Rn. 18, 39. 187 H. M., so schon Oetker JW 1926 1216; 1928 267. 188 RGSt 1 192; 2 78; BGH NStZ 2000 498; OLG Stuttgart NStZ 1986 520. 189 RGRspr. 4 (1882) 210; RGSt 4 382; 13 68; 71 379; RG GA 64 (1917) 553; BGHSt 2 66; 7 363, 370; 8 41, 42; 15 263; 16 178; BGH VRS 10 (1956) 213; 25 (1963) 113; LM Nr. 1; BGH bei Dallinger MDR 1951 539; BayObLGSt 1952 234 = NJW 1953 248; OLG Hamburg SJZ 1948 700; OLG Koblenz VRS 47 (1974) 446; OLGSt 9; KK/Kuckein/Bartel § 267, 47; KMR/Voll 22; Radtke/Hohmann/Hagemeier 13; Eb. Schmidt 26; krit. Kuhlmann HRRS 2014 25, 26 f.

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entscheidungserheblichen Teil meist zur Aufhebung führt.190 Ob ein Widerspruch besteht, beurteilt sich nach dem im Sitzungsprotokoll festgehaltenen Wortlaut der Formel.191 Ist der verkündete Urteilsspruch dort unvollständig wiedergegeben, entfällt die Beweiskraft des Protokolls (§ 274) auch ohne Berichtigung, wenn Protokollführer und Vorsitzender dies nachträglich erklären.192 Nennt der verkündete Urteilssatz eine niedrigere Strafe als die schriftlichen Urteilsgründe und beruht die Angabe in den Gründen zur Gewissheit des Revisionsgerichts auf einem Schreibversehen, nötigt der scheinbare Widerspruch nicht zur Aufhebung des Urteils. Maßgebend ist dann der verkündete Urteilssatz.193 Auch umgekehrt ist bei einem offensichtlich irrigen Abweichen des Urteilssatzes vom Inhalt des verkündeten Urteils eine Berichtigung zur Behebung des nur scheinbaren Widerspruchs möglich (vgl. Rn. 49 ff.). 3. Überschreitung der Frist. Die Überschreitung der Frist des Absatzes 3 Satz 2 ist 71 ein Rechtsfehler, der einer darauf gestützten Revision nach § 337 zum Erfolg verhilft, da nur in Ausnahmefällen – wenn etwa die abschließende Urteilsberatung noch innerhalb der Frist stattgefunden hat194 – ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil darauf beruht.195 Die Begründung der Verfahrensrüge erfordert hier nach § 344 Abs. 2 die Angabe des Tages, an dem die Frist begonnen hat, und des Tages der Urteilsverkündung, nicht dagegen die Angabe des Tages, an dem die Frist abgelaufen ist.196 4. Anwesenheit. Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 greift durch, wenn 72 die Urteilsformel in Abwesenheit des Staatsanwalts oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, ergangen ist.197 Ob dies auch für die Verkündung der Urteilsgründe gilt, ist strittig. Im Gegensatz zur Verkündung der Urteilsformel sieht vor allem die Rechtsprechung in der Verkündung der Urteilsgründe keinen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung im Sinne des § 338 Nr. 5.198 Haben sich die Richter oder der Staatsanwalt während der zur Verkündung der Urteilsgründe gehörenden Übersetzung der Urteilsbegründung für den Angeklagten entfernt,199 so greifen die absoluten Revisi-

190 RGSt 46 326; BGH StV 2007 410; NStZ-RR 2012 179, 180; KG VRS 16 (1959) 44; OLG Bamberg VRS 113 (2007) 238; OLG Hamm ZfSch 2003 40; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1971 217; KMR/ Voll 22; OK-StPO/Peglau § 267, 82; Eb. Schmidt 27; Gössel § 33 D III d 2, 3. 191 Vgl. Rn. 28 ff., 54; ferner LR/Stuckenberg § 275, 62. 192 OLG Hamm VRS 60 (1981) 206; die förmliche Protokollberichtigung ist in solchen Fällen aber angezeigt. 193 RG HRR 1927 Nr. 443; BGHSt 34 11, 12; BGH JZ 1952 282; NJW 1952 797; NStZ-RR 2000 292; 2014 16; BGH 20.10.2009 – 4 StR 340/09; KMR/Voll 22; Meyer-Goßner/Schmitt 18; Eb. Schmidt 27. 194 BGH StV 1982 4, 5 mit Anm. Peters; BGH NJW 2007 96 mit Anm. von Freier HRRS 2007 139, 141; BGH 12.3.2014 – 1 StR 605/13 Rn. 10 ff. (insoweit nicht in NStZ-RR 2014 251 und wistra 2014 437). 195 RGSt 57 422, 423; 69 23; BGH StV 1982 5 mit Anm. Peters; BGH StV 1990 100; StraFo 1999 339; NStZ 2004 52; NJW 2007 448 mit Anm. Knauer StV 2007 342; von Freier HRRS 2007 139; Mosbacher JuS 2007 724, 725 f.; BGH StV 2007 457; 2007 458 mit Anm. Wolf HRRS 2007 285; BGH StV 2015 280; BGHR § 268 Abs. 3 Verkündung 1; HK/Julius/Beckemper 13; KK/Kuckein/Bartel 18; KMR/Voll 23; Meyer-Goßner/Schmitt 20; MüKo/Moldenhauer 35; SK/Velten 21; SSW/Güntge 11; krit. OK-StPO/Peglau 16.1 f. Vgl. Rn. 10 ff. 196 BGH StV 1982 4, 5 mit Anm. Peters; KK/Kuckein/Bartel 18. 197 BGHSt 8 41; 15 263; 16 180; BGH NJW 1953 155; BGH bei Dallinger MDR 1956 11; 1957 141; 1973 372; OLG Bremen StV 1985 50; KK/Kuckein/Bartel 17; SK/Velten 3, 21; vgl. Rn. 5 ff.; LR/Franke26 § 338, 80 ff., 138 m. w. N. 198 BGHSt 15 263; 16 178, 180; LM § 338 Ziff. 5 Nr. 7; a. A. RG JW 1938 1644 mit Anm. Rilk; vgl. Rn. 20; ferner LR/Franke26 § 338, 84 f. m. w. N. 199 Vgl. Rn. 25.

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§ 268a

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

onsgründe des § 338 Nr. 1, 5 nicht. Auf dem darin liegenden Verstoß gegen § 268 Abs. 2 kann das Urteil in der Regel nicht beruhen, es sei denn, der Angeklagte kann in seiner Revision plausibel geltend machen, dass er bei Anwesenheit des Gerichts einen Gesichtspunkt vorgetragen hätte, der dieses zum Abbruch der Begründung und zum Wiedereintritt in die Verhandlung hätte veranlassen müssen.200 73

5. Öffentlichkeit. Ist das Urteil nicht in öffentlicher Sitzung verkündet worden, greift der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 ein. Er ist auch gegeben, wenn die Öffentlichkeit nur während der Urteilsbegründung in einer nicht dem § 173 Abs. 2 GVG entsprechenden Weise ausgeschlossen worden ist.201 Das Unterlassen der Verkündung der Urteilsgründe kann unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes gerügt werden.202

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6. Aufklärungsrüge. Hat der Vorsitzende einem während der Urteilsverkündung gestellten Antrag, diese zu unterbrechen und wegen eines entscheidungsrelevanten Umstands erneut in die Beweisaufnahme einzutreten, keine Folge gegeben, so kann dies auch dann, wenn zugleich mit diesem Antrag ein neuer Beweisantrag gestellt wurde, allenfalls unter dem Blickwinkel der Verletzung der Aufklärungspflicht gerügt werden. Voraussetzung ist, dass mit dem nach § 344 Abs. 2 erforderlichen Tatsachenvortrag aufgezeigt werden kann, dass die für den Wiedereintritt in die Hauptverhandlung angeführten Tatsachen das Gericht hinsichtlich des von ihm für erwiesen erachteten Sachverhalts zu einer weiteren Sachaufklärung hätten drängen müssen.203

§ 268a Aussetzung der Vollstreckung von Strafen oder Maßregeln zur Bewährung (1) Wird in dem Urteil die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder der Angeklagte mit Strafvorbehalt verwarnt, so trifft das Gericht die in den §§ 56a bis 56d und 59a des Strafgesetzbuches bezeichneten Entscheidungen durch Beschluß; dieser ist mit dem Urteil zu verkünden. (2) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn in dem Urteil eine Maßregel der Besserung und Sicherung zur Bewährung ausgesetzt oder neben der Strafe Führungsaufsicht angeordnet wird und das Gericht Entscheidungen nach den §§ 68a bis 68c des Strafgesetzbuches trifft. (3) 1Der Vorsitzende belehrt den Angeklagten über die Bedeutung der Aussetzung der Strafe oder Maßregel zur Bewährung, der Verwarnung mit Strafvorbehalt oder der Führungsaufsicht, über die Dauer der Bewährungszeit oder der Führungsaufsicht, über die Auflagen und Weisungen sowie über die Möglichkeit des Widerrufs der Aussetzung oder der Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe (§ 56f Abs. 1, §§ 59b, 67g Abs. 1 des Strafgesetzbuches). 2Erteilt das Gericht dem Angeklagten Weisungen nach § 68b Abs. 1 des Strafgesetzbuches, so belehrt der Vorsit200 BGH NStZ-RR 1996 337; vgl. Rn. 74. 201 BGHSt 4 279; KK/Kuckein/Bartel 17; KMR/Voll 20; SK/Velten 3, 20; vgl. LR/Franke26 § 338, 112; ferner bei § 173 GVG m. w. N. 202 KMR/Voll 20. 203 Vgl. BGH bei Dallinger MDR 1975 24; HK/Julius/Beckemper 8, 14; KK/Kuckein/Bartel 14; KMR/Voll 22; Molketin AnwBl. 1983 254, 255; Rn. 4.

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zende ihn auch über die Möglichkeit einer Bestrafung nach § 145a des Strafgesetzbuches. 3Die Belehrung ist in der Regel im Anschluß an die Verkündung des Beschlusses nach den Absätzen 1 oder 2 zu erteilen. 4Wird die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung ausgesetzt, so kann der Vorsitzende von der Belehrung über die Möglichkeit des Widerrufs der Aussetzung absehen.

Entstehungsgeschichte § 268a wurde durch das 3. Strafrechtsänderungsgesetz 1953 als verfahrensrechtliche Ergänzung zu der durch dasselbe Gesetz geregelten Strafaussetzung zur Bewährung (§§ 23 ff. StGB a. F.) eingefügt. Die Änderung des materiellen Rechts durch Art. 9 Nr. 14 des 1. StrRG vom 25.6.1969 führte zur Angleichung des § 268a an den neuen Rechtszustand (Berichtigung der Verweisung in Absatz 1, Neufassung des Absatzes 2 Satz 1; vgl. Wulf JZ 1970 161). Die jetzige Fassung hat § 268a durch Art. 21 Nr. 71 EGStGB erhalten, der die Vorschrift an das neue Strafrecht anpasste.

1.

2.

3.

Übersicht Urteil und ergänzender Beschluss 1 a) Inhaltliche Abgrenzung 1 b) Kein Teil des Urteils 2 Inhalt des Beschlusses 3 a) Maßgeblichkeit des materiellen Rechts 3 b) Tenor 4 c) Begründung 5 Zeitpunkt für den Erlass des Beschlusses 6 a) In der Hauptverhandlung 6 b) Nicht anwesender Angeklagter 8 c) Kein Aufschub 9

4.

5. 6. 7. 8. 9. 10.

Belehrung (Absatz 3) 10 a) Zwingend vorgeschrieben 10 b) Inhalt 12 c) Zeit und Form der Belehrung 15 d) Beschwerderecht nach § 305a 17 Sitzungsniederschrift 18 Berufungsgericht 19 Revisionsgericht 21 Nachholung von Beschluss und Belehrung 22 Rechtsbehelfe 23 Folgen einer unrichtigen Belehrung nach Absatz 3 25

1. Urteil und ergänzender Beschluss a) Inhaltliche Abgrenzung. Die Aussetzung einer Strafe zur Bewährung, die Ver- 1 warnung unter Strafvorbehalt, die Aussetzung einer Maßregel der Besserung und Sicherung und die Anordnung der Führungsaufsicht spricht das Gericht im Urteil aus.1 Die vom Strafgesetzbuch vorgesehenen weiteren Anordnungen, die diese Entscheidungen erfordern oder zulassen (§§ 56a bis 56d, 59a, 67b, 68a bis 68c StGB) verweist § 268a in einen besonderen Beschluss.2 Dies entlastet den Urteilsspruch und ist auch deshalb zweckmäßig, weil die Anordnungen und Weisungen nachträglich geändert oder ergänzt werden können (vgl. § 56a Abs. 2 Satz 2, §§ 56e, 59a, 68b, 68d, 70a StGB). b) Kein Teil des Urteils. Der Beschluss, den das Gericht in der für die Hauptver- 2 handlung vorgeschriebenen Besetzung – also unter Mitwirkung der Laienrichter – trifft, ist mit dem Urteil zu verkünden (Absatz 1 letzter Halbsatz). Er schließt an das Urteil an, dessen Anordnung über die Strafaussetzung zur Bewährung u. a. er näher regelt. Er 1 Vgl. LR/Stuckenberg § 260, 96 ff. 2 BGHSt 6 298, 302; BGH NJW 1954 522; Pentz NJW 1954 14.

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ist kein Teil des Urteils,3 steht aber mit diesem in einem akzessorischen sachlichen Zusammenhang, so dass er ohne das Urteil, dem er zugeordnet ist, keinen Bestand haben kann. Er wird von selbst gegenstandslos, wenn das Urteil nicht rechtskräftig wird. 2. Inhalt des Beschlusses 3

a) Maßgeblichkeit des materiellen Rechts. Das jeweils angewandte materielle Recht bestimmt Gegenstand und Inhalt des Beschlusses;4 insoweit muss auf die Erläuterungsbücher zum Strafgesetzbuch verwiesen werden. Neben § 265a regelt dieses auch die sonstigen Erfordernisse, von denen die Entscheidung des Gerichts hinsichtlich der einzelnen Anordnungen abhängt, so etwa das Erfordernis der Einwilligung des Angeklagten (§ 56c Abs. 3 StGB).

4

b) Tenor. Im Tenor des Beschlusses sind die einzelnen Anordnungen, etwa die Dauer der Bewährungszeit, die einzelnen Auflagen und Weisungen, die Anordnung der Führungsaufsicht entsprechend den jeweiligen Erfordernissen des materiellen Strafrechts eindeutig und möglichst konkret festzulegen. Besonders bei den Weisungen während der Dauer der Führungsaufsicht fordert das Gesetz, dass das Gericht in seiner Weisung das verbotene oder verlangte Verhalten genau bestimmt (§ 68b Abs. 1 Satz 2 StGB). Eine dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG genügende Festlegung der einzelnen Gebote oder Verbote nach Zeit, Ort und Gegenstand ist hier deshalb unerlässlich, weil eine Zuwiderhandlung gegen die Weisungen nach § 68b Abs. 1 StGB in § 145a StGB mit Strafe bedroht ist.5 Neuere Judikate verlangen zudem einen unmissverständlichen Hinweis auf die Strafbarkeit der Zuwiderhandlung, s. Rn. 26.

5

c) Begründung. Der Beschluss ist zu begründen (§ 34). Zwar bedarf es in der Regel keiner näheren Begründung, soweit das Gericht bei der Anordnung von Auflagen und Weisungen sein Ermessen ausübt,6 es muss aber erkennbar sein, dass das Gericht sich in den seinem Ermessen gezogenen Grenzen hielt; darzulegen ist auch, dass die materiellrechtlichen Voraussetzungen für die Anordnungen und die sonstigen rechtlichen Erfordernisse – insbesondere die Einwilligung des Angeklagten – gegeben sind. Dass eine Begründung des Beschlusses in § 268a nicht verlangt wird, rechtfertigt hier – ebenso wie bei § 4537 – nicht den Schluss, dass eine Begründung nicht erforderlich sei.8 Nach der Neuregelung der §§ 56 ff. StGB kann dies noch weniger angenommen werden, weil nicht alle der zu treffenden Entscheidungen dem reinen Ermessen des Gerichts überlassen sind. So bedarf etwa die Unterstellung unter die Aufsicht eines Bewährungshelfers im Regelfall des § 56d Abs. 2 StGB dann einer näheren Begründung, wenn Tatsachen naheliegen, aus denen sich das Fehlen der Voraussetzungen des § 56d Abs. 1 StGB ergeben könnte, wohin3 BGHSt 25 333, 335; KG StraFo 2010 426 f.; KMR/Voll 2; OK-StPO/Peglau 2; SSW/Güntge 1; LR/Stuckenberg § 268, 19 m. w. N. 4 Vgl. KK/Kuckein/Bartel 3 ff.; KMR/Voll 1; Meyer-Goßner/Schmitt 5. 5 Vgl. OLG Rostock 6.12.2011 – 1 Ws 373/11. 6 Vgl. LR/Graalmann-Scheerer § 34, 11; KK/Kuckein/Bartel 8; MüKo/Moldenhauer 15. 7 Vgl. bei § 453. 8 MüKo/Moldenhauer 13 ff.; SK/Velten 8; Eb. Schmidt 6; a. A. (keine Begründung): BGHSt 34 392, 393; KK/Kuckein/Bartel 8; KMR/Voll 4 (mündliche Begründung aber häufig zweckmäßig); Meyer-Goßner/ Schmitt 7 (nur wenn Gericht auf Anerbieten nach § 265a nicht eingegangen ist); OK-StPO/Peglau 3; Pentz NJW 1954 141; vgl. OLG Köln StV 1998 176, 177; offenlassend Radtke/Hohmann/Hagemeier 7. Eine Begründung ist auch nach der Gegenmeinung jedenfalls bei einem Nichtabhilfebeschluss nach § 306 Abs. 2 nötig, s. u. Fn. 54.

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gegen stets zu begründen ist, wenn das Gericht ausnahmsweise von der Regel des Absatzes 2 absehen möchte.9 In der Begründung wird regelmäßig auch darzulegen sein, wenn das Gericht von Auflagen oder Weisungen nur deshalb vorläufig abgesehen hat, weil der Angeklagte entsprechende Zusagen gemacht hatte (§ 56b Abs. 3, § 56c Abs. 4 StGB). Zu begründen ist auch, warum das Gericht ein Anerbieten des Angeklagten als nicht sachdienlich oder angemessen erachtet oder wenn es der Ansicht ist, dass eine Erfüllung dieses Anerbietens nicht zu erwarten ist (§ 56b Abs. 2, § 56c Abs. 4 StGB).10 3. Zeitpunkt für den Erlass des Beschlusses a) In der Hauptverhandlung. Der Beschluss ist in der Hauptverhandlung zu ver- 6 künden, wobei es dem Gericht überlassen ist, ob es unmittelbar im Anschluss an die Verlesung der Urteilsformel auch den Tenor des Beschlusses bekannt gibt, um den Angeklagten schnell über die Tragweite aller Entscheidungen ins Bild zu setzen, oder ob es es für zweckmäßiger hält, den Beschluss erst nach Bekanntgabe der Urteilsgründe zu verkünden.11 Eine Abschrift des Beschlusses über Strafaussetzung zur Bewährung ist nach 7 Nr. 140 RiStBV12 mit Rechtskraft des Urteils dem Verurteilten und seinem Verteidiger zu übersenden. Im Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende sowie in Staatsschutzsachen kann davon abgesehen werden. Ein Antrag nach § 35 Abs. 1 Satz 2 ist nicht erforderlich. b) Nicht anwesender Angeklagter. Dem nicht anwesenden Angeklagten wird der 8 Beschluss zusammen mit dem Urteil zugestellt. Soweit neben einem Strafbefehl ein Beschluss nach § 268a in Betracht kommt (Verwarnung mit Strafvorbehalt), wird er zugleich mit dem Strafbefehl vom Richter erlassen und dem Angeklagten zugestellt.13 Notwendig ist die Zustellung des Beschlusses an sich nicht (§ 35 Abs. 2 Satz 2). c) Kein Aufschub. Die Möglichkeit nachträglicher Entscheidungen über die 9 Strafaussetzung zur Bewährung nach § 453 gestattet dem erkennenden Gericht nicht, bereits die erste Entscheidung über Dauer und Modalitäten der Strafaussetzung dem späteren Verfahren vorzubehalten.14 Das erkennende Gericht muss diese Entscheidung selbst treffen. Es ist aufgrund der ihm durch die Hauptverhandlung vermittelten Erkenntnisse und aufgrund seines persönlichen Eindrucks vom Angeklagten dazu auch am besten in der Lage. Die Frage, ob Auflagen und insbesondere Weisungen bei der Persönlichkeit des Angeklagten erfolgversprechend sind, ist mitunter entscheidend dafür, ob eine Strafaussetzung überhaupt angeordnet werden kann. Die Bestellung eines Bewährungshelfers nach § 68a StGB kann allerdings zurückgestellt werden, wenn der Verurteilte eine Freiheitsstrafe verbüßt.15

9 Vgl. die Kommentare zum StGB. 10 Meyer-Goßner/Schmitt 7; MüKo/Moldenhauer 14; vgl. LR/Stuckenberg § 265a, 11. 11 Vgl. BGHSt 25 333, 337; OLG Köln StV 1998 176, 177; KK/Kuckein/Bartel 9; KMR/Voll 2; Meyer-Goßner/ Schmitt 6; MüKo/Moldenhauer 18; Radtke/Hohmann/Hagemeier 3; SSW/Güntge 1. 12 Für Bayern enthält Nr. 2.9 EBekRiStBV (JMBl. 1976 358) eine von Nr. 140 RiStBV abweichende Regelung, die ebenfalls die Übersendung einer Abschrift des Beschlusses nach § 268a an den Angeklagten vorschreibt. 13 KMR/Voll 3; KK/Kuckein/Bartel 10. 14 KMR/Voll 2; Meyer-Goßner/Schmitt 1. 15 OLG Hamm NStZ 1982 260 (Ls.); KMR/Voll 2; KK/Kuckein/Bartel 5; MüKo/Moldenhauer 10; SK/Velten 5.

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4. Belehrung (Absatz 3) a) Zwingend vorgeschrieben. Absatz 3 schreibt, ähnlich wie § 35a für die Rechtsmittelbelehrung, zwingend vor, dass der Vorsitzende den Angeklagten über Inhalt, Bedeutung und Folgen belehrt, wenn das Gericht eine der in § 268a Abs. 1, 2 aufgezählten Entscheidungen getroffen hat.16 Die Bestandskraft des Beschlusses nach Absatz 1, 2 hängt aber nicht davon ab, dass, wann und in welcher Form eine Belehrung erteilt wurde.17 Eine Ausnahme enthält insoweit lediglich Satz 4, der es bei der Aussetzung der 11 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in das pflichtgemäße Ermessen des Vorsitzenden stellt, ob er den Angeklagten über die Möglichkeit des Widerrufs der Aussetzung belehren will. Über die Dauer der Bewährungszeit und, wenn das Gericht wegen der kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht Weisungen nach § 68b StGB erteilt, hinsichtlich dieser Weisungen muss der Angeklagte aber auch in diesem Fall belehrt werden.

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b) Inhalt. Den Inhalt der Belehrung legt Absatz 3 Satz 1, 2 nur durch die Aufzählung einiger Mindestvoraussetzungen fest. Die kriminalpolitische Zielsetzung der Vorschrift erfordert, dass sich der konkrete Inhalt der Belehrung und ihre Intensität an den Erfordernissen des jeweiligen Einzelfalls orientiert. Die Belehrung soll nach Möglichkeit persönlich gehalten werden. Eine rein formale und unpersönliche Wiederholung des abstrakten Gesetzestextes verfehlt meist ihren Zweck. Nach Satz 1 muss die Belehrung dem Angeklagten die Bedeutung der ausgesetzten 13 Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, der Verwarnung mit Strafvorbehalt oder der Führungsaufsicht vor Augen führen. Sie muss ihm nachdrücklich bewusst machen, dass er den Widerruf der Aussetzung oder die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe zu erwarten hat, wenn er die in ihn gesetzten Erwartungen enttäuscht, vor allem, wenn er innerhalb der Bewährungszeit erneut straffällig wird. Auch auf die sonstigen Widerrufsgründe des materiellen Rechts ist, sofern dies im Einzelfall angezeigt erscheint, einzugehen. Gleichzeitig sind dem Angeklagten die Bedeutung und Tragweite der Pflichten vor 14 Augen zu halten, die ihm aus den auferlegten Auflagen und Weisungen erwachsen, sowie die Folgen, die ein Verstoß gegen diese Pflichten auslösen kann.18 Dies ist besonders bedeutsam bei Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht nach § 68b Abs. 1 StGB, deren Missachtung in § 145a StGB mit Strafe bedroht ist. Auf die Möglichkeit einer solchen Bestrafung ist der Angeklagte bei der Belehrung ausdrücklich hinzuweisen, wie Absatz 3 Satz 2 vorschreibt. Nach neuerer, nicht unumstrittener Rechtsprechung soll darüber hinaus ein Hinweis auf die Strafbarkeit im Führungsaufsichtsbeschluss selbst erforderlich sein (Rn. 26). 12

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c) Zeit und Form der Belehrung. Die in Absatz 3 vorgeschriebene Belehrung ist vom Vorsitzenden in der Regel im Anschluss an die Verkündung des Beschlusses nach den Absätzen 1 und 2 zu erteilen (Absatz 3 Satz 3), sie kann aber auch später erfolgen;19 insbesondere können, wenn noch weitere Beschlüsse zu verkünden und weitere Belehrungen (z. B. nach § 268c) notwendig sind, alle Belehrungen am Ende der Verhandlung 16 17 18 19

OLG Celle MDR 1972 967; KK/Kuckein/Bartel 11. SK/Velten 10; vgl. aber Rn. 25 f. Vgl. Koch NJW 1977 419; AK/Wassermann 5. KMR/Voll 10; KK/Kuckein/Bartel 14; MüKo/Moldenhauer 28 f.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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zusammengefasst werden. Ist die Belehrung in der Hauptverhandlung versehentlich unterblieben oder war sie aus irgendeinem Grund nicht möglich, so muss sie nach § 453a nachgeholt werden; das gleiche gilt, wenn der Vorsitzende aus Zweckmäßigkeitsgründen in der Hauptverhandlung davon abgesehen hat, was in Ausnahmefällen zulässig sein kann (vgl. Absatz 3 Satz 4), etwa, wenn der Angeklagte nicht in der Lage ist, die Belehrung aufzunehmen.20 Die Belehrung nach § 268a ist grundsätzlich mündlich zu erteilen,21 zur Führungs- 16 aufsicht s. Rn. 26. Dies schließt jedoch nicht aus, dass dem Angeklagten in Verbindung mit der mündlichen Belehrung ein Merkblatt übergeben werden kann, in welchem die wichtigsten Gesichtspunkte nochmals zusammengefasst sind. Bei Ausländern kann zusätzlich zur Übersetzung durch den Dolmetscher die Aushändigung eines Merkblatts in einer ihnen geläufigen Sprache angezeigt sein.22 Die eindrucksvollere mündliche Belehrung, durch die der Angeklagte vom Richter persönlich angesprochen wird, darf jedoch dadurch in der Regel nicht ersetzt werden. Im Strafbefehlsverfahren wird die von § 409 Abs. 1 Satz 2 vorgeschriebene Belehrung grundsätzlich zugleich mit dem Strafbefehl und dem Beschluss nach § 268a schriftlich erteilt.23 Ist sie unterblieben, kann sie nach § 453a nachgeholt werden. d) Beschwerderecht nach § 305a. Über sein Beschwerderecht nach § 305a braucht 17 der Angeklagte bei Bekanntgabe des Beschlusses nach § 268a nicht belehrt zu werden, da dieses Rechtsmittel nicht befristet ist (§ 35a).24 Die hinsichtlich des Urteils zu erteilende Rechtsmittelbelehrung muss sich also nicht auf die Anfechtungsmöglichkeiten des Beschlusses nach § 268a erstrecken; gleiches gilt für die Belehrung nach Absatz 3. 5. Sitzungsniederschrift. Der Beschluss nach § 268a Abs. 1, 2 ist nach § 273 Abs. 1 18 (Entscheidung) mit dem Wortlaut seines Tenors in der Sitzungsniederschrift zu beurkunden.25 Auch die Tatsache der Belehrung nach Absatz 3 (nicht ihr Wortlaut) ist eine wesentliche Förmlichkeit, die in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen ist.26 6. Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat über die Anordnungen, die sich auf 19 die Strafaussetzung zur Bewährung beziehen, neu zu entscheiden, wenn es nach durchgeführter Berufung eine Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzt oder eine bereits vom Erstrichter angeordnete Strafaussetzung unter Verwerfung des Rechtsmittels bestätigt. § 268a gilt auch für die Berufungsinstanz (§ 332).27 Das Berufungsgericht ist bei seiner Entscheidung weder durch den Beschluss des Erstrichters noch durch den nur für die Beschwerdeentscheidung geltenden § 305a gebunden. Wegen des akzessorischen Zusammenhangs zwischen Urteil und Beschluss (Rn. 2) wird der Beschluss des Erstrichters

20 21 22 23 24 25 26

KMR/Voll 10; Meyer-Goßner/Schmitt 9. KMR/Voll 10; KK/Kuckein/Bartel 13; Meyer-Goßner/Schmitt 9; SK/Velten 10. Vgl. LR/Stuckenberg § 268, 37; LR/Graalmann-Scheerer § 35a, 20. KK/Kuckein/Bartel 13; KMR/Voll 10; SK/Velten 10; Böttcher/Mayer NStZ 1993 156; vgl. bei §§ 408, 409. KK/Kuckein/Bartel 12; MüKo/Moldenhauer 26. KK/Kuckein/Bartel 15; MüKo/Moldenhauer 32; Radtke/Hohmann/Hagemeier 3; SSW/Güntge 3. KK/Kuckein/Bartel 15; KMR/Voll 10; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Moldenhauer 32; Radtke/Hohmann/Hagemeier 8; Eb. Schmidt 11; SSW/Güntge 3. 27 H. M., etwa OLG Celle NStZ-RR 2008 359; OLG Düsseldorf MDR 1982 1042; KK/Kuckein/Bartel 1, 16; KMR/Voll 5; Meyer-Goßner/Schmitt 2.

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mit Erlass des Berufungsurteils von selbst gegenstandslos.28 Das Berufungsgericht muss ihn durch eine eigene Entscheidung ersetzen, die allerdings auch dahin lauten kann, dass es den Beschluss des Erstrichters bestätigt.29 Versäumt das Berufungsgericht die gebotene eigene Entscheidung überhaupt, muss es sie analog § 453 Abs. 1 nachholen.30 20 Das Berufungsgericht erlässt den neuen Beschluss als erstinstanzielles Gericht, das eine mit dem Berufungsurteil in innerer Wechselwirkung stehende, unselbständige Nebenentscheidung selbst trifft, und nicht als Beschwerdegericht nach § 305a. Es ist daher unerheblich, ob neben dem Ersturteil auch der Beschluss des Erstrichters mit der Beschwerde angefochten worden ist,31 denn auch diese wird gegenstandslos, wenn durch das Berufungsurteil der angefochtene Beschluss gegenstandslos geworden ist.32 Das Verschlechterungsverbot (§ 331) erfasst die neue Entscheidung weder unmittelbar noch kann es analog herangezogen werden,33 da der Beschluss nach § 268a unter dem Vorbehalt nachträglicher Änderungen steht, dem Angeklagten also keine Rechtsposition einräumt, auf die er vertrauen darf. Außerdem steht der analogen Anwendung auch die kriminalpolitische Zielsetzung der Regelung entgegen,34 die gerade keine starren Festlegungen schaffen, sondern eine flexible Anpassung der einzelnen Anordnungen ermöglichen sollte. Die neue Entscheidung des Berufungsgerichts ist mit der Beschwerde nach § 305a anfechtbar.35 21

7. Revisionsgericht. Das Revisionsgericht muss die Entscheidung nach § 268a grundsätzlich dem Tatrichter überlassen.36 Nur wenn es in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft die Mindestdauer der Bewährungszeit für angemessen hält, kann es 28 KG StraFo 2010 426 f.; OLG Celle MDR 1970 68; NStZ-RR 2008 359; OLG Dresden NJ 2001 323 mit Anm. König; OLG Düsseldorf MDR 1982 1042; OLG Hamm NJW 1967 510; MDR 1992 989; LG Osnabrück NStZ 1985 378; KK/Kuckein/Bartel 1, 16; KMR/Voll 5; Meyer-Goßner/Schmitt 2, 10; MüKo/Moldenhauer 5; Radtke/Hohmann/Hagemeier 2; SK/Velten 2; SSW/Güntge 4. 29 OLG Hamm NJW 1967 510; MDR 1992 989; KMR/Voll 5; Meyer-Goßner/Schmitt 2; MüKo/Moldenhauer 5; Radtke/Hohmann/Hagemeier 2; SK/Velten 2; SSW/Güntge 4. 30 OLG Düsseldorf MDR 1982 1042; OLG Koblenz MDR 1981 423; wegen der hier bestehenden Streitfragen vgl. Rn. 22. 31 OLG Celle MDR 1970 68; OLG Düsseldorf NJW 1956 1889; OLG Hamm JMBlNW 1964 176; 1967 510; MDR 1992 989; KG VRS 11 (1956) 364; LG München DAR 1956 111; KK/Kuckein/Bartel 1; Meyer-Goßner/ Schmitt 10. 32 Vgl. etwa OLG Hamm NJW 1967 510; O.H. Schmitt NJW 1956 1729 in der abl. Anm. zur gegenteiligen Ansicht von BayObLG NJW 1956 1728, ferner Fn. 31. 33 BGH bei Kusch NStZ 1995 200; KG StraFo 2010 426; OLG Celle NStZ-RR 2008 359; OLG Düsseldorf NStZ 1994 199; JMBlNW 1986 273; OLG Hamburg NJW 1981 470 mit Anm. Loos NStZ 1981 363; OLG Hamm NJW 1978 1596; OLG Karlsruhe Justiz 1979 211; 11.5.2016 – 2 (10) Ss 138/16 Rn. 9 ff.; OLG Koblenz NStZ 1981 154; OLG Oldenburg NStZ-RR 1997 9; KK/Kuckein/Bartel 1; KMR/Voll 6; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Moldenhauer 6; OK-StPO/Peglau 1; Radtke/Hohmann/Hagemeier 10; vgl. auch Horn MDR 1981 15; ferner (zu § 358 Abs. 2) BGH NJW 1982 1544 mit Anm. Meyer JR 1982 338 (die Entscheidung lässt die Streitfrage offen, was gilt, wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Abänderung nicht vorlagen), ebenso KG NStZ-RR 2006 137 f.; a. A. OLG Koblenz JR 1977 346 mit abl. Anm. Gollwitzer; OLG Frankfurt NJW 1978 959; SK/Velten 3; Wittschier Das Verbot der reformatio in peius im strafprozessualen Beschlussverfahren (1985) 134 ff.; zweifelnd AK/Wassermann 6. 34 OLG Hamburg NJW 1981 470; vgl. Gollwitzer JR 1977 347. 35 Vgl. bei § 305a. 36 Vgl. BGH NStZ-RR 1999 281; wistra 2007 231; bei Kusch NStZ 1997 73; BGH 6.12.2016 – 5 StR 418/16; KK/Kuckein/Bartel 2; KMR/Voll 7; Meyer-Goßner/Schmitt 4; MüKo/Moldenhauer 7; OK-StPO/Peglau 1; Radtke/Hohmann/Hagemeier 2; vgl. bei § 305a.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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diese neben dem (verwerfenden) Urteil selbst durch Beschluss festsetzen, wobei aber auch dann die Entscheidung über die Auflagen dem Tatrichter (in Nachverfahren) vorbehalten ist.37 Hebt es auf die Revision das Urteil in einem für den Beschluss nach § 268a relevanten Teil auf, wird dieser gegenstandslos.38 8. Nachholung von Beschluss und Belehrung. Ist in der Hauptverhandlung39 der 22 nach dem Urteilsinhalt notwendige Beschluss nach § 268a versehentlich nicht verkündet worden, gilt zunächst nur die Mindestbewährungszeit von zwei Jahren ohne Auflagen und Weisungen.40 Der versehentlich unterbliebene Beschluss darf aber bis zur Rechtskraft des Urteils von dem Gericht, das den Beschluss hätte erlassen müssen,41 analog § 453 nach Anhörung des Angeklagten42 und danach von dem nach § 462a zuständigen Gericht noch nachgeholt werden. Durch das bloße Unterlassen des gesetzlich zwingend gebotenen Beschlusses wird kein Vertrauenstatbestand geschaffen; jede Strafaussetzung zur Bewährung steht ohnehin unter dem Vorbehalt späterer Änderungen sowohl hinsichtlich ihrer Dauer als auch hinsichtlich des Inhalts der mit ihr verknüpften Auflagen und Weisungen. Das Verschlechterungsverbot greift nach der vorherrschenden Meinung insoweit nicht.43 Strittig ist, ob die Nachholbefugnis uneingeschränkt besteht44 oder nur insoweit, als das materielle Recht ohnehin nachträgliche Abänderungen zulässt (vgl. § 56e StGB)45 oder, noch enger, ob die versehentlich unterbliebenen Anordnungen nur insoweit nachgeholt werden dürfen, als deren Modalitäten bereits aus den Urteilsgründen ersichtlich und nachvollziehbar sind.46 In jüngster Zeit wird zunehmend die Ansicht vertreten, dass aufgrund des Wortlauts und des Zusammenhangs mit der dem gesamten Spruchkörper (Schöffen) vorbehaltenen Entscheidungsfindung jede Nachholung des Beschlusses zu unterbleiben hat,47 so dass es bei der Mindestdauer der Bewährungszeit frei von Auflagen und Weisungen sein Bewenden haben muss. Einer Nachholung bedarf es nicht, wenn Berufung eingelegt ist, weil das Berufungsgericht

37 BGH NJW 1953 1838, 1839; bei Kusch NStZ 1997 73; NStZ-RR 2012 357; BGH nach KK/Kuckein/Bartel 2.

38 KK/Kuckein/Bartel 16; KMR/Voll 7; vgl. Rn. 19 und bei § 305a. 39 Zur Nachholung im Strafbefehlsverfahren s. LG Nürnberg-Fürth StraFo 2019 203, 204 ff. (bejahend); a. A. (verneinend) LG Freiburg StV 1994 534 (Fehlen von Auflagen kann entscheidend für den Verzicht auf Einspruch sein); LG Mönchengladbach NStZ-RR 2014 284. 40 H. M., etwa OLG Düsseldorf StV 2008 512; OLG Frankfurt StV 1983 24; OLG Hamm MDR 1992 989; StV 2001 225; LG Freiburg StV 1994 534; LG Kempten NJW 1978 840; KMR/Voll 8. 41 KMR/Voll 9; a. A. MüKo/Moldenhauer 19 ff.; SSW/Güntge 1. 42 OLG Düsseldorf JMBlNW 1986 273; a. A. MüKo/Moldenhauer 22. 43 Vgl. Rn. 20; OLG Celle NdsRpfl. 2007 332, 333; OK-StPO/Peglau 5. 44 Wie hier OLG Celle NJW 1957 276; MDR 1970 68; NdsRpfl. 2007 332, 333 f.; OLG Düsseldorf JMBlNW 1986 273; OLG Hamburg NJW 1981 470 mit Anm. Loos NStZ 1981 363; KG VRS 11 (1956) 357; OLG Karlsruhe Justiz 1979 211; OLG Koblenz NStZ 1981 154; OK-StPO/Peglau 6.1. 45 Vgl. OLG Koblenz MDR 1981 423; LG Osnabrück NStZ 1985 378; KMR/Voll 8; a. A. (§ 56e StGB setze erlassenen Bewährungsbeschluss voraus) OLG Düsseldorf StraFo 1999 238; StV 2001 225; 2008 512 f.; OLG Hamm StV 2001 225. 46 OLG Dresden NJ 2001 323 mit Anm. König; OLG Frankfurt StV 1983 24; LG Osnabrück (keine Nachholung von Auflagen); KK/Kuckein/Bartel 9; KMR/Voll 8. OLG Köln NStZ-RR 2000 338 lässt die Fragen offen, hält aber die nachträgliche Auflage einer Geldbuße für nicht zulässig. 47 OLG Düsseldorf StraFo 1999 238; StV 2001 225; 2008 512 f. m. w. N.; OLG Hamm 2001 225; LG Kempten NJW 1978 840; HK/Julius/Beckemper 4; KK/Appl § 453, 3; Meyer-Goßner/Schmitt 8; MüKo/Moldenhauer 19 ff.; Pfeiffer 1; SK/Velten 9; SK/Paeffgen § 453, 3; SSW/Güntge 2; vgl. auch OLG Köln NStZ-RR 2000 338; LG Freiburg MDR 1992 798 sowie Fn. 39.

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den Beschluss neu erlassen muss, so dass auch kein Raum für eine Zurückverweisung ist.48 Eine unterbliebene Belehrung nach Absatz 3 ist nachzuholen (Rn. 15). 9. Rechtsbehelfe. Während die Berufung gegen das Urteil automatisch zu einer neuen, eigenen Entscheidung des Berufungsgerichts nach § 268a führt,49 kann eine allein gegen den Beschluss gerichtete Beschwerde nach § 305a nur darauf gestützt werden, dass eine der dort getroffenen Anordnungen gesetzwidrig ist, also insbesondere den im materiellen Strafrecht getroffenen Einzelregelungen widerspricht.50 Gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens wird verstoßen, wenn der Angeklagte vor der Vereinbarung einer Bewährungsstrafe im Rahmen einer Verständigung nach § 257c nicht auf die in Betracht kommenden Bewährungsauflagen hingewiesen, sondern durch den Bewährungsbeschluss überrascht wurde (§ 257c, 38). Auf eine unterbliebene Belehrung kann ein Rechtsmittel nicht gestützt werden, da der Bestand des Beschlusses nicht von der Belehrung abhängt.51 Die Beschwerde gegen den Bewährungsbeschluss ist auch dann noch zulässig, nachdem der Widerruf der Strafaussetzung beschlossen wurde.52 Beschwerdeberechtigt sind neben der Staatsanwaltschaft der Verurteilte und sein gesetzlicher Vertreter, nicht aber der Nebenkläger und der durch die Straftat Geschädigte.53 Hilft das Tatgericht der Beschwerde nicht nach § 306 Abs. 2 ab, muss es jedenfalls die Nichtabhilfeentscheidung begründen.54 Soweit das Revisionsgericht über die Beschwerde nach § 305a Abs. 2 zu befinden hat, entscheidet es durch selbständigen Beschluss und nicht etwa im Revisionsurteil. 24 Die Revision gegen das Urteil kann nicht mit Angriffen gegen Bewährungsanordnungen begründet werden,55 ebenso wenig mit dem Fehlen eines Beschlusses nach § 268a, da das Urteil hierauf nicht beruhen kann.56 23

25

10. Folgen einer unrichtigen Belehrung nach Absatz 3. Der Widerruf der Strafaussetzung hängt zwar grundsätzlich nicht davon ab, dass der Angeklagte ordnungsgemäß belehrt worden ist. Im Einzelfall kann es jedoch für die Beurteilung seines Verhaltens, insbesondere bei der Würdigung der Schwere eines Verstoßes gegen Auflagen und Weisungen zugunsten des Angeklagten ins Gewicht fallen, dass er nicht ordnungsgemäß belehrt worden ist, da dann ein gröblicher oder beharrlicher Verstoß gegen Auflagen und Weisungen (§ 56f Abs. 1 Nr. 2, 3 StGB) mitunter nicht vorliegen wird (Tatfrage!).57 Gleiches gilt bei den anderen Entscheidungen nach § 268a Abs. 1, 2.

48 49 50 51 52 53 54

OLG Düsseldorf MDR 1982 1042; vgl. Rn. 19 f. Vgl. Rn. 19 f. Wegen der Einzelheiten vgl. bei § 305a. OLG Koblenz MDR 1981 423; AK/Wassermann 5; KK/Kuckein/Bartel 11; Meyer-Goßner/Schmitt 9. LG Kiel StV 2018 360. OLG Düsseldorf StV 2001 228; vgl. § 305a. BGHSt 34 392, 393; BGH 27.9.2011 – 5 StR 344/11; KG 21.9.2018 – (5) 161 Ss 107/18 (47/18) – 5 Ws 113/ 18; s. a. OLG Hamm NStZ-RR 2014 154; KK/Kuckein/Bartel 16; Meyer-Goßner/Schmitt 11; MüKo/Moldenhauer 33; OK-StPO/Peglau 3. 55 Etwa OLG Hamm NJW 1969 890; KG NJW 1957 275; KMR/Voll 12. Wegen der Einzelheiten vgl. bei § 305a. 56 OLG Koblenz MDR 1981 423. 57 Vgl. BVerfG NJW 1992 2877; OLG Celle NJW 1958 1009; OLG Dresden Rpfleger 2019 421, 423; OLG Düsseldorf VRS 91 (1996) 115; ferner OLG Hamm StV 1992 22 mit Anm. Budde; OLG Oldenburg StraFo 2011 524; HK/Julius/Beckemper 7; MüKo/Moldenhauer 31; Radtke/Hohmann/Hagemeier 9; SK/Velten 10; Koch NJW 1977 419.

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§ 268b

6. Abschnitt. Hauptverhandlung

Die Strafbarkeit der Zuwiderhandlung gegen bestimmte Weisungen im Rahmen der 26 Führungsaufsicht nach § 145a StGB soll, weil nach § 68b Abs. 2 StGB auch nicht strafbewehrte Weisungen möglich sind, nach neuerer Rechtsprechung wegen Art. 103 Abs. 2 GG davon abhängen, dass der Angeklagte nicht nur gemäß Absatz 3 Satz 1 und 2 belehrt worden ist, sondern dass schon im Führungsaufsichtsbeschluss selbst auf die Strafbewehrung unmissverständlich hingewiesen worden ist.58 Dies erscheint doppelt zweifelhaft, zum einen, weil die damit implizit behauptete Verfassungswidrigkeit des anderslautenden Gesetzestextes in § 268a Abs. 3, § 453a Abs. 2 sich nicht aufdrängt,59 denn bislang wird bei blankettausfüllenden Akten eine damit verbundene Belehrung über die in Verbindung mit der Blankettnorm resultierende Strafbarkeit nicht als von der Verfassung gefordert angesehen. Zum anderen ist es Tatfrage, ob eine fehlende oder unzureichende Belehrung den von dieser Strafvorschrift vorausgesetzten (mindestens) bedingten Vorsatz entfallen lässt, etwa, weil der Angeklagte nicht erkannte, dass er durch sein Verhalten den Zweck der Maßregel gefährdete, oder ob der Angeklagte deshalb in einem (un-)vermeidbaren Verbotsirrtum handelte.60

§ 268b Beschluss über die Fortdauer der Untersuchungshaft 1

Bei der Urteilsfällung ist zugleich von Amts wegen über die Fortdauer der Untersuchungshaft oder einstweiligen Unterbringung zu entscheiden. 2Der Beschluß ist mit dem Urteil zu verkünden. Entstehungsgeschichte § 268b ist durch Art. 4 Nr. 32 des 3. StRÄndG 1953 eingefügt worden.

1.

2. 3.

Übersicht 1 Sinn der Vorschrift a) Prüfung der Haftfortdauer 1 b) Zeitpunkt der Urteilsfällung 2 Entscheidung über Fortdauer der Untersuchungshaft 4 Unterbringungsbefehl 6

4. 5. 6. 7. 8.

7 Beschluss Unterlassung der Beschlussfassung Zeitpunkt der Verkündung 9 Rechtsbehelfe, Belehrung 10 Sitzungsniederschrift 11

8

1. Sinn der Vorschrift a) Prüfung der Haftfortdauer. Die Notwendigkeit der Haftfortdauer hat das erken- 1 nende Gericht während der ganzen Hauptverhandlung zu prüfen. Es hat von Amts wegen einen Haft- oder Unterbringungsbefehl unverzüglich aufzuheben, wenn seine Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind (§ 120 Abs. 1 Satz 1, § 126a Abs. 3 Satz 1). Es darf 58 BGH StV 2017 36; BGHR StGB § 145a Bestimmtheit 2; OLG Braunschweig 21.11.2016 – 1 Ss 65/17 Rn. 13; OLG Hamm 24.4.2018 – III-5 RVs 27/18 Rn. 25 ff.; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2016 243; s. a. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2011 30; zweifelnd OLG Hamm NStZ-RR 2018 360; LG Verden StraFo 2017 512, 513 f. mit Anm. Baur. 59 Dazu eingehend LG Verden StraFo 2017 512, 514 mit Anm. Baur. 60 So auch OLG Hamm NStZ-RR 2018 360; LG Verden StraFo 2017 512, 513 mit Anm. Baur.

671 https://doi.org/10.1515/9783110274967-019

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§ 268b

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die Aufhebung nicht bis zur Verkündung des Urteils und der in § 268b vorgeschriebenen Beschlussfassung über die Haftfortdauer aufschieben, sofern diese Entscheidungen nicht alsbald1 ergehen können. Dies gilt auch, wenn die Haftprüfung nach § 122 Abs. 3 Satz 2 dem Oberlandesgericht obliegt.2 b) Zeitpunkt der Urteilsfällung. Besteht dagegen im Zeitpunkt der Urteilsfällung noch ein Haft- oder Unterbringungsbefehl, so hat das Gericht zugleich mit Verkündung des Urteils über dessen Fortdauer zu entscheiden, und zwar ganz gleich, ob es den Angeklagten verurteilt oder freispricht.3 Die Entscheidung hat auch zu ergehen, wenn der Vollzug des Haftbefehls nach § 116 ausgesetzt ist.4 § 268b legt eine auch schon vorher in der Praxis gepflogene Übung gesetzlich fest. 3 Er entscheidet die Streitfrage, ob das erkennende Gericht über die Haftfortdauer auch dann beschließen darf, wenn das Urteil alsbald mit der Verkündung rechtskräftig wird, sei es, dass alle Anfechtungsberechtigten auf Einlegung eines Rechtsmittels verzichten, sei es, dass gegen das Urteil überhaupt kein Rechtsmittel gegeben ist. § 268b unterscheidet nicht zwischen anfechtbaren und solchen Urteilen, die mit der Verkündung oder alsbald nach ihr rechtskräftig werden, sondern begründet die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts für die Entscheidung über die Haftfortdauer für jeden Fall ohne Ausnahme.5

2

4

2. Entscheidung über Fortdauer der Untersuchungshaft. Entscheidung über Fortdauer der Untersuchungshaft ist die Entscheidung, ob der Haftbefehl aufrechtzuerhalten, sein Vollzug auszusetzen oder ob er aufzuheben ist. Dies muss das Gericht nach den Regeln des materiellen Haftrechts (insbesondere §§ 112 bis 113, 116, 120) aufgrund der in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse, insbesondere des nach seiner Überzeugung feststehenden Sachverhalts, von Amts wegen prüfen. Die prozessualen Voraussetzungen der Haftentscheidung können aber im Wege des Freibeweises festgestellt werden.6 Bestehen die Haftgründe fort, ist der Haftbefehl unter Umständen der neuen Sach- und Rechtslage ausdrücklich anzupassen,7 denn der Haftbefehl muss aus sich selbst heraus verständlich sein. Weshalb der Angeklagte der Tat, wegen der er verurteilt wurde, dringend verdächtig ist, braucht jedoch nicht noch besonders dargelegt zu werden (Rn. 7). Darzutun ist aber jede Änderung der Haftgründe, so wenn der Haftbefehl nunmehr auf Fluchtgefahr gestützt werden soll statt auf die mit Durchführung der Hauptverhandlung meist entfallende Verdunkelungsgefahr. Wird der Angeklagte freige-

1 AK/Wassermann 1 (noch am selben Tage); KMR/Voll 2; Meyer-Goßner/Schmitt 1 (sofort); SSW/Güntge 1.

2 SK/Velten 3. 3 HK/Julius/Beckemper 1; KK/Kuckein/Bartel 2; MüKo/Moldenhauer 4; OK-StPO/Peglau 1; a. A. (nicht bei Freispruch wegen § 120 Abs. 1 Satz 2) OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1998 173; Meyer-Goßner/Schmitt 2; wohl auch Radtke/Hohmann/Hagemeier 1; SSW/Güntge 1. 4 AK/Wassermann 2; HK/Julius/Beckemper 1; KK/Kuckein/Bartel 2; KMR/Voll 1; MüKo/Moldenhauer 5; OK-StPO/Peglau 2; Radtke/Hohmann/Hagemeier 2; SK/Velten 3; SSW/Güntge 1; a. A. Meyer-Goßner/ Schmitt 2 (keine „Fortdauer“ der Untersuchungshaft, wenn Haftbefehl ausgesetzt). 5 HK/Julius/Beckemper 1; KK/Kuckein/Bartel 2; KMR/Voll 1; MüKo/Moldenhauer 4; SK/Velten 3; Schmidt NJW 1959 1718. 6 Alsberg/Dallmeyer 245; vgl. LR/Lind § 114, 22. 7 OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1998 173 f.; OLG Stuttgart Justiz 2007 238; vgl. OLG Karlsruhe wistra 1991 277 (Aufrechterhaltung „nach Maßgabe des Urteils“ genügt nicht); HK/Julius/Beckemper 2; Meyer-Goßner/Schmitt 2; SK/Velten 6.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 268b

sprochen oder wird das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt, so ist der Haftbefehl nach § 120 Abs. 1 Satz 2 aufzuheben.8 Gegen den auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten kann im Zusammenhang mit 5 dem Erlass des Urteils Haftbefehl ergehen, wenn auch bei den mit der Verkündung rechtskräftig werdenden Urteilen Verdunkelungsgefahr als Haftgrund wohl stets ausscheiden wird.9 3. Unterbringungsbefehl. Für den Unterbringungsbefehl (§ 126a) gelten die vorste- 6 henden Ausführungen entsprechend.10 4. Beschluss. Der Beschluss nach § 268b wird vom erkennenden Gericht in der für 7 die Urteilsfällung vorgeschriebenen Besetzung – also unter Mitwirkung der Laienrichter – erlassen.11 Während einer Unterbrechung der Hauptverhandlung kann die Haftentlassung (§§ 116, 128) auch ohne die Schöffen beschlossen werden.12 Die Entscheidung nach § 268b ist gemäß § 34 zu begründen.13 Die inhaltlichen Anforderungen an die Begründung werden durch das materielle Haftrecht und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG14 bestimmt, wobei sich allerdings zusätzliche Ausführungen zum dringenden Tatverdacht wegen des ergangenen Urteils erübrigen können, jedoch nötig sind, wenn die Verurteilung erheblich von den Vorwürfen des Haftbefehls abweicht.15 In jedem Fall muss, insbesondere solange die schriftlichen Urteilsgründe noch nicht vorliegen, die Begründung dem Beschwerdegericht eine Überprüfung des dringenden Tatverdachts ermöglichen.16 5. Unterlassung der Beschlussfassung. Unterlässt es das Gericht entgegen § 268b 8 versehentlich, einen Beschluss über die Haftfortdauer zu fassen, so kann es das Versäumnis jederzeit von Amts wegen oder auf Antrag nachholen.17 Unterbleibt nur die

8 Meyer-Goßner/Schmitt 2. 9 Vgl. OLG Hamm NJW 1954 298; AK/Wassermann 4; KK/Kuckein/Bartel 4; KMR/Voll 5; SK/Velten 6; Eb. Schmidt 2; Schneidewin NJW 1954 298; a. A. Wolff NJW 1954 60.

10 KK/Kuckein/Bartel 8; KMR/Voll 9; zum nachträglichen Erlass OLG Hamm 18.12.2017 – 3 Ws 498/17 Rn. 28.

11 KK/Kuckein/Bartel 3; KMR/Voll 3; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Moldenhauer 6; OK-StPO/Peglau 8; Radtke/Hohmann/Hagemeier 3; SK/Velten 5; SSW/Güntge 2; Kunisch StV 1998 687, 688; vgl. OLG Düsseldorf StV 1984 159 sowie LR/Gärtner § 125, 25. 12 KK/Kuckein/Bartel 3; Meyer-Goßner/Schmitt 1; SK/Velten 5; vgl. Kunisch StV 1998 687, 688; ferner zu den neuerdings aufgetretenen Streitfragen OLG Jena StV 2010 34; OLG Köln NJW 2009 3113 f.; KG StraFo 2015 110; 2016 292 f.; LR/Gärtner § 125, 25; LR/Gittermann26 § 30, 18 ff. GVG. 13 OLG Hamm NStZ-RR 2010 55; OLG Saarbrücken StV 2016 443; HK/Julius/Beckemper 3; KK/Kuckein/ Bartel 4; KMR/Voll 5; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Moldenhauer 8; Radtke/Hohmann/Hagemeier 4; SK/ Velten 7; Eb. Schmidt 3. 14 Dazu BVerfG StV 2009 479, 481 m. w. N.; auch BVerfGK 7 421, 429 f.; 8 1, 5. 15 BGH NStZ 2004 276, 277; 2006 297; BGH 11.8.2016 – StB 25/16 Rn. 7; KG 8.1.2018 – 4 Ws 147/17 Rn. 9; 31.8.2018 – 6 Ws 152/18 Rn. 10; OLG Hamm NStZ 2008 649; NStZ-RR 2010 55; 5.7.2012 – III-3 Ws 159/12; OLG Jena StV 2007 588 f.; NStZ-RR 2009 123; OLG Koblenz 18.1.2016 – 2 Ws 742/15;; OLG Saarbrücken StV 2016 443; HK/Julius/Beckemper 2; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Moldenhauer 9; OK-StPO/Peglau 4 f.; Radtke/Hohmann/Hagemeier 4; SK/Velten 7; SSW/Güntge 1 f.; teilw. abw. KMR/Voll 5 (auch nicht bei Abweichung vom Haftbefehlsvorwurf). 16 OLG Hamm, OLG Jena wie Fn. 15; KMR/Voll 8; OK-StPO/Peglau 4 m. w. N.; vgl. auch BGH NJW 2017 341, 342 mit Anm. Peglau. 17 KK/Kuckein/Bartel 7; KMR/Voll 6; Meyer-Goßner/Schmitt 4; MüKo/Moldenhauer 12; OK-StPO/Peglau 7; Radtke/Hohmann/Hagemeier 3; SSW/Güntge 3.

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§ 268b

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

Verkündung, muss der Beschluss zugestellt werden.18 In Eilfällen, vor allem, wenn nach Freisprechung des Angeklagten die Aufhebung des Haftbefehls übersehen worden ist, kann der Vorsitzende nach § 124 Abs. 2 und 3 im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft allein handeln.19 Unterbleibt die Beschlussfassung oder die Verkündung, wird ein bestehender Haftbefehl nicht von selbst unwirksam.20 Nur die Haftbefehle nach § 127b Abs. 2, § 230 Abs. 2 machen hier eine Ausnahme.21 9

6. Zeitpunkt der Verkündung. Der Beschluss über die Aufhebung des Haftbefehls oder die Fortdauer der Haft ist nach Satz 2 „mit dem Urteil“ zu verkünden. Dies soll den inneren Zusammenhang beider an sich selbständiger Entscheidungen verdeutlichen, denn gleichzeitig mit dem Urteil muss das Gericht auch über die Haftfrage neu entscheiden. Nach der Sachlogik hat dies erst nach Verkündung der Urteilsformel zu geschehen.22 Im Übrigen aber steht es dem Gericht frei, ob es die Verkündung seiner Haftentscheidung wegen ihrer Bedeutung für den Angeklagten und auch für die Öffentlichkeit unmittelbar an die Verkündung des Urteilstenors anschließt und erst danach die Urteilsgründe eröffnet oder ob es erst nach Abschluss der mündlichen Mitteilung der Urteilsgründe23 die Haftentscheidung zusammen mit anderen Beschlüssen und Belehrungen (§§ 35a, 268a) bekannt gibt. Die Entscheidung darf aber grundsätzlich nicht von der Rechtskraft des Urteils abhängen, dergestalt, dass mit dem Beschluss nach § 268b gewartet wird, bis der Verurteilte einen Rechtsmittelverzicht erklärt hat.24

10

7. Rechtsbehelfe, Belehrung. Ergeht bei der Urteilsverkündung ein neuer Haftbefehl, so ist der Angeklagte nach § 115 Abs. 4 über das Recht der Beschwerde und die anderen Rechtsbehelfe gegen den Haftbefehl zu belehren. Wird nur die Haftfortdauer angeordnet, bedarf es keiner neuen Belehrung über die Zulässigkeit der Beschwerde (§ 304) gegen diesen Beschluss.25 Die Rechtsbehelfe gegen die Haftentscheidung sind auch gegeben, wenn das Urteil sogleich rechtskräftig wird.26 Erst wenn die Strafvollstreckung eingeleitet ist, werden sie gegenstandslos.27

11

8. Sitzungsniederschrift. In der Sitzungsniederschrift ist der Beschluss nach § 268b gemäß § 273 Abs. 1 zu beurkunden.28

18 AK/Wassermann 5; KK/Kuckein/Bartel 7; KMR/Voll 6; Meyer-Goßner/Schmitt 4; MüKo/Moldenhauer 13; Radtke/Hohmann/Hagemeier 5; SK/Velten 9; SSW/Güntge 4. 19 KMR/Voll 6. 20 KK/Kuckein/Bartel 7; KMR/Voll 6; Meyer-Goßner/Schmitt 4; MüKo/Moldenhauer 12; OK-StPO/Peglau 7; Radtke/Hohmann/Hagemeier 3; SK/Velten 9; Eb. Schmidt 5; SSW/Güntge 3. 21 Vgl. LR/Gärtner § 127b, 15; LR/Becker § 230, 41. 22 KK/Kuckein/Bartel 5; KMR/Voll 4; Meyer-Goßner/Schmitt 3; OK-StPO/Peglau 1; Radtke/Hohmann/Hagemeier 5; SSW/Güntge 4. 23 KK/Kuckein/Bartel 5; KMR/Voll 4; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Moldenhauer 10; OK-StPO/Peglau 3; Radtke/Hohmann/Hagemeier 5; SK/Velten 8; SSW/Güntge 4. 24 Vgl. BGH StV 2004 360, 361; König in der abl. Anm. zu OLG München StV 2007 459, 461. 25 KMR/Voll 7; Meyer-Goßner/Schmitt 5; a. A. SK/Velten 11; Eb. Schmidt 3; SSW/Güntge 5; wohl auch MüKo/Moldenhauer 14. 26 Zur Begründung der Haftbeschwerde vgl. HK/Julius/Beckemper 3; KMR/Voll 8. 27 Schmidt NJW 1959 1718. 28 HK/Julius/Beckemper 2; KK/Kuckein/Bartel 5; KMR/Voll 5; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Moldenhauer 11; OK-StPO/Peglau 3; Radtke/Hohmann/Hagemeier 4; SK/Velten 10; SSW/Güntge 2.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 268c

§ 268c Belehrung bei Anordnung eines Fahrverbots 1

Wird in dem Urteil ein Fahrverbot angeordnet, so belehrt der Vorsitzende den Angeklagten über den Beginn der Verbotsfrist (§ 44 Abs. 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches). 2Die Belehrung wird im Anschluß an die Urteilsverkündung erteilt. 3Ergeht das Urteil in Abwesenheit des Angeklagten, so ist er schriftlich zu belehren.

Entstehungsgeschichte § 268c ist durch Art. 2 EGOWiG in das Gesetz eingefügt worden. Die Vorschrift, die im Regierungsentwurf nicht enthalten war, beruht auf einem Vorschlag des Rechtsausschusses (Schriftl. Bericht, BTDrucks. V 2600 und 2601 S. 18). Art. 21 Nr. 72 EGStGB und Art. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24.4.1998 (BGBl. I S. 747) haben jeweils ohne sachliche Änderung die Verweisung den neuen Paragraphenbezeichnungen des Strafgesetzbuchs angepasst.

1. 2. 3. 4.

Übersicht Zweck der Vorschrift 1 Anwendungsbereich 2 Gegenstand der Belehrung Vorsitzender 7

4

5. 6. 7. 8.

Abwesenheit des Angeklagten Nachholung 9 Sitzungsniederschrift 10 Anfechtbarkeit 11

8

1. Zweck der Vorschrift. Mit der Belehrung soll verhindert werden, dass der Ange- 1 klagte, gegen den ein mit Rechtskraft des Urteils wirksames Fahrverbot ausgesprochen worden ist, einen Rechtsnachteil dadurch erleidet, dass er aus Unkenntnis der komplizierten Rechtslage, nach der zwar das Fahrverbot mit der Rechtskraft wirksam wird, die Verbotsfrist aber erst mit der Ablieferung des Führerscheins zu laufen beginnt, seinen Führerschein nicht alsbald in amtliche Verwahrung gibt.1 Nur wenn sich der Führerschein bereits in amtlichem Gewahrsam befindet, läuft die Frist ab der Rechtskraft. 2. Anwendungsbereich. § 268c schreibt die Belehrung über den Beginn der Ver- 2 botsfrist nur für den Fall vor, dass das Gericht wegen einer Straftat ein Fahrverbot nach § 44 StGB verhängt hat, nicht jedoch für den Fall, dass die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen worden ist. Spricht das Gericht wegen einer Ordnungswidrigkeit ein Fahrverbot nach § 25 StVG aus, so folgt die Pflicht, den Betroffenen über den Beginn der Verbotsfrist im Anschluss an die Verkündung der Bußgeldentscheidung zu belehren, aus § 25 Abs. 8 StVG. Einer solchen Belehrung bedarf es auch dann, wenn der Betroffene bereits bei Zustellung des Bußgeldbescheids von der Verwaltungsbehörde belehrt worden war. Die Belehrungspflicht gilt auch für die Berufungsinstanz (§ 332). Sie wird nicht da- 3 durch hinfällig, dass bereits der Erstrichter eine entsprechende Belehrung erteilt hatte.2 Für das Strafbefehlsverfahren schreibt § 409 Abs. 1 Satz 2 die Belehrung nach § 268c vor.

1 HK/Julius/Beckemper 1; KK/Kuckein/Bartel 1; KMR/Voll 1; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/Moldenhauer 1; Radtke/Hohmann/Hagemeier 1; SK/Velten 1; SSW/Güntge 1. 2 KK/Kuckein/Bartel 5; KMR/Voll 2; MüKo/Moldenhauer 6; OK-StPO/Peglau 1; Radtke/Hohmann/Hagemeier 2; SK/Velten 2; SSW/Güntge 2.

675 https://doi.org/10.1515/9783110274967-020

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§ 268c

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3. Gegenstand der Belehrung. Gegenstand der Belehrung ist der Beginn der Frist des Fahrverbots nach § 44 Abs. 3 Satz 1 StGB. Die Dauer des Verbots ist dem Angeklagten bereits durch das Urteil selbst bekannt gemacht worden. Der Vorsitzende soll den Angeklagten aber auch darauf hinweisen, dass das Fahrverbot mit der Rechtskraft des Urteils wirksam wird, die Zuwiderhandlung gegen das Verbot in § 21 StVG mit Strafe bedroht ist, und nicht nur, dass die für sein Ende maßgebende Frist erst zu laufen beginnt, wenn er den Führerschein in amtlichen Gewahrsam gegeben hat.3 Die Belehrung wird, obzwar dies § 268c nicht vorschreibt, zweckmäßigerweise durch den Hinweis ergänzt, wo der Führerschein in Gewahrsam zu geben ist.4 5 Hat der Angeklagte einen ausländischen Fahrausweis, dann ist er zu belehren, dass die Frist erst mit der Eintragung des Verbots in diesem Ausweis läuft. 6 Weitergehende Belehrungen, etwa über die Berechnung der Verbotsfrist und über die Nichteinrechnung der Zeit, in der der Angeklagte sich in Haft befindet oder sonst aufgrund einer behördlichen Anordnung in einer Anstalt verwahrt wird (§ 44 Abs. 3 Satz 2 StGB), sieht das Gesetz nicht vor.

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4. Vorsitzender. Der Vorsitzende erteilt die Belehrung im Anschluss an die Urteilsverkündung, und zwar zweckmäßigerweise erst nach Verkündung etwaiger, gemeinsam mit dem Urteil ergehender Beschlüsse,5 da er dann die Belehrung nach § 268c mit einer etwaigen Belehrung nach § 268a Abs. 3 und der Rechtsmittelbelehrung zusammenfassen kann. Ob er die Belehrung nach § 268c dabei vor der Rechtsmittelbelehrung nach § 35a oder erst nach dieser erteilt, ist unerheblich. Ebenso wie bei der Rechtsmittelbelehrung6 kann sich der Vorsitzende auch hier eines Merkblatts bedienen, das aber die Belehrung nur ergänzen und nicht etwa vollständig ersetzen kann.7

8

5. Abwesenheit des Angeklagten. Bei Abwesenheit des Angeklagten bei der Urteilsverkündung ist die Belehrung schriftlich zu erteilen (Satz 3). Sie ist dem Angeklagten, ebenso wie beim Strafbefehl, zweckmäßigerweise gemeinsam mit dem Urteil zuzustellen.8

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6. Nachholung. Die Nachholung einer zu Unrecht unterbliebenen Belehrung im Vollstreckungsverfahren ähnlich § 453a Abs. 1 ist für die Belehrung nach § 268c nicht vorgesehen. Ist die Belehrung durch das Gericht unterblieben, so hat die Vollstreckungsbehörde die Belehrung nachzuholen, wenn sie den Führerschein zur Vollstreckung nach § 59a Abs. 4 Satz 1 StVollstrO anfordert.9 Eine Nachholung der Belehrung durch den Richter ist nicht vorgeschrieben.10

3 OLG Celle VRS 54 (1978) 118; KK/Kuckein/Bartel 3; KMR/Voll 1; Meyer-Goßner/Schmitt 3; OK-StPO/ Peglau 2; Radtke/Hohmann/Hagemeier 4 f.; SSW/Güntge 3. 4 KK/Kuckein/Bartel 3; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Moldenhauer 5; OK-StPO/Peglau 3; Radtke/Hohmann/Hagemeier 5; SK/Velten 4; SSW/Güntge 3; nach HK/Julius/Beckemper 2 muss dies geschehen. 5 KK/Kuckein/Bartel 4; KMR/Voll 2; Meyer-Goßner/Schmitt 4; MüKo/Moldenhauer 4; Radtke/Hohmann/ Hagemeier 6; SK/Velten 5. 6 Vgl. RiStBV Nr. 142 Abs. 1 Satz 2; LR/Stuckenberg § 268, 37. 7 KMR/Voll 2; Meyer-Goßner/Schmitt 2; MüKo/Moldenhauer 3; Radtke/Hohmann/Hagemeier 2; SK/Velten 5; SSW/Güntge 3. 8 KK/Kuckein/Bartel 9; KMR/Voll 3; Meyer-Goßner/Schmitt 5; OK-StPO/Peglau 4; SK/Velten 5; SSW/Güntge 6. 9 AK/Wassermann 4; KK/Kuckein/Bartel 7; KMR/Voll 4; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/Moldenhauer 9; OK-StPO/Peglau 4, 5; Radtke/Hohmann/Hagemeier 7; SK/Velten 5; SSW/Güntge 5. 10 KK/Kuckein/Bartel 7; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/Moldenhauer 9; OK-StPO/Peglau 5; Radtke/Hohmann/Hagemeier 7; SK/Velten 6; SSW/Güntge 5.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 268d

7. Sitzungsniederschrift. Die mündliche Belehrung durch den Vorsitzenden ist 10 zweckmäßigerweise in der Sitzungsniederschrift zu vermerken, auch wenn man in der Belehrung keine wesentliche Förmlichkeit im Sinne des § 273 Abs. 1 sieht, weil ihr Unterlassen keine prozessualen Rechtsfolgen hat.11 8. Anfechtbarkeit. Da das Urteil auf einem Verstoß gegen § 268c nicht beruhen 11 kann und dieser auch sonst keine prozessualen Rechtsfolgen hat, kann weder die Revision noch eine Beschwerde darauf gestützt werden.12

§ 268d Belehrung bei vorbehaltener Sicherungsverwahrung Ist in dem Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66a Absatz 1 oder 2 des Strafgesetzbuches vorbehalten, so belehrt der Vorsitzende den Angeklagten über die Bedeutung des Vorbehalts sowie über den Zeitraum, auf den sich der Vorbehalt erstreckt.

Entstehungsgeschichte § 268d wurde durch Art. 2 Nr. 4 des Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21.8.2002 (BGBl. I S. 3344) in die StPO eingefügt und erhielt die heutige Fassung durch Art. 2 Nr. 3 des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung vom 22.12.2010 (BGBl. I S. 2300), die an den veränderten § 66a StGB und die Wortwahl in § 268 Abs. 3 Satz 1 angepasst wurde (vgl. BTDrucks. 17 3403 S. 40 f.).1 Das durch die Entscheidung des BVerfG vom 4.5.2011, die § 66a StGB teilweise für verfassungswidrig erklärte,2 nötig gewordene Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5.12.2012 (BGBl. I S. 2425)3 hat § 268d unverändert gelassen.

1. 2.

Übersicht Zweck der Vorschrift 1 Inhalt der Belehrung 3 a) Bedeutung des Vorbehalts

3

3. 4.

b) Zeitraum des Vorbehalts Zeitpunkt der Belehrung 5 Nachholung 6

4

1. Zweck der Vorschrift. § 268d trifft eine flankierende Regelung zum 2002 erstmals 1 eingeführten und 2010 ausgeweiteten (vgl. Entstehungsgeschichte) Vorbehalt der Sicherungsverwahrung, der unter den Voraussetzungen des § 66a Abs. 1 oder 2 StGB im Urteil ausgesprochen werden kann. § 66a Abs. 1 StGB betrifft Fälle, in denen alle Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung bis auf die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit (§ 66 11 KK/Kuckein/Bartel 8; KMR/Voll 5; Meyer-Goßner/Schmitt 4; MüKo/Moldenhauer 10; OK-StPO/Peglau 4; Radtke/Hohmann/Hagemeier 3; SK/Velten 5; Eb. Schmidt Nachtr. II 4 (Ordnungsvorschrift); SSW/Güntge 5. 12 HK/Julius/Beckemper 3; KK/Kuckein/Bartel 6; MüKo/Moldenhauer 8; Radtke/Hohmann/Hagemeier 3; SK/Velten 6; SSW/Güntge 7. 1 Welches materielle Recht anwendbar ist, bestimmt sich nach Art. 316e EGStGB, vgl. LR/Stuckenberg § 275a, Entstehungsgeschichte. 2 BVerfGE 128 361; s. a. LR/Stuckenberg26 1. 3 Vgl. die zugehörige Übergangsvorschrift in Art. 316f EGStGB.

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§ 268d

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB) vorliegen, letztere „aber wahrscheinlich ist“. Die sogenannte Ersttäterregelung des § 66a Abs. 2 StGB erlaubt den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung, wenn jemand wegen einer Katalogtat nach § 66a Abs. 2 Nr. 1 StGB zu mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wird, die Voraussetzungen des § 66 StGB nicht erfüllt sind, jedoch „mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist“, dass er für die Allgemeinheit gefährlich ist. Das Nachverfahren der Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung regeln § 66a Abs. 3 StGB und § 275a. 2 Hat ein Tatgericht unter den Voraussetzungen des § 66a Abs. 1 oder 2 StGB den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung ausgesprochen, so gebietet § 268d, dass der Vorsitzende im Anschluss an die Verkündung des Urteils den Verurteilten über Bedeutung und Zeitraum dieses Vorbehalts zu belehren. Er soll über den Zweck dieses Vorbehalts und das Gewicht, das die noch offene Entscheidung für ihn hat, nicht im Unklaren sein. Er soll auch den Zeitraum kennen, in dem die Anordnung der Sicherungsverwahrung in der Schwebe bleibt. Diese Belehrung soll ihm vor Augen führen, dass es von seinem künftigen Verhalten im Strafvollzug abhängt, ob später gegen ihn die vorbehaltene Sicherungsverwahrung angeordnet wird oder ob davon abgesehen werden kann. Seine Bereitschaft, sich einer Therapie zu unterziehen oder an sonstigen persönlichkeitsbildenden Maßnahmen ohne vorzeitigen Abbruch teilzunehmen, soll dadurch gestärkt werden.4 2. Inhalt der Belehrung 3

a) Bedeutung des Vorbehalts. Der Vorsitzende hat den Verurteilten über die „Bedeutung des Vorbehalts“ zu belehren, also darüber, dass in einem Nachverfahren (§ 66a Abs. 3 StGB n. F., § 275a) darüber zu befinden ist, ob gegen ihn die Sicherungsverwahrung angeordnet wird. Er sollte dabei zweckmäßigerweise darauf hinweisen, dass Gegenstand des Nachverfahrens nur noch die Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist, dass deren gesetzliche Voraussetzungen in dem soeben verkündeten Urteil an sich bereits festgestellt sind und nur noch die Einschätzung offen ist, ob bei einer Gesamtwürdigung seines Verhaltens, seiner Taten und seiner Entwicklung während des Strafvollzugs von ihm weiterhin erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden (§ 66a Abs. 3 Satz 2 StGB). Vor allem aber sollte er hervorheben, dass dem Verhalten des Angeklagten während des Strafvollzugs und einer dabei zum Ausdruck gekommenen echten Bereitschaft, sich zu ändern, erhebliches Gewicht bei der vorbehaltenen späteren Entscheidung beigemessen werden wird.5 Der Vorsitzende kann auch erläutern, dass eine neue Hauptverhandlung stattfinden und dass ein Gutachten eines nicht im Rahmen des Strafvollzuges mit der Behandlung des Verurteilten befassten Sachverständigen eingeholt werden wird (§ 275a Abs. 4).6

4

b) Zeitraum des Vorbehalts. Ausdrücklich belehren muss der Vorsitzende den Verurteilten auch „über den Zeitraum, auf den sich der Vorbehalt erstreckt“. Gemeint ist damit die Zeit, die vergehen muss, bis das Gericht im Nachverfahren über die vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung entscheiden darf. Diese Zeitspanne wird dadurch nach oben eingegrenzt, dass das Gericht über den Vorbehalt spätestens bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entschieden haben muss, was auch gilt, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird (§ 66a Abs. 3 Satz 1 StGB), und spätestens sechs Monaten vor diesem Termin entschie4 SK/Frister 2 f. 5 SK/Frister 3. 6 KMR/Voll 2; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/Moldenhauer 7; SSW/Güntge 1.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 268d

den haben soll (§ 275a Abs. 5). Diesen Zeitpunkt kann der Vorsitzende anhand der ausgesprochenen Strafen und der darauf anzurechnenden Haft usw. berechnen.7 Die Untergrenze für die frühestmögliche Entscheidung folgt aus dem Zweck des Vorbehalts, durch eine möglichst lange Beobachtung des Verhaltens des Verurteilten im Strafvollzug bessere Grundlagen für die Prognose seiner künftigen Gefährlichkeit zu schaffen. Dies schließt es aus, sie weiter vorzuverlegen, als für die voraussichtliche Durchführung des Nachverfahrens erforderlich ist.8 Bei der Belehrung über die Dauer des Vorbehalts kann der Vorsitzende dem Angeklagten konkret mitteilen, bis wann das Gericht spätestens im Nachverfahren entscheiden soll, sowie, dass diese Entscheidung erst wenige Monate vor diesem Termin in die Wege geleitet wird. Es dürfte auch genügen, wenn der Zeitraum, der bis zur Entscheidung über den Vorbehalt verstreichen muss, dem Verurteilten näherungsweise mitgeteilt wird. Konkrete Daten zu benennen dürfte weder erforderlich noch möglich sein. Wann genau die Entscheidung im Nachverfahren ergehen wird, kann der Vorsitzende im Zeitpunkt der Belehrung nicht vorhersagen. Es genügt, dass der Verurteilte die voraussichtliche Dauer des Schwebezustandes richtig einschätzen kann und er daher nicht im Ungewissen darüber bleibt, welche Zeitspanne bis zu der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vergehen muss. Zweckmäßigerweise sollte er in diesem Zusammenhang aber auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass diese zeitlichen Angaben grundsätzlich voraussetzen, dass der Vorbehalt der späteren Entscheidung über die Sicherungsverwahrung bis dahin rechtskräftig geworden ist9 und die Angaben über den Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin davon abhängen, dass er nicht zwischenzeitlich zu einer weiteren Freiheitsstrafe verurteilt wird; denn durch deren Verbüßung würde sich die Zeitspanne bis zur Entscheidung über den Vorbehalt verlängern. 3. Zeitpunkt der Belehrung. Diese Belehrungen erteilt der Vorsitzende nach Ab- 5 schluss der Urteilsverkündung und zweckmäßigerweise wohl auch erst nach Verkündung der sich an das Urteil anschließenden Folgeentscheidungen, insbesondere der Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft nach § 268b. In welcher Reihenfolge er die jeweils erforderlichen einzelnen Belehrungen erteilt, ist seinem Ermessen überlassen.10 Wegen des Gewichts des Vorbehalts für den davon betroffenen Verurteilten sollte er sie aber in etwaige andere Belehrungen so einordnen, dass diesem die Bedeutung des Vorbehalts deutlich vor Augen geführt wird und dass dabei insbesondere auch zum Tragen kommt, wie wichtig sein eigenes Verhalten während des Strafvollzugs für die vorbehaltene Entscheidung ist. Die Rechtsmittelbelehrung wird dem Verurteilten zweckmäßigerweise erst erteilt, nachdem er über die Tragweite des Vorbehalts und über den Zeitpunkt, bis zu dem das Nachverfahren durchgeführt sein muss, unterrichtet worden ist.11 Im Sitzungsprotokoll sollte die Belehrung nach § 268d vermerkt werden, auch wenn es sich bei ihr um keine wesentliche Förmlichkeit im Sinne des § 273 handelt.12 4. Nachholung. Ist die Belehrung im Anschluss an die Urteilsverkündung versehent- 6 lich unterblieben oder war sie wegen eines in der Person des Verurteilten liegenden Umstandes in diesem Zeitpunkt nicht möglich, so ist die Belehrung wegen ihrer Bedeutung 7 8 9 10 11 12

Vgl. LR/Stuckenberg § 275a, 13. Vgl. LR/Stuckenberg § 275a, 15. Vgl. LR/Stuckenberg § 275a, 7. OK-StPO/Peglau 6; SK/Frister 6. KMR/Voll 3; Meyer-Goßner/Schmitt 2. KK/Kuckein/Bartel 2; KMR/Voll 3; Meyer-Goßner/Schmitt 2; MüKo/Moldenhauer 10; OK-StPO/Peglau 6; SK/ Frister 6; SSW/Güntge 2; vgl. LR/Stuckenberg § 268c, 10; a. A. HK/Julius/Beckemper 4 (ist zu protokollieren).

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§ 269

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nachzuholen. Da, anders als bei der vergleichbaren Belehrung nach § 268a Abs. 3, eine dem § 453a vergleichbare ausdrückliche Regelung fehlt, sollte man in Anlehnung an den Grundgedanken dieser Vorschrift davon ausgehen, dass auch die nachgeholte Belehrung wegen ihrer Bedeutung für das weitere Verhalten des Verurteilten grundsätzlich mündlich – und nicht etwa nur schriftlich – erteilt werden muss.13 Da die Entscheidung über den Vorbehalt im Nachverfahren nicht der Strafvollstreckungskammer obliegt, sondern weiterhin in die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts fällt, obliegt auch die Nachholung der Belehrung dem Vorsitzenden des erkennenden Gerichts.14 Dieser kann den Verurteilten dazu vorführen lassen. Man wird ihn aber auch für befugt halten müssen, ähnlich wie bei § 453a Abs. 1 Satz 2, die Belehrung einem ersuchten oder beauftragten Richter zu übertragen. 7 Ist die Belehrung überhaupt unterblieben, steht dies weder dem Nachverfahren nach § 275a noch der Anordnung der Sicherungsverwahrung in diesem entgegen. Dem Verurteilten ist bereits auf Grund des verkündeten Urteils und seiner schriftlichen Begründung bekannt, dass erst später in einem Nachverfahren entschieden wird, ob gegen ihn die Sicherungsverwahrung anzuordnen ist. Es hängt von den mitunter sehr unterschiedlichen Verhältnissen des Einzelfalls ab, ob bei der für die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung maßgebenden späteren Würdigung der Person des Verurteilten und seines Verhaltens im Strafvollzug (§ 66a Abs. 3 Satz 2 StGB) der Umstand ins Gewicht fallen kann, dass seine Belehrung über die Bedeutung des Vorbehalts unterblieben ist.15

§ 269 Verbot der Verweisung bei Zuständigkeit eines Gerichts niederer Ordnung Das Gericht darf sich nicht für unzuständig erklären, weil die Sache vor ein Gericht niederer Ordnung gehöre. Schrifttum Wegen der Nachweise vgl. bei § 270 sowie bei den §§ 6a und 209.

1. 2.

3. 4.

Übersicht 1 Zweck Anwendungsbereich 2 a) Sachliche Zuständigkeit 2 b) Gesamtes Hauptverfahren 3 c) Abgabe an Gericht höherer Ordnung. Gleichrangige Spruchkörper 4 d) Zwingendes Recht 5 Gericht niederer Ordnung 6 Anwendungsfälle 9

5.

6.

9 a) Allgemeines b) Fortwirkung bei Trennung 10 c) Mehrfache Rechtshängigkeit 11 Ausnahmen 12 a) Willkürlicher Entzug des gesetzlichen Richters 12 b) Verstoß gegen Kompetenzverteilung von Bundes- und Landesjustiz 13 Revision 14

13 KMR/Voll 3; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Moldenhauer 9; OK-StPO/Peglau 6; SK/Frister 6; SSW/ Güntge 2.

14 KMR/Voll 3; OK-StPO/Peglau. 15 Vgl. HK/Julius/Beckemper 5; KK/Kuckein/Bartel 3; KMR/Voll 3; Meyer-Goßner/Schmitt 3 (besonders sorgfältige Prüfung); MüKo/Moldenhauer 8; OK-StPO/Peglau 7; SK/Frister 6; SSW/Güntge 2.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 269

1. Zweck. Zweck der Regelung ist es, aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit und 1 der Verfahrensbeschleunigung Verweisungen rechtshängiger Verfahren entgegenzuwirken, die nicht wegen der mangelnden Strafkompetenz unerlässlich sind.1 Wie § 6 zeigt, gehört die sachliche Zuständigkeit zu den in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfenden Verfahrensvoraussetzungen.2 Ihr Fehlen oder ihre Veränderungen durch das spätere Verhandlungsergebnis müsste deshalb an sich zu mitunter wiederholten Verweisungen an vor- oder nachrangige Gerichte führen. Wenigstens letzteres will § 269 ausschließen. Er bestimmt deshalb in Ergänzung von § 6, dass die fehlende sachliche Zuständigkeit unbeachtlich ist, wenn sich ein Gericht höherer Ordnung mit der Sache befasst, das Verfahren also vor ihm eröffnet ist.3 Nach der Auffassung der Strafprozessordnung schließt die größere sachliche Zuständigkeit die geringere ein.4 Es wird auch nicht als Nachteil für den Angeklagten angesehen, wenn seine Sache vor dem höheren Gericht behandelt wird.5 Nur soweit die vorrangige Auffangzuständigkeit des § 269 nicht eingreift, ist die Einhaltung der originären sachlichen Zuständigkeit nach § 6 von Amts wegen zu beachten.6 2. Anwendungsbereich a) Sachliche Zuständigkeit. § 269 betrifft die sachliche Zuständigkeit (§ 1) im enge- 2 ren Sinn, d. h. die Zuständigkeit der ordentlichen Strafgerichte in ihrem Verhältnis zueinander.7 Wegen der örtlichen Zuständigkeit vgl. § 16, wegen der funktionellen Zuständigkeit Vor § 1, 3 ff. Zu den Besonderheiten, die sich aus der in § 74e GVG festgelegten Rangfolge an sich gleichrangiger Spruchkörper und bei den Jugendgerichten ergeben, vgl. §§ 6a, 209a, 225a, 270. b) Gesamtes Hauptverfahren. § 269 erfasst das gesamte Hauptverfahren von der 3 Eröffnung an;8 für die Entscheidung über die Eröffnung gilt er nicht (§ 209 Abs. 1).9 Bei der Vorlage nach § 225a greift er erst ein, wenn das Gericht höherer Ordnung durch den Übernahmebeschluss seine Zuständigkeit begründet hat.10 Zur Begründung der Zustän-

1 Hahn 212; BGHSt 43 53, 55; 46 238, 240; BGH NStZ 2009 579; StV 2016 621, 622; HK/Julius/Beckemper 1; KK/Greger 1; KMR/Voll 1; Meyer-Goßner/Schmitt 1; OK-StPO/Peglau 1; Radtke/Hohmann/Hagemeier 1; SK/Frister 2; SSW/Güntge 1. 2 Zur Entwicklung Wolff JR 2006 232 ff. 3 Eb. Schmidt 1. Wegen der Zugehörigkeit des § 269 zu einem umfassenden System, das § 6 erst praktikabel macht, vgl. Rieß GA 1976 1, 10 und LR/Stuckenberg § 209, 2. 4 Hahn 212; KMR/Voll 1; Meyer-Goßner/Schmitt 1; einschränkend BGHSt 46 238, 245 f. (Bundesjustiz schließt Landesjustiz nicht ein); krit. SK/Frister 3. 5 Hahn 212; RGSt 62 265, 271; BVerfGE 9 223, 230; BGHSt 43 53, 55; 46 238, 240; BGH NStZ 2012 46; BGH 21.8.2019 – 3 StR 221/18 Rn. 11; OLG Celle NdsRpfl 2017 119, 120; AK/Wassermann 1; KK/Greger 1; MeyerGoßner/Schmitt 1; MüKo/Moldenhauer 1; OK-StPO/Peglau 1; Radtke/Hohmann/Hagemeier 1; SK/Frister 2; Gössel 16 C IIg; Dünnebier JR 1975 3; Hohendorf NStZ 1987 389, 390; Meyer-Goßner NStZ 1989 89, 90; zweifelnd HK/Julius/Beckemper 1 (Verlust einer Tatsacheninstanz, Stigmatisierung der Verurteilung durch höheres Gericht); ferner Sowada JR 1995 259; vgl. LR/Stuckenberg § 270, 7. 6 Vgl. BGH MDR 1994 710; Meyer-Goßner/Schmitt 5. 7 Zum Begriff der sachlichen Zuständigkeit vgl. LR/Erb Vor § 1, 2. 8 KK/Greger 2; KMR/Voll 1; Meyer-Goßner/Schmitt 2; MüKo/Moldenhauer 6; OK-StPO/Peglau 1 f.; Radtke/ Hohmann/Hagemeier 2; SK/Frister 11; SSW/Güntge 2. Auch § 225a bestätigt, dass § 269 einen Grundsatz enthält, der nicht nur für die Hauptverhandlung, sondern für das ganze Verfahren nach der Eröffnung gilt. 9 Vgl. LR/Stuckenberg § 209, 20. 10 BGHSt 44 121; BGH NStZ 2009 579 f.; 2012 46; KMR/Voll 1; vgl. LR/Jäger § 225a, 32.

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§ 269

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digkeit des Gerichts höherer Ordnung durch den Verweisungsbeschluss nach § 270 vgl. dort Rn. 33 ff. 4

c) Abgabe an Gericht höherer Ordnung. Gleichrangige Spruchkörper. § 269 schließt die Abgabe an ein Gericht niederer Ordnung aus; der Abgabe an ein Gericht höherer Ordnung (Vorlage zur Übernahme § 225a; Verweisung § 270) steht er nicht entgegen. Er gilt auch nicht für die Abgabe zwischen gleichrangigen Spruchkörpern,11 selbst wenn zwischen ihnen eine Rangfolge festgelegt ist, wie bei den Strafkammern in § 74e GVG.12 Insoweit richtet sich die Abgabe nach § 225a Abs. 4 und § 270 Abs. 1 Satz 2.

5

d) Zwingendes Recht. § 269 enthält zwingendes Recht; die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ist auch bei Einverständnis aller Verfahrensbeteiligten ausgeschlossen.13 Als Ausnahmeregelung ist § 269 einschränkend auszulegen.14 Sein Verbot tritt namentlich zurück, wenn dies erforderlich ist, um vorrangiges Recht wie die Verfassungsgarantie des gesetzlichen Richters (Rn. 12) oder die grundgesetzliche Kompetenzordnung der Justizorgane (Rn. 13) zu wahren.

3. Gericht niederer Ordnung. Maßgebend für die Ordnung, der das jeweilige Gericht angehört, sind die Stufenfolge, in der die Gerichte des gleichen Gerichtszweiges nach der geltenden Gerichtsverfassung eingereiht sind, und ihre unterschiedliche Besetzung.15 Zur Rangordnung vgl. § 209, 12 ff. sowie § 338, 69 ff. (26. Aufl.). Als ein Gericht niederer Ordnung ist auch der Strafrichter im Verhältnis zum Schöf7 fengericht anzusehen,16 während der Unterschied zwischen dem dreigliedrigen und dem erweiterten Schöffengericht nicht die Zuständigkeit, sondern nur die Besetzung betrifft.17 Das Schwurgericht ist seit Änderung seiner Besetzung als besondere Strafkammer (§ 74 Abs. 2 GVG) gegenüber der großen Strafkammer und der Jugendkammer kein Gericht höherer Ordnung mehr,18 wohl aber die große Strafkammer gegenüber der kleinen.19 Der Kartellsenat eines Oberlandesgerichts ist gegenüber den Strafgerichten beim Amts- und Landgericht kein Gericht höherer Ordnung, da nur die letzteren die Befugnis zur Aburteilung von Strafsachen haben.20

6

11 BGHSt 27 99, 102; AK/Wassermann 1; KK/Greger 7; KMR/Voll 6; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/Moldenhauer 11; OK-StPO/Peglau 3; SK/Frister 15; SSW/Güntge 5; vgl. LR/Stuckenberg § 270, 7; ferner MeyerGoßner NStZ 1981 168. 12 Vgl. bei § 74e GVG; ferner die bei Rn. 1 genannten Sondervorschriften für die Abgabe an nachrangige Kammern und bei § 209a. 13 KK/Greger 3; KMR/Voll 1; Meyer-Goßner/Schmitt 5; MüKo/Moldenhauer 7; Radtke/Hohmann/Hagemeier 2; SK/Frister 11; SSW/Güntge 2. 14 BGHSt 46 238, 240; SSW/Güntge 2; anders noch RGSt 62 265, 271 („möglichst weite Auslegung“). 15 Vgl. Rieß GA 1976 1. 16 BGHSt 19 178; h. M., vgl. LR/Stuckenberg § 209, 12 m. w. N. 17 RGSt 62 265, 270; LR/Stuckenberg § 209, 12 m. w. N. 18 BGHSt 26 191 = JR 1976 164 mit Anm. Brunner = NJW 1976 201 mit Anm. Sieg; BGHSt 27 99, 101; BGH NStZ 2009 404, 405; OLG Düsseldorf OLGSt § 210, 3. 19 Vgl. OLG Düsseldorf MDR 1993 459; die kleine Strafkammer ist aber kein erstinstanzliches Gericht mehr. 20 BGHSt 39 202, 207; KK/Greger 4; MüKo/Moldenhauer 15; SK/Frister 14; vgl. LR/Stuckenberg § 270, 5 m. w. N.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 269

Für die Jugendgerichte enthält § 47a JGG eine dem § 269 vergleichbare Regelung, 8 die – unbeschadet des § 103 Abs. 2 Satz 2, 3 JGG21 – die Verweisung an ein für allgemeine Strafsachen zuständiges Gericht gleicher oder niedrigerer Ordnung ausschließt.22 Im übrigen ist anerkannt,23 dass Jugendgerichte und Erwachsenengerichte Abteilungen – wenn auch kraft Gesetzes verschieden besetzte Abteilungen – der ordentlichen Gerichte sind und dass auch zwischen Jugendgerichten und Erwachsenengerichten das Verhältnis von Gerichten höherer und niederer Ordnung im Sinne des § 269 besteht.24 Das irrtümlich angegangene Erwachsenengericht darf daher die Sache nur an ein gleichrangiges Jugendgericht abgeben, nicht aber an ein Jugendgericht niederer Ordnung.25 Ob § 103 Abs. 3 JGG eine dem § 269 vorgehende Sonderregelung enthält, kann zweifelhaft sein.26 Bei § 47a JGG nimmt die Rechtsprechung an, dass dieser entgegen dem Wortlaut des § 103 Abs. 3 JGG eine Abgabe der abgetrennten Erwachsenensache an die Erwachsenengerichte nach Eröffnung ausschließt.27 4. Anwendungsfälle a) Allgemeines. § 269 gilt nicht nur, wenn nachträglich die für die Zuständigkeit 9 des höheren Gerichts maßgebenden Gesichtspunkte entfallen; er ist auch anzuwenden, wenn die Annahme, das Gericht höherer Ordnung sei zuständig, rechtlich fehlerhaft war.28 Unerheblich ist insoweit, ob die Zuständigkeit eines Gerichts niederer Ordnung schon aus dem Eröffnungsbeschluss ersichtlich war29 oder ob das Gericht höherer Ordnung durch eine sachlich zu Unrecht erlassene Unzuständigkeitserklärung des Gerichts niederer Ordnung mit der Sache befasst worden ist.30 Dies gilt selbst, wenn der Verweisungsbeschluss nicht formgerecht zustande gekommen, aber rechtlich bindend ist.31 b) Fortwirkung bei Trennung. § 269 wirkt auch nach der Trennung verbunde- 10 ner Verfahren fort.32 Es entspricht dem Regelungszweck besser, wenn die abgetrenn-

21 Vorrang der besonderen Strafkammer nach § 74a GVG und der Wirtschaftsstrafkammer nach § 74e GVG. 22 KMR/Voll 2; Meyer-Goßner/Schmitt 5; MüKo/Moldenhauer 16; Radtke/Hohmann/Hagemeier 4; SK/ Frister 16; vgl. die Kommentare zu § 47a JGG; LR/Stuckenberg § 209a, 21; ferner § 102 JGG (Zuständigkeit für Strafsachen nach § 120 Abs. 1, 2 JGG). 23 Die Auffassung, die Jugendgerichtsbarkeit sei ein besonderer Gerichtszweig, hat der Beschluss des Großen Senats BGHSt 18 79 aufgegeben; so auch BGHSt 18 173, 175; 22 51; 26 198; vgl. LR/Stuckenberg § 209, 13 m. w. N. 24 Vgl. LR/Stuckenberg § 209, 13; § 209a, 22 ff. 25 BGHSt 18 173. 26 OLG Stuttgart Justiz 1978 175 lässt dies offen, neigt aber zur Annahme einer vorrangigen Spezialvorschrift. 27 BGHSt 30 260; BayObLGSt 1980 46 = NJW 1980 2090; ferner die Kommentare zu § 47a JGG; vgl. auch § 209a. 28 KMR/Voll 7; OK-StPO/Peglau 2; a. A. SK/Frister 8 (sonst Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG); ebenso Renzikowski JR 1999 166, 167 f.; m. and. Begründung SK/Degener § 24, 39 f. GVG (§ 269 gelte nur nach Eröffnungsbeschluss). 29 RGSt 16 39, 41; Meyer-Goßner/Schmitt 3; Eb. Schmidt 3. 30 RGSt 44 392, 395; 62 265, 271; RGRspr. 7 (1885) 641; BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 297; OLG Karlsruhe NStZ 1987 375; Meyer-Goßner/Schmitt 3; vgl. LR/Stuckenberg § 270, 37 m. w. N. 31 RGSt 62 265, 271; vgl. LR/Stuckenberg § 270, 35 ff. 32 BGHSt 47 116, 118 m. w. N.; OLG Hamburg MDR 1970 523; OLG Stuttgart NStZ 1995 248 mit Anm. Meyer-Goßner NStZ 1996 51; AK/Wassermann 4; KK/Greger 6; KMR/Voll 3; Meyer-Goßner/Schmitt 7; MüKo/

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Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

te Sache nicht automatisch an das an sich für sie zuständige niedere Gericht zurückfällt.33 11

c) Mehrfache Rechtshängigkeit. Bei mehrfacher Rechtshängigkeit34 hindert § 269 die Bereinigung der Verfahrenslage auch dann nicht, wenn das Verfahren vor dem Gericht niederer Ordnung durchzuführen ist,35 denn dessen Zuständigkeit besteht ohnehin, wird also nicht erst neu begründet. § 269 gibt dem höheren Gericht nicht die Befugnis, sich in solchen Fällen für zuständig zu erklären.36 Ob es sein Verfahren einstellen muss, richtet sich allein nach den für die Bereinigung einer mehrfachen Rechtshängigkeit entwickelten Grundsätzen.37 Nach diesen ist zu entscheiden, ob dem höheren Gericht der Vorrang gebührt, etwa, weil die Sache zuerst bei ihm anhängig geworden ist oder weil ihm die umfassendere, die Sache erschöpfende Aburteilung möglich ist. 5. Ausnahmen

12

a) Willkürlicher Entzug des gesetzlichen Richters. Eine Ausnahme von der Bindung des höheren Gerichts durch § 269 greift Platz, wenn diese mit vorrangigem Recht unvereinbar ist, so, wenn dessen Befassung gegen das Verbot des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstößt, weil der Angeklagte dadurch (zumindest objektiv) willkürlich seinem gesetzlichen Richter entzogen würde.38 Das Gericht höherer Ordnung kann in diesem Fall nicht durch § 269 zu einem ebenfalls zuständigen gesetzlichen Richter werden. Es ist dann nicht gehindert, das Verfahren an ein nach § 6 sachlich zuständiges Gericht niedrigerer Ordnung abzugeben. Dies gilt vor allem, wenn das Gericht durch einen gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßenden Verweisungsbeschluss nach § 270 mit der Sache befasst wird. Nimmt man mit der zumindest früher vorherrschenden Meinung an, dass der gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßende Befassungsakt überhaupt nichtig

Moldenhauer 4; OK-StPO/Peglau 4; Radtke/Hohmann/Hagemeier 2; SK/Frister 12; SSW/Güntge 6; Mutzbauer NStZ 1995 214; Eb. Schmidt § 4, 11; anders aber § 269, 4; a. A. LR/Wendisch25 § 2, 50; § 4, 9. HK/Julius/ Beckemper 4, 6 bezweifelt, ob § 269 der Abgabe an ein niedrigeres Gericht entgegensteht, wenn alle Beteiligten einverstanden sind und dadurch keine Verzögerung zu erwarten ist. 33 Vgl. die Rechtsprechung zu § 47a JGG sowie Fn. 24. 34 LR/Kühne Einl. K 57, 119; LR/Erb § 12, 1 ff., 11 ff. 35 BGHSt 22 232, 235; KK/Greger 3; KMR/Voll 7; Meyer-Goßner/Schmitt 4; MüKo/Moldenhauer 5; SK/ Frister 13; SSW/Güntge 2. 36 BGHSt 37 15, 20; 38 172, 176; BGH wistra 1998 312; NStZ 2012 46; Meyer-Goßner/Schmitt 1, 4; OKStPO/Peglau 5; Radtke/Hohmann/Hagemeier 3; SSW/Güntge 2. 37 Vgl. LR/Erb § 12, 3 ff., ferner etwa BGHSt 36 175; OLG Stuttgart Justiz 1982 304. 38 H. M., etwa BGHSt 38 172; 38 212; 40 120, 122; 42 205; 45 58; 46 238, 241; 61 277, 280 mit Anm. Zopfs NJW 2017 282, Moldenhauer NStZ 2017 103, Godenhoff StV 2017 626 und Pauka/Link/Armenat StraFo 2017 10; BGH GA 1970 240; NJW 1993 1607, 1608; NStZ-RR 2016 220, 221; StV 2016 621, 622; BGH 10.8.2017 – 3 StR 549/16 Rn. 18 ff. (insoweit nicht in NStZ 2018 111) sowie die Nachw. in Fn. 41; a. A. Renzikowski JR 1999 166, 167 f. und SK/Frister 7 ff., die meinen, die hM vermische den materiellen Gehalt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG mit dem zurückhaltenden verfassungsgerichtlichen Prüfungsmaßstab der „objektiven Willkür“. Dies erscheint zweifelhaft, denn nach st. Rspr. handelt es sich durchaus um einen materiellverfassungsrechtlichen Maßstab: „Nicht jede fehlerhafte Anwendung oder Nichtbeachtung einer einfachgesetzlichen Verfahrensvorschrift ist zugleich eine Verfassungsverletzung; andernfalls würde die Anwendung einfachen Rechts auf die Ebene des Verfassungsrechts gehoben werden.“, BVerfGE 87 282, 284 f.; ebenso BVerfGE 3 359, 364 f.; 13 132, 144; 29 45, 49; 29 166, 172 f.; 58 1, 45; 67 90, 95; 76 93, 96 f.; 82 159, 197; 82 286, 299; 131 268, 312; 138 64, 87.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 269

ist,39 ist die Sache ohnehin bei dem vorlegenden niederem Gericht anhängig geblieben und das höhere Gericht kann sie an dieses zurückleiten. Verneint man aus guten Gründen die Nichtigkeit, ist zwar die Sache durch den Vorlagebeschluss wirksam beim Gericht höherer Ordnung anhängig geworden (Transportwirkung), die bindende Wirkung des § 269 entfällt aber wegen der sonst eintretenden Perpetuierung des Verfassungsverstoßes.40 Die Annahme, dass die Herbeiführung der sachlichen Zuständigkeit willkürlich und deshalb wegen des Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht bindend sei, ist aber nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt. Dann genügt es, wenn objektive Kriterien belegen, dass sie nur auf sachfremden oder völlig unhaltbaren Erwägungen beruhen kann, weil sie sich soweit von jeder denkbaren Rechtsanwendung entfernt hat, dass sie unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbar erscheint.41 Insoweit ist ein strenger Maßstab anzulegen.42 Dafür reicht für sich allein nicht aus, dass die Befassung des höheren Gerichts fehlerhaft war, etwa weil ihr ein fehlerhaftes oder unzulängliches Verfahren vorausging, dass sie auf einem Versehen oder auf einer unzutreffenden, vom höheren Gericht abgelehnten Rechtsauffassung beruhte.43 b) Verstoß gegen Kompetenzverteilung von Bundes- und Landesjustiz. § 269 ist 13 ebenfalls nicht anwendbar, wenn die Aufrechterhaltung der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern vorgeht.44 Nimmt ein Oberlandesgericht nach Anklageerhebung durch den Generalbundesanwalt seine erstinstanzliche Zuständigkeit gem. § 120 Abs. 1 oder 2 GVG an, so wird es im Wege der Organleihe für den Bund tätig und übt Bundesgerichtsbarkeit aus (§ 120 Abs. 6 GVG). In der irrigen Bejahung der Zuständigkeit liegt daher auch ein Eingriff in die zwingende, durch §§ 24, 74, 74a, 120 GVG ausgeformte Kompetenzverteilung zwischen Bundes- und Landesjustiz, der nicht aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung und Prozessökonomie, denen § 269 dient (Rn. 1), hingenommen werden kann. Zudem schließt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts, das Bundesjustiz ausübt, die Zuständigkeit der ihm ansonsten als Landesge39 Etwa BGHSt 29 216, 219; jetzt Pauka/Link/Armenat StraFo 2017 10, 13 ff. (in der irrigen Annahme, BGHSt 61 277 verneine die Transportwirkung); dazu Gollwitzer FS Rieß 135, 139 ff.; w. Nachw. auch bei LR/ Stuckenberg § 270, 37; zur Problematik der Nichtigkeit allgemein LR/Kühne Einl. K 105 ff., 112 ff. 40 BGHSt 45 58; BGH NStZ 2009 579, 580; OLG Bamberg NStZ-RR 2005 377; Meyer-Goßner/Schmitt § 270, 20; SK/Frister § 270, 31 ff.; vgl. Rn. 5 und LR/Stuckenberg § 270, 37. 41 BVerfGE 58 167; 71 205; 89 1, 13; BVerfG NJW 1995 125; 2001 1125; 2001 1200; BGHSt 42 205; 45 58; BGH GA 1970 240; NJW 1993 1607; NStZ 1999 578; StV 1995 620; 1999 585; BGH 10.8.2017 – 3 StR 549/16 Rn. 23 ff. (insoweit nicht in NStZ 2018 111); ferner Fn. 42; kritisch dazu Weidemann wistra 2000 45 (hinter der Formel von der objektiven Willkür verberge sich die Abgrenzung nach der nicht näher definierten Intensität des Normenverstoßes). Zur Einschränkung des § 269 durch das Willkürverbot ferner AK/Wassermann 5; HK/Julius/Beckemper 7; KK/Greger 9; KMR/Voll 7; Meyer-Goßner/Schmitt 8; MüKo/Moldenhauer 8; SSW/Güntge 3; s. a. Gollwitzer FS Rieß 135, 144 ff.; a. A. SK/Frister 7 ff. 42 Vgl. etwa OLG Bremen NStZ-RR 1998 53; OLG Karlsruhe StV 1998 252, ferner etwa BGHSt 42 205; BGH StV 1998 1. In dem Bestreben, Zuständigkeitsfehler zu korrigieren und Tendenzen zur Verweisung entgegenzuwirken, werden mitunter unterschiedlich strenge Anforderungen an die Bejahung eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gestellt, vgl. etwa OLG Celle NdsRpfl 2017 119, 120; OLG Düsseldorf NStZ 1986 426; NStZ-RR 1996 41; StV 1993 254; JMBlNW 1996 47; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 42; 1996 338; 26.9.2011 – 3 Ws 912/11 Rn. 4; OLG Hamm MDR 1993 1002; StV 1996 300; OLG Jena OLGSt § 270 Nr. 6; OLG Karlsruhe NStZ 1990 100; OLG Koblenz StV 1996 588; OLG Köln StV 1996 298; OLG Oldenburg MDR 1994 1139; OLG Zweibrücken MDR 1992 178; NStZ-RR 1998 280; LG Dessau StraFo 2006 332; LG Köln StV 1996 591; LG Berlin StV 1996 16; LG Bremen StV 1992 523. 43 Vgl. etwa BGHSt 29 216, 219; BGH bei Kusch NStZ 1992 29; OLG Düsseldorf MDR 1993 459; OLG Karlsruhe MDR 1980 599; StV 1998 253; OLG Stuttgart Justiz 1983 164; 1999 403. 44 BGHSt 46 238, 241 ff., 245 f.; KK/Greger 10; MüKo/Moldenhauer 9; SK/Frister 10.

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§ 269

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

richte nachgeordneten Amts- und Landgerichte hier nicht ein. Insoweit ist es als Gericht anderer und nicht höherer Ordnung anzusehen.45 14

6. Revision. Die Revision kann grundsätzlich weder nach § 337 noch unter dem Gesichtspunkt des § 338 Nr. 4 rügen, dass ein Gericht niederer Ordnung zuständig gewesen wäre.46 Etwas anderes gilt nur dann, wenn § 269 nicht greift. So muss das Revisionsgericht zum einen von Amts wegen47 prüfen, ob ein Oberlandesgericht seine erstinstanzliche Zuständigkeit im Wege der Organleihe irrig angenommen hat, wobei es hier auf Willkür nicht ankommt. Zum anderen ist die Revision begründet, wenn der Angeklagte objektiv willkürlich, also aus sachfremden, nicht mehr verständlichen und offensichtlich unhaltbaren Erwägungen48 seinem gesetzlichen Richter entzogen wurde.49 Ob Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt ist, so dass § 6 wieder gilt, ist vom Revisionsgericht, da es sich um ein Verfahrenshindernis handelt, von Amts wegen zu beachten50 und führt zur Verweisung51 an das zuständige Gericht. Die Sonderfrage, ob das Revisionsgericht auch von Amts wegen beachten muss, wenn das Berufungsgericht unbeanstandet ließ, dass statt des Strafrichters das Schöffengericht entschieden hat, wurde von BGHSt 42 205 dahin entschieden, dass der Verstoß gegen § 328 Abs. 2 nur bei ordnungsgemäß erhobener Verfahrensrüge zu prüfen ist.52 Dem ist zu widersprechen, weil sonst auch der Verstoß gegen § 328 Abs. 2 in umgekehrter Weise – das Berufungsgericht verweist eine irrig von einem Gericht niederer Ordnung entschiedene Sache nicht an das zuständige höherrangige Gericht zurück – nur auf Rüge zu beachten wäre, was der BGH zu Recht verneint.53 45 BGHSt 46 238, 245 f. 46 BGHSt 9 368; 21 358; 38 172, 176; 38 202; 43 53; 47 116, 119; BGH GA 1963 100; NStZ 2009 279; bei Pfeiffer NStZ 1981 297; OLG Brandenburg OLG-NL 2006 166; HK/Julius/Beckemper 7; KK/Greger 11; KMR/ Voll 9; Meyer-Goßner/Schmitt 8; MüKo/Moldenhauer 17; OK-StPO/Peglau 11; Radtke/Hohmann/Hagemeier 6; SSW/Güntge 7: Gössel § 16 C IIg; vgl. LR/Franke26 § 338, 70 m. w. N. 47 BGHSt 46 238, 245; SK/Frister 21. 48 Zum Begriff der Willkür vgl. etwa BVerfG 9 223, 230; 29 49; 207; 58 167; 71 205; 89 1, 13; BayVerfGHE 15 15 = NJW 1962 790; BayVerfGHE 24 111; NJW 1985 2894; BGHSt 25 71; ferner Rn. 12 und LR/Franke26 § 338, 10 m. w. N. 49 Etwa BGHSt 38 172; 38 212; 47 116, 120; BGH GA 1970 25; NStZ 2009 579; OLG Brandenburg OLG-NL 2006 166; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2000 48 f.; vgl. Rn. 12 m. w. N. 50 So (für willkürliche Anklage zum LG statt zum AG): BGHSt 38 172, 176; 38 212; 40 120; 44 34, 36; 45 58, 59; BGH NStZ 1992 397; StV 1995 620; 1999 585; OLG Düsseldorf NStZ 1990 292; 1996 206 mit Anm. Bachem (Sprungrevision); OLG Hamm StV 1995 182; 1996 300; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1992 201; ebenso für willkürliche Anklage zum OLG: BGHSt 46 238, 241; Welp NStZ 2002 1; zustimmend HK/Julius/Beckemper 7; KK/Greger 11; KMR/Voll 9; LR/Siolek26 § 24, 30 ff. GVG; Meyer-Goßner/Schmitt 8; MüKo/Moldenhauer 18; OK-StPO/Peglau 11; SK/Frister 20; SSW/Güntge 3, 7; Rieß NStZ 1992 549; a. M. (obiter, unter Berufung auf BGH GSSt 18 79) der 1. und 5. Strafsenat: BGHSt 43 53 mit abl. Anm. Bernsmann JZ 1998 627 und krit. Anm. Renzikowski JR 1999 164; BGH NJW 1993 1607; 1997 2689; Kalf NJW 1997 1489; Wolff JR 2006 232, 236; offenlassend BGHSt 61 277, 280; BGH NStZ-RR 2016 220, 221; StV 2016 621, 622; BGH 10.8.2017 – 3 StR 549/16 Rn. 18 (insoweit nicht in NStZ 2018 111). 51 BGHSt 40 120 mit Anm. Sowada JR 1995 255 und abl. Anm. Engelhardt JZ 1995 262; BGHSt 45 58, 59 mit Anm. Bernsmann JZ 2000 213; BGHSt 46 238, 245; 61 277, 278; OK-StPO/Peglau 11. Ebenso, wenn das AG statt des zuständigen LG entschieden hat, OLG Brandenburg NStZ 2001 611 mit zust. Anm. MeyerGoßner; LR/Siolek26 § 24, 38 GVG. 52 BGHSt 42 205 = JR 1997 430 mit Anm. Gollwitzer auf Vorlage von OLG Celle NdsRpfl. 1995 293; KMR/ Voll 9; MüKo/Moldenhauer 19; wie hier a. A. (Beachtung von Amts wegen) etwa OLG Düsseldorf JMBlNW 1996 47 f.; OLG Hamm StV 1995 182; OLG Oldenburg NStZ 1994 449; KK/Greger 11; Meyer-Goßner/Schmitt 8; SK/Frister 23; SSW/Güntge 3; vgl. Rieß FS BGH 809, 834 f.; Neuhaus StV 1995 212. 53 BGH NStZ 2000 387 f.; KG StV 2013 555; OLG Brandenburg NStZ 2001 611 mit Anm. Meyer-Goßner.

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§ 270

6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 270 Verweisung bei Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung (1) 1Hält ein Gericht nach Beginn einer Hauptverhandlung die sachliche Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung für begründet, so verweist es die Sache durch Beschluß an das zuständige Gericht; § 209a Nr. 2 Buchstabe a gilt entsprechend. 2Ebenso ist zu verfahren, wenn das Gericht einen rechtzeitig geltend gemachten Einwand des Angeklagten nach § 6a für begründet hält. (2) In dem Beschluß bezeichnet das Gericht den Angeklagten und die Tat gemäß § 200 Abs. 1 Satz 1. (3) 1Der Beschluß hat die Wirkung eines das Hauptverfahren eröffnenden Beschlusses. 2Seine Anfechtbarkeit bestimmt sich nach § 210. (4) 1Ist der Verweisungsbeschluß von einem Strafrichter oder einem Schöffengericht ergangen, so kann der Angeklagte innerhalb einer bei der Bekanntmachung des Beschlusses zu bestimmenden Frist die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Hauptverhandlung beantragen. 2Über den Antrag entscheidet der Vorsitzende des Gerichts, an das die Sache verwiesen worden ist. Schrifttum Behl Verweisungsbeschluß gemäß § 270 StPO und fehlende örtliche Zuständigkeit des höheren Gerichts, DRiZ 1980 182; Deisberg/Hohendorf Verweisung an erweitertes Schöffengericht, DRiZ 1984 261; Glaser Aktuelle Probleme im Rahmen der sachlichen Zuständigkeit der Strafgerichte, insbesondere die Folgen fehlerhafter Verweisungsbeschlüsse (2002); Gollwitzer Die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses nach § 270 StPO, FS Rieß (2002) 135; Grünwald Die sachliche Zuständigkeit der Strafgerichte und die Garantie des gesetzlichen Richters, JuS 1968 452; Hegmann Zuständigkeitsänderung im strafgerichtlichen Berufungsverfahren, NStZ 2000 574; Kalf Die willkürliche Zuständigkeitsbestimmung des Schöffengerichts, NJW 1997 1489; Meyer-Goßner Die Prüfung der funktionellen Zuständigkeit im Strafverfahren, insbesondere beim Landgericht, JR 1977 353; ders. Die Behandlung von Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen allgemeiner und Spezialstrafkammer beim Landgericht, NStZ 1981 168; Michel Aus der Praxis. Der unwirksame Verweisungsbeschluß, JuS 1993 766; Müller Zum negativen Kompetenzkonflikt zwischen zwei Gerichtsabteilungen, DRiZ 1978 14; Neuhaus Die Revisibilität der sachlichen Zuständigkeit des Schöffengerichtes im Verhältnis zu der des Strafrichters (§ 25 Nr. 2 GVG), StV 1995 212; Odersky Der Wechsel zwischen Kartellbußgeldverfahren und Strafverfahren, FS Salger (1995) 357; Pauka/Link/Armenat Die Verweisung nach § 270 StPO im Lichte des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, StraFo 2017 10; Rieß Die Bestimmung und Prüfung der sachlichen Zuständigkeit und verwandter Erscheinungen im Strafverfahren, GA 1976 1; H. Schäfer Willkürliche oder objektiv willkürliche Entziehung des gesetzlichen Richters bei Verkennung der sachlichen Zuständigkeit in Strafsachen, DRiZ 1997 168; Traut Der Umfang der Beweisaufnahme im Falle der Unzuständigkeitserklärung des § 270 der Strafprozeßordnung, GS 59 (1901) 193; Weidemann Zur Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses nach § 270 StPO, wistra 2000 45. Weitere Nachweise bei §§ 6a, 209.

Entstehungsgeschichte Die geltende Fassung beruht auf Art. 3 Nr. 123 VereinhG, das den Absatz 2 einfügte und im übrigen der Vorschrift zum Teil eine andere Fassung gab, ohne damit sachliche Änderungen zu verbinden. Die Absätze 2 und 3 wurden durch Art. 7 Nr. 13 StPÄG 1964 an die geänderten §§ 200, 207 angeglichen. Art. 1 Nr. 78 des 1. StVRG hat in Absatz 4 Satz 1 „Amtsrichter“ durch „Strafrichter“ ersetzt und einen die Voruntersuchung ansprechenden Halbsatz gestrichen. Art. 1 Nr. 23 StVÄG 1979 hat den bisherigen Absatz 1 Satz 1 neu gefasst; er wurde um einen Halbsatz erweitert. Ferner wurde Satz 2 eingefügt. Die Neuregelung ist Teil einer 687 https://doi.org/10.1515/9783110274967-023

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§ 270

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

Gesamtlösung, mit der dieses Gesetz die Abgabe eines Verfahrens wegen Fehlens der sachlichen Zuständigkeit bzw. wegen der gesetzlich festgelegten Zuständigkeit eines Spezialspruchkörpers und das dabei zu beachtende Verfahren nach dem Vorrangprinzip geordnet hat.

I.

II.

III.

Übersicht Zweck und Anwendungsbereich 1 1. Zweck 1 2. Anwendungsbereich 2 a) Nach Beginn der Hauptverhandlung 2 b) Geschäftsordnungsmäßige Aufteilung 3 c) Örtliche Zuständigkeit 4 d) Besondere Verfahrensarten 5 e) In der Berufungsinstanz 6 Verweisung an ein Gericht höherer Ordnung 7 1. Sachliche Zuständigkeit 7 2. Voraussetzungen der Verweisung 8 a) Zeitpunkt 8 b) Anlass 10 c) Grenzen der Kognitionsbefugnis 13 3. Die einzelnen Fallgruppen der Verweisung 16 a) Korrigierende Verweisung 16 b) Änderung des Tatverdachts 17 c) Unzureichende Strafgewalt 19 d) Zuständigkeit eines Jugendgerichts 20 e) Zuständigkeit einer besonderen Strafkammer 21 Der Verweisungsbeschluss 23 1. Verweisung von Amts wegen 23 2. Anhörung der Verfahrensbeteiligten 24 3. Inhalt des Verweisungsbeschlusses 25

4. 5.

IV.

V.

VI.

Bekanntgabe 27 Vervollständigung eines mangelhaften Beschlusses 28 6. Sachentscheidung neben Verweisungsbeschluss 29 7. Fortdauer der Untersuchungshaft 31 Wirkung der Verweisung 32 1. Änderung des Eröffnungsbeschlusses 32 2. Übergang des Verfahrens 33 3. Bindung 35 4. Dasselbe Hauptverfahren 39 Einzelne Beweiserhebungen (Absatz 4) 40 1. Bei Verweisung durch Strafrichter und Schöffengericht 40 2. Fristbestimmung 42 3. Entscheidung 44 Rechtsbehelfe 45 1. Beschwerde 45 a) Verweisungsbeschluss 45 b) Ablehnung der Verweisung 47 c) Irrige Anwendung des § 270 49 d) Frist nach Absatz 4; Beweiserhebung 50 2. Revision 51 a) Verweisung 51 b) Unterlassen der Verweisung 55 c) Absatz 4 56 d) Rechtskraft 57

Alphabetische Übersicht Abgabe zwischen gleichrangigen Gerichten 35 f. Ablehnung der Verweisung 26 Angeklagter, Befugnisse 40 ff., 44, 48 Anhörung der Verfahrensbeteiligten 24 Anklagesatz, neu formulierter 25 Anrufung des Gerichts (§ 238 Abs. 2) 50 Aufklärungspflicht 10, 16, 56 Augenschein 44 Ausgeschiedene Tatteile nach § 154a 34

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Aussetzung 50, 56 Berufungsinstanz 6 Beschleunigtes Verfahren 5 Beschleunigungsgebot 1, 30 Beschwer des Angeklagten 7, 53 Beschwerde 27, 45 ff. Beweisaufnahme 9 Beweiserhebung, einzelne 40 ff., 50 Beweiserhebungsantrag 44, 50, 56

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

Beweismittel, präsente 9 Einstellung des Verfahrens nach § 154 34 Einwand nach § 6a 6, 9, 21 ff., 36, 55 Eröffnungsbeschluss 8, 32, 39 Frist für Antrag auf Beweiserhebung 42 ff., 56 Gemeinsames oberes Gericht 38 Gericht höherer Ordnung 1, 7, 9, 11, 13 ff., 30, 34 f., 52 f. Geschäftsverteilungsplan 3, 36 Gesetzlicher Richter 37, 52 f. Grenzen der Kognitionsbefugnis 13 ff. Hauptverfahren, einheitliches 39 Hauptverhandlung, Beginn 2, 9 – Unterbrechung 2 – Wiederholung 39 Jugendgericht 1 f., 7, 9, 20, 35 f., 55 Jugendschutzkammer 20 Kartellsenat 5 Klarstellung der Verfahrenslage 23 Konzentration von Strafsachen 4 Maßregel der Besserung und Sicherung 19 Mitangeklagter 22, 55 f. Nachtragsanklage 17 Nebenentscheidungen, eilbedürftige 31, 33 Nichtigkeit der Verweisung 37, 52 Örtliche Zuständigkeit 4, 49 Privatklageverfahren 5 Prozesswirtschaftlichkeit 1, 14 f., 31, 37 Prüfung von Amts wegen 3, 23, 52, 55 Prüfungsspielraum 12 Revision 51 ff. Richter, beauftragter, ersuchter 44

§ 270

Sachliche Zuständigkeit 1, 7 ff., 16 ff., 30, 52, 57 Spezialstrafkammer 1, 6 f., 9, 21 ff., 35, 55 Staatsanwaltschaft 46 ff. Staatsschutzstrafsachen 12 Strafbann 8, 19 ff., 25 Tat im Sinne des § 264 8, 10, 29, 34 Tatverdacht, hinreichender 10 ff., 13 ff., 16 ff. Teilverweisung 29 Transportwirkung 33, 37, 52 Trennung des Verfahrens 30 Übergang des Verfahrens 33 Untersuchungshaft, Fortdauer 31 Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunktes 39 Verbrauch der Strafklage 57 Verfahrensrüge 52, 55 Verfahrensvoraussetzungen 3, 10, 18, 52 Verteidiger 40 ff. Verweisung, korrigierende 9, 16 – unterlassene 55 Verweisungsbeschluss 23 ff., 45 – Bekanntgabe 27 – Bindungswirkung 1, 35, 37 f., 52 f. – fehlerhafter 28, 37 f., 52 ff. Vorsitzender 3, 28, 42 ff., 50 Wahrunterstellung 44 Weiterverweisung 36 f., 53 Willkür 19, 37, 52 Zeuge 39 Zurückverweisung 37 Zuständigkeitsstreit 1, 38

I. Zweck und Anwendungsbereich 1. Zweck. § 270 soll – ebenso wie §§ 225a, 269 – dem Gericht einen Weg eröffnen, 1 der es erlaubt, Veränderungen der sachlichen Zuständigkeit prozesswirtschaftlich Rechnung zu tragen. Dies ist notwendig, da das Gericht nach § 6 seine sachliche Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens prüfen muss und der Fortgang des Verfahrens – aber auch eine gewandelte Rechtsauffassung – noch während der Hauptverhandlung zu einer abweichenden Beurteilung führen kann.1 Ergibt sich dabei die sachliche Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung, soll dem Angeklagten die Rechtsgarantie des Verfahrens vor dem höheren Gericht gewährt,2 gleichzeitig aber die Umständlichkeit einer Verfahrenseinstellung samt Neuanklage vermieden werden. Die Bindungswirkung der Verweisung soll verfahrensverzögernde Zuständigkeitsstreitigkeiten ausschließen.3 Die gleichen prozesswirtschaftlichen Zwecke veranlassten das StVÄG 1979 zur Ausdeh1 Vgl. Rieß GA 1976 1, 14 ff. 2 KMR/Voll 1; Eb. Schmidt Nachtr. I 1; vgl. Rn. 7. 3 Der Gesetzgeber hat dabei die „Irregularität“ der bindenden Feststellung der Zuständigkeit eines höheren Gerichts durch das niederrangige in Kauf genommen, Rieß GA 1976 1, 16; vgl. Rn. 15.

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nung des Anwendungsbereiches dieser bisher nur die Verweisung an ein sachlich zuständiges höheres Gericht regelnden Vorschrift auf die Abgabe an die Jugendgerichte und an die besonderen Strafkammern.4 2. Anwendungsbereich 2

a) Nach Beginn der Hauptverhandlung. § 270 greift nur ein, wenn nach Beginn der Hauptverhandlung das Verfahren an ein sachlich zuständiges Gericht höherer Ordnung, an ein Jugendgericht oder – beim Einwand nach § 6a – an eine besondere Strafkammer verwiesen werden muss. Beginn der Hauptverhandlung ist der Aufruf der Sache im Sinne des § 243 Abs. 1 Satz 1. Gegenüber der früheren Fassung, die vom „Ergebnis der Hauptverhandlung“ sprach, wird damit klargestellt, dass die Verweisung schon alsbald nach Beginn der Hauptverhandlung zulässig ist, sofern schon dann ihre Voraussetzungen5 gegeben sind. Vor Beginn der Hauptverhandlung muss das Gericht nach § 225a verfahren. Gleiches gilt, wenn die Hauptverhandlung ausgesetzt wurde, bis zum Beginn der neuen Hauptverhandlung.6 Während einer Unterbrechung der Hauptverhandlung ist § 270 und nicht § 225a anwendbar.7

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b) Geschäftsordnungsmäßige Aufteilung. § 270 greift nicht ein, wenn die Sache an einen gleichartigen und gleichrangigen Spruchkörper desselben Gerichts abgegeben werden muss, weil dieser nach dem Geschäftsverteilungsplan dafür zuständig ist. Die geschäftsordnungsmäßige Aufteilung der Sachen zwischen gleichartigen Spruchkörpern eines Gerichts (§ 21e GVG) betrifft keine Verfahrensvoraussetzung. Erkennt ein Spruchkörper, dass er nach dem Geschäftsverteilungsplan nicht zur Aburteilung berufen ist, so kann er formlos die Sache dem zuständigen gleichartigen Spruchkörper zuleiten.8 Vor der Hauptverhandlung kann dies auch der Vorsitzende. Zuständigkeitsstreitigkeiten, die sich aus der Auslegung des Geschäftsverteilungsplanes ergeben, entscheidet nach Maßgabe des Geschäftsverteilungsplanes das Präsidium.9

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c) Örtliche Zuständigkeit. Die örtliche Zuständigkeit wird vorausgesetzt. § 270 ist im Falle örtlicher Unzuständigkeit auch nicht entsprechend anwendbar.10 Eine fehlende örtliche Zuständigkeit muss der Angeklagte nach § 16 rechtzeitig geltend machen.11 Die Konzentration bestimmter Strafsachen bei einem für mehrere Gerichtsbezirke zuständigen Gericht12 wird der Regelung der örtlichen Zuständigkeit zugerechnet.13

4 Zur Übernahme des Vorrangprinzips vgl. LR/Stuckenberg § 209a, 1; LR/Jäger § 225a, 2; Katholnigg NJW 1978 2375; Rieß NJW 1978 2267. Dazu Rn. 8 ff., 16 ff. Vgl. BGHSt 44 121, 122; BGH NStZ 2012 46; KK/Greger 3; MüKo/Moldenhauer 12; LR/Jäger § 225a, 5. KK/Greger 3; SK/Frister 4. BGH NJW 1977 1070 (ausdrücklicher Beschluss zweckmäßig). KMR/Voll 3. Wegen der Einzelheiten vgl. LR/Erb Vor § 1, 1 ff., 4; LR/Stuckenberg § 209, 10 m. w. N.; ferner bei § 21e GVG. 10 OLG Braunschweig GA 1962 284; OLG Hamm NJW 1961 232; JMBlNW 1969 66; KK/Greger 4; KMR/ Voll 3; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Moldenhauer 8; Radtke/Hohmann/Hagemeier 4; SSW/Güntge 3; Eb. Schmidt 3; vgl. LR/Erb § 16, 10. 11 Vgl. LR/Erb § 16, 9 ff. Zur Verbindung der Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit mit der Verweisung nach § 270 vgl. KK/Greger 6; SK/Frister 13. 12 Etwa § 58 GVG; § 391 AO; § 38 AWG; § 38 MOG; § 13 WiStG. 13 Vgl. LR/Erb Vor § 7, 13 f.; LR/Stuckenberg § 209, 15 m. w. N.

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d) Besondere Verfahrensarten. Im beschleunigten Verfahren nach §§ 417 ff. ist die 5 Sonderregelung des § 419 anzuwenden.14 Im Privatklageverfahren gilt nicht § 270, sondern § 389.15 Analog § 270 soll der Kartellsenat des Oberlandesgerichts an das Amtsoder Landgericht verweisen, um die Ahndung einer Straftat zu ermöglichen.16 e) In der Berufungsinstanz. In der Berufungsinstanz ist § 270 nur anwendbar 6 (§ 332), soweit nicht die Sonderregelung in § 328 Abs. 2 Platz greift.17 § 270 ist anzuwenden, wenn die Entscheidung über die Berufung zwischen den allgemeinen Strafkammern und den Wirtschaftsstrafkammern aufgeteilt ist, ohne dass dem eine entsprechende Zuständigkeitsaufteilung in der ersten Instanz vorangegangen ist.18 Hier muss der Angeklagte die Befugnis haben, den erstmals in der Berufungsinstanz möglichen Antrag nach § 6a bis zu seiner Vernehmung zur Sache zu stellen und damit das Verfahren nach § 270 Abs. 1 Satz 2 auszulösen.19

II. Verweisung an ein Gericht höherer Ordnung 1. Sachliche Zuständigkeit. Wie § 269 betrifft auch § 270 die sachliche Zuständig- 7 keit im engeren Sinn20 und die ihr insoweit gleichgestellte Vorrangregelung zugunsten der Jugendgerichte und besonderen Strafkammern. Während aber im Falle des § 269 das mit der Sache befasste, sachlich an sich unzuständige höhere Gericht das Verfahren in diesem Rechtszug durch Sachurteil abschließen darf, muss im Falle des § 270 das sachlich unzuständige Gericht die Sache an das sachlich zuständige Gericht höherer Ordnung verweisen. Die Gerichte der höheren Ordnung werden vom Gesetz zugleich als Gerichte mit höherer Rechtsgarantie angesehen. Dies hat zur Folge, dass der Angeklagte, der durch ein Gericht höherer Ordnung abgeurteilt wird, obwohl ein Gericht einer niederen Ordnung dazu ausgereicht hätte, dadurch keinen Rechtsnachteil erleidet, während umgekehrt der Angeklagte als benachteiligt angesehen wird, wenn er, obwohl seine Sa-

14 KK/Greger 4b; Meyer-Goßner/Schmitt 3; SK/Frister 3. 15 Herrmann DJZ 1908 809; vgl. LR/Hilger26 § 389, 20. 16 BGHSt 39 202, 207; KK/Greger 4; MüKo/Moldenhauer 6; Radtke/Hohmann/Hagemeier 5; SK/Frister 13; krit. HK/Julius/Beckemper 2; Meyer-Goßner/Schmitt 2; s. a. Odersky FS Salger 357 m. w. N.; anders Rieß NStZ 1993 513, 514 ff. (§ 209 anwenden); dazu Bauer wistra 1994 132 (Verfahrenseinstellung); abl. Göhler wistra 1994 17, 18; dagegen Wrage-Molkenthin/Bauer wistra 1994 83. 17 So, wenn sich bereits das Gericht der ersten Instanz zu Unrecht für zuständig gehalten hatte, vgl. BayObLG JR 1978 474 mit Anm. Gollwitzer; OLG Karlsruhe NStZ 1985 423 mit Anm. Seebode = JR 1985 521 mit Anm. Meyer; OLG Koblenz GA 1977 374; Meyer-Goßner NStZ 1981 168, 171; zur fehlerhaften Anwendung des § 270 s. KG StV 2019 438 f.; w. N. bei § 328. 18 OLG Düsseldorf JR 1982 514 mit zust. Anm. Rieß; Meyer-Goßner NStZ 1981 168, 173; Rieß JR 1980 79; KK/Greger 4a; KMR/Voll 5; Meyer-Goßner/Schmitt § 6a, 14; MüKo/Moldenhauer 9; SK/Frister 21; vgl. LR/ Erb § 6a, 21 ff.; a. A. (Zuständigkeitsbestimmung nach §§ 14, 19) OLG München NStZ 1980 77 mit abl. Anm. Rieß. 19 § 6a ist analog anwendbar (LR/Erb § 6a, 21 m. w. N.); Meyer-Goßner NStZ 1981 168, 172; Rieß JR 1980 80; ders. JR 1982 515, auch zur strittigen Frage, ob die Prüfung von Amts wegen mit Beginn des Vortrags des Berichterstatters oder erst mit Abschluss der Berichterstattung endet (analog zum Eröffnungsbeschluss der ersten Instanz); dazu LR/Erb § 6a, 22 ff. Zur Frage, ob nach Ablauf der Frist für den Einwand das Berufungsgericht als erstinstanzliche Strafkammer auch dann zu entscheiden hat, wenn eine Sonderstrafkammer zuständig ist, vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1985 423 mit zust. Anm. Seebode = JR 1985 521 mit abl. Anm. Meyer; ferner bei § 328. 20 RGSt 42 265.

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che vor ein Gericht höherer Ordnung gehört hätte, es hinnehmen musste, von dem Gericht niederer Ordnung und damit von einem Gericht mit geringeren Rechtsgarantien abgeurteilt zu werden.21 2. Voraussetzungen der Verweisung a) Zeitpunkt. Die Verweisung an ein Gericht höherer Ordnung22 wird notwendig, wenn sich in der Hauptverhandlung herausstellt, dass das mit der Sache befasste Gericht zur Aburteilung des angeklagten historischen Vorgangs (der Tat im Sinne des § 264) sachlich nicht zuständig ist. Die sachliche Zuständigkeit eines höheren Gerichts ist nach § 6 von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu beachten. Das Gericht bleibt jedoch insoweit durch den Eröffnungsbeschluss gebunden, als dieser bestimmte normative Merkmale (Fälle besonderer Bedeutung oder bedeutenden Umfangs gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG oder der Rechtsfolgenerwartung nach § 25 Nr. 2 GVG) bejaht oder verneint hat.23 Die Verweisung ist bereits zulässig und geboten, wenn mit genügender Sicherheit erkennbar geworden ist, dass eine Sachentscheidung erforderlich wird, die in die sachliche Zuständigkeit des höheren Gerichts fällt; sei es, dass die eigene Kompetenz von vornherein im Eröffnungsbeschluss zu Unrecht angenommen worden ist (Rn. 16), sei es, dass später zu Tage getretene Umstände eine Würdigung der Tat unter Gesichtspunkten fordern, für die das Gericht nicht zuständig ist, sei es, dass die Hauptverhandlung einen Sachhergang ergeben hat, zu dessen Ahndung das Gericht seinen Strafbann als nicht ausreichend erachtet. 9 Die Verweisung setzt die hinreichende Klärung der für sie maßgebenden Umstände,24 nicht aber die Durchführung der gesamten Hauptverhandlung oder den Abschluss der Beweisaufnahme voraus,25 selbst präsente Beweismittel (§ 245) braucht das Gericht nicht vorher auszuschöpfen.26 Vor allem bei der „korrigierenden Verweisung“, bei der sich die Zuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung bereits aus dem angeklagten Sachverhalt ergibt, kann die Verweisung alsbald nach Verlesen des Anklagesatzes ausgesprochen werden.27 Es ist nicht einmal notwendig, den Angeklagten vorher gemäß § 243 Abs. 5 zur Sache zu hören.28 Da eine solche „korrigierende Verweisung“ bereits auf Grund des § 225a vor Beginn der Hauptverhandlung möglich ist, werden die Fälle, in denen sie sofort nach Beginn der Hauptverhandlung notwendig wird, selten sein. Denkbar ist aber, dass die Zuständigkeit des Jugendgerichts sehr schnell erkennbar wird (z. B. anderes Alter) und vor allem, dass der Angeklagte gleich zu Beginn der Hauptverhandlung den Einwand der Zuständigkeit einer besonderen Strafkammer nach § 6a erhebt.

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21 Vgl. bei LR/Stuckenberg § 269, 1; krit. HK/Julius/Beckemper 1. 22 Zur Stufenfolge der Gerichtsverfassung vgl. LR/Stuckenberg § 209, 12 ff.; § 209a, 9 ff.; § 269, 6 ff. 23 BGHSt 61 277, 281 f. (auch nach Scheitern einer Verständigung) mit Anm. Zopfs NJW 2017 282, Moldenhauer NStZ 2017 103, Godenhoff StV 2017 626 und Pauka/Link/Armenat StraFo 2017 10; BGH 10.8.2017 – 3 StR 549/16 Rn. 28 f. (insoweit nicht in NStZ 2018 111); OLG Celle NdsRpfl 2017 119, 120; OLG Jena OLGSt § 270 Nr. 6; KK/Greger 11; KMR/Voll 8; Meyer-Goßner/Schmitt 5, 10; MüKo/Moldenhauer 17, 23; SK/Frister 12; SSW/Güntge 4, 7; vgl. Rieß GA 1976 1, 11; Rn. 22; ferner bei §§ 24, 120 GVG m. w. N. 24 Vgl. Rn. 10 ff., 16 ff. 25 So schon zur früheren Fassung RGSt 8 251; 9 327; 41 408; 64 179. 26 Meyer-Goßner/Schmitt 8; SK/Frister 5. 27 OLG Düsseldorf NStZ 1986 426; OLG Jena OLGSt § 270 Nr. 6; HK/Julius/Beckemper 3; KK/Greger 10; KMR/Voll 10; Meyer-Goßner/Schmitt 8; OK-StPO/Peglau 3; Radtke/Hohmann/Hagemeier 7; SK/Frister 5, 7; SSW/Güntge 6; vgl. Rn. 16; ferner die Begründung zur Neufassung des Absatzes 1 BTDrucks. 8 976 S. 57. 28 KMR/Voll 10; Meyer-Goßner/Schmitt 8; Eb. Schmidt Nachtr. I 8.

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b) Anlass. Die Verweisung setzt – ebenso wie der Eröffnungsbeschluss, den sie zu- 10 mindest hinsichtlich der Zuständigkeit verändert – voraus, dass der Angeklagte hinreichend verdächtig ist, durch die angeklagte Tat (im Sinne des § 264) eine in die Zuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung fallende Straftat begangen zu haben.29 Ein hinreichender Verdacht ist ebenso wie bei § 203 nur gegeben, wenn die Verurteilung wegen des neu hervorgetretenen Vorwurfs mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Ob diese Wahrscheinlichkeit besteht, hat das Gericht nach den gleichen Maßstäben zu prüfen wie bei § 203.30 Es muss also nicht nur erwägen, ob die äußere und innere Tatseite mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachweisbar ist, sondern es muss auch das Vorliegen von Rechtfertigungs-, Schuldausschließungs- oder Strafausschließungsgründen sowie von Verfahrenshindernissen berücksichtigen.31 Soweit dies offen ist, muss es dies durch Erhebung der dafür verfügbaren Beweise vor der Verweisung zu klären versuchen. Die Verweisung muss ausgesprochen werden, wenn sich der hinreichende Verdacht 11 genügend verfestigt hat, ein Wegfall des Verdachts insoweit also nicht zu erwarten ist.32 Der volle Nachweis der Tatumstände, die die Zuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung begründen, ist weder notwendig noch steht dem sachlich unzuständigen Gericht hierüber die Entscheidung zu.33 Bei der Beurteilung, wann die Verdachtsgründe hierfür ausreichen, hat das Gericht 12 einen gewissen Prüfungsspielraum.34 Es steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, welche Beweise es erheben will, um zu klären, ob sich der Verdacht verfestigt oder ob er wieder entfällt.35 Es würde aber dem Zweck des § 270 widersprechen, wenn das Gericht schon einen entfernten Verdacht zum Anlass einer Verweisung nehmen würde. In Staatsschutzstrafsachen ist wegen des Zwecks der Zuständigkeitskonzentration ein strenger Maßstab anzulegen; vor der Verweisung muss das Gericht die die Zuständigkeit begründenden Umstände umfassend aufzuklären versuchen, wozu in der Regel auch die Anhörung des Generalbundesanwalts durch Einholung einer Stellungnahme und die Auseinandersetzung mit den von ihm vorgebrachten Gründen gehört.36 c) Grenzen der Kognitionsbefugnis. Die Grenzen der Kognitionsbefugnis, die das 13 Gericht hinsichtlich der Vorgänge hat, die den Tatbestand einer in die sachliche Zuständigkeit des höheren Gerichts fallenden Straftat erfüllen, sind im einzelnen strittig.37 Einerseits wird die Ansicht vertreten, dass das Gericht zwar nicht wegen einer Straftat 29 Motive zu § 229 Entw. (Hahn 213); RGSt 64 179, 180; RG GA 50 (1903) 284; 69 (1925) 94; RG HRR 1937 Nr. 70; BGHSt 29 216, 219; 29 341, 344; 45 26, 33 f.; BGH bei Dallinger MDR 1972 18; KK/Greger 7; KMR/Voll 14; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Moldenhauer 16 f.; OK-StPO/Peglau 4; Radtke/Hohmann/Hagemeier 6; SK/Frister 5, 7; SSW/Güntge 7; Eb. Schmidt Nachtr. I 10. 30 Vgl. LR/Stuckenberg § 203, 6 ff. 31 OLG Celle NJW 1963 1886; KK/Greger 5, 7; Rieß GA 1976 1, 17; a. A. Eb. Schmidt Nachtr. I 11. 32 BGHSt 45 26, 33 f.; BGH NStZ 1988 236; OLG Frankfurt NStZ-RR 1997 311; KMR/Voll 15; Meyer-Goßner/ Schmitt 9; MüKo/Moldenhauer 17; OK-StPO/Peglau 4; Radtke/Hohmann/Hagemeier 8; SK/Frister 8; SSW/ Güntge 7; Rieß GA 1976 1, 17. 33 Vgl. RGSt 8 251; 9 327; 41 408; 64 180; Dallinger MDR 1952 118 (zu BGHSt 1 346); Rieß GA 1976 1, 17; AK/Wassermann 4; KMR/Voll 15; Meyer-Goßner/Schmitt 9; SK/Frister 8; SSW/Güntge 7. 34 BGHSt 45 26, 34; OLG Karlsruhe MDR 1980 599, 600. 35 RGSt 41 410; 64 180; KMR/Voll 15. HK/Julius/Beckemper 3 hält es für sachgerecht, dem Angeklagten durch eine Beweisaufnahme zu ermöglichen, den dringenden Verdacht noch vor der Verweisung zu widerlegen. 36 BGHSt 45 26, 34 mit Anm. Franke NStZ 1999 524. 37 Vgl. Rieß GA 1976 1.

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verurteilen darf, die außerhalb seiner sachlichen Zuständigkeit liegt, dass es aber unschädlich ist, wenn es das Vorliegen einer solchen Straftat prüft und verneint,38 während nach anderer Ansicht dem Gericht von einer „gewissen Verdachtsqualität“ an39 schon die Prüfung verwehrt ist, ob eine solche Straftat erwiesen oder erweisbar ist, so dass ein gewisses „Dilemma des Tatrichters“, den richtigen Verweisungszeitpunkt zu finden,40 konstatiert wird. 14 Auszugehen ist davon, dass die fehlende Kompetenz zur Sachentscheidung die Verurteilung wegen einer Straftat ausschließt, für die ein Gericht höherer Ordnung zuständig ist. Wenn § 270 aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit dem niedrigeren Gericht die Befugnis einräumt, bei hinreichendem Verdacht das Verfahren mit bindender Wirkung an das höhere Gericht zu verweisen,41 schließt das die Kompetenz zur sachlichen Prüfung ein, ob die festgestellten Tatsachen einen solchen Verdacht rechtfertigen. Hierüber hat das rangniedere Gericht ebenso wie ein eröffnendes Gericht in freier Beweiswürdigung zu entscheiden. Der Umstand, dass das Bejahen einer solchen Straftat seiner endgültigen Beurteilung entzogen ist, hindert es nicht, das Vorliegen des hinreichenden Verdachts einer solchen Straftat zu verneinen42 und zwar ganz gleich, ob es den Angeklagten freispricht oder wegen einer in seine sachliche Zuständigkeit fallenden Tat verurteilt. 15 Das Recht und die Pflicht des Gerichts zur uneingeschränkten Kognition (§ 264 Abs. 2) über die angeklagte Tat besteht im Rahmen des § 270 also auch hinsichtlich der Straftaten, zu deren Aburteilung ein Gericht höherer Ordnung zuständig ist.43 Es findet seine Grenze erst bei genügender Verfestigung der Verdachtsschwelle, die die Eröffnung vor dem höheren Gericht und damit auch die bindende Verweisung der Sache an dieses fordert. Erst jenseits dieser Schwelle entfällt die Befugnis zur weiteren sachlichen Prüfung. Es kommt also nicht darauf an, ob die Straftat, die der Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung unterfällt, zur vollen Überzeugung des niederen Gerichts erwiesen ist, sondern nur darauf, ob letzteres einen hinreichenden Verdacht bejaht. Zur Verneinung des hinreichenden Verdachtes ist das niedere Gericht dagegen sachlich befugt. Diese Abgrenzung entspricht dem Sinn des § 270, der eine prozesswirtschaftliche und einfach zu erledigende Lösung erstrebt, wozu auch die Vermeidung im Ergebnis unnötiger Verweisungen gehört. 3. Die einzelnen Fallgruppen der Verweisung 16

a) Korrigierende Verweisung. Ergibt schon die Verlesung des Anklagesatzes (§ 243 Abs. 3 Satz 1), dass für die angeklagte Tat ein Gericht höherer Ordnung zuständig und das Verfahren nur aus Versehen vor dem Gericht niederer Ordnung eröffnet worden ist, dann ist der Verweisungsbeschluss alsbald nach Verlesung des Anklagesatzes zu erlassen, um den in der Eröffnung vor dem falschen Gericht liegenden Fehler zu korrigieren.44 Das zur Entscheidung über den Vorwurf der zugelassenen Anklage nicht zuständige Gericht darf insbesondere nicht die Hauptverhandlung durchführen, um aufzuklären, 38 BGHSt 1 346 = MDR 1952 118 mit abl. Anm. Dallinger; zu den hier hereinspielenden revisionsrechtlichen Überlegungen vgl. LR/Franke26 § 338, 72 ff.; ferner Rieß GA 1976 1, 16 Fn. 88. BGH GA 1962 149; bei Dallinger MDR 1972 18; SK/Frister 8 f.; strenger Eb. Schmidt Nachtr. I 10. Franke NStZ 1999 524, 525 (Anm. zu BGHSt 45 26); KMR/Voll 15. Rieß GA 1976 1, 16. RGSt 8 253; KMR/Voll 14; Meyer-Goßner/Schmitt 9. RGSt 8 253; 61 225; BGHSt 45 26, 34. BGHSt 61 277, 282 f.; OLG Düsseldorf NStZ 1986 427; OLG Jena StraFo 2000 411; vgl. Rn. 9.

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ob sich der Vorwurf der Anklage bestätigt oder ob sich der Angeklagte möglicherweise einer anderen, in seine sachliche Entscheidungskompetenz fallenden Straftat schuldig gemacht haben könnte.45 In diesem Falle ist das Gericht, auch wenn es zur Aburteilung derjenigen Tat zuständig ist, die es nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung für erwiesen erachtet, doch rechtlich nicht befugt, verbindlich den weitergehenden Verdacht zu verneinen, der, wenn er erwiesen wäre, die Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung begründen würde.46 b) Änderung des Tatverdachts. Ergeben erst die im Laufe der Hauptverhandlung 17 zu Tage getretenen Tatsachen den Verdacht einer Straftat, die in die Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung fällt, dann muss das Gericht in eigener Zuständigkeit prüfen, ob dieser Verdacht hinreicht, um das Strafverfahren nunmehr vor dem höheren Gericht unter dem Vorwurf der neuen Tat durchzuführen.47 Der Verdacht muss sich aus dem Sachverhalt ergeben, der der Kognition des Gerichts bereits unterliegt; nur angekündigte oder beabsichtigte Ausweitungen des Verfahrensgegenstandes rechtfertigen noch keine Verweisung. Eine Nachtragsanklage muss erst wirksam erhoben, eine nach § 154a ausgeschiedene Gesetzesverletzung wieder einbezogen worden sein, bevor die Verweisung darauf gestützt werden darf.48 Die Verneinung eines zur Verweisung hinreichenden Verdachtes liegt noch im Rahmen der Zuständigkeit des Gerichts.49 Werden einerseits in der Hauptverhandlung Umstände ersichtlich, nach denen die Tat der Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung unterfallen könnte, ergibt aber andererseits die Hauptverhandlung, dass der Angeklagte die Tat nicht begangen hat, so fehlt in der Regel der für die Verweisung erforderliche hinreichende Verdacht und das Gericht darf durch Urteil freisprechen.50 Hält das Gericht ein endgültiges Verfahrenshindernis für gegeben, dann stellt es 18 das Verfahren auch dann ein, wenn andererseits Umstände ersichtlich werden, die an sich geeignet wären, die Zuständigkeit eines höheren Gerichts zu begründen.51 Auch hier besteht dann im Endergebnis kein die Verurteilung erwarten lassender hinreichender Verdacht; im Übrigen geht die Pflicht, das Verfahren wegen des Prozesshindernisses einzustellen, der Verweisung vor.52 c) Unzureichende Strafgewalt. Ergibt sich die Notwendigkeit der Verweisung da- 19 raus, dass das Gericht zwar zur Aburteilung der Tat an sich zuständig ist, dass es aber eine Rechtsfolge für angemessen hält, die es nicht verhängen darf, so rechtfertigt die bloße Vermutung, dass eine solche Rechtsfolge in Betracht kommen könnte, noch nicht die Verweisung. Das Gericht hat die Hauptverhandlung solange weiter zu führen, bis ihr Ergebnis die hinreichend sichere Beurteilung zulässt, dass der Angeklagte schuldig und im konkreten Falle eine den Strafbann des Gerichts übersteigende Rechtsfolge ange-

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Vgl. Eb. Schmidt Nachtr. I 11; Dallinger MDR 1952 118 zu BGHSt 1 346; Rieß GA 1976 1, 17. BGH GA 1962 149; vgl. aber auch Fn. 45. Vgl. Rn. 14 f. Vgl. OLG Düsseldorf JMBlNW 1979 152 (Nachtragsanklage); BGHSt 29 341, 344 (zu § 154a); KK/Greger 12; SK/Frister 8; vgl. bei §§ 154, 154a. 49 Eb. Schmidt Nachtr. I 10; vgl. Rn. 15. 50 Dies war auch schon früher strittig, wie hier Bischoff GA 44 (1896) 81 ff.; Traut GS 59 (1901) 215 ff.; a. A. Gerland 373. 51 Vgl. BayObLG JW 1929 1492 mit Anm. Mannheim (Einstellung statt Verweisung an das damals höherrangige Schwurgericht). 52 Eb. Schmidt Nachtr. I 12.

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zeigt ist.53 Dabei muss es auch prüfen, ob kein noch im Rahmen seines Strafbanns liegender minder schwerer Fall vorliegt54 oder ob die Verhängung einer außerhalb seiner Zuständigkeit liegenden Maßregel der Besserung und Sicherung nach den festgestellten Tatsachen auch tatsächlich mit genügend großer Wahrscheinlichkeit in Betracht kommt.55 Die rechtsfolgenrelevanten Tatsachen können auch außerhalb der angeklagten Tat liegen wie die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe.56 Basiert die Verweisung hingegen nur auf nach Aktenlage angestellten Vermutungen oder auf der nicht auszuschließenden Möglichkeit den Strafbann übersteigender Rechtsfolgen, so wird dem Angeklagten willkürlich der gesetzliche Richter entzogen (Rn. 37).57 20

d) Zuständigkeit eines Jugendgerichts. Zeigt sich in der Hauptverhandlung, dass ein Jugendgericht zuständig ist, so kann an dieses nicht nur (wie bis 1979) verwiesen werden, wenn es ohnehin ein Gericht höherer Ordnung ist, sondern auch dann, wenn es – was die Regel sein wird – gerichtsverfassungsmäßig zur gleichen Ordnung gehört wie das verweisende Gericht. Die Fiktion des § 209a Nr. 2 stellt jetzt die gleichrangigen Jugendgerichte insoweit den Gerichten höherer Ordnung gleich und ermöglicht so die Verweisung, um die Schwierigkeiten auszuräumen, die bisher entstanden, wenn in solchen Fällen eine einvernehmliche Übernahme nicht zustande kam.58 An ein Jugendgericht niederer Ordnung darf nicht verwiesen werden.59 Wegen der Einzelheiten, insbesondere, wann sich die von Amts wegen zu beachtende Zuständigkeit eines Jugendgerichts ergibt, wird auf die Erläuterungen zu § 209 verwiesen. Eine Verweisung an die gleichrangige Jugendschutzkammer ist dagegen mangels Verweises auf § 209a Nr. 2 Buchstabe b nicht möglich.60

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e) Zuständigkeit einer besonderen Strafkammer. Die Zuständigkeit einer besonderen Strafkammer (§ 74 Abs. 2, §§ 74a, 74c GVG) führt nach der Eröffnung des Hauptverfahrens nur noch bei rechtzeitigem Einwand des Angeklagten (Absatz 1 Satz 2), aber nicht mehr von Amts wegen zur Verweisung.61 Eine Verweisung zwischen den Straf-

53 BGHSt 45 58, 60; BGH 10.8.2017 – 3 StR 549/16 Rn. 30 f. (insoweit nicht in NStZ 2018 111); OLG Bremen StV 1998 558 f.; OLG Düsseldorf NStZ 1986 426; StraFo 1998 274; 2000 235; OLG Frankfurt StV 1996 533; NStZ-RR 1997 311; OLG Karlsruhe NStZ 1990 100 mit Anm. Gollwitzer JR 1991 37; OLG Köln NStZRR 2009 117; OLG Nürnberg StraFo 2013 514, 515 f.; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2003 377; OLG Schleswig StV 2007 592; LG Berlin StV 1996 16; LG Regensburg StraFo 2006 27 (erst bei Schuldspruchreife); Rieß GA 1976 1, 17; HK/Julius/Beckemper 3; KK/Greger 11; KMR/Voll 16; Meyer-Goßner/Schmitt 10; OK-StPO/ Peglau 4; Radtke/Hohmann/Hagemeier 9; SK/Frister 11; SSW/Güntge 7; Gollwitzer FS Rieß 135, 148. Vgl. BayObLGSt 1985 33 = NStZ 1985 470 mit abl. Anm. Achenbach (nach Eröffnung keine Prüfung, ob höhere Strafe als ein Jahr Freiheitsstrafe zu erwarten ist). 54 Vgl. etwa OLG Nürnberg StraFo 2013 514, 516; OLG Zweibrücken MDR 1992 178. 55 OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 42; OLG Zweibrücken NStZ-RR 1998 280; vgl. auch BayObLGSt 1999 280 (zu § 328 Abs. 2). 56 BGH 10.8.2017 – 3 StR 549/16 Rn. 31 (insoweit nicht in NStZ 2018 111). 57 OLG Bremen StV 1998 558 f.; OLG Düsseldorf NStZ 1986 426; StraFo 1998 274; OLG Schleswig StV 2007 592 f. m. w. N.; krit. Gollwitzer FS Rieß 135, 148 ff. 58 BTDrucks. 8 976 S. 57; AK/Wassermann 5; KK/Greger 14; KMR/Voll 17; Meyer-Goßner/Schmitt 11; MüKo/Moldenhauer 24; Radtke/Hohmann/Hagemeier 11; SK/Frister 14; SSW/Güntge 8. 59 H. M.; KK/Greger 14 sowie Fn. 58. 60 BGHSt 42 39, 40 f. mit Anm. Brunner JR 1996 391 und Katholnigg NStZ 1996 346; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2003 377; KK/Greger 15; KMR/Voll 17; Meyer-Goßner/Schmitt 11; MüKo/Moldenhauer 25; OK-StPO/ Peglau 6; Radtke/Hohmann/Hagemeier 11; SK/Frister 15; SSW/Güntge 8. 61 LR/Erb § 6a, 10 ff.

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kammern ist dann aber zulässig, ganz gleich, ob die Strafkammer, an die verwiesen wird, der verweisenden in der Rangordnung des § 74e GVG vorgeht oder nachsteht. Der Rechtsgedanke des § 269 greift hier nicht ein.62 Ist der Einwand rechtzeitig, also vor Beginn der Vernehmung des jeweiligen Ange- 22 klagten zur Sache63 erhoben, so hat das Gericht an die besondere Strafkammer zu verweisen, wenn es aufgrund des bisherigen Verfahrensergebnisses64 den Einwand für begründet hält, vor allem also, wenn es den hinreichenden Verdacht einer in die Zuständigkeit der besonderen Strafkammer fallenden Straftat nunmehr bejaht.65 Bei rechtzeitigem Einwand muss das Gericht nach § 270 Abs. 1 verweisen, wenn es aufgrund des bisherigen Verhandlungsergebnisses, etwa aufgrund der Einlassung eines vor Erhebung des Einwands zur Sache vernommenen Mitangeklagten, zu dem Ergebnis kommt, dass die mit dem Einwand behauptete Zuständigkeit der Spezialstrafkammer hinreichend begründet ist. Erst nach dem durch § 6a für jeden Angeklagten gesondert festgelegten Endzeitpunkt für den Einwand tritt die vom Gesetzgeber gewollte Zuständigkeitsperpetuierung ein,66 die es verbietet, bei der Beweisaufnahme neu zutage getretene Tatsachen als Grundlage für einen Einwand zu verwenden.67 Wegen der Einzelheiten vgl. bei § 6a. Die Vorentscheidung über normative Zuständigkeitsmerkmale darf durch das verweisende Gericht aber nicht in Frage gestellt werden; es ist hieran gebunden.68

III. Der Verweisungsbeschluss 1. Verweisung von Amts wegen. Die Verweisung wird vom Gericht in der für die 23 Hauptverhandlung vorgeschriebenen Besetzung – also unter Mitwirkung der Schöffen – mit einfacher Mehrheit beschlossen69 und zwar auch dann, wenn er in einer Unterbrechung der Hauptverhandlung70 ergeht. Abgesehen von den Fällen des § 6a (Rn. 21 f.) bedarf es dazu keines Einwands oder Antrags, da das Gericht nach § 6 seine sachliche Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen hat.71 Anträge, die Verweisung zu beschließen, haben nur die Bedeutung einer Anregung.72 Das Gericht kann sie dadurch verwerfen, dass es in der Sache selbst erkennt; es kann den Antrag aber auch durch einen in der Hauptverhandlung verkündeten Beschluss förmlich zurückweisen. Letzteres kann unter Umständen zur Klarstellung der Verfahrenslage ange62 KK/Greger 16; Meyer-Goßner/Schmitt 12; MüKo/Moldenhauer 26; SSW/Güntge 9; Meyer-Goßner NStZ 1981 168, 171; vgl. LR/Erb § 6a, 3.

63 LR/Erb § 6a, 13 ff. 64 SK/Frister 18 (bis zum Einwand); nach Meyer-Goßner/Schmitt 13 ist Entscheidungsgrundlage die Sachlage bei Beginn der Hauptverhandlung (Nachprüfung des Eröffnungsbeschlusses); ähnlich KMR/Voll 20; vgl. Rn. 24. 65 Vgl. Rn. 10 ff.; ferner LR/Erb § 6a, 7; LR/Franke26 § 338, 74, 76. 66 BTDrucks. 8 976 S. 57; BGH NStZ 2009 404; Rieß NJW 1978 2266; LR/Erb § 6a, 4, 13 ff. 67 Z. B. Tod des Opfers, BGHSt 30 187 = JR 1982 511 mit Anm. Schlüchter; BGH NStZ 2009 404, 405; Rieß NJW 1978 2266. 68 BGH NStZ 1985 464; BayObLGSt 1985 33 = NStZ 1985 470 mit Anm. Achenbach; Meyer-Goßner/ Schmitt 12; SK/Frister 17; SSW/Güntge 9; Rieß NJW 1978 2268; vgl. bei § 209a. 69 BGHSt 6 109, 112; KK/Greger 17; KMR/Voll 23; Meyer-Goßner/Schmitt 14; OK-StPO/Peglau 14; SK/Frister 23. 70 KK/Greger 17; KMR/Voll 23; SK/Frister 23; SSW/Güntge 10. 71 BGHSt 25 319; LR/Erb § 6, 1. 72 KK/Greger 8; SK/Frister 24; vgl. auch Rn. 46 ff.

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zeigt sein; etwa, wenn möglicherweise Sachanträge wegen eines Verweisungsantrags nicht gestellt worden sind. 24

2. Anhörung der Verfahrensbeteiligten. Vor Erlass des Verweisungsbeschlusses sind die Verfahrensbeteiligten zu den die Verweisung begründenden Umständen zu hören (§ 33 Abs. 1), ganz gleich, ob die Verweisung von Amts wegen oder durch einen darauf abzielenden Antrag oder durch den Einwand des Angeklagten nach § 6a veranlasst ist. Die Umstände, die Anlass zur Verweisung geben können, müssen in der Hauptverhandlung zur Sprache gebracht werden. Wann die Entscheidung möglich und die Anhörung der Verfahrensbeteiligten sinnvoll ist, hängt von dem jeweiligen Grund der Verweisung ab.73 Über die Verweisung an eine besondere Strafkammer aufgrund eines Einwands nach § 6a ist entsprechend dem Sinn dieser Regelung grundsätzlich vor Beginn der Beweisaufnahme zu entscheiden.74

3. Inhalt des Verweisungsbeschlusses. Der Verweisungsbeschluss muss in seinem Tenor das Gericht bezeichnen, an das verwiesen wird, ferner muss er gemäß Absatz 2 den Angeklagten und die ihm zur Last gelegte Tat so beschreiben, wie dies § 200 Abs. 1 Satz 1 für den Anklagesatz fordert.75 Grundsätzlich ist ein neuformulierter Anklagesatz in den Beschluss aufzunehmen. Nur soweit sich am früheren Anklagesatz nichts ändert, ist eine Bezugnahme unschädlich. Dies gilt vor allem, wenn die Verweisung lediglich deshalb ausgesprochen wird, weil der Strafbann des Gerichts nicht ausreicht76 oder weil das Gericht seine Zuständigkeit bei der Zulassung der Anklage ohnehin zu Unrecht angenommen hatte.77 Eine ausdrückliche Unzuständigkeitserklärung fordert Absatz 2 nicht.78 26 Begründet zu werden braucht der Verweisungsbeschluss nur in Ausnahmefällen,79 in denen sich der Verweisungsgrund nicht bereits aus dem neu formulierten Anklagesatz ergibt, so etwa die Angabe, warum der Strafbann des verweisenden Gerichts nicht ausreicht oder die Umstände, aus denen sich die Zuständigkeit des Jugendgerichts oder eine nicht bereits aus dem Anklagesatz erkennbare Zuständigkeit einer besonderen Strafkammer ergibt. Ein den Einwand nach § 6a ablehnender Beschluss ist zu begründen (§ 34); desgleichen ein Beschluss, der einen Antrag auf Verweisung ablehnt.80 25

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4. Bekanntgabe. Der Verweisungsbeschluss wird in der Hauptverhandlung verkündet (§ 35 Abs. 1). Einem abwesenden Angeklagten ist er schon wegen der Fristsetzung nach Absatz 4 förmlich zuzustellen (§ 35 Abs. 2).81 Dem Gericht, an das die Sache verwiesen worden ist, wird er dadurch zur Kenntnis gebracht, dass ihm die Akten mit dem Beschluss vorgelegt werden. Anders als bei § 225a Abs. 1 Satz 1 ist die Einschaltung der Staatsanwaltschaft bei der Vorlage nicht zwingend vorgeschrieben. Sie ist aber andererseits auch nicht unzulässig.82 Mit der Bekanntmachung beginnt für die Staatsanwalt73 74 75 76

Vgl. Rn. 8 ff., 15 ff. Meyer-Goßner/Schmitt 13; vgl. Rn. 22. Vgl. bei § 200. BGH bei Dallinger MDR 1966 894 (Bezugnahme auf unveränderten Anklagesatz genügt); LG Hannover StV 1983 194; AK/Wassermann 7; KK/Greger 18; KMR/Voll 22; Meyer-Goßner/Schmitt 15; MüKo/Moldenhauer 33; OK-StPO/Peglau 8; Radtke/Hohmann/Hagemeier 14; SK/Frister 23; zweifelnd SSW/Güntge 10. 77 Meyer-Goßner/Schmitt 15; SK/Frister 23. 78 Eb. Schmidt Nachtr. I 16. 79 KMR/Voll 22; Meyer-Goßner/Schmitt 16; OK-StPO/Peglau 9; SK/Frister 24; Eb. Schmidt Nachtr. I 6. 80 Meyer-Goßner/Schmitt 16; SK/Frister 24; SSW/Güntge 12; vgl. LR/Erb § 6a, 7, 20; LR/Jäger § 225a, 25. 81 RGSt 4 373; KK/Greger 22; KMR/Voll 23; Meyer-Goßner/Schmitt 17; SSW/Güntge 10. 82 KMR/Voll 23; SK/Frister 26.

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schaft die Beschwerdefrist. Für den Angeklagten beginnt eine Frist nur, wenn ihm eine solche nach Absatz 4 gesetzt wird. 5. Vervollständigung eines mangelhaften Beschlusses. Ein fehlerhafter Verwei- 28 sungsbeschluss kann vom Gericht, das ihn erlassen hat, nicht mehr aufgehoben werden;83 es wird jedoch für zulässig gehalten, dass es nachträglich einen ungenügenden Beschluss vervollständigt.84 Das Gericht, an das verwiesen worden ist, darf seinerseits im Beschlusswege bereits vor der neuen Hauptverhandlung eine solche Ergänzung vornehmen,85 nicht zuletzt, um schon vorher Unklarheiten zu beseitigen, die andernfalls der zügigen Durchführung der Hauptverhandlung im Wege stehen könnten. In der Hauptverhandlung selbst obliegt es dem Vorsitzenden, ähnlich wie auch sonst, Unklarheiten oder Unvollständigkeiten des Verweisungsbeschlusses durch entsprechende Erklärungen zu bereinigen.86 6. Sachentscheidung neben Verweisungsbeschluss. Der Verweisungsbeschluss 29 umfasst notwendig die ganze Tat im Sinne des § 264. Neben ihm ist daher für eine Sachentscheidung über die gleiche Tat kein Raum;87 insbesondere darf wegen der in der zugelassenen Anklage angeführten Straftaten kein gesonderter Freispruch ergehen.88 Eine „Teilverweisung“ ist nicht möglich.89 Dagegen kann, wenn sich in einer mehrere verbundene Strafsachen umfassenden 30 Verhandlung (§§ 4, 237) die Unzuständigkeit des Gerichts wegen einer einzelnen selbständigen Tat im Sinne des § 264 ergibt, diese abgetrennt und im Übrigen das Urteil erlassen werden.90 Ob dies sachdienlich ist, hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls zu entscheiden. Es hängt von der jeweiligen Verfahrenslage ab, ob die weitere gemeinsame Behandlung der selbständigen Taten zur besseren Sachaufklärung oder aus prozesswirtschaftlichen Gründen zweckmäßiger ist oder ob das Beschleunigungsgebot dafür spricht, die Verweisung auf die aus der sachlichen Zuständigkeit herausfallende Tat zu beschränken und nach der Trennung die Hauptverhandlung wegen der übrigen Taten unverzüglich zu Ende zu führen.91 Das Gericht höherer Ordnung hat jedoch in allen Sachen, auf die sich die Verweisung erstreckt, zu verhandeln und zu entscheiden.92 7. Fortdauer der Untersuchungshaft. Da § 270 nicht ausdrücklich auf § 207 ver- 31 weist, nimmt die vorherrschende Meinung93 an, das Gericht dürfe zwar vor Verkündung des Verweisungsbeschlusses, nicht aber danach über die Fortdauer der Untersuchungshaft entscheiden; § 207 Abs. 4 sei nicht entsprechend anwendbar. Der Übergang der Zuständigkeit94 dürfte jedoch kein Hindernis sein, dass das Gericht zugleich mit 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93

RG GA 37 (1890) 191; zur Frage der Nichtigkeit vgl. Rn. 37. KMR/Voll 23; SSW/Güntge 11; a. A. SK/Frister 29. RG GA 37 (1890) 191; 64 (1917) 372; SK/Frister 29. RGRspr. 5 (1883) 227; 9 (1887) 439; RGSt 62 272; 68 335; RG GA 37 (1890) 286; vgl. LR/Becker § 243, 49. KK/Greger 19; KMR/Voll 9; MüKo/Moldenhauer 34; SK/Frister 25. RGSt 3 4. RGSt 61 225; vgl. BGHSt 10 19; KK/Greger 19; SK/Frister 25. KK/Greger 19; SK/Frister 25. Dies ist oft der Fall, vgl. Traut GS 57 (1900) 322; anders KMR/Voll 9. Vgl. ferner SK/Frister 25. RG GA 37 (1889) 179. AK/Wassermann 8; KK/Greger 21, 23; KMR/Voll 25; Meyer-Goßner/Schmitt 21; MüKo/Moldenhauer 45; SK/Frister 27 Fn. 81; SSW/Güntge 17; Eb. Schmidt Nachtr. I 16. 94 Zur strittigen Frage des Übergangs der Zuständigkeit vgl. Rn. 33.

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der Verweisung von Amts wegen über die Anordnung oder die Fortdauer der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung (analog § 207 Abs. 4) beschließt.95 Eine solche Verfahrensgestaltung erscheint auch deshalb prozesswirtschaftlich und sinnvoll, weil sich gerade durch die Verweisung die Grundlagen der Haftanordnung ändern können (geänderter Tatverdacht, Änderungen in der Beurteilung des Haftgrunds). Auch die Vorlage der Akten an das Oberlandesgericht nach §§ 121, 122, die nach einer verbreiteten Auffassung trotz Übergangs der Zuständigkeit dem abgebenden Gericht obliegt, solange sich die Akten noch bei ihm befinden,96 setzt voraus, dass das vorlegende Gericht das Fortbestehen der Haftgründe prüft.

IV. Wirkung der Verweisung 32

1. Änderung des Eröffnungsbeschlusses. Der Verweisungsbeschluss ändert den Eröffnungsbeschluss für das weitere Verfahren ab, ersetzt ihn aber nicht. Das Fehlen einer Anklage97 oder eines Eröffnungsbeschlusses98 kann durch ihn allein nicht geheilt werden. Der Verweisungsbeschluss ändert auch nichts daran, dass das Verfahren bereits mit Erlass des Eröffnungsbeschlusses rechtshängig geworden ist.99 Nach dem Zeitpunkt seines Erlasses beurteilt sich, bei welchem Gericht die Sache zuerst rechtshängig geworden ist. Die durch den Verweisungsbeschluss eingetretene Instanzverschiebung ist maßgebend dafür, welchem Gericht die umfassendere Aburteilung möglich ist.

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2. Übergang des Verfahrens. Durch die Verweisung geht das gesamte Verfahren in der Lage, in der es sich befindet, auf das Gericht über, an das zu Recht oder Unrecht100 verwiesen worden ist. Dieses wird für die weiteren Entscheidungen einschließlich aller anfallenden Nebenentscheidungen so zuständig, als ob das Verfahren von Anfang an dort eröffnet worden wäre. Als Zeitpunkt des Übergangs nimmt die herrschende Meinung101 die Verkündung des Verweisungsbeschlusses an, denn mit deren Abschluss ist das verweisende Gericht sachlich nicht mehr zuständig. Dies ermöglicht an sich eine klare Abgrenzung, hat aber den Nachteil, dass etwa nötige eilbedürftige Nebenentscheidungen faktisch nicht getroffen werden könnten, bevor die Akten bei dem Gericht, an das verwiesen wird, eingegangen sind. Dies spricht dafür, bis zu diesem Zeitpunkt, in dem das Gericht höherer Ordnung tatsächlich mit der Sache „befasst“ wird, noch eine den Verweisungsbeschluss überdauernde Zuständigkeit des abgebenden Gerichts für solche Eilentscheidungen anzunehmen, damit in der Zwischenzeit nicht aufschiebbare

95 Ebenso KMR/Voll 25; Radtke/Hohmann/Hagemeier 16; so wurde etwa vom AG Düsseldorf unbeanstandet verfahren in BGH 20.10.2016 – AK 53/16.

96 Vgl. OLG Karlsruhe Justiz 1984 429; Meyer-Goßner/Schmitt 21; OK-StPO/Peglau 10; LR/Gärtner § 122, 3. 97 BGH bei Becker NStZ-RR 2007 4 Nr. 11. 98 BGH NStZ 1988 236; KK/Greger 23; MüKo/Moldenhauer 39; Radtke/Hohmann/Hagemeier 15; SK/Frister 29; SSW/Güntge 13. Einige Entscheidungen nahmen früher an, dass der Verweisungsbeschluss – auch wenn zu Unrecht ergangen – für das weitere Verfahren selbst das Fehlen einer Anklage (RG GA 37 [1889] 191) oder des Eröffnungsbeschlusses (RGSt 68 332) heilt. 99 Vgl. LR/Stuckenberg § 199, 5; LR/Jäger Vor § 212, 2. 100 Vgl. Rn. 35 ff. 101 So BGH NStZ 2009 579, 580; OLG Hamm 22.4.2008 – 3(s) Sbd I 8,9/09; OLG Hamm 29.6.2017 – III4 Sbd 7/17 Rn. 9; AK/Wassermann 8; HK/Julius/Beckemper 8; KK/Greger 21, 23; KMR/Voll 24; Meyer-Goßner/Schmitt 18, 21; MüKo/Moldenhauer 40; OK-StPO/Peglau 10; Radtke/Hohmann/Hagemeier 16; SK/Frister 27; SSW/Güntge 17; Eb. Schmidt Nachtr. I 21; vgl. OLG Karlsruhe MDR 1980 599.

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Entscheidungen sofort getroffen werden können.102 Ob man dies damit begründet, dass die Zuständigkeit – ähnlich wie nach Einlegung der Berufung103 – erst mit Eingang der Akten auf das Gericht höherer Ordnung übergeht oder damit, dass trotz des sofortigen Übergangs der Sachentscheidungskompetenz das abgebende Gericht noch für eilbedürftige Nebenentscheidungen zuständig bleibt, solange sich die Akten noch bei ihm befinden und es noch mit der Sache befasst ist, ist für das praktische Ergebnis nicht entscheidend. Das Verfahren wird allerdings nur hinsichtlich der Tat im Sinne des § 264, die der 34 Verweisungsbeschluss umfasst, beim Gericht höherer Ordnung anhängig. Dieses kann daher eine andere Tat, hinsichtlich der das früher befasste Gericht das Verfahren nach § 154 eingestellt hatte, nicht von sich aus wieder in das Verfahren einbeziehen.104 Nach § 154a ausgeschiedene Teile der gleichen Tat kann es dagegen wieder in das Verfahren einbeziehen.105 3. Bindung. Der Verweisungsbeschluss bindet das verweisende Gericht. Er bindet 35 auch das Gericht, an das verwiesen worden ist, insofern, als es die Sache nicht mehr an das ursprünglich zuständige Gericht zurückverweisen darf. Jeder Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung steht § 269 entgegen; bei den Jugendgerichten ergibt sich ihr Vorrang vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten gleicher Ordnung aus Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 209a Nr. 2 Buchst. a und §§ 47a, 103 Abs. 2 Satz 1 JGG (Ausnahme: § 103 Abs. 2 Satz 2 JGG106). Zwar legt bei den besonderen Strafkammern die Rangfolge des § 74e GVG die Kompetenz-Kompetenz der jeweils vorrangigen Strafkammer fest, die Verweisung nach § 270 Abs. 1 Satz 2 bindet jedoch sowohl die nachrangige als auch eine im Range vorgehende Spezialstrafkammer.107 Die Weiterverweisung nach §§ 225a, 270 an ein Gericht höherer Ordnung oder an 36 ein Jugendgericht wird dadurch nicht ausgeschlossen,108 vor allem nicht die Berücksichtigung eines erst nach der Verweisung erhobenen Einwands nach § 6a; desgleichen ist die Abgabe zwischen gleichartigen Gerichten aufgrund des Geschäftsplans weiterhin möglich.109 Die Verweisung ist auch wirksam und bindend, wenn der verweisende Beschluss 37 unvollständig, formell fehlerhaft oder sachlich falsch ist.110 Eine der prozesswirtschaftlichen Zielsetzung der §§ 269, 270 vorgehende Ausnahme von der bindenden Wirkung der 102 Vgl. Rn. 31; insbes. vgl. OLG Karlsruhe Justiz 1984 429 (Zuständigkeitsübergang mit Erlass des Verweisungsbeschlusses, aber Fortbestand der Befugnis zu eilbedürftigen Haftentscheidungen).

103 Etwa Fezer JR 1996 38, 39; Meyer-Goßner/Schmitt § 321, 2; vgl. bei § 321; ferner auch OLG Celle VRS 55 (1978) 285. BGH bei Dallinger MDR 1973 192; vgl. bei § 154. Vgl. bei § 154a. Vgl. Rn. 20; LR/Stuckenberg § 269, 8; LR/Franke26 § 338, 77 und bei § 209. Vgl. Rn. 21; LR/Stuckenberg 209a, 21. RGSt 59 244; RG GA 50 (1903) 275; BGHSt 21 268, 270; KK/Greger 24; KMR/Voll 27; Meyer-Goßner/ Schmitt 19; MüKo/Moldenhauer 44. 109 Vgl. Rn. 3. 110 RGSt 62 265; RG GA 37 (1890) 191; BGHSt 27 99 = NJW 1977 2371 mit Anm. Meyer-Goßner = JR 1977 524 mit Anm. Rieß; BGHSt 29 216; 45 26, 30; 45 58, 60; BGH NStZ 1988 236; 2009 579; bei Kusch NStZ 1992 29; OLG Brandenburg JMBlBB 2004 101; OLG Düsseldorf JMBlNW 1979 152; StraFo 2000 235; OLG Frankfurt NStZ-RR 1997 311; OLG Hamm JMBlNW 1976 106; 1996 259; NStZ-RR 2017 274; 29.6.2017 – III-4 Sbd 7/17 Rn. 10; OLG Jena OLGSt § 270 Nr. 6; OLG Karlsruhe MDR 1980 599; Justiz 1988 74; JR 1991 36; OLG Köln NStZ-RR 2009 117; 2011 288; OLG Nürnberg StraFo 2013 514, 515; OLG Schleswig NStZ 1981 491; OLG Stuttgart Justiz 1983 164; AK/Wassermann 8; KMR/Voll 26; Meyer-Goßner/Schmitt 19; MüKo/

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Verweisung macht die Rechtsprechung111 dann, wenn die Wahrung vorrangigen Rechts dies erfordert, vor allem, wenn der Angeklagte durch den fehlerhaften Verweisungsbeschluss unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG willkürlich dem gesetzlichen Richter entzogen würde. Willkür liegt nicht schon vor, wenn die Verweisung verfahrensrechtlich oder materiell-rechtlich fehlerhaft ist, sondern nur, wenn sie bei objektiver Würdigung der Sach- und Rechtslage unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist, so dass sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht.112 Für die Annahme der Willkür lässt die Rechtsprechung genügen, dass der Verweisungsbeschluss jedes rechtlichen Bezugs zur angewandten Norm entbehrt, somit krass fehlerhaft ist.113 Wegen des Vorrangs des Verfassungsrechts kann eine solche Verweisung das für die Verfassungsgemäßheit seiner Zuständigkeit selbst verantwortliche Gericht höherer Ordnung nicht binden. Andernfalls würde es an dem willkürlichen Entzug des gesetzlichen Richters mitwirken und den erkannten Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG perpetuieren.114 Die sonst durch die Verweisung begründete bindende sachliche Zuständigkeit entsteht nicht. Das Gericht ist deshalb auch durch § 269 nicht gehindert, die Sache an das verweisende Gericht zurückzugeben bzw. zurückzuverweisen.115 Dies gilt unabhängig davon, ob man mit der früher vorherrschenden Meinung annimmt, dass der objektiv willkürliche Verweisungsbeschluss des vorlegenden Gerichts nichtig ist, so dass die Sache in Wirklichkeit bei dem abgebenden Gericht weiter anhängig geblieben ist,116 oder ob man, wofür einiges spricht,117 mit der neueren Rechtsprechung annimmt, dass auch ein gegen Moldenhauer 41; OK-StPO/Peglau 11; Radtke/Hohmann/Hagemeier 17; SSW/Güntge 14; Eb. Schmidt 21; abw. LG Hannover StV 1983 194, das Unwirksamkeit auch bei wesentlichen inhaltlichen Mängeln annimmt; ähnlich auch LG München I NStZ 1983 427 mit Anm. Hilger; ebenso SK/Frister 31a: jede rechtsfehlerhafte Zuständigkeitsentscheidung entziehe den gesetzlichen Richter, s. dagegen LR/Stuckenberg § 269, 12 Fn. 38; näher Gollwitzer FS Rieß 135, 147 ff.; vgl. Fn. 116. 111 BGHSt 38 212; 40 120; 45 58, 60 f.; 46 238; sowie Fn. 110; zur mitunter weitergehenden Tendenz, auch mangels anderer Korrekturmöglichkeiten „objektive Willkür“ schon bei allen schwerer wiegenden Normverstößen anzunehmen, vgl. Neuhaus StV 1995 212; HK/Julius/Beckemper 9; KMR/Voll 27 ff.; Gollwitzer FS Rieß 135, 137 f.; sowie LR/Stuckenberg § 269, 12 m. w. N. 112 Vgl. etwa BVerfGE 138 64, 87 m. w. N.; BVerfG NJW 2000 2492; 2001 1125; OLG Karlsruhe NStZ 1990 100 mit Anm. Gollwitzer JR 1991 37; HK/Julius/Beckemper 9; MüKo/Moldenhauer 48; sowie Fn. 111. 113 Zum Willkürbegriff vgl. etwa BVerfGE 6 53; 17 104; 19 43; 29 49; 207; 42 72; 58 167; 71 205; 89 1, 13; 96 189, 203; BVerfG NJW 1995 124; 2001 1125; 2001 1200; vgl. LR/Stuckenberg § 269, 12 m. w. N.; LR/Franke26 § 338, 10; Hamm 319 f.; zu den Bedenken gegen die Willkürformel ferner etwa Weidemann wistra 2000 45, 47. 114 Vgl. LR/Stuckenberg § 269, 12; ferner auch Eb. Schmidt 21 (mangelnde Qualität einer Sachurteilsvoraussetzung). Etwas anderes gilt, wenn es seine sachliche Zuständigkeit aus einem anderen Grund als das vorlegende Gericht für gegeben hält, vgl. Weidemann wistra 2000 45, 48 zu BGH NJW 1999 2604. 115 Vgl. LR/Stuckenberg § 269, 12. Für eine Bindung auch in diesen Fällen Weidemann wistra 2000 45, 50. 116 Vgl. etwa BGHSt 29 216, 219; OLG Bremen StV 1998 558, 559; OLG Düsseldorf NStZ 1986 426; StraFo 1997 115; 1998 274; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 42; OLG Hamm MDR 1993 1002; OLG Karlsruhe NStZ 1990 100 mit Anm. Gollwitzer JR 1991 37; OLG Schleswig bei Lorenzen/Görl SchlHA 1988 110; OLG Stuttgart Justiz 1983 164; OLG Zweibrücken MDR 1992 178; LG Berlin StV 1996 16; ferner die bei § 269 Rn. 12 angeführte Rspr. sowie Gollwitzer FS Rieß 135, 144 ff.; AK/Wassermann 8; KMR/Voll 31; SSW/Güntge 15; Pauka/ Link/Armenat StraFo 2017 10, 14 ff.; gegen eine Ausweitung AK/Wassermann 8; unklar (jedenfalls keine Bindungswirkung) OLG Köln NStZ-RR 2009 117; 2011 288. 117 Auch sonst macht ein Verfassungsverstoß gerichtliche Entscheidungen grundsätzlich nur anfechtbar, nicht aber nichtig, eingehend Gollwitzer FS Rieß 135, 138 ff., 142. Wieweit überhaupt gerichtliche Entscheidungen nichtig sein können, ist strittig, vgl. etwa Meyer-Goßner/Schmitt Einl. 105; LR/Kühne Einl. K 105 ff., 112 ff. m. w. N.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 270

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßender Verweisungsbeschluss ungeachtet dieses Verstoßes wirksam bleibt, er also die Sache bei dem Gericht höherer Ordnung kraft seiner Transportwirkung anhängig macht, dieses aber wegen seiner Verfassungswidrigkeit nicht binden kann.118 Es ist auch nach dieser Ansicht nicht gehindert, die Sache durch einen zu begründenden Beschluss an das abgebende Gericht zurückzuverweisen. Bei Annahme der Nichtigkeit der Verweisung geschieht die Rückgabe zweckmäßigerweise ebenfalls durch einen ihre Unwirksamkeit aufzeigenden förmlichen Beschluss. Weiterverweisen an ein anderes zuständiges Gericht kann das Gericht höherer Ordnung die Sache aber nur nach der Ansicht, die die Transportwirkung bejaht.119 Hält man den Verweisungsbeschluss dagegen für nichtig, ist die Sache in Wirklichkeit weiterhin beim verweisenden Gericht anhängig, so dass das nur scheinbar mit ihr befasste höhere Gericht sie nicht an ein anderes zuständiges Gericht verweisen kann.120 Ist das höhere Gericht tatsächlich sachlich zuständig, bleibt die Sache trotz willkürlicher Verweisung bei ihm.121 Die Entscheidung des gemeinsamen oberen Gerichts über die Zuständigkeit ana- 38 log den §§ 14, 19 kann zur Bereinigung eines Zuständigkeitskonfliktes jedes der an dem Verweisungsvorgang beteiligten Gerichte herbeiführen, so, wenn das höherrangige Gericht den Verweisungsbeschluss für willkürlich hält und deshalb Zuständigkeit und Bindung verneint, während das Gericht niederer Ordnung darauf beharrt, dass es die Sache bindend verwiesen hat.122 4. Dasselbe Hauptverfahren. Das Verfahren vor dem Gericht, an das verwiesen 39 worden ist, ist dasselbe Hauptverfahren wie das durch den Eröffnungsbeschluss vor dem niedereren Gericht eröffnete. Die Hauptverhandlung muss allerdings vor dem nunmehr urteilenden Gericht höherer Ordnung vollständig wiederholt werden; ein bereits im Verfahren vor dem abgebenden Gericht vereidigter Zeuge braucht aber nicht nochmals vereidigt zu werden.123 Der Angeklagte muss auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts hingewiesen werden, wenn das Gericht, an das die Sache gemäß § 270 verwiesen ist, nunmehr wieder im Sinne des Eröffnungsbeschlusses verurteilen will.124

V. Einzelne Beweiserhebungen (Absatz 4) 1. Bei Verweisung durch Strafrichter und Schöffengericht. Absatz 4 trägt dem 40 Umstand Rechnung, dass bei einer Verweisung durch den Strafrichter oder das Schöf118 BGHSt 45 58, 60 ff. mit Anm. Bernsmann JZ 2000 213; BGH StV 1999 524; NStZ 2009 404; 2009 579, 580; OLG Bamberg NStZ-RR 2005 377; OLG Stuttgart Justiz 1999 403 f.; LG Dessau StraFo 2006 332 f.; HK/Julius/Beckemper 9; KK/Greger 26; Meyer-Goßner/Schmitt 20; MüKo/Moldenhauer 49; OK-StPO/Peglau 11; SK/Frister 32; Gollwitzer FS Rieß 135, 142 ff.; nach Weidemann wistra 2000 45, 48, 50 sollte dagegen auch in diesen Fällen die durch die Verweisung begründete sachliche Zuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung nicht in Frage gestellt werden. 119 Vgl. BGH StV 1999 524. 120 KMR/Voll 31; vgl. Gollwitzer FS Rieß 135, 139 f. 121 BGHSt 45 58, 63; 61 277, 284; OLG Köln NStZ-RR 2009 117, 118; KK/Greger 26; Meyer-Goßner/Schmitt 20; OK-StPO/Peglau 11; a. A. KMR/Voll 31. 122 BGHSt 45 26 mit Anm. Franke NStZ 1999 524; OLG Düsseldorf NStZ 1986 426; JMBlNW 1992 57; 1995 287; OLG Hamm 29.6.2017 – III-4 Sbd 7/17 Rn. 7; OLG Jena StraFo 2000 411 f.; OLG Köln NStZ-RR 2009 117 f.; 2011 288; OLG Nürnberg StraFo 2013 514, 515; OLG Stuttgart Justiz 1983 164; KK/Greger 26a; KMR/Voll 32; Radtke/Hohmann/Hagemeier 19; SK/Frister 33; SSW/Güntge 16; krit. Weidemann wistra 2000 45, 46 ff. 123 KMR/Voll 25; SK/Frister 28; Eb. Schmidt Nachtr. I 4. 124 RGSt 65 363; SK/Frister 28; vgl. LR/Stuckenberg § 265, 12.

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fengericht der Sachverhalt unter dem zur Verweisung führenden neuen Gesichtspunkt mitunter noch nicht genügend aufgeklärt ist. Dem Angeklagten, der möglicherweise ohne Verteidiger ist, soll damit bewusst gemacht werden, dass er im Hinblick darauf Gelegenheit hat, zur besseren Vorbereitung seiner Verteidigung einzelne Beweiserhebungen vor der Hauptverhandlung zu beantragen, so wie er das auch nach § 201 Abs. 1 Satz 1 bei Mitteilung der Anklage konnte.125 41 Bei einem Verweisungsbeschluss, den Gerichte höherer Ordnung erlassen haben, also regelmäßig in den schwerwiegenderen Fällen, in denen der Sachverhalt vor Anklageerhebung bereits unter allen hereinspielenden Gesichtspunkten aufgeklärt sein dürfte, ist diese Möglichkeit nicht vorgesehen.126 Der Angeklagte, der in diesen Fällen stets einen Verteidiger hat (§ 140 Abs. 1 Nr. 1), kann in diesen Fällen auch ohne den mit der Fristsetzung verbundenen ausdrücklichen Hinweis nach §§ 219, 223 bis 225 auf eine Beweiserhebung vor der Hauptverhandlung oder auf die Zuziehung weiterer Beweismittel zur Hauptverhandlung hinwirken;127 diese Vorschriften werden durch Absatz 4 nur ergänzt, nicht aber eingeschränkt. 2. Fristbestimmung. Die Frist, innerhalb der der Antrag auf einzelne Beweiserhebungen zu stellen ist, wird bei Bekanntgabe des Verweisungsbeschlusses bestimmt. Sie muss angemessen sein, denn der Angeklagte muss prüfen können, ob er gegen den veränderten Vorwurf neue Beweismittel benennen kann. Ebenso wie die Frist des § 201 Abs. 1 Satz 1 kann die Frist auf Antrag oder von Amts wegen verlängert werden.128 43 Die Fristbestimmung obliegt dem Vorsitzenden des verweisenden Gerichts, es ist aber auch zulässig, die Fristbestimmung in den Verweisungsbeschluss aufzunehmen.129 Die Fristsetzung wird grundsätzlich in der Hauptverhandlung mitverkündet. Andernfalls ist nach § 35 Abs. 2 die Verfügung, die die Fristbestimmung enthält, förmlich zuzustellen.130 Mit der Fristsetzung wird zweckmäßigerweise der Hinweis verbunden, dass Beweisanträge bei dem Gericht einzureichen sind, an das verwiesen wurde.131 42

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3. Entscheidung. Der Beweisantrag muss die Beweistatsachen und Beweismittel bezeichnen, ist aber sonst an keine besondere Form gebunden. Über ihn entscheidet der Vorsitzende des Gerichts, an das verwiesen worden ist, unter Berücksichtigung der Erfordernisse der Sachaufklärung nach pflichtgemäßem Ermessen. Für seine Entschließung kommt es nicht nur darauf an, ob die beantragte Beweiserhebung für die Urteilsfindung erheblich ist, sondern darauf, dass Gründe bestehen, die die Erhebung des Beweises vor der Hauptverhandlung erforderlich machen.132 Das kann zutreffen, wenn der Verlust des Beweismittels zu besorgen oder wenn zu erwarten ist, dass sich aus der Beweiserhebung weitere geeignete Beweismittel ergeben, aber auch, wenn es darum geht, vorweg zu klären, ob ein bisher unbekanntes Beweismittel zur Hauptver125 Alsberg/Tsambikakis 675; Meyer-Goßner/Schmitt 23; MüKo/Moldenhauer 54; SK/Frister 36; vgl. LR/ Jäger § 225a, 34.

126 Zur strittigen Frage, ob Absatz 4 auch bei einer Verweisung vom Strafrichter an den Jugendrichter usw. anzuwenden ist, vgl. LR/Jäger § 225a, 35; SK/Frister 36.

127 KK/Greger 28; KMR/Voll 34; SK/Frister 37; SSW/Güntge 19. 128 Alsberg/Tsambikakis 678; KMR/Voll 35; Meyer-Goßner/Schmitt 24; SSW/Güntge 20; vgl. LR/Jäger § 225a, 39 f.

129 Alsberg/Tsambikakis 677; KK/Greger 20; KMR/Voll 35; Meyer-Goßner/Schmitt 24; SSW/Güntge 20; vgl. Rn. 27.

130 KMR/Voll 35. 131 KMR/Voll 35; Meyer-Goßner/Schmitt 24; SK/Frister 39. 132 Alsberg/Tsambikakis 681 ff.; KK/Greger 29; KMR/Voll 36; Meyer-Goßner/Schmitt 26; SK/Frister 40.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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handlung zuzuziehen ist, auch um vorzubeugen, dass die Hauptverhandlung später nicht wegen eines in gleicher Richtung zielenden Beweisantrages ausgesetzt werden muss.133 Über die Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen durch einen beauftragten oder ersuchten Richter nach §§ 223, 224 oder die Einnahme eines Augenscheins nach § 225 muss das Gericht entscheiden.134 Andere Maßnahmen, wie etwa die Anordnung der vorsorglichen Einvernahme eines möglicherweise in Betracht kommenden Zeugen durch die Polizei, kann der Vorsitzende anordnen.135 Lehnt der Vorsitzende die Beweiserhebung ab, muss er dies nach § 34 begründen,136 wobei auch hier wie bei § 219 die Ablehnung nicht mit der Zusage einer Wahrunterstellung begründet werden darf.137 Die ablehnende Entscheidung, die nicht an die Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 bis 5 gebunden ist, soll so rechtzeitig ergehen, dass der Angeklagte noch von seinem Recht Gebrauch machen kann, eine Beweisperson nach § 220 selbst zu laden.138 Soweit dem Antrag stattgegeben wird, bedarf die Anordnung der Beweisaufnahme keiner weiteren Begründung.139 VI. Rechtsbehelfe 1. Beschwerde a) Verweisungsbeschluss. Absatz 3 Satz 2 erklärt § 210 für anwendbar. Dem Ange- 45 klagten steht eine Anfechtung des Verweisungsbeschlusses in keinem Fall zu.140 Hinsichtlich der Staatsanwaltschaft führt die entsprechende Anwendung des § 210 46 dazu, dass ihr die (sofortige) Beschwerde nur zusteht, wenn entgegen einem von ihr gestellten Antrag der Beschluss die Sache nicht an das im Antrag bezeichnete, sondern an ein Gericht niederer Ordnung verwiesen hat.141 Ansonsten ist eine Beschwerde ausgeschlossen,142 da die Regelung des § 210 abschließend143 ist. b) Ablehnung der Verweisung. Die Ablehnung der von der Staatsanwaltschaft 47 beantragten Verweisung durch das erkennende Gericht ist eine der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung im Sinne des § 305. Sie kann nur zusammen mit dem Urteil 133 KMR/Voll 36; SK/Frister 40. 134 Alsberg/Tsambikakis 680; KK/Greger 29; KMR/Voll 36; Meyer-Goßner/Schmitt 26; SK/Frister 39; SSW/Güntge 20; Eb. Schmidt Nachtr. I 26.

135 Die allgemeine Abgrenzung der Befugnisse bei Vorbereitung der Hauptverhandlung wird durch Absatz 4 nicht aufgehoben. Zur Abgrenzung vgl. LR/Jäger Vor § 212, 11 f.

136 Vgl. LR/Jäger § 225a, 46. 137 Alsberg/Tsambikakis 682; KMR/Voll 36; Meyer-Goßner/Schmitt 26; vgl. LR/Jäger § 219, 13 ff.; a. A. OK-StPO/Peglau 19.

138 Alsberg/Tsambikakis 684; Meyer-Goßner/Schmitt 26; SK/Frister 41; SSW/Güntge 20. 139 Meyer-Goßner/Schmitt 26; SK/Frister 41. 140 RGSt 3 311; RGRspr. 5 (1883) 691; KK/Greger 25; KMR/Voll 33; Meyer-Goßner/Schmitt 22; MüKo/Moldenhauer 51; OK-StPO/Peglau 15; Radtke/Hohmann/Hagemeier 20; SK/Frister 34; SSW/Güntge 18; HK/Julius/Beckemper 12 lässt die Beschwerde bei Willkür zu; dies kann aber ohnehin im weiteren Verfahren geltend gemacht werden. 141 AK/Wassermann 10; KK/Greger 25; KMR/Voll 33; Meyer-Goßner/Schmitt 22; MüKo/Moldenhauer 52; OK-StPO/Peglau 15; Radtke/Hohmann/Hagemeier 20; SK/Frister 34; SSW/Güntge 18; Eb. Schmidt 16; vgl. auch OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1985 119; ferner LR/Erb § 6a, 25. 142 BGHSt 45 26, 30 mit Anm. Franke NStZ 1999 524; KMR/Voll 33; Meyer-Goßner/Schmitt 22; abw. OKStPO/Peglau 15 (auch gegen eine aus Sicht der Staatsanwaltschaft unnötige Verweisung). 143 Vgl. LR/Stuckenberg § 210, 5 ff., 8 ff. m. w. N. zum Meinungsstand.

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angefochten werden. Eine dem § 210 Abs. 2 entsprechende Beschwerdemöglichkeit scheidet aus, da die Ablehnung einer beantragten Verweisung – anders als die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 210 Abs. 2 – das Verfahren nicht beendet, sondern nur eine Zwischenentscheidung ist, die im Rechtsmittelverfahren bei Anfechtung des Urteils zusammen mit diesem nachgeprüft werden kann.144 48 Der Angeklagte kann nach § 305 Satz 1 ebenfalls keine Beschwerde einlegen, wenn die von ihm angeregte Verweisung an ein höheres Gericht abgelehnt oder seinem Einwand nach § 6a nicht entsprochen wurde.145 49

c) Irrige Anwendung des § 270. Mit der einfachen Beschwerde ist der Beschluss anfechtbar, durch den das Gericht in irriger Anwendung des § 270 die Sache wegen örtlicher Unzuständigkeit an ein gleichgeordnetes Gericht verwiesen hat.146

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d) Frist nach Absatz 4; Beweiserhebung. Die Entscheidungen, mit denen die Frist nach Absatz 4 bestimmt oder durch die eine beantragte Beweiserhebung angeordnet oder abgelehnt wird, sind durch § 305 Satz 1 der Beschwerde entzogen.147 Bei Ablehnung ist es dem Angeklagten unbenommen, in der Hauptverhandlung einen entsprechenden Beweisantrag neu zu stellen und gegebenenfalls die Aussetzung nach § 265 Abs. 4 zu beantragen. Die Anrufung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 ist gegen die ablehnende Verfügung des Vorsitzenden nicht möglich.148 2. Revision

a) Verweisung. Auf einen Verstoß gegen § 270 kann die Revision nur gestützt werden, wenn das Urteil des Gerichts, das auf der Grundlage eines solchen Verweisungsbeschlusses ergangen ist, auf dem Mangel beruhen kann.149 Grundsätzlich ist zu unterscheiden: Die Revision kann die sachliche Unzuständigkeit des Gerichts geltend machen, 52 wenn der Verweisungsbeschluss gegen höherrangiges Recht verstößt, so, wenn er auf sachfremden Überlegungen beruht und sich so weit von jeder vertretbaren Rechtsanwendung entfernt hat, dass er einen zumindest objektiv willkürlichen Entzug des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) bedeutet. Eine solche Verweisung hat keine bindende, die Zuständigkeit nach § 269 begründende Wirkung, ganz gleich ob man den Verweisungsbeschluss als nichtig ansieht oder ihm eine formale Transportwirkung zuerkennt.150 Strittig ist nur, ob die sachliche Unzuständigkeit des Gerichts nur bei einer formgerechten Verfahrensrüge nachzuprüfen ist oder ob sie als Verfahrensvoraussetzung in jedem Fall auch ohne jede Rüge vom Revisionsgericht von Amts wegen (§ 6) berücksichtigt werden muss, wie die vorherrschende Meinung zu Recht annimmt.151 51

144 OLG Braunschweig GA 1959 89 mit Anm. Kleinknecht; KK/Greger 25; KMR/Voll 33; Meyer-Goßner/ Schmitt 22; Radtke/Hohmann/Hagemeier 20; SK/Frister 35. Ausführlicher dazu LR/Gollwitzer24 40; SSW/ Güntge 18; Eb. Schmidt Nachtr. I 15. 145 Vgl. LR/Erb § 6a, 25. 146 OLG Hamm NJW 1961 232; SK/Frister 34. 147 KK/Greger 29; SK/Frister 43. 148 Alsberg/Tsambikakis 686; KMR/Voll 35; SK/Frister 44. 149 Vgl. RGSt 59 300; 62 271. 150 Vgl. Rn. 37. 151 Nachw. zum Streitstand bei LR/Stuckenberg § 269, 14; wie hier AK/Wassermann 8; KMR/Voll 39; MüKo/Moldenhauer 63; Radtke/Hohmann/Hagemeier 24; SK/Frister 45; SSW/Güntge 21.

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Ebenso von Amts wegen und nicht nur aufgrund einer auf § 328 Abs. 2 gestützten ordnungsgemäßen Verfahrensrüge ist nachzuprüfen, ob das Berufungsgericht die sachliche Zuständigkeit des Gerichts erster Instanz zutreffend beurteilt oder eine willkürliche Verweisung vom Strafrichter an das Schöffengericht zu Unrecht hingenommen hat.152 Liegt sonst ein wirksamer, wenn auch sachlich falscher Verweisungsbeschluss 53 vor, so ist das Gericht, an das verwiesen wurde, daran gebunden und nach § 269 für die Entscheidung sachlich zuständig. Die Verfahrensvoraussetzungen sind gegeben, der Angeklagte ist grundsätzlich auch nicht dadurch beschwert, dass seine Sache von einem Gericht höherer Ordnung entschieden worden ist.153 Gerügt werden kann jedoch, wenn statt des Gerichts, an das verwiesen wurde, ein ranghöheres Gericht zuständig gewesen wäre, so dass das Gericht hätte weiterverweisen müssen.154 Ist der Verweisungsbeschluss als solcher mangelhaft, so ist im Einzelfall zu prü- 54 fen, ob das Urteil auf dem Mangel beruhen kann. Dies wurde beispielsweise auch verneint, wenn dieser (nach damaliger Ansicht unzulässig) außerhalb der Hauptverhandlung erlassen worden war, ein aufgrund einer Verhandlung erlassener Beschluss aber den Angeklagten nicht hätte besser stellen können;155 desgleichen bei ausreichender Ergänzung eines inhaltlich lückenhaften Verweisungsbeschlusses,156 oder, wenn im Verweisungsbeschluss zwar der Anklagesatz fehlt, durch die Verweisung sich aber an der zugelassenen Anklage nichts geändert hatte.157 Wird ein inhaltlich unzulänglicher Verweisungsbeschluss ohne die erforderliche Ergänzung oder Klarstellung der Hauptverhandlung zu Grunde gelegt, kann darin je nach den Umständen ein Verstoß gegen § 243 Abs. 3 liegen.158 b) Unterlassen der Verweisung. Ergibt sich aus dem Urteil, dass das Gericht eine 55 nach § 270 gebotene Verweisung unterlassen hat, kann die Verletzung des § 270 gerügt werden. Der Mangel der sachlichen Zuständigkeit muss vom Rechtsmittelgericht auch ohne Rüge von Amts wegen berücksichtigt werden.159 Hält sich das Urteil allerdings im Rahmen der sachlichen Zuständigkeit des Gerichts, das die Verweisung unterlassen hat, so ist strittig, ob die unterlassene Verweisung vom Angeklagten mit Erfolg beanstandet werden kann.160 Dass ein rechtzeitig erhobener Einwand nach § 6a zu Unrecht verworfen wurde, kann nach der herrschenden Rechtsprechung nur bei ausdrücklicher Rüge nach § 338 Nr. 4 mit der Revision beanstandet werden;161 ebenso, dass die Verwei-

152 Dazu LR/Stuckenberg § 269, 14 m. w. N. 153 BGHSt 21 334, 358; 46 238, 240; bei Pfeiffer NStZ 1981 297; KK/Greger 33; LR/Stuckenberg § 269, 1, 14 m. w. N.; vgl. Rn. 35, 37. 154 KMR/Voll 38. 155 RGSt 52 306; 58 125; 62 272. 156 RGSt 55 242; vgl. Rn. 28. 157 BGH bei Dallinger MDR 1966 894. 158 Vgl. LR/Becker § 243, 113. 159 BGHSt 10 76; BGH bei Dallinger MDR 1972 18; BayObLGSt 1985 33 = NStZ 1985 470 mit Anm. Achenbach; AK/Wassermann 11; HK/Julius/Beckemper 14; KK/Greger 30; KMR/Voll 37; Meyer-Goßner/Schmitt 27; MüKo/Moldenhauer 60; OK-StPO/Peglau 23; Radtke/Hohmann/Hagemeier 24; SSW/Güntge 21; vgl. LR/ Franke26 § 338, 66. 160 BGHSt 1 346, 347 verneint die Beschwer; ebenso KK/Greger 30; KMR/Voll 37; Meyer-Goßner/Schmitt 27; MüKo/Moldenhauer 60; SK/Frister 46; SSW/Güntge 21; abl. Dallinger MDR 1952 118; vgl. BGHSt 10 64; Rieß GA 1976 1, 16 Fn. 88; ferner LR/Franke26 § 338, 71 ff. 161 AK/Wassermann 11; KMR/Voll 37; Meyer-Goßner/Schmitt 27; Radtke/Hohmann/Hagemeier 24; vgl. LR/Erb § 6a, 26; LR/Franke26 § 338, 76.

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sung an das Jugendgericht unterblieben ist.162 Auch ein erwachsener Mitangeklagter kann beanstanden, dass statt des Jugendgerichts ein für Erwachsene zuständiges Gericht entschieden hat.163 56

c) Absatz 4. Wird keine Frist gemäß Absatz 4 gesetzt, kann daraus ein Revisionsgrund nur hergeleitet werden, wenn dies in der Hauptverhandlung gerügt und die beantragte Aussetzung der Hauptverhandlung entgegen § 265 Abs. 4 abgelehnt worden ist.164 Auf die Ablehnung der beantragten Beweiserhebung kann die Revision in der Regel nicht gestützt werden; die entsprechenden Beweisanträge müssen in der Hauptverhandlung neu gestellt werden.165 Unter dem Blickwinkel der Verletzung der Aufklärungspflicht dürfte eine solche Rüge nur bei Darlegung besonderer Umstände Erfolg haben.166

57

d) Rechtskraft. Wird das Urteil eines Gerichts rechtskräftig, das in Verkennung seiner sachlichen Unzuständigkeit entschieden hat, so ist es wirksam und verbraucht die Strafklage auch hinsichtlich des zur Zuständigkeit des höheren Gerichts gehörenden Gesichtspunkts.167

§ 271 Hauptverhandlungsprotokoll (1) 1Über die Hauptverhandlung ist ein Protokoll aufzunehmen und von dem Vorsitzenden und dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, soweit dieser in der Hauptverhandlung anwesend war, zu unterschreiben. 2Der Tag der Fertigstellung ist darin anzugeben. (2) 1Ist der Vorsitzende verhindert, so unterschreibt für ihn der älteste beisitzende Richter. 2Ist der Vorsitzende das einzige richterliche Mitglied des Gerichts, so genügt bei seiner Verhinderung die Unterschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Schrifttum zu §§ 271 bis 274 Bartel Auf dem Weg zur technischen Dokumentation der Hauptverhandlung in Strafsachen, StV 2018 678; Bertheau Rügeverkümmerung – Verkümmerung der Revision in Strafsachen, NJW 2010 973; Beulke Berücksichtigungsfähigkeit von Protokollberichtigungen nach Eingang der Revisionsbegründung, FS Böttcher (2007) 17; Bockemühl Früher war alles besser – ein Plädoyer für die audiovisuelle Dokumentation der Hauptverhandlung, FS von Heintschel-Heinegg (2015) 51; ders. Entwurf eines Gesetzes zur Nutzung audiovisueller Aufzeichnungen in Strafprozessen (BT-Drs. 19/11090), KriPoZ 2019 375; Bohne Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls und Verfahrensrüge, SJZ 1949 760; Börtzler Die Fertigstellung des Protokolls über die Hauptverhandlung, MDR 1972 185; Brand/Petermann Der „Deal“ im Strafverfahren, das Negativattest und die Beweiskraft des Protokolls, NJW 2010 268; Bräutigam Zeit für eine kleine Revolution, DRiZ 2018 288; Busch Die Zuständigkeit zur Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls, JZ 1964 746;

162 BGHSt 18 79; HK/Julius/Beckemper 14; KMR/Voll 37; Meyer-Goßner/Schmitt 27; SSW/Güntge 21; vgl. LR/Franke26 § 338, 77 m. w. N. 163 BGHSt 30 260; BGH StV 1981 77; 1985 358 (L); SK/Frister 46; vgl. bei § 209 und LR/Franke § 338, 77. 164 Vgl. RGSt 62 272; HK/Julius/Beckemper 15; KK/Greger 34; KMR/Voll 40; Meyer-Goßner/Schmitt 27; OK-StPO/Peglau 21; SK/Frister 48. 165 Vgl. LR/Jäger § 225a, 49. 166 Vgl. LR/Jäger § 225a, 49; SK/Frister 48; SSW/Güntge 21. 167 RGSt 56 351; KMR/Voll 8.

Stuckenberg https://doi.org/10.1515/9783110274967-024

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 271

Cirener Chancen, Risiken und Nebenwirkungen der Bild-Ton-Übertragung – ein drängendes Thema für die Justiz, in: Cirener/Jahn/Radtke (Hrsg.), Bild-Ton-Dokumentation und „Konkurrenzlehre 2.0“ (2019) 3; Danckert Die materielle Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls im Strafprozess (2012); DehneNiemann Verfassungsrechtliches und Einfachgesetzliches zur nachträglichen rügevernichtenden Änderung des Hauptverhandlungsprotokolls, ZStW 121 (2009) 321; ders. Kritische Anmerkungen zur neuen Praxis der „Rügeverkümmerung“, wistra 2011 213; ders. Examensrelevante Rechtsprechung zur „Rügeverkümmerung“, JA 2012 59; Detter Die Beweiskraft des Protokolls und die Wahrheitspflicht der Verfahrensbeteiligten, StraFo 2004 329; von Döllen/Momsen Im falschen Film, freispruch 5 (Sept. 2014) 4; Fezer Zur fortschreitenden Relativierung der Verfahrensvorschriften – § 274 StPO als Beispiel, FS Otto (2007) 901; Foerster/Sonnabend Rügeverkümmerung durch Protokollberichtigung im Zivilprozess, NJW 2010 978; Fromm Protokollierung von Absprachen und Befangenheit im Wirtschaftsstrafprozess, ZWH 2015 4; ders. Über die Bedeutung des strafrechtlichen Sitzungsprotokolls in der Praxis, NJ 2015 96; Gaede Die Vorlage des 1. Strafsenats zur Rügeverkümmerung: Vorsichtige Förmlichkeit des Gesetzes und effiziente Rechtsfortbildung, HRRS 2006 409; von Galen Rechtsstaatsdefizit im deutschen Strafprozess: „ohne Worte“ – die Protokollierung der Hauptverhandlung im europäischen Vergleich, StraFo 2019 309; Geißler Untersuchungen zur Revisibilität von Widersprüchen zwischen Strafurteil und Wortprotokoll (2000); Gemählich Das Verbot der Rügeverkümmerung in der obergerichtlichen Rechtsprechung, FS Stöckel (2010) 225; Gigerl Die öffentliche Urkunde im Strafrecht, insbesondere ihre Beweisbedeutung für und gegen jedermann (1981); Globke „Verbot der Rügeverkümmerung“: Rechtsfortbildung vor dem Bundesverfassungsgericht, GA 2010 399; Gollwitzer Überlegungen zur Dokumentation von Hauptverhandlung und Urteil im Strafverfahren, FS Gössel (2002) 543; Hamm Verkümmerung der Form durch Große Senate oder: Die Pilatusfrage zum Hauptverhandlungsprotokoll, NJW 2007 3166; Hebenstreit Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, HRRS 2008 172; Hendrix/Reiss Die Protokollführung in der Hauptverhandlung der Strafgerichte8 (2000); Heußinger Das Hauptverhandlungsprotokoll, Diss. Würzburg 1922; Hollaender Der Rechtsmissbrauch im Strafverfahren und die Grenzen der Gesetzesauslegung, JR 2007 6; Kahlo Über den Begriff der wesentlichen Förmlichkeit im Strafverfahrensrecht (§ 273 Abs. 1 StPO), FS Meyer-Goßner (2001) 447; Kirchberg Vom „Gegenstand“ der Vernehmung oder der Beweisaufnahme im Strafprozeß, DRiZ 1968 233; Klee Das Hauptverhandlungsprotokoll mit Berücksichtigung des neuen Entwurfs, Diss. Würzburg 1923; Knauer Zur Wahrheitspflicht des (Revisions-)Verteidigers, FS Widmaier (2008) 291; Kohlhaas Zur Beweiskraft des Sitzungsprotokolls nach § 274 StPO, NJW 1974 23; Krauß Grundlegende Änderung des Revisionsrechts, in: Cirener/ Jahn/Radtke (Hrsg.), Bild-Ton-Dokumentation und „Konkurrenzlehre 2.0“ (2019) 27; Krawczyk Der Anfragebeschluss des 1. Strafsenats des BGH vom 12.1.2006 zur Beachtlichkeit nachträglicher Protokollberichtigungen – Steht der Revisionspraxis eine grundlegende Änderung bevor? HRRS 2006 344; ders. Rechtsmissbräuchlichkeit der unwahren Verfahrensrüge – Besprechung des Urteils des 3. Senats vom 11.8.2006 – 3 StR 284/05, HRRS 2007 101; ders. Die Relativierung der absoluten Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls (§ 274 StPO) in der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (2008); Krekeler Wehret auch den „kleinen“ Anfängen oder § 273 Abs. 3 Satz 2 StPO muß bleiben, AnwBl. 1984 417; Kudlich Erosion des Hauptverhandlungsprotokolls durch den Bundesgerichtshof? BLJ 2007 125; ders. „Missbrauch“ durch bewusste Berufung auf ein unrichtiges Hauptverhandlungsprotokoll? HRRS 2007 9; ders. Audiovisuelle Aufzeichnung, Videobeweis und Zulässigkeit der „Rügeverkrümmung“, in: Cirener/Jahn/Radtke (Hrsg.), Bild-Ton-Dokumentation und „Konkurrenzlehre 2.0“ (2019) 13; Kudlich/Christensen Die Lücken-Lüge, JZ 2009 943; Kühne Die Protokollierung von Absprachen, FS Kerner (2013) 747; Kury Zum Umgang mit dem Hauptverhandlungsprotokoll: Ein Beitrag zur Aushöhlung der Protokollbeweiskraft, StraFo 2008 185; Ladiges Fehlerhafte Protokollierung des Negativattestes gem. § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO, JR 2012 371; Lam Die Willkür ist die Feindin der Form – Zum Beruhen des Urteils auf der fehlerhaften Protokollierung von Verständigungen, StraFo 2014 407; Lampe Unzulässigkeit der „Rügeverkümmerung“? NStZ 2006 366; Leitner Videotechnik im Strafverfahren – Ein Petitum für mehr Dokumentation und Transparenz (2012); Lindemann/Reichling Sieg der Wahrheit über die Form? Die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur „unwahren“ Verfahrensrüge, StV 2007 152; Lüske Das Videoprotokoll als Perspektive für den deutschen Strafprozess? (2020); Marxen Tonaufnahmen während der Hauptverhandlung für Zwecke der Verteidigung, NJW 1977 2188; Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Der Einsatz akustischer und visueller Dokumentationsverfahren im Strafverfahren (2002); Mertens Die Protokollierung von Beweisergebnissen in der Hauptverhandlung, FS Grünwald (1999) 367; Meyer-Goßner Videoaufzeichnung der Hauptverhandlung – notwendige Reform oder Irrweg? FS Fezer (2008) 135; Meyer-

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Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

Goßner/Appl Die Urteile in Strafsachen29 (2014); Meyer-Mews Das Wortprotokoll in der strafrechtlichen Hauptverhandlung, NJW 2002 103; ders. Wer lügt denn da? StraFo 2007 195; Mittelbach Das Protokoll im Strafprozeß, JR 1955 327; Möllers Nachvollzug ohne Maßstabbildung: richterliche Rechtsfortbildung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, JZ 2009 668; Momsen Zur sog. „Rügeverkümmerung“ vor dem Hintergrund konsensualer Verfahrensbeendigung – Eine Rechtsprechungsanalyse; zugleich ein Nachruf auf den Grundsatz der negativen Beweiskraft des Sitzungsprotokolls, FS Egon Müller (2008) 457; ders. Zur Beweiskraft des Sitzungsprotokolls bei Verfahrensabsprachen, FS II Roxin (2011) 1403; Mosbacher Aufzeichnung der Hauptverhandlung und Revision – ein Vorschlag, StV 2018 182; ders. Dokumentation der Beweisaufnahme im Strafprozess, ZRP 2019 159; Eckh. Müller Berufsbild und Berufsethos des Strafverteidigers, NJW 2009 3745; Egon Müller Zur Protokollierung gemäß § 273 Abs. 3 StPO, FS Volk (2009) 485; Nack/Park/Brauneisen Gesetzesvorschlag der Bundesrechtsanwaltskammer zur Verbesserung der Wahrheitsfindung im Strafverfahren durch den verstärkten Einsatz von Bild- und Tontechnik, NStZ 2011 310; Nestler Der richterzentrierte Strafprozeß und die Richtigkeit des Urteils – Zur Notwendigkeit eines Wortprotokolls in der Hauptverhandlung, FS Lüderssen (2002) 727; Niemöller Das Negativattest im Protokoll (§ 273 Abs. 1a Satz 3 StPO), FS Rissing-van Saan (2011) 393; Norouzi Vom Rekonstruktionsverbot zum Dokumentationsgebot: Probleme der mangelnden Transparenz aus Sicht der Revisionsverteidigung, 34. Strafverteidigertag (2010) 215; Ortloff Die Hauptverhandlungsprotokolle, GA 44 (1896) 98; Ott Die Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls im Strafverfahren und das Verbot der Rügeverkümmerung, Diss. Göttingen 1970; Park Die Beweiskraft des Protokolls und die Wahrheitspflicht der Verfahrensbeteiligten, StraFo 2004 335; Paul Alles andere als ein unspektakuläres Thema, in: Cirener/Jahn/Radtke (Hrsg.), BildTon-Dokumentation und „Konkurrenzlehre 2.0“ (2019) 23; Pauly Zur Auslegung der Vorschriften über das Hauptverhandlungsprotokoll, FS Rissing-van Saan (2011) 425; Pecher Über zivilrechtliche Vergleiche im Strafverfahren, NJW 1981 2170; Pfordte Gedanken zur Protokollierungspflicht im Strafverfahren, FS 50 Jahre Deutsches Anwaltsinstitut (2003) 519; Pusz Handbuch der Protokollführung in Strafsachen12 (2019); Ranft Hauptverhandlungsprotokoll und Verfahrensrüge im Strafprozeßrecht, JuS 1994 785; 867; Rassow Sitzungsprotokoll und Tonband, NJW 1958 653; Reichling Die vollständige Protokollierung in der Hauptverhandlung in Strafsachen gemäß § 273 Abs. 3 StPO (2003); Röhl Hauptverhandlungsprotokoll auf Tonband? JZ 1956 591; Roggemann Das Tonband im Verfahrensrecht (1962); ders. Tonbandaufnahmen während der Hauptverhandlung, JR 1966 47; Rottländer Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf Zugänglichmachung gerichtsinterner akustischer Mitschnitte der Hauptverhandlung vor den Land- und Oberlandesgerichten? NStZ 2014 138; Rüthers Trendwende im BVerfG? Über die Grenzen des „Richterstaates“, NJW 2009 1461; Sailer Inhaltsprotokoll und rechtliches Gehör, NJW 1977 24; Salditt Der Gesetzgeber und die Beurkundung der Hauptverhandlung, FS Meyer-Goßner (2001) 469; Satzger/Hanft Erheben einer bewusst unwahren Protokollrüge im Rahmen der Revision als Rechtsmissbrauch? NStZ 2007 185; G. Schäfer Gedanken zur Beweiskraft des tatrichterlichen Verhandlungsprotokolls unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, FS BGH (2000) 707; Schlothauer Zur Immunisierung tatrichterlicher Urteile gegen verfahrensrechtlich begründete Revisionen, FS Hamm (2008) 655; M. Schmid Die wörtliche Protokollierung einer Aussage in der Hauptverhandlung, NJW 1981 1353; W. Schmid Haben die Verfahrensbeteiligten in der Hauptverhandlung Anspruch auf Protokollierung von Verfahrensfehlern? GA 1962 353; ders. Über den Aktenverlust im Strafprozeß, FS Lange (1976) 781; Schmitt Die Dokumentation der Hauptverhandlung, NStZ 2019 1; Schröder Das Wortlautprotokoll als revisionsrechtlicher Nachweis eines Widerspruches zwischen tatrichterlichem Strafurteil und dem Inbegriff der mündlichen Hauptverhandlung (1996); ders. Die Verantwortung des Strafrichters für das Urteil und der Anspruch auf wörtliche Protokollierung einer Aussage, in: Duttge (Hrsg.), Freiheit und Verantwortung in schwieriger Zeit [Schlüchter-Festgabe] (1998) 97; Schumann Protokollberichtigung, freie Beweiswürdigung und formelle Wahrheit im Strafverfahren, JZ 2007 927; Schünemann Die Etablierung der Rügeverkümmerung durch den BGH und deren Tolerierung durch das BVerfG: 140 Jahre Rechtsprechung werden zu Makulatur, StV 2010 538; Sieg Protokollformulare und Zeugenbelehrung, StV 1985 130; Serbest Die audiovisuelle Aufzeichnung der Hauptverhandlung in Strafsachen – Rekonstruktion als Barriere moderner Dokumentation? StraFo 2018 94; Sieß Protokollierungspflicht und freie Beweiswürdigung im Strafprozeß, NJW 1982 1625; Stenglein Das Protokoll in der Hauptverhandlung, GS 45 (1891) 81; Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Wahrheitsfindung im Strafverfahren durch verstärkten Einsatz von Bild-Ton-Technik, BRAK-Stellungnahme 1/2010; Stuckenberg Die Beweiskraft des Sitzungsprotokolls bis zum Nachweis der Fälschung – eine antiquierte Anomalie? FS Rüßmann (2013)

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 271

639; ders. Die Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls – ein mißlungener Import aus Frankreich? in: Leblois-Happe/Stuckenberg (Hrsg.), Was wird aus der Hauptverhandlung?/Quel avenir pour l’audience de jugement? (2014) 135; Tepperwien Die unwahre Verfahrensrüge – unzeitgemäßer Sieg der Form? FS Meyer-Goßner (2001) 595; Uetermeier Kein Wortprotokoll in der strafrechtlichen Hauptverhandlung, NJW 2002 2298; Ulsenheimer Die Verletzung der Protokollierungspflicht im Strafprozeß und ihre revisionsrechtliche Bedeutung, NJW 1980 2273; Valerius Zur Berufung der Revisionsverteidigung auf ein unwahres Protokoll, FS Paulus (2009) 175; Ventzke Auf der Jagd nach der Wahrheit? HRRS 2008 180; ders. Pleiten, Pech und Pannen – Ein Blick auf die revisionsgerichtliche Praxis der strafverfahrensrechtlichen Rügeverkümmerung, HRRS 2011 338; ders. Erinnerungsverlust der Urkundsperson – ein revisionsrechtliches Problem, HRRS 2015 64; Verjans „Negativattest“ trotz „informeller Absprache“ als Falschbeurkundung im Amt? Zugleich eine Anmerkung zu BVerfG, Urteil vom 19.3.2013 – 2 BvR 2628/10 u. a., FS Feigen (2014) 283; Wagner Missbrauch der Verfahrensrüge bei unrichtigem Protokoll – Verletzung des Verfahrensrechts durch den 3. Strafsenat? StraFo 2007 496; ders. Die Beachtlichkeit von Protokollberichtigungen für das Revisionsverfahren, GA 2008 442; Wehowsky Die Revision im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit, NStZ 2018 177; ders. Ausgewählte Aspekte einer audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung: Persönlichkeitsrechte und Austauschrichter, StV 2018 685; ders. Welche Art von Rechtsmittelsystem wollen wir? in: Cirener/Jahn/Radtke (Hrsg.), Bild-Ton-Dokumentation und „Konkurrenzlehre 2.0“ (2019) 33; Werner Das Protokoll im Strafprozeß, DRiZ 1955 180; Witting Es ist längst schon an der Zeit – Ein Plädoyer für die Dokumentation von Aussageinhalten inner- und außerhalb der Hauptverhandlung, FS Schiller (2014) 691; Ziegert Die Entdeckung der Wahrheit, FS Volk (2009) 901. Vgl. ferner die Verhandlungen des 41. Deutschen Juristentages, Bd. II, Das Protokoll im Strafprozeß; dazu JZ 1955 653; sowie den Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens (2015) 128 ff. nebst Anlagenband I 476 (Vorschlag Ignor/Schlothauer), 530 (Gutachten König), 547 (Gutachten Krauß), 628/656 (Vorschlag Hamm).

Entstehungsgeschichte Abgesehen von der Anpassung der Bezeichnungen in den Jahren 1924 („Vorsitzender“ statt „Amtsrichter“ in Absatz 2 Satz 2) und 1927 („Urkundsbeamter“ statt „Gerichtsschreiber“) blieb die Vorschrift inhaltlich im Wesentlichen unverändert. Art. 7 Nr. 14 StPÄG 1964 hat bei Absatz 1 den zweiten Satz angefügt, um der gleichzeitigen Neufassung des § 273 Abs. 4, wonach das Urteil nicht vor Fertigstellung des Protokolls zugestellt werden darf, Rechnung zu tragen. Art. 3 Nr. 14 JuMoG hat Absatz 1 Satz 1 um den Satzteil „soweit dieser in der Hauptverhandlung anwesend war“ eingefügt, weil der gleichzeitig eingefügte § 226 Abs. 2 es dem Strafrichter erlaubt, von der Hinzuziehung eines Urkundsbeamten abzusehen.

I.

711

Übersicht Verhandlungsprotokoll 1 1. Begriff 1 2. Form 2 a) Allgemein gebräuchliche Schrift 2 b) Vordrucke 7 c) Niederschrift in fremder Sprache 8 d) Keine Verlesung 9 3. Einheit des Protokolls 10 a) Zusammengehörende Einheit 10

b)

4.

5.

6.

Wechsel des Urkundsbeamten 13 Verantwortlichkeit 14 a) Eigene Befugnis als Urkundsperson 14 b) Vorsitzender 15 c) Meinungsverschiedenheit 18 Unterschriften 20 a) Unterzeichnung 20 b) Verhinderung 24 c) Verhinderungsvermerk 28 Vermerk des Tags der Fertigstellung 29

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II.

Fertigstellung 29 Form des Vermerks 37 Einsichtnahme, Abschriften 38 Änderung und Berichtigung des Protokolls 39 1. Änderungen und Ergänzungen des noch nicht abgeschlossenen Protokolls 39 2. Begriff und Gegenstand der Berichtigung 43 a) Begriff 43 b) Alle in das Protokoll aufgenommenen Ereignisse 44 3. Voraussetzungen 45 a) Zeitlich unbegrenzt 45 b) Auf Antrag oder von Amts wegen 47 c) Übereinstimmung von Vorsitzendem und Urkundsbeamtem 48 4. Form der Berichtigung 52

5. 6.

a) b) c)

III.

Ablehnung des Antrags 54 Wirksamkeit 55 a) Für und gegen alle Verfahrensbeteiligten 55 b) Berichtigungen ohne Einfluss auf die Beweiskraft des Protokolls 57 c) Frühere Ausnahme bei Rügeverkümmerung 58 d) Rechtsprechungsänderung 61 e) Kritik 63 7. Besonderes Protokollberichtigungsverfahren 65 a) Verfahren 65 b) Wirkungen 67 c) Fehlerfolgen 68 8. Wiederherstellung eines verlorenen Protokolls 69 Rechtsmittel 70 1. Beschwerde 70 2. Revision 76

Alphabetische Übersicht Abschnittsprotokoll 11, 22, 33 Abschriften des Protokolls 38 Aktenbestandteil 2, 38 Akteneinsicht 38, 40, 59 Änderungen des Protokolls 15 ff., 20, 29, 32, 37 f., 39 ff. Anlagen des Protokolls 20 Anrufung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 75 Aufzeichnungen, gerichtsinterne 2 f., 38, 49 Berichtigung des Protokolls 16, 32, 41, 43 ff. – Ablehnung 54, 70 ff. – Auf Antrag oder von Amts wegen 47 – Beachtlichkeit für Revisionsgericht 46, 50, 55 ff., 67 f., 69 – Beschwerdegericht nicht befugt 73 – Beweiskraft 50, 55 ff., 67 f., 69 – Ermittlungen 49, 54, 65 f., 69 – Form 52 ff. – Verfahren nach Rechtsmitteleinlegung 65 ff. – Verhinderung einer Urkundsperson 51 – Wirkung 55 ff., 67 f., 69 Beschaffenheit, äußere 5 Beschwerde 70 ff. Beweiskraft des Protokolls 1 f., 5 f., 15 f., 19 f., 41 f., 50, 55 ff., 67 f., 69, 70 f., 77 ff. Einheit des Protokolls 10 ff. Fälschung des Protokolls 63, 77 Fertigstellungsvermerk 29 ff., 41 – Form 37

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Freie Beweiswürdigung 67, 78 f. Fremdsprachige Niederschrift 8 Gedächtnislücke 27, 49 Geheimhaltungspflichten 38 Hauptverhandlung, mehrtägige 22 Hilfsmittel als Gedächtnisstütze 2 f. Hinderungsgründe für Protokollunterzeichnung 25 Kurzschrift 2 f. Meinungsverschiedenheit zwischen Vorsitzendem und Urkundsbeamten 18 f., 48, 54 Namensstempel 20 Namensverwechslung 57 Offensichtliche Irrtümer 57 Protokoll – Begriff 1, 10 f. – Fehlen 78 – Fertigstellung 11, 15 f., 20, 29 ff., 41 ff. – Korrekturen 5, 16 – Mängel 76 ff. – Reformbedarf 1, 64 – Verlesen und Genehmigung 9, 44 Protokollrügen 76 ff. Randvermerke 5 f., 16, 53 Reihenfolge der Vorgänge 4 Reinschrift 2 Revision 1, 40 ff., 50, 56, 58 ff., 67 f., 76 ff. – Fristlauf nach Berichtigung, Wiedereinsetzung 56

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

Rügeverkümmerung 46, 50, 58 ff. Sammelvermerke 4, 13 Schreibfehler 57 Schrift, allgemein gebräuchliche 2 Teilprotokolle 33 Tonbandaufzeichnungen 3 Unterbrechung der Hauptverhandlung 9 Unterschriften 13, 16, 20 ff., 29 ff., 42, 51 – bei Aufnahme des Urteils 23 – eigenhändige 20 – Nachholung 21 – Verhinderung des Urkundsbeamten 26 – Verhinderung des Vorsitzenden 24 f. – Verhinderungsvermerk 28 – Verweigerung 31 – Zeitpunkt 21

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Urkundsbeamter 14, 16 – Wechsel 13 Urteil, Aufnahme ins Protokoll 23 Urteilsberatung 34 Verhinderungsvermerk 28, 30 Verteidiger, Einsicht ins Protokoll 11, 38, 40, 59 – Revisionsrügen 62 f., 79 f. Videoaufzeichnungen 1, 3, 64 Vordrucke 7 Vorsitzender 13 ff., 39, 42, 48 ff. – Weisungen an Urkundsbeamten 15, 18 Wesentliche Förmlichkeit 1, 12, 35, 44, 57, 72 Wiederaufnahmeverfahren 45 Wiederherstellung des Protokolls 69 Zusammenfassungen im Protokoll 4, 13

I. Verhandlungsprotokoll 1. Begriff. Ein Verhandlungsprotokoll1 ist eine allgemein lesbare Niederschrift 1 (Rn. 2), die die Hauptverhandlung und ihren Verlauf nach Maßgabe der §§ 272, 273 mit Beweiskraft beurkundet (§ 274), wenn die Urkundspersonen durch ihre Unterschrift die Verantwortung dafür übernommen haben. Zweck des Protokolls ist, die Einhaltung der wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens zu belegen,2 jedoch weder die vollständige Dokumentation der Hauptverhandlung noch der erhobenen Beweise, zumal auch die Sonderregelung des § 273 Abs. 2 für das amtsgerichtliche Verfahren nur die Protokollierung der wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen vorsieht. Diese thematische Lückenhaftigkeit führt zu sachlich nicht gerechtfertigten Unterschieden der Möglichkeiten revisionsgerichtlicher Kontrolle der Beweiserhebung und Beweiswürdigung.3 Die Fehleranfälligkeit der Methode der Niederschrift führt zudem auch bei den zu dokumentierenden wesentlichen Förmlichkeiten zu misslichem Streit über nachträgliche Berichtigungen (Rn. 43 ff., 58 ff.). Angesichts dieser Missstände erscheint eine wohlüberlegte Reform geboten,4 bei 1a der der Gesetzgeber Forderungen nach umfassenderer und zuverlässigerer Dokumentation5 durch Einsatz heutiger Techniken wie der audiovisuellen Aufzeichnung6 des Ver-

1 Zur Rechtsnatur des Protokolls als gerichtliche Urkunde vgl. LR/Stuckenberg § 274, 3. 2 Vgl. LR/Stuckenberg § 273, 1; ferner RGSt 55 1; HK/Julius/Beckemper 1; KK/Greger 1; KMR/Gemählich 1; MüKo/Valerius 1; SK/Frister 2; SSW/Güntge 1. 3 Zutr. SK/Frister 2. 4 Ähnl. SK/Frister 3. 5 Z. B. Grünwald Gutachten 50. DJT 1974, C 56 ff.; Mertens FS Grünwald 367, 374 ff.; Nestler FS Lüderssen 727, 736 ff.; Salditt StraFo 1990 54, 58 ff.; ders. FS Meyer-Goßner 469, 478 ff.; Eschelbach FS Widmaier 127, 139, 140 ff.; vgl. auch Reichling 301 ff. 6 Vgl. den Gesetzesvorschlag des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer 27 ff.; dazu Nack/Park/Brauneisen NStZ 2011 310, 313 f.; Krawczyk 287 ff.; Malek StV 2011 559, 564; Momsen FS Egon Müller 457, 458; Schlothauer FS Hamm 655, 675 m. w. N.; Schünemann StV 2010 538, 544; Norouzi 215, 220 ff.; s. a. Hamm 291; Pfordte FS 50 Jahre Deutsches Anwaltsinstitut 519, 527 ff.; Salditt FS Meyer-Goßner 469, 480 f.; Leitner 133 ff.; Stuckenberg FS Rüßmann 639, 650; ders. in: Leblois-Happe/Stuckenberg 135, 143 f.; Weigend StraFo 2013 45, 53; Witting FS Schiller 691, 701 ff.; von Döllen/Momsen freispruch 5 (Sept.

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fahrensablaufs, wie sie andere moderne Verfahrensordnungen7 bereits kennen, über den zaghaften Anfang in § 273 Abs. 2 Satz 2 und 3 hinaus genauso ernsthaft erwägen sollte wie den Verzicht auf die vormoderne Beweisregel des § 274 (Rn. 64). Die zuvor eher ablehnende Haltung seitens der Justiz und des Gesetzgebers8 hat nachgelassen, so dass die Reformdiskussion sich in letzter Zeit deutlich intensiviert9 und zu ersten Gesetzesvorschlägen und Vorarbeiten10 geführt hat. Zu beachten bleiben insbesondere die Auswirkungen auf die ordentlichen Rechtsmittel, namentlich die Revision, und die Wiederaufnahme.11 2. Form 2

a) Allgemein gebräuchliche Schrift. Das Protokoll muss in einer gewöhnlichen, im alltäglichen Leben für die deutsche Sprache allgemein gebräuchlichen Schrift (Hand- oder Maschinenschrift, vgl. bei § 168a) gefertigt sein, nicht etwa in Kurzschrift.12 Dies gilt auch für Äußerungen, die nach § 273 Abs. 3 wörtlich in das Protokoll aufgenommen werden. Da das in Druckschrift oder handschriftlich in gewöhnlicher Langschrift zu fertigende Protokoll nicht in der Sitzung hergestellt werden muss, sondern

2014) 4; Bockemühl FS von Heintschel-Heinegg 51, 61 ff.; krit. Reichling 305 ff.; a. A. Meyer-Goßner FS Fezer 135, 145 ff., 147 ff., 150. Überblick über die Diskussion bis 2011 bei Leitner 111 ff.; bis 2019 bei Lüske Teil 3 A; w. Nachw. in Fn. 9 f. 7 Z. B. § 271a öStPO, Art. 76 Abs. 4 Satz 1 schwStPO sowie die internationalen Strafgerichte; s. a. das Gutachten des Max-Planck-Instituts zum Einsatz akustischer und visueller Dokumentationsverfahren im Strafverfahren 138 ff. (Spanien), 182 ff. (Schweden), 212 ff. (Polen), 298 ff. (U.S.A.), 389 ff. (Australien) sowie jetzt umfassend zur Rechtslage in EU-Mitgliedsstaaten von Galen StraFo 2019 309 ff.; zu England und Österreich Leitner 96 ff.; zu den USA Lüske Teil 2; zum IStGH Schmitt NStZ 2019 1, 3 ff. 8 Die Begründung der ablehnenden Haltung des Entwurfs BRDrucks. 829/03 S. 28 f., auch BTDrucks. 15 1976 S. 13, stellt die Schlussfolgerungen des Gutachtens des Max-Planck-Instituts zum Einsatz akustischer und visueller Dokumentationsverfahren im Strafverfahren (dort S. 495 f., 505 f.) auf den Kopf. 9 Vgl. im Anlagenband I zum Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens (2015) die Gutachten von König (512, 530 ff.) und Krauß (547 ff.) sowie die Vorschläge von Hamm (628 ff., 565 ff.) und Ignor/ Schlothauer (476 ff.); Bräutigam DRiZ 2018 288; Wehowsky NStZ 2018 177; ders. StV 2018 685; Serbest StraFo 2018 94; Mosbacher StV 2018 182; ders. ZRP 2019 158; Bartel StV 2018 678; Schmitt NStZ 2019 1; Bockemühl KriPoZ 2019 375; von Galen StraFo 2019 309; zudem die Beiträge von Cirener, Kudlich, Paul, Krauß und Wehowsky in Cirener/Jahn/Radtke (Hrsg.), Bild-Ton-Dokumentation und „Konkurrenzlehre 2.0“ (2019). 10 Vgl. BTDrucks. 19 11090 (dazu Bockemühl KriPoZ 2019 375; Mosbacher ZRP 2019 158) und die Einsetzung einer Expertengruppe im BMJV im Januar 2020, vgl. BTProt. 19 124 S. 15294D; s. a. BTDrucks. 19 13515. 11 Dazu Meyer-Goßner FS Fezer 135, 140 ff., 145 ff. mit der Befürchtung, die Revision würde zu einer „minderen Berufung“ mutieren. Es bedarf weiterer Untersuchung, möglichst unter Einbeziehung rechtsvergleichender Erfahrungen, ob ein auf Rechtskontrolle beschränktes Rechtsmittel wie die Revision nur hinter einem „Schleier des Halbwissens“ in Gestalt fragmentarischer tatgerichtlicher Protokolle funktionsfähig ist oder ob sich gangbare Wege finden, bessere Dokumentation und handhabbare Rechtskontrolle zu vereinbaren, vgl. Salditt FS Meyer-Goßner 469, 478 ff.; Nestler FS Lüderssen 727, 735 f.; Norouzi 215, 221 ff.; Leitner 84 ff.; Witting FS Schiller 691, 704 ff.; Wehowsky NStZ 2018 177 ff.; Mosbacher StV 2018 182, 184 ff.; ders. ZRP 2019 158, 160 f.; Bartel StV 2018 678, 681 ff.; Schmitt NStZ 2019 1, 6 ff.; s. a. Hofmann StraFo 2004 303 ff.; Leitner StraFo 2004 306 ff.; Wollschläger FS Schlothauer 517 ff. Monographisch jüngst Schletz Die erweiterte Revision in Strafsachen (2020) 576 ff. und Lüske. 12 RGSt 55 1; BGHSt 19 193; KK/Greger 4; Meyer-Goßner/Schmitt 6, 9; MüKo/Valerius 12; Radtke/Hohmann/Pauly 2; SSW/Güntge 2.

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auch nachträglich gefertigt werden darf,13 ist es zulässig und bei länger dauernden Hauptverhandlungen meist unerlässlich, in der Hauptverhandlung Aufzeichnungen in Kurzschrift zu machen, um eine brauchbare und verlässliche Grundlage für die spätere Fertigung des Protokolls zu haben. Das mit Beweiskraft nach § 274 ausgestattete Protokoll ist aber immer nur die unterschriebene Reinschrift und nicht die ihr zugrunde liegenden Notizen oder Tonbänder. Ob § 168a Abs. 2 Satz 1 auf die vorläufigen Aufzeichnungen anwendbar ist, ist strittig,14 eine entsprechende Anwendung des § 168a Abs. 3 wird dagegen verneint.15 Anders als etwa die zu Beweiszwecken nach § 247a Satz 4 vorgenommenen Aufzeichnungen sind Aufzeichnungen, die nur der Erleichterung der Protokollierung dienen sollen, lediglich Hilfsmittel für diesen Zweck; wollte man ihnen eine darüber hinausreichende selbständige Bedeutung zuerkennen, wäre dies mit der Bedeutung des allein maßgeblichen Sitzungsprotokolls unvereinbar. Solche ausschließlich für den persönlichen Gebrauch gefertigten Gedächtnisstützen werden nach vorherrschender Ansicht nicht Bestandteil der Akten; sie müssen weder aufbewahrt noch den Verfahrensbeteiligten zugänglich gemacht werden.16 Tonband- oder Videoaufzeichnungen der Hauptverhandlung oder einzelner ihrer 3 Abschnitte können derzeit nicht das Protokoll ersetzen,17 ganz gleich, auf wessen Veranlassung und zu welchen Zwecken sie aufgenommen worden sind und wieweit für die Aufnahme die Zustimmung des Sprechenden erforderlich war.18 Stehen sie den Urkundsbeamten zur Verfügung, können sie als Hilfsmittel zur Gedächtnisstütze bei der Fertigstellung des Protokolls herangezogen werden wie etwa die üblicherweise in Kurzschrift aufgenommenen Notizen.19 Solche Aufzeichnungen außerhalb des Protokolls sind zulässig. Die nach § 273 in das Protokoll aufzunehmenden Verfahrensvorgänge sind grundsätz- 4 lich in der Reihenfolge im Protokoll festzuhalten, in der sie sich ereignet haben. Die Einhaltung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Ordnung des Verfahrensganges muss erkennbar sein.20 Nur wenn dies nicht in Frage gestellt wird, sind Zusammenfassungen gleichartiger Vorgänge in einem Vermerk zulässig, etwa, dass der Angeklagte nach jedem Beweismittel gemäß § 257 befragt wurde.21 Auf welche Verfahrensvorgänge sich ein solcher Sammelvermerk bezieht, muss eindeutig klargestellt werden.22 13 BGH GA 1960 61. 14 Verneinend OLG Koblenz NStZ 1988 42; KMR/Gemählich 2; Meyer-Goßner/Schmitt 8 f.; SK/Frister 13; bejahend Kühne StV 1991 104; vgl. auch HK/Julius/Beckemper 2. 15 Meyer-Goßner/Schmitt 9. 16 BGHSt 29 394; BGH bei Dallinger MDR 1973 903; OLG Koblenz NStZ 1988 42; vgl. auch OLG Karlsruhe Justiz 1981 483; KK/Greger 5; KMR/Gemählich 2, 15; Meyer-Goßner/Schmitt 10; MüKo/Valerius 14; Radtke/ Hohmann/Pauly 2; SK/Frister 13; SSW/Güntge 2; Rottländer NStZ 2014 138 f. (zu Tonaufzeichnungen); a. A. Arndt NJW 1966 2204; Marxen NJW 1977 2189; H. Schäfer NStZ 1984 205; vgl. auch HK/Julius/Beckemper 11. 17 BGHSt 19 193; BGH NStZ 1982 204; bei Spiegel DAR 1982 204; OLG Karlsruhe Justiz 1981 483; OLG Koblenz NStZ 1988 42; Rassow NJW 1958 653; Röhl JZ 1956 591; Eb. Schmidt JZ 1956 206; h. M., so auch AK/Lemke 1 und die Nachw. in Fn. 18. 18 Insoweit sind einzelne Fragen strittig, vgl. etwa restriktiv OLG Düsseldorf StV 1991 102 mit Anm. Kühne; OLG Schleswig NStZ 1992 399 mit Anm. Molketin NStZ 1993 345; s. a. Marxen NJW 1977 2188; Roggemann JR 1966 47; H. Schäfer NStZ 1984 205; HK/Julius/Beckemper 2; KK/Greger 4 f.; KMR/Gemählich 2; Meyer-Goßner/Schmitt 8; SK/Frister 13. 19 RGSt 65 434, 436; Meyer-Goßner/Schmitt 9; Meyer-Goßner/Appl 903, 1029; Bruns GA 1960 162; Henkel JZ 1957 148, 154; Rassow NJW 1958 653; Schmitt JuS 1961 19. 20 Meyer-Goßner/Schmitt 12. 21 Meyer-Goßner/Schmitt 12; SK/Frister 11; SSW/Güntge 7; weitere Beispiele bei Meyer-Goßner/Appl 907. 22 Vgl. Rn. 13 bei Wechsel des Urkundsbeamten.

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Die äußere Beschaffenheit des Protokolls muss seiner Bedeutung entsprechen; ein Ausschaben oder Überkleben ist unstatthaft,23 ein Durchstreichen oder Hineinschreiben von Sätzen oder Worten ist möglichst zu vermeiden.24 Vorzuziehen ist die Änderung durch Randvermerke (Rn. 6), die vom Vorsitzenden und vom Protokollführer abzuzeichnen sind.25 Die Wirkung etwaiger Verstöße ist nicht besonders geregelt. Es bleibt dem Richter überlassen, den Einfluss eines Verstoßes der fraglichen Art auf die Beweiskraft des Protokolls nach freiem Ermessen zu würdigen.26 Regelmäßig kann durch einen solchen Verstoß nicht die Beweiskraft des ganzen Protokolls, sondern nur die des betreffenden Satzes oder Teils in Frage gestellt werden.27 6 Werden dem Protokoll Randvermerke hinzugefügt, so bedürfen diese der besonderen Beglaubigung durch die Unterschriften des Vorsitzenden und des Urkundsbeamten (Rn. 16). Die Folge des Mangels dieser Beglaubigung würde indes auch nur sein können, dass der Randvermerk und unter Umständen auch der Satz, zu dessen Ergänzung er dienen soll, der Beweiskraft entbehren würde.28 5

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b) Vordrucke. Vordrucke dürfen für das Protokoll verwendet werden. Dies kann zweckmäßig sein, da hierdurch die Beachtung der in jedes Protokoll gehörenden Formalien erleichtert wird. Die Verwendung von Formularen birgt aber eine Reihe von Gefahren in sich.29 Vor allem ist auf die Streichung der im Einzelfall nicht zutreffenden Teile des Vordrucks erhöhte Aufmerksamkeit zu richten, um eine häufige Fehlerquelle auszuschließen.

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c) Niederschrift in fremder Sprache. Die Niederschrift einzelner Aussagen usw. in einer fremden Sprache ist nach § 185 GVG zulässig, nicht jedoch die Abfassung des ganzen Protokolls.30

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d) Keine Verlesung. Eine Verlesung und Genehmigung des Protokolls findet nicht statt; eine Ausnahme findet sich in § 273 Abs. 3. 3. Einheit des Protokolls

a) Zusammengehörende Einheit. Das Protokoll über die Hauptverhandlung bildet eine zusammengehörende Einheit, auch wenn die Hauptverhandlung mehrere Tage gedauert hat und für jeden Tag ein besonderes Protokoll aufgenommen worden ist.31 Es steht im Ermessen der für die Protokollführung verantwortlichen Personen (Vor11 sitzender und Urkundsbeamter), ob sie bei einer mehrtägigen Hauptverhandlung für jeden Tag ein besonderes Abschnittsprotokoll oder nur ein auch rein äußerlich einheitli-

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RG GA 47 (1900) 377; Meyer-Goßner/Schmitt 11; MüKo/Valerius 16; SK/Frister 14; SSW/Güntge 3. Meyer-Goßner/Schmitt 11. KMR/Gemählich 3; MüKo/Valerius 16; Radtke/Hohmann/Pauly 3; SK/Frister 14. RG GA 46 (1898/99) 132; LZ 1914 196. RGSt 27 169; HK/Julius/Beckemper 4; Meyer-Goßner/Schmitt 11; Radtke/Hohmann/Pauly 3; SK/Frister 14; vgl. LR/Stuckenberg § 274, 29 ff., 33. 28 RGRspr. 2 (1880) 658; RGSt 1 242; 20 425; RG GA 61 (1914) 341; Meyer-Goßner/Schmitt 11. 29 OK-StPO/Peglau 10; SSW/Güntge 3; Kohlhaas NJW 1974 23; Sieg StV 1985 130 (zu BGH StV 1984 405). 30 Wegen der Einzelheiten vgl. bei § 185 GVG. 31 BVerfG StV 2002 521; BGHSt 16 306; 29 394; BGH bei Dallinger MDR 1975 742; bei Pfeiffer NStZ 1981 297; AK/Lemke 2; KK/Greger 3; KMR/Gemählich 4 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 2; MüKo/Valerius 4; OK-StPO/ Peglau 2; Radtke/Hohmann/Pauly 5; SK/Frister 4; SSW/Güntge 1; Hanack JZ 1972 489.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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ches Protokoll mit nur einmaligem Abschluss herstellen wollen.32 Es ist allerdings wenig zweckmäßig, wenn das Protokoll einer mehrere Monate andauernden Verhandlung erst nach der Urteilsverkündung erstellt wird.33 Die Verfahrensbeteiligten, insbesondere Verteidiger, haben aber keinen Anspruch, dass das Protokoll bei einer mehrwöchentlichen Verhandlung durch mehrere Abschlüsse unterteilt wird.34 Auch bei abschnittsweiser Erstellung bleibt das Sitzungsprotokoll ein aus seiner Gesamtheit heraus „auslegungsfähiges Ganzes“.35 Die im Protokoll zu Beginn des Prozesses festgestellte Anwesenheit der Personen bestätigt dies auch dann grundsätzlich für die ganze Hauptverhandlung, wenn nicht an einer späteren Stelle festgehalten ist, dass eine zu Beginn noch nicht anwesende Person hinzugekommen ist oder sich eine Person entfernt hat.36 Das beweiskräftige Sitzungsprotokoll ist erst fertiggestellt (Absatz 1 Satz 2; § 273 Abs. 4), wenn die Urkundspersonen nach Schluss der Hauptverhandlung den letzten Teilabschnitt und damit die ganze Niederschrift unterschrieben haben.37 Wird die Hauptverhandlung unterbrochen, braucht das Protokoll nicht jedesmal 12 abgeschlossen werden. Es kann zweckmäßig sein, die Unterbrechung und ihre Dauer zu vermerken, jedoch gehören kürzere Unterbrechungen am gleichen Tage – etwa für eine Mittagspause – nicht zu den wesentlichen Förmlichkeiten, die nur durch das Protokoll beweisbar sind.38 b) Wechsel des Urkundsbeamten. Wechselt der Urkundsbeamte während der 13 Hauptverhandlung, hat jeder Beamte den von ihm beurkundeten Teil zu unterschreiben und damit abzuschließen.39 Dabei sind grundsätzlich Sammelvermerke über nach bestimmten Verfahrensvorgängen wiederkehrende Aufforderungen usw., die an sich für die ganze Hauptverhandlung gelten sollen und deshalb üblicherweise am Schluss des Protokolls aufgenommen werden, wie etwa die Beachtung der Vorschrift des § 257, von jedem der mehreren Urkundsbeamten für den von ihm protokollierten Verfahrensteil zu bezeugen. Er muss sie deshalb in den von ihm beurkundeten Teil der Hauptverhandlung aufnehmen;40 andernfalls muss ein nur am Schluss des Protokolls gebrachter Sammelvermerk – zweckmäßigerweise in Verbindung mit dem Hinweis, dass er auch für die gesondert protokollierten Verfahrensabschnitte gilt – durch die zusätzlichen Unterschriften aller Protokollführer gedeckt sein. Der Vorsitzende ist nicht gehalten, die Sitzungsniederschrift jeweils dann durch seine Unterschrift abzuschließen, wenn der Urkundsbeamte wechselt. Seine Unterschrift am Schluss der Sitzungsniederschrift deckt ihren ganzen Inhalt auch dann, wenn der Urkundsbeamte im Laufe der Verhandlung gewechselt hat.41

32 RGSt 30 205; RG JW 1901 690; 1925 2785; BGHSt 16 301; OLG Düsseldorf JMBlNW 1963 215; KK/Greger 3; KMR/Gemählich 4; SK/Frister 4. 33 Bendix ZStW 39 (1918) 12; Meyer-Goßner/Schmitt 2. Busch JZ 1964 750 empfiehlt de lege ferenda für jeden Tag ein besonderes Protokoll. 34 BGH NStZ 1993 141. 35 Hanack JZ 1972 489. 36 BGH NJW 1994 3364; Meyer-Goßner/Schmitt 2; SK/Frister 5; vgl. auch Rn. 13. 37 BGH bei Dallinger MDR 1975 724; KMR/Gemählich 14; Meyer-Goßner/Schmitt 2 unter Hinweis auf BVerfG, vgl. Rn. 29, 38. 38 BGH JZ 1967 185; AK/Lemke 2; vgl. LR/Stuckenberg § 272, 8 m. w. N. 39 BGH bei Kusch NStZ 1992 29; OLG Braunschweig NdsRpfl. 1947 89; vgl. LR/Becker § 226, 10; LR/ Stuckenberg § 272, 12. 40 KMR/Gemählich 5; SK/Frister 16; vgl. Rn. 4. 41 KMR/Gemählich 5; Meyer-Goßner/Schmitt 2; MüKo/Valerius 17.

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4. Verantwortlichkeit 14

a) Eigene Befugnis als Urkundsperson. Die Beurkundung der Vorgänge der Hauptverhandlung in der Sitzungsniederschrift ist dem Vorsitzenden und dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (§ 153 GVG)42 zur selbständigen Erledigung zu übertragen (§ 226 Abs. 1). Sie üben insoweit eine eigene Befugnis als Urkundsperson aus; sie handeln nicht für das Gericht (vgl. Rn. 75). Das Festhalten der protokollierungsbedürftigen Vorgänge in der Hauptverhandlung und die Fertigung des Protokolls, die nicht in der Hauptverhandlung zu geschehen braucht, obliegt dem Urkundsbeamten in eigener Verantwortung, wobei ihn Nr. 144 Abs. 1 RiStBV anhält, das Protokoll über die Hauptverhandlung wegen seiner weittragenden Bedeutung besonders sorgfältig abzufassen. Nur in den Fällen des § 226 Abs. 2 ist der Vorsitzende allein für die Sitzungsniederschrift verantwortlich.43

b) Vorsitzender. Der Vorsitzende, nicht das Gericht, ist für die richtige und vollständige Beurkundung der Hauptverhandlung im gleichen Maße wie der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle verantwortlich. Vor der Unterzeichnung durch den Vorsitzenden liegt kein fertiggestelltes Protokoll vor. Es ist seine Aufgabe (vgl. Nr. 144 Abs. 1 RiStBV), den Urkundsbeamten zur sachgerechten Beurkundung anzuhalten, den Protokollentwurf zu prüfen und auf die erforderlichen Änderungen oder Ergänzungen hinzuwirken.44 Diese Aufgabe kann nicht ernst genug genommen werden; in der Praxis führen zahlreiche Verfahrensrügen nicht etwa deshalb zum Erfolg, weil dem Gericht ein Fehler unterlaufen ist, sondern, weil das Protokoll unzulänglich geführt und im Drang der Geschäfte nicht gründlich genug vom Vorsitzenden überprüft worden ist und deshalb Unrichtigkeiten und Mängel enthält, auf die sich die Verfahrensrügen, insbesondere auch wegen der negativen Beweiskraft (§ 274), mit Erfolg gründen lassen. Hat der Vorsitzende das Protokoll unterschrieben ohne es durchzusehen, so kann er dessen Abschluss (Fertigstellung) nicht damit in Abrede stellen, dass er das nur getan habe, um die Urteilsformel zu decken.45 16 Werden dem Vorsitzenden die vom Urkundsbeamten gefertigten und unterzeichneten Protokolle vorgelegt, so ist er berechtigt und verpflichtet, für alle erforderlichen Berichtigungen oder Ergänzungen der Niederschrift zu sorgen.46 Er kann das Protokoll zu diesem Zweck dem Protokollführer zurückgeben, es ist aber auch zulässig, dass er selbst die Änderungen und Ergänzungen in das Protokoll hineinschreibt, da nirgends vorgeschrieben ist, dass das Protokoll von der Hand des Urkundsbeamten fertiggestellt werden muss. Unerlässlich ist aber stets, dass der Protokollführer den Abänderungen zustimmt, was voraussetzt, dass er sich zumindest nachträglich an den Vorgang noch oder wieder erinnert, so dass er die Protokollierung auch insoweit mittragen kann.47 Dass der Urkundsbeamte nachträglich einer vom Vorsitzenden selbst vorgenommenen Änderung zugestimmt hat, muss zwar nicht zwingend notwendig im Protokoll selbst zum Ausdruck kommen.48 Um in solchen Fällen aber jeden die Beweiskraft zerstörenden 15

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Zur Heranziehung von Referendaren vgl. OLG Dresden StV 2004 368. Vgl. LR/Becker § 226, 23 f. KK/Greger 6; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Valerius 9; Radtke/Hohmann/Pauly 6; SK/Frister 8 f. RGSt 68 244. RGRspr. 5 (1883) 191; RGSt 20 227; BGH GA 1954 119; vgl. Fn. 36. Weitgehend h. M.; vgl. BGH bei Kusch NStZ 1996 22; nach OLG Düsseldorf MDR 1990 743 soll die Änderung erst nach einer schriftlichen Äußerung des Protokollführers vorgenommen werden. 48 BGH GA 1992 319; KK/Greger 7; vgl. Rn. 20.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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Zweifel auszuschließen, sollte das Protokoll selbst unzweideutig (am besten durch Abzeichnung der Änderung am Rande mit Datum49) erkennen lassen, dass beide Urkundspersonen durch ihre Unterschrift die Verantwortlichkeit für die Änderung übernommen haben, damit die Ergänzung oder Umarbeitung als beweiskräftiger Teil des Protokolls (§ 274) gelten kann.50 Die im Voraus erklärte Einwilligung des Urkundsbeamten in die dem Vorsitzenden 17 angebracht erscheinenden Änderungen des vom Urkundsbeamten aufgenommenen und unterschriebenen Protokolls ist nicht geeignet, die vom Vorsitzenden bewirkten Änderungen beweiskräftig zu machen.51 c) Meinungsverschiedenheit. Der Vorsitzende kann den Urkundsbeamten bei ei- 18 ner Meinungsverschiedenheit über den tatsächlichen Verlauf eines zu beurkundenden Vorgangs nicht anweisen, die von ihm für richtig gehaltene Darstellung in das Protokoll aufzunehmen.52 Er muss bei Meinungsverschiedenheiten über den Verfahrenshergang versuchen, die tatsächlichen Vorgänge eventuell durch Befragung der anderen Prozessbeteiligten aufzuklären, um so doch noch zu einer übereinstimmenden Beurkundung zu kommen. Betrifft die Meinungsverschiedenheit dagegen nur die Rechtsfrage, ob ein unstrittiger tatsächlicher Vorgang im Protokoll festgehalten werden muss, kann der Vorsitzende die von ihm aus Rechtsgründen für notwendig gehaltene Protokollierung anordnen.53 Ob er umgekehrt auch anordnen könnte, dass eine von ihm aus Rechtsgründen als überflüssig angesehene Protokollierung unterbleibt, ist zweifelhaft,54 praktisch wird sich in solchen Fällen die Aufnahme empfehlen. An die Anordnung der Protokollierung nach § 273 Abs. 3 ist der Protokollführer gebunden. Eine den Inhalt des Protokolls betreffende, unerledigt gebliebene Meinungsver- 19 schiedenheit zwischen dem Vorsitzenden und dem Urkundsbeamten darf nicht mit Stillschweigen übergangen, sondern muss in dem Protokoll selbst zum Ausdruck gebracht werden.55 Dem Gericht legt das Gesetz nicht die Befugnis bei, über solche Meinungsverschiedenheiten zu entscheiden und den Inhalt des Protokolls durch Beschluss festzustellen. Die nicht ausgeglichene Meinungsverschiedenheit lässt insoweit die Beweiskraft des § 274 nicht entstehen.56

49 Es genügt aber auch die Genehmigung aller Änderungen am Ende des Protokolls, BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 290; Meyer-Goßner/Appl 1033; Meyer-Goßner/Schmitt 14; SK/Frister 8. 50 RGSt 1 242; 20 425; 22 244; BGH GA 1954 119; BayObLGSt 1985 57; SSW/Güntge 4. 51 RG DRiZ 1931 Nr. 366; AK/Lemke 5; Meyer-Goßner/Schmitt 14; Radtke/Hohmann/Pauly 7; SK/Frister 8. 52 AK/Lemke 5; KK/Greger 7; Meyer-Goßner/Schmitt 4; Radtke/Hohmann/Pauly 6; SK/Frister 10; SSW/ Güntge 5. Vgl. KMR/Gemählich 9: praktisch irrelevante Frage. 53 HK/Julius/Beckemper 3; KK/Greger 7; KMR/Gemählich 9; Meyer-Goßner/Schmitt 4; MüKo/Valerius 11; Radtke/Hohmann/Pauly 6; SK/Frister 9; SSW/Güntge 5; Eb. Schmidt Nachtr. 3; OLG Köln NJW 1955 843 nimmt ein Weisungsrecht des Vorsitzenden an. Nach Gössel § 34 C II kann der Vorsitzende in der Hauptverhandlung die Protokollierung bestimmter Vorgänge nach § 238 Abs. 1 anordnen. Der Protokollführer ist daran (und an etwaige Beschlüsse nach § 238 Abs. 2) gebunden; vgl. aber Rn. 75. 54 Ein Weisungsrecht bejaht SSW/Güntge 5 und verneinen HK/Julius/Beckemper 3; MüKo/Valerius 10; SK/Frister 9 und wohl auch Gössel § 34 C II (nach Abschluss der Hauptverhandlung). Vgl. Rn. 15. Wegen der Pflicht, Meinungsverschiedenheiten offenzulegen, ist der praktische Unterschied gering. 55 HK/Julius/Beckemper 3; KK/Greger 7; Meyer-Goßner/Schmitt 4; MüKo/Valerius 10; SK/Frister 10. 56 RGSt 57 396; RG GA 50 (1903) 116; 61 (1914) 13; 61 (1914) 352; BGHSt 4 364; Ranft JuS 1994 786; Zweigert GA 60 (1913) 265; ferner die Nachw. in Fn. 55 und LR/Stuckenberg § 274, 8 ff.; auch Rn. 20; a. A. RG GA 60 (1913) 265.

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5. Unterschriften a) Unterzeichnung. Um Beweiskraft (§ 274) zu haben, muss das Protokoll vom Vorsitzenden und vom Urkundsbeamten unterschrieben sein. Die eigenhändige Unterschrift darf nicht durch den Gebrauch eines Namensstempels ersetzt werden.57 Die Unterschrift muss nicht unbedingt leserlich sein, sie muss sich aber als Schriftzug darstellen, der die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnet; eine lediglich geschlängelte Linie genügt nicht.58 Erst wenn das Protokoll insgesamt in allen Teilen durch beide Unterschriften gedeckt ist und auch etwaige Änderungen unterschriftlich genehmigt sind, ist es fertiggestellt (Rn. 29). Werden Anlagen zum Protokoll genommen, ist dies durch einen die Anlage eindeutig kennzeichnenden Vermerk im Protokoll festzuhalten. Es ist nicht notwendig, dass die Protokollführer dies auch durch ihre Unterschrift auf der Anlage bestätigen;59 umgekehrt ersetzt die Unterzeichnung der Anlagen nicht die des Protokolls selbst.60 Wegen der als Anlage zu Protokoll genommenen Beschlüsse vgl. § 273, 26. 21 Das Gesetz schreibt keinen Zeitpunkt vor, bis zu dem spätestens die Unterzeichnung geschehen sein müsse. Daran hat auch die Einfügung des Absatzes 1 Satz 2 nichts geändert (vgl. Rn. 29). Es ist daher statthaft, die aus Versehen unterbliebene Unterzeichnung nachzuholen, und zwar selbst nach Einlegung eines Rechtsmittels, das den Mangel der Unterschrift rügt.61 Vorsitzender und Urkundsbeamter sind sogar verpflichtet, die Unterschrift nachzuholen, es sei denn, dass sie wegen der verstrichenen Zeit nicht mehr für die Richtigkeit des Inhalts des Protokolls einstehen können.62 Gibt das Protokoll den Gang einer mehrtägigen Hauptverhandlung wieder, so de22 cken die es abschließenden Unterschriften seinen ganzen Inhalt (Rn. 11); es bedarf, sofern nicht die Urkundsbeamten gewechselt haben (Rn. 13), keiner besonderen Unterschriften für jeden, einen einzelnen Sitzungstag betreffenden Abschnitt.63 Ist das Urteil mit Gründen vollständig in das Protokoll aufgenommen worden 23 (§ 275 Abs. 1), so genügt es nicht, wenn der Urkundsbeamte das Protokoll mit Urteilsformel, der Vorsitzende aber ebenso wie die beisitzenden Richter nur die Gründe unterschreibt; ist so verfahren worden, so liegt ein Mangel des Protokolls vor.64

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b) Verhinderung. Bei Verhinderung des Vorsitzenden unterschreibt für ihn der dienstälteste, nur ersatzweise der lebensälteste (analog § 21h GVG) beisitzende Berufsrichter (Absatz 2 Satz 1).65 Ist kein solcher vorhanden, weil der Vorsitzende das einzige berufsrichterliche Mitglied des Gerichts ist, wie etwa beim Schöffengericht, oder ist kein Berufsrichter zur Unterzeichnung imstande,66 so genügt die Unterschrift des Urkundsbeamten (Absatz 2 Satz 2). 57 RG JZ 1920 443; MüKo/Valerius 19; SK/Frister 16; SSW/Güntge 8. 58 OLG Düsseldorf NJW 1956 923; vgl. auch LR/Franke26 § 345, 25. 59 BGH bei Miebach NStZ 1991 230 Nr. 22; OLG Hamm NStZ-RR 2001 83, 84; NStZ 2001 220 f.; OLG Düsseldorf MDR 1986 166; Meyer-Goßner/Schmitt 13; SK/Frister 16. 60 OLG Hamm NStZ-RR 2001 83, 84; NStZ 2001 220 f.; OK-StPO/Peglau 14; SK/Frister 16. 61 RGSt 13 351; RG LZ 1920 443; JW 1932 2730; BGHSt 10 145; 12 270; KK/Greger 12; Meyer-Goßner/ Schmitt 15; MüKo/Valerius 22; Radtke/Hohmann/Pauly 9; SK/Frister 17; SSW/Güntge 8. 62 BGHSt 10 115. 63 So aber OLG Stuttgart StraFo 2002 133 f. für Abschnittsprotokolle. 64 RGSt 64 214; Meyer-Goßner/Schmitt § 275, 1. 65 KK/Greger 10; KMR/Gemählich 11; Meyer-Goßner/Schmitt 16; MüKo/Valerius 23; Radtke/Hohmann/ Pauly 10; SK/Frister 22; SSW/Güntge 9. 66 OLG Koblenz 1.7.2019 – 2 Ws 356/19, 2 Ws 357/19.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 271

Ein Hindernis im Sinne des Absatzes 2 liegt vor, wenn dem Vorsitzenden die Unter- 25 schrift aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen dauernd oder (voraussichtlich) für eine solche Zeitspanne unmöglich ist, dass ein Zuwarten bis zum Wegfall des Hindernisses die geregelte Abwicklung des Verfahrens wesentlich verzögern würde; so etwa, wenn der Vorsitzende längere Zeit in Urlaub oder ernsthaft oder für nicht absehbare Zeit erkrankt ist.67 Dienstliche Überlastung ist kein Hinderungsgrund.68 Dagegen liegt ein solches Hindernis vor, wenn der Vorsitzende verstorben oder aus dem aktiven Richterdienst ausgeschieden ist, sei es, dass er pensioniert wurde, sei es, dass er ein nichtrichterliches Amt übertragen erhalten hat. Ist der Vorsitzende dagegen nur aus dem Spruchkörper ausgeschieden, so hat er die Fähigkeit, das Protokoll als Richter zu unterzeichnen, dadurch nicht verloren.69 Die Verhinderung des Urkundsbeamten ist im Gesetz nicht geregelt. Hier hat je- 26 doch grundsätzlich das gleiche zu gelten wie bei der Verhinderung des Vorsitzenden. Es muss genügen, dass nur der Vorsitzende das Protokoll allein unterschreibt.70 Eine Verhinderung des Urkundsbeamten ist auch gegeben, wenn er aus dem aktiven Justizdienst ausscheidet oder wenn er sonst die Fähigkeit zur Beurkundung verloren hat.71 Eine solche ersatzweise Unterschrift durch den Vorsitzenden kann jedoch daran scheitern, dass noch kein Protokollentwurf vorliegt und ein solcher auch nicht aus den vorhandenen Unterlagen und Notizen mit der erforderlichen Zuverlässigkeit erstellt werden kann.72 Kein Hindernis, das den Vertretungsfall auslöst, liegt vor, wenn eine der Urkunds- 27 personen infolge einer Gedächtnislücke sich außerstande fühlt, die Verantwortung für die Richtigkeit des Protokolls oder eines Teiles davon zu übernehmen.73 Lässt sich die Erinnerung nicht durch den zunächst gebotenen Rückgriff auf die Verhandlungsunterlagen oder durch Befragung der anderen Verfahrensteilnehmer wieder auffrischen, muss dies bei Unterschrift des Protokolls unter Kennzeichnung des nicht bestätigten Teiles vermerkt werden. c) Verhinderungsvermerk. Auf die Verhinderung ist von demjenigen, der für den 28 Verhinderten unterschreibt, zur Kennzeichnung seiner Beurkundungsbefugnis hinzuweisen. Der Grund der Verhinderung ist dabei zweckmäßigerweise anzuführen.74 Die ihn belegenden Feststellungen sind aktenkundig zu machen.

67 KK/Greger 10 (Abwarten mit geregeltem Dienstbetrieb unvereinbar); KMR/Gemählich 13 (unangemessene Verfahrensverzögerung, ebenso SSW/Güntge 11); Meyer-Goßner/Schmitt 16 (ungebührliche Verzögerung); MüKo/Valerius 26; Radtke/Hohmann/Pauly 10; SK/Frister 21 (unangemessen lang); enger wohl Hahn 886. Maßgebend ist die (prognostische) Beurteilung ex ante; entfällt das Hindernis früher als angenommen, berührt das eine zunächst zu Recht angenommene Vertretungsbefugnis nicht. 68 KMR/Gemählich 13; Meyer-Goßner/Schmitt 16; MüKo/Valerius 26; SK/Frister 21; SSW/Güntge 11. 69 Busch JZ 1964 748; KK/Greger 10; zur ähnlichen Lage bei Unterzeichnung des Urteils vgl. LR/Stuckenberg § 275, 44 ff. 70 OLG Schleswig bei Lorenzen/Schiemann SchlHA 1997 171; OK-StPO/Peglau 17; KK/Greger 11; KMR/ Gemählich 12; Meyer-Goßner/Schmitt 17; MüKo/Valerius 25; Radtke/Hohmann/Pauly 11; SK/Frister 20; SSW/ Güntge 10; Eb. Schmidt 11; Feisenberger ZStW 38 (1916) 660. 71 Busch JZ 1964 749. 72 SK/Frister 20; SSW/Güntge 10. 73 SK/Frister 21. 74 MüKo/Valerius 27; SK/Frister 21; Börtzler MDR 1972 187 hält die Angabe des Verhinderungsgrundes wegen § 273 Abs. 4 für unerlässlich; ebenso Meyer-Goßner/Schmitt 18; Meyer-Goßner/Appl 1028; Radtke/ Hohmann/Pauly 10.

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6. Vermerk des Tags der Fertigstellung 29

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a) Fertigstellung. Absatz 1 Satz 2 verlangt im Hinblick auf § 273 Abs. 4, dass der zeitlich an keine bestimmte Frist (Rn. 21) gebundene Tag der Fertigstellung im Protokoll zu vermerken ist. Fertiggestellt ist das Protokoll erst, wenn es in allen Teilen75 vom Urkundsbeamten und vom Vorsitzenden unterschrieben ist; bei Änderungen (Rn. 16) erst mit der letzten, die Änderung genehmigenden Unterschrift.76 Nachträgliche Änderungen durch den Vorsitzenden muss der Protokollführer gebilligt haben.77 Genügt wegen der Verhinderung einer dieser Personen ausnahmsweise die alleinige Unterschrift der anderen (Rn. 24, 26), dann ist das Protokoll fertiggestellt, sobald die eine Unterschrift vorliegt und die Verhinderung ausdrücklich von der zu ihrer Feststellung allein befugten anderen Urkundsperson an Stelle der zweiten Unterschrift auf dem Protokoll vermerkt wird. Erst dadurch wandelt sich der bis dahin der zweiten Unterschrift entbehrende Entwurf zum verbindlichen Protokoll. Verweigert eine Urkundsperson die Unterschrift, weil sie den Inhalt des Protokolls nicht mehr aus ihrer Erinnerung bestätigen kann, dann muss das Protokoll von dem Zeitpunkt an als fertiggestellt gelten, an dem feststeht, dass die Unterschrift endgültig unterbleibt. Die Weigerung ist auf dem Protokoll zu vermerken; die diesbezügliche Erklärung ist zu den Akten zu nehmen oder sonst aktenkundig zu machen. In den Akten festzuhalten ist auch, wenn eine Fertigstellung des Protokolls aus sonstigen Gründen unmöglich ist.78 Eine nachträgliche Berichtigung des fertigen Protokolls (Rn. 39 ff.) berührt den Zeitpunkt der Fertigstellung nicht mehr.79 Mit den endgültigen, auch etwaige Änderungen bestätigenden Unterschriften ist es fertiggestellt, auch wenn es sachlich oder formell fehlerhaft ist oder Lücken aufweist.80 Werden über eine Hauptverhandlung mehrere, jeweils durch Unterschriften abgeschlossene Teilprotokolle erstellt (Rn. 11), dann braucht der Zeitpunkt des Abschlusses dieser Teilprotokolle nicht vermerkt zu werden. Im Hinblick auf die Einheit des gesamten Protokolls und auf den Zweck des Vermerks nach Absatz 1 Satz 2 kommt es nur auf den Zeitpunkt an, an welchem das letzte dieser Teilprotokolle unterschriftlich abgeschlossen ist, das gesamte Protokoll also fertig vorliegt. Dass das Protokoll vor Urteilsfällung so weit fertig ist, dass es für das Gericht bereits bei der Beratung verwendbar ist, kann nicht gefordert werden.81 Zum einen sind die Verkündung des Urteils und der damit zusammenhängenden Nebenentscheidungen zu protokollierende Vorgänge, so dass schon deshalb eine endgültige Fertigstellung nicht möglich ist. Zum andern darf Grundlage der Urteilsberatung allein der Inbegriff der Hauptverhandlung sein, so wie ihn die Richter aus eigener Wahrnehmung selbst aufgefasst haben; dafür kann nicht maßgebend sein, welche Formalien die Urkundspersonen aus ihrer Sicht bezeugen.82

75 BGH bei Dallinger MDR 1975 724; bei Kusch NStZ 1992 29; OLG Düsseldorf JMBlNW 1995 225. Vgl. auch Fn. 76 und LR/Stuckenberg § 273, 63 f.

76 BGHSt 23 115 = JR 1971 208 mit Anm. Koffka; BGHSt 27 80; BGH GA 1992 319; BayObLGSt 1980 140 = NJW 1981 1795; BayObLG StV 1985 360; OLG Düsseldorf OLGSt § 51 BZRG Nr. 1; Börtzler MDR 1972 185. Vgl. etwa vgl. BGHSt 37 287; BGH wistra 1995 273 sowie Rn. 16. W. Schmid FS Lange 781, 797. Börtzler MDR 1972 187. BGHSt 51 298, 317; BGH NStZ 1984 89; 2014 420 f.; BayObLGSt 1980 140 = NJW 1981 1795; MeyerGoßner/Schmitt 19; vgl. auch LR/Stuckenberg § 273, 63. 81 RG JW 1930 3404. 82 Zum Verhältnis zwischen Urteil und Protokoll vgl. Hamm 171 ff., 304 ff.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 271

Der am Protokoll anzubringende Vermerk über dessen Fertigstellung gehört nicht 35 zu den Förmlichkeiten der Hauptverhandlung, die durch das Protokoll mit Beweiskraft (§ 274) beurkundet werden. Er soll lediglich die Feststellung des Zeitpunkts der Fertigstellung erleichtern, ohne jedoch auszuschließen, dass dieser Zeitpunkt mit anderen Beweismitteln abweichend von ihm festgestellt werden kann.83 Seine Anbringung rechnet daher nicht mehr zur Fertigstellung des Protokolls. Die- 36 ses ist vielmehr mit der letzten Unterschrift der Urkundspersonen fertiggestellt, auch wenn der Vermerk noch fehlt.84 Der Vermerk kann nachträglich angebracht werden. Können sich die beiden Urkundspersonen an den Tag der Fertigstellung nicht sicher erinnern, genügt es, wenn sie bekunden, dass das Protokoll „spätestens am … fertiggestellt“ war.85 b) Form des Vermerks. Die Form des Vermerks ist im Gesetz nicht näher geregelt. 37 Dieses schreibt auch nicht vor, wo er im Protokoll anzubringen ist. Es genügt jeder Hinweis, der zweifelsfrei erkennen lässt, dass er den Zeitpunkt der Fertigstellung bezeugen soll. Erkennbar muss ferner sein, dass der Vermerk von einer dazu befugten Person stammt. Am zweckmäßigsten dürfte es sein, wenn der Vermerk nach den Unterschriften des Protokolls angebracht wird86 und wenn der Letztunterschreibende, in der Regel also der Vorsitzende (sofern er keine Änderungen vornimmt), in dem bereits vorgeschriebenen Vermerk das Datum einsetzt und dann auch noch den Vermerk unterschreibt.87 c) Einsichtnahme, Abschriften. Solange das gesamte Protokoll nicht fertiggestellt 38 ist, solange es nicht in all seinen Teilen von beiden Urkundspersonen unterschrieben ist,88 bildet es, wie auch sonst Entwürfe, noch keinen notwendigen Bestandteil der Akten. Erst nach der Fertigstellung wird es Bestandteil der Akten und unterliegt dann der Akteneinsicht nach § 147,89 wobei unerheblich ist, dass es auch tatsächlich zu den Akten genommen wurde.90 Vorher können auch keine Abschriften oder Ablichtungen von bereits im Entwurf vorliegenden Teilen verlangt werden.91 Ein Recht auf Übermittlung einer Abschrift hat der Verteidiger nach Ansicht des BGH ohnehin nicht.92 Hinsichtlich der im Protokoll beurkundeten Beschlüsse besteht jedoch ein solcher Anspruch nach § 35 Abs. 1 Satz 2.93 Eine Abschrift des fertigen Protokolls selbst zu fertigen oder auf 83 BGH bei Cierniak/Niehaus NStZ-RR 2019 193, 196 Nr. 38; OLG Düsseldorf MDR 1991 557; AK/Lemke 8; KK/Greger 8; KMR/Gemählich 14; Meyer-Goßner/Schmitt 20; MüKo/Valerius 32; Radtke/Hohmann/Pauly 13; SSW/Güntge 12. 84 BGHSt 23 115 = JR 1971 208 mit abl. Anm. Koffka = LM Nr. 3 mit Anm. Börtzler; BGHSt 27 80; BGH NStZ 2014 420 f.; BGH bei Cierniak/Niehaus NStZ-RR 2019 193, 196 Nr. 38; BayObLGSt 1980 140; OLG Köln MDR 1972 260; Börtzler MDR 1972 186; AK/Lemke 8; KK/Greger 8; KMR/Gemählich 14; Meyer-Goßner/ Schmitt 20; MüKo/Valerius 32; OK-StPO/Peglau 20; SSW/Güntge 12. 85 Börtzler MDR 1972 187. 86 BGHSt 23 115; vgl. Fn. 84; Meyer-Goßner/Schmitt 20. 87 SK/Frister 19; a. A. Koffka JR 1971 209 (Unterschriften beider Urkundspersonen notwendig). 88 Zur Einheitlichkeit des Protokolls vgl. Rn. 10 ff., 29. 89 BGHSt 29 394; BGH NStZ 2014 420, 421; BGH bei Dallinger MDR 1975 724; HK/Julius/Beckemper 11; KK/Greger 8, 22; KMR/Gemählich 15; Meyer-Goßner/Schmitt 19; MüKo/Valerius 33; SK/Frister 6; SSW/Güntge 13. 90 BGH NStZ 2014 420, 421; KK/Greger 8. 91 BGHSt 29 394; vgl. Fn. 89. 92 BGH bei Dallinger MDR 1975 725; KK/Greger 23; SK/Frister 6. Vgl. KG Rpfleger 1983 325 (Vorsitzender entscheidet über Erteilung von Abschriften des fertigen Protokolls nach pflichtgemäßem Ermessen). 93 RGSt 44 53; KK/Greger 23; vgl. LR/Graalmann-Scheerer § 35, 9 ff.

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eigene Kosten fertigen zu lassen, kann dem Verteidiger nicht verwehrt werden,94 sofern nicht vorrangige öffentliche Geheimhaltungspflichten, eventuell auch grundrechtlich geschützte Individualinteressen, entgegenstehen.95 Auch wenn kein Anspruch darauf besteht, darf der Vorsitzende nach seinem Ermessen dem Verteidiger schon während der noch laufenden Hauptverhandlung abgeschlossene Teilprotokolle zugänglich machen. Bei Protokollentwürfen, bei denen spätere Änderungen vor der endgültigen Fertigstellung nicht auszuschließen sind, ist jedoch im Hinblick auf die Rechtsprechung des BGH (Rn. 41) Vorsicht geboten; zumindest erscheint ein ausdrücklicher Hinweis, dass es sich noch nicht um ein fertiggestelltes Protokoll handelt, angezeigt. Auf die gerichtsinternen Aufzeichnungen über die Hauptverhandlung bezieht sich das Einsichtsrecht nicht, es sei denn, sie sind ausnahmsweise aufgrund einer richterlichen Anordnung zum Bestandteil der Akten gemacht worden.96

II. Änderung und Berichtigung des Protokolls 39

1. Änderungen und Ergänzungen des noch nicht abgeschlossenen Protokolls. Das Protokoll ist erst abgeschlossen, wenn sein Inhalt durch die Unterschriften vom Vorsitzenden und Urkundsbeamten gedeckt ist. Bis dahin kann der Entwurf geändert und ergänzt werden, wobei die dazu notwendige Übereinstimmung zwischen Vorsitzendem und Urkundsbeamtem auch aus dem Protokoll ersichtlich sein muss (Abzeichnung nachträglich eingefügter Ergänzungen oder Änderungen usw.).97 Die Einlegung der Revision und dabei eventuell vorzeitig erhobene Verfahrensrü40 gen stehen der Änderung und Ergänzung des noch nicht fertiggestellten Protokolls grundsätzlich nicht entgegen, wobei es unerheblich ist, ob der Verteidiger den noch nicht fertiggestellten Protokollentwurf bei den Akten eingesehen hat.98 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob das Revisionsgericht eine nach Eingang 41 der Revisionsbegründung vorgenommene Änderung der noch nicht fertiggestellten Niederschrift berücksichtigen darf, wenn dadurch einer Verfahrensrüge der Boden entzogen wird. Der BGH hatte dies zunächst verneint99 und die von der Rechtsprechung bei der Protokollberichtigung entwickelten Grundsätze (Rn. 58) für entsprechend anwendbar erklärt, da dem Beschwerdeführer nur eine verhältnismäßig kurze Frist für die Revisionsbegründung zur Verfügung stehe, so dass er sich für die Frage, ob und in welcher Form er Verfahrensrügen zu erheben habe, auf die bei den Akten befindliche Niederschrift verlassen müsse. Nach Änderung der Rechtslage durch das StPÄG 1964 ist dieser Auffassung nicht mehr zu folgen.100 Da das Urteil nicht vor Fertigstellung des Protokolls zugestellt werden darf (§ 273 Abs. 4), ist sichergestellt, dass dem Verteidiger ausreichend Zeit zur Begründung der Revision innerhalb der auf einen Monat verlängerten Frist des § 345 verbleibt. Er kann jetzt regelmäßig die Fertigstellung des Protokolls abwarten, bevor er seine Revisionsbegründung dem Gericht einreicht. Er darf deshalb die Verfahrens94 95 96 97 98 99 100

BGHSt 18 371; OLG Hamburg NJW 1963 1024; HK/Julius/Beckemper 11; KK/Greger 22 f.; SK/Frister 6. Vgl. bei § 147. OLG Karlsruhe NStZ 1982 299; vgl. Rn. 2 f. Vgl. Rn. 15 ff. RGRspr. 5 (1883) 191; RGSt 13 351; BGHSt 10 145. BGHSt 10 145 = JZ 1957 587 mit Anm. Bohne. BGH NStZ 2002 160 f.; OLG Karlsruhe JR 1980 517 mit Anm. Gollwitzer; Alsberg/Güntge 1642; MeyerGoßner/Schmitt 22; Radtke/Hohmann/Pauly 15; SK/Frister 17; SSW/Güntge 14; vgl. auch AK/Lemke 16; Schlüchter 591.

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rügen nicht mehr auf eine den Akten zwar einliegende, aber noch nicht unterschriebene und damit ersichtlich noch nicht endgültig fertiggestellte Niederschrift stützen. Reicht er trotzdem vor Fertigstellung des Protokolls die Revisionsbegründung ein, so fehlt es, anders als bei der nachträglichen Protokollberichtigung, an einem schutzwürdigen Interesse daran, dem ordnungsgemäß hergestellten Protokoll die Beweiskraft nur deshalb zu versagen, weil damit einer verfrüht erhobenen Verfahrensrüge möglicherweise der Boden entzogen wird. Dem Verteidiger ist es außerdem unbenommen, nach Fertigstellung des Protokolls innerhalb der Revisionsbegründungsfrist neue Verfahrensrügen auf der Grundlage des Protokolls nachzuschieben. Für den Fall, dass die Unterschrift des Vorsitzenden unter das vor Eingang der 42 Revisionsbegründung gefertigte, von ihm lediglich noch nicht unterschriebene Protokoll ohne inhaltliche Änderungen nachgeholt wird, hat auch der BGH101 die Anwendung dieser Grundsätze abgelehnt und dem Protokoll die volle Beweiskraft (§ 274) zugebilligt. 2. Begriff und Gegenstand der Berichtigung a) Begriff. Unter Berichtigung des Protokolls wird im Gegensatz zur textlichen Ab- 43 änderung der noch nicht fertiggestellten Sitzungsniederschrift (Rn. 39) die nachträgliche inhaltliche Richtigstellung oder Ergänzung des bereits abgeschlossenen, zu den Akten gegebenen Protokolls durch die Urkundspersonen verstanden.102 Ebenso wie zunächst auch in den übrigen Verfahrensordnungen fehlen in der StPO Vorschriften über die Berichtigung, obschon derselbe Mangel mit den daraus entspringenden Unsicherheiten schon im preußischen Recht beklagt worden103 war. Alte Entwürfe zur Einführung eines Berichtigungsverfahrens nebst Zulassung des Gegenbeweises104 belegen das Regelungsbedürfnis, wurden aber nie Gesetz. Durch das ProtVereinfG 1974 (BGBl. I S. 3651) ist in § 164 ZPO eine Regelung über die Protokollberichtigung geschaffen worden, auf die sämtliche andere Verfahrensordnungen105 mit Ausnahme der StPO verweisen. Eine Entscheidung des Gesetzgebers gegen die Zulässigkeit einer Protokollberichtigung in Strafverfahren liegt darin jedoch nicht.106 Heute wird eine Protokollberichtigung für grundsätzlich zulässig gehalten (Rn. 45 ff.); davon zu unterscheiden ist wegen der Sonderregel des § 274 die lange Zeit umstrittene Beachtlichkeit einer nach Einlegung eines Rechtsmittels erfolgten Berichtigung (Rn. 58 ff.). b) Alle in das Protokoll aufgenommenen Ereignisse. Der Berichtigung sind alle 44 in das Protokoll aufgenommenen Ereignisse zugänglich, also auch solche, die nicht die Förmlichkeiten des Verfahrens bezeugen und auf deren Aufnahme die Prozessbeteiligten keinen Anspruch haben.107 Die Beurkundung von Vorgängen, die nicht in das Protokoll aufgenommen werden müssen, weil sie keine wesentliche Förmlichkeit betreffen, kann

101 RGSt 13 351; RG JW 1932 2730 mit Anm. Jonas; BGHSt 12 270 = LM Nr. 1 mit Anm. Busch; ebenso OLG Hamm JMBlNW 1954 156; vgl. BayObLGSt 1960 125; ferner Hanack JZ 1972 490, der die Möglichkeit einer unbefristeten Nachholung der Unterschrift für bedenklich hält. 102 KK/Greger 15. 103 Oppenhoff Die preußischen Gesetze über das mündliche und öffentliche Verfahren in Strafsachen (1860) Art. 78 nn. 55 ff., 60. 104 §§ 267, 268 Entw. 1919/1920; zust. von Hippel ZStW 41 (1920) 325, 362. 105 § 46 ArbGG, § 105 VwGO, § 122 SGG, § 94 FGO. 106 BVerfGE 122 248, 259; Schumann JZ 2007 927, 930; Stuckenberg FS Rüßmann 639, 642; a. A. Valerius FS Paulus 175, 187. 107 OLG Celle NStZ 2011 237; KMR/Gemählich 17; SK/Frister 27.

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im Wege eines Berichtigungsantrags nicht gefordert werden.108 Der Berichtigung entzogen ist lediglich der in der Hauptverhandlung unter Mitwirkung der Verfahrensbeteiligten festgelegte Protokollinhalt, dessen Wortlaut nach § 273 Abs. 3 verlesen und genehmigt wurde.109 Zur Berichtigung der in das Protokoll aufgenommenen Urteilsformel siehe § 268, 38 ff. 3. Voraussetzungen a) Zeitlich unbegrenzt. Die Protokollberichtigung ist zeitlich unbegrenzt zulässig.110 Nur das Erinnerungsvermögen der für die Beurkundung zuständigen Gerichtspersonen setzt ihrer Amtspflicht (Rn. 47) zur Berichtigung eines nachträglich als unrichtig erkannten Protokollvermerks eine Grenze. Die Berichtigung ist auch noch zulässig, wenn das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist.111 Auch dann kann an der Vornahme der Berichtigung noch ein Bedürfnis bestehen, etwa, wenn die Richtigstellung des Protokolls deshalb geboten ist, weil es (wenn auch nicht nach § 274) Erklärungen beweist, die für einen Zivilprozess von Bedeutung sind112 oder die im Wiederaufnahmeverfahren eine Rolle spielen können. 46 Erfolgt die Berichtigung jedoch erst nach Einlegung eines Rechtsmittels und würde sie diesem die tatsächliche Grundlage entziehen (sog. Rügeverkümmerung), so gilt nach der „substantiellen Änderung des Strafverfahrensrechts“113 durch die Entscheidung des Großen Senats in BGHSt 51 298 ein besonderes Protokollberichtigungsverfahren (Rn. 65 ff.). 45

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b) Auf Antrag oder von Amts wegen. Die Berichtigung kann auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten114 oder von Amts wegen vorgenommen werden.115 Aus der Verpflichtung des Vorsitzenden und des Urkundsbeamten, für eine wahrheitsgemäße und vollständige Protokollierung der Verfahrensvorgänge zu sorgen, folgt die Amtspflicht,116 dass sie von sich aus eine Berichtigung in die Wege leiten müssen, wenn sie nachträglich zu der Überzeugung gelangen, dass sich ein Fehler in die Beurkundung eingeschlichen habe,117 etwa, wenn sie nachträglich übereinstimmend der Ansicht sind, dass ein nicht beurkundeter Beweisantrag in der Hauptverhandlung gestellt worden ist. Sofern eine Berichtigung beantragt wurde, sind vor der Entscheidung darüber die eingeholten dienstlichen Stellungnahmen dem Antragsteller vorzulegen.118 108 OLG Celle NStZ 2011 237; OLG Düsseldorf OLGSt § 273, 2; OLG Frankfurt StV 1993 463; OLG Nürnberg MDR 1984 74; OLG Schleswig NJW 1959 162; SchlHA 1990 119; Meyer-Goßner/Schmitt 24. 109 OLG Hamburg NJW 1965 1342; OLG Nürnberg MDR 1984 74; OLG Schleswig NJW 1959 162; KMR/ Gemählich 18; MüKo/Valerius § 274, 33; SSW/Güntge 15; a. A. OLG Hamburg NJW 1971 1326. 110 BGHSt 2 125; OLG Hamm JMBlNW 1974 214; OLG Karlsruhe GA 1971 216; h. M., etwa KK/Greger 17; Meyer-Goßner/Schmitt 23; MüKo/Valerius § 274, 32; Radtke/Hohmann/Pauly 16; SK/Frister 27; SSW/Güntge 18. 111 OLG Hamm JMBlNW 1951 182. 112 OLG Schleswig NJW 1959 162. 113 BGHSt 55 31, 33. 114 OGHSt 1 278; BGHSt 1 261; OLG Hamm JMBlNW 1951 182; OLG Braunschweig NdsRpfl. 1955 136; Alsberg/Güntge 1639. 115 H. M., etwa KK/Greger 16; KMR/Gemählich 20; Meyer-Goßner/Schmitt 23; MüKo/Valerius § 274, 37 f.; Radtke/Hohmann/Pauly 17; SK/Frister 31; SSW/Güntge 16. 116 BGHSt 10 145; Busch JZ 1964 748; G. Schäfer FS BGH 707, 716. 117 RGSt 19 367; RG JW 1893 335; OGHSt 1 278; BGH JZ 1952 281; OLG Hamm JMBlNW 1974 214; vgl. auch Fn. 119. 118 OLG Celle NStZ 2011 237; SK/Frister 28.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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c) Übereinstimmung von Vorsitzendem und Urkundsbeamtem. Jede Berichti- 48 gung setzt voraus, dass beide Urkundspersonen, Vorsitzender und Urkundsbeamter, hinsichtlich der Unrichtigkeit des Protokolls und der im Wege der Berichtigung einzufügenden Tatsachen übereinstimmen. Sie sind verpflichtet, bei der Berichtigung des Protokolls im gleichen Maße wie bei dessen Herstellung zusammenzuwirken, um die Übereinstimmung herbeizuführen. Der Vorsitzende ist daher auch bei genauer eigener Erinnerung nicht befugt, eine abweichende Äußerung des Urkundsbeamten als unerheblich zu behandeln,119 noch geht es an, dass der Beamte der Geschäftsstelle den Vorsitzenden ermächtigt, die diesem angebracht erscheinenden Änderungen vorzunehmen.120 Erweist sich die Erinnerung des Urkundsbeamten oder die Erinnerung des Vorsit- 49 zenden bei der Prüfung, ob und wie ein Protokoll zu ändern sei, als nicht mehr ganz zuverlässig, so muss der Vorsitzende Erhebungen veranlassen, die den Vorgang ins Gedächtnis beider Urkundspersonen zurückrufen können,121 so etwa die Einholung von Stellungnahmen anderer Verhandlungsteilnehmer oder der Rückgriff auf deren Aufzeichnungen. Solcher Ermittlungen bedarf es aber nicht, wenn beide Urkundsbeamte selbst keinen Zweifel an der Richtigkeit des Verfahrensvorgangs haben, den sie im Wege der Berichtigung im Protokoll festhalten wollen.122 Vermag sich eine der Urkundspersonen trotzdem nicht an den Vorgang zu erinnern, so scheidet die Berichtigung selbst dann aus, wenn die andere davon überzeugt ist und glaubwürdige Zeugen die Richtigkeit bestätigen.123 Ein die Berichtigung fordernder Antrag ist dann abzulehnen. Ist die Übereinstimmung der Urkundspersonen, die bei einer Berichtigung mitwir- 50 ken müssen, nicht erzielbar, so ist diejenige, welche das Protokoll für unzutreffend hält, berechtigt und verpflichtet, dies in den Akten zu vermerken. Eine solche einseitige Erklärung ist zwar keine Protokollberichtigung in dem Sinn, dass nunmehr der in der Berichtigung festgestellte Inhalt des Protokolls die volle Beweiskraft des § 274 erlangt, sie beseitigt aber nach herrschender Ansicht124 die Beweiskraft des alten Protokolls, dessen Inhalt nicht mehr von den beiden Urkundspersonen übereinstimmend bestätigt wird.125 Eine solche einseitige Distanzierung kann aber im Fall einer bereits eingelegten Revisionsrüge dieser nicht die Tatsachengrundlage entziehen und somit zur Rügeverkümmerung führen, weil die neue Rechtsprechung dafür die sichere Erinnerung beider Urkundspersonen verlangt (Rn. 65 ff.).126

119 OLG Hamburg NJW 1971 1326; OLG Schleswig MDR 1960 521; Meyer-Goßner/Schmitt 23; Busch JZ 1964 749.

120 RGSt 20 427; RG DRiZ 1931 Nr. 366; KG GA 74 (1930) 310. 121 KG GA 75 (1931) 304; 75 (1931) 386; OLG Hamm JMBlNW 1951 182; 1959 247; OLG Nürnberg MDR 1984 74; OLG Schleswig SchlHA 1957 129; MDR 1960 521; LG Bielefeld StV 2002 532 f.; LG Düsseldorf JMBlNW 1961 211; vgl. Rn. 18. 122 OLG Schleswig bei Lorenzen/Schiemann SchlHA 1997 171. 123 BGHSt 55 31 f.; OLG Nürnberg MDR 1984 74; OLG Saarbrücken OLGSt 5; Meyer-Goßner/Schmitt 23; SK/Frister 28; SSW/Güntge 17. 124 Zur Kritik siehe Rn. 63 (bei Fn. 193). 125 BGHSt 4 364; BGH NJW 1969 281; GA 1963 1; bei Dallinger MDR 1953 273; NStZ 2014 668, 669 mit Anm. Ventzke HRRS 2015 64 und Wollschläger StV 2015 100; BayObLGSt 1978 98 = MDR 1979 160; OLG München StV 2010 126, 127; SK/Frister 29. Vgl. insbesondere auch die in Fn. 123 angeführten Entscheidungen, ferner LR/Stuckenberg § 274, 9, 34. Eine solche einseitige Erklärung war nach früherer Rspr. aber ebenso wenig wie eine Berichtigung geeignet, einer bereits erhobenen Revisionsrüge den Boden zu entziehen, BayObLGSt 1956 226 = NJW 1957 34 (L); vgl. Rn. 58 ff. 126 BGHSt 51 298, 317; 55 31, 32 mit Anm. Güntge JR 2010 540; KK/Greger 18; SK/Frister 29.

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Bei Verhinderung einer der beiden Urkundspersonen an der Mitwirkung an der Berichtigung gelten für die Vertretung die gleichen Grundsätze wie bei der Unterzeichnung des Protokolls.127 Ist der Vorsitzende gestorben, in den Ruhestand getreten oder sonst aus irgendeinem Grund für dauernd oder doch längere Zeit verhindert, bei der Berichtigung mitzuwirken, so ist an seiner Stelle bei den Kollegialgerichten der dienstälteste beisitzende Richter zur Mitwirkung bei der Berichtigung befugt.128 War der verhinderte Vorsitzende der alleinige Berufsrichter, so kann der Urkundsbeamte in entsprechender Anwendung des Absatzes 2 Satz 2 die Berichtigung allein unterzeichnen.129

4. Form der Berichtigung. Die Berichtigung des ordnungsgemäß abgeschlossenen (fertigen) Protokolls kann nicht mehr durch eine einfache Änderung der bereits zu den Akten gegebenen Niederschrift geschehen. 53 Sie ist in einer vom Vorsitzenden und Urkundsbeamten unterzeichneten eigenen Niederschrift vorzunehmen, die als nachträgliche eindeutig erkennbar und von der ursprünglichen Niederschrift deutlich unterscheidbar sein muss. Die Berichtigung erfolgt deshalb zweckmäßigerweise in einer besonderen, dem Protokoll angefügten Erklärung, die von beiden Urkundsbeamten unterzeichnet ist und die den Tag der Berichtigung angibt.130 Nur bei ganz kurzen Änderungen oder Ergänzungen kann es vertretbar sein, wenn sie bei der Stelle des Protokolls, zu der sie gehören, am Rande vermerkt werden.131 Ihre nachträgliche Anbringung muss dann aber eindeutig erkennbar sein (Datum), wenn die Beweiskraft des Protokolls nicht gefährdet sein soll (Rn. 55). Fehlt eine der beiden notwendigen Unterschriften, ist die Berichtigung unwirksam;132 ob die Beweiskraft des Protokolls entfällt (vgl. Rn. 50), wird uneinheitlich beurteilt.133

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5. Ablehnung des Antrags. Die Ablehnung des Antrags auf Protokollberichtigung kann vom Vorsitzenden allein ausgesprochen werden. Sofern der Antrag nicht bereits aus Rechtsgründen abzulehnen ist,134 muss er vorher eine Äußerung des Urkundsbeamten zum Antrag herbeigeführt haben, damit aktenkundig feststeht, ob auch dieser den Berichtigungsantrag für unbegründet erachtet oder ob zur Klärung etwaiger Meinungsverschiedenheiten zwischen den Urkundspersonen Nachforschungen zur Auffrischung des Erinnerungsvermögens angezeigt sind.135 Stimmen Vorsitzender und Urkundsbeamter darin überein, dass der Berichtigungsantrag unbegründet ist, so ist der Antragsteller ablehnend zu bescheiden. Das gleiche hat auch zu geschehen, wenn zwischen den Urkundspersonen eine Übereinstimmung über die Berechtigung des Berichtigungsantrags 127 KMR/Gemählich 22; Meyer-Goßner/Schmitt 23; SSW/Güntge 17; a. A. KK/Greger 18; MüKo/Valerius § 274, 36; SK/Frister 30. 128 OLG Hamburg NJW 1965 1342; OLG Hamm JMBlNW 1962 38; OLG Saarbrücken OLGSt 5; vgl. auch OLG Hamm MDR 1964 344 (nachträgliche Ablehnung des Vorsitzenden kein Hinderungsgrund). 129 KMR/Gemählich 22. Busch JZ 1964 747 hält dagegen eine Vertretung der Personen, die das Protokoll unterschrieben haben, für unzulässig; demnach können nur sie selbst ihr Protokoll berichtigen; ebenso SK/Frister 30. 130 RGSt 57 369; BGH NStZ 2015 358, 359; OLG Köln NJW 1952 758; AK/Lemke 12; HK/Julius/Beckemper 8; KK/Greger 19; KMR/Gemählich 23; Meyer-Goßner/Schmitt 23; SK/Frister 31; SSW/Güntge 17. 131 KMR/Gemählich 23; SK/Frister 31. 132 BGH NStZ 2015 358, 359. 133 Verneinend BGH NStZ 2005 281, 282; 2015 358, 359; bejahend BGH NStZ 2014 668, 669 und die Nachw. in Fn. 125. 134 OLG Frankfurt StV 1993 463 (kein zu protokollierender Vorgang). 135 OLG Düsseldorf MDR 1990 743; StV 1985 359; 1999 201; OLG Hamburg NJW 1971 1326; OLG Hamm JMBlNW 1951 182; 1959 247; OLG Schleswig SchlHA 1957 129; vgl. Rn. 49.

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nicht erzielt werden kann.136 Im letzten Fall entfällt allerdings die Beweiskraft des Protokolls, weil auch keine Übereinstimmung über die Richtigkeit des ursprünglichen Protokolls mehr besteht (vgl. Rn. 19). 6. Wirksamkeit a) Für und gegen alle Verfahrensbeteiligten. Die ordnungsgemäße (Rn. 53) Proto- 55 kollberichtigung ist grundsätzlich für und gegen alle Verfahrensbeteiligten wirksam. Die volle Beweiskraft des Protokolls (§ 274) tritt auch bei der Fassung ein, die es erst aufgrund der Berichtigung erhalten hat.137 Zu Ausnahmen nach eingelegtem Rechtsmittel siehe Rn. 58 ff., 67 f. Sofern sich erst aus dem berichtigten Protokoll ein vorher nicht ersichtlicher Ver- 56 fahrensfehler ergibt, muss fairerweise den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gegeben werden, auch diesen „nachträglichen“ Fehler mit der Revision zu rügen. Nötig ist dazu entweder, die Revisionsbegründungsfrist nur insoweit mit Zustellung des Berichtigungsbeschlusses neu beginnen zu lassen138 oder wenigstens Wiedereinsetzung in den vorigen Stand139 zu gewähren. b) Berichtigungen ohne Einfluss auf die Beweiskraft des Protokolls. Berichti- 57 gungen, welche die Beweiskraft des Protokolls nicht berühren, wie etwa die Berichtigung von Protokolleinträgen, die keine wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens betreffen, wie Protokollpassagen ohne sachlichen Gehalt140 oder die Klarstellung eines Umstands, der sich ohnehin bei Auslegung des unberichtigten Protokolls aus diesem ergäbe, ferner die Richtigstellung offensichtlicher Schreibfehler oder einer offensichtlichen Namensverwechslung,141 sind und waren auch früher stets unbegrenzt wirksam.142 Der Irrtum muss aber zweifelsfrei zu Tage liegen. Um auszuschließen, dass sich hinter der Berichtigung eine sachliche Änderung verbirgt, ist ein strenger Maßstab anzulegen.143 Auch das Rechtsmittelgericht kann solche offensichtlichen Irrtümer ohne Berichtigung richtigstellen.144 c) Frühere Ausnahme bei Rügeverkümmerung. Nach früherer Rechtsprechung 58 galt eine Ausnahme insoweit, als eine an sich an der Beweiskraft teilhabende Berichtigung für das Rechtsmittelgericht unbeachtlich war, soweit sie einer erhobenen Verfahrensrüge nachträglich den Boden entziehen würde. Soweit der Beschwerdeführer wegen der Beweiskraft des Protokolls von diesem ausgehen musste, durfte der Erfolg einer auf 136 Vgl. etwa OLG Düsseldorf wistra 1999 39 (L). 137 RGSt 19 367; 21 200; 21 323; KK/Greger 20; KMR/Gemählich 25; MüKo/Valerius § 274, 41; SK/Frister 33.

138 BGH 11.9.2018 – 5 StR 318/18 Rn. 5; HK/Julius/Beckemper 9; Meyer-Goßner/Schmitt 26c; Radtke/ Hohmann/Pauly 22; SK/Frister 33; SSW/Güntge 10; a.A. BGH NJW 2006 3582, 3587; Schlothauer FS Hamm 655, 667. 139 BGH NJW 2006 3582, 3587; Meyer-Goßner/Schmitt 26c; SK/Frister 33; SSW/Güntge 19; a. A. Schlothauer FS Hamm 655, 667. 140 OLG Düsseldorf MDR 1991 557. 141 BGH NStZ 2000 216. 142 Vgl. BGH NStZ 1991 297; Meyer-Goßner/Schmitt 23; MüKo/Valerius § 274, 30; SK/Frister 25; SSW/ Güntge 15; Hanack JZ 1972 489. 143 Vgl. BGHSt 16 306; KK/Greger 15; SSW/Güntge 15. 144 AK/Lemke 11; HK/Julius/Beckemper 6; vgl. OLG Karlsruhe Justiz 1980 155 (verneinend für „Aussagerecht“ statt „Aussageverweigerungsrecht“).

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das Protokoll gestützten Verfahrensrüge nicht vereitelt werden (sog. Unzulässigkeit der „Rügeverkümmerung“). Spätere Erklärungen, die den für die erhobene Rüge entscheidenden Punkt der Niederschrift betreffen und ihr die tatsächliche Grundlage entziehen würden, waren vom Rechtsmittelgericht nicht zu berücksichtigen.145 Hierfür wurde der Schutz des Revisionsführers angeführt,146 der wegen der Beweiskraft des Protokolls seine Verfahrensrügen auf dessen Grundlage aufbauen muss (vgl. Rn. 79), zumal er wegen des Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist meist gar nicht mehr in der Lage wäre, die Verfahrenslage, die sich erst aufgrund einer noch ausstehenden möglichen Protokollberichtigung ergeben könnte, bei seinem Revisionsvortrag zu berücksichtigen. Weniger Gewicht hatte daneben das andere Argument, dass bei nachträglichen Berichtigungen die erhöhte Gefahr von Erinnerungstäuschungen147 bestehe. Um schon den Anschein einer Manipulation zu vermeiden, sollte von vornherein jede Möglichkeit ausgeschaltet werden, eine begründete Rüge durch eine nachträgliche Änderung des Protokolls zu Fall zu bringen. 59 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Unbeachtlichkeit einer Protokollberichtigung (die im Übrigen mit der letzten Unterschrift148 wirksam wird) war nach der früher vorherrschenden Meinung der Eingang der Revisionsbegründung mit der entsprechenden zulässigen Rüge bei Gericht,149 während eine Mindermeinung150 die Grenze schon bei der Einlegung des Rechtsmittels zog, weil der Rechtsmittelführer sich darauf verlassen können müsse, dass eine etwaige Berichtigung sein Rechtsmittel nicht mehr berühre. Unerheblich war in jedem Fall, ob die Beurkundungspersonen bei der Berichtigung vom Inhalt der Revisionsbegründung Kenntnis hatten oder ob der Verteidiger die Akten vorher eingesehen hatte.151 Hatten mehrere Verfahrensbeteiligte Revision eingelegt, so war 145 Das RG hatte diese Auffassung in ständiger Rechtsprechung vertreten (RGRspr. 5 (1883) 451; RGSt 2 76; 12 121; 13 352; 19 369; 21 200; 21 324; 28 250; 43 1, 9; 59 429; 61 18; 63 410; 68 244; RG JW 1914 435; 1932 421), war dann aber mit Beschluss des Großen Senats (RGSt 70 241) davon abgegangen und hatte dahin entschieden, dass das Revisionsgericht eine Berichtigung der Verhandlungsniederschrift auch dann berücksichtigen müsse, wenn sie einer vorher erhobenen Rüge den Boden entziehe. Die Rechtsprechung nach 1945 ist dieser Entscheidung nicht gefolgt, sondern zur früheren Auffassung des RG zurückgekehrt (OGHSt 1 277; BGHSt 2 125; 10 145; 12 270; BGH JZ 1952 281; StV 1985 135; BayObLGSt 1956 226; OLG Dresden StraFo 2007 420; OLG Hamm JMBlNW 1974 214; OLG für Hessen HESt 1 118; OLG Zweibrücken MDR 1969 780; dazu Hamm NJW 2006 3166 ff.); das Schrifttum ist der Ansicht des BGH meist beigetreten, so etwa Eb. Schmidt 19; Alsberg/Nüse/Meyer5 887 f.; Bohne SJZ 1949 760; Dallinger NJW 1950 256; Cüppers NJW 1950 930; 1951 259; Tepperwien FS Meyer-Goßner 595, 602 ff.; Ventzke StV 1999 192; Werner DRiZ 1955 183; a. A. Alsberg JW 1931 2824; Beling ZStW 38 (1916) 632; ders. ZStW 41 (1921) 124; ders. JW 1925 2790; Mannheim JW 1925 2818; 1932 3110; ders. ZStW 48 (1928) 687; Jonas JW 1936 3009; Oetker JW 1927 918; Schafheutle DJ 1936 1300; Niethammer SJZ 1948 191; ders. DRZ 1949 451; Ditzen Dreierlei Beweis im Strafverfahren (1926) 60 ff.; vgl. Stenglein GS 45 (1891) 81, 86 ff.; zahlr. Nachw. in BGHSt 51 298, 304 ff.; zum älteren Schrifttum auch Bohne SJZ 1949 760, 762 ff.; Krawczyk 47 ff.; Ott 70 ff.; Ventzke HRRS 2008 180 f. 146 So etwa AK/Lemke 15; Meyer-Goßner49 26; SK/Frister 34 m. w. N. 147 BGHSt 12 270; Mannheim JW 1925 2818. 148 RGSt 24 214 stellt nicht auf das Datum der Berichtigung ab, sondern darauf, wann sie zu den Akten gelangt ist; ebenso Alsberg/Nüse/Meyer5 887. 149 RGSt 21 200; 24 214; OGHSt 1 278; BGHSt 2 125; 7 218; BGH JZ 1952 281; NStZ 1984 521; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 494; BayObLGSt 1960 126; OLG Karlsruhe GA 1971 216; Justiz 1980 155; Alsberg/Nüse/Meyer5 887; AK/Lemke 16; SK/Frister 34. 150 RGSt 2 76; Eb. Schmidt Nachtr. I 10; Gerland 386; a. A. LR/Gollwitzer25 58. 151 BGH JZ 1952 281; OLG für Hessen HESt 1 121; OLG Hamm JMBlNW 1974 214; Alsberg/Nüse/Meyer5 888; vgl. ferner BayObLG bei Rüth DAR 1982 253 (für dienstliche Erklärungen nach Eingang der Verfahrensrüge).

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grundsätzlich bei jedem der Zeitpunkt entscheidend, in dem seine entsprechende Rüge bei Gericht einging.152 Die Protokollberichtigung war dagegen auch nach Eingang der Revisionsbegrün- 60 dung unbeschränkt wirksam, wenn sie zugunsten des Revisionsführers wirkte,153 wenn sie also erst die Voraussetzungen für einen Erfolg der erhobenen Verfahrensrüge schuf,154 indem sie die zur Begründung der Verfahrensrüge vorgetragenen Tatsachen bestätigte. Dies galt selbst dann, wenn die Rüge aufgrund dieser Tatsachen als unbegründet zu verwerfen war. d) Rechtsprechungsänderung. Nach kritischen Äußerungen in Judikatur155 und 61 Schrifttum156 fasste der 1. Strafsenat des BGH die Absicht, die bisherige Rechtsprechung zur Rügeverkümmerung aufzugeben. Nach einem Anfragebeschluss,157 der vom 2.158 und 3.159 Strafsenat zustimmend, vom 4.160 und 5.161 Strafsenat ablehnend beantwortet wurde, legte der 1. Strafsenat die Frage dem Großen Senat vor,162 der in BGHSt 51 298 der Vorlage im Wesentlichen folgte und die bisherige Rechtsansicht aufgab. Das BVerfG sah in dieser Rechtsprechungsänderung mehrheitlich keinen Verfassungsverstoß.163 Seitdem kann durch eine zulässige Protokollberichtigung auch zum Nachteil des Beschwerdeführers einer bereits erhobenen Verfahrensrüge die Tatsachengrundlage entzogen werden (Zulässigkeit der „Rügeverkümmerung“). Der Große Senat hat hierfür ein besonderes Berichtigungsverfahren mit Anhörung des Beschwerdeführers vorgesehen, an dessen Ende ein berichtigtes Protokoll ohne die Beweiskraft des § 274 stehen kann.164 Die Aufgabe der vorherigen, bis zum Preußischen Ober-Tribunal165 zurückreichen- 62 den Judikatur hat der Große Senat im Wesentlichen wie folgt begründet:166 Ein prozessuales Recht auf Beibehaltung der – unwahren – faktischen Grundlage einer Rüge, von 152 Das RG hat in einer bei Sabarth DJZ 1912 1399 wiedergegebenen Entscheidung die Berichtigung gegenüber dem einen Revisionswerber für wirksam, gegenüber dem anderen für unwirksam erachtet; vgl. Alsberg/Nüse/Meyer5 887 mit Hinweis auf eine ähnliche Entscheidung des BGH. 153 Zu Berichtigungen, die die Revisionsbehauptung zum Teil bestätigen, zum Teil aber widerlegen, siehe LR/Gollwitzer25 61. 154 RGSt 19 367; 21 200; 21 323; RG JW 1932 3109; OGHSt 1 282; BGHSt 1 259; OLG Köln NJW 1952 753; OLG Saarbrücken VRS 17 (1959) 63; AK/Lemke 17. 155 BGHSt 36 354, 358; BGH NStZ 2000 216, 217; 2002 270, 272 mit abl. Anm. Fezer und Köberer StV 2002 525; BGH NStZ 2005 281 f. mit abl. Anm. Park StV 2005 257; BGH NStZ 2006 181; BGHR § 274 Beweiskraft 22; dazu Krawczyk 77 ff. 156 G. Schäfer FS BGH 707, 716 ff.; Gollwitzer FS Gössel 543, 558 f.; Detter StraFo 2004 329, 332 f.; Lampe NStZ 2006 366 ff.; s. a. die Vorschläge für ein Berichtigungsverfahren von Fezer StV 2006 290, 291 f.; Jahn/ Widmaier JR 2006 166, 167, 169 f.; dazu Beulke FS Böttcher 17, 27 ff.; Fezer FS Otto 901, 908 f.; vgl. Krawczyk 74 ff., 272 ff. 157 BGH NStZ-RR 2006 112 mit krit. Anm. Fezer StV 2006 290; ders. FS Otto 901; Jahn/Widmaier JR 2006 166; Krawczyk 84 ff.; ders. HRRS 2006 344; Lindemann/Reichling StV 2007 152, 156; Schlothauer FS Hamm 655; zust. Lampe NStZ 2006 366. 158 BGH NStZ-RR 2006 275. 159 BGH 22.2.2006 – 3 ARs 1/06; anders kurz zuvor noch in BGH NStZ 2005 46. 160 BGH NStZ-RR 2006 273. 161 BGH 9.5.2006 – 5 ARs 13/06. 162 BGH NJW 2006 3582 mit krit. Anm. Widmaier; Gaede HRRS 2006 409. 163 BVerfGE 122 248, 257 ff.; zust. Fahl JR 2009 259; krit. Globke GA 2010 399; Möllers JZ 2009 668. 164 BGHSt 51 298, 316 f.; dazu Rn. 65 ff. 165 PrObTrib Oppenhoff Rspr. 10 (1869) 562 f. = GA 17 (1869) 796, 797; Oppenhoff Rspr. 11 (1870) 15, 16 f. = GA 18 (1870) 262, 263; Oppenhoff Rspr. 15 (1874) 76, 82 f. = GA 22 (1874) 67 f.; s. a. Ott 45 ff. 166 Zur Ähnlichkeit mit der Begründung in RGSt 70 241 s. Hamm NJW 2007 3166, 3168 ff.

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dem das RG sprach,167 gebe es nicht. Auch Revisionsgerichte seien der Wahrheit verpflichtet, die durch die Beweisregel des § 274 nicht verändert werde.168 Diese Verpflichtung erfahre zusätzliches Gewicht durch das Beschleunigungsgebot und den Aspekt des Opferschutzes.169 Dass § 274 Satz 2 nur den Gegenbeweis der Fälschung erlaube, stehe nicht entgegen, weil die Berichtigung einen Widerruf der Beurkundung darstelle und somit dem Protokoll die Beweiskraft entziehe.170 Einwände, das Verbot der Rügeverkümmerung sei zu Gewohnheitsrecht erstarkt oder könne sonst nur durch den Gesetzgeber geändert werden, werden zurückgewiesen.171 Das Verbot der Rügeverkümmerung beruhe auf Rechtsprechung und könne daher auch durch Rechtsprechung geändert werden.172 Schließlich habe sich die in die Verteidiger gesetzte Hoffnung nicht erfüllt, auf unwahre Protokolle gestützte Rügen zu unterlassen.173 Die Rechtsprechungsänderung sei besser geeignet als ein im Einzelfall zur Rügevernichtung führendes Missbrauchsverbot,174 um missbräuchliche Rügen und damit die Aufhebung fehlerfreier Urteile nur wegen eines fehlerhaften Protokolls auszuschließen.175 Die Gefahr nachlassender Erinnerung der Urkundspersonen begründe keinen Einwand.176 63

e) Kritik. Die Entscheidung des Großen Senats hat nur wenig Zustimmung,177 aber vielfache Kritik178 erfahren, der beizutreten ist, denn die vom Großen Senat mit Recht herausgestellten Misslichkeiten der Beweisregel des § 274 sind nur durch deren Aufhebung durch den Gesetzgeber zu beseitigen. Zu erinnern ist zunächst daran, dass zur Zeit der Schaffung der RStPO die verschiedenen Regelungsmodelle – ob zum Nachweis eines förmlichen Verfahrensfehlers jedes Beweismittel oder nur das Sitzungsprotokoll zuzulassen ist und letzterenfalls, ob ein Gegenbeweis oder eine Berichtigung statthaft sein soll 167 RGSt 43 1, 6 f., 8 f.; dagegen bereits RMG 9 35, 42; Stenglein GS 45 (1891) 81, 93, obgleich das RG ein „Recht auf Geltendmachung einer Unwahrheit“ scharf zurückgewiesen und nur ein Recht zur Ausnutzung einer vom Gesetz gewollten Prozesslage anerkannt hat; vgl. Tepperwien FS Meyer-Goßner 595, 604 f. 168 BGHSt 51 298, 309 f. 169 BGHSt 51 298, 310 f. 170 BGHSt 51 298, 308. 171 So auch BVerfGE 122 248, 269, 277 ff. 172 BGHSt 51 298, 308. 173 BGHSt 51 298, 311 ff. 174 Wie in BGHSt 51 88 (3. Strafsenat) mit zust. Anm. Fahl JR 2007 34; Satzger/Hanft NStZ 2007 185; Valerius FS Paulus 175, 179 ff. und abl. Anm. Gaede StraFo 2007 29; Hollaender JR 2007 6; Jahn JuS 2007 91, 92 f.; Krawczyk HRRS 2007 101, 105 ff.; Kudlich HRRS 2007 9; ders. JA 2007 154, 156; ders. BLJ 2007 125, 126 ff.; Lindemann/Reichling StV 2007 152; Meyer-Mews StraFo 2007 195; Mikolajczyk ZIS 2006 541; Wagner StraFo 2007 496; zuvor andeutend BGH NStZ 1999 424 mit Anm. Docke/Dölling/Momsen StV 1999 583; krit. auch Tepperwien FS Meyer-Goßner 595, 596 ff. 175 BGHSt 51 298, 313 f. 176 BGHSt 51 298, 314 f. 177 KMR/Gemählich 27 ff.; OK-StPO/Peglau 32.1; Fahl JR 2007 345; ders. JR 2009 259; Gemählich FS Stöckel 225, 235 ff.; Hebenstreit HRRS 2008 172; Pfister StV 2009 550, 553; referierend HK/Julius/Beckemper 9; KK/Greger 17; s. a. Fn. 157, 162, 174. 178 BVerfGE 122 248, 282 ff. (Minderheitsvotum); Meyer-Goßner/Schmitt 26; MüKo/Valerius § 274, 58 ff.; Radtke/Hohmann/Pauly 19; SK/Frister 48 ff.; Hamm 295 ff.; Beulke/Swoboda 564; Kühne 976.1; Roxin/Schünemann 51/10 f.; Bertheau NJW 2010 973; Beulke FS Böttcher 17; ders. FS Amelung 543, 557 ff.; ders. StV 2009 554, 556; Danckert 157 ff., 216 ff.; Dehne-Niemann ZStW 121 (2009) 321, 332 ff.; ders. wistra 2011 213 ff.; Hamm NJW 2007 3166; König NJW 2017 3098 f.; Kudlich BLJ 2007 125; Kury StraFo 2008 185, 187 ff.; MeyerGoßner FS Fezer 135, 144, 160; Momsen FS Egon Müller 457, 462 ff.; Schlothauer StraFo 2011 459, 463 ff.; Schünemann StV 2010 538; Schumann JZ 2007 927; Valerius FS Paulus 175, 185 ff.; Wagner GA 2008 442; Ziegert FS Volk 901; wohl auch SSW/Güntge 18; s. a. Fn. 157, 162, 174.

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usw.179 – durchaus präsent und auch die Argumente für und gegen eine besondere Beweiskraft des Protokolls (Reduktion der Verfahrensrügen180 bei gleichzeitiger Vermehrung der Fehlerquellen) bekannt181 und in den Partikularrechten in verschiedener Weise umgesetzt182 waren. § 274 (§ 314 des Entwurfs) folgt preußischem und mit der Zulassung des Gegenbeweises bei Fälschung rheinisch-französischem Vorbild;183 dass die gefestigte Judikatur des PrObTrib zur Rügeverkümmerung184 im Gegensatz zur schwankenden Ansicht zur Berichtigung185 in dem sorgfältigen Gesetzgebungsverfahren übersehen worden sein sollte, liegt fern. Wenn der Gesetzgeber sich mit Blick auf den Nachweis der Verletzung von Verfahrensförmlichkeiten für ein Verbot aller Beweismittel186 außer dem Hauptverhandlungsprotokoll entschieden hat, so liegt darin zwingend eine Entfernung von der „materiellen Wahrheit“, die um anderer Ziele willen hingenommen wird wie bei weiteren Förmlichkeiten des Revisionsrechts (Bindung an die tatrichterlichen Feststellungen, Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung, Beruhensfiktion bei absoluten Revisionsgründen)187 auch. Das unbehelfliche Argument des Großen Senats, Revisionsgerichte seien zur Wahrheit verpflichtet,188 verkennt oder verzerrt den Sinn jeglicher Beweisregel, der in der Etablierung formeller Wahrheit unter Inkaufnahme von all den damit verbundenen Misslichkeiten liegt,189 was gerade dem Prozessgesetzgeber des 19. Jahrhunderts, der ansonsten positive wie negative Beweisregeln überwand, am besten bewusst gewesen sein dürfte. Man kann die altbekannte Kritik190 an Beweisregeln wie dieser durchaus teilen, doch bleibt die Aufhebung des § 274 eine Aufgabe des Gesetzgebers. Denn für eine „lückenausfüllende richterliche Rechtsfortbildung“ ist bei § 274 kein Raum:191 Weil der Gesetzgeber das Bremer Modell, wonach die Beachtung der wesentlichen Förmlichkeiten auch durch das übereinstimmende, auf Amtseid geleistete 179 Dazu Ott 17 ff.; Danckert 20 ff. 180 Hahn 257 f. 181 Vgl. nur die bei Hahn 257 f. zitierten Schwarze GS 15 (1863) 1, 13 f. und Goltdammer GA 9 (1861) 43, 44 f.; s. a. Danckert 25 ff. Vgl. aus heutiger Sicht Hollaender JR 2007 6, 7 ff.

182 Vgl. nur Hahn 256 ff.; Ott 19 ff.; Danckert 20 ff. jew. m. w. N. 183 Dazu Stuckenberg FS Rüßmann 639, 645 ff. 184 Oben Fn. 165. Implausibel ist daher die Annahme Hebenstreits HRRS 2008 172, 174, § 274 meine das jeweils endgültige, also auch berichtigte Protokoll, da das als Vorbild dienende preußische Recht unstreitig das Gegenteil normierte; wie hier SK/Frister 24. 185 Nachw. bei Oppenhoff (Fn. 103) nn. 52 ff. 186 Zur präzisen Einordnung des § 274 Beling 324 f.; Schumann JZ 2007 927, 930 f. 187 Hamm 297; Kühne 976.1; Beulke FS Böttcher 17, 26; Hollaender JR 2007 6, 8 ff.; Kudlich BLJ 2007 125, 127 f.; Park StraFo 2004 335, 337; Ventzke HRRS 2008 180, 186 f.; Ziegert FS Volk 901 ff.; dazu Hebenstreit HRRS 2008 172 f., 178 ff. 188 Dagegen BGH (4. Strafsenat) NStZ-RR 2006 273, 274; Bertheau NJW 2010 973, 975; Dehne-Niemann ZStW 121 (2009) 321, 345 ff.; Hamm 297 ff.; ders. NJW 2007 3166, 3169 f.; Kühne 976.1; ders. GA 2008 361, 371 f.; Möllers JZ 2009 668, 670; Schünemann StV 2010 538, 542; Schumann JZ 2007 927, 933; vgl. Fezer StV 2006 290, 291; ders. FS Otto 901, 909 ff.; Kudlich BLJ 2007 125, 127; Schlothauer FS Hamm 655, 663, 673 ff. (zum Anfragebeschl.) sowie Kudlich HRRS 2007 9, 14 f. (zu BGHSt 51 88). Das Argument ist freilich alt, vgl. nur Stenglein GS 45 (1891) 81, 94 f.; von Hippel 539, und wiederbelebt worden von G. Schäfer FS BGH 707, 710, 718. 189 Zutr. Beulke Verteidiger im Strafverfahren 237; ders. FS Amelung 543, 558 f.; Danckert 223; Hamm 298; Hollaender JR 2007 6, 8 ff.; Park StraFo 2004 335, 337; schief Satzger/Hanft NStZ 2007 185, 187. 190 Vgl. nur Schwarze GS 15 (1863) 1, 13 f.; Stenglein GS 45 (1891) 81, 91 ff.; von Kries 543 sowie später die Judikatur des Reichsmilitärgerichts (RMG 9 35, 41 ff.; 15 281, 282 f.) aufgrund seiner abweichenden Verfahrensordnung (§ 335 MStGO erlaubte den Gegenbeweis der Unrichtigkeit), dazu Beling ZStW 38 (1917) 632 ff. und die Nachw. in Fn. 145 a. E. 191 Bertheau NJW 2010 973 f.; Schünemann StV 2010 538, 539 ff.; s. a. Kudlich/Christensen JZ 2009 943, 947 ff.; Schlothauer StraFo 2011 459, 463 f.

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Zeugnis sämtlicher gegenwärtig gewesener Gerichtspersonen bewiesen werden konnte, also den direkten Gegenbeweis, ausdrücklich zurückgewiesen hat,192 spricht nichts dafür, denselben Vorgang (übereinstimmende Aussagen der Urkundspersonen) im Wege der „Berichtigung“ via „Rücknahme der Beurkundung“ mit demselben Ergebnis, nämlich Entfall der Beweiskraft, zuzulassen.193 Denn dass der Gesetzgeber seine Beweisregel durch solch spitzfindigen Etikettenschwindel194 hätte unterlaufen lassen wollen, ist insbesondere vor dem Hintergrund der aus der Judikatur des PrObTrib bekannten Berichtigungsfreude der Tatgerichte und rückschauend angesichts der schon 1883 beginnenden Reformbestrebungen zur Ausdehnung des Gegenbeweises195 völlig implausibel. Das Regelungskonzept des § 274 lässt konsequenterweise weder Gegenbeweis (außer der Fälschung) noch für die Revision beachtliche Berichtigung zu.196 Begründungsbedürftig ist daher nicht das Verbot der Rügeverkümmerung, sondern die – bisher nur unzureichend begründete197 – Beachtlichkeit einer Berichtigung in bonam partem.198 Auf die beunruhigenden199 Argumente aus dem Beschleunigungsgebot200 und dem Opferschutz,201 die Vernachlässigung der Position des Beschwerdeführers202 sowie den „unschönen Schein“ der parteilichen Beweismittelmanipulation203 ist im Schrifttum hinreichend eingegangen worden, ebenfalls auf die unbelegte Behauptung der Zunahme 192 Hahn 257 f. 193 So schon PrObTrib Oppenhoff Rspr. 15 (1874) 76, 82 f. = GA 22 (1874) 67, 68: Die Urkundspersonen sind nach Abschluss des Protokolls zu Änderungen, die auf einen Gegenbeweis hinauslaufen, nicht mehr befugt; RGSt 8 141, 143 f.; SK/Frister 24, 48; Dehne-Niemann ZStW 121 (2009) 321, 349 ff.; Schünemann StV 2010 538, 541; Valerius FS Paulus 175, 186; Widmaier NJW 2006 3587, 3588. A. A. für § 274: BVerfGE 122 248, 260 ff. 194 Wie hier SK/Frister 48 f.; auch MüKo/Valerius § 274, 58; Hamm 300, jeweils mit dem zutreffenden Hinweis, dass die Konstruktion des Großen Senats, eine Berichtigung nur bei vom Revisionsgericht geprüfter zweifelsfreier Unrichtigkeit anzunehmen, in der Sache nichts anderes als einen Gegenbeweis darstellt. 195 Nachw. bei Ott 83 f.; Danckert 38 ff. 196 So noch PrObTrib Oppenhoff Rspr. 1 (1861) 570, 571; RGSt 2 76 f.; 8 141, 143 f.; 17 346, 348 f.; Jauernig Das fehlerhafte Zivilurteil (1958) 77 ff., 82; Ott 162 ff.; Schünemann StV 2010 538, 540 f.; Roxin/Schünemann 51/11; ähnl. Schumann JZ 2007 927, 931 ff.; Wagner GA 2008 442, 443 ff.; auch SK/Frister 24. Der „Sündenfall“ beginnt daher mit RGSt 19 367, 370 und dem Umgehungskonstrukt des Entzugs der Beweiskraft durch nachträgliche Distanzierung. 197 Gegen diese in praxi äußerst rare Begünstigung hatte natürlich niemand etwas einzuwenden. Die exzeptionelle Durchbrechung der Beweiskraft lässt sich am ehesten mit einem favor rei wie im Wiederaufnahmerecht begründen, vgl. Ott 205 ff., 214 f.; s. a. Dehne-Niemann ZStW 121 (2009) 321, 356. Die von Schumann JZ 2007 927, 932 f. herangezogene Pflicht zur Heilung von Verfahrensfehlern hingegen erklärt die Beschränkung auf Korrekturen in bonam partem nicht. 198 Ott 205; Schünemann StV 2010 538, 541; Schumann JZ 2007 927, 932 f. Noch RGSt 17 346, 348 f. hatte konsequent die Beachtlichkeit einer Berichtigung in bonam partem zurückgewiesen. 199 Beunruhigend, weil der unbedachte Einsatz von Figuren wie des Beschleunigungsgebots „die Formalisierungsleistung des ganzen Rechtsgebiets unterlaufen könnte“, so treffend Möllers JZ 2009 668, 672. 200 Bertheau NJW 2010 973, 976 f.; Dehne-Niemann ZStW 121 (2009) 321, 337 ff.; Gaede HRRS 2006 409, 414; Krawczyk 92 ff.; Möllers JZ 2009 668, 672; I. Roxin GA 2010 424, 440; Schünemann StV 2010 538, 543; Schumann JZ 2007 927, 933; Valerius FS Paulus 175, 187; Wagner GA 2008 442, 461 f. 201 Dehne-Niemann ZStW 121 (2009) 321, 341 ff.; Schünemann StV 2010 538, 543; Schumann JZ 2007 927, 933 f.; Wagner GA 2008 442, 461 f. 202 Beulke FS Böttcher 17, 23 ff.; Fezer StV 2006 290; Krawczyk HRRS 2006 344, 352 f.; Kudlich BLJ 2007 125, 129; Schlothauer FS Hamm 655, 662, 664; Wagner GA 2008 442, 446 ff., 458 f.; siehe schon Tepperwien FS Meyer-Goßner 595, 604; a. A. Fahl JR 2007 345, 347. 203 BGH (4. Strafsenat) NStZ-RR 2006 273, 274; Beulke FS Böttcher 17, 23; Dehne-Niemann ZStW 121 (2009) 321, 359 ff.; Gaede HRRS 2006 409, 413 f.; Jahn/Widmaier JR 2006 166, 167; Kury StraFo 2008 185, 188; Schlothauer FS Hamm 655, 670 f.; Schumann JZ 2007 927, 931; Valerius FS Paulus 175, 190; Ziegert FS Volk 901, 911, 914.

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missbräuchlicher Rügen aufgrund des Verfalls des anwaltlichen Ethos,204 die überhaupt den einzigen äußeren Anlass zur Rechtsprechungsänderung abgeben könnte. Was das Faktum abnehmender Erinnerungsqualität, in dem nun wahrlich kein Vorwurf liegt, angeht, ist den Ausführungen205 des Oberreichsanwalts und der Vereinigten Strafsenate von 1909 immer noch nichts hinzuzufügen. Insgesamt hat der Große Senat somit eine Rechtsfortbildung contra legem vorgenommen und das Normprogramm des § 274 desavouiert,206 auch durch Schaffung eines Protokolls ohne Beweiskraft,207 das das Gesetz nicht kennt. Auf ein subjektives „prozessuales Recht auf Beibehaltung der faktischen Grundlage des eingelegten Rechtmittels“ kommt es hingegen nicht an;208 ebensowenig liegt in einer Falschprotokollierung schon eine Verletzung der Unschuldsvermutung.209 Ob sich die neue Rechtslage in der Praxis bewährt,210 ob es etwa zum vereinzelt 64 befürchteten Wettlauf zwischen Berichtigungs- und Revisionsverfahren kommen wird,211 bleibt abzuwarten. Langfristig bleibt der Gesetzgeber aufgerufen, die Vorschriften über das Sitzungsprotokoll vollständig zu erneuern, also nicht nur die starre Beweisregel des § 274 abzuschaffen,212 sondern vor allem an die Stelle des technisch überholten und erheblich fehleranfälligen Protokollmodells aus dem 19. Jahrhundert eine audiovisuelle Aufzeichnung des Verfahrensablaufs zu setzen (oben Rn. 1a). 7. Besonderes Protokollberichtigungsverfahren a) Verfahren. Der Große Senat hat folgendes Verfahren für die Protokollberichti- 65 gung nach Einlegung eines Rechtsmittels vorgeschrieben:213 204 SK/Frister 51; Beulke FS Amelung 543, 560; Danckert 225 ff., 233 ff.; Hamm NJW 2007 3166, 3170 f.; Knauer FS Widmaier 291, 292 ff.; Möllers JZ 2009 668, 670; Müller NJW 2009 3745, 3746 ff.; Schünemann StV 2010 538, 542; Schumann JZ 2007 927, 934; Wagner GA 2008 442, 459 ff.; Ziegert FS Volk 901, 904 ff.; s. a. Hassemer AnwBl. 2008 413, 418 f.; Leitner StraFo 2008 51, 54 ff.; Salditt StraFo 2009 312 ff. 205 RGSt 43 1, 3, 5; ebenso SK/Frister 52 mit Fn. 174; Bertheau NJW 2010 973, 977; Danckert 229 ff.; Gaede HRRS 2006 409, 412 f.; Jahn/Widmaier JR 2006 166, 167; Krawczyk 89 ff. 206 So auch das Minderheitsvotum in BVerfGE 122 248, 282, 286 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt 26; Schumann JZ 2007 927, 934 f.; Wagner GA 2008 442, 452 ff.; vgl. schon Hollaender JR 2007 6, 8 ff. Ob daraus auch die Verfassungswidrigkeit folgt, hängt vom anzuwendenden Maßstab ab, bejahend das Minderheitsvotum und Dehne-Niemann ZStW 121 (2009) 321, 375; s. a. Globke GA 2010 399, 403 ff.; Möller JZ 2009 668, 671 ff.; Schünemann StV 2010 538, 543 f.; Rüthers NJW 2009 1461; ders. NJW 2011 1856. 207 Minderheitsvotum in BVerfGE 122 248, 294; SK/Frister 49; Dehne-Niemann ZStW 121 (2009) 321, 350 Fn. 133; Hebenstreit HRRS 2008 172, 177; Schlothauer StraFo 2011 459, 464 f.; Wagner GA 2008 442, 454 ff. Diesen Vorschlag hatten schon Alsberg/Nüse3 444 und John Strafproceßordnung § 271 S. 493 gemacht. 208 Dehne-Niemann ZStW 121 (2009) 321, 334 ff., 368 ff. leitet solch ein Recht sogar aus Art. 19 Abs. 4 GG ab und verlangt eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage wie § 164 Abs. 1 ZPO (zweifelhaft). 209 So aber Dehne-Niemann ZStW 121 (2009) 321, 362 f.; ders. wistra 2011 213, 217 Fn. 28; ähnl. Hollaender JR 2007 6, womit verkannt wird, dass ein instrumentales Verständnis der Unschuldsvermutung als Supergarantie der Einhaltung jeder einzelnen Verfahrensnorm nur zu einer sinnlosen Verdoppelung des Erfordernisses der Gesetzesbindung führt, dazu Stuckenberg Untersuchungen zur Unschuldsvermutung (1997) 519 ff., 543 f., und zudem auch nicht der Rechtsprechung des EGMR entspricht. 210 Keine nennenswerten Änderungen erwarten Hebenstreit HRRS 2008 172, 173 und Pfister StV 2009 550, 553; krit. hingegen Ventzke HRRS 2008 180, 187 ff. 211 Mosbacher JuS 2006 39, 42; Beulke FS Böttcher 17, 24. 212 G. Schäfer FS BGH 707, 727 ff.; Gollwitzer FS Gössel 543, 557 f.; so schon Stenglein GS 45 (1891) 81, 112; a. A. SK/Frister 52; Danckert 289 f.; Park StraFo 2004 335, 341 f.; Krawczyk 275 ff., 284. Zumal deren Nutzen bisher nicht evident ist. Als Beispiel für ein System mit freier Beweiswürdigung bzgl. der Geschehnisse in der Hauptverhandlung vgl. die österreichische Rechtslage (§ 285f öStPO), Hollaender JR 2007 6, 11. 213 BGHSt 51 298, 316 f.

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(1) Wie auch sonst setzt die Berichtigung die sichere Erinnerung der Urkundspersonen voraus. (2) Die Absicht der Berichtigung ist dem Beschwerdeführer zusammen mit den dienstlichen Erklärungen der Urkundspersonen mitzuteilen. Diese Erklärungen haben die für die Berichtigung tragenden Erwägungen zu enthalten, ggf. unter Einbezug während der Hauptverhandlung getätigter Aufzeichnungen, die den Protokollfehler belegen. Dem Beschwerdeführer ist innerhalb angemessener Frist rechtliches Gehör zu gewähren. (3) Widerspricht der Beschwerdeführer daraufhin der beabsichtigten Protokollberichtigung substantiiert, so sind erforderlichenfalls weitere dienstliche Erklärungen und Stellungnahmen der übrigen Verfahrensbeteiligten einzuholen. Auch hierzu ist dem Beschwerdeführer eine angemessene Frist zur Stellungnahme zu gewähren. (4) Halten die Urkundspersonen die Niederschrift weiterhin für inhaltlich unrichtig, so haben sie diese gleichwohl zu berichtigen. In diesem Fall ist ihre Entscheidung über die Protokollberichtigung mit Gründen zu versehen (§ 34). Eine erneute Zustellung des Urteils (§ 273 Abs. 4) ist unnötig. 66 Eine Protokollberichtigung ist wie sonst auch ausgeschlossen, wenn das Protokoll richtig ist, etwa weil der fragliche Verfahrensvorgang nicht stattgefunden hat,214 auch wenn dem ein Versehen des Richters215 zugrunde liegt. Das Protokollberichtigungsverfahren ist wegen seiner Bedeutung sorgfältig zu dokumentieren; die bloße Vorlage einer vom Vorsitzenden beschlossenen Änderung an den Protokollführer zur Genehmigung belegt nicht die übereinstimmende sichere Erinnerung beider Urkundspersonen.216 67

b) Wirkungen. Die Gründe der Berichtigungsentscheidung können im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge durch das Revisionsgericht überprüft werden. Tragen sie die Berichtigung, so ist das berichtigte Protokoll zugrunde zu legen. Allerdings soll – anders als der Vorlagebeschluss es vorsah217 – dem berichtigten Teil des Protokolls nicht die formelle Beweiskraft des § 274 zukommen, weil nur so das Revisionsgericht in der Lage sei, zum Schutz der Beschwerdeführer die rügevernichtende Protokollberichtigung zu überprüfen. Verbleiben dem Revisionsgericht Zweifel, ob die Berichtigung zu Recht erfolgt ist, kann es den Sachverhalt im Freibeweisverfahren weiter aufklären. Verbleiben dem Revisionsgericht auch nach seiner Überprüfung Zweifel an der Richtigkeit des berichtigten Protokolls, hat es seiner Entscheidung das Protokoll in der ursprünglichen Fassung zugrunde zu legen.

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c) Fehlerfolgen. Wird das Verfahren trotz Kenntnis der erhobenen Revisionsrüge nicht durchgeführt,218 so etwa, wenn die Vornahme eines protokollierten Vorgangs nur in dienstlichen Stellungnahmen der Urkundspersonen bestritten wird,219 oder unterbleibt die Anhörung des Beschwerdeführers,220 so ist das unberichtigte Protokoll zugrunde zu legen. Ob die Wiederholung eines fehlerhaften Berichtigungsverfahrens 214 215 216 217 218

BGHSt 54 37 mit Anm. Schroeder JR 2010 135; Meyer-Goßner/Schmitt 26b. BGH NStZ 2010 403, 404. LG Köln StV 2011 405. BGH NJW 2006 3582, 3585 f. BGH NStZ 2011 168, 169; StV 2011 267, 268; OLG Hamm StV 2011 272, 273; KK/Greger 17; MeyerGoßner/Schmitt 26a; OK-StPO/Peglau 32.2. 219 BGH NStZ 2011 168, 169; wistra 2009 484. 220 OLG Hamm StV 2009 349, 350; 2011 272, 273; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2011 319, 320; KMR/Gemählich 32; Meyer-Goßner/Schmitt 26a; SK/Frister 43.

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noch zur Rügeverkümmerung führen kann, also eine (u. U. nochmalige) Rücksendung der Akten an das Tatgericht zur Durchführung eines ordnungsgemäßen Berichtigungsverfahrens zulässig ist oder den Angeklagten in unfairer Weise benachteiligt, erscheint zweifelhaft.221 8. Wiederherstellung eines verlorenen Protokolls. Die Wiederherstellung eines 69 verlorengegangenen Protokolls ist zulässig.222 Vorsitzender und Protokollführer können, soweit ihr Gedächtnis reicht oder aus vorhandenen Aufzeichnungen oder durch Bekundungen der Verfahrensbeteiligten wieder aufgefrischt werden kann, eine abhanden gekommene Sitzungsniederschrift neu erstellen.223 Der Vorsitzende muss hierfür alle erreichbaren Erkenntnisquellen heranziehen und nötigenfalls Beweise erheben.224 Die neu erstellte Niederschrift hat – ähnlich wie bei einer Protokollberichtigung – die volle Beweiskraft nach § 274,225 soweit nicht erkennbare Lücken oder Unvollständigkeiten oder eine nicht übereinstimmende Erinnerung der Urkundspersonen dies ausschließen. Im wiederhergestellten Protokoll ist kenntlich zu machen, für welche Feststellungen Vorsitzender oder Protokollführer mangels sicherer eigener Erinnerung die Verantwortung nicht übernehmen können. Wieweit der Inhalt eines wiederhergestellten Protokolls für das Revisionsgericht beachtlich ist, richtet sich nach den bei Rn. 55 ff. dargelegten Grundsätzen.226

III. Rechtsmittel 1. Beschwerde. Die Berichtigung und die Ablehnung eines Berichtigungsantrags 70 durch den Vorsitzenden sind, allerdings mit der Beschränkung auf Rechtsfragen (Rn. 71 bis 75), der Beschwerde nach § 304 zugänglich. Ein unrichtiges Protokoll beschwert die Verfahrensbeteiligten auch dann, wenn seine Beweiskraft durch einen nachträglichen Vermerk (Rn. 50) entfallen ist.227 In Fällen der Rügeverkümmerung soll jedoch nach Ansicht der Rechtsprechung die Beschwerde ausgeschlossen sein, weil die Überprüfung der Protokollberichtigung dem Revisionsgericht zugewiesen sei; sofern der Beschwerdeführer keine Zwecke verfolge, die über eine erhobene Verfahrensrüge hinausgingen, fehle einer Beschwerde gegen den Berichtigungsbeschluss das Rechtsschutzbedürfnis.228 Ansonsten kann geltend gemacht werden, dass die Berichtigung oder die Ableh- 71 nung nicht im vorgeschriebenen Verfahren zustande gekommen ist,229 insbesondere, 221 Für die Zulässigkeit einer Wiederholung aufgrund des Vergleichs mit der Anhörungsrüge BGH StraFo 2011 356, 358 mit Anm. Ventzke HRRS 2011 338; SSW/Güntge 18; erwägend wohl BGH wistra 2009 484; KK/Greger 17; dagegen BGH NStZ 2011 168, 169; StV 2011 267, 268; OLG Hamm StV 2011 272, 273; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2011 319, 320; Meyer-Goßner/Schmitt 26a; SK/Frister 43. 222 Dazu VO vom 18.6.1942 – BGBl. III 315-4. 223 KG NStZ 1990 405; BayObLG StraFo 2020 29, 30; KK/Greger 13; Meyer-Goßner/Schmitt 27; MüKo/ Valerius § 274, 62; OK-StPO/Peglau 37; SK/Frister 53; SSW/Güntge 20; Alsberg/Güntge 1642; W. Schmid FS Lange 781, 796 ff. 224 KG NStZ 1990 405; BayObLG StraFo 2020 29, 30; s. a. Fn. 121. 225 KG NStZ 1990 405. 226 BGH GA 1962 305. 227 OLG Hamburg NJW 1971 1326; OLG Saarbrücken OLGSt 3. 228 BGH 10.12.2018 – 5 StR 270/18 Rn. 16; Meyer-Goßner/Schmitt 26b; vgl. BGHSt 51 298, 317. 229 OLG Celle NStZ 2011 237; OLG Frankfurt StV 1993 463. Dazu gehört auch die Frage, wer den Vorsitzenden vertreten darf (Rn. 51), vgl. KG GA 74 (1930) 310; 75 (1931) 305; JW 1927 1331; OLG Hamburg NJW 1965 1342.

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dass die Übereinstimmung zwischen Vorsitzendem und Urkundsbeamtem nicht herbeigeführt wurde. Ist bei Ablehnung eines Berichtigungsantrags durch den Vorsitzenden die Beteiligung des Urkundsbeamten unterblieben, so ist der Beschwerdeführer dadurch immer beschwert.230 Denn selbst wenn man – was aber in der Regel nicht sicher vorhersehbar ist – davon ausgehen könnte, dass der Vorsitzende bei seiner in der Ablehnung des Berichtigungsantrags zum Ausdruck gekommenen Meinung beharrt, so dass die Berichtigung schon daran scheitert,231 würde allein die fehlende Stellungnahme des Urkundsbeamten die Beschwer begründen, da diese, wenn sie zugunsten des Beschwerdeführers ausfällt, zwar für sich allein nicht zur Berichtigung führen, wohl aber die Beweiskraft des Protokolls beseitigen kann.232 Die unterlassene Gewährung rechtlichen Gehörs im Zuge eines durch Antrag ausgelösten Berichtigungsverfahrens (Rn. 47) kann vom Beschwerdegericht geheilt werden.233 Mit der Beschwerde kann auch gerügt werden, dass die Berichtigung oder ihre Ablehnung auf rechtlich fehlerhaften Erwägungen beruht, etwa, wenn zu Unrecht verneint wird, dass ein bestimmter, in tatsächlicher Hinsicht nicht strittiger Verfahrensvorgang zu den in das Protokoll aufzunehmenden wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens gehört oder wenn aufgrund der unstreitig gegebenen Tatsachen die Hauptverhandlung zu Unrecht als öffentliche bezeichnet wurde.234 Nicht nachprüfbar mit der Beschwerde ist dagegen die Beurkundung der Tatsachen, die diesen und ähnlichen Rechtsbegriffen zugrunde liegen. Hierüber entscheidet immer nur die eigene Erinnerung der Urkundspersonen, die nicht durch eine auch andere Erkenntnisquellen verwertende Überzeugung des Beschwerdegerichts ersetzt werden kann.235 Die Beschwerde kann deshalb niemals zum Ziel haben, dass das Beschwerdegericht das Protokoll selbst berichtigt. Das Beschwerdegericht ist weder befugt, inhaltliche Änderungen des Protokolls selbst vorzunehmen, noch kann es die für die Richtigkeit der dort beurkundeten tatsächlichen Vorgänge allein verantwortlichen Urkundspersonen zu bestimmten Änderungen oder Ergänzungen ihrer in der Niederschrift festgehaltenen Wahrnehmungen anweisen.236 Die Beschwerde ist auch zulässig, wenn einer der Ausnahmefälle vorliegt, in denen der Urkundsbeamte das Protokoll allein berichtigen darf (Rn. 25). Der Ansicht,237 wonach in diesem Fall die Beschwerde nicht zulässig sei, weil keine richterliche Entscheidung vorliege, kann nicht gefolgt werden. Das erkennende Gericht ist – abgesehen von dem Sonderfall des § 273 Abs. 3 Satz 2 – nicht befugt, darüber zu entscheiden, was in das Protokoll aufgenommen werden darf. Die Beurkundung der Sitzungsvorgänge ist eine dem Vorsitzenden gesondert übertragene Aufgabe, die weder zu seiner richterlichen Entscheidungstätigkeit gehört noch zu seiner Aufgabe, die Verhandlung zu leiten. Es ist daher nicht möglich, gegen 230 OLG Hamm JZ 1951 460; OLG Hamburg NJW 1971 1326; OLG Schleswig bei Lorenzen/Schiemann SchlHA 1997 171; Meyer-Goßner/Schmitt 29; Radtke/Hohmann/Pauly 21; SK/Frister 55. 231 OLG Schleswig MDR 1960 521; Busch JZ 1964 746; vgl. Rn. 54. 232 OLG Saarbrücken OLGSt 5. 233 OLG Celle 8.9.2010 – 1 Ws 438/10 (insoweit nicht in NStZ 2011 237); SK/Frister 56. 234 Dünnebier JR 1960 28; a. A. KG JR 1960 28. 235 OLG Celle NdsRpfl. 1951 211; OLG Hamburg JR 1951 218; OLG Hamm JZ 1951 466; KG GA 75 (1931) 304; JR 1960 28; OLG Karlsruhe GA 1974 285; Justiz 1977 387; OLG Schleswig NJW 1959 162; bei Lorenzen/ Schiemann SchlHA 1997 171. 236 OLG Düsseldorf StV 1985 359; Rpfleger 1991 124; OLG Frankfurt StV 1993 463; OLG Hamm JMBlNW 1959 247; OLG Karlsruhe Justiz 1977 387; OLG Köln NJW 1955 843; LG Köln StV 2011 405; KK/Greger 21; KMR/Gemählich 34; Meyer-Goßner/Schmitt 29; Eb. Schmidt 18. 237 Busch JZ 1964 748.

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eine den Inhalt des Protokolls betreffende Entscheidung des Vorsitzenden das Gericht nach § 238 Abs. 2 anzurufen.238 2. Revision. Nach dem Grundsatz des § 337 Abs. 1 können Mängel des Protokolls (z. B. das Fehlen der Unterschrift oder die unrichtige Bezeichnung eines Beisitzers) oder auch sein völliges Fehlen nie die Revision begründen, da das Urteil auf ihnen nicht beruhen kann. Die Revision kann auch niemals allein darauf gestützt werden, dass im Protokoll ein Vorgang undeutlich, unvollständig oder gar nicht beurkundet sei; die sog. Protokollrügen sind wirkungslos,239 auch wenn eine Verletzung von § 273 Abs. 1a geltend gemacht wird (§ 273, 67). Die Bedeutung des Protokolls für die Revisionsinstanz besteht darin, dass es den Beweis hinsichtlich der Vorkommnisse in der Hauptverhandlung liefert, in denen ein Mangel des Verfahrens gefunden wird. Gerügt werden muss der Mangel des Verfahrens unter Anführung der Tatsachen, aus denen er sich ergibt, nicht aber die Mängel des Protokolls. Diese können nur die Wirkung haben, dass seine gesetzliche Beweiskraft ganz oder teilweise aufgehoben wird. Das zu den Mängeln des Protokolls Gesagte gilt entsprechend auch für eine Fälschung.240 Die Revision kann auch nicht darauf gestützt werden, dass die Sitzungsniederschrift fehle.241 Fehlt es an einem ordnungsgemäß abgeschlossenen Protokoll und kann dieses auch nicht nachträglich hergestellt oder rekonstruiert (Rn. 69) werden, so entfällt die Beweiskraft des § 274. Der Nachweis eines Verfahrensverstoßes, der sonst nur durch die Sitzungsniederschrift zu führen ist, kann durch jedes sonst zulässige Beweismittel erbracht werden. Es gilt dann der Grundsatz der freien Beweiswürdigung.242 Aus der ausschließlichen Beweiskraft des Protokolls (§ 274) folgt, dass der Revisionsführer bei Verfahrensrügen grundsätzlich von den Verfahrensvorgängen auszugehen hat, so wie sie im Protokoll beurkundet sind.243 Stimmen sie mit der Wirklichkeit nicht überein, so kann der Revisionsführer zwar die Berichtigung des Protokolls beantragen, er ist dazu aber nicht verpflichtet; unter Umständen ist er wegen des Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist auch gar nicht in der Lage, eine etwaige Berichtigung abzuwarten und sein Rechtsmittel dann auf den durch das berichtigte Protokoll bezeugten Verfahrenshergang zu stützen. Wegen der ausschließlichen Beweiskraft des Protokolls greift eine Verfahrensrüge, die einen aus dem Protokoll ersichtlichen Verfahrensfehler bestimmt (als in Wirklichkeit vorliegend) behauptet, auch dann durch, wenn in Wirklichkeit der Verfahrensfehler gar nicht vorlag;244 denn die absolute Beweiskraft 238 KG JR 1960 28; OLG Köln NJW 1955 843; KMR/Gemählich 7; Meyer-Goßner/Schmitt 5; MüKo/Valerius 34. 239 RGRspr. 2 (1880) 39; 9 (1887) 55; 9 (1887) 480; RGSt 12 119; 42 170; 47 237; 48 288, 289; 58 143; 64 215; 68 273; BGHSt 7 162, 163; 59 130; BGH NStZ-RR 2007 52, 53; BayObLGSt 1949/51 32; OLG Hamm NJW 1953 839; OLG Celle NJW 1956 1168; OLG Koblenz VRS 45 (1973) 292; 46 (1974) 450; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1954 387; 1969 153; Dallinger NJW 1951 256; HK/Julius/Beckemper 15; KK/Greger 25; KMR/Gemählich 35; Meyer-Goßner/Schmitt 30; MüKo/Valerius 36; Radtke/Hohmann/Pauly 22; SK/Frister 57 f.; SSW/Güntge 22; Eb. Schmidt 21. Vgl. LR/Stuckenberg § 273, 67. 240 Vgl. LR/Stuckenberg § 274, 35; RGSt 7 388. 241 RG HRR 1940 Nr. 343; KK/Greger 25; MüKo/Valerius 35; SSW/Güntge 22; a. A. Ranft JuS 1994 787, der das völlige Fehlen analog dem Fehlen eines Protokollführers nach § 338 Nr. 5 behandeln will. 242 KK/Greger 25; SK/Frister 57; W. Schmid FS Lange 781, 799; vgl. LR/Stuckenberg § 274, 8, 29 ff.; LR/ Franke26 § 337, 47. 243 BGHSt 7 164; OGHSt 1 280; BayObLGSt 1956 226; LR/Franke26 § 337, 46. 244 RGSt 43 1; BGHSt 2 125; 7 162; 26 281; 36 354; Hamm 292 ff.; W. Schmid FS Lange 781, 798; Cüppers NJW 1950 930; 1951 259; Schneidewin MDR 1951 193; Ventzke StV 1999 193; ferner BGH StV 1999 582 mit Anm. Docke/v. Döllen/Momsen; BGH StV 1999 586; G. Schäfer FS BGH 707, 725.

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des Protokolls ist in beiden Richtungen bindend. Daher ist auch der Vorwurf des Missbrauchs unbegründet, wenn der Verteidiger einen im Protokoll enthaltenen Verfahrensfehler rügt, der nach seiner Ansicht jedoch nicht vorgekommen ist, weil das Gesetz in § 274 allein das Protokoll und nicht die Ansicht irgendeines Verfahrensbeteiligten für maßgebend erklärt, so dass dem Revisionsgericht auch Feststellungen dazu verwehrt sind.245 80 Hat der Verteidiger an der Hauptverhandlung selbst nicht teilgenommen, so fragt sich, ob es in seinem Ermessen steht, sich mit dem Protokoll zu begnügen oder sich nach dem wirklichen Verfahrensverlauf beim Angeklagten oder beim früheren Verteidiger zu erkundigen.246 Die neuere Rechtsprechung247 postuliert jedoch eine Erkundigungspflicht beim Kollegen erster Instanz, deren praktische Nützlichkeit indes Zweifeln ausgesetzt248 ist.

§ 272 Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls 1. 2. 3. 4.

5.

Das Protokoll über die Hauptverhandlung enthält den Ort und den Tag der Verhandlung; die Namen der Richter und Schöffen, des Beamten der Staatsanwaltschaft, des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle und des zugezogenen Dolmetschers; die Bezeichnung der Straftat nach der Anklage; die Namen der Angeklagten, ihrer Verteidiger, der Privatkläger, Nebenkläger, Verletzten, die Ansprüche aus der Straftat geltend machen, der sonstigen Nebenbeteiligten, gesetzlichen Vertreter, Bevollmächtigten und Beistände; die Angabe, daß öffentlich verhandelt oder die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist. Schrifttum vgl. bei § 271.

Entstehungsgeschichte Art. 2 Nr. 9 EGOWiG hat bei Nr. 4 die Worte „der sonstigen Nebenbeteiligten“ eingefügt; Art. IV Nr. 6 des Gesetzes vom 26.5.1972 strich bei Nr. 2 das Wort „Geschworenen“. Art. 21 Nr. 73 EGStGB hat in Nr. 3 „strafbare Handlung“ durch „Straftat“ ersetzt.

1.

Übersicht Allgemeines 1 a) Äußere Formalien b) Beweiskraft 3

1

2.

c) Vorbereitete Protokolle Die Angaben im Einzelnen

4 5

245 Vgl. die Nachw. in Fn. 174, 189, 204 sowie BGH NStZ-RR 2006 112, 115; SK/Frister § 274, 31 ff.; Hamm 292 ff.; a. A. BGHSt 51 88; OK-StPO/Peglau § 274, 25; Meyer-Goßner/Schmitt § 274, 21; zur Strafbarkeit s. Jahn/Ebner NJW 2012 30, 31 ff. 246 So noch BGHSt 7 162, 164; vgl. Vor § 137. 247 BGHSt 52 355, 358; BGH NStZ 2005 283, 284 mit krit. Anm. Ventzke StV 2006 459, 460 f.; bestätigt in BVerfGK 6 235. 248 Krit. daher Hamm 301 f.

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a) b) c)

Ort und Tag der Verhandlung (Nr. 1) 5 Namen der Richter, der Vertreter der Staatsanwaltschaft usw. (Nr. 2) 10 Bezeichnung der Straftat (Nr. 3) 14

d)

e) f)

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Namen der Angeklagten, Verteidiger und der sonstigen Verfahrensbeteiligten (Nr. 4) 16 Öffentlichkeit der Verhandlung (Nr. 5) 21 Sonstige Angaben 22

1. Allgemeines a) Äußere Formalien. § 272 legt die äußeren Formalien fest, die jedes Hauptver- 1 handlungsprotokoll enthalten muss. Sie werden üblicherweise in den „Kopf“ der Sitzungsniederschrift aufgenommen, da sie zur Identifizierung der Hauptverhandlung dienen, deren Gang im jeweiligen Protokoll festgehalten ist. Verändern sich die nach § 272 zu beurkundenden Tatsachen im Laufe der Hauptver- 2 handlung, wird die Hauptverhandlung beispielsweise an einem anderen Ort fortgesetzt (Rn. 6) oder tritt in der Besetzung der Richterbank ein Wechsel ein, so ist dies – ohne Änderung des Kopfes der Niederschrift – an der Stelle zu vermerken, an der im Verfahrensgang der Wechsel stattgefunden hat.1 Bei bloßen Fortsetzungsterminen müssen die Namen der nach Nr. 2 und 4 zu nennenden Personen nicht wiederholt werden.2 b) Beweiskraft. Die Beweiskraft, die § 274 dem Protokoll beimisst, erstreckt sich 3 nicht auf alle in § 272 geforderten Angaben; sie erfasst sie nur, soweit sie die Tatsache der Hauptverhandlung und ihre vom Gesetz vorgeschriebenen Förmlichkeiten bezeugen.3 c) Vorbereitete Protokolle. Es ist zulässig, das Protokoll hinsichtlich der von § 272 4 geforderten Angaben bereits vor der Hauptverhandlung entsprechend vorzubereiten. In diesen Fällen ist aber erhöhte Aufmerksamkeit darauf zu richten, dass kurz vor der Hauptverhandlung eintretende Änderungen nicht unberücksichtigt bleiben.4 Bei Verwendung von Vordrucken ist besondere Sorgfalt geboten, da die Gefahr von Widersprüchen durch ungenaues Ausfüllen besonders groß ist.5 2. Die Angaben im Einzelnen a) Ort und Tag der Verhandlung (Nr. 1). Findet die Hauptverhandlung am Sitz des 5 Gerichtes statt, so genügt i. d. R. zur Angabe des Ortes die jeweilige Ortsbezeichnung, die sich mitunter schon eindeutig aus dem Namen des Gerichts ergibt, das mit der genauen Bezeichnung des Spruchkörpers im Kopf des Protokolls vermerkt wird.6 Fehlt diese Übereinstimmung, etwa weil die Verhandlung am Sitz einer Zweigstelle durchgeführt

1 HK/Julius/Beckemper 3; KMR/Gemählich 1; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/Valerius 4; OK-StPO/Peglau 1; SK/Frister 13; SSW/Güntge 1; Meyer-Goßner/Appl 910.

2 BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 16 f. Nr. 26; bei Becker NStZ-RR 2002 100 Nr. 38; NStZ-RR 2011 253; KK/Greger 2; MüKo/Valerius 12; SSW/Güntge 1; vgl. BVerfG StV 2002 521.

3 BGHSt 16 306; vgl. LR/Stuckenberg § 274, 14 ff., auch zur strittigen Frage, ob damit nur die „wesentlichen Förmlichkeiten“ im Sinne des § 273 Abs. 1 gemeint sind; ferner RGSt 46 112 (Beweiskraft erstreckt sich nicht auf Personenidentität). 4 Vgl. SK/Frister 14. 5 Vgl. LR/Stuckenberg § 271, 7. 6 Meyer-Goßner/Schmitt 3.

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wird, so ist diese anzugeben. Wird außerhalb der Gerichtsstelle verhandelt, ist der Ort, an dem dies geschieht, genau identifizierbar (Straße, Hausnummer, Gebäudeteil, Wohnung, Zimmernummer usw.) zu bezeichnen; die bloße Angabe des kommunalen Ortsnamens reicht hierfür nicht. Nimmt das Gericht im Laufe der Verhandlung einen Ortswechsel vor, nimmt es etwa den Tatort in Augenschein oder vernimmt es einen Zeugen in seiner Wohnung oder im Krankenhaus, muss sich das aus der Sitzungsniederschrift ergeben,7 wobei auch ersichtlich sein muss, welche Teile der Verhandlung jeweils an dem betreffenden Ort vorgenommen wurden. Der Tag, an dem die Hauptverhandlung stattfindet, bei einer mehrtägigen Hauptverhandlung die Tage, an denen verhandelt wurde, sind mit dem Kalenderdatum zu bezeichnen. Die vollständige und beweiskräftige (§ 274) Aufzählung aller Tage, an denen verhandelt wurde, ist auch wegen der sich danach berechnenden Frist für die Urteilsabsetzung (§ 275 Abs. 1 Satz 2) notwendig. Erstreckt sich die Verhandlung über mehrere Tage, muss die Verhandlungsniederschrift ergeben, welche Verfahrenshandlungen in welcher Reihenfolge an jedem einzelnen dieser Tage geschehen sind; Stunde und Minute der Verhandlungsunterbrechung und des Wiederbeginns sollten vermerkt werden, auch wenn § 272 Nr. 1 dies nicht ausdrücklich verlangt.8 Dies gilt nicht für kürzere Pausen, die im Laufe ein und desselben Tages die Sitzung unterbrechen, etwa, wenn eine Mittagspause gemacht wurde. Solche Pausen müssen weder nach Nr. 1 in das Sitzungsprotokoll aufgenommen werden9 noch gehören sie zu den wesentlichen Förmlichkeiten nach § 273 Abs. 1. Die Beweiskraft des Protokolls erstreckt sich auf sie nicht.10 Bei der Urteilsverkündung ist der Zeitpunkt maßgebend, an dem die Verkündung beendet wurde. Die Angabe eines falschen Tages (etwa, wenn die Urteilsverkündung erst nach Mitternacht beendet worden ist) beeinträchtigt aber nicht den Bestand des Urteils.11 b) Namen der Richter, der Vertreter der Staatsanwaltschaft usw. (Nr. 2). Auch die Namen der etwa zugezogenen Ergänzungsrichter (Ergänzungsschöffen) sind anzugeben, vgl. § 192 GVG. Bei den Richtern sind Funktion (als Vorsitzender, Beisitzer, Ergänzungsrichter usw.) und Dienstbezeichnung, eventuell auch ein akademischer Grad, beizufügen.12 Eine bestimmte Reihenfolge (üblich nach Dienstalter oder Alphabet) ist nicht vorgeschrieben. Bei Schöffen ist es nicht erforderlich, auch ihren Vornamen sowie Beruf und Wohnort zu vermerken.13 Einen Hinweis über ihre Vereidigung, über die ein besonderes Protokoll aufzunehmen ist (§ 45 Abs. 8 DRiG), schreibt Nr. 2 nicht vor, es

7 AK/Lemke 2; KK/Greger 1; KMR/Gemählich 2; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Valerius 5; OK-StPO/Peglau 2; Radtke/Hohmann/Pauly 2; SK/Frister 3: SSW/Güntge 2; Eb. Schmidt 3. 8 KMR/Gemählich 4; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Valerius 7; SK/Frister 4; SSW/Güntge 2; Eb. Schmidt 3; a. A. wohl BGH NStZ 2009 105, 106; OK-StPO/Peglau 3. 9 KK/Greger 2; KMR/Gemählich 4; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Valerius 7; MüKo/Valerius 8; SK/Frister 4: SSW/Güntge 2. 10 BGH JZ 1967 185; OLG Köln StraFo 2002 325; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2006 191, 192; KMR/Gemählich 4; OK-StPO/Peglau 3. 11 RG JW 1932 3105 mit zust. Anm. Oetker. 12 Meyer-Goßner/Schmitt 4; SK/Frister 5; vgl. LR/Jäger § 222a, 3. 13 AK/Lemke 4; KMR/Gemählich 5; Meyer-Goßner/Schmitt 4; SSW/Güntge 3; strenger SK/Frister 5 (unzulässiger Eingriff in Recht auf informationelle Selbstbestimmung); a. A. Pusz 9.1.

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handelt sich insoweit auch um keine Förmlichkeit der betreffenden Hauptverhandlung.14 Mehrere Staatsanwälte sind nebeneinander anzuführen, wenn sie gemeinsam an 11 der Hauptverhandlung teilgenommen haben. Lösen sie sich während der Sitzung ab, wird der Wechsel zweckmäßigerweise chronologisch an der entsprechenden Protokollstelle vermerkt. Dem Protokoll muss aber in jedem Fall eindeutig zu entnehmen sein, welcher Staatsanwalt an welchen Sitzungsteilen mitgewirkt und wer die Anträge gestellt hat.15 Bei einem Wechsel des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ist dies im Protokoll 12 an der Stelle ersichtlich zu machen, an der der Wechsel eingetreten ist. Der ausscheidende Urkundsbeamte hat den von ihm gefertigten Teil der Niederschrift durch seine Unterschrift abzuschließen.16 Dolmetscher sind Sprachkundige, deren Aufgabe es ist, den Prozessverkehr zwischen 13 dem Gericht und einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Prozessbeteiligten zu ermöglichen. Sie sind zu unterscheiden von den sprachkundigen Sachverständigen, die nach den Grundsätzen des Sachverständigenbeweises nur zur Sprachübertragung einer Erklärung zugezogen werden, die außerhalb der Hauptverhandlung abgegeben wurde, wie etwa zur Übersetzung einer fremdsprachigen Urkunde.17 Nur der Dolmetscher braucht im Kopf des Protokolls angeführt zu werden;18 ein späterer Wechsel ist zu vermerken.19 Der Dolmetscher muss zu Beginn der Verhandlung vereidigt werden, wenn er nicht als Dolmetscher für seine Tätigkeit vor dem betreffenden Gericht allgemein vereidigt ist20 und sich auf den geleisteten Eid beruft (§ 189 GVG). Dass das eine oder das andere geschehen ist, muss im Protokoll eindeutig vermerkt werden.21 Dies folgt aber nicht aus Nr. 2, sondern aus § 273 Abs. 1, denn die Beachtung des § 189 GVG ist eine wesentliche Förmlichkeit.22 c) Bezeichnung der Straftat (Nr. 3). Diese ist mit ihrer rechtlichen Bezeichnung 14 im Protokoll aufzuführen. Auszugehen ist dabei von dem in der zugelassenen Anklage erhobenen Vorwurf, über den verhandelt wird, und nicht etwa vom Urteil.23 Der zugelassenen Anklage stehen auch hier der Strafbefehl sowie der Verweisungsbeschluss nach § 270 gleich. Im beschleunigten Verfahren ist die mündlich erhobene Anklage (§ 418) maßgebend.24 14 15 16 17 18

BGH bei Dallinger MDR 1973 372; SK/Frister 5; SSW/Güntge 3. AK/Lemke 5; KMR/Gemählich 6; Meyer-Goßner/Schmitt 4; MüKo/Valerius 9; SK/Frister 6; SSW/Güntge 3. Vgl. HK/Julius/Beckemper 3; KMR/Gemählich 7; MüKo/Valerius 10; SK/Frister 6; LR/Becker § 226, 10. Vgl. BGHSt 1 4, 7; KK/Greger 5; ferner bei § 185 GVG. KMR/Gemählich 8 f.; MüKo/Valerius 11; SK/Frister 7; Eb. Schmidt 5; KK/Greger 5, der darauf hinweist, dass ein zur Hauptverhandlung generell zugezogener Dolmetscher diese Eigenschaft nicht verliert, wenn er auch die Richtigkeit der Sprachübertragung außerhalb der Hauptverhandlung abgegebener Äußerungen bestätigt. 19 BGH bei Becker NStZ-RR 2002 100 Nr. 38; KMR/Gemählich 8; Meyer-Goßner/Schmitt 4; SK/Frister 7. 20 § 189 Abs. 2 GVG; die allgemeine Beeidigung ist in den Ländern unterschiedlich geregelt und mitunter in der Geltung örtlich eng (Landgerichtsbezirk) begrenzt; vgl. Jessnitzer Dolmetscher (1982) 25; Ruderisch BayVBl. 1985 172. 21 BGHSt 31 39, 40 (Vermerk „allgemein vereidigt“ reicht nicht); KMR/Gemählich 8; SK/Frister 7; vgl. auch Fn. 22. 22 Vgl. BGH NStZ 1981 69 (L) mit Anm. Liemersdorf; NStZ 1981 190; 1982 517; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 359 Nr. 48; HK/Julius/Beckemper 2; MüKo/Valerius 11; Radtke/Hohmann/Pauly 3; SK/Frister 7; ferner LR/Stuckenberg § 274, 14 und bei § 189 GVG. 23 KK/Greger 6; KMR/Gemählich 10; Meyer-Goßner/Schmitt 5. 24 Meyer-Goßner/Schmitt 5.

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Es genügt, wie bei § 260, die rechtliche Bezeichnung der Straftat. Umfasst die Anklage eine Vielzahl von Straftaten, müssen im Kopf des Protokolls nicht alle einzeln angegeben werden. Es dürfte für den Zweck des § 272 Nr. 3 ausreichen, wenn die in der Anklage erhobenen Vorwürfe schwerpunktmäßig umrissen werden und kenntlich gemacht wird, dass es sich insoweit um keine abschließende Aufzählung handelt (z. B.: „wegen schweren Raubes u. a.“).25

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d) Namen der Angeklagten, Verteidiger und der sonstigen Verfahrensbeteiligten (Nr. 4). Anzugeben sind die Namen in dem für die Identifizierung notwendigen Umfang,26 gegebenenfalls auch ein akademischer Grad. Die Anforderungen sind bei den einzelnen Personengruppen unterschiedlich. Beim Angeklagten genügt nach Wortlaut und Zweck des § 272, den Vor- und Familiennamen aufzunehmen27 und weitere Angaben wie Wohnort und Beruf nur insoweit, als sie zur eindeutigen Identifizierung des Angeklagten notwendig sind, wozu nähere Angaben über die Untersuchungshaft und andere Einzelheiten nicht unbedingt gehören. Nur wenn das Urteil nach § 275 Abs. 1 Satz 1 in das Protokoll aufgenommen wird, muss die Sitzungsniederschrift alle für den Urteilskopf erforderlichen Angaben enthalten.28 Mehrere Angeklagte sind zweckmäßigerweise in der Reihenfolge der Anklageschrift im Protokoll aufzuführen. Nach § 272 müssen die Namen aller Angeklagten angegeben werden, ohne Rücksicht darauf, ob sie zur Hauptverhandlung erschienen sind. Die Feststellung der Anwesenheit ist als wesentliche Förmlichkeit nach § 273 Abs. 1 gesondert zu beurkunden.29 Mit Namen aufzuführen sind ferner der oder die Verteidiger, und zwar ganz gleich, ob es sich um eine notwendige Verteidigung handelt, bei der die Anwesenheit des Verteidigers eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens ist.30 Anzugeben sind alle Verteidiger, die zumindest an einem Teil der Hauptverhandlung teilgenommen haben, also auch ein Verteidiger, der bei der Urteilsverkündung nicht anwesend war.31 Ob auch ein Verteidiger im Kopf angeführt werden muss, der überhaupt nicht erschienen ist, ist strittig.32 Unerheblich, und deshalb nicht zu erwähnen ist, ob es sich um einen Wahl- oder Pflichtverteidiger handelt. Zu den sonstigen Verfahrensbeteiligten im Sinne des § 272 Nr. 4 rechnen der Beistand (§ 149), der Nebenkläger und die Nebenbeteiligten, die im allgemeinen Interesse oder zur Abwehr eigener Rechtsnachteile am Verfahren teilnehmen,33 und ihre Bevollmächtigten. Dazu gehören der Einziehungsbeteiligte nach § 424, dem die juristische Person oder Personenvereinigung im Verfahren nach § 444 gleichgestellt wird, und der Nebenbetroffene (§ 438), ferner, nach Maßgabe der einzelnen Sondergesetze (z. B. § 407 AO; § 13 Abs. 2 WiStG), auch bestimmte Behörden, wenn sie zur Hauptverhandlung ei-

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25 AK/Lemke 8; KK/Greger 6; Radtke/Hohmann/Pauly 4. Die Angabe des schwersten Vorwurfs fordern KMR/Gemählich 10; Meyer-Goßner/Schmitt 5; MüKo/Valerius 14; SK/Frister 8; SSW/Güntge 5. 26 KMR/Gemählich 11; Eb. Schmidt 7. 27 HK/Julius/Beckemper 2; OK-StPO/Peglau 6; Pusz 11.1; weitere Angaben fordern KMR/Gemählich 12; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/Valerius 15; SSW/Güntge 6; Meyer-Goßner/Appl 912. 28 KMR/Gemählich 12; Meyer-Goßner/Schmitt 6; vgl. LR/Stuckenberg § 275, 20. 29 KK/Greger 7; KMR/Gemählich 13; Werner DRiZ 1955 180, 182; ferner bei LR/Stuckenberg § 273, 9 m. w. N. 30 Vgl. LR/Stuckenberg § 273, 9; LR/Franke26 § 338, 82. 31 OLG Koblenz Rpfleger 1973 219. 32 AK/Lemke 9; HK/Julius/Beckemper 2; KK/Greger 7; Radtke/Hohmann/Pauly 5 bejahen dies; verneinend KMR/Gemählich 14; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/Valerius 16; OK-StPO/Peglau 7; SK/Frister 10; Eb. Schmidt 4 („wirklich Erschienenen“). Vgl. Fn. 35. 33 Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt Einl. 73; Eb. Schmidt Nachtr. II 2.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 272

nen Vertreter entsenden.34 Ob diese Personen nur aufgeführt werden müssen, wenn sie auch tatsächlich in der Hauptverhandlung anwesend sind, ist ebenfalls strittig.35 e) Öffentlichkeit der Verhandlung (Nr. 5). Das Protokoll muss angeben, ob öffent- 21 lich verhandelt wurde.36 Hierbei handelt es sich um eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens im Sinne des § 273 Abs. 1. Bestand die Öffentlichkeit unverändert während der ganzen Hauptverhandlung, genügt ein entsprechender Vermerk am Anfang des Protokolls.37 Wegen der Einheit des Protokolls gilt dies auch bei einer mehrtägigen Verhandlung,38 wobei allerdings bei einem Wechsel des Protokollführers darauf zu achten ist, dass der neue Protokollführer den Vermerk für den von ihm protokollierten Verhandlungsteil auch selbst bestätigt.39 Wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen, so muss das Protokoll ersehen lassen, ob über den Ausschluss öffentlich oder nicht öffentlich verhandelt wurde und ob der Beschluss, durch den die Öffentlichkeit ausgeschlossen worden ist, öffentlich verkündet wurde.40 Desgleichen ist die Vollziehung des über die Ausschließung ergangenen Beschlusses und die Wiederherstellung der Öffentlichkeit im Protokoll an der jeweiligen Stelle ersichtlich zu machen; ferner, dass der Beschluss auch vollzogen wurde. Die Wiederherstellung der Öffentlichkeit (Anordnung und Vollzug) ist im Protokoll vor dem jeweiligen Verfahrensvorgang zu vermerken, von dem an wieder öffentlich verhandelt wurde. Aus dem Protokoll muss eindeutig zu ersehen sein, bei welchen Verfahrensteilen die Öffentlichkeit ausgeschlossen war41 und dass danach wieder öffentlich weiterverhandelt wurde. Ist das Protokoll insoweit erkennbar lückenhaft, etwa weil es nur die Wiederherstellung der Öffentlichkeit, nicht aber deren Ausschluss feststellt, entfällt seine Beweiskraft nach § 274; die ohne Öffentlichkeit verhandelten Verfahrensteile können dann im Wege des Freibeweises festgestellt werden.42 f) Sonstige Angaben. Auf Grund des § 272 muss das Gericht nur die in § 272 Nr. 2 22 und 4 genannten Personen im Protokoll namentlich festhalten, nicht aber andere Personen, die, wie etwa die Referendare, zu Ausbildungszwecken oder aus sonst einem Grund der Hauptverhandlung beiwohnen. Dies gilt auch für die Vertreter der Finanzbehörde nach § 407 AO und sonstige, in amtlicher Eigenschaft an der Hauptverhandlung teilnehmende Behördenvertreter.43 Ob und wieweit die Namen der Beweispersonen zu beurkunden sind, ergibt sich aus § 273 Abs. 1 und nicht aus § 272. Nicht beurkundet zu werden braucht, wenn jemandem die Anwesenheit in der Hauptverhandlung nach § 175 Abs. 2 GVG oder § 48 JGG gestattet wird.44 34 Vgl. LR/Becker Vor § 226, 70. 35 KMR/Gemählich 14; Meyer-Goßner/Schmitt 6; OK-StPO/Peglau 7; SK/Frister 10; SSW/Güntge 7 nehmen dies an; während andere, so KK/Greger 7, diese Angabe auch fordern, wenn die in Nr. 4 Genannten nicht erschienen sind; das Ausbleiben ist dann besonders zu beurkunden. Vgl. Fn. 32. 36 Vgl. §§ 169 bis 175 GVG; 48 Abs. 1 JGG. 37 KMR/Gemählich 15; Meyer-Goßner/Schmitt 7; MüKo/Valerius 17; Radtke/Hohmann/Pauly 6; SK/Frister 11; SSW/Güntge 7. 38 Vgl. etwa OLG Düsseldorf JMBlNW 1963 2153 (Auslegungsfrage); KK/Greger 8; SK/Frister 11. 39 Vgl. LR/Stuckenberg § 271, 13. 40 RGSt 10 92; RG GA 38 (1891) 195; BGH bei Herlan MDR 1955 653; bei Holtz MDR 1977 810; vgl. LR/ Franke26 § 338, 110 m. w. N. 41 BGH StV 1994 471. 42 BGHSt 17 220, 222; AK/Lemke 11; KK/Greger 8; KMR/Gemählich 17; Radtke/Hohmann/Pauly 6; SK/ Frister 11; vgl. LR/Stuckenberg § 274, 29 ff. 43 KMR/Gemählich 18 f.; Radtke/Hohmann/Pauly 3; SK/Frister 12; SSW/Güntge 8. 44 Vgl. bei § 175 GVG.

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§ 273

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§ 273 Beurkundung der Hauptverhandlung (1) 1Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist, sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urteilsformel enthalten. 2In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden. (1a) 1Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. 2Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. 3Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken. (2) 1Aus der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen; dies gilt nicht, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird. 2Der Vorsitzende kann anordnen, dass anstelle der Aufnahme der wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll einzelne Vernehmungen im Zusammenhang als Tonaufzeichnung zur Akte genommen werden. 3§ 58a Abs. 2 Satz 1 und 3 bis 6 gilt entsprechend. (3) 1Kommt es auf Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung an, so hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung anzuordnen. 2Lehnt der Vorsitzende die Anordnung ab, so entscheidet auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person das Gericht. 3In dem Protokoll ist zu vermerken, daß die Verlesung geschehen und die Genehmigung erfolgt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind. (4) Bevor das Protokoll fertiggestellt ist, darf das Urteil nicht zugestellt werden. Schrifttum vgl. bei § 271.

Entstehungsgeschichte Art. 7 Nr. 15 StPÄG 1964 hatte Absatz 2 dahin erweitert, dass der wesentliche Inhalt der Vernehmungen nunmehr bei allen als Tatsacheninstanz urteilenden Gerichten in das Protokoll aufzunehmen ist, während dies früher nur bei den Verhandlungen vor dem Amtsrichter und dem Schöffengericht vorgeschrieben war. In Absatz 3 wurde den Verfahrensbeteiligten das Recht eingeräumt, die Protokollierung bestimmter Verfahrensvorgänge oder des Wortlauts bestimmter Aussagen zu beantragen und, falls der Vorsitzende dies ablehnt, gegen seine Entscheidung das Gericht anzurufen. Eingefügt wurde ferner der Absatz 4, der die Urteilszustellung und damit den Beginn der Fristen nach § 341 Abs. 2, § 345 von der Fertigstellung des Protokolls abhängig macht. Art. 1 Nr. 79 des Stuckenberg https://doi.org/10.1515/9783110274967-026

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 273

1. StVRG (1974) hat die frühere Fassung des Absatzes 2 wieder hergestellt,1 lediglich „Amtsrichter“ wurde durch „Strafrichter“ ersetzt. Art. 1 Nr. 24 StVÄG 1979 hat bei § 273 Abs. 1 hinter „Schriftstücke“ die Worte eingefügt „oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist“ (Folgeänderung zu § 249 Abs. 2). Art. 1 Nr. 22 StVÄG 1987 hat bei Absatz 2 einen Halbsatz angefügt, der es gestattet, von der Protokollierung der wesentlichen Ergebnisse der Vernehmung abzusehen, wenn das Urteil nicht angefochten wird. Art. 1 Nr. 9 des 1. OpferRRG 2004 hat in Absatz 2 die Sätze 2 bis 4 angehängt. Art. 1 Nr. 10 des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29.7.2009 (BGBl. I S. 2353) hat in § 273 Abs. 1 Satz 1 das Wort „Beachtung“ an die Stelle von „Beobachtung“ gesetzt sowie Satz 2 und Absatz 1a eingefügt. Durch Art. 1 Nr. 30 des Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte vom 5.5.2017 (BGBl. I S. 2208) wurde in Verfolgung des Ziels einer medienneutralen Gesetzessprache (BTDrucks. 18 9416 S. 64) in Absatz Satz 1 das Wort „Schriftstücke“ durch das Wort „Urkunden“ und in Absatz 2 Satz 2 die Wörter „auf Tonträger aufgezeichnet“ durch die Wörter „als Tonaufzeichnung zur Akte genommen“ ersetzt, weshalb der vormalige Satz 3 entfiel und Satz 4 zu Satz 3 wurde. In Absatz 3 Satz 1 wurde das Wort „Niederschreibung“ durch das Wort „Protokollierung“ ersetzt.

I.

II.

Übersicht Allgemeines 1 1. Zweck 1 2. Verhältnis des § 273 zu anderen Vorschriften 2 Protokollierung der Hauptverhandlung (Absatz 1) 3 1. Gang der Hauptverhandlung 3 2. Beachtung der wesentlichen Förmlichkeiten 6 3. Beispiele für wesentliche Förmlichkeiten 8 a) Öffentlichkeit 8 b) Anwesenheit 9 c) Verfahrensgang 11 d) Hinweise, Belehrungen 12 e) Erklärungen der Verfahrensbeteiligten 13 f) Beweiserhebung 14 g) Ordnungsvorschriften 18 h) Heilung von Verfahrensfehlern 19 i) Sitzungspolizei 20 j) Rechtsmittelerklärungen 21 4. Anträge 23 5. Beurkundung der Entscheidungen 26 6. Beurkundung der Urteilsformel 27 7. Erörterung nach § 257b (Absatz 1 Satz 2) 31

III.

Vorliegen einer Verständigung (Absatz 1a) 32 1. Ablauf und Inhalt der Verständigung 32 2. Belehrungen und Mitteilungen 34 3. Negativattest (Satz 3) 35 IV. Das Inhaltsprotokoll nach Absatz 2 38 1. Anwendungsbereich 38 2. Wesentliche Ergebnisse 41 3. Form 42 a) Niederschrift 42 b) Tonaufzeichnung 43 4. Beweiskraft 44 V. Beurkundung eines Vorgangs oder des Wortlauts einer Äußerung (Absatz 3) 47 1. Feststellung eines Verfahrensvorgangs 47 2. Feststellung des Wortlauts 50 3. Protokollierungsvorgang 53 4. Antrag 56 5. Anrufung des Gerichts 60 6. Sitzungsniederschrift 62 VI. Fertigstellung des Protokolls und Urteilszustellung (Absatz 4) 63 1. Zweck 63 2. Fertigstellung 64 3. Zwingende Verfahrensnorm 65 VII. Rechtsmittel 66

1 Rieß NJW 1975 81, 88.

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§ 273

1. 2.

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

Beschwerde 66 Revision 67 a) Mangel des Protokolls

b)

Widersprüche zwischen Protokollinhalt und Urteil 68

67

Alphabetische Übersicht Ablehnung der Protokollierung 60, 66 f. Allgemeinkundigkeit 17 Angeklagter – Anwesenheit 7, 9 – Einlassung 11, 39, 50, 68 – schwerhöriger 10 – Verhalten 49 – Vernehmung 11 Anklage, Verlesung 11 Anordnung der Protokollierung 53, 60 ff. Anrufung des Gerichts 13 f., 60 Anspruch auf wörtliche Protokollierung 57 ff., 59 Antrag auf Protokollierung 56, 60 ff., 67 Anträge 13, 23 ff. Anwesenheit 9 ff. Aufforderung zu den Schlussanträgen 11 Aufforderungen zur Stellungnahme 12 Aufklärungspflicht 7, 59, 69 Augenschein 15, 39, 49 Befragung 12 Beisitzende Richter 56, 59 Belehrungen 12 Beleidigung eines Zeugen 49 Beratung des Gerichts 5, 34, 45, 51, 59, 69 Beschwerde 66 Beweisanträge 24 – Frist zur Stellung 49 Beweiserhebung 14 Beweissicherung 49, 51, 57 Beweiswürdigung 44, 49, 59, 67 Dolmetscher 10 Einverständnis 13 Einwände gegen die Richtigkeit der wörtlichen Niederschrift 55 Entschädigungsansprüche nach § 404 11 Entscheidung des Gerichts über Protokollierung 61 Entscheidungen 4, 26 ff., 30 Ergebnisse der Verhandlung 4 Erörterung nach § 257b 31 Erziehungsberechtigter 9 Feststellung eines Verfahrensvorgangs 47 ff. Fragen, einzelne 14 Freibeweis 21, 36 f., 67 Freistellung von der Protokollierung der Aussagen 40 fremdsprachige Erklärungen 52 Gang der Hauptverhandlung 3 ff., 11, 19 Genehmigung der Protokollierung 55, 61 f., 67

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Gerichtskundige Tatsachen 17 Gesetzlicher Vertreter 9 Haftprüfung, mündliche 2 Heilung eines Verfahrensfehlers 3, 19 Hinweise 7, 12, 17 ff., 31 Inhaltsprotokoll 38 ff. Letztes Wort 11 Maßnahmen der Sitzungspolizei 20 Mündlichkeitsgrundsatz 42 Nebenkläger 56 Negativattest einer Verständigung 35 ff. Öffentlichkeit der Verhandlung 8 Ordnungsvorschriften 18 Protokollrüge 67 Punktesachen 3 Recht auf Gehör 7, 17 Rechtliches Interesse an der Protokollierung 48 ff., 56 Rechtsmitteleinlegung 21 f. Rechtsmittelverzicht 21 f., 40 Rekonstruktion der Aussage 45, 68 ff. Revision 67 ff. Rücknahme eines Antrags 23 Sachverhaltsfeststellung im Urteil 45, 68 f. Sachverständige 9, 39, 42, 56 Schriftstücke s. Urkunden Selbstleseverfahren 16, 23 Sitzungsprotokoll – Anlagen 23, 25 ff., 52, 54, 64 – Beweiskraft 1 ff., 20 f., 33 ff., 44, 57, 60, 62, 64, 67 – Bezugnahmen 42 – Fertigstellung 2, 40, 63 ff. – Mängel 64 ff., 67 – Nachprüfung der inhaltlichen Richtigkeit 66 – Wiederherstellung 64 – Zweck 1 Sondervorschriften 2 Standeswidriges Verhalten 49 Straftat in der Hauptverhandlung 49, 58 Teilanfechtung des Urteils 40 Tonträgeraufzeichnung 43, 68 Urkunden – Feststellung ihres Inhalts durch Vorsitzenden 16 – verlesene 16 Urkundenbeweis 15 f., 40 Urkundsbeamter 40 f., 45, 53 ff. Urteilsformel 27 f., 65

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

Urteilsgründe, Widerspruch mit Protokoll 45, 68 ff. Urteilsverkündung 21, 28, 60 Urteilszustellung 63 ff. Verfahrensgrundsätze 7 Verfahrensrüge 11, 45, 49, 57, 59, 67 ff. Verkündung der Entscheidungen 26, 30, 60 Verständigung 32 ff. Verteidiger 2, 9, 49 f., 56, 63 – Anwesenheit 9 – Verhandlung über Ausschluss 2 Verweigerung der Einlassung 11 Verzicht 13, 21 f. Vorgänge außerhalb der Hauptverhandlung 2, 35, 47

§ 273

Vorhalt 7, 16 Vorsitzender 41, 45, 53 ff., 56, 58 Wesentliche Förmlichkeit 6 ff., 21 f., 48, 57, 67, 69 Wesentliches Ergebnis der Vernehmungen 38 ff., 41 ff., 65 Wiederaufnahme 43, 46 Wiedereinsetzung 40 Wiederholung von Teilen der Hauptverhandlung 3, 19 Wörtliche Niederschrift einer Aussage 50 ff., 68 Zeitliche Reihenfolge 3 Zeuge 3, 9, 14 f., 19, 39, 46, 49, 56, 68 Zusammenfassung mehrerer Aussagen 42 Zweifel am Vorliegen einer Verständigung 37

I. Allgemeines 1. Zweck. Das Protokoll soll den Gang der Hauptverhandlung so wiedergeben, dass 1 nachprüfbar ist, ob in ihr dem Gesetz entsprechend verfahren wurde. Dies soll insbesondere den Gerichten der höheren Instanzen die Prüfung erleichtern, ob Prozessvorschriften verletzt worden sind. Seine Bedeutung hierfür erhellt die Beweiskraft, die ihm durch § 274 beigelegt wird. Sein Inhalt kann aber auch für Zwecke, die außerhalb des Verfahrens liegen, von Bedeutung sein. Das gilt insbesondere für die Äußerungen, die nach Absatz 3 wörtlich in das Protokoll aufgenommen wurden. 2. Verhältnis des § 273 zu anderen Vorschriften. Während § 271 die Aufnahme 2 eines Protokolls über die Hauptverhandlung vorschreibt und die Verantwortlichkeit dafür regelt, legen die §§ 272 bis 273 Abs. 1 bis 3 den Inhalt dieser Sitzungsniederschrift fest, der dann von § 274 zum Teil mit besonderer Beweiskraft ausgestattet wird. § 273 Abs. 4 bindet die Urteilszustellung an die Fertigstellung des Protokolls. Die §§ 272, 273 werden durch Sondervorschriften für bestimmte Einzelfälle ergänzt (beispielsweise §§ 59 Abs. 1 Satz 2, 86, 249 Abs. 2 Satz 3, 255, ferner §§ 182, 183, 185 Abs. 1 Satz 2 GVG).2 Die Protokollierung von Vorgängen außerhalb der Hauptverhandlung richtet sich nach den §§ 168 bis 168b,3 doch gelten die §§ 271 bis 273 für die mündliche Haftprüfung (§ 118a Abs. 3 Satz 3) und die Verhandlung über die Ausschließung des Verteidigers (§ 138d Abs. 4 Satz 3) entsprechend.

II. Protokollierung der Hauptverhandlung (Absatz 1) 1. Gang der Hauptverhandlung. Das Protokoll muss den Gang der Hauptverhand- 3 lung, vor allem die zeitliche Reihenfolge, in der die einzelnen Verfahrensabschnitte durchgeführt wurden (vgl. §§ 243, 244 Abs. 1, §§ 257, 258, 260 Abs. 1), kenntlich machen.4 2 Vgl. KMR/Gemählich 3; SK/Frister 4. 3 Vgl. auch LR/Jäger § 223, 36. 4 HK/Julius/Beckemper 4; KK/Greger 2 f.; KMR/Gemählich 4; Meyer-Goßner/Schmitt 5; MüKo/Valerius 7; OK-StPO/Peglau 3; Radtke/Hohmann/Pauly 2; SK/Frister 5; SSW/Güntge 3. Zu den Einzelheiten des Protokollinhalts vgl. Meyer-Goßner/Appl 915 ff.; Pusz 13.1 ff.

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§ 273

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Welche Ereignisse außer den in Absatz 1 besonders genannten hierzu rechnen, bestimmt sich nach dem Zweck des Protokolls, den höheren Instanzen mit seiner Beweiskraft die Nachprüfung der Gesetzmäßigkeit des Verfahrens zu erleichtern.5 Weicht das Gericht von dem normalen Verfahrensgang ab, was insbesondere in den sogenannten Punktesachen angezeigt sein kann, dann muss das Protokoll dies eindeutig aufzeigen.6 Wird ein Teil der Hauptverhandlung wiederholt, um einen Verfahrensfehler zu heilen, so sind neben der Anordnung die wiederholten Verfahrensvorgänge in der Reihenfolge ihrer Wiederholung erneut im Protokoll festzuhalten.7 Wenn Absatz 1 Satz 1 auch die Ergebnisse der Hauptverhandlung erwähnt, so er4 scheint dies insofern müßig, als die Ergebnisse der Beweisaufnahme hier nicht gemeint sein können, da für sie Absatz 2 gilt, im Übrigen aber als Ergebnisse der Verhandlung nur die Entscheidungen bezeichnet werden können, die am Schluss des Absatzes 1 besonders genannt werden.8 Die Aufzählung in Absatz 1 enthält aber auch sonst Überschneidungen. Die Beratungen des Gerichts, vor allem die Urteilsberatung, gehören nach herr5 schender Ansicht nicht zu den in der Sitzungsniederschrift zu beurkundenden und nur durch sie beweisbaren Förmlichkeiten der Hauptverhandlung.9 Dies gilt auch für eine kurze Nachberatung im Sitzungssaal, obwohl diese für den Urkundsbeamten wahrnehmbar wäre und ein Vermerk hierüber zweckmäßig sein kann.10 Nach hier vertretener Auffassung ist hingegen die Tatsache, dass sich das Gericht zu der gebotenen Beratung zurückgezogen oder im Sitzungssaal beraten hat, in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen.11 6

2. Beachtung der wesentlichen Förmlichkeiten. Die Beachtung der wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens muss das Protokoll beurkunden. Hierzu gehören alle Vorgänge der Verhandlung, die für die Gesetzmäßigkeit des Verfahrens von Bedeutung sind, wobei als wesentlich nur diejenigen Formvorschriften anzusehen sind, deren Missachtung unter Umständen den Bestand des Urteils gefährden könnte.12 Es kommt insoweit nur auf das vorliegende Verfahren an; dass der Vorgang für ein anderes Verfahren von Bedeutung ist, rechtfertigt zwar unter Umständen seine Beurkundung in der Sitzungsniederschrift nach Absatz 3, macht ihn jedoch nicht zu einer wesentlichen Förmlichkeit im Sinne des Absatzes 1.13 Ob eine Verfahrensregel zu den wesentlichen Förmlichkeiten rechnet, ist bei den einzelnen Verfahrensvorschriften erörtert. Soweit dies zweifelhaft 5 6 7 8

BGH NJW 2016 3795; AK/Lemke 2; KK/Greger 2; Meyer-Goßner/Schmitt 1. Vgl. LR/Becker § 243, 4. Vgl. BGH NStZ-RR 1999 107, ferner Rn. 19. KK/Greger 2; MüKo/Valerius 8; OK-StPO/Peglau 4; Radtke/Hohmann/Pauly 2; SK/Frister 5; SSW/Güntge 3; Eb. Schmidt 5. Allenfalls könnte die zulässige (vgl. Pecher NJW 1981 2170) Aufnahme eines privatrechtlichen Vergleichs in das Protokoll als ein Ergebnis der Hauptverhandlung betrachtet werden, das nicht zugleich eine Entscheidung ist; vgl. SK/Frister 5. 9 BGHSt 5 294 = LM Nr. 5 mit Anm. Krumme; OLG Köln NStZ-RR 2002 337; OLG Schleswig bei Ernesti/ Jürgensen SchlHA 1973 187; 1974 184; KMR/Gemählich 8; OK-StPO/Peglau 28; Radtke/Hohmann/Pauly 17; SK/Frister 8; SSW/Güntge 6; krit. Pauly FS Rissing-van Saan 425, 435 f.; a. A. Kahlo FS Meyer-Goßner 447, 468; Eb. Schmidt 10; vgl. auch LR/Stuckenberg § 268, 12 m. w. N. 10 Nachw. bei LR/Stuckenberg § 260, 11. 11 Zur Begründung s. LR/Stuckenberg § 260, 11 m. w. N. 12 KK/Greger 4; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/Valerius 9; OK-StPO/Peglau 5; Radtke/Hohmann/Pauly 5; SK/Frister 6; SSW/Güntge 4; Eb. Schmidt 5; Kahlo FS Meyer-Goßner 447, 466. 13 KK/Greger 4; KMR/Gemählich 5; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/Valerius 9; SK/Frister 6; SSW/Güntge 4; Eb. Schmidt 5; Sarstedt JZ 1965 293; a. A. BayObLGSt 1964 141 = JZ 1965 291.

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oder strittig ist, empfiehlt sich die Protokollierung, um den Bestand des Urteils nicht unnötig zu gefährden. Nicht alles, was das Gericht zur Erfüllung seiner Aufklärungspflicht oder zur Ein- 7 haltung eines Verfahrensgrundsatzes im konkreten Fall tun muss, ist notwendig auch eine wesentliche Förmlichkeit. Dies wird vor allem bei solchen Grundsätzen verneint, deren Beachtung zwar für die Gesetzmäßigkeit des Verfahrens von entscheidender Bedeutung ist, deren Erfordernissen aber das Gericht bei seiner Verfahrensgestaltung in verschiedener Weise Rechnung tragen kann, ohne dafür an eine bestimmte äußere Form und damit an die Einhaltung einer bestimmten Förmlichkeit gebunden zu sein.14 So kann vor allem das Verfassungsgebot zur Wahrung des Rechts auf Gehör vom Gericht in der Hauptverhandlung in den verschiedensten Formen erfüllt werden; unter anderem kann ihm schon dadurch genügt sein, dass die entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweismittel in Gegenwart des Angeklagten in der Hauptverhandlung angesprochen wurden und dieser Gelegenheit hatte, sich dazu zu äußern.15 Hierzu kann auch ein einfacher Vorhalt ausreichen.16 Ein Teil des Schrifttums nimmt dagegen eine wesentliche Förmlichkeit in den Ausnahmefällen an, in denen besondere förmliche Hinweise zur Wahrung des rechtlichen Gehörs erforderlich sind, auch wenn sie das Gesetz nicht ausdrücklich vorschreibt.17 3. Beispiele für wesentliche Förmlichkeiten a) Öffentlichkeit. Zu den wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens, die die 8 Sitzungsniederschrift nachweisen muss, gehört, ob öffentlich verhandelt wurde,18 die Verhandlung über den Ausschluss,19 der Beschluss und seine Durchführung sowie die Wiederherstellung der Öffentlichkeit.20 Der Verhandlungsteil, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wurde, muss aus dem Protokoll eindeutig erkennbar sein.21 b) Anwesenheit. Die Anwesenheit der Personen, deren ununterbrochene Gegen- 9 wart in der Hauptverhandlung das Gesetz (insbesondere § 226) zwingend vorschreibt, gehört ebenfalls hierher.22 Wenn eine solche Person an der Hauptverhandlung nicht teilnimmt oder sich aus dem Sitzungssaal entfernt, muss das Protokoll dies in einer Weise beurkunden, die erkennen lässt, bei welchen Verfahrensvorgängen sie fehlte. Dies gilt insbesondere, wenn ohne den Angeklagten verhandelt wird, wie etwa in den Fällen der 14 Die Beachtung solcher Grundsätze bei der Verfahrensgestaltung ist deshalb keine wesentliche Förmlichkeit in dem engen Sinn, der es rechtfertigen könnte, sie vor allem auch der negativen Beweiskraft des Protokolls (§ 274) zu unterstellen. 15 BGH NStZ 1990 291 m. w. N.; NJW 2016 3795; vgl. G. Schäfer FS BGH 707, 722 – anders etwa OLG Hamm VRS 16 (1959) 451. 16 BGHSt 22 26; AK/Lemke 4; vgl. auch BGH NStZ-RR 1999 107; Rn. 16 m. w. N. 17 Vgl. BayObLG DAR 1962 216; AK/Lemke 4. Wenig geklärt ist aber, wo nach dieser Ansicht ein förmlicher Hinweis unerlässlich und nicht nur seine Protokollierung zum besseren Nachweis der Wahrung des rechtlichen Gehörs zweckmäßig ist. Vgl. auch G. Schäfer FS BGH 707, 722, wonach weder dem Gesetz noch der Rechtsprechung eine Pflicht zur Protokollierung aller entscheidungserheblichen Tatsachen zu entnehmen ist. 18 Vgl. LR/Stuckenberg § 272, 21; ferner bei § 169 GVG. 19 RGSt 20 21. 20 BGHSt 4 279; 27 189; BGH bei Holtz MDR 1977 810; StV 1994 471; 2018 205; NStZ-RR 2001 264; StraFo 2016 112; vgl. LR/Stuckenberg § 272, 21. 21 Vgl. LR/Stuckenberg § 272, 21. 22 BGHSt 24 281; OLG Bremen OLGSt § 274, 13.

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§§ 231 Abs. 2, 231a, 231b, 232, 23323 oder wenn der Angeklagte zeitweilig nach § 247 aus der Hauptverhandlung entfernt wird.24 Für die Anwesenheit des notwendigen Verteidigers gilt das gleiche.25 Bei den anderen Personen, deren Gegenwart das Gesetz für die Durchführung der Hauptverhandlung nicht zwingend fordert, gehört die Tatsache ihrer Anwesenheit nicht zu den nur durch das Protokoll zu beweisenden wesentlichen Förmlichkeiten. Dies gilt für Zeugen und Sachverständige,26 für einen gesetzlichen Vertreter oder Erziehungsberechtigten des Angeklagten,27 ferner, wenn die Verteidigung nicht notwendig ist, auch für seinen Verteidiger28 und erst recht für einen zweiten Verteidiger.29 Nach § 272 Nr. 4 sind allerdings alle Verteidiger im Protokoll aufzuführen.30 Wird ein Dolmetscher gemäß §§ 185, 186 GVG zugezogen, muss das Protokoll ver10 merken, dass und warum er zugezogen wurde;31 ferner seine Vereidigung oder Berufung auf einen allgemeinen Eid.32 Die einzelnen Vorgänge, bei denen er tätig war, brauchen dagegen nicht angeführt zu werden.33 Die Sprachübertragung der in der Hauptverhandlung abgegebenen Erklärungen als solche ist keine wesentliche Förmlichkeit.34 Die zum Zwecke der Verständigung mit einem schwerhörigen Angeklagten getroffenen Maßnahmen, etwa, dass der Angeklagte ein Hörgerät benutzt hat, sind keine wesentlichen Förmlichkeiten, die in der Sitzungsniederschrift festzuhalten sind.35 11

c) Verfahrensgang. Zu den wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrensgangs gehört, dass die zugelassene Anklage oder eine der an ihre Stelle tretenden Entscheidungen verlesen36 bzw. im beschleunigten Verfahren mündlich37 Anklage erhoben und dass der Angeklagte vorher zur Person und erst nach der Verlesung zur Sache vernommen wurde,38 wobei nur die Tatsache der Vernehmung, nicht aber der Inhalt der Aussage festzuhalten ist.39 Der Vermerk, dass der Angeklagte Gelegenheit zur Äußerung erhalten habe, bezeugt aber nicht, dass er sich tatsächlich zur Sache eingelassen hat.40 Verweigert der Angeklagte die Einlassung zur Sache, ist dies im Protokoll festzuhalten; da der Vermerk für die ganze Hauptverhandlung gilt, ist im Protokoll dann aber als wesentliche Förmlichkeit zu beurkunden, wenn er sich später doch noch zur Sache äußert, etwa bei 23 BGH GA 1963 19. 24 BayObLGSt 1973 160; OLG Hamburg NJW 1965 1342; vgl. LR/Becker § 247, 50 f. m. w. N.; Metz NStZ 2017 446, 451.

25 BGHSt 9 243; 24 280 = LM § 274 Nr. 14 mit Anm. Kohlhaas; BGH NJW 2001 3794, 3795 mit Anm. Fezer NStZ 2002 272 und Köberer StV 2002 527; vgl. bei § 140. 26 Für Zeugen etwa RGSt 40 140; BGHSt 24 280; vgl. LR/Becker § 245, 68; ferner BGH bei Holtz MDR 1985 92; für Sachverständige BGH NStZ 1985 455; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 207. 27 BGH StV 1999 656. 28 BGHSt 24 280. 29 BGH NJW 2001 3794, 3796 mit Anm. Fezer NStZ 2002 272 und Köberer StV 2002 527. 30 Vgl. LR/Stuckenberg § 272, 19. 31 LR/Stuckenberg § 272, 12; vgl. § 259, 9 und bei § 185 GVG. 32 BGH NJW 2012 1015; NStZ 1982 517; 2014 356; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1988 20; StV 1996 531; OLG Schleswig bei Lorenzen/Thamm SchlHA 1996 88; vgl. LR/Stuckenberg § 272, 12; ferner bei § 189 GVG. 33 RGSt 1 137; 43 442. 34 Vgl. bei § 185 GVG. 35 OLG Freiburg JZ 1951 23; LR/Stuckenberg § 259, 9. 36 Vgl. etwa BGH NStZ 1984 521; 1986 39; 1995 200, 201; 2000 214; 2004 451; 2018 614 f.; OLG Hamburg MDR 1985 517 (zu § 324 Abs. 1); OLG Hamm StV 2003 490, 491; ferner LR/Becker § 243, 54. 37 OLG Frankfurt StV 2001 351; OLG Köln NStZ-RR 2003 17 f. 38 KK/Greger 6; vgl. LR/Becker § 243, 37, 90. 39 RGSt 58 59; BGH NStZ-RR 1997 73. 40 BGH StV 1995 5; 2000 123; OLG Hamm StV 2000 298.

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seiner Anhörung nach § 257 oder beim letzten Wort.41 Trägt der Verteidiger an Stelle des abwesenden Angeklagten dessen Einlassung zur Sache vor42 oder wird sie nach § 233 Abs. 3 Satz 2 verlesen,43 so ist dies zu protokollieren. Schriftliche Erklärungen des Angeklagten, die der Verteidiger verlesen hat, werden aber auch dann nicht Teil des Protokolls, wenn das Gericht sie als Anlage zum Protokoll genommen hat.44 Die Befragung nach § 25745 oder nach § 265a, die Aufforderung zu den Schlussvorträgen, diese selbst und die Gewährung des letzten Wortes nach § 25846 sind als solche ebenfalls wesentliche Förmlichkeiten, nicht aber die Erklärungen, die der Angeklagte daraufhin abgibt,47 sofern darin nicht eine im Protokoll zu vermerkende erstmalige sachliche Stellungnahme zum Anklagevorwurf liegt.48 Werden Entschädigungsansprüche nach § 404 geltend gemacht, ist im Protokoll festzuhalten, ob der Angeklagte dazu Stellung nehmen konnte.49 d) Hinweise, Belehrungen. Grundsätzlich sind alle dem Gericht kraft Gesetzes ob- 12 liegenden Hinweise, Belehrungen, Unterrichtungen oder Aufforderungen zur Stellungnahme im Protokoll zu beurkunden. So z. B. die Belehrungen nach §§ 35a,50 52,51 55, 57,52 63, 72 oder nach § 243 Abs. 4 Satz 1 sowie die qualifizierte Belehrung eines Zeugen, der auf sein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 252 verzichten53 will, oder die Unterrichtung nach § 231a Abs. 2; § 231b Abs. 2; § 247 Satz 4. Wesentliche Förmlichkeiten sind auch die Hinweise nach § 265 Abs. 1 und 2 n. F.,54 nicht aber die in Zusammenhang mit einem solchen Hinweis oder nach § 265 Abs. 4 erforderlich werdenden, nicht an eine bestimmte Form gebundenen sachlichen Belehrungen.55 Zu beurkunden ist der Hinweis nach § 266 Abs. 3 Satz 2.56 Der vom Gesetz nicht vorgeschriebene Hinweis an den Angeklagten, dass die unterbrochene Hauptverhandlung bei seinem Ausbleiben gegen ihn nach § 231 Abs. 2 fortgesetzt werden könne, ist dagegen keine nur durch das Protokoll zu

41 BGH NJW 1996 533; 1996 2804; StV 1983 8; 1992 1; 1999 189 mit Anm. Ventzke; BGH StV 2000 123; 2002 531; StraFo 2018 159; BGHR § 274 Beweiskraft 5, 11, 18; Schlothauer StV 1994 468; HK/Julius/Beckemper 5; KK/Greger 6; Meyer-Goßner/Schmitt 7; MüKo/Valerius 15; Radtke/Hohmann/Pauly 10; SK/Frister 7. 42 BGHSt 37 260; OLG Hamm JMBlNW 1964 214; OLG Köln VRS 59 (1980) 349; Meyer-Goßner/Schmitt 7; SK/Frister 7; vgl. LR/Becker § 234, 22. 43 LR/Becker § 233, 39. 44 BGH NStZ 2009 173; JR 2016 78, 82 (insoweit nicht in BGHSt 60 238). 45 KK/Greger 6; ferner LR/Stuckenberg § 257, 34 ff. 46 Vgl. LR/Stuckenberg § 258, 54. 47 BGH NJW 1996 533; bei Kusch NStZ 1994 228; vgl. § 257. 48 Vgl. Fn. 41; sachliche Stellungnahmen zu einem Beweisergebnis nach § 257 sind aber nicht notwendig schon eine Einlassung zur Sache, vgl. BGH StV 1994 468 mit Anm. Schlothauer. 49 BGHSt 37 260; vgl. bei § 404. 50 BGH NStZ-RR 2009 282 (aber nicht den Inhalt); BGH 17.6.2009 – 1 StR 252/09. 51 BGH StV 2004 297. 52 LR/Ignor/Bertheau § 57, 8; KK/Greger 6; MüKo/Valerius 17; SK/Frister 7 m. w. N.; a. A. RGSt 56 66, 67 (Ordnungsvorschrift). 53 BGH NStZ 2007 352 f.; vgl. BGHSt 45 203; 57 254. 54 BGHSt 2 373; 19 141; BGH NStZ 2019 236, 237; 2019 239 (jew. zu § 265 Abs. 2 Nr. 3); OLG Brandenburg DAR 2000 40; OLG Braunschweig NStZ-RR 2002 179; vgl. bei LR/Stuckenberg § 265, 81 ff. 55 BGHSt 19 141; 28 197; BGH StV 2011 399 (Verwertung von nach §§ 154, 154a ausgeschiedenem Verfahrensstoff); bei Holtz MDR 1985 449; a. A. OLG Jena StraFo 2010 206, 207; zu §§ 154, 154a: OLG München NJW 2010 1826; OLG Hamm NStZ-RR 2003 368; dazu Beulke/Stoffer StV 2011 442, 446 ff.; vgl. LR/Stuckenberg § 265, 82. 56 Vgl. LR/Stuckenberg § 266, 38 f.

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beweisende Förmlichkeit.57 Rechtsmittelbelehrungen außerhalb der Hauptverhandlung sind nicht zu protokollieren.58 13

e) Erklärungen der Verfahrensbeteiligten. Wesentliche Förmlichkeiten sind neben den besonders erwähnten Anträgen (Rn. 23) alle Erklärungen, mit denen ein Verfahrensbeteiligter von einem prozessualen Recht Gebrauch macht, sein Einverständnis zu bestimmten Verfahrenshandlungen erklärt (etwa nach § 251 Abs. 1 Nr. 1; § 266 Abs. 1; § 303; § 325)59 oder der Verwendung eines bestimmten Beweismittels ausdrücklich widerspricht60 oder gegen die Anordnung des Selbstleseverfahrens nach § 249 Abs. 2 Widerspruch erhebt61 oder auf die Einhaltung bestimmter Verfahrensvorschriften (z. B. § 217 Abs. 3) oder auf die Vornahme bestimmter Verfahrenshandlungen, etwa die Durchführung der beantragten Beweiserhebung, die Vernehmung präsenter Zeugen nach § 245 Abs. 1 Satz 2 oder die Kenntnisnahme von einer Beweisurkunde ausdrücklich verzichtet;62 für einen stillschweigenden (konkludenten) Verzicht gilt dies nicht. Eine wesentliche Förmlichkeit ist auch die Anrufung des Gerichts nach § 238 Abs. 2, § 242.63

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f) Beweiserhebung. Zu beurkunden ist jede Art von Beweiserhebung und zwar der Vorgang, der der Beweiserhebung dient, und nicht etwa deren Ergebnis. Die Tatsache der Einvernahme der Zeugen und Sachverständigen – nicht der Inhalt ihrer Bekundungen64 (dazu Absatz 2, 3) – ist in der Reihenfolge ihrer Anhörung anzuführen, wobei festzustellen ist, ob sie vereidigt worden sind oder die Richtigkeit ihrer Aussage unter Berufung auf einen früher geleisteten Eid nach § 67 versichert haben.65 Ob die Anwendbarkeit des § 61 geprüft wurde, braucht aus dem Protokoll nicht ersichtlich zu sein.66 Ob nach dem Wegfall der Regelvereidigung aufgrund des 1. JuMoG 2004 noch im Protokoll festzuhalten ist, dass auf die Vereidigung eines Zeugen ausdrücklich verzichtet wurde, ist strittig.67 Zu protokollieren ist, wenn ein Zeuge die Aussage verweigert.68 Ob auch die Frage an einen nicht von der Verschwiegenheitspflicht entbundenen Arzt, ob er trotzdem aussagen wolle, und seine Antwort hierauf eine wesentliche Förmlichkeit ist, erscheint fraglich.69 Einzelne Fragen, die ein Verfahrensbeteiligter an den Angeklagten oder an einen Zeugen oder Sachverständigen stellt,

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OLG Düsseldorf NJW 1970 1889. OLG Stuttgart NStZ-RR 2011 17; SK/Frister 7. Vgl. LR/Cirener/Sander § 251, 92; LR/Stuckenberg § 266, 38, ferner bei § 303; § 325. Vgl. BayObLG NStZ 1997 99; OLG Celle StV 1997 68; OLG Stuttgart NStZ 1997 404; HK/Julius/Beckemper 5; Meyer-Goßner/Schmitt 7; MüKo/Valerius 19; Radtke/Hohmann/Pauly 16; Pauly FS Rissing-van Saan 425, 429; vgl. LR/Stuckenberg § 257, 36; BGH NStZ 1997 614 mit Anm. Müller-Dietz lässt dies offen. 61 Vgl. LR/Mosbacher § 249, 70 ff., 90. 62 Vgl. LR/Jäger § 217, 11; LR/Becker § 244, 179; § 245, 42 und LR/Mosbacher § 249, 90. 63 BGHSt 3 199; vgl. LR/Becker § 238, 39; § 242, 8. 64 KMR/Gemählich 6; vgl. Rn. 44; LR/Becker § 245, 68. 65 BGHSt 4 141; vgl. LR/Ignor/Bertheau § 67, 14. Bei einem kommissarisch vernommenen Zeugen schreibt § 251 Abs. 4 Satz 3 dies vor. 66 BGH NStZ 1993 293. 67 Dafür BGH NStZ 2005 340, 341; LR/Ignor/Bertheau § 59, 25 m. w. N.; Meyer-Goßner/Schmitt 7; MüKo/ Valerius 22; OK-StPO/Peglau 20; SK/Frister 7; Peglau/Wilke NStZ 2005 186, 190; a. A. BGHSt 50 282; BGH NStZ 2006 114; HK/Julius/Beckemper 5. 68 LR/Ignor/Bertheau § 52, 51; § 53, 74. 69 BGHSt 15 200 nimmt dies aber an; vgl. auch LR/Ignor/Bertheau § 53, 74.

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gehören nicht zu den wesentlichen Förmlichkeiten.70 Sie müssen zum besseren Verständnis der Vorgänge aber aufgenommen werden, wenn ihre Zulässigkeit beanstandet und eine Entscheidung des Gerichts nach § 238 Abs. 2, § 242 herbeigeführt wird,71 dann handelt es sich insoweit um die von Amts wegen gebotene Feststellung eines Vorgangs (Absatz 3). Nimmt das Gericht in der Hauptverhandlung zu Beweiszwecken72 einen Augen- 15 schein ein, muss dies unter Angabe der vom Gericht besichtigten Gegenstände (Fotos usw.) eindeutig beurkundet werden,73 wofür die Floskel „wurde zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht“ nicht genügt.74 Bei einem Ortstermin ist der Ort des Augenscheins anzugeben. Das Ergebnis des Augenscheins braucht im Protokoll nicht geschildert zu werden.75 Kommt es auf den Inhalt eines Schriftstückes an, ersetzt der Vermerk über den Augenschein aber nicht den Vermerk, dass dieser im Wege des Urkundenbeweises in die Hauptverhandlung eingeführt wurde.76 Nicht besonders protokollierungspflichtig sind dagegen die Wahrnehmungen über Person und Verhalten eines Zeugen, die bei dessen Vernehmung in der Hauptverhandlung gemacht werden.77 Die Bezeichnung der verlesenen Urkunden und der Urkunden, die im Wege des 16 § 249 Abs. 2 in die Hauptverhandlung eingeführt wurden, fordert § 273 Abs. 1 ausdrücklich. Diese sind im Protokoll so aufzuführen, dass sie – nicht notwendigerweise allein durch das Protokoll selbst78 – identifizierbar sind; ihr Inhalt muss nicht aufgenommen werden. Sind nur Teile einer Urkunde verlesen worden, so sind diese Teile genau zu bezeichnen.79 Der Vermerk, dass ein Schriftstück „zum Gegenstand der Verhandlung gemacht wurde“, ist unklar; er lässt nicht erkennen, auf welche Weise dies geschehen ist. Das Verlesen bezeugt er nicht,80 ebenso wenig wie der Vermerk, Urkunden seien „in Augenschein genommen“81 worden. Die Verwendung eines Schriftstücks zu Beweiszwecken und die Form, in der dies in der Hauptverhandlung geschehen ist, muss als wesentliche Förmlichkeit stets protokolliert werden. Auch in den Fällen des § 255 kommt es nicht darauf an, ob ein entsprechender Antrag gestellt wurde; dieser hat nach heutiger

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BayObLGSt 1966 168; vgl. LR/Becker § 244, 178 m. w. N. BGHSt 3 202; vgl. LR/Becker § 241, 25. Anders beim Augenschein als Vernehmungsbehelf, BGH NStZ 2003 320; NStZ-RR 2004 237. BGH bei Kusch NStZ 1995 19 Nr. 12; NStZ 2002 219; bei Kusch NStZ-RR 1999 37 Nr. 13; OLG Bamberg StV 2015 760; OLG Bremen StV 2015 109, 110; OLG Jena VRS 107 (2004) 476. 74 BGH NStZ-RR 2004 237 f. 75 RGSt 26 277; 39 257; BGH StV 1985 223 (L); bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 495; OLG Bremen JR 1982 252 mit Anm. Foth; OLG Hamm VRS 56 (1979) 362; OLG Köln NJW 1955 843; VRS 24 (1963) 161; OLG Neustadt MDR 1965 407; OLG Saarbrücken VRS 48 (1975) 211; Alsberg/Dallmeyer 420; LR/Becker § 244, 351. 76 OLG Saarbrücken NStZ-RR 2000 48; vgl. Fn. 81 und LR/Becker § 244, 351; LR/Mosbacher § 249, 7, 30, 49 ff. 77 BGHSt 5 345; OLG Zweibrücken MDR 1992 1173; auch OLG Jena VRS 114 (2008) 447 zum Betroffenen im Bußgeldverfahren; vgl. LR/Becker § 244, 23, 342 und bei § 86. 78 BGH NStZ 2019 422, 423 f. 79 BGH NStZ 2004 279; 2011 110; NStZ-RR 2007 52; KMR/Gemählich 9; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/ Valerius 25; SK/Frister 9; SSW/Güntge 7. 80 RGSt 64 78; BGHSt 11 29; OLG Celle StV 1984 107; OLG Düsseldorf NJW 1988 217; OLG Hamm NJW 1958 1359; ZfSch 2010 111; OLG Koblenz VRS 67 (1984) 146; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2000 48; OLG Schleswig SchlHA 1954 387; vgl. LR/Mosbacher § 249, 51; ferner Meyer-Goßner/Schmitt 9; zur Beruhensfrage BGH NStZ 2007 235, 236. 81 BGH NStZ 1999 424.

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Auffassung nur Bedeutung für die Beurkundung des Grundes der Verlesung.82 Hat das Gericht den Grund der Verlesung bekanntzugeben (vgl. § 251 Abs. 4 Satz 2), so muss das Protokoll nicht nur ausweisen, dass dies geschehen ist, es muss auch erkennen lassen, welchen Grund das Gericht bekanntgegeben hat.83 Für Schriftstücke, die im Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2 in die Hauptverhandlung eingeführt wurden, legt § 249 Abs. 2 Satz 3 in Ergänzung von § 273 Abs. 1 ausdrücklich fest, welche Schritte dieses Verfahrens neben der genauen Bezeichnung des jeweiligen Schriftstücks im Protokoll festzuhalten sind.84 Die Feststellung der Kenntnisnahme durch Berufsrichter und Schöffen ist nur durch das Protokoll zu beweisen.85 Die Protokollierung der Anordnung allein belegt nicht die Einhaltung des Verfahrens nach § 249 Abs. 2.86 Hält man es für zulässig, dass der Inhalt eines kurzen Schriftstücks statt durch Verlesen durch Feststellung seines Inhalts in die Verhandlung eingeführt werden kann, so muss die Sitzungsniederschrift bekunden, dass dies geschehen ist.87 Bloße Vorhalte aus Schriftstücken sind dagegen keine wesentlichen Förmlichkeiten, die im Protokoll zu vermerken sind,88 ebenso wenig die vom Angeklagten oder Zeugen aufgrund eines Vorhalts abgegebenen Erklärungen. 17 Keine wesentlichen Förmlichkeiten sind die Erörterungen, die über die Allgemeinkundigkeit einer Tatsache geführt werden.89 Ob dies auch gilt, wenn bei gerichtskundigen oder sonst nur beschränkt offenkundigen Tatsachen notwendig ist, dass das Gericht sie in der Hauptverhandlung zur Sprache bringt, ist strittig; ein Teil des Schrifttums nimmt hier die Verpflichtung des Gerichts zu einem protokollpflichtigen förmlichen Hinweis an.90 Um der Rüge einer Verletzung des Rechts auf Gehör besser begegnen zu können, dürfte es jedoch unabhängig von dieser Streitfrage zweckmäßig sein, den Weg, auf dem eine solche nur beschränkt allgemeinkundige Tatsache in die Hauptverhandlung eingeführt wurde, im Protokoll zu vermerken.91 18

g) Ordnungsvorschriften. Ordnungsvorschriften wurden von der Rechtsprechung und vom Schrifttum nicht als wesentliche Förmlichkeiten angesehen.92 Da aber streitig ist, ob eine solche Gruppe der Revision entzogener Verfahrensvorschriften überhaupt

82 BGH StV 1986 92; vgl. LR/Mosbacher § 255, 3; ferner KK/Greger 8. 83 Vgl. LR/Mosbacher § 251, 92; § 255, 3. 84 BGH NStZ 2001 161; 2005 160; StV 2010 225; 2011 266 f.; 2011 267 f.; wegen der Einzelheiten vgl. LR/ Mosbacher § 249, 89 f.; zum Zweck der Protokollierung s. BGH StV 2011 266, 267.

85 BGHSt 54 37 f.; BGH NStZ 2005 160; StV 2010 225; OLG Celle StV 2016 794, 795. 86 BGH StV 2010 225; 2011 267, 268. 87 KMR/Gemählich 11; SK/Frister 9; SSW/Güntge 8; noch offen gelassen von BGHSt 30 10; zu den strittigen Fragen vgl. etwa OLG Hamm MDR 1964 344; OLG Köln VRS 73 (1987) 136; w. N. bei LR/Mosbacher § 249, 44 ff., 50. 88 BGHSt 21 285, 286; 22 26; BGH NStZ-RR 1999 107; NJW 2003 597 mit Anm. Gössel JR 2003 262; BGH NStZ-RR 2006 183; NStZ 2007 117; 2014 223; KK/Greger 10; SK/Frister 8; SSW/Güntge 8; vgl. LR/Mosbacher § 249, 92 ff., 101 m. w. N. 89 RGSt 28 171; RG JW 1929 48; BGH NJW 1963 598 = LM Nr. 2; bei Spiegel DAR 1977 175; BayObLGSt 1949/51 62; OLG Hamm NJW 1956 1729; VRS 41 (1971) 49; OLG Koblenz VRS 63 (1982) 134; Alsberg/Güntge 1118; Meyer-Goßner/Schmitt 8; zweifelnd Eb. Schmidt Nachtr. I 4. 90 OLG Frankfurt StV 1989 97; Meyer-Goßner/Schmitt 7, 8; SSW/Güntge 6; Meyer-Goßner FS Tröndle 560; Pauly FS Rissing-van Saan 425, 429; a. A. BGHSt 36 354, 359 f.; BGH NStZ 2013 121; OLG Köln OLGSt § 272 Nr. 4; KK/Greger 7; KMR/Gemählich 8; SK/Frister 7. BGH StV 1988 514 lässt dies offen. 91 Vgl. LR/Becker § 244, 215; LR/Sander § 261, 27. 92 RGSt 56 67.

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noch anzuerkennen ist,93 ferner, ob es sich bei der jeweiligen Bestimmung um eine Ordnungsvorschrift handelt, empfiehlt sich schon deshalb meist die Aufnahme in das Protokoll. Dies gilt insbesondere, soweit bestimmte Hinweise und Belehrungen des Angeklagten herkömmlich als Ordnungsvorschriften betrachtet werden. h) Heilung von Verfahrensfehlern. Zu protokollieren sind auch die vom Gericht 19 zur Heilung eines Verfahrensfehlers getroffenen Maßnahmen, einschließlich des fehlerhaften Aktes und seiner Behebung sowie der dazu notwendigen Belehrungen94 und Hinweise, etwa, dass ein beeidetes Zeugnis nur als unbeeidet gewertet wird.95 Zu beurkunden ist unter Einhalten der chronologischen Reihenfolge auch, wenn ein Teil der Hauptverhandlung wiederholt wird; dabei sind nach den im Protokoll verbleibenden fehlerhaften Vorgängen dort alle zur Heilung wiederholten Verfahrensvorgänge und die damit zusammenhängenden Erklärungen erneut festzuhalten.96 i) Sitzungspolizei. Maßnahmen der Sitzungspolizei sind keine wesentlichen Förm- 20 lichkeiten des Verfahrens; sie sind nur insoweit in das Protokoll aufzunehmen, als dies in § 182 GVG vorgeschrieben ist.97 Die Beweiskraft des Protokolls (§ 274) gilt insoweit nicht.98 j) Rechtsmittelerklärungen. Die Erklärung über Einlegung oder Verzicht auf ein 21 Rechtsmittel ist, auch wenn sie im Anschluss an die Verkündung des Urteils erklärt und im Protokoll beurkundet wird, keine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens. Der Rechtsmittelverzicht nach Verkündung des Urteils ist kein Teil der Hauptverhandlung mehr, mit deren Vorgängen er nur in einem rein äußeren Zusammenhang steht. Er kann aber in Anwesenheit des Vorsitzenden und des Urkundsbeamten wirksam zu Protokoll erklärt werden. Die Beweiskraft des § 274 erstreckt sich nicht auf ihn.99 Dies gilt auch, wenn die Verzichtserklärung aufgrund einer Anordnung nach § 273 Abs. 3 wörtlich in das Protokoll aufgenommen, vorgelesen und genehmigt worden ist, denn § 273 Abs. 3 bietet keine Möglichkeit, einen Vorgang außerhalb der Hauptverhandlung den strengen Beweisregeln des § 274 zu unterstellen.100 Die Aufnahme der Verzichtserklärung in der Form des § 273 Abs. 3, die für die Wirksamkeit des Verzichts nicht notwendig ist,101 hat lediglich deshalb einen höheren Beweiswert, weil sie den Wortlaut der Erklärung festhält; sie schließt aber die Nachprüfung der Wirksamkeit der Verzichtserklärung

93 Vgl. LR/Franke26 § 337, 15 ff. 94 BGHSt 4 130, 132; SK/Frister 7; a. A. OLG Karlsruhe MDR 1970 438; RG JW 1932 3109; Meyer-Goßner/ Schmitt 7; Schmid JZ 1969 758 (nicht fehlerhafter, sondern nur heilender Vorgang sei zu protokollieren).

95 RGSt 72 219, 221; BGHSt 4 130, 132; Strate StV 1984 44; vgl. auch HK/Julius/Beckemper 5; LR/Sander § 261, 150. OLG Köln NStZ 1987 244 (Verstoß gegen § 226). BGHSt 17 40; vgl. bei § 182 GVG. OLG Hamm NJW 1963 1791, h. M.; vgl. bei § 182 GVG. BGHSt 18 257, 258; BGH NStZ 1996 297; OLG Köln NStZ-RR 2006 83, 84; StV 2010 67; vgl. LR/Stuckenberg § 274, 20; LR/Jesse26 § 302, 17 sowie Fn. 100. 100 OLG Frankfurt NJW 1971 949; MüKo/Valerius 24 und § 274, 7; SK/Frister 8, 35; Reichling 77 ff., 80; Hanack JZ 1972 49; Stratenwerth JZ 1964 264; LR/Stuckenberg § 274, 8; LR/Jesse26 § 302, 17; vgl. auch Fn. 101. 101 Die Aufnahme der Erklärung in das Sitzungsprotokoll genügt an sich, RGSt 32 280; 40 134; 66 418; RG JW 1893 335; BGH NStZ-RR 1997 305; OLG Bremen MDR 1951 696; vgl. bei LR/Jesse26 § 302, 17 und Fn. 102.

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im Wege des Freibeweises nicht aus.102 Die wohl vorherrschende Meinung nimmt dagegen an, dass auch eine nach Verkündung des Urteils nach Absatz 3 wörtlich protokollierte, vorgelesene und genehmigte Verzichtserklärung durch dieses mit der Beweiskraft des § 274 bewiesen wird.103 Ein mündlich erklärter Rechtsmittelverzicht, der wegen fehlender Protokollierung nicht wirksam ist, kann nicht dadurch nachträglich Wirksamkeit erlangen, dass das Hauptverhandlungsprotokoll nachträglich im Wege der Berichtigung durch einen Vermerk über die Verzichtserklärung ergänzt wird.104 Die gleichen Grundsätze gelten für die Erklärung über die Beschränkung oder die Zurücknahme eines Rechtsmittels, wenn sie im Anschluss an die Hauptverhandlung der unteren Instanz in der Sitzungsniederschrift oder vor dem Rechtsmittelgericht vor Eintritt in die Hauptverhandlung beurkundet wird.105 Wird dagegen eine solche Erklärung in der Hauptverhandlung vor dem Rechtsmit22 telgericht abgegeben, so ist diese Erklärung ebenso wie die nach § 303 erforderliche Zustimmung des Rechtsmittelgegners eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens vor dem Rechtsmittelgericht, die in der Sitzungsniederschrift zu beurkunden ist.106 Erklärungen über andere Rechtsbehelfe als das den Verhandlungsgegenstand bildende Rechtsmittel können in die Sitzungsniederschrift aufgenommen werden; eine Pflicht dazu besteht nicht.107 23

4. Anträge. Alle im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge108 müssen unter Angabe von Antragsteller und Inhalt (am besten wörtlich) im Protokoll beurkundet werden, damit für das Rechtsmittelgericht bei der Nachprüfung ihrer Behandlung beweiskräftig (§ 274) feststeht, dass, von wem und mit welchem Inhalt der Antrag gestellt worden ist.109 Zu protokollieren sind grundsätzlich auch unzulässige Anträge,110 ferner die nur hilfsweise gestellten Anträge.111 Die Beurkundung kann auch dadurch geschehen, dass ein schriftlich übergebener Antrag als Anlage zum Protokoll genommen und in diesem darauf eindeutig verwiesen wird.112 Dies gilt auch bei Anträgen, die in der Hauptverhandlung aufgrund einer Anordnung nach § 257a schriftlich gestellt werden. Werden sie in entsprechen-

102 Vgl. etwa BGHSt 19 103; BGH NJW 1983 213; wistra 1994 29; OLG Düsseldorf NJW 1996 190; VRS 97 (1999) 138; OLG Frankfurt NJW 1966 1376; OLG Zweibrücken StV 1994 362.

103 BGHSt 18 257, 258 = JZ 1964 263 mit abl. Anm. Stratenwerth; BGH NJW 1984 1974; BGH 17.6.2009 – 1 StR 252/09; OLG Düsseldorf NJW 1997 1718; NStZ 1984 44 (L); VRS 92 (1997) 257; 97 (1999) 138; OLG Hamm NStZ-RR 2010 215; 3.4.2008 – 2 Ws 97/08; OLG Köln JMBlNW 1964 82; NStZ-RR 2006 83 f.; StV 2010 67; AK/Lemke 7; HK/Rautenbach/Reichenbach § 302, 9; KK/Greger 6; Meyer-Goßner/Schmitt § 274, 11; OK-StPO/Peglau 42; Radtke/Hohmann/Pauly 17. 104 OLG Schleswig SchlHA 1959 157. 105 OLG Hamburg NJW 1955 1201; Meyer-Goßner/Schmitt § 274, 9; vgl. bei § 302; a. A. (für Anwendbarkeit des § 274) KG VRS 104 (2003) 141. 106 RGSt 66 418; KG StraFo 2016 26; OLG Hamburg NJW 1955 1201; OLG Koblenz VRS 42 (1972) 135; Meyer-Goßner/Schmitt § 274, 11; vgl. bei §§ 302, 303 m. w. N. 107 Vgl. etwa OLG Koblenz VRS 61 (1981) 356; 62 (1982) 297. 108 Antrag ist hier jede prozessuale Erwirkungshandlung. Nach dem Zweck des Protokolls, die Nachprüfbarkeit zu sichern, kann es nur auf die äußere Form des Begehrens, nicht auf die inhaltliche Zulässigkeit ankommen; vgl. Fn. 117 (Beweisermittlungsantrag). 109 Vgl. KK/Greger 11; KMR/Gemählich 14; Meyer-Goßner/Schmitt 10; MüKo/Valerius 28; SK/Frister 11; SSW/Güntge 9. 110 KK/Greger 11; Meyer-Goßner/Schmitt 10; MüKo/Valerius 28; SK/Frister 11; Eb. Schmidt 7; vgl. Rn. 24. 111 RG JW 1930 1505; BGH bei Dallinger MDR 1975 368; KG VRS 43 (1972) 199; OLG Hamm NStZ-RR 2008 382; KMR/Gemählich 13; MüKo/Valerius 29; Alsberg/Güntge 750; vgl. LR/Becker § 244, 178. 112 HK/Julius/Beckemper 7; KK/Greger 11; KMR/Gemählich 16; SK/Frister 12.

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der Anwendung des § 249 Abs. 2 im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführt, muss das Protokoll die von § 249 Abs. 2 Satz 3 geforderten Angaben enthalten.113 Die Rücknahme eines Antrags ist ebenfalls im Protokoll festzuhalten.114 Bei Beweisanträgen sind der oder die Antragsteller115 sowie die Tatsachen, über 24 die Beweis erhoben werden soll, und die in Vorschlag gebrachten Beweismittel in der Niederschrift anzugeben.116 Auch unvollständige oder fehlerhafte Beweisanträge und Beweisermittlungsanträge müssen in die Sitzungsniederschrift aufgenommen werden.117 Ob ein fehlerhafter Beweisantrag oder nur ein Beweisermittlungsantrag vorliegt, ergibt sich nicht selten erst nach umfangreicher gewissenhafter Prüfung. Das Ergebnis einer solchen Prüfung darf nicht dadurch vorweggenommen werden, dass der Antrag überhaupt nicht im Protokoll aufgenommen und damit der Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen wird. Dagegen braucht die Begründung der Anträge nicht in die Sitzungsniederschrift 25 aufgenommen zu werden; die Prozessbeteiligten können ihre Beurkundung also nicht verlangen.118 Es ist jedoch zulässig, einen in Schriftform übergebenen Antrag samt seiner Begründung als Anlage zum Protokoll zu nehmen. 5. Beurkundung der Entscheidungen. Die im Lauf der Verhandlung ergehenden 26 Entscheidungen (Beschlüsse des Gerichts, Anordnungen des Vorsitzenden) sind mit ihrem vollen Wortlaut und, soweit sie einer Begründung bedürfen (§ 34), mit den Gründen in das Protokoll aufzunehmen. Wird der Beschluss samt seiner Begründung besonders abgefasst, so kann er dem Protokoll als Anlage beigefügt werden. Sie muss dann als solche in der Niederschrift ausdrücklich in Bezug genommen werden.119 Der durch das Protokoll bezeugte Beschluss bedarf aber keiner Unterschrift der Richter, die ihn erlassen haben. Die Tatsache der Verkündung solcher Beschlüsse gehört aber wegen der Notwendigkeit der Mitwirkung des Urkundsbeamten bei der Beurkundung in das Protokoll selbst.120 6. Beurkundung der Urteilsformel. Der Wortlaut der in der Hauptverhandlung 27 verkündeten Urteilsformel muss im Protokoll selbst beurkundet sein,121 es genügt nicht, dass sie in eine Anlage aufgenommen wird.122 War die Urteilsformel bei der Verkündung 113 Vgl. LR/Stuckenberg § 257a, 25. 114 AK/Lemke 3; HK/Julius/Beckemper 7; MüKo/Valerius 28; SK/Frister 11. 115 Dazu gehören auch diejenigen, die sich dem Antrag angeschlossen haben, vgl. LR/Becker § 244, 119 ff.; Alsberg/Güntge 751. 116 RGSt 1 32; RGRspr. 8 (1886) 306; BGH GA 1960 315; OLG Hamm NStZ-RR 2008 382; vgl. LR/Becker § 244, 178 m. w. N.; § 245, 42, 68. 117 OLG Nürnberg MDR 1984 74; OLG Saarbrücken JBlSaar 1959 184; Alsberg/Güntge 751; zur Streitfrage, ob ein Beweisermittlungsantrag ein protokollpflichtiger Antrag ist, vgl. LR/Becker § 244, 178; Alsberg/ Dallmeyer 214; Schulz GA 1981 301. 118 RGSt 32 239; BGH GA 1960 315; NStZ 2000 437, 438; BayObLGSt 24 2; KG GA 75 (1931) 304; OLG Nürnberg MDR 1984 74; AK/Lemke 10; KK/Greger 11; KMR/Gemählich 15; Meyer-Goßner/Schmitt 10; MüKo/ Valerius 28; SK/Frister 12; SSW/Güntge 9. 119 BGH bei Holtz MDR 1991 297; OLG Celle NdsRpfl. 1953 231; OLG Hamm VRS 38 (1970) 293; AK/ Lemke 11; KMR/Gemählich 17; Meyer-Goßner/Schmitt 11; MüKo/Valerius 30; SK/Frister 13; SSW/Güntge 10; Alsberg/Güntge 1448. 120 RGSt 25 248; 25 334; OLG Hamm VRS 38 (1970) 293; KK/Greger 12 f. 121 RGSt 58 143; vgl. LR/Stuckenberg § 268, 28. 122 OLG Karlsruhe 5.2.2018 – 2 Rb 9 Ss 18/18 m. w. N. (aufgegeben durch OLG Karlsruhe 17.12020 – 2 Rb 35 Ss 933/19); Meyer-Goßner/Schmitt 12; SK/Frister 14; a. A. KK/Greger 14 mit Verweis auf BGH bei Becker NStZ-RR 2002 100 (zw.).

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noch nicht protokolliert, und ist sie folglich aus einem anderen Schriftstück verlesen worden, so muss die protokollarische Beurkundung mit dieser Schrift wörtlich übereinstimmen. Weicht die Formel in der Urteilsurkunde von der Formel ab, die in der Verhandlungsniederschrift beurkundet ist, so ist letztere maßgebend.123 Ist die Urteilsformel im Protokoll nicht oder nicht ordnungsgemäß festgehalten, so 28 ist wegen der Beweiskraft des Sitzungsprotokolls mitunter nicht einmal der Nachweis der Verkündung des Urteils möglich, was bei entsprechender Rüge im Rechtsmittelverfahren zur Zurückverweisung führt.124 Auf die Tatsache der unrichtigen Protokollierung der Formel allein kann jedoch ein Rechtsmittel nicht gestützt werden.125 Bei den Urteilsgründen genügt es dagegen, wenn das Protokoll vermerkt, dass sie 29 mündlich eröffnet wurden, sofern nicht nach § 275 das gesamte Urteil in das Protokoll aufgenommen wird. Die mit dem Urteil zu verkündenden Entscheidungen nach §§ 268a, 268b und die 30 Erteilung der vom Gesetz vorgeschriebenen Belehrungen sind ebenfalls im Protokoll festzuhalten.126 31

7. Erörterung nach § 257b (Absatz 1 Satz 2). Absatz 1 Satz 2 bestimmt, dass auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung des Verfahrensstands nach § 257b in die Niederschrift aufgenommen werden muss; bloße Floskeln wie „Die Sach- und Rechtslage wurde mit den Beteiligten erörtert.“ genügen daher nicht.127 Der Nutzen der Vorschrift erscheint zweifelhaft, weil aus der Erörterung allein sich keine Rechtsfolgen ergeben.128 Will das Gericht von einer nach § 257b mitgeteilten vorläufigen Einschätzung abweichen, muss es nach § 265 Abs. 2 Nr. 2 einen förmlichen Hinweis geben, der zu protokollieren ist.129

III. Vorliegen einer Verständigung (Absatz 1a) 32

1. Ablauf und Inhalt der Verständigung. Nachdem schon vor Inkrafttreten des Verständigungsgesetzes die Rechtsprechung eine Absprache als protokollierungspflichtige wesentliche Förmlichkeit ansah,130 hat der Gesetzgeber die Einführung der Verständigung im Interesse umfassender „Transparenz und Dokumentation“ durch zahlreiche Protokollierungspflichten flankiert.131 Diese Niederschriften sind die Grundlage für die vom Revisionsgericht ggf. aufgrund einer Verfahrensrüge unter erforderlichem Tatsachenvortrag vorzunehmende Prüfung, ob das Verfahren nach § 257c eingehalten worden

123 BGHSt 34 11, 12; BGH bei Becker NStZ-RR 2002 100 Nr. 38; StraFo 2007 502 f.; wistra 2013 203; OLG Frankfurt NZV 2015 566; OLG Köln NStZ 2007 481; ferner RG HRR 1939 Nr. 215 (versehentliche Abweichung); vgl. LR/Stuckenberg § 268, 29; AK/Lemke 11; KK/Greger 14; KMR/Gemählich 18; MüKo/Valerius 31; Radtke/Hohmann/Pauly 18; SK/Frister 14; SSW/Güntge 11. 124 W. Schmid FS Lange 786 m. w. N. 125 RGSt 38 143; zur Unbehelflichkeit der Protokollrüge vgl. LR/Stuckenberg § 271, 76; LR/Franke26 § 344, 86. 126 Vgl. LR/Stuckenberg § 268a, 18; § 268b, 11; § 268c, 10. 127 Pauly FS Rissing-van Saan 425, 431. 128 Krit. daher Meyer-Goßner/Schmitt 7a (überflüssige Belastung des Protokolls); ebenso KMR/Gemählich 7; MüKo/Valerius 33; ähnl. SK/Frister 16 (wenig zweckmäßig). 129 Dazu LR/Stuckenberg § 265, 47 ff., 70, 82. 130 BGHSt 43 195, 206; 45 227, 228; 50 40, 61; BGH NStZ 2004 342, 343; NStZ 2007 355. 131 Dazu LR/Stuckenberg § 257c, 80 m. w. N.

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ist.132 In seinem Urteil vom 19.3.2013 hat das BVerfG die Bedeutung der Transparenzund Dokumentationspflichten, zu denen auch die Protokollierungsvorschriften gehören, eindringlich betont, die Bedingung der Rechtmäßigkeit einer Verständigung sind.133 Nach dem neuen Absatz 1a Satz 1 muss die Sitzungsniederschrift den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung wiedergeben, mithin von wem die Anregung ausging, welche Verfahrensbeteiligten an der Erörterung beteiligt waren, von welchem Sachverhalt sie dabei ausgingen, welche Vorstellungen sie vom Ergebnis hatten.134 Aufzunehmen sind auch im Rahmen der Verständigung vorgesehene und abgegebene Prozesserklärungen.135 Ob gescheiterte Gespräche, die nicht zu einer Verständigung im Sinne des § 257c geführt haben, unter den Wortlaut des Satzes 1 fallen, lässt sich dann bejahen, wenn man „Verständigung“ hier durchgängig als Vorgang der Verständigungsbemühungen versteht,136 dessen Ergebnis auch negativ ausfallen kann. Relevant ist das nur für Gespräche innerhalb der Hauptverhandlung, die nicht unter § 243 Abs. 4 fallen,137 während Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung ohnehin als „Erörterungen“ gem. § 243 Abs. 4 mitzuteilen und nach § 273 Abs. 1a Satz 2 zu protokollieren sind (Rn. 34). Die erforderliche Dokumentation wird von § 274 mit positiver und negativer Beweis- 33 kraft ausgestattet, wodurch dem Angeklagten eine spätere Rüge, die Verständigung sei in unzulässiger Weise etwa durch Ausübung nach § 136a unzulässigen Drucks zustande gekommen, erschwert wird, wenn diese Umstände nicht im Protokoll abgebildet werden und damit als inexistent gelten. Nach Auffassung der Rechtsprechung ist jedenfalls dem verteidigten Angeklagten im Regelfall zuzumuten, Inhalten der Verständigung, die er für unzulässig hält, sogleich zu widersprechen und auf ihre Protokollierung hinzuwirken oder solche Umstände zum Gegenstand eines Ablehnungsgesuchs zu machen.138 2. Belehrungen und Mitteilungen. Gemäß Satz 2 sind auch die Belehrungen und 34 Mitteilungen nach § 243 Abs. 4, § 257c Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 zu protokollieren.139 Die nicht passgenaue Gesetzesformulierung lässt Zweifel zu, ob nur die Tatsache der Mitteilung nach § 243 Abs. 4 oder auch deren wesentlicher Inhalt im Protokoll wiederzugeben ist. Zunehmend wird angenommen, dass es dem Sinn der Transparenzvorschriften und der Effektivität der revisionsgerichtlichen Kontrolle am besten entspreche, wenn sich der Umfang von Mitteilungs- und Protokollierungspflichten decken.140 Nicht aussagekräftige, formelhafte Wendungen genügen nicht,141 ebenso wenig die Angabe nur des letzten von meh132 BGH NStZ 2010 348. 133 BVerfGE 133 1368, 222 f. 134 BVerfGE 133 168, 217; vgl. KK/Greger 15b; KMR/v. Heintschel-Heinegg § 257c, 43; Globke JR 2014 9, 21 („volles Inhaltsprotokoll“); krit. Beulke/Stoffer JZ 2013 662, 668 („an der Grenze zum Wortprotokoll“); Meyer NJW 2013 1850, 1851; ders. in: 39. Strafverteidigertag 129; Ziegler FS v. Heintschel-Heinegg 521, 529; vgl. Niemöller/Schlothauer/Weider 9 ff. 135 Meyer-Goßner/Schmitt 12a; Schlothauer/Weider StV 2009 600, 604. 136 Vgl. Niemöller/Schlothauer/Weider § 273, 13 f. 137 BGH NStZ 2017 299; wistra 2017 446; LR/Becker § 243, 55. 138 BGH NStZ 2010 293; vgl. BGH StV 2009 171. 139 Vgl. BGH NStZ 2011 592, 593 mit Anm. Schlothauer StV 2011 205; Pauly FS Rissing-van Saan 425, 432. 140 BGH NStZ 2014 219 f.; 2015 353, 354; NStZ-RR 2015 223, 224; StV 2014 67; 2016 95, 96; 2019 377; Meyer-Goßner/Schmitt 12b; Feldmann NStZ 2015 474, 475; Pfister StraFo 2016 187, 193; a. A. Bittmann NStZ 2015 545, 551; 2016 119, 120; Mosbacher NStZ 2013 722, 723 f.; krit. Schneider NStZ 2014 252, 255; s. a. LR/ Becker § 243, 61. 141 BGHSt 60 150, 153 (Verständigungsgespräch sei ergebnislos verlaufen) mit Anm. Leitmeier NJW 2015 647; BGH 10.12.2015 – 3 StR 163/15 Rn. 9 f.

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Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

reren Gesprächen.142 Es wird empfohlen, nach Absatz 3 Satz 3 zu verfahren und zu dokumentieren, dass der Protokollvermerk vorgelesen und genehmigt wurde,143 oder einen Vermerk über die Verständigungsgespräche zu fertigen, in der Hauptverhandlung zu verlesen und als Anlage zum Protokoll zu nehmen.144 Die Beweiskraft wird sich allerdings nur auf die Tatsache der Mitteilung erstrecken können, nicht auf deren Inhalt, da dieser sich in den Fällen des § 243 Abs. 4 Satz 1 und 2 außerhalb der Wahrnehmung der Urkundspersonen zugetragen hat.145 Bei § 257c Abs. 4 Satz 4 sind insbesondere die Gründe für den Entfall der Bindung zu nennen. Fehlt ein entsprechender Protokolleintrag, ist aufgrund der negativen Beweiskraft von der Nichtvornahme auszugehen,146 woraus in der Regel zugleich auf einen Verstoß gegen § 257c zu schließen sein soll (s. § 257c, 95 ff.). Gegen die (nicht) veranlasste Protokollierung kann das Gericht gem. § 238 Abs. 2 angerufen werden,147 nötig zur Vermeidung einer Rügepräklusion ist dies jedoch nicht.148 35

3. Negativattest (Satz 3). Satz 3 verlangt, dass im Protokoll auch zu vermerken ist, dass keine Verständigung stattgefunden hat. Dieses „Negativattest“ soll der revisiblen Dokumentation dienen, dass keine Absprachen unter Umgehung des Gesetzes stattgefunden haben,149 und wäre angesichts der negativen Beweiskraft des Protokolls überflüssig,150 weil gemäß § 274 bereits die Nichterwähnung einer Verständigung im Protokoll bewiese, dass in der Hauptverhandlung keine Verständigung stattgefunden hat. Vorschläge, der Vorschrift einen eigenen Anwendungsbereich zu verschaffen, indem man sie darauf bezieht, dass auch außerhalb der Hauptverhandlung keine Gespräche über eine Verständigung stattgefunden haben151 bzw. keine Verständigung erwogen wurde,152 überzeugen nicht, weil das Protokoll überhaupt nur über Vorgänge in der Hauptverhandlung, die der Urkundsbeamte amtlich wahrnehmen konnte, Aussagen treffen kann.153 „Systemwidrig“154 ist die Protokollierung negativer Tatsachen im Übrigen nicht, weil zum Gang der Hauptverhandlung immer auch gehört, welche als wesentlich angesehenen Umstände nicht eingetreten sind, nur dass dafür normalerweise die Technik der negativen Beweiskraft155 verwendet wird.

142 BGH NStZ 2014 217, 218; StV 2014 67. 143 BGHSt 58 310, 313 mit Anm. Radtke NStZ 2013 669; Meyer-Goßner/Schmitt 12b; Schneider NStZ 2014 252, 256; krit. OK-StPO/Peglau 25 (Mitteilung des Vorsitzenden könne nicht „genehmigt“ werden). 144 BGH NStZ-RR 2018 355 mit Anm. Müller-Metz; NJW 2019 3316, 3317 (eindeutiger Verweis auf Aktenstelle genügt). 145 OLG Düsseldorf StraFo 2016 383 f.; LR/Becker § 243, 61; Pfister StraFo 2016 187, 193. 146 KK/Greger 15e; Meyer-Goßner/Schmitt 12b; SK/Frister 19. 147 BVerfG StV 2000 3; Meyer-Goßner/Schmitt 12a; a. A. SK/Frister 23; SSW/Güntge 12. 148 BGHSt 59 252, 256 f. mit Anm. Grube NStZ 2014 603; a. A. wohl Meyer-Goßner/Schmitt 12a. 149 BTDrucks. 16 12310 S. 15; vgl. LR/Stuckenberg § 257c, 81. 150 Zutr. BRDrucks. 69/09 S. 5 = BTDrucks. 16 12310 S. 19; KMR/Gemählich 7; Meyer-Goßner/Schmitt 12c; OK-StPO/Peglau 23; Radtke/Hohmann/Pauly 22; SSW/Güntge 12; a. A. KMR/v. Heintschel-Heinegg § 257c, 44; SK/Frister 21. 151 Jahn/Müller NJW 2009 2625, 2630; a. A. BGH NStZ 2017 52 mit Anm. Claus; Meyer-Goßner/Schmitt 12c; Niemöller/Schlothauer/Weider 16; Niemöller FS Rissing-van Saan 393, 395 f.; ders. GA 2014 179, 183; Ladiges JR 2012 371, 372. 152 Brand/Petermann NJW 2010 268, 270; Bauer StV 2012 340, 341; a. A. Meyer-Goßner/Schmitt 12c. 153 BGH NStZ 2017 52 mit Anm. Claus; KK/Greger 15c; Meyer-Goßner/Schmitt 12c; SK/Frister 22; SSW/ Güntge 12; Niemöller/Schlothauer/Weider 4, 16; Pauly FS Rissing-van Saan 425, 433 und Fn. 151. 154 So aber BRDrucks. 69/09 S. 5 = BTDrucks. 16 12310 S. 19; KMR/Gemählich 7; Meyer-Goßner/Schmitt 12c; SSW/Güntge 12; wie hier KMR/v. Heintschel-Heinegg § 257c, 44; Niemöller/Schlothauer/Weider 28. 155 Auch bei Absprachen, BGH NStZ 2007 355.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 273

Offenbar war dem Gesetzgeber die geistige Operation der negativen Beweiskraft des 36 Protokolls hier nicht expressiv genug,156 so dass Satz 3 als Ausnahme157 von der in § 274 enthaltenen Vollständigkeitsvermutung zugunsten des Protokolls zu verstehen ist und daher jedes Hauptverhandlungsprotokoll die Frage des Vorliegens einer Verständigung ausdrücklich beantworten muss.158 Das Protokoll der mündlichen Verhandlung hatte seit jeher auch die Aufgabe, die Einhaltung der wesentlichen Förmlichkeiten nicht nur zu dokumentieren, sondern durch das Dokumentationserfordernis auch sicherzustellen – die besondere Betonung dieser Disziplinierungsfunktion159 dürfte als eigentlicher Zweck des Satzes 3 des Absatzes 1a anzusehen sein. Zugleich bleibt dem Revisionsgericht bei Fehlen jeglichen Protokollvermerks die Möglichkeit der Überprüfung im Wege des Freibeweises (Rn. 37) erhalten.160 Die Beweiskraft des § 274 kommt folglich ausnahmsweise nur einer ausdrückli- 37 chen – positiven161 oder negativen162 – Erwähnung einer Verständigung zu, wogegen nur der Nachweis der Fälschung163 zulässig ist. Für eine negative Beweiswirkung ist insoweit kein Raum.164 Fehlt im Protokoll jegliche Erwähnung einer Verständigung, weil das Negativattest nicht selten vergessen wird,165 ist es in sich widersprüchlich, so dass das Vorliegen einer Verständigung im Wege des Freibeweises geklärt werden muss.166 Allerdings soll nach Auffassung des BVerfG ein Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen § 257c in Gestalt informeller Gespräche grundsätzlich nicht auszuschließen sein, sofern nicht ausnahmsweise zweifelsfrei feststehe, dass es keinerlei Gespräche über eine Verständigung gegeben habe167 – der damit postulierten Beruhensvermutung ist indes zu widersprechen (näher § 257c, 97). Beruft sich der Beschwerdeführer etwa auf die Un156 Niemöller/Schlothauer/Weider 30 meint indes, dass sie verkannt wurde, ähnl. Niemöller FS Rissingvan Saan 393, 403.

157 Wie hier SK/Frister 21; vgl. Brand/Petermann NJW 2010 268, 270; Niemöller FS Rissing-van Saan 393, 398.

158 BVerfG NStZ 2014 592, 594 mit Anm. Hunsmann; Ferber NStZ 2015 177; Niemöller JR 2015 145; Klotz StV 2015 1; Schlothauer StV 2015 275; BGHSt 56 3, 5 mit Anm. Bauer StV 2011 340; BGH StV 2011 79, 80; KK/Greger 15b; Meyer-Goßner/Schmitt 12c; SK/Frister 21; Brand/Petermann NJW 2010 268, 270 f.; Dießner StV 2011 43, 44; Kühne FS Kerner 747, 749; anders noch BGHSt 58 315 (aufgehoben von BVerfG NStZ 2014 592); Bittmann wistra 2009 414, 416 (nur gescheiterte Verständigungsversuche). 159 Beulke/Swoboda 395d; Niemöller/Schlothauer/Weider 31; Niemöller FS Rissing-van Saan 393, 403; Pauly FS Rissing-van Saan 425, 433; vgl. BGH NStZ 2010 293; s. a. LR/Stuckenberg § 257c, 81. 160 Vgl. SK/Frister 18; krit. Bauer StV 2011 340 f. 161 Vgl. BGHSt 56 3, 5; BGH NStZ-RR 2010 213; a. A. Niemöller/Schlothauer/Weider 17 ff. 162 A. A. Niemöller FS Rissing-van Saan 393, 402, der dem Negativattest jede Beweiswirkung abspricht, um das Freibeweisverfahren zu vermeiden. 163 BGH NStZ-RR 2010 213; OLG Frankfurt NStZ-RR 2011 49, 50. 164 A. A. OLG Frankfurt NStZ-RR 2010 213, 214; Niemöller FS Rissing-van Saan 393, 402. Wohl auch BGH 17.2.2010 – 2 StR 16/10. 165 Schneider NStZ 2014 252, 256. 166 BGHSt 56 3, 6 mit abl. Anm. Bauer StV 2011 340; BGH NStZ 2011 473; 2015 176 f.; NStZ-RR 2014 115; 2015 379; OLG Celle NStZ-RR 2012 20 mit zust. Anm. Meyer-Goßner StV 2012 143; OLG Düsseldorf StV 2011 80, 82 mit Anm. Kuhn StV 2012 10; OLG Frankfurt NStZ-RR 2010 213 f.; 2011 49 f.; OLG Hamm NStZ 2016 565 f. mit abl. Anm. Bittmann; 2017 725, 726; KK/Greger 15b, 15d, 15e; Meyer-Goßner/Schmitt 12c; MüKo/ Valerius 38; OK-StPO/Peglau 23; Radtke/Hohmann/Pauly 22; SK/Frister 21; Pauly FS Rissing-van Saan 425, 434; wohl auch BGH HRRS 2010 Nr. 1012; zweifelnd Niemöller/Schlothauer/Weider 30; abl. Niemöller FS Rissing-van Saan 393, 402 f. 167 BVerfGE 133 168, 223 f.; BVerfG NStZ 2014 592, 594; 9.12.2015 – 2 BvR 1043/15 Rn. 8 ff.; BGHSt 58 310, 313 ff. mit zust. Anm. Radtke NStZ 2013 669; krit. BGHSt 59 130, 135; BGH NStZ 2016 221, 223; Schneider NStZ 2014 252, 256 f.; Stuckenberg ZIS 2013 212, 216; zum Ganzen s. a. SK/Frisch § 337, 197a ff.

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§ 273

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wirksamkeit seines Rechtsmittelverzichts (§ 302 Abs. 1 Satz 2) wegen einer weder im Protokoll noch in der Urteilsurkunde erwähnten Verständigung, so muss er konkret darlegen, in welchem Verfahrensstadium, in welcher Form und mit welchem Inhalt die von ihm behauptete Verständigung zustande gekommen sein soll.168 Verbleibende Zweifel, die ihre Ursache im Verstoß des Gerichts gegen seine Dokumentationspflicht aus § 273 Abs. 1a haben, sollen von Verfassungs wegen nicht zu Lasten des Angeklagten gehen;169 diese Maxime erscheint indes zweifelhaft, zumal sie auch für jegliche andere protokollierungspflichtige wesentliche Förmlichkeit gelten müsste.170 Auf der Verletzung der Protokollierungspflicht allein kann das Urteil nicht beruhen (Rn. 67).

IV. Das Inhaltsprotokoll nach Absatz 2 1. Anwendungsbereich. Absatz 2 ist jetzt (vgl. Entstehungsgeschichte) wieder eine Sondervorschrift für das Verfahren vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht. Die Wiedergabe des wesentlichen Inhalts der Aussage bzw. die Tonträgeraufnahme einzelner Vernehmungen ist wegen der Beweiserleichterung des § 325 nur bei den Gerichten angebracht, deren Urteil mit der Berufung anfechtbar ist.171 Nur bei Vernehmung des Angeklagten, der Zeugen und der Sachverständigen for39 dert Absatz 2 ein Inhaltsprotokoll, nicht bei sonstigen Beweiserhebungen. Beim Urkundenbeweis ist die Aufnahme überflüssig, weil die verlesene Urkunde vorliegt und die Tatsache ihrer Verlesung bereits nach Absatz 1 aufgenommen werden muss. Gleiches gilt bei der Augenscheinseinnahme, deren Ergebnisse nur im Falle des Absatzes 3 aufzunehmen sind. Abgesehen werden kann von der Aufnahme der wesentlichen Ergebnisse der Ver40 nehmungen in das Protokoll, wenn das Urteil durch allseitigen Rechtsmittelverzicht oder mit Ablauf der Rechtsmittelfrist rechtskräftig wird (Absatz 2 Satz 1 Halbsatz 2). Da aber nicht vorhersehbar ist, ob dieser Fall eintritt, bleibt der Urkundsbeamte verpflichtet, sich in der Hauptverhandlung über die Aussagen die erforderlichen Notizen zu machen; die Vereinfachungsvorschrift entbindet ihn also nur von der späteren Übertragung dieser Notizen in das Protokoll.172 Er wird deshalb in geeigneten Fällen mit der Übertragung zuwarten dürfen, bis die Anfechtungsfrist abgelaufen oder ein allseitiger Rechtsmittelverzicht erklärt ist. Hängt allerdings der Beginn einer Anfechtungsfrist von der erst nach Fertigstellung des Protokolls zulässigen (§ 273 Abs. 4) Zustellung des Urteils ab, müssen die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufgenommen werden, da dann im Zeitpunkt seiner Erstellung die Voraussetzungen des 2. Halbsatzes (noch) nicht vorliegen. Die Verpflichtung zu deren Aufnahme in das Protokoll besteht auch dann uneingeschränkt, wenn das Urteil nicht vollständig, sondern nur zum Teil 38

168 BGHSt 56 3, 6; OLG Hamm NStZ 2017 725 f.; krit. Bauer StV 2011 340 f. 169 BVerfG NJW 2012 1136, 1137 mit Anm. Niemöller StV 2012 387; Bauer StV 2012 648; Knauer/Lickleder ZWH 2012 300; Bespr. Kröpil JR 2013 208; Schwabenbauer NStZ 2014 495, 497 ff.; Ladiges JR 2012 371, 373; OLG München StV 2013 493, 495; OLG Stuttgart StV 2014 397, 398; OLG Zweibrücken NJW 2012 3193, 3194; MüKo/Valerius 38; SK/Frister 21; vgl. BVerfGK 16 1, 18; and. noch OLG Celle NStZ-RR 2012 20 mit zust. Anm. Meyer-Goßner StV 2012 143. 170 Auf die fehlerhafte Protokollierung eines Rechtsmittelverzichts nach § 273 Abs. 3 übertragen von OLG Karlsruhe NStZ-RR 2014 117; krit. OK-StPO/Peglau § 274, 8.1. 171 Vgl. Ulsenheimer NJW 1980 2273; AK/Lemke 12; KK/Greger 16; SK/Frister 24. 172 Meyer-Goßner NJW 1987 1164; Rieß/Hilger NStZ 1987 151.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 273

angefochten wird,173 etwa nur im Strafausspruch oder nur von einem Mitangeklagten. Die Freistellung in Absatz 2 Satz 1, 2. Halbsatz setzt die vollständige Rechtskraft des Urteils voraus, denn ob eine Aussage für eine im Rechtsmittelverfahren zu treffende Entscheidung von Bedeutung sein kann, hat allein das Rechtsmittelgericht zu beurteilen. Im Übrigen müssen die über die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in der Hauptverhandlung gefertigten Notizen auch dann zu den Akten genommen und dort aufbewahrt werden, wenn sich deren Protokollierung erübrigt. Im Falle einer späteren Gewährung der Wiedereinsetzung entfällt die Freistellung von der Protokollierungspflicht. Das Protokoll ist dann nachträglich von Amts wegen vollständig unter Aufnahme der wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen zu erstellen.174 2. Wesentliche Ergebnisse. Es muss nur der wesentliche Inhalt der Aussagen, 41 nicht der Wortlaut, in knapper Form protokolliert werden. Inwieweit der Inhalt einer Aussage wesentlich ist, hängt von der Lage des einzelnen Falles ab. Was in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen ist, haben allein der Vorsitzende und der Urkundsbeamte zu entscheiden. In der Regel wird der Urkundsbeamte den Inhalt der Aussage selbständig zusammenfassen, wobei ihn jedoch der Vorsitzende anweisen kann, was als wesentlich festzuhalten ist.175 Es ist auch zulässig, aber weder üblich noch i. d. R. angebracht,176 dass der Vorsitzende die Zusammenfassung der Aussage ins Protokoll diktiert. Die anderen Verfahrensbeteiligten haben insoweit kein Antragsrecht, sie wissen ohnehin meist nicht, was in das Protokoll aufgenommen wird und können nur Anregungen geben177 oder aber nach Absatz 3 die vollständige Niederschreibung des Wortlauts der Aussage beantragen. Der Beweiswert des schriftlichen Inhaltsprotokolls ist entsprechend gering.178 Von umso größerem Beweiswert ist hingegen die durch das 1. OpferRRG eingeführte Möglichkeit einer Tonbandaufzeichnung (Rn. 43). 3. Form a) Niederschrift. Das Inhaltsprotokoll ist als im weiteren Verfahren verwertbare 42 Niederschrift über eine richterliche Vernehmung (§ 251 Abs. 1; § 254; § 325) mit der gebotenen Sorgfalt abzufassen. Jede Aussage ist einzeln niederzuschreiben; ein Zusammenfassen mehrerer ist unstatthaft.179 War ein Zeuge bereits im Vorverfahren, wenn auch nur außergerichtlich, vernommen, so ist es statthaft, auf das betreffende Protokoll Bezug zu nehmen und im Übrigen die Protokollierung auf die etwaigen Änderungen der früheren Aussage und die etwaigen Zusätze zu beschränken,180 sofern die Klarheit der Wiedergabe darunter nicht leidet. Auch bei einem Sachverständigen kann auf den Inhalt seines bei den Akten befindlichen schriftlichen Gutachtens Bezug genommen werden.181 Dem Grundsatz der Mündlichkeit widerstreitet eine solche Bezugnahme nicht.

173 SK/Frister 29. 174 HK/Julius/Beckemper 10; SK/Frister 30. 175 KK/Greger 17; KMR/Gemählich 24; Meyer-Goßner/Schmitt 14; MüKo/Valerius 43; Radtke/Hohmann/ Pauly 26; SK/Frister 26; SSW/Güntge 14. 176 Anders OK-StPO/Peglau 34 (je nach Qualität des Protokollführers). 177 KK/Greger 17; KMR/Gemählich 24; Meyer-Goßner/Schmitt 14; MüKo/Valerius 43; SK/Frister 26. 178 Meyer-Goßner/Schmitt 14; Meyer-Goßner FS Fezer 135, 137. 179 KMR/Gemählich 25. 180 KK/Greger 18; KMR/Gemählich 25; Meyer-Goßner/Schmitt 15; SK/Frister 25; vgl. Nr. 144 Abs. 2 RiStBV. 181 BGH GA 1964 275.

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§ 273

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b) Tonaufzeichnung. Die in Satz 2 bis 4 des Absatzes 2 seit 2004 vorgesehene Möglichkeit, anstelle des Inhaltsprotokolls einzelne Vernehmungen im Zusammenhang auf Tonträger aufzuzeichnen, soll nicht nur den Urkundsbeamten bzw. den nach § 226 Abs. 2 allein protokollierenden Vorsitzenden entlasten, sondern vor allem erneute Vernehmungen des Zeugen bzw. des erstinstanzlichen Richters oder Protokollführers in der Berufungsinstanz überflüssig machen (§ 323 Abs. 2 Satz 6 i. V. m. § 325).182 Die betreffende Vernehmung ist in vollem Umfang aufzuzeichnen.183 Die Herstellung einer Abschrift von der Aufnahme ist erst erforderlich, wenn das Berufungsgericht dies für erforderlich ansieht (§ 323 Abs. 2). Die Tonaufzeichnung ist folglich zu den Akten zu nehmen oder bei der Geschäftsstelle mit den Akten aufzubewahren. Satz 3 regelt durch Verweis auf § 58a Abs. 2 die Zweckbindung der Aufnahme, das Einsichtsrecht durch Überlassung an die Verteidigung, der ein Zeuge mangels Verweises auf § 58a Abs. 3 nicht widersprechen kann,184 und den Datenschutz. Wegen der Möglichkeit einer Wiederaufnahme ist die Vernichtung der Tonaufnahme nicht vorgesehen.185

4. Beweiskraft. Die Beweiskraft des Sitzungsprotokolls (§ 274) erstreckt sich im Fall des Inhaltsprotokolls nach Absatz 2 Satz 1 nur auf die Tatsache der Einvernahme, nicht aber auf den in das Protokoll aufgenommenen wesentlichen Inhalt der Vernehmungen.186 Insoweit gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Das im Protokoll wiedergegebene wesentliche Ergebnis der Vernehmungen hat vor allem Beweiswert für spätere Hauptverhandlungen der Tatsacheninstanzen.187 Die Feststellung des Sachverhalts im Urteil ist Aufgabe der bei der Urteilsfällung 45 mitwirkenden Richter und unterliegt ihrer Beratung und Abstimmung. Zu der ausschließlich den Richtern zustehenden Sachverhaltsfeststellung gehört auch die (nicht notwendig ins Urteil aufzunehmende, aber ihm stets zugrunde liegende) Feststellung, was die Zeugen im Einzelnen gesagt haben und wie ihre Aussagen auszulegen sind.188 Das Gericht ist bei der Beratung hierüber an das zu diesem Zeitpunkt auch noch gar nicht unterschriebene Protokoll, für das Vorsitzender und Urkundsbeamter allein verantwortlich sind, nicht gebunden. Auch das Revisionsgericht muss – das ist im Rahmen der Sachrüge unstreitig – allein von dem im Urteil wiedergegebenen Inhalt der Aussage ausgehen; eine Rekonstruktion von Aussagen ist nicht seine Aufgabe. Widerspricht der Inhalt einer nach Absatz 2 protokollierten Aussage den Ausführungen in den schriftlichen Urteilsgründen, so sind nach herrschender Rechtsprechung allein letztere maßgebend.189 Hingegen erlaubt die Tonträgeraufzeichnung nach Absatz 2 Satz 2 den Gegenbeweis zu den Urteilsgründen; zur Revision siehe Rn. 68. Außerhalb des Verfahrens kann das Inhaltsprotokoll von Bedeutung sein, z. B. in 46 einem Wiederaufnahmeverfahren oder in einem Strafverfahren gegen einen Zeugen wegen unrichtiger Aussage.

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182 BRDrucks. 829/03 S. 27; krit. Meyer-Goßner/Schmitt 14a; Neuhaus StV 2004 620, 624. 183 KK/Greger 18. 184 Vgl. HK/Julius/Beckemper 11; Meyer-Goßner/Schmitt 14a; Radtke/Hohmann/Pauly 29; SK/Frister 27; Neuhaus StV 2004 620, 624.

185 Meyer-Goßner/Schmitt 14a. 186 RGSt 42 160; 58 58; RGRspr. 7 (1885) 106; RG JW 1925 1009; BGH bei Dallinger MDR 1973 557; KG VRS 100 (2001) 454; OLG Hamm 23.2.2017 – 4 RBs 54/17; KK/Greger 19; KMR/Gemählich 29; Meyer-Goßner/ Schmitt 17; OK-StPO/Peglau 36; SSW/Güntge 18. 187 Vgl. RGSt 31 69; 43 438; ferner bei § 325. 188 Vgl. LR/Sander § 261, 126 ff.; ferner etwa Husmann MDR 1977 895; LR/Franke26 § 337, 52. 189 BVerfG NStZ-RR 2015 335, 336; BGHSt 7 370; 21 149; BGH NJW 1966 63; 1967 61; 1969 1074; VRS 35 (1968) 264; 38 (1970) 115; bei Dallinger MDR 1966 384; 1973 557; w. N. bei LR/Franke26 § 337, 58.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

V. Beurkundung eines Vorgangs oder des Wortlauts einer Äußerung (Absatz 3) 1. Feststellung eines Verfahrensvorgangs. Ein Vorgang ist, wenn es auf seine 47 Feststellung ankommt, vollständig niederzuschreiben und die Niederschrift zu verlesen. Absatz 3 gilt auch im Bußgeldverfahren.190 Die Vorgänge müssen sich aber immer in der Hauptverhandlung zugetragen haben; Vorgänge vor ihrem Beginn oder in einer Sitzungspause oder Vorgänge außerhalb des Sitzungssaals (Zeugenzimmer usw.) fallen nicht unter Absatz 3. Die Feststellung eines Vorgangs im Sitzungsprotokoll setzt ein rechtliches Interes- 48 se an der Protokollierung voraus. Sie kann sowohl Vorgänge betreffen, die normalerweise im Protokoll nicht zu erwähnen sind, weil sie nicht zu den wesentlichen Förmlichkeiten gehören,191 als auch Vorgänge, die als wesentliche Förmlichkeiten ohnehin in das Protokoll aufgenommen werden müssen, bei denen aber darüber hinaus eine ausführlichere Darstellung oder das Festhalten besonderer Einzelheiten aufschlussreich erscheint. Das rechtliche Interesse an der genauen Protokollierung kann vielerlei Gründe ha- 49 ben. Sie kann für das laufende Verfahren von Bedeutung sein, z. B. weil der Vorgang einen Grund für die Ablehnung eines Richters bilden könnte, weil er die geistige Anwesenheit eines Verfahrensbeteiligten (Schlafen eines Schöffen)192 oder die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten in Frage stellt, oder weil er für die Beweissicherung (auch für die nächste Tatsacheninstanz oder wegen Verfahrensrügen), eventuell auch für die Beweiswürdigung besonders ins Gewicht fallen könnte, wie etwa ein besonders aufschlussreiches Ergebnis eines Augenscheins193 oder ein besonderes Verhalten einer Gerichtsperson, eines Angeklagten oder Zeugen (Mimik, Gestik) oder Versuche von Angeklagten und Zeugen, miteinander in Verbindung zu treten,194 oder weil er den Verdacht erweckt, das Urteil könne auf außerhalb der Verhandlung liegende Gründe gestützt werden (Übergabe von Akten an einen Laienrichter). Setzt der Vorsitzende eine Frist zur Stellung von Beweisanträgen, so ist diese Anordnung nach Absatz 3 zu protokollieren.195 Es kann auf einen Vorgang auch aus Gründen ankommen, die außerhalb des Verfahrens liegen, z. B. um ein standeswidriges Verhalten eines Anwalts für eine Anzeige bei der Anwaltskammer oder die Beleidigung eines Zeugen durch den Angeklagten für ein künftiges Strafverfahren oder für zivilrechtliche Ansprüche festzustellen.196 Die Feststel-

190 OLG Hamm MDR 1971 508; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1976 12. 191 KK/Greger 23; KMR/Gemählich 30; Meyer-Goßner/Schmitt 19; MüKo/Valerius 52; SK/Frister 32; SSW/ Güntge 19.

192 Müller FS Volk 485, 488. 193 OLG Bremen NJW 1981 2827 = JR 1982 253 mit Anm. Foth; OLG Hamm GA 1973 281; KK/Greger 23. Von der grundsätzlich weitgespannten Protokollierungsbefugnis ist die Frage zu trennen, ob und in welchen Fällen ein Anspruch der Verfahrensbeteiligten darauf besteht; vgl. Rn. 57 ff. 194 Meyer-Goßner/Schmitt 19; Radtke/Hohmann/Pauly 34; vgl. Krekeler AnwBl. 1984 417 m.w. Beispielen. 195 BGHSt 52 355, 363; zur umstrittenen Frage der Fristsetzung vgl. die Anm. von Fezer HRRS 2009 17; Eidam JZ 2009 318; Gaede NJW 2009 608; Trüg StraFo 2010 139; König StV 2009 171; Ventzke StV 2009 655; Jahn StV 2009 663; Thomas StV 2010 428. 196 Vgl. KK/Greger 23; KMR/Gemählich 31; Meyer-Goßner/Schmitt 23; MüKo/Valerius 54 f.; Radtke/Hohmann/Pauly 36; SK/Frister 34; SSW/Güntge 19; Krekeler AnwBl. 1984 417; ferner (auch zu den Differenzierungen nach Protokollierungszweck und Protokollierungsobjekt) Ulsenheimer NJW 1980 2273; W. Schmid GA 1962 353, 361 (noch zur alten Fassung).

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lung des Tatbestandes einer in der Sitzung begangenen Straftat im Protokoll obliegt nach § 183 GVG dem Gericht.197 2. Feststellung des Wortlauts. Nach Absatz 3 kann auch der Wortlaut einer Aussage oder einer Äußerung festgehalten werden. Unter Aussage wird dabei die Einlassung des Angeklagten oder die Aussage einer Beweisperson verstanden, während Äußerungen alle sonstigen Bemerkungen sind, die von jeder im Sitzungssaal anwesenden Person stammen können.198 Solche Bekundungen wörtlich festzuhalten ist etwa dann angebracht, wenn es aus Sach- oder Rechtsgründen, eventuell auch nur wegen der gebrauchten Ausdrücke auf den genauen Wortlaut ankommt, so, wenn verschiedene Deutungsmöglichkeiten bestehen.199 Dass die Aussage ihrem Inhalt nach entscheidungserheblich ist, soll nach herrschender Ansicht die Aufnahme ihres Wortlauts für sich allein nicht rechtfertigen;200 das überzeugt nicht, weil zum einen eine Grundlage im Gesetzestext für diese Einschränkung auf „sprachliche Skurrilitäten“201 fehlt und zum anderen die Protokollierung des Wortlauts stets die Fixierung des genauen Inhalts einer Äußerung zum Zweck hat, so dass eine Unterscheidung zwischen Wortlaut und Inhalt fehlgeht.202 Es genügt hingegen nicht, dass der Verteidiger dies als Erleichterung für die Führung seiner Verteidigung wünscht. Hält er es aus diesem Grunde für notwendig, den Wortlaut von Äußerungen festzuhalten, bleibt es ihm unbenommen, ihn mitzuschreiben oder mitschreiben zu lassen.203 Das Festhalten des Wortlauts kann beispielsweise angezeigt sein, weil das Gericht 51 Wert darauf legt, dass ihm von einer wichtigen Aussage ein Wortlautprotokoll für die Urteilsberatung oder für deren Entscheidungen zur Verfügung steht oder dass der Wortlaut für spätere Instanzen (§ 325; Verfahrensrügen) ersichtlich bleibt. Sie kann aber auch aus außerhalb des Verfahrens liegenden Gründen geboten sein, wenn die abgegebene Erklärung für ein anderes Verfahren von Bedeutung sein kann, insbesondere, wenn sich aus ihr Hinweise auf eine andere Straftat ergeben, oder wenn bei Verdacht einer unrichtigen Aussage eine sichere Grundlage für ein künftiges Ermittlungsverfahren geschaffen werden soll.204 52 Aussagen und Erklärungen, die in einer fremden Sprache abgegeben werden, können nach § 185 Abs. 1 Satz 2 GVG in der fremden Sprache in das Protokoll oder in eine Anlage dazu aufgenommen werden,205 so etwa auch, wenn Zweifel bestehen, wie eine fremdsprachige Erklärung zu verstehen ist.206

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197 Vgl. bei § 183 GVG. 198 HK/Julius/Beckemper 12; KK/Greger 22; Meyer-Goßner/Schmitt 20; OK-StPO/Peglau 39; SSW/Güntge 19. 199 Vgl. OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1976 172; KMR/Gemählich 33; Meyer-Goßner/ Schmitt 23; SK/Frister 36; Roxin/Schünemann § 51, 5. 200 KK/Greger 23; Meyer-Goßner/Schmitt 22; MüKo/Valerius 53; OK-StPO/Peglau 44; Radtke/Hohmann/ Pauly 35; SK/Frister 36; SSW/Güntge 19; Reichling 87 ff., 116 ff.; Meyer JR 1980 219; Schmid NJW 1981 1353; Sieß NJW 1982 1625; Stollenwerk DRiZ 2012 225, 228 f.; krit. Fromm NJ 2015 96, 98; für die Gegenmeinung Müller FS Volk 485, 492 f.; Krekeler AnwBl. 1984 417; Ulsenheimer NJW 1980 2273; Schröder 19 ff.; ders. Schlüchter-Festgabe 97, 102 ff. 201 Müller FS Volk 485, 492. 202 Dagegen spricht nicht, dass § 273 Abs. 2 den wesentlichen Inhalt einer Vernehmung vor dem Amtsgericht zu protokollieren verlangt, zutr. Müller FS Volk 485, 492 f.; Schröder 19 f.; ders. Schlüchter-Festgabe 97, 101 f.; Reichling 97 ff. gegen Schmid NJW 1981 1353. RGSt 5 352, 353 gründete auf der obsoleten Ansicht, dass die Protokollierung im freien Ermessen des Tatrichters stünde. 203 BGHSt 18 179, 181; Marxen NJW 1977 2188, 2190; AK/Lemke 19; Meyer-Goßner/Schmitt 27. 204 Vgl. Nr. 144 Abs. 2 RiStBV; SK/Frister 37. 205 Vgl. bei § 185 GVG. 206 HK/Julius/Beckemper 13; SK/Frister 36.

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3. Protokollierungsvorgang. Die wörtliche Niederschrift ordnet der Vorsitzende 53 an. Es liegt insbesondere bei der Fixierung des Wortlauts einer Äußerung in seinem Ermessen, ob er den Wortlaut ins Protokoll diktiert oder ob er den Urkundsbeamten beauftragt, die Aussage mitzuschreiben. An der Verantwortlichkeit beider für die inhaltliche Richtigkeit der Niederschrift (Rn. 54) ändert sich hierdurch nichts. Die Verhandlungsbeteiligten haben nicht das Recht, selbst den Wortlaut in das Protokoll zu diktieren.207 Die Niederschrift muss nicht unbedingt in der Hauptverhandlung vorgenommen 54 werden. Insbesondere wenn es sich um die nachträglich angeordnete Protokollierung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder einer dort gefallenen Äußerung handelt, kann die angeordnete Niederschrift vom Vorsitzenden und Urkundsbeamten auch in einer Sitzungspause gefertigt werden. Unerheblich ist, wer sie abfasst, sie muss aber hinsichtlich der aufgenommenen Tatsachen von der Übereinstimmung beider Urkundspersonen getragen werden.208 Ist die Beurkundung für einen außerhalb des Verfahrens liegenden Zweck bestimmt, so darf sie auch in einer Anlage zur Sitzungsniederschrift aufgenommen werden. Die Anlage muss dann aber allen Erfordernissen des Protokolls entsprechen.209 Auf jeden Fall muss die Niederschrift in der Hauptverhandlung vorgelesen und 55 von allen210 Verfahrensbeteiligten genehmigt werden. Dass sie von demjenigen, der sie abgegeben hat, unterschrieben wird, ist nicht vorgesehen. Werden Einwendungen gegen die Richtigkeit der Niederschrift erhoben, wird also bestritten, dass der protokollierte Vorgang oder die protokollierte Aussage dem tatsächlichen Geschehen und der tatsächlichen Aussage entspricht, so sind die erhobenen Einwendungen im Protokoll festzuhalten, soweit ihnen nicht durch eine Richtigstellung der Niederschrift abgeholfen wird.211 Erklären sich die Verfahrensbeteiligten dagegen mit der vorgelesenen Beurkundung einverstanden oder erheben sie auf die allgemeine Frage hin keinen Widerspruch, so ist diese „Genehmigung“ im Protokoll zu vermerken. Ein bestimmter Wortlaut ist dafür nicht vorgeschrieben. Der Vermerk muss aber sinngemäß ergeben, dass die Niederschrift inhaltlich genehmigt worden ist oder dass keine Einwendungen gegen sie erhoben worden sind.212 4. Antrag. Die Protokollierung ist vom Vorsitzenden von Amts wegen anzuordnen, 56 wenn er nach pflichtgemäßem Ermessen ihre Voraussetzungen für gegeben hält. Er braucht seine Anordnung nicht zu begründen. Daneben kann jeder Verhandlungsbeteiligte die Protokollierung beantragen, also neben Angeklagtem, Verteidiger und Staatsanwalt auch die Nebenbeteiligten. Dem Nebenkläger wird diese Befugnis von der vorherrschenden Meinung versagt, da sie in der abschließenden Aufzählung des § 397 Abs. 1 nicht mit aufgenommen wurde.213 Nach ebenfalls strittiger Auffassung können 207 OLG Hamm JMBlNW 1970 251; OLG Köln VRS 70 (1986) 370; HK/Julius/Beckemper 15; KMR/Gemählich 34; Meyer-Goßner/Schmitt 31; MüKo/Valerius 61; SK/Frister 41; SSW/Güntge 22; vgl. LR/Stuckenberg § 271, 14 ff. 208 Vgl. OLG Königsberg DRiZ 1932 Nr. 451; KK/Greger 28; Meyer-Goßner/Schmitt 31; SK/Frister 41; Sieß NJW 1982 1625, 1626; vgl. LR/Stuckenberg § 271, 16. 209 RGSt 2 23; KK/Greger 29; Meyer-Goßner/Schmitt 33; MüKo/Valerius 61; SK/Frister 41. 210 A. A. wohl Radtke/Hohmann/Pauly 42 (nur Antragssteller und betroffene Aussageperson). 211 AK/Lemke 23; KK/Greger 30; MüKo/Valerius 64; SK/Frister 43. 212 KMR/Gemählich 39; Meyer-Goßner/Schmitt 33; SK/Frister 42. 213 HK/Weißer § 397, 11; KMR/Gemählich 35; Meyer-Goßner/Schmitt 26; MüKo/Valerius 57; Radtke/Hohmann/Pauly 37; SK/Frister 39; SSW/Güntge 20; strittig, vgl. Beulke DAR 1988 118; LR/Hilger26 § 397, 11; a. A. KK/Greger 24; anders nach früherem Recht, vgl. BGHSt 28 274.

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auch die beisitzenden Berufs- und Laienrichter die Protokollierung beantragen.214 Zeugen und Sachverständige haben diese Befugnis nicht.215 Der Antragsteller muss den zu protokollierenden Vorgang konkret bezeichnen und sein rechtliches Interesse an der Protokollierung substantiiert und für das Gericht nachvollziehbar darlegen.216 Aus dem Antragsrecht folgt, dass die Verhandlungsbeteiligten auch einen An57 spruch auf Protokollierung haben, wenn und soweit es auf den betreffenden Vorgang tatsächlich „ankommt“, also ein anzuerkennendes rechtliches Interesse an seiner Fixierung im Protokoll aufgezeigt ist, da insoweit dann die Entscheidung nicht im Ermessen des Vorsitzenden steht.217 Dabei wird nach dem Zweck der Protokollierung unterschieden.218 Ein Anspruch wird bejaht, wenn der betreffende Vorgang für den Nachweis eines Verfahrensverstoßes bedeutsam ist, wobei es sich nicht notwendig um die Feststellung einer wesentlichen Förmlichkeit des Verfahrens zu handeln braucht, auf die sich die Beweiskraft des Protokolls nach § 274 erstreckt (Rn. 48). Die Bedeutung des Absatzes 3 liegt gerade darin, dass auch andere Vorkommnisse und Äußerungen in der Hauptverhandlung, die nach Absatz 1 nicht in das Protokoll aufgenommen werden müssten, dort beurkundet werden können. Der Nachweis eines Verfahrensverstoßes gegenüber dem Rechtsmittelgericht wird dadurch erleichtert. 58 Die Verhandlungsbeteiligten können aber auch die Protokollierung beantragen, wenn der Vorgang oder die wörtliche Beurkundung für ein anderes Verfahren, insbesondere auch für den Nachweis einer in der Hauptverhandlung begangenen Straftat, etwa einer Falschaussage oder einer Verleumdung, zur Wahrung ihrer rechtlichen Interessen bedeutsam ist. Eine Pflicht des Vorsitzenden, einem solchen Antrag zu entsprechen, dürfte jedoch nur gegeben sein, wenn ein hinreichender Verdacht hinsichtlich der betreffenden Straftat besteht oder das rechtliche Interesse an der Beurkundung glaubhaft dargetan ist, andernfalls kann er den Antrag als unbegründet ablehnen, weil nicht feststeht, dass es auf die Protokollierung ankommt.219 59 Strittig ist dagegen, ob vor allem die wörtliche Protokollierung von Aussagen auch zu dem Zweck gefordert werden kann, durch ihre Fixierung die Beweiswürdigung des 214 AK/Lemke 19; HK/Julius/Beckemper 14; KK/Greger 24; MüKo/Valerius 57; Radtke/Hohmann/Pauly 37; SK/Frister 39; Ulsenheimer NJW 1980 2273, 2274; a. A. KMR/Gemählich 36; Meyer-Goßner/Schmitt 26; SSW/Güntge 20; auch vor dem StPÄG 1964 war dies streitig gewesen; vgl. Eb. Schmidt 4; W. Schmid GA 1962 353 ff. m. w. N. 215 AK/Lemke 19; HK/Julius/Beckemper 14; KK/Greger 24; KMR/Gemählich 35; Meyer-Goßner/Schmitt 26; MüKo/Valerius 57; Radtke/Hohmann/Pauly 37; SSW/Güntge 20; a. A. SK/Frister 39; Gössel § 19 A Ib 2; W. Schmid GA 1962 362; Ulsenheimer NJW 1980 2273, 2274 unter Hinweis auf das Interesse dieser Personen an der Fixierung ihrer Aussage. 216 OLG Bremen OLGSt 5; NStZ 1986 183; KMR/Gemählich 35; Meyer-Goßner/Schmitt 27; SK/Frister 39. 217 Ob und in welchen Fällen mit dem Antragsrecht eine Pflicht zur Protokollierung korrespondiert oder ob letztere im Ermessen des Vorsitzenden (bzw. des Gerichts) steht (RGSt 5 352), ist strittig, wobei der Streit oft mit der Frage verquickt wird, für welchen Zweck es auf die Protokollierung „ankommen“ kann. Einen Anspruch auf Protokollierung bejahen: OLG Bremen JR 1982 253 mit Anm. Foth; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1976 172; AK/Lemke 20; KK/Greger 24; MüKo/Valerius 28, 58; Radtke/ Hohmann/Pauly 38; SK/Frister 40; M. Schmid NJW 1981 1353; Krekeler AnwBl. 1984 417; W. Schmid GA 1962 353; Ulsenheimer NJW 1980 2273, 2274; Reichling 196 ff.; Schröder 24 ff.; ders. Schlüchter-Festgabe 97, 104; weitergehend Meyer-Mews NJW 2002 103, 107 (Anspruch auf Tonbandmitschnitt der Beweisaufnahme), dagegen Uetermaier NJW 2002 2298. Verneinend: BGH JR 1966 305 mit abl. Anm. Lackner; OLG Bremen OLGSt 5; Meyer-Goßner/Schmitt 29; Foth JR 1982 253; Sieß NJW 1982 1625 (kein Recht auf Fixierung der Aussage für die gleiche Instanz). 218 Vgl. W. Schmid GA 1962 353; M. Schmid NJW 1981 1353; Sieß NJW 1982 1625; Ulsenheimer NJW 1980 2273, 2274. 219 Vgl. Lackner JR 1966 305; W. Schmid GA 1962 353; AK/Lemke 20.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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erkennenden Gerichts selbst zu beeinflussen, etwa, um durch die Festlegung des Wortlauts einer Fehldeutung bei der Urteilsberatung vorzubeugen,220 aber auch, um – je nach der vertretenen Rechtsauffassung – vorsorglich ein Einfallstor für die Verfahrensrügen nach § 244 Abs. 2, § 261 zu haben.221 Nach vorherrschender Meinung haben die Verhandlungsbeteiligten kein solches Recht.222 Sie können dies weder unter dem Gesichtspunkt verlangen, dass sie dann einen etwaigen künftigen Verfahrensverstoß mit der Revision besser angreifen können,223 noch sind sie – abgesehen von den beisitzenden Richtern – zur Beurteilung der Frage befugt, ob dies für das erkennende Gericht als Entscheidungshilfe zweckmäßig ist. Allenfalls die beisitzenden Richter könnten unter dem letzteren Gesichtspunkt dies beantragen und bei einer Meinungsverschiedenheit mit dem Vorsitzenden eine Entscheidung des Gerichts nach Absatz 3 Satz 2 herbeiführen. Für diese ist jedoch das bei der Urteilsberatung noch nicht fertige und meist auch nicht greifbare Protokoll i. d. R. ohne Bedeutung.224 5. Anrufung des Gerichts. Gegen die Anordnung der Protokollierung durch den 60 Vorsitzenden kann das Gericht weder nach Absatz 3 Satz 2 noch nach § 238 Abs. 2 angerufen werden.225 Lehnt dagegen der Vorsitzende den Protokollierungsantrag eines Verhandlungsbeteiligten ab (die Ablehnung ist zu begründen, § 34), dann kann jeder antragsberechtigte Verhandlungsbeteiligte – also nicht nur derjenige, dessen Antrag abgelehnt wurde226 – hiergegen nach Absatz 3 Satz 2 die Entscheidung des Gerichts herbeiführen.227 Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Protokollierung für das laufende Verfahren oder für einen anderen Zweck beantragt wurde.228 Das Gericht hat dann darüber zu befinden, ob die Voraussetzungen für eine Protokollierung nach Absatz 3 Satz 1 gegeben sind. Es kann die Protokollierung nicht anordnen, wenn Vorsitzender und Urkundsbeamter übereinstimmend dabei bleiben, dass sie den Vorgang, dessen Beurkundung beantragt ist, nicht wahrgenommen haben.229 Hat ihn nur einer wahrgenommen, ist er in das Protokoll aufzunehmen,230 wenn auch mit dem die Beweiskraft mindernden Vermerk, dass der Vorgang nur von einem der beiden Urkundspersonen bezeugt wird. 220 So vor allem Ulsenheimer NJW 1980 2273, 2274; Schröder 28 ff.; ders. Schlüchter-Festgabe 97, 105 ff.; dagegen Foth JR 1982 253; Sieß NJW 1982 1625; w. N. in Fn. 217.

221 Wieweit diese Möglichkeit überhaupt besteht, ist strittig; vgl. LR/Franke26 § 337, 59. 222 Vgl. oben Fn. 217; ferner BGH VRS 11 (1956) 436; Lackner JR 1966 305. 223 Vgl. zum Streitstand Rn. 67. Im Übrigen würde wohl auch die retrospektive Verwendbarkeit als Beweismittel für eine Verfahrensrüge nach § 261 noch nicht ex ante bedeuten, dass die Protokollierung nach Absatz 3 verlangt werden kann, um einer keinesfalls wahrscheinlichen, allenfalls denkbaren künftigen Verfahrensverletzung besser begegnen zu können. Die Lage ist insoweit anders als beim Protokollierungsantrag, der den Nachweis eines bereits vorliegenden Verfahrensverstoßes bezweckt. 224 Vgl. Foth JR 1982 253; Sieß NJW 1982 1625, 1627. 225 HK/Julius/Beckemper 20; KK/Greger 27; MüKo/Valerius 65; SK/Frister 44; Erker Das Beanstandungsrecht gemäß § 238 Abs. 2 StPO (1988) 122. 226 AK/Lemke 21; KK/Greger 26; KMR/Gemählich 37; Meyer-Goßner/Schmitt 30; MüKo/Valerius 65; Radtke/Hohmann/Pauly 39; SK/Frister 44. 227 Sondervorschrift gegenüber § 238 Abs. 2; Bohnert Beschränkungen der strafprozessualen Revision durch Zwischenverfahren (1983) 189; Erker Das Beanstandungsrecht gemäß § 238 Abs. 2 StPO (1988) 120; Krekeler AnwBl. 1984 417; Meyer-Goßner/Schmitt 30; SK/Frister 44. 228 Meyer-Goßner/Schmitt 30. 229 SK/Frister 45 Fn. 179. KK/Greger 26 hält in diesem Fall bereits die Anrufung des Gerichts für nicht statthaft; es erscheint jedoch zulässig, die Frage, ob die Protokollierung aus diesem Grund zu Recht abgelehnt wurde, durch eine Entscheidung des Gerichts zu klären, auch wenn dieses daran gebunden ist, wenn beide Urkundsbeamte daran festhalten, dass sie den Vorgang nicht wahrgenommen haben. 230 KK/Greger 26; vgl. LR/Stuckenberg § 271, 19, 50.

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Das angerufene Gericht entscheidet über den Antrag nach Absatz 3 Satz 2 durch Beschluss, der, wenn er die Protokollierung ablehnt, zu begründen ist. Über den Antrag ist alsbald in der Hauptverhandlung und nicht etwa erst nach der Urteilsverkündung zu entscheiden.231 An die Entscheidung des Gerichts, dass ein Vorgang oder der Wortlaut einer Aus61 sage zu protokollieren ist, sind der Vorsitzende und der Urkundsbeamte auch in ihrer sonst unabhängigen Funktion als Urkundspersonen (vgl. § 271, 14) gebunden. Dies betrifft aber nur den Gegenstand des in das Protokoll aufzunehmenden Vermerks. Der Wortlaut, mit dem dies geschieht, ist – sofern er nicht wie bei der wörtlichen Aufnahme einer Aussage durch die Sache vorgegeben ist – vom Vorsitzenden und Protokollführer kraft ihrer Beurkundungspflicht selbst festzulegen.232 Sie müssen in eigener Verantwortung selbst die Niederschrift fertigen und diese dann, wie auch sonst, vorlesen und genehmigen lassen.233 Lehnt das Gericht die Protokollierung ab, bindet dies den Vorsitzenden nicht. Er kann trotzdem später die Protokollierung anordnen.234 62

6. Sitzungsniederschrift. Im Sitzungsprotokoll ist der Antrag nach Absatz 3 Satz 1 zu beurkunden.235 Wird ihm entsprochen, genügt es, wenn das Protokoll feststellt, dass die Beurkundung des Vorgangs oder der Äußerung auf Antrag des betreffenden Verhandlungsbeteiligten angeordnet wurde. Lehnt dagegen der Vorsitzende den Antrag ab, dann ist sein Inhalt im Protokoll festzuhalten, desgleichen die Ablehnung und ihre Begründung.236 Zu beurkunden ist ferner der Antrag, mit dem das Gericht angerufen wird und die Entscheidung des Gerichts, ferner die Verlesung und Genehmigung der Protokollierung und – unter Angabe von Person und Gegenstand – etwaige Einwendungen, die hierbei erhoben wurden.237 Die Beweiskraft des Protokolls (§ 274) erstreckt sich nicht auf den Inhalt der nach § 273 Abs. 3 aufgenommenen Vorgänge oder Aussagen (strittig, vgl. § 274, 15).

VI. Fertigstellung des Protokolls und Urteilszustellung (Absatz 4) 63

1. Zweck. Absatz 4 soll sicherstellen, dass das Urteil nicht vor Fertigstellung des Protokolls zugestellt wird, um dem Angeklagten und seinem Verteidiger die Möglichkeit zu geben, die durch die Urteilszustellung in Gang gesetzten Fristen, insbesondere die Frist für die Revisionsbegründung, unter Heranziehung des Protokolls voll zu nutzen.

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2. Fertigstellung. Fertiggestellt ist das Sitzungsprotokoll mit der letzten, seinen Inhalt einschließlich aller Ergänzungen deckenden Unterschrift (§ 271, 15, 20), auch wenn der Vermerk über den Zeitpunkt der Fertigstellung (§ 271 Abs. 1 Satz 2) fehlt238 oder irrigerweise einen anderen Tag der Fertigstellung angibt oder die Unterschrift sich nicht 231 232 233 234

W. Schmid GA 1962 353, 363. Sieß NJW 1982 1625, 1627; Meyer-Goßner/Schmitt 30; SK/Frister 45. Vgl. Rn. 55. AK/Lemke 22; HK/Julius/Beckemper 20; KK/Greger 27; KMR/Gemählich 38; Meyer-Goßner/Schmitt 30; MüKo/Valerius 67; SK/Frister 45. 235 SK/Frister 46. Der Ansicht, dass Protokollierungsanträge nicht in das Protokoll gehören (OLG Saarbrücken JBlSaar 1961 14), dürfte durch die Neufassung des Absatzes 3 der Boden entzogen sein, vgl. auch W. Schmid GA 1962 353, 366; OLG Bremen NStZ 1986 183. 236 HK/Julius/Beckemper 15; SK/Frister 47. 237 HK/Julius/Beckemper 15; SK/Frister 47. 238 BGHSt 23 115, 117 ff.; BayObLGSt 1980 140 = NJW 1981 1795; OLG Köln MDR 1972 260; vgl. LR/ Stuckenberg § 271, 21, 29; KK/Greger 32.

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am Ende des Schriftstücks befindet, sofern nur sichergestellt ist, dass mit ihr Verantwortung für das gesamte Schriftstück übernommen wird.239 Die Unterschrift nur auf einer Anlage genügt dagegen nicht.240 Beweiskraft nach § 274 hat der Vermerk nicht.241 Die Fertigstellung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das ordnungsgemäß unterzeichnete Protokoll formelle Mängel oder Lücken aufweist, etwa statt der Urteilsformel nur auf das Urteil als Anlage verwiesen wird,242 und nachträglich berichtigt werden muss.243 Wegen der Einzelheiten vgl. § 271, 29 ff.; zur Wiederherstellung eines verlorengegangenen Protokolls § 271, 69. 3. Zwingende Verfahrensnorm. § 273 Abs. 4 ist eine zwingende Verfahrensnorm; 65 eine Urteilszustellung vor Fertigstellung des Protokolls ist unwirksam und nicht geeignet, die von der Urteilszustellung abhängigen Fristen, vor allem die Revisionsbegründungsfrist, in Lauf zu setzen.244 Dies gilt auch dann, wenn eine noch nicht beidseitig gebilligte Protokollergänzung für die eingereichte Revision ohne jede Bedeutung ist.245 Ob die Fertigstellung eines Protokolls wegen eines schwerwiegenden wesentlichen Inhaltsmangels verneint werden kann, weil es die Urteilsformel ersichtlich unvollständig und unter Weglassen wesentlicher Teile (Schuldspruch; Kostenausspruch) wiedergibt, erscheint zweifelhaft.246 Das Fehlen des Vermerks über den Zeitpunkt der Fertigstellung des Protokolls hindert die Wirksamkeit der Zustellung nicht, wenn eindeutig feststellbar ist, dass das Urteil beim Zustellungsempfänger erst einging, nachdem das Protokoll fertiggestellt war.247

VII. Rechtsmittel 1. Beschwerde. Die Anordnung des Vorsitzenden, dass ein Vorgang nach Absatz 3 in 66 das Protokoll aufgenommen oder nicht aufgenommen wird, sowie die Entscheidung des Gerichts hierüber sind durch § 305 Satz 1 der Beschwerde entzogen, soweit die Protokollierung Zwecken des anhängigen Verfahrens dienen soll.248 Gleiches gilt bei Zurückweisung sonstiger, den laufenden Protokollierungsvorgang betreffenden Anregungen.249 Wurde da-

239 240 241 242

BGH NStZ-RR 2002 261. OLG Hamm NStZ-RR 2001 83. BGHSt 23 115. OLG Brandenburg 14.3.2019 – (1) Ss 13 5/18 (11/19); OLG Karlsruhe 17.1.2020 – 2 Rb 35 Ss 933/19 (unter Aufgabe von OLG Karlsruhe 5.2.2018 – 2 Rb 9 Ss 18/18); OLG Koblenz 4.11.2019 – 3 OWi 6 SsRs 298/ 19; OLG Zweibrücken OLGSt OWiG § 17 Nr. 21. 243 BGH NStZ 1984 89; BayObLGSt 1980 140 = NJW 1981 1795; OLG Bamberg OLGSt § 329 Nr. 28; KK/ Greger § 271, 8; KMR/Gemählich 41; Meyer-Goßner/Schmitt 34; OK-StPO/Peglau 49; SK/Frister 50. 244 BGHSt 27 80; BGH NJW 1991 1702; GA 1992 319; NStZ 2014 420, 421; bei Kusch NStZ 1996 22; NStZRR 2002 12; BayObLGSt 1980 140 = NJW 1981 1795; BayObLG StV 1985 360; OLG Karlsruhe MDR 1980 251; KK/Greger 33; KMR/Gemählich 43; Meyer-Goßner/Schmitt 34; OK-StPO/Peglau 49; SK/Frister 49; Hamm 172; Börtzler MDR 1972 185. Die Ansicht, Absatz 4 sei eine Ordnungsvorschrift, dürfte kaum noch vertreten werden, vgl. dazu LR/Gollwitzer23 57. 245 BGHSt 37 287; KK/Greger 33. 246 Verneinend BGH StraFo 2007 502 f. (Fehlen der Urteilsformel unschädlich); vgl. aber OLG Stuttgart MDR 1995 843 und BayObLG NJW 1981 1795. 247 OLG Köln MDR 1972 260; KK/Greger 33. 248 H. M., etwa KK/Greger 36. 249 Auf die Abfassung des Protokolls haben die Verfahrensbeteiligten, abgesehen von § 273 Abs. 3, keinerlei Einflussmöglichkeit. Sie können lediglich die Berichtigung des fertiggestellten Protokolls beantragen, vgl. LR/Stuckenberg § 271, 47.

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gegen die Protokollierung für einen außerhalb des Verfahrens liegenden Zweck beantragt, so ist die Ablehnung der Beschwerde zugänglich.250 Mit ihr kann jedoch nur geltend gemacht werden, dass die Protokollierung rechtsfehlerhaft verweigert wurde, nicht aber, dass der Vorgang inhaltlich falsch oder wegen tatsächlicher Zweifel nicht in das Protokoll aufgenommen wurde. Dem Beschwerdegericht ist jede Nachprüfung des Protokolls in tatsächlicher Hinsicht versagt.251 Es kann die für das Protokoll Verantwortlichen auch nicht anweisen, was sie inhaltlich zu protokollieren haben oder dass sie einen Vorgang in das Protokoll aufnehmen, den sie inhaltlich nicht oder anders in Erinnerung haben.252 2. Revision 67

a) Mangel des Protokolls. Auf einen Mangel des Protokolls als solchen kann die Revision nicht gestützt werden.253 Dies gilt auch, wenn die Protokollierung eines gescheiterten Verständigungsangebots in der Hauptverhandlung254 oder das Negativtestat nach Absatz 1a Satz 3 fehlt255 (Rn. 37 und § 257c, 97), wenn die Ordnungsvorschriften über die Verlesung und Genehmigung einer Niederschrift nach Absatz 3 Satz 3 nicht beachtet worden sind256 oder wenn ein Vorgang nicht so beurkundet wurde, wie es „auf ihn ankommt“. Eine Verletzung der Protokollierungspflicht aus § 273 Abs. 1a Satz 2 liegt schon gar nicht vor, wenn eine gebotene Belehrung oder Mitteilung unterlassen wurde und das Protokoll sie dementsprechend nicht verzeichnet oder eine unzureichende Mitteilung vom Protokoll getreu wiedergegeben wird – in diesen Fällen ist allein die jeweilige Belehrungs- oder Mitteilungspflicht verletzt worden.257 Werden Anträge auf Beurkundung eines Vorgangs (Absatz 3) zu Unrecht abgelehnt, so beruht das Urteil in aller Regel nicht auf diesem Verstoß. Dies gilt zunächst für alle Fälle, in denen der Vorgang für Zwecke festgehalten werden soll, die außerhalb des Verfahrens liegen. Dies gilt aber auch, wenn damit der Nachweis eines Verfahrensfehlers für die Revisionsinstanz gesichert werden soll, denn das Urteil beruht allenfalls auf dem Verfahrensfehler selbst, es beruht aber niemals auf der unterbliebenen Protokollierung als solcher.258 Von der Revision gerügte Verfahrensfehler können im Wege des Freibeweises aufgeklärt werden, soweit nicht bei wesentlichen

250 KK/Greger 36; KMR/Gemählich 46; Meyer-Goßner/Schmitt 35; MüKo/Valerius 71; SK/Frister 51; SSW/ Güntge 27. Sofern man einen Anspruch auf Protokollierung zu diesem Zweck bejaht, enthält die Ablehnung auch eine Beschwer, nicht dagegen die Protokollierung. 251 KMR/Gemählich 46; SK/Frister 52. 252 Die Rechtslage ist hier dieselbe wie bei Anfechtung der Protokollberichtigung, vgl. LR/Stuckenberg § 271, 79. 253 Vgl. LR/Stuckenberg § 271, 76 m. w. N.; LR/Franke26 § 337, 62. 254 A. A. OLG Nürnberg StV 2015 282, 283 (absoluter Revisionsgrund). 255 BVerfG 9.12.2015 – 2 BvR 1043/15 Rn. 9 ff. m. w. N.; BGHSt 59 130, 133 ff. mit Anm. Kudlich NStZ 2014 285; BGH NStZ 2011 170; 2014 418; HK/Julius/Beckemper 22; KK/Greger 15e und § 271, 25; Meyer-Goßner/ Schmitt 12c, 36; MüKo/Valerius 74; SK/Frister 54a f.; s. a. Stuckenberg ZIS 2013 212, 216; Altvater StraFo 2014 221, 227; Schneider NStZ 2014 252, 256; a. A. BGHSt 58 310, 311 f. (ausnahmsweise zulässige Protokollrüge); BGH StV 2014 67; NStZ 2015 353 f. mit Anm. Feldmann 474; Knauer NStZ 2013 433, 436; Lam StraFo 2014 407, 408 ff.; ähnl. für eine Verletzung von § 273 Abs. 1a Satz 2 OLG Bremen StV 2016 790 (wobei unklar ist, ob ein Protokollfehler vorlag, vgl. Fn. 257). 256 BGH VRS 11 (1956) 436; BGH NStZ 2015 416, 417; KK/Greger 35; KMR/Gemählich 47; a. A. SK/Frister 59. 257 BGH NStZ 2014 418; 2018 363, 364; NStZ-RR 2015 223 f. (insoweit nicht in BGHSt 60 150); NZWiSt 2016 64, 67; StV 2018 6, 7 f.; LR/Becker § 243, 61; a. A. wohl OLG Bremen StV 2016 790. 258 BGH bei Kusch NStZ 1994 25; AK/Lemke 26; HK/Julius/Beckemper 22; KK/Greger 35; KMR/Gemählich 47; Meyer-Goßner/Schmitt 36; MüKo/Valerius 76; OK-StPO/Peglau 51; Radtke/Hohmann/Pauly 45; SSW/ Güntge 20, 28; Ulsenheimer NJW 1980 2273, 2277 (bei nicht verfahrensrelevanten Protokollierungen).

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 273

Förmlichkeiten die Beweiskraft des § 274 entgegensteht; diese entfällt auch dann, wenn aus dem Protokoll ersichtlich ist, dass der Antrag auf Protokollierung zu Unrecht abgelehnt wurde.259 Wird die Ablehnung der wörtlichen Protokollierung einer Aussage nur unter dem Blickwinkel der Beweiserschwerung im laufenden Verfahren beanstandet, so scheitert die Revision schon daran, dass nach der vorherrschenden Meinung kein Anspruch auf Protokollierung für diesen Zweck besteht.260 Nur wer einen solchen Anspruch mit der Mindermeinung bejaht und annimmt, dass schon das Fehlen eines Wortprotokolls Beweiswürdigung und Entscheidung des erkennenden Gerichts beeinflusst haben kann,261 kommt zur Verfahrensrüge nach § 337 i. V. m. § 273 Abs. 3 und, wenn ein ablehnender Gerichtsbeschluss vorliegt, beim Angeklagten auch nach § 338 Nr. 8.262 b) Widersprüche zwischen Protokollinhalt und Urteil. Die Revision kann nach 68 vorherrschender Ansicht weder im Rahmen der Sachrüge noch mit der die Protokollwidrigkeit behauptenden Verfahrensrüge darauf gestützt werden, dass im Protokoll die Aussage eines Zeugen oder eine Einlassung des Angeklagten anders wiedergeben ist als in den Urteilsgründen.263 Wenn dagegen der Wortlaut der Aussage nach Absatz 3 festgehalten worden ist, ist strittig, ob im Rahmen einer Verfahrensrüge (insbesondere § 244 Abs. 2, § 261) beanstandet werden kann, dass die Urteilsgründe den Inhalt einer durch Wortprotokoll festgehaltenen Aussage abweichend von diesem wiedergeben, ohne sich mit diesem Widerspruch auseinanderzusetzen. Anerkannt ist bisher, dass ein mit der Aufklärungsrüge zu beanstandender Verstoß gegen § 261 vorliegt, wenn sich das Urteil nicht mit einer nach Absatz 3 wörtlich niedergeschriebenen, verlesenen und genehmigten Aussage auseinandersetzt, obwohl dies geboten war.264 Entsprechend ist anzunehmen, dass auch eine Tonbandaufnahme nach Absatz 2 Satz 2 einen vergleichbar großen Beweiswert hat, der es erlaubt, den Gegenbeweis gegen die Urteilsfeststellungen ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung zu führen.265 Bei einer Inhaltszusammenfassung nach Absatz 2 Satz 1 kommt ein Erörterungsmangel jedenfalls dann in Betracht, wenn eindeutige Abweichungen oder Widersprüche zwischen Urteilsfeststellungen und Protokollinhalt nicht im Rahmen der Beweiswürdigung angesprochen wurden.266

259 RG JW 1930 1505. 260 Vgl. Rn. 59; RGSt 32 239; BGH NJW 1966 63; auch Ulsenheimer NJW 1980 2273, 2277 sieht diese Konsequenz. 261 Dagegen Foth JR 1982 253; Sieß NJW 1982 1625, 1627 (Richter bedürfen hinsichtlich des Inhalts der Hauptverhandlung keines Beweismittlers in Form des Protokolls). 262 Revisibilität des Verstoßes nehmen an: OLG Bremen JR 1982 2562 mit Anm. Foth; OLG Schleswig SchlHA 1954 387; Dünnebier DJT 1955 Bd. II G 15 Fn. 120; Kohlhaas NJW 1974 23, 24; Ulsenheimer NJW 1980 2273, 2277; AK/Lemke 26; HK/Julius/Beckemper 23; SK/Frister 58 ff. 263 Vgl. RGRspr. 7 (1885) 106; 9 (1887) 379; RGSt 58 59; BGHSt 7 370; 21 149, 151; 29 18, 20; BGH NJW 1966 63; VRS 38 (1970) 115; OLG Bremen OLGSt 5; AK/Lemke 27; KK/Greger 19; KMR/Gemählich 48; Hamm 306; vgl. LR/Sander § 261, 259; LR/Franke26 § 337, 56 ff. 264 BGHSt 38 14, 16 f. mit zust. Anm. Fezer JZ 1992 107, 108; BGH StV 2002 354 f. (auch zum notwendigen Revisionsvorbringen); NStZ-RR 2009 180; OLG Brandenburg NStZ-RR 2009 247; OLG Hamm NStZ-RR 2006 18; OLG Schleswig SchlHA 2007 287; HK/Julius/Beckemper 22; KK/Greger 31; KMR/Gemählich 48; OK-StPO/Peglau 52; SK/Frister 55; Hamm 283; Geißler 77 ff., 101 ff.; Reichling 249 ff.; Schröder 66 ff., 123 ff.; Müller FS Volk 485, 491; Ulsenheimer NJW 1980 2273, 2278; offenlassend BayObLG NStZ 1990 508, 509. 265 HK/Julius/Beckemper 22; KMR/Gemählich 48; Meyer-Goßner/Schmitt 36 und § 337, 14; SK/Frister 56; SSW/Güntge 28; Neuhaus StV 2004 620, 625; vgl. OLG Stuttgart NStZ 1986 41. 266 Anders die h. M., vgl. Fn. 263 und BGHSt 38 14, 16; BayObLG NStZ 1990 508; OLG Brandenburg NStZ-RR 2009 247; OLG Hamm NStZ-RR 2006 18; OLG Koblenz VRS 46 (1974) 435, 436; wie hier SK/Frister 57; Sarstedt JZ 1965 292, 293; Pelz NStZ 1993 361, 363; Sieß NJW 1982 1625, 1628.

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§ 274

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Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

Bei Widersprüchen zwischen Protokoll und Urteil muss unterschieden werden, ob es sich um Förmlichkeiten der Hauptverhandlung handelt, die durch die Sitzungsniederschrift, oder um Erwägungen in der Beratung, die durch die Urteilsgründe bewiesen werden.267 Letztere sind grundsätzlich allein dafür maßgebend, was der Zeuge ausgesagt hat; nur in Ausnahmefällen, in denen dies ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung nachgeprüft werden kann, ist dem Revisionsgericht bei einer entsprechenden Verfahrensrüge auch insoweit eine Nachprüfung möglich.268 Ob dagegen ein bestimmter Zeuge vernommen und beeidigt oder nicht beeidigt worden ist, das zu beurkunden ist Aufgabe der Sitzungsniederschrift. Weichen Angaben des Urteils, das nicht die Aufgabe hat, Vorgänge solcher Art im Widerspruch zum Protokoll verbindlich festzustellen, von den im Protokoll beurkundeten Vorgängen ab, so kann das bei entsprechender Verfahrensrüge zur Aufhebung des Urteils führen, denn Protokoll und Urteil werden insoweit als Einheit behandelt.269 Ein echter, nicht behebbarer Widerspruch zwischen beiden (also nicht nur ein durch ein Schreib- oder Fassungsversehen bedingter scheinbarer Widerspruch) kann auf die Revision hin das Urteil zu Fall bringen,270 so kann beispielsweise aus dem Widerspruch unter Umständen gefolgert werden, das Gericht habe etwas zur Urteilsgrundlage gemacht, was nicht Inbegriff der Hauptverhandlung gewesen sei.271 Ob die Aufklärungsrüge auf den Widerspruch zwischen den Urteilsfeststellungen und dem Protokollinhalt gestützt werden kann, ist strittig.272

§ 274 Beweiskraft des Protokolls 1 Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. 2Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

Schrifttum vgl. bei § 271.

Entstehungsgeschichte Die Vorschrift gilt sachlich unverändert seit Inkrafttreten der RStPO. Nur die Worte „Inhalt desselben“ wurden bei der Neubekanntmachung vom 22.3.1924 (RGBl. I S. 299) durch „Inhalt des Protokolls“ ersetzt.

Hamm 304, vgl. LR/Stuckenberg § 274, 26; § 275, 62 ff.; LR/Franke26 § 337, 46, 56 ff. Vgl. Rn. 45; LR/Becker § 244, 365; LR/Sander § 261, 256 ff.; LR/Franke26 § 337, 49 ff., 79. BGH NJW 1953 155; vgl. LR/Franke26 § 337, 48. BGH NStZ-RR 2011 20 (fehlende Feststellung der Kenntnisnahme nach § 249 Abs. 2 Satz 3 begründet die Inbegriffsrüge); StV 2002 531 (Protokoll beweist Schweigen des Angeklagten, Urteilsgründe stützen sich auf Sacheinlassung); OLG Braunschweig NdsRpfl. 1954 76; Hülle DRiZ 1952 93. Auch im umgekehrten Fall ist § 261 verletzt, OLG Köln StV 2004 7 (Protokoll vermerkt Sacheinlassung, Urteilsgründe gehen vom Schweigen des Angeklagten aus). 271 Vgl. LR/Sander § 261, 256 und LR/Franke26 § 337, 57 ff.; etwa OLG Köln StV 2004 311, 312. 272 Vgl. LR/Becker § 244, 46 ff.; SK/Frister 55; Geißler 74 ff.; Reichling 254 ff.; verneinend KG JR 1968 195.

267 268 269 270

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

1.

2. 3. 4.

Übersicht Bedeutung der Vorschrift 1 a) Regelungsgehalt 1 b) Zweck der formellen Beweiskraft 4 c) Kritik 5 Voraussetzungen der ausschließlichen Beweiskraft 7 Auslegung des Protokolls 11 Umfang der Beweiskraft 12 a) Nur anhängiges Strafverfahren, nur für übergeordnetes Gericht 12 b) Für die Hauptverhandlung vorgeschriebene Förmlichkeiten 14 c) Nur Vorgänge in der Hauptverhandlung 19

5.

6.

7.

§ 274

21 d) Beeidigung der Schöffen Wirkung der ausschließlichen Beweiskraft 22 a) Positive und negative Beweiskraft 22 b) Ausschließlichkeit 26 Wegfall der Beweiskraft 28 a) Offensichtliche Lücken 29 b) Widersprüche, sonstige Mängel c) Protokollberichtigung 34 Fälschung 35

32

1. Bedeutung der Vorschrift a) Regelungsgehalt. Die verbreitet als „Beweisregel“1 bezeichnete Vorschrift des 1 § 274 enthält, ebenso wie die Schwestervorschrift des § 165 ZPO, bei genauerer Betrachtung mehrere Regeln, die zusammen die sogenannte formelle „Beweiskraft“ des Protokolls ergeben:2 Satz 1 formuliert eine Beweismittelregel, die das Sitzungsprotokoll unter Ausschluss aller übrigen zum einzigen Beweismittel für die vorgeschriebenen Förmlichkeiten des Verfahrens bestimmt. Unausgesprochen enthält das Zusammenspiel beider Sätze eine Vermutung der Echtheit des Protokolls, aus der die Vermutung seiner Wahrheit folgt,3 aus der sich die positive Beweiskraft ergibt, sowie eine Vermutung der Vollständigkeit, aus der die negative Beweiskraft folgt. Der historische Gesetzgeber wollte an sich nach preußischem Vorbild die Beweiswirkung dieser Vermutungen4 absolut stellen und keinerlei Gegenbeweis der Unrichtigkeit erlauben,5 entschied sich dann aber aus unbekannten Gründen doch, nach französischem Vorbild6 den – im deutschen Recht einmaligen7 und praktisch nicht führbaren8 – Gegenbeweis der Fälschung zuzulassen, der die Echtheitsvermutung widerlegen und die darauf aufbauenden Wahrheitsund Vollständigkeitsvermutungen entfallen lassen würde.

1 BGHSt 51 88, 95; 51 298, 303; sowie Fn. 9; krit. zur oft ungenauen Rede von „Beweisregeln“ Meurer FS Oehler 357 ff., 362 ff. 2 Wie hier Beling 324 f.; Schumann JZ 2007 927, 930; etwas anders Meurer FS Oehler 357, 375 Fn. 54 (Beweisthema-, Beweismittel- und Beweismittelausschlussregel); schief Schröder 42. 3 Dies entspricht nach tradierter Beweislehre den Charakteristika öffentlicher Urkunden (praesumtio legalitatis), vgl. Endemann Die Beweislehre des Civilprozesses (1860) 300 ff., 360 ff., 366 m. w. N. und Kritik; ders. Das Deutsche Civilprozeßrecht (1868) 746 f. 4 Zur Struktur und beweisersetzenden Wirkung rechtlicher Vermutungen s. Stuckenberg Untersuchungen zur Unschuldsvermutung (1997) 453 ff., insb. 462 ff. m. w. N. 5 Hahn 257 f. Die Militärstrafgerichtsordnung vom 1.12.1898 ließ hingegen den Gegenbeweis der bloßen Unrichtigkeit zu, § 335 MStGO. 6 Näher Stuckenberg FS Rüßmann 639, 645 ff. 7 Fast wortgleich sind § 165 ZPO und § 131 FlurbG; einen Fälschungsbeweis enthält auch der 2001 (BGBl. I S. 1887) neu eingeführte § 139 Abs. 4 Satz 3 ZPO, um Beweiserhebungen über die Hinweiserteilung auszuschließen, BRDrucks. 536/00 S. 200. 8 Vgl. BGHSt 2 125, 126 („so gut wie nie“); Alsberg/Güntge 1637; Gollwitzer JR 1980 518, 519; Stenglein GS 45 (1891) 81, 84; G. Schäfer FS BGH 707, 711; Tepperwien FS Meyer-Goßner 595, 596.

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§ 274

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

Als Ausnahme von dem Gebot, bei der Behauptung von Verfahrensmängeln mit den Mitteln des Freibeweises die wahre Sachlage zu erforschen, schränkt die Vorschrift in den durch diesen Zweck gezogenen Grenzen Freibeweis und freie Beweiswürdigung ein9 und macht stattdessen die formelle Wahrheit10 des Protokolls verbindlich. Spielraum bleibt dem Richter nur bei der Auslegung des Protokolls (Rn. 11). Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten wird für die nachfolgenden Instanzen nur durch das Sitzungsprotokoll mit ausschließlicher Beweiskraft bewiesen. Eine darüber hinausreichende Beweisregelung enthält die eng auszulegende11 Vorschrift nicht. Ihre analoge Anwendung auf außerhalb der Hauptverhandlung erstellte richterliche Protokolle ist ausgeschlossen.12 3 Daraus folgt, dass das Hauptverhandlungsprotokoll keine öffentliche Urkunde ist, die öffentlichen Glauben für oder gegen jedermann begründet (vgl. Rn. 12).13

2

4

b) Zweck der formellen Beweiskraft. Zweck der formellen Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls ist die Vermeidung schwieriger und letztlich fruchtloser Beweiserhebungen in den höheren Instanzen über die Verfahrensvorgänge in den Vorinstanzen und darauf zielender missbräuchlicher Verfahrensrügen.14 Dem Ausschluss anderer Beweismittel lag zum einen die Annahme zugrunde, dass in der Hauptverhandlung geschehene Formverletzungen, die dort nicht umgehend gerügt worden waren, im Nachhinein durch kein Beweismittel, nicht einmal durch amtseidliche Erklärung der Gerichtsmitglieder, mehr zuverlässig festgestellt werden können,15 zum anderen sollte dadurch dem Angeklagten die Möglichkeit genommen werden, „die Rechtsbeständigkeit des gegen ihn stattgehabten Verfahrens durch leere Ausflüchte für geraume Zeit in Frage zu stellen“.16 Missliche Erfahrungen aus Partikularrechten ohne eine solche strenge Beweisregel sind in den Motiven allerdings nicht mitgeteilt. Obwohl zur Zeit der Gesetzesgenese die Klage über nachlässig geführte Gerichtsprotokolle verbreitet war,17 hat der Reichsjustizgesetzgeber die Konsequenz, dass die Verabsolutierung fehlerhafter Protokolle zu materiell falschen Rechtsmittelentscheidungen führen muss in Gestalt der Ver9 RGSt 58 58; 58 378; 59 19; OGHSt 1 279; BGHSt 2 126; AK/Lemke 1; HK/Julius/Beckemper 1; KK/Greger 7; KMR/Gemählich 1; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Valerius 1; OK-StPO/Peglau 2; Radtke/Hohmann/Pauly 1; SK/Frister 2; SSW/Güntge 1; Eb. Schmidt 1; Werner DRiZ 1955 180, 183; a. A. Meurer FS Oehler 357, 375: keine Einschränkung der freien Beweiswürdigung, vgl. hingegen zutr. Beling 324 f. 10 BGHSt 2 125, 126 („Der in der Niederschrift beurkundete Sachverhalt bildet nach dem Gesetz ohne Rücksicht auf die wirklichen Vorkommnisse in der Hauptverhandlung die Grundlage des Verfahrens.“); auch RGSt 43 1, 6; BGHSt 26 281, 283; 36 354, 358 m. w. N.; verkannt von BGHSt 51 88, 95; 51 298, 310; KK/Greger 1; dazu LR/Stuckenberg § 271, 63 m. w. N. 11 BGHSt 26 281, 282; 36 354, 358 f.; HK/Julius/Beckemper 1; MüKo/Valerius 3; SK/Frister 2; vgl. Rn. 12. 12 BGHSt 26 281, 282 ff.; AK/Lemke 2; HK/Julius/Beckemper 1; KK/Greger 3; KMR/Gemählich 3; MeyerGoßner/Schmitt 4; MüKo/Valerius 3; SK/Frister 2; SSW/Güntge 3; a. A. RGSt 55 5; RGRspr. 5 (1883) 268. 13 RGSt 58 378, 379; 59 13, 19; OLG Freiburg HESt 1 272, 274; OLG Hamm NJW 1977 592 ff.; AK/Lemke 1; KK/Greger 1; KMR/Gemählich 2; Meyer-Goßner/Schmitt 7; MüKo/Valerius 4; SK/Frister4 4; Eb. Schmidt 16; a. A. RGSt 46 112, 113; 58 58, 60; BGHSt 51 88, 98 (obiter); SK/Frister5 4; Dießner StV 2011 43, 47; Verjans FS Feigen 283, 287. Vgl. die gegenteilige Sicht für § 165 ZPO bei BGH NJW-RR 1994 386, 387; 2007 1451 f.; BVerwG NJW 1989 1233 f.; OLG Frankfurt DNotZ 2011 48, 50. 14 Zur gleichen Motivation des § 165 ZPO und der Vorgängervorschriften in den vorausgehenden Entwürfen zur ZPO, die auf das Strafprozessrecht verweisen, s. Stuckenberg FS Rüßmann 639, 643 ff. 15 Hahn 257 f. 16 Hahn 257. 17 Vgl. nur Protokolle der Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs einer Civilprozeßordnung für die Staaten des Norddeutschen Bundes (1868) 312; Endemann Die Beweislehre des Civilprozesses (1860) 305 m. w. N.

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§ 274

werfung an sich begründeter Rechtsmittel, wenn das Protokoll vorgefallene Fehler nicht belegt, sowie der Aufhebung an sich fehlerfreier Urteile, wenn das Protokoll Verfahrensfehler verzeichnet, die nicht geschehen sind, offenbar für so vernachlässigenswert gehalten, dass sie nicht einmal angesprochen wurde. c) Kritik. Starre Beweisregeln dieser Art, ohnehin Fremdkörper im reformierten Pro- 5 zess, waren wegen der damit zwingend verbundenen misslichen Folgen stets umstritten,18 und auch § 274 wurde nach Inkrafttreten der StPO bald heftig kritisiert.19 Reformbestrebungen zur Ausdehnung des Gegenbeweises setzten bereits 1883 ein,20 jedoch blieb die Vorschrift bis heute unverändert. Erträglich wurde die starre Beweisregel in der Praxis durch mehrere Umgehungsstrategien21 wie die enge Auslegung der Tatbestandsvoraussetzung der „(wesentlichen) Förmlichkeit“,22 den Wegfall der Beweiskraft bei großzügig23 angenommener Lückenhaftigkeit oder Widersprüchlichkeit des Protokolls (Rn. 29 ff.) mit der Folge der Eröffnung des Freibeweises und vor allem durch die Anerkennung der Möglichkeit der nachträglichen Berichtigung des Sitzungsprotokolls nebst deren Beachtlichkeit im Rechtsmittelzug (§ 271, 43 ff.). Vor allem die Berichtigung mindert die Härte des praktisch unmöglichen Gegenbeweises der Fälschung beträchtlich, weil sie funktional der Zulassung des Gegenbeweises der Unrichtigkeit entspricht – und deshalb mit dem Regelungskonzept des § 274 unvereinbar ist (§ 271, 63).24 Dass sich die Beweisregel des § 274 bisher bewährt habe, lässt sich daher kaum 6 sagen. Vielmehr ist nicht erst seit Zulassung der Rügeverkümmerung durch BGHSt 51 298 (§ 271, 61 ff.) ein erhebliches praktisches Bedürfnis festzustellen, fehlerhaften Protokollen nicht die vom Gesetzgeber vorgesehene Wirkung beizumessen. Zudem erscheinen heute Prämisse und Ziel der Norm überzogen und nicht mehr haltbar. Denn die Annahme des historischen Gesetzgebers, die nachträgliche Beweisführung über Einzelheiten der Hauptverhandlung sei immer unmöglich, weil auch die beteiligten Gerichtspersonen außerstande seien, „nachträglich ein bestimmtes Zeugniß abzugeben“,25 ist sowohl durch die über hundertjährige Praxis der Berichtigung, die die sichere Erinnerung beider Urkundspersonen voraussetzt, als auch durch die freibeweislichen Erhebungen26 bei Widersprüchen oder Lücken des Protokolls längst widerlegt. Der Normzweck, Beweiserhebungen über Verfahrensvorgänge der Vorinstanz auszuschließen, die sich der Gesetzgeber zu Unrecht nur als missbräuchlich vorstellen konnte, wurde also nicht nur teilweise verfehlt, sondern entbehrt angesichts der Fehleranfälligkeit des Protokolls aus rechtsstaatlicher Sicht auch der Berechtigung. Zu erwägen ist deshalb die sorgsame 18 Vgl. nur Schwarze GS 15 (1863) 1, 13 f. Für ihre Abschaffung schon von Hippel Der Entwurf einer Strafprozeßordnung, in: Mittermaier/Liepmann (Hrsg.), Schwurgerichte und Schöffengerichte, Band II, Heft 1 (1909) 123. 19 Stenglein GS 45 (1891) 81, 91 ff., 110; Beling 325 Fn. 1 („Mißgriff“); w. N. bei Ott 70 ff. und LR/Stuckenberg § 271, 63 Fn. 189. 20 Dazu Ott 83 f.; Danckert 38 ff., jew. m. w. N. 21 Näher G. Schäfer FS BGH 707, 710 ff. 22 Vgl. Fn. 11; G. Schäfer FS BGH 707, 719 ff. 23 Vgl. BGHSt 51 298, 313 f.; Fezer FS Otto 901, 904 ff.; G. Schäfer FS BGH 707, 712 ff.; Tepperwien FS Meyer-Goßner 595, 606 ff., jew. m. w. N.; SK/Frister 21 f. 24 Dass das dem § 274 entsprechende Fälschungserfordernis in § 165 ZPO durch Zulassung der Berichtigung seine Wirkung verliert, hat der Gesetzgeber übersehen, als er 1974 (BGBl. I S. 3651) das Berichtigungsverfahren des § 164 ZPO einfügte, vgl. BRDrucks. 551/74 S. 63. 25 Hahn 258. 26 Vgl. auch Gollwitzer FS Gössel 543, 559, der die nachträgliche Aufklärung von Verfahrensvorgängen im Wege des Freibeweises für „meist ohne größere Schwierigkeiten möglich“ hält.

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§ 274

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

Prüfung der Streichung des § 274 sowie die Reform der Protokollierungsvorschriften insgesamt.27 2. Voraussetzungen der ausschließlichen Beweiskraft. Voraussetzung der ausschließlichen Beweiskraft ist eine Sitzungsniederschrift, die ordnungsgemäß aufgenommen28 worden und deren Inhalt übereinstimmend durch die Unterschriften des Vorsitzenden und des Protokollführers gedeckt ist (§ 271, 20 ff.). Der Sitzungsniederschrift dürfen keine äußeren Fehler wie unklare Durchstreichungen, Ausschabungen und unbeglaubigte Randvermerke anhaften.29 Sie darf inhaltlich weder eine offensichtliche Lücke noch einen Widerspruch aufweisen (Rn. 29 ff.). Ein Protokoll, das diese Voraussetzungen nicht erfüllt, hat in dem vom Fehler be8 troffenen Teil, bei schwerwiegenden oder nicht eingrenzbaren Mängeln aber insgesamt, keine Beweiskraft nach § 274.30 Dies bedeutet aber nicht, dass dann das Vorbringen eines Beschwerdeführers über den durch das Protokoll nicht bewiesenen Verfahrensvorgang, etwa den vom Beschwerdeführer gestellten Beweisantrag, ohne weiteres als wahr anzunehmen wäre31 oder dass umgekehrt der Verfahrensverstoß als nicht bewiesen verneint wird; es tritt die freie Beweiswürdigung an die Stelle der Regel des Satzes 1.32 Bei dieser können alle geeigneten Beweismittel herangezogen werden, so vor allem die Urteilsgründe und eingeholten dienstlichen Äußerungen von Richtern, Staatsanwalt und Urkundsbeamten, die Protokollentwürfe und die sonstigen Aufzeichnungen von Verhandlungsteilnehmern sowie auch sonstige Bekundungen von Personen, die in der Hauptverhandlung anwesend waren.33 Wird nach Heranziehung aller geeigneten Erkenntnisquellen der behauptete Verfahrensverstoß als nicht bewiesen erachtet, scheitert die darauf gestützte Verfahrensrüge.34 Gleiches gilt nach herrschender Ansicht, wenn eine der Personen, die das Protokoll un9 terzeichnet hat, den Inhalt durch einen entsprechenden Vermerk oder in einer dienstlichen Äußerung nachträglich für unrichtig erklärt oder in Zweifel stellt,35 so dass seine Richtigkeit nicht mehr von ihr bezeugt wird. Dieser nachträgliche Entzug der Beweiskraft durch die Urkundspersonen ist wie die nachträgliche Berichtigung nach herrschender Meinung zwar 7

27 Dazu LR/Stuckenberg § 271, 1a, 64 m. w. N. 28 BGHSt 51 298, 303; BGH GA 1962 305; NJW 1976 977; OLG Hamburg StV 2004 298 mit abl. Anm. Ventzke und Klemke StV 2004 598; KMR/Gemählich 4; Meyer-Goßner/Schmitt 15; MüKo/Valerius 5; OKStPO/Peglau 1; Radtke/Hohmann/Pauly 2; SSW/Güntge 8. 29 RGSt 64 309, 310; vgl. LR/Stuckenberg § 271, 5 f., 16. 30 BGHSt 16 308; 17 222. 31 So aber RGSt 57 323; 59 429; RG JW 1930 557. Zur Gegenmeinung vgl. Fn. 32. 32 BVerfG StV 2002 521; RGSt 49 11; 63 408, 410; RG JW 1931 2824; BGHSt 4 364; 17 220; 31 39; BGH NJW 1976 977; 1982 1057; JR 1961 508; NStZ 1993 51; 2000 546; 2002 270, 272; BGH bei Dallinger MDR 1952 659; BayObLG DRiZ 1931 Nr. 612; BayObLGSt 1949/51 120; 1953 135 = NJW 1953 1524; 1960 125; KG JW 1931 1635; VRS 129 (2015) 143, 144; OLG Brandenburg NStZ 1995 52; OLG Hamm NStZ-RR 2008 382, 383; OLG Köln NJW 1952 758; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1954 34; OLG Saarbrücken VRS 48 (1975) 439; KK/ Greger 11, 17; KMR/Gemählich 18; Meyer-Goßner/Schmitt 18; MüKo/Valerius § 274, 27; OK-StPO/Peglau 26; SK/Frister 18; Eb. Schmidt 1; Alsberg/Güntge 1644; Ditzen Dreierlei Beweis 60; G. Schäfer FS BGH 707, 712; a. A. KG JR 1971 167; ferner die Entscheidungen in Fn. 31. 33 Vgl. die Beispiele bei KK/Greger 18. 34 BVerfG StV 2002 521; OLG Saarbrücken VRS 48 (1975) 439; HK/Julius/Beckemper 10; Meyer-Goßner/ Schmitt 18; SK/Frister 21; a. A. Hamm 310. 35 RGSt 57 394, 396; 67 287; RG JW 1929 2740; 1930 716; 1931 2506; HRR 1937 Nr. 286; BGHSt 4 364; BGH NJW 1954 364; 1969 281; NStZ 2014 668, 669 mit Anm. Wollschläger StV 2015 100 und Bespr. Ventzke HRRS 2015 64; BGH GA 1963 19; 1970 240; bei Dallinger MDR 1953 273; BayObLGSt 1956 226; 1960 125;

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 274

möglich, aber mit dem Zweck der Vorschrift nicht vereinbar, vgl. § 271, 50, 63, ferner Rn. 26. Zur Rügeverkümmerung kann sie auch nach neuer Rechtsprechung nicht führen, weil dafür die sichere Erinnerung beider Urkundspersonen vonnöten ist (§ 271, 65 ff.). Die Beweiskraft des Protokolls entfällt nach vorherrschender Ansicht auch, wenn 10 sich ergibt, dass ein Vorgang nur deshalb nicht in das Protokoll aufgenommen worden ist, weil er von den Urkundspersonen irrigerweise nicht als protokollierungsbedürftige wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens erkannt wurde,36 ferner, wenn das Gericht nach § 273 Abs. 3 Satz 2 die Beurkundung abgelehnt hat, obwohl es sich in Wirklichkeit um eine nach Absatz 1 in die Niederschrift aufzunehmende wesentliche Förmlichkeit gehandelt hat.37 3. Auslegung des Protokolls. Die Auslegung des Protokolls wird durch die Beweis- 11 kraft nicht eingeengt. Ist der Sinn eines Protokollvermerks zweifelhaft, missverständlich oder mehrdeutig, so ist eine freie, nicht am Wortlaut haftende Auslegung möglich.38 Das Protokoll ist dabei als Einheit anzusehen, auch wenn es aus mehreren Teilprotokollen besteht.39 Im Übrigen gelten dieselben Grundsätze wie auch sonst bei der Auslegung schriftlicher Erklärungen. Das übergeordnete Gericht ist deshalb bei Heranziehung des Protokolls nicht genötigt, dem naheliegendsten Wortsinn zu folgen, sondern kann einen davon abweichenden Sinn als bezeugt feststellen, wenn sich für diesen sichere Anhaltspunkte ergeben.40 Hierbei sind außerhalb des Protokolls liegende Erkenntnisquellen heranziehbar,41 vor allem Urteilsgründe, Akteninhalt, dienstliche Äußerungen und auch die Revisionsbegründungsschrift.42 Der durch die Auslegung festgestellte Sinn eines Protokollvermerks hat die volle Beweiskraft des Protokolls. Lässt sich durch Auslegung kein eindeutiger Sinngehalt ermitteln und bleibt die Aussage eines Protokollvermerks mehrdeutig, so ist es unklar und die Beweiskraft des Protokolls entfällt insoweit.43

1973 200; BayObLG AnwBl. 1978 154; bei Rüth DAR 1984 245; OLG Celle ZfSch 2015 413; OLG Hamburg GA 1967 121; OLG Hamm NJW 1954 156; VRS 60 (1981) 206; OLG Jena NStZ-RR 1997 10; OLG Köln NJW 1952 758; OLG Saarbrücken OLGSt § 271, 2; OLG Schleswig MDR 1960 521; Busch JZ 1964 746, 747; a. A. Beling JW 1927 126. Alsberg/Güntge 1645 (auch SSW/Güntge 12) zweifelt, ob diese Rspr. nach BGHSt 55 31 noch Bestand hat. 36 RGSt 64 310; RG JW 1930 1505; AK/Lemke 8; Meyer-Goßner/Schmitt 16; Radtke/Hohmann/Pauly 5; SK/Frister 16; Alsberg/Güntge 1646; Alsberg JW 1930 3859; a. A. KK/Greger 11 (Berichtigung geboten, sonst negative Beweiskraft); G. Schäfer FS BGH 707, 711 (es kann nicht darauf ankommen, was die Urkundsbeamten für protokollpflichtig halten); vgl. auch Rn. 35; Eb. Schmidt 4; krit. MüKo/Valerius 16. 37 Vgl. LR/Stuckenberg § 273, 67. 38 RG JW 1926 2761; BGHSt 4 140, 141 f.; 13 53, 59; 31 39; BGH NStZ 1991 143, 144; 2011 51; NStZ-RR 2004 237; 2005 260 f.; bei Dallinger MDR 1952 660; 1956 398; BGH 10.12.2018 – 5 StR 270/18 Rn. 12; BayObLGSt 1994 89 = NJW 1995 976; OLG Hamm JZ 1957 227; KG VRS 43 (1972) 199; OLG Schleswig SchlHA 1954 387; KK/Greger § 271, 14; KMR/Gemählich 5; Meyer-Goßner/Schmitt 5; OK-StPO/Peglau 3; Radtke/ Hohmann/Pauly 6; SSW/Güntge 2; Eb. Schmidt Nachtr. I 2; Alsberg/Güntge 1638; Beling 324 Fn. 5; Mittelbach JR 1955 330; G. Schäfer FS BGH 707, 715; Schumann JZ 2007 927, 930; vgl. auch Fn. 40. 39 Vgl. LR/Stuckenberg § 271, 10 ff. 40 RG JW 1926 2761; 1932 421 mit Anm. Löwenstein; JW 1932 3110; OGHSt 1 277; BGHSt 13 59; BGH bei Dallinger MDR 1956 398; JR 1961 508; OLG Hamburg MDR 1979 74 mit Anm. Strate; OLG Schleswig SchlHA 1954 387; vgl. auch OLG Düsseldorf JMBlNW 1963 215. 41 RGSt 1 32; RG JW 1927 126 mit Anm. Beling; JW 1931 2821 mit Anm. von Scanzoni; OLG Celle NJW 1947/48 394; KG VRS 43 (1972) 199. 42 BGH NStZ 1991 143; BayObLGSt 1994 89 = NJW 1995 976; OLG Celle NJW 1947/48 394; KG VRS 43 (1972) 199; KMR/Gemählich 5; Meyer-Goßner/Schmitt 5; SK/Frister 12; Eb. Schmidt 5; Alsberg/Güntge 1638. 43 BGHSt 31 39; Meyer-Goßner/Schmitt 5; vgl. Rn. 8.

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§ 274

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4. Umfang der Beweiskraft a) Nur anhängiges Strafverfahren, nur für übergeordnetes Gericht. Die ausschließliche Beweiskraft des Protokolls gilt nur im anhängigen Strafverfahren und nur für das übergeordnete Gericht, das die Gesetzmäßigkeit des bisherigen Verfahrens nachprüft.44 Wird das Protokoll in einem anderen Verfahren zu Beweiszwecken herangezogen, kommt ihm diese Beweiskraft nicht zu. In einem Strafverfahren wegen Meineids hat beispielsweise das Gericht frei nachzuprüfen, ob der Protokollvermerk über die Beeidigung stimmt.45 Die Verfassungsgerichte können ohne Bindung an die Beweisregel des § 274 unter13 suchen, ob verfassungsrechtlich gewährleistete Verfahrensgrundsätze, vor allem das Recht auf Gehör, beachtet sind. Um Verfassungsverstöße nach Möglichkeit noch im Rahmen der ordentlichen Rechtsmittel beheben zu können, wird § 274 auch für das Revisionsgericht nicht als bindend angesehen, wenn es darum geht, nachzuprüfen, ob das Recht auf Gehör in Wirklichkeit und nicht nur dem Protokoll nach gewahrt ist.46 12

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b) Für die Hauptverhandlung vorgeschriebene Förmlichkeiten. Die Beweiskraft erfasst nur die für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten, das sind alle Vorgänge der Hauptverhandlung, die für deren Rechtsgang von Bedeutung sind, vor allem also die wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne des § 273 Abs. 1,47 aber auch die von § 272 geforderten Angaben, soweit sie die Hauptverhandlung, ihre Teilnehmer und ihren zeitlichen Verlauf bezeugen und abgrenzen.48 Es besteht aber kein innerer Grund, darüber hinaus auch alle sonst von § 272 geforderten Angaben als für die Hauptverhandlung vorgeschriebene Förmlichkeiten anzusehen und in die absolute Beweiskraft des § 274 mit einzubeziehen.49 Dies gilt vor allem für die in das Protokoll nach § 272 aufzunehmenden Einzelheiten über die Personalien sowie für die Bezeichnung der Straftat.50

44 BGHSt 26 281; AK/Lemke 1; HK/Julius/Beckemper 1; KK/Greger 1 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 7; MüKo/ Valerius 4; OK-StPO/Peglau 4; Radtke/Hohmann/Pauly 7; SSW/Güntge 4. 45 KMR/Gemählich 6; Meyer-Goßner/Schmitt 7; MüKo/Valerius 4; OK-StPO/Peglau 4; Radtke/Hohmann/ Pauly 7; SSW/Güntge 4; Sarstedt FS Hirsch 171, 186; G. Schäfer FS BGH 707, 708. 46 BGHSt 22 26 = JZ 1968 434 mit zust. Anm. Eb. Schmidt; BGH NJW 1990 1741; Hanack JZ 1973 729; Jagusch NJW 1959 267; AK/Lemke 2; HK/Julius/Beckemper 2; KK/Greger 2; MüKo/Valerius 4; SK/Frister 3. Zur allgemeinen Problematik vgl. Meyer FS Kleinknecht 267, 275; LR/Stuckenberg § 273, 7, 17. 47 RGSt 1 85; 53 177; BGHSt 51 298, 302 f.; OLG Bremen NJW 1975 1793. 48 Ob die Beweiskraft des § 274 alle von § 272 geforderten Angaben umfasst, ist strittig. RGSt 2 76; 66 419 nahmen das unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte an; ebenso wohl Eb. Schmidt § 272, 2. Nach Gössel § 34 B Ib 2; KMR/Gemählich 7; Meyer-Goßner/Schmitt 8 fallen unter § 274 nur die Angaben, die zugleich wesentliche Förmlichkeiten im Sinne des § 273 Abs. 1, 1a sind. KK/Greger 4 („soweit sie sich auf den Hergang der Hauptverhandlung beziehen“) zieht den Kreis etwas weiter. Für die Angaben über die Anwesenheit der Richter ging BGHSt 16 306, 308 von der an sich gegebenen Beweiskraft des Protokolls aus. 49 AK/Lemke 3; HK/Julius/Beckemper 5; KK/Greger 4; Meyer-Goßner/Schmitt 8; Radtke/Hohmann/Pauly 8; SSW/Güntge 5; wie SK/Frister 8 darlegt, besteht im Ergebnis kein wesentlicher Unterschied in der Beurteilung der Reichweite der Beweiskraft. 50 OLG Düsseldorf MDR 1990 359; KK/Greger 4; KMR/Gemählich 9; Meyer-Goßner/Schmitt 8; MüKo/ Valerius 8 ff.; OK-StPO/Peglau 7, 10; SK/Frister 9. Vgl. z. B. zu § 272 Nr. 2 einerseits OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1973 188 (zeitweilige Abwesenheit der Urkundsbeamtin), andererseits OLG Bremen OLGSt 13.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 274

Nicht von der absoluten Beweiskraft erfasst wird der Inhalt von Aussagen. Die 15 Tatsache der Vernehmung einschließlich der Bezeichnung ihres Gegenstandes (zur Person, zur Sache usw.) wird zwar als solche mit der Beweiskraft des § 274 bezeugt, nicht aber der Inhalt der Aussage selbst51 und zwar auch dann nicht, wenn es von Bedeutung ist, was jeweils während eines bestimmten Verhandlungsteils, etwa während des Ausschlusses der Öffentlichkeit52 oder in Abwesenheit des Angeklagten nach § 247, ausgesagt wurde. Die Beweiskraft des § 274 erfasst auch nicht die nach § 273 Abs. 2 in das Protokoll aufzunehmenden wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen.53 Gleiches gilt nach allerdings strittiger Auffassung auch für den nach § 273 Abs. 3 in das Protokoll aufzunehmenden Wortlaut einer Aussage. Nur der Vorgang der Protokollierung, nicht aber der Inhalt des Protokollierten ist eine „für die Hauptverhandlung vorgeschriebene Förmlichkeit“ im Sinne des § 274. Die Meinung, die demgegenüber auch dem Wortlaut der protokollierten Äußerung die absolute Beweiskraft des § 274 beimisst,54 beruft sich vor allem auf die hohe Garantie für die richtige Wiedergabe der wörtlich niedergeschriebenen, verlesenen und genehmigten Äußerung. Die Gegenmeinung55 sieht in diesem Umstand allein keinen ausreichenden Grund, der es rechtfertigen könnte, nicht nur über das zur Kennzeichnung des als wesentliche Förmlichkeit zu behandelnden Vorgangs Nötige,56 sondern insgesamt dem wörtlich erfassten Aussageinhalt die ausschließliche Beweiskraft des § 274 zuzuerkennen. Denn die absolute Beweiskraft des § 274 dient der Beschränkung der Rüge der Außerachtlassung von Verfahrensförmlichkeiten. Ihre Ausdehnung auf Aussageninhalte liegt daher außerhalb ihres Zwecks und passt auch nicht in das System der StPO, das insoweit der Freiheit der Beweiswürdigung und der Aufklärungspflicht Vorrang vor formalen Beweisregeln einräumt. Es besteht auch kein sachlicher Grund, in den Ausnahmefällen, in denen dies zum Tragen kommen kann, die später mit der gleichen Sache befassten Gerichte für verpflichtet zu halten, eine versehentlich unrichtig protokollierte Aussage57 bei ihrer Beweiswürdigung formal als richtig und vollständig zu behandeln, nur weil eine die Beweiskraft aufhebende bewusste Fälschung im Sinne des Satzes 2 zu verneinen und eine Protokollberichtigung nicht zu erreichen ist, obwohl der Aufnahmefehler im Freibeweisverfahren zu korrigieren wäre und möglicherweise sogar unstreitig ist. Der nach § 273 Abs. 3 festgehaltene Wortlaut der Aussage ist auch ohne absolute Beweiskraft für die Revisionsrüge in der Weise verwendbar, dass eine von ihm abweichende Wiedergabe im Urteil nicht auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruht.58 Dafür gelten keine strengeren Anforderungen als wenn für eine gleichartige Rüge die Niederschrift einer außerhalb der Hauptverhandlung aufgenom51 Vgl. LR/Stuckenberg § 273, 11, 36. 52 Vgl. BGH NStZ-RR 1997 73. 53 H. M., etwa BGH StV 1997 455; bei Dallinger MDR 1973 557; 1974 369; BayObLGSt 1994 89 = NJW 1995 976; KG VRS 100 (2001) 454; 104 (2003) 141; OLG Hamm NJW 1970 69; KK/Greger 5; KMR/Gemählich 11; Meyer-Goßner/Schmitt 10; OK-StPO/Peglau 7; Radtke/Hohmann/Pauly 9; SK/Frister 10 und § 273, 28; SSW/ Güntge 6; Eb. Schmidt 6 und § 273, 12; LR/Stuckenberg § 273, 36 f. 54 AK/Lemke 4; OK-StPO/Peglau 9; Radtke/Hohmann/Pauly 9; SSW/Güntge 6; früher schon RGSt 42 160; 43 438; 58 59; Löwenstein JW 1924 1604. 55 OLG Hamm NJW 1970 96; OLG Hamm 20.8.2014 – III – 1 RBs 122/14; KK/Greger 5; KMR/Gemählich 11; MüKo/Valerius 11; SK/Frister 10; Roxin/Schünemann § 51, 8; Gössel § 34 B Ib 2; Dahs FS Schmidt-Leichner 30; Husmann MDR 1977 895; Lackner JR 1966 306; früher schon Alsberg JW 1924 1727. 56 HK/Julius/Beckemper 6. 57 Trotz Beachtung der Formalien des § 273 Abs. 3 kann der Inhalt einer wörtlich aufgenommenen Aussage im Protokoll unbemerkt falsch (etwa durch das versehentliche Weglassen einer Negation) wiedergegeben oder missverständlich erfasst worden sein. 58 Vgl. BGH NStZ-RR 1997 73; KMR/Gemählich 11; LR/Stuckenberg § 273, 60 f. m. w. N.

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menen und in ihr verlesenen Aussage herangezogen wird. Soweit nach § 273 Abs. 3 Vorgänge protokolliert wurden, die ohnehin zu den wesentlichen Förmlichkeiten zählen, erstreckt sich die Beweiskraft des § 274 selbstverständlich auch darauf.59 Die Beweiskraft des Protokolls gilt weder für den Inhalt der Erklärungen des Ange16 klagten zur Sache, seien es Geständnisse oder Einräumungen oder irgendwelche auf Strafausschließungs- oder Milderungsgründe bezügliche Behauptungen60 mit Ausnahme der von § 267 Abs. 3 geforderten förmlichen Anträge,61 noch für sonstige Ergebnisse der Vernehmungen,62 noch für die vom Vorsitzenden hierbei ausgesprochenen Fragen oder Vorhaltungen,63 noch für Feststellungen, die der Vorsitzende aus den Akten oder anderen Schriftstücken, etwa über die ordnungsgemäße Ladung des Angeklagten, trifft,64 noch für die Identität der erschienenen Personen.65 Bei Erklärungen der Prozessbeteiligten, die keine förmlichen Anträge sind, erfasst 17 sie grundsätzlich nur die Tatsache, dass eine solche Erklärung abgegeben wurde, nicht aber den Inhalt der Erklärung. Das Sitzungsprotokoll ist auch dort, wo die Beweisregel des § 274 nicht Platz greift, 18 als Beweismittel verwertbar. Das Gericht hat dann in freier Beweiswürdigung – auch unter Rückgriff auf andere Beweismittel – zu entscheiden, ob es die Angaben im Protokoll für erwiesen hält.66 c) Nur Vorgänge in der Hauptverhandlung. Nur die Vorgänge in der Hauptverhandlung selbst werden der erhöhten Beweiskraft des Protokolls teilhaftig. Nur sie können in der Regel Gegenstand der gemeinsamen Wahrnehmungen des Vorsitzenden und des Urkundsbeamten sein. Die der Beratung und Abstimmung gewidmeten Vorgänge nehmen deshalb an der Beweiskraft nicht teil, gleichviel, ob sie sich im Beratungszimmer oder im Verhandlungsraum zugetragen haben,67 ebenso wenig die Vorgänge vor Beginn oder nach Beendigung der Hauptverhandlung oder während einer Unterbrechung oder außerhalb des Sitzungssaals oder auswärtigen Verhandlungsortes.68 Dies gilt auch für die Erklärungen, die vor oder nach Beendigung der Hauptver20 handlung vor dem erkennenden Gericht über die Anfechtung einer Entscheidung oder über den Verzicht auf ein Rechtsmittel abgegeben werden. Ob die Erklärung des Rechtsmittelverzichts trotzdem an der Beweiskraft des § 274 teilnimmt, wenn sie in der 19

59 Vgl. LR/Stuckenberg § 273, 40. 60 BGH StV 1981 56 mit Anm. Schlothauer; RGSt 49 315; 58 59; vgl. LR/Stuckenberg § 267, 76; ferner LR/ Franke26 § 337, 56.

61 Vgl. LR/Stuckenberg § 267, 105, 110. 62 RGSt 49 315; 58 59; BGH MDR 1974 369; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1971 217; KK/ Greger 5; Eb. Schmidt 6; vgl. LR/Stuckenberg § 273, 36. 63 RGSt 35 164; 42 160; 43 438; BGHSt 22 28; OLG Koblenz VRS 51 (1976) 36; KK/Greger 17; Eb. Schmidt 7. Vgl. bei § 249. 64 RG Recht 1920 Nr. 241; JW 1927 2049. 65 RGSt 46 112. 66 RGSt 43 438; Alsberg JW 1916 1205; Eb. Schmidt JZ 1968 435; Willms FS Heusinger 393. Vgl. KK/Greger 8; Meyer-Goßner/Schmitt 18. 67 RGSt 3 266; 17 287; 27 3; RG JW 1911 510; Recht 1924 880; OGHSt 3 121; BGHSt 5 294; BGH NStZ 2009 105; OLG Köln NStZ-RR 2002 337; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1973 187; KMR/Gemählich 10; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Valerius 6; OK-StPO/Peglau 6; Radtke/Hohmann/Pauly 10; SSW/Güntge 6; vgl. LR/Stuckenberg § 273, 5; § 260, 11. 68 RG JW 1915 1265; BGH NStZ-RR 2001 263; 2011 20; OLG Hamburg NJW 1955 1201; KMR/Gemählich 10; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Valerius 6; OK-StPO/Peglau 6; SK/Frister 6; SSW/Güntge 6.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 274

Form des § 273 Abs. 3 beurkundet wurde, ist strittig.69 Wird dagegen in der Hauptverhandlung vor dem Rechtsmittelgericht die Beschränkung oder Zurücknahme eines Rechtsmittels erklärt, so handelt es sich um eine wesentliche Förmlichkeit, auf die sich die Beweiskraft erstreckt.70 Diese erfasst aber nicht die Frage, ob der Angeklagte den Verzicht vorher mit seinem Verteidiger besprochen hatte.71 d) Beeidigung der Schöffen. Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch darauf 21 hinzuweisen, dass § 274 keine Anwendung auf das Protokoll findet, das vom Urkundsbeamten gemäß § 45 Abs. 8 DRiG (früher § 51 GVG) über die Beeidigung der Schöffen aufgenommen wird.72 5. Wirkung der ausschließlichen Beweiskraft a) Positive und negative Beweiskraft. Die Ausdrucksweise des Gesetzes, das von 22 der Beobachtung der Förmlichkeiten spricht, gibt den Sinn des Gesetzes nur unvollkommen wieder (vgl. Rn. 1). Die Vorschrift bedeutet, dass das übergeordnete Gericht alle wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Verhandlungsverlauf als so geschehen annehmen muss, wie sie im Protokoll beurkundet sind, und dass dieses den einzigen Beweis für die Frage bildet, welche Verhandlungsvorgänge und wie diese stattgefunden haben. Es handelt sich um die Vorgänge in der Hauptverhandlung, die für die Rechtsbeständigkeit des Verfahrens von Bedeutung sein können, also z. B. um die Stellung von Anträgen der Prozessbeteiligten und um den Inhalt und die Begründung der im Lauf der Verhandlung ergangenen Entscheidungen.73 Ist im Protokoll die Beobachtung einer vorgeschriebenen Förmlichkeit, z. B. die Be- 23 eidigung eines Zeugen, ordnungsgemäß beurkundet, so gilt unter Ausschluss der freien Beweiswürdigung (Rn. 26) als nachgewiesen, dass der diese Förmlichkeit betreffenden Vorschrift in einer dem Gesetz entsprechenden Weise genügt ist,74 etwa, dass eine vorgeschriebene Unterrichtung des Angeklagten nach § 247 Satz 4 oder eine Rechtsmittelbelehrung richtig und vollständig erteilt wurde,75 aber nicht, dass bei Anwesenheit eines Dolmetschers auch korrekt übersetzt76 wurde. Vermerkt das Protokoll, dass der Angeklagte abgelehnt hat, sich zur Sache zu äußern, so ist davon auszugehen, dass er während der ganzen Hauptverhandlung geschwiegen hat, sofern nicht später vermerkt

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Vgl. LR/Stuckenberg § 273, 21. Vgl. LR/Stuckenberg § 273, 22. BGH NStZ 1996 297. RGSt 64 50; RG JW 1928 2272; BGH bei Dallinger MDR 1973 372. Ob sich der Begriff mit den wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne des § 273 Abs. 1 deckt, ist strittig; vgl. Rn. 26. Zu den von der Beweiskraft erfassten Förmlichkeiten vgl. LR/Stuckenberg § 273, 6 ff. 74 KMR/Gemählich 12; Meyer-Goßner/Schmitt 13; Radtke/Hohmann/Pauly 11; SK/Frister 13; SSW/Güntge 7; Eb. Schmidt 13. 75 KG VRS 99 (2000) 440 f.; 102 (2002) 198 f.; OLG Düsseldorf NStZ 1986 233 mit Anm. Wendisch; OLG Koblenz OLGSt 2; OLG Köln § 35a, 1; KMR/Gemählich 12; Meyer-Goßner/Schmitt 13; OK-StPO/Peglau 15; SK/Frister 13; vgl. LR/Graalmann-Scheerer § 35a, 29. 76 Denn die Beweiskraft leitet sich nicht anders als die publica fides einer öffentlichen Urkunde von der Möglichkeit amtlicher Wahrnehmung und Kontrolle durch die Urkundspersonen ab (vgl. Rn. 19; BGH NStZ-RR 2001 263); waren diese nicht selbst sprachkundig, können sie die Richtigkeit der Übersetzung auch nicht mit Beweiskraft beurkunden, zutr. SK/Frister 14; a. A. OLG Frankfurt NStZ-RR 2003 47, 48; KG NStZ 2009 406; Meyer-Goßner/Schmitt 10a.

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ist, dass er sich dann doch noch zur Sache äußerte.77 Vermerkt das Protokoll die Anwesenheit einer Person, so ist, wenn deren Anwesenheit zu den wesentlichen Förmlichkeiten gehört,78 mangels einer späteren Feststellung der Entfernung davon auszugehen, dass diese während der ganzen Hauptverhandlung anwesend war.79 Die Verhandlungsniederschrift ist der alleinige Beweis nicht nur für die Beachtung der gesetzlichen Vorschriften, sondern ebenso für deren Nichtbeachtung. 24 Das Protokoll hat auch negative Beweiskraft. Unter Ausschluss des Rückgriffs auf andere Beweismittel beweist es nicht nur, dass das geschehen ist, was es angibt, sondern umgekehrt auch, dass das unterblieben ist, was im Protokoll nicht bezeugt wird.80 Dies bedeutet beispielsweise, dass davon auszugehen ist, es habe keine Verhandlung über den Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden, wenn das Protokoll hiervon nichts enthält,81 dass das Gericht den Ausschluss der Öffentlichkeit entgegen § 174 Abs. 1 Satz 3 GVG nicht begründet hat, wenn der protokollierte Beschluss über den Ausschluss der Öffentlichkeit keine Begründung enthält,82 dass der Anklagesatz nicht verlesen wurde, wenn die Sitzungsniederschrift darüber schweigt,83 dass ein Dolmetscher nicht vereidigt wurde oder sich auf einen früheren Eid berufen hat, wenn das Protokoll dies nicht erwähnt,84 oder dass ein Zeuge, der vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, auf dieser Stellungnahme verblieben ist, wenn aus dem Protokoll nichts über einen Widerruf der Zeugnisverweigerung hervorgeht; dass ein Zeuge, dessen Vereidigung das Protokoll nicht ersichtlich macht, unbeeidigt vernommen worden ist.85 Beim Schweigen des Protokolls ist davon auszugehen, dass ein im Protokoll nicht angegebener Antrag nicht gestellt worden,86 ein nicht erwähnter Beweis87 oder ein nicht vermerkter Widerspruch nicht erhoben, ein im Protokoll nicht erwähnter Gerichtsbeschluss nicht ergangen ist,88 dass der Vorsitzende nicht das letzte Wort erteilt89 oder dass er den Angeklagten, den das Gericht gemäß § 247 hatte abtreten lassen, nach dem Wiedereintritt nicht dieser Vorschrift entsprechend unterrichtet hat.90 Ohne entsprechenden Vermerk ist ferner davon auszugehen, dass er ihn nicht alsbald unterrichtet hat, wenn zwischen dem beurkundeten Wiedereintritt und der beurkundeten Unterrichtung andere Verfahrensvorgänge geschildert werden;91 dass die im Protokoll nicht beurkundete Verlesung eines

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BGH StV 1996 531; 2002 531; NStZ 2000 217; StraFo 2018 159; vgl. LR/Stuckenberg § 273, 10. Dies ist z. B. bei Zeugen und Sachverständigen nicht der Fall, vgl. LR/Stuckenberg § 273, 9. RGSt 34 358; vgl. LR/Stuckenberg § 273, 9 m. w. N. RGSt 53 177; 64 310; BGHSt 22 280; BGH JR 1961 508; NStZ 1993 51; LM Nr. 10; KK/Greger 9; KMR/ Gemählich 13; Meyer-Goßner/Schmitt 14; MüKo/Valerius 15; OK-StPO/Peglau 12; Radtke/Hohmann/Pauly 11; SK/Frister 15; SSW/Güntge 7; Eb. Schmidt 13. 81 RGSt 57 26; vgl. bei § 174 GVG. 82 BGHSt 1 216; ferner etwa BGH StV 1989 384 (L); bei Holtz MDR 1977 810 (zur Wiederherstellung der Öffentlichkeit); vgl. bei § 174 GVG. 83 BGH NStZ 1984 521; 1986 375; 2000 214; StraFo 2018 614 f.; bei Miebach/Kusch NStZ 1991 230; zu den Einzelheiten vgl. LR/Becker § 243, 54; ferner zur früheren Rechtslage BGHSt 8 283. 84 BGH NStZ 1992 49; vgl. LR/Stuckenberg § 273, 10 m. w. N. 85 RGSt 43 438; BGH MDR 1974 548; vgl. auch BGHSt 4 140 (zur Berufung auf früher geleisteten Eid). 86 RGSt 31 163; 53 176; 63 409; BGHSt 2 127; BGH VRS 30 (1966) 194; BGH bei Dallinger MDR 1974 548; 1975 369; vgl. Alsberg/Güntge 1636 m. w. N. 87 BGH NStZ 1999 424; 2002 219. 88 BGHSt 1 216; OLG Köln NJW 1954 1820. 89 Vgl. LR/Stuckenberg § 258, 54 m. w. N. 90 RG LZ 1915 846; BGHSt 1 350; vgl. LR/Becker § 247, 50. 91 BGHSt 3 385.

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Schriftstücks,92 das Selbstleseverfahren93 oder die Einnahme eines Augenscheins94 nicht stattgefunden hat, dass die Belehrung des Angeklagten vor der Zustimmung zur Verständigung nicht erfolgt95 oder dass der aus dem Protokoll nicht ersichtliche Hinweis auf die Veränderung des rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkts versäumt worden ist.96 Eine Ausnahme von der Vollständigkeitsvermutung und damit von der darauf 25 beruhenden negativen Beweiskraft des Protokolls ergibt sich aus § 273 Abs. 1a Satz 3, wonach ausdrücklich zu vermerken ist, dass eine Verständigung nicht stattgefunden hat. Enthält ein Protokoll entgegen § 273 Abs. 1a Satz 1 und 3 überhaupt keinen Eintrag, ob eine Verständigung stattgefunden hat, so ist es widersprüchlich und das Vorliegen einer Verständigung im Wege des Freibeweises zu prüfen.97 b) Ausschließlichkeit. Die Beweiskraft der Verhandlungsniederschrift ist so aus- 26 schließlich, dass ihre Angaben, wenn man von dem nach Satz 2 zulässigen Nachweis der Fälschung absieht (Rn. 35), grundsätzlich durch andere Beweise weder widerlegt noch ergänzt werden können.98 Eine Beweiserhebung, die auf eine Widerlegung oder Ergänzung des Protokolls abzielt, ist nicht zulässig und auch dem Revisionsgericht verwehrt.99 Dienstliche Äußerungen, die das Protokoll erläutern oder ergänzen sollen, sind dafür nicht verwertbar.100 Selbst der Inhalt des Urteils ist nicht geeignet, das Protokoll zu widerlegen oder zu ergänzen, soweit dieses den Beweis zu liefern bestimmt ist.101 Dies gilt auch, wenn Anträge der Prozessbeteiligten nur im Urteil erwähnt werden.102 An der Beweiskraft der Verhandlungsniederschrift wird auch dadurch nichts geän- 27 dert, dass über ihre Unrichtigkeit zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten Einverständnis besteht.103 Der Auslegung des Protokolls steht die Ausschließlichkeit seiner Beweiskraft nicht entgegen (Rn. 11). 92 Vgl. LR/Mosbacher § 249, 49 ff., 88 ff. 93 BGHSt 54 37, 37 f.; 55 31; BGH NJW 2010 3382 f.; NStZ-RR 2014 185; StV 2010 225. 94 Vgl. etwa OLG Bamberg StV 2015 760; OLG Hamm JMBlNW 1978 276 (Foto); ferner LR/Becker § 244, 351.

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BGH NStZ 2015 358, 359. Vgl. bei LR/Stuckenberg § 265, 81 ff. LR/Stuckenberg § 273, 37 m. w. N.; Meyer-Goßner/Schmitt 14a; SK/Frister 17. RGSt 53 176; OGHSt 1 279; BGHSt 2 125, 126; BGH NJW 1976 977; NStZ 1993 51; KG VRS 43 (1972) 199; KMR/Gemählich 14; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Valerius 12; SK/Frister 11; SSW/Güntge 1; Alsberg/ Güntge 1637. 99 RGSt 20 166; 53 177; OLG Bremen OLGSt 13; vgl. LR/Franke26 § 337, 46; KK/Greger 7. 100 BGHSt 8 283; 13 59; 22 280; BGH NJW 1976 977; NStZ 1983 375; 1984 133; 1986 374; 1993 94; NStZ 2005 46; StV 2002 530; 2004 297; wistra 2009 484; bei Miebach/Kusch 1991 230; bei Dallinger MDR 1974 548; bei Holtz MDR 1977 810; BayObLGSt 1956 226 = NJW 1957 34; KG VRS 43 (1972) 199; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1970 199; Alsberg/Güntge 1637; HK/Julius/Beckemper 2; KMR/Gemählich 1, 14; Meyer-Goßner/Schmitt 3; OK-StPO/Peglau 2; SK/Frister 11; SSW/Güntge 1. Dienstliche Erklärungen der für die Richtigkeit des Protokolls verantwortlichen Personen können jedoch die Beweiskraft des Protokolls aufheben (Rn. 9), sie können aber einer bereits erhobenen Verfahrensrüge nicht mehr den Boden entziehen (vgl. Rn. 34; LR/Stuckenberg § 271, 50, 65 ff.). 101 RGSt 31 163; 35 61; RG GA 69 (1925) 86; RGRspr. 9 (1887) 379; BGHSt 2 125; BGH NJW 1976 977; StV 2008 235 f.; OLG Frankfurt NJW 1953 198; OLG Hamm NJW 1978 2406; KMR/Gemählich 14; Meyer-Goßner/ Schmitt 3; SK/Frister 11; Eb. Schmidt 17; Alsberg/Güntge 1637; Mittelbach JR 1955 330; vgl. LR/Stuckenberg § 273, 60. 102 RGSt 31 163; 35 61; RG GA 37 (1889) 445; 69 (1925) 86; SK/Frister 11. 103 HK/Julius/Beckemper 2; KMR/Gemählich 14; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Valerius 12; SK/Frister 11; SSW/Güntge 1; Alsberg/Güntge 1637.

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6. Wegfall der Beweiskraft. Der Wegfall der Beweiskraft des Protokolls ist die Folge seiner Auslegung, wenn diese nicht zu einem eindeutig wahren und vollständigen Bericht über die Einhaltung einer bestimmten Förmlichkeit zu gelangen vermag, was nur im Fall inneren Widerspruchs oder evidenter Lücken eintritt. Nach Ansicht der jüngsten Rechtsprechung ist jedoch nach Zulassung der Rügeverkümmerung durch den Großen Senat die Protokollberichtigung vorrangig zu versuchen, bevor vom Wegfall der Beweiskraft ausgegangen wird. Scheitert sie, so dürften ergänzende Feststellungen im Freibeweisverfahren nur bei krasser Widersprüchlichkeit des Protokolls vorgenommen werden.104 Neben einer Protokollberichtigung kommt eine freibeweisliche Aufklärung des tatgerichtlichen Verfahrensablaufs, insbesondere zu Lasten des Angeklagten, nicht in Betracht.105

a) Offensichtliche Lücken. Die negative Beweiskraft des Protokolls greift nach der herrschenden Meinung106 nicht ein, soweit das Protokoll erkennbar lückenhaft ist. Die bloße Nichterwähnung eines Vorgangs im Protokoll rechtfertigt für sich allein aber nicht die Annahme einer Lücke.107 30 Die Lücke muss als solche offensichtlich sein, was insbesondere dann der Fall ist, wenn ein protokollierter Umstand zeigt, dass ein nicht protokollierter geschehen sein muss,108 so, wenn das Protokoll ersichtlich unvollständig ist, weil es nur einen Teil des Verfahrensvorgangs festgehalten hat,109 etwa, wenn es nur vermerkt, dass es dem Angeklagten freistehe, sich zur Anklage zu äußern, deren Verlesung aber fehlt,110 dass ein Beweisantrag gestellt oder abgelehnt wurde, ohne jedoch den Inhalt des Beweisantrags anzugeben,111 oder wenn nur festgestellt wird, dass ein Zeuge erschienen ist und belehrt wurde, weitere Angaben über diesen Zeugen im Protokoll aber fehlen,112 oder wenn nur die nochmalige Vernehmung eines Zeugen im Protokoll vermerkt ist113 oder wenn nur festgestellt wird, „der Zeuge wurde vereidigt“, ohne dass erkennbar ist, auf welchen von mehreren Zeugen sich dieser Vermerk bezog,114 oder nichts zur Vereidigung und 29

104 BGHSt 55 31, 33 f. mit abl. Anm. Güntge JR 2010 540, 541 f.; vgl. SK/Frister 25 f.; offenlassend BGH StV 2011 267, 268; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2011 319, 320. 105 BGH StV 2011 267, 268 m. w. N.; 2012 523 f. mit krit. Anm. Ventzke HRRS 2011 338, 341 ff.; NStZ-RR 2017 52; vgl. BGHSt 51 298, 316 f.; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2011 319, 320. 106 RGSt 63 410; KG HESt 3 57; BGHSt 16 306; 17 220; 31 39; BGH LM Nr. 10; MDR 1952 659; JR 1961 508; NJW 1976 977; 1984 2172; NStZ 1981 69 mit Anm. Liemersdorf; NStZ 2002 47; 2002 270, 271; 2006 117; 2006 181; 2006 714 f.; wistra 2007 271; bei Dallinger MDR 1952 659; 1969 195; 1974 548; BayObLGSt 1949/51 120; 1953 135 = NJW 1953 1524; BayObLG bei Rüth DAR 1975 211; 1982 254; OLG Braunschweig NdsRpfl. 1956 77; OLG Bremen NJW 1975 1793; OLG Celle NdsRpfl. 1953 196; OLG Frankfurt NJW 1953 198; KG VRS 39 (1976) 434; OLG Karlsruhe Justiz 1980 155; OLG Koblenz VRS 63 (1982) 130; OLG Köln VRS 62 (1982) 281; OLG Saarbrücken JBl.Saar 1962 96; VRS 48 (1975) 439; HK/Julius/Beckemper 7; KK/Greger 11; KMR/Gemählich 16; Meyer-Goßner/Schmitt 17; MüKo/Valerius 20; OK-StPO/Peglau 21; Radtke/Hohmann/ Pauly 3 f.; SK/Frister 20; SSW/Güntge 9; Alsberg/Güntge 1646; Hamm 310. Vgl. Rn. 7. 107 BGH NStZ 1982 517. 108 BGHSt 17 220; BGH JR 1961 508; NStZ 2004 451; bei Dallinger MDR 1952 659; 1969 195; BayObLGSt 1949/51 120; KG VRS 129 (2015) 143, 144; OLG Bremen OLGSt 13; NJW 1975 1793; OLG Koblenz VRS 63 (1982) 132; HK/Julius/Beckemper 7; KK/Greger 12; Meyer-Goßner/Schmitt 17; MüKo/Valerius 21; Radtke/Hohmann/Pauly 3; SK/Frister 21 mit Beispielen; Alsberg/Güntge 1646; G. Schäfer FS BGH 707, 713. 109 Vgl. etwa OLG Köln VRS 62 (1982) 281; OLG Saarbrücken VRS 48 (1975) 439. 110 BGH NStZ 2004 451; OK-StPO/Peglau 21; zweifelnd Meyer-Goßner/Schmitt 17. 111 BGH bei Dallinger MDR 1952 659; OLG Celle NdsRpfl. 1953 190; OLG Hamm NStZ-RR 2008 382; ähnlich RGSt 59 422 bei Ablehnung als unerheblich. 112 BGH JR 1961 508; NJW 1967 977; OLG Bremen NJW 1975 1793. 113 SK/Frister 21. 114 BayObLGSt 1953 135 = NJW 1953 1521.

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Entlassung eines Zeugen vermerkt ist115 oder wenn sich ergibt, dass das Gericht die Öffentlichkeit zeitweilig ausgeschlossen hatte, ohne dass festgehalten ist, zu welcher Zeit und in welcher Form das geschehen ist,116 oder wenn wegen des Wechsels des Protokollführers Unklarheiten darüber entstehen, in welchem Umfang eine bereits im vorangegangenen Protokollteil festgehaltene Beweiserhebung nach dem Wechsel fortgesetzt wurde.117 Ein zutreffend protokollierter Vorgang, etwa die Anordnung der Vereidigung, rechtfertigt aber nicht, eine offensichtliche Lücke anzunehmen, wenn das Protokoll darüber schweigt, ob ein daran anknüpfender späterer Vorgang, etwa die Ausführung der Vereidigung, auch tatsächlich stattfand.118 Letzteres ist keine zwingende Folge. So besagt die protokollierte Übergabe zweier Bücher zu Beweiszwecken nicht, dass das Gericht sie später dafür auch verwendet hat;119 die im Protokoll vermerkte Anordnung des Selbstleseverfahrens nach § 249 Abs. 2 kann nicht die nach § 249 Abs. 2 Satz 3 gebotene Feststellung der Kenntnisnahme ersetzen.120 Kann die Lücke nicht bereits durch sinnvolle Auslegung des Protokolls geschlossen 31 werden (Rn. 11), dann kann das Revisionsgericht im Wege des Freibeweises auf alle in Frage kommenden Erkenntnisquellen zurückgreifen und seiner Entscheidung dann den Verfahrensablauf zugrunde legen, den es für erwiesen hält, auch wenn er mit dem Vortrag des Revisionsführers nicht übereinstimmt.121 b) Widersprüche, sonstige Mängel. Die Beweiskraft entfällt auch, wenn das Proto- 32 koll widersprüchlich ist, wenn es also Feststellungen enthält, die sich zwar nicht notwendigerweise logisch, wohl aber bei einer sinnvollen Auslegung des Beurkundeten gegenseitig ausschließen,122 etwa, wenn es unterschiedliche Verfahrensgestaltungen als möglich erscheinen lässt, der tatsächliche Verfahrensgang aber nicht eindeutig zu ersehen ist,123 oder wenn der vom Protokollführer im Protokoll festgehaltene Wortlaut des Antrags von dem als Anlage zum Protokoll genommenen Antrag abweicht.124 Ob ein offensichtlicher Widerspruch auch vorliegt, wenn das Protokoll für einen von mehreren Sitzungstagen einen anderen Richter als Beisitzer aufführt, ist strittig.125 Ein Widerspruch wurde angenommen, wenn das Protokoll die Ergänzungsschöffen für einen Sitzungstag als abwesend bezeichnet, während es am nächsten Tag ihre Anwesenheit auch für den vorangegangenen Sitzungstag bekundet,126 oder wenn am ersten Sitzungstag der Ausschluss der Öffentlichkeit vermerkt, am zweiten Tag aber die Fortsetzung der

115 116 117 118

BGH NStZ 2000 546. BGHSt 17 220 = LM 12 mit Anm. Geier; vgl. BGH bei Kusch NStZ-RR 2000 293 f. BGH StV 1999 274; 1999 639. BGH bei Dallinger MDR 1974 548; Meyer-Goßner/Schmitt 17; SK/Frister 22; G. Schäfer FS BGH 707,

714.

119 BGH NStZ 1993 51. 120 BGH NStZ 2000 47; bei Kusch NStZ 1993 30; vgl. LR/Stuckenberg § 273, 16. 121 BGHSt 17 220, dazu Hanack JZ 1972 490; BGH NJW 1976 977; JR 1961 508; NStZ 2002 270, 272; NStZRR 2002 100; KG VRS 43 (1972) 199; OLG Hamm VRS 105 (2003) 135; NStZ-RR 2008 382, 383; OLG Koblenz VRS 63 (1982) 130; OLG Köln VRS 62 (1982) 281; vgl. Fn. 32. 122 BGHSt 16 306; 17 220, 222; BGH NStZ 1983 975; 1992 49; bei Kusch NStZ-RR 2000 16; 2000 293; G. Schäfer FS BGH 707, 712. 123 BGH NStZ 2000 49. 124 OLG Brandenburg NStZ 1995 52. 125 So BGHSt 16 306; KK/Greger 13; KMR/Gemählich 19; Meyer-Goßner/Schmitt 17; Bedenken bei Hanack JZ 1972 488, 489; HK/Julius/Beckemper 7. 126 BGH NStE 2; SK/Frister 23.

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öffentlichen Sitzung notiert wird.127 Schon formale Fehler oder Unklarheiten des Protokolls können diese Folge haben, so, wenn das verwendete Formular ersichtlich unvollständig und widersprüchlich ausgefüllt worden ist,128 etwa, wenn es zum Aussageverhalten des Angeklagten zwei einander widersprechende Angaben enthält, wie es vor allem bei einem nicht ordnungsgemäß ausgefüllten Vordruck vorkommt.129 Aus sonstigen Fehlern des Protokolls, etwa Widersprüchen und Lücken an anderer Stelle, folgt nicht, dass ein eindeutig bekundeter Vorgang so nicht stattgefunden habe.130 Die Rechtsprechung ließ mitunter auch genügen, wenn der an sich eindeutig proto33 kollierte Hergang „sich nach aller Erfahrung so nicht zugetragen haben“ konnte,131 mithin, zumeist wegen eines auf der Hand liegenden Regelverstoßes, unwahrscheinlich oder gar unvorstellbar ist wie eine wechselnde Besetzung der Richterbank132 oder die fehlende Anwesenheit des notwendigen Verteidigers bei einer wesentlichen Zeugenvernehmung.133 Die Beweiskraft des Protokolls entfällt aber nicht deshalb, weil nicht sein kann, was nicht sein darf,134 sie gilt vielmehr ohne Rücksicht auf die wirklichen Vorkommnisse.135 Diese Judikatur verstößt vielmehr gegen § 274, der nur den Gegenbeweis der Fälschung und eben nicht den Gegenbeweis der offenbaren Unrichtigkeit etwa infolge Erfahrungswidrigkeit erlaubt, vorausgesetzt, das Protokoll enthält überhaupt einen in sich widerspruchsfreien, wahrheitsfähigen Bericht. 34

c) Protokollberichtigung. Eine Protokollberichtigung (§ 271, 43 ff.) beseitigt die Beweiskraft des Protokolls grundsätzlich nicht, sondern ändert nur den Inhalt des Bewiesenen. Kann allerdings die Protokollberichtigung deshalb nicht durchgeführt werden, weil Vorsitzender und Urkundsbeamter hinsichtlich der Richtigkeit des ursprünglichen Protokolls und der Notwendigkeit einer Berichtigung verschiedener Ansicht sind, dann beseitigt die fehlende Übereinstimmung der Urkundspersonen über den Inhalt des Protokolls dessen Beweiskraft und eröffnet dem Revisionsgericht den Weg zum Freibeweis. Dies ist nach herrschender Ansicht schon bei einer einseitigen Distanzierung der Fall, wenn eine den Protokollinhalt in Frage stellende Erklärung einer der beiden Urkundspersonen vorliegt, etwa eine dienstliche Erklärung, in der zu einer Revisionsrüge Stellung genommen wird (Rn. 9).

35

7. Fälschung. Eine Fälschung im Sinne des § 274 liegt vor, wenn entweder die Niederschrift als Ganzes von einem Unbefugten hergestellt oder eine an sich echte Niederschrift in unbefugter Weise inhaltlich verändert worden ist, ferner, wenn von den bei der Errichtung Beteiligten mit Bewusstsein dem Protokoll, sei es durch eine Niederschrift oder durch eine Weglassung, ein unwahrer Inhalt gegeben wird.136 Dagegen trifft 127 128 129 130

BGH NStZ 2006 117. OLG Köln VRS 62 (1982) 281; vgl. Rn. 7 ff. Vgl. BGH StV 1999 189 mit Anm. Ventzke; BGH NStZ 2000 49. So aber OLG Hamburg StV 2004 298, 299 mit abl. Anm. Ventzke und Klemke StV 2004 598; wie hier Meyer-Goßner/Schmitt 17; SK/Frister 22. 131 BGH NStZ 2002 270, 271 mit abl. Anm. Fezer und Köberer StV 2002 327; ähnl. schon BGHSt 16 306; BGH NStZ 2000 546; zust. OK-StPO/Peglau 23; offenlassend BGH NStZ 2005 46; a. A. KK/Greger 13; MeyerGoßner/Schmitt 17; SK/Frister 21; Hanack JZ 1972 488, 489. 132 Fn. 125. 133 Fn. 131. 134 Zutr. Fezer NStZ 2002 271 f.; vgl. Meyer-Mews StraFo 2007 195, 196 f. 135 BGHSt 2 125, 126 sowie oben Fn. 10. 136 OLG Düsseldorf StV 1984 108; AK/Lemke 11; KMR/Gemählich 21; Meyer-Goßner/Schmitt 19; MüKo/ Valerius 28; OK-StPO/Peglau 25; Radtke/Hohmann/Pauly 14; SK/Frister 27; SSW/Güntge 13. Vgl. Eb. Schmidt

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§ 275

der Begriff der Fälschung nicht zu, wenn nur aus Missverständnis oder Fahrlässigkeit Vorgänge, die sich zugetragen haben, aus der Verhandlungsniederschrift weggelassen oder Vorgänge als wirklich in sie aufgenommen sind, die sich überhaupt nicht oder in anderer Weise zugetragen haben.137 Hier kann allenfalls versucht werden, durch einen Antrag auf Protokollberichtigung138 eine Richtigstellung des beweiskräftigen Protokollvermerks zu erreichen. Würde man unter Fälschung auch vorsatzlose Fehler fassen, so käme dies der Zulassung des Nachweises der Unrichtigkeit gegen die Beweiskraft des Protokolls gleich, den der Gesetzgeber jedoch bewusst ausschließen wollte.139 Der Nachweis der Fälschung ist von dem Verfahrensbeteiligten, der sie behauptet, 36 mit allen dazu geeigneten Beweismitteln zu führen. Dazu muss es genügen, dass dem Gericht die Beweismittel für die durch konkreten Tatsachenvortrag dargelegte Fälschung bezeichnet werden.140 Das Gericht hat dies dann, wie auch sonst bei verfahrensrechtlich erheblichen Tatsachen, im Wege des Freibeweises aufzuklären und darüber zu befinden.141 Eine Fälschung ist aber nicht schon dadurch bewiesen, dass beide Protokollpersonen oder eine von ihnen erklärt, nachträglich nicht ausschließen zu können, dass das Protokoll in dem betreffenden Punkte unrichtig sei.142 Ist der Nachweis der Fälschung erbracht, entfällt die Beweiskraft des Protokolls hinsichtlich der von der Fälschung betroffenen Teile. Die betroffenen Verfahrensvorgänge sind, soweit dies nicht bereits für den Nachweis der Fälschung notwendig war, ebenfalls im Freibeweisverfahren festzustellen. Wenn möglich, ist nachträglich ein Protokoll mit richtiggestelltem Inhalt zu fertigen.143 Für das Revisionsgericht ist der Nachweis der Fälschung aber nur von Bedeutung, wenn es für die Revisionsentscheidung darauf ankommt. Andernfalls braucht es der Behauptung der Fälschung keine Folge zu geben.144

§ 275 Absetzungsfrist und Form des Urteils (1) 1Ist das Urteil mit den Gründen nicht bereits vollständig in das Protokoll aufgenommen worden, so ist es unverzüglich zu den Akten zu bringen. 2Dies muß spätestens fünf Wochen nach der Verkündung geschehen; diese Frist verlängert sich, wenn die Hauptverhandlung länger als drei Tage gedauert hat, um zwei Wochen, und wenn die Hauptverhandlung länger als zehn Tage gedauert hat, für jeden begonnenen Abschnitt von zehn Hauptverhandlungstagen um weitere zwei Wochen. 3 Nach Ablauf der Frist dürfen die Urteilsgründe nicht mehr geändert werden. 4Die 11 mit Nachweisen zu einer früher vertretenen engeren Auffassung, die auch bei bewusst unrichtiger Protokollierung durch die Urkundspersonen eine Fälschung verneinte. Zur praktischen Unmöglichkeit des Fälschungsnachweises s. Fn. 8. 137 RGSt 5 44, 45; 7 388; 8 143; 19 344; 20 166; RG JW 1924 467 mit Anm. Hegler; BGH StV 1997 455; OLG Bamberg NJW 2013 1251; OLG Düsseldorf StV 1984 108; NJW 1997 1718; Kohlhaas NJW 1974 23, 24; AK/Lemke 11; KMR/Gemählich 22; Meyer-Goßner/Schmitt 19; MüKo/Valerius 28; OK-StPO/Peglau 25; SK/ Frister 27; SSW/Güntge 13; Eb. Schmidt 12; krit. Beling 325 Fn. 1. 138 Vgl. LR/Stuckenberg § 271, 43 ff. 139 Hahn 257 f. 140 HK/Julius/Beckemper 11; KMR/Gemählich 23; Meyer-Goßner/Schmitt 20; MüKo/Valerius 29; SK/Frister 27. 141 Vgl. KMR/Gemählich 23; Meyer-Goßner/Schmitt 20; MüKo/Valerius 29; SK/Frister 27; SSW/Güntge 13; Herdegen FS Salger 305. 142 OLG Düsseldorf NJW 1997 1718. 143 Vgl. LR/Stuckenberg § 271, 45 ff. 144 RGSt 7 391; AK/Lemke 11.

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Frist darf nur überschritten werden, wenn und solange das Gericht durch einen im Einzelfall nicht voraussehbaren unabwendbaren Umstand an ihrer Einhaltung gehindert worden ist. 5Der Zeitpunkt, zu dem das Urteil zu den Akten gebracht ist, und der Zeitpunkt einer Änderung der Gründe müssen aktenkundig sein. (2) 1Das Urteil ist von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterschreiben. 2Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies unter der Angabe des Verhinderungsgrundes von dem Vorsitzenden und bei dessen Verhinderung von dem ältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt. 3Der Unterschrift der Schöffen bedarf es nicht. (3) Die Bezeichnung des Tages der Sitzung sowie die Namen der Richter, der Schöffen, des Beamten der Staatsanwaltschaft, des Verteidigers und des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, die an der Sitzung teilgenommen haben, sind in das Urteil aufzunehmen. Schrifttum Arndt Das Urteil (1952); Furtner Das Urteil im Strafprozeß (1970); Gollwitzer Gerechtigkeit und Prozeßwirtschaftlichkeit, FS Kleinknecht (1985) 147; Habscheid Die verspätete Absetzung von Strafurteilen, NJW 1964 629; 1842; Hahn Die Fristversäumung der Urteilsniederschrift als absoluter Revisionsgrund, ZRP 1976 63; Hillenkamp Die Urteilsabsetzungs- und Revisionsbegründungsfrist im deutschen Strafprozeß (1998); Kohlhaas Das Ärgernis des § 275 StPO, GA 1974 142; Leitmeier Ist § 275 Abs. 2 S. 2 StPO verfassungswidrig? HRRS 2016 500; Löffler Die Berechnung der Urteilsabsetzungsfrist nach § 275 StPO, NStZ 1987 318; Meves Das Urteil im deutschen Strafverfahren, GA 36 (1888) 102; Meyer-Goßner Hinweise zur Abfassung des Strafurteils aus revisionsrechtlicher Sicht, NStZ 1988 529; Peglau Verhinderungsvermerk (§ 275 Abs. 2 S. 2 StPO) und Beschleunigungsgebot, JR 2007 146; Peters Die verspätete Absetzung des Strafurteils im Strafverfahren, FS v. Weber (1963) 374; Rieß Die Urteilsabsetzungsfrist (§ 275 I StPO), NStZ 1982 441; ders. Zur Berechnung der verlängerten Urteilsabsetzungsfrist nach § 275 I 2 Halbs. 2 StPO – Erwiderung zu Löffler, NStZ 1987 318; Sarstedt Verspätete Absetzung von Strafurteilen, JZ 1965 238; Seibert Verspätete Absetzung von Strafurteilen, MDR 1955 148; Valerius 438 Tage, 93 Wochen, ein Monat, NJW 2018 3429. Ferner das Schrifttum zu § 338 Nr. 7 bei § 338.

Entstehungsgeschichte Die Frist des Absatzes 1 betrug ursprünglich drei Tage, ihre Überschreitung war folgenlos. Durch Gesetz vom 11.3.1921 wurde sie auf eine Woche verlängert. Da auch diese Frist praktisch oft nicht einhaltbar war und die Rechtsprechung1 unvertretbar lange Fristüberschreitungen tolerierte, brachte Art. 1 Nr. 80 des 1. StVRG mit dem neugefassten Absatz 1 eine Neuregelung,2 die durch Einfügung des absoluten Revisionsgrunds des § 338 Nr. 7 ergänzt wurde. Die übrigen Änderungen des § 275 waren weniger einschneidend. Art. 7 Nr. 15 StPÄG hat in Absatz 3 das Wort „Verteidiger“ eingefügt, Art. 4 Nr. 7 des Gesetzes vom 26.5.1972 in den Absätzen 2 und 3 die Erwähnung der Geschworenen gestrichen. 1 Vgl. BGHSt 21 4 (16 Monate!) und BGH bei Herlan MDR 1954 656 (ein Jahr); OLG Köln NJW 1969 520 = JR 1969 469 mit Anm. Kleinknecht (14 Monate) und NJW 1964 606 (acht Monate); vgl. ferner BGH NJW 1951 970; GA 1976 25; OGHSt 2 328; OLG Celle DAR 1953 117; OLG Hamm NJW 1974 466; OLG Koblenz VRS 43 (1972) 423; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1970 200; 1973 188; OLG Stuttgart NJW 1965 1504; zur Kritik an dieser Entwicklung vgl. etwa Hermann ZStW 85 (1973) 288; Habscheid NJW 1964 630; Hillenkamp 17, 26 ff.; Kohlhaas GA 1974 142; Sarstedt JZ 1965 238; Schünemann NJW 1974 1882. 2 Gültig für die nach dem 1.2.1975 verkündeten Urteile (Art. 9 Abs. 4 1. StVRG), vgl. Hahn ZRP 1976 63; Rieß NJW 1975 81, 87; ders. NStZ 1982 441; ferner die Kritik von Peters Der neue Strafprozeß (1975) 179 und von Hillenkamp 59 ff.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 275

Art. 1 Nr. 31 des Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte vom 5.5.2017 (BGBl. I S. 2208) hat in Absatz 1 den Satz 5 neu gefasst in sprachlicher Anpassung an die Regelung des § 32b Abs. 2; da Urteilsausfertigungen bei elektronischer Aktenführung nicht mehr gefertigt werden sollen (vgl. § 32b Abs. 4),3 wurde Absatz 4 aufgehoben.

I.

II.

III.

Übersicht Frist für die Urteilsabsetzung 1 1. Bedeutung 1 2. Verbringen des Urteils zu den Akten 3 a) Fertiggestellt 3 b) Zu den Akten gebracht 6 3. Pflicht zur unverzüglichen Urteilsabsetzung 8 4. Die Höchstfristen des Absatzes 1 Satz 2 9 5. Zulässige Fristüberschreitung 13 a) Eng begrenzte Ausnahmefälle 13 b) Unvorhersehbarer und unabwendbarer Umstand 14 c) Aktenkundigkeit 16 6. Rechtsfolgen der Fristüberschreitung 17 Aufnahme des Urteils mit Gründen in das Protokoll 19 1. Ermessen des Vorsitzenden 19 2. Form und Inhalt des Urteils 20 3. Unverzügliche Fertigstellung 21 Die äußere Form des Urteils (Absatz 3) 22 1. Urteilskopf 22 2. Die einzelnen Angaben des Urteilskopfes 23 a) Tag der Sitzung 23 b) Namen der Richter 24 c) Bezeichnung des Gerichts 25 d) Beamte der Staatsanwaltschaft 26 e) Verteidiger 27 f) Urkundsbeamte der Geschäftsstelle 29 g) Angeklagter 30 h) Nebenbeteiligte 33 i) Privatkläger 34

35 Unterschriften der Richter a) Fertiges Urteil 35 b) Sämtliche Berufsrichter 37 c) Meinung der Mehrheit 38 d) Änderung nach Unterschrift 40 e) Urkundsbeamter 42 f) Beschlüsse 43 4. Verhinderung eines Richters 44 a) Zweck des Verhinderungsvermerks 44 b) Verhinderung 45 c) Form des Vermerks 50 5. Eingangsvermerk 53 6. Änderung des fertigen Urteils 55 a) Bindung 55 b) Änderungen bei Einverständnis aller Richter 56 c) Besonderer Vermerk der Geschäftsstelle 57 d) Unabänderlichkeit 58 e) Urteilsberichtigung 61 7. Widerspruch zwischen Protokoll und Urteil 62 8. Verbleib der Urteilsurschrift 64 9. Ausfertigungen 67 Rechtsmittel 69 1. Berufung 69 2. Revision 70 a) Fehlen der Entscheidungsgründe 70 b) Sonstige Fehler der Urteilsurkunde 73 c) Überschreitung der Begründungsfrist 74 d) Begründung der Verfahrensrügen 75 3. Rechtsbeschwerde 76 3.

IV.

Alphabetische Übersicht Abweichende Meinung 38 Adhäsionsverfahren 34 Aktenvermerk über Hinderungsgrund 16 Änderung des fertiggestellten Urteils 55 ff.

Angeklagter 10, 30 ff. Arbeitsüberlastung 15 Aufnahme der Urteilsgründe ins Protokoll 19 ff., 42

3 BTDrucks. 18 9416 S. 64.

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Ausscheiden aus dem Richteramt 36, 47 Bagatellfälle 9 Beistand 28 Beratung 10, 38 Beratungsergebnis, Übereinstimmung mit 2, 38 Berichterstatter 14 Berufung 69 Beschleunigungsgebot 2, 8, 47, 74 Beschlüsse, § 275 nicht anwendbar 43 Bestandteil der Akten 3 Betriebsausflug 15, 47 Beweiskraft des Protokolls 53 Bezeichnung des Gerichts 25 Dienstaufsichtliche Beanstandung 8 Dienstliche Erklärung 7 Eilvermerk 15 Eingangsvermerk der Geschäftsstelle 7, 53 f., 57 Einzelrichter 21, 49 Einziehungsbeteiligter 33 Ergänzungsrichter 24, 37 Erinnerungsbild der Richter 2 Erkrankung des Richters 14 Fassungsberatung 14 ff., 38 ff., 41 Fehlen der Entscheidungsgründe 70 Fertigstellung des Urteils 3, 53 Formfehler 4 Freibeweis 52 ff., 72, 74 Fristen – Bedeutung 2, 8, 60 – Berechnung 9 ff., 21, 74 – Höchstfristen, keine Regelfristen 8 – Überschreitung 8 ff. – Überschreitung, ausnahmsweise zulässige 13 ff. Gliederung der Urteilsgründe 61 Handzeichen 4, 37 Hinausgabe aus dem inneren Geschäftsbereich 58 Irrtum über Dauer der Hauptverhandlung 11 Korrektur von Schreib- und Fassungsversehen 40, 56, 61 Mehrheitsentscheidung 38 Nebenkläger 26 Organisationsmängel, justizinterne 15 Privatkläger 34 Protokollführer 29, 42 Rechtsbeschwerde 76 Rechtsbeugung 38 Rechtskraft 1 Reinschrift 5 Revision 17, 36, 70 ff. Revisionsgrund der Fristüberschreitung 8, 17, 36, 59, 74

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Richter – Angabe der Namen 24 – auf Probe 46 – nicht an Hauptverhandlung beteiligter 4, 49 – überstimmter 38 Schöffengericht, erweitertes 39 Sitzungsprotokoll 11, 19 ff. Staatsanwalt 26, 74 Tag der Sitzung 23 Tonband-Diktat des Urteils 5 Unerreichbarkeit vor Fristablauf 15 Unterschrift der Berufsrichter 3, 20, 35 ff., 41 f., 70, 72 – Form 37 – Nachholung 36 – neue Beratung bei nachträglicher Änderung 41 – Verweigerung 38, 41, 45 Untersuchungshaft 18, 30 Unvorhersehbarer Umstand 14 Urteilsabfassung 1, 13 ff., 21 Urteilsabschriften 64 Urteilsänderung nach Unterschrift 40 f. Urteilsausfertigungen 67 ff. Urteilsbegründung – bewusst unvollständige 3, 71 – ungenügende 71 Urteilsberichtigung 61 – vgl. auch Korrektur von Schreib- und Fassungsversehen Urteilsformel 31 Urteilskopf 20, 22 ff., 73 Urteilsurschrift, Verbleib 64 Urteilsverkündung 23 Verhinderung eines Richters 44 ff. – Hinderungsgründe 45 ff. – Verhinderungsvermerk 4, 35, 50 ff., 59, 72 Verlust des fertiggestellten Urteils 15, 66 Versehen der Geschäftsstelle 15 Versetzung eines Richters 46 Verteidiger 27 Vollstreckungsverfahren 17 Vorsitzender 19, 21, 39, 55 Vorstrafen 30 Widerspruch zwischen Urteil und Protokoll 62 f. Widerspruch zwischen Urteilsformel und Urteilsgründen 63 Wiederaufnahmeverfahren 17 Wiedereinsetzung 12 Zu den Akten gebracht 6 f. Zuleitung an Geschäftsstelle 7, 21 Zustellung, vorzeitige 35, 58

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I. Frist für die Urteilsabsetzung 1. Bedeutung. Die Abfassung des Urteils entsprechend dem Beratungsergebnis ist 1 eine zur Rechtsprechung gehörende richterliche Tätigkeit,4 durch die die Grundlage für das weitere Verfahren und eine wichtige Unterlage für die Strafvollstreckung geschaffen wird.5 Die schriftliche Festlegung der Urteilsgründe ist aber bei einem in Anwesenheit des Angeklagten verkündeten Urteil keine unabdingbare Voraussetzung für den Eintritt der Rechtskraft und der Vollstreckbarkeit.6 § 275 ergänzt die Vorschriften über die Fassung der Urteilsformel (§ 260) und der Urteilsgründe (§ 267) durch Regelungen für die Form der Urteilsurkunde und ihre Ausfertigungen sowie die Fristen für ihre Fertigstellung. Er gilt nur für Urteile, nicht für Beschlüsse.7 Die das Urteil tragenden Erwägungen sind unverzüglich schriftlich niederzulegen.8 2 Jede nicht durch schwerwiegende Sachgründe gerechtfertigte Verzögerung der Urteilsabsetzung verstößt gegen das Gebot der Verfahrensbeschleunigung.9 Die Begrenzung der für die schriftliche Urteilsbegründung zur Verfügung stehenden Zeit soll außerdem verhüten, dass ein längeres Hinausschieben der Urteilsabfassung die Zuverlässigkeit der Erinnerung des Berichterstatters und der mitunterzeichnenden Richter beeinträchtigt und zu einer Darstellung der Sach- und Rechtslage in den Urteilsgründen führt, bei der nicht mehr gesichert ist, dass sie der das Urteil tragenden Ansicht der Mehrzahl der Richter bei der Beratung entspricht.10 Bei kleineren Verfahren, die sich gleichen, ist damit zu rechnen, dass das Erinnerungsbild des Richters schnell verblasst.11 Deshalb schreibt Absatz 1 vor, dass das Urteil unverzüglich, spätestens aber vor Ablauf bestimmter Fristen zu den Akten gebracht sein muss. Die dafür im Gesetz festgelegten zeitlichen Grenzen sind nur Höchstfristen, bei deren Überschreitung die Verletzung des Unverzüglichkeitsgebots zu einem absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 7 wird. 2. Verbringen des Urteils zu den Akten a) Fertiggestellt. Fertiggestellt ist ein Urteil erst dann, wenn die Unterschrift aller 3 Berufsrichter den vollen Urteilsinhalt deckt;12 dazu gehört auch, dass Änderungen, die einer von ihnen bei der Unterschriftsleistung für nötig hält, von allen unterschriftlich gebilligt sein müssen.13 Vor Anbringung der letzten erforderlichen Unterschrift liegt nur ein Entwurf vor, der selbst dann nicht Bestandteil der Akten ist, wenn er diesen einliegen sollte.14 Gleiches gilt, wenn ein Urteil bewusst unvollständig zu den Akten gegeben wird; so, wenn die zu den Akten gebrachten Urteilsgründe nur den Schuldspruch betreffen und die Ausführungen zum Rechtsfolgenausspruch aus Zeitgründen bewusst

4 5 6 7 8 9 10 11 12

BGH NJW 1964 2415; BayObLGSt 1967 51. Zur Bedeutung der schriftlichen Urteilsgründe vgl. LR/Stuckenberg § 267, 1, 3 ff. BayObLGSt 1967 51; Lintz JR 1977 127; vgl. bei §§ 449, 451. KK/Greger 1; OK-StPO/Peglau 38; SK/Frister 2; Rn. 43; LR/Graalmann-Scheerer § 33, 13 f. SK/Frister 3, 11; vgl. Rn. 8. Vgl. BVerfG StV 2006 81, 85; BGH DRiZ 1979 314. BGH StV 1998 477; BayObLGSt 1976 97 = NJW 1976 2273; OLG Koblenz VRS 63 (1982) 376; 65 (1983) 152. OLG Koblenz VRS 65 (1983) 452. BGHSt 26 92, 93; 26 247, 248 mit Anm. Meyer JR 1976 342; BGHSt 27 334; BGH bei Holtz MDR 1979 638; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 16; KK/Greger 54; KMR/Gemählich 8; Meyer-Goßner/Schmitt 4; MüKo/ Valerius 8; SK/Frister 8. 13 BGH NStZ 1984 378; StV 1984 144; bei Holtz MDR 1979 638; 1983 450. 14 SSW/Güntge 2.

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weggelassen wurden15 oder wenn die Urteilsurkunde nur die Urteilsgründe, nicht aber Rubrum und Tenor enthält16 oder wenn das Urteil nur vorläufig zu den Akten gegeben wurde, weil die Richter die Begründung nochmals überprüfen und überarbeiten wollten, so dass in Wirklichkeit trotz der Unterschriften noch keine endgültig gebilligte Urteilsfassung vorlag.17 4 Nach dem Sinn der Regelung ist aber das Urteil zu den Akten gebracht, wenn ein aus der Sicht der Richter vollständiges Urteil als endgültig fertig unterschrieben und zu den Akten genommen worden ist und sich erst später – eventuell aufgrund einer anderen rechtlichen Beurteilung – herausstellt, dass sein Inhalt unvollständig ist, etwa weil nicht alle abgeurteilten Taten erörtert werden oder sonstige Lücken oder Begründungsmängel vorliegen oder weil eine Unterschrift unzureichend ist (Handzeichen) oder fehlt, so, weil versehentlich ein nicht mit der Sache befasster Richter mitunterschrieben hat18 oder weil ein Verhinderungsvermerk auf einen Grund gestützt wird, der die Annahme einer Verhinderung nicht rechtfertigt.19 In solchen Fällen wird man – schon um des Fortgangs des Verfahrens willen – auch ein solches Urteil als zu den Akten gebracht ansehen müssen,20 vorausgesetzt, dass sein Inhalt von allen beteiligten Richtern als endgültig bezeugt und es als fertiggestellt den Akten einverleibt worden ist. Nachträglich erkannte Formfehler ändern daran ebenso wenig wie etwa eine materiell-rechtlich unzulängliche oder dem § 267 nicht genügende Begründung. 5 Die Fertigstellung setzt nicht notwendig voraus, dass das gesamte Urteil bereits in Reinschrift vorliegt, es genügt, wenn das von den Unterschriften gedeckte Original des Urteils in einer allgemein lesbaren Schrift zu den Akten gebracht ist.21 Die für die Zustellung erforderliche Reinschrift kann auch später erstellt werden (Nr. 141 Abs. 2 RiStBV). Dagegen reicht es nicht aus, dass der Berichterstatter seinen Entwurf fertiggestellt hat, erst recht nicht, dass er ihn auf Tonband diktiert und zur Fertigung der Reinschrift in die Kanzlei gegeben hat.22 Es genügt auch nicht, dass alle Richter die Urteilsfassung gebilligt haben, maßgebend für die Fertigstellung ist allein der Zeitpunkt, an dem der letzte von ihnen das schriftliche Urteil unterschrieben hat.23 6

b) Zu den Akten gebracht. Zu den Akten gebracht ist nicht wörtlich zu verstehen. Es genügt, wenn das fertige Urteil nach der letzten erforderlichen Unterschrift bzw. nach Anbringung des Verhinderungsvermerks vom letztunterschreibenden Richter auf den Weg zur Geschäftsstelle gebracht wird.24 Dies kann auch dadurch geschehen, dass der Richter durch eine entsprechende Ablage (Aktenauslauf) in seinem Dienstzimmer dafür sorgt, dass das Urteil ohne sein weiteres Zutun im Geschäftsgang zur Geschäftsstelle

15 Zum Unterschied zwischen einem bewusst unvollständig zu den Akten gegebenen und einem fertigen, aber mangelhaft begründeten Urteil vgl. SK/Frister 7; LR/Franke26 § 338, 116 f. 16 BayObLG bei Rüth DAR 1983 253; OLG Köln VRS 64 (1983) 282; NJW 1980 1405. Vgl. Rn. 73. 17 BGH StV 1993 117; NStZ-RR 2014 17 (L). 18 Nach OLG Düsseldorf MDR 1981 423 ist das Urteil erst zu den Akten gebracht, wenn die Unterschrift des richtigen Richters nachgeholt worden ist. Zur Nachholung der Unterschrift vgl. Rn. 36. 19 Vgl. Rn. 35 ff.; BayObLGSt 1982 139 = VRS 64 (1983) 209; SK/Frister 8. 20 LR/Gollwitzer25 5; a. A. SK/Frister 8. 21 OLG Rostock StV 1996 253; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Valerius 9; SK/Frister 7; SSW/Güntge 2. 22 OLG Hamm JMBlNW 1975 267; NStZ 2011 238; OLG Karlsruhe Justiz 1976 442; KMR/Gemählich 7; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Valerius 9; SSW/Güntge 2; Rieß NStZ 1982 441, 442; ferner Fn. 21. 23 BGH NStZ 1992 389. 24 BGHSt 29 43, 45 mit Hinweis, dass das Gesetz auf den Vorgang, nicht auf das Ergebnis abstellt; BGH NStZ-RR 2007 53, 54; OLG Brandenburg StraFo 2002 88; OLG Dresden StV 2000 560; Rieß NStZ 1982 441,

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gelangt.25 Dass er es zu Hause dafür bereit legt, reicht nicht, da damit nicht erreicht werden kann, dass die Akten ohne weiteres Zutun bei der Geschäftsstelle eingehen.26 Unerheblich ist, ob er das Urteil dabei selbst in die bei ihm befindlichen Akten eingelegt27 oder ob er es ohne Akten der Geschäftsstelle zugeleitet hat,28 ferner, ob die eigentlichen Akten für die Geschäftsstelle greifbar sind oder ob sie das ihr zugegangene Urteil zunächst nur den Rest- oder Hilfsakten beifügen kann, weil die eigentlichen Akten versandt sind; deshalb rechtfertigt dieser Umstand auch nicht, mit der Unterschrift bis zum Wiedereingang der Akten zuzuwarten.29 Hat aber der Richter nach seiner Unterschrift noch innerhalb der Frist alles zur Zuleitung an die Geschäftsstelle erforderliche veranlasst, so ist es unerheblich, wenn das fertige Urteil erst nach Fristablauf bei der Geschäftsstelle eingeht.30 Für elektronische Dokumente gilt § 32b Abs. 2. Ein besonderer Formalakt, etwa die förmliche Zuleitung des unterschriebenen Ur- 7 teils an die Geschäftsstelle, ist für die Aufnahme des Urteils in die Akten nicht erforderlich. Wegen der Verpflichtung der Geschäftsstelle, den Eingang des Urteils zu vermerken (Absatz 1 Satz 5; Rn. 53), ist es aber zweckmäßig, ihr das Urteil unverzüglich nach Fertigstellung mit einem entsprechend datierten Hinweis zuzuleiten, damit der Vermerk ohne Verzögerung angebracht werden kann und der Nachweis erleichtert wird, dass das fertiggestellte Urteil fristgerecht auf den Weg gebracht worden ist.31 Dass die Frist gewahrt wurde, kann erforderlichenfalls auch nachträglich durch eine dienstliche Erklärung des Richters nachgewiesen werden.32 3. Pflicht zur unverzüglichen Urteilsabsetzung. Grundsätzlich ist jedes Urteil un- 8 verzüglich nach der Verkündung zu den Akten zu bringen (Absatz 1 Satz 1). Die Höchstfristen des Satzes 2 dürfen nur ausgeschöpft werden, wenn zwingende Gründe dies erfordern,33 dürfen also nicht als Regelfristen behandelt werden. Auch innerhalb der 443 (funktionelle Betrachtungsweise: entscheidend, ob fristgerecht in den Machtbereich der Geschäftsstelle gelangt); ebenso (auf den Weg zur Geschäftsstelle gebracht) AK/Wassermann 15; KK/Greger 40; KMR/ Gemählich 9; Meyer-Goßner/Schmitt 7; MüKo/Valerius 7; OK-StPO/Peglau 5; SK/Frister 9; SSW/Güntge 5; a. A. OLG Karlsruhe Justiz 1977 23 (Unterschrift aller Richter genügt); OLG Köln StraFo 2019 71 f. (Datum des Eingangs auf der Geschäftsstelle); OLG Zweibrücken VRS 54 (1978) 130 lässt dies offen. 25 BGHSt 29 43; BGH StV 1985 135 (L); NStZ-RR 2007 53, 54; krit. SK/Frister 10; Heimann NZV 2002 284, 285; dazu Meyer-Goßner NZV 2002 470. 26 OLG Köln Rpfleger 1977 413 mit Anm. Reiß; Rieß NStZ 1982 441, 445; KK/Greger 40; KMR/Gemählich 9; SK/Frister 9; SSW/Güntge 5. 27 Ohne gleichzeitige Zuleitung an die Geschäftsstelle würde dies nicht ausreichen, OLG Bremen StV 1998 641; OLG Köln Rpfleger 1977 413 mit Anm. Reiß; Meyer-Goßner/Schmitt 7; Brunen StV 1998 641; Rieß NStZ 1982 441, 443. 28 Üblicherweise wird das unterschriebene Urteil mit den Akten der Geschäftsstelle zugeleitet (vgl. BGHSt 29 43), es kann aber keinen Unterschied machen, wenn dies ohne Akten zur Fertigung des vorgeschriebenen Eingangsvermerks geschieht; vgl. Rieß NStZ 1982 441, 443; aber auch Fn. 29. 29 BGH StV 1989 469 (L). 30 BGHSt 29 43; Rieß NStZ 1982 441, 443; a. A. Reiß Rpfleger 1977 414. 31 Vgl. BGHSt 29 43, 47; BGH bei Miebach NStZ 1988 44; KK/Greger 41; KMR/Gemählich 10; MeyerGoßner/Schmitt 7; SK/Frister 10; Meyer-Goßner NZV 2002 470; krit. Heimann NZV 2002 284 f. 32 BGHSt 29 43; OLG Karlsruhe Justiz 1977 28; KMR/Gemählich 10; Meyer-Goßner/Schmitt 7, 18; LR/ Franke26 § 338, 121. 33 BTDrucks. 7 551 S. 84; BVerfG StV 2006 81, 85; BGH NStZ 1992 398; NStZ-RR 2016 286; OLG Naumburg StV 2008 201; HK/Julius/Beckemper 6; KMR/Gemählich 11; Meyer-Goßner/Schmitt 8; MüKo/Valerius 13; OK-StPO/Peglau 8; SK/Frister 11; SSW/Güntge 6; Rieß NJW 1975 81; Keller/Meyer-Mews StraFo 2005 35, 357; Valerius NJW 2018 3429; ferner auch Fn. 34; vgl. aber BGH NStZ 2006 296 (Ausschöpfung der Frist verstößt nicht gegen Beschleunigungsgebot).

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jeweiligen Frist hat jede sachlich vermeidbare Verzögerung der Urteilsabsetzung zu unterbleiben.34 Eine Verletzung dieser Rechtspflicht kann im Rahmen des § 26 Abs. 2 DRiG dienstaufsichtlich beanstandet werden.35 Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 greift allerdings nur ein, wenn die gesetzlichen Höchstfristen überschritten sind (Rn. 74), dann aber führt selbst eine geringfügige Fristüberschreitung, die nicht durch eine Ausnahme nach Absatz 1 Satz 4 gedeckt ist, zur Aufhebung des Urteils.36 § 275 Abs. 1 enthält eine selbständige Festlegung der Fristen für die Absetzung der Strafurteile. Der Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 24.7.1993,37 wonach die Urteile innerhalb einer Höchstfrist von fünf Monaten abzusetzen sind, gilt nicht in den Verfahren, in denen die StPO anzuwenden ist.38 4. Die Höchstfristen des Absatzes 1 Satz 2. Die Höchstfristen des Absatzes 1 Satz 2 begrenzen die Zeitdauer, innerhalb der das Urteil abgesetzt werden kann, ohne den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 auszulösen. Der Gesetzgeber hat, weil die einzelnen Verfahren zu verschieden sind, keine einheitliche Frist vorgeschrieben, sondern nach der Verhandlungsdauer gestaffelte Höchstfristen. Für jedes Urteil gilt nur eine einheitliche Frist, auch wenn gegen einzelne der gemeinsam vom Urteil erfassten Mitangeklagten an unterschiedlich vielen Tagen verhandelt wurde, etwa, weil einer nach § 231c beurlaubt oder das Verfahren gegen ihn vorübergehend abgetrennt worden war; es ist die Gesamtzahl aller Verhandlungstage maßgebend.39 Ergeht jedoch nach der Abtrennung gegen einen Angeklagten ein getrenntes Urteil, dann bemisst sich die gesondert zu berechnende Frist nach der bis dahin verstrichenen Verhandlungsdauer.40 Die auch in Bagatellfällen geltende Mindestfrist von fünf Wochen wurde so lange bemessen, um bei den vom Berichterstatter gefertigten Urteilsentwürfen dem Kollegium zu ermöglichen, den Entwurf erst nach seiner Übertragung in Maschinenschrift zu beraten.41 10 Bei einer länger als drei Tage dauernden Hauptverhandlung berechnet sich die Höchstfrist für die Urteilsabsetzung aus Gründen der Rechtsklarheit abstrakt nach der Zahl der Tage, an denen die Sache zur Verhandlung aufgerufen wurde. Als Teil der Hauptverhandlung zählt auch der Tag der Urteilsverkündung mit. Auf die Dauer der Verhandlung an den einzelnen Tagen kommt es nicht an; auch Tage zählen mit, an denen nach Aufruf der Sache wegen Ausbleibens des Angeklagten oder wegen der ausschließlichen Erörterung eines Verfahrensantrags (etwa Richterablehnung) nicht zur Sache verhandelt wurde oder die sich auf einen einzigen Verfahrensvorgang beschränkten, wie etwa der Einnahme eines auswärtigen Augenscheins. Es kommt nicht darauf an, ob die Sache dann alsbald vertagt werden musste, auch nicht darauf, ob die Fortsetzung der Verhandlung 9

34 Vgl. BVerfG bei Spiegel DAR 1988 193; AK/Wassermann 15; KK/Greger 39; Meyer-Goßner/Schmitt 8; SK/Frister 11; Hillenkamp 42 f. 35 Vgl. den Widerspruchsbescheid bei DRiZ 1974 133; Rieß NStZ 1982 441, 442; SK/Frister 11; kritisch zur Effektivität dieser Beanstandungsmöglichkeit Hillenkamp 42 ff. 36 BGH StV 1998 477; vgl. Rn. 74; LR/Franke26 § 338, 121. 37 NJW 1993 2603. 38 BGH NStZ 1994 46; Meyer-Goßner/Schmitt 8; MüKo/Valerius 10; SSW/Güntge 7; a. A. Hillenkamp 3, 55 ff., 74 ff., der u. a. wegen des begrenzten Erinnerungsvermögens und zur Wahrung des Beschleunigungsgebotes die Übernahme der Höchstfrist von fünf Monaten auch im Strafprozess für geboten hält. 39 BGH bei Holtz MDR 1980 631; Rieß NStZ 1982 441, 442; AK/Wassermann 16; KK/Greger 44; KMR/ Gemählich 12; Meyer-Goßner/Schmitt 10; SK/Frister 13. 40 Rieß NStZ 1982 441, 442; AK/Wassermann 16; Meyer-Goßner/Schmitt 10; SK/Frister 13. 41 BTDrucks. 7 551 S. 84.

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verfahrensrechtlich zulässig war.42 Andererseits zählen alle Tage nicht mit, an denen keine Verhandlung stattfand, ebenso wenig alle Tage, an denen das Gericht die Sache beraten hat; denn weder die Schluss- noch die Zwischenberatungen sind Teil der Hauptverhandlung.43 Nach der Zahl der Verhandlungstage berechnet sich die Staffelung der Höchstfristen. Diese betragen mindestens 5 Wochen und erhöhen sich dann mit jedem begonnenen Abschnitt von weiteren zehn Verhandlungstagen um je zwei Wochen. Die Absetzungsfrist beträgt also bei 4 bis 10 Verhandlungstagen 7 Wochen, bei 11 bis 20 Verhandlungstagen 9 Wochen,44 bei 31 bis 40 Verhandlungstagen 11 Wochen usw.45 Ist zum Beispiel an mehr als 90 und weniger als 100 Tagen verhandelt worden, so stehen für die Begründung insgesamt 25 Wochen zur Verfügung (5 Wochen nach Halbsatz 1, 20 Wochen nach Halbsatz 2). Eine Obergrenze sieht das Gesetz nicht vor.46 Die Verhandlungstage werden durch das Sitzungsprotokoll bewiesen, dessen Be- 11 weiskraft nach § 274 auch insoweit gilt.47 Für die Berechnung des Ablaufes der ermittelten Höchstfrist ist § 43 heranzieh- 12 bar.48 Eine am Samstag, Sonntag oder an einem Feiertag endende Frist läuft also erst am nächstfolgenden Werktag ab. Für den Fristbeginn ist der Tag maßgebend, an dem die Urteilsverkündung endet.49 Wird Wiedereinsetzung nach § 267 Abs. 4 Satz 4 gewährt, beginnt die Urteilsabsetzungsfrist am Tag des Eingangs der Akten bei dem für die Ergänzung zuständigen Gericht.50 Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Höchstfrist gibt es nicht. Dies folgt aus Absatz 1 Satz 4 sowie daraus, dass § 44 nicht für die Fristen gilt, die das Gesetz den Richtern setzt.51 Ein Irrtum über die tatsächliche Dauer der Hauptverhandlung oder bei der Berechnung der Frist kann die Fristüberschreitung nicht rechtfertigen,52 auch dann nicht, wenn sich das Gericht bei der Berechnung der Frist auf eine vom BGH abgelehnte Rechtsmeinung im Schrifttum53 stützen kann.54 42 BGH NStZ 1984 466 (Verhandlung unter Verstoß gegen § 231 Abs. 2); KK/Greger 44; KMR/Gemählich 14; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Valerius 11; Radtke/Hohmann/Pauly 2; SK/Frister 13; SSW/Güntge 8. 43 KK/Greger 44; KMR/Gemählich 14; Meyer-Goßner/Schmitt 9; MüKo/Valerius 11; SK/Frister 13; SSW/ Güntge 8; vgl. LR/Stuckenberg § 268, 12. 44 BGHSt 35 259, 260; BGH StraFo 2006 334; StV 2012 5; BGHR § 275 Abs. 1 Satz 2 Fristverlängerung 1; Rieß NStZ 1987 318; SK/Frister 12; Hamm 482, denn die erste Dekade darf nicht mitgezählt werden; a. A. Löffler NStZ 1987 318; ders. NStZ 1989 284 f. 45 Beispiele zur Fristberechnung etwa BGHSt 35 259 mit krit. Anm. Löffler NStZ 1988 512; BGH NJW 1997 204; NStZ 1998 99; bei Miebach NStZ 1990 28; AK/Wassermann 16; KK/Greger 44; KMR/Gemählich 11; Meyer-Goßner/Schmitt 8; MüKo/Valerius 10; OK-StPO/Peglau 13; Radtke/Hohmann/Pauly 2; SK/Frister 12; SSW/Güntge 6; Hamm 483. 46 Vgl. Valerius NJW 2018 3429 (beim NSU-Prozess mit 438 Verhandlungstagen ergibt sich eine Frist von 93 Wochen), dort auch zur Diskrepanz zur Revisionsbegründungsfrist nach § 345. 47 Vgl. LR/Stuckenberg § 272, 7. 48 BGH NStZ 2008 55; bei Holtz MDR 1980 815; Rieß NStZ 1982 441, 443; KK/Greger 46; KMR/Gemählich 15; Meyer-Goßner/Schmitt 8; Radtke/Hohmann/Pauly 2; SK/Frister 14; SSW/Güntge 6; Eb. Schmidt Nachtr. I 3. 49 KK/Greger 43a; Meyer-Goßner/Schmitt 9; SK/Frister 14. 50 BGHSt 52 349, 352 ff. mit zust. Anm. Rieß NStZ 2009 229 und Stuckenberg JR 2009 166; BGH StV 2010 120; NStZ-RR 2012 49; Rieß NStZ 1982 441, 445 Fn. 101; KK/Greger 43a; KMR/Gemählich 13; Radtke/ Hohmann/Pauly 2; SK/Frister 14; LR/Stuckenberg § 267, 158 m. w. N.; a. A. LR/Gollwitzer25 13. 51 Rieß NStZ 1982 441, 442. 52 BGH NJW 1997 204; NStZ 1998 99 mit Anm. Widmaier; 2008 55; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 207; NStZ-RR 1997 204; StV 1984 143 (L); 2011 211; 2012 5 f.; StraFo 2005 76; 2020 28; KMR/Gemählich 26; OKStPO/Peglau 17; Radtke/Hohmann/Pauly 3. 53 Löffler NStZ 1987 318; ders. NStZ 1989 284. 54 BGH NStZ 1989 285; bei Miebach NStZ 1990 28; 1990 229.

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5. Zulässige Fristüberschreitung 13

a) Eng begrenzte Ausnahmefälle. Nur in eng begrenzten55 Ausnahmefällen lässt Absatz 1 Satz 4 eine Fristüberschreitung zu. Ein nicht vorhersehbarer, unabwendbarer Umstand muss verhindert haben, dass das Urteil fristgerecht zu den Akten gebracht wurde. Die dann für die Urteilsabsetzung zusätzlich zur Verfügung stehende Frist darf aber nicht automatisch nach der Dauer der Verhinderung bemessen werden, denn das Hindernis hemmt den Fristablauf nicht.56 Die Fristüberschreitung ist nur solange gerechtfertigt, als für sie allein unabwendbare und nicht vorhersehbare Umstände ursächlich waren. Um den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 zu vermeiden, muss das Urteil nach Wegfall der Verhinderung unverzüglich, ohne jede weitere vermeidbare Verzögerung und mit Vorrang vor anderen Dienstgeschäften zu den Akten gebracht werden,57 wobei es im pflichtgemäßen Ermessen des Richters steht, in welcher Reihenfolge er mehrere rückständige Urteile absetzt.58 Ein Höchstmaß der zulässigen Fristüberschreitung legt das Gesetz nicht fest.59 Eine Fristüberschreitung um fast ein Jahr ist indes nicht mehr hinnehmbar und führt zur Aufhebung nach § 338 Nr. 7.60

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b) Unvorhersehbarer und unabwendbarer Umstand. Ein unvorhersehbarer und unabwendbarer Umstand liegt nur vor, wenn das Gericht nach dem zu erwartenden Verlauf der Dinge nicht mit ihm zu rechnen brauchte und deshalb auch nicht gehalten war, durch entsprechende Vorkehrungen dafür zu sorgen, dass das Urteil trotzdem fristgerecht abgesetzt werden konnte, etwa, indem bei einem Ausfall des Berichterstatters ein anderer Richter die Fertigstellung übernimmt.61 Nur wenn dies im konkreten Fall nicht möglich ist, etwa weil die dafür erforderlichen Aufzeichnungen nicht greifbar oder auswertbar sind,62 oder weil dies wegen anderweitiger, nicht aufschiebbarer Verpflichtungen der übrigen Berufsrichter nicht möglich ist, kann auch bei einem Kollegialgericht die Erkrankung des Berichterstatters ein unabwendbarer Umstand sein,63 sofern damit nicht zu rechnen, der Ausfall des Richters nicht mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhersehbar war.64 Eben-

55 Zur Tendenz der Rechtsprechung, die Anwendbarkeit der Ausnahmeregelung an strengen Anforderungen scheitern zu lassen, vgl. Rieß NStZ 1982 441, 443. 56 OLG Düsseldorf NStZ-RR 2008 117; KK/Greger 52; KMR/Gemählich 27; Meyer-Goßner/Schmitt 16; MüKo/Valerius 17; SK/Frister 22; SSW/Güntge 11. 57 BGH NStZ 1982 519; StV 1995 514; BayObLGSt 1982 139 = VRS 64 (1983) 130; KG StV 2016 798, 799; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2008 117; OLG Stuttgart Justiz 2017 394; Rieß NJW 1975 81, 88; AK/Wassermann 18 (größtmögliche Beschleunigung); KK/Greger 52; KMR/Gemählich 27; Meyer-Goßner/Schmitt 16; MüKo/ Valerius 21; SK/Frister 22; SSW/Güntge 11. 58 BayObLGSt 1982 139 = VRS 64 (1983) 30. 59 OLG Hamm 10.3.2016 – 3 RVs 19/16 Rn. 22; 16.2.2016 – 3 RBs 385/15 Rn. 26; OK-StPO/Peglau 15. 60 OLG Jena StraFo 2013 475; OLG Zweibrücken NJW 2004 2108, 2109; Meyer-Goßner/Schmitt 12; MüKo/ Valerius 19; SK/Frister 19; a. A. (im Falle des Mutterschutzes) OLG Hamm 10.3.2016 – 3 RVs 19/16 Rn. 21 ff.; 16.2.2016 – 3 RBs 385/15 Rn. 25 ff. 61 BGH NStZ 1982 80; NStZ-RR 2008 181; 2011 118 f.; bei Kusch NStZ 1999 562; StV 1999 562; vgl. auch BGHSt 26 247, 249; BGH NStZ-RR 2014 87 (Pflicht, für Fertigstellung des bereits diktierten Urteilsentwurfs zu sorgen); Rieß NStZ 1982 441, 444. 62 BGH NStZ-RR 2008 181; AK/Wassermann 18; KK/Greger 49; KMR/Gemählich 22; Meyer-Goßner/ Schmitt 15; MüKo/Valerius 19; Radtke/Hohmann/Pauly 4; SSW/Güntge 10; anders, wenn die anderen Richter das bereits entworfene Urteil fertig stellen können, Rieß NStZ 1982 441, 444. 63 BGHSt 26 247, 249; BayObLGSt 1982 139 = VRS 64 (1983) 130; ggf. auch die plötzliche lebensgefährliche Erkrankung naher Verwandter, BGH StraFo 2003 172 (Mutter des Vorsitzenden). 64 BGH NStZ 1982 80; OLG Koblenz GA 1976 251; Rieß NJW 1975 81.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

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so stellt das plötzliche Versterben65 oder ein Beschäftigungsverbot aufgrund Schwangerschaft66 einen unabwendbaren Umstand dar. Gleiches gilt, wenn vor der endgültigen Fertigstellung des Urteils eine Beratung der Urteilsfassung durch die Mitglieder des Kollegialgerichts notwendig wird, diese aber wegen der Erkrankung eines Mitglieds nicht durchgeführt werden kann.67 Verzögert sich dadurch die Urteilsberatung aber auf eine unabsehbar lange Zeit, müssen die anderen Richter auch ohne den erkrankten Berichterstatter dafür sorgen, dass eine dem Beratungsergebnis entsprechende Urteilsfassung erstellt wird.68 Bei den Gerichten, die mit einem einzigen Berufsrichter besetzt sind, ist eine plötzliche Erkrankung i. d. R. unvorhersehbar und unabwendbar,69 nicht dagegen der Antritt eines bereits längere Zeit vorher festgelegten Kuraufenthalts oder der bereits längere Zeit bestehende schlechte Gesundheitszustand eines überlasteten Richters70 oder der Antritt eines geplanten Urlaubs.71 Verzögerungen, die auf der justizinternen Organisation beruhen, werden i. d. R. 15 nicht als unvorhersehbar und unabwendbar anerkannt, so die Schwierigkeiten wegen der Abordnung eines Richters.72 Arbeitsüberlastung ist grundsätzlich kein Hinderungsgrund; ihr ist möglichst durch organisatorische Maßnahmen abzuhelfen,73 notfalls sind andere richterliche Aufgaben zurückzustellen.74 Eine unvorhergesehene dienstliche Belastung eines Richters mit zusätzlichen Aufgaben rechtfertigt die verzögerte Absetzung des Urteils nur, wenn die vertretungsweise übernommenen richterlichen Aufgaben eilbedürftig waren (z. B. Haftsachen) oder sonst wegen ihrer Bedeutung gegenüber der Urteilsabfassung nicht zurückgestellt werden konnte,75 nicht aber die reguläre Belastung durch andere Verhandlungstermine.76 Allen aufschiebbaren Arbeiten geht die Pflicht vor, das Urteil rechtzeitig abzusetzen. Dies gilt erst recht, wenn der Richter durch erhebliche Rückstände belastet ist.77 Eine nicht nur kurzfristig aufgetretene Überlastung der Schreibkanzlei ist ein vorhersehbarer Umstand,78 ebenso sonstige Schwierigkeiten, die der Justizorganisation zuzurechnen sind, wenn deren Anlass vorhersehbar oder ver65 66 67 68

BGH NStZ-RR 2007 88. OLG Hamm 10.3.2016 – 3 RVs 19/16. BGHSt 26 247, 249 mit Anm. Meyer JR 1976 342; KK/Greger 49. Vgl. BGH NStZ 1999 474 (keine Verzögerung auf unabsehbare Zeit); StV 2011 211; ferner BGH NStZ 1982 70; AK/Wassermann 18. 69 KG StV 2016 798, 799; OLG Hamm MDR 1977 1039; OLG Koblenz GA 1976 252; StV 2009 11, 12; AK/ Wassermann 18; KK/Greger 49; KMR/Gemählich 23; Meyer-Goßner/Schmitt 13; Radtke/Hohmann/Pauly 4; SK/Frister 20; SSW/Güntge 10; Rieß NJW 1975 81; ders. NStZ 1982 441, 444. 70 OLG Hamm MDR 1977 1039 (Pflicht, auf teilweise Freistellung hinzuwirken). 71 OLG Koblenz DRiZ 1989 221; StV 2009 11 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 13; Rieß NStZ 1982 441, 444. 72 OLG Hamm VRS 53 (1977) 193; KMR/Gemählich 26; Meyer-Goßner/Schmitt 14; Radtke/Hohmann/Pauly 3; SK/Frister 21; SSW/Güntge 10. 73 BGH NJW 2019 1159; NStZ 1989 285; 1992 398; 2003 564; 2008 55; StV 2012 5, 6; BGH bei Pelchen LM StPO 1975 Nr. 5; BayObLGSt 1982 139 = VRS 64 (1983) 130; OLG Celle NdsRpfl. 1993 133; OLG Düsseldorf StraFo 2001 385; OLG Hamm MDR 1977 1039; OLG Koblenz GA 1976 251; OLG Rostock NJW 2020 81 f.; OLG Stuttgart MDR 1986 602; Justiz 2017 394 f.; LG Koblenz StraFo 2006 453 f.; KK/Greger 50; KMR/Gemählich 25; MeyerGoßner/Schmitt 14; MüKo/Valerius 20; Radtke/Hohmann/Pauly 3; SK/Frister 21; SSW/Güntge 10. 74 BGH NStZ 1982 519; vgl. auch Fn. 67. 75 OLG Celle NdsRpfl. 1977 64 (für Krankheitsvertretung). 76 BGH NStZ 1992 398; OLG Stuttgart Justiz 2017 394. 77 OLG Koblenz GA 1976 251; Rieß NJW 1975 81. 78 BayObLG StV 1986 145; OLG Bremen StV 1984 275; OLG Hamm JMBlNW 1975 267; OLG Karlsruhe Justiz 1976 442; OLG Koblenz VRS 65 (1983) 451; StV 2009 11; OLG Köln MDR 1978 864; OLG Schleswig bei Ernesti/ Jürgensen SchlHA 1978 188; OLG Zweibrücken VRS 54 (1978) 130 (anders bei einem unvorhergesehen und daher durch organisatorische Maßnahmen nicht abwendbaren Engpass); Rieß NJW 1975 81, 88.

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meidbar war,79 wie etwa das zeitweise Versenden80 oder Nichtfinden der Akten81 oder ein Versehen der Geschäftsstelle, das zu einer verspäteten Unterzeichnung der korrigierten Fassung des Urteils geführt hat82 oder die Unerreichbarkeit eines Beisitzers am letzten Tage der Frist.83 Die Durchführung einer anderen Hauptverhandlung rechtfertigt für sich allein i. d. R. die Fristüberschreitung nicht,84 auch nicht die Teilnahme an einem Betriebsausflug des Gerichts.85 Maßgeblich ist aber immer die Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Die Pflicht, das Urteil unverzüglich abzusetzen, die auch nach Beendigung einer unabwendbaren Fristüberschreitung fortbesteht,86 fällt dabei stets erheblich ins Gewicht, ebenso die Pflicht der Richter, vor allem des Vorsitzenden, alle nach der Sachlage erforderlichen und zumutbaren Vorkehrungen für die Wahrung der Frist zu treffen,87 wie etwa Kennzeichnung des Entwurfs als eilbedürftig88 unter Hinweis auf das Fristende, Berücksichtigung der Möglichkeiten der Schreibkanzlei bei Übernahme von Änderungen in einen neu zu schreibenden Entwurf,89 Überwachung des Fristablaufs,90 Absprachen über die Erreichbarkeit für Unterschrift und eventuell ergänzende Beratung.91 Geht das fertiggestellte Urteil verloren, bevor es zu den Akten gebracht (Rn. 3) ist, beurteilt es sich nach den im konkreten Fall getroffenen Vorkehrungen, ob die dadurch verursachte Fristüberschreitung bei Neufertigung des Urteils unvermeidbar war.92 Steht dagegen fest, dass die verlorene Urteilsurschrift schon rechtzeitig zu den Akten gebracht worden war, so ist die Frist des § 275 Abs. 1 gewahrt,93 allenfalls käme die analoge Anwendung des Absatz 1 Satz 4 auf die Rekonstruktion der Urteilsurkunde in Betracht.94

79 BGH NJW 1988 1094; OLG Hamm NJW 1977 1303; OLG Koblenz MDR 1976 950 (ganztägige Hauptverhandlung am letzten Tag der Frist).

80 BGH StV 1989 469 (L); OLG Dresden ZfSch 2018 588 (Akteneinsicht des Verteidigers); OLG Jena VRS 107 (2004) 374, 375.

81 OLG Celle NJW 1982 397; OLG Koblenz NZV 2011 359; OLG Schleswig bei Lorenzen/Görl SchlHA 1988 111; Rieß NStZ 1982 441, 444; anders OLG Hamm NJW 1988 1991 bei plötzlicher Unauffindbarkeit der Akten vor der letzten Unterschrift am Tage vor Fristablauf; SK/Frister 21; zum Verlust der Urteilsurkunde vgl. Fn. 94 und Rn. 66. 82 OLG Stuttgart StV 1998 578. 83 BGHSt 28 194; Rieß NStZ 1982 441, 444. 84 BGH NJW 1988 1094; NStZ 1992 398; 2008 55; StV 2012 5 f.; BayObLGSt 1982 139 = VRS 64 (1983) 130 (nach Geschäftsverteilung vorrangige Heranziehung bei Zivilkammer); OLG Koblenz GA 1976 251. 85 SSW/Güntge 10; vgl. auch BGHSt 31 212 (Annahme einer Verhinderung an Unterschrift aber nicht willkürlich). 86 Etwa nach der Wiedergenesung BGH NStZ 1982 519; bei Kusch NStZ 1996 22; StV 1999 526. 87 Vgl. BGHSt 26 249; 28 194; BGH NStZ 1982 80; OLG Bremen StV 1984 275; OLG Hamm MDR 1977 1039; JMBlNW 1977 213. 88 OLG Bremen StV 1984 275. 89 Vgl. BGH bei Rieß NStZ 1982 441, 444 (nochmaliges Schreiben eines 50-seitigen Urteilsentwurfs kurz vor Fristende, obwohl Unterschrift des vorliegenden Entwurfes mit den Korrekturen zur Fristwahrung genügt hätte). 90 OLG Hamm JMBlNW 1977 213; Rieß NStZ 1982 441, 444. 91 Vgl. Fn. 78, 82. 92 KK/Greger 51. 93 BGH NStZ-RR 2015 257; offenlassend BGHR § 275 Abs. 1 S. 1 Akten 3. 94 Zur Problematik vgl. Rn. 66. Auf dem Umstand allein, dass die originale Urteilsurkunde nicht mehr bei den Akten ist, kann das Urteil nicht beruhen, so auch Rieß NStZ 1982 441, 444; a. A. OLG Stuttgart JR 1977 126 mit abl. Anm. Lintz; vgl. LR/Franke26 § 338, 116, 118.

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c) Aktenkundigkeit. Der Hinderungsgrund, der der rechtzeitigen Urteilsabsetzung 16 entgegenstand, braucht an sich nicht aktenkundig gemacht zu werden. Es ist wegen § 338 Nr. 7 aber ratsam, wenn der Vorsitzende die Gründe in den Akten vermerkt, an denen die rechtzeitige Urteilsfertigstellung scheiterte.95 Dies erleichtert den Verfahrensbeteiligten die Entscheidung, ob sie die Revisionsrüge nach § 338 Nr. 7 mit Aussicht auf Erfolg geltend machen können, und dem Revisionsgericht die Nachprüfung dieser Rüge.96 Es sichert gleichzeitig den später wegen Personalwechsels oder schwindender Erinnerung nur noch schwer zu erbringenden Nachweis, dass der Einhaltung der Frist Gründe von Gewicht entgegenstanden. 6. Rechtsfolgen der Fristüberschreitung. Rechtsfolgen hat die Fristüberschrei- 17 tung nur insoweit, als sie einen absoluten Revisionsgrund schafft, der der Revision bei entsprechender Verfahrensrüge zum Erfolg verhilft.97 Im Übrigen aber entfällt weder die Pflicht des Gerichts, das Urteil zu den Akten zu bringen,98 noch beeinträchtigt die Fristüberschreitung die Wirksamkeit und Verbindlichkeit der nach Fristablauf fertiggestellten Urteilsgründe für das weitere Verfahren vor dem Revisionsgericht99 und für die weiteren Verfahrensabschnitte einschließlich Vollstreckungs-, Gnaden- und Wiederaufnahmeverfahren. Eine andere Beurteilung ist auch durch das Änderungsverbot des Absatzes 1 Satz 3 nicht veranlasst (Rn. 59). Eine vermeidbare, sachlich nicht gerechtfertigte längere Verzögerung in der Abset- 18 zung der Urteilsgründe kann dazu führen, dass der in Untersuchungshaft befindliche Angeklagte aus der Haft zu entlassen ist.100

II. Aufnahme des Urteils mit Gründen in das Protokoll 1. Ermessen des Vorsitzenden. Ob das Urteil mit den Gründen als besondere Nie- 19 derschrift (also mit Urteilskopf, Urteilssatz und Gründen)101 zu den Akten zu bringen ist oder die Gründe in das Protokoll mit aufzunehmen sind, ist dem nicht anfechtbaren Ermessen des Vorsitzenden überlassen.102 Die Aufnahme der Gründe in das Protokoll empfiehlt sich nur in einfachen Sachen, deren Sachlage ein alsbaldiges Niederschreiben der Gründe gestattet oder aber ihr Diktieren in das Protokoll bei der Urteilsbegründung.

95 Nr. 141 Abs. 3 RiStBV; AK/Wassermann 19; KK/Greger 52; KMR/Gemählich 27; Meyer-Goßner/Schmitt 17; MüKo/Valerius 22; Radtke/Hohmann/Pauly 6; SK/Frister 23; Rieß NStZ 1982 441, 444. 96 Vgl. BGH NStZ 1991 297; sowie Fn. 95 und LR/Franke26 § 338, 122. 97 Vgl. Rn. 74; LR/Franke26 § 338, 119 ff. Zur Frage, ob die verspätete Absetzung der Urteilsgründe die Wiedereinsetzung bei bereits verstrichener Revisionseinlegungsfrist rechtfertigt, vgl. LR/Franke26 § 338, 120; Rieß NStZ 1982 441, 446. 98 Diese Dienstpflicht besteht fort, auch wenn der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 dadurch nicht mehr aus der Welt geschafft werden kann (LR/Franke26 § 338, 123). Die Urteilsgründe haben eine weit über diese Verfahrensrüge und das Revisionsverfahren hinausragende Bedeutung (vgl. LR/Stuckenberg § 267, 5); ferner Rn. 1. 99 Vgl. LR/Franke26 § 338, 123. 100 Vgl. BVerfG StV 2006 81; OLG Karlsruhe NJW 1969 1682; OLG München NJW 1970 156; OLG Naumburg StV 2008 201. 101 RGSt 19 233; BayObLGSt 1999 151 = BayObLG NStZ-RR 2000 87; bei Rüth DAR 1983 253; OLG Köln VRS 64 (1983) 282; NJW 1980 1405. 102 KK/Greger 2; KMR/Gemählich 3; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/Valerius 4; OK-StPO/Peglau 3; SK/ Frister 4; SSW/Güntge 1.

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Der Umstand, dass die Urteilsgründe in das Protokoll aufgenommen werden, schließt ihre Niederschreibung durch einen der Richter nicht aus. 20

2. Form und Inhalt des Urteils. Nach Form und Inhalt muss das in das Protokoll aufgenommene Urteil den gleichen Anforderungen entsprechen wie die in einer getrennten Urkunde erstellten Urteile.103 Lediglich der Urteilskopf mit den von Absatz 3 geforderten Angaben kann entfallen, sofern diese Angaben bereits vollständig im Kopf des Protokolls enthalten sind.104 Die Unterschriften aller Berufsrichter müssen das gesamte Urteil, Formel und Gründe, decken; die Unterschriften des Vorsitzenden und des Protokollführers außerdem die Sitzungsniederschrift.105 Beim Einzelrichter soll hingegen die Unterschrift unter das Protokoll genügen.106

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3. Unverzügliche Fertigstellung. § 275 Abs. 1 Satz 1 geht davon aus, dass bei Aufnahme des Urteils in das Protokoll die Pflicht stets erfüllt ist, das Urteil unverzüglich zu den Akten zu bringen.107 Dies setzt an sich voraus, dass bereits bei der Urteilsverkündung die von allen Berufsrichtern gebilligte Fassung schriftlich abgefasst vorliegt oder dass die Urteilsgründe bei der Verkündung gleich in das Protokoll diktiert werden, was bei einfachen Sachen vor allem dem Einzelrichter möglich ist. Zumindest aber müssen die Urteilsgründe so bald fertig gestellt sein, dass sie unverzüglich in das Protokoll übernommen werden können, wenn dieses, wie heute üblich, erst nach der Hauptverhandlung hergestellt und unterschrieben wird. Da es erst dann als Teil des Protokolls mit diesem zu den Akten genommen werden kann,108 ergibt sich auch hier die Pflicht, dafür zu sorgen, dass das Protokoll mit dem Urteil unverzüglich fertiggestellt wird. Der Sinn des Absatzes 1 Satz 2 spricht dafür, auch die Höchstfristen insoweit (analog) anzuwenden.109 Verzögert sich die Erstellung des Protokolls, dann ist es unter Umständen angezeigt, die noch nicht vollzogene Anordnung der Aufnahme des Urteils in die Sitzungsniederschrift wieder rückgängig zu machen und das Urteil in getrennter Urkunde fristgerecht zu den Akten zu bringen. Ist das Urteil aber in das fertige Protokoll aufgenommen und von den beteiligten Berufsrichtern und das Protokoll vom Protokollführer und Vorsitzenden unterschrieben worden, dann wird es zur maßgebenden Urteilsurschrift. Es ist dann nicht mehr zulässig, es in der Form einer gesonderten Urteilsurkunde zu erstellen.110 Ob es dann noch geändert werden kann, ist strittig,111 jedoch spricht vieles dafür, eine Änderung des in das Protokoll aufgenommenen Textes bei einer auch die allseitige Billigung erkennbar machenden Kennzeichnung der geänderten Stellen in 103 RGSt 19 233; h. M. 104 Nr. 141 Abs. 1 RiStBV; vgl. LR/Stuckenberg § 272, 17. 105 RGSt 64 215; BGHSt 58 243, 249 mit zust. Anm. Valerius NStZ 2013 732; OLG Frankfurt NZV 2013 98; HK/Julius/Beckemper 2; KMR/Gemählich 2; KK/Greger 4a; MüKo/Valerius 5; Meyer-Goßner/Schmitt 1; SK/ Frister 5; SSW/Güntge 1; a. A. OK-StPO/Peglau 1 (gesonderte Unterschrift des Vorsitzenden entbehrlich, da seine Unterschrift unter dem Protokoll auch Urteil mit abdeckt); auch AK/Wassermann 3 hält wohl eine Unterschrift des Vorsitzenden für ausreichend, vgl. LR/Stuckenberg § 271, 23. 106 OLG Hamburg NStZ-RR 2016 179; OLG Hamm NStZ 2013 304; KK/Greger 4a; Meyer-Goßner/Schmitt 1; OK-StPO/Peglau 1; offenlassend OLG Celle StraFo 2012 21, 22. 107 Vgl. KG VRS 82 (1992) 135; KMR/Gemählich 4. 108 Vgl. LR/Stuckenberg § 271, 11 ff. 109 SK/Frister 6; a. A. (nicht anwendbar) BGHSt 58 243, 250; OLG Düsseldorf MDR 1982 249; KG VRS 82 (1992) 135; KK/Greger 4a; KMR/Gemählich 5; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/Valerius 6; SSW/Güntge 1. 110 BayObLGSt 1999 151. 111 Verneinend BGHSt 58 243, 250; OLG Düsseldorf MDR 1982 249; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/ Valerius 6; SSW/Güntge 1.

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den Grenzen zuzulassen, in denen auch eine zu den Akten gebrachte gesonderte Urteilsurkunde noch geändert werden darf, also nur, solange das Protokoll noch nicht aus dem inneren Dienstbetrieb hinausgegeben wurde und nur vor Ablauf der Fristen des Absatzes 1 Satz 2.112

III. Die äußere Form des Urteils (Absatz 3) 1. Urteilskopf. Absatz 3 legt die Angaben, die der Urteilskopf (auch „Eingang“, „Ru- 22 brum“ genannt) enthalten muss, nur in den Grundzügen und auch insoweit nur lückenhaft fest. Viele Einzelfragen bleiben offen. Insoweit entscheidet das Gericht unter Berücksichtigung des Zweckes des Urteilskopfes und der bestehenden Übung nach pflichtgemäßem Ermessen.113 2. Die einzelnen Angaben des Urteilskopfes a) Tag der Sitzung. Hat sich die Sitzung einschließlich der Urteilsverkündung auf 23 mehrere Tage erstreckt oder war die Urteilsverkündung ausgesetzt worden, dann werden üblicherweise alle Tage, eventuell auch nur der Zeitraum einer vieltägigen Hauptverhandlung (erster und letzter Verhandlungstag) aufgeführt. Unerlässlich ist es, den Tag der Urteilsverkündung anzugeben, da er allein für den Lauf der Fristen entscheidend ist.114 Maßgebend ist der Tag, an dem die Verkündung beendet wurde; denn erst mit Abschluss der Verkündung ist das Urteil erlassen (von Bedeutung insbesondere, wenn die Urteilsverkündung erst nach Mitternacht endet115). Eine unrichtige Datierung beeinträchtigt den Bestand des Urteils nicht.116 Ein hierdurch verursachter Irrtum über den Beginn der Rechtsmittelfristen kann aber die Wiedereinsetzung rechtfertigen. b) Namen der Richter. Namen der Richter einschließlich der Laienrichter. An sich 24 genügt der Familienname, die Angabe des Vornamens ist aber üblich.117 Sind allerdings mehrere Richter gleichen Namens bei dem Gericht, ist eine weitere Individualisierung (Vorname, kennzeichnender Zusatz) unerlässlich. Die Amtsbezeichnung der Berufsrichter und die Funktion, in der die Richter am Prozess teilgenommen haben (Vorsitzender, Beisitzender, Schöffe) ist entsprechend der ständigen Übung ebenfalls anzugeben;118 nicht notwendig ist die Kenntlichmachung, ob es sich um einen abgeordneten Richter oder einen Richter kraft Auftrags handelt.119 Beim Richter auf Probe wird dies ohnehin aus der Amtsbezeichnung ersichtlich. Ein Ergänzungsrichter ist nur anzuführen, wenn er am Urteil mitgewirkt hat, dann ist nur sein Name anzugeben und nicht der Name des ausgefallenen Richters.120

112 SK/Frister 6; BayObLGSt 1999 151 lässt dies offen. 113 Wegen der Einzelheiten vgl. Meyer-Goßner/Appl 13 ff. sowie Fn. 114. 114 OLG Koblenz Rpfleger 1973 219; AK/Wassermann 4; KK/Greger 7; Meyer-Goßner/Schmitt 25; MüKo/ Valerius 36; SK/Frister 34; SSW/Güntge 16; Eb. Schmidt 2. 115 Vgl. RG JW 1932 3105 mit zust. Anm. Oetker; LR/Stuckenberg § 272, 9. 116 OLG Koblenz VRS 45 (1973) 190; AK/Wassermann 4. 117 KK/Greger 8. 118 AK/Wassermann 4; KK/Greger 8; SK/Frister 36. 119 Vgl. § 29 DRiG. 120 KK/Greger 9; Meyer-Goßner/Schmitt 26; SK/Frister 36; SSW/Güntge 16.

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c) Bezeichnung des Gerichts. Die Bezeichnung des Gerichts fordert Absatz 3 nicht ausdrücklich. Es ist aber selbstverständlich, dass der Urteilskopf angeben muss, welches Gericht und welcher bei diesem Gericht gebildete Spruchkörper das Urteil erlassen hat.121 Die ebenfalls gebotene Angabe des Aktenzeichens genügt für sich allein hierfür nicht.

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d) Beamte der Staatsanwaltschaft. Haben mehrere nebeneinander an der Sitzung teilgenommen, so sind alle mit Namen und Dienstbezeichnung anzugeben. Ein Referendar, dem der anwesende Staatsanwalt die mündlichen Ausführungen überlassen hat, braucht jedoch nicht erwähnt zu werden.122 Hat der Staatsanwalt während der Sitzung gewechselt, werden zweckmäßigerweise beide Beamte angegeben. Nur den Beamten der Staatsanwaltschaft anzuführen, der bei der Urteilsverkündung anwesend war, entspricht kaum dem Sinn der Vorschrift, die aufzeigen soll, wer am Zustandekommen des Urteils maßgebend mitgewirkt hat und nicht nur, wer bei seiner Verkündung anwesend war.123 Die Erwähnung des Nebenklägers und seines Prozessbevollmächtigten im Urteilskopf ist zwar nicht vorgeschrieben, sie ist jedoch dann angezeigt, wenn der Nebenkläger in der Hauptverhandlung anwesend war oder wenn über sein Rechtsmittel zu entscheiden ist.124

e) Verteidiger. Sein Name ist ebenfalls im Urteilskopf anzuführen. Hatte der Angeklagte mehrere Verteidiger, so sind sie alle anzugeben, auch wenn einer von ihnen zeitweilig nicht anwesend war.125 Es gelten insoweit die gleichen Gesichtspunkte wie für die Vertreter der Staatsanwaltschaft. Unerheblich und deshalb nicht zu erwähnen ist, ob ein Verteidiger als Pflichtverteidiger bestellt worden ist.126 Für den Beistand (§ 149) fehlt eine solche Regelung. Es besteht daher keine Ver28 pflichtung, ihn im Urteilskopf zu erwähnen.127 27

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f) Urkundsbeamte der Geschäftsstelle. Hier genügt es, wenn bei einem Wechsel nur der Urkundsbeamte angegeben wird, der an der Verkündung teilgenommen hat;128 denn jeder Protokollführer ist nur für den von ihm selbst aufgenommenen Teil des Protokolls verantwortlich, nicht aber für das Zustandekommen des Urteils als solches. Daraus ergibt sich der Unterschied zu den anderen Personen (Rn. 26 f.).

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g) Angeklagter. Er wird in Absatz 3 nicht erwähnt; dass er anzugeben ist, ist jedoch schon der Sache nach unerlässlich. Urteilskopf und Urteilsformel bilden die Grundlage der Vollstreckung und der Eintragung in das Strafregister. Sie werden außerdem anderen 121 KK/Greger 14; KMR/Gemählich 42; SK/Frister 34. 122 KMR/Gemählich 38; SK/Frister 36; Eb. Schmidt 3. 123 AK/Wassermann 4; KMR/Gemählich 38; KK/Greger 10; Meyer-Goßner/Schmitt 26; MüKo/Valerius 38; Radtke/Hohmann/Pauly 18; SK/Frister 36; SSW/Güntge 16.

124 BGH bei Kusch NStZ-RR 1999 38; AK/Wassermann 42; KMR/Gemählich 48; Meyer-Goßner/Schmitt 26; Radtke/Hohmann/Pauly 18; SK/Frister 37; SSW/Güntge 16; Eb. Schmidt 4. Nach KK/Greger 18 kann bei der Entscheidung über sein Rechtsmittel auch die Angabe in der Urteilsformel genügen. 125 OLG Koblenz Rpfleger 1973 219; KK/Greger 11; KMR/Gemählich 39; Meyer-Goßner/Schmitt 26; MüKo/ Valerius 38; SK/Frister 36; a. A. Eb. Schmidt 3. 126 KK/Greger 11; KMR/Gemählich 39; Meyer-Goßner/Schmitt 26. 127 KK/Greger 16; KMR/Gemählich 39; Meyer-Goßner/Schmitt 26; MüKo/Valerius 38; SK/Frister 37; Eb. Schmidt 4. 128 AK/Wassermann 4; KK/Greger 12; KMR/Gemählich 40; Meyer-Goßner/Schmitt 26; SK/Frister 36; SSW/ Güntge 16; vgl. LR/Stuckenberg § 271, 13; § 272, 12.

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Behörden mitgeteilt, die die Akten nicht zur Verfügung haben. Es ist daher unerlässlich, den Angeklagten im Urteilskopf so genau zu bezeichnen, dass seine Identität jederzeit anhand der Personalien festgestellt werden kann.129 Erforderlich sind also Familiennamen (einschließlich des Geburtsnamens) und Vornamen sowie Angaben über Tag und Ort der Geburt; zweckmäßig sind auch Angaben über Wohnort oder Aufenthaltsort (Ort, Straße, Hausnummer).130 Ob die üblichen Angaben über Beruf oder Familienstand geboten sind, kann zweifelhaft sein.131 Befindet sich der Angeklagte in Untersuchungshaft oder in anderer Sache in Strafhaft, so ist auch dies im Urteilskopf zweckmäßigerweise anzuführen.132 Staatsangehörigkeit,133 Religionszugehörigkeit oder der Hinweis auf Vorstrafen gehören dagegen nicht in den Urteilskopf.134 Durch die Aufnahme der Personalien in den Urteilskopf wird die Urteilsformel ent- 31 lastet, sie müssen dann dort nicht wiederholt werden. Umgekehrt kann die Aufnahme aller Personalangaben in der Urteilsformel deren nochmalige Anführung im Urteilskopf entbehrlich machen. Weichen die Personaldaten im Urteilskopf wesentlich von denen der Anklage oder des Bußgeldbescheides ab, muss im Urteil klargestellt werden, dass dieses nicht gegen eine andere Person erlassen wurde.135 Mehrere Angeklagte sind i. d. R. in der Reihenfolge der Anklageschrift aufzuführen. 32 Ergehen in einer früher verbundenen Sache getrennte Urteile, kann es angezeigt sein, die frühere Verbindung dadurch kenntlich zu machen, dass die Angabe des Namens mit aufgenommen wird, der das verbundene Verfahren kennzeichnete, und dass erst dann die Namen der Angeklagten genannt werden, gegen die im Urteil entschieden wurde.136 h) Nebenbeteiligte. Die Personalien der von der Entscheidung betroffenen Einzie- 33 hungsbeteiligten und ihrer Prozessbevollmächtigten sind – ebenso wie die der Angeklagten – im erforderlichen Umfang in den Urteilskopf aufzunehmen.137 i) Privatkläger. Der Privatkläger wird in § 275 Abs. 3 nicht angesprochen. Da er das 34 Strafverfahren gegen den Angeklagten betreibt, muss er jedoch in den Urteilskopf aufgenommen werden, ohne Rücksicht darauf, ob er in der Hauptverhandlung anwesend war.138 Gleiches gilt bei einem Verletzten, über dessen zivilrechtliche Ansprüche im Adhäsionsverfahren mit entschieden wird.139

129 AK/Wassermann 5; KK/Greger 15; KMR/Gemählich 43; SK/Frister 35; vgl. Nr. 141 Abs. 1 Satz 1; 110 Abs. 2 RiStBV.

130 KMR/Gemählich 43; SSW/Güntge 16; a. A. KK/Greger 15 für den Wohnort. 131 Die Angaben werden unter Hinweis auf Nr. 141 Abs. 1; 110 Abs. 2 RiStBV für erforderlich gehalten, so KMR/Gemählich 43; Meyer-Goßner/Appl 14; a. A. AK/Wassermann 5; KK/Greger 15; MüKo/Valerius 40; SK/Frister 35. 132 KK/Greger 15; KMR/Gemählich 44; SSW/Güntge 16; Meyer-Goßner/Appl 14; a. A. AK/Wassermann 5; MüKo/Valerius 40; SK/Frister 35. 133 KK/Greger 15; SK/Frister 35; a. A. LR/Gollwitzer25 31; Meyer-Goßner/Appl 14. 134 AK/Wassermann 5; KK/Greger 15; KMR/Gemählich 43; MüKo/Valerius 40; SK/Frister 35; SSW/Güntge 16. 135 Vgl. OLG Schleswig SchlHA 1979 288 (andernfalls ist über den Schuldvorwurf gegen den eigentlichen Angeklagten nicht entschieden). 136 KMR/Gemählich 45; SK/Frister 35 („Strafsache gegen A und andere; hier gegen B und C“). 137 AK/Wassermann 6; KK/Greger 19; KMR/Gemählich 46; Meyer-Goßner/Schmitt 26; SK/Frister 37; SSW/ Güntge 16. 138 AK/Wassermann 6; KK/Greger 17 (üblich in der Form der Parteibezeichnung des Zivilprozesses); SK/ Frister 37; SSW/Güntge 16. 139 KMR/Gemählich 49; vgl. LR/Hilger26 § 406, 2 ff.

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3. Unterschriften der Richter a) Fertiges Urteil. Ein vollständiges schriftliches Urteil liegt so lange nicht vor, als nicht sämtliche beteiligten Berufsrichter seinen Inhalt gebilligt und dies mit ihrer Unterschrift bestätigt haben, wobei ein Verhinderungsvermerk die Unterschrift ersetzen kann. Dieses wesentliche Formerfordernis muss grundsätzlich vor Ablauf der Frist des Absatzes 1 Satz 2 erfüllt sein, denn erst wenn alle Unterschriften das gesamte Urteil abdecken, ist es fertiggestellt und kann zu den Akten gebracht werden.140 Die Frist zur Begründung der Revision läuft deshalb grundsätzlich erst von der Zustellung eines von allen Unterschriften gedeckten, fertiggestellten Urteils an.141 Dasselbe gilt, wenn irrtümlich ein nicht Berufener die Verhinderung eines Richters zur Beifügung seiner Unterschrift unter dem Urteil vermerkt hat.142 Die vorzeitige Zustellung eines von einem Teil der Richter noch nicht unterschriebenen Urteils ist rechtlich bedeutungslos;143 der Angeklagte kann keinen Einwand daraus herleiten, wenn das hernach zugestellte, ordnungsgemäße (fristgerecht zu den Akten gebrachte) Urteil inhaltlich von dem abweicht, das ihm zugestellt worden war, bevor die Unterschriften aller mitwirkenden Richter vorlagen.144 36 Das Fehlen einer Unterschrift kann und muss wegen der nicht nur verengt unter dem Aspekt des Revisionsverfahrens zu betrachtenden Bedeutung des Urteils dadurch geheilt werden, dass die Unterschrift nachgeholt oder – bei Verhinderung – durch einen entsprechenden Vermerk (Rn. 44) ersetzt wird.145 Dies gilt auch, wenn ein nicht beteiligter Richter anstelle eines beteiligten irrtümlich das Urteil unterschrieben hat.146 Eine solche Nachholung ist Dienstaufgabe der Richter und – zeitlich unbegrenzt – grundsätzlich solange möglich, als der Richter noch die Übereinstimmung der Urteilsgründe mit dem Ergebnis der Beratung bezeugen kann.147 Sie ist selbst dann noch zulässig, wenn die Urteilsbegründungsfrist abgelaufen oder der Mangel in der Revisionsbegründung gerügt148 ist. Nach der wohl vorherrschenden Ansicht149 kann dagegen eine Unterschrift nach Ablauf der Fertig35

140 141 142 143 144

BGHSt 26 247; BGH NStZ-RR 2000 237; StV 1984 275; 1989 5; vgl. Rn. 37. RG LZ 1916 153; vgl. RGZ 82 422; ferner Rn. 3. RG GA 38 (1891) 48. OLG Celle StraFo 2012 21, 22; LG Göttingen StraFo 2011 273 f. OLG Dresden JW 1930 2080; anders aber, wenn in dem als fertig zu den Akten gebrachten Urteil eine Unterschrift fehlt, vgl. BGHSt 46 204. 145 Vgl. RGRspr. 9 (1887) 480; RGSt 61 399; Peters FS v. Weber 374, 383 (zur früheren Rechtslage); so auch die h. M. im Zivilprozess, vgl. die Erläuterungsbücher zu § 315 ZPO; zur Gegenmeinung, die zum Teil wohl nur mit Blick auf § 338 Nr. 7 argumentiert, vgl. Fn. 149. 146 Vgl. BayObLG bei Rüth DAR 1982 253 (Protokollfehler); OLG Düsseldorf MDR 1981 423 (absoluter Revisionsgrund greift); ferner Rn. 4. 147 Vgl. Fn. 145; ferner LR/Franke26 § 338, 123; OLG Celle StraFo 2012 21, 22; KG 19.4.1999 – (5) 1 Ss 41/ 99 (15/99); Gollwitzer FS Kleinknecht 147, 167; Rieß NStZ 1982 441, 443. 148 OLG Celle StraFo 2012 21, 22 (Nachholung der Unterschrift vor Ablauf der Begründungsfrist; dass der Verfahrensrüge damit die Grundlage entzogen wird, sei unbeachtlich, weil die unwirksame Zustellung eines Urteilsentwurfs kein schützenswertes Vertrauen begründe). 149 Vgl. BGHSt 27 334, 335; 28 194, 196; 46 204, 205 f.; BGH bei Holtz MDR 1978 988; BGH NStZ 1982 476; 1984 378; 1993 200; bei Kusch NStZ 1995 220; BGH NStZ-RR 2000 237; StV 1984 275; 1995 454; DRiZ 1973 186; BayObLGSt 1982 133 = JR 1983 261 mit Anm. Foth; BayObLG VRS 61 (1981) 130; OLG Düsseldorf MDR 1981 423; OLG Köln NStZ-RR 2011 348; StraFo 2018 353; ferner KK/Greger 46a; KMR/Gemählich 21, 29; Meyer-Goßner/Schmitt 6; ders. NStZ 1988 529, 537; MüKo/Valerius 14; OK-StPO/Peglau 26; SSW/Güntge 4; Rieß NStZ 1982 441, 443; Börner ZStW 122 (2010) 157, 172 Fn. 76; a. A. (wie hier) KG 19.4.1999 – (5) 1 Ss 41/99 (15/99); LR/Gollwitzer25 37; ders. FS Kleinknecht 147, 166 ff.; SK/Frister 18; SK/Velten § 267, 74. Ob allerdings wirklich alle angeführten Entscheidungen in der Sache mehr besagen wollen, als dass die verspätete Nachholung der Unterschrift bei der Rüge nach § 338 Nr. 7 unbeachtlich ist, erscheint fraglich.

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stellungsfrist nicht mehr nachgeholt werden. Anders als bei der sachbezogenen Urteilsbegründung ist es aber nicht ersichtlich, wieso dem Nachholen einer offensichtlich fehlenden oder allen Beteiligten erkennbar fehlerhaften Unterschrift allgemein Gründe des Vertrauensschutzes entgegenstehen sollten. Eine andere Frage ist, dass dadurch der Revisionsgrund einer nicht fristgerechten Verbringung des Urteils zu den Akten (§ 338 Nr. 7) nicht mehr beseitigt werden kann. Diese kommt aber nur bei einer ordnungsgemäß erhobenen Rüge eines Verstoßes gegen Absatz 1 Satz 2, 3 zum Tragen, nicht aber in den sonstigen Fällen, in denen die Urteilsgründe Bedeutung haben. Das Änderungsverbot des Absatzes 1 Satz 3 sichert die Fristsetzung in Satz 2 ab. Es schließt deshalb nachträgliche sachliche Änderungen150 der Urteilsgründe aus. Sein Regelungszweck erfordert aber nicht, daran allgemein auch die Nachholung einer vergessenen oder die Richtigstellung einer sonstwie fehlerhaften Unterschrift scheitern zu lassen.151 Zur Auswirkung des Mangels auf die von der Urteilszustellung abhängigen Fristen vgl. bei § 345. b) Sämtliche Berufsrichter. Die Unterschrift aller mitwirkenden Richter, und 37 zwar nach Absatz 2 Satz 3 nur der Berufsrichter,152 ist sowohl für den Urteilssatz als auch für die vollständigen Gründe notwendig.153 Es genügt nicht, wenn hinsichtlich der Gründe auf eine selbst nicht unterschriebene Anlage („Gründe siehe Entwurf“) verwiesen wird.154 Ein eingesprungener Ergänzungsrichter unterschreibt anstelle des ausgefallenen Richters.155 Die Unterschrift muss zwar nicht leserlich, wohl aber als solche individualisierbar sein,156 d. h. jemand, der den Namen des Unterzeichnenden kennt, muss ihn herauslesen können.157 Eine geschlängelte Linie158 oder zwei Striche159 genügen nicht, desgleichen nicht ein Handzeichen; wenigstens einzelne Buchstaben müssen erkennbar sein.160 Erforderlich ist die handschriftliche Unterschrift mit dem voll ausgeschriebenen Familiennamen,161 ein Namenskürzel (Paraphe) genügt nicht.162 Die Unter150 Nicht aber Berichtigungen des Urteils, die keine sachliche Änderung bedeuten, so Rieß NStZ 1982 441, 443; Meyer-Goßner/Schmitt 11 und § 267, 39; SK/Frister 17. 151 Vgl. LR/Franke26 § 338, 123. Die Gegenmeinung verleiht dem Verbot der Nachholung der Unterschrift eine auch bei der Sachrüge ins Gewicht fallende Bedeutung, die die vom Gesetz gewollte Ausgestaltung als disponible Verfahrensrüge illusorisch macht. 152 BGHSt 26 92 = LM Nr. 1 mit Anm. Pelchen; BGHSt 31 212; BGH bei Holtz MDR 1979 638; KK/Greger 23; KMR/Gemählich 29; Meyer-Goßner/Schmitt 19; MüKo/Valerius 25; Radtke/Hohmann/Pauly 11; SK/Frister 24; SSW/Güntge 2; sowie Fn. 12. 153 So schon RGRspr. 1 (1879/80) 826, 828; vgl. etwa BGH NStZ 1984 378 (gesamten Text); Fn. 12. 154 BGH NJW 1997 138 (insoweit nicht in BGHSt 42 235); BayObLGSt 1970 224 = VRS 40 (1971) 10. 155 Eb. Schmidt 11. 156 BGHSt 12 317, 319; BGHR § 275 Abs. 2 Satz 1 Unterschrift 1; BayObLGSt 2003 73 = NStZ-RR 2003 305; KG ZfSch 2014 349 f. 157 KG VRS 135 (2018) 293; OLG Brandenburg 26.2.2019 – (1 B) 53 Ss-OWi 608/18 (320/18); OLG Braunschweig 13.11.208 – 1 Ss 60/18; OLG Frankfurt 3.1.2018 – 2 Ss-OWi 1337/17; OLG Hamm NStZ-RR 2013 276 (L); OLG Köln NStZ-RR 2011 348 (nach rechts geneigte Sinuskurve mit Schlaufe); OLG Köln 11.1.2013 – IIIRVs 2/13; 11.4.2018 – 1 RVs 76/18; OLG Oldenburg NJW 1988 2812; OLG Saarbrücken NJOZ 2016 1890; s. a. BGH StV 2019 466. 158 BayObLGSt 2003 73 = NStZ-RR 2003 305; KG NStE 11; OLG Düsseldorf NJW 1956 923; OLG Köln NStZ-RR 2011 348; OLG Oldenburg NJW 1988 2812; AK/Wassermann 7; KK/Greger 25; KMR/Gemählich 30; SK/Frister 24; vgl. auch LR/Franke26 § 345, 25. 159 KG ZfSch 2014 349 f. 160 KG ZfSch 2014 349 f.; OLG Köln NStZ-RR 2011 348. 161 AK/Wassermann 7; KK/Greger 25; SK/Frister 24. Vgl. auch OLG Frankfurt NJW 1989 3030 (nicht notwendig aber ein voller Doppelname). 162 KG ZfSch 2014 349 f.; OLG Köln StraFo 2018 353 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 19.

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schrift der Schöffen ist nicht vorgesehen (Absatz 2 Satz 3);163 unterschreiben die Schöffen trotzdem die Urteilsgründe, ist dies unschädlich.164 c) Meinung der Mehrheit. Mit der Unterschrift bezeugen die Berufsrichter, dass das Urteil mit dem Ergebnis der Beratung übereinstimmt.165 Meinungsverschiedenheiten über Form und Inhalt der schriftlichen Urteilsfassung müssen die Berufsrichter in einer Beratung klären und durch Abstimmung mehrheitlich entscheiden.166 Auch der überstimmte Richter muss das Urteil unterschreiben, da er mit seiner Unterschrift nur bestätigt, dass das Urteil dem Beratungsergebnis entspricht.167 Vermerkt er dabei eine abweichende eigene Meinung, so ist dies unbeachtlich und beseitigt die Maßgeblichkeit der schriftlichen Urteilsgründe für das weitere Verfahren nicht.168 Die Pflicht zur Unterzeichnung endet entgegen der früher herrschenden Ansicht169 jedoch, wenn das Urteil den Tatbestand der Rechtsbeugung (§ 339 StGB) erfüllt.170 39 Bei dem mit zwei Berufsrichtern besetzten, erweiterten Schöffengericht und bei der mit zwei Berufsrichtern nach § 76 Abs. 3 GVG besetzten kleinen Strafkammer kann bei Meinungsverschiedenheiten ein Mehrheitsbeschluss nicht herbeigeführt werden. Es ist strittig, ob in diesem Fall die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag gibt171 oder ob zur Vermeidung einer unüberwindbaren Position des Vorsitzenden die Schöffen zuzuziehen sind, wobei der Vorsitzende dann nur bei einer Pattsituation nach § 196 Abs. 4 GVG den Ausschlag gäbe.172

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d) Änderung nach Unterschrift. Bedarf es der Unterschrift mehrerer Richter und ist der Urteilsentwurf zunächst nur von einem Teil der Richter unterschrieben, so dürfen spätere sachliche Änderungen nur mit Zustimmung des oder der Richter vorgenommen werden, deren Unterschrift schon vorliegt,173 was durch erneute Unterschrift an der geänderten Textstelle oder unter dem Urteil kenntlich zu machen ist.174 Eine dem Vorsitzenden oder einem Beisitzer im Voraus erteilte Ermächtigung, an den ausgearbeiteten Gründen so viel zu ändern, als der Ermächtigte für erforderlich oder zweckmäßig erachtet, ist rechtlich wirkungslos,175 ebenso eine Unterschrift an anderer Stelle wie etwa der

163 Dazu Börner ZStW 122 (2010) 157, 171 f. 164 BGHSt 39 281; KK/Greger 24; KMR/Gemählich 29; Meyer-Goßner/Schmitt 19; MüKo/Valerius 28; SK/ Frister 24; SSW/Güntge 15 (erlaubt).

165 RG JW 1930 559; BGHSt 26 93; 26 247; 31 312; BGH NStZ 1984 378; StV 1985 275; 1989 5; bei Holtz MDR 1979 638. 166 RGSt 28 58; 44 120; BGHSt 26 92, 93. 167 BGHSt 26 92, 93; AK/Wassermann 8; KK/Greger 23; KMR/Gemählich 29; Meyer-Goßner/Schmitt 19 f.; MüKo/Valerius 27; Eb. Schmidt 12; a. A. SK/Frister 26. Vgl. auch Rn. 70. 168 BGHSt 26 92, 93; KK/Greger 26 (anders, wenn der Richter beanstandet, dass Urteilsgründe nicht ordnungsgemäß beschlossen worden seien). 169 OGHSt 1 217, 222; BGH GA 1958 241, 242; OLG Naumburg NJW 2008 3585, 3586; a. A. Erb NStZ 2009 189, 191 f.; Fischer FS Hassemer 1001, 1014 f.; Mandla ZIS 2009 143, 147 ff.; Scheinfeld JA 2009 401, 405 f. 170 Meyer-Goßner/Schmitt 19; MüKo/Valerius 26; SK/Frister 25, jew. m. w. N. 171 So Koeniger 464; Sachs DRiZ 1925 154; zum Streitstand vgl. Krofferbert/Knoth DRiZ 1926 176; Knoth DRiZ 1925 33; Sachse GA 70 (1926) 161; Deisberg/Hohendorf DRiZ 1984 261; ferner die Erl. zu § 30 und § 196 GVG. 172 Kissel/Mayer § 196, 7; Eb. Schmidt § 29, 15 GVG; § 30, 30 GVG; Deisberg/Hohendorf DRiZ 1984 261. 173 RGSt 44 120; RG Recht 1915 Nr. 2189; BGH bei Holtz MDR 1979 638; 1983 450; NJW 2003 836 (insoweit nicht in BGHSt 48 119); KMR/Gemählich 18; sowie Fn. 13. 174 OK-StPO/Peglau 24; SK/Frister 27; a. A. BGH NJW 2003 836 (insoweit nicht in BGHSt 48 119). 175 RG GA 62 (1915/16) 471; BGHSt 27 334; BGH NStZ 1984 274; StV 1984 144; Rieß NStZ 1982 441, 443; KK/Greger 27; Meyer-Goßner/Schmitt 5; SK/Frister 27.

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Zustellungsverfügung.176 Scheidet ein Richter aus dem Gericht aus, bevor der von ihm bereits unterschriebene Urteilsentwurf von den anderen Richtern unterzeichnet ist, so steht dem nicht im Weg, dass die Änderung, die den zurückbleibenden Richtern angebracht erscheint, vorgenommen und dass die Unterschrift des ausgeschiedenen Richters durch einen Vermerk über seine Verhinderung an der Unterzeichnung des neu gefassten Urteils ersetzt wird.177 Für die Berichtigung von Rechtschreibfehlern oder eindeutigen Schreibversehen oder grammatikalischen oder stilistischen Verbesserungen ohne jede sachliche Inhaltsverschiebung bedarf es jedoch keiner nochmaligen Zustimmung der Richter, die bereits unterschrieben haben.178 Verweigern die Richter, die den Urteilsentwurf schon unterzeichnet haben, die Zu- 41 stimmung zu einer von den anderen Richtern gewünschten Änderung, so muss in gemeinsamer Beratung geklärt werden, welche Gründe seinerzeit für das Urteil maßgebend waren, und dann ein neuer Beschluss über die endgültige Fassung der Urteilsgründe herbeigeführt werden.179 e) Urkundsbeamter. Der Urkundsbeamte hat nur die Ausfertigung des Urteils, 42 nicht aber die (besonders niedergeschriebene) Urschrift zu unterschreiben.180 Auch wenn das Urteil vollständig in das Protokoll aufgenommen wird, muss es von allen Richtern unterschrieben werden.181 f) Beschlüsse. Absatz 2 bezieht sich nur auf Urteile.182 Auf Beschlüsse ist er nicht 43 entsprechend anwendbar.183 Die StPO enthält keine Vorschrift, wonach Beschlüsse zu ihrer Wirksamkeit der eigenhändigen Unterschrift aller mitwirkenden Richter bedürften.184 4. Verhinderung eines Richters a) Zweck des Verhinderungsvermerks. Anders als bei der Urteilsberatung ist die 44 Mitwirkung aller Richter des erkennenden Gerichts bei der Beurkundung des Beratungsergebnisses in der schriftlichen Urteilsbegründung nicht vorgesehen. Selbst die Beteiligung aller Berufsrichter ist nicht unerlässlich. Absatz 2 Satz 2 lässt den Ersatz der Unterschrift zu, wenn ein Berufsrichter, der am Urteil mitgewirkt hat, an der alsbaldigen Unterschriftsleistung verhindert ist. Der die Unterschrift ersetzende Vermerk muss die Tatsache der Verhinderung und den Hinderungsgrund aufzeigen. Er bezeugt nur die Verhinderung und nicht etwa, dass der verhinderte Richter die Gründe als mit dem Bera-

176 BGH StV 2010 618; SK/Frister 27. 177 RG DRiZ 1929 Nr. 904; BGHSt 27 334; AK/Wassermann 11. 178 BGHSt 27 334; BGH bei Holtz MDR 1979 638; 1984 93; Rieß NStZ 1982 441, 443; KK/Greger 27; KMR/ Gemählich 20; Meyer-Goßner/Schmitt 5; SK/Frister 17; SSW/Güntge 3; vgl. auch AK/Wassermann 11 (nobile officium, den Berichterstatter auch auf stilistische Änderungen hinzuweisen). 179 RGSt 44 121; vgl. Rn. 38. 180 Vgl. Rn. 68. 181 Vgl. Rn. 20. 182 Er gilt auch für Berufungsurteile, § 332; ob er für Revisionsurteile gilt, ist strittig, vgl. LR/Franke26 § 356, 3; KK/Greger 1; KMR/Gemählich 1; SK/Frister 2. 183 RGSt 43 218; vgl. Rn. 1. 184 BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 492 Nr. 1; OLG Düsseldorf MDR 1984 164; OLG Hamm JMBlNW 1978 70; KG GA 1953 128; Kohlhaas GA 1955 69; LR/Graalmann-Scheerer § 33, 13 ff.; Sarstedt JR 1959 69.

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tungsergebnis übereinstimmend ansieht.185 Es liegt also keine Vertretung bei der Unterschrift vor. b) Verhinderung. Verhindert an der Unterschrift ist ein Richter, wenn er seine Unterschrift nicht leisten kann (tatsächliche Verhinderung) oder aus Rechtsgründen nicht mehr leisten darf (Verhinderung aus Rechtsgründen),186 nicht aber dann, wenn er sie nicht leisten will. Der überstimmte Richter darf seine Unterschrift nicht verweigern. Es gehört zu seiner richterlichen Pflicht, die Übereinstimmung des Urteils mit dem von der Mehrheit gebilligten Beratungsergebnis zu bestätigen.187 Seine Unterschrift wird auch nicht dadurch unwirksam, wenn er dabei vermerken sollte, dass er mit der Mehrheit nicht übereinstimmt.188 Verweigert ein Richter trotzdem die Unterschrift, weil das Urteil aus seiner Sicht nicht mit dem Beratungsergebnis übereinstimmt, so liegt darin kein Verhinderungsgrund.189 Dass Umstände vorliegen, die die Annahme einer tatsächlichen Verhinderung rechtfertigen würden, schließt die Wirksamkeit einer vom betroffenen Richter trotzdem ermöglichten Unterschrift nicht aus.190 Die Hinderungsgründe zählt Absatz 2 Satz 2 nicht näher auf. An sie werden nicht die strengen Anforderungen gestellt, die für die Umstände gelten, die die fristgerechte Absetzung des Urteils nach Absatz 1 Satz 4 verhindert haben. 46 Eine Verhinderung aus Rechtsgründen wird von der herrschenden Meinung angenommen, wenn ein Richter das Urteil, an dem er mitgewirkt hat, nicht mehr unterschreiben darf, weil er aus dem Richteramt ausgeschieden ist,191 so auch, wenn er nunmehr als Staatsanwalt192 oder Beamter ein anderes Amt innerhalb der Justiz ausübt, nicht aber, wenn er weiterhin ein Richteramt bei einem anderen Spruchkörper193 oder einem anderen Gericht ausübt,194 als Proberichter der Staatsanwaltschaft zugewiesen195 oder 45

185 186 187 188 189

BGHSt 31 212, 213; Pelchen LM § 275 StPO Nr. 1. Eingehend Peglau JR 2007 146 f. Oben Rn. 38 mit Fn. 167. Fn. 168. KK/Greger 32; KMR/Gemählich 35; Meyer-Goßner/Schmitt 22; MüKo/Valerius 32; SK/Frister 29; SSW/ Güntge 14; Börner ZStW 122 (2010) 157, 174; a. A. AK/Wassermann 10; Radtke/Hohmann/Pauly 12; Pelchen LM § 275 StPO 1975, 1. BGHSt 26 92, 93 lässt dies offen; vgl. auch BGH NJW 1977 765 zu § 315 ZPO. 190 Vgl. BayObLGSt 1967 51 = NJW 1967 1578; AK/Wassermann 7; Meyer-Goßner/Schmitt 23; SK/Frister 29; Busch JZ 1964 746, 749. 191 BGH bei Holtz MDR 1994 1072; BayObLGSt 1967 51 = NJW 1967 1578; BayObLGSt 1982 133 = JR 1983 261 mit Anm. Foth; BayObLG VRS 61 (1981) 130; AK/Wassermann 7; KK/Greger 30; KMR/Gemählich 33; Meyer-Goßner/Schmitt 23; MüKo/Valerius 31; OK-StPO/Peglau 31; Radtke/Hohmann/Pauly 14; SK/Frister 31; SSW/Güntge 14; Busch JZ 1964 746, 749; a. A. Kohlhaas GA 1974 142, 147; LR/Gollwitzer25 39, 48; ders. FS Kleinknecht 147, 168 f.; ders. FS Gössel 543, 551. Zur gleichen Streitfrage bei § 315 ZPO vgl. die entsprechenden Erläuterungsbücher (maßgebend für die Richtereigenschaft Zeitpunkt der Beschlussfassung, nicht der unselbständige Akt der Unterzeichnung); ferner Vollkommer NJW 1968 1309. 192 BGH bei Kusch NStZ 1995 20 Nr. 16; anders bei Versetzung eines Richters auf Probe zur Staatsanwaltschaft unter Beibehaltung seines Status BGH StV 1992 557; 2006 459; NStZ-RR 2007 88; KK/Greger 30; Meyer-Goßner/Schmitt 23; SK/Frister 31; krit. Foth NStZ 2011 359 („Begriffsjurisprudenz“). 193 BGH NStZ 1982 476; 1993 96; BayObLGSt 1982 133 = JR 1983 261 mit Anm. Foth; AK/Wassermann 7; KMR/Gemählich 34; Meyer-Goßner/Schmitt 23; MüKo/Valerius 32; Radtke/Hohmann/Pauly 14; SK/Frister 31; SSW/Güntge 14; Busch JZ 1964 746, 749; Kohlhaas GA 1974 142, 148; a. A. Foth NStZ 2011 359. Zur vergleichbaren Rechtslage nach § 315 ZPO Vollkommer NJW 1968 1310; ferner OLG Stuttgart Rpfleger 1976 257 mit abl. Anm. Vollkommer. Zur Fortdauer der Befugnisse aus dem alten Richteramt vgl. BGH NJW 1967 2367. 194 BGH NStZ 1982 476, 477; 2011 358 mit abl. Anm. Foth; 2014 355; OLG Zweibrücken StV 1990 14; Meyer-Goßner/Schmitt 23. 195 BGH NStZ 2019 300, 301.

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als Richter zu einer Verwaltungsbehörde abgeordnet196 wird, jedoch kann sich daraus im Einzelfall ein tatsächliches Hindernis ergeben.197 Die Pflicht und Befugnis zur Beurkundung des Beratungsergebnisses ist jedoch ein die Versetzung überdauernder Ausfluss des früheren Richteramtes; sie kann daher auch nach dem Ausscheiden aus dem alten Spruchkörper ausgeübt werden, denn es wird auch bei einer späteren Teilnahme an der Fassungsberatung und mit der Unterschrift nur eine im alten Richteramt ausgeübte, bereits wirksam gewordene Amtshandlung dokumentiert.198 Zu den Rechtsgründen zählt auch ein Beschäftigungsverbot während des Mutterschutzes199 oder die Elternzeit.200 Die Gründe für eine dauernde oder zeitweilige tatsächliche Verhinderung können 47 vielfach sein. Welches Gewicht sie haben, hängt von allen Umständen des Einzelfalles ab. Eine Verhinderung wurde beispielsweise angenommen, wenn ein Richter verstorben oder ernstlich erkrankt ist oder wenn er inzwischen einen längeren Urlaub angetreten hat201 oder wenn ein nicht am Gerichtssitz wohnhafter Hilfsrichter mitgewirkt hat und vor der Abfassung des Urteils an seinen Wohnort zurückgekehrt ist.202 Anderweitige Dienstgeschäfte können eine tatsächliche (nicht rechtliche) Verhinderung nur ausnahmsweise begründen, weil die Unterzeichnung eines Strafurteils grundsätzlich ein unaufschiebbares Dienstgeschäft ist.203 Eine Verhinderung kommt in Betracht, wenn der Richter wegen eines anderweitigen, seine Zeit voll beanspruchenden Dienstgeschäftes oder wegen Dienstleistung an einem anderen Ort zur Durchsicht und Unterschrift der Urteilsgründe in vertretbarer Zeit nicht in der Lage ist.204 Dies ist nicht der Fall, wenn er nunmehr sein Richteramt in einem Nebengebäude wahrnimmt.205 Vorausgesetzt wird stets, dass sich der Vorsitzende ernsthaft darum bemüht hat, dem gesetzlichen Gebot, dass das Urteil von allen mitwirkenden Berufsrichtern zu unterschreiben ist, Geltung zu verschaffen.206 Auch die Teilnahme an einem Betriebsausflug dürfte allenfalls bei Vorliegen besonderer Umstände (Ende der Urteilsabsetzungsfrist) als Verhinderungsgrund ausreichen.207 Eine kurzfristige Verhinderung, die die Pflicht des Gerichts zur unverzüglichen Urteilsabsetzung nicht beeinträchtigt, berechtigt nicht zum Ersetzungsvermerk. Andererseits erscheint es mit dem Gebot, das Urteil unverzüglich zu den Akten zu bringen, auch nicht vereinbar, den Verhinderungsfall nur anzunehmen, wenn der verhinderte Richter das Urteil voraussichtlich nicht vor Ablauf der Absetzungsfrist unter-

196 BGH NStZ 2006 586; KK/Greger 34. 197 BGH NJW 2003 836; NStZ 2011 358 mit Anm. Foth; 2014 355; bei Cierniak/Zimmermann NStZ 2014 165, 169 Nr. 74; NStZ-RR 1999 46; bei Becker NStZ-RR 2003 292; StraFo 2006 334; KMR/Gemählich 34; Meyer-Goßner/Schmitt 23. 198 LR/Gollwitzer25 39; ders. FS Kleinknecht 147, 168 f.; ders. FS Gössel 543, 551; a. A. Foth NStZ 2011 359. 199 OK-StPO/Peglau 27, 31; vgl. BGH NJW 2017 745. 200 BGH 31.10.2019 – 3 StR 261/19. 201 BGH NStZ 2016 623 f.; StV 1998 477. 202 RGRspr. 8 (1886) 739; RG GA 39 (1881) 318. 203 BGH NStZ 2011 358; 2014 355, 356. 204 BGHSt 31 212, 213; BGH NStZ-RR 1999 46; StV 1993 113; BGHR § 275 Abs. 2 Satz 2 Verhinderung 1; vgl. KMR/Gemählich 32. 205 OLG Zweibrücken StV 1999 14. 206 BGH NStZ 2011 358 mit abl. Anm. Foth; 2014 355, 356. 207 BGHSt 31 212, 215 hat die Verhinderung bejaht, ebenso AK/Wassermann 9; Meyer-Goßner/Schmitt 22; SK/Frister 30. Zu der davon zu trennenden Frage, dass dies kein unvorhersehbarer unabwendbarer Umstand im Sinne von Absatz 1 Satz 4 ist, vgl. Rn. 15.

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zeichnen kann.208 Die kurzfristige Nichterreichbarkeit eines Richters am letzten Nachmittag der Urteilsabsetzungsfrist genügt allerdings ebenso wenig für die Annahme seiner Verhinderung209 wie – für sich allein – die Zugehörigkeit zu einer anderen Kammer oder einem anderen Gericht.210 Die Verhinderung braucht keine dauernde zu sein. Auch eine Verhinderung von erkennbar begrenzter Dauer genügt. Die zur Erfüllung des Beschleunigungsgebots ausdrücklich in Absatz 1 Satz 1 festgelegte Pflicht, das Urteil unverzüglich zu den Akten zu bringen, lässt kein Zuwarten zu, durch das die Fertigstellung des Urteils nicht nur unbeträchtlich verzögert würde.211 Dies muss für den Zeitpunkt der Unterschriftsreife der Urteilsgründe ex ante beurteilt werden, wobei neben der Pflicht, das Urteil unverzüglich, spätestens aber bis zum Ende der Begründungsfrist zu den Akten zu bringen, auch andere Umstände des Dienstbetriebes und die Eilbedürftigkeit der jeweiligen Sache (Haftsache) mit berücksichtigt werden können. Wo die Grenze zu ziehen ist, hat der für den Vermerk und die unverzügliche Urteilsfertigstellung verantwortliche Richter (Vorsitzender, sein Vertreter) unter Abwägung aller Gesichtspunkte nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, wobei ihm ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist.212 Satz 2 gilt auch, wenn mehrere Richter an der Unterschrift verhindert sind; es ist 48 nicht ausgeschlossen (wenngleich nach Möglichkeit zu vermeiden), dass in einem solchen Fall einer für alle unterschreibt,213 denn zur Bezeugung des Beratungsergebnisses genügt auch die Unterschrift eines Richters. Ein richterliches Mitglied des Spruchkörpers, das an der Hauptverhandlung nicht mitgewirkt hat, ist dagegen nicht befugt, die Verhinderung festzustellen.214 Vermerkt der Vorsitzende irrtümlich die Verhinderung eines Richters, der an der Verhandlung gar nicht mitgewirkt hat, hat aber der mitwirkende andere Berufsrichter bei der nur mit zwei Berufsrichtern besetzten Kammer das Urteil unterschrieben, so ist dies unschädlich, der Irrtum kann nachträglich durch eine dienstliche Erklärung klargestellt werden.215 49 Bei Verhinderung des allein mitwirkenden Berufsrichters kann seine Unterschrift nicht ersetzt werden, auch beim Schöffengericht und bei der kleinen Strafkammer nicht durch den älteren Schöffen. Das Urteil enthält dann im prozessrechtlichen Sinn keine Entscheidungsgründe, so dass die Rüge nach § 338 Nr. 7 durchgreift.216 Gleiches gilt, wenn alle beteiligten Berufsrichter aus dem Justizdienst ausgeschieden sind.217

208 KK/Greger 29; Meyer-Goßner/Schmitt 21; Peglau JR 2007 146, 147 f.; SK/Frister 28; ähnlich OLG Zweibrücken StV 1990 14; vgl. auch Kohlhaas GA 1974 142, 148 (vorhersehbar kurzfristige Erkrankung oder Abwesenheit keine Verhinderung). Vgl. Fn. 211 f. 209 BGHSt 28 194; BGH StV 1991 247. 210 Vgl. oben Fn. 193 f. 211 BVerfG bei Spiegel DAR 1985 193 (Rückkehr vom Urlaub in vier Tagen braucht in Haftsache nicht abgewartet werden); Peglau JR 2007 146, 147. Gegen einen zu restriktiven Verhinderungsbegriff Foth NJW 1979 1310; ders. JR 1983 262; vgl. auch Rieß NStZ 1982 441, 443. 212 Vgl. BGHSt 31 212; BGH NStZ 2011 358; 2016 623 f. mit Anm. Ventzke; NStZ-RR 1999 46; StV 1993 113; KK/Greger 29; Meyer-Goßner/Schmitt 21; MüKo/Valerius 29; enger BGH NStZ 2014 355; OLG Zweibrücken StV 1990 14; SK/Frister 28. 213 RG GA 42 (1894) 31; BGHSt 26 247; 31 212; BGH bei Pfeiffer NStZ 1982 190; KK/Greger 37; MeyerGoßner/Schmitt 20; MüKo/Valerius 33; SK/Frister 32. 214 BGH StV 1993 459. 215 BGH NStZ 1999 154. 216 BayObLG DRiZ 1931 Nr. 785; KK/Greger 37; KMR/Gemählich 31; SK/Frister 32; Eb. Schmidt 16; vgl. LR/Franke26 § 338, 123; a. A. Kunowski GA 37 (1889) 333; vgl. auch BayObLGSt 1967 51 = NJW 1967 1578. 217 BGH bei Kusch NStZ 1993 30 Nr. 29.

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c) Form des Vermerks. Der Vorsitzende – bei seiner Verhinderung der dienstälteste 50 Richter – soll durch eine Bemerkung unter dem Urteil ersichtlich machen, dass die Unterschrift eines mitwirkenden Richters nicht aus Versehen fehlt, sondern dass dieser Richter an der Vollziehung der Unterschrift verhindert ist. Vorsitzender ist der Richter, der in der betreffenden Hauptverhandlung den Vorsitz führte.218 Ist der Vermerk in Vertretung des Vorsitzenden nicht vom dienstältesten, sondern fälschlich vom jüngeren Beisitzer angebracht worden, ist er gleichwohl wirksam.219 Die Herkunft des Vermerks und sein Verfasser müssen eindeutig erkennbar sein. Die 51 Richtigkeit des Vermerks muss durch die Unterschrift des zur Anbringung befugten Richters bestätigt werden. Deshalb ist es ratsam, bei Verhinderung des eigentlich dazu Berechtigten die Befugnis aufzuzeigen. Der Vermerk ist grundsätzlich gesondert zu unterschreiben.220 Es kann aber auch genügen, wenn ersichtlich ist, dass die Unterschrift des Vorsitzenden unter dem Urteil auch den Vermerk mit abdeckt.221 Mit dem Vermerk wird als Ersatz für die fehlende Unterschrift die Verhinderung des Richters und ihr Grund aufgezeigt. Die Formel: „Zugleich für den durch Krankheit (Urlaub usw.) an der Unterschrift verhinderten …“ findet sich oft, sie wird trotz des fälschlicherweise (vgl. Rn. 44) auf eine Vertretung bei der Unterschrift hindeutenden Wortlauts nicht beanstandet, sofern eindeutig erkennbar ist, welcher Richter sie mit seiner Unterschrift deckt. Sie sollte nicht verwendet, sondern die Verhinderung und ihr Grund unterschriftlich bestätigt werden.222 Der Hinderungsgrund ist im Vermerk nur allgemein nach Art der Verhinderung zu 52 kennzeichnen („verstorben“, „Erkrankung“). Konkrete Einzelheiten dazu oder über die Dauer der Verhinderung sind entbehrlich. Es genügt, wenn ein Hinderungsgrund angeführt wird, der abstrakt den rechtlichen Anforderungen genügt, die von der Rechtsprechung gestellt werden.223 Fehlt – was angeblich zunehmend vorkomme224 – die Angabe des Hinderungsgrundes oder ist sie ungenügend, wird der Vermerk dadurch allein nicht wirkungslos.225 Ob die fehlende Unterschrift zu Recht durch einen Verhinderungsvermerk ersetzt wurde, ist dann aber vom Revisionsgericht im Wege des Freibeweises nachzuprüfen.226 5. Eingangsvermerk. Die Geschäftsstelle muss nach Absatz 1 Satz 5 den Zeitpunkt 53 aktenkundig machen, an dem das durch alle Unterschriften gedeckte und damit fertiggestellte Urteil zu den Akten gebracht wurde (Rn. 4 ff.) und, falls die Urteilsgründe nachträglich geändert wurden, auch den Zeitpunkt der Änderungen (vgl. Rn. 57) vermerken. Der Vermerk, der bei herkömmlichen Akten auf der Urschrift des Urteils oder aber auch auf einem gesonderten Blatt angebracht sein kann,227 dient zum Nachweis, dass das 218 RG GA 38 (1891) 48. 219 BGH bei Holtz MDR 1980 456. 220 BGH bei Miebach NStZ 1990 229 Nr. 20; AK/Wassermann 9; KK/Greger 35; Meyer-Goßner/Schmitt 20a; MüKo/Valerius 34; Radtke/Hohmann/Pauly 16; SK/Frister 33; SSW/Güntge 13; Meyer-Goßner NStZ 1988 529, 537. 221 BGH bei Miebach NStZ 1990 226, 229 Nr. 20; sowie Fn. 220. 222 BGH bei Becker NStZ-RR 2006 260 Nr. 15; OLG Düsseldorf VRS 99 (2000) 456; KK/Greger 35; KMR/ Gemählich 31; Meyer-Goßner/Schmitt 20; MüKo/Valerius 34; SK/Frister 33. Ähnlich die h. M. zu § 315 ZPO; vgl. die Erläuterungsbücher dazu. Bedenken äußern RG Recht 1918 Nr. 655; Meyn LZ 1915 1433. 223 BGHSt 31 212; BGH NStZ-RR 2016 286; KK/Greger 36; KMR/Gemählich 32; h. M. 224 Mosbacher JuS 2016 706, 707; dazu Leitmeier HRRS 2016 500 ff. (auch zur Geltung für Revisionsgerichte). 225 BGHSt 28 194; vgl. OLG Frankfurt MDR 1979 678 (zu § 315 ZPO: Zustellung wirksam). 226 BGHSt 28 194 mit krit. Anm. Foth NJW 1979 1310; BGH NStZ 1991 297; vgl. Rn. 72. 227 KK/Greger 42; Meyer-Goßner/Schmitt 18; MüKo/Valerius 23; SK/Frister 23; SSW/Güntge 12; Rieß NStZ 1982 441, 443; Lintz JR 1977 128 hält auch eine Beurkundung außerhalb der Verfahrensakten für rechtlich

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Urteil fristgerecht (Absatz 1 Satz 2) zu den Akten gelangt ist. Er hat aber nicht die Beweiskraft des Protokolls nach § 274; er hindert also nicht den anderweitigen Nachweis, dass das Urteil fristgerecht fertiggestellt und rechtzeitig zu den Akten gebracht ist.228 Maßgebend ist auch bei einem anderslautenden Vermerk der tatsächliche Zeitpunkt, sofern er mittels Freibeweis festgestellt werden kann. Ist dies nicht der Fall, gehen die Zweifel an der rechtzeitigen Fertigstellung des Urteils zu Lasten des Gerichts. Gleiches gilt, wenn der Vermerk fehlt.229 Der Eingangsvermerk selbst muss nicht innerhalb der Urteilsabsetzungsfrist gefertigt werden.230 Bei elektronischer Aktenführung werden die Zeitpunkte automatisch vom System erfasst, so dass ein manueller Vermerk der Geschäftsstelle nicht mehr erforderlich ist. Auch hier bleibt Freibeweis zulässig.231 Der Eingangsvermerk ist kein Bestandteil des Urteils, auch wenn er auf dem Origi54 nal der Urteilsurkunde angebracht sein sollte; er muss deshalb nicht selbst in die Urteilsausfertigungen übernommen werden.232 6. Änderung des fertigen Urteils 55

a) Bindung. Ist das Urteil von allen mitwirkenden Richtern unterschrieben, so sind die Urteilsgründe bindend festgestellt. Jede nachträgliche Änderung oder Ergänzung durch den Vorsitzenden oder einen anderen Richter allein ist ausgeschlossen. Einseitig hinzugefügte Sätze können als Gründe des Urteils überhaupt nicht gelten.233 Die Urteilsgründe sind unabänderlich, sobald sie den inneren Bereich des Gerichts verlassen haben und – unabhängig davon – gemäß Absatz 1 Satz 3 nach Ablauf der für die Urteilsbegründung dem Gericht gesetzten Höchstfristen des Absatzes 1 Satz 2.

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b) Änderungen bei Einverständnis aller Richter. Bei Einverständnis aller Richter sind innerhalb der genannten organisatorischen und zeitlichen Grenzen (Rn. 58 ff.) sachliche Änderungen möglich. Sie bedürfen zur Gültigkeit der besonderen Unterzeichnung durch sämtliche Richter vor Fristablauf.234 Eine Ausnahme hiervon kann nur in Betracht kommen, wenn es sich um die Berichtigung offensichtlicher, aus dem Urteil selbst zweifelsfrei hervorgehender Schreib- oder sonstiger Fassungsfehler handelt.235 Bei Änderungen ohne jeden sachlichen Gehalt, wie der Korrektur von Schreib- und Grammatikfehlern, ist unstrittig, dass diese auch ohne förmlichen Berichtigungsbeschluss zulässig, jedoch für nicht sachgerecht, da der rechtzeitige Eingang aus den Akten, am besten durch einen Vermerk auf der Urschrift, ersichtlich sein müsse. 228 BGHSt 29 43, 46; BGH bei Miebach NStZ 1988 449 Nr. 15; NStZ-RR 2015 257; BayObLG bei Rüth DAR 1979 241; OLG Karlsruhe Justiz 1977 23; KK/Greger 42, 74; KMR/Gemählich 28; Meyer-Goßner/Schmitt 18; MüKo/Valerius 24; Radtke/Hohmann/Pauly 7, 20; SK/Frister 23 (Indizfunktion); SSW/Güntge 12; MeyerGoßner NZV 2002 470; vgl. auch Hamm 486 (besser wäre, auf die Beurkundung durch die Geschäftsstelle abzustellen). 229 OLG Hamm NJW 1988 1991; OLG Hamm 4.6.2019 – III-4 RVs 55/19; OLG Stuttgart GA 1977 26; StV 1986 144; AK/Wassermann 15; Meyer-Goßner/Schmitt § 338, 55; LR/Franke26 § 338, 121. 230 KK/Greger 41. 231 BTDrucks. 18 9416 S. 64. 232 BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 297; Rieß NStZ 1982 441, 443; KK/Greger 41, 63; Meyer-Goßner/Schmitt 18; MüKo/Valerius 23; SK/Frister 23. 233 RGSt 13 66; RG GA 46 (1898/99) 218; JW 1901 500. 234 RGSt 23 261; 28 57; BGHSt 27 334; BGH StV 1984 144; AK/Wassermann 13; Meyer-Goßner/Schmitt 5; MüKo/Valerius 16; SK/Frister 16; SSW/Güntge 9; vgl. Rn. 40 f. m. w. N. 235 BayObLG DRiZ 1929 Nr. 1020; a. A. KK/Greger 56, der auch bei offensichtlichen sachlichen Fassungsversehen immer einen förmlichen Berichtigungsbeschluss fordert; SK/Frister 17.

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und ohne vorherige Genehmigung durch alle unterzeichnenden Richter ausgebessert werden dürfen.236 Jedoch werden auch Änderungen und Einschaltungen, die der Vorsitzende bewirkt hat, durch die Unterschriften gedeckt, wenn ein späteres Zufügen nicht feststeht.237 c) Besonderer Vermerk der Geschäftsstelle. Die Geschäftsstelle hat nach Absatz 1 57 Satz 5 auch jede nachträgliche Änderung des bereits zu den Akten gegebenen Urteils in einem besonderen Vermerk festzuhalten, um das Änderungsverbot des Absatzes 1 Satz 3 (Rn. 59) abzudecken. Der Vermerk wird zweckmäßigerweise unter dem Vermerk angebracht, der den Zeitpunkt festhält, zu dem das fertige Urteil zu den Akten gelangt ist (Rn. 53). Bei elektronischer Aktenführung geschieht auch dies automatisch. d) Unabänderlichkeit. Das fertiggestellte und von allen Richtern unterschriebene 58 Urteil kann nicht mehr geändert werden, wenn es den inneren Bereich des Gerichts verlassen hat oder wenn die Frist des Absatzes 1 Satz 2 abgelaufen ist (Absatz 1 Satz 3). Die erstgenannte Schranke tritt ein, wenn das Urteil zur Post gegeben oder einer anderen Stelle oder gerichtsfremden Person zur Kenntnis gebracht worden ist, etwa, wenn es aufgrund einer Verfügung des Vorsitzenden bei der Staatsanwaltschaft zum Zweck der Zustellung eingegangen ist,238 oder wenn es ohne Gründe der Staatsanwaltschaft mit der Anfrage zugeleitet wurde, ob auf Rechtsmittel verzichtet wird,239 sogar, wenn es ohne richterliche Verfügung von der Geschäftsstelle aus dem internen Gerichtsbereich hinausgegeben wurde, wobei unerheblich ist, dass dann eine Zustellung unwirksam ist.240 Die Verfügung des Vorsitzenden, mit der die Zustellung angeordnet wird, hat diese Wirkung noch nicht, da sie nur innerdienstlich von Bedeutung ist.241 Nicht mehr zulässige Änderungen sind grundsätzlich im weiteren Verfahren unbeachtlich.242 Eine wesentliche sachliche Änderung im Zusatz kann allerdings zur Folge haben, dass dann weder die Urteilsgründe in der ursprünglichen Form noch in der geänderten Fassung ordnungsgemäß bezeugt sind.243 Das Verbot der nachträglichen Änderung der Urteilsgründe (Absatz 1 Satz 3) soll 59 einer Umgehung der Höchstfristen für die Urteilsabfassung (Absatz 1 Satz 2) vorbeugen244 und die absolute Revisionsrüge nach § 338 Nr. 7 absichern. Dies spricht dafür, 236 BGH bei Holtz MDR 1984 93; AK/Wassermann 11; KK/Greger 56; Meyer-Goßner/Schmitt 5; MüKo/ Valerius 16; SK/Frister 17; vgl. auch Rn. 40. 237 RG JW 1891 54. 238 BGHSt 43 22, 26; 58 243, 250; BayObLG 1963 138; 1972 23 = NJW 1963 1512; BayObLG NStZ 1991 342; OLG Dresden NZV 2012 557; OLG Düsseldorf MDR 1993 894; OLG Köln VRS 63 (1982) 460; OLG Bremen NJW 1956 435; KK/Greger 55; MüKo/Valerius 15; SK/Frister 15; SSW/Güntge 9; Meyer JR 1976 515. Die Rechtsprechung hat früher auf die Zustellung an einen Prozessbeteiligten abgestellt; vgl. RGSt 28 82; RG Recht 1911 Nr. 3886; 1926 Nr. 1110; RG GA 71 (1927) 92. Zur Unabänderlichkeit der Urteilsformel vgl. LR/Stuckenberg § 268, 38 ff. 239 OLG Celle VRS 98 (2000) 222. 240 BayObLGSt 1981 84 = NJW 1981 2589. 241 KK/Greger 55; SK/Frister 15; a. A. RGSt 54 21; OLG Köln JR 1976 514. 242 RGSt 24 118; 28 81; 51 376; RG JW 1893 291; BGHSt 2 249; 3 245; BGH NStZ 1993 200; BayObLGSt 1963 138 = NJW 1963 1512; AK/Wassermann 13; KK/Greger 57; Meyer-Goßner/Schmitt 11; MüKo/Valerius 14; Radtke/Hohmann/Pauly 8; SSW/Güntge 4, 9; Rieß NStZ 1982 441, 444; zur Strafbarkeit s. BGH NStZ 2013 655, 656 f. mit Anm. Nestler und Bespr. Kuhlen HRRS 2015 492; Heghmanns ZJS 2014 105; OLG Naumburg NStZ 2013 533. 243 Vgl. RGSt 44 120; BGHSt 27 334; BGH bei Holtz MDR 1979 638. 244 BTDrucks. 7 551 S. 85.

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entgegen der herrschenden Meinung245 die Tragweite dieser Vorschrift in sinnorientierter Auslegung auf den eigentlichen Regelungszweck zu beschränken,246 vor allem aber die Nachholung einer versehentlich vergessenen oder ungenügenden Unterschrift oder den Ersatz eines Verhinderungsvermerkes, die ja keine Änderung der fixierten Urteilsgründe bedeuten, unbegrenzt zuzulassen.247 60 Das Änderungsverbot tritt erst nach Ablauf der Frist des Absatzes 1 Satz 2 ein, es hindert also die sachliche Änderung eines bereits zu den Akten gebrachten Urteils nicht, wenn diese Höchstfrist noch nicht verstrichen ist und das Urteil den inneren Bereich des Gerichts noch nicht verlassen hat.248 Dies erhellt auch daraus, dass die Geschäftsstelle gehalten ist, den Zeitpunkt der Änderung, die ebenfalls mit der letzten sie bestätigenden Unterschrift wirksam wird, ebenso in den Akten festzuhalten wie den Zeitpunkt des Eingangs des Urteils (Absatz 1 Satz 5). Damit die Geschäftsstelle dies vermerken kann, müssen die Billigung der Änderung durch alle beteiligten Berufsrichter und ihr Zeitpunkt aktenkundig sein (Unterschriften unter datiertem Änderungsbeschluss, Abzeichnung der Änderung usw.).249 61

e) Urteilsberichtigung. Die Urteilsberichtigung, die keine sachliche Änderung der Urteilsgründe, sondern nur die Richtigstellung eines offensichtlichen Fassungsversehens zum Gegenstand haben darf,250 ist unabhängig von den der Änderung gesetzten Grenzen zulässig. Sie wird vor allem auch nicht durch das auf sachliche Änderungen abzielende Verbot des Absatzes 1 Satz 3 ausgeschlossen, da sie keine sachliche Änderung, sondern nur eine Klarstellung der getroffenen Entscheidung zum Ziele haben darf. So kann ein Schreibfehler beim Namen des Verurteilten berichtigt werden.251 Es kann auch nachgetragen werden, wenn im Urteilskopf der Name eines zweiten Verteidigers versehentlich nicht angeführt wurde.252 Eine Berichtigung setzt voraus, dass sie sich zwanglos aus Tatsachen ergibt, die für alle Beteiligten klar zu Tage liegen und jeden Verdacht einer unzulässigen nachträglichen Änderung ausschließen.253 Unter diesen Voraussetzungen wurde es auch für zulässig erachtet, ein Urteil durch die Angaben von Tatzeit und Rechtskraft der bei der Sanktionsbemessung herangezogenen Vorahndungen zu ergänzen.254 Dagegen liegt keine durch Berichtigung behebbare Unrichtigkeit vor, wenn ein Richter das Urteil vor Ablauf der Begründungsfrist versehentlich nicht 245 Oben Fn. 149. 246 LR/Gollwitzer25 5, 37, 60; ders. FS Kleinknecht 147, 166 ff.; SK/Frister 18; SK/Velten § 267, 74. Für die Revision ist bei einer Rüge nach § 338 Nr. 7 beachtlich, wenn die Unterschrift erst nach Fristablauf geleistet wurde; bei der Sachrüge kommt es dagegen nur darauf an, ob die Unterschriften fehlen; vgl. Rn. 74. 247 Kopf und Verhinderungsvermerk fallen ebenfalls nicht in den Schutzbereich des § 338 Nr. 7; vgl. Rn. 72 f. Die Nachholung einer fehlenden Unterschrift ist aber auch deshalb keine Änderung des fertigen Urteils, weil dieses ohne sie noch nicht fertiggestellt ist. Etwas anderes kann allenfalls gelten, wenn ein falscher Richter unterschrieben oder ein Verhinderungsvermerk zu Unrecht angebracht und das Urteil als endgültig fertiggestellt zu den Akten genommen worden ist; vgl. Rn. 4, 36; ferner OLG Düsseldorf MDR 1981 423; LR/Franke26 § 338, 123. 248 Etwa Meyer-Goßner/Schmitt 11; vgl. Rn. 58 und bei § 268. 249 KK/Greger 55; vgl. Rn. 53. 250 Dazu LR/Stuckenberg § 268, 44 ff. 251 OLG Düsseldorf MDR 1990 369 mit der Einschränkung, dass der fragliche Name nicht vom Tatrichter aufgrund einer eigenen Beweiswürdigung festgestellt wurde. 252 BGH bei Kusch NStZ 1995 221 Nr. 19. 253 BGHSt 2 248; 3 245; 7 75; BGH GA 1969 119; StV 1985 401; OLG Düsseldorf MDR 1981 606; KK/ Greger § 267, 46; Meyer-Goßner/Schmitt § 267, 39; SK/Velten § 267, 72 m. w. N. 254 BayObLG NStZ-RR 1999 140.

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unterschrieben hat.255 Die nachträgliche Erstellung einer Gliederung der Urteilsgründe ist zulässig, weil es sich dabei nicht um einen gesetzlich vorgeschriebenen Teil des Urteils handelt.256 7. Widerspruch zwischen Protokoll und Urteil. Weicht die in der Sitzungsnieder- 62 schrift stehende Urteilsformel von der Formel des besonders niedergeschriebenen Urteils ab, so ist die Sitzungsniederschrift maßgebend. Denn sie beweist (§ 274) den Wortlaut des verkündeten Urteils.257 Darauf muss deshalb das alleinige Gewicht gelegt werden, weil der Angeklagte, der die Verkündung gehört hat, seine Entschließung über die etwaige Einlegung eines Rechtsmittels doch nur im Hinblick auf das ihm Verkündete fassen kann und er eine Abweichung der fraglichen Art regelmäßig erst nach Ablauf der Einlegungsfrist in Erfahrung bringt.258 Bei einem Widerspruch zwischen der Urteilsformel und den Urteilsgründen ist die 63 Formel maßgebend. Wenn jedoch die (mit dem Protokoll übereinstimmende) Formel und die Gründe des Urteils einen Widerspruch enthalten, so kann darin ein die Aufhebung des Urteils begründender Rechtsfehler liegen.259 Der Angeklagte ist aber nicht beschwert, wenn die maßgebende Formel die geringere Strafe enthält.260 8. Verbleib der Urteilsurschrift. Die Urschrift des Urteils ist, wie Absatz 1 zeigt, 64 aufzubewahren. Sie ist zu den Hauptakten zu nehmen und grundsätzlich dort zu behalten.261 Die Fassung, in der das Urteil dort einging, muss auch bei späteren Berichtigungen erkennbar bleiben.262 Dies erleichtert den Prozessbeteiligten, sich vom Einhalten des Absatzes 1 zu überzeugen.263 Sie muss nicht mit der Reinschrift des Urteils identisch sein.264 Später gefertigte Abschriften des Urteils, in denen die in der Urschrift enthaltenen Schreibfehler korrigiert und in der Urschrift handschriftlich vorgenommenen Änderungen oder am Rande angefügten Zusätze oder späteren Änderungen in den Text aufgenommen worden sind, können als Leseexemplare nur zusätzlich zur Urschrift zu den Akten genommen werden, die Urschrift mit all ihren Korrekturen dürfen sie nicht ersetzen.265 Fehlt die Urschrift des Urteils in den Akten, steht aber fest, dass sie rechtzeitig zu 65 den Akten gegeben worden war, so begründet dies nicht die Revisionsrüge des § 338 Nr. 7.266 Diese greift nur durch, wenn die Nichteinhaltung der Frist behauptet und die

255 256 257 258 259

BGH StV 1995 454. BGH NStZ-RR 2001 107. Vgl. LR/Stuckenberg § 273, 27 ff., 60; § 268, 28 ff. So schon RGRspr. 3 (1881) 378; RG JW 1901 690; a. A. Kern GS 91 (1923) 145; Mannheim JW 1927 916. So schon RGSt 46 326; RG GA 42 (1894) 37; JW 1901 690; Recht 1909 Nr. 1435; DRiZ 1927 Nr. 75; KK/Greger 53; vgl. § 267 und Fn. 260. 260 BGHSt 34 11, 12; KK/Greger 53. 261 OLG Stuttgart JR 1977 126 mit Anm. Lintz; KK/Greger 59; KMR/Gemählich 50; SK/Frister 39; a. A. Rieß NStZ 1982 441, 444 (Urschrift muss nicht notwendig bei den Akten bleiben). 262 Vgl. BGH StV 1993 117; Rn. 54, 57. 263 Nach Ansicht des OLG Stuttgart JR 1977 126 handelt es sich insoweit nicht mehr um eine reine Ordnungsvorschrift, wie früher OLG Celle MDR 1970 608 annahm, sondern um eine revisible Verfahrensvorschrift; dagegen Lintz JR 1977 128. Vgl. LR/Franke26 § 338, 116. 264 KK/Greger 58. 265 BGHR § 275 Abs. 1 Satz 1 Akten 2; KK/Greger 59. 266 OLG Stuttgart JR 1977 126; KMR/Gemählich 50; ebenso zum früheren Recht OLG Celle MDR 1970 608.

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Einhaltung nicht nachweisbar ist.267 Für das weitere Verfahren muss allerdings eine mit der Urschrift übereinstimmende Ausfertigung des Urteils verfügbar sein. 66 Gerät eine Urteilsurkunde in Verlust, so kann sie durch die mitwirkenden Richter wieder so hergestellt werden, dass sie inhaltlich (nicht unbedingt wörtlich) mit dem verlorengegangenen Urteil übereinstimmt. Die von den beteiligten Richtern durch ihre Unterschrift gebilligte wiederhergestellte Fassung ist dann maßgebend.268 Ist das Urteil noch nicht hinausgegangen, kommt auch eine Neufertigung der Urteilsgründe in Betracht, wobei es vertretbar sein dürfte, den Rechtsgedanken von Absatz 1 Satz 4 analog heranzuziehen.269 Wird die Urschrift nicht rekonstruiert, kann das weitere Verfahren auch aufgrund einer Abschrift, deren Übereinstimmung mit dem Original verbürgt ist, weiterbetrieben werden. Nur wenn auch dies nicht möglich ist, ist § 338 Nr. 7 entsprechend anwendbar;270 auch die Sachrüge greift dann durch (Rn. 70). 67

9. Ausfertigungen. Da bei elektronischer Aktenführung Urteilsausfertigungen nicht mehr erteilt werden sollen (vgl. § 32b Abs. 4), hat das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte vom 5.5.2017 (BGBl. I S. 2208) mit Wirkung zum 1.1.2018 den bisherigen Absatz 4 aufgehoben,271 welcher lautete: „Die Ausfertigungen und Auszüge der Urteile sind von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben und mit dem Gerichtssiegel zu versehen.“ Wo Akten noch in Papierform geführt werden,272 dürften solange auch, da kein Verbot ersichtlich ist, Ausfertigungen weiterhin erstellt werden. Unter Ausfertigungen sind amtliche Abschriften zu verstehen, die im Rechtsverkehr die Urschrift ersetzen sollen und deshalb vom Urkundsbeamten in besonderer Form (Ausfertigungsvermerk, Unterschrift des Urkundsbeamten, Gerichtssiegel) erteilt werden.273 Sie müssen inhaltlich mit der Urschrift übereinstimmen. Eine Urteilsausfertigung, die davon abweichend eine unvollständige Urteilsformel enthält oder die durch Auslassungen oder Wiederholungen halber Sätze usw. den Inhalt der Urschrift nicht sicher erkennen lässt, ist nicht geeignet, die von ihrer Zustellung abhängigen Fristen in Lauf zu setzen.274 Fehlt eine in der Urschrift vorhandene Unterschrift unter der Ausfertigung, so ist strittig, ob

267 Vgl. Rn. 53. 268 RG DJZ 1930 332; GA 63 (1916/17) 443; HRR 1940 Nr. 279; BGH NJW 1980 1007 fordert wortwörtliche Übereinstimmung; ebenso KK/Greger 60; KMR/Gemählich 51; SK/Frister 39; vgl. auch AK/Wassermann 20. Nach LR/Franke26 § 338, 118 genügt die inhaltliche Übereinstimmung. Zu den Einzelheiten W. Schmidt FS Lange 785 m. w. N., ferner VO vom 18.6.1942 BGBl. III 315-4. 269 BGH NJW 1980 1007 lässt offen, ob der Urteilsverlust einem die Fristüberschreitung rechtfertigenden Umstand gleichzuachten ist, sofern der Urteilsverlust vor Fristablauf eingetreten ist. Darauf kann es aber nicht ankommen. Denn die Frist war gewahrt, ganz gleich, ob das Urteil dann vor oder nach Fristablauf verloren ging (KK/Greger 51). Es kommt nur darauf an, ob man unter analoger Heranziehung des Rechtsgedankens von Absatz 1 Satz 4 eine nochmalige Abfassung der mit der ursprünglichen Fassung nicht notwendig identischen Urteilsgründe zulassen will, wofür Gründe der Prozesswirtschaftlichkeit sprechen, auch wenn der Verlust i. d. R. nicht unabwendbar war. Vgl. LR/Franke26 § 338, 118. 270 Lintz JR 1977 128; vgl. LR/Franke26 § 338, 118. 271 BTDrucks. 18 9416 S. 64. 272 Die elektronische Aktenführung ist erst ab dem 1.1.2026 verpflichtend, Art. 33 Abs. 6 Nr. 1 des Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte vom 5.5.2017. 273 KK/Greger 61; SK/Frister 40; Eb. Schmidt 19. 274 BGH StV 1981 170; OLG Düsseldorf MDR 1993 87 (L); NStZ 2002 448; vgl. bei § 316 und LR/Franke26 § 345, 6 m. w. N.; ferner KG JR 1982 251 (Zustellung eines Urteils ohne Angabe der mitwirkenden Schöffen unwirksam). Nach BGHSt 46 204 ist entscheidend, ob die zugestellte Ausfertigung mit der Urschrift übereinstimmt.

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6. Abschnitt. Hauptverhandlung

§ 275

dieser Mangel unerheblich ist.275 Ist das Urteil ohne Gründe geblieben, wird nur die Formel zugestellt; es muss dann aber erkennbar gemacht werden, dass dies bereits die Zustellung der maßgebenden Entscheidung ist.276 Zuständig für die Ausfertigung ist wie nach Absatz 4 a. F. der Urkundsbeamte des 68 mit der Sache befassten Gerichts, nicht nur derjenige, der in der Hauptverhandlung tätig gewesen ist. Wenn es sich um Urteile einer auswärtigen Strafkammer handelt, ist dies auch der Urkundsbeamte des Landgerichts neben dem des Amtsgerichts, bei dem die Strafkammer gebildet ist.277 Die Zustellung der Urteilsausfertigung ist auch wirksam, wenn der Urkundsbeamte die Abschrift nicht handschriftlich, sondern mit seinem Namensfaksimile beglaubigt hat.278 Sie ist unwirksam, wenn es sich nur um einen Entwurf handelt oder die dort wiedergegebene richterliche Unterschrift nicht der in der Urschrift entspricht.279 Fehlt in der zugestellten Ausfertigung eine Seite des Urteils, ist die Zustellung des vollständigen Urteils zweckmäßigerweise zu wiederholen; aus diesem Versehen kann aber nicht geschlossen werden, dass die Urschrift des Urteils ohne diese Seite zu den Akten gelangt ist.280

IV. Rechtsmittel 1. Berufung. Für das Berufungsverfahren ist es unerheblich, ob das Urteil fristgerecht 69 begründet wurde.281 Es kann selbst dann durchgeführt werden, wenn die Urteilsgründe überhaupt fehlen;282 eine Berufungsbeschränkung ist dann allerdings nicht möglich.283 2. Revision a) Fehlen der Entscheidungsgründe. Das Fehlen der Entscheidungsgründe kann 70 mit der Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 7 geltend gemacht werden. Wenn das existente Urteil mangels Begründung nicht rechtlich nachprüfbar ist, muss auch die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils führen.284 Gleiches gilt, wenn die Urteilsurkunde abhandengekommen und nicht rekonstruierbar ist und auch keine Ausfertigung für das weitere Verfahren zur Verfügung steht.285 Nach § 338 Nr. 7 kann auch gerügt werden, dass die Entscheidungsgründe fehlen und nur ein Urteilsentwurf vorliegt, weil nicht alle beteiligten Berufsrichter unterschrieben haben286 und die fehlende Unterschrift nicht wegen einer Verhinderung des betreffenden Richters entbehrlich ist,287 oder wenn der Inhalt der von allen Richtern unterschriebenen Urteilsgründe in einem für die Entscheidung 275 276 277 278 279 280 281 282 283 284 285 286

RG JW 1923 934 nimmt dies an; anders KG JR 1982 251; OLG Karlsruhe NStE 10; KK/Greger 63. BayObLGSt 1995 134; BayObLG VRS 93 (1997) 175. RGSt 48 132; KK/Greger 62; SK/Frister 40. KMR/Gemählich 55; a. A. KK/Greger 63; SK/Frister 40. OLG Karlsruhe NStE 10. BGH bei Kusch NStZ 1995 20 Nr. 15. KK/Greger 64; KMR/Gemählich 57; MüKo/Valerius 46; SK/Frister 41; vgl. Vor § 312. KMR/Gemählich 57; SK/Frister 41; vgl. bei § 316. OLG Frankfurt NStZ-RR 2010 250. LR/Franke26 § 338, 115 m. w. N.; Hamm 474. Vgl. Rn. 66; LR/Franke26 § 338, 116, 118 m. w. N. Hamm 487; vgl. Rn. 35 ff.; LR/Franke26 § 338, 116. Maßgebend ist nur, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts die Urteilsgründe nicht durch alle erforderlichen Unterschriften bezeugt werden; so auch, wenn die Richter sich nicht einigen konnten; BGH bei Dallinger MDR 1954 337. 287 BGH NStZ 1991 297; NStZ-RR 2007 88; StV 1989 5; vgl. Rn. 44 ff.; LR/Franke26 § 338, 116 m. w. N.

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§ 275

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wesentlichen Punkt durch einen nicht von allen Unterschriften gedeckten nachträglichen Zusatz in Frage gestellt wird.288 Andernfalls ist ein solcher Zusatz unbeachtlich.289 Nach Ansicht der Rechtsprechung ist die Sachrüge nur begründet, wenn das Urteil keinerlei Unterschriften aufweist,290 so dass die Verfahrensrüge zu erheben ist, wenn nur einzelne Unterschriften fehlen.291 71 Fehlt ein in sich geschlossener Teil der Urteilsgründe vollständig, etwa für eine von mehreren abgeurteilten Taten, so greift die Rüge nach § 338 Nr. 7 ebenso wie die Sachrüge nur hinsichtlich dieser Tat (§ 264) durch.292 Eine bloß lückenhafte oder sonst ungenügende Urteilsbegründung unterfällt dagegen nicht dem § 338 Nr. 7.293 Ist bewusst ein unvollständiges Urteil zur Fristwahrung zu den Akten gegeben worden, wurde etwa nur der Schuldspruch und nicht auch der Rechtsfolgenausspruch begründet, kann das damit verfolgte Ziel, den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 einzugrenzen, nach herrschender Ansicht nicht erreicht werden, denn es liegt dann kein fristgerecht zu den Akten gebrachtes vollständiges Urteil vor. Der Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 erfasst dann das ganze Urteil;294 zu einer Nachprüfung der vorhandenen Urteilsgründe im Rahmen der Sachrüge kommt es nicht mehr.295 72 Der Verhinderungsvermerk tritt an die Stelle der fehlenden Unterschrift des verhinderten Richters und ist somit selbst ein notwendiger Bestandteil der Urteilsgründe.296 Sein Fehlen oder seine Unrichtigkeit kann daher die absolute Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 7 begründen.297 Fehlt nur die Angabe des Verhinderungsgrundes oder ist sie unschlüssig, so prüft nach der Rechtsprechung das Revisionsgericht im Wege des Freibeweises nach, ob der Richter tatsächlich an der Leistung der Unterschrift verhindert war.298 Im Übrigen begnügt es sich damit, dass der Vermerk rechtlich abstrakt die Verhinderung bezeugt; die tatsächliche Richtigkeit der Angabe wird nicht nachgeprüft, sofern nicht die Revision (unter entsprechendem Tatsachenvortrag) behauptet, die Verhin288 Vgl. BGHSt 27 334; BGH StV 1984 144; bei Holtz MDR 1979 638; 1983 450; SK/Frister 45; ferner Rn. 38, 40. 289 BGH bei Holtz MDR 1979 638; vgl. Rn. 38; LR/Franke26 § 338, 123. Nach KK/Greger 75 kann sich empfehlen, dass das Revisionsgericht, sofern es das Urteil nicht aufhebt, die maßgebliche Fassung feststellt, die das Urteil ohne die unbeachtliche Ergänzung hat. 290 BGHSt 46 204, 206; BGHR § 338 Nr. 7 Entscheidungsgründe 2; OLG Bamberg NJW 2013 2212, 2213; OLG Frankfurt NStZ-RR 2010 250; NZV 2013 98; OLG Hamm NStZ-RR 2009 24; NStZ 2011 238; OLG Hamm 10.1.2013 – 3 RBs 296/12; 20.12.2016 – 1 RVs 94/16; 25.4.2017 – 1 RVs 35/17; 1.3.2019 – 1 RBs 38/19; OLG Karlsruhe 8.10.2015 – 2 (7) SsBs 467/15-AK 146/15; OLG Köln NStZ-RR 2011 348; OLG Schleswig SchlHA 2002 172; s. a. Börner ZStW 122 (2010) 157, 173. 291 BGHSt 46 204, 206; BGH NStZ-RR 2000 237, 238; 2003 85; OLG Frankfurt NStZ-RR 2016 287; OKStPO/Peglau 25; a. A. BayObLG NJW 1967 1578; GA 1981 475; bei Rüth DAR 1983 253; SK/Frister 44; LR/ Franke26 § 338, 115 f.; vgl. Gollwitzer FS Kleinknecht 147, 168. 292 RGSt 3 149; 43 298; 44 29; RG JW 1935 2981; SK/Frister 43; Eb. Schmidt Nachtr. I 33; Hamm 477; vgl. LR/Franke26 § 338, 116. 293 Meyer-Goßner/Schmitt § 338, 53; MüKo/Valerius 48; SK/Frister 42 f.; vgl. Rn. 4; LR/Franke26 § 338, 117. 294 Meyer-Goßner/Schmitt § 338, 56; SK/Frister 43; Hamm 489; Rieß NStZ 1982 441, 446; vgl. LR/Franke26 § 338, 123. 295 OLG Celle NdsRpfl. 1993 133; Meyer-Goßner/Schmitt § 338, 57. 296 BGHSt 26 247, 248; BGH bei Kusch NStZ 1995 220 Nr. 18; SK/Frister 46; a. A. noch LR/Stuckenberg26 72. 297 BGH NStZ-RR 2000 237, 238 m. w. N.; 2003 85; NStZ 2019 300, 301; KK/Greger 69; MüKo/Valerius 52; SK/Frister 46; SSW/Güntge 19. 298 BGH NJW 1979 663 (nur teilweise in BGHSt 28 194) mit Anm. Foth NJW 1979 1310; BGH NStZ-RR 2000 237, 238; 2016 286; NStZ 2014 355, 356; BayObLGSt 1982 133 = JR 1983 261 mit Anm. Foth; BayObLG VRS 61 (1981) 130, KK/Greger 70; Meyer-Goßner/Schmitt § 338, 57; zweifelnd OLG Zweibrücken StV 1990 14; vgl. auch Fn. 299.

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§ 275

derung sei nur aufgrund eines Rechtsfehlers oder willkürlich bestätigt worden.299 Strittig ist, ob die Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit eines Verhinderungsvermerks nur aufgrund einer durch entsprechenden Tatsachenvortrag untermauerten Verfahrensrüge nachgeprüft werden kann, oder auch im Rahmen der Sachrüge.300 Im Rahmen der letzteren ist für eine Nachprüfung allenfalls Raum, wenn offen ist, ob eine fehlende Unterschrift überhaupt durch einen Verhinderungsvermerk ersetzt werden sollte301 (vgl. Rn. 70). Mit der Revision kann nicht gerügt werden, dass ein Richter das Urteil mitunterschrieben hat, der an sich aus Rechtsgründen als verhindert hätte behandelt werden müssen, denn darauf, dass seine Unterschrift nicht durch einen Verhinderungsvermerk ersetzt wurde, kann das Urteil nicht beruhen.302 b) Sonstige Fehler der Urteilsurkunde. Sind die Angaben nach Absatz 3 im Ur- 73 teilskopf unvollständig oder unrichtig, so begründet dies weder nach § 338 Nr. 7, der allein auf die Gründe abstellt, noch nach § 337 die Revision, da das Urteil auf diesen Fehlern nicht beruhen kann.303 Dies gilt auch, wenn die Zeitangaben unrichtig sind304 oder der Urteilskopf Angaben enthält, die falsch oder unvollständig oder überflüssig sind.305 Ein Verstoß gegen § 338 Nr. 7 liegt auch nicht vor, wenn die Urteilsgründe in einer besonderen Urkunde, also ohne Aufnahme in das Protokoll (vgl. Rn. 20), fristgerecht, aber ohne Kopf und Tenor zu den Akten gebracht worden sind; auf dem nach § 337 zu behandelnden Verstoß gegen § 275 kann das Urteil i. d. R. nicht beruhen.306 c) Überschreitung der Begründungsfrist. Die Verletzung des Gebots, das Urteil 74 unverzüglich zu den Akten zu bringen, kann mit der Revision nicht gerügt werden,307 sofern die Verzögerung nicht ein rechtsstaatswidriges Ausmaß308 erreicht hat. Dagegen ist es ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 7, wenn das Urteil erst nach Ablauf der Frist des Absatzes 1 Satz 2 zu den Akten gebracht wurde, wobei schon das Fehlen einer erforderlichen Unterschrift oder des Verhinderungsvermerks die Rüge der Frist299 BGHSt 31 212, 213; BGH NJW 1961 782; StV 1991 247; 1993 113; NStZ-RR 1999 46; NStZ 2016 623, 624 mit Anm. Ventzke; BGH 31.10.2019 – 3 StR 261/19; KMR/Gemählich 61; Meyer-Goßner/Schmitt § 338, 57; Radtke/Hohmann/Pauly 21; krit. SK/Frister 47; vgl. Rn. 52; LR/Franke26 § 338, 123. 300 BGHSt 46 204; Meyer-Goßner/Schmitt § 338, 57; Foth JR 1983 262; vgl. aber auch BGHSt 28 194. BayObLGSt 1982 133; BayObLG VRS 61 (1981) 130; OLG Hamm NJW 1988 1991 lassen die Nachprüfung des Verhinderungsvermerks bereits im Rahmen der Sachrüge zu. 301 Etwa wenn jeder Hinweis auf Verhinderung fehlt („Für Richter X“). BGHSt 46 204 fordert auch insoweit eine substantiierte Verfahrensrüge. 302 KK/Greger 70; SK/Frister 46. 303 RGRspr. 9 (1887) 480; KK/Greger 66; KMR/Gemählich 62; Meyer-Goßner/Schmitt 28; MüKo/Valerius 49; SK/Frister 50; SSW/Güntge 19; vgl. auch Rn. 31 und Fn. 304. 304 RG JW 1932 3105 mit Anm. Oetker; OLG Koblenz VRS 45 (1973) 90. Vgl. Rn. 23. 305 BGHSt 46 204; BGH NStZ 1989 584; 1994 47; bei Kusch NStZ 1995 221 Nr. 19; Meyer-Goßner/Schmitt 28; Eb. Schmidt Nachtr. I 2. 306 BayObLG bei Rüth DAR 1981 253; OLG Köln NJW 1980 1405; VRS 64 (1983) 282; Meyer-Goßner/ Schmitt 28; LR/Franke26 § 338, 54. 307 BGH NStZ 2006 463; Meyer-Goßner/Schmitt 8, 28; MüKo/Valerius 50; SSW/Güntge 19; Hamm 479; Rieß NStZ 1982 441, 442; ferner LR/Franke26 § 338, 121; a. A. OK-StPO/Peglau 8.1; SK/Frister 11, 49; Keller/ Meyer-Mews StraFo 2005 353, 357 f.; Peglau JR 2007 146; s. a. Schmitt StraFo 2008 313, 315; vgl. BVerfG StV 2006 81, 85; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2008 117; auch Hillenkamp 92 ff. (dass Verletzung des Unverzüglichkeitsgebots kein absoluter Revisionsgrund ist, schließe eine Rüge nach § 337 nicht aus; wenn es das Beratungsergebnis wegen der Verzögerung unzutreffend wiedergibt, scheitere die Revision auch nicht daran, dass es an sich auf der nachfolgenden Verzögerung nicht beruhen könne). 308 Erwägend BGH NStZ 2006 296; KMR/Gemählich 11; Meyer-Goßner/Schmitt 28.

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überschreitung nach § 338 Nr. 7 begründen kann.309 Ob die Frist beachtet wurde, hat das Revisionsgericht ggf. im Wege des Freibeweises zu klären.310 Gleiches gilt, wenn mit substantiellem Tatsachenvortrag gerügt wird, dass dieser Vorgang unzutreffend datiert sei311 oder dass kein die Fristüberschreitung rechtfertigender, weil nicht vorhersehbarer und unabwendbarer Umstand vorlag,312 oder wenn beim Verhinderungsvermerk die Angabe des Hinderungsgrundes fehlt.313 Die Fristüberschreitung ist aber nur bei entsprechender Verfahrensrüge vom Revisionsgericht zu prüfen, im Rahmen der Sachrüge ist sie unbeachtlich;314 dies gilt auch, wenn eine fehlende Unterschrift eines Richters erst nach Fristablauf nachgeholt worden ist.315 Die Überschreitung der Urteilsabsetzungsfrist kann auch die Staatsanwaltschaft rügen.316 Verbleibende Zweifel an der Fristwahrung gehen zu Lasten der Justiz (Rn. 53). 75

d) Begründung der Verfahrensrügen. Zur näheren Begründung der Verfahrensrüge, das Urteil sei ohne Gründe, ist die Angabe weiterer Tatsachen im Regelfall entbehrlich. Wird geltend gemacht, ein Richter habe zu Unrecht nicht unterschrieben, da ein Verhinderungsfall in Wirklichkeit nicht vorgelegen habe, so sind nach § 344 die Tatsachen anzugeben, aus denen sich ergibt, dass keine Verhinderung vorlag.317 Wird gerügt, das Urteil sei entgegen Absatz 1 Satz 2 nicht rechtzeitig zu den Akten gebracht worden, muss die Revision nach der Rechtsprechung318 alle für die Fristberechnung erforderlichen Tatsachen anführen; also den Tag, an dem das Urteil verkündet wurde, und den Tag, an dem es zu den Akten gelangte, sofern sich dieser aus den Akten ergibt.319 Bei einer drei Tage überschreitenden Hauptverhandlung320 gehören dazu auch Angaben zur Dauer der Hauptverhandlung (Zahl der Verhandlungstage), ggf. auch der Vortrag der Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass die angenommenen Voraussetzungen für eine zulässige Fristüberschreitung nicht gegeben waren.321

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3. Rechtsbeschwerde. Im Bußgeldverfahren kann die Überschreitung der Urteilsabsetzungsfrist mit der Rechtsbeschwerde (§§ 79, 80 OWiG) gerügt werden.322 309 Vgl. Rn. 9 ff., 13 ff., 35 ff.; LR/Franke26 § 338, 121 m. w. N. 310 KK/Greger 74; Meyer-Goßner/Schmitt § 338, 55; Radtke/Hohmann/Pauly 20; SK/Frister 48; SSW/ Güntge 19; Hamm 486; vgl. Rn. 3 ff.; LR/Franke26 § 338, 122.

311 BGHSt 29 43, 47; BGHR § 275 Abs. 2 Satz 5 Eingangsvermerk 1; OLG Hamm MDR 1977 1039; MeyerGoßner/Schmitt § 338, 55. Hamm 489; LR/Franke26 § 338, 122, 140. Vgl. BGH NStZ-RR 2000 237; aber auch Rn. 52. Vgl. Rn. 17. Rn. 4, 36; vgl. LR/Franke26 § 338, 123. BGH NStZ 1985 184. BGHSt 31 212; Meyer-Goßner/Schmitt § 338, 57. Etwa BGHSt 29 203 mit abl. Anm. Peters JR 1980 521; BGH StV 2019 820 f.; StraFo 2003 172; 2020 28; VRS 62 (1982) 53; bei Holtz MDR 1980 456; BGH 24.5.2017 – 1 StR 598/16 Rn. 11; BayObLGSt 2003 98; OLG Brandenburg StraFo 2002 88; OLG Frankfurt StraFo 1999 164; OLG Saarbrücken NJOZ 2014 1545, 1546; Rieß NStZ 1982 441, 446; Hamm 492; ferner Rn. 9 ff. und LR/Franke26 § 338, 140. 319 BGH StV 2019 820 f. (wenn das Datum den Verfahrensakten nicht zu entnehmen ist, muss es auch nicht vorgetragen werden); BGH 21.2.2017 – 1 StR 296/16 Rn. 72 (insoweit nicht in BGHSt 62 144). 320 Vgl. BGHSt 29 43 (der Angabe der Verhandlungstage bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung nicht länger als drei Tage gedauert hat, da dann immer die Regelfrist gilt); nach Hamm 492 sollte, um sicher zu gehen, auch dann die Zahl der Verhandlungstage angegeben werden. 321 Vgl. Hamm 492. 322 Vgl. etwa BayObLGSt 1976 97; OLG Bamberg ZfSch 2008 704; OLG Frankfurt NStZ-RR 2009 57; OLG Koblenz VRS 63 (1982) 376; 65 (1983) 452.

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SIEBENTER ABSCHNITT Entscheidung über die im Urteil vorbehaltene oder die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung § 275a Einleitung des Verfahrens; Hauptverhandlung; Unterbringungsbefehl (1) 1Ist im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten (§ 66a des Strafgesetzbuches), übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten rechtzeitig an die Staatsanwaltschaft des zuständigen Gerichts. 2Diese übergibt die Akten so rechtzeitig dem Vorsitzenden des Gerichts, dass eine Entscheidung bis zu dem in Absatz 5 genannten Zeitpunkt ergehen kann. 3Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67d Absatz 6 Satz 1 des Strafgesetzbuches für erledigt erklärt worden, übersendet die Vollstreckungsbehörde die Akten unverzüglich an die Staatsanwaltschaft des Gerichts, das für eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66b des Strafgesetzbuches) zuständig ist. 4 Beabsichtigt diese, eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu beantragen, teilt sie dies der betroffenen Person mit. 5Die Staatsanwaltschaft soll den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung unverzüglich stellen und ihn zusammen mit den Akten dem Vorsitzenden des Gerichts übergeben. (2) Für die Vorbereitung und die Durchführung der Hauptverhandlung gelten die §§ 213 bis 275 entsprechend, soweit nachfolgend nichts anderes geregelt ist. (3) 1Nachdem die Hauptverhandlung nach Maßgabe des § 243 Abs. 1 begonnen hat, hält ein Berichterstatter in Abwesenheit der Zeugen einen Vortrag über die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens. 2Der Vorsitzende verliest das frühere Urteil, soweit es für die Entscheidung über die vorbehaltene oder die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung von Bedeutung ist. 3Sodann erfolgt die Vernehmung des Verurteilten und die Beweisaufnahme. (4) 1Das Gericht holt vor der Entscheidung das Gutachten eines Sachverständigen ein. 2Ist über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu entscheiden, müssen die Gutachten von zwei Sachverständigen eingeholt werden. 3 Die Gutachter dürfen im Rahmen des Strafvollzugs oder des Vollzugs der Unterbringung nicht mit der Behandlung des Verurteilten befasst gewesen sein. (5) Das Gericht soll über die vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung spätestens sechs Monate vor der vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden. (6) 1Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wird, so kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Urteils einen Unterbringungsbefehl erlassen. 2Für den Erlass des Unterbringungsbefehls ist das für die Entscheidung nach § 67d Absatz 6 des Strafgesetzbuches zuständige Gericht so lange zuständig, bis der Antrag auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei dem für diese Entscheidung zuständigen Gericht eingeht. 3In den Fällen des § 66a des Strafgesetzbuches kann das Gericht bis zur Rechtskraft des Urteils einen Unterbringungsbefehl erlassen, wenn es im ersten Rechtszug bis zu dem in § 66a Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches bestimmten Zeitpunkt die vorbehaltene Sicherungsverwahrung angeordnet hat. 4Die §§ 114 bis 115a, 117 bis 119a und 126a Abs. 3 gelten entsprechend.

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§ 275a

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

Schrifttum Bender Die nachträgliche Sicherungsverwahrung (2007); Folkers Die nachträgliche Sicherungsverwahrung in der Rechtsanwendung, NStZ 2006 426; von Freier Verfahrensidentität und Prozessgegenstand des Verfahrens zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung, ZStW 120 (2008) 273; Hanack Nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung? FS Rieß (2002) 709; Kinzig Das Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung, NJW 2002 3204; ders. Die Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung, NJW 2011 177; Peglau Das „Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung“, JR 2002 449; ders. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung, das Rechtsmittelverfahren und das Verschlechterungsverbot, NJW 2004 3599; ders. Mehrfache Verfahren zur nachträglichen Verhängung der Sicherungsverwahrung – ein prozessuales Problem der strafrechtlichen Gefahrenabwehr, JR 2006 14; ders. Die Sicherungsverwahrung im „Dialog“ zwischen EGMR und BVerfG, JR 2016 491; Renzikowski Abstand halten! – Die Neuregelung der Sicherungsverwahrung, NJW 2013 1638; Rissing-van Saan Vorbehaltene und nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung als Bewährungsproben des Rechtsstaates, FS Nehm (2006) 191; Römer Verwahrung gegen die nachträgliche Sicherungsverwahrung, JR 2006 5; Zimmermann Das neue Recht der Sicherungsverwahrung (ohne JGG), HRRS 2013 164; Zschieschack/Rau Probleme der nachträglichen Sicherungsverwahrung unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, JR 2006 8; dies. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung in der aktuellen Rechtsprechung des BGH, JZ 2006 895. Für das umfangreiche Schrifttum zu den materiell-rechtlichen Fragen der vorbehaltenen und nachträglichen Sicherungsverwahrung sowie deren Verfassungsmäßigkeit und Vereinbarkeit mit der EMRK vgl. die Kommentare zu §§ 66a, 66b StGB sowie LR/Esser26 Art. 5, 80 ff., 134 f. EMRK, Art. 7, 34 ff. EMRK.

Entstehungsgeschichte § 275a wurde durch Art. 2 Nr. 4a des Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung (SichVEG) vom 21.8.2002 (BGBl. I S. 3344) neu in die StPO eingefügt. Die durch § 66a StGB geschaffene Möglichkeit, die Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung einem Nachverfahren vorzubehalten, erforderte zusätzliche verfahrensrechtliche Regelungen. Deshalb wurden mehrere Vorschriften über die Hauptverhandlung (§§ 246a, 260, 267) ergänzt und die Belehrungspflichten durch einen neuen § 268d erweitert. Der neu eingefügte § 275a regelt das Nachverfahren, das erforderlich ist, wenn das Strafurteil über die Rechtsfolge der Sicherungsverwahrung nicht abschließend entscheidet, sondern dies einer späteren Entscheidung vorbehält. Für die Regelung wurde ein nur aus dieser einzigen Bestimmung bestehender neuer Siebenter Abschnitt des zweiten Buchs der StPO geschaffen. Der bisherige Siebente Abschnitt „Verfahren gegen Abwesende“ wurde durch Art. 2 Nr. 4b dieses Gesetzes zum Achten Abschnitt. Die in kurzen Abständen folgenden Änderungen des materiellen Rechts1 haben jeweils auch Änderungen des § 275a nach sich gezogen. Nachdem den Ländern die Gesetzgebungskompetenz für die nachträgliche Sicherungsverwahrung abgesprochen worden war,2 erließ der Bundesgesetzgeber das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (SichVNachtrEG) vom 23.7.2004 (BGBl. I S. 1838), dessen Art. 2 Nr. 2 den § 275a neu gefasst hat; dabei wurde Absatz 1 um den Antrag auf nachträgliche Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB, § 106 Abs. 5, 6 JGG ergänzt und die Regelungen zur Verfahrenseinleitung aus Absatz 2 in Absatz 1 verschoben. Der bisherige Absatz 3 wurde textlich unverändert zu Absatz 2, ebenso der bisherige Absatz 4 zu Absatz 3. Die Regelung zum Sachverständigengutachten im bisherigen Absatz 5 wurde im neuen Absatz 4 dahingehend erweitert, dass im 1 Übersicht bei SK/Frister 3 ff. 2 BVerfGE 109 190.

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7. Abschnitt. Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung

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Fall der Entscheidung über die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung Gutachten von zwei Sachverständigen einzuholen sind. Der neue Absatz 5 sah unter bestimmten Voraussetzungen den Erlass eines Unterbringungsbefehls bevor. Art. 2 des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht (SichVNachtrJStrG) vom 8.7.2008 (BGBl. I S. 1212) brachte für § 275a nur redaktionelle Änderungen durch Streichung der Verweisungen in Absatz 1 und 5 auf § 106 Abs. 3, 5, 6 JGG, die § 106 Abs. 7 JGG ersetzt. Das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts (UHaftRÄndG) vom 29.7.2009 (BGBl. I S. 2274) nahm durch Art. 1 Nr. 14 eine kleine Folgeänderung in § 275a Abs. 5 beim Verweis auf die Vorschriften des Untersuchungshaftrechts vor. Nachdem der EGMR3 in Widerspruch zum BVerfG4 den nachträglichen Wegfall der Höchstgrenze von zehn Jahren für die erstmals angeordnete Sicherungsverwahrung aufgrund ihres angenommenen Strafcharakters für konventionswidrig befunden hatte, wurde die Konventionsgemäßheit der nachträglichen Sicherungsverwahrung insgesamt in Zweifel gezogen.5 Der Bundesgesetzgeber hat daraufhin durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen (SichVNOG) vom 22.12.2010 (BGBl. I S. 2300) den Anwendungsbereich der nachträglichen Sicherungsverwahrung deutlich eingeschränkt auf Fälle erledigter Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie auf das Jugendstrafrecht, die Möglichkeiten des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung erweitert6 sowie eine besondere Unterbringungsmöglichkeit für Fälle, in denen weitere Sicherungsverwahrung unzulässig wäre, im Therapieunterbringungsgesetz (ThUG) geschaffen, über die die Zivilkammern der Landgerichte zu entscheiden haben. Art. 2 Nr. 4 SichVNOG hat § 275a Abs. 1 neu gefasst, nach Absatz 4 den neuen Absatz 5 mit einer Frist für die Entscheidung über vorbehaltene Sicherungsverwahrung eingefügt und im bisherigen Absatz 5, der nun Absatz 6 wurde, Satz 2 neu gefasst und Satz 3 an die neu gefasste Vorschrift des § 66a StGB angepasst. Zugleich wurde durch Art. 4 Nr. 2 SichVNOG der neue Art. 316e EGStGB eingefügt, gemäß dessen Absatz 1 die bis zum 31.12.2010 geltende Fassung der Vorschriften über die Sicherungsverwahrung weiterhin noch auf alle Verfahren anzuwenden ist, die Taten betreffen, von denen wenigstens eine vor dem 1.1.2011 begangen wurde. Obschon § 275a keine ausdrückliche Erwähnung findet, ist die Weitergeltung der früheren Fassungen über die Sicherungsverwahrung in Altfällen nur gemeinsam mit der Weitergeltung der entsprechenden Fassung der zugehörigen Verfahrensnorm vorstellbar und vom Gesetzgeber auch gewollt.7 Die bis zum 31.12.2010 geltenden Vorschriften werden im Folgenden mit dem Zusatz „a. F.“ versehen, die ab dem 1.1.2011 geltenden Vorschriften stehen ohne Zusatz oder mit dem Zusatz „n. F.“. Für den Wortlaut und die Erläuterung der vor dem 1.1.2011 geltenden Fassung wird auf die 26. Auflage verwiesen. Wenige Tage nach Inkrafttreten des SichVNOG hat der EGMR es als Verletzung des Art. 5 EMRK angesehen, wenn eine Unterbringung angeordnet wird, die im Strafurteil „nicht einmal als Möglichkeit enthalten war“,8 so dass die Vereinbarkeit jeglicher ohne vorherigen Vorbehalt nachträglich angeordneter Sicherungsverwahrung mit der Konven3 4 5 6 7 8

EGMR 19.12.2009, M/Deutschland, Nr. 19359/04, NJW 2010 2495. BVerfGE 109 133. Vgl. nur SK/Frister 8 m. w. N. Krit. Kinzig NJW 2011 177, 178 ff. BTDrucks. 17 3403 S. 49; SK/Frister 16. EGMR 13.1.2011, Haidn/Deutschland, Nr. 6587/04, § 88 = NJW 2011 3423, 3425; s. a. EGMR 19.4.2012, B/ Deutschland, Nr. 61272/09 = EuGRZ 2012 383; 7.6.2012, K/Deutschland, Nr. 61827/09, §§ 78 ff., 88; 7.6.2012, G/Deutschland, Nr. 65210/09, §§ 69 ff., 79, jew. zu § 66b a. F. StGB.

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tion zweifelhaft ist.9 Schließlich hat das BVerfG in Abkehr von seiner früheren Rechtsauffassung10 mit Urteil vom 4.5.201111 alle Vorschriften über die Sicherungsverwahrung, namentlich in §§ 66 bis 66b StGB und §§ 7, 106 JGG, für verfassungswidrig erklärt. § 275a wäre demnach funktionslos, wenn das BVerfG nicht zugleich nach § 35 BVerfGG angeordnet hätte, dass die Vorschriften bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31.5.2013, nach Maßgabe des Urteilstenors weiter Anwendung finden. Das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5.12.2012 (BGBl. I S. 2425) trat am 1.6.2013 in Kraft12 und ließ § 275a unverändert.

I.

II.

III.

Übersicht Bedeutung der Vorschrift 1 1. Regelungsgehalt 1 2. Rechtsnatur der Nachverfahren 2 a) Vorbehaltene Sicherungsverwahrung 3 b) Nachträgliche Sicherungsverwahrung 5 Voraussetzungen der Nachverfahren 7 1. Vorbehaltene Sicherungsverwahrung 7 2. Nachträgliche Sicherungsverwahrung 8 3. Zuständigkeit 9 4. Zeitliche Vorgaben 13 a) Vorbehaltene Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB 13 b) Nachträgliche Sicherungsverwahrung 15 Vorbereitung der Nachverfahren 16 1. Staatsanwaltschaft 16 a) Vorbehaltene Sicherungsverwahrung 16 b) Nachträgliche Sicherungsverwahrung 20 aa) Antragserfordernis 20 bb) Form und Inhalt des Antrags 21 cc) Zeitpunkt des Antrags 22 dd) Mitteilung an den Betroffenen 23

IV.

ee) Notwendige Verteidi25 gung 2. Wirkung von Aktenübersendung und Antrag 26 3. Vorbereitung der Verhandlung durch den Vorsitzenden 27 a) Entsprechende Anwendung der §§ 213 ff. (Absatz 2) 27 b) Ladungen, Mitteilung der benannten Zeugen 28 c) Verteidiger 29 d) Bestellung der Sachverständigen 31 Hauptverhandlung 32 1. Verfahrensgegenstand 32 a) Vorbehaltene Sicherungsverwahrung 32 b) Nachträgliche Sicherungsverwahrung 34 2. Entsprechende Anwendung der §§ 226 bis 275 36 3. Vorgehende Sondervorschriften (Absatz 3) 38 a) Notwendigkeit von Sonderregelungen 38 b) Vortrag des Berichterstatters 39 c) Verlesung des Urteils durch den Vorsitzenden 40 4. Vernehmung des Verurteilten 41

9 Vgl. zum neuen Recht EGMR 7.1.2016, Bergmann/Deutschland, Nr. 23279/14, §§ 175 f., 181 (Sicherungsverwahrung nur in Fällen nach ThUG keine „Strafe“ mehr im Sinne des Art. 7 EMRK) = NJW 2017 1007 mit Anm. Köhne und Schmitt-Leonardy StV 2017 598; BVerfGE 133 40, 54 ff.; SK/Frister 11, 14 Fn. 60; MüKoStGB/Ullenbruch/Drenkhahn § 66b, 29, 33, 36 StGB; NK-StGB/Dessecker § 66b, 11; Schönke/Schröder/Stree/ Kinzig § 66b, 8.w. N.; SK-StGB/Sinn § 66b, 11; Kinzig NJW 2011 177, 180; Zimmermann HRRS 2013 164, 172; Peglau JR 2016 491, 498. 10 BVerfGE 109 133, 167; BVerfGK 9 108; 14 357; 16 98. 11 BVerfGE 128 326 = BGBl. 2011 I S. 1003; BVerfGE 129 37, 45 f.; 131 268, 285 f. 12 Übergangsregeln treffen Art. 316e und 316f EGStGB, vgl. BTDrucks. 17 9874 S. 30 ff.; s. SK/Frister 16a.

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7. Abschnitt. Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung

5.

6.

Beweisaufnahme 43 a) Regeln der Hauptverhandlung 43 b) Gegenstand der Beweisaufnahme 44 c) Vernehmung eines Sachverständigen 46 Urteil 52 a) Urteilstenor 52 b) Kostenentscheidung 53 c) Liste der angewandten Vorschriften 54 d) Einstweilige Unterbringung 55 e) Urteilsgründe 56 f) Umfang der Rechtskraft ablehnender Entscheidungen 57

§ 275a

58 Revision 1. Beschränkung auf den Entscheidungsgegenstand des Nachverfahrens 58 2. Besonderheiten 59 VI. Wiederaufnahme des Verfahrens bzgl. des ersten Urteils 61 VII. Unterbringungsbefehl (Absatz 6) 62 1. Nachträgliche Sicherungsverwahrung 62 2. Vorbehaltene Sicherungsverwahrung 63 3. Zuständigkeit 64 4. Anordnung 65 5. Rechtsbehelfe 66 V.

I. Bedeutung der Vorschrift 1. Regelungsgehalt. § 275a enthält in einer Vorschrift teils gemeinsame, teils un- 1 terschiedliche Regelungen für zwei verschiedene Nachverfahren, die zum einen die Anordnung der im Urteil vorbehaltenen Sicherungsverwahrung (§ 66a StGB, § 106 Abs. 3 JGG, § 260 Abs. 4 Satz 4 StPO), zum anderen die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung (§ 66b StGB; § 7 Abs. 2, 3, § 106 Abs. 5, 6 JGG) zum Gegenstand haben. Die Einleitung der Verfahren ist in Absatz 1 geregelt, dessen Sätze 1 und 2 die vorbehaltene Sicherungsverwahrung und Sätze 3 und 4 die nachträgliche Sicherungsverwahrung betreffen. Absatz 2 und 3 sehen einheitliche Regeln für Vorbereitung und Durchführung der gerichtlichen Hauptverhandlung vor, die im Grundsatz denen des erstinstanzlichen Verfahrens entsprechen. Absatz 4 schreibt vor, dass Sachverständigengutachten einzuholen sind, eines für die vorbehaltene, zwei für die nachträgliche Sicherungsverwahrung; Satz 3 schließt für beide Verfahren vorbefasste Gutachter aus. Absatz 5 stellt eine Sollvorschrift für den Zeitpunkt der Entscheidung über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung auf. Absatz 6 Satz 1 und 2 legt Voraussetzungen und Zuständigkeit für den Erlass eines Unterbringungsbefehls im Verfahren der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung fest; Satz 3 trifft die entsprechende Regelung für die vorbehaltene Sicherungsverwahrung. Satz 4 ordnet für den Unterbringungsbefehl in beiden Verfahren die entsprechende Geltung bestimmter allgemeiner Regeln des Haftrechts an. 2. Rechtsnatur der Nachverfahren. Beiden Verfahren ist gemeinsam, dass das Ge- 2 richt bei der Verurteilung wegen der Straftat die Sicherungsverwahrung nicht angeordnet hat, so dass über deren Voraussetzung nun in einer zweiten Hauptverhandlung durch Urteil zu befinden ist, die mit denselben Verfahrensgarantien ausgestattet ist wie das erste Hauptverfahren. Der Verurteilte soll im zweiten Teil nicht anders gestellt werden als wenn das Gericht die Sicherungsverwahrung gleich im ersten Teil angeordnet hätte.13 Die systematische Stellung des § 275a im Anschluss an den Sechsten Ab13 BTDrucks. 15 2887 S. 15; HK/Julius/Pollähne 1; KMR/Voll 4; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Gerhold 2; SK/Frister 17.

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schnitt des Zweiten Buches der StPO soll dies verdeutlichen.14 Diese Verfahrensgestaltung (sog. „Hauptverhandlungsmodell“15) ist sachgerecht, denn die Beurteilung, ob die Maßregel jetzt noch anzuordnen ist, ist Sache des Tatgerichts und nicht des Vollstreckungsgerichts16 – wegen Art. 104 Abs. 2 GG ohnehin nicht der Vollstreckungsbehörde –, weil es sich nicht um die bloße Ausgestaltung einer schon verhängten, sondern um die erstmalige Verhängung der Rechtsfolge „Sicherungsverwahrung“ handelt.17 a) Vorbehaltene Sicherungsverwahrung. Im Fall des im Urteil ausgesprochenen Vorbehalts der Sicherungsverwahrung (§ 260 Abs. 4 Satz 4) hat das Gericht sich nicht in der Lage gesehen, eine hinreichend sichere Prognose darüber zu treffen, ob vom Täter auch künftig erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch die die Opfer seelisch oder körperlich geschädigt werden können. Durch die Zulassung des Vorbehalts soll vermieden werden, dass das Gericht wegen der im Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht behebbaren Zweifel an der fortbestehenden Gefährlichkeit des Täters von der Anordnung der Sicherungsverwahrung absehen muss. Die Möglichkeit, diese Entscheidung einem Nachverfahren zu überlassen, verbessert die Voraussetzungen für eine sicherere Prognose und entlastet auch das Verfahren des erkennenden Gerichts von im Zeitpunkt seiner Entscheidung mitunter wenig erfolgversprechenden Aufklärungsversuchen. Vor allem aber macht es die Verlagerung dieser Entscheidung in das Nachverfahren möglich, das Verhalten des Täters im Strafvollzug und die dort über seine Persönlichkeit gewonnenen Erkenntnisse mit zu berücksichtigen, wenn seine künftige Gefährlichkeit zu beurteilen ist. 4 Der ausgesprochene Vorbehalt verpflichtet das erkennende Gericht, die bewusst offen gelassene Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung später in einer den Rechtsgarantien der Hauptverhandlung unterstellten weiteren Verhandlung nachzuholen, in der alle zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse über die Person des Angeklagten, vor allem auch sein Verhalten im Strafvollzug, als Beurteilungsgrundlage für die zu treffende Prognoseentscheidung mitverwertet werden können. Erst mit dem Urteil, das diese zweite Hauptverhandlung abschließt, hat das Gericht seine umfassende Kognitionspflicht (§ 264) erfüllt und das Erkenntnisverfahren der ersten Instanz als Ganzes abgeschlossen. Es liegt also nur eine einzige, wenn auch hinsichtlich des Entscheidungsgegenstands zeitlich aufgespaltene Hauptverhandlung der ersten Instanz vor und nicht etwa eine dem Verbot der mehrmaligen Bestrafung der gleichen Tat (Art. 103 Abs. 3 GG) widersprechende Doppelaburteilung oder die Teilwiederaufnahme eines bereits bestandskräftig erledigten Verfahrens.18 3

5

b) Nachträgliche Sicherungsverwahrung. Anders ist es bei der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung, die nicht als Abschluss der ersten Hauptver-

14 Vgl. BTDrucks. 14 9264 S. 10. 15 BTDrucks. 15 2887 S. 15. 16 So aber die Unterbringungsgesetze der Länder, vgl. BVerfGE 109 190, 225 f., und der Gesetzesvorschlag der CDU/CSU-Fraktion in BTDrucks. 15 2576 S. 4 sowie der Vorschlag des Bundesrates BRDrucks. 177/04 S. 4, auch BTDrucks. 15 2945 S. 3, 5; krit. auch MüKo/Gerhold 3, 6 m. w. N. 17 Vgl. BTDrucks. 14 9264 S. 10; 15 2945 S. 5; vgl. Hanack FS Rieß 709, 721 f.; SK/Frister 17. 18 Zu diesen und anderen Einwänden, die vor allem gegen frühere Entwürfe erhoben wurden, nach denen die große Strafvollstreckungskammer nachträglich über die Sicherungsverwahrung entscheiden sollte, vgl. etwa OLG Brandenburg NStZ 2005 272; Hanack FS Rieß 709, 719; Kinzig StV 2002 500; ders. NJW 2001 1455; Ullenbruch NStZ 2001 292; Würtenberger/Sydow NVwZ 2001 1201.

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7. Abschnitt. Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung

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handlung, sondern unabhängig von dieser in einem selbständigen zweiten Verfahren erfolgt, das durch eine aktuelle Gefahrenprognose ausgelöst wird. Unter § 66b StGB i. d. F. des SichVNachtrEG 2004 waren zwei Konstellationen zu unterscheiden:19 Zum einen ging es um die mehrfach (§ 66b Abs. 1 StGB a. F.) oder einmal (§ 66b Abs. 2 StGB a. F.) wegen schwerer Straftaten zu Freiheitsstrafe verurteilten Täter, bei denen erst im Verlauf des Strafvollzugs Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen und die Anordnung der Sicherungsverwahrung jetzt rechtfertigen; zum anderen um die Täter (§ 66b Abs. 3 StGB a. F.), die wegen verminderter oder fehlender Schuldfähigkeit und schon im Urteilszeitpunkt erkannter Gefährlichkeit gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wurden und bei denen inzwischen der Behandlungszweck entfallen ist (§ 67d Abs. 6 StGB), der Sicherungsbedarf aber wegen andauernder Gefährlichkeit fortbesteht. § 66b StGB i. d. F. des SichVNOG 2010 sieht nachträgliche Sicherungsverwahrung nur noch in der zweiten Konstellation vor. In der ersten Konstellation ließ der lose innere Zusammenhang mit der im ersten 6 Urteil abgeurteilten Tat, die allenfalls ein Gefahrensymptom unter anderen darstellt, die präventiv-polizeiliche Natur der Maßregel und die daraus resultierende Unverträglichkeit mit der EMRK, der das Konzept der reinen Präventivhaft insoweit fremd ist (vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. e EMRK), besonders deutlich hervortreten. Nur eine klare Trennung des präventiven Maßregelzwecks und des repressiven Strafzwecks erlaubt es, in diesem zweiten Verfahren keine Wiederaufnahme propter nova zu Lasten des Verurteilten20 bzw. unzulässige Doppelbestrafung zu sehen,21 wozu die EMRK aufgrund ihres numerus clausus der Gründe zulässiger Freiheitsentziehung in Art. 5 nicht imstande ist und folglich die Sicherungsverwahrung entweder als Strafe oder als nicht in der Konvention vorgesehene und daher unzulässige Form der Freiheitsentziehung klassifizieren muss. Die zweite Konstellation knüpft hingegen an eine bekannte und fortdauernde Gefährlichkeit an und behebt den Mangel, dass die Sicherungsverwahrung für den Fall der Erledigung nur des Behandlungszwecks nicht schon im ersten Urteil vorbehalten oder kumulativ (§ 72 StGB) angeordnet wurde bzw. aus Rechtsgründen (Schuldunfähigkeit) angeordnet werden konnte. Das ändert nichts daran, dass auch diese Form der nachträglichen Sicherungsverwahrung ein selbständiges zweites Verfahren darstellt, das mit der EMRK unvereinbar sein dürfte.22

II. Voraussetzungen der Nachverfahren 1. Vorbehaltene Sicherungsverwahrung. Voraussetzung für das Nachverfahren 7 ist, dass das Gericht im Tenor seiner Entscheidung über die zugelassene Anklage die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung ausdrücklich dem Nachverfahren vorbehalten hat (§ 260 Abs. 4 Satz 4). Dieser Vorbehalt muss bestandskräftig sein.23 Die ihm zugrunde liegenden Feststellungen und Würdigungen, die die Voraussetzungen der Si19 Vgl. BTDrucks. 15 2887 S. 10 ff. 20 So aber BGHSt 50 373, 380; MüKo-StGB/Ullenbruch/Drenkhahn § 66b, 30 StGB; Zschieschack/Rau JR 2006 8, 12; dies. JZ 2006 895, 896; eingehend von Freier ZStW 120 (2008) 273, 274, 306 ff. Zur mangelnden Eignung des repressiven Verfahrensrechts zur Umsetzung gefahrenabwehrrechtlicher Maßnahmen s. Peglau JR 2006 14, 17; von Freier ZStW 120 (2008) 273 f., 289 und durchgehend. 21 Vgl. BVerfG 109 133. 22 Vgl. die Nachw. in Fn. 9. 23 LK/Rissing-van Saan/Peglau § 66a, 48 StGB; SK/Frister 19.

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cherungsverwahrung bis auf die ungewisse Prognose der künftigen Gefährlichkeit bejahen, dürfen entweder nicht angefochten worden sein oder eine auch sie umfassende Anfechtung des Urteils muss in der Revisionsinstanz oder einer sich daran anschließenden weiteren Tatsacheninstanz mit der Aufrechterhaltung des Vorbehalts geendet haben. Ist dies der Fall, sind die Voraussetzungen für das Nachverfahren auch dann gegeben, wenn das Urteil des Hauptverfahrens in einem anderen, mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht zusammenhängenden Punkt noch nicht rechtskräftig erledigt, sondern aufgrund eines Rechtsmittels noch anhängig sein sollte. 8

2. Nachträgliche Sicherungsverwahrung. Die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung setzt eine rechtskräftige Verurteilung wegen der Anlasstat oder Anlasstaten voraus, deren Rechtsfolgenausspruch entweder Freiheitsstrafe oder Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB anordnet. Letzterenfalls muss die Maßregel gemäß § 67d Abs. 6 StGB rechtskräftig für erledigt erklärt worden sein, bevor die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann. Möglich ist aber, das Verfahren bereits vorher einzuleiten24 und einstweilige Unterbringung gemäß § 275a Abs. 6 zu beantragen.

3. Zuständigkeit. Da die Entscheidung über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung nur die Fortsetzung des ersten Hauptverfahrens ist, in dem der Vorbehalt ausgesprochen wurde (Rn. 4), folgt daraus die Zuständigkeit desselben Spruchkörpers auch für das Nachverfahren. Dass ein Gericht über die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung entscheiden muss, folgt schon aus Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG. Diese Entscheidung den erstinstanzlichen Strafgerichten anzuvertrauen, liegt im deutschen Recht aus systematischen und historischen Gründen nahe (Rn. 2); zwingend ist dies nicht, wie jetzt §§ 1, 3 ThUG zeigen, wonach dieselbe Gefahrenprognose vom Zivilgericht zu treffen ist, falls die Gefahr auf einer psychischen Störung beruht. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll in beiden Nachverfahren das erstinstanzliche Tatgericht entscheiden aufgrund der Annahme, dass dieses Tatgericht die für die Anordnung einer Sicherungsverwahrung notwendige Gesamtwürdigung am besten vornehmen könne, weil es sich bereits früher mit dem Verurteilten und seiner Tat auseinandergesetzt habe und vor diesem Hintergrund seine weitere Entwicklung einschätzen könne.25 Das setzt allerdings auch personelle Kontinuität der Spruchkörper voraus, die angesichts der oft langen Zeitspanne zwischen Urteil und Nachverfahren vielfach nicht gegeben sein wird.26 10 Gericht des ersten Rechtszugs ist gemäß §§ 74f, 120a GVG die Strafkammer oder der Strafsenat, die in derselben Sache das erstinstanzliche Urteil erlassen haben. Im Fall der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung gilt dies auch dann, wenn das Revisionsgericht einen den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung nicht betreffenden, weil selbständigen anderen Teil des Urteils aufgehoben und an ein anderes Gericht zurückverwiesen haben sollte. Ist dagegen das Urteil auch hinsichtlich des Vorbehalts über die Sicherungsverwahrung aufgehoben und die Sache erneut nach § 354 Abs. 2 vor einer anderen Strafkammer verhandelt worden, dann wird man diese, sobald die Anordnung des Vorbehalts in ihrem Urteil bestandskräftig geworden ist, nach dem Sinn der Regelung als das zuständige Gericht der ersten Instanz betrachten müssen. Der Vorbehalt ist dann untrennbarer Bestandteil desjenigen tatrichterlichen Urteils, das für das weitere 9

24 KK/Greger 9; MüKo/Gerhold 23; OK-StPO/Peglau 20. 25 BTDrucks. 15 2887 S. 17. 26 Rn. 37; LR/Siolek26 § 74f, 3 GVG.

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7. Abschnitt. Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung

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Verfahren letztendlich bindend nach § 267 Abs. 6 die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung festgestellt und nur wegen der Unsicherheit der Prognose die Entscheidung darüber dem Nachverfahren vorbehalten hat. Die Entscheidung darüber ergänzt dann nicht das erste, sondern das spätere tatrichterliche Urteil. Sofern dieses auch den Schuldspruch mit einschloss, sind dessen Feststellungen die alleinige Entscheidungsgrundlage für das Nachverfahren. Hat im ersten Rechtszug das Amtsgericht entschieden, so ist eine Strafkammer 11 des ihm übergeordneten Landgerichts für die Verhandlung und Entscheidung über die nachträgliche Sicherungsverwahrung zuständig (§ 74f Abs. 2 GVG). Es dürfte allerdings kaum je vorkommen, dass das Amtsgericht erstinstanzlich zuständig war, weil es keine Unterbringung nach § 63 StGB anordnen und nicht mehr als vier Jahre Freiheitsstrafe verhängen kann (§ 24 Abs. 2 GVG), so dass allenfalls Anlasstaten nach § 66 Abs. 1 StGB a. F. oder Verurteilungen nach Jugendstrafrecht in Frage kommen.27 Die große Strafkammer ist zuständig, auch wenn eine kleine Strafkammer über die Berufung befunden hat.28 Kommt die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung aufgrund mehrerer 12 Urteile verschiedener Gerichte in Betracht, so konzentriert sich die Zuständigkeit für das Nachverfahren auf das nach § 74f Abs. 3 GVG i. V. m. § 462a Abs. 3 Satz 2 und 3 zu bestimmende Gericht.29 Eine Besetzungsreduktion der großen Strafkammer gemäß § 76 Abs. 2 GVG ist nur bei der Entscheidung über die vorbehaltene, aber nicht über die nachträgliche Sicherungsverwahrung möglich, § 74f Abs. 3 Hs. 2 GVG. 4. Zeitliche Vorgaben a) Vorbehaltene Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB30. In der geltenden 13 Fassung des § 66a Abs. 3 Satz 1 StGB muss die erstinstanzliche Entscheidung über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung erst bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe ergehen. Danach erlischt der Vorbehalt ohne weitere gerichtliche Entscheidung.31 Dies gilt gemäß § 66a Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 StGB auch dann, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest jetzt vollstreckt wird. Während der Bewährungszeit darf hingegen das Verfahren über die Entscheidung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nicht eingeleitet werden.32 Nach dem rechtskräftigen Erlass des nicht vollstreckten Strafrestes (§§ 56g, 57 Abs. 5 Satz 1 StGB) kann die vorbehaltene Sicherungsverwahrung nicht mehr angeordnet werden; auch in diesem Fall erlischt der Vorbehalt, ohne dass es einer diesbezüglichen Entscheidung bedarf.33 Ein noch anhängiges Verfahren über die vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung muss dann mit Prozessurteil beendet werden.34 Die Sechsmonatsfrist des bis zum 31.12.2010 geltenden Rechts kehrt in veränderter 14 Form im neuen § 275a Abs. 5 als Sollvorschrift wieder, wonach das Gericht bis spätestens sechs Monate vor der vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung entschieden haben soll. Eine Überschreitung der 27 28 29 30 31 32 33 34

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Vgl. SK/Frister § 74f, 6 GVG; auch Meyer-Goßner/Schmitt § 74f, 2 GVG. LR/Siolek26 § 74f, 6 GVG. Vgl. LR/Siolek26 § 74f, 8 GVG. Zu Altfällen s. LR/Stuckenberg26 13 ff. BTDrucks. 17 3403 S. 30, 42. KK/Greger 7; OK-StPO/Peglau 9; SK/Frister 23. SK/Frister 23 f.; vgl. BTDrucks. 17 3403 S. 30, 42. MüKo/Gerhold 36; SK/Frister 24; a. A. (Sachurteil) wohl BTDrucks. 17 3403 S. 42; OK-StPO/Peglau 31.

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Frist, insbesondere durch ein Rechtsmittelverfahren, bleibt folgenlos. Umgekehrt ist das Gericht auch nicht daran gehindert, unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles schon zu einem früheren Zeitpunkt zu entscheiden.35 15

b) Nachträgliche Sicherungsverwahrung. Das Gesetz sieht keine Frist für die gerichtliche Entscheidung über die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vor. Vielmehr hat die Staatsanwaltschaft den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung unverzüglich zu stellen und ihn zusammen mit den Akten dem Gericht zu übergeben (Rn. 22). Ein Antrag ebenso wie eine Entscheidung nach Beendigung des Straf- oder Maßregelvollzugs ist zulässig, weil der Antrag, anders als beim alten Recht, erst nach Erledigung der Unterbringung gestellt werden kann.36 III. Vorbereitung der Nachverfahren 1. Staatsanwaltschaft

a) Vorbehaltene Sicherungsverwahrung. Um den Endtermin für die Entscheidung des Gerichts in § 66a Abs. 3 Satz 1 StGB einhalten zu können, bedarf es, nicht zuletzt wegen der notwendigen Einschaltung eines Sachverständigen durch das Gericht, einer nicht unbeträchtlichen Vorlaufzeit. Deshalb müssen die beteiligten Staatsanwaltschaften dafür sorgen, dass die Akten dem Gericht so rechtzeitig vorgelegt werden, dass dessen Vorsitzendem ausreichende Zeit für die fristgerechte Terminierung der Verhandlung und für deren Vorbereitung verbleibt. 17 Die für die Vollstreckung zuständige Staatsanwaltschaft (§ 451) ist primär verantwortlich dafür, dass das Verfahren über den Vorbehalt rechtzeitig in die Wege geleitet wird. Sie ist nach Absatz 1 Satz 1 verpflichtet, die Akten des Strafverfahrens einschließlich der Vollstreckungsakten37 der für das erkennende Gericht zuständigen Staatsanwaltschaft zuzuleiten, sofern beide Behörden nicht ohnehin, wie im Regelfall, identisch sind.38 Befinden sich die Akten des Strafverfahrens nicht bei ihr, dürfte es ausreichen, wenn sie dafür sorgt, dass die für das Gericht des ersten Rechtszugs zuständige Staatsanwaltschaft diese Akten umgehend erhält. Vor Übermittlung der Akten aber sollte sie – auch wenn das Gesetz dazu schweigt – zweckmäßigerweise bereits eine Stellungnahme der Vollzugsanstalt über den Verurteilten einholen. Auch sonst verwertbares Material über Vorkommnisse, die für die Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung von Bedeutung sein können, sollte sie beibringen, soweit sich dieses nicht ohnehin bereits in den Vollstreckungsakten befindet. Wenn sie die Akten weiterleitet, dürfte es förderlich sein, wenn sie in einem Begleitschreiben auf die von ihr für entscheidungserheblich erachteten Umstände besonders hinweist. Hierfür kann eine konkrete Bezugnahme auf in den Vollstreckungsakten enthaltene Vorkommnisse und Berichte genügen. Angesprochen werden sollten aber auch sonstige Vorkommnisse, die ihr als Vollstreckungsbehörde bekannt geworden sind, so auch etwaige Entscheidungen, die Aufschlüsse über die Person des Verurteilten geben können, auch wenn sie in einem nicht notwendig ihn selbst betreffenden Verfahren ergangen sind. Ist die für den ersten Rechtszug zuständige Staatsanwaltschaft gleichzeitig auch die Vollstreckungsbehörde,

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35 BTDrucks. 17 3403 S. 42; KK/Greger 8 (verfrühte Antragstellung aber nicht sinnvoll); SK/Frister 25. 36 SK/Frister 35; a. A. KK/Greger 12 (ohne Berücksichtigung des neuen Rechts); für eine entsprechende Anwendung des § 56g Abs. 2 Satz 2 StGB Folkers NStZ 2006 426, 431; MüKo/Gerhold 23. 37 KMR/Voll 7. 38 Vgl. KMR/Voll 7 f.; OK-StPO/Peglau 8; krit. Zschieschack/Rau JR 2006 8, 9.

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7. Abschnitt. Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung

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gilt die Verpflichtung zur rechtzeitigen und umfassenden Vorlage auch intern zwischen ihren verschiedenen Referaten oder Abteilungen. Die Staatsanwaltschaft bei dem Gericht des ersten Rechtszugs muss die bei ihr 18 eingegangenen Akten dem Vorsitzenden des Gerichts vorlegen. Dies muss so rechtzeitig geschehen, dass das Gericht die Sollfrist des Absatzes 5 einhalten kann (§ 275a Abs. 1 Satz 2), wobei insbesondere das Erfordernis des vorher einzuholenden Sachverständigengutachtens (Absatz 4) und die für dessen Erstellung nötige Zeit (Rn. 16) zu berücksichtigen ist.39 Eigene Ermittlungen der Staatsanwaltschaft schreibt das Gesetz ebenso wenig vor wie eine Stellungnahme oder gar einen förmlichen Antrag zur Frage der Notwendigkeit der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Begleitschreiben bei der Vorlage der Akten. Denn da das ursprüngliche Hauptverfahren wegen des Vorbehalts insoweit noch nicht beendet ist, hat das Gericht ohnehin ungeachtet der gesetzlich angeordneten Initiativpflicht40 der Staatsanwaltschaft von Amts wegen für eine rechtzeitige Entscheidung über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung zu sorgen.41 Der Staatsanwaltschaft ist es aber unbenommen, eigene Ermittlungen anzustellen 19 sowie eine Stellungnahme abzugeben, wenn sie sich nicht mit einer Verweisung auf eine etwaige Stellungnahme der für die Vollstreckung zuständigen, sachnäheren Staatsanwaltschaft begnügen will. So kann es zweckmäßig sein, wenn sie schon bei der Vorlage den Vorsitzenden darauf hinweist, welche Zeugen für die Hauptverhandlung aus ihrer Sicht geladen werden sollten. Das ihr nach Absatz 2 in Verbindung mit § 214 Abs. 3 zustehende Recht, Zeugen zur Hauptverhandlung auch selbst zu laden, kann sie in diesem Zeitpunkt noch nicht ausüben, da deren Termin noch nicht feststeht. Dies kann sie später noch tun, wenn der Vorsitzende Zeugen nicht lädt, deren Anhörung sie für erforderlich hält. Auch Vorschläge für den zu bestellenden Sachverständigen können schon in diesem Zeitpunkt sachdienlich sein. b) Nachträgliche Sicherungsverwahrung aa) Antragserfordernis. Anders als bei der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung 20 setzt das selbständige Nachverfahren zur Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung einen Antrag der Staatsanwaltschaft bei dem zuständigen Gericht voraus, § 275a Abs. 1 Satz 5. Da das ursprüngliche Erkenntnisverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, stellt dieser Antrag eine Verfahrensvoraussetzung für das Nachverfahren dar;42 eine amtswegige Entscheidung des Gerichts über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung ist ausgeschlossen. Ist die für die Antragstellung zuständige Staatsanwaltschaft nicht zugleich auch Vollstreckungsbehörde, so muss die für die Vollstreckung zuständige Staatsanwaltschaft (§ 451) der Staatsanwaltschaft beim zuständigen Gericht zuvor die Akten übersenden, vgl. § 275a Abs. 1 Satz 3 für den Fall der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Die zuständige Staatsanwaltschaft hat zu prüfen, ob die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung in Betracht kommt und das gerichtliche Verfahren einzuleiten ist. Sie muss die nötigen Ermittlungen anstellen, insbesondere jetzt bereits einen Sachverstän39 Vgl. MüKo/Gerhold 12; SK/Frister 27. 40 BTDrucks. 17 3403 S. 41; vgl. KMR/Voll 8. 41 KK/Greger 8; KMR/Voll 9; MüKo/Gerhold 14; SK/Frister 26; LK/Rissing-van Saan/Peglau § 66a, 77 StGB; Rissing-van Saan FS Nehm 191, 200. 42 BGHSt 50 284, 289 ff.; 50 373, 376; BGH NJW 2006 852, 853; StV 2010 209 f.; ZJJ 2011 448; KK/Greger 11; KMR/Voll 14, 24; Meyer-Goßner/Schmitt 6a; MüKo/Gerhold 19; OK-StPO/Peglau 16; SK/Frister 30; LK/ Rissing-van Saan/Peglau § 66b, 184 StGB.

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digen heranziehen. In entsprechender Anwendung der § 170 Abs. 1, § 203 ist der Antrag nur dann, aber auch immer dann zu stellen, wenn ihre Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass die gerichtliche Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.43 Zu berücksichtigen ist dabei, dass die verfassungswidrigen Normen der § 66b StGB, §§ 7 Abs. 2, 3; 106 Abs. 5, 6 JGG nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung44 weiter anzuwenden sind.45 21

bb) Form und Inhalt des Antrags. Form und Inhalt des Antrags sind im Gesetz nicht geregelt. Die prozessuale Funktion des Antrags liegt sowohl in der Umgrenzung des Verfahrensgegenstands als auch in der Information des Betroffenen und legt die entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Gestaltung der Anklageschrift (§ 200)46 bzw. einer Antragsschrift47 im Sicherungsverfahren (§ 414 Abs. 2) nahe. Der Antrag muss den Verfahrensgegenstand festlegen und deshalb eindeutig bezeichnen, welche Verurteilung um die Anordnung der Sicherungsverwahrung nachträglich ergänzt werden soll.48 Der Antrag muss zur Begründung ferner die Behauptung enthalten, dass nach vorläufiger Einschätzung der Staatsanwaltschaft die materiellen Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung im weiteren Verfahren festgestellt werden, also eine unter sachverständiger Hilfestellung (§ 275a Abs. 4 Satz 2) erfolgende Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung dessen besondere Gefährlichkeit (hohe Wahrscheinlichkeit erheblicher Straftaten) ergeben wird.49 Ohne diese Begründung ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen.50

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cc) Zeitpunkt des Antrags. Für den Fall der Erledigung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67d Abs. 6 StGB (ebenso § 7 Abs. 4, § 106 Abs. 7 JGG i. V. m. § 81a JGG) war schon im alten Recht keine Frist vorgesehen, weil der Eintritt des erledigenden Ereignisses nicht hinreichend sicher vorhersehbar sei.51 Stattdessen soll die Staatsanwaltschaft nach neuem Recht den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung unverzüglich stellen und ihn zusammen mit den Akten dem Gericht übergeben (§ 275a Abs. 1 Satz 5). Allerdings muss dem Betroffe-

43 Vgl. BGH ZJJ 2011 448 f.; KMR/Voll 23; MüKo/Gerhold 16, 20; SK/Frister 29; ähnl. Zschieschack/Rau JR 2006 8, 9. 44 BVerfGE 128 326, 405 f.; BVerfG NJW 2011 2711. 45 Vgl. BGH ZJJ 2011 448, 449 zu § 7 Abs. 2 JGG (nur bei hochgradiger Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen, die aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Verurteilten abzuleiten ist, und dieser an einer psychischen Störung leidet); auch BGHSt 56 248; 56 254. 46 BGHSt 50 284, 291 f.; BGH NJW 2006 852, 854; OLG Rostock StV 2005 279, 280; KK/Greger 13; KMR/ Voll 25; Meyer-Goßner/Schmitt 6a; MüKo/Gerhold 21; OK-StPO/Peglau 17; SK/Frister 30; SSW/Güntge 6; Folkers NStZ 2006 426, 430, 432 ff. mit Musterantrag; Zschieschack/Rau JR 2006 8, 9 (aber nicht den Aufbau); a. A. Peglau JR 2006 14, 15. 47 LG Lüneburg 23.6.2005 – 22 KLs 26/04 bei Zschieschack/Rau JR 2006 8, 9 Fn. 19; Meyer-Goßner/ Schmitt 6a; MüKo/Gerhold 21. 48 SK/Frister 30. 49 BTDrucks. 17 3403 S. 41; BGHSt 50 284, 290, 292; BGH NJW 2006 852, 853 f.; ZJJ 2011 448 f.; OLG Hamm StV 2010 179 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 6a. 50 BGHSt 50 284, 292 mit krit. Anm. Zschieschack/Rau JR 2006 213; BGHSt 50 373, 376; OLG Hamm StV 2010 179 f.; Folkers NStZ 2006 426, 432. 51 BTDrucks. 15 3346 S. 17 f.

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7. Abschnitt. Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung

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nen nach der Mitteilung der Absicht der Antragstellung (§ 275a Abs. 1 Satz 4) genug Zeit verbleiben, vor Antragstellung Einwände vorzubringen (Rn. 23). dd) Mitteilung an den Betroffenen. Schon vor der Antragstellung, nämlich be- 23 reits dann, wenn die Staatsanwaltschaft die Antragstellung beabsichtigt (§ 275a Abs. 1 Satz 4), hat sie dies dem Betroffenen mitzuteilen. Der Zweck der schon im alten Recht (§ 275a Abs. 1 Satz 2 a. F.) enthaltenen Vorschrift liegt in der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. § 163a). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte der Betroffene so früh wie möglich über die Prüfung informiert werden,52 was dafür sprach, die Mitteilung vorzunehmen, wenn die Staatsanwaltschaft in eine inhaltliche Prüfung eintritt. Eine Mitteilung schon bei der bloßen Vorprüfung der formellen Voraussetzungen,53 die womöglich negativ endet, erschien verfrüht, weil der Betroffene nicht unnötig verunsichert werden sollte.54 Um dies zu verhindern, stellt die Neufassung auf den Abschluss der Prüfung ab.55 Da der Betroffene genügend Zeit haben muss, um Einwände gegen die Antragstellung geltend zu machen, ist es ausgeschlossen, die Mitteilung erst zusammen mit der Antragstellung vorzunehmen.56 Sofern dem Betroffenen anderweitig bekannt wird, dass die Staatsanwaltschaft in 24 die Prüfung eingetreten ist, sollte er nach dem Willen des Gesetzgebers57 ebenfalls zur Vermeidung belastender Ungewissheit entsprechend § 170 Abs. 2 Satz 2 unterrichtet werden, sobald die Staatsanwaltschaft die Voraussetzungen für eine Antragstellung verneint. Dies setzt freilich voraus, dass die Staatsanwaltschaft erfährt, dass der Betroffene diese Kenntnis erlangt hat. Die Mitteilung nach Absatz 1 Satz 4 ist auch dann erforderlich, wenn die Vollstreckungsbehörde bereits den Erlass eines Unterbringungsbefehls beantragt hat, denn dies allein unterrichtet den Betroffenen noch nicht darüber, ob auch im Hauptsacheverfahren ein Antrag auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gestellt werden soll.58 ee) Notwendige Verteidigung. Die Staatsanwaltschaft muss ebenfalls noch vor der 25 Antragstellung entsprechend § 141 Abs. 3 Satz 2 die Bestellung eines Pflichtverteidigers beantragen, der im Hauptverfahren gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 1 nötig wird, falls der Betroffene sich nicht aufgrund der Mitteilung schon eines Wahlverteidigers bedient. Der Vorsitzende des zuständigen Gerichts wird dem Antrag nach Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Prüfung entsprechend § 141 Abs. 3 Satz 3 stattgeben.59 Sofern ein Unterbringungsbefehl vollzogen wird, ist ein Verteidiger nach § 140 Abs. 1 Nr. 4, § 141 Abs. 3 Satz 4 zu bestellen. 2. Wirkung von Aktenübersendung und Antrag. Die Übersendung der Akten im 26 Fall der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung bzw. der Antrag der Staatsanwaltschaft im Fall der nachträglichen Sicherungsverwahrung eröffnet ohne Weiteres das Hauptverfahren. Bei der Entscheidung über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung wird das 52 53 54 55

BTDrucks. 15 3346 S. 17. So Zschieschack/Rau JR 2006 8, 9; auch BTDrucks. 17 3403 S. 41. Vgl. BTDrucks. 17 3403 S. 41; Folkers NStZ 2006 426, 431; ähnl. OK-StPO/Peglau 14. BTDrucks. 17 3403 S. 41; allerdings wurde § 81 Abs. 2 Satz 2 a. F. JGG unverständlicherweise nicht geändert, krit. SK/Frister 31 Fn. 98. 56 KMR/Voll 18; SK/Frister 31; a. A. Folkers NStZ 2006 426, 431. 57 BTDrucks. 17 3403 S. 41. 58 BTDrucks. 17 3403 S. 41. 59 KMR/Voll 29; SK/Frister 32.

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Hauptverfahren ohnehin nur fortgesetzt, so dass für ein Zwischenverfahren kein Raum ist. Aber auch bei der Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung ist kein Zwischenverfahren vorgesehen.60 Teilt das Gericht die Einschätzung der Staatsanwaltschaft nicht, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung in Frage komme, so kann es nur die Rücknahme des Antrags anregen, die bis zum Beginn der Hauptverhandlung ohne, danach entsprechend § 303 nur noch mit Zustimmung des Betroffenen zulässig ist.61 3. Vorbereitung der Verhandlung durch den Vorsitzenden 27

a) Entsprechende Anwendung der §§ 213 ff. (Absatz 2). Nach §§ 213 ff. obliegt es dem Vorsitzenden, den Termin für die Durchführung der Hauptverhandlung nach § 213 zu bestimmen. Er muss die Ladung aller dafür erforderlichen Zeugen nach § 214 anordnen und dies nach § 222 den Verfahrensbeteiligten mitteilen. Entsprechend § 215 ist dem Betroffenen im Verfahren über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung die Antragsschrift der Staatsanwaltschaft mitzuteilen.

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b) Ladungen, Mitteilung der benannten Zeugen. Für die Ladung des Verurteilten und seines Verteidigers und die dabei zu wahrenden Fristen gelten die §§ 216 ff. entsprechend. Die Vorführung des Verurteilten zum Termin und seine dafür etwa notwendige Verlegung in eine Vollzugsanstalt am Verhandlungsort ist anzuordnen. Der nicht auf freiem Fuß befindliche Verurteilte ist ferner bei der Zustellung der Ladung nach § 216 Abs. 2 Satz 2 zu befragen, ob und welche Anträge er stellen will. Da er die benannten Beweismittel nicht aus einer neuen Anklageschrift ersehen kann, die frühere Mitteilung in der durch den Eröffnungsbeschluss zugelassenen Anklage aber trotz deren Fortgeltung für das Nachverfahren auch durch den Zeitablauf weitgehend obsolet geworden ist, scheint es angezeigt, dass das Gericht dem Verurteilten alle für das Nachverfahren von ihm zugezogenen Beweismittel nach § 222 benennt, ohne Rücksicht darauf, ob sie bereits in der Anklage angeführt worden sind. Für die dort nicht benannten und für die von der Staatsanwaltschaft oder dem Verurteilten benannten Beweismittel gilt § 222 ohnehin entsprechend. Analog anwendbar ist auch § 219 und die Befugnis des Verurteilten, nach § 220 Personen unmittelbar zu laden; dies kann vor allem Bedeutung haben, wenn der Verurteilte Wert auf die Anwesenheit eines eigenen Sachverständigen legt. Auch bei dessen Benennung ist aber der Ausschluss der im Rahmen des Strafvollzugs mit der Behandlung des Verurteilten befassten Personen nach Absatz 4 Satz 3 zu beachten.

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c) Verteidiger. Der Gesetzgeber hat die in den Entwürfen ausdrücklich vorgesehene Bestellung eines Verteidigers62 nicht übernommen, da er dies für entbehrlich hielt, weil die Entscheidung über den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung der zweite Teil des ur60 BGH NStZ 2006 178 f.; OLG Celle NdsRpfl 2005 286, 287; KMR/Voll 32; Meyer-Goßner/Schmitt 6b; SK/ Frister 36; SSW/Güntge 8; Rissing-van Saan FS Nehm 191, 202; für dessen Einführung Folkers NStZ 2006 426, 432; für analoge Anwendung der §§ 199 ff. Römer JR 2006 5, 7; Folkers NStZ 2006 426, 431 f.; MüKo/ Gerhold 25 ff. 61 BGH NJW 2006 852, 853; HK/Julius/Pollähne 3; KMR/Voll 30; Meyer-Goßner/Schmitt 6b; MüKo/Gerhold 22; OK-StPO/Peglau 21; SK/Frister 36; SSW/Güntge 6; Rissing-van Saan FS Nehm 191, 202. 62 Der Entwurf der Regierungsfraktionen in BTDrucks. 14 8586 sah in seinem Art. 2 Nr. 1 ausdrücklich vor, § 140 Abs. 1 durch Anfügung einer Nr. 9 zu ergänzen, die die notwendige Verteidigung auch für das Verfahren über die im Urteil vorbehaltene Sicherungsverwahrung vorschreibt.

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7. Abschnitt. Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung

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sprünglichen Erkenntnisverfahrens sei und die Notwendigkeit der Pflichtverteidigerbestellung sich bereits aus § 140 Abs. 1 ergebe.63 Gleiches gilt für die Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung.64 Ob der Verurteilte im Verfahren über den Vorbehalt65 durch seinen früheren Vertei- 30 diger vertreten wird, sollte nach Möglichkeit vom Vorsitzenden schon vor der Ladung zum Termin geklärt werden, auch um spätere Verzögerungen durch Umladungen zu vermeiden. Der Gesetzgeber ging zwar davon aus, dass dessen Mandat nicht mit der Rechtskraft des den Vorbehalt aussprechenden Urteils geendet hat, sondern auch die sachlich zur Hauptverhandlung der ersten Instanz gehörende spätere Verhandlung über den Vorbehalt mit einschließt. Schon wegen der verstrichenen Zeit kann es aber zweifelhaft sein, ob der frühere Verteidiger dazu noch willens und in der Lage ist. Da das ganze Nachverfahren unter dem Zeitdruck des Endtermins für die Entscheidung steht, kann es ratsam sein, dass der Vorsitzende zur Vermeidung von Verzögerungen unverzüglich durch entsprechende Rückfragen klärt, ob der Verurteilte noch vom früheren Verteidiger vertreten werden kann. Andernfalls bedarf es einer Rückfrage beim Verurteilten, ob dieser einen anderen Verteidiger beauftragen will oder ob ihm dafür vom Gericht ein neuer Pflichtverteidiger nach § 140 Abs. 1 Nr. 1, § 141 Abs. 1 bestellt werden muss. d) Bestellung der Sachverständigen. Die Bestellung des oder der erforderlichen 31 Sachverständigen ist vom Vorsitzenden ebenfalls unverzüglich in die Wege zu leiten, da er für die Einhaltung der Frist des § 66a Abs. 3 Satz 1 StGB sorgen muss und die unerlässliche Begutachtung des Verurteilten mitunter nicht unbeträchtliche Zeit erfordern kann. Ein Sachverständiger, der den Verurteilten kennt, weil er im Rahmen des Strafvollzugs mit seiner Behandlung befasst gewesen ist, darf nach Absatz 4 Satz 3 nicht bestellt werden. Es ist deshalb eine vordringliche Aufgabe des Vorsitzenden, einen bzw. zwei geeignete Gutachter zu finden. Dies setzt voraus, dass er noch vor der Terminsbestimmung mit geeigneten Personen in Verbindung tritt, um abzuklären, wer in der Lage ist, ein Gutachten einschließlich der nach Absatz 2 i. V. m. § 246a erforderlichen Untersuchung des Verurteilten so rechtzeitig zu erstellen, dass die Hauptverhandlung innerhalb des für sie geltenden Endtermins durchgeführt werden kann. Für das Verfahren über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gilt zwar keine Ausschlussfrist, doch soll möglichst vor Ende des Straf- oder Maßregelvollzuges entschieden werden, so dass auch hier unverzüglich die Bestellung der zwei erforderlichen Sachverständigen herbeizuführen ist. IV. Hauptverhandlung 1. Verfahrensgegenstand a) Vorbehaltene Sicherungsverwahrung. Im Fall der vorbehaltenen Sicherungs- 32 verwahrung ist Verfahrensgegenstand nur noch die Entscheidung darüber, ob die Voraussetzungen der Rechtsfolge der Sicherungsverwahrung vorliegen, mithin, ob vom Betroffenen erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch

63 BTDrucks. 14 9264 S. 11. 64 BTDrucks. 15 2887 S. 16. 65 Nicht jedoch im Verfahren über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung, KK/Greger 15; KMR/Voll 29; MüKo/Gerhold 34; SK/Frister 46; a. A. Zschieschack/Rau JR 2006 8, 10, die wie im Wiederaufnahmeverfahren eine Nachwirkung der ursprünglichen Verteidigerbestellung annehmen.

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oder körperlich schwer geschädigt werden (§ 66a Abs. 3 Satz 2 StGB),66 während der rechtskräftig entschiedene Vorbehalt selbst nur noch im Wege der Wiederaufnahme67 beseitigt werden kann. Innerhalb des dadurch begrenzten Entscheidungsraums muss das Gericht in seine Würdigung aber alle Tatsachen einbeziehen, die nach seiner ersten Entscheidung bis zum Abschluss der neuen mündlichen Verhandlung eingetreten sind, wie dies auch sonst der Fall ist, wenn – wie etwa nach einer Zurückverweisung – nur noch ein eingegrenzter Verfahrensteil seiner erneuten Kognition unterliegt. Dabei ist es nicht auf eine bloße Fortschreibung der Feststellungen und Wertungen zum Zeitpunkt der Anordnung des Vorbehalts beschränkt, die neue Feststellungen nur noch bezüglich der nachfolgenden Entwicklung erlaubt,68 sondern muss eine neue Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und seiner Entwicklung bis zur jetzigen Entscheidung vornehmen (§ 66a Abs. 3 Satz 2 StGB), für die erforderlichenfalls neue Feststellungen zu treffen und neue Bewertungen vorzunehmen sind,69 wozu es etwa auch bei unveränderten Anknüpfungstatsachen infolge anderer Prognoseinstrumente zu einer abweichenden Gefahrenprognose kommen kann (vgl. Rn. 45).70 Die Rechtskraft des Vorbehalts reicht hinsichtlich der Gefahrenprognose nicht über den Zeitpunkt seines Erlasses hinaus.71 Das thematisch auf die Anordnung einer einzigen bestimmten Rechtsfolge be33 schränkte Nachverfahren knüpft aber im Übrigen an das vorangegangene Urteil an, durch das der Angeklagte wegen der gleichen Tat bereits zu einer Freiheitsstrafe und eventuell auch zu anderen Rechtsfolgen verurteilt worden ist. Das nunmehr erkennende Gericht ist hierbei durch den bereits feststehenden Schuld- und Strafausspruch des vorangegangenen Haupturteils und die diesem zugrunde liegenden Feststellungen gebunden. Die sich daraus ergebenden Vorgaben treten an die Stelle eigener Feststellungen und einer eigenen Entscheidung des nunmehr erkennenden Gerichts (Rn. 44). Dies gilt auch hinsichtlich der Feststellung derjenigen Tatsachen, die die formellen Voraussetzungen des Vorbehalts tragen.72 34

b) Nachträgliche Sicherungsverwahrung. Im Fall der nachträglichen Sicherungsverwahrung wird der Verfahrensgegenstand dadurch festgelegt, welche Verurteilung die Staatsanwaltschaft durch die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu ergänzen beantragt.73 Innerhalb dieses Rahmens ist das Gericht weder an die von der Staatsanwaltschaft vorgetragenen Tatsachen74 noch an ihre rechtliche Würdigung gebunden.75 Das Gericht ist vielmehr wie auch sonst im Erkenntnisverfahren grundsätzlich verpflichtet, den rechtsfolgenrelevanten Sachverhalt umfassend aufzuklären und unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu würdigen.76 Will das Gericht die Sicherungsverwahrung auf eine andere Rechtsgrundlage stützen 66 67 68 69 70 71 72 73 74

SK/Frister 37. KMR/Voll 36; Meyer-Goßner/Schmitt 12; MüKo/Gerhold 41; SK/Frister 37; Rn. 61. So aber noch BGH NStZ 2007 267, 268; LK/Rissing-van Saan/Peglau § 66a, 82 StGB. KMR/Voll 37; SK/Frister 39 f.; a. A. vor dem SichVNOG die in Fn. 68 Genannten. BTDrucks. 17 3403 S. 31 f. BTDrucks. 17 3403 S. 32. Meyer-Goßner/Schmitt 12; SK/Frister 39. Dazu SK/Frister 42; teilw. abweichend von Freier ZStW 120 (2008) 273, 306 ff.; Peglau JR 2006 14 ff. So aber wohl Ullenbruch NStZ 2007 62, 69, der ein „Nachschieben von Gründen“ etwa nach Rückverweisung für unzulässig hält, weil der Verfahrensgegenstand bei § 66b Abs. 1, 2 StGB a. F. auf die von der Staatsanwaltschaft in ihrem Antrag genannten „neuen Tatsachen“ begrenzt sei; dagegen zutr. SK/Frister 42; s. a. Peglau JR 2006 14, 16. 75 SK/Frister 41 f. 76 BGH NStZ 2006 178; SK/Frister 42.

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als von der Staatsanwaltschaft beantragt, so muss es einen rechtlichen Hinweis (§ 265) erteilen;77 bei Veränderung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage kann ein Hinweis nach § 265 Abs. 2 Nr. 3 geboten sein.78 Auch hier (vgl. Rn. 33) sind die den Schuld- und Strafausspruch tragenden Fest- 35 stellungen des vorherigen Urteils ebenso wie etwaige negative Feststellungen zur Sicherungsverwahrung infolge ihrer Rechtskraft der Entscheidung des Nachverfahrens entzogen.79 2. Entsprechende Anwendung der §§ 226 bis 275. Auf die Verhandlung über den 36 Vorbehalt und die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung sind nach Absatz 2 die Vorschriften über die Hauptverhandlung entsprechend anwendbar. Sie wird also in der Form einer eigenen neuen Hauptverhandlung unter Anwendung aller für eine normale Hauptverhandlung geltenden Vorschriften durchgeführt, auch wenn sie im Fall der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung nur das durch den Eröffnungsbeschluss eingeleitete und hinsichtlich dieser Rechtsfolge noch nicht erledigte Verfahren der ersten Instanz weiterführt. Mangels Verweises auf die Vorschriften der Nebenklage ist diese, anders als im Sicherungsverfahren (§ 395 Abs. 1), in den Nachverfahren nicht zulässig.80 Am Beginn der Hauptverhandlung steht wie auch sonst der Aufruf der Sache und 37 die Präsenzfeststellung verbunden mit der Belehrung der Zeugen und deren Entlassung aus dem Sitzungssaal. Die Besetzung des Gerichts ist den Verfahrensbeteiligten nach § 222a zu benennen, sofern dies nicht schon vor ihrem Beginn mitgeteilt worden ist. Die Besetzung muss auch im Verfahren über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung erneut vollständig mitgeteilt werden, auch wenn an ihr Richter der früheren Hauptverhandlung mitwirken. Schon wegen der Schöffen wird die über den Vorbehalt entscheidende Strafkammer ohnehin anders besetzt sein. Anwendbar im Nachverfahren sind auch alle sonstigen Vorschriften, die die Hauptverhandlung strukturieren und die Rechte und Pflichten der Beteiligten festlegen. Dies umfasst die durch Anordnung der Vorführung des in Haft befindlichen Verurteilten sicherzustellende Anwesenheitspflicht, aber auch die Befugnis, in den Fällen der §§ 231a, 231b oder § 247 in seiner Abwesenheit zu verhandeln, ferner alle für die Beweisaufnahme geltenden Regelungen, alle Äußerungsrechte bis hin zum letzten Wort des Angeklagten und die Vorschriften über die Urteilsverkündung. Auch die Fristen für die Unterbrechung der Hauptverhandlung und für die Urteilsabsetzung gelten im Nachverfahren entsprechend, desgleichen die Vorschriften über die Protokollierung. 3. Vorgehende Sondervorschriften (Absatz 3) a) Notwendigkeit von Sonderregelungen. Soweit das jetzt erkennende Gericht 38 aufgrund der Rechtskraft des vorherigen Urteils an dessen Feststellungen gebunden ist (Rn. 33, 35), sind sie seiner Entscheidung im Nachverfahren ohne Beweisaufnahme zugrunde zu legen und müssen daher in die Hauptverhandlung eingeführt werden; zumin77 78 79 80

KMR/Voll 37; SK/Frister 41. Vgl. LR/Stuckenberg § 265, 51 ff.; SK/Frister 42. KMR/Voll 36; SK/Frister 44. BGH bei Becker NStZ-RR 2008 68 Nr. 18; OLG Brandenburg NStZ 2006 183 (jeweils für nachträgliche Sicherungsverwahrung); KMR/Voll 33; OK-StPO/Peglau 28; SK/Frister 47; a. A. HK/Julius/Pollähne 5; KK/ Greger 14; Meyer-Goßner/Schmitt 14; MüKo/Gerhold 8; SSW/Güntge 13 für den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung.

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dest die Schöffen kennen sie nicht. In Anlehnung an den für das Berufungsverfahren geltenden § 324 sieht Absatz 3 deshalb vor, dass die für die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung wesentlichen Teile des vorangegangenen Verfahrens durch den Vortrag des Berichterstatters und durch Verlesung der einschlägigen Teile vorangegangener Entscheidungen in die neue Hauptverhandlung eingeführt werden. Ein einvernehmlicher Verlesungsverzicht wie in § 324 Abs. 1 Satz 2 ist deshalb in § 275a nicht vorgesehen.81 39

b) Vortrag des Berichterstatters. Der Vortrag des Berichterstatters über die bisherigen Ergebnisse des Verfahrens ersetzt die hier nicht passende nochmalige Verlesung der Anklageschrift. Er zeigt den Gegenstand des Nachverfahrens und dessen bereits durch die Hauptentscheidung vorgegebenen Grundlagen auf. Die Berichterstattung kann sich wegen des sachlich begrenzten Verfahrensgegenstandes des Nachverfahrens darauf beschränken, den bisherigen Verfahrensverlauf und die äußeren Daten vorangegangener Entscheidungen mitzuteilen und nur die für die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung wesentlichen Ergebnisse des früheren Verfahrens darzutun. Zu diesen gehört notwendig auch der Inhalt des rechtskräftigen Urteilsspruchs. Wurde das Haupturteil angefochten, ist auch das Ergebnis des Rechtsmittelverfahrens zu schildern; bei einer Zurückverweisung muss das für die Anordnung des Vorbehalts entscheidende Ergebnis der erneuten Verhandlung vor dem Tatrichter mitgeteilt werden. Auf Einzelheiten vorangegangener Entscheidungen braucht der Berichterstatter nur einzugehen, soweit sie für die noch offene Entscheidung über die Sicherungsverwahrung bedeutsam sind. Im Falle der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung muss er die Gründe, die maßgebend dafür waren, dass die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung dem Nachverfahren vorbehalten wurde, vortragen.

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c) Verlesung des Urteils durch den Vorsitzenden. Die Verlesung des Urteils durch den Vorsitzenden, die sich an den Vortrag des Berichterstatters anschließt, kann sich auf die Urteilsteile beschränken, die für die Entscheidung über den Vorbehalt bzw. die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung von Bedeutung sind. Dies sind alle tatsächlichen Feststellungen des Haupturteils über den Tathergang und die Schuld des Täters, nicht aber die ihnen zugrunde liegende und im Nachverfahren nicht zu überprüfende Beweiswürdigung. Zu verlesen sind auch die den Urteilsspruch tragende und für das Nachverfahren verbindliche rechtliche Würdigung der Taten des Verurteilten sowie die im Urteil getroffenen Feststellungen über die für die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung maßgebenden Vorverurteilungen. Ist das Haupturteil erfolgreich angefochten worden und musste es deshalb erneut verhandelt werden, sind aus den weiteren Urteilen nur die Teile zu verlesen, die die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung beeinflussen können. Dies ist vor allem insoweit der Fall, als die dortige rechtliche Würdigung und die dort getroffenen tatsächlichen Feststellungen auch für die nunmehr zu treffende Entscheidung über die Sicherungsverwahrung bindend sind. Im Übrigen entscheidet der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen, welche Urteilsteile er zum besseren Verständnis des vorangegangenen Verfahrens verlesen will.

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4. Vernehmung des Verurteilten. Dieser ist vom Vorsitzenden über seine persönlichen Verhältnisse, die sich zwischenzeitlich geändert haben können, sowie zur Sache zu vernehmen. Dazu gehört wohl auch, dass er zu seiner nunmehrigen Einstellung zu den bereits bindend festgestellten Taten befragt wird, wegen derer er verurteilt ist. Auch 81 KMR/Voll 34; Meyer-Goßner/Schmitt 9; SK/Frister 49.

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7. Abschnitt. Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung

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wenn diese Taten im Nachverfahren nicht mehr überprüft werden dürfen, kann seine jetzige Einstellung dazu für die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung von Bedeutung sein. Eingehend zu befragen ist der Verurteilte vor allem zu den nach dem Haupturteil eingetretenen Umständen und Vorgängen, die für die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung von Bedeutung sein können, so vor allem auch über dafür bedeutsame Vorkommnisse im Strafvollzug. Soweit darüber Beweis zu erheben ist, kann die Erörterung von Einzelheiten auch der Befragung nach § 257 überlassen werden. Eine Aussagepflicht hat der Verurteilte nicht. Sein Recht, frei zu entscheiden, ob 42 und wieweit er sich äußern will, gilt auch hier. Hierüber ist er erneut zu belehren (§ 243 Abs. 5 Satz 1). 5. Beweisaufnahme a) Regeln der Hauptverhandlung. Die für die Hauptverhandlung geltenden Regeln 43 sind auch bei der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung des Nachverfahrens anzuwenden. Diese kann in allen für den Strengbeweis in der Hauptverhandlung zulässigen Formen durchgeführt werden. Neben der unmittelbaren Vernehmung von Zeugen, auch in der Form einer Videovernehmung nach § 247a, kommt bei Vorliegen der jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen (§§ 250 ff.) auch die Verlesung von Vernehmungsniederschriften und anderen Schriftstücken in Betracht, aber auch die Vorführung einer BildTon-Aufzeichnung nach § 255a. Auch hinsichtlich des Urkundenbeweises, der Erklärungsrechte zu den Beweisergebnissen sowie der Zeugnisverweigerungsrechte und der Beweisverbote gelten keine Besonderheiten. Ein bereits in der Hauptverhandlung des Hauptverfahrens vernommener und vereidigter Zeuge kann sich im Nachverfahren nach § 67 auf den bereits geleisteten Eid berufen, da dieses das gleiche Verfahren, wenn auch nur beschränkt auf die Sicherungsverwahrung, fortsetzt. b) Gegenstand der Beweisaufnahme. Der Gegenstand der Beweisaufnahme ist je- 44 doch durch den begrenzten Verfahrensgegenstand (Rn. 32 ff.) erheblich eingeschränkt. Dem Nachverfahren sind ohne eigene Nachprüfungsmöglichkeit die Feststellungen und rechtlichen Wertungen im letzten den Vorbehalt mit erfassenden rechtskräftig gewordenen Tatsachenurteil und die dort verhängten Strafen zugrunde zu legen. Es ist nur noch darüber zu entscheiden, ob wegen der abgeurteilten Taten auch auf Sicherungsverwahrung zu erkennen ist. Die Beweisaufnahme darf sich also nicht auf Tatsachen erstrecken, die für das Nachverfahren verbindlich feststehen, so vor allem nicht auf die bereits rechtskräftig festgestellten Modalitäten der Straftaten des Verurteilten, die auch insoweit bindend sind, als sie Rückschlüsse auf die künftige Gefährlichkeit des Täters ermöglichen. Sie ist ausschließlich auf solche Tatsachen beschränkt, die für die Beurteilung seiner weiteren Gefährlichkeit für die Allgemeinheit von Bedeutung sein können, also vor allem für die Frage, ob bei einer Gesamtwürdigung der Person des Verurteilten, seiner bereits abgeurteilten Taten und seiner Entwicklung während des Strafvollzugs von ihm weiterhin erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden (vgl. § 66a Abs. 3 Satz 2 StGB, § 66b Satz 1 Nr. 2 StGB). Beweisanträge, welche diese Grenze nicht beachten, etwa weil sie sich auf die Modalitäten einer bereits rechtskräftig abgeurteilten Tat oder auf eine dazu verbindlich festgestellte Tatsache beziehen, sind unzulässig (§ 244 Abs. 3 Satz 1, § 245 Abs. 2 Satz 2). Dies dürfte selbst dann gelten, wenn nachträglich eine im Haupturteil nicht ausdrücklich angesprochene Besonderheit der Tatbegehung unter Be-

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weis gestellt werden soll, um daraus Schlüsse für die künftige Gefährlichkeit des Verurteilten zu ziehen. 45 Bei der Beurteilung der persönlichen Entwicklung hindern die im Haupturteil getroffenen Feststellungen über innere Einstellungen und Neigungen des Verurteilten das im Nachverfahren entscheidende Gericht nicht, aufgrund seiner Würdigung des späteren Verhaltens und der zwischenzeitlichen Entwicklung des Verurteilten zu anderen Ergebnissen zu kommen und daraus andere Schlüsse zu ziehen (Rn. 32). Dies gilt auch für die Feststellungen und Erwägungen, mit denen im Haupturteil der Vorbehalt der nachträglichen Entscheidung über die Sicherungsverwahrung gerechtfertigt wird. Es liegt im Sinne des Nachverfahrens, dass das nunmehr erkennende Gericht aufgrund seiner verbreiterten und damit besseren Erkenntnisgrundlagen hier andere und auch von den insoweit nur vorläufigen Annahmen des vorangegangenen Urteils abweichende Feststellungen treffen kann, vor allem auch über die künftige Gefährlichkeit des Verurteilten. Soweit die Entscheidung dem Nachverfahren vorbehalten ist, können die dafür maßgebenden vorläufigen Feststellungen und Wertungen des Haupturteils keine Bindungswirkung entfalten.82 c) Vernehmung eines Sachverständigen. Die Vernehmung eines Sachverständigen in der Hauptverhandlung ist entsprechend dem nach Absatz 2 auch im Nachverfahren über die Sicherungsverwahrung erneut anwendbaren § 246a zwingend vorgeschrieben, insoweit ist Absatz 4 Satz 1 entbehrlich. Es genügt nicht, dass das Gericht bereits im vorangegangenen Teil des Verfahrens nach § 246a ein Gutachten eingeholt hatte.83 Im Verfahren über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung sind gemäß Absatz 4 Satz 2 Gutachten von zwei Sachverständigen erforderlich. Die Gutachten müssen unabhängig voneinander erstattet werden, so dass die Zusammenarbeit von zwei Sachverständigen an einem Gutachten nicht genügt.84 I. d. R. soll wenigstens ein psychiatrisches Gutachten eingeholt werden;85 daneben kommen auch Psychologen und Kriminologen als Gutachter in Betracht.86 Ist ersichtlich, dass bereits die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung fehlen, entfällt die Pflicht zur Begutachtung.87 47 Die nach § 246a unerlässliche Untersuchung des Verurteilten sollte zweckmäßigerweise bereits vor der Hauptverhandlung stattfinden. Wie auch sonst bei § 246a ist es aber zulässig, dass dies ausnahmsweise erst in der Unterbrechung der Hauptverhandlung geschieht.88 Zieht das Gericht einen weiteren Gutachter hinzu, muss es auch diesem Gelegenheit geben, den Angeklagten zu untersuchen, denn nach dem Zweck dieser Regelung muss der Sachverständige sein Gutachten aufgrund der Ergebnisse einer eigenen Untersuchung erstellen. 48 Nicht als Sachverständige bestellt werden dürfen alle Personen, die im Rahmen des Strafvollzugs mit der Behandlung des Verurteilten befasst gewesen sind (Absatz 4 Satz 3). Entsprechend dem Zweck dieser Regelung, die Unvoreingenommenheit 46

82 Zur eingeschränkten Beurteilungsgrundlage bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung in Altfällen siehe LR/Stuckenberg26 40. 83 Meyer-Goßner/Schmitt 10; Müller-Metz StV 2003 42, 50. 84 OLG Hamm StraFo 2009 39; HK/Julius/Pollähne 6; Meyer-Goßner/Schmitt 10; MüKo/Gerhold 49; SK/ Frister 50; a. A. OK-StPO/Peglau 27. 85 BGHSt 50 121, 129 f. 86 HK/Julius/Pollähne 6; KK/Greger 16; KMR/Voll 38; Meyer-Goßner/Schmitt 10; MüKo/Gerhold 52; OKStPO/Peglau 27; SK/Frister 51; Kinzig NStZ 2004 655, 659; Eisenberg DRiZ 2009 219 ff. 87 KMR/Voll 38; SK/Frister 51; vgl. BGH NJW 2006 852, 853; NStZ 2006 178, 179. 88 Vgl. LR/Becker § 246a, 26.

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7. Abschnitt. Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung

des Gutachters zu sichern und schon den Schein der Betriebsblindheit und einer in beiden Richtungen hin denkbaren Beeinflussung durch die Mitwirkung an der Behandlung auszuschließen, ist das Verbot weit auszulegen.89 Auch eine nur einmalige vertretungsweise Befassung mit der Behandlung des Verurteilten im Strafvollzug schließt eine Beauftragung mit der Begutachtung aus. Gleiches muss auch für diejenigen gelten, die den Verurteilten während der Verbüßung einer früheren Freiheitsstrafe behandelt haben, selbst wenn diese mit dem gegenwärtigen Verfahren nichts zu tun haben. Wer nur andere Gefangene, nicht aber den Verurteilten, in der gleichen Strafvollzugsanstalt behandelt hat, ist nach dem Wortlaut von Absatz 4 Satz 3 als Sachverständiger nicht ausgeschlossen. Es wird dem Sinn der Regelung aber eher gerecht, auch solche Personen nicht mit der Begutachtung zu beauftragen. Nicht ausgeschlossen ist ein Gutachter, der als externer Sachverständiger einen anderen Gefangenen in der gleichen Vollzugsanstalt zur Erstattung eines Gutachtens untersucht und begutachtet hat. Nicht ausgeschlossen ist die Bestellung des Sachverständigen, der früher in der 49 mit der Anordnung des Vorbehalts abgeschlossenen Hauptverhandlung den Angeklagten nach § 246a begutachtet hat. Da der Gutachter den Verurteilten und seine Straftaten bereits kennt, wird er i. d. R. zu einer schnelleren Begutachtung in der Lage sein, auch wenn ihn seine frühere Untersuchung nach § 246a wegen der Länge der inzwischen verstrichenen Zeit nicht von der Pflicht entbindet, den Verurteilten erneut nach § 246a zu untersuchen. Ob die Beauftragung des früheren Gutachters aber weiterführend ist, hängt vom Einzelfall und auch davon ab, welchen Erkenntnisgewinn das frühere Gutachten für das Hauptverfahren brachte. Je nach den Umständen kann es zweckmäßiger sein, einen neuen Gutachter zu bestellen. In Ausnahmefällen, insbesondere wenn gutachterliche Stellungnahmen vorliegen, die sich in grundsätzlichen Beurteilungen – und nicht etwa nur in den durch den Zeitablauf bedingten Einschätzungen – widersprechen, kann die Sachaufklärung erfordern, einen weiteren Gutachter zuzuziehen. Nicht ausgeschlossen ist ferner ein bei der Einleitung des Verfahrens von der Staatsanwaltschaft herangezogener Sachverständiger.90 Eine Behandlung oder Begutachtung während der Untersuchungshaft oder wäh- 50 rend einer Unterbringung nach § 81 wird dagegen weder vom Wortlaut noch von dem Sinn dieser Regelung erfasst.91 Diese greift auch bei einer früheren Untersuchung zum Zwecke einer Begutachtung nach § 246a nicht ein. Als sachverständiger Zeuge kann auch eine im Strafvollzug mit der Behandlung 51 des Verurteilten befasste Person, etwa ein Arzt oder ein Psychologe, gehört werden. Das Verbot in Absatz 4 Satz 3 schließt ihre Einvernahme als Zeuge nicht aus, so wenn es um tatsächliche Vorgänge geht, die mit der Behandlung des Verurteilten zusammenhängen. Eine über die Bekundung der ihm bekannten Tatsachen hinausgehende Äußerung zur künftigen Entwicklung des Verurteilten oder eine Prognose über seine künftige Gefährlichkeit darf einem solchen Zeugen aber nicht abverlangt werden. Das Gericht sollte im Interesse der Verfahrensklarheit eine solche Äußerung auch nicht entgegennehmen. Wenn es sie nicht verhindern konnte, sollte es klarstellen, dass es diese Äußerung nicht für die Entscheidung verwerten wird. Das Verbot in Absatz 4 Satz 3 schließt es aus, dass eine mit der Behandlung des Verurteilten im Strafvollzug befasste Person in irgendeiner Form als Gutachter gehört wird. Sie darf deshalb auch nicht als Zweitgutachter zugezogen werden.

89 KMR/Voll 42. 90 MüKo/Gerhold 51; SK/Frister 52; a. A. KMR/Voll 43; Folkers NStZ 2006 426, 428. 91 Meyer-Goßner/Schmitt 10; vgl. KMR/Voll 41; offenlassend OLG Nürnberg StV 2010 510, 511.

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6. Urteil 52

a) Urteilstenor. Das Gericht entscheidet stets durch Urteil, auch wenn etwa der Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung mangels Begründung unzulässig (Rn. 21) ist.92 Da es nur noch über die vorbehaltene oder nachträgliche Sicherungsverwahrung zu entscheiden hat, kann in analoger Anwendung des § 260 Abs. 4 der Tenor seiner Entscheidung nur dahin lauten, dass in Ergänzung des nach Datum, Schuldspruch und Rechtsfolgen genau zu bezeichnenden früheren Urteils auch die Sicherungsverwahrung angeordnet wird93 oder aber, dass deren Anordnung abgelehnt bzw. dass von ihr abgesehen wird. Die genaue Bezeichnung des durch den positiven wie negativen Ausspruch über die Sicherungsverwahrung ergänzten Urteils ist in beiden Fällen notwendig.94 Nicht nur für die Behörden des Strafvollzugs, sondern auch für andere Behörden und öffentliche Stellen und auch sonst für Außenstehende muss ohne zeitraubende Rückfragen schon aus dem Urteilstenor zweifelsfrei ersichtlich sein, welches Urteil durch die Anordnung der Sicherungsverwahrung in seinem Rechtsfolgenausspruch ergänzt wird oder aber, bei welchem die Sicherungsverwahrung endgültig nicht angeordnet wird, so dass es allein bei den bereits früher ausgesprochenen Rechtsfolgen sein Bewenden hat. Dies gilt nicht zuletzt auch für die Registerbehörden, die einen Vorbehalt nach § 5 Abs. 1 Nr. 7 BZRG und die Entscheidung darüber nach § 12 Abs. 1 Nr. 9 BZRG im Zentralregister vermerken müssen und die nach § 32 Abs. 2 Nr. 12 BZRG einen Vermerk über den Vorbehalt nicht in ein Führungszeugnis aufnehmen dürfen, wenn von der Anordnung der Sicherungsverwahrung rechtskräftig abgesehen worden ist.

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b) Kostenentscheidung. In der Kostenentscheidung ist auszusprechen, dass dem Verurteilten nach § 465 auch die Kosten des Nachverfahrens zur Last fallen, wenn in diesem die Sicherungsverwahrung nachträglich angeordnet wird. Wird sie aufgrund des Nachverfahrens nicht angeordnet, fallen die Kosten ebenso wie die notwendigen Auslagen des Verurteilten in analoger Anwendung des § 467 der Staatskasse zur Last.95

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c) Liste der angewandten Vorschriften. In die Liste der angewandten Vorschriften nach § 260 Abs. 5 ist bei der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung jetzt zusätzlich § 66a Abs. 2 StGB oder § 66b StGB aufzunehmen. Da die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung aber auf der Grundlage der vorangegangenen Hauptentscheidung ergangen ist, deren Schuld- und Rechtsfolgenausspruch nur ergänzt wird, sind auch die dort angewandten Vorschriften Grundlage für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung. Es kann sich deshalb ein klarstellender Hinweis empfehlen, dass §§ 66a oder 66b StGB in Verbindung mit den beim Haupturteil angewendeten Vorschriften angewandt worden ist. Dies kann auch dadurch geschehen, dass ein Hinweis die Zusammengehörigkeit der Hauptentscheidung mit der sie ergänzenden Nachtragsentscheidung klarstellt und dass dann alle in beiden Entscheidungen angewendeten Vorschriften nochmals aufgeführt werden.

92 BGHSt 50 180, 185 ff.; BGH NStZ 2006 178, 179; NStZ-RR 2017 7; OLG Celle NdsRpfl. 2005 286, 287; OLG Hamm NStZ-RR 2005 109; HK/Julius/Pollähne 5, 7; KK/Greger 19; KMR/Voll 44; Meyer-Goßner/Schmitt 6a, 13; MüKo/Gerhold 36; OK-StPO/Peglau 30; SK/Frister 53; a. A. Römer JR 2006 5, 7; vgl. auch BGH NJW 2006 852, 853. 93 Vgl. LR/Stuckenberg § 260, 30 ff. 94 SK/Frister 53. 95 KMR/Voll 50; SK/Frister 54.

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d) Einstweilige Unterbringung. Eine Entscheidung über die einstweilige Unter- 55 bringung muss nach § 268b Satz 1 von Amts wegen ergehen. Ordnet das Gericht die Sicherungsverwahrung nicht an, ist der Unterbringungsbefehl aufzuheben, § 275a Abs. 6 Satz 4 i. V. m. § 126a Abs. 3 Satz 1.96 e) Urteilsgründe. Die schriftliche Urteilsbegründung muss nach Absatz 2 i. V. m. 56 § 267 Abs. 6 neben den Ausführungen zur Person des Verurteilten nur noch aufzeigen, warum das Gericht die Sicherungsverwahrung nachträglich angeordnet oder aber von einer solchen Maßnahme abgesehen hat, also vor allem, aufgrund welcher Feststellungen und aus welchen Erwägungen es die offen gebliebene Frage der künftigen Gefährlichkeit des Verurteilten bejaht oder verneint hat. Die übrigen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung sind bereits im vorausgegangenen Urteil – eventuell auch in mehreren Urteilen – bestandskräftig festgestellt. Da das Gericht bei seiner Entscheidung an diese Feststellungen gebunden ist, genügt es, wenn die Urteilsgründe insoweit auf diese genau zu bezeichnenden früheren Ausführungen verweisen. Bei Anordnung der Sicherungsverwahrung sollten allerdings zum besseren Verständnis der Entscheidung die für diese Anordnung maßgebenden Straftaten und Vorstrafen in den neuen Urteilsgründen nochmals kurz umrissen werden, auch wenn sie an sich bereits bestandskräftig feststehen.97 f) Umfang der Rechtskraft ablehnender Entscheidungen. Lehnt das Gericht die 57 Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung ab, so ist der Vorbehalt damit verbraucht.98 Lehnt die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung nach Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 66b StGB ab, so lässt schon der Gesetzeswortlaut einen erneuten Antrag nicht zu.99

V. Revision 1. Beschränkung auf den Entscheidungsgegenstand des Nachverfahrens. Eben- 58 so wie das vorangegangene Urteil der normalen Hauptverhandlung kann auch das dieses ergänzende Urteil im Nachverfahren mit der Revision angefochten werden, und zwar bei Anordnung der Sicherungsverwahrung vom Angeklagten und der Staatsanwaltschaft zu seinen Gunsten, bei der Ablehnung der Sicherungsverwahrung von der Staatsanwaltschaft, nicht aber vom Nebenkläger (§ 400 Abs. 1).100 Sowohl die allgemeine Sachrüge als auch Verfahrensrügen sind möglich. Mit letzterer können Rechtsfehler der Hauptverhandlung des Nachverfahrens mit einem den jeweiligen Verfahrensfehler belegenden Tatsachenvortrag nach § 344 Abs. 2 beanstandet werden. Zu beachten ist aber auch hier, dass alle Rügen den Entscheidungsgegenstand des Nachverfahrens betreffen müssen. Soweit die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung auf tatsächlichen oder rechtlichen Vorgaben beruht, die bereits im Urteil des Hauptverfahrens bindend festgelegt worden sind, ist sie der Revision nicht mehr zugänglich. Revisionsrügen, die sich dagegen wenden, sind unzulässig.101 96 97 98 99 100 101

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Vgl. OLG Bamberg 31.3.2011 – 1 Ws 167/11. Vgl. BGHSt 50 121, 131; Meyer-Goßner/Schmitt 13a. KMR/Voll 50; Meyer-Goßner/Schmitt 12; SK/Frister 57. Im Ergebnis auch SK/Frister 59. Meyer-Goßner/Schmitt 14. KK/Greger 24; KMR/Voll 62; Meyer-Goßner/Schmitt 14; SK/Frister 55.

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2. Besonderheiten. Die Revision kann auch mit der Sachrüge beanstanden, wenn sich das Urteil des Nachverfahrens über bindende Vorgaben des vorangegangenen Urteils in tatsächlicher oder rechtlicher Sicht hinweggesetzt oder ihnen widersprechende Feststellungen getroffen hat.102 Denn das im Hauptverfahren ergangene Urteil und die Entscheidung des Nachverfahrens sind insoweit als einheitlicher Verfahrensabschluss anzusehen. Mit der Sachrüge beanstandet werden kann deshalb auch, wenn im Urteil des Nachverfahrens tatsächliche Feststellungen des Haupturteils ersichtlich unbeachtet geblieben sind, obwohl die Umstände dazu gedrängt haben, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, weil sie auch Relevanz für die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung haben. Darin kann ein Begründungsmangel liegen, der mit der Sachrüge beanstandet werden kann. Die Aufklärungsrüge würde dagegen nicht greifen, da sie keine Tatsachen erfasst, die für das nunmehr erkennende Gericht bereits verbindlich feststehen und deshalb ohne die Möglichkeit einer eigenen Nachprüfung der Entscheidung zugrunde gelegt werden müssen. Hat das Gericht Tatsachen, die früher im Hauptverfahren erörtert worden sind, auch für die Bildung einer von ihm im Nachverfahren zu treffenden eigenen Entscheidung verwendet, ohne dass diese nach Absatz 3 Sätze 1 und 2 durch den Vortrag des Berichterstatters oder durch Verlesen der Urteilsgründe in die neue Hauptverhandlung eingeführt worden sind, und wurden sie auch sonst nicht in einer ihre Verwertung bei der Überzeugungsbildung gestattenden Form zum Gegenstand der Hauptverhandlung des Nachverfahrens gemacht, so kann darin ungeachtet der Einheit von Haupt- und Nachverfahren ein Verstoß gegen § 261 und auch ein Verstoß gegen das Recht auf Gehör103 liegen. Dafür spricht, dass mangels Einführung in die Hauptverhandlung diese Tatsachen nicht zur Grundlage der noch zu treffenden Entscheidung gemacht werden dürfen. Die Richter, zumindest die Schöffen, können dann nicht aufgrund der Hauptverhandlung Kenntnis von ihnen erlangt haben. Schon wegen der zwischen beiden Verfahrensabschnitten liegenden langen Zeitspanne müssen der Verurteilte ebenso wie die anderen Verfahrensbeteiligten davon ausgehen, dass bei der in der Form einer selbständigen neuen Hauptverhandlung durchzuführenden Verhandlung des Nachverfahrens das Gericht seine Entscheidung nur auf die Tatsachen stützt, die in diese neue Hauptverhandlung ordnungsgemäß eingeführt worden sind. 60 Die Frist des § 66a Abs. 3 Satz 1 StGB ist eine Verfahrensvoraussetzung ebenso wie die Rechtzeitigkeit des Antrags auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung und daher von Amts wegen zu beachten.104 Hat das Gericht statt durch Urteil irrig durch Beschluss entschieden, so ist die Revision begründet,105 es sei denn, die Entscheidung kann in der Sache nicht darauf beruhen, weil die Zurückweisung des Antrags wegen Unzulässigkeit strikt geboten war.106 59

VI. Wiederaufnahme des Verfahrens bzgl. des ersten Urteils 61

Ergibt die neue Hauptverhandlung ungeachtet der Beschränkung ihres Verfahrensgegenstandes und der Beweisaufnahme (Rn. 44) Tatsachen, welche geeignet sind, die 102 SK/Frister 56. 103 Auch ein Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens in Art. 6 Abs. 1 EMRK kann dann vorliegen, hierzu LR/Esser26 Art. 6, 219 EMRK.

104 SK/Frister 56. 105 BGHSt 50 180, 186; BGH NStZ-RR 2017 7, 8; KK/Greger 24; KMR/Voll 64; Meyer-Goßner/Schmitt 14; OK-StPO/Peglau 30; SK/Frister 55; s. a. OLG Celle NdsRpfl 2005 286, 287. 106 Vgl. BGH NStZ 2006 178, 179; NStZ-RR 2017 7, 8.

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7. Abschnitt. Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung

§ 275a

bindenden Feststellungen des vorangegangenen bestandskräftigen Urteils ernsthaft in Frage zu stellen, weil sie eine Freisprechung oder die Anwendung eines milderen Strafgesetzes nahelegen, kann dies vom erkennenden Gericht bei der von ihm im Nachverfahren zu treffenden Entscheidung nicht berücksichtigt werden. Eine Korrektur des bestandskräftigen ersten Urteils ist dem Wiederaufnahmeverfahren nach Maßgabe der §§ 359, 363 vorbehalten.107 Wenn in solchen ohnehin sehr seltenen Ausnahmefällen das Nachverfahren nicht dadurch endet, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung schon aus Sachgründen abzulehnen ist, wird man das Gericht für befugt halten müssen, das Nachverfahren auszusetzen, bis über die Anordnung der Wiederaufnahme entschieden ist. Mit der Anordnung der Erneuerung der Hauptverhandlung nach § 370 Abs. 2 wird auch das Nachverfahren über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung gegenstandslos, da dann auch darüber in der neu durchzuführenden Hauptverhandlung neu zu entscheiden ist.

VII. Unterbringungsbefehl (Absatz 6) 1. Nachträgliche Sicherungsverwahrung. Wenn dringende Gründe für die Annah- 62 me vorhanden sind, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wird, so kann bis zur Rechtskraft des Urteils ein Unterbringungsbefehl erlassen werden (Absatz 6 Satz 1). Dadurch soll insbesondere vermieden werden, dass ein als gefährlich eingestufter Verurteilter aus dem psychiatrischen Krankenhaus nach Erledigung der Unterbringung (§ 67d Abs. 6 StGB) entlassen werden muss.108 Der Begriff der dringenden Gründe ist wie bei § 126a entsprechend dem des dringenden Tatverdachts109 als hohe Wahrscheinlichkeit der endgültigen Verhängung der Sicherungsverwahrung zu verstehen.110 Regelmäßig wird zur Beurteilung ein Prognosegutachten erforderlich sein, das die Staatsanwaltschaft dann tunlichst vor Beantragung des Unterbringungsbefehls in Auftrag gibt.111 Sie kann den Unterbringungsbefehl bereits vor Stellung des Antrags auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung stellen,112 jedoch nicht, um dadurch mehr Zeit113 zur Prüfung der Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung oder weitere Erkenntnisse114 für deren Anordnung zu gewinnen. Solange Ungewissheit über die Vereinbarkeit der anzuwendenden Vorschriften mit der EMRK herrscht, d. h. ob nachträgliche Sicherungsverwahrung generell mit Art. 5 EMRK und zudem in „Altfällen“, bei deren erstmaliger Aburteilung § 66a StGB noch nicht galt, mit Art. 7 EMRK vereinbar ist, kann die Annahme „dringender Gründe“ zweifelhaft sein.115 2. Vorbehaltene Sicherungsverwahrung. Im Fall der vorbehaltenen Sicherungs- 63 verwahrung kommt ein Unterbringungsbefehl nur im Rechtsmittelverfahren in Betracht, 107 108 109 110

Meyer-Goßner/Schmitt 12, 14. KMR/Voll 53; Meyer-Goßner/Schmitt 16. Vgl. LR/Gärtner § 126a, 7 f. m. w. N. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2020 16, 17 ff.; OLG München RuP 2015 226; KK/Greger 26; MüKo/Gerhold 55; OK-StPO/Peglau 36. 111 Vgl. OLG Rostock StV 2005 279, 280; SK/Frister 60; notwendig ist dies aber nicht, OLG München NStZ 2005 573, 574; Meyer-Goßner/Schmitt 16. 112 SK/Frister 60. 113 OLG Koblenz NStZ 2005 97, 100. 114 OLG Schleswig NStZ-RR 2009 75; OK-StPO/Peglau 39. 115 So OLG Rostock NStZ-RR 2011 140 (verneinend); vgl. BGH NStZ 2010 567; a. A. BGHSt 56 248; s. a. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2020 16, 18 f.

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§ 275a

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

nachdem das erstinstanzliche Gericht fristgerecht, also bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entschieden hat (§ 275a Abs. 6 Satz 3 i. V. m. § 66a Abs. 3 Satz 1 StGB). Die „dringenden Gründe“ sind hier der Anordnung der Sicherungsverwahrung im erstinstanzlichen Urteil zu entnehmen.116 Die einstweilige Unterbringung ist „bis zur Rechtskraft des Urteils“ möglich, also auch nach Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils in der Revision, wenn die Anordnung der Sicherungsverwahrung gleichwohl zu erwarten bleibt.117 64

3. Zuständigkeit. Zuständig für den Erlass des Unterbringungsbefehls ist das Gericht, das in der Hauptsache über die vorbehaltene oder nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu entscheiden hat. Nur im Fall der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67d Abs. 6 StGB ist die Strafvollstreckungskammer zunächst auch für den Erlass des Unterbringungsbefehls zuständig (Absatz 6 Satz 2).118 Mit Eingang des Antrags auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung beim Hauptsachegericht geht auch die Zuständigkeit für Erlass und Überprüfung des Unterbringungsbefehls auf dieses über.

65

4. Anordnung. Voraussetzung der Anordnung der einstweiligen Unterbringung ist ein Antrag der Staatsanwaltschaft.119 Der Unterbringungsbefehl muss schriftlich ergehen und die in Absatz 6 Satz 4 i. V. m. § 114 Abs. 2 verlangten Angaben enthalten. Bekanntgabe-, Belehrungs- und Benachrichtigungspflichten richten sich nach den entsprechend in Bezug genommenen §§ 114a ff.120 Dem unverteidigten Betroffenen muss der Vorsitzende des zuständigen Gerichts mit Beginn der Vollstreckung des Unterbringungsbefehls einen Pflichtverteidiger bestellen, § 140 Abs. 1 Nr. 4, § 141 Abs. 3 Satz 4, Abs. 4. Vollzogen wird der Unterbringungsbefehl in einer Justizvollzugsanstalt, nicht in einer Maßregelvollzugseinrichtung.121 Die Anordnung der Untersuchungshaft neben dem Unterbringungsbefehl ist ausgeschlossen.122

66

5. Rechtsbehelfe. Als Rechtsbehelfe gegen den Unterbringungsbefehl stehen dem Betroffenen gemäß Absatz 6 Satz 4 die Haftprüfung (§§ 117, 118) und die Haftbeschwerde (§ 304 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 Nr. 1; § 305 Satz 2) zur Verfügung.123 Das zuständige Gericht muss die Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Freiheitsentziehung sowie des Beschleunigungsgebots beachten.124 Eine Außervollzugsetzung nach §§ 116, 116a125 kommt mangels Verweises auf diese Vorschriften ebenso wenig in Betracht wie eine Überprüfung der Haft durch das Oberlandesgericht126 nach §§ 121, 122.

116 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126

Meyer-Goßner/Schmitt 17. Vgl. SK/Frister 61. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2020 16, 17. OLG Jena NStZ-RR 2011 61; a. A. KK/Greger 26; KMR/Voll 54; MüKo/Gerhold 59. Vgl. KMR/Voll 59; Meyer-Goßner/Schmitt 18; OK-StPO/Peglau 44, 44.1. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2020 16, 19; OK-StPO/Peglau 43. KMR/Voll 53; Meyer-Goßner/Schmitt 16; SK/Frister 63. OLG München NStZ-RR 2009 20 f.; SK/Frister 63. OLG Hamm StraFo 2009 39; OLG München NStZ-RR 2009 20 f.; KMR/Voll 54; SK/Frister 63. KK/Greger 29; KMR/Voll 60; Meyer-Goßner/Schmitt 18; MüKo/Gerhold 61; SK/Frister 63. OLG München NStZ-RR 2009 20 f.; KK/Greger 30; KMR/Voll 60; Meyer-Goßner/Schmitt 20; SK/Frister

63.

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ACHTER ABSCHNITT Verfahren gegen Abwesende Vorbemerkungen zu § 276 Schrifttum Bauer Das sichere Geleit unter besonderer Berücksichtigung des Zivilprozessrechts (2006); Börner Die Vermögensbeschlagnahme nach §§ 290 ff. StPO, NStZ 2005 547; Compes Entstehung und Entwicklung des geltenden Abwesenheitsverfahrens im Strafprozeß, Diss. Düsseldorf 1937; Dünnebier Das Kontumazialverfahren ist abgeschafft, FS Heinitz (1972) 669; Fuchs Steuerstrafverfahren gegen Abwesende, ZfZ 1954 65; Hilger § 290 StPO – ein weiterer Weg der Zurückgewinnungshilfe neben § 111b Abs. 3 StPO? NStZ 1982 374; Just Die Abwesenheit des Beschuldigten im römischen Strafprozeß nach dem Corpus Juris Civilis, FS Meyer-Goßner (2001) 159; Niethammer Die Hauptverhandlung ohne den Angeklagten, FS Rosenfeld (1949) 119; Oppe Die Strafverfolgung ausländischer Verkehrssünder, NJW 1966 2237; ders. Das Abwesenheitsverfahren in der Strafprozeßreform, ZRP 1972 56; Ortloff Das Strafverfahren gegen Abwesende und Flüchtlinge, GA 19 (1871) 492; 590; Rempe Verfahren gegen Flüchtige und Abwesende, Bericht der amtlichen Strafprozeßkommission 1938, S. 460; Rieß Die Durchführung der Hauptverhandlung ohne Angeklagten, JZ 1975 265. Vgl. auch das bei § 231 angeführte Schrifttum.

1. Entstehungsgeschichte. In der Regierungsvorlage1 war das Abwesenheitsverfah- 1 ren nur ein Beweissicherungsverfahren. § 273 lautete: „Gegen einen Abwesenden findet eine Hauptverhandlung … nicht statt. Ein gegen einen Abwesenden eingeleitetes Verfahren hat nur die Aufgabe … die Beweise zu sichern.“ Demzufolge umfasste der achte Abschnitt (§§ 318 bis 337 a. F.) zunächst nur Bestimmungen, die sich jetzt in § 276 Abs. 1, §§ 285 bis 295 finden.2 Als Ausgleich für das Fehlen eines Abwesenheitsverfahrens schlug der Entwurf die Beschlagnahme des inländischen Vermögens, jedoch nicht in amtsgerichtlichen Sachen, zur Erzwingung der Gestellung vor (vgl. jetzt § 290). Das eigentliche Abwesenheitsverfahren (§ 276 Abs. 2, §§ 277 bis 284 StPO a. F.) ist 2 von der Reichstagskommission eingefügt worden. In erster Lesung war die Vermögensbeschlagnahme gefallen.3 Die dadurch entstandene Lücke wurde in zweiter Lesung so ausgefüllt, dass bei zu erwartender Geldstrafe oder Einziehung ein Abwesenheitshauptverfahren und zur Deckung der Strafe und Kosten die Beschlagnahme von Vermögensteilen (früher § 283) zugelassen, bei anderen als amtsgerichtlichen Sachen die Vermögensbeschlagnahme als Gestellungsmittel (jetzt § 290) wieder hergestellt wurde.4 In dieser Form ist der Entwurf Gesetz geworden. Das System der Erzwingungsbeschlagnahme in großen Strafsachen und der Siche- 3 rungsbeschlagnahme verbunden mit Abwesenheitshauptverhandlung in Bagatellsachen wurde durch § 25 Abs. 2 der „Emminger-Verordnung“ gestört, indem die Vermögensbeschlagnahme auch in Sachen für zulässig erklärt wurde, die zur Zuständigkeit des Amtsrichters oder des Schöffengerichts gehören. Durch diese Änderung erhielt der Abschnitt etwa den Inhalt, den er bis 1975 hatte;5 nur die Haft in § 277 Abs. 2 a. F., das staatsanwaltschaftliche Ermessen in § 277 a. F. und die §§ 282 und 282c entstammen späteren Änderungen.

1 2 3 4 5

Hahn 36. Vgl. Hahn 238 und Dünnebier FS Heinitz 669; AK/Achenbach 1; ferner LR/Gollwitzer23 1. Hahn 950. Hahn 1442, 1572. Bek. vom 22.3.1924, RGBl. I S. 299, 322.

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§ 276

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

Durch das Gesetz gegen Verrat der Deutschen Volkswirtschaft vom 12.6.1933 (RGBl. I S. 360) wurde das Abwesenheitsverfahren auf sämtliche Devisensachen ausgedehnt. Diese Ausdehnung des Umfangs erforderte eine Erweiterung der Wiederaufnahmegründe. Demzufolge wurde in § 9 Abs. 3 Satz 3 verordnet, bei Ergreifen oder Gestellen habe das Gericht die Erneuerung der Hauptverhandlung mit der Maßgabe zu beschließen, dass das frühere Urteil hinfällig werde. 5 Eine umfangreiche Änderung erfuhr der Abschnitt durch Art. 6 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Strafverfahrens und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 28.6.1935 (RGBl. I S. 844). Äußerlich wurde dieser Abschnitt mit der Überschrift „Hauptverhandlung gegen Flüchtige“ auf die damaligen §§ 276 bis 282 beschränkt; die §§ 283 bis 295 bildeten einen achten Abschnitt mit der Überschrift „Weitere Maßnahmen gegen Flüchtige“; ihr Inhalt blieb im wesentlichen unverändert. Das eigentliche Abwesenheitsverfahren wurde – „symptomatisch für den neuen Geist der Verfahrensnovelle“6 – bei allen Sachen schlechthin für zulässig erklärt, „wenn das Rechtsempfinden des Volkes die alsbaldige Aburteilung der Tat verlangt“. In § 277 Abs. 1 wurde das Antragsrecht der Staatsanwaltschaft festgelegt mit dem Zusatz (§ 278 Satz 2), dass keine Nachprüfung durch das Gericht stattfinde. Weitere Vorschriften wurden neu gefasst, u. a. wurde die Notwendigkeit der Verteidigung begründet (§ 281 a. F.). 6 Art. 3 Nr. 131 bis 133 VereinhG verlieh dem Abwesenheitsverfahren im wesentlichen (ein Teil der späteren Änderungen wurde beibehalten) wieder den Inhalt, den er nach der Emminger-Verordnung hatte. Das Abwesenheitsverfahren wurde jedoch auch zugelassen, wenn die den Gegenstand der Untersuchung bildende Tat mit geringer Freiheitsstrafe bedroht war. Art. 9 Nr. 15 des 1. StRG änderte später den § 277 Abs. 3 a. F. 7 Art. 21 Nrn. 74 bis 78 EGStGB hat dann das eigentliche Abwesenheitsverfahren abgeschafft (Aufhebung des § 276 Abs. 2 und der §§ 277 bis 284) und nur noch das Beweissicherungsverfahren und als Mittel zur Sicherung oder Erzwingung der Gestellung die Vermögensbeschlagnahme und das freie Geleit beibehalten.7

4

8

2. Anwendungsbereich. Die nach den Änderungen durch Art. 21 Nrn. 74, 75 EGStGB 1974 noch verbliebenen Sonderregelungen des Beweissicherungsverfahrens, der Vermögensbeschlagnahme und des freien Geleits gelten ihrem Sinn nach grundsätzlich in allen Abschnitten des Strafverfahrens,8 während des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens ebenso wie während der Anhängigkeit des Strafverfahrens in allen gerichtlichen Instanzen. Naturgemäß liegt der Hauptanwendungsbereich der Maßnahmen zur Beweissicherung und Gestellung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft und im gerichtlichen Verfahren der ersten Instanz; aber auch in einem späteren Verfahrensabschnitt können gelegentlich solche Maßnahmen notwendig werden. Die Ansicht, das Abwesenheitsverfahren gelte nur für das Verfahren der

6 E. Schäfer DJ 1935 933. 7 Dazu Rieß JZ 1975 265. Andere Staaten kennen noch echte Abwesenheitsverfahren. Die Auslieferung eines im Ausland in Abwesenheit Verurteilten kann nach Art. 3 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 17.3.1978 (BGBl. 1990 II 118; 1991 II 874) abgelehnt werden, wenn in diesen Verfahren nicht die Mindestrechte der Verteidigung gewahrt wurden oder der ersuchende Staat zusichert, dass der Verurteilte die Möglichkeit eines seine Verteidigungsrechte gewährleisteten neuen Verfahrens erhält. Zur Rechtslage vgl. Schomburg/Lagodny/Gleß/Wahl/Zimmermann § 73, 70 ff. IRG m. w. N. Vgl. auch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI vom 26.2.2009 zur Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen, ABl.EU 2009 L 81/24, dazu Klitsch ZIS 2009 11 ff. 8 KK/Greger § 276, 1; KMR/Kulhanek 6; Meyer-Goßner/Schmitt 2; Eb. Schmidt § 276, 2.

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§ 276

8. Abschnitt. Verfahren gegen Abwesende

ersten Instanz,9 enthält eine bei einem Beweissicherungsverfahren sachlich nicht gebotene Einschränkung. Sie hatte Gewicht für die aufgehobenen Vorschriften über die Durchführung einer Hauptverhandlung gegen Abwesende (§ 276 Abs. 2, §§ 277 bis 284), die in der Berufungsinstanz nach § 332 nicht anwendbar waren.10

§ 276 Begriff der Abwesenheit Ein Beschuldigter gilt als abwesend, wenn sein Aufenthalt unbekannt ist oder wenn er sich im Ausland aufhält und seine Gestellung vor das zuständige Gericht nicht ausführbar oder nicht angemessen erscheint. Entstehungsgeschichte Art. 21 Nr. 74 EGStGB strich mit der Beseitigung des eigentlichen Abwesenheitsverfahrens auch den Absatz 2, der bis dahin in der Fassung des Art. 6 des Gesetzes vom 28.6.1935 gegolten hatte. Bezeichnung bis 1924: § 318.

1. 2. 3.

Übersicht Begriff der Abwesenheit Unbekannter Aufenthalt Gestellung, Begriff 5

1 4

4. 5. 6.

Nicht ausführbare Gestellung Nicht angemessene Gestellung Ausland 12

6 8

1. Begriff der Abwesenheit. § 276 legt für den Anwendungsbereich des Achten Ab- 1 schnitts den Begriff der Abwesenheit durch eine Fiktion fest. Sind ihre Voraussetzungen gegeben, so gilt der Beschuldigte als abwesend und die Maßnahmen, die der Achte Abschnitt gegen Abwesende vorsieht, sind unter den sonstigen Voraussetzungen auch dann gegen ihn zulässig, wenn er in Wirklichkeit anwesend ist, etwa, wenn er sich unerkannt am Gerichtsort aufhält. Die StPO verwendet das Begriffspaar „Abwesenheit“ und „Anwesenheit“ nicht ein- 2 heitlich.1 So geht es in § 338 Nr. 5 um die Teilnahme an der Hauptverhandlung. Die dort bezeichnete Anwesenheit ist die Gegenwart in der Hauptverhandlung (§ 226), die Abwesenheit das Fernsein von ihr, sei es zufolge gerichtlicher Erlaubnis (§ 233 Abs. 1), sei es zufolge eigenmächtigen Ausbleibens (§ 232 Abs. 1) oder Entfernens (§ 231 Abs. 2), sei es endlich wegen selbstverschuldeter Abwesenheit (§ 231a) oder wegen ordnungswidrigen Benehmens (§ 231b Abs. 1). Diese Beschränkung auf die Beziehung zu einer stattfindenden Hauptverhandlung ist dem Begriff im Achten Abschnitt nicht eigen. Das zeigen nicht nur die Verwendung des Wortes „Beschuldigter“, das auch den noch nicht angeklagten Beschuldigten mit umfasst (§ 157), sondern mehr noch §§ 285 ff., die ein Verfahren gegen einen Abwesenden regeln, das keine Hauptverhandlung ist. Abwesend i. S. des Achten Abschnitts ist daher grundsätzlich – wegen einer Er- 3 weiterung vgl. Rn. 8 ff. – ein Beschuldigter, der nicht zur Hauptverhandlung gebracht werden kann, weil sein Aufenthalt unbekannt ist oder weil trotz eines bekannten Auf9 LG Verden NJW 1974 2194; Kaiser NJW 1964 1555; KMR/Haizmann 3 (53. Lfg.). 10 RGSt 65 419; 66 79. 1 AK/Achenbach 1; Bauer 40.

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§ 276

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

enthalts im Ausland die Gestellung vor das zuständige Gericht nicht möglich oder nicht angemessen erscheint. Darin liegt zugleich ein Unterschied zu den Fällen der §§ 231 und 232. In diesen kann der Angeklagte zur Hauptverhandlung gebracht (§ 230 Abs. 2) und in ihr gehalten werden (§ 231 Abs. 1 Satz 2), doch kann das Gericht im Falle des Ungehorsams auf seine Gegenwart verzichten und die Hauptverhandlung ohne ihn durchführen (vgl. ferner § 285, 2). 4

2. Unbekannter Aufenthalt. Der Aufenthalt des Beschuldigten ist unbekannt, wenn Gericht und Ermittlungsbehörden ihn nicht kennen, ihn auch nicht mit einem der Bedeutung der Sache angemessenen Aufwand ermitteln können und auch nicht damit zu rechnen ist, dass er ihnen demnächst bekannt wird.2 Dem unbekannten Aufenthalt steht unter bestimmten Voraussetzungen3 ein bekannter, aber die Gestellung verhindernder Aufenthalt im Ausland gleich.

5

3. Gestellung, Begriff. Gestellung ist das Bewirken des Erscheinens durch Ladung.4 Die Warnung, der Geladene werde im Falle des unentschuldigten Ausbleibens verhaftet oder vorgeführt werden (§ 216 Abs. 1), ist dafür nicht unerlässlich. Eine Ladung ohne die im Ausland nicht mögliche Zwangsandrohung reicht ebenfalls aus, wenn der Beschuldigte ihr freiwillig nachkommt.5 Zum Gestellen rechnen auch die Maßnahmen zum Erzwingen des Erscheinens (§ 236) durch Haft- (§ 114) oder Vorführungsbefehl (§ 134 Abs. 2, § 230 Abs. 2), wobei gegen im Ausland Aufhältige nur der Haftbefehl in Betracht kommt,6 vor allem auch, wenn die Auslieferung betrieben werden soll.7

4. Nicht ausführbare Gestellung. Nicht ausführbar ist die Gestellung, wenn der Aufenthalt des Beschuldigten unbekannt ist oder zu erwarten ist, dass er bei Ladung weder freiwillig erscheinen wird noch zwangsweise vor Gericht gebracht werden kann, weil ein Einlieferungsverfahren nicht durchführbar ist.8 Dies gilt sogar, wenn der Beschuldigte im Inland in Haft ist, weil er vom Ausland wegen einer anderen Straftat ausgeliefert wurde, seine Gestellung aber wegen des Grundsatzes der Spezialität der Auslieferung nicht möglich ist.9 Die zwangsweise Gestellung eines Beschuldigten, der sich im Ausland aufhält, 7 hängt davon ab, ob zu erwarten ist, dass der Beschuldigte in absehbarer Zeit von dem ausländischen Staat nach Deutschland ausgeliefert wird. Ob der Versuch einer zwangsweisen Gestellung erfolgversprechend erscheint, hat das Gericht in Würdigung aller ihm bekannten Umstände zu entscheiden. Die verneinende Entscheidung setzt nicht zwingend voraus, dass vorher vergeblich versucht wurde, im Ausland die Auslieferung zu erreichen.10 Wenn ein Europäischer Haftbefehl nicht in Frage kommt, obliegt die Entscheidung über diese sog. Einlieferung den obersten Justizbehörden und letztlich den Regierungen der Länder

6

2 3 4 5 6 7 8

AK/Achenbach 2; KK/Greger 3; Meyer-Goßner/Schmitt 2; SK/Frister 3. Vgl. Rn. 6, 8. AK/Achenbach 5; KK/Greger 5; KMR/Kulhanek 12; Meyer-Goßner/Schmitt 3; SK/Frister 5. OLG Frankfurt NJW 1972 1875; Oppe NJW 1966 2237; vgl. Nr. 116 RiVASt. Vgl. Nr. 86 ff. RiVASt. Vgl. dazu Nr. 88 ff. RiVASt. BGHSt 37 115 = NStZ 1990 584 mit Anm. Temming; OLG Frankfurt NJW 1972 1875; AK/Achenbach 6; KK/Greger 6; Meyer-Goßner/Schmitt 3; SK/Frister 6; Oppe NJW 1966 2237. 9 KG Alsb. E 2 Nr. 98; SK/Frister 6. 10 AK/Achenbach 6; KMR/Kulhanek 16; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 8;SK/Frister 8; SSW/Werner 5; vgl. BGHSt 18 283, 287; a. A. MüKo/Börner 8; Oppe NJW 1966 2238; vgl. auch OLG Frankfurt NJW 1975 1875.

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8. Abschnitt. Verfahren gegen Abwesende

§ 276

und des Bundes.11 Die Gerichte können entgegen einer solchen Feststellung die Ausführbarkeit der Auslieferung nicht bejahen. Andererseits brauchen sie aber eine solche Feststellung nicht unbedingt einzuholen, um bei einem im Ausland befindlichen Beschuldigten die Voraussetzungen des § 276 anzunehmen, so etwa, wenn sie auf andere Weise bereits sichere Kenntnis von der Nichtauslieferung haben.12 Mitunter wird die Klärung der Auslieferungsfrage sich auch deshalb erübrigen, weil die Gestellung nach der dafür maßgebenden Ansicht des Gerichts nicht als angemessen erscheint (Rn. 9). 5. Nicht angemessene Gestellung. Nach der Sondervorschrift des § 276 letzte Alternative gilt als abwesend auch, wer sich im Ausland aufhält, wenn seine Gestellung nicht angemessen erscheint. Der Gesetzgeber trägt damit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung. Er will verhindern, dass eine nur mit unverhältnismäßig großen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten durchführbare oder unverhältnismäßig aufwendige Gestellung versucht werden muss. Die Maßnahmen, die das Gesetz bei abwesenden Angeklagten zulässt, sollen auch anwendbar sein, wenn die an sich mögliche Gestellung aus dem Ausland wegen der geringen Bedeutung der Sache oder wegen der hierfür notwendigen Mittel oder wegen sonstiger Gründe als unangemessen unterbleibt. Unangemessen ist die Gestellung in der Regel, wenn ihre Auswirkungen, ihr Verwaltungsaufwand oder ihre Kosten außer Verhältnis zur Bedeutung der Strafverfolgung stehen. So vor allem, wenn die mit der Auslieferung aus dem Ausland für den Beschuldigten verbundenen Nachteile oder die durch den Vollzug der Einlieferung für die deutschen öffentlichen Kassen erwachsenden Kosten unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt mit dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung zu rechtfertigen sind. Die Unangemessenheit kann sich aber auch daraus ergeben, dass der im zwischenstaatlichen Verkehr anfallende Verwaltungsaufwand, insbesondere auch der im fremden Staat zur Klärung der Auslieferungsvoraussetzungen anfallende, die Bedeutung der Sache übersteigt.13 Bevor die Unangemessenheit einer zwangsweisen Gestellung angenommen wird, muss allerdings in geeigneter Weise geklärt sein, ob der Beschuldigte nicht bereit ist, einer Ladung freiwillig nachzukommen.14 Liegen die Voraussetzungen des § 290 vor, kann nach dem Sinn der Vorschrift mitunter auch die Beschlagnahme des Vermögens unangemessen sein, sofern nicht die Güterabwägung ergibt, dass die Vermögensbeschlagnahme der Bedeutung der Sache entspricht und im Verhältnis zur zwangsweisen Gestellung das schonendere Zwangsmittel ist. Meistens wird allerdings umgekehrt die Gestellung angemessen sein, wenn ein Fall des § 290 vorliegt. Die Feststellung, dass die Gestellung unangemessen sei, trifft das Gericht. Freilich muss es sich dabei in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft befinden. Denn wenn diese die Gestellung für angemessen und in absehbarer Zeit erreichbar erachtet, wird sie ohnehin die Einlieferung und nicht das Abwesenheitsverfahren betreiben.

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6. Ausland. Ausland i. S. d. § 276 Abs. 1 ist funktional zu verstehen; zu ihm rechnet 12 alles, was nicht zum Hoheitsbereich der Bundesrepublik gehört. Dieser umfasst das

11 Vgl. § 74 IRG und die Zuständigkeitsvereinbarung vom 1.7.1993 BAnz. 1993 6383; ferner Nr. 88 RiVASt. 12 Vgl. aber BGHSt 18 283, 287. 13 LG Offenburg 30.6.2015 – 3 Qs 6/15 Rn. 14; vgl. Nr. 88 Abs. 1 Buchst. c RiVASt; ferner AK/Achenbach 7; KK/Greger 7; KMR/Kulhanek 17; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Börner 10; OK-StPO/Niesler 2; Radtke/ Hohmann/Ullenbruch 9; SK/Frister 8 SSW/Werner 6. 14 SK/Frister 8.

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§ 285

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

Landgebiet und die Eigengewässer (Häfen und die Küsten bespülende Meeresteile) und das Küstenmeer, einen Meeresstreifen, der den Eigengewässern vorgelagert ist (Art. 2 f. SRÜ).15 Mit diesem endet der deutsche Hoheitsbereich; in der Anschlusszone (Art. 33 SRÜ) sind Strafverfolgungsakte nur eingeschränkt zulässig, in der ausschließlichen Wirtschaftszone (Art. 55 ff. SRÜ) nicht mehr, darüber hinaus beginnt die Hohe See (Art. 86, 89 SRÜ). Ausschließliche Wirtschaftszone und Hohe See müssen i. S. d. § 276 mit zum Ausland zählen, weil die Vorschrift auf die Unwirksamkeit der inländischen Gestellungsmittel abstellt, die sich auf der Hohen See eher stärker auswirkt als im Bereiche ausländischer Staaten.16

§§ 277 bis 284 (weggefallen) Die Vorschriften der §§ 277 bis 284 regelten die Durchführung der Hauptverhandlung gegen Abwesende und sind durch 21 Nr. 75 EGStGB 1974 entfallen.

§ 285 Beweissicherungszweck (1) 1Gegen einen Abwesenden findet keine Hauptverhandlung statt. 2Das gegen einen Abwesenden eingeleitete Verfahren hat die Aufgabe, für den Fall seiner künftigen Gestellung die Beweise zu sichern. (2) Für dieses Verfahren gelten die Vorschriften der §§ 286 bis 294.

Entstehungsgeschichte Art. 21 Nr. 76 EGStGB 1974 hat Absatz 1 Satz 1 neu gefasst. Bezeichnung bis 1924: § 327.

1.

2. 3.

Übersicht Keine Hauptverhandlung gegen Abwesende 1 a) Allgemeiner Grundsatz 1 b) Ausnahmen 2 c) Bedeutung der Abwesenheit 3 Beweissicherungsverfahren 4 Beweissicherung in den einzelnen Verfahrenslagen 6

a) b) c) d)

Bedeutung des Wortes „Angeklag6 ter“ Ermittlungsverfahren 7 Anklageschrift eingereicht 10 Hauptverfahren eröffnet 14

1. Keine Hauptverhandlung gegen Abwesende 1

a) Allgemeiner Grundsatz. Absatz 1 Satz 1 legt jetzt durchgängig den Grundsatz fest, dass gegen Abwesende (im Sinne des § 276) keine Hauptverhandlung stattfindet.

15 SK/Frister 4. 16 SK/Frister 4; für die Hohe See auch Meyer-Goßner/Schmitt 4.

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8. Abschnitt. Verfahren gegen Abwesende

§ 285

Damit soll ausgeschlossen werden, dass jemand ohne die Möglichkeit, sich zu verteidigen, ja sogar in Unkenntnis des gegen ihn anhängigen Verfahrens und somit ohne rechtliches Gehör und ohne die in seiner Anwesenheit liegende Möglichkeit der Sachaufklärung verurteilt werden kann.1 b) Ausnahmen. Die Sondervorschriften, die es gestatten, gegen einen zur Haupt- 2 verhandlung ordnungsgemäß geladenen Angeklagten auch bei seinem Ausbleiben zu verhandeln oder seinen Rechtsbehelf zu verwerfen, werden durch § 285 Abs. 1 Satz 1 nicht eingeschränkt. In diesen Fällen kann es nicht darauf ankommen, weshalb der ordnungsgemäß mit Belehrung geladene Angeklagte unentschuldigt ausgeblieben ist und ob er im Zeitpunkt der Hauptverhandlung nach § 232 unbekannten Aufenthalts oder im Ausland ist.2 Gleiches gilt für die Befugnis, die Hauptverhandlung zu Ende zu führen, wenn sich der Angeklagte im Falle des § 231 Abs. 2 nach seiner eigenmächtigen Entfernung aus der Hauptverhandlung sofort in das Ausland abgesetzt hat.3 Denn Sinn der Regelungen des Achten Abschnitts kann es – noch dazu nach Abschaffung der besonderen Hauptverhandlung gegen Abwesende – nicht sein, die Durchführbarkeit des Verfahrens gegen eigenmächtig ausgebliebene Angeklagte über die in § 231 Abs. 2, § 232 festgelegten Voraussetzungen hinaus einzuschränken und einen flüchtig gewordenen Angeklagten insoweit besser zu stellen als einen, dessen Aufenthalt im Inland bekannt ist.4 Das Verfahren nach § 233 ist gegen einen im Ausland wohnenden Angeklagten ebenfalls zulässig.5 Gleiches gilt für das Verfahren nach § 329.6 Im Strafbefehlsverfahren, das grundsätzlich voraussetzt, dass der Aufenthalt des Beschuldigten bekannt ist,7 schließt § 285 nicht aus, dass ein Strafbefehl einem im Ausland wohnenden Beschuldigten zugestellt wird, sofern dies nach dem einschlägigen internationalen Recht zulässig ist. Soweit § 412 die sofortige Verwerfung des Einspruchs eines unentschuldigt ausgebliebenen und auch nicht vertretenen Angeklagten gestattet, ist er die speziellere Regelung, die dem § 285 Abs. 1 Satz 1 vorgeht.8 Auch hier ist, ebenso wie bei § 232, dem Recht auf Gehör dadurch genügt, dass dem Angeklagten durch Zustellung von Anklage oder

1 KK/Greger 1; KMR/Kulhanek 1; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 1; SK/Frister 1, 4 f.; SSW/Werner 1. Zu den Bedenken, die schon bei der Schaffung der Strafprozessordnung gegen ein mit Verurteilung endendes Abwesenheitsverfahren erhoben wurden, vgl. Dünnebier FS Heinitz 669; vgl. ferner Vor § 276 Fn. 2. Vgl. Art. 8 der Richtlinie (EU) 2016/343 vom 9.3.2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren, ABl.EU 2016 L 65/1. 2 AK/Achenbach 2; HK/Julius/Pollähne 1; § 276, 4; KK/Greger 1; KMR/Kulhanek 6; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/Börner 3 und § 276, 2; OK-StPO/Niesler 1; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 2; SK/Frister 9 f.; SSW/ Werner 2 ff.; Oppe ZRP 1972 57. Anders die früher vorherrschende Meinung BGH NJW 1957 472; KMR/Müller § 276, 2; Eb. Schmidt 2; Oppe NJW 1966 2239; vgl. LR/Becker § 232, 2 m. w. N. 3 Vgl. BGHSt 27 216; AK/Achenbach 2; KK/Greger 1; Meyer-Goßner/Schmitt 1; SK/Frister 10. 4 Ob sich der Angeklagte im Machtbereich der deutschen Gerichtsbarkeit aufhält oder für sie erreichbar ist (Auslieferung), kann nur dort eine Rolle spielen, wo seine Anwesenheit erzwungen werden muss, um die Hauptverhandlung gegen ihn durchführen zu können. Kann gegen einen ausbleibenden Angeklagten verhandelt werden, bedarf es keines besonderen Beweissicherungsverfahrens. Vgl. auch LR/Stuckenberg § 205, 3, 10 f. 5 OLG Schleswig SchlHA 1964 70; Rieß JZ 1975 268; AK/Achenbach 2; Meyer-Goßner/Schmitt 1; SK/Frister 10; vgl. LR/Becker § 233, 2 m. w. N. 6 RGSt 65 417; 66 76; KG NJW 1969 475; LG Verden NJW 1974 2194; AK/Achenbach 2; Meyer-Goßner/ Schmitt 1; SK/Frister 13. 7 Vgl. LR/Gössel26 Vor § 407, 46, 48. 8 Vgl. Rieß JZ 1975 268; AK/Achenbach 2; Meyer-Goßner/Schmitt 1; SK/Frister 8. Zur Problematik vgl. LR/ Gössel26 Vor § 407, 46 ff.

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§ 285

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Strafbefehl und wirksame Ladung zum Verhandlungstermin die volle Möglichkeit eröffnet wird, sich vor Gericht gegen die ihm bekannte Anschuldigung zu verteidigen.9 3

c) Bedeutung der Abwesenheit. Die Abwesenheit im Sinne der §§ 276 ff. ist ein Hindernis, das – abgesehen von den genannten Ausnahmefällen – der Durchführung der Hauptverhandlung und auch bestimmten anderen Verfahrenshandlungen, wie etwa der Eröffnung des Hauptverfahrens, entgegensteht.10 Ein Verfahrenshindernis in dem Sinn, dass mit Eintritt der Abwesenheit jedes Weiterbetreiben des Verfahrens zu unterbleiben hätte, ist die Abwesenheit ebenso wenig wie das bloße Ausbleiben des Angeklagten.11

2. Beweissicherungsverfahren. Absatz 1 Satz 2 lässt gegen Abwesende im Sinne des § 276 das Beweissicherungsverfahren zu, das nicht, wie die Hauptverhandlung, die Freisprechung oder die Verurteilung und Vollstreckung zum Ziele hat, sondern die Sicherung der Beweise für den Fall einer künftigen Gestellung. Zulässig ist auch das Verfahren über die Anordnung der Vermögensbeschlagnahme (§§ 290 bis 294). Absatz 1 Satz 2 gestattet die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens für diesen 5 begrenzten Zweck. Die nach Absatz 2 dabei zu beachtenden Sondervorschriften in den §§ 286 bis 294 modifizieren insoweit die allgemein geltenden Verfahrensregeln, sie ändern aber nichts daran, dass die Maßnahmen der Beweissicherung im übrigen den allgemeinen Verfahrensregeln folgen.

4

3. Beweissicherung in den einzelnen Verfahrenslagen 6

a) Bedeutung des Wortes „Angeklagter“. Die gerichtliche Beweissicherung nach Absatz 1 Satz 2 ist in allen Verfahrensstadien zulässig, da Satz 1 nur die Hauptverhandlung ausschließt. Sie ist nicht auf das Hauptverfahren beschränkt. Hier könnte § 286 Abs. 1 Verwirrung stiften, weil er von dem Angeklagten spricht. Indessen handelt es sich um ein Redaktionsversehen. Das VereinhG hat § 286 an den ehemaligen § 281 angepasst, dabei versehentlich das Wort „Angeklagter“ übernommen und dadurch den Sinn des § 286, damit des ganzen Abschnitts und auch des § 285, verdunkelt. Angeklagter ist an sich der Angeschuldigte, gegen den die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen worden ist (§ 157). Es kann aber grundsätzlich für das Verfahren nach Satz 2 weder darauf ankommen, ob die Staatsanwaltschaft den Abwesenden anklagt,12 noch, ob das Gericht auf eine gleichwohl erhobene Anklage in den durch §§ 285 bis 289 geregelten Fällen das Hauptverfahren eröffnen kann.13 In § 286 ist daher, wie in der ursprünglichen Fassung, das Wort „Angeklagter“ als „Beschuldigter“ zu lesen.14

7

b) Ermittlungsverfahren. Dass die Staatsanwaltschaft gegen einen Abwesenden ein Ermittlungsverfahren führen darf, bedarf keiner ausdrücklichen Regelung; es ist nach ihrer Aufgabe selbstverständlich, ergibt sich auch aus § 112 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 125 9 Zu den unterschiedlichen Fallgestaltungen vgl. Vor LR/Gössel26 § 407, 47 f. (keine öffentliche Zustellung usw.).

10 Vgl. LR/Stuckenberg § 205, 15. 11 KK/Greger 2; Meyer-Goßner/Schmitt 1; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 2; SSW/Werner 9; a. A. Roxin/ Schünemann § 21, 18; vgl. LR/Stuckenberg § 206a, 44. 12 Vgl. LR/Stuckenberg § 290, 7; Meyer-Goßner/Schmitt 2; ferner Rn. 7 f. 13 Vgl. bei § 205; ferner KK/Greger 4 f. 14 Vgl. LR/Stuckenberg § 286, 2.

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8. Abschnitt. Verfahren gegen Abwesende

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Abs. 1. Die Staatsanwaltschaft kann von Ermittlungen absehen und das Verfahren alsbald in entsprechender Anwendung des § 205 einstellen, wenn keine Beweise zu sichern sind. Sind in den Ermittlungsverfahren gegen den Abwesenden Beweise zu sichern, so 8 veranlasst das die Staatsanwaltschaft entweder selbst, indem sie Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, sicherstellt (§ 94 Abs. 1), oder sie beantragt die Beschlagnahme (§ 98 Abs. 1) oder andere richterliche Untersuchungshandlungen (§ 162 Abs. 1) beim Amtsgericht, auf die dann die §§ 286, 287 anwendbar sind.15 Nach Abschluss dieser formlosen Beweissicherung stellt die Staatsanwaltschaft das 9 Verfahren bei fortbestehendem Tatverdacht in entsprechender Anwendung von § 205 vorläufig ein,16 sofern sie nicht Anklage erhebt, weil eine Vermögensbeschlagnahme nach § 290 in Betracht kommt. c) Anklageschrift eingereicht. War die Anklageschrift im Regelverfahren eingereicht worden (§ 170 Abs. 1, § 199 Abs. 2), weil der Beschuldigte bei der Anklageerhebung anwesend war oder weil die Staatsanwaltschaft das irrtümlich angenommen hatte oder weil sie glaubte, der Angeschuldigte werde freiwillig zur Hauptverhandlung aus dem Ausland kommen, und stellt sich nach der Einreichung der Anklageschrift, aber vor Eröffnung des Hauptverfahrens die Abwesenheit des Beschuldigten heraus, dann kann die Staatsanwaltschaft die Anklage zurücknehmen (§ 156). Dies kann angezeigt sein, wenn die Anklage nicht zustellbar ist, so dass das Ziel, die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 199 Abs. 2 Satz 1), nicht mehr erreicht werden kann. Eine Zurücknahme scheidet aber aus, wenn die Staatsanwaltschaft eine Vermögensbeschlagnahme beantragen will; das Verfahren nach § 294 setzt voraus, dass die Anklage erhoben ist. Nimmt die Staatsanwaltschaft die Anklage zurück, dann hat sie zur Beweissicherung die bei Rn. 7 f. aufgezeigten Möglichkeiten. Nimmt sie die Anklage nicht zurück, dann stellt das Gericht – ggf. nach einer Anordnung nach § 290 – das Verfahren nach § 205 Satz 1 vorläufig ein. Ein erforderliches Beweissicherungsverfahren hat das Gericht grundsätzlich vor der Entscheidung über die Einstellung und unter umfassender Sachaufklärung durchzuführen,17 während sonst nach § 205 Satz 2 vom Vorsitzenden die Beweise nur „soweit nötig“ zu sichern sind.18 Das Verfahren nach § 294 greift auch Platz, wenn die Staatsanwaltschaft erst nach Feststellung der Abwesenheit Anklage erhebt, um die Voraussetzungen für eine Vermögensbeschlagnahme zu schaffen.19

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13

d) Hauptverfahren eröffnet. War gegen den Angeklagten im Regelverfahren das 14 Hauptverfahren eröffnet worden (§ 203), weil der Angeklagte bei der Eröffnung anwesend war oder weil sich erst nach der Eröffnung des Hauptverfahrens die Abwesenheit des Angeklagten herausstellt, dann ist das Verfahren je nach Verfahrenslage außerhalb oder innerhalb der Hauptverhandlung durch Beschluss vorläufig einzustellen.20 Eine vorher durchzuführende Beweissicherung obliegt dem Gericht (§ 289). 15 16 17 18 19 20

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KK/Greger 3; Meyer-Goßner/Schmitt 2; SK/Frister 11 f. KK/Greger 3; Meyer-Goßner/Schmitt 2; SK/Frister 4; vgl. LR/Stuckenberg § 290, 7. Vgl. LR/Stuckenberg § 294, 3. Vgl. LR/Stuckenberg § 205, 49 ff. Vgl. LR/Stuckenberg § 290, 6. KK/Greger 5; Meyer-Goßner/Schmitt 2; SK/Frister 4.

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§ 288

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

§ 286 Vertretung von Abwesenden 1

Für den Angeklagten kann ein Verteidiger auftreten. 2Auch Angehörige des Angeklagten sind, auch ohne Vollmacht, als Vertreter zuzulassen.

Entstehungsgeschichte Die Textfassung beruht auf Art. 3 Nr. 133 VereinhG. Der frühere Absatz 2, demzufolge Zeugen, soweit nicht Ausnahmen vorgeschrieben oder zugelassen waren, eidlich zu vernehmen waren, ist im Zusammenhang mit der Neuregelung der Vereidigung durch Art. 3 Nr. 15 Buchst. b des 1. JuMoG 2004 aufgehoben worden. Bezeichnung bis 1924: § 328.

§ 287 Benachrichtigung von Abwesenden (1) Dem abwesenden Beschuldigten steht ein Anspruch auf Benachrichtigung über den Fortgang des Verfahrens nicht zu. (2) Der Richter ist jedoch befugt, einem Abwesenden, dessen Aufenthalt bekannt ist, Benachrichtigungen zugehen zu lassen. Bezeichnung bis 1924: § 329.

§ 288 Öffentliche Aufforderung zum Erscheinen oder zur Aufenthaltsortsanzeige Der Abwesende, dessen Aufenthalt unbekannt ist, kann in einem oder mehreren öffentlichen Blättern zum Erscheinen vor Gericht oder zur Anzeige seines Aufenthaltsortes aufgefordert werden. Bezeichnung bis 1924: § 330.

1. 2.

3.

1

Übersicht Zweck und Anwendungsbereich 1 Wahrnehmung der Interessen des Beschuldigten (§ 286) 2 a) Zweck 2 b) Verteidigung 3 c) Angehörige 4 Benachrichtigung des Abwesenden (§ 287) 7

a)

4.

Kein Anspruch auf Benachrichti7 gung b) Nachrichten an Verteidiger 8 Öffentliche Aufforderung zum Erscheinen (§ 288) 9

1. Zweck und Anwendungsbereich. Die §§ 286 bis 289 ergänzen die allgemeinen Vorschriften. Diese gelten grundsätzlich auch, wenn wegen der Abwesenheit des Beschuldigten Maßnahmen zur Beweissicherung (§ 285 Abs. 1 Satz 2) oder zur ErzwinStuckenberg https://doi.org/10.1515/9783110274967-036

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8. Abschnitt. Verfahren gegen Abwesende

§ 288

gung der Gestellung (§§ 290 ff.) durchgeführt werden (vgl. § 285, 4 ff.). Die §§ 286 bis 289 bringen nur einige Sonderregelungen, die sich entweder aus der Abwesenheit des Beschuldigten (§§ 286 bis 288) oder aus der Art des Verfahrens (§ 289) ergeben. 2. Wahrnehmung der Interessen des Beschuldigten (§ 286) a) Zweck. § 286 Abs. 1 will die Wahrung der Interessen des abwesenden Beschul- 2 digten erleichtern. Er stellt klar, dass für ihn ein (bevollmächtigter) Verteidiger auftreten kann und er lässt zu diesem Zweck auch die Angehörigen ohne Vollmacht zu. Die Vorschrift gilt auch vor Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 157 Hs. 2), das Wort Angeklagter ist, da auf einem Redaktionsversehen beruhend, als Beschuldigter zu lesen (§ 285, 6), zumal kein sachlicher Grund besteht, das Auftreten des Verteidigers abweichend von der allgemeinen Regelung (§ 137) auf das Hauptverfahren zu beschränken.1 b) Verteidigung. Die Abwesenheit begründet, wie § 286 Satz 1 klarstellt („kann“), 3 für sich allein keinen Fall der notwendigen Verteidigung,2 jedoch kann, was selbstverständlich ist, ein bevollmächtigter Verteidiger auftreten. Im Übrigen gelten die allgemeinen Vorschriften, auch hinsichtlich des Erfordernisses einer besonderen Vertretungsvollmacht und der Beschränkung der Zahl der Verteidiger durch § 137 Abs. 1 Satz 2.3 § 145a ist anwendbar.4 Vor allem ist auch zu prüfen, ob die Bestellung eines Verteidigers nach § 140 Abs. 2 notwendig ist.5 c) Angehörige. Angehörige sind, ohne dass ein gerichtliches Ermessen obwaltet, 4 auch ohne Vollmacht zur Vertretung der Interessen des Beschuldigten durch Beschluss zuzulassen (§ 138 Abs. 2).6 Wollen mehrere Angehörige für den Beschuldigten tätig werden, so wird man das Gericht für befugt halten müssen, ihre Zahl entsprechend § 137 Abs. 1 zu beschränken, wenn andernfalls die geregelte Durchführung des Beweissicherungsverfahrens in Frage gestellt würde.7 Angehörigen mit einer Vollmacht des Beschuldigten gebührt dann der Vorzug.8 Das Auftreten eines bevollmächtigten Verteidigers beseitigt die Befugnis der Angehörigen nicht. Der Begriff Angehörige ist – ebenso wie bei § 98 Abs. 2 und § 114c9 – im weiten 5 Sinn auszulegen.10 Auch entfernte Verwandte fallen darunter, nicht nur die in § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB oder die in § 52 aufgezählten Personen; zum Beispiel gehört der Stiefvater

1 KK/Greger 1; KMR/Kulhanek 1; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/Börner 1; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 2; SK/Frister 2. AK/Achenbach 1; KK/Greger 2; KMR/Kulhanek 4; Meyer-Goßner/Schmitt 1; SK/Frister 2. SK/Frister 2. Meyer-Goßner/Schmitt 1. KK/Greger 2; KMR/Kulhanek 4; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 3; SK/Frister 2; vgl. auch bei § 205. KK/Greger 5; Meyer-Goßner/Schmitt 2. HK/Julius/Pollähne 2; Meyer-Goßner/Schmitt 2; MüKo/Börner 4; OK-StPO/Niesler 2; Radtke/Hohmann/ Ullenbruch 6; SK/Frister 3; SSW/Werner 2. 8 AK/Achenbach 2; SK/Frister 3. 9 Vgl. LR/Lind § 114c, 10; ferner bei § 98. 10 KK/Greger 3; KMR/Kulhanek 6; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Börner 3; OK-StPO/Niesler 2; Radtke/ Hohmann/Ullenbruch 4; SK/Frister 4; SSW/Werner 2; a. A. HK/Julius/Pollähne 2.

2 3 4 5 6 7

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§ 288

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

dazu;11 ein Ehegatte, mit dem die Ehe nicht mehr besteht (vgl. § 52 Abs. 1 Nr. 2), dürfte nach dem Zweck der Regelung dagegen ausscheiden.12 Vertretung bedeutet hier nicht etwa rechtsgeschäftliche Vertretung, sondern, ent6 sprechend dem Sinn der Vorschrift, die Notbefugnis zur Interessenwahrnehmung durch Anträge, Anregungen, Hinweise und Ausübung des Fragerechts. Die Angehörigen sollen – anders als nach § 149 – die gleichen Rechte ausüben dürfen wie ein Verteidiger, auch wenn sie keine Vollmacht des Beschuldigten haben. Vertretungsbefugnis im Sinne des § 234 brauchen sie im Beweissicherungsverfahren nicht.13 Die Befugnisse der Angehörigen bestehen nur hinsichtlich der Maßnahmen zur Beweissicherung und Gestellung;14 im Übrigen bleiben §§ 149, 298 unberührt. 3. Benachrichtigung des Abwesenden (§ 287) 7

a) Kein Anspruch auf Benachrichtigung. Der Abwesende braucht, selbst wenn sein Aufenthalt bekannt oder Zustellungsvollmacht hinterlegt ist,15 nicht von Terminen (z. B. vom Termin zur Zeugenvernehmung nach § 168c Abs. 5) benachrichtigt zu werden (§ 287 Abs. 1), auch nicht von der Zulassung eines Angehörigen zu seiner Vertretung (§ 286 Satz 2); doch kann der Richter es tun (§ 287 Abs. 2), wenn er dies für angemessen hält.

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b) Nachrichten an Verteidiger. Die Benachrichtigung des Verteidigers (z. B. nach § 168c Abs. 5 i. V. m. Absatz 2) wird von § 287 Abs. 1 nicht berührt; für sie gelten, ebenso wie für die Benachrichtigung der nach § 286 Satz 2 als Vertreter zugelassenen Angehörigen, die allgemeinen Regeln.16 Ein Zustellungsbevollmächtigter des Angeklagten braucht dagegen ebenso wenig wie dieser benachrichtigt zu werden.17

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4. Öffentliche Aufforderung zum Erscheinen (§ 288). Der Vorsitzende kann nach seinem Ermessen einen Beschuldigten, dessen Aufenthalt unbekannt ist, durch eine Anzeige in öffentlichen Blättern zum Erscheinen oder zur Mitteilung seines Aufenthaltsorts auffordern. Öffentliche Blätter sind alle Zeitungen, die nicht nur von einem beruflich eng begrenzten Personenkreis gelesen werden.18 Die Aufforderung durch Fernsehen oder Rundfunk wird durch § 288 ebenso wenig ausgeschlossen, wie der Versuch einer Kontaktaufnahme durch andere geeignete Mittel.19 In der Aufforderung muss die genaue Anschrift des Gerichts angegeben werden, bei dem sich der Beschuldigte melden soll; ferner, wenn das Erscheinen zu einem bestimmten Termin gefordert wird, auch Ort und 11 OLG Colmar Alsb. E 2 Nr. 99. 12 AK/Achenbach 2; KK/Greger 3; Meyer-Goßner/Schmitt 3; SK/Frister 4. 13 KK/Greger 5; KMR/Kulhanek 2 f.; Meyer-Goßner/Schmitt 4; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 5; SSW/Werner 2; Eb. Schmidt 2 sieht die Angehörigen als Vertreter an, wie seine Darlegung des Streitstandes bei § 281, 1 zeigt. Mit Beseitigung der eigentlichen Abwesenheitsverhandlung hat der Streit an Bedeutung verloren. Abw. MüKo/Börner (§ 234 sei als Minus in § 286 enthalten). 14 A. A. MüKo/Börner 4. 15 AK/Achenbach 1; KK/Greger 1; KMR/Kulhanek 1; Meyer-Goßner/Schmitt 1; SK/Frister 2 (nur bei freiwilliger Abwesenheit); krit. MüKo/Börner 1. 16 AK/Achenbach 1; KK/Greger 2; KMR/Kulhanek 5; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/Börner 1; SK/Frister 2; SSW/Werner 1. 17 AK/Achenbach 1; KK/Greger 2; SK/Frister 2; vgl. Rn. 7. 18 KK/Greger 2; Meyer-Goßner/Schmitt 1; SK/Frister 2. 19 KMR/Kulhanek 3; Meyer-Goßner/Schmitt 1; krit. wegen der Nähe zur Öffentlichkeitsfahndung MüKo/ Börner 2; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 1; ähnl. SK/Frister 2 a. E.

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8. Abschnitt. Verfahren gegen Abwesende

§ 289

Zeit des Termins,20 im übrigen kann der Inhalt der Aufforderung nach freiem Ermessen gestaltet werden.21 Eine Ladung bedeutet diese Aufforderung nicht, sie ist auch keine öffentliche Zustellung im Sinne des § 40 und hat auch sonst keine Rechtsfolgen.22

§ 289 Beweisaufnahme durch beauftragte oder ersuchte Richter Stellt sich erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens die Abwesenheit des Angeklagten heraus, so erfolgen die noch erforderlichen Beweisaufnahmen durch einen beauftragten oder ersuchten Richter. Bezeichnung bis 1924: § 331. 1. Gegenstand der Regelung. Vor Eröffnung des Hauptverfahrens richtet sich die 1 Zuständigkeit zur Beweissicherung nach den allgemeinen Regeln. Im Vorverfahren ist es der Entscheidung der Staatsanwaltschaft überlassen, ob sie die erforderlichen Beweise selbst sichern oder dafür den Ermittlungsrichter einschalten will. Dies kann sie auch noch nach Anklageerhebung, sofern nicht das Gericht im Zwischenverfahren selbst die erforderlichen Anordnungen trifft.1 § 289 gilt nur für die Beweissicherung nach Eröffnung des Hauptverfahrens, wobei unerheblich ist, ob sich die Abwesenheit des Angeklagten und die Notwendigkeit der Beweissicherung unmittelbar nach der Eröffnung oder erst in einem späteren Verfahrensstadium – etwa nach Aussetzung der Hauptverhandlung – ergibt, sowie, ob das Gericht das Verfahren bereits nach § 205 vorläufig eingestellt hatte. 2. Zuständigkeit. Die zur Beweissicherung erforderlichen Anordnungen trifft das 2 erkennende Gericht. Es ordnet Beschlagnahmen an und kann durch einen beauftragten oder ersuchten Richter Zeugen vernehmen oder einen kommissarischen Augenschein durchführen lassen. 3. Verfahren. Auf Beauftragung des Richters und Durchführung der Beweiserhe- 3 bung sind die §§ 223 bis 225 anwendbar.2 Eine Benachrichtigung des Angeklagten kann unterbleiben (§ 287 Abs. 1), Verteidiger und Angehörige, die nach § 286 zugelassen sind, müssen dagegen nach Maßgabe des § 224 vom Termin benachrichtigt und zu diesem zugelassen werden.3 Angehörige sind im gleichen Umfang zuzulassen, wie der Angeklagte, dessen Interesse sie vertreten.4 Zu benachrichtigen und zuzulassen ist auch die Staatsanwaltschaft.

20 KK/Greger 3. 21 A. A. MüKo/Börner 2. 22 KK/Greger 1, 4; KMR/Kulhanek 1; Meyer-Goßner/Schmitt 2; MüKo/Börner 1; OK-StPO/Niesler 2; SK/ Frister 2; SSW/Werner 1. 1 KK/Greger 1; SK/Frister 1; nach AK/Achenbach 1 ist es im Zwischenverfahren Sache des Gerichts, die Beweise nach § 202 zu sichern, die Staatsanwaltschaft ist nur noch ausnahmsweise in Eilfällen dazu befugt. Vgl. LR/Stuckenberg § 285, 7 ff. 2 KK/Greger 2; Meyer-Goßner/Schmitt 2; SK/Frister 1. 3 AK/Achenbach 2; KK/Greger 2. 4 Meyer-Goßner/Schmitt 2; SK/Frister 1.

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§ 290

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

§ 290 Vermögensbeschlagnahme (1) Liegen gegen den Abwesenden, gegen den die öffentliche Klage erhoben ist, Verdachtsgründe vor, die den Erlaß eines Haftbefehls rechtfertigen würden, so kann sein im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes befindliches Vermögen durch Beschluß des Gerichts mit Beschlag belegt werden. (2) Wegen Straftaten, die nur mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen bedroht sind, findet keine Vermögensbeschlagnahme statt. Schrifttum Börner Die Vermögensbeschlagnahme nach §§ 290 ff. StPO, NStZ 2005 547; Hilger § 290 StPO – ein weiterer Weg der „Zurückgewinnungshilfe“ neben § 111b III StPO, NStZ 1982 374.

Entstehungsgeschichte Durch Art. 3 Nr. 133 VereinhG sind die Worte „im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes“ an die Stelle der Wendung „im Deutschen Reich“ gesetzt worden. Art. 21 Nr. 77 EGStGB 1974 hat den Absatz 2 angefügt. Bezeichnung bis 1924: § 332.

1. 2.

3.

1

Übersicht Zweck der Vermögensbeschlagnahme 1 Unzulässigkeit 2 a) Zweck nicht erreichbar 2 b) Straftaten von geringem Gewicht 4 c) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Übrigen 5 Erhebung der öffentlichen Klage 6

4. 5. 6. 7. 8. 9.

8 Haftgründe Ermessen des Gerichts 11 Beschluss 12 Zuständigkeit 13 Gegenstand der Vermögensbeschlagnahme 14 Beschwerde 15

1. Zweck der Vermögensbeschlagnahme. Zweck der Vermögensbeschlagnahme ist es, die Gestellung des Abwesenden und damit die Durchführbarkeit der Hauptverhandlung zu erzwingen.1 Nicht zuletzt sollen ihm dadurch die Mittel zum weiteren Fernbleiben entzogen werden.2 Die Vermögensbeschlagnahme soll weder den Strafanspruch sichern,3 noch ist sie eine Ungehorsamsstrafe. Sie dient auch nicht der Wahrung der Fiskalinteressen des Staates und zumindest nicht primär zur Sicherung der Vermögensinteressen des Verletzten.4 Ob dabei auch die Sicherung der Vermögensinteressen der Tatopfer als legitimer Nebenzweck der Anordnung ins Gewicht fallen können, ist zwei-

1 BayObLGSt 7 249; KK/Greger 1; KMR/Kulhanek 1; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/Börner 5; Radtke/ Hohmann/Ullenbruch 1; SK/Frister 1; SSW/Werner 3; Börner NStZ 2005 547, 548; vgl. auch Hilger NStZ 1982 374, 375. 2 RGZ 11 189; BayObLGZ 33 374; BayObLGSt 1963 257 = NJW 1964 300; KG JW 1937 412. 3 KG Recht 1905 1817. 4 Hilger NStZ 1982 375; KMR/Kulhanek 2; MüKo/Börner 5; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 1; SSW/Werner 4.

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8. Abschnitt. Verfahren gegen Abwesende

§ 290

felhaft.5 Gegen einen nicht abwesenden Beschuldigten lässt § 443 in engeren Grenzen eine Vermögensbeschlagnahme zu (vgl. dort). Ob die Vollstreckungsbehörde zur Erzwingung des Strafantritts nach § 457 Abs. 3 auch die dort nicht besonders angesprochene Vermögensbeschlagnahme herbeiführen darf, ist zweifelhaft.6 Die Möglichkeit, die Beschlagnahme von Gegenständen anzuordnen, die der Einziehung unterliegen (§ 111b) wird durch § 290 nicht berührt.7 2. Unzulässigkeit a) Zweck nicht erreichbar. Für die Vermögensbeschlagnahme ist kein Raum, 2 wenn feststeht, dass die Beschlagnahme die Gestellung nicht bewirken kann.8 Der Deutsche, der in einem Schweizer Sanatorium Aufenthalt genommen und keine Aussicht hat, lebend nach Deutschland zurückzukehren, ist vor der Beschlagnahme seines Vermögens ebenso geschützt wie der Beschuldigte, der durch die rechtlichen oder faktischen Verhältnisse des Aufenthaltslandes an der Ausreise und damit an der Gestellung in der Bundesrepublik nicht nur vorübergehend gehindert ist.9 Da die Vermögensbeschlagnahme auf den Willen des Abwesenden einwirken und ihn zur Gestellung aus eigenem Antrieb veranlassen soll, schließt der Umstand, dass die Auslieferung des Angeschuldigten nicht verlangt werden kann, die Vermögensbeschlagnahme nicht aus.10 Gleiches gilt für die Erklärung des Betroffenen, er wolle auf keinen Fall, selbst unter Verlust des Vermögens, in die Bundesrepublik zurückkehren.11 Selbst wenn sie im Augenblick ernst gemeint sein sollte, kann sich eine solche Einstellung bei länger andauernder Vermögensbeschlagnahme wieder ändern, denn die Vermögensbeschlagnahme ist eine Maßnahme mit aggravierender Langzeitwirkung.12 Unzulässig wegen Nichterreichbarkeit ihres Zweckes ist die Vermögensbeschlagnahme dann, wenn von Anfang an ersichtlich ist, dass sich der Betroffene unabhängig von seinem eigenen Willen langfristig nicht stellen kann. Ist das der Beschlagnahme zugängliche Vermögen des Angeschuldigten ersichtlich 3 so gering und uninteressant, dass bei Berücksichtigung aller Umstände nicht erwartet werden kann, die Beschlagnahme werde in irgend einer Form die Bereitschaft zur Gestellung fördern, dann ist für sie ebenfalls kein Raum.13 b) Straftaten von geringem Gewicht. Bei Straftaten von geringerem Gewicht, die 4 nur mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bedroht sind, schließt Absatz 2 jetzt die Vermögensbeschlagnahme als unverhältnismä5 So aber AK/Achenbach 1; vgl. auch Hilger NStZ 1982 374, 375; a. A. SSW/Werner 4. 6 KG NStZ-RR 2014 231; OLG Düsseldorf NStZ 1997 103 nimmt dies an; ebenso HK/Julius/Pollähne § 276, 5; KK/Greger7 3; KMR/Kulhanek 32; OK-StPO/Niesler 1; SSW/Werner 5; a. A. KK/Greger8 3; MüKo/Börner 13; zw. Radtke/Hohmann/Ullenbruch 2; wegen der Art der nach § 457 Abs. 3 zulässigen Maßnahmen vgl. dort. 7 Vgl. bei § 111b. 8 OLG Hamburg HRR 1935 1572; KG 14.3.2005 – 1 AR 1211/04 – 5 Ws 585/04 mit Bespr. Börner NStZ 2005 547; HK/Julius/Pollähne 1; KK/Greger 1; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/Börner 7; Radtke/Hohmann/ Ullenbruch 7. 9 AK/Achenbach 3; KK/Greger 1; KMR/Kulhanek 15; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/Börner 7; SK/Frister 5. 10 AK/Achenbach 3; KK/Greger 2; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/Börner 7; SK/Frister 5. 11 KMR/Kulhanek 16; MüKo/Börner 6; SK/Frister 5; Börner NStZ 2005 547, 550. 12 Ebenso KG 14.3.2005 – 1 AR 1211/04 – 5 Ws 585/04 Rn. 15; KMR/Kulhanek 22; MüKo/Börner 6; Börner NStZ 2005 547, 548. 13 OLG Hamburg HRR 1935 1572; KG 14.3.2005 – 1 AR 1211/04 – 5 Ws 585/04; KMR/Kulhanek 21; MeyerGoßner/Schmitt 1; SK/Frister 5.

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Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

ßiges Mittel aus. Maßgebend ist die Obergrenze der im jeweiligen Straftatbestand angedrohten Strafe und nicht etwa, wie bei §§ 232, 233, die im konkreten Fall zu erwartende Strafe. Bei den meist höheren Obergrenzen der einzelnen Straftatbestände hat Absatz 2 nur eine geringe praktische Bedeutung.14 5

c) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Übrigen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt auch jenseits der durch Absatz 2 gezogenen Grenze. Die Vermögensbeschlagnahme darf auch bei den nicht unter die Ausnahme des Absatzes 2 fallenden Straftaten nicht angeordnet werden, wenn sie und die von ihr zu erwartenden Auswirkungen außer Verhältnis zu der Strafe und den sonstigen Rechtsfolgen stehen, die der Angeschuldigte konkret wegen der begangenen Tat zu erwarten hat.15

3. Erhebung der öffentlichen Klage. Die Vermögensbeschlagnahme ist nur zulässig, wenn gegen den Abwesenden bereits die öffentliche Klage erhoben ist. Die Anklageschrift muss bei Gericht eingereicht, das Hauptverfahren braucht jedoch noch nicht eröffnet zu sein. Auch wenn das Verfahren nach § 205 eingestellt worden ist, bleibt die Vermögensbeschlagnahme zulässig, nicht jedoch, wenn die Staatsanwaltschaft die Anklage wegen der Abwesenheit des Angeschuldigten zurückgenommen hat. Ist die öffentliche Klage noch nicht erhoben, muss es – nach Wegfall der Vorunter7 suchung – als zulässig erachtet werden, dass die Staatsanwaltschaft auch gegen einen abwesenden Beschuldigten die öffentliche Klage erhebt, wenn nach den Umständen eine Vermögensbeschlagnahme in Betracht kommt.16

6

4. Haftgründe. Weitere Voraussetzung der Vermögensbeschlagnahme ist, dass Verdachtsgründe vorliegen, die den Erlass eines Haftbefehls rechtfertigen würden. Der Ausdruck ist vor der Änderung des neunten Abschnitts durch das StPÄG 1964 Bestandteil des Gesetzes geworden; er wurde leider nicht angepasst. Der restriktive Zweck dieser Einschränkung spricht dafür, sie dahin zu verstehen, dass die „Voraussetzungen der Untersuchungshaft“ vorliegen müssen, wozu auch gehört, dass die Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und zu der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nicht außer Verhältnis steht (vgl. § 120 Abs. 1 Satz 1). Unter Verdachtsgründen, die den Erlass eines Haftbefehls rechtfertigen, wird man daher wohl nicht allein den dringenden Tatverdacht verstehen können,17 sondern alle Gründe, die die Anordnung der Untersuchungshaft rechtfertigen, also dringenden Tatverdacht und einen Haftgrund nach § 112 Abs. 2, § 112a oder der Verdacht einer Straftat nach § 112 Abs. 3.18 Von den Haftgründen spielen der der Wiederholungsgefahr bei gewissen Straftaten 9 (§ 112a) und derjenige der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3) bei der Vermögensbe-

8

14 Rieß JZ 1975 266. 15 KG 14.3.2005 – 1 AR 1211/04 – 5 Ws 585/04; KK/Greger 5; KMR/Kulhanek 20; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Börner 5 ff.; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 6; Börner NStZ 2005 547, 550. 16 AK/Achenbach 4; KK/Greger 3; KMR/Kulhanek 8; OK-StPO/Niesler 1; vgl. LR/Stuckenberg § 285, 13. Zum Vorschlag, das Erfordernis der Anklageerhebung durch den dringenden Tatverdacht zu ersetzen, vgl. StV 1982 602. 17 So KK/Greger 4; KMR/Kulhanek 13; Meyer-Goßner/Schmitt 2; OK-StPO/Niesler 2; SK/Frister 4; SSW/ Werner 7. 18 HK/Julius/Pollähne 1; MüKo/Börner 3; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 5; Börner NStZ 2005 547, 549; Hilger NStZ 1982 374, 375; ferner AK/Achenbach 5 (Streit ohne praktische Bedeutung, da in der Regel ein Haftgrund vorliegt); ähnlich auch SK/Frister 4; SSW/Werner 7.

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8. Abschnitt. Verfahren gegen Abwesende

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schlagnahme eine geringere Rolle. Die Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2) scheidet als Haftgrund in der Regel aus, weil sie die Anwesenheit des Beschuldigten voraussetzt. Meist wird der Fall des § 112 Abs. 2 Nr. 1 Grundlage der Vermögensbeschlagnahme sein, indem festgestellt wird, dass der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält. Danach werden bei unbekanntem Inlandsaufenthalt und bei bekanntem und unbekanntem Auslandsaufenthalt bei dringendem Tatverdacht in der Regel die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls begründet sein.19 Doch sind Ausnahmen möglich. So scheidet bei zwangsweisem Auslandsaufenthalt Flucht als Haftgrund aus. Wird bei Auslandsaufenthalt ein Wohnsitz in der Bundesrepublik beibehalten, bedarf die Fluchtgefahr besonderer Begründung. Ein Haftbefehl ist keine Voraussetzung der Vermögensbeschlagnahme, doch wird 10 er vielfach zugleich mit der Vermögensbeschlagnahme zu erlassen sein, wenn er ihr nicht vorausgegangen ist. Auf der anderen Seite wird das Gericht nicht deshalb von seiner Prüfungspflicht entbunden, weil ein Haftbefehl vorliegt.20 5. Ermessen des Gerichts. Das Gericht kann, wenn es die Voraussetzungen des 11 § 290 für gegeben erachtet, von Amts wegen oder aber auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Vermögensbeschlagnahme anordnen. Die Entscheidung, bei der vor allem auch über den Absatz 2 hinaus der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Gebot der Güterabwägung) zu beachten ist (Rn. 5), steht im Übrigen in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Die Anordnung der Vermögensbeschlagnahme ist in der Regel nur bei Straftaten von Gewicht am Platze; ihre Auswirkungen dürfen nicht außer Verhältnis zu der im konkreten Fall vom Betroffenen zu erwartenden Strafe stehen.21 Dem Gericht ist nicht nachzuweisen, dass Vermögen vorhanden ist; die Zulässigkeit der Beschlagnahme hängt an sich davon nicht ab, da auch das künftige Vermögen erfasst wird. Hat der Angeschuldigte jedoch ersichtlich kein nennenswertes Vermögen in der Bundesrepublik und hat er auch in absehbarer Zeit kein solches zu erwarten, dann ist für die Anordnung der Beschlagnahme kein Raum, weil sie dann kein zur Erzwingung der Gestellung taugliches Mittel ist (Rn. 3). 6. Beschluss. Die Anordnung ergeht durch Beschluss (§ 291) des Gerichts, der zu 12 begründen ist (§ 34).22 In dem Beschluss ist der Angeschuldigte, dessen Vermögen beschlagnahmt wird, genau zu bezeichnen. Im Übrigen genügt die abstrakte Anordnung der Vermögensbeschlagnahme; einzelne Vermögensstücke des Angeschuldigten brauchen im Beschluss nicht angeführt zu werden.23 Zur Anordnung der Veröffentlichung vgl. § 291. 7. Zuständigkeit. Zuständig ist das mit der Sache durch die Anklage befasste Ge- 13 richt. Ist erst in einem späteren Verfahrensstadium, nach Eröffnung des Hauptverfahrens, über die Vermögensbeschlagnahme zu entscheiden, so obliegt das dem Gericht, bei dem die Sache dann anhängig ist, also auch dem Berufungsgericht, das das Verfahren nach § 205 eingestellt hat. 19 20 21 22

Vgl. AK/Achenbach 5; KK/Greger 4; SSW/Werner 7; a. A. MüKo/Börner 4. KK/Greger 4; MüKo/Börner 3; SK/Frister 4. AK/Achenbach 6; KK/Greger 5; Meyer-Goßner/Schmitt 3. AK/Achenbach 8; KK/Greger 6; KMR/Kulhanek 23; Meyer-Goßner/Schmitt 4; MüKo/Börner 12; SK/Frister 7; Muster eines Beschlusses bei KMR/Kulhanek 23. 23 BayObLGSt 7 248; KK/Greger 6; KMR/Kulhanek 27; Meyer-Goßner/Schmitt 4; MüKo/Börner 12; SK/ Frister 7.

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§ 291

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Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

8. Gegenstand der Vermögensbeschlagnahme. Beschlagnahmt wird das Vermögen, das sich im Geltungsbereich der Strafprozessordnung, also in der Bundesrepublik befindet. Die Beschlagnahme umfasst insoweit das gesamte gegenwärtige und künftige Vermögen, belastet mit den Rechten, die Dritte daran erworben haben,24 aber auch mit dem Anspruch von unterhaltsberechtigten Angehörigen auf Unterhalt aus dem Vermögen.25 Wegen der Wirkung der Vermögensbeschlagnahme vgl. § 292, 2.

9. Beschwerde. Mit der Beschwerde (§ 304 Abs. 1, 2) ist sowohl der Beschluss, der die Beschlagnahme anordnet als auch der Beschluss, der einen darauf gerichteten Antrag der Staatsanwaltschaft ablehnt, von dem anfechtbar, der hierdurch beschwert ist.26 Dies kann auch ein nach § 286 Abs. 1 zugelassener Angehöriger sein.27 Im Übrigen gelten keine Besonderheiten. Die Beschlagnahmeanordnung kann nach § 309 Abs. 2 auch vom Beschwerdegericht erlassen werden. § 310 Abs. 1 findet keine Anwendung.28 Die Gläubiger des Angeschuldigten können Rechte, die sie hinsichtlich einzelner 16 von der Beschlagnahme betroffener Vermögensgegenstände haben,29 nicht im Strafverfahren geltend machen.30 Sie haben auch keine Beschwerdebefugnis.31 Sie können aber die durch die Beschlagnahme entstandene Rechtslage für die Verfolgung ihrer Ansprüche ausnützen.32 15

§ 291 Bekanntmachung der Beschlagnahme Der die Beschlagnahme verhängende Beschluß ist im Bundesanzeiger bekanntzumachen und kann nach dem Ermessen des Gerichts auch auf andere geeignete Weise veröffentlicht werden.

Entstehungsgeschichte Durch Art. 23 Nr. 133 VereinhG sind die Wörter „im Bundesanzeiger“ an die Stelle der Wörter „im deutschen Reichsanzeiger“ gesetzt worden. Art. 1 Nr. 9 des Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 14.10.2006 (BGBl. I S. 2350) hat die Wörter „durch den Bundesanzeiger“ durch „im elektronischen Bundesanzeiger“ sowie „durch andere Blätter“ durch die Wörter „auf andere geeignete Weise“ ersetzt. Das Wort „elektronischen“ wurde durch Art. 2 Abs. 30 des Gesetzes v. 22.11.2011 (BGBl. I 3044) wieder gestrichen, weil der Bundesanzeiger gemäß § 5 VkBkmG i. d. F. des vorgenannten Gesetzes nunmehr nur noch elektronisch herausgegeben wird. Bezeichnung bis 1924: § 333.

24 25 26 27 28 29 30 31 32

OLG Colmar Alsb. E 2 Nr. 104; AK/Achenbach 7; KK/Greger 6; KMR/Kulhanek 26 ff.; SK/Frister 8. Hahn 241. AK/Achenbach 9; KK/Greger 7; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/Börner 12; SK/Frister 9. MüKo/Börner 12. SK/Frister 9; a. A. MüKo/Börner 12. Vgl. Rn. 14. OLG Colmar Alsb. E 2 Nr. 104; SK/Frister 9. MüKo/Börner 12; SK/Frister 9. Vgl. Hilger NStZ 1982 374, 375.

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8. Abschnitt. Verfahren gegen Abwesende

§ 292

1. Rechtsnatur. Die Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger ist Vo- 1 raussetzung der Wirksamkeit der Beschlagnahme. Sie in die Wege zu leiten ist Sache des Gerichts (Geschäftsstelle). Die Ansicht, dass darin ein der Staatsanwaltschaft nach § 36 Abs. 2 Satz 1 obliegender Akt der Vollstreckung (im weit verstandenen Sinn) zu sehen ist, wird von der vorherrschenden Meinung verneint.1 Das Gericht erlangt keine Verfügungsgewalt über das Vermögen. Eine Eintragung der Beschlagnahme im Grundbuch ist unzulässig.2 Die Bekanntmachung auf andere Weise dient in erster Linie dem Schutze Dritter; sie kann aber auch für die Durchsetzung der Gestellung Bedeutung haben, weil dadurch bekannt wird, dass niemand mit dem Angeschuldigten Kauf-, Arbeitsund sonstige Verträge wirksam abschließen oder Zahlungen an ihn leisten kann.3 2. Anordnung. Die Anordnung der Bekanntmachung im elektronischen Bundesan- 2 zeiger wird zweckmäßigerweise in den Beschlagnahmebeschluss mit aufgenommen;4 auch eine vom Gericht beabsichtigte Bekanntgabe auf andere Weise sollte bereits dort verfügt werden. Während aber die gesetzlich festgelegte Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger nachträglich auch noch durch eine Verfügung des Vorsitzenden angeordnet werden kann, erfordert die nachträgliche Anordnung der Veröffentlichung auf andere Weise einen Gerichtsbeschluss.5 Die Medien, in denen das Gericht die Beschlagnahme zusätzlich bekannt geben will, sind bereits im anordnenden Beschluss genau zu bezeichnen. Es muss sich dabei – anders als bei § 288 – nicht notwendig um allgemein gelesene örtliche oder überörtliche Zeitungen handeln; die Veröffentlichung in Zeitschriften, die von bestimmten Berufsgruppen oder sonst besonders in Frage kommenden Personenkreisen gelesen werden, kann zweckmäßiger sein.6 Für die Wirksamkeit der Beschlagnahme ist allein die erste Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger (§ 292 Abs. 1) entscheidend.7

§ 292 Wirkung der Bekanntmachung (1) Mit dem Zeitpunkt der ersten Bekanntmachung im Bundesanzeiger verliert der Angeschuldigte das Recht, über das in Beschlag genommene Vermögen unter Lebenden zu verfügen. (2) 1Der die Beschlagnahme verhängende Beschluß ist der Behörde mitzuteilen, die für die Einleitung einer Pflegschaft über Abwesende zuständig ist. 2Diese Behörde hat eine Pflegschaft einzuleiten.

1 KK/Greger 1; Meyer-Goßner/Schmitt 2; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 7; SK/Frister 3. Zu dieser allgemeinen Streitfrage vgl. LR/Graalmann-Scheerer § 36, 18 ff. Für die Wirksamkeit der Beschlagnahme hat es keine Bedeutung, ob die dafür notwendige Veröffentlichung im Bundesanzeiger als Vollstreckungshandlung angesehen und ob sie vom Gericht (vgl. § 292, 2), vom Vorsitzenden (vgl. LR/Graalmann-Scheerer § 36, 27 ff.) oder der Staatsanwaltschaft herbeigeführt wurde. 2 Vgl. § 292, 2. 3 Vgl. AK/Achenbach 1; vgl. § 292, 2. 4 AK/Achenbach 2; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/Börner 2; SK/Frister 3; SSW/Werner 1; a. A. KK/Greger 1; OK-StPO/Niesler 1; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 3. 5 KK/Greger 1; SK/Frister 3. 6 KK/Greger 2. 7 KK/Greger 3; Meyer-Goßner/Schmitt 1; vgl. § 292, 1.

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§ 292

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

Entstehungsgeschichte Durch Art. 3 Nr. 133 VereinhG sind die Worte „Bundesanzeiger“ an die Stelle der Worte „im Deutschen Reichsanzeiger“ gesetzt worden. Art. 1 Nr. 10 des Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 14.10.2006 (BGBl. I S. 2350) hat in Absatz 1 vor dem „Bundesanzeiger“ das Wort „elektronischen“ eingefügt, das durch Art. 2 Abs. 30 des Gesetzes v. 22.11.2011 (BGBl. I 3044) wieder gestrichen wurde, weil der Bundesanzeiger gemäß § 5 VkBkmG i. d. F. des vorgenannten Gesetzes nur noch elektronisch herausgegeben wird. Bezeichnung bis 1924: § 334. 1

1. Zeitpunkt der Wirksamkeit. Die Vermögensbeschlagnahme wird mit Ablauf des Tages wirksam (§ 187 Abs. 1 BGB), an dem die Beschlagnahme im Bundesanzeiger bekanntgemacht worden ist.1 Eine frühere Bekanntmachung auf andere Weise ist selbst dann wirkungslos, wenn der Abwesende oder ein mit ihm Kontrahierender sie gelesen oder sonst Kenntnis von ihr erhalten hat.

2

2. Absolutes Verfügungsverbot. Der die Folge der Beschlagnahme bezeichnende Wortlaut ist ungenau. Der Angeschuldigte verliert nicht das Recht an sich, über sein in der Bundesrepublik befindliches Vermögen unter Lebenden zu verfügen; dieses übt der Pfleger für ihn aus. Ihm wird aber die Befugnis entzogen, Vermögensverfügungen selbst vorzunehmen.2 Daher sind alle Verfügungen, die er gleichwohl selbst vornimmt, nicht nur (wie im Falle des ehem. § 284 Abs. 2) der Staatskasse gegenüber unwirksam, sondern nach § 134 BGB schlechthin nichtig.3 Das Verfügungsverbot macht das darauf abzielende Rechtsgeschäft als Ganzes unwirksam. Es wirkt für und gegen jedermann, ohne Rücksicht auf die Gutgläubigkeit; es kann und braucht nicht in das Grundbuch eingetragen zu werden.4 Verfügungen von Todes wegen (§§ 2064 bis 2302 BGB) fallen nicht unter das Verbot.5 Desgleichen bleiben die bereits bestehenden Rechte Dritter an den beschlagnahmten Vermögensgegenständen unberührt.6 Sie können aber nicht im Strafverfahren, sondern nur im Wege eines Zivilprozesses gerichtlich geltend gemacht werden. Auch die Zwangsvollstreckung in das beschlagnahmte Vermögen wird dadurch nicht gehindert.7

3

3. Abwesenheitspflegschaft (Absatz 2). Die Abwesenheitspflegschaft hat für den Betrieb des Strafverfahrens keine unmittelbare Bedeutung, auch wenn mittelbar die Wirksamkeit der Vermögensbeschlagnahme dadurch gesichert wird. § 292 Abs. 2 Satz 2 ist eine Ergänzung des § 1911 BGB, die bewirkt, dass das Fürsorgebedürfnis nicht geprüft

1 KK/Greger 1; Meyer-Goßner/Schmitt § 291, 1; MüKo/Börner § 291, 1; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 4; SK/ Frister 4. 2 KG Recht 1905 1817; ferner Fn. 1. 3 KG OLGRspr. 12 203; AK/Achenbach 1; KK/Greger 1; KMR/Kulhanek 2; Meyer-Goßner/Schmitt 1; MüKo/ Börner 1; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 3; SK/Frister 2 f.; SSW/Werner 1; vgl. ferner die Kommentare zu § 134 BGB (auch zur strittigen Klassifizierung dieses gesetzlichen Verbots). 4 BayObLGZ 12 31; KG Recht 1905 1817 KK/Greger 1; Meyer-Goßner/Schmitt 1; h. M., vgl. Fn. 3. 5 AK/Achenbach 1; KMR/Kulhanek 4; Meyer-Goßner/Schmitt 1; SK/Frister 3. 6 KK/Greger 1; Meyer-Goßner/Schmitt 1; vgl. auch Fn. 7. 7 BayObLGSt 7 248; OLG Colmar Alsb. E 2 Nr. 104; KG Alsb. E 2 Nr. 105; OLG München Alsb. E 2 Nr. 106; AK/Achenbach 1; SK/Frister 3; Hilger NStZ 1982 374.

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8. Abschnitt. Verfahren gegen Abwesende

§ 292

werden darf. Die Pflegschaft ist wegen des Sicherungszwecks auch einzuleiten, wenn der Angeschuldigte selbst einen Vertreter mit der Wahrnehmung seiner Vermögensinteressen beauftragt hat.8 Der gerichtlich bestellte Pfleger wird dadurch aber nicht im Strafverfahren zum gesetzlichen Vertreter des Angeklagten im Sinne des § 298.9 Der Beschlagnahmebeschluss ist nach Absatz 2 Satz 1 der für die Einleitung einer 4 Abwesenheitspflegschaft zuständigen Behörde, also dem Betreuungsgericht beim Amtsgericht mitzuteilen, damit es seiner Verpflichtung, von Amts wegen eine Abwesenheitspflegschaft einzuleiten, nachkommen kann. Da es sich um keinen Akt der Vollstreckung im Sinne des § 36 Abs. 2 handelt, obliegt die Mitteilung dem Vorsitzenden des Gerichts;10 jedoch kann auch die Staatsanwaltschaft das Betreuungsgericht auf die Vermögensbeschlagnahme hinweisen. Für die Verpflichtung des Betreuungsgerichts zur Einleitung der Pflegschaft ist es unerheblich, durch wen es von der Vermögensbeschlagnahme in Kenntnis gesetzt wird.11 Aufgabe des Pflegers ist es, das betroffene inländische Vermögen des Beschuldig- 5 ten zu ermitteln und sofort sicherzustellen.12 Hat der Angeschuldigte kein Vermögen, so darf, damit keine öffentlichen Interessen beeinträchtigt werden, von einer Pflegschaft nur abgesehen werden, wenn die Möglichkeit, dass er künftig Vermögen erlangen wird, so gering ist, dass es verständigerweise keinen Zweck hat, schon jetzt Vorkehrungen für den künftigen Anfall zu treffen.13 Zuständig für die Anordnung der Pflegschaft ist das Amtsgericht als Betreuungsgericht (§ 340 Nr. 1 FamFG, § 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 GVG); die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich allein nach den einschlägigen Vorschriften des FamFG (§§ 341, 272 FamFG).14 4. Führung der Güterpflegschaft. Der Pfleger verwaltet an Stelle des nicht verfü- 6 gungsbefugten Angeschuldigten dessen Inlandsvermögen. Er ist zur sachgerechten Verwaltung verpflichtet; dazu kann auch die Erfüllung von Verbindlichkeiten des Angeschuldigten gegenüber den durch die Straftat Geschädigten gehören.15 Soweit Maßnahmen des Pflegers nach bürgerlichem Recht eine gerichtliche Genehmigung erfordern, entscheidet darüber das Betreuungsgericht.16 Bei der Führung der Pflegschaft muss der Zweck der Beschlagnahme, dem flüchtigen Angeschuldigten die Mittel zum weiteren Fernbleiben zu entziehen und ihn zur Gestellung zu veranlassen, sowohl vom Pfleger als auch vom Betreuungsgericht berücksichtigt werden.17 Es dürfen keine Maßnahmen getroffen werden, die dem Zweck der Beschlagnahme zuwiderlaufen. Ob dies der Fall ist, hat das Betreuungsgericht selbst zu entscheiden. Eine Genehmigung des Strafgerichts für Maßnahmen des Pflegers, die den Zweck der Beschlagnahme beeinträchtigen könnten, ist nicht vorgesehen.18 Solche Verfügungen können rechtlich nicht der Teilaufhebung der Beschlagnahme gleichgesetzt werden; außerdem bedarf es kei8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

BayObLGZ 33 374; AK/Achenbach 3; KK/Greger 8; SK/Frister 6. OLG Karlsruhe Justiz 1984 291. AK/Achenbach 2; KK/Greger 4 Meyer-Goßner/Schmitt 2; SK/Frister 5. KK/Greger 4; SK/Frister 5. BayObLGSt 7 248; Meyer-Goßner/Schmitt 2; SK/Frister 6. BayObLGZ 10 504, KK/Greger 7. KK/Greger 9; SK/Frister 5. Meyer-Goßner/Schmitt 2; SK/Frister 6; Hilger NStZ 1982 374, 375. BayObLGSt 1963 257 = NJW 1964 301; KK/Greger 11; SK/Frister 7. OLG Karlsruhe Justiz 1984 291; ferner Fn. 18; Hilger NStZ 1982 374, 375. Hilger NStZ 1982 374, 375 (Verfügungen des Pflegers sind keine strafprozessualen Maßnahmen); SK/ Frister 7; anders BayObLGSt 1963 257; KK/Greger 11; Pfeiffer 3; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 10; SSW/ Werner 2.

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§ 293

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

ner Aufspaltung des Rechtszuges; die Kontrolle des Betreuungsgerichts genügt insoweit. Die Vorschriften über die Abwesenheitspflegschaft sind nur insoweit anwendbar, als sie diesem Zweck nicht widerstreiten. Andererseits dürfen aber die Interessen des Angeschuldigten nicht über den Zweck der Beschlagnahme hinaus beeinträchtigt werden.19 7

5. Beschwerde nach FamFG. Gegen die Anordnung der Pflegschaft hat der Angeschuldigte die Beschwerde nach §§ 58, 59 Abs. 1 FamFG.20 Eine Beschwerdeberechtigung der Strafverfolgungsbehörde ist nach § 59 Abs. 2 FamFG anzunehmen, wenn die Einleitung der Pflegschaft abgelehnt wurde. Für den vorherigen Rechtszustand wurde ein Interesse der Staatsanwaltschaft, dass das Vermögen ordnungsgemäß verwaltet wird und auch nicht mittelbar dem Einfluss des Abwesenden unterliegt, und ein daraus folgendes Beschwerderecht in den Fällen anerkannt, wenn eine ungeeignete Person zum Pfleger bestellt21 oder bei der Durchführung der Pflegschaft dem mit der Beschlagnahme verfolgten Zweck (§ 290, 1) nicht Rechnung getragen wird.22 In diesen Fällen kommt, da nach § 59 FamFG ein bloßes rechtliches Interesse nicht mehr genügt, ein Beschwerderecht nur nach § 59 Abs. 3 FamFG in Betracht, wenn eine dahingehende gesetzliche Regelung vorliegt, die bisher fehlt.23

8

6. Beschwerde nach StPO. Die Anordnung der Bekanntmachung im Bundesanzeiger ist als gesetzliche Folge der Beschlagnahme für sich allein nicht mit Beschwerde anfechtbar;24 dies ist nur der die Vermögensbeschlagnahme anordnende Beschluss.25 Die Anordnung der Bekanntmachung in anderen Blättern dürfte allenfalls bei einem Missbrauch des weiten Auswahlermessens der Beschwerde zugänglich sein, es müsste dann aber auch eine die normalen Folgen der Bekanntmachung der Beschlagnahme übersteigende Beschwer vorliegen. Der Pfleger ist nicht befugt, gegen eine strafprozessuale Maßnahme, die das Vermögen des Angeschuldigten betrifft, wie etwa der Verfall einer Sicherheit, namens des Angeschuldigten Beschwerde nach § 304 einzulegen.26

§ 293 Aufhebung der Beschlagnahme (1) Die Beschlagnahme ist aufzuheben, wenn ihre Gründe weggefallen sind. (2) 1Die Aufhebung der Beschlagnahme ist auf dieselbe Weise bekannt zu machen, wie die Bekanntmachung der Beschlagnahme. 2Ist die Veröffentlichung nach § 291 im Bundesanzeiger erfolgt, ist zudem deren Löschung zu veranlassen; die Veröffentlichung der Aufhebung der Beschlagnahme im Bundesanzeiger ist nach Ablauf von einem Monat zu löschen.

19 20 21 22 23 24 25 26

Vgl. BayObLGSt 1963 257 = NJW 1964 301; BayObLGZ 12 34; 33 374; KG JW 1935 1882; 1937 412. Zum früheren § 57 FGG AK/Achenbach 5. Zum früheren § 57 FGG BayObLGZ 10 559; KG Recht 1911 811; AK/Achenbach 5; KK/Greger 10. BayObLGZ 33 374; AK/Achenbach 5. SK/Frister 9. SK/Frister 8. Vgl. § 290, 15. OLG Karlsruhe Justiz 1984 291; SK/Frister 8.

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8. Abschnitt. Verfahren gegen Abwesende

§ 293

Entstehungsgeschichte Art. 1 Nr. 11 des Gesetzes zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 14.10.2006 (BGBl. I S. 2350) hat mit Wirkung zum 1.1.2007 Absatz 2 Satz 1 neu gefasst und Satz 2 angefügt. Die Wörter „elektronischen“ vor „Bundesanzeiger“ in beiden Halbsätzen von Absatz 2 Satz 2 wurden durch Art. 2 Abs. 30 des Gesetzes v. 22.11.2011 (BGBl. I 3044) gestrichen, weil der Bundesanzeiger gemäß § 5 VkBkmG i. d. F. des vorgenannten Gesetzes nur noch elektronisch herausgegeben wird. Bezeichnung bis 1924: § 335. 1. Aufhebung der Beschlagnahme. Die Beschlagnahme ist aufzuheben, wenn ihre 1 Voraussetzungen weggefallen sind.1 Ob dies der Fall ist, hat das Gericht auf Antrag und in angemessenen Zeitabständen auch von Amts wegen zu prüfen.2 Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Vermögensbeschlagnahme sind insbesondere entfallen, – wenn die Anklage zurückgenommen wird; – wenn kein die Anordnung der Untersuchungshaft rechtfertigender dringender Tatverdacht mehr besteht; – wenn sie unverhältnismäßig wird, etwa wenn auf Grund der Untersuchung die Bedeutung der Sache und die zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nunmehr geringer zu gewichten ist; – wenn die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt (§ 294, 3) oder das Verfahren wegen Eintritts eines Verfahrenshindernisses (Amnestie) oder wegen Feststellens eines übersehenen Verfahrenshindernisses (fehlender Strafantrag) oder wegen Verjährung eingestellt wird; – wenn der Abwesende ergriffen wird oder sich stellt, oder wenn er gestorben ist. Die Beschlagnahme kann ferner nach dem Ermessen des Gerichts aufgehoben 2 werden, wenn sie nicht mehr sinnvoll oder angemessen ist; sie muss aufgehoben werden, wenn mit der erforderlichen Sicherheit endgültig feststeht, dass sie ungeeignet ist, den Willen des Angeklagten zu beugen.3 2. Verfahren. Die Aufhebung ordnet das Gericht nach Anhörung der Staatsanwalt- 3 schaft (§ 33 Abs. 2) in einem zu begründenden Beschluss an. Zuständig ist das Gericht, das die Beschlagnahme verhängt hat bzw. das funktionsmäßig aufgrund des Verfahrensfortgangs an dessen Stelle getreten ist.4 Ob die Aufhebung bereits mit Erlass des Beschlusses, also mit dessen Hinausgabe,5 voll wirksam wird6 oder ob das absolute Verfügungsverbot erst mit der Bekanntgabe im (elektronischen) Bundesanzeiger erlischt (entsprechende Anwendung des § 292 Abs. 1 auf den actus contrarius), ist strittig. Für letztere Annahme sprechen die Erfordernisse der Sicherheit des Rechtsverkehrs und die andernfalls eintretenden Schwierigkeiten bei einer erfolgreichen Beschwerde der Staats-

1 AK/Achenbach 1; KK/Greger 1; KMR/Kulhanek 1; Meyer-Goßner/Schmitt 1; SK/Frister 2. 2 KK/Greger 1; KMR/Kulhanek 2; MüKo/Börner 3; SK/Frister 2. 3 OLG Hamburg HRR 1935 Nr. 1571; KK/Greger 1 (Vorsicht bei dieser Annahme); SK/Frister 2; vgl. § 290, 2.

4 AK/Achenbach 2; KK/Greger 1; SK/Frister 3; vgl. § 290, 13. 5 Vgl. LR/Graalmann-Scheerer § 33, 9, 12. 6 Radtke/Hohmann/Ullenbruch 6; SK/Frister 4; vgl. Just FS Meyer-Goßner 159, 180. Zur Gegenmeinung vgl. Fn. 7.

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§ 294

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

anwaltschaft gegen den Aufhebungsbeschluss.7 Aus Gründen der Rechtsicherheit, eventuell auch im Interesse des betroffenen Angeklagten, wird man das Gericht als befugt ansehen müssen, den Zeitpunkt des Wegfalls des absoluten Verfügungsverbots im Beschluss festzulegen. 4 Die Bekanntmachung der Aufhebung hat in derselben Weise, in denen die Beschlagnahme nachrichtlich bekanntgegeben wurde (§ 291), zu geschehen. Wurde die Beschlagnahme noch vor dem 1.1.2007 im gedruckten Bundesanzeiger veröffentlicht, so muss die Aufhebung auch dort bekanntgegeben werden.8 Eine Beschlagnahmebekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger muss zudem gelöscht werden (Abs. 2 Satz 2 Hs. 1); die Aufhebungsbekanntmachung ist nach einem Monat ebenfalls wieder zu löschen (Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2). Dass die Bekanntmachung auf dieselbe Weise erfolgt wie bei der Beschlagnahme ist 5 keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Aufhebung. Sie kann erforderlichenfalls auch auf zusätzliche Blätter ausgedehnt werden. Sie dient nur der Unterrichtung. Die Staatsanwaltschaft hat es also nicht in der Hand, wenn sie gegen die Aufhebung Beschwerde einlegt, die ausgeschlossene Vollzugshemmung (§ 307 Abs. 1) dadurch zu beseitigen, dass sie eine ihr etwa überlassene Veröffentlichung unterlässt. Sie wird, wenn sie gegen die Aufhebung Bedenken hat, schon in ihrer Stellungnahme (§ 33 Abs. 2) zu beantragen haben, dass die Vollziehung auszusetzen und die Veröffentlichung zurückzustellen sei (§ 307 Abs. 2).9 Der die Beschlagnahme aufhebende Beschluss ist auch dem Betreuungsgericht 6 (§ 292 Abs. 2 Satz 1) mitzuteilen, damit dieses im Verfahren nach dem FGG die Aufhebung und Abwicklung der Pflegschaft veranlasst.10 Automatisch entfällt die Pflegschaft durch die Aufhebung der Beschlagnahme nicht. Wird der Aufhebungsbeschluss angefochten, ist auch dies dem Vormundschaftsgericht mitzuteilen, damit es die Rechtsmittelentscheidung abwarten kann. 7

3. Beschwerde. Gegen den Beschluss, der die Aufhebung anordnet, kann die Staatsanwaltschaft, nicht aber der dadurch nicht beschwerte Angeschuldigte, Beschwerde einlegen. Der Abwesenheitspfleger hat kein Beschwerderecht.11 Lehnt das Gericht die Aufhebung entgegen einem Antrag der Staatsanwaltschaft ab, kann letztere auch dagegen Beschwerde einlegen.

§ 294 Verfahren nach Anklageerhebung (1) Für das nach Erhebung der öffentlichen Klage eintretende Verfahren gelten im übrigen die Vorschriften über die Eröffnung des Hauptverfahrens entsprechend. (2) In dem nach Beendigung dieses Verfahrens ergehenden Beschluß (§ 199) ist zugleich über die Fortdauer oder Aufhebung der Beschlagnahme zu entscheiden.

7 AK/Achenbach 2; HK/Julius/Pollähne 7; KK/Greger 2; KMR/Kulhanek 8; Meyer-Goßner/Schmitt 2; OKStPO/Niesler 2. Meyer-Goßner/Schmitt 2. SK/Frister 7. KK/Greger 3; KMR/Kulhanek 7; Meyer-Goßner/Schmitt 2; SK/Frister 6. SK/Frister 5.

8 9 10 11

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8. Abschnitt. Verfahren gegen Abwesende

§ 294

Entstehungsgeschichte Die Textfassung beruht auf Art. 9 VereinhG in Verbindung mit der Bekanntmachung in BGBl. 1950 I 631. Art. 1 Nr. 81 des 1. StVRG hat in Absatz 1 die Worte „über die Voruntersuchung“ durch „über die Eröffnung des Hauptverfahrens“ und in Absatz 2 die Verweisung auf § 198 durch die Verweisung auf § 199 ersetzt. Bezeichnung bis 1924: § 336. 1. Beweissicherungsverfahren. Ist eine Vermögensbeschlagnahme beantragt wor- 1 den, dann setzt sich das durch die erforderliche (§ 290 Abs. 1) Anklageschrift eingeleitete gerichtliche Verfahren stets in einem förmlichen, schriftlichen Verfahren fort. Auf dieses sind die Vorschriften über die Eröffnung des Hauptverfahrens entsprechend anzuwenden, aber nur, soweit sich aus der Abwesenheit des Angeklagten und aus den §§ 285, 287 nichts anderes ergibt.1 Die in den §§ 201, 204 Abs. 2 vorgesehenen Benachrichtigungen des Angeklagten sind daher nicht obligatorisch, sie bleiben aber zulässig.2 Das Gericht kann insbesondere nach § 202 einzelne Beweiserhebungen anordnen. Wegen der Einzelheiten vgl. die Erläuterungen zu § 202; ferner §§ 286 ff. 2. Ziel. Das Verfahren hat, wie die Verweisung in Absatz 1 auf die für entsprechend 2 anwendbar erklärten Vorschriften über die Eröffnung des Hauptverfahrens zeigt, nicht nur zum Ziel, einzelne, die Schuld des Angeschuldigten bestätigende Beweise zu erheben und ihre Verwertbarkeit in einer späteren Hauptverhandlung zu sichern. Wie die Entstehungsgeschichte (früher waren die Vorschriften über die Voruntersuchung anwendbar) deutlich macht, ist Ziel des Beweissicherungsverfahrens die umfassende Sachaufklärung. Alle den Angeklagten be- und entlastenden Umstände müssen erforscht werden, soweit dies ohne Mitwirkung des abwesenden Angeklagten möglich ist.3 3. Entscheidung des Gerichts. Sind die Beweise gesichert und ist der Sachverhalt 3 soweit, wie nach den Umständen möglich, aufgeklärt, dann entscheidet das Gericht in der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung maßgebenden Besetzung und ohne Bindung an die Anträge der Staatsanwaltschaft (§ 206), ob die Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 204 abzulehnen ist, oder ob, weil der hinreichende Verdacht einer Straftat weiterhin besteht, das Verfahren nach § 205 wegen der Abwesenheit der Angeschuldigten vorläufig eingestellt werden muss (Absatz 2 in Verbindung mit § 199). Es gelten die allgemeinen Vorschriften. Eine Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 207) scheidet aus.4 Mit der Entscheidung über den Abschluss der Untersuchung ist zugleich über die 4 Anordnung bzw., wenn diese schon vorher angeordnet war, über die Fortdauer oder Aufhebung der Beschlagnahme zu entscheiden (Absatz 2). Wird die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, so versteht sich die Aufhebung von selbst. Aber auch im Falle der vorläufigen Einstellung muss die Beschlagnahme aufgehoben werden, wenn sie nach der Art des im Verdacht bleibenden Delikts unzulässig ist (vgl. § 290, 2 ff.) oder sich als unangemessen herausstellt. Der Teil des Beschlusses nach § 204 oder § 205, der

1 2 3 4

AK/Achenbach 1; KK/Greger 1; SK/Frister 2. AK/Achenbach 1; KK/Greger 1. Meyer-Goßner/Schmitt 1; SK/Frister 2; Eb. Schmidt 4. AK/Achenbach 1; KK/Greger 1; Meyer-Goßner/Schmitt 2; MüKo/Börner 3; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 3; a. A. KMR/Kulhanek 3; § 285, 7.

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§ 295

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

die Beschlagnahme aufhebt, ist nach § 293 Abs. 2 im elektronischen Bundesanzeiger und gegebenenfalls auch auf andere geeignete Weise bekannt zu geben.5 5

4. Weitere Prüfung. Hält das Gericht die Vermögensbeschlagnahme aufrecht, muss es auf Antrag oder in angemessenen Zeitabständen von Amts wegen prüfen, ob die Beschlagnahme aufzuheben ist, weil ihre Gründe entfallen sind.6

§ 295 Sicheres Geleit (1) Das Gericht kann einem abwesenden Beschuldigten sicheres Geleit erteilen; es kann diese Erteilung an Bedingungen knüpfen. (2) Das sichere Geleit gewährt Befreiung von der Untersuchungshaft, jedoch nur wegen der Straftat, für die es erteilt ist. (3) Es erlischt, wenn ein auf Freiheitsstrafe lautendes Urteil ergeht oder wenn der Beschuldigte Anstalten zur Flucht trifft oder wenn er die Bedingungen nicht erfüllt, unter denen ihm das sichere Geleit erteilt worden ist. Entstehungsgeschichte Art. 21 Nr. 78 EGStGB ersetzte in Absatz 2 die Worte „strafbare Handlung“ durch „Straftat“. Bezeichnung bis 1924: § 337.

1. 2. 3.

4.

5.

1

Übersicht Zweck 1 Abwesender Beschuldigter 3 Inhalt 5 a) Befreiung von der Untersuchungshaft 5 b) Bestimmte Straftat 6 Dauer 7 a) Ganzes Verfahren 7 b) Zeitlich befristete Teile des Verfahrens 8 Bedingungen 9

6.

7. 8. 9. 10. 11.

13 Verfahren a) Gerichtsbeschluss (Geleitbrief) 13 b) Zuständigkeit 14 c) Mehrere Verfahren 17 Erlöschen 18 Widerruf 22 Sicheres Geleit zu anderen Zwecken 24 Rechtsmittel 26 Freies Geleit im Rahmen des internationalen Rechtshilfeverkehrs 31

1. Zweck. Das sichere Geleit dient dem Interesse des Staates an der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege. Es soll vor allem einen Weg zur Durchführung eines Strafverfahrens eröffnen, das andernfalls wegen der Abwesenheit des Beschuldigten nicht zu Ende gebracht werden könnte. Zweck ist die Ermöglichung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, das ebenso in einem Freispruch wie einer Verurteilung enden kann und nicht

5 KK/Greger 2; vgl. § 293, 4. 6 Vgl. § 293, 1 f.

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8. Abschnitt. Verfahren gegen Abwesende

§ 295

etwa allein die Sicherung der Bestrafung.1 Wenn sich der Beschuldigte freiwillig dem Verfahren stellt, obwohl er Gefahr läuft, an dessen Ende bei Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe verhaftet zu werden (Absatz 3), soll er wenigstens sicher sein, dass er sich im Verfahren frei von staatlichem Zwang verteidigen kann.2 Das sichere Geleit kann dem Beschuldigten aber nicht nur für die Teilnahme an seinem eigenen Strafverfahren bewilligt werden, sondern auch für andere Verfahren, bei denen seine Anwesenheit als Partei oder Zeuge den Fortgang des Verfahrens fördert oder sonst im staatlichen Interesse liegt.3 Seinem Wesen nach ist es eine bindende vertragsähnliche Zusicherung der Verschonung mit der Untersuchungshaft bis zum Urteil,4 die sich wegen der Unveränderlichkeit der Entscheidung von der bloßen Aussetzung des Vollzugs (§ 116) unterscheidet, die jederzeit wieder aufgehoben werden kann.5 Da das sichere Geleit Zwang durch freiwillige Zusammenarbeit ersetzen soll, findet 2 es nicht nur statt, wenn „Untersuchungshaft“ (Absatz 2) angeordnet oder zu erwarten ist, sondern auch, wenn andere freiheitsentziehende Zwangsmaßnahmen (§ 230 Abs. 2 oder § 236) in Rede stehen (Rn. 5). 2. Abwesender Beschuldigter. Der Begriff der Abwesenheit ist aus § 276 zu ent- 3 nehmen. Es kommt nur auf die Abwesenheit in dem Zeitpunkt an, in dem das sichere Geleit erteilt wird. Wird später ein inländischer Wohnsitz begründet, dann kann deswegen die Entscheidung nicht geändert werden.6 Das ist selbstverständlich, denn das Ziel, das mit der Gewährung freien Geleits verfolgt wird, ist es gerade, den Beschuldigten zu veranlassen, seine „Abwesenheit“ aufzugeben, sei es für die Zeit der Hauptverhandlung, sei es dauernd. Der Begriff „Beschuldigter“ zeigt an, dass das sichere Geleit in jedem Abschnitt 4 des Verfahrens bis zu einem auf Freiheitsstrafe lautenden Urteil zulässig ist. Es kann also namentlich auch während des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens gewährt werden, aber auch in den höheren Instanzen, etwa, wenn die Staatsanwaltschaft die Aufhebung eines Freispruchs erstrebt. Ist ein verurteilendes Erkenntnis in der Berufungs- oder Revisionsinstanz aufgehoben worden, so ist für die neue Verhandlung wieder freies Geleit möglich. 3. Inhalt a) Befreiung von der Untersuchungshaft. Das sichere Geleit gibt Befreiung vom 5 Vollzug der Untersuchungshaft (Absatz 2), sinngemäß aber auch vom Vollzug anderer freiheitsentziehender Maßnahmen wie der Haft nach § 230 Abs. 2, § 236.7 Dabei ist unerheblich, ob sie bei der Bewilligung des sicheren Geleits bereits angeordnet waren oder ob sie erst danach verhängt werden. Die Gewährung sicheren Geleits ist nicht da1 OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999 245; OLG Hamburg JR 1979 174 mit Anm. Gössel; OLG Köln NStZ-RR 2007 243; AK/Achenbach 1; KK/Greger 1; Meyer-Goßner/Schmitt 1; SK/Frister 1; SSW/Werner 1; eingehend Bauer 23 ff., 61 ff.; enger Sonntag DJZ 1928 725 (Verwirklichung des staatlichen Anspruchs auf Strafe und Sühne). 2 HK/Julius/Pollähne 1. 3 Vgl. dazu Rn. 24; zu den Sondervorschriften über das freie Geleit in den Vereinbarungen über den internationalen Rechtshilfeverkehr vgl. Rn. 31 ff. 4 AK/Achenbach 1; Meyer-Goßner/Schmitt 3; SK/Frister 3; SSW/Werner 3. 5 Zum Unterschied in der Zielsetzung vgl. Gössel JR 1979 174; ferner Rn. 5. 6 OLG Köln NJW 1954 1856; AK/Achenbach 1; KK/Greger 2; Meyer-Goßner/Schmitt 1; Radtke/Hohmann/ Ullenbruch 2; SK/Frister 4; SSW/Werner 2. 7 OLG Köln NStZ-RR 2007 243; AK/Achenbach 3; KK/Greger 3; Meyer-Goßner/Schmitt 5; SK/Frister 10.

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§ 295

Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

von abhängig, dass ein Haftbefehl schon erlassen ist, obwohl das meist der Fall sein wird. Sie enthält die Zusage, dass ein bestehender oder ein künftiger Haftbefehl nicht vollstreckt, nicht jedoch, dass keiner erlassen werde.8 Ist der Vollzug eines Haftbefehls ausgesetzt (§ 116), ist zwar meist die Zusicherung des Geleits nicht nötig, sie ist aber auch dann zulässig und angebracht, wenn dadurch Befürchtungen ausgeräumt werden.9 Ist ein Haftbefehl ergangen, wirkt der Beschluss über die Gewährung sicheren Geleits auch der Staatsanwaltschaft gegenüber als eine Suspendierung des Haftbefehls bis zum Erlöschen (Rn. 18 ff.) des Geleits, so dass die Staatsanwaltschaft bis zu diesem Zeitpunkt den Haftbefehl nicht vollstrecken darf. 6

b) Bestimmte Straftat. Das sichere Geleit wird für eine bestimmte Straftat erteilt und befreit nur von der Verhaftung für diese. Unter Straftat ist die Tat i. S. d. § 264 zu verstehen, also der vom Geleitbrief betroffene geschichtliche Vorgang in seiner Gesamtheit, einschließlich aller damit zusammenhängenden und darauf bezüglichen Vorkommnisse und tatsächlichen Umstände, die nach der Auffassung des Lebens eine natürliche Einheit bilden.10 Die im Geleitbrief angenommene rechtliche Würdigung ist ohne Bedeutung; sie kann jederzeit geändert werden. Auch in tatsächlicher Beziehung ist nicht jede Änderung ausgeschlossen: ein im Geleitbrief nicht ausdrücklich erwähntes Tun oder Unterlassen des Angeklagten kann Teil der in diesem beschriebenen Tat sein, sofern es bei lebensnaher Betrachtung mit dem zugrundeliegenden geschichtlichen Vorgang eine natürliche Einheit bildet.11 Wegen der nicht dem sicheren Geleit unterfallenden anderen Taten kann der im Ausland geladene Beschuldigte aber Verfolgungsschutz nach den im zwischenstaatlichen Rechtsverkehr geltenden Grundsätzen des freien Geleits (vgl. Rn. 32) haben. 4. Dauer

7

a) Ganzes Verfahren. Wenn im Geleitbrief nichts anderes bestimmt ist, gilt das sichere Geleit von seiner Erteilung an für das ganze Strafverfahren; es endet nach Absatz 3, wenn ein auf Freiheitsstrafe lautendes Urteil ergeht, gleichviel in welcher Instanz.12

8

b) Zeitlich befristete Teile des Verfahrens. Das Geleit kann zeitlich befristet (auch für einen datumsmäßig bestimmten Zeitraum) oder auf bestimmte, genau zu bezeichnende Teile des Verfahrens beschränkt werden, also etwa auf eine richterliche Vernehmung im Vorverfahren13 oder bis zum Abschluss der Einvernahme des Angeklagten in der Hauptverhandlung.14 Da bei dieser Beschränkung dem staatlichen Interesse an dem Abschluss des Verfahrens und der Greifbarkeit des Angeklagten, wenn er verur-

8 Vgl. KG DJZ 1928 250; LG Regensburg StV 2013 167; AK/Achenbach 3; KK/Greger 3; KMR/Kulhanek 17; Meyer-Goßner/Schmitt 5; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 12; SK/Frister 10; Gössel JR 1979 174.

9 HK/Julius/Pollähne 4; Meyer-Goßner/Schmitt 5; SK/Frister 4. 10 AK/Achenbach 4; KK/Greger 4; KMR/Kulhanek 16; Meyer-Goßner/Schmitt 6; MüKo/Börner 6; Radtke/ Hohmann/Ullenbruch 15; SK/Frister 11; SSW/Werner 4; Gössel JR 1979 174. BGHSt 13 320, 321. Dazu Rn. 18. AK/Achenbach 6; KMR/Kulhanek 15; SK/Frister 8; Eb. Schmidt 1. Da das sichere Geleit nicht die Anwesenheitspflicht, sondern nur ihre Erzwingbarkeit berührt, wird man das Fernbleiben des Angeklagten nach Ablauf des Geleits als „eigenmächtig“ im Sinne des § 231 Abs. 2 behandeln können.

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8. Abschnitt. Verfahren gegen Abwesende

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teilt werden sollte, nicht genügt wird, ist von einer solchen Einschränkung in der Regel nur Gebrauch zu machen, wenn durch die damit herbeigeführte Vernehmung das Verfahren gegen Mittäter und Teilnehmer gefördert wird; doch sind ggf. auch andere – etwa besondere öffentliche oder historische – Interessen zu berücksichtigen. Kommt der Aufklärung der Sache in einer öffentlichen Verhandlung mehr Bedeutung zu als der Verurteilung, so ist das Gericht nicht gehindert, das sichere Geleit etwa bis zu einer Woche vor der dem Angeklagten bekanntzugebenden Urteilsverkündung zu gewähren, wenn das auch ein seltener, den Absichten des Gesetzes im allgemeinen nicht entsprechender Ausnahmefall sein wird. Wurde das Geleit nur befristet oder nur für einen begrenzten Verfahrensteil gewährt, ist Absatz 3 nicht anwendbar, wenn der Beschuldigte nach Erledigung des Verfahrensteils oder bei Fristablauf das Bundesgebiet wieder verlässt.15 Wegen des Widerrufs des sicheren Geleits s. Rn. 22 ff. 5. Bedingungen. Das Gericht kann die Erteilung sicheren Geleits bei seiner Bewilligung – nicht aber nachträglich16 – an Bedingungen knüpfen. Es sollte dabei aber nicht kleinlich sein in der Erwägung, dass der Angeklagte freiwillig das Risiko auf sich nimmt, verhaftet zu werden, wenn er zu Freiheitsstrafe verurteilt wird. Der Inhalt der Bedingungen muss mit dem Zweck des freien Geleits in einem inneren Zusammenhang stehen. Bedingungen dürfen zu dem Zweck auferlegt werden, eine Flucht zu verhindern und den Antritt einer Freiheitsstrafe (Absatz 3) zu sichern. Sie können sich wegen des Zweckes der durch das Geleit suspendierten Untersuchungshaft auch darauf beziehen, einen Ausgleich für die Befreiung von der Untersuchungshaft zu schaffen, etwa Verdunkelungen entgegenzuwirken. In Betracht kommen vor allem Anordnungen, wie sie auch bei Aussetzung des Vollzugs eines Haftbefehls nach § 116 getroffen werden können, so etwa über Aufenthaltsort und Reiseweg.17 Wird die Leistung einer angemessenen Sicherheit gefordert, dann sollte, da § 124 nicht gilt, zweckmäßigerweise festgelegt werden, unter welchen Voraussetzungen sie verfällt.18 Dagegen darf mit Bedingungen nicht das Unterlassen von Handlungen erzwungen werden, wegen deren Untersuchungshaft nicht zulässig wäre. So darf dem Beschuldigten nicht die Bedingung auferlegt werden, nicht öffentlich aufzutreten oder an Versammlungen teilzunehmen;19 denn das hat mit der Sicherung des Verfahrens, der das freie Geleit dient, nichts zu tun. Spezialpräventive Maßnahmen zur Verhütung künftiger Straftaten können – soweit nicht etwa Folgerungen aus einem Haftgrund nach § 112a gezogen werden – grundsätzlich nicht zu einer Bedingung des sicheren Geleits gemacht werden, zumal dieses ein Einschreiten wegen einer neuen Straftat nicht ausschließt (Absatz 2). Die Bedingungen sind wegen der in Absatz 3 angegebenen Folge ihrer Verletzung im Geleitbrief genau festzulegen. Solange der Beschuldigte sie einhält, kann das durch die Zusage gebundene Gericht sie auch bei einer Veränderung der Umstände nachträglich nicht ergänzen oder verschärfen.20

15 AK/Achenbach 6; KK/Greger 6; KMR/Kulhanek 21; SK/Frister 8; vgl. Rn. 19. 16 KG DJZ 1906 489. 17 AK/Achenbach 5; KK/Greger 5; KMR/Kulhanek 14; Meyer-Goßner/Schmitt 3; SK/Frister 9; SSW/Werner 3.

18 Meyer-Goßner/Schmitt 3; SK/Frister 9; Sonntag DJZ 1928 726. 19 HK/Julius/Pollähne 3; KK/Greger 5; Meyer-Goßner/Schmitt 3; MüKo/Börner 4; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 7; SK/Frister 9; a. A. Sonntag DJZ 1928 726.

20 KG DJZ 1906 489; OLG Hamburg DRiZ 1929 456; h. M., etwa Meyer-Goßner/Schmitt 3.

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Zweites Buch – Verfahren im ersten Rechtszug

6. Verfahren 13

a) Gerichtsbeschluss (Geleitbrief). Das sichere Geleit wird durch Gerichtsbeschluss (Geleitbrief) erteilt. Der Beschluss bezeichnet die Straftat (Absatz 2), für die das Geleit erteilt wird, unter Hervorhebung ihrer gesetzlichen Merkmale und des anzuwendenden Strafgesetzes sowie das Gericht, vor dem die Prozesshandlung stattfinden soll, für die das Geleit gewährt wird. Er gibt die genau beschriebenen Bedingungen an, an die die Erteilung des Geleits geknüpft wird.21 Es ist empfehlenswert, die Absätze 2 und 3 wörtlich in den Beschluss aufzunehmen, soweit sie bei der Art des sicheren Geleits in Betracht kommen (vgl. Rn. 8). Die Bewilligung des sicheren Geleits ist nicht davon abhängig, dass der Beschuldigte oder die Staatsanwaltschaft dies förmlich beantragt haben. Es kann auch von Amts wegen erteilt werden. Hat es der Beschuldigte nicht selbst angeregt, ist es jedoch zweckmäßig, ihn oder seinen Verteidiger vorher zu hören, da eine Erteilung nur sinnvoll ist, wenn zu erwarten ist, dass der Beschuldigte davon auch Gebrauch macht. Die Erteilung des sicheren Geleits steht im Ermessen des Gerichts, das hierbei die Auswirkungen auf das Verfahren, nicht zuletzt auch die Förderung der Sachaufklärung und der beschleunigten Erledigung ebenso berücksichtigen kann wie die Bedeutung für das Verfolgungsinteresse des Staates und für die Verfahrensinteressen anderer Beteiligter.22 Ein Rechtsanspruch auf Erteilung des sicheren Geleits besteht nicht. Wird einem förmlichen Antrag auf Bewilligung des sicheren Geleits nicht entsprochen, ist er durch Beschluss abzulehnen.23

b) Zuständigkeit. Zuständig ist für die Erteilung des sicheren Geleits grundsätzlich das Gericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll. Dies ist für die Zeit nach Erhebung der öffentlichen Klage unstreitig, gilt aber auch schon für das Ermittlungsverfahren, wenn das sichere Geleit über die Anklageerhebung hinaus für das Hauptverfahren bewilligt wird.24 Wird dagegen das sichere Geleit nur für eine richterliche Untersuchungshand15 lung im Vorverfahren erteilt, so ist dazu vor Erhebung der öffentlichen Klage der Ermittlungsrichter (§ 162) zuständig.25 Nach anderer Ansicht26 ist für die Erteilung des sicheren Geleits im Ermittlungsverfahren der Haftrichter zuständig. Mit § 126 Abs. 1 Satz 1 lässt sich das nicht begründen, weil die Gewährung sicheren Geleits keine Entscheidung i. S. dieser Vorschrift ist. Denn die Geleitsgewährung bezieht sich nicht auf die Untersuchungshaft, die ja gerade nicht vollzogen wird, noch ist sie Aussetzung des Haftvollzugs, weil das Gesetz dabei allein den Fall des § 116 im Auge hat. Auch setzt sie einen Haftbefehl nicht voraus (Rn. 5). Die entsprechende Anwendung des § 126 Abs. 1 Satz 1 scheidet ebenfalls aus. Denn die Entscheidungen über die Untersuchungshaft können stets geänderten Verhältnissen angepasst werden, dagegen ist die Geleitsgewährung grundsätzlich unabänderlich (Rn. 22). Eine Entscheidung, die später für das erken-

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21 KK/Greger 8; KMR/Kulhanek 14; SK/Frister 5. 22 Vgl. BGH NJW 1991 2501; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999 245; OLG Hamburg JR 1979 174 mit abl. Anm. Gössel; OLG Köln NStZ-RR 2007 243; KK/Greger 8; KMR/Kulhanek 12. 23 SK/Frister 6. 24 RGSt 59 100; OLG Hamburg JR 1979 174; AK/Achenbach 8; KK/Greger 7; Meyer-Goßner/Schmitt 10; SK/Frister 6; OLG Oldenburg OLGSt 5 nimmt umgekehrt an, dass der Ermittlungsrichter zuständig ist, er aber kein Geleit für das ganze Verfahren erteilen darf; a. A. KMR/Kulhanek 8. 25 HK/Julius/Pollähne 3; KK/Greger 7; Meyer-Goßner/Schmitt 10; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 9; SK/ Frister 7; SSW/Werner 6. 26 OLG Oldenburg OLGSt 5; Eb. Schmidt 6.

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nende Gericht verbindlich ist, muss diesem überlassen bleiben.27 Durch die Neufassung des § 162 Abs. 1 Satz 2 aufgrund des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen vom 21.12.200728 hat der Ermittlungsrichter ohnehin haftrichterliche Befugnisse erhalten. Hat ein unzuständiges Gericht entschieden, so ist die Gewährung sicheren Geleits 16 gleichwohl wirksam und unabänderlich. Das zuständige Gericht hat auch nicht die Befugnis des Verzichts in der Weise, dass es das Geleit aufkündigen und dem Angeklagten eine Frist zur Entfernung einräumen könnte.29 Die Staatsanwaltschaft wird durch Rechtsmittel dafür Sorge zu tragen haben, dass kein höheres Gericht durch die Entscheidung eines unzuständigen niederen Gerichts gebunden wird. c) Mehrere Verfahren. Das sichere Geleit gewährt Befreiung von der Untersu- 17 chungshaft nur in dem Verfahren, in dem es bewilligt wird.30 Wenn in mehreren Verfahren Haftbefehle ergangen oder zu erwarten sind, erfüllt es in der Regel nur dann seinen Zweck, wenn in allen Verfahren sicheres Geleit erteilt wird. Es ist daher zweckmäßig, dass sich die Gerichte untereinander ins Benehmen setzen. 7. Erlöschen. Das sichere Geleit erlischt aus den in Absatz 3 angegebenen drei Grün- 18 den von selbst. Im Falle des auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils kommt es nur auf das Ergehen, d. h. die Verkündung an, nicht dagegen auf die Rechtskraft.31 „Anstalten zur Flucht treffen“ ist hier im gleichen Sinn zu verstehen wie bei § 116.32 Die Annahme, dass der Beschuldigte fliehen will, muss sich auf Tatsachen stützen; die bloße Vermutung genügt für den Widerruf nicht.33 Ist dem Beschuldigten das sichere Geleit nur für einen gegenständlich oder zeitlich begrenzten Verfahrensteil gewährt worden, ist er berechtigt, das Bundesgebiet wieder zu verlassen; in der beabsichtigten Ausreise liegen dann keine Anstalten zur Flucht.34 Das Nichterfüllen der Bedingungen, unter denen das sichere Geleit erteilt wurde, führt zum Erlöschen, wenn der Beschuldigte eine Bedingung schuldhaft und in einem nicht nur unwesentlichen Ausmaß nicht eingehalten hat. Dass er den Bedingungen gröblich zuwidergehandelt hat, ist, anders als bei § 116 Abs. 4 Nr. 1, nicht erforderlich.35 Ist das sichere Geleit nicht für das ganze Verfahren, sondern für einen bestimmten 19 Zeitraum oder nur für einen bestimmten Verfahrensteil eines nicht notwendig gegen den Beschuldigten betriebenen Verfahrens gewährt worden, so erlischt es mit Ablauf der im Geleitbrief festgelegten Geltungsdauer (vgl. Rn. 8) oder bei Verletzung der Bedingungen. Die beiden anderen Erlöschensgründe des Absatzes 3 sind auf diese Fälle nicht anwendbar.

27 Dies zeigt § 81 Abs. 1 Satz 2, wo schon die Zweckmäßigkeit, dass das künftig erkennende Gericht bestimmt, ob die Untersuchung in einem psychiatrischen Krankenhaus stattfindet und in welchem, zu der Zuständigkeit des Gerichts geführt hat, das für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständig ist. So auch das Schrifttum in Fn. 24; Gössel JR 1979 174. 28 BGBl. I S. 3198. 29 Vgl. Rn. 22. 30 SK/Frister 11; vgl. Rn. 6. 31 AK/Achenbach 10; KMR/Kulhanek 20; Meyer-Goßner/Schmitt 8; SK/Frister 14. 32 KMR/Kulhanek 21; Meyer-Goßner/Schmitt 8; SK/Frister 15; vgl. LR/Hilger § 116, 49. 33 SK/Frister 15. 34 Vgl. Rn. 8. 35 KMR/Kulhanek 22; Meyer-Goßner/Schmitt 8; OK-StPO/Niesler 4; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 22; SK/ Frister 15; a. A. HK/Julius/Pollähne 4; MüKo/Börner 8.

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Das Gericht braucht das Erlöschen des sicheren Geleits nicht durch Beschluss festzustellen.36 Wenn ein auf Freiheitsstrafe lautendes Urteil ergeht, wird es dies auch nicht tun, weil der Eintritt der Bedingung eindeutig ist. Ebenso wird die Frage, ob der Beschuldigte Anstalten zur Flucht getroffen hat, in der Regel erst im Haftverfahren (§ 115 Abs. 2, 3; § 128 Abs. 1) nachgeprüft werden. Dass das sichere Geleit erloschen ist, weil der Beschuldigte die Bedingungen nicht erfüllt hat, kann dagegen, wenn die Verletzung nicht offensichtlich ist, zweckmäßigerweise durch (deklaratorischen) Gerichtsbeschluss festzustellen sein.37 Dieser ist erst bei der Verhaftung oder alsbald nach ihr zuzustellen; der Beschuldigte hat im Haftverfahren Gelegenheit, sich zu äußern und Rechtsmittel einzulegen. 21 Ist das sichere Geleit erloschen, dann kann das Gericht einen Haftbefehl erlassen, die Staatsanwaltschaft einen vorher erlassenen Haftbefehl vollstrecken, die Staatsanwaltschaft und die Polizei den Angeklagten vorläufig festnehmen (§ 127 Abs. 2), wenn die Voraussetzungen eines Haftbefehls vorliegen und Gefahr im Verzug ist.

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8. Widerruf. Hat der Beschuldigte von dem sicheren Geleit Gebrauch gemacht, dann kann das Gericht die Gewährung des Geleits nicht widerrufen, selbst wenn sein Beschluss auf einem tatsächlichen Irrtum beruhte. Es kann auch das Geleit nicht in der Weise „aufkündigen“, dass es dem Angeklagten eine Frist einräumt, in der er sich sicher entfernen kann.38 Die Geleitsgewährung beruht auf gegenseitigem Vertrauen, das nicht einseitig entzogen werden kann. Wohl aber kann die Erteilung des sicheren Geleits widerrufen werden, wenn der 23 Beschuldigte den Zweck des Geleits, in seiner Gegenwart zu verhandeln, dadurch vereitelt, dass er im Ausland bleibt, Ladungen schuldhaft keine Folge leistet oder sein Erscheinen von Bedingungen abhängig macht, die ihm nicht erfüllt werden können.39 22

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9. Sicheres Geleit zu anderen Zwecken. Nach dem Aufbau der Vorschrift, namentlich der Beziehung des ersten Falles des Absatzes 3 zu den Absätzen 1 und 2, hat der Gesetzgeber40 das sichere Geleit zu dem Zweck im Auge gehabt, den Angeklagten in einem gegen ihn selbst betriebenen Strafverfahren zur Hauptverhandlung zu bringen. Wortlaut und Zweck der Regelung schließen aber nicht aus, einem Beschuldigten sicheres Geleit zu erteilen, wenn er in einem anderen Verfahren als Zeuge, Partei oder Beteiligter zu erscheinen hat.41 Diese Möglichkeit besteht für alle staatliche Verfahren; auch für die Vernehmung als Partei in einem Zivilprozess.42 Auch zum Zwecke der Anhörung 36 AK/Achenbach 10; KK/Greger 10; KMR/Kulhanek 19; Meyer-Goßner/Schmitt 8; SK/Frister 16; Sommer Recht 1912 287. 37 KK/Greger 10; Meyer-Goßner/Schmitt 8; SK/Frister 16. 38 KK/Greger 9; SK/Frister 13. 39 OLG Zweibrücken NJW 1966 1722; HK/Julius/Pollähne 3; KK/Greger 9; Meyer-Goßner/Schmitt 4; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 18; SK/Frister 13. 40 Vgl. Hahn 242. 41 BGHSt 35 216 = StV 1988 233 mit Anm. Lagodny StV 1989 92 = EzSt 1 mit Anm. Julius; OLG Köln OLGSt 1; KK/Greger 1; KMR/Kulhanek 10; Meyer-Goßner/Schmitt 1; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 3 f.; SK/ Frister 3; SSW/Werner 1 sowie Fn. 42; Bauer 157 ff. Ob BGH NJW 1979 1788, wonach einem im Strafverfahren benötigten Zeugen sicheres Geleit nicht gewährt werden kann, mehr besagen soll, als dass der Strafrichter des anderen Strafverfahrens dazu nicht zuständig ist, erscheint fraglich; es handelt sich ohnehin nur um ein obiter dictum. 42 BGH NJW 1991 2500; AK/Achenbach 11; KK/Greger 1; KMR/Kulhanek 10; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 4; SSW/Werner 1; Bauer 186 ff.; a. A. Meyer-Goßner/Schmitt 1 (nur im Interesse der Durchführung von Strafverfahren).

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durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss kann sicheres Geleit bewilligt werden.43 Zuständig für die Gewährung des sicheren Geleits in solchen Fällen ist das Gericht, 25 bei dem das Strafverfahren gegen den Beschuldigten anhängig ist,44 nicht das Gericht, das sein Erscheinen wünscht. Ein Angeklagter, der einen in anderer Sache verfolgten abwesenden Beschuldigten als Zeugen benötigt, hat keinen Anspruch darauf, dass diesem sicheres Geleit erteilt werde.45 Das sichere Geleit dient nicht seinen Interessen, sondern dem Aufklärungsinteresse des Staates. Er kann jedoch die Erteilung des sicheren Geleits (etwa in Verbindung mit einem entsprechenden Beweisantrag) in seinem eigenen Verfahren (vgl. das Ladungsrecht nach § 220) oder auch unmittelbar bei dem für die Erteilung zuständigen Gericht anregen. Die gleiche Möglichkeit haben die Staatsanwaltschaft, aber auch die Parteien eines Zivilprozesses und auch das andere Gericht selbst, wenn es in einem bei ihm anhängigen Verfahren die Anwesenheit des Beschuldigten für förderlich hält. Da es sich um ein nicht näher geregeltes freies Verfahren handelt, bestehen, abgesehen von einem notfalls darzulegenden Interesse an der Verfahrensförderung, keine formalen Schranken für diese Anregung. Vor Bewilligung des von dritter Seite angeregten sicheren Geleits muss das zuständige Gericht die Staatsanwaltschaft und zweckmäßigerweise (vgl. Rn. 13) auch den Beschuldigten selbst hören. Zu der unabhängig von § 295 bestehenden Möglichkeit, eventuell im Zusammenhang mit einem Beweisantrag unmittelbar im Verfahren vor dem anderen Gericht die Ladung eines Zeugen im Ausland im Wege der internationalen Rechtshilfe zu erreichen und damit für diesen automatisch das freie Geleit nach Art. 12 EuRhÜbk auszulösen, vgl. Rn. 31 ff. 10. Rechtsmittel. Die Gewährung oder Versagung sicheren Geleits sowie den Be- 26 schluss, mit dem die Feststellung getroffen wird, das sichere Geleit sei erloschen, kann sowohl der Staatsanwalt als auch der Beschuldigte mit der Beschwerde anfechten (§ 304 Abs. 1); bei Gewährung hat der Beschuldigte die Beschwerde nur, soweit er durch Bedingungen beschwert ist.46 Die weitere Beschwerde nach § 310 Abs. 1 ist nicht gegeben, weil das sichere Geleit 27 nicht die Verhaftung, sondern die Befreiung von ihr betrifft.47 Wird der Beschuldigte nach Erlöschen des sicheren Geleits verhaftet, dann gelten die allgemeinen Bestimmungen über Haftbeschwerden, namentlich also § 310 Abs. 1 über die weitere Beschwerde. Gegenstand der Beschwerde kann bereits ein Beschluss sein, der (deklaratorisch) 28 feststellt, dass das sichere Geleit erloschen ist (Rn. 20), im übrigen sind es aber die nach seinem Wegfall angeordneten Zwangsmaßnahmen, vor allem ein Haftbefehl, der nach dem Erlöschen des Geleits vollstreckt wird, gleich ob er vor Erteilung, vor Erlöschen oder nach Erlöschen des sicheren Geleits erlassen wurde. In allen Fällen sind zunächst der dringende Tatverdacht (§ 112 Abs. 1) und die Haftgründe (§ 112 Abs. 2, § 112a) oder die Voraussetzungen des § 112 Abs. 3 und die Frage der Verhältnismäßigkeit (§ 120 Abs. 1

43 Bauer 237 ff.; Friehe/Lipp DÖV 2014 601. Die Vereinbarungen über freies Geleit im zwischenstaatlichen Rechtshilfeverkehr in Strafsachen (Rn. 31 f.) sind insoweit nicht anwendbar.

44 RG GA 73 (1929) 173; BGHSt 35 216; AK/Achenbach 11; KMR/Kulhanek 11; Meyer-Goßner/Schmitt 1; SK/ Frister 3, 6; vgl. Fn. 32. 45 RG HRR 1937 361. 46 OLG Hamburg JR 1979 174 mit Anm. Gössel; OLG Köln OLGSt 1; AK/Achenbach 11; HK/Julius/Pollähne 5; KK/Greger 11; KMR/Kulhanek 24; Meyer-Goßner/Schmitt 11; SK/Frister 22 f. 47 OLG Frankfurt NJW 1952 908; OLG Köln NJW 1954 1856; 1958 1985; OLG Oldenburg OLGSt 5; KMR/ Kulhanek 26; Radtke/Hohmann/Ullenbruch 25; ferner die Nachw. in Fn. 46.; a. A. MüKo/Börner 9; Eb. Schmidt 5.

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Satz 1 zweiter Halbsatz) zu prüfen. Führt das nicht zur Aufhebung des Haftbefehls, dann sind vor der Frage, ob nach § 116 verfahren werden kann, die Erlöschungsgründe nachzuprüfen. Die letzte Prüfung wäre allein anzustellen, wenn lediglich ein Beschluss über das Erlöschen freien Geleits ergangen wäre, aber kein Haftbefehl vollstreckt würde, doch dürfte ein solcher Fall kaum vorkommen. 29 Mit den Rechtsmitteln und in der Haftprüfung (§ 117) wird die Frage, ob durch eine Verhaftung die Zusage sicheren Geleits verletzt worden ist, abschließend geprüft.48 Eine Prozessvoraussetzung für die Hauptverhandlung ist die Einhaltung des sicheren Geleits nicht.49 Wird das für Zwecke eines anderen Verfahrens begehrte sichere Geleit (Rn. 24 ff.) 30 nicht bewilligt, so sind weder der abwesende Beschuldigte, für den das Geleit begehrt wird, noch ein Verfahrensbeteiligter des anderen Verfahrens, in dem der Beschuldigte etwa als Zeuge benötigt worden wäre, dadurch beschwert, da ein Rechtsanspruch auf sicheres Geleit nicht besteht.50 11. Freies Geleit im Rahmen des internationalen Rechtshilfeverkehrs. Die bestehenden völkerrechtlichen Vereinbarungen, durch die sich die Bundesrepublik allgemein durch Vertrag oder auch nur für den Einzelfall zur Gewährung des freien Geleits verpflichtet hat, sind innerstaatlich unmittelbar wirksam. Sie gelten unabhängig von der Gewährung des sicheren Geleits nach § 295. Sie schließen aber die Gewährung des sicheren Geleits nach § 295 grundsätzlich nicht aus.51 Nach Art. 12 Abs. 1 EuRhÜbk darf ein Zeuge oder Sachverständiger, der aufgrund 32 einer ihm in einem Vertragsstaat zugestellten Vorladung erscheint, wegen einer vor seiner Abreise begangenen Straftat im Inland weder verfolgt, noch in Haft gehalten oder sonstigen Beschränkungen seiner persönlichen Freiheit unterworfen werden. Den gleichen Verfolgungsschutz genießt nach Art. 12 Abs. 2 EuRhÜbk ein Beschuldigter, der auf Vorladung erscheint, wegen der nicht in die Vorladung aufgenommenen strafbaren Handlungen und Verurteilungen aus der Zeit vor seiner Abreise.52 Das freie Geleit, das unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Vorgeladenen ist, entsteht mit der Zustellung der Ladung; einer besonderen Zusicherung seitens des ersuchenden Staates bedarf es nicht.53 Es endet erst, wenn der Erschienene von dem Zeitpunkt an, an dem er von den Justizbehörden nicht mehr benötigt wird, an 15 aufeinanderfolgenden Tagen ungehindert Gelegenheit zur Ausreise gehabt hat (Art. 12 Abs. 3 EuRhÜbk). Das freie Geleit bezieht sich aber nur auf Straftaten, die vor der Einreise begangen wurden, es schließt eine Verfolgung und Verurteilung wegen einer vor dem ersuchenden Gericht begangenen Straftat (insbesondere Eidesdelikt) nicht aus.54 Die Regelung in Art. 12 EuRhÜbk gilt 31

48 Vgl. LG Regensburg StV 2013 167. 49 v. Weber JZ 1963 516. 50 OLG Köln OLGSt 1; Alsberg/Nüse/Meyer5 630; AK/Achenbach 12; a. A. SK/Frister 22 (Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung); vgl. Rn. 25.

51 AK/Achenbach 13; KK/Greger 11; SK/Frister 17; Schnigula DRiZ 1984 177. 52 KK/Greger 12; vgl. Rn. 6; die Regelungen ergänzen sich insoweit. 53 Hartwig StV 1996 631; Schomburg/Lagodny/Schierholt Art. 12 EuRHÜbK; wenn der aus Gründen des innerstaatlichen Rechts geforderte Hinweis (vgl. BGHSt 32 68, 74; LR/Becker § 244, 253 m. w. N.) unterbleibt, berührt dies die Wirksamkeit des freien Geleits nicht. 54 Lagodny StV 1989 92; Linke EuGRZ 1980 156; KK/Greger 13; SK/Frister 20. Das Ministerkomitee des Europarats hat am 23.9.1983 den Mitgliedstaaten aber empfohlen, von einer Bestrafung oder Anwendung von Zwangsmitteln bei Aussageverweigerung abzusehen und bei Delikten, die bei der Aussage begangen werden, nach Möglichkeit von Haft abzusehen (Haftverschonung gegen Kaution) und die Bestrafung dem ersuchten Staat zu überlassen.

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grundsätzlich für den Rechtshilfeverkehr mit allen Vertragsstaaten des Übereinkommens.55 Sie wird aber mitunter in Einzelheiten durch bilaterale Zusatzverträge der Bundesrepublik mit einzelnen Vertragsstaaten modifiziert, auch hinsichtlich der 15-TageFrist. Mehrere dieser Verträge erweitern den Verfolgungsschutz des Art. 12 EuRhÜbk auch auf die in Haft befindlichen Personen, die nach Art. 11 EuRhÜbk überstellt werden können.56 Dem Art. 12 EuRhÜbk vergleichbare Regelungen über das freie Geleit finden sich auch in anderen Übereinkommen.57 Soweit der Verfolgungsschutz des freien Geleites eingreift, bedarf es in der Regel 33 keiner zusätzlichen Bewilligung des sicheren Geleits nach § 295. Wird es trotzdem erteilt, was zulässig58 und vor allem dann angezeigt ist, wenn dem Beschuldigten auch in der eigenen Sache, für die er geladen ist, Haftverschonung zugesichert werden soll, dann besteht der Verfolgungsschutz nach den internationalen Rechtshilfeabkommen fort, auch wenn – was vor allem bei Zeugen denkbar ist – der Schutz des sicheren Geleits nach § 295 erloschen ist. Umgekehrt gilt gleiches. Dies gilt unabhängig davon, ob man das freie Geleit für Zeugen und Sachverständige als allgemein anerkannten Grundsatz des Völkerrechts (vgl. Art. 25 GG) ansieht,59 der unabhängig von einer Konkretisierung durch zwischenstaatliche Verträge zu beachten ist. Personen, die als Partei oder deren Vertreter oder Berater oder sonst mit Billigung 34 des Gerichts an einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte teilnehmen oder als Zeuge oder Sachverständige dazu geladen worden sind, dürfen wegen Handlungen oder Verurteilungen aus der Zeit vor Beginn ihrer Reise in den Durchgangsstaaten und in dem Staat, in dem die Verhandlung stattfindet, weder verfolgt noch in Haft genommen noch sonstigen Beschränkungen ihrer persönlichen Freiheit unterworfen werden.60 Gleiches galt früher für Personen, die das Ministerkomitee in Erfüllung seiner Aufgaben nach Art. 46 Abs. 2 EMRK zum Erscheinen aufgefordert hatte oder die ihm eine schriftliche Äußerung übermittelten.61

55 56 57 58 59

Sie wird auch in Art. 48, 52 Abs. 3 Schengen II für unmittelbar anwendbar erklärt. Vgl. die einzelnen Zusatzverträge bei Schomburg/Lagodny sowie bei Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas. So etwa in Art. 7 Abs. 18 VNSuchtstoffÜbk (BGBl. 1993 II S. 1137; 1994 II S. 496). SK/Frister 21; SSW/Werner 5; Schnigula DRiZ 1984 177. So KK/Greger 12; SK/Frister 17; Schomburg/Lagodny/Hackner Vor § 68, 60 ff. IRG; vgl. ferner Grützner in Schlochauer (Hrsg.) Wörterbuch des Völkerrechts (1960) 3 52 („internationaler Grundsatz“); Linke EuGRZ 1980 156; a. A. BGHSt 35 216, 218 ff. mit krit. Anm. Lagodny StV 1986 92; vgl. Walter NJW 1977 983. 60 Die Einzelheiten sind in dem Europäischen Übereinkommen über die am Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte teilnehmenden Personen vom 5.3.1996 (BGBl. 2001 II S. 359) geregelt, insbes. in Art. 1 Abs. 1, 2; Art. 4 des Übereinkommens. 61 Art. 1 Abs. 3 des Übereinkommens vom 5.3.1996 (Fn. 60).

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Sachregister Die fetten Zahlen verweisen auf die Kapitel der Einleitung bzw. auf die Paragraphen, die mageren auf die Randnummern A Abbildungen 267 16 ff. Augenschein 261 179 Bezugnahme 267 16 ff. Abgabenverkürzung 267 40 abgekürztes Urteil 267 134 ff. Anklage 267 142 ff. Bezugnahme auf Anklage 267 142 ff. Ermessen 267 138, 267 141, 267 151 ff. Freispruch 267 169 ff. Inhalt 267 139 ff. nachträgliche Ergänzung 267 157 ff. Rechtskraft 267 135 ff. Vermerk 267 139 Verständigung 267 156 Abschnittsprotokoll 271 11 Absehen von Strafe Freispruch 260 50 Rechtsfolgenausspruch 260 98 Urteilsgründe 267 118 Absetzungsfrist 275 1 ff. Aktenvermerk, Verzögerung 275 16 Arbeitsüberlastung 275 15 Aufnahme ins Protokoll 275 19 ff., s. a. dort Ausnahme 275 13 Bedeutung 275 1 f. Berufung 275 69 Bußgeldverfahren 275 76 dienstliche Belastung 275 15 Eingangsvermerk 275 53 f. Fertigstellung 275 3 ff. Formalakt 275 7 Fristüberschreitung, zulässige 275 13 ff. Fristüberschreitungsfolgen 275 17 f. Höchstfrist 275 9 ff. Höchstfristberechnung 275 12 Höchstfriststaffelung 275 10 justizinterne Organisation 275 15 Kollegialgericht 275 14 Rechtsbeschwerde 275 76 Rechtsmittel 275 69 ff. Reinschrift 275 5 Revision 275 17, 275 70 ff. Sitzungsniederschrift 275 11 Unterschrift 275 3 Untersuchungshaft 275 18 Unverzüglichkeit 275 8 unvorhersehbarer Umstand 275 14 Verfahrensbeschleunigung 275 2 Verzögerung 275 2 zu den Akten gebracht 275 6 Absicht 267 45 Absprachen 257c 1 ff., s. a. Verständigung außerhalb der Hauptverhandlung 257c 28 gesetzeswidrige ~ 257c 82 ff.

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illegale ~ 257c 24 informelle ~ 257c 24 informelle Abrede 257c 83 konstitutive ~ 257c 10 unzulässige ~ 257c 78 Abstimmung 263 1 ff. Adhäsionsverfahren 263 18 Beratungsgeheimnis 263 19 Berufung 263 4 Beweiserhebungsverbot 263 19 Beweiskraft des Protokolls 274 19 doppelrelevante Tatsachen 263 16 einfache Mehrheit 263 15 ff. Einheit der Entscheidung 263 11 ff. Entschädigung 263 17 informelle ~ 263 11 Kollegialgericht 263 1 Kosten 263 17 Mehrheit 263 3 objektive Strafbarkeitsbedingungen 263 6 Ordnungswidrigkeit 263 13 qualifizierende Merkmale 263 10 Rechtfertigungsgründe 263 8 Regelbeispiele 263 9 Revision 263 4, 263 19 ff. Schöffen 263 3 Schuldausschließungsgründe 263 8 Schuldfrage 263 5 ff. Schuldspruch 263 1 Strafaufhebungsgründe 263 8 Strafausschließungsgründe 263 8 Strafbarkeitserhöhungen 263 10 Strafbarkeitsminderungen 263 9 Straftat 263 13 Totalabstimmung 263 11 Verfahrensvoraussetzungen 263 16 Wahlfeststellung 263 13 Zweidrittelmehrheit 263 2 ff. Abwesenheit Abwesenheitsverfahren Vor 276 1 ff., 276 1 ff., s. a. dort Begriff 276 1 Belehrung bei Fahrverbot 268c 8 Fiktion 276 1 Gestellung 276 4 ff., s. a. dort Hauptverhandlung 276 2, 285 1 Hinweispflicht 265 60 sicheres Geleit 295 3 unbekannter Aufenthalt 276 4 Abwesenheitspflegschaft 292 3 ff. Abwesenheitsverfahren Vor 276 1 ff. Abwesenheit 276 1 ff., s. a. dort Angehörige 286–288 4 f., 286–288 8 Angeklagte 286–288 7 Anwendungsbereich Vor 276 8

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Bagatellsachen Vor 276 3 beauftragte Richter 289 1 ff. Benachrichtigung des Abwesenden 286– 288 7 f. Benachrichtigung des Verteidigers 286– 288 8 Beweisaufnahme 289 1 ff. Beweiserhebungen 289 3 Beweissicherungsverfahren Vor 276 1, Vor 276 7, 285 4 ff., s. a. dort Devisensachen Vor 276 4 Emminger-Verordnung Vor 276 3 ersuchte Richter 289 1 ff. Erzwingungsbeschlagnahme Vor 276 3 Hinweispflicht 265 64 Interessenwahnehmung 286–288 2 ff. öffentliche Aufforderung zum Erscheinen 286–288 9 sicheres Geleit 295 1 ff., s. a. dort Strafbefehl 285 2 Verbot 285 1 Verbotsausnahmen 285 2 Vermögensbeschlagnahme 290 1 ff., s. a. dort Verteidiger 286–288 3 Vertretung 286–288 6 Adhäsionsverfahren Abstimmung 263 18 Tat 264 3 Urteil 260 17 Urteilskopf 275 34 Akkusationsprinzip 264 5 Alford plea 257c 9 Alibi-Beweis Indizienbeweis 261 98 Zweifelssatz 261 194 Allgemeingültigkeit 261 59, 261 61 Allgemeinkundigkeit 273 17 Alternativität 264 107 ff. Anklageerfordernis 264 111 ff. Postpendenzfeststellung 264 110 Rechtsprechung 264 108 Schuldspruch 260 81 verschiedene prozessuale Taten 264 109 Alternativrüge 261 275 Änderungshinweis 265 48 Anfangswahrscheinlichkeit 261 126 Angaben im Hauptverhandlungsprotokoll 272 5 ff. Angehörige 286–288 4 f., 286–288 8 Angeklagte Abwesenheitsverfahren Vor 276 1 ff., 286– 288 7, s. a. dort Aussageverhalten des Angeklagten 261 110 ff., s. a. dort Befragung vor Auflagen/Weisungen 265a 1 ff., s. a. dort Dolmetscher 259 1 ff., s. a. dort Erklärungen nach Beweiserhebung 257 1 ff., 257 6 ff., s. a. dort Erörterung des Verfahrensstands 257b 3 Hauptverhandlungsprotokoll 272 17

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Hinweispflicht 265 1 ff., 265 59, s. a. dort letztes Wort 258 37 ff., s. a. dort persönliche Verhältnisse 267 85 ff., s. a. dort Schlussvorträge 258 17, 258 32 schwerhörige ~ 273 10 sicheres Geleit 295 1 ff., s. a. dort Umgestaltung der Anklage 264 54 Unterbrechung 266 36 Urteilsgründe 267 62 f. Urteilskopf 275 30 ff. Urteilsverkündung 268 7 Verständigung 257c 51, 257c 59 Angriffsrichtung 264 27 Anklage abgekürztes Urteil 267 142 ff. Abweichung der rechtlichen Beurteilung 265 9 ff. Alternativität 264 111 ff. Beweissicherungsverfahren 285 10 f. Kognitionspflicht des Gerichts 264 37 ff., s. a. dort Prozessgegenstand 264 35 f. Tatidentität 264 32 Umgestaltung der ~ 264 48 ff., s. a. dort Urteil 264 1 Vermögensbeschlagnahme 294 1 ff. wesentliche Förmlichkeiten 273 11 Anknüpfungstatsachen 261 164 Annexentscheidungen 260 131 Anscheinsbeweis 261 186 ff. Anwesenheit Urteilsverkündung 268 5 ff., 268 72 wesentliche Förmlichkeiten 273 9 Arbeitsüberlastung 275 15 Asylbewerber 262 14 Atemalkoholkontrolle 261 82 Auffangdelikte 260 76 Aufklärungspflicht des Gerichts Gerichtsärzte 256 53 Revision 256 72, 257 43 Verleseverbotsausnahmen 256 3 Verweisungsbeschluss 270 56 wesentliche Förmlichkeiten 273 7 Aufklärungsrüge Urteilsgründe 267 185 Urteilsverkündung 268 74 Verständigung 257c 92 Auflagen Befragung vor Auflagen/Weisungen 265a 1 ff., s. a. dort Wahrscheinlichkeit 265a 5 Aufnahme ins Protokoll 275 19 ff. Ermessen 275 19 Form 275 20 Inhalt 275 20 unverzügliche Fertigstellung 275 21 Vorsitzende 275 19 Augenschein außerhalb der Hauptverhandlung 261 181 Beweiswürdigung 261 179 ff. Beziehungsgegenstände 261 179

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Sachregister

Bilder 261 179 Hauptverhandlung 261 179 Identifizierung 261 180 Lichtbilder 261 180 Tatmittel 261 179 Tonaufzeichnung 261 179 Urkundenbeweis 261 176 Urteilsgründe 267 68 wesentliche Förmlichkeiten 273 15 Ausfertigungen 275 67 f. Auskunftspflicht 261 125 Ausland 276 12 Auslegung Hauptverhandlungsprotokoll 274 11 Hinweispflicht 265 8 Präjudizialität, fehlende 262 27 Urkundenbeweis 261 176 zivilrechtliche Vorfragen 262 32 Auslieferungsverfahren 262 41 Aussage 273 50 Beweiskraft des Protokolls 274 15 Aussage gegen Aussage Beweiswürdigung 261 107 Zeugenaussage 261 139 Aussageverhalten des Angeklagten 261 110 ff. Ausschöpfung des Beweismaterials 261 113 Einlassung 261 110 Einlassungswechsel 261 118 Geständnis 261 111 ff., s. a. dort Nachfragen 261 110 Schweigen 261 119 ff., s. a. dort Selbstbezichtigungen 261 111 Tatsachen 261 117 Überzeugung, richterliche 261 115 Urteilsgründe 261 118 Verspätung 261 116 Verständigung 261 114 Ausschöpfungsgebot 261 15 Ausschöpfungsrüge 261 261 ff., 261 266 Aussetzung des Verfahrens 262 39 ff. abgewartete Entscheidung 262 56 Antrag 265 89 Auslieferungsverfahren 262 41 Aussetzungsentscheidung 262 46 ff. Beschleunigungsgebot 265 104 Beschlüsse 262 48 ff. Beschwerde 262 57 ff. Beschwerdeverfahren 262 41 Dauer 265 92, 265 107 Entscheidung des Gerichts 265 91, 265 104 ff. entsprechende Anwendung 262 45 Ermessen 262 46, 265 93, 265 104 Fristbestimmung 262 51 ff. Fürsorgepflicht 265 104 Hauptverhandlung 265 105 Hinweispflicht 265 4, 265 84 ff. Klageerzwingungsverfahren 262 42 Nachtragsanklage 266 34 neue Umstände 265 85 ff. Pflicht zur ~ 262 47

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Recht auf ~ 265 84 ff. rechtliches Gehör 265 104 Rechtsbehelfe 262 57 ff. Revision 262 60 ff., 265 110 ff. Staatsanwalt 262 42 veränderte Sach-/Rechtslage 265 84 ff. veränderte Sachlage 265 93 ff. Verjährung 262 55 Verteidigung 265 89 wesentliche Förmlichkeiten 265 106 Zwischenverfahren 262 39 Aussetzung einer Strafe zur Bewährung s. Bewährung B Basistatsachen 261 185 Beamteneigenschaft 262 19 Bedienstete 256 23 Bedingungszusammenhang 264 73 Befangenheit Erörterung des Verfahrensstands 257b 2, 257b 11 Verständigung 257c 94 Befragung 261 141 ff. Befragung vor Auflagen/Weisungen 265a 1 ff. Antwortpflicht 265a 11 Befragung 265a 9 ff. Berufung 265a 4 Beschwerde 265a 17 Beweisaufnahme 265a 13 Einwilligung 265a 3 Einwilligungswiderruf 265a 12 geeigneter Fall 265a 6 Jugendstrafverfahren 265a 4 letztes Wort 265a 13 Rechtsmittel 265a 17 f. Revision 265a 18 Sitzungsniederschrift 265a 16 Urteilsverkündung 265a 14 f. Vorsitzende 265a 9 Wahrscheinlichkeit 265a 5 wesentliche Förmlichkeiten 265a 16 Zeitpunkt 265a 13 Zumutbarkeit 265a 2 Befundtatsachen Gerichtsärzte 256 52 Inbegriff der Verhandlung 261 23 Begehungsweisen 265 23 ff. Behörden Erklärungen öffentlicher ~ 256 22 ff., s. a. dort öffentliche ~ 256 22 ff., s. a. dort Verleseverbotsausnahmen 256 5, 256 22 ff. Behördengutachten 256 38 ff. Behördenvertreter 272 22 Beistand Hauptverhandlungsprotokoll 272 20 Urteilskopf 275 28 Bekanntmachung Aufhebung 293 3 ff. Vermögensbeschlagnahme 291 1 f. Verweisungsbeschluss 270 27

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Bekanntmachungswirkung Abwesenheitspflegschaft 292 3 ff. Beschwerde 292 7 f. Güterpflegschaft 292 6 Verfügungsverbot, absolutes 292 2 Vermögensbeschlagnahme 292 1 ff. Zeitpunkt 292 1 Bekennerschreiben 261 177 Belastungswahrscheinlichkeit 261 126 Belastungszeugen 265 99 Belehrung Belehrung bei Fahrverbot 268c 1 ff., s. a. dort Belehrung bei Sicherungsverwahrungsvorbehalt 268d 1 ff., s. a. dort Bewährung 268a 10 ff., 268a 25 f. Haftfortdauerbeschluss 268b 10 Verständigung 257c 57, 257c 66, 257c 95 ff., 273 34 wesentliche Förmlichkeiten 273 12 Belehrung bei Fahrverbot 268c 1 ff. Abwesenheit des Angeklagten 268c 8 ausländischer Fahrausweis 268c 5 Berufung 268c 3 Fristbeginn 268c 4 Gegenstand 268c 4 Nachholung 268c 9 Rechtsbehelfe 268c 11 Sitzungsniederschrift 268c 10 Strafbefehl 268c 3 Vorsitzende 268c 7 Zweck 268c 1 Belehrung bei Sicherungsverwahrungsvorbehalt 268d 1 ff. Bedeutung des Vorbehalts 268d 3 Inhalt 268d 3 f. Nachholung 268d 6 Sitzungsniederschrift 268d 5 unterbliebene ~ 268d 7 Zeitpunkt 268d 5 Zeitraum des Vorbehalts 268d 4 Beratung Beweiskraft des Protokolls 274 19 Gang der Hauptverhandlung 273 5 Schlussvorträge 258 16 Urteilsberatung 260 5 ff., s. a. dort Beratungsergebnis 267 7 Beratungsgeheimnis 263 19 Beratungszimmer 260 6 Berichtigung des Protokolls 271 43 ff. Antrag 271 47 Begriff 271 43 Beschwerde 271 70 ff. Beweiskraft des Protokolls 271 50, 271 55 ff., 274 34 eigene Niederschrift 271 53 einseitige Erklärung 271 50 Fälschung 271 77 Form 271 52 f. Gegenbeweis 271 63 Gegenstand 271 44

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Protokollberichtigungsverfahren 271 65 ff. Protokollrüge 271 76 Rechtsmittel 271 70 ff. Rechtsprechungsänderung 271 61 ff. Revision 271 59 ff., 271 76 ff. Rügeverkümmerung 271 46, 271 50, 271 58, 271 61 Sitzungsniederschrift 271 78 Unterschriftsverhinderung 271 51 Urkundsbeamte 271 48 ff. von Amts wegen 271 47 Voraussetzungen 271 45 ff. Vorsitzende 271 48 ff. Wirksamkeit 271 55 ff. Berichtigung des Urteils 268 44 ff., 268 51, 268 55, 268 56 f., s. a. Berichtigungsbeschluss Berichtigungsbeschluss 268 56 ff. Anfechtung 268 58 ff. Beschwerde 268 60 ff. Revision 268 59 Sachentscheidungen 268 56 Vermerk 268 57 Zustellung 268 57 Berichtigungsklage 264 31 Berufsverbot Hinweispflicht 265 45 Rechtsfolgenausspruch 260 106 Berufung Absetzungsfrist 275 69 Abstimmung 263 4 Befragung vor Auflagen/Weisungen 265a 4 Belehrung bei Fahrverbot 268c 3 Bewährung 268a 19 f. Bezugnahme 267 34 Einbeziehungsbeschluss 266 13 Hinweispflicht 265 14 Prozessgegenstand 264 34 Umgestaltung der Anklage 264 49 Verständigung 257c 88 Verweisung an höheres Gericht 270 6 Beschlagnahme Beweissicherungsverfahren 285 8 Vermögensbeschlagnahme 290 1 ff., s. a. dort beschleunigtes Verfahren Verleseverbotsausnahmen 256 10 Verweisung an höheres Gericht 270 5 Beschleunigungsgebot Aussetzung des Verfahrens 265 104 Strafzumessung 267 84 Beschlüsse Aussetzung des Verfahrens 262 48 ff. Berichtigungsbeschluss 268 56 ff., s. a. dort Bewährung 268a 1 ff. Haftfortdauerbeschluss 268b 1 ff., s. a. dort Hinweispflicht 265 58 sicheres Geleit 295 13 Unterschrift 275 43 Vermögensbeschlagnahme 290 12 Verständigung 257c 38

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Sachregister

Verurteilung 260 69 Verweisungsbeschluss 270 23 ff., s. a. dort Beschwerde Aussetzung des Verfahrens 262 41, 262 57 ff. Befragung vor Auflagen/Weisungen 265a 17 Bekanntmachungswirkung 292 7 f. Berichtigung des Protokolls 271 70 ff. Berichtigungsbeschluss 268 60 ff. Beurkundung von Vorgängen/Äußerungen 273 66 Bewährung 268a 24 Hinweispflicht 265 109 Nachtragsanklage 266 39 sicheres Geleit 295 26 ff. Verfahrensantragsform 257a 26 Vermögensbeschlagnahme 290 15 Vermögensbeschlagnahmeaufhebung 293 7 Verweisung an höheres Gericht 270 45 ff. Verweisungsbeschluss 270 45 f. bestmöglicher Beweis 257c 6, 257c 10 Betäubungsmittel Indizienbeweis 261 81, 261 95 Liste der Strafvorschriften 260 134 Tathergangsfeststellung 267 39 Zweifelssatz 261 197 Beteiligungsform 260 75 Beurkundung von Vorgängen/Äußerungen 273 47 ff. Anrufung des Gerichts 273 60 f. Anspruch auf Protokollierung 273 57 Antrag 273 56 ff. Aussage 273 50 Äußerung 273 50 Beschwerde 273 66 Beweiskraft des Protokolls 273 62 Beweiswürdigung 273 59 Feststellung eines Verfahrensvorgangs 273 47 ff. Nebenkläger 273 56 Niederschrift 273 53 ff. Protokollierungsvorgang 273 53 ff. rechtliches Interesse 273 48 Rechtsmittel 273 66 Sitzungsniederschrift 273 62 Verlesung 273 55 von Amts wegen 273 56 Vorsitzende 273 53 ff. wörtliche Protokollierung 273 59 Bewährung 267 109 ff., 268a 1 ff. Ablehnung 267 111 Anordnungen 268a 4 Antrag 267 110 Befragung vor Auflagen/Weisungen 265a 1 ff., s. a. dort Begründung 267 109, 267 111 f., 268a 5 Belehrung 268a 10 ff. Belehrung, unrichtige 268a 25 f. Belehrungform 268a 16 Belehrungsinhalt 268a 12 ff. Berufung 268a 19 f.

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Beschlüsse 268a 1 ff. Beschlussinhalt 268a 3 ff. Beschlusstenor 268a 4 Beschlusszeitpunkt 268a 6 ff. Beschwerde 268a 24 Bewährungsanordnungen 267 114 Führungsaufsicht 268a 26 Gesamtwürdigung 267 113 Jugendstrafverfahren 267 115 Merkblatt 268a 16 Nachholung von Beschluss/Belehrung 268a 22 Rechtsbehelfe 268a 23 f. Rechtsfolgenausspruch 260 96 Revision 268a 21, 268a 24 Sitzungsniederschrift 268a 18 Staatsanwalt 267 110 Urteil 260 21, 268a 1 f. Verständigung 257c 37 Verwarnung mit Strafvorbehalt 267 116 Widerruf 268a 25 Bewährungsanordnungen 267 114 Bewährungsauflagen 257c 38 Beweisanzeichen 261 82 Beweisaufnahme Abwesenheitsverfahren 289 1 ff. Befragung vor Auflagen/Weisungen 265a 13 Beweiswürdigung 261 1 ff., s. a. dort Einstellung des Verfahrens 260 119 Nachverfahren 275a 43 ff. Schlussvorträge 258 2 f. Verweisung an höheres Gericht 270 9 Wiedereintritt 258 4 ff. Beweiserhebungen Abwesenheitsverfahren 289 3 Beweiskraft des Protokolls 274 4 Erklärungen nach Beweiserhebung 257 1 ff., s. a. dort Gericht höherer Ordnung 270 41 Geständnis 257c 47 Inhaltsprotokoll 273 39 Schöffengericht 270 40 Strafrichter 270 40 Verweisung an höheres Gericht 270 40 ff. wesentliche Förmlichkeiten 273 14 ff. Beweiserhebungsverbot 263 19 Beweiserhebungsverzicht 257c 40 Beweisgrundsätze 256 61 f. Beweiskette 261 126 Beweiskraft des Protokolls 274 1 ff. absolute ~ 274 7, 274 15, 274 22 ff. Abstimmung 274 19 Auslegung des Protokolls 274 11 Aussageinhalt 274 15 Ausschließlichkeit 274 26 Beeidigung der Schöffen 274 21 Beratung 274 19 Berichtigung des Protokolls 271 50, 271 55 ff., 274 34 Beurkundung von Vorgängen/Äußerungen 273 62

Klie

Sachregister

Beweiserhebungen 274 4 Beweismittel 274 18 Beweisregeln 274 1 Beweiswürdigung 274 2, 274 8 Echtheitsvermutung 274 1 Entfall 274 10 Erklärungsinhalt 274 16 Fälschung 274 35 f. formelle Wahrheit 274 2 Freibeweis 274 2 Hauptverhandlungsprotokoll 271 2, 272 3, 274 1 ff. Inhaltsprotokoll 273 44 nachträglich unrichtiges Protokoll 274 9 negative ~ 274 1, 274 24 offensichtliche Lücken 274 29 ff. positive ~ 274 22 f. Protokollberichtigung 274 34 rechtliches Gehör 274 13 Rechtsmittelerklärung 274 20 Rügeverkümmerung 274 6 Schöffen 274 21 Sitzungsniederschrift 274 7 Umfang 274 12 ff. Umgehungsstrategien 274 5 Urkunde, öffentliche 274 3 Verfahrensrüge 274 4 Verfassungsgerichte 274 13 Verständigung 273 33, 274 25 Vollständigkeitsvermutung 274 1, 274 25 Voraussetzung 274 7 ff. Vorgänge in der Hauptverhandlung 274 19 Wahrheitsvermutung 274 1 Wegfall 274 28 ff. wesentliche Förmlichkeiten 274 14, 274 22 Widerspruch 274 32 f. Wirkung 274 22 ff. Zweck 274 4 Beweislast 261 186 ff. Beweismittel Beweiskraft des Protokolls 274 18 Inbegriff der Verhandlung 261 16 f. Urteilsgründe 267 60 Beweisregeln Beweiskraft des Protokolls 274 1 Beweiswürdigung 261 4 Zeugenaussage 261 127, 261 136 ff. Zweifelssatz 261 183 Beweisring 261 126 Beweissicherungsverfahren Abschluss 285 9 Abwesenheitsverfahren Vor 276 1, Vor 276 7, 285 4 ff. Anklage 285 10 f. Beschlagnahme 285 8 Einstellung des Verfahrens 285 12 einzelne Verfahrenslagen 285 6 ff. Ermittlungsverfahren 285 7 Hauptverfahren 285 6, 285 14 Regelverfahren 285 10 ff.

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Staatsanwalt 285 9 Verfahrensstadien 285 6 Beweistatsachen 267 50 ff. Beweisverwertungsverbot 261 125 Beweiswert 261 126 ff. Anfangswahrscheinlichkeit 261 126 beeidigtes Zeugnis 261 150 Belastungswahrscheinlichkeit 261 126 Beweiskette 261 126 Beweisring 261 126 Indizfamilien 261 126 Indizienbeweis 261 126 Produktregel 261 126 Sachverständigenbeweis 261 156 Sperrerklärung 261 147 Urkundenbeweis 261 176 f. Wahrunterstellung 261 148 Zeugenaussage 261 127 ff., s. a. dort Beweiswürdigung 261 1 ff. Alternativrüge 261 275 Augenschein 261 179 ff., s. a. dort Ausnahmen 261 99 ff. Aussage gegen Aussage 261 107 Aussageverhalten des Angeklagten 261 110 ff., s. a. dort Ausschöpfungsgebot 261 15 Ausschöpfungsrüge 261 261 ff., 261 266 Bedeutung 261 44 Beurkundung von Vorgängen/Äußerungen 273 59 Beweiskraft des Protokolls 274 2, 274 8 Beweisregeln 261 4 Beweiswert 261 126 ff., s. a. dort Denkgesetze 261 47 ff. Differenzrüge 261 257 ff. Einschränkungen 261 99 ff. Erfahrungssätze 261 28, 261 58 ff., s. a. dort Erkenntnisakt 261 2 erschöpfende ~ 261 72 ff. Freiheit der ~ 261 2, 261 44 f. Gesamtschau 261 72 Grenzen 261 46 Inbegriff der Verhandlung 261 15 ff., s. a. dort Inbegriffsrüge 261 254 ff., 261 265 Indizienbeweis 261 77 ff., s. a. dort Inhalt 261 44 ff. lückenhafte ~ 261 48 ff. Mündlichkeit 261 2 Nachprüfung 261 272 offenkundige Tatsache 261 27 ff. persönliche Offenbarungen 261 45 Pflichten des Gerichts 261 3 psychische Erkrankung 261 109 rechtliches Gehör 261 2 Revision 261 253 ff., 267 182 Sachrüge 261 267 ff. Sachverständigenbeweis 261 155 ff., s. a. dort Schlussfolgerungen 261 45 Schuldspruch 261 1 Schweigen 261 119 ff., s. a. dort

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Sachregister

Tatsachengrundlage 261 45 Überzeugung, persönliche 261 1, 261 4, 261 13 Überzeugung, richterliche 261 7 ff., s. a. dort Unabhängigkeit 261 106 ff. Unmittelbarkeit 261 2 Unschuldsvermutung 261 1 Urkundenbeweis 261 176 ff., s. a. dort Urteilsgründe 261 74 ff., 267 55 ff., 267 182 Verbot der Vorwegnahme 261 105 Verfahrensrüge 261 254 ff. Verleseverbotsausnahmen 256 62 Vermutungen 261 101 f. Verpflichtung zum eigenen Urteil 261 31 ff., s. a. dort verschiedene Deutungen 261 73 Verständigung 257c 55, 257c 89 Vorentscheidungen 261 104 Wahlfeststellung 261 211 ff., s. a. dort Wahrunterstellung 261 105 Widerspruch 261 53 ff. wissenschaftliche Erkenntnisse 261 67 ff. Zeugenaussage 261 127 ff., s. a. dort Zeugentauglichkeit 261 108 Zirkelschluss 261 57 zivilrechtliche Vorfragen 262 31 Zweifelssatz 261 182 ff., s. a. dort Bewertungen 256 8 Bewertungseinheiten 264 69 f. Bewertungsskala 261 158 Beziehungsgegenstände 261 179 Bezugnahme Abbildung bei den Akten 267 21 ff. Abbildungen 267 16 ff. abgekürztes Urteil 267 142 ff. Arten von bildlichen Darstellungen 267 18 ff. Berufungsurteile 267 34 Bestandteil der Urteilsgründe 267 17 Einstellung des Verfahrens 267 27 Form 267 26 Freispruch 267 27 genaue Aktenstelle 267 26 Persönlichkeitsschutz 267 16 Schriftstücke 267 29 technische Hilfsmittel 267 19 Tonträger 267 28 unselbständiger Text 267 20 Urteile in anderer Sache 267 32 Urteile in gleicher Sache 267 33 Urteilsgründe 267 15 ff., 267 25 Verständlichkeit 267 15 Zweck 267 16 Bilder Augenschein 261 179 Bezugnahme 267 16 ff. Bindungswirkung Erörterung des Verfahrensstands 257b 10 Urteil 275 55 ff. Urteilsgründe 275 55 ff.

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Verständigung 257c 26, 257c 63 Verweisung an höheres Gericht 270 35, 270 37 Wegfall bei Verständigung 257c 68 ff. zivilrechtliche Vorfragen 262 15, 262 33 biostatistische Wahrscheinlichkeitsberechnung 261 167 Blutalkoholgehalt Erklärungen öffentlicher Behörden 256 39 Indizienbeweis 261 82 Blutprobe Gerichtsärzte 256 50 Indizienbeweis 261 82 Brandstiftungsvorsatz 261 93 Bundeszentralregister 262 20 Bußgeldkataloge 267 95 Bußgeldverfahren Absetzungsfrist 275 76 Nachtragsanklage 266 3 Tat 264 3 Urteilsformel 260 33 zivilrechtliche Vorfragen 262 7 C charge bargaining

257c 10

D Dauerdelikte Freispruch 260 57, 260 64 Nachtragsanklage 266 5 Tateinheit 264 80 ff. Tatumfang 264 64 veränderte Sachlage 265 98 Zweifelssatz 261 201 ff. Denkgesetze Beweiswürdigung 261 47 ff. Indizienbeweis 261 80 Devisensachen Vor 276 4 Dienstverhältnis 256 23 Differenzrüge 261 257 ff. Dolmetscher 259 1 ff. Ermessen 259 5 faires Verfahren 259 5 Hauptverhandlungsprotokoll 272 13 hörbehinderter Angeklagter 259 8 mangelnde Sprachkenntnisse 259 7 Revision 259 10 f. Schlussanträge 259 4 Sitzungsniederschrift 259 9 sprachbehinderter Angeklagter 259 8 technische Vorrichtungen 259 2 Urteilsverkündung 268 25 Voraussetzungen 259 7 ff. wesentliche Förmlichkeiten 273 10 doppelrelevante Tatsachen 263 16 E Echtheitsvermutung 274 1 effektive Verteidigung Erklärungen nach Beweiserhebung 257 2 Hinweispflicht 265 1

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Eigentumsdelikte 264 103 Einbeziehungsbeschluss 266 12 ff. Ablehnung der Einbeziehung 266 25 ff. Ablehnungsfolgen 266 28 Begründung 266 23 Berufung 266 13 Ermessen 266 21 Folgen der Einbeziehung 266 24 Form 266 23 hinreichender Tatverdacht 266 16 Inhalt 266 22 Mitangeklagte 266 17 Prozessvoraussetzungen 266 14 Revision 266 15 Unterbrechung 266 32 ff. Verfahren nach ~ 266 29 ff. Verteidiger 266 19 wesentliche Förmlichkeiten 266 23 Zuständigkeit 266 12 Zustimmung des Angeklagten 266 17 ff. Eingangssatz 268 16 Eingangsvermerk 275 53 f. Einlassung Einlassungswechsel 261 118 Erklärungen nach Beweiserhebung 257 11, 257 27 Inbegriff der Verhandlung 261 17 Schweigen 261 121 Urteilsgründe 267 62 f. Einstellung des Verfahrens 260 112 ff. Beweisaufnahme 260 119 Beweissicherungsverfahren 285 12 Bezugnahme 267 27 Feststellung von Verfahrenshindernissen 260 118 ff. fortgesetzte Handlung 260 117 Freibeweis 260 118 Freispruch 260 38 Hinweispflicht 265 18 Kognitionspflicht des Gerichts 264 42 Liste der Strafvorschriften 260 136 Namensverwechslung 260 117 Prozessurteil 260 123 Revision 260 140 Sachentscheidungen 260 124 Schlussvorträge 258 9 Sperrwirkung 260 123 Straffreiheitsgesetz 260 122 Tatidentität 260 117 Umfang 260 116 Unzulässigkeit eines Rechtsbehelfs 260 115 Urteil 260 3 Urteilsformel 260 126 Urteilsgründe 267 173 Verfahrenshindernis 260 113 f., 260 118 ff. Voraussetzungen 260 113 ff. Wirkung 260 123 ff. einstweilige Unterbringung 275a 55 Einwilligung 265a 3 Einziehung Hinweispflicht 265 37, 265 44

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Rechtsfolgenausspruch 260 107 ff. Urteilsgründe 267 132 Urteilskopf 275 33 Vorbehalt 260 21 Emminger-Verordnung Vor 276 3 EMRK sicheres Geleit 295 34 Unterbringungsbefehl 275a 62 veränderte Sachlage 265 50 Verständigung 257c 11 Verwertung nicht angeklagter Taten 264 46 Zeugenaussage 261 141 Entschädigung Abstimmung 263 17 Rechtsfolgenausspruch 260 103 wesentliche Förmlichkeiten 273 11 Entscheidungsharmonie 262 2 Entscheidungsregel 261 228 Entziehungsanstalt 265 45 Erfahrungssätze allgemeine ~ 261 59 Allgemeingültigkeit 261 59, 261 61 Beweiswürdigung 261 58 ff. Erkennbarkeit 261 58, 261 60 Inbegriff der Verhandlung 261 28 Lebenserfahrung 261 58 offenkundige ~ 261 61 Schlussfolgerungen, unzulängliche 261 66 spezielle ~ 261 58 typischer Geschehensablauf 261 65 Verstoß 261 62 ff. Wahrscheinlichkeit, statistische 261 66 Wahrscheinlichkeitsaussagen 261 60 zwingende ~ 261 60 Erfolgsdelikte 264 97 Ergänzungsklage Kognitionspflicht des Gerichts 264 39 Tatidentität 264 31 Ergänzungsrichter 272 10 Ergänzungsurteil 260 22 f. Erkennbarkeit 261 58, 261 60 Erklärungen Beweiskraft des Protokolls 274 16 Erklärungen nach Beweiserhebung 257 1 ff., s. a. dort Erklärungen öffentlicher Behörden 256 22 ff., s. a. dort wesentliche Förmlichkeiten 273 13 Erklärungen nach Beweiserhebung 257 1 ff. Angeklagte 257 1 ff., 257 6 ff. Anträge 257 30 effektive Verteidigung 257 2 Einlassung 257 11 Einlassung zur Sache 257 27 Ermessen 257 38 Erziehungsberechtigte 257 7 Fragepflicht des Vorsitzenden 257 8 ff., 257 14 f. Grenzen, sachliche 257 20 ff. Grenzen, zeitliche 257 17 ff.

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Missbrauch 257 4 Nebenbeteiligte 257 7, 257 13 Nebenkläger 257 12 Privatkläger 257 12 Protokoll 257 34 ff. rechtliches Gehör 257 2 Revision 257 37 ff. Sachaufklärung 257 3 Schlussvorträge 257 23 ff. Schweigerecht 257 10 Sitzungsniederschrift 257 34 ff. Staatsanwalt 257 12 ff. Verfahren 257 31 ff. Verteidiger 257 12 ff. Vorsitzende 257 31 ff. Vorwegnahme der Schlussvorträge 257 23 ff. Widerspruchs gegen Verwertbarkeit 257 5 Erklärungen öffentlicher Behörden 256 22 ff. Adressat 256 31 amtlich festgestellte Tatsachen 256 34 amtliche Tätigkeit 256 35 ausländische Behörde 256 28 Blutalkoholgehalt 256 39 Form 256 41 f. Gerichtshilfe 256 33 Gutachten 256 38 ff. innerdienstlicher Gebrauch 256 32 internationale Behörde 256 28 Jugendgerichtshilfe 256 33 mehrere Bedienstete 256 38 nach außen 256 30 öffentliche Behörde 256 22 ff., s. a. dort Rechtsgutachten 256 40 strafverfahrensrechtliche Vorgänge 256 36, 256 54 ff. Vertretung der Behörde 256 30 Zeugnis 256 34 ff. Zuständigkeit 256 29 Ermessen abgekürztes Urteil 267 138, 267 141, 267 151 ff. Aufnahme ins Protokoll 275 19 Aussetzung des Verfahrens 262 46, 265 93, 265 104 Dolmetscher 259 5 Einbeziehungsbeschluss 266 21 Erklärungen nach Beweiserhebung 257 38 Erörterung des Verfahrensstands 257b 5 Nachtragsanklage 266 8 sicheres Geleit 295 13 Unterbrechung 266 35 Urteilsformel 260 67 Verfahrensantragsform 257a 12 Verleseverbotsausnahmen 256 4 Vermögensbeschlagnahme 290 11 Verständigung 257c 40 Verweisung an höheres Gericht 270 12 Verweisungsbeschluss 270 30 Ermittlungsbehörde 256 8 Ermittlungshandlungen 256 55

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Ermittlungsrichter 295 15 Ermittlungsverfahren Beweissicherungsverfahren 285 7 Verständigung 257c 42 Eröffnungsbeschluss Verweisung an höheres Gericht 270 32 Verweisungsverbot 269 9 Erörterung des Verfahrensstands 257b 1 ff. Ablauf 257b 8 Angeklagte 257b 3 Befangenheit 257b 2, 257b 11 Beteiligte 257b 3 Bindungswirkung 257b 10 Ermessen 257b 5 Finanzbehörde 257b 3 Gegenstand 257b 9 Gericht 257b 4 Hauptverhandlungsprotokoll 273 31 Nebenkläger 257b 3 Schöffen 257b 4 Sitzungsniederschrift 257b 12 Staatsanwalt 257b 3 Verteidiger 257b 3 Vorbereitung einer Verständigung 257b 10 Vorsitzende 257b 8 Zeitpunkt 257b 7 Ziel 257b 2 Ersatzdienstverweigerung 264 64 Ersatzfreiheitsstrafe 260 90 Erwägungen 267 91 Erziehungsberechtigte Erklärungen nach Beweiserhebung 257 7 letztes Wort 258 37 Schlussvorträge 258 17 EuGH 262 13 Experimente 261 173 F Fachausdrücke 267 11 Fahrerlaubnis Freispruch 260 49 Hinweispflicht 265 45 Rechtsfolgenausspruch 260 101 Urteilsgründe 267 129 Verständigung 257c 34 Fahrlässigkeit 267 44 Fahrverbot Belehrung bei ~ 268c 1 ff., s. a. dort Rechtsfolgenausspruch 260 101 Urteilsgründe 267 130 faires Verfahren Dolmetscher 259 5 Hinweispflicht 265 1, 265 5 Strafzumessung 267 84 Urteilsgründe 267 4 Verständigung 257c 85 Fälschung Berichtigung des Protokolls 271 77 Beweiskraft des Protokolls 274 35 f. Fassungsversehen 268 47 ff. Fehlerquellenanalyse 261 131

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Sachregister

fernmündliche Erklärungen 256 10 Fertigstellung Absetzungsfrist 275 3 ff. Fertigstellungsvermerk 271 29 ff., s. a. dort Hauptverhandlungsprotokoll 271 11 Unterschrift 275 3 unverzügliche ~ 275 21 Fertigstellungsvermerk 271 29 ff. Abschriften 271 38 Einsichtnahme 271 38 Form 271 37 nachträgliche Berichtigung 271 32 Teilprotokolle 271 33 Unterschrift 271 30 f. Urteilsfällung 271 34 Fiktion Abwesenheit 276 1 zivilrechtliche Vorfragen 262 31 Finanzbehörde Erörterung des Verfahrensstands 257b 3 Verständigung 257c 51 zivilrechtliche Vorfragen 262 38 Form Aufnahme ins Protokoll 275 20 Berichtigung des Protokolls 271 52 f. Bezugnahme 267 26 Einbeziehungsbeschluss 266 23 Erklärungen öffentlicher Behörden 256 41 f. Fertigstellungsvermerk 271 37 Hauptverhandlungsprotokoll 271 2 ff. Hinweispflicht 265 69 ff. Inhaltsprotokoll 273 42 f. Nachtragsanklage 266 10 Schlussvorträge 258 25 f. Urteilsberatung 260 6 Urteilsgründe 267 11 ff. Verhinderungsvermerk 275 50 ff. Formalentscheidungen 267 174 Formalgeständnis 257c 46 Fortsetzungstermin 272 2 Fortsetzungszusammenhang 264 61 ff. Freibeweis Beweiskraft des Protokolls 274 2 Gerichtsärzte 256 49 Haftfortdauerbeschluss 268b 4 Freiheitsstrafe 260 89 Freispruch 260 37 ff. abgekürztes Urteil 267 169 ff. Absehen von Strafe 260 50 Bezugnahme 267 27 Dauerstraftat 260 57, 260 64 Einheitlichkeit der Entscheidung 260 40 ff. Einstellung des Verfahrens 260 38 Fahrerlaubnis 260 49 Fortsetzungszusammenhang 260 59 ff. Hinweispflicht 265 17 innere Tatseite 267 165 Liste der Strafvorschriften 260 135 Maßregeln 267 172 Nebenentscheidungen 260 48 f. Postpendenzfeststellung 260 66

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Sachentscheidungen 260 38 f. Sammelstraftat 260 65 Schuldspruch 260 37 selbständige Handlungen 260 61 f. Tatmehrheit 260 55 ff. Tatsachenalternativität 260 58 Teilfreispruch 260 51 ff. Unschuldsvermutung 267 168 Untersuchungshaft 260 49 Urteil 260 3 Urteilsformel 260 45 ff. Verfahrenshindernis 260 37, 260 40 ff. Voraussetzungen 260 37 Vorrang der Sachentscheidung 260 38 f. wahldeutige Anklage 260 66 Wahlfeststellung 260 66, 261 213 Frist zur Urteilsverkündung 268 10 ff. Führungsaufsicht Bewährung 268a 26 Hinweispflicht 265 45 Führungszeugnis 256 20 Fürsorgepflicht Aussetzung des Verfahrens 265 104 Hinweispflicht 265 5, 265 42, 265 80 G Gang der Hauptverhandlung 273 3 ff. Beratung 273 5 Ergebnisse der Hauptverhandlung 273 4 Reihenfolge 273 3 Urteilsberatung 273 5 wesentliche Förmlichkeiten 273 6 ff., s. a. dort wesentliche Förmlichkeiten (Beispiele) 273 8 ff. Gegenbeweis 271 63 Gegenstand Belehrung bei Fahrverbot 268c 4 Berichtigung des Protokolls 271 44 Erörterung des Verfahrensstands 257b 9 Urteil 264 1 ff. Urteilsgründe 267 7 ff. Vermögensbeschlagnahme 290 14 Verständigung 257c 33 ff., 257c 37 Gehörsrüge 265 117 Geldbußen 267 98 Geldstrafe Rechtsfolgenausspruch 260 90 Strafzumessung 267 97 Geleitbrief 295 13 Gericht Aussetzung des Verfahrens 265 91 Befragung vor Auflagen/Weisungen 265a 1 ff., s. a. dort Belehrung bei Fahrverbot 268c 1 ff., s. a. dort Belehrung bei Sicherungsverwahrungsvorbehalt 268d 1 ff., s. a. dort Einbeziehungsbeschluss 266 12 ff., s. a. dort Haftfortdauerbeschluss 268b 1 ff., s. a. dort

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Sachregister

Hauptverhandlungsprotokoll 271 1 ff., s. a. dort Hinweispflicht 265 1 ff., s. a. dort Initiativrecht 257c 53 Kognitionspflicht des Gerichts 264 37 ff., s. a. dort Richter, blinder 261 39 Richter, schlafender 261 38 Richter, tauber 261 39 Urteilsgründe 267 1 ff., s. a. dort Urteilsverkündung 268 1 ff., s. a. dort Veränderung rechtlicher Gesichtspunkte/ Sachlage 265 1 ff., s. a. Hinweispflicht Verständigung 257c 51 Verweisung an höheres Gericht 270 1 ff., s. a. dort Verweisungsverbot 269 1 ff., s. a. dort vorzeitige Festlegung des Urteils 261 40 Wahrnehmungsfähigkeitsbeschränkung 261 37 ff. Gericht höherer Ordnung Beweiserhebungen 270 41 Verweisung an höheres Gericht 270 7 Verweisungsverbot 269 4 Gericht niederer Ordnung 269 6 ff. Gerichtsärzte Aufklärungspflicht des Gerichts 256 53 Befundtatsachen 256 52 Behördengutachten 256 51 Blutprobe 256 50 Ergebnis der Beweisaufnahme 256 53 Erklärungen der ~ 256 44 f. Freibeweis 256 49 Körperverletzungen 256 46 ff. Routinegutachten 256 51 ff. Verleseverbotsausnahmen 256 5, 256 44 ff. Vorhalt 256 49 Zusatztatsachen 256 48 Gerichtshilfe Erklärungen öffentlicher Behörden 256 33 Inbegriff der Verhandlung 261 22 Gesamtplan 264 17 Gesamtschau Beweiswürdigung 261 72 Indizienbeweis 261 78 Gesamtstrafe Rechtsfolgenausspruch 260 91 ff. Strafzumessung 267 99 Geschäftsverteilungsplan 270 3 Gesetzeseinheit 260 83 gesetzlicher Richter Verweisung an höheres Gericht 270 37 Verweisungsbeschluss 270 52 Verweisungsverbot 269 12 Geständnis Aussageverhalten des Angeklagten 261 111 Ausschöpfung des Beweismaterials 261 113 Begriff 257c 46 Beweiserhebung 257c 47

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drittbelastende ~ 257c 48 Formalgeständnis 257c 46 Geständnisdruck 257c 15 Inhaltsanalyse 261 112 optionales ~ 257c 45 Plausibilität 261 112 Qualität 257c 45, 261 112 Schlussvorträge 258 7 Selbstbezichtigungen, unwahre 261 112 Strafzumessungsfaktor 257c 16 Strengbeweis 257c 47 taktisches ~ 257c 47 Tatsachen 261 117 Überprüfung 257c 45, 257c 47 Unverwertbarkeit 257c 77 Validität 261 112 Verständigung 257c 14 ff., 257c 44 ff. Verwertungsverbot 257c 77 Geständnisdruck 257c 15 Gestellung 276 4 ff. Ausland 276 12 Hohe See 276 12 unangemessene ~ 276 8 ff. unausführbare ~ 276 6 zwangsweise ~ 276 7 Gewissheit 261 8 Glaubhaftigkeit 261 128 ff. Glaubhaftigkeitsgutachten Sachverständigenbeweis 261 170 Zeugenaussage 261 129 Gleichzeitigkeit Tateinheit 264 73 Tatidentität 264 17 guilty plea-Derivate 257c 2 Gutachten 256 13 Erklärungen öffentlicher Behörden 256 38 ff. Verlesung 256 13 Güterpflegschaft 292 6 H Haftbefehl Haftfortdauerbeschluss 268b 4 sicheres Geleit 295 21 Vermögensbeschlagnahme 290 8, 290 10 Haftfortdauerbeschluss 268b 1 ff. Belehrung 268b 10 Freibeweis 268b 4 Haftbefehl 268b 4 Notwendigkeit 268b 1 Rechtsbehelfe 268b 10 Schöffen 268b 7 Sitzungsniederschrift 268b 11 Unterbrechung 268b 7 Unterbringungsbefehl 268b 6 Unterlassung 268b 8 Urteilsverkündung 268b 2 Verweisungsbeschluss 270 31 Zeitpunkt der Verkündung 268b 9 Haftrichter 295 15 Handschriftenuntersuchung 261 173

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Hauptverfahren Beweissicherungsverfahren 285 6, 285 14 Verweisung an höheres Gericht 270 39 Verweisungsverbot 269 3 Hauptverhandlung Absprachen 257c 1 Abwesenheit 276 2, 285 1 Abwesenheitsverfahren Vor 276 1 ff., s. a. dort Augenschein 261 179 Aussetzung des Verfahrens 265 105 Befragung vor Auflagen/Weisungen 265a 1 ff., s. a. dort Belehrung bei Fahrverbot 268c 1 ff., s. a. dort Belehrung bei Sicherungsverwahrungsvorbehalt 268d 1 ff., s. a. dort Beurkundung 273 1 ff. Beweiswürdigung 261 1 ff., s. a. dort Erklärungen nach Beweiserhebung 257 1 ff., s. a. dort Erörterung des Verfahrensstands 257b 1 ff., s. a. dort Gang der ~ 273 3 ff., s. a. dort Gegenstand des Urteils 264 1 ff. Haftfortdauerbeschluss 268b 1 ff., s. a. dort Hauptverhandlungsprotokoll 271 1 ff., s. a. dort Hinweispflicht 265 1 ff., s. a. dort Inbegriff der Verhandlung 261 15 ff., s. a. dort letztes Wort 258 1 Mündlichkeit 257a 2 nachträgliche Sicherungsverwahrung 275a 34 f. Nachtragsanklage 266 1 ff., s. a. dort Nachverfahren 275a 32 ff. Öffentlichkeit 257a 2 Plädoyer 258 1 ff., s. a. Schlussvorträge rechtliches Gehör 257a 3 Sachverständigenbeweis 261 155 Schlussvorträge 258 1 ff., s. a. dort Sicherungsverwahrungsvorbehalt 275a 32 f. Tat 264 4 ff., s. a. dort Umfangssachen 257a 1 Umgestaltung der Anklage 264 48 ff., s. a. dort Unterbrechung 266 32 ff. Urteil 260 1 ff., s. a. dort Urteilsgründe 267 8 Urteilsverkündung 268 1 ff., s. a. dort Veränderung rechtlicher Gesichtspunkte/ Sachlage 265 1 ff., s. a. Hinweispflicht Verfahrensantragsform 257a 1 ff., s. a. dort Verlesung 256 1 ff., s. a. dort Verständigung 257c 1 ff., s. a. dort Verweisung an höheres Gericht 270 1 ff., s. a. dort Verweisungsverbot 269 1 ff., s. a. dort wesentliche Förmlichkeiten 273 6 ff., s. a. dort zivilrechtliche Vorfragen 262 1 ff., s. a. dort

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Hauptverhandlungsprotokoll 271 1 ff. Abschnittsprotokoll 271 11 Änderung 271 39 ff. Angaben 272 5 ff. Angeklagte 272 17 Auslegung des Protokolls 274 11 äußere Beschaffenheit 271 5 äußere Formalien 272 1 Begriff 271 1 Behördenvertreter 272 22 Beistand 272 20 Berichtigung des Protokolls 271 43 ff., s. a. dort Berichtigungen 271 16 Beurkundung 273 1 ff. Beurkundung der Entscheidungen 273 26 Beurkundung der Urteilsformel 273 27 ff. Beurkundung von Vorgängen/Äußerungen 273 47 ff., s. a. dort Beweiskraft des Protokolls 271 2, 272 3, 274 1 ff., s. a. dort Bezeichnung der Straftat 272 14 f. Dolmetscher 272 13 Einheit des Protokolls 271 10 ff. Einlegung der Revision 271 40 ff. Ergänzungen 271 16 Ergänzungsrichter 272 10 Erklärungen nach Beweiserhebung 257 34 ff. Erörterung des Verfahrensstands 273 31 Fälschung 274 35 f. Fertigstellung 271 11, 273 64 Fertigstellungsvermerk 271 29 ff., s. a. dort Form 271 2 ff. Fortsetzungstermin 272 2 fremde Sprache 271 8 Gang der Hauptverhandlung 273 3 ff., s. a. dort Inhaltsprotokoll 273 38 ff., s. a. dort Mangel 273 67 Meinungsverschiedenheit 271 18 f. Namen 272 10 ff., 272 16 ff. Nebenkläger 272 20 Öffentlichkeit 272 21 Ort der Verhandlung 272 5 Ortswechsel 272 6 Randvermerk 271 6 Reform 271 1a Reihenfolge 271 4 Reinschrift, unterschriebene 271 2 Revision 273 67 ff. Richter 272 10 Sammelvermerk 271 13 Schöffen 272 10 Schrift 271 2 Staatsanwalt 272 11 Tag der Verhandlung 272 7 Tonaufzeichnung 271 3 Unterbrechung 271 12 Unterschrift 271 20 ff. Unterschriftshindernis 271 25

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Unterschriftsverhinderung 271 24 ff. Urkundsbeamte 272 12 Urkundsbeamtenwechsel 271 13 Urteilsformel 273 27 ff. Urteilsgründe 273 29 Urteilsverkündung 272 9 Urteilszustellung 273 64 Verantwortlichkeit 271 14 ff. Verhinderungsvermerk 271 28 Verlesung 271 9 Verständigung 273 32 ff. Verständigung, Belehrung 273 34 Verständigung, Beweiskraft 273 33 Verständigung, Negativattest 273 35 Verständigung, Prozesserklärungen 273 32 Verständigung, Vermerk 273 36 Verteidiger 272 19 Videoaufzeichnungen 271 3 Vordrucke 271 7, 272 4 Vorsitzende 271 14 ff. wesentliche Förmlichkeiten 271 1 Widerspruch zum Urteil 273 68 f. Zusammenfassung 271 4 Zweck 271 1, 273 1 Heimtückemord 261 90 Hemmschwelle 261 85 Hilfserwägung 267 45 hinreichender Tatverdacht Einbeziehungsbeschluss 266 16 Nachtragsanklage 266 7 Verweisung an höheres Gericht 270 10 Hinweispflicht 265 1 ff. Abweichen von vorläufiger Bewertung 265 47 ff. Abweichung der rechtlichen Beurteilung 265 9 ff. Abwesenheit des Angeklagten 265 60 Abwesenheitsverhandlung 265 64 anderes Strafgesetz 265 9 ff., 265 21 ff. Änderungshinweis 265 48 Angeklagte 265 59 Auslegung 265 8 Aussetzung des Verfahrens 265 4, 265 84 ff., s. a. dort Begehungsweisen, verschiedene 265 23 ff. Beispiele 265 34 ff. Berufsverbot 265 45 Berufung 265 14 Beschlüsse 265 58 Beschwerde 265 109 effektive Verteidigung 265 1 Einstellung des Verfahrens 265 18 Einziehung 265 37, 265 44 Entziehungsanstalt 265 45 Erläuterungen tatsächlicher Art 265 74 erneuerte Hauptverhandlung 265 13 erneute ~ 265 80 Fahrerlaubnis 265 45 faires Verfahren 265 1, 265 5 Form 265 69 ff. Freispruch 265 17

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Führungsaufsicht 265 45 Fürsorgepflicht 265 5, 265 42, 265 80 geänderte Sachlage 265 3 Gehörsrüge 265 117 generelle ~ 265 32 Hinweiswirkung 265 79 Inbegriffsrüge 265 117 Inhalt 265 73 ff. Jugendstrafverfahren 265 33 Kognitionspflicht des Gerichts 265 2 Konkurrenzverhältnis 265 30 Maßregeln 265 37, 265 44 milderes Gesetz 265 26 Milderungsgründe 265 43 Nebenstrafen 265 37, 265 46 neue Tatsachen 265 38 notwendige Verteidigung 265 78 Pflichtverteidiger 265 78 psychiatrisches Krankenhaus 265 45 Qualifikationstatbestände 265 39 rechtlicher Gesichtspunkt 265 3 rechtliches Gehör 265 6, 265 42 Rechtsbehelfe 265 108 ff. Regelbeispiele 265 40 Revision 265 15, 265 110 ff. Sachaufklärung 265 7 Sicherungsverwahrung 265 45 Sitzungsniederschrift 265 81 ff. straferhöhende Umstände 265 37 Straffreiheitsgesetz 265 19 Strafzumessungsgründe 265 41 subjektive Tatseite 265 27 ff. Unbrauchbarmachung 265 44 veränderte Sachlage 265 50 ff., s. a. dort Verteidiger 265 64 f. Verteidigung 265 77 f. Vertrauenstatbestand 265 47 Verurteilung 265 17 Verweisungsbeschluss 265 12 Vorsitzende 265 58 Wahlfeststellung 265 25 Wahrunterstellung 265 49 wesentliche Förmlichkeiten 265 81 f. Wiederaufnahme 265 16 Zeitpunkt 265 67 Höchstfrist 275 9 ff. Hohe See 276 12 Hörensagen 261 137 I idem crimen 264 10 idem factum 264 10 Identifizierung 261 180 Identitätsgutachten 261 172 in dubio mitius 261 208 in dubio pro reo 261 182 ff., s. a. Zweifelssatz Inbegriff der Verhandlung 261 15 ff. Akteninhalt 261 22 andere Hauptverhandlungen 261 19 Aufzeichnungen der Verhandlung 261 42 Ausschöpfungsgebot 261 15

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Sachregister

außerhalb erworbene Erkenntnisse 261 19 ff. außerhalb gestellte Fragen 261 24 Befundtatsachen 261 23 Beobachtung von Zuhörern 261 18 Bericht der (Jugend-)Gerichtshilfe 261 22 Beweismittel 261 16 f. dienstliches Wissen 261 21 einheitliche Erkenntnisquelle 261 16 Einlassung 261 17 Erfahrungssätze 261 28 Erklärungen des Verteidigers 261 17 Gesamteindruck 261 16 Kenntnis einer Örtlichkeit 261 25 kommissarischer Berufsrichter 261 20 Nebenkläger 261 17 offenkundige Tatsache 261 27 ff. privates Wissen 261 15, 261 26 Privatkläger 261 17 Richter, blinder 261 39 Richter, schlafender 261 38 Richter, tauber 261 39 Sachverständige 261 23 Sitzungsniederschrift 261 43 Verbindung/Trennung der Verfahren 261 16 Verhalten der Verhandlungsteilnehmer 261 18 Verpflichtung zum eigenen Urteil 261 31 ff., s. a. dort vorzeitige Festlegung des Urteils 261 40 Wahrnehmungsfähigkeitsbeschränkung 261 37 ff. Zusatztatsachen 261 23 Inbegriffsrüge Beweiswürdigung 261 254 ff., 261 265 Hinweispflicht 265 117 Indizfamilien Beweiswert 261 126 Indizienbeweis 261 77 ff. Alibi-Beweis 261 98 Atemalkoholkontrolle 261 82 Betäubungsmittel 261 81, 261 95 Beweisanzeichen, ambivalente 261 77 Beweisanzeichen, psychodiagnostische 261 82 Beweiswert 261 126 Beweiswürdigung 261 77 ff. Blutalkoholkonzentration 261 82 Blutprobe 261 82 Brandstiftungsvorsatz 261 93 Denkgesetze 261 80 Gefährlichkeit 261 82 Gesamtschau 261 78 Heimtückemord 261 90 Hemmschwelle 261 85 Indizienkette 261 83 Indizienring 261 83 innere Einstellung 261 84 ff., 261 97 Körperverletzungsvorsatz 261 91 Massenbetrugstaten 261 97 Messerstich 261 85

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Nachtatverhalten 261 89 räuberische Absicht 261 92 Rechtsbeugungsvorsatz 261 93 Rücktritt 261 97 Sexualstraftat 261 80 Stampftritte 261 85 Straßenverkehr 261 88, 261 94 Tatsachen 261 78 Tötungsvorsatz 261 85 ff. Trunkenheit im Verkehr 261 94 Untreuevorsatz 261 96 Vergewaltigungsvorsatz 261 93 Vorgeschehen 261 89 Waffe 261 95 Widmark-Formel 261 82 Zahlungsunfähigkeit 261 80 Zweifelssatz 261 193 Indizienkette 261 83 Indizienring 261 83 Inhaltsanalyse 261 129 Inhaltsprotokoll 273 38 ff. Absehen von Aufnahme 273 40 Beweiserhebungen 273 39 Beweiskraft des Protokolls 273 44 Form 273 42 f. Rechtsmittel 273 40 Sachverständige 273 39 Tathergangsfeststellung 273 45 Tonaufzeichnung 273 43 Urkundsbeamte 273 41 Vernehmung 273 39 Vorsitzende 273 41 wesentliche Ergebnisse 273 41 Zeugenaussage 273 39 Inhaltsübersicht 267 13 innere Verknüpfung Tatidentität 264 15, 264 17 Tatmehrheit 264 88 Inquisitionsmaxime 264 5 Inquisitionsprozess 257c 1 Verständigung 257c 18 Instruktionsmaxime 262 31 Interessenkonflikt 257c 18 Interessenwahnehmung 286–288 2 ff. internationaler Rechtshilfeverkehr 295 31 ff. Irrtum 261 203 J Jugendgerichtshilfe Erklärungen öffentlicher Behörden 256 33 Inbegriff der Verhandlung 261 22 Jugendstrafverfahren Befragung vor Auflagen/Weisungen 265a 4 Bewährung 267 115 Hinweispflicht 265 33 Rechtsfolgenausspruch 260 93 Strafzumessung 267 100 Urteilsgründe 268 23 Verständigung 257c 31

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Sachregister

Verweisung an höheres Gericht 270 20 Verweisungsverbot 269 8 K Kadijustiz 257c 3 Kartellrecht Verweisung an höheres Gericht 270 5 zivilrechtliche Vorfragen 262 14 Klageerzwingungsverfahren 262 42 Kognitionsmöglichkeit 264 29 Kognitionspflicht des Gerichts 264 37 ff. Einstellung des Verfahrens 264 42 Ergänzungsklage 264 39 Grenzen 264 41 ff. Hinweispflicht 265 2 Prozessgegenstand 264 37 ff. Sperrwirkung 264 42 Teilurteil 264 39 Umgestaltung der Anklage 264 51 Verfahrenshindernis 264 41 Vervollständigungsklage 264 39 Verweisung an höheres Gericht 270 13 Verwertung nicht angeklagter Taten 264 44 ff., s. a. dort Vorbehaltsurteil 264 39 Kollegialbehörden Auswahl des Mitglieds 256 65 Beauftragte des Kollegiums 256 68 Ersuchen des Gerichts 256 64 ff. Verleseverbotsausnahmen 256 11 Verlesung 256 63 ff. Vertretung 256 63 ff. Kollegialgericht Absetzungsfrist 275 14 Abstimmung 263 1 Überzeugung, richterliche 261 13 Kompetenzverteilung Bund-Länder 269 13 konfrontative Befragung 261 141 ff. Konsistenz 261 129 Konstanzanalyse 261 130 Körperverletzungen 256 46 ff. Körperverletzungsvorsatz 261 91 Korruptionsphänomen 257c 3 Kosten Abstimmung 263 17 Nachverfahren 275a 53 L Ladung 276 4 Lebenserfahrung 261 58 Legalbeweistheorie 257c 14 letztes Wort 258 37 ff. Angeklagte, abwesende 258 38 Ausschluss 258 42 f. Befragung des Angeklagten 258 44 ff. Befragung vor Auflagen/Weisungen 265a 13 Berechtigte 258 37 f. Entziehung des Worts 258 53 Erziehungsberechtigte 258 37 Grenzen 258 50 ff.

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Hauptverhandlung 258 1, s. a. Schlussvorträge höchstpersönliches Recht 258 38 Inhalt 258 47 ff. Missbrauch 258 50 Mitangeklagte 258 40 Nebenbeteiligte 258 37 Rechtsbehelfe 258 58 ff. Reihenfolge 258 39 ff. Revision 258 59 ff. schriftliche Aufzeichnungen 258 48 Sitzungsniederschrift 258 54 ff. Verteidigungsfreiheit 258 47 wesentliche Förmlichkeiten 273 11 Leumund 256 15 Leumundszeugnis behördliches ~ 256 14 bürgerlicher Rechtsverkehr 256 21 Einzelfälle 256 19 f. Führungszeugnis 256 20 Leumund 256 15 Tatsachen, einzelne 256 16 Verleseverbotsausnahmen 256 14 ff., 256 17 Vernehmung von Zeugen 256 14 Vorhalt 256 18 Lichtbilder 261 180 Liste der Strafvorschriften Annexentscheidungen 260 131 Betäubungsmittelabhängigkeit 260 134 Einstellung des Verfahrens 260 136 Freispruch 260 135 mehrere Angeklagte 260 130 Nachverfahren 275a 54 Rechtsfolgenausspruch 260 133 Revision 260 141 Richtigstellung 260 137 Schuldspruch 260 132 Urteil 260 127 ff. Verurteilung 260 132 ff. Lügendetektor 261 159 M Mantrailer 261 174 Massenbetrugstaten 261 97 Maßregeln Freispruch 267 172 Hinweispflicht 265 37, 265 44 Rechtsfolgenausspruch 260 88, 260 96, 260 104 Urteilsgründe 267 121 ff. Verständigung 257c 34 Zweifelssatz 261 204 materielle Gerechtigkeit 264 5, 264 13 Mehrheit 263 3 Merkblatt bei Bewährung 268a 16 Messerstich 261 85 Messverfahren 261 166 Milderungsgründe 265 43 Minderheitsvotum 260 8 Mischspur 261 168

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Sachregister

Missbrauch Erklärungen nach Beweiserhebung 257 4 Schlussvorträge 258 50 Verfahrensantragsform 257a 14 Verständigung 257c 3 Mitangeklagte Einbeziehungsbeschluss 266 17 letztes Wort 258 40 Schlussvorträge 258 12 Verständigung 257c 51 mitochondriale DNA 261 156, 261 171 Motivationsanalyse 261 131 Mündlichkeit Beweiswürdigung 261 2 Hauptverhandlung 257a 2 Nachtragsanklage 266 10 N Nachberatung 260 9 Nachfragen 261 110 Nachprüfung 261 272 Nachtatverhalten 261 89 Nachtragsanklage 266 1 ff. Abweichung der rechtlichen Beurteilung 265 11 Aussetzung des Verfahrens 266 34 Beschleunigung 266 1 Beschwerde 266 39 Bußgeldverfahren 266 3 Dauerdelikte 266 5 Einbeziehungsbeschluss 266 12 ff., s. a. dort Ermessen 266 8 Form 266 10 hinreichender Tatverdacht 266 7 Inhalt 266 11 Mündlichkeit 266 10 Rechtsbehelfe 266 40 ff. Revision 266 42 ff. Sitzungsniederschrift 266 38 f. Staatsanwalt 266 8 Unterbrechung 266 32 ff. Urteilsverkündung 266 9 Vereinfachung 266 1 Voraussetzungen 266 4 ff. weitere Straftaten 266 4 wesentliche Förmlichkeiten 266 38 f. Zeitpunkt 266 9 Nachverfahren 275a 1 ff. Ablehnung 275a 57 Aktenübersendung 275a 26 Antragserfordernis 275a 20 ff. Antragsform 275a 21 Antragsmitteilung 275a 23 f. Antragszeitpunkt 275a 22 Beweisaufnahme 275a 43 ff. einstweilige Unterbringung 275a 55 Hauptverhandlung 275a 32 ff. Kosten 275a 53 Ladungen 275a 28 Liste der Strafvorschriften 275a 54

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nachträgliche Anordnung 275a 5 f., 275a 8, 275a 20 ff. persönliche Entwicklung 275a 45 Pflichtverteidiger 275a 25, 275a 30 Rechtsnatur 275a 2 ff. Revision 275a 58 ff. Sachverständige 275a 31, 275a 46 ff. sachverständiger Zeuge 275a 51 Sicherungsverwahrungsvorbehalt 275a 3 f., 275a 7, 275a 16 ff. Sondervorschriften 275a 38 ff. Staatsanwalt 275a 16 ff. Strafzumessung 267 99 Unterbringungsbefehl 275a 62 ff., s. a. dort Urteil 260 23, 275a 52 ff. Urteilsgründe 275a 56 Verlesung des Urteils 275a 40 Vernehmung des Verurteilten 275a 41 f. Verteidiger 275a 29 ff. Verurteilung 275a 8 Vollstreckung 275a 17 Voraussetzungen 275a 7 ff. Vorbereitung 275a 16 ff. Vorbereitung der Verhandlung 275a 27 ff. Vorsitzende 275a 27 ff. Vortrag des Berichterstatters 275a 39 Wiederaufnahme 275a 6, 275a 61 zeitliche Vorgaben 275a 13 ff. Zuständigkeit 275a 9 ff. zweite Hauptverhandlung 275a 2 Namen Hauptverhandlungsprotokoll 272 10 ff., 272 16 ff. Urteilskopf 275 24 Namensverwechslung 260 117 natürliche Handlung 264 59 Nebenbeteiligte Erklärungen nach Beweiserhebung 257 7, 257 13 letztes Wort 258 37 Nebenentscheidungen Freispruch 260 48 f. Verweisung an höheres Gericht 270 33 Nebenkläger Beurkundung von Vorgängen/Äußerungen 273 56 Erklärungen nach Beweiserhebung 257 12 Erörterung des Verfahrensstands 257b 3 Hauptverhandlungsprotokoll 272 20 Inbegriff der Verhandlung 261 17 Schlussvorträge 258 17 Verständigung 257c 51, 257c 59 Nebenstrafen Hinweispflicht 265 37, 265 46 Rechtsfolgenausspruch 260 88 Verständigung 257c 37 Negativattest der Verständigung 257c 81, 257c 96, 273 35 Nötigungssituation 257c 15 Notwehr 261 203

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Sachregister

notwendige Verteidigung Hinweispflicht 265 78 Schlussvorträge 258 24 Verständigung 257c 31, 257c 52 O objektive Strafbarkeitsbedingungen 263 6 offenkundige Tatsache 261 27 ff. öffentliche Aufforderung zum Erscheinen 286–288 9 öffentliche Behörde 256 22 ff. Art des Organisationsaktes 256 24 Bedienstete 256 23 Begriff 256 22 Dienstverhältnis 256 23 Einzelfälle 256 26 f. Gutachten 256 38 ff. innere Organisation 256 25 monokratisch organisierte ~ 256 69 öffentlich-rechtliche Pflichten 256 23 privates Recht 256 24 Zeugnis 256 34 ff. öffentliche Klage 290 6 f. Öffentlichkeit Hauptverhandlung 257a 2 Hauptverhandlungsprotokoll 272 21 Urteilsformel 268 24 Urteilsverkündung 268 73 Verfahrensantragsform 257a 2 Verständigung 257c 5 wesentliche Förmlichkeiten 273 8 Ohrabdruckspuren 261 173 operative Fallanalyse 261 31 Organisationsdelikte Tateinheit 264 80 ff. Tatumfang 264 65 f. P Patente 262 19 PCR-Verfahren 261 167 persönliche Verhältnisse 267 85 ff. Ausführlichkeit 267 86 Bagatelltaten 267 85 Feststellung 267 88 frühere Verfehlungen 267 88 Nachverfahren 275a 45 Persönlichkeitsbewertung 264 46 Persönlichkeitsschutz 267 16 Pflichtverteidiger Hinweispflicht 265 78 Nachverfahren 275a 25, 275a 30 Unterbringungsbefehl 275a 65 Urteilsverkündung 268 6 Verständigung 257c 52 Phonetik 261 173 Photogrammetrie 261 172 Plädoyer 258 1 ff., s. a. Schlussvorträge Plausibilität 261 129 plea bargaining 257c 2 Polygraphen 261 159 Populationsdatenbanken 261 171

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Postpendenzfeststellung Alternativität 264 110 Freispruch 260 66 Schuldspruch 260 85 Wahlfeststellung 261 217 Präjudizialität 262 4 Präjudizialität, fehlende Akte fremder Hoheitsgewalt 262 30 Auslegung 262 27 Beamteneigenschaft 262 19 Bundeszentralregister 262 20 gestaltende Verwaltungsakte 262 19, 262 21 Gestaltungsurteil 262 18 Gestaltungswirkung 262 16 ff. Hoheitsakt als Tatbestandsmerkmal 262 26 Nichtigkeit 262 17 Patente 262 19 rückwirkende Gestaltungsurteile 262 23 Staatsangehörigkeit 262 19 Tatbegehung 262 28 Tatbestandswirkung 262 24 ff. Verwaltungsakt, Auslegung 262 29 Verwaltungsakte 262 25 Warenzeichen 262 19 zivilrechtliche Vorfragen 262 16 ff. Präpendenz 261 217 privates Wissen Inbegriff der Verhandlung 261 15, 261 26 Schlussvorträge 258 27, 258 33 Privatkläger Erklärungen nach Beweiserhebung 257 12 Inbegriff der Verhandlung 261 17 Schlussvorträge 258 17 Urteilskopf 275 34 Produktregel 261 126 Prognoseinstrumente 261 160 Prognosen Prozessverhalten, prognosewidriges 257c 74 Überzeugung, richterliche 261 12 Zweifelssatz 261 185 Protokollberichtigung s. Berichtigung des Protokolls Protokollberichtigungsverfahren 271 46, 271 65 ff. Protokollrüge 271 76 Prozessentscheidungen 260 13 Prozesserklärungen 257c 76 Prozessgegenstand Anklage 264 35 f. Berufung 264 34 Kognitionspflicht des Gerichts 264 37 ff., s. a. dort Nachtragsanklage 266 1 ff., s. a. dort Staatsanwalt 264 35 f. Tat 264 4, 264 33 ff. Umgestaltung der Anklage 264 48 ff., s. a. dort

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Sachregister

Unteilbarkeit 264 33 f. Urteilsgründe 267 5 Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft 264 35 f. Prozesshindernis 264 77 Prozessurteil 267 173 f. Prozessverhalten 257c 41 ff., 257c 74 Prozessvoraussetzungen Einbeziehungsbeschluss 266 14 Urteilsgründe 267 9 Prüfungsspielraum 270 12 psychiatrisches Krankenhaus 265 45 psychische Erkrankung 261 109 Punktstrafe 257c 37, 257c 89 Q Qualifikationstatbestände

265 39

R Randvermerk 271 6 Realkennzeichen 261 129 Rechtfertigungsgründe 263 8 rechtliches Gehör Aussetzung des Verfahrens 265 104 Beweiskraft des Protokolls 274 13 Beweiswürdigung 261 2 Erklärungen nach Beweiserhebung 257 2 Hauptverhandlung 257a 3 Hinweispflicht 265 6, 265 42 Schlussvorträge 258 1 Urteilsgründe 267 3 Rechtsbegriffe 267 38 Rechtsbehelfe Aussetzung des Verfahrens 262 57 ff. Belehrung bei Fahrverbot 268c 11 Bewährung 268a 23 f. Haftfortdauerbeschluss 268b 10 Hinweispflicht 265 108 ff. letztes Wort 258 58 ff. Nachtragsanklage 266 40 ff. Schlussvorträge 258 58 ff. Tatidentität 264 115 ff. Unterbrechung 266 40 f. Unterbringungsbefehl 275a 66 Verständigung 257c 87 ff. Verweisung an höheres Gericht 270 45 ff. zivilrechtliche Vorfragen 262 57 ff. Rechtsbeschwerde 275 76 Rechtsbeugungsvorsatz 261 93 Rechtsfolgenausspruch 260 68, 260 86 ff. Absehen von Strafe 260 98 Anrechnung der Untersuchungshaft 260 99 Bekanntmachung des Urteils 260 111 Berufsverbot 260 106 Bewährung 260 96 Einziehung 260 107 ff. Entschädigung für überlange Verfahrensdauer 260 103 Ersatzfreiheitsstrafe 260 90

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Fahrerlaubnis 260 101 Fahrverbot 260 101 Freiheitsstrafe 260 89 Geldstrafe 260 90 Gesamtstrafe 260 91 ff. Jugendstrafe 260 93 Liste der Strafvorschriften 260 133 Maßregeln 260 88, 260 96, 260 104 mehrere Straftaten 260 88 Nebenstrafen 260 88 Schwere der Schuld 260 89 Sicherungsverwahrung 260 95 Straffreierklärung 260 98 Tagessätze 260 90 Untersuchungshaft 260 99 Veröffentlichungsbefugnis 260 111 Verwarnung mit Strafvorbehalt 260 97 Vollstreckbarkeit 260 87 Vorbehalt der Einziehung 260 110 Wertersatz 260 109 Rechtsfrage 262 5 Rechtsgutachten 256 40 Rechtskraft abgekürztes Urteil 267 135 ff. Tat 264 4 f. Tateinheit 264 78 Rechtsmittel Absetzungsfrist 275 69 ff. Befragung vor Auflagen/Weisungen 265a 17 f. Berichtigung des Protokolls 271 70 ff. Beurkundung von Vorgängen/Äußerungen 273 66 Beweiskraft des Protokolls 274 20 Inhaltsprotokoll 273 40 sicheres Geleit 295 26 ff. Umgestaltung der Anklage 264 50 wesentliche Förmlichkeiten 273 21 Rechtsmittelbelehrung 268 35 ff. Rechtsmittelverzicht 257c 35 Rechtsstaatsgebot 267 3 Redezeit 258 26 Referenzpopulation 261 169 Regelbeispiele Abstimmung 263 9 Hinweispflicht 265 40 Schuldspruch 260 73, 260 78 Strafzumessung 267 103 Verständigung 257c 33 Zweifelssatz 261 189 Reihenfolge Gang der Hauptverhandlung 273 3 Hauptverhandlungsprotokoll 271 4 letztes Wort 258 39 ff. Schlussvorträge 258 20 Urteilsverkündung 268 18 Reinschrift Absetzungsfrist 275 5 Hauptverhandlungsprotokoll 271 2 Revision Absetzungsfrist 275 17, 275 70 ff.

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Sachregister

Abstimmung 263 4, 263 19 ff. Aufklärungspflicht des Gerichts 256 72, 257 43 Aussetzung des Verfahrens 262 60 ff., 265 110 ff. Befragung vor Auflagen/Weisungen 265a 18 Begründungsfristüberschreitung 275 74 Berichtigung des Protokolls 271 59 ff., 271 76 ff. Berichtigungsbeschluss 268 59 Bewährung 268a 21, 268a 24 Beweiswürdigung 261 253 ff., 267 182 Dolmetscher 259 10 f. Einbeziehungsbeschluss 266 15 Einstellung des Verfahrens 260 140 Erklärungen nach Beweiserhebung 257 37 ff. Hauptverhandlungsprotokoll 271 40 ff., 273 67 ff. Hinweispflicht 265 15, 265 110 ff. letztes Wort 258 59 ff. Liste der Strafvorschriften 260 141 Nachtragsanklage 266 42 ff. Nachverfahren 275a 58 ff. Schlussvorträge 258 59 ff. Strafzumessung 267 187 f. Teilentscheidungen 260 18 Unterbrechung 266 44 Urteil 260 138 ff. Urteilsberatung 260 138 Urteilsformel 260 139 Urteilsgründe 267 176 ff., 275 70 f. Urteilskopf 275 73 Urteilsverkündung 268 15, 268 66 ff. Verfahrensantragsform 257a 27 Verhinderungsvermerk 275 72 Verleseverbotsausnahmen 256 70 ff. Verständigung 257c 89 ff. Verweisung an höheres Gericht 270 51 ff. Verweisungsverbot 269 14 Richter Abstimmung 263 1 ff., s. a. dort beauftragte ~ 289 1 ff. blinder ~ 261 39 ersuchte ~ 289 1 ff. Hauptverhandlungsprotokoll 272 10 mitwirkende ~ 275 37 schlafender ~ 261 38 tauber ~ 261 39 überstimmte ~ 275 38 Unterschriftsverhinderung 275 44 ff. Urteilskopf 275 24 Urteilsverkündung 268 5 zivilrechtliche Vorfragen 262 1 ff., s. a. dort Richtsätze 267 95 Routinegutachten Gerichtsärzte 256 51 ff. Verleseverbotsausnahmen 256 6 Rückabwicklung 257c 76

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Rücktritt Indizienbeweis 261 97 Zweifelssatz 261 203 Rügeverkümmerung Berichtigung des Protokolls 271 46, 271 50, 271 58, 271 61 Beweiskraft des Protokolls 274 6 S Sachaufklärung Erklärungen nach Beweiserhebung 257 3 Hinweispflicht 265 7 Sachentscheidungen Berichtigungsbeschluss 268 56 Einstellung des Verfahrens 260 124 Freispruch 260 38 f. Urteil 260 13 Verweisungsbeschluss 270 29 f. Vorrang 260 38 f. Sachrüge Beweiswürdigung 261 267 ff. Urteilsgründe 267 178, 267 183, 267 193 Verständigung 257c 89 Sachverständige Inbegriff der Verhandlung 261 23 Inhaltsprotokoll 273 39 Nachverfahren 275a 31, 275a 46 ff. vereidigte ~ 256 43 Verleseverbotsausnahmen 256 5 ff., 256 43 Sachverständigenbeweis 261 155 ff. Abweichung des Gerichts 261 161 Anknüpfungstatsachen 261 164 Beweiswert 261 156 Bewertungsskala 261 158 biostatistische Wahrscheinlichkeitsberechnung 261 167 Darlegungsumfang 261 166 ff., 261 170 ff. Experimente 261 173 Fachfragen 261 155 fremde Ethnie 261 169 Glaubhaftigkeitsgutachten 261 170 Handschriftenuntersuchung 261 173 Hauptverhandlung 261 155 Identitätsgutachten, anthropologische 261 172 Lügendetektor 261 159 Mantrailer 261 174 mehrere Sachverständigengutachten 261 165 Messverfahren 261 166 Mischspur 261 168 mitochondriale DNA 261 156, 261 171 Ohrabdruckspuren 261 173 PCR-Verfahren 261 167 Phonetik 261 173 Photogrammetrie 261 172 Polygraphen 261 159 Populationsdatenbanken 261 171 Prognoseinstrumente 261 160 Rechtsfragen 261 155 Referenzpopulation 261 169

Klie

Sachregister

Scheinerinnerungen 261 170 Schuldfähigkeit 261 170 Sicherung einer Spur 261 157 Spürhunde 261 174 standardisierte Bewertungsskala 261 158 standardisierte Untersuchungsmethoden 261 166 Tatwissentechnik 261 159 Todeszeitpunkt 261 173 Übernahme des Gerichts 261 162 Untersuchungsmethode 261 159 Vergleichsfragenmethode 261 159 Werkzeugspuren 261 173 Zellkern-DNA 261 156, 261 167 Sachverständigengutachten mehrere ~ 261 165 Urteilsgründe 267 67 Zeugenaussage 261 132 Sammelstraftat 260 65 Sammelvermerk 271 13 Sanktionsschere 257c 18, 257c 56, 257c 91 Schadenshöhe 267 40 Schätzungen Tathergangsfeststellung 267 42 Zweifelssatz 261 195 ff. Scheinerinnerungen 261 170 Schlussfolgerungen Beweiswürdigung 261 45 Erfahrungssätze 261 66 veränderte Sachlage 265 54 Schlussvorträge 258 1 ff. Angeklagte 258 17, 258 32 Anrufung des Gerichts 258 58, 258 64 Anträge des Staatsanwalts 258 30 Aufmerksamkeit 258 14 Beratung 258 16 Berechtigte 258 17 f. Beruhen auf Verletzung 258 68 f. Beschwer 258 66 Beweisaufnahme 258 2 f. bewusst unrichtige Anträge 258 31 Dolmetscher 259 1 ff., s. a. dort Einstellung des Verfahrens 258 9 Entziehung des Worts 258 53 Erklärungen nach Beweiserhebung 257 23 ff. Erneuerung 258 4 ff. Erwiderung 258 34 Erziehungsberechtigte 258 17 Form 258 25 f. frühere ~ 258 13 Geständnis 258 7 Grenzen 258 50 ff. Hauptverhandlungsinhalt 258 27 Inhalt 258 27 ff. mehrere Berechtigte 258 21 Missbrauch 258 50 Mitangeklagte 258 12 Nebenkläger 258 17 Niederschrift der Urteilsformel 258 15 notwendige Verteidigung 258 24

Klie

privates Wissen 258 27, 258 33 Privatkläger 258 17 Recht zur Erwiderung 258 34 rechtliches Gehör 258 1 Rechtsbehelfe 258 58 ff. Redezeit 258 26 Reihenfolge 258 20 Revision 258 59 ff. Sachlichkeit 258 28 Sitzungsniederschrift 258 54 ff. Sitzungspolizei 258 10 sonstiges Verhandeln 258 8 Staatsanwalt 258 17, 258 23, 258 29 ff. Teileinstellung 258 9 Tonaufzeichnung 258 26 Verfahrensantragsform 257a 8 Verfahrensbeteiligte 258 22 Verfahrensrüge 258 59 ff. Verpflichtung 258 22, 258 22 ff. Verteidiger 258 18, 258 24, 258 33 Vorsitzende 258 19 Wahrheitsfindung 258 1 wesentliche Förmlichkeiten 273 11 Wiedereröffnung 258 10 Worterteilung 258 19 Zeitpunkt 258 2 ff. Schöffen Abstimmung 263 3 Beweiskraft des Protokolls 274 21 Erörterung des Verfahrensstands 257b 4 Haftfortdauerbeschluss 268b 7 Hauptverhandlungsprotokoll 272 10 Urteilskopf 275 24 Urteilsverkündung 268 5 Verpflichtung zum eigenen Urteil 261 33 ff. Schöffengericht Beweiserhebungen 270 40 Inhaltsprotokoll 273 38 ff., s. a. dort Unterschrift 275 39 Verweisungsverbot 269 7 Schriften Bezugnahme 267 29 entscheidungserhebliche ~ 267 30 Urteilsgründe 267 30 Schuldausschließungsgründe 263 8 Schuldfähigkeit Sachverständigenbeweis 261 170 Tathergangsfeststellung 267 47 Zweifelssatz 261 203 Schuldfrage 263 5 ff. Schuldprinzip 257c 6 Schuldspruch Abstimmung 263 1 Alternativen 260 81 Auffangdelikte 260 76 bedingter ~ 260 21 Beteiligungsform 260 75 Beweiswürdigung 261 1, s. a. dort Bezeichnung der Tat 260 70 fahrlässige Begehung 260 74 fortgesetzte Handlung 260 84

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Sachregister

Freispruch 260 37 Gesetzeseinheit 260 83 isolierter ~ 260 19 Klassifizierung der Tat 260 72 Konkurrenzform 260 80 Liste der Strafvorschriften 260 132 mehrdeutige Tatsachengrundlage 260 85 Postpendenzfeststellung 260 85 Qualifikationsmerkmale 260 73 Regelbeispiele 260 73, 260 78 Strafzumessung 260 77 Tateinheit 260 80 Tatmehrheit 260 80, 260 82 Tatsachenalternativität 260 85 Verständigung 257c 33 Versuch 260 75 Verurteilung 260 67 ff., 260 70 ff. Wahlfeststellung 260 85 Schweigen 261 119 ff. allgemeine Erklärung 261 121 Auskunftspflicht, außerstrafprozessuale 261 125 Beweisverwertungsverbot 261 125 Einlassung, frühere 261 121 Schweigepflichtentbindung 261 124 Selbstbezichtigungen 261 125 sonstiges Verhalten 261 124 teilweises ~ 261 122 f. Verteidiger 261 124 Wertung 261 119 ff. Zeugenaussage 261 151 Schweigepflichtentbindung 261 124 Schweigerecht Erklärungen nach Beweiserhebung 257 10 Verständigung 257c 15 Schwere der Schuld 260 89 Selbstbezichtigungen Aussageverhalten des Angeklagten 261 111 Schweigen 261 125 Selbstleseverfahren 273 16 sentence bargaining 257c 10 Serientaten Tathergangsfeststellung 267 42 Tatmodifikation 264 100 Tatumfang 264 67 f. sicheres Geleit 295 1 ff. Abwesenheit 295 3 andere Zwecke 295 24 f. Bedingungen 295 9 ff. Befristung 295 8 Beschlüsse 295 13 Beschwerde 295 26 ff. bestimmte Straftat 295 6 Dauer 295 7 f. EMRK 295 34 Erlöschen 295 18 ff. Ermessen 295 13 Ermittlungsrichter 295 15 freiheitsentziehende Maßnahmen 295 2, 295 5 Geleitbrief 295 13

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Haftbefehl 295 21 Haftrichter 295 15 Inhalt 295 5 f. internationaler Rechtshilfeverkehr 295 31 ff. mehrere Verfahren 295 17 Rechtsmittel 295 26 ff. Untersuchungshaft 295 1, 295 5 unzuständiges Gericht 295 16 Verfahren 295 13 ff. Verfahrensabschnitt 295 4 Völkerrecht 295 33 Vorverfahren 295 15 Widerruf 295 22 f. Zusicherung 295 1 Zuständigkeit 295 14, 295 25 Sicherungsverwahrung Belehrung bei Sicherungsverwahrungsvorbehalt 268d 1 ff., s. a. dort Hinweispflicht 265 45 Nachverfahren 275a 1 ff., s. a. dort Rechtsfolgenausspruch 260 95 Sicherungsverwahrungsvorbehalt 260 21, 267 124 ff., s. a. dort Urteilsgründe 267 124 ff., 267 127 ff. Sicherungsverwahrungsvorbehalt 267 124 ff. Belehrung bei Sicherungsverwahrungsvorbehalt 268d 1 ff., s. a. dort Hauptverhandlung 275a 32 f. Nachverfahren 275a 1 ff., s. a. dort Sicherungsverwahrung 260 21 Urteil 260 21 Sitzungsniederschrift Absetzungsfrist 275 11 Befragung vor Auflagen/Weisungen 265a 16 Belehrung bei Fahrverbot 268c 10 Belehrung bei Sicherungsverwahrungsvorbehalt 268d 5 Berichtigung des Protokolls 271 78 Beurkundung von Vorgängen/Äußerungen 273 62 Bewährung 268a 18 Beweiskraft des Protokolls 274 7 Dolmetscher 259 9 Erklärungen nach Beweiserhebung 257 34 ff. Erörterung des Verfahrensstands 257b 12 Haftfortdauerbeschluss 268b 11 Hauptverhandlungsprotokoll 271 1 ff., s. a. dort Hinweispflicht 265 81 ff. Inbegriff der Verhandlung 261 43 letztes Wort 258 54 ff. Nachtragsanklage 266 38 f. Schlussvorträge 258 54 ff. Urteilsberatung 260 11 Urteilsgründe 267 8 Urteilsverkündung 260 24, 268 28 ff. Verfahrensantragsform 257a 25 Verkündungstermin 268 31 Verlesung 256 60

Klie

Sachregister

Verständigung 257c 80 f. Sitzungspolizei Schlussvorträge 258 10 wesentliche Förmlichkeiten 273 20 Sitzungssaal 260 10 sozialer Sinnzusammenhang 264 26 Sperrerklärung 261 147 Sperrwirkung Einstellung des Verfahrens 260 123 Kognitionspflicht des Gerichts 264 42 Sprachstil der Urteilsgründe 267 11 Spürhunde 261 174 Staatsangehörigkeit 262 19 Staatsanwalt Aussetzung des Verfahrens 262 42 Bewährung 267 110 Beweissicherungsverfahren 285 9 Erklärungen nach Beweiserhebung 257 12 ff. Erörterung des Verfahrensstands 257b 3 Hauptverhandlungsprotokoll 272 11 Nachtragsanklage 266 1 ff., 266 8, s. a. dort Nachverfahren 275a 16 ff. Prozessgegenstand 264 35 f. Schlussvorträge 258 17, 258 23, 258 29 ff. Unterbringungsbefehl 275a 65 Urteilskopf 275 26 Urteilsverkündung 268 6 Verständigung 257c 42, 257c 51, 257c 59 f. Staatsschutzsachen 270 12 Stampftritte 261 85 standardisierte Untersuchungsmethoden 261 166 Steuerstrafverfahren 264 3 Stimmenidentifizierung 261 135 Strafaufhebungsgründe 263 8 Strafausschließungsgründe 263 8 Strafaussetzung zur Bewährung s. Bewährung Strafausspruch 257c 37 Strafbefehl Abweichung der rechtlichen Beurteilung 265 11 Abwesenheitsverfahren 285 2 Belehrung bei Fahrverbot 268c 3 Urteilsformel 260 33 Verleseverbotsausnahmen 256 10 Straffreierklärung 260 98 Straffreiheitsgesetz Einstellung des Verfahrens 260 122 Hinweispflicht 265 19 Strafrahmen Strafzumessung 267 92 Verständigung 257c 33, 257c 55 Strafrichter Beweiserhebungen 270 40 Inhaltsprotokoll 273 38 ff., s. a. dort Verweisungsverbot 269 7 Strafverfolgungsbehörden Ermittlungshandlungen 256 55 Verleseverbotsausnahmen 256 55 Vernehmungsprotokolle 256 56

Klie

Strafzumessung Absehen von Strafe 267 118 Beeinträchtigungen 267 84 Beschleunigungsgebot 267 84 Bewährung 267 109 ff., s. a. dort Bußgeldkataloge 267 95 Einzelfall 267 94 Erwägungen 267 91 faires Verfahren 267 84 Freiheitsstrafe unter sechs Monaten 267 108 Geldbußen 267 98 Geldstrafe 267 97 Gesamtstrafe 267 99 Hinweispflicht 265 41 Jugendstrafverfahren 267 100 Milderungen 267 101 ff. Nachverfahren 267 99 persönliche Verhältnisse 267 85 ff., s. a. dort Regelbeispiele 267 103 Revision 267 187 f. Richtsätze 267 95 Schuldspruch 260 77 Schwere der Schuld 267 96 Strafrahmen 267 92 Strafschärfungen 267 101 ff. Strafzumessungsempfehlungen 267 95 Tagessätze 267 97 Tatsachen 267 91 Umstände, bestimmende 267 89 ff. Urteilsgründe 267 83 ff. Verpflichtung zum eigenen Urteil 261 36 Verständigung 257c 89 Zweifelssatz 261 203 Strafzumessungsempfehlungen 267 95 Strafzweck 257c 4 Straßenverkehrsdelikte Indizienbeweis 261 88, 261 94 Tatmehrheit 264 90 ff. Strengbeweis 257c 47 Stufenverhältnis 261 215 f. Suggestion 261 129 T Tagessätze Rechtsfolgenausspruch 260 90 Strafzumessung 267 97 Tat 264 4 ff. Adhäsionsverfahren 264 3 Akkusationsprinzip 264 5 Aufgabe des Tatbegriffs 264 9 Bußgeldverfahren 264 3 idem crimen 264 10 idem factum 264 10 Inquisitionsmaxime 264 5 Kognitionspflicht des Gerichts 264 37 ff. materielle Gerechtigkeit 264 5, 264 13 normative Vorgaben 264 9 ff. Prinzipienkollisionen 264 5 f. Prozessgegenstand 264 4, 264 33 ff., s. a. dort

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Sachregister

Rechtskraft 264 4 f. Steuerstrafverfahren 264 3 Tateinheit 264 71 ff., s. a. dort Tathergangsfeststellung 267 35 ff., s. a. dort Tatidentität 264 14 ff., s. a. dort Tatmehrheit 264 87 ff., s. a. dort Tatmodifikation 264 95 ff., s. a. dort Tatumfang 264 58 ff., s. a. dort Urteil 264 39 verfahrensrechtlicher Tatbegriff 264 4 ff. Verweisung an höheres Gericht 270 34 Wiederaufnahme 264 12 Tatbegehung 262 28 Tateinheit 264 71 ff. Bedingungszusammenhang 264 73 Dauerdelikte 264 80 ff. Gleichzeitigkeit 264 73 materielle ~ 264 71 ff., 264 74 ff. Organisationsdelikte 264 80 ff. Prozesshindernis 264 77 prozessuale ~ 264 71 ff., 264 74 ff. Rechtskraft 264 78 strukturelles Ineinandergreifen 264 73 Verklammerung 264 83 ff. Waffendelikte 264 82 Zweifelssatz 261 202 Tathergangsfeststellung 267 35 ff. Abgabenverkürzung 267 40 Absicht 267 45 äußere Tatsachen 267 37 Betäubungsmittel 267 39 Fahrlässigkeit 267 44 geordnete Darstellung 267 36 geschlossene Darstellung 267 35 Hilfserwägung 267 45 Inhaltsprotokoll 273 45 innere Tatseite 267 44 ff. mehrdeutige Tatsachengrundlagen 267 49 mehrere Tatbeteiligte 267 41 Merkmale der Straftat 267 35 ff. Mindestzahl der Taten 267 42 rechtlich einheitliche Tat 267 43 Rechtsbegriffe 267 38 Schadenshöhe 267 40 Schätzung 267 42 Schuldfähigkeit 267 47 Serientaten 267 42 tatrichterliche Subsumtion 267 35 Tatsachen 267 37 Unrechtsbewusstsein 267 46 Unterhaltspflichtverletzung 267 40 Verkehrsstrafsachen 267 39 Versuch 267 45 Vorsatz 267 45 wesentliche Feststellungen 267 35 Zusammenfassung 267 41, 267 43 Tatidentität 264 14 ff. Abfolge 264 17 Alternativität 264 107 ff., s. a. dort Angriffsrichtung 264 27 Anklage 264 32

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Berichtigungsklage 264 31 Bundesgerichtshof 264 14 Ergänzungsklage 264 31 Fallgruppen 264 24 Gesamtplan 264 17 gleichartige Begehensweise 264 17 Gleichzeitigkeit 264 17 Identität der Beteiligten 264 17 innere Verknüpfung 264 15, 264 17 Kognitionsmöglichkeit 264 29 materiell-rechtliche Handlung 264 25 mehrere Beschuldigte 264 18 Normativierung des Tatbegriffs 264 20 f. rechtliches Gepräge 264 27 Rechtsbehelfe 264 115 ff. Rechtsprechung 264 14 ff. Reichsgericht 264 14 Richtung des Tätigkeitsaktes 264 26 sozialer Sinnzusammenhang 264 26 subsidiäre Straftaten 264 114 Tatmodifikation 264 19, 264 95 ff., s. a. dort Tatobjekt 264 17 Tatopferaustausch 264 102 Tatortabweichung 264 101 Tatumfang 264 15 ff. Tatzeitverschiebung 264 101 Umgestaltung der Anklage 264 52 ff. Unrechtsgehalt 264 27 Untersuchungsrichtung 264 30 unwesentliche Veränderungen des Tatbilds 264 104 Vervollständigungsklage 264 31 wesentliche Veränderungen des Tatbilds 264 106 Tätigkeitsdelikte 264 98 Tatmehrheit 264 87 ff. Ausnahmen 264 88 ff. eine prozessuale Tat 264 89 ff. Freispruch 260 55 ff. innere Verknüpfung 264 88 materiell-rechtliche ~ 264 87 ff. mehrere prozessuale Taten 264 87 Schuldspruch 260 80, 260 82 Straßenverkehrsdelikte 264 90 ff. Waffendelikte 264 82 Zweifelssatz 261 202 Tatmittel 261 179 Tatmodifikation 264 19, 264 95 ff. Eigentumsdelikte 264 103 Erfolgsdelikte 264 97 Nämlichkeit der Tat 264 95 Richtung der Tat 264 95 f. Serientaten 264 100 Tätigkeitsdelikte 264 98 Tatopferaustausch 264 102 Tatortabweichung 264 101 Tatzeitverschiebung 264 101 Umgestaltung der Anklage 264 53 Unterlassungsdelikte 264 99 unwesentliche Veränderungen des Tatbilds 264 104

Klie

Sachregister

Vermögensdelikte 264 103 wesentliche Veränderungen des Tatbilds 264 106 Tatopferaustausch 264 102 Tatort 260 6 Tatrichter Überzeugung, richterliche 261 7 Zeugenaussage 261 128 Tatsachen Aussageverhalten des Angeklagten 261 117 Geständnis 261 117 Hinweispflicht 265 38 Indizienbeweis 261 78 Strafzumessung 267 91 Tathergangsfeststellung 267 37 veränderte Sachlage 265 51 zivilrechtliche Vorfragen 262 5 Zweifelssatz 261 183, 261 190 ff., 261 203, 261 210 Tatsachenalternativität Freispruch 260 58 Schuldspruch 260 85 Wahlfeststellung 261 223 ff. Tatsachengrundlage 261 45 Tatsacheninstanz 264 49 Tatumfang 264 15 ff., 264 58 ff. Bewertungseinheiten 264 69 f. Dauerstraftaten 264 64 Ersatzdienstverweigerung 264 64 Fortsetzungszusammenhang 264 61 ff. Handlungseinheit, natürliche 264 60 Handlungseinheit, tatbestandliche 264 59 natürliche Handlung 264 59 Organisationsdelikte 264 65 Organisationsdelikte, uneigentliche 264 66 Rechtsbehelfe 264 115 ff. Serienstraftaten 264 67 f. sukzessive Tatbestandsverwirklichung 264 64 Tateinheit 264 71 ff., s. a. dort Umgestaltung der Anklage 264 53 Unterlassungsdauerdelikte 264 64 Wiederholungstaten 264 67 f. Zäsur 264 64 Tatwissentechnik 261 159 Teileinstellung 258 9 Teilfreispruch 260 51 ff. Teilurteile Tat 264 39 Urteil 260 17 ff. Teilverweisung 270 29 Tenor Bewährung 268a 4 Urteilsverkündung 260 25 Verweisungsbeschluss 270 25 tertium non datur 261 227 Textbausteine 267 14 Todeszeitpunkt 261 173 Tonaufzeichnung Augenschein 261 179 Hauptverhandlungsprotokoll 271 3

Klie

Inhaltsprotokoll 273 43 Schlussvorträge 258 26 Urteilsberatung 260 8 Tonträger Bezugnahme 267 28 Urteilsgründe 267 31 Totalabstimmung 263 11 Tötungsvorsatz 261 85 ff. U Übertragungsvermerke 256 9, 256 57 Überzeugung, richterliche 261 7 ff. Aussageverhalten des Angeklagten 261 115 Begriff 261 7 Entscheidungsraum 261 7 Gewissheit 261 8 Kollegialgericht 261 13 Prognosen 261 12 Tatrichter 261 7 ursächlicher Zusammenhang 261 10 Voraussetzungen 261 7 ff. Wahlfeststellung 261 240 ff. Wahrscheinlichkeit 261 9 Zweifel 261 8 Zweifelssatz 261 183 Umfangssachen 257a 1 Umgestaltung der Anklage 264 48 ff. Angeklagte 264 54 Ausschöpfung des Unrechts-/Schuldgehalts 264 55 Berufung 264 49 Grenzen 264 51 Kognitionspflicht des Gerichts 264 51 Rechtsmittel 264 50 Tatidentität 264 52 ff. Tatmodifikation 264 53 Tatsacheninstanz 264 49 Tatumfang 264 53 Verteidigung 264 54 Unabänderlichkeit des Urteils 275 58 ff. Unabhängigkeit der Beweiswürdigung 261 106 ff. Unbrauchbarmachung 265 44 Ungleichbehandlung 257c 14 Unmittelbarkeit der Beweiswürdigung 261 2 Unrechtsbewusstsein 267 46 Unrechtsgehalt 264 27 Unrechtskern bei Wahlfeststellung 261 233 Unschuldsvermutung Beweiswürdigung 261 1 Freispruch 267 168 Urteilsgründe 267 3, 267 168 Verständigung 257c 15, 257c 17 Verwertung nicht angeklagter Taten 264 45 Zweifelssatz 261 182 Unteilbarkeit des Prozessgegenstandes 264 33 f. Unterbrechung Angeklagte 266 36 Antrag 266 36 f.

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Sachregister

Einbeziehungsbeschluss 266 32 ff. Ermessen 266 35 Haftfortdauerbeschluss 268b 7 Hauptverhandlungsprotokoll 271 12 Nachtragsanklage 266 32 ff. Rechtsbehelfe 266 40 f. Revision 266 44 Vorsitzende 266 35 Unterbringungsbefehl Antrag 275a 65 EMRK 275a 62 Haftfortdauerbeschluss 268b 6 Nachverfahren 275a 62 ff. Pflichtverteidiger 275a 65 Rechtsbehelfe 275a 66 Staatsanwalt 275a 65 Zuständigkeit 275a 64 Unterlassungsdelikte Tatmodifikation 264 99 Tatumfang 264 64 Wahlfeststellung 261 222 Unterschrift Absetzungsfrist 275 3 Änderung 275 40 f. Berichtigung des Protokolls 271 51 Berufsrichter 275 37 Beschlüsse 275 43 Ergebnis der Beratung 275 38 Fertigstellungsvermerk 271 30 f. Hauptverhandlungsprotokoll 271 20 ff. Schöffengericht 275 39 überstimmte Richter 275 38 Unterschriftshindernis 271 25 Unterschriftsverhinderung 271 24 ff. Urkundsbeamte 271 20, 271 26, 275 42 Urteil 275 35 ff. Urteilsgründe 268 26 Verhinderungsvermerk 271 28 Vorsitzende 271 20 Untersuchungsgrundsatz 257c 27 Untersuchungshaft Absetzungsfrist 275 18 Freispruch 260 49 Haftfortdauerbeschluss 268b 1 ff., s. a. dort Rechtsfolgenausspruch 260 99 sicheres Geleit 295 1, 295 5 Verständigung 257c 38 Verweisungsbeschluss 270 31 Untersuchungsmethode 261 159 Untersuchungsrichtung 264 30 Untreuevorsatz 261 96 Unverzüglichkeit Absetzungsfrist 275 8 Aufnahme ins Protokoll 275 21 Begriff 275 8 Unzuständigkeitserklärung 269 9 Urkunden Beweiskraft des Protokolls 274 3 wesentliche Förmlichkeiten 273 16 Urkundenbeweis 261 176 ff. Augenschein 261 176

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Auslegung 261 176 Bekennerschreiben 261 177 Beweiswert 261 176 f. Gegenstand der Verhandlung 261 178 Verleseverbotsausnahmen 256 2 Urkundsbeamte Ausfertigungen 275 68 Berichtigung des Protokolls 271 48 ff. Hauptverhandlungsprotokoll 271 14 ff., 272 12 Inhaltsprotokoll 273 41 Meinungsverschiedenheit 271 18 f. Unterschrift 271 20, 275 42 Unterschriftsverhinderung 271 26 Urteil 275 42 Urteilskopf 275 29 Urteilsverkündung 268 6 Wechsel 271 13 Urschrift 275 64 ff. Urteil 260 1 ff. Abänderung des ~s 268 38 ff. abgekürztes ~ 267 134 ff. Absetzungsfrist 275 1 ff., 275 3, s. a. dort Abstimmung 263 1 ff., s. a. dort Adhäsionsverfahren 260 17 Änderung 275 55 ff. Anklage 264 1 Aufnahme ins Protokoll 275 19 ff., s. a. dort Ausfertigungen 275 67 f. äußere Form 275 22 ff. bedingter Schuldspruch 260 21 Begriff 260 12 Berichtigung des ~s 268 44 ff. Berichtigung des Urteils 275 61 Berichtigungsbeschluss 268 56 ff., s. a. dort besondere Urteilsformen 260 16 ff. Bestandteile 260 27 Bewährung 260 21, 268a 1 f., s. a. dort Beweiswürdigung s. a. dort Bindungswirkung 275 55 ff. Eingangsvermerk 275 53 f. Einstellung des Verfahrens 260 3, 260 112 ff., s. a. dort Ergänzungsurteil 260 22 f. Erlass des Urteils 260 24 ff. Eröffnungsbeschluss 264 1 erste Instanz 260 14 Fassungsversehen 268 47 ff. Freispruch 260 3, 260 37 ff., s. a. dort Gegenstand 264 1 ff. Inhalt 260 2 isolierter Schuldspruch 260 19 Liste der Strafvorschriften 260 127 ff., s. a. dort Nachverfahren 260 23, 275a 52 ff. Nichtigkeit 260 28 Prozessentscheidungen 260 13 Rechtsmittelinstanz 260 15 Revision 260 138 ff. Sachentscheidungen 260 13 Schreib-/Rechenfehler 268 50

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Sicherungsverwahrungsvorbehalt 260 21 Tat 264 4 ff., 264 39, s. a. dort Teilurteile 260 17 ff. Unabänderlichkeit 275 58 ff. Unterschrift 275 35 ff. Unterschriftsänderung 275 40 f. Unterschriftsverhinderung 275 44 ff. Urkundsbeamte 275 42 Urschrift 275 64 ff. Urteilsarten 260 13 ff. Urteilsberatung 260 5 ff., s. a. dort Urteilsformel 260 30 ff., s. a. dort Urteilsgründe 267 1 ff., s. a. dort Urteilskopf 275 22 ff., s. a. dort Urteilsverkündung 260 1, 260 24 ff., 268 1 ff., s. a. dort Verbleib 275 64 ff. Verhinderungsvermerk 275 44 ff. Verurteilung 260 3, 260 67 ff., s. a. dort Verwarnung mit Strafvorbehalt 260 21 Widerspruch zum Protokoll 275 62 zivilrechtliche Vorfragen 262 1 ff., s. a. dort Zwischenurteile 260 16 Urteilsberatung 260 5 ff. Ablauf 260 8 Beratungszimmer 260 6 Dauer 260 7 Form 260 6 Gang der Hauptverhandlung 273 5 Gedächtnisstütze 260 8 Minderheitsvotum 260 8 Nachberatung 260 9 Ort 260 6 Revision 260 138 Sitzungsniederschrift 260 11 Sitzungssaal 260 10 Tatort 260 6 Tonaufzeichnung 260 8 Vorberatung 260 5 Wiedereintritt 260 9 Zwischenberatung 260 5 Urteilsformel 260 30 ff. Begriff 268 20 Beurkundung der ~ 273 27 ff. Bezugnahmen 260 32 Bußgeldbescheid 260 33 Eindeutigkeit 260 31 ff. Einstellung des Verfahrens 260 126 Ermessen 260 67 Erschöpfung des Verfahrensgegenstandes 260 36 freie Gestaltung 260 30 Freispruch 260 45 ff. Hauptverhandlungsprotokoll 273 27 ff. Öffentlichkeit 268 24 Revision 260 139 Strafbefehl 260 33 Teilrechtskraft 260 33 Urteilsgründe 268 20 f. Urteilsverkündung 268 18 ff.

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Verlesung 268 22 Vollständigkeit 260 34 f. Wahlfeststellung 261 247 ff. Widerspruch 268 70, 275 63 Urteilsgründe 267 1 ff. abgekürztes Urteil 267 134 ff. Absehen von Strafe 267 118 Änderung 275 55 ff. Angeklagte 267 62 f. angewandtes Strafgesetz 267 78 ff., 267 186 Art der Darstellung 267 12 f. Aufklärungsrüge 267 185 Augenschein 267 68 Aussageverhalten des Angeklagten 261 118 Beratungsergebnis 267 7 Bestandteil der ~ 267 17 Bewährung 267 109 ff., s. a. dort Beweismittel, einzelne 267 60 Beweistatsachen 267 50 ff. Beweiswürdigung 261 74 ff., 267 55 ff., 267 182 Bezugnahme 267 15 ff., 267 25, s. a. dort Bindungswirkung 275 55 ff. Eigenkontrolle 267 4 Einlassung des Angeklagten 267 62 f. Einstellung des Verfahrens 267 173 Einziehung 267 132 Ergebnis der Hauptverhandlung 267 8 Fachausdrücke 267 11 Fahrerlaubnisentziehung 267 129 Fahrverbot 267 130 faires Verfahren 267 4 Form 267 11 ff. Formalentscheidungen 267 174 Formalien 267 175 Freispruch 267 163 ff. Funktionen 267 3 ff. Gegenstand 267 7 ff. Hauptverhandlungsprotokoll 273 29 Inhaltsübersicht 267 13 Jugendstrafverfahren 268 23 Maßregeln 267 121 ff. mündliche ~ 268 20 f. Nachverfahren 275a 56 Prozessgegenstand 267 5 Prozessurteil 267 173 f. Prozessvoraussetzungen 267 9 rechtliches Gehör 267 3 Rechtsausführungen, weitere 267 82 Rechtsstaatsgebot 267 3 Revision 267 176 ff., 275 70 f. Sachrüge 267 178, 267 183, 267 193 Sachurteile 267 1 Sachverständigengutachten 267 67 Schriften, entscheidungserhebliche 267 30 Sicherungsverwahrung 267 124 ff., 267 127 ff. Sitzungsniederschrift 267 8 Sprachstil 267 11 Strafbarkeitsausschluss/-verminderung/erhöhung 267 70 ff. Strafzumessung 267 83 ff., s. a. dort

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Tathergangsfeststellung 267 35 ff., s. a. dort Textbausteine 267 14 Tonträger 267 31 Übersichtlichkeit 267 12 umfangreiche ~ 267 13 ungenügende ~ 267 178 Unschuldsvermutung 267 3, 267 168 Unterschrift 268 26 Urteilsformel 268 20 f. Urteilsverkündung 268 17 Verfahrensrüge 267 177, 267 184, 267 192, 275 75 Verfahrensvorgänge 267 9 Verständigung 257c 66, 267 6, 267 119 f. Vorbringen der Prozessbeteiligten 267 61 Wahlfeststellung 261 252 Widerspruch 268 70, 275 63 Wiederaufnahme 267 5 Zeugenaussage 267 64 ff. Zweifelssatz 261 183 Urteilskopf 275 22 ff. Adhäsionsverfahren 275 34 Angaben 275 23 ff. Angeklagte 275 30 ff. Beistand 275 28 Bezeichnung des Gerichts 275 25 Einziehungsbeteiligte 275 33 Namen 275 24 Privatkläger 275 34 Revision 275 73 Richter 275 24 Schöffen 275 24 Staatsanwalt 275 26 Tag der Sitzung 275 23 Urkundsbeamte 275 29 Verteidiger 275 27 Urteilsverkündung 260 1, 260 24 ff., 268 1 ff. Abänderung des Urteils 268 38 ff. Angeklagte 268 7 Anwesenheit 268 5 ff., 268 72 Aufklärungsrüge 268 74 Befragung vor Auflagen/Weisungen 265a 14 f. Berichtigung des Urteils 268 44 ff., 268 51, 268 55, 268 56 f. Berichtigungsbeschluss 268 56 ff., s. a. dort Dolmetscher 268 25 Eingangssatz 268 16 Frist 268 10 ff. Fristberechnung 268 11 Fristhemmung 268 13 ff. Fristlauf 268 14 Fristverlängerung 268 14a Haftfortdauerbeschluss 268b 2 Hauptverhandlung 268 1 ff. Hauptverhandlungsprotokoll 272 9 Heilung von Mängeln 268 64 f. Nachtragsanklage 266 9 neue Anträge 268 3 f. Öffentlichkeit 268 73 Pflichtverteidiger 268 6

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Rechtsmittelbelehrung 268 35 ff. Reihenfolge 268 18 Revision 268 15, 268 66 ff. Richter 268 5 Schluss der Verhandlung 268 1 f. Schöffen 268 5 Sitzungsniederschrift 260 24, 268 28 ff. Staatsanwalt 268 6 Tenor 260 25 Urkundsbeamte 268 6 Urteilsformel 268 18 ff., s. a. dort Urteilsgründe 268 17 Urteilsurkunde 260 26 Verkündungsfehler 268 66 ff. Verkündungstermin 268 8 Verteidiger 268 6 Vorsitzende 268 16 ff. Widerspruch 268 70 Wiedereintritt 268 4 Zustellung des Urteils 268 32 ff. V V-Mann 261 137 f. veränderte Sachlage 265 50 ff. Aussetzung des Verfahrens 265 93 ff. Beispiele 265 52 Belastungszeugen 265 99 Dauerdelikte 265 98 EMRK 265 50 Konkretisierung des Anklagesatzes 265 53 Sachverhalt 265 97 ff. Schlussfolgerungen 265 54 subsumtionsrelevante Tatsachen 265 51 Tatsachen 265 51 Übersetzung 265 100 Umfang der Hinweispflicht 265 51 ff. Veränderung der Verfahrenslage 265 55 ff. Veränderungen 265 97 ff. Verteidiger 265 101 Verteidigerwechsel 265 102 Verantwortlichkeit 271 14 ff. verbundene Verfahren Verweisungsbeschluss 270 30 Verweisungsverbot 269 10 Verdachtsschwelle 270 15 Verdachtsstrafe Verständigung 257c 13 Zweifelssatz 261 182 verdeckter Ermittler 261 137 f. Vereidigung 273 14 Verfahrensantragsform 257a 1 ff. Anordnungsfolgen 257a 21 ff. anordnungswidrige ~ 257a 23 Antragsbehandlung 257a 22 Antragstellung 257a 21 Ausführungen zur Sache/Rechtslage 257a 9 Begründung 257a 19 Beschleunigung 257a 12 Beschränkbarkeit 257a 11 Beschwerde 257a 26

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Entscheidung 257a 24 Ermessen 257a 12 fehlende ~ 257a 23 generelle Anordnung 257a 16 Missbrauch 257a 14 Mündlichkeit 257a 2 Öffentlichkeit 257a 2 Präventivmaßnahme 257a 14 rechtliches Gehör 257a 3 Revision 257a 27 Schlussvorträge 257a 8 Sitzungsniederschrift 257a 25 Umfangssachen 257a 1 Verfahrensantrag 257a 7 Verfahrensbeschleunigung Absetzungsfrist 275 2 Verständigung 257c 9 Verfahrensbeteiligte Schlussvorträge 258 22 Verständigung 257c 41 ff., 257c 51 Verweisungsbeschluss 270 24 Verfahrenserleichterung 256 3 Verfahrensgerechtigkeit 257c 3 Verfahrenshindernis Einstellung des Verfahrens 260 113 f., 260 118 ff. Freispruch 260 37, 260 40 ff. Kognitionspflicht des Gerichts 264 41 Verweisung an höheres Gericht 270 18 Wahlfeststellung 261 244 Verfahrensökonomie 257c 3 Verfahrensrüge Beweiskraft des Protokolls 274 4 Beweiswürdigung 261 254 ff. Schlussvorträge 258 59 ff. Urteilsgründe 267 177, 267 184, 267 192, 275 75 Verständigung 257c 90 ff. Verweisungsbeschluss 270 52 Verfahrensvoraussetzungen Abstimmung 263 16 Zweifelssatz 261 209 Verfassungsrecht und Verständigung 257c 6 ff., 257c 12 ff., 257c 19 ff. Verfügungsverbot 292 2 Vergewaltigungsvorsatz 261 93 Vergleichsfragenmethode 261 159 Verhältnismäßigkeit 290 5 Verhinderungsvermerk anderweitige Dienstgeschäfte 275 47 Form 275 50 ff. Hauptverhandlungsprotokoll 271 28 Herkunft 275 51 Hinderungsgrund 275 52 mehrere Richter 275 48 Revision 275 72 Urteil 275 44 ff. Verhinderung 275 45 ff. Verhinderung aus Rechtsgründen 275 46 Verhinderung, kurzfristige 275 47 Verhinderung, tatsächliche 275 47

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Zweck 275 44 Verjährung 262 55 Verkehrsstrafsachen 267 39 Verklammerung 264 83 ff. Verkündungstermin 268 31 Verleseverbotsausnahmen 256 2 ff. Anordnung der Verlesung 256 58 Aufklärungspflicht des Gerichts 256 3 Begründung 256 3 ff. Behörden 256 5, 256 22 ff. beschleunigtes Verfahren 256 10 Beweisgrundsätze 256 61 f. Beweiswürdigung 256 62 Bewertungen 256 8 Erklärungen öffentlicher Behörden 256 22 ff., s. a. dort Ermessen 256 4 Ermittlungsbehörde 256 8 Ermittlungshandlungen 256 54 ff. Fallgruppen 256 5 ff. fernmündliche Erklärungen 256 10 Gerichtsärzte 256 5, 256 44 ff., s. a. dort Gutachten 256 13 Kollegialbehörden 256 11 Leumundszeugnis 256 14 ff., s. a. dort Protokolle 256 8 Revision 256 70 ff. Routinegutachten 256 6 Sachverständige 256 5 ff., 256 43 Sitzungsniederschrift 256 60 Strafbefehl 256 10 Strafverfolgungsbehörden 256 55 technische Vorgänge 256 8 Übertragungsvermerk 256 9, 256 57 Urkundenbeweis 256 2 Verfahrenserleichterung 256 1, 256 3 Vermerke 256 8 Zeugnis 256 12 Verlesung 256 1 ff. Anordnung 256 58 Beurkundung von Vorgängen/Äußerungen 273 55 Beweisgrundsätze 256 61 f. Gutachten 256 13 Hauptverhandlungsprotokoll 271 9 Kollegialbehörden 256 63 ff. Nachverfahren 275a 40 Sitzungsniederschrift 256 60 Urteilsformel 268 22 Verfahrenserleichterung 256 1 Verleseverbotsausnahmen 256 2 ff., s. a. dort Zeugnis 256 12 Vermeideverhalten 257c 2 Vermerke abgekürztes Urteil 267 139 Berichtigungsbeschluss 268 57 Eingangsvermerk 275 53 f. Fertigstellungsvermerk 271 29 ff., s. a. dort Randvermerk 271 6 Sammelvermerk 271 13

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Übertragungsvermerk 256 57 Verhinderungsvermerk 271 28 Verleseverbotsausnahmen 256 8 Verständigung 273 36 Vermögensbeschlagnahme 290 1 ff. Anklage 294 1 ff. Aufhebung 293 1 ff., 294 4 Aufhebungsverfahren 293 3 ff. Bekanntmachung 291 1 f. Bekanntmachungswirkung 292 1 ff., s. a. dort Beschlüsse 290 12 Beschwerde 290 15 Ermessen 290 11 Eröffnung des Hauptverfahrens 294 1 ff. Fortdauer 294 4 Gegenstand 290 14 Gläubiger 290 16 Haftbefehl 290 8, 290 10 Haftgründe 290 8 ff. öffentliche Klage 290 6 f. Straftaten geringeren Gewichts 290 4 Unzulässigkeit 290 2 f. Verhältnismäßigkeit 290 5 weitere Prüfung 294 5 Zuständigkeit 290 13 Zweck 290 1 Vermögensdelikte 264 103 Vermutungen Beweiswürdigung 261 101 f. zivilrechtliche Vorfragen 262 31 Vernehmung 273 39 Vernehmungsprotokolle 256 56 Veröffentlichungsbefugnis 260 111 Verpflichtung zum eigenen Urteil 261 31 ff. Auffassung anderer Personen 261 31 operative Fallanalyse 261 31 Schöffen 261 33 ff. Strafzumessung 261 36 Zeitungsnachrichten 261 32 Verständigung 257c 1 ff. abgekürztes Urteil 267 156 Ablauf 257c 53 ff. Ablauf bei Abweichung 257c 79 Absprache, unzulässige 257c 78 Absprachen, gesetzeswidrige 257c 82 ff. Absprachen, illegale 257c 24 Absprachen, informelle 257c 24 Absprachen, konstitutive 257c 10 Alford plea 257c 9 Angeklagte 257c 51, 257c 59 Anwendungsbereich 257c 28 ff. Aufklärungsrüge 257c 92 Aussageverhalten des Angeklagten 261 114 Bedrohung der Strafrechtspflege 257c 2 Befangenheit 257c 94 Belehrung 257c 57, 257c 66, 257c 95 ff., 273 34 Berufung 257c 88 Beschlüsse, dazugehörige 257c 38 bestmöglicher Beweis 257c 6, 257c 10

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Beteiligte 257c 51 f. Bewährungsauflagen 257c 38 Beweiserhebungsverzicht 257c 40 Beweiskraft des Protokolls 273 33, 274 25 Beweiswürdigung 257c 55, 257c 89 Bindungswirkung 257c 26, 257c 63 Bindungswirkungsentfall 257c 68 ff. Bruch einer staatsanwaltschaftlichen Zusage 257c 78 charge bargaining 257c 10 EMRK 257c 11 Ermessen 257c 40 Ermittlungsverfahren, andere 257c 42 Evaluierung 257c 21 Fahrerlaubnis 257c 34 faires Verfahren 257c 85 Fehlerfolgen 257c 62, 257c 84 ff. Finanzbehörde 257c 51 Formalien 257c 66 geeignete Fälle 257c 30 Gegenstand 257c 33 ff., 257c 37 Gelegenheit zur Stellungnahme 257c 58 Gericht 257c 51 gesetzeswidrige Absprachen 257c 82 ff. gesetzliche Regelung 257c 12 Geständnis 257c 14 ff., 257c 44 ff., s. a. dort Geständnis als Strafzumessungsfaktor 257c 16 Geständnisdruck 257c 15 guilty plea-Derivate 257c 2 Hauptverhandlung 257c 28 Hauptverhandlungsprotokoll 273 32 ff. informelle Abrede 257c 83 Initiativrecht des Gerichts 257c 53 Inquisitionsprozess 257c 1, 257c 18 Interessenkonflikt 257c 18 Jugendstrafverfahren 257c 31 Kadijustiz 257c 3 Korruptionsphänomen 257c 3 Legalbeweistheorie 257c 14 Leistungsstörungen 257c 67 Maßregeln 257c 34 Missbrauch 257c 3 Mitangeklagte 257c 51 Nachbesserungspflicht 257c 19 Nebenkläger 257c 51, 257c 59 Nebenstrafen 257c 37 Negativattest 257c 81, 257c 96, 273 35 Nichtigkeit des Urteils 257c 84 Nötigungssituation 257c 15 notwendige Verteidigung 257c 31, 257c 52 Ober-/Untergrenze der Strafe 257c 55 Öffentlichkeit 257c 5 Pflicht zur Wahrheitserforschung 257c 6, 257c 9 Pflichtverteidiger 257c 52 plea bargaining 257c 2 Prozesserklärungen 257c 76 prozesstaktisches ~ 257c 16 Prozessverhalten 257c 41 ff.

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Prozessverhalten, prognosewidriges 257c 74 Punktstrafe 257c 37, 257c 89 Rechtsbehelfe 257c 87 ff. Rechtsfolgen 257c 37 ff. Rechtsmittelverzicht 257c 35 Rechtsnatur 257c 25 Reformbedarf 257c 22 Regelbeispiele 257c 33 Revision 257c 89 ff. Richterrecht 257c 1 Rolle des Gerichts 257c 17 Rückabwicklung 257c 76 Sachrüge 257c 89 Sanktionsschere 257c 18, 257c 56, 257c 91 Scheitern, nachträgliches 257c 68 ff. Scheiternsfolgen 257c 75 ff. schuldangemessene Strafe 257c 50 Schuldprinzip 257c 6 Schuldspruch 257c 33 Schweigerecht 257c 15 sentence bargaining 257c 10 Sitzungsniederschrift 257c 80 f. Staatsanwalt 257c 42, 257c 51, 257c 59 f. Strafausspruch 257c 37 Strafbemessung 257c 55 Strafrahmen 257c 33, 257c 55 Strafzumessung 257c 89 Strafzweck 257c 4 Synallagma 257c 49 f. teilweise fehlerhafte ~ 257c 93 Theoriedefizit 257c 2 Umstände, neue 257c 73 Umstände, übersehene 257c 72 Ungleichbehandlung 257c 14 Unschuldsvermutung 257c 15, 257c 17 Untersuchungsgrundsatz 257c 27 Untersuchungshaft 257c 38 unüberwindliche Faktizität 257c 2 Unverwertbarkeit des Geständnisses 257c 77 Urteilsgründe 257c 66, 267 6, 267 119 f. Urteilsinhalt 257c 37 Verbot 257c 33 ff., 257c 39, 257c 43 Verdachtsstrafe 257c 13 Verfahrensbeschleunigung 257c 9 Verfahrensbeteiligte 257c 41 ff., 257c 51 verfahrensbezogene Maßnahmen 257c 39 Verfahrensergebnis 257c 10 Verfahrensgerechtigkeit 257c 3 Verfahrensobjekt 257c 18 Verfahrensökonomie 257c 3 Verfahrensrüge 257c 90 ff. Verfassungsrecht 257c 6 ff., 257c 12 ff., 257c 19 ff. Verknüpfung 257c 49 f. Vermeideverhalten 257c 2 Vermerke 273 36 Verständigungsgesetz 257c 12 ff., 257c 19 ff. Verteidiger 257c 18, 257c 31, 257c 51 Vollstreckungslösung 257c 37 Vorschlag des Inhalts 257c 54 ff.

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Vorschlagsbefristung 257c 54 Wegfall der Bindungswirkung 257c 68 ff. Wiederaufnahme 257c 99 Wirkung 257c 63 ff. Zustandekommen 257c 59 ff. Zustimmung 257c 59 Verständigungsgesetz 257c 12 ff., 257c 19 ff. Verständlichkeit der Bezugnahme 267 15 Versuch Schuldspruch 260 75 Tathergangsfeststellung 267 45 Verteidiger Abwesenheitsverfahren 286–288 3 Einbeziehungsbeschluss 266 19 Erklärungen nach Beweiserhebung 257 12 ff. Erörterung des Verfahrensstands 257b 3 Hauptverhandlungsprotokoll 272 19 Hinweispflicht 265 64 f. Nachverfahren 275a 29 ff. Schlussvorträge 258 18, 258 24, 258 33 Schweigen 261 124 Urteilskopf 275 27 Urteilsverkündung 268 6 veränderte Sachlage 265 101 Verständigung 257c 18, 257c 31, 257c 51 Verteidigerwechsel 265 102 Verteidigung Aussetzung des Verfahrens 265 89 Hinweispflicht 265 77 f. Vertrauenstatbestand 265 47 Vertretung 286–288 6 Verurteilung 260 67 ff. Beschlüsse 260 69 Hinweispflicht 265 17 Liste der Strafvorschriften 260 132 ff. Nachverfahren 275a 8 Rechtsfolgenausspruch 260 68, 260 86 ff., s. a. dort Schuldspruch 260 67 ff., 260 70 ff., s. a. dort Urteil 260 3 Wahlfeststellung 261 247 ff. Vervollständigungsklage Kognitionspflicht des Gerichts 264 39 Tatidentität 264 31 Verwaltungsakte 262 19, 262 21, 262 25 Verwarnung mit Strafvorbehalt Bewährung 267 116 Rechtsfolgenausspruch 260 97 Urteil 260 21 Verweisung an höheres Gericht 270 1 ff. Ablehnung 270 47 Änderung des Eröffnungsbeschlusses 270 32 Änderung des Tatverdachts 270 17 f. Anlass 270 10 ff. Aufruf der Sache 270 2 Beginn der Hauptverhandlung 270 2 Berufung 270 6 beschleunigtes Verfahren 270 5

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Sachregister

Beschwerde 270 45 ff. besondere Strafkammer 270 21 besondere Verfahrensarten 270 5 Beweisantrag 270 44 Beweisaufnahme 270 9 Beweiserhebungen 270 40 ff. Bindungsausnahme 270 37 Bindungswirkung 270 35, 270 37 Einwand 270 21 f. Ermessen 270 12 Eröffnungsbeschluss 270 32 Fallgruppen 270 16 ff. Gericht höherer Ordnung 270 7 Geschäftsverteilungsplan 270 3 gesetzlicher Richter 270 37 Hauptverfahren 270 39 hinreichender Tatverdacht 270 10 Jugendschutzkammer 270 20 Jugendstrafverfahren 270 20 Kartellrecht 270 5 Klärung der Umstände 270 9 Kognitionspflicht des Gerichts 270 13 Kompetenz zur Sachentscheidung 270 14 korrigierende ~ 270 16 Nebenentscheidungen 270 33 normative Zuständigkeitsmerkmale 270 22 örtliche Zuständigkeit 270 4 Prüfungsspielraum 270 12 Rechtsbehelfe 270 45 ff. Revision 270 51 ff. sachliche Zuständigkeit 270 1, 270 7 Staatsschutzsachen 270 12 Tat 270 34 Übergang des Verfahrens 270 33 unzureichende Strafgewalt 270 19 Verdachtsschwelle 270 15 Verfahrenshindernis 270 18 Verweisungsbeschluss 270 23 ff., s. a. dort Voraussetzungen 270 8 ff. Wahrscheinlichkeit 270 10 Weiterverweisung 270 36 Willkür 270 37 Wirkung 270 32 ff. Zeitpunkt 270 8 Zweck 270 1 Verweisungsbeschluss 270 23 ff. Anhörung 270 24 Anregung 270 23 Antrag 270 23 Aufklärungspflicht des Gerichts 270 56 Begründung 270 26 Bekanntgabe 270 27 Beschwerde 270 45 f. Ermessen 270 30 gesetzlicher Richter 270 52 Haftfortdauerbeschluss 270 31 Inhalt 270 25 f. mangelhafter ~ 270 28, 270 54 Sachentscheidungen 270 29 f. Teilverweisung 270 29 Tenor 270 25

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Unterlassung 270 55 Untersuchungshaft 270 31 verbundene Verfahren 270 30 Verfahrensbeteiligte 270 24 Verfahrensrüge 270 52 Vervollständigung 270 28 von Amts wegen 270 23 wirksamer ~ 270 53 Verweisungsverbot 269 1 ff. Anwendungsfälle 269 9 ff. Ausnahmen 269 12 f. Eröffnung 269 3 Eröffnungsbeschluss 269 9 Gericht höherer Ordnung 269 4 Gericht niederer Ordnung 269 6 ff. geringere Zuständigkeit 269 1 gesetzlicher Richter 269 12 gleichrangige Spruchkörper 269 4 große Strafkammer 269 7 Hauptverfahren 269 3 Jugendstrafverfahren 269 8 Kompetenzverteilung Bund-Länder 269 13 mehrfache Rechtshängigkeit 269 11 Revision 269 14 sachliche Zuständigkeit 269 2 Schöffengericht 269 7 Schwurgericht 269 7 Strafrichter 269 7 Trennung verbundener Verfahren 269 10 Unzuständigkeitserklärung 269 9 Zweck 269 1 Verwertung nicht angeklagter Taten 264 44 ff. EMRK 264 46 Indizien 264 44 Persönlichkeitsbewertung 264 46 strafschärfende ~ 264 46 Strafzumessungsgründe 264 44 überschießende Feststellungen 264 47 Unschuldsvermutung 264 45 Videoaufzeichnungen 271 3 Völkerrecht 295 33 Vollständigkeitsvermutung 274 1, 274 25 Vollstreckungslösung 257c 37 Vorbehalt der Einziehung 260 21 Vorbehaltsurteil 264 39 Vorberatung 260 5 Vordrucke 271 7, 272 4 Vorentscheidungen 261 104 Vorgeschehen 261 89 Vorgreiflichkeit 262 4 Vorhalt 256 49 Vorrang der Sachentscheidung 260 38 f. Vorsatz 267 45 Vorsitzende Aufnahme ins Protokoll 275 19 Befragung vor Auflagen/Weisungen 265a 9 Belehrung bei Fahrverbot 268c 7 Berichtigung des Protokolls 271 48 ff.

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Sachregister

Beurkundung von Vorgängen/Äußerungen 273 53 ff. Erklärungen nach Beweiserhebung 257 8 ff., 257 14 f., 257 31 ff. Erörterung des Verfahrensstands 257b 8 Hauptverhandlungsprotokoll 271 14 ff. Hinweispflicht 265 58 Inhaltsprotokoll 273 41 Meinungsverschiedenheit 271 18 f. Nachverfahren 275a 27 ff. Schlussvorträge 258 19 Unterbrechung 266 35 Unterschrift 271 20 Unterschriftshindernis 271 25 Unterschriftsverhinderung 271 24 Urteilsverkündung 268 16 ff. Vorverfahren 295 15 W Waffe 261 95 Waffendelikte 264 82 Wahlfeststellung 261 211 ff. Abstimmung 263 13 alternativ verletzte Strafgesetze 261 227 ff. Auffangtatbestände 261 218 Beispiele 261 235 ff. Beweiswürdigung 261 211 ff. Entscheidungsregel 261 228 exklusive Alternativität 261 242 Fallgruppen 261 211 Formen der Tatbestandsverwirklichung 261 230 Freispruch 260 66, 261 213 Gehilfe 261 221 gleichwertige Tatbestandsmerkmale 261 225 Gleichwertigkeit, psychologische 261 229 Gleichwertigkeit, rechtsethische 261 229 Hinweispflicht 265 25 Postpendenz 261 217 Präpendenz 261 217 Rückgriff 261 214 Schuldspruch 260 85 Strafe 261 246 Stufenverhältnis, sachlogisches 261 215 f. Stufenverhältnis, wertlogisches 261 219 ff. Tatsachenalternativität 261 223 ff. tertium non datur 261 227 Überzeugung, richterliche 261 240 ff. unechte ~ 261 223 ff. ungleichartige ~ 261 227 ff. ungleichartige ~ (Beispiele) 261 235 ff. Unrechtskern 261 233 Unterlassen 261 222 Urteilsformel 261 247 ff. Urteilsgründe 261 252 Verfahren 261 240 ff. Verfahrenshindernis 261 244 Verurteilung 261 247 ff. Zweifelssatz 261 213 ff.

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Wahlgegenüberstellung auditive ~ 261 135 sequentielle ~ 261 133 serielle ~ 261 133 Zeugenaussage 261 133 ff. Wahllichtbildvorlagen 261 134 Wahrheitsfindung 258 1 Wahrheitsvermutung 274 1 Wahrnehmungsfähigkeitsbeschränkung 261 37 ff. Wahrscheinlichkeit Befragung vor Auflagen/Weisungen 265a 5 Erfahrungssätze 261 60, 261 66 Überzeugung, richterliche 261 9 Verweisung an höheres Gericht 270 10 wissenschaftliche Erkenntnisse 261 70 Wahrunterstellung Beweiswert 261 148 Beweiswürdigung 261 105 Hinweispflicht 265 49 Warenzeichen 262 19 Weisungen Befragung vor Auflagen/Weisungen 265a 1 ff., s. a. dort Einwilligung 265a 3 Wahrscheinlichkeit 265a 5 Weiterverweisung 270 36 Werkzeugspuren 261 173 Wertersatz 260 109 wesentliche Förmlichkeiten Allgemeinkundigkeit 273 17 Anklage 273 11 Antrag 273 23 ff. Anwesenheit 273 9 Aufklärungspflicht des Gericht 273 7 Augenschein 273 15 Aussetzung des Verfahrens 265 106 Befragung vor Auflagen/Weisungen 265a 16 Begriff 273 6 Beispiele 273 8 ff. Belehrung 273 12 Beweisanträge 273 24 Beweiserhebung 273 14 ff. Beweiskraft des Protokolls 274 14, 274 22 Dolmetscher 273 10 Einbeziehungsbeschluss 266 23 Entschädigung 273 11 Erklärungen 273 13 Gang der Hauptverhandlung 273 6 ff. Hauptverhandlungsprotokoll 271 1 Heilung eines Verfahrensfehlers 273 19 Hinweise 273 12 Hinweispflicht 265 81 f. letztes Wort 273 11 Nachtragsanklage 266 38 f. Öffentlichkeit 273 8 Ordnungsvorschriften 273 18 Rechtsmittel 273 21 Schlussvorträge 273 11 Selbstleseverfahren 273 16

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Sachregister

Sitzungspolizei 273 20 Urkunden 273 16 Vereidigung 273 14 Widerruf Bewährung 268a 25 sicheres Geleit 295 22 f. Widerspruch Beweiskraft des Protokolls 274 32 f. Beweiswürdigung 261 53 ff. Hauptverhandlungsprotokoll-Urteil 273 68 f., 275 62 f. Urteilsformel 268 70, 275 63 Urteilsgründe 268 70, 275 63 Urteilsverkündung 268 70 Widmark-Formel 261 82 Wiederaufnahme Hinweispflicht 265 16 Nachverfahren 275a 6, 275a 61 Tat 264 12 Urteilsgründe 267 5 Verständigung 257c 99 Wiedereintritt Schlussvorträge 258 4 ff. Urteilsberatung 260 9 Urteilsverkündung 268 4 Wiedereröffnung 258 10 Wiederholungstaten 264 67 f. willkürliche Verweisung 270 37 wissenschaftliche Erkenntnisse Beweiswürdigung 261 67 ff. gesicherte ~ 261 68 technische Regelwerke 261 70 Wahrscheinlichkeit 261 70 Worterteilung 258 19 Z Zahlungsunfähigkeit 261 80 Zäsur 264 64 Zeitungsnachrichten 261 32 Zellkern-DNA 261 156, 261 167 Zeugenaussage 261 127 ff. Aussage gegen Aussage 261 139 Außenkriterien von Gewicht 261 140 beeidigtes Zeugnis 261 150 Befragung 261 141 ff. Beweisregeln 261 127, 261 136 ff. EMRK 261 141 Entstehungs-/Entwicklungsgeschichte 261 131 Erfahrungen des Zeugen 261 131 Fehlerquellenanalyse 261 131 Gesamtwürdigung 261 132 Glaubhaftigkeit 261 128 ff. Glaubhaftigkeitsgutachten 261 129 Hörensagen 261 137 Identifizierung des Täters 261 127, 261 133 ff. Inhaltsanalyse 261 129 Inhaltsprotokoll 273 39 Kompetenzen des Zeugen 261 131 konfrontative Befragung 261 141 ff.

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Konsistenz 261 129 Konstanzanalyse 261 130 Motivationsanalyse 261 131 Plausibilität 261 129 Realkennzeichen 261 129 Sachverständigengutachten 261 132 Schweigen 261 151 Sperrerklärung 261 147 Stimmenidentifizierung 261 135 Suggestion 261 129 Tatrichter 261 128 teilweises Schweigen 261 152 Urteilsgründe 267 64 ff. V-Mann 261 137 f. verdeckter Ermittler 261 137 f. Verteidigungsdefizit 261 136 Wahlgegenüberstellung 261 133 ff. Wahllichtbildvorlagen 261 134 Würdigung 261 128 Zeugnisverweigerung 261 152 ff. Zufallszeugen 261 137 Zeugentauglichkeit 261 108 Zeugnis Erklärungen öffentlicher Behörden 256 34 ff. öffentliche Behörde 256 34 ff. Verleseverbotsausnahmen 256 12 Zeugnisverweigerung 261 152 ff. Zirkelschluss 261 57 zivilrechtliche Vorfragen 262 1 ff. andere Rechtsgebiete 262 1, 262 6 Asylbewerber 262 14 Auslegung 262 32 Aussetzung des Verfahrens 262 39 ff., s. a. dort Beweiswürdigung 262 31 Bindung 262 15, 262 33 Bußgeldverfahren 262 7 Entscheidungen der Verwaltungsbehörden 262 38 Entscheidungsharmonie 262 2 Entscheidungskompetenz anderer Stellen 262 9 ff. EuGH 262 13 fehlende Vorfragenkompetenz 262 9 ff. Fiktion 262 31 Finanzbehörde 262 38 gesetzlicher Richter 262 3 Instruktionsmaxime 262 31 Kartellrecht 262 14 Landesrecht 262 9 Präjudizialität 262 4 Präjudizialität, fehlende 262 16 ff., s. a. dort Rechtsbehelfe 262 57 ff. Rechtsfrage 262 5 strafgerichtliche Urteile 262 37 Strafvollzug 262 7 Tatsachen 262 5 Vermutungen 262 31 Vorgreiflichkeit 262 4

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Sachregister

Zivilurteile vor der Tat 262 35 Zweifelssatz 262 31 Zufallszeugen 261 137 Zumutbarkeit 265a 2 Zusammenfassung Hauptverhandlungsprotokoll 271 4 Tathergangsfeststellung 267 41, 267 43 Zusatztatsachen Gerichtsärzte 256 48 Inbegriff der Verhandlung 261 23 Zuständigkeit Einbeziehungsbeschluss 266 12 Erklärungen öffentlicher Behörden 256 29 geringere ~ 269 1 Nachverfahren 275a 9 ff. örtliche ~ 270 4 sachliche ~ 269 2, 270 1, 270 7 sicheres Geleit 295 14, 295 25 Unterbringungsbefehl 275a 64 Unzuständigkeitserklärung 269 9 Vermögensbeschlagnahme 290 13 Verweisung an höheres Gericht 270 1 ff., s. a. dort Verweisungsverbot 269 1 ff., s. a. dort Zustellung Berichtigungsbeschluss 268 57 Urteilsverkündung 268 32 ff. Zweifel 261 8 Zweifelssatz Alibi-Beweis 261 194 Anscheinsbeweis 261 186 ff. Basistatsachen 261 185 Betäubungsmittel 261 197 Beweislast 261 186 ff. Beweisregeln 261 183 Bewertungseinheit 261 201 ff.

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Dauerdelikt 261 201 ff. in dubio mitius 261 208 in dubio pro reo 261 182 Gesamtschaden 261 197 f. Indizienbeweis 261 193 Irrtum 261 203 Maßregeln 261 204 materielles Recht 261 190 ff. Notwehr 261 203 Prognosen 261 185 rechtliche Zweifelsfragen 261 184 Regelbeispiele 261 189 Rücktritt 261 203 Schätzungen 261 195 ff. Schuldfähigkeit 261 203 Strafzumessung 261 203 Tatbestandsmerkmale 261 191 Tateinheit 261 202 Tatmehrheit 261 202 Tatsachen 261 183, 261 190 ff. Tatsachen, entscheidungserhebliche 261 203 Tatsachen, verfahrensrechtlich erhebliche 261 210 Überzeugung, richterliche 261 183 Unschuldsvermutung 261 182 Unterstellung der günstigeren Möglichkeit 261 205 ff. Urteilsgründe 261 183 Verdachtsstrafe 261 182 Verfahrensvoraussetzungen 261 209 Wahlfeststellung 261 213 ff. zivilrechtliche Vorfragen 262 31 Zwischenberatung 260 5 Zwischenurteile 260 16 Zwischenverfahren 262 39

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