Löwe/Rosenberg. Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz: Band 1 Einleitung; §§ 1-47; Sachregister [26. neu bearb. Aufl.] 9783110924312, 9783899491975

The present volume I provides an overview of criminal proceedings with its detailed introduction and the general provisi

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Löwe/Rosenberg. Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz: Band 1 Einleitung; §§ 1-47; Sachregister [26. neu bearb. Aufl.]
 9783110924312, 9783899491975

Table of contents :
Bearbeiterverzeichnis
Vorwort
Hinweise für die Benutzung des Löwe-Rosenberg
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
EINLEITUNG
A. Vorbemerkungen und Hinweise
B. Wesen und Aufgabe des Strafverfahrens und seine Stellung im Rechtssystem im Allgemeinen
C. Nationale Quellen des Strafverfahrensrechts
D. Strafverfahrensrecht im europäischen und internationalen Kontext
E. Der persönliche, örtliche und zeitliche Geltungsbereich des deutschen Strafverfahrensrechts
F. Die Entstehung und Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts und die Reformüberlegungen
G. Struktur des Verfahrensrechts
H. Grundlagen des Strafverfahrens
I. Die so genannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze
J. Verfahrensbeteiligte
K. Verfahrensrechtliche Grundbegriffe
L. Beweisverbote
M. Zur Methode der Rechtsanwendung im Strafverfahren
STRAFPROZESSORDNUNG
ERSTES BUCH. ALLGEMEINE VORSCHRIFTEN
Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte
Vor § 1
§ 1
§ 2
§ 3
§ 4
§ 5
§ 6
§ 6a
Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand
Vor § 7
§ 7
§ 8
§ 9
§ 10
§ 10a
§ 11
§ 12
§ 13
§ 13a
§ 13 b (weggefallen)
§ 14
§ 15
§ 16
§ 17 (weggefallen)
§ 18 (weggefallen)
§ 19
§ 20
§ 21
Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen
Vor § 22
§ 22
§ 23
§ 24
§ 25
§ 26
§ 26a
§ 27
§ 28
§ 29
§ 30
§ 31
§ 32 (weggefallen)
Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und Kommunikation zwischen den Beteiligten
Vor § 33
§ 33
§ 33a
§ 34
§ 34a
§ 35
§ 35 a
§ 36
§ 37
§ 38
§ 39 (weggefallen)
§ 40
§ 41
§ 41a
Fünfter Abschnitt. Fristen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Vor § 42
§ 42
§ 43
§ 44
§ 45
§ 46
§ 47
Sachregister

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Großkommentare der Praxis

Löwe-Rosenberg

Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz Großkommentar 26., neu bearbeitete Auflage herausgegeben von

Volker Erb, Robert Esser, Ulrich Franke, Kirsten Graalmann-Scheerer, Hans Hilger, Alexander Ignor

Erster Band Einleitung; §§ 1–47; Sachregister Bearbeiter: Einleitung: Hans-Heiner Kühne, Karl Heinz Gössel, Klaus Lüderssen/Matthias Jahn §§ 1–21: Volker Erb §§ 22–32: Wolfgang Siolek §§ 33–47: Kirsten Graalmann-Scheerer Sachregister: Oliver Brandt

De Gruyter Recht · Berlin

Stand der Bearbeitung: Juli 2006

ISBN-13: 978-3-89949-197-5 ISBN-10: 3-89949-197-1

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Copyright 2006 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Datenkonvertierung/Satz: WERKSATZ Schmidt & Schulz GmbH, 06773 Gräfenhainichen Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen Printed in Germany

Die Bearbeiter der 26. Auflage Jörg-Peter Becker, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe und Obernburg Dr. Werner Beulke, Professor an der Universität Passau Dr. Reinhard Böttcher, Präsident des Oberlandesgerichts Bamberg a.D., Honorarprofessor an der Ludwig Maximilians-Universität München Ottmar Breidling, Vors. Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf Dr. Volker Erb, Professor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Dr. Robert Esser, Privat-Dozent an der Universität Passau Dr. Ulrich Franke, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe und Hemdingen Dr. Sabine Gless, Professorin an der Universität Basel Dr. Karl Heinz Gössel, Professor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht a.D., München Dr. Kirsten Graalmann-Scheerer, Generalstaatsanwältin in Bremen, Honorarprofessorin an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Bremen Dr. Hans Hilger, Ministerialdirektor im Bundesministerium der Justiz a.D., Bonn Dr. Dr. Alexander Ignor, Rechtsanwalt in Berlin, Apl. Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Christian Jäger, Professor an der Universität Trier Dr. Matthias Jahn, Professor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Richter am Oberlandesgericht Nürnberg Dr. Daniel M. Krause, Rechtsanwalt in Berlin Dr. Hans-Heiner Kühne, Professor an der Universität Trier Dr. Klaus Lüderssen, Professor an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Dr. Holger Matt, Rechtsanwalt in Frankfurt am Main Dr. Günther M. Sander, Vors. Richter am Landgericht Berlin, Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin Dr. Gerhard Schäfer, Vors. Richter am Bundesgerichtshof a.D., Karlsruhe und Stuttgart Dr. Wolfgang Siolek, Vors. Richter am Oberlandesgericht Celle Dr. Carl-Friedrich Stuckenberg, Privatdozent an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Thomas Wickern, Leitender Oberstaatsanwalt beim Generalstaatsanwalt in Düsseldorf

V

Vorwort Der LÖWE-ROSENBERG hatte 2004 seinen 125. Geburtstag und ist damit – soweit ersichtlich – das älteste weiterhin aktuelle Erläuterungsbuch. Als Großkommentar hat er die Aufgabe, den Erkenntnisstand und die rechtlichen Probleme des Strafverfahrensrechts möglichst vollständig darzustellen und Wege zur Lösung auch entlegener Fragen aufzuzeigen. In einem Großkommentar der Praxis muss dabei der Praxisbezug theoretischer Streitfragen und der historischen Entwicklung deutlich werden. Die Entwicklungsgeschichte der Strafprozessordnung und der Strafgerichtsverfassung seit dem Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze, nebst Strafverfahrensrecht der DDR und dem Recht der Vereinigung, sowie die Entstehungsgeschichte der einzelnen Vorschriften sind sorgfältig darzustellen. Die mehr als 120-jährige Entwicklung des Strafprozessrechts in Deutschland, die namentlich in neuerer Zeit hektische Gesetzgebungstätigkeit sowie eine sich zunehmend verfeinernde und immer stärker ausdifferenzierende wissenschaftliche Entwicklung und Rechtsprechung bedeuten auch für dieses Rechtsgebiet eine kodifikatorische Spätzeit, in der die Grundlagen von einem fast undurchschaubaren Geflecht von Einzelheiten überlagert werden. Ein Großkommentar kann, auch wenn er dazu beitragen muss, den Rückgriff auf Grundprinzipien zu ermöglichen, nicht darauf verzichten, diese Ausdifferenzierung zu dokumentieren und soweit erforderlich zu bewerten und zu systematisieren. Inhaltlich wird diese Konzeption in der 26. Auflage im Wesentlichen beibehalten und ergänzt. Stärker als bisher soll der Einfluss der Entwicklung des europäischen Rechts und der Rechtsprechung der europäischen Gerichte auf das Strafverfahrensrecht und das Recht der Strafgerichtsverfassung sowie die nationale Rechtsprechung hierzu berücksichtigt werden. Dies wird sich schon in der neuen Einleitung in diesem Band sowie in der Kommentierung zu den einzelnen Bestimmungen zeigen; die gesonderte Kommentierung der für das Strafverfahren bedeutsamen Vorschriften der EMRK wird weitergeführt. Auf der Grundlage dieser Konzeption ist jeder Autor für den Inhalt seiner Kommentierung verantwortlich. Die zunehmende Flut der Veröffentlichungen hat inzwischen einen Umfang erreicht, der es nicht mehr in allen Bereichen möglich macht, den Grundsatz der vollständigen Dokumentation des Materials uneingeschränkt zu erfüllen. Es bleibt daher der Verantwortung eines jeden Autors überlassen, ob und in welchem Umfang er eine Auswahl trifft. Für die 26. Auflage sind zehn Bände geplant, insgesamt voraussichtlich 10.000 Seiten. Sie wird jedoch nicht mehr in Einzellieferungen erscheinen, sondern bandweise. Das Werk soll im Jahre 2010 abgeschlossen werden. Herausgeber, Verlag und bisherige Autoren möchten an dieser Stelle dem Herausgeber der 24. und 25. Auflage, Herrn MD a.D. Prof. Dr. Peter Rieß, noch einmal herzlich für seine unermüdliche und umsichtige Arbeit danken. Seine Aufgabe übernehmen jetzt für die 26. Auflage sechs neue Herausgeber. Jeweils zwei Herausgeber sind als Bandredakteure verantwortlich. Ausgeschieden sind aus dem Kreis der 19 Autoren, die an der 25. Auflage mitgewirkt haben: Präs. LG Olaf Boll, RA Prof. Dr. Hans Dahs, MinDgt. a.D. Dr. Walter Gollwit-

VII

Vorwort

zer, Prof. Dr. Ernst-Walter Hanack, MD a.D. Prof. Dr. Peter Rieß, GStA a.D. Günter Wendisch. Folgende neue Autoren werden in der 26. Auflage mitarbeiten: RiBGH Jörg-Peter Becker, Prof. Dr. Volker Erb, Wiss. Ass. Dr. Robert Esser, Prof. Dr. Sabine Gless, RA Prof. Dr. Dr. Alexander Ignor, Prof. Dr. Christian Jäger, RiOLG Prof. Dr. Matthias Jahn, Prof. Dr. Hans-Heiner Kühne, Vors. RiLG Prof. Dr. Günther Sander und PrivDoz. Dr. Carl-Friedrich Stuckenberg. Verlag, Herausgeber und Autoren werden weiterhin bemüht sein, die hohen Erwartungen zu erfüllen, die sich mit diesem Kommentar seit jeher verbinden. Der hiermit vorgelegte Band I, mit dem die 26. Auflage beginnt, hat durchgehend den Bearbeitungsstand 31. Juli 2006; teilweise konnte auch noch später erschienene Rechtsprechung und Literatur berücksichtigt werden. Berlin, im August 2006

VIII

Die Herausgeber

Hinweise für die Benutzung des Löwe-Rosenberg 1. Inhalt der Kommentierung Der LÖWE-ROSENBERG kommentiert die StPO, das EGStPO, das GVG, das EGGVG und die GVGVO mit Ausnahme der nur den Zivilprozess betreffenden Teile, sowie – mit dem Schwerpunkt auf den strafverfahrensrechtlich besonders bedeutsamen Regelungen – die EMRK und den IPBPR. Wenig bekannte oder schwer auffindbare strafverfahrensrechtliche Nebengesetze, deren Wortlaut für die Kommentierung erforderlich ist, werden bei den einschlägigen Erläuterungen im Kleindruck wiedergegeben. 2. Erscheinungsweise und Stand der Bearbeitung Die 26. Auflage des LÖWE-ROSENBERG erscheint erstmals in Bänden, deren Erscheinungs-Reihenfolge von der des Gesetzes abweichen kann. Die Bände werden aber in der vom Gesetz vorgegebenen Reihenfolge durchnumeriert. Der Stand der Bearbeitung ist dem Vorwort jedes Bandes zu entnehmen. Die Autoren sind bemüht, besonders wichtige Änderungen und Entwicklungen auch noch nach diesem Stichtag bis zur Drucklegung des Bandes zu berücksichtigen. 3. Bearbeiter Jeder Bearbeiter (in der Fußzeile angegeben) trägt für seinen Teil die alleinige inhaltliche Verantwortung. Die Stellungnahmen zu Rechtsfragen, die an mehreren Stellen des Kommentars behandelt werden, können daher voneinander abweichen. Auf solche Abweichungen wird nach Möglichkeit hingewiesen. 4. Aufbau der Kommentierung Neben der umfassenden Einleitung zum Gesamtwerk sind den Untereinheiten der kommentierten Gesetze (Bücher, Abschnitte, Titel), soweit erforderlich, Vorbemerkungen vorangestellt, die das für die jeweilige Untereinheit Gemeinsame erläutern. Der den Vorbemerkungen und den Kommentierungen der einzelnen Vorschriften erforderlichenfalls vorangestellte Abschnitt Geltungsbereich enthält Hinweise auf zeitliche und örtliche Besonderheiten. Der Abschnitt Entstehungsgeschichte gibt, abgesehen von ganz unwesentlichen Änderungen, die Entwicklung der geltenden Fassung der Vorschrift vom Erlaß des jeweiligen Gesetzes an wieder. Fehlt er, so kann davon ausgegangen werden, daß die Vorschrift unverändert ist. Der Hinweis auf geplante Änderungen verzeichnet Änderungsvorschläge, die sich beim Abschlußzeitpunkt der Lieferung im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren befinden. Die Erläuterungen sind nach systematischen Gesichtspunkten gegliedert, die durch Überschriften oder Stichworte hervorgehoben sind. In der Regel ist den Erläuterungen eine systematische Übersicht vorangestellt. Soweit angebracht wird sie bei besonders

IX

Hinweise für die Benutzung des Löwe-Rosenberg

umfangreichen Erläuterungen durch eine alphabetische Übersicht ergänzt. Bei den Erläuterungen selbst werden für jede Vorschrift (zur Erleichterung des Zitierens) durchlaufende Randnummern verwendet. 5. Schrifttum Der Kommentar enthält am Anfang ein allgemeines Literaturverzeichnis, das nur die häufiger verwendete oder allgemeine Literatur enthält. Den Vorbemerkungen und den Kommentierungen der einzelnen Vorschriften sind Schrifttumsverzeichnisse vorangestellt, die einen Überblick über das wesentliche Schrifttum zu dem jeweils behandelten Thema geben. 6. Zitierweise Literatur, die in diesen Schrifttumsverzeichnissen enthalten ist, wird im laufenden Text im allgemeinen nur mit dem Namen des Verfassers (ggfs. mit einer unterscheidenden Kurzbezeichnung) oder der sonstigen im Schrifttumsverzeichnis angegebenen Kurzbezeichnung zitiert, doch wird bei Veröffentlichungen in Zeitschriften vielfach auch die genaue Fundstelle nachgewiesen. Sonst sind selbständige Werke mit (gelegentlich verkürztem) Titel und Jahreszahl, unselbständige Veröffentlichungen (auch Beiträge in Festschriften u. ä.) mit der Fundstelle angegeben. Auflagen sind durch hochgestellte Zahlen gekennzeichnet; fehlt eine solche Angabe, so wird aus der Auflage zitiert, die im allgemeinen Schrifttumsverzeichnis angegeben ist. Hat ein Werk Randnummern, so wird nach diesen, sonst nach Seitenzahl oder Gliederungspunkten zitiert. Befindet sich beim Zitat anderer Kommentare die in Bezug genommene Stelle im gleichen Paragraphen, so wird nur die Randnummer oder (bei deren Fehlen) der Gliederungspunkt angegeben; wird auf die Erläuterungen bei einem anderen Paragraphen Bezug genommen, so wird dieser genannt. Entsprechend wird auch im LÖWE-ROSENBERG selbst verwiesen. Bei diesem wird, wenn nichts anderes angegeben ist, auf die gegenwärtige 26. Auflage verwiesen. Ist der Band mit den Erläuterungen, auf die verwiesen werden soll, noch nicht erschienen, so ist, soweit dies sachdienlich erschien, in Klammern ergänzend die genaue Fundstelle in der 25. Auflage angegeben. Zeitschriften werden regelmäßig mit dem Jahrgang zitiert. Ausnahmen (Bandangabe) bilden namentlich ZStW, GA (bis 1933) und VRS; hier ist regelmäßig die Jahreszahl zusätzlich angegeben. Bei der Angabe der Fundstelle eines amtlichen Verkündungsblattes wird die Jahreszahl nur angegeben, wenn sie von der Jahreszahl der Rechtsvorschrift abweicht. Entscheidungen werden im allgemeinen nur mit einer Fundstelle angegeben. Dabei hat die amtliche Sammlung eines obersten Bundesgerichtes den Vorrang, sonst die Fundstelle, die die Entscheidung mit Anmerkung oder am ausführlichsten wiedergibt. 7. Abkürzungen Die verwendeten Abkürzungen, namentlich von Gesetzen, Verwaltungsvorschriften, Entscheidungssammlungen, Zeitschriften usw. sind im Abkürzungsverzeichnis nachgewiesen.

X

Inhaltsübersicht Bearbeiterverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hinweise für die Benutzung des Löwe-Rosenberg Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . .

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V VII IX XV XLV

A. Vorbemerkungen und Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Wesen und Aufgabe des Strafverfahrens und seine Stellung im Rechtssystem im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Nationale Quellen des Strafverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Strafverfahrensrecht im europäischen und internationalen Kontext . . . . . . . E. Der persönliche, örtliche und zeitliche Geltungsbereich des deutschen Strafverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Die Entstehung und Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts und die Reformüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Struktur des Verfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Grundlagen des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die so genannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze . . . . . . . . . . . J. Verfahrensbeteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K. Verfahrensrechtliche Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . L. Beweisverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . M. Zur Methode der Rechtsanwendung im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . .

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EINLEITUNG

8 36 47 90 99 200 227 260 309 373 433 504

STRAFPROZESSORDNUNG ERSTES BUCH ALLGEMEINE VORSCHRIFTEN Erster Abschnitt Sachliche Zuständigkeit der Gerichte Vor § 1 §1 §2

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541 545 546

XI

Inhaltsübersicht

§3 §4 §5 §6 § 6a

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585 593 599 601 604 606 607 608 615 621 624 625 627 631 638 638 638 639 641

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Zweiter Abschnitt Gerichtsstand Vor § 7 §7 §8 §9 § 10 § 10 a § 11 § 12 § 13 § 13 a § 13 b § 14 § 15 § 16 § 17 § 18 § 19 § 20 § 21

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Dritter Abschnitt Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen Vor § 22 § 22 § 23 § 24 § 25 § 26 § 26 a § 27 § 28 § 29 § 30 § 31 § 32

XII

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Inhaltsübersicht

Vierter Abschnitt Gerichtliche Entscheidungen und Kommunikation zwischen den Beteiligten Vor § 33 § 33 § 33 a § 34 § 34 a § 35 § 35 a § 36 § 37 § 38 § 39 § 40 § 41 § 41 a

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779 781 798 808 814 818 828 841 855 884 885 885 894 896

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905 919 920 922 957 970 981

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Fünfter Abschnitt Fristen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Vor § 42 § 42 § 43 § 44 § 45 § 46 § 47

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Abkürzungsverzeichnis AA a.A. aaO Abg. AbgG

abl. ABl. ABlEG

AblEU

ABMG Abs. Abschn. abw. AChRMV AcP AdoptG AdVermiG a.E. ÄndG ÄndVO a.F. AfP AG AGIS

AGGewVerbrG

AGGVG AGStPO AHK AIDP AJIL AktG

Auswärtiges Amt anderer Ansicht am angegebenen Orte Abgeordneter Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages (Abgeordnetengesetz – AbgG) vom 18. 2. 1977 i.d.F. der Bek. vom 21. 2. 1996 (BGBl. I S. 327) ablehnend Amtsblatt Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften; Ausgabe C: Mitteilungen und Bekanntmachungen; Ausgabe L: Rechtsvorschriften (zit.: ABlEG Nr. L … /(Seite) vom …) Amtsblatt der Europäischen Union (ab 2003); Ausgabe C: Mitteilungen und Bekanntmachungen; Ausgabe L: Rechtsvorschriften (zit.: AblEU Nr. L …/(Seite) vom …) Autobahnmautgesetz für schwere Nutzfahrzeuge vom 5. 4. 2002 (BGBl. I S. 1234) Absatz Abschnitt abweichend Afrikanische Charta der Rechte der Menschen und Völker vom 26. 6. 1981, deutsche Übersetzung EuGRZ 1990 348 Archiv für die civilistische Praxis Adoptionsgesetz vom 2. 7. 1976 (BGBl. I S. 1749) Adoptionsvermittlungsgesetz vom 27. 11. 1989 (BGBl. I S. 2014) i.d.F. der Bek. vom 22. 12. 2001 (BGBl. 2002 I S. 354) am Ende Änderungsgesetz Änderungsverordnung alte Fassung Archiv für Presserecht (Beilage zu „Zeitungs-Verlag und Zeitschriften-Verlag“) Amtsgericht; in Verbindung mit einem Gesetz: Ausführungsgesetz Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 22. 7. 2002 über ein Rahmenprogramm für die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen – AGIS (ABlEG Nr. C 203/5 vom 1. 8. 2002) Ausführungsgesetz zum Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. 11. 1933 (RGBl. I S. 1000) Gesetz zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes (Landesrecht) Ausführungsgesetz zur Strafprozessordnung (Landesrecht) Alliierte Hohe Kommission Association Internationale de Droit Pénal American Journal of International Law Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktiengesetz) vom 6. 9. 1965 (BGBl. I S. 1089)

XV

Abkürzungsverzeichnis AktO

allg. M. Alsb.E Alt. a.M. AMRK amtl. amtl. Begr. Anh. AnhRügG Anl. Anm. AnwBl. AöR AO AOStrÄndG ArbGG ArchKrim. ArchPF ArchVR arg. Art. AsylVfG AtomG

AufenthG/EWG

aufg. Aufl. ausf. AuslG AusnVO

AV AWG

XVI

Anweisung für die Verwaltung des Schriftguts bei den Geschäftsstellen der Gerichte und der Staatsanwaltschaften (Aktenordnung), abgedruckt bei Piller/Hermann, 1 allgemeine Meinung Die strafprozessualen Entscheidungen der Oberlandesgerichte, herausgegeben von Alsberg und Friedrich (1927), 3 Bände Alternative anderer Meinung Amerikanische Menschenrechtskonvention vom 22. 11. 1969 (Pact of San José), deutsche Übersetzung EuGRZ 1980 435 amtlich amtliche Begründung Anhang Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) vom 9.12.2004 (BGBl. I 3220) Anlage Anmerkung Anwaltsblatt Archiv des öffentlichen Rechts Abgabenordnung vom 16. 3. 1976 (BGBl. I S. 613) i.d.F. der Bek. vom 1. 10. 2002 (BGBl. I S. 3866) Gesetz zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 10. 8. 1967 (BGBl. I S. 877) Arbeitsgerichtsgesetz vom 3. 9. 1953 i.d.F. der Bek. vom 2. 7. 1979 (BGBl. I S. 853) Archiv für Kriminologie Archiv für das Post- und Fernmeldewesen Archiv des Völkerrechts argumentum Artikel Gesetz über das Asylverfahren vom 26. 6. 1992 (BGBl. I S. 1126) i.d.F. der Bek. vom 27. 7. 1993 (BGBl. I S. 1361) Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) vom 31. 10. 1976 (BGBl. I S. 3053) i.d.F. der Bek. vom 15. 7. 1985 (BGBl. I S. 1565) Gesetz über die Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Aufenthaltsgesetz/EWG) v. 22. 7. 1969 (BGBl. I S. 927) i.d.F. der Bek. vom 31. 1. 1980 (BGBl. I S. 116) aufgehoben Auflage ausführlich Gesetz über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (Ausländergesetz) vom 9. 7. 1990 (BGBl. I S. 1354) Ausnahme-(Not-)Verordnung (1) VO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 1. 12. 1930 (RGBl. I S. 517) (2) VO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 6. 10. 1931 (RGBl. I S. 537, 563) (3) VO zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutz des inneren Friedens vom 8. 12. 1931 (RGBl. I S. 743) (4) VO über Maßnahmen auf dem Gebiet der Rechtspflege und Verwaltung vom 14. 6. 1932 (RGBl. I S. 285) Allgemeine Verfügung Außenwirtschaftsgesetz vom 28. 4. 1961 (BGBl. I S. 481)

Abkürzungsverzeichnis Az AZR-Gesetz

Aktenzeichen Gesetz über das Ausländerzentralregister (AZR-Gesetz) vom 2. 9. 1994 (BGBl. I S. 2265) i.d.F. der Bek. vom 23. 12. 2003 (BGBl. I S. 2848)

BAG BÄO

Bundesarbeitsgericht Bundesärzteordnung i.d.F. der Bek. vom 16. 4. 1987 (BGBl. I S. 1218) zuletzt geändert durch Gesetz zur Änderung der Bundesärzteordnung und anderer Gesetze vom 21. 7. 2004 (BGBl. I S. 1776) Blutalkoholkonzentration Bundesanzeiger Baden-Württemberg Bayern, bayerisch Bayerisches Gesetz zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen des Bundes vom 23. 6. 1981 (BayGVBl. S. 188) Bereinigte Sammlung des Bayerischen Landesrechts (1802 bis 1956) Bayerisches Oberstes Landesgericht Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Bayerische Rechtssammlung (ab 1. 1. 1983) Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. 12. 1946 (BayBS. I 3) s. BayVGHE Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verfassungsgerichtshof Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes, des Bayerischen Dienststrafhofs und des Bayerischen Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern (1905–34) Der Betriebsberater (Zeitschrift) Bundesbeamtengesetz vom 14. 7. 1953 (BGBl. I S. 551) i.d.F. der Bek. vom 31. 3. 1999 (BGBl. I S. 675) Brandenburg Brandenburgisches Verfassungsgericht Band Bundesdisziplinargesetz vom 9. 7. 2001 (BGBl. I S. 1510) Bundesdisziplinarhof (jetzt Bundesverwaltungsgericht) Bundesdatenschutzgesetz i.d.F. der Bek. vom 14.1.2003 (BGBl. I S. 66) Begründung Verordnung über die Begrenzung der Geschäfte des Rechtspflegers bei der Vollstreckung in Straf- und Bußgeldsachen vom 26. 6. 1970 (BGBl. I S. 992) i.d.F. der Bek. v. 16. 2. 1982 (BGBl. I S. 188) Zweites Gesetz zur Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes vom 14. 9. 1965 (BGBl. I S. 1315) Bekanntmachung Strafprozeßordnung i.d.F. der Bek. vom 22. 3. 1924 (RGBl. I S. 299, 322) Strafprozeßordnung i.d.F. der Bek. vom 12. 9. 1950 (BGBl. S. 629) Strafprozeßordnung i.d.F. der Bek. vom 17. 9. 1965 (BGBl. I S. 1373) Strafprozeßordnung i.d.F. der Bek. vom 7. 1. 1975 (BGBl. I S. 129) Strafprozeßordnung i.d.F. der Bek. vom 7. 4. 1987 (BGBl. I S. 1074) berichtigt Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz) vom 18. 6. 1980 (BGBl. I S. 689)

BAK BAnz. BaWü. Bay. BayAGGVG

BayBS BayObLG BayObLGSt BayRS BayVerf. BayVerfGHE BayVerwBl. BayVGH BayVGHE

BayZ BB BBG Bbg. BbgVerfG Bd. BDG BDH BDSG Begr. BegrenzungsVO

BEG-SchlußG Bek. Bek. 1924 Bek. 1950 Bek. 1965 Bek. 1975 Bek. 1987 ber. BerathG

XVII

Abkürzungsverzeichnis BerlVerfGH BerRehaG

Beschl. Bespr. BeurkG BewHi. BezG BFH BGB

BGBl. I, II, III BGH BGH-DAT BGHE Strafs. BGHGrS BGHR BGHRZ BGHSt BGHZ BGSG BGSNeuRegG

BinnSchiffG

BinSchiffVfG BKA BKAG

Bln. Bln.GVBl.Sb. Blutalkohol BMI BMinG

BMJ BNDG Bonn.Komm. BORA BPolBG

XVIII

Berliner Verfassungsgerichtshof Gesetz über den Ausgleich beruflicher Benachteiligungen für Opfer politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet (Berufliches Rehabilitierungsgesetz – BerRehaG) vom 23. 6. 1994 (BGBl. I S. 1314) Beschluss Besprechung Beurkundungsgesetz vom 28. 8. 1969 (BGBl. I S. 1513) Bewährungshilfe (Zeitschrift) Bezirksgericht Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. 8. 1896 (RGBl. S. 195) i.d.F. der Bek. vom 2. 1. 2002 (BGBl. I S. 42, ber. S. 2909 und BGBl. I 2003, S. 738). Bundesgesetzblatt Teil I, II und III Bundesgerichtshof Datenbank der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf CDROM, herausgegeben von Werner Theune Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Strafsachen auf CDROM, herausgegeben von Mitgliedern des Gerichts Bundesgerichtshof, Großer Senat (hier in Strafsachen) BGH-Rechtsprechung in Strafsachen (Loseblattsammlung) BGH-Rechtsprechung in Zivilsachen (Loseblattsammlung) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Gesetz über den Bundesgrenzschutz (Bundesgrenzschutzgesetz – BGSG) vom 19. 10. 1994 (BGBl. I S. 2978) Gesetz zur Neuregelung der Vorschriften über den Bundesgrenzschutz (Bundesgrenzschutzneuregelungsgesetz – BGSNeuRegG) vom 19. 10. 1994 (BGBl. I S. 2978) Gesetz betr. die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt (Binnenschiffahrtsgesetz) vom 15. 6. 1895 i.d.F. der Bek. vom 15. 6. 1898 (RGBl. S. 868) Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Binnenschiffahrts- und Rheinschiffahrtssachen vom 27. 9. 1952 (BGBl. I S. 641) Bundeskriminalamt Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz – BKAG) vom 7. 7. 1997 (BGBl. I S. 1650) Berlin Sammlung des bereinigten Berliner Landesrechts, Sonderband I (1806 bis 1945) und II (1945 bis 1967) Blutalkohol, Wissenschaftliche Zeitschrift für die medizinische und juristische Praxis Bundesminister(-ium) des Innern Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Bundesregierung (Bundesministergesetz) vom 17. 6. 1953 (BGBl. I S. 407) i.d.F. der Bek. vom 27. 7. 1971 (BGBl. I S. 1166) Bundesminister(-ium) der Justiz Gesetz über den Bundesnachrichtendienst vom 20. 12. 1990 (BGBl. I S. 2979) i.d.F. der Bek. vom 9. 1. 2002 (BGBl. I S. 361 ff.) Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Loseblattausgabe) Berufsordnung für Rechtsanwälte i.d.F. der Bek. vom 1. 11. 2001 Bundespolizeibeamtengesetz i.d.F. der Bek. vom 3. 6. 1976 (BGBl. I S. 1357)

Abkürzungsverzeichnis BR BRAGO BRAK BRAK-Mitt. BranntWMonG BRAO BRat BRDrucks. BReg. Brem. BRProt. BS BSG Bsp. BT BTDrucks. BtG

BtMG

BTProt. BTRAussch. BTVerh. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerfSchG

BVerwG BVerwGE BW bzgl. BZRG

2. BZRÄndG bzw. CCBE CCC CD

CDE ChE

s. BRat Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte vom 26. 7. 1957 (BGBl. I 907); ersetzt durch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) Bundesrechtsanwaltskammer Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Branntweinmonopolgesetz vom 8. 4. 1922 (RGBl. I S. 405; BGBl. III 612-7) Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. 8. 1959 (BGBl. I S. 565) Bundesrat Drucksachen des Bundesrats Bundesregierung Bremen Protokolle des Bundesrates Sammlung des bereinigten Landesrechts Bundessozialgericht Beispiel Bundestag Drucksachen des Bundestags Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz – BtG) vom 12. 9. 1990 (BGBl. I S. 2002) Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz) vom 28. 7. 1981 (BGBl. I S. 681) i.d.F. der Bek. vom 1. 3. 1994 (BGBl. I S. 358) s. BTVerh. Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags Verhandlungen des Deutschen Bundestags Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vom 12. 3. 1951 i.d.F. der Bek. vom 11. 8. 1993 (BGBl. I S. 1473) Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz) vom 20. 12. 1990 (BGBl. I S. 2954) Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Baden-Württemberg bezüglich Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz) vom 18. 3. 1971(BGBl. I S. 243) i.d.F. der Bek. vom 21. 9. 1984 (BGBl. I S. 1229) Zweites Gesetz zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes (2. BZRÄndG) vom 17. 7. 1984 (BGBl. I S. 990) beziehungsweise Council of the Bars and Law Societies of the European Union Constitutio Criminalis Carolina Collection of Decisions Bd. 1 bis 46 (1960 bis 1974), Entscheidungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte über die Zulässigkeit von Beschwerden Cahiers de droit européen (Zeitschrift) Chiemsee-Entwurf (Verfassungsausschuß der Ministerpräsidentenkonferenz der Westlichen Besatzungszonen. Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. 8. 1948) (1948)

XIX

Abkürzungsverzeichnis ChemG CJ CJEL CPP CCPR CMLRev CPS CPT

CWÜAG

DA DAG DAR DAV DB DDevR DDR ders. DERechtsmittelG

DG Die Justiz Die Polizei dies. Diss. DiszO DJ DJT DJZ DNA-AnalyseG DNA-IFG DNP DNutzG DÖV DOGE DPA DR

DRechtsw. DRiG DRiZ DRpfl.

XX

Chemikaliengesetz i.d.F. der Bek. vom 20. 6. 2002 (BGBl. I 2090) Corpus Juris Columbia Journal of European Law Code Procédure Penal Human Rights Committee/Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen Common Market Law Review Crown Prosecution Service Committee for the Prevention of Torture – Europäischer Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Europarat) Ausführungsgesetz zum Chemiewaffenübereinkommen vom 2. 8. 1994 (BGBl. I 1954) Dienstanweisung Deutsches Auslieferungsgesetz vom 23. 12. 1929 (BGBl. I. S. 239), aufgehoben durch IRG vom 23. 12. 1982 (BGBl. I S. 2071) Deutsches Autorecht (Zeitschrift) DeutscherAnwaltVerein Der Betrieb (Zeitschrift) Deutsche Devisen-Rundschau (1951–59) Deutsche Demokratische Republik derselbe Diskussionsentwurf für ein Gesetz über die Rechtsmittel in Strafsachen, im Auftrag der JMK vorgelegt von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Strafverfahrensreform (1975) Disziplinargesetz (der Länder) Die Justiz, Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg Die Polizei (seit 1955: Die Polizei – Polizeipraxis) dieselbe Dissertation Disziplinarordnung (der Länder) Deutsche Justiz, Rechtspflege und Rechtspolitik (1933–45) Deutscher Juristentag (s. auch VerhDJT) Deutsche Juristenzeitung (1896–1936) Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse v. 12.8.2005, BGBl. I, 2360 DNA-Identitätsfeststellungsgesetz vom 7. 9. 1998 (BGBl. I S. 2646; 1999 I S. 1242). Die Neue Polizei Gesetz zur effektiveren Nutzung von Dateien im Bereich der Staatsanwaltschaften vom 10.9.2004 (BGBl. I 2318) Die Öffentliche Verwaltung Entscheidungen des Deutschen Obergerichts für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet Deutsches Patentamt Deutsches Recht (1931 bis 1945); Decisions and Reports (ab 1975): Entscheidungen über die Zulässigkeit von Beschwerden; Berichte der Europäischen Kommission für Menschenrechte; Resolutionen des Ministerkomitees des Europarates Deutsche Rechtswissenschaft (1936–43) Deutsches Richtergesetz vom 8. 9. 1961 (BGBl. I S. 1665) i.d.F. der Bek. vom 19. 4. 1972 (BGBl. I S. 713) Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechtspflege (1936 bis 1939)

Abkürzungsverzeichnis DRsp. Drucks. Drucks. KOM DRZ DSteuerR DStR DStrZ DStZ dt. DtBR DtZ DuD DuR DVBl. DVO DVollzO DVOVereinf.VO

DVOZust.VO

DVR DWiR E ebda. EA EAG EAGV

EB EBAO ECBA ECR EDS/EDU EDV EEA EFG EG EGBGB EGFaxÜbk

EGFinSchÜbk

Deutsche Rechtsprechung, herausgegeben von Feuerhake (Loseblattsammlung) Drucksache Drucksache der Kommission Deutsche Rechts-Zeitschrift (1946 bis 1950) Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Strafrecht (1934 bis 1944) Deutsche Strafrechts-Zeitung (1914 bis 1922) Deutsche Steuer-Zeitung deutsch Das Deutsche Bundesrecht, Gesetzessammlung mit Erläuterungen (Loseblattausgabe) Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Datenschutz und Datensicherheit (Zeitschrift) Demokratie und Recht (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Durchführungsverordnung Dienst- und Vollzugsordnung Verordnung zur Durchführung der Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung und der Rechtspflege vom 8. 9. 1939 (RGBl. I S. 1703) Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sonderstrafgerichte sowie sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften vom 13. 3. 1940 (RGBl. I S. 489) Datenverarbeitung im Recht (Zeitschrift) Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entwurf Ebenda Vertrag über Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft i.d.F. nach dem 1. 5. 1999 Europäische Atomgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25. 3. 1957, Ges. vom 27. 7. 1957 (BGBl. II S. 753), Bek. vom 27. 12. 1957 (BGBl. II 1958 S. 1) Ergänzungsband Einforderungs- und Beitreibungsanordnung i.d.F. der Bek. vom 1. 4. 2001 European Criminal Bar Association Europäische Charta der Grundrechte Europäische Drogeneinheit (Vorläufer von Europol)/European Drug Unit Elektronische Datenverarbeitung Einheitliche Europäische Akte Entscheidungen der Finanzgerichte (Zeitschrift) Vertrag zur Gründung einer Europäischen Gemeinschaft i.d.F. nach dem 1. 5. 1999 (vor dem 1. 5. 1999: EGV); Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18. 8. 1896 (RGBl. S. 604) i.d.F. der Bek. vom 21. 9. 1994 (BGBl. I S. 2494) Abkommen vom 26. 5. 1989 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vereinfachung und Modernisierung der Verfahren zur Übermittlung von Auslieferungsersuchen (BGBl. 1995 II 969) Übereinkommen vom 26. 7. 1995 über den Schutz der finanziellen

XXI

Abkürzungsverzeichnis

EGFinSchG

EGG

EGGVG EGH EGInsO EGKS EGKSV EGMR EGMR Serie A/B; Reports

EGMRVerfO

EG-ne bis in idem-Übk

EGOWiG EGStGB 1870 EGStGB 1974 EGStPO EGV EGVollstrÜbk

EGZPO EhrenGHE EhrRiVG

Einf. EinigungsV

EinigungsVG

XXII

Interessen der Europäischen Gemeinschaften (PIF-Übereinkommen; ABlEG Nr. C 316/49 v. 27. 11. 1995) Gesetz zu dem Übereinkommen vom 26. Juli 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (EGFinanzschutzgesetz – EGFinSchG) vom 10. 9. 1998 (BGBl. II 2322) Gesetz über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsverkehr-Gesetz – EGG) vom 14. 12. 2001 (BGBl. I 3721) Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. 1. 1877 (RGBl. S. 77) Ehrengerichtshof in Anwaltssachen Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung vom 5. 10. 1994 (BGBl. I S. 2911) Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag über die Gründung der EGKS vom 18. 4. 1951 (BGBl. II S. 447) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Sammlung in deutscher Übersetzung, Band, Seite; ab 1996: Reports of Judgments and Decisions) Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Rules of Court) i.d.F. der Bek. vom 1. 11. 2003 (www. echr.coe.int); VerfO i.d.F. der Bek. vom 4. 11. 1998 (BGBl. 2002 II S. 1080) Übereinkommen vom 25. 5. 1987 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über das Verbot der doppelten Strafverfolgung – EG-ne bis in idem-Übk (BGBl. 1998 II S. 2227) Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24. 5. 1968 (BGBl. I S. 503) Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 31. 5. 1870 (RGBl. S.195) Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2. 3. 1974 (BGBl. I S.469) Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung vom 1. 2. 1877 Vertrag zur Gründung einer Europäischen Gemeinschaft i.d.F. vor dem 1. 5. 1999 (nach dem 1. 5. 1999: EG) Übereinkommen vom 13. 11. 1991 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft über die Vollstrekcung ausländischer strafrechtlicher Verurteilungen Einführungsgesetz zur Zivilprozeßordnung vom 30. 1. 1877 (RGBl. S. 244) Ehrengerichtliche Entscheidungen (der Ehrengerichtshöfe der Rechtsanwaltschaft des Bundesgebietes und des Landes Berlin) Gesetz zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der Verfahrensvorschriften zur Wahl und Berufung ehrenamlicher Richter vom 21. 12. 2004 (BGBl. I 3599) Einführung Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31. 8. 1990 (BGBl. II S. 889) Gesetz zu dem Vertrag vom 31. 8. 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertragsgesetz – und der Vereinbarung vom 18. 9. 1990 vom 23. 9. 1990 (BGBl. II S. 885)

Abkürzungsverzeichnis Einl. EIS EJB

EJG

ELJ ELRev EJF EJN EKMR EKMRVerfO EmmingerVO EMRK

ENeuOG EntlG Entsch. entspr. Entw. Entw. 1908 Entw. 1909

Entw. 1919/1920

Entw. 1930

Entw. 1939 EPA EPZ ERA ERA-Forum erg. Erg. ErgBd. Erl. EStG ETS

Einleitung Europol-Informationssystem Beschluss des Rates (2002/187/JI) vom 28. 2. 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (ABl. EG Nr. L 63/1 v. 6. 3. 2002) Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses (2002/187/JI) des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (Eurojust-Gesetz – EJG) vom 12. 5. 2004 (BGBl. I 902) European Law Journal European Law Review Entscheidungen aus dem Jugend- und Familienrecht (1951–1969) Europäisches Justitielles Netz Europäische Kommission für Menschenrechte Verfahrensordnung der Europäischen Kommission für Menschenrechte i.d.F. der Bek. vom 29. 5. 1991 (BGBl. II S. 838) Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4. 1. 1924 (RGBl. I S. 23) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. 11. 1950 (BGBl. II S. 685, 953) i.d.F. der Bek. vom 17. 5. 2002 (BGBl. II S. 1054) Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (Eisenbahnneuordnungsgesetz – ENeuOG) vom 27. 12. 1993 (BGBl. I S. 2378) Gesetz zur Entlastung der Gerichte vom 11. 3. 1921 (RGBl. S. 229) Entscheidung entsprechend Entwurf Entwurf einer Strafprozeßordnung und Novelle zum Gerichtsverfassungsgesetz nebst Begründung (1908), E 1908, MatStrR-Ref. Bd. 11 Entwürfe 1. eines Gesetzes, betreffend Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes, 2. der Strafprozeßordnung (1909), E 1909 RT-Verhandl. Bd. 254 Drucks. Nr. 1310 = MatStrRRef Bd. 12; Bericht der 7. Kommission des Reichstags 1909 bis 1911 zur Vorbereitung der Entwürfe 1. eines Gesetzes betreffend die Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes, 2. einer Strafprozeßordnung, 3. eines zu beiden Gesetzen gehörenden Einführungsgesetzes = MatStrRRef. Bd. 13 Entwürfe 1. eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes (1919), 2. eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen (1920), E 1919/1920, MatStrRRef. Bd. 14 Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetz 1930, EGStGB-Entw. 1930, RT-Drucks. Nr. 2070 = MatStrRRef. Bd. 7 Entwurf einer Strafverfahrensordnung und einer Friedens- und Schiedsmannsordnung (1939), StPO-Entw. 1939, Nachdruck 1954 Europäisches Patentamt Europäische Politische Zusammenarbeit Europäische Rechtsakademie (Trier) ERA-Forum (Zeitschrift) ergänzend Ergänzung; Ergebnis Ergänzungsband Erlass; Erläuterung(en) Einkommensteuergesetz European Treaty Series; Übereinkommen des Europarates (fortlaufend nummeriert; www.coe.int)

XXIII

Abkürzungsverzeichnis EU EuAbgG EuAlÜbk

EUAlÜbk

EuArch EuBa EUBestG

EUC EuDrogenÜbk

EuFoltKonv.

EuG EuGeldwÜbk

EuGH EuGH Slg. EuGHG

EuGRAG

EuGRZ EuHb EuHbG

EuKonv EuOEÜbk

EuR EuRAG

XXIV

Vertrag über die Europäische Union i.d.F. nach dem 1. 5. 1999 (vor dem 1. 5. 1999: EUV); Europäische Union Europaabgeordnetengesetz vom 6. 4. 1979 (BGBl. I S. 413) Europäisches Auslieferungsübereinkommen vom 13. 12. 1957 (ETS 024; BGBl. II 1964 S. 1369); 2. ZP EuAlÜbk v. 17. 3. 1978 (ETS 098; BGBl. II 1990 S. 118; II 1991 S. 874) Übereinkommen vom 27. 9. 1996 aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABlEG Nr. C 313/11 vom 23. 10.1996; BGBl. 1998 II S. 2253) Europa-Archiv Europäische Beweisanordnung Gesetz zu dem Protokoll vom 27. September 1996 zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (EU-Bestechungsgesetz – EUBestG) vom 10. 9. 1998 (BGBl. II 2340) Europäische Charta der Grundrechte Übereinkommen vom 31. 1. 1995 über den unerlaubten Verkehr mit Drogen auf hoher See zur Durchführung des Art. 17 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 20. 12. 1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (ETS 156; BGBl. 2000 II S. 1313) Europäisches Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vom 26. 11. 1987 (ETS 126; BGBl. II 1989 S. 946) Europäisches Gericht erster Instanz (Luxemburg) Übereinkommen vom 8. 11. 1990 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten (ETS 141; BGBl. 1998 II S. 519) Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) – Amtliche Sammlung Gesetz vom 6. 8. 1998 betreffend die Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens auf dem Gebiet der polizeilichen Zusammenarbeit und der justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 35 des EU-Vertrages – EuGHG (BGBl. 1998 I S. 2035; 1999 II S. 728) Gesetz zur Durchführung der Richtlinie des Rates der EG vom 22. 3. 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte vom 16. 8. 1980 (BGBl. I S. 1453) Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europäischer Haftbefehl Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz – EuHbG) vom 21. 7. 2004 (BGBl. I 1748) und vom 20. 7. 2006 (BGBl. I 1721) Europäischer Konvent Europäisches Übereinkommen vom 24. 11. 1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten – EuOpferEntschädigungsÜbk (ETS 116; BGBl. 2000 II S. 1209) Europarecht (Zeitschrift) Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland vom 9. 3. 2000 (BGBl. I S. 182)

Abkürzungsverzeichnis EuRhÜbk

EURhÜbk

Eurojust Europol EuropolÜbk

EuropolG EuStA EuTerrÜbk EUV EuVEntw

EUVereinfAlÜbk

EuVKonv

EuZW EV

evt. EWG EWGV EWR-Abk. EzSt

f., ff. FAG FamPLG FamRZ FAO FG FGG

Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. 4. 1959 (ETS 30; BGBl. 1964 II S. 1369; 1976 II S. 1799); ZP EuRhÜbk vom 17. 3. 1978 (ETS 99; BGBl. 1990 II S. 124; 1991 II S. 909); 2. ZP EuRHÜbk v. 8. 11. 2001 (ETS 182) Rechtshilfeübereinkommen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 29. 5. 2000, ABlEG Nr. C 197/1 vom 12. 7. 2000; ZP EuRHÜbk v. 16. 10. 2001 (ABlEG Nr. C 326/1 vom 21. 11. 2001) Europäische Justitielle Clearing- und Dokumentationsstelle (Den Haag) Europäisches Polizeiamt (Den Haag) Übereinkommen vom 26. 7. 1995 auf Grund von Artikel K.3 des EUV über die Errichtung eines Europäischen Polizeiamtes, ABlEG Nr. C 316/1 v. 27. 11. 1995. Europolgesetz vom 16. 12.1997 (BGBl. II 2150) Europäische Staatsanwaltschaft (geplant) Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. 1. 1977 (ETS 90; BGBl. 1978 II S. 321, 907) Vertrag über die Europäische Union vor dem 1. 5. 1999 (nach dem 1. 5. 1999: EU) Entwurf einer Europäischen Verfassung i.d.F des am 18. 6. 2004 zwischen den Staats- und Regierungschefs erzielten Konsenses (Dokument der Regierungs-konferenz CIG 86/04 v. 25. 6. 2004) Übereinkommen vom 10. 3. 1995 aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABlEG Nr. C 78/1 vom 30. 3. 1995; BGBl. 1998 II S. 2229) Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa – vom Europäischen Konvent im Konsensverfahren angenommen am 13. 6. und 10. 7. 2003 – dem Präsidenten des Europäischen Rates in Rom überreicht am 18. 7. 2003 Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Einigungsvertrag (Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands) vom 31. 8. 1990 (BGBl. II 889) eventuell Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. 3. 1957 (BGBl. II S. 766) Gesetz zu dem Abkommen vom 2. 5. 1992 über den Europäischen Wirtschaftsraum Entscheidungssammlung zum Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 1983 bis 1990 (Loseblattausgabe) folgende Gesetz über Fernmeldeanlagen vom 6. 4. 1892 i.d.F. der Bek. vom 3. 7. 1989 (BGBl. I S. 1455); ersetzt durch das TKG Gesetz über Aufklärung, Verhütung, Familienplanung und Beratung vom 27. 7. 1992 (BGBl. I S. 1398) Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fachanwaltsordnung i.d.F. der Bek. vom 22. 3. 1999 (BRAK-Mitt. 1999, 131) Finanzgericht/Festgabe Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. 5. 1898 i.d.F. der Bek. vom 20. 5. 1898 (RGBl. S. 771)

XXV

Abkürzungsverzeichnis FGO FinB FinVerwG FlRG

Fn. FN A FN B FO FP-IPBPR 2. FP-IPBPR

FS G 10

GA

GASP GBA GBl. GBl./DDR I, II GedS GemProt. GenG GenStA GerS Ges. GeschlkrG GeschO GewO GewSchG

GewVerbrG GG ggf. GKG GKI

XXVI

Finanzgerichtsordnung vom 28. 3. 2001 (BGBl. I S. 422) Finanzbehörde Gesetz über die Finanzverwaltung vom 6. 9. 1950 (BGBl. S. 448) i.d.F. der Bek. vom 30. 8. 1971 (BGBl. I S. 1426) Gesetz über das Flaggenrecht der Seeschiffe und die Flaggenführung der Binnenschiffe (Flaggenrechtsgesetz) vom 8. 2. 1951 i.d.F. der Bek. vom 29. 10. 1994 (BGBl. I S. 3140) Fußnote Fundstellennachweis des Deutschen Bundesrechts, Bundesrecht ohne völkerrechtliche Vereinbarungen und Verträge mit der DDR Fundstellennachweis des Deutschen Bundesrechts, Völkerrechtliche Vereinbarungen und Verträge mit der DDR Fernmeldeordnung i.d.F. der Bek. vom 5. 5. 1971 (BGBl. I S. 541) (1.) Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12. 1966 (BGBl. II 1992 S. 1247) 2. Fakultativprotokoll zu dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe vom 15. 12. 1989 (BGBl. II 1992 S. 390) Festschrift, auch Festgabe usw. (angefügt Name des Geehrten) Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vom 26. 6. 2001 (BGBl. I S. 1254) (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz Goltdammer’s Archiv für Strafrecht, zitiert nach Jahr und Seite; (bis 1933: Archiv für Strafrecht und Strafpolitik, zitiert nach Band und Seite) Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Generalbundesanwalt Gesetzblatt Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil I und II (1949 bis 1990) Gedächtnisschrift (angefügt Name des Geehrten) Gemeinsames Protokoll Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom 1. 5. 1889 i.d.F. der Bek. vom 19. 8. 1994 (BGBl. I S. 2202) Generalstaatsanwaltschaft Der Gerichtssaal (1849–1942) Gesetz Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 23. 7. 1953 (BGBl. I S. 700) Geschäftsordnung Gewerbeordnung vom 21. 6. 1869 i.d.F. der Bek. vom 1. 1. 1987 (BGBl. I S. 425) Gesetz vom 11. 12. 2001 zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutze bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung (Gewaltschutzgesetz – GewSchG; BGBl. I 3513) Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. 11. 1933 (RGBl. I S. 995) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5. 1949 (BGBl. S. 1) gegebenenfalls Gerichtskostengesetz vom 5. 5. 2004 (BGBl. I S. 718) Gemeinsame Kontrollinstanz (jeweils eingerichtet bei Europol und Eurojust)

Abkürzungsverzeichnis GLY GmbH GmbHG GMBl. GmS-OGB GnO GoltdA grds. GrSSt Gruchot GRUR GS GSNW GSSchlH GStA GÜG

GÜV GV GVBl. GVBl. II GVG GVGA GVGÄG 1971 GVGÄG 1974 GVG/DDR

GVO GVVO

GWB GwG GYIL Haager Abk. HalbleiterschutzG

Hamb. HambJVBl.

German Law Journal (Internet-Zeitschrift; www.germanlawjournal.de) Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 20. 4. 1892 i.d.F. der Bek. vom 20. 5. 1898 (RGBl. S. 846) Gemeinsames Ministerialblatt Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gnadenordnung s. GA grundsätzlich Großer Senat in Strafsachen Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts, begründet von Gruchot Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) Gesetzessammlung Sammlung des bereinigten Landesrechts Nordrhein-Westfalen (1945–56) Sammlung des schleswig-holsteinischen Landesrechts, 2 Bde. (1963) Generalstaatsanwalt Gesetz zur Überwachung des Verkehrs mit Grundstoffen, die für die unerlaubte Herstellung von Betäubungsmitteln mißbraucht werden können (Grundstoffüberwachungsgesetz – GÜG) vom 7. 10. 1994 (BGBl. I S. 2835) Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24. 5. 1961 (BGBl. I S. 607) Gemeinsame Verfügung (mehrerer Ministerien) Gesetz- und Verordnungsblatt Sammlung des bereinigten Hessischen Landesrechts Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. 1. 1877 i.d.F. der Bek. vom 9. 5. 1975 (BGBl. S. 1077) Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher, abgedruckt bei Piller/ Hermann, 9 c Gesetz zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 8. 9. 1971 (BGBl. I S. 1513) Gesetz zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 25. 3. 1974 (BGBl. I S. 761) Gesetz über die Verfassung der Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik – Gerichtsverfassungsgesetz – vom 27. 9. 1974 (GBl. I S. 457), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. 7. 1990 (GBl. I S. 595) Gerichtsvollzieherordnung, abgedruckt bei Piller/ Hermann, 9 d Verordnung zur einheitlichen Regelung der Gerichtsverfassung vom 20. 3. 1935 (RGBl. I S. 403) in der im BGBl. III Gliederungsnummer 300-5 veröffentlichten bereinigten Fassung Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 27. 7. 1957 i.d.F. der Bek. vom 26. 8. 1998 (BGBl. I S. 2546) Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz – GwG) vom 25. 10. 1993 (BGBl. I S. 1770) German Yearbook of International Law (Zeitschrift) Haager Abkommen über den Zivilprozeß vom 17. 7. 1905 (RGBl. 1909 S. 409) Gesetz über den Schutz der Topographien von mikroelektronischen Halbleitererzeugnissen (Halbleiterschutzgesetz) vom 22. 10. 1987 (BGBl. I S. 2294) Hamburg Hamburgisches Justizverwaltungsblatt

XXVII

Abkürzungsverzeichnis Hans. HansGZ HansJVBl. HansOLGSt HansRGZ HansRZ

HdR Hess. HESt

HGB h.M. HRR HRRS HRSt HRLJ Hs. HUDOC HV IAGMR ICLR i.d.F. i.d.R. i.e.S. IGH IKV ILO INPOL InsO IPBPR IPBPRG IPWSKR IRG i.S. IStGH IStGHG IStGHSt

i.V.m. i.w.S.

XXVIII

Hanseatisch Hanseatische Gerichtszeitung (1880 bis 1927) Hanseatisches Justizverwaltungsblatt (bis 1946/47) Entscheidungen des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Strafsachen (1879 bis 1932/33) Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift (1928–43), vorher: Hanseatische Rechtszeitschrift für Handel, Schiff-Fahrt und Versicherung, Kolonial- und Auslandsbeziehungen sowie für Hansestädtisches Recht (1918 bis 1927) Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, herausgegeben von StierSomlo und Elster (1926 bis 1937) Hessen Höchstrichterliche Entscheidungen, Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der Obersten Gerichte in Strafsachen (1948–49) Handelsgesetzbuch vom 10. 5. 1897 (RGBl. S. 219) herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung (1928 bis 1942) Online-Zeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht (www.hrr-strafrecht.de) Entscheidungen zum Strafrecht, Strafverfahrensrecht und zu den Nebengebieten (Höchstrichterliche Rechtsprechung) (ab 1996) Human Rights Law Journal Halbsatz Human Rights Documentation des Europarates Hauptverhandlung Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte International Criminal Law Review in der Fassung in der Regel im engeren Sinne Internationaler Gerichtshof (Den Haag) Internationale Kriminalistische Vereinigung International Labour Organization (Internationale Arbeitsorganisation) Informationssystem der Polizei Insolvenzordnung vom 5. 10. 1994 (BGBl. I S. 2866) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12. 1966 (BGBl. II 1973 S. 1534) Zustimmungsgesetz zu dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 15. 11. 1973 (BGBl. II S. 1533) Internationaler Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte vom 19. 12. 1966 (BGBl. II 1973 S. 1570) Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 23. 12. 1982 i.d.F.vom 27. 6. 1994 (BGBl. I S. 1537) im Sinne Internationaler Strafgerichtshof (Den Haag) Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof vom 21. 6. 2002 (BGBl. I S. 2144) Gesetz vom 4. 12. 2000 zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 – IStGH-Statutgesetz (BGBl. II S. 1393). in Verbindung mit im weiteren Sinne

Abkürzungsverzeichnis JA JahrbÖR JahrbPostw. JAVollzO

Juristische Arbeitsblätter für Ausbildung und Examen Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Jahrbuch des Postwesens (1937 bis 1941/42) Jugendarrestvollzugsordnung vom 12. 8. 1966 i.d.F. der Bek. vom 30. 11. 1976 (BGBl. I S. 3270) JBeitrO Justizbeitreibungsordnung vom 11. 3. 1937 (RGBl. I S. 298) JBl. Justizblatt JBlRhPf. Justizblatt Rheinland-Pfalz JBlSaar Justizblatt des Saarlandes JGG Jugendgerichtsgesetz vom 4. 8. 1953 i.d.F. der Bek. vom 11. 12. 1974 (BGBl. I S. 3427) JIR Jahrbuch für internationales Recht JKassO Justizkassenordnung, abgedruckt bei Piller/Hermann, 5 JKomG Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz (Justizkommunikationsgesetz – JKomG) vom 22. 3. 2005 (BGBl. I 832) JKostG Justizkostengesetz (Landesrecht) JMBl. Justizministerialblatt JMBlNRW, JMBlNW Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen JMK Justizministerkonferenz (Konferenz der Landesjustizministerinnen und -minister) JöR Jahrbuch des öffentlichen Rechts JP Juristische Person JR Juristische Rundschau JugG Jugendgericht JugK Jugendkammer JugSchG Jugendschöffengericht JugStrafgG Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetz) vom 10. 4. 1995 (BGBl. I S. 485) Jura Juristische Ausbildung (Zeitschrift) JurBüro Das juristische Büro (Zeitschrift) JurJahrb. Juristen-Jahrbuch JuS Juristische Schulung (Zeitschrift) Justiz Die Justiz, Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg JV Justizverwaltung JVA Justizvollzugsanstalt JVBl. Justizverwaltungsblatt JVEG Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz) vom 5. 5. 2004 (BGBl. I S. 718) JVerwA Justizverwaltungsakt JverwB Justizverwaltungsbehörde JVKostO Verordnung über Kosten im Bereich der Justizverwaltung vom 14. 2. 1940 (RGBl. I S. 357) JVollz. Jugendstrafvollzugsordnung: s. auch JAVollzO JW Juristische Wochenschrift JZ Juristen-Zeitung 1. Justizmodernisierungsgesetz Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz vom 24. 8. 2004 (BGBl. I S. 2198) Kap. KFZ

Kapitel Kraftfahrzeug

XXIX

Abkürzungsverzeichnis KG KGJ

KJ KO KonsG KostÄndG KostRMoG KostMaßnG KostO KostRÄndG 1994

KostRspr. KostVfg. KrG Kriminalist Kriminalistik KrimJ KrimPäd. Krit. KritV KronzG

KronzVerlG

2. KronzVerlG

KSZE KUG KUP k+v KVGKG KWKG

XXX

Kammergericht/Kommanditgesellschaft Jahrbuch der Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in Kosten-, Stempel- und Strafsachen (1881–1922) Kritische Justiz (Zeitschrift) Konkursordnung vom 10. 2. 1877 i.d.F. der Bek. vom 20. 5. 1898 (RGBl. S. 612) Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (Konsulargesetz) vom 1. 9. 1974 (BGBl. I S. 2317) Gesetz zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften vom 26. 7. 1957 (BGBl. I S. 861) Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5. 5. 2004 – Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (BGBl. I S. 718) Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiet des Kostenrechts vom 7. 8. 1952 (BGBl. I S. 401) Gesetz über die Kosten in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit i.d.F. der Bek. vom 26. 7. 1957 (BGBl. I S. 861) Gesetz zur Änderung von Kostengesetzen und anderen Gesetzen (Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 – KostRÄndG 1994) vom 24. 6. 1994 (BGBl. I S. 1325) Kostenrechtsprechung (Loseblattsammlung) Kostenverfügung, Durchführungsbestimmungen zu den Kostengesetzen, abgedruckt bei Piller/Hermann Kreisgericht Der Kriminalist (Zeitschrift) Kriminalistik, Zeitschrift für die gesamte kriminalistische Wissenschaft und Praxis Kriminologisches Journal Kriminalpädagogische Praxis (Zeitschrift) Kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Gesetz zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (Art. 4 des StGBÄndG 1989) vom 9. 6. 1989 (BGBl. I S. 1059) Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (Kronzeugen-Verlängerungs-Gesetz) vom 16. 2. 1993 (BGBl. I S. 238) Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (2. Kronzeugen-Verlängerungs-Gesetz vom 19. 1. 1996 (BGBl. I S. 58) Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Gesetz über das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Fotografie vom 9. 1. 1907 (RGBl. S. 7 ) Kriminologie und Praxis (Schriftenreihe der Kriminologischen Zentralstelle) Kraftfahrt und Verkehrsrecht, Zeitschrift der Akademie für Verkehrswissenschaft Kostenverzeichnis (Anlage 1 zum GKG) Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen i.d.F. der Bek. vom 22. 11. 1990 (BGBl. I S. 2506)

Abkürzungsverzeichnis LegPer. Lfg. LG LJV LKA LM LMBG

LMG (1936)

LPartG LPG LRE LS LuftVG LuftVO LV LVerf. LVG LZ MABl. MarkenG Mat. MatStrRRef. MBl. MDR MedR MiStra.

MittKV MOG Mot. MRG MSchrKrim. MschrKrimPsych. MStGO Muster-Entw.

MV m.w.N.

Legislaturperiode Lieferung Landgericht Landesjustizverwaltung Landeskriminalamt Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs (Loseblattsammlung), hrsg. von Lindemaier/Möhring u. a. Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen (Lebensmittelund Bedarfsgegenständegesetz) i.d.F. der Bek. vom 9. 9. 1997 (BGBl. I S. 2297) Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen (Lebensmittelgesetz) vom 5. 7. 1927 i.d.F. der Bek. vom 17. 1. 1936 (RGBl. I S. 17) Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft (Lebenspartnerschaftsgesetz) vom 16. 2. 2001 (BGBl. I S. 266) Landespressegesetz Sammlung lebensmittelrechtlicher Entscheidungen Leitsatz Luftverkehrsgesetz i.d.F. der Bek. vom 27. 3. 1999 (BGBl. I S. 550) Luftverkehrs-Ordnung i.d.F. der Bek. vom 27. 3. 1999 (BGBl. I S. 580) Literaturverzeichnis, Schrifttumsverzeichnis Landesverfassung Landesverwaltungsgericht Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht (1907 bis 1933) Ministerialamtsblatt Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (Markengesetz – MarkenG) vom 25. 10. 1994 (BGBl. I S. 3082) s. Hahn Materialien zur Strafrechtsreform, herausgegeben vom BMJ, Bd. 1–15 (1954–1960) (s. auch Entw.) Ministerialblatt Monatsschrift für Deutsches Recht Medizinrecht (Zeitschrift) Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen vom 15. 3. 1985 i.d.F. der Bek. vom 29. 4. 1998, bundeseinheitlich, abgedruckt bei Piller/ Hermann Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung (1889 bis 1914; 1926 bis 1933) Gesetz zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation vom 31. 8. 1972 (BGBl. I S. 1617) Begründung zur Strafprozeßordnung bei Hahn (s. dort) Militärregierungsgesetz Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform (1904/05 bis 1936) Militärstrafgerichtsordnung i.d.F. der Bek. vom 29. 9. 1936 (RGBl. I S. 755) Muster-Entwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes, verabschiedet von der JMK am 10./11. 6. 1976, geändert durch Beschluß der JMK vom 25. 11. 1977 Mecklenburg-Vorpommern mit weiteren Nachweisen

XXXI

Abkürzungsverzeichnis NachtrSichVG NATO-Truppenstatut

Nds. NdsAGGVG NdsRpfl. n.F. Nieders. GVBl. Sb. I, II NJ NJW NKrimpol. NotVO NPA NRW NStE NStZ NStZ-RR NVwZ NZV OASG

OBLG OECD OEG

OG OGHSt ÖJZ OLAF OLG OLGSt OLGSt N. F OpferRRG

OpferschutzG OrgKG

OrgStA ÖRiZ OStA

XXXII

Gesetz zur Einführung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. 07. 2004 (BGBl. I S. 1838) Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags vom 19. 6. 1951 über die Rechtsstellung ihrer Truppen (BGBl. 1961 II S. 1183, 1190), Bek. vom 16. 6. 1963 (BGBl. II S. 745) Niedersachsen Ausführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz vom 5. 4. 1963 (GVBl. S. 225) Niedersächsische Rechtspflege neue Fassung Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt, Sonderband I und II, Sammlung des bereinigten niedersächsischen Rechts Neue Justiz (bis 1990 DDR) Neue Juristische Wochenschrift Neue Kriminalpolitik (Zeitschrift) s. Ausn. VO Neues Polizei-Archiv Nordrhein-Westfalen Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ – Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift, ab 1996) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Gesetz zur Sicherung der zivilrechtlichen Ansprüche der Opfer von Straftaten (Opferanspruchsicherungsgesetz) vom 8. 5. 1998 (BGBl. I S. 905) Oberstes Landesgericht Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten vom 11. 5. 1976 (BGBl. I S. 1181) i.d.F. der Bek. vom 7. 1. 1985 (BGBl. I S. 1) Oberstes Gericht der DDR Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen (1949/50) Österreichische Juristen-Zeitung Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung (Office de la Lutte Antifraude) Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht, (Loseblattausgabe, bis 1983) Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht, Neue Folge (Loseblattausgabe, ab 1983) Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (Opferrechtsreformgesetz – OpferRRG) vom 24. 6. 2004 (BGBl. I S. 1354) Erstes Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren (Opferschutzgesetz) vom 18. 12. 1986 (BGBl. I S. 2496) Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15. 7. 1992 (BGBl. I S. 1302) Anordnung über Organisation und Dienstbetrieb der Staatsanwaltschaften Österreichische Richterzeitung Oberstaatsanwalt

Abkürzungsverzeichnis ÖstAnwBl. ÖstJZ Öster.OGH Öster.VfGH OVG OWG/DDR

OWiG OWiGÄndG

ParlStG PaßG PatAnwO PatG PAuswG PflVG PJZS PKH PKHÄndG

PlenProt. POGNW PolGBW Polizei PostG PostO PostStruktG

Pr. PräsLG PräsOLG PräsVerfG

PrGS PrG Prot. ProzeßkostenhG Pro-Eurojust PrPG

Österreichisches Anwaltsblatt Österreichische Juristen-Zeitung Österreichische Oberster Gerichtshof Österreichischer Verfassungsgerichtshof Oberverwaltungsgericht Gesetz zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten (der Deutschen Demokratischen Republik) vom 12. 1. 1968 (GBl. I S. 101), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. 6. 1990 (GBl. I S. 526) Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24. 5. 1968 i.d.F. der Bek. vom 19. 2. 1987 (BGBl. I S. 602) Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 7. 7. 1986 (BGBl. I S. 977) Gesetz über die Rechtsverhältnisse der parlamentarischen Staatssekretäre vom 24. 7. 1974 (BGBl. I S. 1538) Paßgesetz vom 19. 4. 1986 (BGBl. I S. 537) Patentanwaltsordnung vom 7. 9. 1966 (BGBl. I S. 557) Patentgesetz i.d.F. der Bek. vom 16. 12. 1980 (BGBl. I 1981 S. 1) Gesetz über Personalausweise vom 19. 12. 1950 (BGBl. S. 807) i.d.F. der Bek. vom 21. 4. 1986 (BGBl. I S. 548) Gesetz über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter i.d.F. der Bek. vom 5. 4. 1965 (BGBl. I S. 213) Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen Prozesskostenhilfe Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Prozeßkostenhilfe (Prozeßkostenhilfeänderungsgesetz – PKHÄndG) vom 10. 10. 1994 (BGBl. I S. 2954) Plenarprotokoll, Stenographische Berichte der Sitzungen des Deutschen Bundestages Polizeiorganisationsgesetz (des Landes NRW) i.d.F. der Bek. vom 22. 10. 1994 (GVNW S. 852) Polizeigesetz (des Landes BW) i.d.F. der Bek. vom 13. 1. 1992 (GBl. S. 1) s. Die Polizei Gesetz über das Postwesen i.d.F. der Bek. vom 3. 7. 1989 (BGBl. I S. 1449) Postordnung vom 16. 5. 1963 (BGBl. I S. 341) Gesetz zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost (Poststrukturgesetz – PoststruktG) vom 8. 6. 1989 (BGBl. I S. 1026) Preußen Präsident des Landgerichts Präsident des Oberlandesgerichts Gesetz über die Änderung der Bezeichnungen der Richter und ehrenamtlichen Richter und der Präsidialverfassungen der Gerichte vom 26. 5. 1972 (BGBl. I S. 841) Preußische Gesetzessammlung (1810–1945) Pressegesetz (Landesrecht) Protokoll Gesetz über die Prozeßkostenhilfe vom 13. 6. 1980 (BGBl. I S. 677) Vorgänger- und Gründungseinheit von Eurojust Gesetz zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie (PrPG) vom 7. 3. 1990 (BGBl. I S. 422)

XXXIII

Abkürzungsverzeichnis PrZeugnVerwG PTNeuOG

PV PVG PVR RA RAG/DDR RAHG RANotz.PrG

RAO RAussch. RB RBEuHb

RBerG RdErl. RdJ RdK RDStH RDStO RDV Recht recht RefE Reg. RegBl. RegE RehabG RevMC RG RGBl., RGBl. I, II RGRspr. RGSt RGZ RheinSchA RHG RHGDVO

RhPf. RichtlRA

XXXIV

Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk vom 25. 7. 1975 (BGBl. I S. 1973) Gesetz zur Neuordnung des Postwesens und der Telekommunikation (Postneuordnungsgesetz – PTNeuOG) vom 14. 9. 1994 (BGBl. I S. 2325) Personenvereinigung Polizeiverwaltungsgesetz Praxis Verkehrsrecht Rechtsanwalt Rechtsanwaltsgesetz der Deutschen Demokratischen Republik vom 13. 9. 1990 (GBl. I S. 1504) s. RHG Gesetz zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter vom 24. 6. 1992 (BGBl. I S. 1386) Reichsabgabenordnung vom 13. 12. 1919, aufgehoben durch AO vom 16. 3. 1976 Rechtsausschuss Rahmenbeschluss (Art. 34 EU) Rahmenbeschluss des Rates (2002/584/JI) vom 13. 6. 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (AblEG Nr. L 190/1 v. 18. 7. 2002) Gesetz zur Verhütung von Mißbrauch auf dem Gebiet der Rechtsberatung vom 13. 12. 1935 (RGBl. I S. 1478) Runderlass Recht der Jugend und des Bildungswesens (Zeitschrift) Das Recht des Kraftfahrers (1926–43, 1949–55) Entscheidungen des Reichsdienststrafhofs (1939–41) Reichsdienststrafordnung vom 26. 1. 1937 (RGBl. I S.71) Recht der Datenverarbeitung Das Recht, begründet von Soergel (1897 bis 1944) Information des Bundesministers der Justiz Referentenentwurf Regierung Regierungsblatt Regierungsentwurf Rehabilitierungsgesetz (der Deutschen Demokratischen Republik) von 6. 9. 1990 (GBl. I S. 1459), aufgehoben durch StrRehaG Revue du Marché commun et de l’Union européenne Reichsgericht Reichsgesetzblatt, von 1922 bis 1945 Teil I und II Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen (1879 bis 1888) Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Revidierte Rheinschiffahrtsakte (Mannheimer Akte) i.d.F. der Bek. vom 11. 3. 1969 (BGBl. II S. 597) Gesetz über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen vom 2. 5. 1953 (BGBl. I S. 161) Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen vom 23. 12. 1953 (BGBl. I S. 1569) Rheinland-Pfalz Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts – Richtlinien gem. § 177 Abs. 2 Satz 2 BRAO vom 21. 6. 1973, abgedruckt bei Isele S. 1760 ff.

Abkürzungsverzeichnis RiG/DDR RiJGG RiStBV

RiVASt.

RIW RKG(E) RL RMBl. RMilGE Rn. ROW RpflAnpG

RpflAnpÄndG Rpfleger RpflEntlG RpflG RpflVereinfG Rspr. RT RTDE RTDrucks. RTVerh. RuP RVerf. RVG

RVO

S. Sa. SaAnh. SaBremR SächsArch. SächsOLG SchiedsmZ SchiedsstG SchlH SchlHA SchrR

Richtergesetz der Deutschen Demokratischen Republik vom 5. 7. 1990 (GBl. I S. 637) Richtlinien zum Jugendgerichtsgesetz i.d.F. der Bek. vom 20. 5. 1980, bundeseinheitlich, abgedruckt bei Piller/ Hermann 2 e Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren vom 1. 12. 1970 (BAnz. Nr. 17/1971), i.d.F. der Bek. vom 1. 2. 1997 mit spät. Änderungen, bundeseinheitlich, abgedruckt Piller/Hermann Richtlinien für den Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten vom 15. 1. 1959, i.d.F. der Bek. vom 1. 10. 1978, bundeseinheitlich, abgedruckt bei Piller/Hermann 2 f. Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Reichskriegsgericht (Entscheidungen des RKG) Richtlinie Reichsministerialblatt, Zentralblatt für das Deutsche Reich (1923–45) Entscheidungen des Reichsmilitärgerichts Randnummer Recht in Ost und West (Zeitschrift) Gesetz zur Anpassung der Rechtspflege im Beitrittsgebiet (Rechtspflege-Anpassungsgesetz – RpflAnpG) vom 26. 6. 1992 (BGBl. I S. 1147) Gesetz zur Änderung des Rechtspflege-Anpassungsgesetzes – RpflAnpG vom 7. 12. 1995 (BGBl. I S. 1590) Der Deutsche Rechtspfleger Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. 1. 1993 (BGBl. I S. 50) Rechtspflegergesetz vom 5. 11. 1969 (BGBl. I S. 2065) Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 17. 12. 1990 (BGBl. I S. 2847) Rechtsprechung Reichstag Revue trimestrielle de droit européen Drucksachen des Reichstags Verhandlungen des Reichstags Recht und Politik s. WeimVerf. Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte – Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vom 5. 5. 2004 (BGBl. I S. 718) Reichsversicherungsordnung vom 19. 7. 1911 i.d.F. der Bek. vom 15. 12. 1924 (RGBl. I S. 779) Satz, Seite Sachsen Sachsen-Anhalt Sammlung des bremischen Rechts (1964) Sächsisches Archiv für Rechtspflege, seit 1924 (bis 1941/42) Archiv für Rechtspflege in Sachsen, Thüringen und Anhalt Annalen des Sächsischen Oberlandesgerichts zu Dresden (1880 bis 1920) Schiedsmannszeitung (1926 bis 1945), seit 1950 Der Schiedsmann Gesetz (der Deutschen Demokratischen Republik) über die Schiedsstellen in den Gemeinden vom 13. 9. 1990 (GBl. I S. 1527) Schleswig-Holstein Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schriftenreihe

XXXV

Abkürzungsverzeichnis SchrRAGStrafR SchrRBRAK SchwarzArbG

SchwBG SchwJZ SchwZStr. SDÜ

1. SED-UnberG

2. SED-UnberG

SeeAufgG

SeemG SeuffBl. SFHÄndG SFHG

SGB

XXXVI

Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im Deutschen Anwaltverein Schriftenreihe der Bundesrechtsanwaltskammer Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung vom 23. 7. 2004 (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz – SchwarzArbG), BGBl. I S. 1842 Schweizerisches Bundesgericht Schweizerische Juristenzeitung Schweizer Zeitschrift für Strafrecht Übereinkommen vom 19. 6. 1990 zwischen dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg und dem Königreich der Niederlande zur Durchführung des am 14. 6. 1985 in Schengen unterzeichneten Übereinkommens betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (Schengener Durchführungsübereinkommen; ABlEG Nr. L 239/19 vom 22. 9. 2000) Erstes Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht (Erstes SEDUnrechtsbereinigungsgesetz – 1. SED-UnberG) vom 29. 10. 1992 (BGBl. I S. 1814) Zweites Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht (Zweites SEDUnrechtsbereinigungsgesetz – 2. SED.UnBerG) vom 23. 6. 1994 (BGBl. I S. 1311) Gesetz über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschiffahrt (Seeaufgabengesetz – SeeAufgG) vom 24. 5. 1965 i.d.F. der Bek. vom 27. 9. 1994 (BGBl. I S. 2802) Seemannsgesetz vom 26. 7. 1957 (BGBl. II 713) Seufferts Blätter für Rechtsanwendung (1836–1913) Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz (SFHÄndG) vom 21. 8. 1995 (BGBl. I S. 1050) Gesetz zum Schutz des vorgeburtlichen/werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, für Hilfe im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (Schwangeren- und Familienhilfegesetz) vom 27. 7. 1992 (BGBl. I S. 1398) Sozialgesetzbuch SGB I – Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil (1. Buch), vom 27. 12. 2003 (BGBl. I S. 3022) SGB II – Sozialgesetzbuch, Grundsicherung für Arbeitsuchende (2. Buch), vom 24. 12. 2003 (BGBl. I S. 2954), SGB III – Sozialgesetzbuch, Arbeitsförderung (3. Buch), vom 27. 12. 2003 (BGBl. I S. 3022), SGB IV – Sozialgesetzbuch, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (4. Buch) vom 24. 7. 2003 (BGBl. I Bl. 1526), SGB V – Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Krankenversicherung (5. Buch) vom 27. 12. 2003 (BGBl. I S. 3022), SGB VI – Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Rentenversicherung (6. Buch) vom 29. 4. 2004 (BGBl. I S. 678), SGB VII – Sozialgesetzbuch, Gesetzliche Unfallversicherung (7. Buch) vom 27. 12. 2003 (BGBl. I S. 3019), SGB VIII – Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfe (8. Buch) vom 27. 12. 2003 (BGBl. I S. 3022), SGB IX – Sozialgesetzbuch, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (9. Buch) vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 606), SGB X – Sozialgesetzbuch, Verwaltungsverfahren (10. Buch) vom 5. 4. 2004 (BGBl. I S. 718)

Abkürzungsverzeichnis

SGG SGV.NW SichVG SIRENE SIS SJZ SkAufG

s.o. SortSchG SprengG

SprengstG

StA StAG/DDR

StaatsGH StaatsschStrafsG StÄG StenB StGB StGB/DDR

StGBÄndG 1976

StGBÄndG 1989

StPÄG 1964 StPÄG 1972 StPÄG 1978 StPÄG 1986

SGB XI – Sozialgesetzbuch, Soziale Pflegeversicherung (11. Buch) vom 27. 12. 2003 (BGBl. I S. 3022), SGB XII – Sozialgesetzbuch, Sozialhilfe (12. Buch) vom 27. 12. 2003 (BGBl. I Bl. 3022) Sozialgerichtsgesetz vom 24. 7. 2003 (BGBl. I Bl. 1526) Sammlung des bereinigten Gesetz- und Verordnungsblatts für das Land Nordrhein-Westfalen (Loseblattsammlung) Gesetz zur Rechtsvereinheitlichung der Sicherungsverwahrung (SichVG) vom 16. 6. 1995 (BGBl. I S. 818) Supplementary Information Request at the National Entry (nationale Kontaktstelle des SIS) Schengener Informationssystem Süddeutsche Juristenzeitung (1946–50), dann Juristenzeitung Gesetz über die Rechtsstellung ausländischer Streitkräfte bei vorübergehenden Aufenthalten in der Bundesrepublik Deutschland (Streitkräfteaufenthaltsgesetz – SkAufG) vom 20. 7. 1995 (BGBl. II S. 554) siehe oben Gesetz über den Schutz von Pflanzensorten (Sortenschutzgesetz) vom 20. 5. 1968 i.d.F. der Bek. vom 4. 1. 1977 (BGBl. I S. 105) Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz – SprengG) vom 13. 9. 1976 (BGBl. I S. 2737) i.d.F. der Bek. vom 17. 4. 1986 (BGBl. I S. 577) Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz) vom 25. 8. 1969 (BGBl. I S. 1358, ber. BGBl. 1970 I S. 224), aufgehoben durch SprengG vom 13. 9. 1976 Staatsanwalt, Staatsanwaltschaft Gesetz über die Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. 4. 1977 (GBl. I S. 93), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. 7. 1990 (GBl. I S. 635) Staatsgerichtshof Gesetz zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutz-Strafsachen vom 8. 9. 1969 (BGBl. I S. 1582) s. StRÄndG Stenographischer Bericht Strafgesetzbuch vom 15. 5. 1871 i.d.F. der Bek. vom 10. 3. 1987 (BGBl. I S. 1160) Strafgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. 1. 1968 in der Neufassung vom 14. 12. 1988 (GBl. I S. 93), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. 6. 1990 (GBl. I S. 526) Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Bundesrechtsanwaltsordnung und des Strafvollzugsgesetzes vom 18. 8. 1976 (BGBl. I S. 218l) Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und des Versammlungsgesetzes und zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten vom 9. 6. 1989 (BGBl. I S. 1059) Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19. 12. 1964 (BGBl. I S. 1067) Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 7. 8. 1972 (BGBl. I S. 1361) Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 14. 4. 1978 (BGBl. I S. 497) Paßgesetz und Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 19. 4. 1986 (BGBl. I S. 537)

XXXVII

Abkürzungsverzeichnis StPÄG 1988 StPO StPO/DDR

StraFo StrafrAbh. StRÄndG

StraßenVSichG

XXXVIII

Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 17. 5. 1988 (BGBl. I S. 606) Strafprozeßordnung vom 1. 2. 1877 i.d.F. der Bek. vom 7. 4. 1987 (BGBl. I S. 1074) Strafprozeßordnung der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. 1. 1968 in der Neufassung vom 19. 12. 1974 (GBl. I 1975 S. 61) Strafverteidiger Forum (Zeitschrift) Strafrechtliche Abhandlungen, herausgegeben von Bennecke, dann von Beling, v. Lilienthal und Schoetensack Strafrechtsänderungsgesetz 1. ~ vom 30. 8. 1951 (BGBl. I S. 739) 2. ~ vom 6. 3. 1953 (BGBl. I S. 42) 3. ~ vom 4. 8. 1953 (BGBl. I S. 735) 4. ~ vom 11. 6. 1957 (BGBl. I S. 597) 5. ~ vom 24. 6. 1960 (BGBl. I S. 477) 6. ~ vom 30. 6. 1960 (BGBl. I S. 478) 7. ~ vom 1. 6. 1964 (BGBl. I S. 337) 8. ~ vom 25. 6. 1968 (BGBl. I S. 741) 9. ~ vom 4. 8. 1969 (BGBl. I S. 1065) 10. ~ vom 7. 4. 1970 (BGBl. I S. 313) 11. ~ vom 16. 12. 1971 (BGBl. I S. 1977) 12. ~ vom 16. 12. 1971 (BGBl. I S. 1779) 13. ~ vom 13. 6. 1975 (BGBl. I S. 1349) 14. ~ vom 22. 4. 1976 (BGBl. I S. 1056) 15. ~ vom 18. 5. 1976 (BGBl. I S. 1213) 16. ~ vom 16. 7. 1979 (BGBl. I S. 1078) 17. ~ vom 21. 12. 1979 (BGBl. I S. 2324) 18. ~ vom 28. 3. 1980 (BGBl. I S. 379) – Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität 19. ~ vom 7. 8. 1981 (BGBl. I S. 808) 20. ~ vom 8. 12. 1981 (BGBl. I S. 1329) 21. ~ vom 13. 6. 1985 (BGBl. I S. 963) 22. ~ vom 18. 7. 1985 (BGBl. I S. 1510) 23. ~ vom 13. 4. 1 986 (BGBl. I S. 1986) 24. ~ vom 13. 1. 1987 (BGBl. I S. 141) 25. ~ vom 20. 8. 1990 – § 201 StG – (BGBl. I S. 1764) 26. ~ vom 24. 7. 1992 – Menschenhandel – (BGBl. I S. 1255) 27. ~ vom 23. 7. 1993 – Kinderpornographie – (BGBl. I S. 1346) 28. ~ vom 13. 1. 1994 – Abgeordnetenbestechung – (BGBl. I S. 84) 29. ~ vom 31. 5. 1994 – § 175, 182 StGB – (BGBl. I S. 1168) 30. ~ vom 23. 6. 1994 – Verjährung von Sexualstraftaten an Kindern und Jugendlichen – (BGBl. I S. 1310) 31. ~ vom 27. 6. 1994 – 2. Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität – (BGBl. I S. 1440) 32. ~ vom 1. 6. 1995 – §§ 44, 69 b StGB – (BGBl. I S. 747) 33. ~ vom 1. 7. 1997 – §§ 177, 178 StGB (BGBl. I S. 1607) 34. ~ vom 22. 8. 2002 – § 129 b StGB (BGBl. I S. 3390) 35. ~ vom 22. 12. 2003 – Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln (BGBl. I S. 2838) 36. ~ vom 30. 7. 2004 – § 201 a StGB (BGBl. I S. 2012) 37. ~ vom 18. 2. 2005 – § 180 b, 181 StGB (BGBl. I 239) 1. Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs (Straßenverkehrssicherungsgesetz) vom 19. 12. 1952 (BGBl. I S. 832) 2. Zweites ~ vom 26. 11. 1964 (BGBl. I S. 921)

Abkürzungsverzeichnis StREG StrEG StrFG

StRG

StrRehaG

st.Rspr. StUG

StuR StuW StV StVÄG 1979 StVÄG 1987 StVÄG 1999 StVG StVO StVollstrO StVollzG

StVollzGK StVollzK 1. StVRErgG 1. StVRG StVZO s.u. SubvG

Gesetz über ergänzende Maßnahmen zum 5. StrRG (Strafrechtsreformergänzungsgesetz) vom 28. 8. 1975 (BGBl. I S. 2289) Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen vom 8. 3. 1971 (BGBl. I S. 157) Straffreiheitsgesetz – 1949 vom 31. 12. 1949 (BGBl. I S. 37) – 1954 vom 17. 7. 1954 (BGBl. I S. 203) – 1968 vom 9. 7. 1968 (BGBl. I S. 773) – 1970 vom 20. 5. 1970 (BGBl. I S. 509) Gesetz zur Reform des Strafrechts 1. ~ vom 25. 6. 1969 (BGBl. I S. 645) 2. ~ vom 4. 7. 1969 (BGBl. I S. 717) 3. ~ vom 20. 5. 1970 (BGBl. I S. 505) 4. ~ vom 23. 11. 1973 (BGBl. I S. 1725) 5. ~ vom 18. 6. 1974 (BGBl. I S. 1297) 6. ~ vom 26. 1. 1998 (BGBl. I S. 164) Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz – StrRehaG) vom 29. 10. 1992 (BGBl. I S. 1814) i.d.F. der Bek. vom 17. 12. 1999 (BGBl. I S. 2664) ständige Rechtsprechung Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz – StUG) vom 20. 12. 1991 (BGBl. I S. 2272) Staat und Recht (Zeitschrift DDR, 1950 bis 1990) Steuern und Wirtschaft (Zeitschrift) Strafverteidiger (Zeitschrift) Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 vom 5. 10. 1978 (BGBl. I S. 1645) Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 vom 27. 1. 1987 (BGBl. I S. 475) Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 vom 2. 8. 2000 (BGBl. I, S. 1253) Straßenverkehrsgesetz vom 3. 5. 1909 i.d.F. der Bek. vom 19. 12. 1952 (BGBl. I S. 837) Straßenverkehrsordnung vom 16. 11. 1970 (BGBl. I S. 1565, ber. 1971, S. 38) Strafvollstreckungsordnung vom 1. 4. 2001 (BAnz. Nr. 87) bundeseinheitlich, abgedruckt bei Piller/Hermann 2 b Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung – Strafvollzugsgesetz – vom 16. 3. 1976 (BGBl. I S. 581) Strafvollzugsgesetz-Kommissionsentwurf, herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz Blätter für Strafvollzugskunde (Beilage zur Zeitschrift „Der Vollzugsdienst“) Gesetz zur Ergänzung des 1. StVRG vom 20. 12. 1974 (BGBl. I S. 3686) Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 9. 12. 1974 (BGBl. I S. 3393) Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 13. 11. 1937 i.d.F. der Bek. vom 28. 9. 1988 (BGBl. I S. 1793) siehe unten Subventionsgesetz vom 29. 7. 1976 (BGBl. I S. 2034)

XXXIX

Abkürzungsverzeichnis TerrorismusG TerrorBekG Thür. TiefseebergbauG TierschG TKG TKO TREVI UCLAF UdG ÜAG

ÜberlG ÜberstÜbk

Übk ÜF UHaftÄndG UN UN-FoltKonv.

UN-KindKonv. UNO-Pakt UrhG UVollzO

UZwG

VA VDA VDB VerbrbekG

VerbringungsverbG VereinfVO

XL

Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus vom 19. 12. 1986 (BGBl. I S. 2566) Gesetz vom 9. 1. 2002 zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismus-Bekämpfungsgesetz) (BGBl. I S. 361) Thüringen Gesetz zur vorläufigen Regelung des Tiefseebergbaus vom 16. 8. 1980 (BGBl. I S. 1457) Tierschutzgesetz vom 24. 7. 1972 (BGBl. I S. 1277) Telekommunikationsgesetz (TKG) vom 25. 7. 1996 (BGBl. I S. 1120) Telekommunikationsordnung vom 16. 7. 1987 (BGBl. I S. 1761) Terrorisme, Radicalisme, Extremisme, Violence Internationale (1975) Unité de Coordination de la Lutte Anti-Fraude Urkundsbeamter der Geschäftsstelle Gesetz vom 26. 9. 1991 zur Ausführung des Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. 3. 1983 – Überstellungsausführungsgesetz (BGBl. 1991 I S. 1954) Gesetz zur Überleitung von Bundesrecht nach Berlin (West) (Sechstes Überleitungsgesetz) vom 25. 9. 1990 (BGBl. I S. 2106) Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. 3. 1983 (ETS 112; BGBl. 1991 II S. 1006; 1992 II S. 98); ZP ÜberstÜbk vom 18. 12. 1997 (ETS 167) Übereinkommen Übergangsfassung Gesetz zur Abänderung der Untersuchungshaft vom 27. 12. 1926 (RGBl. I S. 529) Vereinte Nationen Übereinkommen (der Vereinten Nationen) gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. 12. 1984 (BGBl. II 1990 S. 246) Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. 11. 1989 (BGBl. II 1992 S. 122) s. IPBPR Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) vom 9. 9. 1965 (BGBl. I S. 1273) Untersuchungshaftvollzugsordnung vom 12. 2. 1953 i.d.F. der Bek. vom 15. 12. 1976, bundeseinheitlich, abgedruckt bei Piller/Hermann 2a Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes vom 10. 3. 1961 (BGBl. I S. 165) Vorzeitige Anwendung (internationaler Übereinkommen) Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Allgemeiner Teil, Bd. 1 bis 6 (1908) Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts, Besonderer Teil, Bd. 1 bis 9 (1906) Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetz (Verbrechensbekämpfungsgesetz) vom 28. 10. 1994 (BGBl. I S. 3186) Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24. 5. 1961 (BGBl. I S. 607) Vereinfachungsverordnung 1. ~, VO über Maßnahmen auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung und Rechtspflege vom 1. 9. 1939 (RGBl. I S. 1658)

Abkürzungsverzeichnis

VereinhG

VereinsG VerfGH Verh. 1. VerjährungsG 2. VerjährungsG VerkMitt. VerpflichtG VerschG VersR VerwArch. VG VGH vgl. Vhdlgen VO VOBl. VOR VRS VStGB VStGBG VVStVollzG VwGO VwRehaG

VwVfG VwZG WDO WehrbeauftrG WeinG Wiener Übereinkommen

2. ~, VO zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 13. 8. 1942 (RGBl. I S. 508) 3. ~, Dritte VO zur Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 29. 5. 1943 (RGBl. I S. 342) 4. ~, Vierte VO zur Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 13. 12. 1944 (RGBl. I S. 339) Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12. 9. 1950 (BGBl. S. 455) Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz) vom 5. 8. 1964 (BGBl. I S. 593) Verfassungsgerichtshof Verhandlungen des Deutschen Bundestages (BT), des Deutschen Juristentages (DJT) usw. Gesetz über das Ruhen der Verjährung bei SED-Unrechtstaten vom 26. 3. 1993 (BGBl. I S. 392) Gesetz zur Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 27. 9. 1993 (BGBl. I S. 1657) Verkehrsrechtliche Mitteilungen Gesetz über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen (Verpflichtungsgesetz) vom 2. 3. 1974 (BGBl. I S. 469) Verschollenheitsgesetz vom 15. 1. 1951 (BGBl. I S. 59) Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Verfassungsgerichtshof; Verwaltungsgerichtshof vergleiche s. Verh. Verordnung; s. auch AusnVO Verordnungsblatt Zeitschrift für Verkehrs- und Ordnungswidrigkeitenrecht Verkehrsrechts-Sammlung Völkerstrafgesetzbuch Gesetz vom 26. 6. 2002 zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches (BGBl. I 2254) Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz (bundeseinheitlich) vom 1. 7. 1976 Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. 1. 1960 i.d.F. der Bek. vom 19. 3. 1991 (BGBl. I S. 686) Gesetz über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz – VwRehaG) vom 23. 6. 1994 (BGBl. I S. 1311) Verwaltungsverfahrensgesetz vom 25. 5. 1976 (BGBl. I S. 1253) Verwaltungszustellungsgesetz vom 3. 7. 1952 (BGBl. I S. 379) Wehrdisziplinarordnung vom 15. 3. 1957 i.d.F. der Bek. vom 9. 6. 1961 (BGBl. I S. 697) Gesetz über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages i.d.F. der Bek. vom 16. 6. 1982 (BGBl. I S. 673) Gesetz über Wein, Likörwein, Schaumwein, weinhaltige Getränke und Branntwein aus Wein (Weingesetz) vom 14. 1. 1971 (BGBl. I S. 893) 1. Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. 4. 1961 (Zustimmungsgesetz vom 6. 8. 1964, BGBl. II S. 957)

XLI

Abkürzungsverzeichnis

1. WiKG 2. WiKG WiStG

wistra WoÜbG

WRV WStG WM WuV WuW WÜD WÜK WVK WWSUV

WWSUVG

WZG

2. Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24. 4. 1963 (Zustimmungsgesetz vom 26. 8. 1969, BGBl. II S. 1585) Erstes Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 29. 7. 1976 (BGBl. I S. 2034) Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15. 5. 1986 (BGBl. I S. 721) Gesetz zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts (Wirtschaftsstrafgesetz 1954) vom 9. 7. 1954 i.d.F. der Bek. vom 3. 6. 1975 (BGBl. I S. 1313) Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Gesetz zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 (akustische Wohnraumüberwachung) vom 24. 6. 2005 (BGBl. I 1841) Weimarer Verfassung, Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. 8.1919 (RGBl. S. 1383) Wehrstrafgesetz vom 30. 3. 1957 i.d.F. der Bek. vom 24. 5. 1974 (BGBl. I S. 1213) Wertpapiermitteilungen (Zeitschrift) Wirtschaft und Verwaltung (Zeitschrift) Entscheidungssammlung der Zeitschrift Wirtschaft und Wettbewerb s. 1. Wiener Übereinkommen s. 2. Wiener Übereinkommen Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23. 5. 1969 (BGBl. II 1985 S. 926) Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. 5. 1990 (BGBl. II S. 537) Gesetz zu dem Vertrag vom 18. 5. 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion … vom 25. 6. 1990 (BGBl. II S. 518) Warenzeichengesetz vom 5. 5. 1936 i.d.F. der Bek. vom 2. 1. 1968 (BGBl. I S. 29)

YEL YB

Yearbook of European Law Yearbook of the European Convention of the Human Rights, the European Commission and the European Court of Human Rights/ Annuaire de la Convention Européenne des Droits de l’Homme; Commission et Cour Européenne des Droits de l’Homme, hrsg. vom Europarat

ZAkDR ZaöRV ZBlJugR ZEuS ZfStrVo ZfZ ZIP ZIS

Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht (1934–44) Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe Zeitschrift für Zölle und Verbrauchssteuern Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (Online-Zeitschrift) Zollkriminalinstitut Zeitschrift für Lebensmittelrecht Zollgesetz vom 14. 6. 1961 i.d.F. der Bek. vom 18. 5. 1970 (BGBl. I S. 529) Zusatzprotokoll

ZKA ZLR ZollG. ZP

XLII

Abkürzungsverzeichnis ZP-EMRK

ZPO ZRP ZSchG

ZSEG

ZSHG ZStW ZusatzAbk. Zusatzvereinb.

zust. ZustErgG

ZustG ZustRG

ZustVO

Zuwanderungsgesetz

ZVG

ZWehrR ZZP

Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention 1. ZP-MRK vom 20. 3. 1952 (BGBl. II 1956 S. 1880) 2. ZP-MRK vom 6. 5. 1963 (BGBl. II 1968 S. 1112) 3. ZP-MRK vom 6. 5. 1963 (BGBl. II 1968 S. 1116) 4. ZP-MRK vom 16. 9. 1963 (BGBl. II 1968 S. 423) 5. ZP-MRK vom 20. 1. 1966 (BGBl. II 1968 S. 1120) 6. ZP-MRK vom 28. 4. 1983 (BGBl. II 1988 S. 662) 7. ZP-MRK vom 22. 11. 1984, deutsche Übersetzung Simma/Fastenrath Nr. 32 b 8. ZP-MRK vom 19. 3. 1985 (BGBl. II 1989 S. 547) 9. ZP-MRK vom 6. 11. 1990 (BGBl. II 1994 S. 490) 10. ZP-MRK vom 25. 3. 1992 (BGBl. II 1994 S. 490) 11. ZP-MRK vom 11. 5. 1994 (BGBl. II 1995 S. 578) 12. ZP-MRK vom 4. 11. 2000 13. ZP-MRK vom 3. 5. 2002 (BGBl. II 2004 S. 982) Zivilprozeßordnung vom 30. 1. 1877 i.d.F. der Bek. vom 12. 9. 1950 (BGBl. I S. 533) Zeitschrift für Rechtspolitik Gesetz vom 30. 4. 1998 zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren und zur Verbesserung des Opferschutzes (Zeugenschutzgesetz – ZSchG) (BGBl. I S. 820). Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen vom 26. 7. 1957 i.d.F. der Bek. vom 1. 10. 1969 (BGBl. I S. 1756); abgelöst durch das JVEG vom 5. 5. 2004 Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen (Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz) vom 11. 12. 2001 (BGBl. I S. 3510) Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut vom 3. 8. 1959 (BGBl. II 1961 S. 1183, 1218) Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Durchführung und Auslegung des am 31. 8. 1990 in Berlin unterzeichneten Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 18. 9. 1990 (BGBl. II S. 1239) zustimmend Gesetz zur Ergänzung von Zuständigkeiten auf den Gebieten des Bürgerlichen Rechts, des Handelsrechts und des Strafrechts (Zuständigkeitsergänzungsgesetz) vom 7. 8. 1952 (BGBl. I S. 407) Gesetz über die Zuständigkeit der Gerichte bei Änderung der Gerichtseinteilung vom 6. 12. 1933 (RGBl. I S. 1037) Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellung im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz – ZustRG) vom 25. 6. 2001 (BGBl. I S. 1206) Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften vom 21. 2. 1940 (RGBl. I S. 405) Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 30. 7. 2004 (BGBl. I S. 1950) Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (Zwangsversteigerungsgesetz) vom 24. 3. 1897 i.d.F. der Bek. vom 20. 5. 1898 (RGBl. S. 369, 713) Zeitschrift für Wehrrecht (1936/37–44) Zeitschrift für Zivilprozeß

XLIII

Literaturverzeichnis AE-EV

AE-EuStV AE-StuM

Ahlbrecht AK

AK-GG AK-StGB AK-StVollzG Albrecht Albrecht, Krim. Alsberg/Nüse/Meyer Ambos Arloth Arloth/Lückemann Aschrott

Barton Barton, Verfahrensg. Baumann Baumann/Weber/Mitsch Baumbach/Lauterbach Beck/Berr Beck/Bemmann Beling Bender/Nack Benfer Bente

Alternativ-Entwurf Reform des Ermittlungsverfahrens (AE-EV); Entwurf eines Arbeitskreises deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer (2001) Alternativentwurf Europäische Strafverfolgung; hrsg. von Schünemann (2004) Alternativ-Entwurf Strafjustiz und Medien (AE-StuM: Entwurf eines Arbeitskreises deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer (2004) Ahlbrecht/Böhm/Esser/Hugger/Kirsch/Rosenthal, Verteidigung in internationalen Strafsachen (2006) Alternativkommentar zur Strafprozeßordnung, Bd. I (§§ 1 bis 93, 1988), Bd. II 1 (§§ 94 bis 212 b, 1992), Bd. II 2 (§§ 213 bis 275, 1993), Bd. III (§§ 276 bis 477, 1996) Alternativkommentar zum Grundgesetz, Bd. I (Art. 1 bis 37, 1989), Bd. II (Art. 38 bis 148, 1989) Alternativkommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. I (§§ 1 bis 21, 1990), Bd. III (§§ 80 bis 145 d, 1986) Alternativkommentar zum Strafvollzugsgesetz, hrsg. von Feest, 5. Aufl. (2006) Albrecht, Jugendstrafrecht, 3. Aufl. (2000) Albrecht, Kriminologie, 3. Aufl. (2005) Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 6. Aufl. (1995) Ambos, Internationales Strafrecht (2006) Arloth, Strafprozeßrecht (1995) Arloth/Lückemann, Strafvollzugsgesetz, (2004) Reform des Strafprozesses, kritische Besprechung der von der Kommission für die Reform des Strafprozesses gemachten Vorschläge, hrsg. von Aschrott (1906) Barton, Mindeststandards der Strafverteidigung (1994) Barton, Verfahrensgerechtigkeit und Zeugenbeweis (2002) Baumann, Grundbegriffe und Verfahrensprinzipien des Strafprozeßrechts, 3. Aufl. (1979) Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Lehrbuch, 11. Aufl. (2003) Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, Kurzkommentar, 64. Aufl. (2006) Beck/Berr, OWi-Sachen im Straßenverkehrsrecht, 4. Aufl. (2003) Beck/Bemmann, Fälle und Lösungen zur StPO (2004) Beling, Deutsches Reichsstrafprozeßrecht (1928) Bender/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 2. Aufl., Bd. 1 (1995), Bd. 2 (2006) Benfer, Rechtseingriffe von Polizei und Staatsanwaltschaft, 3. Aufl. (2005) Bente, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht (2004)

XLV

Literaturverzeichnis Berz/Burmann Beulke Birkenstock Birkmeyer Bockemühl Bohnert, Ordnungsw. Bohnert, OWiG Bohnert Bonn.Komm. Booß Bouska/Laeverenz Böhm/Feuerhelm Böhm, Strafvollzug Brandstetter Brenner Breyer/Mehle/Osnabrügge/ von Briel Bringewat Brodag Brunner Brunner/Dölling Bruns/Schröder/Tappert Brüssow/Gatzweiler/ Krekeler/Mehle Burchardi/Klempahn Burhoff, Ermittlungsv. Burhoff, Hauptv.

Calliess/Müller-Dietz Ciolek-Krepold Corstens/Pradel Cramer Cramer/Bürgle Cramer/Cramer

XLVI

Berz/Burmann, Handbuch des Straßenverkehrsrechts, Loseblattausgabe, 2 Bände (2004) Beulke, Strafprozeßrecht, 8. Aufl. (2005) Birkenstock, Verfahrensrügen im Strafprozess – Rechtsprechungssammlung, 2 Bände (2003) Birkmeyer, Deutsches Strafprozeßrecht (1898) Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, hrsg. von Bockemühl, 3. Aufl. (2006) Bohnert, Ordnungswidrigkeitenrecht – Grundriss für Praxis und Ausbildung, 2. Aufl. (2004) Bohnert, Kommentar zum Ordnungswidrigkeitenrecht (2003) Bohnert, Beschränkungen der strafprozessualen Revision durch Zwischenverfahren (1983) Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Loseblattausgabe (ab 1950) Booß, Straßenverkehrsordnung, Kommentar, 11. Aufl. (2002) Bouska/Laeverenz, Fahrerlaubnisrecht, 3. Aufl. (2004) Böhm/Feuerhelm, Einführung in das Jugendstrafrecht, 4. Aufl. (2004) Böhm, Strafvollzug (2003) Brandstetter, Straffreiheitsgesetz, Kommentar (1956) Brenner, Ordnungswidrigkeitenrecht (1996) Breyer/Mehle/Osnabrügge/Schaefer, Strafprozessrecht (2005) von Briel, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. (2001) Bringewat, Strafvollstreckung, Kommentar zu den §§ 449 bis 463 d StPO (1993) Brodag, Strafverfahrensrecht, Kurzlehrbuch zum Ermittlungsverfahren, 11. Aufl. (2005) Brunner, Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft, 9. Aufl. (2005) Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 11. Aufl. (2002) Bruns/Schröder/Tappert, Kommentar zum strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (1993) Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle, Strafverteidigung in der Praxis, 3. Aufl. (2004) Burchardi/Klempahn/Wetterich, Der Staatsanwalt und sein Arbeitsgebiet, 5. Aufl. (1982) Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 3. Aufl. (2003) Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 4. Aufl. (2003) Calliess/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, Kommentar, 10. Aufl. (2005) Ciolek-Krepold, Durchsuchung und Beschlagnahme in Wirtschaftsstrafsachen (2000) Corstens/Pradel, European Criminal Law (2002) Cramer, Straßenverkehrsrecht StVO – StGB, Kommentar, 2. Aufl. (1977) Cramer/Bürgle, Die strafprozessualen Beweisverwertungsverbote, 2. Aufl. (2004) Cramer/Cramer, Anwalts-Handbuch Strafrecht (2002)

Literaturverzeichnis Cullen/Jund

Strafrechtliche Zusammenarbeit in der Europäischen Union nach Tampere, hrsg. von Cullen/Jund (2002)

Dahs, Hdb. Dahs/Dahs Dalcke/Fuhrmann/Schäfer

Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 7. Aufl. (2005) Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozeß, 6. Aufl. (2001) Dalcke/Fuhrmann/Schäfer, Strafrecht und Strafverfahren, Kommentar, 37. Aufl. (1961) Dallinger/Lackner, Jugendgerichtsgesetz und ergänzende Vorschriften, Kommentar, 2. Aufl. (1965) Dallmayer/Eickmann, Rechtspflegergesetz, Kommentar, 31. Aufl. (1996) Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, hrsg. von Delmas-Marty (1998) The Implementation of the Corpus Juris in the Member States, 4 Bände, hrsg. von Delmas-Marty/Verwaele, Antwerpen (2001) Diemer/Schoreit/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 4. Aufl. (2002) Drees/Kuckuk/Werny, Straßenverkehrsrecht, 8. Aufl. (1996)

Dallinger/Lackner Dallmayer/Eickmann Delmas-Marty

Delmas-Marty/Vervaele

Diemer/Schoreit/Sonnen Drees/Kuckuk/Werny

Eb. Schmidt

Eb. Schmidt, Geschichte Eb. Schmidt, Kolleg Eberth/Müller Eisenberg Eisenberg, Beweismittel Eisenberg, Beweisrecht Eisenberg, Krim. Endriß, BtM-Verfahren Endriß/Malek Engländer Erbs/Kohlhaas Eser Eser/Hassemer/Burkhardt

Eberhard Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, Teil I: Die rechtstheoretischen und die rechtspolitischen Grundlagen des Strafverfahrensrechts, 2. Aufl. (1964), Teil II: Erläuterungen zur Strafprozeßordnung und zum Einführungsgesetz (1957), Teil III: Erläuterungen zum Gerichtsverfassungsgesetz und zum Einführungsgesetz (1960), Nachtrag I: Nachträge und Ergänzungen zu Teil II (1967), Nachtrag II: Nachtragsband II (1970) Eberhard Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl. (1965) Eberhard Schmidt, Deutsches Strafprozeßrecht, ein Kolleg (1967) Verteidigung in Betäubungsmittelsachen, 4. Aufl. (2004) Eisenberg, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 11. Aufl. (2006) Eisenberg, Persönliche Beweismittel in der StPO, 2. Aufl. (1996) Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Spezialkommentar, 5. Aufl. (2006) Eisenberg, Kriminologie, 6. Aufl. (2005) Endriß, Verteidigung in Betäubungsmittelverfahren (1998) Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, 2. Aufl. (2000) Engländer, Examensrepetitorium Strafprozessrecht, 2. Aufl. (2006) Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Kurzkommentar, Loseblattausgabe (ab 2004) Eser, Einführung in das Strafprozeßrecht (1983) Eser/Hassemer/Burkhardt, Die deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende (2000)

XLVII

Literaturverzeichnis Eser/Lagodny/Wilkitzki Esser

Fehn/Wamers Feisenberger Ferner Feuerich/Weyland Fezer Franke/Wienroeder Franzen/Gast/Joecks Freyschmidt Frowein/Peukert FS Androulakis FS Augsburg FS BayVerfGH FS Bemmann FS BGH

FS II BGH

FS Blau FS Bockelmann FS Böhm FS Boujong FS Brauneck FS Bruns FS Burgstaller FS Carstens FS Dahs FS Doehring

FS Dreher FS Dünnebier FS Engisch

XLVIII

Eser/Lagodny/Wilkitzki, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2. Aufl. (1993) Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht (2002) Fehn/Wamers, ZfdG – Zollfahndungsdienstgesetz – Handkommentar (2003) Feisenberger, Strafprozeßordnung und Gerichtsverfassungsgesetz (1926) Ferner, Strafzumessung (2003) Feuerich/Weyland, Bundesrechtsanwaltsordnung, Kommentar, 6. Aufl. (2003) Fezer, Strafprozeßrecht, 2. Aufl. (1995) Franke/Wienroeder, BtMG, 2. Aufl. (2001) Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht mit Zoll- und Verbrauchsteuerstrafrecht, 6. Aufl. (2005) Freyschmidt, Verteidigung in Straßenverkehrssachen, 8. Aufl. (2005) Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Aufl. (1996) Festschrift für Nikolaos Androulakis zum 70. Geburtstag, (2003) Recht in Europa – Festgabe zum 30-jährigen Bestehen der Juristischen Fakultät Augsburg (2002) Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (1997) Festschrift für Günther Bemmann zum 70. Geburtstag (1997) Festschrift aus Anlass des 50-jährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof (2000) 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft, hrsg. von Roxin/Widmaier, Bd. IV: Strafrecht (2000) Festschrift für Günter Blau zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift für Paul Bockelmann zum 70. Geburtstag (1979) Festschrift für Alexander Böhm zum 70. Geburtstag (1999) Verantwortung und Gestaltung, Festschrift für Karlheinz Boujong zum 65. Geburtstag (1996) Ehrengabe für Anne-Eva Brauneck (1999) Festschrift für Hans-Jürgen Bruns zum 70. Geburtstag (1978) Festschrift für Manfred Burgstaller zum 65. Geburtstag (2004) Einigkeit und Recht und Freiheit, Festschrift für Karl Carstens zum 70. Geburtstag (1984) Festschrift für Hans Dahs zum 70. Geburtstag (2005) Staat und Völkerrechtsordnung, Festschrift für Karl Doehring; Beiträge zum ausländischen Recht und Völkerrecht Bd. 98 (1989) Festschrift für Eduard Dreher zum 70. Geburtstag (1977) Festschrift für Hanns Dünnebier zum 75. Geburtstag (1982) Festschrift für Karl Engisch zum 70. Geburtstag (1969)

Literaturverzeichnis FS Ermacora

FS Eser FS Faller FS Flume FS Friauf FS Friebertshäuser FS Gallas FS Geerds FS Geiger

FS Geiß FS Gössel FS Gollwitzer FS Graßhoff FS Grünwald FS Grützner FS Hacker FS Hanack FS Heinitz FS Helmrich FS Henkel FS Heusinger FS Hilger FS Hirsch FS H. J. Hirsch FS Hubmann

FS Huber FS Jahrreiß FS II Jahrreiß FS Jescheck FS JurGes. Berlin FS Kaiser

Fortschritt im Bewußtsein der Grund- und Menschenrechte, Festschrift für Felix Ermacora zum 65. Geburtstag (1988) Menschengerechtes Strafrecht, Festschrift für Albin Eser zum 70. Geburtstag (2005) Festschrift für Hans Joachim Faller (1984) Festgabe für Werner Flume zum 90. Geburtstag (1998) Festschrift für Karl Heinrich Friauf (1996) Festgabe für den Strafverteidiger Dr. Heino Friebertshäuser (1997) Festschrift für Wilhelm Gallas zum 70. Geburtstag (1973) Kriminalistik und Strafrecht, Festschrift für Friedrich Geerds zum 70. Geburtstag (1995) Verantwortlichkeit und Freiheit. Die Verfassung als wertbestimmende Ordnung; Festschrift für Willi Geiger zum 80. Geburtstag (1989) Festschrift für Karlmann Geiß zum 65. Geburtstag (2000) Festschrift für Karl Heinz Gössel zum 70. Geburtstag (2002) siehe Gollwitzer-Koll Der verfasste Rechtsstaat, Festgabe für Karin Graßhoff (1998) Festschrift für Gerald Grünwald zum 70. Geburtstag (1999) Aktuelle Probleme des Internationalen Strafrechts, Heinrich Grützner zum 65. Geburtstag (1970) Wandel durch Beständigkeit, Festschrift für Jens Hacker (1998) Festschrift für Ernst-Walter Hanack zum 70. Geburtstag (1999) Festschrift für Ernst Heinitz zum 70. Geburtstag (1972) Für Staat und Recht, Festschrift für Herbert Helmrich zum 60. Geburtstag (1994) Grundfragen der gesamten Strafrechtswissenschaft, Festschrift für Heinrich Henkel zum 70. Geburtstag (1974) Ehrengabe für Bruno Heusinger (1968) Datenübermittlungen und Vorermittlungen, Festgabe für Hans Hilger (2003) Berliner Festschrift für Ernst E. Hirsch (1968) Festschrift Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag (1999) Beiträge zum Schutz der Persönlichkeit und ihrer schöpferischen Leistung; Festschrift für Heinrich Hubmann zum 70. Geburtstag (1985) Recht als Prozess und Gefüge, Festschrift für Hans Huber zum 80. Geburtstag (1981) Festschrift für Hermann Jahrreiß zum 70. Geburtstag am 19. 8. 1964 (1964) Festschrift für Hermann Jahrreiß zum 80. Geburtstag am 19. 8. 1974 (1974) Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck zum 70. Geburtstag (1985) Festschrift zum 125jährigen Bestehen der Juristischen Gesellschaft zu Berlin (1984) Internationale Perspektiven in Kriminologie und Strafrecht, Festschrift für Günther Kaiser zum 70. Geburtstag (1998)

XLIX

Literaturverzeichnis FS Arthur Kaufmann FS Kern FS Kleinknecht FS Klug FS Koch FS Kohlmann FS Krause FS Kriele FS Lackner FS Lampe

FS Lange FS Leferenz FS Lenckner FS Lerche FS Lüderssen FS Maihofer FS Maiwald FS Mangakis FS Maurach FS Mayer FS Meyer-Goßner FS Mezger FS Middendorf FS Miyazawa FS Mosler

FS E. Müller FS Müller-Dietz FS Nehm FS Nishihara FS Odersky FS Oehler

L

Strafgerechtigkeit, Festschrift für Arthur Kaufmann zum 70. Geburtstag (1993) Tübinger Festschrift für Eduard Kern (1968) Strafverfahren im Rechtsstaat, Festschrift für Theodor Kleinknecht zum 75. Geburtstag (1985) Festschrift für Ulrich Klug zum 70. Geburtstag (1983) Strafverteidigung und Strafprozeß, Festgabe für Ludwig Koch (1989) Festschrift für Günter Kohlmann zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Friedrich-Wihelm Krause zum 70. Geburtstag (1990) Staatsphilosophie und Rechtspolitik, Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag (1997) Festschrift für Karl Lackner zum 70. Geburtstag (1987) Jus humanum: Grundlagen des Rechts und Strafrechts, Festschrift für Ernst-Joachim Lampe zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Richard Lange zum 70. Geburtstag (1976) Kriminologie – Psychiatrie – Strafrecht, Festschrift für Heinz Leferenz zum 70. Geburtstag (1983) Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag (1998) Wege und Verfahren des Verfassungslebens, Festschrift für Peter Lerche zum 65. Geburtstag (1993) Festschrift für Klaus Lüderssen zum 70. Geburtstag (2002) Festschrift für Werner Maihofer zum 70. Geburtstag (1988) Fragmentarisches Strafrecht, Für Manfred Maiwald aus Anlass seiner Emeritierung (2003) Festschrift für Georgios Mangakis (1999) Festschrift für Reinhard Maurach zum 70. Geburtstag (1972) Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft, Festschrift für Hellmuth Mayer zum 70. Geburtstag (1966) Festschrift für Lutz Meyer-Goßner zum 65. Geburtstag (2001) Festschrift für Edmund Mezger zum 70. Geburtstag (1954) Festschrift für Wolf Middendorf zum 70. Geburtstag (1986) Festschrift für Koichi Miyazawa (1995) Völkerrecht als Rechtsordnung, Internationale Gerichtsbarkeit, Menschenrechte; Festschrift für Hermann Mosler zum 70. Geburtstag (1983) Opuscula Honoraria, Egon Müller zum 65. Geburtstag (2003). Grundlagen staatlichen Strafens, Festschrift für Heinz Müller-Dietz zum 70. Geburtstag (2001) Strafrecht und Justizgewährung, Festschrift für Kay Nehm zum 65. Geburtstag (2006) Festschrift für Harua Nishihara zum 70. Geburtstag (1998) Festschrift für Walter Odersky zum 65. Geburtstag (1996) Festschrift für Dietrich Oehler zum 70. Geburtstag (1985)

Literaturverzeichnis FS Partsch

FS Peters FS II Peters FS Pfeiffer

FS Pfenniger FS Platzgummer FS Rebmann FS Reichsgericht

FS Reichsjustizamt

FS Remmers FS Ress FS Richter FS Rieß FS Rittler FS Rolinski FS Rosenfeld FS Roxin FS Rudolphi FS Rüter FS Salger

FS Sarstedt FS Sauer FS G. Schäfer FS Schäfer FS Schindler FS Schmidt FS Schlochauer FS Schlüchter

Des Menschen Recht zwischen Freiheit und Verantwortung, Festschrift für Karl Josef Partsch zum 75. Geburtstag (1989) Einheit und Vielfalt des Strafrechts, Festschrift für Karl Peters zum 70. Geburtstag (1974) Wahrheit und Gerechtigkeit im Strafverfahren, Festgabe für Karl Peters zum 80. Geburtstag (1984) Strafrecht, Unternehmensrecht, Anwaltsrecht, Festschrift für Gerd Pfeiffer zum Abschied aus dem Amt als Präsident des Bundesgerichtshofes (1988) Strafprozeß und Rechtsstaat, Festschrift zum 70. Geburtstag von H. F. Pfenniger (1976) Festschrift für Winfried Platzgummer zum 65. Geburtstag (1995) Festschrift für Kurt Rebmann zum 65. Geburtstag (1989) Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben, Festgabe der juristischen Fakultäten zum 50jährigen Bestehen des Reichsgerichts, Bd. 5, Strafrecht und Strafprozeß (1929) Vom Reichsjustizamt zum Bundesministerium der Justiz, Festschrift zum 100jährigen Gründungstag des Reichsjustizamtes am 1. 1. 1877 (1977) Vertrauen in den Rechtsstaat, Beiträge zur deutschen Einheit im Recht, Festschrift für Walter Remmers (1995) Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte, Festschrift für Georg Ress zum 70. Geburtstag (2005) Verstehen und Widerstehen, Festschrift für Christian Richter II zum 65. Geburtstag (2006) Festschrift für Peter Riess zum 70. Geburtstag (2002) Festschrift für Theodor Rittler zu seinem achtzigsten Geburtstag (1957) Festschrift für Klaus Rolinski zum 70. Geburtstag (2002) Festschrift für Ernst Heinrich Rosenfeld zu seinem 80. Geburtstag (1949) Festschrift für Claus Roxin zum 70. Geburtstag (2001) Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi zum 70. Geburtstag (2004) Festschrift für C. F. Rüter zum 65. Geburtstag (2003) Straf- und Strafverfahrensrecht, Recht und Verkehr, Recht und Medizin, Festschrift für Hannskarl Salger zum Abschied aus dem Amt als Vizepräsident des Bundesgerichtshofes (1995) Festschrift für Werner Sarstedt zum 70. Geburtstag (1981) Festschrift für Wilhelm Sauer zu seinem 70. Geburtstag (1949) NJW-Sonderheft für Gerhard Schäfer zum 65 Geburtstag (2002) Festschrift für Karl Schäfer zum 80. Geburtstag (1980) Im Dienst an der Gemeinschaft, Festschrift für Dietrich Schindler zum 65. Geburtstag (1989) Festschrift für Eberhard Schmidt zum 70. Geburtstag (1961) Staatsrecht-Völkerrecht-Europarecht, Festschrift für Hans Jürgen Schlochauer (1981) Freiheit und Verantwortung in schwieriger Zeit, Kritische Studien aus vorwiegend straf(prozess-)rechtlicher Sicht zum 60. Geburtstag von Prof. Dr. Ellen Schlüchter (1998)

LI

Literaturverzeichnis FS Schmidt-Leichner FS Schneider FS Schreiber FS Schroeder FS Schüler-Springorum FS Schultz FS Schwind

FS Seidl-Hohenveldern

FS Sendler FS Spendel FS Spinellis FS Stock FS Strauda

FS Stree/Wessels FS Tondorf FS Trechsel FS Triffterer FS Tröndle FS Verdross FS II Verdross FS Verosta FS Wassermann FS v. Weber FS Weber FS Welzel FS Wolff FS Würtenberger FS Würzburger Juristenfakultät FS Zeidler Full/Möhl/Rüth

LII

Festschrift für Erich Schmidt-Leichner zum 65. Geburtstag (1975) Kriminologie an der Schwelle zum 21.Jahrhundert,Festschrift für Hans Joachim Schneider zum 70. Geburtstag (1998) Strafrecht, Biorecht, Rechtsphilosophie, Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber zum 70. Geburtstag (2003) Festschrift für Friedrich-Christian Schroeder zum 70. Geburtstag (2006) Festschrift für Horst Schüler-Springorum zum 65. Geburtstag (1993) Lebendiges Strafrecht. Festgabe zum 65. Geburtstag von Hans Schultz (1977) Kriminalpolitik und ihre wissenschaftlichen Grundlagen, Festschrift für Hans-Dieter Schwind zum 70. Geburtstag (2006) Völkerrecht, Recht der Internationalen Organisationen, Weltwirtschaftsrecht; Festschrift für Ignaz Seidl-Hohenveldern zum 70. Geburtstag (1988) Bürger-Richter-Staat, Festschrift für Horst Sendler zum Abschied aus seinem Amt (1991) Festschrift für Günter Spendel zum 70. Geburtstag (1992) Festschrift für Dionysios Spinellis zum 70. Geburtstag (1999–2003) Studien zur Strafrechtswissenschaft, Festgabe für Ulrich Stock zum 70. Geburtstag (1966) Festschrift zu Ehren des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer anlässlich seiner 196. Tagung vom 13.–15. 10. 2006 in Münster (2006) Beiträge zur Rechtswissenschaft, Festschrift für Walter Stree und Johannes Wessels zum 70. Geburtstag (1993) Festschrift für Günter Tondorf zum 70. Geburstag (2004) Strafrecht, Strafprozessrecht und Menschenrechte, Festschrift für Stefan Trechsel zum 65. Geburtstag (2002) Festschrift für Otto Triffterer zum 65. Geburtstag (1996) Festschrift für Herbert Tröndle zum 70. Geburtstag (1989) Völkerrecht und zeitliches Weltbild, Festschrift für Alfred Verdross zum 70. Geburtstag (1960) Ius humanitas, Festschrift für Alfred Verdross zum 90. Geburtstag (1980) Völkerrecht und Rechtsphilosophie, Internationale Festschrift für Stephan Verosta zum 70. Geburtstag (1980) Festschrift für Rudolf Wassermann zum 60. Geburtstag (1985) Festschrift für Hellmuth von Weber zum 70. Geburtstag (1963) Festschrift für Ulrich Weber zum 70. Geburtstag (2004) Festschrift für Hans Welzel zum 70. Geburtstag (1974) Festschrift für Ernst Amadeus Wolff zum 70. Geburtstag (1998) Kultur, Kriminalität, Strafrecht, Festschrift für Thomas Würtenberger zum 70. Geburtstag (1977) Raum und Recht, Festschrift 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät (2002) Festschrift für Wolfgang Zeidler (1987) s. Rüth, Berr, Berz

Literaturverzeichnis GedS Geck GedS A. Kaufmann GedS H. Kaufmann GedS Keller GedS Küchenhoff GedS Meurer GedS Meyer GedS Noll GedS H. Peters GedS Ryssdal

GedS Schlüchter GedS Schröder GedS Vogler GedS Zipf Geerds Geiger Gerland Gerold/Schmidt Glaser

Göbel Göhler

Götz/Tolzmann Gössel Gössel/Dölling Goldschmidt Gollwitzer-Koll.

Grabenwarter Grabitz Graf zu Dohna Greeve/Leipold Grunau/Tiesler Grützner/Pötz Gürtner

Verfassungsrecht und Völkerrecht, Gedächtnisschrift für Wilhelm Karl Geck (1989) Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann (1986) Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann (1986) Gedächtnisschrift für Rolf Keller (2003) Recht und Rechtsbesinnung, Gedächtnisschrift für Günter Küchenhoff (1987) Gedächtnisschrift für Dieter Meurer (2002) Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer (1990) Gedächtnisschrift für Peter Noll (1984) Gedächtnisschrift für Hans Peters (1967) Protection des droits de l’homme: la perspective européenne/Protecting Human Rights: The European Perspective, Gedächtnisschrift für Rolv Ryssdal (2000) Gedächtnisschrift für Ellen Schlüchter (2002) Gedächtnisschrift für Horst Schröder. Zu seinem 5. Todestage (1978) Gedächtnisschrift für Theo Vogler (2004) Gedächtnisschrift für Heinz Zipf (1999) Handbuch der Kriminalistik, begr. von H. Groß, neubearbeitet von Geerds, 10. Aufl. (Bd. I 1977, Bd. II 1978) Geiger, EG-Vertrag, Kommentar zu dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 4. Aufl. (2004) Gerland, Der Deutsche Strafprozeß (1927) Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, Kommentar, 17. Aufl. (2006) Glaser, Handbuch des Strafprozesses, in Binding, Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft (Bd. I 1883, Bd. II 1885) Göbel, Strafprozess, 6. Aufl. (2005) Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, Kurzkommentar erläutert von Erich Göhler, fortgef. von Peter König und Helmut Seitz, 14. Aufl. (2006) Götz/Tolzmann, Bundeszentralregistergesetz, Kommentar, 4. Aufl. (2000) Gössel, Strafverfahrensrecht, Studienbuch (1977) Gössel/Dölling, Strafrecht, Besonderer Teil 1, 2. Aufl. (2004) Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage (1925) Verfassungsrecht – Menschenrechte – Strafrecht, Kolloquium für Dr. Walter Gollwitzer zum 80. Geburtstag, hrsg. von Böttcher/Huther/Rieß (2004) Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. (2005) Das Recht der Europäischen Union, begr. von Grabitz, Loseblattausgabe (ab 1999) Graf zu Dohna, Das Strafprozeßrecht, 3. Aufl. (1929) Greeve/Leipold, Handbuch des Baustrafrechts (2004) Grunau/Tiesler, Strafvollzugsgesetz, Kommentar, 2. Aufl. (1982) Grützner/Pötz, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Loseblattausgabe, 2. Aufl. (ab 1980) Das kommende deutsche Strafverfahren, Bericht der amtlichen Strafprozeßkommission, hrsg. von Gürtner (1938)

LIII

Literaturverzeichnis Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf Hahn Haller/Conzen Hamm/Hassemer/Pauly Hanack-Symp.

Hansens Hartmann Hartung/Römermann Haupt/Weber/Bürner/Frankfurth/ Luxemburger/Marth HdbVerfR Hecker Hellebrand Hellmann Henkel Henssler/Prütting Hentschel Himmelreich/Hentschel

von Hippel HK Höflich/Schriever von Holtzendorff

IntKommEMRK

Isak/Wagner Isele Jakobs Janiszewski Janiszewski/Jagow/Burmann Jansen Jarass/Pieroth Jescheck/Weigend

LIV

Hackner/Lagodny/Schomburg/Wolf, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (2003) Hahn, Die gesamten Materialien zur Strafprozeßordnung und dem Einführungsgesetz, Bd. I (1880), Bd. II (1881) Haller/Conzen, Das Strafverfahren, 4. Aufl. (2006) Hamm/Hassemer/Pauly, Beweisantragsrecht, 2. Aufl. (2006) Aktuelle Probleme der Strafrechtspflege, Beiträge eines Symposions anläßlich des 60. Geburtstags von Ernst Walter Hanack (1991) Hansens, BRAGO, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 9. Aufl. (2004) Hartmann, Kostengesetze, 35. Aufl. (2005) Hartung/Römermann, Rechtsanwaltsvergütungsgesetzt (RVG), Praxiskommentar, 2. Aufl. (2006) Haupt/Weber/Bürner/Frankfurth/Luxemburger/Marth, Handbuch Opferschutz und Opferhilfe, 2. Aufl. (2003) Handbuch des Verfassungsrechts, hrsg. von Benda/Maihofer/Vogel, 2. Aufl. (1994) Hecker, Europäisches Strafrecht (2005) Hellebrand, Die Staatsanwaltschaft (1999) Hellmann, Strafprozessrecht, 2. Aufl. (2005) Henkel, Strafverfahrensrecht, Lehrbuch, 2. Aufl. (1968) Bundesrechtsanwaltsordnung, Kommentar, hrsg. von Henssler/Prütting, 2. Aufl. (2004) Hentschel, Straßenverkehrsrecht, Kurzkommentar, 38. Aufl. (2005) Himmelreich/Hentschel, Fahrverbot – Führerscheinentzug, Band I, Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 8. Aufl. (2000) von Hippel, Der deutsche Strafprozeß, Lehrbuch (1941) Heidelberger Kommentar zur Strafprozeßordnung, 3. Aufl. (2001) Höflich/Schriever, Grundriss Vollzugsrecht, 3. Aufl. (2003) von Holtzendorff, Handbuch des deutschen Strafprozesses (1879) Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention; bearbeitet von Gosong/Karl/Miehsler/ Petzold/Riedel/Rogge/Vogler/Wildhaber/Breitenmoser; Grundwerk in vier Ordnern; Stand: Kommentar, 4. Lfg. 2000; 7. Lfg. Juni 2004 Isak/Wagner, Strafvollstreckung, 7. Aufl (2004) Isele, Bundesrechtsanwaltsordnung, Kommentar (1976) Jakobs, Strafrecht Allg.Teil, Lehrbuch, 2. Aufl. 1991 Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, 5. Aufl. (2004) Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 19. Aufl. (2006) Jansen, Zeuge und Aussagepsychologie (2004) Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 8. Aufl. (2006) Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl. (1996)

Literaturverzeichnis Jessnitzer/Ulrich Joecks John Jung/Müller-Dietz

Kaiser Kaiser/Kerner/Schöch Kamann Kammeier Katholnigg Kieschke

Kindhäuser Kindhäuser, StPO Kinzig Kirsch Kissel/Mayer Klein KK KK-OWiG KMR

Koch/Scholtz Körner Kohlmann Kohlrausch Krack Kramer Krause/Nehring Krekeler Krekeler/Löffelmann Krey von Kries Kühne

Jessnitzer, Der gerichtliche Sachverständige, Handbuch für die Praxis, 11. Aufl. (2001) Joecks, Studienkommentar StPO (2006) John, Strafprozeßordnung, Kommentar, Bd. I (1884), Bd. II (1888), Bd. III Lfg. 1 (1889) Dogmatik und Praxis des Strafverfahrens, Beiträge anläßlich des Colloquiums zum 65. Geburtstag von Gerhard Kielwein (1989) Kaiser, Kriminologie, Lehrbuch, 3. Aufl. (1996) Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug, Lehrbuch, 6. Aufl. (2006) Kamann, Handbuch für die Strafvollstreckung und den Strafvollzug (2002) Kommentar zum Maßregelvollzugsrecht, hrsg. von Kammeier, 2. Aufl. (2002) Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, 3. Aufl. (1999) Kieschke, Die Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und ihre Auswirkungen auf das deutsche Strafverfahrensrecht (2003) Kindhäuser, Strafgesetzbuch, Lehr- und Praxiskommentar, 3. Aufl. (2006) Kindhäuser, Strafprozessrecht (2006) Kinzig, Die rechtliche Bewältigung von Erscheinungsformen organisierter Kriminalität (2004) Internationale Strafgerichtshöfe, hrsg. von Kirsch (2005) Kissel/Mayer, Gerichtsverfassungsgesetz, Kommentar, 4. Aufl. (2005) Klein, Abgabenordnung, Kommentar, 9. Aufl. (2006) Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, hrsg. von Pfeiffer, 5. Aufl. (2003) Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, hrsg. von Boujong, 3. Aufl. (2006) Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, hrsg. von Heintschel-Heinegg/Stöckel, Loseblattausgabe (ab 1998) Koch/Scholtz, Abgabenordnung, Kommentar, 5. Aufl. (1996) Körner, Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, 5. Aufl. (2001) Steuerstrafrecht mit Ordnungswidrigkeitenrecht und Verfahrensrecht, Loseblattausgabe Kohlrausch, Strafprozeßordnung und Gerichtsverfassungsgesetz, Kommentar, 24. Aufl. (1936) Krack, Die Rehabilitierung des Beschuldigten im Strafverfahren (2002) Kramer, Grundbegriffe des Strafverfahrensrechts, 6. Aufl. (2004) Krause/Nehring, Strafverfahrensrecht in der Polizeipraxis (1978) Krekeler, Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen (2002) Krekeler/Löffelmann, Anwaltkommentar StPO (2006) Krey, Deutsches Strafverfahrensrecht, Bd. I (2006) von Kries, Lehrbuch des Deutschen Strafprozeßrechts (1892) Kühne, Strafprozeßrecht, 7. Aufl. (2006)

LV

Literaturverzeichnis Kunert-Symp. Kunz/Zellner Lackner/Kühl Laubenthal Laubenthal/Baier Lesch von Lilienthal Lisken/Denninger LK Löffler Löffler/Ricker LR25

Madert Malek von Mangoldt/Klein/Starck Marberth-Kubicki Marxen/Tiemann Maunz/Dürig Maurach/Zipf Maurach/Gössel/Zipf Maurach/Schroeder/Maiwald Meier, Kriminologie Meier, Sanktionen Mellinghoff Mende Merten/Papier Meyer D. Meyer D. Meyer-Goßner

Meyer-Goßner/Appl Meyer-Ladewig

LVI

Freiheit, Gesetz und Toleranz, Symposium zum 75. Geburtstag von Karl Heinz Kunert (2006) Kunz/Zellner, Opferentschädigungsgesetz, 4. Aufl. (1999) Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch, Kommentar, 25. Aufl. (2004) Laubenthal, Strafvollzug, 3. Aufl. (2003) Laubenthal/Baier, Jugendstrafrecht (2006) Lesch, Strafprozeßrecht, 2. Aufl. (2001) von Lilienthal, Strafprozeßrecht, Lehrbuch (1923) Handbuch des Polizeirechts, hrsg. von Lisken/Denninger, 3. Aufl. (2001) Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, 11. Aufl., hrsg. von Jähnke/Laufhütte/Odersky (ab 1992) Löffler, Presserecht, 4. Aufl. (1997) Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 4. Aufl. (2000) Löwe-Rosenberg, Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, hrsg. von Rieß, 25. Aufl. (1997 bis 2005) Madert, Rechtsanwaltsvergütung in Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl. (2004) Malek, Strafsachen im Internet (2005) von Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, 4. Aufl. (1999 ff), 3 Bd. Marberth-Kubicki, Computer- und Internetstrafrecht (2005) Marxen/Tiemann, Die Wiederaufnahme in Strafsachen, 2. Aufl. (2006) Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Loseblattausgabe, 8. Aufl. (ab 2003) Maurach/Zipf, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Teilbd. 1, 8. Aufl. (1992) Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Teilbd. 2, 7. Aufl. (1989) Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht, Besonderer Teil, Teilbd. 1, 9. Aufl. (2003), Teilbd. 2, 9. Aufl. (2005) Meier, Kriminologie, 2. Aufl. (2005) Meier, Strafrechtliche Sanktionen, 2. Aufl. (2006) Mellinghoff, Fragestellung, Abstimmungsverfahren und Abstimmungsgeheimnis im Strafverfahren (1988) Mende, Grenzen privater Ermittlungen durch den Verletzten einer Straftat (2001) Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa (ab 2004) Meyer D., Gerichtskostengesetz, Kommentar, 7. Aufl. (2005) Meyer D., Strafrechtsentschädigung, 6. Aufl. (2005) Meyer-Goßner, Strafprozessordnung mit GVG, Nebengesetzen und ergänzenden Bestimmungen, Kommentar, 49. Aufl. (2006) Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 27. Aufl. (2002) Meyer-Ladewig, Handkommentar zur EMRK, 2. Aufl. (2006)

Literaturverzeichnis Mitsch Möller/Wilhelm MüAnwHb MüAnwHb-WSSt Müller Müller, Beiträge Müller/Sax Müller-Gugenberger/Bieneck von Münch/Kunig Münchhalffen/Gatzweiler MüKo-ZPO MüKo-BGB MüKo-StGB Niese Nipperdey/Scheuner NK-StGB Nowak

Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, Lehrbuch, 2. Aufl. (2005) Möller/Wilhelm Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Gesamtdeutsche Darstellung 5. Aufl. (2003) Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, hrsg. von Widmaier (2006) Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, hrsg. von Volk (2006) Müller, Der Sachverständige im gerichtlichen Verfahren, Handbuch des Sachverständigenbeweises, 3. Aufl. (1988) Müller, Beiträge zum Strafprozessrecht 1969–2001 (2003) s. KMR Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. (2006) von Münch/Kunig, Grundgesetz, Kommentar, 3 Bände, 5. Aufl. (ab 2000) Münchhalffen/Gatzweiler, Das Recht der Untersuchungshaft, 2. Aufl. (2002) Münchener Kommentar zur Zivilprozeßordnung, hrsg. von Lüke/Walchshofer (1992) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg. von Rebmann/Rixecker/Säcker, 4. Aufl. (ab 2001) Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Joecks/Miebach (ab 2003) Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen (1950) Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, 4 Bände (ab 1954) Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch, hrsg. von Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, 2. Aufl. (2005) Nowak, CCPR – Commentary – Commentary on the U.N. Covenant on Civil and Political Rights, 2nd Edition (2005)

Oetjen/Endriß Ostendorf

Oetjen/Endriß, Leitfaden Untersuchungshaft (1999) Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, Kommentar, 6. Aufl. (2003)

Palandt

Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kurzkommentar, 65. Aufl. (2006) Park, Handbuch Durchsuchung und Beschlagnahme (2002) Park, Kapitalmarkt Strafrecht, Handkommentar (2004) Peters, Strafprozeß, Lehrbuch, 4. Aufl. (1985) Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, Band I (1970), Band II (1972), Band III (1974) Pfeiffer, Strafprozeßordnung, Kommentar, 5. Aufl. (2005) Pforte/Degenhard, Der Anwalt im Strafrecht (2005) Piller/Hermann, Justizverwaltungsvorschriften, Loseblattsammlung Pohlmann/Jabel/Wolf, Strafvollstreckungsordnung, Kommentar, 8. Aufl. (2001) Popp, Grundzüge der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen (2001) Potrykus, Kommentar zum Jugendgerichtsgesetz, 4. Aufl. (1955) Protokolle der Kommission für die Reform des Strafprozesses (1905) Putzke/Scheinfeld, Strafprozessrecht (2005)

Park Park, Kapitalmarkt Peters Peters-Fehlerquellen Pfeiffer Pfordte/Degenhard Piller/Hermann Pohlmann/Jabel/Wolf Popp Potrykus Protokolle Putzke/Scheinfeld

LVII

Literaturverzeichnis Quedenfeld/Füllsack Quellen

Randt Ranft Rebmann/Roth/Hermann Rebmann/Uhlig Riedel/Sußbauer Rode/Legnaro Rösch Rolletschke Rolletschke/Kemper Rönnau Rösch Rosenberg/Schwab/Gottwald Rosenfeld Rotberg

Roxin Roxin, StrafR Roxin-Symp.

Roxin, I. Rudolphi-Symp.

Rüping Rüth/Berr/Berz Saage/Göppinger Sachs/Battis Sack Sarstedt/Hamm Satzger Satzger, Intern. Strafrecht Sauer

LVIII

Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, 3. Aufl. (2005) Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, hrsg. von Schubert/Regge/Rieß/Schmid, I. Abt. – Weimarer Republik, II. Abt. NS-Zeit – Strafgesetzbuch, III. Abt. NSZeit – Strafverfahrensrecht (ab 1988) Randt, Der Steuerfahndungsfall (2004) Ranft, Strafprozeßrecht, 3. Aufl. (2005) Rebmann/Roth/Hermann, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, Kommentar, Loseblattausgabe (ab 1968) Rebmann/Uhlig, Bundeszentralregistergesetz, Kommentar (1985) Riedel/Sußbauer, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 9. Aufl. (2004) Rode/Legnaro, Psychiatrische Sachverständige im Strafverfahren (1994) Rösch, Die Erstellung eines Urteils in Straf- und Bußgeldsachen (2005) Rolletschke, Die Steuerhinterziehung (2005) Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen – Kommentar zum Steuerstrafrecht (2005) Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis (2003) Rösch, Handbuch für den Jugendrichter (2001) Rosenberg/Schwab/Gottwald, Lehrbuch des Zivilprozessrechts, 16. Aufl. (2004) Rosenfeld, Deutsches Strafprozeßrecht, 2 Bände (1926) Rotberg, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, Kommentar, 5. Aufl., bearbeitet von Kleinwefers, Boujong und Wilts (1975) Roxin, Strafverfahrensrecht, 25. Aufl. (1998) Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. I, 4. Aufl. (2006), Bd. II (2003) Bausteine des Europäischen Strafrechts, Coimbra-Symposium für Claus Roxin, hrsg. von Schünemann/de Figueiredo Dias (1995) Roxin, I., Die Rechtsfolgen schwerwiegender Rechtsstaatsverstöße in der Strafrechtspflege, 4. Aufl. (2004) Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts, Symposium zu Ehren von Hans-Joachim Rudolphi zum 60. Geburtstag (1995) Rüping, Das Strafverfahren, 3. Aufl. (1997) Rüth/Berr/Berz, Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. (1988) Saage/Göppinger, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Aufl. (2001) Sachs/Battis, Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl. (2003) Umweltschutz-Strafrecht, Erläuterungen der Straf- und Bußgeldvorschriften, Loseblattausgabe (ab 2003) Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Aufl. (1998) Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts (2001) Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht (2005) Sauer, Allgemeine Prozeßrechtslehre (1951)

Literaturverzeichnis Schäfer Schäfer, Strafzumessung Schaffstein/Beulke Schätzler/Kunz Schenke Schilken Schlüchter Schlothauer/Weider Schmidt Schmidt (Ausländer) Schmidt-Bleibtreu/Klein Schmidt-Räntsch Schneider Schölz/Lingens Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner Schönke/Schröder Schorn/Stanicki Schroeder Schröder Schroth Schulz/Berke-Müller/Händel Schünemann-Symp.

Schwind/Böhm/Jehle Schwinge Simma/Fastenrath SK

SK-StGB

Sowada Stein/Jonas

Stern Strauda-Denkschrift

Streng

Schäfer, Die Praxis des Strafverfahrens, 6. Aufl. (2000) Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl. (2001) Schaffstein/Beulke, Jugendstrafrecht, Studienbuch, 14. Aufl. (2002) Schätzler/Kunz, Gesetz über die Entschädigung von Strafverfolgungsmaßnahmen, 3. Aufl. (2003) Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 4. Aufl. (2005) Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, Lehrbuch, 3. Aufl. (2003) Schlüchter, Das Strafverfahren, Lehrbuch, 2. Aufl. (1983) Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, 3. Aufl. (2001) s. Eb. Schmidt Schmidt, Verteidigung von Ausländern, 2. Aufl. (2005) Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 10. Aufl. (2004) Schmidt-Räntsch, Deutsches Richtergesetz, Kommentar, 6. Aufl. (2005) Schneider, Kriminologie, Lehrbuch, 3. Aufl. (l992) Schölz/Lingens, Wehrstrafgesetz, 4. Aufl. (2000) Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl. (2006) Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, 27. Aufl. (2006) Schorn/Stanicki, Die Präsidialverfassung der Gerichte aller Rechtswege, 2. Aufl. (1975) Schroeder, Strafprozeßrecht, 3. Aufl. (2001) Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht (2002) Schroth, Die Rechte des Opfers im Strafprozess (2005) Schulz/Berke-Müller/Händel, Strafprozeßordnung, 7. Aufl. (1983) Empirische und dogmatische Fundamente, kriminalpolitischer Impetus, Symposium für Bernd Schünemann zum 60. Geburtstag, hrsg. von Hefendehl (2005) Strafvollzugsgesetz, Kommentar, hrsg. von Schwind/Böhm/ Jehle, 4. Aufl. (2005) Schwinge, Grundlagen des Revisionsrechts, 2. Aufl. (1960) Simma/Fastenrath, Menschenrechte. Ihr Internationaler Schutz, Textsammlung, 4. Aufl. (1998) Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, Loseblattausgabe (ab 1987) Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 1, Allgemeiner Teil, Bd. 2, Besonderer Teil, Loseblattausgabe (ab 1975) Sowada, Der gesetzliche Richter im Strafverfahren (2002) Stein/Jonas, Zivilprozessordnung, bearbeitet von Grunsky, Leipold, Münzberg, Schlosser, Schumann, 10 Bände, 21. und 22. Aufl. (ab 1993 und 2002) Stern, Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren, 2. Aufl. (2005) Reform der Verteidigung im Ermittlungsverfahren – Thesen mit Begründung, vorgelegt vom Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer (2004) Streng, Strafrechtliche Sanktionen, 2. Aufl. (2002)

LIX

Literaturverzeichnis Thomas/Putzo Tondorf Trechsel Tröndle/Fischer

Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, Kommentar, 27 Aufl. (2005) Tondorf, Psychologische und psychiatrische Sachverständige im Strafverfahren, 2. Aufl. (2005) Trechsel, Human Rights in Criminal Prodeedings (2005) Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, Kommentar, 53. Aufl. (2006)

Umbach

Umbach, Bundesverfassungsgerichtsgesetz: kommentar und Handbuch, 2. Aufl. (2005)

Verdross/Simma Vogler/Walter/Wilkitzki

Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. (1984) Vogler/Walter/Wilkitzki, Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Kommentar (1983) Volk, Prozeßvoraussetzungen im Strafrecht (1978) Volk, Grundkurs StPO, 5. Aufl. (2006) Handbuch für den Staatsanwalt, hrsg. von Vordermayer/ v. Heintschell-Heinegg, 2. Aufl. (2003)

Volk, Prozessvoraussetzungen Volk, Strafprozessrecht Vordermayer/v. Heintschell-Heinegg

Wabnitz/Janovsky Wagner/Kallin/Kruse Wankel Weber Welzel Widmaier Wieczorek/Schütze Wolf

Zieschang/Hilgendorf/Laubenthal Ziegert Zipf Zöller

LX

Mitarbeiter-

Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 2. Aufl. (2004) Wagner/Kallin/Kruse, Betäubungsmittelstrafrecht, 2. Aufl. (2004) Wankel, Zuständigkeitsfragen im Haftrecht (2002) Weber, Betäubungsmittelgesetz, 2. Aufl. (2003) Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. (1969) Widmaier, Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung (2006) Wieczorek/Schütze, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, 3. Aufl. (ab 1995) Wolf, Gerichtsverfassungsrecht aller Verfahrenszweige 6. Aufl. (1987) Strafrecht und Kriminalität in Europa, hrsg. von Zieschang/Hilgendorf/Laubenthal (2003) Ziegert, Grundlagen der Strafverteidigung (2000) Zipf, Kriminalpolitik, 2. Aufl. (1980) Zöller, Zivilprozessordnung, Kommentar, 25. Aufl. (2005)

EINLEITUNG Gesamtübersicht

Rn. A. Vorbemerkungen und Hinweise

. . . .

B. Wesen und Aufgabe des Strafverfahrens und seine Stellung im Rechtssystem im Allgemeinen I. Begriff des Strafverfahrens . . . . II. Funktion und Aufgabe: Überlegungen zu einer Theorie des Strafverfahrensrechts . . . . . . . . . III. Strafverfahren im Rechtssystem . IV. Verfahrensrecht und Verfahrenswirklichkeit . . . . . . . . . . . C. Nationale Quellen des Strafverfahrensrechts I. Bundesrecht und Landesrecht . II. Verfassungsrecht . . . . . . . . III. Rechtsquellen des einfachen Bundesrechts . . . . . . . . . IV. Landesrecht . . . . . . . . . . V. Justizverwaltungsvorschriften . VI. Vordrucke . . . . . . . . . . . D. Strafverfahrensrecht im europäischen und internationalen Kontext I. Einführung . . . . . . . . . . II. Ebenen und Institutionen . . . III. Quellen . . . . . . . . . . . . IV. Ausländische, europäische und internationale Gerichte im Verhältnis zu deutschem Recht und deutschen Gerichten . . . . . . V. Ausländische Beweise und ihre Geltung im nationalen Recht . . E. Der persönliche, örtliche und zeitliche Geltungsbereich des deutschen Strafverfahrensrechts I. Allgemeines . . . . . . . . . . II. Persönlicher Geltungsbereich . . III. Räumlicher Geltungsbereich . . IV. Zeitlicher Geltungsbereich . . .

Rn.

A1

III. Die Entwicklung im Deutschen Reich bis 1918 . . . . . . . . . . IV. Die Entwicklung in der Weimarer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Zeit des Nationalsozialismus VI. Die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit und Rechtseinheit im westlichen Teil Deutschlands . . . VII. Die Entwicklung in der Bundesrepublik seit 1950 . . . . . . . . VIII. Die Entwicklung des Strafverfahrensrechts in der DDR und die Rechtsangleichung . . . . . . . . IX. Die Zukunft des Strafprozesses. Zur Frage einer (Gesamt)Reform

B1

B3 B 52 B 61

. .

C1 C6

. . . .

C7 C 12 C 29 C 30

. . .

D1 D4 D 36

.

D 55

.

D 112

G. Struktur des Verfahrensrechts I. Aufbau und Ablauf des Verfahrens II. Das deutsche Prozessmodell im Spiegel europäischer Konkurrenzmodelle . . . . . . . . . . . . . III. Das vollständige Verfahren als Ausnahme im deutschen und dem Strafprozessrecht der europäischen Nachbarstaaten . . . . . . . . . H. Grundlagen des Strafverfahrens I. Die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen und ihre Auswirkungen auf das Strafverfahren . . . . . . II. Staatliche Justizgewährungspflicht und Justizförmigkeit . . . . . . . III. Die Erforschung der materiellen Wahrheit . . . . . . . . . . . . IV. Der Gedanke des Rechtsmissbrauchs . . . . . . . . . . . . . I.

. . . .

F. Die Entstehung und Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts und die Reformüberlegungen I. Die Entwicklung im Überblick . . II. Die Entstehung der Reichsstrafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes . . . . . . .

E1 E3 E9 E 16

F1

F5

F 15 F 25 F 46

F 74 F 88

F 164 F 189 G1

G8

G 32

H1 H 14 H 23 H 40

Die sogenannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze I. Begriff und Bedeutung der Maximen I 1 II. Klassische Prozessmaximen . . . I 9 III. Verfassungsrechtliche Prozessmaximen . . . . . . . . . . . . I 71

J. Verfahrensbeteiligte I. Verfahrensbeteiligte und Prozesssubjekte . . . . . . . . . . . . . II. Der Bereich der richterlichen Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . III. Der Bereich der staastanwaltschaftlichen Tätigkeit . . . . . . . . .

Hans-Heiner Kühne

J1 J6 J 39

1

Einl.

Einleitung Rn.

IV. Beschuldigter und Verteidiger . . V. Der Verletzte . . . . . . . . . . . VI. Zeugen und Sachverständige . . . K. Verfahrensrechtliche Grundbegriffe I. Allgemeines . . . . . . . . . . . II. Prozesshandlungen . . . . . . . . III. Prozessvoraussetzungen . . . . . IV. Prozessuale Tat und Prozessgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtskraft und Bestandskraft . . VI. Zur Problematik nichtiger Entscheidungen, insbesonders nichtiger Urteile . . . . . . . . . . . . . . L. Beweisverbote I. Beweis und Beweisverbot . . . . II. Beweisverbote in der Rechtsprechung: Grundlagen und Grundregeln . . . . . . . . . . . . . . III. Beweisverbote in der Rechtsprechung: Verstöße gegen ausgewählte Regeln der Strafprozessordnung . IV. Verfassungsrechtliche Beweisverbote in der Rechtsprechung: Grundlagen . . . . . . . . . . . V. Verfassungsrechtliche Beweisverbote in der Rechtsprechung: Verstöße gegen das Rechtsstaatprinzip und die Menschenwürde . . . . . VI. Verfassungsrechtliche Beweisverbote in der Rechtsprechung: Eingriffe in die Privatsphäre nach der Dreisphärentheorie des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . VII. Verfassungsrechtliche Beweisver-

Rn.

J 65 J 111 J 125 K1 K5 K 35 K 48 K 64

K 105

VIII. IX.

X.

XI. XII.

L1

L 18

L 37

L 70

L 73

L 81

bote in der Rechtsprechung wegen unzulässiger Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . Verwertungsverbote in der Rechtsprechung: Reichweite . . . . . . Verwertungsverbote in der Rechtsprechung: Verfahrensrechtlicher Nachweis . . . . . . . . . . . . Ergebnis der Übersicht über die Rechtsprechung zu den Beweisverboten . . . . . . . . . . . . . Die im Schrifttum entwickelten Beweisverbotslehren . . . . . . . Eigene Auffassung . . . . . . . .

M. Zur Methode der Rechtsanwendung im Strafverfahren I. Vorbemerkung, Abhängigkeit der Methode der Rechtsanwendung von Struktur und Inhalt der Rechtsnorm . . . . . . . . . . . II. Die Besonderheiten des Strafverfahrensrechts . . . . . . . . . . . III. Folgerungen für die Rechtsanwendung im Strafprozessrecht. Das Prinzip: Gleichordnung mit dem materiellen Strafrecht . . . . . . IV. Zusammenfassung und Ausblick: ein erweiterter Methodenbegriff

L 101 L 105

L 117

L 119 L 128 L 155

M1 M2

M 34 M 75

Detailliertere Übersichten befinden sich vor den einzelnen Hauptabschnitten.

Alphabetische Übersicht Die alphabetischen Übersichten zu den Kapiteln L und M finden sich dort Absprachen (s. auch Vereinbarungen) B 31, 63; F 135, 209; G 33, 58 ff. Aburteilungsmonopol des Richters J 6 Abwägungserfordernis H 8 ad hoc – Gerichtshöfe D 67 ff. Adhäsionsverfahren F 41, 67, 73, 126, 161, 181, 183; G 20; J 112, 114, 116, 120 Akkusationsprinzip (s. auch Anklagegrundsatz) I 9 ff. Amtsaufklärungsgrundsatz F 66; H 27, 32, 130 ff. Analogie, Analogieverbot F 78; H 62, 63 Anfangsverdacht I 13, 22, 66, 102; J 3; K 59 Angeklagter (s. auch Beschuldigter) K 123 Anklagegrundsatz I 5, 9 ff.; J 7, 47; K 51 Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft I 14 ff. Annahmeberufung F 145; J 28, 34; K 19, 70 Auskunftspflichten und Selbstbelastungsfreiheit J 95 ff.

2

Ausländische Verurteilungen, Sperrwirkung (s. auch ne-bis-in-idem (international)) K 98 ff. Ausländisches europäisches Strafverfahrensrecht D 59, 62 ff. – englisches D 62 ff. – französisches D 68 ff. – italienisches D 122 – österreichisches D 122 – spanisches D 76 ff. Auslegung, systematische und teleologische D 70 Aussagefreiheit J 87 ff. Ausschluss und Ablehnung des Richters F 73, 87, 129; H 58 Außerordentlicher Einspruch F 50 Beginn des Strafverfahrens G 4 Berufsgerichtliche Verfahren B 55

Hans-Heiner Kühne

Alphabetische Übersicht

Einl.

Besatzungsgerichte F 77; K101 Besatzungsrecht F 74, 77 ff.; K120 Beschleunigtes Verfahren F 18, 23, 35, 43 ff., 59, 69, 71, 86, 149, 153; G 19, 41 Beschleunigungsgrundsatz I 67 Beschuldigter B 48; J 65 ff. Beschuldigter als Beweismittel J 84 ff. Beschuldigter, Begriff J 71 Beschuldigter, Einwirkungs- und Beteiligungsrechte J 77 f. Beschuldigter, Pflichten J 81 ff. Beschuldigter, Schutzvorschriften J 79 f. Beschuldigter, Stellung J 65 ff. Besetzungsrüge, Präklusion F 121 Besondere Senate der Bezirksgerichte F 187 Besondere Verfahrensformen G 18 ff. Bestandskraft (s. auch Rechtskraft) K 64 ff., 102 ff. Beweis, Begriff H 34 f. Beweisantragsrecht, Beweiserhebungsanspruch F 23, 41, 61; I 35; J 77 Beweisaufnahme im Ausland und für ausländische Behörden D 117 ff., 123ff. Beweise, ausländische D 112 ff. Beweiserhebung, rechtliche Grenzen F 40 Beweisrecht B 6; D 132; F 23; H 28 Beweisverwertungsverbote D 40, 78, 122, 139; E 10, 12; G 30 f.; H 5, 69; I 42, 94, 116; K 46 Bewirkungshandlungen K 13 f. Bezirksgericht, DDR F 173, 175 Bundeskriminalamtsgesetz C 9 Bundeszentralregister, Strafregister F 17, 105; K 73

Entwurf Radbruch und Heinze zur Neuordnung der Strafgerichte F 33 Ergänzungsklage K 90 Erkenntnisverfahren und Vollstreckungsverfahren G 2 Ermittlungsverfahren B 57 f.; D 24; F 23, 32, 113 f., 129, 181, 206, 208; G 3, 7, 12, 65; H 17, 33, 52; I 12 f., 29, 80 f., 120; J 2 ff., 46, 59 ff., 85; K 59, 66, 104 Eröffnungsbeschluss K 23, 25, 32, 39, 41, 50, 58 f., 72, 77, 86 f., 181 Ersatzrevision E 38; F 41 Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts und Ergänzungsgesetz F 112 ff. Erweitertes Schöffengericht F 37, 93 Erwirkungshandlungen K 13 f. EuGH D 94 Eurojust D 31 ff. Europäische Beweisanordnung D 129 ff. Europäische Gemeinschaft D 5 Europäische Prozessmodelle G 22 ff. Europäische Rahmenbeschlüsse B 6; D 13, 15 f. 38, 42, 94; F 163, 200, 211; G 8 Europäische Staatsanwaltschaft D 20, 33, 51 f., 27; J 64 Europäischer Haftbefehl D 15, 94, 109, 126, 131; E 4; F 163 Europäisierung des Strafverfahrens B 6; D 1 Europarat D 4, 73, 110 Europol D 21 ff. Europol-Übereinkommen D 23, 26 Exterritorialität E 6

Chancengleichheit I 117 Corpus Iuris D 49 ff.

Faires Verfahren, Fairnessprinzip I 104 ff. Fernmeldeüberwachung F 104, 139, 142, 154; H 52 Feststellungs- und Bindungswirkung der Rechtskraft K 94 ff. Freibeweis H 34; I 33; K 44 Freibeweis bei Prozessvoraussetzungen H 34 Freie Beweiswürdigung I 39 ff. Friedensrichterliches Verfahren F 67 Funktionsfähige Strafrechtspflege H 14 ff. Fürsorgepflicht I 121 ff

Datenschutz F 152 DDR, Entwicklung des Strafverfahrensrechts F 164 ff. DDR, Gerichtsaufbau F 173 ff. DDR, Rechtsmittelsystem F 182 DDR, rechtsstaatliche Reorganisation F 185 DDR, Staatsanwaltschaft F 178 ff. Dispositionsmaxime G 10; I 30, 36 Disziplinarrecht D 37; J 97 DNA-Analyse F 152 Doppelfunktionelle Prozesshandlungen K 15 EGMR D 46 ff., 81 ff. EGStGB 1974 F 110 Eingriffsermächtigungen F 158 EJN D 28 ff. Emminger-Reform F 36 ff. Empirische Erkenntnisse, methodische Grundlage B 66 ff. EMRK B 36, 64; D 1, 46 ff., 81 ff.; G 28, 50, 59; H 1, 5; I 50 72; K 97 Entstehung von StPO und GVG F 5 ff Entwicklung seit 1877, Überblick F 2 ff Entwurf 1908/1909 F 19 ff Entwurf 1919 F 30 ff Entwurf 1939 F 64 ff Entwurf EGStGB 1930 F 41 Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen F 30 ff

Geheimdienst C 21 ff. Geltungsbereich, persönlicher E 3 ff. Geltungsbereich, räumlicher E 9 ff. Geltungsbereich, zeitlicher E 16 ff. Gerichte, ausländische D 80 ff. Gerichtshilfe D 95; F 111; J 36 Gesamtreform des Strafverfahrens F 19 ff., 62 ff. Gesamtreform durch Teilgesetze F 107 Gesamtreform, aktuelle Möglichkeit F 189 ff. Gesellschaftliche Gerichte in der DDR F 177 Gesetzlicher Richter J 16 ff. Gesetzlichkeitsaufsicht, der Staatsanwaltschaft in der DDR F 171 Geständnis H 36 ff. Geständnis als Bestandteil der Urteilsabsprache G 59 ff. Glaubhaftmachung H 35 Grundbegriffe, prozessuale, Bedeutung K l ff. Grundgesetz als Rechtsquelle C 6; F 82; H 3 ff. Grundrechte H 4

Hans-Heiner Kühne

3

Einl.

Einleitung

Hauptverhandlung als Mittel der Gehörsgewährung I 77 f., 90 Hauptverhandlungshaft F 153 ICC – International Criminal Court D 95 ff. Immunität, parlamentarische E 8; K 40, 87, 120 Immunität, völkerrechtliche und diplomatische E 6, 15; K 40, 87, 120 in dubio pro reo I 48 ff.; K 44 Informationelle Selbstbestimmung C 16; F 152, 207; J 71 Inkulpation J 72 Inquisitionsprozess F 1; G 10, 59; H 37; I 5, 10, 14, 39; J 51, 66; K 76 Instruktionsmaxime I 30 ff. Internationale Rechtshilfe D 108 ff. Internationalisierung des Strafverfahrens B 3, 6; D 1 f. Jugendgerichtsgesetz als Rechtsquelle C 8 Jugendstrafverfahren G 20; I 26 Jugoslawien-Strafgerichtshof D 67, 103; K 99 Justizentlastung und Verfahrensvereinfachung F 156, 204 Justizförmigkeit H 19 ff. Justizgewährungspflicht und Justizgewährungsanspruch H 14 ff. Justizgrundrechte F 82; H 2 ff.; I 71 f. Justizmitteilungsgesetz F 152 Justizreform F 91, 109 Justizverwaltung B 56 ff. Justizverwaltungsvorschriften C 29 Kassation F 170, 173, 175, 180 ff.; K 113 Klageerzwingungsverfahren F 14, 67, 72, 93; H 16; I 11, 25 Kleine Strafprozessreform, StVÄG 1964 F 95 ff. Konflikt- und Schiedskommissionen in der DDR F 174 Konfliktverteidigung H 42 Kontaktsperregesetz F 119 Konzentrationsmaxime I 53 ff. Kreisgerichte, DDR F 175, 187 Kriegssonderstrafrecht F 47, 69 Krise des Strafprozesses F 190 ff. Kronzeuge, Kronzeugengesetz F 124, 137, 150; I 26 f. Laienbeteiligung F 12, 21, 24; J 29 ff. Laienbeteiligung, Umfang der Mitwirkung J 32 ff. Landesrecht als Rechtsquelle im Strafverfahren C 5 Laufende Verfahren, Wirkung von Rechtsänderungen E 20 Lauschangriff C 24; F 154, 158 Legalitätsprinzip B 12; F 23, 27, 36 ff., 66, 72, 93; G 14f., 52 ff.; H 7, 11; I 19 ff.; J 9, 41; K 103 Lex fori D 136 ff. Mehrheit von prozessualen Taten K 58 Menschenrechtskonventionen J 79 Menschenrechtsverstoß als Wiederaufnahmegrund K 112 Menschenwürde F 97, 201; G 17; H 4 ff. Militärgerichtsbarkeit D 4, 34, 53; F 53 Missbrauch prozessualer Befugnisse H 40 ff.; K 34 Modernisierung der Justiz F 194 ff. Mündlichkeit I 58 ff.

4

Nationalsozialismus, Bemühungen um Gesamtreform F 62 ff. Nationalsozialismus, Entwicklung des Strafverfahrens F 46 ff. Nationalsozialistische Auffassung vom Strafverfahren F 50, 61 Nato-Truppenstatut E 7 ne bis in idem (s. auch Sperrwirkung und Strafklageverbrauch) K 119 ff. ne bis in idem (international) (s. auch Ausländische Verurteilungen, Sperrwirkung) D 44 f., 94, 103 Nebenklage, Nebenkläger F 67, 126; J 112, 120 Nemo-tenetur-Grundsatz J 87 ff. Nichtige Urteile K 105 ff. Nichtigkeitsbeschwerde F 50, 71 f. Nichturteile K 108 Notverordnung 1932 F 44 Oberstes Gericht, DDR F 173 Objektivitätsverpflichtung der Staatsanwaltschaft J 48 ff. Offenkundigkeit I 34; K 129 Öffentlichkeit C 7; F 11, 16, 19, 20, 22, 30, 41, 57, 61, 65 f., 111, 117, 126, 196; I 5, 7, 53, 55 ff., 70, 101, 125; J 29, 80, 128; K 9, 108 Offizialprinzip I 9, 14 f., 20 Ökonomisierung J 13 Opferanspruchssicherungsgesetz F 155 Opferrechte F 161 Opferschutzgesetz F 125, 161; J 115 f., 120 Opportunitätsprinzip B 12; F 43; G 15, 55; I 20, 26 Ordnungswidrigkeitenrecht B 60 Organisierte Kriminalität D 112; F 139, 153, 208 Parteiprinzip D 79; G 22, 29 Parteiprozess G 16; J 52 Partielles Bundesrecht C 4; E 11; F 81 Personenverwechslung als Nichtigkeitsgrund? K 122 Polizei B 6, 25, 58, 65, 73; C 12, 14 ff., 21 ff., 25, 29; D 8, 22, 27, 134; F 47, 158, 162, 181; G 4, 12, 26, 51, 53, 74; I 13, 16, 22, 29, 128; J 58 ff.; K 20, 46 Polizeirecht A 1; C 5, 12; F 203; I 58 Präsidialverfassung F 50, 54, 102, 103, 159; J 14 Prävention B 42; C 12, 16 ff. Privatklage F 14, 32, 67, 181; G 19; I 14 f., 26, 119; J 2, 112, 114, 119; K 24 Privatkläger I 82, 111; J 2, 4, 113, 122 Privatsphäre D 88 Protokollanträge H 59 Prozessgegenstand J 3, 5; K 48ff.; G 10 Prozessgegenstand des Ermittlungsverfahrens K 59 Prozesshandlungen, Bedeutung von Willensmängeln K 30ff. Prozesshandlungen, bedingte K 27 Prozesshandlungen, Begriff und Einteilung K 5 ff. Prozesshandlungen, Bewertungskategorien K 16 ff. Prozessmaximen, Begriff, Funktionen, Geltungsgrund und Bedeutung I l ff. Prozessmaximen, klassische I 9 ff. Prozessmaximen, verfassungsrechtliche I 71 ff. Prozessmodell F 89, 171, 192, 195, 199 f.; G 7 ff., 14, 18; H 2; I 6, 32

Hans-Heiner Kühne

Alphabetische Übersicht Prozessrechtslehre, allgemeine H 15 Prozessrechtsverhältnis K 4 Prozesssubjekte B 1; J 2 ff., 125 Prozessthema I 9, 85 Prozessuale Überholung K 21 Prozessverhalten, Grenzen der Würdigung J 91 ff. Prozessvoraussetzungen G 1; I 51; K 41, 47 Rechtliches Gehör B 30; F 82; G 61; H 3, 18; I 75ff.; J 78, 85 Rechtliches Gehör der Staatsanwaltschaft H 83 Rechtliches Gehör im Ermittlungsverfahren H 80 Rechtliches Gehör, Einschränkungen H 81 Rechtsangleichung nach der Wiedervereinigung F 184 ff. Rechtseinheit, Wiederherstellung F 81 ff. Rechtsentwicklung in der Bundesrepublik, Übersicht F 88 ff. Rechtsfrieden als Verfahrensziel B 42, 50; I 37 Rechtsgespräch I 85 Rechtshängigkeit K 40, 57, 73, 97 Rechtskraft B 22 f, 50; F 71, 122, 128, 182; G 1 f.; 18, 33; J 7, 38, 71, 118; K 13, 40, 48 f., 51, 53, 55, 57, 60, 64 ff. Rechtskraft und Art. 103 Abs. 3 GG K 74 f Rechtskraft von Einstellungsentscheidungen K 85 ff., 127 Rechtskraft, formelle K 69 ff. Rechtskraft, Grundlagen K 64 f. Rechtskraft, materielle K 74 ff. Rechtskrafttheorien K 79 ff. Rechtsmissbrauch B 5; H 42, 46 f., 50 f., 53 f., 57 f., 62 ff., 68 Rechtsmittel E 18; F 12 f., 35, 37, 45, 58, 68, 70, 73, 109, 182; G 21; H 52, 66, 83; I 116; J 13, 49; K 18, 21 f., 24, 29 ff., 69 f., 84, 129 Rechtsmittel, Entstehung und Reformdiskussion F 13 f, 21, 31, 68, 109, 182 Rechtsmittelsicherheit, Grundsatz der E 18 Rechtsmittelverzicht G 61, 64; K 13, 17, 24, 33 Rechtspflegeentlastungsgesetz F 143 ff., 156 Rechtspflegeerlass der DDR F 172, 174, 177 Rechtspfleger I 128; J 36 f., 63 Rechtspflegerecht B 56 Rechtsquellen B 7 ff.; C 1 ff.; D 1 f., 55; H 3 ff. Rechtsstaatsprinzip E 18; F 193; G 10; H 5, 10, 15, 22 f.; I 1, 21, 75, 96, 104, 110; J 17, 66, 87 Rechtsstaatswidrigkeit als Verfahrenshindernis? H 69, K 45 ff. Rechtstatsachenforschung B 61, 67 Reformbemühungen in der Bundesrepublik F 91, 109, 135, 182 Reformkommission 1903 F 19 ff Rehabilitierung von Opfern des SED-Regimes F 188 Rehabilitierung von Opfern von NS-Unrecht F 76 Rehabilitierungsinteresse, Berücksichtigung im Strafverfahren I 37 Reichsjustizgesetze J 17, 23, 27 Reichsjustizministerium, Rolle im Nationalsozialismus F 48, 53, 62, 64 f. Republikschutzgesetz, Staatsgerichtshof F 35 Richterablehnung F 73, 87, 129; H 41, 58

Einl.

Richterliche Unabhängigkeit J 12 ff., 39 Rückwirkung E 16; F 82 Sachverständiger I 128; J 130 Schengener Verträge C 13; D 10, 45, 80, 111, 122, 127; E 1; F 163; K 78, 98 Schiffe und Luftfahrzeuge, Geltung des Strafverfahrensrechts E 12 ff. Schlussgehör, staatsanwaltschaftliches F 98, 101, 113 Schöffengericht F 12 f., 16, 19, 21, 31, 33, 34, 37, 44, 80, 86, 93, 113, 122, 161; J 23, 25, 27 f., 32, 34 Schwurgericht D 73; F 8, 12 f., 19, 21, 27, 31, 33, 37 f., 80, 103, 113, 144; G 25; I 39; J 27 ff. Selbstbelastungsfreiheit (s. auch Nemo-tenetur-Grundsatz) J 87 ff., 97 Sondergerichte F 26 f., 35, 45, 47, 50, 55, 57 f., 68 ff., 78 Sozialistische Rechtsauffassung F 166 Sozialstaatsprinzip H 5; J 78 Speedy trial, vgl. Beschleunigungsgebot H 16; I 67 Sperrwirkung der Rechtskraft (s. auch ne bis in idem und Strafklageverbrauch) K 40, 90, 116 Staatsanwaltschaft, Aufgaben J 39 ff. Staatsanwaltschaft, Bindung an höchstrichterliche Rechtsprechung J 46 Staatsanwaltschaft, Entstehung und Bedeutung J 39 ff. Staatsanwaltschaft, Funktionen J 43 ff. Staatsanwaltschaft, staatsrechtliche Stellung J 55 f. Staatsanwaltschaft, Stellung in der DDR F 178 ff. Staatsschutz-Strafsachen, Zuständigkeit F 93, 103 f. Steuerstrafverfahren G 20; I 17, 29; J 62, 72 Strafbefehlsverfahren F 16, 23, 38, 128, 181; G 19, 40, 48, 50, 57; I 17, 36, 53 f., 101; J 6, 90 Strafklageverbrauch (s. auch ne bis in idem und Sperrwirkung) F 163; K 52, 55, 56, 60, 80, 101, 103 Strafmündigkeit K 86, 121 Strafmündigkeit als Prozessvoraussetzung K 40 Strafmündigkeit, mangelnde als Nichtigkeitsgrund? K 121 Strafprozess und Ordnungswidrigkeitenrecht, Verhältnis B 60 Strafprozesskommission, Große F 65, 96 Strafprozesslehre B 25, 61 Strafprozessrecht und Polizeirecht, Verhältnis B 12 ff. Strafprozessrecht und Strafrecht, Verhältnis B 7 ff. Strafprozessrecht und Zivilprozessrecht, Verhältnis B 52 ff. Strafverfahren, Begriff B 1 f. Strafverfahren, Funktionen B 3 ff. Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 F 120 Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 F 127 Strafvollstreckung F 151, 153, 183; I 80, 112; J 8, 10, 49, 63; K 130 Strengbeweis H 31, 34, 35; I 7, 33 Struktur des Strafverfahrens F 106, 171; J 42 Systemwechsel und Urteilsnichtigkeit K 109 f. Tagebuchaufzeichungen H 11 Tatbegriff K 48 ff., 56, 59 ff., 63, 66, 78, 80, 88, 123 Tatbegriff, Funktion K 50 ff. Täter-Opfer-Ausgleich F 91, 125, 135, 148; G 56; J 94, 116

Hans-Heiner Kühne

5

Einl.

Einleitung

Teilrechtskraft I 40; K 3, 68, 72, 94, 111, 118 Tendenzwende F 108 Terrorismusgesetzgebung F 90, 118 Tod des Angeklagten K 124 Trennungsgebot C 22; F 208 Trichtermodell des Strafverfahrens G 5 Überleitungsvorschriften E 16 f., 19, 21, 23 Übermaßverbot I 97, 99 Unabhängigkeit, richterliche B 57, 59; D 58; F 166, 185; H 3, 17; I 8; J 12 ff., 35, 39, 48 Unmittelbarkeitsprinzip F 32, 192; G 41; I 55, 57, 59, 64 ff. Unschuldsvermutung B 64; C 6; F 210; G 32, 59 f., 69; H 38, 42, 61; I 8, 37, 50, 72, 97, 107; J 6, 73 ff., 81, 87, 118 Untersuchungshaft B 58; D 47; F 23, 86, 98, 183, 206; H 52, 66, 78, 99; J 76, 82; K 15, 20 Untersuchungshaft, Haftprüfung F 40, 61, 98, 104 Unverhältnismäßigkeit I 100; K 46 Unverhältnismäßigkeit als Verfahrenshindernis? K 46 Urkundsbeamter der Geschäftsstelle I 128; J 36 Urteilsnichtigkeit K 106 f., 109 f., 115 ff., 120, 123 f., 127, 130 Verdacht C 15, 18 f., 21; D 70, 73, 98; E 14; F 207; G 1, 3, 4, 15, 57, 65; H 1, 35, 39; I 13, 43 ff., 50, 52, 96, 100; J 72, 86, 95 Verdächtiger J 71 Vereinbarungen (s. auch Absprachen) C 9; D 108; E 2; F 77, 135, 192; G 58 ff.; H 38; J 41; K 45 Vereinbarungen, Inhalte und Grenzen G 61 Vereinbarungen, unzulässige und gescheiterte G 61 ff. Vereinfachte Verfahrensarten und -formen B 38, G 36ff. Vereinheitlichungsgesetz F 83 ff. Verfahrensarten B 66; F 23; G 1, 18, 45 Verfahrensbeteiligte B 41, 51, 64; D 125; F 161, 209; G 16; H 42, 54, 68, 111, 122; J 2 f., 88, 125; K 9 Verfahrenshindernisse (s. auch Prozessvoraussetzungen) G 19; H 11, 69; J 34; K 35, 37, 39, 41 ff., 45 ff., 86 f. Verfahrenswirklichkeit B 48; C 30; G 15; H 46 Verfahrensziel B 31, 43; D 79; I 1; J 119 Verfahrenszwecke H 1 Verfassungsrecht B 36, 52; C 6; D 85, 87, 91; E 16; F 207; H 1, 3, 7; H 31; I 95, 103, 115 Verfolgungsverbote H 69 Verhältnismäßigkeit B 35; D 89; G 17; H 5 f.; I 96 f., 100, 102, 107, 121 Verhandlungsfähigkeit J 78; K 18, 40 Verletzter J 111ff., 117, 122 Verletzter, Entwicklung der Rechtsstellung J 113 ff. Verletzter, Fürsorgepflicht I 127, J 123

6

Verpolizeilichung des Strafverfahrens B 34; C 12; F 208 Verreichlichung der Justiz F 53 Verteidiger B 64; F 14, 23, 32, 98, 116 f., 119, 129, 183, 185, 203, 208; G 16, 60 f., 74, 76 f., 41 ff., 51 ff., 61, 65; I 35, 113, 117, 124, 126 ff.; J 4, 68, 78, 92 f., 101 ff.; K 17 Verteidigertheorien J 107 Verteidigung, materielle und formelle J 101 f. Verwirkung des Strafanspruchs H 69 ff. Verwirkung von Rechten Prozessbeteiligter, vgl. Rechtsmissbrauch H 67 ff. Viktimologie J 115 Völkerrecht als Rechtsquelle im Strafverfahren D 36 ff. Volksgerichtshof F 47, 50, 54 ff., 61, f., 71, 73, 78; K 109 Volksrichter in der DDR F 167 f. Vorfeldermittlungen A 1; C 15, 17, 25, 71 Vorlagepflicht nach Art. 100 GG B 54 Vorlagepflicht nach Art. 177 EGVertrag D 41 Voruntersuchung F 32, 58 f., 61, 67, 86, 113, 181; G 56; I 9; J 8, 41 Waffengleichheit B 65; I 103, 107, 117 ff., 120 f. Wahlfeststellung F 61, I 48 Wahrheitsbegriff B 23; H 24 Wahrheitserforschung H 27, 31 f., 128; K 3 Wahrheitserforschung, Grenzen H 29 ff. Wahrheitserforschung, Mittel H 32 ff. Wahrscheinlichkeitsurteile I 52 Waldheim-Prozesse F 168 Weimarer Zeit, Entwicklung des Strafverfahrens F 25 ff., 42, 44, 50 ff., 83, 88, 169 Wiederaufnahme des Verfahrens B 23; F 58, 73; J 49; K 69, 76, 112, 125 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand K 26, 72, 97 Wiedergutmachung F 91, 125 f., 135, 148; J 116, 120 Wiedervereinigung C 4; E 1; F 3, 133, 164, 184, 189; K 100 Willkür B 45, 51; D 66; I 45 f.; J 29 Zeugen B 18; D 105; F 73, 116, 122, 155; G 29, 67; I 59, 65, 82, 111, 125 ff.; J 5, 58 f., 88, 90, 96, 100, 125 ff.; K 10, 18, 24 Zeugenbeistand H 11; J 129 f. Zeugenschutz F 91, 135, 141, 161; J 120, 127 ff. Zeugnispflicht J 95 f. Zeugnisverweigerungsrechte D 120; F 14, 23, 93, 118, 135, 160; H 11 Ziele des Strafverfahrens B 5, 13 ff., 51; J 55 Zivilprozessordnung als Rechtsquelle C 10 Zuständigkeitskonflikte, Klärung J 26 Zweifelsgrundsatz H 35; I 48 ff., 107

Hans-Heiner Kühne

A. Vorbemerkungen und Hinweise Die Einleitung zu diesem Kommentar hat zunächst in der 20. Auflage in der Hand 1 von Niethammer gelegen. Von der 21. bis zur 24. Auflage hat sie Karl Schäfer fortgeführt und ausgebaut. Sie ist durch die Persönlichkeit dieses Autors besonders geprägt worden. Ihm ist vor allem mit zu verdanken, dass die von Eb. Schmidt 1951 beanstandete mangelhafte Behandlung der rechtstheoretischen und rechtspolitischen Grundlagen des Strafverfahrensrechts im Kommentarschrifttum 1 überwunden werden konnte.2 Für die 25. Auflage hat eine vollständige Neufassung durch Rieß stattgefunden, auch wenn diese sich weiterhin in vielen Punkten der Arbeit von Karl Schäfer verpflichtet gefühlt und auf ihr aufgebaut hat. Seither ist durch die internationalen und europäischen Einflüsse das Strafverfahrensrecht geradezu neu geprägt, zumindest aber in neue und andere Kontexte gestellt worden, was in der vorliegenden Neuauflage besonders berücksichtigt wird. Auch die abnehmende Liberalität des Strafverfahrensrechts, dies vor allem auch in Verbindung mit einer qualitativ neuen Konkurrenz zum Polizeirecht und neuen Präventionskonzepten (Vorfeldermittlungen), musste dargestellt werden, weil sich hier Paradigmenwechsel ankündigen, die die Struktur des überkommenen Strafverfahrensrechts in Richtung auf ein gemischt repressiv/präventives allgemeines Überwachungsrecht hin zu ändern drohen. Schließlich wurden die Realität des Strafverfahrens und die empirischen Methoden ihrer Erkundung intensiver beschrieben, um die theoretische Durchdringung der Materie nicht allzu sehr von der forensischen Wirklichkeit abzukoppeln. Eine Einleitung, auch eine solche zu einem Großkommentar, ist kein Lehrbuch. Sie 2 muss ihr Schwergewicht auf die Darstellung und Erläuterung derjenigen Fragen legen, die weder bei der Kommentierung der einzelnen Bestimmungen noch in den Vorbemerkungen zu den einzelnen Abschnitten des Gesetzes zureichend behandelt werden können. Sie hat deshalb notwendiger Weise lückenhaften Charakter. Ihr Hauptgewicht liegt auf denjenigen Fragen, die übergreifender und allgemeiner Natur sind. Auch insoweit ist allerdings bei einem gewachsenen Kommentar wie dem vorliegenden dann Zurückhaltung angebracht, wenn sich bei der Einzelkommentierung Schwerpunkte gebildet haben, auf die Bezug genommen werden kann. Jedoch hat eine Einleitung auch die Aufgabe, ein mindestens skizzenhaftes Gesamtbild des Strafverfahrens zu vermitteln und einen allgemeinen Teil zu umreißen. Sie geht deshalb, soweit dies von dieser Zielsetzung her erforderlich ist, auch auf solche Fragen unter Hinweis auf die ausführlichere Einzelkommentierung kurz ein, die an anderen Stellen des Kommentar eine vertiefte Behandlung erfahren. Neben den übergreifenden rechtsdogmatischen, rechtspolitischen und verfassungs- 3 rechtlichen Fragen, bei denen besonders darauf Bedacht genommen worden ist, durch Verweisungen zu verdeutlichen, welche Ausprägungen sie im geltenden Recht gewonnen haben und welche Auswirkungen für die Auslegung und Rechtsanwendung von ihnen ausgehen, bildet die Darstellung der europäischen und internationalen Bezüge des Strafprozessrechts einen besonderen Schwerpunkt. Auch wurde versucht, Ansätze für eine all-

1

Vorwort zur 1. Auflage des Lehrkommentars, Teil I.

2

Eb. Schmidt hat dies selbst im Vorwort zur 2. Auflage 1964 anerkannt.

Hans-Heiner Kühne

7

Einl. Abschn. B

Einleitung

gemeine Theorie des Strafverfahrensrechts zu stellen. Nach wie vor ist die Behandlung der Beweisverbote und der Methoden der Rechtsanwendung Teil der Darstellung. In den nachfolgenden Hauptabschnitten B bis M sind die Randnummern und die 4 Fußnoten jeweils gesondert numeriert. Bei Verweisungen innerhalb desselben Hauptabschnitts wird lediglich die Randnummer oder die Fußnote angegeben. Wird auf andere Hauptabschnitte verwiesen, so wird der entsprechende Buchstabe vorangestellt. Die erforderlichen Schrifttumsnachweise, bei denen überwiegend Vollständigkeit weder möglich noch angestrebt ist und bei denen jeweils ergänzend auf die Einzelkommentierungen zurückgegriffen werden muss, werden vor den einzelnen Hauptabschnitten, wo angezeigt auch bei den Unterabschnitten, gebracht.

B. Wesen und Aufgabe des Strafverfahrens und seine Stellung im Rechtssystem im Allgemeinen Schrifttum Allgemein. Amelung Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozeß (1990); Barendamm/ Bodewig UWG, Kommentar; Barton Die Revisionsrechtsprechung des BGH in Strafsachen. Eine empirische Untersuchung der Rechtspraxis (1999); Benfer Grundrechtseingriffe im Ermittlungsverfahren (1990); Bernsmann/Jansen Heimliche Ermittlungsmethoden und ihre Kontrollen – Ein systematischer Überblick, StV 1998 217; Bierbrauer/Gottwald/Birnbreier-Stahlberger (Hrsg.) Verfahrensgerechtigkeit. Rechtspsychologische Forschungsbeiträge für die Justizpraxis (1995); Blankenburg/Sessar/Steffen Die Staatsanwaltschaft im Prozess strafrechtlicher Sozialkontrolle (1978); Böse Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in der transnationalen Strafrechtspflege in der EU, in: Momsen, Carsten u.a. (Hrsg.), Fragmentarisches Strafrecht, Beiträge zum Strafrecht, Strafprozessrecht und Strafrechtsvergleichung für Manfred Maiwald (2003); ders. Die Verwertung im Ausland gewonnener Beweismittel im deutschen Strafverfahren, ZStW 114 (2002), 148 ff.; Bötticher Die Bindung der Gerichte an Entscheidungen anderer Gerichte, in: Hundert Jahre deutsches Rechtsleben (1960), Bd. 1, 511 ff.; Bonk Bindungswirkungen strafgerichtlicher Entscheidungen in verwaltungsbehördlichen Fahrerlaubnis-Entziehungsverfahren, Blutalkohol 31 (1994), 238 ff.; Bosbach Subsumtion als Problemlösung (1981); Brüner/Hetzer Nationale Strafverfolgung und Europäische Beweisführung? NStZ 2003 113 ff.; Brüning Der Richtervorbehalt im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (2005); Bülow/Ring HeilmittelwerbeG, Kommentar (2005); Cancio Melia Feind „strafrecht“? ZStW 117 (2005), 267 ff.; Carroll Language, Thought, and Reality, Selected Writings of Benjamin Lee Whorf (1956) S. 207 ff.; zu Dohna Das Strafprozeßrecht, 3. Aufl. 1929; Druey Interessenabwägung – eine Methode? Beiträge zur Methode des Rechts 1981, 131 ff.; Dünnebier Zum Begriff des Verfahrens, FS Schäfer 27; Düx Globale Sicherheitsgesetze und weltweite Erosion von Grundrechten – Statt „Feindstrafrecht“ globaler Ausbau demokratischer Rechte, ZRP 2003 189 ff.; Duff et al. (Editors) The trial on trial vol. 1: Truth and due process (2004); Engisch Subsumtion und Rechtsfortbildung, Richterliche Rechtsfortbildung 1986, 3 ff.; Erb Notwehr als Menschenrecht – Zugleich eine Kritik der Entscheidung des LG Frankfurt am Main im „Fall Daschner“, NStZ 2005 593; Erbguth/Oebbecke/Rengeling/Schulte (Hrsg.) Abwägung im Recht (1996); Eschenhagen Der Missbrauch des Beweisantragsrechts (2000); R. Esser Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht, Die Grundlagen im Spiegel der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg (2002); ders. Mindeststandards einer Europäischen Strafprozessordnung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, StraFo 2003 355 ff.; J. Esser Vorverständnis und Methodenwahl (1972); Feest/Blankenburg Die Definitionsmacht der Polizei. Strategien der Strafverfolgung und soziale Selektion (1972); Fezer Vereinfachte Verfahren im Strafprozeß, ZStW 106 (1994) 1; Gazeas Die Europäische Beweisanordnung – Ein weiterer Schritt in die falsche Richtung? ZRP 2005 18 ff.; Gebauer Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in der Bundesrepublik Deutschland (1987); Geerds Strafrechtspflege und prozes-

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Hans-Heiner Kühne

Wesen und Aufgabe des Strafverfahrens

Einl. Abschn. B

suale Gerechtigkeit, SchlHA 1964 57; Gleß Kommentar zum Vorschlag für einen Rahmenbeschluß über eine „Europäische Beweisanordnung“, StV 2004 679 ff.; ders. Die „Verkehrsfähigkeit von Beweisen“ im Strafverfahren, ZStW 115 (2003) 131 ff.; Graul Abstrakte Gefährdungsdelikte und Präsumtionen im Strafrecht (1991); Greuel/ Fabian/Stadler (Hrsg.) Psychologie der Zeugenaussage (1997); Grunsky Grundlagen des Verfahrensrechts (1974); Hagen Elemente einer allgemeinen Prozeßlehre (1972); Hajos Einführung in die Wahrnehmungspsychologie (1991); Hamm Auch das noch – Strafrecht für Verbände, NJW 1998 662 f.; Hassemer Einführung in die Grundlagen des Strafverfahrensrechts (1990); Haus Zur Bindungswirkung strafgerichtlicher Entscheidungen für die Fahrerlaubnisbehörde, ZfSch 2000 562 f.; Heinz Die Staatsanwaltschaft. Selektions- und Sanktionsinstanz im statistischen Graufeld, FS Kaiser 85 ff.; ders. Sanktionierungspraxis in der Bundesrepublik Deutschland im Spiegel der Rechtspflegestatistiken, ZStW 111 (1999) 461 ff.; Henckel Prozeßrecht und materielles Recht (1970); Herwig Die Einstellung der Staatsanwaltschaft wegen Geringfügigkeit (1982); Hilger Vor(feld)ermittlungen/Datenübermittlungen, FS Hilger 11; von Hippel Zur Abgrenzung justizrechtlicher Sätze im Strafrecht, JR 1978 397; Hohmann Zur verfassungsmäßig gebotenen restriktiven Auslegung von StPO § 112 a Abs. 1 Nr. 2 (f), StV 1997 310 ff.; ders. Tatfrequenz und Wiederholungsgefahr i.S. des § 112 a I Nr. 2 StPO, NStZ 1989 211 f.; Hubmann Wertung und Abwägung im Recht (1977); Humberg Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr gem. § 112 a StPO, Jura 2005 376 ff.; Jakobs Das Selbstverständnis der Strafrechtswissenschaft vor den Herausforderungen der Gegenwart, in: Eser/Hassemer u.a. Die deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende (2000) S. 47 ff.; Kagehiro/Laufer Handbook of Psychology and Law, 1992; Kaufmann Läßt sich die Hauptverhandlung in Strafsachen als rationaler Diskurs auffassen? in: Jung/Müller-Dietz 15; ders. Strafanspruch, Strafklagerecht (1968); Klose „Jus Puniendi“ und Grundgesetz, ZStW 86 (1974) 33; Köhler Prozeßrechtsverhältnis und Ermittlungseingriffe, ZStW 107 (1995) 10; Krauß Das Prinzip der materiellen Wahrheit im Strafprozeß, FS Schaffstein 411; ders. Zur Funktion der Prozeßdogmatik, in: Jung/Müller-Dietz 1; Kühne Strafverfahrensrecht als Kommunikationsproblem. Prolegomena einer strafverfahrensrechtlichen Kommunikationstheorie (1978); ders. Der Beweiswert von Zeugenaussagen, NStZ 1985 252 ff.; ders. Bürgerfreiheit und Verbrecherfreiheit. Der Staat zwischen Leviathan und Nachtwächter, Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier, Band 21 (2004); Kunz Die Einstellung wegen Geringfügigkeit durch die Staatsanwaltschaft (1982); Lambrecht Strafrecht und Disziplinarrecht (1997); Lehmann ROT ist nicht „rot“ ist nicht [rot] (1998); Lehnert Wer den Tod liebt, der soll ihn auch haben, FoR 2005 96 ff.; Leisner Der Abwägungsstaat (1997); Loftus Eyewitness Testimony (1979), Reprint 1996; Lüke Das Nebeneinander verschiedener Rechtswege anhand aktueller Probleme insbesondere der Straf- und der Arbeitsgerichtsbarkeit, GedS Schultz 235 ff.; Lüderssen Die strafrechtsgestaltende Kraft des Beweisrechts, ZStW 85 (1973) 288; ders. Die Krise des öffentlichen Strafanspruchs (1989); Luhmann Legitimation durch Verfahren2 (1975); Mandelbaum Selected Writings of Edward Sapir (1949) 150 ff.; ders. Selected Writings of Edward Sapir (1963); Marxen Straftatsystem und Strafprozeß (1984); Meyer, Ernst Grundzüge einer systemorientierten Wertungsjurisprudenz (1984); Müller, T.W. Die demoskopische Ermittlung der Verkehrsauffassung im Rahmen des § 3 UWG (1987); Neumann Materiale und prozeduale Gerechtigkeit im Strafverfahren, ZStW 101 (1989) 52; ders. in Philipps/Scholler (Hrsg.) Jenseits des Funktionalismus (1989); Nitsche (Hrsg.) Rettungsfolter im modernen Rechtsstaat? (2005) 149 ff., Northoff Rechtspsychologie (1996); Paeffgen „Verpolizeilichung“ des Strafprozesses – Chimäre oder Gefahr? Rudolphi-Symp. 13; ders. Hat der Strafprozeß einen Sicherungs-/Sicherheitsauftrag? DRiZ 1998 317; Ansgar Pallasky USA PATRIOT Act – Neues Recht der TK-Überwachung, DuD 2002 221 ff.; Peters Die strafrechtsgestaltende Kraft des Strafrechtsprozesses (1963); D. Peters Richter im Dienste der Macht. Zur gesellschaftlichen Verteilung der Kriminalität (1973); Radke Das Strafverfahren als Diskurs, FS Schreiber 375; Rieß Über die Aufgaben des Strafverfahrens, JR 2006 269; Rödig Die Theorie des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens (1973); Röhl Verfahrensgerechtigkeit (Procedural Justice). Einführung in den Themenbereich, Zeitschrift für Rechtssoziologie 14 (1), 1 (1993); Rogall Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt im Strafprozeßrecht (1992); Rohwer/Pötter Methoden wissenschaftlicher Datenkonstruktion (2002); Rosen The Anthropology of Justice (1989) ; Rothfuss Logik und Wertung bei der Subsumtion (1973); Salas Kritik des strafprozessualen Denkens: rechtstheoretische Grundlagen einer (realistischen) Theorie des Strafverfahrens (2005); Sapir/Whorf Sprache, Denken, Wirklichkeit (1963) S. 74 ff.; Sauer Grundlagen des Prozeßrechts (1925); Schaper Studien zur Theorie und Soziologie des gerichtlichen Verfah-

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Einleitung

rens (1985); Scheuerle Finale Subsumtionen, AcP 167 305 ff.; Schmidhäuser Zur Frage nach dem Ziel des Strafprozesses, FS Eb. Schmidt 511; Schmidt-Hieber Verständigung im Strafverfahren (1986); Schreiber Verfahrensrecht und Verfahrenswirklichkeit, ZStW 88 (1976) 117; Seifert Bindung der Strafgerichte an Entscheidungen der Steuergerichte in Steuerstrafsachen, BB 1965 1351 ff.; Seiser U-Haft als Erziehungshaft im Jugendstrafrecht (1987); Sommer Die Verwertung von im Ausland gewonnenen Beweismitteln, StraFo 2003 351 ff.; Sowada Ketzerische Bemerkungen zum Prinzip in dubio pro reo, JR 1997 57 f.; Stock Das Ziel des Strafverfahrens, FS Mezger 429; Struck Interessenabwägung als Methode, FS Esser 171 ff.; Stück Subsumtion und Abwägung, ARSP 1984 405 ff.; Trechsel Gerechtigkeit im Fehlurteil, Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht 2000 1; Volk Prozeßvoraussetzungen im Strafrecht (1978); ders. Wahrheit und materielles Recht im Strafprozeß (1980); ders. Kriminalpolitik und Prozeßrecht, JZ 1982 90; E. Volk Haftbefehle und ihre Begründung (1995); Whorf Sprache, Denken, Wirklichkeit (1963); Wolfslast Staatlicher Strafanspruch und Verwirkung (1995); Wolter Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts, Rudolphi-Symp. 267; ders. Datenschutz und Strafprozeß, ZStW 107 (1995) 793; ders. Zur Dogmatik und Rangfolge von materiellen Ausschlußgründen, Verfahrenseinstellung, Absehen und Mildern von Strafe, in: Wolter/Freund, Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem (1996) 1; ders. Untersuchungshaft, Vorbeugungshaft und vorläufige Sanktionen, ZStW 93 (1981), 452 ff.; weiteres Schrifttum s. vor den Abschnitten G und J. Verfahrenswirklichkeit. Ahrens Die Einstellung in der Hauptverhandlung (1978); Atteslander Methoden der empirischen Sozialforschung10 (2003); Blankenburg/v.Kempski/Lebrun/Morasch/ Schumacher Die Rechtspflegestatistiken (1977); Bushway/Weisburd (Hrsg.) Quantitative Methods in Criminology Ashgate (2005); Bryman Social Research Methods2 2004, Oxford University Press; Cohen The Costs of Crime and Justice, Routledge London (2005); Caspar Having their Day in Court: Defendant Evaluation of the Fairness of their Treatment, Law and Society Review 12 (1978) 237; Casper/Tyler/Fisher Procedural Justice in Felony Cases, Law and Society Review 22 (1988) 483; Dessecker/Geisler-Frank Empirische Forschungsarbeiten zum Strafverfahren und Strafverfahrensrecht (1995); Diekmann Empirische Sozialforschung, 11. Aufl. (2004); Feest Die Bundesrichter. Herkunft, Karriere und Auswahl der juristischen Elite, in Zapf (Hrsg.) Beiträge zur Analyse der deutschen Oberschicht (1960); Friedrichs Methoden empirischer Sozialforschung,14 (1990); Gebauer Die Rechtswirklichkeit der U-Haft in der Bundesrepublik (1987); Göppinger Kriminologie5 (1997); Hassemer StV 1984 38; Heinz Datensammlungen der Strafrechtspflege im Dienste der Forschung, in: Jehle (Hrsg.) Datensammlungen und Akten in der Strafrechtspflege (1989) 163; Heinz, Anne M. Procedure versus Consequences: Experimental Evidence of Preference for Procedural and Distributive Justice in Talarico (Hrsg.) Courts and Criminal Justice, Beverly Hills (1985) 13; Kaupen Die Hüter von Recht und Ordnung. Die soziale Herkunft, Erziehung und Ausbildung der deutschen Juristen (1969); Kotz Die Wahl der Verfahrensart durch den Staatsanwalt (1983); Kühne Motivation von Rauschmittelgeschädigten. Ein Bericht über den Versuch einer empirischen Studie in: MüllerDietz, Kriminaltherapie heute (1974); Lautmann Justiz, die stille Gewalt (1972); Landis/Goldstein When is Justice Fair? An Integrated Approach to the Outcome versus Procedure Debate, American Bar Foundation Research Journal 1986 675; Mathis Effizienz statt Gerechtigkeit? Auf der Suche nach den philosophischen Grundlagen der Ökonomischen Grundlage des Rechts2 (2006); Strafprozeßlehre – Zugleich ein Beitrag zur Rollenproblematik im Strafprozeß, GedS Hans Peters (1967), 891; Peters Strafprozeßlehre im System des Strafprozeßrechts, FS Maurach 453; ders. Strafprozeß und Tatsachenforschung, FS Henkel 253; D. Peters Richter im Dienst der Macht: Zur gesellschaftlichen Verteilung der Kriminalität (1973); Popp Verfahrenstheoretische Grundlagen der Fehlerkorrektur im Strafverfahren. Eine Darstellung am Beispiel der Eingriffsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren (2005); Rieß Statistische Beiträge zur Wirklichkeit des Strafverfahrens, FS Sarstedt 253; Sack (KrimJ 1972 3-31); Safferling NStZ 2004 181; Schmidtchen/Weth (Hrsg.) Der Effiziens auf der Spur. Die Funktionsfähigkeit der Justiz im Lichte der ökonomischen Analyse des Rechts (1999); Schulze (Hrsg.) Symbolische Kommunikation vor Gericht in der Frühen Neuzeit (2006); Schwind Kriminologie16 (2006), Tyler Why People Obey the Law, New Haven/London (1990).

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Übersicht Rn. I. Begriff des Strafverfahrens . . . . . . . . . II. Funktion und Aufgabe: Überlegungen zu einer Theorie des Strafverfahrensrechts 1. Brauchen wir eine Theorie des Strafverfahrens? . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Wesen des Strafverfahrensrechts . . 3. Ziele des Strafverfahrensrechts . . . . . a) Erkenntnistheoretische Vorfrage . . . b) Die Wahrheitsfindung . . . . . . . . aa) Legitimation durch Verfahren/ Verfahrensgerechtigkeit . . . . . aaa) Der labeling approach . . . bbb) Die Strafprozesslehre . . . . ccc) Exkurs: Begrenzte Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse anderer Disziplinen im Verfahren . . bb) Verfahren im Modell von Diskurs und Kommunikation . . . . . . . cc) Verfahren als szenisches Verstehen dd) Verfahren als Konfliktsverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . ee) Zwischenergebnis . . . . . . . .

Rn.

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c) Wahrheitsfindung im Zwiespalt von Ermittlungsinteresse und Individuarechtsschutz . . . . . . . . . . . . . d) Begrenzung der Wahrheitsfindung durch Praktikabilitätserwägungen . . e) Die Produktion von Gerechtigkeit . . aa) Die Gewähr vorläufiger Gerechtigkeit als präventiver Rechtsschutz . bb) Die Gewähr gültiger Gerechtigkeit 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . .

3 7 13 14 20 22 24 25

III. Strafverfahren im Rechtssystem 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 2. Geltung des Strafverfahrensrechts für andere Rechtsgebiete . . . . . . . . 3. Strafverfahren und Justizverwaltung 4. Strafverfahren und Ordnungswidrigkeitenrecht . . . . . . . . . . . . .

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. . . .

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IV. Verfahrensrecht und Verfahrenswirklichkeit 1. Das Spannungsverhältnis von Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . 2. Methodische Grundlagen empirischer Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . .

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I. Begriff des Strafverfahrens Im Anschluss an die Arbeiten namentlich von Goldschmidt und Eb. Schmidt wird 1 von der heute wohl herrschenden Meinung, soweit sie sich überhaupt mit einer solchen Begriffsbestimmung befasst, der (Straf)prozess definiert als der rechtlich geordnete, sich von Lage zu Lage entwickelnde, durch Handlungen der Prozesssubjekte gesteuerte Vorgang zwecks Gewinnung einer richterlichen Entscheidung über ein materielles Rechtsverhältnis.1 Ob diese Definition in ihrer Zweckbestimmung, also dem finalen Element, heute noch in allen Einzelheiten dem Normprogramm des Straf- und Strafprozessrechts entspricht, ist namentlich deshalb zweifelhaft, weil die neuere Entwicklung dahingeht, verfahrensbeendende prozessuale Entscheidungen unabhängig von dem Nachweis einer materiell-rechtlichen, schuldhaften und rechtswidrigen Tatbestandserfüllung zu ermöglichen und dies nicht stets der gerichtlichen Entscheidung vorzubehalten. Es wäre deshalb zu erwägen, das finale Element durch die Einbeziehung anderer verfahrens- und materiell-rechtlich legitimer verfahrensbeendender Entscheidungen zu ergänzen. Unverändert zutreffend erscheinen jedoch diejenigen Elemente der Begriffsbestim- 2 mung, die unter Verwendung des Begriffs der (Rechts)lage den dynamischen Charakter des Prozesses 2 und seine auf ein bestimmtes Ziel hin verlaufende Entwicklung kenn1

Goldschmidt 146 ff.; Eb. Schmidt I 56, ders. Kolleg 42; Niese 57 ff.; Meyer-Goßner Einl. 2; wohl auch Gerland 5; Peters 14. Grundsatzkritik gegen diesen Ansatz bei Rödig 23 ff.; zurückhaltend auch LR/Lüderssen/Jahn Einl. M 10. Anknüpfend an diese Auffassung Schroeder Rn. 23 (Strafprozess als Kette von sukzessiven Rechtsverhältnissen).

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Andere Begriffsbestimmungen beschränken sich oft darauf, das Strafverfahren als die Summe der dem Verfahrensziel dienenden Regelungen zu definieren, so etwa zu Dohna 2; Henkel 17; v. Hippel 3; zur Annahme eines Prozessrechtsverhältnisses s. Rn. K 4. Grundlegend Goldschmidt 227 ff.; dazu ausführlich mit Übersicht über die verschiedenen

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zeichnen. Ihnen ist vor allem die Einsicht zu verdanken, dass für die prozessrechtliche Dogmatik spezielle Wertkategorien zu entwickeln sind, die einerseits die Dynamik im Sinne der Zielrichtung des Prozesses gleichsam zu bändigen versuchen und andererseits die jeder Dynamik innewohnende Eigengesetzlichkeit zu nutzen. Dies gilt auch dann, wenn man anerkennt, dass manche hier im Einzelnen nicht zu erörternde Details der Konzeption von Goldschmidt aus heutiger Sicht anfechtbar sein mögen.

II. Funktion und Aufgabe: Überlegungen zu einer Theorie des Strafverfahrensrechts 1. Brauchen wir eine Theorie des Strafverfahrens?

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Angesichts der Tatsache, dass wir seit der Reichsstrafprozessordnung von 1877 ohne eine solche Theorie haben leben können, wäre man versucht, die Frage mit einem schnellen „nein“ zu beantworten und sie damit bestenfalls in die Abstellkammer sich selbst genügender Reflektionen hochabstrakter Natur zu stecken, wo diese Probleme von realitätsfernen Denkern schadlos reflektiert werden können. Eine solche Reaktion wäre jedoch aus mehreren Gründen unangemessen. Das bloße Fehlen einer Theorie zum Strafverfahrensrecht kann nicht nur bedeuten, 4 dass keine Notwendigkeit für sie bestanden hat. Ebenso gut kann es auch bedeuten, dass das Strafverfahrensrecht und seine dogmatische Durchdringung gerade wegen dieses Negativzustandes nicht hinreichend vorangetrieben werden konnte. Überdies sollte trotz oder gerade auch wegen der mittlerweile fast allmächtig gewordenen Abwägungs-Jurisprudenz 3 der richtungsgebende Wert eines theoretischen Unterbaues nicht von vornherein als praxisfern und damit irrelevant diskriminiert werden. Die Frage nach der Notwendigkeit stellt sich also auf jeden Fall. Jede Anwendung von Recht erfordert gleichsam im Rahmen eines expliziten oder 5 auch nur impliziten Vorverständnisses das Wissen über Sinn und Zweck der Gesetzesmaterie. Schon um zu vermeiden, dass jeder Jurist sein höchstprivates Vorverständnis vom Strafverfahrensrecht und seinem Sinn als wertgebenden dogmatischen Kompass verwendet und so zu einer in den Gründen nicht offen gelegten Disparität gesetzlicher Interpretation beiträgt, sollte eine allgemeine Theorie des Strafverfahrensrechts formuliert werden; zumindest sollte aber ein Grundkonsens über Wesen und Ziele des Strafverfahrensrechts erzielt werden. Selbst wenn er kontrovers diskutiert würde, wäre ein solcher juristischer Streit gleichsam mit offenem Visier geführt. Das von Rechtsprechung und Literatur immer aufs Neue vorgeführte Kunststück, ein juristisches Ergebnis unter dem Vorwand deduktiver Gesetzesanwendung wie ein Kaninchen aus dem Zylinder verdeckten subjektiven Vorverständnisses zu zaubern, wäre dann weniger leicht. Vor allem aber auf der Ebene eines – gesetzlich nicht existierenden – allgemeinen Teils eines Strafverfahrensrechts wäre es dann leichter, bislang als singuläre Erscheinungen diskutierte Phänomene in einen größeren, systematischen Zusammenhang zu stellen. Beispielhaft und durchaus nicht abschließend seien hier die Probleme der Prozesshandlung, der Verfahrensabsprachen, des Rechtsmissbrauchs aber auch der Frage des Ausgleichs zwischen

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Prozesskonstruktionen Schaper 63 ff. mit kritischer Zusammenfassung S. 79. Erbguth/Oebbecke (Hrsg.) Abwägung im Recht (1996); Hubmann Wertung und Ab-

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wägung im Recht (1977); Leisner Der Abwägungsstaat (1997); Meyer Grundzüge einer systematischen Wertungsjurisprudenz (1984).

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staatlichem Verfolgungsinteresse und dem Schutz von Individualrechten genannt, wie sie bei den prozessualen Zwangsmaßnahmen aber auch der überaus kontroversen Lehre von den Beweis(verwertungs)verboten deutlich werden. Eine derartige methodische Offenlegung der Grundlagen des Strafverfahrensrechts ist 6 im europäischen und internationalen Kontext von zusätzlicher Wichtigkeit. Die Rechtsprechung von EGMR und EuGH 4 ist schon lange auf dem Weg der Vereinheitlichung des Strafverfahrensrechts, zumindest auf der Ebene einer Rahmenordnung.5 Rahmenbeschlüsse der EU schaffen unversehens mittelbares europäisches Strafprozessrecht, wie beispielsweise der über den europäischen Haftbefehl.6 Erleichterte Wege der innereuropäischen, grenzüberschreitenden Kooperation auf der Ebene von Polizei und Justiz haben Fragen nach einem internationalen Beweisrecht oder besser einem internationalen Beweiskollisionsrecht überaus akut werden lassen.7 Wie soll all das vernünftig erfasst und dogmatisch verständlich gemacht werden, wenn noch nicht einmal die nationale Grammatik 8 des Strafverfahrens entwickelt worden ist. Im Folgenden soll daher versucht werden, einige Grundgedanken zur Theorie des Strafverfahrens zu entwickeln. 2. Das Wesen des Strafverfahrensrechts Strafverfahrensrecht lässt sich zum einem im Gegensatz zum materiellen Strafrecht 7 beschreiben. Strafrecht beschreibt bestimmte verwerfliche und gesellschaftsschädliche Verhaltensweisen. Diese werden dadurch kenntlich gemacht als verbotene Handlungsoptionen für Jedermann. Die strafrechtliche Subsumtion besteht dem gemäß in einem Abgleich tatsächlichen historischen Verhaltens mit den unterschiedlichen Elementen der Strafnorm und mündet in einer Beurteilung begangenen Verhaltens als verboten oder nicht verboten. Dem gegenüber gibt das Strafverfahrensrecht positive und negative Handlungsanweisungen für die Prozessbeteiligten. Der Subsumtionsvorgang bei der verfahrensrechtlichen Norm unterscheidet sich von dem im materiellen Recht. Es wird geprüft, ob die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für prozessrelevantes Verhalten gegeben sind. Strafprozessrecht gibt also direkte Verhaltensanweisungen. Dies macht es durchaus im Gegensatz zum materiellen Strafrecht zu einem dynamischen Recht, weil es gleichsam vorwärts entlang der aktuellen Zeitachse lebt und dort Verhalten prägt. Die strafrechtliche Subsumtion ist hingegen zeitlich rückwärts gerichtet. Aus einer anderen Perspektive betrachtet ist hinwiederum das Strafverfahrensrecht 8 dem materiellen Recht aufs Engste verbunden. Strafprozessrecht regelt gleichsam die Bedingungen des realen Zustandekommens materiellen Strafrechts und ist damit justizielle 9 Geltungsvoraussetzung, letztlich also Wirksamkeitsbedingung. Nur über die Regeln des Verfahrensrechts kann Strafrecht und seine Verletzung festgestellt werden. 4 5 6

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Vgl. nur EuGH EuZW 2003 666 (Steffensen); 2005 433 (Pupino). Näher dazu Esser passim; ders. StraFo 2003 355. Beschluss vom 13.6.2002, dessen Umsetzung ins deutsche Recht allerdings vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt wurde, BVerfG NJW 2005 2289. Etwa Gleß StV 2004 679; Böse ZStW 114 (2002) 148, vgl. näher dazu unten bei D V. Salas Kritik des strafprozessualen Denkens: rechtstheoretische Grundlagen einer (realisti-

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schen) Theorie des Strafverfahrens (2005) 19 meint zurecht, dass aus rechtsvergleichender Perspektive die Theorie eines Prozesses die Entwicklung einer internationalen Grammatik des Strafverfahrens fördere. Kriminologisch wirkt das Strafrecht auch präventiv, wenn es keine geregelten Umsetzungsvorschriften gibt. Wird materielles Strafrecht unabhängig von der Existenz solcher Regeln überhaupt nicht durchgesetzt, entfällt auch diese Wirkung.

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Ohne diese bliebe Strafrecht nichts als eine Ansammlung moralischer Betrachtungen ohne Gültigkeitsanspruch. Verfahrensrecht konstituiert somit materielles Recht im sozialen und justiziellen Gefüge der realen Geschehnisse. Insofern ist das aus dem 19ten Jahrhundert stammende und bis heute zum Teil unkritisch übernommene Verständnis von Verfahrensrecht als Hilfsdisziplin des materiellen Rechts unzutreffend. Die relative Geringschätzigkeit, die dem Verfahrensrecht bis in die Gegenwart dadurch entgegen gebracht worden ist, dass nicht von Strafprozessgesetz, Zivilprozessgesetz etc., sondern immer nur von „Ordnung“ die Rede ist, erscheint daher als völlig unangebracht. Erst durch Verfahrensrecht beginnt das materielle Recht real zu existieren. Und natürlich prägt das Verfahrensrecht Umfang und Ausmaß möglicher Geltung des materiellen Rechts dadurch, dass es die historische Realität der Straftat in verfahrenstechnische Reproduktionsformen zwingt, die nicht jede Vorstellung von vergangener Wirklichkeit berücksichtigen. Insbesondere die Beweisverbote sind hierfür ein Beispiel. Wir können zusammenfassend feststellen: Strafverfahrensrecht konstituiert die reale Geltung des materiellen Rechts, wobei sich die rückgewandte strafrechtliche Subsumtion von der handlungsleitenden und zeitlich nach vorne gerichteten prozessrechtlichen Subsumtion deutlich unterscheidet. Dass das Strafverfahrensrecht aber auch im weiteren Sinne ein Akt staatlicher Administration ist, scheint weniger bedeutsam für seine Wesensbeschreibung zu sein. Natürlich werden Verfahren insofern administriert, als im Rahmen staatlichen Handelns Richter wie auch Staatsanwälte und ihre Ermittlungsbeamten tätig werden, dies dokumentieren und damit auch die Nutzung von staatlichen Ressourcen rechtfertigen. Das Wesen des Verfahrensrechts wird dadurch aber nicht zentral beschrieben. Vielmehr geht es hierbei nur um Hintergrundstrukturen, die – allerdings wichtige – Nebenwirkungen im Bereich von Schnelligkeit und Intensität erbrachter justizieller Arbeitsleistung haben können (vgl. unten 4). Schließlich werden in zunehmendem Maße Bereiche deutlich, in denen aus einer funktionellen, kriminalpolitischen Betrachtungsweise heraus prozessuale und materiell-rechtliche Institutionen austauschbar sind oder in einem aufeinander bezogenen Verhältnis erscheinen.10 So wird in der neueren Gesetzesentwicklung vor allem im Bereich der mangelnden Strafwürdigkeit der Tat nicht über materiell-strafrechtliche Bagatellvorschriften geregelt, sondern diese Aufgabe wird dem insoweit elastischeren Prozessrecht namentlich in den Vorschriften über die Begrenzungen des Legalitätsprinzips bei Geringfügigkeit überlassen, und der weit gespannten Strafbarkeit von Auslandsstraftaten (§§ 5 bis 8 StGB) wird die strafprozessuale Korrekturmöglichkeit der Geltung des Opportunitätsprinzips (§ 153 c StPO) zugeordnet.11 Ebenso dienen die Lockerungen von der Verfolgungspflicht dazu, materiell-rechtlichen Sanktionsverzicht in der Form des Absehens von Strafe prozessual vorwegzunehmen (§ 153 b StPO). Auch kann nicht ignoriert werden, dass die strengen Beweisanforderungen der StPO durch die materiell rechtliche Schaffung von insbesondere abstrakten Gefährdungsdelikten umgangen werden können.12

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Peters 11; Lüderssen Die Krise des öffentlichen Strafanspruchs (1989); Wolter in Wolter/Freund 1. Vgl. dazu auch m.w.N. die Erl. zu den §§ 153 ff. StPO.

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OLG Hamm NJW 1998 662; Sowada JR 1997 57; Graul 258 ff.

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3. Ziele des Strafverfahrensrechts Das Strafverfahrensrecht stellt ein Instrumentarium dar, welches eine kommunikative 13 Struktur 13 zum Versuch der Aufarbeitung historischer Wahrheit – der Tatbegehung – zur Verfügung stellt. Die so gefundene „Wahrheit“ ist dann die Grundlage eines Rechtsspruchs, der für die Tat nach Maßgabe des materiellen Rechts Personen Verantwortung zuweist und den sozialen Frieden wiederherstellen soll. Allerdings geschieht diese Zuweisung wiederum formell nach den Regeln des Verfahrensrechts. Diese unkomplizierte Beschreibung wird leicht Konsens erzielen. Aber die dahinter stehenden Annahmen müssen aufgedeckt werden, um den eigentlichen Inhalt dieser vordergründig nachgerade selbstverständlichen Befunde freizulegen. a) Erkenntnistheoretische Vorfrage Aufarbeitung historischer Wahrheit wird zunächst einmal wahrnehmungspsychologisch in Frage gestellt durch die menschliche Eigenschaft, Realität nur fragmentarisch und zudem subjektiv eingefärbt wahrzunehmen. Die gleichsam als Arbeitshypothese für menschliches Zusammenleben postulierte Objektivität von Realität und ihrer Wahrnehmung reicht nicht sehr weit. Die Wahrnehmungspsychologie lehrt uns, dass selbst bei intakten physiologischen Standards der Normalität, die sinnliche Erfassung identischer Situationen durch Menschen sehr unterschiedlich vorgenommen wird.14 Jeder in forensischen Situationen Erfahrene kann ein Lied davon singen: Zuverlässige und durch keinerlei Verfahrensinteressen affizierte Personen geben höchst unterschiedliche Wahrnehmungen über ein und denselben Sachverhalt wieder. Das Ganze wird noch zusätzlich dadurch verkompliziert, dass Sprache und Wahrnehmung sich in einem Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit befinden. Sprache ist nicht allein unabhängiges Instrument der Beschreibung von Realität. Vielmehr bedingen und begrenzen sich Sprache und Realität gegenseitig. Nur dort, wo die soziale Aufmerksamkeit sich auf bestimmte Teile der Umwelt richtet, finden diese Teile auch eine sprachliche Abbildung. Andere bleiben unbenannt und damit auch unbemerkt. Dinge, für die ich keine Begriffe habe, entgehen in der Regel meiner Wahrnehmung. Die Studie von Sapir und Whorf 15 zur unterschiedlichen Farbwahrnehmung von Navaho-Indianern und weißen Amerikanern haben dies grundsätzlich bestätigt. Mittlerweile gehört es zum allgemeinen Wissen, dass Inuit, also Eskimos, aus nahe liegenden Gründen dort, wo wir nur weißen Schnee sehen, vielfach abgestufte unterschiedliche Färbungen erkennen und auch mit Begriffen belegen können. Strafverfahrensrecht ist insofern also auch der Versuch, das Fragmentarische menschlicher Wahrnehmung zu überwinden. Aber selbst wenn wir das Fragmentarische der Wahrnehmung überwinden, stoßen wir sogleich auf einen weiteren, grundsätzlichen Mangel: die Unterschiedlichkeit der

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Vgl. Kühne Strafverfahrensrecht als Kommunikationsproblem. Prolegomena einer strafverfahrensrechtlichen Kommunikationstheorie (1978). Kühne NStZ 1985 252; Loftus Eyewitness Testimony (1979, Reprint 1996); Greuel/ Fabian/Stadler (Hrsg.) Psychologie der Zeugenaussage (1997); Hajos Einführung in die Wahrnehmungspsychologie (1991); Northoff

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Rechtspsychologie (1996) 15 ff.; Kagehiro/ Laufer (Hrsg.) Handbook of Psychology and Law (1992) 141 ff. Whorf Sprache, Denken, Wirklichkeit (1963) 74 ff.; Mandelbaum Selected Writings of Edward Sapir (1949) 150 ff.; Carroll Language, Thought and Reality. Selected Writings of Benjamin Lee Whorf (1956) 207 ff.

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individuellen Sprachkompetenz. Sprache – und damit begriffliche Erfassung der Welt – ist auch dem Muttersprachler selten in vollständiger Form verfügbar. Sprachreichtum, also die Größe des verfügbaren Wortschatzes, ist je nach Ausbildung und Sprachgeneigtheit 16 der beruflichen Tätigkeit durchaus unterschiedlich. Verständigungsprobleme zwischen den Juristen als Fachleuten sprachlicher Darstellung und anderen Personen sind vorprogrammiert. Diese werden noch dramatischer, wenn man die sprachsoziologischen Erkenntnisse in Folge der Arbeiten von Basil Bernstein berücksichtigt. Bernstein unterscheidet den von Angehörigen der Unterschicht gesprochenen restringierten Code von dem in der Mittelschicht verwandten elaborierten Code. Der restringierte Code zeichnet sich nach Bernstein insbesondere aus durch eine schlichte bis fehlerhafte syntaktische Konstruktion, ein kleines Vokabular, einen starken, nicht verbal kenntlich gemachten kontextualen Bezug sowie die mangelnde Eignung, abstrakte Inhalte darzustellen. Der elaborierte Code sei hingegen in der Lage, mittels hoher syntaktischer und verbaler Differenziertheit ohne implizierten Bezug auf Kontext oder Vorverständnis Inhalte jedweden Grades der Konkretheit oder Abstraktheit auszudrücken. Man könnte auch sagen: der restringierte Code begreift und verwendet Sprache nur als ein Kommunikationsmittel, welches neben dem des nichtsprachlichen, auf tägliche Lebenserfahrung gestützten Verhaltens keine übergeordnete Bedeutung hat. Im elaborierten Code hingegen wird die Erfahrung vollständig verbalisiert, die Sprache bemächtigt sich aller Lebenssachverhalte und verselbständigt sie. Die Sprachlosigkeit von Beschuldigten und Zeugen vor Gericht ist daher häufig nichts 18 anderes als die Folge der Kollision zwischen diesen beiden Spracharten. Der Sprecher des restringierten Codes – erinnern wir uns daran, dass im Strafverfahren überwiegend Unterschichtsangehörige betroffen sind – sieht sich durch die Worte der Juristen verwirrt, die für ihn als verbale Produkte von der Realität des erfahrenen Lebens losgelöst und daher unverständlich erscheinen. Seine eigenen Äußerungen wähnt er, wohl nicht ganz zu Unrecht, unverstanden, weil das Selbstverständliche, die implizierte Realität immer wieder in bloße Worte gezwungen werden soll. Die Reaktion auf solches Erlebnis ist dann Sprachlosigkeit, das Ende der Kommunikation. Strafverfahrensrecht ist insofern also auch der Versuch der Überwindung des Frag19 mentarischen der Sprachbeherrschung. b) Die Wahrheitsfindung

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Idealtypisch betrachtet ist das erste Ziel des Strafverfahrens die Auffindung der historischen Wahrheit im Hinblick auf den Tathergang. Erst auf dieser Basis kann – bei Bestätigung des Tatvorwurfs – die Frage nach der gerechten Sanktion beantwortet werden. Die oben bei a) dargelegten Defizite menschlicher Erkenntnismöglichkeiten stellen aber den Idealtypus der Rekonstruktion historischer Wahrheit unter nicht unerhebliche Vorbehalte. Hierauf kann man in unterschiedlicher Weise reagieren. Zunächst einmal können diese Defizite als allgemeiner Ausdruck begrenzter mensch21 licher Erkenntniskraft betrachtet werden. Das Konzept der Rekonstruktion historischer Wahrheit wäre dann nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern nur in seiner konkreten Implementierung relativiert und damit der besonderen Fürsorge irrtumsvermeidender Mechanismen des Verfahrensrechts empfohlen.

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Näher Kühne Rn. 727.

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aa) Legitimation durch Verfahren/Verfahrensgerechtigkeit Die mit diesen Defiziten einher gehende Ungewissheit über den Erfolg der Wahrheits- 22 findung im Kontrast mit der durch Rechtskraft der Gerichtsentscheidung stehenden formellen Bestätigung der Richtigkeit der Tatsachenfeststellung hat jedoch vor allem N. Luhmann dazu gebracht, das Konzept der Rekonstruktion historischer Wahrheit grundsätzlich zu verwerfen. Das Strafverfahren erscheint bei ihm als Prozess zur Neukonstruktion von historischer Realität, der sich zwar an der historischen Wahrheit orientiert, aber durch spezifische Instrumente der Reduktion von Komplexität geprägt ist und eine eigene prozedurale Realität gewinnt.17 Das Verfahren als solches legitimiere folglich den Urteilsspruch, nicht aber geschehe dies durch den Inhalt oder die Richtigkeit des Spruchs. Dieser Ansatz ist geprägt durch die Rezeption sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse in der Jurisprudenz, wie sie in den 70iger Jahren modern war. Immerhin ist dadurch das Feld empirisch geläuterter Selbstreflexion gelebter Jurisprudenz, welches in der Kriminologie Instanzenforschung 18 genannt wird, eröffnet worden. Dieses Konzept der Legitimation durch Verfahren verzichtet auf materielle Richtigkeit und räumt dem bloßen Verfahren die entscheidende Befriedungswirkung zu. Zutreffend daran ist, dass in vielen Fällen der rechtsunterworfene Bürger nicht in der Lage ist, Gerichtsentscheidungen in Inhalt und Struktur kognitiv zu erfassen, zu verarbeiten und einer eigenen Richtigkeitsprüfung zu unterziehen. Deshalb wird er die ihm und seinem Problem entgegengebrachte Aufmerksamkeit und Sorgfalt neben dem bloßen Ergebnis zum Maßstab der Einschätzung ihm gewährter Gerechtigkeit nehmen. Empirische Studien aus England und den USA bestätigen dieses Konzept der Verfahrensgerechtigkeit.19 Dennoch kann dies nicht zur Annahme führen, das Verfahren sei inhaltlich letztlich zweckfrei. Allein die Ausrichtung des Verfahrens an der Wahrheitsfindung – eine Selbstverständlichkeit, die auch vom Laien vorausgesetzt wird – schafft den Grund für eine Legitimationswirkung des Verfahrens, die auch im Einzelfall als falsch bewertete Urteile mit ein bezieht. In Hinblick auf die Form des Verfahrens sind es hingegen die allgemeinen Bedingungen der gewährten Fairness 20 gegenüber dem Rechtsunterworfenen, die subjektiv den Rechtsspruch als gerecht legitimieren, vgl. Rn. 48. Weiterhin muss gegen diesen Ansatz eingewandt werden, dass er gleichsam das Kind 23 mit dem Bade ausschüttet. Die grundsätzliche Fehleranfälligkeit des Versuchs der Rekonstruktion historischer Wahrheit kann nicht zur Folge haben, dass dieses Ziel aufgegeben wird. Die reine und richtige Erkenntnis ist dem Menschen auch in anderen Gebieten nicht gegeben. Einzige Folge kann nur sein, die Fehlermöglichkeiten beständig zu reduzieren. Darin besteht die eigentliche Kulturleistung menschlichen Strebens. Insofern erscheint die Zweifelhaftigkeit jeder Tatsachenfeststellung als Ansporn für Optimierungsprozesse. Auch der Akt der Erstarkung der tatsächlichen Feststellungen in Rechtskraft ist nicht Zugeständnis an eine formelle Neuschaffung von Realität, sondern ein Behelf zur Schaffung von Rechtssicherheit im Bewusstsein der Relativität auch dieser Erkenntnis. Dies zeigen insbesondere die Vorschriften über die Wiederaufnahme des Verfahrens. Das

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„Nicht die vorgeprägte Form, die Geste, das richtige Wort treiben das Verfahren voran, sondern selektive Entscheidungen der Beteiligten, die Alternativen eliminieren, Komplexität reduzieren, Ungewissheit absorbieren …“ Luhmann Legitimation durch Verfahren3 40. Göppinger (1997) 154 ff.

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Tyler (1990); Heinz, Anne M. in Talarico (1985) 13 ff.; Casper Law and Society Review 12 (1987), 237 ff.; Casper/Tyler/ Fisher Tyler Law and Society Review 22 (1988), 483; Landis/Goldstein American Bar Foundation Research Journal 1986 675 ff. So auch deutlich Trechsel Schw.Z StrR 2000 1.

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Konzept Neumanns 21 zum funktionalen Wahrheitsbegriff vermag hier zu vermitteln. Es akzeptiert die Grenzen objektiver Erkenntnisgewinnung und behält dennoch den Wahrheitsbegriff als anzustrebenden Idealtyp bei, der Ausrichtung und Funktion des Strafverfahrens weiterhin und trotz aller Mängel bestimmt. aaa) der labeling approach

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Mehr noch als Luhmanns dekonstruktivistischer Ansatz hat in derselben Zeit der labeling approach, der Etikettierungsansatz, mit der ihn begleitenden Instanzenforschung die Juristen aus ihrem Jahrhunderte alten Selbstverständnis über die fraglose Richtigkeit prozeduralen Verhaltens wachgerüttelt. Ging es bis dahin immer nur einerseits um die dogmatisch korrekte Umsetzung von Recht und andererseits die Formulierung rechtspolitischer Desiderate, geriet nunmehr das Verfahrensrecht als Regieanweisung für ein ergebnisoffenes Theaterstück in den Blick kritischer Sozialwissenschaften. Die seit dem 19. Jahrhundert bewährten und nur im Detail ergänzten Rollen- und Verhaltensmuster wurden rigoros in Frage gestellt und hatten sich gefallen zu lassen, einer sehr grundsätzlichen Funktionalitäts- und Effizienzprüfung unterzogen zu werden. Auf den Punkt gebracht hat dies eine eher beiläufige, gleichwohl aber entlarvende Bemerkung des in den der 68iger Bewegung folgenden Jahren populären Kommunarden Fritz Teufel. In einer seiner vielen Konfrontationen mit der Berliner Strafjustiz entsprach er der wenig freundlichen Aufforderung, sich bei Eintritt des Gerichts zu erheben, mit der fröhlichen Bemerkung „Na, wenn’s der Wahrheitsfindung dient“. Ohne ausdrückliche Bezugnahme auf den Etikettierungsansatz ist in der Rechtssoziologie und Rechtspsychologie das Konzept der Verfahrensgerechtigkeit aufgenommen worden, um die Mechanismen der verfahrenstechnischen Umsetzung von Gerechtigkeitskonzepten zu überprüfen.22 Die Ergebnisse sind jedoch noch nicht hinreichend konkret, um hier weiter diskutiert werden zu können. bbb) Die Strafprozesslehre

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Immerhin konnte durch die Öffnung auch der Strafverfahrensrechtswissenschaft für sozialwissenschaftliche Perspektiven und Methoden das von Karl Peters sogenannte Feld der Strafprozesslehre 23 weiterführend bearbeitet werden. Nicht nur wurden das Rollenverhalten und Selbstverständnis von Polizei 24, Staatsanwaltschaft 25 und Gericht 26 soziologisch wie psychologisch hinterfragt und mit den verfahrensrechtlich vorgegebenen Verhaltensbildern konfrontiert. Auch begann man, die dogmatische Argumentation nicht mehr alleine aus der ihr immanenten logischen Struktur heraus zu betrachten, sondern versuchte, die dahinter stehenden Interessen, die überwiegend solche der Praktikabilität von Rechtsanwendern waren, zu erkennen, um die vom Justizapparat stets bevorzugten „praktischen Lösungen“ in ihrer wirklichen Begründungsstruktur offen zu legen, die häufig genug nicht der selbstgegebenen dogmatischen Argumentation entspricht. Wenn21 22

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K. Neumann in Philipps/Scholler (Hrsg.) Jenseits des Funktionalismus (1989) 72. Ausführlich dazu Bierbrauer/Gottwald/Birnbreier-Stahlberger (Hrsg.); vgl. auch Röhl Zeitschrift für Rechtssoziologie 14 (1), 1 (1993). Peters Strafprozesslehre im System des Strafprozessrechts, FS Maurach 455. Feest/Blankenburg Die Definitionsmacht der

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Polizei. Strategien der Strafverfolgung und soziale Selektion (1972). Blankenburg/Sessar/Steffen Die Staatsanwaltschaft im Prozess strafrechtlicher Sozialkontrolle (1978). D. Peters Richter im Dienste der Macht. Zur gesellschaftlichen Verteilung der Kriminalität (1973).

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gleich dadurch sicher nicht das Strafverfahrensrecht als interdisziplinäre Wissenschaft etabliert werden konnte, so ist doch das Primat des ausschließlich dogmatischen Rechtsverständnisses glücklicherweise und allmählich verloren gegangen. Es ist nicht länger bizarr, wenn justizielle Entscheidungen unter – vordergründig – außerrechtlichen Gesichtspunkten überprüft werden 27 oder reales Justizverhalten an den Grundsätzen höchstrichterlicher Rechtsprechung gemessen wird.28 Vielmehr dient das derart erweiterte Rechtsverständnis dazu, die dogmatische Diskussion offener und funktionaler zu betreiben, also einerseits dem Elfenbeinturm theoretisch dogmatischer Genügsamkeit und Selbstgefälligkeit zu entkommen und andererseits, aus der Sicht der Justizpraxis, die Dogmatik wieder offener zu betreiben, anstatt sie nur zu instrumentalisieren.29 In diesem Sinne hat sich die Strafprozesslehre schon weitgehend durchgesetzt. ccc) Exkurs: Begrenzte Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse anderer Disziplinen im Verfahren So sehr diese kritisch selbstreflexive Haltung gegenüber prozessualem Vorgehen Platz 26 gegriffen hat, mangelt es doch am Zutrauen der Juristen, wenn es darum geht, sich bei der Implementierung von Recht den anderen, insbesondere aber den empirischen Sozialwissenschaften anzuvertrauen. Ein Beispiel hierfür ist der Umgang mit Sachverständigen. Sachverständige werden bestellt, wenn der Sachverstand des Gerichtes nicht ausreicht, um entscheidende Fragen zu beantworten. Es wäre daher folgerichtig, wenn Gerichte an die sachverständigen Erkenntnisse gebunden wären, wenn sie denn in der entsprechenden Fachwelt als richtig gelten. Denn wie könnte ein Gericht kritisch und frei über Äußerungen urteilen, die gerade den mangelnden Sachverstand des Gerichts ausgleichen sollen? Gleichwohl geht die höchstrichterliche Rechtsprechung davon aus, dass – abgesehen von einigen Fällen standardisierter Verfahren wie der Daktyloskopie, der Blutalkoholbestimmung 30 oder des DNA-Tests – das Gericht eigenständig über das Gutachten und seine Folgen für das Urteil zu entscheiden habe.31 Der in diesem Zusammenhang angeführte § 261, wonach das Gericht und niemand sonst aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung nach seiner freien Überzeugung frei zu entscheiden habe,32 vermag allerdings nicht die fachliche Inkompetenz des Gerichts ersetzen. Nur wenig hilfreich ist in diesem Zusammenhang auch, wenn die Rechtsprechung bei Abweichen des Gerichts von der Ansicht des Sachverständigen eine ausführliche Begründung fordert.33 Wie soll denn der Richter seine gegenüber dem Sachverständigen überlegene Kompetenz belegen und woher soll er diese nehmen? 34 Ein weiteres Beispiel für die Angst der Richter vor den exakteren Wissenschaften ist 27 bei der Implementierung von normativen Tatbestandsmerkmalen zu erkennen. Im Zivil27

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29

Etwa Barton Die Revisionsrechtsprechung des BGH in Strafsachen (1999), der eine empirische Inhaltsanalyse durchführt. Etwa Gebauer Die Rechtswirklichkeit der Untersuchungshaft in der Bundesrepublik Deutschland (1987); E. Volk Haftbefehle und ihre Begründung (1995); Seiser U-Haft als Erziehungshaft im Jugendstrafrecht, 1987; Kunz Die Einstellung wegen Geringfügigkeit durch die Staatsanwaltschaft (1982); Herwig Die Einstellung der Staatsanwaltschaft wegen Geringfügigkeit (1982). So etwa im Lehrbuch von Kühne, welches in

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den Auflagen 1–4 den Titel Strafprozesslehre führte und in der 5. und 6. Auflage den Titel wegen der Erweiterung zum Europäischen Strafverfahrensrecht änderte, das Konzept im Übrigen aber beibehielt. BGH NJW 1967 116, 117. BGH NStZ-RR 2000 299; 1999 275. BGH NStZ-RR 2000 45; 2004 238; 1996 46. BGH NStZ 2000 550; 2001 45; BGH NStZRR 2003 206; OLG Hamm StV 2001 221. Vgl. näher hierzu Kühne Rn. 872 ff.

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und Verwaltungsverfahren hat die Rechtsprechung sich mitunter geweigert, sich den Erkenntnissen der empirischen Sozialforschung zu unterwerfen. Zwar ist es naheliegend anzunehmen, dass auf öffentliche Einstellungen bezogene Tatbestandsmerkmale wie „ekelerregend“ (Lebensmittelrecht, § 17 I Nr. 1, 1. Alt. LFBG ), sittenwidrig (§ 138 BGB, § 228 StGB) mithilfe lege artis durchgeführter Meinungsumfragen sachverständig ermittelt werden und Auskunft über den in der Gesellschaft augenblicklich herrschenden Meinungsstand geben. Gleichwohl werden derartige Erkenntnisse von Gerichten mitunter nur als Hinweise anerkannt, denen gegenüber das Gericht keinesfalls gebunden ist.35 Auch die Rechtsprechung zum unlauteren Wettbewerb, wo es in § 5 UWG (§ 3 UWG a.F.) um die irreführende Werbung geht, ist nach ursprünglichem empirischem Vorgehen 36 neuestens dazu übergegangen, sich einem normativen Verbraucherbegriff 37 zuzuwenden, der auf Empirie zugunsten juristischer Wertungshoheit verzichtet. Entsprechendes gilt für den dem § 5 UWG ähnlichen § 3 HeilmittelwerbeG 38 Das gerichtliche Monopol zur Rechtsfindung wird auf diese Weise überhöht zur Befugnis kontrafaktischer Tatsachenfeststellung. bb) Verfahren im Modell von Diskurs und Kommunikation

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Dieses trotz aller Einschränkungen neue prozessrechtliche Verständnis ließ neben der eher resignativen Haltung der Dekonstruktivisten das Habermas’sche Modell des herrschaftsfreien Diskurses als neues Paradigma erstarken. Es war zwar unübersehbar, dass der herrschaftsfreie Diskurs real nicht existiert,39 schon gar nicht im Strafverfahren. Gleichwohl konnte nicht ignoriert werden, dass der Idealtyp des Diskurses sinngebend für die Verwirklichung des strafprozessualen Ziels der Wahrheitsfindung sein kann und soll. Kühne hat diesen Gedanken aufgenommen und in seiner Studie mit dem bezeichnenden Titel „Strafverfahrensrecht als Kommunikationsproblem. Prolegomena einer strafverfahrensrechtlichen Kommunikationstheorie“ bereits 1978 vorgestellt. Dort wurde versucht, die Vorschriften des Strafverfahrensrechts als Regeln zur Kommunikationsoptimierung zu verstehen und auch Erkenntnisse der Kommunikationswissenschaften als Interpretationshilfen bei der Auslegung des Gesetzestextes zu nutzen. Wohl auch wegen der Interdisziplinarität dieses Ansatzes war das Echo nicht sehr laut.40 cc) Verfahren als szenisches Verstehen

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Hassemer 41 hat in den 90iger Jahren vom Prozess als szenischem Verstehen gesprochen. Anders als Kühne geht es ihm nicht so sehr um die eher technische Optimierung von Kommunikation im Strafverfahren, sondern um eine mehr psychoanalytisch orientierte Intensivierung von eigenem und wechselseitigem Verstehen. Sicherlich berührt 35 36

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BVerwG NJW 1988 506. Etwa BGH GRUR 1981 656; ausführlich dazu T. W. Müller Die demoskopische Ermittlung der Verkehrsauffassung im Rahmen des § 3 UWG (1987). So in Folge des EuGH-Urteils „Springenheide“ (EuGH GRUR Int. 1998 795 ff.) BGH „Elternbriefe“ (GRUR 2002 550); vgl. näher dazu Harte-Barendamm/HenningBodewig UWG, Kommentar, § 5 UWG, 71 ff.

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38 39

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Näher Bülow/Ring HeilmittelwerbeG, Kommentar (2005) § 3, 23 f. Etwa Hassemer Einführung in die Grundlagen des Strafverfahrensrechts (1990) 128 f., 132. Vgl. aber neuerdings die interessanten, wenngleich historischen Ansätze bei Schulze (Hrsg.) Symbolische Kommunikation vor Gericht in der Frühen Neuzeit (2006). Hassemer aaO.

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Hassemer damit einen wichtigen inhaltlichen Teil des Strafverfahrens. Allerdings ist es auf dieser Ebene nicht leicht, instrumentale Lehren zu extrahieren. Vielmehr verbleibt man eher bei einem allgemeinen, nicht weiter spezifizierten Aufruf zum breiteren Verstehen. Das entzieht sich aber sowohl der Formulierung einer klaren Verhaltensaufforderung wie natürlich auch einer entsprechenden Kontrolle.42 Anderes gilt hingegen für den Versuch der Kommunikationsoptimierung auf der Basis 30 von Kommunikations- und Sprachwissenschaften. Hier gibt es eine Vielzahl von bekannten, die Kommunikation hindernden oder fördernden Umständen, die durchaus funktional und überprüfbar in das Prozessrecht eingebracht bzw. in Verfahrensrecht umgesetzt werden können. Insbesondere können nicht funktional begründete hierarchische Kommunikationsgefälle abgebaut, unterschiedliche Sprach- und Sprechkompetenzen berücksichtigt wie auch kompensiert und sonstige Kommunikationshindernisse vermieden werden. Verfassungsrechtlich liefe das hauptsächlich über Art. 103 I GG, rechtliches Gehör, und verzweigte sich dann in vielen Einzelvorschriften der Strafprozessordnung. dd) Verfahren als Konfliktsverarbeitung Jung 43 betont einerseits die grundsätzliche Unverzichtbarkeit der Wahrheit als verfah- 31 rensleitendem Prinzip, will sie aber gleichwohl relativieren, soweit es um das Verfahrensziel der Konfliktsbereinigung geht. Diese an Rosen 44 angelehnte und wohl auch mit dem Konzept der Verfahrensgerechtigkeit (vgl. Rn. 22, 24, 48) in Verbindung stehende Auffassung berücksichtigt zurecht, dass die Wahrheitsfindung ein prozessuales Durchgangsstadium zum Urteil als konfliktlösender Entscheidung ist. Es bleibt jedoch fraglich, ob eine solche Entscheidung ihre Funktion wahrnehmen kann, wenn sie nicht auf dem Prinzip uneingeschränkter Wahrheitsfindung beruht. Eine solche Relativierung des Wahrheitsprinzips würde zu einer überwiegenden Verhandelbarkeit des Konfliktes führen. Im angloamerikanischen Rechtskreis, in welchem auch die Tatsachengrundlage des Verbrechensvorwurfs grundsätzlich verhandelbar ist, wäre dieser Ansatz systemkonform. Anders als im inquisitorischen Verfahren kontinentaleuropäischer Prägung gibt es dort weder eine Pflicht zur Wahrheitsfindung noch trägt das Gericht oder ein anderer Prozessbeteiligter die Verantwortung für die Wahrheitsfindung. Für das deutsche Strafverfahren, welches trotz Akzeptanz von Absprachen und anderen Verkürzungen der Wahrheitsfindung das Prinzip der Wahrheitsfindung zumindest theoretisch nicht angetastet wissen will,45 vgl. Rn. G 32 ff., scheint dieser Ansatz nicht zu passen. Hier ist die Wahrheitsfindung – oder zumindest der Versuch ihrer Optimierung – die unverzichtbare Voraussetzung für eine angemessene Konfliktslösung. Allerdings berücksichtigt eine solche Betrachtung sehr zutreffend verschiedene ebenso reale wie prozessübliche Verhaltensweisen, die auch im deutschen Strafverfahren den Anspruch auf Wahrheitsfindung substantiell zurücknehmen, vgl. sogleich Rn. 33 ff. ee) Zwischenergebnis Nach alledem ist das Prinzip der Wahrheitsfindung zentrale und unverzichtbare Vor- 32 aussetzung der Sinngebung für das deutsche Strafverfahren. Die Einsicht in die Fehleranfälligkeit der Wahrheitsfindung und die grundsätzliche Unerreichbarkeit wahrer

42 43

So auch Salas Kritik des strafprozessualen Denkens (2005) 169 f. In Duff et al. (Editors) The trial on trial vol. 1: Truth and due process (2004) 147.

44 45

C. Rosen The Anthropology of Justice (1989) 20 ff. BVerfGE 57 250, 275; 63 45, 61; BGHSt (GrSSt) 32 115, 122.

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Erkenntnis kann das idealtypische Prinzip nicht in Frage stellen. Jeder Versuch von Erkenntnisgewinn, insbesondere auch der der Wissenschaft, ist mit diesem Vorbehalt behaftet, ohne dass wir deshalb aufhören müssten, wissenschaftlich zu forschen. Das Problem strafverfahrensrechtlicher Wahrheitsfindung liegt vielmehr in den Techniken der Fehlervermeidung. Wahrheitsfindung als Voraussetzung von angemessenen konfliktlösenden Entscheidungen kann und soll nicht angezweifelt werden. Ein Konsens über Strategien optimaler Fehlervermeidung würde das Prinzip der Wahrheitsfindung strafprozessual hingegen hinreichend beschreiben. Dies wäre dann gleichsam die Implementierung des obersten Gebots einer jeden Rechtsfindung: die Vermeidung von Willkür. Die Anbindung der Tatsachenfeststellung an die prozessualen Instrumente zur Fehlervermeidung gibt eine durchaus nicht mehr beliebige Erkenntnisgrundlage, welche die Anwendung materiellen Strafrechts in relativ enge, allein durch Subsumtionstechniken variierbare Grenzen weist. c) Wahrheitsfindung im Zwiespalt von Ermittlungsinteresse und Individualrechtsschutz

33

Strafrechtliche Ermittlungen stoßen in der Regel nicht auf Kooperation der Betroffenen. Der Staat muss also im gesamtgesellschaftlichen Interesse versuchen, trotz dieser durch die menschliche Natur vorgegebenen Schwierigkeit Straftaten erfolgreich zu ermitteln und Straftäter einer Sanktion zuzuführen. Dafür muss er zumeist bei den ins Zielkreuz der Ermittlung gelangten Personen in Bereiche ihrer Rechte eingreifen, die im demokratischen Rechtsstaat durch meist verfassungsrechtliche Garantien geschützt sind. Der Konflikt ist evident: Wie weit darf der Staat in Individualrechte seiner Bürger eingreifen, um eben diese Bürger vor Straftaten und deren Angriffe auf Individualrechte ihrer Opfer zu schützen? Es ist offensichtlich, dass irgendwann der Punkt erreicht ist, an dem der Bürger durch 34 den eingriffsintensiv ermittelnden Staat ebenso oder gar noch mehr gestört wird als durch den Straftäter und seine Straftaten. Den feudalen Staat wie den totalitären Polizeistaat hat dies nie gestört, weil dort die Staatsraison – definiert durch die Interessen der jeweils Mächtigen – immer über das Interesse einzelner Bürger gestellt wurde. Ein solches Denken ist nicht etwa durch die Philosophie der Aufklärung, die letztlich auch das Konzept unangreifbarer Menschenrechte in Folge der Französischen Revolution in Europa politisch durchgesetzt hat,46 zur historischen Vergangenheit geworden. Die neuere Geschichte Deutschlands zeigt anhand des unseligen Dritten Reiches ebenso wie der SED-Dikatur der ehemaligen DDR, wie schnell die absolute Staatsraison auch in formalen Demokratien Platz greifen kann. Der augenblicklich unter der Führung der USA geführte sogenannte Krieg gegen den Terrorismus macht zudem erschreckend deutlich, wie schnell selbst in funktionierenden Demokratien die Verteufelung von Gegnern zur Legitimation polizeistaatlicher Praktiken führen kann. Der US-amerikanische Patriots’ Act 47 ist ein ebenso deutliches wie unschönes Beispiel hierfür. Der von Jakobs wieder aufgebrachte Begriff des Feindstrafrechts48, gemeint als besonders eingriffsintensives bis

46

47

Näher dazu Kühne Bürgerfreiheit und Verbrecherfreiheit. Der Staat zwischen Leviathan und Nachtwächter, Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier, Band 21 (2004). USA PATRIOT ACT/U.S. H.R. 3162,

22

48

S. 1510, Public Law 107-56; dazu Pallasky DuD 2002 221. In Eser/Hassemer/Burkhardt 47, 51 ff. Zurecht kritisch dazu Düx ZRP 2003 189; Lehnert FoR 2005 96; Cancio Melia ZStW 117 (2005) 267.

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zur Anwendung von Folter reichendes,49 sich vom normalen Strafrecht unterscheidenden und gegen spezielle Bösewichte gerichtetes Recht, zeigt, wie schnell bei hinreichender Hysterisierung selbst Strafrechtswissenschaftler bereit sein können, Ergebnisse aus 200 Jahren Strafrechtsentwicklung schlicht vom Tisch zu fegen. Es bleibt zu hoffen, dass solche grundsätzlichen rechtsstaatlichen Missverständnisse eine Ausnahme bleiben. In diesem Zusammenhang ist an die noch heute gültige Formulierung des ersten Satzes der Präambel der Französischen Verfassung von 1789 zu erinnern: „considerant que l’ignorance, l’oublie ou le mépris des droits de l’homme sont le seules causes des malheurs publics et de la corruption des Gouvernements“. Soll also im demokratischen Rechtsstaat die Strafverfolgung im Endergebnis den Bür- 35 ger in seinen Freiheiten und Rechten schützen, muss eine Begrenzung staatlicher Eingriffsbefugnisse zu Ermittlungszwecken stattfinden. Das staatliche Ermittlungsinteresse muss in einem vernünftigen Verhältnis zum verbleibenden Schutz der Bürger vor staatlichen Eingriffen stehen. Das Strafverfahrensrecht beschreibt die Grenzen dieser Verhältnismäßigkeit. Der BGH hat dies in gleichsam alttestamentarischer Klarheit mit den Worten beschrieben: „Es ist kein Grundsatz der StPO, dass die Wahrheit um jeden Preis erforscht werden müsste“.50 Die Lehre von den Beweis(verwertungs)verboten (vgl. unten L) ist der dogmatische 36 Ort, an welchem im Detail die Abwägung zwischen Ermittlungsinteresse und Bürgerrechten stattfindet. Nirgendwo sonst im Strafrecht ist der Einfluss von Verfassungsrecht und der EMRK so markant wie hier. Die Feststellung von Eb. Schmidt über die Natur des Strafverfahrensrechts als angewandtem Verfassungsrecht wird in diesem Kontext besonders deutlich. Wir können also festhalten, dass die Begrenzung der Wahrheitsfindung durch den Individualrechtsschutz ebenso bedeutsam ist wie das Bemühen um die Wahrheitsfindung selbst. d) Begrenzung der Wahrheitsfindung durch Praktikabilitätserwägungen Noch sehr viel stärker als durch den Respekt vor Grund- und Menschenrechten wird 37 die Wahrheitsfindung im Prozess durch Praktikabilitätserwägungen 51 eingeschränkt. Hier sind es zwei Gruppen, die eine solche, der Wahrheitsfindung entgegengesetzte Wirkkraft entwickeln. Zum einen sind es die – allerdings seltenen – Vorschriften, die zur Beschleunigung des Strafverfahrens die Beweisaufnahme wie auch die Rügemöglichkeit von faktischen Fehlern begrenzen, §§ 329, 338 Nr. 1 b. Sehr viel deutlicher lässt sich jedoch die zweite Gruppe beschreiben. Hier wird unter 38 der – häufig fiktionalen – Annahme des Einverständnisses aller Prozessbeteiligter der Prozess der Wahrheitsfindung und mit ihm das gesamte Verfahren abgekürzt. Das derartige Verkürzungen auslösende Einverständnis wird – meist unausgesprochen – in einer Weise definiert, die besagt, dass niemand das aufgrund des verkürzten Verfahrens erzielte Ergebnis akzeptieren würde, wenn nicht die faktische Basis für wahr oder zumindest 49

So Erb NStZ 2005 593; ders. in Nitsche (Hrsg.) Rettungsfolter im modernen Rechtsstaat? (2005) 149 ff., der entschieden leugnet, dass die Zulassung der „Rettungsfolter“ einen Dammbrucheffekt haben könnte. Freilich bezieht sich Erb nur auf die Folter im präventiven, also Gefahr abwehrenden Bereich gegenüber dem Urheber der Gefahr – so er denn gültig feststellbar ist.

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BGHSt 14 358, 365. Ausdrückliche Kosten – Nutzen Rechnungen werden allerdings noch kaum offen diskutiert; vgl. aber Schmidtchen/Weth (Hrsg.), Der Effizienz auf der Spur (1999) und Mark A. Cohen The Costs of Crime and Justice, Routledge London (2005).

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richtig gehalten würde. Sehr klar macht das die Rechtsprechung des BGH zur Verfahrensabsprache.52 Die Wahrheit könne zwar einverständliche verhandelt werden, auch dürfe die entsprechende Kooperation des Beschuldigten mit niedrigem Strafmass belohnt werden – aber immer müsse das Gericht von der Richtigkeit der einverständlich erhobenen Fakten überzeugt sein.53 Entsprechendes gilt für alle anderen verkürzten Verfahren, seien sie nach §§ 153 ff. oder §§ 407 ff. geregelt (zu verkürzten Verfahren im internationalen Vergleich siehe unten G 32 ff.). Natürlich weiß jeder, der auch nur kurz in der Praxis des Strafverfahrens tätig war, 39 dass die Annahme von „Wahrheit trotz Verkürzung“ bestenfalls in wenigen Einzelfällen richtig ist. In der Regel geht es um den Kauf von vorteilhaften Ergebnissen um den Preis einer Verfahrenserleichterung. Die Frage der faktischen Wahrheit ist bei einem solchen Handel bestenfalls von untergeordneter Bedeutung. Vielmehr gleichen die Prozessbeteiligten ihr jeweiliges Vorverständnis von den relevanten Tatsachen gegeneinander ab und treffen sich bei einem imaginären Mittelwert dessen, was ihrer Meinung nach der Beschuldigte „verdient“ hat. Erst nach diesem Konsens werden die dieses Ergebnis tragenden Tatsachen einverständlich (re)konstruiert. Vgl. näher hierzu Rn. G 32 ff. Die notorisch überlastete Justiz würde sofort zusammenbrechen und ihre Tätigkeit 40 einstellen müssen, wenn die Möglichkeit zu verkürzten Verfahrenserledigungen von heute auf morgen entfielen.54 Deshalb ist die Bereitschaft der Justiz sich auf einen solchen „Handel mit Gerechtigkeit“ 55 einzulassen, in der Regel recht hoch. Insbesondere der Zwang, angesichts hoher Fallzahlen mit überaus begrenzten Ressourcen auskommen zu müssen, bekräftigt diese Bereitschaft. Eine ganz andere Frage ist, ob der allgemeine Konsens auf Seiten des Beschuldigten wirklich freiwillig erzielt worden ist. Näher dazu bei §§ 153 ff. Bei wohlwollender Betrachtung kann man ein solches Vorgehen mit dem Prinzip der begrenzten Neugierde beschreiben, will man nicht ernsthaft an der Geltung des Wahrheitsanspruches zweifeln. Wir können folglich festhalten: das Prinzip der Wahrheitsfindung wird durch Prakti41 kabilitätserwägungen, die überwiegend durch Beschleunigungsgebot und Konzentrationsmaxime bestimmt werden, insoweit eingeschränkt, als möglichen und zwischen den Verfahrensbeteiligten konsentierten Ermittlungsergebnissen ein Vorrang der Plausibilität vor einer möglicherweise tieferen Wahrheit eingeräumt wird. e) Die Produktion von Gerechtigkeit aa) Die Gewähr vorläufiger Gerechtigkeit als präventiver Rechtsschutz

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Gegenüber der ursprünglichen Konzeption der RStPO von 1877 und teilweise in Übereinstimung mit den materiell-strafrechtlichen Tendenzen und Entwicklungen sind dem Strafverfahren besondere Aufgaben und Funktionen zugewachsen, die über die ursprüngliche Vorstellung einer bloßen Durchsetzung des sog. staatlichen Strafanspruchs

52 53 54

BGHSt 37 298; 43 195; 48 161; BGH GrSSt NJW 2005 239. BGHSt 43 195; 48 161; BGH NJW 1999 370; BGH GrSSt NJW 2005 239. Allein der Wegfall von Einstellungen trotz hinlänglichen Tatverdachts nach §§ 153 ff. würde das Fallaufkommen der Hauptverhandlungen etwa verdoppeln, vgl. näher

24

55

Heinz FS Kaiser 95; ders. ZStW 111 (1999) 461, 467 ff. So die Einführung im Vorwort bei der ersten monographischen Studie zur Absprachepraxis von Schmidt-Hieber Verständigung im Strafverfahren (1986). Das gilt natürlich auch für die anderen Formen von verkürzten Verfahren.

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hinausreichen.56 Elemente präventiver Verbrechensbekämpfung begegnen uns beispielsweise im Sicherungsverfahren und im objektiven Verfahren; ihnen ist aber auch der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112 a StPO) und die einstweilige Unterbringung (§ 126 a StPO) zuzuordnen. Diese vorläufige Prävention folgt aus dem allgemeinen Gedanken, dass Strafverfahrensrecht, wie jedes andere Recht auch, dem Rechtsfrieden zu dienen hat, und offensichtliche, wenngleich noch nicht endgültig bewiesene Rechtsbrüche und damit einhergehende weitere Gefährdungen für die Gesellschaft nicht bis zum rechtskräftigen Urteil ignorieren kann. Schwierig ist aber die Feststellung, welches solche Rechtsgüter sind, die eines vorläufigen Schutzes bedürfen. Es muss dabei berücksichtigt werden, dass jeder vorläufige Rechtsschutz potentiell auch einen sachlich unbegründeten, weil nicht auf hinreichend geprüfter Tatsachengrundlage beruhenden Eingriff in Rechte Dritter darstellt. Insbesondere bei dem U-Haftgrund der Wiederholungsgefahr wird dies durchaus kontrovers diskutiert,57 vgl. auch die Kommentierung zu § 112 a. Dagegen kommt dem Strafverfahren, entgegen einigen neueren Tendenzen, kein umfassender präventiver Sicherungsauftrag zu, der über die innerprozessuale Verfahrenssicherung hinausgeht;58 auch aus dem allgemeinen Auftrag der Wiederherstellung des Rechtsfriedens kann das nicht abgeleitet werden. bb) Die Gewähr gültiger Gerechtigkeit Wir hatten schon oben bei Rn. 20 festgestellt, dass die Wahrheitsfindung wichtigste 43 Voraussetzung zur Produktion von Gerechtigkeit ist. Gerechtigkeit ist sicherlich das zentrale Ziel einer jeden Rechtsprechung. Da aber die Wahrheitsfindung gleichsam die denknotwendige Vorstufe dazu ist können wir uns erst an dieser Stelle mit der Gerechtigkeit als Verfahrensziel auseinandersetzen. Gerecht hieße in diesem Verständnis: ein Urteil, welches zutreffend und rechtmäßig 44 die Tatsachen feststellt, die gesetzlichen die Straftat konstituieren Tatbestandsmerkmale subsumiert und aus dem vorgegeben Strafrahmen eine angemessene Strafe ausgewählt hat. Es sind also zwei Komponenten die Gerechtigkeit begründen. Zum Einen die Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld konstituierenden Tatsachen, die ins materielle Strafrecht übertragen, also subsumiert werden müssen. Wie wir aus der Diskussion um Wesen und Struktur der juristischen Subsumtion wissen,59 handelt es sich dabei nicht um einen eindeutig nachvollziehbaren Vorgang deduktiver Natur, sondern um normativ geprägte Zuweisungen im deduktiven Gewande, was hier aber nicht weiter ausgeführt werden soll, da es uns in Bereiche des materiellen Strafrechts und seiner Methodik führt. Zum Anderen müssen nach erfolgter Subsumtion die Erwägungen zur Auswahl einer entsprechend angemessenen Strafe angestellt werden. Betrachten wir die Tatsachenermittlung, so müssen wir erkennen, dass die in den vor- 45 angegangenen Abschnitten dargelegten mannigfaltigen Einschränkungen der Wahrheitsfindung in gleichem Maße auch die Möglichkeit einschränken zu einem gerechten Urteil 56 57

58

Dazu ausführlicher LR/K. Schäfer 24 Einl. Kap. 6, 34 ff. Humberg Jura 2005 376; Hohmann StV 1997 310 und NStZ 1989 211; Wolter ZStW 93 (1981) 452; Benfer. S. dazu zutreffend mit umfassenden Nachweisen Paeffgen DRiZ 1998 317 ff.; sehr bedenkenswert die Kritik Paeffgens (aaO 319 ff.) an den speziellen, ausdrücklich in der

59

StPO enthaltenen präventiv orientierten Maßnahmen. Bosbach Subsumtion als Problemlösung (1981); Rothfuß Logik und Wertung bei der Subsumtion (1973); Engisch Subsumtion und Rechtsfortbildung (1986); Esser Vorverständnis und Methodenwahl (1972); Scheuerle AcP 167 305.

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zu gelangen. Interessanter Weise liegen all diesen Einschränkungen Erwägungen zugrunde, die ihrerseits zentralen Gerechtigkeitsvorstellungen dienen. Die Begrenzung der Wahrheitsfindung im Strafverfahren ist also das Ergebnis der Konkurrenz unterschiedlicher Aspekte und Bezugspunkte von Gerechtigkeit. Es gibt folglich kein gerechtes Urteil, wenn nicht das gesamte zum Urteil führende Verhalten ebenfalls den Erfordernissen von Gerechtigkeit entspricht. Daraus ergibt sich hinwiederum, dass Gerechtigkeit im Strafverfahren nicht auf die Belange des Beschuldigten allein beschränkt sein kann. Die Fokussierung nur auf den Beschuldigten und seinen Gerechtigkeitsanspruch würde die vielgestaltigen anderen und zum Teil konkurrierenden Gerechtigkeitsansprüche ignorieren und damit in einem übergeordneten gesellschaftlichen Verständnis zu Ungerechtigkeit führen. Wenn Gustav Radbruch die Sentenz „summum ius, summa iniuria“ in seiner Sammlung von Rechtssprüchen zitiert, ist neben der offensichtlichen Warnung vor dem Übermaß eben dieses gemeint. Streben nach Einzelfallgerechtigkeit ist also nur in den Grenzen gesamtgesellschaftlicher Gerechtigkeitserwägungen möglich. Strafverfahrensrecht definiert das Ausmaß der Wirkung miteinander wettstreitender, anerkannter Gerechtigkeitskonzepte. Dabei legt es den Schwerpunkt auf die Vermeidung oder auch nur Reduktion von Willkür bei der Entscheidungsfindung. Dem gegenüber tritt der Anspruch auf vollständige Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten deutlich zurück. Aufgabe einer allgemeine Strafverfahrenslehre ist es nun, eine Konkordanz der segmentiellen Gerechtigkeitskonzepte zu erarbeiten, wobei das Problem vor allem darin liegt, beim Abgleich jedem einzelnen Konzept einen noch hinreichenden und allgemein akzeptierten Geltungsbereich zu belassen. Wie dies im Detail zu bewirken ist, wird die wissenschaftliche Diskussion erarbeiten müssen, vgl. aber auch sogleich unten Rn. 48.

46

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist nach der Subsumtion die Findung einer angemessenen Strafe. Die im StGB vorgegebenen Strafrahmen sind überaus weit, und § 46 StGB bietet wenig Konkretes, um im Einzelfall gerechte oder auch nur angemessene Strafe festzulegen. Auch dies ist kein prozessuales Problem mehr, sondern eines der Implementierung materiellen Strafrechts. Gleichwohl wird der prozedurale Anspruch der Gerechtigkeitsproduktion hiervon berührt.

47

Wie aber vermittelt man ein solchermaßen gefundenes Ergebnis mit begrenzter Richtigkeitsgarantie den Betroffenen, also dem Beschuldigten, dem Opfer und der Gesellschaft? Was die Gesellschaft angeht, so ist sie es, die durch das Konzept umfassender Berücksichtigung aller gültigen Gerechtigkeitskonzepte bestätigt und geschützt wird.

48

Beschuldigter und Opfer hingegen haben ein überwiegend an Einzelfallgerechtigkeit ausgerichtetes Interesse, welches im Strafverfahren nicht kategorisch durch ein richtiges, also auch gerechtes Urteil befriedigt werden kann. Hier aber greift das bereits oben angesprochene Prinzip der friedensstiftenden Funktion des Verfahrens. Diese Funktion ergibt sich nicht so sehr durch das Ergebnis, welches, wie wir gesehen haben, grundsätzlich zweifelhaft sein kann, sondern vielmehr dadurch, dass staatliche Instanzen die Anliegen der Betroffenen zur Kenntnis nehmen und sich ernsthaft mit größtem Bemühen damit auseinander setzen, auf welche Weise Verfahrensgerechtigkeit geschaffen wird, vgl. Rn. 22, 24. Man würde die Klugheit auch der weniger gebildeten Bürger dramatisch unterschätzen, wollte man ihnen unterstellen, sie erwarteten von der Justiz nur objektiv richtige Urteile. Jeder weiß, dass auch in der Justiz nur Menschen mit begrenzten Erkenntnismöglichkeiten arbeiten. Darum ist es alleine die um objektive Erkenntnis bemühte, ernsthafte Auseinandersetzung mit der anhängigen Sache, die vom Bürger sowohl in Straf- wie auch in Zivilsachen erwartet wird. Sobald das Verfahren diesen Erwartungen entspricht, wird jedes einer solchen Verhandlung sinnvoll entsprechende Urteil als Ergebnis angenommen, auch wenn es aus der subjektiven Perspektive der Be-

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troffenen falsch erscheint. In diesem Rahmen gewinnt das theoretische Konzept Luhmanns von der Verfahrenswirklichkeit als Legitimationsbasis der Entscheidung 60 rechtswirkliche Bedeutung, die in Deutschland allerdings noch der empirischen Überprüfung harrt, vgl. Rn. 22. Nur im Rahmen der Sinnhaftigkeit des aus dem Verfahren folgenden Ergebnisses 49 ergibt sich eine Bedeutung für das Gerechtigkeitsempfinden. Hier gibt es Entscheidungsspielräume, innerhalb derer die individuellen Gerechtigkeitsempfindungen der Beteiligten berücksichtigt werden können und die letztlich der Definitionsgewalt des Gerichtes unterliegen. Aber nur, wenn das Gericht sich innerhalb dieses Rahmens bewegt, besteht die Chance, dass auch das Ergebnis des Urteils und damit das Verfahren als Ganzes akzeptiert wird und befriedende Wirkung erzielt. Ein weiteres funktionales Element dieser Gerechtigkeit ohne Richtigkeitsgarantie ist 50 die Rechtssicherheit, welche sich in der Rechtskraft der schließlich erreichten Entscheidung manifestiert. Nicht nur Art und Ergebnis der Problembehandlung, sondern Gültigkeit und Dauer der gefundenen Entscheidung sind tragende Bedingungen zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens.61 Diese Verlässlichkeit des Rechtsspruches beendet das durch die Tat oder auch nur den Tatvorwurf entstandene Problem und schafft die Möglichkeit eines Neubeginns. Zugleich wird Orientierung und Bestätigung für die Rechtsgeltung der jeweils relevanten Vorschriften des materiellen Strafrechts gegeben. 4. Zusammenfassung Nach alledem können Inhalte und Ziele des Strafverfahrensrechts wie folgt zusam- 51 mengefasst werden.61a Strafverfahrensrecht ist: – Vorbedingung und Instrument der Umsetzung des Geltungsanspruchs des materiellen Strafrechts – Versuch der Optimierung von Wahrheitsfindung unter struktureller Gewissheit unvollständiger Erkenntnisgewinnung – Schutz von Verfahrensbeteiligten vor dem Staat unter Hinnahme weiterer Einschränkungen der Möglichkeit verfahrensrelevante Erkenntnisse zu erlangen – Reduktion von Willkür bei der Entscheidungsfindung – Friedensstiftende Funktion des Verfahrens durch Gewährung vorläufigen Schutzes vor offensichtlich erscheinenden andauernden Rechtsverletzungen sowie ernsthafte Beschäftigung mit den Anliegen der Beteiligten und der abschließenden Problemlösung, die einen Neuanfang ermöglicht – Erlangung von Akzeptanz des Ergebnisses durch verfahrensgeleitete Ergebnisfindung unter Berücksichtigung unterschiedlicher Gerechtigkeitsvorstellungen der Beteiligten.

60

Luhmann Legitimation durch Verfahren2 (1975) 107 ff.; insoweit zustimmend auch Krauß FS Schaffstein 411, 418 ff.

61 61a

Das betont insbesondere Goldschmidt 150 ff. S. dazu auch Rieß JR 2006 269 ff.

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III. Strafverfahren im Rechtssystem 1. Allgemeines

52

Das Strafverfahrensrecht ist im Sinne der üblichen Zweiteilung Bestandteil des öffentlichen Rechts, nicht des Privatrechts. Es steht mit anderen Rechtsgebieten und Rechtsbereichen in einem unterschiedlichen Zusammenhang und vielfacher Wechselbeziehung, die eine eindimensionale Zuordnung nicht zulassen. Je nach den leitenden Einteilungsgesichtspunkten lässt es sich verschiedenen, einander überschneidenden Kreisen zuordnen. Als formelles Recht ist das Strafprozessrecht Teil eines übergreifenden allgemeinen Prozessrechts und insoweit mit dem Zivil- und Verwaltungsprozessrecht verwandt (näher Rn. 53 f.). Als Strafprozessrecht gehört es zusammen mit dem materiellen Strafrecht zum Straf- oder Kriminalrecht im weiteren Sinne. Seine Vorschriften gelten teilweise kraft Verweisung in anderen Rechtsgebieten (näher Rn. 55). Die strafverfahrensrechtlichen Aufgaben werden zwar in ihrem Kern als Rechtsprechungsaufgaben verstanden, doch wird das Strafverfahren in seiner Gesamtheit auch durch Elemente der Justizverwaltung mit geprägt (näher Rn. 56 ff.). Über die Beziehungen des Strafverfahrensrechts zum Verfassungsrecht s. unten C 6. 53 Trotz der gemeinsamen prozessrechtlichen Grundlagen sind die verschiedenen Gerichtszweige, auch im Verhältnis Zivil- und Strafgerichtsbarkeit, selbständig, unabhängig voneinander und gleichwertig. Hieraus folgt beispielsweise, dass die Strafgerichte zivilund verwaltungsrechtliche Vorfragen grundsätzlich selbständig zu entscheiden haben und auch bei gleichem Sachverhalt Entscheidungen der Zivil- und Verwaltungsgerichte für das Strafverfahren jedenfalls in der Regel keine Bindungswirkung entfalten, wenn auch das Strafprozessrecht teilweise die Möglichkeit eröffnet, bis zur Klärung solcher Vorfragen das Verfahren auszusetzen (§§ 154 b, 262 StPO). Der Preis dieser Selbständigkeit ist die Möglichkeit eines für die Rechtssicherheit und Rechtseinheitlichkeit schmerzlichen Divergierens gerichtlicher Entscheidungen in ein und derselben Sache. Der Bürger wird es nicht verstehen, wenn beispielsweise eine Vermögenslage vom Zivilgericht als rechtmäßig zustande gekommen, vom Strafgericht aber als unrechtmäßig erzielt, und etwa im Rahmen des § 266 StGB beurteilt wird. Entsprechendes gilt für ähnliche Konstellationen zwischen Verwaltungs- oder Finanzgerichten 62 und Strafgerichten. Zur Vermeidung solcher der Rechtssicherheit und Rechtseinheitlichkeit durchaus abträglichen Ergebnisse, sollten die Gerichte trotz des § 262 die wechselseitige Rechtsprechung soweit als möglich berücksichtigen. 54 Wegen der Einzelheiten und Ausnahmen ist auf die Erläuterungen zu den einzelnen Vorschriften zu verweisen. Für die Frage der Verfassungsmäßigkeit nachkonstitutionellen Rechts haben auch die Strafgerichte das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts (Art. 100 GG, §§ 80 ff. BVerfGG) zu beachten (Einzelheiten zur Vorlagepflicht bei § 337, 26 ff.). Meinungsverschiedenheiten über die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den einzelnen Gerichtszweigen, die für das Strafverfahren keine große Bedeutung haben, sind im Verfahren nach den §§ 17 ff. GVG zu erledigen.

62

Bötticher in 100 Jahre Deutsches Rechtsleben (1960) Bd.1 511; Seifert BB 1965 1351; Lüke

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GedS Schultz 235; Bonk Blutalkohol 31 (1994) 238; Haus ZfSch 2000 562.

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2. Geltung des Strafverfahrensrechts für andere Rechtsgebiete Kraft ausdrücklicher Verweisung gilt das Strafverfahrensrecht ergänzend für die 55 Mehrzahl der berufs- und ehrengerichtlichen Verfahren, beispielsweise für die berufsgerichtliche Ahndung von Pflichtverletzungen von Rechtsanwälten (§ 116 Satz 2 BRAO); allerdings sind zahlreiche Einzelheiten abweichend geregelt.63 Dagegen ist das beamtenrechtliche Disziplinarverfahren, dem durch Verweisung 64 das Berufsrecht der Notare entspricht, ohne eine solche ergänzende Bezugnahme auf das Strafverfahrensrecht im BDG und in den zum Teil noch zu schaffenden Landesdisziplinarrechten abschließend ausgestaltet, wenn auch, was das gerichtliche Disziplinarverfahren angeht, mit nicht unerheblichen Anklängen an das Strafverfahren. Verbindungen zum Strafverfahren bestehen im Disziplinarverfahren jedoch insoweit, als das Disziplinarverfahren auszusetzen ist, wenn wegen des gleichen Sachverhalts die öffentliche Klage im Strafverfahren erhoben ist (§ 22 BDG), und die tragenden tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Strafurteils für das Disziplinarverfahren grundsätzlich bindend sind (§ 23 BDG).65 3. Strafverfahren und Justizverwaltung Als Strafrechtspflege lässt sich diejenige Tätigkeit bezeichnen, die – allgemein oder im 56 Einzelfall – darauf abzielt, Strafverfahren zu ermöglichen oder durchzuführen. Sie ist in ihrem Kernbereich, nämlich soweit es um die verbindliche Feststellung eines strafbaren Verhaltens und die Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion geht, Rechtsprechung im Sinne der Art. 92 ff. GG und insoweit den Richtern anvertraut. Jedoch reicht der Umfang der Strafrechtspflege weiter; er umfasst auch diejenigen Tätigkeiten und Aufgaben, die diese eigentliche rechtsprechende Tätigkeit erst ermöglichen, sie vorbereiten sollen oder ihr nachfolgen. Insoweit handelt es sich, weil der rechtsprechenden Tätigkeit zugeordnet, zwar um Aufgaben der Rechtspflege, und die sie bestimmenden Vorschriften lassen sich als Rechtspflegerecht bezeichnen,66 aber nicht um Rechtsprechung, sondern um Justizverwaltungstätigkeit.67 Strafrechtspflege in ihrer Gesamtheit setzt sich daher fast gleichrangig aus Rechtsprechung und Justizverwaltung zusammen. Zur Justizverwaltung gehört einmal die Bereitstellung der sachlichen und persön- 57 lichen Mittel, die zur Durchführung der Strafrechtspflege allgemein oder im Einzelfall erforderlich sind, also beispielsweise die Personalverwaltung, die Dienst- und Fachaufsicht, gegenüber Richtern nur insoweit, als sie in den Grenzen der richterlichen Unabhängigkeit zulässig ist, oder die Ausübung des Hausrechts. Auch soweit sie durch Richter wahrgenommen wird, unterliegt sie nicht den Garantien richterlicher Unabhängigkeit, diese handeln insoweit vielmehr als weisungsgebundene Organe der Justizverwaltung.

63

64

65

Im Prinzip übereinstimmende Regelungen z.B. für Patentanwälte (§ 98 S. 2 PatAnwO); Steuerberater (§ 153 StBerG) und Wirtschaftsprüfer (§ 127 WiPrO). § 96 BNotO unter Bezugnahme auf die landesrechtlichen Disziplinarvorschriften für Justizbeamte; vgl. aber den Vorbehalt der Wirksamkeit bis zum 1.1.2006 und dazu den Gesetzentwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung vom 29.11.2005, BT-Drucks. 16/106. Wegen weiterer Einzelheiten zum Verhältnis

66

67

von Straf- und Disziplinarverfahren s. LR/ K. Schäfer 24 Einl. Kap. 7 13 ff.; insgesamt zu den Beziehungen zwischen Straf- und Disziplinarrecht Lambrecht m.w.N. Vgl. zu diesem Begriff LR/Rieß 24 Anh. II EinigungsV, Teil A Rn. 38; zum Verhältnis von Rechtsprechung und Rechtspflege s. etwa auch Henkel 133; Eb. Schmidt I 480 ff. Eb. Schmidt I 480 ff. verwendet die Bezeichnung „Gerichtsverwaltung“; zum Umfang der Justizverwaltung s. auch § 4 EGGVG.

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Dagegen ist die gerichtsinterne Geschäftsverteilung durch die Präsidien nach die §§ 21 a ff. GVG keine Justizverwaltungstätigkeit, sondern eine solche, die jedenfalls der Rechtsprechung verwandt ist und als richterliche Selbstverwaltung in weisungsfreier richterlicher Unabhängigkeit ausgeübt wird.68 Wieweit die richterliche Tätigkeit im Ermittlungsverfahren materielle Rechtsprechungstätigkeit oder Amtshilfe darstellt, ist im Einzelnen umstritten.69 Auch die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft und der ihr zugeordneten Hilfsorgane, 58 namentlich der Polizei, soweit sie strafverfolgend tätig wird, ist Justizverwaltungs- und nicht Rechtsprechungstätigkeit. Der Staatsanwalt ist als Organ der Strafrechtspflege zwar der rechtsprechenden Gewalt zugeordnet, aber kein Teil der rechtsprechenden Gewalt; das ist heute (wieder) fast allgemeine Meinung.70 Im Wesentlichen dem Bereich der Justizverwaltung, nicht der Rechtsprechung, zuzuordnen ist damit das Ermittlungsverfahren bis zur Erhebung der öffentlichen Klage. Ausnahmen gelten nur insoweit, als in diesem Verfahrensstadium richterliche Entscheidungen in Betracht kommen, die materielle Rechtsprechungstätigkeit darstellen, wie etwa die Entscheidungen über die Untersuchungshaft oder die Anordnung, Bestätigung oder Überprüfung von Zwangsmaßnahmen aufgrund von Richtervorbehalten. Daraus folgt allerdings nicht, dass die Maßnahmen der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren als Justizverwaltungsakte im Sinne der §§ 23 ff. EGGVG anzusehen seien; vielmehr ist grundsätzlich das innerprozessuale Rechtsschutzsystem der StPO vorrangig. Die Einzelheiten sind bei § 23 EGGVG erläutert. Zur Justizverwaltung gehören ferner die Strafvollstreckung und der Strafvollzug, 59 soweit nicht im Einzelfall den Gerichten Aufgaben zugewiesen worden sind, die als Rechtsprechungsaufgaben in richterlicher Unabhängigkeit wahrzunehmen sind, wie beispielsweise die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung oder die nachträgliche Gesamtstrafenbildung. 4. Strafverfahren und Ordnungswidrigkeitenrecht

60

Obwohl sich das Recht der Ordnungswidrigkeiten in der Entwicklung nach 1945 vom materiellen Strafrecht und das Bußgeldverfahren vom Strafprozessrecht getrennt hat und kodifikatorisch im OWiG selbtändig geregelt ist,71 bestehen zwischen dem gerichtlichen Bußgeldverfahren und dem Strafverfahren enge Beziehungen. Viele Institute und Regelungen des Ordnungswidrigkeitenrechts sind dem Straf- und Strafprozessrecht, wenn auch teilweise mit anderen Einzelheiten, nachgebildet. Das gerichtliche Bußgeldverfahren gehört als Bestandteil der ordentlichen Gerichtsbarkeit im weiteren Sinne zur Strafgerichtsbarkeit. Soweit das OWiG keine besonderen Regelungen enthält, gelten gemäß § 46 Abs. 1 OWiG die StPO und das GVG sinngemäß. Schließlich ermöglicht es das OWiG mit einer Reihe von Vorschriften, bei einer einheitlichen prozessualen Tat oder in Fällen des Zusammenhangs dem Wechsel einer Beurteilung von Ordnungswidrigkeit und Straftat im gleichen Verfahren Rechnung zu tragen.72 So ist im Strafverfahren die verfahrensgegenständliche Tat auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Ord-

68 69 70 71

S. näher die Erl. zu den §§ 21 a ff. GVG. S. die Erl. zu § 162; LR/Rieß 25 § 162, 2. S. näher unter Rn. J 55 f. Vgl. zur Entwicklung ausführlich LR/ K. Schäfer 24 Einl. Kap. 3 93 ff.; Göhler Einl. 12 ff.; KK/OWiG/Bohnert Einl. 31 ff.; zum

30

72

Verhältnis des formellen Ordnungswidrigkeitenrechts zum Strafverfahren KK/OWiG/ Bohnert Einl. 42; 167 ff.; Vor § 1, 6; KK/ OWiG/Lampe Vor § 35. §§ 40 bis 45, 81 bis 83 OWiG.

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nungswidrigkeit zu beurteilen, und ein Bußgeldverfahren kann, wenn sich die Qualifikation als Straftat herausstellt, als Strafverfahren fortgesetzt werden. Wegen der Einzelheiten ist auf die Kommentare zum OWiG sowie auf die Erläuterungen bei den einzelnen Vorschriften zu verweisen.73

IV. Verfahrensrecht und Verfahrenswirklichkeit 1. Das Spannungsverhältnis von Theorie und Praxis Der Strafprozess ist ein zwar von rechtlichen Regeln, dem Strafprozessrecht, 61 (mit)bestimmter, aber von ihnen nicht vollständig determinierter tatsächlicher Vorgang, und das Strafverfahren wird nur unzureichend erfasst, wenn man es allein in Rechtsnormen begreift.74 Jede Handlung im Strafprozess hat ihre nicht nur vom Recht her bestimmbaren Ursachen,75 und dieses Handeln hat wiederum Auswirkungen nicht nur rechtlicher, sondern auch tatsächlicher Art. Der Forschungsbereich, der sich mit der Erhellung solcher Zusammenhänge befasst, lässt sich als Strafprozesslehre 76 oder als Rechtstatsachenforschung bezeichnen; seine Methode ist nicht juristisch-normativ, sondern vorwiegend empirisch orientiert. Wenn auch die Methode der Rechtstatsachenforschung vordergründig nichts mit juristisch-normativem Vorgehen zu tun hat, so ist der empirische Ansatz (vgl. unten Rn. 66 ff.) doch ein wichtiges, ja unverzichtbares Referenzobjekt zum rein juristischen Denken und Handeln. Denn dieser Ansatz bietet Antworten auf zwei wichtige Fragen: • Wie wird die Rechtsanwendung in der von Obergerichten und Wissenschaft vorgegeben Auslegung in der untergerichtlichen Praxis umgesetzt? • Welche Handlungsmuster und Verfahrensweisen haben sich in der Praxis neben und außerhalb der rechtlichen Vorschriften etabliert? Ohne die Antwort auf diese Fragen zu kennen, ist es unmöglich, ein auch nur halbwegs authentisches Bild vom gelebten Recht zu erhalten. Ohne dieses Wissen tendieren Wissenschaft und Praxis – und in gewisser Weise auch obergerichtliche Rechtsprechung und tägliche Praxis – dazu, in Parallelwelten eigene Existenzen zu entwickeln, die die Kluft zwischen dogmatischem Recht und Wirklichkeit bis zur Unüberbrückbarkeit vertiefen. Beispiele für die mangelnde Umsetzung obergerichtlicher, ja verfassungsgerichtlicher 62 Rechtsprechung finden wir etwa im Bereich der U-Haft Beschlüsse. Trotz insbesondere vom BVerfG deutlich herausgearbeiteter Inhaltsanforderungen 77 an solche Beschlüsse zeigen empirische Untersuchungen, dass sich die haftrichterliche Praxis in der Regel wenig daran hält.78 Auch die Handhabung des Zwischenverfahrens lässt Zweifel daran

73 74

75 76

S. auch unten Rn. K 92 f. Peters GedS Hans Peters 893; ders. FS Maurach 453 ff.; Schreiber ZStW 1988 (1976) 117. Peters GedS Hans Peters 905. So insbesondere Peters GedS Hans Peters 905 f.; ders. FS Maurach 455 ff.; s. auch Roxin § 1 Rn. 15 ff.; vgl. auch oben Rn 25 ff.

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Sehr deutlich in seiner Kritik der Untergerichte und mit Hinweisen auf die eigene Rechtsprechung BVerfG NJW 2000 1401. Gebauer Die Rechtswirklichkeit der U-Haft in der Bundesrepublik (1987); Hassemer StV 1984 38; E. Volk Haftbefehle und ihre Begründung (1995).

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aufkommen, ob die gerichtliche Prüfung der Eröffnung der Hauptverhandlung die Intensität und Bedeutung hat, die ihr nach der Intention des Gesetzgebers zukommen sollte.79 Schließlich entspricht die Handhabung der Opportunitätsvorschriften, §§ 153 ff. in großem Maße auch mehr der Verfahrenserledigung in Zeiten großer Überlast – die freilich bei der Justiz geradezu historische Konstanz haben – als den gesetzlichen Vorgaben.80 Schließlich hat selbst das energische Einfordern von rechtlicher Überprüfbarkeit des Begriffes der Gefahr im Verzug durch das BVerfG 81 offenbar nur wenig zur Korrektur des weit verbreiteten praktischen Missbrauchs beigetragen.82 Für die außerhalb rechtlicher Regeln entwickelten Verfahrensweisen in einem straf63 verfahrensrechtlich bereits eng geregelten Bereich ist die mittlerweile von BGH und BVerfG unter gewissen Kautelen gestattete Praxis der sogn. Absprachen (näher Rn. G 58 ff.) ein deutliches Beispiel. In Bereichen, die weniger intensiv gesetzlich geregelt sind, wie etwa im Ermittlungs64 verfahren oder auf dem Gebiet der Verteidigung sind solche Praktiken naturgemäß noch viel häufiger anzutreffen. Hierbei handelt es sich mitunter auch um Verhaltensweisen, deren Legitimität oder gar rechtliche Zulässigkeit zweifelhaft sein kann, aber wegen einverständlichen Verhaltens der professionellen Verfahrensbeteiligten im Rahmen der strukturell und tatsächlich vorgegebenen Machtverhältnisse nicht oder kaum der obergerichtlichen Überprüfung zugeführt wird. So führt die übergroße Entscheidungsfreiheit des Gerichts bei der Strafzumessung in der Regel dazu, dass eine nicht geständige Einlassung, die noch gar einen Freispruch anstrebt, im Falle einer Verurteilung zu einer höheren Strafe führt als dies im Falle einer reuigen Kooperation der Fall gewesen wäre. Der dadurch auf Beschuldigten und Verteidiger ausgeübte Druck, oft auch durchaus vom Gericht deutlich angesprochen, indem auf die generell strafmindernde Wirkung solcher Kooperation hingewiesen wird, macht es in vielen Fällen unmöglich, zumindest aber taktisch unvernünftig, einen Freispruch prozessual anzustreben. Diese weit verbreitete Praxis verstößt wohl inhaltlich gegen die Garantie der Unschuldsvermutung, Art. 6 II EMRK, ist aber mit den Mitteln der juristischen Argumentation nut schwer als rechtswidrig nachzuweisen. Sozialwissenschaftliches Vorgehen wird hier eher Ergebnisse erbringen können. Auch die übliche und durch Besetzungspolitik verstärkte Loyalität zwischen Gericht 65 und Staatsanwaltschaft destabilisiert die triadische Struktur, die das Verfahrensrecht zur Optimierung der Wahrheitsfindung vorgesehen hat 83 und berührt auch das Prinzip der Waffengleichheit.84 Gleichwohl ist dieses allen Praktikern wohlbekannte Phänomen rechtlich nur schwer einzufangen, wohingegen es mit sozialwissenschaftlichen Methoden eher nachzuweisen wäre. Die nicht selten anzutreffende Praxis der Polizei, bei Durchsuchungen den Betroffenen daran zu hindern, jemanden zu informieren und dadurch vielleicht die Ermittlungstaktik zu stören – meist in Form des sogn. Stubenarrests vollzogen – hat ersichtlich noch kaum die Aufmerksamkeit der Gerichte erfahren. Unter Hinweis auf OLG Stuttgart MDR 1984, 249 wird immer nur allgemein betont, dass Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung der Durchsuchung möglich seien.85 Was aber 79 80

81 82

Näher dazu Kühne Rn. 320 ff. Ahrens Die Einstellung in der Hauptverhandlung (1978); Kotz Die Wahl der Verfahrensart durch den Staatsanwalt (1983); Kunz Die Einstellung wegen Geringfügigkeit durch die Staatsanwaltschaft (1980). BVerfG NJW 2001 1121; 2002 1333. Brüning 196 ff., 241.

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85

Vgl. näher Kühne Rn. 173. BVerfGE 38 105; eingehend zu diesem Prinzip im europäischen Rechtsraum Safferling NStZ 2004 181; EGMR EuGRZ 1988 523; 1992 190; EGMR NJW 2002 2013. Etwa HK/Lemke § 105, 16; Meyer-Goßner § 105, 13.

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alles einer solchen Durchsetzung dient, insbesondere, ob auch ermittlungstaktische Überlegungen dazu zählen, bleibt unerörtert. Auch hier könnte eine sozialwissenschaftliche Dokumentation des Phänomens dazu führen, dass entsprechendes Problembewusstsein entsteht, welches dann auch zu rechtlichen Überprüfungen führen könnte. 2. Methodische Grundlagen empirischer Erkenntnisse Wie sehen die Methoden nun aus, was sind die Datenquellen mithilfe derer wir gül- 66 tige Informationen über die Rechtswirklichkeit erhalten? Als verfügbare Datenquellen können wir zunächst die amtlichen Statistiken der Strafverfolgungsbehörden und der Justizverwaltungen nutzen, die, zusammen mit den Strafverfolgungsstatistiken und der Polizeilichen Kriminalstatistik, in erster Linie Auskunft über die Häufigkeit von Strafverfahren, ihre Dauer und die Verteilung auf die verschiedenen Verfahrensarten und Instanzen sowie über die Verfahrenserledigungen geben.86 Sie haben grundsätzlich nur eindimensional beschreibenden Charakter, sind aber mögliche Grundlage für weiterführende und verknüpfende wissenschaftliche Untersuchungen. Immer sind bei der Betrachtung dieser Daten die Umstände und Techniken ihrer Aufnahme zu berücksichtigen, welche unter Umständen Verzerrungen in bestimmte Richtungen bewirken, die bei der Dateninterpretation zu korrigieren, zumindest aber relativierend in Betracht zu ziehen sind. Die eigentlichen Methoden der Rechtstatsachenforschung, die überwiegend der Erlan- 67 gung eigener Daten dient, sind jedoch recht komplex und dem Juristen in der Regel unbekannt. Es geht dabei um Techniken der Aufnahme und Analyse realen Verhaltens mit möglichst objektiven, zumindest aber intersubjektiv nachvollziehbaren Instrumenten. Diese Techniken der empirischen Sozialforschung versuchen, die Subjektivität und Selektivität menschlicher Wahrnehmung soweit als möglich zu überwinden und sowohl die Ergebnisse der methodisch kontrollierten Wahrnehmung als auch deren Analyse zumindest überprüfbar zu machen. Üblicherweise wird hierbei zwischen quantitativem und qualitativem Vorgehen unter- 68 schieden. Die quantitativen Methoden erheben bei einer Vielzahl von Personen thesengeleitete Informationen und rechnen mithilfe statistischer Verfahren Mittelwerte, welche dann für die allgemeine Realität genommen werden. Die Informationen selbst können darauf abzielen einen Zustand zu beschreiben; sie können aber auch möglichen Kausalbeziehungen nachspüren, die dann im Rahmen von Korrelationen statistische Wahrscheinlichkeiten von gemeinsamem Auftreten von unabhängiger und abhängiger Variablen bzw. ihrem sich wechselseitigen Ausschließen beschreiben.87 Die Korrelation, die üblicherweise innerhalb eines Bereichs von 1 und 0.0 beziffert wird (plus 1: immer a wenn b, ein Ergebnis welches der Kausalität nahe käme aber in der Regel nicht erzielbar ist; –1: immer wenn a, dann kein b; 0,00: es besteht kein Zusammenhang zwischen a und b), gibt Hinweise auf mögliche unmittelbare oder vermittelte Kausalitäten.88 Korrelationen müssen nicht nur statistisch mit dem Signifikanztest auf ihre Zufälligkeit hin untersucht werden, sondern bedürfen auch der Interpretation, dies insbesondere in Hin-

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Näher Eisenberg, Krim. § 17; Rieß FS Sarstedt 256 f.; Heinz in Jehle (Hrsg.) Datensammlungen und Akten in der Strafrechtspflege (1989) 163 ff.;. Blankenburg/ v. Kempski/Lebrun/Morasch/ Schumacher (1978). Allgemein und sehr informativ hierzu Bush-

88

way/Weisburd (Hrsg.) Quantitative Methods in Criminology, Ashgate (2005). Bryman Social Research Methods (2004) 320 f.; Rohwer/Pötter Methoden wissenschaftlicher Datenkonstruktion (2002) 14 ff., 107 ff.

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blick auf Variablen, die im Forschungskontext unkontrolliert geblieben sind und daher versteckte, also verfälschende Einflüsse ausüben können.89 Trotz all dieser Schwierigkeiten sind die Erkenntnisse der quantitativen Forschung der bloßen sachverständigen Beobachtung durch Praktiker weit überlegen, weil die Selektivität privater Wahrnehmung durch Techniken zur Erlangung repräsentativer Informationen korrigiert und Ungenauigkeiten einfachen Betrachtens und Bewertens durch Berücksichtigung von Validitäts- und Reliabilitätserfordernissen bei Auswahl und Benutzung der Wahrnehmungsinstrumente kompensiert werden.90 Beispiele für quantitative Forschung im Strafprozessrecht finden sich etwa bei der U-Haft, wo vor allem die gerichtliche Begründungspraxis kritisch unter die Lupe genommen wird.91 Ein interessantes Beispiel für inhaltsanalytisches empirisches Vorgehen bietet die Studie von Barton zur Revisionsrechtsprechung des BGH in Strafsachen.92 Erste Versuche, Zusammenhänge zwischen richterlichem Spruchverhalten und sozialem Hintergrund von Richtern aufzudecken finden wir bei Kaupen 93 und Feest 94. Qualitatives Vorgehen verzichtet dagegen auf eine breite, repräsentative Anlage der Informationserhebung und beschränkt sich auf wenige Personen als Informationsträger, die aber sehr viel intensiver als im Rahmen der quantitativen Befragungen untersucht werden. Trotz der mangelnden Repräsentativität der gewonnenen Informationen gehen die Vertreter der qualitativen Forschung zum Teil davon aus, dass die höhere Dichte ihrer Informationen ihnen trotzdem die Möglichkeit gibt, gleichsam aus der Abstraktion von Erfahrung verallgemeinernde Schlussfolgerungen zu ziehen. Insbesondere in der Medizin, vor allem dort in der Psychiatrie ist dieser Ansatz zu finden, dessen prominentester Vertreter der Vater der modernen deutschen Kriminologie, Hans Göppinger war. Obwohl es keine Studien zur Vergleichbarkeit der Aussagekraft von quantitativen und qualitativen Forschungsansätzen gibt, ist augenscheinlich, dass die qualitativen Arbeiten oft zu ähnlichen Ergebnissen gelangen wie die quantitativen. Nach der Art der Datenaufnahme unterscheidend gibt es folgende Forschungsarten: die Aktenanalyse, die Befragung, die teilnehmende Beobachtung und das Experiment. Auf einer Meta-Ebene gibt es dann noch den auf empirische Studien bezogenen Literaturvergleich, der nur in Bereichen Ertrag verspricht, in denen es viele empirische Studien mit unterschiedlichen theoretischen und methodischen Ausgangspunkten gibt, die gleichsam auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners zu einer Vergleichbarkeit und damit zu einer Erweiterung des empirischen Erkenntnispotentials führen, ohne neue Studien unternehmen zu müssen. Angesichts der Seltenheit empirischer Studien zum deutschen Strafverfahrensrecht kann dieses Vorgehen zur Zeit vernachlässigt werden. Die Aktenanalyse war in den 50er und 60er Jahren sehr beliebt und wurde in einer naiven, heute zurecht nicht mehr akzeptierten Weise betrieben. Man ging davon aus, dass die Akten ein Abbild der kriminellen Realität darstellen. Heute weiß man, dass Gerichts-

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Friedrichs Methoden empirischer Sozialforschung (1990) 94 ff.; Atteslander Methoden der empirischen Sozialforschung (2003) 200; Diekmann Empirische Sozialforschung (2004) 605. Rohwer/Pötter aaO 120–125; Bryman aaO 211 ff. Gebauer Die Rechtswirklichkeit der U-Haft in der Bundesrepublik (1987); E.Volk Haftbefehle und ihre Begründung (1995).

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So die gleichnamige Studie aus 1999. Die Hüter von Recht und Ordnung. Die soziale Herkunft, Erziehung und Ausbildung der deutschen Juristen, 1969. Die Bundesrichter. Herkunft, Karriere und Auswahl der juristischen Elite, in Zapf (Hrsg.) Beiträge zur Analyse der deutschen Oberschicht (1960).

Hans-Heiner Kühne

Wesen und Aufgabe des Strafverfahrens

Einl. Abschn. B

akten lediglich justizielles Handeln abbilden und die darin verhandelte Kriminalität nur mehrfach durch unterschiedliche Interessen gebrochen und unvollständig referieren. Mit dem in den 70iger Jahren aus Anlass des Etikettierungsansatzes (labeling approach 95) aufkommenden Interesse an den Techniken der Zuweisung von strafrechtlicher Verantwortung entstand die sogn. Instanzenforschung, die sich bis heute vor allem auch der Aktenanalyse bedient. Hier durchaus zurecht, da aus den Akten Informationen über justizielles Vorgehen und seine Selbstdarstellung entnommen werden können. Eine der ersten Studien dieser Art war die von Feest/Blankenburg über die Definitionsmacht der Polizei.96 Die Befragung ist eines der beliebtesten Instrumente der empirischen Sozialforschung 74 und hat ihren Siegeszug auch in der Justizforschung angetreten. Insbesondere der einfache Datenzugang – man interviewt Personen persönlich oder durch Versendung von Fragebögen – ist dafür verantwortlich. Von den vielen gleichwohl damit verbundenen Problemen 97 sei nur das der Validität, der Zuverlässigkeit der gegebenen Antworten erwähnt. Die Studie von Blankenburg/Sessar/Steffen über das Selbstbild der Staatsanwaltschaft 98 benutzte auch Befragungstechniken. Die teilnehmende Beobachtung verlangt vom Forscher schon einen massiven persön- 75 lichen Einsatz. Er muss sich in das Feld begeben, welches er erkunden möchte. Im Rahmen von kriminologischer Forschung ist dies durchaus nicht ungefährlich, da man bei bestimmten Fragestellungen ins kriminelle Milieu gehen muss.99 Das Forschungsvorgehen besteht darin, dass man sich Zugang zu dem Realitätsausschnitt verschafft, den man aufklären möchte. Ist der Zugang erlangt, so ist es vorderste Pflicht, sich eine Position der Beobachtung zu verschaffen, in der man von den Beobachteten möglichst wenig wahrgenommen wird, um zu verhindern, dass man als Forscher selbst die Dinge auslöst, die man als Milieu spezifisch gerade herausfinden möchte. Wegen der Schwierigkeiten, die mit diesem Vorgehen verbunden sind, ist die teilnehmende Beobachtung ein selten benutztes Instrument. Die Studie von Lautmann,100 in der er als Ersatzrichter sich Zugang zu gerichtlichen Beratungen verschafft hatte, um diese in Hinblick auf ihre Kompatibilität mit den offiziellen Urteilsgründen zu untersuchen, hat in Deutschland viel Aufregung verursacht. Das Experiment ist zwar in den Naturwissenschaften der Königsweg der Forschung, 76 in den Geisteswissenschaften aber vor allem dann äußerst schwierig umzusetzen, wenn es um die Erkundung menschlichen Verhaltens geht. Der prospektive Ertrag des Experiments auch in der Justizforschung ist groß. Man könnte herausfinden, wie sich Personen – in unserem Zusammenhang also überwiegend solche, die am Verfahren teilnehmen – auf bestimmte durch die Versuchsgestaltung initiierte Reize hin verhalten. Sowohl in Hinblick auf Verfahrensoptimierung wie auch auf Überprüfung der Gleichheit benutzter Entscheidungskriterien wären solche Versuche viel versprechend. Allerdings stecken die

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Der Etikettierungsansatz, von Frank Tannenbaum und Howard S. Becker in den USA entwickelt und insbesondere durch Sack (KrimJ 1972 3–31) in Deutschland rezipiert (vgl. Schwind 140 ff.) stellte die für eine Täter orientierte Kriminologie neue Frage, welche Mechanismen es denn seien, die aus der Vielzahl unentdeckter Täter die ins Hellfeld offizieller Wahrnehmung gelangten Täter oder Tatverdächtigen selegieren. Dies führte

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unmittelbar zu einer kritischen Betrachtung der Tätigkeit von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht. So der gleichlautende Titel (1972). Vgl. näher Schwind 160 ff. Die Staatsanwaltschaft im Prozess strafrechtlicher Sozialkontrolle (1978). Kühne in Müller-Dietz Kriminaltherapie heute (1974) 50–113 (Drogenmilieu). Justiz, die stille Gewalt (1972).

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Einl. Abschn. C

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ethischen Grenzen im forschungstechnischen Umgang mit Menschen das Terrain möglicher Forschungen eng ab. Immerhin kann im Rahmen von Verfahrenssimulationen einiges bewirkt werden, wie dies ansatzweise die Studie von D. Peters 101 gezeigt hat.

C. Nationale Quellen des Strafverfahrensrechts Übersicht Rn. I. Bundesrecht und Landesrecht 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bundesrecht und Landesrecht . . . . . .

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Rn.

II. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . .

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III. Rechtsquellen des einfachen Bundesrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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a) Das Spannungsverhältnis von Prävention und Repression . . . . . . . . . . . . . b) Polizeiliche Eingriffsbefugnisse als alternative Möglichkeit zu strafprozessualen Zwangsmaßnahmen . . . . . . . c) Datenaustausch zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . .

IV. Landesrecht – Zum Verhältnis von Strafverfahrensrecht und Polizeirecht . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . .

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VI. Vordrucke . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Justizverwaltungsvorschriften

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I. Bundesrecht und Landesrecht 1

1. Überblick. Das Strafverfahrensrecht wurde alsbald nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 im Rahmen der sog. Reichsjustizgesetze reichsrechtlich und kodifikatorisch gesetzlich geregelt.1 Es gilt seither, abgesehen von 1945 bis 1949 und der Sonderentwicklung in der DDR,2 weitgehend reichs- bzw. bundeseinheitlich. Die StPO und das GVG stellen die bei weitem wichtigste Grundlage für die Rechtsanwendung dar; doch bilden sie nicht allein die Quellen des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts. Die verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Entwicklung insbesondere nach 1945 2 hat bewirkt, dass wichtige Grundprinzipien und Elemente des Strafverfahrens auf einer (zumindest auch) übergesetzlichen Ebene verankert sind (näher unten bei D). Dies begrenzt die Gestaltungsfreiheit des einfachen Gesetzgebers ebenso, wie es vom Rechtsanwender bei der Auslegung Beachtung erfordert. Auf der einfachgesetzlichen Ebene werden die Hauptkodifikationen StPO und GVG durch eine Reihe weiterer bundes- und landesrechtlicher Vorschriften ergänzt, die teilweise unmittelbar oder kraft Verweisung Materien des Strafverfahrensrechts regeln oder deren Regelungsinhalt in einer Art Reflexwirkung auf das Strafverfahrensrecht zurückwirkt. Während das Gewohnheitsrecht nur eine geringe Bedeutung hat, sind wichtige Rechtsinstitute, wie etwa der Begriff der Verfahrensvoraussetzung, zwar durch das Gesetz anerkannt, werden aber in ihren Konturen weitgehend durch Richterrecht bestimmt. Schließlich sind auf der untergesetzlichen Ebene in nicht zu vernachlässigendem Umfang auch allgemeine Verwaltungsvorschriften zu beachten.

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2. Bundesrecht und Landesrecht. Strafverfahrensrecht ist überwiegend Bundesrecht; es beruht im Wesentlichen auf dem die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes eröff-

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Richter im Dienst der Macht: Zur gesellschaftlichen Verteilung der Kriminalität (1973).

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Näher Rn. F 5 ff. Dazu näher Rn. F 164 ff.

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Nationale Quellen des Strafverfahrensrechts

Einl. Abschn. C

nenden Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG und schließt nach Art. 72 Abs. 1 GG grundsätzlich eine Gesetzgebungskompetenz der Länder aus, weil wegen des Charakters der StPO und (wesentlicher Teile) des GVG als Kodifikationen der Bundesgesetzgeber wie schon der Reichsgesetzgeber die Materie Strafverfahrensrecht abschließend geregelt hat.3 Eine Ausnahme mit der Folge einer zunächst bestehen bleibenden Gesetzgebungskompetenz der Länder dürfte nur dann (und solange) anzuerkennen sein, wenn es sich um eine Materie handelt, deren Regelungsnotwendigkeit außerhalb der Vorstellung des historischen Gesetzgebers lag. In solchen Fällen erlischt die Landeskompetenz frühestens dann, wenn der Bundesgesetzgeber ein Gesetzgebungsverfahren nach dem Grundgesetz beginnt. Partielles Bundesrecht, also solches, das nur in Teilen des Bundesgebietes gilt, ist auch 4 im Strafverfahrensrecht bei der deutschen Wiedervereinigung entstanden und gilt teilweise noch fort.4 Dazu gehören einmal die nur für das Beitrittsgebiet geltenden Sondervorschriften der Anlagen zum Einigungsvertrag,5 soweit sie nicht inzwischen durch die weitere Entwicklung obsolet geworden sind; ferner die §§ 40 bis 44 des noch von der DDR erlassenen und im EinigungsV aufrechterhaltenen 6 SchiedsstG, dessen übrige Teile als Landesrecht in den fünf neuen Ländern fortgelten und deshalb der Disposition des Landesgesetzgebers unterliegen.7 Im Übrigen kommt Landesrecht als strafverfahrensrechtliche Rechtsquelle in Betracht, 5 soweit das Bundesrecht eine entsprechende Öffnungsklausel (vgl. z.B. § 3 Abs. 2, 3, § 6 Abs. 2 EGStPO, §§ 4a, 9 und 10 EGGVG und die dortigen Erläuterungen) oder einen Regelungsvorbehalt (vgl. z.B. § 380 Abs. 1 StPO, §§ 152 Abs. 2, § 153 Abs. 4 Satz 1 GVG) oder eine ausdrückliche Ermächtigung (vgl. z.B. §§ 58, 74 d, 78, 78 b Abs. 2, 121 Abs. 3 GVG) enthält. In der Gesetzgebungskompetenz der Länder liegt auch die Bestimmung der Gerichtsorganisation im Einzelnen. Insbesondere die weitgehende Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Polizeirecht entfaltet bedeutsame Reflexwirkungen für die Ausführung und Anwendung des Strafverfahrensrechts, vgl. Rn. 12 ff.

II. Verfassungsrecht Das Grundgesetz ist in unterschiedlicher Form eine wichtige Rechtsquelle auch für 6 das Strafverfahrensrecht. Teilweise hat es konkrete strafprozessuale Normen mit Verfassungsrang ausgestattet.8 Darüber hinaus enthalten insbesondere die Art. 92 ff. GG und die Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) wichtige Gewährleistungen auch und gerade für das Strafverfahren. Hinzu kommt die Wirkung der allgemeinen Grundrechte und schließlich hat die Verfassungsinterpretation unter der Führung des Bundesverfassungsgerichts aus der Gesamtheit der Verfassung traditionelle strafprozessualer Institutionen verfassungsrechtlich verankert und besondere verfassungsrechtliche Maßstäbe und Topoi strafprozessualer Art entwickelt. In seiner Gesamtheit erscheint das Verfas-

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Zu den sich daraus ergebenden Bedenken gegen die teilweise in den AGGVG der Länder enthaltenen Regelungen über die Ausschließung von Staatsanwälten s. LR/Wendisch 25 Vor § 22, 9 Fn. 21 m.w.N. LR/Rieß/Hilger 24 Nachtr. II Teil C Rn. 26. Einzelheiten bei LR/Rieß/Hilger 24 im Nachtr. II; s. auch Rn. F 226 f.

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EinigungsV, Anl. II Kap. III Sachgeb. A Abschn. I Nr. 3. LR/Rieß/Hilger 24 Nachtr. II Teil C Rn. 27. Namentlich Art. 13 Abs. 2 bis 7 (Durchsuchungen), Art. 101 Abs. 1 S. 2 (gesetzlicher Richter), Art. 103 Abs. 1 (rechtliches Gehör), Art. 103 Abs. 3 (ne bis in idem) und Art. 104 (Freiheitsentziehung).

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Einl. Abschn. C

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sungsrecht dabei als subsumtionsfähige Norm, Auslegungsmaßstab, Abwägungsgesichtspunkt, Wertentscheidung und Grenzbestimmung.9 Die vielen Entscheidungen des BVerfG zum Strafverfahrensrecht (vgl. Rn. H 10 f.) belegen die zentrale Bedeutung des Grundgesetzes für die Auslegung der StPO und bestätigen Eb. Schmidt, der Strafprozessrecht als angewandtes Verfassungsrecht bezeichnete. Es ist die dem Strafverfahrensrecht eigentümliche Konstellation der Gewährung von Rechtseingriffe gegen Personen, für welche die Unschuldsvermutung streitet, die den beständigen Bezug zu den Freiheitsrechten und justiziellen Garantien der Verfassung bewirkt. Insofern kann heute Strafverfahrensrecht ohne tiefere verfassungsrechtliche Kenntnisse, insbesondere den Überblick über die einschlägige Rechtsprechung des BVerfG, nicht mehr ernsthaft betrieben werden; ausführlicher hierzu bei H 14 ff.

III. Rechtsquellen des einfachen Bundesrechts 7

Strafverfahrensrechtliche Hauptkodifikationen sind seit 1877 die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz mit ihren Einführungsgesetzen, die zusammen mit der ZPO sowie der KO erlassen wurden und (neben einigen weiteren Gesetzen) als Reichsjustizgesetze bezeichnet werden. Sie sind als Teile eines einheitlichen Ganzen konzipiert, namentlich bildet das Gerichtsverfassungsgesetz die gemeinsame Grundlage und eine Voraussetzung der beiden Verfahrensgesetze. Aus diesem Zusammenhang erklärt es sich auch, dass das GVG neben den Vorschriften über die Ordnung des Gerichtswesens auch Gegenstände rein verfahrensrechtlicher Art regelt, die gleichermaßen für das Zivilund das Strafverfahren gelten sollen, wie etwa die Rechtshilfe, die Öffentlichkeit und Sitzungspolizei, die Gerichtssprache und die Beratung und Abstimmung. In ihrer inzwischen fast 130jährigen Geltung sind GVG und StPO vielfach geändert worden; auf die ausführliche Darstellung der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte im Abschnitt F wird verwiesen. Das Jugendgerichtsgesetz stellt insoweit eine umfassende strafverfahrensrechtlich 8 besondere Kodifikation dar, als es vor allem in den §§ 33 bis 81 JGG auf der Grundlage des allgemeinen Strafverfahrens- und Gerichtsverfassungsrechts die Besonderheiten des Strafverfahrens gegen Jugendliche und Heranwachsende zusammenfassend und grundsätzlich abschließend regelt. Auch in anderen Bundesgesetzen finden sich zahlreiche Regelungen, die ihrer Natur 9 nach dem Strafverfahrensrecht zuzurechnen sind.10 So gehören die aus eher traditionellen Gründen im StGB geregelten Materien der Verjährung 11 und der Strafantragsbefugnis 12 nach vorherrschender Meinung zum Strafverfahrensrecht. Besonderheiten des Verfahrensgangs in Steuerstrafsachen sind in der Abgabenordnung 13 geregelt. Einzelheiten über die in die Zuständigkeit des Bundes fallenden polizeilichen Aufgaben der Strafverfolgung enthält das Bundeskriminalamtsgesetz (BKAG). Im Betäubungsmittelgesetz finden sich u.a. besondere, die Strafverfolgungspflicht begrenzende Ausnahmen.14 Die Vorschriften des Bundeszentralregistergesetzes enthalten u.a. auch im Prozessrecht zu

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Rieß StraFo 1995 95 f. Vgl. auch die Zusammenstellung bei Roxin § 3, 4 ff.; KMR/Eschelbach Einl. 1 ff.; Beulke Rn. 1. Vgl. m.w.N. LK/Jähnke Vor § 78, 7 ff.; Jescheck/Weigend 911.

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Näher m.w.N. LK/Jähnke Vor § 77, 7 ff.; Jescheck/Weigend 906. §§ 385 bis 408 AO. Insbes. §§ 35 ff. BtMG.

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Nationale Quellen des Strafverfahrensrechts

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beachtende Verwertungsverbote für tilgungsreife und getilgte Vorstrafen.15 Auch im OWiG finden sich strafverfahrensrechtliche Bestimmungen insoweit, als die Behandlung von Ordnungswidrigkeiten im Strafverfahren und der Übergang ins Strafverfahren geregelt sind.16 Wegen der als innerstaatliches Bundesrecht geltenden Regelungen, die an völkerrechtlichen Vereinbarungen anzuknüpfen oder solche umsetzen s. unten E. Die Zivilprozessordnung ist insoweit auch als strafprozessuale Rechtsquelle von 10 Bedeutung, als die StPO sich in bestimmten Bereichen einer eigenen Regelung enthält und insgesamt auf die ZPO verweist, so beispielsweise für die Zustellung (§ 37 StPO).17 Die innerstaatlichen Vorschriften über den internationalen Rechtshilfeverkehr in Strafsachen im IRG betreffen zwar nicht unmittelbar Materien des innerdeutschen Strafverfahrensrechts, sind aber insoweit für die Strafverfolgungsbehörden wichtig, als ihnen vielfach die für die Rechtshilfe erforderlichen Maßnahmen obliegen und sie insoweit auch auf die Beachtung der strafverfahrensrechtlichen Bestimmungen verwiesen werden;18 näher hierzu unten Rn. D 55 ff.

IV. Landesrecht 1. Allgemeines Das allgemeine Verhältnis von Bundesrecht und Landesrecht wird auch im Strafver- 11 fahren von der allgemeinen Regel des Art. 31 GG regiert. Die durch das EGStPO dem Landesrecht vorbehaltenen Regelungsmaterien sind derzeit ohne nennenswerte Bedeutung.19 Soweit dem Landesrecht die Bestimmung von Regelungen zugewiesen ist, die notwendige Voraussetzung für das Funktionieren strafverfahrensrechtlicher Regelungen sind, wie bei der Bestimmung der für den Sühneversuch nach § 380 StPO erforderlichen Vergleichsbehörde 20 oder der Bestimmung der Ermittlungsbeamten der Staatsanwaltschaft (§ 152 Abs. 2 GVG),21 wird man eine Pflicht der Länder annehmen müssen, entsprechende Regelungen zu erlassen. Eine solche Verpflichtung besteht selbstverständlich nicht, soweit es dem Landesrecht lediglich überlassen bleibt, von den bundesrechtlichen Vorgaben abweichende Regelungen zu treffen, wie etwa bei Konzentrationsermächtigungen. Zum Verhältnis von Strafverfahrensrecht und Polizeirecht a) Das Spannungsverhältnis von Prävention und Repression Üblicherweise fehlen in strafprozessualen Darstellungen Ausführungen über das Poli- 12 zeirecht. Dies entspricht der tradierten Einteilung polizeilicher Tätigkeit in repressive, also der Herrschaft der StPO unterliegende und präventive, im Polizeirecht der Länder geregelte Aktivitäten. Da überdies die polizeiliche Prävention der Gefahrenvorbeugung

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§§ 51 ff. BZRG. §§ 81 ff. OWiG; vgl. auch BGHSt 25 25. Vgl. auch § 464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO. S. näher Meyer-Goßner Einl. 215 ff. S. im einzelnen die Erl. zu den §§ 3, 6 EGStPO. Zur Problematik und den Konsequenzen des Fehlens einer solchen Vergleichsbehörde

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BezG Meiningen NStZ 1992 404 m. Anm. Rieß; Rieß NJ 1992 245; wegen der Einzelheiten der gegenwärtigen Regelung s. die Erl. zu § 380 StPO. Wegen der Einzelheiten s. die Erl. zu § 152 Abs. 2 GVG; die Länder haben bisher stets inhaltlich weitgehend übereinstimmende Regelungen erlassen.

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und -abwendung dient, sich also gerade nicht mit der Verfolgung begangener Taten befasst, scheint auch sachlich kein Weg vom Polizeirecht zur StPO zu führen. Dagegen spricht auch nicht, dass gerade auch auf europäischer Ebene polizeiliche Aufgaben gleichermaßen präventiv und repressiv beschrieben werden, wie in Art. 2 EUV („Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität“) und in §§ 2 IV, 4 Europolgesetz. Das entspricht durchaus noch herkömmlichem Verständnis der Doppelfunktion der Polizei als Präventivorgan der Innenverwaltung und Unterstützungsbehörde der Staatsanwaltschaft. Auch die gleichzeitige doppelfunktionelle polizeiliche Tätigkeit, bei welcher die Zugehörigkeit zu einem der beiden Felder nicht eindeutig zu bestimmen ist, ist altbekannt: Die Identifizierung wird nach dem Schwerpunkt des polizeilichen Handelns durchgeführt.22 Eher schon verschmelzen präventive und repressive Aufgaben bei den europäischen 13 (SIS in Schengen und EIS bei Europol, näher unten Rn. D 21 ff.) und deutschen (INPOL beim BKA) Informationssystemen, die nicht nur Daten für präventive Zwecke sondern auch aus dem Bereich der Strafverfolgung enthalten (§§ 481, 483, 484).23 Endgültig hat jedoch der Terminus der Vorfeldermittlung den Unterschied zwischen präventiver und repressiver Tätigkeit in Frage gestellt, weshalb eine rein strafprozessuale Betrachtung der Ermittlungsarbeit heute nicht mehr hinreichend ist.24 Der Terminus der Vorfeldermittlung, auch als pro-aktives Handeln bezeichnet, hat die 14 Verschmelzung von Polizei und Strafprozessrecht bewirkt. In allen Polizeigesetzen der Länder 25 ist die Polizei aufgefordert und ermächtigt, im Vorfeld der Deliktsbegehung tätig zu werden. Kriminalpolitisch ist dies damit begründet worden, dass es sinnvoll sei, in kriminalitätsgeneigten Situationen und Umgebungen nicht erst die konkrete polizeiliche Gefahr oder das vollendete Delikt abzuwarten, sondern schon vor der Gefahr oder der Tat vorauseilend zu agieren, um derart negative Ereignisse erst gar nicht entstehen zu lassen oder aber, falls sie doch eintreten, die Beteiligten sogleich überführen zu können. Gerade in Hinblick auf die subtilen Strukturen der organisierten Kriminalität und neuerdings und in verstärktem Maße beim Terrorismus sei anders kaum erfolgreich vorzugehen.26 Vorfeldermittlungen sind nicht einfach zu beschreiben. Zentral sind sie repressiver 15 Natur, weil sie Ermittlungshandlungen im Bezug auf noch nicht begangene Straftaten darstellen. Dies impliziert, dass die Polizei entweder ein genaues Wissen von Personen hat, die Straftaten begehen wollen, oder aber, dass die Polizei grundsätzlich jeden Bürger als potentiellen Kriminellen betrachten und mit Vorfeldermittlungen überziehen darf. Während die erste Annahme wohl eher Wunschdenken entspricht, ist die zweite durchaus beunruhigend, weil der Bürger, ohne in strafprozessualen Verdacht geraten zu müssen, grundsätzlich verdächtig und Gegenstand von polizeilichen Ermittlungen sein kann.27

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Etwa Würtenberger/Heckmann Polizeirecht in Baden-Württemberg 188 ff. Vgl. Wolter in Ehrengabe für Brauneck (2000) 515 ff.; ders. in FS Rolinski 276. Vgl. allgemein zu Präventionskonzepten im engen und weiten Sinn Kühne DRiZ 2002 18. Auch Bremen als letztes Bundesland hat seit dem 4.9.2001 eine entsprechende Regelung eingeführt, die nach dem 11. September durch Gesetz vom 25.10. erweitert wurde. Ähnliche Bestimmungen finden sich im BPG

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(ehemals BGSG) und BKAG, vgl. Soiné Kriminalistik 1997 252. Etwa Herold in FS Wassermann 359; Stümper Kriminalistik 1980 242. Vgl. näher hierzu Kühne in Kühne/Miyazawa (Hrsg.) Neue Strafrechtsentwicklungen im deutsch-japanischen Vergleich (1994) 153, 162 ff.; Hilger in FS Hilger 11 ff.; auch Generalstaatsanwalt Schaefer NJW 1999 543 zeigte sich von dieser Entwicklung beunruhigt.

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Der Vorfeldermittlung haften aber auch Merkmale der Prävention an. Diese Aspekte 16 werden semantisch eher vom Begriff des pro-aktiven Verhaltens vermittelt. Vor der Entstehung einer polizeilichen Gefahr, die natürlich auch durch eine Straftat bedingt sein kann, soll die Polizei tätig werden dürfen. Dieses Konzept entspricht der klassischen polizeilichen Präventionsarbeit, wie sie etwa mithilfe von Streifengängen seit jeher betrieben wird. Wenn jedoch die Polizeigesetze der Länder zwecks Konkretisierung der Prävention vorsehen, Verdeckte Ermittler 28 oder V-Personen 29 auf „Vorverdächtige“ anzusetzen oder bei diesen Personen Telekommunikationsüberwachungen durchzuführen 30 und mit deren personenbezogenen Daten etwa mithilfe von Rasterfahndung umzugehen,31 so hat diese Art der Prävention Eingriffscharakter und berührt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Nach alledem sind Vorfeldermittlungen zumindest keine Polizeiaufgaben im über- 17 kommenen Sinn und tragen wesentliche Elemente der Repression in sich. Deshalb und auch wegen der partiellen Übertragbarkeit präventiv erlangter Daten in den Bereich der Repression und vice versa, vgl. etwa §§ 100 d Abs. 6, 481 StPO und unten Rn. 26 ff., muss die polizeirechtliche Perspektive nunmehr auch im strafprozessualen Zusammenhang berücksichtigt werden. Davon unabhängig ist, wie Vorfeldermittlungen dogmatisch eingeordnet werden, ob sie Erweiterung präventiv polizeilicher Aufgaben,32 Mischgebiete zwischen Prävention und Repression oder ein eigenständiges drittes polizeiliches Aufgabengebiet sind.33 Jedenfalls bedarf es aber einer rechtlichen Festlegung dieser neuen polizeilichen Kompetenz. Selbst wenn man mit Pitschas in der Vorfeldermittlung euphorisch eine Abkehr von Polizei als zu zügelndem Herrschaftsapparat und die Hinwendung

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Art. 33 I Nr. 3, 35 BayPAG; § 22 I Nr. 3 PolG Baden-Württemberg, § 41 SächPolG; § 20 PolG NW; siehe auch die Regelung in Hessen für „verdeckt ermittelnde Personen – VE-Person“ (§ 16 II HSOG). So die Polizeigesetze von Hessen (§ 16 I HSOG), Mecklenburg-Vorpommern (§ 33 I Nr 4 SOG M-V), Nordrhein-Westfalen (§ 19 PolG; „Personen, deren Zusammenarbeit mit der Polizei Dritten nicht bekannt ist“) und Rheinland-Pfalz (§ 25 b POG: „Einsatz zur verdeckten Informationserhebung bestimmter technischer Mittel oder Personen“). So in den Ländern Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Thüringen. BVerfG v. 4.10. 2006 – 1BvR 518/02 reduziert diese Möglichkeiten (aus Anlass des § 31PolG NRW), indem es als generelle Voraussetzung der Anwendung präventiver Rasterfahndung eine auf konkrete Tatsachen begründete Gefahr fordert. So BVerfG NJW 2005 2603. Das BVerfG geht davon aus, dass noch nicht begangene und möglicherweise bevorstehende Straftaten jeweils aus der präventiven wie der repressiven Sicht betrachtet und geregelt werden können. Soll die Maßnahme die Begehung

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einer solchen Straftat verhindern, geht es um Prävention, für die die Länder und ihre Polizeien zuständig sind. Soll die Maßnahme die Verfolgung der dann doch begangenen Straftat erleichtern, so geht es um Repression und der Bundesgesetzgeber ist im Rahmen der StPO zuständig, BVerfG aaO S. 2605 sub (bb) und (cc). Da es anders als bei den Polizeigesetzen im Strafverfahrensrecht weniger explizite Ermächtigung im Vorfeld eines Verdachts gibt, vgl. etwa § 81 g StPO, besteht verstärkt das Problem der Aushebelung strafprozessualer Grenzen durch Polizeirecht. So Weßlau Vorfeldermittlungen (1989) mit ausführlichen Nachweisen zu den unterschiedlichen Ansätzen; ebenso Soiné Kriminalistik 1997 252; Schoreit DRiZ 1991 320 weist aus staatsanwaltlicher Sicht auf die Gefahren unkontrollierten polizeilichen Eingriffshandelns hin, die sich aus der Vorfeldermittlung und ihrer unklaren dogmatischen Position ergäben; kritisch auch Gusy GA 1999 319, 327; für eine gesetzliche Regelung sämtlicher Eingriffsmaßnahmen im Vorverfahren Artzt Die verfahrensrechtliche Bedeutung polizeilicher Vorfeldermittlungen (2000) 261 ff.

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zu einem Polizeibegriff der partnerschaftlichen Leistungsverwaltung 34 sieht, bleibt – wie auch sonst in der immer stärker durch Eingriffsverhalten geprägten Leistungsverwaltung – die Frage nach rechtsstaatlicher Festlegung zu beantworten. Polizeiliches Präventivhandeln darf ungeachtet seiner augenblicklich zumindest propagierten gesellschaftlichen Anerkennung nicht „unter der Hand zu einem Titel für jede als zweckmäßig angesehene staatliche Intervention mutieren“,35 die unmittelbar oder mittelbar für das Strafverfahren fruchtbar gemacht werden können. Unbestrittener Ansicht nach verbleibt der Polizei die allgemeine Befugnis, jenseits von 18 polizeilicher Gefahr und Verdacht, Informationen einzuholen, soweit dadurch nicht in Rechte Dritter eingegriffen wird. Dies kann auf mannigfaltige Weise geschehen und hat im Rahmen herkömmlicher Prävention eine lange Polizeitradition. Etwa Streifengänge in gefährdeten Gebieten, Bürgerkontakte als präventive Serviceleistung für Sicherheit und Abbau von Kriminalitätsfurcht. Kleine wie große Verbrecher leben in der Gesellschaft von überwiegend rechtstreuen Bürgern und bleiben daher kaum unerkannt. Wenn die Polizei das Vertrauen der Bürger hat, werden diese Informationen auch weitergegeben. Die Bewegung der kommunalen Kriminalprävention 36 weist in diese Richtung. Unter dem Aspekt der vorbeugenden Bekämpfung von Terrorismus ist diese bürgernahe Polizeiarbeit in Hinblick auf muslimische Gruppierungen in unserem Staat von besonderer Bedeutung. Nähert sich die Polizei dem Bürger hingegen als grundsätzlich potenziellem Kriminel19 len, wird sie auch bei noch so vielen Eingriffsbefugnissen nicht annähernd so viel erfahren wie als vertrauensvoller Partner und Serviceleistender in Sicherheitsfragen. Wann allerdings die Techniken der Informationseinholung – sei dies unmittelbar bei der Vorfeldermittlung oder in ihren Randbereichen – in Rechte Dritter eingreifen und einer gesetzlichen Legitimation bedürfen, mag im Einzelfall fraglich sein. So etwa das Versenden von Fragebögen an Kunden von Beschuldigten 37 in Hinblick darauf, ob sie von ihnen in strafrechtlich relevanter Weise geschädigt worden seien. Oder aber bei der Identitätsüberprüfung der Besucher von Moscheen. Hier wird man davon ausgehen müssen, dass das Ausmaß der durch die Beweiseinholung bewirkten Stigmatisierung des Beschuldigten die Grenzen beschreibt. Im ersterwähnten Fall muss Unzulässigkeit schon deshalb attestiert werden, weil und soweit keine hinreichenden Vorinformationen vorlagen, die die angeschriebenen Kunden als Geschädigte hätten beschreiben können; im zweiten Fall fehlt es ebenfalls an einer Information, die die Besucher der Moschee konkret in irgend einer Weise in Verbindung mit einem Verdacht oder auch nur einer „Vorgefahr“ bringen könnte. Vor allem im Öffentlichen Recht wird dagegen die Notwendigkeit betont, in einer 20 modernen Gesellschaft Vorsorge als Risikosteuerung zu betreiben, weshalb das Prinzip 34 35 36

Pitschas in: Pitschas (Hrsg.) Kriminalprävention und Neues Polizeirecht (2002) 249. Pitschas aaO 260. Vgl. Oberfell-Fuchs Ansätze und Strategien kommunaler Kriminalprävention (2001); Bässmann Kriminalprävention in Deutschland: Länder – Bund – Projektsammlung (2000); Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz (Hrsg.), Kriminalpräventiver Rat Trier: eine Bestandsaufnahme (1998); Kury (Hrsg.), Konzepte kommunaler Kriminalprävention (1997);

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37

Trenczek/Pfeiffer (Hrsg.), Kommunale Kriminalprävention (1996); Feltes (Hrsg.), Kommunale Kriminalprävention in Baden-Württemberg (1995); Dölling/Feltes (Hrsg.), Community Policing, Empirische Polizeiforschung, Bd. 5 (1993); Heinz in Jehle (Hrsg.), Kriminalprävention und Strafjustiz, Krim. Zentralstelle, Bd. 17, S. 55. OLG Dresden NJW 1998 3369 hat in dieser – allerdings gerichtlich angeordneten – Maßnahme die Überprüfbarkeit nach § 23 EGGVG verneint.

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der bloßen polizeilichen Gefahrenabwehr als obsolet zu überwinden sei.38 Nicht mehr der Einzelne als Störer, sondern die Gesellschaft als Ganzes, zumindest aber als Teilgruppe, gelte es in die Verantwortung zu nehmen.39 Dem ist jedoch in unserem Zusammenhang entgegenzutreten, weil unzulässig verallgemeinert wird. Es gibt in der Tat gesellschaftliche Gruppen, deren Verhalten erkennbar risikogeneigt und daher vorab zu kontrollieren ist. Betreiber von Kernkraftanlagen gehören dazu ebenso wie Autofahrer. Hier rechtfertigt die Höhe des Schadensrisikos im Falle auch nur leichten Abweichens von den vorgegebenen Regeln die vorbeugende Kontrolle rechtmäßigen Verhaltens. Dies aber zum allgemeinen polizeilichen Prinzip zu erheben und den Bürger von vornherein als Kriminalitätsrisiko wahrzunehmen, welches vorsorglicher Risikosteuerung bedürfe, würde nichts anderes bedeuten als ein Rückfall in vorkonstitutionelle, feudale Staatsstrukturen. Neuerdings wird noch Weitergehendes gefordert und zwar die Kooperation zwischen 21 Geheimdiensten (BND, Verfassungsschutz) und Polizei.40 Geheimdienste hatten bereits vor den Terroranschlägen auf das World Trade Center am 11.9.2001 und den daraufhin erfolgten legislativen Änderungen auch in Deutschland das Recht, jenseits von Verdacht und Gefahr mit zum Teil sehr massiven Eingriffsinstrumenten Informationen zu erheben, um etwaige staatsgefährdende Unternehmungen von vornherein in den Griff zu bekommen. Allerdings durften nur Aktivitäten, die für den Bestand des freiheitlichen Rechtsstaates bedrohlich sind, Gegenstand geheimdienstlichen Interesses sein, womit zugleich die Macht dieser Dienste legitimiert wird. Das ist bei der üblichen Kriminalität nicht der Fall, weshalb es hier auch keine Berührungspunkte zwischen Polizei und den Diensten gibt. Es ist jedoch schon bald versucht worden, die von der organisierten Kriminalität aus- 22 gehende Bedrohung als ebenso staatsgefährdend wie politischen Extremismus und Terrorismus zu beschreiben,41 um die Tür für eine Kooperation zwischen Geheimdiensten und Polizei zu öffnen, wodurch die Polizei Zugriff auf Informationen erhielte, die nicht unter Beachtung der begrenzenden Regeln der Polizeirechte bzw. der StPO erlangt worden sind.42 Das erscheint jedoch als falsch.43 Der organisierten Kriminalität geht es um Gewinne, nicht aber um politische Ziele.44 Im Übrigen würde eine solche Kooperation den Rechtsstaat an seiner empfindlichsten Stelle geradezu aushebeln. Es ist zwar kontrovers, ob das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten, welches im Nachkriegsdeutschland aus der üblen Erfahrung mit der Gestapo des nationalsozialistischen Regimes durch den Polizeibrief der Alliierten vom 14.4.1949 45 begründet wurde und in 38

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Ausführlich Aulehner Polizeiliche Gefahrenund Informationsvorsorge (1998) 431 ff. m.w.N. Schmidt-Aßmann in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Schuppert (Hrsg.), Reform des allgemeinen Verwaltungsrechts (1993) 11, 28. Etwa Denkowski Kriminalistik 2003 212; Droste VR 1998 15; Nehm NJW 2001, 2665; ders. NJW 2004, 3289; Riegel ZRP 1999, 216; Rupprecht Kriminalistik 1993 131. Werthebach/Droste-Lehmann ZRP 1994 57, 65. Die Ermittlung von Daten durch die Geheimdienste nach dem G10 ist insbesondere des-

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44 45

halb unproblematischer als die nach Polizeigesetzen, weil bei der sogn. strategischen Kontrolle nach § 5 G10 die erforderliche „Gefahrensituation“ weit vor der der polizeilichen Gefahr gelagert ist. Auch bedarf es keiner richterlichen Anordnung bei Eingriffen. Es besteht lediglich eine Benachrichtigungspflicht gegenüber dem Kontrollausschuss. Erfreulicherweise sieht das das BVerfG in seiner G-10 Entscheidung vom 14.7.1999 ebenso, NJW 2000 55 ff. = EuGRZ 1999 389; ebenso kritisch auch Hetzer StV 1999 165. Zutreffend Hetzer ZRP 1999 19. Text bei Roewer DVBl. 1986 206 Fn. 11.

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der Kompetenzvorschrift des Art. 73 Nr. 10 b GG zum Ausdruck kommt, Verfassungsrang hat.46 Unbestreitbar ist jedoch, dass das Trennungsgebot staatliche Macht vor ihrer vollständigen Entfesselung bewahrt und verhindert, dass strafprozessuale und polizeiliche Eingriffsschranken beliebig ausgehebelt werden können. Als Reaktion auf die Anschläge in New York und Washington wurden in einer bisher 23 beispiellosen Schnelligkeit zwei Sicherheitspakete verabschiedet.47 Insbesondere die Auswirkungen der Inhalte und Bestandteile des Terrorismusbekämpfungsgesetzes 48 für das Verhältnis von Strafverfolgung und die geheimdienstliche Tätigkeit sind derzeit noch nicht absehbar. Eines der zentralen Anliegen beider Sicherheitspakete – die „Verbesserung“ des Datenaustausches zwischen verschiedenen Behörden – lässt aber eine weitere Annäherung von Polizei und Verfassungsschutz erwarten. Es ist jedoch unübersehbar, dass eine Vielzahl ehemals geheimdienstlicher Maßnah24 men nunmehr Eingang in das Strafverfahrensrecht gefunden hat. Das ist etwa der Fall beim sog. großen Lauschangriff (§ 100 c StPO), bei dem Einsatz verdeckter Ermittler (§ 110 a StPO) oder der Video-Überwachung. Einerseits erschreckt dieser Befund. Das Gesicht des Strafverfahrens hat sich dadurch in seinem Ausdruck stark verändert und erscheint kantiger und repressiver als jemals zuvor. Andererseits kann dieser Entwicklung auch Positives abgewonnen werde, da die rechtsstaatlich durchaus unvollkommene Kontrolle der geheimdienstlichen Tätigkeit durch den sogn. G 10 Ausschuss durch die Überführung dieser Maßnahmen in das Strafverfahrensrecht verstärkt richterlicher Kontrolle unterfällt. b) Polizeiliche Eingriffsbefugnisse als alternative Möglichkeiten zu strafprozessualen Zwangsmaßnahmen

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Die Polizeigesetze der Länder gewähren der Polizei Eingriffsbefugnisse zu präventiven Zwecken. Mit der Erweiterung polizeilicher Befugnisse auf die Vorfeldermittlungen, vgl. Rn. 14 ff., hat sich ein nicht unbeträchtliches, wenngleich in seinem Ausmaß diffus erscheinendes Feld konkurrierender oder auch nur sich überschneidender präventiver und repressiver Kompetenzen ergeben. Hieraus ergeben sich Wahlmöglichkeiten zwischen präventiv oder repressiv definiertem Eingriffshandeln.49 Die Gefahr, dass bei einer solchen Wahl nicht so sehr der Schwerpunkt der jeweiligen Rechtsmaterie sondern die Leichtigkeit der Erfüllung von Eingriffsvoraussetzungen bestimmend wird ist evident. Überdies gibt es auch im herkömmlichen Bereich der Verbrechensbekämpfung Überschneidungen von repressiver und präventiver Zuständigkeit, die ebenso eine solche Wahl eröffnen. So etwa bei Verdächtigen, von denen angenommen werden kann, dass sie weitere Delikte begehen oder aber ihre begangenen Delikte durch weitere Straftaten zu verdecken versuchen werden. Dieser Befund weitgehender Austauschbarkeit polizeilicher und strafprozessualer Eingriffe macht es sinnvoll, in diesem Bereich polizeirechtliche Erwägungen zusammen mit strafprozessualen zu berücksichtigen. 46

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Gusy ZRP 1987 45; Hetzer ZRP 1999 19, 23; zur Beachtung des Trennungsgebotes bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität Gusy GA 1999 319 ff. Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) vom 9. Januar 2002, BGBl. 2002 I, 361. Kritisch dazu unter Gesichtspunkten unkontrollierter Derogation von Individualrechten Kühne Bürgerfreiheit und Verbrecherfreiheit.

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Der Staat zwischen Leviathan und Nachtwächter (2004). Das erste sogn. Sicherheitspaket bestand aus drei Teilen,BGBL. I (2001), S. 3319; I (2002), S. 3390, I (2001), S. 3438. Das zweite Paket, das TerrorismusbekämpfungsG BGBl. I (2002), S. 361. Hierzu Denninger StV 2002 96 ff. sowie die Stellungnahme des deutschen Richterbundes (DRiZ 2002 45). Details dazu bei Kühne Rn. 378 ff.

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c) Datenaustausch zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft Wesentlicher Bestandteil des StVÄG 1999 sind Bestimmungen über die Weitergabe 26 und Verwertbarkeit strafprozessual erhobener Daten unter anderem für präventiv-polizeiliche Zwecke (§§ 474–482).50 Darüber hinaus besteht für die Übermittlung der beim BKA gesammelten personenbezogenen Daten und Informationen mit § 10 BKAG eine spezielle Regelung, die ebenfalls eine Zweckumwidmung gewonnener Erkenntnisse erlaubt. Der durch das StVÄG neu in die StPO eingefügte § 481 regelt nur eine Richtung des 27 Daten- bzw. Informationsaustausches, nämlich die umfassende Verwendung strafprozessual gewonnener Erkenntnisse für präventiv-polizeiliche Zwecke nach Maßgabe der Polizeigesetze der Länder. Ungeklärt war das Verhältnis von § 100 f I a.F. zu § 481 hinsichtlich der präventiv-polizeilichen Verwendung von Erkenntnissen, die aus einer strafprozessual durchgeführten akustischen Wohnraumüberwachung (§ 100 c) stammen;51 inzwischen gilt insoweit § 100d Abs. 6 Nr. 2 (s. auch § 100f Abs. 2, 5 zum Einsatz techn. Mittel). Festzuhalten bleibt, dass Ermächtigungsgrundlage für die Verwendung strafprozessual gewonnener Informationen durch Polizeibehörden – soweit eine spezielle Regelung fehlt – grundsätzlich die entsprechende Regelung im Landesrecht in Verbindung mit der Brückenvorschrift des § 481 I 1 sein kann. Verfassungsrechtliche Bedenken entstehen bei der Übermittlung personenbezogener Daten aus dem Strafverfahren zu polizeipräventiven Zwecken vor allem dann, wenn der Maßnahme, mit der die Daten strafprozessual gewonnen worden sind, keine vergleichbare Eingriffsbefugnis im jeweiligen Landespolizeigesetz gegenüber steht, wie dies etwa bei der Telefonüberwachung (§ 100 a StPO) oder der Rasterfahndung, §§ 98 a–c StPO der Fall sein kann.52 Für die Praxis ebenso interessant ist der umgekehrte Fall des Informationsaustausches 28 von „präventiv“ in Richtung „repressiv“. Die Gesetzeslage ist hier nach wie vor unbefriedigend. Von Verfassungsschutzbehörden und Nachrichtendiensten gewonnene Daten dürfen (nur dann) an Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften übermittelt und für die Zwecke der Strafverfolgung nutzbar gemacht werden, wenn es um die Verfolgung von Staatsschutzdelikten geht (vgl. §§ 20, 21 BVerfSchG; § 9 BNDG; § 11 MADG). Dagegen fehlt es weiterhin an einer klaren und umfassenden allgemeinen Regelung zur Verwertbarkeit präventiv erlangter personenbezogener Informationen im Strafverfahren. In Anlehnung an ein Urteil des BGH zur Observation aus dem Jahre 1992 wurde im Gesetzgebungsverfahren zum StVÄG von einer umfassenden und unbegrenzten strafprozessualen Verwertbarkeit präventiv-polizeilicher Daten ausgegangen.53 Aus der Neufassung des § 161 durch das Gesetz v. 2.8.2000 54 ergibt sich jedoch diese Befugnis wohl bestenfalls mittelbar.55 Die Sonderregelung des § 100 d Abs. 6 Nr. 3 StPO könnte dagegen die Interpretation zulassen, dass es zu einer solchen Übertragung einer gesonderten gesetzlichen Regelung bedarf. Es erscheint in diesem Zusammenhang als äußerst unbefriedigend,

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51 52

Zu diesen Regelungen Hilger NStZ 2001 15 ff.; vgl. zur Zusammenarbeit von Polizei und Justizbehörden bei der Verbrechensbekämpfung auch Kersten Kriminalistik 1999 40 ff. Brodersen NJW 2000 2536, 2539 f.; Wollweber NJW 2000 3623, 3624. Ausführlich zu diesem Problem aus verfassungsrechtlicher Perspektive Schenke JZ 2001 997 ff. Bei der präventiven Rasterfahn-

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dung hat BVerfG v. 4.4. 2006 – 1 BvR 518/02 für NRW und den dortigen § 31 PolG die Einschränkung gemacht, dass derartige Maßnahmen nur bei Vorliegen von Tatsachen möglich sind, aus denen sich eine konkrete Gefahr ergibt. Vgl. BGH NStZ 1992 44, 45; zum Gesetzgebungsverfahren: BTDrucks. 14/2886. BGBl. I, S. 1253. Siehe die Kommentierung bei § 161.

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wenn die polizeilichen Datensammlungen, insbesondere INPOL, der eigenständigen Einsicht durch die Staatsanwaltschaft mit dem Hinweis verschlossen bleibt, es handele sich (auch) um präventive Daten.56

V. Justizverwaltungsvorschriften 29

In der Rechtspraxis wird die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden in erheblichem Umfang auch durch allgemeine Verwaltungsvorschriften bestimmt. Sie haben keine Rechtsnormenqualität. Den Richter binden sie nur, soweit er nicht rechtsprechend tätig wird, den Staatsanwalt, soweit das Weisungsrecht reicht.57 Überwiegend handelt es sich um Vorschriften, die von den Landesjustizverwaltungen erlassen werden, teilweise in inhaltlich übereinstimmender oder gar wortgleicher Form.58 Sofern auch die strafverfolgende Tätigkeit der Polizei betroffen ist, sind auch gemeinsame Richtlinien der Justizund Innenverwaltungen erlassen worden.59 In der Praxis werden diese untergesetzlichen Vorschriften oft genauer beachtet als die Gesetze selbst. Auch Gerichte beziehen sich nicht selten bei der Interpretation von strafprozessualen Vorschriften auf solche Ausführungsvorschriften, die natürlich nur an die Staatsanwaltschaft, nicht aber an die Richterschaft gerichtet sind. Als solche Verwaltungsvorschriften von allgemeiner und übergreifender Bedeutung sind beispielhaft hervorzuheben: Die detaillierten Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV),60 die Richtlinien zum Jugendgerichtsgesetz (RiJGG), die Strafvollstreckungsordnung 61 und die Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt). Weitere Verwaltungsvorschriften, wie beispielsweise die Aktenordnung befassen sich vorwiegend mit der geschäftsmäßigen Behandlung der Strafverfahren.

VI. Vordrucke 30

Ohne jede formelle Bindewirkung sind Vordrucke, obwohl sie die Verfahrenswirklichkeit mitunter stärker prägen als das Gesetz. Vordrucke sind mittlerweile fast für jeden Vorgang in der Justiz entwickelt worden. Manche Praktiker-Lehrbücher hangeln sich an entsprechenden Sammlungen von Vordrucken entlang, um das Strafverfahren darzustellen.62 Vordrucke können hilfreich sein, weil sie justizielles Vorgehen standardisieren und Berufsanfängern wie erfahrenen Praktikern die Arbeit erleichtern. Ihr inhaltlicher Einfluss darf jedoch in keiner Weise unterschätzt werden. Die im Vordruck jeweils gefundene Art der Formulierung und des Aufbaus ist notwendig auch Ergebnis einer bestimmten Interpretation von Normen und Einschätzung möglicher justizieller Handlungsmuster. Insofern bleiben solche Vordrucke oft hinter den auf einer vollständigen Norminterpretation und umfassenden Einschätzung von Handlungsmöglichkeiten be-

56 57 58 59 60 61

Vgl. Kühne Rn. 153. Vgl. dazu die Einführung zu den RiStBV. So z.B. die RiStBV, die für seinen Geschäftsbereich auch vom BMJ erlassen werden. So etwa die Anl. D und E zu den RiStBV. Abdruck z.B. bei Meyer-Goßner Anh. 12. Zur Bedeutung s. näher die Erl. Vor § 449; LR/Wendisch 25 Vor § 449, 18 f.

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Etwa Göbel Strafprozess (2005); Hamm/ Lohberger (Hrsg.) Beck’sches Formularbuch für den Strafverteidiger (2002); Himmelreich/ Bücken Formularbuch Verkehrsstrafrecht, Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht, Verkehrsverwaltungsrecht (2003); Schaefer/ Schroers Mustertexte zum Strafprozess (2003).

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ruhenden rechtlichen und tatsächlichen Optionen zurück. Es sei jedem Praktiker daher dringend empfohlen, sich von einem Vordruck weder die eigene Subsumtion noch die selbständige Entscheidung über die jeweils angemessene Handlung und ihre Begründung abnehmen zu lassen.

D. Strafverfahrensrecht im europäischen und internationalen Kontext Schriftum Albert/Widmaier Mögliche Konfliktbereiche und Divergenzen im europäischen Grundrechtsschutz, EuGRZ 2006 113 Ambos Staatsanwaltliche Kontrolle der Polizei, Verpolizeilichung des Ermittlungsverfahrens und organisierte Kriminalität, Jura 2003 674; Ambos/Ruegenberg Internationale Rechtsprechung zum Straf- und Strafverfahrensrecht, NStZ-RR 1998 161; Arzt Rechtsfragen der automatisierten Kennzeichenerkennung, SVR 2004 368; Atiyah Pragmatism and Theory (1987); Bailey/Gun Smith and Bailey on the Modern English Legal System (1996); Baldus Europol und Demokratieprinzip, ZRP 1997 286; Baufeld Der Richter und die freie Meinung im demokratischen Verfassungsstaat; Beaucamp §§ 32, 34 StGB als Ermächtigungsgrundlage für polizeiliches Eingreifen, JA 2003 402; Bergmann 5 Jahre DNA-IFG u. DNA-Datenbank, Kriminalistik 2003 222; Biancarelli Revue science criminelle et de droit pénal comparé (1987); Bleckmann Verfassungsrang der Europäischen Menschenrechtskonvention? EuGRZ 1994 149; Böse Der Beitritt der EG zur EMRK aus der Sicht des Strafrechts, ZRP 2001 402; ders. Die Immunität von Europol, NJW 1999 2416; ders. Strafen und Sanktionen im europäischen Gemeinschaftsrecht (1996); Bradley (Hrsg.) Criminal Procedure. A Worldwide Study (1999); Braum Europäisches Strafrecht im administrativen Rechtsstil, ZRP 2002 508; Brenneisen/Martins/Staack Das strafprozessuale Eingriffshandeln der Polizei, Kriminalistik 2005 436; Bühler Einschränkungen der Grundrechte nach der Europäischen Grundrechte Charta (2005); Bull Das Europäische Polizeiamt – undemokratisch und rechtsstaatswidrig? DRiZ 1998 32; Bung Doppelfunktionelle Nötigungsabsicht bei der Aussageerpressung, KritV 2005 67; Van Caenegem Judges, Legislaters and Professors: Chapters in European legal history (1987); Cullen/Lund (Hrsg.) Criminal Justice Cooperation in the EU after Tampere, Europäische Rechtsakademie, Bd. 33 (2002); Dieckmann Europäische Kooperation im Bereich der Strafrechtspflege, NStZ 2001 617; von Denkowski Präventive TKÜ – Eine Staatsschutzklausel für Strukturermittlungen, Kriminalistik 2004 369; Dreist Terroristenbekämpfung als Streitkräfteauftrag – zu den verfassungsrechtlichen Grenzen polizeilichen Handelns der Bundeswehr im Innern, NZWehrr 2004 89; Ehrenberg/Frohne Doppelfunktionale Maßnahmen der Vollzugspolizei, Kriminalistik 2003 737; Esser/ Harich/Lohse/Sinn (Hrsg.) Die Bedeutung der EMRK für die nationale Rechtsordnung (2004); Falterbaum Sozialarbeit und Polizei, ArchSozArb 2004 Nr. 3, 98; Frevel Europäische Politik der Inneren Sicherheit, Die Kriminalprävention 2004 66; Frowein/Krisch Der Rechtsschutz gegen Europol, JZ 1998 589; Gazeas Die Europäische Beweisanordnung, ZRP 2005 18; Gerlach/Schubert Die DNA-Analyse im Strafverfahren – Plädoyer für eine sachliche u. verantwortungsvolle Diskussion, Recht u. Politik 2005 79; Gleß Europol, NStZ 2001 623; Gleß/Lüke Strafverfolgung über die Grenzen hinweg, Jura 1998 70; Göbel Fahndungskooperation zwischen Polizei und Feldjägern, NWV BL 2003 211 und NZWehrr 2004 18; Gössel Parteiöffentlichkeit statt Verfahrensöffentlichkeit – oder – der Rückzug aus der Kontrolle der Öffentlichkeit? JR 2004 313; Grassmann/David Einführung in die großen Rechtssysteme der Gegenwart (1988); Hackner/Schomburg/Lagodny/Wolf Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (2003); Hailbronner Die Immunität von Europol-Bediensteten, JZ 1998 283; Harings Grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei- und Zollverwaltungen und Rechtsschutz in Deutschland (1998); Haurand/Vahle Rechtliche Aspekte der Gefahrenabwehr in Entführungsfällen, NVwZ 2003 513; Heghmanns Die prozessuale Rolle der Staatsanwaltschaft, GA 2003 433 ff.; Hetzer Die Flucht des Gesetzgebers in die polizeirechtliche Prävention, StraFo 2005 318; ders. Terrorismusbekämpfung zwischen Risikosteuerung u. Rechtsgüterschutz, MschrKrim 2005 111; ders. Terrorismusbekämpfung – Strafverfolgung oder Kriegsführung? Kriminalistik 2004 508; Hilger Über den flankierenden Schutz von Zeugnisverweigerungsrechten, GA 2003 482;

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Hillgruber Unionsrecht und nationales Recht – der Fall Pupino, JZ 2005 841; Hoffmann-Riem Freiheit und Sicherheit im Angesicht terroristischer Anschläge, ZRP 2002 497; Hölscheidt/Schotten Immunität für Europol-Bedienstete, NJW 1999 2851; Höpfl/Huber (Hrsg.) Beweisverbote in den Ländern der EU und vergleichbaren Rechtsordnungen (1999); Hohnstädter Die Speicherung personenbezogener Daten für präventiv-polizeiliche Zwecke u. die Unschuldsvermutung, NJW 2003 490; Holtwisch Videoüberwachung öffentlicher Orte, Recht u. Politik 2003 34; Huber Das Corpus Juris als Grundlage eines europäischen Strafrechts (2000); ders. Die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Europa, FS Hilger 135; Peter M. Huber Verdeckte Datenerhebung, präventive Telekommunikationsüberwachung und der Einsatz technischer Mittel in Wohnungen nach dem Thüringer Verfassungsschutzgesetz und dem Thüringer Polizeiaufgabengesetz, ThürVBI 2005 1, 33; Humberg Die Speicherung, Aufbewahrung u. Nutzung erkennungsdienstlicher Unterlagen nach dem Strafverfahrensänderungsgesetz, VR 2004 155; Hunsicker Kritische Reflektion der Kriminalprävention in Osnabrück, Die Kriminalprävention 2003 51; Jäckel Aktenvortrag – Straf-R: Rechtfertigung kraft hoheitlicher Eingriffsbefugnis, JuS 2003 598; Jaeger Wege aus dem Aufklärungsdilemma, Kriminalistik 2004 148; Janicki Beweisverbote im deutschen und englischen Strafprozess – Auswirkungen auf die Europäische Zusammenarbeit (2002); Jasch Anregungen für das deutsche Strafverfahrensrecht aus England, NJW 2004 1077; Jescheck Rechtsvergleichung als Grundlage der Strafprozeßreform, ZStW 86 (1974) 761; Jescheck Entwicklung des Strafverfahrensrechts in Europa – Orientierung an polizeilicher Effektivität oder an rechtsstaatlichen Grundsätzen, ZStW 108 (1996) 86; Jokisch Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren (2000); Jung (Hrsg.) Der Strafprozeß im Spiegel ausländischer Verfahrensordnungen (1990); Jung Konturen und Perspektiven des europäischen Strafrechts, StV 2000 417; Karl (Hrsg.) Internationale Gerichtshöfe und nationale Rechtsordnung, Schriften des Österreichischen Instituts für Menschenrechte, Bd. 9 (2005); Kawelovski Der Strafverteidiger im Ermittlungsverfahren, Kriminalistik 2004 255; Keller Dogmatische (Neu-)Einordnung des § 81 b 2. Alt. StPO, Kriminalistik 2004 190; VanDeKerchove L’interprétation en droit (1978); Delmas-Marty/Vervaele (Hrsg.) The Implementation of the corpus iuris in the Member States, Volumes I–IV (2000–2001); Kieschke Die Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und ihre Auswirkungen auf das deutsche Strafverfahrensrecht, Diss. Berlin (2003); Kilian Die Bindungswirkung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf die nationalen Gerichte der Mitgliedsstaaten der EMRK, Diss. Frankfurt (1994); Kinkel Der Internationale Strafgerichtshof – ein Meilenstein in der Entwicklung des Völkerrechts, NJW 1998 2650; Kniebühler Transnationales „ne bis in idem“. Zum Verbot der Mehrfachverfolgung in horizontaler und vertikaler Dimension (2005); Knopp BVerfG contra EU Haftbefehl – Zum Urteil des BVerfG vom 18.7.2005, JR 2005 448; Koch Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts auf das nationale Verfahrensrecht, EuZW 1995 78; König Richtervorbehalt im Strafverfahrensrecht u. Polizeirecht, Kriminalistik 2003 513; Kötter Subjektivsicherheit, Autonomie u. Kontrolle, Der Staat 43 371; Kropp Der Durchsuchungs- u. Beschlagnahmebeschluss, JA 2003 668; Kube/Dahlenberg Europol und Kriminaltechnik, Kriminalistik 1999 778; Kudlich Fälle aus dem Strafprozessrecht, JA 2005 429; Kühl Der Einfluß der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das Strafrecht und Strafverfahrensrecht der Bundesrepublik Deutschland, ZStW 100 (1988) 406, 601; ders. Europäisierung der Strafrechtswissenschaft, ZStW 109 (1997) 777; Kühne Die Rechtsprechung des EGMR als Motor für eine Verbesserung des Schutzes von Beschuldigtenrechten in den nationalen Strafverfahrensrechten der Mitgliedstaaten, StV 2001 73; ders. Europäisches Strafverfahrensrecht. Der reale Umgang mit einem rechtlichen Phantom, Mainzer Runde 2002 (2003); ders. Der Wert von Verfahrensgarantien in der prozessualen Praxis. Ein europäisch rechtsvergleichender Beitrag zur partiellen Anwendung von Strafverfahrensrecht, FS Androulakis 935; ders. Europäische Methodenvielfalt und nationale Umsetzung von Entscheidungen Europäischer Gerichte, GA 2005 195; ders. Kriminalitätsbekämpfung durch innereuropäische Grenzkontrollen? Die Schengener Abkommen und das Problem der Inneren Sicherheit (1991); Kühne/Esser Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Untersuchungshaft, StV 2002, 383; Kutscha Verfassungsrechtlicher Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung – nichts Neues aus Karlsruhe? NJW 2005 20; ders. Novellierung des Thüringer Polizeiaufgabengesetzes – Mehr Sicherheit durch weniger GR-Schutz? LKV 2003 114; Leeb Die innerstaatliche Umsetzung der Feststellungsurteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (2001); Liebau Ne bis in idem in Europa. Zugleich ein Beitrag zum Kartellsanktionsrecht in der EU und zur Anrechnung drittstaatlicher Kartellsanktionen (2005); Lisken

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Europol – ein Symptom des Verfassungswandels, DRiZ 1998 75; Mähner Der Europäische Gerichtshof als Gericht (2005); Matthei Der Einfluß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf die ZPO (1999); Merle Traité de droit criminel Bd. 1 (1997); Mews Beweisverwertungsverbote im Strafverfahren, JuS 2004 39; 126; Meyer-Ladewig Ein neuer ständiger Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, NJW 1995 2813; ders. Ständiger Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, NJW 1998 512; Moll Europäisches Strafrecht durch nationale Blankettgesetzgebung? Diss. Trier (1998); Naamen Zur Verwertbarkeit ausländischer Vernehmungsvorschriften (2004); Nehm Zusammenarbeit der Strafverfolgungsorgane in Europa, DRiZ 2000 355; Nelles Europäisierung des Strafverfahrens – Strafprozeßrecht für Europa? ZStW 109 (1997) 727; Neubacher Kriminologische Grundlagen einer internationalen Strafgerichtsbarkeit (2005); Neuhaus Die Änderung der StPO durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24.08.2004, StV 2005 47; Niehaus Verjährungsunterbrechung bei Fahrzeugführer-Ermittlung durch angekündigtes Aufsuchen in Wohnungen od. Geschäftsräumen? NZV 2003 164; Nill-Teobald Anmerkungen über die Schaffung eines Ständigen Internationalen Strafgerichtshofs, ZStW 108 (1996) 229; Ostendorf Europol – ohne Rechtskontrolle? NJW 1997 3418; Paeffgen Vernachrichtendienstlichung des Strafprozesses, GA 2003 647; Perron Sind die nationalen Grenzen des Strafrechts überwindbar? ZStW 109 (1997) 281; ders. Auf dem Weg zu einem europäischen Ermittlungsverfahren? ZStW 112 (2000) 202; Philippi Divergenzen im Grundrechtsschutz zwischen EuGH und EGMR, ZEuS 2000 97; Pitschas Innere Sicherheit und internationale Verbrechensbekämpfung als Verantwortung des demokratischen Verfassungsstaates, JZ 1993 857; Polakiewicz Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (1993); Popp Grundzüge der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen (2001); Prittwitz Nachgeholte Prolegomena zu einem künftigen Corpus Juris Criminalis für Europa, ZStW 113 (2001) 774 Renzikowski Fair trial und anonymer Zeuge, JZ 1999 610; Redmont/Stevens General principles of English law (1991); Ress Die Wirkungen der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im innerstaatlichen Recht und vor innerstaatlichen Gerichten, in: Irene Maier, Europäischer Menschenrechtsschutz, Heidelberg 1982, S. 227; Risch/Ujen Informations- u. Kommunikationskriminalität, Kriminalistik 2004 4; Roggan Moderne Telekommunikationsüberwachung – Eine kritische Bestandsaufnahme, KritV 2003 76; Rose Der Auslandszeuge im Beweisrecht des deutschen Strafprozesses (1999); ders. Die Justiz als Kooperationspartnerin anderer Institutionen im Fall „schwieriger“ Kinder u. Jugendlicher, SchlHA 2004 321; Ruder Neue Entwicklungen im Polizei- u. OrdnungsR, KommJur 2004 7; Rüter Harmonie trotz Dissonanz – Gedanken zur Einhaltung eines funktionsfähigen Strafrechts im grenzenlosen Europa, ZStW 105 (1993) 30; Saliger Absolutes im Strafprozess? Über das Folterverbot, seine Verletzung u. die Folgen seiner Verletzung, ZStW 116 (2004) 35; Saurer Die Ausweitung sicherheitsrechtlicher Regelungsansprüche im Kontext zur Terrorismusbekämpfung, NVwZ 2005 275; Schaeffer Grenzen erlaubter polizeilicher Ermittlungstätigkeit, StV 2004 212; Scheller Das Schengener Informationssystem – Rechtshilfeersuchen „per Computer“, JZ 1992 904; ders. Ermächtigungsgrundlage für die internationale Rechts- und Amtshilfe zur Verbrechensbekämpfung (1997); Schieder Die automatisierte Erkennung amtlicher Kfz-Kennzeichen als polizeiliche Maßnahme, NVwZ 2004 778; Schmidt Handy-Ortung u. TKÜ zur Gefahrenabwehr, Kriminalistik 2004 332; Schneider Ausgewählte Rechtsprobleme des Einsatzes verdeckter Ermittler, NStZ 2004 359; Schoch Abschied vom Polizeirecht des liberalen Rechtsstaates? – Vom Kreuzberg-Urteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichtes zu den Terrorismusbekämpfungsgesetzen unserer Tage, Der Staat 43, 347; Schomburg Die Rolle des Individuums in der Internationalen Kooperation in Strafsachen, StV 1998 153; ders. Internationale vertragliche Rechtshilfe in Strafsachen, NJW 2005 3262; Schübel Wie gut funktioniert die Strafverfolgung innerhalb Europas? NStZ 1997 105; Schulz/Schülte Die Steuerfahndung: Kriminalpolizei der Länderfinanzverwaltung, Kriminalistik 2004 451; Schünemann Europäischer Haftbefehl und EU-Verfasungsentwurf auf schiefer Ebene, ZRP 2003 185; Schuster Verwertbarkeit im Ausland gewonnener Beweise im deutschen Strafprozeß (2006); Schweikert Das neue Gewaltschutzrecht – seine Umsetzung u. die dafür notwendigen Rahmenbedingungen, NJ 2003 617; Sieber Memorandum für ein Europäisches Modellstrafgesetzbuch, JZ 1997 369; Sommer Moderne Strafverteidigung, StraFo 2004 295; Spannowsky Wettbewerbsverzerrende Defizite des gemeinschaftlichen Sanktionsvollstreckungssystems, JZ 1994 326; Stenger Gegebener und gebotener Einfluß der EMRK auf die Rechtsprechung der bundesdeutschen Strafgerichte, Diss. Gießen 1991; Straub/Witt Polizeiliche Vorerkenntnisse von Vergewaltigern, Kriminalistik 2003 19; Stohrer Die

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Einl. Abschn. D

Einleitung

zwangsweise Durchsetzung staatlicher Auskunftsansprüche gegenüber Privaten – Verwaltungsvollstreckung in der Informationsgesellschaft, BayVBJ 2005 489; Stümper Sozialpflichtigkeit auch in der Kriminalitätsbekämpfung, Kriminalistik 2004 315; Tarello L’interpretazione della lege (1980); Ternig Belehrung durch Polizeibeamte, SVR 2004 214; Theobald Von der Europäischen Union zur Europäischen Sicherheitsunion (1997); Thiede Auslesen von beschlagnahmten Mobilfunkgeräten, Kriminalistik 2005 346; Tolmein Europol, StV 1999 108; Trechsel Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention im Strafrecht, ZStW 101 (1989) 819; ders. Human Rights in Criminal Proceedings, Oxford University Press (2005); Trupp Widersprüchliches zur Führerscheinbeschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten, NZV 2004 389; Väth Initiative der BDS zur Stärkung des Opportunitätsprinzips bei der Verfolgung von Privatklagedelikten durch Polizei u. Staatsanwälte, SchsZtg 2004 217; Vahle Eine ereignisreiche Streifenfahrt, DVP 2003 79; ders. Gefahrenabwehr / Strafverfolgung u. Datenschutz – ein Rechtsprechungsüberblick, Kriminalistik 2004 805; ders. Informationsrechte gegenüber den Sicherheitsbehörden, Kriminalistik 2004 655; Vervaele/Klipp (Hrsg.) European Cooperation Between Tax, Customs and Judicial Authorities (2002); Vogel Europäische Kriminalpolitik – Europäische Strafrechtsdogmatik, GA 2002 517; ders. Evaluation von Kriminaljustizsystemen, JZ 2004 487; ders. Europäischer Haftbefehl und deutsches Verfassungsrecht, JZ 2005, 801; Vogenauer Eine gemeineuropäische Methodenlehre des Rechts – Plädoyer und Programm, ZEuP 2005 234; Vogler Die strafrechtlichen Konventionen des Europarats, Jura 1992 586; ders. Der Schutz der Menschenrechte bei der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen, ZStW 105 (1993) 3; Voirin Mélanges offerts à Monsieur le Professeur Pierre Voirin (1966); Wagner Opferschutz vor Täterschutz – Zur Notwendigkeit der Ausweitung der DNA-Analyse, RuP 2005 75; Wefelmeier Neue Grenzen für das präventive Lauschen, Nds VBI 2004 289; Wehnert Rahmenbeschlusskonforme Auslegung deutschen Strafrechts, NJW 2005, 3760; Weigend Die Reform des Strafverfahrens – Europäische und deutsche Tendenzen und Probleme, ZStW 104 (1992) 486; ders. Strafrecht durch internationale Vereinbarungen – Verlust an nationaler Strafrechtskultur? ZStW 105 (1993) 774; ders. Der Entwurf einer Europäischen Verfassung u. das Strafrecht, ZStW 116 (2004) 275; Werle Menschenrechtsschutz durch Völkerstrafrecht, ZStW 109 (1997) 808; Wittke Beweisführung mittels verdeckter Ermittlungen, Kriminalistik 2005 221; Zieschang Der Austausch personenbezogener Daten mittels Europol, ZRP 1996, 427; Zuleeg Der Beitrag des Strafrechts zur europäischen Integration, JZ 1992 761. Weiteres Schrifttum s. Abschnitt K Rn. 48 ff. (Prozeßgegenstand), bei den §§ 18, 19 und 20 GVG und Vor den Erl. zur EMRK.

Übersicht Rn. I. Einführung 1. Die Vernetzung deutschen Strafverfahrensrechts mit dem Recht europäischen Ursprungs und den nationalen Rechtsordnungen in Europa . . . . . .

1

II. Ebenen und Institutionen 1. Die drei rechtlichen Ebenen . . . . . . 2. Die Instrumente der drei rechtlichen Ebenen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Steuerungsmöglichkeiten des Europäischen Rates . . . . . . . . . . . b) Bindende Regelungsinstrumente aus der 1. Säule . . . . . . . . . . . . . 3. Institutionen europäischer Kooperation im Strafverfahren a) Europol . . . . . . . . . . . . . . b) Europäisches Justizielles Netzwerk (EJN) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eurojust . . . . . . . . . . . . . .

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III. Quellen 1. Europäisches Gemeinschaftsrecht als Basis nationalen Strafverfahrensrechts

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Rn. 2. EMRK und die Rechtsprechung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das sogenannte Corpus Juris . . . . .

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IV. Ausländische, europäische und internationale Gerichte im Verhältnis zu deutschem Recht und deutschen Gerichten 1. Einführung: Das Problem der Sprachu. Rechtssystem übergreifenden juristischen Tätigkeit a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Die konkurrierenden Rechtssysteme aa) Die Interpretation . . . . . . . bb) Gerichtliche Begründungen . . . cc) Die Inhalte . . . . . . . . . . . 2. Ausländische Gerichte . . . . . . . . . a) Der EGMR . . . . . . . . . . . . . b) Der EuGH . . . . . . . . . . . . . c) Der ICC und die ad hoc Gerichtshöfe (Ruanda und Jugoslawien) . . d) Internationale Rechtshilfe . . . . . V. Ausländische Beweise und ihre Geltung im nationalen Recht

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Strafverfahrensrecht im internationalen Kontext

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Rn. 1. Europäisches Strafverfahrensrecht als Konfliktsrecht . . . . . . . . . . . . . 2. Ausländische Beweiserhebungen a) Grundfragen . . . . . . . . . . . . b) Das für die Beweisaufnahme geltende Recht aa) Die denkbaren Modelle . . . . .

Rn. bb) Exkurs: Die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwertung im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . cc) Fortsetzung: Denkbare Modelle dd) Erfolgversprechende Modelle . .

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I. Einführung 1. Die Vernetzung deutschen Strafverfahrensrechts mit dem Recht europäischen Ursprungs und den nationalen Rechtsordnungen in Europa Lange wurde die Bedeutung der EMRK als nationale Rechtsquelle mit überwiegend 1 strafprozessualem Inhalt in Deutschland verkannt oder gering geschätzt. Auch die Folgen der Rechtsprechung des EGMR für die deutsche Justiz und den betroffenen deutschen Bürger sind erst jüngst ernsthaft ins Visier von Wissenschaft und Rechtsprechung geraten (vgl. unten Rn. 55 ff.). Erst mit der Jahrtausendwende hat die deutsche Strafrechtswissenschaft dieses Paradigma auf breiter Ebene rezipiert und begonnen, sich mit der Fülle der damit zusammenhängenden Probleme systematisch zu beschäftigen.1 Zuvor waren es nur einige wenige, die sich, ohne wirkliches Interesse erwecken zu können, damit beschäftigt hatten.2 Heute hat sich der europäische Bezug vor allem das Strafverfahrensrecht als neue Ebene prozessualer Forschung etabliert. Es steht zu vermuten, dass die damit zusammenhängenden Fragestellungen die Diskussion in Wissenschaft und Praxis für die nächsten zwei Jahrzehnte dominieren werden. Aber auch die unmittelbar oder mittelbar aus dem EU Recht (vgl. näher dazu unten 2 Rn. 36) folgenden Rechtsquellen und Entscheidungen des EuGH haben Einfluss auf das deutsche Strafverfahrensrecht. Und schließlich kann nicht verkannt werden, dass in einem Europa, welches im 3 Schengener Raum ohne Grenzkontrollen auskommt, vermehrt rechtliche Probleme anfallen, die überwiegend in konkurrierender Strafverfolgungszuständigkeit stehen und damit mannigfaltige Probleme der zwischennationalen Kooperation und wechselseitigen Anerkennung von Rechts- und Prozesshandlungen aufwerfen.

II. Ebenen und Institutionen 1. Die drei rechtlichen Ebenen Wenn wir von Europa bezogenem oder von Europa beeinflusstem Recht sprechen, 4 dann müssen wir grundsätzlich drei Ebenen berücksichtigen, die Einfluss auf das nationale Recht und damit auch Einfluss auf das nationale Strafrecht haben. Auf einer ersten 1

StV Sonderbeilage 2001 62 ff. mit Beiträgen von Weigend, P. A. Albrecht und Kühne; das Treffen der deutschsprachigen Strafrechtslehrer im Mai 2003 (Bayreuth) war überwiegend diesen Fragen gewidmet, wie auch das ungewöhnliche Sondertreffen noch im selben Jahr in Dresden, welches sich ausschließlich mit Fragen des Europäischen Strafrechts beschäf-

2

tigte, gleichsam als Kompensation für lange Jahre des Verschlafens. Etwa Kühl ZStW 109 (1997) 777 ff.; Trechsel ZStW 101 (1989) 819 ff.; Kühne, der in seinem StPO Lehrbuch von der 1. Aufl. 1978 an die Rechtsprechung des EGMR berücksichtigte und seit der 5. Aufl. 1999 die Perspektiven des Europäischen Rechts zentral darstellt.

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Ebene müssen wir den Europarat berücksichtigen. Der Europarat ist ein völkerrechtliches Gebilde eigener Art, dem zurzeit 46 europäische Staaten beigetreten sind. Der Europarat hat keine eigene Regelungsbefugnis, sondern entwickelt Texte, die als Konventionen den Staaten zur Signatur und Ratifizierung vorgelegt werden. Mit dem Prozess der Signierung entsteht für den Signatarstaat eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Einhaltung des Konventionstextes. Mit der Ratifikation wird die Konvention zu einem Teil des nationalen Rechts gemacht. Die bedeutendste Konvention im Bereich des Strafrechts ist hier ohne Zweifel die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1950, die, wenngleich mit unterschiedlichen Vorbehalten, von allen Staaten des Europarates signiert und ratifiziert worden ist. In neuerer Zeit gibt es öfter weitgehend übereinstimmende oder sich ergänzende Europarats-Übereinkommen und Empfehlungen/Beschlüsse auf der Ebene der EU.3 Die zweite Ebene ist die der Europäischen Gemeinschaft. Auf der Basis der Römischen Verträge von 1957 ist ein Gebilde geschaffen worden, welches sich auf dem Weg zu einer europäischen Föderation befindet. In diesem Zusammenhang muss zwischen der EG und der EU unterschieden werden. Die EG ist die Kerngemeinschaft, in welche die Organe, also das Parlament, die Kommission und der Rat, ihre Funktionen haben und in die Mitgliedstaaten hinein tragen. Der EGV gibt dafür die rechtliche Grundlage.4 Die EU hingegen umfasst neben der EG auch noch die sog. Zweite und Dritte Säule, nämlich die Gebiete der äußeren und inneren Sicherheit. Hier haben die Organe der EG nur begrenzte Wirkmöglichkeiten, wie sich aus dem EU-Vertrag 5 ergibt, worauf sogleich noch eingegangen wird. Die Kompetenz der EG wird vom Prinzip der enumerativen Einzelkompetenzzuweisung beherrscht. Dies bedeutet, dass nur die Kompetenzen auf dieser Ebene bestehen, die ausdrücklich zugewiesen worden sind. Da in den Römischen Verträgen von 1957 das Strafrecht sowohl im materiellen wie im formellen Bereich nicht erwähnt worden ist, wird daraus geschlossen, dass der gesamte Bereich des Strafrechts einer EG-Zuständigkeit entzogen und den nationalen Zuständigkeiten vorbehalten blieb. Neuere Entwicklungen haben diese Situation jedoch nicht unerheblich, wenngleich eher verdeckt verändert. Zunächst wurde im Rahmen des Maastrichter Vertrages von 1992 die sogenannte Dritte Säule geschaffen, in der Kooperationsaufrufe für den Bereich der inneren Sicherheit formuliert worden waren. Rechtlich gesehen waren dies Sollvorschriften, die im Rahmen eines weiten gesetzgeberischen Ermessens nationale Parlamente dazu aufgerufen haben, auf nationaler Ebene Vorschriften zu erlassen, die eine Kooperation im Bereich der inneren Sicherheit, d.h. also auf der Ebene der Polizei und der Justiz, in den EG-Mitgliedstaaten verbessern sollten. Formulierungen, wie wir sie aber in Art. 31 Abs. 1 e EUV 6 finden, lassen Zweifel daran aufkommen, ob nicht doch weitergehende Pflichtigkeiten der Mitgliedstaaten bestehen. 3

Etwa im Rahmen von ne bis in idem durch das – noch nicht ratifizierte – Zusatzprotokoll Nr. 7 zur EMRK und das noch nicht in Kraft getretene Übereinkommen der EG über das Verbot der Doppelbestrafung vom 25.5.1987, vgl. Rn. 44,45, und das Übereinkommen des Europarats über Computerkriminalität (ETS Nummer 185) und der Rahmenbeschluss der EU über Angriffe auf Informationssysteme (v. 24.2.2005, ABlEU Nr. L 69).

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Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Vertrags von Amsterdam vom 2.10.1997, geändert durch Art. 2 des Vertrags von Nizza vom 26.2.2001. Vertrag über die Europäische Union in der Fassung des Vertrags von Nizza vom 26.2.2001 (ABlEG Nr. C 80 S. 1), in Kraft getreten am 1.2.2003. Art. 31 Abs. 1 lit. e EU: „Das gemeinsame Vorgehen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen schließt ein: … die

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Strafverfahrensrecht im internationalen Kontext

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Mit dem am 29.10.2004 vorgelegten „Vertrag über eine Verfassung für Europa“,7 9 dessen Verabschiedung in den Mitgliedstaaten auf unerwartet große Probleme gestoßen ist, werden EG-Vertrag und EU-Vertrag zusammengefasst; zudem entfällt nach diesem Entwurf die Säulenstruktur, sodass auch die Bereiche der äußeren Sicherheit und der inneren Sicherheit zu „normalen“ Teilen der EU Zuständigkeit werden, allerdings nach wie vor mit begrenzten Regelungsrechten, etwa so wie sie heute für den Bereich der 2. und 3. Säule vorgegeben sind. Es bleibt unabsehbar, ob der Verfassungsvertrag letztlich von den Mitgliedstaaten akzeptiert werden wird. Mittelfristig ist dies nicht zu erwarten. Gleichwohl geht ein Teil der Literatur davon aus, dass der Entwurf bei der Auslegung europäischen wie nationalen Rechts schon zu berücksichtigen sei.8 Die dritte zu berücksichtigende Ebene ist eine allgemeine, auf der bi- oder multilate- 10 rale völkerrechtliche Verträge abgeschlossen werden. Diese Möglichkeit steht den EUStaaten wie jedem anderen Staat selbstverständlich auch offen. Obwohl diese Ebene angesichts der Möglichkeiten EG-bezogener Instrumente gar nicht für die Mitgliedstaaten vorgesehen ist, wurde sie gleichwohl von Deutschland und Frankreich benutzt, um die beiden Schengener Verträge abzuschließen. Mit diesen Verträgen griffen Deutschland und Frankreich einer eigentlich auf EU-Ebene vorgesehenen Entwicklung im Bereich der Kooperationsverbesserung bei der Freiheit des Waren- und Personenverkehrs wie der inneren Sicherheit vor. Weil sich innerhalb der EG diese Dinge Ende der 80er Jahre nicht zu bewegen schienen, entschlossen sich Deutschland und Frankreich, einen zunächst bilateralen Vertrag völkerrechtlicher Natur zu schließen, der die eigentlich fällige Entwicklung auf EU-Ebene vorwegnahm.9 Mittlerweile haben alle EU-Mitglieder auch die Schengener Verträge gezeichnet, wenngleich es insbesondere bei dem Vereinigten Königreich und Griechenland noch erhebliche Vorbehalte gibt, die bei der Zeichnung der Verträge völkerrechtlich wirksam geltend gemacht worden sind. 2. Die Instrumente der drei rechtlichen Ebenen Wenn wir uns den Instrumenten auf den erwähnten Ebenen zuwenden, so sind diese 11 auf der des Europarates und der allgemeinen völkerrechtlichen Verträge äußerst begrenzt. Es bedarf immer eines parlamentarischen Aktes, um solche Texte einer nationalen Rechtsverbindlichkeit zuzuführen. Ganz anders ist das auf der Ebene der EG/EU. Hier können wir eine Vielzahl von 12 Instrumenten unterscheiden. a) Steuerungsmöglichkeiten des Rates Zunächst hat der Rat der Union nach Art. 34 EUV vier Möglichkeiten, tätig zu wer- 13 den, um die Verwirklichung der Ziele der Union auf dem Gebiet der inneren Sicherheit und justiziellen wie polizeilichen Kooperation zu beschleunigen und zu realisieren. Dies sind

schrittweise Annahme von Maßnahmen zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen in den Bereichen organisierte Kriminalität, Terrorismus und illegaler Drogenhandel.“

7 8 9

ABlEU Nr. C 310 v. 16.12.2004, S. 1. Albert/Widmaier EuGRZ 2006 113 m.w.N. Näher dazu Kühne Kriminalitätsbekämpfung durch innereuropäische Grenzkontrollen? Die Schengener Abkommen und das Problem der Inneren Sicherheit (1991).

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Einleitung

• die Annahme gemeinsamer Standpunkte, durch die das Vorgehen der Union in einer gegebenen Frage bestimmt wird, • Rahmenbeschlüsse zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten,10 • Beschlüsse für jeden anderen Zweck, der mit den Zielen des Titels über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Einklang steht, • Übereinkommen, die der Rat erstellt und den Mitgliedstaaten zur Annahme gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften empfiehlt.

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Gemeinsame Standpunkte. Der Rat kann einstimmig gemeinsame Standpunkte festlegen, in denen die Haltung der EU zu bestimmten Themen festgelegt wird (Art. 34 Abs. 2 lit. a EUV). Die Wirkung ist eher eine moralische. Unmittelbare rechtliche Folgen ergeben sich nicht aus gemeinsamen Standpunkten. Rahmenbeschlüsse. Der Rahmenbeschluss ist augenblicklich das wichtigste neue 15 Regelungsinstrument in der dritten Säule. Er löst das durch den Vertrag von Maastricht (1992) eingeführte Regelungsinstrument der Gemeinsamen Maßnahme ab. Gemäß Art. 34 Abs. 2 lit. b EUV kann der Rat solche Rahmenbeschlüsse zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der EU-Mitgliedstaaten beschließen. Rahmenbeschlüsse sind für die Mitgliedstaaten nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich. Die Wahl der Mittel zur Umsetzung der im Rahmenbeschluss enthaltenen Vorgaben verbleibt bei den Mitgliedstaaten. Im Gegensatz zu der aus der ersten Säule – dem Gemeinschaftsrecht – bekannten EG-Richtlinie (Art. 249 EGV) sind Rahmenbeschlüsse im Falle ihrer unterbliebenen oder fehlerhaften Umsetzung nicht unmittelbar wirksam. Freilich hat die Entscheidung des EuGH in Sachen Pupino 11 die nationale Rechtsprechung verpflichtet, heimisches Recht auch dann im Sinne eines Rahmenbeschlusse zu interpretieren, wenn dieser noch nicht umgesetzt worden ist. Dies erscheint als sehr fragwürdig, weil der EuGH hier die Grenzen der Rechtsanwendung verlässt und ein Ergebnis postuliert, welches nur die Mitgliedstaten durch Vertragsänderung erschaffen können, nämlich die Bindewirkung von Rahmenbeschlüssen,12 welche bislang nach Art. 34 Abs. 2 lit. b EUV so nicht besteht. Das zeigt auch das Schicksal des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und seiner Umsetzung in deutsches Recht, die vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt worden ist.13 Zumindest ist damit ein weiterer Grundstein für Konflikte zwischen dem EuGH und dem BVerfG gelegt worden, vgl. auch Rn. 92. Nach dem Europäischen Verfassungsvertrag (oben Rn. 8) sollen allerdings Rahmenbeschlüsse entfallen. Beschlüsse. Des Weiteren kann der Rat Beschlüsse erlassen, die die Zusammenarbeit 16 im Bereich Justiz und Inneres betreffen (Art. 34 Abs. 2 lit. c EUV). Eine Annäherung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten kann jedoch nur durch Rahmenbeschlüsse erfolgen. Beschlüsse sind für die Mitgliedstaaten verbindlich, jedoch nicht unmittelbar wirksam.

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11

Nach dem Entwurf des EU-Verfassungsvertrags soll es Rahmenbeschlüsse in Zukunft nicht mehr geben. Es bleibt abzuwarten, ob in einer endgültigen Version der Verfassung diese Vorstellung aufrecht erhalten wird. In NJW 2005 2839 m. Anm. Tinkl StV 2006 36.

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Sehr kritisch Hillgruber JZ 2005, 844; vgl. auch Wehnert NJW 2005, 3760. BVerfG v. 18.7.2005, NJW 2005, 2289; gemäßigte Kritik daran bei Vogel JZ 2005, 801.

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Strafverfahrensrecht im internationalen Kontext

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Sowohl Rahmenbeschlüsse als auch Beschlüsse werden einstimmig verabschiedet. Soweit erforderlich, kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit Maßnahmen verabschieden, die zur Durchführung dieser Beschlüsse auf EU-Ebene notwendig sind. Übereinkommen. Das Übereinkommen ist ein klassisches Instrument des Völker- 17 rechts. Auch der Rat kann Übereinkommen erstellen, deren Annahme er dann den Mitgliedstaaten empfiehlt (Art. 34 Abs. 2 lit. d EUV). Im Gegensatz zu gemeinsamen Standpunkten und anderen Beschlüssen müssen Übereinkommen jedoch von den sämtlichen nationalen Parlamenten der fünfundzwanzig Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Da dies jedoch äußerst langwierig und schwerfällig ist, können Übereinkommen seit dem Amsterdamer Vertrag automatisch in Kraft treten, sobald sie von mindestens der Hälfte aller Mitgliedstaaten ratifiziert worden sind (insofern im Übereinkommen nichts anderes vorgesehen ist). Entschließungen, Empfehlungen und Erklärungen oder Schlussfolgerungen. Der Rat 18 bedient sich außerdem einer Reihe von Instrumenten, um seinen politischen Willen zu bekunden. So existieren beispielsweise eine Entschließung über den Schutz von Zeugen bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, eine Empfehlung zur Verhinderung von Störungen der öffentlichen Ordnung bei Fußballspielen und eine Erklärung zu Motorradbanden. Auf diese Instrumentarien wird gerne aufgrund ihrer „Flexibilität“ zurückgegriffen, da sie die Mitgliedstaaten nicht in demselben Maße binden wie die anderen oben genannten Instrumentarien. Als sogenanntes soft law haben solche Texte oft eine nicht zu unterschätzende Bedeutung bei der Interpretation nationalen Rechts. b) Bindende Regelungsinstrumente aus der 1. Säule Die hauptsächlichen bindenden Regelungsinstrumente der EG, die Verordnung 19 (Art. 249 Abs. 2 EGV), die Richtlinie (Art. 249 Abs. 3 EGV) und die Entscheidung (Art. 249 Abs. 4 EGV) haben zur Zeit für die Gebiete des Strafrechts und Strafverfahrensrechts kaum eine Bedeutung, weil es hier an einer entsprechenden Kompetenz der EU fehlt. Allerdings gibt es auch hier Ausnahmen, wie die Richtlinie von 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche zeigt. Die europarechtliche Legitimation dieser Richtlinie ergab sich aus dem Argument, der legale Wirtschaftsverkehr und die intakte Marktwirtschaft müssten vor einer Konkurrenz auf der Basis illegalen, bemakelten Geldes geschützt werden. Die in Art. 249 Abs. 5 EGV erwähnte Möglichkeit, nicht verbindliche Stellung- 20 nahmen und Empfehlungen abzugeben, ist dagegen auch für das Straf- und Strafverfahrensrecht bedeutsam, wie die Vorlage des „Grünbuchs zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung eine Europäischen Staatsanwaltschaft“ vom Dezember 2001 gezeigt hat.14 3. Institutionen europäischer Kooperation im Strafverfahren a) Europol Gemäß Art. 29 ff. EUV, der die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres 21 regelt, soll die Kooperation der Mitgliedstaaten bei der Strafverfolgung verbessert und erleichtert werden. Hierbei geht es neben der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen

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KOM (2001) 715 in der endgültigen Fassung vom 11.12.2001.

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Einleitung

(Art. 31 EUV) um die Kooperation zur Bekämpfung von organisierter wie nicht organisierter Kriminalität, insbesondere des Terrorismus, des Menschenhandels und der Straftaten gegenüber Kindern, des illegalen Drogen- und Waffenhandels, der Bestechung und Bestechlichkeit sowie des Betrugs (vgl. Art. 29 Abs. 2 EUV). Die Kooperation schließt in der Praxis die operative Zusammenarbeit der zuständigen Strafverfolgungsbehörden und der Polizeien der Mitgliedstaaten ebenso ein wie den informationellen Datenaustausch mit Hilfe von Europol (vgl. Art. 30 Abs. 1 EUV), vgl. näher unten Rn. 24. Der Vorläufer von Europol war die European Drug Unit (EDU), die sich als Einsatz22 unabhängiger Stab aus nationalen Verbindungsbeamten konstituierte. Ihr Sinn bestand im Austausch und der (nicht personenbezogenen) Analyse von Informationen (Lagebilder) durch den Zugriff auf die nationalen Fahndungsdateien.15 Sie unterstützte hierdurch die Polizei und andere für die Verhütung und Bekämpfung von Straftaten zuständigen Behörden.16 Ihr ursprünglich auf die Frage des Informationsaustausches über Drogen beschränkter Zuständigkeitsbereich hatte sich zwischenzeitlich erheblich ausgedehnt und umfasste alsbald auch die Bekämpfung des Menschenhandels, den illegalen Umgang mit radioaktiven Stoffen, die Schleuserkriminalität, Autoschieberei und die hiermit zusammenhängende Geldwäsche.17 Die EDU nahm 1994 in Den Haag ihre Arbeit auf. Mit der endgültigen Einrichtung von Europol ging die EDU hierin auf.18 Die Einrichtung der einzigen im Rahmen der dritten Säule vorgesehenen neuen Insti23 tution, Europol, geht auf Beschlüsse vor der Bildung der EU zurück (vgl. aber Art. 30 Abs. 2 EUV). Nach der Ratifikation des am 26.7.1995 unterzeichneten Europol-Übereinkommens in den Mitgliedstaaten 19 hat Europol die ihm nach Art. 2 Abs. 1, 3 des Europol-Übereinkommens zukommende Aufgabe angetreten, durch Aufnahme und Weitergabe von Informationen an die Mitgliedstaaten, die Verhütung und Bekämpfung schwerer Formen organisierter internationaler Kriminalität zu optimieren und darüber hinaus die Kooperation der mitgliedstaatlichen Behörden zu fördern.20 „Nahtstelle“ in der Bundesrepublik ist das BKA. Der Tätigkeitsradius von Europol umfasst die oben erwähnten, der EDU zugeschriebenen Aufgabenbereiche. Den Beschlüssen der Amsterdamer Regierungskonferenz zufolge soll Europol u.a. die 24 Möglichkeit zugestanden werden, Ermittlungsmaßnahmen nationaler Behörden zu unterstützen.21 Als „echte Innovation für die Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens der Mitgliedstaaten“ 22 ist die Sammlung, Zusammenstellung und Analyse personenbezogener Daten und die Übermittlung von daraus gewonnenen Erkenntnissen an die Mitgliedstaaten 23 anzusehen. Denn damit wird nicht nur ein Fortschritt gegenüber dem Auf15

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17 18 19

Verordnung EWG Nr. 302/93 des Rates v. 8.2.1993 (ABlEG Nr. L 36/1 v. 12.2.1993; Nr. C 323/1 v. 30.11.1993; BGBl. II S. 154); ausführlicher zur EDU Gleß/Lüke Jura 1998 75 f.; Zieschang ZRP 1996 427. Gemeinsame Maßnahme des Rates der Innen- und Justizminister der EU gemäß Art. K. 3 Abs. 2 EUV vom 10.3.1995 (ABlEG Nr. L 62/1 v. 20.3.1995); vgl. BGBl. II S. 155. Vgl. ABlEG, aaO sowie ABlEG Nr. 342/4 v. 31.12.1996. Gleß/Lüke Jura 1998 75, 76. Zur Zustimmung des deutschen Bundestages vgl. das Europol-Gesetz (EuropolG) v. 16.12. 1997, BGBl. II S. 2153.

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Vgl. Hellmann Rn. 73; Zieschang ZRP 1996 427 f.; kritisch Bull DRiZ 1998 32; Tolmein StV 1999 108. Vgl. Tolmein StV 1999 109; Gleß NStZ 2001 624. So Gleß/Lüke 77. Vgl. Art. 3 Abs. 1 Nr. 2, 3, Art. 10 Abs. 2 des Übereinkommens; zu den technischen Möglichkeiten ebenso wie den damit einhergehenden Lücken im Rechtsschutz: Zieschang ZRP 1996 428 f.; Kube/Dahlenburg Kriminalistik 1999 778.

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gabenfeld der EDU begründet, sondern auch die – in der Bundesrepublik jedenfalls formelle 24 – Verfahrensherrschaft der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren tangiert.25 Eine eigene Ermittlungszuständigkeit mit Exekutivbefugnissen hat Europol zur Zeit 25 nicht. Es geht vielmehr um eine „Intelligence-Arbeit“, um Aus-, Fort- und Weiterbildung, Kriminaltechnik sowie Erfahrungsaustausch außerhalb operativer Maßnahmen. Allerdings ist Europol tatsächlich seit längerem und häufig an operativen Einsätzen nationaler Polizei- und Zolldienststellen beteiligt, ohne dabei selbst eigenverantwortlich aktiv zu werden.26 Die Behörde wächst offenbar durchaus zielgerichtet in die von der Konvention ausdrücklich nicht erwähnten Aufgaben der Planung und Koordinierung internationaler Polizeieinsätze hinein. In Art. 30 Abs. 2 lit. a EUV wird Europol auch formal befugt, bei der Vorbereitung von Ermittlungsmaßnahmen unterstützend tätig zu werden. Das Ziel zu einer exekutiven europäischen Polizeibehörde zu werden ist deutlich und wird von der Leitung von Europol auch systematisch betrieben, indem die – ohne Zweifel hilfreichen – Tätigkeiten immer stärker dem Exekutivbereich angenähert werden. Völlig systemfremd und rechtsstaatlich unvertretbar ist jedoch die Freistellung von 26 Europol-Bediensteten von zivil- und strafrechtlicher Haftung für jede in Ausübung ihres Amtes vorgenommene Tätigkeit.27 Da zudem die Bediensteten von Europol von keiner Regierung, Behörde oder Organisation Weisungen entgegennehmen dürfen (Art. 30 Europol-Übereinkommen), untersteht Europol keinerlei Kontrolle. Im Hinblick auf das Gewaltenteilungsprinzip, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip ist eine derartige Freistellung rechtlich nicht möglich.28 Die Vorstellung von einer europaweit agierenden, wenngleich formal nicht exekutiv befugten Polizeibehörde, die weder parlamentarischer noch richterlicher Kontrolle unterliegt, ist ebenso absurd wie real. Auf dem EU-Sondergipfel in Tampere am 15./16.10.1999 haben die Staats- und 27 Regierungschefs die Einrichtung einer Europäischen Polizeiakademie (EPA) zur Schulung hochrangiger Führungskräfte der Polizei vereinbart.29 Gleichzeitig wurde die Einrichtung einer „Task Force“ der Polizeichefs beschlossen.

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27

Zur begrenzten realen Verfahrensherrschaft der Staatsanwaltschaft in Deutschland vgl. Kühne Rn. 135 ff. Gleß/Lüke aaO. Storbeck in: Theobald (Hrsg.), Von der Europäischen Union zur „Europäischen Sicherheitsunion“ (1997), 107, 112 f.; ders. DRiZ 2000 485 f. Vgl. Art. 2 des Protokolls vom 19.6.1997 aufgrund von Artikel K.3 EUV und von Art. 41 Abs. 3 des Europol-Übereinkommens über Vorrechte und Immunitäten für Europol, die Mitglieder der Organe, die stellvertretenden Direktoren und die Bediensteten von Europol (Immunitätsprotokoll), ABlEG Nr. C 221/2 v. 19.6.1997; Gesetz vom 19.5. 1998 zum Europol-Immunitätsprotokoll v. 19.6.1997 (BGBl. 1998 II S. 974); vgl. näher hierzu Gleß NStZ 2001 624 ff.; Böse NJW 1999 2416; Hailbronner JZ 1998 283; Hölscheidt/Schotten NJW 1999 2851.

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Ebenso Ostendorf NJW 1997 3420; Hirsch ZRP 1998 10; Albrecht StV 2001 69; Perron ZStW 112 (2000) 209; Jung JuS 2000 423; zur Zuständigkeit des EuGH vgl. auch: Art. 2 des Protokolls vom 23.7.1996 aufgrund von Artikel K. 3 EUV betreffend die Auslegung des Europol-Übereinkommens durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Wege der Vorabentscheidung, ABlEG Nr. C 299/1 vom 9.10.1996. Nr. 47 und 56 der Schlussfolgerungen des Vorsitzes; vgl. hierzu den Beschluss des Rates (2000/820/JI) vom 22.12.2000 über die Errichtung der Europäischen Polizeiakademie (EPA), ABlEG Nr. L 336/1 v. 30.12.2000; siehe außerdem: Beschluss des Rates v. 28.5. 2001 zur Errichtung eines Europäischen Netzes für Kriminalprävention, ABlEG Nr. L 153/1 v. 8.6.2001.

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b) Europäisches Justizielles Netzwerk (EJN)

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Zur Erleichterung der justitiellen Kooperation in der Praxis ist aufgrund der Gemeinsamen Maßnahme vom 29.06.1998 des Europäischen Rates (GM) unter Bezugnahme auf Art. K 3 des Maastrichter Vertrags (Art. 29 EUV) das Europäische Justizielle Netzwerk (EJN) geschaffen worden. Das EJN soll als aktiver Vermittler justizieller Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in Fällen schwerer Kriminalität fungieren (Art. 4 Abs. 1 GM). Darüber hinaus sollen Informationen über die örtlichen Justizbehörden vorgehalten werden, um die Vorbereitung des Ersuchens um justizielle Kooperation effizient zu gestalten (Art. 4 Abs. 2 GM). Zu diesem Zweck erhält das EJN ein Telekommunikationsnetz, welches diese Informationen enthält und es im Übrigen den Kontaktpersonen ermöglicht, auf leichte Weise zu kommunizieren. Hierzu sind Kontaktstellen eingerichtet worden, in denen Verbindungsrichter/Verbindungsstaatsanwälte mit Fremdsprachkenntnis tätig sind. In Deutschland sind diese Kontaktstellen bei den Generalstaatsanwaltschaften ange29 siedelt; zur Zeit bestehen 17 solcher Stellen. In regelmäßigen Sitzungen des EJN sollen sich die Mitglieder der Kontaktstelle kennen lernen und Erfahrungen austauschen (Art. 5 Abs. 1 GM). Informationen und Erfahrungen des EJN werden den zuständigen Arbeitsgruppen der EU übermittelt, um allfällige gesetzliche oder sonstige Maßnahmen zur Optimierung der justiziellen Kooperation zu veranlassen (Art. 5 Abs. 2 GM). Das Europäische Justizielle Netz verfügt über eine Website,30 die in Rechtsberufen 30 Tätigen Zugriff auf die einschlägigen Rechtsinstrumente der Europäischen Union bietet. Darüber hinaus haben die Mitglieder des Netzes einen ebenfalls auf dieser Website zugänglichen „Atlas“ ausgearbeitet, der Informationen zu den nationalen Rechtssystemen enthält und es den nationalen Justizbehörden langfristig ermöglichen wird, sich für das gesamte Hoheitsgebiet der Union einen Überblick über ihr territorial zuständiges Gegenstück zu verschaffen. Im Rat wird derzeit über die künftige Arbeitsweise des Netzes und seine Beziehung zu Eurojust (siehe sogleich unten) beraten.31 c) Eurojust

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Zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren organisierten Kriminalität hat der Europäische Rat ebenfalls auf dem EU-Sondergipfel im finnischen Tampere im Oktober 1999 die Einrichtung einer Auskunfts-, Dokumentations- und Clearingstelle (Eurojust) als justiziellen Gegenpart zu Europol vereinbart. Eurojust soll gestützt auf Europol-Analysen und in enger Zusammenarbeit mit dem Europäischen Justiziellen Netz (EJN) eine sachgerechte Zusammenarbeit der nationalen Staatsanwaltschaften ermöglichen, die strafrechtlichen Ermittlungen in Fällen mit organisiertem Kriminalitätsbezug erleichtern und die Erledigung von Rechtshilfeersuchen vereinfachen. Eurojust ist im Vertrag von Nizza förmlich verankert (Art. 31 Abs. 2 EUV) und 32 wurde mit dem Beschluss des Rates vom 14. Dezember 2000 als vorläufige Stelle zur justitiellen Zusammenarbeit errichtet (Pro-Eurojust), die am 1. März 2001 in Brüssel ihre Arbeit aufnahm und für Deutschland ihre endgültige Legitimation wie Aufgabenbeschreibung durch das Eurojust-Gesetz vom 12.5.2004 erhielt.32 Eurojust ist in erster Linie 30 31

www.ejn-crimjust.eu.int Gemeinsame Maßnahme (98/428/JI) vom 29.6.1998 zur Einrichtung eines Europäischen Justitiellen Netzes (ABlEG Nr. L 191/4 v. 7.7.1998; zur praktischen Bedeutung des EJN: Nehm DRiZ 2000 358 f.

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Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses (2002/187/JI) des Rates vom 28.2.2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität vom 12.5.2004, BGBl I S. 902; hierzu: Esser/Herbold NJW 2004 2421 ff.

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mit der Koordinierung der Ermittlungs- und Strafverfolgungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten befasst. Langfristig gesehen könnte aus Eurojust eine Europäische Staatsanwaltschaft ent- 33 stehen, wie sie im Kontext des Schutzes der finanziellen Interessen der Gemeinschaft vom „Corpus Juris“ und vom sog. Grünbuch der Kommission, vgl. Rn. 51, 52, vorgeschlagen wird. Die Stelle Eurojust, in die jeder Mitgliedstaat Richter, Staatsanwälte oder Polizei- 34 beamte entsendet, wird sich schon bald zu einem wichtigen Instrument im Rahmen der Verbesserung der justitiellen Zusammenarbeit in Europa entwickeln. Aufgabe von Eurojust ist es, die Zusammenarbeit zwischen den für die Strafverfolgung zuständigen Behörden zu erleichtern und zu einer sachgerechten Koordinierung bei den Ermittlungen und dem Informationsaustausch beizutragen. Der Umstand, dass die Mitarbeiter sich dabei direkt an die nationalen staatlichen Verfolgungsinstanzen wenden dürfen, erleichtert die Arbeit erheblich. Der Sitz von Eurojust befindet sich in Den Haag (Niederlande). Obwohl Eurojust und das EJN ausdrücklich zur Kooperation aufgerufen sind (Art. 6e 35 Ratsbeschluss Eurojust),33 ist nicht zu verkennen, dass sich die Kompetenzen beider Einrichtungen erheblich überschneiden und daher ein Problempotential geschaffen worden ist. Deshalb sollte überlegt werden, ob es nicht sinnvoller wäre, die Aufgaben von Eurojust und EJN in einer Stelle zusammenzufassen und damit den Verwaltungsaufwand zu reduzieren wie auch die Übersichtlichkeit in diesen ohnehin hinreichend komplizierten Konstellationen zu verbessern.

III. Quellen 1. Europäisches Gemeinschaftsrecht als Basis nationalen Strafverfahrensrechts Zwar kennt das Rechtssystem der EG (noch) kein eigenes (Straf-)Verfahrensrecht, 36 doch haben einzelne Entscheidungen des EuGH bereits deutlich gemacht, dass der Einfluss des EG-Rechts sich keineswegs auf das materielle Recht der Mitgliedstaaten beschränkt, sondern sich auch auf das mitgliedstaatliche Verfahrensrecht erstrecken kann.34 Im bekannten Urteil zum „Griechischen Mais“ sprach der EuGH die Verpflichtung 37 der Mitgliedsstaaten aus, gemäß Art. 5 EGV a.F. Personen straf- oder disziplinarrechtlich zu verfolgen, die möglicherweise an der Begehung oder Verdeckung von Betrugshandlungen zum Nachteil des Gemeinschaftshaushalts beteiligt sind. Die Entscheidung war wesentliche Grundlage für die Einführung der in Art. 209 a EGV a.F. (Art. 280 EGV n.F.) enthaltenen Instrumente zur Betrugsbekämpfung, die durch den am 1.5.1999 in Kraft getretenen Amsterdamer Vertrag erweitert wurden.35 Im Urteil Lemmens verneinte der EuGH die Frage, ob sich ein Bürger, dem eine 38 Straßenverkehrsstraftat zur Last gelegt wird, auf die Richtlinie 83/189/EWG betreffend die technischen Vorschriften für Alkoholmessgeräte berufen konnte, die zur Verfolgung von Trunkenheitsfahrten eingesetzt werden.36 Der Fall Ibiyinka Awoyemi betraf die 33

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Das deutsche Eurojust-Gesetz sieht in § 11 jedoch ausdrücklich nur eine Kooperation mit OLAF vor. Ausführlich hierzu Koch EuZW 1995 78 ff.; Jokisch Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren (2000).

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EuGH, Rs. C 68/88, Urt. v. 21.9.1989, Slg. 1989, 2965 = EuZW 1990 100 m. Anm. Tiedemann. EuGH, Rs. C 226/97, Urt. v. 16.6.1998, EuZW 1998 569 (Lemmens).

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Umtauschpflicht von EG-ausländischen Führerscheinen und die Anwendbarkeit der EGFührerschein-Richtlinie 91/439/EGW auf Drittstaatenangehörige. Speziell ging es um die vorrangig materiellrechtliche Frage, ob es mit dem EGV und dem sekundären Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, das Nichtumtauschen einer ausländischen Fahrerlaubnis durch den Staatsangehörigen eines Drittlandes als Fahren ohne Fahrerlaubnis zu klassifizieren und dementsprechend strafrechtlich zu ahnden.37 Die mit dieser Fragestellung zusammenhängenden prozessualen Problemfelder wie etwa die Sicherstellung respektive Beschlagnahme des ausländischen Führerscheins sind offensichtlich. Neuerdings hat der EuGH in einem strafverfahrensrechtlichen Zusammenhang (Opferschutz im Strafverfahren) im Falle Pupino 38 sogar judiziert, dass die nationale Justiz Rahmenbeschlüsse (vgl. Rn. 15) als Basis der Interpretation selbst dann berücksichtigen müsse, wenn diese national noch nicht umgesetzt worden sind. Im Verfahren Bickel und Franz 39 hat der EuGH ausdrücklich das Diskriminierungs39 verbot des Art. 6 EGV auch auf strafprozessuale Regelungen bezogen, die insofern dem Gemeinschaftsrecht zu weichen hätten. Hintergrund ist letztlich die sich aus dem Gebot der Gemeinschaftstreue aus Art. 10 EGV (ex-Art. 5 EGV) ergebende Pflicht der Mitgliedstaaten, alle Maßnahmen zu unterlassen, welche die Verwirklichung der vertraglichen Ziele gefährden könnten. Zu den Schutzobjekten gehört neben den Rechten des Einzelnen auch der mitunter darauf basierende allgemeine Anspruch effektiver Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts. Dessen Auslegung steht allein dem EuGH zu.40 Nach der Rechtsprechung des EuGH 41 darf nationales Verfahrensrecht vor diesem Hintergrund nicht zur Anwendung kommen, soweit es der Geltendmachung von Rechten aus dem Gemeinschaftsrecht entgegensteht, diese praktisch vereitelt oder ihr größere Hindernisse in den Weg legt als einer Geltendmachung von Rechten, die sich aus nationalem Recht ergeben.42 Durch das Urteil des EuGH v. 10.4.2003 in der Rechtssache Steffensen 43 ist jüngst 40 das Lebensmittelrecht in den Blickpunkt des europäischen Strafrechts gerückt. Das AG Schleswig hatte den Gerichtshof im Verfahren der Vorabentscheidung (Art. 234 EGV) um die Auslegung einer Bestimmung der Richtlinie 89/397/EWG des Rates vom 14.6.1989 über die amtliche Lebensmittelüberwachung 44 ersucht, um die Vereinbarkeit des § 42 LMBG 45 mit dem Gemeinschaftsrecht überprüfen zu können. Die besagte Vorschrift regelte die Benachrichtigung des Produzenten über das Zurücklassen einer im Rahmen der Lebensmittelüberwachung gezogenen Zweitprobe. Im Ergebnis hat der EuGH auf gemeinschaftsrechtlicher Basis mit Hilfe der EMRK ein Beweisverwertungsverbot für nicht richtlinienkonform erstellte Sachverständigengutachten postuliert. 37 38 39

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EuGH, Rs. C 230/94, Urt. v. 29.10.1998, EuZW 1999 52. NJW 2005 2839 m. Anm. Tinkl StV 2006 36. EuGH, Rs. C 274/956 Urt. v. 24.11.1998, EuZW 1999 82 m. Anm. Novak; vgl. auch Gleß NStZ 1999 315. Vgl. EuGH, Slg. 1982, 53; Slg. 1982, 2301; Slg. 1984, 1075; BVerfGE 52, 187 (201); 75, 223 (234). Vgl. EuGH, Slg. 1991, 5357 (5416). Koch EuZW 1995 78 ff. EuGH, Urt. v. 10.4.2003, Rs. C-276/01 (Steffensen), EuZW 2003 666 m. Anm.

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Schaller; hierzu auch: Esser StV 2004 221 ff.; zurückhaltend hinsichtlich der Unverwertbarkeit von Beweisen noch: EuGH, Urt. v. 16.6.1998, Rs. C-226/97 (Lemmens) = JZ 1998 1068 m. Anm. Kühne = StV 1999 130 m. Anm. Satzger (Alkoholmessgeräte). ABlEG Nr. L 186 v. 30.6.1989, S. 23. Die Richtlinie hat zum Ziel, die allgemeinen Grundsätze für die Durchführung der amtlichen Lebensmittelüberwachung anzugleichen und effizienter zu gestalten, um die Gesundheit und die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher zu schützen. Jetzt LFBG.

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Der Grundsatz der verfahrensmäßigen Autonomie der Mitgliedstaaten wird durch den Vorranganspruch des Gemeinschaftsrechts und durch das Diskriminierungsverbot eingeschränkt.46 Der nationalen Verfahrensautonomie werden konkret insoweit Grenzen gesetzt, als die Vorlagemöglichkeit von Gerichten an den EuGH nicht durch nationale Verfahrensvorschriften unterbunden werden darf,47 d.h. die nationalrechtlichen Vorlagepflichten werden überlagert. So entfällt die Vorlagepflicht nach § 121 Abs. 2 GVG, wenn ein OLG in Übernahme der Rechtsprechung des EuGH von der Rechtsprechung eines anderen OLG abweichen will.48 Will hingegen ein OLG auf Grund unterschiedlicher Interpretation des Gemeinschaftsrechts von der Rechtsprechung eines anderen OLG abweichen, wird die Vorlagepflicht zum BGH nach § 121 Abs. 2 GVG ersetzt durch die Vorlagepflicht an den EuGH.49 Denn die Auslegung des Gemeinschaftsrechts steht als letzter Instanz allein dem EuGH zu. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Vorlagemöglichkeit der nationalen Gerichte an den EuGH auf dem Gebiet der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 35 EUV durch § 1 I EuGHG 50 vom 6.8.1998 ausdrücklich normiert worden und mit dem Amsterdamer Vertrag am 1.5.1999 in Kraft getreten. Hiernach kann jedes Gericht dem EuGH auf dem genannten Gebiet eine Frage zur Vorabentscheidung vorlegen, die sich in einem schwebenden Verfahren stellt und sich auf die Gültigkeit und die Auslegung der Rahmenbeschlüsse und Beschlüsse, oder auf die Auslegung von Übereinkommen oder auf die Gültigkeit und die Auslegung der dazugehörigen Durchführungsmaßnahmen bezieht, wenn es eine Entscheidung hierüber für entscheidungserheblich erachtet. Nach § 1 Abs. 2 EuGHG müssen Entscheidungen letztinstanzlicher Gerichte dem EuGH unter den oben genannten Voraussetzungen zur Vorabentscheidung vorgelegt werden. Leider besteht keine Möglichkeit einer Individualbeschwerde an den EuGH. Auch die Pflicht zur wechselseitigen Anerkennung von rechtskräftigen Urteilen ist auf den Weg gebracht worden, um in den Mitgliedstaaten das Verbot der Doppelbestrafung (ne bis in idem) einheitlich umzusetzen. Das Verbot der Doppelbestrafung ist in den meisten Mitgliedstaaten verfassungsrechtlich verankert. In der Bundesrepublik ist es in Art. 103 Abs. 3 GG festgeschrieben und bewirkt ein Strafverfolgungshindernis. Da der Grundsatz ne bis in idem auch in Art. 4 des von Deutschland noch nicht ratifizierten Zusatzprotokolls Nr. 7 zur EMRK sowie in Art. 14 Abs. 7 IPBPR – auf die nationale Ebene beschränkt – vorgesehen ist, wird er als allgemeiner Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit 51 und als solcher auch des Gemeinschaftsrechts anerkannt.52 Bemerkenswert ist aber, dass das Übereinkommen der Mitgliedstaaten der EG über das Verbot der Doppelbestrafung vom 25.5.1987 (EG-ne bis in idem-Übereinkommen) 53 (noch) nicht in Kraft

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Koch EuZW 1995 78 ff. Vgl. EuGH, Slg. 1974, 33 ff.; Slg. 1974, 139 ff.; vgl. Koch EuZW 1995 78, 82. BGHSt 36, 92. Vgl. BGHSt 4, 138. Gesetz betreffend die Anrufung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens auf dem Gebiet der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 35 des EU-Vertrages vom 6.8.1998, BGBl. I S. 2035; in Kraft

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getreten am 1.5.1999, Bekanntgabe v. 19.4. 1999, BGBl. I S. 728. LR/Gollwitzer 25 § 274 zu Art. 6 EMRK m.w.N. Vgl. etwa Schomburg NJW 2000 1833; Spannowsky JZ 1994 334; Zuleeg JZ 1992 764; Böse Strafen und Sanktionen im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 171 f.; Biancarelli Revue science criminelle et de droit pénal comparé (1987) 131 (153). Die Bestimmungen des Übereinkommens entsprechen denen der Art. 54 ff. SDÜ.

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getreten ist.54 Vorzeitig gilt es jedoch gemäß seinem Art. 6 Abs. 3 in Bezug auf Belgien, Dänemark, Frankreich, Irland, Italien, Niederlande, Österreich und Portugal.55 Die bisher geltenden Bestimmungen lassen offen, inwiefern ein Verbot der Doppelbe45 strafung auch über den innerstaatlichen Bereich hinaus zu fordern ist.56 Allerdings ist die Bundesrepublik schon heute nach Art. 54 SDÜ, dem Art. 1 des EU-ne bis in idem-Übereinkommens entspricht, verpflichtet, das Verbot der Doppelbestrafung für die Entscheidungen von Gerichten der Schengener Vertragsstaaten zu beachten.57 Hinzuweisen ist auch noch auf – größtenteils noch nicht in Kraft getretene – europäische Übereinkommen, die ebenfalls den Grundsatz ne bis in idem sektoral internationalisieren.58 Im Einzelnen ist noch überaus strittig, in welchem Ausmaß das aus Art. 54 SDÜ sich ergebende Verbot der grenzüberschreitenden Doppelbestrafung reicht. Nach der Definition des EuGH 59 fallen – entgegen dem durch den Wortlaut des Art. 54 SDÜ erweckten Anschein, nur richterlicher Entscheidungen seien gemeint – auch andere, etwa staatsanwaltschaftliche Entscheidungen unter dieses Verbot, soweit sie darauf gerichtet sind, das nationale Verfahren endgültig zu beenden. 2. EMRK und die Rechtsprechung des EGMR

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Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), welche nach Ratifizierung im Jahre 1953 in Deutschland als nationales Recht gilt, kommt einem europäischen Strafverfahrensrecht schon recht nahe. In ihr finden wir insbesondere in den Art. 3, 5, 6 und 8 Regelungen fast rein strafprozessualer Natur, die deshalb auch europäisch sind, weil sie gleichermaßen in allen Mitgliedstaaten der EU – und europaweit in insgesamt 45 Staaten – gelten. Überdies hat der Amsterdamer Vertrag die EMRK zum acquis gemeinsamer Werte und Bestimmungen erklärt, Art. 6 Abs. 2 EUV, was ihr eine zusätzliche Autorität verleiht. Obwohl die EMRK auf diese Weise „nur“ nationales Recht in den erwähnten Ländern ist, könnte man aus der Identität der Bestimmungen schließen, es handele sich um eine Art „Rumpf-StPO“ für Europa.60 Die EMRK ist gerade auch wegen der Knappheit ihrer Formulierungen und der 47 normativen Breite ihres Inhalts zur Zeit kaum mehr als ein Auslegungsinstrument für nationales Strafverfahrensrecht, allerdings verstärkt durch die von außen kommende

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Gesetz vom 7.9.1998, BGBl. II 2226; vgl. auch BRDrucks. 283/97. BGBl. 2002 II 600–604; vgl. Schomburg StV 1999 247. Vgl. auch Schomburg/Lagodny (1998) Art. 54 SDÜ, Rn. 30. Vgl. BGH StV 1999 244; NJW 1999 1270; EuGH JZ 2003 303 m. Anm. Kühne und die Rechtsprechung bestätigend EuGH EuGRZ 2006 140. Auch der Entwurf des Europäischen Verfassungsvertrags sieht in Art. II-50 eine entsprechende Regelung vor. Vgl. auch Rn. 94. Art. 7 des Übereinkommens vom 26.7.1995 aufgrund von Art. K. 3 des Vertrages über die Europäische Union über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (EU-FinIntÜbk-Betrug),

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ABlEG Nr. C 316/49 v. 27.11.1995; Art. 10 des Übereinkommens vom 26.5.1997 aufgrund von Art. K. 3 Abs. 2 (c) des Vertrages über die Europäische Union über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind, ABlEG Nr. C 195/1 v. 25.6.1997; siehe auch: Schomburg NJW 2000 1833 ff.; Ascensi AGON Nr. 33 (2001) 13. EuGH JZ 2003 305 m. Anm. Kühne. Der BGH hatte dies zuvor anders gesehen, vgl. BGHSt 45 123 m. Anm. Kühne StV 1999 478; BGH NStZ 2001 557. Vgl. ausführlich Stein ( 2004) passim und Liebau (2005) passim. Ausführlich Esser StV 2002 383.

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Definitionsgewalt des EGMR. Deutschland hat letztere vor allem in den Bereichen der Kostenerstattung für Dolmetscher, der überlangen Verfahrensdauer und bei der Akteneinsicht im Verfahren zur Entscheidung über Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft eher schmerzlich zur Kenntnis nehmen müssen.61 In den nationalen Prozessrechten anerkannte und in unterschiedlicher Weise ausge- 48 führte Grundsätze des Verfahrens werden genannt und im Rahmen der Rechtsprechung des EGMR mit zum Teil divergierenden Detaillösungen autoritativ vorgestellt. Dies führt dann bekanntlich zu einem korrigierten nationalen Rechtsverständnis, mitunter sogar zu Aktivitäten des nationalen Gesetzgebers.62 3. Das sogenannte Corpus Juris Dieser Text ist das Ergebnis der Arbeit einer Expertengruppe unter der Leitung von 49 Mireille Delmas-Marty, die im Rahmen eines EU Forschungsauftrags ein reichlich ambitiös so bezeichnetes „Corpus Juris“ entworfen hat,63 welches Vorschriften des materiellen Strafrechts und des Strafprozessrechts speziell für den Schutz der Finanzinteressen der Gemeinschaft enthält. Zwar ist das Corpus Juris seiner Zielsetzung nach auf den Schutz der finanziellen Interessen der EU beschränkt, doch könnte die Entwicklung einer Art „Europäischen Straf(verfahrens)rechts“ unter subsidiärer Beibehaltung der mitgliedstaatlichen Strafverfahrensordnung durchaus Modellcharakter auch für eine bereichsunabhängige Vereinheitlichung des europäischen Strafverfahrensrechts haben. In Betracht kämen hier zuvörderst solche Bereiche, für die der EG eine Harmonisie- 50 rungskompetenz zusteht. Zu denken wäre für die Zukunft etwa an ein europäisches Arbeits- oder Umweltstrafrecht. Es könnte gegen eine Verallgemeinerung des Entwurfs zwar eingewandt werden, dass er nur einen spezifischen Bereich betrifft, in dem die EU besonders schutzwürdig und schutzbedürftig ist,64 doch darf nicht verkannt werden, dass die in ihm aufgenommenen Regelungen durch das integrative Band der Ausrichtung an den historisch gewachsenen Grundsätzen europäischer Rechtstradition verknüpft sind.65 Hervorzuheben ist ein Kernpunkt des Entwurfs: die Einführung einer europäischen 51 Strafverfolgungsbehörde. Diese „Europäische Staatsanwaltschaft“ soll Ermittlungen führen, nach vorheriger Anordnung durch den sog. „Freiheitsrichter“ („juge des libertés“) prozessuale Zwangsmaßnahmen durchführen und schließlich gegebenenfalls auch Anklage erheben können (vgl. Art. 18 ff. des Entwurfs). Das angestrengte Strafverfahren bliebe jedoch ein nationales; zuständig wären die mitgliedstaatlichen Gerichte (vgl. Art. 25 ff. des Entwurfs).

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„Luedicke, Belkacem, Koç“, EuGRZ 1979 34 (Dolmetscherkosten); „Eckle“, EuGRZ 1983 371 (Verfahrensdauer); „Garcia Alva, Lietzow, Schöps“, StV 2001 201 ff. (Akteneinsichtsrecht bei Untersuchungshaft) m. Anm. Kempf StV 2001 206 f. Umfassend dazu Esser Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht – Die Grundlagen im Spiegel der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (2002). Ursprüngliche Version: Delmas-Marty

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(Hrsg.), Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutze der finanziellen Interessen der Europäischen Union, Ius Criminale, 1998; Überarbeitete Version: Delmas-Marty/Vervaele (Hrsg.), The Implementation of the Corpus Juris in the Member States, Vol. I (2000). Vgl. hierzu grundlegend EuGH, Rs. 68/88, griechischer Mais, Slg. 1989, 2965 ff. Vgl. die Motive zum Corpus Juris in: Delmas-Marty (Hrsg.) aaO, 28 f.

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Auf der Basis der Bestimmungen des Corpus Juris hat die Kommission anlässlich der Regierungskonferenz über die institutionellen Reformen der Union die Einführung des Amtes eines Europäischen Staatsanwaltes und die Ergänzung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft um eine entsprechende Rechtsgrundlage (Art. 280 a EGV) vorgeschlagen. Auf dem Europäischen Rat von Nizza im Dezember 2000 hat dieser Vorschlag nicht die erforderliche Unterstützung erfahren. Die Pläne zur Einführung einer Europäischen Strafverfolgungsbehörde werden jedoch in Brüssel weiterverfolgt 66 und haben zu einem Vorschlag der Kommission geführt: dem „Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der EU und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft“.67 Der Vorschlag des Grünbuchs sieht u.a. vor, dass der Europäische Staatsanwalt keine eigenen hoheitlichen Befugnisse hat, insbesondere keine strafprozessualen Zwangsmaßnahmen aus eigenem Recht anordnen darf und zudem von jeglicher nationalen oder europäischen Weisung freigestellt ist. Er ist insofern auf die nationalen Ermittlungsbehörden, letztlich also auf den nationalen Ermittlungsrichter oder Untersuchungsrichter angewiesen. Konsequenz dieses „Zuständigkeitsspagats“ zwischen einer gemeinschaftsrechtlichen 53 Strafverfolgungsbehörde einerseits und den mitgliedstaatlichen Gerichten andererseits wäre die partielle Zweigeteiltheit des Rechtsweges: Während über Streitigkeiten hinsichtlich der Anwendung der Regeln des Corpus Juris durch die europäische Strafverfolgungsbehörde der EuGH zu entscheiden hätte (vgl. Art. 28 CJ), stünde hinsichtlich der Entscheidungen in den mitgliedstaatlichen Strafverfahren der Rechtsweg zu den nationalen Gerichten offen. Dies aber wiederum kann letztlich dazu führen, dass der EGMR als gewissermaßen „letzte Instanz“ im Rahmen der Überprüfung der nationalgerichtlichen Entscheidungen auf die Verletzung elementarer Grundsätze der EMRK hin auch die Maßnahmen der europäischen Strafverfolgungsbehörde inzidenter überprüfen könnte.68 Damit wäre der Rechtsweg dreigeteilt, was allein der Rechtszersplitterung dienen und niemandem helfen würde. Das in zweiter, überarbeiteter Fassung (2000) differenzierte und im Detail noch zu 54 modifizierende Modell des Corpus Juris 69 könnte in Zukunft entweder aufgrund von Art. 280 Abs. 4 EGV,70 also im Rahmen der ersten Säule durch den Rat unter Beteiligung des Europäischen Parlaments im Wege des Mitentscheidungsverfahrens nach Art. 251 EGV, oder aufgrund von Art. 34 EUV (ex-Art. K. 6 EUV), also im Rahmen der dritten Säule durch die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber umgesetzt werden.71

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Vertrag von Nizza, ABlEG Nr. C 80/1 v. 10.3.2001; Dokument der Kommission KOM (2000) 608 endg.; siehe auch: Storbeck DRiZ 2000 488 f. Grünbuch vom 11.12.2001, KOM (2001) 715 endgültig; hierzu: Brüner/Spitzer NStZ 2002 393 ff.; Braum ZRP 2002 508. Nelles ZStW 109 (1997) 753. Zu den Problemen bei der Einführung einer Europäischen Staatsanwaltschaft: Dieckmann NStZ 2001 620 ff.; zur EMRK als Maßstab im Rahmen

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des Corpus Juris vgl. Art. 25 II, 29 I, 33 I des Entwurfs. Kritik an zu starker Staatsbetonung und ungenügender Berücksichtigung von Individualrechten bei Nelles in: Huber (Hrsg.), Das Corpus Juris als Grundlage eines europäischen Strafrechts (2000), S. 261. So: Tiedemann AGON 1997 12 f. Vgl. hierzu näher Sieber in: Delmas-Marty (Hrsg.) aaO, insbesondere 8 f.

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III. Ausländische, europäische und internationale Gerichte im Verhältnis zu deutschem Recht und deutschen Gerichten 1. Einführung: Das Problem der Sprach- und Rechtssystem übergreifenden juristischen Tätigkeit a) Allgemeines Nach alledem ist es zunächst einmal vergleichsweise banal festzustellen, dass nicht- 55 nationale Rechtsquellen und Gerichte in das nationale Straf- und Strafverfahrensrecht einwirken. Daraus ergibt sich die Möglichkeit eines Divergierens von nationaler und europäischer Jurisdiktion, die die Frage nach den Folgen eines solchen Konflikts aufwirft, dazu näher unten Rn. 84 ff. Da die grundsätzliche wie auch strukturbedingte Überordnung der europäischen Gerichte über nationale Gerichte offensichtlich ist und auch nicht bestritten wird, geht es also um Art und Ausmaß der Umsetzung solcher Entscheidungen ins nationale Recht. Im Folgenden soll nicht nur der formale Aspekt dieser Frage behandelt werden. Viel- 56 mehr soll aus Anlass dieser Frage das Problem der unterschiedlichen juristischen Denkund Argumentationsweise internationaler Gerichte und ihre Folgen für die Berücksichtigung im nationalen Recht verfolgt werden. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass in diesen europäischen Gerichtshöfen allein aufgrund ihrer Zusammensetzung ein Wettbewerb der nationalen Rechts- und Sprachsysteme stattfindet,72 der mitunter im Wege einer erforderlichen Mehrheitsentscheidung zu eigentümlichen, dogmatisch kaum nachvollziehbaren Ergebnissen führt. Nur mit sehr viel Euphemismus kann man dies mit methodischer Offenheit 73 oder methodischer Autonomie 74 bezeichnen. Wohl eher zutreffend wäre dies als eine Freiheit zur Methodenbildung im Wettstreit von Rechtssystemen und Sprachen zu beschreiben.75 Dass hierbei nicht allein Sachargumente miteinander konkurrieren ist evident. Es wäre deshalb auch ein Irrtum, wollte man meinen, die Spruchpraxis europäischer 57 Gerichte könne, zumindest was ihre Inhalte angeht, ohne weiteres ins nationale Recht übernommen werden.76 Zu verschieden sind die Grundstrukturen juristischen Denkens selbst im grob gesehen noch ziemlich kohärenten Bereich europäischer Rechtskulturen. Erschwerend kommt hinzu, dass europäische Gerichte durch ihre internationale Zusammensetzung der Richterbank in jeder Entscheidung gezwungen sind, vom Inhalt und von der Begründung ihrer Entscheidung her einen Kompromiss zu finden, der trotz der unterschiedlichen Ansätze von der Mehrheit getragen werden kann. Dies hat in der Regel Formulierungen zu Folge, die eher allgemein, zum Teil auch nur pragmatisch 77 sind und zu 72

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Vogel JZ 2004 488 konstatiert dies zunächst nur für „Verhandlungen in inter- und supranationalen Instrumenten“. Dort ist das wegen der relativen Offenheit der Vorgänge deutlich erkennbar. Bei den Gerichtshöfen geschieht dies hingegen unter dem Schutz des Beratungsgeheimnisses, wenngleich nicht weniger dramatisch. Kühl ZStW 109 (1997) 801; vgl. aber die beachtlichen Versuche zur Beschreibung einer Methodik europäischer Gerichtshöfe bei Schulze/Seif (Hrsg.) Richterrecht und Rechtsfortbildung in der Europäischen Rechts-

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gemeinschaft (2003) dort insbesondere David A. O. Edward Richterrecht in Community Law, S. 75 ff. aus englischer Sicht und R. Sacco Concepts juridiques et création du droit communitaire par le juge, S. 81 ff. aus italienisch-französischer Perspektive. Vogel GA 2002 524. Deshalb votiert Vogenauer ZEuP 2005 234 glühend und durchaus zu Recht für die Entwicklung einer Europäischen Methodenlehre. So auch: Schulze/Seif 6. Hingegen bricht Vogel (Fn. 74) eine Lanze für vermehrten Pragmatismus in der Straf-

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Kritik an unzulänglicher dogmatischer Stringenz aus Sicht nationaler Jurisdiktion und Rechtswissenschaft herausfordern oder aber dies dadurch tun, dass sie einem bestimmten, durch einen im konkreten Fall einflussreichen Richter 78 repräsentierten Rechtssystem Vorrang einräumen. Und schließlich kann nicht ignoriert werden, dass es in Hinblick auf das administrativ dominierte Besetzungsverfahren an den EGMR und den EuGH noch Probleme der richterlichen Unabhängigkeit gibt.79 Auch kann nicht übergangen werden, dass die Richter, wenn sie in Englisch und/oder 58 Französisch ihre Urteile absetzen, zumeist in einer ihnen fremden Sprache formulieren müssen. Jurisprudenz als Sprachwissenschaft ist aber letztlich untrennbar mit der jeweiligen Sprache verbunden. Übersetzungen, selbst wenn sie formell überaus sorgfältig und richtig angefertigt worden sind, kollidieren daher in der Regel zumindest partiell mit dem der Zielsprache inhärenten eigenen juristischen Verständnis. Allein die Wahl der Sprache juristischer Argumentation enthält bereits eine Zuwendung zu dem damit verbundenen Rechtssystem und seiner Terminologie. Denkfiguren wie Begriffe haben ihre eigenen nationalen juristischen Hintergründe, aus welchen Verständnis vermittelt wird. Dagegen sich zu wehren und in der fremden Sprache (Zielsprache) die eigene und mit ihr das spezifische Rechtsverständnis zu bewahren und zu kommunizieren, ist ebenso schwierig wie aufwendig und führt oft in die Unverständlichkeit oder in den Verlust von Charakteristik und Differenziertheit der Argumentation. b) Die konkurrierenden Rechtssysteme

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In vertretbarer Vereinfachung kann man sagen, dass in Europa drei weitgehend nach Inhalt und Tradition eigenständige Rechtssysteme und eine Vielzahl von Mischformen aus diesen Systemen bestehen.80 Auf dem Kontinent sind dies das romanische und das germanische Recht. Zu diesen gesellt sich das insuläre angelsächsische Recht. Während das angelsächsische Recht und seine Spielarten in Schottland und Irland sich noch deutlich von den kontinentalen Systemen unterscheiden, ist dies bei den beiden kontinentalen Formen – die letztlich beide auf das klassische römische Recht zurückgehen, jedoch eine merklich unterschiedliche Entwicklung seit dem frühen 19. Jahrhundert erfahren haben – nicht mehr so klar zu erkennen. Im Folgenden sollen sehr grob und beispielhaft verkürzend an Hand des englischen 60 und französischen Rechtsdenkens im Vergleich zur deutschen Rechtstradition einige wesentliche Unterschiede dieser Rechtstraditionen herausgestellt werden. Vom Methodischen her, dies kann vorab festgestellt werden, ist das angelsächsische 61 Recht am weitesten entfernt vom kontinentalen. Dies durchaus nicht allein wegen der nur beiläufigen Berücksichtigung von Gesetzesrecht, dem statutary law, welches neben common law und equity 81 bislang nur eine Nebenrolle gespielt hat, im Rahmen der europäischen Entwicklung aber eine merkliche Verstärkung im Vereinigten Königreich erfahren hat.

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rechtspolitik, was konsequenterweise auch für die Rechtsprechung gelten müsste. Dies können auch Mitarbeiter der Richter bzw. des Gerichtshofs sein, etwa die nach Art. 25 EMRK. Ausführlich Schubarth FS Trechsel 93. Dies trifft nicht nur auf die gleichsam originären Mischsysteme zu, wie wir sie etwa aus den Benelux-Staaten, der Schweiz, den

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skandinavischen Staaten oder der Türkei kennen. In neuerer Zeit haben beispielsweise Vertreter der germanischen (Österreich) wie auch der romanischen Tradition (Frankreich) Elemente des common law in ihr Strafverfahrensrecht integriert, vgl. Kühne Rn. 1318, 1329 und 1238, 1239. Zur praktischen Bedeutung von equity sogleich.

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aa) Die Interpretation England. Wichtiger ist der Umstand, dass im Vereinigten Königreich sich in Ermangelung einer vorrangigen Beschäftigung mit dem Gesetz keine Interpretationskultur hat entwickeln können. Während das kontinentale Recht sich seit Jahrhunderten zentral mit der kommentierenden Auslegung von Gesetzestexten beschäftigt hat, konzentrierte sich das angelsächsische Recht auf die Kultivierung der freien richterlichen Rechtsfortbildung im Rahmen der Schaffung von common law und die Präjudizienfindung (rule of precedents oder principle of stare decisis) im Hinblick auf die Anwendung eben dieses Rechts. Was die freie Rechtsfortbildung durch Aufstellung von Prinzipien, Regeln und Ähnlichem angeht, unterliegen die obersten Richter keiner wirklichen Begrenzung, soweit sie nicht mit dem fragmentarischen statutary law in Konflikt geraten. Ein Vergleich mit kontinentaler richterlicher Argumentation verbietet sich aus methodischen Gründen daher grundsätzlich. Die erforderlichen exegetischen Bemühungen in der Befolgung der rule of precedents – immerhin muss die Vergleichbarkeit des Präjudizes mit dem vorliegenden Fall behauptet und begründet werden – sind ebenfalls nicht vergleichbar mit kontinentaler Gesetzesinterpretation. Sie sind überwiegend nicht-rechtlicher Natur, weil die Identität des Falles, nicht aber die Reichweite eines gesetzlichen Begriffs Gegenstand der Exegese ist. Es sei angemerkt, dass der Vorteil eines solchen Vorgehens durchaus in der Unberührtheit der rechtlichen Norm von möglicherweise verfälschender juristischer Auslegung gesehen werden kann. Die Autorität der Norm, mag sie ihre Geltungskraft aus common law oder statutory law beziehen, bleibt uneingeschränkt erhalten, anders als in der kontinentalen Tradition, nach welcher die Norm häufig genug hinter der Auslegung fast vollständig verschwindet. Andererseits wird die Argumentation zur Abgleichung von Fällen nicht durch Text und Autorität der Norm limitiert. Dies mag die Vorhersehbarkeit des Ergebnisses noch schwieriger machen, als das bei der Gesetzesinterpretation ohnehin schon der Fall ist. Überdies könnte hierin eine Erklärung für die nur im anglo-amerikanischen Rechtskreis übliche Richtersoziologie sein, mit Hilfe derer vor allem bei Obergerichten Ergebnisprognose praktiziert wird.82 Dieser Ansatz impliziert das Grundverständnis, wonach eben nicht in erster Linie das Gesetz, sondern persönliche Wertsysteme der entscheidenden Juristen die Rechtsfindung beeinflussen. Überspitzt könnte man sagen: die angelsächsische Rechtsanwendung sucht sich für das erwünschte Ergebnis einen entschiedenen Fall und bearbeitet diesen solange bis er dem konkreten Fall vergleichbar erscheint, während nach kontinentalem Vorgehen ein Gesetz mit erwünschtem Inhalt gesucht wird, welches durch Auslegung dem Fall vergleichbar gemacht wird. Dieser Unterschied bleibt bei Berücksichtigung von equity, die freilich nur im Zivilrecht Zwecken des Schadensausgleichs dient, nicht nur bestehen, sondern wird zusätzlich

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In Deutschland gab es allein in den 70er Jahren erste aus dem anglo-amerikanischen soziologischen und psychologischen Umfeld übernommene Ansätze einer Richteranalyse als Basis für die Vorhersage von Entscheidungen. Vgl. D. Peters Richter im Dienste der Macht (1972); R. Lautmann Justiz – die stille Gewalt (1972) oder W. Richter Zur Bedeu-

tung der Herkunft des Richters für die Entscheidungsbildung (1973). Diese Ansätze sind hierzulande nicht weiter verfolgt worden. Für Frankreich beklagt Anne LagneauDeville, in: van de Kerchove (Hrsg.), L’interprétation en droit (1978), 535, die Nichtexistenz solcher Studien.

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bestätigt. Equity ist, verkürzt beschrieben, das Heilmittel gegen rigide, weil nicht flexibel interpretierbare Normen. Sie ist – inhaltlich aber nicht historisch abgeleitet – Teil der Aristotelischen Gerechtigkeitsauffassung,83 die neben der Tauschgerechtigkeit (commutativa) und der austeilenden Gerechtigkeit (distributiva) die aequitas als Korrektiv für Einzelfallgerechtigkeit vorsieht. Equity ist gleichsam die – methodisch wenig ausgearbeitete 84 – Kompensation für mangelnde Möglichkeiten der Ergebnissteuerung durch Interpretation. Die Regeln, denen die Anwendung von equity unterliegt, haben wiederum mit Auslegung nichts zu tun, sondern stellen allgemeine Grundsätze und Wahrsprüche dar, die lediglich Willkür verhindern sollen. Gesetzesinterpretation, so können wir festhalten, macht zwar nach kontinentalem 67 Verständnis das Wesen juristischer Tätigkeit aus, existiert aber im angelsächsischen Raum nicht. Dies ist eine schier unerschöpfliche Quelle für Missverständnisse. Allein der Blick auf den UK Interpretation Act von 1978,85 der aus unserer Sicht mit Interpretation nichts zu tun hat, sondern lediglich sehr grundsätzliche, um nicht zu sagen selbstverständliche terminologische Erläuterungen gibt, die letztlich nur auf sehr allgemeiner Ebene und formal in den Umgang mit Gesetzen einführen, zeigt, dass in diesem zentralen Punkt juristischen Verständnisses nicht nur Begriffe irreführen, sondern auch zugleich nichtvorhandene Gemeinsamkeiten vortäuschen. Frankreich. Auch in Frankreich, wenngleich bekanntlich dem Gesetzesrecht verpflich68 tet, äußert man im Vergleich zu Deutschland methodisch mehr Respekt vor der Autorität des Gesetzestextes, was zur Behandlung der in Deutschland kaum gestellten Frage führt, wann denn Gesetzte überhaupt interpretiert werden dürfen.86 Dies ist auch eine Frucht der die Napoleonischen Gesetze begleitenden Idee der Konkretheit und Volkstümlichkeit von Gesetzessprache,87 obwohl gerade die Volkstümlichkeit der französischen Gesetzessprache kaum mehr erkennbar ist und einer hochkomplexen, wenngleich immer noch wenig abstrakten Sprache gewichen ist. Auch die starke Betonung der historischen Auslegung 88 ist eine Folge dieses Grund69 verständnisses. Selbst im Rahmen der logischen und systematischen Interpretation werden der Gesetzestext und der Wille des Gesetzgebers als oberste Autoritäten akzeptiert: „L’argument de rationalité du l’egislateur n’est pas un argument ordinaire, il est, dans la sphère jurisprudentielle, l’argument suprême“.89 Insbesondere im Gegensatz zum englischen Recht gilt also in Frankreich der Grundsatz legibus non exempli.90 83

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Wenngleich geschichtlich nicht erkennbar ist, dass die equity sich auf altgriechisches Gedankengut stützt. Etwa: Redmont/Stevens/Shears General Principles of English Law, 6th Edition (1991) 330. Zugänglich über: www.inlandrevenue. gov.uk. Etwa van de Kerchove in: van de Kerchove (Fn. 82), 15 mit ausführlichen Hinweisen auf die höchstrichterliche Rechtsprechung. So meint etwa Nerson in: Voirin (Hrsg.), Mélanges offerts à Ms le Professeur Pierre Voirin (1966) 603, 605, dass die Verfasser des Code Civile ein wundervolles populärwissenschaftliches Instrument schaffen wollten.

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Ausführlich Gérard in: van de Kerchove 51 ff. Ost in: van de Kerchove 179, Hervorhebung im Original. Vgl. auch Demolombe, zitiert von: Neumayer, in: David/Grassmann (Hrsg.), Einführung in die großen Rechtssysteme der Gegenwart (1988) 51 („Les textes avant tout!“). Interessanterweise ist die italienische Entwicklung deutlich anders als die französische verlaufen und der deutschen sehr ähnlich geworden. Unter der Frage nach der „intenzione del legislatore“ wird im Rahmen der „interpretazione logica“ nach dem telos des Gesetzes gesucht, vgl. Tarello G. L’interpretazione della lege (1980) 370.

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Die teleologische Auslegung, die im deutschen Rechtsraum vermehrt als Vorwand 70 für eine kreative Gesetzesinterpretation im Rahmen echter Rechtsfortbildung genutzt wird,91 welche oft genug unter dem Verdacht steht contra legem erarbeitet worden zu sein und durch nachgerade endlose Verfeinerung die Rechtsbegriffe zu entnormativieren droht,92 ist in dieser Form in Frankreich hingegen nicht bekannt. Bezeichnend ist, dass in dem immer noch aktuellen und grundlegenden Werk von van de Kerchove 93 zur Gesetzesinterpretation im französischen Recht die teleologische Interpretation mit keinem eigenständigen Artikel bedacht und auch innerhalb der Texte praktisch mit keiner Erwähnung berücksichtigt wurde. Anstelle feinsinniger Interpretation finden wir in Frankreich eine recht heterogene Prinzipienlehre,94 die noch Franz v. Liszt dazu veranlasste, die Existenz einer französischen Strafrechtsdoktrin schlicht zu leugnen.95 All dies dürfte auch ein Grund für die stark auf Auswendiglernen ausgerichtete aka- 71 demische juristische Ausbildung in Frankreich sein. Andererseits führt die trotz ihrer historischen Ausrichtung auf Konkretheit ungewöhnlich hohe Komplexität der französischen Gesetzessprache 96 dazu, dass die Allgemeinverständlichkeit stärker leidet, als dies üblicherweise bei uns der Fall ist. Dies bringt Textanalysen mit sich, die zumindest mit einer gewissen Glaubwürdigkeit vorgeben können, den Text nur zu erschließen und sich noch vor dem Bereich der Wortinterpretation zu befinden. bb) Gerichtliche Begründungen Überaus bedeutsam in diesem Zusammenhang ist auch die Unterschiedlichkeit der 72 gerichtlichen Begründungsstrukturen. In Deutschland müssen selbst Untergerichte ihre Entscheidungen dogmatisch halbwegs stringent absetzen, um in der Prüfung der Obergerichte im Rechtsmittelzug, der im Strafrecht in der Praxis häufig erst beim Bundesverfassungsgericht endet, bestehen zu können. Der BGH und das BVerfG üben sich vermehrt in hochfeinen dogmatischen Erwägungen, die durchaus an rechtswissenschaftlichen Ansprüchen zu messen sind und sich auch – explizit oder implizit – mit der jeweiligen wissenschaftlichen Diskussion auseinandersetzen. Auf diese Weise sind Rechtsprechung und Wissenschaft aufs Engste verwoben und stehen in einem fortwährenden Prozess komplexer Interaktion. Schünemann spricht in diesem Zusammenhang von der Rechtswissenschaft als Vierter Staatsgewalt zur Kontrolle der Judikative, einer Kontrolle, die allein auf der Macht des Geistes und ihrer faktischen Akzeptanz beruhe.97 Ganz anders in den angelsächsischen und romanischen Rechtskulturen. Bei beiden 73 sind im Bereich der Laiengerichtsbarkeit, also sowohl bei den englischen Magistrate Courts wie auch bei den im Vereinigten Königreich wie in den romanischen Strafverfahrensgesetzen existierenden Schwurgerichten, Urteilsbegründungen weitgehend entbehrlich, mitunter sogar unstatthaft. Die Rechtsfindung der Laien als Vertreter des Volkes, also einer höchsten demokratischen volonté générale, bedarf keiner weiteren Rechtfertigung, schon gar nicht der durch gemeinhin unter dem Verdacht von Weltfremdheit und

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Hierzu jüngst: Herzberg JuS 2005 6. Schünemann FS Roxin 3. Vgl. Fn. 82. Schünemann (Fn. 92) 4. Dies berichten: Merle/Vitu Traité de Droit Criminel (1997) Nr. 379 (499, Fn. 5). Dies wird in dem Streit deutlich, ob es sich

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bei der französischen Gesetzessprache um eine langue juridique oder nur einen langage juridique handele, vgl. etwa Bocquet in: Terminologie et Traduction (Zeitschrift) 2/3 1992 271. Schünemann (Fn. 92) 8.

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Spezialistentum stehende Juristen. Rechtliche Erwägungen begrenzen sich im materiellen Recht auf Strafzumessungserwägungen und im Verfahrensrecht auf die meist durch Protokollierung erledigten Fragen des Verfahrensablaufs.98 All diese Unterschiede haben Bestand auch angesichts der Empfehlung des Europarats über „Consistency in Sentencing“ und dem dortigen Bekenntnis: „The giving of reasons is the essence of proper decision making“.99 Aber auch bei Urteilsbegründungen höherer Instanzen, die gemeinhin Orientierungs74 charakter für die Rechtsfortbildung haben, unterscheiden sich englische und französische Urteile deutlich von deutschen. In Hinblick auf englische Urteile ergibt sich dies aus der weitestgehend ungebundenen Macht oberster Richter und ihrer Kompetenz, Recht (common law) zu schaffen.100 Dies erklärt zum Teil auch das Scheitern aller strafrechtlichen Kodifikationsbemühungen im englischen Strafrecht.101 Die Marginalität wissenschaftlicher Äußerungen für diese Rechtsprechung,102 der bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts sogar verboten war, noch lebende Autoren zu zitieren, trägt weiterhin zu – aus kontinentaler Sicht – dogmatischen Defiziten bei. Was französische höchstrichterliche Urteile angeht, so ergibt sich aus dem ebenfalls 75 bereits dargelegten französischen Verständnis über die Grenzen von Auslegung eine aus deutscher Sicht dogmatisch wenig strukturierte und eher an unsystematisch herangezogenen Grundprinzipien orientierte Argumentation,103 die sich überwiegend auf die Wiederholung des relevanten Gesetzestextes beschränkt.104 Das macht französische Urteile sehr viel kürzer als deutsche. Die Kürze einer Urteilsbegründung ist gleichsam die wichtigste Bemessungsgrundlage für seine Qualität.105 Nur am Rande soll in diesem Zusammenhang angemerkt werden, dass innerhalb des 76 romanischen Systems in Spanien die Urteile eher in Aufbau und Inhalt den Deutschen entsprechen, mit dem wesentlichen Unterschied allerdings, dass keine Ausführungen zu den Beweisen zu finden sind.106 In Italien wird die ursprüngliche apodiktische Kürze von

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Natürlich gibt es hier im Detail immer wieder Bereiche, in denen sich durchaus heikle und für das Rechtsmittelverfahren relevante Rechtsfragen verstecken. So ist etwa das „summing up“ des englischen Vorsitzenden eines Schwurgerichts rechtlich überaus heikel und zugleich ein wirksames Instrument der Beeinflussung der Laienrichter, vgl. Kühne Rn. 1192. Vgl. hierzu die Diskussion um Gegenstand und Inhalt der im Urteil darzustellenden rationes decidendi, Cross Precedent in English Law (1991) 76. In Frankreich ist durch Gesetz v. 15.6.2000 die Berufung von Urteile des Cour d’assise neu eingeführt worden, was zu einer Neubesinnung über die Darstellung der Urteilsgründe führte. Council of Europe, Consistency in Sentencing, Recommendation NoR (92) 17, Council of Europe Press, Strasbourg (1993), S. 34. Durch das vom House of Lords 1966 erlassene Practice Statement entfiel sogar der im

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Jahre 1898 aufgestellte Grundsatz der Bindungswirkung an frühere Entscheidungen der Law Lords. Van Caenegem Judges, Legislators and Professors: Chapters in European legal history (1987) 152. Etwa: Atiyah Pragmatism and Theory (1987) 182 ff.; Bailey/Gun Smith and Bailey on the Modern English Legal System (1996) 401. Vogel GA 1998 130 spricht von einer „apodiktischen Prägnanz (dieser Urteile) ohne hohen oder gar systematisch – konstruktiven Begründungsaufwand“ und weist darauf hin, dass der Cour de Cassation Chambre Criminelle dazu neigt, rechtliche Fragen zu Tatfragen umzudefinieren und sie so der juristischen Diskussion zu entziehen. Meyer-Pritzl in: Schulze/Seif 54. Dies gilt mit Ausnahme von Italien für alle Länder des romanischen Rechtskreises, vgl. Grassmann in: David/Grassmann 207. Czeguhn in: Schulze/Seif 61 ff.

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Urteile durch eine unsystematisch eingestreute Vielzahl von obiter dicta konterkariert 107 und die eigentliche Begründung durch eine komplexe Zusammenfassung der Streitpunkte ersetzt. Folglich ist weder in Frankreich noch in England der Diskurs zwischen Wissenschaft 77 und Rechtsprechung auch nur annähernd so ausgeprägt wie das in Deutschland seit mehr als hundert Jahren zu konstatieren ist. Aus alledem ergibt sich im Wettstreit der Systeme ein deutliches deutsches Interesse, die erreichte juristische Argumentationskultur im europäischen Kontext nicht allzu sehr reduzieren zu müssen. Andererseits vermag der Einfluss europäischer Rechtspraxis vielleicht auch einer Hypertrophie deutscher Dogmatik vorzubeugen. cc) Die Inhalte Auf der inhaltlichen Ebene Unterschiede aufzuweisen, die charakteristisch für die 78 jeweilige juristische Denkweise der erwähnten Systeme sind, würde an dieser Stelle zu weit führen und bedürfte überdies einer tieferen Analyse, die hier nicht zu leisten ist. Da im Strafrecht bislang aber überwiegend von der europäischen Ebene Entscheidungen zum Strafverfahrensrecht ergangen sind,108 mag es reichen, das Problem der Beweisverwertungsverbote in Erinnerung zu rufen. Während im Vereinigten Königreich unabhängig von der Rechtswidrigkeit ihres Entstehungszusammenhangs nur die Beweise einem Verwertungsverbot unterfallen, die als unzuverlässig gelten,109 begründet in Frankreich jedwede Rechtswidrigkeit auch ein Verwertungsverbot,110 wohingegen in Deutschland grundsätzlich ein Abwägungsprozess nach wechselnden Kriterien über die Verwertbarkeit entscheidet.111 Auch die Wahrheit als Verfahrensziel wird allein nach deutschem Recht verfolgt. Das 79 englische adversatorische Verfahren kennt kein solches Ziel und keinen Prozessbeteiligten, der diesem verpflichtet wäre. Allein die Parteien bestimmen, welche Fakten zum Beweis angeboten werden und sind so befähigt, die Sachlage selbst zu gestalten. Im französischen Strafverfahren hingegen bedingen Elemente des Parteiprinzips bezüglich der Beibringung von Beweisen und deren Präklusion,112 dass die Wahrheit als Ziel formellen Gesichtspunkten der Verfahrensordnung deutlich untergeordnet wird.

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Meyer/Pritzl in: Schulze/Seif 55. EGMR, Khan vs. Vereinigtes Königreich, Urt. v. 12.5.2000, JZ 2000 993 ff. m. Anm. Kühne/Nash; EGMR, Allan vs. Vereinigtes Königreich, Urt. v. 5.11.2002, StV 2003 257 m. Anm. Gaede = StraFo 2003 162 = JR 2004 98 ff. mit Anm. Esser; EuGH, Urt. v. 11.2.2003, Rs. C-385/01 u. C-187/01 (Gözütok u. Brügge) = NJW 2003 1173 = EuZW 2003 214 = NStZ 2003 332 = StV 2003 201 m. abl. Anm. Radtke/Busch NStZ 2003 281; kritisch auch: Kühne JZ 2003 305; Vogel/Norouzi JuS 2003 1059; Böse GA 2003 744; i.E. zustimmend dagegen:

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Stein NJW 2003 1162; EuGH, Urt. v. 10.4.2003, C 276/01 (Joachim Steffensen) mit Anm. Esser StV 2004 221 ff. Vgl. Kühne Rn. 1193; Janicki Beweisverbote im deutschen und englischen Strafprozess (2002). Art. 171 CPP sagt, dass rechtswidrig erlangte Beweise der nullité unterfallen. Meyer-Goßner Einl. Rn. 52 ff., § 136 a Rn. 27 ff.; Jäger Beweisverwertung und Beweisverwertungsverbote im Strafprozess 143 ff.; LR/Gollwitzer 25 § 250, 3 a; LR/ Gössel Einl. L. Kühne Rn. 1238 f.

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2. Ausländische Gerichte

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Rechtskräftige Entscheidungen ausländischer Gerichte haben für Deutschland nur insofern eine Bedeutung, als es bilaterale Übereinkünfte über die Anerkennung und Vollstreckbarkeit solcher Entscheidungen gibt. Dies ist dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe zuzuordnen, vgl. unten Rn. 123. Auf der inner-europäischen Ebene gelten die auf die jeweiligen Ebenen bezogenen Sonderregelungen. Also einmal auf der Ebene der sog. dritten Säule, vgl. oben Rn. 8, der des SDÜ, und der der Konventionen des Europarates, vgl. oben Rn. 4. Sonstige Entscheidungen ausländischer Gerichte, also insbesondere solche zur Produktion von Beweisen oder strafprozessualen Zwangsmaßnahmen, unterliegen denselben Regelungsstrukturen, werden aber innerhalb der EU zusätzlich durch die Institutionen von EJN (Europäisches Justizielles Netzwerk) vgl. oben Rn. 28 f., und Eurojust, vgl. oben Rn. 31 f., unterstützt. a) Der EGMR

Bekanntlich ist die EMRK in den Mitgliedstaaten geltendes Recht 113 und von den nationalen Gerichten unmittelbar anzuwenden. Die Rechtsprechung des EGMR in Straßburg hat zunächst einmal die letzte Definitionsgewalt über die Auslegung der Konvention und damit einen noch näher zu bestimmenden Einfluss auf das nationale Recht, der vor allem in Deutschland auch geprägt ist von einer gewissen Konkurrenz zum Bundesverfassungsgericht. Dazu sogleich mehr, Rn. 84 f. Wegen der überwiegend strafprozessual wirkenden Vorschriften der EMRK 114 haben wir in diesem Rechtsgebiet seit dem Beginn der Rechtsprechung des EGMR im Jahr 1960 eine zwar nicht gemeinschaftsrechtliche, wohl aber europäische Rechtsprechung, die Wirkung auf nationales Recht und nationale Gerichte ausübt. Insbesondere unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts82 hofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, der sich um eine gewisse Einheitlichkeit der Auslegung bemüht, ist die EMRK von einem allgemeinen Auslegungstopos nationaler Strafverfahrensrechte zu so etwas wie einer Rahmenstrafprozessordnung für die Staaten des Europarats geworden. Sehr bewusst wird hier von einem diesbezüglichen Bemühen gesprochen. Insbesondere zwei Dinge sind in diesem Zusammenhang für eine Einheitlichkeit hinderlich. Zum einen die Überlast des Gerichtshofs, die gerade auch wegen seiner schlechten Ausstattung mit wissenschaftlichen Mitarbeitern dazu geführt hat, dass der Gerichtshof mitunter seine eigene Rechtsprechung nicht mehr kennt und so zu einer mitunter wenig konsistenten Spruchpraxis gelangt. Überdies ist es auch nicht einfach, Entscheidungen dogmatisch eindeutig und stringent zu formulieren, wenn die Richter aus unterschiedlichen Rechtstraditionen und Sprachbereichen kommen, oben Rn. 55 ff. und 71 ff. Zum anderen bereitet die Duplizität der Gerichte, die jeweils letztinstanzlich über die 83 Auslegung der EMRK entscheiden, Schwierigkeiten. Denn auch der EuGH hat schon vor dem Amsterdamer Vertrag, der die EMRK in den EU-Acquis eingebracht hatte, aus gegebenen Anlässen die EMRK interpretiert und angewendet. Obwohl bislang noch keine

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Das ist nur ein wenig komplizierter im Vereinigten Königreich, wo trotz der Ratifizierung der EMRK die Verabschiedung des mit der EMRK weitgehend inhaltsgleichen Human Rights Act von 1998 für erforder-

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lich gehalten wurde, um die Bestimmungen auch für die englische Justiz anwendbar zu machen, vgl. Kühne Rn. 1153. Vgl. ausführlich dazu Esser (2002) 51 ff.

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größeren Divergenzen aufgetreten sind,115 enthält das Fehlen eines hierarchischen Verhältnisses zwischen den beiden Gerichten das Potential einer divergierenden Sinngebung.116 Schließlich und letztlich ist auch noch nicht ausgestanden, ob das Bundesverfassungs- 84 gericht sich nicht doch noch einmal aus der Warteposition der zwei „Solange-Entscheidungen“ 117 herausbegibt und für sich eine definitive Kontrollkompetenz zur Auslegung der EMRK unter Verfassungsgesichtspunkten in Anspruch nimmt. Die viel gescholtene „Maastricht-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts 118 mit ihrem anti-europäischen Potential ist durch die zarten Andeutungen einer milderen Haltung im „BananenMarkt-Beschluss“ 119 noch längst nicht aus der Welt und zeugt nach wie vor vom Willen des BVerfG, sich seine für Deutschland abschließende Definitionsgewalt von keiner europäischen Instanz streitig machen zu lassen. Erst jüngst hat das BVerfG dezidiert zur Geltung von Entscheidungen des EGMR Stel- 85 lung genommen.120 In einem ersten Teil des Beschlusses v. 14.10.2004 hat es in verdienstlicher Weise festgestellt, dass diese Entscheidungen grundsätzlich nicht nur völkerrechtliche Bedeutung haben, sondern auch nationale deutsche Gerichte binden. Des weiteren bestätigt das BVerfG erneut, dass die EMRK zwar kein unmittelbar anwendbares Verfassungsrecht sei, aber dennoch die Auslegung der Grundrechte und der rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes auf der Ebene des Verfassungsrechts beeinflusse. Dies alles ist zwar in der wissenschaftlichen Diskussion schon länger so gesehen worden, konnte aber angesichts der keineswegs eindeutigen deutschen Gesetzeslage durchaus begründet bezweifelt werden, wie dies ja auch die vom BVerfG aufgehobene Entscheidung des OLG Naumburg 121 getan hatte. Auch der Hinweis auf die Beachtlichkeit der Entscheidungen des EGMR gegen andere Länder für die deutsche Auslegung der EMRK 122 ist ebenso sinnvoll wie hilfreich. Es kann unabhängig von dogmatischen Erwägungen nicht richtig sein, dass angesichts einer abweichenden Rechtsprechung des EGMR nationale Gerichte sehenden Auges eine Mängelrüge des EGMR provozieren. Insofern ist die klare Aussage des BVerfG nicht nur rechtspolitisch von großer Bedeutung. Im Rahmen der Begründung schränkt das BVerfG jedoch sein zuvor gefundenes 86 Ergebnis wieder ein, indem eine Rezeption des Urteils des Straßburger Gerichtshofs unter den Vorbehalt der methodischen Konvergenz mit dem deutschen Recht und des Verbots einer schematischen Vollstreckung gestellt wird. Darüber hinaus sollen die Auswirkungen auf die nationale Rechtsordnung und ihre Rechtsanwendung berücksichtigt werden.123 115

116 117

Zum Begriff der „Wohnung“ i.S.v. Art. 8 EMRK und zum Schutzgehalt des aus Art. 6 I EMRK abzuleitenden Grundsatzes „nemo tenetur se ipsum accusare“ zeichnen sich allerdings gewisse Divergenzen in der Rechtsprechung der beiden Gerichtshöfe ab; vgl. EuGH, Slg. 1989, 2859 (2924) – Hoechst/ Kommission; Slg. 1989, 3283 (3351) – Orkem/Kommission; EGMR, Niemietz vs. Deutschland, Serie A Nr. 251-B; Funke vs. Frankreich, Serie A Nr. 265-A; zu diesen Divergenzen bereits: Böse ZRP 2001 402 (403); Philippi ZEuS 2000 97. Näher Alber/Widmaier EuGRZ 2006 113. BVerfGE 31 173; 73 339.

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BVerfGE 89 155. BVerfGE 102 147 ff., Beschluss vom 7.6. 2000, 2 BvL 1/97. BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004, 2 BvR 1481/04, NJW 2004 3407 = EuGRZ 2004 683 mit Besprechung Cremer = JZ 2004 1176 m. Anm. Klein. OLG Naumburg EuGRZ 2004 683. BVerfG aaO Rn. 39, 49. So schon deutlich zuvor: Meyer-Ladewig NJW 2004 3314: „… die EMRK gilt in der Gestalt, die sie durch die Rechtsprechung des EGMR erhalten hat“. BVerfG aaO in den Leitsätzen.

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Diese Einschränkungen könnten auf die hier angesprochenen Probleme fehlender Kompatibilität nationaler europäischer Rechtsordnungen und ihren Grundstrukturen Bezug nehmen. Es lohnt sich daher, nicht nur der Argumentation des BVerfG insofern nachzuspüren, sondern auch zu prüfen, ob nicht doch nationale Vorbehalte in der Entscheidung ihren Ausdruck gefunden haben, die weniger methodischer Natur denn Ursprung eines überkommenen nationalstaatlichen Chauvinismus sind. Bei dieser Prüfung steht die durchaus erstaunliche, das Maastricht-Urteil in verstärkter Weise sehr explizit aufnehmende Ansicht über das Primat nationalen Verfassungsrechts gegenüber europäischem Recht und europäischer Jurisdiktion 124 nicht im Mittelpunkt unserer thematischen Vorgabe, wird aber als Bezugsgröße zu der methodischen Konvergenz sowie dem Verbot der mechanischen Vollstreckung von internationalen Rechtsakten aufgenommen werden müssen. Denn das BVerfG begründet beide Umsetzungsvorbehalte zentral mit dem Vorrang des Grundgesetzes über alle Rechtsakte und Gerichtsentscheide europäischer Provenienz, indem es in unterschiedlichen Formulierungen die Unterwerfung unter nichtdeutsche Hoheitsakte 125 für ausgeschlossen erachtet. Da erscheint es nur folgerichtig, die deutschen Instanzen zu einer verfassungsrechtlichen Vorprüfung zu verpflichten, um auszuschließen, dass über Europa Verfassungswidriges nach Deutschland hineingetragen wird. Diese Sicht vermag weder rechtlich noch pragmatisch zu überzeugen.126 Pragmatisch 88 nicht, weil diese Ansicht letztlich dazu dient oder aber dienlich gemacht werden kann, die Rechtsprechung des EGMR auf nationaler Ebene inhaltlich ohne größeren Begründungsaufwand zu ignorieren. Rechtlich zu überzeugen vermag diese Ansicht nicht, weil ein allgemeiner Vorbehalt höherrangigen nationalen Rechts 127 angesichts von Art. 46 EMRK und Art. 20 Abs. 3 GG der Bindungs- und Umsetzungsverpflichtung widersprechen würde. Richtig ist allerdings, dass bei sog. mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen, in denen konkurrierende Grundrechte unterschiedlicher Parteien gegeneinander abgewogen werden müssen, ein Konfliktpotential zwischen nationaler Verfassungsrechtsprechung und der Rechtsprechung des EGMR besteht. Um eine solche Problemlage handelte es sich in der Entscheidung vom 14.10.2004. Auch bei dem vom BVerfG angeführten Caroline von Monaco-Urteil des EGMR 128 hatte das BVerfG Pressefreiheit und Schutz der Privatsphäre anders abgewogen als später dann der EGMR. Im Strafrecht sind derartige Abwägungsdivergenzen leicht vorstellbar und praktisch sehr naheliegend. Ein Dauerthema, welches durch die Diskussion erst der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und dann des internationalen Terrorismus neue Aktualität erhalten hat, ist die Abwägung des staatlichen Verfolgungsinteresses gegenüber dem Interesse des Bürgers, von präventiven wie repressiven Eingriffen des Staates in seine Privatsphäre weitgehend verschont zu bleiben.129 Zwar ist der Staat in diesem Kontext kein Grundrechtsträger, jedoch kann das staatliche Verfolgungsinteresse über den damit intendierten Opferschutz 124 125 126

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BVerfG aaO Rn. 35, 50, 59, 62. BVerfG aaO Rn. 36. Die ersten vorsichtigen kritischen Äußerungen sind bei Cremer EuGRZ 2004 698 und Klein JZ 2004 1178 zu finden. Das BVerfG sagt noch nicht einmal, was neben dem Verfassungsrecht denn gegenüber der EMRK noch höherrangig sein soll. Will es denn die Diskussion über die lex posterior wieder in Gang setzen?; krit. auch: Esser StV 2005 348 ff.

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BVerfG EuGRZ 2004 404. Vgl. hierzu die durch den Terrorismus hervorgerufene Sicherheitsdebatte: HoffmannRiem ZRP 2002 497 ff.; Nehm NJW 2002 2665 ff.; Walter/Neubacher KrimJournal 2002 98 ff.; Antwort der Bundesregierung vom 15.4.2004 auf eine Kleine Anfrage, BTDrucks. 15/3142.

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leicht zu einem Abwägungskonflikt individueller Grundrechte umgestaltet werden. Der Fall Daschner ist ein ebenso aktuelles wie treffendes Beispiel. Die Androhung von Folter sollte in erster Linie präventiv der Lebensrettung des entführten Jungen, nicht aber einer Ausweitung staatlicher Ermittlungsmöglichkeiten dienen. Da zudem nach deutschem Recht praktisch alle präventiven und repressiven Eingriffs- 89 befugnisse aufgrund „weicher“ normativer Rechtsbegriffe ausgelöst werden, die zudem alle dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgebot 130 und oft auch noch dem Subsidiaritätsprinzip 131 unterliegen, mag es im Einzelfall durchaus zwischen dem EGMR und dem BVerfG streitig werden, ob dem Schutz des Art. 8 EMRK hinreichend Rechnung getragen worden ist. Auf Gesetzesebene bot § 14 Abs. 3 LuftSicherheitsG hinreichenden Konfliktstoff, wenn dort die präventive Tötung von Nichtstörern bzw. Nichtangreifern erlaubt wurde. Hätte das BVerfG diese Regelung nicht für verfassungswidrig erklärt,132 wäre es gut vorstellbar gewesen, dass der EGMR aus Art. 2 II a EMRK eine andere, den Luftreisenden besser schützende Schlussfolgerung gezogen hätte. Diese wenigen Beispiele sollen zur Beschreibung des Konfliktpotentials genügen. Wie 90 aber ist auf nationaler Ebene mit einer solchen Divergenz umzugehen? Kann hier, wie es das BVerfG meint, zugunsten des nationalen Rechts unter Missachtung der Entscheidung des EGMR entschieden werden? Die Situation ist eine andere als die in den beiden „Solange“-Entscheidungen des BVerfG.133 Dort ging es um die Sorge eines möglicherweise durch die Strassburger Rechtsprechung verkürzten Grundrechtsschutzes, die das BVerfG als gegenwärtig nicht akut einschätzte. Hier aber steht eine Bestimmung der Kollisionssphäre inhaltlich unstreitiger Grundrechtspositionen zur Diskussion. Wollte man hier den nationalen Gerichten das Privileg einer eigenen, von der des EGMR abweichenden Definition des Kollisionsbereiches zugestehen, so liefe in all diesen Fällen die Rechtsprechung des EGMR ins Leere. Da es aber bei der Signierung der EMRK keinen entsprechenden formalen Vorbehalt gegeben hat, verstieße die Inanspruchnahme eines solchen Privilegs sehr grundsätzlich gegen Art. 46 EMRK. Die Argumentation des BVerfG ist im Einzelnen durchaus inkonsistent und gibt zu 91 Kritik Anlass.134 Dies insbesondere wenn es davon spricht, dass das Völkervertragsrecht innerstaatlich nur dann gelte, wenn es in die nationale Rechtsordnung formgerecht eingepasst und in Übereinstimmung mit materiellem Verfassungsrecht überprüft worden sei.135 Ob damit eine Rückkehr zur alten Transformationstheorie 136 intendiert wird oder ob dies nur eine Formulierung ist, die zuförderst der Betonung des Prüfungsprimats des BVerfG dienen soll, oder aber ob die Adoptions- oder Vollzugslehre, nach welcher allein durch nationalen Staatsakt Völkerrecht zum Bestandteil nationalen Rechts wird, unberührt gelassen werden soll – auch das könnte anderen Textteilen der Entscheidung entnommen werden 137 –, mag hier dahinstehen.138 Den vom BVerfG gewollten Vorbehalt des nationalen Verfassungsrechts oder gar „sonstigen höherrangigen Rechts“ 139 (was

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Meyer-Goßner Einl. Rn. 20. Etwa §§ 100 a Satz 1, letzter HS; 100 c Abs. 1 a.E.; 100 i Abs. 2 1; 110 a Abs. 1 2 StPO. BVerfG EuGRZ 2006, 83. BVerfGE 37 271 (Solange I); 73 339 (Solange II). Vgl. etwa Kühne GA 2005 207 ff.; Broß VerwArch 2000 425; Frowein DÖV 1998 806 ff.

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BVerfG NJW 2004, 3407, Rn. 36. H. Triepel Völkerrecht und Landesrecht 1899, unveränderter Nachdruck (1958) 111. Etwa wenn das BVerfG vom Inhalt des inkorporierten völkerrechtlichen Vertrags spricht. Näher dazu: Cremer S. 687 ff. m.w.N. BVerfG aaO Rn. 62.

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mag das sein?) vermag ein solcher Hinweis nicht zu tragen, weil er, wie bereits ausgeführt, Art. 46 EMRK und Art. 23 Abs. 3 GG außer Acht ließe. Problematisch bleibt allerdings der Konflikt mit § 31 BVerfGG, worauf Benda zu92 recht hinweist.140 In der hier vorliegenden Konstellation mehrpoliger Grundrechtsverhältnisse konkurriert der Geltungsanspruch des BVerfG aus § 31 BVerfGG mit dem des EGMR aus Art. 46 EMRK, 20 Abs. 3 GG. Wollte man § 31 BVerfGG den Vorrang einräumen, wie das Benda wohl will, hätte dies zur Folge, dass im Falle einer unterschiedlichen Grundrechts-/Menschenrechtsinterpretation durch den EGMR zwar ein Wiederaufnahmegrund nach § 359 Nr. 6 StPO gegeben wäre, das wieder aufnehmende Gericht aber gerade die Interpretation des EGMR nicht berücksichtigen dürfte, weil es an die davon abweichende des BVerfG gebunden wäre. § 359 Nr. 6 liefe auf diese Weise leer und würde in einem solchen Kontext nur Wiederaufnahmeverfahren initiieren, bei denen von Vornherein klar ist, dass sie nicht geändert werden könnten – eine absurde Situation. Andererseits könnte man § 31 BVerfGG als früheres Gesetz von der später ratifizier93 ten EMRK als insofern derogiert ansehen. Dies würde aber die Ableitung des § 31 BVerfGG aus Art. 93, 100 GG unberücksichtigt lassen.141 Letztlich ist in dieser durchaus unbefriedigenden Situation der Gesetzgeber gefordert. b) Der EuGH

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Der EuGH ist ein Gerichtshof der EU, welcher über die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts wacht und dieses bindend interpretiert, Art. 164 EGV. Gemeinschaftsrecht ist aufgrund des Prinzips der enumerativen Einzelkompetenzzuweisung leicht zu identifizieren. Weder das Strafrecht noch das Strafverfahrensrecht gehören dazu. Allerdings berücksichtigt der EuGH in seiner Rechtsprechung auch die EMRK. Zwar kann die EU der EMRK in Ermangelung eigener Staatlichkeit nicht beitreten.142 Gleichwohl achtet die EU die EMRK nach Art. 6 Abs. 2 EUV. Der EuGH hat daher schon häufiger auf Vorschriften der EMRK zurückgegriffen,143 die er in ihrer Qualität als allgemeine Rechtsgrundsätze für das EU-Recht anwendet und dabei auch die Rechtsprechung des EGMR berücksichtigt.144 Darüber hinaus hat der EuGH in vielen Fällen aus Anlass der Anwendung allgemeiner europarechtlicher Prinzipien, wie auch konkreter europarechtlicher Bestimmungen zum Strafverfahrensrecht (ne bis in idem) Entscheidungen mit strafprozessualer Relevanz gefällt, vgl. näher dazu oben Rn. 36. Ein potentieller Konflikt mit dem BVerfG besteht nicht nur theoretisch insofern, als sich das BVerfG ganz offensichtlich vorbehält, auch die Verfassungsmäßigkeit europäischen Rechts und seiner nationalen Umsetzung zu überprüfen, wie die Entscheidung über die Nichtigkeit des Umsetzungsgesetzes zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl 145 deutlich gezeigt hat, vgl. Rn. 15.

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In Anwaltsblatt 2005 608. von Mutius VerwArch 67 (1976) 403. Gleichwohl hat das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 26.4.1993 den Beitritt der EU zur EMRK gefordert und diese Forderung in der Entschließung vom 18.1.1994 bekräftigt. Der Entwurf eines Verfassungsvertrags vom 18.7.2003 enthält einen eigenen Grundrechtskatalog in Teil II, der sich weitgehend mit dem der EMRK überschneidet.

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Etwa EuGH v. 21.9.1989 – Hoechst/ Kommission; vgl. auch EuGH vom 28.3.1998 – Gutachten 2/94. Etwa EuGH v. 18.10.1989 – Orkem/Kommission. Urteil v. 18.7.2005 – 2 BvR 2236/04 abgedruckt etwa in JZ 2005 838; NJW 2005 999.

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c) Der ICC und die ad hoc-Gerichtshöfe (Ruanda und Jugoslawien) Der deutsche Gesetzgeber hat bereits 1995 und 1998 durch den Jugoslawien-Strafgerichtshof 146 und den Ruanda-Strafgerichtshof 147 internationale Gerichtshöfe anerkannt. In Erfüllung des Römischen Statuts über einen internationalen Strafgerichtshof 148 hat der deutsche Gesetzgeber nicht nur ein Völkerstrafgesetzbuch erlassen,149 sondern auch ein Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGHG) 150 verabschiedet, welches eine Fülle von strafprozessualen Vorschriften enthält, die die Kooperation mit dem IStGH regeln. Der Hauptgegenstand des Gesetzes ist die Überstellung an den IStGH. Auf Antrag des IStGH entscheidet das örtlich zuständige OLG darüber, § 7 Abs. 1 IStGHG; die Entscheidung wird von der Generalstaatsanwaltschaft vorbereitet, § 7 Abs. 2 IStGHG. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus dem Ergreifungsort oder dem Ort der ersten Ermittlungen, § 8 Abs. 1 IStGHG. Ist der Aufenthaltsort des Verfolgten nicht bekannt und daher fraglich, wo die Ermittlungen zu beginnen haben, ist das Kammergericht zuständig, § 8 Abs. 3 IStGHG. Fahndungsausschreibungen unternimmt die jeweilige Generalstaatsanwaltschaft, § 9 Abs. 2 IStGHG. Bei Vorliegen eines Überstellungshaftbefehls oder seiner Voraussetzungen kann der Verfolgte vorläufig festgenommen werden, § 13 IStGHG. Auch § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO gilt diesbezüglich. Der Ergriffene ist unverzüglich, spätestens am Tag nach der Ergreifung dem Richter des nächsten Amtsgerichts als Haftrichter vorzuführen, §§ 14 Abs. 1, 15 Abs. 1 IStGHG. Ein Staatsanwalt von der Staatsanwaltschaft des entsprechenden OLG ist am Verfahren zu beteiligen, § 14 Abs. 3 Satz 2 IStGHG. Der Richter am Amtsgericht, der umfassende Belehrungspflichten hat, bevor er zur Vernehmung schreitet, §§ 14 Abs. 2, 15 Abs. 2 IStGHG, ist in seinen Entscheidungen und Möglichkeiten jedoch begrenzt. Nur wenn der Ergriffene nicht mit dem Gesuchten identisch ist oder der Überstellungshaftbefehl aufgehoben bzw außer Vollzug gesetzt worden ist, lässt der Richter den Ergriffenen frei. Hält der Richter hingegen Einwendungen des Ergriffenen gegen den Überstellungshaftbefehl oder dessen Vollzug für nicht offensichtlich unbegründet, so teilt er dies der Generalstaatsanwaltschaft mit, die ihrerseits eine Entscheidung des OLG herbeiführt, §§ 14 Abs. 5, 15 Abs. 3 IStGHG. Der Haftrichter hat also nur eine äußerst grobrasterige Kompetenz; bei Problemen ist immer das OLG zuständig. Allerdings ist auch die Entscheidungskompetenz des OLG begrenzt. Es kann zwar frei über die Zulässigkeit der beantragten Überstellung entscheiden, § 20 IStGHG. Fragen der Begründetheit, wie sie etwa im Hinblick auf die Frage des hinreichenden Tatverdachts auftreten können, bleiben aber alleine in der Entscheidungsmacht des IStGH und können vom OLG nicht geprüft werden. Fraglich ist, ob der Hinderungsgrund für die Auslieferung „ne bis in idem“ Art. 69 IStGHG vom OLG geprüft werden kann/muss. Einerseits ist die Entscheidung über das „Ob“ der Auslieferung gemäß Art. 1 IStGHG dem Gerichtshof anvertraut, weil gerade die Insuffizienz der nationalen Verfolgung durch den Gerichtshof korrigiert werden soll. Insofern könnte das nationale Vorbringen des Verbots der Doppelverfolgung ein gerade zu verhindernder Vorwand sein. Andererseits hat – nicht nur in Deutschland – das Verbot der Doppelbestrafung Verfassungsrang und ist insofern nicht disponibel. Hier besteht ein offener Normkonflikt, dessen Lösung im „Ernstfall“ politisch zu Gunsten des IStGH gelöst werden wird.

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Vom 10.4.1995, BGBl. I S. 485. Vom 4.5.1998, BGBl. I S. 843. Vom 17.7.1998.

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Gesetz vom 26.6.2002, BGBl. I S. 2254. Gesetz v. 21.6.2002, BGBl. I S. 2144.

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Auch die Aussetzung des Vollzugs der Überstellungshaft kann das OLG nur unter den Voraussetzungen des § 59 Abs. 4 Römisches Statut oder – bei Antrag auf vorläufige Überstellungshaft nach § 11 Abs. 2 Satz 1, 2 (Flucht- bzw Verdunklungsgefahr) – bei Zweckerfüllung durch weniger einschneidende Maßnahmen anordnen, § 16 Abs. 2 IStGHG. Immer ist aber vorher der IStGH zu hören, § 16 Abs. 3 IStGHG. Haftprüfung erfolgt alle zwei Monate ex officio, § 17 IStGHG; die Frist kann vom OLG verkürzt werden. Die Entscheidungen des OLG sind unanfechtbar. Das OLG muss aber den BGH anrufen, wenn es von der Rechtsprechung eines OLG oder des BGH abweichen will, § 33 IStGHG; ebenso kann es den BGH immer dann anrufen, wenn dies geboten erscheint, um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu klären. Auch können der Generalbundesanwalt oder der Generalstaatanwalt beim OLG eine Entscheidung beim BGH beantragen; das OLG hat dem Antrag zu entsprechen. Das OLG ist auch für die Anordnung von Durchsuchung und Beschlagnahme zuständig, soweit nicht die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen bei Gefahr in Verzug entsprechend den Vorschriften der StPO die Initiative ergreifen, § 30 IStGHG. Der Verfolgte hat in jeder Lage des Verfahrens das Recht, sich eines Beistands zu bedienen, § 31 IStGHG. § 69 IStGHG garantiert den Schutz vor Doppelverfolgung (ne bis in idem) bei prioritärer Strafverfolgung durch den IStGH. Insofern unterscheidet sich dieses Gesetz erfreulich vom Gesetz zum Jugoslawien Tribunal, wo in Art. 2 Abs. 1 zwar selbst dann eine Auslieferung vorgesehen ist, wenn der Betroffene bereits rechtskräftig verurteilt ist, aber keinen Vorbehalt des ne bis in idem enthält. Freilich muss man aus verfassungsrechtlichen Erwägungen diese Mangel kompensieren und Art. 2 Abs. 1 gleichsam verfassungsunmittelbar unter diesen Vorbehalt stellen. Die vielfältigen Vorschriften zur Rechtshilfe sollen hier nicht näher behandelt werden, vgl. näher unten Rn. 112 ff. § 1 IStGHG beschreibt im Rahmen einer Legaldefinition die Tätigkeit des IStGH als Ergänzung deutscher Strafgerichtsbarkeit. Dies bedeutet, dass die Entscheidungen auch in Deutschland Rechtskraft genießen und vollstreckbar sind. Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass das vor dem IStGH geltende Verfahrensrecht ein eigenes, unabhängig von der StPO existierendes und wirkendes ist. Insofern gibt es zwei für Deutschland geltende Strafverfahrensrechte. Da der IStGH einer Gerechtigkeit dient, die auch jenseits der Durchsetzungsmöglichkeiten von Nationalstaaten liegen soll, ist er auch in die besondere Verpflichtung eingebunden, selbst beispielhaft bei der Verfahrensführung vorzugehen. Der Menschenrechtsschutz in seinen Verfahren sollte also besonders makellos sein. Das ist jedoch gerade bei der Abwägung von Schutzinteressen von (Opfer-)Zeugen- und Beschuldigtenrechten nicht ohne weiteres erkennbar, wo die in Art. 68 ICC-Statut vorgesehenen Einschränkungen des Konfrontationsrechts des Beschuldigten mit den unmittelbaren Beweisen Bedenken erweckt. Dies ist besonders problematisch, weil es insofern auch keine Kontrolle gegenüber dem IStGH gibt. Die EMRK gilt unmittelbar ebenso wenig für den IStGH wie für die Internationalen Gerichtshöfe für Ruanda und Jugoslawien. Sie sind nicht einmal taugliche Signatarpartner für die EMRK. Da die Gerichtshöfe auch nicht staatsrechtlich Teile von irgendeinem Staat sind, gilt die EMRK auch nicht über diesen Umweg. Man könnte allenfalls daran denken, beim IStGH an die nationalen Umsetzungsgesetze, also beispielsweise das deutsche IStGHG vom 21.6.2002, anzuknüpfen und daraus eine mittelbare Verpflichtung des IStGH abzuleiten, die EMRK zu beachten. Freilich wäre dann nicht erkennbar, auf welche Weise ein Deutscher die EMRK-Verletzungen des IStGH vor dem

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EGMR geltend machen könnte. Deutschland dürfte nur dann für eine solche Verletzung verantwortlich gemacht werden, wenn kraft des IStGHG dessen Tätigkeit zumindest bei gegen Deutsche gerichteten Verfahren als (auch) deutscher Gerichtshof anzusehen wäre. Dies erscheint jedoch nicht als sehr naheliegend. Die Tribunale Ruanda und Jugoslawien unterfielen als Gründungen der Vereinten 107 Nationen den Texten der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ vom 10.12.1948 sowie dem „ Internationalen Pakt über Bürgerrechte und Politische Rechte“(IPBPR) vom 19.12.1966. Da aber die Menschenrechtserklärung in Art. 28 ff. nur einen Menschenrechtsausschuss vorsieht, der die Beachtung der Erklärung durch die Signatarstaaten zum Gegenstand hat, greift keine Kontrolle gegen die Tribunale. Der IPBPR hingegen sieht zwar den UN-Menschenrechtsausschuss als Kontrollinstrument vor, verpflichtet aber ebenfalls lediglich die Staaten auf die Beachtung der Vorschriften. d) Internationale Rechtshilfe Für das Recht der internationalen Rechtshilfe, das gegenüber dem Strafverfah- 108 rensrecht eine selbständige Rechtsmaterie darstellt, gelten besondere Vorschriften. Sie sind, neben zahlreichen völkerrechtlichen und zwischenstaatlichen Vereinbarungen, innerstaatlich vor allem im IRG geregelt. Für das Strafverfahren ist die internationale Rechtshilfe in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Einmal müssen deutsche Strafverfolgungsbehörden, wenn sie in ein fremdes Hoheitsgebiet, etwa durch Beweisaufnahmen oder Ladungen hineinwirken wollen, die Regeln des internationalen Rechtshilfeverkehrs beachten; zu den Fragen der Verwertbarkeit im Ausland erlangter Beweise, näher unten bei Rn. 117 ff. Ferner müssen sie für die Aburteilung eines im Ausland befindlichen Beschuldigten die Auslieferung beantragen und später die durch die Auslieferungsbewilligung gezogenen Grenzen der Befugnis zur Aburteilung gegebenenfalls entgegen § 264 StPO berücksichtigen.151 Für die Rechtshilfe im Inland für einen anderen Staat haben die deutschen Strafverfolgungsbehörden vielfach das deutsche Strafverfahrensrecht zu beachten (vgl. § 77 IRG). Unter bestimmten Voraussetzungen kann nach § 71 IRG und entsprechenden und teilweise weitergehenden völkerrechtlichen Vereinbarungen die Vollstreckung aus einem deutschen Strafurteil einem ausländischen Staat übertragen werden; ebenso können die deutschen Strafvollstreckungsbehörden die Vollstreckung ausländischer Urteile übernehmen (§§ 48 ff. IRG). Für die Umsetzung des IRG in Deutschland geben die RiVASt konkrete, wenngleich nur Verwaltung und Staatsanwaltschaft bindende Hinweise.152 Durch die Entscheidung des BVerfG vom 18.7.2005 153 ist das „Gesetz zur Umsetzung 109 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl“ 154 in seiner Gänze für verfassungswidrig erklärt worden.155 Demnach ist die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen an einen Mitgliedstaat der EU ohne die Gewährung von eigenständigem deutschen Rechtsschutz nicht möglich. Am 2.8.2006 ist das (zweite) EuHGG v. 20.7.2006 in Kraft getreten (BGBl. I 1721). Das Recht der Internationalen Rechtshilfe ist insbesondere deshalb so komplex und 110 unübersichtlich, weil es eine ständig sich ergänzende Vielfalt von Übereinkommen mit 151 152 153 154 155

Näher dazu die Kommentierung zu § 264. Kühne Rn. 84. NJW 2005 2289. BGBl I S. 2004, 1748. Auch der Belgische Schiedshof hat mit Entscheidung vom 13.7.2005 (124/05) dem

EuGH zur Vorabentscheidung die Frage vorgelegt, ob dieser Rahmenbeschluss mit Art. 34 II lit.b und 6 II des Vertrages über die EU vereinbar sei, vgl. NJW 42/2005 VIII.

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fast allen Staaten der Welt gibt, wobei die Bedingungen dieser Übereinkommen in höchstem Maße unterschiedlich sind und die grundsätzlichen Regelungen des IRG weitgehend überlagern. Schomburg hat als spezieller Kenner dieser Materie Anlass zur eher resignativen Feststellung gefunden, dass die Fahndung nach dem anwendbaren Recht oft schwerer sei als die Fahndung nach Tätern und Beweismitteln.156 Der Stand der Übereinkommen aus der Perspektive des Europarates ist am aktuellsten auf der Webseite des „Directorat of Legal Affairs, Treaty Section; Council of Europe“ 157 nachzulesen, aus deutscher Perspektive hat Schomburg eine neue Aufstellung erarbeitet.158 Darüber hinaus verkompliziert sich die internationale Rechtshilfe durch zahlreiche 111 Sonderregelungen für den Bereich der EU Mitgliedsstaaten bzw. denen des SDÜ. Das EU-Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen 159 ist mittlerweile ebenso wie sein Zusatzprotokoll 160 in Kraft getreten.161

V. Ausländische Beweise und ihre Geltung im nationalen Recht 1. Europäisches Strafverfahrensrecht als Konfliktsrecht

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Mit der zunehmenden Öffnung der innereuropäischen Grenzen bis hin zu ihrem Wegfall durch die beiden Schengener Abkommen ist mit der Steigerung des grenzüberschreitenden Verkehrs natürlich auch die Zahl der Fälle gestiegen, in denen sich die Kompetenzen nationaler Strafverfolgungssysteme überschneiden: Der Taschendiebstahl in Paris gegenüber einem Deutschen durch einen Italiener, oder die Schlägerei zwischen Engländern, Niederländern und Deutschen anlässlich eines Fußballspiels, also eine Fülle von meist banalen Alltagsfällen. Genauso gut kann es sich aber auch um Schwerkriminalität handeln, etwa wenn der deutsche Ehegatte seine französische Frau im spanischen Ferienhaus umbringt. Von zunehmender Wichtigkeit sind auch die Fälle von Wirtschaftskriminalität, die in Zeiten weitgehender europäischer Vernetzung fast notwendig international ist. Und durchaus nicht zuletzt die organisierte Kriminalität, die – obwohl in den letzten Jahren allzu sehr dämonisiert 162 – doch von Zahl und Intensität der Straftaten beachtlich ist und nachgerade selbstverständlich ebenso europäisch wie international agiert. Allen diesen Fällen ist gemeinsam, dass sie eine Häufung von Verfolgungszuständig113 keiten und damit gleichzeitige Ermittlungen in mehreren Ländern auslösen. Das Land, welches zufällig den Tatverdächtigen fängt, wird dann das vollständige Strafverfahren durchführen. Dabei ist es häufig auf Beweise angewiesen, die entweder in anderen Ländern schon ermittelt worden sind oder aber dort noch zu ermitteln wären. Dies führt dann zu mannigfaltigen Problemen, die nicht allein auf der schon hinreichend beschwerlichen Ebene der Rechtshilfe zu lösen sind. Vielmehr geht es um die Frage der Rechtsanwendung in konkurrierenden nationalen Ansprüchen der Rechtsgeltung. Das ist bei der Zuständigkeit zunächst besonders deutlich. Hier regieren in Deutsch114 land das an den Tatort anknüpfende Territorialitätsprinzip, das an die Person des Täters

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In Schomburg/Lagodny vor Hauptteil III EUV Rn. 18. Http://conventions.coe.int/Treaty/GER/ v3DefaultGER.asp. Schomburg NJW 2005 3254 ff. ABIEG Nr. C 197 v. 12.7.2000; BGBl II S. 2005, 650.

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ABIEG Nr. C 326 v. 21.11.2001; BGBl II S. 2005, 661. Schomburg NJW 2005 3263. Vgl. etwa Kühne FS Burgstaller S. 527.

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anknüpfende aktive Personalitätsprinzip und das sich auf die Person des Opfers beziehende passive Personalitätsprinzip. Das nationale Strafanwendungsrecht, welches zwar grundsätzlich materiellen Charakter hat, ist aber auch prozessual von Bedeutung. Denn die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts ist eine Verfahrensvoraussetzung, deren Nichtbeachtung aufgrund eines Prozesshindernisses zur Einstellung des Verfahrens führt.163 Darüber hinausgehende prozessuale, insbesondere die gerichtsverfassungsrechtliche Zuständigkeit der deutschen Strafrechtspflege betreffende Bedeutung kommt den §§ 3 ff. StGB (mit Ausnahme des § 6 Nr. 9 StGB) jedoch nicht zu.164 Da aber jedenfalls das Territorialitätsprinzip und – wenngleich mit verschiedenen Einschränkungen und in unterschiedlichen Schattierungen – auch das Personalitätsprinzip in fast allen europäischen Rechtsordnungen etabliert sind,165 stellt sich die Frage, wessen Strafgerichte über etwaige Täter richten. Zu beachten ist hierbei, dass die genannten Prinzipien weder wechselseitig noch im 115 Hinblick auf die mögliche „Zuständigkeit“ einer ausländischen Strafrechtspflege Exklusivitätswirkung entfalten. Die §§ 3–7 StGB regeln allein die Frage, ob eine Tat nach deutschem Recht verfolgt werden kann, nicht dagegen, ob bzw. inwiefern sie (auch) einer ausländischen Strafgewalt – nach entsprechenden oder variierten Grundsätzen – unterfallen kann. Daher ist die Bezeichnung „Internationales Strafrecht“ irreführend, und zwar unter zwei Gesichtspunkten: Erstens handelt es sich schlicht um nationales Recht, wenngleich mit transnationalem Bezug.166 Zweitens geht es dabei – anders als beim „Internationalen Privatrecht“ – nicht allein um die Koordinierung kollidierender Geltungsansprüche konkurrierender nationaler Rechtsordnungen, sondern um die Eröffnung (auch) der deutschen Rechtsanwendung, ohne dabei den möglicherweise gleichgerichteten Anspruch ausländischer Rechtsordnungen in Abrede zu stellen.167 Eine Vervielfachung von Ermittlungsaktivitäten ist damit gleichsam garantiert. Da 116 hierdurch ohnehin schon knappe Ressourcen unnötig strapaziert werden, wäre eine europäische Regelung angebracht, nach der eine frühzeitige Entscheidung über die zuständige Staatsanwaltschaft bzw. das zuständige Gericht getroffen werden könnte, mit der Folge, dass alle anderen Zuständigkeiten subsidiär würden. 2. Ausländische Beweiserhebungen a) Grundfragen So hilfreich Zuständigkeiten begrenzende Regelungen auch wären, weiterhin müssten 117 doch Beweise aus den Jurisdiktionen der anderen betroffenen Mitgliedstaaten erhoben und an das Gericht der Hauptsache übermittelt werden. Eben hier sind es dann zwei Problemkreise, die uns vor große Schwierigkeiten stellen und letztlich nur durch eine europäische Lösung für die Praxis zufriedenstellend geregelt werden können. Diese sind aus der nationalen justiziellen Perspektive betrachtet in folgenden Fragen zum Ausdruck zu bringen: 163 164 165

Vgl. Schönke/Schröder/Eser Vorbem. §§ 3–7, 2. Vgl. Schönke/Schröder/Eser Vorbem. §§ 3–7, 1. Zum Vergleich der kontinental-europäischen Systeme mit den anglo-amerikanischen Rechtsordnungen: Rinio ZStW 108 (1996) 354 ff.

166

167

Vgl. Schönke/Schröder/Eser Vorbem. §§ 3–7, 2. Zur Frage eines europäischen Strafrechts vgl. etwa Prittwitz ZStW 113 (2001) 774; Vogel GA 2002 517. Schönke/Schröder/Eser Vorbem. §§ 3–7, Rn. 1.

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(1) Kann ich (als Richter oder Staatsanwalt) an der Prozesshandlung im Ausland teilnehmen, sie unter Umständen selbst vornehmen, wenn ja nach welchem Recht? (2) Wie steht es mit der Verwertbarkeit von nach fremdem Recht aufgenommenen Beweisen?

118 119

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121

122

Für keine dieser Fragen gibt es im geltenden Recht auch nur ansatzweise erkennbare Regelungen,168 so dass bis zur Schaffung entsprechender Vorschriften auf allgemeine Prinzipien zurückgegriffen werden muss. Zu (1) Bei der Aufnahme von Beweisen, in der Regel Vernehmungen, wird üblicherweise lokales Recht angewendet. In Ermangelung entsprechender Vorschriften auf nationaler oder europäischer Ebene hängt es von der Bereitwilligkeit der im EU-Ausland mit der Vernehmung betrauten Personen ab, deutsche Richter/Staatsanwälte unter Anwendung deutscher Regeln die Vernehmung durchzuführen zu lassen. Für den Fall von Vernehmungen im Wege von Videokonferenzen sehen sowohl das Zweite Zusatzprotokoll vom 8.11.2001 zum Europäischen Rechtshilfeübereinkommen von 1959 wie auch das EU-Rechtshilfeübereinkommen vom 29.5.2000 Sonderregelungen vor, die wegen der doppelstaatlichen Aktualität solcher Vernehmungen begrenzte Beachtung von Rechtsvorschriften beider beteiligter Staaten anordnen; so etwa im Bereich der Zeugnisverweigerungsrechte, die in diesem Kontext immer durchschlagen. Die im Übrigen aber weiterbestehende Ungewissheit über die Möglichkeit der Anwendung deutschen Rechts im Ausland hat, wie wir sogleich sehen werden, Folgen für die Verwertbarkeit der im Ausland durchgeführten Vernehmungen, was uns zum zweiten Punkt führt. Zu (2) Dies ist nun die zentrale, alles entscheidende Frage. Natürlich macht es keinen Sinn, im EU-Ausland Beweise zu erheben oder von dort zu erhalten, wenn deutsches Strafprozessrecht einer Verwertung solcher Beweise im Wege steht. Dabei geht es nicht so sehr um die grundsätzliche Frage, ob Erkenntnisse, die von Ermittlungsbehörden anderer Mitgliedstaaten oder aber auch von Vertretern deutscher Ermittlungsbehörden im EU-Ausland erlangt worden sind, aus völkerrechtlichen Gründen in Deutschland verwertet werden dürfen. Das ist grundsätzlich möglich. Strafrechtliche Fakten bedürfen keiner völkerrechtlichen Legitimation. Problematisch ist hingegen, ob solche Fakten den Anforderungen deutschen Strafverfahrensrechts entsprechen, insbesondere ob die Legalität einer Beweiserhebung in einem Mitgliedsstaat trotz abweichender Regelung in Deutschland gleichsam rechtfertigend wirkt. Die Frage ist auch nicht bloß theoretischer Natur, wie man in Anbetracht der europaweit geltenden EMRK glauben könnte. Die durch die EMRK bewirkte Vereinheitlichung ist eher rudimentär. Es geht um Grundprinzipien, die im nationalen Recht, wie auch der EGMR nicht müde wird immer wieder zu betonen, durchaus unterschiedliche Gestaltung erfahren können. Darüber hinaus hängen Beweis- und Beweisverwertungsverbote nach kontinentalem Rechtsverständnis mitunter an konventionsneutralen Details. So ist etwa in Europa die Verwertung von durch rechtswidrige Zwangsmaßnahmen erlangten Beweisen überaus unterschiedlich geregelt. Vor allem ein Verstoß gegen richterliche oder staatsanwaltschaftliche Anordnungsvorbehalte stößt auf eine Vielzahl von Varianten und ist selbst in Deutschland recht umstritten. Im common law des Vereinigten Königreichs beispielsweise stellt das dort übliche adversatorische System die Problematik von Beweisund Beweisverwertungsverboten in einen vollständig anderen Kontext. Auch der in Deutschland starke verfassungsrechtliche Bezug der Lehre von den Beweisverwertungs168

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Darauf weist auch Sommer StraFo 2003 351 hin.

169

Gestrichen.

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verboten fehlt im Vereinigten Königreich in Ermangelung einer geschriebenen Verfassung. Schließlich unterscheidet sich die englische Haltung, die Verwertungsverbote überwiegend nach dem Grad der Unzuverlässigkeit des Beweises bestimmt,170 deutlich von der kontinentalen. Gleichwohl ist bemerkenswert, dass Italien und Österreich neuerdings Teile des adversatorischen Verfahrens in ihr Strafprozessrecht eingefügt haben und damit zu Mischsystemen mutiert sind.171 b) Das für die Beweisaufnahme geltende Recht aa) Die denkbaren Modelle Welches Recht bestimmt also die Verwertbarkeit von im Ausland aufgenommen 123 Beweisen? Es gibt fünf Ansätze, diese Frage zu beantworten: • Das Recht des Staates der Hauptverhandlung, in unserem Kontext also Deutschlands (forum regit actum), • das Recht des Staates der konkreten Beweisaufnahme (locus regit actum), • die Rechte beider Staaten kumulativ, • das Recht, welches jeweils den höchsten rechtsstaatlichen Schutz gewährt oder aber • eines von beiden nach einer einzelfallbezogenen Abwägung. Um es gleich vorweg zu sagen, alle Ansätze stehen der Diskussion und Anwendung 124 offen; es gibt weder Einigkeit über ihre Richtigkeit, noch gibt es nationale oder europäische Regelungen, die sich klar und widerspruchsfrei für die eine oder andere Lösung entschieden hätten.172 Einigkeit besteht nur insofern, als die Geltung des ordre publique, also der Vorbehalt der national autonom definierten guten Sitten, in jedem Fall aus nationaler Perspektive ein Verwertungsverbot begründen kann. Die Wahl des Rechts des Staates der Hauptverhandlung ist aus nationalstaatlicher 125 Sicht sicher. Die nationalen Rechtsstandards in ihrer – aus interner Sicht – jeweiligen Unübertroffenheit sind Schutz und Schirm für alle Verfahrensbeteiligten. Zugleich aber impliziert diese Haltung ein nicht unbeträchtliches Misstrauen gegenüber den anderen Mitgliedstaaten und ihren Rechtssystemen, ein Misstrauen, welches trotz des Verbleibs von Straf- und Strafverfahrensrecht auf der Ebene der intergouvernementalen Zusammenarbeit den Stand der Gemeinsamkeit in der EU wohl nicht hinreichend anerkennt. Andererseits ist eine solche Haltung trotz ihrer relativen Europa-Unfreundlichkeit solange legitim, wie das Strafrecht in der dritten Säule verbleibt. Immerhin sieht das EURechtshilfeübereinkommen vom 29.5.2000 173 (Art. 4 EURhÜbk) vor, dass die Beweiserhebung nach dem Recht des ersuchenden Staates vorzunehmen ist (forum regit actum). Der zweite Ansatz, der allein auf das Recht des Staates der jeweiligen Beweisauf- 126 nahme (locus regit actum) abstellt, setzt zunächst einmal und anders als der ersterwähnte Ansatz ein Grundvertrauen in die Verfahrensrechtssysteme der europäischen Mitgliedstaaten voraus. Ist dieses gegeben, so erscheint dieser Lösungsweg recht praktisch zu sein. Weder muss man sich mühen, die Instanzen des fremden Staates zu veranlassen, auch das Recht des Staates der Hauptverhandlung zu berücksichtigen,174 noch muss 170 171 172 173

Vgl. näher dazu Kühne Rn. 1193; weitere Beispiele bei Schuster S. 83 ff. Kühne §§ 73, 74. Vgl. Böse ZStW 114 (2002) 148 ff. Näher zum Ganzen Gleß ZStW 115 (2003) 135 f.

174

Dies wäre zumindest befremdlich und widerspräche dem Grundgedanken der Rechtshilfe, vgl. Böse ZStW 114 (2002) 155.

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man sich mit dem fremden Recht auseinandersetzen, weil man grundsätzlich davon ausgehen kann, dass der fremde Staat und seine Repräsentanten ihr eigenes Recht respektieren. Der Europäische Haftbefehl, der erst kürzlich durch das BVerfG 175 so dramatisch verworfen wurde, ist ein Beispiel für die kritische Distanz, die das Verhältnis europäischer Justizinstitutionen eher prägt als ein freundschaftliches Vertrauen in die wechselseitige Rechtsstaatlichkeit. Ob den geplanten Rahmenbeschluss über eine „Europäische Beweisanordnung“,176 siehe sogleich unten Rn. 138 ff., der ebenfalls auf ein Prüfungsrecht der angefragten nationalen Justiz verzichtet, ein ähnliches Schicksal ereilt, wird abzuwarten sein. Erst wenn die Rechtmäßigkeit der ausländischen Beweisaufnahme begründet in Frage 127 gestellt wird, entsteht die Notwendigkeit, sich diesen Problemen näher zuzuwenden. Der Regel- und Routinefall hingegen ist frei von solch schwierigen Rechtsnachforschungen. Diese Argumente, die im Sinne der Praxis das Leben im inter-europäischen Strafverfahren leichter machen, haben die Kommission veranlasst, im „Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft“ 177 eher beiläufig auch diese Lösung des locus regit actum vorzuschlagen. Hingegen kann aus Art. 39 Abs. 1, 2 und 40 SDÜ nicht entnommen werden, dass die entsprechend dem Recht des ersuchten Staates aufgenommenen Beweise auch im ersuchenden Staat ohne weiteres verwendet werden dürfen.178 Diese Vorschriften befreien die im Ausland erhobenen Beweise lediglich von Vorbehalten, die möglicherweise der ersuchte Staat gegen eine Verwendung im ersuchenden Staat haben könnte. Es könnte gegen das Prinzip locus regit actum eingewandt werden, dass auf diese 128 Weise ein Beweismittel-Shopping ermöglicht werde, welches die Ermittlungsbehörden veranlassen könnte, sich vorzüglich an die Staaten zu wenden, in denen der Schutz von Beschuldigtenrechten am geringsten ausgeprägt ist. Freilich ist dem entgegenzuhalten, dass die Wahl der Ermittlungsbehörden zumeist durch den Ort des Beweismittels vorgegeben ist, da die Ermittlungsbehörden Beweise in bestimmten Ländern einfach vorfinden und damit auch kaum eine Manipulationsmöglichkeit haben, sich ein Land mit besonders großzügigen Vorschriften über die Beweisaufnahme auszusuchen. Allerdings ist zu bedenken, dass die Rechtmäßigkeit der Beweissammlung in der jeweiligen nationalen Rechtsordnung nur eine hinreichende, nicht aber eine notwendige Bedingung für die prozessuale Verwertbarkeit der Beweise ist.179 Mit Ausnahme von Italien180, Frankreich 181 und in gewisser Weise auch Spanien 182 hängt in den anderen europäischen Staaten, insbesondere aber auch in Deutschland, die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise von einer Fülle zusätzlicher Bedingungen ab. Insofern scheint das Abstellen auf die Rechtmäßigkeit der Beweiserlangung nach dem Recht des aufnehmenden Staates nur ein Argument für die europäische Verkehrsfähigkeit von Beweisen zu sein.

175 176 177 178 179

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BVerfG NJW 2005 2289. Vom 14.11.2003, KOM (2003) 688. Grünbuch, KOM (2001) Brüssel. So aber Böse ZStW 114 (2002) 178 f. So auch Gleß Zum Prinzip der gegenseitigen Anerkennung S. 366; Böse ZStW 114 (2002)

180 181 182

151; zu weiteren Problemen in diesem Zusammenhang informativ Gleß ZStW 115 (2003) 131 (139 ff.). Art. 191 CPP, vgl. Kühne Rn. 1292. Art. 171 CPP, vgl. Kühne Rn. 1234. Vgl. Kühne Rn. 1383 f.

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Strafverfahrensrecht im internationalen Kontext

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bb) Exkurs: Die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung im Strafverfahren Auch der Vorschlag der Kommission vom 14.11.2003 für einen Rahmenbeschluss 129 über „Die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung im Strafverfahren“ 183 geht davon aus, dass sich die Rechtmäßigkeit nach dem Recht des handelnden Hoheitsträgers richtet (locus regit actum),184 obwohl durch den Vorbehalt der Verletzung wesentlicher Rechtsgrundsätze des Staates der Vollstreckung der Anordnung, Art. 13 lit. e des Vorschlags, wieder ein Element der doppelten Überprüfung hineingeraten ist. Wie der Titel des Vorschlags der Kommission besagt, bezieht er sich nur auf bekannte 130 Sachen, Schriftstücke und Daten – nicht aber auf Zeugenaussagen,185 es sei denn diese lägen als Dokument vor –, die dann in einer dem Recht des ersuchten Staates folgenden Weise erlangt 186 und der ersuchenden Institution übermittelt werden sollen. Ein Vorgehen, welches ohne den Umweg des komplizierten Rechtshilfeverfahrens sicherlich praktische Erleichterung und Beschleunigung zur Folge hätte. Gleichwohl sind dagegen durchaus zu Recht eine Fülle von Bedenken erhoben wor- 131 den. Das zumindest grundsätzlich vorhandene Prinzip der wechselseitigen Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen könnte in Deutschland den Grundrechtsschutz aushöhlen 187 und auf europäischer Ebene das Prinzip der maximalen Punivität etablieren. Dies zusammen mit dem zwar in Art. 19 des Vorschlags vorgesehenen und auf nationaler Ebene zu etablierenden, jedoch zunächst nicht existierenden Rechtschutzes gegen solche Beweisanordnungen 188 könnte zu einer ähnlich negativen verfassungsrechtlichen Einschätzung führen, wie das beim Europäischen Haftbefehl 189 der Fall war. Weiterhin wird kritisiert, dass die Deliktsgruppen, bei welchen die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit wegfallen soll, zu unscharf seien und eher Tattypen als Strafrechtstatbestände darstellten.190 Auch die mögliche Umgehung des Richtervorbehalts dadurch, dass nach Art. 2 lit. c des Vorschlags auch Staatsanwälte die Europäische Beweisanordnung nutzen können, wenn sie nach innerstaatlichem Recht die erwünschte Maßnahme anordnen dürfen, ist zu beachten.191 Schließlich ist aus deutscher Sicht bedenklich, dass das Beschlagnahmeprivileg bestimmter Berufsträger nach §§ 53, 97 StPO nicht berücksichtigt wird.192 Die Erwähnung von „Immunität“ in Art. 15 Abs. 2 lit. b des Vorschlags, bei deren Vorliegen die Anerkennung einer Beweisanordnung versagt werden kann, erfasst wohl nur mithilfe äußerster interpretatorischer Entschlossenheit die Fälle der §§ 53, 97 StPO.

183

184 185

186 187

KOM (2003) 688 endg.; zu den einzelnen Entscheidungsstationen vor Übergabe des Entwurfs von der Kommission an den Rat bis hin zur Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 29.9.2004 vgl. Gazeas ZRP 2005 18. Dazu Böse ZStW 114 (2002) 149 ff. Entsprechendes gilt für alle erst aufzunehmenden Beweise. Für diesen Bereich sind jedoch weitere Rahmenbeschlüsse geplant, vgl. Gazeas ZRP 2005 19. Vgl. Gleß StV 2004 680. Etwa Schünemann ZRP 2003 187; die Beschlussempfehlung des Deutschen Bundes-

188 189 190 191 192

tages vermerkt zutreffend, dass auch der am 28.4.2004 vorgelegte „Vorschlag zu Verfahrensgarantien in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union“ (KOM(2003) 75 endg. vom 19.2.2003) nicht ausreichend sei, BTDrucks. 15/3831, S. 5. Gleß StV 2004 682. BVerfG NJW 2005 2289. So etwa die Beschlussempfehlung des Deutschen Bundestages BTDrucks. 15/3831, S. 5. Gazeas ZRP 2005 21. BGH NStZ 1992 394; Gazeas aaO; Sommer StraFo 2003 352.

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cc) Fortsetzung: Denkbare Modelle

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Der dritte Weg der kumulativen Anwendung beider Rechte bedürfte keinerlei Vertrauensvorschusses in die Qualität mitgliedschaftlicher Strafverfahrensrechte. Diese wäre ein Weg, der nationalstaatliche Interessen vollständig wahrt und sich zugleich jeder Demonstration von Misstrauen gegenüber den Rechtssystemen anderer Mitgliedstaaten enthält. Indessen macht die Komplexität der Anforderungen es schwer, mitunter wohl auch unmöglich, auf diese Art verwertbare Beweise zu erlangen,193 weil sich die Möglichkeit der Beweisaufnahme auf den Bereich der Schnittmenge gemeinsamen Beweisrechts beschränkte. Man könnte dies verfolgungsfeindlich nennen, was auf der anderen Seite jedoch ebenso gut als beschuldigten- und menschenrechtsfreundlich beschrieben werden könnte. Der BGH scheint jedoch in die Richtung einer solchen Doppelanforderung zu ten133 dieren, zumindest insoweit, als das ausländische Recht des Ortes der Beweisaufnahme grundlegenden strafprozessualen und rechtsstaatlichen Anforderungen aus deutscher Sicht genügen müsse. In einer Entscheidung vom 10.08.1994,194 in der es um die Verlesbarkeit eines von einem Schweizer Amtsstatthalter aufgenommenen Vernehmungsprotokolls nach § 254 Abs. 1 StPO a.F. ging, argumentierte der BGH wie folgt: • Der Amtsstatthalter muss in Übereinstimmung mit Schweizer Recht gehandelt haben • er muss am Vernehmungsort eine dem deutschen Ermittlungsrichter vergleichbare Position eingenommen haben • die Grundsätze der schweizerischen Vernehmung müssen grundlegenden deutschen Rechtsstaatsanforderungen genügen. Bei Erfüllung dieser Anforderungen durfte nach Meinung des BGH das Vernehmungsprotokoll des Amtsstatthalters wie ein Vernehmungsprotokoll eines deutschen Richters in der Hauptverhandlung nach § 254 Abs. 1 StPO a.F. verlesen werden.195 Welches aber allgemein die Kriterien für die grundlegenden Anforderungen an das ausländische Strafverfahrensrecht sind, ist vom BGH noch nicht beschrieben worden 196 und bedürfte der wissenschaftlichen Aufarbeitung, wollte man diesen Ansatz weiter verfolgen. Letztlich zum gleichen Ergebnis führte der vierte Weg, der an den größten gewährten 134 Individualschutz anknüpft. Auch hier müssten die Vorschriften beider Rechtssysteme identifiziert werden, um dann aufgrund einer Analyse die Wahl des anzuwendenden meistbegünstigenden Rechts zu bestimmen. Der formale Aufwand ist im Vergleich zur vorerwähnten Alternative jedoch noch größer. Die Analyse wird häufig auch nicht leicht

193 194

195

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Kritisch auch Perron ZStW 112 (2000) 207. BGH NJW 1994 3364; vgl. auch dazu Britz JR 1995 253, Dencker StV 1995 232 und Hauser JR 1995 253. Ähnlich schon für den Bezirksanwalt in Zürich (BGH Beschl. v. 2.1.1990, 1 StR 642/89), den vom Generalkonsulat in New York ernannten Commissioner (BGH GA 1982, 40), einen russischen und tschechischen Staatsanwalt (BGH NStZ 1983 181 und BGH StPO § 251 Abs. 1 Nr. 2 „Auslandsvernehmung“), Vernehmung der Verlobten des Beschuldigten durch italienischen Richter, wobei nach italienischem Recht

196

kein Zeugnisverweigerungsrecht bestand (BGH NStZ 1992, 394). Kritisch dazu Sommer StraFo 2003 353. Das bedauert auch Schuster (2006) 88. Scheller (1997) 306 ff. bestätigt jedoch das Ergebnis der Rechtsprechung unter analoger Anwendung von § 77 IRG. Daamen (2004) 28 ff. bestätigt die Rechtsprechung unter gewohnheitsrechtlichen Gesichtspunkten. Böse ZStW114 (2002), 148 (164 ff.) will das Problem auf der Ebene der Beweisverwertungsverbote, nicht aber der der hinreichenden Gleichheit der Verfahrensordnungen lösen.

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zu erstellen sein, weil der nationalstaatlich unterschiedlich gewährte Beschuldigtenschutz nur verständlich und aussagekräftig im Kontext des verfahrensrechtlichen Systems wird. Dort, wo ich, beispielsweise wie in Deutschland, eine etablierte Struktur von Rechtsbehelfen gegenüber polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen habe, ist polizeiliches Verhalten anders zu bewerten als anderswo, etwa im Vereinigten Königreich, wo die Polizei bei ihren Ermittlungen praktisch keiner Kontrolle, weder durch die Staatsanwaltschaft noch durch Richter, unterliegt. Aus diesem Grund wird bei aller Sympathie für den individualrechtsfreundlichen Ansatz dieser Weg wohl zu schwierig und damit nicht empfehlenswert sein. Der letzte Ansatz der einzelfallorientierten Abwägung entspricht sicherlich dem juris- 135 tischen Zeitgeist in besonderer Weise. Alles wird offen gehalten bis zur Ausschöpfung der Instanzen einschließlich des Bundesverfassungsgerichts, und die Justiz kann in freier Rechtsschöpfung Einzelfallgerechtigkeit walten lassen. Der Rechtssicherheit dient dies freilich in keiner Weise. Auch sind die Kriterien einer solchen Abwägung noch nicht formuliert – was vielleicht sogar eine Voraussetzung für die der Abwägungsjurisprudenz entgegengebrachte Sympathie ist. Da aber gerade im internationalen Kontext wegen der ohnehin hinreichend schwierigen Bedingungen im besonderen Maße Rechtssicherheit für die Voraussetzungen solchen Agierens nötig sind, sollte diese Möglichkeit besser unberücksichtigt bleiben. dd) Erfolgversprechende Modelle Es bleiben letztlich nur drei sinnvolle Ansätze, die zu diskutieren es lohnt und die – 136 jeweils allein für sich oder in Kombination miteinander – zum Gegenstand entweder einer allgemeinen Rechtsüberzeugung oder aber eines europäischen Gesetzestextes geraten könnten: – Vorrang der lex fori (Recht des in der Sache entscheidenden Gerichts), – Geltung der lex externa loci probationis (Recht des Ortes der Beweisaufnahme) oder – die Berücksichtigung der leges loci utriusque (Rechte beider Orte). Nur die erste Lösung, die allein die lex fori gelten lässt,197 benötigt keine Information 137 über das fremde Recht und ist daher in jeder Hinsicht leicht umzusetzen. Diese Ansicht führt jedoch zu kriminalpolitisch ineffizienten Ergebnissen, solange nicht dafür gesorgt wird, dass im Rahmen der innereuropäischen Rechtshilfe das Recht des beantragenden Staates bei der Beweisaufnahme im Ausland Berücksichtigung findet. Ob dies umsetzbar ist, erscheint fraglich, weil von den angefragten Staaten verlangt würde, nach fremdem Recht vorzugehen, wozu Personen und Instanzen häufig weder fähig noch willens sind.198 Es bleibt also eine Frage der Abwägung zwischen nationalem Rechtsinteresse und kriminalpolitischer Effizienz, wenn es um die Entscheidung für die lex fori geht. Die alleinige Ausrichtung an der lex externa loci probationis (locus regit actum) hat 138 die erwähnten Vorteile der leichten Umsetzung und fehlenden Notwendigkeit, sich von vornherein mit dem fremden Recht auseinandersetzen zu müssen. Die Justiz der lex fori kann sich zunächst einmal und grundsätzlich auf die Rechtmäßigkeit des Vorgehens der ersuchten Justiz verlassen. Es bleibt eine Frage des grundsätzlichen Vertrauens in die Rechtsstaatlichkeit fremder mitgliedstaatlicher Verfahrensordnungen und Justizprakti-

197 198

So wohl Gleß FS Grünwald 197 (211). So BGH NStZ 1996 609, obwohl gerade in diesem dem BGH vorliegenden Fall die

Schweizerische Justiz ein Vorgehen des entsandten Richters nach deutschem Recht erlaubt hatte.

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ken, ob man damit leben kann. Der allgemeine Vorbehalt des ordre publique mag in diesem Zusammenhang helfen, extrem empfundene ausländische Regelungen zu neutralisieren. Der Vorschlag der Kommission für einen „Rahmenbeschluss über die Europäische Beweisanordnung“ 199 erwähnt zwar einen solchen Vorbehalt nicht – was wegen der allgemeinen völkerrechtlichen Anerkennung vielleicht als verzichtbar erscheint – geht aber von der wechselseitigen Anerkennung nationaler Beweiserhebungen aus und verlangt die Vollstreckung von Beweisanordnungen durch das ersuchte Land, ohne eine dortige eigenständige gerichtliche Überprüfung einzuräumen. Ob hierfür in Europa hinreichendes wechselseitiges Vertrauen besteht, wird abzuwarten sein. Sicherlich ist aber die damit verbundene Erleichterung des Vorgehens, insbesondere der Wegfall des Rechtshilfeverkehrs 200 ein nicht unerhebliches Lockmittel, sich darauf einzulassen. Allerdings ist es allgemein wie auch speziell unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensfairness heikel, nach diesem Konzept Beweise zuzulassen, die nach dem Recht des entscheidenden Gerichts nicht hätten aufgenommen und verwendet werden dürfen. Ob hier allein der Umstand hilft, dass Beweisaufnahme und Verwertung nach dem Recht des ersuchten Staates rechtmäßig gewesen ist, erscheint fraglich.201 Der deutsche Grundrechtsschutz und die Grundrechtsbindung deutscher Gerichte wird nicht dadurch aufgehoben, dass Grundrechtsverletzungen im Ausland stattfinden.202 Für Akte der Beweisaufnahme im Ausland, die das ausländische Recht verletzen, erscheint die Problematik hingegen weniger schwierig. Gibt es im deutschen Recht eine entsprechende Vorschrift, so ist auch sie verletzt, und kann zu einem Beweisverwertungsverbot nach deutschem Recht führen. Gibt es keine parallele Vorschrift im nationalen Recht, so ist daran zu denken, den ausländischen Rechtsverstoß in analoger Anwendung deutscher Regeln der Beweisverwertungsverbote zu würdigen.203 Den Geltungsanspruch beider betroffener Rechte zu akzeptieren dokumentiert gleichen Respekt für die jeweilige Rechtsordnung und verhindert nationale Eifersüchteleien. Mehr noch als bei der Lösung zugunsten der lex fori entsteht aber durch den Weg der leges loci utriusque ein Implementierungsproblem, weil von vornherein auf die Anwendung der Vorschriften beider Rechtsordnungen geachtet werden muss und damit u.U. allzu enge Grenzen für die Möglichkeiten einer rechtmäßigen Beweisaufnahme beschrieben werden. Nach alledem erscheint die Hinwendung zur lex externa loci probationis (locus regit actum) am ehesten konsensfähig, wenngleich damit die erwähnten Bedenken, die vor allem dem Individualrechtsschutz entspringen, nicht besänftigt sind. Vorbehalte des ordre publique müssten in diesem Zusammenhang weiter entwickelt und konkretisiert werden, um zumindest die grundsätzlichen und bedeutenden Unterschiede zwischen den nationalen Prozessordnungen berücksichtigen zu können. Des Weiteren erscheint es sinnvoll, diese allgemeine Fragestellung auch konkret mit Bezug auf einzelne Arten der Beweiserhebung zu beziehen und aus den Erfordernissen ihres prozessualen Regelungsumfelds Erkenntnisse zu gewinnen, die für das allgemeine Konzept fruchtbar sind.204 Wem all dies nicht gefällt, der kann gerade in der zur Zeit noch offenen Diskussion natürlich auch noch einen fünften Weg verfolgen, nämlich den eines zu schaffenden europäischen Einheitsrechts für Beweisaufnahmen außerhalb des verfahrensführenden 199 200 201 202

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KOM (2003) 688. Vgl. Gleß StV 2004 679. So auch Gleß ZStW 115 (2003) 147. So mit Bezug auf die Telefonüberwachung auch Sommer StraFo 2003 351 (354).

203 204

So Schuster (2006) 112 ff. Das macht etwa Schuster (2006) 142 ff. recht ertragreich.

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Staates oder gar eines noch weiter reichenden Europäischen Rahmenstrafverfahrensgesetzes. Hier könnten dann Regelungen diskutiert und u.U. auch konsentiert werden, die von allen Mitgliedstaaten in Hinblick auf ihr jeweiliges strafprozessuales Verständnis akzeptiert werden könnten. Allerdings sehe ich mittelfristig keine großen Chancen für eine derartige Gemeinschaftslösung, weil verfassungsrechtliche Implikationen dieser Rechtsmaterie den Spielraum der Möglichkeiten begrenzen, nicht zu sprechen von den vor allem im Bereich des Strafrechts in den Mitgliedsstaaten noch anzutreffenden residuären Chauvinismen. Der Umstand, dass hierfür zur Zeit nur das umständliche Verfahren der intergouvernementalen Zusammenarbeit zur Verfügung steht, erschwert das Ganze zusätzlich. Im Übrigen käme auch ein derartiges Europäisches Recht nicht umhin, den oben angesprochenen Ausgleich zum Erhalt der wesentlichen und grundsätzlichen inhaltlichen Divergenzen zwischen den nationalstaatlichen Verfahrensrechten zu verwirklichen. Auch der im Corpus Juris vorgeschlagene Weg für eine solche gesetzgeberische Lösung 143 auf europäischer Ebene ist eher eine Dokumentation der Schwierigkeit des Problemfeldes als ein sinnvoller Lösungsansatz für den europäischen und die nationalen Gesetzgeber. Zunächst wird ein Katalog sogn. zulässiger europäischer Beweismittel eingefordert, Art. 32 Corpus Juris. In Art. 33 Corpus Juris wird dann die Verwertbarkeit von Beweisen im internationalen Kontext unter vierfachen Vorbehalt gestellt. Die Beweisaufnahme: • darf nicht gegen die EMRK verstoßen, • muss in Übereinstimmung mit den sonstigen Beweisregeln des Corpus Juris stehen, • darf nicht gegen nationales Recht verstoßen, es sei denn das Corpus Juris selbst rechtfertigt einen solchen Verstoß, • darf nicht gegen das Gebot der Verfahrensfairness verstoßen. Dieser Vorschlag ist trotz seiner Bemühtheit und einiger vernünftig erscheinender 144 Ansätze doch in anderen Teilen inkonsistent und redundant. Selbstverständlich ist, dass Beweise, die gegen die EMRK verstoßen – und das Fairnessgebot ist nur ein Teil davon aus Art. 6 Abs. 1 – überall in Europa rechtswidrig sind. Die daraus resultierende Forderung der generellen Unverwertbarkeit knüpft dann an die romanischen Prozessrechte an und ist insofern ein diskutierbarer Vorschlag. Der Verstoß gegen nationales Recht meint, wie sich aus den Erläuterungen ergibt,205 einen Verstoß gegen das Recht des ersuchten Staates und bezieht sich insofern auf das Prinzip locus regit actum. Ob das gesondert erwähnte und erst in der revidierten Fassung von 2000 (Florenzer Fassung 206) eingefügte Gebot der Fairness weiter gehen soll als nach dem Verständnis von Art. 6 Abs. 1 EMRK erschiene nach allgemeinen Kriterien juristischer Textauslegung gewollt. Worin dann aber diese weitergehenden Inhalte bestehen sollen, bleibt offen. Aber selbst wenn eine europäische Regelung erginge, dann müsste sie zusätzlich 145 ungelöste Fragen gerichtlicher Zuständigkeiten klären. Die Rechtsprechung des EGMR hat sich – zu Recht – bislang darauf beschränkt, Einzelfallgerechtigkeit und Konventionskonformität innerhalb des nationalen Rechtssystems zu überprüfen. Ob hierunter auch Fälle des internationalen Beweistransfers zu subsumieren sind, bliebe zu entscheiden. Bei einer entsprechenden europäischen Regelung entstünde sicher aber auch eine Zuständigkeit des EuGH. Dieser müsste dann vermehrt bei der Auslegung solchen europäischen Rechts auch die Garantien der EMRK berücksichtigen, was nicht nur die Gefahr einer

205 206

Delmas-Marty (Hrsg.) (1998) S. 79. Delmas-Marty/Vervaele (Hrsg.) The Imple-

mentation of the corpus iuris in the Member States, Vo. I. 2000 S. 209.

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divergierenden Interpretation durch beide Gerichte verstärkte, sondern auch die Frage nach der letztendlichen Definitions- und Interpretationsgewalt über die EMRK neu aufwürfe, vgl. auch oben Rn. 53. Auch für eine denkbare Lösung dieser Fragen de lege ferenda auf europäischer Ebene 146 sind also noch viele Vorarbeiten zu leisten. Trotz hoher praktischer Bedeutung können noch keine verbindlichen Vorschläge gemacht werden.

E. Der persönliche, örtliche und zeitliche Geltungsbereich des deutschen Strafverfahrensrechts Schrifttum Fischer-Lescano Weltrecht als Prinzip, KJ 2005 72; Faßbender Anmerkung zur Entscheidung BVerfG, NJW1998, 50, NStZ 1998 144; Herdegen Die Achtung fremder Hoheitsrechte als Schranke nationaler Strafgewalt, ZaöRV 47 (1987) 221; Hoyer Internationaler Strafgerichtshof und nationalstaatliche Souveränität, GA 2004 321; Klages Meeresumweltschutz und Strafrecht. Zur Ausdehnung deutscher Strafgewalt auf den Festlandsockel (1989); Mankiewicz Die Verfolgung der in einem Luftfahrzeug begangenen Straftat, GA 1961 193; Nagel Beweisaufnahme im Ausland, Rechtsgrundlagen und Praxis der Internationalen Rechtshilfe für deutsche Strafverfahren (1988); Rüping Die völkerrechtliche Immunität im Strafverfahren, FS Kleinknecht 397; Schnorr v. Carolsfeld Probleme des internationalen Strafprozeßrechts, FS Maurach 615; Scholten Das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit in § 7 StGB (1995); Schomburg Internationale vertragliche Rechtshilfe in Strafsachen, NJW 2005 3262; von Weber Überleitungsvorschriften im Strafverfahrensrecht, DStR 1940 33, 75; ders. Der Übergang zum Strafverfahren nach der StPO in der ab 1.10.1950 gültigen Fassung, DRiZ 1950 277; Wille Die Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen (1974); Zlataric Erwägungen zum Abkommen über strafbare und bestimmte andere Handlungen an Bord von Luftfahrzeugen vom 14. September 1963, FS Grützner 160.

Übersicht Rn. I. Allgemeines 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . 2. Recht der internationalen Rechtshilfe . . II. Persönlicher Geltungsbereich 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmen und Einschränkungen a) Exterritorialität . . . . . . . . b) Angehörige fremder Truppen . c) Staatliche Funktionsträger . . .

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III. Räumlicher Geltungsbereich 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schiffe und Luftfahrzeuge . . . . . . . .

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Rn. IV. Zeitlicher Geltungsbereich 1. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . 2. Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . a) Besetzungs- und Zuständigkeitsänderungen . . . . . . . . . . . . . b) Verfahrensvoraussetzungen . . . . . c) Präklusionsvorschriften und neue Fristbestimmungen . . . . . . . . . . d) Änderungen der Zulässigkeit von Prozesshandlungen . . . . . . . . . . e) Änderungen im Wiederaufnahmerecht

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Der persönliche, örtliche und zeitliche Geltungsbereich

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I. Allgemeines 1. Grundsätze Die Frage des persönlichen, räumlichen und zeitlichen Geltungsbereichs des deut- 1 schen Strafverfahrensrechts hat anders als in früherer Zeit 1 im neueren strafprozessualen Schrifttum 2 lange keine große Rolle gespielt und auch die Rechtsprechung nicht besonders intensiv beschäftigt. Mit der Wiedervereinigung sind für den Strafprozess die aus dem Verhältnis zweier deutscher Staaten herrührenden besonderen Fragen obsolet geworden;3 für diesen kommt, anders als im materiellen Strafrecht, auch die Anwendung des Strafprozessrechts der DDR grundsätzlich nicht mehr in Betracht.4 Ebensowenig haben die nach 1945 erörterten Fragen der beschränkten deutschen Gerichtsbarkeit und des Vorrangs des Besatzungsrechts (s. dazu Rn. F 77) heute eine nennenswerte aktuelle Bedeutung. Allerdings haben die Entwicklungen in Europa im Rahmen der sog. 3. Säule der EU wie auch in Hinblick auf die beiden Schengener Abkommen die Situation vollständig verändert, vgl. ausführlich dazu oben bei D. Auch durch die deutsche Anerkennung der Tribunale Ruanda und Jugoslawien sowie die Ratifizierung des Übereinkommens über den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag sowie die Verabschiedung des Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem IStGhH 5 ist insofern eine völlig neue Situation eingetreten, die von der Wissenschaft zunächst nicht hinreichend wahrgenommen worden ist, Rn. D 1. 2. Recht der internationalen Rechtshilfe Für das Recht der internationalen Rechtshilfe, das gegenüber dem Strafverfahrens- 2 recht eine selbständige Rechtsmaterie darstellt, gelten besondere Vorschriften, die im Kontext der Europäischen Entwicklung dem Ganzen zum Teil ein neues Gesicht verschafft haben, vgl. oben Rn. D 108 ff. Sie sind, neben zahlreichen völkerrechtlichen, europäischen und zwischenstaatlichen Vereinbarungen, innerstaatlich vor allem im IRG geregelt. Für das Strafverfahren ist die internationale Rechtshilfe, die hier nicht näher zu behandeln ist,6 in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Einmal müssen deutsche Strafverfolgungsbehörden, wenn sie in ein fremdes Hoheitsgebiet, etwa durch Beweisaufnahmen oder Ladungen hineinwirken wollen, die Regeln des internationalen Rechtshilfeverkehrs beachten; ferner müssen sie bei der Aburteilung eines aus dem Ausland ausgelieferten Beschuldigten die durch die Auslieferungsbewilligung gezogenen Grenzen der Befugnis zur Aburteilung gegebenenfalls entgegen § 264 StPO berücksichtigen.7 Für die Rechtshilfe im Inland für einen anderen Staat haben die deutschen Strafverfolgungsbehörden vielfach das deutsche Strafverfahrensrecht zu beachten (vgl. § 77 IRG). Unter bestimmten Voraussetzungen kann nach § 71 IRG und entsprechenden und teilweise wei-

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Z.B. Beling 17 ff.; Gerland 29; Glaser 300 ff.; von Hippel 86 ff.; von Kries 78 ff.; s. auch noch Henkel 73 ff.; Peters 94 ff. Ausführliche Behandlung aus materiell-strafrechtlicher Sicht auch unter Berücksichtigung der prozessualen Bezüge z.B. bei Baumann/Weber/Mitsch § 7; Jescheck/Weigend §§ 18, 19 m.w.N. Zur früheren Rechtslage vgl. LR/K. Schäfer 23 Vor § 1 RHG; LR/Hilger 24 § 1, 3 EGStPO.

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Vgl. aber LR/Hilger 24 Nachtr. II (EinigungsV) C 4 ff.; 30 ff. (zur Einschränkung der Bestandskraft von Entscheidungen der Gerichte der DDR bei Rechtsstaatswidrigkeit); dazu auch LR/Wendisch 25 Vor § 449, 36 ff. Ges. v. 21.6.2002, BGBl. I S. 2144. Kurze Übersicht über die Quellen bei Meyer-Goßner Einl. 214 ff. S. näher die Erl. zu § 264; LR/Gollwitzer 25 § 264, 71.

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tergehenden völkerrechtlichen Vereinbarungen die Vollstreckung aus einem deutschen Strafurteil einem ausländischen Staat übertragen werden und können die deutschen Strafvollstreckungsbehörden die Vollstreckung ausländischer Urteile übernehmen (§§ 48 ff. IRG). Vgl. näher auch oben Rn. D 108 ff.

II. Persönlicher Geltungsbereich 1. Grundsätze

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Dem allgemeinen deutschen Strafverfahrensrecht, bei Jugendlichen und Heranwachsenden mit den Modifikationen durch das JGG, unterliegen grundsätzlich alle Personen ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit und ohne Rücksicht auf etwaige persönliche Eigenschaften.8 Es gibt also, anders als beispielsweise früher während der Existenz einer besonderen Militärgerichtsbarkeit, kein Sonderverfahrensrecht für bestimmte Personengruppen. Ebensowenig begründet der Umstand, dass sich eine Person im Ausland befindet, eine 4 generelle Unanwendbarkeit des deutschen Strafverfahrensrechts;9 er kann allerdings die Zugriffsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden beeinträchtigen.10 So unterliegt ein im Ausland befindlicher Zeuge, soweit nicht besondere Regelungen des internationalen Rechtshilfeverkehrs eingreifen, nicht der Aussage- und Erscheinenspflicht, wenn er sich nicht freiwillig zur Mitwirkung bereit erklärt,11 und gegen einen im Ausland befindlichen Beschuldigten kann zwar ermittelt und, soweit dem § 163 a StPO entsprochen werden kann, die öffentliche Klage erhoben werden, doch kann eine seine Anwesenheit erforderte Hauptverhandlung nur dann stattfinden, wenn seine Auslieferung bewirkt werden kann oder er sich freiwillig stellt.12 Die allgemeinen Bedingungen der Auslieferung gelten auch für die Mitgliedstaaten der EU, soweit nicht die Regelungen zum Europäischen Haftbefehl greifen.13 Auf Beschuldigte findet das deutsche Strafverfahrensrecht jedoch nur insoweit 5 Anwendung, als die ihnen vorgeworfene Tat nach deutschem materiellem Strafrecht strafbar ist, also nur insoweit, als die §§ 3 bis 7 StGB zur Anwendung kommen,14 denn der Strafprozess dient nur der Durchsetzung des deutschen Strafrechts. Stellt sich heraus, dass die dem Beschuldigten vorgeworfene Tat nicht dem deutschen Strafrecht unterfällt, so liegt (mindestens auch) ein Verfahrenshindernis vor.15 Das Verfahren ist also, wenn das Hauptverfahren eröffnet ist, einzustellen und nicht etwa der Angeklagte freizusprechen.16

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Henkel 77; zu den Ausnahmen s. Rn. 7. Dohna 19; Exner 20; Gerland 33; von Hippel 91; von Kries 82 ff. Dazu ausf. m.w.N. zu den völkerrechtl. Grundlagen Nagel 18 ff. Einzelheiten u.a. bei Nagel 220. Wegen der prozessualen Möglichkeiten, bei einem durchreisenden Ausländer die Durchführung des Strafverfahrens zu sichern, s. § 132 StPO und die dortigen Erl.

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Vgl. D 109. Henkel 77; Peters 95. BGHSt 34 3; OLG Saarbrücken NJW 1975 506, 509; Peters 95; Tröndle/Fischer Vor § 3, 2 ff.; Schönke/Schröder/Eser Vor § 3, 2; Baumann/Weber/Mitsch § 7, 34. Einzelheiten bei Schnorr v. Carolsfeld FS Maurach 616 ff.

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Der persönliche, örtliche und zeitliche Geltungsbereich

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2. Ausnahmen und Einschränkungen a) Exterritorialität. Keine Anwendung findet das deutsche Strafverfahrensrecht, 6 soweit überhaupt die Ausübung deutscher Gerichtsbarkeit unzulässig ist, gleichviel, ob sich die betroffenen Personen im Inland oder im Ausland befinden. Unter diese sogenannte völkerrechtliche Immunität oder Exterritorialität fallen kraft allgemeinen Völkerrechts u.a. alle fremden Staatsoberhäupter, ferner aufgrund Völkervertragsrechts die von den §§ 18 bis 20 GVG erfassten Personen. Dies ist neuerdings in Hinblick auf den Vorwurf von als Weltrechtsdelikte 17 bezeichneten Straftaten wie Völkermord und Folter in Frage gestellt worden.18 Wegen der Einzelheiten wird auf die Erläuterungen der §§ 18 bis 22 GVG verwiesen.19 Die Exterritorialität im Allgemeinen endet, der von ihr Begünstige untersteht also wieder der deutschen Strafgerichtsbarkeit, wenn die Funktion, aus der sie sich herleitet, nicht mehr wahrgenommen wird, und soweit es sich nicht um eine Handlung handelt, die dem Bereich der Vertretung des anderen Staates zuzurechnen ist.20 Wegen der Einzelheiten ist auf das völkerrechtliche Schrifttum zu verweisen. b) Angehörige fremder Truppen. Für NATO-Angehörige und das zivile Gefolge rich- 7 tet sich die Gerichtsunterworfenheit und damit die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts nach den Vorschriften des NATO-Truppenstatuts und des Zusatzabkommens, die zwischen einer ausschließlichen Zuständigkeit des Entsendestaates und des Aufnahmestaates und einer konkurrierenden Zuständigkeit mit unterschiedlichem Vorrang unterscheiden.21 Für nicht der NATO angehörende sonstige Truppenverbände, die sich aufgrund einer Vereinbarung mit der Bundesregierung in der Bundesrepublik aufhalten, enthält § 7 des SkAufG eine besondere Regelung, die den Verzicht auf die Ausübung der deutschen Gerichtsbarkeit gestattet. Soweit in diesen Fällen der Vorrang des Entsendestaates reicht, findet das deutsche Strafverfahrensrecht auf diese Personen keine Anwendung. c) Auf staatliche Funktionsträger ist das Strafverfahrensrecht grundsätzlich anwend- 8 bar, doch gelten teilweise für diese besondere Vorschriften, namentlich bei der Zeugenvernehmung.22 Die parlamentarische Immunität, die auch für den Bundespräsidenten gilt (Art. 60 Abs. 4 GG), beschränkt die Anwendbarkeit des Strafverfahrensrechts insoweit, als die ihr unterliegenden Personen nur mit Genehmigung des Parlaments strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden dürfen. Die Einzelheiten sind bei § 152 a StPO erläutert.

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Fischer-Lescano KJ 2005 72; Hoyer GA 2004 321. Schomburg NJW 2005 3262, 3266. Vgl. auch BVerfGE 96 68 ff. = NJW 1998 50 m. Anm. Faßbender NStZ 1998 144 über den Umfang der diplomatischen Immunität bei Staatennachfolge; BGHSt 32 275, 286 ff. (ad-hoc-Botschafter); Katholnigg §§ 18 ff.; Kissel/Mayer § 18, 1 ff.; Peters 95; Rüping FS Kleinknecht 397; Jescheck/Weigend § 19

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III; Herdegen ZaöRV 47 (1987) 223 ff.; zu den verschiedenen Formen und dem unterschiedlichen Umfang der Immunität, auch bei Bediensteten internationaler und supranationaler Organisationen s. Hailbronner JZ 1988 283 ff. Schnorr v. Carolsfeld FS Maurach 620. Einzelheiten bei den Erl. zu § 206 a; LR/ Rieß 25 § 206 a, 39; Kissel/Mayer § 20, 20 ff. Z.B. §§ 49, 50 StPO.

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III. Räumlicher Geltungsbereich 1. Grundsätze

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Für deutsche Strafverfolgungsbehörden und Gerichte ist stets das deutsche Strafverfahrensrecht maßgebend (lex fori). Wenn sie ihre Tätigkeit ausnahmsweise, etwa mit Genehmigung des ausländischen Staates, im Ausland entfalten ist das, anders als früher gedacht,23 keineswegs mehr so klar soweit die Vorschriften über die Beweisaufnahme betroffen sind; ausführlich hierzu bei Rn. D 112 ff. Umgekehrt gilt das deutsche Strafprozessrecht nicht, wenn ein ausländisches Strafverfolgungsorgan mit Genehmigung der deutschen Behörden in Deutschland im Rahmen eines ausländischen Strafverfahrens tätig wird; hier muss allerdings durch die Genehmigung sichergestellt werden, dass prozessuale Maßnahmen unterbleiben, die mit Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts, insbesondere auch verfassungsrechtlich untermauerten Rechtsschutzgarantien unvereinbar sind und daher gegen den ordre public verstoßen. 10 Wenn die Beweisaufnahme im Ausland nicht durch ein deutsches Strafverfolgungsorgan erfolgt, sondern im Wege der internationalen Rechtshilfe durch ein solches des ersuchten Staates, sei es auch in Anwesenheit von deutschen Amtsträgern,24 gilt grundsätzlich das Recht des ersuchten Staates.25 Jedoch ist deutsches Strafverfahrensrecht insoweit von Bedeutung, als unter bestimmten Voraussetzungen das Strafverfolgungsorgan des ersuchten Staates Regelungen des deutschen Strafverfahrensrechts berücksichtigen darf 26 und in diesen Fällen die deutschen Strafverfolgungsbehörden durch entsprechende Hinweise – insbesondere in Hinblick auf die Vermeidung von deutsch-rechtlichen Beweisverwertungsverboten – im Rechtshilfeersuchen hierauf hinzuwirken haben.27 11 Landesrecht oder partielles Bundesrecht 28 ist, soweit es verfahrensrechtlicher Natur ist,29 für diejenigen Strafverfolgungsorgane verbindlich, die zu dem jeweiligen (engeren) Rechtsgebiet gehören; auf das Verfahrensrecht des Tatortes kommt es insoweit nicht an.30 Das Revisionsgericht beachtet dieses Recht aber auch dann, wenn es seinen Sitz nicht in diesem Gebiet hat.31 2. Schiffe und Luftfahrzeuge

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Der Umfang der Geltung des deutschen Strafprozessrechts auf Schiffen und Luftfahrzeugen, die sich nicht (mehr) im Inland, sondern außerhalb der deutschen Hoheitsgewässer 32 auf hoher See oder im entsprechenden Luftraum befinden, ist noch nicht vollständig geklärt.33 Eine allgemeine Gleichstellungsklausel wie im materiellen Strafrecht (§ 4 StGB) fehlt; § 10 StPO enthält lediglich eine Gerichtsstandsbestimmung. Da Fälle der Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens oder eines vollständigen Ermittlungsver23

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Henkel 77, 80; von Hippel 88; Schnorr v. Carolsfeld FS Maurach 615; vgl. Meyer-Goßner Einl. 213. Zu dieser Möglichkeit u.a. m.w.N. § 223, 40; Nagel 177 ff. § 223, 38, vgl. dazu auch Nagel 150 ff. m.w.N. Näher oben Rn. D 120, 123 ff. Näher Rn. D 133. Vgl. Rn. C 3 ff.

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So BGHSt 2 305 für den Fall der Verjährung. BGHSt 2 308; Meyer-Goßner Einl 205. Vgl. auch BGHSt 7 40. Zur Abgrenzung des Inlandsbegriffs s. § 10; zum Umfang des deutschen Küstenmeeres (grundsätzlich 12 Seemeilen) s. Proklamation der Bundesregierung vom 11.11.1994 in: BGBl. I S. 3428. Vgl. dazu ausf. Wille (teilweise wohl überholt); Meyer-Goßner Einl. 208 f.

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Der persönliche, örtliche und zeitliche Geltungsbereich

Einl. Abschn. E

fahrens in diesem Zusammenhang kaum denkbar sind, beschränkt sich das Problem praktisch darauf, welches Regime für die Durchführung von einzelnen Ermittlungshandlungen, namentlich von Zwangsmaßnahmen zur Vermeidung von Beweisverwertungsverboten maßgebend ist. Insoweit kann nicht nur aus § 4 des SeeAufgG ein Anhaltspunkt dafür entnommen werden, dass auch außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes strafprozessuale Maßnahmen in Betracht kommen.34 Vielmehr sind es praktische Erwägungen die deutsches Strafverfahrensrecht zumindest insoweit anwendbar sein lassen, als dies erforderlich ist, um die Verfahrenshandlungen im deutschen Strafprozess als gültig und wirksam erscheinen lassen. Folglich wird davon auszugehen sein, dass die Vorschriften des deutschen Straf- 13 prozessrechts stets maßgebend sind, wenn deutsche Strafverfolgungsbehörden auf hoher See (befugtermaßen 35) strafprozessual tätig werden, weil ein Tatverdacht aufzuklären ist, der ein nach deutschem materiellen Strafrecht, insbesondere den §§ 3 bis 7 StGB strafbares Verhalten zum Gegenstand hat. Insoweit ist auch unerheblich, ob es sich dabei um ein deutsches oder ausländisches Schiff handelt. Auf der anderen Seite richtet sich die Tätigkeit ausländischer Strafverfolgungsbehörden auf einem deutschen Schiff auf hoher See nicht nach deutschem Strafprozessrecht, und es ist keine strafprozessuale, sondern allenfalls eine völkerrechtliche Frage, inwieweit solche ausländischen Strafverfolgungsmaßnahmen zulässig sind. Dies gilt auch, wenn auf einem deutschen Schiff auf hoher See eine Straftat begangen 14 worden und aufzuklären ist, ohne dass ausländischer Strafverfolgungsorgane eingreifen. Soweit nicht die auch der Schiffsführung zustehenden Jedermann-Rechte oder die besonderen seerechtlichen Befugnisse des Kapitäns 36 eine sachgerechte Lösung ermöglichen, wird man hier im Grundsatz von der Geltung der StPO auszugehen haben. Für Luftfahrzeuge ermächtigen die Artikel 6 ff. des Tokioter Abkommens 37 den Kommandanten zur Durchführung gewisser Zwangsmaßnahmen auch zur Sicherung der Strafverfolgung bei an Bord des Flugzeuges begangenen Straftaten.38 In deutschen Hoheitsgewässern gilt die StPO gegenüber deutschen Schiffen uneinge- 15 schränkt. Grundsätzlich stehen den deutschen Strafverfolgungsbehörden die strafprozessualen Befugnisse auch gegenüber ausländischen Schiffen zu, soweit es sich nicht um solche handelt, die als Staatsschiffe den Regeln der völkerrechtlichen Immunität (Rn. 6) unterliegen. Gewisse Einschränkungen können sich jedoch aus den völkerrechtlichen Grundsätzen des Rechts auf friedliche Durchfahrt ergeben.39

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Die Vorschrift bestimmt u.a., dass außerhalb des Küstenmeeres zur Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen und Wahrnehmung völkerrechtlicher Befugnisse die Vorschriften der StPO entspr. gelten und bestimmte Personen die Befugnisse von Hilfsbeamten der StA haben. Dazu Wille 95 ff. Vgl. §§ 106, 107 SeemannsG; vgl. auch Wille 117 ff. mit Vorschlag einer gesetzlichen Regelung S. 128.

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Abkommen über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen v. 14.9.1963 (BGBl. II 1969 S. 121; 1970 S. 276); vgl. zur Entstehung und den Zusammenhängen u.a. Mankiewicz GA 1961 193, 200; Zlataric FS Grützner 160, 168 ff.; zu den einzelnen Regelungen Wille 159 ff. Näher Wille 178 ff.; Lenzen JR 1983 181. Dazu eingehend Wille 74 ff.

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IV. Zeitlicher Geltungsbereich 1. Allgemeine Grundsätze

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Rechtsänderungen größerer Art im Strafverfahrensrecht sind, soweit nicht ohnehin allgemein geltende Überleitungsvorschriften bestehen,40 regelmäßig mit speziellen Überleitungsvorschriften verbunden.41 Das ältere Schrifttum hat sich vielfach um die Bezeichnung ins einzelne gehender allgemeiner Grundsätze bemüht,42 die indessen keine allgemeine Anerkennung gefunden haben. Beim Fehlen von Überleitungsvorschriften wird oft zu erwägen sein, frühere Regelungen für vergleichbare Situationen entsprechend anzuwenden,43 soweit die maßgebenden Wertvorstellungen, insbesondere die vom Verfassungsrecht geprägten unverändert geblieben sind. Verfahrensrechtliche Rechtsänderungen haben im Allgemeinen keine Rückwirkung; sie unterliegen aber auch keinem (verfassungsrechtlichen) Rückwirkungsverbot.44 Daraus folgt, dass sich (rechtskräftig) abgeschlossene Verfahren nach altem, noch nicht begonnenen Verfahren nach neuem Recht richten,45 soweit es keine davon abweichenden gesetzlichen Vorschriften gibt. 17 Probleme können dagegen bei Verfahren entstehen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits begonnen, aber noch nicht abgeschlossen sind. Grundsätzlich gehen alle neueren Überleitungsvorschriften davon aus, dass die Änderungen vom Tage ihres Inkrafttretens an auch die laufenden Verfahren erfassen, soweit nichts Abweichendes geregelt ist.46 Dieser allgemeine Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts, dass Änderungen des Verfahrensrechts grundsätzlich auch anhängige Verfahren erfassen, gilt auch ohne ausdrückliche Regelung.47 18 Bei einer Einschränkung der Statthaftigkeit von Rechtsmitteln führt jedoch der mit dem Rechtsstaatsprinzip verbundene prozessrechtliche Grundsatz der Rechtsmittelsicherheit dazu, dass ohne eine hinreichend deutliche gesetzliche Übergangsregelung bereits eingelegte Rechtsmittel zulässig bleiben.48 Doch ist dem Gesetzgeber eine engere

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Vgl. z.B. § 6 EGGVG und die dort. Erl. Ausf. systematische Darstellung der älteren Regelungen und der Rspr. bei v. Weber DStR 1940 33 ff., 75 ff., der sich zugleich um die Ableitung allg. Grundsätze bemüht; sowie zu den detaillierten Vorschriften des VereinhG v. Weber DRiZ 1950 277. Seitherige Überleitungsvorschriften beispielsweise Art. 14 StPÄG 1964; Art. 157 EGOWiG; Art. 5 StaatsschStrafsG; Art. 312 EGStGB 1974; Art. 9 1. StVRG; Art. 17 1. StVRGErgG; Art. 2 StPÄG 1978; Art. 8 StVÄG 1979; Art. 12 StVÄG 1987; Art. 14 RpflEntlG sowie in Anl. I Kap. III Sachgeb. A Abschn. III Nr. 28 Einigungsvertrag (zu diesen ausf. LR/Hilger 24 Nachtr. II C 12 ff.). Vgl. u.a. Beling 16; Gerland 32; Glaser 308 ff.; von Hippel 87; von Kries 93 ff.; s. auch v. Weber DStR 1940 40 f.; 84. V. Weber DStR 1940 85; DRiZ 1950 277. Beling 16; Gerland 323; Henkel 82; Krey I 4; teilw. a.A. LR/Lüderssen/Jahn Einl. M 48 ff.

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RGSt 69 259; v. Weber DStR 1940 34, 37; sowie die in Fn. 46 Genannten; allg. M. So die ausdrückliche Regelung in Art. 14 Abs. 1 StPÄG 1964; Art. 9 Abs. 1 1. StVRG, Art. 8 Abs. 1 StVÄG 1979; Art. 12 Abs. 1 StVÄG 1987; Art. 11 Abs. 1 OpferschG; Maßg. 28 Buchst. g zum EinigungsV. So auch schon § 8 EGStPO i.d.F. von 1877. Auch soweit nur spezielle Überleitungsregelungen getroffen werden, geht der neuere Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründungen von diesem Grundsatz aus; vgl. auch Henkel 82. BVerfGE 87 48, 64 m.w.N.; vgl. LR/ Hanack 25 § 354 a, 6; Meyer-Goßner Einl. 203; Peters 97; Kissel/Mayer § 1, 4 EGGVG. BVerfGE 87 48 ff. mit ausf. Dokumentation der Rspr. der oberen Bundesgerichte und des Schrifttums; ausdrücklich i.d.S. Art. 12 Abs. 4 StVÄG 1987; vgl. auch für frühere Rechtsmittelvorschriften v. Weber DStR 1940 75 f.

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Der persönliche, örtliche und zeitliche Geltungsbereich

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Regelung nicht von Verfassungs wegen untersagt 49 und kann dieser (selbstverständlich) auch großzügigere Regelungen treffen, etwa dergestalt, dass die weitergehende Rechtsmittelmöglichkeit des alten Rechts auch demjenigen zugutekommt, der beim Inkrafttreten des neuen Gesetzes noch kein Rechtsmittel eingelegt hat,50 oder bestimmen, dass weitergehende Rechtsmittelbefugnisse schon dann erhalten bleiben, wenn die anzufechtende Entscheidung vor dem Inkrafttreten der Neuregelung erlassen wurde.51 2. Einzelfragen a) Bei Besetzungs- und Zuständigkeitsänderungen werden in den Überleitungsvor- 19 schriften im Allgemeinen Regelungen mindestens dahingehend getroffen, dass im Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits laufende Hauptverhandlungen in der bisherigen Besetzung und entsprechend den bisherigen Zuständigkeiten zu beenden sind.52 Es liegt nahe, hierin einen allgemeinen, auch ohne ausdrückliche Regelung geltenden Grundsatz zu sehen.53 Überleitungsvorschriften stellen teilweise für die weitere Anwendung des alten Rechts auch auf noch frühere Zeitpunkte ab.54 Regelmäßig wird jedoch auch bei einer solchen Zuständigkeitsperpetuierung bestimmt, dass im Falle der Zurückverweisung durch das Revisionsgericht an das nach dem neuen Recht zuständige Gericht zu verweisen ist.55 b) Die Änderung von Verfahrensvoraussetzungen bezieht sich vorbehaltlich einer 20 abweichenden gesetzlichen Regelung auch auf laufende Verfahren mit der Folge, dass ein neu entstandenes Verfahrenshindernis (von Amts wegen) zu berücksichtigen ist und seine Beseitigung die Tat nunmehr verfolgbar macht.56 c) Bei der Einführung von Präklusionsvorschriften und neuen Fristbestimmungen 21 gehen Überleitungsregelungen regelmäßig dahin, dass sie für bereits anhängige Verfahren keine Anwendung finden oder zu einem späteren Zeitpunkt enden.57 Auch hierin wird man mindestens insoweit einen allgemeinen Rechtsgrundsatz sehen müssen, als neu eingeführte Präklusionen dann keine Anwendung finden können, wenn beim Inkrafttreten der Neuregelung der Präklusionszeitpunkt bereits verstrichen war; andernfalls würde der von der Präklusion Betroffene rechtlos gestellt. Gleiches gilt für Fristverkürzungen anderer Art, wenn sie dazu führen würden, dass eine nach altem Recht noch offene Frist mit dem Inkrafttreten der Neuregelung bereits abgelaufen wäre, oder für ähnliche, im Zeit-

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BVerfGE aaO; eine solche findet sich beispielsweise (ohne praktische Auswirkungen für das Strafverfahren) in Anl. I Kap. III Sachgeb. A Abschn. III Nr. 28 Buchst j EinigungsV. So z.B. Art. 8 Nr. 107 VereinhG; Art. 14 Abs. 1 RpflEntlG. So z.B. Art. 11 Abs. 4 OpferschG; Art. 14 Abs. 4 RpflEntlG. So z.B. Art. 8 Nr. 47 VereinhG; Art. 5 Abs. 2 StaatsschStrafsG; Art. 9 Abs. 1 1. StVRG; vgl. auch v. Weber DStR 1940 41 f. Vgl. Meyer-Goßner Einl. 203 (zum Gerichtsstand); Kissel/Mayer § 1, 5 f. EGGVG. Art. 312 Abs. 1 EGStGB 1974; Art. 6 Abs. 3

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StGB-ÄndG 1976 (Eröffnung des Hauptverfahrens); Art. 8 Nr. 116 VereinhG (Zeitpunkt der Anklageerhebung). Z.B. Art. 8 Abs. 6 Satz 2 StVÄG 1979; ebenso schon Art. 8 Nr. 118 VereinhG. Weitere Einzelheiten (auch zu einer diskutierten Erstreckung des Rückwirkungsverbots auf bestimmte Fälle) m.w.N. in den Erl. zu § 206 a; LR/Rieß 25 § 206 a, 27 und LR/ Hanack 25 § 354 a, 8; v. Weber DStR 1940 37 f., 44 ff. Art. 157 Abs. 2 EGOWiG; Art. 9 Abs. 4 1. StVRG; Art. 12 Abs. 2 StVÄG 1987; vgl. auch m. Nachw. früherer Regelungen v. Weber DStR 1940 45 ff.

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punkt des Inkrafttretens in bestimmten Situationen nicht mehr ohne erhebliche Komplikationen realisierbare Änderungen.58 Fristverlängerungen beziehen sich dagegen nach den allgemeinen Grundsätzen nur auf noch laufende Fristen, soweit keine besonderen Überleitungsvorschriften bestehen.

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d) Änderungen der Zulässigkeit von Prozesshandlungen. Erklärt das neue Recht bisher für unzulässig angesehene Prozesshandlungen für zulässig, so können, wie es für die revisionsrechtliche Beurteilung allgemeiner Auffassung entspricht,59 unter Verstoß gegen das frühere Recht erzielte Ergebnisse für das weitere Verfahren verwendet werden; namentlich entfallen etwa bestehende Verwertungsverbote.60 Gleiches gilt vielfach, wenn die neuen Vorschriften Verfahrensförmlichkeiten des früheren Rechts lockern oder aufheben.61 Für den umgekehrten Fall, dass nach altem Recht für zulässig gehaltene Maßnahmen für unzulässig erklärt werden, dürfte sich dagegen eine allgemeine Regel nicht aufstellen lassen. Vielmehr ist, falls keine besondere Überleitungsvorschrift 62 besteht, diese Frage jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Zwecks der Neuregelung zu beantworten.63

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e) Bei Änderungen im Wiederaufnahmerecht beziehen sich Überleitungsvorschriften regelmäßig 64 nur auf anhängige Wiederaufnahmeverfahren.65 Zweifelhaft ist deshalb, ob sich eine Veränderung der Wiederaufnahmevoraussetzungen, sei es zugunsten oder zuungunsten des Veruteilten, auch auf Altfälle oder nur auf Neufälle bezieht,66 zumal der allgemeine Grundsatz (Rn. 16 f.) den Besonderheiten des Wiederaufnahmeverfahrens nicht sonderlich gerecht wird. Bedenkt man, dass die Wiederaufnahme von ihrer Grundkonzeption her funktionell dazu bestimmt ist, in der Vergangenheit liegende Sachverhalte zu korrigieren, so spricht manches für die Auffassung, dass beim Fehlen besonderer Überleitungsvorschriften Änderungen im materiellen Wiederaufnahmerecht zugunsten einer Fehlerkorrektur auch dann zu beachten sind, wenn die Grundentscheidung nach altem Recht ergangen ist.67

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61

Art. 17 Abs. 1 1. StVRGErgG für die Höchstzahl der Wahlverteidiger oder das Verbot der Mehrfachverteidigung bei laufender Hauptverhandlung. Meyer-Goßner § 354 a, 4, beide m.w.N.; vgl. auch v. Weber DStR 1940 80 f. m. Nachw. früherer Regelungen. Die Äußerung von Meyer-Goßner Einl. 203, die Ordnungsgemäßheit von Prozesshandlungen richte sich nach dem Zeitpunkt ihrer Vornahme, kann nicht als abweichende Ansicht verstanden werden, da sie nicht auf den hier bezogenen Sonderfall abstellt. Vgl. Art. 9 Abs. 5 1. StVRG hinsichtlich des Wegfalls des Inhaltsprotokolls; Art. 8 Abs. 4 StVÄG 1979 hinsichtlich der Erweiterung abgekürzter Urteile; Art. 8 Abs. 7 StVÄG 1979 hinsichtlich der Geltendmachung

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62 63

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67

früherer Unzuständigkeit im Rechtsmittelverfahren. Z.B. Art. 8 Abs. 3 StVÄG 1979 zur Änderung des § 51 Abs. 2 StPO. Vgl. auch (für die Überleitung von Strafverfahren der DDR) LR/Hilger 24 Nachtr. II (EinigungsV) Teil C 13 ff.; (für das VereinhG) v. Weber DRiZ 1950 279 r. Sp. Anders allerdings i.S.d. Anwendbarkeit auch auf Altfälle § 10 EGStPO i.d.F. von 1877. So z.B. Art. 9 Abs. 8 1. StVRG. Dazu v. Weber DStR 1940 81 ff. m.w.N. über frühere Reformvorschläge; DRiZ 1950 280 r. Sp. Teilweise a.A., allerdings unter Hinweis auf Fallgestaltungen, die heute nicht mehr von Bedeutung sind, v. Weber DStR 1940 83 f.

Hans-Heiner Kühne

Die Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts

Einl. Abschn. F

F. Die Entstehung und Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts und die Reformüberlegungen Schrifttum H. J. Albrecht Organisierte Kriminalität. Theoretische Erklärungen und empirische Befunde in Albrecht/Dencker u.a. (Hrsg.), Organisierte Kriminalität und Verfassungsstaat (1998) S. 1; Arnold Der Wechsel der Vorschriften über das Strafverfahren, Diss. Leipzig 1933; Bäumler/Lütkers DNAAnalysen zur effektiven Strafverfolgung, ZRP 2004 87; Büddefeld Akkustische Wohnraumüberwachung, Kriminalistik 2005 204; Buschmann 100 Jahre Gründungstag des Reichsgerichts, NJW 1979 1966; Duttge Chancen und Risiken einer Reform des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, Kriminalistik 2004 561; Dix Informations- und Kommunikationskriminalität, Kriminalistik 2004 481; Fezer Reform der Rechtsmittel in Strafsachen, Bericht über die Entstehung der gegenwärtigen Rechtsmittelvorschriften und die Bemühungen um ihre Reform (1974); Glaser Die geschichtlichen Grundlagen des neue deutschen Strafprozeßrechts, in: von Holtzendorff S. 5 ff.; Hauer Anmerkungen zum Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens des Bundesministeriums der Justiz vom 18.02.2004, DRiZ 2004 184; Huber Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz – Änderungen der Strafprozessordnung, JuS 2004 970; Jahn Aktuelle Probleme der Reform des Strafverfahrens, NJ 2005 106; Keller Dogmatische (Neu-)Einordnung des § 81 b 2. Alt. StPO, Kriminalistik 2004 190; Kern Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts (1954); Klingebiel Die Gerichtsverfassung des Strafprozesses in ihrer Entwicklung seit 1879, Diss. Göttingen 1936; Kühne in Ministerium der Justiz, Rheinland-Pfalz (Hrsg.) Mainzer Runde 1992: Kriminalität und Kriminalitätsbekämpfung in einem Europa ohne Grenzen (1993); ders. in: Grundfragen staatlichen Strafens, FS Müller-Dietz Der erstaunliche Bedeutungszuwachs des Strafrechts: Gibt es Wachstumsgrenzen? 419; Mosbacher Aktuelles Strafprozessrecht, JuS 2004 974; Müller, Ingo 100 Jahre Wahrheit und Gerechtigkeit, KritJ 1977 11; Rieß Der Beschuldigte als Subjekt des Strafverfahrens in Entwicklung und Reform der Strafprozeßordnung, FS Reichsjustizamt 373; Rüping/Jerouschek Grundriß der Strafrechtsgeschichte4 (2002); Ruthig Verfassungsrechtliche Grenzen der heimlichen Datenerhebung aus Wohnungen, GA 2004 587; Eb. Schmidt Geschichte der deutschen Strafrechtspflege3 (1965); Schroeder Die Durchsuchung im Strafprozess, JuS 2004 858; Sellert Die Reichsjustizgesetze von 1877 – ein gedenkwürdiges Ereignis? JuS 1977 781; Vahle Informationsrechte gegenüber den Sicherheitsbehörden, Kriminalistik 2004 655; ders. Der (Privat-)Detektiv im öffentlichen u. privaten Recht, DVP 2005 91; Vogel Chancen und Risiken einer Reform des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, JZ 2004 827; Wohlers Das partizipatorische Ermittlungsverfahren – kriminalpolitische Forderung oder „unverfügbarer“ Bestandteil eines fairen Strafverfahrens? GA 2005 11; weiteres Schrifttum vor den einzelnen Abschnitten.

Übersicht Rn. I. Die Entwicklung im Überblick . . . . . II. Die Entstehung der Reichsstrafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes 1. Zur Vorgeschichte . . . . . . . . . 2. Quellen . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Beratungsverlauf im Einzelnen a) Strafprozessordnung . . . . . . b) Gerichtsverfassungsgesetz . . . 4. Inhaltliche Kontroversen . . . . .

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III. Die Entwicklung im Deutschen Reich bis 1918 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsentwicklung a) StPO und GVG . . . . . . . . . .

15 16

Rn. b) Sonstige Änderungen mit strafverfahrensrechtlichen Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . 3. Reformbemühungen a) Isolierte Reformvorstöße . . . . b) Reformkommission 1903 und Entwurf 1908/1909 . . . . . . . c) Abschließende Gesamtbewertung

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19 24

IV. Die Entwicklung in der Weimarer Zeit 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Zeit bis Ende 1923 a) Bemühungen um eine umfassende Reform . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzgebung zum GVG und zur StPO . . . . . . . . . . . . . . .

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Einl. Abschn. F

Einleitung Rn.

c) Sondergerichte und Sonderverfahren . . . . . . . . . . . . 3. Von der Emminger-Reform Anfang 1924 bis zum Versuch einer Reform durch das EGStGB 1930 a) EmmingerVO . . . . . . . . . . b) Die Rechtsentwicklung bis 1930 c) Reformversuche im Entwurf des EGStGB 1930 . . . . . . . . . 4. Die Zeit des Zusammenbruchs der Weimarer Republik (1930 bis 1932)

.

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V. Die Zeit des Nationalsozialismus 1. Die Entwicklung im Überblick a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Entwicklungslinien . . . . . . . . c) Regelungstechnik . . . . . . . . . 2. Die Rechtsentwicklung von 1933 bis 1939 a) Allgemeine Gerichtsverfassung . . b) Volksgerichtshof. Sondergerichte . c) Allgemeines Strafverfahrensrecht . 3. Die Bemühungen um eine Gesamtreform a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Erarbeitung und Grundgedanken des Entwurfs 1939 . . . . . . . . c) Inhalt des Entwurfs . . . . . . . . 4. Die Rechtsentwicklung vom Ausbruch des Krieges bis zum Zusammenbruch VI. Die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit und Rechtseinheit im westlichen Teil Deutschlands 1. Überblick . . . . . . . . . . . . 2. Besatzungsrecht und Justizhoheit 3. Die Entwicklung in den westlichen Besatzungszonen . . . . . . . . 4. Die Wiederherstellung der Rechtseinheit a) Gründung der Bundesrepublik und Grundgesetz . . . . . . . b) Vereinheitlichungsgesetz . . .

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VII. Die Entwicklung in der Bundesrepublik seit 1950 1. Übersicht. Entwicklungslinien . . . . 2. Die Zeit von 1950 bis Ende 1964 a) Strafprozessordnung und Gerichtsverfassungsgesetz . . . . . . . . . b) Rechtsetzungen außerhalb von GVG und StPO . . . . . . . . . . 3. Die „Kleine Strafprozessreform“ durch das StPÄG 1964 a) Bedeutung und Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . b) Einzelheiten . . . . . . . . . . . c) Wirkungsgeschichte . . . . . . . 4. Die Entwicklung von 1965 bis 1973 a) Übersicht . . . . . . . . . . . . . b) Gerichtsverfassungsrechtliche Änderungen . . . . . . . . . . .

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Rn. c) Änderungen der StPO . . . . . . d) Rechtsänderungen außerhalb der StPO und des GVG . . . . . . . . 5. Die Entwicklung von 1974 bis 1987 a) Übersicht . . . . . . . . . . . . . b) Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch, Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts und Ergänzungsgesetz . . . . . . c) Die Entwicklung von 1975 bis 1978 d) Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Entwicklung von 1979 bis 1986 f) Opferschutzgesetz . . . . . . . . g) Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Entwicklung von 1987 bis 1998 a) Übersicht . . . . . . . . . . . . . b) Die Zeit von 1987 bis 1990 . . . . c) Die Zeit von 1991 bis 1994 aa) Gesetze gegen die Organisierte Kriminalität . . . . . . . . . bb) Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege . . . . . . . . . cc) Sonstige Gesetze . . . . . . . dd) Verbrechensbekämpfungsgesetz . . . . . . . . . . . . d) Die Zeit von 1995 bis 1998 aa) Übersicht . . . . . . . . . . . bb) Datenschutz und sog. informationelle Selbstbestimmung . . cc) Verbrechensbekämpfung . . . dd) Zeugen- und Opferschutz . . ee) Justizentlastung . . . . . . . 7. Die Zeit von 1999 bis 2005 . . . . . a) Zwangsmaßnahmen und Eingriffsermächtigungen . . . . . . . . . b) Modernisierung und Entlastung der Justiz . . . . . . . . . . . . . c) Zeugnisverweigerungsrechte . . . d) Opferrechte und Verletztenschutz e) Änderungen des GVG . . . . . . f) Europäisch veranlasste Änderungen . . . . . . . . . . . . . . VIII. Die Entwicklung des Strafverfahrensrechts in der DDR und die Rechtsangleichung 1. Allgemeines. Übersicht . . . . . . . 2. Die Entwicklung bis zur Gründung der DDR (1945 bis 1949) . . . . . . 3. Die Entwicklung während der DDR Zeit (1949 bis 1990) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Gerichtsverfassung . . . . . . . . c) Staatsanwaltschaft . . . . . . . . d) Strafverfahren . . . . . . . . . . 4. Die Wiederherstellung der deutschen Einheit und die Rechtsangleichung a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Übergangsregelungen . . . . . . .

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Die Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts

Einl. Abschn. F

Rn. IX. Die Zukunft des Strafprozesses. Zur Frage einer (Gesamt)Reform 1. Zur gegenwärtigen Lage der Strafjustiz . . . . . . . . . . . . . . . .

Rn. 2. Zur Frage einer Gesamtreform . . . 3. Ausblick a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Einzelprobleme . . . . . . . . . .

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I. Die Entwicklung im Überblick Zusammen mit dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871 und im Anschluss an die Schaf- 1 fung eines einheitlichen Handelsrechts 1 stellen die sog. Reichsjustizgesetze, nämlich das GVG, die StPO, die KO2 und die ZPO, die gemeinsam am 1.10.1879 in Kraft traten, die ersten der Reichseinheit von 1867/1871 auf dem Gebiet des Rechts nachfolgenden, die Rechtseinheit anstrebenden Reichsgesetze dar. Insoweit sind sie (zukunftsweisend) der wichtigste Schritt zur Rechtseinheit vor dem BGB 3 und bis heute eine ihrer wichtigen Grundlagen geblieben. In der spezifischen Entwicklung des Strafverfahrensrechts und der Strafgerichtsverfassung bedeutet die StPO mit den ihr zuzurechnenden Teilen der im GVG geregelten Strafgerichtsverfassung den gemeinschaftlichen deutschen Schlussstein in der Überwindung des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses zum modernen reformierten Strafprozess. Insoweit fassen sie die partikularrechtlichen seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert entstandenen, vielfach zersplitterten, wenn auch weitgehend auf einer gemeinsamen geistesgeschichtlichen Grundlage beruhenden Verfahrensordnungen 4 zusammen. In der über einhundertjährigen Entwicklung des Strafverfahrensrechts auf der 1879 2 gelegten Grundlage hat sich die Grundstruktur des Strafprozessmodells des reformierten Strafprozesses bis in die Gegenwart weitgehend erhalten. Wesentliche und ins Gewicht fallende Strukturänderungen sind jedoch, über zahlreiche Detailänderungen hinaus, bei wichtigen Konstitutionsprinzipien der zweiten Ebene eingetreten. Sie haben das Gesicht des Strafverfahrens von heute, gemessen an dem von 1879, so erheblich verändert, dass der Eindruck entstehen kann, es mit zwei verschiedenen, wenn auch verwandten Gesetzen zu tun zu haben.5 Diese Entwicklung ist durch eine zunächst zurückhaltende, sich dann aber seit 1920 beschleunigende und namentlich seit der Gründung der Bundesrepublik stark zunehmende Novellengesetzgebung erreicht worden, in der neben überwiegend zeitbedingten Änderungen von teilweise vorübergehendem Charakter längerfristige Entwicklungslinien deutlich werden.6 Zu den diese Entwicklungslinien einleitenden und fortführenden Novellen und damit zu den Eckpunkten der kontinuierlichen Fortentwicklung des Strafverfahrensrechts gehören namentlich die EmmingerVO von 1924; das VereinhG von 1950, das StPÄG 1964, 1. StVRG von 1975 und das OpferschutzG von 1986. Die Novellengesetzgebung greift vielfach auf Bemühungen um eine umfassendere 3 Gesamtreform des Strafverfahrensrechts zurück, die bereits während des Kaiserreiches einsetzen, denen aber ein Erfolg bis heute versagt geblieben ist. Solchen umfassenderen 1

2 3

Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch, 1862 von den Einzelstaaten übereinstimmend in Kraft gesetzt und 1869 als Bundesgesetz des Deutschen Bundes übernommen; Staub HGB4 Einl. 18 f. Jetzt Insolvenz Ordnung, InsO. Landau FS Reichsjustizamt 161; Sellert JuS 1977 781 f.

4

5 6

Übersicht bei Eb. Schmidt (Geschichte) 324 ff.; Kern (Geschichte) 55 ff. (zur Gerichtsverfassung); Glaser in v. Holtzendorff 11 ff.; 65 ff.; Glaser (Lehrbuch) Bd. 1, 162 ff.; Rüping (Strafrechtsgeschichte) § 8, 3; Schubert (GVG) 22 ff. Engelhard FS Rebmann 49 f. Engelhard FS Rebmann 50.

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Einl. Abschn. F

Einleitung

Versuche einer Erneuerung des Strafverfahrens haben sowohl (1904 bis 1911) das Kaiserreich, als auch (1920 und 1930) die Weimarer Republik und (1936 bis 1939) der Nationalsozialismus unternommen. Die frühere Deutsche Demokratische Republik hat von 1952 bis zur Wiedervereinigung 1990 im Sinne ihrer sozialistischen Staatsauffassung ein eigenständiges Strafverfahrensrecht kodifiziert.7 In der Bundesrepublik sind amtliche Bemühungen um eine große Strafprozessreform bisher nicht realisiert worden.8 Die nachfolgende Darstellung beschränkt sich auf eine Hervorhebung der wesent4 lichen Punkte. Nähere Angaben enthalten insoweit die Aufzählung in der Einleitung zur 20. Aufl., S. 6 ff. sowie in der 24. Aufl., Kap. 3 bis 5. Zu verweisen ist ferner für die Entwicklung der einzelnen Vorschriften auf die dort jeweils mitgeteilte Entstehungsgeschichte.

II. Die Entstehung der Reichsstrafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes Schrifttum Dochow Die deutsche Strafprozessordnung vom 1. Februar 1877, in: von Holtzendorff S. 105 ff.; v. Gerlach Rechtseinheit in Deutschland – 100 Jahre Reichsjustizgesetze, DRiZ 1979 308; Kissel 100 Jahre Gerichtsverfassungsgesetz, NJW 1979 1953; Landau Die Reichsjustizgesetze von 1879 und die deutsche Rechtseinheit FS Reichsjustizamt 161; Müller, Hermann Die Entstehung des Gerichtsverfassungsgesetzes, Diss. Tübingen 1938; Schubert Die deutsche Gerichtsverfassung (1869–1877) – Entstehung und Quellen (1981); Schubert Die unveröffentlichten Quellen zu den Reichsjustizgesetzen, JZ 1978 98; Schubert/Regge Entstehung und Quellen der Strafprozeßordnung von 1877 (1989); Schwarze Der Reichstag und die Justizgesetze, GerS 29 (1877) 92.

1. Zur Vorgeschichte

5

Die Schaffung eines einheitlichen deutschen Verfahrensrechts und (jedenfalls in den Grundlagen) einheitlichen Gerichtsverfassungsrechts war seit der gescheiterten Paulskirchenverfassung auf der Tagesordnung.9 Nachdem nach der Gründung des Norddeutschen Bundes dessen Verfassung dem Reich die Gesetzgebung auch für das Strafverfahren zuwies (Art. 4 Nr. 13),10 waren die verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Schaffung eines einheitlichen Strafverfahrens vorhanden; sie galten nach der Reichsgründung aufgrund der Reichsverfassung für das gesamte deutsche Reich.11 Bereits der Reichstag des Norddeutschen Bundes ersuchte in einem Beschluss vom 18.4.1868, dem der Bundesrat am 1. Juni 1968 beitrat,12 den Bundeskanzler, „Entwürfe eines gemeinsamen Strafgesetzbuches und eines gemeinsamen Strafprozesses sowie der dadurch bedingten Vorschriften der Gerichtsorganisation baldtunlichst vorzubereiten und dem Reichstage vorlegen zu lassen“. Der Bundeskanzler übertrug nach der als vorrangig behandelten Vorlage des Strafgesetzbuches diese Aufgabe mangels einer eigenen Reichsjustizverwaltung 13 mit Schreiben vom 12. Juli 1869 dem preußischen Justizministerium, 7 8 9 10 11

S. näher unten Rn. 171 ff. S. näher unten Rn. 194 ff. Landau FS Reichsjustizamt 162 ff. Einzelheiten, auch zur Entstehung bei Landau 166 ff. Art. 4 Nr. 13; zur Gerichtsverfassung s. Landau 167 f.; Schubert (GVG) 55 ff.

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Einzelheiten bei Dochow 106; Landau 168. Das Reichsjustizamt als Vorläufer des Reichsjustizministeriums wurde erst am 1.1.1877 gegründet; s., auch zur Tätigkeit Preußens in diesem Zusammenhang Hattenhauer FS Reichsjustizamt 9 ff.

Hans-Heiner Kühne

Die Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts

Einl. Abschn. F

in welchem der geheime Oberjustizrat und spätere preussische Justizminister Dr. Friedberg unter der Mitwirkung u.a. von Löwe die Ausarbeitung übernahm. Während der Entwurf des Reichsstrafgesetzbuches sich eng an das preußische Straf- 6 gesetzbuch anlehnte, wurde für die Strafprozessordnung ein selbständiger Entwurf erarbeitet, der auf den unterschiedlichen Gesetzen der Einzelstaaten beruhte 14. Zur Vorbereitung hierfür dienten neben einer vollständigen Stoffsammlung Gutachten der Regierungen der Einzelstaaten sowie rechtsvergleichender Gutachten. Aufgrund dieser umfangreichen Vorarbeiten wurden mehrere Entwürfe aufgestellt,15 bis es im Januar 1873 zum Beginn der Beratungen in den gesetzgebenden Körperschaften kam. 2. Quellen Die Quellen der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes 16 sind 7 durch eine Reihe teils neuerer Publikationen gut erschlossen.17 Die Behandlung der Entwürfe im Reichstag einschließlich der Beratungen der Justizkommission und der zwischenzeitlichen Beschlussfassung des Bundesrates, die die Zeit von Oktober 1874 bis Ende 1876 erfassen, ist bei Hahn dokumentiert.18 Die zur Entstehungszeit nur teilweise veröffentlichten Vorentwürfe 19 sind nunmehr zusammen mit den Beratungen des Bundesrates sowohl hinsichtlich der StPO 20 als auch des GVG 21 veröffentlicht. 3. Der Beratungsverlauf im Einzelnen a) Strafprozessordnung. Der im Auftrag des Reichskanzlers im preußischen Justiz- 8 ministerium erstellte Entwurf wurde im Januar 1873 durch den Reichskanzler dem Bundesrat (nach der damaligen Reichsverfassung dem Organ der verbündeten Regierungen) zugeleitet (I. Entwurf).22 Dieser setzte zu seiner Begutachtung eine unabhängige Kommission ein,23 die in der Zeit vom 17.4. bis 2.7.1873 den Entwurf überarbeitete (II. Entwurf).24 Die daran anschließenden Beratungen im Bundesrat 25 führten, insbesondere durch die Wiedereinführung der Schwurgerichte (Rn. 12), zu einer nicht unerheblichen Überarbeitung, bis der Bundesrat am 16.6.1874 den Entwurf (III. Entwurf oder Bundesratsvorlage) als Teil der dem Reichstag zuzuleitenden Reichsjustizgesetze beschloss.26 Der Reichstag überwies nach der ersten Lesung 27 die Reichsjustizgesetze, also

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Dochow 107. Abdruck des ersten Entwurfs 1870 bei Schubert/Regge (StPO) 48 ff. Ausführlich zur Entstehungsgeschichte vor allem Dochow 105 ff.; Glaser (Lehrbuch) 188 ff.; Landau FS Reichsjustizamt 169 ff. Zur Quellenlage auch Schubert JZ 1978 98; ein großer Teil der dort aufgeführten Quellen ist inzwischen veröffentlicht worden. Die gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen (1879) Bd. 1 Materialien zu dem Gerichtsverfassungsgesetz; Bd. 3 Materialien zur Strafprozessordnung (jeweils 2 Teilbände). Nachweise bei Dochow 107 ff., auch zum zeitgenössischen Schrifttum während der Entstehung.

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Schubert/Regge (StPO). Schubert (GVG) mit umfangreicher, auch die Institutionen betreffender Einleitung. Abdruck bei Schubert/Regge (StPO) 113 ff. Zur Stellung der Kommission Dochow 111; zur Zusammensetzung und zu den Beratungen Schubert/Regge 9 ff.; dort auch (S. 149 ff.) Protokolle der Kommission. Abdruck bei Schubert/Regge (StPO) 293 ff. Quellen hierzu bei Schubert/Regge (StPO) 363 ff. Abdruck bei Hahn (StPO) 1 ff. Vom 24. bis 27.11.1874; Hahn (StPO) 497 ff.; Hahn (GVG) 188 ff.; über deren Verlauf und Hauptinhalt Landau FS Reichsjustizamt 184 ff.

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Einl. Abschn. F

Einleitung

auch die StPO und das GVG, an eine aus 28 Mitgliedern bestehende Justizkommission,28 die bis Herbst 1876 die Vorlage in zahlreichen Sitzungen in zwei Lesungen beriet 29 und dabei erhebliche Änderungen beschloss. Zu den schriftlich mitgeteilten Beratungsergebnissen der Kommission, soweit sie von der Bundesratsvorlage abwichen,30 nahm noch vor den weiteren Erörterungen im Reichstag der Bundesrat teils zustimmend, teils ablehnend Stellung; die Justizkommission blieb nach erneuten Beratungen überwiegend bei ihren Vorschlägen.31 Als sich in der 2. Lesung im Plenum des Reichstages 32 andeutete, dass dieser in den 9 meisten Punkten den Bedenken des Bundesrates nicht folgte, sondern den Beschlüssen seiner Kommission beitrat, bezeichnete der Reichskanzler die Punkte, die für den Bundesrat unannehmbar seien.33 Da nach damaliger Verfassungslage für das Zustandekommen eines Gesetzes die übereinstimmende Beschlussfassung durch Reichstag und Bundesrat erforderlich war, drohte damit das Gesetzesvorhaben zu scheitern. Das führte zu vertraulichen Beratungen zwischen einer Reihe von Reichstagsmitgliedern und Vertretern des Bundesrates, aus denen schließlich die sog. Kompromissvorschläge hervorgingen,34 die der Reichstag in der 3. Beratung 35 annahm, worauf der Bundesrat seine Zustimmung erteilte. Danach wurde das GVG am 27.1.1877 und die StPO am 1.2.1877 verkündet.36 Gemäß § 1 EGGVG traten sie am 1.10.1879 in Kraft.37

10

b) Gerichtsverfassungsgesetz. Die ebenfalls vom preußischen Justizministerium betriebenen Vorarbeiten für ein Gerichtsverfassungsgesetz zielten zunächst auf eine umfassende Kodifikation.38 Vorbereitende Konferenzen mit den Justizministern der größeren deutschen Bundesstaaten führten jedoch zu dem Ergebnis, dass dieser Plan nicht durchsetzbar war. Der Entwurf wurde deshalb vor seiner Zuleitung an den Bundesrat durch eine Fassung ersetzt, die dem Landesrecht größeren Spielraum einräumte.39 Die die Strafgerichtsverfassung betreffenden Änderungen im Bundesrat (Rn. 8) erforderten bis zur Zuleitung der Bundesratsvorlage an den Reichstag 40 eine erhebliche Umarbeitung. Der Entwurf ist hier gemeinsam mit der StPO in dem in Rn. 8 f. dargestellten Verfahren behandelt und beraten worden. Auch insoweit haben erst die Kompromissvorschläge die Verabschiedung des Gesetzes ermöglicht. 28

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Zur Zusammensetzung Dochow 119; eingehend Schubert/Regge 21 ff.; zu den wichtigsten Mitgliedern gehörten Bähr, Gneist, Lasker, Miquel, Reichensperger und Schwarze; zur Arbeit der Kommission Schwarze GerS 29 (1877) 93 ff. Nähere Angaben bei Dochow 120 ff. Abdruck bei Hahn (StPO) 1509 ff.; Hahn (GVG) 925 ff. Hahn (StPO) 1596 ff.; Hahn (GVG) 994 ff.; Quellenmaterial zu den Bundesratsberatungen bei Schubert/Regge (StPO) 605 ff. 17. bis 26.11.1876 (GVG); 27.11. bis 2.12.1876 (StPO); Hahn (StPO) 1670 ff.; Hahn (GVG) 1063 ff.; Zusammenfassung bei Landau 200. Schreiben vom 12.12.1876; Abdruck bei Hahn (StPO) 1991 ff.; Hahn (GVG) 1476 ff. Landau 204; s. auch Dochow 126 f.; Kern (Geschichte) 92; Hahn (StPO) 1995; Hahn

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(GVG) 1481; Schwarze GerS 29 (1877) 102 ff. Vom 18. bis 21.12.1876; zum Inhalt Landau 207; Protokolle bei Hahn (StPO) 1997 ff.; Hahn (GVG) 1485 ff. Gerichtsverfassungsgesetz vom 27.1.1877, RGBl. Nr. 4 S. 41 ff.; Strafprozessordnung vom 1.2.1877, RGBl. Nr. 8 S. 253 ff. Eine nach § 1 EGGVG ein früheres Inkrafttreten ermöglichende Kaiserliche Verordnung ist nicht erlassen worden, so dass es bei dem im Gesetz vorgesehenen spätesten Zeitpunkt verblieb. Abdruck dieses umfassenden Entwurfs vom Sept. 1872 bei Schubert (GVG) 338. Ausführlich Schubert (GVG) 59 ff.; ferner Kern (Geschichte) 88; Landau 169 f.; Glaser (Lehrbuch) 189; Dochow 115. Abdruck bei Hahn (GVG) 3 ff.

Hans-Heiner Kühne

Die Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts

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4. Inhaltliche Kontroversen Obwohl die Grundstruktur des reformierten Strafprozesses (Anklageprinzip, Offizialmaxime, Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung) nicht umstritten waren, wurden einige wichtige Grundfragen und viele Einzelheiten auch in der Öffentlichkeit kontrovers behandelt, blieben teilweise bis zum Schluss umstritten und führten vielfach nur im Kompromisswege zu Ergebnissen, die letztlich nicht allseits befriedigten.41 Zu den Hauptstreitpunkten gehörte die Besetzung der erstinstanzlichen Strafgerichte, namentlich die Frage, in welchem Umfang eine Laienbeteiligung erfolgen und ob dies in der Form der Schöffengerichte oder der Schwurgerichte geschehen solle.42 Der dem Bundesrat zugeleitete ebenso wie der II. Entwurf verzichtete auf Schwurgerichte und sah in allen erstinstanzlichen Sachen (mit Ausnahme der in die Zuständigkeit des Reichsgerichts fallenden) kleine, mittlere und große Schöffengerichte und als Rechtsmittel gegen diese allein die Revision vor. Bereits die Beratungen im Bundesrat führten aber im III. Entwurf zur Wiederherstellung der Schwurgerichte und zu Schöffengerichten nur bei den Amtsgerichten. Die erstinstanzliche Strafkammer sollte ohne Schöffen in der Besetzung mit fünf Berufsrichtern entscheiden. Ein Versuch der Justizkommission des Reichstages, auch die Strafkammern mit Schöffen zu besetzen, scheiterte am Widerstand des Bundesrates. In engem Zusammenhang mit der Frage der Besetzung der erstinstanzlichen Spruchkörper stand die der Rechtsmittel gegen deren Urteile.43 Während der Bundesratsentwurf keine Berufung vorsah, sprach sich die Justizkommission des Reichstages für sie in allen Sachen, außer denen des Schwurgerichts, aus, scheiterte aber auch hier am Widerstand des Bundesrates, der sie allein gegen Urteile des Schöffengerichts, nicht aber gegen die der Strafkammer akzeptierte. Die Forderung nach der Einführung der Berufung in diesen Sachen blieb in den nächsten Jahrzehnten das zentrale Reformthema.44 Weitere, vielfach erst im Kompromisswege beigelegte Kontroversen zwischen dem eher eine liberale und beschuldigtenfreundlichere Haltung vertretenden Reichstag und dem Bundesrat betrafen u.a. den Umfang der Privatklage, das Klageerzwingungsverfahren, den Umfang von Zeugnisverweigerungsrechten, Durchsuchung und Beschlagnahme, den Umfang der notwendigen Verteidigung und den unüberwachten Verkehr mit dem Verteidiger,45 den Beweiserhebungsanspruch in der Hauptverhandlung 46 sowie die Auslagenerstattung bei Freispruch. Viele dieser damaligen Kontroversen haben in der Reformdiskussion bis zur Gegenwart eine beträchtliche Rolle gespielt.

III. Die Entwicklung im Deutschen Reich bis 1918 Schrifttum Aschrott Der Entwurf einer Strafprozeßordnung und Novelle zum Gerichtsverfassungsgesetze (1908); Aschrott (Hrsg.) Reform des Strafprozesses. Kritische Besprechungen der von der Kommision für die Reform des Strafprozesses gemachten Vorschläge (1906); Binding Der Entwurf einer 41

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Knappe Zusammenstellung der Hauptstreitpunkte und der zeitgenössischen Würdigung bei Schubert/Regge (StPO) 26 ff.; ferner Landau FS Reichsjustizamt 169 ff., 184 ff. Ausführlich Schubert (GVG), 205 ff.; ferner Kern (Geschichte) 88 f.; v. Hippel 151 ff.; Rennig Die Entscheidungsfindung durch

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Schöffen und Berufsrichter (1993) 33 ff. m.w.N. Einzelheiten bei Fezer (Reform) 17 ff. Rn. 18; 21; Fezer (Reform) 23 ff. Rieß FS Reichsjustizamt 405, 408 f., 411 f. Rieß FS Reichsjustizamt 423 f.

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neuen Strafprozeßordnung, GerS 74 (1909) 1; ders. Der Entwurf eines Gesetzes betr. Änderungen und Ergänzungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung (1895); Bolder Der Versuch einer Reform des Strafverfahrens und der Strafgerichtsverfassung in den Jahren 1885, 1894 und 1895, Diss. Freiburg 1934; Hegler Zur Strafprozeßreform, ZStW 33 (1912) 115, 230, 545, 700, 938; v. Hippel Der Entwurf zur StrPO (1909); Intrator Inhalt, Zweck und Schicksale des gescheiterten Strafprozeßentwurfs, Diss. Freiburg 1934 Kohlrausch Die Strafprozeßreform. Ein Nekrolog, ZStW 33 (1912) 226; v. Lilienthal Der Entwurf einer Strafprozeßordnung und Novelle zum Gerichtsverfassungsgesetz nebst Begründung, ZStW 29 (1909) 1, 188, 414, 737; v. Liszt Die Reform des Strafverfahrens (1906); Nagler Die Protokolle der Strafprozeßkommission, GerS 73 (1909) 96; Oetker Das Strafverfahren gegen Jugendliche, GerS 74 (1909) Beiheft; Philipsborn Strafprozeß und Strafrecht auf dem Karlsruher Juristentag 1908, ZStW 29 (1909) 103; Preiser Die Handhabung der Strafprozeßordnung nach dem Scheitern ihrer Reform, ZStW 33 (1912) 591; Protokolle der Kommission für die Reform des Strafprozeßrechts, hrsg. vom Reichsjustizamte 2. Bd. (1905) Nachdruck, hrsg. von Schubert (1991); Schiffer Der neueste Entwurf zur Reform des Strafverfahrens (1896); Schwarze Die Berufung in Strafsachen und die Strafprozeßordnung, GerS 35 (1883) 385; GerS 37 (1885) 1; Zacharias Die amtlichen Reformversuche zur Gerichtsverfassung seit der Entstehung der deutschen Strafprozeßordnung, Diss. Hamburg 1921.

1. Überblick

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In den ersten 40 Jahren seiner Geltung ist das Strafverfahrensrecht, abgesehen von kriegsbedingten und weitgehend auf die Dauer des Krieges beschränkten Maßnahmen,47 fast unverändert geblieben. Die wenigen Änderungen 48 waren von untergeordneter Bedeutung (Rn. 16). Neuregelungen, die auch für das Strafverfahren von Bedeutung sind, gab es in anderen Rechtsgebieten (Rn. 17). Reformbemühungen begannen dagegen früh, da das Strafverfahrensrecht wegen seines Kompromisscharakters verbreitet als wenig befriedigend empfunden wurde.49 Sie waren besonders nach der Jahrhundertwende lebhaft und intensiv. Der Versuch einer tiefgreifenden Novellierung scheiterte 1911 nach ausführlicher parlamentarischer Behandlung (Rn. 19). 2. Rechtsentwicklung

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a) StPO und GVG. 1986 wurde durch die Änderung des § 137 GVG bei Divergenzen zwischen den Zivil- und Strafsenaten des Reichsgerichts die Möglichkeit der Plenarentscheidung eingeführt.50 Klarstellende und erweiternde Vorschriften über den Ausschluss der Öffentlichkeit (§§ 170 ff. GVG) wurden 1888 geschaffen.51 1902 wurde in § 7 StPO dessen heute noch geltender Absatz 2 eingefügt 52 und damit der sog. fliegende Gerichtsstand der Presse beseitigt. 1905 wurde die Zuständigkeit des Schöffengerichts zu Lasten der Strafkammer geringfügig erweitert.53 Ein Gesetz zur Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 21. Oktober 1917,54 das eine ähnliche Verordnung von 1915 ersetzte, ermöglichte es der Staatsanwaltschaft, in bestimmten an sich zur Zuständigkeit der Strafkammer gehörenden Sachen die Zuständigkeit des Schöffengerichts zu begründen und erweiterte den Anwendungsbereich des Strafbefehlsverfahrens. 47 48

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Übersicht bei v. Hippel 50 f.; Kern (Geschichte) 142 ff. Der Wortlaut der StPO wurde erstmals 1896 (durch das EGBGB) und insgesamt lediglich viermal geändert; die die Strafgerichtsverfassung betreffenden Teile des GVG erfuhren fünf Änderungen. Eb. Schmidt (Geschichte) 413.

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Gesetz vom 17.3.1886 (RGBl. S. 61). Gesetz vom 15.4.1888 (RGBl. S. 133). Gesetz vom 13.6.1902 (RGBl. S. 227). Gesetz vom 5.6.1905 (RGBl. S. 533). RGBl. S. 1067; das Gesetz war auf ein Jahr nach dem Ende des Kriegszustandes befristet, hat aber die weitere Rechtsetzung beeinflusst.

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b) Sonstige Änderungen mit strafverfahrensrechtlichen Auswirkungen. 1882 wurde 17 durch eine Bundesratsverordnung das einheitliche Strafregister eingeführt, das erst 1971 durch das Bundeszentralregister ersetzt wurde. Die heute durch das StrEG geregelte Entschädigung wurde in engerem Rahmen durch Gesetze von 1898 (für erfolgreiche Wiederaufnahme) 55 und 1904 (für unschuldig erlittene Untersuchungshaft) eingeführt.56 1913 wurde für Schöffen und Geschworene erstmals neben dem Reisekostenersatz Tagegeld gewährt.57 3. Reformbemühungen a) Isolierte Reformvorstöße aus dem Parlament bis 1892, die im Wesentlichen die 18 Einführung der Berufung in erstinstanzlichen Strafkammersachen zum Gegenstand hatten, blieben erfolglos.58 1895 legte die Reichsregierung einen auch die Berufung in Strafkammersachen enthaltenden umfangreicheren Entwurf zur Novellierung der StPO vor.59 Er schlug als Konsequenz aus der Einführung der Berufung den Wegfall von Garantien der ersten Instanz vor, die als Ersatz für die mangelnde Berufung angesehen wurden (u.a. Reduzierung der Besetzung der Strafkammern, Einschränkung des Zwischenverfahrens, Erweiterung des Ermessens beim Umfang der Beweiserhebung), wollte die Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten erweitern, den Nacheid einführen und ein beschleunigtes Verfahren schaffen.60 Der Entwurf scheiterte namentlich deshalb, weil der Reichstag die mit der Einführung der Berufung verbundenen sonstigen Verfahrenserleichterungen nicht zu akzeptieren bereit war.61 b) Reformkommission 1903 und Entwurf 1908/1909. Das Reichsjustizamt entschloss 19 sich deshalb zur Vorbereitung einer umfassenden Reform.62 Die Vorarbeiten begannen 1903; die Reform scheiterte 1911. Zunächst berief das Reichsjustizamt eine Kommission, der ein detaillierter, alle aktuellen Fragen umfassender Fragenkatalog vorgegeben wurde. Der 21 Mitglieder umfassenden Kommission gehörten Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Hochschullehrer an.63 Sie erledigte ihre Aufgabe in 86 Sitzungen in zwei Lesungen unter beratender Mitwirkung von Beamten des Reichsjustizamtes in der Zeit vom 16.2.1903 bis 1.4.1905. Sie schlug, teilweise mit knappen Mehrheiten, mehr als 280 Änderungen des Strafverfahrensrechts einschließlich der Gerichtsverfassung vor,64 da55

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Gesetz betreffend die Entschädigung der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen, vom 20.5.1898 (RGBl. S. 349). Gesetz betreffend die Entschädigung der im Strafverfahren freigesprochenen Personen für unschuldig erlittene Untersuchungshaft vom 14.7.1904 (RGBl. S. 321). Gesetz vom 29.7.1913 (RGBl. S. 617). Einzelheiten in der 24. Aufl., Einl. 4 2; ausführlich 17. Aufl. (1927) S. 22 ff.; ferner Schwarze GerS 33 (1885) 1 ff. mit Wiedergabe entsprechender Anträge S. 53 ff.; Fezer (Reform) 23; Kern (Geschichte) 127 ff. Entwurf eines Gesetzes betreffend Änderungen und Ergänzungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozessordnung, Reichstagsverhandlungen 9. Legislaturperiode, 4. Session 1895/97, Aktenstück 73.

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Ausführlich, auch zur Beratung im Reichstag, 17. Aufl. (1927) S. 23 ff. Bericht der XI. Kommission aaO Aktenstück 294; Zusammenstellung der Beschlüsse des Reichstags in zweiter Lesung, Aktenstück 587; v. Hippel 65. Äußerer Anstoß war ein Beschluss des Reichstages vom 19.11.1902, Protokolle, Bd. I S. III. Einzelheiten Protokolle Bd. I S. IV f.; Kern (Geschichte) 132; Nagler GerS 73 (1909) 100 ff. (auch zum Beratungsverlauf und der Bewertung der Arbeit). Synoptische Wiedergabe der Beschlüsse mit dem geltenden Recht Protokolle Bd. II 328 ff.; ausführliche Wiedergabe bei Nagler GerS 73 (1909) 95 ff.; Zusammenstellung der Beschlüsse auch bei Aschrott.

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runter die Ersetzung der Schwurgerichte durch große Schöffengerichte bei den Landgerichten, eine durchgängige Beteiligung von Schöffen in der ersten und der Berufungsinstanz und die allgemeine Einführung der Berufung gegen alle erstinstanzlichen Urteile der Amts- und Landgerichte.65 Die Protokolle wurden veröffentlicht. In der juristischen Öffentlichkeit schloss sich eine lebhafte Diskussion an.66 Auf der Grundlage dieser Vorarbeiten, wenn ihnen auch nicht in allen Punkten fol20 gend, legte das Reichsjustizamt im September 1908 für die Befassung des Bundesrates den Entwurf einer Strafprozessordnung und einer Novelle zum GVG (Entwurf 1908) vor,67 den die Reichsregierung nach der Behandlung im Bundesrat im November 1909 in nur geringfügig veränderter Form 68 dem Reichstag zuleitete (Entwurf 1909 – Reichstagsvorlage).69 Wegen des Umfangs der Änderungen enthielt der Entwurf eine vollständige, auch in den sachlich unveränderten Teilen redaktionell und sprachlich überarbeitete Neufassung der StPO. Von März 1910 bis Anfang 1911 beriet eine aus 28 Mitgliedern bestehende Kommission des Reichstags unter Hinzuziehung von Vertretern der Länder und des Reichsjustizamtes den Entwurf in 84 Sitzungen. Sie beschloss zahlreiche Änderungen und erstattete einen ausführlichen schriftlichen Bericht.70 Die am 6.2.1911 im Reichstag begonnene 2. Lesung wurde schon während der Beratungen über das GVG wegen unüberwindlicher Meinungsverschiedenheiten über die Mitwirkung von Laien bei den Berufungsgerichten abgebrochen und nicht wieder aufgenommen.71 Der erste und bisher einzige Versuch einer parlamentarischen Behandlung einer umfassenden Reform war damit gescheitert.72 Der Entwurf und seine parlamentarische Beratung haben eine außerordentlich intensive Diskussion in der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit ausgelöst.73 In der damals wichtigsten Frage der Art der Laienbeteiligung und der Berufung ent21 schied sich der Entwurf anders als die Reformkommission für die Beibehaltung der Schwurgerichte sowie für die Mitwirkung von Schöffen bei den erstinstanzlichen Strafkammern.74 Gegen die Urteile der Strafkammern, nicht gegen die der Schwurgerichte, sollte die Berufung an besondere, mit fünf Berufsrichtern besetzte Senate bei den Landgerichten eröffnet werden. Ferner sollten die Zuständigkeiten in geringfügigen Sachen erstmals vom Schöffengericht auf den Amtsrichter als Einzelrichter verlagert werden; auch

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Ausführliche Darstellung bei Nagler GerS 73 (1909) 127. Ausführlich und überwiegend kritisch und mit Gegenvorschlägen der von der IKV veranlasste Sammelband von Aschrott; eher positiv Nagler aaO; weitere umfassende Nachw. durchgehend bei Hegler ZStW 33 (1912). Eine zusammenfassende Darstellung der damaligen Reformdiskussion bei RentzelRothe (LV zu IV) 117 ff. Seinerzeit veröffentlicht im Verlag Otto Liebmann; Nachdruck MatStrRRef Bd. 11 (1960), sowie hrsg. von Schubert (1991). Nachw. bei Kohlrausch ZStW 29 (1909) 669 ff.; v. Hippel (Entwurf) 2. RT-Verhandl. 12. Legislaturperiode, II Session, Aktenstück Nr. 7, Nachdruck MatStrRRef Bd. 12 (1960); sowie hrsg. von Schubert (1991).

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Bericht der 7. Kommission des Reichstags 12. Legislaturperiode, II. Session, Aktenstück Nr. 638, Nachdruck MatStrRRef Bd. 13 (1960); sowie hrsg. von Schubert (1991). Näher Hegler ZStW 33 (1912) 115. S. dazu den Beitrag von Kohlrausch ZStW 33 (1912) 226. Einen vollständigen, nach Einzelfragen gegliederten Nachw. enthält die Aufsatzreihe von Hegler ZStW 33 (1912); s. ferner u.a. die im Schrifttumsverzeichnis angegebenen Beiträge von Aschrott (Entwurf), Binding, v. Hippel, v. Lilienthal und Oetker; zur Haltung des IKV Delaquis ZStW 29 (1909) 435 ff. Näher Kern (Geschichte) 133.

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im Übrigen sollte die Zuständigkeit des Schöffengerichts zu Lasten der Strafkammer vorsichtig erweitert werden. Die Justizkommission des Reichstags folgte dem im Wesentlichen, war aber in der Frage der Mitwirkung von Schöffen in der Berufungsinstanz gespalten. Als Vorläufer des späteren selbständigen Jugendstrafrechts schlug der Entwurf beson- 22 dere Verfahrensvorschriften für Verfahren gegen Jugendliche vor.75 Sie enthielten u.a. Sondervorschriften für das Absehen von der Klageerhebung, erweiterten den (damaligen) Umfang der notwendigen Verteidigung, ermöglichten dem Gericht die Anordnung von Erziehungs- und Besserungsmaßnahmen statt einer Bestrafung, gestatteten in erweitertem Umfang den Ausschluss der Öffentlichkeit, schrieben (als Sollvorschrift) getrennte Hauptverhandlungen gegen Jugendliche und Erwachsene vor und regelten die Stellung des gesetzlichen Vertreters. Bei den Amtsgerichten sollten besondere Abteilungen für Jugendsachen (Jugendgerichte) mit einer erheblich erweiterten sachlichen Zuständigkeit gebildet werden. Auch dies fand der Sache nach die Zustimmung der Justizkommission des Reichstags. Unter den zahlreichen, das allgemeine Strafverfahren betreffenden Vorschriften 76 23 befanden sich mehrere von weittragender Bedeutung. Das Legalitätsprinzip sollte erstmals durch Regelungen eingeschränkt werden, die im Ansatz den heutigen §§ 153, 153 c, 154 und 154 d StPO entsprechen. Die Voraussetzungen für die Verhängung der Untersuchungshaft und die Begrenzungen für ihre Dauer sollten verschärft werden. Das Zwischenverfahren sollte vereinfacht und reduziert, der Eröffnungsbeschluss beseitigt werden. Die Einwirkungsmöglichkeiten des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren und die Belehrungspflichten sowie die Akteneinsicht des Verteidigers und sein Anwesenheitsrecht bei Untersuchungshandlungen sollte verbessert,77 der unüberwachte Verkehr des Verteidigers mit dem Beschuldigten auch im Ermittlungsverfahren weitgehend gewährleistet werden.78 Im Interesse einer Verfahrensbeschleunigung sollten die Möglichkeiten, ohne Angeklagten zu verhandeln, erweitert werden,79 das beschleunigte Verfahren sollte (unter Aufnahme in die besonderen Verfahrensarten des – heutigen – sechsten Buches) ausgebaut, der Anwendungsbereich des Strafbefehlsverfahrens erweitert werden. Im Beweisrecht sollte der Voreid durch den Nacheid ersetzt und die Eidespflicht eingeschränkt sowie der Umfang der Zeugnisverweigerungsrechte erweitert werden; das Beweisantragsrecht sollte unter Wegfall der Pflicht zur Verwendung präsenter Beweismittel etwa im Sinne des späteren § 244 geregelt werden.80 Der damals noch engere Kreis der Privatklagedelikte sollte ausgedehnt werden. c) Bei einer abschließenden Gesamtbewertung erscheinen die Reformansätze des 24 Entw. 1909, sieht man von dem seinerzeit dominanten Thema der Form der Laienbeteiligung und der Berufung in Strafkammersachen ab, in vielen Punkten zukunftsweisend. Der Entwurf verfolgt, entgegen manchen zeitgenössischen Vorschlägen auch im Schrifttum und sich daher von diesem Kritik aussetzend,81 eine eher moderate, auf Novellierung und Anpassung, nicht auf Totalerneuerung gerichtete rechtspolitische Kon-

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§ 364 bis § 376 E 1909; näher Oetker GerS 74 (1909) Beiheft; Aschrott (Entwurf) 83 ff. Gesamtübersicht bei v. Lilienthal ZStW 29 (1909) 1 ff.; ausführliche Einzeldarstellung in den späteren Heften des Bandes. Näher Rieß FS Reichsjustizamt 397 ff. Näher Rieß FS Reichsjustizamt 409.

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Näher Rieß FS Reichsjustizamt 392 f. Näher Rieß FS Reichsjustizamt 426 f.; dazu aus damaliger Sicht sehr kritisch v. Lilienthal ZStW 29 (1909) 594 ff. V. Lilienthal ZStW 29 (1909) 2; Rieß FS Reichsjustizamt 379 f.; Eb. Schmidt (Geschichte) 414 f.

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zeption und geht insoweit nicht über eine Umgestaltung hinaus, wie sie etwa durch die umfangreichen Strafverfahrensnovellen in der Zeit von 1975 bis 1986 verwirklicht worden sind.82 Gemessen an der damals geltenden StPO ist die Grundhaltung als rechtsstaatlich und beschuldigtenfreundlich zu kennzeichnen. In seinem Aufbau und insbesondere in seiner durch die Justizkommission des Reichstages weiter verbesserten sprachlichen Fassung dürfte der Entwurf der heute geltenden StPO überlegen sein. Trotz des Scheiterns dieses bisher einzigen parlamentarisch weitgehend durchberatenen Reformprojektes sind zahlreiche Ansätze in der weiteren Rechtsentwicklung aufgegriffen worden; andere harren noch heute der Auswertung.

IV. Die Entwicklung in der Weimarer Zeit Schrifttum Beling Der amtliche Entwurf eines Einführungsgesetzes zu einem Allg. Deutschen StGB, DJZ 1929 1166; Bendix Die Neuordnung des Strafverfahrens, Gegenvorschläge zu den drei Regierungsvorlagen von 1920 (1921); Bumke Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4. Januar 1924 (1924); Ebermayer Zur Kritik der Verordnung vom 4. Januar 1924 über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege, LZ 1924 49; Goldschmidt Zur Reform des Strafverfahrens (1919); ders. Die Kritiker der Strafprozeßentwürfe, ZStW 41 (1920) 569; Hartung Reform des Strafverfahrens nach dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch, JW 1930 2488; v. Hippel Vorläufiger Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes, ZStW 41 (1920) 2; ders. Der Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen, ZStW 41 (1920) 325; Hug Strafrechtliche Sondergerichtsbarkeiten in Deutschland 1918–1932, Diss. Heidelberg 1976; Idel Die Sondergerichte für politische Straftaten, Diss. Freiburg 1935; Kern Der Einfluß der Strafrechtsreform auf Gerichtsverfassung und Strafverfahren, JW 1929 2670; Koffka/Schäfer Die Vorschriften über Strafrechtspflege in der Verordnung vom 14. Juni 19322 (1932); Klee Strafprozeßnovelle oder Reform des Strafverfahrens? GA 73 (1929) 281; ders. Aufbau und Besetzung der Strafgerichte im Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch in der Fassung der Reichsratsbeschlüsse, GA 74 (1930) 337; Lucas Betrachtungen zu den Entwürfen zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes und über den Rechtsgang in Strafsachen, DJZ 1920 325; Nagler Zur Einschätzung der Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege, GerS 90 (1924) 398; Oetker Die Strafgerichtsverfassung nach der Verordnung vom 4. Januar 1924, GerS 90 (1924) 341; Rentzel-Rothe Der „Goldschmidt-Entwurf“, Inhalt, reformgeschichtlicher Hintergrund und Schicksal des Entwurfs eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen (1995); Rosenberg Der neue Gesetzentwurf über den Rechtsgang in Strafsachen, DStrZ 1920 10; Schiffer Die deutsche Justiz, Grundzüge einer durchgreifenden Reform (1928); Schlegelberger Die Verordnung des Reichspräsidenten über Maßnahmen auf dem Gebiete der Rechtspflege und der Verwaltung, JW 1932 1929; Schmidt Strafgerichtsverfassung und Strafverfahren nach dem Entwurf des EinfG zum StGB, GerS 99 (1930), 1; Schöllkopf Die Versuche einer Reform der Strafgerichtsverfassung in den Jahren 1919–1923, Diss. Tübingen 1937; Schubert/Regge Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, I. Abt., Weimarer Republik, Bd. 1 bis 3 (Strafgesetzbuch, hrsg. von dies. 1995 ff.); Bd. 4 (Strafprozeß – von dem Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen (1920) bis zu der Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege (lex Emminger) vom 4.1.1924, hrsg. von Schubert, 1998), Bd. 5 (EGStGB, hrsg. von Schubert, in Vorbereitung); v. Staff Zur Umgestaltung des Gerichtsverfassungsgesetzes, DStrZ 1920 3; Toepfer Die Verfassung des Schwurgerichts nach der Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4. Januar 1924 und die Reform des schwurgerichtlichen Verfahrens, Diss. Leipzig 1930; Töwe/Schwarz Die strafrechtlichen Bestimmungen der NotVO vom 14. Juni 1932, DRiZ 1932 198; Vormbaum Die Lex Emminger vom 4. Januar 1924 (1988); Widenmann Die Vorschriften über Gerichtsverfassung und Strafverfahren in den NotV von 1931 und 1932, Diss. Tübingen 1939. 82

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1. Überblick Mit der Entstehung der Weimarer Republik beginnt für das Strafverfahrensrecht die bis heute andauernde Epoche kontinuierlicher, oft hektischer Novellengesetzgebung. Die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Unruhe, die sich mehrfach krisenhaft zuspitzte, schlug auch auf das Strafverfahrensrecht durch. Groß angelegte Versuche einer Erneuerung des Strafverfahrens, die ihre Wurzel in der Aufbruchstimmung des Übergangs zum parlamentarisch-demokratischen Staat fanden, standen am Anfang der Epoche (Rn. 30 ff.). Sie scheiterten ebenso wie der Versuch, am Ende der Weimarer Zeit parallel mit der Reform des materiellen Strafrechts im Entwurf des EGStGB eine grundlegende Modernisierung des Strafverfahrensrechts zu verwirklichen (Rn. 41). Für die Entwicklung, die hier nur in ihren wesentlichen Zügen dargestellt werden kann,83 gibt es unterschiedliche Ursachen. Auf der einen Seite werden durch die gesellschaftliche und politische Entwicklung Fortschritte im Sinne einer Liberalisierung und Humanisierung des Strafverfahrensrechts erreicht. Diese Entwicklung wurde jedoch überlagert und teilweise verschüttet durch Maßnahmen reaktiver Krisenbewältigung in der Zeit von 1919 bis 1924 und von 1930 bis zum Zusammenbruch der Weimarer Republik. Als Vereinfachungs- und Einsparungsmaßnahmen haben sie ihren Grund in der wirtschaftlichen Not. Die gewalttätigen bis an die Grenze des Bürgerkriegs reichenden politischen Auseinandersetzungen führen zur Einrichtung von Sondergerichten und Schnellverfahren. Die Krise des parlamentarischen Systems der Weimarer Zeit manifestiert sich auch im Strafverfahrensrecht dadurch, dass die beiden bedeutendsten und in erheblichem Umfang bis heute fortwirkenden Änderungen, nämlich die EmmingerVO von 1924 und die 4. AusnVO von 1932 nicht in Gesetzesform, sondern als Notverordnung ergingen. In der Entwicklungsgeschichte knüpfen auch weitgehende, im Verordnungswege durchgesetzte Entlastungsmaßnahmen, wie beispielsweise die Abschaffung der Schwurgerichte und die Lockerung des Legalitätsprinzips durch die EmmingerVO, an ältere Reformüberlegungen an. Andererseits boten manche gesetzgeberische Maßnahmen der Weimarer Zeit, etwa die Errichtung von Sondergerichten, den nationalsozialistischen Machthabern Anknüpfungspunkte für eine Nutzung und Fortentwicklung im Sinne ihrer Absichten. Regelungstechnisch hat insbesondere die spätere Weimarer Zeit, nachdem aufgrund der EmmingerVO der Text vom GVG und StPO 1924 amtlich neu bekanntgemacht wurde, vielfach davon abgesehen, den Wortlaut von GVG und StPO zu ändern, sondern sie hat den Rechtszustand durch überlagernde, zeitweise zeitlich befristete Sondervorschriften verändert. Wichtige, bis heute wirksam gebliebene Reformansätze mit Wirkung auch für das Strafverfahren außerhalb von StPO und GVG finden sich in der beschränkten Auskunft aus dem Strafregister und der Tilgung von Strafvermerken,84 in den steuerstrafrechtlichen Bestimmungen der Reichsabgabenordnung,85 in der Kodifikation des Auslieferungsrechts 86 und vor allem in der eigenständigen Regelung des Jugendstrafrechts.87

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Weitere Einzelheiten in der 24. Aufl. Einl. 3 6 bis 20; 4 4 bis 11; v. Hippel 51 ff., 161 ff.; Kern (Geschichte) 153 ff.; s. auch Schubert (Quellen) Abt. I Bd. 4, Einleitung. Gesetz vom 20.9.1920 (RGBl. S. 507). Vom 19.12.1919 (RGBl. S. 1993).

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Deutsches Auslieferungsgesetz vom 23.12. 1929 (RGBl. I S. 239); näher 24. Aufl. Einl. 3 14. Jugendgerichtsgesetz vom 16.2.1923 (RGBl. I S. 135); s. auch oben Rn. 22.

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2. Die Zeit bis Ende 1923

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a) Bemühungen um eine umfassende Reform begannen unmittelbar nach der Gründung der Weimarer Republik; sie bauten auf den Reformbemühungen am Ende des Kaiserreichs (Rn. 19 ff.) auf, gingen aber teilweise eigene Wege und waren zunächst weniger auf Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Auffassungen angelegt.88 Nach einem ersten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes im November 1919 89 leitete die Reichsregierung Anfang 1920 dem Reichsrat den Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen zu, der zugleich in Form einer Novelle die erforderliche, an den früheren Entwurf anknüpfende Änderung des GVG enthielt (Entw. 1919).90 Der Entwurf, der die Handschrift von James Goldschmidt trägt,91 ist bereits im Reichsrat gescheitert.92 In der Öffentlichkeit wurde er unterschiedlich aufgenommen.93 In seinen verfahrensrechtlichen Vorschlägen stellt er den bis heute konsequentesten Versuch einer Abkehr von den inquisitorischen Elementen der StPO in der Fassung von 1877 dar.94 Im Gerichtsverfassungsrecht wollte der Entwurf u.a. unter Beibehaltung der Schwur31 gerichte die erstinstanzliche Zuständigkeit der Strafkammern auf die Schöffengerichte übertragen und damit auch in den bisherigen erstinstanzlichen Strafkammersachen die Berufung eröffnen. Für die Berufungsstrafkammern der Landgerichte war eine Besetzung von zwei Berufsrichtern und drei Schöffen vorgesehen. Für die Revisionen (unter der Bezeichnung „Rechtsrüge“) sollte das Reichsgericht uneingeschränkt nur bei den Urteilen der Schwurgerichte zuständig sein, bei den Urteilen der Berufungsstrafkammern anstelle der Oberlandesgerichte nur dann, wenn dies die Staatsanwaltschaft in Übereinstimmung mit dem Oberreichsanwalt beantragte.95 Der Entwurf erstrebte ferner eine weitgehende Demokratisierung der Wahl der Schöffen und Geschworenen.96 Die durchaus progressiven Vorschläge zum Strafverfahren 97 hatten u.a. zum Inhalt 32 die Beseitigung der gerichtlichen Voruntersuchung und des Eröffnungsbeschlusses sowie eine Verbesserung der Beschuldigtenrechte im Ermittlungsverfahren, das stärker in der Hand des Staatsanwalts konzentriert werden sollte. Der Verfolgungszwang sollte eingeschränkt, das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers erweitert und der uneingeschränkte unüberwachte Verteidigerverkehr gewährleistet werden. Die Haftvoraussetzungen sollten verschärft und die Eidespflicht eingeschränkt werden. Für die Hauptverhandlung sollte das Unmittelbarkeitsprinzip gestärkt und die Beweisaufnahme vermehrt in die Hand der

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Abdruck eines großen Teils der Entwürfe bis zur EmmingerVO sowie weiterer Quellen bei Schubert (Quellen) Abt. I Bd. 4. Dazu ausführlich v. Hippel ZStW 41 (1920) 2 ff. Veröffentlicht im Verlag M. Liepmann (1920); Nachdruck in MatStrRRef, Bd. 14 (1960); bei Schubert (Quellen) Bd. 4 mit ausführlichen weiteren Quellen zur Entstehung und zum Beratungsgang; zum Entwurf und seinem Schicksal ausführlich Rentzel-Rothe. Rentzel-Rothe 72 ff.; Vormbaum 46. Näher Rentzel-Rothe 200 ff.; Vormbaum 48. Nachw. der Kritik vor allem bei Goldschmidt ZStW 41 (1920) 569 ff.; s. ferner Bumke 103 ff.; v. Hippel ZStW 41 (1920) 755;

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Vormbaum 46 f.; zusammenfassend RentzelRothe 212 ff. Rentzel-Rothe 135 ff. Einen noch weitergehend den Gedanken des Parteiprozesses verwirklichenden Gegenentwurf veröffentlichte Bendix; er blieb ohne nennenswerte Resonanz. Dazu u.a. aus zeitgenössischer Sicht kritisch Ebermayer ZStW 41 (1920) 36 ff.; v. Hippel ZStW 41 (1920) 23 ff. Ausführlich mit krit. Würdigung v. Hippel ZStW 41 (1920) 16 ff. Zum Inhalt ausführlich Rentzel-Rothe 79 ff.; aus damaliger Sicht mit kritischer Würdigung u.a. v. Hippel ZStW 41 (1920) 325 ff.

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Die Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts

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Parteien gelegt werden. Das Beweisantragsrecht sollte gesetzlich normiert werden. Die Privatklage sollte (unter der neuen Bezeichnung Eigenklage) erweitert und das Sühneverfahren ausgebaut werden. Nach dem Scheitern des Entwurfs 1919 unterblieben umfassende strafverfahrens- 33 rechtliche Reformbemühungen, jedoch unternahm die Reichsregierung nochmals den Versuch einer tiefgreifenden Reform der Strafgerichtsverfassung.98 Ein zunächst unter dem Justizminister Radbruch erarbeiteter, dem Reichsrat im Juni 1922 zugeleiteter Entwurf 99 erfuhr dort wesentliche Änderungen. In der neuen Fassung 100 wurde er durch Justizminister Heinze im Mai 1923 dem Reichstag zugeleitet und von diesem dem Rechtsausschuss überwiesen; zu einer Weiterbehandlung kam es nicht.101 Beide Entwürfe hielten an dem Vorschlag fest, die Strafkammern als erstinstanzliche Gerichte zu beseitigen und sie unter Beteiligung von Schöffen allein als Berufungsgerichte einzusetzen. Beide Entwürfe schlugen darüber hinaus die Bildung von erweiterten Schöffengerichten vor. Während der Entwurf Radbruch das Schwurgericht als Typ beibehalten wollte, schlug der Entwurf Heinze unter Beibehaltung des Namens die Umwandlung in ein großes Schöffengericht (drei Berufsrichter, sechs Geschworene) vor. Dieser Vorschlag wurde wenig später durch die EmmingerVO verwirklicht (Rn. 36). b) Die Gesetzgebung zum GVG und zur StPO beschränkte sich zunächst auf kleinere 34 Eingriffe.102 Die Militärgerichtsbarkeit wurde (außer in Kriegszeiten) beseitigt.103 Die Berufe der Rechtspflege sowie die Ämter der Schöffen und Geschworenen wurde für Frauen geöffnet,104 ein Schritt, der damals außerordentlich umstritten war.105 In Anlehnung und Fortsetzung der Kriegsgesetzgebung (Rn. 16) wurden die Zuständigkeiten des Amtsrichters als Einzelrichter und des Schöffengerichts sowie der Strafrahmen des Strafbefehls und der Kreis der Privatklagedelikte erweitert. Die Möglichkeit des abgekürzten schriftlichen Urteils wurde geschaffen.106 Das Reichsgericht (noch nicht die Oberlandesgerichte) 107 erhielt die Befugnis, offensichtlich unbegründete Revisionen bei Einstimmigkeit durch Beschluss zu verwerfen.108 § 180 GVG, der die Festsetzung einer Ordnungsstrafe wegen Ungebühr gegen Rechtsanwälte gestattete, wurde gestrichen.109 Bei der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Reichsgerichts wurde eine Abgabemöglichkeit an das 98

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Ausführlich dazu Kern (Geschichte) 158 ff.; Vormbaum 49 ff.; ausführliches Quellenmaterial zur Entstehung und Beratung bei Schubert (Quellen) Abt. I Bd. 4. Veröffentlicht im Reichsanzeiger Nr. 157 vom 19.7.1922; Nachdruck bei Schubert (Quellen) Abt. I Bd. 4. Reichstagsverhandlungen, 1. Wahlperiode, Aktenstück Nr. 5884; Nachdruck bei Schubert (Quellen) Abt. I Bd. 4. Zur Reichstagsdebatte Vormbaum 52 f.; Abdrucke der dabei gestellten Anträge bei Schubert (Quellen) Abt. I Bd. 4. Übersicht bei v. Hippel 51 ff.; vgl. auch Renzel-Rothe 65 ff. Gesetz betreffend Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit vom 17.8.1920 (RGBl. S. 1579); zur Wiedereinführung s. Rn. 53. Gesetz über die Heranziehung von Frauen zum Schöffen- und Geschworenenamt vom

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25.4.1922 (RGBl. I S. 569); Gesetz über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege vom 11.7.1922 (RGBl. I S. 573). Vgl. u.a. die polemische kritische Stellungnahme von v. Staff DStrZ 1920 6 ff.; Nachklang der damaligen Stimmung noch bei Kern (Geschichte) 156 f.; zum Ganzen Böhm DRiZ 1986 365 ff.; Rosenbusch JuS 1997 1062 ff. Gesetz zur Entlastung der Gerichte vom 11.3.1921 (RGBl. S. 229); Gesetz zur weiteren Entlastung der Gerichte vom 8.7.1922 (RGBl. I S. 569). Die Erweiterung auf die Oberlandesgerichte erfolgte 1931 durch die 2. AusnVO; s. Rn. 43. Gesetz vom 8.7.1922. Gesetz vom 11.3.1921.

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Einleitung

Oberlandesgericht eröffnet.110 Die weiteren Änderungen im allgemeinen Strafverfahren waren untergeordneter oder vorübergehender Natur.

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c) Sondergerichte und Sonderverfahren wurden in erheblichem Umfang zur Bewältigung von Notsituationen und zur Bekämpfung der inneren Unruhen eingesetzt.111 Das Verfahren war teilweise summarisch, Rechtsmittel waren vielfach ausgeschlossen. Besondere Bedeutung erlangte neben den Bayerischen Volksgerichten 112 der zunächst durch eine NotVO des Reichspräsidenten 113 und später durch das Republikschutzgesetz 114 errichtete, bis 1926 bestehende Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik.115 Die Zuständigkeit der Strafkammer für bestimmte Straftaten, die „zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ in einem vereinfachten und beschleunigten Verfahren unter Ausschluss der ordentlichen Rechtsmittel abzuurteilen waren, bestand nur kurze Zeit.116 3. Von der Emminger-Reform Anfang 1924 bis zum Versuch einer Reform durch das EGStGB 1930

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a) EmmingerVO. Mit der verbreitet nach dem für ihren Erlass verantwortlichen Reichsjustizminister Emminger 117 benannten Verordnung über Gerichtsverfassung und Strafrechtspflege vom 4.1.1924,118 die auf einer – für diesen Anwendungsfall umstrittenen 119 – Ermächtigung an die Reichsregierung durch Gesetz vom 8.12.1923 120 beruhte, wurden erstmals seit dem Inkrafttreten der StPO und des GVG tiefgreifende und in wesentlichen Teilen bis heute fortwirkende Strukturveränderungen in der Strafgerichtsverfassung und weitreichende Änderungen im Strafverfahrensrecht erreicht. Unter dem vorrangigen Aspekt von Einsparungsmaßnahmen griff die Verordnung dabei in erheblichem Umfang auf Vorschläge aus den steckengebliebenen Reformentwürfen, namentlich auf den letzten Entwurf Heinze (Rn. 33) zurück.121 Für einen kurz bemessenen Zeitraum von weniger als drei Monaten enthielt sie darüber hinaus besondere Notmaßnahmen.122 Der Wortlaut des GVG und der StPO wurde unter Einarbeitung der durch die EmmingerVerordnung vorgenommenen und einige weitere Änderungen im März 1924 amtlich neu bekanntgemacht.123 Die öffentliche und wissenschaftliche Reaktion 110

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Verordnung über die Aburteilung des Landesverrates und Spionagefälle durch die Oberlandesgerichte vom 12.12.1923 (RGBl. I S. 1197); die Regelung wurde durch die EmmingerVO und die Bek. 1924 als § 120 in das GVG integriert. Übersicht bei Kern (Geschichte) 176 ff. m.w.N.; v. Hippel 53; ausführlich Hug 5 ff., zum quantitativen Umfang 118 ff. Einzelheiten bei Hug 40 ff. Verordnung zum Schutz der Republik vom 26.6.1922 (RGBl. I S. 521). Gesetz zum Schutz der Republik vom 21.7.1922 (RGBl. I S. 585). Darüber näher Kern (Geschichte) 178 f.; v. Hippel 52; Hug 46 ff. NotVO des Reichspräsidenten über die beschleunigte Aburteilung von Straftaten vom 17.12.1923 (RGBl. I S. 1231), aufge-

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hoben durch VO vom 13.1.1924 (RGBl. I S. 29) mit Wirkung vom 31.1.1924. Näher Vormbaum 17 f. RGBl. I S. 15. Zur Entstehungsgeschichte und zum Inhalt ausführlich aus damaliger Sicht Bumke 1 ff.; aus heutiger Sicht unter Verwendung der Quellen Vormbaum; Abdruck zahlreicher Quellen zur Entstehungsgeschichte bei Schubert (Quellen) Abt. I Bd. 4. Vormbaum 76 f. RGSt 58, 120. Zu diesem Gesetz ausführlich Vormbaum 30 ff. Einzelnachweise hierzu vielfach bei Bumke. Völliger Verzicht auf Schöffen und Geschworene, Ruhen aller Privatklagen, Beschränkung der Berufung. Bekanntmachung vom 22.3.1924 (RGBl. I S. 299).

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Die Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts

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auf die EmmingerVO war überwiegend ablehnend.124 Im Laufe der weiteren Entwicklung wurden jedoch nur einige wenige Neuregelungen, insbesondere die Beseitigung der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Strafkammern, zurückgenommen; andere, so etwa die Begrenzung des Legalitätsprinzips und die Zuständigkeit des Amtsrichters als Einzelrichter, sind für die weitere Entwicklung prägend geworden und bis heute kontinuierlich ausgebaut worden. Im Gerichtsverfassungsrecht wurde die Besetzung der Senate des Reichsgerichts auf 37 fünf (bis dahin sieben) und – außer für die erstinstanzliche Hauptverhandlung – der Oberlandesgerichte auf drei (bis dahin fünf) Mitglieder reduziert. Das Schwurgericht, dessen Zuständigkeit gegenüber dem früheren Rechtszustand verringert wurde,125 blieb zwar dem Namen nach als ein tagungsweise beim Landgericht zusammentretendes Gericht höherer Ordnung erhalten. Es wurde aber der Sache nach vom Typ her in ein großes Schöffengericht umgewandelt, in dem drei Berufsrichter und sechs Geschworene gemeinsam über die Schuld- und Straffrage entschieden, und blieb in dieser Form bis 1975 erhalten.126 Die erstinstanzliche Zuständigkeit der Strafkammern entfiel, sie ging vollständig auf die Amtsgerichte über, bei denen die Zuständigkeit des Amtsrichters als Einzelrichter erheblich erweitert und beim Schöffengericht die Möglichkeit der Hinzuziehung eines zweiten Amtsrichters auf Antrag der Staatsanwaltschaft wegen der Bedeutung oder des Umfangs der Sache geschaffen wurde (erweitertes Schöffengericht). Insoweit erfolgte bis 1932 eine teilweise Rückverlagerung der Sachen vom Schöffengericht auf die Strafkammer.127 Die Strafkammern waren neben der Beschwerdezuständigkeit als kleine Strafkammern (gegen die Urteile des Einzelrichters) und große Strafkammern (gegen die Urteile des Schöffengerichts) nur noch für Berufungen zuständig; in der Hauptverhandlung wirkten (erstmals) zwei Schöffen mit. Die Unterscheidung von kleinen und großen Berufungsstrafkammern blieb bis 1992 erhalten.128 Die Revisionszuständigkeit des Reichsgerichts beschränkt sich auf die Urteile der Schwurgerichte (als erstes Rechtsmittel) sowie als zweites Rechtsmittel gegen die Berufungsurteile der großen Strafkammer, wenn erstinstanzlich das erweiterte Schöffengericht entschieden hatte; im Übrigen war für Revisionen das Oberlandesgericht zuständig. In der Strafprozessordnung führte die gerichtsverfassungsrechtliche Neuordnung zur 38 Erfüllung der alten Forderung, dass, abgesehen von den Schwurgerichtssachen, die Berufung allgemein eingeführt wurde. Für geringfügige Delikte und Verurteilungen wurde sie freilich ausgeschlossen und die unmittelbare Revision eröffnet (Ersatzrevision, § 313 StPO). Ferner wurde die Möglichkeit der Sprungrevision nach dem (heutigen) § 335 neu geschaffen. Für die neu in die Zuständigkeit der Amtsgerichte fallenden Sachen, wurde, da Folgeänderungen zunächst unterblieben,129 die Beweiserhebungspflicht des Gerichts dadurch erheblich eingeschränkt, dass bei den Amtsgerichten der Umfang der Beweisaufnahme im Ermessen des Gerichts stand. Das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit bei

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Ausführliche Nachw. bei Vormbaum 74 ff.; beispielhaft etwa die ausführlichen Beiträge von Nagler GerS 90 (1924) 388 ff.; Oetker GerS 90 (1924) 341 ff.; s. ferner v. Hippel 53 ff.; 166 f.; Kern (Geschichte) 163 f.; aus späterer Sicht kritisch Vormbaum 169 ff.; eher positiv LR/K. Schäfer 24 Einl. 3 11; 4 7; Kern 164. S. die Aufzählung bei Bumke 59; Schwurgerichte waren über die Tötungsdelikte und

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die durch Todeserfolg qualifizierten Delikte hinaus u.a. auch für Meineid und Richterbestechung zuständig. Zur weiteren Entwicklung s. Rn. 113. S. Rn. 44. S. zur weiteren Entwicklung Rn. 144. Eine Anpassung an die veränderte Zuständigkeit erfolgte erst durch Gesetz vom 22.12.1925 (s. Rn. 40).

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Einleitung

Entscheidungen zu Lasten des Angeklagten (§ 263 StPO) wurde auf die Strafzumessung erweitert. Die öffentliche Zustellung wurde vereinfacht, die Möglichkeit, den Angeklagten auf seinen Antrag vom Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wesentlich erweitert, die Voraussetzung des Sühneversuchs im Privatklageverfahren ausgedehnt und der Strafrahmen in Strafbefehlsverfahren auf Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten erweitert. In Anknüpfung an die verschiedenen Reformentwürfe (Rn. 23; 32) wurden mit den 39 neuen §§ 153, 154 StPO erstmals beträchtliche Möglichkeiten des Durchbrechung des Legalitätsprinzips geschaffen;130 sie sind die Grundlage der seither kontinuierlich angewachsenen Ausweitung des Begrenzungskatalogs. Substantielle Erweiterungen auf Dauer erfolgten insoweit erst 1975.

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b) Die Rechtsentwicklung bis 1930 verlief in ruhigeren Bahnen. Ende 1925 wurde die freie Stellung des Gerichts bei der Beweisaufnahme wieder auf Übertretungen und Privatklagen beschränkt und der Umfang der Ersatzrevision eingeschränkt.131 Ende 1926 wurde aufgrund eines spektakulären Einzelfalles 132 durch umfangreiche Änderungen im Haftrecht das besondere Haftprüfungsverfahren eingeführt, ein Zeugnisverweigerungsrecht für Presseangehörige geschaffen und erstmals die Möglichkeit eröffnet, Beweiserhebungen wegen Prozessverschleppung abzulehnen.133 Mit dem Deutschen Auslieferungsgesetz wurden die (jetzigen) § 154 b und 456 a StPO eingeführt. Weitere Änderungen waren im Wesentlichen redaktioneller Natur.134

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c) Reformversuche im Entwurf des EGStGB 1930. Mit der zuletzt 1930 beabsichtigten umfassenden Reform des materiellen Strafrechts 135 wurde zugleich der Versuch zur Änderungen des Strafverfahrens und der Strafgerichtsverfassung unternommen, die über reine Anpassungen an die Strafrechtsreform hinausgingen. Sie finden sich in den Art. 68, 69 und 70 des Entwurfs eines EGStGB (Entwurf 1930).136 Der Entwurf stellte den durch die EmmingerVO erreichten Rechtszustand nicht grundsätzlich in Frage, enthielt aber, teilweise unter Aufgreifen früherer Reformvorschläge, selbständige Änderungen, die zum Teil später in den Notmaßnahmen aufgegriffen wurden. So sollte im GVG u.a. die Zuständigkeit des Amtsrichters als Einzelrichter wieder eingeschränkt, der Ausschluss der Öffentlichkeit erweitert und die Vorlagepflicht der Oberlandesgerichte bei beabsichtigten Divergenzen eingeführt werden. In der StPO sollten u.a. die Eidespflicht eingeschränkt, der Verfolgungszwang in andersartiger Form weiter gelockert, die Ermittlungsbefugnis der Staatsanwaltschaft verbessert, die Haftvoraussetzungen enger gefasst, der gerichtliche Eröffnungsbeschluss beseitigt, das formelle Beweisantragsrecht fast ohne 130

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Wortlaut in der Entstehungsgeschichte bei § 153; zur vorangehenden Entwicklung Vormbaum 153 f.; 156 ff. Gesetz zur Abänderung der Strafprozessordnung vom 22.12.1925 (RGBl. I S. 425). Selbstmord des Reichspostministers Höfle in der Untersuchungshaft. Gesetz zur Abänderung der Strafprozessordnung vom 27. Dezember 1926 (RGBl. I S. 529); näher 24. Aufl. Einl. 3 14. Ersetzung der Bezeichnung Gerichtsschreiber durch Geschäftsstelle oder Urkundsbeamter; Verweisung auf das Reichsministergesetz in den §§ 50, 54, 76 StPO.

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Nähere Nachw. in der 24. Aufl. Einl. 3 12 bis 15; v. Hippel 56. Dazu Eb. Schmidt (Geschichte) 405 ff.; s. auch Schubert/Regge (Quellen) Abt. I Bd. 1, Einleitung und Bd. 3.1 Einl.; umfassende Edition der Entwürfe und der Reichstagsberatungen bei Schubert/Regge (Quellen) Bd. 1 bis 3. Entwurf eines Einführungsgesetzes zum allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetz, Reichstagsdrucksache IV. Wahlperiode Nr. 2070, Nachdruck in MatStrRRef Bd. 7 (1954); s. auch Schubert (Quellen) Bd. 5.

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Die Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts

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Einschränkungen verankert,137 die Wiederaufnahme erweitert und das Adhäsionsverfahren eingeführt werden.138 All diese Vorschläge sind zusammen mit der Strafrechtsreform gescheitert. 4. Die Zeit des Zusammenbruchs der Weimarer Republik (1930 bis 1932) Die Weltwirtschaftskrise führte zu einer dramatischen Verschlechterung der wirt- 42 schaftlichen Lage und zu einer zunehmenden Finanznot im Reich und in den Ländern. Sie hatte auch für das Strafverfahrensrecht massive Einsparungs- und Entlastungsmaßnahmen zur Folge. Gleichzeitig spitzte sich die politische Lage krisenhaft zu. Das Bedürfnis nach Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit führte zu weiteren legislatorischen Maßnahmen. Die Änderungen erfolgten, da der Reichstag mehr und mehr handlungsunfähig wurde, durch Notverordnungen des Reichspräsidenten nach § 48 WRV, die den Text von StPO und GVG überwiegend unverändert ließen und mit diesen überlagernden Sondervorschriften arbeiteten.139 Auch diese Notmaßnahmen am Ende der Weimarer Zeit greifen teilweise auf ältere Reformvorschläge zurück und enthalten einige heute noch geltende Änderungen. Die Einsparungsmaßnahmen im Strafverfahren begannen Ende 1930 in eher beschei- 43 denem Umfang in der 1. AusnVO 140 in Form von Konzentrationsermächtigungen für bestimmte Strafsachen. Weitergehende Eingriffe wurden im Oktober 1931 durch die 2. AusnVO 141 vorgenommen. Sie begründete im begrenzten Umfang die erstinstanzliche Zuständigkeit der Strafkammer wieder, indem sie die Staatsanwaltschaft ermächtigte, die Eröffnung der Hauptverfahren von der großen Strafkammer zu beantragen, wenn die Hauptverhandlung voraussichtlich mehr als sechs Sitzungstage in Anspruch nehmen werde. Damit entfiel zugleich in diesem Verfahren die Berufung.142 Bei Übertretungen wurde das Opportunitätsprinzip erweitert, und es wurde der (heutige) § 154 d StPO mit dem heute noch geltenden Wortlaut eingeführt. Im Privatklageverfahren wurde die Möglichkeit der Einstellung wegen Geringfügigkeit geschaffen und für diese Verfahren das Wahlrechtsmittel (Berufung oder Revision) eingeführt. Im beschleunigten Verfahren wurde die Ladungsfrist auf drei Tage mit Abkürzungsmöglichkeit auf 24 Stunden verkürzt, die Möglichkeit, in Abwesenheit des Angeklagten zu verhandeln, wurde erweitert und auch den Oberlandesgerichten die Möglichkeit eingeräumt, Revisionen als offensichtlich unbegründet durch einstimmigen Beschluss zu verwerfen. Die 3. AusnVO 143 ermöglichte im Zusammenhang mit materiell-strafrechtlichen Änderungen zur Verstär137 138

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Rieß FS Reichsjustizamt 428 (Höhepunkt der gesamten Reformgeschichte). Näher zum E 1930 24. Aufl. Einl. 4 8; ausführliche Darstellung und Würdigung aus damaliger Zeit z.B. Hartung JW 1930 2498; Klee GA 73 (1929) 281; GA 74 (1930) 337; Schmidt, R. GerS 99 (1930) 1 ff. Eine Gesamtübersicht über den Rechtszustand aufgrund der verschiedenen AusnVO (mit Textwiedergabe und Erläuterungen) bei Koffka/Schäfer; zeitgenössische Schrifttumsnachweise zu den NotVO bei Kern (Geschichte) 173. Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 1.12.1930 (RGBl. I S. 517), 9. Teil.

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3. Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 6.10.1931 (RGBl. I S. 537) 6. Teil; zum Inhalt näher Dörffler JW 1931 2892. Die Regelung wurde bereits im Juni 1932 durch die weitergehende Zuständigkeitsverschiebung auf die Strafkammern ersetzt; s. Rn. 44. 4. Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutze des inneren Friedens vom 8.12.1931 (RGBl. I S. 699) 8. Teil, Kapitel III.

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Einleitung

kung des Ehrenschutzes in Offizialverfahren wegen Beleidigung in erweitertem Umfang das beschleunigte Verfahren und stellte bei Anwendung dieser Verfahrensart den Umfang der Beweisaufnahme in das Ermessen des Gerichts. Die Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete der Rechtspflege und Verwaltung 44 vom 14. Juni 1932 (4. AusnVO) 144 verwirklichte als insoweit letzter Gesetzgebungsakt der Weimarer Zeit nochmals tiefgreifende Änderungen im Strafverfahrensrecht, die für lange Zeit auch die Grundlage im nationalsozialistischen Staat bildeten.145 Im GVG wurde in Korrektur der Entscheidung der EmmingerVO die erstinstanzliche Zuständigkeit der großen Strafkammer wiederhergestellt; das hatte den Wegfall der Berufung in diesen Sachen zu Konsequenz.146 Das erweiterte Schöffengericht wurde beseitigt. Im Jugendstrafverfahren wurde die Entscheidung durch den Jugendrichter als Einzelrichter ermöglicht. Die Wahlperiode der Schöffen und Geschworenen wurde von einem Jahr auf zwei Jahre ausgedehnt.147 Der Umfang der Beweiserhebung wurde in allen amtsgerichtlichen Sachen und in der Berufungsinstanz in das Ermessen des Gerichts gestellt. Die höchstzulässige Unterbrechung der Hauptverhandlung wurde von 4 auf 10 Tage verlängert.148 Gegen die Urteile der Amtsgerichte war nur noch Berufung oder Revision möglich, es wurde also das sog. Wahlrechtsmittel eingeführt. Weitere Änderungen betrafen den Verzicht auf das Haftprüfungsverfahren, die Akteneinsicht und den unüberwachten Verteidigerverkehr im beschleunigten Verfahren, die Verwerfung des Einspruchs in Strafverfügungsverfahren bei unentschuldigtem Ausbleiben, den Gebührenvorschuss in Privatklageverfahren (jetzt § 379 a StPO) sowie eine Beschwerdesumme von 50 Mark in Kosten- und Gebührensachen. Die gesetzgeberischen Maßnahmen zur Sicherung des inneren Friedens stehen vielfach 45 im Zusammenhang mit materiell-strafrechtlichen oder polizeirechtlichen Vorschriften.149 Dabei wird einmal durch eine Reihe von Verordnungen das beschleunigte Verfahren für solche Straftaten für anwendbar erklärt.150 Darüber hinaus ermächtigte die 2. AusnVO 151 die Reichsregierung zur Bildung von Sondergerichten. Diese machte hiervon im Anschluss an die NotVO des Reichspräsidenten gegen politischen Terror vom 9. August 1932 152 mit Verordnung vom gleichen Tage Gebrauch, indem sie für bestimmte Oberlandesgerichts- und Landgerichtsbezirke für eine Reihe von Straftaten die Bildung von Sondergerichten anordnete und das Verfahren vor diesen unter dem Gesichtspunkt der Beschleunigung, Vereinfachung und Unanfechtbarkeit mit ordentlichen Rechtsmitteln regelte.153 Diese Sondergerichte wurden mit Wirkung vom 21.12.1932 aufgehoben.154 144

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RGBl. I S. 285, ausführliche Einleitung auch zu den Motiven bei Koffka/Schäfer 12 ff.; zur Bedeutung auch Kern (Geschichte) 174 f.; Schlegelberger JW 1932 1929 („Diktatur der Armut“). Kern (Geschichte) 175. Einzelheiten bei Koffka/Schäfer 14, 19 ff. Zur Abkürzung der ersten längeren Wahlperiode nach der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus s. Rn. 55. Weitergehende Unterbrechungsmöglichkeiten in § 229 StPO erst 1975 durch das 1. StVRG. Z.B. Verordnung des Reichspräsidenten zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen vom 28.3.1931 (RGBl. I S. 70); 3. AusnVO 8. Teil Kap. I und II.

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Z.B. § 14 der VO vom 28.3.1931; 8. Teil Kap. IV § 5 der 3. AusnVO; § 41 der VO über die Devisenbewirtschaftung vom 23.5.1932 (RGBl. I S. 231). Vom 6.10.1931 (RGBl. I S. 537) dort 6. Teil Kap. II. RGBl. I S. 403. Verordnung der Reichsregierung über die Bildung von Sondergerichten vom 9.8.1932 (RGBl. I S. 404); näher Kern (Geschichte) S. 180. Verordnung der Reichsregierung über die Aufhebung der Sondergerichte vom 19.12. 1932 (RGBl. I S. 550).

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Die Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts

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Wenige Wochen später, am 30.1.1933, brach die Weimarer Republik zusammen. Die fortbestehende Ermächtigung zur Errichtung von Sondergerichten nutzten die nationalsozialistischen Machthaber.155

V. Die Zeit des Nationalsozialismus Schrifttum Boberach Richterbriefe (1975); Broszat Zur Perversion der Strafjustiz im Dritten Reich, VjZ 1958 390; Colmorgen/Godau-Schüttke Frauen vor Gericht. Die „Rechtsprechung“ des Schleswig-Holsteinischen Sondergerichts wegen „verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen“ (1940–1945) SchlHA 1995 145; Fieberg Justiz im nationalsozialistischen Deutschland (1984); Fieberg e.a. Im Namen des Deutschen Volkes – Justiz und Nationalsozialismus, Ausstellungskatalog (1989); Gribbohm Der Volksgerichtshof, JuS 1969, 55, 109; Gruchmann Die Überleitung der Justizverwaltung auf das Reich 1933 bis 1935, FS Reichsjustizamt 119; ders. Justiz im Dritten Reich 1933–1940 – Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner (1988); Gürtner (Hrsg.) Das kommende deutsche Strafverfahren, Bericht der amtlichen Strafprozeßkommission (1938); Güstrow Tödlicher Alltag, Strafverteidiger im Dritten Reich (1981); Koch, Hansjoachim Volksgerichtshof. Politische Justiz im Dritten Reich (1988); Koch, Wolf-Peter Die Reform des Strafverfahrensrechts im Dritten Reich unter besonderer Berücksichtigung des StVO-Entwurfs 1939, Diss. Erlangen Nürnberg 1972; König Vom Dienst an Recht, Rechtsanwälte als Strafverteidiger im Nationalsozialismus (1987); Majer Das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei im Nationalsozialismus, in: Reifner/Sonnen (Hrsg.), Strafjustiz und Polizei im Dritten Reich (1984) 121; ders. Justiz und Polizei im „Dritten Reich“, in Dreier/Sellert (Hrsg.) Recht und Justiz im Dritten Reich (1989) 136; Marxen Der Kampf gegen das liberale Strafrecht (1975); ders. Das Volk und sein Gerichtshof. Eine Studie zum nationalsozialistischen Volksgerichtshof (1994); Messerschmidt/Wüllner Die Wehrmachtsjustiz im Dienste des Nationalsozialismus (1987); Müller I. Das Strafprozeßrecht des Dritten Reiches in Reifner/Sonnen Strafjustiz und Polizei im Dritten Reich (1984) 59; Niethammer Der Einfluß der Arbeit der amtlichen Strafprozeßkommission auf Rechtsprechung und Gesetzgebung, SJZ 1948 191; Pauli Die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen zwischen 1933 und 1945 und ihre Fortwirkung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (1992); Radbruch Des Reichsjustizministeriums Ruhm und Ende, SJZ 1948 57; Regge/Schubert Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, II. Abt., NS-Zeit – Strafgesetzbuch (1988 ff.); Reifner Justiz und Faschismus in Reifner/Sonnen Strafjustiz und Polizei im Dritten Reich (1984) 9; Rüping Nationalsozialistische Rechtsprechung an Beispiel der SS- und Polizeigerichte, NStZ 1983 112; ders. „Streng, aber gerecht. Schutz der Staatssicherheit durch den Volksgerichtshof“ FS Wassermann 983, übereinstimmend JZ 1984 816; ders. Strafjustiz im Führerstaat, GA 1984 297; ders. Bibliographie zum Strafrecht im Nationalsozialismus (1985); ders. Zur Praxis der Strafjustiz im Dritten Reich in Dreier/Sellert (Hrsg.) Recht und Justiz im Dritten Reich (1989) 180; ders. Staatsanwaltschaft und Provinzialjustizverwaltung im Dritten Reich (1990); Rüthers Entartetes Recht, Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich2 (1989); Schlüter Die Urteilspraxis des nationalsozialistischen Volksgerichtshofs (1995); Schubert Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, III. Abt., NS-Zeit – Strafverfahrensrecht (1991 ff.); Schumacher Staatsanwaltschaft und Gericht im Dritten Reich, Diss. Bremen 1985; ders. Kontinuität und Diskontinuität im Strafverfahrensrecht (1987); Schweling Die deutsche Militärjustiz in der Zeit des Nationalsozialismus (1977); Sonnen Strafgerichtsbarkeit – Unrechtsurteile als Regel oder Ausnahme, in: Reifner/Sonnen Strafjustiz und Polizei im Dritten Reich (1984) 41; ders. Die Beurteilung des „Volksgerichtshofes“ und seiner Entscheidungen durch den Deutschen Bundestag, NJW 1985 1065; Staff Justiz im Dritten Reich – Eine Dokumentation2 (1978); Vormbaum Strafjustiz im Nationalsozialismus – Ein kritischer Literaturbericht, GA 1998 1; Wagner, A. Die Umgestaltung der Strafgerichtsverfassung und des Verfahrens- und Richterrechts im nationalsozialistischen Staat (1968);

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S. Rn. 58.

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Wagner, W. Der Volksgerichtshof im nationalsozialistischen Staat (1974); Wenzel Die Machtausweitung und Machtverminderung der Staatsanwaltschaft in der Zeit von 1933 bis 1945, Diss. Tübingen 1949; Werle Justiz-Strafrecht und polizeiliche Verbrechensbekämpfung im Dritten Reich (1989); ders. Justizstrafrecht und polizeiliche Verbrechensbekämpfung im Dritten Reich, JZ 1992 221; Weinkauff Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus – Ein Überblick (1968); zum Schrifttum aus der Zeit des Nationalsozialismus s. die Nachweise bei Rüping (1985, Bibliographie) und bei Wolf-Peter Koch.

1. Die Entwicklung im Überblick a) Allgemeines. Die Entwicklung der Strafrechtspflege während des Nationalsozialismus von der sog. Machtergreifung am 30.1.1933 bis zum Zusammenbruch des deutschen Reiches am 8.5.1945 wird durch eine Beschreibung der hierfür maßgebenden Rechtsnormen nicht zureichend erfasst. Der grundstürzende Systemwechsel durch den Übergang zu einer totalitären Staatsauffassung, die am Ende zu einem Terrorsystem pervertierte, hat zur Folge, dass auch fortbestehende traditionelle Regelungen und Rechtsprechungsentwicklungen in einem anderen Funktionszusammenhang erscheinen.156 Der Nationalsozialismus negierte eine eigenständige Funktion des Rechts in einem gewaltenteilenden Staat. Die Vorstellung eines „völkischen Führerstaates“ mit dem Führer als obersten Gerichtsherrn 157 und dem Vorrang eines von der NSDAP maßgebend definierten völkischen Gemeininteresses vor den Interessen des Bürgers ließ die das Strafverfahren prägende Bedeutung der schützenden Förmlichkeiten als liberalistischen Anachronismus erscheinen, den es sowohl in der Anwendung des überkommenen Rechts als auch bei einzelnen Novellierungen als auch schließlich bei dem nicht zur Vollendung gelangten Versuch einer Gesamtreform (Rn. 62 ff.) zu überwinden galt. Darüber hinaus befand sich die justizielle Strafrechtspflege in einem ständigen Ab47 wehrkampf gegenüber den Versuchen von Polizei, SS und Partei, auf sie Einfluss zu nehmen und ihren Machtapparat auf Kosten der Justiz zu vergrößern.158 Es gelang der Strafrechtspflege zunehmend weniger, strafbare Handlungen der Angehörigen dieser Bereiche in der gebotenen Form aufzuklären 159 und zu ahnden. Polizei und SS erstreckten ihren Einfluss und ihre Repressionstätigkeit mehr und mehr in den ursprünglich der Strafrechtspflege vorbehaltenen Bereich;160 mit dem Kriegsausbruch 1939 entzog ein sich exzessiv ausdehnendes Kriegssonderstrafrecht 161 und eine Kriegsstrafverfahrensordnung der zivilen Strafrechtspflege erhebliche Bereiche der Gerichtsbarkeit auch gegenüber Zivilpersonen.162 Selbst eine im Laufe der Zeit weitgehend gleichgeschaltete und im

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Vgl. zum Nachfolgenden u.a. Kern (Geschichte) 197 ff.; Rüping GA 1984 297 ff.; Rüping (Strafrechtsgeschichte) § 10, 1, 2 b; Rüthers 18 ff.; A. Wagner 193 f.; Weinkauff 39 ff.; Werle 733 (zusammenfassend); Pauli 243. Dazu A. Wagner S. 205 f.; zum „Führerwillen“ als Rechtsquelle m.w.N. Rüthers 28 f. Dazu u.a. ausführlich Gruchmann m.w.N.; Rüping GA 1984 301 ff.; Rüping (Staatsanwaltschaft) 103 ff.; Rüping (Strafrechtsgeschichte) § 10, 3 b; A. Wagner 195 ff., 293 ff. Eingehend Gruchmann 302 ff. m.w.N.

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Vgl. Gruchmann 535 m.w.N.; Majer in Reifner/Sonnen 126 ff.; Rüping NStZ 1983 112 (zur Rspr. der SS- und Polizeigerichte); W. Wagner 43 ff. (für den Volksgerichtshof); grundlegend Werle 481 ff. (zusammenfassend 724 f.). Übersicht bei v. Hippel 695 ff.; ausf. Nachw. bei Werle. Zum Kriegssonderstrafrecht sowie zur sog. Strafverfolgung gegen „Fremdvölkische“ s. u.a. A. Wagner 297 ff.; 306 f.; 339 ff.; Werle 698 (zusammenfassend); W. Wagner 65 f.

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Sinne der Machthaber funktionierende Strafjustiz, die namentlich mit dem Volksgerichtshof und den Sondergerichten am Ende dazu diente, das Terrorsystem zu stabilisieren, stellte nur den kleineren Teil des Repressionsapparates der nationalsozialistischen Machthaber dar. Dieser in einer knappen Entwicklungsgeschichte nicht näher darzustellende zeit- 48 geschichtliche Hintergrund, zu dem auf das in dem Schrifttumsverzeichnis aufgeführte Spezialschrifttum verwiesen wird,163 muss bei der Bewertung der Rechtsänderungen in der Zeit von 1933 bis 1945 stets im Auge behalten werden. Auch die Rolle, die die Strafrechtspflege zur Sicherung der nationalsozialistischen Herrschaft gespielt hat, ist Gegenstand zeitgeschichtlicher Forschung. In dieser dürfte allerdings gesichert sein, dass sich die Organe der Rechtspflege nicht als Bollwerk des Widerstandes gegen das Unrechtssystem des Nationalsozialismus, sondern in erheblichem Umfang als dessen willfähriger Vollstrecker erwiesen haben,164 mag auch die „normale Justiz“ ebenso wie bis 1939 das Reichsjustizministerium 165 nicht zu den Institutionen gehört haben, die sich an die Spitze der nationalsozialistischen Bewegung und des aus ihr folgenden Unrechtssystems setzten. b) Entwicklungslinien. In zeitlicher Hinsicht lassen sich für die nationalsozialistische 49 Rechtsentwicklung drei Abschnitte unterscheiden. Mit einer Reihe von Gesetzgebungsmaßnahmen bis etwa 1936 schufen die Machthaber die für die Stabilisierung des Systems auch in der Gerichtsverfassung und im Strafprozessrecht notwendigen Voraussetzungen. In der Zeit von 1936 bis 1939 dominierte das Bemühen, durch eine Gesamtreform ein neues Strafverfahrensrecht zu schaffen. In der Kriegszeit von 1939 bis 1945 traten Vereinfachungs- und Entlastungsmaßnahmen in den Vordergrund. Sie beruhen teilweise auf der Übernahme von Einzelvorschlägen aus den Reformarbeiten; welche von diesen Maßnahmen nach der damaligen Vorstellung als zeitlich befristetes und welche als Dauerrecht gedacht waren, lässt sich heute nicht mehr zuverlässig sagen.166 In inhaltlicher Hinsicht treten mehrere Elemente nationalsozialistischer Umgestaltung 50 hervor. Dazu gehören Maßnahmen zu einer intensiven Lenkung der Justiz,167 im gerichtsverfassungsrechtlichen Bereich die Errichtung des Volksgerichtshofes 168 und, insoweit an Vorbilder der Weimarer Zeit anknüpfend, von Sondergerichten, deren Zuständigkeitsbereich im Laufe der Zeit zunehmend ausgeweitet wurde, sowie eine Beseitigung der Garantien des gesetzlichen Richters und die Abschaffung der Präsidialverfassung. Im verfahrensrechtlichen Bereich ist ein Abbau von Förmlichkeiten und eine Reduktion von Beschuldigtenrechten dominierend, die als liberalistische Relikte angesehen werden, welche der „Durchsetzung der materiellen Gerechtigkeit gegenüber der formalen Rechtssicherheit“ hindernd im Wege stehen.169 Mit dem gleichen Ziel ist auch die Schaffung von Rechtsbehelfen gegen rechtskräftige Urteile (erweiterte Wiederaufnahme zuungunsten des Verurteilten, Nichtigkeitsbeschwerde und außerordentlicher Einspruch) verbunden. Gestärkt werden ferner die Befugnisse der (weisungsgebundenen) Staatsanwaltschaft

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S. auch die Literaturübersicht bei Vormbaum GA 1998 1 ff. S. dazu z.B. Reifner 9 ff.; Sonnen (Strafgerichtsbarkeit) 52 ff. Gruchmann 1113; Radbruch SJZ 1948 37 ff. Vgl. dazu die Einzelhinweise bei v. Hippel 703 ff. Boberach (Richterbriefe); Gruchmann

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1091 ff.; Rüping GA 1984 299; A. Wagner 210. Wolf-Peter Koch 9 f. sieht in der Weimarer Zeit im Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik und in den bayerischen Volksgerichten historische Wurzeln des Volksgerichtshofes; s. auch Hansjoachim Koch 40 ff. Näher Werle 721 f. (zusammenfassend).

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gegenüber dem Gericht 170 und innerhalb des Gerichts als Ausfluss des die nationalsozialistische Ideologie dominierenden „Führerprinzips“ des Vorsitzenden gegen dem Kollegium.171 Neben diesen ideologisch bedingten Änderungen sind in der Zeit von 1933 bis 1945 51 auch Rechtsänderungen verwirklicht worden, die auf Vorschläge und Überlegungen aus der Weimarer Zeit zurückgreifen oder die sonst auf außernationalsozialistischen Gedanken beruhen. Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 sind auch einige aus dem österreichischen Strafprozessrecht stammende Rechtsinstitute übernommen worden.172

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c) Regelungstechnik. Wie bereits teilweise in der Weimarer Zeit (s. Rn. 28) hat der nationalsozialistische „Gesetzgeber“ vielfach durch überlagernde Sondervorschriften den Inhalt von gerichtsverfassungsrechtlichen und strafprozessualen Vorschriften verändert, ohne diese ausdrücklich zu ändern. Hinzu kommt, dass eine Normenhierarchie im heutigen Sinne des Vorrangs des Gesetzes im Nationalsozialismus nicht bestand.173 Namentlich in der Zeit nach 1939 ist daher die Rechtslage im hohen Maße unübersichtlich. 2. Die Rechtsentwicklung von 1933 bis 1939

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a) Allgemeine Gerichtsverfassung. Unmittelbar nach der sog. Machtergreifung wurde die 1920 beseitigte 174 selbständige Militärgerichtsbarkeit mit einer besonderen Militärstrafgerichtsordnung wieder eingeführt;175 damit schied die Strafverfolgung gegen Militärangehörige aus der hier darzustellenden zivilen Strafjustiz aus.176 Im Anschluss an die Beseitigung der Länderhoheit 177 wurde bis Mitte 1935 durch mehrere Gesetze 178 die gesamte Justizverwaltung auf das Reich übertragen; die Landesjustizverwaltungen wurden aufgelöst und für alle Justizangelegenheiten wurde das Reichsjustizministerium zuständig.179 Diese, schon auf Bestrebungen aus der Weimarer Zeit zurückgehende „Verreichlichung der Justiz“ ermöglichte der Staatsführung eine einheitliche Steuerung der Justiz; sie hatte freilich zu Beginn auch zur Folge, dass das in der Person des damaligen Reichsjustizministers Gürtner 180 stärker nationalkonservativ als ausgesprochen nationalsozialistisch geprägte Reichsjustizministerium sich gegenüber ausgeprägt nationalsozialistischen Vorstellungen durchsetzen konnte, wie sie etwa im preußischen Justizministerium unter Kerrl oder im sächsischen unter dem späteren Präsidenten des Volksgerichtshofes und (ab 1942) Reichsjustizminister Thierack vertreten wurden.181 Obwohl die Vorschriften des GVG über die sachliche und persönliche Unabhängig54 keit zunächst im Wesentlichen unverändert blieben, ermöglichte das auch auf Richter anwendbare „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7.4.1933 182 170 171 172 173 174 175 176

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Näher u.a. Majer in Reifner/Sonnen 124 ff. Ausführlich Wolf-Peter Koch 90 ff. Zur Rechtsangleichung u.a. Werle 426 ff. Dazu u.a. A. Wagner 193; Werle 203 ff. Rn. 34. Näher 24. Aufl. Einl. 3 23. Ausführlich zur Rolle der Militärjustiz im Nationalsozialismus Messerschmidt/Wüllner; s. auch Rn. 47 mit Fn. 160, 161. Gesetz zum Neuaufbau des Reiches vom 30.1.1934 (RGBl. I S. 75). Gesetz zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 16.2.1934 (RGBl. I S. 91); 2. Gesetz zur Überleitung der Rechtspflege

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auf das Reich vom 12.1.1934 (RGBl. I S. 1214); 3. Gesetz zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich vom 24.1.1935 (RGBl. I S. 68). Zur Vorgeschichte in der Weimarer Zeit Kern (Geschichte) 181 f. m.w.N. Zum Ganzen ausführlich Gruchmann FS Reichsjustizamt 119 ff. Zu Gürtner ausführlich Gruchmann 9 ff. Zur nationalsozialistischen Ausrichtung der Landesjustizminister auch Weinkauff 97 ff. RGBl. I S. 175; zur personellen „Säuberung“ ausführlich Gruchmann 124 ff.

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der Staatsführung die aus ihrer Sicht erforderliche personelle Umgestaltung. Bei den Schöffen und Geschworenen wurde sie dadurch ermöglicht, dass im April 1933 183 die erst am 1.1.1933 begonnene zweijährige Amtsperiode auf den 30.6.1933 verkürzt und eine Neuwahl vorgesehen wurde.184 Die Präsidialverfassung der Gerichte (damals §§ 64 ff. GVG) wurde mit Wirkung vom 1.12.1937 aufgehoben.185 Bereits vorher waren, anstelle der bis dahin vorgeschriebenen Plenarentscheidungen der Vereinigten Strafsenate oder des Plenums, durch Gesetz vom 28. Juni 1935 186 beim Reichsgericht die Großen Senate für Zivil- und Strafsachen sowie die vereinigten Großen Senate zur Entscheidung bei Divergenzen und (insoweit über das frühere Recht hinausgehend) bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung eingerichtet worden.187 Durch das gleiche Gesetz wurde die Bindung an vorangehende Entscheidungen beseitigt.188 b) Volksgerichtshof. Sondergerichte. Die durch die 4. AusnVO vom 14.6.1932 55 (s. Rn. 44) neu geordnete sachliche Zuständigkeit der einzelnen Spruchkörper der ordentlichen Strafjustiz blieb bis zum Kriegsausbruch 1939 im Wesentlichen unverändert.189 Die aus ihrer Sicht erforderlichen Umgestaltungen verwirklichten die nationalsozialistischen Machthaber durch die Errichtung von Sondergerichten und des Volksgerichtshofes. Wie die Pläne zur Gesamtreform des Strafverfahrens 190 zeigen, waren diese Gerichte, die Sondergerichte unter der Bezeichnung Strafkammern,191 als Dauereinrichtungen gedacht.192 Der Volksgerichtshof wurde durch Gesetz vom 24.4.1934 193 geschaffen, das in sei- 56 nem materiellen Teil die Vorschriften des StGB über Hochverrat und Landesverrat erneuerte. Er war unter Wegfall der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Reichsgerichts zuständig für Hochverrats- und Landesverratssachen. Seine Errichtung war vermutlich auch eine Reaktion der Machthaber auf den Ausgang des sog. Reichstagsbrandprozesses.194 1936 wurde seine Zuständigkeit und Organisation näher geregelt;195 durch VO vom 183

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Gesetz über die Neuwahl der Schöffen, Geschworenen und Handelsrichter vom 7.4.1933 (RGBl. I S. 188); dazu auch Gruchmann 944 f. Weitere, den Einfluss der Staats- und Parteiführung auf die Schöffenauswahl verstärkende Änderungen erfolgten durch das Gesetz zur Änderung des GVG vom 13.12.1934 (RGBl. I S. 1233); dazu Gruchmann 945 f. Gesetz über die Geschäftsverteilung bei den Gerichten vom 24.11.1936 (RGBl. I S. 1286); dazu Gruchmann 973 f.; A. Wagner 207 ff. RGBl. I S. 844. Neuer § 131 a; Neufassung des § 136; neue §§ 137, 138 GVG; zur Entstehungsgeschichte näher Hanack Der Ausgleich divergierender Entscheidungen (1962) 31 ff. m.w.N. Dazu näher Pauli 20 f. Zu den nicht intensiv betriebenen amtlichen Planungen zu einer umfassenden Reform des Gerichtsverfassungsrechts Gruchmann 931 ff.

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Vgl. unten Rn. 68; Entw. 1939, §§ 98 bis 105; Begr. S. 3 f. Für die herkömmliche Strafkammer war die Bezeichnung „Schöffenkammer“ vorgesehen. S. allerdings Gruchmann 947, wonach dies bei den Sondergerichten in der Gründungsphase nicht gelten soll. Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafrechts und des Strafverfahrens vom 24.4.1934 (RGBl. I S. 341); zu weiteren Regelungen in diesem Gesetz s. Rn. 61; zum Inhalt aus zeitgenössischer Sicht Richter DJ 1934 604; Schäfer, L. DJZ 1934 632; ausführliche Darstellung der Entwicklung des Volksgerichtshofes bei W. Wagner 17 ff.; ferner Marxen (Volksgerichtshof). Gribbohm JuS 1969 56; W. Wagner 17 ff.; Eb. Schmidt (Geschichte) 447; differenzierend Gruchmann 957. Gesetz über den Volksgerichtshof und über die 25. Änderung der Besoldungsgesetzes vom 18.4.1936 (RGBl. I S. 398); zur Entstehungsgeschichte Gruchmann 959 ff.

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10.12.1941 196 sowie durch eine Reihe anderer Rechtsvorschriften wurde seine Zuständigkeit erweitert.197 Der Volksgerichtshof war ein außerhalb der normalen Gerichtsorganisation stehendes ständiges Gericht.198 Er entschied erst- und letztinstanzlich durch Senate in der Besetzung von fünf Mitgliedern, von denen lediglich zwei die Befähigung zum Richteramt haben mussten. Deren Ernennung lag in der Hand des Führers.199 Unter dem Vorsitz von Thierack und später von Freisler entwickelte sich der Volksgerichtshof zu einem der wichtigsten justitiellen Repressionsinstrumente des nationalsozialistischen Unrechtssystems.200 Bereits durch VO vom 21.3.1933 201 und zunächst gestützt auf eine Ermächtigung der 57 3. AusnVO von 1931 wurden für jeden Oberlandesgerichtsbezirk Sondergerichte für einen zunächst engen Kreis von Straftaten errichtet. Sie entwickelten sich unter ständiger Ausweitung ihrer Zuständigkeit 202 zu einem wichtigen Instrument der nationalsozialistischen Unterdrückung. Seit 1938 203 konnte über den Zuständigkeitskatalog hinaus die Staatsanwaltschaft durch Anklageerhebung zu ihnen die Zuständigkeit der Sondergerichte begründen, wenn die sofortige Aburteilung durch das Sondergericht „wegen der Schwere oder Verwerflichkeit der Tat, wegen der in der Öffentlichkeit hervorgerufenen Erregung oder wegen ernster Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“ geboten war. Die Zuständigkeit der Sondergerichte war damit praktisch bei entsprechender Anklage durch die Staatsanwaltschaft unbegrenzt. Die Sondergerichte entschieden in der Besetzung mit drei Berufsrichtern ohne Beteiligung von Schöffen.204 Das Verfahren vor den Sondergerichten war auf äußerste Vereinfachung und Beschleu58 nigung ausgerichtet; auch insoweit diente die SondergerichtsVO von 1932 (Rn. 45) als Vorbild.205 Eine gerichtliche Voruntersuchung fand nicht statt, ein gesonderter Eröffnungsbeschluss erging nicht. Die Ladungsfrist betrug zunächst drei Tage und konnte auf 24 Stunden verkürzt werden.206 Beweiserhebungen konnten abgelehnt werden, wenn das 196 197

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RGBl. I S. 172. Näher Gribbohm JuS 1969 57 f.; zur Zuständigkeitsentwicklung insgesamt W. Wagner 50 ff. § 1 des Gesetzes vom 18.4.1936 bezeichnete ihn allerdings als „ordentliches Gericht im Sinne des Gerichtsverfassungsgesetzes“; vgl. dazu BGH NJW 1954 1777; zur Gerichtsqualität ausführlich Rüping FS Wassermann 983 ff., s. auch Sonnen NJW 1985 1066; zum Verfahrensgang, zur Zuständigkeit und zur Geschäftsentwicklung insgesamt W. Wagner 29 ff., 873 ff.; zur Bewertung differenzierend Marxen (Volksgerichtshof) 35 ff. mit Angaben zur quantitativen und qualitativen Geschäftsentwicklung. Näher Gribbohm JuS 1969 58 f.; Marxen (Volksgerichtshof) 57 ff.; W. Wagner 24 f. (beide auch zur Zusammensetzung); vgl. auch Hansjoachim Koch 523 ff. mit Liste der Richter. Näher Gribbohm JuS 1965 109 ff.; Gruchmann 964 ff.; Rüping GA 1984 304 ff. und FS Wassermann 987 ff. Ausführliche Darstellung der Rechtsprechungsentwicklung insgesamt bei Hansjoachim Koch 101 ff.,

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295 ff.; Marxen (Volksgerichtshof); Schlüter; W. Wagner 85 ff. VO über die Bildung von Sondergerichten vom 21.3.1933 (RGBl. I S. 136); die Regelung entspricht in den verfahrensrechtlichen Vorschriften nahezu wörtlich der kurzfristig geltenden SondergerichtsVO am Ende der Weimarer Zeit, vgl. Rn. 45. S. die Übersicht in der 24. Aufl. Einl. 3 22, 32; Gruchmann 949 ff. VO über die Erweiterung der Zuständigkeit der Sondergerichte vom 20.11.1938 (RGBl. I S. 1632). Zur Bewertung ihrer Tätigkeit vgl. auch Rüping GA 1984 303; Rüping/Jerouschek § 10, 4 b; Nachweise über neuere Untersuchungen meist regionaler Art zur Praxis der Sondergerichte bei Vormbaum GA 1998 6 ff. Vgl. die §§ 8 bis 16 der VO von 1933; zusammenfassende Darstellung bei A. Wagner 257 f.; s. auch W. Wagner 29 ff. (zum Volksgerichtshof). Durch die ZustVO vom 21.2.1940 (Rn. 71) wurde die allgemeine Ladungsfrist auf 24 Stunden verkürzt und eine Aburteilung ohne

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Sondergericht sie für die Aufklärung der Sache nicht für erforderlich hielt. Ordentliche Rechtsmittel waren nicht vorgesehen; die Wiederaufnahme des Verfahrens, über die die Strafkammer entschied, war zugunsten des Verurteilten auch zulässig, „wenn Umstände vorliegen, die es notwendig erscheinen lassen, die Sache im ordentlichen Verfahren nachzuprüfen“. c) Allgemeines Strafverfahrensrecht. Die Änderungen im Strafverfahrensrecht durch 59 den nationalsozialistischen Gesetzgeber bis zum Kriegsausbruch beruhen vielfach auf spezifisch nationalsozialistischen oder zumindest autoritären Vorstellungen, teilweise nehmen sie aber auch weiter zurückliegende Anregungen auf. Oft wurden zunächst für bestimmte Kriminalitätsbereiche verfahrensrechtliche Sonderregelungen geschaffen, auf die später verallgemeinernd zurückgegriffen wurde, beispielsweise die Ausdehnung des beschleunigten Verfahrens in der Verordnung zum Schutze des deutschen Volkes,207 die Einschränkung der Voruntersuchung und der Wegfall des Eröffnungsbeschlusses in Hoch- und Landesverratssachen 208 und der Ausbau des Abwesenheitsverfahrens.209 Von weitreichender, bis heute nachwirkender Bedeutung war das Ausführungsgesetz 60 zum Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung.210 Es enthielt die erforderlichen strafverfahrensrechtlichen Änderungen zu der Einführung der Maßregeln der Sicherung und Besserung, mit denen eine weit zurückreichende kriminalpolitische Debatte ihr Ende fand.211 Dazu gehörten die Einführung des § 80 a und der §§ 81 a, 81 b StPO; die Schaffung des Instituts der einstweiligen Unterbringung (§ 126 a StPO) und des Sicherungsverfahrens.212 Zu den eher ideologieneutralen Änderungen gehörte eine auch das Strafverfahren betreffende Vereinfachung des Zustellungswesens mit Änderungen der §§ 35, 146 und 218 StPO 213 sowie die grundlegende Umgestaltung des Eidesrechts,214 die den Voreid durch den Nacheid ersetzte und die Eidespflicht einschränkte.215 Den Beginn einer umfassenden Umgestaltung des Strafverfahrensrechts nach den 61 Grundsätzen der neuen Machthaber 216 bildete das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafverfahrens und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 28.6.1935,217 das in engem Zusammenhang mit der gleichzeitig 218 im materiellen Strafrecht vorgenommenen Beseitigung des Analogieverbotes stand. Das Gesetz enthielt u.a. die damit in Verbindung stehenden Vorschriften und gestattete die Wahlfeststellung,219 beseitigte das Verbot des

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Einhaltung von Fristen ermöglicht, „wenn der Täter auf frischer Tat betroffen wird oder sonst seine Schuld offen zutage liegt“. § 24 der VO vom 4.2.1933 (RGBl. I S. 35). Zunächst VO zur Beschleunigung des Verfahrens in Hoch- und Landesverratssachen vom 18.3.1933 (RGBl. I S. 131), später im Gesetz vom 24.4.1934 (RGBl. I S. 341). Gesetz gegen Verrat der deutschen Volkswirtschaft vom 12.6.1933 (RGBl. I S. 360), später verallgemeinert durch das Gesetz vom 28.6.1935 (Rn. 61). Vom 24.11.1933 (RGBl. I S. 1000). Eb. Schmidt (Geschichte) 431. Damals §§ 429 a ff., heute §§ 413 ff. StPO. Gesetz zur Vereinfachung der Zustellungen vom 17.6.1933 (RGBl. I S. 394).

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Gesetz zur Einschränkung der Eide in Strafverfahren vom 24.11.1933 (RGBl. I S. 1008). Nach weiteren Lockerungen der Eidespflicht kehrte das VereinhG zu dieser Fassung zurück. So ausdrücklich Niethammer in der 19. Aufl. Nachtr. I S. 3. RGBl. I S. 844; zur Einrichtung der Großen Senate s. Rn. 54; zum Inhalt aus damaliger Sicht u.a. Schäfer, L. RVwBl. 1935 869; Schwarz DJZ 1935 925. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 28.6.1935 (RGBl. I S. 839). §§ 170 a, 267 a, 267 b StPO.

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reformatio in peius, schränkte allgemein die Notwendigkeit der Voruntersuchung ein, schuf die neuen Haftgründe der Wiederholungsgefahr und der „Erregung der Öffentlichkeit“ und ermöglichte generell die Hauptverhandlung gegen Flüchtige.220 Im Beweisantragsrecht präzisierte es erstmals, nur für Verfahren mit einer Tatsacheninstanz,221 die Ablehnungsgründe, eine Regelung, die bereits 1939 durch die völlige Abschaffung des Beweisantragsrechts wieder beseitigt wurde.222 Daneben enthielt das Gesetz eine Reihe weiterer, teilweise bis heute noch geltender Vorschriften. Bereits 1934 war durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafrechts und des Strafverfahrens (Rn. 56) über die Sondervorschriften gegen Hoch- und Landesverrat und die Errichtung des Volksgerichtshofes hinaus für alle Strafverfahren das besondere Haftprüfungsverfahren beseitigt und durch eine bloße Amtsprüfung der Fortdauer der Haftvoraussetzungen ersetzt worden. 3. Die Bemühungen um eine Gesamtreform

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a) Allgemeines. Die dem Recht fremd bis feindlich gegenüberstehende nationalsozialistische Weltanschauung hatte, abgesehen von wenigen nebulösen Phrasen, bis zur Machtübernahme keine auch nur einigermaßen klare und geschlossene Vorstellung über eine Reform des Straf- und Strafverfahrensrechts entwickelt.223 Für das nationalsozialistische Führerprinzip mit der prinzipiellen Negierung von Gesetzesbindung und Gewaltenteilung stand der Gedanke einer kodifikatorischen Gesamtreform im Straf- und Strafverfahrensrechts nicht im Vordergrund der machtstabilisierenden Maßnahmen; er wurde es umso weniger, je mehr durch Einzeleingriffe die erforderlichen Strukturänderungen erreicht waren. An diesem Desinteresse der Parteispitze und nicht allein am Kriegsausbruch sind letztlich die unter Gürtner von dem eher nationalkonservativ geprägten Reichsjustizministerium bis zur Entscheidungsreife vorbereiteten umfassenden Entwürfe eines neuen Strafgesetzbuches und einer neuen Strafverfahrensordnung gescheitert.224 Die Bemühungen um eine grundlegende nationalsozialistsche Erneuerung des Straf63 verfahrens außerhalb dem amtlichen Reformversuche blieben weitgehend folgenlos. Die Vorschläge im Schrifttum, in dem sich völkische, konservative und nationale Tendenzen mit einer Front gegen Rationalismus und Liberalismus verbanden, blieben vielfach unbestimmt.225 Die Vorschläge des Strafrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht entfernten sich nicht allzuweit von dem Gedanken des amtlichen Entw. 1939.226 Die davon radikal abweichende, maßgebend von Carl Schmitt beeinflusste 227 Konzeption des nationalsozialistischen deutschen Rechtswahrerbundes 228 fand im Schrifttum keine 220 221 222 223

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§§ 276 bis 282 b StPO; ausführlich Dünnebier FS Heinitz 674 f. Mit Ausnahme der Sondergerichte, vgl. Rn. 58. 1. VereinfVO, s. Rn. 69. Wolf-Peter Koch 24 ff., 79 ff.; zu Überlegungen zu einer umfassenden Justizreform in der Endphase seit 1942 s. m. Nachw. A. Wagner 348 ff. Näher Gruchmann 791 ff., 1046 ff. S. dazu umfassend Wolf-Peter Koch 25 ff.; bibliographische Übersicht bei Rüping (Bibliographie) 145 ff. Näher Gruchmann 1016; Wolf-Peter Koch

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193 ff.; s. auch Schubert (Quellen) Bd. 2.1, Einl. S. X. Dazu ausführlich Gruchmann 995 ff.; WolfPeter Koch 63, 65 ff. NS-Rechtswahrerbund, Neuordnung des Strafverfahrensrechts. Denkschrift zum Entwurf einer Strafverfahrensordnung, einer Friedensrichter- und Schiedsmannsordnung und eines Gerichtsverfassungsgesetzes (1937); Abdruck der Leitsätze bei Schubert (Quellen) Bd. 1 S. XVIII; zum Inhalt Gruchmann 1002; Wolf-Peter Koch 185 ff.; s. auch Schubert (Quellen) Bd. 2.1, Einl. S. IX.

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nennenswerte Unterstützung 229 und spielte in den weiteren Beratungen der amtlichen Strafprozesskommission nur eine untergeordnete Rolle.230 b) Erarbeitung und Grundgedanken des Entwurfs 1939. Das Reichsjustizministerium 64 begann alsbald nach dem Machtantritt des Nationalsozialismus damit, in zeitlich engem Zusammenhang eine umfassende Reform des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts vorzubereiten; dies führte bis Ende 1938 zu umfassenden Gesetzentwürfen, die das StGB sowie die StPO ablösen sollten.231 Während für das neue StGB bereits im November 1933 eine Große Strafrechtskommission eingesetzt wurde, die ihre Beratungen im Oktober 1936 abschloss,232 wurde für das Strafverfahrensrecht zunächst eine kleine interne ministerielle Kommission gebildet,233 die 1936 einen Entwurf vorlegte, zu dem sich u.a. das Reichsgericht,234 aber auch, scharf ablehnend aus nationalsozialistischer Sicht, der nationalsozialistische Rechtswahrerbund äußerten.235 Der Entwurf 1936 sowie die zu ihm abgegebenen Stellungnahmen wurden von Ende 65 1936 bis Ende 1938 von der amtlichen Großen Strafprozesskommission 236 beraten; aus diesen Beratungen ging der Entwurf einer Strafverfahrensordnung und einer Friedensrichter- und Schiedsmannsordnung vom 1.5.1939 (Entw. 1939) hervor. Der Entwurf wurde, ebenso wie der Vorentwurf 1936,237 vertraulich behandelt und im Wesentlichen nur den Ressorts und den leitenden Parteiorganen mitgeteilt.238 Die Öffentlichkeit wurde durch den von Gürtner unter Mitwirkung von Mitgliedern der Kommission und an der Erarbeitung beteiligter Ministerialbeamter herausgegebenen Bericht „Das kommende deutsche Strafverfahren“ unterrichtet.239 Zu einer Verabschiedung des Entwurfs kam es nicht, weil Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Innenministerium sowie der Polizei- und SS-Führung einerseits und dem Reichsjustizministerium andererseits nicht überwunden werden konnten und weil die Parteispitze dem Vorhaben reserviert gegenüberstand.240 Der Kriegsausbruch bildete nur den äußeren Anlass, die Arbeiten nicht fortzuführen. In der Kriegsgesetzgebung wurden jedoch zahlreiche Einzellösungen des Entwurfs realisiert.241 Obwohl der Entwicklung 1939, gemessen an den weitaus radikaleren Vorschlägen 66 etwa des nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes, eine eher gemäßigte Konzeption verwirklichen wollte, ist seine geistig-weltanschauliche Grundhaltung eindeutig dem Nationalsozialismus verpflichtet. Er selbst verstand sich als ein geeignetes Instrument, um eine von nationalsozialistischem Geist getragene Rechtsordnung zu verwirklichen.242 229 230 231

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Nachw. bei Wolf-Peter Koch 190 ff. Gruchmann 1011. Vollständige quellenmäßige Dokumentation aller Entwürfe sowie der Protokolle der Kommissionsberatungen zum StGB bei Regge/Schubert und zum Strafverfahrensrecht bei Schubert (Quellen). Ausführlich zum Ganzen auch Gruchmann 793 ff., 980 ff. Näher Regge/Schubert Bd. 2 mit Kurzbiographie der Kommissionsteilnehmer s. auch Gruchmann 756 ff. Einzelheiten bei Gruchmann 981; Schubert (Quellen), Bd. 1 Einl. S. VIII; Abdruck des Entwurfs bei Schubert (Quellen) Bd. 1. S. dazu mit Inhaltswiedergabe Wolf-Peter Koch 178 ff.; Gruchmann 1012 f.

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S. oben Fn. 227; Gruchmann 994 ff. Zur Zusammensetzung und zum Beratungsverlauf näher Schubert (Quellen) Bd. 2.1, Einl. S. XI f; Gruchmann 1015 ff.; WolfPeter Koch 199; Niethammer SJZ 1948 191. Vgl. dazu Gruchmann 993. Einzelheiten bei Gruchmann 1032 ff. Zu den Stellungnahmen des Schrifttums hierzu vgl. Wolf-Peter Koch 207. S. dzu u.a. Gruchmann 1020 ff.; 1045 ff.; Schubert (Quellen), Bd. 2.1 Einl. S. IX. S. Rn. 70. Schubert (Quellen), Bd. 1 Einl. XVII; Gruchmann 1045.

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Aufbauend auf der traditionellen Verfahrensstruktur der StPO, die der Entwurf lediglich modifizierte, aber nicht gänzlich in Frage stellte,243 war seine reformpolitische Stoßrichtung gegen die als liberalistisch und individualistisch denunzierten Elemente des überkommenen Strafprozessrechts gerichtet, dem das Schutz- und Sühnebedürfnis der Volksgemeinschaft als Leitprinzip entgegengesetzt wurde. Der Abbau der schützenden Förmlichkeiten des Verfahrens wurde mit dem Bestreben nach materieller Gerechtigkeit begründet, und den Zielen der Vereinfachung und Beschleunigung diente u.a. eine Stärkung der Staatsanwaltschaft und der Abbau richterlicher Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten.244 Obwohl der Entwurf die zentralen Prozessmaximen wie Anklageprinzip, Legalitätsprinzip, Amtsaufklärungsgrundsatz sowie für die Hauptverhandlung Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit nicht in Frage stellte,245 verschoben sich die Gewichte einschneidend in Richtung auf ein autoritäres, den Beschuldigtenschutz minimierendes und die Subjektqualität des Beschuldigten reduzierendes, die Machtmittel der Staatsgewalt und hier insbesondere der Staatsanwaltschaft maximierendes und den Gedanken der Rechtssicherheit gegenüber „Gerechtigkeitsansprüchen“ vernachlässigendes Strafverfahrensrecht.246

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c) Der Inhalt des Entwurfs ist in der 24. Aufl. (Einl. 4 15 ff.) ausführlich dargestellt; hierauf wird wegen der Einzelheiten verwiesen.247 In seinem Aufbau wich der Entwurf erheblich von der StPO ab.248 Im Vorverfahren wurde die Stellung der Staatsanwaltschaft gestärkt, die Zwangsmaßnahmen weitgehend selbständig anordnen konnte. Die gerichtliche Voruntersuchung wurde auf Ausnahmnefälle beschränkt; das Klageerzwingungsverfahren war nicht mehr vorgesehen, das Zwischenverfahren mit dem gesonderten Eröffnungsbeschluss entfiel. Ein selbständiges Beweisantragsrecht der Prozessbeteiligten enthielt der Entwurf nicht, Zustimmungsvorbehalte der Beschuldigten bei Abweichungen vom normalen Verfahrensablauf wurden eingeschränkt. Die Stellung des Vorsitzenden im Kollegialgericht wurde verstärkt, obwohl der Entwurf an der Abstimmung bei der Urteilsfällung festhielt.249 Privatklage und Nebenklage entfielen; statt dessen war ein besonderes friedensrichterliches Verfahren vorgesehen, in dem statt einer strafrechtlichen Sanktion nichtstrafrechtliche Maßnahmen verhängt werden konnten. Der Entwurf sah ferner die Einführung des Adhäsionsverfahrens vor und enthielt besondere Möglichkeiten zur Sicherung des Ehrenschutzes. Als ordentliches Rechtsmittel sah der Entwurf unter Wegfall des Verbots der refor68 matio in peius und der Beschränkungsmöglichkeit Berufung und Urteilsrüge vor.250 Mit der Berufung an die Schöffenkammer beim Landgericht anfechtbar waren die Urteile des für die kleine und mittlere Kriminalität zuständigen Amtsrichters; ein zweites Rechtsmittel war nicht vorgesehen. Gegen die Urteile der für die schwere Kriminalität zuständigen Schöffenkammer beim Landgericht, die mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt

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Wolf-Peter Koch 222. Zu den verschiedenen Reformtopoi und ihrem Gewicht ausführlich Wolf-Peter Koch 97 ff.; s. auch Gruchmann 982 ff. Dazu (und zum relativ geringen Stellenwert der Maximen in der Diskussion über den Entwurf) Wolf-Peter Koch 138 ff. Vgl. zur Bewertung des Entwurfs auch WolfPeter Koch 210 ff.; Eb. Schmidt (Geschichte) 451 f.

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Eingehende Darstellung u.a. auch bei Gruchmann 1032 ff.; Wolf-Peter Koch 210 ff.; Schubert (Quellen) Bd. 1 Einl. X ff. Näher und kritisch Wolf-Peter Koch 210 ff. Zu dieser wegen des „Führerprinzips“ heiklen Frage s. Wolf-Peter Koch 90 ff. Ausführlich zur Rechtsmittelkonzeption Fezer (Reform) 41 ff.; s. auch die Erl. Vor § 333.

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sein sollte, war die Urteilsrüge an das Reichsgericht vorgesehen, die revisionsartig ausgestaltet war, aber in gewissem Umfang auch eine Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen ermöglichen sollte. Unanfechtbar waren die Entscheidungen der an die Stelle der Sondergerichte tretenden Strafkammern, der Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug, des Volksgerichtshofes und des besonderen Strafsenats des Reichsgerichts. Diese Reduktion ordentlicher Rechtsmittel kompensierte der Entwurf durch eine Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten, aber vor allem durch die Schaffung von zwei außerordentlichen Rechtsbehelfen allein in der Hand des Oberreichsanwalts, nämlich der Nichtigkeitsbeschwerde und des außerordentlichen Einspruchs.251 4. Die Rechtsentwicklung vom Ausbruch des Krieges bis zum Zusammenbruch Mit dem Kriegsausbruch am 1.9.1939 begann eine intensive, bis in die letzten Monate 69 andauernde 252 Normsetzungstätigkeit, überwiegend in der Form von Verordnungen, die GVG und StPO überlagerten.253 Zu einem großen Teil handelte es sich um Besetzungsreduktionen und Vereinfachungsmaßnahmen, die ihre Ursache in den kriegsbedingten Personalmangel fanden. Die exzessive Ausweitung der Tätigkeit der Sondergerichte und des Volksgerichtshofes 254 beruhte darüber hinaus auf dem bis zum Terror gesteigerten Machterhaltungsbemühen der Führung. Andererseits griff die Normsetzung auf Vorschläge und Lösungsansätze des Entwurfs 1939 zurück; sie verwirklichte im Rahmen der Kriegsgesetzgebung als Dauerrecht gedachte Reformvorstellungen. In zunehmendem Umfang wurden aber auch im Laufe des Krieges die ordentliche Strafjustiz durch das Vordringen der Wehrmachtsgerichtsbarkeit, des Kriegssonderstrafrechts und polizeilicher Reaktionen auf strafbares Verhalten zurückgedrängt. Die am Tage des Kriegsausbruchs verkündete 1. VereinfVO 255 beseitigte die Mitwir- 70 kung von Laien (Schöffen und Geschworenen), ermöglichte den Einsatz von Gerichtsassessoren (auch als Vorsitzende) bei allen Gerichten, erweiterte den Zuständigkeitsbereich der Sondergerichte, reduzierte die Besetzung der Strafsenate der Oberlandesgerichte generell auf drei Richter, beseitigte die Revision als Zweitrechtsmittel gegen Berufungsurteile, reduzierte den Umfang der notwendigen Verteidigung, beseitigte das Beweisantragsrecht und erweiterte den Anwendungsbereich des beschleunigten Verfahrens. Das Gesetz vom 16.9.1939 256 ermöglichte die Verbindung von allgemeinen Strafsachen und Wehrmachtsstrafsachen vor den Wehrmachtsgerichten und führte entsprechend dem Entw. 1939 das Institut des außerordentlichen Einspruchs gegen rechtskräftige Urteile 257 durch den Oberreichsanwalt an den neu geschaffenen besonderen Strafsenat des Reichsgerichts

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Zur Verwirklichung dieser Vorschläge durch die Kriegsgesetzgebung s. Rn. 70, 71. Die VO zur weiteren Anpassung der Strafrechtspflege an die Erfordernisse des totalen Krieges (4. VereinfVO) erging am 13.12. 1944, s. unten Rn. 73. Zusammenstellung der bis 1941 erlassenen Vorschriften z.B. bei v. Hippel 694 ff.; sowie die Darstellung von Hartung/Niethammer im Nachtr. II zur 19. Aufl. dieses Kommentars. Vgl. Gribbohm JuS 1969 111; Rüping FS Wassermann 990 f.

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Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung und der Rechtspflege vom 1.9.1939 (RGBl. I S. 1658) mit DurchführungsVO v. 8.9.1939 (RGBl. I S. 1703); zum Inhalt aus damaliger Sicht Freisler DJ 1939 II 1537. Gesetz zur Änderung von Vorschriften des allgemeinen Strafverfahrens, des Wehrmachtsstrafverfahrens und des Strafgesetzbuches vom 16.9.1939 (RGBl. I S. 1841); zum Inhalt aus damaliger Sicht Freisler DJ 1939 II 1565, 1597. Einzelheiten bei A. Wagner 269 ff.

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ein,258 zu dem der Oberreichsanwalt „wegen der Bedeutung der Sache“ auch unmittelbar Anklage erheben konnte.259 Mit der ZustVO 260 wurde die Zuständigkeit der Spruchkörper der ordentlichen 71 Gerichtsbarkeit, der Sondergerichte und des Volksgerichtshofes zusammenfassend neu bestimmt und das beschleunigte Verfahren weiter ausgedehnt. Als weiteren Rechtsbehelf gegen rechtskräftige Urteile führte die VO, ebenfalls in Anknüpfung an die Vorschläge des Entwurf 1939 die Nichtigkeitsbeschwerde an das Reichsgericht ein.261 Sie konnte vom Oberreichsanwalt gegen Urteile des Amtsrichters, der Strafkammer und des Sondergerichts, also nicht solche des Volksgerichtshofes, innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Rechtskraft eingelegt werden, „wenn das Urteil wegen eines Fehlers bei der Anwendung des Rechts ungerecht ist“; über sie entschied der (normale) Strafsenat des Reichsgerichts. Nach diesen innerhalb von 6 Monaten vollzogenen Einschnitten in das Strafverfahren 72 blieb die Rechtslage in der ordentlichen Strafgerichtsbarkeit, von kleineren Anpassungen abgesehen, für längere Zeit unverändert. Tiefgreifende Veränderungen traten erst wieder 1942 im Anschluss an den Erlass des Führers über die Vereinfachung der Rechtspflege 262 ein; auch hierbei griff der Normgeber in erheblichem Umfang auf den Entwurf 1939 zurück. Die 2. VereinfVO 263 erweiterte u.a. die Strafgewalt des Amtsrichters und die Zulässigkeit des Strafbefehls, ermöglichte den Verzicht auf Beisitzer in der Hauptverhandlung der Strafkammer, des Sondergerichts und des Oberlandesgerichts und auf die Teilnahme des Staatsanwalts in der Hauptverhandlung, lockerte das Legalitätsprinzip und beseitigte des Klageerzwingungsverfahren, erweiterte die Möglichkeiten der Unterbrechung der Hauptverhandlung, der Hauptverhandlung ohne Angeklagten und der Nachtragsanklage, führten für Berufung und Beschwerde das Erfordernis einer besonderen Zulassung ein und erweiterte den Anwendungsbereich der Nichtigkeitsbeschwerde. Ferner übernahm es Elemente der mit dem Entw. 1939 verbundenen friedensrichterlichen Verfahrens. Mit einer gleichzeitig erlassenen VO wurde der Eröffnungsbeschluss beseitigt.264 Weitere Vereinfachungen des Strafverfahrens, aber auch weitere Übernahmen von 73 Vorschlägen des Entw. 1939, begannen 1943. Die Vereidigung von Zeugen wurde in das Ermessen des Gerichts gestellt.265 Die 3. VereinfVO 266 übertrug u.a. die Entscheidung über die Richterablehnung den Dienstvorgesetzten, sah „aus wichtigen Gründen“ eine generelle Verkürzung der Ladungsfrist auf 24 Stunden vor, ermöglichte die Verlesbarkeit von Niederschriften über richterliche Vernehmungen durch den durch das VereinhG auf258

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Die gleiche Möglichkeit bestand bei Urteilen des Volksgerichtshofes, bei denen ebenfalls ein besonderer Senat gebildet wurde. Näher v. Hippel 705 ff.; Niethammer in der 19. Aufl. Nachtr. II S. 247 f. Verordnung über die Zuständigkeit der Strafgerichte, die Sondergerichte und sonstige strafverfahrensrechtliche Vorschriften vom 21.2.1940 (RGBl. I S. 405); ausführliche Erläuterungen von Niethammer in der 19. Aufl. Nachtr. II S. 275 ff.; Gruchmann 978; zum Inhalt ferner Grau DJ 1940 309. Dazu näher die Erl. von Niethammer in der 19. Aufl. Nachtr. II S. 323 ff. Vom 21.3.1942 (RGBl. I S. 139). Verordnung zur weiteren Vereinfachung der

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Strafrechtspflege vom 13.8.1942 (RGBl. I S. 508); zum Inhalt aus damaliger Sicht Grau DJ 1942 597, 613. VO über die Beseitigung des Eröffnungsbeschlusses im Strafverfahren vom 13.8.1942 (RGBl. I S. 512); zu der danach geltenden Rechtslage s. näher die Entstehungsgeschichte Vor § 198. VO zur Durchführung der VO zur Angleichung des Strafrechts des Altreichs und der Alpen- und Donau-Reichsgaue vom 29.5. 1943 (RGBl. I S. 341). 3. VO zur Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 29.5.1943 (RGBl. I S. 342) mit DVO vom gleichen Tage (RGBl. I S. 345).

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rechterhaltenen § 251 StPO, erleichterte die Wiederaufnahme des Verfahrens und führte das Adhäsionsverfahren (§§ 403 ff. StPO) ein. Ferner wurde die Besetzung der Kollegialgerichte verringert.267 Mit der am Ende der Entwicklung stehenden 4. VereinfVO 268 wurde die Besetzung der Senate des Volksgerichtshofes und des Reichsgerichts vermindert, der Erlass des Haftbefehls sowie die Anordnung der Durchsuchung und Beschlagnahme dem Staatsanwalt übertragen, der Verfolgungszwang weiter gelockert und es wurden die Rechtsmittel weiter eingeschränkt.

VI. Die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit und Rechtseinheit im westlichen Teil Deutschlands Schrifttum Bader Die Wiederherstellung rechtsstaatlicher Garantien im deutschen Strafprozeß, FS Pfenniger 1; Beckmann Rechtsgrundlagen zur Aufhebung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege, JZ 1997 922; Brauer Die Neuordnung der Strafrechtspflege in Verfahren vor den Gerichten der amerikanischen Militärregierung, NJW 1949 127; Geiger/Bülow/Dallinger Das Vereinheitlichungsgesetz SJZ 1950 707; Gerner Rechtseinheit im Verfahrensrecht, NJW 1950 722; Kappo/Lermer/Rebentrost Der Strafprozeß vor den deutschen Gerichten und den Gerichten der Militärregierung in den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands, Textausgabe nach dem Stand vom 1.3.1949 (1949); Kern Strafverfahrensrecht, Lehrbuch, 1. Aufl. (1947) StPO; ders. Die Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet der Strafgerichtsverfassung und des Strafverfahrens MDR 1950 582; Nüse Das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts, JR 1950 516, 553; Pauli Die Wiederherstellung der Rechtseinheit im Strafprozeßrecht in der Bundesrepublik in Deutschland, DRZ 1950 461; ders. Zur Strafprozeßordnung 1950, DRZ 1950 483; Rieß Über das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit vom 12. September 1950, FS Helmrich 127; Schönke Die Wiederherstellung der Rechtseinheit im Gerichtsverfassungsrecht und im Prozeßrecht in der Bundesrepublik Deutschland, DRZ 1950 433; Textausgabe Strafprozeßordnung und Strafgerichtsverfassungsgesetz12 (Fassungen der amerikanischen und britischen Zone) (1949).

1. Überblick Der Zusammenbruch des nationalsozialistischen Systems durch die bedingungslose 74 Kapitulation des Deutschen Reiches am 8.5.1945 hinterließ ein Chaos auch auf dem Gebiete des Rechts. Das Deutsche Reich als solches wurde handlungsunfähig; die Regierungsgewalt und damit auch die Justizhoheit ging zunächst auf die Siegermächte über, die sie kraft Besatzungsrechts durch den gemeinsamen Kontrollrat, die alliierte Militärregierung sowie durch die Oberbefehlshaber der einzelnen Besatzungszonen wahrnahmen. Nach der Bildung der Länder übten diese in den Grenzen der besatzungsrechtlichen Ermächtigungen und Vorgaben die Justizhoheit sowie die Gesetzgebung auch in den der reichsrechtlichen Kompetenz unterliegenden Sachgebieten aus.269 Eine länderübergrei267

VO zur weiteren Kräfteersparnis in der Strafrechtspflege vom 29.5.1943 (RGBl. I S. 346), (Befugnis des Vorsitzenden u.a. zu bestimmen, dass ein Beisitzer bei einfacher Sach- und Rechtslage die Entscheidung allein trifft, und Möglichkeit des Verzichts auf den zweiten Beisitzer in allen Sachen, beides mit Zustimmung des Staatsanwalts).

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Verordnung zur weiteren Anpassung der Strafrechtspflege an die Erfordernisse des totalen Krieges vom 13.12.1944 (RGBl. I S. 339). Zur Entwicklung näher Kern (Geschichte) 284 ff.

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fende Staatsgewalt gab es zunächst nicht; sie entstand erst 1949 in der Form der beiden bis 1990 nebeneinander existierenden Teilstaaten Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik. Obwohl in den drei westlichen Besatzungszonen das Bemühen um Rechtseinheit 75 bestehen blieb und im Ansatz die reichsrechtliche StPO und das GVG aufrecht erhalten blieben, entwickelte sich der Rechtszustand unterschiedlich.270 Dazu trug auch bei, dass es nach der Auflösung des Reichsgerichts an einem gemeinsamen obersten Gericht mangelte, dass durch die Entwicklung während des Nationalsozialismus und namentlich in der Kriegszeit der Rechtszustand kaum noch überschaubar war und dass die Vorgaben der Besatzungsmächte in den einzelnen Besatzungszonen nicht voll übereinstimmten. Trotz allem blieb in den drei westlichen Besatzungszonen ein nicht unerheblicher Grundbestand an Gemeinsamkeit im Strafverfahren und in der Strafgerichtsverfassung erhalten, weil bei der Wiederherstellung des Rechts bewusst auf das gemeinsame Reichsrecht unter Anknüpfung an den Rechtszustand vor 1933 zurückgegriffen wurde. Nach der Bildung der Bundesrepublik konnte der Bundesgesetzgeber hieran anknüpfen und mit dem VereinhG mit Wirkung vom 1.10.1950 die volle Rechtseinheit auf dem Gebiet des Gerichtsverfassungsrechts, des Strafverfahrensrechts und des Zivilprozessrechts wieder herstellen. Zur Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR s. unten Rn. 164 ff. Aufgrund einer Vorgabe des Kontrollrates 271 erfolgte die Aufhebung nationalsozialis76 tischen Unrechts weitgehend durch verschiedenartige landesrechtliche Vorschriften, die überwiegend heute noch gelten.272 Diese bestimmten teilweise die automatische Aufhebung solcher Urteile, die ausschließlich auf bestimmten Vorschriften nationalsozialistischen Inhalts beruhten, worüber auf Antrag eine (deklaratorische) Bescheinigung durch die Staatsanwaltschaft zu erteilen ist. Ferner ermöglichten sie in anderen Fällen die Einzelaufhebung, teilweise auch eine Änderung des Schuldspruches oder eine Reduktion der Sanktion durch gerichtliche Entscheidung.273 2. Besatzungsrecht und Justizhoheit

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Mit der Besetzung Deutschlands wurden die deutschen Gerichte zunächst geschlossen;274 ihre allmähliche Wiedereröffnung erfolgte durch Entscheidungen der Besatzungsmächte oder mit deren Ermächtigung durch die einzelnen Länder. Die volle Justizhoheit kam diesen Gerichten jedoch nicht zu; die Besatzungsmächte behielten sich in unterschiedlichem Umfang und mit abnehmender Tendenz die Gerichtsbarkeit für bestimmte Sachbereiche und für bestimmte Personen, namentlich für Angehörige der alliierten Nationen und deren Verbündete, vor.275 Sie errichteten für den vorbehaltenen Bereich eigene Besatzungsgerichte mit selbständigen Verfahrensordnungen.276 Diese

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Die Unterschiede ergeben sich im Einzelnen aus den Textausgaben von Kappo/Lermer/ Rebentrost sowie (ohne französische Besatzungszone) des Beck-Verlags (Textausg.); s. auch Rieß FS Helmrich 129. Art. 2 Nr. 5 der Proklamation Nr. 3 des Kontrollrates vom 20.10.1945 (Amtsbl. des Kontrollrates, S. 6). Näher die Erl. Vor § 359; Beckmann JZ 1997 923 ff.; s. auch unten Rn. J 120.

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Einzelheiten m.w.N. Beckmann JZ 1997 923 ff. S. auch Militärregierungsgesetz Nr. 2 (ABl. MReg. Nr. 2); Textausg. S. 223. S. näher Kern (Geschichte) 314 ff.; Kissel/ Mayer Einl. 7, 35 ff.; vgl. auch Kontrollratsgesetz Nr. 4 Art. III. Vgl. z.B. für die amerikanische Besatzungszone Brauer NJW 1949 127; Übersicht in Textausg. 509 f.

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Besatzungsgerichtsbarkeit,277 deren Umfang mit der Gründung der Bundesrepublik wesentlich reduziert wurde,278 endete erst 1955 durch den Deutschland-Vertrag und den Überleitungsvertrag, durch die die Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich die volle Justizhoheit zurückerlangte;279 gewisse, noch bestehengebliebene Beschränkungen 280 wurden erst im Zusammenhang mit den völkerrechtlichen Vereinbarungen bei der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands Ende 1990 beseitigt.281 Auch soweit deutsche Gerichte (auf der Grundlage deutschen Rechts) tätig wurden, behielten sich die Besatzungsmächte anfänglich Möglichkeiten des Eingreifens vor. Die Grundlagen für die Wiederherstellung eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens- 78 rechts für die deutsche Gerichtsbarkeit wurden durch eine Reihe von Rechtsakten des Kontrollrates und der Millitärregierungen gelegt.282 Die Kontrollratsproklamation Nr. 3 vom 20.10.1945 283 stellte Grundsätze für die Strafrechtspflege auf, namentlich das Verbot der Verurteilung auf Grund von Analogie. Sie bekräftigte die Aufhebung des Volksgerichtshofes und die Sondergerichte und verbot ihre Wiederherstellung.284 Das Kontrollratsgesetz Nr. 4 vom 30.10.1945 285 regelte den Aufbau der deutschen Gerichte grundsätzlich in Übereinstimmung mit dem GVG i.d.F. der Bek. vom 23.3.1924; es ordnete an, dass Amtsgerichte, Landgerichte und Oberlandesgerichte (also nicht das Reichsgericht) wiederherzustellen waren und sich deren Zuständigkeit im Allgemeinen nach dem Recht am 30.1.1933 richten sollte. Bereits vor diesen Kontrollratsgesetzen und parallel dazu hatten Rechtsakte der Militärregierung Einzelheiten geregelt, nationalsozialistisches Recht aufgehoben 286 oder durch Allgemeine Anweisungen an Richter 287 Grundsätze der Rechtsanwendung aufgestellt oder das anzuwendende Recht näher präzisiert. 3. Die Entwicklung in den westlichen Besatzungszonen Die Entwicklung in den westlichen Besatzungszonen verlief im Einzelnen unter- 79 schiedlich und führte in vielen Punkten zu einer erheblichen Rechtszersplitterung.288 In der amerikanischen Besatzungszone erließen die Länder Bayern, Hessen, Bremen 289 und Württemberg-Baden 1946 als Landesgesetze Strafrechtspflegeordnungen, die aus einer im Wesentlichen übereinstimmenden Strafprozessordnung und einem Strafgerichtsverfas277

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Zur Frage des Strafklageverbrauchs besatzungsgerichtlicher Urteile s. unten Rn. J 112; zu ihrer Tätigkeit s. auch Kempner FS Martin Hirsch (1981) 145 ff. Gesetz Nr. 13 der Alliierten Hohen Kommission über die Gerichtsbarkeit auf den vorbehaltenen Gebieten vom 25.11.1949 (AHK Abl. S. 54); Abdruck mit Abdruck der einzelnen DVO Textausg.13 S. 205 ff.; s. auch Kern (Geschichte) 317 f. Vgl. näher Kissel Einl. 40 a.E. Kissel/Mayer Einl. 36 ff. Näher Kissel/Mayer Einl. 42. Zusammenstellung bei Kappo/Lermer/ Rebentrost S. 4 ff.; dort auch Teilabdruck. AmtsBl. des Kontrollrats, S. 22, Abdruck bei Kappo/Lermer/Rebentrost S. 11; Textausg. S. 219. Ebenso Art. II des MRG Nr. 2 (Fn. 3). AmtsBl. des Kontrollrats S. 26; Abdruck bei

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Kappo/Lermer/Rebentrost S. 13; Textausg. S. 221. Z.B. Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20.9.1945 (AmtsBl. des Kontrollrats S. 6); Militärregierungsgesetz Nr. 1 (ABl. MReg. Nr. 3); Abdruck Textausg. 231 ff.; Zusammenstellung der erfassten Rechtsvorschriften bei Beckmann JZ 1997 924 f. Allgemeine Anweisungen an Richter Nr. 1, nicht verkündet, Abdruck Textausg. 234. S. dazu etwa die verschiedenen Fassungen bei Kappo/Lermer/Rebentrost, vgl. auch die Übersicht bei Kern (StPO) 9 ff.; Kern (Geschichte) 288 f. Ein Bild der Rechtszersplitterung vermittelt auch die Liste der aufgehobenen Vorschriften in Art. 8 II des VereinhG. Bremen erst mit Gesetz vom 27.6.1947 (GVBl. S. 129) nach der endgültigen Zuordnung zur amerikanischen Besatzungszone.

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sungsgesetz bestanden. Zu einem gemeinsamen obersten Gericht kam es in der amerikanischen Besatzungszone nicht.290 In der britischen Besatzungszone wurde der maßgebliche Gesetzestext zunächst im Sommer 1945 durch die allgemeine Anweisung für die Richter Nr. 2 und durch die MilitärregierungsVO Nr. 15 mit Wirkung vom 1.10.1945 festgestellt;291 hier wurde im September 1947 ein auch für Revisionen in Strafsachen zuständiger Oberster Gerichtshof für die Britische Zone mit Sitz in Köln gebildet.292 In den Ländern der französischen Besatzungszone ergingen 1946/1947 im Wesentlichen übereinstimmende „Rechtsanordnungen über Gerichtsverfassung und Verfahren“ 293 nach denen für den Aufbau, die Zuständigkeit und die Besetzung der Gerichte grundsätzlich das Gerichtsverfassungsrecht in der am 30.1.1933 geltenden Fassung, für das Strafverfahren das am 7.5.1945 geltende Recht anwendbar war, soweit es nicht aufgrund besatzungsrechtlicher Anordnungen oder durch die veränderten Verhältnisse unanwendbar geworden war oder durch die Rechtsanordnung geändert wurde. Eine amtliche Neufeststellung des Gesetzeswortlauts erfolgte nicht; ein gemeinsames oberes Gericht wurde nicht gebildet. Weitere Änderungen wurden in den folgenden Jahren innerhalb der einzelnen Besatzungszonen zwar meist einheitlich, unter diesen aber divergierend und damit eine weitere Rechtsverschiedenheit herbeiführend, vorgenommen. Bei der Besetzung und Zuständigkeit der Schöffengerichte, Strafkammern und Schwur80 gerichte, die überwiegend nicht sofort, sondern durch unterschiedliche Rechtsetzungsakte der einzelnen Länder gebildet wurden, traten erhebliche Unterschiede auf.294 In der britischen Besatzungszone 295 wirkten bei den Strafkammern keine Schöffen mit; die Zuständigkeit der in ihrer Besetzung dem seit der EmmingerVO bestehenden Recht entsprechenden Schwurgerichte (s. Rn. 37) war erheblich ausgeweitet. In den Ländern der amerikanischen und französischen Besatzungszone 296 wurden im Laufe der Zeit auch die Strafkammern in der Hauptverhandlung mit Schöffen besetzt. Bei der Besetzung und Zuständigkeit der Schwurgerichte gab es erhebliche Unterschiede. In Hessen war das Schwurgericht mit zwei Richtern und sieben Geschworenen besetzt. In Bayern 297 wurde das aus einer getrennten Geschworenen- und Richterbank mit drei Richtern und zwölf Geschworenen bestehende Schwurgericht wieder eingeführt, bei dem die Entscheidung über die Schuldfrage allein von den Geschworenen, die über die Straffrage – insoweit abweichend von der Regelung der RStPO von 1877 bis 1924 – von den Richtern und den Geschworenen gemeinsam getroffen wurde. 4. Die Wiederherstellung der Rechtseinheit

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a) Gründung der Bundesrepublik und Grundgesetz. Mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23.5.1949 trat für die Bundesrepublik Deutschland in bezug auf die Aufteilung der justitiellen Aufgaben weitgehend der Rechtszustand wieder ein, der am 290

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Wiedererrichtet wurde lediglich das BayObLG (Gesetz vom 11.5.1948 – GVBl. S. 83). Näher Kern (StPO) S. 8. MillitärregierungsVO Nr. 98 vom 1.9.1947 (ABl. MReg. S. 572) und DurchführungsVO vom 17.11.1947 (VOBl. BZ S. 149); Abdruck bei Kappo/Lermer/Rebentrost S. 420 ff. Abdruck bei Kappo/Lermer/Rebentrost S. 427; s. auch Kern (StPO) S. 10.

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294 295

296

297

S. näher Kern (Geschichte) 289. VO zur Wiedereinführung von Schöffen und Geschworenen v. 22.8.1947 (VOBl. BZ S. 115). Abdruck der einzelnen Landesgesetze über die Bildung, Besetzung und die Zuständigkeit der Schöffengerichte, Strafkammern und Schwurgerichte bei Kappo/Lermer/ Rebentrost 362 ff. VO über die Wiedereinführung der Schwurgerichte vom 14.7.1948 (GVBl. S. 243).

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Die Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts

Einl. Abschn. F

Ende der Weimarer Republik gegolten hatte: Abgesehen von wenigen dem Bund vorbehaltenen Kompetenzen, namentlich der Errichtung oberer Bundesgerichte (Art. 96 GG), stand die Justizhoheit und die Justizverwaltung wieder den Ländern zu. Der Bund hatte die konkurrierende Gesetzgebung für die Gerichtsverfassung und das gerichtliche Verfahren, also auch für das Strafverfahren. Insoweit bestimmte die Übergangsvorschrift in Art. 125 GG, dass das nach dem Zusammenbruch von den Ländern gesetzte Recht zunächst als ggfs. partielles Bundesrecht weitergalt, soweit es innerhalb einer oder mehrerer Besatzungszonen einheitlich galt oder früheres Reichsrecht abgeändert hatte; es stand damit zur Disposition des Bundesgesetzgebers. Das Grundgesetz stärkte die Stellung der Rechtsprechung (Art. 92 bis 100 GG),298 82 gewährleistete neben allgemeinen Grundrechten (Art. 2 ff. GG) eine Reihe von Justizgrundrechten, so das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 GG), den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 102 Abs. 1 GG), das Verbot der Rückwirkung von Strafgesetzen und den Grundsatz ne bis in idem (Art. 103 GG) sowie Verfahrensgarantien bei der Freiheitsentziehung (Art. 104 GG) und gewährleistete gerichtlichen Rechtsschutz gegen alle Maßnahmen der öffentlichen Gewalt (Art. 19 Abs. 4 GG). Mit der Schaffung des Bundesverfassungsgerichts (Art. 93 GG) und der Kompetenz der Gerichte, die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu überprüfen und bei Annahme der Verfassungswidrigkeit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeizuführen (Art. 100 GG), anerkannte es ein materielles richterliches Prüfungsrecht. Mit dem Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4.11.1950, der am 3.9.1953 wirksam wurde,299 gliederte sich die Bundesrepublik Deutschland in das dort enthaltene internationale System völkerrechtlicher Mindeststandards einer rechtsstaatlichen Rechtspflege ein. b) Vereinheitlichungsgesetz. Durch das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtsein- 83 heit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12.9.1950 300 stellte der Bundesgesetzgeber die Rechtseinheit wieder her. GVG, ZPO und StPO erhielten als vom Gesetzgeber mit beschlossene Anlagen mit Wirkung vom 1.10.1950 eine neue Fassung. Durch Art. 8 des VereinhG wurde eine Vielzahl von Vorschriften aufgehoben, die teilweise noch in der Weimarer Zeit ergangen waren und den Rechtszustand ohne Änderung des Textes der maßgebenden Kodifikation verändert hatten. Von wenigen aufrechterhaltenen Vorschriften abgesehen war damit erstmals seit der Bek. der StPO und des GVG im März 1924 im Anschluss an die EmmingerVO das anwendbare Recht wieder vollständig im GVG und in der StPO geregelt. Die Vorbereitung des Gesetzes wurde vom Bundesjustizministerium mit besonderem 84 Nachdruck betrieben. Der Entwurf wurde schon im November 1949 fertiggestellt; der BRat beschloss seine Stellungnahme am 27.1.1950, der Regierungsentwurf mit der Stel-

298 299

300

Vgl. u.a. Kern (Geschichte) 292 ff. m.w.N. Zustimmungsgesetz vom 7.8.1952 (BGBl. II S. 68); Bek. vom 15.12.1953 (BGBl. II 1954 S. 14); s. näher die Erl. zur EMRK. BGBl. S. 455. Materialien: RegEntw. BTDrucks. I 530; erste Beratung 43. Sitzung des BT am 1.3.1950, Plenarprot. S. 1432; Antrag des RAusschBT. BTDrucks. I 1138; 2. und 3. Beratung, 79. Sitzung des BT am 26. u. 28.7.1950, Plenarprot. S. 2866 ff.;

3063; zum Inhalt und zur Entstehungsgeschichte s. insgesamt Gerner NJW 1950 722; Nüse JR 1950 516, 533; zum GVG Geiger SJZ 1950 708; Schönke DRZ 1950 433; zur StPO Dallinger SJZ 1950 732; Pauli DRZ 1950 461, 483; vgl. auch Kern (Geschichte) 298 ff.; ausführlich zum äußeren Ablauf und zu den Beratungen Rieß FS Helmrich 130 ff.

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Einleitung

lungnahme der Bundesregierung wurde bereits am 9.2.1950 dem Bundestag zugeleitet. Der Rechtsausschuss 301 setzte zur Vorbereitung seiner Beratungen je einen Unterausschuss für das GVG, die ZPO und die StPO ein und beriet deren Vorschläge sowie weitere Änderungsvorschläge in der Zeit vom 11.5. bis 6.6.1950 in 9 Sitzungen. In diesen Beratungen kamen zahlreiche Änderungsvorschläge, auch solche grundsätzlicherer Art, zur Sprache, und die Beschlussempfehlung des Ausschusses, der der Bundestag im Wesentlichen folgte, änderte die Regierungsvorlage in vielen Punkten ab. Abgesehen von der erst im parlamentarischen Verfahren beschlossenen Einfügung des § 136 a StPO setzten sich jedoch Bestrebungen zur Vornahme größerer Reformen im Gesetzgebungsverfahren nicht durch. Der Gesetzgeber des VereinhG war sich darüber im klaren, dass sowohl im Gerichts85 verfassungsrecht als auch im Strafverfahrensrecht das Bedürfnis nach einer breiter angelegten Reform bestand, sah jedoch wegen der Dringlichkeit der Wiederherstellung der Rechtseinheit von deren alsbaldiger Verwirklichung ab, weil hierfür eingehende und voraussichtlich langwierige Überlegungen, Erörterungen und Beratungen erforderlich seien. Die notwendigen Reformarbeiten, die auf dem durch das VereinhG erreichten Rechtszustand aufbauen sollten, wurden deshalb einem zweiten Reformschritt vorbehalten; jedoch hob der Gesetzgeber den Übergangscharakter des wiederhergestellten einheitlichen Rechts hervor.302 In der Realität sind allerdings die ersten tiefergreifenden Reformen des Strafverfahrens erst 14 Jahre später durch das StPÄG 1964 vorgenommen worden (s. Rn. 95 ff.). Das VereinhG stellte grundsätzlich den Rechtszustand wieder her, der vor den Ein86 griffen der nationalsozialistischen Regierung bestanden hatte; er griff dabei, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in jedem Fall auf eine Regelung zurück, die bereits einmal in Deutschland rechtens war und sich bewährt hatte. Aufrechterhalten wurden aus der Zeit von 1933 bis 1945 lediglich solche Regelungen, die auf davorliegende Beratungen und Entwürfe zurückgingen und sich bewährt hatten, so etwa § 206 a und der die Verlesung von Protokollen in der Hauptverhandlung regelnde § 251. Wiederhergestellt wurde entgegen dem Rechtszustand in den drei Besatzungszonen u.a. das 1942 beseitigte Eröffnungsverfahren mit dem gerichtlichen Eröffnungsbeschluss.303 Die gerichtliche Voruntersuchung, die später durch 1. StVRG beseitigt wurde (s. Rn. 113), wurde in dem vor 1933 geltenden Umfang wieder eingeführt. Hinsichtlich der Untersuchungshaft kehrte der Entwurf weitgehend zum Rechtszustand von 1933 zurück, fasste jedoch die Haftvoraussetzungen präziser. Bei den bis Ende 1994 304 weitgehend unverändert gebliebenen Vorschriften über das beschleunigte Verfahren (§§ 212 bis 212 b) griff das Gesetz zwar auf die Fassung aus dem Jahre 1940 zurück, stellte jedoch der Sache nach weitgehend den Zustand wieder her, der aufgrund verschiedener Verordnungen vor 1933 gegolten hatte. Nicht wieder eingerichtet wurde das mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzte, erstmals durch die EmmingerVO geschaffene erweiterte Schöffengericht,305 eine Entscheidung, die bereits 1953 durch das 3. StrÄndG korrigiert wurde.306

301

302

Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht (23. Aussch.); die Verhandlungen des Ausschusses mit den Ausschussdrucksachen sind gesondert veröffentlicht worden. BegrRegEntw. BTDrucks. I 530 S. 3; s. auch Geiger SJZ 1950 707.

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303 304 305 306

Zur Umgestaltung durch das StPÄG 1964 s. Rn. 113. Zur Veränderung durch das VerbrbekG s. Rn. 147 ff. Vgl. BegrRegEntw. BTDrucks. I 530 S. 3. S. unten Rn. 93.

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Die Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts

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Sachliche Neuerungen, die teilweise erst während des parlamentarischen Gesetz- 87 gebungsverfahrens in den Entwurf aufgenommen wurden, betrafen in der StPO vor allem die verbotenen Vernehmungsmethoden in dem neu eingefügten § 136 a, die Verlagerung des Präklusionszeitpunktes bei der Richterablehnung auf den Zeitpunkt nach der Vernehmung des Angeklagten zur Sache (§ 25), die uneingeschränkte Geltung des Beweisantragsrechts für alle Verfahren (§ 244) sowie die Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist von einer auf zwei Wochen.307 Im GVG wurde einheitlich die Wahl von Schöffen aufgrund von Vorschlagslisten statt der Urlisten der Gemeinden eingeführt und die Vorlagepflicht der Oberlandesgerichte bei Divergenz (§ 121 GVG) geschaffen. Bei der in den einzelnen Besatzungszonen unterschiedlich geregelten und noch im Gesetzgebungsverfahren lebhaft umstrittenen Frage, ob das polizeiliche Strafverfügungsverfahren beibehalten werden sollte, entschied sich der Gesetzgeber für die erst durch das EGStGB beseitigte Lösung der amtsrichterlichen Strafverfügung.308

VII. Die Entwicklung in der Bundesrepublik seit 1950 Schrifttum Achenbach Kriminalpolitische Tendenzen in den jüngeren Reformen des besonderen Strafrechts und des Strafprozeßrechts, JuS 1980 81; Ackermann Der Anwalt und die „Kleine Strafprozeßreform“, AnwBl. 1965 2; Baumann Strafprozeßreform in Raten, ZRP 1975 38; Berz Zur Reform des Strafverfahrens, FS Blau 51; Böttcher Das neue Opferschutzgesetz, JR 1987 133; Böttcher/Mayer Änderungen des Strafverfahrensrechts durch das Entlastungsgesetz, NStZ 1993 153; Brüssow Strafprozeßreform in Raten? FS Koch 57; Dahs sen. Die Kleine Strafprozeßreform, NJW 1965 81; Dahs Das „Anti-Terroristengesetz“ – eine Niederlage des Rechtsstaats, NJW 1976 2145; ders. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 – ein Produkt des Superwahljahres, NJW 1995 553; Dallinger Das Strafrechtsänderungsgesetz – Gerichtsverfassung und Strafverfahren, JZ 1951 620; ders. Das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz – Gerichtsverfassung und Strafverfahren, JZ 1953 432; Dencker Das Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus, StV 1987 117; Denninger Lauschangriff – Anmerkungen eines Verfassungsrechtlers, StV 1998 401; Diemer-Nicolaus Das geänderte Haftrecht, NJW 1972 1692; Dittrich Der „Große Lauschangriff“ – diesseits und jenseits der Verfassung, NStZ 1998 401; Ebert Tendenzwende in der Straf- und Strafprozeßgesetzgebung, JR 1978 136; Fischer Die Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutz-Strafsachen, NJW 1969 449; Frister Das Gesetzesvorhaben der Bundesregierung zur Einführung des Großen Lauschangriffs, StV 1996 454; Göhler Zur Auslegung der neuen Kostenvorschriften der Strafprozeßordnung, NJW 1970 454; ders. Das Einführungsgesetz zum StGB, NJW 1974 825; Gollwitzer Das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes DRiZ 1964 393; Grünwald Die Strafprozeßreform – Sicherung oder Abbau des Rechtsstaats, Vorgänge 1975 H 6. S. 36; ders. Antiliberale Tendenzwende in der Strafrechtspflege, Vorgänge 1978 H. 6 S. 12; Hamm Bürger im Fangnetz der Zentraldateien, NJW 1998 2407; Hartenbach Einführung der Hauptverhandlungshaft ZRP 1997 227; Hellmann Die Hauptverhandlungshaft gem. § 127 b StPO, NJW 1997 2145; Herrmann Die Strafprozeßreform vom 1.1.1975, JuS 1976 413; Hilger Die „Kronzeugenregelung“ bei terroristischen Straftaten, NJW 1979 2377; ders. Neues Strafverfahrensrecht durch das OrgKG NStZ 1992 457, 523; ders. Überlegungen zum Verhältnis zwischen dem Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz und der StPO, FS Gössel 605; ders. Über das Opferrechtsreformgesetz, GA 2004 478; Kanka Das Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes (StPÄG) von 1964 MDR 1965 245; Katholnigg Die gerichtsverfassungsrechtlichen Änderungen durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979, NJW 1978 2375; Kempf Opferschutzgesetz und Strafverfahrens-

307

Weitere Verlängerung auf einen Monat durch das StPÄG 1964 (s. Rn. 99).

308

S. näher L/R Schäfer24 Einl. 3 48; 53.

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änderungsgesetz 1987 – Gegenreform durch Teilgesetze, StV 1987 215; Kleinknecht Das 4. Strafrechtsänderungsgesetz – Verfahrensrecht, JZ 1957 407; ders. Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes (StPÄG), JZ 1965 113, 153; Kohlhaas Das Gesetz über die Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutzsachen, NJW 1970 20; König/Seitz Die straf- und strafverfahrensrechtlichen Regelungen des Verbrechensbekämpfungsgesetzes, NStZ 1995 1; Krägeloh Verbesserungen im Wiederaufnahmerecht durch das 1. StVRG, NJW 1975 137; Krahl Mißachtung rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze durch die schriftliche und selbstlesende Hauptverhandlung GA 1998 329; Krauth/Kurfess/Wulf Zur Reform des Staatsschutz-Strafrechts durch das Achte Strafrechtsänderungsgesetz – Strafprozeßordnung und Gerichtsverfassung, JZ 1968 732; Krekeler Strafverfahrensrecht und Terrorismus, AnwBl. 1979 212; Krey/Haubrich Zeugenschutz, Rasterfahndung, Lauschangriff, Verdeckte Ermittler, JR 1992 309; Krüger Das VerbrBekGes. – Hilfe bei der Problembewältigung, Kriminalistik 1995 41; Kühl Neue Gesetze gegen terroristische Straftaten, NJW 1987 737, 743; Kunert/Bernsmann Neue Sicherheitsgesetze – mehr Rechtssicherheit? NStZ 1989 449; Kurth Beschränkung des Prozeßstoffs und Einführung des Tonbandprotokolls durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979, NJW 1978 2481; ders. Identitätsfeststellung, Einrichtung von Kontrollstellen und Gebäudedurchsuchung nach neuem Recht, NJW 1979 1377; Lammer Terrorbekämpfung durch Kronzeugen, ZRP 1989 248; Lampe Ermittlungszuständigkeit von Richter und Staatsanwalt nach dem 1. StVRG, NJW 1975 195; Loos/Radtke Das beschleunigte Verfahren (§§ 417–420 StPO) nach dem Verbrechensbekämpfungsgesetz, NStZ 1995 569, 1996 7; Martin Zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszugs in Staatsschutz-Strafsachen, NJW 1969 713; Maul Gesetz gegen Terrorismus und Rechtsstaat, DRiZ 1977 207; Meyer, J./Hetzer Neue Gesetze gegen die Organisierte Kriminalität, NJW 1998 1017; Meyer-Goßner Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1987, NJW 1987 1161; ders. Änderungen der Strafprozeßordnung durch das Rechtspflege-Entlastungsgesetz, NJW 1993 498; Möhrenschlager Das OrgKG – eine Übersicht nach amtlichen Materialien, wistra 1992 281, 326; Müller, Ingo Neuestes und allerneuestes Strafprozeßrecht, KritJ 1978 301; Nowotsch Das neue Opferanspruchssicherungsgesetz, NJW 1998 1831; Pagenkopf Erläuterungen zum Ersten Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren (Opferschutzgesetz) DtBR II B 75; ders. Einführung zum Strafverfahrensänderungsgesetz 1987, DtBR II B 6; Peters Der neue Strafprozeß (1975); Rieß Der Hauptinhalt des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts, NJW 1975 81; ders. Die Neugestaltung der Rechtsmittel in Strafsachen, DRiZ 1976 3; ders. Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979, NJW 1978 2265; ders. Die Anti-Terrorismusgesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland in: Freiheit und Sicherheit, SchrR der BZentr. für pol. Bildung, Bd. 148 (1979) 69 (TerrorismusG); ders. Neuordnung des Rechtsschutzes gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, ZRP 1981 101; ders. Über die Beziehungen zwischen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung im heutigen Strafprozeßrecht, ZStW 95 (1983) 529; ders. Das Strafprozeßänderungsgesetz 1964 – Vergängliches und Bleibendes, FS Kleinknecht 355; ders. Der Strafprozeß und der Verletzte – eine Zwischenbilanz, Jura 1987 281; ders. 15 Jahre Strafprozeß in Raten – Rückblick und Bilanz, FS Pfeiffer 155; ders. Neue Gesetze zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, NJ 1992 491; ders. Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland in: Strafrechtliche Probleme der Gegenwart, Schriften Reihe des Bundesministeriums für Justiz, Wien, Bd. 76 (1996) 193; ders. Zeugenschutz bei Vernehmungen im Strafverfahren – Das neue Zeugenschutzgesetz vom 30. April 1998, NJW 1998 3240; ders. StraFo 2006 37; Rieß/Hilger Das neue Strafverfahrensrecht, NStZ 1987 145, 204; Rudolph Die jüngsten Änderungen des Strafprozeßrechts und Probleme der Pflichtverteidigung, FS Schmidt-Leichner 159; Rudolphi Strafprozeß im Umbruch, ZRP 1976 165; ders. Die Gesetzgebung zur Bekämpfung des Terrorismus, JA 1979 1; Schlüchter Das neue Haftrecht: Bedeutung und Auslegung für die Praxis, MDR 1973 96; ders. Weniger ist mehr – Aspekte zum Rechtspflege-Entlastungsgesetz (1992) (Entlastung); Schmidt-Leichner Strafverfahrensrecht 1975 – Fortschritt oder Rückschritt? NJW 1975 417; Schreiber, Hans-Ludwig Tendenzen der Strafprozeßreform in: Strafprozeß und Reform (1979) 15; Schreiber, Wolfgang Das Bundeskriminalgesetz vom 7.7.1997 – ein überfälliges Gesetz, NJW 1997 2137; Schroeder Kritische Bemerkungen zum StVÄG 1979, NJW 1979 1527; Schünemann Zur Stellung des Opfers im System der Strafrechtspflege, NStZ 1986 193; Seitz Das Zeugenschutzgesetz – ZschG, JR 1998 309; Senge Strafverfahrensänderungsgesetz – DNA-Analyse, NJW 1997 2409; Siegismund/ Wickern Das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege – ein Überblick über die Änderungen der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes, des Jugendgerichtsgesetzes und des Strafgesetz-

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buches, wistra 1993 81, 136; Stinzing/Hecker Abschreckung durch Hauptverhandlungshaft? Der neue Haftgrund des „vermuteten Ungehorsams“ NStZ 1997 569; Sturm Zur Bekämpfung terroristischer Vereinigungen – Ein Beitrag zum Gesetz vom 18. August 1976, MDR 1977 6; Thomas Der Diskussionsentwurf zur Verbesserung des Rechts der Verletzten im Strafverfahren – Ein Stück Teilreform, StV 1985 431; Vogel Strafverfahrensrecht und Terrorismus – eine Bilanz, NJW 1978 1221; Wache Gerichtsverfassungs- und Verfahrensrecht in: de With (Hrsg.) Deutsche Rechtspolitik2 (1980) 261; Werle Aufbau oder Abbau des Rechtsstaates, JZ 1991 789; Weigend Das Opferschutzgesetz – kleine Schritte zu welchem Ziel? NJW 1987 1170; v. Winterfeld Terrorismus – „Reform“ ohne Ende, ZRP 1977 265; ders. Entwicklungslinien des Strafrechts und des Strafprozeßrechts in den Jahren 1947 bis 1987, NJW 1987 2631; Wollweber Justitias langer Arm – Analyse und Kritik des Justizmitteilungsgesetzes, NJW 1997 2488; Zaczyk Prozeßsubjekte oder Störer? Die Strafprozeßordnung nach dem OrgKG – dargestellt an der Regelung des Verdeckten Ermittlers, StV 1993 490.

1. Übersicht. Entwicklungslinien Die durch das VereinhG wiederhergestellte Rechtseinheit war retrospektiv orientiert. 88 Sie bedeutete in weitem Umfang die Fortgeltung der RStPO von 1877, also den Rückgriff auf eine fast 70 Jahre alte Kodifikation. Die Änderungen in der Zeit des Kaiserreichs waren minimal (s. Rn. 16) und auch die der Weimarer Zeit sind abgesehen von einigen tiefgreifenden Strukturänderungen durch die EmmingerVO (s. Rn. 36 f.) nicht sehr intensiv gewesen oder mangels praktischer Bewährung wieder rückgängig gemacht worden. Der in den intensiven und nahezu kontinuierlichen Reformüberlegungen der Vergangenheit enthaltene Fundus an Vorschlägen hatte nur zu einem geringen Teil Niederschlag in der StPO und im GVG gefunden. Allein hieraus ergab sich ein erheblicher Reformdruck. Er wurde verstärkt durch die Notwendigkeit, das Verfahrensrecht an die grundlegend veränderten verfassungsrechtlichen Grundlagen anzupassen, für die in den folgenden Jahrzehnten bis etwa 1975 realisierte Reform des materiellen Strafrechts auch passende verfahrensrechtliche Regelungen zu schaffen, den sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen sowie die teilweise stürmische Rechtsentwicklung in anderen Bereichen zu berücksichtigen und schließlich die rechtssystematischen und dogmatischen Erkenntnisse in das geltende Recht zu integrieren. All dies hat in den fast 60 Jahren des Bestehens der Bundesrepublik eine außer- 89 ordentlich intensive Gesetzgebungstätigkeit (auch) im Strafverfahrensrecht bewirkt. Sie führt nicht nur im Hinblick auf die Änderungshäufigkeit und die Zahl der davon betroffenen Vorschriften zu dem Befund einer „flächendeckenden Geschäftigkeit“,309 sondern hat auch das Strafverfahrensrecht inhaltlich tiefgreifend umgestaltet. Der gegenwärtige Rechtszustand unterscheidet sich, unbeschadet der weitgehend unverändert gebliebenen Grundstruktur des Verfahrens, also des Prozessmodells und der Prozessmaximen,310 in wesentlichen Punkten von der Rechtslage nach dem VereinhG.311 Die für die Zeit nach 1950 kennzeichnende Änderungsintensität zeigt sich bereits rein quantitativ: Von den Vorschriften der StPO i.d.F. des VereinhG sind bis Ende 1997 lediglich 176 unverändert geblieben und 55 rein sprachlich geändert worden. Dem stehen gegenüber: 197 teilweise mehrfach inhaltlich geänderte oder neu gefasste, 143 neu eingefügte und 52 aufgehobene Vorschriften. Vergleichbare Werte gelten auch für das GVG 312 und in 309 310 311

Rieß FS Pfeiffer 171. Rieß StraFo 2006 37 ff. Vgl. die Zusammenstellung der die „konstituierenden Elemente der zweiten Ebene“ betreffenden Veränderungen bei Engelhard FS Rebmann 50 f.; Übersicht über die Ent-

312

wicklung bis 1980 bei Wache 265 ff., 287 ff.; Bewertung der Entwicklung von 1947 bis 1987 bei v. Winterfeld NJW 1987 2632 ff. 71 Vorschriften sind unverändert geblieben oder nur sprachlich verändert worden, 53

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besonderem Maße für das EGGVG.313 Wegen des inhaltlichen Ertrags dieser Aktivitäten und der bestehengebliebenen Defizite s. unten Rn. 189 ff. Bei einer Gesamtbetrachtung der bisherigen Gesetzesentwicklung werden inhaltlich 90 und formal Leitlinien und Abschnitte erkennbar, die sich zeitlich teilweise überschneiden.314 Zunächst schließt sich an das VereinhG eine etwa bis zum Anfang der sechziger Jahre reichende Phase der weiteren Konsolidierung der Rechtseinheit an, in der der Umfang der Gesetzgebung vergleichsweise gering ist.315 Ihr folgt, etwa von 1964 bis 1970 ein Abschnitt, der durch die Vorwegnahme dringender Teilreformen gekennzeichnet ist, durch die in erster Linie (aber nicht ausschließlich) den verfassungsrechtlichen Erfordernissen der grundgesetzlichen Ordnung Rechnung getragen werden soll, und in deren Mittelpunkt die sog. „kleine Strafprozessreform“ durch das StPÄG 1964 steht.316 Die nachfolgende Zeit von Anfang der siebziger bis zum Ende der achtziger Jahre lässt sich formal kennzeichnen als die Epoche der „Strafprozessreform“ in Raten,317 also als den Versuch, durch umfangreiche Novellen die Erneuerung des Strafverfahrensrechts voranzutreiben. Die inhaltlichen Schwerpunkte variieren dabei ;318 der Gedanke der Sicherung der Effektivität und Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege spielt eine erhebliche, wenn auch durchaus nicht ausschließliche Rolle.319 Zeitlich diese Tendenzen überlagernd fallen in den gleichen Zeitraum Maßnahmen zur reaktiven Krisenbewältigung, die als Terrorismusgesetzgebung in erster Linie der Sicherung des Rechtsstaates vor terroristischer Gefährdung dienen sollen. Die neueste Entwicklung seit etwa 1987 dürfte sich nach einer gewissen „Konsolidierungspause“ von 1987 bis 1991 320 als ein Abschnitt kennzeichnen lassen, in der neben weiteren Entlastungs- und Vereinfachungsmaßnahmen das Ermittlungsinstrumentarium der Strafverfolgungsbehörden mit dem Ziel einer effektiven Verbrechensbekämpfung ausdifferenziert wird 321 und zugleich die Konsequenzen aus den vielfach postulierten Recht auf informationelle Selbstbestimmung gezogen werden;322 formal tritt dabei wohl zunehmend eine kodifikationsübergreifende und problemorientierte Gesetzgebungstechnik hervor. Bei den Bemühungen um eine Reform des Strafverfahrensrechts ist es seit 1945, 91 anders als in der früheren Zeit, bisher trotz dahingehender Anstöße 323 weder zur Bildung einer amtlichen Strafprozesskommission noch zur Aufstellung von Gesamtentwürfen gekommen. Allerdings sind amtlicherseits Teilentwürfe erarbeitet und diskutiert worden, auch haben Kommissionen der Verbände und wissenschaftliche Arbeitskreise solche Teilkonzeptionen vorgelegt. Die Erörterung einzelner Reformfragen, aber auch in der

313

314

315 316 317

Vorschriften wurden inhaltlich geändert oder neu gefasst, 23 eingefügt und 49 aufgehoben (ohne nur das Zivilverfahren betreffende Bestimmungen); ausführlich dazu auch Rieß StraFo 2006 37 ff. Von den bei Inkrafttreten des VereinhG noch praktisch bedeutsamen 8 Vorschriften sind 3 geändert; seither sind 30 neu eingefügt worden. Ähnlich, wenn auch in den Details abweichend, AK/Schreiber Einl. I 11 ff.; s. auch Rieß ZRP 1977 68 ff. Dazu näher Rn. 93 f. S. Rn. 95 ff. Vgl. zusammenfassend zu diesem Abschnitt Rieß FS Pfeiffer 155; s. näher Rn. 106 ff.

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Versuch einer Bilanzierung bei Rieß FS Pfeiffer 171 ff. Vgl. AK/Schreiber Einl. I 16, der hierin eine eigenständige Entwicklungslinie sieht. S. Rn. 136 f. Vgl. die Bezeichnung von Hilger NStZ 1992 526 von der StPO als „Operativgesetz“ für die Strafverfolgungsbehörden; s. dazu auch Rn. B 11. Vgl. dazu u.a. m.w.N. Rogall Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt im Strafprozessrecht (1992); Wolter ZStW 107 (1995) 793 ff.; Meyer-Wieck NJW 2005 2037. Rn. 96 a.E.

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neueren Zeit die Darstellung von Gesamtkonzeptionen im wissenschaftlichen und rechtspolitischen Schrifttum sowie die Bemühung um die Gewinnung rechtsvergleichender und rechtstatsächlicher Erkenntnisse ist stets lebhaft gewesen.324 Inhaltlich haben sich die Schwerpunkte im Laufe der Zeit verlagert. Standen anfangs Fragen der Umgestaltung des Strafverfahrens nach dem Vorbild des anglo-amerikanischen Verfahrens und damit verbunden eine Reform des Hauptverfahrens im Vordergrund des Interesses und spielte etwa bis 1975 die Neugestaltung des gerichtsverfassungsrechtlichen Aufbaus durch eine große Justizreform und die Reform des Rechtsmittelsystems und der Wiederaufnahme eine hervorragende Rolle, so hat sich in der neueren Zeit der Schwerpunkt auf das Ermittlungsverfahren, Formen konsensualer Verfahrenserledigung und Fragen der Wiedergutmachung sowie des Täter-Opfer-Ausgleichs und des Zeugenschutzes verlagert. Vgl. hierzu Rn. 189 ff. Die nachfolgende Einzeldarstellung der Entwicklung von 1950 bis zum Ende der 92 15. Legislaturperiode Mitte 2005 kann angesichts des Umfangs der Änderungen nur einen konzentrierten Überblick unter Herausarbeitung der hauptsächlichen Entwicklungslinien und Elemente in ihrem zeitlichen Ablauf geben; eine vollständige Darstellung sämtlicher Änderungen oder auch nur die Aufzählung aller jeweils geänderten Vorschriften ist nicht möglich. Ergänzend ist insoweit auf die Entstehungsgeschichte zu verweisen, die jeweils bei den einzelnen Abschnitten der Gesetze und den einzelnen Vorschriften zu Beginn der Erläuterungen dargestellt wird. 2. Die Zeit von 1950 bis Ende 1964 a) Strafprozessordnung und Gerichtsverfassungsgesetz. Der Schwerpunkt der gesetz- 93 geberischen Entwicklung in den 15 Jahren nach dem VereinhG bis zur Verabschiedung des StPÄG 1965 (Rn. 95 ff.) lag außerhalb der StPO und des GVG.325 Dennoch brachte die Gesetzgebung einige bis heute fortwirkende Neuregelungen. Das im Wesentlichen das Staatsschutzstrafrecht reformierende 1. StrÄndG 326 fügte § 74 a GVG ein und schuf dort mit der sog. Staatsschutz-Strafkammer erstmalig eine Spezialstrafkammer mit gesetzlich vorgeschriebener Zuständigkeit und örtlicher Zuständigkeitskonzentration.327 In die StPO wurde der (heutige) § 153 b (Einstellungsmöglichkeit bei Absehen von Strafe) sowie die Gestellungsbeschlagnahme nach § 433 328 eingefügt. Die Möglichkeit der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111 a) wurde 1952 geschaffen 329 und 1964 im Zusammenhang mit der Einführung des Fahrverbots erweitert.330 Durch das 3. StrÄndG 331 wurden neben den Anpassungen an die durch dieses Gesetz neu gestaltete Strafaussetzung zur Bewährung das erweiterte Schöffengericht (§ 29 Abs. 2 GVG) mit dem Ziel wieder eingeführt, den Bundesgerichtshof zu entlasten. In der StPO wurde u.a. die Ver324

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Vgl. die zusammenfassenden Nachw. bei Engelhard FS Rebmann 54 ff.; Rieß ZStW 95 (1983) 534 f.; näher unten Rn. 189 ff. Insgesamt erfuhr die StPO in diesem Zeitraum durch 8, das GVG durch 14 Gesetze Änderungen; Einzelaufzählung der Vorschriften in der 24. Aufl. Einl. Kap. 3 58 ff. Vom 30.8.1951 (BGBl. I S. 739); zum Inhalt Dallinger JZ 1951 620, Henssler ZAP 2005 1125. Der Zuständigkeitskatalog ist seither vielfach verändert worden.

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Erste substantielle Änderung der (selten angewandten) Vorschrift durch das OrgKG, s. Rn. 142. Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 19.12.1952 (BGBl. I S. 832). 2. Straßenverkehrssicherungsgesetz vom 26.11.1964 (BGBl. I S. 921). Vom 4.8.1953 (BGBl. I S. 735). Zur Entstehungsgeschichte und den materiell-rechtlichen Änderungen Dreher/Lackner JZ 1953 421; zum Verfahrensrecht Dallinger JZ 1953 432.

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pflichtung zur Rechtsmittelbelehrung (§ 35 a) geschaffen; die beruflichen Zeugnisverweigerungsrechte und Beschlagnahmeverbote wurden erweitert,332 die Möglichkeiten der Haftverschonung ausgeweitet (§ 117). Regelungen für die Einstellung durch die Staatsanwaltschaft und das Klageerzwingungsverfahren wurden präzisiert (§§ 171, 172). Das 4. StrÄndG,333 das im Wesentlichen die im Zusammenhang mit der Wiederbewaffnung stehenden Straftaten gegen die Landesverteidigung einfügte, ergänzte die §§ 98, 105 für Beschlagnahme und Durchsuchungen in Anlagen der Bundeswehr und fügte den (heutigen) § 153 d (tätige Reue bei Staatsschutzdelikten) ein.334 Das Deutsche Richtergesetz 335 übertrug unter Aufhebung der §§ 2 bis 9 und 11 das bis dahin im GVG (unvollständig) geregelte Amtsrecht der Richter entsprechend dem Verfassungsauftrag der Art. 97, 98 GG in ein selbständiges Gesetz.

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b) Von den Rechtsetzungen außerhalb vom GVG und StPO hatte das neue Jugendgerichtsgesetz 1953 erhebliche verfahrensrechtliche und gerichtsverfassungsrechtliche Auswirkungen. Das ZustErgG 336 regelte u.a. die Fortführung oder die Wiederaufnahme von Verfahren nicht mehr bestehender Gerichte. Die Verwaltungsgerichtsordnung fügte 1960 die die Anfechtung von Justizverwaltungsakten regelnden §§ 23 bis 30 in das EGGVG ein; eine Lösung, die ursprünglich lediglich als Übergangsregelung gedacht war,337 die sich aber bis heute erhalten hat und deren vollständige Ablösung durch spezialgesetzliche Regelungen in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist. Mit dem die ursprünglichen besatzungsrechtlichen Vorbehalte 338 ablösenden Nato-Truppenstatut und dem Zusatzabkommen, das 1963 in Kraft trat, wurde die Gerichtsbarkeit hinsichtlich der Stationierungstruppen geregelt. Ferner wurden in der Zeit von 1953 bis 1960 die wichtigten Justizverwaltungsanordnungen von den hierfür zuständigen Ländern vereinheitlicht, namentlich die Richtlinien für das Strafverfahren, die Strafvollstreckungsordnung und die Anordnung über die Mitteilungen in Strafsachen.339 3. Die „Kleine Strafprozessreform“ durch das StPÄG 1964

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a) Bedeutung und Entstehungsgeschichte. Das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19.12.1964 340, das am 1.4.1965 in Kraft trat, hat eine lange und verwickelte Entstehungsgeschichte.341 Ausgangslage war der Umstand, dass das VereinhG retrospektiven Charakter hatte und den in Jahrzehnten angewachsenen Reformstau nicht berücksichtigen konnte (Rn. 88). Die ursprüngliche

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§§ 53, 53 a, 97 StPO. Vom 11.6.1957 (BGBl. I S. 597); zur Entstehungsgeschichte und zum materiell-strafrechtl. Inhalt Lackner JZ 1957 401. Übersicht über verfahrensrechtliche Änderungen bei Kleinknecht JZ 1957 407. Vom 8.9.1961 (BGBl. I S. 1665); zur Entstehungsgeschichte Schmidt-Räntsch Einl. 7 f.; s. auch Arndt DRiZ 1961 198; Kern JZ 1961 617; Schmidt-Räntsch DRiZ 1961 345. Vom 7.8.1952 (BGBl. I S. 407). S. näher die Erl. Vor § 23 EGGVG; Kissel/ Mayer § 23, 2 ff. EGGVG. S. zu diesen Rn. 77 und 24. Aufl. Einl. Kap 3 57.

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S. näher 24. Aufl. Einl. Kap. 3 56. BGBl. I S. 1067; Abdruck in der 21. Aufl. ErgBd. m. Nachw. der Materialien und des die Beratungen begleitenden Schrifttums sowie einer ausführlichen Einl. Zum Inhalt Ackermann AnwBl. 1965 2; Dahs sen. NJW 1965 81; Gollwitzer DRiZ 1964 393; Kanka MDR 1965 245; Kleinknecht JZ 1965 113, 153; Zusammenfassung aus der Sicht von 1985 Rieß FS Kleinknecht 355. S. Gollwitzer DRiZ 1964 245; Kleinknecht JZ 1965 113 f.

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Absicht, der umfassenden Reform des materiellen Strafrechts, die 1954 mit der Bildung der großen Strafrechtskommission eingeleitet wurde, in überschaubarer Zeit eine umfassende Reform des Strafverfahrens folgen zu lassen, scheiterte an der sich unerwartet lange hinziehenden Strafrechtsreform. Deshalb begannen 1959 die Vorarbeiten für eine Novellierung, die breiter angelegt war als die bisherigen punktuellen Änderungen, die aber eine umfassende Reform nicht präjudizierte. Mit diesem erstmals realisierten „Konzept des Mittelweges“ 342 gelang es, die seit dem Bestehen der StPO bestehende Pattsituation zwischen Reformdruck und der Unmöglichkeit einer auf einmal durchzuführenden Totalerneuerung des Strafverfahrens aufzulösen. Als großräumige Novellierungsgesetzgebung hat das StPÄG 1964 bis etwa 1986 gleichsam stilbildend für spätere Novellen, wie das 1. StVRG, das StVÄG 1979, das OpferschutzG und das StVÄG 1987 gewirkt, auch wenn sich inhaltlich der damalige Regelungsschwerpunkt einer „rechtsstaatlichen Liberalisierung“ des Strafverfahrens auf andere Inhalte verlagert hat.343 Der erstmals in der 3. Legislaturperiode im August 1960 und in nur wenig veränder- 96 ter Form in der 4. Legislaturperiode im Februar 1962 erneut eingebrachte Regierungsentwurf 344 ist im Deutschen Bundestag außerordentlich intensiv und eingehend beraten worden; insbesondere deshalb, weil in den Erörterungen zusätzliche Änderungsvorschläge teilweise grundsätzlicher Art aufgegriffen wurden.345 Nachdem der RAusschBT seine Beratungen zunächst abgeschlossen hatte,346 führte eine sehr kontroverse Beratung in der 2. Lesung des Bundestages im März 1963 mit einer Vielzahl von Änderungsanträgen 347 zu der ungewöhnlichen Entscheidung, den Entwurf nochmals an die Ausschüsse zurückzuverweisen. Hier erfuhr er eine erhebliche Umgestaltung,348 bis er im Juni 1964 in zweiter und dritter Lesung beschlossen wurde.349 Er konnte freilich wegen eines vom Bundesrat verlangten Vermittlungsverfahrens 350 erst im November 1964 endgültig verabschiedet werden.351 Anlässlich der Verabschiedung des Gesetzes forderte der Bundestag einstimmig die Bundesregierung auf, nach dem Vorbild der großen Strafrechtskommission eine große Strafverfahrenskommission einzuberufen und Vorschläge zur Neugestaltung des Strafverfahrens alsbald vorzulegen.352 Die Realisierungschancen wurden von Anfang an teilweise skeptisch beurteilt.353 Zur Einrichtung einer solchen Kommission ist es bis heute aus verschiedenen Gründen 354 nicht gekommen (s. auch Rn. 189 ff.). b) Die Einzelheiten des Inhalts des StPÄG 1964 sind ausführlich in der 24. Aufl. 97 (Einl. Kap. 3 61 bis 77) sowie im ErgBd. der 21. Auflage dargestellt; hierauf wird verwiesen.355 Im Mittelpunkt stand das Bestreben, die Stellung des Beschuldigten im Verfahren deutlich zu verbessern. Das Gesetz unternimmt es, auch unter Rückgriff auf den Entwür-

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Rieß FS Kleinknecht 357. S. dazu Rieß ZRP 1977 68 ff. BTDrucks. IV 178; vorausgegangen war (BTDrucks. IV 63) ein Entw. der Regierungsparteien. S. dazu u.a. Dünnebier in der 21. Aufl. ErgBd. S. 6; Kleinknecht JZ 1965 113. BTDrucks. IV 1020. 69. Sitzung der 4. Wahlperiode vom 27.3. 1963, Plenarprot. S. 3102 ff. Vgl. BTDrucks. IV 2378. 132. Sitzung der 4. Wahlperiode vom 24.6. 1964, Plenarprot. S. 6436.

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Vgl. BTDrucks. IV 2459. 147. Sitzung der 4. Wahlperiode vom 13.11. 1964, Plenarprot. S. 7240 ff. Wortlaut bei Engelhard FS Rebmann 47; Kleinknecht JZ 1965 117. Kanka (Berichterstatter für das StPÄG 1964) MDR 1965 250; Hanack FS Gallas 339 Fn. 2 (Feigenblattfunktion). Vgl. Engelhard FS Rebmann 47 f. S. auch die Nachw. in Fn. 340.

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fen 1909 und 1919 entstammendes Gedankengut, die verfassungsrechtlichen Postulate einer freiheitlichen, die Menschenwürde achtenden sozialen Rechtsstaates in konkretes Verfahrensrecht umzusetzen.356 Zu den Schwerpunkten des Gesetzes gehören die umfassende Neuregelung des Rechts 98 der Untersuchungshaft und eine Verbesserung des rechtlichen Gehörs in allen Auswirkungen und Verästelungen.357 Das auch hierin wurzelnde Rechtsinstitut der staatsanwaltschaftlichen Schlussanhörung und des Schlussgehörs bewährte sich allerdings nicht und wurde durch das 1. StVRG wieder beseitigt.358 Die Stellung des Verteidigers wurde vor allem durch eine (maßvolle) Ausweitung der notwendigen Verteidigung 359 sowie die gesetzliche Anerkennung des Akteneinsichtsrechts im Ermittlungsverfahren 360 und die Gewährleistung des uneingeschränkten mündlichen und schriftlichen Verkehrs 361 gestärkt. Die anfänglich vielfach als unbefriedigend empfundene und im Gesetzgebungsverfahren besonders umstrittene Neugestaltung des Eröffnungsverfahrens hat sich bis heute erhalten.362 Weitere Änderungen der StPO betrafen die bessere Sicherung der Unabhängigkeit des 99 Richters durch eine Neuregelung bei den Ausschließungs- und Ablehnungsgründen sowie bei der Zurückverweisung;363 die Erweiterung der Begrenzungen des Legalitätsprinzips;364 im Revisionsrecht neben der Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist (§ 345) eine Neuregelung der Beschlussentscheidungsmöglichkeiten durch das Revisionsgericht, die zu einer deutlichen Zunahme dieser Entscheidungsform führte und seither unverändert geblieben ist;365 Veränderungen im Wiederaufnahmerecht, die durch das 1. StVRG aufgenommen und weitergeführt wurden,366 sowie kostenrechtliche Maßnahmen zur Einebnung der Unterscheidung zwischen dem Freispruch mangels Beweises und wegen fehlenden Tatverdachts, die allerdings erst durch das EGOWiG konsequenter vereinheitlicht wurden.367 Die erweiterten Protokollierungsvorschriften für die Hauptverhandlung in Richtung auf ein allgemeines Inhaltsprotokoll bewährten sich nicht und sind seither über die Regelung vor dem StPÄG 1964 hinaus rückgängig gemacht worden.368 Im Gerichtsverfassungsgesetz wurde das Verbot der Fernseh-, Ton- und Filmaufnah100 men aus öffentlichen Verhandlungen (§ 169 Satz 2) eingeführt, die Verpflichtung zur sog. kammerinternen Geschäftsverteilung (damals § 69 Abs. 2, heute § 21 g GVG) geschaffen und die Möglichkeit der örtlichen Zuständigkeitskonzentration (§ 59 GVG) erweitert. Hiervon abgesehen spielten die in der seitherigen Entwicklung intensiven Eingriffe in die Gerichtsverfassung beim StPÄG 1964 noch keine Rolle.

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Rieß ZRP 1977 68. Neue §§ 33 a, 163 a, 257 a, Änderung der §§ 33, 243, 308, 311, 350, 369. §§ 169 a bis 169 c; s. dazu Rieß FS Kleinknecht 362 f. §§ 140, 141, 142. Neufassung des § 147. Neufassung des § 148; die Regelung war äußerst umstritten; vgl. Rieß FS Reichsjustizamt 410. S. die Erl. Vor § 198; Rieß FS Kleinknecht 369. Neufassung der §§ 23, 25, Einfügung des § 26 a, Änderung der §§ 26, 27, 28 und 354;

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zur Bewertung und zur weiteren Entwicklung Rieß FS Kleinknecht 366 ff. Einführung des § 154 a und Änderung des § 153, Folgeänderungen in §§ 383, 385, 396, 397. Änderung des § 349; s. dazu Rieß FS Kleinknecht 372 f., Burhoff ZAP 2002 255. §§ 369, 372; zur weiteren Entwickl. s. Rn. 113. Änderung des § 467; Einfügung des § 467 a; s. weiter Rn. 104. Änderung des § 273; s. Rieß FS Kleinknecht 370 f.

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c) In der Wirkungsgeschichte des StPÄG 1964 ist ein deutlicher Beurteilungswandel 101 erkennbar. Wurde es anfänglich verbreitet von verschiedenen Seiten kritisiert,369 so galt es nach etwa einem Jahrzehnt als eine Art Höhepunkt liberaler Rechtsentwicklung. Beiden Beurteilungen liegt indessen eine zu einseitige und nur einzelne Teile des Gesetzes ins Blickfeld nehmende Betrachtungsweise zugrunde.370 Aus der Perspektive einer mehr als dreißigjährigen Entwicklung lässt sich feststellen, dass zahlreiche durch das StPÄG 1964 eingeführte Neuregelungen, auch wenn sie teilweise weiter ausgebaut oder in Details korrigiert worden sind, heute zum gesicherten Bestand des Strafverfahrensrechts gehören, und zwar selbst dort, wo ursprünglich eine alsbaldige Korrektur vorausgesagt wurde. Die Kritik einer späteren „Rückabwicklung“ betrifft nur einige Teilbereiche, so beispielsweise das staatsanwaltschaftliche Schlussgehör sowie die Vorschriften über die Protokollierung in der Hauptverhandlung. Erkennbar wird aber auch, dass sich die Schwerpunkte der Reformdiskussion auf Felder verlagert haben, die für den Gesetzgeber der „kleinen Strafprozessreform“ des Jahres 1964 kaum von Bedeutung waren, und erkennbar wird heute ferner, dass sich die rechts- und kriminalpolitische Grundhaltung der Gegenwart von der tiefgreifend unterscheidet, die dem StPÄG 1964 zugrunde lag. 4. Die Entwicklung von 1965 bis 1973 a) Übersicht. In der Zeit nach dem StPÄG 1964 bis zu den tiefgreifenden Änderungen 102 des Strafverfahrensrechts im Jahre 1974 (Rn. 110 ff.) blieben die Änderungen in der StPO, abgesehen von reinen Anpassungen, verhältnismäßig gering und, obwohl zahlenmäßig häufig,371 eher punktuell. Sie realisierten jedoch teilweise Reformansätze von nicht unerheblicher Bedeutung, auch wenn sie zu einem erheblichen Teil auf außerstrafprozessualen Anlässen beruhen. Bedeutsame Änderungen vollzogen sich in dieser Zeit im GVG,372 namentlich durch die Präsidialverfassung und die Beseitigung der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesgerichtshofes. Daneben wurden außerhalb von StPO und GVG wichtige Rechtsänderungen verwirklicht, die erhebliche Auswirkungen auch auf das Strafverfahren mit sich brachten. Während des Zeitraums bis Mitte 1968 unterblieben Gesetzesänderungen fast vollständig; der Schwerpunkt der nachfolgend zu skizzierenden Entwicklung lag in der Zeit von Mitte 1968 bis Ende 1972. Wegen der teilweise in diesen Zeitraum zurückreichenden Reformansätze s. Rn. 109.373 b) Die eigenständigen gerichtsverfassungsrechtlichen Änderungen betrafen zunächst 103 die allgemeine Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutz-Strafsachen,374 der eine Grundgesetzänderung (Art. 96 Abs. 5 GG) vorausging. Die bis dahin bestehende erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs (und davor des Reichsgerichts) nach § 134 GVG a.F. wurde beseitigt; die erstinstanzliche Zuständigkeit ging

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S. die Nachw. und die Auseinandersetzung damit im ErgBd. 21. Aufl. S 9 f. Rieß FS Kleinknecht 359 f., 375 ff. Von Anfang 1965 bis Ende 1973 wurde die StPO durch 15 Gesetze geändert. Änderungen des GVG erfolgte durch 11 Gesetze. S. auch die Denkschrift des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer

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zur Reform des Rechtsmittelrechts und der Wiederaufnahme des Verfahrens im Strafprozess (1971). Gesetz vom 8.9.1969 (BGBl. I S. 1582); ausführlicher 24. Aufl., Einl. Kap. 3 85; s. näher Fischer NJW 1969 449; Kohlhaas NJW 1970 20; Martin NJW 1969 713; Soiné/Engelke NJW 2002 470.

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auf die Oberlandesgerichte über (§ 120 GVG).375 Daraus ergab sich, dass diese Urteile nunmehr mit der Revision zum Bundesgerichtshof anfechtbar waren. Um dem Generalbundesanwalt, dessen Kompetenzen in § 142 a GVG neu geregelt wurden, die Strafverfolgung in diesen Verfahren weiterhin zu ermöglichen, wurde bestimmt, dass die Oberlandesgerichte insoweit Gerichtsbarkeit des Bundes ausübten (sog. Organleihe). Diese neue Konzeption hatte zahlreiche Folgeänderungen in der StPO und im GVG zur Folge. Das GVG-ÄndG vom 8.9.1971 376 führte mit dem neuen § 74 c GVG die Wirtschaftsstrafkammer ein, und zwar zunächst nur in Form einer bloßen Ermächtigung zur örtlichen Zuständigkeitskonzentration,377 die durch das StVÄG 1979 in eine gesetzliche Spezialzuständigkeit umgewandelt wurde. Die gegenwärtige Präsidialverfassung (§§ 21 a bis 21 i GVG) wurde durch das PräsVerfG 378 verwirklicht, das darüber hinaus bei dem damals noch bestehenden Schwurgericht 379 die Bezeichnung „Geschworener“ durch „Schöffen“ ersetzte. Das 1. StrRG 380 begrenzte die Sanktionsgewalt des Amtsgerichts, die vorher 2 Jahre Zuchthaus betrug und bei der Gefängnisstrafe nicht begrenzt war, im Zusammenhang mit der Beseitigung dieses Unterschiedes auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren 381 und schloss neben der Sicherungsverwahrung auch die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aus.

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c) Eigenständige Änderungen der StPO erfolgten zunächst in erheblichem Umfang durch das EGOWiG 382 durch eine umfassende Neuregelung der verfahrensrechtlichen Stellung der Nebenbeteiligten (§§ 430 bis 444), eine Teilreform kostenrechtlicher Vorschriften im Anschluss an das StPÄG 1964,383 Maßnahmen zur vorläufigen Sicherstellung (§§ 127 a, 132) sowie die Übertragung der Durchsicht von sichergestellten Geschäftspapieren vom Richter auf den Staatsanwalt.384 Bei der grundlegenden Reform des Staatsschutzstrafrechts durch das 8. StrÄndG 385 wurden namentlich durch die Neufassung des (heutigen) § 153 c und die Einführung der (heutigen) §§ 153 d, 153 e die Nichtverfolgungsmöglichkeiten bei Staatsschutzdelikten erweitert. Das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses 386 schuf mit den neuen §§ 100 a, 100 b die in ihrer Grundkonzeption bis heute erhaltene Rechtsgrundlage für die Fernmeldeüberwachung, bei der der Straftatenkatalog seither häufig und vielfach ausdehnend erweitert wurde. Schließlich änderte das StPÄG 1972 das Recht der Untersuchungshaft,387 indem die sehr engen Haftvoraussetzungen nach der Reform des StPÄG 1964 teilweise wieder erweitert und vor allem der Haftgrund der Wiederholungsgefahr

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Erweiterungen der zunächst begründeten Zuständigkeit erfolgte mehrfach im Rahmen der Terrorismusgesetzgebung, s. Rn. 119, 124. BGBl. I S. 1513. Als Folgeänderung neuer § 13 a StPO, der durch das StVÄG 1979 wegen der dortigen umfassenden Regelung (s. Rn. 121) wieder aufgehoben wurde. Vom 25.6.1972 (BGBl. I S. 841); zahlreiche Folgeänderungen im GVG; zur Entstehungsgeschichte s. 23. Aufl. Vor § 21 a, 5 GVG. Zu dessen Abschaffung s. Rn. 113. Vom 25.6.1969 (BGBl. I S. 645). Erweiterung auf vier Jahre Freiheitsstrafe durch das RpflEntlG; s. Rn. 144.

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Vom 24.5.1968 (BGBl. I S. 503); s. näher 24. Aufl. Einl. Kap. 3 78 ff. §§ 464a, 465, 466, 467, 467a, 469, 470, 472b, 473; s. dazu Göhler NJW 1970 454. § 110 StPO; Übertragung der Durchsicht aller Papiere auf den Staatsanwalt durch das 1. StVRG (s. Rn. 113). Vom 25.6.1968 (BGBl. I S. 741); zu den verfahrensrechtlichen Änderungen Krauth/Kurfess/Wulf JZ 1972 732 ff. Vom 13.8.1968 (BGBl. I S. 949) Art. 3. Gesetz vom 7.8.1972 (BGBl. I S. 1361); näher 24. Aufl. Einl. Kap. 3 87; zum Inhalt näher Diemer-Nicolaus NJW 1972 1692; Schlüchter MDR 1973 96.

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als neuer § 112 a verselbständigt und ausgeweitet wurde. Die Diskussion um seine weitere Ausweitung ist seither nicht zur Ruhe gekommen. d) Rechtsänderungen außerhalb der StPO und des GVG mit Auswirkungen auf das 105 Strafverfahrensrecht enthielt das neue Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 25.5.1968 (BGBl. I S. 80), das, anders als das OWiG 1952, verfahrensrechtlich Straf- und Bußgeldverfahrens stärker miteinander verzahnte.388 Das Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen vom 8.3.1971 (BGBl. I S. 157) ersetzte die veralteten Entschädigungsgesetze von 1898 und 1904 und bemühte sich, den Anforderungen an die Unschuldvermutung besser Rechnung zu tragen. Das Bundeszentralregistergesetz vom 18.3.1971 (BGBl. I S. 243) führte die bis dahin bei den einzelnen Staatsanwaltschaften dezentral geführten Strafregister zu einem dem Generalbundesanwalt zugeordneten zentralen Register zusammen und trägt durch detaillierte Vorschriften über die Nichtaufnahme bestimmter Verurteilungen, Verkürzung der Tilgungsfristen und ein umfassendes Verwertungsverbot nach Eintritt der Tilgungsreife dem Resozialisierungsgedanken Rechnung. 5. Die Entwicklung von 1974 bis 1987 a) Übersicht. Die gesetzgeberische Entwicklung in der 7. bis 10. Legislaturperiode ist 106 durch mehrere, teilweise einander überschneidende Linien gekennzeichnet. Ihr äußerlich hervorstechendes Merkmal ist eine außerordentlich hohe Änderungshäufigkeit 389 mit teilweise in die Struktur des Strafverfahrens und der Strafgerichtsverfassung tief eingreifenden Neuregelungen. Hinzu tritt eine sich intensivierende, teilweise auch in amtliche Entwürfe mündende Reformdiskussion (s. Rn. 109). Mit mehreren umfangreichen Novellen, nämlich dem 1. StVRG, dem ErgG 1. StVRG, 107 dem StVÄG 1979, dem OpferschutzG und dem StVÄG 1987 hat der Gesetzgeber den Versuch einer Gesamtreform durch Teilgesetze unternommen,390 allerdings alsbald unter deutlicher Rücknahme des auf die Gesamtreform abstellenden Akzentes.391 Diese durch eine Reihe kleinerer Novellen ergänzte „Strafprozessreform in Raten“ 392 ist vielfach auf Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens ausgerichtet gewesen, hat aber darüber hinaus und unabhängig hiervon auch eine Reihe unter diesem Gesichtspunkt mindestens ambivalenter neuartiger Lösungsansätze und Regelungen gebracht.393 Ihr Gesamtertrag ist wohl dahin zu würdigen, dass es gelungen ist, die Effektivität des Strafprozesssystems trotz steigender quantitativer Belastung und vielfacher Spannungen zu erhalten, dass die damit erreichte Modernisierung des Strafverfahrens aber einer übergreifenden Gesamtperspektive ermangelt. Die Konzeption der Gesamtreform durch Teilgesetze hat damit mindestens ihre Leistungsgrenze erreicht;394 teilweise wird sie als gescheitert angesehen.395 Jedenfalls ist sie in der gesetzgeberischen Entwicklung seit 1987, die andere Wege eingeschlagen hat (s. Rn. 131 ff.), nicht fortgesetzt worden. 388 389 390

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Dazu und zur Entwicklung ausführlich 24. Aufl. Einl. Kap. 3 93 ff. Änderung der StPO durch 27 und des GVG durch 28 Gesetze. Ausführliche Darstellung dieser Konzeption im RegEntw. 1. StVRG, BTDrucks. 7 551 S. 32; vgl. auch 24. Aufl. Einl. Kap. 4 31 ff. Bilanz und Würdigung des Ertrags dieser Gesetzgebung bei Rieß FS Pfeiffer 155.

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Baumann ZRP 1975 38 ff. Vgl. die Gruppierungen bei Rieß FS Pfeiffer 171 ff. Vgl. Engelhard FS Rebmann 51; Rieß FS Pfeiffer 174; FS Schäfer 162. So u.a. AK/Schreiber Einl. I 15; Wolter GA 1985 49 f.; dagegen Engelhard FS Pfeiffer 51.

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Ein zweiter Entwicklungsstrang, auf dem eine umfangreiche und teilweise hektische Gesetzgebung beruht, ist durch das Phänomen des Terrorismus der damaligen Zeit und der Notwendigkeit seiner Bekämpfung gekennzeichnet.396 Die Abgrenzung zu den die Reform des Strafverfahrens betreffenden Regelungen ist nicht immer trennscharf möglich, weil diese Entwicklung einerseits das Reformklima mit beeinflusst hat, andererseits in ihr auch allgemeine rechtspolitische und dogmatische Lösungsansätze realisiert worden sind.397 Die Gesamtheit der Änderungen wird im Schrifttum teilweise als (illiberale) Tendenzwende gekennzeichnet,398 eine Bewertung, die der Komplexität der gesamten Entwicklung nicht ganz gerecht wird,399 wenngleich sie in großen Teilen sicherlich als solche identifiziert werden konnte. Die Reformdiskussion ist u.a. durch mehrere amtliche Entwürfe beeinflusst worden, 109 die nicht Gesetz geworden und überwiegend gar nicht erst in das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren gelangt sind. Übergreifenden Charakter hatte der Referentenentwurf eines 1. Justizreformgesetzes von Ende 1971,400 mit dem in erster Linie angestrebt wurde, den vierstufigen Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit durch einen dreistufigen (Eingangsgerichte, Gerichte der Mittelinstanz und Bundesgerichtshof) zu ersetzen. In Zusammenhang mit diesen Ansätzen stand der danach noch selbständig weitergeführte Diskussionsentwurf für eine Reform der Rechtsmittel in Strafsachen mit dem Ziel eines einheitlichen revisionsähnlichen Rechtsmittels.401 Ein weiterer, Anfang 1981 vorgelegter Referentenentwurf hatte eine Neuordnung des Rechtsschutzes gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen zum Gegenstand.402 Von der Wissenschaft wurden mehrere Entwürfe für einzelne Teilbereiche vorgelegt, so zur Verteidigung,403 zur Untersuchungshaft,404 für ein Strafverfahren mit nicht-öffentlicher Hauptverhandlung im Bereich der kleineren Kriminalität 405 sowie für eine Neugestaltung der Hauptverhandlung insgesamt.406 In zunehmendem Maße wurden rechtstatsächlich fundierte Reformansätze zur Diskussion gestellt 407 und es wurden erste konzeptionelle Ansätze für eine umfassende Gesamtreform entwickelt.408

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Übersicht und Bewertung der Gesetzgebung insgesamt beispielsweise bei Rieß (TerrorismusG); Rudolphi JA 1979 1; Vogel NJW 1978 1217; v. Winterfeld ZRP 1977 265. Rieß FS Pfeiffer 158. Ebert JR 1978 136; ähnlich u.a. Rudolphi ZRP 1976 165; vgl. auch Achenbach JuS 1980 88; Dahs NJW 1976 2148; Kühne in Kühne/Miyazawa (Hrsg.) Neue Strafrechtsentwicklungen im deutsch-japanischen Vergleich, 1995, S. 153; v. Winterfeld NJW 1987 2635. Rieß ZRP 1971 71; vgl. auch KMR-Eschelbach Einl. Rn. 28 ff. Gesetz zur Neugliederung der ordentlichen Gerichtsbarkeit; s. näher m.w.N. Kissel 1 Einl. 126 f.; zu den rechtspolitischen Auseinandersetzungen und zum Scheitern des Entwurfs Jahn FS Wassermann 91 ff.; zur neueren Entwicklung s. u.a. Faupel DRiZ 1997 69 ff.; ferner unten Rn. I 23. Zum Inhalt Rieß DRiZ 1976 3; näher Vor

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§ 333, 17 ff.; vgl. auch Verh. 52. DJT Bd. I C, Bd. II L; Rieß ZRP 1979 193. Dazu Rieß ZRP 1981 101. Bemmann e.a. (Arbeitskreis Strafprozessreform), Die Verteidigung, Gesetzentwurf mit Begründung (1979). Bemmann e.a. (Arbeitskreis Strafprozessreform), Die Untersuchungshaft, Gesetzentwurf mit Begründung (1983); Baumann Entwurf eines Untersuchungshaftvollzugsgesetzes (1981). AE/Kreis (Baumann e.a.) Alternativentwurf für ein Strafverfahren mit nicht-öffentlicher Hauptverhandlung (1980). AE/Kreis (Baumann e.a.), Novelle zur Strafprozessreform, Reform der Hauptverhandlung (1985). S. die Nachw. bei Engelhard FS Rebmann 55 in Fn. 47; s. auch Rn. 189 ff. Rieß FS Schäfer 155; Schünemann FS Pfeiffer 461; Wolter GA 1985 49.

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Die Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts

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b) Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch, Erstes Gesetz zur Reform des Straf- 110 verfahrensrechts und Ergänzungsgesetz. Mit der am 1.1.1975 in Kraft getretenen Gesetzestrias 409 des EGStGB 1974, des 1. StVRG und des 1. StVRGErgG wurden die umfangreichsten Änderungen seit der Schaffung der StPO und des GVG verwirklicht.410 Sie enthielten für die StPO insgesamt 344 Einzeländerungen, die 190 Vorschriften änderten, 36 neu fassten, 41 einfügten und 46 aufhoben, insgesamt also mehr als die Hälfte des gesamten Normenbestandes veränderten. Nicht weniger umfangreich waren die Änderungen des GVG mit 47 geänderten, 8 neugefassten, 4 eingefügten und 15 aufgehobenen Vorschriften; der Umfang der Änderungen veranlasste eine Neubekanntmachung der StPO 411 und des GVG.412 Der Inhalt der drei Gesetze ist in der 24. Auflage (Einl. Kap. 5 1 bis 85) im Einzelnen dargestellt; die nachfolgende Übersicht beschränkt sich auf die Schwerpunkte. Das EGStG 1974,413 mit dem die Reform des materiellen Strafrechts, unbeschadet 111 zahlreicher späterer Änderungen, im Wesentlichen abgeschlossen wurde, enthält neben einer großen Zahl von teils sprachlichen und redaktionellen, teils sachlichen Anpassungen und auch eine Reihe bedeutsamer und eigenständiger strafverfahrensrechtlicher Neuregelungen. Hervorzuheben sind hierbei die Einführung des § 153 a, der die Einstellung nach der Erfüllung von Auflagen und Weisungen ermöglicht, die (seither mehrfach ausgeweitete) selbständige Neuregelung der Sicherungsbeschlagnahme (§§ 111 b bis 111 l), die Einführung des vorläufigen Berufsverbotes (§ 132 a), die Beseitigung des Abwesenheitsverfahrens (§§ 277 bis 284 a.F.), der Wegfall der Möglichkeit, Freiheitsstrafe durch Strafbefehl zu verhängen,414 die endgültige Beseitigung des Strafverfügungsverfahrens (§ 413 a.F.), eine Neugestaltung des Sicherungsverfahrens (§§ 413 bis 416) sowie eine tiefgreifende Umgestaltung des Strafvollstreckungsrechts mit der Einführung besonderer Strafvollstreckungskammern (§§ 74 a, 74 b GVG). Ferner fand (§ 160 Abs. 3 Satz 2, § 463 d) die Gerichtshilfe gesetzliche Anerkennung. Im GVG wurden namentlich die Möglichkeiten erweitert, die Öffentlichkeit zum Schutz der Persönlichkeitssphäre auszuschließen, eine Entwicklung, die sich seither fortgesetzt hat. Mit dem 1. StVRG 415 unternahm der Gesetzgeber den Versuch, im Anschluss an die 112 Art der Realisierung der großen Strafrechtsreform durch eine Reihe aufeinanderfolgender, abgestimmter Teilgesetze in überschaubarer Zeit eine durchgreifende Erneuerung des Strafverfahrens herbeizuführen. Die Begründung des RegEntw.416 beschrieb die Reformgründe sowie die geplante Durchführung und bezeichnete Reformschwerpunkte der fol-

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Kleinere gleichzeitige Änderungen auch noch durch das im Wesentlichen die ZPO betreffende Gesetz zur Entlastung der Landgerichte und zur Vereinfachung des gerichtlichen Protokolls vom 20.12.1974 (BGBl. I S. 3651). Zusammenfassende Übersicht bei Herrmann JuS 1976 413; s. auch Achenbach JuS 1980 85 ff.; Grünwald Vorgänge 1975 H 6 S. 36 ff.; Schmidt-Leichner NJW 1975 41. Vom 7.1.1975 (BGBl. I S. 129). Vom 9.5.1975 (BGBl. I S. 1077). Vom 2.3.1974 (BGBl. I S. 469); Materialien: RegEntw. BTDrucks. 7 550; SchrBerRAusschBT BTDrucks. 7 1261; Übersicht über den Inhalt bei Göhler NJW 1974 825.

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Wegen weiterer Änderungen des Strafbefehlsverfahrens durch das StVÄG 1987 und das RpflEntlG (Wiedereinführung der Möglichkeit der Verhängung von Freiheitsstrafe in verändertem Umfang) s. Rn. 128, 145. Erstes Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 9.12.1974 (BGBl. I S. 3393). Materialien u.a.: RegEntw. BTDrucks. 7 551; SchrBerRAusschBT, BTDrucks. 7 2600; Vermittlungsaussch. BTDrucks. 7 2774; 7 2810; zur Entstehungsgeschichte und zum Inhalt Rieß NJW 1975 81. BTDrucks. 7 551 S. 32 ff.; s. auch die Zusammenfassung in der 24. Aufl. Einl. Kap. 4 31 ff.

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genden Gesetze, zu denen es allerdings überwiegend nicht mehr gekommen ist. Jedoch ist dieser gesamtreformbezogene Ansatz in der Folgezeit nicht weiter verfolgt worden, obwohl noch der Regierungsentwurf eines 2. StVRG in die parlamentarischen Beratungen gelangte (s. Rn. 115). Die nachfolgenden größeren strafverfahrensrechtlichen Novellierungen kommen auf ihn kaum noch zurück. Aus heutiger Sicht handelt es sich deshalb bei diesem Gesetz nicht um den Beginn einer Gesamtreform, sondern um eine freilich tiefgreifende und bedeutsame Einzelnovelle, die allerdings insoweit „stilbildend“ gewirkt hat, als sich ihr vorrangiges Ziel der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung bis heute fortgesetzt hat. Bemerkenswert ist am 1. StVRG darüber hinaus, dass es eine Reihe noch aus der Entstehungszeit der StPO stammende Institutionen und Regelungen beseitigte. Zu den wichtigsten strukturellen Änderungen durch das 1. StVRG gehört die Neuab113 grenzung der Zuständigkeit zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht im Ermittlungsverfahren, durch die insgesamt die Verantwortung der Staatsanwaltschaft für diesen Verfahrensabschnitt gestärkt und verdeutlicht wurde.417 Im Einzelnen handelt es sich um die Abschaffung der gerichtlichen Voruntersuchung, die Begründung von erzwingbaren Erscheinens- und Aussagepflichten vor der Staatsanwaltschaft (§§ 161 a, 163 a), die Übertragung weiterer Ermittlungszuständigkeiten vom Richter auf den Staatsanwalt (§§ 87, 100, 110, 159) sowie Zuständigkeitskonzentrationen für den Ermittlungsrichter (§ 98, 162). In der Gerichtsverfassung ist als einschneidende Änderung die Beseitigung des (seit der EmmingerVO allerdings vom Typ her ohnehin nur noch als Schöffengericht erscheinenden – s. Rn. 37) Schwurgerichts hervorzuheben, das nicht mehr ein stärker besetztes, dem Landgericht nur organisatorisch angegliedertes und lediglich periodisch zusammentretendes Gericht darstellt, sondern lediglich eine Strafkammer mit einer gesetzlich vorgeschriebenen Zuständigkeit (§ 74 Abs. 2).418 Erhebliche Änderungen mit dem Ziel einer Verbesserung der Erfolgsaussichten brachte das 1. StVRG bei der Wiederaufnahme (§§ 23, 364 a, 364 b, 367, 369 464 a StPO, § 140 a GVG).419 Schließlich wurde die erst durch das StPÄG 1964 geschaffene staatsanwaltschaftliche Schlussanhörung und das Schlussgehör (s. Rn. 97) wieder beseitigt. Weitere Änderungen von nicht unerheblicher Bedeutung betrafen die Neuordnung des 114 Ladungs- und Zustellungswesens (§§ 36, 214, 221, 222), eine Lockerung des Eideszwanges (§ 61 Nr. 5), die Ausübung des Zeugnis- und Untersuchungsverweigerungsrechts bei verstandesunreifen Personen (§§ 52, 81 c), die Vorverlegung des Zeitpunktes der Verteidigerbestellung (§ 141 Abs. 3), eine selbständige Regelung für die Protokollierung im Ermittlungsverfahren und die Anwesenheitsbefugnisse bei richterlichen Ermittlungshandlungen (§§ 168 bis 168 d), die – durch spätere Gesetze mehrfach erweiterte – Möglichkeit, eine Hauptverhandlung bis zu dreißig Tagen zu unterbrechen (§§ 229, 268), eine Erweiterung der Verlesbarkeit von Sachverständigengutachten (§ 256 StPO), größere Möglichkeiten für ein abgekürztes Urteil, die Beschränkung des erst durch das StPÄG 1964 eingeführten Inhaltsprotokolls auf amtsgerichtliche Verfahren (§ 273), die Schaffung einer zwingenden, durch einen absoluten Revisionsgrund gesicherten Urteilsabsetzungsfrist (§§ 275, 338 Nr. 7), Erweiterungen der Möglichkeit, die Berufung bei unentschuldigtem Ausbleiben zu verwerfen (§§ 329, 330), Präzisierungen der Befugnisse des Nebenklägers (§§ 377, 395, 396, 397, 400, 401), die Anrechenbarkeit von Auslieferungshaft (§ 450 a), die Schaffung von Sicherungsmaßnahmen bei drohendem Widerruf 417 418

Übersicht über diesen Teil des 1. StVRG bei Lampe NJW 1975 195. Die Wahl der insoweit mitwirkenden Laien-

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richter aus besonderen Listen ist erst durch das StVÄG 1979 beseitigt worden. Dazu ausführlich Krägeloh NJW 1975 137.

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der Strafaussetzung (§ 453 c) sowie im GVG eine Reihe von Änderungen bei der Auswahl, Berufung und Heranziehung der Schöffen mit dem Ziel der Vereinfachung, eine Entwicklung, die sich in den folgenden Gesetzen fortsetzte. Das 1. StVRGErgG 420 hat verschiedene Wurzeln; es spiegelt den Umschlag von einer 115 Reformgesetzgebung zu reaktiven Maßnahmen zum Zwecke der Terrorismusbekämpfung besonders eindrucksvoll wider. Das Gesetz beruht weitgehend auf dem Regierungsentwurf eines 2. StVRG,421 mit dem die Reform durch Teilgesetze fortgesetzt werden sollte. Der Gesetzgeber hat jedoch, weil nach seiner Auffassung strafverfahrensrechtliche Probleme der Terrorismusbekämpfung besonders dringlich geworden waren, diesem Zweck dienende Regelungen aufgegriffen 422 und statt dessen Reformvorschläge des RegEntw. zurückgestellt. Sie sind teilweise bisher nicht wieder aufgenommen worden,423 teilweise erst, in veränderter Form, durch das StVÄG 1987 realisiert worden.424 Im Wesentlichen dem Regierungsentwurf 2. StVRG entstammend, wenn auch teil- 116 weise aus Bedürfnissen der Terrorismusbekämpfung verändert und in einigen Punkten durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht veranlasst,425 regelt das Gesetz die Gleichstellung der Bekräftigung der Wahrheit mit der Eidesleistung bei Verweigerung des Eides aus Glaubens- oder Gewissensgründen,426 bestimmt die Voraussetzung und Folge der Ausschließung eines Verteidigers,427 ersetzt den früheren § 146 durch ein einschränkungslos gefasstes Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146) 428 und bestimmt zum Schutz jugendlicher Zeugen deren grundsätzlich alleinige Vernehmung durch den Vorsitzenden (§ 241a) sowie eine Erweiterung der Möglichkeit, bei ihrer Vernehmung den Angeklagten in der Hauptverhandlung abtreten zu lassen (§ 247).429 Aus den vor allem von Praktikern beschriebenen Bedürfnissen heraus, auf Entwick- 117 lungen in den ersten Verfahren wegen terroristischer Gewalttaten – damals bezog man sich im Wesentlichen auf den Terror der RAF – wirksam zu reagieren, erklären sich die Gesetzesänderungen über die Höchstzahl der gewählten Verteidiger (§ 137), die Verhandlung ohne den verhandlungsunfähigen oder sich ordnungswidrig verhaltenden Angeklagten (§§ 231 a, 231 b),430 die Beschränkung des Erklärungsrechts nach jeder Beweisaufnahme 431 sowie im GVG die Möglichkeit der nichtöffentlichen Verkündung des Beschlusses über den Ausschluss der Öffentlichkeit (§ 174 Abs. 1 Satz 2 GVG) sowie die Erweiterung der Ordnungsmittel bei Ungebühr.432 Wenngleich es heute müßig erscheint,

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Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 20.12.1974 (BGBl. I S. 3636); zum Inhalt ausführlich Baumann ZRP 1975 38; ferner Rieß NJW 1975 93. BTDrucks. 7 2526. BTDrucks. 7 2536, BREntw. für ein Gesetz zum Schutz der Rechtspflege; s. auch SchrBerRAusschBT, BTDrucks. 7 2989. So z.B. die Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Sozialarbeiter und Psychologen. Einfluss des Beschuldigten auf die Auswahl des Pflichtverteidigers (§ 142) s. Rn. 128. BVerfGE 33 23 hinsichtlich der Form der Eidesleistung; BVerfGE 34 293 wegen der Rechtsgrundlage für die Ausschließung des Verteidigers.

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§§ 57, 66 c, 66 d StPO, § 155 StGB; entsprechende Regelungen in der ZPO und dem DRiG. §§ 138 a bis 138d, mehrfach geändert durch die weitere Gesetzgebung, überwiegend im Zusammenhang mit der Terrorismusgesetzgebung. Präzisierung und Lockerung durch das StVÄG 1987, s. Rn. 128. Zur weiteren Entwicklung zum Schutz vor allem kindlicher Zeugen s. unten Rn. 155. Dazu ausführlich Rieß JZ 1975 265; s. auch Baumann ZRP 1975 42 f. Neufassung des § 257, Streichung des durch das StPÄG 1964 eingeführten (damaligen) § 257 a. Neufassung der §§ 177, 178 GVG.

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über die Notwendigkeit oder Sinnhaftigkeit dieser Änderungen zu streiten, die ausschließlich die Stärkung der Strafverfolgung zum Ziele hatten, ist es doch interessant zu konstatieren, dass der spätere Terrorismus des 21. Jahrhunderts in Folge des Anschlages auf das World Trade Center am 11. September 2001 – nicht nur – in Deutschland ebenfalls zu einer Fülle von neuen Vorschriften mit der selben Zielsetzung kam. Wie unten bei Rn. 157 ff. beschrieben, sind damals wie heute die dadurch bedingten Einschränkung der Beschuldigtenrechte allzu sehr in den Hintergrund der rechtspolitischen Diskussion gedrängt worden.

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c) Die Entwicklung von 1975 bis 1978 war, abgesehen von Folgeänderungen ohne eigene sachliche Bedeutung,433 im Wesentlichen durch die sog. Anti-Terrorismusgesetzgebung geprägt. Außerhalb dieses Zusammenhangs und sachlich eher dem 1. StVRG und dem 1. StVRGErgG zugehörig steht das Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk,434 durch das im Anschluss an eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das die Zeugnisverweigerungsrechte in den Landespressegesetzen für nichtig erklärt hatte,435 die §§ 53, 97 und 98 ergänzt und die §§ 111 m, 111 n eingefügt wurden. Im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung stehen vor allem das vielfach als 119 (erstes) Terrorismusgesetz bezeichnete StGBÄndG 1976,436 das im materiellen Bereich den Tatbestand des § 129 a StGB schuf, verfahrensrechtlich bei solchen Straftaten die Möglichkeiten des Verteidigerausschlusses und seiner Wirkungen erweiterte 437 und die Überwachung des schriftlichen Verkehrs des Verteidigers mit dem inhaftierten Beschuldigten durch einen sonst mit der Sache nicht befassten Richter vorschrieb 438 sowie gerichtsverfassungsrechtlich die Zuständigkeit für Straftaten nach dem durch dieses Gesetz neu geschaffenen § 129 a StGB im ersten Rechtszug dem Oberlandesgericht mit der sich daraus ergebenden Strafverfolgungskompetenz des Generalbundesanwalts zuwies (§ 120 GVG). Im Zusammenhang mit der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer erging am 30.9.1977 das sog. Kontaktsperregesetz,439 durch das die §§ 31 bis 37 EGGVG geschaffen wurden. Das StPÄG 1978 440 präzisierte und erweiterte nochmals bei Verfahren wegen § 129 a StGB die Möglichkeiten des Verteidigerausschlusses und schrieb in § 148 Abs. 2 Trennvorrichtungen für den mündlichen Verkehr mit dem inhaftierten Mandanten vor; ferner schuf es die Rechtsgrundlagen für die Kontrollstellen (§ 111) und für Identitätsfeststellungen (§§ 163 b, 163 c).441 433

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Insbes. StrVollzG (§§ 454 a, 457 StPO, §§ 78 a, 78 b, 121 GVG, § 28 EGGVG); 15. StrÄndG (§§ 53, 97 StPO); Adoptionsgesetz (§§ 22, 52 StPO). Vom 25.7.1975 (BGBl. I S. 1973), zum Inhalt R. Groß NJW 1975 1763; Kunert MDR 1975 885. BVerfGE 36 193. Vom 18.8.1976 (BGBl. I S. 2181). Dem Gesetz lagen insgesamt 6 Gesetzentwürfe der Fraktionen des BT, des BR und der Bundesregierung zugrunde, s. SchrBerRAusschBT, BTDrucks. 7 5401; zum Inhalt und zur Entstehungsgeschichte s. Sturm MDR 1977 6; zur Bewertung kontrovers z.B. Dahs NJW 1976 2145; Maul DRiZ 1977 207. Änderung der §§ 138 a, 138 c.

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§ 148 Abs. 2, § 148 a; weitere Änderung (sog. Trennscheibe) durch das StPÄG 1979. Gesetz zur Änderung des EGGVG vom 30.9.1977 (BGBl. I S. 1877); zur Entstehungsgeschichte und Bedeutung ausführlicher die Erl. Vor § 31 EGGVG; ferner 24. Aufl. Einl. Kap. 5 93; Kissel § 31, 2 ff. EGGVG; Ergänzung durch Einführung eines § 34 a durch Ges. vom 4.12.1985 (BGBl. I S. 2141). Vom 14.4.1978 (BGBl. I S. 497); Gesetzentwürfe in BTDrucks. 8 322; 8 976; 8 996; 8 1283; SchrBerRAusschBT; BTDrucks. 8 1482; näherer Nachw. der Materialien in der 23. Aufl. EB S. 8. Dazu näher Kurth NJW 1979 1377.

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Die Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts

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d) Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 442 verfolgte in Anknüpfung an die 120 Hauptzielrichtung des 1. StVRG in noch dominanterer Form das Ziel der Verfahrenserleichterung, setzte freilich die Akzente anders. Während das 1. StVRG schwerpunktmäßig das Ermittlungsverfahren betraf, legte das StVÄG 1979 das Hauptgewicht auf das erstinstanzliche Hauptverfahren; es hatte dabei insbesondere die Situation von Großverfahren im Auge und enthielt eine Reihe von Maßnahmen gegen vom Gesetzgeber als missbräuchlich eingeschätzte Handhabungen von Verfahrensbefugnissen. Auch bei diesem Gesetz wurden eine Reihe von Verfahrensmaximen relativiert. Wegen der Einzelheiten des Inhalts dieses Gesetzes wird auf die ausführliche Darstellung in der 24. Aufl. Einl. Kap. 5 95 ff. verwiesen.443 Zu den wichtigsten Änderungen gehört die Einführung einer Besetzungsrügepräklu- 121 sion in erstinstanzlichen landgerichtlichen und oberlandesgerichtlichen Verfahren, verbunden mit der Verpflichtung, die Gerichtsbesetzung rechtzeitig vor Beginn der Hauptverhandlung mitzuteilen.444 Der Verringerung der Häufigkeit erfolgreicher Besetzungsrügen diente auch eine umfassende Neuregelung des Systems der Heranziehung von Schöffen,445 die wiederum durch den Ausschluss der Revisibilität unanfechtbarer oder rechtskraftfähiger Zwischenentscheidungen (§ 336 Satz 2) ergänzt wurde. Der einfacheren Klärung von Zuständigkeitsstreitigkeiten diente eine Vielzahl von aufeinander abgestimmten Regelungen in der StPO und im GVG;446 dabei wurde durch die Neufassung des § 74 c GVG die bloße Konzentrationsermächtigung für Wirtschaftsstrafsachen in eine gesetzliche Spezialzuständigkeit umgewandelt.447 Eingeschränkt wurde die Pflicht zur Verlesung von Urkunden durch das sog. Selbstleseverfahren des neuen § 249 Abs. 2, dessen komplizierte und enge Voraussetzungen durch das StVÄG 1987 erweitert wurden, sowie die Pflicht zur Verwendung präsenter Beweismittel durch die Neufassung des § 245. Weitere Änderungen betreffen die Befugnis, die Hauptverhandlung trotz eines Ableh- 122 nungsgesuchs zeitlich begrenzt fortzusetzen (§ 29 Abs. 2), erweiterte Möglichkeiten zur Beschränkung des Prozessstoffes bei nicht erheblich ins Gewicht fallenden Straftaten (§§ 154, 154 a), Vereinfachungen bei der Protokollierung außerhalb von Hauptverhandlungen (§§ 168, 168 a),448 die Möglichkeit der „Beurlaubung“ eines Angeklagten bei ihn nicht betreffenden Teilen einer Hauptverhandlung (§ 231 c), Bezugnahmemöglichkeiten in den schriftlichen Urteilsgründen (§ 267),449 eine Einschränkung der Pflicht zur Urteilsverlesung in der Berufungshauptverhandlung (§ 324) sowie eine Beschwerdeeinschränkung gegen Entscheidungen des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof (§ 304). Bei gefährdeten Zeugen wurde die Möglichkeit geschaffen, in der Hauptverhandlung auf die Wohnortangabe zu verzichten (§ 68 Satz 2);450 die Möglichkeit der 442

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Vom 5.10.1978 (BGBl. I S. 1645); hauptsächliche Materialien: RegEntw. BTDrucks. 8 976; SchrBerRAusschBT BTDrucks. 8 1844; ausführlicher Nachw. der Materialien und Wiedergabe des Gesetzestextes in der 23. Aufl., ErgBd. S. 9 ff.; Einzelheiten der Entstehungsgeschichte Rieß NJW 1979 2265. S. zum Inhalt insgesamt Rieß NJW 1979 2265; Rudolphi JuS 1978 864; Schroeder NJW 1979 1527; umfassende Nachw. des Schrifttums bei Rieß NStZ 1981 215; kritisch u.a. I. Müller KritJ 1978 301. §§ 222 a, 222 b, 338 Nr. 1 StPO.

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Dazu sowie zu den sonstigen Änderungen des GVG näher Katholnigg NJW 1978 2375. Übersicht bei Rieß NJW 1978 2266 f.; Katholnigg NJW 1978 2375 ff.; s. auch Meyer-Goßner NStZ 1981 168; s. auch Rn. J 21 ff. Seither sind eine Reihe von Ergänzungen des Zuständigkeitskatalogs vorgenommen worden, s. die Entstehungsgeschichte bei § 74 c GVG. Dazu näher Kurth NJW 1978 2481. Erweiterung durch das StVÄG 1987. Die Regelung findet sich jetzt in § 68 Abs. 2

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Verhängung von Ordnungsmitteln gegen unentschuldigt ausbleibende Zeugen wurde erweitert (§ 51). Mehr gesetzestechnische Klarstellungen finden sich in bezug auf den Eintritt der Rechtskraft bei Beschlussentscheidungen 451 und die Möglichkeit, Strafbefehle auch im Zuständigkeitsbereich des Schöffengerichts zu erlassen.452

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e) Die Entwicklung von 1979 bis 1986, also in der 9. und 10. Legislaturperiode verlief bis zum Inkrafttreten des an ihrem Ende stehenden OpferschutzG und des StVÄG 1987 (Rn. 125 ff.) im Strafverfahrensrecht verhältnismäßig ruhig. Abgesehen von mehreren, allein der sprachlichen Anpassung und der Angleichung von Zuständigkeits- und Deliktskatalogen dienenden Änderungen 453 standen die Änderungen überwiegend im Zusammenhang mit Reformen im materiellen Strafrecht, namentlich durch das 18. StrÄndG (Umweltkriminalität),454 durch das die Strafaussetzung zur Bewährung bei lebenslanger Freiheitsstrafe regelnde 20. StrÄndG,455 und das die Strafaussetzung zur Bewährung insgesamt erweiternde 23. StrÄndG, durch das zugleich die strafvollstreckungsrechtlichen Vorschriften 456 angepasst wurden. Das OWiGÄndG 1986 bestimmte durch Änderung der §§ 306, 311 als Adressaten der Beschwerde allein den judex a quo und schloss damit die bis dahin bestehende Zuständigkeit des judex ad quem aus. Wiederum im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung standen das StPÄG 124 1986,457 das mit dem neuen § 163 d die rechtlichen Grundlagen für die Kontrollfahndung schuf, sowie das im Wesentlichen das materielle Strafrecht und das Vereinsrecht betreffende TerrorismusG,458 durch das die erstinstanzliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts und damit die Verfolgungszuständigkeit des Generalbundesanwalts durch die Neufassung des § 120 Abs. 2 und des § 142 a Abs. 4 GVG erweitert wurde. Die in diesem Entwurf vorgeschlagene Einführung einer Kronzeugenregelung fand (noch) keine Mehrheit;459 sie wurde erst (in etwas modifizierter Form) durch das StGBÄndG 1989 geschaffen und seitdem mehrfach bis Ende 1999 verlängert und auch inhaltlich erweitert (s. Rn. 137, 150).

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f) Das Opferschutzgesetz vom 18.12.1986 460 nahm eine seit Mitte der siebziger Jahre in internationalen kriminalpolitischen Erörterungen 461 und seit Anfang der achtziger

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Satz 2, nachdem vor allem durch das OrgKG (Rn. 141) die Möglichkeiten des Schutzes gefährdeter Zeugen erheblich ausgebaut worden sind. § 34 a mit Folgeänderung in § 450 Abs. 2. §§ 407 Abs. 1, 408 StPO; die Regelung ist durch die Erweiterung der Zuständigkeit des Strafrichters durch das RpflEntlG (Rn. 143 ff.) gegenstandslos geworden. Näher 24. Aufl. Einl. Kap. 5 118. Einfügung des § 10 a StPO. Änderung des § 454 StPO. §§ 453, 454 a, 454 b, 455, 456 a StPO sowie Wegfall des früheren § 260 Abs. 4 Satz 5 StPO; Nachw. der Materialien s. 24. Aufl. Nachtr. I S. 5. Passgesetz und Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung vom 19.4.1986 (BGBl. I S. 537); Materialien: BTDrucks. 10 3307; 10 3128. Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus

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vom 19.12.1986 (BGBl. I S. 2566); Materialien: Entw. BTDrucks. 10 6286; SchrBerRAusschBT, BTDrucks. 10 6295; zum Inhalt Dencker StV 1987 117; Kühl NJW 1987 737. Vgl. m. Nachw. Kühl NJW 1987 744; s. auch 24. Aufl. Einl. Kap. 13 32. Erstes Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten in Strafverfahren (Opferschutzgesetz) vom 18.12.1986 (BGBl. I S. 2496), in Kraft getreten zusammen mit dem StVÄG 1987 (s. Rn. 127) am 1.4.1987; zum Inhalt s. eingehender 24. Aufl. Einl. Kap. 5 120 ff.; ferner Böttcher JR 1987 133; Pagenkopf DtBR II B 75; Rieß/Hilger NStZ 1987 145; Weigend NJW 1987 1170. Vgl. u.a. Grebing ZStW 87 (1975) 472; Schätzler JZ 1975 231; s. 24. Aufl. Einl. Kap. 5 119; grundlegend Weigend Deliktsopfer und Strafverfahren (1989).

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Jahre auch in der deutschen Reformdiskussion 462 sich zunehmend intensivierende Entwicklung auf, die die Stellung des Verletzten (des Tatopfers) im Strafverfahren zum Gegenstand hatte und die (jedenfalls in ihren extremeren Formen) eine Art Paradigmawechsel von einer beschuldigtenzentrierten zu einer verletztenzentrierten Betrachtungsweise postulierte. Die in den Beratungen des 55. DJT im September 1984 463 kulminierende Diskussion führte bereits im April 1986 464 zur Einbringung eines Gesetzentwurfs der Bundesregierung,465 der nach kurzer Beratungszeit mit einer Reihe von Änderungen im Herbst 1986 vom Bundestag beschlossen wurde.466 Das Gesetz beschränkt sich im Wesentlichen auf eine Verbesserung der verfahrensrechtlichen Position des Verletzten, namentlich gegenüber Schuldzuweisungen durch den Beschuldigten. Überlegungen und Ansätze zur Verbesserung der Schadenswiedergutmachung durch den Täter und der Herbeiführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs treten demgegenüber in den Hintergrund.467 Erweiterungen und Änderungen der durch das Gesetz eingetretenen Rechtslage wurden am Ende der 13. Legislaturperiode 1998 diskutiert und teilweise realisiert (s. Rn. 155). Im Einzelnen enthält das OpferschutzG u.a. eine Neuregelung der Nebenklage mit 126 dem Ziel, dieses Rechtsinstitut stärker als Schutzinstrument für solche Verletzten auszugestalten, die in höchstpersönlichen Rechtsgütern erheblich beeinträchtigt worden sind;468 für alle Verletzten wird darüber hinaus in den neuen §§ 406 d bis 406 h StPO ein Grundbestand an Beteiligungsbefugnissen und Informationsrechten geschaffen. Der Verbesserung der Schadenswiedergutmachung sollten Änderungen im Adhäsionsverfahren 469 dienen, die sich allerdings seither in der Rechtswirklichkeit als nicht sehr effektiv erwiesen haben, ferner eine Berücksichtigung von Schadenswiedergutmachungen bei der Vollstreckung von Geldstrafen durch Gewährung von Zahlungsaufschub 470 sowie die Betonung der Strafzumessungsrelevanz des Bemühens des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten herbeizuführen.471 Der Bloßstellung des Verletzten, insbesondere in der Öffentlichkeit, sowie einer unzumutbaren Konfrontation mit dem Beschuldigten sollen eine Ausdehnung des § 68 a StPO auf Fragen aus dem persönlichen Lebensbereich, eine Erweiterung der Möglichkeit, einzelne Beweisaufnahmeakte in der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten durchzuführen (§ 247 Abs. 2 StPO) sowie die wesentlich erweiterte Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit bei der Erörterung von Umständen aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten (neuer § 171 b GVG) 472 entgegenwirken. Schließlich ist im Interesse der Beschuldigten bei entsprechender Vertretung des Verletzten der Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO erweitert worden.473

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Ausführl. Schrifttumsnachw. Vor § 374 sowie in der 24. Aufl. Vor § 406 d. Verh. des 55. DJT, Bd. I Teil C (Gutachten Rieß); Bd. II Teil L (Referate Hammerstein; Odersky). Dem war bereits im Juli 1985 ein Gesetzentwurf der oppositionellen SPD (BTDrucks. 10 3636) vorangegangen, der in dem umfassender angelegten Regierungsentwurf aufging. Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren, BTDrucks. 10 5305; dazu u.a. Thomas StV 1985 431. Eingehendere Darstellung der Entstehungs-

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geschichte in der 24. Aufl. Einl. Kap. 5 119; ausführlich m. Nachw. der Materialien Rieß/Hilger NStZ 1987 145. Vgl. insoweit zu den weiteren Reformüberlegungen in der Wissenschaft Rn. 135. Änderung der §§ 395, 396, 397; Einfügung der §§ 397 a, 400 StPO. Änderung der §§ 403, 404, 406 StPO. Änderung des § 459 a StPO. Änderung des § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB. Weitere Änderungen in diesem Zusammenhang in den §§ 172, 175 GVG. Wegen weiterer Änderungen bei der notwendigen Verteidigung durch das StVÄG 1987 s. Rn. 128.

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g) Das kurz nach dem OpferschutzG verabschiedete und zeitgleich mit ihm am 1.4.1987 in Kraft getretene Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 474 beruht auf ersten konzeptionellen Überlegungen bereits im Oktober 1981 und einer parlamentarischen Beratungszeit vom Frühjahr 1984 bis zum Ende des Jahres 1986. Im Anschluss an die Regelungen durch das 1. StVRG (Rn. 112) und das StVÄG 1979 (Rn. 120) konzentriert sich sein Inhalt wiederum auf gesetzliche Maßnahmen zur Entlastung der Strafgerichtsbarkeit, zur Verfahrensvereinfachung und zur Verfahrensbeschleunigung; dabei werden teilweise gesetzliche Regelungen dieser früheren Novellen erweitert und präzisiert, aber in gewissem Umfang auch zurückgenommen.475 Im Strafverfahrensänderungsgesetz liegt ein Regelungsschwerpunkt im Recht der 128 Verteidigung. Dem Beschuldigten wird durch die Änderung des § 142 StPO stärkerer Einfluss auf die Auswahl des Pflichtverteidigers gegeben. Das erst durch das 1. StVRGErgG (Rn. 116) eingeführte Verbot der Mehrfachverteidigung wird einschränkend präzisiert und die Konsequenzen unzulässiger Mehrfachverteidigung und der Überschreitung der Verteidigerhöchstzahl werden geregelt (§§ 146, 146 a StPO). Die Aufnahme blinder Beschuldigter in den Katalog der notwendigen Verteidigung in § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO war nur von kurzem Bestand; sie ist bereits durch das StPÄG 1988 wieder rückgängig gemacht worden, das darüber hinaus die notwendige Verteidigung für taube und stumme Beschuldigte als Satz 2 in die Generalklausel des § 140 Abs. 2 StPO überführt hat.476 Ein weiterer Regelungsschwerpunkt betrifft eine durchgreifende Modernisierung des Strafbefehlsverfahrens,477 vor allem durch eine stärkere Betonung des Vorrangs des Strafbefehlsverfahrens, der gesetzlichen Bestimmung der urteilsgleichen Rechtskraft des Strafbefehls, der Verlängerung der Einspruchsfrist, der Beschränkbarkeit des Einspruchs sowie der Möglichkeit des Übergangs vom Hauptverfahren in das Strafbefehlsverfahren. Im Ermittlungsverfahren und im erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren wurden 129 u.a. die Teilnahmepflicht der Staatsanwaltschaft bei der Leichenöffnung gelockert;478 der Präklusionszeitpunkt für die Richterablehnung vorverlegt,479 die Möglichkeiten für eine längerdauernde Unterbrechung der Hauptverhandlung erweitert,480 das Erfordernis von Hinweis- und Belehrungspflichten an den abwesenden Angeklagten eingeschränkt, falls sie an den Verteidiger gerichtet werden können;481 der Verzicht auf die Urkundenverlesung nach § 249 Abs. 2 erweitert und vereinfacht, die Zulässigkeit der Verlesung nichtrichterlicher Niederschriften beim verteidigten Angeklagten in allseitigem Einverständnis geschaffen (§ 251 Abs. 2 Satz 1), die Möglichkeiten der Bezugnahme in den Urteilsgründen (§ 264 Abs. 4 Satz 1 StPO) erweitert und die Notwendigkeit des Inhaltsprotokolls (§ 273 Abs. 2 StPO) eingeschränkt. Im Rechtsmittelverfahren wurde die Möglichkeit der Zurückverweisung durch das Berufungsgericht nach § 328 Abs. 2 a.F. StPO beseitigt, die Zustellungsanforderungen wurden vereinfacht,482 die Beschwerdemöglich474

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Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 vom 27.1.1987 (BGBl. I S. 475); RegEntw. BTDrucks. 10 1313; SchrBerRAusschBT, BTDrucks. 10 6592; zur Entstehungsgeschichte 24. Aufl. Einl. Kap. 5 129; Rieß/ Hilger NStZ 1987 146. Eingehender zum Inhalt 24. Aufl. Einl. Kap. 5 130 ff.; ferner Kempf StV 1987 215; Meyer-Goßner NJW 1987 1161; Pagenkopf DtBR II B 6; Rieß/Hilger NStZ 1987 145, 204; zum Entw. Berz FS Blau 51. Dazu (und zu den Gründen für diese Kor-

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rektur) Hamm NJW 1988 1820; Werner NStZ 1988 346. Änderung der §§ 407, 408, 409, 410, 411 StPO, Einfügung der §§ 373 a, 408 a StPO; zur weiteren Erweiterung des Strafbefehlsverfahrens durch das RpflEntlG s. Rn. 143 ff. Änderung des § 87 StPO. Änderung des § 25 StPO. Änderung der §§ 229, 268 StPO. Gollwitzer StV 2003 146 f. Änderung der §§ 35, 35 a, 40 StPO.

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keit gegen Entscheidungen des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts (§ 304 Abs. 5) eingeschränkt und klargestellt, dass gegen die Kostenentscheidung keine Beschwerde zulässig ist, wenn die Hauptentscheidung unanfechtbar ist.483 Im Gerichtsverfassungsrecht wurde neben weiteren vereinfachenden Änderungen bei 130 den die Heranziehung von Schöffen betreffenden Regelungen 484 mit der Neufassung des § 76 GVG die Besetzung der kleinen Strafkammer außerhalb der Hauptverhandlung allein mit dem Vorsitzenden eingeführt und die Zuständigkeit der kleinen Strafvollstreckungskammer erweitert. Weitere, die Besetzung reduzierende Änderungen erfolgten durch das RpflEntlG.485 6. Die Entwicklung von 1987 bis 1998 a) Übersicht. Die Entwicklung in der 11. bis 13. Legislaturperiode, also in der Zeit 131 von 1987 bis 1998, hat vorwiegend reaktiven Charakter.486 Kennzeichnend für sie ist eine Mehrzahl unterschiedlicher Zielrichtungen der Gesetzgebung, die vielfach zu nur punktuellen und wenig koordinierten Änderungen führen. Dabei wird der gleiche Regelungsbereich nicht selten wiederholt berührt, und es werden teilweise Änderungen erst in einem zweiten (oder dritten) Anlauf realisiert. Dominierend erscheinen, soweit man überhaupt von einer durchgehenden Entwicklungslinie sprechen kann, namentlich legislatorische Maßnahmen mit dem Ziel einer effektiveren Verbrechensbekämpfung. Die bei der Verabschiedung des OpferschutzG und des StVÄG 1987 in Aussicht ge- 132 stellte „Konsolidierungspause“ 487 wurde zunächst eingehalten, die Gesetzgebung in der 11. Legislaturperiode (1987 bis 1990) im Bereich des Strafverfahrensrechts blieb vom Inhalt her unbedeutend. In der 12. Legislaturperiode (1991 bis 1994) nahm die Gesetzgebungstätigkeit, vielfach anknüpfend an Vorhaben, die in der 11. Legislaturperiode nicht mehr abschließend beraten werden konnten, wieder erheblich zu. Sie hatten unterschiedliche Anlässe und Ziele: Einmal sind noch, etwa mit dem StGBÄndG 1989 (s. Rn. 136) Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung ergriffen worden. An sie knüpfen Änderungen mit dem Ziel der besseren Bekämpfung rechtsextremistischer Gewalttaten deshalb fast nahtlos an, weil es sich um Veränderungen im gleichen strafverfahrensrechtlichen Instrumentarium handelt. Einen neuen Schwerpunkt mit teilweise verwandter Zielrichtung stellen die vorwie- 133 gend das Ermittlungsverfahren betreffenden Änderungen mit dem Ziel einer besseren Bekämpfung der Organisierten Kriminalität dar (s. Rn. 139 f). Sie stehen ihrerseits teilweise in Zusammenhang mit den allgemeinen, gesetzgeberisch bisher noch nicht vollständig verwirklichten Bemühungen, anknüpfend an das sog. Volkszählungsurteil,488 die Rechtsgrundlagen für Informationserhebung und Informationsspeicherung zu präzisieren.489 Schließlich führte die durch die Wiedervereinigung erforderlich gewordene Auf-

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Änderung der §§ 464, 462 a, 469 StPO. § 36, 58, 77 GVG. S. Rn. 143 ff. sowie 24. Aufl. GVG Anh. Rn. 41 ff. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum die StPO durch 39 und das GVG durch 24 Gesetze geändert, dabei handelt es sich allerdings nicht selten um Folgeänderungen ohne sachlichen Gehalt. BJustMin. Engelhard 253. Sitzung des Deut-

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schen Bundestages, Plenarprot. 10 253, S. 19759; Engelhard ZRP 1987 107. BVerfGE 65 1 ff. Vgl. dazu aus dem fast unübersehbaren Schrifttum u.a. SK/Wolter Vor § 151, 81 ff.; Amelung Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozess (1990); Rogall Informationseingriff und Gesetzesvorbehalt im Strafprozessrecht (1991); Wolter GA 1988 49, 129 und ZStW 107 (1995) 793 ff.

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bauhilfe für die Justiz der neuen Länder sowie allgemein die angespannte Haushaltslage und die dadurch sich verschärfende Ressourcenknappheit erneut zu gesetzgeberischen Entlastungsmaßnahmen (s. Rn. 143 ff., 156). Diese Tendenzen haben sich neben einigen neuen Schwerpunkten mit unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlichem Erfolg in der 13. Legislaturperiode (1995 bis 1998) fortgesetzt (s. Rn. 151 ff.). Ein hervorstechendes Merkmal der Gesetzgebungstätigkeit der 12. und 13 Legislatur134 periode dürfte darin zu sehen sein, dass sie sich (jedenfalls im hier zu behandelnden Bereich) weniger an einzelnen Kodifikationen, sondern kodifikationsübergreifend an Sachproblemen orientiert. Dies gilt etwa für die Gesetzesänderungen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, die materiell-strafrechtliche, verfahrensrechtliche und öffentlich-rechtliche (Geldwäschegesetz) Regelungen zusammenfassen, aber auch für das RpflEntlG, das anders als die früheren Entlastungsgesetze ZPO, StPO, GVG, VwGO und SGG erfasst. Auch bei den der Bekämpfung des Terrorismus und rechtsextremistischer Gewalt dienenden Gesetzen sowie bei weiteren Maßnahmen mit dem Ziel der Verbesserung der Verbrechensbekämpfung ist ähnlich verfahren worden. Die wissenschaftliche Reformdiskussion hat sich in zahlreichen Beiträgen mit den 135 aktuellen Gesetzgebungsproblemen beschäftigt. Darüber hinaus ist namentlich durch die Vorlage des Alternativentwurfs Wiedergutmachung des Kreises der Alternativprofessoren 490 und seine Behandlung auf dem 56. DJT 491 die Diskussion um die strafverfahrensrechtlichen Bedingungen und Möglichkeiten der Förderung der Wiedergutmachung als eigenständiger strafrechtlicher Sanktion und eines Täter-Opfer-Ausgleichs 492 intensiviert worden Auch insoweit handelt es sich um ein Regelungsmodell, das kodifikationsübergreifend materiell-strafrechtliche und strafverfahrensrechtliche Ansätze zusammenfasst. Weitere Diskussionsschwerpunkte bilden die Fragen der Absprachen oder Vereinbarungen im Strafverfahren,493 Fragen des Zeugenschutzes und einer Neugestaltung der Zeugnisverweigerungsrechte 494 sowie (erneut) die Beschleunigung von Strafverfahren und die Entlastung der Strafjustiz.495 Zu weiteren, in diesem Zeitraum entwickelten umfassenden Konzeptionen s. die Nachw. bei Rn. 189 ff.

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b) Die Zeit von 1987 bis 1990. In der 11. Legislaturperiode von 1987 bis 1990 beschränkten sich, von den gesetzgeberischen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Herstellung der deutschen Einheit abgesehen (s. Rn. 184 ff.), die Gesetzesänderungen im strafverfahrensrechtlichen Bereich 496 überwiegend auf Folgeänderungen aus Änderungen in anderen Rechtsgebieten.497 Zu erwähnen sind die Anpasung der §§ 100 a, 100 b an die strukturellen Änderungen beim Post- und Fernmeldewesen durch Art. 4 Abs. 17 PostStruktG, die Einfügung des § 464 c 498 sowie die Erweiterung des Haftgrundes der Wie-

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AE/Kreis (Baumann e.a.) Alternativ-Entwurf Wiedergutmachung (AE/WGM) (1992). Verh. des 56. DJT, Bd. I Teil C (Gutachten Schöch), Bd. II Teil L (Referate Danckert, Robra, Stöckel Verhandlungen). Dazu u.a. Dünkel/Rössner ZStW 99 (1987) 845; Schreckling Bestandsaufnahme des Täter-Opfer-Ausgleichs (1991); s. auch Vorbem. 5. Buch StPO, Rn. 21 ff. S. unten Rn. G 58 ff. S. dazu etwa AE/Kreis (Baumann e.a) Alternativ-Entwurf Zeugnisverweigerungsrechte

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und Beschlagnahmefreiheit (AE/ZVR) (1996); s. dazu auch unten Rn. J 127. Verh. des 60. DJT (1994) Bd. I Teil C (Gutachten Gössel). Wegen der Änderung der §§ 140, 142 durch das StPOÄndG 1988 s. oben Rn. 128. Übersicht bei Rieß StraFo 1990 48. Gesetz zur Regelung des Geschäftswertes bei land- und forstwirtschaftlichen Betriebsübergaben und zur Änderung sonstiger kostenrechtlicher Vorschriften vom 15.6.1989 (BGBl. I S. 1082).

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derholungsgefahr in § 112 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 auf Fälle des schweren Landfriedensbruches durch das StGBÄndG 1989.499 Das gleiche Gesetz enthält als Art. 4 das selbständige Kronzeugengesetz,500 mit dem 137 die noch bei den Beratungen des TerrorismusG gescheiterte (s. Rn. 124) Kronzeugenlösung für Teilnehmer von Straftaten nach § 129 a StGB oder damit zusammenhängender Straftaten zur Verhinderung oder Aufklärung solcher Taten eingeführt wurde. Das Gesetz war zunächst dahingehend befristet, als die in ihm ermöglichte Einstellung, das Absehen von Strafe oder die Strafmilderung voraussetzte, dass das aufklärungsrelevante Wissen bis Ende 1992 offenbart wurde. Obwohl die Erfolge dieses Gesetzes – ohne Vorliegen empirischer Daten 501 – zurückhaltend beurteilt wurden, ist es zunächst Anfang 1993 bis Ende 1995 und Anfang 1996 bis Ende 1999 verlängert 502 und sein Anwendungsbereich durch das VerbrbekG auf bestimmte Bereiche der Organisierten Kriminalität erweitert worden.503 Nach 1999 sollte eine modernisierte Neufassung der Kronzeugenregelung, die insbesondere die geplante Reform des Strafzumessungsrechts berücksichtigen sollte,504 eingebracht werden. In Ermangelung einer Reform des Strafzumessungsrechts wie auch einer Einigung über die neuen Grenzen der Kronzeugenregelung geschah dies jedoch nicht, was zu einem (vorläufigen) Ende der Kronzeugenregelung führte. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung der 16. Legislaturperiode ist jedoch vereinbart, eine neue Kronzeugenregelung zu schaffen. Neben Anpassungen in den §§ 74 c, 120, 142 GVG wurden im Gerichtsverfassungs- 138 recht Ende 1990 durch das 4. VwGOÄndG die Rechtswegstreitigkeiten regelnden §§ 17 bis 17 b GVG anstelle der früheren §§ 17, 17 a GVG neu eingefügt. Durch das RpflVereinfG wurden durch eine Änderung des § 35 GVG mit Wirkung vom 1.4.1991 die Ablehnungsgründe bei Schöffen erweitert und mit Wirkung vom 1.1.1992 die Vorschriften über die Bildung des Großen Senats und der Vereinigten Großen Senate beim BGH und das Verfahren bei ihnen (§§ 132 ff. GVG) neu gefasst.505 c) Die Zeit von 1991 bis 1994 aa) Gesetze gegen die Organisierte Kriminalität. Die nach verbreiteter aber sehr 139 umstrittener 506 Auffassung bedrohliche Zunahme der Organisierten Kriminalität, deren 499

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Zum Inhalt näher Kunert NStZ 1989 449 ff. m. Nachw. der Gesetzgebungsmaterialien und der Entstehungsgeschichte. Zum Inhalt Bernsmann NStZ 1989 456 ff.; Hilger NJW 1989 2377; vgl. auch (insbes. zur Problematik einer Ausweitung) Schlüchter ZRP 1997 65 ff. Mühlhoff/Pfeiffer ZRP 2000 121. KronzVerlG vom 16.2.1993 (BGBl. I S. 238); Materialien: Gesetzentw. BTDrucks. 12 3685 (neu); SchrBerRAusschBT, BTDrucks. 12 3973; ferner Gesetz vom 19.1.1996 (BGBl. I S. 58). Art. 5 des VerbrbekG (s. Rn. 150). Peglau ZRP 2001 103. Übersicht über die GVG-Änderungen bei Kissel NJW 1991 945 ff. Die kriminologische Literatur ging überwiegend davon aus, dass es sich primär um die politische Neuentdeckung eines altbekann-

ten Phänomens handelte, das aber angesichts der Angst einflößenden Szenarien der Öffnung des „Eisernen Vorhangs“ wie auch der innereuropäischen Grenzen (Schengener Abkommen, vgl. oben bei D ) rechtspolitisch ebenso wirkungsvoll wie repressiv umgesetzt wurde; H.J. Albrecht Organisierte Kriminalität. Theoretische Erklärungen und empirische Befunde in Albrecht/Dencker u.a. (Hrsg.), Organisierte Kriminalität und Verfassungsstaat (1998) S. 1; Kühne Ministerium der Justiz, Rheinland-Pfalz (Hrsg.) ,Mainzer Runde 1992‘: Kriminalität und Kriminalitätsbekämpfung in einem Europa ohne Grenzen, Mainz (1993); ders. in: Grundfragen staatlichen Strafens FS MüllerDietz Der erstaunliche Bedeutungszuwachs des Strafrechts: Gibt es Wachstumsgrenzen? (2001) S. 419.

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Bekämpfung mit den vorhandenen Instrumenten des Straf-und Strafverfahrensrechts als nicht ausreichend möglich angesehen wurde,507 führte seit 1992 nach längeren und intensiven, teilweise hochkontroversen rechtspolitische Auseinandersetzungen zum Erlass mehrerer Gesetze, deren Schwerpunkt das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisieren Kriminalität (OrgKG) bildet.508 Es beruht auf einem Gesetzentwurf des Bundesrates, der zunächst bereits 1990 und nach dem Ende der 11. Legislaturperiode erneut in etwas veränderter Form 1991 eingebracht wurde 509 und der seinerseits in seinem materiell-strafrechtlichen Bereich auf Gesetzentwürfe der Bundesregierung 510 und im Verfahrensrecht auf Teile eines Referentenentwurfs des BMJ 511 zurückgriff. In den sachlichen Zusammenhang dieses Gesetzes gehören jedenfalls teilweise das AWGÄndG,512 durch das u.a. § 111 b StPO geändert und durch das in den neuen §§ 39 bis 43 AWG (befristet bis Ende 1999 und durch die Änderung des G-10 Gesetzes v. 26.6.2001 513 ersetzt) 514 eine präventive Fernmeldeüberwachung zur Verhütung schwerer Straftaten nach dem AWG und dem KWKG ermöglicht wurde,515 das 26. StrÄndG mit seinen Strafverschärfungen bei den Tatbeständen des Menschenhandels, das Geldwäschegesetz vom 25.10.1993 (BGBl. I S. 1770) sowie das Gesetz zur Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Beratungen in Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit vom 23.7.1992.516 Im materiell-strafrechtlichen Bereich enthält das OrgKG die neuen als Blankettvor140 schriften ausgestalteten Sanktionen der Vermögensstrafe und des erweiterten Verfalls,517 den neuen Straftatbestand der Geldwäsche sowie Anhebungen von Strafrahmen und neue Qualifikationstatbestände.518 Hieraus folgen strafprozessuale Folgeänderungen 519 im Katalog des § 100 a 520 sowie als Regelungen für die vorläufige Sicherung einer zu

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Nachw. u.a. bei Hilger NStZ 1992 457, insbes. Fn. 1. Vom 15.7.1992 (BGBl. I S. 1302). Darstellung des Inhalts (auch mit Nachw. zur Entstehungsgeschichte) bei Hilger NStZ 1992 457, 523; Krey/Haubrich JR 1992 309; Möhrenschlager wistra 1992 326; Rieß NJ 1992 491; zu weiteren Maßnahmen in diese Richtung s. Rn. 154. BTDrucks. 11 7663; BTDrucks. 12 989; zum Beratungsgang und zu den Änderungen im Gesetzgebungsverfahren SchrBerRAusschBT, BTDrucks. 12 2720. BTDrucks. 11 5461 (Vermögensstrafe); BTDrucks. 11 6623 (Erweiterter Verfall); vgl. auch BTDrucks. 12 731 (Gesetzentwurf der SPD – Abschöpfung von Gewinnen, Geldwäsche). Hilger NStZ 1992 457 Fn. 8, 9; zu diesem Entwurf (StVÄG 1988) s. HilgendorfSchmidt wistra 1989 208; Wolter StV 1989 358. Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes, des Strafgesetzbuches und anderer Gesetze vom 28.2.1992 (BGBl. I S. 373). BGBl. I, S. 1254. Die ursprüngliche Befristung bis Ende 1994

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(§ 51 AWG) wurde zunächst bis Ende 1996 und durch Gesetz vom 11.12.1996 (BGBl. I S. 1850) bis Ende 1999 verlängert. Dazu kritisch Gusy StV 1992 484; Hund NJW 1992 2118. (BGBl. I S. 1366); Materialien: BTDrucks. 12 870 (Gesetzentwurf des Bundesrates); BTDrucks. 12 655 (Gesetzentwurf der SPD); BTDrucks. 12 2738 (SchrBerRAusschBT). Der Anwendungsbereich dieser Vorschriften ist seither mehrfach ausgeweitet worden. Zur beabsichtigten Ersetzung des Rechtsinstituts des „Verfalls“ durch „Einziehung des Erlangten“ (insoweit ohne sachliche Änderungen) s. Rn. 153. Art. 1 (StGB) und Art. 2 (BtMG) des OrgKG; dazu näher Krey/Dierlamm JR 1992 353; Möhrenschlager wistra 1992 281; Rieß NJ 1992 491. Art. 3 des OrgKG. Weitere Änderungen des Katalogs des § 100 a sind durch die Gesetze zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes vom 5.11.1990 (BGBl. I S. 2428) und vom 28.2.1992 (BGBl. I S. 372) sowie das 26. StrÄndG vom 15.7 1992 und das 6. StrRG vom 26.1 1998 vorgenommen worden.

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erwartenden Vermögensstrafe durch Arrest und Vermögensbeschlagnahme (§§ 111 o, 111 p) und bei der Vollstreckung der Vermögensstrafe (§§ 459 i, 460 Satz 2). Die selbständigen strafprozessualen Änderungen durch das OrgKG und seine Begleit- 141 gesetze betreffen einmal, im Interesse einer verbesserten Sachverhaltsaufklärung, Maßnahmen des Zeugenschutzes (Neufassung des § 68, Änderungen der §§ 168 a, 200, 222 StPO, § 172 GVG) sowie im Interesse einer Vorbeugung gegen Betäubungsmittelabhängigkeit eine Erweiterung des Zeugisverweigerungsrechts (§§ 53, 97) durch das Gesetz vom 23.7.1992.521 Sie enthalten ferner gesetzliche Regelungen für besondere Ermittlungsmaßnahmen, für die die jüngere Diskussion über die Notwendigkeit gesetzlicher Ermächtigungsgrundlagen 522 ein besonderes Bedürfnis hat hervortreten lassen. Insoweit hat das OrgKG den Charakter eines Vorschaltgesetzes vor einer beabsichtigten weitergespannten gesetzlichen Regelung.523 Im Einzelnen regelt das OrgKG die Ermittlungsmethoden der Rasterfahndung (§§ 98a 142 bis 98 c), des Einsatzes technischer Mittel (§§ 100c, 100d), des Einsatzes Verdeckter Ermittler (§§ 110a bis 110e) und der polizeilichen Beobachtung (§§ 163 e, 463 a). Für einen Teil dieser Maßnahmen und für die Fernmeldeüberwachung wird ferner die Zulässigkeit der Verwertung sogenannter Zufallserkenntnisse geregelt (§ 100b Abs. 3). Schließlich wird die Zulässigkeit der allgemeinen Vermögensbeschlagnahme in § 443 neu bestimmt. bb) Das am 1.3.1993 in Kraft getretene Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege 143 (RpflEntlG) 524 verfolgte vorrangig das Ziel, personelle Ressourcen in den alten Ländern freizusetzen, um die personelle Aufbauhilfe für die Justiz der neuen Länder fortsetzen und ausbauen zu können; mit ihm sollte zugleich den neuen Ländern der Übergang zum Normalaufbau der Gerichtsbarkeit erleichtert werden.525 Das Gesetz enthält Entlastungs- und Vereinfachungsmaßnahmen im gerichtsverfassungsrechtlichen und im verfahrensrechtlichen Bereich für die Zivil-, Straf-, Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit.526 Das rechtspolitisch zum Teil sehr umstrittene Gesetz,527 das auf einem Gesetzentwurf des Bundesrates beruht,528 hat teilweise Vorschläge aus früheren Gesetzentwürfen aufgenommen, teilweise Regelungen in den übergangsweise geltenden Vorschriften des Einigungsvertrages zum Vorbild genommen und teilweise eigenständige und neuartige Vereinfachungsvorschläge entwickelt.529

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BGBl. I S. 1366. S. 24. Aufl. § 163, 44. S. auch zur weiteren Entwicklung Rn. 154 (sog. Großer Lauschangriff); weitere Regelungsvorschläge, namentlich im Entw. eines StVÄG 1996 (BTDrucks. 13 9718), sind erst später Gesetz geworden, vgl. Rn. 158. Vom 11.1.1993 (BGBl. I S. 50); zu den strafverfahrensrechtlichen und gerichtsverfassungsrechtlichen Änderungen s. Böttcher/ Mayer NStZ 1993 153; Kissel NJW 1993 289; Meyer-Goßner NJW 1993 498; Schlothauer StV 1993 147; Siegismund/Wickern wistra 1993 81, 136. S. Rn. 180; ob dieses Ziel einer zusätzlichen Freistellung von Personal für die neuen Länder erreicht worden ist, ist zweifelhaft.

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Zusammenfassende Übersicht über den gesamten Inhalt des RpflEntlG bei Rieß AnwBl. 1993 51. Nachw. in der umfassenden Würdigung von Schlüchter (Entlastung); s. auch u.a. Werle JZ 1991 789. BTDrucks. 12 1217; zum Beratungsgang und zu den Änderungen im Gesetzgebungsverfahren s. SchrBerRAusschBT, BTDrucks. 12 3832. Zu den praktischen Auswirkungen dieses Gesetzes, des OrgKG und des VerbrbekG s. die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage, BTDrucks. 13 5967.

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Einleitung

Im Gerichtsverfassungsrecht 530 wurde die Strafgewalt des Amtsgerichts auf vier Jahre Freiheitsstrafe erweitert und die Straferwartungsprognose für die schöffengerichtliche Zuständigkeit entsprechend angehoben (§§ 24, 74 GVG); die Zuständigkeit des Strafrichters wurde unter Erweiterung der Straferwartungsprognose auf zwei Jahre neu formuliert (§ 25 GVG). Für alle Berufungen im Erwachsenenstrafverfahren, nicht nur für die gegen Urteile des Strafrichters, ist die Zuständigkeit der kleinen Strafkammer begründet worden (§ 76 GVG); für Berufungen gegen Urteile des Jugendrichters wurde eine kleine Jugendkammer geschaffen.531 Zunächst befristet für die Dauer von 5 Jahren, also bis zum 28.2.1998und später bis zum 31.12.2006,532 hat das Gesetz ferner durch § 76 Abs. 2 GVG die Möglichkeit geschaffen, dass die erstinstanzliche Strafkammer als erkennendes Gericht, wenn sie nicht als Schwurgerichtskammer tätig wird, in der Hauptverhandlung bei Sachen, die nicht umfangreich oder schwierig sind, mit zwei Richtern und zwei Schöffen besetzt ist. Schließlich ist (§ 78 b GVG) die Strafvollstreckungskammer grundsätzlich nur noch mit einem Richter besetzt; durch drei Richter entscheidet sie nur noch über die Aussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Während der Gesetzgeber bei den Änderungen des GVG weitgehend dem Entwurf 145 folgte, hat er im Strafprozessrecht 533 deutliche Reduktionen vorgenommen, vor allem bei den Vorschlägen zur Änderung des Beweisantragsrechts und Rechtsmittelsystems, bei denen die Abschaffung der Sprungrevision und die Schaffung einer Zulassungsrevision gegen Berufungsurteile nicht realisiert worden ist.534 Das Schwergewicht der Änderungen liegt in der neuen Möglichkeit, gegen einen verteidigten Angeklagten durch Strafbefehl zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu verhängen (§§ 407, 408 b); der Einführung der Annahmeberufung 535 bei geringfügigen Vorwürfen (§§ 313, 322 a) und bei der Bestimmung, dass über Beweisanträge auf Vernehmung von Auslandszeugen nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist (§ 244 Abs. 5 S. 2). Daneben enthält das Gesetz Erleichterungen bei der Auslandszustellung (§ 37 Abs. 2 – Einschreiben gegen Rückschein); Erweiterungen der §§ 153 und 153 a sowie eine Reduktion der durch das OpferschutzG eingefügten Informationspflichten gegenüber den Verletzten (§ 406 h).

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cc) Sonstige Gesetze. Die weitere Gesetzgebung bis zum Ende der 12. Legislaturperiode im Herbst 1994 beschränkte sich danach zunächst überwiegend auf redaktionelle Anpassungen infolge von Änderungen in anderen Rechtsbereichen. Lediglich das Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 536 enthielt in Art. 8 Abs. 6 einige auch sachlich bedeutsame Änderungen in den kostenrechtlichen Vorschriften der StPO,537 namentlich durch den

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Art. 3 des RpflEntlGG. Die Änderungen sind in der 24. Aufl. im Anh. GVG Rn. 14 ff.; 41 ff. näher dargestellt und erläutert. § 33 b JGG; die Änderungen des JGG in Art. 7 RpflEntlG. Die Vorschrift ist durch Art. 3 des 3. Verjährungsgesetzes vom 22.12.1997 (BGBl. I S. 3223) bis zum 31.12.2000 und durch Gesetz vom 24.08 2004 bis zum 31.12.2006 verlängert worden. Art. 2 des RpflEntlG. Vgl. dazu m. Nachw. aus den Stellung-

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nahmen Schlüchter (Entlastung) 27 ff.; 49 ff.; Werle JZ 1991 790 ff. S. zur Annahmeberufung u.a. (überwiegend kritisch) Fezer NStZ 1995 265; Feuerhelm StV 1997 99; Tolksdorf FS Salger 393 ff. Gesetz zur Änderung von Kostengesetzen und anderen Gesetzen (Kostenrechtsänderungsgesetz 1994) vom 24.6.1994 (BGBl. I S. 1325); Materialien: RegEntw. BTDrucks. 12 6962; SchrBerRAussschBT, BTDrucks. 12 7657. Näher Otto JurBüro 1994 397 f.

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Die Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts

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neuen, die Kostenquotelung gestattenden § 464d und die entsprechende Änderung des § 467 für den Fall des Teilfreispruchs sowie die Erweiterung der Kostentragungspflicht juristischer Personen bei Festsetzung einer Geldbuße durch die Änderung des § 472b StPO. dd) Das mit Ablauf der 12. Legislaturperiode nach längeren politischen Auseinander- 147 setzungen 538 verabschiedete Verbrechensbekämpfungsgesetz 539 knüpft mit etwas veränderten Akzenten an das OrgKG (Rn. 139 ff.) an; es soll wie dieses mit einem kodifikationsübergreifenden Ansatz mit materiell-strafrechtlichen, verfahrensrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Maßnahmen verbesserte gesetzliche Möglichkeiten zur Bekämpfung der allgemeinen Kriminalität, der Organisierten Kriminalität und des Rechtsradikalismus zur Verfügung stellen.540 Einbezogen in die parlamentarischen Beratungen wurden eine Reihe weiterer Gesetzentwürfe mit teilweise sachlich übereinstimmenden, teilweise weitergehendem Inhalt.541 Das Gesetz enthält im materiellen Strafrecht u.a. Regelungen für die Strafbemessung 148 bei Täter-Opfer-Ausgleich und Schadenswiedergutmachung sowie Veränderungen bei Tatbeständen und Strafrahmen des Besonderen Teils, sowie bei den Strafvorschriften des Ausländer- und Asylrechts. Es erweitert ferner den Anwendungsbereich von Vermögensstrafe und erweitertem Verfall. Verwaltungsrechtliche Vorschriften betreffen das Vereinsgesetz und die Gewerbeordnung. Ferner werden durch Änderung in G-10 die Kontrollmöglichkeiten des Verfassungsschutzes erweitert. Die Änderungen im Strafverfahrensrecht 542 enthalten kleine Lockerungen der Haft- 149 voraussetzungen bei § 112 Abs. 3 und § 112 a StPO, Erweiterungen des Katalogs bei der Fernmeldeüberwachung (§ 100 a StPO) sowie eine Erweiterung der Zulässigkeit des Selbstleseverfahrens in § 249 Abs. 2 StPO. Mit dem neuen § 257 a StPO wird dem Gericht die Möglichkeit eingeräumt, in der Hauptverhandlung Anträge schriftlich stellen zu lassen. Das beschleunigte Verfahren wird unter Aufhebung der § 212 bis 212 b als neuer Abschnitt in das sechste Buch übertragen (§§ 417 bis 420 StPO) 543 und – mit dem Ziel einer höheren Anwendungshäufigkeit, aber ohne Veränderung des Strafrahmens – teilweise neu geregelt.544 Dabei werden für diese Verfahrensart sowie für das Einspruchsverfahren nach Strafbefehl (§ 411 Abs. 2 Satz 2 StPO) die Vorschriften über die Beweiserhebung in Anlehnung an das Bußgeldverfahren vereinfacht. In einem neuen achten Buch (§§ 474 bis 477 StPO) werden die Voraussetzungen und der Umfang eines umfassenden bundeseinheitlichen staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregisters geregelt.

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Das Gesetzgebungsvorhaben hat längere Zeit den Vermittlungsausschuss beschäftigt, dessen Vorschläge teilweise deutliche Abstriche am Ursprungsentwurf erbrachten. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung und anderer Gesetze (Verbrechensbekämpfungsgesetz) vom 28.10.1994 (BGBl. I S. 3186); Materialien: Gesetzentw. der CDU/CSU und FDP, BTDrucks. 12 6853; SchrBerRAusschBT BTDrucks. 12 7584; PlenarProt. vom 20.5.1994, 12 229, S. 19867 ff.; Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses, BTDrucks. 12 7837; zur Entstehungsgeschichte König/Seitz NStZ 1995 1.

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Zum Inhalt und zur Einschätzung näher Dahs NJW 1995 553; König/Seitz NStZ 1995 1 ff.; Krüger Kriminalistik 1995 41. Gesetzentw. der SPD, BTDrucks. 12 6784, Gesetzentw. des Bundesrates, BTDrucks. 12 4825. Artikel 4 des Gesetzes, Folgeänderung des JGG in Art. 7 und des OWiG in Art. 8. Für diesen Standort schon der Vorschlag des Entw. 1908, s. Rn. 23. Dazu ausführlich Loos/Radtke NStZ 1995 569 ff.; 1996 7 ff.; Sprenger NStZ 1997 574 ff. Wegen des auf die breitere Anwendung des beschleunigten Verfahrens abzielenden neuen § 127 b StPO s. unten Rn. 153.

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Einleitung

Im Gerichtsverfassungsrecht 545 ist die Besetzung der Strafsenate des Oberlandesgerichts im ersten Rechtszug entsprechend der Regelung des § 76 Abs. 2 GVG für die Strafkammer (Rn. 144) dahingehend geändert worden, dass der Strafsenat mit drei Richtern besetzt sein kann, wenn nicht der Umfang oder die Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung zweier weiterer Richter erforderlich macht.546 Schließlich ist das Kronzeugengesetz (Rn. 137) auf Straftaten der Organisierten Kriminalität erweitert worden.547 d) Die Zeit von 1995 bis 1998

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aa) Übersicht. In der 13. Legislaturperiode von 1995 bis 1998 wurden die das Strafverfahren betreffenden Vorschriften der StPO, des GVG und des EGGVG durch insgesamt 20 Gesetze geändert. Dabei handelt es sich allerdings vielfach um bloße Anpassungsänderungen ohne sachliche Bedeutung. Dies gilt überwiegend auch für die Folgen aus den teilweise erheblichen und tiefgreifenden Änderungen im materiellen Strafrecht,548 die jedoch vor allem bei der Strafvollstreckung 549 und bei der Beteiligung des Verletzten 550 Änderungen von sachlicher Bedeutung brachten. Die Abschaffung der Gerichtsferien 551 ist für das Strafverfahren ohne nennenswerte Bedeutung. Der überwiegende Teil der schwerpunktmäßig das Strafverfahren betreffenden, zum Teil weitgehenden Änderungen wurde erst 1998 zum Schluss der Legislaturperiode nach teilweise sehr kontroversen rechtspolitischen Auseinandersetzungen realisiert. Im Wiederaufnahmerecht wurde § 359 StPO um einen Wiederaufnahmegrund bei einer Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erweitert 552 und damit eine allzu lange überfällige völkerrechtliche Verpflichtung eingelöst.553 Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO wurde anlässlich der gesetzlichen Regelung ihres Berufsrechts auf psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten erweitert.554 Änderungen der die Entziehung der Fahrerlaubnis betreffenden Vorschriften 555 (§§ 111 a, 268 c, 463 b StPO) sind überwiegend terminologischer Art; jedoch 545 546 547 548

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Art. 8 des Gesetzes. Abweichend von § 76 Abs. 2 GVG ist diese Regelung nicht befristet. Art. 5 des Gesetzes. S. vor allem das 33. StrÄndG (Änderung der §§ 177 bis 179 StGB) vom 1.7.1997 (BGBl. I S. 1607); das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13.8.1997 (BGBl. I S. 2038); das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.1.1998 (BGBl. I S. 160) sowie das 6. StrRG vom 26.1.1998 (BGBl. I S. 164). Änderung der §§ 454, 454 a und 463 StPO durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten (s. Rn. 153). Änderung der §§ 374, 395 StPO durch das 6. StrRG. Aufhebung des 17. Titels des GVG durch das Gesetz zur Abschaffung der Gerichtsferien vom 28.10.1996 (BGBl. I S. 1546). Gesetz vom 9.7.1998 (BGBl. I S. 1802); näher die Erl. im Nachtr. zur 25. Aufl. Die weiteren Vorschläge aus dem Gesetzentw.

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der SPD-Fraktion (BTDrucks. 13 3594), die bei den Erl. zu §§ 359 ff. wiedergegeben sind, sind nicht Gesetz geworden; zu diesen auch Wasserburg ZRP 1997 414 ff.; Stoffers ZRP 1998 175 ff. vgl. schon Klein Der Individualrechtsschutz in der Bundesrepublik Deutschland bei Verstößen gegen die Menschenrechte und Grundfreiheiten der EMRK in Mahrenholz/ Hilf/Klein (Hrsg.) Entwicklung der Menschenrechte innerhalb der Staaten des Europarats (1987) S. 43. Art. 5 des Gesetzes über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, zur Änderung des 5. Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 16.6. 1998 (BGBl. I S. 1311) mit einer entsprechenden Änderung des § 97 Abs. 2 Satz 2 StPO. Art. 4 des Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24.4.1998 (BGBl. I S. 747).

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Die Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts

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wurde der Auflagenkatalog in § 153 a StPO durch die „Nachschulung“ ergänzt. Weitere Entwürfe sind mit Ablauf der Legislaturperiode dem Diskontinuitätsprinzip unterfallen. bb) Datenschutz und sog. informationelle Selbstbestimmung. Mit dem Erlass des 152 Justizmitteilungsgesetzes 556 ist der Gesetzgeber der verbreiteten Auffassung gefolgt, dass die Weitergabe personenbezogener Daten zu anderen als der Erhebung dienenden Zwecken einer gesetzlichen Grundlage bedarf. In seinem allgemeinen Teil wird zu diesem Zweck in das EGGVG mit den §§ 12 bis 22 EGGVG ein neuer 2. Abschnitt eingefügt,557 der an Stelle der bisherigen Verwaltungsanweisungen generell regelt, unter welchen Voraussetzungen, in welchem Umfang und unter welchen Schutzvorschriften (auch) in Strafverfahren erhobene personenbezogene Daten von Amts wegen an andere öffentliche Stellen übermittelt werden dürfen.558 Das Gesetz (Art. 2 bis 31) enthält ferner in zahlreichen anderen Gesetzen dem gleichen Ziel dienende sog. „bereichsspezifische“ Einzelregelungen. Überwiegend durch Bedürfnisse des Datenschutzes dürfte auch die gesetzliche Regelung der DNA-Analyse 559 motiviert sein, deren Zulässigkeit davor nach verbreiteter Meinung aus § 81 a StPO abgeleitet wurde.560 Das Gesetz enthält namentlich durch die neuen §§ 81 e und 81 f StPO detaillierte und begrenzende Vorschriften über den Umfang der dabei zulässigen Untersuchungen sowie Vernichtungsregelungen und Verwendungsbegrenzungen. Ferner ist durch ein gesondertes Gesetz 561 in den neuen § 81 g StPO die (beschränkte) Zulässigkeit der Speicherung der bei der DNA-Analyse gewonnenen Informationen geregelt worden. Im Gesetzgebungsverfahren stecken geblieben sind unterschiedlich angelegte Entwürfe für eine gesetzliche Regelung der Akteneinsicht Dritter und mit Dateiregelungen, die die Erhebung, Verarbeitung und Übermittlung personenbezogener Daten betreffen;562 vgl aber Rn. 158 zu den später erfolgten Ergänzungen. cc) Verbrechensbekämpfung. Maßnahmen mit dem Ziel, das gesetzliche Instrumen- 153 tarium zur Verbesserung der Verbrechensbekämpfung effektiver auszugestalten, haben in Fortsetzung der bereits seit 1990 erkennbaren Entwicklung (vgl. Rn. 133, 139 ff., 147 ff.) wiederum einen hohen Stellenwert gehabt. Dabei ist die sog. Organisierte Kriminalität weiterhin ein Schwerpunkt, jedoch orientiert sich der Gesetzgeber daneben auch an von ihm so empfundenen Bedürfnissen der Bekämpfung der allgemeinen Kriminalität und darüber hinaus der sexuellen Gewaltkriminalität, namentlich in Fällen des sog. Kindesmissbrauchs. Dem sollen prozessual die auch die Strafvollstreckung (§§ 454, 454 a, 463 StPO) berührenden Erschwerungen bei der bedingten Entlassung dienen.563 Mit der Ein556

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Justizmitteilungsgesetz und Gesetz zur Änderung kostenrechtlicher Vorschriften und anderer Gesetze (JuMiG) vom 18.6. 1997 (BGBl. I S. 1997); Materialien u.a. RegEntw. BTDrucks. 13 4709; SchrBerRAusschBT, BTDrucks. 13 7489. Das EGGVG hat damit erstmals eine Unterteilung in (vier) Abschnitte mit amtlichen Abschnittsbezeichnungen erfahren. Näher die Erl. zu den §§ 12 ff. EGGVG; zum Inhalt vgl. auch Wollweber NJW 1997 2488. Strafverfahrensänderungsgesetz – DNAAnalyse („Genetischer Fingerabdruck“) – StVÄG vom 17.3.1997 (BGBl. I S. 534); Materialien u.a.: RegEntw. BTDrucks. 12

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7266; 13 667; Gesetzentw. der SPD-Fraktion, BTDrucks. 13 3116; SchrBerRAusschBT, BTDrucks. 13 6420; näher zum Ganzen Senge NJW 1997 2409 ff. Nachw. bei Senge NJW 1997 2409 Fn. 3, 4. DNA-Identitätsfeststellungsgesetz vom 7.9.1998 (BGBl. I S. 2646); s. dazu u.a. Hamm NJW 1998 2408 f. Gesetzentw. des Bundesrates für ein Strafverfahrensänderungsgesetz 1994 (StVÄG 1994), BTDrucks. 13 194; RegEntw. eines Strafverfahrensänderungsgesetzes 1996 (StVÄG 1996), BTDrucks. 13 9718. Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.1.1998 (BGBl. I S. 160) mit den

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Einleitung

führung der sog. Hauptverhandlungshaft durch den neuen § 127 b StPO 564 sollen die Anwendungsmöglichkeiten des durch das VerbrbekG veränderten (Rn. 149) beschleunigten Verfahrens erweitert werden. Ein kurz vor Ablauf der Legislaturperiode gemeinsam von den Regierungsparteien und der Opposition (SPD) eingebrachter Entwurf, mit dem die materiell-rechtlichen und prozessualen Vorschriften über Einziehung und Verfall und über die Beschlagnahme nach den §§ 111 b ff. StPO tiefgreifend geändert werden sollten,565 konnte nicht mehr verabschiedet werden. Nach außerordentlich kontroversen, fast die gesamte Legislaturperiode in Anspruch 154 nehmenden politischen Auseinandersetzungen ist mit dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität 566 und nach einer entsprechenden Änderung von Art. 13 GG 567 die Möglichkeit der akustischen Überwachung von Wohnräumen geschaffen worden. Die komplizierte, weitschweifige und unübersichtliche Regelung in einem neuen § 100 c Abs. 1 Nr. 3, in neuen Absätzen 2 bis 4 und 6 des § 100 d sowie in neuen §§ 100 e und 100 f StPO ist das Produkt langwieriger Verhandlungen zwischen den verschiedenen politischen Kräften, deren Zustimmung wegen der notwendigen Grundgesetzänderung erforderlich war. Über diesen Regelungsschwerpunkt hinaus, der die politische Diskussion unter dem Schlagwort „Großer Lauschangriff“ bestimmt hat, bezieht das Gesetz die Geldwäsche nach § 261 StGB in die Zulässigkeit der Fernmeldeüberwachung nach § 100 a StPO ein, reduziert die Verdachtsschwelle bei der Sicherungsbeschlagnahme durch eine Änderung des § 111 b StPO, erweitert materiell-strafrechtlich den Tatbestand der Geldwäsche (§ 261 StGB), ändert das Geldwäschegesetz 568 und enthält zusätzliche Kontrollbefugnisse der Zollbehörde durch eine Ergänzung des Finanzverwaltungsgesetzes.

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dd) Zeugen- und Opferschutz. Das ebenfalls erst im März 1998 nach einem im Vermittlungsausschuss gefundenen Kompromiss zustande gekommene Zeugenschutz-

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materiell-rechtlichen Änderungen namentlich der §§ 57, 66, 67 d und 68 c StGB; wegen der Änderungen der §§ 454, 454 a und 463 StPO s. die Erl.dort; zum Gesetz ingesamt näher u.a. Hammerschlag/Schwarz NStZ 1998 321 ff.; Schöch NJW 1998 1257 ff. Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung vom 17.7.1997 (BGBl. I S. 1822); näher m. Nachw. der Materialien die Erl. zu § 127 b StPO; ferner Hellmann NJW 1997 2145; Stinzig/Hecker NStZ 1997 569. Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP für ein Gesetz zur verbesserten Abschöpfung von Vermögensvorteilen aus Straftaten, BTDrucks. 13 9742. Materiellstrafrechtlich sollte der Begriff des Verfalls durch den der „Einziehung des Erlangten“ ersetzt werden und der den Verfall beschränkende § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entfallen. Hieran sollte durch einen neuen § 459k StPO eine vollstreckungsrechtliche Regelung anknüpfen, die dem Verletzten einen Rückgriff auf die der Staatskasse zugeflossenen Einziehungsbeträge ermöglichen sollte. Fer-

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ner sollten die §§ 111b bis 111p StPO durch eine vollständige, vereinfachende Neufassung ersetzt werden. Vom 4.5.1998 (BGBl. I S. 845); Materialien u.a.: RegEntw. eines Gesetzes zur Verbesserung der Geldwäschebekämpfung, BTDrucks. 13 6620; Entw. der CDU/CSU, SPD und FDP, BTDrucks. 13 8651; BeschlussempfRAusschBT, BTDrucks. 13 9644; SchrBerRAusschBT, BTDrucks. 13 9661; Anrufung des Vermittlungsausschusses, BTDrucks. 13 9841; Beschluss des Vermittlungsausschusses, BTDrucks. 13 10004; näher u.a. Meyer/Hetzer NJW 1998 1017 ff. (m. ausf. Nachw. der Entstehungsgeschichte und der Kontroversen); Denninger StV 1998 401 ff.; Dittrich NStZ 1998 336 ff. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 13 GG) vom 26.3.1998 (BGBl. I S. 610). S. dazu Meyer/Hetzer NJW 1998 1024 f.; Zuck NJW 1998 1919. Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten vom 25.10.1993, BGBl. I S. 1770.

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Die Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts

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gesetz 569 hat seinen Ursprung in einer Reihe von Strafverfahren wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern, bei denen namentlich deren Vernehmung als Zeugen in der Hauptverhandlung als besonders belastend bis undurchführbar angesehen wurde. Anders als ein die gleiche Zielrichtung verfolgender Gesetzentwurf des Bundesrates 570 beschränkt sich die verabschiedete Fassung aber hierauf nicht, sondern bezieht sich, auch wenn sie teilweise weitergehende Regelungen für kindliche Zeugen enthält, auf alle Zeugen. Das Gesetz ermöglicht generell die Aufzeichnung von Zeugenvernehmungen auf Bild- und Tonträger, die es teilweise als Sollvorschrift vorschreibt (§ 58 a StPO) und deren Verwertung es in der Hauptverhandlung gestattet (§ 255 a StPO). Es ermöglicht ferner mit dem neuen § 247 a StPO unter bestimmten Voraussetzungen die Vernehmung eines Zeugen während der Hauptverhandlung und als ein Teil von ihr an einem anderen Ort unter gleichzeitiger Übertragung in Bild und Ton in das Sitzungszimmer.571 Weitere Regelungen des Gesetzes betreffen die Bestellung eines anwaltlichen Beistandes für einen Zeugen für die Dauer seiner Vernehmung (§ 68 b StPO) sowie die Erweiterung der Möglichkeiten, dem Nebenkläger einen Beistand zu bestellen (§ 397 a StPO). Eine Verbesserung der zivilrechtlichen Situation von Verletzten ist durch das Opferanspruchssicherungsgesetz 572 insoweit erreicht worden, als Verletzte ein gesetzliches Pfandrecht an Forderungen erwerben, die Täter oder Teilnehmer durch eine „Vermarktung“ der Tat erzielen. ee) Justizentlastung. Entgegen den Forderungen namentlich der durch den Bundesrat 156 handelnden Länder 573 sind im Strafverfahrensrecht weitere gesetzliche Maßnahmen mit dem Ziel der Justizentlastung in der 13. Legislaturperiode nicht verwirklicht worden. Dagegen sind im Ordnungswidrigkeitenverfahren eine Reihe tiefgreifender verfahrensvereinfachender Regelungen realisiert worden,574 so etwa die Möglichkeit der Ein-

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Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung und der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (Gesetz zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren und zur Verbesserung des Opferschutzes; Zeugenschutzgesetz – ZSchG) vom 30.4. 1998 (BGBl. I S. 820); Materialien u.a.: Gesetzentw. der SPD-Fraktion, BTDrucks. 13 3128; Gesetzentw. des Bundesrates, BTDrucks. 13 4983; Gesetzentw. der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP, BTDrucks. 13 7165; Beschlussempf. (BTDrucks. 13 8990) und SchrBerRAusschBT, BTDrucks. 13 9063; Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den BR, BRDrucks. 933/97 (Beschluss); s. auch die synoptische Darstellung der unterschiedlichen Vorschläge bei Keiser Das Kindeswohl im Strafverfahren (1998) 405 ff.; zum Gesetz ferner m.w.N. Caesar NJW 1998 2314 ff.; Rieß NJW 1998 3240 ff.; Seitz JR 1998 309 ff.; Schlüchter/Greff Kriminalistik 1998 530 ff. Gesetz zum Schutz kindlicher Zeugen, BTDrucks. 13 4983. Abweichend der Vorschlag zu einem neuen

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§ 241 a StPO im Gesetzentwurf des Bundesrates (BTDrucks. 13 4983), nach dem entsprechend dem sog. Mainzer Modell (s. dazu LG Mainz StV 1995 354 = NJW 1996 208 m. Aufs. Dahs NJW 1996 178) die Vernehmung des Kindes während der Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden in einem besonderen Raum stattfindet. Gesetz zur Sicherung der zivilrechtlichen Ansprüche der Opfer von Straftaten (Opferanspruchsicherungsgesetz – OASG) vom 8.5.1998 (BGBl. I S. 905). Auf die zivilrechtlichen Einzelheiten ist in diesem Kommentar nicht einzugehen; s. zum Inhalt näher Nowotsch NJW 1998 1831 ff. So vor allem der Gesetzentw. des Bundesrates für ein zweites Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege (strafrechtlicher Bereich), BTDrucks. 13 4541 mit zahlreichen und teilweise weitgehenden Änderungsvorschlägen. Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze vom 26.1.1998 (BGBl. I S. 156); dazu ausführlich Katholnigg NJW 1998 568 ff.

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spruchsbeschränkung, die Möglichkeit des Verzichts auf einen Protokollführer in der Hauptverhandlung, eine Ausdehnung der Ermessensregelung (§ 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG) bei der Ablehnung von Beweisanträgen, erhebliche Einschränkungen bei den Grenzwerten für die Rechtsbeschwerde und ihrer Zulassung sowie schließlich die Möglichkeit von Einzelrichterentscheidungen im Rechtsbeschwerdeverfahren. 7. Die Zeit von 1999 bis 2005

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Die neueste Entwicklung der StPO in der 14. und 15. Legislaturperiode unterscheidet sich in ihrer Art nicht wesentlich von der der vorangegangenen 15 Jahre. Weitere Grundrechtseinschränkungen im Rahmen der Zwangsmaßnahmen zur steten Erhöhung der Wirksamkeit der Strafverfolgung, aber auch wieder einmal Neues zur Justizentlastung und Verfahrensvereinfachung. Die Häufigkeit der Interventionen des Gesetzgebers in StPO und GVG war rekordverdächtig. In 49 Gesetzen wurden 160 Vorschriften in die StPO eingefügt, dort geändert oder – ganz selten – aufgehoben.575 Die korrigierende und im Sinne des Schutzes von Beschuldigten- und Drittrechten mildernde Rechtsprechung von BVerfG und EGMR haben die Entwicklung auch in dieser Zeit beständig begleitet. Verstärkt hingegen sind gesetzgeberische Tätigkeiten festzustellen, die ihren Ursprung in der EU und ihrer rechtsetzenden/rechtsempfehlenden Tätigkeit gefunden haben.

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a) Zwangsmaßnahmen und Eingriffsermächtigungen. Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1999 wandelt §§ 161, 163 StPO, deren Charakter als allgemeine Befugnisnormen für niederschwellige Rechtseingriffe von Polizei und Staatsanwaltschaft überaus streitig war, in einer Weise um, die eine solche Interpretation nunmehr erlaubt. Die Befristung der Vorschriften zur Überwachung der Telekommunikation, §§ 100g, 100h StPO 576 wurde ein weiteres Mal verlängert, was vermuten lässt, dass sie auf Dauer bestehen werden. Zugleich wurden die Möglichkeiten, Auskunft über Telekommunikationsverbindungen zu erhalten, erweitert. Kurz darauf 577 wurde durch Einfügen des § 100i StPO auch das Recht eingeräumt, Standortdaten des eingeschalteten Mobiltelefons zu ermitteln und damit Aufenthaltsorte oder Bewegungsprofile des Beschuldigten aufzunehmen. Aufgrund der negativen Entscheidung des BVerfG zum sogn. großen Lauschangriff 578 war der Gesetzgeber in der Pflicht zu reagieren. Anstatt aus Anlass der vielen ungelösten und vom BVerfG thematisierten Fragen zumindest noch einmal über die Notwendigkeit einer solchen Vorschrift nachzudenken, änderte der Gesetzgeber in durchaus fraglicher und am Rande der vom BeVerfG formulierten Bedingungen balancierender Weise 579 die §§ 100 c–100 e StPO.580 Auch die Regelungen zur DNA Analyse wurden erweitert 581 einschließlich einer Bestätigung der bislang rechtlich ungedeckten Praxis, solche Analysen von Unverdächtigen zu erhalten, welche allgemeine Merkmale des Verdächtigen

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Ausführlich Rieß StraFo 2006 37 f. Gesetz zur Änderung der StPO v. 20.12. 2001 (BGBl. I S. 3879). Gesetz zur Änderung der StPO v. 6.8.2002 (BGBl I S. 3018). BVerfGE 109 213, vgl. dazu insbesondere Ruthig GA 2004, 587, Meyer-Wieck NJW 2005 2037. Schon zum Entwurf kritisch LeutheuserSchnarrenberger ZRP 2005 1. Gesetz zur Umsetzung des Urteils des

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BVerfG vom 3.3.2004 (akustische Wohnraumüberwachung) v. 24.6.2005 (BGBl. I S. 1841). Art. 3 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften v. 27.12. 2003 (BGBl. I S. 3007 ) und das dem vorangegangene Gesetz v. 6.8.2002 (BGBl. I S. 3018), in welchem § 81 f I StPO geändert wurde.

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teilen,582 § 81 h StPO. Der Vorbehalt der Freiwilligkeit in § 81 h StPO ist eine eher zynische Referenz an das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG. Denn wenn ein Betroffener seine Einwilligung nicht gibt, kann er sicher sein, dadurch zum Verdächtigen zu avancieren und zwangsweise nach § 81 g StPO der Analyse unterworfen zu werden. Auch die durch § 110 StPO nunmehr 583 ermöglichte Durchsicht beschlagnahmter Papiere durch die Polizei – wenngleich erst nach Übertragung dieser Befugnis durch die Staatsanwaltschaft – trägt nicht nur zur weiteren Schwächung der Position der Staatsanwaltschaft, sondern auch zum Schutzabbau der von der Durchsuchung Betroffenen bei. Die zugleich vorgenommene Streichung der Informationspflicht über den Termin der Durchsicht ist hoffentlich ein Lapsus. Gleichwohl wird man aus § 106 Abs. 1 S. 1 StPO schließen müssen, dass zumindest ein Recht auf Anwesenheit weiterhin besteht.584 b) Modernisierung und Entlastung der Justiz. Das Justizmodernisierungsgesetz vom 159 August 2004 585 greift eine Vielzahl von nicht systematisch in Verbindung stehenden Details auf und enthält nur wenige Inhalte, die mit dem Begriff der Neuerung zutreffend beschrieben werden könnten. Die Abschaffung der Regelvereidigung spiegelt nur die seit langem bestehende Praxis. Auch der Praxis entsprach das, was § 354 I a, I b StPO nunmehr einräumt, die erweiterte Sachentscheidungsbefugnis der Revisionsgerichte.586 Freilich macht es diese pragmatische Lösung schwierig, die Revisionsrechtssprechung dogmatisch konsistent einzufangen. Der Verzicht auf den Protokollführer in Verhandlungen vor dem Amtsrichter mag Ressourcen sparen, schafft aber Probleme in Hinblick auf die absolute Beweiskraft des § 274, die eine personale Trennung von Richter und Protokollführer voraussetzt. Kaum verwunderlich ist, dass wieder einmal die Unterbrechungsfristen des § 229 StPO verlängert worden sind. Es erscheint jedoch fraglich, ob hierdurch der Justiz in Großverfahren geholfen wird, oder nur Unmittelbarkeitsgrundsatz und Beschleunigungsgebot weiter erodiert werden.587 Ähnliches gilt für die Erweiterung der Verlesungsmöglichkeiten, §§ 251, 256 StPO. Zu Änderungen mit Modernisierungscharakter zählen ferner die seit ihrer Einführung 1972 erstmalige und umfassende Novellierung der Präsidialverfassung der Gerichte Ende 1999,588 das Zustellungsreformgesetz von Mitte 2001,589 das wegen der Verweisung auf das Zustellungsrecht der ZPO auch für die StPO Bedeutung hat, sowie – kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode – die umfangreichen, quantitativ hauptsächlich die Schöffen betreffenden Änderungen, mit denen vor allem Verfahrensvereinfachungen für die Wahl und Heranziehung der ehrenamtlichen Richter verwirklicht wurden.590 Die Möglichkeit der „elektronischen Akte“

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Gesetz zur Neuregelung der forensischen DNA Analyse v. 18.8.2005 (BGBl. I S. 2360). Justizmodernisierungsgesetz v. 24.8.2004 (BGBl. I S. 2198). Knaur/Wolf NJW 2005 2937; Meyer-Goßner § 110, 5 hält aber die Pflicht zur Terminaufforderung für entfallen. BGBl I. S. 2198. Wichtig auch wegen der eingrenzenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vgl. BVerfG StraFo 2004 131. Vgl. Rieß in FS Eser S. 443, 450. Gesetz zur Stärkung der Unabhängigkeit der

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Richter und Gerichte v. 22.12.1999 (BGBl. I S. 2598); zum Inhalt Kissel NJW 2000 460; zur Entstehungsgeschichte näher LR/ Breidling, Vor § 21a GVG, Entstehungsgeschichte. Zum Inhalt insgesamt Hartmann NJW 2001 2580 f.; zu den sich daraus für die StPO ergebenden Änderungen näher LR/Graalmann-Scheer, Erl. zu § 37 StPO. Gesetz zur Vereinheitlichung und Vereinfachung der Verfahrensvorschriften zur Wahl und Berufung ehrenamtlicher Richter v. 21.12.2004 (BGBl. I S. 3599) entsprechend einem Entwurf des Bundesrates von

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hat zwar, anders als in der ZPO, die StPO noch nicht erreicht; der neue § 41 a StPO enthält aber eine Rechtsgrundlage für die elektronische Übermittlung von Erklärungen an Gericht oder Staatsanwaltschaft.591 Nach der Plenarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30.4.2003 592 hat sich der Gesetzgeber veranlasst gesehen in den §§ 356 a, 33 a StPO die sogenannte Anhörungsrüge einzufügen.593 Hiernach müssen Verletzungen des rechtlichen Gehörs gleichsam vorab gerügt werde. Das Unterlassen einer solchen Rüge verwirkt den Mangel nicht nur, sondern führt auch zu einer fehlenden Ausschöpfung des Rechtswegs, die dann den Zugang zum Bundesverfassungsgericht versperrt.

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c) Zeugnisverweigerungsrechte. In Folge des Lebenspartnerschaftsgesetzes ist auch Lebenspartnern und „verlobten Lebenspartnern“ ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO eingeräumt worden.594 Angesichts neuer Kommunikationstechnologien wurde das Zeugnisverweigerungsrecht von Journalisten nach § 53 StPO angepasst und in gewisser Weise auch erweitert.595

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d) Opferrechte und Verletztenschutz. Nach der Anerkennung einer eigenständigen prozessualen Opferstellung durch das Opferschutzgesetz von 1987, geht der Gesetzgeber mit dem Opferrechtsreformgesetz 596 diesen Weg weiter voran. Insbesondere versucht der Gesetzgeber das Adhäsionsverfahren attraktiver zu gestalten, indem er konkretere Regelungen findet und auch einen zivilrechtlichen Vergleich, § 405 StPO für zulässig erklärt. Nach wie vor wird jedoch die Möglichkeit des Gerichts, einen auf Adhäsionsverfahren gerichteten Antrag wegen Ungeeignetheit abzulehnen, dafür sorgen, dass Gerichte nur selten diesem Weg doppelter Entscheidung folgen. Die Möglichkeit, Tonbandmitschnitte von Vernehmungen in der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht zu machen, §§ 273 Abs. 2, 323 Abs. 2 StPO, ist potentiell für alle Verfahrensbeteiligten von Nutzen.597 Des Weiteren erwähnenswert ist die strafprozessuale Verankerung des Täter-Opferausgleichs in §§ 153 a, 155 a, 155 b StPO 598Auch die Erweiterung des § 153 c StPO trägt dazu bei die Anzeigebereitschaft von Opfern zu erhöhen.599 Demselben Zweck dient auch eine Verbesserung des Zeugenschutzes.600 Die Bedingungen für

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Februar 2003 (BTDrucks. 15/411). Namentlich geht es um eine Verlängerung der Amtsperiode und um Vereinfachungen bei der Aufstellung der Vorschlags- und Schöffenlisten. Die Änderung des § 45 DRiG schafft ein Benachteiligungsverbot und bei Arbeitnehmern eine Freistellungspflicht für ehrenamtliche Richter. Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz (Justizkommunikationsgesetz – JKomG) v. 22.3.2005 (BGBl. I S. 837); dazu Fischer DRiZ 2004 90 ff.; Viefhues NJW 2005 1009; zu den Problemen der „elektronischen Akte“ Hähnchen NJW 2005 2257 ff. Die Anwendung des § 41a StPO setzt derzeit noch nicht vorliegende Rechtsverordnungen voraus. BVerfGE 107 395; vgl. auch die weiter konkretisierende Entscheidung vom 7.10.2003 in NJW 2003 3687.

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Anhörungsrügegesetz v. 9.12.2004 (BGBl. I S. 3220). Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsgesetzes v. 15. 12. 2004 (BGBl. I S. 3396). Gesetz zur Änderung der StPO v. 15.2.2002 (BGBl. I S. 682). Gesetz v. 24.6.2004 (BGBl. I S. 1354); krit. dazu Hilger GA 2004 478. Kühne Rn. 970, 971 zu den Problemen „nachgeschriebener“ Protokolle. Gesetz zur verfahrensrechtlichen Verankerung des Täter-Opfer- Ausgleichs und zur Änderung des Gesetzes über Fernmeldeanlagen v. 20.12.1999 (BGBl. I S. 2491). 37. StrafrechtsänderungsG v. 11.2.2005 (BGBl. I S. 239). Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen v. 11.12. 2001 (BGBl. I S. 3510). Näher dazu Soiné/Engelke NJW 2002 470; krit. Hilger FS Gössel 605.

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die Bestellung eines Verletztenbeistands gemäß § 397 a StPO wurden nochmals verbessert.601 e) Änderungen des GVG. Die Möglichkeit, mit verringerter richterlicher Besetzung 162 zu entscheiden, ist verlängert worden und gilt nunmehr bis Ende 2006. Auch nach Rückverweisung durch das Revisionsgericht kann erneut in verkleinerter Besetzung verhandelt werden, § 122 Abs. 2 S. 4 GVG 602 Es steht zu vermuten, dass diese Regelungen auf Dauer Bestand haben werden. Demgegenüber ist der Gesetzgeber der Verschärfung der Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts zur Eilkompetenz bei Gefahr im Verzug nachgekommen und hat in § 22 c GVG einen die Gerichtsgrenzen überschreitenden richterlichen Bereitschaftsdienst vorgesehen.603 Einem lang gehegten Wunsch der Polizei nachgebend, spricht § 152 GVG nicht mehr von Hilfsbeamten, sondern von Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft.604 Die Vorschriften über Dolmetscher und Verständigungshilfen bei Hör- oder Sprachbehinderten, §§ 186, 187 GVG, wurden verbessert.605 Schließlich wurden zur prozessualen Adaptation der materiell-rechtlich eingeführten nachträglichen Sicherungsverwahrung die §§ 24 Abs. 1 Nr. 2, 74 f. GVG ergänzt und § 120 a GVG eingefügt.606 f) Europäisch veranlasste Änderungen. Das Schicksal des Gesetzes zum Europäischen 163 Haftbefehl, der vom Bundesverfassungsgericht erbarmungslos für nichtig erklärt worden ist 607 (s. aber Rn. D 109), zeigt deutlich, wie viel Konfliktspotential auch das Straf(verfahrens)recht im Verhältnis zur EU enthält. Was die Umsetzung von Rahmenbeschlüssen angeht, so gab es im Berichtszeitraum nur den zur Terrorismusbekämpfung,608 was zu einer Änderung von § 120 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 GVG geführt hat. Die Änderungen aufgrund des Rahmenbeschlusses über die Stellung des Opfers im Strafverfahren 609 sind bereits oben bei (d) beschrieben worden. Ohne größere Bedeutung ist die Ergänzung des § 100 c Abs. 1 Nr. 3 a StPO aufgrund des Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln.610 Sehr erwähnenswert erscheint dagegen, dass das eigentlich unverdächtige, weil ohne Bindungsanspruch auftretende Instrument des Rahmenbeschlusses, vgl. näher Rn. D 15, durch die Entscheidung des EuGH in Sachen Pupino 611 offenbar im Begriffe ist, seinen Charakter zu verändern. Nach Ansicht des EuGH müssen nationale Gerichte bei der Auslegung nationalen Rechts sich so weit wie möglich an Wortlaut und Zweck von Rahmenbeschlüssen halten, selbst wenn diese auf nationaler Ebene nicht umgesetzt worden sind. Ebenfalls bedeutsam, weil mit unmittelbarer Folge für das Verständnis deutschen Strafverfahrensrechts

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Einmal durch das OpferRRG v. 27.12.2003 (BGBl. I. S. 3007) und zum anderen durch das StrafrechtsänderungsG v. 11.2.2005 (BGBl. I S. 239). Gesetz zur Verlängerung der Besetzungsreduktion bei Strafkammern v. 19.12.2000 (BGBl. I S. 1756). Art. 20 Nr. 1 des OLG VertrÄndG v. 23.7. 2002 (BGBl. I S. 2850). 1. Justizmodernisierungsgestz v. 28.4.2004 (BGBl. I S. 2198). Art. 20 Nr. 3, 5 OLG VertrÄG v. 23.7.2002 (BGBl. I S. 2850) und OpferRRG v. 24.6. 2004 (BGBl. I S. 1354).

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Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung v. 23.7.2004 (BGBl. I S. 1838). NJW 2005 2289 m. Anm. Böhm S. 2588. Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13.6.2002 zur Terrorismusbekämpfung und zur Änderung anderer Gesetze v. 2.12.2003 (BGBl. I S. 2836). Rahmenbeschluss 2001/220/JI des Rates v. 15.3.2001. Gesetz v. 22.12.2003 (BGBl. I S. 2838). EuGH StV 2006, 1 m. Anm. Tinkl S. 36.

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verbunden, die Rechtsprechung des EuGH zum Strafklageverbrauch im transnationalen Kontext 612 gemäß Art 54 SDÜ. Hiernach muss die das ne bis in idem auslösende ausländische Entscheidung keine richterliche mehr sein. Weitgehend unproblematisch sind dagegen die Anpassungen, die erforderlich wurden, um den IStGH, näher Rn. D 95 ff., auch nach deutschem Recht zu berücksichtigen zu können,613 also insbesondere § 21 GVG, § 153 f. StPO.

VIII. Die Entwicklung des Strafverfahrensrechts in der DDR und die Rechtsangleichung Schrifttum Allgemeines. Arnold Die Kassation im Strafprozeßrecht Deutschlands, 15. Strafverteidigertag SchrRStrVert.Ver. (1992) 137; Arnold (Hrsg.) Die Normalität des Strafrechts der DDR, Bd. 1 Gesammelte Beiträge und Dokumente (1995), Bd. 2 Die gerichtliche Überprüfung von Geständnis und Geständniswiderruf im Strafverfahren (1996) (Normalität); ders. Strafgesetzgebung und -rechtsprechung als Mittel der Politik in der DDR, bei Arnold (Normalität), Bd. 1 S. 63; Baer Rechtsquellen der DDR-Steuerung auf der normativ-symbolischen Ebene in: Rottleuthner (Steuerung) 67; Bechthold Die Prozeßprinzipien im Strafverfahren der DDR (1967); ders. Gerechtigkeit und sozialistische Gesetzlichkeit im neuen Strafverfahren der DDR, ZStW 81 (1969) 277; ders. Die Rolle des Strafverteidigers in der DDR, Deutschland-Archiv 1971 262; Beckert Die erste und letzte Instanz. Schau- und Geheimprozesse vor dem Obersten Gericht der DDR (1995); Behlert Die Generalstaatsanwaltschaft in: Rottleuthner (Steuerung) 287; Bundesjustizministerium (Hrsg.) Im Namen des Volkes? Über die Justiz im Staat der SED, Wissenschaftlicher Begleitband zur Ausstellung (1994); Eisert Zu den Anfängen der Geschichte der Militärjustiz in: Bundesministerium (Hrsg.) 113; ders. Die Waldheimer Prozesse – Der stalinistische Terror (1993); Esch Die Kassation in Strafsachen (1992); Feth Die Volksrichter in: Rottleuthner (Steuerung) 351; Fischer Die gesellschaftlichen Gerichte in: Bundesjustizministerium (Hrsg.) 157; Fricke Geschichte und Legende der Waldheimer Prozesse, Deutschland-Archiv 1980 1172; ders. Politik und Justiz in der DDR. Zur Geschichte der politischen Verfolgung 1945–1968 (1990) (Politik); ders. Zur politischen Strafrechtsprechung des Obersten Gerichts der DDR (1994); Fuhrian Der Richter und sein Lenker (1992); Gängel Das Oberste Gericht der DDR – Leitungsorgane der Rechtsprechung – Entwicklungsstationen in: Rottleuthner (Steuerung) 253; ders. Die Volksrichterausbildung in: Bundesjustizministerium (Hrsg.) 47; Grandke Zur Leitung der Rechtsprechung durch das Oberste Gericht, NJ 1990 200; Grasemann Die politische Justiz in der Ära Honecker in: Bundesjustizministerium (Hrsg.) 197; Heidrich Die Funktion des Strafverteidigers in der DDR, NJW 1974 265; Henrich Die Justiz im totalitären Staat – Gerichtspraxis in der DDR in: Bundesjustizministerium (Hrsg.) 209; Heuer (Hrsg.) Die Rechtsordnung der DDR – Anspruch und Wirklichkeit (1995); Kemper/Lehner Überprüfung rechtskräftiger Strafurteile der DDR, NJW 1991 329; Keppler Die Normalität des Strafverfahrens der DDR bei Arnold (Normalität) 23; Kinkel Wiedervereinigung – Aufgabe und Herausforderung der Justiz, FS Sendler 21; Kittke/Kringe Das neue Gerichtsverfassungsgesetz der DDR, NJW 1975 150; Lange, Richard Was bedeutet die Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes in der Sowjetzone? FS Eb. Schmidt 551; v. Lindheim Das Prinzip der Öffentlichkeit des Verfahrens im Strafprozeß der DDR, ROW 1978 65; Lochen „Nachwuchskader“ – zur Auswahl und Ausbildung der Juristen in der DDR in: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.) 123; Luther Strafgerichtsbarkeit im Prozeß der Rechtsvereinheitlichung, NStZ 1990 361; ders. Strafprozeßrecht in Heuer (Hrsg.) 341; Markovitz Die Abwick-

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EuGH JZ 2003, 333 m. Anm. Kühne; vgl. auch Böse GA 2003, 744 und EuGH NJW 2005, 1337. Zuvor schon Kühne JZ 1998, 876. Gesetz zur Ausführung des Römischen Sta-

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tuts des Internationalen Strafgerichtshofs v. 17.7.1998, 27.4.2002 (BGBl. I S. 1467), Gesetz zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuchs v. 26.2.2002 (BGBl. I S. 2254).

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lung – Ein Tagebuch zum Ende der DDR-Justiz (1993); Müller Die Lenkung der Strafjustiz durch die SED-Staats- und Parteiführung der DDR am Beispiel der Aktion Rose (1995); Niethammer Der Staatsanwalt in der DDR (1991); Peller Gerichtsverfassung in der DDR im Prozeß der rechtsstaatlichen Entwicklung, NJ 1990 338; Pfannkuch Volksrichterausbildung in Sachsen 1945–1950, Diss. Kiel 1992; Reinke Staatssicherheit und Justiz in: Bundesjustizministerium (Hrsg.) 239; Renger Rechtspflege in der DDR, ROW 1990 1; Reuter Der widersprüchliche Prozeß der Erneuerung der Staatsanwaltschaft, NJ 1990 322; Rieß Das Gesetz zur Anpassung der Rechtspflege im Beitrittsgebiet (Rechtspflege-Anpassungsgesetz), DtZ 1992 226; ders. Die Rechtspflege in den neuen Ländern – Bemerkungen zur Entstehung des Rechtspflegerechts und zur seitherigen Entwicklung, KritV 1992 296; ders. Einige Bemerkungen zur Entwicklung des Gerichtsverfassungs- und Strafprozeßrechts in der DDR in: Bundesjustizministerium (Hrsg.) 99; ders. Zur bisherigen Entwicklung und zur Änderung des Rechtspflege-Anpassungsgesetzes, NJ 1996 15; Rottleuthner Steuerung der Justiz in der DDR (1994) (Steuerung); Schattenberg Prinzipien der Gerichtsverfassung in der DDR, Diss. Köln 1969; Schroeder Die Strafrechts- und Strafprozeßreform der DDR von 1974/75, NJW 1977 169, 174; ders. Die ,,gesellschaftlichen Kräfte“ im Strafverfahren der DDR, ROW 1988 1; Schuller Geschichte und Struktur des politischen Strafrechts der DDR bis 1968 (1980); Speck Die Rechtsstellung des Beschuldigten im Strafverfahren der DDR (1990); Steike Die DDRMilitärjustiz, NJW 1998 2576; Wassermann Zur Reorganisation der Justiz in der DDR, ZRP 1990 259; Werkentin Gelenkte Rechtsprechung – Zur Strafjustiz in den frühen Jahren der DDR, NJ 1991 479; ders. Justizkorrekturen als permanenter Prozeß – Gnadenerweise und Amnestien in der Justizgeschichte der DDR, NJ 1992 521; ders. Politische Strafjustiz in der Ära Ulbricht (1995); Wünsche Zum Verlauf der Rechts- und Justizreform in der DDR, DtZ 1990 134. Schrifttum der DDR bis 1989 (insgesamt zum Strafverfahren und zur Gerichtsverfassung). Arndt Zur Formulierung des Urteilstenors in Strafsachen NJ 1983 246; Beckert Hinweis auf die veränderte Rechtslage, NJ 1981 371; ders. Protokollierung der Anklage im beschleunigten Verfahren, NJ 1981 470; ders. Prüfungspflichten und Entscheidungen des Gerichts im Eröffnungsverfahren, NJ 1986 15; Beckert/Ruf Zur Entscheidung über Entschädigung für Untersuchungshaft und Strafen mit Freiheitsentzug, NJ 1973 74; Beckert/Schröder Änderung von Haftbefehlen, NJ 1981 309; Bein/Luther Aufgaben und Voraussetzungen der Untersuchungshaft, StuR 1963 245; Benjamin Fragen der Verteidigung und des Verteidigers, NJ 1951 51; ders. Volksrichter, StuR 1970 726; ders. Zur Leitung der Rechtsprechung in der DDR aus historischer Sicht, StuR 1974 779, 1975 47; ders. Der sozialistische Richter, NJ 1979 387; Benjamin e.a. (Autorenkollektiv), Zur Geschichte der Rechtspflege der DDR, Bd. I 1945–1949 (1976), Bd. II 1949–1963 (1981), Bd. III 1961–1971 (1986) (Geschichte); Benjamin/Melsheimer Zehn Jahre demokratische Justiz in Deutschland, NJ 1955 259; Benjamin, M. Die Rolle der Konfliktkommission bei der Bekämpfung geringfügiger Verletzungen der Strafgesetze NJ 1961 336; ders. Die Verantwortlichkeit von gesellschaftlichen Rechtspflegeorganen für Strafrechtsverletzungen, NJ 1967 116; ders. Für einen sozialistischen Rechtsstaat, StuR 1989 99; Bertrams/ Beyer Durchsuchung und Beschlagnahme (1979); Beyer Das Strafverfahren in der DDR (1966); ders. Ergebnisse der Diskussion über den StPO-Entwurf, NJ 1967 675; ders. Erhöhung der gesellschaftlichen Wirksamkeit des Strafverfahrens, NJ 1971 284; ders. Die Funktion des sozialistischen Strafverfahrens, seine Ziele und Aufgaben bei der weiteren schrittweisen Zurückdrängung der Kriminalität, StuR 1987 548; Beyer e.a. (Autorenkollektiv), Strafprozeßrecht der DDR, Kommentar zur Strafprozordnung3 (1989); Beyer/Herrmann Die Mitwirkung von Vertretern der Kollektive der Werkstätigen sowie von gesellschaftlichen Anklägern und Verteidigern, NJ 1963 646; Beyer/Naumann/Willamowski Über die Mitwirkung gesellschaftlicher Kräfte im Strafverfahren, NJ 1965 3, 41; Beyer/Naumann Die Mitwirkung der Werktätigen am Strafverfahren (1966); Beyer/Schindler Hauptprobleme des Entwurfs der neuen Strafprozeßordnung, NJ 1967 126; Biebl Einige Aufgaben der Gerichte im Zusammenhang mit der Mitwirkung gesellschaftlicher Kräfte im Strafverfahren, NJ 1971 38; Biebl/Pompoes Über die Mitwirkung gesellschaftlicher Kräfte im Strafverfahren, NJ 1968 529; Böhrenz/Orlamünde Zum Inhalt der Anklageschrift, NJ 1977 178; Buchholz/Lehmann/Schindler Theoretische Probleme der Leitung der sozialistischen Strafrechtspflege, StuR 1964 1588; Buchholz/Schulze Der sozialistische Rechtsstaat und die verfassungsmäßigen Grundlagen der sozialistischen Gesetzlichkeit und Rechtspflege in der DDR, StuR 1989 476; Buchholz, I. Zur Wirksamkeit der Mitarbeit gesellschaftlicher Kräfte im Strafverfahren, StuR 1985 923; ders. Höhere Wirksamkeit

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gesellschaftlicher Ankläger und gesellschaftlicher Verteidiger im Strafverfahren, NJ 1987 373; Conrad Differenzierte Behandlung von Schadensersatzanträgen im Strafverfahren, NJ 1986, 377; Creuzburg/Hänsel Die Zusammenarbeit der Strafverfolgungsorgane mit den Konfliktkommissionen, NJ 1962 721; Dähn Die Öffentlichkeit im Strafverfahren – unverzichtbares Prinzip sozialistischer Strafrechtspflege, NJ 1985 275; Ebeling Gegenstand und Umfang der Beweisführung im Strafverfahren, NJ 1977 292; Etzold/Wittenbeck Probleme der Leitungstätigkeit des obersten Gerichts, NJ 1964 641; Fechner Aufgaben der weiteren Demokratisierung der Justiz, NJ 1948 121; Franz Zur Wahrung des Rechts auf Verteidigung beim Ausbleiben des gewählten Verteidigers in der Hauptverhandlung, NJ 1984 467; Fritze/Meyer Für eine aktivere Mitwirkung des Verteidigers im Ermittlungsverfahren, NJ 1961 280; Fuchs/Krause Einige Fragen der politischen Leitungstätigkeit des Bezirksstaatsanwalts, NJ 1959 80; Glaser Fragen zum Recht auf Akteneinsicht, NJ 1952 545; Görner Die Rolle der Schöffen beim Aufbau der demokratischen Justiz und in der Gerichtspraxis der Deutschen Demokratischen Republik, StuR 1955 287; Grahn Erkenntnistheoretische Probleme im Strafprozeß, StuR 1963 1997; ders. Über den Wahrheitsbegriff in der strafprozeßrechtlichen Literatur der DDR, StuR 1965 452; Grahn/Loose Die richterliche Überzeugung im Strafverfahren, NJ 1967 489; Grevenrath/Schultz/Seifart Neue Aufgaben der Gesetzlichkeitsaufsicht, NJ 1960 149; Grieger Das Wesen der gesellschaftlichen Gerichte in der DDR, StuR 1982 311; Groh/Luther Aktive Mitwirkung der Schöffen im Eröffnungsverfahren, NJ 1964 104; dies. Grundriß des Strafverfahrensrechts der DDR (1953); Gysi Zur Wahrung des Rechts auf Verteidigung beim Ausbleiben des gewählten Verteidigers in der Hauptverhandlung, NJ 1985 77; ders. Aufgaben des Verteidigers bei der Belehrung, Beratung und Unterstützung des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren, NJ 1985 416; Harrland Für eine hohe Qualität der staatsanwaltschaftlichen Gesetzlichkeitsaufsicht, NJ 1975 347; ders. Aufgaben der Staatsanwaltschaft bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen, NJ 1978 490; ders. Aufgaben der Staatsanwaltschaft zur Unterstützung der gesellschaftlichen Gerichte, NJ 1984 38; ders. Die staatsanwaltschaftliche allgemeine Gesetzlichkeitsaufsicht wirksam ausüben, NJ 1986 430; Hartisch Gedanken zur Untersuchungshaft, StuR 1963 1704; Hartisch/ Pfeufer Die Regelung der Untersuchungshaft im StPO-Entwurf, NJ 1967 377; Hartmann/Pompoes Die Selbstentscheidung im Kassationsverfahren, NJ 1971 552; Hartmann/Schindler Zur Unmittelbarkeit der gerichtlichen Beweisaufnahme im Strafverfahren erster Instanz, NJ 1971 354; Heinrich Schadensersatz im Strafprozeß, NJ 1953 69; Hellmann/Luther Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen im Strafverfahren, NJ 1981 325; Helm Zum Recht auf Verteidigung und zur Stellung des Verteidigers, StuR 1956 722; Hermann/Schüsseler Inhalt und Bedeutung der Unabhängigkeit des Richters in der DDR, NJ 1963 129; Hermann/Schüsseler/Winkler Zu einigen theoretischen Grundfragen der sozialistischen Rechtspflege und ihrer Entwicklung unter den Bedingungen des umfassenden Aufbaus des Sozialismus, StuR 1964 1044; Herrmann Fragen des Beweisrechts im Strafverfahren (Konferenzbericht), StuR 1957 202; ders. Die Verantwortung des Gerichts im Eröffnungsverfahren, NJ 1961 267; ders. Die Präsumtion der Unschuld – ein die Gesellschaftswirksamkeit des sozialistischen Strafverfahrens verstärkendes Prinzip, StuR 1962 1965; ders. Die Ausgestaltung des erstinstanzlichen Verfahrens in der neuen Strafprozeßordnung, StuR 1964 93; ders. Zur Ablehnung des Parteiprinzips im Strafverfahren der DDR, NJ 1968 366; ders. Die vorläufige Festnahme durch jedermann, NJ 1983 462; ders. Beweisverbote im Strafverfahrensrecht, NJ 1984 285; ders. Grundfragen der Beweisführung im Ermittlungsverfahren4 (1986); Herrmann/Lehmann Zum Recht auf Verteidigung, StuR 1957 400; Herrmann/Wendler Strafprozessuale und taktisch-methodische Grundfragen der Freiheitsentziehung im Ermittlungsverfahren (1982); Herzog/Kermann/ Willamowski Wirksame Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen in Strafverfahren, NJ 1975 443; Heymann/Pompoes/Schindler Die Formulierung des Urteilstenors in Strafsachen, NJ 1968 458; Hinderer Die Durchsetzung der Aufgaben der Rechtsprechung im einzelnen Strafverfahren, StuR 1960 1700; Höhne/Fieber Zur Anklageerhebung nach Erlaß einer polizeilichen Strafverfügung, NJ 1982 324; Keil Die Heranziehung von Verfahren an das Bezirksgericht – ein Instrument zur Leitung der Rechtsprechung, NJ 1964 468; Kellner Zur Herausbildung, Durchsetzung und Weiterentwicklung sozialistischer Prozeßprinzipien in der DDR, NJ 1972 185, 217; Kermann/Mühlberger/Willamowski Höhere Wirksamkeit der besonderen Verfahrensarten in Strafsachen, NJ 1975 355; Kern Zwei Jahrzehnte erfolgreiches Wirken der Schiedskommissionen, NJ 1983, 226; Körner/Schröder Erhöhung der Wirksamkeit des Strafverfahrens erster und zweiter Instanz, NJ 1988 54; dies. Gerichtliche Beweisaufnahme und Wahrheitsfindung im Strafprozeß, NJ 1988 310; dies. Die Prü-

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Die Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts

Einl. Abschn. F

fung der Unumgänglichkeit der Untersuchungshaft, NJ 1989 179; Körner/Willamowski Zeugenschaftliche Vernehmung von Mitbeteiligten an derselben Straftat, NJ 1986 313; Kositzki Verhandlungen vor erweiterter Öffentlichkeit in Betrieben, NJ 1978 30; Kräupl/Reuter Gesetzlichkeit und strafprozessuale Tätigkeit des Staatsanwalts, NJ 1987 23; Krutzsch Der neue Arbeitsstil im Strafverfahren und die Aufgaben der gesellschaftlichen Erziehung, NJ 1959 113, 153; Kube Gerichtskritiken, Hinweise und Empfehlungen zur Beseitigung der Ursachen und Bedingungen von Rechtsverletzungen, NJ 1976 294; Lehmann/Schindler Die Leitung der Strafrechtspflege im Prozeß der Durchsetzung des Rechtspflegeerlasses des Staatsrates, StuR 1964 80; dies. Zur Leitungstätigkeit des Obersten Gerichts und der Bezirksgerichte bei der weiteren Erhöhung der gesellschaftlichen Wirksamkeit der Strafrechtsprechung, StuR 1968 618; Lehnhard/Reichwagen Probleme der Gewährleistung des Zwei-Instanzen-Prinzips bei den Entscheidungen der Rechtsmittelgerichte, NJ 1974 238; Leonhard Ist ein Einspruch oder eine Beschwerde des Geschädigten im Strafbefehlsverfahren zulässig?, NJ 1987 112; Löwenthal Die Beweisaufnahme im Strafverfahren zweiter Instanz, NJ 1954 469; ders. Zur Anwendung der Gerichtskritik, NJ 1956 106; ders. Die „bindende Wirkung“ im Strafprozeß, StuR 1956 1028; Löwenthal/Mühlberger Probleme des Rechtsmittelverfahrens in Strafsachen, NJ 1959 739; Luther Einzelfragen der Neuregelung des Strafverfahrens gegen Jugendliche, NJ 1967 224; ders. Ablehnung des Parteiprinzips im Strafverfahren und Stellung der Verfahrensbeteiligten, NJ 1968 597; ders. Verbindliche Weisungen und Selbstentscheidung der Rechtsmittel- und Kassationsgerichte, NJ 1973 15; ders. Zur Stellung des Geschädigten im Strafverfahren, NJ 1973 393; ders. Grundlinien der Weiterentwicklung des Strafverfahrens und des Strafverfahrensrechts in der DDR, StuR 1988 994; Luther e.a. (Autorenkollektiv) Strafverfahrensrecht, Lehrbuch3 (1987) (Lehrbuch); Luther/Seidel Theoretische Probleme des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts im Lichte internationaler Diskussion, NJ 1979 220; Luther/Wolff Das Recht auf Verteidigung im Strafverfahren, StuR 1978 149; Melzer/Fally-Sell Die SMAD-Befehle – wesentliches Element der Herausbildung des sozialistischen Rechts in der DDR, NJ 1980 149; Michalski Zur Anwesenheit des gesellschaftlichen Anklägers und Verteidigers in der gerichtlichen Hauptverhandlung, NJ 1979 182; Mörtl/ Creuzburg Die Entscheidungen der Gerichte über Einsprüche gegen Beschlüsse der Schiedskommission, NJ 1966 78; Mühlberger Zum Inhalt von Weisungen und zur Selbstentscheidung des Rechtsmittelgerichts, NJ 1974 397; ders. Wahrung des Rechts auf Verteidigung im Strafverfahren, NJ 1985 333; Mühlberger/Haseneyer Gedanken zum beschleunigten Verfahren, NJ 1957 582; Mühlberger/ Willamowski Wirksamere Ausgestaltung des Rechtsmittel- und des Kassationsverfahrens durch die StPO-Novelle, NJ 1975 474; Müller Zur Gesetzlichkeitsaufsicht der Staatsanwaltschaft, StuR 1967 1749; ders. Die Aufgaben des Staatsanwalts im Ermittlungsverfahren, NJ 1968 231; ders. Planmäßige Gesetzlichkeitsaufsicht der Staatsanwaltschaft, NJ 1970 97; ders. Aufgaben des Staatsanwalts bei der Leitung des Ermittlungsverfahrens, NJ 1976 193; ders. Vervollkommnung der Rechtsgrundlagen der staatsanwaltschaftlichen Aufsicht, StuR 1977 823; ders. Wirksamkeit der gesellschaftlichen Gerichte, NJ 1982 154; ders. Ehrenamtliche Richter in der Rechtsordnung der DDR, NJ 1989 133; Müller/Hofmann Die Leitung des Ermittlungsverfahrens durch den Staatsanwalt, NJ 1986 148; Müller/Lischke Gerichtskritiken, Hinweise und Empfehlungen – wichtige Mittel zur Erhöhung der Wirksamkeit der Rechtsprechung und zur Festigung der Gesetzlichkeit, NJ 1976 613; Müller/Müller Die Gesetzlichkeitsaufsicht – wirksamer Bestandteil der zentralen staatlichen Leitung zur Festigung der Gesetzlichkeit, NJ 1975 380; Müller/Reuter/Willamowski Wirksamere Gestaltung des Strafverfahrens gegen Jugendliche, NJ 1975 224; Müller/ Schlegel Prozessuale Konsequenzen bei Antragsdelikten, NJ 1978 355; Müller/Stranovski/Willamowski Rationelle Verfahrensweise und Beschleunigung des Strafverfahrens – wichtiges Anliegen der StPO-Novelle, NJ 1975, 155; Munschke Gedanken zur Gliederung der StPO-Neufassung, NJ 1988, 465; Mürbe/Schmidt Das Einführungsgesetz zum StGB und zur StPO, NJ 1968 193; Nagel Beweisprüfung im Eröffnungsverfahren, NJ 1978 224; Nathan Die obersten Rechtspflegeorgane der Deutschen Demokratischen Republik, NJ 1949 303; Neumann Einige Fragen des Rechtsmittelverfahrens nach dem StPO-Entwurf, NJ 1967 317; Noack Zum Parteiprinzip im Strafprozeß der DDR, NJ 1957 340; Noack/Pfannenschwarz Ziele und Ergebnisse der „kleinen Strafprozeßreform“, NJ 1965 549, 573; Ortmann Die Stellung des Staatsanwalts im Ermittlungsverfahren, NJ 1953 11; Ostmann Über die Arbeit der Kommission zur Überprüfung der Strafprozeßordnung, NJ 1956 791; Pein Der Beitrag des Verteidigers zur Erforschung der objektiven Wahrheit, NJ 1963 18; ders. Die Verteidigung in der Hauptverhandlung erster Instanz, NJ 1970 50; ders. Zur Tätigkeit des Verteidigers im sozialistischen Strafverfahren, NJ 1972

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Einl. Abschn. F

Einleitung

508, 658; Peller/ Jäkisch Aufgaben der Gerichte bei der Verwirklichung der Strafen, NJ 1967 407; Peller/Schröder Inhalt und Umfang des erstinstanzlichen Strafurteils, NJ 1984 262; Pfeil/Minx Mitwirkung von Sachverständigen im Strafverfahren, NJ 1989 181; Pfeufer Zu den gerichtlichen Voraussetzungen der Untersuchungshaft, NJ 1978 310; Piontkowski Zur Theorie des Beweises im Strafprozeß, StuR 1957 884; Plitz/Teichler Weitere Ausgestaltung des Strafverfahrensrechts in der DDR, NJ 1988 32; Polak Über die weitere Entwicklung der sozialistischen Rechtspflege in der Deutschen Demokratischen Republik, StuR 1961 607; Pompoes Zu einigen Fragen der Unmittelbarkeit der gerichtlichen Beweisaufnahme im Strafverfahren, NJ 1972 545; Pompoes/Schindler Zur Begründung von Haftbefehlen, NJ 1970 487; dies. Zur Wahrung des Rechts auf Verteidigung, NJ 1971 671; dies. Zum Rechtsmittelverzicht des Angeklagten, NJ 1971 747; Pompoes/Schindler/Schröder Zur Stellung des Geschädigten im Strafverfahren, NJ 1972 10; Posorski Die verfassungsmäßige Stellung der gesellschaftlichen Gerichte, NJ 1969 229, 295; ders. Staat, Recht und gesellschaftliche Gerichte, StuR 1983 178; Ranke (Hrsg.) Fragen des Strafprozeßrechts der DDR (1954); Ranke Der Schutz der Rechte des Bürgers in der Gerichtsverfassung und im Strafprozeß der Deutschen Demokratischen Republik (1955); ders. Die Bedeutung des § 294 StPO für die Übereinstimmung von Gesetzlichkeit und Rechtskraft, StuR 1956 918; ders. Die Bedeutung der Richterwahlen für die weitere Entwicklung des sozialistischen Gerichts und der sozialistischen Demokratie, NJ 1960 449; Reizmann/Schmidt Zur Arbeit des Staatsanwalts auf dem Gebiet der allgemeinen Aufsicht, NJ 1954 230; Renneberg Umfassender Aufbau des Sozialismus und Rechtspflege, StuR 1963 425; Reuter Materielle Verantwortlichkeit, Schadenswiedergutmachung und Strafe, NJ 1982 304; ders. StPO-Kommentar und Weiterentwicklung des Strafprozeßrechts, NJ 1988 229; Reuter/Schönfeldt/ Tenner Verfahrenskonzeption – ein Mittel der staatsanwaltschaftlichen Anleitung und Kontrolle der Ermittlungen, NJ 1984 216; Roehl Zur Protokollierung der Hauptverhandlung, NJ 1969 82; Röhner Anklageerhebung durch den Staatsanwalt nach Erlaß einer polizeilichen Strafverfügung, NJ 1981 517; ders. Inhaltliche Gestaltung des Anklagetenors, NJ 1982 512; ders. Der Begriff „Gefahr im Verzuge“ und seine Verwendung in der StPO, NJ 1983 418; ders. Tatverdacht und seine Differenzierung in der StPO, NJ 1985 448; ders. Die Wirksamkeit des sozialistischen Strafverfahrens bei der Gestaltung des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft, StuR 1986 384; ders. Analogie im Strafverfahrensrecht und Voraussetzungen ihrer Anwendung, NJ 1987 143; Rößger Zum Inhalt und zur Entwicklung der Prinzipien des Strafprozeßrechts der DDR, StuR 1989 658; Sarge Beitrag der Rechtsprechung zweiter Instanz in Strafsachen zur weiteren Festigung der sozialistischen Gesetzlichkeit, NJ 1985 92; Sarge e.a. (Autorenkollektiv), Das Oberste Gericht der DDR (1989); Schindler Zum Klassencharakter des Strafprozeßrechts, StuR 1953 718; ders. Das strafprozessuale Beweisverfahren in der gerichtlichen Hauptverhandlung zweiter Instanz, StuR 1956 199; ders. Zur Aufklärungs- und Untersuchungstätigkeit der Straforgane im Ermittlungsverfahren, NJ 1961 270; ders. Zur Allseitigkeit der Wahrheitserforschung im Strafprozeß, StuR 1962 1504; Schindler e.a. (Autorenkollektiv), Leitfaden des Strafprozeßrechts der DDR (1959); Schindler/Beyer Zur Änderung und Ergänzung der Strafprozeßordnung, NJ 1962 183; Schindler/ Pompoes Zur Bindung des Gerichts an den Haftantrag der Staatsanwaltschaft, NJ 1971 178; Schlegel Ziel und Inhalt der Mitwirkung gesellschaftlicher Ankläger und Verteidiger, NJ 1964 523; ders. Erfahrungen aus der Durchsetzung des Beschlusses des Präsidiums des Obersten Gerichts über die unmittelbare Mitwirkung der Bevölkerung im Strafverfahren, NJ 1965 721; ders. Die Kassation in Strafsachen und ihre Bedeutung für die Leitung der Rechtsprechung, NJ 1967 700; ders. Die Hauptverhandlung zur erweiterten Öffentlichkeit, NJ 1968 172; ders. Die Voraussetzungen der Kassation in Strafsachen, NJ 1967 723; ders. Anforderungen an die gerichtliche Beweisführung und Wahrheitsfindung in Strafsachen, NJ 1970 635; Schlegel/Pompoes Gerichtskritik im Strafverfahren, NJ 1968 291; Schönfeldt Berufsethische Anforderungen an den Staatsanwalt in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung, NJ 1980 436; Schröder/Buske Die Verantwortung der Staatsanwälte und Richter bei der Prüfung der Unumgänglichkeit der Untersuchungshaft, NJ 1980 404; Schröder/Zank Qualitative Anforderungen an die Beweiswürdigung im Strafverfahren, NJ 1988 225; Schüan Mitwirkung gesellschaftlicher Kräfte am Strafverfahren, NJ 1988 151; Schultz Die allgemeine Aufsicht als neue Aufgabe der Staatsanwaltschaft, NJ 1953 673; ders. Einige Grundsätze für die Durchführung der allgemeinen Aufsicht, NJ 1954 485; Schulze Bemerkungen zum beschleunigten Verfahren, NJ 1957 543; Schumann/Hetzlar/ Krüger/Langner Die Anleitung der Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik durch die zentralen Justizorgane, StuR 1960 1634; Schur Gerichtskritik – gesetzliche Pflicht der Gerichte, NJ

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Die Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts

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1961 233; ders. Mitwirkung gesellschaftlicher Ankläger und Verteidiger im Strafverfahren, NJ 1964 365; Schüsseler/Schüsseler Gedanken für eine Konzeption der Allgemeinen Aufsicht des Staatsanwalts, NJ 1962 471, 495, 534; Severin Zur Neufassung des Gerichtsverfassungsgesetzes, NJ 1974 737; Siebert Die marxistisch-leninistische Lehre von der Wahrheit – die theoretische Grundlage der Wahrheitserforschung im Prozeß der Verbrechensuntersuchung, StuR 1963 831; Streit Die Justizorgane sind wichtige Hebel bei der sozialistischen Umgestaltung, NJ 1959 789; ders. Erfahrungen und neue Probleme bei der Durchführung des Rechtspflegeerlasses, NJ 1966 353; ders. Zur Geschichte der Staatsanwaltschaft der DDR, StuR 1969 1264; ders. Entwicklung und Verfassungsauftrag der Staatsanwaltschaft, NJ 1970 590; ders. Zur Entwicklung der Rechtspflege in der Deutschen Demokratischen Republik, NJ 1978 238, 282, 370, 414, 510; 1979 50; ders. 30 Jahre sozialistischen, Staatsanwaltschaft der DDR, NJ 1982 194; Thielert/Brüning Die Bedeutung der gerichtlichen Hauptverhandlung für die Erziehung des Angeklagten, NJ 1966 747; Thiem Beschleunigtes Verfahren als wirksame Reaktion auf Straftaten, NJ 1980 373; Toeplitz Über die Arbeit mit den Schöffen, NJ 1953 192; ders. Über die Arbeit mit den neuen Justizgesetzen, NJ 1953 635; ders. Zur Leitung der Rechtsprechung durch die oberen Gerichte, NJ 1963 33; ders. Grundzüge des neuen Gerichtsverfassungsgesetzes, NJ 1963 321; ders. Die grundlegenden Aufgaben der Gerichte bei der Verwirklichung der sozialistischen Verfassung, NJ 1969 33; ders. Zur Entwicklung des Obersten Gerichts als Leitungsorgan, NJ 1979 392; ders. Die Leitung der Rechtsprechung durch das Oberste Gericht nach dem IX. Parteitag der SED, NJ 1980 482; ders. Die Herausbildung antifaschistisch-demokratischer Justizorgane nach dem 8. Mai 1945, NJ 1985 177; Trautmann Aufgaben des Staatsanwalts bei Verhandlungen außerhalb des Gerichtsgebäudes, NJ 1978 124; Troch Zur Abkürzung der Ladungsfrist im Strafverfahren, NJ 1973 709; ders. Zum Verbot der doppelten Strafverfolgung und zu den Voraussetzungen der Anklageerhebung nach Entscheidung eines gesellschaftlichen Gerichts, NJ 1979 355; Troch Anordnung der Durchsuchung und Beschlagnahme im Ermittlungsverfahren, NJ 1982 227; Uhlig Zur verbindlichen Weisung und Selbstentscheidung des Rechtsmittelgerichts, NJ 1973 734; Weber Einige Fragen des Strafbefehlsverfahrens, NJ 1958 156; ders. Die weitere Erhöhung der Effektivität des Strafverfahrens und die Aufgabe der Strafprozeßwissenschaft, StuR 1976 258; ders. Zum Inhalt der Strafenverwirklichung, NJ 1980 544; ders. Verwirklichung der sozialistischen Demokratie im Strafverfahren der DDR, NJ 1984 176; Weidlich Die Prüfung der Anzeige und die Entscheidung (1969); Weiß Einheitliches Strafverfahrensrecht für die sowjetische Besatzungszone, NJ 1948 215; Wendland Für einen höheren gesellschaftlichen Nutzen des Ermittlungsverfahrens, NJ 1971 221; ders. Über die staatsanwaltschaftliche Leitung des Ermittlungsverfahrens, NJ 1977 7; Willamowski Ziel und Hauptrichtungen der Änderung der StPO, NJ 1975 97; Wittenbeck Beweisaufnahme und Wahrheitsfindung im sozialistischen Strafprozeß, NJ 1978 197; Wolf Die Bürgschaft der Kollektive der Werkstätigen über Strafrechtsverletzer, NJ 1976 537; Wolf/Backhaus Die Kollektivberatung – eine wichtige Form der Mitwirkung der Werkstätigen am Strafverfahren, NJ 1976 225; Wolff Stellung, Aufgaben und Verantwortung des Verteidigers im Strafverfahren, NJ 1979 400; ders. Die Bedeutung des Verteidigers für das Recht auf Verteidigung, NJ 1986 341; Wunsch/Lehmann/Seifart/Bahrt Grundfragen der Konzeption der Allgemeinen Aufsicht der Staatsanwaltschaft, NJ 1963 14, 39; Wünsche e.a. (Autorenkollektiv), Grundlagen der Rechtspflege, Lehrbuch (1983) (Grundlagen); Wünsche Gedanken zur Novellierung des Gerichtsverfassungsgesetzes, NJ 1989 449; Ziemen Die Mitwirkung von Vertretern der Kollektive im Strafverfahren, NJ 1966 711; Zoch Die Zusammenarbeit der Gerichte mit den gesellschaftlichen Kollektiven bei der Verurteilung auf Bewährung, StuR 1968 1565.

1. Allgemeines. Übersicht Die Entwicklung des Strafverfahrensrechts, zunächst in der sowjetischen Besatzungs- 164 zone sowie nach der Teilung Deutschlands in der DDR, ist tiefgreifend anders verlaufen als in der Bundesrepublik Deutschland.614 Nach der mit der Wiedervereinigung verbun614

Eine konzentrierte Darstellung aus der Perspektive nach der Wiedervereinigung etwa bei Luther bei Heuer 341 ff.

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Einleitung

denen grundsätzlichen Erstreckung des Rechts der Bundesrepublik auf das vereinigte Deutschland (s. Rn. 184) stellt diese Entwicklung ein weitgehend abgeschlossenes Kapitel dar, das in dieser Einleitung nur knapp skizziert werden kann. Eine nähere Beschäftigung mit ihm muss Gegenstand spezieller Forschung sein. Für diese ist weiterhin auch das Schrifttum der DDR von Bedeutung, das auch aus diesem Grunde, soweit es das Strafverfahren und die Strafgerichtsverfassung betrifft, in dem diesem Abschnitt vorangestellten besonderen Schrifttumsverzeichnis umfassend nachgewiesen ist.615 Wesentliche Elemente der Entwicklung waren von Anfang dadurch geprägt, auch das 165 Strafverfahrensrecht den Prinzipien einer sozialistischen Rechts-, Staats- und Gesellschaftsauffassung zu unterwerfen. Insoweit ist es mit den rechtstaatlichen Grundlagen des nunmehr wieder in ganz Deutschland geltenden Strafverfahrens kaum vergleichbar. Da jedoch auch die Entwicklung zu einem „sozialistischen Strafverfahrensrecht“ in der DDR auf der Basis der überkommenen StPO und des GVG des Reichsjustizgesetzgebers stattfand,616 können einzelne Elemente, spezielle Ausprägungen überkommener Rechtsinstitute sowie selbständiger Lösungsansätze des Strafverfahrensrechts der DDR, soweit sie nicht wesensmäßig mit den Vorstellungen eines sozialistischen Rechts verbunden sind, auch bei einer künftigen Reform des Strafverfahrensrechts mit herangezogen werden.617 Dabei ist freilich jeweils zu erwägen, wieweit auch scheinbar gesellschaftspolitisch „neutrale“ Konzeptionen und Institute durch das gesamtpolitische Umfeld beeinflusst und bedingt waren. Der entscheidende Unterschied der sozialistischen, in der DDR sich zunehmend 166 durchsetzenden Rechtsauffassung zu der in der Bundesrepublik Deutschland als Teil der sog. westlichen Welt liegt in der Negierung einer eigenständigen Funktion des Rechts und der Rechtspflege, der lediglich ein rein instrumentaler Charakter innerhalb des sog. demokratischen Zentralismus, also eines einheitlichen Gesellschafts- und Staatsverständnisses eingeräumt wird.618 Von der Ideologie des Klassenkampfes her wird auch die Strafrechtspflege in erster Linie als Mittel zur Erreichung einer bestimmten Gesellschaftsordnung verstanden. Der Gedanke der Gewaltenteilung wird verworfen, ein richterliches Prüfungsrecht hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen entschieden abgelehnt, die persönliche Unabhängigkeit der Richter nicht akzeptiert und ihre sachliche Unabhängigkeit zwar in eher engen Grenzen normativ anerkannt, aber auch insoweit durch ein ausgefeiltes System zentraler Leitung und Kontrolle begrenzt. Das Prinzip des gesetzlichen Richters wird durch bewegliche Zuständigkeiten ausgehöhlt. Die Steuerung und Kontrolle der Strafrechtspflege wird durch eine breit angelegte und umfangreiche Einbeziehung des gesellschaftlichen (und von der Partei kontrollierten) Umfeldes verstärkt; der Staatsanwaltschaft wird eine umfassende Gesetzlichkeitsaufsicht eingeräumt. Auf der anderen Seite wird die Rechtsprechung beispielsweise durch das Institut der „Gerichtskritik“ über die Einzelfallentscheidung hinaus aktiv in den gesamtgesellschaftlichen Steuerungsprozess mit einbezogen. Aus der Ideologie der Herrschaft der Arbeiterklasse und der führenden Rolle der 167 marxistisch-leninistischen Partei, der SED, ergibt sich auch normativ der Anspruch der

615

616

Vgl. (auch für die nachfolgende Darstellung) insbesondere die dreibändige Geschichte der Rechtspflege der DDR; ferner das Lehrbuch Grundlagen der Rechtspflege sowie den historischen Teil des Lehrbuchs des Strafverfahrens. Vgl. zu den zuletzt noch vorhandenen Über-

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617 618

einstimmungen der StPO z.B. Luther NStZ 1990 361. Vgl. dazu u.a. Luther NStZ 1990 361 ff.; Rieß DWiR 1991 17. Kinkel FS Sendler 28; Renger ROW 1990 2 f.

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SED auf die Steuerung des staatlichen Geschehens und damit auch der Einflussnahme auf die Rechtsprechung und die Strafrechtspflege.619 Hieraus wiederum folgt der Anspruch auf entscheidenden Einfluss auf die Personalauswahl.620 Die im Sinne des sog. „Klassenkampfes“ einseitig orientierte und auf Gewinnung ideologisch zuverlässiger Mitarbeiter gerichtete „Kaderpolitik“ war von Anfang an ein entscheidendes Merkmal der staatlichen und politischen Einflussnahme auf das Rechtspflegesystem der DDR; als wichtiges Instrument hierfür diente von Anfang an beispielsweise an das Institut der „Volksrichter“.621 Die Realität der Strafrechtspflege der DDR setzte sich teilweise auch noch über die 168 ohnehin engen normativen Garantien einer „sozialistischen Rechtspflege“ hinweg und entwickelte ein darüber hinausgehendes Unrechtssystem, namentlich durch die Steuerung und Kontrolle durch das Ministerium für Staatssicherheit. Ein besonders ausgeprägtes Beispiel krassen justitiellen Unrechts sind die in der ersten Jahreshälfte 1950 vor besonders gebildeten Strafkammern des Landgerichts Chemnitz nach dem Ort der Verhandlungen sog. Waldheim-Prozesse, in denen unter dem Deckmantel der Aburteilung von NS-Unrecht ohne Beachtung auch nur elementarer prozessualer Mindeststandards in Schnellverfahren eine Vielzahl auch politischer Gegner zu hohen Strafen verurteilt wurde.622 Auch in anderen Fällen wurden politische Gegner durch manipulierte Prozesse verfolgt und ausgeschaltet.623 Insgesamt erscheint die Strafrechtspflege, unbeschadet der Strafverfolgungstätigkeit im Bereich der „normalen“ Kriminalität, als ein wichtiger Bestandteil des gesamten staatlichen Repressionsapparates.624 2. Die Entwicklung bis zur Gründung der DDR (1945 bis 1949) Die Entwicklung bis zur Gründung der DDR (1945 bis 1949) in der sowjetischen 169 Besatzungszone war – entsprechend der generellen politischen Entwicklung – durch einen nicht spannungsfreien, von der sowjetischen Militäradministration massiv unterstützten allmählichen Übergang zur sozialistischen Staatsauffassung und zur sozialistischen Rechtspflege gekennzeichnet. Die von der Besatzungsmacht geförderten Bestrebungen der KPD und später der SED zielten nicht auf eine Reform der alten (Weimarer) Justiz, sondern auf einen revolutionären Umbau.625 Weil die Justiz der Weimarer Zeit als bürgerliche Klassenjustiz denunziert wurde,626 wurde dem eine konsequente Umwandlung in eine sozialistische Klassenjustiz entgegengesetzt. Diese Bemühungen stießen teilweise auf den Widerstand in einzelnen der neu gebildeten Länder, besonders in Thüringen,627 setzten sich aber allmählich durch. Als zentrales Steuerungsorgan diente dabei die im August 1945 gebildete Deutsche Zentralverwaltung für Justiz,628 deren formelle Leitung 619

620 621 622

Vgl. dazu u.a. Lehrbuch MarxistischLeninistische Staats- und Rechtstheorie (1980) 502 ff. Vgl. nur beispielhaft und statt vieler Benjamin NJ 1979 387 f. Näher u.a. Feth; Gängel (Volksrichterausbildung). Vgl. zu den Waldheimer Prozessen u.a. Fricke Deutschand-Archiv 1980 1172 ff.; Beckert NJ 1991 301 f.; Luther bei Heuer 348 ff.; Otto NJ 1991 355 ff.; NJ 1991 392 ff.; BezG Dresden DtZ 1992 92; vgl. auch (zur Bewertung als „nichtige“ Urteile) KG NJW 1954 1901.

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So etwa (als ein Beispiel von mehreren) die sog. „Aktion Rose“; dazu Müller (Lenkung). Vgl. dazu mit Beispielen Werkentin NJ 1991 479 ff.; auch Luther NStZ 1990 365; zur Tätigkeit des Obersten Gerichts in diesem Zusammenhang Beckert. Geschichte I 30, 35, 44 ff.; Fechner NJ 1948 121 ff. Vgl. Geschichte I 24 ff. Vgl. Geschichte I 53 ff., 152 f. Geschichte I 58.

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zunächst dem 85jährigen bürgerlich-liberalen Eugen Schiffer übertragen wurde.629 Eine rigorose Entnazifizierung schuf Raum für die Einstellung von Laien als „Richter im Soforteinsatz“ sowie für die Institution des „Volksrichters“,630 Arbeiter und Bauern, die in Schnellkursen auch ideologisch auf ihre Tätigkeit vorbereitet wurden. Entsprechend der Kontrollratsgesetzgebung (s. Rn. 78) wurde zunächst – und nach170 dem sich vorübergehend spontan andere Formen des Gerichtsaufbaus gebildet hatten 631 – auch in der sowjetischen Besatzungszone die Gerichtsbarkeit grundsätzlich nach dem bis Anfang 1933 geltenden Gerichtsverfassungsrecht eingerichtet,632 in den Ländern entstanden also Amts-, Land- und Oberlandesgerichte,633 teilweise wurden für bestimmte Delikte und Verfahrensgruppen abweichende Besetzungen und Verfahren vorgesehen. Als Grundlage für das Strafverfahren galt zunächst die StPO in ihrer vor dem 30.1.1933 geltenden Fassung, wobei die anzuwendende Fassung nach Arbeitskonferenzen durch die deutsche Zentralverwaltung für Justiz festgelegt wurde.634 Hiernach wurde eine einheitliche Textausgabe erstellt.635 Eine gravierende Änderung im Rechtsmittelsystem erfolgte 1947 durch die Einführung der zunächst zusätzlich neben die Revision tretenden Kassation nach sowjetischem Vorbild durch weitgehend übereinstimmende, auf einem Entwurf der Deutschen Zentralverwaltung für Justiz beruhenden Ländergesetze.636 Grund für diese Maßnahme war die Unzufriedenheit über die als zu formalistisch und zu wenig fortschrittlich empfundene Revisionsrechtsprechung der Oberlandesgerichte.637 Allerdings trat die erwünschte „Wende“ auch mit der den Oberlandesgerichten anvertrauten Kassation zunächst nicht ein.638 3. Die Entwicklung während der DDR Zeit (1949 bis 1990)

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a) Allgemeines. Nach der Gründung der DDR am 7.10.1949 verstärkten sich die Tendenzen zur Verselbständigung des Rechtssystems im Sinne der sozialistischen Gesetzlichkeit und zu einer Ablösung der aus der Zeit des bürgerlich-liberalen Rechtsstaates stammenden Kodifikationen. Sie führten im Laufe der Zeit in mehreren Gesetzgebungsschüben 639 dazu, dass sich auch der normative Bestand des Rechts der DDR von den Quellen der Reichsjustizgesetze und des BGB und seiner Begleitgesetze weitgehend entfernte. Beim Zusammenbruch des sozialistischen Systems der DDR Ende 1989 gab es in den hier interessierenden Bereichen im Gerichtsverfassungsrecht, im Berufsrecht der

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Zu Schiffers Rolle näher u.a. Renger ROW 1990 2 f. Schiffer trat wegen der Undurchsetzbarkeit seiner liberal-rechtsstaatlichen Justizreformpläne 1948 zurück; vgl. auch Melsheimer NJ 1948 141 und die gewundene Würdigung Geschichte I 169. Dazu ausführlich Geschichte I 91 ff., wo deutlich wird, dass es sich nicht um eine Notmaßnahme zur Behebung von Personalengpässen handelte, sondern um eine bewusste Maßnahme zur Erreichung des gewollten revolutionären Umbaus der Rechtspflege; vgl. auch Streit NJ 1978 239. Geschichte I 42 ff. Befehl Nr. 49 der SMAD abgedruckt in NJ 1955 517; s. Geschichte I 64. Übersicht in Geschichte I 68 ff.

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Geschichte I S. 299; Weiß NJ 1948 215 ff.; Luther bei Heuer 345. S. den Hinweis bei Reinartz NJ 1951 19. Brandenburg vom 11.9.1947 (GVBl. I S. 23); Mecklenburg vom 18.9.1947 (RegBl. S. 255); Sachsen vom 3.10.1947 (GVBl. S. 455); Sachsen-Anhalt vom 13.5.1947 (GBl. I S. 84); Thüringen vom 10.10.1947 (RegBl. I S. 81); s. auch Geschichte I 282 ff. Geschichte I 282. Geschichte I 283 f. Vgl. auch Einführung in die MarxistischLeninistische Staats- und Rechtslehre (1979) 216 ff. Zur Stellung und Entwicklung der hier nicht näher zu behandelnden Millitärgerichtsbarkeit s. Steike NJW 1998 2576; vgl. auch Grundlagen 34, 75, 80.

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Die Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts

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Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte sowie in der staatsrechtlichen Stellung der Staatsanwaltschaft kaum noch Gemeinsamkeiten. Die StPO wies in der Art ihres Prozessmodells, in ihrem normativen Bestand, in Aufbau, Sprachgebrauch und manchen rechtstechnischen Einzelheiten zwar größere Übereinstimmungen auf,640 wich aber in wichtigen Punkten vom Recht der Bundesrepublik ab. Ob, in welchem Umfang und in welcher Richtung Veränderungen in der Ideologie und äußere Einflüsse in der vierzigjährigen Geschichte der DDR zu entscheidenden Veränderungen in der Binnenstruktur des Strafverfahrensrechts geführt haben, ist noch nicht vollständig erforscht.641 Die nachfolgende Darstellung beschränkt sich auf die mehr äußerliche Gesetzgebungsentwicklung. Während die sozialistische Erneuerung des materiellen Rechts durch geschlossene 172 Neukodifikationen sich längere Zeit hinzog,642 entstanden erste zusammenfassende Kodifikationen des Strafverfahrens, der Gerichtsverfassung und des Staatsanwaltschaftsrechts innerhalb der ersten drei Jahre der Existenz der DDR; die ihnen zugrundeliegenden Prinzipien sind in der folgenden Zeit zwar vielfach modifiziert, verfeinert und ausgebaut, aber nicht mehr entscheidend verändert worden. Neukodifikationen erfolgten vor allem 1963 und in den Jahren danach auf der Grundlage des sog. Rechtspflegeerlasses,643 einer programmatischen, auf Beschlüsse des Parteitags der SED zurückzuführenden Gesamtkonzeption des Rechtspflegebereichs, der sowohl unmittelbar geltendes Recht als auch Leitlinie für die künftige Gesetzgebung darstellte.644 Eine dritte, insbesondere durch die Verfassungsänderung von 1974 645 ausgelöste, die stärkere Verzahnung der Rechtspflege mit den gesellschaftlichen Gerichten betonende und die zentrale Leitung der Gerichte verstärkende Kodifikationswelle setzte in der Mitte der siebziger Jahre ein.646 Diese Gesetze blieben bis zum Zusammenbruch der DDR im Wesentlichen unverändert. b) Gerichtsverfassung. Unmittelbar nach der Gründung der DDR wurde, bei im 173 Übrigen zunächst unverändertem Aufbau der Gerichtsbarkeit, entsprechend Art. 126 der Verfassung der DDR der Oberste Gerichtshof der DDR eingerichtet.647 Er stand anfangs außerhalb des Instanzenzuges; seine Zuständigkeit beschränkte sich auf erstinstanzliche 640 641

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Vgl. Luther NStZ 1990 361. Vgl. dazu etwa Luther bei Heuer 352 ff.; Werkentin NJ 1991 483; s. aber auch die im Dezember 1989 publizierten, weitgehend in überkommenen Bahnen verharrenden Auffassungen zur Reform der Gerichtsverfassung bei Wünsche NJ 1989 499. Familiengesetzbuch der DDR vom 20.12. 1965 (GBl. I 1966 S. 1); Strafgesetzbuch der DDR vom 12.1.1968 (GBl. I S. 1); Zivilgesetzbuch vom 19.6.1975 (GBl. I S. 517); auch das zivilprozessuale Verfahren wurde erst mit der Zivilprozessordnung vom 19.6. 1975 (GBl. I S. 533) umfassend neu kodifiziert. Erlass des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik über die grundsätzliche Aufgabe und die Arbeitweise der Organe der Rechtspflege vom 4.4.1963 (GBl. I S. 21).

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S. näher Geschichte II 46 ff. Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7.10.1974 (GBl. I S. 425). Vgl. Einführung in die Marxistisch-Leninistische Rechtslehre (1979) 217. Gesetz über die Errichtung des Obersten Gerichtshofes und der Obersten Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik vom 8.12.1949 (GBl. S. 111); vgl. Nathan NJ 1949 303; die Bezeichnung lautete seit dem GVG 1952 „Oberstes Gericht“; vgl. auch die zum 40. Jahrestag der DDR erschienene monographische Darstellung „Das Oberste Gericht der DDR – Rechtsprechung im Dienste des Volkes“ (1989).

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Strafverfahren, wenn der oberste Staatsanwalt wegen der überragenden Bedeutung vor ihm Anklage erhob, und auf die Entscheidung von Kassationen, die zugleich den Oberlandesgerichten entzogen wurden. Nach der Beseitigung der Länder und der territorialen Gliederung der DDR in Bezirke und Kreise im Juli 1952 648 wurde der Gerichtsaufbau zunächst durch VO vom 28.8.1952 (GBl. 791) sowie durch das Gerichtsverfassungsgesetz 1952 649 tiefgreifend geändert. Es wurden mit den Verwaltungsgrenzen übereinstimmende Kreis- und Bezirksgerichte gebildet, das Oberste Gericht wurde in den Instanzenzug integriert. Die erstinstanzlichen Zuständigkeiten waren zwischen dem Kreis- und Bezirksgericht,650 die Berufungs- und Beschwerdezuständigkeiten zwischen Bezirksgericht und Oberstem Gericht aufgeteilt. Während die Richter des Obersten Gerichte auf die Dauer von 5 Jahren von der Volkskammer gewählt wurden, wurden die übrigen Richter auf die Dauer von jeweils drei Jahren vom Minister der Justiz ernannt. In der ersten Instanz, nicht aber in der Berufungsinstanz, wirkten von den örtlichen Volksvertretungen gewählte Schöffen mit .651 1959 wurde die Wahl aller Richter durch die örtlichen Volksvertretungen auf die Dauer von drei Jahren eingeführt.652 Das GVG wurde anpassend geändert 653 und in einer neuen Fassung insgesamt neu bekannt gemacht;654 es enthielt nunmehr auch Vorschriften über die „politische Arbeit der Richter unter den Werktätigen und die Zusammenarbeit mit den örtlichen Organen der Staatsmacht“. Auf der Grundlage und in Ergänzung des Rechtspflegeerlasses erging das Gerichts174 verfassungsgesetz 1963.655 Es betonte in seiner programmatischen Aussage stärker als das GVG 1952, von dem es auch in seinem Aufbau wesentlich abwich, die Ausrichtung der Rechtsprechung auf den Gedanken des sozialistischen demokratischen Zentralismus, übernahm unter Anpassung der Wahlperiode an die vierjährige Wahlperiode der Volksvertretungen das Prinzip der periodischen Richterwahl und verstärkte die Stellung des Obersten Gerichts als zentrales Leitungsorgan insbesondere durch die Kompetenz zum Erlass bindender Richtlinien und Beschlüsse,656 enthielt ein Geflecht von Aufsichts- und Leitungsbefugnissen und stellte eine Verbindung zur Tätigkeit der „gesellschaftlichen Rechtspflege“ durch die Schieds- und Konfliktkommission her. Die letzte Neukodifikation durch das Gerichtsverfassungsgesetz 1974 657 hielt, wiederum in abweichender Systematik, an den Grundstrukturen des GVG 1963 fest, betonte stärker die Zusammenarbeit der Gerichte mit den regionalen Volksvertretungen und Behörden und verstärkte 648

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Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der Deutschen Demokratischen Republik v. 23.7. 1952 (GBl. S. 613). Gesetz über die Verfassung der Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik vom 2.10.1952 (GBl. S. 983); s. dazu die Aufsatzreihe von Benjamin/Genärsch/Pogorschelsky/ Schumann NJ 1952 434 ff. Strafsachen von „überragender Bedeutung“ konnte der Generalstaatsanwalt in erster und letzter Instanz vor dem Obersten Gericht anhängig machen. Zur Auswahl und Schulung der Schöffen Geschichte II 181 ff. Gesetz über die Wahl der Richter der Kreisund Bezirksgerichte durch die örtlichen Volksvertretungen vom 1.10.1959 (GBl. I

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S. 751); zur Vorbereitung und Durchführung der Richterwahl s. Geschichte II S. 266 ff. Gesetz vom 1.10.1959 (GBl. I S. 753). GBl. 1959 S. 756; vgl. dazu sowie zu der Entwicklung bis dahin aus westlicher Sicht Richard Lange FS Eb. Schmidt 551 ff. Gesetz über die Verfassung der Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik vom 17.4.1963 (GBl. I S. 45); zur Tendenz und zum Inhalt Geschichte II 52 ff. Dazu u.a. Toeplitz NJ 1979 394; Grundlagen S. 100 f.; Beispiele für derartige Leitungsdokumente im Wortlaut bei Gängel (Das Oberste Gericht) 135 ff. Gesetz über die Verfassung der Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik vom 27.9.1974 (GBl. I S. 457); zu den Tendenzen der Neufassung s. Grundlagen 38.

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die Laienmitwirkung und die Einbeziehung der sog. „Kollektive der Werktätigen“ 658 in die Rechtsprechung. Die sachliche Zuständigkeit der staatlichen Gerichte in Strafsachen war nach dem 175 GVG 1974 folgendermaßen geregelt: Das Kreisgericht war, grundsätzlich in der Besetzung mit einem Berufsrichter und zwei Schöffen, in erster Instanz für alle Sachen zuständig, soweit nicht die Zuständigkeit anderer Gerichte geben war (§ 23 GVG). Das Bezirksgericht war erstinstanzlich zuständig bei Verbrechen gegen die Souveränität der DDR, gegen den Frieden, die Menschlichkeit und die Menschenrechte, bei vorsätzlichen Tötungsverbrechen, bei Verbrechen gegen die Volkswirtschaft, wenn der Staatsanwalt nicht Anklage beim Kreisgericht erhob, sowie bei allen anderen Straftaten, falls die Staatsanwaltschaft „wegen ihrer Bedeutung, Folgen oder Zusammenhänge“ Anklage vor dem Bezirksgericht erhob oder der Direktor des Bezirksgerichts sie aus den gleichen Gründen an das Bezirksgericht heranzog. Es war ferner Berufungs- und Beschwerdegericht gegen Entscheidungen des Kreisgerichts und Kassationsgericht gegen Entscheidungen des Kreisgerichts, falls der Kassationsantrag vom Bezirksstaatsanwalt oder vom Direktor des Bezirksgerichts gestellt wurde (§ 30 GVG). Es entschied als erstinstanzliches Gericht durch einen Berufsrichter und zwei Schöffen; für Verhandlungen, die einen „hohen Arbeits- und Zeitaufwand“ erforderten, konnte ein zweiter Richter herangezogen werden (§ 33 Abs. 2 GVG). Als zweitinstanzliches Gericht entschied es durch drei Berufsrichter (§ 33 Abs. 3 GVG). Das Oberste Gericht war erst- und bis 1987 letztinstanzlich für Strafsachen zuständig, 176 wenn der Generalstaatsanwalt „wegen ihrer Bedeutung“ dort Anklage erhob, ferner für Berufungen und Beschwerden gegen Entscheidungen des Bezirksgerichts sowie für die Kassation (§ 37 GVG). Es entschied durch Senate grundsätzlich in der Besetzung durch drei Berufsrichter.659 Ende 1987 660 wurde wegen der Rechtsmittelgarantie in Art. 14 Abs. 5 IPBPR, den die DDR ratifiziert hatte, gegen die erstinstanzlichen Entscheidungen des Obersten Gerichts als „Querrechtsmittel“ eine Berufungsmöglichkeit an den mit fünf Richtern besetzten Großen Senat des Obersten Gerichts eröffnet. Die Direktoren des Kreisgerichts und des Bezirksgerichts sowie der Präsident des Obersten Gerichts und die Vizepräsidenten waren berechtigt, in ihren Gerichten in jeder Sache den Vorsitz zu übernehmen.661 Die gesellschaftlichen Gerichte, bestehend aus den Konfliktkommissionen in den 177 Betrieben und den Schiedskommissionen in den Gemeinden, zählten in der DDR zur Rechtspflege; sie waren nicht etwa diesen vorgelagerte private Schlichtungsorgane.662 Ihr Zuständigkeitsbereich und ihre Bildung wurde zunächst durch verschiedene Verordnungen geregelt.663 Der Rechtspflegeerlass bezog sie in das Rechtspflegesystem mit ein; eine abschließende Kodifikation erfolgte durch Gesetz vom 11.6.1968.664 In Straf658 659

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Näher Schroeder ROW 1988 1 ff. In Kassationsverfahren gegen Entscheidungen der Senate des Obersten Gerichts entschied das mit 5 Richtern besetzte sog. Präsidium (§ 40 Abs. 2, 3 GVG). Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozessordnung der Deutschen Demokratischen Republik vom 18.12.1987 (GBl. I S. 30). § 25 Abs. 2 Satz 2, § 33 Abs. 4, § 41 Abs. 5 GVG.

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Grundlagen 77. Nachweise bei Renger ROW 1990 3 f. Gesetz über die gesellschaftlichen Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik vom 11.6.1968 (GBl. I S. 229); später ersetzt durch das Gesetz über die gesellschaftlichen Gerichte der DDR vom 23.3.1982 (GBl. I S. 269); s. dazu insgesamt auch Geschichte III 174 ff. sowie Grundlagen 40.

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sachen waren die Konflikt- und Schiedskommissionen 665 originär für die besondere strafrechtliche Kategorie der Verfehlungen zuständig; ferner für Vergehen aufgrund einer Übergabeentscheidung durch die Strafverfolgungsorgane oder die staatlichen Gerichte, die ihrerseits davon abhängig war, dass die Handlung nicht erheblich gesellschaftswidrig erschien und eine wirksame erzieherische Einwirkung durch das gesellschaftliche Gericht zu erwarten war.666 Die gesellschaftlichen Gerichte standen unter der Aufsicht der Kreisgerichte, die auch für Einsprüche gegen deren Entscheidungen zuständig waren.

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c) Staatsanwaltschaft. Anknüpfend an sowjetische Vobilder, die ihrerseits auf eine von Lenin entwickelte Konzeption zurückgehen,667 wurde die Funktion und die Stellung der Staatsanwaltschaft grundlegend neu gestaltet.668 Über ihre Aufgabe im Strafverfahren hinaus wird die Staatsanwaltschaft als zentrales Organ der Kontrolle und Gewährleistung der sozialistischen Gesetzlichkeit verstanden; zu ihrer Aufgabe im Strafverfahren kommt die Pflicht einer allgemeinen Gesetzlichkeitsaufsicht 669 hinzu. Wie eine Vielzahl von Veröffentlichungen im Fachschrifttum der DDR vermuten lässt,670 scheint in der ideologischen Fundierung und in der praktischen Anwendung die Abgrenzung der allgemeinen Gesetzlichkeitsaufsicht zur Fachaufsicht der zuständigen Staatsorgane erhebliche Schwierigkeiten aufgeworfen zu haben. Gleichzeitig mit der Errichtung des Obersten Gerichts wurde das Amt des von der 179 Volkskammer gewählten, mit Weisungs- und Devolutionsbefugnis gegen die Staatsanwaltschaften der (zunächst) bestehen bleibenden Länder ausgestatteten Generalstaatsanwalts der DDR geschaffen. Durch das Staatsanwaltschaftsgesetz 1952 671 wurde die straff monokratisch und hierarchisch organisierte Staatsanwaltschaft unmittelbar dem Ministerrat, also nicht dem Ministerium der Justiz, und durch das Staatsanwaltschaftsgesetz 1963 672 unmittelbar der Volkskammer, außerhalb ihrer Tagungen dem Staatsrat, unterstellt. Das Staatsanwaltschaftsgesetz 1977 673 änderte hieran nichts. Während der Generalstaatsanwalt von der Volkskammer für die Dauer der Wahlperiode gewählt wurde, wurden die übrigen Staatsanwälte, anders als die Richter, nicht gewählt, sondern vom Generalstaatsanwalt berufen und abberufen. Zum Staatsanwalt konnte nur berufen werden, „wer der Arbeiterklasse und dem sozialistischen Staat treu ergeben ist und über ein hohes Maß an politisch-fachlichem Wissen und Lebenserfahrung, an menschlicher Reife und Charakterfestigkeit verfügt“. Eine juristische Ausbildung wurde zwar grundsätzlich verlangt, Staatsanwalt konnte aber unabhängig hiervon auch werden, „wer auf Grund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten für die Tätigkeit eines Staatsanwalts geeignet ist“.674 665

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Die Einzelheiten des Verfahrens der gesellschaftlichen Gerichte waren geregelt in der Konfliktskommissionsordnung vom 4.10. 1968 (GBl. I S. 287) bzw. der Konfliktkommissionsordnung vom 12.3.1982 (GBl. I S. 276) sowie der Schiedskommissionsordnung vom 4.10.1968 (GBl. I S. 299) bzw. vom 12.3.1982 (GBl. I S. 283). § 58 StPO/DDR; vgl. auch Lehrbuch 300 ff. Vgl. Grundlagen 120. S. Renger ROW 1990 5; Reuter NJ 1990 322 ff. Vgl. dazu ausführlich Grundlagen 117 ff.; ferner u.a. Schultz NJ 1953 673 ff. (auch zur praktischen Handhabung).

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S. dazu die Nachw. im Schrifttumsverzeichnis. Gesetz über die Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik vom 23.5.1952 (GBl. S. 408). Gesetz über die Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik vom 17.4.1963 (GBl. I S. 57); s. auch Rechtspflegeerlass Teil II Abschnitt 3. Gesetz über die Staatsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik vom 7.4.1977 (GBl. I S. 93). § 35 StAG 1977; die entsprechende Bestimmung für Richter (§ 44 GVG 1974) verlangte zwingend eine juristische Ausbildung.

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Abgesehen von den hier nicht näher darzustellenden Mitwirkungsbefugnissen der 180 Staatsanwaltschaft außerhalb des Strafverfahrens 675 zeigt sich ihre dominierende Position in ihrer weit über die traditionellen Aufgaben (Leitung des Ermittlungsverfahrens, Erhebung der öffentlichen Klage und Mitwirkung im Hauptverfahren) hinausgehenden Befugnissen. Der Generalstaatsanwalt konnte an den Sitzungen des Ministerrates sowie des Plenums und des Präsidiums des Obersten Gerichts teilnehmen und beim Obersten Gericht den Erlass von Richtlinien und Beschlüssen beantragen. Ihm stand das Recht des Kassationsantrags zu; entsprechende Befugnisse hatten die Bezirksstaatsanwälte gegenüber den Bezirksgerichten. Ferner war die Staatsanwaltschaft in weitem Umfang berechtigt, zwischen der Zuständigkeit des Kreisgerichts und des Bezirksgerichts zu wählen oder die Zuständigkeit des Obersten Gerichts zu begründen. d) Strafverfahren. Die Strafprozessordnung 1952 676 ersetzte die bis dahin anzuwen- 181 dende StPO in der bis zum 30.1.1933 geltenden Fassung.677 Obwohl sie in ihrem systematischen Aufbau und in vielen Einzelheiten noch der alten StPO verwandt war, enthielt sie bereits diejenigen wesentlichen Abweichungen, die für die weitere Entwicklung des Strafverfahrensrechts der DDR maßgebend blieben. Die erzieherische Aufgabe des Strafverfahrens und die Zusammenarbeit mit anderen Staatsorganen und gesellschaftlichen Organisationen wurde plakativ herausgestellt (§§ 2, 3) und das Rechtsinstitut der Gerichtskritik begründet (§ 4). Das Ermittlungsverfahren wurde, unbeschadet einer Devolutionsbefugnis des Staatsanwalts und deren Leitung und Aufsicht, in die Hand der staatlichen Untersuchungsorgane, also in erster Linie der Polizei,678 gegeben, die auch zur Einstellung des Verfahrens berechtigt waren. Das Klageerzwingungsverfahren und die gerichtliche Voruntersuchung entfielen; der gerichtliche Eröffnungsbeschluss wurde beibehalten. Die Gründe für die Ablehnung eines Beweisantrags wurden weiter gefasst.679 Die Privatklage (nur bei Beleidigungen 680) und in veränderter Form das Adhäsionsverfahren 681 wurden (zunächst) beibehalten; ebenso das Strafbefehlsverfahren sowie die polizeiliche Strafverfügung bei Übertretungen. Tiefgreifend und grundsätzlich umgestaltet wurde das Rechtsmittelsystem; die in der 182 StPO 1952 getroffenen Regelungen sind später nicht mehr wesentlich geändert worden. Das Rechtsmittel der Revision sowie die weitere Beschwerde entfielen. Als ordentliche

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S. §§ 12, 21, 25, 29 ff. StAG 1977. Gesetz über das Verfahren in Strafsachen in der Deutschen Demokratischen Republik vom 2.10.1952 (GBl. S. 996); ausführlich zum Inhalt Luther bei Heuer 352; zur Einschätzung aus sozialistischer Sicht u.a. Lehrbuch 49; s. auch die Aufsatzreihe Benjamin/ Löwenthal/Melsheimer/Kleine/Ranke/Schumann NJ 1952 467 ff. Änderungen und Anpassungen durch das Strafrechtsänderungsgesetz vom 11.12.1957 (GBl. I S. 643) und durch das Gesetz vom 17.4.1963 (GBl. I S. 65). § 1 Abs. 2 Satz 2 des Einführungsgesetzes (GBl. I S. 995) erhielt lediglich § 153 StPO aufrecht; diese Regelung entfiel mit dem Strafrechtsergänzungsgesetz vom 11.12.1957 (GBl. I S. 643).

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S. dazu Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Deutschen Volkspolizei vom 11.6.1968 (GBl. I S. 232). Nach § 202 Abs. 1 Nr. 1 StPO 1952 konnte ein Beweisantrag abgelehnt werden, wenn die Erhebung des Beweises zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Ähnlich § 223 Abs. 1 StPO 1968/1975. Detailregelungen zur Privatklage in der zweiten Durchführungsbestimmung vom 28.8.1956 (GBl. I S. 689); Beseitigung durch Gesetz vom 17.4.1963 (GBl. I S. 65) im Zusammenhang mit der Einrichtung von Konflikt- und Schiedskommissionen. S. dazu Heinrich NJ 1953 69 ff.; Volkland NJ 1953 392; ferner Luther bei Heuer 357.

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Rechtsmittel waren gegen alle erstinstanzlichen Urteile als einzige ordentliche Rechtsmittel Berufung und Protest zulässig, wobei es sich insoweit um ein inhaltlich identisches, lediglich in der Bezeichnung (Protest als staatsanwaltschaftliches Rechtsmittel) unterschiedliches Institut handelt. In ihrer inhaltlichen Ausgestaltung war die Berufung teilweise revisionsartig und stärker kontrollierend als wiederholend ausgestaltet. Sie war bei Erfolg in erster Linie auf Zurückverweisung und nur ausnahmsweise auf eigene Sachentscheidung angelegt; offensichtlich unbegründete Berufungen konnten durch Beschluss verworfen werden. Aufrechterhalten und ausgebaut wurde der bereits 1947 nach sowjetischem Vorbild eingeführte besondere Rechtsbehelf der Kassation 682 in erster Linie als Mittel der Leitung der Rechtsprechung und als Instrument zur Durchsetzung der sozialistischen Gesetzlichkeit.683 Die Kassation war lediglich gegen rechtskräftige Urteile zulässig; sie musste grundsätzlich innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Rechtskraft beantragt werden.684 Antragsberechtigt waren lediglich der Generalstaatsanwalt und der Präsident des Obersten Gerichts,685 also nicht der Verurteilte. Kassationsgründe waren zunächst eine Gesetzesverletzung, auf der das Urteil beruht, oder eine gröbliche Unrichtigkeit im Strafausspruch; mit der StPO 1968 trat als zusätzlicher Kassationsgrund die Unrichtigkeit der Begründung der Entscheidung hinzu.686 Das Kassationsverfahren selbst war revisionsartig ausgestaltet; eine Beweisaufnahme fand nicht statt. Bei begründeter Kassation war nach Urteilsaufhebung regelmäßig die Zurückverweisung und nur ausnahmsweise die Selbstentscheidung vorgesehen. Die Strafprozessordnung 1968 687 entstand im Zusammenhang mit der Erarbeitung 183 des neuen Strafgesetzbuches.688 Sie unterschied sich in ihrer Systematik von ihrer Vorgängerin namentlich durch die Voranstellung von Grundsatzbestimmungen, durch ausführliche Regelungen über die Verwirklichung der Maßnahmen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit (Strafvollstreckung) sowie die Aufnahme von Regelungen über die Entschädigung für unberechtigt erlittene Untersuchungshaft oder Freiheitsstrafe. Das Adhäsionsverfahren entfiel; statt dessen wurde der Geschädigte als Prozessbeteiligter generell stärker in das Verfahren integriert. Ferner wurde die Überweisung von Strafsachen an die gesellschaftlichen Gerichte geregelt,689 die Mitwirkung von Vertretern der Kollektive vorgesehen und die Institution des „gesellschaftlichen Anklägers und gesellschaftlichen Verteidigers“ eingeführt.690 Umfangreiche, wenn auch nicht grundsätzliche Änderungen durch Gesetz vom 19.12.1974 691 führten zu einer amtlichen Neubekannt-

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S. oben Rn. 163. S. Lehrbuch 338 f.; ferner Arnold (Kassation) 139 ff. Nach der StPO 1968/1975 konnte eine Kassation zugunsten des Verurteilten ausnahmsweise durch Beschluss des Präsidiums des Obersten Gerichts auch nach Fristablauf zugelassen werden. Die StPO 1968/1975 sah gegen kreisgerichtliche Urteile auch die Antragsbefugnis des Bezirksstaatsanwalts und des Präsidenten des Bezirksgerichts und eine Kassationszuständigkeit des Bezirksgerichts vor. Zur Bedeutung der „Gründekassation“ Lehrbuch 341. Strafprozessordnung der Deutschen Demo-

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kratischen Republik vom 12.1.1968 (GBl. I S. 49). Vgl. dazu Lehrbuch 54 ff.; Lehrbuch des Strafrechts (DDR), 1976, 112 ff.; Geschichte III 215 ff.; ausführlich zur Entstehung, zur Vorbereitung und zum Inhalt Luther bei Heuer 371 ff. Im Anschluss an die Ergänzungen durch das Gesetz zur Änderung strafrechtlicher und verfahrensrechtlicher Besimmungen vom 17.4.1963 (GBl. I S. 65). Dazu Schroeder ROW 1988 1 ff. Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung der Deutschen Demokratischen Republik vom 19.12.1974 (GBl. I S. 597).

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machung der Strafprozessordnung 1975,692 die, von einigen Ergänzungen und Änderungen abgesehen,693 bis zum Zusammenbruch des sozialistischen Systems Grundlage des Strafverfahrens blieb.694 4. Die Wiederherstellung der deutschen Einheit und die Rechtsangleichung a) Allgemeines. Der im Herst 1989 beginnende Zusammenbruch der sozialistischen 184 Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR führte in mehreren Etappen in einer sich dramatisch beschleunigenden Entwicklung am 3. Oktober 1990 zur Wiedervereinigung Deutschlands durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. Grundlage dieser Vereinigung war ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland, der Einigungsvertrag, der die Modalitäten des Beitritts detailliert regelte und in umfangreichen Anlagen die Rechtsangleichung weitgehend auf der Grundlage des Rechts der Bundesrepublik näher konkretisierte.695 Mit dem Tage des Beitritts, also mit Ende des 2. Oktober 1990, endete die Existenz eines selbständigen Strafverfahrensrechts der DDR; auch soweit früheres Recht der DDR aufrechterhalten blieb, wandelte es sich aufgrund der Regelungen des Einigungsvertrages in (teilweise partielles) Bundesrecht oder in Landesrecht der mit dem Beitritt entstehenden neuen Länder um.696 Grundsätzlich und von geringfügigen Ausnahmen und Übergangsregelungen (s. Rn. 186 f.) abgesehen, bewirkte die Wiedervereinigung die Erstreckung des Strafverfahrensrechts und des Gerichtsverfassungsrechts der Bundesrepublik auf das vereinigte Deutschland. Die Einzelheiten sind im Nachtrag II (Einigungsvertrag) zur 24. Auflage dieses Kommentars eingehend dargestellt; hierauf wird verwiesen. Bereits vor dem Beitritt hatte die DDR seit Frühjahr 1990 durch ihre eigene Gesetz- 185 gebung nach einer entsprechenden Änderung ihrer Verfassung 697 Maßnahmen zur Begründung eines rechtsstaatlichen Verfahrensrechts eingeleitet, insbesondere gestützt auf die den Rechtspflegebereich betreffenden Regelungen und Verpflichtungen des WWSUVertrages.698 Das Verfassungsgesetz zur Änderung und Ergänzung des Gerichtsverfassungsgesetzes 699 und das Verfassungsgesetz zur Änderung und Ergänzung des Ge692

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Bekanntmachung der Neufassung der Strafprozessordnung vom 19.12.1974 (GBl. I 1975 S. 61); näher Luther bei Heuer 379 ff. 2. Strafrechtsänderungsgesetz vom 7.4.1977 (GBl. I S. 106); 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom 28.6.1979 (GBl. I S. 139); 4. Strafrechtsänderungsgesetz vom 18.12.1987 (GBl. I S. 301) und Gesetz zur Änderung und Ergänzung des GVG und der StPO vom 8.12.1987 (GBl. I S. 302); zum Ganzen Luther bei Heuer 382 ff. Wegen der Änderungen durch das 6. Strafrechtsänderungsgesetzes nach dem Zusammenbruch des Sozialismus s. Rn. 184; zur vorhergehenden Reformdiskussion in der DDR Luther bei Heuer 385 ff. Einigungsvertrag vom 31.8.1990 (BGBl. II S. 889) sowie Einigungsvertragsgesetz vom 23.9.1990 (BGBl. II S. 885) und Zusatzvereinbarung vom 18.9.1990 (BGBl. II S. 1239); Wortlaut der einschlägigen Regelungen in

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der 24. Aufl., Nachtrag II (Einigungsvertrag). Vgl. Art. 8, 9 des EinigungsV; dazu 24. Aufl., Nachtrag II (Einigungsvertrag), Teil A Rn. 22 ff. Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (Verfassungsgrundsätze) vom 17.6.1990 (GBl. I S. 299), insbes. Art. 1 Abs. 2, Art. 5. S. ausführlich 24. Aufl., Nachtrag II (Einigungsvertrag), Teil A Rn. 7 ff. S. auch die beeindruckende Liste der von der DDR 1990 erlassenen, die Rechtspflege betreffenden Rechtsvorschriften in den Materialien zur Deutschen Einheit und zum Aufbau in den neuen Bundesländern, BTDrucks. 13 2280, S. 298. Vom 5.7.1990 (GBl. I S. 634); dazu Peller NJ 1990 338 ff.

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Einleitung

setzes über die Staatsanwaltschaft 700 beseitigten die Wahl der Berufsrichter durch die Volksvertretungen, die allgemeine Gesetzlichkeitsaufsicht durch die Staatsanwaltschaft, die Regelungen über die zentrale Leitung und Aufsicht der Rechtsprechung und die Rechenschaftspflicht der Richter sowie die Gerichtskritik; ferner wurde die Richtlinienkompetenz des Obersten Gerichts gestrichen und das Prinzip des gesetzlichen Richters klarer verwirklicht. Die sachliche und persönliche Unabhängigkeit des Richters wurde durch das neu erlassene Richtergesetz 701 gewährleistet; die Staatsanwaltschaft wurde dem Justizministerium unterstellt und ihre Aufgaben wurden im Wesentlichen auf das Strafverfahren beschränkt. Mit dem 6. StrÄndG der DDR 702 wurde die Kassation zuungunsten des Verurteilten beseitigt; ferner wurden der Grundsatz der Selbstlastungsfreiheit ausdrücklich verankert, die Belehrungspflichten gegenüber den Beschuldigten geregelt, das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers erweitert und alle Regelungen über die Gerichtskritik, die Beteiligung von Kollektiven sowie der gesellschaftliche Ankläger und Verteidiger sowie der Mitwirkung der Bürger am Verfahren beseitigt. Das Gesetz über die Schiedsstellen in den Gemeinden 703 beendete die Tätigkeit der gesellschaftlichen Gerichte, also der Konflikt- und Schiedskommissionen, auch soweit sie für strafrechtliche Angelegenheiten zuständig waren; gleichzeitig wurde durch dieses Gesetz, das durch den Einigungsvertrag aufrecht erhalten wurde,704 ein die §§ 153 ff. StPO ergänzendes Schlichtungsverfahren zur außergerichtlichen Erledigung von Strafsachen geschaffen.705

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b) Übergangsregelungen. Obwohl der Einigungsvertrag die grundsätzliche Erstrekkung des Rechts der Bundesrepublik auf das Beitrittsgebiet anordnete, waren für eine Übergangszeit auch für das Strafverfahren und die Strafgerichtsverfassung neben den im Wesentlichen die Überleitung der anhängigen Verfahren sowie die Vollstreckung betreffenden Regelungen 706 auch Übergangsvorschriften von längerer Geltungsdauer erforderlich, durch die die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege nach dem Beitritt gewährleistet wurde. Schwerpunktmäßig betreffen diese Besonderheiten den gerichtsverfassungsrechtlichen Aufbau, während die strafprozessualen Besonderheiten demgegenüber zurücktreten.707 Die Übergangsvorschriften für die Rechtsstellung der Richter und Staatsanwälte 708 hängen im Wesentlichen mit der Überleitung der früheren Dienstverhältnisse der Richter und Staatsanwälte sowie der Notwendigkeit ihrer persönlichen und fachlichen Erprobung unter rechtsstaatlichen Bedingungen zusammen; sie sind aufgrund der zwischenzeitlich ergangenen bundesrechtlichen Vorschriften 709 überwiegend nicht mehr von Bedeutung. 700 701 702

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Vom 5.7.1990 (GBl. I S. 635); dazu Reuter NJ 1990 322 ff. Vom 5.7.1990 (GBl. I S. 637); dazu u.a. Schmidt-Räntsch RiA 1990 261 ff. Vom 29.6.1990 (GBl. I S. 526); der Schwerpunkt der Änderungen durch dieses Gesetz liegt im materiellen Strafrecht; Einzelheiten zum Strafverfahren s. Luther bei Heuer 386 ff. Vom 15.9.1990 (GBl. I S. 1527); Abdruck in der 24. Aufl., Nachtrag II (Einigungsvertrag), Teil C Rn. 26. Anl. II Kap. III Sachgeb. A Abschn. I Nr. 3 und Anl. I Kap. III Sachgeb. A Abschn. III Nr. 14 Buchst. b Einigungsvertrag. §§ 40 bis 45 SchiedsstG; vgl. dazu 24. Aufl.,

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Nachtrag II (Einigungsvertrag), Teil C Rn. 27; Luther DtZ 1991 17 ff.; näher die Erläuterungen zu § 153 a. Einigungsvertrag Anl. I Kap. III Sachgeb. A Abschn. III Nr. 14 (StPO) Buchst. a, c, f, g und j und Nr. 28 (allg. Maßg.) Buchst. h bis k; s. näher 24. Aufl., Nachtrag II (Einigungsvertrag), Teil C Rn. 4 ff., 30 ff. S. näher (auch zu den Gründen) 24. Aufl., Nachtrag II (Einigungsvertrag), Teil A Rn. 18 ff.; Rieß DWiR 1990 14 ff. S. dazu 24. Aufl., Nachtrag II (Einigungsvertrag), Teil A Rn. 41 ff.; Schmidt-Räntsch DtZ 1991 33 ff. Namentlich durch das RpflAnpG und das Rpfl-AnpÄndG; dazu näher Kahl/Peller NJ

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Die Entwicklung des gegenwärtigen Strafverfahrensrechts

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Trotz der grundsätzlichen Erstreckung des Gerichtsverfassungsgesetzes auf das Bei- 187 trittsgebiet erhielt der Einigungsvertrag für eine Übergangszeit den gerichtsorganisatorischen Aufbau der DDR aufrecht; die fortbestehenden Kreis- und Bezirksgerichte traten an die Stelle der Amts-, Land- und Oberlandesgerichte.710 Dabei entsprachen in Strafsachen, von wenigen Besonderheiten abgesehen, die Zuständigkeit der Kreisgerichte der der Amtsgerichte, die der Bezirksgerichte der der Landgerichte, mit der besetzungsmäßigen Besonderheit, dass die Große Strafkammer als erkennendes Gericht außerhalb der Hauptverhandlung mit einem Richter und in der Hauptverhandlung mit zwei Richtern und zwei Schöffen besetzt war.711 Die Aufgabe des Oberlandesgerichts in Strafsachen wurden durch besondere Senate bei den Bezirksgerichten am Sitz der Landeshauptstädte wahrgenommen; die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte war dem Kammergericht in Berlin übertragen. Den Übergang zum normalen Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit haben inzwischen alle neuen Länder durch Landesrecht vollzogen.712 Die Vorschriften über die Bildung des Präsidiums und die Besetzung kollegial besetzter Spruchkörper mit Vorsitzenden Richtern waren (und sind derzeit noch) gelockert;713 eine Neuwahl aller Präsidien nach den allgemein geltenden Vorschriften muss zum 1.1.2000 stattfinden. Weiterhin von Bedeutung sind die allgemeine Konzentrationsermächtigung 714 sowie die Sondervorschriften für Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft 715 und für die Benutzung der sorbischen Sprache.716 Die übergangsweise geltenden Maßgaben zur Strafprozessordnung 717 erhielten ins- 188 besondere den Rechtsbehelf der Kassation als ein besonderes Instrument zur Beseitigung von Justizunrecht aufrecht, gestalteten ihn allerdings nochmals wesentlich um, namentlich dadurch, dass entsprechend der Vorgabe in Art. 18 Abs. 2 des Einigungsvertrages dem Verurteilten ein eigenes Antragsrecht eingeräumt wurde.718 Durch das StrRehaG ist die Kassation in dem neuen Rehabilitierungsverfahren aufgegangen; die sie betreffenden Vorschriften sind nicht mehr anwendbar.719 Gegen die – grundsätzlich zulässige – Vollstreckung von Entscheidungen der Strafgerichte der DDR kann eine gerichtliche Feststellung der Unzulässigkeit beantragt werden.720

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1992 441; Rieß DtZ 1992 226; NJ 1996 15; s. auch zur Entwicklung der Rechtspflege in den neuen Ländern 24. Aufl., GVG Anh. Rn. 59 ff.; sowie insgesamt BTDrucks. 13 2280 S. 56 ff., 298 ff. Anl. I Kap. III Sachgeb. A Abschn. I Nr. 1 Einigungsvertrag; ausführlich 24. Aufl., Nachtrag II (Einigungsvertrag), Teil B. Diese Regelung ist mit einigen Einschränkungen durch das RpflEntlG generell übernommen worden; s. Rn. 144. In der Zeit vom 1.7.1992 (Mecklenburg-Vorpommern) bis 1.9.1993 (Brandenburg); s. näher BTDrucks. 13 2280, S. 300. Vgl. zunächst Anl. I Kap. III Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Buchst. c Einigungsvertrag; danach § 10 RpflAnpG i. d. F von Art. 1 Nr. 3 RpflAnpÄndG; näher Rieß NJ 1996 17.

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Anl. I Kap. III Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Buchst. n EinigungsV; s. Rieß NJ 1996 15 und 24. Aufl. GVG Anh. Rn. 62; a.A. Katholnigg S. 535 Rn. 2. Anl. I Kap. III Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Buchst. o Abs. 2 EinigungsV; s. Rieß NJ 1996 15. S. 24. Aufl. § 184 GVG, 1 m.w.N. Anl. I Kap. III Sachgeb. A Abschn. III Nr. 14 Einigungsvertrag; ausf. Erl. in der 24. Aufl., Nachtrag II (Einigungsvertrag) Teil C. AaO. Buchst. h; näher Nachtrag II (Einigungsvertrag), Teil C Rn. 48 ff.; Arnold (Kassation) 142 ff.; Kemper/ Lehner NJW 1991 329 ff. § 27 StrRehabG; s. näher 24. Aufl. GVG Anh. Rn. 67 f.; Bruns/Schröder/Tappert Einl. 1 ff.; § 26, 4 ff.; § 27, 1 ff. Näher die Erl. Vor § 449.

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IX. Die Zukunft des Strafprozesses. Zur Frage einer (Gesamt)Reform Schrifttum (Auswahl) Ahlbrecht Die Strafrechtpolitik der Europäischen Kommission – eine Bilanz oder: Bundesverfassungsgericht ante portas? JR 2005 400; Asbrock Strafjustizreform statt „kurzer Prozeß“, NJ 1995 341; ders. „Zum Mythos des Richtervorbehalts“ als wirksames Kontrollinstrument im Zusammenhang mit besonderen polizeilichen Eingriffsbefugnissen, KritV 1997 255; Baumann Wie reformbedürftig ist die Strafprozeßordnung? JuS 1987 681; Brüssow Strafprozeßreform in Raten? FS Koch 57; Dedy Ansätze einer Reform des Ermittlungsverfahrens (2006); Engelhard Ist eine Große Strafprozeßreform notwendig? FS Rebmann 45; Fischer Rechtsmißbrauch und Überforderung der Strafjustiz, NStZ 1997 212; Ignor/Matt Integration und Offenheit im Strafprozess – Vorschläge zu einer Reform des Strafverfahrens, StV 2002 102; Jahn Aktuelle Probleme der Reform des Strafverfahrens, NJW 2005 106; Jescheck Rechtsvergleichung als Grundlage der Strafprozeßreform, ZStW 86 (1974) 761; Kintzi Möglichkeiten der Vereinfachung und Beschleunigung von Strafverfahren de lege ferenda, DRiZ 1994 325; Köhler Prozeßrechtsverhältnis und Ermittlungseingriffe, ZStW 107 (1995) 10; Köster der Rechtsschutz gegen die vom Ermittlungsrichter angeordneten und erledigten Grundrechtseingriffe (1992); Kühne Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Verfahrensdauer in Strafsachen, StV 2001, 529; ders. Grenzen staatlicher Eingriffsbefugnisse, in: Individualrechte bei der Kriminalitätsbekämpfung in Kühne/Miyazawa (Hrsg.) Neue Strafrechtsentwicklungen im deutsch-japanischen Vergleich (1995) S. 153; Kutscha Neue Grenzmarken des Polizeiverfassungsrechts, NVwZ 2005 1231; ders. Neue Grenzmarken des Polizeiverfassungsrechts, NVwZ 2005 1231; Landau Chancen und Risiken einer Reform des Strafverfahrens, ZRP 2004 146; Ling An den Grenzen rationaler Aufhellbarkeit, Überzeugung und richterliche Verantwortung am Beispiel des Vorsatznachweises bei atypischen Sachverhalten, JZ 1999 335; Lüttger (Hrsg.) Probleme der Strafprozeßreform (1975); Meier Die Reform des Ermittlungsverfahrens Zur notwendigen Stärkung der Rechtsstellung der Beteiligten, GA 2004 441; Moos Zur Reform des Strafprozeßrechts und des Sanktionenrechts für Bagatelldelikte (1981); MüllerDietz Sozialstaatsprinzip und Strafverfahren, FS Dünnebier 75; Rieß Gesamtreform des Strafverfahrensrechts – eine lösbare Aufgabe? ZRP 1977 67; ders. Prolegomena zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS Schäfer 155; ders. Hauptverhandlungsreform – Reform des Strafverfahrens, FS Lackner 965; ders. Reflexionen zur Lage der Strafjustiz, NStZ 1994 409; ders. Gesamtreform des Strafprozesses – Chance oder Utopie? FS Friebertshäuser 103; Roxin Über die Reform des deutschen Strafprozeßrechts, FS Jauch 183; ders. Fragen der Hauptverhandlungsreform im Strafprozeß, FS Schmidt-Leichner 145; Satzger DJT Gutachten C, Chancen und Risiken einer Reform des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens (2004); ders. NJW 2004 Beilage zu Heft 27/2004 17; Schäfer, Hans-Bernd Kein Geld für die Justiz – Was ist uns der Rechtsfrieden wert? DRiZ 1995 461; Schreiber/Wassermann (Hrsg.) Gesamtreform des Strafverfahrens – Internationales ChristianBroda-Symposion (1986); Schünemann Reflexionen über die Zukunft des deutschen Strafverfahrens, FS Pfeiffer 461; Schünemann (Hrsg.) Alternativentwurf Europäische Strafverfolgung (2004); Schreiber (Hrsg.) Strafprozeß und Reform (1979); Taschke Überlegungen zu einem künftigen Strafprozeß, NJ 1993 198; Tiedemann 13 Thesen zu einem modernen menschenrechtsorientierten Strafprozeß, ZRP 1992 107; Vultejus Unterschiedliche Leistungen der Justizminister, ZRP 1997 433; Wassermann Überlegungen zur Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, ZRP 1987 168; Weigend Die Reform des Strafverfahrens – Europäische und deutsche Tendenzen und Probleme, ZStW 104 (1992) 486; Wolter Strafverfahrensrecht und Strafprozeßreform, GA 1985 48; ders. Aspekte einer Strafprozeßreform bis 2007 (1991).

1. Zur gegenwärtigen Lage der Strafjustiz

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Die in den Rn. 88 ff. im Einzelnen dargestellte gesetzgeberische Entwicklung seit 1950 mit ihren zahlreichen Änderungen hat für lange Zeit die praktische Leistungsfähigkeit des Strafjustizsystems ebenso erhalten wie es gelungen ist, die verfassungsrechtlichen Anforderungen und die dogmatischen und systematischen Erkenntnisse zu berücksichti-

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gen. Auch die Erstreckung des Strafprozessrechts der Bundesrepublik auf das Gebiet der früheren DDR im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung (Rn. 184 ff.) hat nicht zu tiefgreifenden Brüchen und Schwierigkeiten geführt. So konnte bislang noch die Auffassung vertreten werden, dass die novellierende Tätigkeit des Gesetzgebers die angebbaren Bedürfnisse der Praxis befriedigt und die Funktionsfähigkeit des Strafverfahrens sichergestellt habe.721 Für den quantitativ ganz dominierenden Teil der Strafverfahren dürfte das auch heute noch zutreffen, und auch was die durchschnittliche Verfahrensdauer angeht, ist der rechtsvergleichende Befund nicht generell alarmierend.722 Dennoch hat sich in den letzten Jahren in wichtigen, das Bild des Strafverfahrens mit 190 prägenden Teilbereichen die Lage erheblich verändert, so dass von einer Krise des Strafprozesses gesprochen werden kann, wenn nicht muss.723 Sie beruht auf mehreren unterschiedlichen Ursachen und eröffnet für die Zukunft des Strafverfahrens verschiedene Gefährdungspotentiale. Sowohl in der Gesetzeslage als auch in der wissenschaftlichen dogmatischen und 191 systematischen Durchdringung des Stoffes zeigt sich das Strafprozessrecht immer mehr als das Produkt einer kodifikatorischen und wissenschaftlichen Spätzeit.724 Es erscheint als ein aufs Höchste ausdifferenziertes, wenig übersichtliches, weil durch zu viele Einzeländerungen patch-work-artig nur noch mit Mühe kohärentes, kompliziertes und kaum noch verständliches Rechtssystem, dessen Anwendung in der Rechtspraxis schon aus diesem Grunde Kapazitäten bindet. Eine ebenfalls hoch ausdifferenzierte verfassungsrechtliche Rechtsprechung hat eine verfassungsrechtliche Metadogmatik entwickelt und zwingt in der Rechtsanwendung zu Abwägungsprozessen, die die Berechenbarkeit der Ergebnisse erschweren.725 Die Leistungsfähigkeit des der StPO im Grundsatz unverändert zugrundeliegenden 192 Prozessmodells wird zunehmend fragwürdig. Viele seiner tragenden Maximen sind durchlöchert und von Ausnahmen überwuchert oder in ihrer Funktionsfähigkeit in veränderten Anwendungszusammenhängen zweifelhaft, wie beispielsweise das Unmittelbarkeitsprinzip bei langdauernden Hauptverhandlungen.726 Für Großverfahren, insbesondere – aber nicht nur – der Wirtschafts- und Umweltkriminalität, haben sich mit dem Phänomen der Vereinbarungen praeter legem Erledigungsformen entwickelt, auf die das Prozessmodell nicht eingerichtet ist und deren Behandlung deshalb erhebliche dogmatische und praktische Probleme aufwirft. Vielfältige formelle und informelle Verfahrensmodelle der verkürzten Art konkurrieren mittlerweile qualitativ wie quantitativ mit dem prozessualen Grundmodell. Nicht selten bleibt unklar, was sich hinter der Fassade des strafprozessualen Normprogramms in der Rechtswirklichkeit abspielt. Der Gesetzgeber sieht zunehmend im strafprozessualen Normensystem eine beliebig einsetzbare Verfügungsmasse, um aktuelle tatsächliche oder auch nur scheinbare rechtspolitische Defizite durch Einzelmaßnahmen zu beseitigen. Dabei verliert die Rückbesinnung auf die tragenden Grundsätze und die systematischen Zusammenhänge an Bedeutung; das Bestreben nach politischen Kompromissen bewirkt weitere funktionslose Überkompliziertheit der neuen Regelungen, und der Entlastungstopos führt ohne Änderung der Bewertung zu einem Wiederaufgreifen früher abgelehnter Forderungen.727 721 722

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Vgl. Engelhard FS Rebmann 51 f. Vgl. dazu mit Bezug auf die Rechtsprechung des EGMR zur Verfahrensdauer Kühne StV 2001, 529. Rieß NStZ 1994 410 f.; vgl. auch Fischer NStZ 1997 213 ff. So schon Rieß FS Schäfer 158; vgl. auch

725 726 727

Weigend ZStW 104 (1992) 504 mit Hinweis auf die Komplexität der aufzuklärenden Sachverhalte. Rieß StraFo 1995 98 f.; vgl. Rn. H 3 ff. Näher Rn. I 67; s. auch Rieß NStZ 1994 412 r. Sp. Näher Rieß NStZ 1994 412 l. Sp.

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Das rechtspolitische Klima ist einer abgewogenen Betrachtung weniger als je zuvor zuträglich. Rechtspolitische Forderungen der an der Strafrechtspflege beteiligten Berufe werden zunehmend kontrovers; eine Verständigung auf gemeinsame Werte erscheint schwierig,728 und die Vertreter zunehmender Repressivität setzen sich immer stärker und rücksichtsloser unter Hinweis auf die Notwendigkeit, die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege zu erhalten, durch. Dass die Funktionsfähigkeit des Strafprozesses dagegen allein durch eine Vermehrung des Justizpersonals gewährleistet werden kann,729 erscheint wenig wahrscheinlich, wenngleich die eine politisch weitestgehend missachtete Forderung des Rechtsstaatsprinzips ist, weshalb diese Option leider nie zentraler Gegenstand rechtspolitischer Diskussion gewesen ist. Insgesamt droht die Akzeptanz des Strafverfahrens in der allgemeinen Meinung, und damit eines wichtigen Elements seiner rechtsfriedenssichernden Aufgabe, auf längere Sicht in Gefahr zu geraten, weil nicht mehr ausreichend vermittelt werden kann, dass es einerseits in einer hinreichenden Zahl von Fällen die rechtsstaatliche Durchsetzung des Sanktionsanspruchs der Rechtsgemeinschaft gewährleistet, andererseits bestritten wird, dass es seine das Individuum schützende Funktion noch zureichend erfüllt. Es spricht einiges dafür, dass dies nicht ein Spezifikum des Strafprozessrechts allein ist, sondern auch die Leistungsfähigkeit des Rechtssystems insgesamt betrifft. 2. Zur Frage einer Gesamtreform

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Als Ausweg aus dieser krisenhaften Lage des Strafverfahrens wird seit langem eine Gesamtreform dahingehend gefordert, dass nach gründlicher Vorbereitung die geltende StPO durch ein insgesamt neues Strafverfahrensrecht ersetzt werden soll. Diese Auffassung ist lange Zeit fast allgemeine Meinung 730 gewesen. Auch der Gesetzgeber hat sich bereits 1964 zu ihr bekannt,731 bisher aber zur Realisierung dieses Planes kaum etwas unternommen.732 Allgemeine Meinung ist allerdings auch, dass die Realisierung einer solchen Gesamtreform einen erheblichen Zeitraum von bis zu zwei Jahrzehnten erfordern werde.733 Rechtsvergleichend wird darauf hingewiesen, dass die Neukodifikation des Strafverfahrensrechts in vielen Nachbarstaaten erfolgt sei oder doch betrieben werde,734 und daran wird die Bewertung geknüpft, dass die einstmals führende deutsche Strafprozessordnung in das hintere Mittelfeld der europäischen Strafprozesskodifikationen zurückzufallen drohe.735 Dagegen ist allerdings einzuwenden, dass diese Neukodifikationen teilweise einen Entwicklungsrückstand zu bewältigen hatten, der für die deutsche StPO wegen ihrer kontinuierlichen Novellierungen nicht besteht.

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Vgl. Fischer NStZ 1997 215. Zur bisherigen Entwicklung insoweit Schünemann FS Pfeiffer 464. Vgl. u.a. (statt Vieler) Baumann JuS 1987 686; Brüssow FS Koch 73; Engelhard FS Rebmann 51 ff.; Gössel ZStW 104 (1992) 513; Rieß FS Schäfer 167 ff.; Roxin FS Jauch 189; AK/Schreiber, Einl. I 19; Schünemann FS Pfeiffer 480; Taschke StV 1993 198; Wassermann ZRP 1987 168 ff.; Weigend ZStW 104 (1992) 486; Wolter (Aspekte); Zipf Kriminalpolitik2 141 ff. Einzelheiten bei Engelhard FS Rebmann 47; s. auch Rn. 96.

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Den bei Engelhard FS Rebmann 61 und Wolter (Aspekte) 11 geschilderten Anstößen sind bisher keine nennenswerten weiteren Aktivitäten gefolgt. Engelhard FS Rebmann 61; Rieß FS Schäfer 218 ff.; Wolter (Aspekte) 11 f. Vgl. die Berichte in ZStW 104 (1992) 429 ff.; besonders interessant auch die Novellierung in Österreich, die in Hinblick auf das Ermittlungsverfahren 2008 in Kraft treten soll, vgl. Kühne Rn. 1309. Weigend ZStW 104 (1992) 486.

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Weniger Einheitlichkeit als in der verbreiteten Forderung danach, eine „kommissions- 195 gestützte“ Gesamtreform alsbald in Angriff zu nehmen, besteht allerdings über ihren Inhalt und Zuschnitt. Insoweit hat sich das Meinungsbild während der 40 Jahre Diskussion hierüber mehrfach gewandelt. Die in der Anfangszeit gelegentlich erhobene Forderung nach weitgehender Übernahme des anglo-amerikanischen Prozessmodells 736 dürfte heute kaum noch vertreten werden. Bis vor kurzem ging die wohl herrschende Meinung dahin, unter Gesamtreform eine kommissionsgestützte Generalrevision der StPO zu verstehen, die das traditionelle Prozessmodell trotz zahlreicher Veränderungen auf Konstitutionsebenen der zweiten Stufe nicht in Frage stellt.737 Neuere Stimmen melden hieran Zweifel an; sie meinen, dass dieses Prozessmodell allenfalls noch als ein Element einer grundlegend veränderten Kodifikation dienen könne.738 Namentlich wenn man der zweiten Auffassung folgt, dürfte derzeit kein allgemeiner 196 Konsens über die Inhalte bestehen, die der Vorbereitung einer Gesamtreform zugrunde zu legen sind. Auch bei einer bloßen Generalrevision dürfte die derzeit verfügbare Materialbasis trotz einer imponierenden Vielzahl von Einzelvorschlägen 739 weniger breit sein als teilweise angenommen.740 Die bisher aus der Wissenschaft stammenden oder amtliche Reformbemühungen wiedergehenden Teilentwürfe 741 sind nicht selten retrospektiv, oder sie verengen sich auf eher schmale Problembereiche, die mit einer Gesamtreform wenig zu tun haben. Die Auffassung, ein zentrales Reformziel sei die Anpassung an die Wandlungen im materiellen Strafrecht,742 erscheint nicht mehr aktuell und erschöpft jedenfalls die gegenwärtige Problematik nicht. Größere Gesamtkonzeptionen, wie sie etwa von Rieß 743, Wolter 744 und Schünemann 745 vorgestellt worden sind, sind bisher in der Wissenschaft und in der rechtspolitisch interessierten Öffentlichkeit noch nicht ausreichend diskutiert worden und deshalb schwer einschätzbar; ob sie aktuelle Bedürfnisse der Strafrechtspraxis befrieden können, erscheint zweifelhaft. Tendenziell laufen namentlich die neueren Konzeptionen auf einen tiefgreifenden 197 Paradigmawechsel insoweit hinaus, als eine gesteigerte Bedeutung des Ermittlungsverfahrens in den Mittelpunkt der Überlegungen gestellt wird;746 dieses – und nicht mehr die Hauptverhandlung 747 – sei das Kernstück und der Höhepunkt des Strafverfahrens.748 Über die daraus zu ziehenden Konsequenzen bestehen freilich erhebliche 736 737 738 739

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Nachw. in der 23. Aufl. Einl. 13 14 ff. So z.B. Engelhard FS Rebmann 52; Rieß FS Schäfer 186 ff. So z.B. Schünemann FS Pfeiffer 468 ff.; Wolter (Aspekte) 13 ff. Vgl. die Nachw. bei Rieß FS Schäfer 167; ZStW 95 (1983) 534 f.; umfassend Wolter (Aspekte). So etwa Engelhard FS Rebmann 54 ff. m. ausf. Nachw. S. oben Rn. 91, 109, 135; Nachw. auch bei Engelhard FS Rebmann 54 ff. (auch zur Rechtstatsachenforschung und zur Rechtsvergleichung); Rieß ZStW 95 (1983) 535. So z.B. AK/Schreiber Einl. I 20; zweifelnd u.a. Engelhard FS Rebmann 51 Fn. 30. FS Schäfer 153 ff.; die aus dem Jahre 1979 stammenden Überlegungen dürften heute nicht mehr in allen Argumenten und Gedanken aktuell sein.

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Aspekte und GA 1985 48 ff. FS Pfeiffer 461 ff. So z.B. Engelhard FS Rebmann 58; Egon Müller FS Koch 191 f.; Rieß FS Lackner 985 ff.; Weigend ZStW 104 (1992) 504 f.; Wolter (Aspekte) 35; Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im DAV, AnwBl. 1986 50 ff.; neuerdings wohl auch Roxin FS Jauch 190 ff.; zusammenfassend Dedy Ansätze einer Reform des Ermittlungsverfahrens (2006). So aber noch Roxin § 72, 26; Roxin FS Schmidt-Leichner 145; sowie der AE/Hauptverhandlung ; Landau ZRP 2004 146 ff.; dagegen Rieß FS Lackner 981 ff.; Wolter (Aspekte) 35. SK/Wolter Vor § 151, 80; Wolter (Aspekte) 35; Jahn NJ 2005 106 f.

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Meinungsverschiedenheiten. Ferner wird in unterschiedlicher Form der Einbau konsensualer Elemente in das Verfahren zur Diskussion gestellt.749 Im Zentrum der neuen Ansätze stehen ferner Überlegungen zu einer grundsätzlichen Neukonstituierung der Eingriffsbefugnisse im Strafprozess,750 aber auch insgesamt die Frage nach dem Stellenwert und Leistungsfähigkeit des Prinzips der materiellen Wahrheit.751 Eine in absehbarer Zeit zu realisierende Gesamtreform dürfte unter den gegenwärti198 gen Rahmenbedingungen kaum erreichbar sein. Sie ist aber darüber hinaus auch nicht wünschenswert. Es mag zwar noch ein erreichbares Ziel sein, in einer Art redaktioneller Gesamtrevision das gegenwärtige Strafverfahrensrecht sprachlich, systematisch und dogmatisch neu zu ordnen und zu vereinfachen. Doch ist auch insoweit zu erwarten, dass schon hierbei zahlreiche Grundsatzfragen aufgeworfen werden, die derzeit nicht konsensfähig beantwortet werden können. Es ist ferner nicht anzunehmen, dass die politisch verantwortlichen Kräfte bereit sind, unter längerfristigem Verzicht auf weitere kleinräumige Gesetzgebungsmaßnahmen ein größeres Projekt dieser Art zu ermöglichen, und es ist auch zweifelhaft, dass es zu einem Ergebnis führen könnte. Dies gilt erst recht für die Konzeption einer umfassenden Erneuerung des Strafver199 fahrensrechts, wie sie teilweise im Schrifttum zur Diskussion gestellt wird. Ein Reformprojekt dieser Art setzt generell eine „kodifikationsfreundliche“ Grundhaltung der Gesellschaft voraus, die aus mancherlei Gründen in der gegenwärtigen, mehr problemorientierten und kodifikationsübergreifenden Gesetzgebungsmethode752 nicht gesichert erscheint. Sie erfordert wohl ferner eine Art „Leidensdruck“ dahingehend, dass das vorhandene System als überlebt angesehen wird, und schließlich damit verbunden einen breiten, auch gesellschaftlichen Konsens über die Grundwerte eines neu zu entwickelnden Prozessmodells, also insgesamt eine breite, grundsätzliche Reformbereitschaft auf der Basis gemeinsamer Wertvorstellungen. Bei der Einführung des reformierten Strafprozesses in der Mitte des vorigen Jahrhunderts waren diese Voraussetzungen gegeben.753 Dass sie derzeit vorhanden sind, ist zu bezweifeln; die hochkomplizierten, fast technokratischen Vorstellungen und Entwürfe in der Fachwissenschaft dürften dazu jedenfalls nicht ausreichend beitragen. Fast noch bedeutsamer als die vorerwähnten Erwägungen gegen eine auch nur mittel200 fristig zu realisierende Gesamtreform des Strafverfahrensrechts ist die europäische Perspektive, die in weitgehend noch unterschätzter Weise direkten und indirekten Einfluss auf das nationale Strafverfahrensrecht nimmt, vgl. ausführlich dazu oben bei D. Durch die Rechtsprechung von EGMR und EuGH wird nicht nur nationales Strafprozessrecht im Detail korrigiert und ergänzt. Auch fremde Elemente aus anderen nationalen Verfahrensmodellen finden auf diese Weise Eingang in unser System, Rn. D Rn. 33 ff. Zudem bestimmen vermehrt EU Vorgaben trotz grundsätzlich nicht vorhandener Kompetenz für strafrechtliche Angelegenheiten, Rn. D 36 ff. Details und Strukturen auch des Strafverfahrensrechts. Dies geschieht nicht nur – wie in der Vergangenheit überwiegend – durch grundsätzlich nicht verbindliche Rahmenbeschlüsse, die allerdings nach der neuesten Rechtsprechung des EuGH 754 unmittelbar selbst dann in die nationale Rechtsprechung

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Vgl. u.a. Roxin FS Jauch 194; Wolter (Aspekte) 19 f., 80 ff.; kritisch Weigend ZStW 104 (1992) 499 ff.; Jahn NJ 2005 106. Dazu u.a. ausführlich m.w.N. Wolter (Aspekte) 20 ff.; ferner etwa Taschke StV 1993 198 ff.; Haller DRiZ 2004 184.

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Schünemann FS Pfeiffer 474 ff.; ders. StV 1998 391; vgl. auch Rieß NStZ 1994 414; Ling JZ 1999 335. Vgl. oben Rn. 134, 146. Vgl. Eb. Schmidt (Geschichte) §§ 284 ff. Entscheidung Pupino in NJW 2005 2839 m. Anm. Tinkl StV 2006 36.

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einfließen müssen, wenn sie nicht national umgesetzt worden sind. Auch Richtlinien als bindende Instrumente des EU Rechts werden vermehrt genutzt. So etwa zum Jahreswechsel 2005/2006 die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung bei der Telekommunikation.755 Jede wissenschaftliche wie rechtspolitische Diskussion über ein neues Prozessmodell der Zukunft hat mit diesen Einflüssen zu rechnen, ohne sie kalkulieren zu können. Und schließlich muss auch die Rechtsprechung des EGMR berücksichtigt werden, vgl. Rn. D 46 ff., die verstärkt auch in Details nationaler Strafverfahrensrechte eingreift. 3. Ausblick a) Allgemeines. Nach alledem ist es weder möglich noch sinnvoll, einen Ausblick in 201 Bezug auf eine nicht allzu ferne Gesamtreform des Strafverfahrensrechts zu unternehmen. Dennoch gibt es eine nicht unerhebliche Anzahl von Struktur- und Detailproblemen, die einer baldigen Lösung harren Das nach unserem Befund in seinen Grundlagen gefährdete Strafprozesssystem des geltenden Rechts muss in seiner Funktionsfähigkeit für einen möglichst langen Zeitraum erhalten werden. Dabei ist unter Funktionsfähigkeit sowohl seine Eignung zu verstehen, den Sanktionsanspruch der Rechtsgemeinschaft in einer hinreichenden Zahl von Fällen gleichmäßig durchzusetzen, als auch die unverbrüchliche Garantie, dass dies in einer Weise geschieht, die die Freiheit und die Menschenwürde des Einzelnen gewährleistet. Strafprozessrecht darf nicht vorrangig als Verbrechensbekämpfungsrecht missverstanden werden,756 was die jüngste Gesetzgebung nicht immer ausreichend beachtet. Als Konsequenzen dieses Ansatzes lassen sich beispielsweise bezeichnen: Wissenschaft 202 und rechtsfortbildende Rechtsprechung sollten eine weitere, vielfach funktionslose Überdifferenzierung bei der Auslegung des geltenden Rechts vermeiden und die Umsetzbarkeit ihrer Ergebnisse in der alltäglichen Rechtsanwendung stärker bedenken. Letzte Einzelfallgerechtigkeit ist weder für die Gesetzesauslegung noch für den Gesetzgeber ein vorrangiges Ziel. Bei dem Rückgriff auf tragende Grundsätze des überkommenen Prozessrechts, die sog. Maximen,757 ist ihr durch die legislatorische und praktische Entwicklung vielfach veränderter Stellenwert zu bedenken; nicht selten ist eine stärker funktionsbezogene als maximenbewusste Interpretation angezeigt.758 Empirisch nachweisbare Handlungsmuster praeter legem, wie etwa das Phänomen der Vereinbarung im Strafverfahren oder die zunehmende Überprüfung tatsächlicher Feststellungen durch die Revision, können Indizien dafür darstellen, dass sich die Rechtswirklichkeit notwendige Auswege aus dem Korsett vorgegebener Strukturen sucht. Deshalb kann es angezeigt sein, sie durch dogmatische und systematische Überlegungen zu konturieren und zu stützen. Die an der Praxis der Strafrechtspflege Beteiligten, insbesondere Richter, Staats- 203 anwälte und Verteidiger, sollten zu einem stärkeren Konsens über die gemeinsamen rechtlichen Grundlagen ihrer Tätigkeit zurückfinden. Das ehemals sorgfältig austarierte, mittlerweile aber durchaus zu Lasten der Verteidigung beschädigte Gleichgewicht des

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Nach der positiven wenngleich kontroversen Entscheidung des EU-Parlaments vom 14.12.2005 trat die Richtlinie am 27.12. 2005 in Kraft. Köhler ZStW 107 (1995) 45; die weitreichenden Konsequenzen des Autors aus

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diesem Ansatz sollen damit nicht ohne weiteres akzeptiert werden. Zu Ihrer Bedeutung und ihrem Stellenwert s. Rn. H 2 ff. Vgl. auch Rieß FS Schäfer 188 f.

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Prozessrechts zwischen Handlungsbefugnissen der Prozessbeteiligten, beispielsweise im Beweisantragsrecht, setzt vermehrt einen pfleglichen Umgang miteinander voraus. Konfliktstrategien um jeden Preis, von welcher Seite auch immer, können das System insgesamt gefährden. Sie begründen die Gefahr einer Überreaktion des Gesetzgebers oder einer überzogenen Inanspruchnahme von neu geschaffenen Handlungsbefugnissen. Andererseits sollte auch nicht jede Veränderung des vorhandenen Systems alsbald als rechtsstaats- und damit verfassungswidrig bewertet werden. Gleichwohl scheint der Befund unbestreitbar zu sein, dass die zunehmende Entfesselung staatlicher Gewalt im Strafverfahrensrecht und Polizeirecht – nicht im Rahmen eines grundsätzlichen Bekenntnisses, sondern implizit durch eine Vielzahl von einzelnen Änderungen – die rechtsstaatliche Balance zwischen Beschuldigtenrechten und dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse neu und deutlich zulasten der Position des Beschuldigten definiert hat Zur Besorgnis gibt die Verengung der gesetzgeberischen Handlungsbereitschaft auf 204 Maßnahmen der Verbrechensbekämpfung und der Justizentlastung Anlass. Angesichts des seit Jahrzehnten dominierenden Entlastungszieles in der jüngeren Gesetzgebung 759 und der sich regelmäßig wiederholenden „Verbrechensbekämpfungsgesetze“ 760 droht hier ein Kahlschlag an traditionellem strafverfahrensrechtlichem Bestand, der schwer akzeptabel erscheint. Es kann nicht sein, dass eine Verbesserung der Verbrechensbekämpfung allein oder überwiegend aufgrund des Abbaus von Individualrechtsgarantie, von Bürgerrechten also, unternommen wird, auch wenn dies der Verfahrenserleichterung aus Sicht der Justiz dienen mag. Der Weg in den Polizei- und Überwachungsstaat wird auf diese Weise sorgfältig gepflastert. Überdies erscheint es keineswegs ausgeschlossen, dass eine bessere Alimentierung der traditionell finanziell knapp gehaltenen Justizressorts 761 einen bedeutenden Beitrag zur Verbesserung der Verbrechensbekämpfung leisten könnte. Zudem irritiert bei alledem, dass die Forderung nach mehr Effizienz immer ohne Belege für eine mangelnde oder nicht hinreichende Effizienz des jeweils gegenwärtigen Systems der Verbrechensbekämpfung erhoben wird. Noch verwunderlicher ist, dass von Staat und Bürgern abzuwehrende Gefahren nicht mehr aus der konkreten Schadenslage, also der polizeilichen Kriminalstatistik oder zumindest einer konkretisierbaren Gefährdungslage geschlossen werden. Zur weiteren Hochrüstung von Polizei- und Strafverfahrensrecht im Namen der Effizienzsteigerung reichte in den letzten 15 Jahren allein die Spekulation über die Gefahr einer möglichen Gefährdung aus.

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b) Einzelprobleme. Zusammenfassend soll versucht werden, die wichtigsten Einzelprobleme kurz anzusprechen, die einer möglichst baldigen Lösung harren. Dabei können nach der Problembeschreibung mögliche Lösungsansätze hier nur bestenfalls angedeutet werden, um Wissenschaft, Rechtsprechung und letztlich natürlich auch den Gesetzgeber anzuregen, Überlegungen in Lösungsstrategie zu investieren. 759

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Vgl. die Zusammenstellung bei Rieß NStZ 1994 411 f. und den neuerlichen Regierungsentwurf für ein 2. Gesetz zur Entlastung der Justiz vom 17.5.2006. S. Rn. 139, 147, 153. Das Volumen der Haushaltsausgaben von Bund und Ländern liegt insgesamt in der Größenordnung von wenigen Prozenten. Vgl. den Hinweis der Bundesjustizministerin in der Bundestagsdebatte vom 29.3.1995 (Plenarprot. 13/30, S. 2166), dass die Justizausgaben aller Länder mit 16 Milliar-

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den DM nur etwa 3 % der Gesamtausgaben ausmachten. Da weder der Bundeshaushalt (Anteil der Justiz unter 0,2 %) noch die Haushalte der Kommunen nennenswerte Justizausgaben enthalten, dürfte der Größenordnung nach die gesamte Justiz die Haushalte der öffentlichen Hände insgesamt mit etwa 1 % belasten; vgl. dazu auch näher Schäfer DRiZ 1995 461 ff.; Vultejus ZRP 1997 434 f., der einen Anteil von etwa 1,5 bis 1,8 % am Gesamthaushalt von Bund und Ländern errechnet.

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Ein kaum zur Kenntnis genommenes Problem ist die Formularisierung von Entschei- 206 dungen, die keine Urteile sind. Es gibt kaum eine staatsanwaltschaftliche oder richterliche Entscheidung mehr, die nicht mithilfe eines vorgedruckten Formulars getroffen werden kann, in welches nur noch einige Textbruchstücke bei den dafür kenntlich gemachten Stellen eingesetzt werden müssen, vgl. oben Rn. C 30. In Folge dessen wird eine Tendenz gefördert, nach welcher sich die jeweiligen Entscheidenden vermehrt von einer eigentlich erforderlichen selbständigen Subsumtion der einschlägigen Vorschriften entbunden fühlen, zugunsten einer bloßen schnellen Suche nach Textergänzungen, die das Formular vervollständigen. Wenn dann noch staatsanwaltschaftliche Anträge – etwa auf Untersuchungshaft – zusammen mit den jeweiligen Entwürfen der gewünschten richterlichen Entscheidung verbunden werden,762 hat das – grundsätzlich legitime – Bemühen um Arbeitserleichterung eine Qualität angenommen, die die Funktion der richterlichen Kontrolle aushebeln und diese auf die Prüfung auf bloßem Plausibilitätsniveau reduzieren könnte. Die völlig unzureichenden Kapazitäten von Ermittlungsrichtern haben schon lange die richterliche Kontrolle im Ermittlungsverfahren auf ein Niveau sinken lassen, welches den Intentionen des Gesetzes kaum noch entspricht.763 Diese Praktiken mögen als Kompensation des Kapaziätsmangels taugen, der Erfüllung des gesetzlichen Auftrags dienen sie nicht. Der obergerichtlichen Rechtsprechung sei hier empfohlen, solche Entscheidungen verstärkt auf ihre eigenständige Subsumtion hin zu überprüfen. Wenn allzu schnell ausgefüllte Formularbeschlüsse vermehrt im Instanzenzug kritisiert und korrigiert werden, könnte das ein durchaus positiven Effekt sowohl auf die Entscheidungsfindung der Richter wie auf die Justizverwaltung haben, die sich vielleicht doch gezwungen sähe mehr Personal zur Verfügung zu stellen. Strafprozessuale Ermittlungen und die dabei hilfreichen Zwangsmaßnahmen haben 207 sich vom Grundsatz primärer Ermittlungen gegen Verdächtige weitgehend abgewandt. Eingriffe gegen Unverdächtige und Unbeteiligte gehören vermehrt zum Standard Repertoire.764 Die StPO in ihrem Bemühen möglichst erfolgreiche Techniken der Ermittlung zur Verfügung zu stellen, bezieht immer stärker Unbeteiligte, gegen die keinerlei Verdacht besteht in die Ermittlungsarbeiten ein und stelle sie so vermehrt unter Vorverdacht, der bis zur allgemeinen Vorverdächtigung eines jeden Bürgers führen kann und damit die Aufgabe der Strafverfolgung, Bürger vor Rechtseinbußen zu schützen umkehrt, indem in jedem Bürger ein potentieller Straftäter gesehen wird, gegen den ermittelt werden kann und muss. Diese Entwicklung hat mit der Einführung des § 111 (Kontrollstellen) begonnen, ist weitergeführt worden durch die sog. Schleppnetzfahndung des § 163 d, die dann in die Rasterfahndung der §§ 98 a ff. führte und in der Verpflichtung von Unverdächtigen zur Abgabe von DNA Proben zu Identifizierungszwecken,765 § 81h StPO, ihr vorläufiges

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Asbrock KritV 1997 260. Köster der Rechtsschutz gegen die vom Ermittlungsrichter angeordneten und erledigten Grundrechtseingriffe (1992); Schnarr NStZ 1998 17; E. Müller Anwaltsblatt 1992, 351; Satzger NJW 2004 Beilage zu Heft 27/2004 17 ff. Schon Kühne Grenzen staatlicher Eingriffsbefugnisse in Individualrechte bei der Kriminalitätsbekämpfung in Kühne/Miyazawa (Hrsg.) Neue Strafrechtsentwicklungen im deutsch-japanischen Vergleich (1995) S. 153 (155 ff.).

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§ 81h sieht zwar die Freiwilligkeit der Probenabgabe vor, worauf auch ausdrücklich hinzuweisen ist; allerdings wird die Ablehnung der „freiwilligen Abgabe“ als verdachtsbegründendes Moment interpretiert, welches dann die zwangsweise Abnahme nach § 81g begründet. In ihren Hinweisschreiben machen die Staatsanwaltschaften mitunter sogar schon auf diese Konsequenz aufmerksam, wodurch der Vorbehalt der Freiwilligkeit gänzlich ad absurdum geführt wird.

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Ende gefunden hat. Das in den 90iger Jahren in alle Polizeigesetzen der Länder eingeführte Instrument der Vorfeldermittlung hat nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts 766 (auch) eine strafprozessuale Qualität und macht überdeutlich, dass zumindest in Hinblick auf Einschränkungen des Verfassungsrechts auf informationelle Selbstbestimmung schon heute jeder Bürger vorverdächtig und taugliches Objekt strafprozessualer Ermittlungen im Vorfeld eines noch nicht bestehenden Verdachts ist. Eine solche Haltung führt geradewegs in den fürsorglich totalitären Polizeistaat, auch wenn das Bundesverfassungsgericht insofern offenbar keine Bedenken hat. Die Überbetonung des staatlichen Interesses an strafrechtlicher Rechtsdurchsetzung 208 insbesondere unter Berufung zunächst auf die Organisierte Kriminalität, dann auf den islamistischen Terrorismus, haben zu verschiedenen letztlich verfahrensfremdem Folgen geführt, von denen die wichtigsten die folgenden vier sind: • Steigende Kooperation und Loyalität zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht haben zu einer dysfunktionalen Polarisierung zwischen diesen beiden professionellen Rollenträgern und der Verteidigung geführt. Dadurch wird die triadische Grundstruktur des Strafverfahrens 767 zerstört und das austarierte Kräftefeld zwischen Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht im Verfahren korrumpiert. Die überwiegende Praxis der Länder, Bewerber erst als Staatsanwälte zu berufen und ihnen dann später die richterliche Tätigkeit zu ermöglichen, trägt zu der verfahrensrechtlich falschen Loyalität zwischen Staatsanwälten und Richtern bei; • Verteidiger- und Beschuldigtenrechte halten nicht Schritt mit den erweiterten Eingriffsbefugnissen durch strafprozessuale Zwangsmaßnahmen. Vielmehr wird die ohnehin schon allzu starke Bedeutung des Ermittlungsverfahrens weiter vergrößert, ohne entsprechende Berechtigungen für Beschuldigte/Verteidiger zu schaffen. Der mögliche Einfluss des Beschuldigten auf das mitunter alles vorentscheidende Ermittlungsverfahren 768 verringert sich dadurch beständig; • vermehrte „Verpolizeilichung“ des Strafverfahrens mit Übernahme von Instrumenten, die ihrer Natur nach den geheimdienstlichen Tätigkeiten entstammen. Die Diskussion um die Verbindlichkeit des sog. Trennungsgebots, also der Trennung zwischen polizeilicher und geheimdienstlicher Tätigkeit,769 wird dadurch in großen Teilen obsolet.

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Nur vordergründig aus Gründen chronischer Überlastung der Justiz haben sich eine Fülle von formellen und informellen verfahrensvereinfachenden Techniken 770 etabliert, die auf der Basis von oft fragwürdiger Freiwilligkeit auf Seiten des Beschuldigten im offiziellen Konsens aller Verfahrensbeteiligter gewählt werden. Diese Verkürzungen treffen und beschränken sowohl die verfahrensrechtlichen Garantien wie auch den Grundsatz der Wahrheitsfindung im Rahmen des Instruktionsprinzips. Darüber hinaus fügen sie mit der zumindest offiziell hochgehaltenen Voraussetzung der Wahlfreiheit, sich auf solche Vereinfachungen einzulassen, ein neues und fremdes Element in das überkommene Strafverfahrensrecht ein. Die Verfahrensform und damit notwendig auch das Verfahrensergebnis werden verhandelbar. Trotz mannigfaltiger und mitunter verzweifelt anmutender Bemühungen des BGH,771 zum Einzelproblem der prozessualen Absprachen Konturen zu

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BVerfG NJW 2005 3131 f. Kühne Rn. 173. Ignor/Matt StV 2002 102 (105); Meier GA 2004 441 ff.; Dedy (2006) passim. Kühne Rn. 377; Kutscha NVwZ 2005 1231 ff.

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Näher Rn G 32 ff. Zuletzt die Entscheidung des Großen Senats in StV 2005 311; näher hierzu Rn. G 58 ff.

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schaffen und Grenzen zu setzen, fehlt es an einem grundsätzlichen Konsens darüber, wie weit und auf welche Weise solche Elemente ihren Platz im deutschen Strafverfahrensrecht finden können.772 Der Gesetzgeber ist hier gefordert. Gleiches gilt für den dogmatisch und rechtspolitisch völlig verwilderten Bereich der Opportunitätsausübung. Andererseits wird das Zwischenverfahren nicht hinreichend genutzt, um die ihm eigentlich zugedachte Filterfunktion wahrzunehmen 773 und damit die Effiziens des Verfahrens zu erhöhen. Die vermehrte Berücksichtigung von Opferinteressen im Strafverfahren ist grundsätz- 210 lich geeignet, das Opfer wieder zum Prozessbeteiligten zu machen und ihn damit in den friedensstiftenden Vorgang des Verfahrens wieder mit einzubeziehen. Allerdings darf nicht verkannt werden, dass die Unschuldsvermutung zugunsten des Beschuldigten auf diese Weise schnell in Gefahr gerät. Allein schon die Einführung des Terminus „Opfer“ in das Verfahren ist insofern bedenklich, als damit die Vermutung impliziert wird, es habe eine strafrechtliche relevante Viktimisierung gegeben, und der Beschuldigte sei dafür verantwortlich. Aber genau das soll erst im Verfahren unter dem Schutz der Unschuldsvermutung festgestellt werden. Weitere fürsorglich gemeinte gesetzgeberische Aktivitäten auf diesem Gebiet sollten unter diesem Gesichtspunkt mit äußerster Vorsicht betrieben werden. Die Klärung verschiedener Fragen mit europäischem Bezug steht noch aus. Zunächst 211 einmal ist die europäische Diskussion, die zu einer Vielzahl von Rahmenbeschlüssen mit strafprozessualem Gehalt geführt hat,774 in die deutsche Diskussion von vornherein mit einzubringen, um Überraschungen etwa in Gestalt von dramatischen Korrekturen durch das Bundesverfassungsgericht zu vermeiden, wie etwa in Hinblick auf den Europäischen Haftbefehl geschehen.775 Dies erscheint besonders dringend, da schon jetzt wieder etliche Rahmenbeschlüsse zur Verabschiedung anstehen, wie etwa der besonders wichtige über die Europäische Beweisanordnung, vgl. näher Rn. D 136 ff., der über Verfahrensrechte innerhalb der EU 776 oder aber die Pläne zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft, näher Rn. D 31 ff. Wichtig ist dies auch deshalb, weil die aus Europa kommenden Vorschläge in der Regel die Stärkung der Effizienz der Strafverfolgung auf ihrem Banner tragen, ohne sich allzu große Gedanken darüber zu machen, was denn mit den prozessualen Garantien des Beschuldigten und der unbeteiligten, aber durch Verfolgungsmaßnahmen beeinträchtigten Dritten geschieht.777 Da es sehr viel schwieriger ist EU-stämmiges Recht zu korrigieren als originär deutsches, muss hier sehr viel stärker am Vorbereitungs- und Findungsprozess solcher europäischen Texte partizipiert werden. Während die Bedeutung und Folgewirkung von Entscheidungen des EuGH geklärt scheint, vgl. Rn. D 94, – ohne damit ein Urteil über die jeweilige Kompatibilität dieser Entscheidungen mit nationalen Recht abzugeben – ist dies für Divergenzen von Entscheidungen des EGMR mit Urteilen deutscher Gerichte, insbesondere aber mit denen des Bundesverfassungsgerichts, noch weitestgehend unklar, näher Rn. D 81 ff. Da hier jen-

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Siehe aber den Vorschlag einer gesetzlichen Regelung der Urteilsabsprache im Strafverfahren, vorgelegt vom Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer ZRP 2005 235. Ignor/Matt StV 2002 102 (104); Kühne 621 ff. Näher Rn. D 14 f. BVerfG in NJW 2005 2289; s. auch Rn. D 109.

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V. 28.4.2004 – KOM (2004) 328; dazu und zur deutschen diesbzgl. Diskussion Ahlbrecht JR 2005 400. Das versucht der – 2004 vorgelegte und noch reichlich rudimentäre – „Alternativentwurf Europäische Strafverfolgung“ zu kompensieren, Schünemann (Hrsg.).

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seits der strafverfahrensrechtlichen Fragen wichtigste staatsrechtliche Probleme betroffen sind, ist nicht zu erwarten, dass der Gesetzgeber in absehbarer Zeit helfend eingreift. Es bleibt daher nur zu hoffen, dass sich EGMR und BVerfG in ihrer Rechtsprechung trotz jeweiligen Anspruchs letztinstanzlicher und damit absoluter Zuständigkeit an einer dogmatisch vertretbaren Stelle treffen, die die Autorität beider Gerichtshöfe erhält und aus ihrem Zusammenwirken vermehrten Gewinn für die Gesellschaft und ihre Rechtssysteme bescheren.

G. Struktur des Verfahrensrechts Schrifttum: Allgemeines. Albrecht Vom Unheil der Reformbemühungen im Strafverfahren, StV 2001 416; Amelung Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsguts (1981); Archbold Criminal Pleading; Evidence and Practice (1997); Beneke Das falsche Geständnis als Fehlerquelle im Strafverfahren unter kriminologischen, speziell kriminal-psychologischen Aspekten (1990); Beulke Strafbarkeit des Verteidigers (1989); Bogner Absprachen im Deutschen und Italienischen Strafprozessrecht (2000); Bohlander Zur Reform des englischen Strafverfahrens – Der Bericht des Royals Commission on Criminal Justice, ZStW 106 (1994) 448; Braun Die Absprache im deutschen Strafverfahren (1998); Dünnebier Zum Begriff des Verfahrens, FS Schäfer (1987) 27; Eisenberg Beweisrecht der StPO (2006); Fezer Vereinfachte Verfahren im Strafprozeß, ZStW 106 (1994) 1; Finkelstein/Fairley Harvard Law Review 83 (1970) 489, A Bayesian approach to identification of evidence.; Gerding Trial by Jury. Bewährung des englischen und des US amerikanischen Jury Systems (2006); Grube Richter ohne Robe. Laienrichter in Strafsachen im deutschen und anglo-amerikanischen Rechtskreis (2005); Hadding Schwurgerichte in Deutschland. Der Schwurgerichtsgedanke seit 1848 (1974); Heinz Die Staatsanwaltschaft. Selektions- und Sanktionsinstanz im statistischen Graufeld, FS Kaiser (1991) 85 ff.; Kühne Der Wert von Verfahrensgarantien in der prozessualen Praxis. Ein europäisch rechtsvergleichender Beitrag zur partiellen Anwendung von Strafverfahrensrecht, FS Androulakis (2004) 935; ders. Wer mißbraucht den Strafprozeß? StV 1996 684; Kunert Strafprozessuale Beweisprinzipien im Wechselspiel, GA 1979 401; Mosbacher Aktuelles Strafprozessrecht, JuS 2004 974; Müller Mathematik in der strafprozessualen Beweiswürdigung, FS Rolinski (2002) 219; Rieß Prolegomena zu einer Gesamtreform des Strafverfahrensrechts, FS Schäfer (1987) 155; ders. Die Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren, Gutachten zum 55. DJT (1984), Verh. des 55. DJT, Bd. I Teil C; Schmid Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten (1993); Schünemann Reflexionen über die Zukunft des deutschen Strafverfahrens, FS Pfeiffer (1975) 461; Sinner Der Vertragsgedanke im Strafprozessrecht (1999); Spona Laienbeteiligung im Strafverfahren (2000); Tribe Harvard Law Review 84 (1971) 1350, Trial by mathematics; Wagner Rechtliches Gehör im Ermittlungsverfahren, ZStW 109 (1997) 545; Zachariä Die Gebrechen und die Reform des deutschen Strafverfahrens (1846). Vereinbarungen. Alsberg in: Taschke (Hrsg.) Alsberg Ausgewählte Schriften (1992) Die Philosophie der Verteidigung 338; Ankermann Nach einem Verfahren platt oder Adieu/Rechtsstaat, DRiZ 1993 67; Barton (Hrsg.) Redlich, aber falsch. Die Fragwürdigkeit des Zeugenbeweises (1995) passim; Baumann Von der Grauzone zur rechtsstaatlichen Regelung, NStZ 1987 157; Beulke/ Satzger Der fehlgeschlagene Deal und seine prozessualen Folgen, JuS 1997 1072; Blankenburg/ Sessar/Steffen Die Staatsanwaltschaft im Prozeß strafrichterlicher Sozialkontrolle (1978) 275 ff.; Bode Verständigung im Strafprozeß, DRiZ 1988 281; Böttcher Absprachen im Strafverfahren? Referat auf dem 58. DJT (1990), Verh. des 58. DJT, Bd. II Teil L S. 9; Böttcher/Dahs/Widmaier Verständigung im Strafverfahren – eine Zwischenbilanz, NStZ 1993 375; Böttcher/Widmaier Absprachen im Strafprozeß? JR 1981 353; Bruns „Widerspruchsvolles“ Verhalten des Staates als neuartiges Strafverfolgungsverbot und Verfahrenshindernis, insbesondere beim tatprovozierenden Einsatz polizeilicher Lockspitzel, NStZ 1993 49, 52 ff.; Budde Vereinbarungen im italienischen Strafprozeß

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nach altem und neuem Recht, ZStW 102 (1990) 196; Bussmann/Lüdemann Rechtsbeugung oder rationale Verfahrenspraxis? Über informelle Absprachen in Wirtschaftsstrafverfahren, MSchrKrim. 1988 81; Cramer Absprachen im Strafprozeß, FS Rebmann 145; Dahs Absprachen im Strafprozeß – Chancen und Risiken, NStZ 1988 153; Damaska Der Austausch von Vorteilen im Strafverfahren: Plea Bargaining und Absprachen, StV 1988 398; Deal (Pseudonym) Der strafprozessuale Vergleich, StV 1982 545; Dencker/Hamm Der Vergleich im Strafprozeß (1988); Dielmann „Guilty Plea“ und „Plea Bargaining“ im amerikanischen Strafverfahren – Möglichkeiten für den deutschen Strafprozeß? GA 1981 558; Endriss/Kinzig Strafzumessungslösung auch bei konventionswidrigem Lockspitzeleinsatz, NStZ 2000 272; Fischer Rechtsmißbrauch und Überforderung der Strafjustiz, NStZ 1997 212 ff.; Gallandi Vertrauen im Strafprozeß – Vom fehlgeschlagenen Vergleich und der Bedeutung nichtformalisierter Regeln der Verständigung im Strafprozeß, MDR 1987 801; Gatzweiler Die Verständigung im Strafprozeß – Standortbestimmung eines Strafverteidigers, NJW 1989 1903; Generalbundesanwalt Rebmann Terrorismus und Rechtsordnung, DRiZ 1979 363; Gerlach Absprachen im Strafprozeß (1992); Güde in: Holtfort (Hrsg.) Strafverteidigung als Interessenvertretung (1979) 126; Günther Der Gesetzgeber muss notfalls Konsequenzen ziehen (Pro und Contra), DRiZ 1989 151; ders. Unzulässige Ablehnungsgesuche und ihre Bescheidung, NJW 1986 281; Haas Vereinbarungen im Strafverfahren – Ein Beitrag zur Lehre von den Prozeßhandlungen, NJW 1988 1345; Hamm Absprachen im Strafverfahren, ZRP 1990 337; Hanack Vereinbarungen im Strafprozeß, ein besseres Mittel zur Bewältigung von Großverfahren? StV 1987 500; Hassemer Pacta sunt servanda – auch im Strafprozeß? JuS 1989 890; Hassemer/Hippler Informelle Absprachen in der Praxis des deutschen Strafverfahrens, StV 1986 360; Herzog Die Stellung zum Beweisantragsrecht als Indikator autokratischer und korporatistischer Vorstellungen vom Strafverfahren, StV 1994 167; Hofmanski Absprachen im polnischen Strafverfahren, ZStW 116 (2004) 113–119; Jahn Konfliktverteidigung und Inquisitionsmaxime (1998); ders. Kann „Konfliktverteidigung“ Strafvereitelung (§ 258 StGB) sein? ZRP 1998 104; ders. Sitzungspolizei contra „Konfliktverteidigung“, NStZ 1998 389 ff.; Justizministerium Baden-Württemberg (Hrsg.) Absprachen im Strafprozeß – ein Handel mit der Gerechtigkeit? (1986); Kempf Rechtsmißbrauch im Strafprozeß, StV 1996 502 ff.; Kintzi Verständigungen im Strafrecht, JR 1990 309; ders. Verständigung im Strafverfahren – eine unendliche und spannende Geschichte, DRiZ 1992 245; Koch Absprachen im Strafprozeß, ZRP 1990 249; Kremer Absprachen zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten im Strafprozeß, Diss. Bonn 1994; Kröpil Ist eine allgemeine gesetzliche strafprozessuale Mißbrauchsklausel notwendig? ZRP 1997 10; ders. Zum Begriff des Mißbrauchs in §§ 241 Abs 1, 138a Abs 1 Nr 2 StPO, JR 1997 30; Krüger Verantwortung und Selbstbewußtsein bei der Verständigung im Strafverfahren (Pro und Contra), DRiZ 1989 150; Landau Verfahrensabsprachen im Ermittlungsverfahren, DRiZ 1995 132; Lüdemann/Bussmann Diversionschancen der Mächtigen? Eine empirische Studie über Absprachen im Strafprozeß, KrimJ 1989 54; Lüderssen Die Verständigung im Strafprozeß, StV 1990 415; Maatz Mitwirkungspflicht des Verteidigers in der Hauptverhandlung und Rügeverlust, NStZ 1992 513; Malmendier „Konfliktverteidigung“ – ein neues Prozeßhindernis? NJW 1997 228 ff.; Massaro Das amerikanische Plea-Bargainig-System: Staatsanwaltschaftliches Ermessen bei der Strafverfolgung, StV 1989 454; Meyer Strafbarkeit eines durch polizeiliche Lockspitzel provozierten Verhaltens, NStZ 1985 134; Möhlmann Vereinbarungen im Strafverfahren – Rechtliche Möglichkeiten kooperativer Verfahrensbewältigung, DRiZ 1990 201; Nestler-Tremel Der Handel um die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, DRiZ 1988 288; ders. Der deal aus der Perspektive des Beschuldigten, KritJ 1989 448; Niemöller Absprachen im Strafprozeß, StV 1990 34; Nüsse Verfahrensbeschleunigung ohne Beeinträchtigung der Verteidigung aus der Sicht eines Richters, StraFO 1996 34; Rex Verständigung im Strafverfahren, DRiZ 1991 31; Renzo Absprachen im italienischen Strafverfahren, ZStW 116 (2004) 120; Rönnau Die Absprache im Strafprozeß (1990); Rönnau Die neue Verbindlichkeit bei den strafprozessualen Absprachen, wistra 1998 49; Rückel Verteidigertaktik bei Verständigungen und Vereinbarungen im Strafverfahren, NStZ 1987 297; Rudolphi Strafprozeß im Umbruch, ZRP 1976 165 (168, 172); Rüping/Dornseifer Dysfunktionales Verhalten im Prozeß, JZ 1977 417 ff.; Rüping Der Mißbrauchsgedanke im Strafprozeßrecht und sein Missbrauch, JZ 1997 868 f.; ders. Die Mitverantwortung des Staates als Strafverfolgungshindernis (1987); Schaefer Alarmzeichen für die Strafverteidiger, NJW 1995 1723; Schäfer, Gerhard Absprachen im Strafverfahren? Referat auf dem 58. DJT (1990), Verh. des 58. DJT, Bd. II Teil L S 48; Schäfer, Herbert Rechtsgespräch und Verständigung im Strafprozeß, DRiZ 1989 294; Scheffler Gedanken zur Rechts-

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Einl. Abschn. G

Einleitung

beugung, NStZ 1996 67 ff.; ders. Die Entziehung des Beweisantragsrechts, JR 1993 170, 173; Schellenberg Verfahrensabsprache, Öffentlichkeitsgebot und Medieninformationsrechte, DRiZ 1996 280; Schlüchter Zur Relativierung der gerichtlichen Aufklärungspflicht durch Verständigung im Strafverfahren, FS Spendel 737; Schmid Die Verwirkung von Verfahrensrügen im Strafprozeß (1966); Schmidt-Hieber Vereinbarungen im Strafverfahren, NJW 1982 1017; ders. Verständigung im Strafverfahren (1986); ders. Der strafprozessuale „Vergleich“ – eine illegale Kungelei? StV 1986 355; ders. Die gescheiterte Verständigung, NStZ 1988 302; ders. Absprachen im Strafprozeß – Rechtsbeugung und Klassenjustiz? DRiZ 1990 321; Schumann Der Handel mit Gerechtigkeit (1977); Schünemann Prozeßrechtliche Vorgaben für die Kommunikation im Strafprozeß in: Absprache im Strafprozeß – ein Handel mit der Gerechtigkeit? Triberger Symposion 1986, 23; ders. Die Verständigung im Strafprozeß – Wunderwaffe oder Bankrotterklärung der Verteidigung, NJW 1989 1895; ders. Informelle Absprachen und Vertrauensschutz im Strafverfahren, JZ 1989 984; ders. Absprachen im Strafverfahren? Grundlagen, Gegenstände und Grenzen, Gutachten zum 58. DJT (1990), Verh. des 58. DJT, Bd. I Teil C (Gutachten); ders. Die informellen Absprachen als Überlebenskrise des deutschen Strafverfahrens, FS Baumann 361; ders. Wetterzeichen einer untergehenden Strafprozeßkultur – Wider die falschen Propheten des Abspracheelysiums, StV 1993 657; Seier Der strafprozessuale Vergleich im Lichte des § 136a StPO, JZ 1988 683; Siolek Verständigung im Strafverfahren – eine verfassungswidrige Praxis? DRiZ 1989 321; ders. Neues zum Thema „Verständigung im Strafverfahren“, DRiZ 1993 422; ders. Verständigung in der Hauptverhandlung (1993); Terhorst Informelle Absprache im Strafprozeß, DRiZ 1988 296; Vogel Strafverfahrensrecht und Terrorismus, eine Bilanz, NJW 1978 1223; Wagner/Rönnau Die Absprachen im Strafprozeß – Ein Beitrag zur Gesamtreform des Strafverfahrens mit Gesetzesvorschlägen, GA 1990 387; Wassermann Von der Schwierigkeit, Strafverfahren in angemessener Zeit durch Urteil abzuschließen, NJW 1994 1106; Weber Der Missbrauch prozessualer Rechte im Strafverfahren, GA 1975 295 ff.; Weigend Strafzumessung durch die Parteien – Das Verfahren des Plea Bargainig im amerikanischen Recht, ZStW 94 (1982) 200; ders. Abgesprochene Gerechtigkeit, JZ 1990 774; ders. Absprachen in ausländischen Strafverfahren (1990); Wesemann/Müller Das gem § 136a Abs 3 StPO unverwertbare Geständnis und seine Bedeutung im Rahmen der Strafzumessung, StraFo 1998 113 ff.; Widmaier Der strafprozessuale Vergleich, StV 1986 357; ders. Absprachen im Strafverfahren? Referat auf dem 58. DJT (1990), Verh. des 58. DJT, Bd. II Teil L S. 33; Wolfslast Absprachen im Strafprozeß, NStZ 1990 409; Zierl Der Vergleich im Strafverfahren – Oder „tausche Geständnis gegen Bewährung“, AnwBl. 1985 509; Zschockelt Die Urteilsabsprache in der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH, NStZ 1991 305; ders. Der Richter ist kein Handelspartner, FS Salger 435.

Übersicht Rn. I. Aufbau und Ablauf des Verfahrens 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erkenntnisverfahren und Vollstreckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 3. Struktur des Erkenntnisverfahrens . . 4. Trichtermodell des Erkenntnisverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . II. Das deutsche Prozessmodell im Spiegel europäischer Konkurrenzmodelle 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . 2. Das deutsche Prozessmodell a) Strukturelemente im vollständigen Verfahren . . . . . . . . . . . . b) Besondere Verfahrensformen . . . 3. Andere Verfahrensmodelle in europäischen Nachbarstaaten . . . . . .

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. .

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III. Das vollständige Verfahren als Ausnahme im deutschen und dem Strafprozessrecht der europäischen Nachbarstaaten

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1

Rn. 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . 2. Verkürzte Verfahren als Regelverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vom Gesetz vorgesehene vereinfachte Verfahren . . . . . . . . . . b) Formelle Diversionsstrategien zur Vermeidung der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Formelle Strategien zur Vereinfachung des Verfahrens insbesondere der Beweisaufnahme in der Hauptverhandung (Absprachen) . . . . . d) Informelle Strategien der Vereinfachung der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung . . . . . . . . . 3. Das Dilemma: Wie viel Prozessrecht kann/muss die Praxis gewähren? . . . 4. Überlegungen zur Begrenzung der partiellen Anwendung des Strafverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Struktur des Verfahrensrechts

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I. Aufbau und Ablauf des Verfahrens 1. Überblick Wenn man das Strafverfahren und die sich in ihm vollziehenden Abläufe umfassend 1 versteht, also den Zeitraum vom ersten Auftauchen eines Verdachts bis zur endgültigen Erledigung einer etwa verhängten Sanktion berücksichtigt, so wird deutlich, dass es sich um einen komplexen Geschehensablauf handelt, der zum besseren Verständnis der Strukturierung bedarf, bei der mehrere Abschnitte zu unterscheiden sind. Sie stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern sind aufeinander bezogen. Sie haben verschiedene Funktionen, unterliegen teilweise unterschiedlichen Prinzipien und liegen in der Verantwortung verschiedener Behörden. Während die Entscheidung über die Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion (Strafe oder Maßnahme) stets als ein Akt der Rechtsprechung dem Richter vorbehalten ist, gehören andere, insbesondere die richterliche Entscheidung vorbereitende oder ihrer Vollstreckung dienende Maßnahmen zum Teil der Justizverwaltung an.1 Der Übergang zwischen den einzelnen Abschnitten ist vielfach (mehr oder minder) formalisiert. Zu den ihn bewirkenden Prozesshandlungen, die oft als „Prozessvoraussetzungen“ des nächsten Verfahrensabschnitts erscheinen, gehören beispielsweise die Erhebung der öffentlichen Klage, der Eröffnungsbeschluss, der Erlass des Urteils oder die Rechtskraft. Mit ihnen verbunden ist häufig der Übergang der Verfahrensherrschaft und der Zuständigkeit auf ein anderes Organ der Strafrechtspflege. Neben den in der StPO als Hauptfall geregelten regelmäßigen Verfahrensablauf treten eine Reihe von besonderen Verfahrensarten und Verfahrensformen von teilweise quantitativ beträchtlicher Bedeutung.2 2. Erkenntnisverfahren und Vollstreckungsverfahren Verbreitet ist die Unterscheidung des Strafverfahrens in zwei Hauptabschnitte, das 2 Erkenntnisverfahren und das Vollstreckungsverfahren.3 Ersteres ist auf die Klärung der Frage gerichtet, ob die Voraussetzungen für die Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion gegeben sind und wie sie zu bemessen ist. Letzteres hat die Durchsetzung oder Verwirklichung dieser Sanktion zum Gegenstand. Die Zäsur zwischen beiden Abschnitten bildet grundsätzlich die Rechtskraft des verurteilenden Erkenntnisses. Jedoch hat die neuere Rechtsentwicklung dazu geführt, dass auch nach der Rechtskraft der Entscheidung in verstärktem Umfang in einem Nachverfahren Entscheidungen zu treffen sind, die (auch soweit sie in den §§ 449 ff. StPO geregelt sind) nicht Vollstreckung im herkömmlichen Sinne darstellen, sondern die ggf. zu vollstreckende Sanktion erst konkretisieren, wie beispielsweise in den Fällen der Strafaussetzung oder der Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung oder des Widerrufs.4 Umgekehrt kennt das Gesetz heute im Erkenntnisverfahren eine Reihe von Maßnahmen, die nicht der Klärung des Sachverhaltes dienen, sondern vollstreckungssichernden Charakter haben 5 und damit funktionell dem Vollstreckungsverfahren zugeordnet werden könnten.

1 2 3 4

Vgl. auch Rn. C 29. Näher unten Rn. 18 ff. So z.B. Roxin § 5, 2; ähnlich u.a. Beling 80; Krey II 1; Schlüchter 1. Dazu ausführlich Dünnebier FS Schäfer

5

33 ff.; vgl. auch zu den gewandelten Aufgaben der Strafvollstreckung KK/Pfeiffer Einl. 54; Peters 525. So z.B. §§ 111b, 111o, 111p, 132, 440 StPO.

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Einleitung

3. Struktur des Erkenntnisverfahrens

3

In Ergänzung der verbreiteten, an der Legalordnung der StPO orientierten Differenzierung des Erkenntnisverfahrens 6 in vorbereitendes Verfahren oder Ermittlungsverfahren,7 Eröffnungs- oder Zwischenverfahren und Hauptverfahren sowie dem sich ggf. anschließenden Rechtsmittelverfahren lässt sich funktionell im Erkenntnisverfahren ein Stoffsammlungs- oder Vorklärungsabschnitt von einem Entscheidungsabschnitt und einem Kontrollabschnitt unterscheiden. Dies beschreibt allerdings lediglich das (inhaltliche) Schwergewicht der jeweiligen Tätigkeit, kennzeichnet sie aber nicht vollständig. Dabei ist der im wesentlichen dem Ermittlungsverfahren zuzurechnende Stoffsammlungsabschnitt idealtypisch auf Verdachtsklärung, der in erster Linie dem Hauptverfahren zuzurechnende Entscheidungsabschnitt auf Überzeugungsgewinnung 8 und der das Rechtsmittelverfahren umfassende Kontrollabschnitt auf Richtigkeitskontrolle ausgerichtet. Im Normalverfahren (zu den verkürzenden Variationen vgl. unten bei III, Rn. 32 ff.) folgt aus den Grundsätzen der Unmittelbarkeit, Mündlichkeit und Amtsaufklärung, dass das entscheidende Gericht in dem Hauptverfahren die abschließende Stoffsammlung selbst vorzunehmen hat.9 Aus rechtsstaatlichen Gründen kann ein Schuldspruch nur ausgesprochen und eine 4 strafrechtliche Sanktion nur verhängt werden, wenn dies auf richterlicher Überzeugung beruht, die in streng justizförmiger Weise gewonnen ist. Dies ist regelmäßig einer gerichtlichen Kontrolle durch ein Rechtsmittelverfahren zugänglich. Der Beginn des Strafverfahrens mit dem Ziel der Verdachtsklärung ist an weniger strenge Voraussetzungen geknüpft; es genügen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO, um die Strafverfolgungsbefugnis und regelmäßig die Strafverfolgungspflicht der Staatsanwaltschaft und der Polizei auszulösen;10 sie sind aber grundsätzlich auch eine Voraussetzung hierfür.11 Je weiter sich jedoch das Strafverfahren entwickelt oder je intensiver die Eingriffe in grundrechtlich geschützte Bereiche sind, umso gewichtiger müssen die Verdachtsgründe sein und umso förmlicher ist der Verfahrensweg, um die Fortführung des Verfahrens und seine Fortsetzung in einem anderen Verfahrensabschnitt zu rechtfertigen. Daraus erklärt sich, dass das Gesetz vielfach Möglichkeiten vorsieht, ein Strafverfahren vor dem Erlass eines gerichtlichen Urteils zu beenden und den Beschuldigten folgenlos aus dem Verfahren zu entlassen, wenn nicht erwartet werden kann, dass es zu einem Schuldspruch und zur Verhängung einer Sanktion kommt oder wenn dies zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens nicht geboten ist. 4. Trichtermodell des Erkenntnisverfahrens

5

Diese strukturellen Eigenarten gestatten es, das Erkenntnisverfahren des Strafprozesses auch als ein System aufeinander folgender Selektionsmechanismen zu interpretieren, in dem eine immer kleinere Zahl von ursprünglich Tatverdächtigen bei zunehmender Verurteilungswahrscheinlichkeit in stärker formalisierte und mit größeren rechtsstaat-

6

7 8

Vgl. dazu etwa KK/Pfeiffer Einl. 33; Roxin § 5; Meyer-Goßner Einl. 58 ff.; Beulke 2; Ranft 22, 25; Kühne 170; aus dem älteren Schrifttum u.a. Beling 80; Gerland 156; Henkel 95; von Hippel 4 f. Zur Bezeichnung näher die Erl. Vor § 151. Zum Begriff der Überzeugung näher die Erl. zu § 261 StPO.

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Dazu näher unten Rn. I 3 ff., 53 ff. S. näher zur Funktion und zum Inhalt des sog. „Anfangsverdachts“ wie zum Verdacht insgesamt unten bei I 43 ff. S. die Erl. zu § 152 sowie (zur Problematik der sog. Vorfeldermittlungen) Vor § 158.

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Struktur des Verfahrensrechts

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lichen Garantien versehene Verfahrensabschnitte gelangt. Dies wird etwa in den Vorschriften über die Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft (§ 170 StPO) mit der (im Normalverfahren) zusätzlichen richterlichen Prüfung der Hauptverhandlungswürdigkeit im Eröffnungsverfahren deutlich, findet seinen Niederschlag aber auch in den Einstellungsmöglichkeiten in Begrenzung des Legalitätsprinzips. Insgesamt ergibt sich hieraus ein Trichtermodell des Strafverfahrens,12 das dadurch gekennzeichnet ist, dass von der Gesamtzahl der Beschuldigten jeweils nur eine Teilmenge in den folgenden Verfahrensabschnitt gelangt. Damit wird dem berechtigten Interesse des Beschuldigten Rechnung getragen, mög- 6 lichst früh folgenlos aus dem Verfahren entlassen zu werden. Gleichsam als Reflex hieraus und auch durch die Schaffung besonderer, vereinfachter Verfahrensarten 13 ergibt sich auch ein weniger rechtlich relevanter als vielmehr budgetär pragmatischer Beitrag zur Unterstützung der Funktionsfähigkeit einer rechtsstaatlichen Strafrechtspflege. Denn die Reduzierung der Zahl der Verfahren in späteren Verfahrensabschnitten ist angesichts der unvermeidbar begrenzten Ressourcen eine notwendige Voraussetzung dafür, dass in den verbleibenden Verfahren der Aufwand erbracht werden kann, der für die Gewinnung einer gerechten, der Wahrheit möglichst nahekommenden Entscheidung auf streng justizförmige Weise erforderlich ist. Allerdings muss davor gewarnt werden, diesen Gesichtspunkt mit der Garantiepflicht des Staates für eine rechtsstaatliche Strafrechtspflege gleichzusetzen. Letztere Pflicht besteht uneingeschränkt. Techniken der Verfahrensreduktion tragen lediglich zur sparsamen Verwendung von budgetären Ressourcen bei, rechtfertigen sich aber nicht daraus. Aus dem Vorgesagten folgt aber auch, dass für das in erster Linie der Stoffsammlung 7 und Verdachtsklärung dienende Ermittlungsverfahren nicht der gleiche Standard von Rechtsförmlichkeit und der gleiche Formalisierungsgrad gefordert werden kann wie für das auf Gewinnung einer richterlichen Überzeugung gerichtete gerichtliche Hauptverfahren; nicht alle für dieses geltenden Maximen sind für das vorbereitende Verfahren tauglich. Allerdings besteht hier für das dem deutschen Strafverfahren zugrundeliegende Prozessmodell (Rn. 8 ff.) vor allem wegen der Aktenkenntnis des erkennenden Gerichts und der Möglichkeiten der Verwendung des Akteninhalts für die gerichtliche Entscheidung ein strukturelles Dilemma, weil die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens die Hauptverhandlung und das richterliche Urteil in erheblichem Umfang beeinflussen können.14 Darüber hinaus kann nicht verkannt werden, dass die Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft, wenn sie ohne hinreichende Beteiligung der Verteidigung geschieht, die Beweislage in einer Weise vorfixieren kann, die dann in der Hauptverhandlung kaum mehr korrigierbar ist. Vor allem in komplexen Verfahren beeinträchtigt allein schon die staatsanwaltschaftliche Aussonderung von potentiell entlastenden Beweisen aus den Akten das Ausmaß der in der Hauptverhandlung möglichen Wahrheitsfindung. Deshalb ist auch in Ermittlungsverfahren eine gesicherte Rechtsposition des Beschuldigten, die ihn als Prozesssubjekt mit eigenen Handlungs- und Einwirkungsbefugnissen anerkennt, unverzichtbar; eine darauf gerichtete Reform des Ermittlungsverfahrens 15 bleibt daher gerechtfertigt.

12

Näher Rieß FS Schäfer 177 (Erledigungspyramide) mit Zahlenbeispielen; s. auch die statistischen Angaben in den Erl. zu § 170.

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Näher unten bei Rn. 32 ff. S. dazu etwa Schünemann FS Pfeiffer 476 f. S. dazu Rn. F 197 f.

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II. Das deutsche Prozessmodell im Spiegel europäischer Konkurrenzmodelle 1. Einführung

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Das deutsche Prozessmodell in seinen wesentlichen Merkmalen findet sich in den Modellen seiner europäischen Nachbarn zum Teil und zum Teil nur sehr begrenzt und in unterschiedlicher Gestalt wieder. Die immer häufiger und intensiver werdende grenzüberschreitende strafrechtliche Kooperation in den Mitgliedstaaten der EU, die verstärkten Brüsseler Initiativen – meist in der Form von Rahmenbeschlüssen, vgl. oben D – zur Zusammenführung der Strafverfolgung, wie auch die Rechtsprechung des EuGH und des EGMR machen es erforderlich, sich mit den Grundstrukturen dieser „Konkurrenzmodelle“ auseinander zu setzen. Auch schärft der Blick auf diese Modelle das Verständnis für das eigene strafverfahrensrechtliche System mit seinen Stärken und Schwächen. 2. Das deutsche Prozessmodell a) Strukturelemente im vollständigen Verfahren

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Namentlich mit dem Ziel einer rechtsvergleichenden (und rechtsgeschichtlichen) Differenzierung lassen sich die grundlegenden Strukturelemente eines konkreten Strafverfahrensrechts unter dem Begriff eines Prozessmodells zusammenfassen.16 Die dieses Modell kennzeichnenden Elemente können oft den sog. Prozessmaximen oder Prozessgrundsätzen zugeordnet werden, deren Bedeutung sich damit freilich nicht erschöpft.17 Klärend kann ein solches Prozessmodell allerdings nur wirken, wenn bei seiner Beschreibung auf wenige, grundlegende Elemente abgehoben wird, die die Verfahrensstruktur im Allgemeinen und als grundsätzliche Leitidee kennzeichnen, auch wenn sich aus den Einzelheiten der gesetzlichen Regelung Ausnahmen und Abweichungen ergeben. Denn der Gesetzgeber entwickelt ein Strafverfahrensrecht, auch wenn dem bestimmte Vorstellungen eines Prozessmodells zugrunde liegen, unter mehr pragmatischen Gesichtspunkten und unter Anknüpfung an vorhandene Regelungen oft nicht ohne Kompromisse,18 und dies gilt verstärkt, wenn es sich um Änderungen und Ergänzungen einer alten Kodifikation handelt, wie dies im deutschen Strafprozessrecht der Fall ist. Die Elemente eines Prozessmodells stellen deshalb immer nur Regelungskonzepte einer gewissen Dominanz, nicht von Ausschließlichkeit dar. Sie sind Ausnahmen zugänglich, und Typenvermischungen sind nicht selten. Schon deshalb ist bei der Anwendung und Auslegung des geltenden Rechts bei einem Rückgriff auf das jeweils zugrundeliegende Prozessmodell als Auslegungsmittel Zurückhaltung geboten. 10 Mit diesen Einschränkungen und schwerpunktmäßig bezogen auf das gerichtliche Verfahren lässt sich der deutsche Strafprozess als staatlich betriebener Anklageprozess mit einer gerichtlichen Amtsaufklärung kennzeichnen.19 Er unterscheidet sich dadurch unter anderem rechtshistorisch (als reformierter Strafprozess) vom Inquisitionsprozess, der auf die thematische Bestimmung des Prozessgegenstandes durch eine selbständige Anklagebehörde verzichtete, und rechtsvergleichend vom anglo-amerikanischen Prozessmodell, das – am Beibringungsgrundsatz und der Dispositionsmaxime orientiert – die

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Vgl. dazu u.a. Roxin § 17, 114 ff. Zur Bedeutung und Funktion der Prozessmaximen s. ausf. Rn. I 1 ff. S. dazu für die Entstehung der StPO oben Rn. F 5 ff.

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Das Gleiche wird durch die Begriffe „Instruktions-“ oder „Inquisitionsmaxime“ zum Ausdruck gebracht, näher unter Rn. I 30 ff.

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Vorführung der Beweismittel vor dem erkennenden Gericht grundsätzlich den Parteien überlässt und damit sowohl das Konzept der Wahrheitsfindung relativiert, wie auch keinen Prozessbeteiligten in die Verantwortung für die Wahrheitsfindung stellt. Weitere, das gerichtliche Verfahren nach Anklageerhebung kennzeichnende Elemente des deutschen Prozessmodells finden sich in dem hohen Grad an Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der gerichtlichen Beweiserhebung und (dies vor allem rechtshistorisch gesehen) in der weitgehenden Sperrwirkung der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung (Grundsatz des ne bis in idem) und dem Prinzip der freien Überzeugungsbildung, also dem weitgehenden Verzicht auf gesetzliche Beweisregeln.20 Darüber hinaus formen die Prinzipien von Unmittelbarkeit, Mündlichkeit und freier Beweiswürdigung eine in ihrer inhaltlichen Fassung noch weitgehend umstrittene Lehre von den Beweis(verwertungs)verboten, die sich dem Individualrechtsschutz und der Verfahrensfairness verpflichtet sieht und letztlich im Rechtsstaatsprinzip ressortiert. Das Richteramt wird auf der Ebene der Tatsacheninstanzen bei Amtsgericht und Landgericht durch Berufs- und Laienrichter gleichermaßen wahrgenommen, wobei letztere während der Hauptverhandlung den Berufsrichtern gleichgestellt sind. Berufsrichter haben, anders als in den meisten europäischen Nachbarstaaten, dieselbe juristische Ausbildung genossen wie Staatsanwälte und Rechtsanwälte. Die Position der Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens und entsprechenden Aufsichts- und Anweisungskompetenzen gegenüber der Polizei als Ermittlungsbeamten der Staatsanwaltschaft, § 150 II GVG ist im Wesentlichen eine eigenständige und wird im Vorverfahren nur aus Anlass der Anordnung von Zwangsmaßnahmen berufsrichterlicher Kontrolle unterstellt. Die früher existierende Position des Untersuchungsrichters ist entfallen und gänzlich in der der Staatsanwaltschaft aufgegangen. In der Hauptverhandlung vertritt die Staatsanwaltschaft die Anklage ebenfalls eigenständig. Anders als Richter unterliegen Staatsanwälte einer hierarchischen Weisungsgewalt. Die Verteidigung bedarf in diesem Zusammenhang keiner gesonderten Erwähnung, da ihre strukturellen Merkmale in Europa weitgehend gleich sind. Das gilt aber nicht für ihre Ausbildung. Mit Blick auf das Ermittlungsverfahren und die Anklageerhebung erscheinen als besonders kennzeichnende Elemente des deutschen Prozessmodells das (normative) Objektivitätspostulat (vgl. § 160 Abs. 2 StPO), das (weitgehende) staatliche Strafverfolgungsund Anklagemonopol 21 sowie, jedenfalls in der ursprünglichen Fassung der RStPO, die als Legalitätsprinzip bezeichnete Strafverfolgungs- und Anklagepflicht.22 Allerdings haben sich beim ersten und letzten Punkt durch neuere Entwicklungen die Akzente normativ und in der Rechtspraxis deutlich verschoben, so dass es zweifelhaft ist, wieweit das Objektivitätspostulat und das Legalitätsprinzip das Prozessmodell noch bestimmen. Spätestens nach der Studie von Blankenburg/Sessar/Steffen 23 wissen wir, dass sich die Staatsanwaltschaft selbst überwiegend als Verfolgungsbehörde versteht und das Objektivitätsparadigma nicht so sehr durch die gleichmäßige Verteilung der Ermittlungsarbeit auf entlastende und belastende Beweise verwirklicht wird, sondern vielmehr dadurch, dass bei der Verfolgung entlastende Elemente nicht ignoriert werden. Die Zahlen von Heinz 24 wonach etwa 1/3 aller Verfahren nach §§ 153 ff. eingestellt werden – etwa ebensoviel wie nach § 170 II eingestellt und nach § 170 I angeklagt wer20 21 22 23

Ausf. dazu Rn. I 39 ff. Dazu näher die Erl. zu § 152 StPO. Dazu näher die Erl. zu § 152 StPO. Blankenburg/Sessar/Steffen Die Staatsanwalt-

24

schaft im Prozess strafrichterlicher Sozialkontrolle (1978). FS Kaiser 85.

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den – zeigen, dass das als Ausnahme konzipierte Opportunitätsprinzip von der Verfahrenswirklichkeit längst zum bestimmenden Regelteil befördert worden ist. Prozessziel ist nicht mehr allein die Alternative zwischen Einstellung wegen mangelnden Tatverdachts oder Anklage bei hinreichendem Tatverdacht. Vielmehr ist Prozessziel auch die Erledigung durch Einstellung nach Opportunitätsgrundsätzen.25 Im Übrigen zeitigt das Legalitätsprinzip nur noch insofern Wirkung, als es die Strafverfolgungsbehörden daran hindert, bei Vorliegen eines Verdachts untätig zu bleiben. Trotz der klaren Rollenteilung zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft als 16 Antagonisten und dem Gericht als unabhängigem und auch psychologisch unbelasteten Entscheidungsträger kann man nicht von einem Parteiprozess sprechen. Das triadische Kräftefeld 26 zwischen diesen drei professionellen Verfahrensbeteiligten ist durch wechselseitige Verzahnung von Rechten und Pflichten gekennzeichnet, die sich dem Begriff des Parteiprozesses entziehen. Dies gilt für die Gesamtverantwortung des Gerichts für die Rechtmäßigkeit und Vollständigkeit der gesamten Hauptverhandlung, wie natürlich auch die des Urteils. Insbesondere auch die Stellung der Staatsanwaltschaft mit ihrer Verpflichtung auch Entlastendes zu ermitteln, § 160 II, und die des Verteidigers als „Organ der Rechtspflege“, vgl. unten Rn. J 106, mit der dieser Position immanenten Beschränkung der Vertretung von Beschuldigteninteressen durch höherrangige Interessen an der Reinheit des Verfahrens,27 verhindern es, in Staatsanwalt und Verteidiger bloße Interessenvertreter, also Parteien zu sehen. Im Übrigen verhilft die bei Berufsrichter, Staatsanwalt und Verteidiger einheitliche juristische Ausbildung zu einem jenseits des Parteibegriffs greifenden gemeinsamen Verständnis über Wesen und Ziel des Verfahrens. Unter verfassungsrechtlichen Aspekten ist das gegenwärtige Strafprozessmodell in sei17 nen gesetzlichen Regelungen im stärkeren Umfang als zur Zeit der Entstehung der RStPO durch die Betonung der Menschenwürde, den Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit und den Grundsatz des fairen Verfahrens geprägt, die auch bei der Auslegung der gesetzlichen Vorschriften und ihrer Anwendung im Einzelfall zu berücksichtigen sind. Die damit verbundenen Einzelfragen sind an anderer Stelle zu erörtern.28 b) Besondere Verfahrensformen

18

Das Prozessmodell wird durch das Normalverfahren mit der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft, ihrer Zulassung in einem gerichtlichen Zwischenverfahren und der gerichtlichen Entscheidung in Form des Urteils aufgrund einer Hauptverhandlung nach den Grundsätzen der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit geprägt; dies ist das Leitbild der gesetzlichen Regelungen. Das Strafverfahrensrecht enthält aber auch eine Reihe von selbständigen Verfahrensarten oder Verfahrensvarianten, die sich als besondere Verfahrensformen kennzeichnen lassen. Sie haben verschiedenen Wurzeln und dienen unterschiedlichen Zwecken. Tendenziell dürfte in der Entwicklung des Strafverfahrensrechts insoweit eine Zunahme und Ausdifferenzierung erkennbar sein. Darüber hinaus wird in der Rechtswirklichkeit auch das Normalverfahren in einer Weise unterschiedlich gehandhabt, die es in der prozessualen Wirklichkeit zur Ausnahme macht (näher Rn. 32 ff.). Vor allem der Verfahrensökonomie und dem sinnvollen Einsatz der beschränkten 19 Ressourcen der Strafjustiz dienen diejenigen besonderen Verfahrensformen, die es gestatten, in einfacher gelagerten Fällen und bei eher geringfügiger Sanktionserwartung in

25 26

Kühne Rn. 583; Wagner ZStW 109 (1997) 545. Kühne Rn. 171 ff.

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Beulke Strafvereitelung durch den Strafverteidiger (1990), passim; Kühne Rn. 200 ff. Dazu näher Rn. H 3 ff.; I 71 ff.

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einer gegenüber dem Normalverfahren vereinfachten Weise das Verfahren zu beenden.29 Bezogen auf die Zahl der erledigten Verfahren dürften sie insgesamt die Zahl der im Normalverfahren abgeschlossenen übertreffen. Teilweise verfolgen sie auch den (Neben)Zweck, dem Beschuldigten vermeidbare Belastungen und Bloßstellungen, beispielsweise durch eine Hauptverhandlung, zu ersparen.30 Hierzu gehören in erster Linie das auch quantitativ außerordentlich wichtige Strafbefehlsverfahren als ein weitgehend selbständiger Verfahrenstyp, sowie das beschleunigte Verfahren, bei dem vor allem das Zwischenverfahren entfällt und seit 1994 auch die Vorschriften für das Hauptverfahren vereinfacht sind. Mit der Möglichkeit der Privatklage wird jedenfalls gegenwärtig und in der Rechtswirklichkeit ebenfalls eine Entlastung der Justiz erreicht.31 Auch die Möglichkeit, das Verfahren nach der Erfüllung von Auflagen und Weisungen ohne Schuldspruch und formelle Sanktionierung zu beenden (§ 153a StPO) dient (mindestens auch) diesem Ziel.32 Auch im Normalverfahren selbst finden sich Regelungen, die es unter bestimmten Voraussetzungen gestatten, auf weniger aufwändige Erledigungsformen zurückzugreifen, so etwa in der Verfahrenseinstellung durch Beschluss bei Vorliegen eines Verfahrenshindernisses (§ 206a StPO) oder in den von der Praxis häufig genutzten Beschlussentscheidungsmöglichkeiten im Revisionsverfahren (§ 349 StPO). Andere besondere Verfahrensformen hängen mit der Erweiterung der Funktion des 20 Strafverfahrens (Rn. B 3) zusammen. Dazu gehören beispielsweise die Sondervorschriften für das Sicherungsverfahren sowie bei Einziehungen, Vermögensbeschlagnahmen und der Festsetzung von Geldbußen (§§ 430 bis 440 StPO), oder die die Stellung des Verletzten betreffenden Vorschriften, insbesondere das sog. Adhäsionsverfahren. Eine besondere Verfahrensform, die auf die persönlichen Eigenschaften und die daraus herrührenden kriminalpolitischen Bedürfnisse Rücksicht nimmt, stellt das Jugendstrafverfahren dar.33 Dagegen erklären sich die besonderen Verfahrensformen und Strafverfolgungszuständigkeiten des Steuerstrafverfahrens aus den Besonderheiten der strafrechtlichen Sanktionierung in diesem Rechtsgebiet.34 Spielarten des Normalverfahrens. In der Rechtswirklichkeit haben sich auch inner- 21 halb des Normalverfahrens unter Ausnutzung der Handlungsspielräume des geltenden Rechts 35 Ansätze zu unterschiedlichen Verfahrensformen herausgebildet. Sie orientieren sich u.a. an der Bedeutung der Sache und dem für die Sachverhaltsermittlung erforderlichen Aufwand im Ermittlungsverfahren,36 ferner nach der Art des im gerichtlichen Verfahren tätigen Spruchkörpers sowie den zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln. So dürfte beispielsweise im Verfahren vor dem Strafrichter schon im Hinblick auf die sich im sog. Pensenschlüssel ausdrückenden zeitlichen Vorgaben und das Vorhandensein einer zweiten Tatsacheninstanz die Hauptverhandlungen in der Regel weniger formstreng ablaufen als in den Verfahren vor der Strafkammer. Die neuere gesetzgeberische Entwicklung tendiert zur Anerkennung solcher besonderer Verfahrensform namentlich bei Großverfahren, indem sie etwa hier besondere Möglichkeiten der Unterbrechung der Hauptverhandlung vorsieht. Näher hierzu sogleich unten bei III, Rn. 32ff.

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30 31

Übersicht über die verschiedenen vereinfachten Verfahrensarten etwa bei Fezer ZStW 106 (1994) 1 ff. So z.B. für das Strafbefehlsverfahren BVerfGE 3 248; 25 158, 164. Vgl. Rieß Gutachten C zum 53. DJT 20 ff.; s. auch die Erl. Vor § 374 StPO.

32 33 34 35 36

S. näher die Erl. zu § 153a StPO. Näher u.a. Brunner/Dölling Einl. II, 24 ff.; Schaffstein/Beulke § 31, 209 ff. Einzelheiten bei Meyer-Goßner Einl. 11 ff. Zur Bedeutung der Verfahrenswirklichkeit näher Rn. B 61 ff. Dazu u.a. Rieß NStZ 1981 4.

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3. Andere Verfahrensmodelle in europäischen Nachbarstaaten Am offensichtlichsten anders ist das angelsächsische Prozessmodel, welches zunächst einmal durch das Parteiprinzip gekennzeichnet ist. Das Gericht hat im Verfahren keine Leitungsfunktion, sondern entscheidet aufkommende Fragen nur auf Antrag der Parteien, also Verteidigung bzw. Staatsanwaltschaft. Die dadurch notwendig bedingte Unkenntnis der Akten ist sicherlich der Unvoreingenommenheit der Richter förderlich. Andererseits macht es das Verfahren der Offenlegung der wechselseitigen Beweise (disclosure 37) vor Beginn der Hauptverhandlung für alle Beteiligte leichter, sich auf die Hauptverhandlung einzustellen. Auch die von Richtern in Deutschland mitunter beklagten aggressiven Verteidigungsstrategien, oft als Konfliktverteidigung denunziert – vgl. unten H Rn. 42 – sind in einem solchen System nicht möglich, weil das Ausmaß der in der Hauptverhandlung zu produzierenden Beweise durch die „disclosures“ grundsätzlich festgelegt ist. Auch deshalb ist das Phänomen der Konfliktverteidigung im Vereinigten Königreich unbekannt. Anders als in praktisch allen europäischen Staaten werden englische Berufsrichter aus 23 der Gruppe der langjährig erfahrenen „barrister“ 38 ausgewählt. Auf diese Weise erhält man fachlich qualifizierte wie lebens- und berufserfahrenen Richterpersönlichkeiten. Im Vergleich zu den zwar im europäischen Vergleich ausnehmend gut rechtlich ausgebildeten aber bar jeder Lebenserfahrung ins Amt berufenen deutschen Richtern erscheint diese Vorgehensweise mit nicht unerheblichen Vorteilen verbunden zu sein. Ebenfalls in diesem Zusammenhang bedeutungsvoll ist der Umstand, dass englische Berufsrichter in ihrer Tätigkeit auf schwere Fälle begrenzt sind. Die Fülle der leichten und mittleren Kriminalität wird von Laienrichtern auf der Ebene der magistrate courts 39 erledigt. Das Konzept der Laienrichter ist im Vereinigten Königreich sehr stark verwirklicht, 24 wenngleich in neuester Zeit Änderungsbedarf gesehen wird.40 Nicht nur die echten Geschworenen, also Laienrichter, die im Crown Court allein über die Tatsachen entscheiden, sind dafür verantwortlich. Das finden wir ähnlich in den romanischen Prozessordnungen in Frankreich, Italien und Spanien ebenso. Vielmehr ist es vor allem auch die Institution der magistrate courts – vergleichbar mit unseren Amtsgerichten –, die überwiegend mit Laien ohne Beteiligung von Berufrichtern oder auch nur Juristen besetzt sind. Dies ist unter Gesichtspunkten der Kostenreduktion, in gewisser Weise aber auch der „Volksnähe“ richterlicher Entscheidungen für die Masse der einfachen Fälle ein sicherlich interessanter Ansatz. Ob hingegen das echte Schwurgericht in der im Vereinigten Königreich und den 25 romanischen Ländern existierenden Form attraktiv ist, kann bezweifelt werden. Zu groß ist der Aufwand bei der Auswahl der Jury Mitglieder, weshalb mit verschiedensten Techniken versucht wird, diese Verfahren zu vermeiden, vgl. Rn. 66. Der Glaube in die Entscheidungskraft der Geschworenen nimmt zudem nicht erst seit den US amerikanischen Erfahrungen mit dem O. J. Simpson Prozess ab. Dies gilt insbesondere für komplexe Sachverhalte, so wie man sie nicht nur in Fällen der klassischen Schwerkriminalität, sondern gerade auch bei Wirtschaftskriminalität vorfindet.41 Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass insbesondere viele „junge Rechtsstaaten“, also Staaten, die sich aus überkom-

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Näher Kühne Rn. 1159. Einzelheiten zu Wesen und Funktion der barrister bei Kühne Rn. 1173 ff. Nur vereinzelt aber in der Tendenz steigend, werden diese Gerichte auch mit ausgebildeten Juristen, den stipendary judges, besetzt, vgl. dazu Kühne Rn. 1162.

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Grube Richter ohne Robe (2005); Spona Laienbeteiligung im Strafverfahren (2000). Hierzu krit. Gerding Trial By Jury (2006); vgl. auch Grube Richter ohne Robe (2005).

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menen Strukturen einer politisch instrumentellen Justiz zu lösen begonnen haben, das Modell des klassischen Geschworengerichts bevorzugen.42 Das erscheint nachvollziehbar, da auch bei uns dieses Modell im 19ten Jahrhundert als Instrument zur Erlangung einer unabhängigen Justiz erfolgreich benutzt worden ist. An den erwähnten Problemen aus der Sicht eines modernen Verfahrensrechts ändert dies aber nichts. Die Rolle der Staatsanwaltschaft erscheint im europäischen Kontext in ihrer deutschrechtlichen Struktur durchaus erfolgreich zu sein. Der englische Crown Prosecution Service, welcher die Ermittlungsarbeit der Polizei weder leitet noch gar kontrolliert und nur in der Hauptverhandlung die Anklage vertritt, wird in England nach mehreren Polizeiskandalen, die zu eklatanten Fehlurteilen führten,43 vermehrt kritisiert. Allerdings ist die Praxis, wonach bei einer geringen Zahl hauptamtlicher Staatsanwälten der Krone aus der Gruppe der barrister die meisten Staatsanwälte für die jeweiligen Verfahren abgeordnet werden,44 aus deutscher Sicht nicht uninteressant, weil so der doch häufigen Polarisierung zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft strukturell entgegengewirkt werden könnte. Die in Frankreich vorgesehene Übernahme staatsanwaltschaftlicher Aufgaben durch den Untersuchungsrichter in schweren Fällen, ist hingegen etwas, was nur bei bestehendem Misstrauen gegenüber der politischen Manipulierbarkeit der Staatsanwaltschaft als Behörde seine Rechtsfertigung findet. Italien, Spanien und Österreich haben sich für ein dem deutschen entsprechendes Modell entschieden. In Italien wird die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft auch gegenüber dem Justizministerium nicht nur durch Art. 531 CPP, sondern auch dadurch bekräftigt, dass die Verfassung in Art. 107 die Staatsanwälte der Gruppe der magistrait“, also der Richter zuordnet. Ähnliches gilt für Frankreich, wo die Staatsanwälte als magistrats gelten und im Wesentlichen auch der Ernennungshoheit des zentral für die Richterschaft zuständigen Conseil Supérieur de la Magistrature unterfallen. Die Position der Verteidigung ist – wohl auch angesichts von Art. 6 Abs. 3 EMRK und der reichhaltigen diesbezüglichen Rechtsprechung des EGMR 45 – in Struktur und Inhalt in Europa sehr ähnlich ausgeprägt. Es besteht allenfalls Anlass darauf hinzuweisen, dass entgegen einem in Deutschland offenbar weit verbreiteten Missverständnis das englische Institut des contempt of court nicht der Disziplinierung der Verteidigung, sondern der Durchsetzung von Gerichtsbeschlüssen dient 46 und überwiegend im Beweisrecht wie auch beim Schutz vor Presseberichterstattung eingesetzt wird. Bei der Beweisaufnahme ist unabhängig davon ob das angelsächsische Parteiprinzip oder das kontinentale Instruktionsverfahren anzuwenden wird vor allem auch durch die Rechtsprechung des EGMR das Prinzip der Unmittelbarkeit im Wesentlichen bestätigt worden. Die ausgiebige EGMR Rechtsprechung zum Recht auf Konfrontation mit dem Zeugen 47 und der Vermeidung von Beweissurrogaten 48 liegt hier ganz auf der Linie des 42

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Das gilt insbesondere für die ehemaligen Teilstaaten der Sowjet Union und für Russland mit seiner neuen StPO vom Sommer 2003. Kühne Rn. 1155, 1169; Bohlander Zur Reform des englischen Strafverfahrens – Der Bericht des Royals Commission on Criminal Justice ZStW 106 (1994) 448. Vgl. Kühne Rn. 1169. S. näher Esser 401 ff., 641 ff., 663 ff. Contempt of Court Act 1981. Darüber hin-

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aus gilt zusätzlich das hierzu entwickelte common law, vgl. Archbold Criminal Pleading; Evidence and Practice (1997) 28. Z.B. Barbera, Meesegué u. Jabardo vs. Spanien Serie A Nr. 146; Kostowski vs. Niederlande Serie A Nr. 166; Windisch vs. Österreich Serie A Nr. 186; Lüdi vs. Schweiz Serie A Nr. 238; van Mechelen vs. Niederlande Reports 1997-III. Vgl. z.B. Delta vs. Frankreich Serie A Nr. 191 A; Saidi vs. Frankreich Serie Nr. 261-C.

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deutschen Verständnisses,49 wenngleich die Perspektive des EGMR etwas anders ist. Er betrachtet die Problematik unter dem Gesichtspunkt des Beschuldigtenschutzes,50 aus welchem dann die Mitwirkungsbefugnisse abgeleitet werden, die dann das Erfordernis der Unmittelbarkeit zur Folge haben. Die französische Lösung, in der bei Schwerkriminalität der Schwerpunkt der Beweisaufnahme nicht in der Hauptverhandlung, sondern im untersuchungsrichterlichen Ermittlungsverfahren liegt, auf das in der Hauptverhandlung Bezug genommen werden kann, verstößt nicht hiergegen. Immerhin handelt es sich um ein voll ausgestattetes richterliches (Vor)Verfahren.51 Hingegen ist es in diesem Zusammenhang fraglich, ob das niederländische Strafverfahrensrecht, welches grundsätzlich den mittelbaren Beweis bezüglich von Aussagen von Angeklagtem, Zeugen und Sachverständigen zulässt 52 mit der Rechtsprechung des EGMR kompatibel ist. Größere Unterschiede lassen sich in Europa jedoch bei der wichtigen Frage der 30 Beweis(verwertungs)verbote ausmachen. Drei Ansätze sind hierbei zu erkennen: • Jeder Verstoß gegen das Gesetz bei der Beweisaufnahme führt zu einem Beweisverwertungsverbot; dies sehen die Prozessordnungen von Frankreich, Italien und in gewisser Weise auch die der Niederlande und Spaniens vor;53 • Gesetzesverstöße bei der Beweisaufnahme führen nur dann zu einem Verwertungsverbot, wenn die Zuverlässigkeit des Beweises gefährdet wird; dies ist der englische Ansatz, der zumindest zu Teilen auch vom EGMR 54 vertreten wird; • Gesetzesverstöße führen nur bei schwerwiegenden oder folgeschweren Verletzungen zu einem Verwertungsverbot; Deutschland und Österreich 55 wie auch partiell der EGMR 56 vertreten diese Position.

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Da das Problem von Beweisverbot und Beweisverwertungsverbot zentral im Schnittpunkt von Strafverfolgungsinteresse und Schutz von Individualrechten gelegen ist, wird es von großer Bedeutung sein, welches Konzept sich letztlich durchsetzt. Gerade in Zeiten, die – wie heute unter dem Vorzeichen der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus – immer stärker dazu tendieren, Individualrechte zugunsten des staatlichen Strafverfolgungsinteresses preiszugeben, entscheidet die Lehre von den Beweisverwertungsverboten ganz wesentlich darüber, wie sehr der Staat selbst bereit ist, bei der Erfüllung seiner Pflichten, sich an die eigenen Gesetze zu halten. Zumindest moralisch ist es kaum vertretbar, die Fülle der strafprozessualen Vorschriften für den Fall der Verletzung durch den Staat grundsätzlich als unerheblichen reinen Formvorschriften zu deklarieren.

III. Das vollständige Verfahren als Ausnahme im deutschen und dem Strafprozessrecht der europäischen Nachbarstaaten 1. Einführung

32

Bei einer Gesamtbetrachtung des Strafverfahrensrechts, insbesondere in der subtilen Form, die es durch die Rechtsprechung von BGH, BVerfG und dem EGMR erhalten hat, entsteht der Eindruck, dass in wohlabgewogenem Gegensatz zum staatlichen Verfol49 50 51 52

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Vgl. dazu die Bearbeitung von § 250 und § 251 m.w.N. Esser 642. Kühne Rn. 1210. Vgl. Art. 295, 297 IV Wetboek van Strafvordering (niederländische StPO); Kühne Rn. 1448. Art. 171 CCP (Frankreich); 191 CCP (Italien);

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Art. 29 niederländische StPO; Art. 11 I S. 2 spanisches GVG. Murray vs. UK EuGRZ 1996 587 ff. m. Anm. Kühne; Khan vs. UK JZ 2000 993 ff. m. Anm. Kühne/Nash. Kühne Rn. 1342. Teixeira vs. Portugal EuGHMR NStZ 1999 47 ff.

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gungsanspruch die Position des Beschuldigten auf der Basis der Unschuldsvermutung und dem Gebot mannigfaltiger Schutzvorgaben zur Garantie der Verfahrensfairness und der Gewährung einer hinreichenden Verteidigung aufs Beste gesichert sei. Dieser Eindruck ist falsch und richtig zugleich. Richtig ist er, weil all diese Garantien in der Tat weit reichen und dem Bürger einen starken Schutz vor der strafenden Staatsgewalt gewähren. Je nach Position mag der Betrachter sogar die staatlichen Verfolgungsinteressen allzu stark eingeschränkt sehen.57 Falsch ist diese Feststellung hingegen, wenn man sie statistisch auf die große Zahl 33 aller Verfahren bezieht – von den vielfältigen sonstigen Implementierungsdefiziten soll hier einmal ganz abgesehen werden.58 Vollständige Verfahren, also solche, die insbesondere die als Regelfall vom Gesetz gedachte ungekürzte Hauptverhandlung durchlaufen, sind, wie im Detail noch zu zeigen sein wird, zu einer kleinen Minderheit von Verfahren degeneriert. Und dies keineswegs allein oder auch nur überwiegend im Bereich der bagatellarischen und mittleren Delinquenz. Gesetzlich vorgesehene verkürzte Verfahren, Opportunität sowie allerlei formelle und informelle sowie offene und verdeckte Absprachen führen zu einer aus Staatssicht ökonomischen 59 Form der Rechtsgewährung. In Folge dieses Phänomens ist unsere strafverfahrensrechtliche Diskussion in gewisser 34 Weise unehrlich geworden. Wann immer wir von den hehren Zielen und Garantien dieses Rechts sprechen, erwecken wir den Eindruck, wir sprächen ganz allgemein vom Strafverfahren. Wir unterdrücken dabei die Tatsache, dass wir uns in Wirklichkeit nur auf eine ganz kleine Anzahl von ausgesuchten Fällen beziehen. Der Stellenwert strafverfahrensrechtlicher Garantien wird auf diese Weise durchaus dramatisch verfälscht. Im Folgenden soll zunächst einmal der Tatbestand des Überwiegens verkürzter Ver- 35 fahren dargestellt werden. Im Rahmen einer europäischen Betrachtungsweise werden neben dem deutschen noch die Strafverfahrensrechte Englands, Frankreichs, Italiens, Österreichs und Spaniens miteinbezogen. 2. Verkürzte Verfahren als Regelverfahren Um die vielfältigen Varianten zur Verkürzung und Vereinfachung des Strafverfahrens 36 systematisch einzufangen, sollen vier Kategorien gebildet werden, die sich zwar nicht völlig trennscharf voneinander abgrenzen lassen und zum Teil ineinander übergehen, die aber gleichwohl in ihrer ordnenden Funktion die Problematik zu verdeutlichen in der Lage sind: • Vom Gesetz vorgesehene vereinfachte Verfahren; • formelle Diversionsstrategien zur Vermeidung der Hauptverhandlung; • formelle Strategien der Vereinfachung des Verfahrens, insbesondere der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung. • Informelle Strategien zur Vereinfachung des Verfahrens, insbesondere der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung. 57

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Ausf. Behandlung zum Zielkonflikt Schutz der Grundrechte einerseits und der Begründung einer „Staatsaufgabe Sicherheit“ andererseits: Gusy Polizeirecht (2003) Rn. 74 ff. Vgl. zu den strukturellen Besonderheiten der Strafverfahren in Europa: Kühne Rn. 48. Den Siegeszug ökonomischer Erwägungen im

Recht, vor allem im Strafverfahrensrecht, dokumentiert auch das sog. Eckpunktepapier der Bundesregierung zur Reform des Strafverfahrens vom 6.4.2001, StV 2001 314 ff.; ebenfalls kritisch zu ökonomischen Einflüssen auf das Strafverfahren Albrecht StV 2001 416 ff.

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Allen diesen Varianten ist ein identischer Rechtfertigungsgrund gemeinsam: Ohne Zustimmung des Beschuldigten können sie nicht durchgeführt werden. Dem gemäß hat der Beschuldigte immer das Recht auf ein vollständiges Verfahren, sei dies auch erst in einer weiteren Instanz, wie etwa in England bei Entscheidungen des magistrate court. Man könnte nun meinen, dass hierdurch die gesamte Problematik entfalle, gilt doch 38 auch im Strafrecht der Satz des volenti non fit iniuria. Diese Betrachtung greift jedoch deutlich zu kurz. Zunächst einmal geht es im Strafverfahrensrecht um Regelungen, die, auch wenn sie vordergründig den Beschuldigten schützen, in erster Linie den Staat in seiner Machtausübung disziplinieren und funktional begrenzen. So sind Folter und das alleinige Verlassen auf ein Geständnis des Beschuldigten 60 vor allem auch deshalb verboten, weil die Verlässlichkeit solcher Beweise höchst zweifelhaft ist. Die komplexen Regeln der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung haben den Zweck, bei der Aufarbeitung des historischen Sachverhalts des (vermeintlichen) Verbrechens die Kommunikation zwischen den Beteiligten zu optimieren,61 um die Möglichkeit eines gerichtlichen Irrtums zu minimieren – und dabei natürlich den Beschuldigten zu schützen. Anders als im Zivilverfahren haben die Beteiligten, auch nicht der Beschuldigte, keine irgendwie geartete Befugnis über den Sachverhalt zu verfügen. Aus alledem ergibt sich bereits, dass die Zustimmung des Beschuldigten im Strafverfahren nur eine überaus begrenzte Rolle spielen darf. Zusätzliche Schwierigkeiten entstehen im Bereich der zulässigen Zustimmung aber 39 durch die Frage der Freiwilligkeit. Es ist unstreitig anerkannt, dass die wirksame Einwilligung nur eine solche sein kann, die u.a. freiwillig 62 erfolgt. Dies ist in vielen Fällen sogenannter konsensualer Verfahrensvereinfachungen gerade nicht der Fall. Häufig lassen der Druck von Staatsanwaltschaft und/oder Gericht unter Hinweis auf das Prozessrisiko, also die Möglichkeit einer erhöhten Strafe, dem Beschuldigten vernünftigerweise keine echte Wahl. Die Alternative einer vollständigen Verhandlung/Beweisaufnahme erscheint dem Beschuldigten in solchen Situationen oft als sicherstes Mittel, das Gericht zu verärgern, und der Verlust des favor iudicis ist niemals erstrebenswert. Das Argument der Freiwilligkeit 63 ist also ein höchst fragliches und daher auf keinen Fall in der Lage, die Problematik verkürzter Verfahren zu lösen. a) Vom Gesetz vorgesehene vereinfachte Verfahren

40

In Deutschland ist dies in erster Linie das Strafbefehlsverfahren gemäß §§ 407 ff. StPO. Die Hauptverhandlung, also der Kern der Beweisaufnahme oder auch das Herzstück des Verfahrens, wird durch das Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft ersetzt. Voraussetzungen sind, dass es sich um einfache Verfahren handelt, bei denen die Freiheitsstrafe zwölf auf Bewährung ausgesetzte Monate nicht überschreitet (§ 407 II 2

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Beneke Das falsche Geständnis als Fehlerquelle im Strafverfahren unter kriminologischen, speziell kriminal-psychologischen Aspekten (1990); zur richterlichen Ermittlungspflicht trotz Abgabe eines Geständnisses durch den Angeklagten: BVerfG NStZ 1987 419; NStZ 1999 92. Umfassend zu den strafprozessualen Grundsätzen der Beweisaufnahme Eisenberg (Beweisrecht). Näheres zu den Anforderungen der EMRK

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an die „Freiwilligkeit“ eines Verzichts des Beschuldigten auf eine Verhandlung über die „strafrechtliche Anklage“ (Art. 6 Abs. 1 EMRK) EGMR, Deweer vs. Belgien, Sammlung der Entsch. des Gerichtshofs, Serie A Nr. 35. Amelung Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsguts (1981) versucht, hier gleichwohl verschiedene Stufen zwar gelenkten aber noch freiwilligen Verhaltens zu unterscheiden.

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StPO) und sowohl der Beschuldigte – indem er keinen Einspruch einlegt (§ 410 StPO) – wie auch der Richter dem Antrag der Staatsanwaltschaft zustimmen. Vor allem in Fällen, die sich wie beispielsweise Verkehrsdelikte häufig in ähnlicher Form abspielen, bietet die StPO die Flucht aus der Hauptverhandlung und überlässt sogar der Staatsanwaltschaft die Strafzumessung; die der Richter lediglich zu übernehmen und damit als Richterspruch zu formalisieren hat. Das sog. beschleunigte Verfahren nach §§ 417 ff. StPO, welches sich durch den Wegfall des Zwischenverfahrens auszeichnet, ist – noch – kaum akzeptiert. Der Ertrag an Ersparnis von Zeit und Aufwand ist fraglich, weil das Zwischenverfahren des Normalverfahrens in der Regel sehr schematisch gehandhabt wird 64 und daher deutlich weniger Aufwand benötigt, als man nach Lektüre der entsprechenden Vorschriften meinen könnte. Immerhin bleibt hier die Hauptverhandlung unberührt, wenn man von der – mit Zustimmung des Angeklagten (§ 420 III StPO) – möglichen Einschränkung des Unmittelbarkeitsprinzips, § 420 I, II StPO, einmal absieht. Im Vereinigten Königreich werden etwa 90 % aller Strafverfahren von den magistrate courts erledigt, die zwar grundsätzlich den gleichen Beweisregeln unterliegen wie der Crown Court im ordentlichen Verfahren, die aber wegen ihrer Besetzung mit Laienrichtern (nur ausnahmsweise ist ein Jurist als stipendary judge auf dieser Ebene tätig) bei der Umsetzung dieser Regeln ein sehr viel schmaleres Profil eher summarischer Natur anbieten. In Frankreich gibt es grundsätzlich keine gesetzlich beschriebenen Sonderverfahren zur Abkürzung oder Erleichterung der Verhandlungen; diese finden sich nur bei Übertretungen, vgl. Art. 521 ff. CPP. Dagegen ist Italien reich an solchen. Das sog. ordentliche Verfahren beschreibt auch nach dem Willen des Gesetzgebers nur ein komplettes Verfahren, welches wegen seines Umfangs Ausnahmecharakter hat und nur in besonderen Fällen schwerer Delinquenz angewendet werden soll. Die sog. besonderen Verfahrensarten, prozedimenti speziali, sind hingegen die, welche das Gros aller Verfahren, also zumindest 80 % von ihnen abdecken sollen. Diese Verfahren sollen insbesondere der Verfahrensbeschleunigung dienen. Offenbar ist diese Hoffnung des Gesetzgebers allerdings nicht ganz erfüllt worden, da von Seiten der Beschuldigten eine Tendenz besteht, die Verfahren möglichst lange hinauszuzögern und deshalb die Sonderverfahren zu meiden.65 Für die Vermeidung des Zwischenverfahrens stellt die italienische StPO/CPP gleich drei gesonderte Verfahrensarten zur Verfügung. Stellt die Staatsanwaltschaft nach Beendigung ihrer Ermittlungen den Antrag auf Sonderverfahren, so hat dies zunächst den Wegfall des Zwischenverfahrens (udienza preliminaria) zur Folge. Beim Verfahren mit sofortiger Hauptverhandlung (giudizio immediato) kann bei eindeutiger Beweislage auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder auch des Beschuldigten unmittelbar mit der Hauptverhandlung begonnen werden, Art. 453 CPP. Der Antrag der Staatsanwaltschaft muss spätestens 90 Tage nach der notitia criminis, Art. 335 CPP, an das Gericht der Hauptverhandlung übermittelt worden sein. Das Gericht muss innerhalb von fünf Tagen über den Antrag entscheiden, Art. 455 CPP. Entspricht es dem Antrag, geht das Hauptverfahren seinen üblichen Gang, es sei denn, es wird Antrag auf abgekürztes Verfahren vom Angeklagten gestellt, Art. 458 CPP (vgl. sogleich unten). Das Schnellverfahren (giudizio direttissimo) führt ebenfalls zur sofortigen Hauptverhandlung. Allerdings kann hier die Staatsanwaltschaft den auf frischer Tat ertappten 64

Vgl. Kühne Rn. 621.

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Kühne FS Androulakis (2003) 940.

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oder geständigen Straftäter dem Ermittlungsrichter innerhalb von 48 Stunden unmittelbar zur Hauptverhandlung vorführen, Art. 449 ff. CPP. Der Angeklagte ist darüber zu belehren, dass er ein Recht darauf hat, eine Frist von maximal zehn Tagen zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu beantragen, Art. 451 Abs. 6 CPP. Im Übrigen zeichnet sich dieses Verfahren durch eine deutliche Erleichterung der Ladung und Präsentation von Beweismitteln aus. Auch hier kann Antrag auf abgekürztes Verfahren gestellt werden. Das abgekürzte Verfahren (giudizio abbreviato) kann auf Antrag des Beschuldigten auch ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft betrieben werden, Art. 438 Abs. 1 CPP, und ist besonders erwähnenswert, weil es gleichsam die Hauptverhandlung auf das Zwischenverfahren reduziert. Das Gericht entspricht durch Beschluss diesem Antrag, wenn es der Ansicht ist, das Verfahren lasse sich nach Aktenlage entscheiden, Art. 440 CPP. Das abgekürzte Verfahren wird dann in nicht öffentlicher Sitzung entsprechend den Vorschriften über das Zwischenverfahren verhandelt. Der Staatsanwaltschaft ist es nicht erlaubt, ihre Anklage zu Lasten des Angeklagten tatsächlich oder rechtlich zu ändern, Art. 441, 423 CPP. Ein weiterer Vorteil des abgekürzten Verfahrens liegt aus der Sicht des Angeklagten in den vorgeschriebenen Strafmilderungen. Im Falle einer Verurteilung wird die eigentlich verwirkte Strafe um ein Drittel gekürzt, Art. 442 Abs. 2 CPP. Auch wird die Strafe nicht offiziell ins Strafregister eingetragen. Insoweit ist die Diskretion, die schon durch die nicht öffentliche Verhandlung gewahrt wird, außerordentlich groß. Andererseits ist dieses Verfahren fast ausschließlich in die Hände der Staatsanwaltschaft gegeben und entspricht mit der Erlaubnis, nach Aktenlage entscheiden zu dürfen, dem Inquisitionsverfahren alten Stils. Das abgekürzte Verfahren ist auch für Schwerstkriminalität offen, allerdings wurde Art. 442 Abs. S. 2 CPP, nach welchem eine verwirkte lebenslange Strafe auf 30 Jahre zu ermäßigen ist, vom Verfassungsgericht für ungültig erklärt. Die Berufung gegen Urteile aus dem abgekürzten Verfahren ist sowohl für den Angeklagten wie die Staatsanwaltschaft beschränkt, Art. 443 CPP. Bei konkreten Straferwartungen, die sich auf Geldstrafe beschränken, kann das Strafbefehlsverfahren gewählt werden (procidimento per decreto), Art. 459 ff. CPP. Hier beantragt die Staatsanwaltschaft beim Gericht der Hauptverhandlung eine bestimmte Strafe. Ein beachtlicher Vorteil dieses Verfahrens für den Beschuldigten besteht darin, dass die Staatsanwaltschaft hierbei den Mindeststrafrahmen um die Hälfte unterschreiten darf, Art. 459 II CPP. Das Gericht kann den Antrag akzeptieren und entsprechend entscheiden, ihn zurückweisen oder aber auf Freispruch erkennen, Art. 459 Abs. 3 CPP. Österreich kennt vor den Bezirksgerichten ähnlich dem beschleunigten Verfahren in Deutschland den Wegfall des förmlichen Vorverfahrens und der Versetzung in den Anklagestand, § 451 öStPO. Bei Geständnissen sieht § 451 Abs. 3 öStPO in Verfahren vor den Bezirksgerichten des Weiteren die Möglichkeit eines Verzichts auf Fristen und Ladungen vor. Verfahrensgarantien bei der Beweisaufnahme werden dadurch nicht affiziert. In Spanien wird die große Masse der Fälle, in denen bis zu sechs Jahren Freiheitsstrafen ausgesprochen werden kann, in einem vorrechtsstaatlichen reinen Inquisitionsverfahren verhandelt. Hier besteht personelle und funktionale Identität zwischen dem ermittelnden und urteilenden Richter. Der Friedensrichter (juez de paz) ist für faltas (Übertretungen), d.h. Delikte, für welche leichte Freiheitsstrafen bis zu 30 Tagen vorgesehen sind, als ermittelnder und entscheidender Richter zuständig. Er führt Vorermittlungen, diligencias preparatorias, deren Ergebnis von ihm oder dem Staatsanwalt vorgetragen werden. Es folgen die Hauptverhandlung und Urteilsverkündung. Der Friedensrichter muss innerhalb von drei Tagen, mit besonderer Begründung innerhalb von vier Tagen seit Kenntnisnahme von der Tat, die Hauptverhandlung durchführen. Ähnliches gilt für die Fälle, für die eine Straferwartung bis zu sechs Jahren besteht. Hier ist

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der Untersuchungsrichter zugleich Richter der Hauptverhandlung. Da die Staatsanwaltschaft im untersuchungsrichterlichen Verfahren nur adjuvante Funktionen hat, ist ihre Mitwirkung nicht wirklich hilfreich, um die Furcht vor Voreingenommenheit des Untersuchungsrichters in seiner Tätigkeit als Instanzrichter zu besänftigen. Zudem besteht in Verfahren, in denen die Anklage Strafen unter sechs Jahren fordert, die Möglichkeit, durch die Verteidigung erklären zu lassen, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich gehalten wird. Es ergeht dann – ähnlich wie im deutschen Strafbefehlsverfahren oder im guilty plea anglo-amerikanischer Prägung – Urteil nach Strafantrag, conformidad, Art. 688 ff. i.V.m. Art. 655 LECrim. Es erscheint fraglich, ob der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei diesem System noch einen unparteiischen, unabhängigen Richter i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EMRK wird annehmen können. Des Weiteren wird die strafprozessuale Wirklichkeit von einer Vielzahl von Sonder- 51 verfahren geprägt, wie etwa die gegen Senatoren, Abgeordnete, Richter, Angehörige von Militär und Polizei; nach Art des Delikts gibt es u.a. Sonderverfahren für Beleidigungsdelikte und Straftaten, die mit Hilfe von Druckerzeugnissen oder anderen Medien begangen worden sind. Bei diesen Sonderverfahren geht es freilich nicht so sehr um Verkürzung des Verfahrens als vielmehr um Regelungen, die in besonderer Weise auf die Position des Beschuldigten Bezug nehmen. b) Formelle Diversionsstrategien zur Vermeidung der Hauptverhandlung In Deutschland regiert die eigentlich nur für Ausnahmefälle vorgesehene Opportunität der Staatsanwaltschaft in der justiziellen Praxis in einer Weise, dass rund 1/3 aller prospektiv anklagefähigen Straftaten auf diesem Wege erledigt werden.66 Dabei haben Rechtsprechung und Gesetzgeber in trauter Kooperation die Grenzen der eigentlich im Bereich der Bagatelldelinquenz liegenden einstellungsfähigen Kriminalität immer weiter hinausgeschoben. Im Vereinigten Königreich hat bereits die Polizei die Möglichkeit, Verfahren mit einer Verwarnung (caution) zu beenden und unterliegt im Übrigen auch nicht dem Legalitätsprinzip. Die Staatsanwaltschaft, also die Crown Prosecution Services, hat hingegen keine derartige Kompetenz. Vor Beginn der Hauptverhandlung kann jedoch vom Richter ein pre-trial review angeordnet werden, welches dazu dient, unter Ausschluss der Jury mit Staatsanwalt und Verteidigung über eine Reduktion der Vorwürfe, respektive der aufzunehmenden Beweise zu verhandeln. Dies kann zu einem Ausschluss der Jury Zuständigkeit führen. In Frankreich hatte die Staatsanwaltschaft bis vor kurzem keine Opportunität. Durch Gesetz vom 4.1.1993 ist jedoch Art. 41 CPP mit einer Formulierung ergänzt worden, die die Staatsanwaltschaft ermächtigt, Mediationsmaßnahmen mit Zustimmung der Parteien einzuleiten, die entsprechend dem Décret no 96-305 vom 10.4.1996 durchzuführen sind. Im Übrigen wird aus Art. 40 CPP geschlossen, dass die Staatsanwaltschaft eine Wahlfreiheit bei der Frage hat, ob oder ob nicht ermittelt wird. Seit dem Gesetz Nr. 99-515 vom 23.6.1999 in der Fassung vom 9.9.2002 gewährt Art. 41-2 CPP der Staatsanwaltschaft im Falle eines Geständnisses und bei enumerierten Delikten die Macht, eine Geldbuße oder soziale Leistungen aufzuerlegen (composition pénale). In Italien gilt nur grundsätzlich das Legalitätsprinzip. Eine echte Ausnahme, die in das Opportunitätsprinzip führt und in etwa dem deutschen § 153a StPO entspricht, besteht jedoch in der Möglichkeit der oblazione. Die Staatsanwaltschaft darf hier bei 66

Vgl. Nachweise bei Kühne Rn. 583 ff.

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Bagatelldelikten, die nur mit Geldstrafe bzw. Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bedroht sind (arresto o ammenda), nach Regeln des Strafgesetzbuchs, also Art. 162, 162 bis CP, dem Beschuldigten anheim stellen, ein Ordnungsgeld zu zahlen, um die Strafverfolgung abzuwenden. Zahlt der Beschuldigte, ergeht eine richterliche Entscheidung zur Verfahrensbeendigung. In Österreich war die Staatsanwaltschaft bis vor kurzem an das Legalitätsprinzip 56 ohne Ausnahmen gebunden. Es bestand lediglich Konsens, dass bei übermäßigem Ermittlungsaufwand bezüglich unbedeutender Taten die Staatsanwaltschaft untätig bleiben dürfe. Auch Abtrennungen unwesentlicher Teile waren und sind möglich, § 34 Abs. 2 öStPO. Die sog. Diversionsnovelle vom 9.4.1999 hat in den §§ 90a–m öStPO der Staatsanwaltschaft eine breite neue Opportunität eingeräumt. Bußgeld, Schadenswiedergutmachung, gemeinnützige Leistungen, Täter-Opfer-Ausgleich, all dies sind Ansätze für Verfahrenseinstellungen, die von der Staatsanwaltschaft und – nach richterlicher Voruntersuchung oder Anklage – dem Gericht genutzt werden können. Es liegt eine eigentümliche Mischung von Entscheidungsfreiheit und Pflicht zur Diversion vor. In Spanien kennt das Legalitätsprinzip keine Ausnahme der Opportunität; die Staats57 anwaltschaft kann bei hinreichender Verdachtslage nicht wählen zwischen Verfolgung und Einstellung, Art. 105 LECrim. Die conformidad negociada ist jedoch ein Instrument, welches – aus deutscher Sicht zwischen Opportunität und Strafbefehlsverfahren angesiedelt – eine Abrede zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung ermöglicht, die dann dem Gericht in der Hauptverhandlung vorgelegt wird. Das Gericht muss dem erzielten Verhandlungsergebnis nicht entsprechen, wird dies aber trotz einer eigenen Prüfungspflicht in der Regel tun. Das Ergebnis der Verhandlungen zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung muss in der Hauptverhandlung vorgetragen werden, Art. 793 Abs. 3 LECrim. Wird keine Einigung in Hinblick auf die Entschädigung des Opfers erzielt, so wird das Strafverfahren durch Spruch beendet, der Verfahrensteil bezüglich der zivilrechtlichen Implikationen aber weitergeführt. Die conformidad negociada ist in Art. 655ff. LECrim geregelt. c) Formelle Strategien zur Vereinfachung des Verfahrens insbesondere der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung (Absprachen)

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In Deutschland ist es die Technik der Absprache in der Hauptverhandlung, welche – seit etwa zwanzig Jahren offiziell in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt 67 – mit Billigung von BGH und BVerfG 68 das probate Mittel für die Reduktion von Komplexität 69 in fast allen Verfahren von einiger Bedeutung geworden ist. Es spricht vieles dafür, dass, gemessen an dem Geist der Reichsstrafprozessordnung von 1877, auch ein grundsätzlich verändertes Verständnis der funktionellen Zusammenhänge des Strafver-

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Schmidt-Hieber Verständigung im Strafverfahren (1986); Schumann Absprachen im Strafprozeß – ein Handel mit der Gerechtigkeit? (1987); Rönnau Die Absprachen im Strafprozeß (1990); Schünemann Absprachen im Strafverfahren? Grundlagen, Gegenstände und Grenzen (1990); Siolek Verständigung in der Hauptverhandlung (1993); Braun Die Absprache im deutschen Strafverfahren (1998); Sinner Der Vertragsgedanke im Strafprozessrecht (1999).

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BVerfG StV 2000 3; NStZ 1987 419; BGHSt 38, 102; 43, 195; Großer Strafsenat StV 2005 311; zur Entwicklung der Rspr.: MeyerGoßner Einl. 119 ff.; Weigend Absprachen in ausländischen Strafverfahren (1990). Dieser von Luhmann geprägte Begriff impliziert durchaus auch die Nutzung von Techniken der Reduktion, die nicht sachangemessen sind.

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fahrens in der Gesellschaft dazu beigetragen hat. Dazu gehört etwa das auch gesetzgeberisch an vielen Stellen der StPO anerkannte Vordringen konsensualer Elemente, und es gehört möglicherweise dazu auch ein insgesamt verändertes Autoritätsverständnis, das der Mitwirkung auch des Angeklagten an der Verhängung und der Akzeptanz der Sanktion einen anderen Stellenwert einräumt, als sie in dem bloßen Erdulden einer von hoher Hand verhängten Maßnahme, auch einer Strafe, gesehen wird.70 Als Ursache für das Vordringen der Absprachepraxis in dem – anders als etwa das anglo-amerikanische Strafrecht 71 – grundsätzlich „vergleichsfeindlich“ ausgestalteten 72 deutschen Strafprozess werden vorwiegend verfahrensökonomische Ursachen, die anders nicht mehr zu bewältigende Komplexität von Großverfahren aber auch Vorwürfe über die dysfunktionale Verwendung prozessualer Befugnisse durch den Angeklagten 73 genannt.74 Von den vielen dagegen erhobenen Bedenken 75 – die Auseinandersetzung wird teil- 59 weise mit großer Emotionalität geführt, wie etwa Schlagworte wie „Handel mit der Gerechtigkeit“ 76, „Richter als Handelspartner“ 77, „Wunderwaffe oder Bankrotterklärung“ 78 oder „falsche Propheten des Abspracheelysiums“ 79 zeigen – sollen hier nur die wichtigsten resümiert werden. Das gesamte filigrane Gerüst der Regeln über die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung wird in der Tat mithilfe von Absprachen aus der StPO katapultiert und durch das Ergebnis der Strafabsprache in der Form eines vorverhandelten Geständnisses ersetzt. Der Verlust an Gerechtigkeit wäre wohl noch hinzunehmen, weil aus der Sicht des Staates eine möglicherweise zu geringe Strafe aufgrund eines kurzen Verfahrens immer noch besser ist, als die Alternative eines Freispruchs in Ermangelung hinreichender Beweise nach langem Verfahren. Aber unterlässt man die hiermit implizierte Unterstellung der fraglosen Schuld des Angeklagten und hält sich an das Gebot der Unschuldsvermutung, so wird das ganze Ausmaß der Rechtsstaatswidrigkeit, welches an Zeiten des frühen Inquisitionsprozesses gemahnt, erkennbar. Die Absprachen sind offenbar nur für die Fälle gedacht, in denen die Schuld von vornherein fraglos ist. Die Strafprozessordnung müsste demgemäss durch eine neue Vorschrift – etwa § 243a – ergänzt werden, die da lauten könnte: „Die folgenden Vorschriften gelten nur für Fälle, in denen das Gericht nicht von vornherein von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist. Insofern ist Art. 6 II EMRK außer Kraft gesetzt. Das Gericht entscheidet unwiderruflich darüber, wann diese Überzeugung vorhanden ist. Die Entscheidung be-

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Vgl. zu diesen Überlegungen, die hier nicht weiter vertieft werden können, auch m.w.N. SK/Wolter Vor § 151, 69 ff.; ferner etwa Hanack StV 1987 500; Lüderssen StV 1990 415 ff. S. etwa Damaska StV 1988 394; Dielmann GA 1981 558; Massano StV 1989 454; Schumann Der Handel mit der Gerechtigkeit (1977); Weigend ZStW 94 (1982) 200; rechtsvergleichende Übersicht insgesamt bei Weigend (Absprachen in Fn. 68). Seier JZ 1988 684; ebenso BGHSt 43 195, 204 = NStZ 1998 32. So etwa SK/Schlüchter Vor § 213, 23 m.w.N.; ähnlich Landau DRiZ 1995 132 (überzogenes Beweisantragsrecht); ob und wieweit dieser Vorwurf berechtigt ist, ist umstritten; s. auch Rn. H 63ff.

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Meyer-Goßner Einl. 119a; SK/Wolter Vor § 151, 69 ff.; Eisenberg (Beweisrecht) 56; Schünemann FS Baumann 363; Siolek DRiZ 1993 422.; insgesamt zu den diskutierten Ursachen u.a. Kintzi JR 1990 313; Hamm ZRP 1990 340 f.; Schmidt-Hieber Die Verständigung im Strafverfahren (1986) Rn. 14 ff.; Rönnau Die Absprache im Strafprozess (1990) 41 ff.; Wolfslast NStZ 1990 410; vgl. auch die Nachw. bei Gerlach Absprachzen im Strafprozess (1992) 21 ff. Vgl. die Zusammenstellung bei Beulke 395. So etwa BVerfG (Kammerentscheidung) NStZ 1997 419; vgl. auch Schumann Der Handel mit Gerechtigkeit (1977). Zschockelt FS Salger 435. Schünemann NJW 1989 1895. So Schünemann StV 1993 657.

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darf keiner Begründung.“ Eine solche Vorschrift wäre nur scheinbar absurd. Allein ihre offene Formulierung macht erschreckend deutlich, was Absprachen eigentlich sind und was tatsächlich – von Fiktionen über Wahrheitsfindung 80 und Freiwilligkeit der Einlassung überdeckt – in der forensischen Praxis längst üblich geworden ist. Nun ist nicht zu verkennen, dass Angeklagte in vielen Fällen durchaus von dieser 60 Praxis profitieren, weil ihr Verzicht auf prozessualen Widerstand mit entscheidend reduzierten Strafen belohnt wird. Was aber für den schuldigen Angeklagten von Vorteil ist, wird für den substantiell zu Unrecht Angeklagten zum Albtraum. Will er nicht das Risiko einer (Fehl)Verurteilung, die zudem mit dem Unmut des Gerichts über die „unnötig“ komplizierte Verhandlung belastet ist,81 eingehen, muss er eine nicht begangene Straftat gestehen. Aber auch der schuldige Angeklagte, der in der legitimen Hoffnung auf unzureichende Beweise einen Freispruch anstrebt, wird darin gehindert, weil er Gefahr läuft, für diese Obstinenz vom Gericht besonders hart bestraft zu werden. Ein deutlicher Verstoß gegen die Unschuldsvermutung! So gehört es denn auch heute – pragmatisch verständlich aber rechtlich verwerflich - zu den üblichen Strategien erfahrener Verteidiger, zur Erhaltung des favor iudicis im Zweifel dem Mandanten zu raten, sich auf einen Handel mit sicherem Ergebnis eher als auf ein streitiges Verfahren mit unsicherem Ausgang einzulassen. Nach Ansicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung werde die Bedingungen zuläs61 siger Absprachen insbesondere durch die Entscheidungen BGHSt 43, 195 und die Entscheidung des Großen Senats vom 3.3.2005 82 wie folgt umschrieben: • Vorab muss das Gericht die Akten rechtlich und tatsächlich überprüft haben, um die „Absprachetauglichkeit“ des Falles einschätzen zu können;83 • an der Abrede müssen unbedingt alle Richter, der Beschuldigte oder sein Verteidiger und der Vertreter der Staatsanwaltschaft teilnehmen; • ein Rechtsmittelverzicht darf nicht Gegenstand der Absprache sein. Ist er es gleichwohl, so muss zur Erhaltung seiner Wirksamkeit eine qualifizierte Belehrung erteilt werden, die ausdrücklich darauf hinweist, dass die Möglichkeit besteht, das Urteil in jedem Fall anfechten zu können; • die Schere zwischen der eigentlich verwirkten Strafe und der durch Absprache reduzierten darf nicht zu groß sein, um den Beschuldigten nicht einem allzu großen Geständnisdruck zu unterwerfen, welcher auch die Verlässlichkeit eines solchen Geständnisses beinträchtigen könnte; • von der vorhergehenden Überlegung unabhängig gilt zur Wahrung der Freiheit der Willensentschließung § 136a StPO uneingeschränkt; • die Absprache muss in die Hauptverhandlung eingebracht und protokolliert werden; • es darf keine verbindliche, auf ein absolut bestimmtes Maß definierte Strafzusage, sondern nur eine Strafobergrenze vereinbart werden, die die Schuldangemessenheit der Strafe nach § 46 StGB nicht verletzt; • der Vorsitzende ist gegenüber anderen Mitangeklagten grundsätzlich nicht verpflichtet, eine solche Absprache offen zu legen.84 Allerdings ist das Gericht verpflichtet, bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Absprache auf die Belange der Mitangeklagten

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LR/Rieß 25 Einl. G 81 spricht etwas euphemistisch von „schlanken Geständnissen“. Krit. auch unter dem Aspekt der Unschuldsvermutung Schünemann Gutachten zum 58. DJT (1990), Bd. I Teil C bei B 95 f.

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In StV 2005 311. BGH StV 2004 360; Großer Strafsenat 2005 312. BGH wistra 1995 222.

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Rücksicht zu nehmen; Verstöße hiergegen können, je nach Lage des Einzelfalles, die Besorgnis der Befangenheit begründen.85 Mitangeklagte, deren rechtliches Gehör durch die Verlagerung der Absprache in die Hauptverhandlung gewährleistet ist, sind keine notwendigen Beteiligten einer Urteilsabsprache. Andernfalls könnte die zu respektierende Weigerung eines Mitangeklagten den Absprachewilligen daran hindern, die ihm zustehenden Möglichkeiten zu nutzen.86 Eine Beteiligung des Nebenklägers ist rechtlich nicht unerlässlich, wenn auch nach Lage des Einzelfalles möglicherweise im Interesse der Wiederherstellung des Rechtsfriedens sinnvoll. Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafver- 61a fahren vom 18.5.2006 will die Probleme auf rechtlicher Ebene festschreiben. Zunächst einmal soll die Verständigung als zulässig auf allen Gerichtsebenen und in allen Verfahrensstadien, also auch schon vor Eröffnung der Hauptverhandlung, festgeschrieben werden. Die erforderliche Transparenz soll durch umfassende Mitteilungs- und Dokumentationspflichten sichergestellt werden. Es soll dabei bleiben, dass ein Rechtsmittelverzicht nicht Gegenstand der Abrede sein darf; eine diesbezügliche Belehrungspflicht wird ins Gesetz übernommen. Die Rügemöglichkeiten in der Revision werden für die Verfahrensbeteiligten begrenzt, die der Verständigung nicht widersprochen haben. Auf diese Weise wird die bisherige Rechtsprechung des BGH übernommen und fortgeschrieben. Die Verständigung wird somit aus der Grauzone reinen Richterrechts herausgeholt und erscheint klarer. Gleichwohl bleiben die Probleme des auf einer Umkehrung der Unschuldsvermutung beruhenden Belastungen für den Beschuldigten, der einen Freispruch anstrebt, bestehen. Rein verfahrensbezogene Absprachen unterliegen nach verbreiteter Meinung den 62 gegen die inhaltsbezogenen Absprachen bestehenden Bedenken nicht.87 Sie sind vielmehr nicht nur oft durch gesetzliche Vorgaben ermöglicht, sondern auch durch das Fairnessgebot (s. Rn. I 104 ff.) und die gerichtliche Fürsorgepflicht (s. Rn. I 121 ff.) gefordert. Dazu gehören im Zwischenverfahren etwa Vereinbarungen über die Dauer der dem Angeschuldigten einzuräumenden Erklärungsfrist oder ihrer Verlängerung, im Hauptverfahren vor allem Verständigungen über den Hauptverhandlungstermin sowie in größeren Verfahren über die Strukturierung und den Ablauf der Hauptverhandlung.88 Freilich werden sich verfahrensbezogene und inhaltsbezogene Absprachen nicht immer vollständig trennen lassen. Geht es etwa um einen Ladungsplan bei der Terminierung eines größeren Verfahrens oder vor dessen Fortsetzung nach einer längeren Pause, so wird bei einer hierüber zu treffenden Vereinbarung nicht selten auch die Frage des zu erwartenden Prozessverhaltens des Angeklagten und damit verbunden auch die Höhe der zu erwartenden Sanktion thematisiert werden können oder müssen. Gescheiterte Vereinbarungen oder solche Urteilsabsprachen, an die sich das Gericht 63 wegen des Bekanntwerdens erheblicher neuer Umstände nach einem Hinweis nach § 265 StPO nicht für gebunden erachtet,89 bieten in ihrer Erledigung dann keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten, wenn die von der Vereinbarung erfassten Prozesshandlungen

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BGHSt 37 99, 103, wo die Möglichkeit erörtert wird, dass die nicht an der Absprache beteiligten Mitangeklagten diese durch ihre Verteidigung als Zuhörer „begleitend kontrollieren“. Vgl. BGHSt 37 99, 103 = JR 1991 116 m. Anm. Böttcher.

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So etwa SK/Schlüchter Vor § 213, 27; Baumann NStZ 1987 160; Siolek Verständigung in der Hauptverhandlung (1990) 47. S. die Erl. zu §§ 213, 228. BGHSt 43 195, 210 = NStZ 1998 31, 34.

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und Verfahrenslagen noch rückgängig gemacht werden können oder der Verzicht auf sie dadurch seiner Bedeutung entkleidet wird, dass sie nachgeholt werden. Von praktischer Bedeutung ist deshalb wohl in erster Linie der Fall des absprachegemäß geleisteten Geständnisses.90 Insoweit geht die Rechtsprechung davon aus, dass dessen Wirksamkeit nicht in Frage gestellt wird, wenn eine zulässige Vereinbarung nachträglich nicht eingehalten wird.91 Zu befriedigen vermag die Ansicht der Rechtsprechung etwa dann, wenn man verlangte, dass ein solches Geständnis einer besonders sorgfältig zu würdigenden Abstützung durch das sonstige Beweisergebnis bedürfe. Dies ist im Ansatz erkennbar bei der Rechtsprechung des BGH zur Verwertbarkeit des abgesprochenen Geständnisse eines Angeklagten gegenüber einem anderen Mitangeklagten.92 Die Literatur bietet andere Lösungen an.93 Die Verwertbarkeit von Geständnissen auf Grund einer möglicherweise unzulässigen Vereinbarung hat die Rechtsprechung zunächst unterschiedlich, aber mit einer Tendenz zu ihrer Bejahung behandelt.94 Urteilsabsprachen in der Hauptverhandlung können, auch wenn sie mit einem 64 Rechtsmittelverzicht geendet haben, angefochten werden, wenn sie unzulässig oder rechtsfehlerhaft waren, weil die Voraussetzungen für Absprachen nicht erfüllt worden sind 95 oder aber das Gericht aufgrund einer wirksamen Abrede sich nicht innerhalb des abgesprochenen Strafrahmens hält.96 Auch können solche Urteile, falls denn die Revision nicht wirksam ausgeschlossen wurde, wegen anderer Fehler angefochten werde. Ebenfalls mit Hilfe der Verfahrensrüge kann der Verstoß gegen die grundsätzliche Bindung an die Absprache dahingehend überprüfbar sein, ob die Abweichung von der Absprache durch „schwerwiegende neue Tatsachen“ gerechtfertigt war. Umgekehrt dürfte es der Aufklärungsrüge (von Seiten der Staatsanwaltschaft) zugänglich sein, wenn der Tatrichter nach der Absprache sich ihm aufdrängende neue Erkenntnisse, die zu einer Überschreitung der zugesagten Obergrenze Anlass geben könnten, unberücksichtigt gelassen hat. Auch und besonders im Ermittlungsverfahren gibt es Absprachetechniken, obwohl sie 65 offiziell nicht zu diesen von der Rechtsprechung gebilligten Sonderformen in der Hauptverhandlung zählen. Insbesondere durch die in §§ 153 ff. eingeräumten Opportunitätsmöglichkeiten werden solche Absprachemöglichkeiten eröffnet, vgl. die dortigen Kommentierungen. Der Vorbehalt unvollständiger Tatsachenaufklärung ist hier noch stärker als bei der Absprache in der Hauptverhandlung, wird doch Opportunität überwiegend als probates Mittel gegen die erhebliche Überlastung der Staatsanwaltschaft und der Gerichte angewendet. Dies impliziert fast notwendig den Verzicht auf hinreichende Ermittlungen. Allein in rechtlich und tatsächlich unproblematischen Verfahren üblicher Kleindelinquenz sind die von Rechtsprechung und Literatur vorgegebenen Voraussetzungen gegeben, wonach zum Einstellungszeitpunkt ein hinreichender Verdacht bestehen muss und die Strafbarkeit des Tatgeschehens sicher ist. Letzteres mag als überflüssige Selbstverständlichkeit erscheinen, hat aber angesichts einer Einstellungspraxis, die ver-

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Vgl. auch die Gesamtübersicht bei SchmidtHieber (Verständigung) Rn. 247 ff. BGHSt 38 102 (unter III B 2). BGH StV 2006 118. Es wird ein Beweisverwertungsverbot diskutiert, vgl. etwa SK/Schlüchter Vor § 213, 46 a.E.; Beulke/Satzger JuS 1997 1074 ff. und BGH 42 191; auch wird vorgeschlagen, bei einer solchen Konstellation den Richter als

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befangen anzusehen Gerlach Absprachen im Strafprozess (1992) 134 ff. Vgl. BGHSt 38 102, 104; BGHSt 42 191, 193; dazu Beulke/Satzger JuS 1997 1072; BGH NStZ 1997 561. BVerfG NJW 1987 2662 = NStZ 1987 419; Meyer -Goßner Einl. Rn. 119 ff.; Mosbacher JuS 2004 974. BGHSt 43 195, 210 f.

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mehrt dazu übergeht, ungelöste materiell-rechtliche Probleme über Einstellungen zu erledigen,97 doch eine wesentliche Bedeutung. Im englischen Rechtskreis sind solche Techniken unter dem Begriff des pleading guilty 66 lange bekannt und finden in Italien 98 im gesetzlich geregelten pattegiamento ihr Gegenstück. In Frankreich hat sich eine Technik etabliert, die zwar nicht der Vermeidung der Hauptverhandlung, sondern vielmehr der Vermeidung des komplizierten Verfahrens der Etablierung eines Geschworenengerichts (cour d’assises) dient. Die sog. correctionalisation judiciaire 99 ist ein Verfahren, in welchem in Absprache mit der Verteidigung die Staatsanwaltschaft den Tatvorwurf reduziert, um die wegen der Vielfalt der Einspruchsmöglichkeiten schwierige Besetzung der Geschworenenbank zu vermeiden. Im Vereinigten Königreich dient überdies das sog. voir dire, ein unter Ausschluss der Jury stattfindendes Verhandeln zur Abklärung der Zulässigkeit von Beweisen, der Verfahrensvereinfachung. d) Informelle Strategien der Vereinfachung der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung Die unter (c) beschriebenen gesetzlich oder von der Rechtsprechung gebilligten Instru- 67 mente des Aushandelns von Ergebnissen unter Umgehung der komplexen Vorschriften zur Wahrheitsfindung finden ihre ungute Ergänzung in informellen Strategien, welche ohne solche Absicherung gleichwohl in allen europäischen Ländern üblich sind. Die „Kooperation“ des Angeklagten wurde von jeher von Gericht und Staatsanwaltschaft belohnt, ohne dass diesbezüglich von Absprachen oder plea bargaining die Rede sein musste. So wird das Geständnis generell als Ausdruck der Reue gewertet und mit zum Teil enormen Strafrabatten honoriert. Dabei wird wegen der Natur solcher Vorgänge nie ganz deutlich, ob die dadurch bewirkte Erleichterung der gerichtlichen Arbeit oder die Erleichterung des Gewissens des Angeklagten ausschlaggebend ist. Auch Teilgeständnisse, insbesondere solche, die verletzlichen Zeugen (Sekundärviktimisierung) den Gerichtsauftritt ersparen, wie das vor allem in sexuellen Missbrauchsfällen die Regel ist, schlagen sich in deutlichen Strafreduktionen nieder. Der Grund für das ebenso stillschweigende wie reibungslose Funktionieren solcher Techniken liegt in der Breite und Unbestimmtheit der Strafzumessungsregeln. Solange das materielle Recht es für das Gericht leicht macht, mit geringfügigen Begründungsvarianten erhebliche, in Monaten und Jahren zählende Strafvarianten zu verhängen, ist das Gericht in der Lage, unter diskretem Hinweis hierauf wesentliche Verfahrensgarantien auszuhebeln.100 3. Das Dilemma: Wie viel Prozessrecht kann/muss die Praxis gewähren? Die obigen Ausführungen haben nachdrücklich gezeigt, dass in den meisten europä- 68 ischen Staaten wesentliche Verfahrensgarantien der jeweiligen Strafprozessordnungen und der EMRK durch reale Verfahrensstrukturen unterlaufen und neutralisiert werden. 97

Da solche Lösungen letztendlich einverständlich ausgehandelt werden, erscheinen sie selten in der Rspr. als Probleme. Es ist aber bekannt, dass vor allem im Umweltstrafrecht solche Opportunitätsabreden zur Vermeidung des Austragens schwieriger materiellrechtlicher Probleme getroffen werden. Das LG Bonn hat allerdings in der Sache gegen Helmuth Kohl die Schwierigkeit der Rechtslage offen als Einstellungsgrund genannt

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NStZ 2001 375 m. krit. Anm. Beulke NStZ 2001 426. Bogner Absprachen im Deutschen und Italienischen Strafprozessrecht (2000). Kühne Rn. 1227. Dies sieht auch der BGH so, wenn er mahnt, die Fairness des Verfahrens dürfe nicht durch das Versprechen unangemessen hoher Strafreduktionen für ein Geständnis verletzt werden StV 2003 637 ff.

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Ohne Vorliegen entsprechender statistischer Daten gibt es Grund zur Annahme, dass europaweit mindestens 90 % aller Strafverfahren in vorrechtsstaatlicher Art und Weise verkürzt erledigt werden. Das freut die Justizverwaltungen, weil Kosten gespart werden und die Strafjustiz einem sonst unvermeintlichen Kollaps entgeht. Weder der Strafprozessualist noch der auf den Rechtsstaat vertrauende Bürger können sich jedoch mit diesem Befund zufrieden geben. Der Bürger nicht, weil seine im 19. Jahrhundert nach schweren Kämpfen endgültig gesicherten Rechte vor der Allgewalt des strafverfolgenden Staates plötzlich wieder im Schwinden begriffen sind und die Beschwörung der Effizienz der Strafverfolgung in Zeiten großer Bedrohungen der Gesellschaft durch Verbrechen trotz eines allgemeinen Bekenntnisses zum Rechtsstaat wieder zu alten Formen des Inquisitionsprozesses führt. Der Prozessualist nicht, weil er die Aushöhlung wichtigster Rechtspositionen und die Reduzierung ihrer Anwendung auf eine kleine Minderheit von Fällen unter dem Konzept der allgemeinen Geltung des Rechts und seiner leitenden Grundsätze nicht ohne weiteres akzeptieren darf. Wir haben es mit einem Konflikt zwischen Pragmatik und Dogmatik zu tun. Schwierig 69 wird das Ganze dadurch, dass beide Positionen eine unbestreitbare Relevanz haben. Es wäre in der Tat abwegig zu leugnen, dass es eine Vielzahl von Fällen gibt, in denen der strafrechtliche Vorwurf unkompliziert und ohne Rekurs auf komplexe, handlungsleitende Normen geklärt werden kann. Dies sind jedoch alles Vorwürfe, die in eine schnelle – und in der Regel auch akzeptierte – Verurteilung führen. Das Dilemma besteht daher in der mangelnden hinreichenden Definierbarkeit solcher Fälle. Wie können wir solche offensichtlich unproblematischen Fälle von anderen, die bei der Beweisaufnahme auf alle strafprozessualen Vorschriften angewiesen sind, unterscheiden? Wie können wir vermeiden, dass unter dem Vorwand der offensichtlichen Einfachheit des Falles die Unschuldsvermutung und alle anderen Garantien ignoriert werden und der Beschuldigte in das scheinbar kleinere Übel einer minderen Verurteilung getrieben wird? 4. Überlegungen zur Begrenzung der partiellen Anwendung des Strafverfahrensrechts

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Die entscheidende Frage ist also: Wann muss das Strafverfahrensrecht in seiner Gänze angewendet werden und wann darf es – partiell – außer Kraft gesetzt werden? Es geht um die Voraussetzungen der partiellen Anwendbarkeit des Strafverfahrensrechts. Wissenschaft, Gesetzgebung und Praxis haben es weithin versäumt, Kriterien zur Rechtfertigung partieller Rechtsgewährung zu entwickeln. Der Gesetzgeber hat in vielen Fällen immerhin versucht, verkürzte Verfahren nur bei Einwilligung des Beschuldigten zu gestatten und das vollständige Verfahren sozusagen als Reserve vorzuhalten. Gleiches hat die deutsche Rechtsprechung bezüglich der prozessualen Abreden getan. Bei all diesen Versuchen wurde aber nicht hinreichend berücksichtigt, dass das Kon71 zept der Freiwilligkeit in Anbetracht der Definitionsgewalt des Gerichts und des damit verbunden allgemeinen Prozessrisikos eher naiv ist. Dieses Prozessrisiko konstituiert sich insbesondere durch die Unschärferelationen bei der Beweiswürdigung sowie bei der Strafzumessung. Was die Beweiswürdigung angeht, so hat zwar die Revisionsrechtsprechung seit den Zeiten des aufgeklärten liberalen Strafprozesses des 19. Jahrhunderts mit der Überprüfung der conviction raisonnée 101 recht erfolgreich versucht, nachvollziehbare Kriterien für die Darlegung der Gedankenführung bei der Würdigung der in der Haupt101

Vgl. zur grundsätzlichen. Diskussion von conviction raisonée und intime: Zachariä Die Gebrechen und die Reform des deut-

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schen Strafverfahrens (1846) 307; zur Geschichte Kunert GA 1979 401.

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verhandlung vorgebrachten Beweise aufzustellen.102 Ohne Erfolg musste ein solches Unterfangen jedoch bei der sog. conviction intime bleiben. Die Einschätzung des Beweiswertes von einzelnen Beweisen, die Zubilligung von Glaubwürdigkeit, all dies wird letztlich auf einer zutiefst subjektiven Ebene geleistet, die sich der rationalen Überprüfung weitestgehend entzieht.103 Hier bleibt also ein Bereich endgültig nicht objektiv zu erfassender richterlicher Würdigungsfreiheit und damit eine Quelle für Irrtum und Missbrauch. Was die Weite der Strafzumessungsmöglichkeiten angeht, so bieten die Strafrahmen 72 eine schier unvorhersehbare Vielfalt von Bemessungsvarianten, die mit der Behauptung, sie seien schuldangemessen, in ihrer Beliebigkeit nur unzureichend verschleiert werden. Die Schaffung eines Beispielkatalogs nach Maßgabe des US-amerikanischen Vorbilds 104 könnte eine kleine Eingrenzung bieten, die aber noch genügend Freiräume und damit hinreichend große Unschärferelationen enthielte, welche das Zumessungsrisiko weiterhin unvorhersehbar beließen. Aus Praktikabilitätsgründen kann trotz dieser Situation sicher nicht gefordert werden, 73 zur Verringerung dieser Risiken und zur Erhaltung eines für alle Fälle gleichen Risikostandes in jedem Verfahren das vollständige Recht anzuwenden. Die Strafjustiz in jedem Lande würde unter einer solchen Last zusammenbrechen. Als „vernünftige“ Alternative bliebe also nur die Suche nach möglichst konkreten Kriterien für die Legitimation eines schrittweisen Abbaus von prozessualen Garantien in bestimmten Verfahren. Wenn ich recht sehe, bieten sich hierfür drei Kategorien an, die jeweils für sich aber auch in Kombination miteinander für die Bildung eines solchen Kriterienkatalogs in Frage kommen könnten: 1) Die Garantie von unabdingbaren und durch keine Verkürzungsstrategie neutralisierbaren Mindeststandards; 2) die Verknüpfung von Kriterien der Schwere und der Komplexität des Falles mit denen des Ausmaßes von zu gewährenden und unverzichtbaren Prozessgarantien; 3) die verstärkte Überprüfung der Freiwilligkeit des Beschuldigten bei seiner Zustimmung zur Verfahrensvereinfachung, die in der Regel in einer inkongruenten Kommu-

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BGH NStZ 1990 402, 501; StV 1994, 358, 526; 1995, 6, 62; 1996, 249, 582. Schmidhäuser FS Henkel 229 ff. weist darauf hin, dass Richter gleichwohl gern den Eindruck erwecken, es gehe um die Errechnung eines mathematisierbaren Ergebnisses; Peters FS Würtenberger 77 ff. führt in diesem Zusammenhang aus „Das Schicksal des Angeklagten liegt wenigstens zu einem Anteil in der Persönlichkeit seiner Richter. Für einen Verteidiger bedeutet es eine der schwierigsten Aufgaben, die sich aus der richterlichen Persönlichkeit ergebende Einseitigkeit und Voreingenommenheit zu durchbrechen“. Auch beim Indizienbeweis hat das Spiel mit mathematisierten Wahrscheinlichkeitswerten mehr heuristischen Wert und beschreibt nicht den Grund für die jeweilige richterliche Überzeugung; illustrativ Bender/Nack Tatsachenfest-

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stellung vor Gericht Bd. I Glaubwürdigkeits- und Beweislehre (1995) 378 ff. Vgl. dazu die aufwendigen aber gleichwohl erfolglosen Überlegungen etwa von Hoyer ZStW 105 (1993) 533; H. E. Müller in Kühne et al. (Hrsg.) FS Rolinski (2002) 291; Nack 32; vgl. auch Tribe Harvard Law Review 84 (1971) 1350, Trial by mathematics; Finkelstein/Fairley The Law Review 83 (1970) 489, A Bayesian approach to identification of evidence. 1987 wurden von der U.S. Sentencing Commission erstmals sog. „Sentencing guidelines“ herausgegeben, die kontinuierlich weiterentwickelt werden (zum aktuellen Stand: U.S. Sentencing Commission Guidelines Manuals and Amendments, http://www.ussc.gov/guidelin.htm); vgl. auch: Schmid Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten (1993) 176.

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nikationssituation erteilt wird, in welcher der Beschuldigte strukturell unfrei ist, etwa durch den Vorbehalt der Beteiligung eines (Pflicht-)Verteidigers, sobald Verminderungen von Verfahrensrechten anstehen.

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Zu 1) Gewisse Mindeststandards können und müssen für alle, auch und gerade für die vereinfachten/verkürzten Verfahren garantiert sein, um das Strafverfahren und sein Recht nicht zu einer Farce verkommen zu lassen. Was im Einzelnen dazu gehören muss, kann nur eine weitere Diskussion erbringen. Aber schon jetzt scheint unbestreitbar, dass eine Mitwirkung des Beschuldigten bei der Beweisaufnahme auch im Ermittlungsstadium zumindest im Rahmen der Gewährung von rechtlichem Gehör, welches auch Antragsbefugnisse umfassen muss, unverzichtbar ist. Ebenso darf nicht von einer eigenständigen Beweiswürdigung der verfahrensbeendenden Instanz abgesehen werden, die in der Regel eine richterliche Instanz sein wird, aber auch auf der Ebene von Polizei und Staatsanwaltschaft zu finden ist, wie oben gezeigt wurde. Obschon ein weitgehender internationaler Konsens in der Prozessrechtswissenschaft und Praxis herrscht, nach welchem ein bloßes Geständnis nie allein die Basis für eine verfahrensabschließende Tatsachenfeststellung sein darf,105 wird hiergegen tatsächlich in weitestem Maße verstoßen. Geständige Einlassungen oder die Akzeptierung von Tatvorwürfen sind die Basis für die meisten Verfahrensverkürzungen und -vereinfachungen. Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen geht es hier ausschließlich um die adäquate, also schlüssige Formulierung von Geständnissen, die es den Gerichten gerade abnimmt, nochmals eigenständig den realen Beweiswert solcher Einlassungen zu überprüfen. Es wird zu überlegen sein, wie einem solchen Missbrauch begegnet werden kann.

75

Zu 2) So willkommen es rechtspolitisch auch ist, in kleineren Strafsachen auf die Fülle verfahrensrechtlicher Vorschriften zu verzichten und „effiziente“ Erledigungsverfahren anzuwenden, so sehr wäre es doch verfehlt anzunehmen, dieser Satz sei umkehrbar. Gerade in schweren und hochkomplexen Verfahren haben Techniken der Verfahrensvereinfachung nicht erst in letzter Zeit in Europa Konjunktur. Es würde also gegen die expliziten Interessen der Praxis verstoßen, Verfahrensvereinfachungen nur den bagatellarischen Sachen vorzubehalten. Freilich bedeutet dies, dass mit zunehmender Schwere und Komplexität eines Falles größere Vorsicht bei den Vereinfachungstechniken einzufordern ist.

76

Zu 3) Die Praxis tendiert dazu, die Mitwirkung von Verteidigern als Umstand einzuschätzen, der zur Verfahrensverlängerung führt. Wenngleich diese Einschätzung in einigen wenigen Fällen zutreffen mag,106 ist das Gegenteil in der täglichen Praxis die Regel.107 Wenn denn am üblichen Verhalten von Verteidigern Kritik geübt werden muss, so wäre es eher ihre allzu oft anzutreffende Bereitschaft, sich richterlichem/staatsanwaltlichem Druck im oft nur vermeintlichen Interesse ihrer Mandanten zu beugen. Immerhin aber sind Verteidiger gleichsam die geborenen Prozessteilnehmer, wenn es um den Schutz des Beschuldigten vor Rechtsentzug im Strafprozess geht. Man könnte daran denken, die

105

106

So die Rspr. von BVerfG und BGH, in der ständig betont wird, dass bei informellen Abreden das Gericht die Zuverlässigkeit geständiger Einlassungen überprüfen müsse: BVerfG NStZ 1987 419; BGHSt 43, 195; BGH, NJW 1999 370. Insbesondere aus Anlass sog. Konfliktver-

226

107

teidigungen wird dies moniert, obwohl solche Fälle extrem selten sind, vgl. Kühne NJW 1998 3027; ders. StV 1996 684 ff. Vgl. dazu insbesondere die Studie von Schöch Der Einfluss der Strafverteidigung auf den Verlauf der Untersuchungshaft (1997).

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Grundlagen des Strafverfahrens

Einl. Abschn. H

Wirksamkeit der Einwilligung des Beschuldigten in Verfahrensvereinfachung/Rechtsentzug von einer davor durchgeführten Information durch einen Verteidiger abhängig zu machen. Eine solche Information kann vom Staatsanwalt wegen seiner entgegen § 160 II StPO regelmäßig anzutreffenden Verfolgungsorientiertheit nicht erteilt werden und vom Richter nicht, weil dieser dadurch Gefahr liefe, der Vorwegwürdigung von Tatsachenund Rechtsfragen geziehen zu werden. Darüber hinaus wäre es denkbar, Staatsanwaltschaften und Gerichte dazu zu ver- 77 pflichten, bei Entscheidungen über ausgehandelte Verfahrensverkürzungen das aus ihrer Sicht für den Beschuldigten bestehende Prozessrisiko konkret zu beschreiben, um auch von Seiten des Beschuldigten die erforderliche Transparenz zu schaffen. Solche protokollierten Äußerungen könnten nicht nur eine adäquate Basis für die Herstellung eines „informed consent“ mit Hilfe eines Verteidigers sein, sondern wären auch der Kontrolle der Rechtsmittelgerichte zugänglich.

H. Grundlagen des Strafverfahrens Schrifttum (Auswahl) Verfassungsrechtliche Gewährleistungen und Justizgewährung. Arnold Der Einfluss des BVerfG auf das nationale Straf-und Strafverfahrensrecht, StraFo 2005 2; Bettermann Die verfassungskonforme Auslegung – Grenzen und Gefahren (1986); Degenhard Gerichtsverfahren HdbStR Bd. III (1988) § 76 S. 879; Eisele Die Berücksichtigung der Beschuldigtenrechte der EMRK im deutschen Strafprozess aus dem Blickwinkel des Revisionsrechts, JR 2004 12; Erb Nothilfe durch Folter, Jura 2005 24; Flechsig Schutz gegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, ZUM 2004 605; Führ, Tillmann § 201a StGB – eine problemorientierte Betrachtung aus der Sicht der Presseselbstregulierung, ZUM 2005 441; Gaede Die besonders vorsichtige Beweiswürdigung bei der exekutiven Sperrung von Beweismaterial im Konflikt mit dem Offenlegungsanspruch des Art. 6 I 1 EMRK, StraFo 2004 195; Gazeas Die Europäische Beweisanordnung – Ein weiterer Schritt in die falsche Richtung? ZRP 2005 18; Gleß Kommentar zum Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über eine Europäische Beweisanordnung, StV 2004 679; Gola/Klug Die Entwicklung des Datenschutzes in den Jahren 2004/2005, NJW 2005 2434; Grünwald Menschenrechte im Strafprozeß, StV 1987 453; Gusy Möglichkeiten und Grenzen einer europäischen Antiterrorpolitik, GA 2005 215; Hain Ockhams Razor – ein Instrument zur Rationalisierung der Grundrechtsdogmatik? JZ 2002 1036; Hassemer Die „Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ – ein neuer Rechtsbegriff? StV 1982 275; ders. Menschenrechte im Strafprozeß, KritV 1988 336; ders. Sicherheitsbedürfnis und Grundrechtsschutz: Umbau des Rechtsstaates, StraFo 2005 312; ders. Unverfügbares im Strafprozeß, FS Maihofer 183; Hermann Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nationalen Rechts in Strafverfahren, EuZW 2005 436; Hetzer Terrorismusbekämpfung zwischen Risikosteuerung und Rechtsgüterschutz, MschrKrim 2005 111; ders. Terrorbekämpfung – Strafverfoglung oder Kriegsführung? Kriminalistik 2004 508; Hilger Über verfassungs- und strafverfahrensrechtliche Probleme bei gesetzlichen Regelungen grundrechtsrelevanter strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen, FS Salger 319; Hill Verfassungsrechtliche Gewährleistungen gegenüber der staatlichen Strafgewalt HdbStR Bd. VI (1989) § 156 S. 1306; Höfling Das Verbot prozessualer Willkür, JZ 1991 955; Ignor Über die höchste Aufgabe der Gesetzgebung im Bezug auf den peinlichen Prozess, Jura 1994 238; Jakobs Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutverletzung, ZStW 97 (1985) 751; Julius Ablehnung eines Beweisantrages auf Vernehmung eines im Ausland zu ladenden Zeugen bei Ungeeignetheit einer kommissarischen oder audiovisuellen Vernehmung, StV 2004 466; Katzorke Die Verwirkung des staatlichen Strafanspruchs (1990); Keilich Die Auswirkungen der Grundrechte/ Menschenrechte für das Arbeitsrecht in Deutschland und England, Diss. 2005; Klein Grundrechtliche Schutzpflicht des Staates, NJW 1989 1633; Köhler Prozeßrechtsverhältnis und Ermittlungseingriffe, ZStW 107 (1995) 10; Krauß Zur Funktion der Prozeßdogmatik in: Jung/Müller-Dietz

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Einleitung

(Hrsg.), Dogmatik und Praktik des Strafverfahrens (1989), 1; Leisner „Abwägung überall“ – Gefahr für den Rechtsstaat, NJW 1997 636; Lorenz Absoluter Schutz versus absolute Relativität – Die Verwertung von Tagebüchern zur Urteilsfindung im Strafprozeß? GA 1992 254; Müller Rechtsstaat und Strafverfahren (1980); Müller-Dietz Sozialstaatsprinzip und Strafverfahren, FS Dünnebier 387; Naucke Gesetzlichkeit und Kriminalpolitik, JuS 1989 862; Nehm Die Verwirklichung der Grundrechte durch die Gerichte im Prozeßrecht und Strafrecht in: Heyde/Starck, Vierzig Jahre Grundrechte in ihrer Verwirklichung durch die Gerichte (1990) 173; Niebler Der Einfluß der Rechtsprechung des BVerfG auf das Strafprozeßrecht FS Kleinknecht 299; Niemöller/Schuppert Die Rechtsprechung des BVerfG zum Strafverfahrensrecht, AöR 107 (1982) 387; Paeffgen Hat der Strafprozess einen Sicherungs-/Sicherheits-Auftrag? DRiZ 1998 317 ff.; Papier Justizgewähranspruch HdbStR Bd. VI (1989) § 153 S. 1231; Peters Justizgewährungspflicht und das Abblocken von Verteidigungsvorbringen, FS Dünnebier 53; Rau/Zschiescgheck Reaktionsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft auf verfassungswidrige Strafbefehle, JuS 2005 802; Riehle Funktionstüchtige Strafrechtspflege contra strafprozessuale Garantien, KritJ 1980 316; Rieß Verfassungsrecht und Strafprozeß, StraFo 1995 94; Roxin, Imme Die Rechtsfolgen schwerwiegender Rechtsstaatsverstöße in der Strafrechtspflege2 (1995); Rüping Der Schutz der Menschenrechte im Strafverfahren – wesentliche Erfordernisse eines gerechten Strafverfahrens, ZStW 91 (1979) 359; Saurer Die Ausweitung sicherheitsrechlicher Regelungsansprüche im Kontext der Terrorismusbekämpfung, NVwZ 2005 275; Sax Grundsätze der Strafrechtspflege in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte Bd. III (1959) 909; Schaper Studien zur Theorie und Soziologie des gerichtlichen Verfahrens (1985); Scheerer Nachteil und Nutzen kritischer Kriminologie in Zeiten des Terrorismus, KrimJ 2002 35; Schenke Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit (1987); Schlüchter Wert der Form im Strafprozeß, Rudolphi-Symp. 205; Eb. Schmidt Strafrechtspflege in Gefahr, Freiheitsrechte und staatliche Ordnung, ZStW 80 (1968) 567; Schorn Der Schutz der Menschenwürde im Strafverfahren (1963); Seelmann Staatliches venire contra factum propium als strafprozessuales Problem in: Jung/Müller-Dietz (Hrsg.) Dogmatik und Praktik des Strafverfahrens (1989) 25; Sommer Das Schnüffeln geht weiter, AnwBl 2005 50; Tiedemann Verfassungsrecht und Strafrecht (1991); Tomuschat Der 11. September und seine rechtlichen Konsequenzen, EuGRZ 2001 535; Tröndle Das Bundesverfassungsgericht und sein Umgang mit dem „einfachen Recht“, FS Odersky 259; Wasmeier Stand und Perspektiven des EU-Strafrechts, ZStW 116 (2004) 320; Weigend Deliktsopfer und Strafverfahren (1989); Wohlers Das partizipatorische Ermittlungsverfahren – kriminalpolitische Forderung oder „unverfügbarer“ Bestandteil eines fairen Strafverfahrens? GA 2005 11; Wolfslast Staatlicher Strafanspruch und Verwirkung (1995); Wolter Menschenwürde und Freiheit im Strafprozeß, GedS Meyer 493; ders. Verfassungsrecht im Strafprozeß- und Strafrechtssystem, NStZ 1993 1; weiteres Schrifttum s. Abschnitte B (Allgemeines), I (verfassungsrechtliche Prozeßmaximen) und L (Beweisverbote). Erforschung der materiellen Wahrheit. Arzt Ketzerische Bemerkungen zum Prinzip in dubio pro reo (1997) 8 ff.; Bender/Nack Vom Umgang der Juristen mit der Wahrscheinlichkeit, FS 10 Jahre Deutsche Richterakademie (1983) 263; Beulke Der Verteidiger im Strafverfahren (1980); Dencker Zum Geständnis im Straf- und Strafprozeßrecht, ZStW 102 (1990) 51; ders. Beschleunigung des Strafprozesses. Vereinfachte Feststellung von Sachverhalten, die von den Verfahrensbeteiligten als „unstreitig“ bezeichnet werden, StV 1994 503; Döring Die Erforschung des Sachverhalts (1964); Fincke Die Gewissheit als hochgradige Wahrscheinlichkeit, GA 1973 266; Grasnick Wahres über die Wahrheit – auch im Strafprozeß in: 140 Jahre Goltdammers Archiv für Strafrecht (1993) 55; Graul Systematische Untersuchungen zur Offenkundigkeit im Strafprozeß (1996); Grünwald Das Beweisrecht der StPO (1993); Jerouschek Jenseits von Gut und Böse: Das Geständnis und seine Bedeutung im Strafrecht, ZStW 102 (1990) 793; Knapp Der Verteidiger als Organ der Rechtspflege (1974); Krauß Das Prinzip der materiellen Wahrheit im Strafprozeß, FS Schaffstein (1975) 411; Krumm Bewährungswiderruf trotz Unschuldsvermutung? NJW 2005 1832; Lampe Richterliche Überzeugung, FS Pfeiffer 353; Meurer Beweiswürdigung, Überzeugung und Wahrscheinlichkeit, FS Tröndle 533; Müller Neue Ermittlungsmethoden und das Verbot des Zwanges zur Selbstbelastung, EuGRZ 2001 546; Neumann Materiale und prozedurale Gerechtigkeit im Strafverfahren, ZStW 101 (1989) 52; Paulus Prozessuale Wahrheit und Revision, FS Spendel (1992) 687; Scherer Das Beweismaß bei der Glaubhaftmachung (1996); Schmid Über Glaubhaftmachen im Strafprozeß, SchlHA 1981 73; Schmidt-Hieber Hinweis auf die strafmildernden Wirkungen eines Geständnisses? FS Wassermann

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Grundlagen des Strafverfahrens

Einl. Abschn. H

995; Schünemann Reflexionen über die Zukunft des deutschen Strafverfahrens, FS Pfeiffer 461; Spendel Wahrheitsfindung im Strafprozeß, JuS 1964 465; Stein „Gewissheit“ und „Wahrscheinlichkeit“ im Strafverfahren, Rudolphi-Symp. 233; Stern Der Geständniswiderruf als forensisches Erkenntnisproblem, StV 1990 563; Volk Diverse Wahrheiten, FS Salger 411; ders. Wahrheit und materielles Recht im Strafprozeß (1980); Zieger Verbotene Vernehmungsmethoden, § 136a StPO, AnwBl BE 1990 180. Weiteres Schrifttum s. Abschnitt H und bei den §§ 244, 261 und 337 StPO. Rechtsmissbrauch. Alsberg in: Taschke (Hrsg.) Alsberg Ausgewählte Schriften (1992) Die Philosophie der Verteidigung 338; Ankermann Nach einem Verfahren platt oder Adieu! Rechtsstaat, DRiZ 1993 67; Barton (Hrsg.) Redlich, aber falsch. Die Fragwürdigkeit des Zeugenbeweises (1995); Baumann Von der Grauzone zur rechtsstaatlichen Regelung, NStZ 1987 157; Blankenburg/Sessar/ Steffen Die Staatsanwaltschaft im Prozeß strafrichterlicher Sozialkontrolle (1978); Eschenhagen Der Missbrauch des Beweisantragsrechts (2001); Jahn Konfliktverteidigung und Inquisitionsmaxime (1998); ders. Kann „Konfliktverteidigung“ Strafvereitelung (§ 258 StGB) sein? ZRP 1998 104; ders. Sitzungspolizei contra „Konfliktverteidigung“, NStZ 1998 389; Kempf Rechtsmißbrauch im Strafprozeß, StV 1996 502; Kröpil Ist eine allgemeine gesetzliche strafprozessuale Mißbrauchsklausel notwendig? ZRP 1997 10; ders. Zum Begriff des Mißbrauchs in §§ 241 Abs. 1, 138a Abs. 1 Nr. 2 StPO, JR 1997 30; Kudlich Ist eine allgemeine gesetzliche strafprozessuale Mißbrauchsklausel notwendig? ZRP 1997 295; Kühne Wer mißbraucht den Strafprozeß? StV 1996 684; ders. Rechtsmissbrauch des Strafverteidigers, NJW 1998 3027; Niemöller Rechtsmissbrauch im Strafprozeß, StraFo 1996 104; Nüsse Verfahrensbeschleunigung ohne Beeinträchtigung der Verteidigung aus der Sicht eines Richters, StraFO 1996 34; Rudolphi Strafprozeß im Umbruch, ZRP 1976 165; Rüping/Dornseifer Dysfunktionales Verhalten im Prozeß, JZ 1977 417 ff.; Rüping Der Mißbrauchsgedanke im Strafprozeßrecht und sein Missbrauch, JZ 1997 868 f.; ders. Die Mitverantwortung des Staates als Strafverfolgungshindernis (1987); Schaefer Alarmzeichen für die Strafverteidiger, NJW 1995 1723; Scheffler Gedanken zur Rechtsbeugung, NStZ 1996 67.; Schmid Die Verwirkung von Verfahrensrügen im Strafprozeß (1966); Senge Missbräuchliche Inanspruchnahme verfahrensrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten – wesentliches Merkmal der Konfliktverteidigung? – Abwehr der Konfliktverteidigung, NStZ 2002 225; Wesemann/Müller Das gem. § 136a Abs 3 StPO unverwertbare Geständnis und seine Bedeutung im Rahmen der Strafzumessung, StraFo 1998 113 ff.

Übersicht Rn. I. Die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen und ihre Auswirkungen auf das Strafverfahren 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Zum Umfang der Einwirkung des Verfassungsrechts a) Das Verfassungsrecht als Rechtsquelle und Handlungsanweisung . . b) Formen der verfassungsrechtlichen Einwirkung . . . . . . . . . . . . 3. Konsequenzen für das Strafverfahren . 4. Sicherung einer funktionsfähigen Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . II. Staatliche Justizgewährungspflicht und Justizförmigkeit 1. Bedeutung und Inhalt a) Justizgewährungspflicht und Justizgewährungsanspruch . . . . . . . . b) Justizförmigkeit . . . . . . . . . . III. Die Erforschung der materiellen Wahrheit 1. Grundlagen und Bedeutung der Wahrheitserforschung

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3 6 7 10

15 19

Rn. a) Allgemeines . . . . . . . . . . . b) Zum Wahrheitsbegriff . . . . . . c) Grenzen der Wahrheitserforschung 2. Notwendigkeit und Mittel der Wahrheitserforschung a) Allgemeines. Hinweise . . . . . . b) Formen des Beweises . . . . . . . c) Grade des Beweises . . . . . . . d) Geständnis . . . . . . . . . . . .

. .

23 24 29

. . . .

32 34 35 36

IV. Der Gedanke des Rechtsmissbrauchs 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahren als Regelungsmaterie zur Konfliktaustragung . . . . . . . . . . 3. Durchsetzungsstrategien im Prozess . . 4. Das allgemeine Rechtsmissbrauchsverbot de lege lata und de lege ferenda a) De lege lata . . . . . . . . . . . . b) De lege ferenda . . . . . . . . . . 5. Das dogmatische Wesen des Rechtsmissbrauchs . . . . . . . . . . . . . 6. Die Erforderlichkeit des Rechtsmissbrauchsprinzips im Strafverfahren . .

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40 42 51 56 57 60 62 63

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Einleitung Rn.

7. Missbrauch durch private Prozessbeteiligte. Einzelheiten . . . . . . . . 8. Missbrauch durch Strafverfolgungsbehörden . . . . . . . . . . . . . . . 9. Verwirkung

Rn. a) Verwirkung von Rechten Prozessbeteiligter . . . . . . . . . . . . . b) Zur Verwirkbarkeit des sog. staatlichen Strafanspruchs . . . . . . .

64 66

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I. Die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen und ihre Auswirkungen auf das Strafverfahren 1. Allgemeines Wie das gesamte Recht ist auch das Strafprozessrecht vielfältig vom Verfassungsrecht beeinflusst und durchdrungen, und zwar, was mit seinem vielfach hervortretenden Charakter als Zwangsrecht zusammenhängt,1 in besonderem Ausmaß. So wird es als angewandtes Verfassungsrecht 2 oder als Seismograph der Staatsverfassung bezeichnet;3 das Verfassungsrecht soll als Fundament des rechtsstaatlichen Strafprozesses 4 die Grundlage für eine zu entwickelnde allgemeine Strafprozesstheorie bilden.5 Beklagt wird aber auch, das Strafverfahrensrecht sei zu einer „Kolonie des Verfassungsrechts“ geworden.6 All diese Metaphern sind bezeichnend für die enge Verbindung von Strafprozessrecht und seiner Anwendung in der Praxis einerseits und den verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Grundgesetzes andererseits. Begründet wird dies durch den Charakter des Strafverfahrensrechts, welches, zumeist gegen den Willen der Betroffenen, den staatlichen Strafanspruch durchzusetzen versucht (zu den Verfahrenszwecken allgemein näher oben bei Rn. B 13 ff.). Der heikle Ausgleich zwischen diesem Anspruch und den verfassungsrechtlich garantierten Freiheitsrechten der Bürger, die selbst bei stärkstem Verdacht als Unschuldige zu behandeln sind, Art. 6 II EMRK, prägt die StPO, die insbesondere auch die Grenzen staatlicher Eingriffsbefugnisse gegenüber unschuldigen Bürgern im Rahmen eines Strafverfahrens möglichst präzise zu beschreiben hat. In den über 50 Jahren der Geltung des Grundgesetzes ist in einer gegenseitigen Ent2 wicklung einerseits das Strafprozessrecht in Gesetzgebung, Auslegung und Anwendung von einer sich immer mehr verfeinernden verfassungsrechtlichen Rechtsprechung und Dogmatik nicht unerheblich modifiziert und verändert worden. Andererseits haben sich die verfassungsrechtlichen Erkenntnisse und Aussagen hierüber auch am spezifischen Leitbild des traditionellen deutschen Strafprozessrechts orientiert.7 Über die ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Verbürgungen einzelner Justizgrundrechte hinaus 8 sind zahlreiche, dieses Prozessmodell kennzeichnende Institute und Regelungskomplexe verfassungsrechtlich fundiert 9 worden. Die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen und Grenzen betreffen nicht nur (und wohl nicht einmal in erster Linie) einzelne herauszuhebende

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3 4 5 6

Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 389; Degenhard HdbStR § 76, 4. BVerfGE 32 373, 383; BGHSt 19 325, 330; Meyer-Goßner Einl. 218; Sax (Grundsätze) 966; Peters 29. Roxin § 2, 1; KK/Pfeiffer Einl. 23. Ranft 33 ff. Wolter NStZ 1993 1 ff.; ausf. dazu oben Rn. B 3 ff. Arzt GedS A. Kaufmann 847; vgl. auch

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Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 411 f.; LR/Gössel Einl. K 64. Vgl. Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 412; Rieß StraFo 1995 101. Vgl. dazu u.a. Degenhardt HdbStR § 76, 8 f.; näher Rieß StraFo 1995 95 f.; zur Bedeutung der Justizgrundrechte s. auch Nehm 183 ff. S. dazu die ausf. Nachweise bei Niemöller/ Schuppert AöR 107 (1982) 413 ff.

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Grundlagen des Strafverfahrens

Einl. Abschn. H

Besonderheiten und Elemente des Strafverfahrens. Sie haben vielmehr eine verfassungsrechtlich verfeinerte Ausgestaltung, Auslegung und Anwendung vieler einzelner Rechtsinstitute und Vorschriften bewirkt, deren Bedeutung im jeweiligen Zusammenhang zu erörtern ist.10 Schon aus diesem Grunde kann an dieser Stelle der Kommentierung nur eine mehr allgemeine und zusammenfassende Übersicht gegeben werden. Darüber hinaus wird ein Teil spezifisch verfassungsrechtlich begründeter strafprozessualer Maximen und Institutionen auch in dieser Einleitung in anderen Sachzusammenhängen erörtert.11 2. Zum Umfang der Einwirkung des Verfassungsrechts a) Das Verfassungsrecht als Rechtsquelle und Handlungsanweisung erscheint im Straf- 3 prozessrecht in verschiedener Form. Teilweise sind traditionell vorhandene konkrete strafprozessuale Normen durch die Justizgrundrechte oder als Teil der allgemeinen Grundrechte in präziser, wenn auch nicht stets alle Einzelheiten der prozessualen Vorschriften umfassender Art durch das Grundgesetz in Verfassungsrang erhoben worden oder – je nach eingenommener Perspektive – Ausdruck bundesrechtlicher Umsetzung verfassungsrechtlicher Gebote. So beispielsweise der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG),12 die Gewährleistung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG),13 der ne-bis-in-idem-Grundsatz (Art. 101 Abs. 3 GG),14 die Haftrechtsgarantien (Art. 104 GG) 15 oder der Richtervorbehalt bei Durchsuchungen (Art. 13 Abs. 2 GG). Damit wird die erhöhte Bestandsgarantie des Verfassungsrechts erreicht und die Möglichkeit der verfassungsgerichtlichen Kontrolle erweitert,16 zumal die verfassungsrechtliche Reichweite dieser Vorschriften teilweise auf andere strafprozessuale Regelungen ausgreift.17 In einer über das vor 1949 geltende Recht hinausgehenden Entwicklung wird man auch die verfassungsrechtliche Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG sowie die Garantie des richterlichen Rechtsprechungsmonopols und der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 92, 97 und 98 GG) 18 diesem Bereich zuordnen können. Darüber hinaus ergeben sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Straf- 4 verfahren aus der in den Art. 2 bis 18 GG enthaltenen Gesamtheit der allgemeinen Grundrechte, und zwar in mehrfacher Richtung. Zunächst einmal ist, soweit ein solcher besteht, ein Gesetzesvorbehalt zu beachten, der vielfach durch die Vorschriften der StPO erfüllt und in ihnen konkretisiert wird. Aus dem Gleichheitssatz (Art. 3 GG) folgt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Verbot der (objektiv) willkürlichen, also durch keine vertretbare Rechtsauffassung mehr gedeckten Rechtsauslegung.19 10

11

Vgl. etwa für das (verfassungsrechtliche besonders sensible) Haftrecht die zusammenfassende Darstellung Vor § 112, 16 bis 42. So etwa das Verhältnismäßigkeitsprinzip, der Anspruch auf rechtliches Gehör, der Fairnessgrundsatz und die Fürsorgepflicht unter Rn. I 103 ff.; die richterliche Unabhängigkeit und das Prinzip des gesetzlichen Richters unter Rn. J 12 ff., der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit unter Rn. J 87 ff. sowie das Verbot des ne bis in idem unter Rn. K 74 ff. Die aus dem Verfassungsrecht unmittelbar abgeleiteten Beweisverbote und ihre Grenzen werden eingehend unter Rn. L 60 bis 91 erörtert; s. auch LR/Gollwitzer § 244, 189 ff.

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Näher unter Rn. I 75 ff. Näher unter Rn. J 16 f. Näher unter Rn. K 74 f. Ausf. zu den Beziehungen zwischen Haftrecht und Verfassungsrecht Vor § 112, 16 bis 42. Rieß StraFo 1995 96. Näher m.w.N. Rieß StraFo 1995 96; s. auch Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 419 f., 428, 475 ff. Näher unter Rn. J 13 ff. Vgl. dazu etwa aus der neueren Rspr. BVerfGE 87 273, 279; ferner (ausf. zur Frage der sachlichen Zuständigkeit) OLG Karlsruhe StV 1998 252 f. m.w.N.

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Einleitung

Dies hat auf der fachgerichtlichen Rechtsmittelebene die Konsequenz, dass auch an sich unüberprüfbare Verfahrensgestaltungen beanstandet werden können, und erweitert die verfassungsrechtliche Kontrollbefugnis erheblich.20 Ferner ist der Wesenskern der Grundrechte eine im Einzelnen umstrittene unübersteigbare Grenze auch für strafprozessuale Maßnahmen. Schließlich drückt sich in den Grundrechten insgesamt und über ihre Funktion als Abwehrrechte hinaus eine allgemeine objektive Wertordnung aus. Sie zwingt bei der Auslegung und Anwendung strafprozessualer Vorschriften, namentlich bei Grundrechtseingriffen, zu einer Abwägung aller hineinspielenden Gesichtspunkte und kann auch bei einem allgemeinen Gesetzesvorbehalt die Zulässigkeit von Maßnahmen begrenzen.21 Ob diese Abwägungs- und Wertelehre unter Einbeziehung der Menschenwürdegarantie es bereits ermöglicht, wie es teilweise vorgeschlagen wird,22 als Grundlage für ein in sich konsistentes, modernes Strafprozesssystem zu dienen, erscheint wegen der methodischen Unschärfe der durch die Rechtsprechung gewonnenen Ergebnisse zweifelhaft, wenngleich wünschenswert. Weitere erhebliche Auswirkungen auf das Strafverfahrensrecht ergeben sich aus ande5 ren tragenden und zentralen Begriffen des Grundgesetzes, so namentlich aus der Pflicht zur Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip. Das Bundesverfassungsgericht sieht hierin die unmittelbare Wurzel für eine Vielzahl auch strafverfahrensrechtlicher Regelungen,23 und es leitet daraus einen erheblichen Teil der verfassungsrechtlichen Prozessmaximen ab, so etwa das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Rn. I 96 ff.), den Fairnessgrundsatz (Rn. I 103 ff.) und (teilweise) die Fürsorgepflicht (Rn. I 121 ff.). Im Rechtsstaatsprinzip wird ferner eine zusätzliche Grundlage für die verfassungsrechtlich positivierten Justizgrundrechte gesehen; aus ihm wird aber auch die Notwendigkeit einer effektiven Strafrechtspflege abgeleitet (s. Rn. 10 ff.). Namentlich die Menschenwürdegarantie mit ihrem unantastbaren Kernbereich 24 ist darüberhinaus die Grundlage für die unmittelbar aus der Verfassung abgeleiteten Beweisverwertungsverbote.25 Auch die menschenrechtlichen Verbürgungen der Art. 5, 6 EMRK (Art. 9, 14 IPBPR) sind auf der Ebene des innerstaatlichen Rechts in weitem Umfang mit aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten verfassungsrechtlichen Verbürgungen deckungsgleich.26 Nicht zuletzt hat auch das vom BVerfG geschaffene Recht auf informationelle Selbstbestimmung 27 vor allem im Bereich der strafprozessualen Zwangsmaßnahmen eine entscheidende Bedeutung. Demgegenüber tritt das Sozialstaatsprinzip, auch wenn es nicht völlig bedeutungslos ist, als verfassungsrechtliche Grundlage für das Strafverfahren eher zurück.28

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b) Formen der verfassungsrechtlichen Einwirkung. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben betreffen zunächst den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum und die im Rahmen der richterlichen Prüfungskompetenz (vgl. Art. 100 GG) 29 vom Gericht zu beant20 21

22 23 24

Rieß StraFo 1995 96; vgl. auch Höfling JZ 1991 955 ff. Zur Abwägung ausf. m.w.N. der Rspr. etwa Krey I 35 ff.; Hain Ockhams Razor – ein Instrument zur Rationalisierung der Grundrechtsdogmatik? JZ 2002 1036. So etwa SK/Wolter Vor § 151, 25 ff.; Wolter NStZ 1993 1 ff. und Rudolphi-Symp. 269 ff. Vgl. auch die Übersicht bei Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 408. Dazu etwa SK/Wolter Vor § 151, 29 ff.; Wolter NStZ 1993 3 f.

232

25 26 27 28 29

Näher unten bei L; ferner LR/Gollwitzer 25 § 244, 201 ff. Näher bei den Erl. zu den Art. 5, 6 EMRK. Gola/Klug NJW 2005 2434; Keilich Diss. 2005. S. näher Müller-Dietz FS Dünnebier 75 ff.; vgl. auch Roxin § 2, 6; Peters 22 f. Zur Verfahrensweise, wenn die StA eine von ihr anzuwendende Rechtsnorm nicht für verfassungskonform hält, s. die Erl. zu § 170.

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Grundlagen des Strafverfahrens

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wortende Frage, ob eine strafprozessuale Vorschrift verfassungsgemäß ist. In der bisherigen Rechtsentwicklung ist die Verfassungswidrigkeit strafprozessualer Vorschriften vom Bundesverfassungsgericht verhältnismäßig selten bejaht worden.30 Sehr viel häufiger hat das BVerfG hingegen im Rahmen verfassungskonformer Auslegung 31 direkten Einfluss auf das Strafverfahrensrecht genommen 32 und damit verfassungsrechtlichen Details wie auch dem allgemeinen Ethos des Grundgesetzes im Strafprozess Geltung verschafft. Schließlich sind bei der Rechtsanwendung durch die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte auch über den bloßen Gesetzeswortlaut hinaus die verfassungsrechtlichen Vorgaben zu beachten. Hierbei spielen vor allem, namentlich soweit das Strafprozessrecht keine detaillierten Vorschriften enthält, die verfassungsrechtlichen Prozessmaximen der Verhältnismäßigkeit, des Fairnessgebotes und der Fürsorgepflicht als Zwischenglieder eine wichtige Rolle (vgl. I 71 ff.). 3. Konsequenzen für das Strafverfahren Die Anforderungen des Verfassungsrechts an das von ihm intensiv durchdrungene 7 Strafverfahren geben aber auch Anlass zu Kritik.33 Die intensive Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und eine diese aufnehmende und weiter ausdifferenzierende wissenschaftliche Behandlung hat zu einer zunehmenden Verfeinerung der verfassungsrechtlichen Vorgaben geführt, was für sich allein durchaus positiv zu bewerten ist. Auch der vielfach beklagte Umstand,34 dass das Rechtssystem und damit auch das Strafverfahrensrecht in immer stärkerem Umfang kompliziert und undurchschaubar wird,35 erscheint eher Ausdruck einer allgemeinen Entwicklung hin zu komplexeren Regelungssystemen zu sein als kritische Folge verfassungsrechtlicher Intervention ins Strafverfahrensrecht. Allerdings bedingt die jedem Verfassungstext notwendig immanente Allgemeinheit und Unschärfe der Formulierung Rechtsunsicherheiten im Strafverfahrensrecht, da die verfassungsrechtliche Implementierung im Strafverfahrensrecht letztlich nur aufgrund einer eher wertschöpfenden denn klassisch subsumierenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestimmt wird. Verfassungsrechtliche Anforderungen sind vielfach nicht mehr nur Prüfungsmaßstab für die Einhaltung von Rechtssetzungs- und Rechtsanwendungsgrenzen, sondern wirken unmittelbar als einfachgesetzliche Vorschriften. Damit wird zugleich die Abgrenzung zwischen verfassungsgerichtlicher Kontrolle aufgrund eher genereller verfassungsrechtlicher Maßstäbe und der einfachgesetzlichen Rechtsanwendung schwierig und fragwürdig. Systematisch-dogmatische Vorgaben der Verfassungsrechtsprechung im einfachgesetzlichen Bereich wirken nicht immer überzeugend und lassen sich zuweilen nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten in eine konsistente strafprozessuale Systematik integrieren.36 Anders als in der Vorauflage wird es nicht als 30

31

32 33

Vgl. Tiedemann 69 ff.; sowie, auch zu den Gründen und zu den Reaktionen des Gesetzgebers, Rieß StraFo 1995 98 m.w.N.; Rau/ Zschiescgheck JuS 2005 802. Vgl. aber jetzt die Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zum Europäischen Haftbefehl BVerfG NJW 2005, 2289. S. Schenke 40 ff.; Meyer-Goßner Einl. 193; sowie (mit krit. Hinw. zur Praxis das BVerfG selbst) Rieß StraFo 1995 99. Arnold StraFo 2005 2. Zum nachfolgenden näher Rieß StraFo 1995 100 ff.

34 35 36

LR/Rieß 25 Einl. G 7. Zurückhaltender insoweit Nehm 204. Vgl. insoweit nur als Beispiele die verfahrensrechtlichen, wohl nicht ausreichend mitbedachten Probleme der Entsch. über die lebenslange Freiheitsstrafe BVerfGE 86 288 ff.; die „Cannabis-Entscheidung“ BVerfGE 90 145 ff. mit der Inanspruchnahme der Begrenzungen des Legalitätsprinzips nach den §§ 153 ff. StPO sowie die in Rn. K 46 näher erörterte Entscheidungen über die Strafbarkeit von DDR-Spionage, BVerfGE 92 277 ff.; zum Ganzen ausf. m.

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problematisch angesehen, dass die von der Verfassungsrechtsprechung vorgenommene Fundierung traditioneller Konstitutionselemente des gegenwärtigen, spezifisch deutschen Strafprozessmodells im Verfassungsrecht, wie etwa des Legalitätsprinzips und wohl auch des Amtsaufklärungsgrundsatzes und des Grundsatzes der objektiven Wahrheit, sich bei Reformüberlegungen innovationshemmend auswirken könnten. Eine solche Gefahr scheint eher dort zu bestehen, wo die Verfassungsinterpretation des Bundesverfassungsgerichts in Konflikt und Konkurrenz zu der Rechtsprechung von EuGH und EGMR gerät, vgl. näher dazu oben Rn. D 55 ff. Allerdings problematisch erscheint die zunehmende Dominanz eines umfassenden 8 Abwägungsgebotes,37 das namentlich bei strafprozessualen Maßnahmen mit Eingriffscharakter zu beachten ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich nicht nur als ein bei der Normsetzung zu beachtendes Postulat an den Gesetzgeber, sondern auch (wenn nicht in erster Linie) bei der Normanwendung im Einzelfall an den Rechtsanwender richtet. Es ist zwar in Grenzen möglich die gegeneinander abzuwägenden Umstände zu beschreiben, doch bleibt der Abwägungsvorgang und sein Ergebnis ein personenbezogener Akt, bei dem dezisionistische Elemente nicht zu übersehen sind. Die unvermeidbare Folge wird man in einem Verlust von Vorausberechenbarkeit und Rechtssicherheit sehen müssen.38 Ob dies stets durch einen Zuwachs an Einzelfallgerechtigkeit ausgeglichen wird, ist nicht unzweifelhaft. Mit diesen Hinweisen soll keine verfassungsrechtliche Abstinenz bei der Auslegung 9 und Anwendung des Strafverfahrensrechts befürwortet werden. Insgesamt hat sich der verfassungsrechtliche Einfluss seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes für das Strafverfahren überaus positiv ausgewirkt, etwa dergestalt, dass die Gesetzesentwicklung verfassungsrechtliche Vorgaben verwirklicht oder antizipiert hat, die heute zum eher unauffälligen gesicherten Bestand des Strafprozessrechts gehören,39 oder dass die Rechtsanwendung das Wertesystem des Grundgesetzes weitgehend internalisiert hat.40 Ohne den kontinuierlichen Einfluss verfassungsrechtlich geprägten Gedankenguts hätte das Strafverfahrensrecht in seinem Normenbestand und seiner Anwendung in der täglichen Praxis, so lässt sich plausibel annehmen, heute einen anderen und zwar deutlich weniger freiheitlichen Charakter. Methodisch nicht unbedenklich ist jedoch der vorschnelle Verzicht auf die einfachgesetzlich Normauslegung und Normanwendung, der stattdessen den Rückgriff auf verfassungsrechtliche Argumentationslinien auch unterhalb der Ebene der verfassungsgerichtlichen Überprüfung wählt. 4. Sicherung einer funktionsfähigen Strafrechtspflege

10

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassunsgerichts gehört auch die Notwendigkeit einer funktionsfähigen (effektiven) Strafrechtspflege 41 oder einer an den Erfordernissen von rechtsstaatlichen Gewährleistungen ausgerichteten Strafrechtspflege 42

37 38

39

weit. Beispielen und Nachw. Tröndle FS Odersky 259 ff. Hassemer StraFo 2005 312; Führ/Tillmann ZUM 2005 441; Flechsig ZUM 2004 605. Vgl. dazu auch Leisner NJW 1997 636. Zu welchen Problemen und Unsicherheiten das Abwägungsgebot etwa bei der Bestimmung von Beweisverboten führen kann, ist in Rn. L 83 ff. dargelegt. So als hervorzuhebendes Bsp. das StPÄG 1964 (s. näher Rn. F 95 ff.).

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40 41

42

Vgl. dazu etwa Nehm 205 („Wandlung vom Gesetzesstaat zum Rechtsstaat“). So zuerst BVerfGE 33 367, 383; m.w.N. der Rspr. bei Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 394 f.; Nehm 180; Hassemer StV 1982 275 f.; s. auch die nachfolgenden Einzelnachw. BVerfGE 80 367, 375; bereits früher 77 75, 82; s. aber auch BVerfG (Kammerentscheidung) NJW 1994 573.

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(namentlich) zum Rechtsstaatsprinzip und hat damit Verfassungsrang. Ob sich in der zunehmenden Verwendung des zweiten Begriffs ein die Akzente anders setzender Paradigmawechsel abzeichnet,43 erscheint möglich, aber nicht gesichert. Zusätzlich oder stattdessen findet sich auch die Berufung auf die verfassungsrechtlich gebotene notwendige Berücksichtigung der unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung.44 Das Bundesverfassungsgericht verwendet diese Gedanken als Prüfungsmaßstab in unterschiedlichen Zusammenhängen und mit unterschiedlichem Ergebnis, zuweilen als tragenden Gesichtspunkt, überwiegend aber eher unterstützend im Zusammenhang mit anderen Argumentationslinien. Im Einzelnen ist beispielsweise dieser Topos verwendet worden, um die verfassungs- 11 rechtlichen Grenzen einer Ausweitung vorhandener einfachgesetzlicher Beschränkungen von Ermittlungsmaßnahmen zu kennzeichnen, so bei der Erweiterung von Zeugnisverweigerungsrechten 45 oder bei der Beschränkung des Pressezeugnisverweigerungsrechtes auf den redaktionellen Teil 46 oder dessen Nichtgeltung für selbstrecherchiertes Material,47 oder zur Begründung dafür, dass es von Verfassungs wegen nicht zwingend geboten sei, die Versagung der Akteneinsicht einer gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen.48 Das Bundesverfassungsgericht hat ihn weiter (mit) verwendet, um die Verfassungsmäßigkeit neu eingeführter gesetzlicher Regelungen zu bejahen, in denen eine Beeinträchtigung von grundrechtlichen Gewährleistungen gesehen wurde, so bei den Regelungen des § 137 Abs. 2 und des § 146 StPO 49, des § 231b StPO 50 und beim Haftgrund der Wiederholungsgefahr, hier jedoch unter Betonung der unerlässlichen engen Grenzen.51 Es hat ferner die Zulässigkeit bestimmter strafprozessualer Maßnahmen und Handlungsmöglichkeiten auch unter Berücksichtigung hierauf für verfassungsgemäß gehalten, wie etwa die auf § 81a StPO gestützte zwangsweise Veränderung der Haar- und Barttracht 52 oder den Einsatz von Lockspitzeln.53 Es hat, hierauf abstellend, zum Ausdruck gebracht, dass ein Verzicht auf Strafverfolgung außerhalb der gesetzlichen Einschränkungen des Legalitätsprinzips grundsätzlich nicht zulässig sei.54 Es hat, ihn mit heranziehend, entschieden, dass die grundsätzliche Unzulässigkeit der Beschlagnahme und Verwendung privater Tonaufzeichnungen Einschränkungen unterliegen könne,55 und ihn (mit) benutzt, um die Grenzen der Verwertbarkeit von Tagebuchaufzeichnungen zu bestimmen.56 Ferner hat es ihn in die Abwägung mit einbezogen, wenn es entschieden hat, dass Maßnahmen und Regelungen, die die Verfolgungs- und Anklagemöglichkeiten beschränken, verfassungskonform sind, so etwa die Verwertungsverbote nach dem BZRG 57 oder die Annahme des Verfahrenshindernisses der schwerwiegenden Gesundheitsgefährdung 58 oder die Beschlagnahmefreiheit von Unterlagen in einer Drogenberatungsstelle.59 Schließlich

43

44 45 46 47 48 49 50

So Lorenz GA 1992 277; ihm folgend SK/Wolter Vor § 151, 28; vgl. auch Hilger FS Salger 323 Fn. 28. BVerfGE 19 342, 347; 20 45, 49; 29 183, 194. BVerfGE 33 367, 383; 38 312, 321; vgl. auch schon 29 183, 194. BVerfGE 64 108, 116. BVerfGE 77 65, 82. BVerfG (Kammerentscheidung) NJW 1994 573. BVerfGE 39 156, 163; 45 272, 294. BVerfGE 41 246, 250 = JZ 1976 766 m. Anm. Grünwald.

51 52 53 54 55 56 57 58 59

BVerfGE 35 185, 190. BVerfGE 47 239, 250. BVerfG (Kammerentscheidung) NStZ 1987 276. BVerfGE 46 214, 222 f. BVerfGE 34 238, 241. BVerfGE 80 367, 375. BVerfGE 36 174, 186 f. BVerfGE 51 324, 343. BVerfGE 44 353, 373; s. auch unten Rn. L 99.

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ist auf ihn im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Anerkennung des Zeugenbeistandes der beschränkende Hinweis gestützt worden, dass dessen Befugnisse Grenzen unterliegen.60 Auch die Bestätigung, dass schon vor Einführung des § 100i StPO die Nutzung der Positionsdaten von eingeschalteten Mobiltelefonen zulässig gewesen sei,61 ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen. Im Schrifttum hat dieses selbständige verfassungsrechtliche Postulat der Sicherung 12 einer funktionsfähigen Strafrechtspflege inzwischen weitgehend Anerkennung,62 teilweise aber auch Kritik 63 gefunden. Letztere bestreitet nicht generell, dass die Pflicht des Staates, Strafjustiz zu ermöglichen, auch eine verfassungsrechtliche Dimension hat. Sie wendet aber namentlich ein, dass dadurch entgegen der Grundtendenz der Grundrechtsgewährleistungen und des Rechtsstaatsgedankens, Abwehrrechte gegen die Übermacht der Staatsgewalt zu schaffen,64 gerade deren Verfolgungs- und Aufklärungsinteresse mit einem inhaltsleeren und damit beliebig ausfüllbaren Begriff überbetont werde. Dies sei mit der Gefahr verbunden, mit Hilfe dieses Gedankens ausdrücklich verankerte Prozessrechte zu relativieren und zu beschränken.65 Die bisherige Benutzung des Gedankens in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (s. Rn. 11) dürfte diese Befürchtung allerdings noch nicht bestätigen. Dennoch wird im Schrifttum bei grundsätzlicher Anerkennung des Grundgedankens seine Relativierung durch den veränderten Sprachgebrauch in Richtung auf eine rechtsstaatlichen Erfordernissen entsprechende Strafrechtspflege empfohlen 66 oder es wird eine „grundrechtsfreundliche Harmonisierung“ der gegenläufigen Interessen vorgeschlagen.67 Der seit dem Anschlag auf das World Trade Center vom 11. September 2001 weltweit unübersehbar gewordene Terrorismus islamistischen Ursprungs hat den Topos der funktionsfähigen Strafrechtspflege erneut und in zuvor nicht da gewesener Weise ins Zentrum der strafprozessualen Diskussion gestellt.68 Selbst Folter scheint nunmehr nicht mehr tabu zu sein.69 Es bleibt zu hoffen, dass das BVerfG sich diesen Anmutungen entschieden widersetzen wird und der Verlockung widersteht, Strafverfahrensrecht als Feindstrafrecht 70 neu und repressiv zu interpretieren. Im Ergebnis ist, unbeschadet dieser auch (aber nicht nur) terminologischen und dog13 matischen Auseinandersetzungen, auch eine freiheitsbeschränkende verfassungsrechtliche Pflicht anzuerkennen, eine funktionsfähige Strafrechtspflege einzurichten und auch bei der Abwägung mit Individualinteressen und Grundrechtsverbürgungen als Gegeninteresse zu gewährleisten.71 Es handelt sich dabei um einen Teilaspekt der ebenfalls verfassungsrechtlich gewährleisteten Pflicht zur Justizgewährung (Rn. 16), der aus der Schutzpflicht des Rechtsstaates abgeleitet werden kann.72 Dieser hat eine freiheitsverbürgende 60 61 62

63

BVerfGE 38 105, 115. BVerfG NJW 2005 1338. So etwa KMR/Eschelbach Einl. 5 ff.; KK/Pfeiffer Einl. 23; Meyer-Goßner Einl. 18; Beulke 3; Roxin § 1, 7; Hilger FS Salger 323 f.; Nehm 180; Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 394 f.; Tiedemann 24 f.; im Erg. auch (wenn auch mit Einschränkungen) SK/Wolter Vor § 152, 28; Degenhard HdbStR § 76, 31. So namentlich Grünwald JZ 1976 767, 772; Hassemer StV 1982 275 ff.; Riehle KritJ 1980 316 f.; Saurer NVwZ 2005 275; Gusy GA 2005 215; Hetzer MschrKrim 2005 111; ders. Kriminalistik 2004 508.

236

64

65 66 67 68 69 70 71 72

Gegen diese Deutung der Freiheitsrechte als reine Abwehrrechte aber etwa Eb. Schmidt ZStW 80 (1968) 512 ff. S. die Zusammenfassung bei Lorenz GA 1992 277 f.; vgl. auch Ignor Jura 1994 241. Lorenz GA 1992 278; vgl. auch SK/Wolter Vor § 151, 28. So vor allem SK/Wolter aaO; ebenso Ignor Jura 1994 241. Scheerer KrimJ 2002 35; Tomuschat EuGRZ 2001 535. Erb Jura 2005 24; vgl. Rn. B 34, Fn. 49. Jakobs ZStW 97 (1985) 751. Ähnlich auch SK/Wolter Vor § 151, 28. Vgl. zur Schutzpflicht des Staates als ver-

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Aufgabe nicht nur dadurch zu erfüllen, dass er den Einzelnen vor unverhältnismäßigen oder den Kernbereich der Persönlichkeit oder der Menschenwürde verletzenden staatlichen Zugriffen schützt. Als verfasste Friedens- und Ordnungsmacht 73 obliegt ihm auch eine durch seine Rechtsordnung zu erfüllende Schutzpflicht für das Gemeinwesen, deren wirksame Erfüllung die Voraussetzung für die Anerkennung des von ihm in Anspruch genommenen Gewaltmonopols darstellt. Der Gedanke einer funktionsfähigen Strafrechtspflege bedeutet eine Art umfassendes Widerlager gegen eine Überbetonung der individuellen Freiheitsverbürgungen durch eine (zu) weitgespannte und materielle Grundrechtsinterpretation; er stellt sie aber nicht in Frage. Zur funktionsfähigen Strafrechtspflege gehört, weil sie anders ihre rechtsfriedensichernde Funktion nicht erfüllen könnte, als ein wesentliches Element vor allem auch die Beachtung der durch das Grundgesetz vorgegebenen Wertvorstellungen über das Verhältnis des Einzelnen zur staatlichen Gemeinschaft. Eine funktionsfähige Strafrechtspflege kann deshalb nur eine an rechtsstaatlichen Erfordernissen ausgerichtete sein.74 Eine diesen Anforderungen entsprechende (und damit funktionsfähige) Strafrechtspflege ist ein notwendiger Teil dieser verfassungsrechtlich vorgegebenen staatlichen Aufgabe. Es wäre jedoch naiv anzunehmen, diese Aufgabe könnte zu einem bestimmten Zeitpunkt erledigt und im Ergebnis festgeschrieben werden. Vielmehr handelt es sich hier um einen fortwährenden Prozess des Ausgleichs staatlicher und individualrechtlicher Interessen, um den je nach der aktuellen Problemlage aber auch im Rahmen der Weiterentwicklung allgemeiner Wertvorstellungen immer wieder neu gerungen werden muss. Das Verfassungsgebot zur Einrichtung und Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen 14 Strafrechtspflege ist umfassend. Aus ihm folgt zunächst eine Pflicht der Justizverwaltungen (und eine damit korrespondierende des Haushaltsgesetzgebers), die persönlichen und sächlichen Mittel für die Erfüllung dieser Aufgaben bereitzustellen. Für den Gesetzgeber enthält es die Verpflichtung, ein Prozessrecht zu schaffen, das zur Erfüllung dieser Aufgabe tauglich ist (s. auch Rn. 17). Bei dessen Auslegung und Anwendung im Einzelfall sind die daraus folgenden Notwendigkeiten mit zu berücksichtigen; es hat den Charakter eines zusätzlichen Prüfungsmaßstabes.

II. Staatliche Justizgewährungspflicht und Justizförmigkeit 1. Bedeutung und Inhalt a) Justizgewährungspflicht und Justizgewährungsanspruch. Der auf Goldschmidt und 15 Niese 75 zurückzuführende Begriff ist für die Bemühungen um einheitliche Begriffsbildung für eine allgemeine Prozessrechtslehre kennzeichnend. Im Strafprozess ist er vor allem von Eb. Schmidt als eine der dogmatischen Grundlagen seiner Prozessrechtsauffassung verwendet worden.76 In den neueren Gesamtdarstellungen des Strafverfahrensrechts findet er, wenn überhaupt, nur beiläufige Erwähnung.77 In seiner strafprozessualer Be-

73 74

fassungsrechtliche Aufgabe etwa BVerfGE 39 1 ff.; 88 203 ff.; ferner allgemein Klein NJW 1989 1633. BVerfGE 49 24, 56 f. Ähnlich etwa Hilger FS Salger 325, wonach das Strafverfolgungsinteresse in die Erfordernisse eines rechtsstaatlichen, auf formalen Sicherungen beruhenden Strafprozesses „integriert“ werden müsse.

75 76

77

Goldschmidt 78 ff.; 138 ff.; 263 ff.; Niese 59 f. Eb. Schmidt I 7 bis 23; ebenso Kolleg 1 ff.; ausf. Verwendung auch bei Henkel 84 f.; ferner Peters 21; s. auch Peters FS Dünnebier 53 ff.; Baumann Kap. 1 I 2a. So etwa Beulke 3; Gössel 164.

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deutung 78 dürfte er weitgehend deckungsgleich sein mit der aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Gewährleistung einer funktionsfähigen Strafrechtspflege, soweit diese umfassend und nicht nur als Abwägungsgesichtspunkt zur Begrenzung von Individualrechten verstanden wird (s. näher oben Rn. 13). Erklären lässt sich die Justizgewährungspflicht als eine notwendige Konsequenz aus dem Verbot der Selbsthilfe und dem Gewaltmonopol, namentlich dem Strafverfolgungs- und Bestrafungsmonopol des Staates.79 Sie ist keine Erscheinung des Strafprozessrechts, sondern eine ihm vorgelagerte materiell-staatsrechtliche Verpflichtung, die sich in den Formen des Strafprozesses verwirklicht.80 Dieser muss deshalb auch den sich aus ihr ergebenden Anforderungen entsprechen, also ein das Verbot der Selbsthilfe rechtfertigendes ausreichendes Maß an Effektivität der Strafverfolgung gewährleisten. Mit dem korrespondierenden Begriff eines Justizgewährungsanspruchs lässt sich die 16 den einzelnen Bürger betreffende subjektive Komponente bezeichnen, von der Staatsgewalt erwarten und verlangen zu können, dass der Pflicht zur Justizgewährung entsprochen wird.81 Er ist, verbunden mit dem Rechtsschutzanspruch, namentlich im Zivilprozess zu Hause. Im öffentlichen Recht entspricht ihm funktionell die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG als eine spezielle, ihn verdrängende verfassungsrechtliche Verbürgung.82 Im Strafprozess lässt sich, von der Privatklagebefugnis abgesehen, in erster Linie die Berechtigung des Verletzten zum Klageerzwingungsverfahren nach den §§ 172 ff. StPO diesem Begriff zuordnen,83 aber auch die Durchführung und Beendigung von Verfahren in angemessener Zeit, Art 6 Abs. 1 EMRK (speedy trial) gehört insofern dazu, als es um die Bereitstellung hinreichender Ressourcen für die Justiz geht. Eine darüber hinausgehende Bedeutung dürfte ihm hier nicht zukommen, und auch weitergehende Befugnisse der Allgemeinheit oder des Verletzten 84 lassen sich aus ihm allein nicht ableiten.85 Adressaten der Justizgewährungspflicht sind die zur Einrichtung und Unterhaltung 17 der Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte verpflichteten Justizverwaltungen sowie der Gesetzgeber insoweit, als er die zur Aufrechterhaltung und Wiederherstellung des Rechtsfriedens unerlässlichen materiell-strafrechtlichen und prozessualen Normen zu erlassen hat,86 wobei ihm ein erheblicher Gestaltungsspielraum zukommen dürfte. Sie richtet sich aber vor allem an die Strafverfolgungsbehörden und die Strafgerichte.87 Beide sind jeweils in ihrer spezifischen prozessualen Funktion dieser Verpflichtung unterworfen. Bei der heutigen selbständigen Bedeutung des Ermittlungsverfahrens und der in ihm möglichen normativ gebundenen verfahrensabschließenden Entscheidungen erscheint es nicht mehr sachgerecht,88 die Pflicht zur Justizgewährung vorrangig mit den Aufgaben der Rechtsprechung und der richterlichen Unabhängigkeit zu verknüpfen. Um ihre Erfüllung handelt es sich auch dann, wenn allein die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfah78

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80

Zur verfassungsrechtlichen Bedeutung namentlich für den Zivilprozess sowie für sein Verhältnis zur Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG s. näher etwa Papier HdbStR § 153; zur umstrittenen Verbindung mit dem (zivilprozessualen) Rechtsschutzanspruch und zu seiner allgemeinen Bedeutung m.w.N. Schaper 46 ff., 57 ff. Allg. M., vgl. Eb. Schmidt I 5; Beulke 3; Gössel 164; Henkel 15, 84; Papier HdbStR § 153, 1. Eb. Schmidt I 16, 19.

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81 82 83 84 85

86 87 88

Vgl. Eb. Schmidt I 16; Henkel 84. Papier HdbStR § 153, 5. So Peters 21. S. zu diesen auch Rn. J 111 ff. Teilweise a.A. Peters FS Dünnebier 55 f., der aus ihm auch die Pflicht aller Prozessbeteiligten ableiten will, sich ihrerseits justizförmig zu verhalten. Peters FS Dünnebier 54. Henkel 94. So aber noch weitgehend Eb. Schmidt I 7 ff.

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ren sachverhaltsaufklärend tätig wird und nach den dafür maßgebenden Grundsätzen das Verfahren ohne Klageerhebung abschließt. Von ihrem Inhalt her umfasst die Pflicht zur Justizgewährung das Gebot einer zügigen 18 Erledigung, also die objektive Komponente des Beschleunigungsgebotes,89 und sie ist, weil sie andernfalls ihre rechtsfriedensichernde Aufgabe nicht erfüllen könnte, tendenziell auf eine abschließende und bestandskräftige Entscheidung gerichtet; bildet also eine der Legitimationsgrundlagen für das Institut der Rechtskraft (s. auch Rn. K 64 f.). Zweifelhaft erscheint dagegen, ob sich der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG als Detailgrundrecht mit ihr verbinden lässt.90 Seiner Verpflichtung zur Justizgewährung entspricht der Staat nicht bereits durch die Bereitstellung irgendeines beliebigen Verfahrens, sondern er muss dabei inhaltliche Mindeststandards gewährleisten, zu denen selbstverständlich auch das rechtliche Gehör gehört. Dies wird verbreitet mit dem vielfach der Justizgewährung zugeordneten Begriff der Justizförmigkeit ausgedrückt. b) Justizförmigkeit. Der Begriff der Justizförmigkeit hat (noch) keine besonders kla- 19 ren Konturen.91 Er wird vielfach mit der Justizgewährung verbunden oder als ein Teil von ihr verstanden,92 aber auch unabhängig davon verwendet.93 Weiterführend erscheint es, wenn er mit dem der „schützenden Form“ des Prozessrechtes verbunden 94 und damit zum Ausdruck gebracht wird, dass das Ziel des Prozesses, namentlich die Klärung des Sachverhalts und die Verhängung und Vollstreckung einer Sanktion, nicht in beliebiger Weise nach Gesichtspunkten reiner Zweckmäßigkeit und Effizienz erfolgen darf, sondern dass dabei normative Regeln und Abläufe einzuhalten sind, die sich an Aspekten der Gerechtigkeit und der Rechtsstaatlichkeit orientieren und über die sich die Strafverfolgungsorgane nicht allein aus Gründen der Zweckmäßigkeit willkürlich hinwegsetzen dürfen, vgl. näher oben Rn. B 33 ff. Der Justizförmigkeit in diesem Sinne entspringt auch der Grundsatz, dass die Wahrheit nicht um jeden Preis erforscht werden dürfe, und sie besagt insgesamt, dass es einen auch an Gerechtigkeitsüberlegungen zu orientierenden rechtlichen Eigenwert des Prozessrechts gibt.95 Das Prinzip der Justizförmigkeit hat daher zunächst ein limitierende Funktion. Es 20 begründet die strenge Gesetzesbindung der Strafverfolgungsbehörden bei ihrer sachverhaltserforschenden, entscheidenden und vollstreckenden Tätigkeit,96 und es verhindert die Berufung auf den Grundsatz, dass der Zweck die Mittel heilige. Ob über diese eigentlich selbstverständliche Erkenntnis hinaus der Rückgriff auf die Justizförmigkeit als handlungsleitende Maxime für die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte Bedeutung erlangen kann, erscheint trotz der nicht unbeträchtlichen Unschärfe gleichwohl wünschenswert. Als rechtspolitisches Postulat verlangt der Gedanke der Justizförmigkeit auch vom 21 Normgeber die Einhaltung bestimmter Mindeststandards bei der Ausgestaltung des Pro89 90

91

S. Rn. I 67, vgl. auch Papier HdbStR § 153, 20. So Eb. Schmidt I 17 f.; s. auch (kritisch) Papier HdbStR § 153, 3 f.; vgl. auch Rn. I 71 ff., 75. Vgl. etwa Eb. Schmidt I 22 ff. und Kolleg 5 ff.; Beling 184; Krey I 35; Roxin § 1, 2; Rüping 8; Neumann ZStW 101 (1989) 61. Insgesamt spielt der Begriff im neueren Schrifttum keine besonders bedeutende Rolle.

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96

So etwa Eb. Schmidt I 22; Henkel 84; Peters FS Dünnebier 55. So etwa Roxin § 1, 2; Rüping 8; Schlüchter 1 ff. und Strafprozessrecht 2 178 sowie Rudolphi-Symp. 219. Eb. Schmidt I 22 m.w.N. Rüping 8; zum Gerechtigkeitswert des Verfahrens auch Schaper 152 ff.; ferner (gegen eine präventive Aufgabe des Strafverfahrens) Paeffgen DRiZ 1998 317 ff. Vgl. Krey I 35; Roxin § 1, 2; Rüping 8.

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zessrechts. Dieses muss die materielle Schutzrichtung des Begriffs inhaltlich widerspiegeln und berücksichtigen. Es darf nicht so beschaffen sein, dass es einem Effektivitätsdenken unbeschränkt Raum gibt. Es ist dabei auch legitim, dass der Formalisierungsgrad prozessualen Handelns im Laufe des Verfahrens gesteigert wird, weil infolge der Selektionswirkung des Verfahrens die Möglichkeiten und Gefahren einer Belastung für die (privaten) Prozessbeteiligten steigen. Diese vom zusammenfassenden Begriff der Justizförmigkeit geforderten Mindeststan22 dards lassen sich allerdings nach der gegenwärtigen Rechts- und Verfassungslage auch (und besser) anderen Grundsätzen zuordnen, namentlich dem Rechtsstaatsprinzip sowie den sonstigen verfassungsrechtlichen Gewährleistungen, die dem Schutz der Beteiligten im Strafverfahren dienen.97 Justizförmigkeit und die Formstrenge des Strafverfahrens dürfen darüber hinaus nicht absolut gesetzt werden. Sie unterliegen den Grenzen der Sachgerechtigkeit.98 Mit einer Berufung auf Justizförmigkeit lassen sich weder neue und funktionslose Anforderungen an prozessuale Formvorschriften rechtfertigen, wie sie in der Praxis teilweise mitunter beklagt werden,99 noch konkrete außergesetzliche Freiheitsrechte begründen; allerdings kann die Justizförmigkeit ein Interpretationstopos sein, der im Verfahren staatliche Gewalt angemessen zügeln hilft.

III. Die Erforschung der materiellen Wahrheit 1. Grundlagen und Bedeutung der Wahrheitserforschung

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a) Allgemeines. Die unbedingte Intention auf Wahrheit und Gerechtigkeit soll nach der herrschenden und zutreffenden Meinung für die sachverhaltserforschende und entscheidende Tätigkeit im Strafverfahren maßgebend sein.100 Die Wahrheitsermittlung ist das aus dem Rechtsstaatsprinzip,101 möglicherweise auch aus dem Schuldprinzip,102 sich ergebende verfassungsrechtlich vorgegebene beherrschende Prinzip des Strafverfahrens. Trotz der scheinbaren Prägnanz und Überzeugungskraft dieser Formel besteht über ihren genauen Inhalt alles andere als Klarheit; die neuere Diskussion hat insoweit eher zu mehr Unsicherheit als zu größerer Übereinstimmung geführt.103 Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der oben bei Rn. B 33 ff. ausführlich behandelten Einschränkungen des Prinzips der Wahrheitsfindung, seien dies erkenntnistheoretische, erkenntnistechnische oder semantische Probleme. Auch die Konkurrenz mit und die wechselseitige Begrenzung durch andere Rechtsgrundsätze und Verfahrensprinzipien relativiert das Prinzip der Wahrheitsfindung, wie wir oben dargelegt haben. 97

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99 100

101

S. auch Krey I 35, Justizförmigkeit sei Wahrheitserforschung „in einem rechtsstaatlich strukturierten Verfahren unter Einhaltung seiner Regeln“. Vgl. zur „Funktionalität der Form“ auch SK/Schlüchter Vor § 213, 21 f.; Schlüchter Rudolphi-Symp. 217 f. Vgl. auch Gollwitzer FS Rebmann 160 f. S. etwa Eb. Schmidt I 10 ff.; ähnlich LR/ K. Schäfer 24 Einl. Kap. 6 7; vgl. auch Krey I 35; Gollwitzer FS Rebmann 148 ff.; zur Verwendung dieser Formel auch Weigend (Deliktsopfer und Strafverfahren) 178 Fn. 18. So etwa BVerfGE 30 373, 381; 33 367, 383;

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103

36 174, 186; 47 239, 248; m.w.N. bei Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 442 f. Vgl. BVerfGE 57 250, 275; s. auch BVerfG (Kammerentscheidung) NStZ 1987 419 (im Zusammenhang mit der Zulässigkeit von Absprachen). Vgl. aus der neueren Diskussion insbes. zum Wahrheitsbegriff etwa Grasnick/Lampe FS Pfeiffer 353 ff.; Paulus FS Spendel 687 ff.; Rödig (LV zu Abschnitt B) 152 ff.; Schünemann FS Pfeiffer 474 ff.; Volk FS Salger 411; vgl. auch zur Entwicklung (m.w.N.) Paeffgen (Untersuchungshaft) 17 ff.; Weigend (Deliktsopfer und Strafverfahren) 178 ff.

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b) Zum Wahrheitsbegriff. Zu klären ist einmal der Inhalt der Wahrheit, und zwar so- 24 wohl in Bezug auf die „wahre“, das heißt, richtige Rechtserkenntnis, als auch in Bezug auf die wahre, das heißt, mit der Realität möglichst übereinstimmende Ermittlung und Feststellung der tatsächlichen Grundlagen hierfür, also um die Wahrheit als Wirklichkeitserkenntnis. Während der erste Aspekt mit der Frage der Gerechtigkeit des Prozedierens wie des Judizierens zusammenhängt, es also im Kern um die Rechtsanwendung, die mit ihr verbundenen methodologischen Problemen und ihres Ergebnisses geht (s. dazu näher Abschnitt M), betrifft der zweite Aspekt in erster Linie die Frage der Richtigkeit der Sachverhaltsannahme und des Grades der Gewissheit hierfür. Es geht also in erster Linie um das erkenntnistheoretische Problem, ob Wahrheit im Sinne einer Übereinstimmung mit der Realität überhaupt feststellbar ist, was wir bestenfalls im Rahmen einer asymptotischen Annäherung bestätigen können, oben Rn. B 32. Nach den gemeinsamen Wertvorstellungen aller neuzeitlichen Verfahrensrechte ist die Feststellung und Zugrundelegung eines realen Sachverhalts grundsätzlich eine unabdingbare Voraussetzung für eine richtige und damit gerechte Rechtsanwendung. Wenn im Prozessrecht von der Notwendigkeit der Erforschung der Wahrheit gesprochen wird, dann ist in erster Linie dieser zweite Aspekt gemeint; es geht also um die Erforschung und Feststellung des wahren Entscheidungssachverhalts. Für das Verständnis des Strafprozesses und für seine Erläuterung auf der Grundlage 25 des gegenwärtigen Rechtsverständnisses kann und braucht die erkenntnistheoretische Frage nach dem Inhalt der Wahrheit als dem erreichbaren Grad an Übereinstimmung der Vorstellung einer Wirklichkeit mit ihrer Realität nicht vertieft erörtert zu werden. Das geltende Prozessrecht geht, mag dies auch erkenntnistheoretisch naiv erscheinen,104 davon aus, dass es prinzipiell oder auch idealtypisch möglich ist, durch eine nachforschende Tätigkeit eines Subjekts eine Erkenntnis von einem außerhalb dieses Subjekts liegenden Geschehen, also von einer Realität zu gewinnen, die mit dieser Erkenntnis übereinstimmen kann. Es bezeichnet diese Übereinstimmung, so etwa in § 244 Abs. 2 StPO, als Wahrheit, und es kennzeichnet den Grad der Gewissheit, der zu einer solchen Annahme berechtigt, in § 261 StPO als Überzeugung. Wegen der Einzelheiten dieses Begriffs, namentlich seines Verhältnisses zur Wahrscheinlichkeit,105 ist auf die dortigen Erläuterungen zu verweisen. Unabhängig von diesen grundsätzlichen und erkenntnistheoretischen Fragen ist der 26 Gegenstand des Erkenntnisinteresses im Strafprozess durch dessen Fokussierung auf die Tatbestände des materiellen Rechts beschränkt. Nur das für die jeweils zu treffende Entscheidung bedeutsame tatbestandsmäßig umschriebene tatsächliche Geschehen bedarf einer möglichst wirklichkeitskongruenten Feststellung, und es kann für die Zwecke des Strafverfahrens als „wahr“ angesehen werden, was diese Aufgabe erfüllt. Nicht notwendig muss diese Wahrheit, wie etwa als Gegenstand der historischen Forschung,106 darauf gerichtet sein, die Ereignisse der Außenwelt in ihrer Gesamtheit zu erfassen oder einer anderen erkenntnisleitenden Blickrichtung voll gerecht zu werden. In diesem Sinne erscheint es vertretbar, von einer prozessualen oder forensischen Wahrheit zu sprechen, deren Gegenstand durch die jeweils anzuwendenden rechtlichen Vorgaben bestimmt wird.

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Vgl. Volk (Wahrheit und materielles Recht) 7; s. auch Schünemann FS Pfeiffer 475. Dazu kritisch etwa Stein Rudolphi-Symp. 233 ff.; vgl. auch Arzt Ketzerische Bemer-

106

kungen zum Prinzip in dubio pro reo (1997) 8 ff.; Bender/Nack (Wahrscheinlichkeit) 263 ff; Lampe FS Pfeiffer 367 ff. Vgl. Spendel JuS 1964 466.

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Einleitung

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Eine andere Frage ist die nach dem Weg zur Wahrheit. Sie lässt sich, auch wenn man von einer spezifisch forensischen, gegenständlich beschränkten Wahrheit ausgeht, nicht apriorisch und allgemeinverbindlich beantworten, sondern ist Gegenstand einer rechtsgestaltenden Entscheidung, deren Inhalt unterschiedlich sein kann und ist. Den neuzeitlichen Verfahrensordnungen aller Kulturstaaten liegt das Bestreben zugrunde, eine möglichst wahre, also mit der Wirklichkeit übereinstimmende Sachverhaltsfeststellung als Entscheidungsgrundlage zu erarbeiten. Unterschiedlich sind aber (allein) die Vorstellungen darüber, auf welchem Wege und mit welchen Mitteln man dieses Ziel am besten erreicht. Der dem gegenwärtigen deutschen Strafprozessrecht (und dem Verwaltungsprozessrecht) zugrunde liegende Amtsaufklärungsgrundsatz (Rn. I 30 ff.) geht davon aus, dass hierzu die amtliche sachverhaltserforschende Tätigkeit am dienlichsten ist, während der dem Zivilprozess und dem anglo-amerikanischen Strafverfahren zugrundeliegende Beibringungsgrundsatz von der Auffassung getragen ist, dass gegenläufige Interessenlagen den Tatsachenstoff am vollständigsten auszubreiten in der Lage sind. Die mit dem Amtsaufklärungsgrundsatz verbundene Redeweise von der „materiellen Wahrheit“ im Gegensatz zur „formellen Wahrheit“ anderer Prozessformen stellt nicht notwendigerweise eine inhaltliche Qualitätsbewertung dar, sondern ist sekundärer Natur, und das vorrangige und allgemeine Prinzip der Wahrheitserforschung ist nicht notwendig mit dem Grundsatz der Amtsaufklärung verbunden.107 Der Weg zur Wahrheit wird auch durch verschiedene Detailregelungen des jeweiligen 28 Prozessrechts näher bestimmt, die im Einzelnen Aussagen darüber enthalten, nach welchen Grundsätzen und mit welchen Mitteln die Aufklärung des tatsächlichen Geschehens stattfinden soll. Sie lassen sich zusammenfassend als das Beweisrecht einer Verfahrensordnung bezeichnen. Die StPO enthält hierfür, anders als die ZPO,108 keinen zusammenhängenden, durch eine besondere Abschnittsbezeichnung ausgewiesenen Standort. Neben verstreuten Einzelbestimmungen, die sich (mindestens auch) der Kategorie des Beweisrechts zuordnen lassen, finden sich allgemeine Vorschriften hierüber namentlich im sechsten und siebten Abschnitt des ersten Buches (§§ 48 bis 93 StPO) und bei den die tatrichterliche Hauptverhandlung betreffenden Regelungen des sechsten Abschnittes des Zweiten Buches vor allem in den §§ 244 bis 256 StPO.

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c) Grenzen der Wahrheitserforschung. Auch die Erforschung der beschränkten forensischen Wahrheit unterliegt weiteren Grenzen. Der viel zitierte Satz, es sei nicht das Ziel des Strafverfahrens, die Wahrheit um jeden Preis zu erforschen,109 bezeichnet einen Rechtsgrundsatz von gleichrangiger Qualität wie der, dass die Wahrheitsermittlung das beherrschende Prinzip des Strafverfahrens sei.110 Es handelt sich hierbei um konkurrierende und sich wechselseitig begrenzende Prinzipien, vgl. oben Rn. B 33 ff. Die Unzulänglichkeiten der Erkenntnismittel und des menschlichen Erkenntnisver30 mögens können zur Folge haben, dass die Wahrheit (auch die beschränkte forensische Wahrheit) nicht ergründet werden kann.111 Das ist eine allen Erkenntnisbemühungen anhaftende Selbstverständlichkeit, die einer näheren Erörterung nicht bedarf. Hinzuweisen ist insoweit nur darauf, dass der in aller Regel bestehende, aus der Justiz-

107 108 109 110

S. auch Schaper 160; Volk FS SchülerSpringorum 509. Vgl. §§ 284 bis 292, 355 bis 495 ZPO. BGHSt 14 358, 365; ähnlich BGH NJW 1978 1425, 1426. Vgl. auch zur Rspr. des BVerfG in diesem

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111

Zusammenhang etwa Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 443 ff.; s. auch LR/Gollwitzer 25 § 244, 188. Zu den spezifischen Formen der Gefährdung durch die Bedingungen des Strafverfahrens Schünemann FS Pfeiffer 475 ff.

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gewährungspflicht (Rn. 15 ff.) ableitbare Entscheidungszwang es nicht gestattet, sich mit dieser Einsicht zu begnügen. Vielmehr enthält das Verfahrensrecht für diesen Fall der Unergründbarkeit der Wahrheit normative Entscheidungsvorgaben, und zwar in erster Linie den Grundsatz in dubio pro reo (dazu Rn. I 48 ff.). Normative Grenzen der Wahrheitserforschung beruhen vielfach und vorrangig auf der 31 freiheitssichernden und machtbegrenzenden Funktion des Strafverfahrens (Rn. B 35 f.), die die Wahrheitsermittlung an die Vorgaben strenger Justizförmigkeit (Rn. 20) binden.112 Solche Grenzen werden namentlich durch die Beweisverbote gezogen, die im Abschnitt L dieser Einleitung und bei § 244, 189 ff. ausführlich dargestellt werden. Sie folgen aber auch aus anderen Vorschriften. So begrenzen die den sog. Strengbeweis (Rn. 34) ausmachenden Vorschriften die Wahrheitserforschung auf die Benutzung bestimmter Mittel und Verfahrensweisen und verschließen damit die Möglichkeit, sich auf andere Weise Gewissheit zu verschaffen. Das Verfassungsrecht und das einfache Recht können die Nutzung bestimmter Erkenntnisquellen oder bestimmter Methoden des Zugriffs auf Erkenntnismöglichkeiten verschließen. Der Beschuldigte ist nach den nemo-tenetur-Prinzips (Rn. J 87 ff.) nicht verpflichtet, zur Wahrheitserforschung beizutragen;113 es ist ihm nicht einmal generell untersagt, diese zu erschweren.114 Dem Revisionsgericht ist, wie sich aus der Struktur des Revisionsrechts ergibt, jedenfalls zur Schuld- und Straffrage eine eigene Wahrheitsermittlung verschlossen. 2. Notwendigkeit und Mittel der Wahrheitserforschung a) Allgemeines. Hinweise. Als Folge des Amtsaufklärungsgrundsatzes besteht im Straf- 32 verfahren, von einzelnen, hier nicht zu erörternden Ausnahmen abgesehen, grundsätzlich keine rechtliche Bindung an eine von dritter Seite unterbreitete tatsächliche Behauptung. Die Pflicht zu der nach der Sachlage erforderlichen Wahrheitserforschung obliegt dem jeweils mit der Sache befassten Strafverfolgungsorgan. Dieses hat in eigener Verantwortung die Tatsachen, die es zu seiner Entscheidung bedarf, festzustellen und zugrunde zu legen. Das Verfahren hierbei, das dem entscheidenden Organ je nach Sachlage die Kenntnis von der Richtigkeit oder der Wahrscheinlichkeit der Tatsache vermitteln soll, ist ihr Beweis, dessen nähere Struktur unter Rn. L 1 bis 9 erläutert wird. Des Beweises bedarf es dort nicht, wo Tatsachen als offenkundig behandelt werden dürfen.115 Wegen der Einzelheiten der Notwendigkeit einer Beweiserhebung und ihres Umfangs sowie wegen der Bedeutung von verschiedenen Arten von Beweistatsachen ist auf die Erläuterungen zu § 244 StPO, wegen der Würdigung der erhobenen Beweise und der dafür geltenden Regelungen auf die Erläuterungen zu § 261 StPO zu verweisen.116 Im Mittelpunkt der Erörterung steht üblicherweise die Sachverhaltserforschung durch 33 die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung mit dem Ziel einer Überzeugungsbildung 112

113 114

Eingehender K. Schäfer in der 24. Aufl., Einl. 6 7; vgl. auch Krey I 35; Roxin § 1, 5; Rüping 8; Schlüchter Rudolphi-Symp. 214 ff. Vgl. näher die Erl. zu § 136. Zu den daraus folgenden Konsequenzen für den Umfang und das Erg. der Wahrheitserforschung s. etwa (kritisch) Arzt (o. Fn. 105) 20 ff.; Beulke Der Verteidiger im Strafverfahren (1980) 136, 209; 236; Kühne 824, 867, 981.

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Vgl. auch den Hinweis von Dencker ZStW 102 (1990) 70 ff. und StV 1994 504 zur Existenz von sog. „Normalfallannahmen“, die für den Regelfall keines weiteren Beweises bedürfen; zur Offenkundigkeit und ihrer Behandlung näher die Erl. zu § 244. Zur Zuordnung verschiedener Probleme zur Beweiserhebung und Beweiswürdigung s. auch Meurer GedS H. Kaufmann 947 ff.

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des Gerichts, namentlich über die Schuld- und Straffrage. Eine wahrheitserforschende Tatsachenfeststellung, also Beweisgewinnung, Verwendung von Beweisunterlagen und Beweiswürdigung ist aber im gesamten Strafverfahren erforderlich und hat besondere Bedeutung im Ermittlungsverfahren wo – dogmatisch gesehen – die Tatsachen nur vorläufig zum Zwecke der Vorbereitung von Anklage und Hauptverhandlung aufgenommen werden, in der prozessualen Wirklichkeit aber oft die Beweisaufnahme der Hauptverhandlung bestimmend vorweg genommen werden. Auch im Zwischenverfahren sowie für Entscheidungen nach Rechtskraft im Strafvollstreckungsverfahren kommt eine Sachverhaltserforschung in Betracht. Auch wenn Zwangsmaßnahmen anzuordnen oder aufrechtzuerhalten sind, wenn über Prozesshandlungen, wie etwa die Klageerhebung oder die Zulassung der Anklage zu entscheiden ist, oder wenn prozessuale Umstände aufzuklären sind, bedarf es des Rückgriffs auf Beweisunterlagen zur Gewinnung einer Überzeugung für die jeweils maßgebenden Tatsachen. Dies gilt selbst dann, wenn damit nur ein Wahrscheinlichkeitsurteil für das Vorliegen anderer Tatsachen gewonnen werden muss.

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b) Formen des Beweises. Die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung über die Schuld- und Straffrage hat den Regeln des Strengbeweises zu entsprechen. Sie ist damit auf die Benutzung der im Strafverfahrensrecht vorgesehenen Beweismittel des Zeugenbeweises, Sachverständigenbeweises, Urkundenbeweises und Augenscheins angewiesen und muss die in den §§ 244 bis 256 StPO enthaltenen Anforderungen erfüllen. Durch Freibeweis aufzuklären sind dagegen alle Umstände außerhalb einer Hauptverhandlung. Gleiches gilt in der Hauptverhandlung selbst nach in den Einzelheiten umstrittener Auffassung für solche Tatsachen, die nicht für die Schuld- und Straffrage von Bedeutung sind.117 Bezogen auf den Strafprozess in seiner Gesamtheit ist es daher wohl nicht ganz richtig, den Freibeweis als eine Ausnahme zu verstehen. Seiner Art nach ermöglicht er die Sachverhaltserforschung in jeder sachgerecht erscheinenden Weise, die das bestmögliche Beweisergebnis erwarten lässt. Eine Überzeugung von der Wahrheit eines Sachverhalts kann (und muss gegebenenfalls) auch aufgrund des Freibeweises gewonnen werden. Beweisverbote stehen regelmäßig auch der freibeweislichen Gewinnung und Verwendung von Erkenntnissen entgegen.118

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c) Grade des Beweises. Entscheidungsgrundlagen für eine verfahrensabschließende gerichtliche Entscheidung, die über die Schuld- und Straffrage befindet, dürfen nur feststehende Tatsachen sein, soweit nicht besondere Entscheidungsregeln, wie etwa der Zweifelsgrundsatz (Rn. I 48 ff.) oder die Möglichkeit der Wahrunterstellung bei Beweisanträgen, Ausnahmen gestatten. Dieses Beweismaß der Sicherheit, das das Gesetz beispielsweise in § 261 StPO mit dem Begriff der Überzeugung umschreibt, gilt, soweit sich aus dem Sachzusammenhang, wie etwa bei einer Anknüpfung an einen Verdacht, oder aus einer ausdrücklichen Vorschrift nichts anderes ergibt, auch für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung, so etwa beim Erlass eines Strafbefehls.119 Es ist dort auf ein Wahrscheinlichkeitsurteil hin gemindert, wo das Gesetz von Glaubhaftmachung spricht.120 Soweit es um prognostische Entscheidungen geht, bezieht sich das auch hier

117 118 119

Näher die Erl. zu § 244. Näher die Erl. zu § 244; Eisenberg (Beweisrecht) 36. Vgl. näher zu dieser strittigen Fragen die Erl. Vor § 407.

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120

S. etwa § 26 Abs. 2, § 45 Abs. 2 Satz 1, § 51 Abs. 2 Satz 2, § 56, § 74 Abs. 3 StPO; vgl. auch Schmidt SchlHA 1981 73; ferner (mit dem Schwerpunkt auf den Zivilprozess) Scherer.

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regelmäßig erforderliche Beweismaß der Sicherheit auf die der Prognose zugrundeliegenden Tatsachen. d) Geständnis. Der Beschuldigte ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, sich im Straf- 36 verfahren zu äußern.121 Seine Äußerungen zur Sache, vielfach als „Einlassungen“ bezeichnet,122 können grundsätzlich als Erkenntnisquelle für die Sachverhaltserforschung verwendet werden. Soweit er sich in der Hauptverhandlung äußert, ist er materielles Beweismittel oder Beweismittel im weiteren Sinne.123 Seine Aussagen sind daher auch nach den Regeln des Strengbeweises verwendbar, obwohl er nicht zu dem numerus clausus der echten Beweismittel gehört. Äußerungen außerhalb der Hauptverhandlung sind erforderlichenfalls, was sich oft aus der Aufklärungspflicht ergeben wird, mit Hilfe der allgemeinen Beweismittel für die Hauptverhandlung nutzbar zu machen.124 Dies alles ist unabhängig davon, ob der Beschuldigte Tatsachen mitteilt, die dem Tatvorwurf widersprechen, nur teilweise von ihm abweichen, ihm teilweise entsprechen oder völlig mit ihm übereinstimmen. Eine prozessuale Sonderrolle des „Geständnisses“, also einer Beschuldigtenaussage, die sich mit dem festzustellenden oder festgestellten Sachverhalt ganz oder teilweise deckt, gibt es nicht. Es hat, anders als im Zivilprozess (§§ 288 ff. ZPO), keine bindende Wirkung in bezug auf die in ihm enthaltenen Tatsachen, sondern ist auf seine Tragfähigkeit für die Feststellungen im Rahmen der Beweiswürdigung wie jedes andere Ergebnis des Personalbeweises sorgfältig zu würdigen.125 Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich die als Beweisgrundlage verwendete Sacheinlassung, namentlich bei komplexeren Beweislagen, nur auf solche Umstände beziehen kann, die der Kenntnis des Beschuldigten zugänglich sind.126 Kriminologische Erkenntnisse haben gezeigt, dass falsche Geständnisse aus psychologisch komplexen Situationen heraus nicht selten abgelegt werden127 und die allgemeiner Rationalität entsprechende Annahme, niemand werde sich selbst grundlos belasten, nicht durchweg gilt. Auch Zwang oder Druck von Ermittlungspersonen oder Dritten können ein Geständnis wertlos machen. Aus diesen Gründen vertritt der EGMR zurecht die Ansicht, dass allein aufgrund eines Geständnisses eine Verurteilung nicht beruhen kann.128 Obwohl dies alles kaum umstritten ist, wird in der strafprozessualen Praxis und teil- 37 weise auch in Schrifttum und Rechtsprechung dem sog. Geständnis eine eigenartige, strafprozessual nicht zu rechtfertigende Sonderrolle zugebilligt.129 Sie wird schon in der terminologischen Heraushebung dieses Teils der Sachäußerungen des Beschuldigten erkennbar, die im Gesetzestext keine Grundlage finden, denn dieser verwendet den Begriff des Geständnisses nur an zwei Stellen (§§ 254, 362 Nr. 4) in besonderen Zusammenhängen.130 Es mag noch verständlich sein, wenn es auch nicht vollen Umfangs der gesetzgeberischen Absicht entspricht,131 dass die Beschuldigtenvernehmung im Ermittlungsverfahren im Aufklärungsinteresse auf Geständniserlangung ausgerichtet wird oder dass im 121 122 123 124 125

126

Näher Rn. I 88; sowie die Erl. zu § 136. Kritisch zu dieser Sonderbezeichnung Eisenberg (Beweisrecht) 726. Einzelheiten bei den Erl. zu § 244; vgl. auch Jerouschek ZStW 102 (1990) 800. Vgl. auch die dies bestätigende Sonderregelung des § 254 StPO. S. dazu und zu den dabei zu beachtenden Anforderungen ausführlich Eisenberg (Beweisrecht) 15 f., 726 ff. Vgl. dazu Dencker StV 1994 505 mit dem

127 128 129 130 131

Vorschlag zum „Unstreitigstellen“ bestimmter Tatsachen. Zieger AnwBl BE 1990 180; Stern StV 1990 563. Krumm NJW 2005 1832; Müller EuGRZ 2001 546. Vgl. dazu (kritisch) u.a. Dencker ZStW 102 (1990) 55. S. näher etwa Dencker ZStW 102 (1990) 62 f. Vgl. auch Grünwald (Beweisrecht) 59 ff.

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gerichtlichen Verfahren im Interesse der Verkürzung der Beweisaufnahme auf eine den Sachverhalt einräumende Aussage des Beschuldigten hingewirkt wird. Dazu bedarf es aber nicht des besonderen, teilweise noch in eigenartigen Abwandlungen 132 verwendeten Begriffs des Geständnisses, und dies verliert vollends eine aktuelle prozessuale Legitimation, wenn es, gleichsam als Demutsgebärde,133 als Voraussetzung für eine Einstellung nach den §§ 153, 153a StPO, für einen Strafbefehlsantrag oder als Voraussetzung einer Absprache, vgl. Rn G 58 ff. verwendet oder nach weitgehend durchgeführter Beweisaufnahme im Sinne einer formellen Bestätigung wie auch als Anlass für eine zu gewährende Reduktion des Strafmaßes erwartet wird. Es hat fast den Anschein, als ob die aus dem Inquisitionsprozess stammende Vorstellung vom Geständnis als regina probationum hier noch nachwirkt.134 Unerörtert bleiben kann hier die Voraussetzung des Geständnisses in den §§ 45, 47 JGG; sie dürfte mit jugendstrafrechtlichen Besonderheiten zusammenhängen. Das Problematische hierbei ist weniger die terminologische Sonderbehandlung, son38 dern die daraus herrührende Gefahr, dass ein Geständnis einerseits überbewertet wird und dadurch von der Pflicht zur Würdigung aller Beweisgrundlagen ablenkt, dass es aber andererseits als prozesstaktisches Mittel verwendet wird, dessen Gebrauch seine ohnehin strafzumessungsdogmatisch nicht unproblematische strafmildernde Wirkung, auf die hier nicht näher einzugehen ist,135 weiter in Frage stellt. Es dürfte zwar zutreffend sein, wenn die neuere Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Vereinbarungen (s. Rn. G 61 ff.) auch einem hierbei abgelegten Geständnis angesichts der schweren Erkennbarkeit von Schuldeinsicht und Reue schon aus Gründen des Zweifelssatzes strafmildernde Wirkung beizumessen bereit ist.136 Weiter erörterungsbedürftig erscheint es aber, ob dann nicht bereits der bloße Beitrag zur Sachaufklärung unter Verzicht auf den Formalakt des Geständnisses die gleiche Bedeutung haben sollte. Darüber hinaus muss auf jeden Fall vermieden werden, das Fehlen eines Geständnisses als Anlass für Strafschärfung zu nutzen, weil das letztendlich auf eine zusätzliche Sanktionierung für den Versuch der Verteidigung hinauslaufen würde und damit die Unschuldsvermutung, Art. 6 II EMK wie auch das Recht auf Verteidigung, Art. 6 I, III (b, c) EMRK verletzte. Zu Fragen des Verzichts auf vollständige Sachverhaltsaufklärung durch Abreden, vgl. 39 Rn. G 58ff.

IV. Der Gedanke des Rechtsmissbrauchs 1. Allgemeines

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Das geltende Recht enthält eine Reihe von Vorschriften, denen der Gedanke zugrunde liegt, dass die grob zweckwidrige Verwendung von prozessualen Befugnissen dazu führt, dass die mit ihnen normalerweise verbundenen Wirkungen nicht eintreten, dass sie zurückgewiesen werden können, dass die Bescheidung von Anträgen in einem vereinfachten Verfahren möglich ist, dass bestimmte Rechtspositionen entfallen oder dass 132 133 134 135

Vgl. dazu SK/Schlüchter Vor § 213, 39 ff. Dencker ZStW 102 (1990) 52. Vgl. auch Volk (Wahrheit und materielles Recht) 14. Dazu ausf. m.w.N. LK/Gribbohm § 46, 206 ff.; Dencker ZStW 102 (1990) 58 ff.; Jerouschek ZStW 102 (1990) 808 ff.; zur

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136

Sonderproblematik der strafmildernden Wirkung eines wegen Verstoßes gegen § 136a StPO unverwertbaren Geständnisses s. Wesemann/Müller StraFo 1998 113 ff. So BGHSt 43 195, 209 = NStZ 1998 31, 34 (II 1c ee); BGH StV 1996 204.

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bestimmte Befugnisse eingeschränkt oder entzogen werden können. Dies wird teilweise mit dem Begriff des „Missbrauchs“, teilweise mit dem der „verfahrensfremden Zwecke“ verbunden, teilweise wird dieser Gedanke, wie etwa bei der Absicht der „Prozessverschleppung“, nur in einer speziellen Zielrichtung zum Ausdruck gebracht oder er liegt nach der erkennbaren gesetzgeberischen Absicht der jeweiligen Sachregelung zugrunde. Solche Regelungen finden sich in unterschiedlicher Form beispielsweise für die Richter- 41 ablehnung in §§ 26a StPO, für die Ausschließung eines Verteidigers in § 138a Abs. 1 Nr. 2 StPO, für die Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten in § 230 Abs. 2, § 231a StPO, für die Entziehung der Befugnis zum Kreuzverhör und bei einer zweckwidrigen Verwendung des Fragerechts in § 241 StPO, bei der Behandlung von Beweisanträgen in § 244 Abs. 3 insoweit, als solche aus diesem Grunde als unzulässig zu behandeln sind oder, weil zum Zwecke der Prozessverschleppung gestellt, abgelehnt werden können, für die Möglichkeit einer Verweisung auf schriftliche Antragsbegründungen in § 257a StPO sowie in § 266 Abs. 3 Satz 1 StPO für die Ablehnung eines offenbar mutwilligen oder nur zur Verfahrensverzögerung gestellten Vertagungsantrags nach Zulassung einer Nachtragsanklage.137 Diese Einzelregelungen, hinsichtlich deren Auslegung und Anwendung im Einzelnen auf die Erläuterung zu den jeweiligen Vorschriften zu verweisen ist, lassen sich auch als Vorkehrungen gegen einen Missbrauch von prozessualen Rechten deuten, terminologisch zusammenfassen und bezeichnen. Das Schrifttum hat, von ihnen ausgehend, weitere systematisierende Einteilungen und Kennzeichnungen unternommen,138 indem es sie als dysfunktionales Verhalten bezeichnet,139 oder von objektivem oder subjektivem Institutsmissbrauch 140 oder nach den (durch die jeweiligen Regelungen zu verhindernden) Absichten von prozessfremden oder prozesswidrigen Zwecken spricht.141 2. Verfahren als Regelungsmaterie zur Konfliktsaustragung Teilweise wird, soweit es um missbräuchliche Inanspruchnahme auf der Seite des 42 Beschuldigten und seines Verteidigers geht, auch der Begriff der Konfliktverteidigung zur Kennzeichnung verwendet,142 der sich jedoch nicht vollständig mit dem Begriff des Rechtsmissbrauchs deckt, weil er auch Verhaltensweisen beschreibt, die zwar zulässig sind, aber für Gericht und/oder Staatsanwaltschaft als lästig erscheinen.143 Eine solche Bezeichnung ist in diesem Zusammenhang schon deshalb zurückzuweisen, weil die Austragung von Konflikten in der StPO angelegt ist,144 deshalb eine streitbare Verteidigung eine zulässige Verteidigung ist, soweit sie sich in den Grenzen des Strafverfahrensrechts bewegt und mit der Frage des Missbrauchs in keiner Verbindung steht. Auch erscheint bemerkenswert, dass ganz entgegen Wortlaut und Intention der StPO die professionellen Verfahrensbeteiligten sich aus Anlass dieses Streits in parteiische Rollen haben drängen 137

138

139 140 141

S. zu den vorhandenen Möglichkeiten (auch zu den von der Rspr. daraus entwickelten Ableitungen) aus neuerer Zeit m.w.N. Kröpil ZRP 1997 10; Niemöller StV 1996 502 ff. Dazu vor allem Kühne StV 1996 684 ff.; Niemöller StV 1996 501 ff.; zum Ganzen auch Fischer NStZ 1997 212 ff. Rüping/Dornseifer JZ 1977 417 ff.; Rüping JZ 1997 868 f. So etwa Weber GA 1975 295 ff. Niemöller StV 1996 502 f.

142

143 144

So Jahn(1998), Jahn ZRP 1998 104 und NStZ 1998 389 ff. m.w.N. und Beispielen, die im Einzelnen rechtsmissbräuchliches Verhalten darstellen können, aber dies keineswegs stets darstellen müssen; Verfahrensweisen, die auf missbräuchliches Verhalten hindeuten, auch in der Untersuchung von Nehm/Senge NStZ 1998 377 ff. Senge NStZ 2002 225; Nüsse StraFO 1996 34; Niemöller StraFo 1996 104. Vgl. KMR/Eschelbach Einl. 28 ff.

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lassen. Richter und Staatsanwälte beschweren sich über Verfahrenserschwerungen durch Verteidiger und erwecken so den Anschein, aus ihrer Sicht sei nur das ein gutes Verfahren, welches möglichst komplikationslos zu einer Verurteilung führe. Hierbei wird Sorge nicht nur in Hinblick auf die Unschuldsvermutung erweckt. Auch die von der StPO dezidiert vorgesehene Rollenteilung zwischen Richter und Staatsanwalt droht obskur zu werden. Haben sich erst einmal solche Haltungen verfestigt, sei es auch nur durch die bloße 43 fehlerhafte Zuweisung dieser Rollen an die jeweils anderen Prozessbeteiligten, ist im Grunde weder ein ordnungsgemäßes Verfahren noch eine rationale Diskussion mehr möglich. Im Sinne der Funktionsweise des symbolischen Interaktionismus’, wird eine solche Rollenzuschreibung zur Bestätigung der Erwartungshaltung und damit der Vorurteile führen. Der Richter, dem vom Verteidiger mit der Erwartung begegnet wird, er habe nichts im Sinn, außer in Kooperation mit der Staatsanwaltschaft schnell zu verurteilen, wird rigider reagieren, als es eigentlich seinem Rechtsverständnis und Naturell entspräche. Vice versa wird ein Verteidiger, dem der Vorsitzende als Hindernis bei der gerechten Urteilsfindung begegnet, sich veranlasst sehen, statt der streitigen Kooperation die Konfrontation zu wählen. Es lohnt in diesem Zusammenhang, sich die Grundkonstellation des Strafverfahrens 44 vor Augen zu führen. Die verfahrensrechtliche Streitanordnung von Richter, Staatsanwalt und Verteidiger – oder auch ihr triadisches Kräftefeld 145 – ist eine Konzession an die begrenzte Rationalität menschlicher Erkenntniskraft. Da uns die interessenneutrale Wahrnehmung nicht möglich ist,146 vertreten Staatsanwalt und Verteidiger die jeweils konträren Interessenpositionen von Opfer und Täter, wobei es in diesem Zusammenhang unbedeutend ist, dass die Opferinteressen als ordnungspolitische Staatsziele überhöht von der Staatsanwaltschaft wahrgenommen werden. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung sind gehalten, die prozedurale 45 Wahrheit zu verfolgen, also im Rahmen der prozessrechtlichen Vorgaben die Wahrheitsfindung anzustreben. Bei der Staatsanwaltschaft wird das durch die ausdrückliche Verpflichtung, gleichermaßen zulasten wie zugunsten des Beschuldigten zu ermitteln, geklärt, § 160 II StPO. Etwas weniger deutlich wird die Bindung an das gemeinsame prozessuale Ziel durch die Bezeichnung des Verteidigers als Organ der Rechtspflege in § 1 BRAO beschrieben. Während diese Formulierung nach allgemeiner Meinung 147 der Verteidigung in gewissem, wenngleich nicht genau gekennzeichnetem Maß die grundsätzliche Freiheit zur Parteilichkeit einschränkt, nimmt sich die Staatsanwaltschaft nach eigenem – empirisch erhobenem – Bekunden die Freiheit, sich trotz des § 160 II StPO eher als Strafverfolgungsorgan zu verstehen und zu gerieren.148 Insofern unterliegen Staatsanwalt und Verteidiger gleichermaßen der Aufgabe der perspektivischen Wahrheitsermittlung. Die durch die jeweils konträre Perspektive notwendig verzerrte Wahrnehmung wird dann – so zumindest die idealtypische Vorstellung – auf der richterlichen Ebene wieder zurecht-

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147

Vgl. Kühne 173. Vgl. die sozialwissenschaftlichen Nachw. zur Wahrnehmungsproblematik bei Kühne AK StPO Rn. 27 ff. Vor § 48 StPO; Barton, Redlich, aber falsch. Die Fragwürdigkeit des Zeugenbeweises (1995) passim. Güde in Holtfort (Hrsg.) Strafverteidigung als Interessenvertretung (1979) 126; Ahlsberg in Taschke (Hrsg.) Ausgewählte

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Schriften (1992) 338; Beulke 150; Knapp (1974); Kühne 170 ff. Vgl. Blankenburg/Sessar/Steffen 275 ff.; folgerichtig bezeichnet die Rspr. die StA trotz des § 160 II StPO als nicht unparteiische Gegenbeteiligte des Beschuldigten BGH NJW 1960 253; OLG Bremen NStZ 1986 120 (121).

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gerückt. Das Gericht profitiert von den positionsspezifischen Darstellungen von Staatsanwalt und Verteidiger, bei der es mit der ganzen Bandbreite interessengebundenen Argumentierens und Interpretierens konfrontiert wird und damit gleichsam in eine überparteiliche, objektivere Stellung gedrängt wird, aus der heraus eher eine richtige, also realitätsgemäße Würdigung des Tatgeschehens möglich ist.149 Es ist folglich der Anlage der StPO immanent, wenn Staatsanwalt, Verteidiger und Richter aufgrund ein und desselben Verfahrens zur Tatsachenermittlung und daraus resultierenden Rechtsfolgen drei durchaus unterschiedliche, ja konträre Vorstellungen entwickeln. Vorstellungen, die jedoch als rational und zutreffend von jedem von ihnen begründet werden können. Und hier nun wird die Idealtypik von der Verfahrenswirklichkeit eingeholt. Denn die Akteure sind nicht immer bereit, ihre Position als funktionale Rolle zu relativieren. Diese Haltung wird verstärkt durch ein von Alltagserfahrung bestätigtes Wissen um die Irrtumsanfälligkeit jeder menschlichen Erkenntnis. Es besteht mit anderen Worten die Neigung, die eigene perspektivische Wahrheit als richtig und die der anderen als durch Irrtum verzerrt und verfälscht zu verstehen. Das hinwiederum führt zu Durchsetzungsstrategien, die von den anderen Akteuren jeweils als unangenehm, lästig oder störend empfunden werden können. Hier sind wir an der Quelle dessen angelangt, was den wechselseitigen Vorwürfen des Rechtsmissbrauchs oder der fehlerhaften Rechtsanwendung Nahrung gibt. Jeder Versuch etwa des Verteidigers, dem Prozess eine andere Richtung zu geben als dies die Staatsanwaltschaft oder das Gericht möchte – und das gilt in beliebigen Variationen zwischen den drei Akteuren –, kann von den anderen als Hinderung der Wahrheitsfindung und damit als Rechtsmissbrauch im weitesten Sinne interpretiert werden. Die Grenze zum akzeptablen und damit nicht rechtsmissbräuchlichen Streit um mögliche Varianten ist äußerst schmal. Allein der Umstand der eigenen Bereitschaft, die perspektivische Sicht des anderen noch als möglich anzunehmen, entscheidet über die Einschätzung: Rechtsmissbrauch oder Ansichtsdivergenz. Da es praktisch keine Kriterien gibt, die eine solche Wertung in die Nähe einer Objektivierung führen können, und auch Konsensbildung durch Mehrheiten wegen der begrenzten Zahl juristischer Akteure nicht möglich ist, ergibt sich eine relative Beliebigkeit des Vorwurfs. Die nachgerade notwendig unterschiedlichen Vorstellungen von Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht über Weg und Ziel des konkreten Verfahrens können daher leicht zum wechselseitigem Vorwurf rechtsmissbräuchlichen oder rechtsfehlerhaften Verhaltens führen. Je geringer die Streitkultur, desto höher das Risiko, dem anders Argumentierenden dies als unsachlich anzulasten. Verstärkt wird die Gefahr eines solchen Vorwurfs durch die weit verbreitete Vorstellung, dass ein Prozess möglichst stromlinienförmig und glatt abzuwickeln sei. Ein solch einseitig geprägtes Verständnis von einem „schlanken“ Prozess klingt deutlich bei Schaefer 150 an, wenn er ausführt, dass die von ihm durchaus konzidierten Rechtsverstöße von Staatsanwälten und Richtern anders als die rechtsmissbräuchlichen Aktionen von Verteidigern dem Verfahren in der Regel nicht schaden würden. Es ist in der Tat jedoch kein Erfordernis des Beschleunigungsgebots, auf den streitigen Meinungsaustausch zwischen Staatsanwalt, Verteidiger und Gericht im Verfahren zu verzichten. Im Gegenteil, dies ist das Wesen des Strafprozesses; nur das Ausmaß bleibt im Ungewissen. Diese Ungewissheit kann aber schlecht zur Begründung fehlerhaften Verhaltens der anderen Seite herangezogen werden.

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Vgl. Kühne Rn. 173.

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Schaefer NJW 1995 1273.

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Nach alledem können wir festhalten, dass das Bemühen um ein zügiges Verfahren, verbunden mit der Unkenntnis über die streitbegründende verfahrensrechtliche Anordnung der juristischen Akteure, allzu leicht den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs auszulösen vermag. Wir müssen daher unbedingt diese psychologische Falle meiden. Gerade in der Diskussion um Defizite bei den professionellen Akteuren sollte das gemeinsame Interesse an einem hohen rechtsstaatlichen Standard berufsständische Empfindlichkeiten deutlich überwiegen. 3. Durchsetzungsstrategien im Prozess

Aus der Kriminalistik wissen wir, dass die Tatgelegenheitsstruktur 151 für die Tatsache und Art der Deliktsbegehung große Bedeutung hat. Dies ist freilich kaum etwas anderes als die ausschnittsweise Anerkennung eines allgemeinen Prinzips der Verhaltenssteuerung. Wir alle orientieren uns – jeweils entsprechend dem vorhandenen Ausmaß rationaler Ansprechbarkeit – nach den für unsere Handlungsziele relevanten Umständen, wenn wir etwas bewirken wollen. Dies bedeutet, dass identische Ziele in unterschiedlichen Strukturen meist auf verschiedenen Wegen verfolgt werden müssen. Diese noch recht abstrakten Überlegungen vermögen es, das unterschiedliche Verhalten von Richtern und Staatsanwälten einerseits und Verteidigern andererseits zu erklären, welches in seiner negativen Bewertung als fehlerhafte Rechtsanwendung einerseits bzw. Rechtsmissbrauch andererseits erscheint. Dieser Vorwurf ist, soweit er denn im Einzelfall wirklich zutrifft, in seiner Unter52 schiedlichkeit strukturell begründet. Staatsanwälte und in erhöhtem Maße Richter sind von der Strafprozessordnung in Positionen gestellt worden, aus denen heraus sie Recht und seine Anwendung zumindest für gewisse Zeit gültig definieren können. Beschlagnahme, Anordnungen, §§ 98 I, 100 I, Anordnungen der Überwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs, § 100b I, der geheimen Ermittlung, § 100d I, der Durchsuchung, § 105, des Einsatzes verdeckter Ermittler, § 110b I, zur Einrichtung von Kontrollstellen, § 111 II, des dinglichen Arrests, § 111e I, also praktisch alle prozessualen Zwangsmaßnahmen mit Ausnahme der Untersuchungshaft können von der Staatsanwaltschaft bei Gefahr im Verzug gültig in Gang gesetzt werden. Das gesamte Ermittlungsverfahren wird darüber hinaus durch die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft maßgeblich bestimmt, die zumindest zeitweilig gültig sind. In den dafür vorgesehenen Fällen nimmt der Richter schon im Ermittlungsverfahren eine ähnliche Position ein und gestaltet dann ab Anklageerhebung den Verlauf des restlichen Verfahrens durch Rechtsanwendung nach seinem Verständnis, gültig bis zur Korrektur durch Rechtsmittel. Der Verteidiger hingegen hat keinerlei Definitions- und Anwendungshoheit. Er hat Antragsmöglichkeiten. Während also Staatsanwalt und Richter im Verfahren das Recht autoritativ und wirksam – wenn auch unter dem Vorbehalt späterer Überprüfung – anwenden können, müssen Verteidiger Ausmaß und Art ihrer Rechte bzw. die ihrer Mandanten bei Staatsanwaltschaft und Gericht einwerben. Die konkrete Definition dieser Rechte ist fremdbestimmt durch Staatsanwalt und Richter. Diese Konstellation ist verantwortlich für das unterschiedliche Verhalten. In Erman53 gelung eigener juristischer Subsumtionsgewalt bleibt bei Dissens um Inhalt von Normen dem Verteidiger nur die Möglichkeit, sich im konsentierten Interpretationsbereich der fraglichen Normen aufzuhalten und gleichwohl seine Ansicht zu verfolgen. Das bedingt

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Etwa Eisenberg Kriminologie6 §45 Rn. 6 ff.

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die Gefahr des Vorwurfs, in Übereinstimmung mit dem Text der Norm gegen ihren Sinn zu verstoßen, also Rechtsmissbrauch zu begehen. Staatsanwalt und Richter hingegen müssen Normen lediglich aus ihrem eigenen Verständnis heraus anwenden; einen Streit über Inhalt und Grenzen dieser Normen können sie durch bloße Rechtsanwendung entscheiden. Das bedingt die Gefahr des Vorwurfs fehlerhaften Rechtsgebrauchs, der nur im untechnischen Sinne als rechtsmissbräuchlich bezeichnet werden kann. Somit wird klar, dass Rechtsmissbrauch und fehlerhafte Rechtsanwendung nichts 54 anderes sind als juristische Durchsetzungsstrategien, die sich aus der rechtlichen Position des jeweils Verfahrensbeteiligten im Falle eines anders nicht überbrückbaren Dissenses ergeben. Da der Verteidiger kein Recht durchsetzbar subsumieren kann, kann er auch keine fehlerhafte Rechtsanwendung begehen; da Staatsanwalt und Richter umgekehrt Recht durchaus durchsetzbar subsumieren können, brauchen sie nicht den Weg der Implementierung neuer Inhalte in alt überkommene Texte zu gehen, sondern dürfen einfach anwenden. Es darf hier nochmals daran erinnert werden, dass wir uns hier nicht mit den offensichtlichen Fällen beschäftigen, die als Rechtsverletzung unter die Kategorie der Rechtsbeugung und als Rechtsmissbrauch unter die des ungehörigen und standeswidrigen Verhaltens fallen würden. Gleichwohl interessiert in diesem Zusammenhang, wie diese unterschiedlichen Durch- 55 setzungsstrategien zu bewerten sind. Fraglos ist, dass sie in einem idealtypischen Verfahrensverständnis nicht auftauchen, sondern dort durch juristische Streitkultur, also diskursive Fachkommunikation ersetzt würden. Interessanterweise scheint dies statistisch gesehen bei der überwältigenden Mehrheit der Strafverfahren auch real so zu sein.152 Was ist aber mit den in der rechtlichen und rechtspolitischen Diskussion so hoch gehängten wenigen Fällen,153 in denen das Bild eines kaum mehr kollegialen Kampfes überwiegt? Die Lösung erscheint einfach: Rechtsinterpretation ist nur sehr begrenzt objektivierbar und wird zumindest für die Praxis durch höchstrichterliche Rechtsprechung autoritativ festgelegt. Im Vorfeld gibt es also nur bedingt richtige Erkenntnisse. Das gilt gleichermaßen für Richter, Staatsanwälte und Verteidiger. Es ist daher weder sinnvoll noch angemessen, in unserem Rechts- und Gerichtssystem divergierende vorläufige Rechtsauffassungen zum Anlass zu nehmen, sich wechselseitig unprofessionelles Verhalten vorzuwerfen. Erst dort wo die juristischen Akteure sich über dogmatisch akzeptierte Ansichten und Konventionen hinwegsetzen, kann überhaupt eine Missbrauchsdiskussion beginnen. All dies spricht gegen die Einführung des allgemeinen Missbrauchsprinzips im Strafverfahren. 4. Das allgemeine Rechtsmissbrauchsverbot de lege lata und de lege ferenda Auch im Grundsätzlichen ungeklärt und rechtsdogmatisch umstritten ist, ob sich aus 56 den Einzelregelungen und über sie hinausgehend für das Strafverfahren ein allgemeiner Grundsatz des Missbrauchsverbotes ableiten lässt und – falls ja – wie weit er reicht. Bejahendenfalls ist strittig, wann ein solcher Missbrauch angenommen werden kann, in welcher Form und mit welchen Mitteln ihm zu begegnen ist, und ob und in welchem Umfang es möglich ist, nicht nur den einzelnen missbräuchlichen Prozesshandlungen ihre Beachtlichkeit oder Wirksamkeit zu versagen, sondern darüber hinausgehend die Befugnis zur Vornahme solcher Prozesshandlungen insgesamt (ganz oder teilweise) zu entziehen.154 152 153

Vgl. Rn. 59. Schaefer NJW 1995 1723; Dahs NJW 1994 909; Hamm NJW 1993 290.

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Dafür etwa LR/Gollwitzer 25 Vor § 226, 46; KK/Pfeiffer Einl. 22 a; Meyer-Goßner Einl. 111; Kröpil ZRP 1997 10 (m.w.N. zum

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Rechtspolitisch wird darüber hinaus die Schaffung eines allgemeinen oder gegenständlich beschränkten Missbrauchsverbotes, auch mit der Folge der Entziehung bestimmter Befugnisse, kontrovers diskutiert.155 a) De lege lata

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Auch wenn das geltende Strafprozessrecht eine Reihe von Vorschriften enthält, denen der Gedanke der Ablehnbarkeit oder Unbeachtlichkeit missbräuchlicher Prozesshandlungen zugrunde liegt, dürfte eine allgemeine Missbrauchsklausel dergestalt, dass missbräuchlich vorgenommene Prozesshandlungen generell unzulässig sind und schon deshalb nicht beachtet zu werden brauchen oder zurückgewiesen werden können, nicht begründbar und vor allem nicht in einer brauchbaren Form rechtlich handhabbar sein.156 In Ermangelung empirischer Daten sollen hier einige Vorschriften, die besonders gern im Zusammenhang mit verfahrensverschleppendem Rechtsmissbrauch genannt werden, auf ihr praktisches Missbrauchspotential hin untersucht werden. Es wird keine Vollständigkeit angestrebt, es geht nur um eine exemplarische Darstellung. Die Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit 157 ist wegen der zeitlichen 58 Restriktionen, §§ 25, 26a I Nr. 1 StPO, vor allem aber wegen der ausdrücklichen Missbrauchsklausel des § 26a I Nr. 3, wohl kein geeignetes Mittel, um Verfahren ernsthaft zu verlängern und dadurch zu gefährden.158 Die Ablehnung wegen Unzulässigkeit erfordert nicht einmal das Auswechseln des vom Antrag betroffenen Richters. Bei Beweisanträgen erwähnt § 244 Abs. 3 S. 2, 6. Alt. und § 245 Abs. 2 (präsente Beweismittel) die Missbrauchsklausel ebenfalls. Wegen Prozessverschleppungsabsicht kann ein Beweisantrag abgelehnt werden.159 Hier ist der Begründungsaufwand jedoch größer als bei § 26a. Die Unmöglichkeit, mit dem beantragten Beweis ein sachdienliches Beweisergebnis zu erzielen, wie auch die Verschleppungsabsicht als ausschließlichen Grund für den gestellten Antrag, müssen vom Gericht dargelegt werden, was aufwendig ist und nicht leicht routinisiert werden kann. Beispielhaft ist hier der Sachverhalt, der der Entscheidung des BGH in NStZ 1992 140 zu Grunde gelegen hat. Dort wurden in einem vom Instanzgericht wie vom BGH als vergleichsweise einfach angesehenen Verfahren über 8.000 Beweisanträge formell korrekt gestellt. Hier eröffnete der BGH der Tatsacheninstanz über den Rechtsmissbrauch einen Fluchtweg und befreite das Gericht von der inhaltlichen Prüfung all dieser Anträge. Es ist weder dogmatisch noch rechtspragmatisch einzusehen, warum das Instanzgericht davon entbunden sein sollte, sich jedem einzelnen mit Mühe geschriebenen Antrag auch so zu widmen, wie es § 244 III vorsieht. Immerhin geht es um die Wahrheitsfindung. Weniger problematisch ist dagegen der neueste Ansatz des BGH, wo

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Streitstand, auch in der Rspr. in Fn. 20 ff) und JR 1997 30; eher zurückhaltend etwa Niemöller StV 1996 502 ff.; weitgehend ablehnend u.a. Rüping JZ 1997 866; Fischer NStZ 1997 216; Herzog StV 1994 167; Kempf StV 1996 502 ff.; Hamm NJW 1993 296; Weber GA 1975 299 f. Zur Frage, ob insoweit (bei Verteidigerverhalten) Strafvereitelung i.S. des § 258 StGB in Betracht kommt, s. (im Erg. verneinend) Jahn ZRP 1998 107 f. Nachw. u.a. bei Kröpil ZRP 1997 8 ff.; Rüping JZ 1997 865 ff.

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A.A. wohl Kröpil JR 1997 315, JZ 1998 135 ff., der (aus der Sonderregelung des § 241 Abs. 1 StPO) eine allg., weitgespannte Missbrauchsklausel bei jeder nicht verfahrenszielkonform eingesetzten prozessualen Befugnis ableiten will; ähnlich auch Kudlich ZRP 1997 295. Das dürfte in seiner unbestimmten Weite schwerlich akzeptabel sein. Ausführlich dazu Günther NJW 1986 281. A.A. Niemöller StV 1996 504. Streitig ist, ob hier Unzulässigkeit oder lediglich Unbegründetheit vorliegt, vgl. AK/Schöch, Rn. 77 ff. zu § 244.

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er aus dem Gedanken der Prozessverschleppung des § 244 Abs. 2 StPO eine Abwägung zwischen Beschleunigungsgebot und Beweisantragsrecht entwickelt, die zu einer im Gesetz so nicht vorgesehenen vom Gericht zu verhängenden Ausschlussfrist für weitere Beweisanträge führen dürfe.160 Hierdurch wird die Schärfe des sonst von der Rechtsprechung angenommenen allgemeinen Ausschlusses von Beweisanträgen und der Unnötigkeit ihrer Bearbeitung gemildert. Protokollanträge, § 273 Abs. 3 StPO, stehen auch im Verdacht, zur sabotierenden 59 Verfahrensverzögerung benutzt zu werden. In der Tat kann hierdurch nicht unerheblicher zusätzlicher Aufwand, vor allem vor dem Landgericht, wo nur eine Pflicht zur Protokollierung äußerer Formalien besteht, verursacht werden. Selbst ablehnende Entscheidungen des Gerichts müssen zumindest den Antrag wiedergeben und damit de facto den Vorgang, dessen Protokollierung in Frage stand, aufnehmen. Auch hier steht also dem funktionalen Gebrauch dieses Rechts eine Missbrauchsmöglichkeit mit prozessverlängernder Potenz gegenüber. Fraglich ist hingegen, ob dies die Rechtspraxis vor so große Probleme stellt, dass es einer Abhilfe bedarf. In Anbetracht der auch von der Praxis bekräftigten Erkenntnis, dass „rechtsmissbräuchliches“ Verhalten der Verteidigung extrem selten ist,161 scheint dies nicht regelungsbedürftig zu sein. b) De lege ferenda Das gleiche gilt für die rechtspolitische Forderung, de lege ferenda solche Missbrauchs- 60 klauseln zu schaffen. Nach dem gegenwärtigen Diskussionsstand und im Hinblick auf die sorgfältig austarierten Handlungs- und Einwirkungsbefugnisse einerseits und Reaktionsmöglichkeiten andererseits wäre mit einer solchen generellen Missbrauchsvorschrift die unvermeidbare und nicht hinnehmbare Gefahr verbunden, dass berechtigte Inanspruchnahme von Prozessbefugnissen ohne eine genauere Prüfung ihrer Voraussetzungen und jeweiligen Ablehnungsmöglichkeiten unter einfacher Berufung auf einen Missbrauch verhindert werden könnte.162 Ein operationalisierbarer und unmittelbar anwendbarer allgemeiner Grundsatz, dass der Gebrauch eines Rechts zur Erreichung eines rechtlich missbilligten Zieles verboten sei,163 lässt sich wegen der ihm seinerseits innewohnenden eigenen Missbrauchsgefahr auch dann nicht vertreten, wenn man ihn mit dem Hinweis verbindet, dass an sein Vorliegen und seinen Nachweis strenge Anforderungen zu stellen seien.164 Die Gefährlichkeit einer de lege ferenda zu schaffenden allgemeinen Missbrauchsklausel kann nicht mit dem Hinweis bestritten werden, es sei davon auszugehen, dass die Gerichte die Gesetze zutreffend anwenden.165 Wer die Missbrauchsmöglichkeiten durch eine Seite so gravierend einschätzt, dass er weitreichende gesetzgeberische Maßnahmen für notwendig hält, kann den Missbrauch durch die andere Seite nicht ignorieren. Im Übrigen hat die Diskussion in den 70iger Jahren aus Anlass des sog. Schily- 61 Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts 166 gezeigt, dass die Einführung einer allgemei160

BGH NJW 2005, 2466. Generalstaatsanwalt Schaefer NJW 1995 1723; LG Wiesbaden NJW 1995 409; Generalbundesanwalt und Generalstaatsanwälte StV 1991 284; Wassermann NJW 1994 1106; Ankermann DRiZ 1993 67; vgl. auch Herdegen Gedächtnisschrift für Meyer, 187 (205). 162 Ähnlich schon Weber GA 1975 300; s. auch Kühne StV 1996 685.

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So z.B. Meyer-Goßner Einl. 111; KK/Pfeiffer Einl. 22a. So LR/Gollwitzer 25 Vor § 226, 49. So aber Kröpil ZRP 1997 13. BVerfGE 34, 293 bezeichnete hier den Ausschluss eines Verteidigers ohne gesetzliche Grundlage als verfassungswidrig.

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nen Missbrauchsklausel im Strafverfahrensrecht weder erstrebenswert noch mit der Grundkonzeption der StPO kompatibel wäre. Damals wurde – wieder einmal – befürchtet, dass anstelle der justizförmigen Erforschung der materiellen Wahrheit die Demonstration politischer Anschauung, die Fortsetzung des Kampfes gegen die Gesellschaft oder aber die Sabotage des Verfahrens mittels subtiler Prozesstaktiken treten sollte.167 Die hieran anknüpfende Diskussion 168 gipfelte in der Überlegung, eine allgemeine Missbrauchsklausel in der StPO zu installieren.169 Einer der Vorschläge sah vor, dass Anträge, die offensichtlich oder gar offenkundig nicht zur Wahrheitsfindung beitragen sollen oder können, ohne weiteres mit dieser Begründung zurückgewiesen werden dürfen.170 Hierzu kam es jedoch nicht. Haupteinwand der kritischen Stimmen war die Gefahr des Missbrauchs des Rechtsmissbrauchsgedankens selbst. Die Gerichte könnten dadurch in Versuchung geführt werden, lediglich unbequeme Maßnahmen als rechtsmissbräuchlich zu unterbinden.171 Rudolphi sah in einer Generalklausel zudem einen Widerspruch zur Unschuldsvermutung, da eine solche Reform einseitig von dem bereits Schuldigen ausgehe. Hinsichtlich einer Beschneidung von Verteidigerrechten fürchtete er die Gefahr der Aushöhlung prozessualer Rechte, vor allem aber der Aufgabe des Verteidigers, einseitig die Interessen des Beschuldigten zu vertreten, dabei eventuell hartnäckig zu sein und damit die Aufgabe des Gerichts zu erschweren.172 Vogel lehnte eine Generalklausel ebenfalls vehement ab, da die StPO auf dem Prinzip beruhe, prozessuale Befugnisse differenziert und konkret zu gewähren und bei Ablehnungsgründen mit enumerativen Aufzählungen zu operieren.173 Diese Argumente waren es, die den Gesetzgeber davon Abstand nehmen ließen, in das Strafverfahrensrecht eine allgemeine Rechtsmissbrauchsklausel aufzunehmen. Allein der Hinweis, die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege erfordere die Anwendung des Rechtsmissbrauchsprinzips,174 ist in seiner Schlichtheit sicher nicht geeignet, die Probleme anders zu sehen. 5. Das dogmatische Wesen des Rechtsmissbrauchs

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Bestätigt werden diese Überlegungen, wenn man das Wesen des Rechtsmissbrauchs betrachtet. Rechtsmissbrauch ist ein Verhalten, welches unter formeller Wahrung der gesetzlichen Formulierung gleichwohl dem Sinn eben dieses Gesetzes widerspricht.175 Es 167 168 169

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Vgl. Bsp. bei Weber GA 1975 289 f. Weber aaO; Rüping/Dornseiffer JZ 1977 417. So Mitglieder des Rechtsausschusses und des BRates in Hinblick auf den Verteidigerausschuss vgl. BR-Drucks. 90/75. Etwa Generalbundesanwalt Rebmann DRiZ 1979 363 (369), der einerseits von der Machtlosigkeit der Gerichte gegenüber der formal gesehen legalen Nutzung gesetzlich gegebener Mittel ausgeht, andererseits aber auch deren übertriebene Zurückhaltung bei der Auslegung gesetzlicher Begriffe kritisiert. Meyer JR 1980 218. Das Land Hessen formulierte seine Ablehnung vorsichtig, indem es die Gefahr beschwor, dass eine Reihe unbestimmter Rechtsbegriffe von der gerichtlichen Praxis unterschiedlich ausgelegt und ausgeführt werden könnten, BRDrucks. 90/2/75.

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ZRP 1976 165 (168,172). NJW 1978 1223. So Niemöller StV 1996 503 f. bzgl. von Vereitelungs- und Verzögerungsversuchen unter Berufung auf BVerfGE 39 156, 163; 41 246, 250; 51 324, 344. Freilich ergeben die bezogenen Entscheidungen trotz der in ihnen zum Ausdruck gebrachten Sorge um das Funktionieren des Strafverfahrens (m.w.N. in der Entscheidung Bd. 51) keine Rechtfertigung für die allg. Anwendung des Rechtsmissbrauchsprinzips im Strafverfahren. Vielmehr geht es um die bloße Interpretation des § 231a StPO (Bd. 41 u. 51) bzw. die Erklärung der Verfassungsmäßigkeit einer dem Missbrauch vorbeugenden Norm, dem § 137 I 2 StPO. Zur Geschichte der Lehre vom Rechtsmissbrauch sehr informativ Kempf StV 1996 507 ff.

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handelt sich um einen Widerspruch zwischen Gesetzeswortlaut und Gesetzeszweck, der auf dem Wege der Interpretation nicht zu korrigieren ist, weil insofern die gegebene Eindeutigkeit des Wortlauts unüberwindliche Schranken aufbaut. Gleichwohl lernt der Jurist, dass eine missbräuchliche Berufung auf das Recht unwirksam sei, dass eindeutig subsumierbare Tatbestände unter solchen Umständen keine Geltung beanspruchen könnten.176 Dieses Konzept des Rechtsmissbrauchs ist nichts anderes als ein Analogieschluss: Jenseits der interpretatorisch erschließbaren Bedeutung der Norm wird ihre Anwendung aufgrund höherrangiger Erwägungen abgelehnt. Die Höherrangigkeit der nicht durch unmittelbare Gesetzesauslegung erschließbaren Wertungen wird in der Regel durch Bezug auf allgemeine Vernunftserwägungen begründet. Der Sinn des Gesetzes 177 sei ein anderer als der durch Interpretation erzielte, der Sinn der Rechtsinstitution 178 erlaube eine derart „formale“, will sagen juristisch deduzierbare, Anwendung nicht. Es wird also zweierlei postuliert: einmal die Richtigkeit einer frei geschöpften Wertung und zum anderen die Überlegenheit dieser Wertung gegenüber dem Ergebnis einer juristischen Subsumtion. Die Heranziehung von Argumenten außerhalb der Kategorien möglicher juristischer Auslegung ist der typische Fall einer Analogie. Die Analogie des Rechtsmissbrauchs beruht dabei auf dem Evidenzerlebnis des Widerspruchs der rechtstechnischen Anwendbarkeit mit dem eigentlichen Normziel. Juristische Technik kollidiert gleichsam mit dem, was man unscharf genug mit gesundem Menschenverstand, Erfahrung, Vernunft oder ähnlichem beschreibt. Wie selbstverständlich wird dabei davon ausgegangen, dass der Rechtsanwender ein höheres Verständnis vom Sinn und Zweck des Rechts hat, als er dies mit Hilfe juristischer Subsumtionsmethoden belegen kann. Sehr deutlich wird dies etwa bei Niemöller,179 der die Zweckwidrigkeit von Rechtsanwendung schlicht als Basis für die Notwendigkeit der Geltung des Rechtsmissbrauchsprinzips auch im Strafprozessrecht postuliert, ohne über die Legitimation seines Zweckwidrigkeitsurteils Rechenschaft abzulegen.180 Damit wird die Janusköpfigkeit des Rechtsmissbrauchsgedankens deutlich. So erstrebenswert es ist, zu verhindern, dass das Recht gegen sich selbst gewendet wird, so heikel ist es doch, Gesetzestext und juristische Interpretationstechniken unter Berufung auf ein bloßes Evidenzerlebnis gleichsam vom Tisch zu fegen. Die Figur des Rechtsmissbrauchs ist daher in ihrem Wesen zutiefst undogmatisch, sie negiert das Ordnungssystem juristisch deduktiven Argumentierens zugunsten einer Wertung auf Plausibilitätsniveau. Aus diesem Grund kann diese Figur nicht als allgemeines Instrument der Rechtsfindung innerhalb der hoch formalisierten Strafprozessordnung genutzt werden. 6. Die Erforderlichkeit des Rechtsmissbrauchsprinzip im Strafverfahren Der grundsätzlichen Notwendigkeit, eindeutig und unzweifelhaft exzessiver und miss- 63 bräuchlicher Verwendung prozessualer Befugnisse zu begegnen, die das Verfahren unvertretbar verzögern oder seinen von der Justizgewährungspflicht geforderten Abschluss verhindern oder die sonst in schwerwiegender Weise den Verfahrensablauf oder die 176

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Meyer-Goßner Einl. 111; Schettler JR 1993 170, 173; Widmair NStZ 1992 519; Günther NJW 1986 281. So etwa Rüping/Dornseifer JZ 1977 417, die von dysfunktionalem Verhalten im Prozess sprechen. So Weber GA 1975 289, der im Abschluss an die französische Rechtslehre der

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20er und 30er Jahre den institutionellen Missbrauch thematisiert. StV 1996 501/502. Auch die folgende Unterteilung in prozessfremde und prozesswidrige Zwecke liefert eine solche Legitimation nicht, sondern basiert auf ihrem anfänglichen Fehlen.

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Rechte anderer gefährden, lässt sich weitgehend durch eine sachgerechte Auslegung und Anwendung des vorhandenen rechtlichen Instrumentariums und notfalls durch eine vorsichtige und einzelfallbezogene Analogie derjenigen gesetzlichen Vorschriften begegnen, die Regelungen für das jeweilige Sachgebiet enthalten. Dies dürfte, trotz gelegentlicher verbaler Bekenntnisse zu einer allgemeinen Missbrauchsklausel,181 wohl auch der Weg der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sein, die insgesamt eher zurückhaltend und vorsichtig verfährt und namentlich einem Entzug von Befugnissen insgesamt mit großer Zurückhaltung gegenübersteht,182 es aber gleichwohl vermeidet, sich dogmatisch auf den Rechtsmissbrauch und die mit ihm verbundenen Probleme einzulassen. Der von Spiekermann 183 vorgeschlagene Weg, dem Gericht über § 34StGB, rechtfertigender Notstand, die Befugnis einzuräumen, Rechte der Verteidigung, insbesondere Beweisantragsrechte jenseits der von der StPO vorgesehenen Möglichkeiten einzuschränken, ignoriert nicht nur die Problematik der Interpretation strafrechtlicher Rechtfertigungsgründe als staatliche Eingriffsermächtigung, sondern erscheint auch inhaltlich verfehlt zu sein. Es wäre Aufgabe des Gesetzgebers, unter Abwägung aller Gegeninteressen offensichtlich unzureichende Einzelregelungen sachgerecht zu ergänzen.184 Ein unabweisbares Bedürfnis hierfür dürfte bei dem inzwischen erreichten Gesetzeszustand gegenwärtig allerdings nicht ersichtlich sein. 7. Missbrauch durch private Prozessbeteiligte. Einzelheiten

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Die Regelungen der Strafprozessordnung ermöglichen vielfach, ohne dass ausdrücklich auf den Missbrauchsgedanken zurückgegriffen werden muss, eine sachgerechte Behandlung auch solcher Anträge und sonstiger Prozesshandlungen, die (möglicherweise) missbräuchlich wahrgenommen werden. Dies gilt beispielsweise immer dann, wenn das Gericht über solche Anträge nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden kann. Ähnliches gilt, wenn ein Missbrauch sich nicht in erheblicher Weise verfahrensstörend auswirken kann, etwa, wenn Präklusionsregelungen Verfahrensverzögerungen in ausreichendem Maße entgegenwirken. Schließlich gestatten auch die speziellen, dem Missbrauchsgedanken entstammenden Regelungen wie etwa § 26a oder § 241 Abs. 1 oder § 266 Abs. 3 Satz 1 StPO eine grundsätzlich sachgerechte, im Einzelnen hier nicht zu erörternde Behandlung missbräuchlichen Verhaltens. Darüber hinaus ist vielfach anerkannt, dass eine missbräuchliche Zielsetzung eine (einzelne) Prozesshandlung unzulässig machen kann.185 Dies gilt etwa nach § 241 Abs. 2 StPO für Fragen, die den zu Befragenden lediglich herabsetzen sollen, ohne dass ihnen eine sachliche Bedeutung zukommt.186 Problematisch allerdings wegen der impliziten Anwendung des Rechtsmissbrauchsgedanken die Ansicht der ständigen Rechtsprechung, dass Beweisanträge auch dann als unzulässig zu behandeln sind, wenn mit ihnen lediglich verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden, wobei die Absicht der Prozessverschleppung 187 wohl einen Sonderfall darstellen dürfte.188 181

182 183

Vgl. etwa BGHSt 38 111, 113 = JR 1993 169 m. Anm. Scheffler; KG JR 1971 338 m. Anm. Peters; dazu auch Rüping JZ 1997 867; Maatz NStZ 1992 513; ferner (generell bejahend) OLG Hamburg NJW 1998 621, 622. Gesamtübersicht etwa bei Niemöller StV 1996 502 f.; s. auch Kempf StV 1996 509. Eschenhagen passim.

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184 185

186 187 188

Vgl. auch Eschenhagen 223 ff. Ausf. dazu etwa m.w.N. Malmendier NJW 1997 228 ff.; vgl. auch Jahn NStZ 1998 389 ff. (zur Frage der Anwendbarkeit der §§ 176 ff GVG). Näher die Erl. zu § 244. Informativ BGH JR 2005, 297 m. Anm. Sander. S. näher die Erl. zu §§ 244, 245.

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Grundlagen des Strafverfahrens

Einl. Abschn. H

Dabei soll jede einzelne Prozesshandlung und jeder Antrag gesondert daraufhin zu 65 beurteilen sein, ob eine auf Missbrauch zurückzuführende Unzulässigkeit gegeben ist. Eine Entziehung der Befugnis zur Antragstellung insgesamt, insbesondere bei Beweisanträgen, ist grundsätzlich nicht zulässig.189 Es soll aber in extremen Ausnahmefällen zulässig sein, zu bestimmen, dass weitere Beweisanträge nur noch durch den Verteidiger gestellt werden, so dass solche des Angeklagten selbst als unzulässig behandelt werden können.190 Bei einem Missbrauch des Fragerechts komme zwar nicht seine vollständige Entziehung, wohl aber als ultima ratio seine Beschränkung, auch in der Form der Unzulässigkeit der weiteren Befragung einzelner Beweispersonen, in Betracht.191 Ob ähnliches auch für die Abgabe von Prozesserklärungen nach § 257 StPO, für den Inhalt und die Dauer von Antragsbegründungen, bei denen notfalls auf die Möglichkeit der Verweisung auf die schriftliche Antragstellung nach § 257a StPO zurückgegriffen werden kann, oder für Beanstandungen vor Anordnungen des Vorsitzenden nach § 238 StPO gilt, ist zweifelhaft und im jeweiligen Zusammenhang dargestellt. 8. Missbrauch durch Strafverfolgungsbehörden Auch Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden und der Gerichte können, über ihre 66 rechtliche Fehlerhaftigkeit hinaus, missbräuchlich im Sinne eines dysfunktionalen Gebrauchs oder im Sinne eines objektiven oder subjektiven Institutsmissbrauchs sein, so etwa, wenn ein Verfahren mit einer rechtlich unhaltbaren Begründung eingestellt wird, um ein vermeintlich rechtspolitisches Bedürfnis zu artikulieren,192 oder wenn die Untersuchungshaft entgegen ihrem Sicherungszweck zur Geständniserlangung oder als kurzfristig zu vollstreckende Sanktion eingesetzt wird, wenn eine spätere Strafaussetzung zur Bewährung voraussehbar ist, oder wenn eine Durchsuchung in der Erwartung durchgeführt wird, auf „Zufallsfunde“ im Sinne des § 108 StPO zu stoßen.193 Soweit solche Verstöße vorkommen, steht zu ihrer Korrektur das für die Behandlung fehlerhafter Maßnahmen und Entscheidungen generell vorgesehene Instrumentarium der Rechtsmittel zur Verfügung;194 insoweit unterscheidet sich die rechtliche Lage zum Teil von der beim Missbrauch durch private Prozessbeteiligte. Dazu gehören neben den Rechtsmitteln etwa Beweisverbote, die Nichteröffnung des Hauptverfahrens, die Ablehnung wegen Befangenheit und äußerstenfalls und bei Verfassungsverstößen die Verfassungsbeschwerde. Auch kann gegebenenfalls und in Extremfällen ein derartiger Missbrauch einer strafrechtlichen Beurteilung als Rechtsbeugung zugänglich sein.195 189

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Vgl. (jeweils m.w.N.) Niemöller StV 1996 505 (Unzulässigkeit der einzelnen Prozeßhandlung); Rüping JZ 1997 869. So BGHSt 38 111 ff. = JR 1993 169 m. Anm. Scheffler (für den Fall der Ankündigung von mehr als 8000 weiteren Beweisanträgen); zur dogmatischen Fundierung aus dem Gedanken des prozessualen Notstandes Niemöller StV 1996 505 f.; vgl. auch (kritisch) Fischer NStZ 1997 216; ablehnend etwa Scheffler JR 1993 107. Näher zu dieser umstrittenen Frage § 241, 22. So etwa LG Wiesbaden NJW 1995 409 = StV 1995 239 m. abl. Anm. Asbrock; dazu näher Kempf FS Friebertshäuser 83 ff.;

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Malmendier NJW 1997 227; Schaefer NJW 1995 1723; LG Ansbach StV 1995 287 m. Anm. Barton; zum Ganzen auch Fischer NStZ 1997 215; ferner Scheffler NStZ 1996 67 ff. m.w. (teilweise allerdings zweifelhaften) Beispielen. Als rechtsmissbräuchlich wird man auch die zur Wahrung des § 229 StPO durchgeführten „Scheinverhandlungen“ bezeichnen müssen; vgl. dazu etwa BGH StV 1998 359; BGH NStZ 1998 366. Vgl. auch die Hinweise bei Kühne StV 1996 689; bei Rüping JZ 1997 869 und Rüping/ Dornseifer JZ 1977 420. Vgl. auch Fischer NStZ 1997 215 f. S. dazu Scheffler NStZ 1996 67 ff.

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Einleitung

9. Verwirkung a) Verwirkung von Rechten Prozessbeteiligter

67

In sachlichem Zusammenhang mit der Missbrauchsproblematik steht die Frage, ob die Befugnis zur Vornahme von Prozesshandlungen im Strafprozessrecht verwirkt werden kann. Das ist im Einzelnen umstritten; überwiegend wird allerdings dem Verwirkungsgedanken insoweit jedenfalls keine zentrale Bedeutung beigemessen.196 Teilweise wird die (ihrerseits im Einzelnen streitige) Präklusionswirkung der Nichtanrufung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 StPO mit dem Rechtsgedanken der Verwirkung begründet,197 der auch als Erklärung für die Berufungsverwerfung nach § 329 StPO verwendet wird.198 Umstritten ist aber namentlich, ob, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen darüber hinaus die Geltendmachung von Verfahrensrügen mit der Revision dadurch verwirkt werden kann, dass der Fehler nicht rechtzeitig beanstandet oder durch ein zurechenbares, evtl. arglistiges Verhalten herbeigeführt wird. Diese Fragen werden eingehend bei § 337 erörtert.199 Eine Verwirkung wird teilweise auch dann angenommen, wenn bei nicht fristgebundenen Rechtsbehelfen der Berechtigte ohne sachlich verständigen Grund so lange untätig bleibt, dass mit einer Anfechtung nicht mehr zu rechnen ist.200 Als von der Rechtsprechung ohne Rekurs auf Rechtsmissbrauch oder Verwirkung 68 gelöste Problembereiche möglichen prozesshemmenden Verhaltens können noch erwähnt werden die Benennung eines Richters des erkennenden Gerichts als Zeuge, die unzulässig ist, wenn der Richter dienstlich erklärt hat, er könne zur Sache nichts aussagen 201 und die sachwidrige und damit unzulässige Verknüpfung eines Hilfsbeweisantrags mit einer bestimmten Rechtsfolgeentscheidung des erkennenden Gerichts.202 Grundsätzlich muss aber davon ausgegangen werden, dass außerhalb ausdrücklich die Verwirkung anordnender gesetzlicher Regelungen dieser Gedanke keinen Platz hat, da er mehr noch als der Missbrauchsgedanke und ebenso frei geschöpft in das fragile System der zwischen den Verfahrensbeteiligten austarierten Rechte und Pflichten eingreift und es zum Einsturz bringen kann. b) Zur Verwirkbarkeit des sog. staatlichen Strafanspruchs

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Entsprechendes muss für die Frage der Verwirkung des staatlichen Strafanspruchs gelten. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf das die Verwirkung kennzeichnende Element des venire contra factum proprium oder des widersprüchlichen Verhaltens findet sich dabei im Schrifttum nur selten.203 Der Bundesgerichtshof hat sie, vor allem im Zusam-

196

197 198

Umfassend zur Verwirkung vor allem Schmid Die Verwirkung von Verfahrensrügen im Strafprozeß (1966); s. aus der Rspr. dazu etwa BVerfGE 32 305, 309; BGHSt 24 280, 283; 24 143, 148; 25 357, 359 (zu § 224 Abs. 1 Satz 2); s. auch KMR/Eschelbach Einl. 12; SK/Schlüchter Vor § 213, 55 ff.; Maatz NStZ 1992 515 ff.; Schlüchter GedS Meyer 445 ff.; insbes. 460 ff. Näher m.w.N. die Erl. zu § 238. Näher die Erl. zu § 329 (25. Aufl. Rn. 76 f.).

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199 200

201 202 203

LR/Hanack 25 § 337, 267 ff.; s. auch Schlüchter GedS Meyer 445 ff. Näher die Erl. Vor § 296 und die Erl. zu § 304; s. auch BVerfGE 32 307, 309; OLG Köln NJW 1966 2229 (für den Fall der unmittelbar auf Art. 19 Abs. 4 GG gestützten Anrufung des Gerichts). BGH StV 1991 99. BGHSt 40 287. So vor allem Wolfslast 99 ff.; ähnlich etwa Bruns NStZ 1993 49, 52 ff.; Katzorke 68 ff. und passim, insbes. 105 ff.; Scheffler 138 ff.

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menhang mit der Beurteilung des tatprovozierenden Verhaltens eines Lockspitzels,204 nach einigem Schwanken 205 ausdrücklich abgelehnt.206 Der Sache nach liegt der Verwirkungsgedanke aber auch vielfach (nicht immer 207) denjenigen Auffassungen zugrunde, die sich für die Anerkennung eines Verfahrenshindernisses oder eines Verfolgungsverbotes bei schwerwiegender Rechtsstaatswidrigkeit aussprechen, das in diesem Kommentar in anderen Zusammenhängen erörtert wird .208 Hierbei entspricht das Verhältnis des Verwirkungsgedankens zu dem der Annahme eines Prozesshindernisses dem von Inhalt und Form. Wer die Verwirkbarkeit für möglich hält, greift auf die verfahrensrechtliche Figur des Verfahrenshindernisses zurück, um die Folge einer Verwirkung prozessual durchzusetzen.209 Mitunter wird auch über Beweisverwertungsverbote grob rechtsstaatswidriges Verhalten sanktioniert und damit die Umsetzung des staatlichen Verfolgungsanspruchs gehindert.210 Umgekehrt dient für einen Teil derjenigen, die das Verfahrenshindernis der schwerwiegenden Rechtsstaatswidrigkeit befürworten, der Hinweis auf die in anderen Rechtsgebieten etablierte und nützliche Rechtsfigur der Verwirkung als begründungserleichternder Beleg für ihre Auffassung. Beides hängt allerdings nicht notwendig und untrennbar zusammen. Die Verwirkung ließe sich wohl auch mit einem Rückgriff auf dogmatische Figuren des materiellen Strafrechts operationalisieren; zur Annahme des Verfahrenshindernisses (oder Verfolgungsverbots) der schwerwiegenden Rechtsstaatswidrigkeit bedarf es nicht notwendig des Rückgriffs auf eine ausgearbeitete Verwirkungslehre.211 Das Rechtsinstitut der Verwirkung hängt überdies zivilrechtlich und öffentlich-recht- 70 lich in einer fast untrennbaren Weise mit einem verwirkbaren Anspruch eines Anspruchsinhabers gegenüber einem Anspruchsgegner zusammen, ist also durch eine zweiseitige Beziehung gekennzeichnet. Die aus der Justizgewährungspflicht abzuleitende Strafverfolgungs- und Sanktionspflicht der Staatsgewalt hat aber damit auch dann nichts zu tun, wenn man den Begriff des staatlichen Strafanspruchs zusammenfassend als die Summe derjenigen Regelungen versteht, die die Strafverfolgungsbefugnis und die Sanktionspflicht beschreiben.212 Ebenso problematisch erscheint die mit dem Verwirkungsgedanken vielfach verbundene Berufung auf das widersprüchliche Verhalten einer einheitlich verstandenen Staatsgewalt; so etwa, wenn die langjährige Duldung einer bestimmten (strafbaren) Verhaltensweise durch einzelne (wenn auch viele und hochrangige) Organe der Staatsgewalt als verwirkungsbegründendes Verhalten gegenüber einer späteren Strafverfolgung angesehen wird.213 Bei dieser Argumentation wird nicht ausreichend berücksichtigt, dass

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Dazu näher die Erl. zu § 163 StPO (25. Aufl. Rn. 63 ff). Vgl. BGH NJW 1981 1626; NStZ 1981 70; s. auch die Nachw. BGHSt 32 345, 348 ff.; umfassende Nachw. der Rspr. bei Wolfslast 2 Fn. 6, 7; 234 ff. BGHSt 32 352 ff; s. auch die Nachw. bei Wolfslast 3 Fn. 14. Vgl. etwa I. Roxin 186 ff., die den Rückgriff auf den Verwirkungsgedanken ausdrücklich ablehnt; Beulke 375. S. Rn. K 45ff., sowie ausf. die Erl. zu § 206a. S. dazu etwa Wolfslast 232 ff. EGMR (Teixeira) NStZ 1999 47; vgl dazu auch die durchaus abweichende Ansicht von

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BGH NJW 2000 1123 und die krit. Besprechungen Roxin JZ 2000 369; Endriss/Kinzig NStZ 2000 272. S. etwa I. Roxin 194 ff.; Übersicht über die verschiedenen Argumentationsweisen insbes. zum Lockspitzel bei Wolfslast 238 ff. So etwa Wolfslast 98 (zusammenfassend). So bspw. in den Fällen der sog. „Parteispendenaffäre“, bei der Wolfslast (S. 162 ff.) mit eingehender Begründung eine Verwirkung aus dem Gedanken des venire contra factum proprium bejaht, während die Rspr. dem kaum gefolgt ist; vgl. die Nachw. bei Wolfslast 153 ff.; s. auch Rüping Die Mitverantwortung des Staates als Strafverfolgungshindernis (1987).

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Einl. Abschn. I

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sich das staatliche Handeln auf eine Vielzahl von Organen mit selbständigen Funktionsbereichen verteilt. Es ist deshalb nicht notwendig verwirkungsbegründend, wenn außerhalb von konkreten Strafverfolgungsmaßnahmen im jeweiligen Verfahren staatliches Verhalten sichtbar wird, das als Tolerierung oder gar Förderung verstanden werden könnte. Anders können die Dinge nur dann liegen, wenn, wie etwa in den Fällen der Tatprovokation, der völkerrechtswidrigen Entführung oder der überlangen Verfahrensdauer, das rechtsstaatliche Defizit dem Verfahren selbst anhaftet; doch werden hier häufig die kennzeichnenden Merkmale gerade der Verwirkung nicht ausreichend zur Problemlösung beitragen. Es dürften somit die besseren Gründe gegen einen Rückgriff auf die Verwirkung als 71 strafprozessuales Rechtsinstitut sprechen.214 Es ist eine andere Frage, ob bestimmte Elemente oder Grundgedanken, die das Institut der Verwirkung mitprägen, auch für strafprozessuale Problemlösungen fruchtbar gemacht werden können. Selbst wenn und soweit man dies bejaht, empfiehlt sich der terminologische Rückgriff auf den Verwirkungsbegriff schon deshalb nicht, weil er dazu verleitet, das gesamte Institut in seiner spezifischen zivilrechtlichen Ausprägung in einen andersartigen strafprozessualen Funktionszusammenhang zu übertragen.

I. Die so genannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze Schrifttum (Auswahl) Allgemeines. Binding Die Strafprozeßprinzipien und das Maß ihrer prozessgestaltenden Kraft, Abh. Bd. II, S. 168; Corstens Strafprozeßrecht unter dem Einfluß allgemeiner Rechtsprinzipien, FS Stree/Wessels 643; Eser Funktionswandel strafrechtlicher Prozeßmaximen: Auf dem Wege zur „Reprivatisierung“ des Strafverfahrens? ZStW 104 (1992) 361; Feuerbach Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege, Bd. 1 (1821); Geerds Maximen des Strafprozesses, SchlHA 1962 181; Mittermaier Die Mündlichkeit, das Anklageprinzip, die Öffentlichkeit und das Geschworenengericht in ihrer Durchführung in den verschiedenen Gesetzgebungen (1845); Rieß Prozeßmaximen und Ermittlungsverfahren, FS Rebmann 381; Volk Die Prozeßprinzipien und das Chaos, FS Schüler-Springorum 505; weiteren Schrifttum s. bei den Abschnitten B, J und K. Klassische Prozessmaximen. Arzt Ketzerische Bemerkungen zum Prinzip in dubio pro reo (1997); Bottke Polizeiliche Ermittlungsarbeit und Legalitätsprinzip, GedS Meyer 37; Ebert Der Tatverdacht im Strafverfahren unter spezieller Berücksichtigung des Tatnachweises im Strafbefehlsverfahren, Diss. Passau 1999; Eisenberg/Conen § 152 II StPO: Legalitätsprinzip im gerichtsfreien Raum? NJW 1998 2241; Foth Bemerkungen zum Zweifelssatz (in dubio pro reo), NStZ 1996 423; Geißer Das Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft, GA 1983 384; Geppert Der Grundsatz der Unmittelbarkeit im deutschen Strafverfahren (1979); Gössel Überlegungen zur Bedeutung des Legalitätsprinzips im rechtsstaatlichen Strafverfahren, FS Dünnebier 121; Herdegen Bemerkungen zur Beweiswürdigung, NStZ 1987 193; ders. Das Verbot der Beweisantizipation im Strafprozeßrecht, FS Boujong 777; Hoyer Der Konflikt zwischen richterlicher Beweiswürdigungsfreiheit und dem Prinzip „in dubio pro reo“, ZStW 105 (1993) 523; Jerouschek Wie frei ist die freie Beweiswürdigung? ZStW 105 (1993) 494; Jung Öffentlichkeit – Niedergang eines Verfahrensgrundsatzes? GedS H. Kaufmann 891; Kammann Der Anfangsverdacht, Diss. Köln 2002; Kargl/Sinner Der Öffentlichkeitsgrundsatz und das öffentliche Interesse in § 153a StPO, Jura 1998 231; Kretschmer Die Staats-

214

Ebenso KMR/Eschelbach Einl. 12; SK/ Wolter Vor § 151, 50; Meyer NStZ 1985 134; Pfeiffer FS Baumann 337; I. Roxin

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186 ff.; Seelmann in: Jung/Müller-Dietz 25 ff.

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Die so genannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze

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anwaltschaft – Eine problemorientierte Darstellung ihrer Aufgaben und Rechtsstellung, Jura 2004 452; Krey Zur Problematik privater Ermittlungen des durch eine Straftat Verletzten (1994); Kühne Die Definition des Verdachts als Voraussetzung strafprozessualer Zwangsmaßnahmen, NJW 1979 617; ders. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Verfahrensdauer in Strafsachen, StV 2001 529; Kunert Strafprozessuale Beweisprinzipien im Wechselspiel, GA 1979 401; Löhr Der Grundsatz der Unmittelbarkeit im deutschen Strafprozeßrecht (1972); Lohner Der Tatverdacht im Ermittlungsverfahren, Diss. München 1994; Meurer Beweiswürdigung und Beweisregeln im deutschen Strafprozeß, FS Oehler 357; Montenbruck In dubio pro reo (1985); Rieß Die Zukunft des Legalitätsprinzips, NStZ 1981 2; Rüping Strafverfahren als Sensation, FS Dünnebier 391; Scherer Gerichtsöffentlichkeit als Medienöffentlichkeit (1979); Schmidt, A. Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozeß (1994); Schulz Sachverhaltsfeststellung und Beweistheorie (1992); ders. Normiertes Misstrauen: der Verdacht im Strafverfahren (2001); Stuckenberg Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, Diss. Bonn 1997; Stutz Zurückdrängung des Öffentlichkeitsprinzips zugunsten der Privatsphäre im Strafverfahren (1992); Weigend Anklagepflicht und Ermessen (1978); ders. Das „Opportunitätsprinzip“ zwischen Einzelfallgerechtigkeit und Systemeffizienz, ZStW 109 (1997) 103; Wolter Zur Dogmatik und Rangfolge von materiellen Ausschlußgründen, Verfahrenseinstellung, Absehen und Mildern von Strafe, in: Wolter/ Freund, Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem (1996) 25; Zipf Empfiehlt es sich, die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Strafverfahrens neu zu gestalten, insbesondere zur Verbesserung der Rechtsstellung des Beschuldigten weitere nicht-öffentliche Verfahrensgänge zu entwickeln? Gutachten zum 54. DJT (1982), Verh. des 54. DJT Bd. I C; Zopfs In dubio pro reo (1998); weiteres Schrifttum s. bei den Abschnitten G (Wahrheitserforschung) und I, Vor § 152 StPO (Legalitätsprinzip), bei den §§ 244 (Amtsaufklärung), 250 (Unmittelbarkeit) § 261 StPO (freie Beweiswürdigung und in dubio pro reo) und Vor § 169 GVG (Öffentlichkeit). Verfassungsrechtliche Prozessmaximen. Arndt Das rechtliche Gehör, NJW 1959 6; Arnold Der Einfluss des BVerfG auf das nationale Straf- und Strafverfahrensrecht, StraFo 2005 2; Barton (Hrsg.) Verfahrensgerechtigkeit und Zeugenbeweis (2002); Beulke Die Strafbarkeit des Verteidigers (1989); Brause Faires Verfahren und Effektivität im Strafprozeß, NJW 1982 2865; Bröll Das rechtliche Gehör im Strafprozeß unter besonderer Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Einflüsse, Diss. Münster 1964; Dahs Das rechtliche Gehör im Strafprozeß (1959); Degener Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und strafprozessuale Zwangsmaßnahmen (1985); Dörr Faires Verfahren. Gewährleistung im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (1984); Fabricius Selbst-Gerechtigkeit (1996); Frohn Rechtliches Gehör und richterliche Entscheidung (1989); Frohn Strafverteidigung und rechtliches Gehör, GA 1984 554; Geppert Zum „fair-trial-Prinzip“ nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention, Jura 1992 597; Hamm Die Entdeckung des „fair trial“ im deutschen Strafprozeß – ein Fortschritt mit ambivalenten Ursachen, FS Salger 273; Hegmann Fürsorgepflicht gegenüber dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren (1980); Heubel Der „fairtrial“ – ein Grundsatz des Strafverfahrens? (1981); Hilger Über verfassungs- und strafverfahrensrechtliche Probleme bei gesetzlichen Regelungen grundrechtsrelevanter strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen, FS Salger 319; Hübner Allgemeine Verfahrensgrundsätze, Fürsorgepflicht oder fair trial (1983); Jagusch Über das rechtliche Gehör im Strafverfahren, NJW 1959 265; Jung Der sog. Grundsatz der gerichtlichen Fürsorgepflicht, in: Recht und Gesetz im Dialog II, Saarbrücker Vorträge (1985) 107; ders. Der Grundsatz des fair trial in rechtsvergleichender Sicht, FS Lüke 323; Kielwein Die prozessuale Fürsorgepflicht im Strafverfahren (1985); Knemeyer Rechtliches Gehör im Gerichtsverfahren, HdbStR Bd. IV (1989), § 155 S. 1271; Kohlmann Waffengleichheit im Strafprozeß, FS Peters 311; Kuhn Verfahrensfairneß im Jugendstrafrecht, Diss. München 1996; Kumlehn Die gerichtliche Fürsorgepflicht im Strafverfahren, Diss. Göttingen 1976; Kunkis Überjustitialisierung durch die Rechtsprechung im Bereich der Strafrechtspflege, DRiZ 1993 185; Laufhütte Das Grundrecht auf ein faires Verfahren aus der Sicht des Revisionsrichters, SchrRAGStrafr. Bd. 10 (1993) 181; Lesser Anspruch auf rechtliches Gehör, DRiZ 1960 420; v. Löbbecke Fürsorgepflichten im Strafprozeß, GA 1973 200; Löwe Das rechtliche Gehör, Diss Hamburg, 1957; Maiwald Zur gerichtlichen Fürsorgepflicht im Strafprozeß und ihren Grenzen, FS Lange 745; Marczak Das Fairneßgebot im Prozeß, Diss. Köln 2000; Mess Die Zulässigkeit aufgedrängter Fürsorge gegenüber dem Beschuldigten im Strafverfahren, Diss. Bonn 1989; Müller Der Grundsatz der Waffengleichheit im

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Einl. Abschn. I

Einleitung

Strafverfahren, NJW 1976 1063; Nehm Die Verwirklichung der Grundrechte durch die Gerichte im Prozeßrecht und Strafrecht, in: Heyde/Starck, Vierzig Jahre Grundrechte in ihrer Verwirklichung durch die Gerichte (1990) 173; Niemöller Verändert das Verfassungsrecht die Strafprozeßordnung? StraFo 2000 361; Oswald Der verfassungsrechtliche Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren, JR 1979 99; Peukert Die Garantie des „fair trial“ in der Straßburger Rechtsprechung, EuGRZ 1980 247; Plötz Die gerichtliche Fürsorgepflicht im Strafverfahren (1980); Rieß Über Subsidiaritätsverhältnisse und Subsidiaritätsklauseln im Strafverfahren, GedS Meyer 367; Röhl Das rechtliche Gehör, NJW 1953 1531, 1958 1268, 1964 273; Rüping Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs und seine Bedeutung im Strafverfahren (1976); Rzepka Zur Fairness im deutschen Strafverfahren (2000); Schmidt-Aßmann Verfahrensfehler als Verletzungen des Art. 103 Abs. 1 GG, DÖV 1987 1029; Schorn Die Fürsorgepflicht im Strafverfahren, MDR 1966 639; Schulte Die Gewährung des rechtlichen Gehörs in der Praxis des Revisionsverfahrens in Strafsachen, FS Rebmann 465; Seidel Das Recht des Beschuldigten auf rechtliches Gehör im Strafprozeß, Diss. Köln 1963; Sondermann Waffengleichheit im Strafprozeß, Diss Köln 1975; Steiner Das Fairnessprinzip im Strafprozeß (1995); Stürner „Fair trial“ und öffentliche Meinung, JZ 1980 1; Tettinger Fairness und Waffengleichheit (1984); Tönnies Fair trial oder Kann die Flucht in die Generalklausel gegen Kabinettsjustiz helfen? ZRP 1990 292; Wagner Rechtliches Gehör im Ermittlungsverfahren, ZStW 109 (1997) 545; Wassermann Zur Bedeutung, zum Inhalt und zum Umfang des Rechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), DRiZ 1984 425; Weissbrodt/Wolfrum (Hrsg.) The right to a fair trial (1998); v. Winterfeld Das Verfassungsprinzip des rechtlichen Gehörs, NJW 1961 849; weiteres Schrifttum s. bei den Abschnitten H und K. Grundsatz der Beschleunigung. Barton Rechtstatsachen zur Dauer von Strafverfahren und zu deren Gründen, StV 1996 690; Gollwitzer Gerechtigkeit und Prozeßwirtschaftlichkeit, FS Kleinknecht 147; Hanack Prozeßhindernis des überlangen Strafverfahrens, JZ 1971 705; Hillenkamp Verwirkung des Strafanspruchs durch Verfahrensverzögerung? JR 1975 133; Klöpfer Verfahrensdauer und Verfassungsrecht, JZ 1979 209; Kohlmann Der Anspruch des Beschuldigten auf schnelle Durchführung des Ermittlungsverfahrens, FS Maurach 501; ders. „Überlange Strafverfahren“ – bekannt, bedenklich, aber nicht zu vermeiden? FS Pfeiffer 202; Kühne Die Berücksichtigung und Kompensation überlanger Verfahrensdauer im deutschen Strafverfahren, EuGRZ 1983 382; Küng-Hofer Die Beschleunigung des Strafverfahrens unter Wahrung der Rechtsstaatlichkeit (1984); Nehm/Senge Ursachen langer Hauptverhandlungen – dargestellt am Beispiel von 3 Strafverfahren, NStZ 1998 377; Peters Beschleunigung des Strafverfahrens und die Grenzen der Verfahrensbeschleunigung in: Schreiber (Hrsg.), Strafprozeß und Reform (1979) 82; Peuckert Die überlange Verfahrensdauer (Art. 6 Abs. 1 EMRK) in der Rechtsprechung der Straßburger Instanzen, EuGRZ 1979 261; Pfeiffer Das strafrechtliche Beschleunigungsgebot, FS Baumann 329; Prochnow Die Beschleunigung des Strafverfahrens in rechtsvergleichender Betrachtung, Diss. Freiburg 1971; Scheffler Die überlange Dauer von Strafverfahren (1991); ders. Rechtsstaatswidrigkeit und Einstellung von Strafverfahren, JZ 1992 131; Schroth Strafrechtliche und strafprozessuale Konsequenzen aus der Überlänge von Strafverfahren, NJW 1990 29; Stackelberg Verjährung und Verwirkung des Rechts auf Strafverfolgung, FS Bockelmann 759; ter Veen Zu den Gründen (über)langer Verfahrensdauer in Strafsachen, StV 1997 374; Ulsenheimer Zur Problematik der überlangen Verfahrensdauer und richterlicher Aufklärungspflicht im Strafprozeß, wistra 1983 12; Wohlers Rechtsfolgen prozeßordnungswidriger Untätigkeit von Strafverfolgungsorganen, JR 1994 138; weiteres Schrifttum s. Vor § 213 StPO.

Übersicht Rn. I. Begriff und Bedeutung der Maximen 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . 2. Funktionen und Geltungsgrund a) Funktionen . . . . . . . . . . b) Geltungsgrund . . . . . . . . 3. Einteilung . . . . . . . . . . . . 4. Reichweite und Grenzen a) Reichweite . . . . . . . . . .

262

. . .

1

. . . . . . . . .

2 3 4

. . .

6

Rn. b) In Bezug auf einzelne Verfahrensabschnitte . . . . . . . . . . . . . . 5. Hinweise . . . . . . . . . . . . . . .

7 8

II. Klassische Prozessmaximen 1. Der Anklagegrundsatz a) Inhalt und Bedeutung . . . . . . . b) Grenzen und Einschränkungen . . .

9 11

Hans-Heiner Kühne

Die so genannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze

Einl. Abschn. I

Rn. 2. Das Offizialprinzip und das sog. Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft . 3. Das Legalitätsprinzip a) Hinweise . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . c) Gesetzliche Grundlagen . . . . . . d) Allgemeine Reichweite und Kontrolle e) Begrenzungen des Legalitätsprinzips 4. Die Instruktionsmaxime oder der Amtsaufklärungsgrundsatz a) Bedeutung und Inhalt . . . . . . . b) Eigene Aufklärung durch die Prozessbeteiligten . . . . . . . . . . . . . c) Ausnahmen und Grenzen . . . . . d) Aufklärung des prozessualen Geschehens . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung a) Inhalt, Bedeutung und Reichweite . b) Ausnahmen und Grenzen . . . . . c) Der Verdacht als Gegenstand der Beweiswürdigung . . . . . . . . . 6. Der Grundsatz in dubio pro reo a) Inhalt und Bedeutung . . . . . . . b) Geltungsbereich und Grenzen . . . 7. Die Grundsätze der Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit sowie die Konzentrationsmaxime a) Allgemeines. Beziehungen . . . . . b) Der Grundsatz der Mündlichkeit . . c) Der Grundsatz der Unmittelbarkeit d) Die Konzentrationsmaxime . . . . e) Der Grundsatz der Öffentlichkeit .

Rn. III. Verfassungsrechtliche Prozessmaximen 1. Überblick und Besonderheiten . . . . 2. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs a) Grundlagen und Bedeutung . . . . b) Gesetzliche Anerkennung und Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . c) Geltungsbereich . . . . . . . . . . d) Einschränkungen . . . . . . . . . . e) Gehörsberechtigte . . . . . . . . . f) Inhalt und Gegenstand . . . . . . . g) Form und Zeitpunkt . . . . . . . . h) Verletzung. Folgen . . . . . . . . . 3. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit a) Bedeutung und Grundlagen . . . . b) Gesetzliche Regelung und Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . c) Grenzen . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Grundsatz des fairen Verfahrens und die sog. Waffengleichheit a) Grundsatz. Bedeutung . . . . . . . b) Inhalt des Fairnessgrundsatzes . . . c) Grenzen und Einschränkungen . . . d) Begünstigte . . . . . . . . . . . . . e) Adressaten . . . . . . . . . . . . . f) Verstöße gegen den Fairnessgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Der Grundsatz der Waffengleichheit 5. Die Fürsorgepflicht a) Grundsatz. Bedeutung. Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt und Grenzen . . . . . . . . c) Fürsorgeberechtigte . . . . . . . . . d) Adressaten der Fürsorgepflicht . . .

14 19 20 22 23 26

30 35 36 38

39 41 43 48 51

53 58 63 67 70

71 75 77 80 81 82 84 90 92 96 100 102

103 107 110 111 112 114 117

121 124 127 128

I. Begriff und Bedeutung der Maximen 1. Allgemeines. Die sog. Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze dienen der Struk- 1 turierung und besseren Erfassung des Strafverfahrens, indem sie zwischen der Bestimmung des Verfahrenszieles und ähnlichen, sehr allgemeinen Aussagen, wie etwa dem Rechtsstaatsprinzip, und der Vielfalt notwendiger Detailregelungen Grundsätze mittlerer Reichweite bezeichnen.1 Sie beschreiben in zusammenfassender Form diejenigen Leitgedanken, die nach der jeweiligen Vorstellung der Rechtsgemeinschaft und des Gesetzgebers der Erreichung des Verfahrenszieles am dienlichsten sind.2 Im Kern und von ihrer Zielsetzung her enthalten sie weniger rechtssystematische, denn rechtspolitische Aussagen über den jeweils bevorzugten der unterschiedlichen denkbaren und rechtsgeschichtlich wie rechtsvergleichend vorkommenden Wege zum Verfahrensziel.3

1

Zu dem im Schrifttum bisher nicht aufgenommenen Vorschlag der Anerkennung einer weiteren Zwischenebene „formeller Konstitutionsprinzipien des Strafverfahrens“ vgl. Rieß FS Schäfer 172 und FS Rebmann 385.

2

3

Rieß FS Rebmann 382; Eser ZStW 104 (1992) 363; Geerds SchlHA 1962 181 f. (programmatischer Charakter). Eb. Schmidt I 330; Geerds SchlHA 1962 181 f.; Rieß FS Rebmann 382.

Hans-Heiner Kühne

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Einl. Abschn. I

Einleitung

2. Funktionen und Geltungsgrund

2

a) Funktionen. Prozessmaximen haben zunächst als rechtspolitische Aussagen eine rechtsgestaltende Funktion, indem sie einen noch zu schaffenden Rechtszustand programmatisch beschreiben; insoweit richten sie sich an den Gesetzgeber. In dem Umfang, in dem dieser sie seiner Rechtssetzung zugrundelegt, können sie aber auch zur Erklärung, Auslegung und Fortentwicklung des geltenden Rechts verwendet werden; sie haben dann eine systematisierende Funktion. Werden sie bei der Rechtsanwendung zur Auslegung und Fortbildung einzelner Rechtsvorschriften eingesetzt, so gewinnen sie eine interpretatorische Funktion.4 Dabei sind die beiden zuletzt genannten Funktionen von der Reichweite abhängig, die der Maxime rechtsgestaltend zukommt. Sie können nur soweit in Anspruch genommen werden, wie der Gesetzgeber sich die ursprüngliche rechtspolitische Zielsetzung der Maxime zu eigen gemacht hat, und sie finden ihre Grenzen dort, wo gegenläufige oder einschränkende Maximen im Gesetz ihren Niederschlag gefunden haben.5 Es gehört gerade zu den Eigenarten vieler Prozessmaximen, dass sie bei ihrer Umsetzung in das jeweils geltende Recht ihrer rechtspolitisch strengen Struktur entkleidet und nur eingeschränkt realisiert,6 wie auch durch Novellengesetzgebung modifiziert werden.7

3

b) Geltungsgrund. Für eine rechtspolitisch verwendete Prozessmaxime bedarf es keines besonderen Geltungsgrundes; sie ist allein danach zu bewerten, ob und in welchem Umfang sie das jeweils vorausgesetzte übergeordnete Ziel zu erreichen vermag. Für die systematisierende und interpretatorische Funktion liegt der (möglicherweise beschränkte) Geltungsgrund einer Prozessmaxime stets im geltenden Recht. Es bedarf also des Nachweises, dass dem Strafverfahrensrecht diese Maxime zugrunde liegt und dass sie, auch unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber bestimmten Einschränkungen und unter Berücksichtigung anderer und möglicherweise entgegenstehender Maximen, die jeweilige Problemlösung trägt.8

4

3. Einteilung. Der Kreis der den Prozessmaximen zuzurechnenden Grundsätze ist nicht abstrakt bestimmbar, sondern nach pragmatischen Gesichtspunkten auszuwählen, denn es ist eine Frage des jeweiligen Prozessverständnisses, welche Grundsätze schon (und noch) so allgemein sind, dass es gerechtfertigt ist, sie zu den Prozessmaximen zu rechnen.9 Auch die Einteilung der verschiedenen Prozessmaximen ist in erster Linie eine Frage der Zweckmäßigkeit.10 Dennoch besteht im Schrifttum in einem Kernbereich weitgehende Übereinstimmung darüber, was, in teilweise unterschiedlicher Terminologie, als Prozessmaximen anerkannt ist. Dem folgt die nachfolgende Darstellung weitgehend.

4 5

6 7

Näher Rieß FS Rebmann 382 f.; vgl. auch Geerds SchlHA 1962 181 ff.; Henkel 92. Vgl. Geerds SchlHA 1962 182, 188, der dies besonders betont; s. auch zur Bedeutung einer Gesamtschau aller Maximen für die Gewinnung sachgerechter Lösungen LR/ Gollwitzer 25 Vor § 226, 10. Eb. Schmidt I 330; Eser ZStW 104 (1992) 366 ff.; Geerds SchlHA 1962 182, 188. Eser ZStW 104 (1992) 369; s. näher Rn. 6.

264

8 9 10

Vgl. Geerds SchlHA 1962 188 f. Geerds SchlHA 1962 182; Rieß FS Rebmann 384. Vgl. z.B. die Einteilung bei Roxin § 11, 1 f. (Grundsätze der Verfahrenseinleitung, der Verfahrensdurchführung, des Beweises und der Form) oder bei Geerds SchlHA 1962 183 (Grundsätze der Organisation der Strafgerichtsbarkeit, der Verfolgung oder der Überführung).

Hans-Heiner Kühne

Die so genannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze

Einl. Abschn. I

Zu unterscheiden sind dabei zwei historisch aus unterschiedlichen Wurzeln stammende, 5 heute überwiegend anerkannte Typen von Prozessmaximen.11 Den rechtspolitischen Auseinandersetzungen, die zur Überwindung des Inquisitionsprozesses und zum reformierten Strafprozess geführt haben und die auch die Entstehung der StPO maßgebend beeinflusst haben,12 lassen sich die klassischen oder traditionellen Prozessmaximen wie z.B. Anklagegrundsatz, Mündlichkeit, Unmittelbarkeit oder Öffentlichkeit, zuordnen (dazu im Einzelnen unten Rn. 9 ff.). Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass es vielfach möglich und erforderlich ist, Begrenzungen und Einschränkungen von einer antagonistischen Gegenmaxime her 13 zu erwägen, oder eine solche rechtshistorisch oder rechtsvergleichend zu beschreiben. Auch wenn in der neueren Entwicklung ein Teil dieser Prozessmaximen sowohl im Text des Grundgesetzes wie auch mittelbar durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine verfassungsrechtliche Verankerung gefunden hat,14 sind sie in ihrem historischen Ursprung und ihrer rechtspolitischen Zielrichtung nicht verfassungsrechtlich fundiert gewesen, sondern einer rechtspolitischen Zielsetzung auf der Ebene des einfachen Rechts entsprungen. Dabei ist freilich zu berücksichtigen, dass die Intensität der Diskussion des 19. Jahrhunderts um diese Prozessmaximen, die den endgültigen Ausweg aus dem als verfehlt erkannten geheimen Inquisitionsprozess gemeinrechtlicher Prägung versprachen, sehr hoch war 15 und wohl allein das begrenzte Verfassungsverständnis der damaligen Zeit eine verfassungsrechtliche Verankerung dieser Prinzipien nicht einmal hat denkbar sein lassen. 4. Reichweite und Grenzen a) Die Reichweite der klassischen Prozessmaximen ist nicht absolut sondern durch 6 Ausnahmen und Einschränkungen begrenzt. Vorwiegend sind sie, gemessen an ihrer rechtspolitischen Zielsetzung in ihrer gesetzlichen Ausprägung nicht rein verwirklicht, sondern gelten nur eingeschränkt, weil das Gesetz Ausnahmen vorsieht.16 Trotz solcher Begrenzungen ist es dann gerechtfertigt, Grundsätze und Gestaltungsprinzipien als (fortbestehende) Maximen anzuerkennen, wenn sie das (normative) Prozessmodell des deutschen Strafprozesses unverändert prägen, auch wenn sie in ihrer systematisierenden und interpretatorischen Funktion an Bedeutung verlieren können. In der neueren Entwicklung dürfte eine solche Einschränkung der Geltungskraft vor allem beim Legalitätsprinzip, aber auch bei der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit, der Konzentrationsmaxime und dem Öffentlichkeitsprinzip zu verzeichnen sein; Einzelheiten hierzu sind bei den einzelnen Maximen erörtert. b) In Bezug auf einzelne Verfahrensabschnitte gelten viele namentlich der klassischen 7 Prozessmaximen ebenfalls nicht uneingeschränkt, sondern sie sind von vorneherein auf bestimmte Teile des Strafverfahrens beschränkt.17 So sind vor allem Mündlichkeit, Unmittelbarkeit, Öffentlichkeit, Konzentrationsmaxime und Strengbeweis keine Maximen des gesamten Prozesses, sondern Maximen der Hauptverhandlung. Sie haben für das

11

12 13

Näher Rieß FS Rebmann 386 f.; ähnlich auch die Einteilung bei KK/Pfeiffer Einl. Abschn. II, III. S. auch Eser ZStW 104 (1992) 363 ff. Vgl. Geerds SchlHA 1962 182, nach dem die Maximen in Wahrheit ein gegensätzlich strukturiertes Begriffspaar bezeichnen.

14

15 16 17

Vgl. Rieß FS Rebmann 381 f.; ders. StraFo 1995 98; näher unten bei den einzelnen Prozessmaximen. S. nur Mittermaier; Feuerbach. Vgl. dazu u.a. Volk FS Schüler-Springorum 507 ff. Ausführlicher Rieß FS Rebmann 386.

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265

Einl. Abschn. I

Einleitung

Ermittlungsverfahren keine Bedeutung und können hier auch keine systematisierende und interpretierende Funktion entfalten.18 Ob sich für dieses über eine Reihe von verfassungsrechtlichen Prozessmaximen hinaus mit dem Grundsatz der freien Gestaltung eine Prozessmaxime von ähnlich zentraler und kennzeichnender Bedeutung beschreiben lässt, ist umstritten.19

8

5. Hinweise. Die nachfolgende Einzelerörterung der verschiedenen Prozessmaximen beschränkt sich vielfach auf eine kurze Darstellung der übergreifenden Gesichtspunkte. Ergänzend ist auf die Erläuterungen zu den einzelnen gesetzlichen Vorschriften zu verweisen, durch die die Maxime Geltungskraft erlangt, eingeschränkt wird oder auf die sie sich jeweils auswirkt. In dieser Einleitung wird ferner ein Teil der im Schrifttum teilweise auch den Prozessmaximen zugerechneten Erscheinungen an anderer Stelle behandelt, so das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit und des gesetzlichen Richters unter Rn. J 12 ff. sowie die Unschuldsvermutung und der Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ unter Rn. J 75 f.; 87 ff.

II. Klassische Prozessmaximen 1. Der Anklagegrundsatz

9

a) Inhalt und Bedeutung. Der auch als Akkusationsprinzip bezeichnete Grundsatz findet seine gesetzliche Grundlage in § 151 StPO, wobei die Formulierung des Gesetzes mit den Worten „Eröffnung einer gerichtlichen Untersuchung“ dem heutigen Verständnis deshalb gewisse Schwierigkeiten bereitet, weil damit ursprünglich die gerichtliche Voruntersuchung mit einbegriffen war.20 Nach deren Abschaffung hat der Anklagegrundsatz die Bedeutung, dass das in den §§ 199 ff. StPO näher geregelte gerichtliche Verfahren über den Verfahrensgegenstand in seiner Gesamtheit mit dem Ziel der Feststellung der Strafbarkeit einer bestimmten Person und erforderlichenfalls der Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion niemals von Amts wegen beginnt, sondern stets durch den Antrag eines Dritten, die Klage, eingeleitet wird. Sie obliegt nach dem Offizialprinzip regelmäßig der Staatsanwaltschaft.21 Diese Klage bestimmt, wie sich aus den §§ 155, 264 StPO ergibt, das Prozessthema des gerichtlichen Verfahrens insoweit, als das Gericht über den Gegenstand der Anklage, die jeweilige prozessuale Tat, ebenso wenig hinausgreifen, wie es andere als die in der Anklage bezeichnete Personen aburteilen darf. Sie bindet das Gericht innerhalb dieses Rahmens dagegen nicht in der rechtlichen Beurteilung sowie grundsätzlich nicht an die mit der Klage mitgeteilten tatsächlichen Grundlagen.22 In der historischen Entwicklung erklärt sich der Anklagegrundsatz und vor allem die 10 mit ihm verbundene thematische Bindung des Gerichtes aus der Überwindung der „Gebrechen“ des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses.23 Seine Begrenzung infolge 18 19

20 21 22

Rieß FS Rebmann 393; SK/Wolter Vor § 151, 21. So Rieß FS Rebmann 396; LR/Rieß 24 § 160, 35 ff.; krit. SK/Wolter Vor § 151, 21 a.E., 45 ff. Vgl. Eb. Schmidt I 351. S. näher unten Rn. 16. Zu der früher damit verbundenen terminologischen Kontroverse, ob das Akkusationsprinzip der deutschen StPO als Anklage-

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23

grundsatz oder nur als Anklageform zu kennzeichnen ist, s. Henkel 98 m.w.N.; vgl. auch über die verschiedenen rechtspolitischen Forderungen aus einem „reinen“ Akkusationsprinzip bis hin zur Gestaltung des Hauptverfahrens LR/K. Schäfer 24 Einl. 13 5; 10 bis 22. Näher Eb. Schmidt I 347; 352 m.w.N.; ferner von Hippel 333; LR/K. Schäfer24 Einl. 13 3.

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Die so genannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze

Einl. Abschn. I

der in § 155 Abs. 2 und § 264 Abs. 2 StPO bestimmten selbständigen Entscheidungstätigkeit des Gerichts nach der Instruktionsmaxime (Rn. 30 ff.) unterscheidet ihn von der Funktion der Klage in der ZPO, da der richterlichen Kognitionsbefugnis engere Grenzen gesetzt sind. Rechtsdogmatisch hat der Anklagegrundsatz zur Folge, dass die Klage eine von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung darstellt. b) Grenzen und Einschränkungen. Der Anklagegrundsatz betrifft nur die Einleitung 11 des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens in seiner Gesamtheit und unterliegt hier als formales Prinzip keinen Einschränkungen. Eine Erhebung der Klage im Sinne des § 151 StPO stellen auch die verschiedenen Anklagesurrogate dar, die das Gesetz zur Verfügung stellt,24 denn sie beruhen ausnahmslos auf einem Willensakt eines vom Gericht unterschiedenen klagebefugten Dritten. Die Entscheidungsfreiheit der Staatsanwaltschaft, ob sie die öffentliche Klage erheben will, ist allerdings generell durch das von ihr zu beachtende Legalitätsprinzip begrenzt 25 und materiell dann aufgehoben, wenn das Oberlandesgericht im Klageerzwingungsverfahren die Erhebung der öffentlichen Klage anordnet (§ 175 StPO) Für die Einschaltung des Richters im Ermittlungsverfahren gibt es gesetzliche Aus- 12 nahmeregelungen namentlich dann und insoweit, als eilbedürftige Maßnahmen erforderlich erscheinen und eine staatsanwaltschaftliche Entscheidung nicht rechtzeitig herbeizuführen ist (§ 125 Abs. 1, § 128 Abs. 2 Satz 2, §§ 165, 166, 167 StPO). Für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gelten dagegen mit dem Akkusations- 13 prinzip vergleichbare Grundsätze nicht, insbesondere ist es im Allgemeinen keine gesetzliche Voraussetzung, dass von einer dritten Person oder Stelle eine Strafanzeige erstattet und damit ein Verlangen nach Strafverfolgung zum Ausdruck gebracht wird. Die Strafverfolgungsbehörden, in erster Linie also Staatsanwaltschaft und Polizei, sind vielmehr auch dann zum „Einschreiten“, also zur Sachverhaltsermittlung und erforderlichenfalls zur Klageerhebung verpflichtet, wenn sie nicht durch eine Strafanzeige, sondern „auf andere Weise“ vom Verdacht einer Straftat erfahren, und dies selbst dann, wenn alle durch die Straftat Betroffenen ausdrücklich von einer Strafanzeige absehen. Dies gilt nur dann nicht, wenn es sich um unbedingte Antragsdelikte handelt. Eine dem rechtspolitischen Ziel des Anklagegrundsatzes, der Strafverfolgung und ihrer uferlosen Ausdehnung Grenzen zu setzen, in Ansätzen funktionell etwa vergleichbare, wenn auch weit weniger präzise Begrenzung des Ermittlungsverfahrens wird man allenfalls darin sehen können, dass grundsätzlich der in § 152 Abs. 2 StPO beschriebene Anfangsverdacht die Voraussetzung für die Aufnahme einer strafverfolgenden Ermittlungstätigkeit darstellt.26 2. Das Offizialprinzip und das sog. Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft. Das 14 Offizialprinzip im weiteren Sinne beantwortet die Frage, wem die Verfolgung und Ahndung strafbaren Verhaltens obliegt, dahingehend, dass dies grundsätzlich eine Aufgabe der im Staat verfassten Rechtsgemeinschaft und nicht des einzelnen durch die Straftat Verletzten sei. Die private Vergeltung mit ihrer nie endenden Spirale von Gewalt und Gegengewalt wird durch die Übertragung der Strafverfolgung an den Staat verhindert. Die historische Wurzel des Offizialprinzips liegt in der Entstehung des Inquisitionsprozesses 27 und nicht, wie das Akkusationsprinzip, in seiner Überwindung. Unter der Gel-

24 25

Näher die Erl. zu § 151; LR/Beulke 25 § 151, 8. Zur Frage, ob die Staatsanwaltschaft an eine höchstrichterliche Rechtsprechung gebunden

26 27

ist, s. unten Rn. 24 und die Erl. zu § 170; LR/Graalmann-Scheerer 25 § 170, 25 f. Näher hierzu Rn. 43 ff. Eb. Schmidt I 355.

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Einl. Abschn. I

Einleitung

tung des Anklageprinzips besagt das Offizialprinzip allerdings auch, dass grundsätzlich der Akt der Klageerhebung eine staatliche Aufgabe darstellt. Da es jedoch einerseits weiter reicht, andererseits nicht notwendig eine Anklagebehörde in Form der Staatsanwaltschaft voraussetzt, lässt sich die Regelung des § 152 Abs. 2 StPO, wonach die Staatsanwaltschaft zur Erhebung der öffentlichen Klage berufen ist, nicht als (alleinige) Anerkennung des Offizialprinzips verstehen.28 Dieses liegt vielmehr dem Strafverfahrensrecht überwiegend unausgesprochen zugrunde und seine Geltung ergibt sich aus einer Reihe unterschiedlicher Einzelvorschriften, so neben der die öffentliche Klage betonenden Regelung des § 152 Abs. 1 StPO aus dem beschränkten Umfang der Privatklage und der Befugnis und Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden, auch ohne Strafanzeige und sogar gegen den Willen des Verletzten tätig zu werden (Rn. 13).29 Ob die Pflicht des Gerichts zur eigenen Sachverhaltsermittlung als Ausprägung des Offizialprinzips angesehen werden kann, ist zweifelhaft; es dürfte eher aus der Instruktionsmaxime abzuleiten sein.30 Rechtliche Einschränkungen des Offizialprinzips bestehen in doppelter Hinsicht. Bei 15 den Straftatbeständen, deren Verfolgung von einem Strafantrag, einer Ermächtigung oder einem Strafverlangen abhängig ist, kann der Verletzte oder sonst Antragsberechtigte durch Nichtstellung des Antrags oder Versagung der Ermächtigung die staatliche Strafverfolgung oder ihre Fortsetzung 31 verhindern, oder, soweit es sich um nur relative Antragsdelikte handelt, von speziellen Voraussetzungen, regelmäßig dem besonderen öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung, abhängig machen. Bei den Privatklagedelikten können umgekehrt die Strafverfolgungsbehörden sich der Ermittlung und der Klageerhebung entschlagen, indem sie ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung verneinen und diese dem Verletzten überlassen (§ 376 StPO).32 Dieser kann allerdings, obwohl die Privatklage nicht als subsidiäre, sondern als prinzipale Klageart ausgestaltet ist, wegen der Regelung in § 377 StPO nicht umgekehrt die staatliche Strafverfolgung und Klageerhebung ausschließen. Insgesamt unterliegt daher das Offizialprinzip im deutschen Strafverfahrensrecht rechtlich nur geringfügigen Einschränkungen. Das sog. Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft 33 bedeutet als Prozessmaxime, dass 16 regelmäßig die besondere Strafverfolgungsbehörde Staatsanwaltschaft darüber zu entscheiden hat, ob die in § 151 StPO nach dem Anklagegrundsatz erforderliche Klage als „öffentliche“ Klage zu erheben ist. Als konstruktive Notwendigkeit lässt es sich weder aus dem Akkusationsprinzip noch aus der Offizialmaxime ableiten, denn es wäre auch denkbar, etwa der Polizei die Aufgabe der Klageerhebung zuzuweisen. Historisch ist allerdings der Anklagegrundsatz mit der Schaffung einer der Justiz zugeordneten Staatsanwaltschaft eng verbunden.34 Die alleinige Befugnis der Staatsanwaltschaft zur Erhebung der Klage im Sinne des 17 § 151 StPO unterliegt nach dem derzeit geltenden Recht nur wenigen Einschränkungen. Bei den Privatklagedelikten (§ 374 StPO) kann sie in den Grenzen des § 376 StPO (nicht nur die Ermittlung des Sachverhalts, sondern auch) die Klageerhebung unterlassen und

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29 30 31

So aber wohl Meyer-Goßner § 152, 1; Niese SJZ 1950 891; Schlüchter 61.4; Geerds SchlHA 1962 185; wie hier KK/Schoreit § 152, 9; s. auch die Erl. zu § 152; LR/ Beulke 25 § 152, 5. So Eb. Schmidt I 358. Rieß FS Rebmann 390. Vgl. z.B. § 127 Abs. 3 StPO.

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34

Zur Bedeutung und Funktion der Privatklage s. näher die Erl. Vor § 374. Kritisch zur (verbreiteten) Begriffsbildung KK/Schoreit § 152, 8 (Anklagezuständigkeit); wie hier etwa Eb. Schmidt I 350; Gössel 33; Niese SJZ 1950 891; s. auch die Erl. zu § 152; LR/Beulke 25 § 152, 5. Eb. Schmidt I 348.

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Die so genannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze

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die weitere Initiative dem Privatklageberechtigten anheim stellen. Im Steuerstrafverfahren kann nach § 400 AO die Finanzbehörde die öffentliche Klage (nur) in Form des Strafbefehlsverfahrens ohne Mitwirkung der Staatsanwaltschaft erheben. Insoweit ist das positive Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft eingeschränkt. Anderen Behörden, auch den mit der Strafverfolgung betrauten Polizeibehörden, steht die Befugnis zu einer Klageerhebung in keinem Fall (mehr) zu.35 Noch weiter geht die als negatives Anklagemonopol zu bezeichnende Befugnis der 18 Staatsanwaltschaft, eine nicht von ihr erhobene Klage zu übernehmen, also in die Klägerrolle einzutreten und dabei auch erforderlichenfalls zugunsten des Beschuldigten tätig zu werden. Dies folgt für das Privatklageverfahren aus § 377 Abs. 2 StPO.36 In Steuerstrafsachen kann die Staatsanwaltschaft die Sache jederzeit an sich ziehen (§ 386 Abs. 4 Satz 2 AO) und damit auch einen bereits gestellten Strafbefehlsantrag oder die in ihm liegende Klage nach § 411 Abs. 3 Satz 1 StPO im Einspruchsverfahren zurücknehmen. 3. Das Legalitätsprinzip a) Hinweis. Eine ausführliche Erläuterung der mit dem Legalitätsprinzip zusammen- 19 hängenden Fragen findet sich bei den Erläuterungen zu § 152 StPO; auf sie ist an dieser Stelle wegen aller Einzelheiten zu verweisen. Nachfolgend werden nur einige Gesichtspunkte unter Einbeziehung dort nicht behandelter Fragen erörtert. b) Grundsatz. Dort, wo die Strafverfolgung nach dem Offizialprinzip dem Staat 20 übertragen ist und nach dem Akkusationsprinzip und dem Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft dieser mit der Klageerhebung die Initiative zur Einleitung des gerichtlichen Verfahrens zukommt, ist die Frage zu beantworten, unter welchen Voraussetzungen die Staatsanwaltschaft zur Sachverhaltserforschung und gegebenenfalls zur Klageerhebung verpflichtet ist. Die beiden grundsätzlichen Möglichkeiten, von denen ein Gesetzgeber hierbei ausgehen kann, lassen sich in einem idealtypischen Gegensatz als Legalitätsprinzip (Verfolgungs- oder Anklagepflicht) und als Opportunitätsprinzip (Verfolgungs- oder Anklageermessen) bezeichnen. Durch die Einzelheiten der gesetzlichen Vorschriften und die Handhabung in der Rechtswirklichkeit wird jedoch dieser Gegensatz durch eine vermittelnde Praxis in Richtung auf eine weitgehende Konvergenz, die sogar Gewichtungen zugunsten der Opportunität erkennen lässt, aufgehoben. Dies mag erstaunen, da das Opportunitätsprinzip gesetzlich als Ausnahme konzipiert ist (Rn. 26 ff.).37 Es bleibt aber der grundlegende Unterschied dahingehend, dass in einem dem Legalitätsprinzip folgenden Strafprozesssystem der Gesetzgeber berufen ist, seine Grenzen und Ausnahmen zu bestimmen, mag er auch dabei mit unbestimmten Rechtsbegriffen arbeiten oder den Strafverfolgungsbehörden ein gegenständlich begrenztes Ermessen einräumen. Rechtspolitisch bedeutet tendenziell das grundsätzliche Bekenntnis zur Geltung des Legalitätsprinzips wohl auch, dass die Einräumung einer Nichtverfolgungsbefugnis einer besonderen sachlichen Legitimation bedarf. 35

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Vgl. aber zum früheren, ohne Einschaltung der Staatsanwaltschaft möglichen polizeilichen Strafverfügungsverfahren u.a. LR/ K. Schäfer 22 Vor § 413; H. W. Schmidt MDR 1961 563; zur Situation im Bußgeldverfahren bei Überleitung in das Strafverfahren s. die Erl. zu § 152; LR/Beulke 25 § 152, 7. Zu der umstrittenen Frage, ob die StA in

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diesen Fällen vor der Eröffnung des Privatklageverfahrens die (übernommene) Klage zurücknehmen kann, s. die Erl. zu § 377 StPO; LR/Hilger 25 § 377, 19. KK/Pfeiffer Einl. 5, 6 z.B. spricht deshalb von der Geltung des Opportunitätsprinzips im Bereich der kleinen Kriminalität.

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Insoweit und mit diesen Einschränkungen ist das deutsche Strafprozessrecht nach wie vor durch das Legalitätsprinzip, also den Grundsatz der Verfolgungs- und Anklagepflicht geprägt.38 Nach dem heute erreichten Rechtszustand handelt es sich jedoch um ein solches von allenfalls mittlerer Reichweite, bei dem quantitativ gesehen, jedenfalls bei der Klageerhebung, die Fälle der Nichtverfolgung aufgrund einer dies gestattenden Ausnahmevorschrift denen der Klageerhebung nach dem Legalitätsprinzip mindestens gleich kommen, wenn sie sie nicht bereits übersteigen.39 Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist das Legalitätsprinzip als Teil des Rechtsstaatsprinzips verfassungsrechtlich verankert.40 Das Schrifttum sieht vielfach in ihm eine notwendige Folge des Anklagemonopols der Staatsanwaltschaft,41 doch erscheint dies im Hinblick auf die weitgespannten Nichtverfolgungsermächtigungen des gegenwärtigen Rechts zweifelhaft.

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c) Die gesetzlichen Grundlagen des Legalitätsprinzips, das darüber hinaus an mehreren anderen Stellen der StPO vorausgesetzt wird, finden sich vor allem in § 152 Abs. 2, § 160 Abs. 1 und § 170 Abs. 1 StPO. Dabei enthält § 152 Abs. 2 StPO, der die Staatsanwaltschaft zum „Einschreiten“ verpflichtet, den allgemeinen Grundsatz. § 160 Abs. 1 bestimmt die an den Anfangsverdacht anknüpfende Sachverhaltserforschungspflicht, die mit dem Begriff „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ in § 152 Abs. 2 StPO verbunden erscheint. § 163 Abs. 1 StPO erstreckt die Pflicht zur Sachverhaltserforschung auf die strafverfolgend tätig werdende Polizei. § 170 Abs. 1 StPO konkretisiert unter Verwendung des Begriffs „genügender Anlass“ 42 die am Ende des Ermittlungsverfahrens stehende Klageerhebungspflicht. Nach diesen Vorschriften gilt das Legalitätsprinzip für die Strafverfolgungsbehörden bis zur Erhebung der öffentlichen Klage.43

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d) Allgemeine Reichweite und Kontrolle. Aus dem Legalitätsprinzip in der von der StPO verwirklichten Form folgt keine Befugnis (und erst recht keine Verpflichtung), nach unbekannten Straftaten zu forschen; es setzt zureichende tatsächliche Anhaltspunkte voraus.44 Den Gerichten gestattet es nicht, über die durch das Anklageprinzip gezogenen Grenzen (Rn. 9) hinauszugehen und ohne staatsanwaltschaftliches Verfolgungsbegehren (prozessuale) Taten mit abzuurteilen, von deren Verwirklichung die Gerichte aufgrund eigener Ermittlungstätigkeit überzeugt sind.45 Die Verfolgungspflicht im Sinne der §§ 152 Abs. 2, 160, 163 StPO trifft nur die mit der Strafverfolgung beauftragten Staatsorgane. 38

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Zur historischen Entwicklung s. u.a. von Hippel, 339; zur (überholten) Ableitung aus dem sog. staatlichen Strafanspruch s. Eb. Schmidt I 385. Vgl. die statistischen Daten bei Heinz FS Kaiser 85 ff.; Einzelheiten bei den Erl. zu § 152; LR/Beulke 25 § 152, 43; zu § 170; LR/Graalmann-Scheerer 25 § 170, 4 sowie bei den einzelnen, die Nichtverfolgung gestattenden Vorschriften. BVerfGE 20 222; 46 214, 223; BVerfG (Vorprüfungsaussch.) NStZ 1982 430; Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 414 m.w.N.; krit. dazu Rieß StraFo 1995 98. So z.B. LR/K. Schäfer 24 Einl. 13 27; KK/Pfeiffer Einl. 5; Meyer-Goßner § 152, 2; Beulke Rn. 17; ähnlich BGHSt 15 159; vgl. auch (zur Entbehrlichkeit der subsidiären

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Privatklage) Eb. Schmidt I 388; s. auch Geerds SchlHA 1962 186; weitere Nachweise, auch zu anderen Legitimationsgrundlagen bei den Erl. zu § 152; LR/Beulke 25, § 152, 12. Zu der Möglichkeit, in diesem Begriff auch die Nichtverfolgungsermächtigungen nach den §§ 153 ff. einzubeziehen, s. die Erl. zu § 170; LR/Graalmann-Scheerer 25 § 170, 22. Über die Geltung für die Staatsanwaltschaft im weiteren Verfahren s. die Erl. zu § 152; LR/Beulke 25 § 152, 17 f. S. näher die Erl. zu § 152 und Vor § 158 (zur Zulässigkeit der sog. Vorfeldermittlungen auch Rn C 12 ff.); zur Definition des Anfangsverdachts s. auch Eisenberg/Conen NJW 1998 2243 m.w.N. Vgl. (als Beleg) § 266 StPO; § 183 GVG.

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Die so genannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze

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Andere Behörden, auch solche, denen bestimmte Überwachungs- und Kontrollaufgaben obliegen, unterfallen nicht dem Legalitätsprinzip. Soweit sie aufgrund besonderer Vorschriften zur Anzeige verpflichtet sind,46 hat dies mit dem Legalitätsprinzip nichts zu tun. Die Frage, ob die dem Legalitätsprinzip unterliegenden Personen auch bei außerdienstlich erlangten Kenntnissen der Verfolgungspflicht unterliegen, ist umstritten, richtigerweise aber zu verneinen.47 Umstritten ist, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Staatsanwaltschaft 24 durch das Legalitätsprinzip bei einer gefestigten (höchstrichterlichen) Rechtsprechung zur Verfolgung gezwungen ist, wenn sie der Auffassung ist, dass das in Betracht kommende Verhalten nicht strafbar sei (Präjudizienbindung der Staatsanwaltschaft). Dies hat der Bundesgerichtshof (in einem obiter dictum) bejaht (BGHSt 15 155). Seither ist das Problem in der Rechtsprechung nicht mehr behandelt worden; es dürfte in der praktischen Rechtsanwendung keine nennenswerte Rolle spielen. Das Schrifttum ist unterschiedlicher Auffassung.48 Die Einzelheiten sind bei § 170 StPO erläutert. Ebenfalls streitig ist die umgekehrte und praktisch eher vorstellbare Situation, in welcher die Staatsanwaltschaft ein nach ihrer Rechtsauffassung strafbares Verhalten auch dann verfolgen und anklagen möchte, wenn es von einer auch ständigen und höchstrichterlichen Rechtsprechung für nicht strafbar gehalten wird.49 Die Kontrolle der Beachtung des Legalitätsprinzips obliegt zunächst den mit der 25 Dienst- und Sachaufsicht über die Strafverfolgungsbehörden betrauten Dienstvorgesetzten. Die Beachtung kann durch Ausübung des Weisungsrechts erzwungen werden, darf jedoch nicht umgekehrt dazu verwendet werden, entgegen den das Legalitätsprinzip enthaltenden gesetzlichen Vorschriften eine Nichtverfolgung durchzusetzen.50 Strafrechtlich ist die Verfolgungspflicht durch den Tatbestand der Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB) sanktioniert, der allerdings nicht im Falle der Nichtverfolgung wegen von der Ansicht der Staatsanwaltschaft abweichender und Straflosigkeit vertretender höchstrichterlich Ansicht, vgl. Rn. 24, anzuwenden ist.51 Ein innerprozessuales Kontrollsystem stellt das Klageerzwingungsverfahren nach den §§ 172 ff. StPO dar, bei dem diese Kontrollfunktion insbesondere dadurch deutlich wird, dass von ihm diejenigen staatsanwaltschaftlichen Einstellungen nicht erfasst werden, die auf Ausnahmen vom Legalitätsprinzip beruhen (§ 172 Abs. 2 Satz 3 StPO). e) Gesetzliche Begrenzungen des Legalitätsprinzips hatte bereits die Ursprungsfassung 26 des § 152 Abs. 2 durch den Vorbehalt einer abweichenden gesetzlichen Regelung im Auge; sie waren aber ursprünglich auf wenige Fallgruppen, namentlich die Privatklage, beschränkt. In der seitherigen Entwicklung der StPO sind sie erheblich ausgeweitet worden, und zwar unabhängig davon, dass im materiellen Strafrecht durch die Umwandlung zahlreicher Übertretungsvorschriften des Nebenstrafrechts in generell dem Opportunitätsprinzip unterliegende Ordnungswidrigkeiten (§ 47 OWiG) eine Entkriminalisierung

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Vgl. die Erl. zu § 158. Näher die Erl. zu § 160; LR/Rieß 25 § 160, 27 ff. m.w.N. Gegen eine Bindung etwa SK/Weßlau § 152, 22; Roxin § 10 Rn. 12; Kretschmer Jura 2004 452. Dagegen und in Übereinstimmung mit dem BGH Beulke Rn. 90; KK/Schmidt § 170, 12; Kühne Rn. 143. Beulke Rn. 89 bejaht dies mit dem Hinweis,

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anders bestünde keine Möglichkeit, eine etablierte Rechtsprechung zu korrigieren. Kühne Rn. 144 verneint dies mit dem Hinweis auf die damit verbundenen Belastungen des Bürgers und den Verlust an Rechtssicherheit; ähnlich Krey I Rn. 359, Hillenkamp JuS 2003 164. S. näher die Erl. zu § 146 GVG. Kühne Rn. 145.

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angestrebt (und teilweise erreicht) worden ist.52 Derzeit finden sich die gesetzlichen Grundlagen für die Begrenzung der Verfolgungspflicht 53 für das allgemeine Strafrecht und Strafprozessrecht in den §§ 153 bis 154e, 376 StPO, für das Jugendstrafverfahren weitergehend in den §§ 45, 47 JGG und für das Sicherungsverfahren generell in § 413 StPO. Besondere, teilweise übereinstimmende, überwiegend aber weitergehende Nichtverfolgungsermächtigungen finden sich im Nebenstrafrecht;54 ferner ist für bestimmte Delikte oder Begehungsformen 55 (nach zeitlicher Befristung,56 die Ende 1999 ablief) durch das KronZG 57 der Verzicht auf die Strafverfolgung im Interesse besserer Sachaufklärung durch sog. Kronzeugen möglich gewesen. Noch heute möglich ist die Anwendung der sog. kleinen Kronzeugenregelung nach § 31 BtMG. Indirekt und mehr mittelbar kann die Verfolgungs- und namentlich Anklagepflicht 27 auch durch materiell-strafrechtliche Regelungen begrenzt werden, die aus verschiedenen Gründen das Absehen von Strafe gestatten, weil dem § 153b StPO eine korrespondierende strafprozessuale Einstellungsermächtigung entspricht.58 Hier spielt nach der neueren Rechtsentwicklung namentlich die Prämierung von Tatverhinderung und Aufklärungshilfe durch materiell-rechtliche „Kronzeugenlösungen“ eine erhebliche Rolle.59 Insgesamt ist das Verhältnis von materiell-rechtlichen Strafausschließungsgründen, strafprozessualen Nichtverfolgungsermächtigungen und (wesentlichen) Strafmilderungsgründen dogmatisch und rechtspolitisch noch wenig geklärt.60 Die Begrenzungen des Legalitätsprinzip betreffen überwiegend die Klageerhebungs28 pflicht (§ 170 Abs. 1 StPO) und lassen die Sachverhaltserforschungspflicht grundsätzlich unberührt; sie gestatten es vor allem nicht, von der Erforschung des Sachverhaltes vollständig abzusehen. Dieser muss stets mindestens soweit geklärt werden, dass beurteilt werden kann, ob die die Einstellung rechtfertigenden Umstände vorliegen. In anderen Fällen ist eine weitergehende Aufklärung notwendig, die es gestattet, den hinreichenden Tatverdacht zu beurteilen. Der neuere Gesetzgeber macht diese Unterscheidung oft dadurch deutlich, dass er im ersten Fall von Absehen „von der Verfolgung“, im zweiten von Absehen „von der Erhebung der öffentlichen Klage“ spricht, ohne dass dieser Sprachgebrauch schon einheitlich gilt. Im Einzelnen ist daher auf die Erläuterungen der jeweiligen Vorschriften zu verweisen. Unabhängig vom Umfang der Sachverhaltserforschung steht im Ermittlungsverfahren 29 die Befugnis zur Einstellung nur der Staatsanwaltschaft, im Steuerstrafverfahren der Finanzbehörde (§ 399 AO) zu, nicht der Polizei. Diese wird allerdings faktisch, wenn sie eine Einstellung erwartet, ihre nach § 163 StPO vorzunehmende Ermittlungen in der Regel auf Maßnahmen der Beweissicherung beschränken.

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Insoweit hat sich die Analyse von Eb. Schmidt I 391 ff., die Ausweitung des Opportunitätsprinzips sei auf das Ausufern des Nebenstrafrechts zurückzuführen, in der weiteren Entwicklung nicht bestätigt. Zu dem damit verfolgten Zweck s. die Erl. zu § 152; LR/Beulke 25 § 152, 39 ff. und LR/K. Schäfer 24 Einl. 13 30. Z.B. §§ 31a, 37 BtMG, § 398 AO. Namentlich bei Organisierter Kriminalität. S. Rn. F 137.

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S. die Erl. zu diesem im Anhang zu § 153e StPO. Über das Verhältnis der Anwendung beider Möglichkeiten, bei dem § 153b StPO eindeutig dominiert, s. die Erl. zu dieser Vorschrift. Vgl. z. B. §§ 83a, 86 Abs. 4, 87 Abs. 3, 129 Abs. 6, 129a Abs. 7, 261 Abs. 10 StGB, § 31 BtMG. Hierzu jetzt Wolter 25 ff.

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Die so genannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze

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4. Die Instruktionsmaxime oder der Amtsaufklärungsgrundsatz a) Bedeutung und Inhalt. Die Instruktionsmaxime oder der Amtsaufklärungsgrund- 30 satz 61 verpflichten das jeweils mit der Sache befasste Strafverfolgungsorgan, den entscheidungserheblichen Sachverhalt durch grundsätzlich eigene Ermittlungstätigkeit aufzuklären, ohne hierbei durch das Prozessverhalten und den Sachverhaltsvortrag der anderen Prozessbeteiligten oder die von diesen benannten Beweismittel gebunden zu sein. Die teilweise gebräuchliche Bezeichnung Inquisitionsmaxime 62 besagt das gleiche, sollte aber wegen des historisch besetzten Begriffes Inquisitionsprozess vermieden werden.63 Der idealtypische Gegensatz zum Amtsaufklärungsgrundsatz besteht in der Dispositionsmaxime oder Verhandlungsmaxime, bei der das Gericht im Prinzip an das Sachvorbringen der Prozessbeteiligten gebunden und auf die von ihnen angegebenen Beweismittel beschränkt ist. Dieses Gegensatzpaar wird auch durch die Begriffe des mit der Amtsaufklärung verbundenen Prinzips der materiellen Wahrheit und des mit der Dispositionsmaxime verknüpften formellen Wahrheit gekennzeichnet.64 Als grundlegendes Prinzip liegt der Amtsaufklärungsgrundsatz unausgesprochen dem 31 gesamten deutschen Strafverfahren zugrunde und findet (überwiegend in Teilaspekten) in mehreren gesetzlichen Vorschriften seine Anerkennung,65 oft in Verbindung mit anderen Prozessmaximen. Ausprägungen der Instruktionsmaxime sind etwa im Ermittlungsverfahren § 160 Abs. 2 StPO mit der Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, auch die entlastenden Umstände zu erforschen, für das gerichtliche Verfahren insgesamt § 155 Abs. 2 und § 264 Abs. 2 StPO mit der Befugnis (und Verpflichtung) des Gerichts zur selbständigen Tätigkeit innerhalb der angeklagten (prozessualen) Tat, für das Zwischenverfahren § 202 StPO mit der Befugnis zur ergänzenden Sachverhaltsermittlung und für die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung § 244 Abs. 2 StPO.66 Zum Umfang und zu den Grenzen der mit dem Amtsaufklärungsgrundsatz verbundenen Pflicht zur Wahrheitserforschung s. auch Rn. H 23 ff. Aus dem Amtsaufklärungsgrundsatz folgt u.a., dass anders als (grundsätzlich) im 32 anglo-amerikanischen Prozessmodell und (in der Regel) im Zivilprozess (vgl. § 288 ZPO) ein Geständnis keine die Beweisaufnahme ausschließende bindende Kraft hat, sondern auf seine Übereinstimmung mit der Wirklichkeit zu überprüfen ist,67 dass es ein der zivilprozessualen Regelung vergleichbares Versäumnisurteil nicht gibt,68 dass das Nichtbestreiten von Tatsachen eine Überprüfung ihres Wahrheitsgehalts nicht entbehrlich macht, dass die Strafverfolgungsbehörden, insbesondere die Gerichte, falls hierfür Anhaltspunkte ersichtlich sind, auch solchen Umständen nachzugehen haben, auf die sich der Begünstigte (insbesondere der Beschuldigte) nicht beruft, selbst wenn er ihr Vorhanden-

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Dazu grundlegend u.a. Eb. Schmidt I 363 ff.; vgl. auch KK/Pfeiffer Einl. 7; Henkel 102 ff.; Geerds SchlHA 1962 186 f. Vgl. Henkel 102 Fn. 2. Beulke Rn. 21. Vgl. Henkel 104; zur (nur relativen) Bedeutung für die Wahrheitserforschung s.o. Rn. H 26. Vgl. auch Eb. Schmidt I 363; Geerds SchlHA 1962 187. Zum (umfassenderen) früheren Sprachgebrauch s. LR/K. Schäfer 24 Einl. 13 44; zur zentralen Bedeutung dieser Vorschrift als ein

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die Handhabung aller Verfahrensvorschriften beherrschender Grundsatz s. LR/Gollwitzer 25 § 244, 38 m.w.N.; aus der Rspr. u.a. BGHSt 1 94, 96; 10 116, 118; 22 118, 120; 29 109, 112; zur verfassungsrechtlichen Bedeutung s. Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 442 ff. m.w.N. Allerdings wird dieser Grundsatz zumindest in der forensischen Praxis der Absprachen faktisch unterlaufen, vgl. Rn. G 58 ff. Vgl. auch näher LR/K. Schäfer 24 Einl. 13 49; sowie die Erl. zu §§ 329, 411.

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sein in Abrede stellt, und dass es infolgedessen eine Behauptungslast nicht gibt.69 Ob daraus auch folgt, dass es im Strafverfahren keine Beweislast gibt,70 ist wohl in erster Linie eine terminologische Frage. Eine solche wird zu verneinen sein, soweit es um die Funktion von Beweislastverteilungsregelungen für den Prozessausgang geht, wie sie im Zivilprozess, auch unter Rückriff auf die Konstruktion von Regel-Ausnahme-Verhältnissen des materiellen Zivilrechts, eine erhebliche Rolle spielt. Andererseits sind auch im Strafverfahren Entscheidungsregeln bei Nichtgelingen eines Beweises erforderlich; unter denen der Grundsatz „in dubio pro reo“ eine zentrale, wenn auch nicht allein entscheidende Rolle spielt (näher Rn. 48 ff.). Aus dem Amtsaufklärungsgrundsatz folgt nicht notwendig, dass das Gericht alle für 33 seine Entscheidung erforderlichen Umstände durch eigene Ermittlungstätigkeit feststellen muss; mit ihm ist es vereinbar, auch auf Erkenntnisse und Beweisunterlagen zurückzugreifen, die in früheren Verfahrensstadien, namentlich im Ermittlungsverfahren, angefallen sind. Auch über die Form, in der die Aufklärung vorgenommen wird, insbesondere durch Freibeweis oder Strengbeweis, besagt der Amtsaufklärungsgrundsatz nichts. Die Grenzen eines solchen Vorgehens beurteilen sich jedoch nach den Ausprägungen, die andere Prozessmaximen, insbesondere die der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit, im Strafverfahrensrecht erfahren haben.71 Die Instruktionsmaxime zwingt auch nicht dazu, die Ermittlungen auf alle rein theo34 retisch in Betracht kommenden Sachverhaltsgestaltungen und Umstände zu erstrecken; erforderlich ist stets, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung oder nach den konkreten Umständen des Einzelfalles hinreichende Anhaltspunkte für ihre Relevanz gegeben sind.72 Ist dies aber der Fall, so kommt es nicht darauf an, ob es um das Vorliegen von unrechts- und schuldbegründenden Tatsachen geht, oder um solche, die das Unrecht, die Schuld, die Strafbarkeit oder auch nur die Verfolgbarkeit ausnahmsweise ausschließen. Offenkundige Tatsachen 73 unterfallen insoweit dem Amtsaufklärungsgrundsatz, als sie bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen sind und dies im Urteil zu dokumentieren ist. Sie bedürfen aber, wenn das Gericht von ihnen ausgehen will, keines weiteren Beweises 74 und müssen, wenn das Gericht sie zugrundelegen will, wegen des Anspruchs auf rechtliches Gehör in der Verhandlung erörtert werden (s. Rn. 84). Da Offenkundigkeit ein Phänomen der Evidenz ist, also auf Erscheinung, nicht aber auf Begründung beruht, kann Evidentes mitunter unrichtig sein,75 weshalb es bei entsprechenden Anhaltspunkten oder Hinweisen der Amtsaufklärungsgrundsatz gebietet, die Richtigkeit zu überprüfen.

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b) Eigene Aufklärung durch die Prozessbeteiligten. Der Amtsaufklärungsgrundsatz bezeichnet das dem jeweils mit der Sache befassten Strafverfolgungsorgan obliegende Minimum an Aufklärungspflicht, wobei das Gesetz davon ausgeht, dass seine korrekte

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Eb. Schmidt I 379 m.w.N. des älteren Schrifttums. So nachdrücklich Eb. Schmidt I 366; vgl. auch LR/K. Schäfer 24 Einl. 13 48; Henkel 102; Rüping 511; a.A. z.B. im Hinblick auf eine „materielle Beweislast“ Beling 283; von Hippel 384 (der den Begriff allerdings als „wenig glücklich“ bezeichnet). Dazu näher unter Rn. 53 ff. S. näher LR/Gollwitzer 25 § 244, 38 ff.

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Zum Begriff und zu ihrer Behandlung s. näher LR/Gollwitzer 25 § 244, 227 ff.; vgl. auch Eb. Schmidt I 382 f. m.w.N. Vgl. § 244 Abs. 3 (Offenkundigkeit), der einen auch für die Amtsaufklärungspflicht geltenden Grundsatz aussprechen dürfte. Sarstedt/Hamm 5 373; a.A. wohl Herdegen FS Boujong 789 m.w.N.; sowie Sarstedt/ Hamm 6 630 Fn. 1333.

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Die so genannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze

Einl. Abschn. I

Handhabung regelmäßig eine der Wahrheit entsprechende Entscheidung ermöglicht. Er schließt aber die übrigen Prozessbeteiligten von eigenen Ermittlungen nicht aus. So ist nach inzwischen allgemein anerkannter Auffassung auch der Verteidiger zu eigenen Nachforschungen befugt;76 die Staatsanwaltschaft darf auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens grundsätzlich weiterhin selbständig ermittelnd tätig werden.77 Aus § 136 Abs. 1 Satz 3, § 163a Abs. 3, § 201 Abs. 1, § 219 StPO und vor allem § 244 Abs. 3 bis 6 StPO folgt ferner, dass das Gesetz den Prozessbeteiligten einen eigenen prozessualen Beweiserhebungsanspruch einräumt. Sein Verhältnis zur Amtsaufklärung im Einzelnen ist umstritten und hier nicht näher zu behandeln.78 c) Ausnahmen und Grenzen. Abgesehen von dem Erfordernis der Geltendmachung 36 prozessualer Anträge und Einwände (Rn. 38) sind bei der Sachverhaltsaufklärung Fälle, in denen die Dispositionsmaxime gilt, dem Strafverfahrensrecht fremd; auch das Strafbefehlsverfahren enthält nach richtiger, wenn auch umstrittener Meinung 79 hiervon keine Ausnahme. Die Amtsaufklärungspflicht (wie überhaupt eine Aufklärungsbefugnis) besteht jedoch dort nicht, wo das Gericht aufgrund bindender Vorentscheidungen von einem bestimmten Sachverhalt auszugehen hat, wie beispielsweise bei der (ausnahmsweise geltenden) Bindung an andere Hoheitsakte 80 oder in den Fällen (und im – umstrittenen – Umfang) der innerprozessualen Bindungswirkung infolge der beschränkten Anfechtung oder teilweisen Urteilsaufhebung.81 Der Amtsaufklärungsgrundsatz reicht grundsätzlich nicht weiter, als es für eine ver- 37 fahrensabschließende Entscheidung erforderlich ist. Ist ein Verfahrenshindernis festgestellt und das Verfahren daher einzustellen, so bedarf es regelmäßig keiner weiteren Aufklärung, etwa um festzustellen, ob der Angeklagte freizusprechen ist.82 Steht fest, dass der Angeklagte trotz verbleibenden Tatverdachts nicht überführt werden kann und deshalb freizusprechen ist, so besteht nach nicht unbestrittener Auffassung keine weitergehende Erforschungspflicht zur Feststellung der Unschuld;83 sie ist auch verfassungsrechtlich nicht geboten 84 und durch den Grundsatz der gerichtlichen Fürsorgepflicht nicht veranlasst. Differenzierungen, namentlich solche kostenrechtlicher Art, zwischen unterschiedlichen Graden des Freispruchs, kennt das geltende Verfahrensrecht nicht mehr. Für den nicht verurteilten Angeklagten streitet, gleichviel, aus welchen Gründen er nicht verurteilt wird, die Unschuldsvermutung. Seinem strafprozessualen Rehabilitierungsinteresse ist damit Rechnung getragen. Auch die Anerkennung der Wiederherstellung des Rechtsfrieden als übergeordnetes Ziel des Strafverfahrens 85 rechtfertigt keine

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Krey (Ermittlungen); vgl. auch die Erl. Vor § 137. Vgl. näher, auch zu den Grenzen, LR/Gollwitzer 25 Vor § 213, 17. S. LR/Gollwitzer 25 § 244, 93. S. die Erl. Vor § 407; LR/Gössel 25 Vor § 407, 10 ff. m.w.N. S. die Erl. zu § 262. S. näher LR/Hanack 25 Vor § 296, 31 f.; sowie LR/Gössel 25 § 318, 23 ff. und LR/Hanack 25 § 344, 25 ff. Anders in den Fällen, in denen bei Straffreiheitsgesetzen ein Anspruch auf Verfahrensfortsetzung eingeräumt wird; vgl. LR/K. Schäfer 24 Einl. 11 56; 12 77; zum Vor-

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rang des Freispruchs vor der Einstellung bei „liquider Freispruchslage“ s. die Erl. zu § 260; LR/Gollwitzer 25 § 260, 103 ff.; zum Ganzen auch teilweise enger m.w.N. Sternberg-Lieben ZStW 108 (1996) 721 ff. BGHSt 7 155; 13 149; Hanack JZ 1972 114; vgl. auch BGHSt 13 149; a.A. Henrichs MDR 1956 196; Schwenk NJW 1960 1932; für bestimmte Verfahrenshindernisse in der Hauptverhandlung auch Sternberg-Lieben ZStW 108 (1996) 751 ff. BVerfGE 6 7; BVerfG MDR 1957 22; NStZ 1984 229 (Vorprüfungsaussch.), teilw. a.A. Sternberg-Lieben ZStW 108 (1996) 729 ff. S. Rn. B 48.

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andere Beurteilung, denn der strafprozessual erzielbare Rechtsfrieden wird schon dadurch erreicht, dass die für die Verhängung eines Schuldspruchs erforderlichen Feststellungen nicht in justizförmiger Weise getroffen werden können.86 Weitergehende, aus der Systematik des Strafprozessrechts nicht begründbare Forderungen nach einer Erstreckung der Aufklärungspflicht auf die den Beschuldigten jeweils günstigste Entscheidung, wären weder mit dem Beschleunigungsgebot noch mit dem Erfordernis einer effektiven Verwendung der Ressourcen der Strafjustiz vereinbar.

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d) Aufklärung des prozessualen Geschehens. Der Amtsaufklärungsgrundsatz gilt grundsätzlich auch für das prozessuale Geschehen, soweit es für die zu treffende Entscheidung von Bedeutung ist. So hat das erkennende Gericht, soweit hierfür Anhaltspunkte vorhanden sind oder geltend gemacht werden, beispielsweise von Amts wegen der Frage nachzugehen, ob der beabsichtigten Verwendung von Beweismitteln ein Verwertungsverbot entgegensteht, und es hat zu prüfen und erforderlichenfalls durch eigene Ermittlungen freibeweislich zu klären, ob die Verfahrensvoraussetzungen vorliegen, und Prozesshindernisse auch dann zu beachten, wenn sie von keiner Seite geltend gemacht werden. Soweit es um die Aufklärung von Prozessverstößen in Revisionsverfahren geht, beschränkt sich die Aufklärungspflicht des Revisionsgericht jedoch auf die gemäß § 344 Abs. 2 StPO gerügten Verstöße. Die Amtsaufklärungspflicht gilt im Prozessrecht jedoch nicht uneingeschränkt für Fälle, in denen das Gesetz einen Antrag, einen Einwand oder einen Widerspruch verlangt, wie etwa in den Fällen des § 16 Satz 2 StPO oder – unbeschadet der Regelung in § 30 StPO – des § 24 Abs. 2 StPO; sie wird hier erst durch eine entsprechende Prozesshandlung des Berechtigten ausgelöst. 5. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung

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a) Inhalt, Bedeutung und Reichweite. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung 87 ist in der StPO für das gerichtliche Erkenntnisverfahren in § 261 verankert, nach dem das Gericht „nach seiner freien … Überzeugung“ entscheidet. Sein Gegenstück stellen gesetzliche Beweisregeln dar, wie sie rechtshistorisch den Inquisitionsprozess prägten 88 und uns rechtsvergleichend teilweise im anglo-amerikanischen Strafprozessrecht begegnen.89 Er besagt, dass die Beweisfragen grundsätzlich frei, also ohne Bindung an Beweisregeln zu entscheiden sind, entbindet aber nicht von der Pflicht zur Rationalität. In der Entwicklung seit dem Inkrafttreten der Strafprozessordnung hat die Bedeutung des Grundsatzes eine gewisse einschränkende Wandlung erfahren. Während er ursprünglich, namentlich bei den „Wahrsprüchen“ der (echten) Schwurgerichte als weitgehend unüberprüfbare Anerkennung eines subjektiven „Fürwahrhaltens“ verstanden wurde,90 betont die neuere Interpretation ebenso wie die Handhabung durch die überprüfende Kontrolle der Revisionsgerichte die Bindung an rationale Beweisgründe. Die Pflicht ihrer nachvollziehbaren Darstellung im Urteil hat zu einer deutlichen „Objektivierung“ 91 geführt. 86

87 88

Zur verwandten Frage einer Beschwer durch die Urteilsgründe s. LR/Hanack 25 Vor § 296, 48 ff.; 57 ff.; a.A. Sternberg-Lieben ZStW 108 (1996) 750; vgl. auch Volk (Prozessvoraussetzungen) 240 f. Zu diesem u.a. ausführlich KK/Pfeiffer Einl. 14 ff.; Roxin § 15, 13 ff. Vgl. dazu u.a. KK/Pfeiffer Einl. 14; Roxin § 15, 12; Jerouschek GA 1992 497 ff.; Küper FS II Peters 23 ff.

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89 90

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Vgl. dazu Kunert GA 1979 407 ff. ; Kühne Rn. 1193 bis 1196. Jerouschek GA 1992 495; Peters 292; noch heute gilt Entsprechendes für die englischen und französischen Schwurgerichte, Kühne Rn. 1166 und 1216. So Roxin § 15, 15; ausführlich Peters 300 ff.

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Die so genannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze

Einl. Abschn. I

Freie Beweiswürdigung kann deshalb jedenfalls heute nicht mehr mit unüberprüfbarer subjektiver Überzeugungsbildung allein gleichgesetzt werden,92 wenngleich immer ein nicht hinterfragbarer Bereich richterlicher Subjektivität, die im 19. Jahrhundert so genannte conviction intime 93, verbleibt. Die Einzelheiten werden bei den § 261 StPO behandelt,94 dort ist auch das Schrifttum nachgewiesen. Der Grundsatz gilt in allen Verfahrensabschnitten und für alle Strafverfolgungsorgane, 40 also auch für die Staatsanwaltschaft bei der Beurteilung von Beweisfragen im Ermittlungsverfahren 95 und grundsätzlich auch für freibeweisliche Ermittlungen 96, wie etwa bei der Feststellung prozessualer Vorgänge (vgl. aber § 274 StPO). Dem Berufungsgericht steht das Recht und die Pflicht zu einer eigenen freien Beweiswürdigung zu, soweit es nicht infolge von Teilrechtskraft bindende Feststellungen des angefochtenen Urteils zu berücksichtigen hat. Dagegen ist das Revisionsgericht infolge des Charakters der Revision zu einer eigenen, die Schuld- und Straffrage betreffenden Würdigung der Beweise weder in der Lage noch befugt; es kann in diesem Bereich lediglich die Beweiswürdigung des Tatrichters in einem im Einzelnen noch nicht restlos geklärten Umfang auf ihre rationalen Grundlagen und ihre Nachvollziehbarkeit hin überprüfen.97 b) Ausnahmen und Grenzen. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt nicht, 41 soweit gesetzliche Beweisregeln bestehen, was im geltenden Recht nur noch ganz ausnahmsweise der Fall ist,98 so etwa beim Wahrheitsbeweis nach § 190 StGB oder für den Nachweis der Förmlichkeiten der Hauptverhandlung nach § 274 StPO. Er findet seine Grenzen in der Pflicht zur Beachtung der Denkgesetze und gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse 99 sowie in der revisionsrechtlich in gewissen Grenzen überprüfbaren Pflicht zur Rationalität. Die Freiheit der Beweiswürdigung ist dort eingeschränkt, wo bestimmte, an sich trag- 42 fähige (wenn nicht gar überzeugende) Beweisgründe bei der Beweiswürdigung aus Rechtsgründen nicht verwendet werden dürfen. Dies ist gesetzlich z.B. in den Fällen der §§ 51, 52 BZRG für getilgte oder tilgungsreife Vorstrafen geregelt. Es gilt ferner für gesetzlich geregelte oder von der Rechtsprechung anerkannte Beweisverwertungsverbote. Schließlich dürfen auch aus zulässigem Verteidigungsverhalten oder sonstigem Prozessverhalten, beispielsweise aus dem Schweigen des Angeklagten, dem Scheitern eines Alibibeweises,100 der Widerlegung einer Entlastungsbehauptung 101 oder der Inanspruchnahme von Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechten grundsätzlich keine Schlüsse für die Beweiswürdigung gezogen werden; die Einzelheiten sind an anderer Stelle zu erörtern.102 92

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Vgl. etwa Peters 298 ff.; Herdegen FS Boujong 780 ff.; Jerouschek GA 1992 502 ff.; s. auch Lampe FS Pfeiffer 373 ff. Näher Kühne Rn. 948. S. dort vor allem die Abschnitte I und IV; LR/Gollwitzer 25 § 261, 1 ff.; 41 ff.; vgl. auch die Erl. zu § 267 zur Angabe der Beweiswürdigung in den Urteilsgründen und LR/Hanack 25 § 337, 144 ff. zur Revisibilität. KK/Pfeiffer Einl. 15 a.E.; Roxin § 15, 11. Möglicherweise a.A. Roxin § 15, 21. S. dazu im einzelnen m.w.N. die Erl. zu § 261; LR/Gollwitzer 25 § 261, 177 ff. und LR/Hanack 25 § 337, 144 ff. Zur Bedeutung von gesetzlichen Beweis-

99

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vermutungen und widerlegbaren Beweisregeln s. KK/Pfeiffer Einl. 18; näher LR/ Gollwitzer 25 § 261, 64 ff. S. dazu zusammenfassend u.a. KK/Pfeiffer Einl. 16; Roxin § 15, 22; näher bei LR/Gollwitzer 25 § 261, 44 ff. und LR/Hanack 25 § 337, 165 ff. BGH StV 1982 158; NStZ 1983 422; StV 1992 259; BGHSt 49 56. Vgl. z.B. BGH NStZ 1986 325; StV 2001 439. Vgl. zusammenfassend Roxin § 15, 24 ff.; näher bei LR/Gollwitzer 25 § 261, 75 ff.; 87 ff. sowie bei den einzelnen Vorschriften; s. auch unten Rn. J 91 ff.

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Einl. Abschn. I

Einleitung

43

c) Der Verdacht als Gegenstand der Beweiswürdigung. Auch der Verdacht ist Ergebnis von Beweiswürdigung, wenngleich auf die Stadien von Ermittlungs- und Zwischenverfahren begrenzt. Der Verdacht ist in diesen Verfahrensstadien einer der wichtigsten Begriffe überhaupt, da er die Grundvoraussetzung für die Verhängung von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen ist. Ohne Verdacht keine strafprozessuale Zwangsmaßnahme! Insofern ist es kaum verständlich, wenn der rechtliche Begriff des Verdachts erst relativ kürzlich und auch nicht sehr intensiv das Interesse des Schrifttums erregt hat.103 Kommentare und Lehrbücher beschränken sich in der Regel auf die kurze und eher nichtssagende Beschreibung der einzelnen Verdachtsstufen, so wie wir sie in §§ 160 I, 100a, 112 I, 203 StPO oder eher verdeckt formuliert wie in §§ 99, 138c, 152 II StPO vorfinden. Der Verdacht wird nirgendwo im Gesetz definiert, sieht man einmal von der allgemei44 nen Paraphrase des § 152 Abs. 2 StPO ab, die den eigentlich selbstverständlichen Tatsachenbezug des Verdachts erwähnt. Vielmehr wird seine Begrifflichkeit als bekannt vorausgesetzt und vom Gesetz nur in verschiedenen Stärkegraden variiert erwähnt. Um aber diese Tatbestände einzulösen, muss geklärt werden, was Verdacht ist, um zu vermeiden, dass ein beliebiges Verständnis das Tor für die Annahme von Zwangsmaßnahmen weit öffnet, statt den Durchgang zu kontrollieren. Verdacht ist zunächst einmal die Umschreibung eines vorläufigen und unter dem Vorbehalt nicht vollständiger Gewissheit stehenden Beweisergebnisses. Da der Verdacht prozessuale Handlungen auslöst, wäre es wichtig zu wissen, wie 45 groß die Wahrscheinlichkeit zugunsten des vorläufigen Beweisergebnisses sein muss, um als Verdacht prozessual wirken zu können. Offenbar will der Begriff sowohl Willkür – also kein Beweisergebnis – wie auch zu große Unsicherheit in Hinblick auf die angenommene Beweislage ausschließen und damit die Eingriffsbefugnisse der staatlichen Strafverfolgungsagenten in Individualrechtspositionen begrenzen. Der Bereich der Willkür ist leicht auszumachen, da er sich durch den Mangel von jeglichen auch nur wahrscheinlichen Beweisen auszeichnet. Schwieriger ist es bei der Einschätzung der Richtigkeit von vorliegenden Beweisen und/oder der Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit von Schlussfolgerungen aus meist noch unvollständigen Beweisen. Wie sind hier die Wahrscheinlichkeiten für oder gegen den Tatverdacht zu beschreiben und gegeneinander abzuwiegen? Zunächst einmal ist Basis eines jeden Verdachts die subjektive Annahme und der 46 objektive Beleg vom Vorliegen von Tatsachen, § 152 Abs. 2 StPO. Weiterhin müssen diese Tatsachen nachvollziehbar miteinander verknüpfbar sein und auf diese Weise die Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung durch eine bestimmte Person begründen. Die Art der Verknüpfung muss nach bekannten Naturgesetzen, allgemeinen Erfahrungssätzen sowie Denkgesetzen zumindest möglich sein. Damit sind die Grundbedingungen von Verdacht beschrieben. Aber die mögliche Verknüpfung angenommener Tatsachen kann meist unterschiedlich vorgenommen werden, was in der Regel auch zu der Möglichkeit führt, einen Verdacht abzulehnen. Es steht also die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit in Hinblick auf ihre Richtigkeit an. Hier fehlt es an mathematisierenden quantitativen Ansätzen, die uns Gewissheit über Wahrscheinlichkeitsgrade geben könnten.104 Es bleibt allein die Pflicht desjenigen der einen Verdacht annimmt, zu begründen, warum seine Art der Beweiswürdigung trotz verbleibender Ungewissheit wahrscheinlicher ist als das

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Ausgelöst wurde diese knappe Diskussion durch Kühne NJW 1979 617 und fand monographischen Widerhall bei Ebert

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(1999); Kammann (2002); Lohner (1994) und Schulz (2001, Misstrauen). Ausführlich dazu Kühne NJW 1979 617.

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Die so genannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze

Einl. Abschn. I

Gegenteil, die Ablehnung des Verdachts. Dieses Umschwenken von inhaltlichen auf rein formale Kriterien scheint augenblicklich der einzige Weg zu einer vernünftigen Annäherung an den Verdachtsbegriff zu sein. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es der Rechtswissenschaft nicht fremd ist, einen formellen Begründungszwang als Kompensation für fehlende materielle Kriterien einzusetzen, um Plausibilität zu erzeugen und Willkür zu verhindern.105 Auch das Bundesverfassungsgericht ist so vorgegangen, als es eine strafprozessuale Zwangsmaßnahme für verfassungswidrig erklärte, weil unzureichende Angaben über den Tatverdacht gemacht worden waren.106 Dem steht jedoch in gewisser Weise die Ansicht des BGH gegenüber, wonach der Begriff des Tatverdachts keiner vollständigen richterlichen Kontrolle unterliege sondern auch einen prüfungsresistenten Beurteilungsspielraum umfasse.107 Wichtig wäre hier zu wissen, wo die Grenze zwischen überprüfbarem Rechtsbegriff und freiem Beurteilungsbereich verläuft. Auf der Basis dieser Überlegungen können die unterschiedlichen Verdachtsformen wie 47 folgt umschrieben werden. Der einfache Verdacht, so wie er in §§ 91, 102, 160 I StPO angesprochen wird, setzt – wie jeder andere Verdacht auch – Tatsachen voraus, deren Interpretation schlüssig die Verbindung von Tat und vermutetem Täter erlauben. Eine solche Interpretation muss in ihrer Begründung ein wenig wahrscheinlicher sein als ihr Gegenteil. Die Tatsachen selbst müssen keineswegs vollständig sein, da die Vorschriften überwiegend auf den Beginn der Ermittlungen abstellen. Gleiches gilt für Vorschriften, die wie §§ 99, 110a, 100c, 138c, 152 II StPO von bestimmten Tatsachen sprechen, die Grund zu Annahmen geben. Der im Gesetz als auf bestimmten Tatsachen beruhend beschriebene Verdacht, §§ 81h, 100a StPO, erscheint in seiner Formulierung als tautologisch, da kein Verdacht ohne Tatsachen existieren kann, meint aber wohl , dass aus diesen Tatsachen mit höherer Wahrscheinlichkeit als beim einfachen Verdacht der Schluss auf die Verbindung von Tat und vermutetem Täter abzuleiten ist.108 Beim dringenden Tatverdacht des § 112 I StPO muss die Wahrscheinlichkeit zulasten des vermuteten Täters um so vieles größer sein, dass eine die Unschuld belegende Interpretation nicht ernsthaft begründet werden kann.109 Ein derartiger Verdacht erfordert in der Regel eine Beweislage, die sehr viel weniger vorläufig und unvollständig ist, als bei den darunter liegenden Verdachtsstufen. Ähnliches gilt für den hinreichenden Tatverdacht des § 203 StPO. Auf der Basis einer für dieses Verfahrensstadium als endgültig anzusehenden Ermittlung muss – bei Unterstellung der Richtigkeit der in der Anklageschrift vorgetragenen Beweise – die Verurteilung des Angeschuldigten nahezu sicher und sein Freispruch kaum vorstellbar sein.110 6. Der Grundsatz in dubio pro reo a) Inhalt und Bedeutung.111 Eine Verurteilung zu einer bestimmten Sanktion setzt 48 voraus, dass die Schuld des Angeklagten bewiesen ist, dass also das Gericht aufgrund der grundsätzlich freien Beweiswürdigung (Rn. 39) die Überzeugung erlangt hat, dass der 105 106 107 108

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Näher Kühne Rn. 333; Eisenberg/Conen NJW 1998 2241. BVerfG NJW 1992 551. BGHSt 41 30 unter Berufung auf BVerfG (Vorprüfungsaussch.) NJW 1984 1452. So zumindest im Ergebnis auch die h.M., vgl. Meyer-Goßner § 100a, 6 m.w.N.; Kühne Rn. 336 geht von der Identität von diesem und dem einfachen Tatverdacht aus. Im Ergebnis ebenso die h.M., vgl. Meyer-

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Goßner § 112, 5 ff. m.w.N.; Beulke Rn. 210; KMR/Wankel § 112, 2. Vgl. etwa Meyer-Goßner § 170, 1; § 203, 2; Beulke Rn. 357; KMR/Seidl § 203, 16. Eine ausführliche Erläuterung des Grundsatzes in dubio pro reo mit Angabe des Schrifttums wird bei § 261 StPO gegeben; LR/Gollwitzer 25 § 261, 103 ff.; nachfolgend werden lediglich einige tragende Gesichtspunkte zusammengefasst.

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Angeklagte alle Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes rechtswidrig und schuldhaft verwirklicht hat, dass keine Strafaufhebungs- oder Strafausschließungsgründe vorliegen und dass die die Höhe der Sanktion bestimmenden Tatsachengrundlagen erwiesen sind. Kann es diese Überzeugung nicht gewinnen und Zweifel am Vorhandensein bestimmter Tatsachen nicht überwinden, so hat es nach dem Grundsatz in dubio pro reo oder dem Zweifelsgrundsatz die dem Angeklagten günstigere Sachverhaltsmöglichkeit zugrunde zu legen. Es hat also entweder freizusprechen, wenn es von keiner strafbaren Tatbestandsverwirklichung überzeugt ist, nach einem milderen Strafgesetz zu verurteilen, wenn es dieses für erwiesen hält 112 oder die Strafe nur nach dem Maß der erwiesenen Strafzumessungstatsachen zu bemessen, wenn es vom Vorliegen weiterer (auch wahrscheinlicher) Straferschwerungsgründe keine Überzeugung zu erlangen vermag. Der Grundsatz in dubio pro reo ist eine Entscheidungsregel, keine Beweislast49 vorschrift,113 wohl aber eine Folge aus der einseitigen Beweislastverteilung im Strafverfahren. Er schreibt dem Gericht vor, wie zu entscheiden ist, wenn es bei der Tatsachenfeststellung Zweifel hat, besagt aber nichts darüber, wann es von einem Sachverhalt überzeugt sein darf und wann es Zweifel haben muss. Dies ergibt sich vielmehr unter anderem aus den Grenzen des Grundsatzes der freien Überzeugungsbildung (Rn. 39 ff.). Er bezieht sich auf Zweifel bei der Tatsachenfeststellung, nicht auf rechtliche Zweifelsfragen,114 die nach den allgemein anerkannten Auslegungsregeln zu klären sind. Bei Prognoseentscheidungen gilt der Zweifelsgrundsatz für die sie tragenden Basistatsachen, nicht aber für die Prognose selbst.115 In der StPO ist der Zweifelssatz nicht ausdrücklich verankert. Ob ihm Verfassungs50 rang zukommt, wofür vieles spricht, hat das Bundesverfassungsgericht bisher offen gelassen.116 Die unmittelbare Geltung des Zweifelsatzes auf der Basis einfachen Rechts folgt aber notwendig sowohl aus der in Art. 6 Abs. 2 EMRK festgeschriebenen Unschuldsvermutung,117 wie auch dem Instruktionsprinzip. So ist der Zweifelsgrundsatz seiner Natur nach eine Spiegelung des Instruktionsprinzips, weil der Mangel an Beweisen notwendig zum Wegfall der Voraussetzungen für eine Verurteilung führt.118 Andererseits beinhaltet die Unschuldsvermutung die Denkvoraussetzung, dass ohne gerichtliche Überzeugung auch keine Schuld sein kann.119 Insofern liegt der von Montenbruck 120 formulierte Verdacht sehr nahe, dass es sich bei dem Grundsatz des in dubio pro reo überhaupt nicht um ein eigenständiges Prinzip, sondern nur um eine Folge aus anderen, unbestrittenen Grundprinzipien des Strafverfahrensrechts handelt. Die eigenständige Formulierung verdankt der Zweifelsgrundsatz wahrscheinlich den Zeiten des römischen Rechts,121 in

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Zu den damit zusammenhängenden Möglichkeiten und Grenzen der Wahlfeststellung s. die Erl. zu § 261; LR/Gollwitzer 25 § 261, 125 ff. S. dazu u.a. Eb. Schmidt I 376; Beulke Rn. 25; KK/Pfeiffer Einl. 19; Meyer-Goßner § 261, 26. BGHSt 14 68, 73; OLG Celle NJW 1968 2119; KK/Pfeiffer Einl. 19; Roxin § 15, 41; allg. M. Meyer-Goßner § 261, 27; näher LR/Gollwitzer 25 § 261, 119; zur Bedeutung des Zweifelssatzes bei Indiztatsachen s. LR/Gollwitzer 25 § 261, 114 f.; ferner Foth NStZ 1996 423.

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BVerfG (Kammerentscheidung) NJW 1988 477; Kammerbeschluss v. 04.02.1997, 2 BvR 122/97; VIZ 2002 169; s. näher Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 469. Zur Geltung der EMRK als unmittelbar anwendbares deutsches Recht vgl. Rn. D 46. Vgl. auch EGMR EuGRZ 1987 399; 1987 405; 1992 472; 1996 504. Eb. Schmidt I 371; Kühne Rn. 301, 956; a.A. Geerds SchlHA 1962 187. LR/Gollwitzer 25 § 261, 103; vgl. auch Arzt (Bemerkungen) 20 ff.; dazu auch Stuckenberg 481 f., 523 ff. u. passim. Montenbruck In dubio pro reo (1985). Ulpian Digesten 48.19.5: „Satius enim esse

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denen sowohl Instruktionsprinzip wie auch die Unschuldsvermutung noch nicht allgemein anerkannt waren. Unabhängig davon wird von einigen Autoren der Zweifelssatz auch dem materiellen Strafrecht zugeordnet,122 was allerdings auf die Ableitung seiner prozessualen Geltung keinen Einfluss hat. b) Geltungsbereich und Grenzen. Für die tatsächlichen Voraussetzungen von Prozess- 51 voraussetzungen ist die Geltung des Zweifelsgrundsatzes umstritten, richtigerweise aber, wenn auch nur im Ergebnis, zu bejahen;123 die auf den Einzelfall abstellende Rechtsprechung kommt weitgehend zu gleichen Ergebnissen.124 Für sonstige Verfahrensverstöße, namentlich für ihren Nachweis im Revisionsverfahren soll dies nach der Rechtsprechung und der wohl noch h.M im Schrifttum nicht gelten; sie seien nur dann beachtlich, wenn ihr Vorliegen festgestellt ist.125 Die Einzelheiten, auch hinsichtlich des Umfangs der in Betracht zu ziehenden Ausnahmen, sind umstritten und ungeklärt.126 Geht man aber wie hier davon aus, dass das Prinzip eine Denkvoraussetzung richterlicher Entscheidung ist (Rn. 50), so muss es auch in diesen Bereichen gelten. Ebenfalls umstritten ist, in welchem Umfang der Grundsatz im Wiederaufnahmeverfahren gilt.127 Bei verdachtsabhängigen Wahrscheinlichkeitsurteilen, von denen das Strafprozess- 52 recht Entscheidungen oder Maßnahmen abhängig macht, die der Urteilsfällung vorausgehen, wie etwa die Erhebung der öffentlichen Klage oder die Eröffnung des Hauptverfahrens, oder von denen Zwangsmaßnahmen, wie etwa die Untersuchungshaft, abhängig sind, hat der Zweifelsgrundsatz keine unmittelbare Bedeutung, weil er eine Entscheidungsregel für den hier nicht vorliegenden Fall darstellt, dass trotz eines Verdachts keine vom Gesetz geforderte Überzeugung gewonnen werden kann.128 Isoliert für die Frage des Tatverdachts spielt deshalb in diesen Fällen der Zweifelssatz keine Rolle. Er ist jedoch prognostisch insoweit von Bedeutung, als eine Verurteilungswahrscheinlichkeit in tatsächlicher Hinsicht auch davon abhängt, ob das erkennende Gericht aus der Sicht des Zwischenverfahrens von der Täterschaft überzeugt sein oder wegen des in-dubio-proreo-Grundsatzes zu einem Freispruch gelangen wird.129 7. Die Grundsätze der Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit sowie die Konzentrationsmaxime a) Allgemeines. Beziehungen. Die drei Maximen der Unmittelbarkeit, Mündlichkeit 53 und Öffentlichkeit, mit denen die Konzentrationsmaxime in einem engen funktionellen Zusammenhang steht, kennzeichnen, rechtsgeschichtlich gesehen, die zentralen rechtspolitischen Forderungen bei der Entwicklung vom Inquisitionsprozess zum reformierten Strafprozess in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts.130 Als tragende Grundsätze

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impunitum reliqui facinus locentis quam innocentem damnari“. LR/Hanack 25 § 337, 14; Krey I 22; MeyerGoßner § 261, 26; Sarstedt/Hamm 5 383 (anders wohl Sarstedt/Hamm 6 888 f.); Beulke Rn. 25 (auch dem materiellen Recht zugehörig). Kühne Rn. 965 f.; näher LR/Rieß 25 § 206a, 28 ff. Näher die Erl. zu § 261 und § 206a. Zweifel bei Roxin § 15, 40; Kühne Rn. 966; vgl. auch LR/Hanack 25 § 136a, 69; näher

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die Erl. zu § 261 und LR/Hanack 25 § 337, 76 m.w.N. S. dazu aus methodischer Sicht auch LR/Lüderssen/Jahn Einl. Rn. M 59 ff. Näher LR/Gössel 25 § 359, 153 ff.; § 370, 23 f. Teilweise a.A. wohl LR/Lüderssen/Jahn Einl. Rn. M 59. Näher die Erl. zu § 203; LR/Rieß 25 § 203, 14. Eb. Schmidt I 425 ff. m.w.N.

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bestimmen sie den Charakter der zum Urteil führenden gerichtlichen Verhandlung, der Hauptverhandlung, und zielen rechtspolitisch gesehen vorrangig auf deren Gestaltung. Sie meinen deshalb nicht das Strafverfahren insgesamt, sondern sind genau genommen Maximen der Hauptverhandlung. Für die übrigen Teile des Strafverfahrens, vor allem das Ermittlungsverfahren, aber auch das Eröffnungsverfahren und das Strafbefehlsverfahren, haben und beanspruchen sie weitgehend keine Geltung. Diese sind vielmehr überwiegend durch die Gegenmaximen der Mittelbarkeit, Schriftlichkeit und Nichtöffentlichkeit geprägt.131 Nur mit dieser Einschränkung, also begrenzt auf das gerichtliche Erkenntnisverfahren und hier auf das „Normalverfahren“ und damit quantitativ gesehen auf den kleineren Teil aller Strafverfahren, vgl. Rn. G 32 ff., kennzeichnen nach dem heutigen Verständnis vom Umfang des Strafverfahrens diese Maximen die Strukturen des Strafverfahrens. Dennoch erscheint es gerechtfertigt, sie zu den wichtigsten Konstitutionsprinzipien zu zählen, weil sie in den Verfahrensabschnitten und für diejenigen Fallgruppen Geltung beanspruchen, in denen endgültig über den strafrechtlichen Schuldvorwurf entschieden und bei seiner Bejahung die strafrechtliche Sanktion festgesetzt werden soll. Grundlage jeder Verurteilung ist eine diesen Maximen verpflichtete Hauptverhandlung; zumindest kann sie, wie im Strafbefehlsverfahren, vom Angeklagten erzwungen werden. In Art. 6 Abs. 1, 3 EMRK (Art. 14 IPBPR) ist die grundsätzliche Geltung eines Teils dieser Maximen als Menschenrechte anerkannt.132 Auch in ihrem Geltungsbereich sind gerade diese Maximen nicht idealtypisch rein, sondern vom Anfang an mit Einschränkungen und Ausnahmen verwirklicht worden. Weder das Unmittelbarkeits- noch das Mündlichkeitsprinzip verbieten dem erkennenden Gericht die Kenntnis der Akten des Vorverfahrens und ihre Nutzbarmachung in der Hauptverhandlung. Der mit dem Unmittelbarkeitsprinzip verbundene Vorrang des Personalbeweises (§ 249 StPO) ließ von Anfang an auch unter bestimmten Bedingungen die Verlesung von Protokollen zu; der Ausschluss der Öffentlichkeit in Sonderfällen war von Anfang an möglich. In der Rechtsentwicklung seit der Entstehung der RStPO sind sie darüber hinaus deutlich relativiert worden, teilweise aus Gründen der Praktikabilität, teilweise aber auch aus Gründen der Berücksichtigung von im Laufe der Zeit in den Vordergrund getretenen Gegeninteressen, wie etwa dem Persönlichkeits- und Opferschutz bei der Einschränkung der Öffentlichkeitsmaxime. Nach wie vor hat aber der Gesetzgeber die Geltung der Maximen als normativen Regelfall zugrundegelegt und die Einschränkungen als (normative) Ausnahmen formuliert; auch wenn sie in Einzelfällen den Grundsatz überwuchern, und die Maxime zu einer bloßen Fassade auszuhöhlen drohen.133 Die vier Maximen stehen in enger Wechselwirkung und einem gegenseitigen Bedingungszusammenhang, der es ermöglicht, sie in ihrer Gesamtheit als ein einheitliches Gestaltungsprinzip anzusehen, und der dazu führt, dass bestimmte Einzelkonsequenzen in Rechtsprechung und Schrifttum teilweise unterschiedlichen Maximen zugeordnet worden sind und teilweise noch werden.134 So sind Unmittelbarkeit und vor allem Mündlichkeit notwendige Voraussetzungen für eine sinnvolle Funktion der Öffentlichkeitsmaxime, 131 132 133

S. dazu auch Eb. Schmidt I 406; Rieß FS Rebmann 393 f. S. näher die Erl. zu Art. 6 EMRK. So für die Geltung der Konzentrations-, Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsmaxime bei besonders umfangreichen

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Verfahren z. B. Rieß NStZ 1994 412; s. auch unten Rn. 69. Vgl. etwa zu den Maximen der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit Geppert (Unmittelbarkeit) 137 f.; Eb. Schmidt I 430.

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und diese wird im Ergebnis (nicht in ihrer rechtlichen Geltung) betroffen, wenn – wie beispielsweise nach § 249 Abs. 2 oder § 257a StPO – eine mündliche Mitteilung oder Erörterung von schriftlichen Entscheidungsgrundlagen nicht mehr stattfindet. Die Konzentrationsmaxime wiederum steht mit dem Mündlichkeits- und (formellen) Unmittelbarkeitsprinzip in engem Zusammenhang und erscheint vielfach als Bedingung für deren Funktionieren. b) Der Grundsatz der Mündlichkeit der Hauptverhandlung 135 ist in der StPO, anders 58 als in der ZPO (vgl. § 128 ZPO), in seiner Gesamtheit nicht ausdrücklich ausgesprochen, ergibt sich aber namentlich aus den §§ 261, 264 StPO insoweit, als mit der dort genannten „Verhandlung“ nur eine mündliche gemeint sein kann. Er folgt weiter daraus, dass das Gesetz die Verlesung von schriftlichen Unterlagen ausdrücklich vorschreibt (§ 249 Abs. 1 StPO) und die Ausnahmen hiervon oder die Fälle, in denen eine schriftliche Antragstellung verlangt werden darf, ausdrücklich bezeichnet (§§ 249 Abs. 2, 257a StPO). Auch die Vorschriften über die persönliche Vernehmung (§ 250 StPO), die Erklärungsrechte (§ 257 StPO), die Schlussvorträge (§ 258 StPO) und die Urteilsverkündung (§ 260 StPO) lassen hinreichend deutlich erkennen, dass die Hauptverhandlung, auf deren „Inbegriff“ § 261 StPO als (alleinige) Entscheidungsgrundlage verweist, eine mündliche Erörterung zwischen den Prozessbeteiligten in Form von Rede und Gegenrede sein soll. Der Mündlichkeitsgrundsatz betrifft nicht allein die Beweisaufnahme, sondern den gesamten „Prozessverkehr“ vor dem erkennenden Gericht in der Hauptverhandlung, also – soweit keine Ausnahmen bestimmt sind – auch alle anderen Prozesserklärungen.136 Das Mündlichkeitsprinzip in dem hier verwendeten engen Sinne 137 ist formaler Natur; 59 es verlangt lediglich, dass der der Urteilsfindung dienende Verhandlungsstoff mündlich ausgebreitet wird. Ihm wird auch dann entsprochen, wenn sich der Inhalt der mündlichen Erörterungen auf schriftliche Unterlagen bezieht. Deshalb dürften auch die Regelungen in § 249 Abs. 2 und § 257a StPO den Grundsatz der Mündlichkeit zwar modifizieren, aber nicht beseitigen. Die Frage, inwieweit Zeugen und Sachverständige unmittelbar zu vernehmen sind oder auf schriftliche, in der Hauptverhandlung mündlich zu erörternde Unterlagen zurückgegriffen werden darf, hängt mit der Reichweite des Unmittelbarkeitsprinzips zusammen. Die Mündlichkeit allein (anders möglicherweise das Unmittelbarkeitsprinzip) schließt auch nicht aus, dass der Akteninhalt verwertet wird,138 soweit dies in den Formen und mit den Mitteln der Mündlichkeit geschieht, also nach § 249 Abs. 1 StPO 139 vorzugsweise in der Form der Verlesung. Soweit eine gerichtliche Entscheidung, wie stets das Urteil, nur auf Grund einer 60 Hauptverhandlung ergehen darf, ist das nicht mündlich Erörterte zur Schuld- und Straffrage unverwertbar, weil es nicht zum Inbegriff der Hauptverhandlung gehört.140 Dies gilt beispielsweise für den (nicht in zulässiger Weise eingeführten) Akteninhalt; privates Wissen des Richters; zu den Akten gereichte schriftliche Erklärungen und Anträge, die nicht mündlich vorgetragen werden,141 und weitgehend für (nicht mündlich erörterte)

135 136 137 138

Zum Ganzen m.w.N. des älteren Schrifttums Eb. Schmidt I 429; Kühne Rn. 708 ff. Eb. Schmidt I 430. Über weitergehende Begriffsbestimmungen s. Eb. Schmidt I 430; vgl. auch oben Rn. 57. Zur (umstrittenen) Unzulässigkeit der Aktenkenntnis durch die Schöffen s.

139 140 141

LR/Gollwitzer 25 § 261, 31 sowie unten Rn. J 33 m.w.N. Beachte aber das sog. Selbstleseverfahren nach § 249 Abs. 2. Vgl. auch LR/Gollwitzer 25 § 261, 14 ff. Eb. Schmidt I 434 m.w.N. des älteren Schrifttums und der Rspr.

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offenkundige Tatsachen.142 Auch inhaltsbezogene Absprachen über das Urteil sind in der Hauptverhandlung (mindestens) mündlich offenzulegen.143 Anders können die Dinge liegen, soweit es sich um die freibeweisliche Klärung von 61 Tatsachen handelt, die das Verfahren betreffen, oder um solche Prozesshandlungen oder Entscheidungen, die zwar in, aber auch außerhalb der Hauptverhandlung vorgenommen werden oder ergehen können. Sie unterliegen den Mündlichkeitsregeln, soweit sie in der Hauptverhandlung vorgenommen werden, müssen diese aber nicht zwingend erfüllen, wenn sie außerhalb der (auch laufenden) Hauptverhandlung ergehen. Da aber den Prozessbeteiligten in Bezug auf Tatsachen rechtliches Gehör zu gewähren ist, und dies in der mündlichen Hauptverhandlung am einfachsten geschehen kann, wird es oft zweckmäßig sein, diese dafür zu nutzen. Die Einzelheiten sind bei den einzelnen Bestimmungen zu erörtern. Die vorstehend dargestellten strengen Mündlichkeitsvorschriften gelten nur für die 62 Hauptverhandlung sowie für diejenigen als mündliche Verhandlungen bezeichneten Verhandlungen, bei denen das Gesetz die Vorschriften über die Hauptverhandlung für entsprechend anwendbar erklärt (z.B. § 441 Abs. 3 StPO). Mit den durch den Verfahrensgang bedingten Besonderheiten (§§ 324 ff. StPO) gelten sie auch für das Berufungsverfahren. Ob und wieweit die Hauptverhandlung im Revisionsverfahren (§ 349 Abs. 5, §§ 350, 351 StPO) in allen Punkten dem Mündlichkeitsprinzip unterliegt, ist dogmatisch wenig geklärt.144 Verfahrensbeendende Beschlussentscheidungen (vgl. §§ 206a, 206b, 313 Abs. 2 Satz 2, 346, 349 StPO) ergehen ohne Hauptverhandlung und unterliegen schon deshalb nicht dem Mündlichkeitsprinzip. Bei anderen mündlichen Verhandlungen, die die StPO an mehreren Stellen vorschreibt oder ermöglicht,145 ist jeweils gesondert zu prüfen, in welchem Umfang das Mündlichkeitsprinzip gilt.

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c) Unter dem Grundsatz der Unmittelbarkeit werden zwei unterschiedliche Dinge verstanden, die verschiedenen Regeln unterliegen und nach der lex lata eine unterschiedliche Verbindlichkeit haben.146 Als formelle Unmittelbarkeit oder Unmittelbarkeit der Beweiserhebung 147 wird der Grundsatz verstanden, dass das Gericht die Beweise selbst zu erheben hat, dies also nicht etwa einem Dritten überlassen darf. Mit diesem Gesichtspunkt verschränkt ist der in § 226 StPO verankerte und mit § 261 StPO verbundene Grundsatz, dass nur die an der Beweisaufnahme beteiligten Richter zur Entscheidung berufen sind, dass also ein Wechsel in der Richterbank bei einer einheitlichen Hauptverhandlung nicht zulässig ist. Dies wird auch als Grundsatz der Verhandlungseinheit bezeichnet.148 Dagegen befasst sich der Begriff der materiellen Unmittelbarkeit oder Beweisnähe 149 mit der Frage, in welchem Umfang bei der Beweisaufnahme auf das dem jeweiligen Beweisthema nächste Beweismittel zurückgegriffen werden muss, also die Verwendung von Beweissurrogaten unzulässig ist. Eine eindeutige Scheidung beider Aspekte und eine trennscharfe Zuordnung der gesetzlichen Regelungen dürfte allerdings nicht möglich sein. Während das geltende Recht den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung zwar nicht vollständig, aber verhältnismäßig weitgehend verwirklicht, ist der

142 143 144 145 146

S. dazu auch Rn. 34 und 84; ferner LR/Gollwitzer 25 § 244, 234. Näher LR/Rieß 25 Einl. G 68, 79. Vgl. auch die Erl. zu §§ 350, 351. Z.B. §§ 118, 118a, 124 Abs. 2 S. 3; 138d, 454 Abs. 1 S. 3. Vgl. dazu (mit teilw. unterschiedlicher

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Terminologie; in der Sache aber weitgehend übereinstimmend) Eb. Schmidt I 444; Roxin § 44, 2; zum Ganzen ausführlich Geppert (Unmittelbarkeit) 12, 2 ff. m.w.N. So LR/K. Schäfer 24 Einl. 13 65. So Geppert (Unmittelbarkeit) 143 m.w.N. So LR/K. Schäfer 24 Einl. 13 68.

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Grundsatz der Beweisnähe nur im Ansatz gesetzlich bestimmt und seine Reichweite bei einer eher zurückhaltenden Rechtsprechung im Schrifttum sehr umstritten. Ausdruck des formellen Unmittelbarkeitsprinzips ist namentlich § 226 StPO in Ver- 64 bindung mit § 261 StPO; seine wesentlichen Ausnahmen enthalten die §§ 223, 225 StPO, die die Voraussetzungen regeln, unter denen ein Teil der dem erkennenden Gericht obliegenden Beweisaufnahme einem anderen Richter übertragen werden kann. Zweifelhaft ist, ob die in § 250 (mit den Ausnahmen der §§ 251 ff.) StPO getroffene Regelung dieser Ausprägung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes zuzurechnen ist, wie dies verbreitet geschieht.150 Soweit § 251 Abs. 2 StPO die ausnahmsweise Verlesung auch solcher gerichtlicher Protokolle, die zur Vorbereitung der Hauptverhandlung hergestellt worden sind, gestattet (und sie damit im Übrigen untersagt), dürfte die Vorschrift wohl hiermit zusammenhängen, ohne sich aber darin zu erschöpfen. Das materielle Unmittelbarkeitsprinzip hat in der StPO eine teilweise Anerkennung in 65 den §§ 250 bis 256 StPO gefunden, die (zum jeweils gleichen Beweisthema 151) den Vorrang des Personalbeweises vor dem ihn ersetzenden Sachbeweis durch die Verwendung von schriftlichen Berichtsurkunden oder Video-Aufzeichnungen 152 und die Ausnahmen hiervon regeln. Die Vorschriften beruhen nach allgemeiner Auffassung auf der Vorstellung des Gesetzgebers, dass insoweit die Verwendung des unmittelbaren oder aber des jeweils weniger vermittelten Beweismittels den Vorrang haben soll. Umstritten ist, ob aus der der geltenden StPO zugrundeliegenden Ausprägung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes weitergehend zu folgen ist, dass stets, also auch innerhalb des Personalbeweises oder des Urkundenbeweises, das sachnähere Beweismittel herangezogen werden muss, ob also dieser Grundsatz beispielsweise die (alleinige oder vorrangige) Verwendung des Zeugen vom Hörensagen generell oder in Form des Gewährmannes verbietet. Dies ist mit der Rechtsprechung und der wohl herrschenden Meinung im Schrifttum zu verneinen. Mittelbare Beweise sind nur dann nachrangig, wenn unmittelbarere verfügbar sind. Aus der Amtsaufklärungspflicht kann sich die Pflicht ergeben, zusätzlich die mittelbaren Beweise zu berücksichtigen. Die Einzelheiten sind bei § 250 StPO und den nachfolgenden Vorschriften erörtert.153 Für die Annahme eines Anfangsverdachts (Rn. 43 ff.) und die Einleitung von Ermitt- 66 lungsmaßnahmen durch die Staatsanwaltschaft sowie für Entscheidungen, die außerhalb der Hauptverhandlung ergehen, hat das formelle Unmittelbarkeitsprinzip keine Bedeutung. Aber auch vom materiellen Unmittelbarkeitsprinzip kann lediglich in bestimmten Verfahrenslagen eine Reflexwirkung ausgehen, wenn die zu treffende Entscheidung (auch) von einer Verurteilungswahrscheinlichkeit in einer Hauptverhandlung abhängt. d) Die Konzentrationsmaxime 154 steht insofern in engem Zusammenhang mit den 67 Grundsätzen der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit, als diesen der gesetzgeberische

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Eb. Schmidt I 446; wohl auch LR/ K. Schäfer 24 Einl. 13 67. Vgl. dazu erhellend Eb. Schmidt I 448. So der neue § 255a i.d.F. des ZeugenschutzG. Dort auch Nachweis des Schrifttums; s. auch zur Frage der „V-Leute“ und zu den Anforderungen an die Beweiswürdigung bei einer Sperrerklärung die Erl. zu § 96; LR/ G. Schäfer 25 § 96, 55 ff., 60 ff.

154

Zu dieser näher ausführlich Geppert (Unmittelbarkeit) 142; s. auch Henkel 330; Kühne Rn. 268 ff.; KK/Pfeiffer Einl. 10; Gössel 168; aus der Rspr. vgl. etwa BGHSt 23 224, 226 (zur Frage des Beruhens des Urteils auf der Fristüberschreitung bei langer Verhandlungsdauer).

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Gedanke zugrunde liegt, dass sich die Beratung und Entscheidung nach dem „Inbegriff“ der Hauptverhandlung unter dem frischen Eindruck des Prozessverlaufs vollziehen soll. Da die StPO eine Dokumentation der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung nicht oder nur überaus unvollkommen (§§ 271–274 StPO) vorschreibt, können diese Grundsätze ihre ihnen zugedachte Wirkung nur entfalten, wenn das Prozessgeschehen noch in der Erinnerung der Richter haftet. Dem entspricht idealtypisch eine umfangmäßig überschaubare, möglichst in einem Zuge durchgeführte Verhandlung, die aus diesem Grunde von der Konzentrationsmaxime als einem der Strukturprinzipien der Hauptverhandlung gefordert wird. Demzufolge sind auch die Fristvorgaben für die Absetzung des Urteils, § 275 StPO, Ausfluss der Konzentrationsmaxime, weil gewährleistet sein soll, dass das gefundene Urteilsergebnis auch aufgrund der Erinnerung aus der Hauptverhandlung niedergeschrieben wird. Das Beschleunigungsgebot, welches nicht nur die Hauptverhandlung, sondern den vollständigen Rechtsmittelzug umfasst, ist ebenfalls Folge der Konzentrationsmaxime, die insofern über die Hauptverhandlung hinausreicht.155 Denn Ziel der Konzentrationsmaxime ist insgesamt die in Hinblick auf die Urteilsfindung zeitnahe Beweiserhebung, was den Instanzenzug notwendig mitumfasst.156 Die Kriterien für eine (un)angemessene Länge eines Strafverfahrens, sind nicht abstrakt, sondern nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Der EGMR hat in seiner Rechtsprechung (Art. 6 Abs. 1 EMRK, speedy trial) hierzu Vorgaben gemacht, die unmittelbare Bedeutung für das deutsche Recht haben.157 Ebenso unbestritten wie allgemein gültig ist jedoch die Erkenntnis, dass Verfahrensverzögerungen durch Organisationsverschulden oder Überlastung der nationalen Justiz keine Entschuldigung für lange Verfahren sind.158 Recht strittig ist die Frage, welche Folgen eine Verletzung des Beschleunigungsgebots 68 haben kann. Während der BGH zunächst darauf bestand, dass dies nur Folgen für die Strafzumessung haben könne,159 haben BGH und Bundesverfassungsgericht nunmehr eingeräumt, dass in besonders schweren Fällen der Verletzung angemessener Verfahrensdauer auch ein Verfahrenshindernis die Folge sein könne.160 69 Die gesetzliche Verankerung der Konzentrationsmaxime findet sich in § 228 Abs. 1, §§ 229, 268 Abs. 3 StPO, allerdings inzwischen in einer Weise, die als rechtliche Schrankenziehung dem Konzentrationsgrundsatz wohl nicht mehr in allen Fällen Rechnung trägt. Denn während ursprünglich eine Hauptverhandlung in keinem Fall länger als drei Tage unterbrochen werden durfte, also stets am vierten Tage fortzusetzen war, und für die Verkündung der Gründe eine Frist von höchstens einer Woche zur Verfügung stand, ist durch mehrere Gesetzesänderungen 161 in beiden Fällen generell und ohne weitere Voraussetzungen die Unterbrechungsfrist auf 10 Tage und dann auf drei Wochen erwei155 156

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Anders LR/Rieß 25 Einl. H 64. Der EGMR bezieht sogar das BVerfG in den Rechtsmittelzug und damit in das Beschleunigungsgebot mit ein, EGMR EuGRZ 1997 310; NJW 2001 211 (Gast u. Popp vs. Deutschland). Ausführlich dokumentiert bei Kühne StV 2001 529. Etwa EGMR Agga vs. Griechenland v. 25.01.2000; Majaric vs. Slowenien v. 08.02.2000; P.B. vs. Frankreich v. 01.08.2000. Ebenso jetzt BVerfG NStZ 2004 49.

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Seit BGHSt 24 239 über BGHSt 35 137 bis BGH NStZ 1989 283. BVerfG NStZ 1984 128; 2001 261 und 2004 49 (Aufhebung eines Haftbefehls wegen Verfahrensverzögerung). Noch ein wenig zurückhaltend BGH (Pfeiffer/Miebach) NStZ 1984 19 (Nr. 20); klarer hingegen BGH NJW 2001 1146. Zuletzt durch das Justizmodernisierungsgesetz v. 24.8.2004, BGBl. I S. 2198.

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tert worden, und es sind unterschiedliche Fälle einer dreißigtägigen Unterbrechung oder der Fristhemmung hinzugetreten, die es im Ergebnis gestatten, das Erfordernis beiseite zu schieben, dass die Hauptverhandlung ein zusammenhängendes Ganzes bilden soll. Auch wenn diesem in der Rechtswirklichkeit in der großen Mehrzahl der Fälle, vor allem bei kleinen und mittleren Verfahren, noch Rechnung getragen wird, hat es in großen Verfahren von mehrmonatiger, oder gar mehrjähriger Dauer zunehmend weniger forensische Bedeutung. Es erscheint deshalb zweifelhaft, ob die Konzentrationsmaxime als tragende Grundlage dem realen gegenwärtigen Strafverfahrensrecht noch zugrunde liegt, was jedoch nicht zur resignativen Aufgabe 162 des Prinzips, sondern vielmehr zu seiner energischen Einforderung 163 Anlass geben sollte. Schließlich hat die Konzentrationsmaxime erhebliche Auswirkungen auf die Grundsätze der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit, die mit ihr stehen und fallen. e) Auch der Grundsatz der Öffentlichkeit gilt nur für die Hauptverhandlung und hat 70 im Laufe der Zeit erhebliche und weitgehende Einschränkungen erfahren.164 Trotz seiner grundsätzlichen Anerkennung als Menschenrecht (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 14 IPBPR) und ungeachtet seiner fortbestehenden grundsätzlichen Bedeutung wird man ihm heute nur eine eingeschränkte Reichweite zubilligen können. Dies insbesondere deshalb, weil einerseits das Interesse an Gerichtsverhandlungen sich heute weitgehend auf sog. Sensationsprozesse beschränkt und andererseits gerade dort die negativen Seiten einer (Medien)Öffentlichkeit erkennbar werden. Andererseits gilt grundsätzlich auch heute noch der Befund von Feuerbach, der die Problematik des Öffentlichkeitsprinzips sehr wohl kannte und dennoch überaus zutreffend meinte: „Wo der Amtsgenosse nur seinesgleichen zu scheuen hat, ist jeder geneigt, dem anderen die Nachsicht zu gewähren, die er vielleicht irgend einmal auch von ihm für sich selbst in Anspruch zu nehmen hat“.165 Die Ausgestaltung des Öffentlichkeitsprinzips als Anlass für einen absoluten Revisionsgrund, § 338 Nr. 6 StPO, betont trotz aller Vorbehalte die Wichtigkeit diese Prinzips auch im heutigen Recht. Die Einzelheiten, auch zur Problematik der sog. mittelbaren Öffentlichkeit, sind Vor § 169 und bei § 169 GVG erörtert.

III. Verfassungsrechtliche Prozessmaximen 1. Überblick und Besonderheiten. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben durchdringen 71 in vielfältiger Weise das Verfahrensrecht insgesamt und insbesondere das Strafverfahrensrecht (Rn. H 3). Dabei haben sich im Laufe der Entwicklung im Wechselspiel von Verfassungsrecht und Prozessrecht namentlich durch die Rechtsprechung des Bundesver-

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So aber Schlüchter GA 1994 419 f. mit dem Vorschlag, de lege ferenda auf die begrenzenden gesetzlichen Regelungen weitgehend zu verzichten. Glücklicherweise ist der BGH der Praxis der Tatsacheninstanzen entgegengetreten, bei der mit sog. Schiebeterminen Verhandlungsunterbrechungen künstlich produziert wurden, vgl. BGH NJW 1996 3019; StV 1998 359; 1999 635. Zur Öffentlichkeitsmaxime in ihrer ursprünglichen rechtspolitischen Stoß-

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richtung Eb. Schmidt I 401 ff.; zur Entwicklung und Abschwächung Eser ZStW 104 (1992) 375: „Pervertierung vom Kontrollorgan zum Bedrohungspotential“. Ein weiter verstandenes Öffentlichkeitsprinzip mit Auswirkungen auf die Öffentlichkeit von Verfahrenseinstellungen, namentlich nach § 153a StPO, vertreten (wohl ohne ausreichende gesetzliche Grundlage) Kargl/ Sinner Jura 1998 231. Feuerbach 113.

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fassungsgerichts auch über die positivierten Justizgrundrechte hinaus bestimmte Institutionen und Argumentationszusammenhänge entwickelt, die ähnlich wie die traditionellen Prozessmaximen auf einer Zwischenebene zwischen den allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen und Detailregelungen Leitgedanken und Grundsätze von mittlerer Abstraktionshöhe darstellen. Sie lassen sich als verfassungsrechtliche Prozessmaximen bezeichnen; ein Teil von ihnen wird nachfolgend in den Grundzügen erläutert.166 Das Erscheinungsbild und die Art der verfassungsrechtlichen Verankerung dieser 72 Maximen sind nicht einheitlich. Manche sind als „Justizgrundrechte“ mit einem verhältnismäßig klar umrissenen Inhalt im Grundgesetz ausdrücklich genannt, so etwa der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), der Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) und der Grundsatz ne bis in idem (Art. 103 Abs. 3 GG). Andere sind von der Verfassungsrechtsprechung und -dogmatik aus verfassungsrechtlichen Gesamtzusammenhängen abgeleitet worden, vielfach unter Anknüpfung an die Verbürgungen der EMRK. Unter ihnen finden sich solche, die, wenn auch in eher allgemeiner Form, inhaltlich bestimmt sind, so etwa die Unschuldsvermutung oder der nemo-tenetur-Grundsatz, aber auch solche von überwiegend formalem Charakter, wie beispielsweise der Grundsatz des fairen Verfahrens oder die Fürsorgepflicht. Namentlich bei diesen besteht in Schrifttum und Rechtsprechung noch keine Übereinstimmung über ihre Berechtigung, ihre Reichweite und ihre Inhalte. Gegenüber den klassischen Prozessmaximen sind sie durch mehrere Besonderheiten 73 gekennzeichnet. Anders als diese dienen sie weniger der rechtspolitischen Beschreibung eines erst noch zu schaffenden gesetzlichen Zustandes, als der zusammenfassenden Kennzeichnung bereits vorhandener und allenfalls im Detail anzupassender gesetzlicher Vorschriften; sie bauen vielfach auf dem vorhandenen Rechtszustand auf und heben bestimmte Regelungsinhalte auf die verfassungsrechtliche Ebene.167 Dies hat zur Folge, und darin dürfte eine wichtige Funktion dieser verfassungsrechtlichen Prozessmaximen liegen, dass die von ihnen erfassten Regelungsinhalte im Kern ihrer einfachgesetzlichen Ausprägung der Kontrollkompetenz der Verfassungsgerichtsbarkeit unterliegen. Dadurch verengt sich der Bereich der lediglich einfachgesetzlichen Beurteilung. Vergleichbares gilt für ihre Funktion als Handlungsleitlinien bei der Rechtsanwendung und der Auslegung des geltenden Rechts.168 Methodisch ist es deshalb problematisch, wenn, wie es bisweilen geschieht,169 schon 74 bei der Rechtsanwendung durch Staatsanwaltschaften und Gerichte vorschnell und unmittelbar auf die in den verfassungsrechtlichen Prozessmaximen enthaltenen verfassungsrechtlichen Postulate zurückgegriffen wird, anstatt das verfassungsrechtlich erforderliche Ergebnis mit der Anwendung derjenigen gesetzlichen Vorschriften zu begründen, in denen die jeweilige verfassungsrechtliche Maxime ihren Ausdruck findet.170 Da die verfassungsrechtlichen Prozessmaximen auf der einfachgesetzlichen Ebene regelmäßig dort, wo das Strafprozessrecht (verhältnismäßig) genaue Normierungen enthält, in diesen verkörpert sind, entfalten sie ihre unmittelbare Wirkung in stärkerem Maße dort, wo den Strafverfolgungsorganen durch das Gesetz nur allgemeine Leitlinien vorgegeben sind.171 166

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S. auch Rn. J 12 ff. (Richterliche Unabhängigkeit und gesetzlicher Richter); Rn. J 74 ff. (Unschuldsvermutung); Rn. J 87 ff. (nemotenetur). Rieß FS Rebmann 386 f. m.w.N. zur Terminologie und Einteilung. Näher Rieß StraFo 1995 96, 99 f.

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So z. B. bei Anwendung des § 244 Abs. 3 BGHSt 32 44; dazu kritisch u.a. Herdegen NStZ 1984 343; Meyer JR 1984 171; Meyer-Goßner Einl. 19; s. auch unten Rn. 113. Rieß StraFo 1995 99 f. Rieß FS Rebmann 390; StraFo 1995 100.

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2. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs a) Grundlagen und Bedeutung. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs besagt in 75 seinem Kern, dass grundsätzlich in einer gerichtlichen Entscheidung kein Tatsachenstoff verwertet werden darf, zu dem der von ihm Betroffene nicht vollständig und in Kenntnis seiner potentiellen rechtlichen Bedeutung hat Stellung nehmen 172 können, welche auch inhaltlich vom Gericht zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung berücksichtigt worden ist.173 Soweit dies aus zwingenden Sachgründen nicht möglich ist, muss er ausreichend Gelegenheit haben, nachträglich zu Wort zu kommen und dadurch eine Korrektur der Entscheidung zu erreichen.174 In seinem Kernbestand ist das rechtliche Gehör vor Gericht durch Art. 103 Abs. 1 GG als eines der Justizgrundrechte in der Verfassung positiviert.175 Prozessrechtsdogmatisch wird es teilweise mit dem Justizgewährungsanspruch verbunden;176 verfassungsrechtlich findet es seinen Geltungsgrund über die Positivierung in Art. 103 Abs. 1 GG hinaus im Rechtsstaatsprinzip und in der Pflicht zur Achtung der Menschenwürde;177 damit gehört es zum verfassungsfesten Minimum des Art. 79 GG.178 Als Menschenrecht ist es in Art. 6 Abs. 1 EMRK (fair trial) und Art. 14 IPBPR anerkannt.179 Unabhängig von dieser verfassungsrechtlichen Fundierung sichert das rechtliche Gehör auch die Wahrheitsfindung 180 und erscheint insoweit mit dem Amtsaufklärungsgrundsatz verbunden. Das rechtliche Gehör ist traditioneller Bestandteil des deutschen Strafprozessrechts 76 und seit der Schaffung der RStPO durch viele Einzelvorschriften anerkannt. Es hat damit vorkonstitutionellen Charakter. Seine verfassungsrechtliche Fundierung hat aber vor allem dem Bundesverfassungsgericht Veranlassung gegeben, durch eine umfangreiche Rechtsprechung 181 den Inhalt zu präzisieren und Lücken des einfachen Rechtes aufzudecken.182 Dies wiederum hat den Gesetzgeber veranlasst, vor allem durch das Strafprozessänderungsgesetz 1964 die der Verwirklichung des Gehöranspruchs dienenden Vorschriften der StPO den verfassungsrechtlichen Erfordernissen anzupassen, so dass die einfachgesetzliche Regelung den verfassungsrechtlichen Vorgaben voll entsprechen dürfte.183 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die nähere Aus172

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Eb. Schmidt I 342; umfassende Begriffsbestimmung auch bei Rüping (Gehör) 199; zum Ganzen auch Knemeyer § 155; Nehm 184. St.Rspr. des BVerfG, vgl. BVerfGE 11 218, 220; 18 380, 383; 42 364, 367; BVerfG NJW 1990 3191; 1992 679; zuletzt BVerfG NJW-RR 2004 1150; NVwZ-RR 2005 227. Vgl. auch Rn. 89. Vgl. BVerfGE 6 12; 9 89; 42 243, 250; §§ 33a, 311a StPO. Zu den historischen Wurzeln des Gehörsanspruchs näher und ausführlich Rüping (Gehör) 12 ff. Eb. Schmidt I 334; krit. Rüping (Gehör) 116 m.w.N.; s. auch Rn. H 17. BVerfGE 7 53, 58; 7 275, 279; ausführlich Rüping (Gehör) 122 ff.; ferner etwa MeyerGoßner Einl. 24; Bonn.Komm./Rüping Art. 103 Abs. 1, 29 ff.; Degenhart HdbStR Bd. III (1996) § 76, 13. Wegen der weiteren verfassungsrechtlichen

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Einzelfragen ist auf die Kommentare und Handbücher zum GG zu verweisen; s. insbes. Bonn.Komm./Rüping, Art. 103 Abs. 1; Degenhart HdbStR Bd. III (1996) § 76, 15 ff.; Knemeyer HdbStR Bd. VI (2001) § 155. Näher die Erl. zu Art. 6 EMRK; LR/Gollwitzer 25 Art. 6 EMRK, 7; s. auch Rüping (Gehör) 106 f. Vgl. BVerfGE 65 305, 307; KK/Pfeiffer Einl. 26; Rüping (Gehör) 117 ff. S. dazu u.a. Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 475 ff.; Nehm 184; Arnold StraFo 2005 2; Niemöller StraFo 2000 361. Dazu näher LR/K. Schäfer 24 Einl. 13 88; ferner Eb. Schmidt I 336 ff. m.w.N. Die von Eb. Schmidt I 338 noch 1964 besonders hervorgehobene lückenausfüllende Funktion des Art. 103 Abs. 1 GG dürfte heute allenfalls noch in Randbereichen Bedeutung haben.

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gestaltung des rechtlichen Gehörs dem einfachen Gesetzgeber überlassen.184 Der verfassungsrechtlichen Kontrolle unterliegt aber, ob dieser hierbei oder ob das Gericht bei der Anwendung und Auslegung der Vorschriften die Bedeutung und Tragweite der verfassungsrechtlichen Verbürgung verkannt hat.185 Der Gesetzgeber ist (selbstverständlich) nicht gehindert, bei der Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs über das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß hinauszugehen, wie es teilweise auch in der StPO geschehen ist.

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b) Gesetzliche Anerkennung und Ausprägungen. Die StPO enthält keine zusammenfassende ausdrückliche Vorschrift, die, wie etwa Art. 103 Abs. 1 GG, den Anspruch auf rechtliches Gehör einheitlich vollständig regelt. Der Grundsatz kommt aber durch zahlreiche Einzelvorschriften zum Ausdruck, die einzelne Aspekte der Gehörsgewährung regeln, oder denen dieser Gedanke (mindestens auch) zugrundeliegt. Sie sind darauf angelegt, dass vor allem der Beschuldigte frühzeitig und in allen Verfahrensabschnitten Kenntnis von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen und Gelegenheit zur Verteidigung erhält.186 Darüber hinaus und unabhängig davon hängen bestimmte Elemente des Verfahrensablaufs auch mit der Gehörsgewährung zusammen. Namentlich die Hauptverhandlung mit ihrer weitgehenden Gewährleistung des Anwesenheitsrechts der Prozessbeteiligten und der Pflicht zur mündlichen Erörterung aller Verfahrensvorgänge (Rn. 58) hat auch die Funktion, das rechtliche Gehör prozessökonomisch und umfassend zu ermöglichen. Wegen der Bedeutung des rechtlichen Gehörs bei Einschränkungen der Anwesenheitspflicht oder des Anwesenheitsrechts in der Hauptverhandlung ist auf die jeweiligen Erläuterungen zu den Einzelvorschriften zu verweisen.187 Übergreifende und generelle Vorschriften zur Gewährung des rechtlichen Gehörs vor 78 gerichtlichen Entscheidungen enthalten die §§ 33, 33a StPO. Einzelvorschriften, die diese Regelungen konkretisieren, präzisieren und ergänzen, finden sich u.a. in den §§ 136, 163a, 201, 257, 308, 347, 349 Abs. 3 StPO für das Verfahren im Allgemeinen, sowie für die Anordnung von Zwangsmaßnahmen, vor allem die Untersuchungshaft z.B. in den §§ 106, 114a, 115 StPO.188 Hinzuweisen ist ferner auf diejenigen (meist neueren) Vorschriften, die bei Maßnahmen, die ohne Wissen der davon betroffenen Personen ergehen und deren Vollzug ihrer Natur nach diesen nicht bekannt wird, die nachträgliche Unterrichtung vorschreiben, wie z.B. § 98b Abs. 4 Satz 1, §§ 101 Abs. 1, § 110d Abs. 1 und § 163d Abs. 5 StPO; sie haben eine gewisse Verwandtschaft mit Bestimmungen, die die nachträgliche Gehörsgewährung vorschreiben, falls es nicht rechtzeitig gewährt worden ist, wie z.B. §§ 33a, 311a, 356a StPO. Dem rechtlichen Gehör dienen ferner die unterschiedlichen Informationsbefugnisse 79 der Prozessbeteiligten sowie die den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten obliegenden Informations- und Hinweispflichten,189 so etwa das Akteneinsichtsrecht (§§ 147, 406e StPO),190 die Verpflichtung zur Konkretisierung der Tatvorwürfe (z.B. §§ 114, 200 StPO) und die Hinweispflicht nach § 265 StPO.

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BVerfGE 67 208, 211; 74 228, 233. BVerfGE 60 305, 310; 74 228, 233. LR/K. Schäfer 24 Einl. 13 83. S. etwa LR/Gollwitzer 25 Vor § 226, 14; § 230, 1; § 231, 11; § 231a, 1; 12; 14. S. auch die Zusammenstellung weiterer einschlägiger Vorschriften in LR/Wendisch 25 § 33, 38. Über ihre ebenfalls mögliche Zuordnung

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zur Prozessmaxime der Fürsorgepflicht s. Rn. 121; teilweise a.A. (grundsätzlich nicht Gegenstand des Schutzbereichs des Art. 103 Abs. 1 GG) KK/Pfeiffer Einl. 26. Über die Pflicht zur Information über die Tatsachengrundlagen bei der Verhandlung über die Untersuchungshaft s. LR/Hilger 25 Vor § 112, 23; § 114, 15 ff. m.w.N., auch zur Rspr. des BVerfG.

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Die so genannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze

Einl. Abschn. I

c) Geltungsbereich. Der von Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Anspruch auf rechtliches 80 Gehör gilt für alle gerichtlichen Entscheidungen, gleichviel, ob es sich um solche des erkennenden Gerichts handelt 191 oder um richterliche Entscheidungen im Ermittlungsverfahren oder im Nachverfahren, etwa bei der Strafvollstreckung. Dagegen gilt er seinem Wortlaut nach nicht für das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren. Jedoch muss auch hier von Amts wegen ein Kernbestand rechtlichen Gehörs gewährt werden,192 denn dieses ist nach vorherrschender und zutreffender Meinung als ein Essential jedes rechtlich geregelten Verfahrens zu verstehen.193 Dies gilt insbesondere für das strafprozessuale Ermittlungsverfahren mit seiner engen Beziehung zum gerichtlichen Verfahren. Allerdings sind wegen der unvermeidbaren Heimlichkeit mancher Ermittlungen und wegen des vorläufigen Charakters belastender Maßnahmen dem Umfang und der Art des Gehörsanspruchs teilweise engere Grenzen gesetzt. Das geltende Recht gewährt den Gehörsanspruch in verfassungsrechtlich grundsätzlich ausreichender Weise namentlich durch § 163a Abs. 1 bis 4 StPO,194 mag auch rechtspolitisch eine großzügigere Gewährleistung wünschenswert sein.195 d) Einschränkungen. Eine vollständige Versagung des rechtlichen Gehörs vor einer 81 das Verfahren oder auch nur die Instanz in einer den Gehörsberechtigten beschwerenden Form abschließenden Entscheidung ist ausnahmslos unzulässig. Es ist darüber hinaus grundsätzlich vor jeder zu erlassenden Entscheidung zu gewähren, doch gilt dies nach § 33 Abs. 4 StPO in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise 196 dann nicht, wenn hierdurch der Zweck der beabsichtigten Maßnahme gefährdet würde. Hier ist das rechtliche Gehör nachzuholen, wobei für diesen Fall 197 § 33a StPO und für das Beschwerdeverfahren § 311a StPO einen besonderen Rechtsbehelf bei sonst unanfechtbaren Entscheidungen eröffnen; s. wegen der Einzelheiten die dortigen Erläuterungen. Auch vor Erlass eines Strafbefehls bedarf es gemäß § 407 Abs. 3 StPO keiner über § 163a Abs. 1 StPO hinausgehenden Gewährung des rechtlichen Gehörs,198 weil dies im Einspruchsverfahren vor Gericht nachgeholt werden kann. Insbesondere hieraus hat aber das Bundesverfassungsgericht die Forderung hergeleitet, dass keine überspannten Anforderungen an die Wahrung der Einspruchsvoraussetzungen gestellt werden dürfen.199 e) Gehörsberechtigte sind alle Prozessbeteiligten, die von der Entscheidung betroffen 82 sein können. Dazu gehören neben dem Beschuldigten und solchen Nebenbeteiligten, die die Stellung eines Beschuldigten haben, auch der Nebenkläger,200 der sonst mit Verfahrensbefugnissen ausgestattete Verletzte, der Privatkläger, sowie Zeugen und Sachver-

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Ausführlich und m.w.N. zu den Besonderheiten des rechtlichen Gehörs im Revisionsverfahren Schulte FS Rebmann 465; zu den Besonderheiten in der Beschwerdeinstanz s. m.w.N. die Erl. zu § 308. Vgl. auch Wassermann DRiZ 1984 425. Dazu ausführlich Wagner ZStW 109 (1997) 545 ff.; Kühne Rn. 267.1; näher bei den Erl. zu den §§ 158 ff., vor allem bei § 163a. Vgl. jeweils m.w.N. AK-GG/Wassermann Art. 103, 23; Bonn.Komm./Rüping Art. 103 Abs. 1, 99. S. auch §§ 147 Abs. 6, 169 a, 170 Abs. 2 S. 2.

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S. dazu u.a. Rieß FS Geerds 513 f. BVerfGE 6 12; 9 89; 42 243, 250; KK/ Pfeiffer Einl. 27. Auch bei versehentlicher Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs. BVerfGE 3 248, 253; 25 158, 165; näher, auch zur verfassungsrechtlichen Lage, die Erl. zu § 407, LR/Gössel 25 § 407, 60 f. Näher die Erl. zu § 410; LR/Gössel 25 § 410, 24 ff.; vgl. auch LR/K. Schäfer 24 Einl. 13 87. Vgl. etwa § 396 Abs. 3 StPO.

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Einl. Abschn. I

Einleitung

ständige, ferner beispielsweise an der Verhandlung nicht beteiligte Personen, gegen die sitzungspolizeiliche Maßnahmen ergriffen werden sollen.201 Im Ermittlungsverfahren hat der Verletzte vor der Abschlussentscheidung der Staatsanwaltschaft grundsätzlich keinen Anspruch auf rechtliches Gehör; jedoch ermöglicht die Bescheidungspflicht nach § 171 StPO ihm eine nachträgliche Äußerung und wegen des Klageerzwingungsverfahrens auch eine Korrekturmöglichkeit. Die Staatsanwaltschaft kann sich zwar nicht auf Art. 103 Abs. 1 GG berufen;202 ihr 83 ist aber nach den einfachgesetzlichen Vorschriften (z.B. § 33 Abs. 2, § 309 Abs. 1 StPO) im gerichtlichen Verfahren stets die Möglichkeit zur Äußerung einzuräumen, und zwar unabhängig davon, ob die zu verwendenden Tatsachen zu ihrem „Nachteil“ verwertet werden sollen. Dies folgt aus ihrer prozessualen Stellung.203 Die dogmatische Streitfrage, ob die Staatsanwaltschaft sich mit Hilfe der innerprozessualen Rechtsmittel auch auf eine sie betreffende Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG berufen kann,204 dürfte angesichts der umfassenden einfachgesetzlichen positiven Rechtsvorschriften ohne nennenswerte praktische Bedeutung sein. Die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde, bei der es hierauf ankäme, ist der Staatsanwaltschaft versagt.

84

f) Inhalt und Gegenstand. Das verfassungsrechtlich gewährleistete rechtliche Gehör betrifft in erster Linie Tatsachen und Beweisergebnisse, die zum Nachteil des Gehörsberechtigten verwendet werden sollen, während die strafprozessualen Einzelvorschriften teilweise darüber hinausgehen.205 Dazu gehören auch solche Tatsachen, die keiner Beweisaufnahme bedürfen, weil sie offenkundig sind.206 Alle tatsächlichen Grundlagen der zu treffenden Entscheidung müssen dem Betroffenen, der durch sie beschwert sein kann, aus den ihm zugänglichen Prozessunterlagen, erforderlichenfalls durch ihre besondere Mitteilung, bekannt sein.207 Dazu gehört auch, dass ihm die mögliche rechtliche Bedeutung erkennbar sein muss.208 Einen Anspruch auf die Erweiterung des dem Gericht vorliegenden Tatsachenstoffes ergibt sich aus dem rechtlichen Gehör jedoch nicht.209 Die teilweise verwendete verkürzte Formel, dass sich das rechtliche Gehör nicht auf 85 Rechtsfragen beziehe,210 ist ungenau und in dieser Form unrichtig.211 Zwar wird grundsätzlich die Verpflichtung des Gerichts, mit den Prozessbeteiligten seine Rechtsauffassung in Form eines Rechtsgesprächs zu erörtern, abgelehnt,212 und auch die von ihm vorläufig eingenommene Rechtsauffassung und Beweiswürdigung soll das Gericht den

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Wegen der Einschränkungen und Ausnahmen s. die Erl. zu den jeweiligen Vorschriften. OLG Braunschweig NJW 1962 753; MeyerGoßner Einl. 27; a.A. Eb. Schmidt Nachtr. I § 33, 16 m.w.N.; Röhl NJW 1964 275; zum Ganzen ausführlich Rüping (Gehör) 142 f. m.w.N. Meyer-Goßner Einl. 27. So z.B. Rüping (Gehör) 144. S. auch die Nachweise zu Einzelfragen bei LR/Wendisch 25 § 33, 32 ff.; 38 f. Näher m.w.N. Rüping (Gehör) 153 f.; BVerfGE 10 177, 182; LR/Gollwitzer 25 § 244, 234. Vgl. z. B. BVerfGE 7 275 = JZ 1958 433

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mit Anm. Peters (revisionsrechtliche Gegenerklärung mit neuen Tatsachen). Kühne Rn. 730. BVerfGE 63 45, 59 bzgl. Spurenakten. S. dazu die Nachweise bei Bonn.Komm./Rüping Art. 103 Abs. 1, 65. Ausführlich zur Frage des Gehörs zur Rechtsfrage Rüping (Gehör) 154 ff. m.w.N. Heute allg. M., so etwa Eb. Schmidt I 345; v. Mangoldt/Klein/Starck/Nolte Art. 103 Abs. 1, 48; vgl. auch BVerfGE 86 133, 145; NJW 1965 147; BGHSt 22 336, 339; a.A. Arndt NJW 1959 6; JZ 1963 65, 67; Dahs NJW 1978 140; Kühne Rn. 720 f.; zum Ganzen m.w.N. Rüping (Gehör) 156; vgl. auch Frohn (Gehör) 145 ff.

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Die so genannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze

Einl. Abschn. I

Prozessbeteiligten grundsätzlich nicht mitteilen müssen.213 Dies gilt aber generell schon deshalb nicht, weil die StPO bereits bei der Vernehmung des Beschuldigten eine rechtliche Einordnung vorschreibt (§§ 136, 163a StPO), in der durch den Eröffnungsbeschluss zugelassenen Anklageschrift eine genaue Subsumtion der Sachverhalte unter die gesetzlichen Vorschriften fordert (§ 200 StPO) und bei einer Veränderung der Beurteilung einen entsprechenden Hinweis verlangt (§ 265 StPO). Es dürfte daher eine mit dem Gehörsanspruch verbundene 214 Rechtspflicht bestehen, jedenfalls dann eine ausdrückliche, mit einem Hinweis verbundene Gelegenheit zu Rechtsausführungen zu geben, wenn die Prozessbeteiligen nach der Lage des Einzelfalls von der Rechtsauffassung des Gerichts unvermeidbar überrascht werden müssten.215 Im Übrigen betreffen diese Differenzierungsversuche zwischen Tatsachen und Beweis- 86 ergebnissen einerseits und Rechtsfragen andererseits immer nur die Frage, wieweit insoweit eine Pflicht besteht, die Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs durch besondere Maßnahmen, wie das Offenlegen von Unterlagen oder besondere Hinweise, zu ermöglichen. Die davon zu trennende Befugnis, das rechtliche Gehör auszuüben, umfasst stets das Recht mit, zu den entscheidungserheblichen Fragen auch (oder nur) Rechtsausführungen zu machen.216 Dies folgt für den Beschuldigten insbesondere daraus, dass keine der ihm eine Äußerung ermöglichenden Vorschriften insoweit eine Beschränkung enthält, im Übrigen auch daraus, dass das Gesetz ohne weitere Begrenzung von einer „Anhörung“ oder „Gegenerklärung“ spricht. Es wird daher auch vom verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehör umfasst, wenn sich etwa ein Zeuge oder eine an der Verhandlung nicht beteiligte Person gegen eine sie betreffende Ordnungsmaßnahme nicht nur durch eine Stellungnahme zu den tatsächlichen Grundlagen wendet, sondern auch (oder allein) die Rechtsauffassung bekämpft, aus der ihre Zulässigkeit hergeleitet wird. Das Recht, Anträge zu stellen,217 lässt sich für den Strafprozess aus dem Anspruch 87 auf rechtliches Gehör, wenn überhaupt, nur im untechnischen Sinne und eingeschränkt herleiten. Zwar umfasst er auch (was selbstverständlich ist) die Befugnis, inhaltlich auf die gerichtliche Entscheidung einzuwirken, in diesem Sinne kann der Gehörsberechtigte auch „Anträge“ stellen. Daraus folgt aber für den dem Amtsaufklärungsgrundsatz unterliegenden Strafprozess nicht ohne weiteres eine Befugnis, förmliche, bescheidungspflichtige und im Falle ihrer Ablehnung begründungspflichtige (vgl. § 34 StPO) Anträge stellen zu können, die das positive Recht nicht vorsieht. Auch das rechtliche Gehör ist aber verletzt, wenn der Gehörsberechtigte daran gehindert wird, form- und fristgerechte, vom Gesetz ermöglichte Anträge zu stellen.218 Das rechtliche Gehör ist gewährt, wenn der betroffene Prozessbeteiligte eine aus- 88 reichende Gelegenheit zur Äußerung erhalten hat, unabhängig davon, ob er sie wahrnimmt. Es kann entfallen, wenn er durch ein ihm zuzurechnendes Verhalten die vom Gesetz vorgesehene Gelegenheit nicht nutzt oder nutzen kann, etwa wenn der Angeklagte

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Meyer-Goßner Einl. 29 (kein genereller Schutz vor Überraschungsentscheidungen); vgl. auch BVerfGE 83 24, 35; 86 133, 144; BGHSt 43 212, 214 = JZ 1998 53 mit Anm. Herdegen (kein Zwischenverfahren über Inhalt und Ergebnis der Beweisaufnahme). Zur Ableitung aus dem „fair-trial-Grundsatz“ s. unten Rn. 107. Ähnlich Eb. Schmidt I 345; vgl. auch BVerfGE 84 188; BVerfG NJW 1998 2515,

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2523; v. Mangoldt/Klein/Starck/Nolte Art. 103 Abs. 1, 48 m.w.N. Allg. M.; so etwa BVerfGE 9 266; 57 250, 274; Eb. Schmidt I 345 m.w.N. des älteren Schrifttums; Rüping (Gehör) 155 m.w.N. zur früher teilw. vertretene Gegenmeinung. Dazu BVerfGE 6 19, 20; 36 85, 87; MeyerGoßner Einl. 23; Rüping (Gehör) 152 m.w.N. Rüping (Gehör) 152.

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Einl. Abschn. I

Einleitung

in einer Hauptverhandlung unentschuldigt ausbleibt, seine Verhandlungsunfähigkeit schuldhaft herbeiführt, seine Entfernung aus ihr durch ordnungswidriges Benehmen bewirkt oder zu einer Berufungsverhandlung nur durch öffentliche Zustellung geladen werden kann, weil er seine Obliegenheit zur Mitteilung seiner Anschrift nicht erfüllt.219 Anders ist es, wenn der Gehörsberechtigte ohne sein Verschulden an der Wahrnehmung gehindert ist; dies kann auch der Fall sein, wenn ihm diese aus rechtlich anerkannten Gründen nicht zugemutet werden kann.220 Das rechtliche Gehör begründet bei privaten Prozessbeteiligten keine Verpflichtung zur Äußerung; es steht in ihrem Belieben, ob sie sich äußern wollen.221 Anders kann es aufgrund ihrer besonderen prozessualen Stellung bei der Staatsanwaltschaft liegen.222 Das rechtliche Gehör verpflichtet auf der Seite des Adressaten dazu, das Vorgetragene 89 zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und, soweit erforderlich, zu würdigen.223 Aus der Erwägungspflicht folgt nicht, dass das Vorbringen stets in den Entscheidungsgründen zu behandeln ist;224 jedoch kann das völlige Übergehen beachtlichen Vorbringens ein Indiz dafür darstellen, dass es vom Gericht nicht in Erwägung gezogen und gewürdigt worden ist.225 Die Pflicht zur Erwägung und Berücksichtigung entfällt jedoch dann, wenn der entsprechende Sachvortrag aufgrund der prozessualen Vorschriften unberücksichtigt bleiben kann oder muss,226 wie etwa bei verspäteten Anträgen. Dies würde nur dann nicht gelten, wenn solche Vorschriften oder ihre Anwendung ihrerseits mit dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Kernbereich des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht vereinbar wären.

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g) Form und Zeitpunkt. Art. 103 Abs. 1 GG überlässt es dem (einfachen) Gesetzgeber, zu bestimmen, ob zur Wahrung des rechtlichen Gehörs eine mündliche Verhandlung erforderlich ist; ein verfassungsrechtliches Recht hierauf gewährt er nicht.227 Nach der StPO stellt indessen die mündliche Hauptverhandlung ein besonders effektives Mittel zur Gehörsgewährung dar (Rn. 77). Wird ohne mündliche Verhandlung entschieden, wie bei der Eröffnung des Hauptverfahrens, im Beschwerdeverfahren, im Verfahren über die Zulässigkeit und Begründetheit der Wiederaufnahme und nicht selten (vgl. § 349 StPO) im Revisionsverfahren, so muss in anderer Weise die Gewährung des rechtlichen Gehörs vor der Entscheidung sichergestellt werden.228 Wird hierbei dem Gehörsberechtigten eine Frist zur Äußerung gesetzt, so darf nicht vor deren Ablauf entschieden werden.229 219

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Vgl. §§ 40 Abs. 3, 231 Abs. 2, 231a, 231b, 232, 329, 411 Abs. 1 StPO sowie wegen der Einzelheiten die Erl. dazu. S. z.B. BGHSt 13 123 (keine Gewährung des rechtlichen Gehörs gegenüber einem strenggläubigen Juden bei Hauptverhandlung an einem hohen jüdischen Feiertag). Eb. Schmidt I 343. Zur Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zum Schlussantrag in der Hauptverhandlung s. näher die Erl. zu § 258; LR/Gollwitzer 25 § 258, 16. Umfassend zur Berücksichtigungspflicht Rüping (Gehör) 178 ff. m.w.N. und Kühne Rn. 718. BVerfGE 47 182, 187; dazu ausführlich m.w.N. Rüping (Gehör) 180 f. BVerfGE 47 182, 189; 51 126, 129; BVerfG

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NJW 1992 2877; BVerfG NJW 1996 2785 (Kammerentscheidung) für den Fall des Übergehens der Berufungsbegründung bei Nichtannahme der Berufung; KK/Pfeiffer Einl. 26 a.E. Vgl. BVerfGE 36 92, 97; KK/Pfeiffer Einl. 26. BVerfGE 5 9, 11; 15 249, 256; 21 73, 77; 22 232, 234; 25 352, 357; 36 85, 87. BVerfGE 17 190; 34 7; 36 87, 88; zur Frage, ob vor der Nichtannahme der Berufung nach § 322a StPO rechtliches Gehör zu gewähren ist (so OLG München StV 1994 237; verneinend OLG Koblenz NStZ 1995 251), s. die Erl. zu § 322 a. BVerfGE 12 110, 113; 18 380, 384; 23 286, 288.

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Die so genannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze

Einl. Abschn. I

Äußerungsfristen müssen so ausreichend bemessen werden, dass dem Gehörsberech- 91 tigten ausreichende Zeit zur Überlegung und erforderlichenfalls zur Einholung von Erkundigungen verbleibt; allgemeine Maßstäbe lassen sich hierfür nicht aufstellen. Eine besondere Eilbedürftigkeit der zu treffenden Entscheidung, etwa bei Haftentscheidungen, kann es rechtfertigen, besonders kurze Fristen zu setzen; sie müssen aber auch in diesen Fällen so ausreichend bemessen werden, dass sie eine wirksame Wahrnehmung des Gehörs ermöglichen. So dürfte es regelmäßig nicht ausreichen, einem Beschuldigten, dem die Akteneinsicht vorher nicht ermöglicht wurde, im Haftprüfungs- oder Haftbeschwerdetermin die tatsächlichen Grundlagen für die Haftentscheidung, auf deren Kenntnis Anspruch besteht,230 lediglich mündlich bekanntzugeben und nur eine kurze Erklärungsfrist über sie einzuräumen. Ein Recht auf eine so frühzeitige Anhörung, dass der Anhörungsberechtigte das Geschehen noch in frischer Erinnerung hat, lässt sich aus dem Gehörsanspruch nicht ableiten.231 h) Verletzung. Folgen. Wird das erforderliche rechtliche Gehör, auch ohne Verschul- 92 den des Gerichts, nicht gewährt, so liegt darin angesichts der weitgehenden Positivierung des verfassungsrechtlichen Gehörsanspruchs im Prozessrecht in der Regel zugleich die Verletzung einer prozessualen Vorschrift, deren Geltendmachung und Folgen sich nach den dafür geltenden Grundsätzen richtet. Auch die versehentliche Nichtbeachtung von schriftlichem Vorbringen, etwa weil es nicht zur Kenntnis des Gerichts gelangt, verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör;232 gleiches gilt für die nachweisbare, die Aufnahmefähigkeit praktisch weitgehend ausschließende Beschäftigung mit anderen Dingen während der mündlichen Wahrnehmung des Äußerungsrechts.233 Soweit möglich ist der Verfahrensmangel noch vor Erlass einer Entscheidung dadurch 93 zu heilen, dass das Gehör nachgeholt wird. Ist eine Entscheidung ergangen, aber frei abänderbar, so ist das rechtliche Gehör ebenfalls nachzuholen, und je nach seinem Ergebnis gegebenenfalls abweichend zu entscheiden. Das gleiche gilt seit der vom BVerfG veranlassten 234 Einführung der Anhörungsrüge 235 gemäß §§ 33a, 311a, 356a StPO auch für an sich nicht mehr abänderbare unanfechtbare Beschlüsse, Beschwerdeentscheidungen und Urteile.236 Diese zusätzliche Kontrollmöglichkeit entlastet das Bundesverfassungsgericht. Im Übrigen ist der in der Verletzung des rechtlichen Gehörs liegende Verfahrensverstoß im Rechtsmittelverfahren geltend zu machen.237 Einen absoluten Revisionsgrund

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BVerfG (Kammerentscheidung) StV 1994 465; s. auch LR/Hilger 25 Vor § 112, 23; § 114, 17; vgl. aber auch BVerfG (Kammerentscheidung) NStZ-RR 1998 108 f. (Akteneinsichtsverweigerung, wenn Haftbefehl nicht vollzogen wird). Bonn.Komm./Rüping Art. 103 Abs. 1, 61. St.Rspr., s. etwa BVerfGE 11 218, 220; 17 265, 268; 34 34; 60 120, 122; 62 347, 352; 64 185, 144; 65 305, 307; BayVGH NStZ 1987 36. Insbesondere der schlafende Richter, wie er mehrfach Gegenstand nicht nur strafgerichtlicher Erörterungen war, BVerwG NJW 2001 2898; BFHE 147 402; RGSt 22 106; 60 62; JW 1932 288; 1936 3473; BGHSt 2

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14; JR 1963 288. Dazu Fabricius 57 ff. Auch der anderweitig beschäftigte Richter ist in diesem Zusammenhang problematisch, s. BGHSt 11 74. Weitere Beispiele bei Eb. Schmidt I 345 Fn. 34. Entscheidung vom 30.4.2003, BVerfGE 107, 395. Gesetz vom 9.12.2004, BGBl. I, S. 3220. Wegen der Einzelheiten s. Kühne 267.1– 267.3 und die Erl. zu den §§ 33a, 311a, 356a StPO. Zur Pflicht des Revisionsgerichts, im Hinblick auf die Möglichkeiten der Verfassungsbeschwerde die Voraussetzungen eines solchen Verstoßes (freibeweislich) zu prüfen, s. BGHSt 22 26.

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Einl. Abschn. I

Einleitung

im Sinne des § 338 StPO bildet er nicht; eine solche Annahme ist auch verfassungsrechtlich nicht geboten.238 Ob und wieweit die rechtswidrige Versagung des rechtlichen Gehörs ein Beweisver94 wertungsverbot begründet, wie im Schrifttum teilweise angenommen,239 erscheint zweifelhaft. Zwar ist es an sich einleuchtend, dass Tatsachen und Beweisergebnisse nicht zu Lasten eines Betroffenen verwertet werden dürfen, der sich entgegen Art. 103 Abs. 1 GG zu ihnen nicht äußern konnte. Doch wird in solchen Fällen, so lange noch keine Entscheidung ergangen ist, nicht die Nichtverwertung aufgrund eines Beweisverbotes angezeigt sein, sondern, wie sich aus der Aufklärungspflicht ergibt, die Nachholung des rechtlichen Gehörs. Im Revisionsverfahren dürfte ebenfalls als Verfahrensfehler vorrangig die Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs zu berücksichtigen sein, so dass die Annahme eines Beweisverbotes nur für den vor allem nach Einführung des § 356a StPO selten vorkommenden Fall selbständige Bedeutung hat, dass die Nachholung des rechtlichen Gehörs nicht möglich ist, dennoch aber eine Entscheidung zu Lasten des Gehörsberechtigten in Betracht kommt. Mit der Verfassungsbeschwerde kann nach Erschöpfung des Rechtsweges, zu dem 95 auch die Inanspruchnahme der nach den §§ 33a, 311a, 356a StPO eröffneten Rechtsbehelfe gehört,240 die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG geltend gemacht werden. Allerdings erstreckt sich die Prüfungskompetenz des Verfassungsgerichts nur auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts; 241 sie erfasst nicht jeden Verstoß gegen die einfachgesetzlichen Vorschriften, die den Anspruch auf rechtliches Gehör konkretisieren (Rn. 78). 3. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

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a) Bedeutung und Grundlagen. Wie die gesamte, in die Rechte und die Handlungsfreiheit des einzelnen eingreifende staatliche Tätigkeit steht auch das Strafverfahren unter dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie und der sich in den Grundrechten widerspiegelnden objektiven Wertordnung abzuleiten ist.242 Er besagt, dass das Ob und Wie staatlicher Strafverfolgung grundsätzlich 243 in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere und Bedeutung der Straftat stehen, dass die Intensität des Verdachts die jeweiligen Maßnahmen rechtfertigen, dass diese erforderlich sein und dass sie insgesamt als zumutbar erscheinen muss.244 Als Grundsatz von Verfassungsrang beherrscht er die gesamte Gestaltung des Verfahrens, die damit aus dem Bereich des nur Zweckmäßigen oder nur (einfach gesetzlich) Rechtmäßigen herausrückt. Auch an sich danach beachtliche Gesichtspunkte müssen hinter den Geboten des Grundrechtsschutzes zurücktreten,

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BVerfGE 7 95, 99; 7 239, 241; 8 253, 256; 9 123, 124; a.A. Rüping (Gehör) 181. Meyer-Goßner Einl. 35; vgl. auch BVerfGE 13 24. Für den Sonderfall, dass bei Haftentscheidungen die Gefährdung des Untersuchungszwecks der ausreichenden Gehörsgewährung entgegensteht, s. LR/Hilger Vor § 112, 23 f. BVerfGE 33 192; 42 243, 250; 74 359, 380; St.Rspr.; vgl. auch Niebler FS Kleinknecht 313 f.

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Dazu ausführlich Schmidt-Aßmann DÖV 1987 1029 ff. BVerfGE 19 342, 348; 34 266, 267; 23 127, 133; 36 264; s. auch, jeweils m.w.N. Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 484; Meyer-Goßner Einl. 20; KK/Pfeiffer Einl. 30. Zu den Einschränkungen und Grenzen s. unten Rn. 102. BVerfGE 16 194; 17 108, 117; 20 162, 187.

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Die so genannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze

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weshalb auch bloße verfahrensmäßige Unbequemlichkeiten in Kauf genommen werden müssen. Die ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten „Erfordernisse einer effektiven Strafrechtspflege“ (s. Rn. H 10 ff.) 245 werden in diesem Zusammenhang gern als konkurrierende Verfassungspositionen angeführt, die auch das rechtliche Gehör beeinflussen oder gar einschränken können.246 Diese Auffassung ist aber angesichts der Unbestimmtheit der „Erfordernisse der Strafrechtspflege“ eher abzulehnen. Aus dem übergreifenden Verhältnismäßigkeitsprinzip lassen sich mehrere Untermerk- 97 male ableiten. Das Merkmal der Geeignetheit bedeutet, dass der in Frage stehenden Maßnahme generell oder im konkreten Fall die Eignung zukommen muss, das mit ihr verfolgte Ziel überhaupt zu erreichen. Aus dem Merkmal der Erforderlichkeit lässt sich ableiten, dass unter mehreren in Betracht kommenden Maßnahmen diejenige auszuwählen ist, die bei gleicher Eignung die geringere Belastung darstellt. Schließlich folgt aus dem Übermaßverbot, dass auch eine geeignete und erforderliche Maßnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit unzulässig sein kann, wenn sie den von ihr Betroffenen unter Abwägung aller Umstände unzumutbar belastet.247 Von besonderer Bedeutung ist dabei das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie, soweit es sich um Maßnahmen gegen den Beschuldigten handelt, die Unschuldsvermutung (s. Rn. J 77). Es ist in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers, durch eine sachgerechte Auswahl und durch eine Stufung der Eingriffsvoraussetzungen diesen Erfordernissen Rechnung zu tragen. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip erfordert aber auch beim Vorliegen einer gesetz- 98 lichen Grundlage für strafprozessuale Maßnahmen eine Abwägung im Einzelfall, bei der die Intensität und die Notwendigkeit der Maßnahme jeweils im Lichte der wertsetzenden Bedeutung der Grundrechte gegen ihren den einzelnen schützenden Gehalt abzuwägen ist.248 Diese schöne Formulierung vermag freilich nicht zu verdecken, dass die Werte, welche gegen einander abgewogen werden sollen, ihrerseits nicht bestimmt sind und jeweils für den Abwägungsprozess gefunden und in ihrem Gewicht definiert werden müssen. Da es aber bei der Abwägung um eine Verstärkung des Grundrechtsschutzes des Einzelnen geht, erscheinen der Verlust an Berechenbarkeit der Entscheidung, also an Rechtssicherheit, sowie die damit einhergehende Unsicherheit über die Grenzen des objektiven Rechts erträglich.249 Das dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entspringende Abwägungspostulat ist deshalb weniger als genereller, das Strafverfahren determinierender Grundsatz zu verstehen, der den Rechtsanwender ermächtigt, sich über die gesetzlichen Regelungen hinwegzusetzen, sondern als eine Korrekturmöglichkeit für Grenzfälle oder zur Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe, weil weitgehend davon ausgegangen werden kann, dass nach dem heute erreichten Stand des Strafprozessrechts auch der Gesetzgeber dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Rechnung getragen hat (s. näher Rn. 100). Das praktische Schwergewicht der Auswirkungen des Verhältnismäßigkeitsgebotes 99 liegt weniger in der Verfahrensdurchführung im Allgemeinen, wo es nur ausnahmsweise heranzuziehen ist, sondern vor allem bei der Anordnung und Durchführung von schwerwiegenden Grundrechtseingriffen oder Zwangsmaßnahmen. Aus diesem Grund und

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BVerfGE 17 108, 113 f.; BGHSt 42 391; 45 342; BGH NJW 1998 2229; OLG Stuttgart Justiz 2001 196. So hier LR/Rieß 25 Einl. H 92. Vgl. dazu BVerfGE 32 373, 379; 34 238, 246; 75 246; 110 226. BVerfGE 20 162, 189; neuestens zur Frage der Beschlagnahmefähigkeit von gespeicher-

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ten Daten in Mobil-Telefonen und PC’s BVerfG NJW 2006 976 v. 02.03.2006, wo unter Berufung auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip solche Beschlagnahmen deutlich eingeschränkt werden. Kühne Rn. 406; Roxin § 2, 7; Rieß StraFo 1995 101; Eb. Schmidt JZ 1968 361; vgl. auch oben Rn. H 8.

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wegen des geringeren Grades an normativer Vorstrukturierung kommt der unmittelbare Rückgriff auf dieses Prinzip vor allem im Ermittlungsverfahren in Betracht, wo es ein notwendiges Korrelat zum Grundsatz seiner freien Gestaltung darstellt.250 Namentlich bei Anordnung, Durchführung und Dauer der Untersuchungshaft ist auch über die ausdrückliche gesetzliche Normierung hinaus das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Korrektiv besonders zu beachten;251 ähnliches gilt für Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit.252 Auch das allgemeine Beschleunigungsgebot steht mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, insbesondere dem Übermaßverbot in Zusammenhang.253

100

b) Gesetzliche Regelung und Ausprägungen. Namentlich in neuerer Zeit neigt der Gesetzgeber dazu, die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausdrücklich als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Maßnahme oder die Unverhältnismäßigkeit als Unzulässigkeitskriterium zu normieren, so z.B. in § 81 Abs. 2 Satz 2, § 112 Abs. 1 Satz 2, § 120 Abs. 1 Satz 1, § 163b Abs. 2 Satz 2, § 163d Abs. 1 Satz 1 StPO. Damit wird die Rechtsanwendung an eine sowieso bestehende Beachtlichkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips besonders erinnert. Das rechtfertigt deshalb in den übrigen Fällen, in denen das Gesetz schweigt, keinen Umkehrschluss. Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, insbesondere des Merkmals der Erforderlichkeit,254 stellen auch die in der neueren Gesetzgebung häufigen, unterschiedlich ausgestalteten Subsidiaritätsklauseln dar,255 ferner die Verwendung erhöhter Verdachtsschwellen, wie etwa der dringende oder der „durch bestimmte Tatsachen begründete“ Verdacht als Zulässigkeitsvoraussetzung für vom Gesetzgeber als schwerwiegend eingestufte Maßnahmen 256 oder die Beschränkung der Zulässigkeit auf Deliktskataloge 257 oder jedenfalls auf „erhebliche Straftaten“,258 ohne dass sich insoweit freilich, vor allem wegen der unterschiedlichen Entstehungszeit der Vorschriften, eine in sich konsistente Schwereskala ableiten ließe. Zumindest in einem weiteren Sinne lassen sich dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 101 auch andere Strukturen, Entscheidungsmöglichkeiten und Institutionen des Strafverfahrens zuordnen, die sich freilich in ihm nicht erschöpfen. Im Hinblick auf die besonders belastenden Auswirkungen einer öffentlichen Hauptverhandlung kann man dazu etwa den Vorrang des Strafbefehlsverfahrens in dafür geeigneten Fällen, die Notwendigkeit einer besonderen Eröffnung des Hauptverfahrens und die Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes zählen. Auch ein Teil der Einstellungsmöglichkeiten in Begrenzung des Legalitätsprinzips (§§ 153 ff. StPO) stehen insoweit mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Verbindung,259 als sie eine Nichtverfolgungsermächtigung für den Fall eines fehlenden Bestrafungsbedürfnisses enthalten 250

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Näher die Erl. zu § 160; LR/Rieß 25 § 160, 40 f.; Rieß FS Rebmann 398; kritisch zur Leistungsfähigkeit des Prinzips in diesem Zusammenhang Köhler ZStW 107 (1995) 15 ff. Etwa neuestens BVerfG EuGRZ 2006 98 v. 01.02.2006 (Fall El Motassadeq), wo der BGH vom BVerfG u.a. auch deswegen gerügt wird. Näher m.w.N. LR/Hilger Vor § 112, 29 ff., § 112, 55 ff. Vgl. etwa §§ 81a, 81b StPO und die dortigen Erl. KK/Pfeiffer, Einl. 13. Vgl. dazu auch die Zusammenstellung bei Hilger FS Salger 325 f.

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So z.B. in den §§ 98a, 100a, 100c, 100f, 110a, 163e StPO; näher zu diesem Rechtsinstitut Rieß GedS Meyer 367, 378 f. (zu ihrer Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip). S. etwa §§ 100a, 100c, 100f, 111, 112, 163d StPO, vgl. ausführlich Rn. 43 ff. §§ 98a, 100a, 100c Abs. 2, 100f Abs. 2, 110a, 163d StPO. Teilweise in Verbindung mit katalogartigen Aufzählungen, s. etwa §§ 98a, 100c Abs. 1 Nr. 1, 110a, 163e StPO. Vgl. auch KK/Pfeiffer Einl. 6.

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Die so genannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze

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und damit auch auf den Wegfall der Erforderlichkeit der Kriminalstrafe abstellen. Diese Beziehungen zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bedeuten allerdings nicht, dass der Gesetzgeber an andersartigen rechtlichen Regelungen, etwa der Beseitigung oder Einschränkung des Zwischenverfahrens,260 gehindert wäre. c) Grenzen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verwirklicht sich grundsätzlich 102 innerhalb des geltenden Strafverfahrensrechts; er steht nicht daneben oder darüber. Seine einzelfallbezogene Anwendung durch den Rechtsanwender darf nicht dazu genutzt werden, von der Durchführung von Strafverfahren aus kriminalpolitischen Gründen insgesamt abzusehen; es ist Aufgabe des Gesetzgebers, unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips die Grenze der Strafbarkeit zu bestimmen.261 Die bloße Einleitung von Ermittlungen bei Vorliegen eines Anfangsverdachts ist nie unverhältnismäßig, allenfalls kann dies in Bezug auf bestimmte Ermittlungsmaßnahmen der Fall sein.262 Das Verhältnismäßigkeitsprinzip kann aus (verfassungs)rechtssystematischen Gründen nur ein Mittel zur systemimmanenten Korrektur einzelner Regelungen oder Entscheidungen sein. Dies gilt jedenfalls, soweit und solange – was für das geltende Strafprozessrecht nicht zweifelhaft ist – die gesetzliche Gesamtregelung dem Leitbild der Verhältnismäßigkeit verpflichtet ist. 4. Der Grundsatz des fairen Verfahrens und die sog. Waffengleichheit a) Grundsatz. Bedeutung. Erkennbar unter Einwirkung des anglo-amerikanischen 103 Prozess- und Verfassungsrechts 263 und wohl vermittelt durch den Sprachgebrauch von Art. 6 Abs. 1 EMRK 264 hat insbesondere das Bundesverfassungsgericht den Begriff des fairen Verfahrens zu einer das gesamte Verfahrensrecht prägenden, verfassungsrechtlich fundierten Prozessmaxime erhoben.265 Die übrige Rechtsprechung ist dem weitgehend gefolgt,266 und auch in der Literatur wird der Begriff weitgehend als sinnvoll anerkannt.267 Er dürfte damit in der strafprozessualen Dogmatik heute fest etabliert sein, auch wenn über seine Bedeutung und Funktion noch erhebliche Meinungsunterschiede bestehen und seine Verwendung bei der Auslegung und Rechtsanwendung nicht immer unproblematisch ist. Insbesondere die vollständige Offenheit des Begriffs – speziell in Deutschland, wo ein Rückgriff auf altüberkommene Grundsätze anders als im Vereinigten Königreich 268 nicht möglich ist und es daher an jeder Struktur fehlt – macht in dem 260 261

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Vgl. dazu die Erl. Vor § 198, LR/Rieß 25 Vor § 198, 15 ff. Der Gesetzgeber muss sich freilich dabei im Rahmen aller verfassungsrechtlichen Vorgaben halten, was nicht immer eindeutig der Fall ist, vgl. die Entscheidungen BVerfGE 90 145 ff. („Cannabis-Entscheidung“) und 92 277 ff. (Ost-Spionage). Näher m.w.N. LR/Beulke 25 § 152, 19; LR/Rieß 25 § 160, 40. S. dazu näher Dörr 5 ff.; Steiner 29 ff., insbes. zu den Begriffen „due process of law“; s. auch Laufhütte 181. Vgl. den verbindlichen englischen Text in Art. 6 Abs. 1 „fair and public hearing …“, den die offizielle deutsche Übersetzung von 1952 bemerkenswerterweise noch mit „… in

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billiger Weise öffentlich …“ übersetzt und damit erkennbar den Fairnessbegriff noch vermeidet; s. näher Esser 404 ff.; die Erl. zu Art. 6 EMRK; LR/Gollwitzer 25 Art. 6 EMRK, 64 ff. S. zur Entwicklung der Rspr. des BVerfG u.a. Nehm 197 ff.; Laufhütte 182 ff.; Steiner 41 ff.; Tettinger 22 ff. S. die Übersichten bei Steiner 65 ff.; vgl. auch Laufhütte 185 ff. S. dazu u.a. SK/Rogall Vor § 133, 101 f.; Steiner 87 ff., jeweils m.w.N. Kritisch hingegen Heubel; Kühne Rn. 287, 289; Tönnies ZRP 1990 292. Vgl. auch Barton (Hrsg.); Kuhn; Marczak; Rzepka; Weissbrodt/ Wolfrum (Hrsg.). Vgl. Kühne Rn. 1149 ff.

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im Übrigen streng strukturierten deutschen Strafverfahrensrecht Schwierigkeiten. Auch stellt sich die Frage, ob nicht schon das Verhältnismäßigkeitsprinzip das hinreichende Korrektiv für diese Formstrenge ist. Andererseits schadet es vom Ergebnis her gesehen nicht, wenn über das fair-trial-Prinzip fürsorgliche Gesichtspunkte zusätzlich ins Strafverfahrensrecht eingebracht werden. Ergänzend zu der Behandlung des Themas an dieser Stelle wird auf die ausführlichen Erläuterungen des Fairnessgrundsatzes im Sinne der EMRK bei Art. 6 EMRK verwiesen.269 Der Geltungsgrund des Fairnessprinzips über seine Verankerung in Art. 6 Abs. 1 104 EMRK hinaus ist noch nicht restlos geklärt.270 Das Bundesverfassungsgericht entnimmt ihn dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem allgemeinen Freiheitsrecht und der in den Grundrechten verkörperten objektiven Wertordnung.271 Dem folgt weitgehend der Bundesgerichtshof, der daneben teilweise auch auf Art. 6 EMRK zurückgreift.272 Umstritten sind ferner die dogmatische Bedeutung des Prinzips und seine Struktur.273 Teilweise wird es als „oberstes Gebot des gesamten Strafprozessrechts“ bezeichnet,274 andererseits als „allgemeines prozessuales Recht mit Auffangcharakter“,275 oder, von seiner Struktur her, als „Optimierungsgebot“,276 oder als vorwiegend an den Gesetzgeber gerichtete „Direktive“.277 Vereinzelt wird ihm auch eine sinnvolle dogmatische Funktion abgesprochen.278 Die wohl vorherrschende Meinung 279 betrachtet ihn sowohl als ein an den Gesetzgeber gerichtetes Postulat als auch als eine Auslegungs- und Anwendungsdirektive und kennzeichnet ihn damit als Prozessmaxime, dessen verfassungsrechtliche Grundlage der Rechtsprechung eine allgemeine Überprüfung der einfachgesetzlichen Rechtsanwendung bei besonders massiven Verletzungen rechtsstaatlicher Mindeststandards 280 ermöglicht. Die die Leistungsfähigkeit des Fairnessprinzips als Prozessmaxime begrenzende, wenn 105 nicht in Frage stellende Besonderheit liegt in seiner inhaltlichen Unbestimmtheit, vgl. schon Rn. 103. Es handelt sich um ein reines Formalprinzip von hoher Abstraktheit, dessen Inhaltsbestimmung nur durch Rückgriff auf andere Wertbestimmungen oder Prinzipien vorgenommen werden kann, deren Auswahl jeweils offen erscheint. Zusammenfassende Formeln, wie etwa die eines rechtsstaatlichen, justizförmigen und am Leitgedanken der Billigkeit und Gerechtigkeit orientierten Verfahrens,281 lassen weitgehend ungeklärt, unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen die damit gekennzeichneten Ziele erfüllt werden können. Auch die verfassungsrechtliche Rechtsprechung erkennt an, dass sich aus dem Fairnessprinzip regelmäßig keine verfahrensrechtlichen Einzelforderungen ableiten lassen, dass es behutsamer Konkretisierung bedarf 282 und dass eine Verletzung 269 270 271

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S. LR/Gollwitzer 25 Art. 6 EMRK, 64 ff. Dazu näher SK/Rogall Vor § 133, 101. S. dazu u.a. BVerfGE 26 66, 71; 38 105, 111; 39 238, 243; 40 95, 99; 41 246, 249; 46 202, 210; 57 250, 275; 63 380, 390; 64 135, 149; 65 171, 174; 66 313, 318; 68 237, 255; 70 297, 308; 86 288, 317; vgl. auch Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 397 ff.; Rüping JZ 1983 664; Steiner 118 ff. S. dazu etwa BGHSt 25 325, 330; 32 345; 37 10, 12. Dazu näher m.w.N. SK/Rogall Vor § 133, 102 ff. Roxin § 11, 9. SK/Rogall Vor § 133, 101.

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Steiner 140 ff.; ihm folgend Roxin § 11, 11; dazu Rieß GA 1997 139. Tettinger 51 ff. So namentlich Heubel 30 ff., 73, 122, 141; zurückhaltend auch u.a. Rüping JZ 1983 664 f.; Kunkis DRiZ 1993 185 ff.; Kühne 289. So etwa SK/Rogall, Vor § 133, 103; KK/Pfeiffer Einl. 28. SK/Rogall Vor § 133, 101 m.w.N. BGHSt 24 131. Vgl. u.a. BVerfGE 57 250, 275; 63 45, 60 = NStZ 1983 273 mit Anm. Peters; 64 135, 141; 70 297, 308; s. auch SK/Rogall Vor § 133, 102 mit dem Hinweis auf

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erst angenommen werden kann, wenn im Einzelfall rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben ist. Insgesamt dürfte das Fairnessprinzip eine zusammenfassende Bezeichnung für ein 106 Bündel unterschiedlicher Einzelelemente darstellen,283 die sich vielfach auch anderen Prinzipien und Grundsätzen zuordnen lassen. Es kennzeichnet, als Prinzip des Strafverfahrens, insgesamt eine sich im geltenden Recht und seiner Anwendung im Einzelfall verkörpernde Wertvorstellung darüber, mit welchen Mitteln und in welchen Grenzen ein Tatverdacht aufgeklärt und der Sanktionsanspruch der Rechtsgemeinschaft durchgesetzt werden soll. Der umgangssprachlich mit dem Begriff „fair“ auch im deutschen Sprachraum inzwischen verbundene Bedeutungsgehalt und die Verankerung des Prinzips im Bereich der Menschenrechte und der Grundrechte deuten dabei auf eine den Einzelnen, seine Eigenverantwortlichkeit und seine Subjektqualität achtende grundsätzliche Gestaltung des Verfahrens hin, das den gegenwärtigen Wertvorstellungen der Allgemeinheit über das Verhältnis des Einzelnen zur hoheitlichen Gewalt verpflichtet ist. In dieser zusammenfassenden Bedeutung dürfte der Grundsatz des fairen Verfahrens auch dazu beitragen, dass das Strafverfahren sein in der Herstellung von Rechtsfrieden liegendes Ziel zu erfüllen vermag. Ob es freilich notwendig ist oder aber durch die bestehenden Regelungen und Prinzipien bereits inhaltlich gewährleistet ist, bleibt offen. b) Ein genauer Inhalt des Fairnessgrundsatzes lässt sich wegen seines abstrakt-forma- 107 len Charakters kaum angeben.284 Zum Teil werden aus ihm konkretere (ihrerseits teilweise nicht unproblematische) Prinzipien wie etwa der sog. Grundsatz der Waffengleichheit (Rn. 117 ff.) oder die Fürsorgepflicht (Rn. 121 ff.) abgeleitet. Vielfach lassen sich die aus ihm folgenden Konsequenzen auch anderen Maximen zuordnen, so dass er kaum jemals als alleinige Grundlage für ein bestimmtes Ergebnis herangezogen zu werden braucht; dies gilt etwa für die verwandten, aber inhaltlich konkreteren Prinzipien des rechtlichen Gehörs, der Verhältnismäßigkeit, der Unschuldsvermutung 285 oder des nemotenetur-Prinzips oder, von den klassischen Prozessmaximen, für den Zweifelsgrundsatz. Ebensowenig lassen sich einzelne strafprozessuale Rechtsinstitute oder Vorschriften dem Fairnessprinzip dergestalt zuordnen, dass es vorwiegend auch durch sie realisiert wird und dass sie ihrerseits ihre Geltung in erster Linie dem Fairnessprinzip verdanken. Vielmehr verkörpert es sich in zahlreichen, unterschiedlichen, das Prozessrecht durchziehenden Bestimmungen. Insoweit kann man es, ohne dass dies wesentlich größere Präzision vermittelt, je nach den in Anspruch genommenen gesetzlichen Regelungen, als Teilhabeund Abwehrrecht bezeichnen.286 Auch in der Rechtsprechung erscheint die Berufung auf das Fairnessprinzip meist als ein zusätzliches Argument neben der (oft sogar vorrangigen) Berufung auf andere Prinzipien oder Vorschriften.287 Aus dem Charakter des Fairnessgrundsatzes auch als Menschenrecht lässt sich als sein 108 Kerngehalt die Gewährleistung einer eigenverantwortlichen Teilhabe am Verfahren 288

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(lediglich) systemimmanente Kontroll- und Berichtigungsfunktion; Laufhütte 183. Ebenso KK/Pfeiffer Einl. 28; vgl. auch LR/Gollwitzer 25 Vor § 226, 15 ff. Vgl. dazu die Versuche etwa von SK/Rogall Vor § 133, 104 f.; Steiner 153 ff.; vgl. auch LR/Gollwitzer 25 Art. 6 EMRK, 71 ff. mit Anwendungsbeispielen. Insoweit kritisch Fezer 10/41.

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SK/Rogall Vor § 133, 104 im Anschluss am BVerfGE 30 1, 27; 38 105, 111. Vgl. etwa BGHSt 25 325, 330 (Hinweispflicht nach § 243); BGHSt 38 214, 220 (Hinweispflicht nach § 136); s. auch Kühne 289 und Laufhütte 184, 192 mit Beispielen. S. auch BVerfGE 38 105 (Notwendigkeit, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde selbstständig

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kennzeichnen. Daraus folgen beispielsweise, je nach Lage des Einzelfalls und der prozessualen Situation: Eigene Einwirkungsmöglichkeiten auf den Verfahrensausgang auf der Grundlage ausreichender Informationen über den Verfahrensstoff (rechtliches Gehör) und Gewährung von Möglichkeiten zu ihrer (möglichst) ungestörten Ausübung, Hinweisund Belehrungspflichten289, Unzulässigkeit von Täuschungen oder der Ausnutzung von Irrtümern 290, Vorkehrungen gegen Überraschungsentscheidungen, Gewährleistung einer fachkundigen Beratung 291, eine geschützte Geheimsphäre zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung der Verteidigungsbefugnisse 292 und die Garantie, sich nicht selbst belasten zu müssen. Auch die grundsätzliche Anerkennung von Beweisverboten, insbesondere solchen zum Schutz des Kernbereichs der Persönlichkeit oder die Berücksichtigung der den einzelnen treffenden Nachteile bei Eingriffen bei der durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebotenen Abwägung (Rn. 97 f.) lassen sich wegen der mit ihm verbundenen Menschenwürdekomponente mit dem Fairnessprinzip in Verbindung bringen. Jedoch lassen sich aus ihm meist nur allgemeine Leitlinien oder äußerste Grenzen ableiten, ohne dass deutlich würde, welchen eigenen inhaltlichen Anteil der Fairnessgrundsatze jeweils hätte. Auch die Unzulässigkeit einer missbräuchlichen, weil funktionswidrigen Ausnutzung 109 prozessualer Gestaltungsmöglichkeiten durch die staatlichen Strafverfolgungsorgane wird teilweise mit dem Fairnessgrundsatz in Verbindung gebracht.293 In diesen Zusammenhang gehört es auch, wenn sich Rechtsprechung und Schrifttum um eine Begrenzung der Wirksamkeit des in der Hauptverhandlung spontan erklärten oder „herausgefragten“ Rechtsmittelverzichts in den Fällen bemühen, in denen ein sinnvoller Grund für die Entgegennahme eines solchen Verzichts nicht ersichtlich ist.294 In diesen Fällen kann das Fairnessgebot (auch wenn sich möglicherweise das Ergebnis auch mit einer anderen dogmatischen Begründung erreichen ließe) dazu dienen, die Unzulässigkeit der jeweiligen Maßnahme zu begründen.

110

c) Grenzen und Einschränkungen. Auch wenn sich sinnvollerweise eine Gegenmaxime zum Fairnessprinzip nicht postulieren lässt, denn dass ein Verfahren unfair sein solle, lässt sich als rechtspolitische Zielvorstellung schwerlich vertreten,295 unterliegt seine Verwirklichung – nicht das Prinzip selbst – immanenten Grenzen.296 Die einzelnen aus ihm

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wahrzunehmen und Übergriffe angemessen abzuwehren). S. etwa BVerfG (Kammerentscheidung) NStZ-RR 1996 138 (ausführliche schriftliche Rechtsmittelbelehrung bei besonderer Verfahrenslage) BGHSt 25 325, 330; 36 210; 36 305; 38 214, 220 f.; 43 212, 215 = JZ 1998 53 mit Anm. Herdegen (Gesichtspunkt der „Offenheit und Fairness“ im Beweisantragsrecht); vgl. auch zu den (parallelen) Herleitungen aus der Fürsorgepflicht unten Rn. 124. Vgl. z.B. BGHSt 24 25 (Bei einem Hinweis auf die Vorteile eines bestimmten Verhaltens muss auch über die Nachteile belehrt werden); BGHSt 20 281, 284 und dazu LR/ K. Schäfer 24 Einl. 6 20 a.E. Vgl. z. B. BVerfGE 38 105 (Zeugenbestand);

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BGHSt 43 153, 158 (ausnahmsweise Rechtspflicht zur Beiordnung eines auswärtigen Verteidigers); vgl. auch LR/K. Schäfer 24 Einl. 6 21 f. Vgl. BGH NStZ 1984 419 mit Anm. Gössel (Einblick der Staatsanwaltschaft in das Verteidigungskonzept) und BGHSt 50, 40 (Gr. Senat) zur Unzulässigkeit des Rechtsmittelverzichts bei Absprachen. So z.B. SK/Rogall Vor § 133, 105; LR/ K. Schäfer 24 Einl. 6 20 mit Beispielen. Näher LR/Hanack 25 § 302, 49 ff.; vgl. auch Dahs FS Schmidt-Leichner 17; Peters 268; s. auch unten Rn. 121 (Fürsorgepflicht). Rieß FS Rebmann 387. Dazu näher Steiner 179 ff.; vgl. auch Laufhütte 182 f.

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abzuleitenden Folgerungen und Rechtspositionen, vor allem solche zugunsten des Beschuldigten, sind gegenüber gegenläufigen Interessen und Zielsetzungen abzuwägen, die sich ihrer vollen Verwirklichung hemmend in den Weg stellen können. Dabei kann es sich sowohl um Interessen der Allgemeinheit, namentlich um die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Notwendigkeit der Sicherung einer funktionstüchtigen Rechtspflege (Rn. H 10 ff.) handeln, wie um grundgesetzlich geschützte Interessen Dritter. Diese im Rechtsstaatsprinzip selbst angelegten Gegenläufigkeiten 297 begrenzen von vornherein den Inhalt des Fairnessgrundsatzes 298 ebenso wie den anderer Maximen. d) Begünstige. Das Recht auf ein faires Verfahren steht nicht nur dem Beschuldigten 111 zu, sondern jedem (privaten) Verfahrensbeteiligten, der in irgendeiner Form im Strafverfahren dem staatlichen Zugriff ausgesetzt ist, also beispielsweise (im Rahmen seiner jeweiligen prozessualen Rolle) dem Privatkläger, dem Nebenkläger, dem Verletzten, dem Zeugen oder dem Sachverständigen.299 Es erfordert bei gegenläufigen Interessen das Bemühen um einen Ausgleich und kann auch Schutzvorkehrungen und Maßnahmen zugunsten eines Begünstigten rechtfertigen, die den Interessen eines anderen zuwiderlaufen.300 Für Gericht und Staatsanwaltschaft erwächst daraus erforderlichenfalls die Pflicht, die jeweiligen prozessualen Möglichkeiten zu nutzen, um das Fairnessgebot zugunsten eines Beteiligten gegenüber einem anderen durchzusetzen, so beispielsweise unzulässige Fragen zurückzuweisen, wenn sie den Anspruch eines Zeugen auf seine faire Behandlung erheblich beeinträchtigen (s. auch Rn. 125). e) Adressaten des Fairnessgebotes sind alle staatlichen, mit der Strafverfolgung be- 112 fassten Organe.301 In seiner innerstaatlichen und verfassungsrechtlichen Ausprägung gilt es auch für das Ermittlungsverfahren 302 und für die Strafvollstreckung 303. Zu beachten ist es auch von solchen Staatsorganen, die, etwa bei Entscheidungen nach den §§ 54, 96 StPO, mittelbar auf die Strafverfolgung Einfluss nehmen können;304 tragen diese ihm nicht Rechnung, so ist dies bei der Entscheidungsfindung durch das Gericht zu berücksichtigen.305 Obwohl dies vom allgemeinen Sprachgebrauch der „Fairness“ her naheliegen könnte, 113 ist der Beschuldigte nicht Adressat des strafprozessualen Fairnessgebotes. Das folgt aus der menschenrechtlichen und grundrechtlichen Grundlage des Prinzips, das den Einzelnen vor der staatlichen Gewalt schützen, nicht aber dieser ein Instrument verschaffen will, dessen Einwirkungsmöglichkeiten zu beschränken. Zur Lösung der Problematik des Missbrauchs von Verfahrensbefugnissen durch private Prozessbeteiligte 306 kann deshalb der Fairnessgrundsatz nichts beitragen. Gleiches dürfte, trotz seiner Stellung als Organ der Rechtspflege, wegen seiner Beistandsfunktion und der Nähe zum Beschuldigten, für den Verteidiger gelten,307 mag auch der rechtlich nicht bindende Appell, die Grenze der Fairness nicht zu überschreiten, auch ihm gegenüber angezeigt sein.

297 298 299 300 301

BVerfGE 63 37; s. auch BVerfGE 57 250, 255. SK/Rogall Vor § 133, 101; vgl. auch Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 398 ff. Heute allg. M.; vgl. auch zur Entwicklung der Rspr. Steiner 152. S. dazu etwa § 68 a StPO. KK/Pfeiffer Einl. 29.

302 303 304 305 306 307

Rieß FS Rebmann 395 f.; Steiner 150. Vgl. BVerfGE 86 288, 317; Steiner 151. BVerfGE 57 250, 283; KK/Pfeiffer Einl. 29; Steiner 151 f. Vgl. BGHSt 29 109, 111 f. S. näher dazu Rn. H 40 ff. Wohl enger KK/Pfeiffer Einl. 29 a.E.

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f) Verstöße gegen den Fairnessgrundsatz stellen sich angesichts seiner weitgehenden Positivierung im geltenden Recht, jedenfalls in seiner ihn berücksichtigenden Auslegung, vielfach, wenn nicht überwiegend, zugleich als Verstöße gegen einfachgesetzliche Vorschriften des Strafverfahrensrechts dar. Soweit dies der Fall ist, richtet sich die Geltendmachung vor den Fachgerichten sowie die Prüfung im Rechtsmittelverfahren nach den für den jeweiligen Rechtsverstoß geltenden Regeln; ein Rückgriff auf das Fairnessgebot ist weder erforderlich noch methodisch angezeigt.308 Ein solcher wird (auf dieser Ebene) nur in den Fällen relevant, in denen entweder eine gesetzliche Lücke besteht oder aber die Auslegung einer geltenden Vorschrift angepasst werden muss. Anders ist es auf der Ebene der verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Hier kann mit der 115 Verfassungsbeschwerde nur der Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Fairnessgebot geltend gemacht werden, auch wenn er sich in einer unrichtigen, dessen Anforderungen nicht entsprechenden Auslegung oder Anwendung einer einfachrechtlichen Vorschrift niederschlägt. Es muss sich aber dabei immer um eine Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht, also um eine grundlegende Verkennung der Reichweite der durch das Fairnessprinzip aufgestellten rechtsstaatlichen Mindeststandards 309 handeln.310 Zu den Rechtsschutzmöglichkeiten nach der EMRK s. die Erl. im Anhang zur Kommentierung der EMRK. Ein Verstoß gegen das Fairnessgebot durch das erkennende Gericht ist mit den hierfür 116 vorgesehenen Rechtsmitteln geltend zu machen. Für die Revision sind dabei die Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu beachten; für die alleinige Verletzung des Fairnessgebots (also nicht die einer dies konkretisierenden Einzelvorschrift) kommt dabei auch der Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 StPO in Betracht.311 Bei Verstößen im vorbereitenden Verfahren, die auf die Urteilsfindung einwirken können, hat sich zunächst das erkennende Gericht um eine Heilung zu bemühen. Gelingt dies nicht, ist der Verstoß also irreparabel, so kann, je nach Lage des Einzelfalles und den entsprechenden, hierfür geltenden Regeln, also beispielsweise erst aufgrund eines ausdrücklichen Widerspruchs des Betroffenen,312 ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen sein. Eine Beeinträchtigung des Anspruchs auf ein faires Verfahren kann ferner bei der Strafzumessung berücksichtigt werden.313 Daraus folgt, dass wie bei einer Verletzung des Beschleunigungsgebots, in geeigneten Fällen auch eine Einstellung nach § 153 StPO möglich sein könnte. Dagegen ist ein Verstoß gegen das Fairnessgebot nach der Rechtsprechung 314 und der h.M im Schrifttum 315 kein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis. Dem ist nicht zuzustimmen,316 insbesondere weil die Verfassungswidrigkeit oder Konventions-

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Abzulehnen ist daher die Entscheidung BGHSt 32 44, die neben dem (bejahten) Verstoß gegen § 244 Abs. 3 StPO das Fairnessgebot als selbständigen Prüfungsmaßstab verwendet; zustimmend aber Laufhütte 193; wie hier KK/Pfeiffer Einl. 28; Meyer-Goßner Einl. 19; Herdegen NStZ 1984 343; Meyer JR 1984 173 f. SK/Rogall Vor § 133, 101. Vgl. BVerfGE 57 250, 275. Meyer-Goßner NStZ 1982 362; s. näher LR/Hanack 25 § 338, 124 ff. Näher bei den Erl. zu den §§ 250 ff.; s. auch Maul/Eschenbach StraFo 1996 66 ff.; krit. LR/Hanack 25 § 136, 57 f. m.w.N.

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BGHSt 37 10 (für den Fall eines Rechtsmittelverzichts, wenn die StA entgegen ihrer Zusage eine andere Tat nicht nach § 154 StPO unverfolgt lässt). BGHSt 32 345, 350; 33 283; 37 10, 12; BGH NStZ 1984 419 mit Anm. Gössel, BverfGE 110, 226. KK/Pfeiffer Einl. 131; Meyer-Goßner Einl. 19, 148; SK/Rogall Vor § 133, 105 a.E. m.w.N., auch zur Gegenmeinung. Ebenso SK/Rogall aaO (in extrem gelagerten Ausnahmefällen); Gössel NStZ 1984 420; Roxin § 11, 15.

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Die so genannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze

Einl. Abschn. I

widrigkeit in jedem Verfahrensstadium vom Gericht zu vermeiden ist; Einzelheiten sind bei § 206a StPO erörtert. g) Der Grundsatz der Waffengleichheit. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer 117 Reihe von Entscheidungen auch für den Strafprozess namentlich aus dem Fairnessgrundsatz die Notwendigkeit einer „gewissen verfahrensrechtlichen Waffengleichheit von Staatsanwalt und Beschuldigtem“ abgeleitet.317 Damit ist natürlich nicht die – im Strafverfahrensrecht weder vorgesehene noch wünschenswerte – Gleichstellung von Beschuldigtem/Verteidiger und Staatsanwaltschaft gemeint, sondern es wird nur gefordert, dass die verfahrensspezifischen Unterschiede der Rollenverteilung stets auszugleichen sind,318 um die Subjektstellung des Beschuldigten und sein Recht auf Verteidigung in einem verfahrensrechtlichen Aktionsrahmen von Wechselseitigkeit und Partizipation zu halten. Auch der Bundesgerichtshof verwendet bisweilen den Begriff, ohne freilich aus ihm allein oder vorrangig inhaltliche Forderungen abzuleiten.319 Die Verbürgungen in Art. 6 EMRK werden ebenfalls vielfach, und zwar für alle Arten gerichtlicher Verfahren, mit dem Topos „Waffengleichheit“ in Verbindung gebracht.320 Im Schrifttum wird die Reichweite, der Nutzen und der Bedeutungsgehalt des Begriffs unterschiedlich beurteilt.321 Soweit auf ihn zurückgegriffen wird, wird er überwiegend als eine Konkretisierung des Fairnessgebotes verstanden,322 teilweise darüber hinaus mit dem Gleichheitssatz insbesondere in Hinblick auf das Verhältnis von Beschuldigtem/Verteidiger einerseits und Staatsanwaltschaft andererseits in Verbindung gebracht.323 Im Schrifttum wird auch vorgeschlagen, stattdessen von dem Erfordernis der Chancengleichheit zu sprechen.324 Auch die Befürworter der Verwendung des Begriffs der Waffengleichheit im Straf- 118 prozess weisen auf seine beschränkte Bedeutung hin.325 So ist unbestritten, dass er zur Beschreibung des gesamten Ermittlungsverfahrens kaum geeignet ist 326 und seine Wirkung sich vor allem im gerichtlichen Erkenntnisverfahren entfalten kann, in dem sich vor dem Richter die Staatsanwaltschaft als Vertreterin der Anklage und der Beschuldigte mit grundsätzlich gleichen Befugnissen gegenüberstehen. Aber auch hier verdunkelt der Begriff der Waffengleichheit mehr, als er erhellt. Er kennzeichnet zwar zutreffend, dass die Anklagebehörde und der Angeklagte über weitgehend gleiche Möglichkeiten ver-

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BVerfGE 38 105, 111; 63 45, 61; 63 392; Tettinger 19, 22, 31 m.w.N. BVerfGE 63 45, 67. Vgl. z.B. BGHSt 12 136, 139; 18 371; 36 305, 309; BGH NStZ 1984 419 mit Anm. Gössel. Dazu ausführlich Esser 406 ff., 633 ff., 700 ff., 734 ff., 783 ff. S. dazu u.a. (eher befürwortend) Beulke (Verteidiger) 37 ff. m.w.N. zum Meinungsstand; SK/Rogall Vor § 133, 106 ff.; Kühne. 174 ff. (kritisch befürwortend); Roxin § 11, 13; LR/Gollwitzer 25 Vor § 226, 29, und bei Art. 6 EMRK; Kohlmann FS Peters 311 ff.; Tettinger. Eher kritisch Dreher FS Kleinknecht 105 ff.; Hamm FS Salger 290 f.; Krey II 259; E. Müller NJW 1976 1063 ff.; Rieß FS Schäfer 174; LR/K. Schäfer 24 Einl. 6 15; Steiner 205.

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SK/Rogall Vor § 133, 106; Kohlmann FS Peters 311; Roxin § 11, 13; Tettinger 20. Kühne Rn. 175; Roxin § 11, 13; SK/Rogall Vor § 133, 106. LR/K. Schäfer 24 Einl. 6 15; Rieß FS Schäfer 174 f.; diese als wichtiges Element der Waffengleichheit betonend auch SK/Rogall Vor § 133, 107 m.w.N.; E. Müller NJW 1976 1063; Müller-Dietz ZStW 93 (1981) 1196; Meyer-Goßner Einl. 88 (Ausbalancieren der Prozessrollen). S. z.B. SK/Rogall Vor § 133, 107; Kühne 175 ff.; Roxin § 11, 13; s. auch E. Müller NJW 1976 1066 f. Vgl. u.a. Dreher FS Kleinknecht 106 f.; LR/K. Schäfer 24 Einl. 6 15.

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fügen, auf die richterliche Entscheidung einzuwirken, anders aber schon hier die nur zugunsten des Angeklagten wirkenden Regelungen beispielsweise in den §§ 296 Abs. 2, 301, 339 StPO.327 Diese Rechtslage enthält eine (beschränkte) Befugnisgleichheit. Man könnte diese (und nur sie) allenfalls, wenn auch wenig glücklich, als (auf einen bestimmten Verfahrensabschnitt bezogene) Waffengleichheit kennzeichnen. Der Begriff trägt auch die Tendenz in sich, die durchaus unterschiedlichen Grund119 positionen und Aufgabenzuweisungen der verschiedenen Prozessbeteiligten ebenso außer Acht zu lassen wie die Rolle des Gerichts in einem der Instruktionsmaxime unterliegenden Verfahren. Er verdeckt die aus den Rollenzuweisungen sich ergebenden, von der Rechtsordnung gewollten unterschiedlichen Verhaltens- und Handlungserwartungen. Sie haben gegenüber der Staatsanwaltschaft nicht das „Gewinnen“ eines Prozesses, sondern ein von der Objektivitätsverpflichtung getragenes Mitwirken an der Wahrheitsermittlung zum Inhalt, gestatten aber dem Angeklagten, einseitig seine Interessen wahrzunehmen und sich durch Schweigen, gegebenenfalls auch durch Lügen 328 zu verteidigen. Die Ableitung des Postulats der Waffengleichheit aus dem Gleichheitssatz (Art. 3 GG) 329 trägt bei dieser unterschiedlichen Interessenlage für den Strafprozess nicht. Anderes wäre allenfalls für das Institut der Privatklage zu erwägen, doch erscheint es nicht sachgerecht, einen tragenden Prozessgrundsatz aus den Besonderheiten einer eher unbedeutenden Sonderform des Verfahrens herzuleiten. Auch als Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber,330 also als Prozessmaxime in ihrer 120 rechtspolitischen Funktion, ist der Begriff der Waffengleichheit nur insofern geeignet, als er auf die Notwendigkeit hinweist, den Beschuldigten auch im Ermittlungsverfahren nicht zum bloßen Objekt der Ermittlungen zu degradieren und ihm trotz aller Notwendigkeit, die Staatsanwaltschaft soweit wie erforderlich eigenständig ermitteln zu lassen, partizipatorische Rechte einzuräumen, die ihm eine Verteidigung schon im Ermittlungsverfahren ermöglichen. Insofern ist es ohne Bedeutung ob man die Waffengleichheit für eine eigene Prozessmaxime hält,331 oder sie nur als verfassungsrechtlich wie konventionsrechtlich veranlasste Umschreibung der Verteidigungsgarantie oder aber des allgemeinen Fairness-Gebots besonders im Ermittlungsverfahren einordnet. 5. Die Fürsorgepflicht

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a) Grundsatz. Bedeutung. Abgrenzungen. Die Anerkennung einer (gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen) Fürsorgepflicht als ein selbständiges Institut des Strafverfahrens entspricht heute wohl der herrschenden Auffassung;332 auch die Rechtsprechung verwendet den Begriff bei der Auslegung und Anwendung des Rechtes in verschiedenen Zusammenhängen.333 Ihre Grundlagen werden positivrechtlich vor allem in den zahlreichen Belehrungs- und Hinweispflichten des geltenden Rechts gesehen,334 die in der Entwick327

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Vgl. in diesem Zusammenhang auch die unterschiedlichen Wiederaufnahmeregelungen in den §§ 359, 362 StPO. Dazu näher LR/Hanack 25 § 136, 41 ff. SK/Rogall Vor § 133, 106 m.w.N. So u.a. SK/Rogall Vor § 133, 108; s. auch Tettinger 55. Das verneint LR/Rieß 25 an dieser Stelle ausdrücklich. Vgl. zum Ganzen u.a. (jeweils m.w.N.) Maiwald FS Lange 745 ff.; Plötz; Meyer-

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Goßner Einl. 155 ff.; SK/Rogall Vor § 133, 110 ff.; zurückhaltend u.a. Kühne 133; Jung 107; v. Löbbecke GA 1973 200. Vgl. u.a. BVerfGE 9 36, 38; 57 250, 280; BGHSt 18 257; 19 101; 22 118, 122; 24 15, 25; 25 325, 330; 36 210; 36 305; 48 221; BGH NStZ 1990 244; 2004 636; NJW 2005 2791. So u.a. SK/Rogall Vor § 133, 110; LR/K. Schäfer 24 Einl. 6 26; s. auch Rn. 124.

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Die so genannten Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze

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lung der StPO allmählich ausgebaut worden sind.335 Verfassungsrechtlich wird heute die Fürsorgepflicht überwiegend als Unterfall und Konkretisierung des Fairnessprinzips betrachtet ;336 doch werden darüber hinaus auch sozialstaatliche Anforderungen für sie in Anspruch genommen.337 Teilweise wird sie auch (wohl zu eng) als Sammelbezeichnung für (nicht) positivierte Nebenpflichten verstanden.338 Einzelheiten ihres Inhalts und ihrer Reichweite sowie die Abgrenzung zu anderen Erscheinungen und Maximen sind noch weitgehend ungeklärt, was insbesondere die Notwendigkeit in Frage stellt, die Fürsorgepflicht neben Verhältnismäßigkeit, fair trial und Waffengleichheit als weiteres eigenständiges Prinzip des Strafverfahrensrechts zu beschreiben.339 Gleichwohl sollen im Folgenden die im Zusammenhang mit der Fürsorgepflicht diskutierten Fallgruppen und Konstellationen dargestellt werden. Die Funktion der Fürsorgepflicht soll vor allem darin liegen, allen Verfahrensbeteiligten 122 die Wahrnehmung ihrer (unterschiedlichen) prozessualen Befugnisse zu ermöglichen. Sie ist daher an die jeweilige formale Prozessrolle gebunden, die zu erweitern oder zu verändern nicht ihre Aufgabe ist.340 Dabei steht sie vor allem mit dem Amtsaufklärungsgrundsatz in Beziehung, dessen faire Handhabung sie sichert.341 Sie dient dazu, das mit der Instruktionsmaxime strukturell verbundene Übergewicht der staatlichen Machtmittel im Strafverfahren abzumildern.342 Insoweit ist die Überschneidung mit den Zielen des allgemeinen Fairnessgebots und des Verhältnismäßigkeitsprinzips unübersehbar. Die Fürsorgepflicht ist nur schwer gegenüber anderen Pflichten und Erscheinungs- 123 formen, mit denen sie teilweise zusammengefasst und vermengt wird, abzugrenzen. Es ist fraglich, ob sie auch die allgemeine Rechtspflicht zur Förderung des Verfahrens umfasst 343. Ähnliches gilt für die Pflicht zur Heilung der Verfahrensmängel 344 oder den Grundsatz der Beschleunigung sowie das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Deshalb wird vorgeschlagen der Fürsorgepflicht nur subsidiäre Bedeutung zuzumessen.345 Auch die Unterscheidung vom bloßen verfahrensrechtlichen nobile officium erscheint heikel.346 b) Inhalt und Grenzen. Der Fürsorgepflicht wird die Möglichkeit zugesprochen, auf 124 die Auslegung und Handhabung zahlreicher Vorschriften einzuwirken; insoweit ist generell auf die jeweiligen Einzelerläuterungen zu verweisen. Sie komme vor allem in den 335

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Vgl. zur historischen Entwicklung des Fürsorgegedankens auch Maiwald FS Lange 748 ff. SK/Rogall Vor § 133, 110, 113 m.w.N., auch zu anderen Ableitungen; Roxin § 42, 23; Steiner 204. Daher stellt Maiwald FS Lange 746, 764 zurecht die Frage, ob es sich nicht um eine Identität von fair trial und Fürsorgeprinzip handele, was dann wohl eine Beschränkung auf einen Begriff – Maiwald plädiert dabei für das fair trial – erforderlich mache. Vgl. LR/K. Schäfer 24 Einl. 6 23; KK/Pfeiffer Einl. 32; Pfeiffer Einl. 24; Nachweise bei SK/Rogall, Vor § 133, 113. KK/Pfeiffer Einl. 32; Meyer-Goßner Einl. 156; vgl. auch LR/K. Schäfer 24 Einl. 6 23; SK/Rogall Vor § 133, 113. So aber ausdrücklich noch LR/Rieß 25 Einl. H 120.

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Vgl. dazu Maiwald FS Lange 753 ff.; Plötz 168 ff.; SK/Rogall Vor § 133, 114. Roxin § 42, 23; ebenso SK/Rogall Vor § 133, 114. LR/K. Schäfer 24 Einl. 6 23. So aber Meyer-Goßner Einl. 156 ff.; wie hier SK/Rogall Vor § 133, 113 m.w.N.; vgl. auch Maiwald FS Lange 750 ff. So KK/Pfeiffer Einl. 32; Meyer-Goßner Einl. 159; LR/K. Schäfer 24 Einl. 6 23; Schmidt FS Maurach 535; Gössel 166; vgl. auch BayObLG 1965 2; wie hier SK/Rogall Vor § 133, 116. So Hübner 253 ff.; SK/Rogall Vor § 133, 113 a.E.; s. auch Plötz 230 ff. S. dazu ausführlich LR/K. Schäfer 24 Einl. 6 26; SK/Rogall Vor § 133, 113; MeyerGoßner Einl. 162.

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zahlreichen Belehrungs- und Hinweispflichten des geltenden Rechts zum Ausdruck, aber auch in Bestimmungen, die beispielsweise den Beistand eines Verteidigers gewährleisten oder besondere Möglichkeiten und Erleichterungen für die Abgabe und Auslegung prozessualer Willenserklärungen enthalten.347 Die Fürsorgepflicht könne es auch erfordern, über die positivrechtlich geregelten Fälle hinaus namentlich beim unverteidigten Beschuldigten durch Belehrungen, Hinweise, Rückfragen und Warnungen die sachgerechte Ausübung prozessualer Befugnisse zu ermöglichen 348 und das prozessuale Ermessen in einem bestimmten Sinne auszuüben; beispielsweise könne sie es gebieten, auf eine Verhinderung des Verteidigers durch eine Verschiebung des Beginns der Hauptverhandlung oder durch eine Aussetzung Rücksicht zu nehmen.349 Aus ihr soll sich auch die Notwendigkeit ergeben können, Willensmängel bei Prozesshandlungen, namentlich bei der übereilten Abgabe von Rechtsmittelverzichtserklärungen zu verhindern, jedenfalls sie nicht durch entsprechende Fragen zu provozieren,350 oder die sachgerechte Antragstellung zu ermöglichen.351 Auch der Schutz vor Überraschungsentscheidungen 352 soll hierunter fallen, obwohl dieser wie auch der in alle anderen vorerwähnten Konstellationen wohl ebenso gut durch das allgemeine Fairnessgebot, das Verhältnismäßigkeitsprinzip und den Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet werden kann. Ob die Fürsorgepflicht es den staatlichen Strafverfolgungsbehörden auch gebietet, die 125 (privaten) Prozessbeteiligten (auch Zeugen) vor Gefährdungen, unsachlichen Angriffen, Beleidigungen oder Verletzungen ihrer Rechte zu schützen, etwa, indem von Maßnahmen der Sitzungspolizei Gebrauch gemacht oder die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, unzulässige Fragen zurückgewiesen oder die Möglichkeiten der §§ 68, 247 StPO genutzt werden, ist umstritten.353 Verhältnismäßigkeitsprinzip und fair trial greifen hier aber unabhängig davon ein und gewähren diesen Schutz. Ihre strukturelle Grenze findet die Fürsorgepflicht in den autonomen Befugnissen der 126 Prozessbeteiligten, vor allem in den eigenverantwortlich wahrzunehmenden Verteidigungsbefugnissen des Beschuldigten,354 die sie ja eigentlich schützen soll. Sie darf dem Beschuldigten daher weder aufgedrängt,355 noch darf ihm unter Berufung auf sie die Strategie seiner Verteidigung abgenommen werden;356 dies gilt namentlich für das Verhältnis zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger sowie zwischen anderen Prozessbeteiligten und dem sie beratenden Rechtsanwalt. Eingriffe in das Verteidigungsverhältnis unter Berufung auf die Fürsorgepflicht sind daher als Umkehrung des Prinzips unzulässig.357 Die Fürsorgepflicht bietet auch keine Handhabe, notwendige und prozessual zulässige Maßnahmen der Aufklärung des Sachverhalts zu unterlassen.358 Soweit sie dem Schutz einzelner Prozessbeteiligter gegenüber anderen dient (Rn. 125), darf sie die gesetzlich (auch im Wege der Auslegung) vorgegebenen Handlungsbefugnisse nicht verändern; insbesondere darf bei der Anwendung zugunsten von Zeugen und Verletzten ihre 347 348 349 350 351

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Vgl. etwa § 299, 300. Vgl. auch die Erl. zu § 265. S. dazu etwa LR/Gollwitzer 25 § 218, 23; Vor § 226, 20 f.; § 228, 20 f. S. auch oben Rn. 109; und näher LR/Hanack 25 § 302, 49 ff. S. zu den einzelnen Fallgruppen der Fürsorgepflicht auch LR/K. Schäfer 24 Einl. 6 23a; SK/Rogall Vor § 133, 116. Dazu SK/Rogall Vor § 133, 116 m.w.N. Bejahend Meyer-Goßner Einl. 157 a.E; Terhorst MDR 1977 598; verneinend SK/

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Rogall Vor § 133, 116; Maiwald FS Lange 752; s. auch LR/K. Schäfer 24 Einl. 6 25; BGH NStZ 1984 31. Dazu näher u.a. Maiwald FS Lange 753 ff.; Plötz 334; SK/Rogall Vor § 133, 114. S. dazu Mess. Müller-Dietz ZStW 93 (1981) 1240. S. näher auch zu den (engen) Ausnahmen die Erl. zu den §§ 137 ff.; vgl. auch LR/ K. Schäfer 24 Einl. 6 24; Laufhütte 188 f. Maiwald FS Lange 753; Meyer-Goßner Einl. 157.

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Verfahrensbeteiligte

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grundsätzlich und in erster Linie beschuldigtenschützende Funktion 359 nicht vernachlässigt werden. c) Als Fürsorgeberechtigte kommen alle privaten Prozessbeteiligten (im weiteren 127 Sinne) in Betracht, also neben dem Beschuldigten auch der Privat- und Nebenkläger, der Verletzte, auch soweit er nicht als Nebenkläger auftritt oder auftreten will, sowie Zeugen und Sachverständige.360 Ob der Auffassung uneingeschränkt zuzustimmen ist, dass ihr beim Beschuldigten bzw. seinem Verteidiger das größte Gewicht zukommt,361 mag zweifelhaft sein. Zutreffend ist zwar, dass sich aus diesen Prozessrollen in der Regel das größte Bedürfnis für fürsorgende Maßnahmen ergibt, jedoch sind zugleich die ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen in diesem Kontext besonders elaboriert. Die Fürsorgepflicht als allgemeines Prinzip kann deshalb bei solchen Prozessbeteiligten in den Grenzen ihrer prozessualen Befugnisse gleichwertige Bedeutung erlangen, deren prozessuale Stellung und Möglichkeiten weniger eingehend geregelt sind. d) Adressaten der Fürsorgepflicht sind alle staatlichen Strafverfolgungsorgane,362 128 also auch die Staatsanwaltschaft und die Polizei im Ermittlungsverfahren.363 Soweit der Rechtspfleger oder der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle in Strafverfahren, etwa bei der Aufnahme von prozessualen Erklärungen, tätig werden, gilt sie auch für diese.364 Umstritten ist, ob sie auch für den Sachverständigen gilt;365 man wird dies in Grenzen bejahen müssen, soweit er als Gehilfe des Gerichtes (oder der Staatsanwaltschaft) anderen Prozessbeteiligten, namentlich dem Beschuldigten, bei der Erhebung von Befundtatsachen handelnd gegenübertritt, also etwa als ärztlich-psychiatrischer Sachverständiger.366 Kein Adressat der Fürsorgepflicht soweit sie als Prozessmaxime verstanden wird, ist dagegen der Verteidiger;367 seine dem Beschuldigten geschuldete Fürsorge ergibt sich aus seiner Beistandsaufgabe.

J. Verfahrensbeteiligte Schrifttum (Auswahl) Allgemeines. Gericht. Laienrichter. Baur Laienrichter – heute, FS Kern 49; Benz Zur Rolle des Laienrichters im Strafprozeß (1982); Böttges Die Laienbeteiligung in der Strafrechtspflege. Ihre Geschichte und heutige Bedeutung, Diss. Bonn 1979; Casper/Zeisel Der Laienrichter im Strafprozeß (1979); Drews e. a., Grundlagen der Rechtspflege (1986); Feuerbach Betrachtungen über die Geschworenengerichte (1813); Gerding Trial by Jury. Bewährung des englischen und des US amerikanischen Jury Systems (2006); Grube Richter ohne Robe. Laienrichter in Strafsachen im deutschen und anglo-amerikanischen Rechtskreis (2005); Hadding Schwurgerichte in Deutschland. Der Schwurgerichtsgedanke seit 1848 (1974); Hilger Über den „Richtervorbehalt“ im Ermittlungsverfahren,

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Vgl. SK/Rogall Vor § 133, 115; Hübner 23 ff.; s. aber auch Rn. 127. Heute allg. M.; s. u.a. SK/Rogall Vor § 133, 115; KK/Pfeiffer Einl. 32; BGH NStZ 1984 31. So SK/Rogall aaO; Hübner 23 ff. Allg. M.; s. etwa Meyer-Goßner Einl. 161; SK/Rogall Vor § 133, 116; Maiwald FS Lange 747.

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Näher und ausführlich Hegmann; insoweit krit. Hübner 20 ff. Meyer-Goßner Einl. 161. Bejahend Plötz 211; wohl auch Maiwald FS Lange 747; verneinend SK/Rogall Vor § 133, 115. Dazu Kühne 867 ff. SK/Rogall Vor § 133, 115; Plötz 211 ff.; Hübner 18.

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Einl. Abschn. J

Einleitung

GedS Meyer 209; Jakobs Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht, HRSS 2004, 88; Jung Die Beteiligung von Laien an der Strafrechtspflege, FS LG Saarbrücken (1985) 317; Klausa Ehrenamtliche Richter (1972); Kühne Die Zusammenarbeit zwischen Berufsrichtern und ehrenamtlichen Richtern, DRiZ 1975 390; ders. Laienrichter im Strafprozess? ZRP 1985 237; Lilie Ist für die Strafjustiz ein dreigliedriger Justizaufbau, eine Reform des Rechtsmittelsystems und eine Aufgabenverlagerung auf außergerichtliche Verfahren zu empfehlen? 63. DJT Gutachten D; Lisken Die Gewissensfreiheit des Schöffen, NJW 1997 34; Meinen Die Heranziehung zum Schöffenamt – gerichtsverfassungs- und revisionsrechtliche Probleme (1993); Peters „Gericht“ und „Richter“ – Institution und Persönlichkeit, GedS Meyer 331; Pfeiffer Die innere Unabhängigkeit des Richters, FS Zweigert 67; Rennig Die Entscheidungsfindung durch Schöffen und Berufsrichter in rechtlicher und psychologischer Sicht (1993); Rieß Die Bestimmung und Prüfung der sachlichen Zuständigkeit und verwandter Erscheinungen im Strafverfahren, GA 1976 1; ders. Gerichtliche Kontrolle des Ermittlungsverfahrens, FS Geerds 501; Rüping Funktionen der Laienrichter im Strafverfahren, JR 1976 269; Schorn Der Laienrichter in der Strafrechtspflege (1955); Schreiber Akteneinsicht für Laienrichter? FS Welzel 941; Schreiber Wie unabhängig ist der Richter? FS Jescheck 757; Simon Die Unabhängigkeit des Richters (1975); Volk Der Laie als Strafrichter, FS Dünnebier 373; weiteres Schrifttum s. bei § 1 GVG (insbesondere richterliche Unabhängigkeit, Bindung des Richters an das Gesetz) und bei § 16 GVG (Gesetzlicher Richter). Staatsanwaltschaft. Arend Die Bindung der Staatsanwaltschaft an die Rechtsprechung der Strafgerichte, Diss. Trier 1993; Bietau Das Verhältnis der Staatsanwaltschaft zu andern Hoheitsträgern (1989); Blankenburg/Sessar/Steffen Die Staatsanwaltschaft im Prozess strafrechtlicher Sozialkontrolle (1978); Blomeyer Die Stellung der Staatsanwaltschaft, GA 1970 161; Bohnert Die Abschlußentscheidung der Staatsanwaltschaft (1992); Bülles Zum Verhältnis der Staatsanwaltschaft zur Polizei und ihrer Zusammenarbeit, Der Kriminalist 2005 355; Collin „Wächter der Gesetze“ oder „Organ der Staatsregierung“? Konzipierung, Einrichtung und Anleitung der Staatsanwaltschaften durch das preußische Justizministerium von den Anfängen bis 1860 (2000); Fuhrmann Die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsorgane, JR 1964 218; Geisler Stellung und Funktion der Staatsanwaltschaft im heutigen deutschen Strafverfahren, ZStW 93 (1981) 1109; Gössel Überlegungen über die Stellung der Staatsanwaltschaft im rechtsstaatlichen Strafverfahren und über ihr Verhältnis zur Polizei, GA 1980 325; Hackner Der befangene Staatsanwalt im deutschen Strafverfahren, Diss. Göttingen 1994; Hund Brauchen wir die „unabhängige StA“? ZRP 1994 470; Jescheck/Leibinger Funktion und Tätigkeit der Anklagebehörde im ausländischen Recht (1979); Kalsbach Die gerichtliche Nachprüfung von Maßnahmen der Staatsanwaltschaft (1967); Knemeyer/Deubert Überlegungen zum Verhältnis Staatsanwaltschaft-Polizei/Polizei-Staatsanwaltschaft, NJW 1992 3131; Kohlhaas Die Stellung der Staatsanwaltschaft als Teil der rechtsprechenden Gewalt (1963); Koller Die Staatsanwaltschaft – Organ der Judikative oder Exekutivbehörde? (1997); Langer Staatsanwälte und Richter, Diss. Bielefeld 1993; Lilie Das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei im Ermittlungsverfahren, ZStW 106 (1994) 625; Mayer Überlegungen zur verfassungsrechtlichen Stellung der Staatsanwaltschaft, FS Odersky 233; Odersky Aktuelle Überlegungen zur Stellung der Staatsanwaltschaft, FS Rebmann 343; Prechtel Das Verhältnis der Staatsanwaltschaft zum Ermittlungsrichter, Diss. München (1995); Riehle Die rechtsstaatliche Bedeutung der Staatsanwaltschaft unter besonderer Berücksichtigung ihrer Rolle in der nationalsozialistischen Zeit, Diss. Frankfurt (1985); Röper Staatsanwalt – Hilfsorgan der Polizei? DRiZ 1998 309; Roxin Zur Rechtsstellung der Staatsanwaltschaft – damals und heute, DRiZ 1997 109; Rüping Die Geburtsstunde der Staatsanwaltschaft in Deutschland, GA 1992 147; ders. Das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei, ZStW 95 (1983) 894; ders. Die Staatsanwaltschaft – Stiefkind der Revolution, StV 1997 276; Sarstedt Gebundene Staatsanwaltschaft, NJW 1964 1752; Eb. Schmidt Zur Rechtsstellung und Funktion der Staatsanwaltschaft als Justizbehörde, MDR 1964 629, 713; Schröder Das verwaltungsrechtlich organisatorische Verhältnis der strafverfolgenden Polizei zur Staatsanwaltschaft (1996), Wagner der objektive Staatsanwalt – Idee und Wirklichkeit, JZ 1974 212; Wohlers Entstehung und Funktion der Staatsanwaltschaft (1994); Zimmermann Freiheit und Gebundenheit der Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung (1988); weiteres Schrifttum s. Vor § 141 GVG, ergänzend § 146 GVG (Weisungsrecht), Vor § 22 StPO (Ablehnung und Ausschließung des Staatsanwaltes), Vor § 158 StPO (insbes. zum Verhältnis Staatsanwaltschaft und Polizei).

310

Hans-Heiner Kühne

Verfahrensbeteiligte

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Beschuldigter und Verteidiger. Barton Mindeststandards der Strafverteidigung. Die strafprozessuale Fremdkontrolle der Verteidigung und weitere Aspekte der Gewährleistung von Verteidigungsqualität (1994), Beulke Der Verteidiger im Strafverfahren. Funktionen und Rechtsstellung (1980); ders. Die Strafbarkeit des Verteidigers (1989); Bottke Wahrheitspflicht des Verteidigers, ZStW 96 (1984) 726; Bringewat Der Verdächtige als schweigeberechtigte Auskunftsperson, JZ 1981 289; Bruns Der „Verdächtige“ als schweigeberechtigte Auskunftsperson, FS Schmidt-Leichner 1; Brüssow Mehrere Beschuldigte in prozessualer Wechselwirkung als Beweismittel, FS Friebertshäuser 171; Dahs/Langkeit Das Schweigerecht des Beschuldigten und seine Auskunftsverweigerung als „verdächtiger“ Zeuge, NStZ 1993 213; Dingeldey Das Prinzip der Aussagefreiheit im Strafprozeß, JA 1984 407; ders. Der Schutz der strafprozessualen Aussagefreiheit durch Vernehmungsverbote bei außerstrafrechtlichen Aussage- und Mitteilungspflichten, NStZ 1984 539; Dornach Der Strafverteidiger als Mitgarant eines justizförmigen Strafverfahrens (1994); Eser Aussagefreiheit und Beistand des Verteidigers im Ermittlungsverfahren, ZStW 79 (1967) 565; ders. Der Schutz vor Selbstbezichtigung im deutschen Strafprozeßrecht, ZStW 86 (1974) Beiheft 136; Europäische Kommission (Hrsg.) Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung eine Europäischen Staatsanwaltschaft, KOM (2001) 715 endgültig vom 11.12.2001; Fezer Hat der Beschuldigte ein Recht auf Lüge? FS Stree/Wessels 663; Fincke Zum Begriff des Beschuldigten und den Verdachtsgraden, ZStW 95 (1983) 919; Frister Schuldprinzip, Verbot der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung als materielle Grundprinzipien des Strafrechts (1988); Geppert Grundlegendes und Aktuelles zur Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 der Europ. Menschenrechtskonvention, Jura 1993 160; ders. Zur Verwertbarkeit selbstbelastender Angaben eines Versicherungsnehmers und späteren Beschuldigten im nachfolgenden Verfahren, Jura 1995 439; Gössel Die Stellung des Verteidigers im rechtsstaatlichen Strafverfahren, ZStW 94 (1982) 5; ders. Widerrede zum Feindstrafrecht – Über Menschen, Individuen und Rechtspersonen, FS Schroeder 33; Greenberg (Hrsg.) The Torture Debate in America, Cambridge University Press (2005); Gropp Zum verfahrenslimitierenden Wirkungsgehalt der Unschuldsvermutung, JZ 1981 804; Grünwald Die Verfahrensrolle des Mitbeschuldigten, FS Klug 493; Günther Die Schweigebefugnis des Tatverdächtigen im Straf- und Bußgeldverfahren aus verfassungsrechtlicher Sicht, GA 1978 193; Hamm Der Standort des Verteidigers im heutigen Strafprozeß, NJW 1993 289; Heinicke Der Beschuldigte und sein Verteidiger in der Bundesrepublik Deutschland (1984); Helgerth Der „Verdächtige“ als schweigeberechtigte Auskunftsperson und selbständiger Prozeßbeteiligter neben den Beschuldigten und den Zeugen, Diss. Erlangen/Nürnberg 1976; Herrmann Überlegungen zur Reform der notwendigen Verteidigung, StV 1996 396; Hettinger Entwicklungen im Strafrecht und Strafverfahrensrecht der Gegenwart (1997); Hetzer, Verschleppung und Folter, Institut für Rechtspolitik der Universität Trier (2006); Holtfort Strafverteidiger als Interessenvertreter (1979); Jolmes Der Verteidiger im deutschen und Österreichischen Strafprozeß (1982); Kahlo Der Begriff der Prozeßsubjektivität und seine Bedeutung im reformierten Strafverfahren, besonders für die Rechtsstellung des Beschuldigten, KritV 1997 183; Köster Die Rechtsvermutung der Unschuld. Historische und dogmatische Grundlagen, Diss. Bonn 1979; Krauß Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren, in: Müller-Dietz, Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik (1971) 159; ders. Der Schutz der Intimsphäre im Strafprozeß, FS Gallas 365; Kühl Unschuldsvermutung, Freispruch und Einstellung (1983); ders. Rückschlag für die Unschuldsvermutung aus Straßburg, NJW 1988 3233; Kühne Bürgerfreiheit und Verbrecherfreiheit. Der Staat zwischen Leviathan und Nachtwächter, Rechtspolitisches Forum, Institut für Rechtspolitik der Universität Trier (2004); Lehnert Wer den Tod liebt, der soll ihn auch haben, FoR 2005 96; Lenckner Mitbeschuldigter und Zeuge, FS Peters 333; Lüderssen Wie abhängig ist der Strafverteidiger von seinem Auftraggeber? Wie unabhängig kann und soll er sein? FS Dünnebier 277; Melia Feind „strafrecht“? ZStW 117 (2005) 267; Meyer, Karlheinz Grenzen der Unschuldsvermutung, FS Tröndle 61; Michalke Die Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus der Eigenüberwachung zu Beweiszwecken im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren, NJW 1990 417; Montenbruck Tatverdächtiger Zeuge und Aussagenotstand, JZ 1995 976; Moos Beschuldigtenstatus und Prozeßverhältnis im Österreichischen Strafverfahren, FS Jescheck 725; Müller-Dietz Die Stellung des Beschuldigten im Strafprozeß, ZStW 93 (1983) 1177; Nothhelfer Die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang (1989); Paulus Dogmatik der Verteidigung, NStZ 1992 305; Pawlik Verdeckte Ermittlungen und das Schweigerecht des Beschuldigten. Zu den Anwendungsgrenzen der §§ 136 Abs. 1 Satz 2 und § 136a StPO, GA 1998 378; Plöger Die Mitwir-

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Einl. Abschn. J

Einleitung

kungspflichten des Beschuldigten im deutschen Strafverfahren von den Anfängen im germanischen Rechtsgang bis zum Ende des gemeinen Inquisitionsprozesses (1982); Prittwitz Der Mitbeschuldigte im Strafprozeß (1978); Ransiek Die Rechte des Beschuldigten in der Polizeivernehmung (1990); Reiß Besteuerungsverfahren und Strafverfahren (1987); Rieß Der Beschuldigte als Subjekt des Strafverfahrens in Entwicklung und Reform der Strafprozeßordnung, FS Reichsjustizamt 373; Rogall Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst (1977); ders. Der Verdächtige als selbständige Auskunftsperson im Strafprozeß, NJW 1978 2535; Roschmann Das Schweigerecht des Beschuldigten im Strafprozeß – seine rechtlichen und faktischen Grenzen, Diss. Bremen 1983; Roth/Worden/Bernstein (Hrsg.) Torture. Does it make us safer? Is it Ever OK? The New Press (2005); Roxin Nemo tenetur: die Rechtsprechung am Scheidewege, NStZ 1995 465; ders. Gegenwart und Zukunft der Verteidigung im rechtsstaatlichen Strafverfahren, Festvortrag anläßlich des 50jährigen Bestehens des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer am 20.6.1997 in Bonn, noch unveröffentlicht; Rüping Zur Mitwirkungspflicht des Beschuldigten und Angeklagten, JR 1974 135; Rüping/Kopp Steuerrechtliche Mitwirkungspflichten und strafrechtlicher Schutz vor Selbstbelastung, NStZ 1997 530; Satzger Chancen und Risiken einer Reform des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, Gutachten C zum 65. DJT; Schäfer, Karl Einige Bemerkungen zu dem Satz „nemo tenetur se ipsum accusare“, FS Dünnebier 11; Schreieder Die Stellung des Beschuldigten in Hinblick auf die Aussage nach formellem und materiellem Strafrecht (1968); Schubarth Zur Tragweise des Grundsatzes der Unschuldsvermutung (1978); Schulz Die Rechte des Angeklagten im Strafverfahren (1953); Schünemann Wohin treibt der deutsche Strafprozess? ZStW 114 (2002); Spaniol Das Recht auf Verteidigerbeistand im Grundgesetz und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (1990); Stuckenberg Untersuchungen zur Unschuldsvermutung (1997); Stürner Strafrechtliche Selbstbelastung und verfahrensförmige Wahrheitsermittlung, NJW 1981 1757; Vehling Die Funktion des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1992 86; Verrel Nemo tenetur – Rekonstruktion eines Verfahrensgrundsatzes, NStZ 1997 361, 415; Vogtherr Rechtswirklichkeit und Effizienz der Strafverteidigung (1991); Weigend Unverzichtbares im Strafverfahrensrecht, ZStW 113 (2001), 271; Weihrauch Verteidigung im Ermittlungsverfahren (2002); Welp Der Verteidiger als Anwalt des Vertrauens, ZStW 90 (1978) 101; ders. Die Geheimsphäre des Verteidigers in ihrer strafprozessualen Funktion, FS Gallas 391; ders. Die Rechtsstellung des Strafverteidigers, ZStW 90 (1978) 804; Weßlau Zwang, Täuschung und Heimlichkeit im Strafverfahren. Über die Mitwirkungsfreiheit des Beschuldigten und deren Grenzen, ZStW 110 (1998) 1; Westerdiek Die Straßburger Rechtsprechung zur Unschuldsvermutung bei der Einstellung von Strafverfahren, EuGRZ 1987 393; Wolter Strafverfahrensrecht und Strafprozessreform, GA 1985 49; weiteres Schrifttum s. Vor § 137 (zur Verteidigung), bei den §§ 136, 136a, 163a StPO (Vernehmung des Beschuldigten) und bei der MRK (Unschuldsvermutung). Verletzte, Zeugen und Sachverständige. Barton Der psycho-wissenschaftliche Sachverständige im Strafverfahren (1983), Böttcher Der Schutz der Persönlichkeit des Zeugen im Strafverfahren, FS Kleinknecht 25; ders. Der gefährdete Zeuge im Strafverfahren, FS Schüler-Springorum 541; Busse/Volbert/Steller Belastungserleben von Kindern in Hauptverhandlungen, Reihe recht, Hrsg. Bundesministerium der Justiz (1996); Caesar Noch stärkerer Schutz für Zeugen und andere nicht beschuldigte Personen im Strafprozeß? NJW 1998 2313; Dahs Zum Persönlichkeitsschutz des „Verletzten“ als Zeuge im Strafprozeß, NJW 1984 1921; ders. Der Zeuge – zu Tode geschützt? NJW 1998 2332; Dippel Die Stellung des Sachverständigen im Strafprozeß (1986); Gomolla Der Schutz des Zeugen im Strafprozeß (1986); Griesbaum Zum Zeugenschutz, NStZ 1998 433; Hammerstein Der Anwalt als Beistand gefährdeter Zeugen, NStZ 1981 125; ders. Die Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren, Referat auf dem 55. DJT (1984), Verh. des 55. DJT, Bd. II Teil L S. 7; Hassemer/Matussek Das Opfer als Verfolger. Ermittlungen des Verletzten im Strafverfahren (1996); Hilger Über das Opferrechtsreformgesetz, GA 2004 478; ders. Überlegungen zum Verhältnis zwischen dem Zeugenschutz-Harmonisierungsgesetz und der StPO, FS Gössel 605; Hirsch Zur Stellung des Verletzten im Straf- und Strafverfahrensrecht, GedS A. Kaufmann 699; Hörstel Staatshaftung wegen nachlässiger Verfolgung von Straftätern durch Polizisten, Staatsanwälte und Richter, MDR 1994 633; Hünerfeld Zeugenschutz durch Verkürzung oder Vorenthaltung von Angaben zur Person des Zeugen, ZStW 105 (1993) 396; Jung Die Stellung des Verletzten im Strafprozeß – ein deutschfranzösischer Vergleich, in: Recht und Gesetz im deutsch-französischen Dialog (1997) 209; ders. Die Stellung des Verletzten im Strafprozeß, ZStW 93 (1981) 1147; ders. Zeugenschutz, GA 1998 313;

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Hans-Heiner Kühne

Verfahrensbeteiligte

Einl. Abschn. J

Kaiser, M. Die Stellung des Verletzten im Strafverfahren (1991); Kaum Der Beistand im Strafprozeßrecht (1992); Keiser Das Kindeswohl im Strafverfahren (1998); Kintzi Verbesserung des Opferschutzes im Strafverfahren, DRiZ 1998 65; Kirchhoff/Sessar (Hrsg.) Das Verbrechensopfer (1979); Krauß Richter und Sachverständiger im Strafprozeß, ZStW 85 (1973) 320; Krehl Der Schutz von Zeugen im Strafverfahren, GA 1990 555; Krey Probleme des Zeugenschutzes im Strafverfahren, GedS Meyer 239; Kühne (Hrsg.) Strafprozessuale Opferrechte im europäischen Vergleich (1988); Lüdecke Der Zeugenbeistand (1995); Miyazawa/Ohta (Hrsg.) Victimology in Internaional Perspective. Fourth International Symposium on Victimology (1982); Nelles Der Zeuge – ein Rechtssubjekt, kein Schutzobjekt NJ 1998 449; Nelles/Oberlies (Hrsg.) Reform der Nebenklage und andere Verletztenrechte, SchrR Deutscher Juristinnenbund (1998); Odersky Die Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren, Referat auf dem 55. DJT (1984), Verh. des 55. DJT, Bd. II Teil L S. 29; Patsourakou Die Stellung des Verletzten im Strafrechtssystem (1994); Rebmann/Schnarr Der Schutz des gefährdeten Zeugen im Strafverfahren, NJW 1989 1185; Rengier Die Zeugnisverweigerungsrechte im geltenden und künftigen Strafverfahren (1979); Rieß Die Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren, Gutachten zum 55. DJT (1984), Verh. des 55. DJT, Bd. I Teil C; ders. Der Strafprozeß und der Verletzte – eine Zwischenbilanz, Jura 1987 281; ders. Zeugenschutz durch Änderung des § 338 Nr. 6 StPO, FS Wassermann 969; ders. Opfer- und Zeugenschutz am Beispiel der sog. Mißbrauchsverfahren, 22. Strafverteidigertag (1998), Schriftenreihe Strafverteidigervereinigung; Rössner/Wulf Opferbezogene Strafrechtspflege (1984); Roxin Zur Wiedergutmachung als einer „dritten Spur“ im Sanktionensystem, FS Baumann 243; Schmidt, J. R. Die Rechte des Zeugen im Strafverfahren, Diss. Erlangen/Nürnberg 1986; H. J. Schneider (Hrsg.) Das Verbrechensopfer in der Strafrechtspflege. Drittes Internationales Symposium für Viktimologie (1979, 1982); ders. Viktimologie. Die Wissenschaft vom Verbrechensopfer (1975); Schöch Die Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren, NStZ 1984 385; Schünemann Zur Stellung des Opfers im System der Strafrechtspflege, NStZ 1986 193, 439; ders. Der deutsche Strafprozeß im Spannungsfeld von Zeugenschutz und materieller Wahrheit, StV 1998 391; Silverman Der Zugriff auf Profite aus der Vermarktung von Straftaten, JZ 1998 552; Staiger-Allroggen Die Auswirkungen des Opferschutzgesetzes auf die Stellung des Verletzten im Strafverfahren, Diss. Göttingen 1992; Thode Amtshaftung für Akte der Strafjustiz DRiZ 2002 471; Thomas Der Zeugenbeistand im Strafprozeß, NStZ 1982 489; Vogel Amtspflichten der Staatsanwaltschaft gegenüber Verletzten, NJW 1996 3401; Weigend Victimologische und kriminalpolitische Überlegungen zur Stellung des Verletzten im Strafverfahren, ZStW 96 (1984) 761; ders. Deliktsopfer und Strafverfahren (1989); ders. Empfehlen sich gesetzliche Änderungen, um Zeugen und andere nicht beschuldigte Personen im Strafprozeß besser vor Nachteilen zu bewahren? Gutachten zum 62. DJT (1998); Verh. des 62. DJT, Bd. I Teil C; Winter Die vorläufigen Maßregeln im Strafprozess, ihre verfassungsrechtliche und organisatorische Problematik (1984); Zacharias Der gefährdete Zeuge im Strafverfahren (1997); weiteres Schrifttum s. insbes. Vor § 48 (Zeugen), §§ 53, 55 (Aussageverweigerungsrechte), § 68 StPO (Zeugenschutz), Vor § 72 StPO (Sachverständige) bei § 172 und Vor § 374 StPO (Verletzter).

Übersicht Rn. I. Verfahrensbeteiligte und Prozesssubjekte II. Der Bereich der richterlichen Tätigkeit 1. Die Aufgaben des Richters im Strafverfahren a) Aburteilungsmonopol des Richters . b) Sonstige richterliche Tätigkeiten . . 2. Die richterliche Unabhängigkeit als Grundbedingung der richterlichen Tätigkeit a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Einzelheiten zur Unabhängigkeit . . c) Der gesetzliche Richter . . . . . . . 3. Aufbau und Zuständigkeiten der Strafgerichte im Überblick

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Rn. a) Allgemeines. Hinweise . . . . . . . b) Merkmale der Zuständigkeitsabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . c) Zuständigkeitskonflikte und ihre Klärung . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Beteiligung von Laien an der Strafrechtspflege a) Grundlagen und Entwicklung . . . b) Funktion und Legitimation der Laienbeteiligung . . . . . . . . . . c) Umfang der Mitwirkung . . . . . . d) Rechtsstellung der Schöffen . . . . 5. Der richterlichen Tätigkeit zugeordnete Beteiligte a) Allgemeines. Gerichtshilfe . . . . .

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Einleitung Rn.

b) Rechtspfleger . . . . . . . . . . . c) Urkundsbeamter der Geschäftsstelle III. Der Bereich der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit 1. Die Aufgaben der Staatsanwaltschaft im Gesamtgefüge des Verfahrens a) Die Entstehung und Entwicklung der Staatsanwaltschaft und ihre Bedeutung im Allgemeinen . . . . . . b) Funktionen der Staatsanwaltschaft im Überblick . . . . . . . . . . . . c) Beziehungen zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht . . . . . . . . . 2. Die Objektivitätsverpflichtung und die Frage der Parteistellung der Staatsanwaltschaft a) Das Objektivitätspostulat . . . . . b) Strafprozess als Parteiprozess? . . . 3. Die staatsrechtliche Stellung der Staatsanwaltschaft und ihre innere Struktur a) Die Stellung der Staatsanwaltschaft im Gefüge der Staatsorgane . . . . b) Aufbau und Struktur der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . 4. Der staatsanwaltschaftlichenTätigkeit zugeordnete Organe a) Die Aufgabe der Polizei im Strafverfahren und ihr Verhältnis zur Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . b) Andere selbständige Organträger und Behörden . . . . . . . . . . . c) Innerhalb der Staatsanwaltschaft . 5. Die – geplante – Europäische Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . IV. Beschuldigter und Verteidiger 1. Stellung und Begriff des Beschuldigten im Allgemeinen a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzliche Grundlagen. Hinweise .

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Rn. c) Begriff des Beschuldigten . . . . . . d) Beginn und Ende der Beschuldigteneigenschaft . . . . . . . . . . . . . 2. Die Befugnisse und Pflichten des Beschuldigten im Überblick a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Die Unschuldsvermutung . . . . . c) Einwirkungs- und Beteiligungsrechte d) Regelungen, die dem Schutz des Beschuldigten dienen . . . . . . . . . e) Pflichten des Beschuldigten . . . . f) Beschuldigter als Beweismittel . . . 3. Die Aussagefreiheit des Beschuldigten und das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung a) Grundlagen. Hinweise . . . . . . . b) Im eigenen Strafverfahren . . . . . c) Würdigung des Prozessverhaltens . d) Zeugnispflicht und sonstige Auskunfts- und Mitwirkungspflichten . 4. Verteidigung und Verteidiger a) Materielle und formelle Verteidigung b) Gesetzliche Grundlagen. Hinweise . c) Verteidiger als Prozesssubjekt und als Organ der Rechtspflege . . . . .

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V. Der Verletzte 1. Allgemeines. Hinweise . . . . . . . . 2. Entwicklung . . . . . . . . . . . . . 3. Begriff und Stellung des Verletzten im Überblick a) Verletztenbegriff . . . . . . . . . . b) Beziehungen zum Beschuldigten . . c) Berechtigte Verfahrensinteressen des Verletzten . . . . . . . . . . . . . d) Verletzter als Prozesssubjekt? . . . 4. Umgang mit dem Verletzten . . . . .

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VI. Zeugen und Sachverständige 1. Allgemeines. Hinweise . . . . . . . . 2. Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sachverständige . . . . . . . . . . . .

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I. Verfahrensbeteiligte und Prozesssubjekte 1

Der Strafprozess ist geprägt und sein Ergebnis wird entscheidend bestimmt durch das Zusammenwirken einer Mehrzahl von Personen und Stellen, die handelnd auftreten und mit ihren Handlungen aufeinander einwirken.1 Das Gesetz weist ihnen unterschiedliche Rollen zu, gewährt ihnen bestimmte Befugnisse oder legt ihnen näher bezeichnete Duldungs- oder Handlungspflichten auf. Mittel der gegenseitigen Einwirkung sind in erster Linie die Prozesshandlungen (dazu näher K 5 ff.). All diese Personen oder (soweit es sich um die Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse handelt) durch ihre Amtsträger handeln-

1

Vgl. dazu auch die anschauliche Übersicht von LR/K. Schäfer 24 Einl. 9 1; s. ferner

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umfassend mit Nachw. Eb. Schmidt I 75 ff.; Peters 102 f.

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Verfahrensbeteiligte

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den Stellen 2 können als Prozessbeteiligte im weiteren Sinne bezeichnet werden. Sie lassen sich unter verschiedenen teilweise einander überschneidenden Gesichtspunkten erfassen und einteilen. Im Schrifttum besteht keine vollständige Übereinstimmung hierüber und die Einteilungsgesichtspunkte sind verschiedenartig.3 Für die Rechtsprechung spielen diese Fragen keine nennenswerte Rolle. Als Prozesssubjekte werden unter der größeren Zahl von Verfahrensbeteiligten viel- 2 fach diejenigen herausgehoben, deren Vorhandensein für den Prozess, jedenfalls regelmäßig, konstituierend ist,4 die zu den Trägern der Hauptrollen des Prozesses gehören,5 wobei teilweise wieder zwischen Hauptprozesssubjekten und den Inhabern von Nebenrollen unterschieden wird.6 Auch insoweit bestehen aber über die Zuordnung im Einzelnen unterschiedliche Ansichten, die auch damit zusammenhängen dürften, ob man den Strafprozess auf das gerichtliche Erkenntnisverfahren konzentriert oder ob und wieweit man auch das Ermittlungsverfahren mit einbezieht. Anerkannt ist, dass zu den Prozesssubjekten in diesem Sinne das Gericht 7, die Staatsanwaltschaft und der Beschuldigte gehören. Orientiert man die Vorstellung auf das gerichtliche Verfahren und bezieht die Privatklage mit ein, so wird man auch den im Anklageprozess an die Stelle der Staatsanwaltschaft tretenden Privatkläger nicht anders behandeln können.8 Welche weiteren Verfahrensbeteiligten noch zu den Prozesssubjekten gehören, wird im Einzelnen unterschiedlich beurteilt. Dabei handelt es sich weitgehend um eine terminologische Frage, von der sachliche Entscheidungen nicht abhängig gemacht werden sollten.9 Zur umstrittenen Frage, ob die Prozesssubjekte als Parteien angesehen und der Strafprozess als Parteiprozess bezeichnet werden kann, s. unten Rn. 52 ff. Soweit es auf eine besondere, aus dem Kreis der Verfahrensbeteiligten herauszuhebende 3 Kategorie der Prozesssubjekte überhaupt ankommt, dürfte es am sachgerechtesten sein, darunter diejenigen zu verstehen, denen die Rechtsmacht verliehen ist, auf den Prozessgegenstand final gestaltend einzuwirken.10 Ohne Bedeutung ist, ob sich diese Möglichkeit im konkreten Prozess auch realisiert. In einem Ermittlungsverfahren, bei dem sich bei Prüfung des Anfangsverdachts alsbald herausstellt, dass eine strafbare Handlung nicht vorliegt, treten die Prozesssubjekte Beschuldigter und Gericht nicht in Erscheinung, und ein von der Staatsanwaltschaft ohne richterliche Mitwirkung eingestelltes Ermittlungsverfahren, bei dem auch keine richterlichen Anordnungen erforderlich waren, also ein quantitativ häufiger Fall, hat ohne das Prozesssubjekt Gericht seinen Abschluss 2

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Vgl. zu dieser Differenzierung und zu der konstruktiven Frage, ob der Staat als solcher als Prozesssubjekt angesehen werden soll, Beling 120; Eb. Schmidt I 76. S. dazu die zusammenfassende Übersicht bei Eb. Schmidt I 75 ff.; vgl. auch Peters 102 f.; Gössel 147 f.; Henkel 116; aus dem älteren Schrifttum s. u. a. Beling 118 f.; v. Hippel 230; Gerland 39. Im neueren Schrifttum spielen diese Fragen keine erhebliche Rolle, vgl. etwa Kühne 101. Beling 118; K. Schäfer in der 24. Aufl. Einl 9 2; Eb. Schmidt I 76; a.A. Meyer-Goßner Einl. 71, der die Begriffe Prozesssubjekte und Verfahrensbeteiligte gleichsetzt; ähnlich auch Henkel 116. Eb. Schmidt I 76 f.; grundsätzlich zu den (rechtsphilosophischen) Voraussetzungen

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der Subjektqualität Kahlo KritV 1997 206 ff. Eb. Schmidt I 78 f. Vereinzelt wird (terminologisch) das Gericht nicht zu den Prozesssubjekten gezählt; so z.B. Meyer-Goßner Einl. 71; wie hier die ganz h.M.; vgl. etwa Roxin § 17, 1; Beling 118; Eb. Schmidt I 76. Eb. Schmidt I 76 spricht deshalb auch nicht von der Staatsanwaltschaft, sondern generell vom Kläger, womit allerdings das Ermittlungsverfahren nicht ausreichend erfaßt wird. Ebenso Gössel 148. Ähnlich Eb. Schmidt I 78; Meyer-Goßner Einl. 71; Gerland 39; Gössel 148; Henkel 116; Roxin § 17, 1 (Inhaber selbständiger Verfahrensrechte); weitergehend Peters 102.

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gefunden. Entscheidend ist allein die Möglichkeit, dass die vom Gesetz verliehene Rechtsmacht zu eigenverantwortlicher Gestaltung im Verlaufe eines Strafverfahrens in Anspruch genommen werden kann. Dies trifft, soweit das Strafverfahren nicht vorher beendet wird, regelmäßig für das 4 Gericht, die Staatsanwaltschaft (oder den Privatkläger) und – wenn nicht ausnahmsweise eine untypische Sonderform, wie etwa das objektive Einziehungsverfahren nach § 440 StPO vorliegt, bei dem ein Beschuldigter nicht und ein anderer Einziehungsbeteiligter jedenfalls nicht notwendig mitwirkt 11 – für den Beschuldigten und seinen Verteidiger 12 zu, die sich deshalb als notwendige Prozesssubjekte bezeichnen lassen. Dies gilt trotz des Umstandes, dass die Anwesenheit des Beschuldigten in der Hauptverhandlung für gewisse Fällen, §§ 231, 231a, 233 StPO, entbehrlich ist, ebenso wie die Anwesenheit des Verteidigers außerhalb der Situation einer notwendigen Verteidigung, § 140 StPO, nicht erforderlich ist; all dies ändert an ihrer ebenso grundsätzlichen wie zentralen Position im Verfahren, auf die insbesondere auch Art. 6 Abs. 3 EMRK Bezug nimmt, nichts. Diesen notwendigen Prozesssubjekten stehen, sofern diese Position im konkreten Verfahren aktuelle Bedeutung erlangt, auf der Beschuldigtenseite diejenigen gleich, denen das Gesetz jedenfalls partiell Beschuldigtenrechte einräumt, wie etwa dem Einziehungsbeteiligte, dem Nebenkläger oder dem Adhäsionskläger. Nach der neueren Rechtsentwicklung muss man auch den Verletzten 13 als Prozesssubjekt ansehen. Auch die Polizeibehörden dürften im Hinblick auf ihre eigenständigen Ermittlungsbefugnisse bei ihrer Tätigkeit nach § 163 StPO Prozesssubjekte im Ermittlungsverfahren sein, wenn auch nur für diesen Teilbereich ihrer Tätigkeit und unbeschadet der Leitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft.14 Keine Prozesssubjekte sind dagegen Zeugen und Sachverständige als Träger des Per5 sonalbeweises,15 weil ihnen trotz der faktischen Möglichkeit, dass ihre Aussage auf den Prozessgegenstand gestaltend einwirkt, die subjektive Zielrichtung, also das finale Element fehlt, oder, sofern es vorhanden sein sollte, etwa bei einer bewussten Falschaussage, nicht als Rechtsmacht anerkannt ist. Soweit es um einen Zwischenstreit um ihre eigenen Befugnisse oder Pflichten geht, kommt ihnen diese gestaltende Rechtsmacht zwar zu, sie bezieht sich aber nicht auf den Prozessgegenstand des eigentlichen Strafverfahrens.16 Auch Urkundsbeamte, Dolmetscher, Gerichtshelfer und ähnliche Personen sind keine Prozesssubjekte,17 selbst soweit sie einen eigenen Verantwortungsbereich selbständig wahrzunehmen haben, denn ihnen fehlt die finale Befugnis zur gestaltenden Einwirkung auf den Prozessgegenstand; sie unterstützen lediglich das jeweilige Prozesssubjekt bei dessen Aufgabe.18 Gleiches gilt für die Beamten und Behörden des Polizeidienstes im Ermittlungsverfahren, soweit sie nicht aufgrund eigener Kompetenz, sondern nach § 161 StPO auf Ersuchen oder im Auftrag der Staatsanwaltschaft tätig werden.

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S. die Erl. zu § 440 und zu § 431 StPO. Zur Rolle des Verteidigers, der teilweise als Prozesssubjektgehilfe bezeichnet wird, vgl. unten Rn. 106. S. näher unten Rn. 119; die früher wohl h.M. rechnete den Verletzten als solchen nicht zu den Prozesssubjekten; vgl. z.B. Eb. Schmidt I 80 m.w.N.; s. auch LR/K. Schäfer 24 Einl. 9 6. S. näher Rolle der Polizei unten Rn. 59 ff.

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Ganz h.M.; vgl. z. B. LR/K. Schäfer 24 Einl. 9 3; Eb. Schmidt I 79; Henkel 117; Peters 103; Schlüchter 6. Näher LR/K. Schäfer 24 Einl. 9 3. A.A. Peters 102 f. A.A. LR/K. Schäfer 24 Einl. 9 1 a.E. für Urkundsbeamte; Meurer 7; Meyer-Goßner Einl. 75; Henkel 117.

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Verfahrensbeteiligte

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II. Der Bereich der richterlichen Tätigkeit 1. Die Aufgaben des Richters im Strafverfahren a) Aburteilungsmonopol des Richters. Die Bezeichnung des Richters als „das zentrale 6 Organ des Strafprozesses“ 19 ist insoweit zutreffend, als die verbindliche Entscheidung über die Schuld oder Unschuld des Beschuldigten sowie gegebenenfalls die Verhängung und damit Konkretisierung der strafrechtlichen Sanktion ausnahmslos als ein Akt der Rechtsprechung dem Richter zugewiesen ist. Dieses Aburteilungsmonopol des Gerichts gilt im Strafverfahren uneingeschränkt; es folgt verfassungsrechtlich aus Art. 92 1. Halbsatz GG, weil die Verhängung einer Kriminalstrafe zum unentziehbaren Kernbereich der rechtsprechenden Gewalt gehört.20 Es ist daher stets einer gerichtlichen Entscheidung vorbehalten, verbindlich festzustellen und damit die Unschuldsvermutung (Rn. 74 f.) zu widerlegen, ob der Beschuldigte eine Straftat begangen hat und welche Sanktion deswegen auszusprechen ist. Dies gilt auch dann, wenn es im Strafbefehlsverfahren aufgrund eines Antrags der Strafverfolgungsbehörde in einem verkürzten, schriftlichen Verfahren geschieht.21 Diese umfassende Kognitionsbefugnis für den Straffall erwirbt der Richter nach dem 7 Anklagegrundsatz (Rn. I 9) allerdings erst aufgrund des Aktes der Klageerhebung nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens, und sie endet, gegebenenfalls. nach dem Durchlaufen mehrerer Instanzen, mit der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung oder der anderweitigen Beendigung der gerichtlichen Verfahrens, etwa aufgrund einer Einstellung nach dem § 153 ff. StPO. Nach der Eröffnung des Hauptverfahrens (oder vergleichbaren Prozesshandlungen) kann sie ihm als erkennendes Gericht,22 von einigen Sondervorschriften abgesehen,23 nicht wieder entzogen werden. Als erkennendes Gericht ist es nach den Grundsätzen des Amtsaufklärungsprinzips (Rn. I 30) grundsätzlich zur eigenen Sachverhaltserforschung berechtigt und verpflichtet, die insbesondere nicht durch die Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft präjudiziert wird und im Rahmen der angeklagten prozessualen Tat in seiner rechtlichen und tatsächlichen Bewertung frei (§ 155 Abs. 2, § 264 StPO). b) Sonstige richterliche Tätigkeiten. Vor und nach dem eigentlichen gerichtlichen 8 Strafverfahren, dessen Ablauf die StPO vorwiegend in den §§ 199 bis 358 regelt, also insbesondere im Ermittlungsverfahren oder bei der Strafvollstreckung, kommt diese zentrale Rolle dem Richter dagegen nicht zu, auch wenn der Umfang seiner Mitwirkung in diesen beiden Bereichen keineswegs bedeutungslos ist und vielfach schon durch die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG gefordert wird. Dabei zeigt sich entwicklungsgeschichtlich im Ermittlungsverfahren, also dem Verfahrensabschnitt, der der Verdachtsklärung dient (Rn. G 3), durch den Wegfall der früheren gerichtlichen Voruntersuchung 24 eine Verminderung der richterlichen Aufgaben, die in gewisser Weise durch das Anwachsen der Kontrollzuständigkeiten bei der Anordnung von strafprozessualen Zwangsmaßnahmen kompensiert wird. Bei der richterlichen Teilnahme an der Strafvollstreckung, also den Maßnahmen zu Verwirklichung der strafrechtlichen Sanktion, ist 19 20

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KK/Pfeiffer Einl. 57. BVerfGE 22 49, 73 ff. (zur Verfassungswidrigkeit des früheren Verwaltungsstrafverfahrens nach den §§ 421, 445, 447 RAO). Vgl. näher Rn. G 32 ff. und die Erl. Vor § 407.

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S. zum Begriff näher die Erl. zu § 28 m.w.N. S. etwa § 391 StPO (Privatklage). Vgl. dazu Rn. F 113.

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jedoch infolge des Anwachsens von sanktionskonkretisierenden Aufgaben gegenüber dem ursprünglichen Rechtszustand eine Zunahme richterlicher Tätigkeit zu beobachten.25 Das Ermittlungsverfahren liegt in seiner Gesamtheit nicht in der Verantwortung des 9 Richters, sondern in der der Staatsanwaltschaft als Strafverfolgungsbehörde.26 Die Tätigkeit des Richters bezieht sich hier entweder auf die – auch als Gewährung von präventivem Rechtsschutz 27 zu deutende – Anordnung oder Genehmigung von Zwangsmaßnahmen oder Grundrechtseingriffen, die das Gesetz mit einem Richtervorbehalt versehen hat,28 oder – im Verfahren nach § 161a Abs. 3 StPO 29 oder nach den §§ 23 ff. EGGVG – auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten richterlichen Rechtsschutz gegen nichtrichterliche Eingriffe. Insoweit obliegt dem Richter als Akt der Rechtsprechung eine Kontrollaufgabe. Daneben weist ihm das Gesetz, regelmäßig auf Antrag der Staatsanwaltschaft (s. aber § 165 StPO), im wesentlichen aus Gründen der Beweissicherung eine Befugnis zur Vornahme einzelner Ermittlungshandlungen zu, wobei es sich um Amtshilfe handeln dürfte.30 Schließlich hat das Gericht, wiederum als Kontrollaufgabe insoweit die Einhaltung des Legalitätsprinzips zu überwachen, als es im Klageerzwingungsverfahren die Erhebung der öffentlichen Klage anordnen kann. Eine darüber hinausgehende und umfassende richterliche Prüfung des Ermittlungsverfahrens ist dem geltenden Recht fremd.31 Diese geschieht erst in einem nachfolgenden Verfahrensstadium, dem Zwischenverfahren, wenngleich Gerichte hier ihre Möglichkeiten kaum ausschöpfen.32 Auch die Strafvollstreckung ist generell keine richterliche Aufgabe, sondern ein 10 Geschäft der weisungsgebundenen Justizverwaltung.33 Strafvollstreckungsorgan ist im Erwachsenenstrafrecht die Staatsanwaltschaft (§ 451 StPO); im Verfahren gegen Jugendliche der Jugendrichter.34 Richterliche Entscheidungen bei der Strafvollstreckung sieht das Gesetz seit jeher vor, soweit es um die gerichtliche Kontrolle von Maßnahmen und Entscheidungen der Strafvollstreckungsbehörden geht (§§ 458, 459h StPO). Originäre Kompetenzen sind dem Richter als Aufgaben der Rechtsprechung regelmäßig dort zugewiesen, wo es sich um die Änderung, Konkretisierung oder Ergänzung der ursprünglichen richterlichen Entscheidung handelt, die die Grundlage der Vollstreckung bildet, so etwa bei nachträglichen Entscheidungen über die Strafaussetzung zur Bewährung (§ 453 StPO), bei der Aussetzung des Strafrestes (§ 454 StPO), dem Verzicht auf die Geldstrafenvollstreckung (§ 459d StPO) sowie bei der nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe (§ 460 StPO). Wegen der Einzelheiten ist auf die Erläuterungen der jeweiligen Vorschriften zu verweisen.

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Vgl. dazu Dünnebier FS Schäfer 33 ff.; s. auch die Vorbem. Vor § 449; Bringewat Einl. 2 f. Zu den unterschiedlichen Aufgaben der Staatsanwaltschaft s. näher unten Rn. 42 ff. Hilger GedS Meyer 213 ff.; vgl. auch BVerfGE 96 44, 51 ff. (zur Prüfungskompetenz des Richters und zur zeitlichen Dauer der Wirksamkeit richterlicher Durchsuchungsbeschlüsse); dazu näher die Erl. zu § 98. Vgl. die Nachw. bei Hilger GedS Meyer 211 ff.; ferner – nach der seitherigen Rechtsentwicklung – § 81f (genetischer Fingerabdruck); § 98b (Rasterfahndung); §§ 100f

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und 100d (Einsatz technischer Mittel und akustische Wohnraumüberwachung); § 110b Abs. 2 (verdeckter Ermittler); § 163e Abs. 4 StPO (polizeiliche Beobachtung). S. auch § 111l Abs. 6 Satz 1; § 163a Abs. 3 Satz 2 StPO. S. näher die Erl. zu § 162 Rn. 2. Näher m.w.N. Rieß FS Geerds 501 ff. Näher Kühne 621. Näher LR/Wendisch 25 vor § 449, 16; § 451, 2; s. auch die Erl. zu §§ 449, 451; s. auch Eb. Schmidt I 480. Zur Frage, wieweit er insoweit richterlich tätig wird, vgl. § 451, 6; sowie die Kommentare zu den §§ 82 ff. JGG.

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Verfahrensbeteiligte

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Einzelne richterliche Aufgaben, die nicht den Straffall in seiner Gesamtheit betreffen 11 und daher dem damit befassten Richter keine umfassende Kompetenz zuweisen, obliegen im gerichtlich anhängigen Strafverfahren dem im Wege der Rechtshilfe beauftragten oder ersuchten Richter.35 Einzelne richterliche Aufgaben stellen auch diejenigen Beschwerdeverfahren und sonstigen isolierten gerichtlichen Verfahren dar, bei denen der Entscheidungsgegenstand nicht, wie etwa in den Fällen der § 206a Abs. 2, § 210 Abs. 2, § 322 Abs. 2, § 346 Abs. 2 oder des § 372 StPO, das Verfahren in seiner Gesamtheit betrifft, sondern in denen er einen davon abtrennbaren Nebenpunkt zum Inhalt hat. Zu nennen sind hier als Beispiele Beschwerden gegen Ordnungsmaßnahmen gegen Zeugen und Sachverständige, Entscheidungen, die die Pflichtverteidigerbestellung betreffen, oder die Entscheidungen des Oberlandesgerichts im Verteidigerausschlussverfahren nach § 138c StPO. 2. Die richterliche Unabhängigkeit als Grundbedingung richterlicher Tätigkeit a) Allgemeines. Das mit der strafrechtlichen Verurteilung verbundene sozialethische 12 Unwerturteil und die die Grundrechte des Beschuldigten tief beeinträchtigende strafrechtliche Sanktion bedürfen, zumal der Strafprozess einer erhöhten Gefahr eines instrumentalisierten Machtmissbrauchs durch die Staatsgewalt ausgesetzt ist, besonderer Schutzvorkehrungen. Über die traditionelle Zuordnung des Strafverfahrens zur richterlichen Tätigkeit (Rn. B 2) hinaus beruht in der Gegenwart die Zuweisung zentraler Aufgaben der Strafrechtspflege, insbesondere des Aburteilungsmonopols an den Richter auf dieser Erkenntnis. Die durch das Grundgesetz in herausgehobener Weise verbürgte und mit der Sonderstellung der Rechtsprechung untrennbar verbundene richterliche Unabhängigkeit ist deshalb ein Essential der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens; sie gewährleistet zugleich dessen Justizförmigkeit.36 Die richterliche Unabhängigkeit in der Ausprägung, die sie durch Art. 92 ff. GG erfahren hat und die durch viele Einzelregelungen des einfachen Rechts konkretisiert worden ist, ist die Grundbedingung für die Heraushebung der richterlichen Tätigkeit aus der Gesamtheit der Staatsfunktionen. Sie ist kein Richterprivileg,37 sondern eine – auch als Anforderung an die innere Haltung des Richters zu verstehende 38 – Aufgabe. Mit ihr erkennt die Rechtsordnung eine von ihr selbst institutionalisierte Kontrolle staatlichen Handelns an. Unabhängige Rechtsprechung ist deshalb so etwas wie staatlich anerkannte Gegenmacht zur Staatsgewalt.39 Die mit diesem Problemkreis zusammenhängenden vielfältigen Fragen sind hier nicht im Einzelnen darzustellen; insoweit ist vor allem auf die Erl. zu § 1 GVG in diesem Kommentar und auf das verfassungsrechtliche und richterrechtliche Schrifttum zu verweisen.40 Herauszuheben sind nachfolgend lediglich einige auch für das rechtsstaatliche Strafverfahren besonders wichtigen Einzelelemente des Unabhängigkeitspostulats sowie das Prinzip des gesetzlichen Richters. b) Einzelheiten zur Unabhängigkeit. In seiner rechtsprechenden Tätigkeit ist dem 13 Richter die sachliche Unabhängigkeit, unbeschadet seiner Bindung an Recht und Gesetz, 35

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S. wegen der Einzelheiten LR/Boll 25 vor § 156, 16 ff. GVG; s. auch die Erl. zu 156 GVG. S. dazu – unverändert eindrucksvoll und auch zur geschichtlichen Entwicklung – Eb. Schmidt I 457 ff.; vgl. ferner KK/Pfeiffer Einl. 24; Schreiber FS Jescheck 757. Eb. Schmidt I 487.

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Vgl. dazu u.a. Kissel § 1, 157 ff.; Pfeiffer FS Zeidler 67; Schreiber FS Jescheck 770, jeweils m.w.N.; s. auch Peters GedS Meyer 341 f. Rieß StraFo 1997 201. S. u.a. Kissel § 1; Schmidt-Räntsch § 25, jeweils m.w.N.

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insbesondere durch Art. 97 Abs. 1 GG gewährleistet; dies ist namentlich durch die Vorschriften des DRiG (insbes. §§ 25, 26 DRiG) näher konkretisiert. Sie umfasst die ausdrückliche Freiheit von Weisungen in Hinblick auf die Spruchtätigkeit 41 ebenso wie die Befugnis, die Zulässigkeit gleichwohl erteilter Weisungen und ihre Grenzen durch eine dienstgerichtliche Entscheidung überprüfen zu lassen. In Zeiten großer Überlast und unzureichender Ressourcen in der Justiz hat das Schlagwort der Ökonomisierung hohe Konjunktur. Es wird genau darauf zu achten sein, dass organisatorisch gedachte Maßnahmen der justiziellen Effizienssteigerung nicht unversehens in den Bereich richterlicher Unabhängigkeit hineinreichen.42 Keine Beeinträchtigung der sachlichen Unabhängigkeit liegt in dem Vorhandensein von Rechtsmittelzügen und der dadurch ermöglichten Korrektur fehlerhafter Entscheidungen durch ein Gericht höhere Ordnung, auch nicht, soweit der Richter gemäß § 358 StPO nach Zurückverweisung der Sache an die Rechtsansicht des höheren Gerichtes gebunden ist.43 Vielmehr ist die Existenz von Rechtsmitteln ein im Grundsatz notwendiges Korrelat zur sachlichen Unabhängigkeit; sie kann als funktionelle Entsprechung der gegenüber dem Richter nicht zulässigen außergerichtlichen Sachaufsicht verstanden werden. Die durch Art. 97 Abs. 2 GG gewährleistete und durch die Vorschriften des DRiG 14 näher präzisierte 44 persönliche Unabhängigkeit des Berufsrichters 45 verwirklicht sich vorrangig in den Elementen der Anstellung (grundsätzlich auf Lebenszeit), der Unabsetzbarkeit und der Unversetzbarkeit. Sie soll gewährleisten, dass der Richter nicht besorgen muss, wegen seiner Entscheidungen berufliche Nachteile zu erleiden oder gegen seinen Willen eine andere Rechtsprechungsaufgabe bei einem anderen Gericht übertragen zu bekommen. Das gleiche Ziel wird für die innergerichtliche Geschäftsverteilung durch die Präsidialverfassung (§§ 21a bis 21f GVG) verfolgt, kraft derer die Verteilung der Geschäfte unter den einzelnen Richtern eines Gerichtes durch deren gewählte Mitglieder selbst in richterlicher Unabhängigkeit vorgenommen wird 46 und nicht etwa als ein Akt der Gerichtsverwaltung durch den insoweit weisungsgebundene Direktor oder Präsidenten.47 In prozessualer Hinsicht folgt aus dem Postulat der Unabhängigkeit des Richters, dass 15 er am Ausgang des Verfahrens unbeteiligt sein und diesem neutral und mit der erforderlichen Distanz gegenüberstehen muss. Die Sicherung der richterlichen Neutralität ist deshalb verfassungsrechtlich als Konsequenz aus dem Wesen der Rechtsprechung und dem Anspruch auf den gesetzlichen Richter geboten.48 Seine strafprozessuale Ausprägung findet dieser Grundsatz in den Vorschriften über die Ausschließung und Ablehnung (§§ 22 ff. StPO), ferner in den Bestimmungen über die Zurückverweisung an einen anderen Spruchkörper einschließlich der Befugnis zur Zurückverweisung an ein anderes Gericht (§ 210 Abs. 3, § 354 Abs. 2 StPO) sowie in der grundsätzlichen Zuständigkeit eines anderen Gerichts für das Wiederaufnahmeverfahren (§ 140a GVG).

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Außerhalb dieses Bereiches unterliegt der Richter wie jeder andere Bedienstete der Justiz der administrativen Weisungsbefugnis seines Dienstherrn (Dienstaufsicht). Näher dazu Schütz passim. BVerfGE 12 67, 71; näher LR/Hanack 25 § 358, 2; s. auch die Erl. zu § 358. S. namentlich §§ 10 bis 13, 22 bis 24, 28 bis 37 DRiG. Dazu näher die Erl. zu § 1 GVG, 4; Kissel

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§ 1, 141 ff.; zur Regelung bei den ehrenamtlichen Richtern s. §§ 44, 45 DRiG und unten Rn. 36. Wegen der Einzelheiten s. die Erl. zu diesen Vorschriften; vgl. auch Kissel § 21a, 1 ff.; zur Entwicklung Eb. Schmidt I 482 f. S. auch unten Rn. 19. BVerfGE 21 139, 146; 30 149, 153; 46 34, 37; s. auch KK/Pfeiffer Einl. 24.

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c) Der gesetzliche Richter. Wie das Postulat der richterlichen Unabhängigkeit allge- 16 mein, soll auch der Grundsatz des gesetzlichen Richters, der mit ihm in engem Zusammenhang steht,49 gewährleisten, dass die richterliche Entscheidung als Akt der rechtsprechenden Gewalt unparteiisch und frei von sachfremden Einflüssen ergehen kann.50 Die Kontrolle durch eine unparteiliche Rechtspflege wäre nicht gewährleistet, wenn zwar der einzelne Richter keinen Weisungen unterläge und auch persönlich keine erheblichen Nachteile zu befürchten brauchte, wenn aber der zur Entscheidung des einzelnen Falles berufene Richter durch sachfremde Einflüsse ausgewählt oder ferngehalten werden könnte, mag dies nun in der Weise geschehen, dass zur Aburteilung einzelner oder konkreter individueller Fälle besondere Gerichte (Ausnahmegerichte) eingerichtet werden, oder dadurch, dass innerhalb der vorhandenen Gerichte die Richterbank nach Bedarf und Gutdünken besetzt wird (Richterentziehung).51 Dies ist seit der Schaffung der Reichsjustizgesetze im Jahre 1877 die Auffassung des 17 Gesetzgebers. § 16 GVG bestimmte deshalb von Anfang an in seiner heute noch unveränderten Fassung, dass Ausnahmegerichte unstatthaft seien und niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden dürfe. Art. 101 Abs. 1 GG hat diese Vorschrift, wie schon Art. 105 WRV, fast 52 wortgleich in Verfassungsrang erhoben. Als Justizgrundrecht eröffnet sie damit die Verfassungsbeschwerde und unterwirft die richtige Anwendung des § 16 GVG einer weit gespannten Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht.53 Unabhängig von dieser konkreten Verbürgung in Art. 101 Abs. 1 GG ist das Verbot von Ausnahmegerichten und der Richterentziehung auch ein Kernstück des Rechtsstaatsprinzips 54 und gehört damit zum verfassungsfesten Minimum des Art. 79 Abs. 3 GG. In den Gewährleistungen der Menschenrechtspakte finden sich dem Anspruch auf den gesetzlichen Richter vergleichbare Regelungen in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und Art. 14 Abs. 1 Satz 1 IPBPR (unabhängiges, unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Gericht).55 Der Grundsatz des gesetzlichen Richters besagt inhaltlich in seinem Kerngehalt,56 18 dass der mit einer Sache zu befassende einzelne Richter sich grundsätzlich im voraus durch allgemeine Normen so eindeutig wie möglich ergeben muss, und er enthält das Verbot, auf das Tätigwerden des gesetzlichen Richters in anderer als verfahrensmäßig zulässiger Weise und dabei frei von sachfremden Erwägungen einzuwirken. Er verpflichtet die für die Normsetzung Verantwortlichen, also sowohl den Gesetzgeber als auch die Präsidien der Gerichte bei der Aufstellung des Geschäftsverteilungsplans einen Bestand von Rechtssätzen zu schaffen, der für jeden Streitfall den zuständigen Richter bezeichnet,

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Vgl. BVerfGE 4 412, 416. So zusammenfassend mit umfassenden Nachw. der bisherigen Rspr. die Plenarentscheidung des BVerfG, BVerfGE 95 322, 327f = NJW 1997 1497 = JR 1997 278 mit Anm. von Berkemann und Katholnigg (zur Bestimmung der Sitzgruppe in überbesetzten Spruchkörpern). Vgl. zur Bedeutung des Prinzips des gesetzlichen Richters als Schutzwall gegen eine Instrumentalisierung der Justiz mit Hinweisen zum Recht des Nationalsozialismus und der DDR u.a. Rieß StraFo 1997 204. Abweichend – aber ohne sachlichen Unterschied – nur das Wort „unzulässig“ statt „unstatthaft“ in Satz 1.

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Vgl. aber zur Differenzierung zwischen einem bloßen error in procedendo und der verfassungsrechtlich zu beanstandenden objektiven Willkür bei der Anwendung der gesetzlichen Normen im Einzelfall mit Nachw. die Erl. zu § 16 GVG, 16 ff.; ferner u.a. Kissel § 16, 32 ff. BVerfGE 40 356, 361; vgl. auch Niemöller/ Schuppert AöR 107 (1982) 417 ff. Näher die Erl. zu Art. 6 EMRK. Dazu umfassend und zusammenfassend die Plenarentscheidung des BVerfG, BVerfGE 95 322, 327 ff. = NJW 1997 1998 = JR 1997 278 mit Anm. Berkemann und Katholnigg; vgl. dazu auch Sangmeister NJW 1998 721 ff.

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und dabei Vorkehrungen schon gegen die bloße Möglichkeit einer Manipulation trifft. Die normativen Regelungen dürfen keinen vermeidbaren Spielraum und keine unnötige Unbestimmtheit enthalten; sie müssen, soweit dies nach dem gewählten Regelungskonzept ohne Beeinträchtigung der Effektivität der Rechtsprechung möglich ist, subjektive Wertungen weitgehend ausschließen. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ist damit vereinbar; diese sind jedoch in ihrer konkreten Handhabung verfassungsrechtlich daraufhin überprüfbar, ob sie objektiv willkürlich ausgelegt worden sind. Dies alles gilt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 57 auch für die spruchkörperinternen Mitwirkungsgrundsätze nach § 21g GVG. Namentlich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, aber auch die der 19 Fachgerichte, hat mit weitgehender Billigung des (darüber teilweise noch hinausgehenden) Schriftums die Reichweite des Grundsatzes des gesetzlichen Richters weit ausgelegt, so beispielsweise in seiner Verknüpfung mit den Regelungen über die Ausschließung und Ablehnung 58 oder mit den Vorschriften über die Vorlagepflicht 59 oder bei einer eigenen Sachentscheidung des Revisionsgerichts anstelle einer gebotenen Zurückverweisung 60 oder bei der Annahme, dass trotz der Vorschrift des § 269 StPO die objektiv willkürliche Begründung der Zuständigkeit eines höheren Gerichtes rechtsfehlerhaft ist.61 Andererseits hat das Bundesverfassungsgericht unter Anwendung des Begriffs der verfassungskonformen Auslegung, namentlich bei beweglichen Zuständigkeiten, früher eine überraschende und nicht ganz unbedenkliche Großzügigkeit gezeigt.62 In der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung dürfte die weite Auslegung und Erstreckung der Reichweite des Art. 101 Abs. 1 GG auch durch die Absicht mit begründet sein, den verfassungsrechtlichen Kontrollraum voll auszuschöpfen. Gegenüber einer nicht ganz unverständlichen Kritik namentlich der Praxis, dass der Grundsatz des gesetzlichen Richters in seinen vielfachen Verästelungen, Einzelheiten und Ausdifferenzierungen zu einer funktionslosen und lediglich das Verfahren beeinträchtigenden Formalie zu werden drohe, sollte bedacht werden, dass er eine entscheidende Gewährleistung für eine unparteiische und unabhängige Rechtsprechung darstellt, deren Bedeutung, wie auch jüngere Erfahrungen mit totalitären Systemen zeigen, kaum zu überschätzen ist.63 Wegen der weiteren Einzelheiten des Grundsatzes des gesetzlichen Richters wird ge20 nerell auf die Erläuterungen zu § 16 GVG, und wegen der Bedeutung für die Geschäftsverteilung auf die Erläuterungen zu den §§ 21a ff. GVG verwiesen.

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BVerfGE 95 322, 328 ff. = NJW 1997 1497, 99; a.A. früher BVerfGE 18 344; 69 112; vgl. auch BVerfG NVwZ 2000 665, 666 s. näher zur Entwicklung Berkemann JR 1997 282 f. S. etwa BVerfGE 21 139, 146; 30 149, 153; 30 165, 167; s. auch Kissel § 16, 19; Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 420. S. Kissel § 16, 27. Vgl. BVerfGE 54 100, 115 m.w.N.; BVerfG (Kammerentscheidung) NStZ 1991 499 mit Anm. Foth NStZ 1992 444; Niemöller/ Schuppert AöR 107 (1982) 420 f. BGHSt 38 172, 176; 38 212; 40 120; 42 205 = JR 1997 430 mit Anm. Gollwitzer (zur Frage der Prüfung von Amts wegen); BGH StV 1996 585; kritisch u.a. H. Schäfer DRiZ 1997 168; s. näher die Erl. zu § 269 StPO.

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Vgl. BVerfGE 9 223 (zu §§ 24, 74 GVG); BVerfGE 22 254 (zu § 25 GVG a.F.); krit. z.B. Rieß StraFo 1995 99 l. Sp.; vgl. auch Herzog StV 1993 609 ff. Vgl. als eine auch die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigende Gegenposition einerseits die Beseitigung der in richterlicher Unabhängigkeit zu beschließenden Geschäftsverteilung durch den nationalsozialistischen Gesetzgeber durch Gesetz vom 24.11.1936 (näher Rn. F 54) sowie die Regelungen im GVG der DDR, nach denen dem Direktor des Gerichts die Geschäftsverteilung oblag (s. dazu auch Rn. F 166); Wünsche in Drews 85.

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Verfahrensbeteiligte

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3. Aufbau und Zuständigkeit der Strafgerichte im Überblick a) Allgemeines. Hinweise. Die unterschiedlichen richterlichen Aufgaben (Rn. 6 ff.) 21 werden durch Rechtsprechungskörper wahrgenommen, die sich unterschiedlich zusammensetzen und verschiedenen Gerichten im organisatorischen Sinne zugeordnet sind. Ihre Zuständigkeit der Sache nach und die Zusammensetzung der einzelnen Spruchkörper, die sachliche und die funktionelle Zuständigkeit,64 ist im Einzelnen vorwiegend 65 in den §§ 22 bis 140a GVG geregelt, während die die Abgrenzung der Aufgaben mehrerer Spruchkörper gleicher Art betreffende geschäftsplanmäßige Zuständigkeit ihre gesetzliche Regelung teilweise in § 21e GVG gefunden hat. Soweit innerhalb des Geltungsbereichs der StPO mehrere Gerichte gleicher Art existieren, und dies ist derzeit für die ordentliche Strafgerichtsbarkeit 66 nur hinsichtlich des Bundesgerichtshofes nicht der Fall, sind Regelungen für den örtlichen Anknüpfungspunkt, also die örtliche Zuständigkeit oder den Gerichtsstand erforderlich; sie sind überwiegend in den §§ 7 bis 22 StPO enthalten. Wegen der Einzelheiten wird für den Gerichtsaufbau allgemein auf die Erl. zu § 12 GVG, für die Grundsätze der örtlichen Zuständigkeit auf die Vorbemerkungen zu § 7 StPO und hinsichtlich der Zuständigkeiten und Besetzungen im Einzelnen auf die Erl. zu den jeweiligen Vorschriften verwiesen. Die Strafgerichtsbarkeit ist Bestandteil der sog. ordentlichen Gerichtsbarkeit (§ 12 22 GVG); auch die Jugendgerichte sind keine selbständigen Gerichte, sondern bilden lediglich besondere Spruchkörper der Strafgerichte.67 Sie ist damit in den viergliedrigen Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit in der Form von Amtsgerichten, Landgerichten, Oberlandesgerichten und dem Bundesgerichtshof eingeordnet. Bemühungen um die Einführung eines dreigliedrigen Aufbaus der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der auch auf die Zuständigkeit und Besetzung der Strafgerichte erhebliche Auswirkungen gehabt hätte, sind nach intensiven Bemühungen 1974 gescheitert;68 der Versuch der Wiederbelebung der Diskussion in neuester Zeit hat bisher keinen Erfolg gehabt.69 Von den einzelnen Arten der Gerichte haben in Strafsachen das Amtsgericht nur erstinstanzliche und der Bundesgerichtshof nur Rechtsmittelaufgaben, während Landgericht und Oberlandesgericht in beide Funktionen tätig werden kann. Letztere sind als Rechtsmittelgerichte entweder Beschwerde- oder Revisionsgerichte, erstere Beschwerde- oder Berufungsgerichte. In der Besetzung der einzelnen Spruchkörper kennt das geltende Recht sowohl allein entscheidende Berufsrichter (Einzelrichter) als auch Kollegialgerichte. Diese setzen sich teilweise nur aus Berufsrichtern, teilweise, und zwar ausschließlich als erkennende Gerichte in der Hauptverhandlung, aus Berufsrichtern und Laien (Schöffen) zusammen.70 In der Entwicklung der Gerichtsverfassung in Strafsachen ist es innerhalb der äußer- 23 lich seit der Schaffung der Reichsjustizgesetze unveränderten Gerichtsorganisation zu erheblichen Veränderungen, teilweise vorübergehender und teilweise dauerhafter Art gekommen.71 Als längerfristige Entwicklungstendenzen lassen sich dabei neben einer ver64

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Zum (umstrittenen und wohl entbehrlichen) Begriff der funktionellen Zuständigkeit s. die Erl. Vor § 1. Vgl. aber auch §§ 33 bis 42 JGG. Wegen der Besonderheiten der Rhein- und Moselschifffahrtsgerichte s. die Erl. zu § 14 GVG. BGHSt 18 29 (GrSt); 22 48; heute h.M.; s. näher m.w.N. etwa Brunner/Dölling § 33, 1 ff.; zur Entwicklung näher LR/K. Schäfer 24 Einl. 13 137.

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Ausführliche Nachw. zur Reformdiskussion bei Kissel 1 Einl. 125; vgl. auch Jahn FS Wassermann 91 ff. Dazu u.a. Faupel DRiZ 1997 69 ff.; Lilie 63. DJT Gutachten D m.w.N. Näher zur Laienbeteiligung unter Rn. 27 ff. S. wegen der Einzelheiten die Entwicklungsgeschichte in den Abschnitten F 15 ff.

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änderten Beteiligung der Laien 72 folgende Merkmale erkennen: (1) Eine Zuständigkeitsverlagerung auf Spruchkörper niedrigerer Ordnung, vor allem auf den Strafrichter und das Schöffengericht; (2) eine Reduktion in der Richterzahl bei den Kollegialgerichten und (3) die zunehmende Einrichtung von Spezialspruchkörpern mit einem gesetzlich zugewiesenen Geschäftsbereich, zu denen derzeit u.a. neben den Jugendgerichten die Schwurgerichtskammer (§ 74 Abs. 2 GVG), die besondere Strafkammer nach § 74a GVG, die Wirtschaftsstrafkammer nach § 74c GVG sowie die Strafvollstreckungskammer nach den §§ 78a und 78b GVG zu zählen sind.

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b) Merkmale der Zuständigkeitsabgrenzung. Bei den erkennenden Gerichten des ersten Rechtszuges und bei den verschiedenen Spruchkörpern mit gesetzlich zugewiesenem Geschäftsbereich sind für die Zuweisung der Geschäfte unterschiedliche Abgrenzungskriterien maßgebend, die sich nur schwer in ein einheitliches System einordnen lassen.73 Teilweise, aber nicht mehr als ausschließliches Merkmal, wird die Kategorisierung der Delikte nach Verbrechen und Vergehen verwendet,74 oder es wird die Zuständigkeit durch Deliktskataloge, also nach dem Gegenstand des Strafverfahrens bestimmt,75 und zwar entweder als eine die Zuständigkeit von Spruchkörpern niedrigerer Ordnung stets ausschließende Regelung 76 oder nur für den Fall, dass eine bestimmte Sanktionserwartung besteht 77 oder soweit zusätzliche Voraussetzungen vorliegen.78 Ferner wird die Zuständigkeit von Spruchkörpern niedrigerer Ordnung von einer begrenzten Straferwartung abhängig gemacht 79 oder es werden, dies ergänzend, bestimmte Sanktionen durch die Begrenzung eines Strafbannes von der Zuständigkeit ausgenommen.80 Daneben und diese Zuständigkeitsmerkmale teilweise überlagernd, verwendet das Gesetz in wohl zunehmendem Maße unbestimmte Rechtsbegriffe als normative Zuständigkeitsmerkmale, so etwa die besondere Bedeutung der Sache 81 oder deren Umfang oder Schwierigkeit 82 oder die Notwendigkeit besonderer Kenntnisse des Wirtschaftslebens.83 Andere Merkmale stellen auf persönliche Eigenschaften der Beschuldigten 84 oder den Verfahrensgegenstand 85 ab. Die Zuständigkeit der Rechtsmittelspruchkörper richtet sich dagegen grundsätzlich 25 allein danach, welches Gericht im ersten Rechtszug entschieden hat. Ausnahmen bestehen namentlich insoweit, als bei Berufungen gegen die Urteile der Schöffengerichte die Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer als gesetzlicher Spezialstrafkammer ausdrücklich vorgeschrieben ist (§ 74c Abs. 1 zweite Alternative GVG) und als die Revisionszuständigkeit des Bundesgerichtshofes gegen Urteile der Landgerichte durch die der

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Dazu Rn. 29. Vgl. zu den verschiedenen Möglichkeiten auch Roxin § 7, 2 f. Vgl. § 25 GVG, der den Strafrichter von der Aburteilung von Verbrechen ausschließt. So etwa § 74 Abs. 2, § 74a Abs. 1, § 120 Abs. 1 GVG. So etwa § 74 Abs. 2, § 74a Abs. 1 GVG. So etwa § 24 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 74 Abs. 1 Satz 2 GVG; vgl. auch § 74a Abs. 2, § 120 Abs. 2 GVG. So etwa § 74c Abs. 1 Nr. 1 bis 5 (soweit das LG überhaupt im ersten Rechtszug zuständig ist); § 120 Abs. 2 GVG.

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§ 24 Abs. 1 Nr. 2, § 25 Nr. 2 GVG. § 24 Abs. 2 GVG. So etwa § 24 Abs. 1 Nr. 3, § 74 Abs. 1 Satz 2, § 120 Abs. 2 GVG, dazu näher v. Berg (2005) passim. So § 29 Abs. 2 Satz 1; vgl. auch § 76 Abs. 2 (in der bis Ende 2000 geltenden Fassung), § 122 Abs. 2 Satz 2 GVG. § 74c Abs. 1 Nr. 6 GVG. So §§ 33, 107 JGG für Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende. So jetzt § 78b GVG für das Verhältnis von kleiner und großer Strafvollstreckungskammer.

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Oberlandesgerichte verdrängt wird, wenn sich die Revision nur auf eine Verletzung des Landesrechts bezieht (§ 121 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c GVG). c) Zuständigkeitskonflikte und ihre Klärung. Die teilweise verwickelten und nicht 26 immer übersichtlichen Zuständigkeitsvorschriften des geltenden Rechts, namentlich bei der sachlichen Zuständigkeit und der von Spruchkörpern mit gesetzlich zugewiesenem Geschäftsbereich, erfordern besondere Regelungen für die Behandlung von Zuständigkeitskonflikten, um zu vermeiden, dass solche Streitigkeiten die Sachentscheidung unvertretbar überwuchern und hemmen. Das Gesetz enthält 86 deshalb ein umfassendes System von Regelungen zur möglichst ökonomischen Erledigung solcher Zuständigkeitskonflikte. Dieses ist durch die Rechtsprechung insoweit verfeinert worden, als namentlich bei den normativen Zuständigkeitsmerkmalen die revisionsrechtliche Überprüfung unbeschadet des Umstandes eingeschränkt worden ist, dass es sich bei der sachlichen Zuständigkeit um eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensvoraussetzung handelt.87 Regelungen, die diesem System zuzurechnen sind, finden sich namentlich in den §§ 6a, 16, 209, 209a, 225a, 269, 270 StPO, § 74e GVG, §§ 47a, 103 Abs. 2 JGG, hinsichtlich derer auf die einzelnen Erläuterungen verwiesen wird.88 Zu diesen verfahrensfördernden Regelungen gehören auch die Vorschriften, nach denen die Rechtsmittelgerichte bei Aufdecken der Unzuständigkeit die Sache an das zuständige Gericht zu verweisen haben (§ 328 Abs. 2, § 355 StPO). 4. Die Beteiligung von Laien an der Strafrechtspflege a) Grundlagen und Entwicklung. Die Mitwirkung von Laien an der Strafrechtspflege 27 war im Inquisitionsprozess weitgehend verschüttet, während sie sich im angelsächsischen Bereich seit der Frühzeit des Rechts durchgehend erhalten hat.89 Die Wiedereinführung der Laienbeteiligung in Europa und in Deutschland gehörte zusammen mit den Postulaten von Anklageprozess, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit zu den zentralen rechtspolitischen Forderungen bei der Überwindung des Inquisitionsprozesses und der Schaffung des reformierten Strafprozesses. Sie war in unterschiedlicher Form im Partikularrecht vor der Schaffung der Reichsjustizgesetze weitgehend verwirklicht worden und ist als solche im Prinzip nicht mehr umstritten.90 Dabei hatten sich jedoch zwei Typen der Laienbeteiligung herausgebildet, einmal nach französischen Vorbild das (rechtspolitisch wohl populärere und seit Jahrhunderten im angelsächsischen Verfahren verwurzelte) Schwurgericht 91 mit einer getrennten, allein über die Schuldfrage entscheidenden Geschworenenbank, zum zweiten das Schöffengericht, in dem sich der einheitlich für alle Entscheidungen zuständige Spruchkörper als gemischtes Kollegium aus Berufsrichtern und Laien zusammenfand.92 Dieser Dualismus hat die kontroversen Beratungen bei der Schaffung des GVG (s. Rn. F 16) ebenso beeinflusst wie die weitere Entwicklung.93 86

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Vor allem durch die Änderungen durch das StVÄG 1979; vgl. zu diesem LR/Rieß 23 ErgBd., § 209, 1; Rieß NJW 1978 2266 ff. Vgl. dazu § 338, 66 ff. mit Nachw. Zusammenfassend die Erl. zu § 209, 209a (25. Aufl. § 209, 1 f.; § 209a, 1 ff.). Zur Geschichte Grube 25 ff., 35 ff. S. Kern Geschichte 55 ff.; v. Hippel 150; ausführlich m.w.N. Rennig 33 ff. Dazu monographisch vor allem Hadding und Schwinge; vgl. auch Rüping JR 1976 269 f.

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Schon in seiner frühen Schrift von 1813 vertritt Feuerbach mit Nachdruck dieses Modell, weil er erkannt hatte, dass eine Trennung von Tat- und Rechtsfragen weder möglich noch sinnvoll sei (S. 112 ff.). S. Rn. F 21; 31; 33, 37; 113; näher LR/ K. Schäfer 24 Einl. 15 3 ff.; v. Hippel 149 ff.; Rennig 36 ff.

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Die ursprüngliche Regelung des GVG enthielt in mehrfacher Hinsicht einen auch mit der Ausgestaltung des Rechtsmittelsystems verknüpften Kompromiss. Abgesehen von der unumstrittenen Zuständigkeit des Reichsgerichts für Hoch- und Landesverratssachen ohne jede Laienbeteiligung wurde für die kleine Kriminalität mit der Zuständigkeit der Schöffengerichte (mit einem sehr engen Einzelrichtervorbehalt) das Schöffengerichtssystem und für die Schwerkriminalität durch die Schaffung von echten Schwurgerichten das Schwurgerichtssystem verwirklicht. Bei der Aburteilung der mittleren Kriminalität und bei der Berufung blieben die Laien ausgeschlossenen, weil die Strafkammern der Landgerichte aus reinen Berufsrichterkollegien bestanden. Dieser Zustand blieb, trotz vielfacher Bemühungen um eine Änderung, bis 1924 erhalten. Erst die Emminger- Reform brachte einen grundlegenden Systemwandel, der trotz zahlreicher Veränderungen im Detail bis heute maßgebend geblieben ist.94 Die Schwurgerichte wurden als Typ durch Umwandlung in ein großes Schöffengericht beseitigt 95 und die Strafkammern mit Schöffen besetzt. Damit ist seither im Bereich der mittleren und schweren Kriminalität in der ersten bzw. einzigen Tatsacheninstanz und in der Berufung als zweiter Tatsacheninstanz die Mitwirkung von Laien nach dem Schöffengerichtssystem verwirklicht. Reduziert wurde andererseits der Umfang der Laienbeteiligung durch eine Erweiterung des Zuständigkeitsbereichs des Einzelrichters beim Amtsgericht als Strafrichter (§ 25 GVG), und die Einführung der Annahmeberufung (§ 313 StPO), weil die bei ihr erforderliche Vorabentscheidung über die Erfolgsaussichten der Berufung dem Vorsitzenden allein vorbehalten ist.

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b) Über die Funktion und Legitimation der Laienbeteiligung in Strafsachen besteht im gegenwärtigen Schrifttum keine vollständige Übereinstimmung.96 Die ursprüngliche Stoßrichtung bei der Schaffung des reformierten Strafprozesses, durch die Einführung der Schwurgerichte einen Schutzwall gegen Behördenwillkür und obrigkeitsstaatliche Machtsprüche zu schaffen, dürfte heute ebensowenig als tragender Grund anzuerkennen sein wie die damit anklingende Vorstellung, durch den Wahrspruch der Geschworenen Härten des positiven Rechts auszugleichen;97 auch der demokratische Gedanke einer Teilhabe des Volkes an der Rechtsprechung erscheint wenig tragfähig,98 weshalb auch keine verfassungsrechtliche Vorgabe in diese Richtung deutet.99 Weitere Argumente, die eine Laienbeteiligung im Strafverfahren fraglich erscheinen lassen, sind eine mögliche Überforderung der Schöffen infolge der zunehmenden Kompliziertheit unseres Rechtssystems oder die Gefährdung der dogmatischen Richtigkeit der Entscheidungen durch emotional gesteuerte Billigkeitsüberlegungen.100 Demgegenüber kann auch kaum ein-

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Ausführlicher zur Entwicklung die LR/Rieß 24 Einl. 15 2 bis 6; Rennig 59 bis 82. Beibehalten wurde zunächst (bis 1975) die Bezeichnung, die organisatorische Sonderstellung als nichtständiger Spruchkörper und die größere Zahl der Laien; s. auch Rn. F 37, 113. Zur dadurch möglich gewordenen stärkeren Objektivierung der freien Beweiswürdigung s. Peters FS Schäfer 146 f. Ausführliche Darstellung des Meinungsstandes und der Argumentation bei Rennig 176 bis 302. Vgl. dazu Rüping JR 1976 270. Kühne ZRP 1985 239.

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Vgl. BVerfG 27 312, 319; 42 206, 208; 48 317 (das Grundgesetz überlasse die Mitwirkung von Laienrichtern dem einfachen Gesetzgeber, erkenne aber die Laienbeteiligung als traditionelle Institution stillschweigend an); vgl. auch Rüping 50; Volk FS Dünnebier 373 f. mit Nachw. Im anglo-amerikanischen System wird die Ignorierung des Ermittlungsergebnisses der Hauptverhandlung durch die Jury mit dem Terminus der „jury nullification“ beschrieben und für zulässig, wenngleich wenig erstrebenswert gehalten.

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gewandt werden, die Schöffen trügen zur Plausibilitätskontrolle 101 bei oder könnten aus ihrem beruflichen/sozialen Umfeld für das Verfahren wesentliche Wertungen einbringen.102 Es ist nicht erkennbar, wie oder warum in einer offenen demokratischen Gesellschaft der Nichtjurist gegenüber dem Juristen derartige Erkenntnisvorteile haben sollte. Auch der mögliche Beitrag des Laien, das Verständnis für die richterliche Tätigkeit in der Öffentlichkeit zu mehren 103 und die Wiederherstellung des Rechtsfriedens zu befördern,104 entspricht eher einem verklärten Wunschdenken als der erfahrbaren Realität. Ob all dies Grund genug ist, die gemischte Besetzung der Strafgerichte nach dem 30 Schöffengerichtsprinzip 105 generell in Frage zu stellen,106 mag je nach Einstellung unterschiedlich beurteilt werden. Aus der Position bloßer objektiver Erforderlichkeit heraus betrachtet, kann auf Laienrichter im Strafverfahren verzichtet werden. Die ihnen historisch zugedachten Aufgaben haben sich erledigt. Rechtspolitisch hingegen kann es vor allem in Zeiten zunehmender Entfremdung des Rechts und seiner Anwendung vom Allgemeinverständnis der Bürger opportun erscheinen, durch Teilhabe „normaler“ Bürger an der Rechtsfindung im Strafverfahren zumindest im Ansatz eine Bürgernähe der Strafjustiz zu bewirken oder dieses zu versuchen. Schließlich ist auch zu bedenken, ob ein mit der Abschaffung von Laienrichtern im Strafverfahren verbundener Bruch mit der historischen Tradition den Aufwand wert wäre. Dies wäre sicherlich beim Nachweis schwerwiegender Missstände in Betracht zu ziehen, für die es aber weder nach der Alltagserfahrung 107 noch nach gezielten empirischen Untersuchungen Belege gibt.108 Bei dieser Sachlage besteht auch kein Grund, vom Grundsatz einer repräsentativen 31 Zufallsauswahl aus der Bevölkerung (§ 36 Abs. 2 GVG) ohne das Erfordernis spezifischer Vorkenntnisse abzugehen. Die dem ehrenamtlichen Handelsrichter zugrundeliegende Legitimation der spezifischen Sachkunde ist der historischen Funktion der Schöffen ebensowenig wie der der Interessenwahrung verfahrenstypischer Konfliktparteien, wie er etwa der Mitwirkung ehrenamtlicher Richter in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit zugrunde liegt, vergleichbar. Deshalb ist auch der gelegentlich geforderte Übergang zu einem System von „Fachschöffen“ 109 mit der historischen Legitimationsgrundlage des gegenwärtig geltenden Schöffensystems nicht vereinbar, wiewohl ein solches Konzept das Aufrechthalten des gegenwärtigen Systems durchaus unterstützen könnte. Allerdings scheint es kaum umsetzbar zu sein, Auswahlverfahren zu konzipieren, die unter Beachtung der Erfordernisse des gesetzlichen Richters für die jeweiligen Verfahren Schöffen bezeichnen, welche konkrete, verfahrensrelevante Sonderkenntnisse haben. Ob hingegen 101 102 103

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So z.B. Rüping 52; ähnlich Kissel § 28, 2; Peters 119; kritisch Volk FS Dünnebier 387. So z.B. KK/Pfeiffer Einl. 60. So LR/K. Schäfer 24 Einl. 15 8; Schreiber FS Welzel 952; dazu kritisch Volk FS Dünnebier 377. Rieß FS Schäfer 217 f.; nach Volk FS Dünnebier 388 30 geht es dabei um einen symbolischen Wert der Laienbeteiligung. Die Wiedereinführung des Schwurgerichts als Typ wird heute, soweit ersichtlich, nicht mehr ernsthaft vertreten. In dieser Richtung aber z.B. Kühne ZRP 1985 237 (keine rationalen Gründe für die Laienmitwirkung); Volk FS Dünnebier 388 f. (einziges Argument für die Beibehal-

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tung sei der Umstand ihrer Existenz); krit. auch Baur FS Kern 49, 58, 69; skeptisch Schlüchter 12; aus dem älteren Schrifttum z.B. scharf ablehnend Beling 53 f. (vorwiegend in Bezug auf das frühere Schwurgericht). Zu den verschiedenen Alltagstheorien und ihrer rechtspolitischen Bedeutung ausführlich Rennig 176 ff. S. dazu namentlich die sorgfältige und umfassende Arbeit von Rennig, insbes. S. 567 ff. So z.B. Rudolphi JZ 1975 316 ff.; tendenziell auch Schlüchter 12 a.E.; Rüping JR 1976 274 Fn. 71.

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Schöffen nach ihrer Wahl eine Einführung in die Grundlagen ihrer juristischen Tätigkeit erhalten sollten, wie das weitgehend üblich ist,110 mag fraglich sein, da es doch gerade die juristische Unverbildetheit sein soll, die Schöffen qualifiziert und legitimiert.

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c) Umfang der Mitwirkung. Nach dem gegenwärtigen Rechtszustand entfällt in den Tatsacheninstanzen die Mitwirkung von Schöffen beim Strafrichter (§§ 25, 28 GVG) und beim Oberlandesgericht im ersten Rechtszug (§ 122 Abs. 2 GVG). Bei den Schöffengerichten und den nach der neuen Rechtslage stets für die Berufungen zuständigen kleinen Strafkammern bilden sie, außer in den Fällen des § 29 Abs. 2, § 76 Abs. 3 GVG, die (Zwei-Drittel)-Mehrheit; bei der erstinstanzlichen Großen Strafkammer sind sie in der Minderheit. Wegen der Besonderheiten für die Jugendschöffen und der Besetzung der Jugendgerichte s. die §§ 3a, 33b und 35 JGG. In sachlicher Hinsicht beschränkt sich die Mitwirkung der Schöffen nach § 30 GVG 33 auf die Hauptverhandlung und die aufgrund der Hauptverhandlung ergehenden Entscheidungen, letzteres auch in den Fällen, in denen die Entscheidung auch außerhalb der Hauptverhandlung ergehen darf, sofern sie in ihr ergeht.111 Sie haben hierbei grundsätzlich die gleichen Befugnisse wie die Berufsrichter (§ 30 GVG). Eine Ausnahme soll nach der problematischen Rechtsprechung schon des Reichsgerichtes 112 und ihr bisher folgend des Bundesgerichtshofes 113 insoweit gelten, als dem Schöffen jede Aktenkenntnis untersagt ist und auch schon eine eher beiläufige Kenntnis des Akteninhalts den Bestand des Urteils gefährden könne.114 In letzter Zeit hat jedoch der 3. Strafsenat des BGH zu erkennen gegeben, dass er diese Ansicht nicht mehr vollumfänglich teilt und hat konkret die Kenntnis der Schöffen von Tonbandprotokollen aus Abhörmaßnahmen 115 sowie die vorangehende Kenntnisnahme eines Vorlagebeschlusse nach § 209 Abs. 2 StPO 116 für unschädlich erklärt. Wegen weiterer Einzelheiten s. die Erl. zu § 30 GVG. An allen anderen Entscheidungen des (Vorsitzenden des) Schöffengerichts oder der 34 (kleinen oder großen) Strafkammer wirken die Schöffen nicht mit,117 so etwa an der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens, an der Einstellung des Verfahrens

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Befürwortend Rüping 52 und JR 1976 27; Rennig 584; s. auch LR/Rieß 25 Rn. I 24. Übersicht hierüber bei Rennig 146 ff. Zu der durch die (die Besetzung des OLG im ersten Rechtszug betreffende) Entscheidung BGHSt 43 91 = NStZ 1997 606 mit Anm. Dehn und Anm. Foth NStZ 1998 = JR 1998 33 mit Anm. Katholnigg ausgelösten Streitfrage, wann Entscheidungen (namentlich aber nicht nur Haftentscheidungen) außerhalb der Hauptverhandlung ergehen (dürfen), s. kontrovers OLG Hamburg NStZ 1998 99 = JR 1998 169 mit Anm. Katholnigg = StV 1998 143 mit Anm. Schlothauer; OLG Köln NStZ 1998 419 mit Anm. Foth und Anm. Siegert; OLG Hamm StV 1998 388; BVerfG (Kammerentscheidung) NStZ 1998 418 = StV 1998 387 (OLG Hamburg, aaO verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden); Bertram NJW 1998 2934; vgl. auch OLG Zweibrücken StraFo

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1997 204. Näher dazu die Erl. zu §§ 125, 126 sowie zu § 30 GVG. RGSt 69 120. BGHSt 5 261; BGHSt 13 73 = JR 1961 31 mit Anm. Eb. Schmidt; grundsätzlich auch (wenn auch zurückhaltender) BGH NJW 1987 1203 = JR 1987 389 mit Anm. Rieß; eher zweifelnd BGH NStZ 1997 506 mit Anm. Katholnigg. Kritisch dazu Schreiber FS Welzel 945 ff.; Hanack JZ 1972 314; Kissel § 30 3 f.; Rüping JR 1976 272; Rennig 149 ff.; Rieß JR 1987 392; LR/K. Schäfer 24 Einl. 13 61 und § 30 GVG, 2a; zum Ganzen näher die Erl. zu § 261. BGHSt 43 37 = NStZ 1998 264 BGHSt 43 360. Z.T. erheblich weitergehend die Mitwirkungsbefugnis der Schöffen nach dem Recht der DDR; vgl. § 6 GVG/ DDR; Wünsche in Drews 2.4.3.2.

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Verfahrensbeteiligte

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wegen eines Verfahrenshindernisses durch Beschluss nach § 206a StPO, an der Abfassung des schriftlichen Urteils (§ 275 Abs. 2 StPO),118 an der Entscheidung über die Annahme der Berufung bei der Annahmeberufung nach § 313 StPO, an der Verwerfung der Berufung als unzulässig nach § 322 StPO sowie an allen Entscheidungen, die die Große Strafkammer als Beschwerdekammer trifft. d) Rechtsstellung der Schöffen. Auch die ehrenamtlichen Richter sind Richter im 35 Sinne der Art. 92 ff GG, denen die Verfassung die Rechtsprechung anvertraut. Für sie gelten daher grundsätzlich die gleichen Anforderungen und Gewährleistungen der Unabhängigkeit und Neutralität wie für Berufsrichter. Bei ihrer Berufung und bei ihrer Heranziehung im Einzelfall sind die Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 GG an den gesetzlichen Richter zu beachten.119 Sie unterfallen der verfassungsrechtlichen Garantie der sachlichen Unabhängigkeit durch Art. 97 Abs. 1 GG. Dagegen beziehen sich die spezifischen Garantien des Art. 97 Abs. 2 GG für die persönliche Unabhängigkeit nur auf Berufsrichter. Vergleichbare Vorschriften für ehrenamtliche Richter, die sich in ihrem Kerngehalt (nicht in allen Einzelheiten) auch verfassungsrechtlich aus ihrer Teilhabe an der Rechtsprechung und ihrer sachlichen Unabhängigkeit ergeben dürften und die verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen,120 enthalten die §§ 44, 45 DRiG. Aus ihnen ergibt sich insbesondere, dass eine vorzeitige Beendigung der Amtszeit nur auf gesetzlicher Grundlage und gegen den Willen des Betroffenen nur durch gerichtliche Entscheidung möglich ist.121 Für die Schöffen finden sich die entsprechenden Vorschriften, ebenso wie die über ihre Auswahl und Berufung und über die Heranziehung im Einzelfall in den §§ 32 bis 54 GVG; auf die dortigen Erläuterungen wird verwiesen.122 5. Der richterlichen Tätigkeit zugeordnete Beteiligte a) Allgemeines. Gerichtshilfe. Abgesehen von der mehr technischen Unterstützung des 36 Richters durch (beispielsweise) Schreibkräfte, Gerichtswachtmeister und Mitarbeiter der Geschäftsstellen, die zwar für die Effektivität der Rechtspflege von nicht unerheblicher Bedeutung,123 hier aber nicht weiter zu erörtern sind, ist im gerichtlichen Strafverfahren der Tätigkeitsbereich anderer Amtsträger, denen ein selbständiger Aufgabenbereich eigenverantwortlich zugewiesen worden ist, anders als bei der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder auch im Zivilprozessrecht, verhältnismäßig gering. Neben der im Strafverfahren

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Dazu kritisch Hillenkamp Die Urteilsabsetzungs- und Revisionsbegründungsfrist im Deutschen Strafprozeß (1998) 82 ff., 95. Zu den (möglichen) Konsequenzen der neuen Rechtsprechung des BVerfG zum überbesetzten Spruchkörper (vgl. oben Rn. 19 a.E.) auf die Heranziehung der Schöffen s. Katholnigg JR 1997 284 f.; zu den damit zusammenhängenden Auswahlund Heranziehungsgrundsätzen s. monographisch Meinen (auch zur Frage der Revisibilität von Verstößen). BVerfGE 26 186, 198; 27 312, 322. Zur Frage der Entbindung des Schöffen „aus Gewissensgründen“ s. OLG Karlsruhe NJW 1996 606; Lisken NJW 1997 34.

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Zur Abberufung von Schöffen bei „rechtsstaatswidrigem Verhalten“, insbesondere im Zusammenhang mit einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der früheren DDR, s. die §§ 9 bis 11 des RANotzPrG. Vgl. dazu z.B. die Untersuchungen zur Organisation der Amtsgerichte und der Kollegialgerichte von Koetz e. a in der vom BMJ herausgebenen Reihe Rechtstatsachenforschung, 1991 und 1993; Stock/Wolff/ Thünte Strukturanalyse der Rechtspflege (1966) 19 ff.; Strempel/Rennig ZRP 1994 144 ff.

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sehr beschränkten Möglichkeit, nach § 10 GVG Referendaren einzelne Aufgaben zu übertragen, kommen als solche Beteiligte der Rechtspfleger der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle oder die Gerichtshilfe (§ 160 Abs. 3, § 463d StPO) in Betracht; hinsichtlich der letzteren wird auf die Erl. zu den einschlägigen Vorschriften Bezug genommen.124

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b) Der Rechtspfleger, der insoweit nach § 9 RpflG in sachlicher Unabhängigkeit entscheidet und gegen dessen Entscheidungen der Rechtsbehelf der Erinnerung zulässig ist (§ 11 RpflG), ist bei den richterlichen Aufgaben des Strafverfahrens nach § 22 RpflG 125 nur zuständig für die Durchführung der Beschlagnahme nach § 111f Abs. 2 StPO, die Vollstreckung des Arrestes nach § 111f Abs. 3 Satz 3 StPO sowie für die Maßnahmen der Notveräußerung nach § 111l StPO. Von den nach den Vorschriften der StPO zu Protokoll der Geschäftsstelle möglichen Erklärungen ist ihm nach § 24 Abs. 1 RpflG die Protokollierung der Begründung der Revision (§ 345 Abs. 2 StPO) und des Antrags auf Wiederaufnahme (§ 366 Abs. 2 StPO) vorbehalten.

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c) Dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle obliegt als eigenverantwortlicher Urkundsperson die Aufgabe der Protokollierung bei richterlichen Vernehmungen außerhalb der Hauptverhandlung (§§ 168, 168a) sowie die Führung des Hauptverhandlungsprotokolls. Er ist ferner u.a. für die Aufnahme von Erklärungen zuständig, die zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden können, und er hat, als Vollstreckbarkeitsvoraussetzung nach § 451 Abs. 1 StPO, die Rechtskraft des Urteils zu bescheinigen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Erl. zu § 153 GVG verwiesen.

III. Der Bereich der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit 1. Die Aufgaben der Staatsanwaltschaft im Gesamtgefüge des Verfahrens

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a) Die Entstehung und Entwicklung der Staatsanwaltschaft und ihre Bedeutung im Allgemeinen. Die Entstehung der Staatsanwaltschaft in ihrer heutigen Form ist auf die Überwindung des Inquisitionsprozesses durch den reformierten Strafprozess zurückzuführen. Ihr liegt mit der Gedanke zugrunde, durch die Aufteilung der im Inquisitionsprozess einheitlichen Funktionen von Strafverfolgung und Aburteilung auf zwei verschiedene staatliche Organe die richterliche Unabhängigkeit und Neutralität zu sichern und durch die formale Schaffung eines Vertreters der Anklage im gerichtlichen Verfahren die Subjektqualität des Beschuldigten mit zu konstituieren.126 Die Institution der Staatsanwaltschaft geht überwiegend auf französische Vorbilder zurück; sie hat zunächst in verschiedenen Formen und auf unterschiedlichen geistesgeschichtlichen und rechtspolitischen Grundlagen Eingang in das partikulare Strafprozessrecht gefunden.127 Die lange Zeit vorherrschende Auffassung, dass bei der Einführung der Staatsanwalt40 schaft das ihr zugewiesene allgemeine Gesetzeswächteramt in erster Linie Ausprägung liberal-rechtsstaatlicher Reformen gewesen sei,128 die insbesondere auf dem Einfluss der 124 125 126

S. LR/Rieß 25 § 160, 70 ff.; LR/Wendisch 25 § 463d, 3 f. Wegen seiner Zuständigkeit für die Strafvollstreckung s. Rn. 64. Vgl. z.B. Henkel 132; Eb. Schmidt I 93, 348; Eb. Schmidt (Geschichte) 330; ferner Gössel GA 1980 326 ff.; Pfeiffer FS Rebmann 359 f.

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Dazu ausführlich mit umf. Nachw. Wohlers 43 ff.; ferner Rüping GA 1992 147 ff.; StV 1997 278 f.; Wagner JZ 1974 212 ff. So besonders ausgeprägt Günther Staatsanwaltschaft – Kind der Revolution (1973); ferner u.a. Krey I 336; Wagner NJW 1963 8.

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Anregungen von v. Savigny und Uhden beruhen,129 ist nicht mehr unzweifelhaft. Durch die neuere rechtshistorische Forschung 130 wird dies teilweise in Frage gestellt. Diese betont stärker das Interesse an einer durch die Aktivierung des Weisungsrechts möglichen Einflussnahme der Regierung auf das Strafverfahren. Bei der Entwicklung seit dem Inkrafttreten der StPO und des GVG sind die im GVG 41 enthaltenen organisationsrechtlichen Vorschriften für die Stellung der Staatsanwaltschaft in den Grundlagen unverändert geblieben.131 Jedoch hat sich ihre verfahrensrechtliche Position nicht unerheblich verändert. Dies gilt vor allem durch die Kompetenzerweiterungen im Ermittlungsverfahren, namentlich durch die Beseitigung der gerichtlichen Voruntersuchung durch das 1. StVRG. Zwar war die praktische Bedeutung dieses Schrittes deshalb gering, weil gerichtliche Voruntersuchungen schon seit längerer Zeit vor ihrer Abschaffung kaum noch vorkamen;132 er hat jedoch dazu geführt, dass vom konstruktiven Verständnis her der Staatsanwaltschaft die vollständige und selbständige Durchführung des Ermittlungsverfahrens übertragen wurde. Für die Position der Staatsanwaltschaft ist des Weiteren die kontinuierliche Ausweitung der Durchbrechungen des Legalitätsprinzips nach den §§ 153 ff. StPO 133 namentlich deshalb von Bedeutung, weil die Anwendung dieser Vorschriften weitgehend in ihrer Hand liegt.134 Der Staatsanwaltschaft ist deshalb nicht mehr, wie nach der ursprünglichen Konzeption der StPO, als Anklagebehörde allein die Handhabung einer Verurteilungsoption nach dem Maßstab des hinreichenden Tatverdachts anvertraut, sondern sie hat in ihrer Abschlussverfügung in der Form des Sanktionsverzichts sanktionsähnliche Entscheidungen zu treffen.135 Damit wird einer der tragenden Gründe für ihre Entstehung, nämlich die Trennung von inquisitorischer und entscheidender Tätigkeit zwar nicht beseitigt, aber doch in einem gewissen Umfang relativiert. Vergleichbares gilt insoweit, als durch das Vordringen konsensualer Erledigungsformen, insbesondere von Vereinbarungen in Strafverfahren, auch im gerichtlichen Verfahren der Einfluss der Staatsanwaltschaft auf den Entscheidungsinhalt zunimmt.136 Trotz dieser Veränderungen ist die Bedeutung der Staatsanwaltschaft für die Struktur 42 des Strafverfahrens kaum zu überschätzen.137 Sie ist die notwendige Voraussetzung für seine gegenwärtige Gestalt, und ihre (derzeit von keiner Seite geforderte) Beseitigung oder grundlegende Umgestaltung würde Veränderungen des gesamten Strafverfahrens erfordern, deren Reichweite sich kaum übersehen ließe. Mit ihrer normativ vorgegebenen Objektivitätsverpflichtung einerseits (näher Rn. 49 ff.) ist sie Garant für Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit, hingegen in ihrer hierarchischen Struktur mit grundsätzlicher

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S. dazu m.w.N. Eb. Schmidt (Geschichte) 330 f.; Eb. Schmidt I 95; Wohlers 101 ff.; Otto Die preußische Staatsanwaltschaft, 15 ff.; GA 7 (1859) 579 ff. mit Teilabdruck der im übrigen bisher nicht veröffentlichten Denkschrift Savignys über die „Prinzipienfragen …“; vgl. auch Ostendorf NJW 1997 3418. Ausführlich Collin (2000); Wohlers zusammenfassend 202; s. ferner Rüping GA 1992 150 ff.; StV 1997 278 f. S. dazu die Entstehungsgeschichte bei den §§ 141 ff. GVG. Vgl. auch Wohlers 212 ff. Vgl. dazu die Entstehungsgeschichte

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Vor § 152 StPO sowie zu den einzelnen Vorschriften. Vor allem, weil die Staatsanwaltschaft etwa 1/3 aller ihr zugetragenen Verfahren nach Opportunitätsgründen einstellt, vgl. Heinz FS Kaiser 85, 95. Vgl. u.a. Rieß NStZ 1981 6 f.; zum Ganzen auch Kausch Der Staatsanwalt – ein Richter von dem Richter? (1980). Vgl. näher Rn. F 113 ff. und Wohlers 261 ff., 303 f. Vgl. auch Gössel GA 1980 331 ff., der die Idee der StA mit dem Gedanken der Gewaltenteilung und der gegenseitigen Kontrolle verknüpft.

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Weisungsunterworfenheit andererseits 138 und dem zumindest psychologisch verfestigten Verfolgungswillen 139 aber auch Garant einer effektiven Strafrechtspflege (Rn. H 10 ff.). Bei dieser durch innere Spannungen geprägten Struktur müssen natürlich auch die Gefährdungen für ein rechtsstaatliches Strafverfahren gesehen werden, die von dieser im Prinzip unverzichtbaren Position der Staatsanwaltschaft ausgehen können und für die sowohl die Rechtsentwicklung des Nationalsozialismus als auch die Rechtslage der DDR Anschauungsmaterial enthalten.140

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b) Funktionen der Staatsanwaltschaft im Überblick. Eine zusammenfassende Aufgabenbeschreibung für die Staatsanwaltschaft, die ihre Stellung kennzeichnet, ist dem Gesetz fremd.141 Sie hat im Strafverfahren mehrere Funktionen.142 Sie ist zunächst die verantwortliche Leiterin des Ermittlungsverfahrens, in dem sie, mit einer eigenen originären Ermittlungskompetenz ausgestattet, die Justizförmigkeit, Rechtsstaatlichkeit und Effizienz des Verfahrens gewährleisten soll.143 In ihrer Abschlussverfügung bewirkt sie mit erheblichen eigenen Beurteilungsspielräumen und im Falle der Einstellung mit einer faktisch verfahrensbeendigenden Wirkung eine Selektion von Tatverdächtigen,144 die natürlich durch konkrete Haltungen und Wertungen bei Aufnahme und Beurteilung des Tatsachenmaterials subtil und letztlich nicht überprüfbar 145 vorbereitet worden ist. Mit ihrem weitgehenden Anklagemonopol (Rn. I 14) bestimmt sie nach dem Anklagegrundsatz das Verfahrensthema des gerichtlichen Verfahrens. Im gerichtlichen Verfahren ermöglicht sie als Anklagevertreterin dem Gericht seine 44 strukturelle Unabhängigkeit und vertritt gleichermaßen das Opfer wie den Strafanspruch des Staates. Eine prozesstragende Funktion kommt der Staatsanwaltschaft infolge der inquirierenden Tätigkeit des Gerichts nach dem umfassenden Amtsaufklärungsprinzip in diesem Verfahrensabschnitt formal nicht zu.146 Wegen ihrer Vorinformiertheit durch das Ermittlungsverfahren hat sie aber in der Regel eine Position, die substantiell ähnlich stark wie die des Gerichts ist, wozu auch die üblicherweise bestehende Loyalität zwischen Richtern und Staatsanwälten beiträgt, vgl. Rn. 56. Sie lässt sich wohl am zutreffendsten mit einer Teilhabe an der triadischen Funktion 147 im Spannungsfeld von Staatsanwaltschaft und Beschuldigtem/Verteidigung einerseits und dem Gericht andererseits beschreiben. In diesem Rahmen wirkt sie entscheidend mit an der Verwirklichung der Zwecke des Strafverfahrens und der Sicherung einer rechtsstaatlichen und effektiven Strafrechtspflege. Der Staatsanwaltschaft obliegen außerdem kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestim45 mung Aufgaben der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen. Sie ist, soweit nicht 138 139

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Näher die Erl. zu § 146 GVG. So die empirische Bestätigung praktischer forensischer Erfahrungen in Blankenburg/ Sessar/Steffen (1978). Vgl. Rüping StV 1997 278 f. So die empirischer Bestätigung praktischer forensischer Erfahrungen in Blankenburg/Sessar/Steffen. Was u.a. bei Wohlers 305 bedauert wird; ähnlich auch Kintzi FS Wassermann 900. S. auch die Zusammenfassungen bei Beulke 79 f.; Meyer-Goßner Vor § 141 GVG, 3; Rieß FS Schäfer 194; zu weiteren Aufgaben außerhalb des Strafverfahrens s. die Erl. Vor § 141.

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Näher die Erl. Vor § 158; zum Verhältnis zur Polizei s. unten Rn. 59. Näher die Erl. zu § 170 StPO; zum Ganzen auch Bohnert (Abschlussverfügung). Zumindest solange nicht, wie die Teilhabe von Beschuldigtem und Verteidiger im Ermittlungsverfahren weiter so gering ist wie zur Zeit, vgl. Weihrauch 92 ff. m.w. Nachw. Ausführlich und ähnlich Wohlers 229 ff.; s. auch Peters 178 (kontrollierende, nicht treibende Kraft); näher zur Stellung und zu den Befugnissen Vor § 213. Näher Kühne 173.

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besondere Richtervorbehalte bestehen, Strafvollstreckungsbehörde im Sinne des § 449 ff. StPO.148 Sie ist ferner nach § 36 StPO grundsätzlich Vollstreckungsbehörde für sonstige gerichtliche Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen.149 Sie wird ferner vielfach eingeschaltet, um den Verkehr zwischen verschiedenen Gerichten, namentlich mit den Rechtsmittelinstanzen zu vermitteln,150 und sie hat grundsätzlich die Herbeischaffung der sachlichen Beweismittel zur Hauptverhandlung zu bewirken (§ 214 Abs. 4 StPO). Ob und in welchem Umfang die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, während des gerichtlichen Verfahrens auf Veranlassung des Gerichts tätig zu werden, ist umstritten.151 In der Praxis stellt sich dieses Problem jedoch selten oder nie, weil zum einen die Aktionsmöglichkeiten des Gerichts während der Hauptverhandlung hinreichend sind und im Zwischenverfahren die Interessenlage der Staatsanwaltschaft es opportun erscheinen lässt, gerichtlichen Anregungen nachzugehen. Im Übrigen trägt die in anderem Zusammenhang durchaus problematische Loyalität zwischen Richtern und Staatsanwälten, vgl. Rn. 56, hier dazu bei, dass derartige Fragen sich nicht als konfliktsträchtig darstellen. c) Beziehungen zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht. Nach der ausdrücklichen, 46 wenn auch als solche eher überflüssigen und missverständlichen Regelung 152 des § 150 GVG ist die Staatsanwaltschaft in ihren amtlichen Verrichtungen vom Gericht unabhängig. Doch trifft dieser Satz im Detail ebensowenig zu wie seine Umkehrung. Staatsanwaltschaft und Gericht sind vielmehr zwei gleichgeordnete aber unterschiedlich strukturierte Organe der Strafrechtspflege, deren Beziehungen untereinander durch das Strafverfahrensrecht im Sinne vielfältiger Einwirkungen im Einzelnen geregelt sind.153 So ist die Staatsanwaltschaft (selbstverständlich) an gesetzlich vorgesehene gerichtliche Entscheidungen gebunden, die ihr eine bestimmte Verpflichtung auferlegen, wie etwa die Erhebung der öffentlichen Klage im Falle des § 175 StPO, oder deren Vollstreckung ihr obliegt. Gleiches gilt, wo bestimmte staatsanwaltschaftliche Entscheidungen, wie etwa teilweise in den Fällen der §§ 153 ff. StPO, der gerichtlichen Zustimmung bedürfen, bei deren Verweigerung. Jedoch folgt aus der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft beispielsweise, dass die richterliche Anordnung von Zwangsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren trotz der üblichen Verwendung des Wortes „Befehl“ für die Staatsanwaltschaft keine Verpflichtung, sondern nur eine richterliche Genehmigung darstellt, von der sie keinen Gebrauch machen muss. Ob hingegen die Staatsanwaltschaft ihre Tätigkeit an der obergerichtlichen Rechtsprechung auszurichten hat (Präjudizienbindung), ist streitig. Hält die Staatsanwaltschaft entgegen der Ansicht der Rechtsprechung ein Verhalten für strafbar, wird ihr überwiegend das Recht eingeräumt, Anklage zu erheben, um dadurch die Möglichkeit zu haben, einen Wechsel in der Rechtsprechung herbeizuführen.154 Im umgekehrten – und wohl eher seltenen – Fall, dass die Staatsanwaltschaft ein von der Rechtsprechung als strafbar angesehenes Verhalten für straflos hält, wird allerdings zurecht eine Bindewirkung angenommen, da die Staatsanwaltschaft mithilfe ihres Anklagemonopols der Rechtsprechung keine Fälle entziehen darf.155

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Vgl. § 451 StPO und – wegen der Einzelheiten und Ausnahmen – die dortigen Erl. Wegen der Einzelheiten s. die Erl. zu § 36. § 209 Abs. 2, § 225a Abs. 1 Satz 1, §§ 320, 321, 347 Abs. 2 StPO. Näher die Erl. zu § 202 StPO, 11 ff.; zum Ganzen m.w.N. Wohlers 225 ff. Näher die Erl. zu § 150 GVG; vgl. auch

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KK/Schoreit § 150, 1 GVG (Programmsatz); Katholnigg zu § 150. Odersky FS Rebmann 352. Meyer-Goßner Vor § 141, 11 GVG; Beulke 89; a.A. Kühne 143. Beulke 90; Kühne 144; Roxin DRiZ 1997 109 (114 ff.). SK/Weßlau 152, 22; Roxin § 10, 12.

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Für die Unabhängigkeit der Gerichte gegenüber der Staatsanwaltschaft gelten weniger Einschränkungen. Generell ist das erkennende Gericht nach dem Anklagegrundsatz auf die Aburteilung derjenigen (prozessualen) Tat beschränkt, die Gegenstand der öffentlichen Klage der Staatsanwaltschaft in der Form des gerichtlichen Eröffnungsbeschlusses ist. Auch die ermittlungsrichterliche Tätigkeit ist, von den Fällen des §§ 165, 166 StPO abgesehen, nach Art und Umfang von einem staatsanwaltschaftlichen Antrag abhängig. Darüber hinaus bindet das Gesetz nicht selten die Zulässigkeit bestimmter gerichtlicher Entscheidungen, namentlich solcher, die von normalen Entscheidungsprogrammen oder vom regelmäßigen Verfahrensgang abweichen, an einen besonderen Antrag oder eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft, so beispielsweise bei der Anwendung der §§ 153 ff. durch das Gericht, beim Antrag auf den Erlass eines Strafbefehls,156 bei der Erledigung im Wege des beschleunigten Verfahrens (§ 417 StPO), bei der Verwerfung der Revision als offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO) oder beim Freispruch im Wiederaufnahmeverfahren ohne Durchführung einer neuen Hauptverhandlung (§ 371 Abs. 2 StPO). 2. Die Objektivitätsverpflichtung und die Frage der Parteistellung der Staatsanwaltschaft

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a) Das Objektivitätspostulat. Ähnlich wie die Unabhängigkeit des Richters eine Grundbedingung seiner Tätigkeit darstellt (Rn. 13), gehört die Objektivität der Staatsanwaltschaft für das gegenwärtige deutsche Strafverfahrensrecht zumindest theoretisch zu den Grundbedingungen ihrer Tätigkeit. Als normative Vorgabe bedeutet das Objektivitätspostulat, dass der Staatsanwalt bei seiner gesamten Tätigkeit nicht einseitig und unter Außerachtlassen von Gegengründen nur die Überführung oder Verurteilung eines Beschuldigten betreiben darf, sondern dass er dazu verpflichtet ist, ein der Wahrheit möglichst nahekommendes, gerechtes Ergebnis anzustreben und sein Vorgehen entsprechend einzurichten. Das ergibt sich allein schon aus der deutlichen Formulierung des § 160 Abs. 2 StPO und ist auch grundsätzlich nicht bestritten; zur Rechtswirklichkeit vgl. unten Rn. 51. Die Staatsanwaltschaft ist folglich auch, wie das Gericht, auf das Prozessziel der Herstellung von Rechtsfrieden verpflichtet. Wie vom Richter eine auch innere Unabhängigkeit verlangt wird, erfordert die Tätigkeit des Staatsanwaltes eine als innere Objektivität zu bezeichnende handlungsleitende Grundeinstellung. Nach der Rechtsprechung des BGH in Zivilsachen 157 kann die Staatsanwaltschaft auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, wenn sie unter grobem Verstoß gegen das Objektivitätsgebot Ermittlungen betreibt.158 Das Objektivitätspostulat, das dem geltenden Recht als unausgesprochenes Prinzip 49 für die gesamte Tätigkeit der Staatsanwaltschaft zugrunde liegen dürfte, findet in einer Reihe von Vorschriften seine gesetzliche Ausprägung. Zunächst und vor allem in § 160 Abs. 2 StPO, wonach die Staatsanwaltschaft bei ihrer sachverhaltsaufklärenden Tätigkeit auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln hat.159 Dies dürfte als allgemeiner Rechtsgrundsatz zu verstehen sein, der die Staatsanwaltschaft auch bei anderen Tätigkeiten und Entscheidungen zu der gleichen Haltung verpflichtet. Ihr ist deshalb (§ 170 Abs. 2 StPO) die Erhebung der öffentlichen Klage nur gestattet, wenn dafür ein genügender Anlass besteht; sie hat im gerichtlichen Verfahren Fehlbewertungen des

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§ 407 Abs. 1 Satz 1, § 408 Abs. 3, § 408a Abs. 1 StPO. BGH NJW 1989 96; 1998 751; 2000 2672.

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Kritisch dazu Kühne 138.1. Näher LR/Rieß 25 § 160, 47 ff.; s. auch die Erl. zu § 160.

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Gerichts zu Lasten des Angeklagten entgegenzutreten 160 und erforderlichenfalls Freispruch zu beantragen;161 sie kann Rechtsmittel zugunsten des Angeklagten einlegen (§ 296 Abs. 2 StPO) und zu seinen Gunsten die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen. Auch als Strafvollstreckungsbehörde hat die Staatsanwaltschaft nicht einseitig die Vollstreckung um jeden Preis zu betreiben, sondern auf die verschiedenen Interessen Bedacht zu nehmen und bei Zweifeln an der Zulässigkeit der Strafvollstreckung von sich aus eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen.162 Aus der Objektivitätsverpflichtung des Staatsanwalts ergeben sich mehrere praktische 50 Konsequenzen. Materiell-strafrechtlich folgt daraus, dass er Täter einer Rechtsbeugung gemäß § 336 StGB sein kann.163 Allerdings gibt es Möglichkeiten des Ausschlusses vom Verfahren wegen Befangenheit nicht für Staatsanwälte, sondern nur für Richter, §§ 22 ff. StPO. Das ist beispielsweise in Österreich anders, wo §§ 75, 76 Ö StPO eigene Ausschlussgründe für befangene Staatsanwälte aufführen. In Deutschland wird auch eine entsprechende Anwendung der §§ 22 ff. StPO auf Staatsanwälte überwiegend abgelehnt.164 Allerdings geht man gemeinhin davon aus, dass die Staatsanwaltschaft als Behörde über die Pflichtmäßigkeit der Amtsausübung ihrer Mitarbeiter zu wachen hat und dem gemäß befangene Staatsanwälte als Sitzungsvertreter auszuwechseln hat.165 Eine solche Pflicht ist aber prozessual nicht erzwingbar und allenfalls bei derart schwerwiegenden Mängeln, die einer Abwesenheit des Vertreters der Staatsanwaltschaft gleichkommt, in der Revision rügefähig, etwa wenn der Staatsanwalt in derselben Sache auch als Zeuge vernommen worden ist und seine eigene Aussage im Plädoyer würdigen müsste.166 Kontrovers beurteilt wird lediglich, wie allgemein diese Grenzen zu bestimmen sind und in welcher Form ihr Überschreiten zu berücksichtigen ist.167 In der Rechtswirklichkeit befolgt die Staatsanwaltschaft im Lichte der Statistik das 51 normative Objektivitätspostulat weitgehend, soweit dies angesichts ihrer unterschiedlichen und nicht gänzlich friktionslos miteinander zu vereinbarenden Aufgaben psychologisch erwartet werden kann.168 So wird die überwiegende Zahl der Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO oder §§ 153 ff. StPO eingestellt, und im Bereich der Durchschnittskriminalität beschränkt sich die Staatsanwaltschaft vielfach auf eine Rechtskontrolle der polizeilichen Ermittlungen, ohne eine besondere Verfolgungsintensität zu zeigen.169 Allerdings erscheint dies eher ein Ventil zur Verringerung der Überlast als der Effekt objektiver, also auch beschuldigtenfreundlicher Ermittlungsarbeit zu sein.170 Im gerichtlichen Verfahren sind die staatsanwaltschaftlichen Anträge zwar in der Regel, nicht aber ausschließlich höher als die Urteile, und der staatsanwaltschaftliche Freispruchsantrag existiert mitunter auch in der Praxis. Selbst die Revisionsstaatsanwaltschaften beantragen in geringem Umfang Urteilsaufhebungen aufgrund von Revisionen des Angeklagten. Freilich ist die Staatsanwaltschaft dem psychologischen Problem der Unverein160

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Odersky FS Rebmann 353 f.; s. auch Gössel GA 1980 341 f. (Kontrollfunktion der StA gegenüber dem Gericht). Zur Aufgabe des Staatsanwalts bei den Schlußvorträgen s. die Erl. zu § 258, 16. Vgl. näher LR/Wendisch 25 § 458, 1 ff., 7. LK/Spendel 10 § 336, 19; Schönke/Schröder/Cramer § 339, 9; Tröndle/Fischer § 339, 6; jeweils m.w.N. BGH NJW 1980 845; NStZ 1984 419 m. Anm. Gössel; NStZ 191 595; a.A. Krey JA 1985 512.

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Vgl. Kühne 741 und Meyer-Goßner Vor § 22, 3 jeweils m.w.N. BGHSt 14 265; NStZ 1983 135; 1994 194. Näher m.w.N. LR/Wendisch 25 Vor § 22, 8 ff.; ferner etwa Pfeiffer FS Rebmann 359 ff. Kritisch aber AK/Stern Vor § 137, 14. Nachweise des empirischen Materials u.a. bei AK/Schöch Vor § 158, 29 ff.; vgl. auch Gössel GA 1980 347, Heinz FS Kaiser S. 94. Kühne 138.

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barkeit von inquirierender Tätigkeit und neutraler Objektivität, das zu den „Gebrechen des Inquisitionsprozesses“ gehörte, in gewissem Maße ausgesetzt, und dies um so stärker, desto größer im Einzelfall das für eine effektive Strafverfolgung unverzichtbare ermittelnde und strafverfolgende Engagement ist. Zusätzlich bewirkt die im Vergleich zum Gericht größere Nähe zum Opfer und dem durch die Tat angerichteten Schaden ein natürliches Bedürfnis, den Täter dingfest zu machen und der Strafverfolgung zuzuführen.171 Insofern erscheint das Objektivitätspostulat aus Gründen der Struktur und Psychologie der Staatsanwaltschaft in der Praxis als nur begrenzt umgesetzt, was die Gewährleistung einer effektiven Verteidigung des Beschuldigten besonders wichtig macht.172

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b) Strafprozess als Parteiprozess? Dass die Staatsanwaltschaft nach der gesetzlichen Regelung keine Partei im Sinne eines „parteilichen“, also einseitigen Vorgehens gegen den Beschuldigten ist, folgt notwendig aus dem Objektivitätspostulat und wird nicht ernsthaft bestritten. Davon zu unterscheiden ist aber die Frage, ob man ihre Stellung mit einem formalen Parteibegriff sachgerecht kennzeichnen kann, der diese Elemente der Parteilichkeit nicht enthält, sondern allein darauf abstellt, dass sie als Träger bestimmter Interessen einem anderen Beteiligten mit weitgehend gleichen Rechten in einem Dreiecksverhältnis vor einem neutralen Dritten gegenübertritt. Auch unter dieser Fragestellung verengt sich jedoch die Problematik auf das gerichtliche Verfahren, denn weder im Ermittlungsverfahren noch als Strafvollstreckungsbehörde tritt die Staatsanwaltschaft in dieser Form auf. Sie ist hier das Organ, welches das Verfahren gegen den Beschuldigten oder Verurteilten betreibt, und schon deshalb nicht Partei. Die Frage nach der Parteistellung der Staatsanwaltschaft reduziert sich also auf das gerichtliche Verfahren und fällt damit, auch wenn das im Schrifttum gelegentlich unterschiedlich behandelt wird, mit denjenigen zusammen, ob das Verfahren vor dem erkennenden Gericht als Parteiprozess verstanden werden kann.173 Von der derzeit ganz herrschenden Auffassung, der auch die Rechtsprechung folgt,174 53 wird die Auffassung vertreten, dass die Staatsanwaltschaft auch in diesem beschränkten und formellen Sinne keine Partei sei;175 woraus folgt, dass auch der Strafprozess vor dem erkennenden Gericht nicht als Parteiprozess zu verstehen ist.176 Begründet wird dies überwiegend damit, dass trotz formaler Gemeinsamkeiten in diesen Verfahrensabschnitten zwischen der Staatsanwaltschaft als Anklagebehörde und dem Angeklagten erhebliche strukturelle Unterschiede bestünden, die es ausschlössen, die beiden Prozessbeteiligten als

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Blankenburg/Sessar/Steffen 303 können daher auch ein Selbstbild der Staatsanwaltschaft erheben, welches zentral auf Verfolgung ausgerichtet ist. Vgl. dazu Gössel GA 1980 348 ff.; Rieß FS Schäfer 195 (die beide aus diesem Grunde einen gewissen Rückzug aus der eigenen Ermittlungskompetenz erwägen); dagegen Schoreit ZRP 1982 288 f. Ausführliche Nachw. zum Meinungsstand auch im älteren Schrifttum vor allem bei Eb. Schmidt I 105 ff.; Henkel 105 ff. und v. Hippel 224 f. So z.B. BVerfGE 63 45, 63; RGSt 60 190; BGHSt 15 155, 159. LR/K. Schäfer 24 Einl. 9 4; Eb. Schmidt I

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105 ff.; Kissel § 141, 5; KK/Pfeiffer Einl. 63, Meyer-Goßner vor § 141, 8 GVG; Gössel 39; Henkel 134, Krey I 337, 360; Peters 162; Roxin § 10, 9; Rüping 67; Schäfer 29; Schroeder 61; Schlüchter 129; Kintzi FS Wassermann 902; Pfeiffer FS Rebmann 362; Wendisch FS Schäfer 248; a.A. Blomeyer GA 1970 172 f.; aus dem älteren Schrifttum u.a. Beling 137 f.; v. Hippel 233; ob, wie verbreitet angenommen, auch Bettermann AöR 92 (1967) 514 diese Auffassung vertritt, ist zweifelhaft; Katholnigg Vor § 141, 2 hält die Frage für falsch gestellt. Henkel 105 ff.; Eb. Schmidt I 106 ff. (beide ausführlich); Peters 101; Roxin § 17, 5; Schlüchter 129; Kintzi aaO.

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Inhaber gleichwertiger Verfahrensrollen mit grundsätzlich gegenläufigen Interessen auf der gleichen Wertebene anzusehen.177 In Ansehung des anglo-amerikanischen Parteiprozesses ist es im deutschen Strafverfahrensrecht jedoch vor allem die verhandlungsleitende Position des Gerichts, welche es ausschließt, Staatsanwaltschaft und Verteidigung als Parteien zu betrachten. Anders als bei uns kann man dort vom Parteiprozess sprechen, weil nicht dem Gericht, sondern allein Staatsanwaltschaft und Verteidigung aktive Gestaltungsmöglichkeiten in der Hauptverhandlung eingeräumt werden. Demgegenüber erscheint es verfehlt, wenn die Anhänger des Begriffs 178 für den deutschen Kontext auf die formalen Rollen und die konstruktiven Übereinstimmungen mit anderen gerichtlichen Verfahren, insbesondere dem Zivilprozess verweisen, und die Auffassung vertreten, dass der Parteibegriff zur Erfassung von Gemeinsamkeiten der von dem Richter handelnden „Prozessbeteiligten“ zweckmäßig sei. Schon Eb. Schmidt hat darauf aufmerksam gemacht, dass der Streit um den Partei- 54 begriff im Strafverfahren ein Scheinproblem ohne sachliche Bedeutung sei, bei dem im Grunde nur um Worte gestritten werde.179 Dem ist zuzustimmen. Es wäre begriffsjuristisch, aus der Verwendung des Parteibegriffs Folgerungen abzuleiten, die sich nicht schon aus der Summe der die jeweiligen Prozessrollen konstituierenden Befugnisse ergeben, und auch der Gesetzestext, der den Begriff der „Partei“ so gut wie nicht verwendet,180 erfordert es nicht, hierüber Überlegungen anzustellen. Es besteht deshalb kein Grund, die derzeit ganz überwiegende Meinung in Frage zu stellen, dass die Staatsanwaltschaft, für die dieser Begriff ohnehin nur für einen geringen Teil ihrer Tätigkeit tauglich wäre, nicht als Partei (im formellen Sinne) zu bezeichnen und das gerichtliche Erkenntnisverfahren (und nur dieses) nicht als (formeller) Parteiprozess zu kennzeichnen ist. 3. Die staatsrechtliche Stellung der Staatsanwaltschaft und ihre innere Struktur a) Die Stellung der Staatsanwaltschaft im Gefüge der Staatsorgane. Die Staatsanwalt- 55 schaft ist, was heute wieder allgemeine Auffassung ist,181 nicht Teil der rechtsprechenden Gewalt im Sinne des Art. 92 GG.182 Da ihr auch keine legislativen Befugnisse zukommen, ist sie notwendigerweise Bestandteil der Exekutive.183 Diese Konsequenz wird frei-

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So ausführlich und näher Eb. Schmidt I 105 f.; LR/K. Schäfer 24 Einl. 9 4. So vor allem v. Hippel 224 ff.; ferner u.a. Beling 122 ff.; vgl. auch Goercke ZStW 73 (1961) 571 f. (Amt in der Rolle der Partei). Im neueren Schrifttum wird der Parteibegriff für den Strafprozess kaum noch verwendet. Eb. Schmidt I 106. Die einzige Ausnahme findet sich bezeichnenderweise in § 380 Abs. 4 StPO im Privatklageverfahren. LR/K. Schäfer 24 Einl. 8 5; Kissel § 141, 8; KK/Schoreit § 141, 3 GVG; Meyer-Goßner Vor § 141, 5 GVG; Eb. Schmidt I 96 und MDR 1964 629 ff.; Gössel 39 und GA 1980 335; Henkel 134; Kühne 133; Roxin § 10, 8; Schäfer 29; Mayer FS Odersky 237; Odersky FS Rebmann 343; Pfeiffer FS Rebmann 361; Kintzi FS Wassermann 900 f.;

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Sarstedt NJW 1964 1753 ff.; eingeschränkt auch Katholnigg Vor § 141, 1 der teilweise den IX. Abschnitt des GG entsprechend anwenden will; ausführlich mit umf. Nachw. zum Streitstand Koller 35 ff. Die Möglichkeit einer Entscheidung dieser Frage bezweifelt Bohnert 387 ff. So aber Kohlhaas (1963) 46; Görcke ZStW 73 (1961) 579 ff.; 590; Wagner NJW 1963 9. Kissel § 141, 8 (jedenfalls im Sinne der Gewaltenteilung); Meyer-Goßner Vor § 141, 6 GVG; Krey I 338; Gössel GA 1980 336; Pfeiffer FS Rebmann 361; Koller (zusammenfassend) 382 (mit wohl überzogener verfassungsrechtlicher Ableitung), wohl auch Rüping 67 (Justizverwaltung); a.A. Mayer FS Odersky 241 ff., der einen umfassenden Begriff der „Dritten Gewalt“ verwendet und die Staatsanwaltschaft dieser,

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lich nicht durchgehend akzeptiert. Aus ihrer speziellen Aufgabe, an der Verwirklichung der Ziele des Strafverfahrens mitzuwirken, wird abgeleitet, sie sei ein selbständiges Organ der Rechtspflege, das zwischen Exekutive und Rechtsprechung stehe.184 Dem kann nur insoweit zugestimmt werden, als die besonderen Aufgaben der Staatsanwaltschaft auch in den gesetzlichen Regelungen, die ihre Stellung und Befugnisse prägen, ihren Ausdruck finden. Sie führen dazu, dass manche der für „klassische Verwaltungsbehörden“ bestehenden Regelungen, namentlich solche des Verwaltungsorganisationsrechts, auf sie nicht anwendbar sind. Diese Besonderheiten könnte man dahin zusammenfassend beschreiben, dass die Staatsanwaltschaft ein der Exekutive zugehörendes Organ der Rechtspflege sei.185 Dies wiederum macht deutlich, dass sich die Strafrechtspflege nicht nur aus Rechtsprechung, sondern (fast) gleichrangig auch aus Justizverwaltung (oben Rn. B 57) zusammensetzt. Im Einzelnen lassen sich als Besonderheiten und Eigenschaften der Rechtsstellung der 56 Staatsanwaltschaft beispielsweise bezeichnen, dass sie als Justizbehörde zum Justizministerium ressortiert,186 dass für sie das Recht nicht die Grenze, sondern den Gegenstand ihrer Tätigkeit darstellt,187 dass sie jedenfalls in erheblichen Teilen ihrer Tätigkeit auf die Rechtsprechung hin arbeitet 188 oder ihr zugeordnet ist,189 dass ihre Tätigkeit stärker auf Rechtsverwirklichung und Rechtsdurchsetzung als auf Zweckmäßigkeit ausgerichtet ist,190 dass ihre Amtsträger als Staatsanwälte die Befähigung zum Richteramt besitzen müssen und dass für Disziplinarverfahren ungeachtet ihres Beamtenstatus die Richterdienstgerichte zuständig sind 191 oder dass ihre Weisungsunterworfenheit besonderen Bedingungen unterliegt,192 zusammengefasst auch mit der Formulierung von Eb. Schmidt 193, dass die Staatsanwaltschaft den Rechtswillen, nicht den Machtwillen des Staates repräsentiere, auch wenn dies angesichts der rechtsstaatlichen Bindungen aller vollziehenden Gewalt einiges von seinem ursprünglichen Gegensatz verloren haben mag. Berufssoziologisch betrachtet ist das Maß an gemeinschaftlicher Denkweise 194 und das

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aber nicht der Rechtsprechung zuordnet; krit. auch Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 413. Beulke 88 (Zwitterstellung); Roxin § 10, 8; vgl. auch Schroeder 61 (formell Exekutive, materiell rechtsprechende Gewalt); den Doppelcharakter der StA betont auch Peters 161; Baumann 109; kritisch Gössel GA 1980 336. So (mit unterschiedlichen Varianten) die jetzt vorherrschende Meinung; s. u.a. Meyer-Goßner Vor § 141, 7; Kissel § 141, 9; KK/Pfeiffer Einl. 61; Katholnigg Vor § 141, 2; Kühne 133; Eb. Schmidt I 96; Krey I 338; Henkel 134; Ranft 202; Schäfer 29; Schlüchter 61; Fuhrmann JR 1963 218; Koller 349; Odersky FS Rebmann 343; als Meinung des Gesetzgebers Begr. zur 1. StVRG, BTDrucks. 7 551, S. 38; aus der Rspr. vgl. BVerfGE 9 223, 228; 32 199, 216; 63 45, 63; BGHSt 24 170, 171; BVerwG NJW 1961 1496, 1497. Zur Bedeutung für die innere Haltung s. z.B. Peters 162; Eb. Schmidt I 95. Zur Notwendigkeit der Trennung beider Ressorts s. u.a.

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Röper DRiZ 1998 309 ff. mit berechtigter Kritik an der 1998 in NRW vollzogenen Zusammenlegung. Vgl. Henkel 134 (Bindung des Staates an das Recht). Meyer-Goßner Vor § 141, 7 GVG; Odersky FS Rebmann 343; ähnlich Eb. Schmidt I 96 (Funktionen auf die rechtsprechende Gewalt ausgerichtet). Kissel § 141, 8; KK/Pfeiffer Einl. 61. Peters 161; ähnlich Roxin § 10, 8; Krey I 340. Dies mag freilich angesichts des hohen Gebrauchs des Opportunitätsprinzips im Rahmen der §§ 153 ff. StPO zweifelhaft erscheinen, vgl. die dortigen Kommentierungen und Rn. B 61 f. und G 32. § 122 DRiG; vgl. zur Entstehung und Bedeutung die Erl. bei Schmidt-Räntsch § 122, 1 bis 11. Kühne 140 f. Eb. Schmidt I 95 und MDR 1951 6; s. auch Krey/Pföhler NStZ 1985 146; Schäfer 29. Schäfer 29; Sarstedt NJW 1964 1753; dazu kritisch Koller 352 f.

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Verfahrensbeteiligte

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Verbundenheitsgefühl zwischen Richtern und Staatsanwälten deutlich größer als zwischen Staatsanwälten und Angehörigen anderer Verwaltungen, und auch der Wechsel zwischen beiden Funktionen ist nicht nur in Ländern mit dem sog. Laufbahnwechsel ein nicht ungewöhnliches Ereignis, vielmehr besteht eine weit verbreitete Einstellungspraxis der Landesjustizverwaltungen, nach der in der Regel angenommene Bewerber zunächst als Staatsanwälte und erst danach als Richter tätig werden können. Dies fördert nicht nur wechselseitiges Verständnis, sondern mag auch geeignet sein, Richtern eine Loyalität gegenüber den Staatsanwälten zu vermitteln, die dem richterlichen Kontrollauftrag nicht mehr vollständig genügen könnte. b) Aufbau und Struktur der Staatsanwaltschaft unterscheiden sich tiefgreifend von 57 den Gerichten.195 Die Staatsanwaltschaft ist hierarchisch aufgebaut; es gibt keinen „gesetzlichen Staatsanwalt“, sondern es bestehen die Möglichkeiten der Devolution und Substitution. Auch ist der Staatsanwalt weder sachlich noch, über die normalen Gewährleistungen des Beamtenrechts und die Sonderregelung des § 122 Abs. 4 DRiG hinaus, persönlich unabhängig, sondern grundsätzlich weisungsgebunden. Wieweit sich aus der besonderen Stellung der Staatsanwaltschaft als einem der Rechtsprechung zugeordneten Organ der Rechtspflege Einschränkungen ergeben, ist umstritten; die Einzelheiten sind bei § 146 GVG erläutert. Im Grundsatz, nicht unbedingt in allen Einzelheiten der gegenwärtigen Rechtslage, sind diese Unterschiede durch die verschiedenen Aufgaben des Staatsanwaltes und des Richters im Strafverfahren gerechtfertigt 196 und deshalb besteht auch kein Grund, sie grundsätzlich in Frage zu stellen. 4. Der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit zugeordnete Organe a) Die Aufgaben der Polizei im Strafverfahren und ihr Verhältnis zur Staatsanwalt- 58 schaft. Den Beamten und Behörden des Polizeidienstes, also vor allem der sog. Kriminalpolizei, aber auch der allgemeinen Schutzpolizei,197 weist das Strafverfahrensrecht vor allem in den §§ 161, 163 StPO Aufgaben der Sachverhaltserforschung im Ermittlungsverfahren zu. Dabei verpflichtet § 161 StPO die Polizei zur Sachverhaltserforschung im Auftrage der Staatsanwaltschaft, während ihr § 163 StPO eine originäre Ermittlungskompetenz zuweist, deren Reichweite im Einzelnen umstritten ist.198 Neben dem dem Polizeirecht zu entnehmenden Auftrag zur Gefahrenabwehr ist die Polizei deshalb auch Strafverfolgungsbehörde 199 und tritt insoweit in faktische Konkurrenz mit der Staatsanwaltschaft, der sie formal als Ermittler 200 dient, vgl. auch unten Rn. 60. Anders als diese wirkt sie jedoch aufgrund ihrer strafprozessualen Kompetenzen lediglich im Ermittlungsverfahren und auch in diesem nur mit dem Ziel der Sachverhaltserforschung mit. Soweit sie bei sonstigen Maßnahmen des Strafverfahrens herangezogen wird, beispielsweise zur Sicherung von Hauptverhandlungen oder zur Ermittlung von Zeugen im 195 196

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S. dazu insgesamt näher die Erl. zu den §§ 141 ff. GVG. Blomeyer GA 1970 166 ff., der andernfalls eine Rückkehr zu einem reformierten Inquisitionsprozess befürchtet. Näher zu den in Betracht kommenden Behörden die Erl. Vor § 158 StPO vgl. auch Beulke 101. Näher die Erl. zu § 161 und § 163. Näher über das Verhältnis von Gefahren-

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abwehr und Strafverfolgung die Erl. Vor § 158. Die von der Polizei stets als ärgerlich empfundene Beschreibung als „Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft“ wurde durch die Neufassung des § 152 I GVG durch G v. 24.8.2004 endlich korrigiert, ohne allerdings in der Sache irgend eine Änderung zu bewirken.

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gerichtlichen Verfahren, wird sie entweder aufgrund ihrer gefahrenabwehrenden Kompetenz oder im Wege der Amtshilfe tätig. Auch die Kompetenzen der Polizei im Ermittlungsverfahren sind nach dem Gesetz 59 begrenzt. Die Befugnis zur Erhebung der öffentlichen Klage steht ihr ebenso wenig zu wie die zur Einstellung des Verfahrens. Außer in den Fällen des § 165 StPO kann sie sich, soweit richterliche Untersuchungshandlungen erforderlich werden, nicht unmittelbar an das Gericht wenden; der Verkehr mit diesem ist der Staatsanwaltschaft vorbehalten. Bei der Sachverhaltsermittlung sind ihr insoweit Grenzen gesetzt, als Zeugen und Sachverständige, anders als bei der Staatsanwaltschaft (§§ 161a; 163a Abs. 3 StPO), ihr gegenüber nicht zur Aussage verpflichtet sind und der Beschuldigte nicht bei ihr erscheinen muss. Die Befugnis zu Zwangsmaßnahmen ist unterschiedlich geregelt;201 sie stehen teilweise allen Beamten des Polizeidienstes uneingeschränkt zu,202 teilweise nur solchen, und dies auch nur im Wege der Eilkompetenz, denen der Charakter von Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zukommt;203 der Umfang dieser Eilkompetenzen bleibt hinter denen zurück, die der Staatsanwaltschaft zustehen.204 Die Gesetzeslage kennzeichnet die Polizei als Ermittlungsorgan der Staatsanwaltschaft 60 und diese verdankt ihre Entstehung maßgeblich der Absicht, die strafverfolgende Tätigkeit der Polizei zu begrenzen und zu kontrollieren.205 In der Rechtswirklichkeit ist allerdings seit langem und aus unterschiedlichen Gründen ein zunehmendes Vordringen der polizeilichen Tätigkeit festzustellen.206 Die Polizei führt das Ermittlungsverfahren in allen Fällen der kleinen und mittleren Allgemeinkriminalität bis zur Abschlussreife selbständig. Dabei bilden die rechtlichen Grenzen ihrer Ermittlungstätigkeit kaum ein Hindernis. Insbesondere erweisen sich hierbei die bei der Polizei im Gegensatz zu den Staatsanwälten vorhandenen Kenntnisse über kriminalistische Ermittlungsarbeit als Basis für ein Verständnis, welches der Polizei in diesen Bereichen faktisch die Ermittlungsleitung zuweist. Lediglich in Fällen von Schwerkriminalität oder einer Sonderkriminalität, deren Ermittlung zunächst juristische Kenntnisse voraussetzt, wie etwa bei der Umwelt- und Wirtschaftskriminalität aber auch der Weinkriminalität, greift die Ermittlungsleitung der Staatsanwaltschaft auch faktisch, dies insbesondere durch die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften, die sich in den Bereichen der Sonderkriminalität spezifische Sachkompetenz angeeignet haben. Das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei ist nach alledem sowohl dogmatisch wie auch rechtspolitisch umstritten.207 Ungeachtet dieser Entwicklung ist die Staatsanwaltschaft nach wie vor im Verhältnis 61 zur Polizei die verantwortliche Leiterin des Ermittlungsverfahrens;208 die gebräuchliche 201 202

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S. etwa KK/Pfeiffer Einl. 78; Ranft 251 f.; Roxin § 10, 15 f.; Schlüchter 72. Vgl. etwa § 127 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 (vorl. Festnahme); § 81 b (erkennungsdienstl. Maßnahmen); § 163b (Identitätsfeststellung). Vgl. z.B. § 81a Abs. 2; § 81c Abs. 5; § 98 Abs. 1; § 100f Abs. 2; § 105 Abs. 1; § 111 Abs. 2, § 111e Abs. 1 Satz 2; § 163d Abs. 2 StPO. Nur der StA vorbehaltene Eilkompetenzen beispielsweise in § 98b Abs. 1; § 100 Abs. 1; § 100b Abs. 1; § 111e Abs. 1 Satz 1; § 111n Abs. 1 Satz 2; § 111o Abs. 3; § 163e Abs. 4 StPO; eine gestaffelte Kompetenz

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besteht bei der Notveräußerung (§ 111l Abs. 2, 3). Dazu etwa Krey I 336; Fuhrmann JR 1964 218 f.; Gössel GA 1980 326 ff.; 330 ff.; Rüping ZStW 95 (1983) 896 f.; GA 1992 155 f. Näher Rn. C 12 ff.; s. ferner Kühne 367 ff.; Peters 182 f.; Roxin § 10, 34; Schäfer 252; ausführlich Lilie ZStW 106 (1994) 627 ff.; Rüping ZStW 95 (1983) 899 ff.; s. auch Geisler ZStW 93 (1981) 1114. Näher die Erl. Vor § 158. BVerwG NJW 1975 893; KK/Pfeiffer Einl. 77; Meyer-Goßner Einl. 41; Henkel 149; v. Hippel 257; Krey I 492; Peters 532;

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Verfahrensbeteiligte

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Wendung, sie sei die Herrin des Ermittlungsverfahrens,209 erscheint allerdings nicht vollständig sachgerecht.210 Über die ihr vorbehaltene Abschlussverfügung hinaus kann sie auf die Ermittlungstätigkeit der Polizei jederzeit durch Weisungen einwirken,211 die Verfahren an sich ziehen und an Ermittlungshandlungen der Polizei teilnehmen. Die Einzelheiten sind bei den jeweiligen Vorschriften erörtert. Organisationsrechtlich wird das Verhältnis der Polizei gegenüber der Staatsanwaltschaft teilweise als organisationsrechtliches Mandat,212 teilweise, nach den einzelnen Aufgabenzuweisungen differenzierend, als konservierende Delegation 213 verstanden. b) Andere selbständige Organträger und Behörden haben teilweise kraft ausdrück- 62 licher gesetzlicher Befugnis in beschränktem Umfang die Rechte und Pflichten der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren, so im Steuerstrafverfahren die Finanzbehörde, die das Strafverfahren selbständig führt,214 oder die strafprozessualen Rechte und Pflichten der Polizei etwa bei den Steuer- und Zollfahndungsämtern.215 Wegen der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft, zu denen auch solche Bediensteten gehören, die nicht der Polizei angehören, wird auf die Erl. zu § 152 GVG Bezug genommen.216 Zur Gerichtshilfe, die nach § 160 Abs. 3 StPO bereits im Ermittlungsverfahren herangezogen werden kann, s. die Erl. zu § 160 StPO. Wegen der Jugendgerichtshilfe s. § 38 JGG und die Erl. im jugendgerichtlichen Schrifttum. c) Innerhalb der Staatsanwaltschaften obliegen dem Rechtspfleger nach § 31 Abs. 2 63 RpflG grundsätzlich die Aufgaben der Strafvollstreckung, soweit sie nicht durch die BegrenzungsVO dem Staatsanwalt vorbehalten oder ihm die Akten vorzulegen sind.217 Dieser ist ferner wie im gerichtlichen Strafverfahren (Rn. 37) für die Durchführung der Beschlagnahme, der Vollstreckung des Arrestes und die Notveräußerung zuständig (§ 31 Abs. 1 RpflG). Wegen der Zuständigkeit der Amtsanwälte und der örtlichen Sitzungsvertreter s. die Erl. zu § 142 GVG. Soweit die Staatsanwaltschaft Wirtschaftsreferenten oder sonstige Ermittlungsassistenten zur Unterstützung ihrer Tätigkeit heranzieht, können diese entweder zu Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft bestellt, oder ohne eigene hoheitliche Befugnisse bei den Ermittlungen als Sachkundige eingesetzt werden.218

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Schroeder 80; Bindel DRiZ 1994 165; Rüping ZStW 95 (1983) 909 f.; teilw. abweichend Schröder 139 ff.; dagegen Rieß GA 1998 246. KK/Pfeiffer Einl. 77; Gössel 43; Krey I 492; Peters 166; Roxin § 37, 1. Näher Vor § 158. Ganz h.M. im strafproz. Schrifttum, vgl. etwa KK/Pfeiffer Einl. 77; Gössel 46; Krey I 496 ff.; teilw. einschränkend Schröder 142 (nicht im Bereich des § 163 StPO und nicht in der Form von allgemeinen Weisungen); krit. Knemeyer FS Krause 471 ff. Goergen 61 ff., 87 ff.; ihm folgend Krey I 470; Rüping 76 und ZStW 95 (1983) 894; krit. Kramer 106 b. So Schröder 90 ff. u. passim mit problematischen Konsequenzen für eine Einschränkung

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der Leitungsbefugnis der StA; dagegen Rieß GA 1998 247. Näher die Erl. Vor § 158; dazu kritisch Rüping ZStW 95 (1983) 914 f. Näher die Erl. Vor § 158. Zur organisationsrechtlichen Einordnung s. auch Schröder 119 ff. Näher die Erl. zu § 451; zum Umfang der dem Rechtspfleger im Jugendstrafverfahren übertragenen Vollstreckungsmaßnahmen s. § 31 Abs. 5 RpflG und Brunner/Dölling Vor § 82, 8 ff. Näher die Erl. zu § 142 GVG; s. auch LR/Dahs25 Vor § 48, 49, und bei § 161a; vgl. auch BGHSt 28 381; OLG Zweibrücken MDR 1979 425; Meyer-Goßner § 142, 7 GVG.

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5. Die – geplante – Europäische Staatsanwaltschaft

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Nach den ersten Überlegungen im sogn. corpus iuris, vgl. Rn. D 49 hat sich auch das Grünbuch der Kommission mit dem programmatischen Titel „Zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft“ 219 deutlich dafür ausgesprochen, eine Europäische Staatsanwaltschaft zu etablieren. Art. III-174 des Europäischen Verfassungsvertrags (Entwurf) nimmt dies auf und ermächtigt den Ministerrat nach Zustimmung durch das Europäische Parlament eine Europäische Staatsanwaltschaft zu diesen Zwecken einzusetzen. Dies zunächst zur Bekämpfung von Vermögensstraftaten gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, implizit aber doch auch mit der zukunftsweisenden und weiterführenden Perspektive zur Verbesserung der allgemeinen Bekämpfung internationaler Kriminalität in Europa. Die auf den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften gerichtete Europäische Staatsanwaltschaft soll ihrer Struktur nach eng angebunden werden an die Tätigkeiten und Zuständigkeiten der nationalen Staatsanwaltschaften und gleichwohl eine Initiativ-Zuständigkeit haben.

IV. Beschuldigter und Verteidiger 1. Stellung und Begriff des Beschuldigten im Allgemeinen

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a) Grundsatz. Der Beschuldigte ist das Prozesssubjekt, um das es im Strafverfahren geht und auf das hin die prozessrechtlichen Regelungen in erster Linie ausgerichtet sind.220 Seine Stellung im Gesamtgefüge des Verfahrens erschließt sich nicht allein aus den einzelnen, ihn betreffenden Regelungen, sondern letztlich erst aus einer Analyse der rechtlichen Struktur des Verfahrens insgesamt und seiner Durchführung in der Rechtswirklichkeit.221 Die Verfahrensstellung des Beschuldigten ist Ausdruck des Geistes einer Verfahrensordnung und des Verständnisses der Gesellschaft über das Verhältnis vom Einzelnen zum Staat.222 Das auch in der historischen Entwicklung des Strafverfahrens wechselnde Verhältnis zwischen der Betonung der Pflichten des Beschuldigten und seinen Rechten und Handlungsbefugnissen 223 kennzeichnet das auch heute noch bestehende Spannungsverhältnis zwischen den Bedürfnissen einer hinreichend wirksamen Sachverhaltsaufklärung und Gewährleistung einer effektiven Strafrechtspflege 224 und eines möglichst wirksamen Schutzes der Beteiligten vor staatlichem Machtmissbrauch, insbesondere aber einseitiger Überführungstendenz und krassem Effektivitätsdenken. Während der Inquisitionsprozess den Beschuldigten weitgehend als bloßes Objekt des 66 Verfahrens betrachtete,225 erwächst aus dem reformierten Strafprozess eine andere Betrachtungsweise. Sie hat in der Strafprozessordnung von 1877 ihre reichseinheitliche Ausprägung erfahren. Durch den Rechtsstaat des Grundgesetzes ist sie weiterentwickelt 219

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Europäische Kommission (Hrsg.) Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung eine Europäischen Staatsanwaltschaft, KOM (2001) 715 endgültig vom 11.12.2001. Ähnlich SK/Rogall Vor § 133, 9 (Zentralgestalt des Strafprozesses). Vgl. Müller-Dietz ZStW 93 (1981) 1198 ff.; SK/Rogall Vor § 133, 129.

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Henkel 170; Eb. Schmidt I 98; Rieß FS Reichsjustizamt 375 f.; vgl. auch Peters 81 ff. S. dazu Henkel 170; ausführlich für die Zeit bis zum Ende des Inquisitionsprozesses Plöger. S. dazu oben Rn. H 9 ff. Dazu etwa Eb. Schmidt I 98; s. auch Plöger (zusammenfassend) 439 ff.

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worden. Die den Beschuldigten schützenden, seine Handlungsmacht anerkennenden und seine Verteidigungsrechte gewährleistenden Rechtspositionen sind hierbei so ausgebaut worden,226 dass er ganz überwiegend als Subjekt des Verfahrens 227 mit eigener Handlungs- und Einwirkungskompetenz erscheint. Unvermeidbar muss er aber weiterhin auch als Objekt staatlichen Zwanges und als Beweismittel 228 und damit als Objekt des Verfahrens 229 oder als Passivbeteiligter gekennzeichnet werden. Er befindet sich verfahrensrechtlich in einer Doppelrolle.230 In dieser weitgehend abgeschlossenen Entwicklung kommt auch für den Strafprozess der rechtsstaatliche Fundamentalgrundsatz zum Ausdruck, dass der Staat um des Menschen, und nicht der Mensch um des Staates willen da sei.231 Im Kern (nicht in allen Einzelheiten) ist deshalb diese heute erreichte Rechtsstellung des Beschuldigten mit seiner Subjektqualität durch das Rechtsstaatsprinzip und die Pflicht zur Achtung der Menschenwürde verfassungsrechtlich garantiert 232 und überdies durch die einschlägigen Vorschriften der EMRK und ihrer Zusatzprotokolle auf nationaler wie europäischer Ebene geschützt. Anders als in der Vorauflage an dieser Stelle dargelegt, erscheint ein weiterer Ausbau 67 der die Beschuldigtenrechte konstituierenden Regelungen oder auch nur ihre weitere Entfaltung, Ausdifferenzierung und Fortentwicklung durch die Rechtsprechung weder bedenklich,233 noch beschreibt eine solche Sorge die aktuelle strafprozessuale Realität. Schon gar nicht werden strukturelle Grenzen erkennbar, die die Gefahr begründen könnten, dass durch eine Überbewertung der Beschuldigtenbefugnisse der ebenfalls verfassungsrechtlich begründete Anspruch auf Gewährleistung einer effektiven Rechtspflege nicht mehr ausreichend erfüllt werden könnte.234 Vielmehr geben die in den letzten Jahren in großem Stile eingeführten neuen Instrumente bei den Zwangsmaßnahen wie auch den präventiv polizeilichen Eingriffsbefugnissen im Grenzbereich zur Repression, vgl. Rn. C 12 ff., und die aus Anlass des islamistischen Terrorismus aufgekommene Debatte zur Entfesselung strafrechtlicher Kampfstrategien bis hinein in die Negierung überkommener Grundrechtspositionen und der folternden Vernehmungspraktiken 235 übergroßen Anlass, die Rechtsposition des Beschuldigten, vom Vorverdächtigen 236 über den Verdächtigen bis hin zum Angeklagten neu zu positionieren und schützend auszugestal226 227

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Vgl. dazu an einzelnen Problemfeldern Rieß FS Reichsjustizamt 375 ff. SK/Rogall Vor § 133, 59 ff.; allg. M.; dazu ausführlich mit vielen Nachw. der Versuch einer allgemein- und rechtsphilosophischen Ableitung bei Kahlo KritV 1997 189 ff. Dazu näher SK/Rogall Vor § 133, 122 m.w.N., auch zur Kritik hieran, vor allem zu den Einwänden von Prittwitz (Mitschuldiger) 197 ff.; s. auch unten Rn. 85 ff. Nachdrücklich wegen der historischen Belastung des Begriffs gegen diese Bezeichnung Eb. Schmidt I 98 Fn. 170; ebenso Henkel 172 Fn. 7; Peters 203; s. auch SK/Rogall Vor § 133, 62. SK/Rogall Vor § 133, 62, 129; Müller-Dietz ZStW 93 (1981) 1216 f. So die Formulierung des Art 1 der deutschen Verfassung in der Form des Herrenchiemseer Entwurfs, vgl. auch Maunz/Dürig/ Herzog (1980) Art. 20 IX Rn. 19.

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236

BVerfGE 57 250, 275; 63 380, 390; 64 135, 145; 65 171, 175; 66 313, 318; BGHSt 14 358, 364 f. Teilweise a.A. wohl SK/Rogall Vor § 133, 65, 129; ferner Kahlo KritV 1997 199 ff. LR/Rieß 25 Einl. I 67. In den USA, dem oft als Mutterland der Menschenrechte beschriebenen Staat, wird neuerdings gefoltert und dies sogar noch mit Versuchen der Rechtfertigung versehen, vgl. Greenberg (2005) Roth/Worden/Bernstein (2005). Für Deutschland hat sich diese Frage bisher nur im Rahmen einer Unterstützung und Beihilfe zur Folterung durch andere gestellt, vgl auch Lüderssen FS Rudolphi 691; Hetzer (2006). Die in den Landespolizeigesetzen mit Ausnahme von Bremen eingeführte Möglichkeit der Vorfeldermittlungen, vgl. näher Rn. C 14 ff., hat zu dieser eigentümlichen Figur geführt.

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ten. Allein die Einführung des Begriffs „Feindstrafrecht“ 237 ist unabhängig von seinem abschreckenden historischen Hintergrund eine implizite Aufforderung, bei gewissen Straftaten den Beschuldigten nicht mehr als mit Menschenrechten und Verfahrensgarantien ausgestattete Person zu betrachten, sondern als mit allen zu Verfügung stehenden Mitteln zu vernichtenden Gegner zu behandeln. Damit geriete das Strafverfahrensrecht in Gefahr, nicht nur seine eigene, aufgeklärte Struktur zu verlieren, sondern auch als Motor für die Erosion des gesamten Konzepts verfassungsrechtlich und völkerrechtlich begründeter Schutzstrukturen von Individualrechten zu fungieren.238 Darüber hinaus bleiben in Teilbereichen Desiderate zur Abrundung der vorhandenen Befugnisse, Präzisierungen und Verbesserungen, beispielsweise im Ermittlungsverfahren, aber etwa auch im Rahmen des kompensatorischen Ausgleichs von Defiziten im gerichtlichen Verfahren, bei den Einwirkungen auf der Sachbeweis 239 oder infolge des Vordringens von heimlichen Ermittlungen und ihrer Akzeptanz durch die Rechtsprechung.240

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b) Gesetzliche Grundlagen. Hinweise. Die StPO enthält keine die Position des Beschuldigten zusammenfassenden und programmatisch regelnden Vorschriften. Sie bestimmt vielmehr seine Rechte und Pflichten in einzelnen Regelungen im Zusammenhang mit den jeweiligen Bestimmungen über die einzelnen Verfahrensabschnitte oder sonstigen Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden.241 Doch enthält das Gesetz Regelungen, denen sich Leitaussagen über die Stellung des Beschuldigten entnehmen lassen. Dazu gehören etwa die die Vernehmung des Beschuldigten regelnden Bestimmungen, insbesondere in den §§ 136, 136a StPO,242 die Vorschriften über den Verteidiger (§§ 137 bis 149 StPO), Regelungen, die ihm vor allem im gerichtlichen Verfahren Informations- und Einwirkungsmöglichkeiten vermitteln, auch wenn dies nur dergestalt geschieht, dass sie in objektiver Form den Gerichten lediglich Handlungspflichten auferlegen, die dem Interesse des Beschuldigten dienen;243 so etwa die Mitteilung der Anklageschrift (§ 201 StPO), die Bestimmungen über die Ladungsfrist und das Recht zur eigenen Ladung (§§ 217, 219, 220 StPO), die grundsätzliche Gewährleistung des Anwesenheitsrechts in der Hauptverhandlung,244 die Erklärungsrechte, insbesondere das letzte Wort (§§ 257, 258 StPO), seine umfassende Rechtsmittelbefugnis mit dem Verbot der reformatio in peius 245 sowie die ihn bevorzugende Regelung der Wiederaufnahme zu seinen Gunsten (§ 359 StPO). Leitaussagen über die Stellung des Beschuldigten als Passivbeteiligter lassen sich den 69 zahlreichen Vorschriften entnehmen, die im Einzelnen bestimmen, welchen Duldungspflichten er unterliegt und welchen Zwangsmaßnahmen er ausgesetzt sein kann. Sie bestimmen jeweils im Einzelnen die Voraussetzungen und Grenzen solcher Maßnahmen. Hinzuweisen ist etwa auf die Möglichkeit der Untersuchungshaft,246 auf die Zulässigkeit körperlicher Untersuchungen (§ 81a), auf die Durchsuchung (§§ 102 ff. StPO), die Überwachung des Brief- und Telekommunikationsverkehrs (§§ 99 bis 100a StPO), die Vor237

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Jakobs (Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht) 88 ff.; krit. Gössel FS Schroeder 33; Lehnert FoR 2005 96; Melia ZStW 117 (2005) 267. Kühne (Bürgerfreiheit und Verbrecherfreiheit); Wolter FS Rudolphi 733. Ebenso SK/Rogall Vor § 133, 129. Vgl. zu den insoweit durchaus gegenläufigen Entwicklungen LR/Hanack 25§ 136, 63 ff. und § 136a, 13 ff. sowie die Erl. zu § 163. Dazu näher unter Rn. 74 ff.

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Und damit zusammenhängend § 163a StPO und § 243 Abs. 4 StPO. Roxin § 18, 8. §§ 230 ff., 247; in diesen Zusammenhang gehören auch die §§ 168c, 224 StPO. §§ 331, 358 Abs. 2, 373 Abs. 2 StPO. §§ 112 ff. StPO; in diesen Zusammenhang gehört auch die einstweilige Unterbringung (§ 126a) und die Unterbrechung zur Beobachtung nach § 81 StPO.

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nahme sonstiger verdeckter Ermittlungsmaßnahmen (§§ 100c, 100f StPO) oder die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung (§ 163e StPO). Aus der Gesamtheit dieser Regelungen wie auch ihren jeweiligen Formulierungen ergibt sich die vielfach auch durch die Grundrechtsverbürgungen 247 und Menschenrechtgarantien der EMRK 248 abgesicherte gesetzgeberische Wertentscheidung, dass der Beschuldigten solchen Eingriffen und Zwangsmaßnahmen nur in den gesetzlich umschriebenen Fällen ausgesetzt sein darf; verfassungsrechtlich ist darüber hinaus gewährleistet, dass sie durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begrenzt sind (näher Rn. I 96 ff.). Durch diese Begrenzungswirkung konstituieren auch solche die Passivstellung betreffenden Vorschriften die Subjektqualität des Beschuldigten mit. Die Bedeutung all dieser Bestimmungen für die Stellung des Beschuldigten ist nicht im 70 Einzelnen an dieser Stelle zu erörtern; es wird vielmehr auf die Erläuterungen zu den jeweiligen Einzelvorschriften verwiesen. Zu verweisen ist ferner auf die verfassungsrechtlichen Prozessmaximen, die vielfach zwar nicht ausschließlich, aber doch in erster Linie die Rechtsstellung des Beschuldigten maßgebend beeinflussen, so der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Rn. I 75 ff.); das Fairnessprinzip (Rn. I 103 ff.) und die Fürsorgepflicht (Rn. I 121 ff.). Wegen der zur Sicherung des Schutzes des Beschuldigten vielfach in Betracht zu ziehenden Beweisverwertungsverbote ist auf die Erläuterungen in Abschnitt L dieser Einleitung sowie auf die Einzelerläuterung bei den jeweiligen Vorschriften zu verweisen.249 c) Begriff des Beschuldigten. Terminologisch verwendet die StPO die Bezeichnung 71 Beschuldigter in der Regel im umfassenden Sinne vom Beginn des Verfahrens bis zur Rechtskraft. Für den Verfahrensabschnitt von der Klageerhebung bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens wird der Begriff des Angeschuldigten und danach der des Angeklagten verwendet (§ 157 StPO); für die Zeit nach der Rechtskraft der Entscheidung meist der des Verurteilten oder des Freigesprochenen.250 Nicht vollständig identisch ist der Begriff des Beschuldigten nach überwiegender und zutreffender Meinung mit dem des Verdächtigen,251 da die Eigenschaft eines Beschuldigten stets einen formellen Zuschreibungsprozess in Form eines manifesten Verfolgungsaktes durch die Strafverfolgungsbehörde voraussetzt, zu dem diese ggfs. verpflichtet sein kann (Rn. 72). Wie sich aus §§ 55, 60 Nr. 2 StPO ergibt, die davon ausgehen, dass ein Verdächtiger in einem anderen Verfahren als – wenngleich besonders privilegierter – Zeuge auftreten kann, hat eine solche Person nicht notwendig zugleich Beschuldigtenstatus. Eine selbständige, von der Zeugenrolle getrennte Verfahrensrolle, etwa als schweigeberechtigte Auskunftsperson,252 hat er dagegen

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Neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, der allgemeinen Handlungsfreiheit und dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2) sind hier insbes. Art. 10 und 13 sowie die Justizgrundrechte der Art. 101, 103 und 104 GG hervorzuheben. Näher Rn. D 46 ff. Eine zusammenfassende Darstellung der Folgen der Beeinträchtigung der Schutzposition des Beschuldigten z.B. bei SK/Rogall Vor § 133, 158 ff. Näher die Erl. zu § 157 StPO; s. auch SK/Rogall Vor § 133, 9 f.

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BGHSt 10 8, 10; 17 128, 133; 38 302, 306 = JR 1993 380 mit Anm. Rogall; näher SK/Rogall Vor § 133, 11 ff. m.w.N. auch zur Gegenmeinung; s. ferner Beulke 111; Müller-Dietz ZStW 93 (1981) 1220 ff. So insbes. Helgerth 37 ff. und passim; ferner Bringewat JZ 1981 289; Bruns FS Schmidt-Leichner 14 ff. Gössel 53 behandelt insoweit nur die davon zu trennende Frage der sog. informatorischen Befragung; ebenso Gundlach NJW 1980 2142.

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nicht,253 was auch nicht erforderlich ist, da sein Schutz in der Rolle des Verdächtigen ohnedies gewährleistet ist. Noch weitgehend ungeklärt ist hingegen die Position des Vorverdächtigen, also einer Person, die aufgrund von gegen eine unverdächtige, aber durch Merkmale des Tatverdächtigen gekennzeichnete Person gerichteten Zwangsmaßnahme in die Ermittlungen einbezogen worden ist. So etwa in allen Fällen der Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch Vorfeldermittlungen, vgl. Rn. C 12ff., aber auch sehr viel konkreter bei Kontrollstellen, § 111 StPO, Schleppnetzfahndung, § 163d StPO, Rasterfahndung, §§ 98a ff. und Reihen-DNA Untersuchung bei „Personen, die bestimmte, auf den Täter vermutlich zutreffende Prüfungsmerkmale erfüllen“, § 81h StPO.

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d) Beginn und Ende der Beschuldigteneigenschaft werden in diesem Kommentar eingehend bei § 136, 4 und bei § 163a 254 StPO erörtert; hierauf wird verwiesen.255 Nach der heute ganz überwiegenden Meinung wird die Beschuldigteneigenschaft in Anlehnung an die in § 397 Abs. 1 AO für das Steuerstrafverfahren getroffene Regelung nur (aber auch stets) durch einen manifestierten Strafverfolgungsakt der Strafverfolgungsbehörde begründet. Darunter fällt nicht nur die ausdrückliche, auch aktenmäßige Behandlung als Beschuldigter, sondern es gehören dazu auch alle sonstigen Maßnahmen, die nur gegen einen Beschuldigten zulässig sind. Grundlage dieses die Beschuldigtenstellung begründenden Inkulpationsaktes ist eine davon zu trennende, von der Stärke des Tatverdachts abhängige Inkulpationspflicht 256. Wird sie nicht erfüllt, wird also pflichtwidrig der Inkulpationsakt unterlassen, so unterliegen die dadurch gewonnenen Erkenntnisse mindestens einem Verwertungsverbot; auch kann § 136a StPO eingreifen. Zwangsmaßnahmen nach § 70 StPO sind, auch wenn der Betroffene unrichtigerweise als Zeuge vernommen wird, unzulässig.257 Beschuldigter ist auch, wer in die Beschuldigtenrolle versetzt ist, obwohl ein die Inkulpationspflicht auslösender Verdacht nicht vorliegt; also beispielsweise auch ein Kind, so lange es, weil seine Strafunmündigkeit nicht feststeht, im Verfahren beteiligt ist.258 Eine schwer zu beschreibende Grauzone zwischen Verdacht und Inkulpation, die auch von der StPO nicht erwähnt wird, besteht während des Entscheidungsprozesses, ob ein Tatverdacht zur Inkulpation ausreicht. Die Staatsanwalt behilft sich hier damit, Vorgänge vor der Inkulpation in das sogenannte AR-Register zu ordnen und damit von Vorgängen zu trennen, die zielgerichtete Ermittlungen, welche im JS-Register geführt werden, betreffen. 2. Die Befugnisse und Pflichten des Beschuldigten im Überblick

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a) Allgemeines. Die vielfältigen Rechte und die Verpflichtungen des Beschuldigten lassen sich nach unterschiedlichen Gesichtspunkten gruppieren.259 Als Rechte finden sie ihre Wurzeln und als Pflichten ihre Grenze verfassungsrechtlich vor allem in der Pflicht 253

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Meyer-Goßner Einl. 73; KMR/Neudeck Vor § 48, 27; SK/Rogall Vor § 133, 13 m.w.N.; Krey I 772; Rüping 92; vgl. auch BGHSt 33 217, 221. LR/K. Schäfer 24, 7 bis 25, dort auch zur Frage der sog. informatorischen Befragung. Ausführlich m.w.N. auch SK/Rogall Vor § 133, 15 ff.; s. ferner u.a. MeyerGoßner Einl. 76; KK/Pfeiffer Einl. 85; Roxin § 25, 10; Müller-Dietz ZStW 93

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(1981) 1224; vgl. ferner zuletzt BGH NStZ 1997 398 mit Anm. Rogall. Zu dieser Unterscheidung ausführlich Fincke ZStW 95 (1983) 919 ff. BGH NStZ 1997 398 mit Anm. Rogall. Näher LR/Hanack 25 § 136, 6 m.w.N.; vgl. auch SK/Rogall Vor § 133, 18. Vgl. etwa die verschiedenen Einteilungen etwa bei Beulke 127 ff.; Krey I 776 ff.; Roxin § 18, 6; SK/Rogall Vor § 133, 59 ff.

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zur Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie im Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG); menschenrechtlich sind wesentliche Eckpositionen durch die Art. 5 und 6 Abs. 2 und 3 der EMRK (Art. 9, 14 IPBPR) verbürgt. Zu den herausragenden Leitgesichtspunkten gehören ferner die Unschuldsvermutung (Rn. 74 ff.) sowie das Verbot des Selbstbelastungszwanges (Rn. 87 ff.). b) Die Unschuldsvermutung. Nach Art. 6 Abs. 2 EMRK (Art. 14 Abs. 2 IPBPR) gilt 74 der Angeklagte bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld als unschuldig. Innerstaatlich hat diese Unschuldsvermutung als Element des Rechtsstaates Verfassungsrang.260 Sie gilt, als subjektives Recht des Angeklagten, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Ihre Adressaten sind in erster Linie der Gesetzgeber, aber auch die Gerichte und die sonstigen Organe der Strafverfolgung, die vor dem Abschluss des Strafverfahrens jedenfalls keine strafrechtlichen Schuldfeststellungen treffen dürfen. Aus der Unschuldsvermutung folgt unmittelbar die alleinige Beweislast des Staates im Strafverfahren, die wiederum das in §§ 136, 243 Abs. 4 1 StPO verankerte Schweigerecht des Beschuldigten (nemo tenetur se ipsum accusare, vgl. Rn. 87 ff.) bedingt. Über diesen Kernbereich hinaus ist die Reichweite der Unschuldsvermutung wenig 75 geklärt und teilweise heftig umstritten.261 Dabei geht es, abgesehen von der Frage ihrer normlogischen Struktur 262 einmal darum, ob und wieweit die Unschuldsvermutung auch außerhalb strafrechtlicher Beurteilung, also im gesamten Rechtsleben, gegebenenfalls auch im Wege der Drittwirkung gegenüber Privaten, Geltung beansprucht, zum anderen, ob sie im strafrechtlichen und strafverfahrensrechtlichen Bereich kostenrechtliche Konsequenzen an eine Verdachtslage zu knüpfen gestattet,263 einem Widerruf der Strafaussetzung nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB wegen einer noch nicht rechtskräftig festgestellten neuen Straftat entgegensteht,264 oder verbietet, im Rahmen der Strafzumessung oder als Indiz für den Schuldnachweis noch nicht rechtskräftig abgeurteilte, wenn auch prozessordnungsmäßig festgestellte Straftaten zu berücksichtigen.265 Wegen der ausführlichen Behandlung der Unschuldsvermutung bei den Erläuterungen zu Art. 6 EMRK 266, auf die verwiesen wird, wird hier von einer näheren Darstellung abgesehen. Die Unschuldsvermutung verbietet keine strafprozessuale Zwangsmaßnahmen und 76 Eingriffe gegenüber dem Beschuldigten, die der Verdachtsklärung und der gerichtlichen

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BVerfGE 19 342, 347; 22 254, 265; 74 358, 370; 82 106; weitere Nachw. bei den Erl. zu Art. 6 Abs. 2 EMRK (25. Aufl. Rn. 105 ff.); s. auch KK/Pfeiffer Einl. 32 a; SK/Rogall Vor § 133, 74 ff.; umfassend dazu Stuckenberg (Unschuldsvermutung) 48 ff., 544 f. S. dazu zusammenfassend Geppert Jura 1993 161; vgl. auch Meyer FS Tröndle 61 ff.; umfassende Erörterung der Problematik, auch mit rechtsgeschichtlichen und rechtsvergleichenden Untersuchungen, jetzt bei Stuckenberg (Unschuldsvermutung), Nachw. zum Meinungsstand insbes. 47 ff. Dazu ausführlich Stuckenberg (Unschuldsvermutung) 438 ff., der sie (S. 519 ff.) funktional auf das Verfahren bezieht und als „Verbot der Desavouierung des Verfahrensergebnisses“ interpretiert.

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Vgl. BVerfGE 74 358, 370 ff.; 82 106 ff.; s. dazu die Erl. zu § 467 und – für das Privatklageverfahren – zu § 383 StPO; ferner die Erl. zu L/R Gollwitzer 25 Art. 6, 153 EMRK. Vgl. EKMR StV 1992 282; BVerfG (Kammerentscheidung) NJW 1988 1715, 1716; NStZ 1991 30; s. dazu LK/Gribbohm § 56 f, 9; Tröndle/Fischer § 56 f, 4; ferner die Erl. zu L/R Gollwitzer 25 Art. 6 EMRK Rn. 158; Kühl NJW 1988 3233, 3235 ff. Näher die Erl. zu L/R Gollwitzer 25 Art. 6, 153 EMRK; für eine (grundsätzliche) Zulässigkeit Stuckenberg (Unschuldsvermutung) 570 ff. S. LR/Gollwitzer 25 Art. 6, 103 bis 159 EMRK.

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Feststellung der Schuld dienen und deshalb notwendig an einen Tatverdacht anknüpfen müssen.267 Allerdings setzt sie auch solchen Maßnahmen dadurch Grenzen, als sie auch einem Unschuldigen gegenüber noch legitimierbar sein müssen;268 dies gilt namentlich für die Voraussetzungen und die Dauer der Untersuchungshaft und anderer freiheitsentziehender Maßnahmen.269 Es ist streitig, ob sich aus der Unschuldsvermutung ein Anspruch auf eine möglichst günstige Erledigung, namentlich auf eine umfassende Rehabilitierung, etwa durch einen Freispruch gegenüber einer bloßen Verfahrenseinsstellung ergibt.270 Richtiger Ansicht nach muss dies aber bejaht werden, soweit prozessuale Möglichkeiten dazu bestehen. Der Staat ist es dem unter dem Schutz der Unschuldsvermutung stehenden Bürger schuldig, im Falle nicht hinreichender Bedingungen für die Überführung der Tat in den ursprünglichen, vor der Beschuldigung bestehenden Zustand zurückzuversetzen.

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c) Einwirkungs- und Beteiligungsrechte auf den Gegenstand des Strafverfahrens stehen dem Beschuldigten in unterschiedlicher Weise und in weitem Umfang zu.271 Zu ihnen gehört zunächst die Möglichkeit, sich in jeder Lage des Verfahrens zum Verfahrensgegenstand äußern zu können; auch die im Gesetz vorgesehene Vernehmung des Beschuldigten dient ebenso dem allgemeinen Erkenntnisinteresse der Ermittlungsbehörden wie der Verteidigung des Beschuldigten. Allerdings schreibt das Gesetz nicht vor, den Beschuldigten möglichst frühzeitig darüber zu unterrichten, dass gegen ihn ermittelt wird; zwingend ist dies erst am Ende der Ermittlungen,272 es sei denn, das Verfahren wird eingestellt. Im gerichtlichen Verfahren nach Erhebung der Anklage kann er durch Erklärungen und Anträge auf deren Zulassung und auf die Auswahl des zuständigen Gerichts einwirken.273 Seine Stellung im Hauptverfahren entspricht durch umfassende Erklärungsrechte,274 seine nur in Ausnahmefällen entziehbare oder verzichtbare Anwesenheitsbefugnis,275 durch Zustimmungsvorbehalte bei Abweichungen vom normalen Verfahrenablauf 276 und eigene Gestaltungsrechte, insbesondere des im Beweisantragsrecht sich ausprägenden Beweiserhebungsanspruchs, sowie des sich im Ablehnungsrecht ausprägenden Rechts auf die Wahrung der richterlichen Neutralität, in besonderem Maße seiner Stellung als Prozesssubjekt. Gleiches gilt für seine Rechtsmittelbefugnisse. Den aktiven Beteiligungsrechten zugeordnet sind Befugnisse oder Verpflichtungen der 78 Strafverfolgungsbehörden oder Gerichte, die deren Durchsetzung und Verwirklichung dienen. Neben dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Rn. I 75 ff.) gehören hierzu die an

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Allg. M.; s. etwa KK/Pfeiffer Einl. 32a; Meyer-Goßner Art. 6, 14 EMRK; SK/Rogall Vor § 133, 76; Geppert Jura 1993 161; Roxin § 11, 4; Stuckenberg (Unschuldsvermutung) 74 f. (mit Nachw.). S. m.w.N. Geppert Jura 1993 161; SK/Rogall Vor § 133, 76; Roxin § 11, 4; Gropp JZ 1991 806 ff.; kritisch Meyer FS Tröndle 68 (kein Gewinn gegenüber der Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips); vgl. auch Stuckenberg (Unschuldsvermutung) 557. Näher LR/Hilger 25 Vor § 112, 37 f.; vgl. auch Stuckenberg (Unschuldsvermutung) 562 f. Ablehnend hier die Vorauflage und

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LR/Hanack 25 Vor § 296, 73 (zur Problematik der Beschwer); LR/Gollwitzer 25 Art. 6, 151 EMRK; teilw. a.A. Sternberg-Lieben ZStW 108 (1996) 729 ff. m.w.N. zu dieser umstrittenen Frage. Vgl. Krey I 776, der diese Befugnisse anschaulich einem „status activus“ zuordnet. Kritisch dazu m.w.N. u.a. Rieß FS Geerds 513 ff.; vgl. auch Wolter (Strafprozeßreform) 85. §§ 6a, 16, 201, 202 StPO. §§ 257, 258 StPO. S. z.B. §§ 230, 231; aber auch §§ 231a, 231b, 247 StPO. S. etwa § 245 Abs. 1 Satz 2, § 251 Abs. 2 Satz 1, § 266 Abs. 1 StPO.

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verschiedenen Stellen geregelten Belehrungs- und Hinweispflichten,277 die in der Rechtsprechung zum Teil unter Rückgriff auf das Fairnessgebot und die Fürsorgepflicht umschrieben worden sind. Hierzu gehört auch die durch die Anerkennung einer dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörde entzogenen Geheimsphäre,278 die gesicherte Befugnis, sich des Beistandes eines Verteidigers bedienen zu können, wobei jedenfalls für den finanziell bedürftigen Beschuldigten das Institut der notwendigen Verteidigung 279 eine auch dem Sozialstaatsprinzip zuzurechnende kompensatorische Funktion erfüllt. Auch die Prozessvoraussetzung der Verhandlungsfähigkeit dient der Sicherung der aktiven Beteiligungsrechte. Nur wenn der Beschuldigte psychisch und physisch in der Lage ist, den Verfahrenshandlungen zu folgen, ihre Bedeutung zu erkennen und auf sie sachgerecht zu reagieren, kann er seine Rolle als Prozesssubjekt wahrnehmen.280 Eine Versagung einer beamtenrechtlich etwa erforderlichen Aussagegenehmigung, die das Recht auf Verteidigung in seinem Wesensgehalt antasten würde, darf nach Meinung des Bundesgerichtshofes nicht erfolgen oder müsste ein Verfahrenshindernis zur Folge haben.281 d) Zu den Regelungen, die dem Schutz des Beschuldigten dienen,282 gehören seine 79 Aussagefreiheit und das Verbot des Zwanges zur Selbstbelastung, die unter Rn. 87 ff. gesondert erörtert werden. Den Schutz vor Beeinträchtigung der Willensfreiheit bezweckt in erster Linie § 136a StPO; auf die dortigen Erläuterungen wird verwiesen. Auch das Verbot der reformatio in peius 283 lässt sich dieser Zielrichtung zuordnen. Aus dem verfassungsrechtlichen Gebot zur Wahrung der körperlichen Integrität,284 das durch das Verbot der Folter oder sonstigen unmenschlichen Behandlung in den Menschenrechtskonventionen 285 ergänzt wird, erklärt es sich, dass auch eine schwerwiegende Gesundheitsgefährdung durch die Durchführung eines Strafverfahrens, insbesondere der Hauptverhandlung, als Verhandlungsunfähigkeit angesehen wird.286 Auch die Beschränkung körperlicher Untersuchungen in § 81a Abs. 1 Satz 2 StPO auf solche, von denen kein Nachteil für die Gesundheit zu befürchten ist, gehört in diesen Zusammenhang, ebenso § 247 Satz 3 StPO, der eine Einschränkung des Anwesenheitsrechts des Beschuldigten vorsieht, wenn andernfalls erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu befürchten sind. Der Schutz der Persönlichkeit des Beschuldigten findet seine Grundlage in der Pflicht 80 zur Achtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde.287 Seit der 277

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S. z.B. neben den §§ 136, 163a die §§ 35a, 216 Abs. 1 Satz 1, § 228 Abs. 3, § 231a Abs. 2, § 233 Abs. 2 Satz 3, § 243 Abs. 4 Satz 1, § 247 Satz 4 und vor allem § 265 StPO. Vgl. dazu die Regelungen in § 53 und 148 StPO; s. auch BGHSt 33 347 = JR 1987 77 mit Anm. Rieß; näher die Erl. zu § 148 StPO und unter Bezug auf den sog. großen Lauschangriff sehr dezidiert BVerfG E 109, 279. Zur Funktion der notwendigen Verteidigung insgesamt s. die Erl. zu § 140 StPO und unten Rn. 100. Wegen der Einzelheiten s. die Erl. zu § 205; zu den Besonderheiten der Verhandlungsfähigkeit im Revisionsverfahren s. BGHSt 41 16 = JR 1995 472 f. mit Anm. Rieß; 41

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72 ff.; Rath GA 1997 214 ff.; Widmaier NStZ 1995 361 ff.; vgl. auch BVerfG (Kammerentscheidung) NJW 1995 1951. BGHSt 36 44 = NStZ 1989 331 mit krit. Anm. Salditt. Vgl. Krey I 784 „status negativus“. §§ 328, 358 Abs. 2, § 373 Abs. 2 StPO. Dazu ausführlich m.w.N. SK/Rogall Vor § 133, 78 f. Art. 3 EMRK, Art. 7 IPBPR; s. die Erl. zur EMRK. BVerfGE 51 324, 346; vgl. auch BVerfGE 89 120 = NStZ 1993 598 mit Anm. Meurer; näher die Erl. zu § 205 StPO (25. Aufl. Rn. 17); § 231 StPO (25. Aufl. Rn. 18) Dazu umfassend m.w.N. SK/Rogall Vor § 133, 80 ff.; ferner Roxin § 18, 12 ff.; s. auch Krauß FS Gallas 365 ff.

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sog. Lebach-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 288 ist grundsätzlich anerkannt, dass die Persönlichkeitsrechte des Beschuldigten der medialen Berichterstattung auch gegenüber der allgemeinen Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) Grenzen setzen, die durch eine Abwägung der kollidierenden Grundrechte und ihres jeweils aktuellen Gewichts zu bestimmen sind. Auch den staatlichen Strafverfolgungsorganen können hieraus entsprechende Pflichten erwachsen, etwa bei der Information der Medien 289 oder bei der massenmedialen Fahndung.290 Dem Persönlichkeitsschutz auch des Angeklagten dient ferner die durch das erste OpferschutzG erweiterte Möglichkeit, die Öffentlichkeit nach § 171b GVG auszuschließen, wenn Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich erörtert werden. Dass Gericht und Strafverfolgungsbehörden Persönlichkeit und Menschenwürde des Beschuldigten auch im Umgang mit ihm zu achten haben, etwa in der Art, wie er vernommen oder die Verhandlung geleitet wird, ist eine selbstverständliche Rechtspflicht.

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e) Pflichten des Beschuldigten. Als einziger Handlungspflicht unterliegt der Beschuldigte der zum Erscheinen und zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung, soweit nicht das Gesetz hiervon Ausnahmen vorsieht,291 sowie zum Erscheinen vor dem Richter und dem Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren.292 Er hat ferner als Duldungspflicht die ihm gegenüber gesetzlich zulässigen und angeordneten Zwangsmaßnahmen und sonstigen Grundrechtseingriffe hinzunehmen, also beispielsweise eine körperliche Untersuchung nach § 81a StPO, eine Durchsuchung nach § 102 StPO oder eine vorläufige Festnahme nach § 127 StPO oder eine Freiheitsentziehung durch Untersuchungshaft. Entsprechendes gilt wohl auch für vorläufige Maßregeln, wie einstweilige Unterbringung, § 126a StPO, vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, § 111a StPO und vorläufiges Berufsverbot, § 132a StPO. Die Begründung hierfür ist jedoch nicht einfach,293 da keine unmittelbaren verfahrenssichernden Zwecke dadurch verfolgt, sondern in der Sache vorgezogene Sanktionen präventiver Art verhängt werden. Als Sanktion würden diese Maßregeln gegen die Unschuldsvermutung verstoßen, als Präventionsinstrument aber dem Polizei- und nicht dem Strafverfahrensrecht zugehören. Allein die Praktikabilität und rechtspolitische Akzeptanz sprechen für diese Vorschriften. Zweifelhaft ist, ob der Beschuldigte Unterlassungspflichten insoweit hat, als ihm ein 82 Verhalten untersagt ist, durch das er sich prozessualen Sanktionen, insbesondere der Verhängung der Untersuchungshaft, aussetzt.294 Dies würde bedeuten, dass er die prozessuale Rechtspflicht hätte, sich nicht verborgen zu halten oder dem Verfahren durch Flucht zu entziehen und keine Verdunkelungshandlungen im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO vorzunehmen; ebenso müsste man im Hinblick auf die §§ 164, 231b StPO, 177, 178 GVG dann auch annehmen, dass er die Rechtspflicht hätte, Amtshandlungen nicht vorsätzlich zu stören und sich nicht ordnungswidrig zu benehmen. Selbst wenn man eine dahingehende Unterlassungspflicht annehmen wollte, ist zu bedenken, dass ihre

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BVerfGE 35 202, 219 ff.; vgl. auch u.a. BVerfGE 62 230 ff.; 63 132 ff.; 71 206, 214. Näher die Erl. Vor § 169 GVG (25. Aufl. Rn. 12 ff.). Näher die Erl. zu § 131. Vgl. die §§ 230 ff., ferner §§ 329, 350 Abs. 2, §§ 387, 411 Abs. 2 StPO und die dortigen Erläuterungen.

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Vgl. §§ 133, 134 und § 163a Abs. 3 StPO und die dortigen Erläuterungen. Näher Winter, der allerdings auch zu keinen überzeugenden Ergebnissen gelangt. Dazu ausführlich und kritisch Paeffgen (Dogmatik) 80 ff.; ablehnend Eb. Schmidt Nachtr. I § 136, 20.

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Verletzung wegen der Straflosigkeit der (persönlichen) Selbstbegünstigung 295 strafrechtlich, soweit nicht andere Tatbestände verwirklicht werden, nicht sanktioniert wäre und dass prozessual als Sanktion lediglich, falls ihre besonderen Voraussetzungen vorliegen, diejenigen Maßnahmen zulässig wären, die das Gesetz ohnehin gestattet, also die Anordnung der Untersuchungshaft oder von Ordnungsmitteln. Auch wenn man deshalb eine derartige Unterlassungspflicht verneint, folgt daraus nicht im Umkehrschluss, dass der Beschuldigte ein Recht auf Flucht, Sichverborgenhalten oder Verdunkelung hat. Zu der von der Struktur her ähnlich liegenden Frage, ob den Beschuldigten, wenn er sich äußert, eine Wahrheitspflicht trifft, und ob er, wenn man dies zutreffend verneint, ein Recht zur Lüge hat, s. die Erl. zu § 136. Keine Pflichten, sondern Optionen des Beschuldigten liegen in den Fällen vor, in 83 denen das Unterlassen einer Handlung für ihn im weiteren Verlauf des Verfahrens nachteilige Rechtsfolgen zur Folge hat. Dazu gehören die verschiedenen Präklusionsvorschriften.296 Der Beschuldigte ist (selbstverständlich) nicht verpflichtet, einen Besetzungseinwand geltend zu machen; er verliert diese Möglichkeit aber, wenn er es nicht rechtzeitig tut. Zu diesen bloßen Optionen gehört auch der Umstand, nach Einlegung der Berufung einen Anschriftenwechsel mitzuteilen, um eine öffentliche Zustellung zu vermeiden (§ 40 Abs. 3 StPO). Auch die Fälle, in denen der Angeklagte, wenn er weder erscheint noch sich vertreten lässt, die Verwerfung seiner Berufung (§ 329 Abs. 1 Satz 1) oder seines Einspruchs (§ 412 StPO) zu gewärtigen hat, gehören hierzu. f) Beschuldiger als Beweismittel. Der Beschuldigte kann auch Beweismittel sein; sein 84 Verhalten und seine Äußerungen können als Erkenntnisgrundlage verwertet werden.297 Allerdings bleibt er auch in dieser Eigenschaft, soweit es um seine Äußerungen geht, ein mit selbständigen Verfahrensrechten ausgestattetes Prozesssubjekt, und er kann diese Befugnisse auch dazu nutzen, das Beweisergebnis zu beeinflussen.298 Zu unterscheiden ist dabei, ob er als Augenscheinsobjekt, also als Gegenstand des Sachbeweises,299 auch bei einer Gegenüberstellung 300 oder aufgrund körperlicher Untersuchungen, in Betracht kommt, ob seine schriftlichen Äußerungen im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden, oder ob er durch mündliche Äußerungen entweder im Rahmen seiner prozessualen Erklärungsrechte oder bei seiner Vernehmung als Aussageperson tätig wird. Ob der Beschuldigte, soweit es um seine Äußerungen geht, (materielles) Beweismittel 85 ist,301 ist dogmatisch umstritten. Dagegen wird eingewandt, dass die Äußerungsmöglichkeit des Beschuldigten aus seinem Anspruch auf rechtliches Gehör herzuleiten sei und mit

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LK/Ruß § 257, 20; § 258, 31; Tröndle/ Fischer § 258, 18; vgl. auch (auch zur Strafbarkeit aufgrund anderer Tatbestände) Rogall (Beschuldigter) 37 ff. So etwa §§ 6a, 16, 25 Abs. 1, § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO. Allg. M.; vgl. etwa KK/Pfeiffer Einl. 90; Henkel 172; Kühne 792; SK/Rogall Vor § 133, 122 ff.; Roxin § 25, 1; ausführlich Rogall (Beschuldigter) 31 ff.; zur besonderen Problematik des Geständnisses und seiner terminologischen Hervorhebung s. Rn. H 36. SK/Rogall Vor § 133, 122; Peters 203.

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Die überwiegende Meinung sieht hier keinen Bedarf an konkreten „Benutzungsermächtigungen“, vgl. KK/Pfeiffer Einl. 90; SK/Rogall Vor § 133, 128; Prittwitz (Mitbeschuldigter) 197. Die h.M. hält dies auch ohne besondere Ermächtigung für zulässig; a.A. Kühne 103.1. BGH 28 196, 198 (wichtige Quelle zur Erkenntnis des Sachverhalts); BGH NStZ 1984 377; KK/Herdegen § 244, 1, 2; Meyer-Goßner 43 § 244, 2; SK/Rogall Vor § 133, 124; Rogall 31; s. auch näher § 244, 9 ff.

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der Beweiserhebung nichts zu tun habe.302 Für die Praxis dürfte dieser Streit bedeutungslos und zudem Inbegriff unnützen Theoretisierens sein.303 Denn nach § 261 StPO ist Entscheidungsgrundlage für das erkennende Gericht der Inbegriff der Hauptverhandlung, und zu diesem gehören auch, ganz gleich, wie man sie dogmatisch qualifiziert, die hierbei abgegebenen oder eingeführten Äußerungen des Beschuldigten. Für die Sachverhaltsermittlung in Ermittlungsverfahren gilt wegen der auch hier grundsätzlich vorgesehenen Vernehmung des Beschuldigten das gleiche. Allerdings haben gegenüber den übrigen Mitteln des Personalbeweises die Äußerun86 gen des Beschuldigten wegen seiner Doppelrolle einen besonderen Charakter. Es steht dem Beschuldigten frei, ob er sich freiwillig zum Beweismittel machen oder von seinem Schweigerecht Gebrauch machen will, seine Einlassung ist immer ein „freiwillig dargebotenes Beweismittel“, wenn auch möglicherweise ein solches von hohem Wert.304 Der Beschuldigte unterliegt darüber hinaus nach fast einhelliger Meinung keiner Wahrheitspflicht,305 wird aber andererseits mit seiner Einlassung nicht grundsätzlich im Verdacht stehen, mehr das Interesse an einem ihm günstigen Verfahrensausgang als an einer objektiven Sachaufklärung zu verfolgen. Dies alles sind Umstände, die die Strafverfolgungsbehörden und das Gericht veranlassen können, bei der Bewertung besondere Sorgfalt walten zu lassen, insbesondere aber auch ein Geständnis nicht unkritisch hinzunehmen (s. auch Rn. H 35., Erl. zu § 244). Zur Bewertung des Aussageverhaltens für die freie Beweiswürdigung insgesamt s. Rn. 91 ff. 3. Die Aussagefreiheit des Beschuldigten und das Verbot des Zwanges zur Selbstbelastung

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a) Grundlagen. Hinweise. Die durch die Belehrungspflichten des § 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO in der seit 1964 geltenden Fassung 306 eindeutig positivrechtlich geregelte, wenn auch schon seit jeher anerkannte Aussagefreiheit des Beschuldigten ist Ausfluss und Bestandteil des weitergehenden Grundsatzes der Unschuldsvermutung, aus der weiter folgt, dass niemand gezwungen werden darf, durch eigenes (aktives) Tun an seiner strafrechtlichen Überführung mitzuwirken. Dieser Grundsatz „nemo tenetur, se ipsum accusare“ (prodere) 307 findet seine gesetzlichen Grundlagen über die §§ 136, 243 StPO hinaus in § 55 StPO sowie in Art. 14 Abs. 3 Buchst. g IPBPR sowie in Art 6 Abs. 2 EMRK (Unschuldsvermutung).308 Verfassungsrechtlich ist er in der Pflicht zur Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 2), in der allgemeinen Handlungsfreiheit und dem Per-

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So insbesondere Prittwitz (Mitbeschuldigter) 197 ff.; dazu ausführlich SK/Rogall Vor § 133, 126. Vgl. auch Dencker ZStW 102 (1990) 54 Fn. 14, der die Frage als eine terminologische bezeichnet. So schon die Motive (Hahn 139). S. auch § 234, 16 zu der umstrittenen Frage, ob und wieweit der vertretungsberechtigte Verteidiger Sacheinlassungen für den (abwesenden) Angeklagten abgeben darf; dazu neuestens auch BGH StV 1998 59 mit Anm. Park m.w.N. Vgl. die Erläuterungen bei § 136. S. Rn. F 95; zur Entstehungsgeschichte und

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Bedeutung der Änderung s. LR/Eb. Schmidt 21 § 136, 2; § 243, 7; Nachtr. I Vor § 133, 4; § 136, 1 ff., 14; § 243, 30. Zu den Wurzeln und zur Entwicklung eingehend Rogall (Beschuldigter) 67 ff.; weit. Nachw. hierzu bei SK/Rogall Vor § 133, 130; s. ferner Verrel NStZ 1997 361 ff.; Pawlik GA 1998 379 ff.; Weßlau ZStW 110 (1998) 1 ff. (zu den Verbindungen zu heimlichen Ermittlungsmaßnahmen); zu seiner Bedeutung für Beweisverbote s. unten Rn. L 78 ff. Dies scheint nicht ganz unbestritten zu sein; vgl. LR/Gollwitzer 25 248; SK/Rogall Vor § 133, 131.

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sönlichkeitsrecht verankert 309 und dürfte Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips sein 310 und damit zum sog. „änderungsfesten verfassungsrechtlichen Minimum“ (Art. 79 Abs. 3 GG) gehören. Über die bloße Aussagefreiheit des Beschuldigten als selbstverständlichem Bestandteil 88 eines neuzeitlichen, rechtsstaatlichen Strafverfahrens 311 geht das Verbot des Zwanges zur Selbstbelastung in mehrfacher Hinsicht hinaus.312 Es betrifft auch alle anderen Verfahrensbeteiligten, insbesondere Zeugen, bezieht sich auch auf andere Formen aktiver Mitwirkung, namentlich auf die Editionspflicht nach § 95 StPO, und erstreckt sich auch auf die strafprozessualen Auswirkungen von Mitwirkungs- und Auskunftspflichten in anderen Rechtsbereichen und außerhalb des Strafverfahrens.313 Auch seinem Schutz dient das sich darin allerdings nicht erschöpfende Verbot des unzulässigen Zwanges in § 136a StPO. Andererseits enthält das nemo-tenetur-Prinzip nur das Verbot des (evtl. auch indirekten) Zwanges zur (selbstbelastenden) Mitwirkung; es schließt jedoch eine freiwillige Mitwirkung nicht aus und bietet nach allerdings nicht unumstrittener Auffassung für sich allein nicht schlechthin einen Schutz gegen Täuschung und Irrtum,314 so dass auch die heimliche Ermittlungsmethoden nicht ohne weiteres gegen diesen Grundsatz verstoßen,315 sondern in ihrer Zulässigkeit nach anderen Vorschriften und Grundsätzen zu beurteilen sind. Die vielfachen Ausstrahlungen und Auswirkungen der Aussagefreiheit und des nemo- 89 tenetur-Grundsatzes auf das Verfahren werden in diesem Kommentar bei den jeweiligen Vorschriften behandelt; nachfolgend werden nur die wichtigsten Grundzüge dargestellt. Im Übrigen wird vor allem hingewiesen zu den damit in Zusammenhang stehenden Beweisverboten auf die Erläuterungen unter Abschnitt L in dieser Einleitung, zu Vernehmungen und den Belehrungen auf die Erl. zu § 136 StPO; zu den Grenzen der freien Beweiswürdigung auf die Erl. zu § 261 StPO 316, zur Auslegung des § 14 Abs. 3 Buchst. g IPBPR auf die dortigen Erläuterungen bei Art. 6 EMRK 317, sowie zur Anwendung des Grundsatzes auf Zeugen auf die Erl. zu § 55 StPO. b) Im eigenen Strafverfahren, also für den Beschuldigten selbst, umfasst das Verbot 90 des Zwangs zur Selbstbelastung jede Form der aktiven Mitwirkung, also neben den Aus-

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S. u.a. BVerfGE 38 111 ff.; 55 150; 56 37 ff. (sog. Gemeinschuldnerentscheidung); 65 1, 46; BGHSt 1 39; 38 214, 220; 38 263, 266. Näher zu der teilweise umstrittenen Zuordnung zum Rechtsstaatsprinzip m.w.N. SK/Rogall Vor § 133, 132; Nothhelfer 75 ff. (Recht auf informationelle Selbstbestimmung); krit. zur Überbetonung der verfassungsrechtlichen Ableitungen z.B. Verrel NStZ 1997 364 f. Über die frühere Rechtslage bis zum Ende des Inquisitionsprozesses, die diesen Grundsatz teilweise kraß mißachtete, s. eingehend Plöger 121 ff. (zusammenfassend S. 459 ff.). S. SK/Rogall Vor § 133, 130. Hierzu insbesondere BVerfGE 56 37 ff. (Gemeinschuldnerentscheidung) und dazu ausführlich Schäfer FS Dünnebier 11 ff.; ferner Dingeldey NStZ 1984 529; Stürner

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NJW 1981 1757; s. auch unten Rn. 95; ferner BGHSt 37 340, 342 f. (zur Abgabe eidesstattlicher Versicherungen nach § 807 ZPO). Zur Frage, ob dies auch von der Verbürgung in Art. 14 IPBPR umfasst ist, s. die Erl. zu Art. 6 EMRK (25. Aufl. Rn. 252). SK/Rogall Vor § 133, 140 m.w.N. BGHSt 42 139, 151 ff. (GSSt) = NStZ 1996 502, 504 mit Anm. Rieß (sog. Hörfallenentscheidung); gegen diese u.a. Renzikowski JZ 1997 710 ff.; Roxin NStZ 1997 18 ff.; vgl. auch (jedenfalls keine Frage des nemo-tenetur-Prinzips) Verrel NStZ 1997 417 f.; ausführlich und differenziert Weßlau ZStW 110 (1998) 2 ff.; ferner Pawlik GA 1998 383 ff.; s. auch LR/Hanack 25 § 136, 66; § 136a, 37a. LR/K. Schäfer 24 Rn. 73 bis 80. LR/K. Schäfer 24 Rn. 248 bis 256.

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sagen auch die Herausgabe von Beweisgegenständen gemäß § 95 StPO 318 oder die Mitwirkung an Versuchen, Tests, Explorationen, die Zurverfügungstellung von Schriftproben und ähnliches.319 Passive Duldungs- und Verhaltenspflichten werden dagegen nach der herrschen und zutreffenden Meinung davon nicht berührt.320 Die gesetzlichen Vorschriften, die solche Maßnahmen gegen ihn gestatten, sie zugleich aber auch begrenzen, wie etwa §§ 81a, 81b, 81h oder 102 StPO, werden also im Grundsatz auch durch die verfassungsrechtliche Fundierung dieses Verbots nicht in Frage gestellt.

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c) Würdigung des Prozessverhaltens. Einem indirekter Zwang zur eigenen Mitwirkung an der Aufklärung wäre der Beschuldigte ausgesetzt, wenn im Rahmen der Beweiswürdigung oder der Strafzumessung an sein erlaubtes Verhalten ihm ungünstige Konsequenzen geknüpft würden; auch dies würde gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit verstoßen. Es ist deshalb grundsätzlich anerkannt, dass zulässiges Prozessverhalten insoweit nicht zu seinen Lasten berücksichtigt werden darf; auch wenn die Einzelheiten umstritten sind.321 Bei der Beweiswürdigung gilt das Verbot, aus dem Schweigen des Beschuldigten 92 Schlüsse zu ziehen, als normatives Postulat selbst dann, und insoweit den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO) rechtlich einschränkend, wenn es nach der Lebenserfahrung an sich zulässig wäre – was keineswegs immer der Fall ist 322 –, Schlüsse zu seinem Nachteil zu ziehen. Dieser Grundsatz ist (heute) unbestritten, soweit es darum geht, dass der Beschuldigte völlig schweigt,323 wobei ein bloß allgemeines Bestreiten, sonstige pauschale Erklärungen oder eine nur rechtliche Stellungnahme den Bereich des völligen Schweigens noch nicht verlässt.324 Gleiches gilt auch, wenn er (zeitweiliges Schweigen) in bestimmten Verfahrensabschnitten schweigt, sich in anderen aber äußert.325 Darunter fällt sowohl das anfängliche Schweigen als auch das nachträgliche, etwa erst in der Hauptverhandlung oder nach Verteidigerkonsultation, gewählte. Allerdings schützt die nachträgliche Entscheidung für das Schweigen den Beschuldigten nicht davor, dass seine früheren ohne rechtswidrigen Zwang herbeigeführten Äußerungen durch Verlesung eines gerichtlichen Protokolls oder durch Vernehmung der Verhörspersonen in die Hauptverhandlung eingeführt und damit zur Entscheidungsgrundlage des erkennenden Gerichts

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Näher die Erl. zu § 95 StPO; allg.M. BGHSt 8 144 ff.; 14 21, 23; teilweise abweichend Verrel NStZ 1997 417 f. BVerfGE 56 37, 42; BGHSt 34 39, 45; KK/Pfeiffer Einl. 89 a.E.; Meyer-Goßner Einl. 80; SK/Rogall Vor § 133, 141; Eb. Schmidt Nachtr. I § 136; 19; Rogall (Beschuldigter) 54 ff.; teilw. abweichend z.B. Wolfslast NStZ 1987 104. Dazu ausführlich SK/Rogall Vor § 133, 197 ff. m.w.N.; s. auch LR/Hanack 25 § 136, 25 und die Erl. zu § 261. S. näher die Erl. zu § 136 und bei § 261 m.w.N.; älteres Schrifttum und ältere Rspr. insgesamt zu dieser Problematik auch bei LR/Meyer 23 § 136, 28 ff. So in der Rspr. etwa BVerfG (Kammerentscheidung) NStZ 1995 555; BGHSt 20 281; 25 365; 32 140, 144; 34 324; BGH StV

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1989 90; kritisch Arzt (Ketzerische Bemerkungen zum Prinzip in dubio pro reo [1997]) 23 ff. Leider hat EGMR, EuGRZ 1996 587 (Murray), sich diesbezüglich äußerst missverständlich geäußert, wodurch der fälschliche Eindruck entstehen könnte, auch aus bloßem Schweigen könnten Schlüsse zum Nachteil des Beschuldigten gezogen werden; vgl. Kühne EuGRZ 1996 571. S. z.B. aus der Rspr. BGHSt 25 365, 368; 34 324, 326; 38 307; BGH StV 1992 548; NStZ 1998 209 (Widerruf früherer Aussagen kein pauschales Bestreiten); BayObLG MDR 1988 882; OLG Celle NJW 1974 202 f. Nachw. bei § 261; ferner bei SK/Rogall Vor § 133, 199; s. auch Kühl JuS 1986 118 ff.

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gemacht werden. Anders ist dies nach der Rechtsprechung 326 und wohl herrschenden Meinung im Schrifttum 327 bei teilweisem Schweigen, also wenn der Beschuldigte sich (bei einer prozessualen Tat 328) nur teilweise zur Sache und mit näheren Angaben zum Tatvorwurf äußert. Hiernach stehe der nemo-tenetur-Grundsatz rechtlich einer ungünstigen Beweiswürdigung nicht entgegen. Auch aus sonst zulässigem Prozessverhalten dürfen keine negativen Schlüsse bei der 93 Beweiswürdigung gezogen werden, auch wenn dies an sich möglich wäre, so etwa, wenn der Beschuldigte keine Entbindung von der Schweigepflicht ausspricht,329 Beweisanträge stellt oder sie zu stellen unterlässt,330 Ausführungen seines Verteidigers nicht entgegentritt 331 oder sein Erklärungsrecht nach den §§ 257, 258 StPO ausübt, soweit darin keine Teileinlassung liegt.332 Vergleichbare und teilweise noch weiter gehende Grundsätze gelten für die Strafzu- 94 messung;333 hier spielt auch die Unterscheidung zwischen Teilschweigen und völligem Schweigen keine Rolle.334 Bestreitet der Beschuldigte die Tat oder schweigt er, so darf ihm nicht als straferschwerendes Nachtatverhalten angelastet werden, dass er kein Bedauern über sie gezeigt, den Schaden nicht ausgeglichen oder sich beim Verletzten nicht entschuldigt hat.335 Auch eine unwahre Einlassung kann für sich allein allenfalls ganz ausnahmsweise straferschwerend wirken.336 Allerdings vermag dies nichts daran zu ändern, dass dem Beschuldigten, dessen Prozessverhalten dies ausschließt, strafmildernde Vorteile des sog. Täter-Opfer-Ausgleichs (§ 46a StGB) nicht zugute kommen können.337 Wegen weiterer Einzelheiten zum Verhältnis der Wahrnehmung der zulässigen prozessualen Möglichkeiten zum Nachtatverhalten wird auf die Kommentare zum materiellen Strafrecht verwiesen.338 d) Zeugnispflichten und sonstige Auskunfts- und Mitwirkungspflichten in einem 95 gegen einen anderen gerichteten Strafverfahren oder außerhalb eines solchen, können in erheblicher Weise den Grundsatz des Verbots der Selbstbelastung beeinträchtigen, wenn sie zur Folge hätten, dass aufgrund der geschuldeten Angaben oder sonstigen Mitwir-

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BGHSt 20 298; 32 144 = NStZ 1984 377 mit Anm. Volk; näher LR/Hanack 25 § 136, 27 und bei LR/Gollwitzer 25 § 261, 78; weit. Nachw. bei SK/Rogall Vor § 133, 200. KK/Schoreit § 261, 41; Meyer-Goßner § 261, 17; Beulke 495; Henkel 177 Fn. 20; Roxin § 15, 26; Schwedes 284; Rieß JA 1980 295; a.A. SK/Rogall Vor § 136, 202 ff.; Eisenberg (Beweisrecht) 407 ff.; Gössel 264; Rüping 102 und JR 1974 138; Miebach NStZ 2000 236; differenzierend Kühne 104. Vgl. BGHSt 32 140, 145 = NStZ 1984 377 mit Anm. Volk; s. näher SK/Rogall Vor § 133, 196. Näher LR/Dahs 25 § 53, 67; 72. Vgl. BGH NStZ 1990 447. S. aber BGH StV 1998 59 mit krit. Anm. Park. Dazu m.w.N. Dahs/Langkeit NStZ 1993 214 f. SK/Rogall Vor § 133, 207 m.w.N.; s. auch

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LR/Hanack 25 § 136, 28 m.w.N. und bei LR/Gollwitzer 25 § 261, 76. LR/Hanack 25 § 136, 27 m.w.N.; SK/Rogall aaO, der dies zu Unrecht als ein Argument gegen die h.M. verwenden will, die das Teilschweigen bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen gestattet. Vgl. auch BGH NStZ-RR 1996 71 (Verschweigen der Hintermänner). LR/Hanack 25 § 136, 42 m.w.N. Deshalb dürfte umgekehrt zu erwägen sein, dass die in dieser Vorschrift genannten Verhaltensweisen, wenn sie von einem bestreitenden Beschuldigten stammen, im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 261 StPO nicht als Schuldindizien verwendet werden dürfen. S. etwa LK/Gribbohm § 46, 193 ff.; Schönke/Schröder/Stree § 46, 41 f.; Tröndle/ Fischer § 46, 29 ff.

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kungspflichten der Verdacht einer den Auskunftspflichtigen betreffenden Straftat aufgedeckt oder ihre Aufklärung sonst erleichtert würde. Auch in solchen Fällen erfordert es deshalb der nemo-tenetur-Grundsatz, dass in möglichst großem Umfang ein Schutz vor derartigen Selbstbelastungen gewährt wird.339 Anders als bei der generellen Mitwirkungsfreiheit des Beschuldigten in seinem eigenen Strafverfahren geht es hier um Fälle, in denen die Rechtsordnung von einer allgemein notwendigen Mitwirkungspflicht ausgeht oder legitimerweise ausgehen muss. Der Beachtung des nemo-tenetur-Grundsatzes muss daher auf andere Weise Rechnung getragen werden als durch einen generellen Verzicht auf den Zwang zur aktiven Mitwirkung. Unabhängig davon, dass es auch aus Gründen der allgemeinen Handlungsfreiheit und des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angebracht sein kann, solche aktiven Handlungs-, Mitwirkungs- und Dokumentationspflichten zu begrenzen und dass dadurch, soweit dies möglich ist, auch dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit als Nebenfolge Rechnung getragen werden kann,340 muss dieser entweder dadurch berücksichtigt werden, dass bei drohender Selbstbelastung die Auskunftspflicht entfällt, oder dass sie bei ihrem Bestehenbleiben durch Offenbarungsund Verwertungsverbote ihrer strafrechtlich nachteiligen Folgen entkleidet wird (dazu Rn. 97 f.). Die erste Lösungsmöglichkeit findet sich als durchgängiges Regelungsmuster als Ein96 schränkung der Zeugnispflicht in allen gerichtlichen Verfahrensordnungen, so auch in den §§ 55, 56 StPO.341 Die allgemeine Pflicht zur wahrheitsgemäßen und vollständigen Aussage entfällt hier insoweit, als der zur Aussage Verpflichtete sich dadurch der Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung aussetzen würde. Aus der Berufung auf das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO des als Zeugen vernommenen späteren Beschuldigten dürfen im Verfahren gegen ihn, wie bei seinem eigenen Schweigerecht, keine nachteiligen Schlüsse gezogen werden.342 Die teilweise umstrittenen Einzelheiten der Reichweite dieser Vorschriften sind nicht hier, sondern bei der Einzelkommentierung zu erläutern. Auch in anderen Bereichen des öffentlichen Rechts sehen die einschlägigen Normen vielfach vergleichbare Auskunftsverweigerungsrechte vor.343 Sofern der Gesetzgeber aus übergeordneten Gründen im privatrechtlichen oder öffent97 lich-rechtlichen Bereich eine bezogen auf den jeweiligen Auskunftzweck uneingeschränkte Auskunftspflicht statuiert, ist er bei nachkonstitutionellen Normen verfassungsrechtlich gehalten, den nemo-tenetur-Grundsatz durch die Schaffung von Verwertungs- und Offenbarungsverboten für die Strafverfolgung abzusichern. Bei vorkonstitutionellen Normen 344 (und nur bei diesen) folgt ein im Einzelfall richterlich zu konkretisierendes strafprozessuales Verwertungsverbot unmittelbar aus der Verfassung.345 Für den diese Rechtsprechung auslösenden Ausgangsfall 346 der Auskunftspflicht nach § 100 KO hat der Gesetz339

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Dazu grundsätzlich BVerfGE 56 37 ff.; ferner LR/K. Schäfer 24 Einl. 14 29 ff.; SK/Rogall Vor § 133, 142; 144 ff.; 161; ferner u.a. K. Schäfer FS Dünnebier 11 ff.; Stürner NJW 1981 1757; Dingeldey NStZ 1984 529 ff.; Franzheim NJW 1990 2049 ff.; Michalke NJW 1990 417 ff. S. SK/Rogall Vor § 133, 138; 144 ff. Ebenso etwa § 384 Nr. 2 ZPO, der für das ArbGG (§ 46 Abs. 2), die FGO (§ 82), das SGG (§ 118) und die VwGO (§ 98) entsprechend anwendbar ist; § 26 Abs. 2 BDO; § 116 Satz 2 BRAO; zum Ganzen SK/Rogall

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Vor § 133, 142; vgl. auch BGHSt 27 374 ff. (zur Reichweite insgesamt sowie im anwaltlichen Aufsichtsverfahren). BGHSt 38 302 = JR 1993 380 mit Anm. Rogall; OLG Stuttgart NStZ 1981 272; Dahs/Langkeit NStZ 1993 213 ff. Näher SK/Rogall Vor § 133, 144 m.w.N. Dazu näher Schäfer FS Dünnebier 38 ff. BVerfGE 56 37 ff. Zu vergleichbaren Fällen und ihrer Behandlung in der Rspr. der Fachgerichte s. Schäfer FS Dünnebier 13 ff.

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geber dieser Rechtsprechung inzwischen dadurch Rechnung getragen, dass er in § 97 Abs. 1 Satz 3 der die KO mit Wirkung vom 1.1.1999 ablösenden InsO, also einer nachkonstitutionellen Regelung, ein entsprechendes Verwertungsverbot ausdrücklich statuiert hat. Danach dürfen Auskünfte, die der Gemeinschuldner pflichtgemäß erteilt hat, in einem Straf- oder Bußgeldverfahren gegen ihn oder einen Angehörigen nur mit seiner Zustimmung verwendet werden. Damit ist für diesen, gesetzgeberisch wohl modellhaften Fall zugleich (argumentum e contratio) entschieden, dass die Selbstbelastungsfreiheit sich nicht auf die Gefahr einer disziplinarrechtlichen, berufsrechtlichen oder standesrechtlichen Sanktionierung bezieht, was im Übrigen umstritten ist.347 Nach der Rechtsprechung sollen solche Verwertungsverbote allerdings nur dann 98 bestehen, wenn eine gesetzliche Auskunftspflicht besteht, dagegen nicht, wenn sie lediglich die Belastung mit einem Beweisrisiko, wie im Falle eines Asylbewerbers,348 oder die Erfüllung einer zivilrechtlichen Obliegenheit 349 zum Gegenstand haben. Sie greifen auch nicht ein, wenn es lediglich um die Vermeidung von Vermögensnachteilen, um die Offenbarung von Geheimnissen oder eines unehrenhaften Verhaltens geht (§ 384 ZPO), denn dies hat mit dem nemo-tenetur-Grundsatz nichts zu tun.350 Gesetzliche Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten, wie sie vielfach im öffent- 99 lichen Recht bestehen, berühren als solche das Verbot des Selbstbelastungszwanges grundsätzlich nicht, wenn ihr Hauptzweck in der Erfüllung anderer Aufgaben als der Ermöglichung einer Strafverfolgung liegt.351 Dies soll auch dann gelten, wenn dem Verpflichteten insoweit gegenüber den Verwaltungsbehörden eine Pflicht zur Herausgabe solcher Unterlagen und zur Gewährung von Einsicht in sie obliegt.352 Im Schrifttum wird zu Recht verlangt,353 die Weitergabe solcher Unterlagen an die Strafverfolgungsbehörde nach den Grundsätzen des Gemeinschuldnerurteils (BVerfGE 56 37) dann zu untersagen, wenn die Dokumentationspflicht auch bereits begangene Straftaten umfasst. Uneingeschränkt zulässig ist auch nach dieser Meinung die strafprozessuale Beschlagnahme solcher Unterlagen. Für das Steuerrecht enthalten die §§ 30, 393 AO eine gesetzliche Sonderregelung.354 Heikel sind auch die durch Rollentausch bewirkten Konstellationen. Dies kann ein- 100 mal durch Verfahrenstrennung 355 geschehen, mithilfe derer ein ehemaliger Mitbeschuldigter, der vorab nur zum Teil im getrennten Verfahren abgeurteilt worden ist, im Ver-

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S. m.w.N. SK/Rogall Vor § 133, 149; für § 55 s. LR/Dahs 25 § 55, 2. BGHSt 36 328, 334, 336; OLG Hamm NStZ 1989 187, 188; OLG Düsseldorf StV 1992 503; SK/Rogall Vor § 133, 139; a.A. OLG Hamburg JR 1986 167 mit abl. Anm. Meyer; Roxin § 25, 13. So für die Angaben gegenüber dem Haftpflichtversicherer BVerfG (Kammerentscheidung) VRS 90 (1996) 8; KG NZV 1994 403; dazu Geppert Jura 1995 439 ff.; ferner für Äußerungen gegenüber dem Arbeitgeber OLG Karlsruhe NStZ 1989 287 mit Anm. Rogall; SK/Rogall Vor § 133, 139; Roxin § 25, 13; a.A. OLG Celle JR 1982 475 mit abl. Anm. Rengier; s. auch Verrel NStZ 1997 362. SK/Rogall Vor § 133, 150.

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Ausführlich m.w.N. SK/Rogall Vor § 133, 144 ff.; s. ferner u.a. Dingeldey NStZ 1984 534; Franzheim NJW 1990 2049; Michalke NJW 1990 417; Schäfer FS Dünnebier 40 ff.; Verrel NStZ 1997 363 f. BVerfGE 55 144 ff.; vgl. auch BVerfG (Vorprüfungsausschuß) NJW 1982 568 (Fahrtenbuchauflage). SK/Rogall Vor § 133, 146 m.w.N.; Michalke NJW 1990 417, 421. Dazu ausführlich und teilweise kritisch u.a. Schäfer FS Dünnebier 18 ff.; Reiß (Besteuerungsverfahren); Rüping/Kopp NStZ 1997 530 ff.; Streck StV 1981 362; näher die Kommentare zur AO und zum Steuerstrafrecht. Eisenberg (Beweisrecht) 932 ff. m.w.N.

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fahren gegen andere Tatgenossen als Zeuge erscheint. Die restriktiven Regelungen der Rechtsprechung zum Rollentausch 356 können diese Problematik schon deshalb nicht vollständig klären, weil diese Situation auch von Anfang an durch Vereinzelung sachlich zusammenhängender Verfahren begründet werden kann. Die Rechtsprechung nimmt hier an, dass Mitbeschuldigte in unterschiedlichen Verfahren als Zeugen vernommen werden können und dann keine Möglichkeit haben, sich auf § 55 StPO zu berufen, wenn sie bereits abgeurteilt sind.357 Es ist richtigerweise jedoch davon auszugehen, dass in diesen Fällen allein die materielle Position als Mitbeschuldigter und nicht die formell herbeigeführte Zeugeneigenschaft die Verfahrensrechte bestimmt. Andernfalls käme ein trotz Leugnens der Tat Verurteilter im Prozess gegen einen Teilnehmer in die unzumutbare Situation, entweder die Tat im Nachhinein zugeben zu müssen oder aber bei weiterem Leugnen wegen falscher Aussage strafrechtlich belangt zu werden. 4. Verteidigung und Verteidiger

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a) Materielle und formelle Verteidigung. Die Summe der dem Beschuldigten eingeräumten Befugnisse, die seine Eigenschaft als Prozesssubjekt konstituieren, lassen sich auch dahin zusammenfassen, dass sie es ihm ermöglichen, sich gegen den Tatverdacht und den Schuldvorwurf zu wehren, also sich zu verteidigen. Sie umfassen insgesamt das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht der materiellen Verteidigung.358 Zu dieser gehört auch die durch § 137 StPO gewährleistete, verfassungsrechtlich garantierte 359 und als Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. c EMRK, Art. 14 Abs. 3 Buchst. d IPBPR verbürgte 360 Befugnis, sich dabei in jeder Lage des Verfahrens, also auch schon von Beginn des Ermittlungsverfahrens an,361 des Beistandes eines Dritten, des Verteidigers, zu bedienen. Diese formelle Verteidigung durch eine dazu besonders qualifizierte Person, nämlich 102 (§ 138 StPO) grundsätzlich einen Rechtsanwalt oder einen Hochschullehrer des Rechts, steht teilweise als gewillkürte Verteidigung im Belieben des Beschuldigten; sie wird aber in erheblichem und in der Entwicklung der Strafprozessordnung zunehmendem Umfang 362 ohne Rücksicht auf den Willen des Beschuldigten, sich verteidigen zu lassen, als notwendige Verteidigung vom Gesetz vorgeschrieben (§ 140 StPO).363 In diesen Fällen wiederum ist zu unterscheiden, ob sich der Beschuldigte, was grundsätzlich Vorrang hat,364 eines von ihm gewählten Verteidigers bedient (Wahlverteidiger), oder ob ihm durch einen Hoheitsakt des Gerichts ein solcher bestellt wird (bestellter Verteidiger oder Pflichtverteidiger 365), der aber möglichst das Vertrauen des Beschuldigten genießen muss; 356 357 358

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Eisenberg (Beweisrecht) 934. BGH NStZ 1981, 487; 1984, 464; und Fn. 355. Vgl. dazu und zur Abgrenzung zur formellen Verteidigung u. a. auch SK/Rogall Vor § 133, 95; Schroeder 146 ff.; aus der Rspr. s. etwa BVerfGE 26 66, 71; BGHSt 38 372, 374; s. ferner Gössel ZStW 94 (1982) 27 ff. BVerfGE 39 156, 164; 63 380, 390 ff.; 64 135, 145; 66 313, 319; 68 237, 255. Wegen der Einzelheiten hierzu s. die Erl. bei Art. 6 EMRK (25. Aufl. Rn. 195 ff.). Dazu Rieß FS Reichsjustizamt 405 f. Rieß FS Reichsjustizamt 411 ff.

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Weitere Fälle notwendiger Verteidigung finden sich etwa (teilweise inzidenter) in §§ 81, 117 Abs. 4 Satz 1, § 118 Abs. 2 Satz 2, § 231a Abs. 4, § 350 Abs. 3 Satz 1; §§ 364a, 364b; zum Ganzen Rieß StV 1981 461 f. S. die Formulierung in § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO („der noch keinen Verteidiger hat“) sowie § 143 StPO; wegen der zahlreichen Einzelprobleme s. die Erl. zu den §§ 137 ff. Die Bezeichnung „Pflichtverteidiger“, die der StPO an sich fremd ist, wenn sie auch vielfach verwendet wird, knüpft an § 49 BRAO an.

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Verfahrensbeteiligte

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insofern geht § 142 Abs. 1 S. 2 StPO dem § 143 Abs. 1 S. 3 StPO vor.366 In ihrer prozessualen Stellung unterscheiden sich beide grundsätzlich nicht voneinander. Dies gilt insbesondere für die Ausschließungsregelungen der §§ 138a ff. StPO; auch der bestellte Verteidiger kann richtiger Ansicht nach nicht einfach bei Vorliegen eines Ausschließungsgrundes abberufen werden.367 Für die Wirksamkeit und Effektivität der Verteidigung im materiellen Sinne ist unter 103 den heutigen Bedingungen des Strafverfahrens die Mitwirkung eines Verteidigers von zentraler Bedeutung. Sie dürfte im Laufe der Entwicklung wegen der zunehmenden Komplizierung und Ausdifferenzierung des formellen und materiellen Strafrechts erheblich gewachsen sein.368 Allerdings bestehen nach einer sich immer stärker durchsetzenden Ansicht nicht unbeträchtliche Mitwirkungsdefizite des Verteidigers im Ermittlungsverfahren.369 Nicht nur der unerfahrene und unbeholfene Beschuldigte, sondern durchaus auch der in seinen sonstigen Lebensverhältnissen erfahrene, leistungsfähige und kompetente Beschuldigte unterliegt im Strafprozess vielfach einem strukturellen Autonomiedefizit, das nur durch die Mitwirkung eines professionellen Helfers ausgeglichen werden kann. Dessen Hilfe ist darüber hinaus auch deshalb erforderlich, weil sie gegenüber der emotionalen Befangenheit und persönlichen Betroffenheit, in der sich der Beschuldigte selbst notwendigerweise befindet, das erforderliche Gegengewicht darzustellen vermag. Wenn das Gesetz dennoch keine umfassende notwendige Verteidigung vorschreibt, so ist hierfür neben fiskalischen Gründen 370 in einfach gelagerten Fällen und bei geringen Sanktionen die Anerkennung der Handlungsfreiheit des Beschuldigten maßgebend.371 Auch außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle kann sich aber die Notwendigkeit einer Verteidigerbestellung unmittelbar aus der Verfassung ergeben.372 b) Gesetzliche Grundlagen. Hinweise. Die StPO hat über die programmatische Aus- 104 sage des § 137 StPO hinaus, dass der Beschuldigte sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen könne, die Einzelheiten seiner Wahl oder Bestellung und einen Kernbestand seiner Befugnisse in den §§ 137 bis 149 StPO detailliert geregelt. Die Befugnisse und Handlungsmöglichkeiten des Verteidigers werden außerdem an zahlreichen Stellen besonders erwähnt.373 Sie gehen teilweise, auch wenn der Beteiligte 366 367

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BVerfG NJW 2001 3695. BGHSt 42 94 = NStZ 1997 46 mit Anm. Weigend räumt die Möglichkeit eines Ausschlusses nach §§ 138 ff. StPO ein, lässt aber ausdrücklich offen, ob eine bloße Abbestellung nach § 143 StPO noch weiterhin möglich sei. BGH NStZ 2004, 632 geht wohl von einer Ausschlussmöglichkeit nach § 143 StPO aus, verlangt aber für den Fall, dass diese wegen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Pflichtverteidiger und Mandanten geschehen soll, den Verteidiger zuvor zumindest darüber zu befragen. Vgl. auch AK/Stern Vor § 137, 12 (zum Aufgabenbereich); Ergebnisse der Rechtstatsachenforschung bei AK/Stern Vor § 137, 91 ff. und bei Vogtherr. Satzger 65. DJT (2004) C 38 ff.; Schünemann ZStW 114 (2002) 1, 38 ff.; Weigend

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ZStW 113 (2001), 302; Wolter GA 1985 49, 84 ff. Vgl. auch den Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens in StV 2004 228. AK/Stern Vor § 140, 5. Zu den Tendenzen s. etwa (unterschiedlich) AK/Stern Vor § 140, 4 ff.; Welp ZStW 90 (1978) 101; Beulke (Verteidiger) 71 ff.; Rieß StV 1981 461; Überlegungen de lege ferenda hierzu etwa bei Herrmann StV 1996 396 ff. So BVerfGE 46 202 für die Verteidigung in der Revisionsinstanz; zum Verfassungsrang des Anspruchs auf Verteidigerbestellung s. auch BVerfGE 39 238, 243; 63 380, 391; 65 171, 175; 66 313, 318; zum Ganzen AK/Stern Vor § 140 4 ff.; SK/Rogall Vor § 133, 97. Vgl. insgesamt zu den Befugnissen des Verteidigers die Übersichten etwa bei KK/Pfeiffer Einl. 70 ff.; ferner Beulke 147 ff.

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dem Beschuldigten Beistand zu leisten hat, über die Befugnisse, die diesem selbst zustehen, hinaus oder unterliegen geringeren Einschränkungen. In anderen Zusammenhängen stellt das Gesetz auf die Anwesenheit oder Mitwirkung eines Verteidigers ab, wenn es bestimmte Abweichungen vom normalen Verfahrensablauf vorsieht;374 hieran anknüpfend hat gerade die neuere, nicht unumstrittene Rechtsprechung im Falle bei der Mitwirkung eines Verteidigers und von dessen Beistandsfunktion ausgehend dem verteidigten Beschuldigten zur Obliegenheit gemacht, bei Vermeidung von Rechtsnachteilen ihm schädlichen Verfahrensergebnissen rechtzeitig zu widersprechen (sog. Widerspruchslösungen),375 oder sie hält es für zulässig, dass einzelne Verfahrenshandlungen, etwa Beweisanträge, bei ihrer exzessiven Verwendung durch den Beschuldigten selbst nur noch über den Verteidiger vorgenommen werden dürfen.376 Der Verteidiger wird insoweit, wenn auch in Respektierung seiner einseitigen Beistandsfunktion, durch das Gesetz oder aufgrund seiner Auslegung für eine sachgerechte Verteidigung in Pflicht genommen. Die ihm selbst zustehenden Befugnisse kann der Verteidiger nach überwiegender 105 Meinung 377 unabhängig vom Willen des Beteiligten und, soweit nicht ausdrückliche Regelungen (z.B. § 297 StPO) entgegenstehen, auch gegen seinen Willen prozessual wirksam ausüben. Vertreter des Beschuldigten ist er auch als Wahlverteidiger nicht ohne weiteres und kraft seiner Stellung, jedoch erkennt die StPO an, dass ihm zusätzlich eine Vertretungsbefugnis eingeräumt werden kann und knüpft an diesen Umstand besondere Rechtswirkungen.378 Dem Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen dem Beschuldigten und dem Verteidiger und der strafprozessual unverzichtbaren Geheimsphäre 379 dient die Garantie des unüberwachten Verkehrs (§ 148 StPO) ebenso wie das dem Verteidiger zustehende Zeugnisverweigerungsrecht und eine damit in Verbindung stehende Beschlagnahmefreiheit. Wegen der besonderen Aufgabe der Verteidigung hat die Rechtsprechung aus den gesetzlichen Regelungen Folgerungen abgeleitet, die den Schutzbereich der Geheimsphäre deutlich erweitert haben.380 Auf die Einzelheiten und die Bewertung dieser hier nur in groben Umrissen dargestellten Rechtslage ist hier nicht einzugehen; es wird insoweit insgesamt auf die Erl. zu den §§ 137 ff. StPO sowie auf die zu den jeweiligen Vorschriften verwiesen. 374

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Beispiele etwa §§ 234a; 251 Abs. 1 Nr. 4; Abs. 2 S. 1; § 407 Abs. 2 S. 2; § 418 Abs. 4 StPO. Im Anschluss an ähnliche Ansätze etwa bereits in BGHSt 25 325 (Beschuldigtenbelehrung in der Hauptverhandlung) s. etwa BGHSt 38 214, 226 (bei der Geltendmachung von Verwertungsverboten bei unterlassenen Belehrungen); BGHSt 39 349, 352 = JZ 1994 686 mit Anm. Fezer; 42 115; zusammenfassend Dahs StraFo 1998 253 ff. (kritisch); Maatz NStZ 1992 513 ff.; Maul/ Eschelbach StraFo 1996 66 ff.; Meyer-Goßner/Appl StraFo 1998 258 ff. (zustimmend); Widmaier NStZ 1992 519 ff.; s. auch Dornach 160 ff. und NStZ 1995 57 ff.; Burhoff StV 1997 435; Feigen Rudolphi-Symp. 162 ff.; Fezer StV 1997 57 ff.; Ventzke StV 1997 543 ff. BGHSt 38 111 ff. S. die Erl. zu § 137; näher m.w.N. AK/Stern

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Vor § 137, 41; ferner KK/Pfeiffer Einl. 64; LR/K. Schäfer 24 Einl. 9 7; Kühne 178; Peters 214; Gössel ZStW 94 (1982) 33 f.; Vehling StV 1992 88; a.A. u.a. LR/Lüderssen 25 Vor § 137, 41 ff.; AK/Stern Vor § 137, 38 ff. So etwa §§ 234, 387, 411 Abs. 2 StPO; vgl. näher die Erl. zu § 234; zur Frage, in welchem Umfang Äußerungen des Verteidigers als Sacheinlassungen des Angeklagten verwertet werden können, s. auch BGHSt 39 305; BGH NStZ 1990 447; StV 1998 59 mit krit. Anm. Park (dort auch weit. Nachw.). Zur Bedeutung s. näher Welp FS Galles 391 ff. vgl. auch Beulke 154. Z.B. BGHSt 33 347 = JR 1987 75 mit Anm. Rieß (zu § 100a StPO); BGH NJW 1973 2035; 1982 2508 (zu Beweisunterlagen, die sich nicht im Gewahrsam des Verteidigers befinden); dazu u.a. auch Dahs GedS Meyer 61 ff.

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c) Verteidiger als Prozesssubjekt und als Organ der Rechtspflege. Ob der Verteidiger 106 Prozesssubjekt ist, ist trotz seiner wichtigen Funktion im Strafverfahren nicht unbestritten,381 wobei es sich allerdings wohl mehr um eine terminologische Frage handelt. Wegen seiner Zuordnung zum Beschuldigten, dem er Beistand und Unterstützung schuldet, wird er teilweise als Prozesssubjektsgehilfe bezeichnet.382 Auch wenn dies zutreffend zum Ausdruck bringt, dass seine Tätigkeit der Stellung des Beschuldigten dient und ihr zugeordnet ist, verdeutlicht es doch nicht ausreichend, dass der Verteidiger mit eigenen Handlungsbefugnissen ausgestattet ist, so dass die Anerkennung seiner selbständigen Prozesssubjektqualität vorzuziehen ist. Davon unabhängig ist die bis heute ungeklärte und lebhaft umstrittene Frage, wie 107 sich die Rechtsstellung des Verteidigers im Strafverfahren zusammenfassend und insgesamt kennzeichnen lässt.383 Sie ist allerdings mehr von theoretisch konstruktiver und dogmatischer, als von praktischer Bedeutung, denn die Stellung des Verteidigers ist primär von den vorhandenen verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Bestimmungen und den sich daraus ergebenden Funktionen her zu bestimmen und nicht von einer bestimmten Verteidigertheorie. Es kommt bei der Entscheidung zwischen den verschiedenen Auffassungen in erster Linie darauf an, welche von ihnen die unbestrittenen Positionen und Befugnisse des Verteidigers am besten zu erklären vermag, und es ist wichtig, einseitige Konsequenzen aus der Begrifflichkeit allein zu vermeiden.384 Die derzeit noch relevanten, einander widersprechenden Theorien führen denn auch in der praktischen Anwendung in weiten Bereichen zu identischen Ergebnissen; sie differieren vor allem, dies aber auch in eher geringem Umfang, bei der Beurteilung des Umfangs der Wahrheitspflicht des Verteidigers und des Umfangs der Weisungsgebundenheit gegenüber den Mandanten,385 was nicht notwendig aus den theoretischen Positionen folgt, sondern eher als Ergebnis eines eigenständigen Abwägungsprozesses erscheint. Die einhellige Meinung der Rechtsprechung 386 und die überwiegende im Schrift- 108 tum 387 kennzeichnet zusammenfassend mit unterschiedlichen Varianten 388 die Stellung des Verteidigers als die eines Organs der Rechtspflege (Organtheorie), ohne damit (jedenfalls in der Regel) seine Rechte und Pflichten einseitig zu definieren.389 Mit der Organtheorie, ist lediglich notwendig die Aussage verbunden, dass der Verteidiger innerhalb

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So die wohl h.M.; etwa KK/Pfeiffer Einl. 64 ff.; LR/Gollwitzer 25 Vor § 226, 42; Henkel 117; Peters 103; Roxin § 17, 1. So z. B. Beling 119, 148; ihn folgend Eb. Schmidt I 73; LR/K. Schäfer 24 Einl. 9 7. S. dazu zusammenfassend u.a. Roxin § 19, 2 ff.; sowie ausführlich die Darstellungen bei Beulke (Verteidiger) 163 ff.; Jolmes 37 ff.; sowie neustens bei Dornach 65 ff.; 123 ff.; ferner Paulus NStZ 1992 305 ff.; s. auch die Darstellung LR/Hanack 25 Vor § 137, 75 ff.; sowie AK/Stern Vor § 137, 21 ff. Roxin (Gegenwart) unter III 2. Roxin aaO. Vgl. nur BVerfGE 38 105, 119; 39 156, 165; 53 207, 214; BGHSt 9 20, 22; 12 367, 369; 15 326; 18 397; 29 99, 102; 38 345, 347; OLG Frankfurt NStZ 1981 144; OLG Ham-

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burg NJW 1998 621, 622; weit. Nachw. etwa bei Beulke 150 sowie, auch zur älteren Rspr., bei Bottke ZStW 96 (1984) 739 und Dornach 32 ff. KK/Pfeiffer Einl. 64; KK/Laufhütte Vor § 137, 4; Meyer-Goßner Einl. 82; SK/Rogall Vor § 133, 95; Beulke 150 ff.; Henkel 152; Krey I 536 ff.; Kühne 178; Peters 213; Ranft 384; Roxin § 19, 2 ff.; Schäfer 46; Schroeder 149; zur Entwicklung in der Literatur mit umf. Nachw. Dornach 38 ff. Dazu Dornach 40 ff. Zur generellen Kritik am Organbegriff s. u.a. die Nachw. bei Beulke (Verteidigung) 176 ff.; Dornach 109 ff.; Jolmes 50 ff.; KK/Laufhütte Vor § 137, 4; Krey I 537 Fn. 19.

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der Strafrechtspflege (auch) eine öffentliche Funktion wahrnimmt. Über deren Inhalt ist damit noch nichts ausgesagt. Dieser bestimmt sich aus dem Gesamtkonzept, das dem Strafverfahrensrecht als Funktion und Rolle des Verteidigers zu entnehmen ist. Der Verteidiger hat daher als Organ der Rechtspflege in strenger Einseitigkeit aber im Rahmen des vorgegebenen Rechts ausschließlich die Interessen des Beschuldigten wahrzunehmen und sich bei allen seinen Handlungen hieran zu orientieren.390 Die Organstellung ist, entgegen einer möglicherweise teilweise bestehenden, aber missbräuchlichen Praxishandhabung, kein Disziplinierungsmittel gegenüber Verteidigern, die die Verteidigungsbefugnisse ausschöpfen. Aus ihr ergibt sich nicht, sondern mit ihr ist eher unvereinbar, dass der Verteidiger wegen seiner Organstellung einer Inpflichtnahme unterliegt,391 die mit seinen einseitigen Beistandsinteressen nicht zu vereinbaren wäre, wenn auch eingeräumt werden muss, dass gerade der Rückgriff auf die Organstellung nicht selten zu solchen missverständlichen Interpretationen Anlass gegeben hat. Auch die umstrittenen Fragen der Einzelheiten der Wahrheitspflicht des Verteidigers und der Grenze zwischen zulässiger Verteidigung und strafbarer Strafvereitelung, auf die hier nicht näher einzugehen ist, sollten nicht unter Rückgriff auf den Streit zwischen Organ- und Vertragstheorie, sondern unter Offenlegung der maßgeblichen Wertungs- und Abwägungsgesichtspunkte entschieden werden. Die Organstellung steht einem Freiraum des Verteidigers, der auch Einschränkungen der Wahrheitspflicht umfassen kann (nicht muss), ebensowenig entgegen, wie die Vertragstheorie die Befugnis zur Wahrnehmung verfahrensfremder Zwecke und zur Lüge notwendig impliziert.392 Demgegenüber vertritt die in diesem Kommentar (Vor § 137) eingehend von Lüderssen 109 begründete Vertragstheorie 393 die Auffassung, dass sich die Stellung des Verteidigers in erster Linie aus den vertraglichen Beziehungen zu seinem Mandanten bestimmen lasse und dass er unter Ablehnung jeder Verpflichtung auf die Funktionen der Strafrechtspflege allein Vertreter der Beschuldigteninteressen sei. Sie wird teilweise, wenn auch wohl zu Unrecht, als eine Spielart der in sich wenig klaren Interessentheorie 394 verstanden. Teilweise vermeidet das Schrifttum die Festlegung auf eine der verschiedenen Theorien und beschränkt sich auf eine pragmatische Lösung von Einzelproblemen.395 Es scheint nicht erforderlich zu sein, sich für eine Theorie über die Stellung des Ver110 teidigers zu entscheiden, da keiner dieser Ansätze die Beschreibung einzelner Rechte und Pflichten allein aus dem theoretischen Ansatz entwickelt. Jede dieser Theorien bedarf einer näheren und sie präzisierenden inhaltlichen Begrenzung. Aus der Organtheorie dürfen vor allem nicht, wie teilweise in der Vergangenheit und ansatzweise noch heute von einem Teil ihrer Vertreter,396 Konsequenzen gezogen werden, die mit ihr nicht 390 391

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Ähnliche Ansätze bei Roxin (Gegenwart) unter III 3; und bei Vehling StV 1992 89 f. In diese Richtung etwa Beulke (Verteidigung) 88 ff.; und Beulke 175; dazu ausführlich und kritisch Bottke ZStW 96 (1984) 744 ff. Auch Krey I 539 ff. leitet aus der Organtheorie Beschränkungen ab; ähnlich wohl auch OLG Hamburg NJW 1998 621, 622. So im Ergebnis auch Bottke ZStW 96 (1984) 739 ff., der ohne Rückgriff auf die Organtheorie oder eine der Gegentheorien die Wahrheitspflicht bejaht; ähnlich auch Paulus NStZ 1993 311; vgl. auch Schlüchter 101; Gössel ZStW 94 (1982) 8 ff.

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Einzelheiten Lüderssen FS Dünnebier 263 ff.; siehe auch die Erl. LR/Lüderssen 25 Vor § 137; zustimmend Scholderer StV 1993 229; krit. (ausführlich) Dornach 88 f. So vor allem AK/Stern Vor § 137, 24 m.w.N.; ferner Ostendorf NJW 1978 1349; umf. Nachw. bei Dornach 65 ff. So etwa die Thesen zur Strafverteidigung des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer (1982); dazu Rieß ebd. Geleitwort, S. 1. Beulke (Verteidigung) 88 ff.; Bottke ZStW 96 (1984) 744 ff.

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notwendig verbunden sind, sondern die lediglich die Bezeichnung nahe legt. Eine ins einzelne gehende Begründung dieser Auffassung ist an dieser Stelle nicht möglich; mehr stichwortartig ist auf folgendes hinzuweisen: Die Vertragstheorie kann viele Regelungen des geltenden Rechts, namentlich (aber nicht nur) das Institut der notwendigen Verteidigung und die Position des bestellten Verteidigers, nur unter erheblichen konstruktiven Schwierigkeiten bewältigen. Indem sie den Verteidiger an den Willen des Beschuldigten bindet und damit seine Unabhängigkeit auch diesem gegenüber reduziert, berücksichtigt sie nicht ausreichend, dass gerade das generelle und strukturelle Autonomiedefizit des Beschuldigten, das durch den Zustand des gegenwärtigen Rechts bedingt ist, die formelle Verteidigung in erheblichem Umfang mit legitimiert. Vor allem aber machen Interessenund Vertragstheorie nicht hinreichend deutlich, dass die Mitwirkung eines Verteidigers nicht nur eine dem Beschuldigten gegenüber eingeräumte Rechtswohltat darstellt, sondern ein Essential eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens ist, von dem die Wiederherstellung des Rechtsfriedens als Ziel des Strafverfahrens entscheidend mit abhängt.

V. Der Verletzte 1. Allgemeines. Hinweise Die Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren ist nicht einheitlich geregelt, auch 111 wenn die neuere Rechtsentwicklung eine Tendenz zeigt, sich den damit zusammenhängenden Fragen näher zu befassen, vgl. Rn. F 125, 155. Im 5. Buch der StPO (§§ 374 bis 406h, Beteiligung des Verletzten am Verfahren) sind eine Reihe von verschiedenen, selbständigen Rechtsinstituten und Beteiligungsformen näher bestimmt. Darüber hinaus erscheint der Verletzte auch in anderen Regelungszuammenhängen ausdrücklich teilweise als Begünstigter; 397 teilweise knüpfen sich an die Eigenschaft als Verletzter andere Rechtsfolgen.398 Die Verletzteneigenschaft kann ferner, auch wenn das Gesetz sie nicht ausdrücklich hervorhebt, erhebliche, vor allem faktische Auswirkungen auf seine Stellung als Zeuge 399 oder als Empfänger einer im Prozessrecht 400 oder im materiellen Strafrecht 401 vorgesehenen Wiedergutmachungsleistung haben. Diese unterschiedlichen Regelungen sind im Einzelnen bei den jeweiligen Vorschriften 112 erläutert; hierauf wird wegen aller Einzelheiten verwiesen. Zusammenfassende und übergreifende Darstellungen finden sich namentlich zu den Befugnissen des Verletzten im Klageerzwingungsverfahren bei den Erl. zu § 172 StPO,402 zum Verletzten im Allgemeinen in den Vorbem. zum 5. Buch der StPO sowie zu den aus der Verletztenstellung erwachsenden Rechtsinstituten der Privatklage, der Nebenklage, des Adhäsionsverfahrens und der allgemeinen Verletztenbefugnisse in den Vorbem. zu den jeweiligen Abschnitten des 5. Buches der StPO.

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S. u.a. § 111e Abs. 3, 4; § 111g Abs. 1, 3 Satz 1; §§ 111h, 111i, 111k, § 171 Satz 2; §§ 172 ff. StPO; §§ 171b, 175 Abs. 2 Satz 2 GVG. S. u.a. §§ 22, 61 Nr. 2, § 372 Nr. 4; §§ 471, 472, 472a, 473 Abs. 1 Satz 2, 3 StPO. S. näher unten Rn. 128.

400 401

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§ 153a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO. Z.B. §§ 46a, 56b Abs. 2 Nr. 1 StGB; s. jetzt auch (darüber hinausgehend) das zivilrechtliche Opferanspruchssicherungsgesetz vom 8.5.1998 (BGBl. I S. 905), dazu oben Rn. F 155. LR/K. Schäfer 24 Einl. 48 bis 98.

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2. Entwicklung

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Rechtsgeschichtlich ist die Entwicklung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren wechselhaft verlaufen.403 Während er im altdeutschen Verfahren als Träger der Strafverfolgungs- und Anklagefunktion eine zentrale Rolle innehatte, ist er im Zuge des Übergangs der Strafverfolgungslast auf den Staat allmählich zurückgedrängt und im Inquisitionsprozess, von wenigen Ausnahmefällen abgesehen, als selbständiger Prozessbeteiligter fast gänzlich aus dem Verfahren eliminiert worden. Anders als bei der Stellung des Beschuldigten (s. Rn. 6 ff.) hat hieran zunächst auch der reformierte Strafprozess ebenso wenig Durchgreifendes geändert wie die Reichsstrafprozessordnung in der Fassung von 1877. Diese hat zwar dem Verletzten in verschiedenen selbständigen Prozessrollen, etwa als Privatkläger, Nebenkläger, Antragsteller im Klageerzwingungsverfahren oder Strafantragsberechtigter bestimmte Befugnisse und Rechtspositionen verliehen; 404 doch geschah dies unkoordiniert, ohne grundsätzliche Reflexion über seine Position im Strafverfahren, in Anknüpfung an historische Reminiszenzen oder in Form von gesetzgeberischen Augenblicksentscheidungen.405 Daran hat sich in der Entwicklung des Strafverfahrensrechts nach 1879 zunächst und 114 trotz der Einführung des Adhäsionsverfahrens im Jahre 1943 406, nur wenig geändert. Der Verletzte blieb in eine Randposition abgedrängt. Die rechtspolitische und dogmatische Diskussion über seine Stellung verzettelte sich in untergeordneten Detailfragen zu den verschiedenen Institutionen des geltenden Rechts,407 die ihrerseits teilweise, wie etwa die Privatklage, in der Rechtswirklichkeit einem Funktionswandel dahingehend unterlagen, dass aus dem Strafverfolgungsprivileg eine kaum zumutbare Strafverfolgungslast des Verletzten wurde.408 Teilweise erschien (und erscheint) der Verletzte als ein „homo suspectus“, dessen Objektivität und Wahrheitsliebe gefährdet erscheint, so dass das Gesetz mit dieser Eigenschaft Ausschließungsgründe (§ 22 Nr. 2 bis 4 StPO) und die Möglichkeit des Absehens von der Vereidigung (§ 61 Nr. 2 StPO) verbindet; teilweise, so im Klageerzwingungsverfahren (§ 172 ff. StPO), wird sein Genugtuungsinteresse zur Sicherung des Legalitätsprinzips instrumentalisiert oder es wird das „Privatklageprivileg“ als Mittel der Justizentlastung verwendet.409 Erst in den letzten drei Jahrzehnten hat sich, parallel zu internationalen Entwick115 lungen,410 und mit anknüpfend an die als Teilbereich der Kriminologie sich entwickelnde Viktimologie,411 auch im deutschen Strafverfahren eine neue Betrachtungsweise durchgesetzt; die den Verletzten nicht nur in prozessualen Einzelpositionen ins Blickfeld nimmt, sondern sich um eine Gesamtbetrachtung seiner Interessen und Funktionen im Verfahren bemüht. Teilweise (und wohl überzogen) wird darin ein Paradigmawechsel

403

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Dazu ausführlich m.w.N. Weigend (Deliktsopfer) 28 ff. (zusammenfassend S. 167 ff.); ferner Henkel 185 f.; Jung ZStW 93 (1981) 1148. Vgl. Rieß (Gutachten) 10 ff. Weigend (Deliktsopfer) 544 f. S. näher Entstehungsgeschichte und Erl. Vor § 403. Rieß (Gutachten) 1; 57; s. auch KK/Pfeiffer Einl. 91a. Rieß (Gutachten) 21 ff. S. dazu u.a. Rieß (Gutachten) 23 f.; ferner die Erl. Vor § 374.

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410 411

Dazu näher LR/Hilger 25 Vorbem. zum 5. Buch StPO, 25; Jung (Vergleich) 210. Beginnend mit dem ersten internationalen Symposium für Viktimologie in Jerusalem 1973 und den daraus folgenden, regelmäßig im Dreijahresrhythmus veranstalteten viktimologischen Weltkongressen, vgl. H. J. Schneider Das Verbrechensopfer in der Strafrechtspflege (1979, 1982); Miyazawa/ Ohta (1982); Kirchhoff/Sessar (1979); H. J. Schneider Viktimologie (1975); Kühne Strafprozessuale Opferrechte (1988); Weigend (Deliktsopfer) 380 ff.

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von einer täterzentrierten zu einer opferzentrierten Betrachtungsweise gesehen.412 Einen ersten gesetzgeberischen Niederschlag hat diese Entwicklung Ende 1986 durch die Regelungen des Opferschutzgesetzes 413 gefunden, die, allerdings unter Anknüpfung an die vorhandenen Strukturen der Verletztenbeteiligung im geltenden Recht, eine Neubestimmung der verfahrensrechtlichen Positionen des Verletzten herbeigeführt und erstmals in einem besonderen Abschnitt Vorschriften über die allgemeinen Befugnisse des Verletzten 414 getroffen haben. Die Bewertung dieser Neukonzeption im Schrifttum ist umstritten,415 doch dürften sich in der seitherigen Entwicklung die Befürchtungen einer substantiellen Schwächung der Verteidigungsmöglichkeiten des Beschuldigten 416 nicht bestätigt haben.417 Das hat den Gesetzgeber ermutigt, mit Gesetz vom 24.6.2004 418 die Opferposition strafverfahrensrechtlich weiter auszubauen. Während das Opferschutzgesetz in erster Linie die verfahrensrechtliche Stellung des 116 Verletzten neu bestimmt hat und dabei, ungeachtet gewisser Ansätze zur Fortentwicklung und Präzisierung und unbeschadet fortbestehender systematischer Brüche und Unzulänglichkeiten, wohl eine für längere Zeit tragfähige Grundlage geschaffen haben dürfte,419 konzentriert sich die gegenwärtige rechtspolitische Diskussion stärker auf die in erster Linie aus der Sicht des materiellen Strafrechts zu beurteilende Frage des Täter-Opfer-Ausgleichs und der Wiedergutmachung als eine die Strafe als Sanktion teilweise ersetzende Rechtsfolge der Tat.420 Das Opferrechtsreformgesetz von 2004 hat den Täter-Opfer-Ausgleich auch prozessual implementiert, die Zeugenrolle des Opfers schützend ausgestaltet und das Adhäsionsverfahren attraktiver und anwendungsfreundlicher geformt. Ob allerdings dadurch Adhäsionsverfahren im Interesse der Opfer häufiger stattfinden werden, mag angesichts der dieser Verfahrensart immanenten Probleme 421 bezweifelt werden. 3. Begriff und Stellung des Verletzten im Überblick a) Ein einheitlicher Verletztenbegriff liegt der StPO nicht zugrunde; der Gesetzgeber 117 hat auch im OpferschutzG bewusst von einer Begriffsbestimmung abgesehen.422 Wer als Verletzten anzusehen ist, richtet sich vielmehr nach den jeweiligen Funktionszusammen412

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Schünemann NStZ 1986 193 ff. mit krit. Grundhaltung; gegen diese u.a. Krey II 138; zum Ganzen auch AK/Rössner Vor § 374, 12 ff. Näher mit Nachw. Rn. E 125 f.; sowie die Entstehungsgeschichte zum 5. Buch StPO; vgl. auch Rieß Jura 1987 283 f. § 406d bis 406h StPO; s. im einzelnen die dort Erl. Scharf ablehnend vor allem Schünemann NStZ 1986 193 ff.; Vorbehalte auch bei KMR/Stöckel Vor § 406d, 3; Ranft 2460; Roxin Vor § 60, 2; Rüping 144; dagegen u.a. AK/Schöch Vor § 406 d, 20; Krey II 136 ff.; Schroeder 346. So etwa Kempf StV 1987 215; Schlothauer StV 1987 356 ff. AK/Rössner Vor § 374, 89; AK/Schöch Vor § 406d, 20 mit Nachw. BGBl. I S. 1354.

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Näher (auch mit Nachw. weiterer Reformvorschläge) Vorbem. zum 5. Buch StPO sowie die Erl. zu den einzelnen Institutionen der Verletztenbeteiligung; teilweise erweiternde Änderungen (Neufassung des § 397a) im Zeugenschutzgesetz (s. Rn. F 155); teilweise grundsätzlich abweichende Konzeption jetzt bei Nelles/Oberlies. S. dazu Vorbem. zu 5. Buch StPO, 21 ff.; ferner u.a. m.w.N. AK/Rössner Vor § 374, 4 f., 13; Dölling JZ 1992 493 ff.; Roxin FS Baumann 243 ff. Vgl. dazu Kühne 1136; Hilger GA 2004 478 sowie die Erl. zu §§ 403 ff. Vgl. BTDrucks. 10 5305 S. 16; s. näher mit Nachw. LR/Hilger 25 Vorbem. zum 5. Buch StPO, 15 ff.; zur abweichenden Situation im französischen Recht Jung (Vergleich) 213 ff.; Kühne 1222.

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Einleitung

hängen, in denen die ihn betreffenden Regelungen stehen. Soweit die Verletzteneigenschaft zur Ausschließung oder zur Möglichkeit des Absehens von der Vereidigung führt (§§ 22, 61 Nr. 2 StPO), ist von der Funktion dieser Vorschriften her ein spezifischer Verletztenbegriff angebracht; wegen der Einzelheiten wird auf die Erläuterungen zu diesen Vorschriften verwiesen.423 Bei den Regelungen, die dem Verletzten eine eigene Handlungsmacht einräumen, also namentlich in den Fällen des § 172 und der §§ 406d ff. StPO, dürfte der Inhalt des Verletztenbegriffs weitgehend deckungsgleich sein;424 ob er identisch ist, ist umstritten.425 Verletzter ist danach, wer vom Schutzbereich einer zumindest mitverletzten Strafrechtsnorm derart erfasst wird, dass diese wenigstens auch seine rechtlich anerkannten Interessen schützt. Wer durch die Straftat nur als Mitglied der Rechtsgemeinschaft betroffen ist, ist nicht Verletzter im Sinne dieser Vorschriften. Wegen der Einzelheiten der Abgrenzung wird auf die Erläuterungen zu den einzelnen Vorschriften verwiesen.426

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b) Beziehungen zum Beschuldigten. Bis zur Rechtskraft des Urteils ist es, schon als Konsequenz der für den Beschuldigten streitenden Unschuldsvermutung (Rn. 74 ff.), ungewiss, ob der die Verletztenbefugnisse in Anspruch nehmende Prozessbeteiligte wirklich verletzt ist. Die verfahrensrechtlichen Befugnisse betreffen daher stets nur einen möglicherweise Verletzten; 427 erst das an die rechtskräftige Schuldfeststellung anknüpfende materielle Strafrecht kann von einer statischen und feststehenden Verletztenposition ausgehen.428 Dieses vielfach vorgegebene Spannungsverhältnis zwischen den Interessen des Beschuldigten und des (potentiellen) Verletzten ist auch bei der Auslegung und Anwendung der einzelnen, den Verletzten begünstigenden Vorschriften zu berücksichtigen. Grundsätzlich darf die gesicherte Position des Beschuldigten, die seine materielle Verteidigung (Rn. 101) gewährleistet, durch die Befugnisse und Handlungsmöglichkeiten des Verletzten nicht unvertretbar beeinträchtigt werden, auch wenn faktische Veränderungen der früheren Situation, die teilweise durch eine unzureichende Berücksichtigung der Verletzteninteressen gekennzeichnet war, in gewissem Umfang hinzunehmen sind.429 Sowohl bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Vorschriften durch den Gesetzgeber als auch bei ihrer Anwendung im Einzelfall haben grundsätzlich die legitimen Beschuldigteninteressen an einer effektiven Verteidigungsmöglichkeit einen höheren Stellenwert als die Interessen des Verletzten.430 Es besteht insbesondere (im Offizialverfahren) kein Bedürfnis, die Anklagerolle durch die Gewährung umfassender Beteiligungsbefugnisse des Verletzten im gerichtlichen Verfahren doppelt zu besetzen. Gleichwohl ist den psychologischen Bedürfnissen des Opfers auch prozessual zu entsprechen, insbesondere muss die Ausgestaltung seiner Position ihm auch emotional die Erkenntnis ermöglichen, dass er nicht bloßes Objekt der Informationsgewinnung, sondern zentrale Verfahrensperson ist, in deren Interesse (auch) der Prozess stattfindet.

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Näher m.w.N. LR/Wendisch 25 § 22, 7; LR/Dahs 25 § 61, 7 ff. Näher LR/Hilger 25 Vorbem. zum 5. Buch StPO, 4, 18; ferner AK/Schöch Vor § 406d, 9; Krey II 154. So OLG Koblenz StV 1988 332 mit Anm. Schlothauer; Meyer-Goßner Vor § 406d, 2; Beulke 602 (Fn. 422); Krey II 154; kritisch KMR/Stöckel Vor § 406d, 10.

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S. dazu ausführlich die Erl. zu § 172 StPO; ferner Vorbem. zum 5. Buch StPO. Rieß (Gutachten) 69; vgl. auch Hammerstein 7; Jung ZStW 93 (1981) 1149; Schünemann NStZ 1986 197 f. Rieß (Gutachten) 72. Insoweit a.A. (und zu rigoros) Rieß (Gutachten) 71. Rieß (Gutachten) 71.

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c) Berechtigte Verfahrensinteressen des Verletzten. Wegen des heutigen Verständnisses 119 von Strafrecht als einer öffentlichen Aufgabe der Rechtsgemeinschaft rechtfertigt ein Genugtuungsinteresse eine verfahrensrechtliche Sonderstellung des Verletzten in eher geringem Umfang. Es ist freilich nicht gänzlich bedeutungslos, weil sich gerade in ihm die Rechtsgutverletzung „personalisiert“; eine ihm zukommende Sonderstellung im Verfahren lässt sich mit allen derzeit anerkannten Strafzwecken vereinbaren und dürfte auch zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens als Verfahrensziel (Rn. B 4) beitragen können.431 Diese Aktivrolle des Verletzten findet eher selten in Klageerzwingungsverfahren (§§ 172 ff. StPO) sowie in der Privatklage,432 oder der Nebenklage, ihren Niederschlag. Praktisch bedeutsamer sind hingegen die Ausgestaltung der Zeugenposition, die Informationsrechte und die Möglichkeit – auch auf Staatskosten – einen Rechtsanwalt zur Seite haben zu können. Stärkere gesetzliche Anerkennung verdient allerdings das Abwehrinteresse des Ver- 120 letzten, sich aus einer gesicherten Rechtsposition heraus gegen unberechtigte Verantwortungszuweisungen durch den Beschuldigten wehren zu können,433 das mit der durch das Opferschutzgesetz neu gestalteten Nebenklage 434 sowie den im Vorfeld ihr zugeordneten Befugnissen 435 in erster Linie befriedigt wird. Auch die dem Zeugenschutz dienenden Vorschriften 436 kommen dem Verletzten insoweit zugute, als er typischerweise als Belastungszeuge in der Zeugenrolle auftreten muss. Anzuerkennen ist schließlich auch die strafprozessuale Berücksichtigung des materiellen Wiedergutmachungsinteresses des Verletzten jedenfalls insoweit, als dieses durch Strafrecht und Strafverfahren nicht beeinträchtigt, sondern möglichst gefördert werden sollte.437 Ausprägungen dieses Grundsatzes 438 sind neben dem sog. Adhäsionsverfahren (§§ 403 bis 406c StPO) die verschiedenen verstreuten Möglichkeiten des materiellen Strafrechts und des Prozessrechts, die Schadenswiedergutmachung zu prämieren,439 dem Verletzten den Zugriff auf sichergestellte Gegenstände zu erleichtern 440 oder die die Leistungsfähigkeit des Verurteilten beeinträchtigenden Auswirkungen der strafrechtlichen Sanktion im Interesse des Verletzten zu verringern.441 431

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Näher z.B. Rieß (Gutachten) 66; Jura 1987 284; Odersky 32; zurückhaltend Weigend (Deliktsopfer) 408 ff.; kritisch Schünemann NStZ 1986, 197; s. auch Schöch NStZ 1984 387 f. Zur in der Rechtswirklichkeit ganz dominierenden Entlastungswirkung s. die Vorbem. zum Privatklageverfahren m.w.N. Vgl. Vorbem. zum 5. Buch StPO, 9, 13; Rieß (Gutachten) 70; krit. Schünemann NStZ 1986 197 f. (soweit daraus die Zubilligung von „Offensivrechten“ hergeleitet wird). Vgl. zu den Veränderungen die Nebenklage und ihrer dadurch eingetretenen neuen Legitimation u.a. Rieß Jura 1987 286 f. Die im Schrifttum teilweise (so Roxin § 62, 7) vertretene Auffassung, die Nebenklage sei lediglich erweitert worden und diene dem Genugtuungs- und Vergeltungsinteresse, sowie die daran geknüpften verfassungsrechtlichen Vorbehalte werden der neuen Rechtslage nicht gerecht. So namentlich § 406g StPO; s. die dort. Erl.

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Z.B. §§ 68, 68a; 68b; 247a StPO; näher die dort. Erl.; s. auch Hammerstein 16 und unter Rn. 127 ff. Eine umfassendere Konzeption der Wiedergutmachungsinteressen des Verletzten als Bestandteil einer „dritten Spur“ im Sanktionensystem verfolgt beispielsweise der AE-Wiedergutmachung; dazu u.a. AK/ Rössner Vor § 374, 13; Roxin Vor § 61, 3; krit. u. a. Hirsch ZStW 102 (1990) 534; Loos ZRP 1993 31 ff. Näher LR/Hilger 25 Vorbem. zum 5. Buch StPO, 23. Vgl. z.B. § 153a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO; § 46 Abs. 2 a.E.; § 46a StGB. Vgl. § 111e Abs. 3, §§ 111g, 111h, 111i, 111k StPO; s. jetzt auch die dem gleichen Ziel dienende zivilrechtliche Regelung durch das Opferanspruchssicherungsgesetz (Rn. F 155); dazu auch Nowotsch NJW 1998 1831 ff.; Silverman JZ 1998 552 ff. (auch rechtsvergleichend). Vgl. § 459a Abs. 1 S. 2 StPO.

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Einleitung

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Die unterschiedlichen legitimen Verletzteninteressen, die – mit verschiedenem Gewicht – seine Verfahrensbeteiligung rechtfertigen, lassen sich den mit der Verletztenstellung verbundenen unterschiedlichen Rechtsinstituten des geltenden Rechts, deren Beibehaltung teilweise rechtspolitisch nicht unumstritten ist,442 nicht trennscharf und eindeutig zuordnen. Auch die durch das OpferschutzG sowie das Opferrechtsreformgesetz neu geschaffenen bzw. weiter ausgestalteten allgemeinen Verletztenbefugnisse (§§ 406d bis 406h StPO) ermöglichen dem Verletzten die Wahrnehmung unterschiedlicher Interessen. Sie gewährleisten ihm im wesentlichen Informationsbefugnisse (§§ 406d, 406e und 406h StPO) und, insofern strukturell in gewissem Umfang vergleichbar mit § 137 StPO, die Möglichkeit fachkundigen Beistandes (§§ 406f, 406g StPO).

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d) Verletzter als Prozesssubjekt? Der durch OpferschutzG und Opferrechtsreformgesetz erreichte Rechtszustand dürfte es rechtfertigen, entgegen der früher überwiegend vertretenen Auffassung 443 den Verletzten in dieser Eigenschaft, also nicht nur in seiner Rolle als Privatkläger oder Nebenkläger, für die dies allgemein anerkannt ist, als Prozesssubjekt im Sinne des hier verwendeten Begriffs, Rn. 3, anzusehen.444 Denn die Summe der ihn begünstigenden gesetzlichen Regelungen verleiht ihm die rechtlich anerkannte Möglichkeit, nicht nur im Klageerzwingungsverfahren, sondern auch durch die Wahrnehmung seiner sonstigen Befugnisse, auf das Verfahrensergebnis gestaltend einzuwirken; selbst wenn dies nur aus einer Defensivposition heraus geschieht. Allerdings ist der Verletzte, anders als etwa der Beschuldigte, oder im gerichtlichen Erkenntnisverfahren der Kläger, kein notwendiges Prozesssubjekt. Nicht nur bei Tatvorwürfen, die nur die Allgemeinheit betreffen, also „opferlos“ sind, kommt dem Prozesssubjekt „Verletzter“ keine Bedeutung zu, sondern auch dann, wenn er von seinen Befugnissen keinen Gebrauch macht, dies selbst dann, wenn er in der Zeugenrolle am Verfahren beteiligt ist. Es liegt also in der Hand des Verletzten selbst, ob und in welchem Umfang er seine Position als Prozesssubjekt aktiviert. 4. Umgang mit dem Verletzten

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Unabhängig von den rechtlichen Regelungen, die die Verletztenposition in unterschiedlicher Weise konkretisieren, ist heute unbestritten, wenn es auch in der Praxis möglicherweise nicht immer beachtet wird, dass ihm im konkreten Strafverfahren mit besonderer Rücksicht und mit besonderem Einfühlungsvermögen begegnet werden sollte.445 Die gerichtliche Fürsorgepflicht (vgl. Rn. I 121 ff.) kann gerade ihm gegenüber einen kompensatorischen Ausgleich von Benachteiligungen und Belastungen erfordern, weil

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Für eine allgemeine, einheitliche Verletztenbeteiligung unter Beseitigung der Privatklage und des Adhäsionsverfahrens und unter wesentlicher Reduktion der aus der Nebenklage entspringenden Befugnisse beispielsweise Weigend (Deliktsopfer) zusammenfassend 547 f.; in ähnliche Richtung auch Rieß (Gutachten) 213 ff. LR/K. Schäfer 24 Einl. 9 6; Henkel 186; Eb. Schmidt I 80 m.w.N. Ebenso u.a. LR/Hilger 25 Vorbem. 5. Buch, 8 a.E. (im weiteren Sinne); AK/Schöch Vor § 406d, 8; Krey II 136, 143; ähnlich

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(Prozeßbeteiligter mit selbständigen Verfahrensrechten) u.a. KK/Engelhardt Vor § 406d, 2; Pfeiffer Vor § 406d, 1; Beulke 602; Schäfer 1247; krit. Weigend (Deliktsopfer) 432f., 503 und NJW 1987 1170; Schünemann NStZ 1986 198. Vgl. dazu Nr. 4c, 19a, 130 Abs. 2, 131a RiStBV; Odersky 34 f.; s. auch Weigend (Deliktsopfer) 403 ff. (mit empirischen Hinweisen zu den Opferinteressen); 437 ff. (zu den Möglichkeiten des Opferschutzes und der Opferhilfe).

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Verfahrensbeteiligte

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seine formelle Rechtsposition (notwendigerweise) nicht die Sicherungen und Gewährleistungen enthalten kann, die für den Beschuldigten gelten. Bei der Behandlung des Verletzten im Verfahren sind daher namentlich von den Strafverfolgungsbehörden und dem Gericht im Rahmen der rechtlichen Handlungsspielräume diejenigen organisatorischen Möglichkeiten zu nutzen und gegebenenfalls zu schaffen, durch die der Gefahr entgegengewirkt werden kann, dass der Verletzte das Strafverfahren als eine nochmalige Verletzung, als eine „sekundäre Viktimisierung“ empfindet.446 Noch nicht restlos geklärt ist, in welchem Umfang den Strafverfolgungsbehörden, ins- 124 besondere der Staatsanwaltschaft eine Amtspflicht obliegt, bei ihrer Tätigkeit die Interessen des Verletzten zu berücksichtigen, und ob und wieweit bei deren Verletzung Ansprüche nach § 839 BGB begründet sein können.447 Die Rechtsprechung der Zivilgerichte lehnt eine solche, den Verletzten begünstigende Drittbezogenheit einer bloßen Amtspflicht zur Strafverfolgung grundsätzlich ab.448 Anders soll allenfalls dann gelten, wenn in einem bereits laufenden Ermittlungsverfahren konkrete Schutzpflichten gegenüber dem Verletzten verletzt werden.449 Solche konkreten Schutzaufgaben zugunsten des Verletzten können sich namentlich aus den diesem gegenüber, wenn auch weitgehend als Sollvorschriften, bestehenden Informations- und Sicherstellungspflichten ergeben, so etwa in den Fällen der §§ 111e Abs. 3, 111c, 111k, 406h StPO. Im Übrigen und hiervon abgesehen bietet aus strafprozessualer Sicht die Neubestimmung der Verletztenstellung durch die neuere Rechtsentwicklung keinen Grund, die hier nicht näher zu behandelnden Fragen der Amtspflichtverletzung gegenüber dem Verletzten abweichend von der früheren Rechtslage zu beurteilen.450

VI. Zeugen und Sachverständige 1. Allgemeines. Hinweise Zeugen und Sachverständige sind als Träger des Personalbeweises Beweismittel und 125 keine Prozesssubjekte; sie erfüllen mit ihrer Aussage oder mit ihren Gutachten grundsätzlich eine, erforderlichenfalls mit Zwangsmitteln durchsetzbare staatsbürgerliche Pflicht.451 Als Verfahrensbeteiligte (Rn. 6) sind sie jedoch keine bloßen Objekte des Strafverfahrens, sondern Träger von Befugnissen und Rechten.452 Ihre Pflichten sind durch das Gesetz begrenzt; sie haben ferner Anspruch auf Entschädigung für ihren Zeitaufwand und ihre Unkosten .453 Soweit sie von gerichtlichen Entscheidungen betroffen sind, sind sie beschwerdebefugt (§ 304 Abs. 2 StPO). Ihnen stehen die Grundrechte zu, auf die sich jeder

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Dazu u.a. mit konkreten Vorschlägen die Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes bei Kintzi DRiZ 1998 68 f.; zur besonderen Situation von Kindern als Opfer von sexuellen Mißbrauchsverfahren, die in der neueren Diskussion starke Bedeutung gefunden hat, s. mit umf. Nachw. die Monographie von Kaiser (1991); s. auch mit empirischen Ergebnissen Busse/Volbert/ Steller (1996). Dazu näher m.w.N. u.a. Hörstel MDR 1994 633; Vogel NJW 1996 3401; vgl. auch Staudinger/Schäfer 12 § 839, 560; Steffen

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DRiZ 1972 153; ausführlich: Thode DRiZ 2002 471. RGZ 108 249; 154 266; BGHZ NJW 1996 2373; OLG Düsseldorf NJW 1996 530 mit Aufs. Hörstel NJW 1996 497. BGH NJW 1996 2373. A.A. wohl teilweise Vogel NJW 1996 3402. S. näher Rn. 5; SK/Rogall Vor § 48, 9 f. Dazu ausführlich mit umf. Nachw. SK/Rogall Vor § 48, 66 bis 120; vgl. auch Nelles NJ 1998 449. Näher die Erl. zu § 71.

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Staatsbürger gegenüber der staatlichen Gewalt berufen kann.454 Die gerichtliche und staatsanwaltschaftliche Fürsorgepflicht (Rn. I 126 ff.) ist auch ihnen gegenüber zu erfüllen. Die allgemeinen Abgrenzungskriterien sowie ihre Pflichten und Rechte im Einzelnen sind bei den Vorschriften des 6. und 7. Abschnittes des ersten Buches der StPO näher erläutert; hierauf wird verwiesen.455 Nachfolgend werden lediglich einige Grundsätze und übergreifende Gesichtspunkte kurz erörtert. 2. Zeugen

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Sie haben die allgemeine staatsbürgerliche Pflicht, in einem nicht gegen sie gerichteten Strafverfahren Auskunft über Wahrnehmungen zu geben.456 Obwohl wissenschaftlich die Bedeutung des Zeugenbeweises seit langer Zeit überaus kritisch gesehen wird,457 dominiert er in der forensischen Praxis als „bequemer“ Beweis. Im Einzelnen sind Zeugen zum Erscheinen vor Gericht und Staatsanwaltschaft, zur wahrheitsgemäßen Aussage und gegebenenfalls zur Beeidigung oder zur Bekräftigung der Wahrheit verpflichtet. Die Zeugeneigenschaft kann mit anderen Prozessrollen unvereinbar sein, so mit der des Beschuldigten, des Richters und (teilw. umstritten) des Staatsanwalts.458 Im Übrigen kennt das Gesetz keine generelle, an bestimmte allgemeine Eigenschaften anknüpfende Zeugnisunfähigkeit; es genügt (ist aber auch erforderlich) die nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilende Aussagetüchtigkeit.459 Die Aussage- und gegebenenfalls auch die Eidespflicht (nicht aber die Befugnis zur Aussage) entfällt nach den gesetzlichen Vorschriften, die im Strafverfahren enger als in den anderen Verfahrensordnungen 460 sind, in den im Gesetz geregelten Fällen der §§ 52 (Angehörigeneigenschaft), 53, 53a StPO (Berufsgeheimnisträger und ihre Gehilfen) und als Konsequenzen des nemo-teneturGrundsatzes (Rn. 96) nach § 55 StPO (Gefahr der Selbstbelastung); sie darf bei Angehörigen des öffentlichen Dienstes gemäß § 54 StPO nur aufgrund einer Aussagegenehmigung erfüllt werden. In besonders gelagerten, engen Ausnahmefällen kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Auskunftsverweigerungsrecht unmittelbar aus der Verfassung ergeben,461 und aus dem Anspruch auf Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit kann sich, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise begegnet werden kann, die Unzulässigkeit ergeben, die Aussage mit Zwangsmitteln durchzusetzen.462 Die Notwendigkeit des Zeugenschutzes folgt aus der staatlichen Schutzpflicht gegen127 über Beeinträchtigungen des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit, aus der Pflicht zur Achtung der Persönlichkeit sowie aus der gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen

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SK/Rogall Vor § 48, 67; näher zu den allgemeinen Zeugenrechten s. LR/Dahs 25 Vor § 48, 8. Zur Problematik des Kronzeugen s. auch die Erl. im Anh. zu § 153e. S. näher LR/Dahs 25 Vor § 48, 6 ff. Schon Adolf Wach nannte den Zeugenbeweis „den nach Kenntnis jedes Erfahrenen schlechtesten Beweis“ (zitiert in H. W. Schmitz, Zeugen und Polizei, BKA Forschungsreihe Bd. 9, 1978 S. 550); vgl. auch Kühne NStZ 1985 252; Hengesch ZStW 101 (1989) 611. S. näher LR/Dahs 25 Vor § 48, 23 ff.

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Näher LR/Dahs 25 Vor § 48, 23; vgl. auch SK/Rogall Vor § 48, 30 ff. ; Kühne 802. Vgl. z.B. § 384 Nr. 2, 3 ZPO. BVerfGE 33 374, 375; 38 312, 321; 44 353, 374; allerdings hat es bisher keinen Fall gegeben, in dem diese Möglichkeit tatsächlich auch eingeräumt worden ist. Kritisch zur dogmatischen Konstruktion Kühne JuS 1973 685; Würtenberger JZ 1973 784. BVerfGE 57 250, 284; vgl. auch BGHSt 33 70, 84; 39 141, 143; BGH NStZ 1984 31; 1993 350; näher LR/Dahs 25 § 70, 5; SK/Rogall Vor § 48, 72.

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Fürsorgepflicht für den Zeugen. Sie umfasst mehrere Aspekte und hat in neuerer Zeit sowohl durch den Gesetzgeber 463 als auch durch Verwaltungsvorschriften und in der Rechtsprechung und Literatur besondere Aufmerksamkeit erfahren.464 Zeugenschutz bedeutet einmal, den Zeugen oder einen Angehörigen vor Nachteilen, insbesondere der Gefährdung seines Leben und seiner Gesundheit, zu schützen, die ihm durch rechtswidrige Angriffe außerhalb des Strafverfahrens drohen, um ihn von bestimmten Aussagen abzuhalten. Als Mittel des Zeugenschutzes kommen hier einmal (und wohl vorrangig) präventiv-polizeiliche Zeugenschutzprogramme in Betracht.465 Verfahrensrechtlich dienen vor allem die die Offenbarungspflicht des Zeugen einschränkenden Regelungen des § 68 StPO,466 Maßnahmen der Sitzungspolizei, die Möglichkeit des Öffentlichkeitsausschlusses (§ 172 Nr. 1a GVG), die Entfernung des Angeklagten während der Vernehmung des Zeugen nach § 247 S. 2 StPO sowie äußerstenfalls, und soweit dies faktisch möglich ist, eine Sperrung des gefährdeten Zeugen nach den §§ 54, 96 StPO, verbunden mit der Einführung seines Wissens über Verhörspersonen als Zeugen vom Hörensagen,467 dieser Form des Zeugenschutzes.468 Zeugenschutz gegenüber verfahrensimmanenten Beeinträchtigungen gegenüber Prozess- 128 handlungen anderer Prozessbeteiligter, namentlich bei ihrer Befragung oder durch die Auswirkungen des Öffentlichkeitsprinzips, bezweckt, anders als in den in Rn. 127 behandelten Fällen, in erster Linie den Schutz der Persönlichkeit und der Geheimsphäre des Zeugen 469 aber auch die Wahrung der Diskretion in einem Berufsfeld, welches dieses aus öffentlichem Interesse benötigt.470 Als in besonderem Maße, aber nicht nur, schutzbedürftig werden insoweit Verletzte, namentlich die Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung 471 sowie kindliche Zeugen, insbesondere als Opfer sexuellen Missbrauchs 472 angesehen. Weitaus stärker als beim Zeugenschutz gegenüber rechts-

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Vgl. insbes. das OrgKG (Rn. F 139); sowie das Zeugenschutzgesetz (Rn. F 155); s. jetzt auch § 6 BKAG v. 7.7.1997 (BGBl. I 1650); näher die Erl. zu § 68 sowie zu § 96 (zu den Fragen der Sperrerklärung für gefährdete Zeugen); neuerdings auch das Opferrechtsreformgesetz vom 24.6.2004. Zum Ganzen ausführlich SK/Rogall Vor § 48, 68 ff. S. auch die Antwort der BReg. auf eine Große Anfrage zum Thema „Zeugenschutz im Strafprozeß“, BTDrucks. 13 8156. Zur Entwicklung des Zeugenschutzgedankens in der StPO s. auch Rieß 22. Strafverteidigertag (1998). Ausführliche Behandlung der Thematik auf dem 62. DJT 1998; s. dazu u.a. Weigend (Gutachten); ferner Caesar NJW 1998 2313 ff.; Dahs NJW 1998 2332f.; Jung GA 1998 313 ff.; Fischer JZ 1998 816 ff.; Griesbaum NStZ 1998 433 ff.; Nelles NJ 1998 449 ff.; Schünemann StV 1998 391 ff. Dazu ausführlich m.w.N. SK/Rogall Vor § 48, 70 f.; Hilger FS Gössel 605; ferner die Antwort der BReg. auf eine Große Anfrage zum Thema Zeugenschutz, BTDrucks. 13 8156 S. 10 ff.; vgl. auch

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Caesar NJW 1998 2313 f.; Weigend (Gutachten) C 30 ff. Dazu rechtsvergleichend u.a. Hünerfeld ZStW 105 (1993) 396 ff.; näher die Erl. zu § 68 StPO. Näher die Erl. zu § 96 StPO. Zum Ganzen näher m.w.N. SK/Rogall Vor § 48, 74 ff.; s. auch Hilger NStZ 1992 458 f.; sowie die Antwort der BReg. BTDrucks 13 8156 S. 55 ff. Dazu ausführlich Weigend (Gutachten) C 45 ff. mit Nachw. Insbesondere die in § 53 StPO benannten Berufsgruppen. S. dazu auch die Erl. Vor § 48; ferner u.a. Weigend (Deliktsopfer) 454 ff.; Böttcher FS Kleinknecht 25 ff.; Dahs NJW 1984 1921; Rieß FS Wassermann 969 ff.; zur (faktischen) Strafzumessungsrelevanz einer aggressiven Befragung einer Verletzten s. auch Detter StraFo 1997 197. Dazu ausführlich mit umf. Nachw. Kaiser(1991); erste empirische Erkenntnisse m.w.N. Busse/Volbert/Steller(1996) zusammenfassend S. 182.

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Einleitung

widrigen Angriffen außerhalb des Strafverfahrens setzen hier die Notwendigkeiten der Wahrheitserforschung und die legitimen Verteidigungsinteressen zeugenschützenden Vorschriften ebenso Grenzen wie ihrer zeugenfreundlichen Anwendung im Einzelfall.473 Der Zeuge muss es erforderlichenfalls grundsätzlich hinnehmen, dass er auch Tatsachen offenbaren muss, die seinen persönlichen Lebensbereich oder seine Geheimsphäre betreffen oder die ihm zur Unehre gereichen; auch ein Zeugnisverweigerungsrecht steht ihm insoweit im Strafverfahren, abgesehen von extremen Ausnahmefällen 474 nicht zu.475 Allerdings sollen nach § 68a StPO solche Fragen nur im Falle ihrer Unerlässlichkeit gestellt werden. Weitere Möglichkeiten des Zeugenschutzes vor Beeinträchtigungen dieser Art enthalten § 247 S. 2, 2. Alt. StPO, die durch das Zeugenschutzgesetz (Rn. F 155) eingeführten §§ 58a, 247a und 255a StPO sowie die den Ausschluss der Öffentlichkeit ermöglichenden §§ 171b, 172 Nr. 2, 3 GVG. Eines Rechtsanwalts als Zeugenbeistand kann sich, wie das Bundesverfassungsgericht 129 entschieden hat,476 jeder Zeuge bedienen, nicht nur der in der Zeugenrolle befindliche Verletzte, bei dem dies inzwischen ausdrücklich gesetzlich geregelt ist.477 Eine gesetzliche Regelung des allgemeinen Zeugenbeistandes ist bisher unterblieben.478 In Rechtsprechung und Schrifttum ist seine Zulässigkeit im Grundsatz unumstritten. Seine zentrale Aufgabe besteht darin, den Zeugen in seiner Stellung im Verfahren zu beraten und vor Eingriffen in seine Rechte zu schützen. Deshalb ist auch die Anerkennung des Zeugenbeistandes dem Zeugenschutz zuzurechnen. Meinungsverschiedenheiten bestehen in Rechtsprechung und Schrifttum im Einzelnen über den Umfang seiner Befugnisse. Lebhaft umstritten ist auch, ob, unter welchen Voraussetzungen und auf welcher Rechtsgrundlage einem finanziell bedürftigen Zeugen – der nicht nebenklagebefugt ist, denn dann gelten §§ 406g , 397a StPO – ein Zeugenbeistand auf Kosten der Staatskasse von Amts wegen bestellt werden,479 und ob für dessen Hinzuziehung in entsprechender Anwendung der §§ 114 ff. ZPO Prozesskostenhilfe gewährt werden kann. Wegen der Einzelheiten wird auf die Darstellung in den Vorbemerkungen Vor § 48 StPO verwiesen.480 3. Der Sachverständige

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Der Sachverständige ist, auch wenn er gelegentlich als Richtergehilfe bezeichnet wird,481 wie der Zeuge persönliches Beweismittel. Seine Beweisfunktion besteht darin, spezifische Sachkunde, über die das Gericht nicht in ausreichendem Maße verfügt, zu 473

474 475 476 477 478

S. dazu auch Dahs NJW 1998 2332 f.; Fischer JZ 1998 816 ff.; Jung GA 1998 324 ff. BVerfGE 33 374; s. näher LR/Dahs 25 Vor § 48, 9; SK/Rogall Vor § 48, 94. SK/Rogall Vor § 48, 94; Böttcher FS Kleinknecht 36. BVerfGE 38 105 ff.; Einzelheiten zum Zeugenbeistand LR/Dahs 25 Vor § 48, 10 bis 15. §§ 406f, 406g; s. die dort. Erl. und oben Rn. 121. Nur einen Teilbereich regelt der durch das Zeugenschutzgesetz (Rn. F 155) eingefügte § 68b StPO, der für bestimmte Zeugen die Beiordnung eines Beistandes für die Vernehmung ermöglicht; vgl. auch BTDrucks.

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13 8156 S. 6 f. (Antwort der BReg zum Zeugenschutz). Das ist nach Auffassung des BVerfG von Verfassung wegen nicht zwingend erforderlich, BVerfGE 38 105, 116; BVerfG NStZ 1983 374 f. LR/Dahs 25 Vor § 48, 13; s. auch SK/Rogall Vor § 48, 108 ff.; vgl. auch (für den Sonderfall bestimmter nebenklagebefugter Verletzter auch in ihrer Rolle als Zeugen) die eine Beistandsbestellung auf Staatskosten ermöglichende Regelung in den durch das ZeugenschutzG (Rn. E 155) neugefaßten §§ 397a, 406g StPO und dazu die Erl. bei LR/Hilger zu diesen Vorschriften. S. die Nachweise LR/Krause 25 Vor § 72, 3.

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Verfahrensrechtliche Grundbegriffe

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übermitteln, anzuwenden oder beides zu tun. Hieraus ergibt sich zwingend, dass Rechtsfragen nicht Gegenstand eines sachverständigen Gutachtens sein können. Die Pflichten und die Befugnisse des Sachverständigen stimmen weitgehend (vgl. § 72 StPO und die dort. Erl.) mit denen des Zeugen überein. Anders als bei diesem besteht jedoch eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht, als Sachverständiger tätig zu werden, nur unter den Voraussetzungen des § 75 Abs. 1 StPO, und im Gegensatz zum Zeugen kann der Sachverständige wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Ähnlich wie beim Zeugen können auch, wenn dies auch bisher geringere praktische Bedeutung erlangt haben dürfte, Maßnahmen des Sachverständigenschutzes notwendig werden und in Betracht kommen, auch wenn nicht alle zeugenschützenden Vorschriften voll auf den Sachverständigen anwendbar sind.482 Auch die Mitwirkung eines Sachverständigenbeistandes wird man in ähnlichem Umfang wie den Zeugenbeistand für zulässig halten müssen. Die Notwendigkeit der Heranziehung eines Sachverständigen ergibt sich im Allge- 131 meinen aus den Grundsätzen der Amtsaufklärung.483 In einer Reihe von Fällen ist jedoch die Anhörung eines Sachverständigen zwingend oder jedenfalls als Sollvorschrift vorgeschrieben, teilweise wird dabei auch die Fachrichtung näher bezeichnet; so etwa nach § 81 Abs. 1 StPO (Unterbringung zur Beobachtung), § 246a StPO (Anhörung eines Arztes in der Hauptverhandlung bei zu erwartender Unterbringung) und § 454 Abs. 1 S. 5 StPO (Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe). Prinzipiell wählt das Gericht den Sachverständigen aus und bestellt ihn, § 73 StPO. In der Praxis werden Sachverständige aber weit häufiger von der Staatsanwaltschaft ausgewählt und bestellt, was § 161a StPO ermöglicht, aber sicher nicht als Regelfall konzipiert hat.484 Die Aussagen des Sachverständigen werden von Gericht wie andere Beweise auch 132 eigenständig gewürdigt, § 261 StPO. Es ist aber nicht zu verkennen, dass die Darstellung naturgesetzlicher Zusammenhänge sich jeder weiteren Würdigung entziehen. Auch bedingt es die Schwierigkeit der vom Sachverständigen vertretenen Fachdisziplin oftmals, dass dem Gericht die Fähigkeit fehlt, den Befund des Sachverständigen eigenständig und kritisch zu hinterfragen, was dann eine Würdigung nach § 261 StPO ausschlösse. Auch insoweit ist das Gericht an die Ausführungen des Sachverständigen gebunden und kann sich allenfalls über die Bestellung eines weiteren Gutachters Gründe für die Bestätigung oder Verwerfung der bestehenden Zweifel verschaffen. Der BGH hat denn auch nach anfänglich eher kontrafaktischer Annahme breitester richterlicher Kompetenz 485 begonnen, die Möglichkeiten der kritischen Würdigung von Sachverständigenäußerungen erkennbar und sachangemessen zu begrenzen.486

K. Verfahrensrechtliche Grundbegriffe Schrifttum (Auswahl) Prozesshandlungen. Amelung Rechtsschutz gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe (1976); Bindokat Zur Frage des Irrtums bei Prozeßhandlungen, NJW 1956 51; Bruns, Richard Der Begriff der Parteiprozeßhandlung, JZ 1959 204; Dencker Rechtsmittelverzicht und Rechtsmittelzurücknahme im Strafverfahren (1972); ders. Willensfehler bei Beschuldigten, Diss. Tübingen 1975; Dimi-

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So sind etwa § 247 S. 1, 2 StPO, § 171b GVG auf den Sachverständigen wohl unanwendbar. S. näher vor allem LR/Dahs 25 § 244, 71 ff.

484 485 486

Kritisch zu dieser Praxis Krauß ZStW 97 (1985) 320, 324, 331. BGHSt 8, 118. BGH NStZ 1984 278; 2000 437 und 550.

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Einleitung

trijovic Handlungsbegriff und Rechtsverhältnis im Strafprozeß, FS Peters 253; Esskandari Zum Rechtsschutz bei prozessualer Überholung (§§ 304 ff., 33a StPO) – Überlegungen im Anschluß an BVerfG, NJW 1997 2163 ff.; Gössel Überlegungen zur „Zulässigkeit“ im Strafverfahren, insbesondere im Stadium der Wiederaufnahme, GedS H. Kaufmann 977; Joachim Die Berücksichtigung von Willensmängeln bei nichtrichterlichen Prozeßhandlungen im Strafprozeß, Diss. Erlangen 1970; Kern Zur Lehre von den Prozeßhandlungen im Strafprozeß, FS Lenel 52; Lücke Betrachtungen zum Prozeßrechtsverhältnis, ZZP 108 (1995) 427; Müller Fehlerhafte prozessuale Willenserklärungen des Prozeßhandlungen, Diss. Tübingen 1975; Niemöller Bedingte Beweisanträge im Strafverfahren, JZ 1992 884; Niese Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen (1950); Paulus Beweisverbote als Prozeßhandlungshindernisse, GedS Meyer 209; Rieß/Thym Rechtsschutz gegen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, GA 1981 189; Roeder Die Begriffsmerkmale des Urteils im Strafverfahren. Ein Beitrag zur Lehre von der sog. absoluten Urteilsnichtigkeit, ZStW 79 (1967) 250; Roxin Zur richterlichen Kontrolle von Durchsuchungen und Beschlagnahmen, StV 1997 654; Schaper Studien zur Theorie und Soziologie des gerichtlichen Verfahrens (1985); Schmid, Werner Bedingte Prozeßhandlungen im Strafprozeß? GA 1982 95; ders. Über den Zugang strafprozessualer Willenserklärungen, FS Dünnebier 101; Siegert Die Prozeßhandlungen, ihr Widerruf und ihre Nachholung (1929); Wiedemann Die Korrektur strafprozessualer Entscheidungen außerhalb des Rechtsmittelverfahrens (1980); weiteres Schrifttum s. Abschnitt B und bei den §§ 98 und 304 StPO. Prozessvoraussetzungen. Arloth Verfahrenshindernis und Revisionsrecht, NJW 1985 317; Bartelsperger Einstellung des Strafverfahrens von Verfassungs wegen – Zum Strafverfahren Erich Honecker, DVBl. 1993 333; Bruns „Widerspruchsvolles“ Verhalten des Staates als neuartiges Strafverfolgungsverbot und Verfahrenshindernis, insbesondere bei tatprovozierenden Einsatz polizeilicher Lockspitzel, NStZ 1983 49; Bülow Die Lehre von den Prozeßeinreden und den Prozeßvoraussetzungen (1868); Classen Straffreiheit für DDR-Spione: Verschlungene Pfade zu einem vernünftigen Ergebnis, NStZ 1995 371; Dehn Verfahrenshindernis der völkerrechtswidrigen Entführung, Diss. Heidelberg 1993; Foth Kann die Anstiftung durch eine V-Person ein Verfahrenshindernis begründen? NJW 1984 221; Hanack Prozeßhindernis des überlangen Strafverfahrens? JZ 1971 705; Hertweck Erforderlichkeit der Hauptverhandlung trotz Verfahrenshindernis? NJW 1968 1462; Hillenkamp Offene oder verdeckte Amnestie – über Wege strafrechtlicher Vergangenheitsbewältigung, JZ 1996 179; ders. Verfahrenshindernisse von Verfassungs wegen, NJW 1989 2841; Huber Die Strafbarkeit von MfS-Spionen, Jura 1996 301; v. Kries Die Prozeßvoraussetzungen des Reichsstrafprozesses, ZStW 5 (1885) 1; Mann, D. u. U. Die Anwendbarkeit des Grundsatzes „in dubio pro reo“ auf Prozeßvoraussetzungen, ZStW 76 (1974) 264; Martin Prozeßvoraussetzungen und Revision (1974); Meurer Der Verfassungsgerichtshof und das Strafverfahren, JR 1993 89; Meyer, M-K. Zur Rechtsnatur und Funktion des Strafantrags (1984); Niese Prozeßvoraussetzungen und -hindernisse und ihre Feststellung im Strafprozeß, DRZ 1949 505; Oetker Zur Lehre von den Prozeß- und Urteilsvoraussetzungen im Strafverfahren, GS 104 (1935) 85; Paeffgen Wozu dient der Strafprozeß und inwieweit darf ein Landesverfassungsgericht in ihn intervenieren? NJ 1993 152; Rieß Verfahrenshindernisse von Verfassungs wegen? JR 1985 45; Rosenberg Beiträge zur Lehre von den Prozeßvoraussetzungen, ZStW 36 (1915) 522; Roxin, Imme Die Rechtsfolgen schwerwiegender Rechtsstaatsverstöße in der Strafrechtspflege2 (1995); Rüping Die Mitverantwortung des Staates als Strafverfolgungsverbot (1987); Scheffler Rechtsstaatswidrigkeit und Einstellung des Strafverfahrens, JZ 1992 131; Schlüchter/Duttge Spionage zugunsten des Rechtsvorgängerstaats als Herausforderung für die Strafrechtsdogmatik, NStZ 1996 457; Eb. Schmidt Revisionsgericht und Verfahrenshindernisse, JZ 1962 155; Schöneborn Die Behandlung von Verfahrenshindernissen im strafprozessualen Verfahrensgang, MDR 1975 6; Schoreit Absolutes Strafverfahrenshindernis und absolutes U-Haftverbot bei begrenzter Lebenserwartung des Angeklagten? NJW 1993 881; Schroeder Die Strafbarkeit des Ausforschung der Bundesrepublik durch die DDR. Zum Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 15.5.1995, JR 1995 441; Schumann Verfahrenshindernis beim Einsatz von V-Leuten als agents provokateurs? JZ 1986 66; Schünemann Materielle Tatverdachtsprüfung und völkerrechtswidrige Entführung als nationalstaatliche Sprengsätze im internationalen Auslieferungsverkehr, in: 140 Jahre Goltdammers Archiv (1993) 215 (Entführung); Starck Der Honecker-Beschluß des Berliner VerfGH – Anwendung von Bundesprozeßrecht durch Landgerichte unter Kontrolle der Landesverfassungsgerichte? JZ 1993 231; Sternberg-Lieben Einstellungsurteil oder Freispruch, ZStW 108

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Verfahrensrechtliche Grundbegriffe

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(1996) 721; Sulanke Die Entscheidung bei Zweifeln und das Vorhandensein von Prozeßvoraussetzungen und Prozeßhindernissen im Strafverfahren (1974); Taschke Verfahrenshindernis bei Anstiftung durch einen Lockspitzel, StV 1984 178; Többens Der Freibeweis und die Prozeßvoraussetzungen im Strafprozeß, NStZ 1982 184; Vogelgesang Verfahrenshindernis der überlangen Verfahrensdauer, NJW 1994 1845; Volk Prozeßvoraussetzungen im Strafrecht. Zum Verhältnis von materiellem Recht und Prozeßrecht (1978); ders. Übermaß und Verfahrensrecht, NStZ 1995 367; ders. Verfahrensfehler und Verfahrenshindernisse, StV 1986 34; Weiler Irreparable Verletzung des Rechts des Beschuldigten auf ein faires rechtsstaatliches Strafverfahren als Verfahrenshindernis, GA 1994 561; Widmaier DDR-Spionage und Rechtsstaat. Zur Spionageentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, NJ 1995 345; Wolfslast Staatlicher Strafanspruch und Verwirkung (1995); Wurzer Die Prozeßvoraussetzungen, Gruchot 64 (1920) 41; Zielinski Strafantrag – Strafantragsrecht, GedS H. Kaufmann 875; weiteres Schrifttum s. bei Abschnitt G und I (Beschleunigung) und bei den §§ 205, 206a StPO. Prozessgegenstand. Tat. Rechtskraft. Abel Rechtskraft und Feststellungswirkung des Strafurteils, Diss. Erlangen 1961; Achenbach Strafprozessuale Ergänzungsklage und materielle Rechtskraft, ZStW 87 (1975) 74; Barthel Der Begriff der Tat im Strafprozeßrecht, Diss. Saarbrücken 1972; Bauer Erneute Neubestimmung des prozessualen Tatbegriffs, wistra 1990 218; Bertel Die Identität der Tat (1970); Beulke/Fahl Prozessualer Tatbegriff und Wahlfeststellung – strafprozessuale Probleme bei alternativer Tatsachenfeststellung, Jura 1998 262; Bindokat Zur Frage des prozessualen Tatbegriffs, GA 1967 362; Bohnert Tatmehrheit, Verfahrensmehrheit und nachträgliche Gesamtstrafenbildung, GA 1994 97; Bruns Zur Feststellungswirkung des rechtskräftigen Strafurteils, FS Eb. Schmidt 602; Büchner Der Begriff der strafprozessualen Tat, Diss. Würzburg 1976; Busch Zum Verbrauch der Strafklage bei späterer Erkenntnis anderweitiger Tatgestaltung, ZStW 68 (1956) 3; Cording Der Strafklageverbrauch bei Dauer- und Organisationsdelikten (1993); Dallinger Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen, MDR 1969 193; ders. Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen, MDR 1972 750; Dästner Verfahrensbeschleunigung bei Großverfahren auf Kosten des Rechtskraftbegriffs? RuP 1978 219; Dedes Die Identität der „Tat“ im Strafprozeß, GA 1965 102; Detmer Der Begriff der Tat im strafprozessualen Sinn, Diss. Bonn 1989; Endriß/Kinzig Eine Straftat – zwei Strafen. Nachdenken über ein erweitertes „ne bis in idem“, StV 1997 665; Erb Die Reichweite des Strafklageverbrauchs bei Dauerdelikten und fortgesetzten Taten, GA 1994 265; Fezer §§ 129, 129a StGB und der strafprozessuale Tatbegriff, in: Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, Hamburger Ringvorlesung, Hamburger Rechtsstudien Bd. 78 (1990) 126 (Ringvorlesung); Fliedner Die verfassungsrechtlichen Grenzen mehrfacher staatlicher Bestrafung aufgrund desselben Verfahrens, AöR 99 (1974) 242; Gantzer Die Rechtskraft strafprozessualer Beschlüsse und Verfügungen, Diss. München 1967; Geppert Gedanken zur Rechtskraft und Beseitigung strafprozessualer Beschlüsse, GA 1972 165; Gillmeister Zur normativ-faktischen Bestimmung der strafprozessualen Tat, NStZ 1989 1; Grotz Das Schengener Durchführungsübereinkommen und der Grundsatz ne bis in idem, StraFo 1995 102; Grunsky Zur Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft im Strafverfahren, FS Kern 223; Grünwald Die materielle Rechtskraft im Strafverfahren, in: Deutsche strafrechtliche Landesreferate zum IX. internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Teheran 1974, Beiheft zur ZStW 86 (1974) 94; ders. Der Verbrauch der Strafklage bei Verurteilungen nach den §§ 129, 129a StGB, FS Bockelmann 737; Grützner Die zwischenstaatliche Anerkennung europäischer Strafurteile, NJW 1969 345; Helmken Strafklageverbrauch: Rechtssicherheit contra Einzelfallgerechtigkeit, MDR 1982 715; Herzberg Ne bis in idem – Zur Sperrwirkung des rechtskräftigen Strafurteils, JuS 1972 116; Herzog Die Rechtskraft strafprozessualer Beschlüsse und ihre Beseitigung, Diss. Freiburg 1971; Hollweg Das neue Internationale Tribunal der UNO und der Jugoslawienkonflikt – Testfall für die humanitäre Weltordnung, JZ 1993 980; Hruschka Der Begriff der „Tat“ im Strafverfahrensrecht, JZ 1966 700; Jung Zur „Internationalisierung“ des Grundsatzes „ne bis in idem“, FS Schüler-Springorum 493; Keetsin Liu Der Begriff der Identität der Tat (1927); Kinnen Zum verfahrensrechtlichen Begriff der Tat, MDR 1978 545; Kniebühler Transnationales ne bis in idem, Diss. Freiburg 2005; Koucsoulis Beiträge zur modernen Rechtskraftlehre (1986); Krauth Zum Umfang der Rechtskraftwirkung bei Verurteilung von Mitgliedern krimineller und terroristischer Vereinigungen, FS Kleinknecht 233; Kröpil Die Bedeutung der Tatbegriffe für den Strafklageverbrauch, DRiZ 1986 448; ders. Prozessualer Tatbegriff

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Einleitung

und Wahlfeststellung, NJW 1988 1188; Kühne Ne bis in idem in den Schengener Vertragsstaaten – Die Reichweite des Art. 54 SDÜ im deutsch-französischen Kontext, JZ 1998 876; Lagodny Teileuropäisches „ne bis in idem“ durch Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ), NStZ 1997 265; Lambrecht Strafrecht und Disziplinarrecht – Abhängigkeiten und Überschneidungen (1997); Lampe Die Durchbrechung der materiellen Rechtskraft bei Strafurteilen, GA 1968 33; Lemke Probleme der strafprozessualen Vorab- und Ergänzungsklage, ZRP 1980 141; Loos Probleme der beschränkten Sperrwirkung strafprozessualer Entscheidungen, JZ 1978 592; Marxen Der prozessuale Tatbegriff in der neueren Rechtsprechung, StV 1985 472; Meyer-Goßner Die Beseitigung materiell-rechtlich widersprüchlicher Entscheidung von Strafgerichten, FS Salger 345; Mitsch Dauerdelikt und Strafklageverbrauch, MDR 1988 1005; Neuhaus Der strafverfahrensrechtliche Tatbegriff – ne bis in idem – (1985); ders. Materielle Handlungseinheit und prozessuale Tatidentität, wistra 1988 67; ders. Der strafprozessuale Tatbegriff und seine Identität, MDR 1988 1012; 1989 213; Niemöller/Schuppert Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Strafverfahrensrecht, AöR 107 (1982) 387; Oehler Die Identität der Tat, FS Rosenfeld 139; Oehler Neue Verschiebungen beim prozessualen Tatbegriff, GedS Schröder 439; Pickert Verfolgungsbeschränkungen gem. § 154a StPO und das Problem des Strafklageverbrauchs (1984); Puppe Die Individualisierung der Tat in Anklageschrift und Bußgeldbescheid und ihre nachträgliche Korrigierbarkeit, NStZ 1982 230; Radtke Zur Systematik des Strafklageverbrauchs verfahrenserledigender Entscheidungen im Strafprozeß (1994); ders. Materielle Rechtskraft bei der Anordnung freiheitsentziehender Maßregeln der Besserung und Sicherung, ZStW 110 (1998) 297; Roggemann Strafverfolgung von Balkankriegsverbrechen aufgrund des Weltrechtsprinzips – ein Ausweg? NJW 1994 1436; Sack Kürzerer Strafprozeß – eine Aufgabe für den Gesetzgeber. Vorschläge zur Prozeßbeschleunigung bei Strafverfahren, ZRP 1976 257; Schlehofer Der Verbrauch der Strafklage für die abgeurteilte Tat, GA 1997 101; Schlüchter Von der Unabhängigkeitsthese zu materiell-rechtlich begrenzter Tatidentität beim Dauerdelikt, JZ 1991 1057; Schlüchter/Duttge Spionage zugunsten des Rechtsvorgängerstaats als Herausforderung für die Strafrechtsdogmatik, NStZ 1996 457; Eb. Schmidt Materielle Rechtskraft – materielle Gerechtigkeit, JZ 1968 681; Schmidt, Gerh. Schuldspruch und Rechtskraft, JZ 1966 89; Schomburg Die Europäisierung des Verbots doppelter Strafverfolgung – Ein Zwischenbericht, NJW 2000 1833; ders. Internationales „ne bis in idem“ nach Art. 54 SDÜ, StV 1997 383; ders. Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetz, NStZ 1995 428; ders. Strafrecht und Rechtshilfe im Geltungsbereich von Schengen II, NJW 1995 1931; Schöneborn Alternativität der Handlungsvorgänge als Kriterium des prozessualen Tatbegriffs, MDR 1974 529; Schroeder Die Rechtsnatur des Grundsatzes „ne bis in idem“, JuS 1997 227; Schwarplies Die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Grundsatzes „ne bis in idem“ im Strafprozeß, Diss. Zürich 1970; Schwinge Identität der Tat i. S. der StPO, ZStW 52 (1932) 203; Spinellis Die materielle Rechtskraft des Strafurteils, Diss. München 1962; Stein Strafprozessualer Tatbegriff und Alternativität von Vorwürfen, JR 1980 444; Stein Zum europäischen ne bis in idem nach Artikel 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens, Diss. Trier 2005; Tiedemann Entwicklungstendenzen der strafprozessualen Rechtskraftlehre (1969); Többens Der Freibeweis und die Prozeßvoraussetzungen im Strafprozeß, NStZ 1982 184; Trautwein Zum Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslavien, NJW 1995 1658; Trepper Zur Rechtskraft strafprozessualer Beschlüsse (1996); v. Ungern-Sternberg Verfolgungs- und Vollstreckungshindernisse als Rechtsfolge von Strafverfolgungsersuchen – Zur Regelung der Strafverfolgungsersuchen in den Ergänzungsvorträgen zum Europäischen Rechtshilfeübereinkommen, ZStW 94 (1982) 84; Werle Die Beteiligung an kriminellen Vereinigungen und das Problem der Klammerwirkung, JR 1979 93; ders. Menschenrechtsschutz durch Völkerstrafrecht, ZStW 109 (1997) 808; Wolter Tatidentität und Tatumgestaltung im Strafprozeß, GA 1986 143; Zaczyk Bindungswirkungen eines rechtskräftigen Strafurteils für das materielle Strafrecht, GA 1988 356; weiteres Schrifttum s. bei § 264 (Tatbegriff) und Vor § 296 (Teilrechtskraft) StPO. Nichtiges Urteil. Beckmann Rechtsgrundlagen zur Aufhebung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege, JZ 1997 922; Dallinger Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen, MDR 1954 398; Fahl Aus der Praxis: Der doppelte Strafbefehl, JuS 1996 63; Felsch Rechtsprobleme des fehlerhaften Verbindungsbeschlusses nach § 4 StPO, NStZ 1996 163; Geppert Gedanken zur Rechtskraft und Beseitigung strafprozessualer Beschlüsse, GA 1972 165; Grünberg

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Verfahrensrechtliche Grundbegriffe

Einl. Abschn. K

Nichtigkeitsbeschwerde gegen offensichtliche Rechtsmängel bei rechtskräftigen Strafurteilen, Diss. Tübingen 1977; Grünwald Zur Frage der Nichtigkeit von Strafurteilen, ZStW 76 (1964) 250; Jauernig Nichturteile bei Mitwirkung von Nicht(mehr)-Richtern? DtZ 1993 173; Lackner Kollision zwischen Jugend- und Erwachsenenstrafrecht, GA 1955 33; Lampe Die Durchbrechung der materiellen Rechtskraft bei Strafurteilen, GA 1968 33; ders. Verfassungsbeschwerde gegen Strafurteile, JZ 1969 287; Luther Zur Nichtigkeit von Strafurteilen, insbesondere im Jugendrecht, ZStW 70 (1958) 87; Mohr Die Aufhebung des SS-„Standgerichtsurteils“ gegen Hans von Dohnanyi, NJW 1998 958; Potrykus Zur irrtümlichen Verurteilung Jugendlicher als Erwachsener, NJW 1953 93; Roeder Die Begriffsmerkmale des Urteils im Strafverfahren. Ein Beitrag zur Lehre von der sog. absoluten Urteilsnichtigkeit, ZStW 79 (1967) 250; Rüping/Schwarz Sind die Urteile des Volksgerichtshofes nichtig? NJW 1985 2391; Sax Das unrichtige Sachurteil als Zentralproblem der allgemeinen Prozeßrechtslehre, ZZP 67 (1954) 21; Schneider Sind nichtige Gerichtsentscheidungen möglich? MDR 1956 465; Schroeder Die Rechtsnatur des Grundsatzes „ne bis in idem“, JuS 1997 227; Sonnen Die Beurteilung des „Volksgerichtshofs“ und seiner Entscheidungen durch den Deutschen Bundestag, NJW 1985 1065; Spendel Zur Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen, ZRP 1997 41; Spendel Materiellrechtliche Straffrage und strafprozessuale Teilrechtskraft, ZStW 67 (1955) 556.

Übersicht Rn. I. Allgemeines 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . 2. Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prozessrechtsverhältnis . . . . . . . . II. Prozesshandlungen 1. Bedeutung und Begriff a) Allgemeines. Bedeutung . . . . . . b) Begriff der Prozesshandlungen . . 2. Einteilung der Prozesshandlung a) Übersicht . . . . . . . . . . . . . b) Erwirkungs- und Bewirkungshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . c) Doppelfunktionelle Prozesshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wirksamkeit von Prozesshandlungen. Bewertungskategorien a) Übersicht . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Wirksamkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . c) Zulässigkeit und Begründetheit . . d) Prozessuale Überholung . . . . . . 4. Rücknahme, Widerruf, Bedingungen. Beseitigung der Wirksamkeit . . . . . a) Widerruf, Rücknahme und Verzicht b) Sonstige Beseitigung der Wirkung von Prozesshandlungen . . . . . . c) Bedingungen . . . . . . . . . . . 5. Willensmängel, insbesondere Irrtum, Täuschung und Drohung a) Allgemeines. Übersicht. Hinweise . b) Gerichtliche Entscheidungen . . . c) Sonstige prozessuale Erklärungen . 6. Missbrauch von prozessualen Befugnissen, Verwirkung und ähnliche Erscheinungen . . . . . . . . . . . . III. Prozessvoraussetzungen 1. Entwicklung. Bedeutung. Hinweise . . 2. Begriff, Wesen und Einteilung . . . .

1 3 4

5 9 11 13 15

16 17 19 21 23 24 26 27

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34 35 37

Rn. 3. Einzelne Prozessvoraussetzungen . . 4. Behandlung der Prozessvoraussetzungen im Verfahrensgang . . . . . . . 5. Bemühungen um eine Erweiterungen des Kreises der Verfahrenshindernisse a) Übersicht . . . . . . . . . . . . b) Bewertung . . . . . . . . . . . .

.

40

.

41

. .

45 47

IV. Prozessuale Tat und Prozessgegenstand 1. Bedeutung. Hinweise . . . . . . . . . 2. Funktionen des Tatbegriffs a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Die einzelnen Funktionen . . . . . c) Einheitlicher Tatbegriff . . . . . . d) Prozessuale Behandlung der Tat (Übersicht) . . . . . . . . . . . . . e) Mehrheit von Prozessgegenständen in einem Verfahren . . . . . . . . . f) Prozessgegenstand des Ermittlungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . 3. Inhalt des prozessualen Tatbegriffs (Übersicht) a) Allgemeines. Grundsätze . . . . . b) Einzelne Probleme . . . . . . . . . V. Rechtskraft und Bestandskraft 1. Allgemeines. Übersicht a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . b) Überblick . . . . . . . . . . . . . . c) Terminologisches. Hinweise . . . . 2. Formelle Rechtskraft a) Begriff und Eintritt . . . . . . . . . b) Wegfall . . . . . . . . . . . . . . . c) Wirkungen . . . . . . . . . . . . . 3. Materielle Rechtskraft a) Überblick. Gesetzliche Grundlagen. Verhältnis zu Art. 103 Abs. 3 GG . b) Geltungsgrund und Wesen der Rechtskraft (Rechtskrafttheorien) . . . . . . . . . . . . . .

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48 50 51 53 54 58 59

60 62

64 66 67 69 72 73

74

79

377

Einl. Abschn. K

Einleitung Rn.

c) Der materiellen Rechtskraft fähige Entscheidungen . . . . . . . . . . d) Gegenstand und Umfang der materiellen Rechtskraft . . . . . . . . . e) Feststellungs- und Bindungswirkung f) Rechtskraftdurchbrechung . . . . . 4. Entscheidungen nichtdeutscher Gerichte a) Grundsatz. Allgemeine Entwicklung b) Besondere Gerichtshöfe . . . . . . c) Gerichte der ehemaligen DDR . . . d) Besatzungsgerichte. Ausländische Streitkräfte . . . . . . . . . . . . . 5. Bestandskraft anderer Entscheidungen im Überblick a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Gerichtliche Entscheidungen . . . . c) Staatsanwaltschaftliche Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . .

Rn.

83 88 94 97

2. 3.

98 99 100 101

102 103 104 4.

VI. Zur Problematik nichtiger Entscheidungen, insbesondere nichtiger Urteile 1. Allgemeines a) Übersicht . . . . . . . . . . . . . b) Hinweise und Grundsätze . . . . .

5. 105 107

c) Nichturteile und nichtige Urteile . d) Urteilsnichtigkeit nach Systemwechsel . . . . . . . . . . . . . . e) Zur Bedeutung der sog. Teilrechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . Die Problematik des nichtigen Urteils im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . Einzelfragen von praktischer Bedeutung a) Verstoß gegen ne bis in idem . . . . b) Fehlende Gerichtsbarkeit . . . . . . c) Mangelnde Strafmündigkeit . . . . d) Personenverwechslung . . . . . . . e) Überschreitung der Grenzen der angeklagten Tat . . . . . . . . . . . f) Tod des Angeklagten . . . . . . . . g) Verurteilung aufgrund nicht bestehender Strafgesetze . . . . . . . h) Verhängung einer dem deutschen Strafrecht unbekannten Sanktion . . Nichtigkeit anderer gerichtlicher Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . Geltendmachung einer Nichtigkeit a) Rechtsmittel. Wiederaufnahme . . b) Andere Formen der Geltendmachung der Nichtigkeit . . . . . . . . . . .

108 109 111 112 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127 129 130

I. Allgemeines 1

1. Bedeutung. Während die Prozessmaximen oder Prozessgrundsätze die Strukturierung des Strafverfahrens in erster Linie dadurch bewirken, dass sie rechtspolitische Leitgedanken beschreiben (Rn. I 1), sind die in diesem Abschnitt behandelten verfahrensrechtlichen Grundbegriffe von anderer Beschaffenheit. Sie dienen im Wesentlichen der dogmatischen Erklärung des Strafverfahrens. Es handelt sich vorwiegend um allgemeine prozessrechtliche Grundlagen für die Erfassung des Strafprozesses, die aus den Einzelregelungen des gegenwärtigen Prozessmodells (Rn. G 8) abgeleitet sind oder ihnen zugrundeliegen. Auch die Beschreibung und Erfassung der rechtlichen Beziehungen zwischen den einzelnen Prozessbeteiligten ließe sich jedenfalls teilweise diesem Bereich zuordnen; vorwiegend aus Gründen der Übersichtlichkeit der Darstellung erfolgt dies hier gesondert in Abschnitt J. 2 Die prozessrechtlichen Grundbegriffe sind überwiegend Ergebnisse der systematisierenden und rechtsfortbildenden Prozessrechtswissenschaft und der ihr folgenden oder sie beeinflussenden Rechtsprechung, nicht Produkte des Gesetzgebers. Dieser setzt sie zwar teilweise ausdrücklich, teilweise stillschweigend voraus oder er benutzt sie als Begriffe; er regelt sie aber nicht im Einzelnen. Dennoch finden auch sie im Gesetz ihre Grundlage und ihre Grenze. Sie lassen sich nur rechtfertigen, soweit sie gesetzliche Wertvorstellungen zutreffend erfassen. Für die praktische Rechtsanwendung sind sie nur sinnvoll, soweit sie zur Lösung von Anwendungs- und Auslegungsproblemen bei den Einzelvorschriften des geltenden Rechts beitragen oder übergreifende Gesichtspunkte herausarbeiten können. Insofern wirken sie wiederum auf die Einheitlichkeit der Handhabung verschiedener Einzelvorschriften, denen ein gemeinsamer Gedanke zugrunde liegt. Sie sind dagegen in der Regel keine vorgegebenen, unabhängig von der Gesetzeslage existierenden Begrifflichkeiten. Vielmehr ist ihre Reichweite und ihr Inhalt zumeist von legislatorischen Entscheidungen und anderen Entwicklungen abhängig; dies kann Veranlassung geben,

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Verfahrensrechtliche Grundbegriffe

Einl. Abschn. K

sie aufzugeben, ihren Inhalt zu verändern oder neue Begriffe zu bilden. Allerdings sollte sich auch der Gesetzgeber, namentlich bei punktuellen Normierungen, nicht ohne Grund über die systematischen Erkenntnisse hinwegsetzen, die in diesen Grundbegriffen zum Ausdruck kommen. 2. Hinweise. Die prozessrechtlichen Grundbegriffe werden teilweise an anderen 3 Stellen erörtert und nicht stets vollständig behandelt. So finden sich die mit der Wahrheitserforschung zusammenhängenden Fragen unter Rn. B 20 ff. und H 22 ff.; die Erörterung der Rolle des Gerichts und der sonstigen Prozessbeteiligten im Abschnitt J, die Darstellung der Beweisverbote im Abschnitt L. Ferner wird in der Einzelkommentierung teilweise auch auf solche Grundbegriffe eingegangen oder sie werden dort näher entfaltet, so etwa bei der Frage der Teilrechtskraft oder der Beschwer 1, oder bei den Einzelfragen der Prozessvoraussetzungen 2 und der prozessualen Tat 3. 3. Prozessrechtsverhältnis. Namentlich die ältere und vor allem die zivilprozessual 4 ausgerichtete Dogmatik hat sich bemüht, mit dem Begriff eines einheitlichen Prozessrechtsverhältnisses zu einem besseren Verständnis des Prozesses vorzudringen.4 Danach soll der Beginn eines Strafverfahrens ein die einzelnen Rechtsbeziehungen übergreifendes und sie erklärendes (öffentliches) Rechtsverhältnis zwischen den verschiedenen Prozessbeteiligten begründen.5 Daran ist sicher richtig, dass zwischen den Prozessbeteiligten auch im Strafverfahren nicht nur tatsächliche, sondern auch rechtliche Beziehungen bestehen, die sich aus dem Strafprozessrecht ergeben.6 Jedoch bedarf es zu dieser Erkenntnis des Begriffs des Prozessverhältnisses nicht, aus dem sich auch sonst jedenfalls für den Strafprozess 7 keine weiterführenden Ergebnisse ableiten lassen,8 und der es darüber hinaus erschwert, auch das Ermittlungsverfahren als Bestandteil des Strafprozesses zu verstehen. In der Strafprozessrechtswissenschaft ist die Lehre vom Prozessrechtsverhältnis nie recht heimisch geworden.9 Die neueren Darstellungen verwenden ihn nicht mehr;10 auch in diesem Kommentar wird nicht weiter auf ihn eingegangen.

1 2 3 4

5

6

S. die Erl. Vor § 296. S. die Erl. zu § 206a StPO. S. die Erl. zu § 264 StPO. Zur Entwicklung näher Eb. Schmidt I 43 ff.; zur zivilprozessualen Entwicklung und Bedeutung Lücke ZZP 108 (1995) 428 ff.; ausführliche Darstellung und Anwendung bei Schaper 35 ff. (zusammenfassende Kritik 61). Der Begriff wird von den verschiedenen ihn verwendenden Autoren nicht einheitlich gebraucht. So etwa Baumann Kap. 4 II 1a, ausführlicher aus neuerer Zeit daneben nur noch Peters 99 ff. Nur in diesem Sinne will etwa Henkel 114 den Begriff des Prozessrechtsverhältnisses verstehen; ähnlich auch Peters 100.

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8 9

10

Zu seiner heutigen Bedeutung im Zivilprozess s. mit weit. Nachw. Lücke ZZP 108 (1990) 433 ff. Zur Kritik vgl. vor allem Eb. Schmidt I 43 ff. Bejahend etwa Dohna, Graf zu 45 f.; v. Gleispach 2; Rosenfeld 30; zurückhaltend, wenn auch darauf eingehend, beispielsweise v. Hippel 7; ablehnend Gerland 6 f. Anders allerdings neustens Köhler ZStW 107 (1995) 19 ff., der aus dem Prozessrechtsverhältnis eine systematische Begrenzung von Ermittlungseingriffen abzuleiten versucht; vgl. auch (Prozessrechtsverhältnis als eine Grundlage der Unschuldsvermutung) Stuckenberg (Unschuldsvermutung) 534 ff.

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Einl. Abschn. K

Einleitung

II. Prozesshandlungen 1. Bedeutung und Begriff a) Allgemeines. Bedeutung. Aus der Natur des Strafverfahrens als eines kontinuierlichen, sich von Lage zu Lage entwickelnden, auf ein bestimmtes Ziel hin ausgerichteten Geschehens (Rn. B 2), das durch die Interaktion einer Mehrzahl von Personen und Stellen bestimmt wird (Rn. J 1), ergibt sich notwendigerweise, dass der Fortgang des Verfahrens durch eine Vielzahl von (aufeinander bezogenen) Handlungen von Menschen bewirkt wird, die auf die Gestaltung des Verfahrens und die Herbeiführung des Prozessausgangs gerichtet sind oder mindestens einwirken. Insoweit ist der Begriff der Prozesshandlung, der diese Gesamtheit aller Betätigungen erfasst, kein normativer, sondern ein empirisch fassbarer tatsächlicher. Eine andere Frage ist jedoch, ob diese Vielfalt einzelner, das Prozessgeschehen be6 treffender menschlicher Verhaltensweisen, also von Handlungen,11 oder eines erheblichen Teiles von ihnen, so viele Gemeinsamkeiten enthält, dass es (aus der Sicht systematisierender rechtswissenschaftlicher Betrachtung) sinnvoll erscheint, hieraus normativrechtlich einen Rechtsbegriff der Prozesshandlung abzuleiten und diesem allgemeine Grundsätze und Aussagen zuzuordnen. Die StPO kennt den Begriff nicht,12 so dass sich aus Gründen der Gesetzesauslegung und Gesetzesanwendung keine zwingende Notwendigkeit ableiten lässt, ihn zu verwenden. In der Rechtswissenschaft und – wenn auch in eher geringem Umfang – in der Rechtsprechung wird er jedoch vielfach gebraucht,13 auch wenn über seinen genauen Inhalt ebensowenig volle Übereinstimmung besteht wie über die Einteilung der mit ihm verbundenen und aus ihm abzuleitenden Unterbegriffe und der aus ihm abzuleitenden Folgerungen.14 Mit der Anerkennung des Begriffs der Prozesshandlungen wird zunächst die Eigen7 ständigkeit der prozessualen Begriffsbildung verdeutlicht. Die Verwendung eines übergreifenden Gesamtbegriffs dieser Art, der von seinem Stellenwert her den zivilrechtlichen Zentralbegriffen der Willenserklärung oder des Rechtsgeschäfts vergleichbar ist, lässt klarer erkennen, dass auch bei faktisch ähnlichen Situationen Unterschiede in der materiell-rechtlichen (also vorwiegend zivilrechtlichen) und der prozessualen rechtlichen Betrachtungsweise bestehen können, etwa, was die Frage der Wirksamkeit, des Widerrufs oder des Einflusses von Willensmängeln anbetrifft. Allerdings darf die damit erreichbare dogmatisch-systematische Einsicht nicht dadurch wieder verschüttet werden, dass man, wie teilweise im älteren Schrifttum geschehen, aus dem Rechtsbegriff der Prozesshandlungen einen Teil unter der Bezeichnung strafprozessualer Rechtsgeschäfte heraushebt; 15 eine Betrachtungsweise, die derzeit zu Recht nicht mehr vertreten wird.16

5

11

12 13

Darüber, dass der Handlungsbegriff für sich allein insoweit ohne Bedeutung ist, vgl. Paulus GedS Meyer 317. Anders die ZPO, s. etwa § 295 ZPO. Vgl. die Hinweise über die Intensität bei Nutzung des Begriffs im älteren Schrifttum bei Peters 249. Ausführlich zu ihm und zur Bedeutung Paulus GedS Meyer 309 ff. In den neueren systematischen Gesamtdarstellungen dürfte seine Bedeutung, soweit er nicht, wie etwa bei Schlüchter 130 ff., als Überschrift für die Summe von Einzelerörterungen verwendet wird, eher zurücktreten. Eine aus-

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14

15 16

führliche Behandlung jedoch vor allem bei Baumann Kap. 5 I sowie im Kommentarschriftum bei Eb. Schmidt I 202 ff.; LR/K. Schäfer 24 Einl. Kap. 10. Kritisch zum Begriff namentlich Dencker 18 ff.; vgl. auch Ranft 1322 (der Begriff leiste nicht viel); Schroeder 390 (Ergebnisse seien ziemlich unbefriedigend). So u. a. Beling 170 ff.; sehr vorsichtig auch Dohna, Graf zu 76 Fn. 1. Ablehnend etwa Eb. Schmidt I 205; LR/ K. Schäfer 24 Einl. 10 1 a.E.; bereits früher v. Hippel 11; Gerland 5.

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Verfahrensrechtliche Grundbegriffe

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Mit diesen Einschränkungen ist strafprozessual-dogmatisch die Verwendung des 8 Begriffs der Prozesshandlung als Rechtsbegriff grundsätzlich noch sinnvoll anzuerkennen. Jedoch darf dabei dessen Tragweite und Bedeutung weder überschätzt noch überdehnt werden. Es wäre namentlich eine begriffsjuristische Betrachtungsweise, aus speziellen Regelungen in Bezug auf einzelne, den Prozesshandlungen zuzuordnende Phänomene allgemeine Grundsätze abzuleiten und diese wiederum für alle Prozesshandlungen zu reklamieren.17 Allgemeine, für alle Prozesshandlungen geltende Aussagen lassen sich deshalb nur in einem beschränkten Umfang aufstellen, und selbst wo das geschieht, ist oft zu beachten, dass gesetzliche Regelungen im Einzelfall etwas Abweichendes bestimmen können. Auch bei der Differenzierung im Einzelnen kann sich ergeben, dass bestimmte Aussagen nur einzelnen Formen von Prozesshandlungen zuzuordnen sind und ihre Bedeutung daher auf diese zu beschränken ist. Bei der nachfolgenden Erörterung ist vielfach zu berücksichtigen, dass es sich nur um generelle Leitaussagen handelt, und bei der begrifflichen Bestimmung derjenigen Phänomene, die den Prozesshandlungen zugerechnet werden, kann auch darauf Bedacht genommen werden, ob sie sich (didaktisch oder systematisch sinnvoll) diesem Begriff und den mit ihm (üblicherweise) verbundenen Konsequenzen zuordnen lassen. b) Der Begriff der Prozesshandlungen ist im Einzelnen ebenso umstritten wie der Um- 9 fang der ihm zuzurechnenden Erscheinungen.18 Nach der heute wohl h.M. sind Prozesshandlungen diejenigen prozessgestaltenden Verhaltensweisen, die in Voraussetzungen und Wirkungen vom Prozessrecht geregelt sind.19 Im Hinblick auf die Möglichkeit auch doppelfunktioneller Prozesshandlungen (Rn. 15) kommt es allerdings nicht darauf an, dass ihre Wirkungen allein das Prozessrecht betreffen; es genügt, dass sie auch für dieses von rechtlicher Bedeutung sind. Nicht für den Begriff, wohl aber für die Einteilung, kann es auf den Urheber der Prozesshandlungen ankommen. Als solche kommen sowohl die Prozesssubjekte (Rn. J 2) als auch sonstige Verfahrensbeteiligte oder Dritte (etwa Strafantragsberechtigte) in Betracht. Ob dieser weitgespannte Begriff der Prozesshandlung weiter einzuschränken ist, ist umstritten. Einhelligkeit besteht darüber, dass er mindestens solche Erklärungen umfasst, die eine Rechtsfolge im Prozess willensgemäß auslösen.20 Teilweise werden auch Realakte, also gleichsam konkludente Prozesshandlungen wie etwa die Aktenvorlage 21 oder das Öffnen und Schließen der Saaltüren, soweit es dabei um die Herstellung der Öffentlichkeit geht,22 Befragungen und Vernehmungen oder Hinweise und Benachrichtigungen dazu gerechnet; dem ist zuzustimmen, weil diesen Akten eine unmittelbare prozessuale Wirkung zukommt. Ebenfalls umstritten ist, ob bloße Wissenserklärungen, namentlich die Aussagen von 10 Zeugen und Sachverständigen zu den Prozesshandlungen gezählt werden sollen.23 Begrifflich stünde dem bei der Verwendung eines weiten Prozesshandlungsbegriffs nichts ent17 18 19

20

Schlüchter 130; vgl. auch Ranft 1322. Umfassend mit Nachw. Paulus GedS Meyer 309 ff.; vgl. auch Eb. Schmidt I 205 ff. Eb. Schmidt I 203 im Anschluß an Niese 85; wohl weitgehend übereinstimmend z.B. Gössel 159; Henkel 235; Peters 248; KK/Pfeiffer Einl. 125; Meyer-Goßner 48 Einl. 95; Kühne 671; Paulus GedS Meyer 316 f. (Konkretisierung von Prozeßrechtsnormen). So und sich darauf beschränkend Roxin § 22, 1.

21 22 23

Vgl. BGHSt 26 384, 386 (zur Frage der Verjährungsunterbrechung bei Aktenvorlage). So Beling 162; Baumann Kap. 4 I 1a; Paulus GedS Meyer 317; a.A. etwa Peters 249. Bejahend u.a. Beling 163; Henkel 236; KMR/Sax Einl. X 1; Paulus GedS Meyer 318; verneinend u.a. LR/K. Schäfer 24 Einl. 10 2; KK/Pfeiffer Einl. 125; Meyer-Goßner Einl. 95; Gössel 159; Peters 249.

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Einl. Abschn. K

Einleitung

gegen. Es erscheint aber sachgerechter, sie deshalb auszunehmen, weil der überwiegende Teil der mit den Prozesshandlungen verbundenen Bewertungsmaßstäbe hier nicht passt, ihnen insbesondere keine unmittelbare verfahrensrechtliche Wirkung zukommt. Prozesshandlungen sind jedoch auch bei Zeugen und Sachverständigen die Erklärungen über die Geltendmachung von Weigerungsrechten und wohl auch die Eidesleistung, und Prozesshandlungen werden von ihnen auch dann vorgenommen, wenn sie in einen Zwischenstreit über ihre Rechte und Pflichten verstrickt sind. Dagegen wird man die Aussage des Beschuldigten stets (auch) als Prozesshandlung anzusehen haben, weil sie wegen seiner Doppelrolle als Prozesssubjekt und materielles Beweismittel (Rn. 15) einen besonderen Charakter hat.24 2. Einteilung der Prozesshandlungen

11

a) Übersicht. Einen breiten Raum bei der Erörterung in Schrifttum nimmt wegen der Vielfältigkeit der in Frage kommenden Erscheinungen die Frage nach der Gruppierung von Prozesshandlungen ein.25 Sie dient allerdings vielfach mehr der Veranschaulichung als einer weiterführenden Begriffsbildung. Auch für die Beurteilung von Wirksamkeit und Voraussetzungen ist dabei namentlich die Differenzierung nach den Handlungen der jeweiligen Entscheidungsträger (Gericht oder Staatsanwaltschaft) 26 und der sonstigen Prozessbeteiligten (vor allem solcher des Beschuldigten) von Bedeutung. Dabei erscheinen die staatsanwaltschaftlichen Prozesshandlungen in einer unterschiedlichen Funktion. Sie sind, den gerichtlichen vergleichbar, solche von Entscheidungsträgern, soweit die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren über den Verfahrensgegenstand und (weitgehend) den Verfahrensablauf bis hin zum Verfahrensabschluss bestimmen kann, während sie nach dem Übergang der Verfahrensherrschaft auf das Gericht, also nach der Anklageerhebung oder der Eröffnung des Hauptverfahrens, eine den Prozesshandlungen des Beschuldigten (und sonstiger Beteiligter) ähnlichen Charakter annehmen. Sie unterliegen jedoch auch hier als hoheitliche Prozesshandlungen teilweise anderen Anforderungen und Bedingungen als solche von privaten Prozessbeteiligten.27 Strukturunterschiede werden durch die auf Peters 28 zurückzuführende Unterschei12 dung in lediglich prozessbegleitende und prozessfördernde Prozesshandlungen (also solche, die das Verfahren dem jeweiligen Prozessziel näherzubringen geeignet und bestimmt sind) ordnungstechnisch erfasst; wobei sich unter den letzteren noch die prozesstragenden Entscheidungen hervorheben lassen. Ihre Vornahme ist regelmäßig Voraussetzung für die (Einleitung oder) Weiterführung des Verfahrens in einem weiteren Verfahrensabschnitt; vielfach haben sie dogmatisch zugleich den Charakter von Prozessvoraussetzungen. Zu ihnen gehören auch die Urteile oder Beschlüsse, die das Verfahren beenden.

13

b) Erwirkungs- und Bewirkungshandlungen. Diese von Goldschmidt 29 begründete, auch in der zivilprozessualen Dogmatik 30 verwendete Differenzierung hat sich weit24

25 26

Ebenso LR/K. Schäfer 24 Einl. 10 2 a.E.; Eb. Schmidt I 202 Fn. 358; a.A. KK/Pfeiffer Einl. 125; Meyer-Goßner Einl. 95; Gössel 159; Peters 249. Dazu ausführlich z.B. Peters 250 ff.; s. ferner Baumann Kap. 4 I 1; Eb. Schmidt I 211 ff. Das ältere Schrifttum (so z.B. auch noch LR/K. Schäfer 24 Einl. 10 3 a.E.) spricht hier meist nur von gerichtlichen Entscheidungen,

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27 28 29 30

ohne den selbständigen Charakter des Ermittlungsverfahrens zu berücksichtigen. S. dazu etwa Peters 205 f. Peters 251 f.; ihm folgend z.B. Baumann Kap. 4 I 1a. Goldschmidt Der Prozeß als Rechtslage (1925), 364 ff.; ferner Niese 82 ff. Nachw. bei Eb. Schmidt I 213 Fn. 377.

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Verfahrensrechtliche Grundbegriffe

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gehend, wenn auch nicht allgemein,31 im älteren Schrifttum durchgesetzt;32 teilweise wird daneben noch eine dritte Kategorie der Befragungen gebildet.33 Die Eigenschaft von Erwirkungshandlungen besteht darin, dass sie nicht unmittelbar eine Rechtsfolge herbeizuführen in der Lage, sondern dazu bestimmt sind, einen anderen (meist, aber nicht stets den jeweiligen Entscheidungsträger) zu einem prozessual erheblichen Verhalten zu veranlassen. Dazu gehören alle Anträge, aber auch bloße Anregungen und Behauptungen. Auch prozessuale Hinweise und Befragungen wird man dazu rechnen können. Demgegenüber besteht die Eigenschaft von Bewirkungshandlungen darin, dass sie die mit ihnen verbundene Rechtsfolge unmittelbar herbeiführen, also rechtsgestaltend wirken, wie beispielsweise der Rechtsmittelverzicht oder die Rechtsmittelrücknahme. In Einzelfällen kann einer Prozesshandlung beide Eigenschaften zukommen; so liegt etwa in der Rechtsmitteleinlegung eine Bewirkungshandlung, weil sie ohne zusätzliche Entscheidung eines Dritten den Eintritt der Rechtskraft verhindert;34 sie ist aber zugleich eine Erwirkungshandlung, weil mit ihr der Antrag auf eine Änderung der angegriffenen Entscheidung verbunden ist.35 Die Einteilung in Bewirkungs- und Erwirkungshandlungen wird im Schrifttum teil- 14 weise den nichtrichterlichen Prozesshandlungen vorbehalten,36 während stattdessen für die letzteren die vielfach weiterhin unterteilten Kategorien der verfahrens- oder instanzabschließenden und der prozessleitenden Handlungen reserviert werden.37 Doch schließt das eine das andere nicht aus, so dass auch bei den Entscheidungen des Gerichts (und der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren) beide Formen vorkommen können,38 wenn auch, anders als bei den privaten Prozessbeteiligten, von der Bedeutung her die Bewirkungshandlungen im Vordergrund stehen. Erwirkungshandlungen sind allerdings in der Regel nur die prozessleitenden Maßnahmen.39 Beispiele sind etwa der mit der Mitteilung der Anklageschrift zu verbindende Hinweis nach § 201 StPO, die Besetzungsmitteilung nach § 222a StPO oder der rechtliche Hinweis nach § 265 StPO. Den Charakter sowohl als Bewirkungs- als auch als Erwirkungshandlung hat etwa die Entscheidung des Oberlandesgerichts nach § 175 StPO, weil sie einerseits das selbständige Klageerzwingungsverfahren beendet, andererseits die Staatsanwaltschaft verpflichtet, die öffentliche Klage zu erheben. Auch der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft kommt, wie sich schon aus § 199 Abs. 2 StPO ergibt, dieser Doppelcharakter zu. c) Der Begriff der doppelfunktionellen Prozesshandlungen ist vor allem Niese zu ver- 15 danken; 40 das wissenschaftliche Schrifttum hat ihn nur teilweise aufgenommen.41 Damit

31

32

33 34 35 36 37 38

Kritisch auch (weil ohne praktische Bedeutung) Ranft 1324; Schäfer 115; Kühne Rn. 672. So vor allem Eb. Schmidt I 213 ff.; ferner etwa Baumann Kap. 4 I 1c; Gössel 159 f.; Henkel 236 ff.; Peters 252 f.; Roxin § 22, 2. Eb. Schmidt I 219. § 316 Abs. 1, § 343 Abs. 1 StPO. Vgl. OLG Köln NJW 1957 641, 642. So Eb. Schmidt I 213; LR/K. Schäfer 24 Einl. 10 3 a.E.; Schroeder 391. Näher zur Differenzierung etwa Eb. Schmidt I 221 ff. Ebenso etwa Gössel 160; Henkel 237; Peters 252.

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41

Im Ergebnis, wenn auch nicht in der Terminologie auch Eb. Schmidt I 224, der solche Maßnahmen als „Parallelerscheinungen“ zu den Erwirkungshandlungen bezeichnet. Grundlegend Niese Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen (1950), insbes. S. 48 ff., 126 ff.; ihm folgend Eb. Schmidt I 36 Fn. 74 und Kolleg 126. Zustimmend etwa LR/K. Schäfer 24 Einl. 10 6 a.E.; Gössel 160; Peters 254; Kühne 673; Ranft 320; Schroeder 391.

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Einleitung

werden diejenigen Handlungen bezeichnet, die über ihre prozessualen Wirkungen hinaus auch materiell-rechtliche Wirkungen entfalten und sich insoweit ebenfalls nach den Bewertungskriterien rechtmäßig oder rechtswidrig beurteilen lassen. Zu ihnen gehören u.a. die strafprozessualen Zwangsmaßnahmen oder Grundrechtseingriffe, wie etwa die Anordnung der Untersuchungshaft oder körperlicher Untersuchungen, Durchsuchungen Beschlagnahme u.ä. Mit der Anerkennung ihrer Doppelfunktionalität hat sich namentlich – vor allem soweit es sich um nichtrichterliche Maßnahmen handelt – die Frage des Rechtsschutzes befriedigender lösen lassen, um einer (inzwischen weitgehend überholten) Praxis der Rechtsprechung entgegenzutreten, die unter Berufung auf den reinen Prozesshandlungscharakter solcher Maßnahmen die Anwendung der §§ 23 EGGVG und darüber hinausgehend jeden gerichtlichen Rechtsschutz verneint hatte.42 Heute ist der Begriff der doppelfunktionellen Prozesshandlung nur noch insofern von Bedeutung, als er auf die Auswirkungen prozessualer Handlungen auf das materielle Recht hinweist. 3. Wirksamkeit von Prozesshandlungen, Bewertungskategorien

16

a) Übersicht. Über die Frage, unter welchen Voraussetzungen Prozesshandlungen die mit ihnen erstrebten Wirkungen entfalten können, ob und wie sich diese systematisch und terminologisch gruppieren lassen und ob es hierbei einheitliche Grundsätze gibt, besteht keine vollständige Übereinstimmung.43 Weitgehende Einheitlichkeit besteht heute darüber, dass die Bewertungskategorien der Rechtmäßigkeit oder der Rechtswidrigkeit für die prozessuale Beurteilung von Prozesshandlungen nicht sachgerecht erscheinen 44 oder jedenfalls nicht ausreichen. Weitgehend durchgesetzt haben sich als als generelles Kriterium die Wertkategorien der Zulässigkeit und der Begründetheit. Daneben werden, der Zulässigkeit vorgeordnet oder an ihre Stelle tretend, die Bewertungsmerkmale der Gültigkeit, der Wirksamkeit oder (beides zusammenfassend) der Beachtlichkeit verwendet, doch werden sie teilweise nur für bestimmte Gruppen von Prozesshandlungen für sinnvoll erachtet. Differenziert wird insoweit auch nach den Prozesshandlungen der Entscheidungsträger (Gericht oder das Verfahren betreibende Staatsanwaltschaft) und hier wiederum nach den prozesstragenden und den sonstigen Entscheidungen, sowie nach den Prozesshandlungen der sonstigen Prozessbeteiligten.

17

b) Allgemeine Wirksamkeitsvoraussetzungen für alle Prozesshandlungen lassen sich angesichts der Vielgestaltigkeit der in Frage stehenden Erscheinungen nur in allgemeiner Form angeben. Soweit dies geschieht, werden hierfür vielfach die Begriffe der Beachtlichkeit oder Gültigkeit verwendet. Bei gerichtlichen Entscheidungen, namentlich bei Urteilen, geht es dabei um die gesondert zu erörternde Frage ihrer Nichtigkeit (Rn. 105ff.). Andere Prozesshandlungen sollen (als Bewirkungshandlungen) dann unbeachtlich sein, wenn sie ihrem Wesen nach die erstrebte Folge nicht auslösen können, so dass es einer gerichtlichen Entscheidung über sie nicht bedarf,45 jedoch kann und wird, wenn dies 42 43

Vgl. näher die Erl. zu § 23 EGGVG; ferner mit weit. Nachw. Rieß/Thym GA 1981 201. Ausführlicher zur „strafprozessualen Wertelehre“ namentlich Eb. Schmidt I 138 ff. mit weit. Nachw.; ferner etwa Baumann Kap. 4 I 1c und 4; Henkel 239 ff.; Peters 261 ff.; zusammenfassende Übersicht bei Paulus GedS Meyer 319; vgl. auch Roeder ZStW 79 (1967) 266 ff.; kritisch zum Sinn dieser

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44

45

Diskussion etwa Gössel 160; s. auch die Erl. unter M 10. Vgl. eingehend etwa Henkel 239; Eb. Schmidt I 230; s. auch Paulus GedS Meyer 318 f.; s. auch (krit.) die Erl. unter M 10. Nach Henkel 240; Eb. Schmidt I 335 Fn. 435 soll dies für Erwirkungshandlungen grundsätzlich nicht gelten.

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Einl. Abschn. K

zweifelhaft ist, eine mindestens deklaratorische Entscheidung hierüber geboten sein. Als unbeachtlich werden vielfach auch solche Handlungen bezeichnet, die nur den Schein einer Prozesshandlung annehmen, etwa bei einer prozessualen Willenserklärung eine solche, die (etwa als Entwurf) nicht vom Willen ihres Urhebers getragen wird, oder die (erkennbar) nicht erst gemeint ist. Ob darüber hinaus auch andere Erklärungen, etwa solche, die nur Beleidigungen oder Beschimpfungen enthalten,47 eine (unzulässige) bedingte Prozesshandlung 48 oder ein vom Verteidiger gegen den Willen des Beschuldigten erklärter Rechtsmittelverzicht 49 als unbeachtlich zu bewerten sind, oder ob es sich um Fälle der (einfachen) Unzulässigkeit handelt, bei der die Unbeachtlichkeit nur eine ihrer Wirkungen darstellt, ist zweifelhaft. Insgesamt erscheint das Konzept der Unbeachtlichkeit als wenig hilfreich aber voller Gefahren. Der Hinweis auf die Unbeachtlichkeit einer Prozesshandlung könnte als allzu leicht verfügbares Instrument für die Rechtfertigung einer Nichtbescheidung missbraucht werden. Welche weiteren persönlichen und sachlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit 18 von Prozesshandlungen gegeben sein müssen, lässt sich überwiegend nicht generell beantworten, sondern ist jeweils aus den einzelnen Vorschriften und Zusammenhängen heraus zu entscheiden. Überwiegend wird für die Prozesshandlungen Privater, soweit sie in Willenserklärungen bestehen, mindestens 50 Verhandlungsfähigkeit im weiteren Sinne zu verlangen sein;51 ob eine Vertretung zulässig ist,52 ist unterschiedlich zu beurteilen. Allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzung ist es regelmäßig auch, dass die in Frage stehende Prozesshandlung ihrer Art nach von demjenigen stammt, der sie von seiner Prozessrolle her wahrzunehmen befugt ist; unzulässig, wenn nicht unbeachtlich wären daher beispielsweise das Rechtsmittel eines überhaupt nicht am Verfahren beteiligten Dritten, der Beweisantrag eines Zeugen, aber etwa auch eine Verurteilung durch eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft. Schließlich muss die in Frage stehende Handlung einen erkennbaren Sinn oder Erklärungswert besitzen, der erforderlichenfalls durch Auslegung zu ermitteln ist.53 Unterschiedlich zu beantworten ist, ob Frist- oder Formvorschriften eingehalten werden oder ob besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben sein müssen, wie etwa bei Rechtsmitteln eine Beschwer.54 c) Zulässigkeit und Begründetheit von Prozesshandlungen sind jedenfalls für die 19 praktische Rechtsanwendung in der Regel die entscheidenden Bewertungskriterien.55 Dabei betrifft die Zulässigkeit (und die möglicherweise davon gesonderte Kategorie der

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51

Gestrichen. So etwa OLG Karlsruhe NJW 1973 1658; 1974 915. So Henkel 240. So Peters 262. Weitergehend (Geschäftsfähigkeit) etwa für die Erhebung der Privatklage; s. § 374 Abs. 2 und die dortigen Erl. S. näher die Erl. zu § 205; so etwa – auch zu Ausnahmen und Einschränkungen – Meyer-Goßner Einl. 96 ff.; KK/Pfeiffer Einl. 126; Beulke 297; Roxin § 22, 4; vgl. auch RGSt 64 14; BGH NStZ 1984 329 (für den Fall des Rechtsmittelverzichts); OLG Hamm NJW 1973 1894; BayObLG NStZ 1989 131; OLG Düsseldorf StraFo 1997 338

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(begünstigende Prozesshandlungen eines Verhandlungsunfähigen möglich); weitere Differenzierungsversuche unter dem Begriff der „Prozessträgerschaft“ und der „Prozessverkehrsfähigkeit“ bei Peters 255 f. Dazu Peters 257 f. Beulke 298; Peters 267 (mit Einzelbeispielen); Roxin § 22, 5. Zu den Einzelheiten für Formen und Fristen s. die Erl. Vor § 42; für Rechtsmittel Vor § 296, 20 ff.; zur Beschwer Vor § 296, 46 ff. Paulus GedS Meyer 318 ff. bestreitet, dass diese Unterscheidung dogmatisch gerechtfertigt sei; es gäbe nun die einheitliche Kategorie der „Prozessordnungsmäßigkeit“.

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Beachtlichkeit) die Frage, ob es gerechtfertigt (geboten, möglich) ist, sich mit der Frage zu befassen, ob die in Frage stehende Prozesshandlung die mit ihr intendierten Wirkungen entfalten kann. Die Begründetheit beantwortet die Frage, ob sie inhaltlich gerechtfertigt ist. Zulässigkeit bedeutet in diesem Sinne demnach, dass die prozessrechtlichen Bedingungen erfüllt sind, unter denen eine Prozesshandlung dergestalt zugelassen ist, dass die Frage ihrer inhaltlichen Richtigkeit, Bedeutung oder Wirksamkeit gestellt und beantwortet werden darf,56 mit anderen Worten, wenn das Prozessrecht es gestattet, dass sie von diesem Urheber, zu dieser Zeit, in dieser Form und mit dieser Zielrichtung geltend gemacht werden darf. Begründet ist eine Prozesshandlung dann, wenn sie inhaltlich gerechtfertigt ist, also nach den sachlichen Voraussetzungen des Prozessrechts die mit ihr angestrebten Wirkungen entfalten kann. Die Bejahung der Zulässigkeit ist eine notwendige Bedingung der davon zu trennenden Prüfung der Begründetheit; sie darf deshalb methodisch nicht offengelassen werden, wenn die Begründetheit zu verneinen ist, auch wenn die Rechtspraxis gelegentlich so verfährt. Es ist daher eine dogmatische Fehlleistung des Gesetzgebers, wenn er in dem die sog. Annahmeberufung regelnden § 313 StPO die Annahme materiell von der Frage ihrer Begründetheit, also von einer Sachprüfung abhängig gemacht hat, das negative Ergebnis dieser Sachprüfung (nämlich die offensichtliche Unbegründetheit) aber zu einer Verwerfung als unzulässig führt. Bei einer Reihe von Prozesshandlungen hat die Zulässigkeit jedoch eine andere Be20 deutung. So ist bei allen ebenfalls den Prozesshandlungen zuzurechnenden Zwangsmaßnahmen (oder Grundrechtseingriffen) eine solche Unterscheidung zwischen Zulässigkeit und Begründetheit nicht sinnvoll. Die Anordnung (oder Gestattung) solcher Maßnahmen ist zulässig, wenn ihre jeweiligen rechtlichen Voraussetzungen vorliegen; dazu gehören auch diejenigen, die eine inhaltliche Bewertung erfordern. Die Frage nach der Begründetheit beispielsweise der Anordnung einer Durchsuchung oder Beschlagnahme lässt sich daneben nicht sinnvoll stellen. In diesen Fällen fallen daher Zulässigkeit und Begründetheit zusammen. Für die Anträge auf Erlass solcher Zwangsmaßnahmen muss allerdings wieder zwischen Zulässigkeit und Begründetheit unterschieden werden. So wäre etwa ein von der Polizei gestellter Antrag auf Untersuchungshaft unzulässig. Eine andere Bedeutung hat wiederum das Zulässigkeitskriterium dann, wenn das Gesetz eine Prüfungskompetenz auf die Zulässigkeit einer Maßnahme beschränkt, wie etwa in den Fällen des § 238 Abs. 2 oder des § 162 Abs. 3 StPO. Hier bedeutet die Verwendung nur, dass sich die Prüfung nicht auf die Zweckmäßigkeit der Maßnahme erstreckt, sondern allein die Einhaltung der rechtlichen Schranken betrifft; auch dies hat mit einer Begründetheitsfrage nichts zu tun.

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d) Durch prozessuale Überholung kann eine an sich zulässige Prozesshandlung unzulässig sein oder werden.57 Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn eine unabänderliche Verfahrenslage eingetreten ist, auf die sich die intendierten Wirkungen der in Frage stehenden Prozesshandlung nicht mehr auswirken können, so beispielsweise, wenn eine Berufungsrücknahme erklärt wird, nachdem das Verfahren in der Berufungsinstanz in ein erstinstanzliches übergeleitet worden ist,58 oder wenn sonst eine Rechtsmittelrücknahme erst nach der Entscheidung über das Rechtsmittel wirksam wird oder wenn (was eine an

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Ähnlich, wenn auch nicht voll übereinstimmend, etwa Eb. Schmidt I 235; Henkel 240; Peters 262 f. Die Frage spielt vor allem bei Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen eine Rolle (s. insbes. die

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Erl. zu den §§ 304, 98 StPO sowie §§ 23, 28 EGGVG) und ist dort im einzelnen darzustellen; sie ist aber darauf nicht beschränkt. BGHSt 34 204.

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Einl. Abschn. K

sich zulässige Prozesshandlung darstellt) ein Strafantrag zurückgenommen wird und das Rechtsmittelgericht erst nach seiner abschließenden Entscheidung hiervon erfährt,59 oder wenn ein Vertagungsantrag noch nicht beschieden ist, wenn der Termin bereits stattgefunden hat. Eine davon zu trennende, hier nicht zu behandelnde Frage ist die, ob die (fehlerhafte) Herbeiführung der prozessualen Lage, aus der sich die prozessuale Überholung ergibt, ihrerseits verfahrensrechtliche Konsequenzen auslöst und wie solche geltend gemacht werden können. Einen Teilbereich des Problems der prozessualen Überholung bilden die Rechtsbehelfe 22 und Rechtsmittel gegen solche Maßnahmen, die im Zeitpunkt der Entscheidung vollständig erledigt sind. Bei nichtrichterlichen Maßnahmen dieser Art erfordert es nach heute ganz h.M. und Rechtsprechung schon Art. 19 Abs. 4 GG, dass jedenfalls bei Vorliegen eines berechtigten Interesses 60 trotz prozessualer Überholung des ursprünglich gegebenen Rechtsbehelfs eine nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der jeweiligen Maßnahme ermöglicht wird. Für den Fall der Beschwerde ist dies lange Zeit von der Rechtsprechung weitgehend verneint worden. Entgegen seiner früheren Rechtsprechung 61 hat jedoch 1997 das Bundesverfassungsgericht auch in diesen Fällen die Behandlung als unzulässig wegen prozessualer Überholung jedenfalls dann für mit der Verfassung nicht vereinbar erachtet, wenn die Maßnahme einen tiefgreifenden 62 Grundrechtseingriff darstellt und nach dem typischen Verfahrensablauf üblicherweise vor der Herbeiführung einer gerichtlichen Beschwerdeentscheidung erledigt ist.63 Die Einzelheiten werden bei den jeweiligen Vorschriften zu erläutern sein.64 4. Rücknahme, Widerruf und Bedingungen. Beseitigung der Wirksamkeit. Eine ein- 23 heitliche Beurteilung aller Prozesshandlungen ist insoweit nicht möglich. Vielfach bestehen besondere gesetzliche Vorschriften; im Übrigen richtet sich die teilweise umstrittene Behandlung nach den jeweiligen strukturellen Zusammenhängen. Die für zivilrechtliche Rechtsgeschäfte maßgebenden Vorschriften finden unmittelbar ebenso wenig Anwendung wie die für Verwaltungsakte geltenden; sie können jedoch eine Ausprägung allgemeiner Rechtsgedanken sein, die auch auf Prozesshandlungen anwendbar sind. Hier kann nur eine allgemeine Übersicht gegeben werden; wegen der Einzelheiten ist auf die jeweilige Einzelkommentierung zu verweisen. Einer der maßgeblichen Gesichtspunkte dürfte darin zu finden sein, dass die tragenden Prozesshandlungen wegen des Charakters des Prozesses als eines sich stufenförmig entwickelnden Verfahrens ein erhebliches Maß an Beständigkeit haben müssen.65 Wegen der Behandlung von Willensmängeln s. unten Rn. 30 ff. a) Widerruf, Rücknahme und Verzicht. Die Lösung ist hier nicht einheitlich und 24 richtet sich nach der Natur der jeweils in Frage stehenden Prozesshandlung.66 Weithin 59 60 61 62

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Teilw. umstritten, s. näher die Erläuterungen zu § 206a. Vgl. § 28 Abs. 1 S. 4 EGGVG; § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO; § 115 Abs. 3 StVollzG. BVerfGE 49 329, 337 ff. Dieser überaus unbestimmte normative Begriff schränkt den eigentlichen Gewinn der Entscheidung wieder ein und wird Anlass für eine uneinheitliche Rechtsanwendung sein. BVerfGE 96 27 ff. = NJW 1997 243; dazu näher Roxin StV 1997 654 ff.; Esskandari StraFo 1997 289 ff.; BVerfG (Kammerent-

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scheidung) NJW 1998 2131; aus der neueren Rspr. etwa BVerfG NJW 2003 1514; StV 2005 251; OLG Celle StV 1997 625; LG Neuruppin StV 1997 506 = JZ 1997 1062 mit Anm. Fezer; LG Frankenthal NStZ-RR 1998 146. Vgl. insbesondere die Erl. zu den § 98 und Vor § 304 sowie § 304 StPO; ferner LR/ Böttcher 25 § 28, 12 EGGVG. Peters 264. Beulke 300.

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Einleitung

wird in Anschluss an eine Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1929 67 vertreten, prozesstragende Prozesshandlungen könnten nicht widerrufen werden.68 Diese Ansicht transportiert das Problem freilich nur auf eine neue Ebene, auf der zu entscheiden ist, was denn eine Prozesshandlung zu einer tragenden macht. Dies wurde – meist implizit – angenommen für Negativerklärungen, also etwa Rechtsmittelverzicht,69 den Verzicht auf Strafantrag gegenüber einem Strafverfolgungsorgan 70 oder Rücknahme eines Rechtsmittels.71 Die erwähnte Entscheidung des Reichsgerichts hingegen betraf die Zustimmung zur Verlesung von Schriftstücken nach § 325 StPO, deren Rücknahme nicht für möglich gehalten wurde, weil damit eine prozessgestaltende Maßnahme – der Verzicht auf die Ladung des Zeugen – konterkariert werden würde. Einfache Prozesserklärungen sollen dagegen frei rücknehmbar sein, wobei die Wirkung der Rücknahme frühestens mit ihrem Eingang beim mit der Sache befassten Rechtspflegeorgan eintritt.72 Gesetzlich geregelt sind beispielsweise die Befugnis zur Zurücknahme eines Rechtsmittels (§§ 302, 303 StPO), des Einspruchs (§ 411 Abs. 3 StPO), der Privatklage (§ 391 Abs. 1 StPO) sowie (nur bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens 73) der öffentlichen Klage (§ 156 StPO). Lediglich prozessleitende Anordnungen des Gerichts (oder im Ermittlungsverfahren 25 der Staatsanwaltschaft) sind in der Regel rücknehmbar, doch kann dies dann Einschränkungen unterliegen, wenn sich die übrigen Prozessbeteiligten auf die dadurch geschaffene Lage einstellen durften. Nicht mehr rücknehmbar, sondern nur im Rechtsmittelzug korrigierbar sind Urteile und grundsätzlich sonstige verfahrensbeendende Entscheidungen.74 Mit der Beschwerde angreifbare Entscheidungen sind durch das entscheidende Gericht nicht abänderbar und damit auch nicht rücknehmbar, wenn sie der sofortigen Beschwerde unterliegen (§ 311 Abs. 3 StPO), können jedoch teilweise auf einen erneuten Antrag hin bei Veränderung der Sachlage geändert werden.75 Sind sie nur mit der einfachen Beschwerde anfechtbar, so unterliegen sie, was aus § 306 Abs. 2 StPO gefolgert werden kann, der Disposition des Erstgerichts. Nicht rücknehmbar ist nach der vorherrschenden und zutreffenden Meinung der Eröffnungsbeschluss.76 Dagegen sind – außer im Fall des § 153a Abs. 1 S. 3 StPO – nach der derzeit noch h.M.77 die verfahrensbeendenden Entscheidungen der Staatsanwaltschaft mit der Folge frei rücknehmbar, dass das Verfahren fortgesetzt werden kann.

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b) Sonstige Beseitigung der Wirkung von Prozesshandlungen. Das Gesetz kennt eine Reihe von besonderen Rechtsinstituten, mit denen (auch wenn sich ihre Wirkung und Bedeutung darin nicht erschöpft) auch erreicht werden kann, dass die an sich nach dem Verfahrensfortgang unzulässigen Prozesshandlungen nachträglich noch ermöglicht werden. Dazu gehört die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 44 ff., 235, 329 Abs. 3 StPO) und die nachträgliche Gewährung des rechtlichen Gehörs (§§ 33a, 311a, 356a StPO).

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RGSt 63, 302. So hier die Vorauflage mit weiteren Nachweisen, LR/Rieß 25 Einl. Abschn. J Rn. 24. BGHSt 45, 51 (53). BGH NJW 1957, 1368. BGHSt 10, 245(247). Meyer-Goßner Einl. 116 ; BGHSt 16, 105. Vgl. aber die Ausnahmeregelungen in den §§ 153c Abs. 3, 153d Abs. 2 und § 153e Abs. 2 StPO.

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S. aber z.B. § 154 Abs. 2, § 154b Abs. 4 S. 2 StPO sowie für die Fälle der §§ 153, 153a StPO die dortigen Erl.; vgl. auch Rn. 103 ff. S. näher die Erl. Vor § 304 StPO. Näher die Erl. zu § 207 (24. Aufl. Rn. 34 ff.). Kühne 605 und die Erl. zu § 170 sowie unter Rn. 104.

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c) Bedingungen. Ob sich, wie teilweise behauptet, der allgemeine Grundsatz auf- 27 stellen lässt, dass Prozesshandlungen grundsätzlich bedingungsfeindlich seien,78 ist nicht unzweifelhaft. Zutreffend ist daran, dass eine Reihe von wichtigen und praktisch bedeutsamen Prozesshandlungen, namentlich die Rechtsmittelerklärungen,7 9 aber auch prozessbeendende gerichtliche Entscheidungen, vor allem Urteile, nicht von echten Bedingungen abhängig gemacht werden können, die ihre Wirksamkeit von einer tatsächlichen, auch vom Adressaten der Erklärung nicht zu beseitigenden Ungewissheit abhängig machen; dies würde dem Grundsatz der notwendigen Beständigkeit tragender Prozesshandlungen widersprechen.80 Soweit dieser Gesichtspunkt nicht trägt, gibt es aber keinen Grund, die Zulässigkeit bedingter Prozesshandlungen nicht anzuerkennen, von deren Existenz teilweise das Gesetz selbst ausgeht, so etwa – als bedingte Rechtsmitteleinlegung – in den Fällen der § 315 Abs. 2 S. 1, § 342 Abs. 2 S. 1 StPO,81 oder – als bedingte Verfahrenseinstellung – in den Fällen des § 153a Abs. 1 StPO, oder die, etwa als bedingte Beweisanträge – eine sinnvolle Verknüpfung vorausgesetzt 82 –, täglich praktiziert werden, oder wenn sog. Rechtsbedingungen 83 generell für zulässig erklärt werden. Die Frage ist deshalb wohl eher auf Grund typischer Gegebenheiten und der Umstände des Einzelfalles durch die Aufstellung eines Kataloges von bedingungsfeindlichen Prozesshandlungen zu lösen.84 Generalisierend lässt sich die Auffassung vertreten, dass die Hinzufügung einer Be- 28 dingung zu einer Prozesshandlung immer dann unschädlich ist, wenn es auf deren Beständigkeit nicht entscheidend ankommt, wenn sie nicht zu einer zusätzlichen Ungewissheit der Prozesslage für den Adressaten führt oder wenn dieser sie durch ein eigenes prozessuales Verhalten beseitigen kann und wenn die Bedingung mit dem Sinn der jeweiligen Prozesshandlung nicht unvereinbar ist. Die Einzelheiten sind nicht an dieser Stelle, sondern im Zusammenhang mit den jeweiligen Einzelvorschriften zu erörtern. Unzulässige Bedingungen machen die Prozesshandlung, mit der sie verbunden werden, 29 grundsätzlich unzulässig,85 nicht etwa gelten sie ihrerseits als nicht beigefügt; dies gilt namentlich für die mit Rechtsmittelerklärungen verbundene Bedingungen. Ob es generell anzunehmen ist, erscheint noch nicht vollständig geklärt. Keine unzulässige Bedingung liegt aber darin, dass eine Prozesshandlung mit einer motivierenden Begründung versehen wird, auch wenn sie sich sprachlich in der Form einer Bedingung darstellt, beispielsweise bei der Bezeichnung eines Rechtsmittels als vorsorglich.86 Entscheidend ist

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So z.B. Beulke 299; Gössel 162; KK/Pfeiffer Einl. 129; wohl auch LR/K. Schäfer 24 Einl. 10 37; Baumann Kap. 4 I 3d; Henkel 241 vgl. auch BVerfGE 40 272, 275 (allgemeiner Grundsatz des Prozessrechts); BGHSt 5 183; ferner BGHSt 29 396 (auch zu den Ausnahmen); zum Ganzen umfassend mit ausführlichen Nachw. Schmid GA 1982 95 ff. Dazu näher die Erl. Vor § 296. Ausführliche Nachw. zur Rspr. bei Schmid GA 1982 95 f. Vgl. Meyer-Goßner Einl. 118. Vgl. dazu BGHSt 40 287, 289; zum Ganzen auch Niemöller JZ 1992 884 ff. mit weit. Nachw.; s. ferner § 244, 160 ff. Vgl. dazu auch ausführlich mit Beispielen aus

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der Rspr. Schmid GA 1982 100 f.; BGHSt 25 187, 178 mit Anm. Hanack JR 1974 295; 29 396. Vgl. etwa in dieser Richtung Meyer-Goßner Einl. 118; Kühne Rn. 681 ff.; Beispiele auch bei LR/K. Schäfer 24 Einl. 10 37; weitere Hinweise bei Schmid GA 1982 99 ff.; zur (umstrittenen) Möglichkeit der bedingten Rücknahme der Privatklage s. § 391, 18. BGHSt 5 183, 184; Schmid GA 1982 105 mit weit. Nachw. (auch zur in der früheren Rspr. vereinzelt vertretenen Gegenmeinung). Vgl. BGHSt 5 183, 184 (der vor der Verwendung warnt); Meyer-Goßner Einl. 118 a.E.; näher (mit Nachw. der Rechtspr.) Schmid GA 1982 107; ferner Vor § 296, 24.

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immer, ob die in Frage stehende Handlung nur für den Fall der als Bedingung erscheinenden Umstände vorgenommen werden soll, wobei bereits unaufklärbare Zweifel zur Unzulässigkeit führen sollen.87 5. Willensmängel, insbesondere Irrtum, Täuschung und Drohung

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a) Allgemeines. Übersicht. Hinweise. Soweit es sich bei den Prozesshandlungen um Willenserklärungen handelt, können sie durch (Inhalts- oder Motiv-)Irrtum, Täuschung oder Drohung beeinflusst sein, und es fragt sich, wie weit sich dies auf die Wirksamkeit solcher Erklärungen auswirkt. Nach allgemeiner Meinung sind die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften, namentlich die §§ 119, 123 BGB unanwendbar, und auch davon abgesehen haben grundsätzlich Willensmängel keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Prozesshandlungen.88 Ohne nennenswerte praktische Bedeutung ist dies dann, wenn die jeweilige Prozesshandlung rücknehmbar ist, weil sie dann auf diese Weise ihrer unerwünschten Wirkungen entkleidet werden kann. In der Praxis ist das Problem, namentlich bei Verzicht oder Rücknahme von Rechtsmitteln, von Bedeutung. Wegen aller Einzelheiten wird deshalb auf die dortigen Erläuterungen verwiesen 89 und hier lediglich ein kürzerer Überblick gegeben.

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b) Gerichtliche Entscheidungen. Die Wirksamkeit gerichtlicher Entscheidungen wird durch Willensmängel des Gerichts weder in den Fällen der (arglistigen) Täuschung noch der Drohung in Frage gestellt; sie sind weder unwirksam noch allein aus diesem Grunde aufhebbar.90 Werden sie dadurch inhaltlich unrichtig, so stehen zur Abhilfe die zulässigen Rechtsmittel oder der Weg der Wiederaufnahme zur Verfügung. Offensichtliche, auf Irrtum zurückzuführende Unrichtigkeiten können nach den dafür allgemein geltenden Grundsätzen auch außerhalb des Rechtsmittelverfahrens berichtigt werden.91

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c) Sonstige prozessuale Erklärungen, die auf einem Erklärungs- oder Motivirrtum beruhen, sind nach der h.M. in der Regel ebenfalls wirksam und nicht aus diesem Grunde widerrufbar. Die Anwendung der Wiedereinsetzungsvorschriften (§§ 44 ff. StPO) wird nur vereinzelt vorgeschlagen 92 und hat in der Rechtsprechung kaum Gefolgschaft erfahren.93 Beruht die Willenserklärung auf einer Täuschung oder Drohung so wird recht eigentümlich argumentiert. Einerseits soll eine (unmittelbare oder entsprechende) Anwendung des § 136a StPO in der Regel selbst dann nicht in Betracht kommen, wenn die

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Vgl. BGHSt 5 183, 184 (für den Fall der Rechtsmitteleinlegung); Gössel 162; kritisch Schmid GA 1982 106 f.; s. auch LR/Hanack 25 Vor § 296, 24. RGSt 57 83; 63 302; BGHSt 5 338, 341; 17 14, 18; BGH NStZ 1984 181; 1986 277, 278; st. Rspr.; KK/Pfeiffer Einl. 129; MeyerGoßner Einl. 103; Eb. Schmidt I 208; Baumann Kap 4 I 3d; Beulke 301; Gössel 161; Henkel 242; Ranft 1329; Schäfer 122; Schlüchter 649, 2; teilweise enger z.B. Peters 267 ff.; krit. Dencker 57 ff.; zurückhaltend auch Roxin § 22, 6; § 51, 27 (für den Fall des Rechtsmittelverzichts).

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Vor allem § 302, 46 bis 58; vgl. auch § 136a, 14. Eb. Schmidt I 210; Beulke 301; Henkel 243 Fn. 22; a.A. (für Fälle schwerer Drohungen) Peters 272. S. näher Rn. 42 ff. zu § 268 sowie zum Ganzen Wiedemann. So etwa Dencker 30 ff., 45 f. und im Grundsatz auch Peters 270; dagegen Henkel 240; LR/K. Schäfer 24 Einl. 10 24; Schlüchter 649.3. So aber (für den Fall einer unwirksamen Einspruchsrücknahme) LG Osnabrück StraFo 1997 309, 311.

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Täuschung oder Drohung von einem Strafverfolgungsorgan ausgeht,94 andererseits soll sich aus seinem Grundgedanken Anhaltspunkte für die Lösung schwerwiegender Konfliktfälle ergeben.95 Bei einer äußerst schwerwiegenden Drohung durch Dritte, die anders nicht abwendbar ist (z.B. Todesgefahr oder schwerwiegende Gesundheitsschädigung), kann jedoch ausnahmsweise eine Unwirksamkeit der durch sie motivierten Prozesshandlung in Betracht gezogen werden.96 Für die Fälle des Rechtsmittelverzichts (namentlich des noch in der Hauptverhandlung 33 erklärten) und der Rechtsmittelrücknahme erkennt die Rechtsprechung unter Rückgriff auf das fair-trial-Prinzip und die Fürsorgepflicht die Unwirksamkeit teilweise dann an, wenn ein zurechenbares Verhalten des Gerichts, welches auch dann vorliegt, wenn das Gericht irrtümlich eine falsche Auskunft gegeben hat, gegeben ist.97 In Betracht kommen etwa krasse Fälle unzulässigen prozessualen Zwangs oder prozessualer Täuschung, objektiv unrichtiger amtlicher Sachbehandlung oder die Nichtverhinderung übereilter Erklärungen. Es erscheint erwägenswert, diese bei § 302 StPO näher dargestellten Grundsätze in vergleichbaren Situationen auch für andere Prozesshandlungen Privater anzuwenden. 6. Missbrauch von prozessualen Befugnissen, Verwirkung und ähnliche Erscheinungen Das geltende Recht enthält eine Reihe von Vorschriften, denen der Gedanke zugrunde 34 liegt, dass die grob zweckwidrige Verwendung von prozessualen Befugnissen dazu führt, dass die mit ihnen normalerweise verbundenen Wirkungen nicht eintreten, dass sie zurückgewiesen werden können, dass die Bescheidung von Anträgen in einem vereinfachten Verfahren möglich ist, dass bestimmte Rechtspositionen entfallen oder dass bestimmte Befugnisse eingeschränkt oder entzogen werden können. Dies wird teilweise mit dem Begriff des „Missbrauchs“, teilweise mit dem der „verfahrensfremden Zwecke“ verbunden, teilweise wird dieser Gedanke, wie etwa bei der Absicht der „Prozessverschleppung“ nur in einer speziellen Zielrichtung zum Ausdruck gebracht oder er liegt nach der erkennbaren gesetzgeberischen Absicht der jeweiligen Sachregelung zugrunde. Ausführlich hierzu Rn. H 40 ff.

III. Prozessvoraussetzungen 1. Entwicklung. Bedeutung. Hinweise. Die Lehre von den Prozessvoraussetzungen 35 ist, aufbauend auf der vorwiegend zivilprozessual orientierten Arbeit von Bülow 98 und nach der ersten Übertragung dieser Erkenntnisse durch von Kries 99 auf den Strafprozess, überwiegend von der Prozessrechtswissenschaft entwickelt worden. Die Rechtsprechung ist ihr zunächst nur zögernd gefolgt. Im Wortlaut der Strafprozessordnung ist der Begriff 94

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Heute ganz überwiegende Meinung; a.A. noch Eb. Schmidt I 209 Fn. 375; wohl auch Henkel 243. Grundlegend BGHSt 17 14, 18 = JR 1962 92 mit Anm. Eb. Schmidt = JZ 1963 226 mit Anm. Oehler; näher mit weit. Nachw. § 136a, 14. So (als Möglichkeit) BGHSt 17 14, 18; Peters 272; LR/K. Schäfer 24 Einl. 10 34; offengelassen BGH NStZ 1986 277, 278.

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Vgl. die Ausgangsentscheidungen BGHSt 18 257; 19 101; BGH NJW 2001, 1435; weit. Nachw. bei § 302, 49 ff. Zur Unzulässigkeit einer auf einen Rechtsmittelverzicht gerichteten Vereinbarung s. Rn. G 64. Bülow Die Lehre von den Prozeßeinreden und den Prozeßvoraussetzungen (1868). ZStW 5 [1885] 1 ff.

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des Verfahrenshindernisses, also des negativ bezeichneten Gegenstückes der Verfahrensvoraussetzung, erstmals 1942 verwendet worden.100 Seither ist die Lehre von den Prozessoder Verfahrensvoraussetzungen in Rechtsprechung, Schrifttum und Gesetzgebung zu einer wichtigen begrifflichen und dogmatischen Grundlage für das Strafprozessrecht mit auch bedeutsamen praktischen Konsequenzen geworden; sie ist für die Auslegung und Anwendung des Strafprozessrechts unverzichtbar. Trotz gewisser fortbestehender Unklarheiten darüber, nach welchen Leitgesichtspunkten die Prozessvoraussetzungen von anderen Phänomenen abzugrenzen sind, besteht hierüber ein weitgehender praktischer Konsens, und im Großen und Ganzen ist auch ihre verfahrensrechtliche Behandlung geklärt. Neuerdings ist jedoch vor allem in der Wissenschaft lebhaft umstritten, ob der Kreis der Verfahrenshindernisse um anders geartete Umstände erweitert werden soll, die den Charakter von Verfahrensverstößen von besonderem Gewicht haben (näher Rn. 45 ff.). Die Lehre von den Prozessvoraussetzungen in ihren Einzelheiten wird bei § 206a 36 StPO umfassend behandelt. Weitere ausführliche Erörterungen finden sich für die Behandlung der Prozessvoraussetzungen in der tatrichterlichen Hauptverhandlung (§ 260 Abs. 3 StPO) bei den Erläuterungen zu § 260 StPO und in der Revision bei den Erläuterungen zu § 337 StPO.101 Hierauf wird verwiesen. Die nachfolgende Darstellung enthält nur eine kurze Übersicht über die wichtigsten Grundzüge und Streitfragen.

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2. Begriff, Wesen und Einteilung. Prozessvoraussetzungen oder Verfahrensvoraussetzungen 102 sind diejenigen Umstände oder die Gesamtheit der Bedingungen, von denen es nach dem ausdrücklich erklärten oder aus dem Zusammenhang ersichtlichen Willen des Gesetzes abhängt, dass in einem bestimmten Verfahren oder von einem bestimmten Abschnitt des Verfahrens an von diesem Gericht unter Mitwirkung dieser Prozessbeteiligter eine Sachentscheidung ergehen darf.103 Verfahrenshindernisse (Prozesshindernisse) bedeuten, negativ ausgedrückt, das Gleiche; es sind Umstände, die es ausschließen, von einem bestimmten Zeitpunkt an über einen bestimmten Prozessgegenstand mit bestimmten Prozessbeteiligten mit dem Ziel einer Sachentscheidung zu verhandeln. Die entscheidende Funktion der Verfahrenshindernisse im Gefüge des Prozessrechts besteht nach alledem darin, dass sie es untersagen, eine Sachentscheidung zu treffen und auch schon, sobald ihr Vorliegen feststeht (oder umgekehrt, das Fehlen einer Prozessvoraussetzung bemerkt wird), mit dem Ziel einer Sachentscheidung das Verfahren fortzusetzen, so lange nicht der Mangel beseitigt ist.104 Der Kreis der Prozessvoraussetzungen, der nicht a-priorisch vorgegeben ist, ist im wesentlichen von dieser Funktion her zu bestimmen. Zur Abgrenzung der Prozessvoraussetzungen von ähnlichen Phänomenen wird von 38 der Rechtsprechung 105 und dem wohl überwiegenden Teil des Schrifttums 106 darauf 100

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Einfügung des heutigen § 206a StPO wurde als damaliger § 206 durch die Verordnung über die Beseitigung des Eröffnungsbeschlusses im Strafverfahren vom 13.08.1942 (RGBl. 512) bewirkt. Durch Art. 3 I Nr. 89 VereinhG wurde sie zu § 206a, wobei im Text lediglich die Worte „nach Anordnung der Hauptverhandlung“ durch „nach Eröffnung des Hauptverfahrens“ ersetzt wurden. LR/Hanack 25 § 337, 29 bis 65. Die Begriffe werden heute überwiegend synonym gebraucht; unterschiedliche Bedeutung jedoch etwa bei Peters 275 und

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Baumann Kap. 4 III 1a; dazu auch Eb. Schmidt I 118 f. Vgl. aus der Rechtsprechung etwa BGHSt 10 75; 15 287, 290; 26 84, 89; BGH NStZ 1984 228; aus dem Schrifttum etwa Meyer-Goßner Einl. 142; SK/Paeffgen § 206 a Anh. 1; Gössel 130; Fezer 9/131; Henkel 230; Krey II 565; Eb. Schmidt (Kolleg) 38. So vor allem Eb. Schmidt I 119 ff.; s. auch u.a. Beulke 273. So etwa BGHSt 15 287, 290; 19 273, 278; 21 81; 24 239; 26 84, 91; 32 345, 350; 33

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abgestellt, es müsse sich um Umstände handeln, die so schwer wiegen, dass von ihrem Vorhandensein die Zulässigkeit des Verfahrens im ganzen nicht nur im Interesse des Angeklagten, sondern auch im öffentlichen Interesse abhängt. Es sollen aber solche Umstände ausscheiden, die weniger an objektiv feststellbare Tatsachen anknüpfen, sondern überwiegend Gegenstand wertender Betrachtung sind.107 Demgegenüber werden im Schrifttum teilweise die Verfahrensvoraussetzungen inhaltlich dahingehend bestimmt, dass es sich um typisierte Voraussetzungen der Sicherung oder Wiederherstellung des Rechtsfriedens handele.108 Die praktischen Unterschiede beider Auffassungen sind in bezug auf die allgemein anerkannten Verfahrensvoraussetzungen gering, und in bezug auf die Grenz- und Zweifelsfälle wird bei der Unschärfe beider Begriffsbestimmungen eine Entscheidung wohl vielfach nur pragmatisch und teilweise dezisionistisch unter Berücksichtigung der mit ihnen verbundenen prozessualen Konsequenzen getroffen werden können. Die Einteilung der Prozessvoraussetzungen ist eine Frage der Zweckmäßigkeit und 39 Anschaulichkeit, und als solche kein wissenschaftliches Problem.109 Es handelt sich bei ihnen um Vorschriften des Prozessrechts, die von den materiell-rechtlichen Bestrafungsvoraussetzungen, wie etwa den objektiven Bedingungen der Strafbarkeit und den persönlichen Strafaufhebungs- und Strafausschließungsgründen, zu unterscheiden sind. Die insoweit früher teilweise bestehenden Abgrenzungsprobleme dürften heute weitgehend geklärt oder, weil insoweit eine Doppelnatur angenommen wird, bedeutungslos sein.110 In der praktischen Handhabung der Prozessvoraussetzungen spielt einmal der Umstand eine Rolle, dass ein Teil von ihnen erst im Laufe des Verfahrens geschaffen wird und folglich erst danach vorliegen muss, wie etwa Anklage oder Eröffnungsbeschluss. Eine weitere, praktisch bedeutsame Differenzierung liegt darin, dass es behebbare Verfahrenshindernisse gibt, deren Fehlen zwar regelmäßig zur Einstellung des Verfahrens führt, bei denen aber ein neues Verfahren nach der Schaffung der jeweiligen Prozessvoraussetzung möglich, wenn nicht gar geboten ist. 3. Einzelne Prozessvoraussetzungen. Als Prozessvoraussetzungen von im Einzelnen 40 unterschiedlicher praktischer Bedeutung allgemein anerkannt sind etwa:111 (1) Umstände, die die zu verfolgende Sache betreffen, die Unverjährtheit, das Vorliegen eines etwa erforderlichen Strafantrages 112 oder einer Ermächtigung, die Unberührtheit der Sache, also das Fehlen einer anderweitigen Rechtshängigkeit und der Sperrwirkung der Rechtskraft, das Nichtvorliegen einer Amnestie sowie das Nichteingreifen von auslieferungsrechtlichen Verfolgungsbeschränkungen; (2) Umstände, die die gerichtliche Tätig-

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183, 186; 41 72, 75; 43 53, 56 = JZ 1998 627 mit Anm. Bernsmann. Vgl. Meyer-Goßner Einl. 143, 146; KK/Pfeiffer Einl. 131. Vgl. BGHSt 32 345, 351; 36 294, 295; 41 72, 75; 43 53, 57; LR/K. Schäfer 24 Einl. 11 9; kritisch, aber ähnlich auf die Einfachheit der Konturen abstellend Volk (Prozeßvoraussetzungen) 215 f. und StV 1986 36. Volk (Prozeßvoraussetzungen) 204 ff.; im Ansatz zustimmend Roxin § 21, 1; krit. Zielinski GedS H. Kaufmann 377. Eb. Schmidt I 122 Fn. 227; ähnlich LR/ K. Schäfer 24 Einl. 11 15; Fezer 9/132. Vgl. auch die jeweils unterschiedlichen

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Gliederungen der einzelnen Prozeßvoraussetzungen etwa bei Eb. Schmidt I 123 bis 191; SK/Paeffgen Anh. § 206a, 3 ff.; Beulke 273 ff.; Fezer 9/133 ff.; Henkel 232 ff.; Krey II 565 ff.; Kühne Rn. 666 ff. Vgl. dazu mit weit. Nachw. LR/K. Schäfer 24 Einl. 12 74 f. (Amnestie); 78 ff. (Verjährung); 119a (Strafantrag). Die Einteilungen werden unterschiedlich getroffen, vgl. etwa Kühne 667 ff. Zur umstrittenen Frage der Zugehörigkeit des Strafantrags zu den Prozeßvoraussetzungen vgl. ausführlich M. K. Meyer (Strafantrag) und Zielinski GedS H. Kaufmann 875 ff.

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keit betreffen, die Zuständigkeit der ordentlichen Strafgerichte und deren örtliche und sachliche Zuständigkeit im Einzelfall,113 die Erhebung einer als Prozessvoraussetzung wirksamen Klage sowie (soweit vorgeschrieben) eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses und vergleichbarer gerichtlicher Zwischenentscheidungen, sowie (3) Umstände, die die Person des Beschuldigten betreffen, seine Strafmündigkeit, seine Gerichtsunterworfenheit, also namentlich das Nichtvorliegen einer diplomatischen oder der parlamentarischen Immunität, sowie die Verhandlungsfähigkeit und das Nichtvorliegen einer konkreten Lebens- oder schwerwiegenden Gesundheitsgefährdung infolge der Verfahrensfortsetzung.114 Eine nähere Darstellung der einzelnen Prozessvoraussetzungen, auch in der Abgrenzung zu verwandten Umständen, denen diese Eigenschaft nicht zukommt, wird in den Erläuterungen zu § 206a StPO gegeben.

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4. Behandlung der Prozessvoraussetzungen im Verfahrensgang. Aus der Eigenart der Prozessvoraussetzungen als prozessuale Bedingungen, von denen es abhängt, dass das Verfahren mit dem Ziel einer Sachentscheidung fortgeführt werden darf und bei denen es sich um solche Umstände handeln muss, die das Gesetz auch im öffentlichen Interesse verlangt, erklären sich weitgehend die Besonderheiten ihrer Behandlung im Verfahrensgang gegenüber der Behandlung anderer verfahrensrechtlicher Vorschriften. Umgekehrt sollten gerade diese Besonderheiten mit beachtet werden, wenn zu entscheiden ist, welche Umstände als Verfahrensvoraussetzungen oder Verfahrenshindernisse qualifiziert werden können. Aus dem sachentscheidungsverhindernden Charakter der Verfahrenshindernisse folgt vor allem, dass das Verfahren, sobald über ihr Vorliegen Gewißheit besteht, durch die jeweils vorgesehene Prozessentscheidung zu beenden, oder ein Zustand herzustellen ist, der den Mangel beseitigt. Die Begründung der Prozessvoraussetzungen im öffentlichen Interesse bewirkt, dass weder das Gericht noch der Beschuldigte, solange das Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, über das Vorliegen von Prozessvoraussetzungen disponieren kann. Das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen ist deshalb nach allgemeiner Auffassung in 42 jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Bei ihrem Fehlen, also wenn ein Verfahrenshindernis besteht, ist das Verfahren grundsätzlich durch Einstellung zu beenden. Dies geschieht im Ermittlungsverfahren durch Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO, im Zwischenverfahren durch Ablehnung der Eröffnung sowie nach der Eröffnung des Hauptverfahrens außerhalb einer Hauptverhandlung durch verfahrensbeendenden Beschluss nach § 206a StPO, aufgrund einer Hauptverhandlung durch Einstellungsurteil nach § 260 Abs. 3 StPO. Einzustellen ist das Verfahren auch dann in vollem Umfangs, wenn es in der Rechtsmittelinstanz aufgrund einer nur teilweisen Anfechtung oder nach einer Teilaufhebung teilweise rechtskräftig geworden ist. Einer besonderen Geltend113

Ob auch die sachliche Unzuständigkeit eines Gerichtes höherer Ordnung, die nur bei willkürlicher Zuständigkeitsbegründung für rechtsfehlerhaft gehalten wird, ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis darstellt, ist derzeit innerhalb des BGH umstritten. Bejahend BGHSt 38 172, 176; 40 120; NStZ 1992 397 (jeweils 4. StS); verneinend BGHSt 42 205 (5. StS für das Verhältnis Strafrichter/Schöffengericht); 43 53, 56 = StV 1998 1 = JZ 1998 627 mit abl. Anmerkung Bernsmann (1. StS, generell).

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Zu der durch die sog. Honecker-Entscheidung des BerlVGH (NJW 1993 515) aufgeworfenen Frage, ob ein Verfahrenshindernis auch dann vorliegt, wenn der Beschuldigte den Abschluß des Verfahrens nicht mehr erleben wird, s. die Erl. bei § 205 und § 206 a; vgl. ferner u.a. Bartlsperger DVBl. 1993 333 ff.; Meurer JR 1993 89; Paeffgen NJ 1993 152; Schoreit NJW 1993 881; Starck JZ 1993 231.

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machung des Verfahrenshindernisses durch den Beschwerdeführer bedarf es auch im Revisionsverfahren in keinem Fall, so dass dieser auch dessen Beachtung nicht durch Beschränkung seines Rügevorbringens verhindern kann. Wegen der teilweise umstrittenen Einzelheiten wird auf die Erläuterung bei den jeweiligen Vorschriften verwiesen Das Gebot der Verfahrenseinstellung unterliegt einigen Ausnahmen, ohne dass des- 43 halb die Eigenschaft als Prozessvoraussetzung in Zweifel gezogen werden muss.115 Zuständigkeitsmängel sind teilweise nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift 116 durch Verweisung an das zuständige Gericht und damit durch die Schaffung der fehlenden Prozessvoraussetzung zu beheben. Auch im Übrigen kann das Verfahren weitergeführt werden, wenn die fehlende Prozessvoraussetzung noch beigebracht 117 oder durch eine andere ersetzt werden kann.118 Betrifft das Verfahrenshindernis nur einen von mehreren Straftatbeständen einer einheitlichen prozessualen Tat, so bleibt lediglich dieser bei der weiteren Rechtsanwendung unberücksichtigt. Schließlich ist für die Behandlung von Verfahrenshindernissen allgemein anerkannt, dass eine sog. liquide Freispruchsreife den Vorrang hat;119 umstritten ist, ob darüber hinaus ein weitergehender Anspruch auf beschränkte Fortführung des Verfahrens mit dem Ziel einer günstigen Sachentscheidung besteht.120 Ob die Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist, da es sich um verfahrensrechtliche 44 Umstände handelt, grundsätzlich im Wege des Freibeweises zu klären. Dies gilt uneingeschränkt und unbestritten für alle Sachverhaltsaufklärungen außerhalb der tatrichterlichen Hauptverhandlung, nach der Rechtsprechung und der überwiegenden, aber umstrittenen Meinung im Schrifttum aber auch für die Klärung dieser Frage in der Hauptverhandlung.121 Muss das Revisionsgericht eine entsprechende Klärung herbeiführen, so ist es grundsätzlich ebenfalls zur freibeweislichen eigenen Ermittlung befugt (und verpflichtet); es ist aber in einem im Einzelnen umstrittenen Umfang an die Feststellung doppelrelevanter, also auch für die Schuld- und Straffrage bedeutsamer Tatsachen im tatrichterlichen Urteil gebunden.122 Umstritten ist insgesamt, wie bei tatsächlichen Zweifeln über das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen zu verfahren ist. Das Schrifttum wendet vielfach den Grundsatz in dubio pro reo an; 123 richtigerweise ist unabhängig hiervon zu verlangen, dass das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen feststehen muss,124 was im Ergebnis freilich der Anwendung des in dubio pro reo entspricht. Die Rechtsprechung entscheidet einzelfallbezogen; kommt aber weitgehend zu den gleichen Ergebnissen. Die Einzelheiten sind bei § 206a StPO erörtert.

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So aber AK/Loos § 206a Anh. 16; SK/Paeffgen § 206a Anh. 14 für die sachliche Zuständigkeit. S. etwa §§ 270, 328 Abs. 2, § 355 StPO. So etwa bei nachträglicher Stellung eines Strafantrags oder einer (zulässigen, s. dazu die Erl. zu § 207 StPO) Nachholung eines Eröffnungsbeschlusses. So etwa bei den relativen Antragsdelikten die den Strafantrag ersetzende Erklärung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft; ausführlich LR/K. Schäfer 24 Einl. 12 120 ff.

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Näher die Erl. zu § 260 StPO. Vgl. Sternberg-Lieben ZStW 108 (1996) 721 ff. Z.B. BGHSt 16 164, 166; 21 81; 30 215, 218; RGSt 51 72; 59 313; 62 262; Meyer-Goßner Einl. 152; KK/Pfeiffer Einl. 133; zweifelnd Fezer 9/153; a.A. u.a. Roxin § 21, 22; Volk (Prozeßvoraussetzungen) 83; Többens NStZ 1982 184; näher die Erl. zu den §§ 244, 260 StPO. Näher § 337, 33 ff. StPO. Kühne 966. Vgl. Fezer 9/165 („in dubio contra procedere“).

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5. Bemühungen um eine Erweiterung des Kreises der Verfahrenshindernisse

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a) Übersicht. In neuerer Zeit sind vor allem im Schrifttum Überlegungen darüber angestellt worden, auch andere Verfahrensverstöße von besonderem Gewicht, namentlich wenn durch sie in erheblichem Umfang in grundrechtlich geschützte Positionen eingegriffen wird, als Verfahrenshindernisse zu qualifizieren, mit der Folge, dass Verfahrenseinstellung erforderlich wird. Hieraus ist teilweise zusammenfassend und generalisierend ein Verfahrenshindernis der (irreparablen) „Verletzung des Rechts auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren“ abgeleitet worden.125 Diskutiert und teilweise bejaht wird dies namentlich in den Fällen der überlangen Verfahrensdauer, des tatprovozierenden Einsatzes von Lockspitzeln, der völkerrechtswidrigen Entführung oder sonstigen unfreiwilligen Verbringung, aber auch, meist aufgrund von entsprechendem Revisionsvorbringen, in anderen Fällen, etwa der öffentlichen Vorverurteilung, der Nichteinhaltung von Zusagen im Rahmen von Vereinbarungen (s. Rn. G 64) oder dem Versuch der Herbeiführung der Verurteilung um jeden Preis.126 Soweit in besonderen Fällen die Möglichkeit einer Verwirkung des staatlichen Strafanspruchs diskutiert oder anerkannt wird (s. Rn. H 69 ff.), wird für die prozessuale Umsetzung ebenfalls in der Regel das Rechtsinstitut des Verfahrenshindernisses in Anspruch genommen.127 Die Rechtsprechung vor allem des Bundesgerichtshofes vertritt nach teilweisem 46 Schwanken, namentlich in den Fällen der Tatprovokation, in neuerer Zeit generell eine restriktive Haltung. Sie berücksichtigt die in Frage kommenden Phänomene je nach Sachlage vor allem bei der Strafzumessung, aber auch in der Annahme von Beweisverwertungsverboten, als Befangenheitsgründe oder in der Betonung einer Pflicht zur besonders sorgfältigen Beweiswürdigung. Im Einzelnen ist nach der neueren Rechtsprechung die Annahme eines Verfahrenshindernisses etwa abgelehnt worden bei der Überschreitung der Grenzen der erlaubten Tatprovokation,128 grundsätzlich bei der völkerrechtswidrigen Entführung,129 bei der Kenntnis der Staatsanwaltschaft vom Verteidigungskonzept,130 bei (angeblichen) Machenschaften der Polizei, um eine Verurteilung um jeden Preis herbeizuführen,131 bei (angeblich) manipulierten Ermittlungsakten 132 oder bei Nichteinhaltung der Zusage der Staatsanwaltschaft zur Nichtverfolgung einer anderen Straftat.133 Auch bei der der Justiz zuzurechnenden erheblichen Verfahrensverzögerung hat der Bundesgerichtshof bisher an der „Strafzumessungslösung“ (Rn. I 68 ff.) weitgehend festgehalten und lediglich in Ausnahmefällen ein Verfahrenshindernis angenommen;134 die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung und die der Tatgerichte scheint hier teilweise

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So etwa Weiler GA 1994 561 ff. mit weit. Nachw.; ähnlich Hillenkamp NJW 1989 2847 (für besonders gelagerte Ausnahmefälle). Vgl. die zusammenfassende Übersicht bei SK/Paeffgen § 206a Anh. 25 ff.; SK/Wolter Vor § 151, 209 ff.; Kühne 669; Hillenkamp NJW 1989 2842 f.; Weiler GA 1994 563 ff. So etwa Wolfslast (Verwirkung) 259 ff. BGHSt 33 356, 362 (GrSSt) obiter entgegen der früheren kontroversen Rechtsprechung (Nachw. in BGHSt 32 345); vgl. auch Weiler GA 1994 565 f.; zur Rechtsprechungsentwicklung ausführlich LR/K. Schäfer 24 Einl. 12 94 ff.

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BGH NStZ 1985 464; StV 1987 138; vgl. auch BVerfG (Vorprüfungsausschuss bzw. Kammerentscheidung) StV 1986 233; StV 1987 137; NStZ 1995 95; kritisch u.a. Schünemann (Entführung) 231 ff. BGH NStZ 1984 419 mit Anm. Gössel. BGHSt 33 283 = StV 1985 398 mit Anm. Becker. BGHSt 41 72, 75 f. BGHSt 37 10 = JR 1991 257 mit Anm. Weigend (Berücksichtigung als wesentlicher Strafmilderungsgrund). BGHSt 35 137 = EuGRZ 1988 305 mit Anm. Kühne; BGH NJW 2001, 1146.

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großzügiger zu verfahren.135 Das Bundesverfassungsgericht hat bisher die Nichtannahme eines Verfahrenshindernisses durchweg gebilligt, jedenfalls nicht ausdrücklich beanstandet, und für Ausnahmefälle die Annahme eines Verfahrenshindernisses nicht ausgeschlossen.136 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfolgbarkeit von Spionagehandlungen aus dem Gebiet der DDR 137 wird vielfach dahin gedeutet, dass damit die verfassungsmäßige Statuierung eines besonderen Verfahrenshindernisses der Unverhältnismäßigkeit der Strafverfolgung bestimmt worden sei.138 Doch erscheint diese dogmatische Festlegung auf das prozessrechtliche Institut des Prozesshindernisses nicht als hinreichend eindeutig. Die Entscheidung spricht durchweg von der Notwendigkeit, ein „Strafverfolgungshindernis“ anzunehmen, was es auch ermöglicht, es als materiellen Strafaufhebungsgrund anzusehen,139 sofern das Gericht mit dieser Wortwahl überhaupt eine strafrechtsdogmatische Aussage verbinden wollte. Die Frage kann in dem hier zu behandelnden Zusammenhang, ebenso wie die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung 140, unentschieden bleiben, weil das Bundesverfassungsgericht selbst unter Hinweis auf die Einmaligkeit der Situation einer Verallgemeinerung entgegengetreten ist 141 und sich die Bindungswirkung seiner Entscheidung nicht auf die einfachrechtliche dogmatische Einordnung bezieht.142 Im Schrifttum steht der Auffassung, die in unterschiedlichem Umfang und unterschiedlicher Intensität bei verschiedenen Fallgruppen in solchen Fällen ein Verfahrenshindernis bejaht, diejenige gegenüber, die es insgesamt oder überwiegend ablehnt.143 b) Bewertung. Eine nähere Erörterung der durch diese neue Entwicklung aufgeworfe- 47 nen Fragen wird bei den Erläuterungen zu § 206a StPO vorgenommen. Grundsätzlich müssen die Versuche, einer rechtsstaatswidrigen oder sonst grob fehlerhaften Verfahrensweise durch die Annahme eines Verfahrenshindernisses zu begegnen, mit Zurückhaltung beurteilt werden, da die prozessuale Funktion von Verfahrenshindernissen nicht in erster

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Nachw. bei SK/Paeffgen § 206a Anh. 30; Weiler GA 1994 568 f. So etwa BVerfG (Vorprüfungsausschuss) NJW 1984 967; NStZ 1986 178 (Vorprüfungsausschuss); StV 1993 352 (Kammerentscheidung, völkerrechtswidrige Entführung). BVerfGE 92 277 = NStZ 1995 383 ff. So trotz erheblicher Zweifel die Interpretation des BayObLG JR 1996 427 ff. mit Anm. Schmidt; Schlüchter/Duttge NStZ 1996 458 f.; Schroeder JR 1995 443; Volk NStZ 1995 369 ff.; vgl. auch Hillenkamp JZ 1996 180. S. dazu etwa Schlüchter/Duttge NStZ 1996 458 f.; s. auch BGH NStZ 1997 140, 141 mit Anm. Dehn mit dem Hinweis, dass dieses vom BVerfG angenommene Verfolgungshindernis von den prozessualen Verfahrenshindernissen unterschieden und einem materiell-rechtlichen Strafausschließungsgrund ähnlich sei. Dazu bereits kritisch das abweichende Votum der drei dissentierenden Richter,

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BVerfGE 92 341 ff. = NStZ 1995 388 ff.; ferner Classen NStZ 1995 371 ff.; Hillenkamp JZ 1996 180; Huber Jura 1996 301 ff.; BayObLG JR 1996 427 m. Anm. W. Schmidt; Schlüchter/Duttge NStZ 1996 457 ff.; Schroeder JR 1995 441; Widmaier NJ 1995 345. BVerfGE 92 327 unter C V 1 = NStZ 1995 385, 387. Vgl. Classen NStZ 1995 374. So etwa verneinen ein Verfahrenshindernis AK/Loos § 206a Anh. 19 ff.; HK/Krehl Einl. 30; Meyer-Goßner Einl. 147 ff.; KK/Pfeiffer Einl. 131 f.; Krey II 586 ff.; Schroeder 74; Volk StV 1986 36 f.; differenzierend und eher aufgeschlossen dagegen etwa Beulke 288; SK/Paeffgen § 206a Anh. 25 ff.; Roxin § 21, 17 ff.; Rüping 600; grundsätzlich bejahend, wenn auch nur unter bestimmten Voraussetzungen z.B. Hillenkamp NJW 1989 2845 ff.; Weiler GA 1994 561 ff.; SK/Wolter Vor § 151, 209 ff. (verfassungsrechtliches Verfolgungsverbot).

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Einleitung

Linie darin gesehen werden kann, besonders schwerwiegende Verfahrensverstöße in einer Art „rügefreiem Superrevisionsgrund“ zu sanktionieren. Auch ist die Annahme eines Verfahrenshindernisses in solchen Fällen dogmatisch insgesamt noch nicht hinreichend abgeleitet.144 Dennoch ist nicht zu verkennen, dass Prozessvoraussetzungen auch die Grundbedingungen für einen rechtsstaatlich akzeptablen Prozess beschreiben. Fehlt es an ihnen, kann und soll ein Strafverfahren nicht betrieben werden, um einen Schaden am System und seiner Legitimation zu vermeiden. Ob zu diesem Zweck die Lehre von den Verfahrenshindernissen bemüht werden kann oder aber dogmatische Lösungen entwickelt werden müssten, die sich außerhalb der herkömmlichen Verfahrenshindernisse und Prozessvoraussetzungen bewegen,145 ist bislang noch nicht hinreichend geklärt.

IV. Prozessuale Tat und Prozessgegenstand 48

1. Bedeutung. Hinweise. Die StPO verwendet den Begriff der (prozessualen) Tat in den §§ 155 und 264 in zwei zentralen, das deutsche Prozessmodell mit konstituierenden Vorschriften. Danach erstreckt sich die gerichtliche Entscheidung und Untersuchung nur auf die in der Klage bezeichnete Tat (§ 155 Abs. 1) und ist nur diese Gegenstand der Urteilsfindung (§ 264 Abs. 1). Andere in diesem Zusammenhang mehr untergeordnete Vorschriften knüpfen hieran an.146 Das Grundgesetz nimmt in Art. 103 Abs. 3 GG den Begriff auf, indem es verfassungsrechtlich bestimmt, dass niemand wegen derselben Tat mehrfach bestraft werden kann.147 Schon daraus erhellt, dass es sich hierbei um einen wichtigen prozessrechtlichen Grundbegriff handelt. Der Tatbegriff bezeichnet den Prozessgegenstand des gerichtlichen Verfahrens 148 nach Erhebung der Klage und bestimmt den Umfang der materiellen Rechtskraft. Wie er inhaltlich auszufüllen ist und wie er sich zu den materiell-strafrechtlichen Begriffen der Tatmehrheit und Tateinheit verhält, ist trotz langer und intensiver Bemühungen der Rechtsprechung und der Rechtslehre noch immer umstritten. Der in der Rechtsprechung ganz herrschenden und von Teilen des Schrifttums geteilten ontologischen und eher naturalistischen Auffassung, dass der einheitliche Lebensvorgang den Kern des Tatbegriffs ausmache, stehen im Schrifttum zahlreiche, in sich unterschiedliche Meinungen gegenüber, die ihn in erster Linie normativ bestimmen wollen.149 Keine dieser Auffassungen hat sich bisher allgemein durchgesetzt. Die Einzelheiten der prozessualen Tat werden in diesem Kommentar bei § 264 StPO 49 dargestellt; dort ist auch die teilweise kasuistisch zersplitterte Rechtsprechung 150 und das Schrifttum umfassend nachgewiesen. Weitere Erläuterungen zum Tatbegriff in seiner jeweiligen funktionellen Bedeutung finden sich bei § 155 sowie bei § 200 StPO, zur

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Rieß JR 1985 47 f.; Volk StV 1986 36. Vgl. dazu hier die Vorauflage und die Überlegungen von Hillenkamp NJW 1989 2845 ff., der zwar terminologisch am Verfahrenshindernis festhält; es aber ebenfalls besonderen Voraussetzungen und Bedingungen unterwerfen will; s. auch Wolfslast (Verwirkung) 260 ff. So etwa § 114 Abs. 2 Nr. 2, § 136 Abs. 1 Satz 1, §§ 146, 154, 154c, 200 Abs. 1 Satz 1, § 207 Abs. 2 Nr. 1 und 3, § 409

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Abs. 1 Nr. 3 StPO; ausführlich zum Sprachgebrauch auch Achenbach ZStW 87 (1975) 82 ff. Dazu näher Rn. 77. Zur Mehrheit von Prozessgegenständen in einem Verfahrens s. Rn. 58. S. dazu u.a. die Zusammenfassungen bei Radtke 113 ff. und Wolter GA 1986 157 ff. S. dazu auch die tabellarischen Übersichten bei SK/Schlüchter § 264, 10, 18.

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Bedeutung für die Wirkungen der Rechtskraft. Hierauf wird Bezug genommen; nachfolgend werden nur die wichtigsten Zusammenhänge unter Hinweis auf ausgewählte Rechtsprechung dargestellt.151 2. Funktionen des Tatbegriffs a) Allgemeines. Mit dem materiellen Begriff der Straftat oder auch nur der rechts- 50 widrigen Tat stimmt der Begriff der (prozessualen) Tat nicht vollständig überein. Sein Inhalt ergibt sich vielmehr aus der spezifischen prozessualen Funktion, den Prozessgegenstand, also das Thema des gerichtlichen Verfahrens und der Entscheidung, zu bestimmen. Dabei folgt schon aus § 155 Abs. 2 und § 264 Abs. 2 StPO, dass eine Bindung an den in der Klage bezeichneten Straftatbestand (also das „verletzte Gesetz“) nicht eintritt. Das Gericht bewegt sich auch dann noch innerhalb des Prozessgegenstandes, wenn es (durch eine sog. Umgestaltung der Strafklage 152) den (wie auch immer inhaltlich zu bestimmenden) Prozessgegenstand rechtlich anders würdigt. Dies gilt auch dann, wenn es dabei zu anderen tatsächlichen Feststellungen gelangt, als sie der (vorläufigen) Angabe der Sachverhaltsdarstellung in der Klage und ihrer Würdigung im Eröffnungsbeschluss zugrunde liegen.153 Das ist nach der Gesetzeslage unbestreitbar und wird auch von den Auffassungen nicht in Zweifel gezogen, die eine stärkere Verbindung der prozessualen Tat mit dem materiell-strafrechtlichen Tat- oder Handlungsbegriff vornehmen wollen als es die herrschende Meinung tut. Zweifelhaft und umstritten ist aber, in welchem Umfang eine Veränderung der tatsächlichen Erkenntnisgrundlagen sich noch in den Grenzen des prozessualen Tatbegriffs hält und welche Bedeutung insoweit die materiell-rechtlichen Kategorien der Handlung, der Tateinheit oder der Tatmehrheit haben. b) Die einzelnen Funktionen. Die strafprozessuale Funktion der (prozessualen) Tat, 51 also des Prozessgegenstandes, ist eine dreifache. Sie ist mit unterschiedlichen verfahrensrechtlichen und verfahrenspraktischen Konsequenzen verbunden. Als ein konstitutives Element des Anklagegrundsatzes (Rn. I 9) bestimmt und begrenzt der Gegenstand der angeklagten Tat, also die Gesamtheit der mit dem Akt der Klageerhebung bezeichneten Umstände, die untersuchende und entscheidende Tätigkeit des Gerichts. Dies bringen § 155 Abs. 1 StPO und in konkretisierter Form § 200 Abs. 1 StPO zum Ausdruck. In Verbindung hiermit und als eine Konsequenz des Amtsaufklärungsgrundsatzes (Rn. I 30 ff.) bestimmt der Prozessgegenstand den Umfang und die Grenzen der gerichtlichen Aufklärung und der gerichtlichen Entscheidung dergestalt, dass das erkennende Gericht nach dem Grundsatz der allseitigen Kognition den Prozessgegenstand erschöpfend aufzuklären und abzuurteilen hat, über dessen Grenzen es aber nicht hinausgehen darf, solange dies nicht durch eine weitere Klage zu einem zusätzlichen Prozessthema gemacht worden ist. Diese Funktion bringen namentlich die §§ 264, 265, 266 StPO zum Ausdruck. Schließlich bestimmt der durch den Tatbegriff bestimmte Prozessgegenstand mit dem Eintritt der Rechtskraft den Umfang der Sperrwirkung für ein neues Verfahren, also des sog. Verbrauchs der Strafklage. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz ne bis in idem, der einfachgesetzlich zwar nicht positiv geregelt, aber seit Inkrafttreten der StPO als Wirkung der

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Eine ausführlichere Darstellung mit eingehender Auseinandersetzung mit den Entscheidungen BGHSt 29 288; 32 215 und OLG Hamm JR 1986 203. Zu diesem Begriff, der sich allgemein

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durchgesetzt hat, kritisch Eb. Schmidt I 296 Fn. 528. Näher Schlehofer GA 1997 109 ff. (teilw. einschränkend).

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Rechtskraft (Rn. 74 ff.) grundsätzlich anerkannt ist und in Art. 103 Abs. 3 GG eine (im Wortlaut unvollständige) verfassungsrechtliche Gewährleistung gefunden hat.154 Als Konsequenz hieraus darf die Tat, also das durch die Klage erfasste, der allseitigen Kognitionsbefugnis und Kognitionspflicht unterliegende Geschehen, auch wenn seine Aufklärung aus retrospektiver Sicht unvollständig erscheint, grundsätzlich nicht zum Gegenstand eines neuen Verfahrens gemacht werden. Um dies zu ermöglichen, bedarf es vielmehr besonderer Regelungen, die die Rechtskraft zu durchbrechen gestatten, wie etwa in den §§ 359 ff. StPO. Die Meinungsverschiedenheiten über den Inhalt und Umfang des Tatbegriffes sind vor 52 diesem Hintergrund unterschiedlicher, von ihm zu erfüllender strafprozessualer Funktionen nicht nur rechtsdogmatischer Natur, sondern auch von rechtsstaatlichen Erfordernissen 155 und rechtspolitischen Interessen geprägt. Werden die Grenzen der Tat eng bestimmt, so schützt dies den Angeklagten während des Verfahrens vor einer unvorhergesehenen Ausweitung des Verhandlungsstoffes und erleichtert ihm die Verteidigung. Für das gerichtliche Verfahren bedeutet es bei der Veränderung der tatsächlichen Grundlagen dagegen eine möglicherweise verfahrenserschwerende und verfahrensverzögernde Einschränkung seiner Kognitionsbefugnis. Für den Strafklageverbrauch nach Rechtskraft folgt hieraus allerdings eine größere Möglichkeit, neue Erkenntnisse zu berücksichtigen und damit die materielle Gerechtigkeit besser zu verwirklichen, was zugleich den Schutz des Angeklagten vor einer erneuten Strafverfolgung verringert. Werden die Grenzen der Tat weit gezogen, so kann dies die Verteidigungsposition des Angeklagten im Verfahren erschweren, vergrößert aber seinen Schutz durch die Rechtskraft; es erleichtert die Durchführung des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens, kann aber wegen der weitreichenden Rechtskraftwirkung bei unvollständiger Sachaufklärung zu erheblichen, nicht mehr korrigierbaren Richtigkeits- und Gerechtigkeitsdefiziten führen.

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c) Einheitlicher Tatbegriff. Die unterschiedlichen Funktionen des Tatbegriffes und das daraus herrührende Spannungsverhältnis haben im Schrifttum teilweise in verschiedener Weise dazu geführt, den Tatbegriff in den verschiedenen Abschnitten des Prozesses unterschiedlich zu bestimmen,156 etwa im Sinne eines sich von der Anklageerhebung bis zur gerichtlichen Entscheidung dynamisch verengenden Tatbegriffs 157 oder durch die Bildung eines engeren Tatbegriffs für den Umfang der Rechtskraft, etwa durch die Beschränkung der Sperrwirkung auf die gleichartige rechtliche Beurteilung 158 oder auf die tatsächlichen (nicht nur rechtlichen) Aburteilungsmöglichkeiten durch das erkennende Gericht.159 Diesen Ansätzen, die teilweise wohl auch mit Art. 103 Abs. 3 GG schwer vereinbar sind, ist zu widersprechen. Von den teilweise gegen sie zu erhebenden dogmatischen Einwänden

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Vergleiche auch auf europäischer Ebene Art. 54 SDÜ und Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK sowie international Art. 14 VII IPBPR. Das „Übereinkommen der Mitgliedstaaten der EG über das Verbot der Doppelbestrafung“ vom 25.5.1987 ist für Deutschland noch nicht in Kraft getreten. Vgl. auch neuestens das „Grünbuch über Kompetenzkonflikte und den Grundsatz ne bis in idem in Strafsachen“ vom 23.12. 2005, KOM (2005) 669 endg. Näher dazu Rn. D 44 ff.

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Vgl. zum Nachfolgenden etwa Wolter GA 1986 149 ff. Vgl. die Übersichten bei Pickert 95 ff.; Radtke 113 ff.; Wolter GA 1986 154. S. auch (mit krit. Würdigung) Achenbach ZStW 87 (1975) 78 ff. So Peters 280 ff.; tendenziell zustimmend auch HK/Julius § 264, 2. Vgl. Büchner 112 ff., s. auch Marxen StV 1985 476 f. So Henkel 389; ähnlich Baumann Kap. 5 I 2b.

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ganz abgesehen,160 verändern sie die unterschiedlichen rechtspolitischen Schutzfunktionen des Tatbegriffs einseitig und überwiegend auf Kosten der Rechtskraftwirkung.161 Rechtsprechung 162 und herrschende Meinung im Schrifttum 163 halten deshalb zu Recht an einheitlichem Tatbegriff fest. d) Prozessuale Behandlung der Tat (Übersicht). Aus den verschiedenen Funktionen 54 der prozessualen Tat im Laufe des Verfahrens ergeben sich unterschiedliche verfahrensrechtliche Konsequenzen, die hier nur in ihren Grundzügen darzustellen sind. Für das gerichtliche Verfahren ist die zureichende Beschreibung des Prozessgegenstandes durch den Kläger, also die Bestimmung der prozessualen Tat, eine Verfahrensvoraussetzung. Fehlt sie, so ist das Verfahren insoweit nicht zu eröffnen oder von Amts wegen einzustellen.164 Maßgebend dafür, welcher Lebenssachverhalt als Tat Prozessgegenstand wird, ist seine Bezeichnung in der Klage, namentlich im Anklagesatz. Insoweit bedarf es keiner Feststellung eines besonderen Verfolgungswillens des Klägers, also regelmäßig der Staatsanwaltschaft, und es ist für die gerichtliche Kognitionspflicht ohne Bedeutung, ob ein solcher vorliegt.165 Die Staatsanwaltschaft kann daher, soweit nicht § 154a StPO dies ermöglicht, den Kognitionsumfang bei einer Tat nicht beschränken.166 Auf den aus den gesamten Umständen durch Auslegung der Anklage 167 zu ermittelnden Verfolgungswillen kommt es nur dann an, wenn es sich um mehr beiläufig, namentlich im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen, erwähnte Vorgänge und Gegebenheiten handelt.168 Das erkennende Gericht wiederum ist, was sich aus § 155 Abs. 2 und § 264 StPO 55 ergibt, zur Erschöpfung der Anklage in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht verpflichtet, soweit es nicht seinerseits nach § 154a StPO verfährt.169 Es darf also, solange es sich dabei im Rahmen der prozessualen Tat bewegt, nicht etwa von der Aufklärung und Aburteilung einzelner Aspekte absehen oder es unterlassen, seine Sachverhaltserforschung auf neu hervortretende Umstände zu erstrecken, nur weil sie in der Klage nicht erwähnt sind.170 Es hat jedoch hierbei die Hinweispflicht nach § 265 StPO zu beachten. Die Nichterfüllung dieser Verpflichtung zur umfassenden Kognition macht das Urteil fehlerhaft und anfechtbar;171 es ändert jedoch grundsätzlich nichts daran, dass nach dessen Rechtskraft der Strafklageverbrauch hinsichtlich der gesamten Tat eintritt, soweit das Gericht zu seiner Aburteilung rechtlich in der Lage war.172

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Vgl. dazu u.a. Radtke 116, 121; Wolter GA 1986 155 f. S. auch Fezer (Ringvorlesung) 130. So u.a. BVerfGE 45 434, 435; anders für Ausnahmefälle aber BVerfGE 56 22, 35 f.; RGSt 72 99, 105; BGHSt 6 92, 93; 29 288, 292; 32 146, 150; 35 318, 323. So u.a. AK/Loos § 264 Anh. 27; MeyerGoßner § 264, 1; Kühne 641; SK/Schlüchter § 264, 7; Roxin § 20, 2; Pickert 96 ff.; Radtke 116 ff.; Wolter GA 1986 154 mit weit. Nachw. Wegen der Einzelheiten s. die Erl. zu den §§ 200, 206a und 207. Vgl. auch BGHSt 43 96, 99 f. (Aufnahme des Geschehens in den Anklagesatz als wichtiger Hinweis).

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S. auch Wolter GA 1986 149. Möglicherweise auch noch durch Erklärungen und Antragstellungen in der Hauptverhandlung; s. dazu BGHSt 41 292, 298 = NStZ 1996 148, wo der Verfolgungswille auch deshalb verneint wird, weil kein Hinweis nach § 265 StPO beantragt worden sei. Vgl. zum Ganzen näher BGHSt 41 292, 297 f. = NStZ 1996 147 mit Aufsatz Schlüchter/Duttge NStZ 1996 463; und BGH (GS) 43 96, 100. S. zu den Einzelheiten mit Nachw. der Rspr. die Erläuterungen zu § 264 sowie SK/Schlüchter § 264, 4 f. Teilweise enger Schlehofer GA 1997 109 ff. Näher die Erl. zu § 264. Vgl. etwa BGHSt 18 381, 385.

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Lebenssachverhalte, die vom Tatbegriff nicht umfasst werden, darf das erkennende Gericht dagegen nicht als Gegenstand einer selbständigen Aburteilung in seine Kognition einbeziehen,173 solange sie ihm nicht durch eine Nachtragsanklage nach § 266 StPO unterbreitet und von ihm einbezogen worden sind, was der Zustimmung des Angeklagten bedarf. Überschreitet das Gericht diese durch die Tat gezogenen Grenzen seiner Aburteilungsbefugnis, so liegt ein im Rechtsmittelzug von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis vor, da es an der Prozessvoraussetzung der Klage fehlt. Wird dem nicht Rechnung getragen, so ist das Urteil nicht etwa insoweit nichtig (Rn. 123). Vielmehr tritt, wenn es rechtskräftig wird, auch insoweit Strafklageverbrauch ein. Wird eine (prozessuale) Tat in mehreren Verfahren anhängig gemacht, so steht den 57 später rechtshängig gewordenen das Verfahrenshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit entgegen. Die Sperrwirkung der Rechtskraft begründet für ein neues Verfahren ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis. Ob eine erneute Aburteilung wegen derselben prozessualen Tat, wenn dies unbeachtet bleibt, zur Nichtigkeit des zweiten Urteils führt, ist umstritten, aber richtigerweise zu verneinen (s. näher Rn. 119).

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e) Mehrheit von Prozessgegenständen in einem Verfahren. Die vorstehend dargelegten Grundsätze betreffen jeweils die einzelne einheitliche prozessuale Tat. Diese wird ihrerseits bestimmt durch den Lebenssachverhalt, der jeweils einem Beschuldigten zur Last gelegt wird. Die konkrete prozessuale Tat ist durch die Verbindung des sie ausmachenden Lebenssachverhalts mit einem bestimmten Beschuldigten gekennzeichnet.174 Wird der gleiche Lebenssachverhalt mehreren Beschuldigten, etwa als Mittätern vorgeworfen, so handelt es sich ebenso um mehrere Taten, wie wenn einem Beschuldigten mehrere, voneinander unabhängige Lebenssachverhalte zur Last gelegt werden. Sofern solche Vorwürfe, was in der Praxis zu den Alltäglichkeiten gehört, in einem einheitlichen Verfahren anhängig gemacht und abgeurteilt werden, hat dieses eine Mehrheit von Prozessgegenständen oder Taten zum Inhalt,175 deren Schicksal unabhängig voneinander zu bestimmen ist. Dies steht auch einer Erstreckung der Aburteilungsbefugnis auf einen Beschuldigten entgegen, auf den sich die Anklage wegen des jeweiligen Lebenssachverhalts nicht erstreckt, selbst wenn er in dem gleichen Verfahren wegen einer anderen Tat als Mitangeklagter erscheint. Bei einer etwaigen Umgestaltung der Strafklage sind deshalb deren Voraussetzungen für jeden Mitangeklagten gesondert zu prüfen.

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f) Der Prozessgegenstand des Ermittlungsverfahrens wird durch den Tatbegriff nur am Rande betroffen. Dieser begrenzt die gerichtliche Tätigkeit nach Erhebung der Klage. Ihn zu bestimmen und zu konkretisieren ist Aufgabe des Ermittlungsverfahrens, das er infolgedessen nicht begrenzen kann.176 Die sachverhaltserforschende Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden wird durch den Anfangsverdacht einer Straftat ausgelöst,177 aber nicht durch einen der (prozessualen) Tat in seiner Konkretheit vergleichbaren Prozessgegenstand begrenzt. Sie setzt noch keinen konkreten Beschuldigten voraus. Der Tatbegriff spielt im Ermittlungsverfahren allerdings insoweit eine Rolle, als Grundrechtseingriffe und Zwangsmaßnahmen davon abhängig sein können, dass der von ihnen 173

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Es ist also, so die anschauliche Terminologie von Wolter GA 1986 148 f., zur „Tatumgestaltung“, nicht aber zur „Tatauswechslung“ befugt. AK/Loos § 264 Anh. 26; Beling 112; Roxin § 20, 4; vgl. auch BGHSt 30 131, 138 f.; BGHSt 32 215, 217.

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Roxin § 20, 18. Vgl. u.a. Eb. Schmidt I 57; Peters 278 f. S. dazu ausführlich Rn. I 43 ff.; vgl. auch die Erl. zu § 152 und zu § 160.

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Betroffene einer bestimmten Tat, die in den Grenzen eines konkretisierbaren Lebenssachverhalts beschreibbar ist, in einem bestimmten Grade verdächtig sein muss; auch ist dem Beschuldigten bereits bei seiner ersten Vernehmung (§ 136 Abs. 1 S. 1, § 163a Abs. 4 StPO) mitzuteilen, welche „Tat“, also welcher konkrete Lebenssachverhalt ihm zur Last gelegt wird.178 3. Inhalt des prozessualen Tatbegriffs (Grundzüge) a) Allgemeines. Grundsätze. Nach der ständigen Rechtsprechung,179 der ein erheblicher 60 Teil des Schrifttums zustimmt,180 ist Gegenstand der Tat der von der Klage erfasste geschichtliche Lebensvorgang, soweit er nach der natürlichen Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet, also eine innerlich verknüpfte Einheit, bei deren getrennter Beurteilung ein zusammengehöriges Geschehen unnatürlich aufgespalten werden würde.181 Die natürliche Auffassung des Lebens bildet hiernach den entscheidenden Maßstab. Nach ihr ist, wenn sich die Einzelheiten verändert haben, zu entscheiden, ob das von der zugelassenen Anklage beschriebene tatsächliche Geschehen einschließlich der dazu gehörenden weiteren Umstände mit dem zur Aburteilung ermittelten oder dem für die Beurteilung des Strafklageverbrauchs zugrunde zu legenden Lebenssachverhalt noch so übereinstimmt, dass von dem gleichen Vorgang gesprochen werden kann. Dabei darf aber die Frage der strafrechtlichen Bedeutung und des strafrechtlichen Sinnzusammenhangs nicht außer Betracht bleiben.182 Dieser Maßstab gilt sowohl dann, wenn zu beurteilen ist, ob das ursprünglich gemeinte Geschehen wegen einer Veränderung von Ort, Zeit, Angriffsobjekt und Tatbegehung sowie rechtlicher Beurteilung noch mit dem nunmehr zu beurteilenden im Kern übereinstimmt, als auch dann, wenn es um die Frage geht, ob ein weiteres, hinzutretendes Geschehen noch als zu dieser Tat gehörend angesehen werden muss, mit der Folge, dass es in das noch laufende Verfahren ohne neue Klage einbezogen werden kann, aber nach Rechtskraft einer neuen Strafverfolgung entgegensteht.183 Dieser ontologisch-naturalistische Tatbegriff wird wegen seiner Vagheit und Unbe- 61 stimmtheit und wegen der methodischen Unzulänglichkeiten im Schrifttum vielfach kritisiert.184 Auch von der Rechtsprechung selbst wird anerkannt, dass die von ihr entwickelten Kriterien nicht in der Lage sind, in allen Fällen die Grenzen der prozessualen Tat zuverlässig zu bestimmen.185 Ob sich durch eine Reihe von neueren Entscheidungen in der 178 179

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Näher § 136, 17 ff. S. dazu zuletzt etwa BGHSt 35 60, 62; BGHSt 41 292, 297 f. = NStZ 1996 147 mit Aufsatz Schlüchter/Duttge NStZ 1996 463; vgl. auch BVerfGE 23 191; 56 22; zusammenfassend auch Radtke 93 f.; s. ferner die Nachw. bei Schlehofer GA 1997 103 Fn. 7. Meyer-Goßner § 264, 2; KK/Hürxthal § 264, 3; Kühne 641; LR/K. Schäfer 24 Einl. 12 39; Beulke 513; Rüping 560 ff.; Schäfer 906; vgl. auch die Übersichten bei Pickert 77 und Radtke 109; auf der Grundlage der Rspr., wenn auch mit teilweise nicht unerheblichen Modifikationen, auch AK/Loos § 264, 34 ff.; Fezer 18/12 ff. So etwa BVerfGE 45 434; BGHSt 23 141, 145; 29 288, 293; 35 14, 17; 35 80, 82.

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BGH NStZ 1994 469. Zum Ganzen Wolter GA 1986 148 (Straftatenmodifikation, Straftatenvermehrung und Straftatenersetzung als Möglichkeiten einer Tatumgestaltung). Etwa Kühne 642 m.w.N. Vgl. etwa die Hinweise auf die verschiedenen früheren Entscheidungen in BGHSt 32 215 = JR 1984 344 mit Anm. Roxin = JZ 1984 532 mit Anm. Jung, der (S. 218) die Frage, unter welchen Voraussetzungen Abweichungen vom Tatbild der Anklage die Identität der Tat in Frage stellen, als „im Grundsätzlichen bislang nicht geklärt“ bezeichnet und (S. 219) die bisherige Rechtsprechung zur „Wesentlichkeit“ der Abweichung als „im Grundsätzlichen nicht

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Rechtsprechung ein Übergang zu einem gemischten naturalistisch-normativen oder einem normativ-faktischen Tatbegriff abzeichnet, der die Begriffe „lebensnahe Betrachtung“ und „natürliche Einheit“ durch konkrete Kriterien ersetzt, wird unterschiedlich beurteilt.186 Bislang sind aber auch aus diesem Ansatz keine überzeugenden Kriterien entwickelt worden, die die Unbestimmtheit der Beschreibung des Verfahrensgegenstandes heilen oder auch nur korrigieren könnten. Grundsätzlich abweichende Auffassungen des Schrifttums,187 die sich vorwiegend mit der Frage der prozessualen Tatidentität bei materiell-rechtlicher Tatmehrheit befassen, knüpfen entweder an die Alternativität der Handlungsvorgänge, den materiell-rechtlichen Handlungsbegriff oder an die Übereinstimmung im Kern der Rechtsgutverletzung an, oder sie kombinieren mehrere dieser Ansätze. Eine einheitliche Meinung hat sich insoweit bisher nicht herausgebildet.

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b) Einzelne Probleme. Die Unsicherheiten und Kontroversen in der Bestimmung des Inhalts und der Reichweite der (prozessualen) Tat beziehen sich auf Konstellationen, die zwar nicht ganz selten sind, aber doch für die Praxis insgesamt eine untergeordnete Bedeutung haben dürften. Sie lassen sich überwiegend auf einige wenige grundsätzliche Zweifelsfragen zurückführen, namentlich auf die Behandlung eines Alternativverhältnisses 188 zwischen mehreren Geschehensabläufen, von denen feststeht, dass der Angeklagte den einen oder anderen verwirklicht hat, oder wenn sich herausstellt, dass der Angeklagte eine völlig andere Straftat mit einem verschiedenen Unrechtskern verwirklicht hat, etwa ein Tötungsdelikt statt der angeklagten Strafvereitelung,189 sowie auf das Verhältnis der Tatidentität zur materiell-rechtlichen Handlungsmehrheit oder Handlungseinheit. Die ebenfalls in ihren Einzelheiten umstrittene und in ihrer Behandlung komplizierte Frage der Tatidentität bei der Aburteilung von fortgesetzten Handlungen 190 dürfte nach der (faktischen) Beseitigung dieses Rechtsinstituts durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes 191 zunehmend an Bedeutung verlieren. Auch soweit die Rechtsprechung und das ihr folgende Schrifttum annehmen, dass der 63 prozessuale Tatbegriff unabhängig von den materiell-rechtlichen Begriffen der Tateinheit und Tatmehrheit zu beurteilen ist, ist weitgehend anerkannt, dass den materiell rechtlichen Kategorien (mindestens) eine wichtige Indizwirkung zukommt, welche regelmäßig Tateinheit auch die Tatidentität begründen lässt und umgekehrt bei Tatmehrheit auch eine Mehrheit prozessualer Handlungen wahrscheinlich macht.192 Eine einheitliche prozessuale Tat trotz materiell-rechtlicher Tatmehrheit kommt insbesondere dann in Be-

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immer klar“ gekennzeichnet hat; vgl. auch BGH NStZ 1984 469 (es gebe keine Begriffsbestimmung, die eine zweifelsfreie Anwendung in jedem Fall ermögliche). So etwa Gillmeister NStZ 1989 1 ff.; Roxin § 20, 5; BGH JR 1984 344 m. Anm. Roxin; Wolter GA 1986 143; zweifelnd z.B. AK/Loos § 264 Anh. 44; Radtke 100, 102. Vgl. die Übersichten bei Fezer 18/42 ff.; Pickert 18 ff.; Radtke 113 ff. und Wolter GA 1986 157 ff.; vgl. auch Achenbach ZStW 87 (1975) 78 ff. Dazu Beulke 520; Radtke 102 f.; ausführlich Beulke/Fahl Jura 1998 262 mit Nachw. So z.B. BGHSt 32 215 = JR 1984 344 mit Anm. Roxin = JZ 1984 532 mit Anm. Jung,

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wo Tatidentität verneint worden ist, dazu auch LR/K. Schäfer 24 Einl. 12 31a ff. Dazu Kühne 645 ff.; SK/Schlüchter § 264, 21 ff.; vgl. auch Schönke/Schröder/Stree Vor § 52, 64 ff. BGHSt 40 138 (GrSSt); zur weiteren Entwicklung s. die Kommentare zum StGB, etwa Schönke/Schröder/Stree Vor § 52, 31 ff.; Tröndle/Fischer Vor § 52, 25 ff., sowie die Zusammenfassung bei Schlüchter/ Duttge NStZ 1996 465. So etwa (zuletzt) BGHSt 41 385, 390; 43 96, 99 vgl. auch (teilw. weitergehend in Richtung auf eine auch rechtliche Übereinstimmung) Fezer 18/15; Schäfer 913.

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tracht, wenn die mehreren materiell-rechtlich selbständigen Taten in einem besonders engen zeitlichen und situativen Zusammenhang stehen, so etwa im Falle der Herbeiführung eines Verkehrsunfalls mit nachfolgender Verkehrsunfallflucht.193 In den Fällen der materiell-rechtlichen Tateinheit, bei der auch die Rechtsprechung grundsätzlich Tatidentität annimmt,194 werden von ihr Ausnahmen hiervon namentlich für die Fälle der Klammerwirkung durch Organisationsdelikte 195 sowie für andere Dauer- und Zustandsdelikte 196 angenommen, soweit das die Tateinheit vermittelnde (verklammernde) Delikt gegenüber den im Übrigen selbständigen (verklammerten) Straftaten von (deutlich) geringerem Unrechtsgehalt ist.197

V. Rechtskraft und Bestandskraft 1. Allgemeines. Übersicht a) Grundlagen. Bei allen staatlichen Hoheitsakten, also auch bei den gerichtlichen 64 (und staatsanwaltschaftlichen) Entscheidungen im Strafverfahren, ist die Frage zu beantworten, ob, und gegebenenfalls durch wen sie abänderbar und widerruflich sind oder ob sie einer Bestandskraft unterliegen. Bejahendenfalls fragt sich weiter, ob diese uneingeschränkt gilt oder ob sie an bestimmte Voraussetzungen geknüpft ist und welche Reichweite sie hat.198 Die Lehre von der (prozessualen) Rechtskraft betrifft einen Teilbereich dieser umfassenderen Problematik. Sie befasst sich hauptsächlich mit der Frage der Wirkungen verfahrensabschließender gerichtlicher Entscheidungen und der Voraussetzungen für ihren Eintritt. Dabei ist es eine mehr terminologische Frage, ob man den Begriff der Rechtskraft hierauf beschränkt oder ob man auch die Bestandskraft anderer im Strafverfahren möglicher Entscheidungen mit der Bezeichnung der (formellen oder materiellen) Rechtskraft verbinden will. Dies gilt etwa für solche gerichtliche Entscheidungen, die das Verfahren nicht beenden,199 aber auch für das Verfahren beendende Entscheidungen der Staatsanwaltschaft. Im Mittelpunkt der traditionellen strafprozessualen Lehre von der Rechtskraft steht jedenfalls die Behandlung der Urteile und vergleichbarer verfahrenserledigender Beschlüsse.200 193

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So etwa BGHSt 23 141, 146; dazu u.a. krit. Fezer 18/37; s. auch (für andere Fälle) BGHSt 13 26; 29 288, 292; 35 318, 323; näher Schäfer 914. So zuletzt BGHSt 38 37, 41; 41 385, 389; s. auch die Nachw. bei Meyer-Goßner § 264, 6. BGHSt 29 288, 292 ff. = NJW 1980 2671 mit Anm. Werle = NStZ 1981 74 mit Anm. Rieß; s. auch BVerfGE 56 22 = StV 1981 324 mit Anm. Grünwald; Cording 211; SK/Schlüchter § 264, 37; Fezer (Ringvorlesung) 130 ff.; Grünwald FS Bockelmann 737; Schlehofer GA 1997 105 f. BGHSt 36 151 = JR 1990 161 mit Anm. Mitsch = StV 1990 341 mit Anm. Neuhaus (Waffenbesitz und §§ 250, 251 StGB); OLG Hamm JR 1986 203 mit Anm. Puppe = StV 1986 243 mit Anm. Grünwald (Waffenbesitz und mit der Waffe begangenes

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Tötungsdelikt); OLG Zweibrücken NJW 1986 2148 mit Anm. Mitsch NStZ 1987 457; vgl. aber auch (möglicherweise Tatidentität) BGH StV 1996 472 (Fahren ohne Fahrerlaubnis und räuberische Erpressung). Für eine ausnahmslose Tatidentität bei materiell-rechtlicher Tateinheit (allerdings teilweise bei anderer Bestimmung dieser) etwa SK/Schlüchter § 264, 9, 29 ff.; Fezer 18/21; 27 ff.; Schlüchter JZ 1991 1060; vgl. auch BVerfGE 45 434, 435 und 56 22, 33 f.; a.A. jedoch AK/Loos § 264, 58; Schäfer 915. Vgl. dazu etwa (auf den Strafprozess bezogen) Beling 254 ff.; Eb. Schmidt I 266; allgem. s. etwa §§ 43 ff. VwVfG; §§ 172 ff. AO. Vgl. die Bezeichnung von Beling 255 („laufende Entscheidungen“). Vgl. Eb. Schmidt I 266; s. auch unten Rn. 85, 94.

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Die Grundlagen der Rechtskraft wie der Bestandskraft im Allgemeinen liegen im Strafprozess vor allem im Bedürfnis nach Rechtssicherheit und damit letztlich im Prozesszweck der Wiederherstellung des Rechtsfriedens (Rn. B 48); sie wurzelt damit auch in der staatlichen Justizgewährungspflicht, der die Möglichkeit einer unbegrenzten Wiederaufrollung desselben Sachverhalts zuwiderlaufen würde.201 Weitere Wurzeln liegen im Gedanken des Vertrauensschutzes und der Prozessökonomie. Gegen die Rechtskraft und für eine großzügigere Möglichkeit der Neuaufrollung des jeweiligen Entscheidungsthemas streiten die Interessen an der Berücksichtigung der materiellen Richtigkeit der Entscheidung, sei es aufgrund bloßer Fehlerkorrektur oder aufgrund neuer tatsächlicher Erkenntnisse, sowie Gesichtspunkte der Anpassung an veränderte Prozesslagen. Dieses Spannungsverhältnis zwischen „Rechtssicherheit und materieller Richtigkeit“ oder auch nur Sachgerechtigkeit der Entscheidung ist für alle Rechtskraftfragen kennzeichnend. Es ist letztlich nur durch eine wertende Entscheidung entweder des Gesetzgebers oder der Prozessrechtslehre und Rechtsprechung aufzulösen. Hierbei kann auch berücksichtigt werden, in welchem Umfang das der Entscheidung zugrunde liegende Verfahren in Richtung auf eine optimale Richtigkeitsgarantie ausgestattet ist und wieweit innerprozessuale Kontrollmöglichkeiten durch einen Instanzenzug bestehen.

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b) Überblick. Das deutsche Strafprozessrecht enthält ein abgestuftes System der Reichweite der Rechtskraft. Es erkennt sie, was die sachentscheidenden Urteile und urteilsersetzenden Beschlüsse angeht, in einem sehr weitgehenden Umfang an. Dies folgt aus dem weitgespannten prozessualen Tatbegriff 202 und aus der Bereitstellung eines formalisierten, an eher enge Voraussetzungen geknüpften Sonderverfahrens zur Beseitigung der Rechtskraft in Form des Rechtsinstituts der Wiederaufnahme. Dieser Rechtszustand ist durch Art. 103 Abs. 3 GG im Kernbereich verfassungsrechtlich gewährleistet (näher Rn. 77 f.). Ebenfalls rechtskraftfähig, wenn auch in einem geringeren Umfang, werden verfahrensbeendende gerichtliche Entscheidungen, die entweder nur eine Verfahrenseinstellung aussprechen 203 oder als Beschlüsse (möglicherweise) auf einer weniger justizförmigen und verlässlichen Tatsachengrundlage ergehen als die auf einer Hauptverhandlung beruhenden Urteile.204 Verfahrensbeendenden Entscheidungen der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren kommt in besonderen Fällen eine Rechts- oder Bestandskraft kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift (§ 153a Abs. 1 S. 4 StPO) zu, die neuerdings mit der von der Rechtsprechung bewirkten Öffnung hin zu § 153 Abs. 1 StPO 205 auch Raum für Weiterungen lässt .206 Für die unterschiedlich geregelte freie Abänderbarkeit oder Rechtskraftfähigkeit solcher gerichtlicher Entscheidungen, die das Verfahren nicht abschließen, dürften in der Regel Fragen der prozessualen Zweckmäßigkeit maßgebend sein.

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c) Terminologisches. Hinweise. Die StPO setzt in ihrem Wortlaut Rechtskraft in mehreren Vorschriften voraus,207 bestimmt sie aber nicht näher. Der Inhalt und die nähere 201

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Umfassend zur gedanklichen Begründung der Rechtskraft zuletzt mit umf. Nachw. etwa Radtke 36 ff. S. näher Rn. 60 ff. und die Erl. bei § 264 StPO. S. näher Rn. 102. Vgl. § 174 Abs. 2, §§ 211, 373a Abs. 1 sowie für die Fälle der gerichtlichen Einstellung nach den §§ 153, 153b StPO die Erl. zu § 153.

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BGH JZ 2004, 743 m. Anm. Kühne. Anders noch die Vorauflage unter Bezug auf Radtke 239 ff., 376. S. vor allem § 449, wonach Urteile vor ihrer Rechtskraft nicht vollstreckbar sind; s. auch § 316 Abs. 1, § 343 Abs. 1, §§ 359, 362, 410 Abs. 3 StPO.

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Ausgestaltung des Begriffs obliegt daher der Prozessrechtswissenschaft und der Rechtsprechung. Er dürfte heute im Grundsätzlichen (nicht in allen Punkten seiner Reichweite und seinen Auswirkungen) weitgehend geklärt sein. Einhellige Auffassung ist dabei die Unterscheidung von formeller und materieller Rechtskraft. Erstere bezieht sich auf das jeweilige Verfahren und bedeutet dessen Abschluss. Letztere hat die Außenwirkungen der Entscheidung, namentlich die Bedeutung der Rechtskraft für ein neues Verfahren oder für andere rechtliche Beurteilungen zum Gegenstand; um sie kreisen gegenwärtig die Streit- und Zweifelsfragen. Die Bezeichnung beschränkte Rechtskraft wird vielfach für diejenigen Fälle verwendet, in denen die (materielle) Rechtskraft weniger weit reicht als in den Fällen der urteilsmäßigen Sachentscheidung. Als Teilrechtskraft werden diejenigen Situationen bezeichnet, bei denen hinsichtlich 68 eines einheitlichen Urteils entweder durch eine Beschränkung der Anfechtung oder der Zurückverweisung durch ein Rechtsmittelgericht einzelne Entscheidungsteile der weiteren Kognition durch das Gericht jedenfalls grundsätzlich entzogen werden. Hierbei sind wiederum die Fallgruppen der sog. vertikalen Teilrechtskraft, also der Beschränkung der Kognition auf selbständige Prozessgegenstände, von denen der sog. horizontalen Teilrechtskraft zu unterscheiden, bei denen innerhalb einer einheitlichen prozessualen Tat bestimmte Elemente nicht mehr der gerichtlichen Kognition unterliegen. Nach ganz überwiegender Meinung handelt es sich im Falle der vertikalen Teilrechtskraft jedenfalls dann um „echte“ Rechtskraft, wenn sich die Trennung auf unterschiedliche Angeklagte bezieht, und mit geringen Modifikationen auch dann, wenn es um mehrere (prozessuale) Taten eines Angeklagten geht. Dagegen hat nach der inzwischen überwiegenden und zutreffenden Meinung im Schrifttum die sog. horizontale Teilrechtskraft mit der echten Rechtskraft nichts zu tun, sondern bedeutet eine innerprozessuale Bindungswirkung. 2. Formelle Rechtskraft a) Begriff und Eintritt. Die formelle Rechtskraft bewirkt, soweit sie sich auf verfah- 69 rensabschließende Entscheidungen bezieht, die Beendigung des laufenden Verfahrens. Sie hat ferner grundsätzlich zur Folge, dass die rechtskräftige Entscheidung nicht mehr geändert werden kann. Sie tritt daher ein, sobald eine Entscheidung nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln angefochten werden und auch davon unabhängig (im Regelfall) nicht mehr geändert werden kann.208 Die Möglichkeit außerordentlicher Rechtsbehelfe, wie etwa einer Verfassungsbeschwerde oder des (die Rechtskraft voraussetzenden) Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder eines Wiedereinsetzungsantrages (§ 44 StPO) hindert den Eintritt der formellen Rechtskraft nicht. Bei Urteilen tritt die formelle Rechtskraft mit ihrem Erlass ein, wenn sie, wie etwa die 70 Sache abschließende 209 Entscheidungen der Revisionsgerichte nicht mit ordentlichen Rechtsmitteln anfechtbar sind. Im Übrigen werden sie rechtskräftig: (1) Mit dem (allseitigen) Verzicht auf Rechtsmittel oder deren Rücknahme, (2) mit dem ungenutzten Ablauf der Rechtsmittelfrist, auch wenn hierüber erst später entschieden wird 210 oder (3) mit der Zurückweisung (aller) Rechtsmittel als unbegründet oder (außer in den Fällen der Verspätung) als unzulässig durch das Rechtsmittelgericht. Bei der Annahmeberufung (§ 313 StPO) tritt die (formelle) Rechtskraft des angefochtenen Urteils mit dem Wirksamwerden des Beschlusses ein, der die Berufung nach § 313 Abs. 2 S. 2 StPO als 208 209

Vgl. ähnlich etwa Eb. Schmidt I 268; Meyer-Goßner Einl. 164, 166. Vgl. § 354 StPO; gleiches gilt für entspre-

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chende Beschlüsse nach § 349 Abs. 2, 4 StPO. Vgl. näher die Erl. zu §§ 319 und 344 StPO.

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unzulässig verwirft. Keine absolute Rechtskraft liegt vor, wenn das Urteil nur von einigen Rechtsmittelberechtigten nicht mehr angefochten werden kann, während diese Möglichkeit anderen noch offen steht. Ob es sinnvoll ist, in solchen Fällen von relativer Rechtskraft zu sprechen,211 erscheint zweifelhaft. Lediglich bei Beschlüssen kommt eine Änderung durch das Gericht in Betracht, wel71 ches die Entscheidung erlassen hat. Sie sind der formellen Rechtskraft nur dann zugänglich, wenn sie entweder für unanfechtbar erklärt sind oder nur mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden können. Da auch der sofortigen Beschwerde, außer wenn vom Gesetz ausnahmsweise ausdrücklich angeordnet,212 der Suspensiveffekt fehlt, ließe sich die Auffassung vertreten, dass die formelle Rechtskraft regelmäßig mit ihrem Erlass eintritt. Dagegen spricht aber die weitgehende und an keine inhaltlichen Voraussetzungen geknüpfte Möglichkeit, im Ergebnis den Suspensiveffekt nach § 307 Abs. 2 StPO herbeizuführen. Andererseits sollen auch formell rechtskräftige Beschlüsse abänderbar und anfechtbar sein, wenn dies zur Beseitigung eines schweren prozessualen Unrechts erforderlich ist. Die umstrittenen Einzelheiten werden bei den §§ 304 ff. StPO dargestellt.

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b) Wegfall. Die formelle Rechtskraft entfällt mit ex-tunc-Wirkung, wenn gegen die Versäumung der Rechtsmittelfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird oder wenn, falls man die vertikale Teilrechtskraft als echte Rechtskraft betrachtet, nach § 357 StPO die Aufhebung eines Urteils auf den Nichtrevidenten erstreckt wird 213 oder wenn die die Rechtskraft herbeiführende Entscheidung, etwa aufgrund einer Verfassungsbeschwerde, aufgehoben wird. Wenn die rechtskräftig gewordene angefochtene Entscheidung selbst durch einen außerordentlichen Rechtsbehelf beseitigt wird, erstreckt sich die Beendigungswirkung der (formellen) Rechtskraft auf diesen Fall nicht. Ähnlich dürfte der Fall zu beurteilen sein, dass nach einem begründeten Wiederaufnahmeantrag gemäß § 372 Abs. 2 StPO die Erneuerung der Hauptverhandlung angeordnet wird.

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c) Die Wirkungen der formellen Rechtskraft bestehen nach der heute wohl überwiegenden Meinung zunächst darin, dass von ihr die Vollstreckbarkeit der Entscheidung abhängt, § 449 StPO.214 Ferner ist sie Voraussetzung für die Eintragung in das Bundeszentralregister.215 Schließlich ist sie notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die materielle Rechtskraft, deren Wirkungen eine formell rechtskräftige Entscheidung voraussetzen.216 Ferner beendet die formelle Rechtskraft die Rechtshängigkeit der Sache.217

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So z.B. in der Rspr. früher RGSt 9 324, 329; 25 397, 399; Eb. Schmidt I 271; Gössel 288; Roxin § 50, 4; a.A. Meyer-Goßner Einl. 164; zum Ganzen mit weit. Nachw. Radtke 29. So etwa § 81 Abs. 4 S. 2; § 231a Abs. 3 S. 3; § 454 Abs. 2, § 462 Abs. 3 S. 2 StPO. Vgl. AK/Loos § 264 Anh. 9; Meyer-Goßner Einl. 165; Beling 264. Ebenso u.a. Eb. Schmidt I 268 a.E.; Beulke 502; Fezer 17/76; Roxin § 50, 5; Schlüchter

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597; Radtke 30; a.A. (Vollstreckbarkeit als Folge der materiellen Rechtskraft) etwa v. Hippel 373; Peters 502; Ranft 1870; Meyer-Goßner Einl. 169. Vgl. § 4 Nr. 1 BZRG; s. auch Roxin § 50, 5; Pickert 47; Radtke 31; zweifelnd Gössel 289. Allg. M., s. etwa AK/Loos § 264 Anh. 7; Beulke 502; Roxin § 30, 5; Rüping 3 548. AK/Loos § 264 Anh. 5; Beling 260; Kühne 658; Radtke 31; teilw. a.A. Gössel 289.

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3. Materielle Rechtskraft a) Überblick. Gesetzliche Grundlagen. Verhältnis zu Art. 103 Abs. 3 GG. Die materielle Rechtskraft, die auf der formellen Rechtskraft aufbaut und diese voraussetzt, betrifft die Außenwirkungen 218 eines unanfechtbar gewordenen Urteils oder eines verfahrensbeendenden urteilsersetzenden Beschlusses für ein anderes (meist neues) Verfahren. Ihre wichtigste Wirkung besteht darin, dass eine erneute Strafverfolgung wegen derselben (prozessualen) Tat gegen den gleichen Beschuldigten grundsätzlich nicht mehr möglich ist.219 Dieser Grundsatz des „ne bis in idem“ wird vielfach auch als „Sperrwirkung“ oder (terminologisch ungenau und auf die problematische Vorstellung von einem staatlichen Strafanspruch hindeutend) als „Verbrauch der Strafklage“ bezeichnet; seine Reichweite ist im Einzelnen ebenso umstritten wie die Frage, welche Entscheidungen einer materiellen Rechtskraft fähig sind. Aus dieser Sperrwirkung ergibt sich nach allg. M.,220 dass einem neuen Verfahren mit dem gleichen Prozessgegenstand (in eadem res) das in jeder Lage von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernis der Rechtskraft entgegensteht.221 Umstritten ist, ob dessen Nichtberücksichtigung, also die Nichtbeachtung der Sperrwirkung zur Nichtigkeit der zweiten Entscheidung führt (dazu Rn. 119). Daneben wird teilweise mit dem Begriff der materiellen Rechtskraft noch eine in ihrem Umfang ebenfalls umstrittene Feststellungswirkung und eine Bindungswirkung verknüpft, die dort von Bedeutung ist, wo es um den Einfluss der rechtskräftigen Entscheidung bei der Rechtsfindung in einem Verfahren geht, welches einen anderen Prozessgegenstand hat.222 Der Grundsatz der Einmaligkeit der Strafverfolgung, also des ne bis in idem, ist in der Strafprozessordnung nicht ausdrücklich ausgesprochen. Er gehört jedoch zum traditionellen Bestand des reformierten Strafprozesses, für den die Überwindung der bloßen Lossprechung von der Instanz (absolutio ab instantia), also der Nichtanerkennung der Sperrwirkung im Inquisitionsprozess, eine wichtige Reformforderung darstellte.223 Für den Gesetzgeber der Reichsstrafprozessordnung war seine Geltung ebenso unzweifelhaft wie sie seither in Rechtsprechung und Schrifttum, abgesehen von Einschränkungstendenzen in der Zeit von 1933 bis 1945,224 anerkannt wurde. Rechtssystematisch ergibt sich dies auch aus den Vorschriften über die Wiederaufnahme des Verfahrens (§§ 359 ff. StPO), die erkennbar grundsätzlich abschließende Bedeutung haben sollen, und derer es nicht bedürfte, wenn eine neue Strafverfolgung wegen derselben Tat in einem weiten Umfang möglich wäre. Art. 103 Abs. 3 GG, wonach „niemand wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden“ darf,225 hat, was den Grundsatz des ne bis in 218 219 220

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Rüping 3 557; vgl. auch u.a. Geppert GA 1972 170 (negative Sperrwirkung). Zu den Grenzen und Ausnahmen s. Rn. 97. Vgl. etwa aus der Rspr. RGSt 72 99, 102; BGHSt 7 283, 286; 9 190, 192; 13 306, 308; 19 190, 192; 20 292, 293; die ältere Rechtsprechung des RG hat, da sie Verfahrenshindernisse noch nicht anerkannte, den Verstoß auf die Sachrüge hin beachtet; s. etwa RGSt 33 303; 35 367, 369; vgl. auch RGSt 62 153, 154. Zur Frage, ob und wieweit dies auch den Charakter eines materiell-rechtlichen Bestrafungshindernisses hat, und zur Struktur

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des „ne bis in idem“ insgesamt s. Schroeder JuS 1997 227 ff., 230. Näher unten Rn. 93 ff. Näher, auch zur historischen Entwicklung insgesamt, Bonn.Komm./Rüping (Zweitbearbeitung), Art. 103 Abs. 3, 2 ff.; Pickert 39 ff.; Radtke 36 Fn. 52; Schroeder JuS 1997 228; Schwarplies 30 ff. und passim. Vgl. dazu (nur als Beispiel) etwa OLG München DJ 1938 724; Volksgerichtshof DJ 1938 1193; zum Ganzen Bonn.Komm./Rüping (Zweitbearbeitung) Art. 103 Abs. 3, 6. Zur Entstehungsgeschichte s. etwa Bonn.Komm./Rüping (Zweitbearbeitung)

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idem angeht, besondere Bedeutung insofern, als er den einfachgesetzlichen Grundsatz in Verfassungsrang erhebt, so dass seine Verletzung mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann. Zugleich ist er objektiver Verfassungsgrundsatz und hat den Charakter einer verfassungsrechtlichen Institutsgarantie. Über den Verfassungswortlaut hinaus, der nur die mehrmalige Bestrafung zu verbieten scheint, erfasst die verfassungsrechtliche Gewährleistung die gesamte Sperrwirkung der materiellen Rechtskraft in ihrer bei Inkrafttreten des Grundgesetzes vorhandenen Gestalt.226 Sie verbietet also auch die erstmalige Bestrafung Freigesprochener 227 und schon die Einleitung eines neuen Verfahrens mit dem Ziel einer neuen Aburteilung.228 Andererseits steht sie grundsätzlich denjenigen Einschränkungen nicht entgegen, die 78 dem Grundsatz durch den Stand des Prozessrechts und dessen Auslegung bei Inkrafttreten des Grundgesetzes gezogen waren, ohne dass damit dieser Erkenntnisstand in allen Einzelheiten verfassungsrechtlich festgeschrieben wäre.229 Eine Anpassung an die neuere dogmatische Entwicklung, die den Kernbereich des Prinzips der materiellen Rechtskraft nicht berührt, ist damit nicht ausgeschlossen.230 Dabei ist jedoch der Inhalt der materiellen Rechtskraft und insbesondere des für sie maßgebenden prozessualen Tatbegriffs im Lichte der objektiven Wertordnung des Grundgesetzes zu interpretieren,231 die einen materiellen Schutz vor nochmaliger Strafverfolgung in einem Umfang gewährleistet, der im Wesentlichen dem durch den traditionellen Stand von Lehre und Rechtsprechung entspricht. Art. 103 Abs. 3 GG steht deshalb auch einer hinter diesen Grenzen wesentlich zurückbleibenden Neubestimmung des prozessualen Tatbegriffs entgegen und begrenzt, was hier nicht im Einzelnen zu erörtern ist, die Möglichkeiten einer erheblichen Ausweitung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Beschuldigten.232 Der Inhalt von Art. 103 Abs. 3 GG wird in einem Teil der Landesverfassungen wiederholt.233 Auf europäischer Ebene hat er in Art. 54 SDÜ eine für Deutschland unmittelbar geltende Regelung gefunden. Das EU-ne-bis-in-idem-Übereinkommen 234 ist für Deutschland mangels Ratifizierung noch nicht in Kraft, was jedoch angesichts der Parallelität zu Art. 54 SDÜ nicht problematisch ist. Art. II-50 des Entwurfs eines Verfassungsvertrags für Europa enthält ebenfalls eine ne bis in idem Regelung. Eine vergleichbare, international-rechtliche Garantie des ne bis in idem enthält Art. 14 Abs. 7 IPBPR,235 vgl. auch Rn. D 44, 45.

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Art. 103 Abs. 3, 7; zur Reichweite und Bedeutung ausführlicher neben den Kommentaren zum Grundgesetz etwa Hill HdbStR Bd. VI (1989) § 156, 68 ff.; Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 472 ff. BVerfGE 12 66; 56 22, 31 ff.; vgl. auch Schroeder JuS 1997 230 f. BVerfGE 12 62, 66; BGHSt 5 323, 329; 15 259; im Schrifttum allg. M. BGHSt 20 292, 293. Vgl. BVerfGE 3 248, 251; 12 62, 66; 56 22, 34 f.; s. auch BVerfGE 45 434 (zur einfach-gesetzlich zu beurteilenden Unterscheidung zwischen Tateinheit und Tatmehrheit). Vgl. u.a. BVerfGE 56 22, 34; vgl. aber auch (wohl enger) früher BGHSt 6 122, 125. BVerfGE 23 191, 202 f., wo allerdings im

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konkreten Fall (Unzulässigkeit der Zweitbestrafung nach einer Gewissensentscheidung) der prozessuale Tatbegriff überdehnt sein dürfte; s. näher Rn. 88. Vgl. BVerfGE 15 304, 307; Bonn.Komm./ Rüping (Zweitbearbeitung) Art. 103 Abs. 3, 22. Übersicht bei Bonn.Komm./Rüping (Zweitbearbeitung), Art. 103 Abs. 3, 7. Übereinkommen der Mitgliedstaaten der EG über das Verbot der Doppelbestrafung vom 25.5.1987. S. dazu näher die Erl. zu Art. 6 EMRK, Art. 14 IPBPR; vgl. auch BVerfGE 75 1, 21 ff. (zur Frage, ob darin bereits ein allgemeiner Grundsatz des Völkerrechts zu sehen sei). Wegen der grundsätzlich nur nationalen Geltung und der hierüber hinausgehenden Entwicklungstendenzen s. Rn. 98 ff.

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b) Geltungsgrund und Wesen der Rechtskraft (Rechtskrafttheorien). Mit der Anerken- 79 nung der materiellen Rechtskraft ist notwendigerweise verbunden, dass auch eine sachlich unzutreffende Entscheidung Verbindlichkeit erlangen kann. Die Legitimation hierfür wird, entsprechend dem Geltungsgrund der Rechtskraft und Bestandskraft insgesamt (Rn. 65), überwiegend aus dem Spannungsverhältnis zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit abgeleitet.236 Danach wird die Rechtskraft durch die Notwendigkeit der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes auch dann legitimiert, wenn das rechtskräftig werdende Urteil die materielle Gerechtigkeit 237 verfehlt.238 Diese Begründungen betreffen die Diskrepanz zwischen Rechtskraft und Richtigkeit generell, also sowohl den Fall, dass das (unrichtige aber rechtskräftige) Urteil den Beschuldigten begünstigt, etwa indem es den Schuldigen freispricht, als auch den Fall, dass es ihn benachteiligt, etwa indem es den Unschuldigen verurteilt oder gegen den Schuldigen eine sachlich nicht gerechtfertigte härtere Sanktion verhängt. Im ersten Fall liegt der Geltungsgrund der Rechtskraft darüber hinaus in einer den Beschuldigten schützenden, mit dem Fairnessgrundsatz in Zusammenhang zu bringenden Funktion,239 die namentlich im Wortlaut des Art. 103 Abs. 3 GG deutlich wird. Das geltende Prozessrecht berücksichtigt diese Bewertungsdifferenz dadurch, dass es bei dem die Rechtskraft durchbrechenden Rechtsinstitut der Wiederaufnahme diejenige zuungunsten des Beschuldigten (§ 362 StPO) an weitaus engere Grenzen knüpft als diejenige zu seinen Gunsten (§ 359 StPO).240 Mit dieser Grundentscheidung des Gesetzgebers müssen sich namentlich diejenigen 80 Auffassungen und Auslegungen auseinandersetzen, die einen zu weit gehenden Strafklageverbrauch zugunsten des Beschuldigten als besonders anstößig empfinden und insoweit durch eine andersartige Bestimmung des prozessualen Tatbegriffs weitergehende Verfolgungsmöglichkeiten eröffnen wollen.241 Es liegt im Wesen der materiellen Rechtskraft und muss bei deren unverzichtbarer Bejahung hingenommen werden, dass auf Kosten der (ohnehin stets fragwürdigen) Gerechtigkeit und des Individualinteresses durch sie im Allgemeininteresse Rechtsfrieden und Rechtssicherheit bewirkt wird.242 Befremdlich anmutende Folgerungen einer hinter dem wahren Geschehen zurückbleibenden Verurteilung können umso eher akzeptiert werden, als es auch sonst nicht Ziel des Strafverfahrens ist, dass die Wahrheit um jeden Preis erforscht wird.243 Ungeachtet dieser im Interesse der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes hinzu- 81 nehmenden Diskrepanz zwischen materieller Richtigkeit und rechtskräftigem Entscheidungsinhalt bedarf die Frage der rechtssystematischen und theoretischen Klärung, wie sich diese Diskrepanzen dogmatisch erfassen lassen, wie also die Wirksamkeit des rechtskräftigen, aber unrichtigen Urteils zu erklären ist. Diese Frage ist Gegenstand der für die praktische Rechtsanwendung nicht sonderlich bedeutsamen 244 Rechtskrafttheorien.245 236

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S. auch BVerfGE 56 22, 31 f.; 65 377, 380; vgl. auch BVerfGE 15 313, 319; 19 150, 166 (zur Befugnis des Gesetzgebers, rechtskräftige Fälle von einer Rückwirkung auszunehmen). Näher Rn. B 43 ff. Vgl. etwa Eb. Schmidt I 312; Henkel 384; Achenbach ZStW 87 (1975) 85 ff.; Geppert GA 1972 170; Loos JZ 1978 593; s. auch insgesamt die ausführliche Übersicht bei Radtke 37 ff. mit weit. Nachw.; ferner Grünwald ZStW 86 (1974) Beiheft 103 ff.; Schlehofer GA 1997 106 f. Vgl. Eb. Schmidt I 312.

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Ebenso Achenbach ZStW 87 (1975) 86; ähnlich Grünwald ZStW 86 (1974) Beiheft, 112. Vgl. dazu auch LR/K. Schäfer 24 Einl. 12 40 ff. Vgl. auch BVerfGE 56 22, 32; BGHSt 6 122; BGHSt 20 77, 80 („Gründe der Gerechtigkeit wiegen nicht unter allen Umständen Anliegen der Rechtssicherheit auf“); LR/K. Schäfer 24 Einl. 12 39; Eb. Schmidt I 312 Fn. 551; Fezer (Ringvorlesung) 130. BGHSt 14 365; BGH NJW 1978 1426. Roxin § 50, 9; Schäfer 1200. Zu diesen näher LR/K. Schäfer 24 Einl. 12

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Die materiell-rechtliche Rechtskrafttheorie erklärt dies dahingehend, dass das rechtskräftige Urteil das materiell-strafrechtliche Rechtsverhältnis verändere. Die Schuld des zu Unrecht freigesprochenen Beschuldigten sei getilgt; der zu Unrecht Verurteilte sei auch materiell-strafrechtlich wie ein Täter einer Straftat zu behandeln.246 Diese Auffassung wird heute nicht mehr vertreten.247 Gegenstand des Meinungsstreites sind derzeit noch die prozessrechtliche Gestal82 tungstheorie 248 und die von der herrschenden Meinung vertretene rein prozessrechtliche Rechtskraftlehre.249 Sie unterscheiden sich im Wesentlichen dadurch, dass die letztere dem unrichtigen Urteil jede rechtliche Kraft zur Veränderung der Rechtslage abspricht, während nach der ersteren das Urteil die Rechtslage entsprechend seinem Inhalt zwar nur prozessrechtlich, aber allgemein verbindlich umgestaltet. Von allenfalls theoretischer Bedeutung ist die Kontroverse namentlich für die Beurteilung von Vollstreckungsmaßnahmen aus einem rechtskräftigen, materiell unrichtigen Urteil. Nach der Gestaltungstheorie sind diese Maßnahmen rechtmäßig, während die prozessrechtliche Rechtskraftlehre sie für rechtswidrig hält. Allerdings soll diese Rechtswidrigkeit nicht etwa zur Notwehr berechtigen, sondern, soweit sie nicht mit den vorhandenen Rechtsbehelfen angegriffen werden kann, vom Betroffenen hingenommen werden müssen. Folgt man dem, so wird man wohl auch anerkennen müssen, dass sie auch von dritter Seite nicht geltend gemacht werden kann.250 Dann aber erscheint es als wenig sinnvoll, an einem Rechtswidrigkeitsurteil festzuhalten, an das sich keine der normalerweise mit dem Begriff der Rechtswidrigkeit verbundenen Rechtsfolgen knüpfen.

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c) Der materiellen Rechtskraft fähige Entscheidungen. Materiell vollen Umfangs rechtskraftfähig sind nach allg. M. alle Urteile von Gerichten der Bundesrepublik Deutschland,251 die eine Sachentscheidung enthalten, also den Angeklagten freisprechen oder ihn verurteilen oder auch nur eine bloße Schuldfeststellung enthalten.252 Letzteres gilt auch, wenn insoweit eine vorbehaltene Strafe nicht festgesetzt wird (§ 59b Abs. 2 StGB); in diesem Fall tritt die Sperrwirkung spätestens mit der Rechtskraft des Beschlusses nach § 453 Abs. 2 S. 3 StPO ein. Rechtskraftfähig sind grundsätzlich auch Urteile im Sicherungsverfahren nach den §§ 413 ff. StPO; sie verbrauchen sowohl den Straf- als auch den Sicherungsanspruch.253 Ebenfalls voll rechtskraftfähig sind diejenigen urteils-

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53 ff.; Eb. Schmidt I 275 ff.; Roxin § 50, 9; Pickert 44 ff.; Radtke 32 ff. So Birkmeyer 680 (Das Urteil schaffe einen neuen von der materiellen Rechtslage unabhängigen „Strafanspruch“); in der Rechtsprechung (die damit die Berücksichtigung des Strafklageverbrauchs auf die allgemeine Sachrüge begründete) ansatzweise in diese Richtung früher RGSt 25 27, 29; 35 369 ff.; 41 153; s. auch Schroeder JuS 1997 229; weit. Nachw. zum Ganzen bei Pickert 32 f. Dagegen ausführlich und überzeugend vor allem Eb. Schmidt I 281; ferner etwa Beling 272. So im Anschluss an Sauer 233 ff.; LR/ K. Schäfer 24 Einl. 12 54; Gössel 290; Peters 502 ff.; differenzierend Beling 273; dagegen insbes. ausführlich Eb. Schmidt I 276 ff. Ausführlich Eb. Schmidt I 285 ff. und

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Kolleg 334; ebenso Niese 109 ff.; Beulke 504; Fezer 17/81; Henkel 385; Ranft 1875; Pickert 46. So auch LR/K. Schäfer 24 Einl. 12 55 a.E. Wegen der Entscheidungen anderer Gerichte s. Rn. 98 ff. Zu der namentlich von der zivilprozessualen Rechtskraftlehre, nach der sich die Rechtskraft nur auf den zivilrechtlichen Anspruch bezieht, abweichenden Deutung der Rechtskraft im Strafprozess als auch den gerichtlichen Schuldspruch (oder „Wahrspruch“) erfassend s. näher Eb. Schmidt I 317; Gerh. Schmidt JZ 1968 91 ff. Näher die Erl. zu § 414; zur Sonderproblematik beim Maßregelvollzug, namentlich der Bedeutung und Reichweite der „Erledigung der Maßregel“, s. mit weit. Nachw. Radtke ZStW 110 (1998) 297 ff.

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vertretenden Beschlüsse, die eine Sachentscheidung enthalten, wie etwa der Einstellungsbeschluss wegen Wegfalls der Strafbarkeit nach § 206b StPO 254 oder der Beschluss des Revisionsgerichts nach § 349 Abs. 4 StPO, der eine Entscheidung in der Sache selbst enthält. Rechtskraftfähig ist nach der seit 1987 bestehenden Rechtslage und der Änderung der §§ 410, 373a StPO auch der Strafbefehl; 255 er unterliegt lediglich einer erweiterten formellen Wiederaufnahmemöglichkeit zuungunsten des Verurteilten. Urteile im Rechtsmittelzug sind dann (und nur insoweit) der materiellen Rechtskraft 84 fähig, wenn sie eine eigene Sachentscheidung enthalten. Soweit sie ein Rechtsmittel verwerfen, werden sie lediglich formell rechtskräftig; die materielle Rechtskraft tritt bei dem angefochtenen Sachurteil ein. Bei aufhebenden und zurückverweisenden oder an das zuständige Gericht verweisenden (§ 328 Abs. 2, § 355 StPO) Rechtsmittelentscheidungen bleibt auch nach deren formeller Rechtskraft die materielle Rechtskraft bis zum endgültigen Abschluss des Verfahrens in der Schwebe. Ob und in welchem Umfang Einstellungsurteile oder Einstellungsbeschlüsse nach 85 § 206a StPO, die insoweit gleich zu beurteilen sind,256 der materiellen Rechtskraft fähig sind, ist teilweise ungeklärt und umstritten 257 und muss differenziert beantwortet werden. Eine grundsätzliche oder auch nur weit gehende Verneinung der Sperrwirkung würde dem materiellen Gehalt der Rechtskraft nicht gerecht werden, Rechtsbeständigkeit und Rechtssicherheit herbeizuführen und den Beschuldigten von einer Wiederholung des Verfahrens zu schützen. Die Sperrwirkung solcher Einstellungsentscheidungen reicht deshalb so weit, wie der der Entscheidung zu Grunde liegende (prozessuale) Prozessgegenstand. Soweit über dieses Prozessthema durch die rechtskräftige Einstellungsentscheidung entschieden ist, ist damit nicht nur (als Konsequenz der formellen Rechtskraft) das anhängige Verfahren beendet, sondern es darf auch (als Folge einer spezifischen materiellen Rechtskraft) nicht in einem neuen Verfahren wieder aufgerollt werden.258 Es ist eine hiervon unabhängige und hier nicht zu behandelnde andere Frage, ob zur Geltendmachung von Durchbrechungen dieser „spezifischen Rechtskraft“ die Förmlichkeiten des Wiederaufnahmerechts einzuhalten oder ob ihre Wirkungen in einem etwaigen neuen Verfahren auch ohne einen förmlichen Wiederaufnahmebeschluss zu berücksichtigen sind.259 Soweit Einstellungsentscheidungen zugleich eine im Tenor nicht zum Ausdruck 86 kommende negative Sachentscheidung enthalten, sind sie der materiellen Rechtskraft fähig.260 Bei endgültigen Verfahrenshindernissen wird man darüber hinaus annehmen müssen, dass eine Sperrwirkung (mindestens) insoweit eintritt, als die Entscheidung hierüber weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht in einem neuen Verfahren nochmals geprüft werden kann.261 So kann etwa eine Einstellung wegen Verjährung 254 255

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Näher die Erl. zu § 206 b. Vgl. zur früheren Rechtslage BVerfGE 3 248 ff.; 65 377 ff. sowie die Erl. unter § 373a. SK/Paeffgen § 206a, 31; Schäfer 1218. Grundsätzlich verneinend u.a. LR/Gössel 25 Vor § 359, 42; KK/Pfeiffer Einl. 170; Meyer-Goßner Einl. 172 (differenzierend jedoch § 260, 48); Ranft 1868; grundsätzlich (wenn auch mit Einschränkungen) bejahend etwa Beling 271; Henkel 390; v. Hippel 373; Peters 517; Roxin § 50, 20; Schäfer 1213 ff.; Schlüchter 601; Többens

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NStZ 1982 186; s. auch die Erl. zu § 206a und zu § 260, beide mit weit. Nachw. Vgl. BGHSt 18 1, 5 (zu einer rechtskräftig gewordenen Unzuständigkeitserklärung). Vgl. dazu auch Radtke 320 ff. Näher mit weit. Nachw. die Erl. zu § 260; ferner Henkel 391; Peters 518; Schäfer 1217; s. auch Beling 233, 272; BGHSt 18 381, 385. So im Grundsatz übereinstimmend auch Beling 271; Henkel 390; v. Hippel 374; Schäfer 1213; SK/Paeffgen § 206a, 31.

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weder deshalb korrigiert werden, weil die Rechtslage unzutreffend beurteilt worden ist, noch weil nachträglich eine Unterbrechungshandlung festgestellt wird;262 eine Einstellung mangels Strafantrags nicht deshalb, weil der Antrag später aufgefunden wird;263 die Einstellung mangels Strafmündigkeit nicht deshalb, weil sich später das wahre Alter des Beschuldigten herausstellt.264 Die Einzelheiten sind noch ungeklärt. Bei behebbaren Verfahrenshindernissen bleibt ein neues Verfahren stets möglich, 87 wenn die ursprünglich fehlende Prozessvoraussetzung nachträglich geschaffen wird; so etwa, wenn die unzureichende Anklage in einwandfreier Form erhoben,265 der fehlende Eröffnungsbeschluss erlassen, die örtliche Zuständigkeit beachtet 266 wird oder die parlamentarische oder diplomatische Immunität entfällt.

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d) Gegenstand und Umfang der materiellen Rechtskraft. Die Sperrwirkung oder der Verbrauch der Strafklage umfasst nach der h.M. von der Einheitlichkeit des prozessualen Tatbegriffs (s. Rn. 53) den gesamten Prozessgegenstand des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens, also die prozessuale Tat, wie sie dem zuletzt entscheidenden Gericht auf Grund seiner Kognitionsbefugnis abzuurteilen rechtlich möglich war (näher hier Rn. 60).267 Das Bundesverfassungsgericht hat für den Sonderfall einer auch nach dem rechtskräftigen Urteil wiederholten Wehr- und Ersatzdienstverweigerung den Tatbegriff des Art. 103 Abs. 3 GG auf die Fälle erstreckt, in denen die Wiederholung der Tat auf einer gleichbleibenden Gewissensentscheidung beruht.268 Der Entscheidung ist im Ergebnis, nicht aber in der dogmatischen Konstruktion der Erweiterung des Tatbegriffs auf Ereignisse nach dem Eintritt der Rechtskraft, zuzustimmen. Die verfassungsrechtliche Unzulässigkeit der erneuten Strafverfolgung ergibt sich hier unmittelbar aus den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 4 Abs. 1 und 3 GG sowie aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip.269 Da die rechtliche Möglichkeit zur umfassenden Kognition den Umfang der materiellen 89 Rechtskraft bestimmt, steht die Sperrwirkung einer erneuten Verfolgung dann nicht entgegen, wenn das erste Gericht nicht aus tatsächlichen, sondern aus rechtlichen Gründen an der Aburteilung gehindert war.270 Obwohl dies im Grundsatz anerkannt sein dürfte, besteht hinsichtlich der sich daraus ergebenden Konsequenzen, die die Rechtsprechung erkennbar wenig beschäftigen,271 keine Klarheit. In Betracht kommen einmal die Fälle, 262

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BayObLG JR 1970 391 mit abl. Anm. Peters; Peters 517; Roxin § 50, 20; Schäfer 1217. Beling 271 Fn. 2; Henkel 390; a.A. LR/ Gössel 25 Vor § 359, 62. Peters 517. Vgl. BGHSt 18 1, 6. BGH bei Dallinger MDR 1972 753; OLG Stuttgart NJW 1968 1296. Zu den im Schrifttum teilw. vertretenen Einschränkungen s. auch die Hinweise LR/K. Schäfer 24 Einl. 12 38. BVerfGE 23 191, 202 ff.; vgl. aber auch (für andere, hierunter nicht fallende Ereignisse) BVerfGE 28 264, 278; 32 40, 47 ff.; zum Ganzen näher Bonn.Komm./Rüping (Zweitbearbeitung) Art. 103 Abs. 3 GG 60; OLG Düsseldorf NStZ 1986 80 m. Anm. NestlerTremel; s. jetzt auch § 15a ZDG und dazu

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etwa OLG Koblenz NStZ-RR 1997 149; vgl. auch OLG Braunschweig NStZ-RR 1998 178 (einschränkend). Ebenso Roxin § 50, 19; Grünwald ZStW 86 (1974) Beiheft S. 94; Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 473. RGSt 56 166; BGHSt 15 259; MeyerGoßner Einl. 173; Eb. Schmidt I 314; LR/K. Schäfer 24 Einl. 12 64; Henkel 389; Beling 269; zum Ganzen auch ausführlich Achenbach ZStW 87 (1975) 74 ff.; vgl. auch Busch ZStW 68 (1956) 11 ff. Abgesehen von den heute weitgehend bedeutungslos gewordenen Fällen der fortgesetzten Handlung, bei denen trotz faktisch fortbestehenden Gesamtvorsatzes auch aus diesem Grunde dem letzten tatrichterlichen Urteil stets eine Zäsurwirkung beigemessen worden ist; s. näher Kühne 651 ff.

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in denen es dem erkennenden Gericht aus Rechtsgründen verwehrt ist, auch ihm erkennbare rechtliche Konsequenzen aus einem im Übrigen aburteilungsfähigen einheitlichen Lebenssachverhalt zu ziehen, etwa weil es insoweit an der auslieferungsrechtlichen Zulässigkeit fehlt 272 oder weil es um die Anwendung einer landesrechtlichen Strafvorschrift aus einem anderen Bundesland geht.273 Als vergleichbar gelagert kann man möglicherweise die Fälle ansehen, in denen erst 90 nach dem Eintritt der Rechtskraft der Erfolg eines erfolgsqualifizierten Tatbestandes eintritt, etwa nach einer Verurteilung wegen Körperverletzung (§§ 223, 226 StGB) oder wegen Raubes (§ 249 StGB) der Tod des Opfers (§§ 227, 251 StGB). Hier wird im Schrifttum teilweise die Möglichkeit anerkannt, durch eine „Ergänzungsklage“ dieses der ursprünglichen Kognition rechtlich entzogene Ereignis noch zum Gegenstand eines neuen Verfahrens zu machen.274 Dafür könnte sprechen, dass auch in diesen Fällen dem erkennenden Gericht die Berücksichtigung der noch nicht eingetretenen schwereren Folgen rechtlich nicht möglich war.275 Dagegen ist allerdings zu bedenken, dass es sich insoweit aus der Sicht des rechtskräftig gewordenen Urteils um eine neue Tatsache handelt, die jedoch aus der vorangegangenen Tat, bezüglich derer Rechtskraftssperre besteht, sich entwickelt hat. Das Bundesverfassungsgericht hat, ohne die besondere Problematik dieser Fallgruppe vertieft zu erörtern, auch für die Fälle der später eintretenden Erfolgsqualifikation die uneingeschränkte Sperrwirkung der Rechtskraft bejaht.276 Besondere praktische Bedeutung dürfte die Kontroverse nicht gewinnen; bei einer Verurteilung im Strafbefehlsverfahren, wo dies eher in Betracht kommen könnte,277 ermöglicht § 373a Abs. 1 StPO regelmäßig eine befriedigende Lösung, ohne dass auf die Konstruktion einer Ergänzungsklage zurückgegriffen werden muss. Selbst wenn man ihre Zulässigkeit bejahen würde, käme sie nicht in den Fällen des Ausscheidens von Tatteilen nach § 154a StPO in Betracht, weil insoweit dem Gericht gemäß § 154a III StPO eine Wiedereinbeziehung jederzeit möglich ist.278 Für die Bestimmung des von der Sperrwirkung erfassten Geschehens sind auch (und 91 in erster Linie) die Feststellungen des rechtskräftigen Urteils mit maßgebend. Die im Schrifttum verbreitete Formulierung, dass sich die Rechtskraft nur auf den Urteilstenor, nicht auf die Gründe beziehe,279 ist zumindest unscharf und trifft in dieser Form nicht zu. Für die bei der Einleitung eines weiteren Verfahrens zu prüfende Frage, ob diesem das

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Beispiel: Sie umfasst nur den nicht nachweisbaren Meineid, nicht aber die nachweisbare uneidliche Falschaussage; s. dazu RGSt 37 88; weit. Nachw. bei Achenbach ZStW 87 (1975) 99 Fn. 89. Vgl. Beling 269 f.; Eb. Schmidt I 314 Fn. 532. So etwa im neueren Schrifttum Fezer 17/83; Kühne 650, 5; Roxin § 50, 17; Rüping 3 568; a.A. LR/K. Schäfer 24 Einl. 12 36a; Achenbach ZStW 87 (1975) 95 ff. (mit ausf. Nachw. auch des älteren Schrifttums); Meyer-Goßner Einl. 171; SK/Schlüchter § 264, 11 (mit ausf. Nachw. zum Streitstand); Ranft 1873. Zu dieser Argumentation allerdings mit beachtlichen Gründen zweifelnd Achenbach ZStW 87 (1975) 99 f.

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BVerfGE 65 377, 381 = NStZ 1984 325 mit Anm. Schnarr im Zusammenhang mit seiner Entscheidung über die beschränkte Rechtskraft des Strafbefehls. Achenbach ZStW 87 (1975) 101 f. S. die Erl. zu § 154a. Pläne zu einer gesetzlichen Regelung einer Vorab- und Ergänzungsklage sind nicht weiterverfolgt worden; s. dazu u.a. Dästner RuP 1978 219; Lemke ZRP 1980 141; Sack ZRP 1976 257; sowie kritisch Fezer (Ringvorlesung) 137 f.; Grünwald FS Bockelmann 747 ff. So etwa KK/Pfeiffer Einl. 167; MeyerGoßner Einl. 170; Beulke 503; Roxin § 50, 10; ähnlich auch BGHSt 30 378, 383; zum Ganzen auch Bruns FS Eb. Schmidt 613 ff.

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Verfahrenshindernis der Rechtskraft entgegensteht, ist der Urteilstenor allein ohne jede Aussagekraft. Vielmehr beantwortet sich diese Frage durch einen Vergleich des neu zu beurteilenden tatsächlichen Geschehens mit demjenigen, das nach den Feststellungen des rechtskräftigen Urteils in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Gegenstand der damaligen Aburteilung war oder jedenfalls hätte sein können. Zu diesem Zweck ist auf die Feststellungen des früheren Urteils und erforderlichenfalls über sie hinaus auf das in der früheren Anklage geschilderte und von ihr erfasste tatsächliche Geschehen abzustellen, welches sich überwiegend aus den Gründen, kaum jedoch aus dem Tenor ergibt. Eine andere und grundsätzlich zu verneinende Frage ist die, ob die Feststellungen des rechtskräftigen Urteils Bindungswirkung für andere Verfahren entfalten können, die einen anderen Prozessgegenstand betreffen; doch ist auch insoweit die Unterscheidung zwischen Tenor und Gründen meist ohne Bedeutung (näher Rn. 94). Die Sperrwirkung der rechtskräftigen strafrechtlichen Aburteilung bezieht sich nur 92 auf ein neues Strafverfahren. Sie steht – auch unter dem Aspekt der verfassungsrechtlichen Gewährleistung durch Art. 103 Abs. 3 GG 280 – einer zusätzlichen disziplinarischen oder berufsrechtlichen Ahndung grundsätzlich nicht entgegen,281 ebensowenig der Anordnung einer Ordnungs- oder Zwangsmaßnahme.282 Wieweit eine strafrechtliche Verurteilung aus anderen Gründen einer disziplinarischen oder berufsrechtlichen Ahndung entgegensteht oder ihre Intensität beeinflussen kann und ob für die wiederholte disziplinar- oder berufsrechtliche Ahndung der Grundsatz ne bis in idem gilt, ist teilweise umstritten und hier nicht näher zu erörtern.283 Es muss lediglich festgestellt werden, dass mit steigendem punitiven Gehalt der dienstrechtlichen oder berufsrechtlichen Sanktion die Nähe zur Strafe und damit die zum Verbot der Doppelbestrafung steigt. Dagegen umfasst die Sperrwirkung der strafrechtlichen Aburteilung auch die spätere Ahndung der gleichen Tat als Ordnungswidrigkeit, weil nach § 82 OWiG die Tat auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit zu beurteilen ist. Die den Umfang der Rechtskraft bestimmende Kognitionsbefugnis des Gerichts erstreckt sich daher auch hierauf. Die hier nicht näher zu behandelnde, grundsätzlich ebenfalls bestehende 284 materielle Rechtskraft von reinen Bußgeldentscheidungen im Ordnungswidrigkeitenverfahren ist in §§ 84, 85 OWiG geregelt. Für die umgekehrten Fälle der Berücksichtigung disziplinarischer, berufsrechtlicher 93 oder ordnungsrechtlicher Sanktionen in einem späteren Strafverfahren gilt der Grundsatz ne bis in idem ebenfalls grundsätzlich nicht. Eine strafrechtliche Verurteilung wird daher nicht dadurch ausgeschlossen, dass der gleiche Lebenssachverhalt bereits disziplinarisch oder berufsrechtlich bestandskräftig geahndet worden oder insoweit eine Ordnungsstrafe verhängt worden ist. Letzteres ergibt sich für einen Teilbereich auch aus dem Gesetz (§ 178 Abs. 1 S. 2 GVG). Jedoch sind, falls es im strafrechtlichen Verfahren zu einer Verurteilung kommt, bei der Sanktionsbemessung die disziplinar-, berufs- oder ordnungs-

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Vgl. dazu umfassend mit Nachw. Bonn.Komm./Rüping (Zweitbearbeitung) Art. 103 Abs. 3 GG 28 ff. BVerfGE 21 378, 383; 21 391, 400 ff.; 27 180, 185 f.; KG StV 1987 519 mit Anm. Frister; Bonn.Komm./Rüping (Zweitbearbeitung) Art. 103 Abs. 3 GG 29 ff.; AK/Loos § 264 Anh. 17; zum Ganzen umfassend auch mit rechtstatsächlichem Material Lambrecht insbes. S. 27 ff.

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BVerfGE 43 101, 105 f. S. dazu mit weit. Nachw. Bonn.Komm./ Rüping (Zweitbearbeitung) Art. 103 Abs. 3 GG 79; Meyer-Goßner Einl. 178 f.; umfassend Lambrecht insbes. 103 ff.; vgl. auch § 14, 17 Abs. 5 BDO; §§ 8, 76 Abs. 5 WDO; § 118 Abs. 2 BRAO. Vgl. u.a. BGHSt 17 5, 9; 24 54, 57.

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rechtlichen Sanktionen anzurechnen 285 oder mindestens zu berücksichtigen.286 Bei einer Entscheidung über eine Ordnungswidrigkeit gelten die besonderen Regeln der §§ 84 bis 86 OWiG. Danach ist ihre neue Verfolgung und Aburteilung als Straftat regelmäßig zulässig, und zwar, soweit es sich um einen rechtskräftigen behördlichen Bußgeldbescheid handelt, durch ein normales Strafverfahren (§ 84 Abs. 1 OWiG), in dem gegebenenfalls der Bußgeldbescheid aufzuheben ist (§ 86 OWiG), soweit es sich um eine gerichtliche Bußgeldentscheidung handelt, nach deren Beseitigung im förmlichen Wiederaufnahmeverfahren auf der Grundlage neuer Tatsachen oder Beweismittel (§ 86 Abs. 3 OWiG). e) Feststellungs- und Bindungswirkung. Nach der ganz h.M.287 entfaltet die mate- 94 rielle Rechtskraft für Verfahren mit einem anderen Prozessgegenstand grundsätzlich weder eine Feststellungs- noch eine Bindungswirkung. Dies gilt sowohl für den Urteilstenor als auch, insoweit anders als bei der sog. Teilrechtskraft,288 für die Feststellungen. Es betrifft sowohl den Fall, dass es um den gleichen Lebenssachverhalt bei einem anderen Beschuldigten geht, als auch den, dass dem gleichen Beschuldigten eine andere Tat zur Last gelegt wird, bei deren Feststellung oder Bewertung es auf den von der Rechtskraft erfassten Gegenstand ankommt.289 Bindend festgestellt ist lediglich, soweit dies allein von rechtlicher Bedeutung ist, der Umstand der Verurteilung oder des Freispruchs als solcher, so etwa in den Fällen des § 190 StGB oder als Voraussetzung für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB 290 oder für den Verlust der Beamteneigenschaft nach § 48 BBG oder für die Berücksichtigung eines rechtskräftigen Freispruchs nach § 14 Abs. 5 BDO und ähnlichen Regelungen. Abgesehen von diesen Fällen einer Tatbestandswirkung der rechtskräftigen Aburtei- 95 lung ist der neu erkennende Strafrichter bei der Beurteilung des Sachverhalts und der rechtlichen Würdigung bei einem anderen Prozessgegenstand frei. Er kann deshalb beispielsweise in einem anderen Verfahren gegen einen anderen Angeklagten verurteilen oder eine Strafvereitelung, Begünstigung oder Hehlerei annehmen, auch wenn ein den gleichen Sachverhalt betreffendes freisprechendes Urteil rechtskräftig ist 291 und umgekehrt. Die Rechtskraft entbindet auch nicht von der Verpflichtung zur Amtsaufklärung, 285

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So z.B. ausdrücklich für den Fall der Ordnungsstrafe § 178 Abs. 3 GVG; s. auch OLG Hamm NJW 1978 1063 zur Anrechnung einer Geldbuße auf die Geldstrafe. Vgl. BVerfGE 21 378, 388 ff. (Anrechnung von Disziplinararrest auf Freiheitsstrafe); 27 180, 189 = NJW 1970 507 mit Anm. Kreuzer (kein verfassungsrechtliches Gebot zur Anrechnung einer berufsgerichtlichen Geldbuße auf die Geldstrafe); s. auch Bonn.Komm./Rüping (Zweitbearbeitung) Art. 103 Abs. 3 GG 40 f.; AK/Loos § 264 Anh. 16; näher Lambrecht 59 ff. (auch zur Strafzumessungsrelevanz der beamtenrechtlichen Folgen insgesamt). AK/Loos § 264 Anh. 24; Meyer-Goßner Einl. 170; Eb. Schmidt I 317 ff.; Gössel 293 f.; Peters 505; Roxin § 50, 10; Schäfer 1202; Grünwald ZStW 86 (1974), Beiheft 120 f. mit weit. Nachw.; zum Ganzen aus-

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führlich Bruns FS Eb. Schmidt 602, 608 ff.; Überblick auch bei Radtke 71 ff.; aus der Rspr. etwa RGSt 33 303, 304; 44 255; 58 290; BGHSt 30 371, 382 f.; 43 106 = JR 1998 117 mit Anm. Loos; BGH NJW 1982 1239, 1240; OLG Hamm NJW 1959 1982; teilw. a.A. Zaczyk GA 1988 356 ff. (mit weit. Nachw. zum Streitstand), der dem Strafurteil den Charakter eines „Statusurteils“ beimisst; unklar Henkel 391. S. näher die Erl. Vor § 296. Insoweit teilweise a.A. Grunsky FS Kern 233 ff.; zweifelnd auch (für den Fall der Vorstrafenfeststellung) Loos JR 1998 118 in Anm. zu BGHSt 43 106. Lackner § 66, 5. So z.B. RGSt 58 290; BGH bei Dallinger MDR 1969 194 (für den Fall der Strafvereitelung); Roxin § 50, 10; a.A. Zaczyk GA 1988 362.

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wenn es in einem neuen Verfahren gegen den gleichen Beschuldigten auf die Richtigkeit der dem rechtskräftigen Urteil zu Grunde liegenden Feststellungen (und nicht nur der Verurteilung als solcher) ankommt.292 Freilich kann das Gericht dabei seine eigene Überzeugung auf die gemäß § 249 Abs. 1 S. 2 StPO urkundenbeweislich verwertbaren Feststellungen des früheren Urteils stützen.293 Es muss aber Zweifel an deren Richtigkeit selbst aufklären und darf Anträge der Prozessbeteiligten auf Beweiserhebung über ihre Unrichtigkeit nicht ohne weiteres ablehnen.294 Eine Bindung an die tatsächlichen Feststellungen tritt aber dann und insoweit ein, 96 wenn dies ausdrücklich bestimmt ist, so beispielsweise für das Verfahren selbst bei der Beschwerde über die Kostenentscheidung (§ 464 Abs. 3 S. 2 StPO), oder etwa im Disziplinarverfahren nach § 18 Abs. 1 BDO, soweit nicht das Disziplinargericht ihre Richtigkeit mit Mehrheit bezweifelt.

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f) Rechtskraftdurchbrechungen. Da die formelle Rechtskraft die Grundlage für die materielle darstellt, entfallen mit deren Wegfall (Rn. 70) zugleich die Wirkungen der materiellen Rechtskraft, vor allem deren Sperrwirkung. Dies gilt etwa in den Fällen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder der Aufhebungserstreckung nach § 357 StPO. In der Regel wird allerdings zugleich für ein neues Verfahren das Verfahrenshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit begründet werden, da hierdurch das Ursprungsverfahren seinen Fortgang nimmt. Die materielle Rechtskraft eines Urteils kann ferner bei einer Erschütterung seiner tatsächlichen Grundlage nach den Vorschriften über das Wiederaufnahmeverfahren (§§ 359 bis 373a StPO) beseitigt werden. Eine vergleichbare Rechtskraftdurchbrechung ist in § 79 Abs. 1 BVerfGG für den Fall vorgesehen, dass eine Verurteilung auf einer verfassungswidrigen Norm beruht. Schließlich kann die Rechtskraft durch eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde beseitigt werden, soweit deren Voraussetzungen vorliegen.295 Die Feststellung eines Verstoßes gegen die EMRK durch den EGMR ist erst seit 1998 in § 359 Nr. 6 StPO als Wiederaufnahmegrund zugunsten des Verurteilten anerkannt und gestattet seither ebenfalls eine Durchbrechung der Rechtskraft;296 die Urteile des EGMR selbst haben hingegen keinerlei kassatorische Wirkung für das deutsche Recht, vgl. näher Rn. D 83 ff. 4. Entscheidungen nichtdeutscher Gerichte

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a) Grundsatz. Allgemeine Entwicklung. Ohne weiteres bezieht sich die materielle Rechtskraft nur auf Entscheidungen von Gerichten der Bundesrepublik Deutschland,297 292

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Vgl. RGSt 33 303, 304; 44 255, 256; RG Recht 1930 Nr. 2362; Eb. Schmidt I 322; Henkel 392. So zuletzt BGHSt 43 106 = JR 1998 117 mit Anm. Loos. BGHSt 43 106 = JR 1998 117 mit Anm. Loos. Nicht durchgesetzt hat sich zu Recht der Gedanke von Lampe GA 1968 33, 36 ff., die Verfassungsbeschwerde generell zu einer Art umfassender Nichtigkeitsbeschwerde einzusetzen; dagegen nachdrücklich Eb. Schmidt JZ 1968 681 ff.; s. aber auch Rn. 114. Gesetz vom 9.7.1998 (BGBl. I S. 1802).

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Bis zu dieser Änderung wurde insoweit die Möglichkeit einer Rechtskraftdurchbrechung verneint; s. näher mit Nachw. LR/Gollwitzer 24 EMRK Anh. 50 ff.; a.A. KK/Pfeiffer 4 Einl. 169. BVerfGE 12 62, 66; 75 1, 15 f.; BGHSt 6 176; 12 36; 24 54, 57; 34 334 ff.; BGH StV 1986 292; NStZ 1986 557, 558; BayObLG NJW 1997 335; OLG Frankfurt NJW 1979 1111; 1997 1937; KG NJW 1957 1935; s. auch AK/Loos § 264 Anh. 12; MeyerGoßner Einl. 177; Roxin § 50, 22; Rüping 3 566; krit. (jedenfalls für Sonderfälle) Endriß/Kinzig StV 1997 665 ff.

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denen der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft grundsätzlich gleichsteht.298 Die oben bei D ausführlich dargelegte europäische und internationale Entwicklung hat aber zumindest innerhalb der EU dazu geführt, dass Urteile ausländischer mitgliedstaatlicher Gerichte nach Art. 54 SDÜ das ne bis in idem auslösen. Details sind insofern noch weitgehend ungeklärt, als es überaus schwierig ist, die die Sperrwirkung auslösende Rechtskraft nach ausländischem Recht festzustellen.299 Das hat sich nach dem Urteil des EuGH vom 11.02.2003 300 verstärkt, weil hiernach nunmehr für Art. 54 SDÜ bindend festgestellt worden ist, dass auch solche Entscheidungen am Schutz von ne bis in idem teilhaben, die nicht durch gerichtliche Instanzen ergangen sind, aber die Funktion haben, den Fall abzuschließen. Unter welchen Bedingungen eine solche abschließende Funktion oder Intention anzunehmen ist, bedarf noch näherer Erklärung 301. Auch die Beschreibung des Tatgegenstandes im internationalen Kontext ist etwa bei mehreren verbundenen und in verschiedenen Ländern durchgeführten oder auch nur geplanten Taten überaus schwierig.302 Allein unstreitig ist der Umstand, dass sowohl freisprechende wie verurteilende Entscheidungen gleichermaßen unter Art. 54 SDÜ zu subsumieren sind.303 b) Besondere Gerichtshöfe. Weitere vergleichbare oder ähnliche Regelungen, hinsicht- 99 lich derer auf das Spezialschrifttum zu verweisen ist, finden sich etwa im Zusammenhang mit Rechtshilfe- und Auslieferungsübereinkommen oder bei Abkommen über die Abgabe und die Übernahme der Strafverfolgung.304 Im Bereich des Völkerstrafrechts begründen Art. 9, 10 des Statuts des Internationalen Jugoslawien-Strafgerichtshofs,305 dem innerstaatlich § 2 JStG 306 Rechnung trägt, ein Verfolgungs- und Aburteilungsverbot, sobald der Gerichtshof ein entsprechendes Ersuchen an die Strafverfolgungsbehörden richtet. Damit ist die deutsche Gerichtsbarkeit insoweit beschränkt.307 Für den umgekehrten Fall einer bereits erfolgten Aburteilung durch ein deutsches Gericht gilt dies nur eingeschränkt.308 Hingegen kann gegenüber dem IStGH ein nationales ne bis in idem grundsätzlich nicht vorgebracht werden, weil es gerade Aufgabe des IStGH ist, Defizite der nationalen Strafverfolgung zu kompensieren.309

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BGHSt 24 54, 57 f. (für den Fall einer Kartellordnungswidrigkeit); ebenso MeyerGoßner Einl. 177a; Roxin § 50, 23; vgl. auch Rn. D 94. Ausführlich dazu Stein, ebenso Kniebühler; Kühne JZ 1998 876; BGH StV 1999 478 m. Anm. Kühne; Schomburg NJW 2000 1833. EuGH Urt. v. 11.02.2003 – C-187/01 (Brügge), NJW 2003 1173; dazu Kühne JZ 2003 305. Vgl. in diesem Zusammenhang auch BGH JZ 2004 734 m. Anm. Kühne, wo eine rechtskraftsähnliche Wirkung bei § 153 II StPO angenommen wird, was für Art. 54 SDÜ nicht ohne Bedeutung bleiben kann. Vgl. dazu den Vorlagebeschluss des BGH NStZ 2006 106 m. Anm. Lagodny. BGH NJW 2001 2270; Kühne 661 m.w.N. Vgl. auch Jung FS Schüler-Springorum 498 ff.; ferner Grützner NJW 1969 345; v. Ungern-Sternberg ZStW 94 (1982) 84 ff.

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Zum vergleichbaren Ruanda-Gerichtshof s. Werle ZStW 109 (1997) 809 ff. Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien vom 10.4.1995 (BGBl. I S. 485); weitgehend textgleich und daher mit den gleichen innerstaatlichen Rechtsfolgen das Ruanda-StrafgerichtshofGesetz vom 4.5.1998 (BGBl. I S. 843); zum Ganzen ausführlich Hollweg JZ 1993 980 ff.; s. auch Werle ZStW 109 (1997) 823 f. Einzelheiten, auch zum Einfluss auf den Grundsatz ne bis in idem, bei Trautwein NJW 1995 1658 f.; ferner Schomburg NStZ 1995 428 f.; Roggemann NJW 1994 1438; Werle ZStW 109 (1997) 823; Endriß/Kinzig StV 1997 667. Näher Roggemann NJW 1994 1438; Werle ZStW 109 (1997) 823 f. Kühne 100.5.

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c) Gerichte der ehemaligen DDR. Bis zur Wiedervereinigung wurden aufgrund der besonderen politischen Lage Gerichte der DDR nicht als ausländische, sondern als inländische angesehen. Ihre Entscheidungen waren daher im Prinzip materiell rechtskräftig und lösten die Sperrwirkung ebenso aus, wie sie in der Bundesrepublik vollstreckbar waren. Weitgehende Ausnahmen sowohl in der einen als auch der anderen Richtung waren im RHG geregelt, das hier zuletzt von K. Schäfer in der 23. Aufl. eingehend erläutert worden ist,310 Nach der Wiedervereinigung sind gemäß Art. 18 EinigungsV 311 Entscheidungen von Gerichten der DDR grundsätzlich wie solche der Bundesrepublik materiell rechtskraftfähig; doch kann diese Rechtskraft nach dem StrRehaG unter den dort genannten Voraussetzungen und in den dort geregelten Verfahren durchbrochen werden.312

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d) Besatzungsgerichte; ausländische Streitkräfte. Besatzungsgerichtliche Urteile verbrauchten die Strafklage zunächst nicht und standen einer erneuten Strafverfolgung vor deutschen Gerichten nicht entgegen.313 Erst durch die vertragliche Beendigung des Besatzungsregimes durch den Überleitungsvertrag wurde die grundsätzliche Verpflichtung zur Anerkennung solcher Urteile durch deutsche Gerichte begründet.314 Spezialgesetzlich geregelt ist nach Art. 7 Abs. 8 Nato-Truppenstatut der Umfang des Strafklageverbrauchs bei Urteilen in Ausübung der Strafgewalt der jeweiligen Entsendestaaten.315 5. Bestandskraft anderer Entscheidungen im Überblick

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a) Allgemeines. Über die Rechtskraft von Urteilen und urteilsersetzenden Beschlüssen hinaus ist die Bestandskraft anderer verfahrensbeendender Entscheidungen, soweit sie mit einer Sperrwirkung verbunden sind, nur zum Teil und insoweit unterschiedlich im Gesetz geregelt; im Übrigen ist sie teilweise ungeklärt und umstritten. Die Einzelheiten sind bei den einzelnen Regelungen erörtert; hier ist nur ein kurzer Überblick zu geben.316 Generell ist in diesen Fällen zu unterscheiden, ob solche Entscheidungen überhaupt einer irgendwie gearteten „materiellen Rechtskraft“ dergestalt unterliegen, dass sie in irgendeiner Form eine Sperrwirkung für die einfache Verfahrensfortsetzung bewirken, wieweit 310

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Das RHG ist durch Anl. I Kap. III Sachgeb. C Abschn. II Nr. 5 zum EinigungsV, abgesehen von einigen, inzwischen gegenstandslosen Übergangsmaßgaben aufgehoben worden. Zur Behandlung der sog. Waldheim-Urteile als von Anfang an nichtig s. KG NJW 1954 1901. Näher LR/Hilger 24 Nachtr. II (EinigungsV), Teil C Rn. 4 ff. sowie 45 ff. (zur zeitlich vorübergehend aufrechterhaltenen Kassation nach dem Strafprozessrecht der DDR); zu späteren Änderungen der entsprechenden Regelungen der Anl. zum EinigungsV s. § 27 StrRehaG sowie die Erl. bei Bruns/ Schröder/Tappert S. 49 ff. Überblick dazu Vor § 339. So BGHSt 6 176 mit Nachw. auch der kontroversen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und der des RG zur Zeit der Rheinlandbesetzung nach dem 1. Weltkrieg.

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Art. 7 Abs. 1 Überleitungsvertrag vom 30.3.1955; s. auch BGHSt 12 326; 14 137; 21 29. Vgl. dazu zuletzt BayObLG NJW 1997 335 f. (zur Sanktionsbemessung bei einer nicht der Sperrwirkung unterfallenden Sanktionierung durch die Militärbehörden des Entsendestaates). Eine systematische Gesamtdarstellung mit umf. Nachw. namentlich bei Radtke 139 ff.; s. auch Eb. Schmidt I 325 ff.; Geppert GA 1972 165 ff.; Loos JZ 1978 592. Zur Rechtskraft von Einstellungsurteilen nach § 260 Abs. 3 und Einstellungsbeschlüssen nach § 206a StPO s. oben Rn. 85 ; zum Umfang der Rechtskraft bei der Verwerfung von Rechtsmitteln als unzulässig s. die Erl. zu den §§ 322, 346 und 349.

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diese reicht und welches Verfahren für ihre Durchbrechung vorgesehen ist. Nach der ganz h.M. im Schrifttum sowie nach der Rechtsprechung kommt ihnen die volle Urteilsrechtskraft in keinem Fall zu, und es bedarf zur Durchbrechung einer etwaigen beschränkten Rechtskraft nicht des förmlichen Wiederaufnahmeverfahrens nach den §§ 359ff. StPO. Eine demgemäß beschränkte Rechtskraft wird in Anlehnung an die gesetzlichen Vorschriften (§§ 174, 211 StPO) für gerichtliche Entscheidungen überwiegend bejaht; für staatsanwaltschaftliche Abschlussentscheidungen dagegen nach überwiegender Meinung weitgehend verneint. b) Gerichtliche Entscheidungen. Nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (§§ 174, 103 211 StPO) entfaltet die formell rechtskräftige (§ 210 StPO) Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 204 StPO ebenso wie die Zurückweisung des Klageerzwingungsantrags eine beschränkte Rechtskraft 317 dahingehend, dass eine Verfahrensfortsetzung nur bei einer Erschütterung der tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung, nämlich beim Vorliegen neuer Tatsachen oder Beweismittel, zulässig ist, also nicht bei einer bloßen Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Beurteilung. In Umfang und Reichweite umstritten war der Strafklageverbrauch bei den folgenlosen Einstellungen nach den das Legalitätsprinzip durchbrechenden Vorschriften, namentlich nach § 153 Abs. 2 und dem (gleich zu behandelnden) § 153b Abs. 2 StPO. Nachdem der BGH für § 153 Abs. 2 StPO eine dem § 153a Abs. 3 S. 5 StPO gleichstehende Sperrwirkung angenommen hat,318 scheint sich eine Entwicklung abzuzeichnen, die zumindest für verfahrensbeendende Entscheidungen unter Mitwirkung von Richtern, vielleicht aber auch darüber hinaus, eine beschränkte Rechtskraftwirkung annimmt. Ähnliches dürfte auch für die entsprechenden Einstellungen im Privatklageverfahren nach § 383 Abs. 2, § 390 Abs. 5 S. 1 StPO gelten. c) Staatsanwaltschaftliche Entscheidungen, die das Verfahren ohne richterliche Beteili- 104 gung abschließen, sollen nach der (noch) herrschenden Meinung keiner auch nur beschränkten Bestandskraft unterliegen. Die Staatsanwaltschaft kann also auch ohne eine Veränderung der tatsächlichen Grundlagen aufgrund einer bloßen veränderten Beurteilung ein nach § 170 Abs. 2 StPO oder aufgrund einer ihr dies nach den §§ 153 ff. StPO gestattenden Vorschrift eingestelltes Ermittlungsverfahren jederzeit weiterbetreiben. Angesichts der neueren Entwicklungen bei der Lehre von der Bestandskraft begünstigender öffentlich-rechtlicher Verwaltungsakte sowie der Erkenntnisse über die Funktion der staatsanwaltschaftlichen Abschlussverfügung erscheint fraglich, ob diese Auffassung weiterhin uneingeschränkt aufrechterhalten werden kann. Angesichts der oben bei Rn. 103 dargestellten Rechtsprechung des BGH und insbesondere des Urteils des EuGH vom 11.02.2003 319 scheint die Diskussion aber auf die im Schrifttum zuvor schon vorsichtig vertretenen Lösungsansätze hinauszulaufen, die auf eine sehr weit gehende Gleichstellung mit den gerichtlichen Verfahrenseinstellungen abstellen.320

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Terminologisch abweichend sprechen Eb. Schmidt I 326; Henkel 320; Beling 366 von „auflösend bedingter Rechtskraft“. Gegen beide Begriffe Radtke 222 f.; kritisch in der Sache Geppert GA 1972 174, 177.

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JZ 2004 743 m. Anm. Kühne. EuGH Urt. v. 11.2.2003 – C-187/01 (Brügge), NJW 2003 1173; dazu Kühne JZ 2003 305. So vor allem Radtke 351 ff.

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VI. Zur Problematik nichtiger Entscheidungen, insbesondere nichtiger Urteile 1. Allgemeines a) Übersicht. Die Frage, ob gerichtliche Entscheidungen, vor allem der Rechtskraft fähige Urteile, mit solchen Mängeln behaftet sein können, dass sie ausnahmsweise als unbeachtlich oder als nichtig 321 anzusehen sind, ist im Schrifttum seit jeher umstritten.322 Die wohl überwiegende Meinung erkennt eine solche Nichtigkeit oder Unwirksamkeit mindestens als theoretische Möglichkeit für bestimmte Fallgruppen an.323 Dabei wird jedoch nicht einheitlich beurteilt, unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist und welche Gesichtspunkte hierfür leitend sind. Auch bei den Befürwortern der Nichtigkeit besteht aber dahingehend Einigkeit, dass sie wegen Funktion und der Bedeutung der Rechtskraft und der Rechtssicherheit nur in seltenen Ausnahmefällen 324 in Betracht kommen. Demgegenüber vertritt die Gegenmeinung 325 die Auffassung, dass im Hinblick auf die Gesamtheit der gesetzlichen Regelungen und des ihnen zu Grunde liegenden Systems eine Nichtigkeit von Urteilen grundsätzlich nicht anzuerkennen ist. Auch insoweit sind die Begründungen nicht einheitlich. Die Rechtsprechung hält, wie die Mehrheit des Schrifttums, nichtige Entscheidungen 106 unter bestimmten engen Voraussetzungen für möglich,326 doch handelt es sich insoweit ganz überwiegend um nicht tragende Erwägungen unter Hinweis auf Beispiele und Fallgestaltungen, deren Vorliegen konkret verneint wurde. Jedenfalls in der neueren Rechtsprechung seit 1945 327 ist, abgesehen von wenigen und vereinzelten atypischen Ausnahmen,328 die Nichtigkeit einer zur Überprüfung stehenden Entscheidung in keinem Fall angenommen worden; sei es, dass es auf diese Frage nicht ankam, sei es, dass die Annahme der Urteilsnichtigkeit nach den konkreten Umständen des Falles ausdrücklich

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Die Terminologie ist nicht einheitlich. Während überwiegend der Begriff der Nichtigkeit verwendet wird, spricht Eb. Schmidt I 251 für das gleiche Phänomen von Unbeachtlichkeit; während Roeder ZStW 79 (1967) 250, 294, 303 in umfassender Weise von Nichturteilen spricht und damit diesen Begriff weiter ausdehnt, als der übliche Sprachgebrauch (s. Rn. 108). Umfassende Nachw. zum Meinungsstand auch im älteren Schrifttum etwa bei Henkel 258 Fn. 22 ff.; Peters 519; Grünwald ZStW 76 (1964) 251 ff.; s. auch LR/K. Schäfer 24 Einl. 16 4 f.; ferner Roeder ZStW 79 (1967) 253 ff.; KG JR 1955 350 m. Anm. Sarstedt. So z.B. Eb. Schmidt I 251 ff.; Beulke 507; Gössel 287; Henkel 258 f.; Peters 519 ff.; Roxin § 50, 28 ff.; Schlüchter 137; Schroeder 329 ff.; aus dem älteren Schrifttum u.a. Beling 207 ff.; Gerland 294 ff.; v. Hippel 375 ff.; Rosenfeld 269. So etwa Eb. Schmidt I 252; vgl. auch Henkel 258; Peters 519; Roxin § 50, 28.

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So z.B. LR/K. Schäfer 24 Einl. 16 insbes. Rn. 41 ff.; ebenso bereits Niethammer in der 20. Aufl. Einl. § 15; AK/Loos § 264 Anh. 21; Meyer-Goßner Einl. 105; Rüping 3 553; Grünwald ZStW 76 (1964) 259 ff.; Kühne 1012.1; Sarstedt JR 1955 351 f. in Anm. zum Beschl. des KG; Geppert GA 1972 182 Fn. 134; aus dem älteren Schrifttum etwa u.a. v. Kries 123; zu Dohna 221. Nachw. etwa bei LR/K. Schäfer 24 Einl. 16 3 Fn. 5; ferner Grünwald ZStW 76 (1964) 251; s. auch BGHSt 29 351; OLG Jena NStZ-RR 1998 111. Vgl. auch (zur Rechtsprechung des RG) RGSt 71 377 (mit Hinweis, dass eine Urteilsnichtigkeit in keinem Fall anerkannt worden sei); KG JR 1955 350 m. Anm. Sarstedt; ferner Grünwald ZStW 76 (1964) 251. OLG Braunschweig MDR 1947 37 (dazu Eb. Schmidt I 254 Fn. 459); BayObLG NJW 1960 162; zu beiden Grünwald aaO; ferner KG NJW 1954 1901; (zu den sog. Waldheim-Urteilen, dazu näher Rn. 109); OLG Schleswig NJW 1978 1016.

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verneint worden ist.329 Bei dieser Sachlage kann kaum davon gesprochen werden, dass das Institut der Urteilsnichtigkeit von der Rechtsprechung anerkannt sei.330 b) Hinweise und Grundsätze. Die hier zu erörternde Problematik ist in der 24. Aufl. 107 von K. Schäfer (Einl. Kap. 16) ausführlich und umfassend erörtert worden. Die nachfolgende Darstellung, die weit gehend an der dortigen Auffassung festhält, kann hieran anknüpfen und wegen vieler Einzelheiten hierauf Bezug nehmen. Grundsätzlich ist bei der Behandlung des gesamten Problemfeldes zu bedenken, dass sich das Nichtigkeitsproblem nicht abstrakt beurteilen lässt, sondern nur als eines von mehreren Elementen eines Systems der Rechtskraftwirkungen, der Durchbrechungsmöglichkeiten und der daraus abzuleitenden Gesamtbewertung durch die Rechtsordnung. Dies gilt auch dann, wenn man anerkennt, dass systematisch gesehen die staatsrechtliche Frage der Wirksamkeit des Urteils als Staatsakt von der prozessualen Frage der Rechtskraft zu scheiden ist und ihr vorausgeht.331 Die generelle Frage der Urteilsnichtigkeit und ihrer Auswirkungen sollte sich ferner an praktisch relevanten Fällen orientieren. Insoweit erweist es sich als zweckmäßig, die Probleme abzutrennen, die wegen ihrer Besonderheiten einer abweichenden und selbständigen Beurteilung zugänglich sind . c) Nichturteile und nichtige Urteile. Während zweifelhaft ist, ob und in welchem 108 Umfang die Existenz nichtiger Urteile anerkannt werden kann, besteht weit gehend Übereinstimmung, dass es eine davon zu trennende Kategorie 332 von Nichturteilen gibt, denen keinerlei Verbindlichkeit zukommt.333 Darunter sind solche, nur äußerlich in der Form eines „Urteils“ erscheinende „Aussprüche“ zu verstehen, die nicht mit dem Willen einer von der Rechtsordnung vorgesehenen, mit Rechtsprechungsaufgaben betrauten Stelle in die Öffentlichkeit gelangen. Dabei sind weniger die Fälle von Interesse, bei denen zu Übungszwecken, aus Gründen der Unterhaltung oder im Zusammenhang mit künstlerischen Darstellungen scheinbar Urteile beraten, gefällt und verkündet werden, weil an deren völliger rechtlicher Unverbindlichkeit niemand zweifeln wird. Nichturteile sind aber auch bloße Urteilsentwürfe, die versehentlich ohne einen Verkündungswillen in die Öffentlichkeit gelangen, unter missbräuchlicher Herstellung von Urteilsurkunden von Dritten angefertigte Falsifakte sowie Entscheidungen von „Revolutionstribunalen“,334 329

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So etwa BVerfGE 11 61; 11 263, 265 (Urteile der Friedensgerichte, dazu näher LR/K. Schäfer 24 Einl. 16 35); ferner BGHSt 42 314, 320 = NStZ 1997 140, 141); BVerfG NStZ 1985 82 (fehlerhafte Schöffenwahl); BGHSt 37 126, 127 = JR 1985 396 mit Anm. Katholnigg (fehlerhafte Schöffenwahl); BGH NStZ 1984 279 (Verkündung verschiedener Urteile); wistra 1992 309, 910 (unzulässige Absprache); KG JR 1955 350 mit Anm. Sarstedt (Entscheidung durch unzuständiges Gericht); OLG Koblenz JR 1981 520 mit Anm. Rieß (Doppelbestrafung); OLG Jena NStZ-RR 1998 111 (erneutes Urteil in der gleichen Sache); weit. Nachw. im nachfolgenden Text sowie (für die Verneinung der Nichtigkeit) bei LR/ K. Schäfer 24 Einl. 16 7 ff. Ebenso Sarstedt JR 1955 351 f. in Anm. zum Beschl. des KG.

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So Grünwald ZStW 76 (1964) 262. A.A. Roeder ZStW 79 (1967) 294, 303, dessen Begriff der Nichturteile umfassend ist, also auch die üblicherweise als nichtige Urteile bezeichneten Phänomene mit umfasst. S. dazu LR/K. Schäfer 24 Einl. 16 Fn. 1; Eb. Schmidt I 258; Beulke 507 a.E.; Henkel 258; Peters 519; Roxin § 50, 27; Rüping 3 554. Von Roxin § 50, 29 als lediglich nichtige Urteile behandelt; vgl. auch zur Frage von willkürlichen Scheinverfahren BGHSt 2 173, 176. Zur Frage, wieweit „SS-Standgerichtsurteile“ als Nichturteile anzusehen sein könnten, s. zuletzt (teilw. kontrovers) LG Berlin NJW 1998 1002, 1004 („Todesurteil“ gegen v. Dohnanyi); Mohr NJW 1998 958 f.; Spendel ZRP 1997 43.

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die sich in Zeiten eines staatlichen Zusammenbruchs Gerichtsbarkeit anmaßen, oder von sonstigen von privaten Organisationen veranstalteten „Tribunalen“, die mit dem Anspruch auf öffentliche Beachtung bestimmte Sachverhalte in der äußeren Form von Strafprozessen aufzuklären und durch ein „Urteil“ festzustellen beabsichtigen. Kein Nichturteil liegt dagegen vor, wenn jemand, auch wenn er nicht Richter ist, seinen Aufgabenbereich überschreitet und eine außerhalb seiner Kompetenz liegende Entscheidung trifft.335

109

d) Urteilsnichtigkeit nach Systemwechsel. Nicht mit der allgemeinen Problematik des nichtigen Urteils vermengt werden sollte auch die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen nach einem grundlegenden Systemwechsel Entscheidungen des früheren Systems als nichtig angesehen werden,336 wenn generell und grundsätzlich von der Verbindlichkeit der früheren hoheitlichen Entscheidung ausgegangen wird. Dies ist in der jüngeren deutschen Vergangenheit zunächst bedeutsam geworden bei der Beurteilung von Entscheidungen aus der Zeit des Nationalsozialismus, wo neben der Korrektur von Unrechtsurteilen durch besondere Regelungen, die an das Wiederaufnahmerecht anknüpfen,337 insbesondere die Urteile des Volksgerichtshofes auch in Beschlüssen des Deutschen Bundestages als nichtig angesehen wurden.338 Eine ähnliche Situation ergab sich, bei grundsätzlicher Anerkennung der Rechtsbeständigkeit von Staatsakten der DDR,339 in Bezug auf solche Urteile, die nach den Wertvorstellungen der Bundesrepublik mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar sind. Insoweit ist durch das StrRehaG eine förmliche Aufhebung in einem besonderen Verfahren vorgesehen.340 In dieses sind auch die sog. Waldheim-Urteile einbezogen worden,341 deren Nichtigkeit schon vorher in der Bundesrepublik allgemein angenommen wurde.342 Der in diesem Zusammenhang verwendete Begriff der Nichtigkeit solcher, einem 110 überwundenen System entstammender Entscheidungen hat eine andere Bedeutung als der generell in einer Systemkontinuität verwendete. Zu bedenken ist namentlich, dass die Qualifizierung als nichtig in diesen Fällen regelmäßig durch einen staatlichen Akt vorge335

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Vgl. OLG Frankfurt NJW 1954 207 (Entscheidung eines Referendars unter Überschreitung des Aufgabenbereichs des – damaligen – § 10 GVG; auch bei Unwirksamkeit) s. auch Eb. Schmidt I 258 Fn. 465; vgl. auch Jauernig DtZ 1993 173 zur Entscheidung des BezG Leipzig DtZ 1993 27, das unzutreffenderweise ein Urteil unter Mitwirkung eines nicht mehr zur Rechtsprechung ermächtigten Richters (nach den Regelungen des EinigungsV) als Nichturteil kennzeichnet. S. auch Grünwald ZStW 76 (1964) 255; ferner zur verwandten Frage der Sperrwirkung Schroeder JuS 1997 230. Auch die Einwände von Schneider MDR 1956 465 gegen Sarstedt (JR 1955 352 mit Anm. zum Beschl. des KG) beziehen sich vorwiegend auf diese Fallkonstellation. Dazu LR/Gössel 25 Vor § 359 Rn. 180 f.; ferner die umfassende Darstellung bei Beckmann JZ 1997 922 ff.

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Wortlaut und Einzelheiten bei Sonnen NJW 1985 1065; s. auch Rüping/Schwarz NJW 1985 2391; vgl. zum Ganzen auch Spendel ZRP 1997 41 ff.; zu einer bundeseinheitlichen gesetzlichen „Aufhebungsregelung“ s. BTDrucks. 13 9747; 13 9774 und 13 10013; ferner die Information in DRiZ 1998 185 ff.; Schmidt-Jortzig recht 1998 57; sowie das Gesetz vom 25.8.1998 (BGBl. I S. 2501). Vgl. Art. 18 EinigungsV und dazu LR/ Hilger 24 Nachtr. II (EinigungsV) Teil C 4 ff. Näher LR/Gössel 25 Vor § 359, 182 f.; zum Ganzen Bruns/Schröder/Tappert § 1 StrRehaG. § 1 Abs. 2 StrRehaG; dazu näher Bruns/ Schröder/Tappert § 1, 138 ff. mit weit. Nachw. Näher mit Nachw. Bruns/Schröder/Tappert § 1, 140; s. auch oben Rn. 106.

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nommen wird, also eine rechtspolitische Aussage darstellt. Gleiches dürfte wegen der Besonderheiten der staatlichen Lage Deutschlands auch insoweit anzunehmen sein, als die sog. Waldheim-Urteile der DDR in der Bundesrepublik von Anfang an als nichtig angesehen wurden.343 Dieser Entscheidungsnichtigkeit nach Systemwechseln kommt dagegen vor entsprechenden Erklärungen der (neuen) staatlichen Gewalt nicht die allgemein mit der Nichtigkeit verbundene Konsequenz zu, dass die Entscheidung für jedermann unbeachtlich sei. Aus der Behandlung solcher Fallgruppen können daher keine Rückschlüsse auf das allgemeine Problem der Urteilsnichtigkeit gezogen werden. e) Zur Bedeutung der sog. Teilrechtskraft. Solange die sog. horizontale Teilrechts- 111 kraft 344 als echte Rechtskraft verstanden wurde, lag es nahe, das Problem des nichtigen Urteils mit der Frage zu verknüpfen, ob das Rechtsmittelgericht an einen erkennbar unrichtigen Schuldspruch gebunden sei. Wer dies nicht annehmen wollte, war geneigt, sich über die Bindung infolge der Teilrechtskraft durch die Annahme einer Nichtigkeit des „rechtskräftig“ gewordenen Urteilsteils hinwegzusetzen 345 und die hierbei entwickelten Maßstäbe und Grundsätze auch für die Nichtigkeit vollrechtskräftiger Urteile zu verwenden. Seitdem geklärt ist, dass es sich bei der Teilrechtskraft um eine spezifische Form einer innerprozessualen Bindungswirkung handelt, die mit der echten Rechtskraft nichts zu tun hat,346 besteht weder ein praktisches noch ein systematisch-dogmatisches Bedürfnis, den Wegfall der Bindungswirkung des nicht angefochtenen Schuldspruchs damit zu erklären, dass dieser Urteilsteil als nichtig, also als für jedermann unbeachtlich anzusehen sei.347 2. Die Problematik des nichtigen Urteils im Allgemeinen. Es gehört zum Wesen der 112 (materiellen) Rechtskraft und ist mit ihrer Funktion, Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu gewährleisten, untrennbar verbunden, dass der rechtskräftig entschiedene Fall grundsätzlich endgültig erledigt ist, dass es also mit der Entscheidung „sein Bewenden hat“, und dies auch dann, wenn das Urteil nicht der wahren Rechtslage und nicht dem wirklichen Sachverhalt entspricht. Für Ausnahmefälle, in denen dies nach Meinung des Gesetzgebers zu nicht hinnehmbaren Unzuträglichkeiten führt, stellt die Rechtsordnung spezielle Vorschriften bereit, um in einem geordneten Verfahren die Rechtskraft zu überwinden. Das ist nach dem deutschen Strafprozessrecht in erster Linie die Wiederaufnahme des Verfahrens, die überwiegend (vgl. aber auch § 359 Nr. 3 und 6, § 362 Nr. 3 StPO) eine Erschütterung der tatsächlichen Grundlagen des Urteils voraussetzt. Daneben treten die Möglichkeiten der Verfassungsbeschwerde sowie die verfassungsrechtliche Wiederaufnahme nach § 79 BVerfGG bei Wegfall der verfassungsrechtlichen Grundlage einer strafrechtlichen Entscheidung 348 sowie ferner nach der 1998 vorgenommenen Erweiterung der Wiederaufnahmegründe (Rn. F 151) die Wiederaufnahmemöglichkeit bei einem durch den EGMR festgestellten, urteilsrelevanten Verstoß gegen die EMRK. Anders als andere Rechtsordnungen enthält die deutsche StPO keine (außerordent- 113 lichen) Rechtsbehelfe, mit denen, wie etwa mit einer Kassation oder einer Nichtigkeits343 344 345

Vgl. auch Grünwald ZStW 76 (1964) 251 Fn. 8. Vgl. Rn. 77 und die Erläuterungen Vor § 296. S. etwa OLG Bremen JZ 1958 546; OLG Oldenburg NJW 1959 1989; vgl. auch LR/K. Schäfer 24 Einl. 16 11; Spendel ZStW 67 (1955) 561.

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Näher die Erläuterungen vor § 296. S. auch näher LR/K. Schäfer 24 Einl. 16 11b. Zur Reichweite ausführlich BGHSt 42 314, 317 ff. = NStZ 1997 140 mit Anm. Dehn; s. auch Vor § 359.

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beschwerde, über die Wiederaufnahme hinaus auch nach Rechtskrafteintritt Rechtsfehler mit dem Ziel einer Durchbrechung der Rechtskraft geltend gemacht werden können. Unsere Rechtsordnung geht damit erkennbar davon aus, dass im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens auch inhaltlich unrichtige Strafurteile als verbindlich anerkannt werden müssen. Es fragt sich aber, ob es Mängel von solcher Schwere gibt, welche die Entscheidung 114 unter dem Gesichtspunkt der materiellen Gerechtigkeit nicht akzeptabel erscheinen lässt. Es fragt sich weiter, wenn man dies bejaht, auf welche Weise dem Rechnung zu tragen ist. In Betracht kommen beispielsweise eine ausdehnende, auch solche Mängel mit einbeziehende Auslegung oder eine Reform des Wiederaufnahmerechts;349 zu denken ist auch daran, den Anwendungsbereich der Verfassungsbeschwerde auf gravierende Rechtsfehler aller Art auszudehnen.350 Erst wenn entschieden ist, dass diese Wege nicht beschritten werden sollen oder können, stellt sich schließlich die Frage, ob solche schwer wiegenden Mängel die Folge haben müssen, dass die von ihnen betroffenen Urteile ohne ein rechtlich geordnetes Verfahren zu ihrer Überprüfung von jedermann als unbeachtlich behandelt werden können.351 Dabei kann es nicht zweifelhaft sein, dass die Funktion der Rechtskraft, Rechtssicherheit auch auf Kosten der inhaltlichen Gerechtigkeit zu gewährleisten, gesichert bleiben muss. Daraus folgt, dass die Annahme von Urteilsnichtigkeit auf enge, nicht auf andere Weise zu bewältigende Ausnahmefälle beschränkt werden müsste. Es ist daher weiter zu fragen, ob es solche Fälle gibt und ob sie sich hinreichend trennscharf und ohne Wertungswidersprüche von denjenigen abgrenzen lassen, bei denen es bei der Rechtskraft und ihren gesetzlich geregelten Durchbrechungen verbleibt. Dies wird von der Auffassung grundsätzlich bejaht, die die Möglichkeit nichtiger 115 Urteile anerkennt. Welche Fälle darunter fallen können, wird unterschiedlich beschrieben. Nach Eb. Schmidt kommt dies dort in Betracht, wo die gewollten Wirkungen einer Entscheidung vom Standpunkt unseres Rechts aus nicht denkbar sind oder sich die Entscheidung mit den Grundprinzipien unserer rechtsstaatlichen Staatsordnung in Widerspruch setzt.352 In ähnlicher Form stellt die Rechtsprechung, soweit sie die Nichtigkeit abstrakt bejaht, darauf ab, dass es für die Rechtsgemeinschaft wegen des Ausmaßes und des Gewichts der Fehlerhaftigkeit geradezu unerträglich wäre, eine Entscheidung als verbindlich hinzunehmen, weil sie dem Geist der Strafprozessordnung und wesentlichen Prinzipien der rechtsstaatlichen Ordnung widerspreche.353 Zusätzlich wird vielfach verlangt, dass dieser Mangel für einen verständigen Beobachter offen zutage liege, also evident sein müsse.354 Diesem mehr an bewertenden Kriterien orientierten Maßstab stellt Sax 355 einen mehr dogmatisch ausgerichteten, an der Leistungsfähigkeit der Justizgewäh349 350

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S. dazu LR/K. Schäfer 24 Einl. 16 24 ff.; 43 f.; ferner LR/Gössel 25 Vor § 359 Rn. 184 ff. In diese Richtung zielen etwa die Überlegungen von Lampe GA 1968 33 ff.; dazu Eb. Schmidt JZ 1968 681 und Erwiderung von Lampe JZ 1969 287. Die weit ausgreifende Rspr. des BVerfG dürfte im praktischen Ergebnis diesen Ansatz inzwischen partiell realisiert haben. Zu den damit verbundenen Konsequenzen Grünwald ZStW 76 (1964) 257 ff. Eb. Schmidt I 252; auf ähnliche Bewertungskriterien abstellend etwa Henkel 258; Peters 520; Roxin 50, 28; bereits früher

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v. Hippel 375; dagegen (aus grundsätzlicher anderer Sicht) Roeder ZStW 79 (1967) 282 f. So BGH NStZ 1984 279; vgl. ferner BGHSt 29 351, 352; 33 126, 127. BGHSt 10 278, 281; 33 126, 127; NStZ 1984 279; auch im Schrifttum wird diese Evidenztheorie teilweise ausdrücklich anerkannt; vgl. etwa LR/Kohlhaas 21 Vor § 151, 26a; Peters 520; wohl auch Roxin § 50, 32. Sax ZZP 67 (1954) 39 ff.; mehr begrifflich orientiert auch die Abgrenzung bei Roeder ZStW 79 (1967) 265 ff.

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rungspflicht orientierten gegenüber, der den Umfang der Nichtigkeit verhältnismäßig weit zieht. Sie ist danach immer dann gegeben, wenn die Entscheidung nicht auf dem für einen Konfliktsfall dieser Art abstrakt möglichen Verfahrensweg oder nicht unter Anwendung des möglichen materiellen Rechts ergeht. Die besseren Gründe dürften jedoch für die Gegenmeinung sprechen, die bei dem 116 gegenwärtig erreichten Rechtszustand die Notwendigkeit und Möglichkeit verneint, die Existenz nichtiger, also für jedermann unbeachtlicher Urteile anzuerkennen, oder dies allenfalls auf ganz wenige, besonders eng und präzise umschriebene Fallgruppen beschränkt. Dabei ist ein notwendiger Ausgangspunkt, dass die Nichtigkeit nicht daraus hergeleitet werden darf, dass die tatsächlichen Feststellungen unrichtig sind, weil für solche Korrekturen ausschließlich das Wiederaufnahmeverfahren zur Verfügung steht,356 dessen (gewollte) Enge zu erweitern eine rechtspolitische und keine dogmatische Frage ist und deshalb nicht mit Hilfe der am geltenden Recht zu orientierenden Frage der Nichtigkeit korrigiert werden darf. Ebensowenig ist die Urteilsnichtigkeit bei einer materiellen Betrachtung der Zielrichtung des Art. 103 Abs. 3 GG ein geeignetes Instrument, vermeintliche Unzuträglichkeiten der Sperrwirkung der Rechtskraft zu korrigieren; vielmehr müssen sich die Folgen der Nichtigkeit auch daran messen lassen, dass sie die Schutzfunktion des ne-bis-in-idem-Grundsatzes empfindlich beeinträchtigen können.357 Ferner führt die Annahme der Urteilsnichtigkeit zu unauflösbaren Wertungswidersprüchen mit inzwischen gesetzlich geregelten Fällen, bei denen sich aus der gesetzlichen Regelung zwingend ergibt, dass eine Nichtigkeit nicht in Betracht kommt, so namentlich aus der Existenz des § 79 BVerfGG sowie aus den Möglichkeiten und Grenzen der Verfassungsbeschwerde.358 Schließlich bedingt das Fehlen einer Instanz, die die Nichtigkeit und damit das allgemeine Rechtsempfinden bestätigt, eine Relativierung der Rechtskraft und führt letztere hinaus in einen Bereich ebenso unjuristischen wie unkontrollierten Wertens. Damit wäre das Konzept der Rechtskraft grundlegend erschüttert. Die Anerkennung nichtiger Urteile wird auch durch die mit ihr im Interesse der 117 Rechtssicherheit notwendig verbundene Evidenztheorie tiefgreifend in Frage gestellt.359 Denn wenn es darauf ankommt, dass inhaltliche Gerechtigkeitserwägungen oder materielle Gründe des Justizgewährungsanspruchs es zwingend gebieten, einem Urteil seine Verbindlichkeit abzusprechen, dann ist es kaum akzeptabel, die Beachtlichkeit dieses Mangels von seiner leichten Erkennbarkeit abhängig zu machen. Aus mehr praktischer Sicht ist ferner zu bedenken, dass während der mehr als einhundertjährigen Anwendung der Strafprozessordnung in der Rechtsprechung die nicht nur als möglich bezeichnete, sondern als Entscheidungsgrundlage anerkannte Urteilsnichtigkeit eine bestenfalls marginale, zumeist nur theoretische Bedeutung gehabt hat. Daraus ist zu schließen, dass es der Rechtsprechung bisher gelungen ist, Problemfälle ohne Rückgriff auf die Urteilsnichtigkeit zu lösen. Dann macht es aber keinen Sinn, ein so problematisches dogmatisches Rechtsinstitut wie die für jedermann offene Unbeachtlichkeit anzuerkennen, derer es bei der Rechtsanwendung nicht bedarf. 3. Einzelfragen von praktischer Bedeutung. Das Schrifttum ist in der Auseinander- 118 setzung um die Existenz nichtiger Urteile nicht müde geworden, Sachverhaltsgestaltungen zu erfinden, an denen sich die Notwendigkeit erweisen soll, die Urteilsnichtigkeit 356 357 358

Näher LR/K. Schäfer 24 Einl. 16 15. Näher und ausführlich Grünwald ZStW 76 (1964) 256 ff. S. näher LR/K. Schäfer 24 Einl. 16 17a; 32 ff.

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Grundsätzlich kritisch zum Evidenzkriterium zu Recht Grünwald ZStW 76 (1964) 260 ff.; vgl. auch Roeder ZStW 79 (1967) 283.

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anzuerkennen. Von solchen Phantasie- und Lehrbuchfällen, die in der Praxis kaum jemals vorkommen dürften, kann aber die Lehre von der Urteilsnichtigkeit nicht abhängig gemacht werden, und es ist auch nicht angebracht, sie für solche Fälle anzuerkennen.360 Sie sind im Übrigen, hiervon abgesehen, oft so gelagert, dass selbst sie die Nichtigkeitsthese nicht zu stützen vermögen. So wird man etwa in den sog. Phantasiefällen der Prügelstrafe oder der Todesstrafe 361 mit einer unzweifelhaft nicht vollstreckbaren Sanktion nicht ohne weiteres und ausnahmslos zwingend auch auf die Nichtigkeit des die Verurteilung tragenden Schuldspruchs schließen können. In welchen Fällen insgesamt eine Urteilsnichtigkeit diskutiert worden ist und wird und wie dies zu würdigen ist, hat K. Schäfer in der 24. Aufl.362 eingehend dargelegt; hierauf wird verwiesen. Die nachfolgende Darstellung beschränkt sich auf die Erörterung einiger auch in der Praxis wichtiger Fallgruppen, aufgrund derer sich beurteilen lässt, ob und in welchen Fällen die Anerkennung der Urteilsnichtigkeit dogmatisch und praktisch sinnvoll erscheint. Sie führt zu dem Ergebnis, dass in allen praktisch bedeutsamen Fällen und abgesehen von den vorweg auszugrenzenden Gruppen des Nichturteils, des Systemwechsels und der sog. Teilrechtskraft (s. Rn. 108 bis 111), die Anerkennung nichtiger Urteile entweder nicht begründbar oder aus Sachgründen abzulehnen ist.

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a) Verstoß gegen ne bis in idem. Ob bei einer mehrfachen Aburteilung derselben Tat das zweite Urteil als nichtig anzusehen ist, ist im Schrifttum heftig umstritten;363 die Rechtsprechung hat es bisher nie bejaht.364 Es ist schon deshalb im Allgemeinen zu verneinen, weil dem in der Regel das Evidenzerfordernis entgegensteht und eine Beschränkung auf eindeutige Fälle nicht sachgerecht erscheint.365 In der Regel liegen einer doppelten Aburteilung einer (prozessualen) Tat keine eindeutigen Fälle, sondern Unsicherheiten in der Beurteilung des Umfangs der Sperrwirkung zu Grunde, die nicht ohne eine eingehende Prüfung in einem förmlichen Verfahren geklärt werden können und bei denen es nicht hinnehmbar erscheint, sie, was mit der Unbeachtlichkeit verbunden wäre, einer Beurteilung durch jedermann zugänglich zu machen. Im Übrigen lassen sich die Probleme entweder durch eine gerichtliche Entscheidung im Strafvollstreckungsverfahren 366 oder im Wiederaufnahmeverfahren lösen, bei dem der im zweiten Verfahren 360

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So aber LR/K. Schäfer 24 Einl. 16 22; s. auch Gerland 295 Fn. 133; Peters 520; Sarstedt JR 1955 352 in Anm. zum Beschl. des KG. Hier gilt der angelsächsische Grundsatz: hard cases make bad laws. Gleichwohl für Urteilsnichtigkeit etwa Eb. Schmidt I 255; ferner Beulke 507; Beling 211; (als theoretische Möglichkeit) auch BGH bei Dallinger MDR 1954 400. Einl. 16 7 ff., 17 ff.; vgl. auch die Zusammenstellungen der Fallgruppen etwa bei Henkel 258; Peters 520 ff. Bejahend u.a. Eb. Schmidt I 257 (mit Nachw. aus dem älteren Schrifttum); Beulke 507; Henkel 258; Peters 520; a.A. Kühne 1012.1; Meyer-Goßner Einl. 107; Roxin § 50, 32; Schäfer 1220 a.E.; Geppert GA 1972 182 Fn. 134; Sarstedt JR 1955 352 in Anm. zum Beschl. des KG; wohl auch Schroeder 329 und JuS 1997 231.

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Verneinend jedenfalls für den Fall der Behandlung im gleichen Verfahren BGHSt 13 306, 309; 18 127, 129; OLG Bremen JZ 1958 546 mit Anm. Spendel; generell OLG Koblenz JR 1981 520 mit Anm. Rieß; OLG Düsseldorf NStZ 1989 44 mit Anm. Feiber; LG Hannover NJW 1970 288, 290; offengelassen BGH NStZ 1984 279; vgl. auch BGH wistra 1990 67 (keine Nichtigkeit bei Kartellverstößen und schwieriger Rechtslage); OLG Jena NStZ-RR 1998 111 (keine Nichtigkeit bei Nichtbeachtung der Rechtshängigkeit). Dazu ausführlich LR/K. Schäfer 24 Einl. 12 56 ff.; 16 10. So OLG Koblenz JR 1981 520 mit Anm. Rieß.

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unbekannt gebliebene Umstand der ersten Verurteilung und damit des Strafklagegebrauchs als neue Tatsache angesehen werden kann.367 Der Annahme einer Nichtigkeit des zweiten Urteils bedarf es daher nicht.368 b) Fehlende Gerichtsbarkeit. Nach ganz überwiegender Meinung im Schrifttum sind 120 Urteile nichtig, die unter Verkennung der völkerrechtlichen und diplomatischen Immunität gegen eine exemte Person ergehen.369 Dies wird auch von der Rechtsprechung teilweise, wenngleich nur hypothetisch anerkannt,370 jedoch betraf diese überwiegend Fälle, die das Verhältnis von Besatzungsrecht und deutschem Recht zum Gegenstand hatten und in denen die Unwirksamkeit ausdrücklich rechtlich geregelt war.371 Davon abgesehen ist in den Fällen der Exemtion keine Urteilsnichtigkeit begründbar;372 die fehlende Gerichtsunterworfenheit ist vielmehr lediglich ein (normales) von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis. Freilich steht, solange die Exemtion noch andauert, jedem Versuch, ein verurteilendes Erkenntnis durchzusetzen, die Immunität als ein ebenfalls von Amts wegen zu beachtendes Vollstreckungshindernis entgegen.373 Davon abgesehen ist aber kein Grund ersichtlich, etwa einem rechtskräftig Freigesprochenen, bei dem die Immunität unbeachtet geblieben ist, allein deshalb den Schutz der Sperrwirkung zu versagen. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass ein Verstoß gegen die völkerrechtliche Immunität jedenfalls nicht in allen Fällen und regelmäßig so klar zu Tage liegt, dass von seiner Evidenz gesprochen werden kann.374 c) Mangelnde Strafmündigkeit. Vielfach wird angenommen, dass die Aburteilung 121 eines noch nicht strafmündigen Kindes nicht nur ein Verfahrenshindernis begründe, sondern dass ein solches Urteil nichtig sei.375 Richtig ist daran nur, dass ein solches Erkenntnis im Falle einer Verurteilung nicht vollstreckt werden kann, weil ein Vollstreckungshindernis bestehen dürfte. Eine Nichtigkeit scheidet schon deshalb aus, weil die mangelnde Strafmündigkeit nicht in allen Fällen für jedermann offensichtlich und eine Differenzierung zwischen eindeutigen und zweifelhaften Fällen sachlich nicht vertretbar ist (s. Rn. 117). Erst recht kommt Nichtigkeit nicht in Betracht, wenn im Jugendstrafverfahren auf eine Strafart erkannt wird, die im Jugendstrafrecht nicht vorgesehen ist,376 oder 367 368

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LR/Gössel 25 § 359, 68 ff.; Fahl JuS 1996 64. A.A. allerdings für den Fall der unüberwindlichen Widersprüchlichkeit beider Urteile trotz genereller Ablehnung der Nichtigkeit als einziger Ausnahmefall zu Dohna 222. Auch dies dürfte indessen mit Hilfe der Wiederaufnahme lösbar sein. So auch (als einziger von ihm anerkannter Fall) LR/K. Schäfer 24, Einl. 12 12; 16 3; ferner etwa KK/Pfeiffer § 18, 7 GVG; Kissel/Mayer § 18, 6; Eb. Schmidt I 254; Gössel 287; Henkel 258. Die hierfür im Schrifttum (so etwa LR/ K. Schäfer 24 Einl. 12 12) in Anspruch genommene Entscheidung RGSt 71 377 hat dies allerdings nicht bejaht. So OLG Braunschweig MDR 1947 37 (dazu näher Eb. Schmidt I 254 Fn. 459); BayObLG NJW 1960 162 (NATO-Truppenstatut); dazu Grünwald ZStW 76 (1964) 251.

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Ebenso Meyer-Goßner § 18, 4 GVG; Katholnigg Vor § 18, 2; Grünwald ZStW 76 (1964) 259; Rüping FS Kleinknecht 409. Vgl. die Erl. zu § 458; s. auch Grünwald aaO. S. dazu nur als Beispiel BGHSt 32 275 ff. (Immunität eines Sonderbotschafters). Beulke 507; Gössel 288; Henkel 258; Roxin § 50, 29; Schroeder 330; a.A. Peters 520 (für den Fall der unerkannten Strafunmündigkeit); Eb. Schmidt I 255. So aber (im unterschiedlichen Umfang) Henkel 258; Peters 520; Luther ZStW 70 (1958) 94 ff.; a.A. (weitgehend wie hier) Eb. Schmidt I 255 Fn. 461; Lackner GA 1955 38 f.; vgl. auch Grünwald ZStW 76 (1964) 261; zum Ganzen ausführlich LR/ K. Schäfer 24 Einl. 16 19 f.

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wenn irrtümlich gegen einen Jugendlichen (oder Heranwachsenden) Erwachsenenstrafrecht angewendet wird.377

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d) Personenverwechslung. Lebhaft umstritten im Schrifttum ist die Behandlung der Fälle, in denen anstelle der angeklagten Person eine andere, ohne dass dies bemerkt wird, in der Hauptverhandlung erscheint und abgeurteilt wird. Hier wird überwiegend Nichtigkeit angenommen;378 vereinzelt wird die Auffassung vertreten, dass sich das Urteil gegen den Erschienenen richte.379 Richtigerweise ist aber anzunehmen, dass das Urteil gegenüber dem nicht erschienenen, aber gemeinten Beschuldigten wirksam, aber anfechtbar ist.380 Der Fall unterscheidet sich nicht so wesentlich von denjenigen, in denen aus anderen Gründen die Hauptverhandlung unzulässigerweise in (völliger) Abwesenheit des Angeklagten stattfindet und bei denen lediglich der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO oder die Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Art. 101 Abs. 1 GG eröffnet wird, als dass hier eine weitergehende Rechtsfolge vertretbar wäre.

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e) Überschreitung der Grenzen der angeklagten Tat. Teilweise wird im Schrifttum die Auffassung vertreten,381 dass die Überschreitung der Grenzen der angeklagten Tat zur Nichtigkeit führe, so etwa, wenn eine überhaupt nicht angeklagte Tat aufgrund der Erkenntnisse der Hauptverhandlung ohne Nachtragsanklage mit einbezogen werde oder wenn ein nicht mit angeklagter Teilnehmer mit verurteilt werde. Während es sich bei dem zuletzt genannten Fall um einen der Phantasiefälle handeln dürfte, von denen die Lehre von der Urteilsnichtigkeit nicht abhängig gemacht werden kann (s. Rn. 117), scheitert die Annahme der Nichtigkeit im zuerst genannten Fall schon daran, dass die praktisch relevanten Fallgestaltungen sich regelmäßig einer Beurteilung nach den Evidenzkriterien entziehen werden. Ob die Grenzen des prozessualen Tatbegriffs überschritten sind oder nicht, kann aus Gründen der Rechtssicherheit nicht der Beurteilung von jedermann überlassen bleiben, sondern nur in den gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelverfahren geklärt werden.

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f) Tod des Angeklagten. Nichtigkeit wird teilweise auch angenommen, wenn der Abgeurteilte vor Eintritt der Rechtskraft verstirbt.382 In der Praxis können solche Fälle beispielsweise eine Rolle spielen, wenn ein Strafbefehl gegen einen bereits Verstorbenen ergeht oder wenn ein Urteil durch eine Beschlussentscheidung des Rechtsmittelgerichts nach dem Tode des Angeklagten und in Unkenntnis von diesem rechtskräftig wird. Dieser Sonderfall ist unabhängig von der umstrittenen Frage, ob der Tod des Angeklagten ein Verfahrenshindernis darstellt,383 nicht geeignet, die Lehre von der allgemeinen

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BGH bei Dallinger MDR 1954 400; OLG Hamburg NJW 1952 1150; a.A. Potrykus NJW 1953 93; Luther aaO. So LR/Gollwitzer 25 § 230, 11 mit weit. Nachw.; Eb. Schmidt § 230, 7; Beulke 507; Henkel 386; Peters 523; Roxin § 50, 30. Zur davon zu trennenden Frage der Teilnahme an der Hauptverhandlung unter falschem Namen vgl. BGH NStZ-RR 1996 9. AK/Loos § 264 Anh. 26; weit. Nachw. bei LR/K. Schäfer 24 Einl. 12 62a. LG Lüneburg MDR 1949 768 mit. Anm.

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Grobler; LR/K. Schäfer 24 Einl. 12 62a; Gössel 288; Schroeder 331. Vgl. (mit unterschiedlichen Einzelheiten) etwa Eb. Schmidt I 256; Henkel 258, 386; teilweise a.A. Peters 522. So etwa Beulke 507; Peters 523; Roxin § 50, 31; Schroeder 330; vgl. auch OLG Schleswig NJW 1978 1018 (Zurücknahme eines Beschlusses nach § 346 Abs. 2 StPO, der nach dem Tode des Verurteilten ergangen war). Vgl. dazu die Erl. zu § 206a sowie davon abweichend LR/K. Schäfer 24 Einl. 12 105.

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Urteilsnichtigkeit zu stützen. Dass dieses Urteil keinerlei Wirkungen gegenüber dem Verstorbenen entfalten kann, lässt sich auch ohne deren Annahme begründen. Vollstreckbar ist es, auch hinsichtlich der Kosten, für die andere Gesichtspunkte als die Frage der Nichtigkeit eine Rolle spielen,384 in keinem Fall. Sonstige, unmittelbar an die Rechtskraft anknüpfende Urteilswirkungen kommen aus sachlogischen Gründen nicht in Betracht; auch eine Eintragung in das Bundeszentralregister scheidet aus. Aus diesen Gründen ließe sich, ohne dass dies einer generellen Nichtigkeit des Urteils gleichgesetzt werden muss, ein solches Urteil als gegenstandslos bezeichnen. g) Eine Verurteilung aufgrund nicht bestehender Strafgesetze führt, in keinem Fall 125 zur Nichtigkeit des (vollrechtskräftigen) Urteils, und zwar schon deshalb nicht, weil insoweit die Übergänge zu einer lediglich unrichtigen und nur im Rechtsmittelzug überprüfbaren unrichtigen Rechtsanwendung, etwa für den Fall der unrichtigen Annahme der Versuchsstrafbarkeit oder bei der Frage der Anwendung des milderen Strafgesetzes, so fließend und zweifelhaft sein können, dass das Merkmal der offensichtlichen Unrichtigkeit keine zuverlässige Abgrenzung ermöglicht. Außerdem steht der Nichtigkeit solcher Urteile § 79 Abs. 1 BVerfGG entgegen. Da dort bei der Annahme der Verfassungswidrigkeit eines Strafgesetzes, und damit ebenfalls seines „Nichtbestehens“, lediglich die Wiederaufnahme des Verfahrens ermöglicht wird, kann für andere Fälle des Fehlens einer Strafnorm nicht ohne schwer wiegenden Wertungswiderspruch eine weit gehende Folge angenommen werden.387 h) Für den Fall der Verhängung einer dem deutschen Strafrecht unbekannten Sank- 126 tion, der im Schrifttum vielfach als Nichtigkeitsgrund anerkannt wird,388 gelten die gleichen Bedenken. Auch hier ist, wenn man von Phantasiefällen absieht, zu bedenken, dass solche Fälle keineswegs immer evident sind 389 und dass sie ihrerseits ebenfalls den verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstäben des § 79 Abs. 1 BVerfGG und der Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde unterfallen. 4. Nichtigkeit anderer gerichtlicher Entscheidungen. Für die Frage der Nichtigkeit 127 von urteilsersetzenden Beschlüssen, die das Verfahren abschließen und wie Urteile in (formelle und materielle) Rechtskraft erwachen können, dürften die gleichen Grundsätze gelten, die vorstehend für die Beurteilung nichtiger Urteile dargelegt worden sind. Darunter fallen etwa die Einstellungsentscheidungen nach § 206a StPO oder die Beschlussentscheidungen des Revisionsgerichts nach § 349 StPO. Für andere verfahrensabschließende Beschlussentscheidungen, namentlich Einstellungen nach den §§ 153 ff., 383 Abs. 2 StPO oder die Nichteröffnung des Hauptverfahrens wird die Problematik der Nichtigkeit kaum erörtert und ist dogmatisch weitgehend ungeklärt. Sie dürfte aber ohne erhebliche praktische Bedeutung sein, da die Sperrwirkung solcher Entscheidungen, soweit überhaupt vorhanden, beschränkt ist und sich die Frage ihrer Vollstreckbarkeit und damit ihrer Bindungswirkung für jedermann nicht stellt. Es kann insoweit nur darum gehen, dass als Folge einer „Nichtigkeit“ die verfahrensbeendenden Wirkungen nicht eintreten,

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Vgl. § 465 Abs. 3; s. auch die Erl. zu § 467. Gestrichen. Gestrichen. Vgl. näher LR/K. Schäfer 24 Einl. 16 36 f. Eb. Schmidt I 255; Beulke 507; Henkel 258; Schroeder 330; nach Luther ZStW 70

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(1958) 98 f. gehört dazu auch der Fall, dass gegen einen Jugendlichen eine Sanktion des Erwachsenenstrafrechts verhängt wird, weil sie dem Jugendstrafrecht unbekannt und wesensverschieden sei. Beispiele bei LR/K. Schäfer 24 Einl. 16 11c.

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so dass das Verfahren weiterhin anhängig bleibt. Dies dürfte nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen sein, zu deren Bewertung die für die Urteilsnichtigkeit entwickelten Maßstäbe nichts beizutragen vermögen. Das gleiche gilt für die vielfach als „Nichtigkeit“ bezeichnete Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses, mit der allein der Umstand gemeint ist, dass ihm seine Fähigkeit fehlt, als Prozessvoraussetzung für das weitere Verfahren zu dienen.390 Ebenfalls weitgehend ungeklärt und in jeweiligem Sachzusammenhang zu erörtern ist, 128 ob Beschlüsse, mit denen Zwangsmaßnahmen angeordnet oder gestattet werden, dergestalt nichtig sein können, dass sie für jedermann unbeachtlich sind. Die Konsequenz einer solchen Auffassung bestünde u.a. darin, dass die Vollstreckung solcher formell ordnungsmäßiger, gerichtlich angeordneter Zwangsmaßnahmen, etwa eines Haftbefehls oder eines Durchsuchungsbeschlusses, rechtswidrig sein könnte. Dass dies, wenn überhaupt, nur für extrem liegende Ausnahmefälle in Betracht kommen kann, ist offensichtlich. Beispiele hierfür sind kaum erkennbar. Angesichts der gegen solche Entscheidungen bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten dürften die besseren Gründe dafür sprechen, die Nichtigkeit solcher Entscheidungen insgesamt abzulehnen.391 5. Geltendmachung einer Nichtigkeit

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a) Rechtsmittel. Wiederaufnahme. Soweit die Nichtigkeit einer Entscheidung, insbesondere eines Urteils, angenommen wird, müsste man konsequenter Weise dogmatisch die Auffassung vertreten, dass ein gegen eine solche unbeachtliche Entscheidung gerichtetes Rechtsmittel mangels eines wirksamen Anfechtungsgegenstandes unzulässig sei.392 Schließlich geht doch das Konzept der Nichtigkeit von der Offenkundigkeit aus, die keiner rechtlichen Bestätigung bedarf. Die ganz h.M. nimmt aber aus Gründen der Praktikabilität und Rechtsklarheit an, dass zumindest vor Eintritt der Rechtskraft eine Nichtigkeit mit den vorgesehenen Rechtsmitteln geltend gemacht werden könne,393 auch wenn die darauf ergehende Aufhebung des Urteils nur deklaratorische Bedeutung haben sollte.394 Gleiches müsste man für diejenigen Nichturteile annehmen, die jedenfalls äußerlich aus dem Justizbereich herzurühren scheinen.395 Dies wäre dann wohl nur im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens möglich, bei dem freilich die enumerativen Gründe weder gegeben sein müssen noch sein können, da es sich ja nicht um ein (fehlerhaftes) Urteil, sondern um ein zur Zeit des Antrags bereits nichtiges Urteil handelt. Also auch hier geraten die Vertreter der Ansicht, die die Existenz von nichtigen Urteilen annehmen, in unlösbare Widersprüche und Probleme.

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b) Andere Formen der Geltendmachung der Nichtigkeit stellt das Verfahrensrecht, abgesehen von der nicht alle Fälle umfassenden Möglichkeit von Einwänden gegen die

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Näher die Erl. zu § 207; vgl. auch Eb. Schmidt I 260 f.; Niese 101; s. ferner BGHSt 29 351 = JR 1981 377 mit Anm. Meyer-Goßner; zur Frage, ob eine als Prozessvoraussetzung unwirksame Anklage die Verjährung unterbrechen kann, vgl. (verneinend) OLG Bremen StV 1990 25. Vgl. dazu etwa die kurzen Hinweise bei Henkel 259; s. auch zum Ganzen Felsch NStZ 1996 165.

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Henkel 1 307 Fn. 19; Gerland 297 f.; vgl. auch BayObLG NJW 1960 162; RGSt 71 377, 378; Peters 524; Grünwald ZStW 76 (1964) 253; Luther ZStW 70 (1958) 100. So etwa SK/Frisch Vor § 296, 81; MeyerGoßner Einl. 109; Eb. Schmidt I 251 Fn. 456; Henkel 259; Peters 524. Gössel 288; Henkel 259. S. oben Rn. 119; wohl a.A. insoweit Henkel 258.

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Beweisverbote

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Strafvollstreckung (§ 458 StPO),396 nicht zur Verfügung. Die die Urteilsnichtigkeit anerkennende Meinung beschränkt sich weit gehend auf den Hinweis, dass dies in „beliebiger Form“ geschehen könne.397 Das läuft im Ergebnis darauf hinaus, dass eine rechtliche Möglichkeit in aller Regel nur im Wege einer inzidenten Kontrolle in einem anderen Verfahren besteht, in dem es auf die Wirksamkeit der Entscheidung ankommt, und dass regelmäßig denjenigen das Risiko trifft, der sich auf die Nichtigkeit beruft. Soweit es darum geht, ob entgegen dem äußeren Anschein eine Strafklage wegen Urteilsnichtigkeit nicht verbraucht ist, wäre diese Frage, was noch hinnehmbar erscheint, in dem neuen Verfahren zu klären. Soweit es um die Tatbestandswirkung einer rechtskräftigen Verurteilung im Falle der Beleidigung (§ 190 StGB) geht, wäre die Urteilsnichtigkeit im Strafverfahren wegen des Vorwurfs der Beleidigung zu klären. Bei unmittelbar an die Rechtskraft anknüpfenden Urteilsfolgen, die nicht der Vollstreckung bedürfen, wie etwa einem Berufsverbot oder der Entziehung der Fahrerlaubnis könnte (und müsste) die Frage, falls der Verurteilte in strafbewehrter Weise einer solchen Urteilsfolge zuwiderhandelt, in dem wegen dieses Vorwurfs neu einzuleitenden Strafverfahren geprüft werden. Bei der Anordnung von Einziehung und Verfall könnte sich der Betroffene mit einer Herausgabeklage gegen den Fiskus vor den Zivilgerichten auf die Urteilsnichtigkeit berufen. All diese Konsequenzen verdeutlichen zusätzlich, dass der Lehre von der Urteilsnichtigkeit schwer wiegende und kaum zu überwindende Bedenken entgegenstehen.

L. Beweisverbote Schrifttum Grundlegend: Beling Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafprozeß (1903); Verhandl. des 46. DJT (1966) Bd. I Teil 3, Bd. II Teil F mit Gutachen von Andernaes, Mueller, Nuvolone, Peters, Rupp und Jescheck (Generalgutachten) und Referaten von Klug und Sarstedt. Weiteres neueres Schrifttum: Ackemann Rechtmäßigkeit und Verwertbarkeit heimlicher Stimmvergleiche im Strafverfahren (1997); Amelung Probleme der Einwilligung in strafprozessuale Grundrechtsbeeinträchtigungen, StV 1985 257; ders. Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozeß (1990); ders. Subjektive Rechte in der Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, FS Bemmann 505; ders. Die Verwertbarkeit rechtswidrig gewonnener Beweismittel zugunsten des Angeklagten und deren Grenzen, StraFo 1999 181; ders. Prinzipien der strafprozessualen Verwertungsverbote, GedS Schlüchter 417; Arzt Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre (1970); ders. Zum Verhältnis von Strengbeweis und freier Beweiswürdigung, FS Peters 223; Baumann Sperrkraft der mit unzulässigen Mitteln herbeigeführten Aussage, GA 1959 33; Baumgärtel Die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel im Zivilprozeß, FS Klug 477; Besson Das Steuergeheimnis und das Nemotenetur-Prinzip im (steuer-)strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (1997); Beulke Hypothetische Kausalverläufe im Strafverfahren bei rechtswidrigem Vorgehen von Ermittlungsorganen ZStW 103 (1991) 657; ders. Muß die Polizei dem Beschuldigten vor der Vernehmung „Erste Hilfe“ bei der Verteidigerkonsultation leisten? NStZ 1996 257; Bienert Private Ermittlungen und ihre Bedeutung auf dem Gebiet der Beweisverwertungsverbote (1997); Bockemühl Private Ermittlungen im Strafprozeß (1996); Bonarens Anfertigung von Lichtbildern für Zwecke des Strafverfahrens, FS Dünnebier 215; Bosch Grundsatzfragen des Beweisrechts (1963); Bradley Beweisverbote in USA und Deutschland, GA 1985 291; Burhoff Praktische Fragen der „Widerspruchslösung“, StraFo 2003 267; Cramer/Bürgle 396

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S. dazu § 458, 11; ferner u.a. Meyer-Goßner Einl. 109; Henkel 259; Roxin § 50, 33; v. Hippel 376. Roxin aaO; ähnlich Eb. Schmidt I 251 (Ent-

scheidung könne „ignoriert“ werden); nach Peters 524 soll ein auf die Feststellung der Nichtigkeit gerichteter Beschluss möglich sein; vgl. auch v. Hippel 376.

Hans-Heiner Kühne/Karl Heinz Gössel

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Einleitung

Die strafprozessualen Beweisverwertungsverbote, 2. Auflage (2004); Dahs Die Ausweitung des Widerspruchserfordernisses, StraFo 1998 253; Dallmeyer Beweisführung im Strengbeweisverfahren (2002); Dencker Belehrung des Angeklagten über sein Schweigerecht und Vernehmung zur Person, MDR 1975 359; ders. Verwertungsverbote im Strafprozeß (1977); ders. Verwertungsverbote und Verwendungsverbote im Strafprozeß, FS Meyer-Goßner 237; Dingeldey Der Schutz der strafprozessualen Aussagefreiheit durch Verwertungsverbote bei außerstrafrechtlichen Aussagen und Mitwirkungspflichten, NStZ 1984 529; Dittrich Der „Große Lauschangriff“ – diesseits und jenseits der Verfassung, NStZ 1998 336; Doller Der schweigende Angeklagte und das Revisionsgericht, MDR 1974 979; Dudel Das Widerspruchserfordernis bei Beweisverwertungsverboten (1999); Dünnebier Die Tagebuchentscheidung des BGH, MDR 1964 965; Eser Der Schutz vor Selbstbezichtigungen im deutschen Strafprozeßrecht, Beiheft zur ZStW 86 (1974) 136; ders. Aussagefreiheit und Beistand des Verteidigers, ZStW 79 (1967) 565; Feldmann Verwertbarkeit widerrechtlich erlangter Beweise, NJW 1959 859; Fezer Grundfragen der Beweisverwertungsverbote (1995); ders. Wider die „Beweiswürdigungs-Lösung“ des BGH bei verfahrensfehlerhafter Beweiserhebung, FS Gössel 627; Fickert Die Behandlung von Zufallserkenntnissen im Ermittlungsverfahren (2002); Fincke Die Verwertbarkeit von Aussagen des nicht belehrten Beschuldigten, NJW 1969 1014; Foertsch Die Berücksichtigung von Beweisverboten im strafprozessualen Zwischenverfahren (2002); Frank Die Verwertbarkeit rechtswidriger Tonbandaufnahmen Privater (1996); Frisch Zur Bedeutung des Beweisrechts und des Rechtsmittelrechts für die Revisibilität von Verfahrensmängeln, Rudolphi-Symp. 111; Geis Der Kernbereich des Persönlichkeitsrechts, JZ 1991 112; v. Gerlach Die Vernehmung von Mitangeklagten als Zeugen, NJW 1964 2397; Gleß Das Verhältnis von Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverboten und das Prinzip „locus regit actum“ FS Grünwald 197; Gössel Die Beweisverbote im Strafverfahren, FS Bockelmann 801; ders. Kritische Bemerkungen zum gegenwärtigen Stand der Lehre von den Beweisverboten im Strafverfahren, NJW 1981 649; ders. Überlegungen zu einer neuen Beweisverbotslehre, NJW 1981 2217; ders. Verfassungsrechtliche Verwertungsverbote im Strafverfahren, JZ 1984 361; ders. Die Beweisverbote im Strafverfahrensrecht der Bundesrepublik Deutschland, GA 1991 483; ders. Über das Verhältnis von Beweisermittlungsverbot und Beweisverwertungsverbot unter besonderer Berücksichtigung der Amtsaufklärungsmaxime der §§ 160, 244 Abs. 2 StPO, NStZ 1998 126; ders. Die Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Beweisverboten als neuer Ausgangspunkt einer Lehre von den Beweisverboten im Strafprozeß, FS Hanack 277; ders. Über Beweisverwertung, Beweiswürdigung und Beweisregeln, GedS Meurer 381; Gropp Zur Verwertbarkeit eigenmächtig aufgezeichneter (Telefon-)Gespräche, StV 1989 216; Grüner Revisibilität und Beweisverwertungsverbote im Strafprozeß (1997); Grünwald Beweisverbote und Verwertungsverbote im Strafverfahren, JZ 1966 497; ders. Die Verfahrensrolle des Mitbeschuldigten, FS Klug 493; ders. Das Beweisrecht der Strafprozeßordnung (1993); Haffke Schweigepflicht, Verfahrensrevision und Beweisverbot, GA 1973 65; Hamm Verwertung rechtswidriger Ermittlungen – nur zugunsten des Beschuldigten? StraFo 1998 361; Hartwig Strafprozessuale Folgen des verspäteten Widerspruchs gegen eine unzulässige Beweisverwertung, JR 1998 359; Hauf Beweisverwertungsverbot: „in dubio pro reo“ beim Nachweis von Verfahrensfehlern, MDR 1993 195; Hegemann Die Belehrung des Angeklagten gemäß § 243 IV 1 StPO in der Berufungshauptverhandlung, NJW 1975 915; Heinrich Rügepflichten in der Hauptverhandlung und Disponibilität strafverfahrensrechtlicher Vorschriften, ZStW 112 (2000) 398; Herdegen Bemerkungen zur Lehre von den Beweisverboten, in: Wahrheitsfindung und ihre Schranken, SchrRAGStrafR Bd. 6 (1988) 103; Herrmann Aufgaben und Grenzen der Beweisverwertungsverbote, FS Jescheck 1291; Honig Beweisverbote und Grundrechte im amerikanischen Strafprozeß (1967); Ignor Plädoyer für die Widerspruchslösung, FS Rieß 185; Jäger Beweisverwertung und Beweisverwertungsverbote im Strafprozeß (2003); Janicki Beweisverbote im deutschen und englischen Strafprozeß (2002); Kaiser Verwertbarkeit von Äußerungen Dritter während überwachter Telefongespräche (§ 100a StPO), NJW 1974 349; ders. Die Dreistufentheorie zur Bestimmung von Beweisverboten im Strafprozeß (1999); Keller Privatisierung von Polizeifunktionen und strafprozessuale Beweisverwertungsverbote, FS Grünwald 267; Kelnhofer Hypothetische Ermittlungsverläufe im System der Beweisverbote (1994); Kindhäuser Rügepräklusion durch Schweigen im Strafverfahren, NStZ 1992 529; Kleinknecht Die Beweisverbote im Strafprozeß, NJW 1966 1537; Knoll Die Fernwirkungen von Beweisverwertungsverboten (1991); Kohlhaas Beweisverbote im Strafprozeß, DRiZ 1966 286; ders. Strafprozessuale Beweisverbote im Straßenverkehrsrecht, DAR 1971 62; Koriath Über Beweisverbote im Strafprozeß (1994); Krauß Grenzen

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Beweisverbote

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der Wahrheitserforschung im Strafprozeß, FS Schaffstein 412; ders. Der Schutz der Intimsphäre im Strafprozeß, FS Gallas 365; Kühne Strafprozessuale Beweisverbote und Art. 1 GG (1970); Küpper Tagebücher, Tonbänder, Telefonate, JZ 1990 416; Lenckner Mitbeschuldigte und Zeugen, FS Peters 332; Lohberger Mittelbare Verwertung sog. Zufallserkenntnisse bei rechtmäßiger Telefonüberwachung nach §§ 100a, 100b StPO? FS Hanack 253; Lorenz Absoluter Schutz versus absolute Relativität – Die Verwertung von Tagebüchern zur Urteilsfindung im Strafprozeß, GA 1992 254; ders. Aktionismus, Populismus? – Symbolismus! Zur strafprozessualen akustisch/optischen Überwachung von Wohnungen, GA 1997 51; Maatz Mitwirkungspflicht des Verteidigers in der Hauptverhandlung und Rügeverlust, NStZ 1992 513; Maiberg Zur Widerspruchsabhängigkeit von strafprozessualen Verwertungsverboten (2003); Mende Grenzen privater Ermittlungen durch den Verletzten einer Straftat (2001); Meurer Informelle Ausforschung, FS Roxin 1281; Meyer-Goßner/Appl Die Ausweitung des Widerpruchserfordernisses, StraFo 1998 258; Montenbruck „Entlassung aus der Zeugenrolle“ – Versuch einer Fortentwicklung der materiellen Beschuldigtentheorie, ZStW 89 (1977) 878; Nack Verwertung rechtswidriger Ermittlungen zugunsten des Beschuldigten? StraFo 1998 366; Nagel Verwertung und Verwertungsverbote im Strafverfahren (1998); Nothhelfer Die Freiheit vom Selbstbezichtigungszwang (1989); Nüse Zu den Beweisverboten im Strafprozeß, JR 1966 281; Osmer Der Umfang des Beweisverwertungsverbots nach § 136a StPO, Diss. Hamburg 1966; Otto Grenzen und Tragweite der Beweisverbote im Strafverfahren, GA 1970 289; ders. Die strafprozessuale Verwertbarkeit von Beweismitteln, die durch Eingriffe in die Rechte anderer von Privaten erlangt wurden, FS Kleinknecht 319; Peres Strafprozessuale Beweisverbote und Beweisverwertungsverbote (1991); Perschke Die Zulässigkeit nicht spezialgesetzlich geregelter Ermittlungsmethoden im Strafverfahren (1997); Egbert Peters Die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise und Beweismittel im Zivilprozeß, ZZP 1963 145; Petry Beweisverbote im Strafprozeß (1971); Prittwitz Der Mitbeschuldigte im Strafprozeß (1984); ders. Der Mitbeschuldigte – ein unverzichtbarer Belastungszeuge? NStZ 1981 463; Ranft Bemerkungen zu den Beweisverboten im Strafprozeß, FS Spendel 719; Reinecke Die Fernwirkung von Beweisverboten (1990); Rengier Die Zeugnisverweigerungsrechte im geltenden und künftigen Strafverfahrensrecht (1979); Richter Der Mitbeschuldigte als Zeuge, FS II Peters 235; Riepl Informationelle Selbstbestimmung im Strafverfahren (1998); Röger Die Verwertbartkeit des Beweismittels nach § 81a StPO bei rechtswidriger Beweisgewinnung (1994); Rogall Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst (1977); ders. Gegenwärtiger Stand und Entwicklungstendenzen der Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, ZStW 91 (1979) 1; ders. Moderne Fahndungsmethoden im Lichte gewandelten Grundrechtsverständnisses, GA 1985 1; ders. Hypothetische Ermittlungsverläufe im Strafprozeß, NStZ 1988 385; ders. Beweisverbote im System des deutschen und des amerikanischen Strafverfahrensrechts, Rudolphi-Symp. 111; ders. Über die Folgen der rechtswidrigen Beschaffung des Zeugenbeweises im Strafprozeß, JZ 1996 944; ders. Zur Lehre von den Beweisverboten. Anmerkungen zum gegenwärtigen Diskussionsstand, FS Grünwald 523; ders. „Abwägungen“ im Recht der Beweisverbote, FS Hanack 293; Roxin Nemo tenetur: Die Rechtsprechung am Scheideweg, NStZ 1995 465; ders. Das Recht des Beschuldigten zur Verteidigerkonsultation in der neuesten Rechtsprechung, JZ 1997 343; Rudolphi Die Revisibilität von Verfahrensmängeln im Strafprozeß, MDR 1970 93; Rüping Beweisverbote als Schranken der Aufklärung im Steuerrecht (1981); K. Schäfer einige Bemerkungen zu dem Satz „nemo tenetur se ipsum accusare“, FS Dünnebier 11; Schlothauer Zur Bedeutung der Beweisverwertungsverbote im Ermittlungs- und Zwischenverfahren, FS Lüderssen 761; Schlüchter Wider die Verwirkung von Verfahrensrügen im Strafprozeß, GedS Meyer 445; Eb. Schmidt Sinn und Grenzen der Tragweite des Hinweises auf die Aussagefreiheit des Beschuldigten, NJW 1968 1210; Eb. Schmidt Die Verletzung der Belehrungspflicht gem. § 55 Abs. 2 StPO als Revisionsgrund, JZ 1958 596; G. Schmidt Zur Problematik des Indiskretionsdelikts, ZStW 79 (1967) 74; Bertram Schmitt Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß (1992); Schneider Überlegungen zur strafprozessualen Zulässigkeit heimlich durchgeführter Stimmvergleiche, GA 1997 371; Schöneborn Die strafprozessuale Beweisverwertungsproblematik aus strafrechtlicher Sicht, GA 1975 33; ders. Das Problem der Rollenvertauschung und der Zeugnisverweigerungsrechte bei mehreren Mitbeschuldigten in vergleichender Betrachtung, ZStW 86 (1974) 921; S. Schröder Beweisverwertungsverbote und die Hypothese rechtmäßiger Beweiserlangung im Strafprozeß (1992); Schroth Beweisverwertungsverbote im Strafverfahren – Überblick, Strukturen und Thesen zu einem umstrittenen Thema, JuS 1998 969; Schütz Die Verletzung des § 55 StPO als Revisionsgrund, Diss. Erlangen 1960; Schwaben die Rechtsprechung des BGH

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Einleitung

zwischen Aufklärungsrüge und Verwertungsverbot, NStZ 2002 288; Seiler Beweismethodenverbote im Österreichischen Strafprozeß, FS Peters 447; Sendler Die Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel im Strafprozeß mit Berücksichtigung des anglo-amerikanischen und französischen Rechts, Diss. Berlin 1956; Spendel Wahrheitsfindung im Strafprozeß, JuS 1964 465; ders. Beweisverbote im Strafprozeß, NJW 1966 1602; von Stetten Beweisverwertung beim Einsatz Verdeckter Ermittler (1999); Störmer Dogmatische Grundlagen der Verwertungsverbote (1992); Stürner Strafrechtliche Selbstbelastung und verfahrensrechtliche Wahrheitsermittlung, NJW 1981 1757; Sydow Kritik der Lehre von den Beweisverboten, Diss. Würzburg 1976; Tiedemann Privatdienstliche Ermittlungen im Ausland – strafprozessuales Verwertungsverbot? FS Bockelmann 819; Tolksdorf Verwertungsverbot wegen unterlassener Beschuldigtenbelehrung nur bei Widerspruch? FS Graßhof 255; Ufer Der Verwertungswiderspruch in Theorie und Praxis (2002); Verrel Nemo tenetur – Rekonstruktion eines Verfahrensgrundsatzes, NStZ 1997 361, 415: Walder Rechtswidrig erlangte Beweismittel im Strafprozeß, SchwZStR 82 (1966) 36; Wetterich/Plonka Beweis und Beweisverbote (1985); Widmaier Mitwirkungspflicht des Verteidigers in der Hauptverhandlung und Rügeverlust (?), NStZ 1992 519; Wolter Beweisverbote und Umgehungsverbote zwischen Wahrheitserforschung und Ausforschung, FS II BGH 963; weitere Schrifttumsnachweise s. bei den §§ 55, 100 a, 136, 136 a StPO.

Übersicht Rn. I. Beweis und Beweisverbot 1. Der Beweis a) Begriffsbestimmungen . . . . . . b) Beweisen als Ferststellen und Würdigen von Tatsachen . . . . . . . c) Beweiserhebung und Beweisverwertung . . . . . . . . . . . . . . d) Umfang des Beweises aa) Beschuldigtenvernehmung als Gegenstand (verbotener) Sachverhaltsermittlung . . . . . . bb) Beweisform . . . . . . . . . 2. Beweisverbote als Grenzen des Beweisens a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . b) Rechtliche Grenzen . . . . . . . . c) Umfang . . . . . . . . . . . . . . d) Einteilung . . . . . . . . . . . . . II. Beweisverbote in der Rechtsprechung: Grundlagen und Grundregeln 1. Funktionslehre . . . . . . . . . . . 2. Rechtskreistheorie . . . . . . . . . 3. Abwägungslehre . . . . . . . . . . 4. Widerspruch als Voraussetzung eines Verwertungsverbots a) Widerspruchsfälle . . . . . . . . b) Zeitpunkt und Umfang . . . . . c) Begründung des Widerspruchserfordernisses . . . . . . . . . . 5. Beweiswürdigung statt Beweisverwertungsverbot . . . . . . . . . 6. Weitere Darstellung . . . . . . . . . III. Beweisverbote in der Rechtsprechung: Verstöße gegen ausgewählte Regeln der Strafprozessordnung 1. Verstöße gegen Pflichten zur Zeugenbelehrung

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Rn. a) Rechtskreisberührung als entscheidendes Merkmal eines Verwertungsverbots . . . . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachverhaltsfeststellungen unter Verletzung von nicht belehrungspflichtigen Zeugen-Aussageverweigerungsrechten . . . . . . . . . . . . . 3. Verstöße gegen die Pflicht, den Beschuldigten über sein Schweigerecht zu belehren . . . . . . . . . . . . . . 4. Verstöße gegen sonstige Regeln der StPO über die Sachverhaltsermittlung a) Verstöße gegen Normen, die zu Eingriffen in Grundrechte berechtigen . . . . . . . . . . . . . . . b) Verstöße gegen sonstige die Sachverhaltsermittlung regelnde Einzelvorschriften . . . . . . . . . c) Verstöße gegen allgemeine Prozessgrundsätze, welche die Sachverhaltsermittlung betreffen . . . . . IV. Verfassungsrechtliche Beweisverbote in der Rechtsprechung: Grundlagen 1. Verfassungsrecht und Strafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Deutsches Verfassungsrecht und Europäische Menschenrechtskonvention . . V. Verfassungsrechtliche Beweisverbote in der Rechtsprechung: Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip und die Menschenwürde 1. Die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens a) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . b) Zufallsfunde . . . . . . . . . . . .

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Beweisverbote Rn. 2. Verstoß gegen den Grundsatz: Nemo tenetur se ipsum accusare (prodere) . VI. Verfassungsrechtliche Beweisverbote in der Rechtsprechung: Eingriffe in die Privatsphäre nach der Dreisphärentheorie des Bundesverfassungsgerichts 1. Privatsphäre als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts a) Grundlage . . . . . . . . . . . . b) Beispiele . . . . . . . . . . . . . 2. Die Dreisphärentheorie des Bundesverfassungsgerichts: Übersicht . . . . 3. Die Abgrenzung der einzelnen Sphären voneinander a) Außenbereich . . . . . . . . . . . b) Der Kernbereich als Intimsphäre ohne Sozialbezug . . . . . . . . . aa) Sozialbezug . . . . . . . . . bb) Art und Intensität des Sozialbezugs als Abgrenzungskriterium . . . . . . . . . . . 4. Kritische Beurteilung der Rechtsprechung zur Abgrenzung des Kernbereichs von der sonstigen Privatsphäre a) Unsichere bis widersprüchliche Ergebnisse . . . . . . . . . . . . b) Die faktische Aufgabe der Lehre von der Existenz eines absolut geschützten Kernbereichs durch das Bundesverfassungsgericht . . . . 5. Verwertungsverbote wegen unzulässiger Eingriffe in die Privatsphäre außerhalb des Kernbereichs . . . . . VII. Verfassungsrechtliche Beweisverbote in der Rechtsprechung wegen unzulässiger Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . VIII. Verwertungsverbote in der Rechtsprechung: Reichweite 1. Fernwirkungen . . . . . . . . . . . 2. Erkenntnisse, die Privatpersonen auf ihre Eigentinitiative ohne Einflussnahme der Strafverfolgungsbehörden gewinnen . . . . . . . . . . . . . . 3. Erkenntnisse, die Privatpersonen auf Initiative der Strafverfolgungsbehörden gewinnen . . . . . . . . . 4. Möglichkeit zu rechtmäßiger Beweisgewinnung . . . . . . . . . . . . . .

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IX. Verwertungsverbote in der Rechtsprechung: Verfahrensrechtlicher Nachweis . . . . . . . . . . . . . . . .

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X. Ergebnis der Übersicht über die Rechtsprechung zu den Beweisverboten 1. Kritik und Defizite . . . . . . . . .

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Rn. 2. Das Verhältnis zwischen Erhebungsund Verwertungsverboten a) Selbständigkeit und Unselbständigkeit der Verwertungsverbote . . . b) Verwertungsverbote und Verfahrensstadium . . . . . . . . . . c) Vorauswirkungen von Verwertungsverboten . . . . . . . . 3. Die Fragwürdigkeit der Unterscheidung zwischen Erhebungs- und Verwertungsverbot . . . . . . . . . . . XI. Die im Schrifttum entwickelten Beweisverbotslehren 1. Wege zur Gewinnung von Beweisverbotslehren a) Funktionslehre und die Lehren von der Eigenständigkeit der Beweisverbote . . . . . . . . . . . . . . b) Die beiden Wege der Eigenständigkeitslehren . . . . . . . . . . . . 2. Die formalen Beweisverbotslehren a) Beweisverbote als Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote . . . . . . . . . b) Einteilung der Beweiserhebungsverbote . . . . . . . . . . . . . . aa) Beweisthemenverbote . . . . bb) Beweismittelverbote . . . . . cc) Beweismethodenverbote . . . dd) Weitere Einteilungen . . . . . 3. Formal-materiale Beweisverbotslehren a) Wesen . . . . . . . . . . . . . . b) Faktorielle Ansätze . . . . . . . c) Komplexe Ansätze . . . . . . . . XII. Eigene Auffassung 1. Ausgangspunkt a) Beurteilung der bisherigen Diskussion . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidende Fragestellungen . . 2. Der Verstoß gegen die Rechtsordnung a) Umfang . . . . . . . . . . . . . b) Feststellung . . . . . . . . . . . 3. Umfang und Wirkung des Rechtsverstoßes a) Relative Wirkung . . . . . . . . . b) Beschwer des Angeklagten durch den Rechtsverstoß . . . . . . . . 4. Revisibilität von Verstößen gegen Verwertungsverbote a) Bedeutung revisionsrechtlicher Elemente . . . . . . . . . . . . . b) Selbständige Bedeutung des Beruhenselementes . . . . . . . . aa) Fehlen des realen Zusammenhangs . . . . . . . . . . . . . bb) Fehlen des finalen Zusammenhangs . . . . . . . . . . . . . 5. Gesetzgeberische Maßnahmen . . . .

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Einleitung

Alphabetische Übersicht Abschiedsbrief 97 Absolute Wesensgehaltstheorie 94 Abwägungslehre 26 f., 83, 95, 97, 100, 119, 153 Außenbereich 84, 85 Benachrichtigungspflichten 46 Beruhenserfordernis 65, 119, 179 ff. – Realer Zusammenhang 180 ff. – Finaler Zusammenhang 184 ff. Beschuldigtenschweigerecht 53 ff. Beschwer 174 ff. Beweis 2 – Form 10 – Umfang 9 f. Beweisen 3 Beweiserhebung 5 Beweiserhebungsverbote 15, 19 – Beweismethodenverbote 140 f. – Beweismittelverbote 138 f. – Beweisregelungsverbote 143 – Beweisthemenverbote 134 ff. – Beweisverfahrensverbote 143 – Beweisverwertungsverbot, Verhältnis zu den 121 ff., 127, 131 ff., 162 ff. – Einteilung 133 ff. – Relative 142 Beweismethodenverbote 140 f. Beweismittelverbote 138 f. Beweisregelungsverbote 143 Beweisthemenverbote 134 ff. Beweisträger 6 Beweisverbote 11 ff. – Begriffsbestimmung 2 – Einteilung 15 ff. – Grenzen 12 f. – Heilung 136, 141 – Nachweis 117 f. – Rechts- oder Gesetzesverstoß 119, 127, 158, 160 ff. – Umfang 14 – Verfassungsrechtliche in der Rspr. 70 ff.; 73 ff. – Verstöße gegen Benachrichtigungspflichten 46 – Verstöße gegen Hinweispflichten 57 – Verstöße gegen Pflichten zur Belehrung über das Beschuldigtenschweigerecht 53 ff. – Verstöße gegen Pflichten zur Belehrung von Zeugen 37 ff., 168 – Verstöße gegen Prozessgrundsätze 66 ff. – Verstöße gegen Regeln über die Sachverhaltsermittlung 63 ff. – Verstöße gegen zu Grundrechtseingriffen berechtigende Normen 60 ff. Beweisverbotslehren im Schrifttum 128 ff. – Abwägungslehre 153 f. – Eigenständigkeitslehren 128 f. – Formale 130 ff. – Formal-materiale 144 ff. – Funktionslehre 18 f., 128 – Informationsbeherrschungsrechte, Lehre von den – 149 – Schutzzwecklehren 148, 151 f. Beweisverbotslehren in der Rspr. 18 ff., 119 ff.

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– Abwägungslehre 26 f., 60 f. – Eigenständigkeitslehren 128 f. – Rechtskreistheorie 20 ff., 54, 62 – Schutzzweck 57 Beweisverfahrensverbote 143 Beweisverwendung 8 Beweisverwertung 5, 156 Beweisverwertungsverbote 7, 15 f., 19 – Absolute 171, 187 – Beschwer als Voraussetzung 174 ff. – Beweiserhebungsverbot, Verhältnis zu den 121 ff., 127, 131 ff., 162 ff. – und Beweiswürdigungslösung 34 f. – Fernwirkung 105 ff., 186 – Feststellung 165 ff. – Kriterien nach der Rspr. 24 – Private Ermittlungen 112 ff. – Relative 171 – Selbständige 121, 124, 151 – Unselbständige 121, 124, 151 – Vorauswirkungen von – 125 ff. – Widerspruch als Voraussetzung von – 28 ff., 46 Beweiswürdigung. 3 f., 34 f., 156 Beweiswürdigungslösung 34 f. Dreisphärentheorie (Dreistufentheorie) 83 ff. – Abgrenzung der drei Sphären 85 ff. – Außenbereich 84, 85 – Intimsphäre 95 – Kernbereich 83, 86 ff. – Selbstgespräch 88 – Sozialbezug 86 ff. – Tagebuchaufzeichnungen 90 ff. – Tonbandaufzeichnungen 90 ff. – Videokassetten 96 Eigenständigkeitslehren 128 f. EMRK 72, 96 Fernwirkung 105 ff., 186 Formal-materiale Beweisverbotslehren 144 ff. – Faktorielle Ansätze 145 ff. – Komplexe Ansätze 145, 150 ff. – Wesen 144 Freibeweis 117 f. Funktionslehre 18 f., 128, 146 Genetischer Fingerabdruck 102 ff. Grundrechte 60 ff. Hinweispflichten 57 Informationelle Selbstbestimmung 101 ff. Informationsbeherrschungsrechte 149 Intimsphäre 95 ff. Kernbereich 83, 86 ff – Abgrenzung 85 ff. – Kritik an der Abgrenzung 89 ff. Menschenwürde 78 ff. Nemo-tenetur-Grundsatz 78 ff. Private Ermittlungen 112 ff. Privatsphäre 81 f. Prozessgrundsätze 66 ff. – Mündlichkeit 66 ff. – Unmittelbarkeit 66 ff.

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Beweisverbote Rechts- oder Gesetzesverstoß 119, 127, 158, 160 ff. – Umfang 169 – Relative Wirkung 169 Rechtskreistheorie 20 ff., 54, 62 Rechtsstaatsprinzip 73 ff. – und Zufallsfunde 75 ff. Relative Wesensgehaltstheorie 91, 94 Revisibilität 18, 64, 177 ff. Schutzzweck 57, 148, 151 f., 158, 165 f., 168, 174 Selbstgespräch 88 Tagebücher 90 ff. Tatsachen – -feststellung 3 f. – -würdigung 3 f. Tonbandaufzeichnungen 90 ff Verfassungsrechtliche Beweisverbote in der Rspr. 70 ff. – Dreisphärentheorie 83 ff. – Genetischer Fingerabdruck 102 ff. – Grundlagen 70 ff.

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– Informationelle Selbstbestimmung 101 – Menschenwürde 78 ff. – Nemo tenetur 78 ff. – Privat- oder Intimsphäre 81 ff., 95 ff., 101 – Rechtsstaatsprinzip 73 ff. Verhörsperson 44 f. Vernehmungsähnliche Situation 42, 58 Verwendung 8 Videokassetten 96 V-Leute 69 Vorauswirkungen von Verwertungsverboten 125 ff. Widerspruchsvoraussetzung 28 ff. – Begründung 33 – Fälle 28 ff. – Umfang 31 – Zeitpunkt 31 f. Zeugen vom Hörensagen 68 Zeugenbelehrung 37 ff., 168 Zufallsfunde 75 ff.

I. Beweis und Beweisverbot 1. Der Beweis a) Begriffsbestimmungen aa) Im Ermittlungsverfahren ist der Sachverhalt mit dem Ziel „zu erforschen“, „ob 1 die öffentliche Klage zu erheben“ (§ 160 Abs. 1 StPO) oder aber das Verfahren einzustellen ist (§ 170 Abs. 2 Satz 1 StPO). Entsprechendes gilt im Erkenntnisverfahren: Ziel der Hauptverhandlung im Strafverfahren ist nach § 260 Abs. 1 StPO das Urteil, dessen Gegenstand die gerichtliche Feststellung der „in der Anklage bezeichneten Tat“ (§ 264 Abs. 1 StPO) in ihrem Verhältnis zu den „durch die Klage beschuldigten Personen“ (§ 155 Abs. 1 StPO), also eines von Menschen verwirklichten Sachverhalts, ist. Unter Beweis ist eben diese Feststellung zu verstehen: bedeutet doch beweisen sprachlich nichts anderes als „wissend machen“ 1, was im Strafverfahren nur auf den verfahrensgegenständlichen Sachverhalt bezogen werden kann.2 § 244 Abs. 2 StPO gewährt weitere Interpretationshilfe: die Sachverhaltserforschung betrifft Tatsachen, bedient sich dazu bestimmter sog. Beweismittel und zielt auf die dem Menschen mögliche Erkenntnis der objektiv-relativen Wahrheit nach dem Vorstellungsbilde des Gerichts.3 bb) Unter Beweis ist demnach der am Ziel der Ermittlung der objektiv-relativen 2 Wahrheit orientierte Vorgang zu verstehen,4 in dem Tatsachen festgestellt werden.5 Beweisverbote lassen sich dementsprechend als „Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafprozess“ (dem berühmten Worte Belings im Titel seiner 1903 erschienenen Arbeit folgend) charakterisieren. b) Beweisen als Feststellen und Würdigen von Tatsachen. „Feststellen“ einer Tatsache 3 geschieht durch sinnliche Wahrnehmung eines Gegenstandes (eines Fingerabdrucks, einer

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Duden Bd. 7, Etymologie, Stichwörter „be“ und „weisen“. Ranft 1527. Gössel Gutachten C zum 60. DJT, C 24 ff.; s. auch LR/Kühne Einl. H 23 ff.

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5

Jäger 131 f., der insoweit mit Recht meine frühere missverständliche Formulierung (auch in der Voraufl.) kritisiert. Ähnlich Nagel 44 und 47.

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Aussage), die erst durch eine selbständige geistige Tätigkeit 6 des wahrnehmenden Subjekts gestalthaft organisiert 7 und erst so, häufig unter Heranziehung von Erfahrungssätzen 8, als eine (teilweise, nicht oder so nicht) existente Tatsache bewertet wird.9 Diese Feststellungen werden durch die zwar herkömmlich, aber unscharf als Beweismittel benannten Beweisträger (Aussagepersonen, Urkunden, Augenscheinsobjekte) 10 ermöglicht. Indessen beschränkt sich die Bedeutung der Tatsachen für das Strafverfahren nicht bloß darauf, wahrnehmend festgestellt zu werden. So ist Ziel der Sachverhaltsfeststellung im Ermittlungsverfahren die Entscheidung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben ist (§ 160 Abs. 1 StPO; § 152 Abs. 2 StPO), Ziel des Zwischenverfahrens, ob hinreichender Tatverdacht, also Verurteilungswahrscheinlichkeit (§ 203 StPO) zu bejahen ist und Ziel des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens, die tatsächliche Grundlage der Urteilsfindung zu ermitteln (§ 264 StPO). Im Ermittlungs- wie im Erkenntnisverfahren werden Tatsachen damit im Hinblick auf das je erstrebte Ziel als in bestimmter Weise (nicht) vorliegend beurteilt: im Ermittlungsverfahren also die Entscheidung über Anklageerhebung oder Einstellung, im Zwischenverfahren die über die Eröffnung des Hauptverfahrens, im Erkenntnisverfahren der Urteilsspruch. Die (teilweise, nicht oder so nicht) festgestellten Tatsachen werden also zudem gewürdigt hinsichtlich ihrer Relevanz für das im jeweiligen Verfahrensstadium je angestrebte Verfahrensziel.11 Mit den Worten des für das gerichtliche Hauptverfahren geltenden § 261 StPO lässt sich diese Würdigung der festgestellten Tatsachen als verfahrensrelevant auch als Beweiswürdigung bezeichnen. Wahrnehmende Feststellung von Tatsachen und deren Würdigung geschehen jedoch 4 nicht unverbunden nacheinander: Schon die Feststellung von Tatsachen erfolgt immer schon im Hinblick auf ihre Verfahrensrelevanz und umgekehrt deren Beurteilung als verfahrensrelevant immer im Hinblick auf die je wahrzunehmende, festzustellende Tatsache. Trotz enger Verwobenheit dieser Prozesse 12 lassen sich aber doch Feststellungsvorgang und Beweiswürdigung voneinander unterscheiden – und dies gilt gleichermaßen für zulässiges und verbotenes Beweisen und ebenso gleichermaßen im Ermittlungs- wie im Erkenntnisverfahren. c) Beweiserhebung und Beweisverwertung

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aa) Die auf die Verfahrensrelevanz zielende Natur der die Wahrnehmung von Tatsachen voraussetzenden Tatsachenfeststellung erlaubt es, die durch den Beweisträger ermöglichte Feststellung durch die jeweils strafverfolgende Person (Polizeibeamter, Staatsanwalt, Richter) als Beweiserhebung zu bezeichnen, die mit der Feststellung verbundene funktionale Bewertung im Hinblick auf das im jeweiligen Verfahrensstadium verfolgte Ziel (Anklage oder Einstellung, Eröffnungsbeschluss, Urteil) als Beweisverwertung. Der Würdigung der Beweisträger (herkömmlich Beweismittel, s. oben Rn. 3), z.B. 6 eines Zeugen als glaubwürdig oder einer Urkunde als echt, dürfte demgegenüber keine selbständige Bedeutung zukommen: Wird das Beweismittel als unzuverlässig (der Zeuge als unglaubwürdig, die Urkunde als gefälscht) gewürdigt, so führt dies zur Würdigung der mit diesem Beweismittel als (so) existent behaupteten Tatsache entweder als (so)

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Gössel Über die Bedeutung des Irrtums im Strafrecht (1974) 12 ff. m.w.N. Correll Einführung in die pädagogische Psychologie (1966) 275. Vgl. Ranft 1531; Volk Strafprozeßrecht § 23, 6.

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Gössel Über die Bedeutung des Irrtums im Strafrecht (1974) 12 ff. Gössel § 22 A III 1. So wohl auch Nagel 49. So treffend Bertram Schmitt 394.

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Beweisverbote

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nicht existent oder als zweifelhaft. Erst die Beweiswürdigung entscheidet damit darüber, ob und wie die den Gegenstand der Beweiswürdigung bildenden Tatsachen in die Urteilsgründe als tatsächliche Feststellungen (als – so – existent, nicht oder – so – nur möglicherweise, nicht ausschließbar existent) eingehen.13 bb) Insgesamt kann das Beweisverwertungsverbot demnach inhaltlich nur noch als 7 ein Verbot verstanden werden, bestimmte Tatsachen zum Gegenstand der Beweiswürdigung zu machen 14, und zwar (oben Rn. 3) in allen Verfahrensstadien.15 Nach den Ausführungen in Rn. 3 lässt sich dies zu dem Verbot konkretisieren, bestimmte Tatsachen oder Sachverhalte zur tatsächlichen Grundlage von Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörden zu machen 16: im Ermittlungsverfahren der Entscheidung über Anklageerhebung oder Einstellung, im Zwischenverfahren über die (Nicht-)Eröffnung des Hauptverfahrens, im gerichtlichen Erkenntnisverfahren des Urteilsspruchs. Die im Anschluss an die Terminologie des BDSG neuerdings auch in der StPO anzu- 8 treffende Kategorie des „Verwendens“ von Beweismitteln (vgl. z.B. §§ 81g Abs. 2; 98b Abs. 3 Satz 3; 100b Abs. 5; 100d Abs. 5, 6; 110e; 160 Abs. 4 StPO und § 393 Abs. 2 Satz 1 AO) führt zu der von Dencker aufgeworfenen Frage, ob Verstöße gegen die Zulässigkeit solcher Verwendung zu Verwertungsverboten führen, deren Beantwortung durch die Rechtsprechung „ein insgesamt krauses, inhomogenes Bild“ ergibt und derzeit nicht erlaubt, allgemeine Regeln über Verwendung und Verwendungsverbote aufzustellen.17 Ob ein Verwendungsverbot auch zu einem Verwertungsverbot führt, beurteilt die Rechtsprechung nach den unten Rn. 18 ff. dargelegten Regeln. Im Übrigen dürfte z.B. das in gleichartigem Zusammenhang vom Gesetzgeber etwa in § 100c Abs. 5 Satz 3 StPO benutzte Wort „verwerten“ darauf hinweisen, dass „verwerten“ und „verwenden“ vom Gesetzgeber als synonyme Begriffe benutzt werden. d) Umfang des Beweises aa) Beschuldigtenvernehmung als Gegenstand (verbotener) Sachverhaltsermittlung. 9 Der Vorgang des Beweisens wird durch die Verwendung der persönlichen (Zeugen, Sachverständige) und der sachlichen (Urkunden, sinnliche Wahrnehmungen) Beweisträger (Beweismittel, s. oben Rn. 3) vollzogen, sowohl im Ermittlungsverfahren als auch im Stadium der gerichtlichen Hauptverhandlung im Rahmen der Beweisaufnahme. Daneben allerdings bildet die Vernehmung des Angeklagten zur Sache eine der wichtigsten Quellen der Tatsachenfeststellung. Zwar unterscheidet das Gesetz die Beweisaufnahme im Erkenntnisverfahren in § 244 Abs. 1 StPO deutlich – und angesichts der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten zu Recht – von der Beschuldigtenvernehmung; dies muss schon im Hinblick auf §§ 136, 136a StPO auch für das Ermittlungsverfahren gelten. Gleichwohl dient auch die Vernehmung des Angeklagten zur Sache der Feststellung des entscheidungsgegenständlichen (Anklageerhebung; Urteil) Sachverhalts: Sie gehört damit zwar nicht formal, wohl aber material dem Vorgang „Beweisen“ zu, wenn auch als ein

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Ebenso wohl Dallmeyer 30, der jedoch – S. 31 – verkennt, daß im Hauptverfahren die Verwertung von Beweisen stets durch Beweiswürdigung geschieht (§ 261 StPO). Gössel GedS Meurer 383; Schroth 969; so wohl auch Janicki 29 f. Zu Beweisverwertungsverboten im Zwi-

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schenverfahren s. Foertsch und Schlothauer aaO. Zust. Popp Verfahrenstheoretische Grundlagen der Fehlerkorrektur im Strafverfahren (2005) 470. Dencker FS Meyer-Goßner 249; s. auch LR/Hilger 25 Vor § 483, 19.

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gegenüber der Beweisaufnahme i.S. des § 244 Abs. 1 StPO selbständiger Teil.18 Folglich sind Beweisverbote auch hinsichtlich der Vernehmung des Angeklagten als verbotene Tatsachenfeststellung durch Vernehmung des Beschuldigten anzuerkennen.

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bb) Beweisform. Die Sachverhaltsfeststellung im Strafverfahren beschränkt sich nicht nur auf die Schuld und Strafe betreffenden Tatsachen. Die Ermittlung der im Freibeweisverfahren feststellbaren Tatsachen zum Vorliegen von Prozessvoraussetzungen oder Prozesshindernissen oder hinsichtlich der Voraussetzungen einzelner Prozesshandlungen oder sonstiger für den Fortgang des Verfahrens bedeutsamer Tatsachen ist grundsätzlich durch die Beweisverbote ebenso beschränkt wie Feststellungen im Strengbeweisverfahren:19 Tatsachen zur Verhandlungsunfähigkeit dürfen selbstverständlich ebenso wenig durch unverhältnismäßige körperliche Eingriffe ermittelt werden wie Zeugen oder Angeklagte durch Folter zur Benennung der Anschriften weiterer Zeugen gebracht werden dürfen. Keine Geltung beanspruchen indes jene Beweisverbote, die, wie etwa § 256 StPO, nur das Strengbeweisverfahren betreffen und von deren Anwendung das Freibeweisverfahren gerade befreit ist. 2. Beweisverbote als Grenzen des Beweisens

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a) Grundsatz. Dass der Wahrheitsfindung im Prozess Grenzen gesetzt sind, entspricht mit der prägnanten Formulierung des Bundesgerichtshofs gesicherter und allgemein anerkannter Erkenntnis: „Es ist … kein Grundsatz der Strafprozessordnung, dass die Wahrheit um jeden Preis erforscht werden müsse“,20 wobei insbesondere in Betracht zu ziehen ist, „dass der Zweck, Straftaten aufzuklären und zu ahnden, zwar von überaus großer Bedeutung ist, aber nicht stets und unter allen Umständen das überwiegende Interesse des Staates ist und sein kann“.21

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b) Rechtliche Grenzen. Derart Grenzen setzende Vorschriften finden sich schon in der StPO selbst: so die ausdrücklichen Feststellungsverbote z.B. in §§ 136 a, 161 Abs. 2, § 252 StPO, darüber hinaus aber auch jede Vorschrift, welche die Sachverhaltsermittlung an bestimmte Formen (etwa §§ 106, 107 StPO in Fällen der Durchsuchung) oder inhaltliche Voraussetzungen (z.B. §§ 81a, 253 StPO) bindet und eine Tatsachenfeststellung unter Abweichung oder Außerachtlassung der jeweiligen gesetzlichen Regeln für unzulässig erklärt.22 Auch gesetzliche Normen außerhalb der StPO können der Tatsachenfeststellung 13 Grenzen setzen: so z.B. die Verbote der Berücksichtigung getilgter 23 oder tilgungsreifer 18 19 20

Vgl. LR/Gollwitzer 25 § 244, 10 m.w.N.; s. auch LR/Kühne Einl. H 36, J 84 ff. KMR/Paulus § 244, 502. BGHSt 14 358, 365; ähnlich BGH NJW 1978 1425, 1426: „Das Strafverfahren ist nicht darauf angelegt, den Schuldigen unter allen Umständen der angemessenen Strafe zuzuführen“; s. auch die Entscheidung BGHSt 17 337, 348, in der den §§ 52, 53, 55 StPO der „für einen Rechtsstaat selbstverständliche Grundsatz“ entnommen wird, „daß Zeugenpflicht und staatlicher Strafanspruch nicht rücksichtslos und unter allen Umständen durchgesetzt werden sollen“.

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21 22

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BGHSt 19 325, 329. Gössel NJW 1981 2217; a.A. Rengier 283, der solche Vorschriften als sog. Beweisverfahrensregeln – s. dazu unten Rn. 143 – aus dem Bereich der Beweisverbote ausklammern will; wie hier aber Grünwald (Beweisrecht) 143. Auch die Verwertung nur als Indiz etwa für das Vorliegen eines Hangs zu erheblichen Straftaten als Voraussetzung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) scheidet aus: zutr. BGH NStZ-RR 2002 332.

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Beweisverbote

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Eintragungen im Bundeszentralregister (§§ 51, 66 BZRG) und außerhalb eines Steuerstrafverfahrens auch der Tatsachen, die ein Steuerpflichtiger in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten offenbart hat (§ 393 Abs. 2 Satz 1 AO), die beamtenrechtliche Verschwiegenheitspflicht zur Wahrung übergeordneter staatlicher Interessen gemäß §§ 61, 62 BBG, § 39 BRRG i.V.m. §§ 54, 96 StPO, ferner das Schweigegebot für den Richter hinsichtlich des Hergangs bei Urteilsberatung und -abstimmung (§ 43 DRiG). Vor allem aber wird die Sachverhaltsfeststellung durch grundlegende rechtsstaatliche Maximen beschränkt. Können bestimmte Tatsachen nur unter Eingriffen z.B. in Individualrechte ermittelt werden, so ist die Sachverhaltsermittlung regelmäßig an die Existenz entsprechender Eingriffsbefugnisse gebunden.24 Auch steht die Wahrheitserforschung unter den Geboten der Gerechtigkeit, die es verbieten, die Erforschung der Wahrheit mit Mitteln zu betreiben, die für den Beschuldigten oder andere Verfahrensbeteiligte oder -betroffene, insbes. Zeugen, unzumutbar sind, die den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzen, gegen die Menschenwürde oder sonstige verfassungsmäßige Rechte verstoßen, zur Wahrheitsfindung ungeeignet sind oder sonst öffentlichen Interessen zuwiderlaufen. c) Umfang. Die Sachverhaltserforschung ist dabei für alle Stadien des Strafverfahrens 14 in gleicher Weise beschränkt,25 wie sich schon aus der insoweit eindeutigen Vorschrift des § 136 a Abs. 1 StPO ergibt. d) Einteilung. Die der Wahrheitsfindung Grenzen setzenden Normen werden auch als 15 Beweisverbote bezeichnet, wie bereits oben Rn. 2 erwähnt wurde. Sie können nach derzeit allgemein anerkannter Meinung (zur Kritik s. unten Rn. 130, 165 ff.) einmal entweder nur Beweiserhebungsverbote oder nur Beweisverwertungsverbote sein (s. oben Rn. 5), zum anderen aber auch, dies schon im Hinblick auf die enge Verwobenheit von Wahrnehmungs- und Bewertungsvorgängen (s. oben Rn. 4) zugleich Erhebungs- und Verwertungsverbote. Die Frage, in welchen Fällen ein Verwertungsverbot vorliegt, steht hier allerdings eindeutig im Vordergrund. In einigen Fällen beantwortet das Gesetz diese Frage selbst. So erlaubt das Grund- 16 gesetz den sog. „Großen Lauschangriff“ z.B. zu dem in Art. 13 Abs. 5 Satz 1 GG genannten Zweck des Schutzes „der bei einem polizeilichen Einsatz in Wohnungen tätigen Personen“, verbietet aber in Art. 13 Abs. 5 Satz 2 GG unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich die Verwertung der dabei gewonnenen Erkenntnisse zu einem anderen als dem in Satz 1 genannten Zweck – auch die allgemeine Regelung des Großen Lauschangriffs in § 100c StPO stellt in Abs. 6 Satz 2 ein weitgehendes einfachgesetzliches Verwertungsverbot „in den Fällen der §§ 52 und § 53a“ StPO auf. Ähnlich erlaubt die StPO die Untersuchung anderer Personen als des Beschuldigten in § 81c StPO, schränkt aber die Verwertung der dabei gewonnenen Erkenntnisse durch das in Absatz 3 Satz 5 dieser Vorschrift aufgestellte Verbot ausdrücklich ein, wie in ähnlicher Weise auch in § 81a Abs. 3 StPO hinsichtlich entnommener Körperzellen, in § 98b Abs. 3 Satz 3 StPO beim Datenabgleich, bei der Telefonüberwachung in § 100b Abs. 5 StPO, bei nach § 100c StPO zulässigen Maßnahmen ohne Wissen des Betroffenen nach § 100d Abs. 6 StPO (vgl. BGH NStZ-RR 2006 240), ferner bei Zufallsfunden hinsichtlich eines Schwangerschaftsabbruchs (§ 108 Abs. 2 StPO) und beim Einsatz des verdeckten Ermittlers in § 110e StPO. Weiter zu nennen ist hier das Verbot der Verwertung von Aussagen, die durch nach Art. 15 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984 26 oder die von § 136a 24 25 26

Vgl. dazu z.B. Perschke 25 ff., 32. Rogall ZStW 91 (1979) 1, 8. Dieses internationale Übereinkommen ist

„innerstaatlich unmittelbar geltendes Recht“ (OLG Hamburg NJW 2005 2326, 2327).

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Abs. 1 und 2 StPO untersagten Vernehmungsmethoden gewonnen wurden. Für die richterliche Beschuldigtenvernehmung ist dies in § 136a Abs. 3 StPO angeordnet, und dasselbe gilt für die Beschuldigtenvernehmungen durch Staatsanwaltschaft und Polizei über § 163a Abs. 3 Satz 2; Abs. 4 Satz 2 StPO, aber auch für die Vernehmungen von Zeugen und Sachverständigen (§ 69 Abs. 3 StPO; § 72 StPO für die Vernehmung durch den Richter und – über § 161a Abs. 1 StPO – den Staatsanwalt und über § 163a Abs. 5 StPO für polizeiliche Vernehmungen). Das Verlesungsverbot des § 252 StPO gehört allerdings nicht zu diesen Vorschriften: Die Folgen einer Verletzung dieser Vorschrift sind vom Gesetz gerade nicht geregelt worden;27 Näheres s. bei den Erläuterungen zu den genannten Vorschriften. Auch außerhalb der StPO ist in Einzelfällen ein (einfachgesetzliches) Verwertungsverbot ausdrücklich angeordnet worden: so hinsichtlich der aus den Steuerakten durch Angaben des Steuerpflichtigen bekannt gewordenen Tatsachen oder Beweismittel, die sich nicht auf Steuerstraftaten beziehen (§ 393 Abs. 2 AO), es sei denn, sie beziehen sich auf tateinheitlich mit einer Steuerstraftat zusammentreffende andere Straftaten,28 ferner hinsichtlich mindestens tilgungsreifer Eintragungen in § 51 Abs. 1 BZRG. Werden Daten, z.B. nach dem ABMG, rechtmäßig ermittelt, so kann deren Verwertung für Zwecke der Strafverfolgung dadurch verboten sein, dass die Verwertung dieser Daten ausschließlich auf die Zwecke des jeweiligen die Eingriffsgrundlage enthaltenden Gesetzes beschränkt ist, wie dies etwa in § 4 Abs. 2 Satz 3 ABMG geschehen ist: jede andere Verwertung ist damit ausgeschlossen und kann auch nicht aus §§ 100g, 100h StPO hergeleitet werden;29 Gleiches gilt, wird die Sachverhaltsermittlung ausdrücklich auf bestimmte Tatsachen beschränkt, wie z.B. im Fall des § 81e Abs. 1 Satz 3 StPO.30 Im Übrigen wird diese Frage in Wissenschaft und Praxis durchaus kontrovers disku17 tiert und ist inzwischen Gegenstand einer Fülle veröffentlichter Entscheidungen wie von Stellungnahmen im Schrifttum geworden, bisher jedoch ohne allgemein überzeugende Antwort geblieben. Immerhin darf wohl als besonders positiv herausgestellt werden, dass sich Wissenschaft und Praxis auf diesem Gebiet in einem überdurchschnittlich fruchtbaren Gespräch befinden. Die naturgemäß enge Bindung der Problematik an konkrete Rechtsfälle lässt es als sinnvoll erscheinen, in diesen einleitenden Bemerkungen in einem eigenen Abschnitt (unten Rn. 18 ff.) zunächst nur die Beweisverbote und deren Behandlung in der Rechtsprechung darzustellen, die Kritik des Schrifttums daran und die dort entwickelten Konzepte und Lehren aber einem eigenen, daran anschließenden Abschnitt vorzubehalten (unten Rn. 128 ff.).

II. Beweisverbote in der Rechtsprechung: Grundlagen und Grundregeln 18

1. Funktionslehre. Ob ein Verwertungsverbot vorliegt, hat die Rechtsprechung von jeher in engem Zusammenhang mit der Revisibilität von Verfahrensverstößen beurteilt (Funktionslehre 31), also im Gegensatz zu gewichtigen Stimmen im Schrifttum danach, ob in einem Verstoß gegen eine Vorschrift über die Gewinnung von Tatsachen (Beweiserhebungsverbot) eine der Revisionsrüge zugängliche Gesetzesverletzung zu erblicken ist, auf

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BGHSt 2 99, 101 ff. BVerfG NJW 2005 352. LG Magdeburg NJW 2006 1073, Göres NJW 2004 195, 197 f. und Otten DuD 2005 657 zutr. gegen AG Gummersbach NJW 2004 240.

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Graalmann-Scherer FS Rieß 153, 162. Vgl. Gössel GA 1991 486; zu gegenteiligen Auffassungen im Schrifttum s. unten Rn. 128 ff.

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Beweisverbote

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der das Urteil beruht.32 Ist diese Frage zu bejahen, liegt nach der Rechtsprechung ein Beweisverwertungsverbot vor. Ausgehend von § 337 StPO fragt die Rechtsprechung dabei zunächst nach dem Vor- 19 liegen eines Gesetzesverstoßes, in der Regel bei der Beweiserhebung. Die gesetzliche Regelung, gegen die etwa verstoßen wird, wird dabei zugleich als Beweiserhebungsverbot verstanden (s. oben Rn. 15), wie auch das Fehlen einer gesetzlichen Regelung als Befugnisgrundlage für einen bei der Beweiserhebung etwa notwendigen Eingriff in Individualrechte.33 Erst wenn ein Verstoß gegen ein Erhebungsverbot bejaht wird, geht die Rechtsprechung der anschließenden Frage nach, ob dem Verstoß gegen dieses Erhebungsverbot ein Verwertungsverbot zuzuordnen ist – im Regelfall wird damit in Wahrheit die Beruhensfrage i.S. des § 337 StPO gestellt.34 2. Rechtskreistheorie a) In sehr weitgehender Weise hat das Reichsgericht in einer Entscheidung aus dem 20 Jahre 1922 einen revisiblen Verfahrensverstoß in einem Fall bejaht, in dem einem Arzt das von ihm geltend gemachte Zeugnisverweigerungsrecht zur Wahrung des Arztgeheimnisses gemäß § 53 StPO (= § 52 a.F.) vom Tatgericht zu Unrecht abgesprochen wurde. Das Reichsgericht erblickte hierin einen Verstoß gegen § 52 a.F. StPO, auf dem das Urteil auch beruhe.35 Zur Begründung der Revisibilität hat sich das Reichsgericht aber nicht mit dem Verstoß gegen die Verfahrensnorm zur Wahrung des Berufsgeheimnisses begnügt, sondern zudem entscheidend darauf abgestellt, dass der Angeklagte „das Recht“ habe „zu verlangen, dass gegen ihn prozessordnungsgemäß verfahren wird“.36 Daraus ist im Schrifttum gefolgert worden, „demgemäß“ könnten „alle Prozeßbeteiligten … auf Verstöße des Gerichts, soweit sie sich zu ihrem Nachteil auswirken, die Revision stützen“ 37 – und jedes Beweisverbot wäre folglich ein Beweisverwertungsverbot und ein Verstoß gegen Beweiserhebungsverbote würde ausnahmslos die Revision begründen – und dies als ein ungeschriebener absoluter Revisionsgrund selbst dann, wenn das Urteil auf diesem Verstoß gar nicht beruht. Dies erscheint indessen weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn der §§ 337, 338 21 StPO vereinbar;38 zudem ist zu bedenken, dass es Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung gibt, die nicht etwa der Wahrung der Belange des Angeklagten dienen, sondern anderen Interessen, so z.B. bei § 81d StPO (Erläuterungen zu § 81d StPO), aber auch, jedenfalls nach überwiegender Meinung, in den Fällen der §§ 54, 55 StPO

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33

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Vgl. z.B. BGHSt 36 217, 220; 40 336, 339; dieser Standpunkt wird im Schrifttum geteilt z.B. von Alsberg/ Nüse/Meyer 478; Rengier 291; Sydow 70 ff.; Haffke 75 f.; Herdegen (Bemerkungen) 116; a.A. Dalakouras 110 m.w.N.; Dencker (Verwertungsverbote) 19; Janicki 62; Peres 22; S. Schröder 40; Schroth 973; Rogall ZStW 91 (1979) 1; Näheres zu diesen Auffassungen s. unten Rn. 177. Z.B. BayObLG NVZ 1997 276, 277; NJW 1997 3454; KG NJW 1997 2894, 2896; vgl. auch OLG Frankfurt NJW 1995 2570, 2571. Vgl. z.B. BGHSt 40 336, 339. RGSt 57 63, 65, 67. RGSt 57 63, 64.

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Alsberg/Nüse 2. Aufl. 205; Eb. Schmidt Nachtrag II § 55, 14 m.w.N. So wohl auch Beling JW 1924 1721 und heute noch z.B. Bernsmann StV 1998 73 f.; vgl. ferner die Nachw. bei Rengier 290 Fn. 62; dagegen zu Recht die überwiegende Meinung, z.B. BGHSt 19 325, 331; LR/K. Schäfer 24 Einl. 14 13; KK/Pfeiffer Einl. 120; Meyer-Goßner Einl. 55; Ranft 1582; Roxin § 24, 19; Alsberg/Nüse/Meyer 477; Dencker (Verwertungsverbote) 14; Grünwald (Beweisrecht) 155; Herdegen (Bemerkungen) 115. Im Ergebnis wie hier auch Haffke GA 1973 78.

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(s. Erläuterungen zu §§ 54, 55 StPO 39). Wird jeder Verstoß gegen ein Erhebungsverbot für revisibel erachtet, so dürfte überdies übersehen werden, dass sich das Reichsgericht zur Bejahung des Gesetzesverstoßes mit der Weigerung des Tatrichters hätte begnügen können, dem Zeugen das geltend gemachte Zeugnisverweigerungsrecht zu gewähren – genau das aber hat es nicht getan, vielmehr erst, nachdem es im Verstoß gegen § 53 StPO zugleich eine Verletzung von Verfahrensrechten des Angeklagten erblickt und auch insoweit Revisibilität bejaht hat: Der bloße Verstoß gegen das Beweiserhebungsverbot des heutigen § 53 StPO wurde also erst nach zusätzlicher Bejahung einer Verletzung von Rechten des Angeklagten als Beweisverwertungsverbot beurteilt. Gleichwohl erscheint die im Schrifttum gezogene erwähnte Konsequenz angesichts der uferlosen Weite des zusätzlich zur Revisibilität geforderten Merkmals durchaus verständlich.

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b) In der Entscheidung RGSt 57 63 dürfte eine Vorläuferin der sog. Rechtskreistheorie erblickt werden können, die der Bundesgerichtshof zur Beurteilung der Revisibilität von Verstößen gegen die Pflicht zur Belehrung einmal über ein nach § 52 StPO bestehendes Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 Abs. 3 Satz 1 StPO), zum anderen über ein nach § 55 Abs. 1 StPO bestehendes Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55 Abs. 2 StPO) entwickelt hatte (Näheres dazu s. unten Rn. 37 ff.). Mit der wesentlichen Rechtskreisberührung als notwendiger Voraussetzung zur Rüge einer Gesetzesverletzung nach § 337 StPO hat er dabei generell ein Merkmal zur Beschränkung der Revision herausgearbeitet: Die Verletzung bloßer Ordnungsvorschriften und von Normen, die „den Rechtskreis des Beschwerdeführers“ nicht wesentlich berühren oder „für ihn nur von untergeordneter oder von keiner Bedeutung“ sind, kann die Revision nicht begründen.40 Diese Entscheidung erscheint als (nur vorläufiger) Endpunkt jener Rechtsprechung, 23 derzufolge „die Verwendung eines unter Verstoß gegen gesetzliche Bestimmungen erlangten, an sich zulässigen Beweismittels nicht verboten ist,“ wobei überdies die mögliche Beschwer des Angeklagten durch den jeweiligen Verstoß zu berücksichtigen ist.41 Mit der „wesentlichen Rechtskreisberührung“ wird hier ein Kriterium benannt, welches dazu führt, einem Beweiserhebungsverbot ein Verwertungsverbot zuzuordnen – womit zugleich ausdrücklich anerkannt wird, dass Verstößen gegen Vorschriften über die Beweiserhebung nicht etwa ausnahmslos Verwertungsverbote zuzuordnen sind.42 Insgesamt lassen sich damit bisher drei nach der Rechtsprechung über das Vorliegen 24 eines Beweisverwertungsverbotes entscheidende Kriterien unterscheiden: Einmal müssen Tatsachen (ein Sachverhalt) unter Verstoß gegen ein Gesetz im Sinne des § 337 StPO in das Verfahren eingeführt worden und der Beschwerdeführer zum anderen wegen einer wesentlichen Berührung seines Rechtskreises zur Rüge dieses Gesetzesverstoßes berechtigt sein, und endlich muss das Urteil auf der rügbaren Gesetzesverletzung beruhen.

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c) Bei der weiteren Entwicklung der Rechtsprechung zur Beweisverbotslehre hat der Bundesgerichtshof indessen das Merkmal der Rechtskreisberührung bloß zur Beurteilung der Revisibilität von Verstößen gegen die Belehrungspflichten nach §§ 52, 55 und 243 Abs. 4 Satz 1 StPO herangezogen, im Übrigen aber auf andere Kriterien wie z.B. die Schwere des jeweiligen Verfahrensverstoßes und die Schutzwirkung des verletzten Gesetzes (Näheres unten z.B. Rn. 47, 56, 61 f., 84 ff.) abgestellt.43 39 40 41

Vgl. ferner dazu Meyer-Goßner § 54, 1 und § 55, 17. BGHSt 11 213, 215. BGH bei Dallinger MDR 1953 146, 147 f. zur Verneinung eines Verwertungsverbots bei

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einer gegen die Regeln des § 81 c Abs. 1 StPO verstoßenden Untersuchung anderer Personen als des Beschuldigten. Vgl. BGHSt 11 213, 218. Allerdings erblickt Herdegen (Bemerkungen)

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3. Abwägungslehre a) In Entscheidungen seit dem Jahr 1990 hat der Bundesgerichtshof seine Rechtspre- 26 chung zu den über das Vorliegen eines Verwertungsverbots entscheidenden Kriterien konkretisiert. „Nicht jedes Verbot, einen Beweis zu erheben“, ziehe „ohne weiteres auch ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Vielmehr“ sei „die Entscheidung für oder gegen ein Verwertungsverbot aufgrund einer umfassenden Abwägung zu treffen, bei der das Gewicht des Verfahrensverstoßes sowie seine Bedeutung für die rechtlich geschützte Sphäre des Betroffenen ebenso ins Gewicht fallen wie die Erwägung, daß die Wahrheit nicht um jeden Preis erforscht werden muß“ – und ein Verwertungsverbot liege „stets dann nahe, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift dazu bestimmt“ sei, „die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren zu sichern“.44 Dagegen liege ein Verwertungsverbot fern, diene die verletzte Verfahrensvorschrift „nicht oder nicht in erster Linie dem Schutz des Beschuldigten“;45 überdies lasse sich ein Verwertungsverbot auch „unmittelbar aus verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen für den Schutz des Persönlichkeitsrechts“ herleiten,46 wie auch, früheren Entscheidungen zufolge, generell „unmittelbar aus dem Grundgesetz“.47 b) Neben den oben Rn. 24 erwähnten Kriterien zur Bestimmung eines Beweisverwer- 27 tungsverbots (Verstoß gegen ein Erhebungsverbot, Rügeberechtigung, Beruhen) ziehen das Bundesverfassungsgericht und ebenso der Bundesgerichtshof, seit 1990 in verstärkter Weise, ein vom letztgenannten Gericht schon 1964 bemühtes Kriterium 48 zur Bestimmung eines Beweisverwertungsverbotes heran: Die Interessen einer funktionstüchtigen Rechtspflege sind gegen das Gewicht des Verfahrensverstoßes und dessen Bedeutung für die Individualinteressen des Beschuldigten abzuwägen.49 Behält damit auch die früher entwickelte Rechtskreistheorie (oben Rn. 22 f.) eine gewisse Bedeutung, so aber doch bloß eine solche untergeordneter Natur allein im Rahmen der nunmehr über das Vorliegen eines Verwertungsverbots entscheidenden umfassenden Abwägung.50 Von der von einer Rechtskreisberührung abhängigen Rügeberechtigung als einer Voraussetzung oder eines Elementes eines Verwertungsverbots ist der Bundesgerichtshof damit abgerückt. 4. Widerspruch als Voraussetzung eines Verwertungsverbots a) Widerspruchsfälle. Seit jeher hat die Rechtsprechung den Verlust des Rechts für 28 möglich gehalten,51 „sich auf ein Verwertungsverbot zu berufen, … wenn der verteidigte Angeklagte in der tatrichterlichen Verhandlung der Verwertung und der vorangehenden Beweiserhebung nicht widersprochen hat“ oder der unverteidigte Angeklagte von seinem Widerspruchsrecht, wenn ihn der Vorsitzende darüber belehrt hatte, keinen Gebrauch macht: so zunächst in den Fällen, in denen Zeugenaussagen verwertet wurden, „die

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119 in diesen anderen Kriterien bloß eine Fortführung der Rechtskreistheorie. BGHSt 38 372 373 f.; ebenso schon BGHSt 38 214, 220; 42, 170, 174; 47 172, 180; BGH NStZ 2004 450. Zur Geltung strafrechtlicher Verwertungsverbote im Bereich des Straßenverkehrsrechts s. OVG Lüneburg NJW 2001 459. BGHSt 38 214, 220. BGHSt 38 214, 219.

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BGHSt 31 308. BVerfG NStZ 2003 441, 442 mit krit. Besprechung Gusy NStZ 2003 399; BGHSt 19 325, 329. BGHSt 38 214, 219 f.; 42 139, 157; 44 243, 249, krit. dazu Wolter FS II BGH 989; BGH NStZ 2000 383 mit krit. Anmerkung Jahn. Gänzlich ablehnend Kaiser (Dreistufentheorie) 33 f. Zutr. Meyer-Goßner/Appl 259.

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unter Verletzung der Benachrichtigungspflicht nach den §§ 224, 168c Abs. 5 StPO zustande gekommen sind“,52 sodann aber auch bei der Verwertung polizeilicher Vernehmungen des Beschuldigten, der in Unkenntnis seines Schweigerechts ausgesagt hatte,53 auch in den Fällen, in denen der Angeklagte „infolge seines geistig-seelischen Zustands den Hinweis … über seine Aussagefreiheit nicht“ verstanden hat.54 Dieses Widerspruchserfordernis wurde später auf weitere Fälle ausgedehnt: so z.B. 29 auf die Verwertung von Aussagen, die unter Verletzung des dem Beschuldigten nicht bekannten Rechts auf Befragung eines Verteidigers, etwa mangels polizeilicher Unterstützung bei der Herstellung eines Verteidigerkontaktes,55 zustande gekommen waren,56 ferner bei der Verwertung hinsichtlich einer Aussage, die der (spätere) Angeklagte „als Zeuge ohne Belehrung über sein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Abs. 1 StPO gemacht hat“ 57 oder als Strafgefangener in einem Disziplinarverfahren 58, auch bei der Verwertung der Erkenntnisse aus einer Telefonüberwachung 59, „aus einem von der Polizei veranlaßten und von einem Dolmetscher mitgehörten Telefongespräch“ 60 (sog. Hörfalle) oder der Videoaufzeichnung der richterlichen Vernehmung eines minderjährigen Zeugen, an welcher dem Verteidiger teilzunehmen ohne triftigen Grund verwehrt wurde.61 Ebenso darf die Aussage eines verdeckten Ermittlers, der entgegen § 110a Abs. 1 StPO ohne Vorliegen eines Anfangsverdachts eingesetzt wurde, nur dann nicht verwertet werden, wenn rechtzeitig widersprochen wird.62 Werden Unterlagen des Beschuldigten zur Vorbereitung seiner Verteidigung beschlagnahmt, so verstößt dies schon gegen das aus Art. 6 Abs. 3 EMRK i.V.m. „dem aus Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden rechtsstaatlichen Gebot, dem Beschuldigten jederzeit die Möglichkeit einer geordneten und effektiven Verteidigung zu geben“; wegen des daraus folgenden Verwertungsverbots hält der Bundesgerichtshof die Verwertung dieser Unterlagen gegen den Widerspruch des Beschuldigten für unzulässig.63 Wird ein verdeckter Ermittler ohne die erforderliche richterliche Entscheidung entgegen § 110b Abs. 2 Satz 1 StPO eingesetzt, so ist die Verwertung der von diesem Ermittler erzielten Zeugenaussage nur dann unzulässig, wird ihr in der Hauptverhandlung ausdrücklich widersprochen.64 Darüber hinaus hat es der Bundesgerichtshof für erwägenswert gehalten, selbst ein 30 durch eine Täuschung i.S. des § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO begründetes Verwertungsverbot bei Fortwirkung in der Hauptverhandlung von einem Widerspruch abhängig zu machen 65 – angesichts des wohl absoluten Verwertungsverbots (Näheres dazu unten Rn. 171) des § 136a Abs. 3 StPO dürfte eine solche Ausweitung des Widerspruchserfordernisses indessen abzulehnen sein.66 Das Widerspruchserfordernis entfällt, werden solche Schriftstücke nach Geltendmachung eines Zeugnisverweigerungsrechts in der Hauptverhandlung entgegen dem Verwertungsverbot aus § 252 StPO verwertet, „die ein Zeuge bei seiner polizeilichen Vernehmung … zum Bestandteil seiner Aussage hat werden lassen“.67 52 53 54

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BGHSt 38 214, 226; BGH NStZ 1999 417. BGHSt 38 214, 225 f. m.w.N. BGHSt 39 349; das ist insbesondere bei Einlassungen im Alkohol- oder Drogenrausch von Bedeutung, vgl. dazu Brüssow StraFo 1998 294, 297. BGHSt 42 15. Vgl. dazu BGHSt 47 172. BayObLG StV 2002 179. BGH NStZ 1997 614. BGH StV 2001 545 mit Anm. Ventzke daselbst und Wollweber wistra 2001 182; BGH NStZ 2006 402, 403.

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BGH NStZ 1996 200, 202; Heinrich 408. OLG München StV 2000 352. BGH bei Becker NStZ-RR 2001 260 (Nr. 11). BGH NStZ 1998 309, 310; Ufer 74 f. BGH StV 1996 529. BGH NStZ 1996 290, 291. So zu Recht Fezer StV 1997 57; Ufer 69 m.w.N. BGH NStZ-RR 1998 367; OLG Hamm NStZ-RR 2002 370.

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b) Zeitpunkt und Umfang. Nach der Rechtsprechung muss der Widerspruch spä- 31 testens in der Hauptverhandlung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Beweiserhebung „bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt erklärt werden“,68 der indes bis zum letzten Wort des Angeklagten wieder zurückgenommen werden kann.69 Weil sich der Widerspruch gegen die Verwertung durch das Gericht richten muss, kann ein etwaiger früherer Widerspruch gegen eine Beweiserhebung durch die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren nicht ausreichen; er muss explizit in der Hauptverhandlung erhoben werden.70 Bei mehreren Vernehmungen ist der Widerspruch gegen die Verwertung des Inhalts jeder einzelnen Vernehmung notwendig, jedoch „kann ein solcher Widerspruch auch umfassend vorab erklärt werden“.71 Der Widerspruch oder dessen Unterlassung werden sich jedoch nur auf die Verwertung insgesamt beziehen und nicht etwa auf einzelne Teile des jeweiligen Beweises beschränken können: lässt sich doch „der Beweisgehalt eines Beweismittels … nur einheitlich beurteilen“, und zwar hinsichtlich sämtlicher schuld- und rechtsfolgenrelevanter Umstände.72 Als Prozesshandlung ist der Widerspruch 73 bedingungsfeindlich 74 und kann deshalb 32 nicht „unter der auflösenden Bedingung stehen, daß das Verfahren in einer weiteren Instanz oder evt. nach Aufhebung und Zurückverweisung fortgesetzt wird“ 75: Ist der letzte Zeitpunkt für die Erhebung eines Widerspruchs versäumt, so soll das Widerspruchsrecht für etwaige künftige weitere Verhandlungen nach der Auffassung der Rechtsprechung endgültig verloren sein.76 Diese Auffassung überzeugt indessen nicht. Bekanntlich hat der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 328 StPO durch das StVÄG 1987 etwaige erstinstanzliche Verfahrensmängel „für das Ergebnis des Berufungsverfahrens“ im Hinblick auf die völlige Neuverhandlung in der zweiten Instanz als grundsätzlich „bedeutungslos“ angesehen,77 weshalb eine etwaige (Nicht-)Beachtung von Verwertungsverboten allein aus der Sicht der Berufungshauptverhandlung unabhängig von der erstinstanzlichen Verhandlung zu beurteilen ist: Damit kann das etwaige Widerspruchsrecht des Angeklagten gegen eine bestimmte Beweisverwertung in der Berufungsinstanz nicht aufgrund seines diesbezüglichen Verhaltens in der ersten Instanz verloren gehen; weil aber auch für eine erneute Hauptverhandlung nach Zurückweisung der Sache durch das Revisionsgericht nichts anderes gilt, kann das in erster Instanz verspätet geltend gemachte Widerspruchsrecht – entgegen der Auffassung des Bundesgerichtshofs – nicht endgültig verloren gehen.78 68

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Vgl. z.B. BGHSt 38 214, 225 f., zust. Dahs StraFo 1998 253, 256; Burhoff 269; s. ferner auch Leipold StraFo 2001 300. BGHSt 39 349, 353; 42 15, 23; Meyer-Goßner § 136, 25; Meyer-Goßner/Appl 262 f.; Nack 371. A.A. Schlothauer 770, der sich insoweit auf die Regeln über die Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts im Fall des § 252 StPO beruft, jedoch zu Unrecht, weil die Ausübung eines Zeugnisverweigerungsrechts mit der Erhebung eines Widerspruchs nicht vergleichbar erscheint. BGH NStZ 2004 389. Zutr. Amelung StraFo 1999 183; im Erg. so auch Rosenthal Meistbegünstigung bei „kontaminierten“ Beweismitteln, in: 50 Jahre Grundgesetz – kritische Würdigung, europä-

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ische Bezüge in der Strafgerichtsbarkeit, 23. Strafverteidigertag 1999 154 f., der aber gleichwohl „Schlußfolgerungen zum Nachteil“ des Angeklagten ausschließen will. Ufer 79. Vgl. Nack 370; a.A. Amelung StraFo 1999 183. Meyer-Goßner/Appl 263. BayObLG NJW 1997 404; OLG Celle StV 1997 68; OLG Stuttgart NStZ 1997 405; ähnlich OLG Oldenburg StV 1996 416; zust. Meyer-Goßner/Appl 263 und Meyer-Goßner § 136, 25. BTDrucks. 10 1313 S. 30 f.; Näheres s. LR/Gössel § 328, 20. OLG Bremen StV 1992 59; Burhoff 271 m.w.N.; Hartwig 362 ff.; Herdegen NStZ 2000 1, 4; im Erg. so auch Ufer 122 f. A.A.

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c) Begründung des Widerspruchserfordernisses. Die Rechtsprechung hat dieses Widerspruchserfordernis in unterschiedlicher Weise zu begründen versucht. Das Reichsgericht stellte einmal darauf ab, dass der unterlassene Widerspruch zum Ausdruck bringe, „es solle auf einen möglichen Verfahrensverstoß kein weiteres Gewicht gelegt werden“,79 zum anderen verneinte es, dass das Urteil bei fehlendem Widerspruch auf dem Verfahrensverstoß beruhe.80 Diese Begründungen überzeugen nicht: Das Verzichtsargument setzt die nicht in jedem Fall vorhandene Kenntnis des Widerspruchserfordernisses voraus und erscheint überdies als eine bloße Fiktion, und das Fehlen des Beruhenselementes des § 337 StPO ist deshalb unzutreffend, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil ohne den Verfahrensverstoß anders ausgefallen wäre. Der Bundesgerichtshof bemühte diese Begründungen nicht mehr und begründete das Widerspruchserfordernis nunmehr mit einer „Einschränkung des Verwertungsverbotes“, welche „die Rechte des Angeklagten nicht in unangemessener Weise“ beschneide und zum Verlust des Rechts führe, „sich auf ein Verwertungsverbot zu berufen“.81 Es sollte nicht verwundern, dass auch diese Begründung 82 als unbefriedigend empfunden wird: kann doch allein dem Gesetzgeber die Kompetenz zugestanden werden, den Verlust von Rechten anzuordnen oder diese zu beschneiden (vgl. etwa die Präklusionsvorschrift des § 295 Abs. 1 ZPO). So ist denn auch diese sog. Widerspruchslösung der Rechtsprechung in der Literatur auf erheblichen Widerstand gestoßen:83 sie lasse sich „dogmatisch unter keinem Gesichtspunkt … rechtfertigen“.84 Diese Kritik dürfte indessen zu weit gehen. Sie dürfte insbesondere verkennen, dass es Verwertungsverbote unterschiedlicher Intensität und deshalb unterschiedlicher Wirkung geben dürfte: auf besonders schweren Gesetzesverstößen beruhende und deshalb gegen jedermann wirkende absolute Verwertungsverbote und solche relativer Art,85 die sich nur gegenüber Angeklagtem oder Verteidigung auswirken und es deshalb diesen überlassen bleiben sollte, ob sie die Verwertung der unter Gesetzesverstößen gewonnenen Beweise gegen sich gelten lassen wollen 86 oder nicht (Näheres unten Rn. 175, 178). Von hier aus dürfte sich die Widerspruchslösung des Bundesgerichtshofes mit dem Fehlen einer den Angeklagten beschwerenden Rechtsverletzung (die freilich von der von § 337 StPO verlangten Rügebeschwer 87 zu unterscheiden ist) begründen lassen (Näheres unten Rn. 174 f.). nunmehr aber BGH NStZ 2006 348: Weil das Ermittlungsverfahren „die Grundlage für das gesamte folgende gerichtliche Verfahren“ bilde, müsse sich der Angeklagte „an einer nicht widersprochenen Einlassung aus dem Ermittlungsverfahren festhalten lassen“; dies sei überdies notwendig wegen eines etwaigen Wechsels der Verteidigungsstrategie und auch bei wechselnder Einlassung (S. 349 aaO.). Der prozeßökonomische Vorteil dieser Auffassung ist gewiss unübersehbar. Sie dürfte indessen das Wesen der nach Zurückverweisung durchzuführenden Hauptverhandlung als einer völligen Neuverhandlung hinsichtlich der aufgehobenen Urteilsteile verkennen (im Erg. so auch Fezer in seiner abl. Stellungnahme – JZ 2006 474, 476 – zu dieser Entscheidung) und den rechtsstaatlichen Anforderungen an eine auch von der Gerechtigkeit gebotene zulässige Beweisführung nicht genügen.

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RGSt 50 364, 365; 58 100, 101. RGSt 58 90, 91. BGHSt 38 214, 226. Zu weiteren Begründungsversuchen in der Literatur s. z.B. Kuckuk NJW 1980 298; Maatz NStZ 1992 513. Vgl. z.B. nur Bernsmann StraFo 1998 73, 4 ff.; Beulke NStZ 1996 262; Dornach NStZ 1995 57; Fezer JR 1992 386; Schlüchter GedS Meyer aaO; Tolksdorf 265; Ufer 79 ff. Dudel 214; im Erg. ebenso Dallmeyer 230; Heinrich 412; Maiberg 177, 207, für eingeschränkte Zulässigkeit jedoch 244; Schroth 970; Dahs StraFo 1998 257 f.; Fezer StV 1997 57. Gössel FS Hanack 277; dieser Auffassung dürften auch neuere Stimmen im Schrifttum zuneigen, vgl. etwa Hartwig 360 ff., Heinrich 416; Ufer 183 f. So auch Ignor 192 ff. Maiberg 177.

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5. Beweiswürdigung statt Beweisverwertungsverbot In einer bisher vereinzelt gebliebenen Entscheidung hat der Bundesgerichtshof einen 34 neuen, zusätzlichen Weg zur Bewältigung der Beweisverbotsproblematik beschritten: die von ihm sog. „Beweiswürdigungslösung“. Wird „der zentrale zeugnisverweigerungsberechtigte Belastungszeuge unter Ausschluss des Beschuldigten aus Gründen der Beweissicherung ermittlungsrichterlich vernommen“, so muss ihm zur Wahrung seines Fragerechts aus Art. 6 Abs. 3 EMRK und Art. 14 Abs. 3 lit. e IPBPRG nach § 141 StPO ein Verteidiger bestellt werden,88 der dann auch von dem Vernehmungstermin zu benachrichtigen ist (§ 168c Abs. 5 Satz 1 StPO). Ist dies unterblieben, so soll dem Bundesgerichtshof zufolge dieser Gesetzesverstoß nicht zu einem Verbot der Verwertung der Aussage des Ermittlungsrichters über den Inhalt der von diesem vernommenen Belastungszeugen führen, sondern statt dessen lediglich der „Beweiswert des Vernehmungsergebnisses“ gemindert sein.89 Mit dieser „Lösung“ 90 wählt der Bundesgerichtshof einen alternativen Weg zum Ver- 35 bot der Beweisverwertung: die Überantwortung des fehlerhaften Beweismittels an den „Tatrichter zur freien Würdigung nach § 261 StPO“.91 Dem wird indessen nicht zu folgen sein. Ob der Richter einen bestimmten Sachverhalt zur Grundlage seiner Entscheidung macht, liegt innerhalb der allein ihm zugewiesenen Beweiswürdigung (§ 261 StPO), so dass die „Beweiswürdigungslösung“ in Wahrheit eine von § 261 StPO verbotene Beweisregel aufstellt.92 Überdies betrifft die Wahrung des Fragerechts des Beschuldigten „die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten“, weshalb nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Verwertungsverbot anzunehmen wäre,93 wie auch Fezer überzeugend nachgewiesen hat.94 6. Weitere Darstellung Unter Berücksichtigung dieser Kriterien sollen einige der wichtigsten Gruppen von 36 Beweiserhebungsverboten im Hinblick darauf untersucht werden, ob ihnen die Rechtsprechung ein Verwertungsverbot zuordnet. Dabei wird sich zeigen, dass die Rechtsprechung in nicht wenigen Fällen von den von ihr selbst aufgestellten Grundregeln in einer bis zur Widersprüchlichkeit reichenden Weise abweicht. In diesen einleitenden Erörterungen kann indessen nur eine allgemeine Übersicht geboten werden; die Vertiefung der Einzelfragen muss den Erläuterungen zu den jeweils in Betracht kommenden Einzelvorschriften vorbehalten bleiben.

III. Beweisverbote in der Rechtsprechung: Verstöße gegen ausgewählte Regeln der Strafprozessordnung 1. Verstöße gegen Pflichten zur Zeugenbelehrung a) Rechtskreisberührung als entscheidendes Merkmal eines Verwertungsverbots. Das 37 Gesetz schreibt derartige Belehrungen nur in den Fällen der §§ 52 Abs. 3 Satz 1 und 55 Abs. 2 StPO und auch in denen der §§ 161a Abs. 1 und 163a Abs. 5 StPO i.V.m. den 88 89

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BGHSt 46 93, 99. BGHSt 46 93; zust. Schwaben 293 und Widmaier Sonderheft Gerhard Schäfer 2002 76, 78 f. Kritisch dazu auch Franke GA 2002 573.

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Gössel GedS Meurer 393. Gössel GedS Meurer 388 ff. Gössel GedS Meurer 388. Fezer FS Gössel 630 ff.

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vorgenannten Vorschriften vor. Unter (Entwicklung und) Heranziehung der oben Rn. 22 dargelegten Rechtskreistheorie hat der Bundesgerichtshof bei fehlender Belehrung die Verwertung der Aussage eines nach § 52 StPO zur Zeugnisverweigerung berechtigten Zeugen für unzulässig und durch den Angeklagten für rügbar erklärt, es sei denn, es steht fest, „daß der prozeßordnungswidrig nicht belehrte Zeuge sein Weigerungsrecht gekannt hat und davon auch bei ordnungsgemäßer Belehrung keinen Gebrauch gemacht hätte“.95 Dagegen steht der Verwertung der Aussage eines nach § 55 StPO auskunftsverweigerungsberechtigten Zeugen kein Verbot entgegen: Könne „sich der Zeuge infolge Rechtsunkenntnis nicht frei entscheiden“, ob er von dem ihm in § 52 StPO eingeräumten Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen wolle oder nicht, so sei der Rechtskreis auch des Angeklagten deshalb „unmittelbar berührt“, weil das Recht zur Verweigerung des Zeugnisses „nicht nur wegen des Gewissenskonflikts des Zeugen, sondern auch zum Schutz der Familie des Angeklagten“ gewährt werde und „zugleich der schonenden Rücksicht auf die Familienbande“ diene, „die den Angeklagten mit dem Zeugen verknüpfen“.96 Als Ausfluss des Grundsatzes, dass sich niemand selbst belasten müsse (nemo tenetur se ipsum accusare vel prodere – Näheres dazu unten Rn. 78 ff.) wolle dagegen § 55 StPO „dem Zeugen … die Demütigung einer Selbstbezichtigung oder Beschuldigung seiner Angehörigen“ ersparen. Deshalb auch sei die Verwertung der Aussage eines derartigen Zeugen nicht „im ganzen ausgeschlossen“, sondern nur so weit, wie der soeben bezeichnete „Persönlichkeitsbereich des Zeugen“ betroffen sei: „Durch den Konflikt des Zeugen“ aber werde der Rechtskreis des Angeklagten „nicht so berührt, daß ihm wegen unterbliebener Belehrung des Zeugen ein Revisionsrügerecht zugestanden werden kann“.97 Werde aber der nach § 55 Abs. 2 StPO unbelehrte Zeuge in einem späteren Verfahren zum Angeklagten, so unterliege die frühere Zeugensaussage wegen der unterbliebenen Belehrung einem Verwertungsverbot, welches allerdings durch ausdrücklichen Widerspruch spätestens bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt geltend zu machen (oben Rn. 28 ff.) sei.98

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b) Kritik. Abgesehen von grundsätzlichen Einwendungen gegen die Rechtskreistheorie 99 und insbesondere davon, dass angesichts des Rechts eines jeden Angeklagten auf ein justizförmiges Verfahren der Rechtskreis des Angeklagten möglicherweise durch jeden Verfahrensverstoß berührt ist (oben Rn. 22 f.), erscheint die Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht bedenkenfrei.

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aa) Zunächst bleibt dabei unberücksichtigt, dass in § 52 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO das Zeugnisverweigerungsrecht auch bei nicht mehr bestehender familiärer Bindung gewährt wird: dies und das Verweigerungsrecht der Verlobten (Abs. 1 Nr. 1) legen es näher, allein auf die persönlichen Beziehungen der in § 52 StPO genannten Zeugen zum Angeklagten abzustellen und also allenfalls diese Interessen als geschützt anzusehen.

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bb) Im Übrigen aber hat der Bundesgerichtshof bei der Frage der Verwertbarkeit des Protokolls der polizeilichen Vernehmung eines dabei entgegen § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO 95 96

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BGH NStZ 2004 212, 213; vgl. auch BGH NStZ 2004 18. BGHSt 11 213, 216; bestätigt von BGHSt 38 96, 99; BGH NStZ 1992 291; 1993 500, 501. BGHSt 11 213, 216 f.; ebenso schon früher BGH MDR 1951 309.

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BayObLG StV 2002 179; Cramer/Bürgle 38; Nack 371; vgl. ferner schon BayObLG NJW 1984 1246, 1247. S. dazu LR/K. Schäfer 24 Einl. 14 22 ff.

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unbelehrt gebliebenen und im Zeitpunkt der Hauptverhandlung verstorbenen Zeugen gegensätzlich entschieden. Nachdem die Zeugin verstorben sei, könne es nicht mehr darauf ankommen, ob sie bei entsprechender Belehrung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hätte. „Daraus, daß bei ihr ein Pflichtenwiderstreit vorhanden gewesen und gegen die Belehrungspflicht verstoßen worden ist, kann der Angeklagte für sich keine Rechte herleiten“, insbesondere könne er sich nicht auf die unterlassene Belehrung „mit Erfolg berufen“, den Gesetzesverstoß also rügen, weil „die Bestimmungen über die Belehrung allein“ den Schutz der Zeugen „im Auge haben“.100 Ungeachtet der (zu bejahenden) Frage des möglichen Fortbestandes familiärer Bindungen über den Tod hinaus und im direkten Gegensatz zu der etwa 10 Jahre zurückliegenden Entscheidung des Großen Strafsenats in BGHSt 11 213 wird eine Beeinträchtigung des Rechtskreises des Angeklagten nicht etwa deshalb verneint, weil die familiären Bindungen nicht mehr schützenswert seien (was zwar konsequent, aber angesichts § 52 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO kaum begründbar erscheint), sondern schlicht deshalb, weil die Belehrungspflicht ausschließlich der Wahrung der Zeugeninteressen diene, weshalb wegen des Vorrangs der „berechtigte(n) Forderung der Allgemeinheit nach wahrheitsgemäßer Aufklärung von Straftaten“ in diesem Fall die Verwertbarkeit der polizeilichen Protokolle zu bejahen sei.101 Wird hier auch ebenfalls auf die Berechtigung zur Rüge eines Gesetzesverstoßes abge- 41 stellt, so entscheidet darüber jedoch nicht mehr die Rechtskreisberührung allein, sondern eine Abwägung zwischen dem (hier zurücktretenden) Interesse des Zeugen mit den Strafverfolgungsinteressen, bei der konträr zur früheren Entscheidung 102 über das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen allein eine Rechtskreisberührung der zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten bejaht und eine solche des Beschuldigten verneint wird. cc) Kaum überzeugend beurteilt der Bundesgerichtshof eine Rechtskreisberührung 42 des Angeklagten in einer späteren Entscheidung über die Zulässigkeit der Verwertung der Aussage eines von der Polizei auf einen zeugnisverweigerungsberechtigten Angehörigen angesetzten V-Mannes über Äußerungen dieses Angehörigen in einem privaten Gespräch, also außerhalb einer Vernehmung oder einer vernehmungsähnlichen Situation, die u.a. einen Konflikt zwischen einer auch nur angenommenen rechtlichen Aussagepflicht und dem Schutz vor Belastung seiner selbst oder seiner Angehörigen voraussetzt.103 Hier wurde im Gegensatz zu der oben Rn. 37 erwähnten Grundsatzentscheidung ein Verwertungsverbot ausschließlich deshalb verneint, weil das in § 52 StPO eingeräumte Zeugnisverweigerungsrecht nicht den Angeklagten, sondern nur den Angehörigen schützen solle: „Nur dieser Widerstreit der Pflichten in der Person des Zeugen hat den Gesetzgeber veranlasst, das öffentliche Interesse an der Aufklärung eines strafbaren Sachverhalts zurücktreten zu lassen“ – und dieser Pflichtenwiderstreit bestehe nicht bei Äußerungen „aus freien Stücken“ z.B. gegenüber „Nachbarn, wahren oder falschen Freunden“.104 dd) Schon früher und darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof trotz fehlender vor- 43 heriger Belehrung ohne Heranziehung der Rechtskreistheorie generell ein Verwertungsverbot bei allen Aussagen verneint, die weder bei einer Vernehmung noch in einer „ver-

100 101 102 103

BGHSt 22 35, 38. BGHSt 22 35, 37. BGHSt 11 213. Vgl. BGHSt 36 384, 386 f.; a.A. v. Stetten 130, 247.

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BGHSt 40 211, 214 f.: Fall Sedlmayer; bestätigt von BGH NStZ 1995 557 – ein eindeutiger Widerspruch zu BGHSt 11 213.

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nehmungsähnlichen Situation“ (oben Rn. 42), sondern „aus freien Stücken“ 105 gemacht worden sind, wie z.B. bei einer „Vernehmung“ durch den Verteidiger des Angeklagten,106 bei ungefragten spontanen Äußerungen eines Kindes in einer „unverfänglichen Spielsituation“ gegenüber Mitarbeitern einer Klinik, in der das Kind als Opfer sexueller Verfehlungen seines Vaters „zur medizinischen Untersuchung und therapeutischen Behandlung“ untergebracht war 107 – hier wird lediglich ein etwaiger Verstoß gegen ein Gesetz (hier: § 252 StPO) als Kriterium eines (hier fehlenden) Verwertungsverbotes herangezogen, während (umgekehrt) ein Verwertungsverbot bejaht wird, wird ein in einem voraufgegangenen FGG-Verfahren tätiger Sachverständiger als Verhörsperson über die damaligen Angaben des in der späteren Hauptverhandlung vor dem Strafgericht sein Zeugnisverweigerungsrecht geltend machenden Zeugen vernommen: wurde doch diese Aussage in einer vernehmungsähnlichen Situation gewonnen.108 Ebenso nimmt der Bundesgerichtshof ein allein auf die Verletzung des § 252 StPO gestütztes Verwertungsverbot an, wird gegen den Beschuldigten die Einlassung eines früheren Mitangeklagten verwertet, der in der Hauptverhandlung gegen den Beschuldigten von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht,109 und bei fehlender richterlicher Belehrung über ein Zeugnis-110 oder ein Untersuchungsverweigerungsrecht wird in gleicher Weise allein wegen Verstoßes gegen § 81c Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz StPO; § 52 Abs. 3 StPO ein Verbot angenommen,111 das auf eine gleichwohl durchgeführte Untersuchung gestützte Glaubwürdigkeitsgutachten zu verwerten,112 wobei zum Teil zudem 113 auf die Beruhensfrage abgestellt wird, dies jedoch unabhängig von der Frage, ob das Beruhenselement zugleich ein Merkmal des Verwertungsverbots darstellt.

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ee) Bei der Frage nach der zulässigen Verwertung der aus einem früheren Verfahrensstadium stammenden Aussage eines Zeugen durch eine richterliche Verhörsperson stellt der Bundesgerichtshof ein wiederum anderes Kriterium in den Vordergrund. Macht der Zeuge erst in der gerichtlichen Hauptverhandlung von seinem Zeugnisver45 weigerungsrecht Gebrauch, so sei zu berücksichtigen, dass das hier zu beachtende grundsätzliche Verwertungsverbot des § 252 StPO,114 wie § 52 StPO, dazu diene, dem Zeugen jenen Konflikt zu ersparen, den „ihm das Gesetz an sich durch Zubilligung des Zeugnisverweigerungsrechts ersparen wolle“,115 weshalb der Zeuge nach eingehender Belehrung der Verwertung früherer Aussagen zustimmen und so auf das Verwertungsverbot nach § 252 StPO verzichten 116 könne, auch dann, wenn er entgegen seiner früheren,

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Ebenso schon BGHSt 36 384, 389. BGHSt 46 1. BGH NJW 1998 2762; NStZ 1992 247; zu einem ähnlichen Fall spontaner Äußerungen, aber auch zu insoweit gegebenen Möglichkeiten zur Umgehung eines Verwertungsverbots während des Wartens auf den zuständigen Vernehmungsbeamten vgl. Huber Kriminalistik 1991 633. BGHSt 36 384, 387. BGH NStZ 2003 217 m.w.N. BGH NStZ-RR 1996 106. Ebenso Graalmann-Scherer FS Rieß 153, 162. BGHSt 36 217, 220; BGH NJW 1991 2432, 2433; ebenso BGH NJW 1998 838, 839 für

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den insoweit gleichgelagerten Fall fehlender Belehrung des gesetzlichen Vertreters eines Zeugen gem. § 81 c Abs. 3 Satz 2 StPO i.V.m. § 52 Abs. 2 StPO. In den Fällen BGHSt 36 217; BGH NJW 1991 2432; NStZ 1996 275; 2003 217. St.Rspr.; vgl. z.B. BGHSt 45 342, 345. Zur verfassungsrechtlichen Gewährleistung dieses Verwertungsverbots s. BVerfG NStZ-RR 2004 18. BGHSt 13 394, 396 im Anschluss an BGHSt 2 99. BGHSt 45 203, 207; zust. Ranft NJW 2001 1305 und 3761 gegen Wollweber NJW 2000 1702 und NJW 2001 3760. In ihrer ablehnenden Stellungnahme zu BGHSt 45 207

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unbelehrt gebliebenen Aussage den Angeklagten nunmehr entlastet.117 Dass gleichwohl die Aussage von richterlichen, nicht aber von nichtrichterlichen Verhörspersonen über den Inhalt der früheren Bekundungen des erst in der Hauptverhandlung von seinem Recht zur Zeugnisverweigerung Gebrauch machenden Zeugen verwertet werden dürfe, sofern er ordnungsgemäß belehrt wurde, begründete der Bundesgerichtshof in einer zwar vor der grundlegenden Entwicklung der Rechtskreistheorie in BGHSt 11 213 ergangenen, aber doch etwa ein Jahr nach der bereits auf die Rechtskreisberührung abstellenden Entscheidung BGH MDR 1951 309, mit dem Vorrang der Strafverfolgungsinteressen vor den Zeugeninteressen: 118 Wenn diese Auffassung von BGHSt 13 394 bestätigt wird, so ist darin ein Gegensatz auch zu der nur etwa eineinhalb Jahre früher durch den Großen Strafsenat in BGHSt 11 213 begründeten Rechtskreistheorie zu erblicken, von der im Übrigen auch insoweit formal abgewichen wird, als nicht mehr auf ein Recht zur Rüge etwaiger Verfahrensverstöße abgestellt wird, sondern allein darauf, ob in der Einführung des Aussageinhalts in die Hauptverhandlung ein Gesetzesverstoß liege oder nicht. ff) Ebenso wenig bildet die Rechtskreistheorie das entscheidende Kriterium in den 46 Fällen für ein Verwertungsverbot, in denen ein Zeuge erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht. Aufgrund einer Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen (oben Rn. 45) besteht in diesen Fällen dem Bundesgerichtshof zufolge ein umfassendes Verwertungsverbot, abgesehen von den Bekundungen in dieser Hauptverhandlung vor Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts,119 also auch hinsichtlich der Ergebnisse einer früheren richterlichen Beschuldigtenvernehmung durch Vernehmung der richterlichen Verhörsperson oder auch nur durch bloßen Vorhalt.120 Gleiches (umfassendes Verwertungsverbot) gilt, wurde das Anwesenheitsrecht des Angeklagten aus § 168c Abs. 2 StPO durch Verstoß gegen die Benachrichtigungspflicht aus § 168c Abs. 5 Satz 1 StPO nicht gewahrt; allerdings lässt der Bundesgerichtshof diesen Verstoß nur dann zu einem Verwertungsverbot erstarken, wird ausdrücklich Widerspruch gegen die Aussageverwertung in der Hauptverhandlung durch den Verteidiger 121 oder durch den unverteidigten Angeklagten nach Belehrung über sein Widerspruchsrecht erhoben 122 (s. dazu oben Rn. 28 ff.). Ausdrückliche Ausführungen zu einer etwaigen Rechtskreisbeeinträchtigung des 47 Angeklagten finden sich in der diesbezüglichen Entscheidung allerdings nicht: Das Verwertungsverbot wird entscheidend daraus hergeleitet, dass anders „der vom Gesetzgeber gewollte erhöhte Schutz des dem Beschuldigten gewährten Anwesenheitsrechts ins Gegenteil verkehrt“ würde.123 Damit aber wird unter den zur Bestimmung eines Verwertungsverbots herangezogenen Merkmalen die vom Gesetzgeber beabsichtigte Schutzwirkung für den Beschuldigten in den Vordergrund gestellt, zusammen mit dem fehlenden Widerspruch und damit möglicherweise dem Beruhenskriterium, mag man darin auch einen Spezialfall wesentlicher Rechtskreisberührung erblicken. Wie schon im zuvor

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befürchtet Keiser (NStZ 2000 459), der Bundesgerichtshof mache den Zeugen auf diesem Wege zum „Herrn des Verfahrens“ – dagegen spricht indessen, dass schon das Gesetz jedem zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen eine derartige Herrschaft einräumt. BGHSt 48 294. BGHSt 2 99, 105. BGHSt 2 99, 106 f.; dies soll dem Beschluss

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des 5. Strafsenats (Anfrage an den 1. Strafsenat) zufolge auch für auskunftsverweigerungsberechtigte Zeugen gelten (BGH NStZ 1998 46); a.A. z.B. Rengier NStZ 1998 48. BGHSt 20 384; 42 391, 397; vgl. auch BGHSt 10 186. BGHSt 26 332, 333; 31 140, 144; 42 15, 22. Vgl. dazu auch Burhoff Praktische Fragen der Widerspruchslösung, StraFo 2003 267. BGHSt 26 332, 334.

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erwähnten Fall der Vernehmung von Verhörspersonen wird aber insofern von der in BGHSt 11 213 entwickelten Rechtskreistheorie abgewichen, als das Verwertungsverbot jedenfalls nicht von einer etwaigen Berechtigung zur Rüge des Verfahrensverstoßes abhängig gemacht wird. War im zuvor erwähnten Fall das Beruhenskriterium unabhängig vom Vorliegen eines 48 Verwertungsverbotes berücksichtigt worden, so hat die Rechtsprechung doch in anderen Fällen dieser Art das Beruhen des Urteils auf dem Verstoß gegen die Belehrungspflicht (also gegen Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung und damit gegen ein Erhebungsverbot) ausdrücklich schon als ein Merkmal eines Verwertungsverbots angesehen (s. dazu unten Rn. 177). Ein „Verwertungsverbot … entfällt“ ausnahmsweise dann, „wenn … ein über sein Zeugnisverweigerungsrecht prozeßordnungswidrig nicht belehrter Zeuge dieses Zeugnisverweigerungsrecht kannte und davon auch bei ordnungsgemäßer Belehrung keinen Gebrauch gemacht hätte“.124 Auch hier wird auf eine etwaige wesentliche Rechtskreisberührung als Kriterium eines Verwertungsverbotes nicht eingegangen, ebenso wenig wie auf eine Rügeberechtigung oder eine von der verletzten Vorschrift ausgehende Schutzwirkung für den Beschuldigten: Das Verwertungsverbot entfällt der erwähnten Rechtsprechung zufolge deshalb, weil das Urteil in Fällen dieser Art auf der unterbliebenen Belehrung nicht beruhen könne.125 2. Sachverhaltsfeststellungen unter Verletzung von nicht belehrungspflichtigen Zeugen-Aussageverweigerungsrechten

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a) Die nach §§ 53, 53a StPO aus beruflichen Gründen zur Zeugnisverweigerung Berechtigten sind dem Gesetzeswortlaut zufolge nicht verpflichtet, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Deshalb kann „das Verfahrensrecht nicht verletzt worden“ sein, sagt der Zeuge unter Verzicht auf sein Verweigerungsrecht aus, obwohl er von der strafrechtlich bewehrten Verschwiegenheitspflicht (§ 203 StGB) nicht entbunden (§ 53 Abs. 2 StPO) wurde: 126 Hier schließt schon der Gesetzeswortlaut Gesetzesverstoß und folglich Verwertungsverbot aus. Beeinträchtigt jedoch das Gericht durch eine fehlerhafte Belehrung oder gar durch 50 eine fehlerhafte Entscheidung über das angebliche Nichtbestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts die Entscheidungsfreiheit des Zeugen hinsichtlich der Geltendmachung dieses Rechts, so bejaht der Bundesgerichtshof ein Verwertungsverbot,127 indem er auf drei Kriterien abstellt: einmal unter Austausch der wesentlichen Rechtskreisberührung gegen das allgemeine Merkmal der Verletzung eines Anspruchs „auf prozessordnungsgemäßes Verfahren“, zum andern, wie schon früher (z.B. Rn. 22), auf das Recht zur Rüge des Verfahrensverstoßes 128 und endlich auf den bloßen Gesetzesverstoß (gegen § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO;129 s. dazu oben Rn. 49), wie insbesondere beim Verstoß gegen das Beschlagnahmeverbot hinsichtlich des nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO zeugnisverweigerungsberechtigten Arztes 130 aus § 97 Abs. 1 Nr. 2 StPO.131

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BGHSt 40 336, 339. BGHSt 40 336, 339; BGH NJW 1986 2121, 2122; NStE StPO § 52 Nrn. 13, 16; NStZ 1989 484; 1990 549, 559. BGHSt 15 200, 202; 18 146, 147 f.; zur Frage eines etwaigen materiell-rechtlichen Beweisverwertungsverbots in diesen Fällen s. Erläuterungen zu §§ 53, 53 a StPO.

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Dagegen Cramer/Bürgle 66. BGHSt 33 148, 154. BGHSt 42 73. Vgl. dazu Wasmuth in: Roxin (Hrsg.), Medizinstrafrecht (2000), 351. BGHSt 43 300, 303.

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Wird die Entbindung von der Schweigepflicht für frühere Vernehmungen erklärt, spä- 51 ter aber mit der Folge widerrufen, dass ein Arzt in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, so wird für die Einführung des Inhalts der früheren Vernehmung durch eine richterliche Verhörsperson deshalb aus § 252 StPO kein Verwertungsverbot hergeleitet, weil wegen der früheren Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht kein Zeugnisverweigerungsrecht bestand und „eine zu einem Verwertungsverbot führende Zwangslage“ nicht bestehe, „der das Verbot des § 252 StPO entgegenwirken soll“ 132 – hier also wird nun wiederum anders auf den Gesetzeszweck als Merkmal des Verwertungsverbots abgestellt. b) Ebenfalls unter Abstellen auf den Gesetzeszweck verneint der Bundesgerichtshof – 52 vor der Entwicklung der Rechtskreistheorie – ein Verwertungsverbot, wird ein Zeuge entgegen § 54 StPO ohne die erforderliche Genehmigung vernommen: § 54 StPO diene „nicht dem Schutze des Angeklagten“, und deshalb könne die Verletzung dieser Vorschrift die Revision nicht begründen.133 3. Verstöße gegen die Pflicht, den Beschuldigten über sein Schweigerecht zu belehren a) Entwicklung und derzeitiger Stand der Rechtsprechung zu den Folgen von Ver- 53 stößen gegen diese Pflicht lassen sich als Anwendungsfall der Rechtskreistheorie deuten. Von jeher hat der Bundesgerichtshof auf die Bedeutung der gesetzlichen Belehrungspflicht für den Angeklagten abgestellt, diese Bedeutung aber durchaus unterschiedlich beurteilt und ihr zuletzt eine verfassungsrechtliche Dimension zuerkannt. Des kaum trennbaren Sachzusammenhangs wegen (Verstoß gegen Schweigerecht und Belehrungspflicht im Verfahren) wird diese Problematik schon an dieser Stelle behandelt; zur Bedeutung des Verfassungsrechts für die Beweisverbotsproblematik im Übrigen s. unten Rn. 70 ff. b) Noch im Jahre 1973 hatte der Bundesgerichtshof angenommen, ein Verstoß gegen 54 die richterliche Belehrungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO könne die Revision nicht begründen.134 Nur ein Jahr später hat er jedoch unter Fortentwicklung der Rechtskreistheorie (oben Rn. 22 f.) zunächst die Lehre von der Existenz folgenlos verletzbarer Ordnungsvorschriften unter dem Eindruck der von Hanack geübten Kritik 135 als methodisch veraltet aufgegeben und zugleich die Bedeutung eines Verstoßes gegen die Belehrungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO unter zwei Gesichtspunkten neu gewichtet: einmal unter dem des Verfahrenszwecks dieser Vorschrift, zum anderen aber – und nun im Einklang mit der Rechtskreistheorie – unter dem der Auswirkung „auf die Rechtsstellung des Angeklagten“ und damit letztlich unter Heranziehung des Beruhensgedankens.136 Weil § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO „eventueller Benachteiligung“ des Angeklagten „aufgrund von Unkenntnis“ darüber vorbeugen wolle, dass dieser sich auch durch Schweigen verteidigen könne und nicht selbst belasten müsse, sei das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren und auf die Wahrung rechtsstaatlicher Verfahrensweise betroffen, wenn er in Unkenntnis seines Schweigerechts über dessen Existenz nicht richterlich belehrt worden sei.

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BGHSt 18 146, 150; bestätigt von BGHSt 38 369, 371. BGH NJW 1952 151, 152; NStZ 2003 610.

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Vgl. die Nachw. in BGHSt 25 325, 328. JZ 1971 168, 169 f. BGHSt 25 325, 329, 331.

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Seine Rechtsstellung werde jedoch nicht berührt, wenn er „seine Verteidigungsmöglichkeiten ohnehin kennt oder wenn die Wahl zwischen Äußerung und Schweigen für ihn ohne Interesse ist, weil er sich durch Aussage zur Sache verteidigen will“.137 Demgemäß sei eine Rechtsverletzung des Angeklagten nur zu bejahen, werde der Zweck des Hinweisgebots vereitelt – das sei dann nicht der Fall, wenn „der Angeklagte, dem ein Verteidiger zur Seite stand, über seine Verteidigungsmöglichkeiten im Bilde war“, „schon vor der Hauptverhandlung seine Wahl getroffen hatte“ 138 und bei der Vernehmung mit seinem Schweigerecht „bewusst differenziert … umging“.139 Wenn der Angeklagte zwar nicht im Berufungsverfahren, wohl aber „in erster Instanz ordnungsgemäß belehrt wurde (und zur Sache schwieg)“ schließe die Kenntnis des Angeklagten von seinem Schweigerecht ebenfalls eine Rechtsverletzung aus.140 Läge nach diesen Grundsätzen indes eine Rechtsverletzung vor, so könne diese auch mit der Revision gerügt werden, erfolgreich aber nur dann, „wenn das Urteil auf der Gesetzesverletzung beruht“.141

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c) Es dauerte allerdings bis zum Jahre 1992, bis der Bundesgerichtshof entgegen seiner früheren Rechtsprechung 142 auf Vorlage des OLG Celle 143 auch der Belehrungspflicht im Ermittlungsverfahren aus § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO im Wesentlichen den gleichen Zweck zuerkannte, wie der zuvor genannten aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO.144 Ob die Verletzung einer Verfahrensvorschrift zu einem Verwertungsverbot führe, sei aufgrund einer Abwägung zwischen dem Gewicht des Verfahrensverstoßes und seiner Bedeutung „für die rechtlich geschützte Sphäre des Betroffenen“ zu entscheiden 145 (Näheres zur Abwägungslehre s. oben Rn. 26 ff.). Bei einem Verstoß gegen die Hinweispflicht (die unverstandene Belehrung steht dabei 57 der unterlassenen Belehrung gleich,146 s. oben Rn. 28) der Polizeibeamten nach § 163 a Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO 147 wie auch bei bloßer Erschwerung des Versuchs des Beschuldigten, vor seiner (gegebenenfalls sofort zu unterbrechenden) polizeilichen Vernehmung mit seinem Verteidiger zu sprechen,148 wie z.B. bei bloß scheinbaren, aber nicht ernsthaften Bemühungen der Polizei, dem Wunsch eines ausländischen Beschuldigten nach Kontaktaufnahme zu entsprechen (Vorlage eines Branchenfernsprechbuchs anstatt Bekanntgabe der Fernsprechnummer des anwaltschaftlichen Notdienstes 149), seien „Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten“ 150 betroffen (Verletzung des Grundsatzes nemo tenetur – s. unten Rn. 78 – entweder durch Unkenntnis des Beschuldigten über seine Rechte oder aber Verhinderung der Durchsetzung des Rechts auf Verteidigerkonsultation 151), weshalb hier ein Verwertungsverbot anzunehmen sei,152 allerdings dem Schutzzweck des Belehrungsgebots entsprechend nicht unbegrenzt. Zwar bestehe die Belehrungspflicht für jede Vernehmung „unabhängig davon, ob der Beschuldigte seine Rechte kennt oder nicht“.153 Kenne der 137 138 139 140 141 142 143 144 145

BGHSt 25 325, 330. BGHSt 25 325, 332. BGH NStZ 2004 450, 451. BGHSt 25 325, 332. BGHSt 25 325, 331. Z.B. BGHSt 22 170; 31 395 f. NStZ 1991 403. BGHSt 38 214, 220. Ebenso BGHZ JA 2003 625 (Besprechung Lemmers) für die Wirkung einer im Strafverfahren entgegen §§ 136a Abs. 4; 136 Abs. 1 Satz 2 StPO unterbliebenen Belehrung in einem späteren Zivilprozess.

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BGHSt 39 349; s. auch BGH NStZ 1993 395; zur Verwertung nach DDR-Recht unbelehrt erwirkter Aussagen unter Berücksichtigung des Einigungsvertrages s. BGHSt 38 263. BGHSt 38 214. BGHSt 38 372. BGHSt 42 15, 19. BGHSt 42 15, 21. BGHSt 38 372, 375; 42 15, 20. BGHSt 38 214, 220; 42 15, 21. BGHSt 38 214, 224.

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Beschuldigte allerdings seine Rechte, so sei er weniger schutzbedürftig, weshalb für diesen Fall und in denen, in denen er der Verwertung einer unbelehrt erlangten Aussage zustimme oder (falls unverteidigt, nach richterlicher Belehrung über sein Widerspruchsrecht) nicht frühestens in der Hauptverhandlung (Geltendmachung nur im Ermittlungsverfahren gegenüber der Staatsanwaltschaft genügt also nicht 154) und spätestens im Rahmen der Anhörung nach § 257 StPO 155 widerspreche (s. dazu oben Rn. 28 ff.),156 ein Verwertungsverbot entfalle,157 wobei es sich „um einen Teilaspekt der Frage“ handele, „ob die Verurteilung auf dem Verfahrensfehler beruht“ 158 – damit aber wird das Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensverstoß notwendig als ein Merkmal des Verwertungsverbotes angesehen. Trotz weitgehender Parallelität zum Verwertungsverbot wegen Verstoßes gegen die 58 Belehrungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO begnügt sich der Bundesgerichtshof im hier behandelten Fall eines Verstoßes gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht mit der oben Rn. 54 dargelegten Fortentwicklung der Rechtskreistheorie. Zusätzlich zur Nichtbeachtung der Belehrungspflicht wird das Vorliegen eines Verwertungsverbotes von einer Abwägung der Wahrheitserforschungspflicht mit der Achtung der Individualrechte des Beschuldigten abhängig gemacht – wie auch bei der Beurteilung der Verwertbarkeit von spontanen oder sonst aus freien Stücken gemachten Äußerungen des Beschuldigten außerhalb einer vernehmungsähnlichen Situation.159 Näheres zu den revisiblen Verletzungen der Belehrungspflicht des § 136 Abs. 1 StPO s. Erl. zu § 136 StPO. d) Verstöße gegen Belehrungspflichten und sonstige Vorschriften über Aussagever- 59 weigerungs- oder Schweigerechte sind endlich durch einen willkürlichen Wechsel der Verfahrensstellung durch Verfahrenstrennung oder -verbindung möglich: insoweit wird auf die Erläuterungen zu §§ 2, 4, 237 StPO verwiesen. 4. Verstöße gegen sonstige Regeln der StPO über die Sachverhaltsermittlung a) Verstöße gegen Normen, die zu Eingriffen in Grundrechte berechtigen aa) In einer Vielzahl von Vorschriften erlaubt die StPO Eingriffe in Grundrechte vor 60 allem von Beschuldigten, aber auch anderer Personen, zum Zwecke der Sachverhaltsermittlung: z.B. Eingriffe in die persönliche Freiheit nach § 81 StPO, in die körperliche Unversehrtheit nach §§ 81a, 81c StPO, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis nach §§ 99, 100a StPO, der Unverletzlichkeit der Wohnung nach §§ 102, 103, 104, 110c StPO und schließlich in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach §§ 98b und 75 StPO i.V.m. § 256 StPO. Hier sollen nur beispielhaft die Fälle möglicher Verstöße gegen

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BGH NStZ 1997 502. BGHSt 38 214, 225 f.; NStZ 1997 502 für den Fall der fehlenden Unterrichtung des Beschuldigten bei der ersten polizeilichen Vernehmung darüber, dass sich bereits ein Verteidiger für ihn gemeldet habe. Dagegen Tolksdorf 265: keine überzeugenden Gründe für die Richtigkeit der Widerspruchslösung. BGHSt 38 214, 225; 42 15, auf S. 22 ausdrücklich gegen Fezer JR 1992 385 und Widmaier NStZ 1992 519 (gegen die Wider-

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spruchslösung des BGH wiederum z.B. Ventzke StV 1997 543, 547 ff. m.w.N.); BGH JR 1995 251, 252; 2005 385, 386 mit insoweit zust. Anm. Mittag). Der unterlassene Widerspruch soll nach einer in der Rspr. vertretenen Meinung (str., Näheres oben Rn. 32) für das gesamte weitere Verfahren fortwirken. BGHSt 38 214, 225, 227; dagegen Tolksdorf 261. BGHSt 42 139, 157 (sog. Hörfallenbeschluss); BGH NJW 1990 461.

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§§ 81a und 100a StPO erwähnt werden, in denen die Rechtsprechung das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbotes allgemein aufgrund einer Abwägung zwischen den Interessen der Strafverfolgung und denen des Beschuldigten bestimmt; im Übrigen wird auf die Erläuterungen zu den hier in Betracht kommenden Vorschriften verwiesen, hinsichtlich der Folgen einer möglichen Beeinträchtigung des Rechts auf die informationelle Selbstbestimmung auf die Ausführungen unten zu Rn. 101 f.

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bb) Wird dem Beschuldigten unter Verstoß gegen § 81a StPO eine Blutprobe von einem Nichtarzt entnommen, so folgt auch unter Berücksichtigung eines darin liegenden Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit noch nicht die Unverwertbarkeit der fehlerhaft gewonnenen Blutprobe. Darüber entscheidet eine Abwägung des staatlichen Interesses „an der Tataufklärung“ mit dem dem Beschuldigten durch die Verfassung gewährleisteten Schutz aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Entnahme einer Blutprobe durch einen zwar ausgebildeten, aber noch nicht als Arzt approbierten Mediziner beeinträchtige indessen weder den „Beweiswert der gesetzwidrig erlangten Probe“, die, was zusätzlich zu berücksichtigen sei, „auch auf gesetzmäßigem Wege jederzeit hätte gewonnen werden können“ – damit stellt sich der Verstoß gegen § 81a StPO „doch … nicht als so schwer dar, daß das Interesse an der Tataufklärung zurücktreten müßte, dem angesichts Tausender von Todesopfern, die der Alkohol am Steuer jährlich fordert, eine sehr erhebliche Bedeutung zukommt“. Damit sei ein Verwertungsverbot abzulehnen, das allenfalls bei etwa zusätzlichem Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze anzunehmen wäre wie etwa bei bewusstem „Mißbrauch staatlicher Zwangsbefugnis“.160 In ähnlicher Weise haben der Bundesgerichtshof ein Verwertungsverbot hinsichtlich der ohne die erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung sichergestellten Gegenstände verneint, wenn dem Erlass der entsprechenden Anordnung keine rechtlichen Hindernisse entgegengestanden hätten 161 und ebenso das OLG Frankfurt hinsichtlich der Verwertbarkeit einer zu Behandlungszwecken entnommenen Blutprobe zum Zwecke der Feststellung der Blutalkoholkonzentration des Beschuldigten.162 Bemerkenswerterweise lässt der Bundesgerichtshof hier trotz eines ausdrücklich 62 bejahten Grundrechtseingriffs die von ihm selbst entwickelte Rechtskreistheorie außer Betracht und verneint ein Verwertungsverbot aufgrund einer Abwägung der Schwere des Verfahrensverstoßes mit vorrangigen Interessen der Strafrechtspflege – der fehlenden Beeinträchtigung des Beweiswertes und der jederzeit möglichen gesetzmäßigen Beschaffung (oben Rn. 61) wird zwar nur im Rahmen der Abwägung eine Bedeutung zuerkannt, mag aber auch als zusätzliche Berücksichtigung des Beruhenskriteriums angesehen werden (oben Rn. 18 163). b) Verstöße gegen sonstige die Sachverhaltsermittlung regelnde Einzelvorschriften

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aa) Von besonderer Bedeutung sind hier zunächst die Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung im Ermittlungsverfahren, aber auch schon vorher über die Tatsachenermittlung im Rahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr aufgrund polizeirechtlicher Vorschriften. Soweit die jeweiligen gesetzlichen Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung eingehalten werden, ist die Weitergabe der entsprechenden Erkenntnisse an die Strafver160 161 162 163

BGHSt 24 125, 130 f. BGH NStZ 1989 375, 376. OLG Frankfurt NStZ-RR 1999 246. So wohl OLG Zweibrücken NJW 1994 810 zur Zulässigkeit der Verwertung einer Blut-

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probe, die zwar nicht nach § 81a StPO gewonnen, sondern vom Arzt zur Operationsvorbereitung entnommen wurde; ähnlich OLG Celle NStE StPO § 97 Nr. 10.

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folgungsbehörden für rechtmäßig erachtet worden 164 und demgemäß auch – „solange kein spezielles Verwertungsverbot entgegensteht“ – deren Verwertung im Strafverfahren.165 Dies lässt den Schluss zu, dass die Rechtsprechung auch etwaige Verstöße gegen Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung außerhalb der gerichtlichen Hauptverhandlung für die Bejahung eines Verwertungsverbots nur insoweit für bedeutsam hält, als die Einführung der Ergebnisse solcher fehlerhafter Sachverhaltsermittlung und deren Verwertung als Urteilsgrundlage selbst fehlerhaft wäre, insbesondere eine Wiederholung der früheren Verstöße darstellen würde. Zum Verstoß gegen die Regeln über die Sachverhaltsermittlung außerhalb der Hauptverhandlung wird auf die Erläuterungen zu den jeweiligen Einzelvorschriften verwiesen. bb) Bei Verstößen gegen sonstige Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung in der 64 gerichtlichen Hauptverhandlung wird regelmäßig nur auf die Revisibilität abgestellt, also auf das Vorliegen eines Gesetzesverstoßes und dessen Ursächlichkeit für das jeweilige Urteil. So wird die Verlesung eines Gutachtens, das nicht von einer öffentlichen Behörde, 65 sondern privat von einem in einem Krankenhaus angestellten Arzt erstellt wurde, wegen Verstoßes gegen § 256 StPO für revisibel erachtet, ohne auf die Problematik eines Verwertungsverbots und insbesondere einer etwaigen Rechtskreisberührung einzugehen;166 ebenso wird die Verlesung eines Gutachtens eines in der Rechtsform einer GmbH betriebenen Krankenhauses ohne Eingehen auf ein etwaiges Beweisverbot unter Bejahen des Beruhenserfordernisses für revisibel erachtet.167 Gleiches gilt für die – von § 251 StPO nicht gestattete – Verlesung eines polizeilichen Aktenvermerks über Erklärungen eines Mitangeklagten, die lediglich stichwortartig mitgeschrieben wurden, die aber nach dem Willen des Erklärenden nicht in Form einer Vernehmungsniederschrift festgehalten werden durften.168 Aus dem bloßen Gesetzesverstoß wird ein Verwertungsverbot auch hinsichtlich der Verlesung eines Protokolls über die kommissarische Vernehmung eines Zeugen hergeleitet, zu dem die Beteiligten entgegen § 224 StPO nicht geladen wurden.169 Auf die Fülle der hier denkbaren, zu einem etwaigen Beweisverbot führenden Verstöße kann an dieser Stelle ebenfalls nicht eingegangen werden; insoweit wird auf die Erläuterungen zu den diesbezüglichen Vorschriften verwiesen. c) Verstöße gegen allgemeine Prozessgrundsätze, welche die Sachverhaltsermittlung betreffen aa) Auch hier sind vielfältige Verstöße denkbar, insbesondere solche gegen rechts- 66 staatliche Grundsätze wie etwa die Gewährung rechtlichen Gehörs oder die Achtung des Persönlichkeitsrechts. Grundgesetzliche Verwertungsverbote werden indessen im folgenden Abschnitt (Rn. 70 ff.) gesondert behandelt; an dieser Stelle sollen nur die in der Praxis besonders bedeutsamen etwaigen Verstöße gegen die Maximen der Unmittelbarkeit und der Mündlichkeit betrachtet werden. bb) § 250 Satz 1 StPO stellt eine allgemein anerkannte Ausprägung der Grundsätze 67 der Unmittelbarkeit und der Mündlichkeit des Verfahrens wie der Beweisaufnahme dar, als deren Ausfluss das Verlesungsverbot aus § 250 Satz 2 StPO gewertet wird. Hiernach 164 165 166

BGH NJW 1996 405; vgl. auch BGH NStZ-RR 2006 240. BGH MDR 1991 885, 886. BGH NStZ 1985 36.

167 168 169

BGH NStZ 1988 19. BGH NJW 1992 326. BGHSt 35 82, 83.

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ist „die Verlesung von Urkunden“ dann verboten, „wenn sie als Ersatz für die Vernehmung des Wahrnehmenden über die Richtigkeit seiner Wahrnehmungen dienen soll“ 170 – und unabhängig vom etwaigen Vorliegen weiterer Kriterien verbietet § 250 Satz 2 StPO auch die Verwertung des Inhalts der verlesenen Urkunde 171 durch Vernehmung eines Zeugen, der diese Urkunden gelesen hat, über deren gedanklichen Inhalt: 172 Ob also insoweit ein Beweisverwertungsverbot zu bejahen ist oder nicht, ist allein danach zu beurteilen, ob die Vorschrift des § 250 Satz 2 StPO unter Beachtung der gesetzlichen Ausnahmen in §§ 251 ff., 325 StPO verletzt wurde. In gleicher Weise unterliegt die Verlesung einer Urkunde schon dann einem Verwertungsverbot, wenn die in § 325 StPO normierten Verlesungsvoraussetzungen nicht vorliegen, wie z.B. bei der Verlesung eines Protokolls über eine Zeugenvernehmung, bei der der Angeklagte nicht anwesend war.173 Ob die Vernehmung eines Zeugen vom Hörensagen über das, was ihm eine andere 68 Person über deren Wahrnehmungen berichtet hat, einem Verwertungsverbot unterliegt, ist demnach von der Vereinbarkeit dieser Art der Tatsachenfeststellung mit § 250 StPO abhängig, die indessen schon deshalb nicht bestritten werden kann, weil auch der Zeuge vom Hörensagen über seine eigenen Wahrnehmungen von Äußerungen anderer Personen berichtet – und dass im Übrigen neben der Vernehmung des seine unmittelbaren Wahrnehmungen vom Tatgeschehen berichtenden Zeugen auch die Vernehmung des Zeugen vom Hörensagen darüber sogar notwendig sein kann, was ihm der unmittelbare Tatzeuge über seine Wahrnehmungen berichtet hat, ist schon zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des unmittelbaren Tatzeugen durchaus anerkannt 174 – und allein mangels eines Verstoßes gegen § 250 StPO scheidet schon deshalb ein Verwertungsverbot hinsichtlich der Vernehmung des Zeugen vom Hörensagen aus, der deshalb in der Rechtsprechung auch als ein „zulässiges Beweismittel“ angesehen wird.175 Das Problem der Vernehmung des Zeugen vom Hörensagen ist vor allem eine Frage der Beweiswürdigung und derjenigen danach, ob sich das Gericht unter dem Gesichtspunkt des § 244 Abs. 2 StPO mit dem „sachferneren Zeugen begnügen dürfe“.176 Mangels eines Verstoßes gegen § 250 StPO ist damit auch „die Vernehmung von Ver69 hörspersonen über die Angaben eines anonymen Informanten“ (z.B. Verdeckte Ermittler nach § 110 a StPO oder sog. V-Leute) zulässig. Sie unterliegt keinem Beweisverwertungsverbot, und zwar unabhängig davon, ob die Sperrerklärung nach § 110 b Abs. 3 Satz 3 StPO, § 96 StPO rechtmäßig oder unberechtigt abgegeben wird. Deshalb dürfen etwa rechtmäßig gesperrte Zeugen dann vernommen werden, wird ihre Identität trotz der Sperrung bekannt.177 Ebenso wenig führt die unberechtigte Sperrerklärung hinsichtlich des anonymen Informanten zu einem Verbot der Verwertung der Vernehmung von Verhörspersonen als Beweismittel „jedenfalls dann, wenn die Sperrerklärung nicht willkürlich oder offensichtlich rechtsfehlerhaft ist“ 178 – und auch hier dient allein der mögliche Gesetzesverstoß als Kriterium eines möglichen Verwertungsverbotes, wobei allerdings offenbleibt, warum eine etwaige willkürliche Sperrerklärung die Verwertung der Vernehmung einer Verhörsperson verbietet (die in diesem Zusammenhang besonders bedeutsame Frage nach der Beweiskraft der Bekundungen der hier in Betracht kommenden Ver-

170 171 172 173 174 175

BGHSt 1 4, 5. BGH NJW 1970 1558, 1559. OLG Köln NStZ 1990 557. OLG Stuttgart NJW 1970 343, 344. BGHSt 20 160, 162 f. Vgl. z.B. BGHSt 33 178, 181 m.w.N.; 36 159, 160; OLG Köln NStZ 1990 557.

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BGHR StPO § 250 Satz 1 – Unmittelbarkeit 1. BGHSt 39 141, 144 f; vgl. auch BGHSt 35 82. BGHSt 36 159, 163 unter Aufgabe der früher in BGHSt 31 148; 33 83 vertretenen Auffassung.

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hörspersonen betrifft im Wesentlichen ebenfalls Probleme der Beweiswürdigung, nicht aber der Beweisverbote; vgl. dazu auch oben Rn. 34 f.): insoweit wird auf die Erläuterungen zu §§ 250, 261 StPO verwiesen).

IV. Verfassungsrechtliche Beweisverbote in der Rechtsprechung: Grundlagen 1. Verfassungsrecht und Strafverfahrensrecht. Auch vielfache Novellierungen und 70 sonstige Änderungen und Ergänzungen haben noch nicht dazu geführt, die aus dem 19. Jahrhundert stammende StPO zu einem Gesetz umzuformen, in dem das Rechtsstaatsprinzip im Lichte heutigen Verfassungsverständnisses durchgehend und derart zum verbindlichen Organisationsprinzip des Strafverfahrens geworden ist,179 wie es modernem Verständnis von Verfassung und Strafverfahren entspricht. Dies hat geradezu zwangsläufig zur direkten Anwendung verfassungsrechtlicher Normen auf strafverfahrensrechtlich bedeutsame Sachverhalte geführt, und dies in einem Umfang, der zu dem aufrüttelnden Aufschrei geführt hat, das deutsche Strafverfahrensrecht sei dabei, „zu einer Kolonie des Verfassungsrechts zu verkommen“.180 Diese Situationsbeschreibung gilt insbesondere für das Recht der Beweisverbote im Strafverfahren. Als Organisationsprinzip des Strafverfahrens (oben Rn. 70) wirkt das Verfassungs- 71 recht in vielfältiger Weise auf das als angewandtes Verfassungsrecht 181 zu verstehende Strafverfahrensrecht ein: vom rechtlichen Gehör vor dem gesetzlichen Richter über das Verhältnismäßigkeitsprinzip bis hin zum Schutze der bürgerlichen Grundrechte und -freiheiten und der Wahrung der parlamentarischen Immunität aus Art. 46 GG.182 In dieser einleitenden Darstellung der Beweisverbote kann nur die derzeit im Vordergrund stehende Problematik der von § 244 Abs. 2 StPO geforderten wahrheitsgemäßen Sachverhaltsermittlung im Strafverfahren in ihrem Verhältnis zum Schutz der Individualrechte der von solchen Ermittlungen betroffenen Personen behandelt werden; im Übrigen wird auf die Darlegungen bei LR-Kühne Einl. I 96 ff. (= Verhältnismäßigkeit) und J 86 ff. (= Beschuldiger als Beweismittel) verwiesen. Aus diesem Problemkreis sollen etwaige Beeinträchtigungen der Menschenwürde, der Privatsphäre und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung beispielhaft 183 in ihren Auswirkungen auf die Beweisverbotslehre betrachtet werden.

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180 181 182

Vgl. dazu Gössel GA 1991 500 und Gutachten zum 60. DJT, C 27; Rissel Die verfassungsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, Diss. Marburg (1980), 68. Arzt GedS Armin Kaufmann 847; näher LR/Kühne Einl. H 1 ff. BGHSt 19 325, 330; BayObLG NJW 1979 2624, 2625. Nach BGH NJW 1992 701 führt selbst eine fehlerhafte Aufhebung der Immunität deshalb nicht zu einem Verwertungsverbot nach Beendigung des Abgeordnetenmandats, weil die Immunitätsregeln die Wahrung der Funktionsfähigkeit des Parlaments bezweckten: kein Verwertungsverbot trotz Gesetzesverletzung mangels einer Beeinträchtigung des Gesetzeszwecks.

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An dieser Stelle kann schon aus Raumgründen nicht auf alle denkbaren Verstöße gegen etwaige verfassungsrechtliche Beweisverbote eingegangen werden: hier kann und soll lediglich versucht werden, über den Einzelfall hinausgehende und für das Gesamtgebiet des Beweisverbote bedeutsame Grundsätze herauszufiltern; insoweit dürften Verwertungsverbote wegen Verletzung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ und hinsichtlich nicht rechtskräftig abgeurteilter Straftaten keine zusätzlichen Erkenntnisse gewähren, s. zu diesen gleichwohl wichtigen und bedeutsamen Verboten Eisenberg (Beweisrecht) 411 ff., 420 ff.

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2. Deutsches Verfassungsrecht und Europäische Menschenrechtskonvention. Die EMRK gilt als einfaches Gesetzesrecht und beeinflusst damit auch die Regelungen der StPO einschließlich der Regeln über die Beweisverbote. Hier sind insbesondere Art. 5 ff. EMRK von Bedeutung, über deren Umfang und Bedeutung letztinstanzlich wohl der EGMR zu entscheiden berufen ist – wobei offen bleibt, wie ein etwaiger Gegensatz zwischen dem EGMR und dem EuGH, der ja ebenfalls zur Anwendung der EMRK verpflichtet ist, gelöst werden kann. Indessen haben die Entscheidungen der genannten Gerichtshöfe keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Entscheidungen deutscher Gerichte, weil die Bundesrepublik Deutschland lediglich völkerrechtlich verpflichtet ist, für die Durchsetzung der EMRK im Inland zu sorgen. Die für das Strafverfahren und insbesondere das Beweisrecht geltenden Normen der EMRK entsprechen indessen weitgehend dem deutschen Verfassungsrecht, wenn auch nicht vollständig, so dass wegen der Bedeutung des europäischen Rechts für die Beweisverbote im deutschen Recht 184 auf die obige zusammenhängende Darstellung internationaler einschließlich europäischer Normen in ihrer Bedeutung für das deutsche Strafverfahren verwiesen wird (LR/Kühne Einl. D), insbesondere hinsichtlich einer Verwertung der im Ausland ermittelten Beweise im deutschen Strafverfahren (oben LR/Kühne Einl. D VI).

V. Verfassungsrechtliche Beweisverbote in der Rechtsprechung: Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip und die Menschenwürde 1. Die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens

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a) Einzelfälle. Hin und wieder hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich ein Verwertungsverbot wegen Verstoßes gegen „die Grundsätze eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens“, wie z.B. den einer fairen Verfahrensführung, angenommen oder für möglich gehalten, wird das aus Art. 2 Abs. 1; 20 Abs. 3 GG herzuleitende rechtsstaatliche Gebot verletzt, „dem Beschuldigten jederzeit die Möglichkeit einer geordneten und effektiven Verteidigung zu geben“,185 ferner z.B. in den Fällen, „in denen es an einer wesentlichen sachlichen Voraussetzung für die Anordnung der Maßnahmen nach § 100a StPO gefehlt 186 hat“, „die Anordnung unter Mißachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes“ (z.B. § 98a Abs. 1 Satz 2 StPO) „ergangen ist“ 187 oder die Durchsuchungsanordnung (sonst) fehlerhaft war,188 aber auch dann, wird der Richtervorbehalt für die Vornahme bestimmter Ermittlungsmaßnahmen nicht beachtet (z.B. hinsichtlich der Anordnung molekulargenetischer Untersuchungen gem. § 81 f StPO) 189 oder wird mit einer polizeilichen Ermittlungsmaßnahme die richterliche Anordnungsbefugnis für einen Eingriff in Individualrechte umgangen.190 Folgerichtig wurde deshalb auch in der Rechtsprechung

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186

Grundlegend dazu Janicki 168 ff. BGH NStZ 1998 309, 310 für den Fall der Verwertung – deshalb schon – unzulässig beschlagnahmter Unterlagen, die der Beschuldigte zur Vorbereitung seiner Verteidigung anfertigte; zusätzlich wird hier auch Art. 6 Abs. 3 EMRK als verletzt angesehen. BGH NStZ 2006 402, 403. Dagegen kann die lediglich fehlende Dokumentation der (telefonischen) richterlichen Anordnung in den Ermittlungsakten nach BGH JR 2005

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385, 386 kein Verwertungsverbot begründen; abl. Mittag JR 2005 387, der mit Recht eine richterliche Fixierung auch der Entscheidungsgründe verlangt. BGHSt 41 30, 31; 47 362, 365; vgl. dazu auch BVerfG NJW 2004 2213. LG Heilbronn StV 2005 380, 381. Graalmann-Scherer FS Rieß 153, 158; Schroth 976. BGHSt 31 304, 308; 35 32, 33; LG Heilbronn StV 2005 380, 381.

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generell bei Ermittlungen ohne gesetzliche Grundlage 191 ein Verwertungsverbot erwogen: so bei Abhörmaßnahmen unter Eingriff in den Bereich „einer nach Art. 13 GG geschützten Wohnung“ 192, bei „rechtsgrundlose(r) zwangsweise(r) Verabreichung von Brechmitteln“ 193 sowie bei Maßnahmen der Verkehrsüberwachung durch private Unternehmen ohne gesetzliche Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsaufgaben auf Private.194 Anders als z.B. bei Eingriffen in Individualrechte (s. dazu unten Rn. 78 ff.) lässt die 74 Rechtsprechung in diesen Fällen aber regelmäßig nicht schon die bloße Rechtsgrundlosigkeit des Eingriffs und damit den Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze zur Annahme eines Verwertungsverbotes ausreichen. In Übereinstimmung mit der oben Rn. 26 f. erwähnten Lehre soll erst eine Abwägung darüber entscheiden, ob der rechtsgrundlosen Beweiserhebung auch ein Verwertungsverbot entspricht.195 Erstaunlicherweise hat der Bundesgerichtshof nur im Fall der Umgehung der richterlichen Anordnungsbefugnis schon wegen der Unvereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen ein Verwertungsverbot angenommen,196 bei den sonst oben Rn. 73 erwähnten Verstößen gegen rechtsstaatliche Grundsätze aber nicht.197 Im Einklang damit bejaht das KG ein Verwertungsverbot im Rahmen einer Abwägung wegen „bewußter Mißachtung geltender gesetzlicher Bestimmungen“,198 während das BayObLG ebenfalls unter Anwendung der Abwägungsmethode zum gegenteiligen Ergebnis kommt, allerdings unter Verneinung der bewussten Missachtung geltenden Rechts 199: Ein Verwertungsverbot sei trotz rechtsstaatswidriger Verfahrensweise abzulehnen, weil der Verfahrensverstoß nicht schwerwiegend sei, keine bewusste Ausnutzung des Verstoßes vorliege und überdies die hypothetische rechtmäßige Ermittlung „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ dasselbe Ergebnis erbracht hätte,200 womit dieses Gericht zudem auch das Beruhenselement berücksichtigt 201 (s. dazu oben Rn. 18). b) Zufallsfunde. In diesen Zusammenhang gehört auch die Problematik der Verwer- 75 tung sog. Zufallsfunde. Darunter sind solche Erkenntnisse zu verstehen, die bei Ermitt191

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§ 244 Abs. 2 StPO kann schon mangels ausreichender Bestimmtheit der etwa möglichen Eingriffe nicht als generelle Befugnisnorm zu Eingriffen in Grundrechte angesehen werden, vgl. dazu Gössel FS Bockelmann 812; a.A. Störmer 77 und Wölfl Die Verwertbarkeit heimlicher privater Ton- und Bildaufnahmen im Strafverfahren (1997) 114 ff., 165. BGH NStZ 1997 195, 196; s. ferner BGH NJW 1997 2189 (1 BGs 65/97). OLG Frankfurt NJW 1997 1647, 1648; zust. Dallmeyer StV 1997 606, abl. H. C. Schaefer NJW 1997 2437. BayObLG NVZ 1997 276, 277 für Geschwindigkeitsmessungen; BayObLG NJW 1997 3454 einerseits und andererseits KG NJW 1997 2894 für den ruhenden Verkehr; vgl. in diesem Zusammenhang auch BVerfGE 85 386, 400 ff., BayObLG NJW 1999 2200 und OLG Karlsruhe MDR 1992 802. BGHSt 31 304, 308; 35 32, 34; 41 30, 34; BGH NJW 2005 3205; BayObLG NVZ

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1997 276, 277; NJW 1997 3454; KG NJW 1997 2894; OLG Frankfurt NJW 1997 1647, 1648. BGHSt 31 304, 308. BGHSt 41 30, 34; BGH NStZ 2006 46; im Fall BGH NJW 1997 2189 wurde lediglich ein Erhebungsverbot angenommen, die Frage eines Verwertungsverbotes stellte sich dort nicht – zu der Frage, ob eine Abwägung nicht aber auch schon zur Entscheidung über ein Erhebungsverbot erforderlich ist, vgl. Gössel NStZ 1998 126, 129. Im Fall der unzulässig beschlagnahmten Verteidigungsunterlagen wurde das Verwertungsverbot erst aufgrund einer Abwägung des Interesses an einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege mit dem – vorgehenden – Recht zu einer effektiven Verteidigung bejaht (BGH NStZ 1998 309, 310). KG NJW 1997 2894. NVZ 1997 276, 278. BayObLG NVZ 1997 276, 277 und nahezu gleichlautend auch NJW 1997 3454, 3455. Ausdrücklich so BGHSt 35 34 f.

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lungen gegen bestimmte Personen wegen bestimmter Straftaten entweder wegen anderer Straftaten 202 oder aber gegen andere Personen als den konkret Beschuldigten gewonnen wurden, also grundsätzlich ohne den hinsichtlich dieser Taten oder Personen erforderlichen Anfangsverdacht,203 damit aber auch ohne gesetzliche Grundlage mit einem Verwertungsverbot als Konsequenz. Zur mittelbaren Verwertung von Zufallsfunden 204 s. die Darlegungen unten zur Fernwirkung (Rn. 105 ff.). Begründen Zufallsfunde indessen einen Anfangsverdacht hinsichtlich bestimmter 76 Taten oder Personen, dürfen diese von Staatsanwaltschaft oder Polizei nicht einfach ignoriert werden 205: dem steht das Legalitätsprinzip (§§ 152 Abs. 2; 163 Abs. 1 StPO) entgegen.206 Deshalb auch ermöglicht § 108 Abs. 1 StPO bei einer Durchsuchung grundsätzlich die Beschlagnahme zufällig aufgefundener Gegenstände (ausgenommen die in § 108 Abs. 2; Abs. 1 Satz 3 in Vbdg. mit § 103 Abs. 1 Satz 2 StPO genannten Fälle; jedoch bleiben Zufallsfunde auch dann verwertbar, war der Durchsuchungsbeschluss auf die Sicherstellung bestimmter Unterlagen beschränkt 207); Entsprechendes gilt ferner z.B. für die Erkenntnisse, die an eingerichteten öffentlichen Kontrollstellen (§ 111 StPO) bei der Fahndung nach Tätern oder Beweismitteln wegen einer Straftat nach § 129a StGB gewonnen wurden (§ 111 Abs. 3 i.V.m. § 108 StPO). Rechtfertigt aber ein Anfangsverdacht die vorläufige Sicherstellung der zufällig aufgefundenen Gegenstände, so stehen der Verwertung auch im gerichtlichen Erkenntnisverfahren keine Hindernisse entgegen. Eine analoge Anwendung des § 108 StPO auf Zufallserkenntnisse aus einer Telefon77 überwachung kommt indessen nicht in Betracht.208 Gleiches muss in allen Fällen gelten, in denen bestimmte Ermittlungsmaßnahmen nur wegen solcher Straftaten zulässig sind, die jeweils in einem Katalog erfasst sind (Katalogtaten; vgl. z.B. §§ 100c, 110a StPO). Ein Zufallsfund, der durch eine „Anordnung nach §§ 100a, 100b StPO nicht gedeckt war“, kann nur dann zu einem Verwertungsverbot führen, wenn die Strafverfolgungsinteressen „das individuelle Interesse an der Bewahrung seiner Rechtsgüter“ aufgrund einer Abwägung im Einzelfall (s. oben Rn. 26 f.) überwiegen.209 Jedoch können Zufallserkenntnisse den Anfangsverdacht hinsichtlich irgendeiner der im Katalog des § 100a Abs. 1 StPO aufgeführten Straftaten (vgl. insoweit auch § 100b Abs. 5 StPO 210) begründen, derentwegen eine Überwachung hätte angeordnet werden dürfen,211 oder aber, falls 202

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Nicht nur im prozessrechtlichen (so aber Lohberger 257), sondern auch im materiellrechtlichen Sinne. Vgl. dazu BGHR StPO § 100 a, Verwertungsverbot 8, ferner z.B. Kühne (Lehrbuch) 321. Eingehend dazu Lohberger aaO. Vgl. BGH NStZ 1998 426, 427: Zufallsfunde können „Anlaß zu weiteren Ermittlungen zur Gewinnung neuer Beweismittel“ sein; gebilligt von BVerfG NJW 2005 2766. LR/G. Schäfer 25 § 108, 1. A.A. LG Freiburg NStZ 1999 582, dagegen wie hier Meyer-Goßner § 108, 1 und Hentschel NStZ 2000 274. BGHSt 31 296, 301; vgl. ferner BGHSt 26 298; 28 122; Meyer-Goßner § 100a, 18; Lohberger 269. BGH NStZ 2003 669, 670. Vgl. dazu auch OLG Karlsruhe NStZ 2004 643.

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211

BGH NJW 1983 2396; im Erg. ebenso BGH NStZ 2006 404; HK-Lemke § 100 a, 20; Lohberger 258. Das gilt für die Katalogtat der Geldwäsche (§ 100a Satz 2 StPO) dann aber nicht, wenn eine Strafbarkeit wegen des Strafaufhebungsgrundes (Tröndle/ Fischer § 261, 51) des § 261 Abs. 9 StGB nicht in Betracht kommt: Mit Recht stellt BGHSt 48 240, 243 (mit Anm. Arloth NStZ 2003 609) darauf ab, dass andernfalls wegen der Weite des Tatbestandes des § 261 StGB eine Vielzahl von Nichtkatalogtaten die Telefonüberwachung rechtfertigten und damit der Bedeutung des Fernmeldegeheimnisses nicht gerecht werden würde; zu Unrecht a.A. die vor BGHSt 48 240 ergangenen Entscheidungen KG NStZ 2003 326 und LG Hildesheim NStZ 2003 327.

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diese Voraussetzung nicht gegeben ist, in einem engen Bezug (eine andere, aber nicht zur Überwachung berechtigende Begehungsform einer Katalogtat; prozessuale Tateinheit) zu der Katalogtat stehen, deretwegen die Überwachung in zulässiger Weise angeordnet wurde;212 in diesen Fällen dürfte für die Verwertung dieser Zufallserkenntnisse, wie auch solcher bei sonstigen Ermittlungen wegen Katalogtaten, eine ausreichende gesetzliche Grundlage zu bejahen sein: So können z.B. die tatsächlichen „Erkenntnisse, die bei einer wegen des Verdachts eines Vergehens nach § 129 StGB … angeordneten Überwachung … gewonnen worden sind, … auch zum Nachweis der Straftaten verwendet werden, die der kriminellen Vereinigung als ihr Zweck und ihre Tätigkeit bei der Anordnung oder im Verlauf der Überwachung zugerechnet worden sind“.213 2. Verstoß gegen des Grundsatz: Nemo tenetur se ipsum accusare (prodere) a) Der Schutz der Menschenwürde verbietet den Strafverfolgungsbehörden überdies, 78 den Beschuldigten dazu zu zwingen, zu seiner eigenen Überführung mitzuwirken 214: „Ein Zwang zur Selbstbezichtigung berührt zugleich die Würde des Menschen, dessen Aussage als Mittel gegen ihn selbst verwertet wird“.215 Ausdrücklich in der StPO nirgends normiert, wohl aber in Art. 14 Abs. 3g IPBPR, der als innerstaatliches Verfassungrecht gilt (Erläuterungen in der Einleitung zur EMRK und zum IPBPR, LR/Gollwitzer 25 Art. 14 IPBPR, 7, 162 ff.), erscheint der aus dem englischen Rechtskreis stammende und zumeist in seiner lateinischen Fassung überlieferte Satz „nemo tenetur se ipsum prodere (accusare)“ 216 damit als Bestandteil des Schutzes der Menschenwürde. Das sich aus diesem Satz ergebende Beschuldigtenschweigerecht und ebenso das daraus folgende Aussageverweigerungsrecht von Zeugen nebst den sich daraus ergebenden Belehrungspflichten sind in der StPO kodifiziert und bereits oben Rn. 53 ff., 37 ff. näher behandelt. Zu erwähnen bleibt aber, dass die Geltendmachung des Auskunftsverweigerungsrechts aus § 55 StPO in einem späteren Strafverfahren gegen den früheren Zeugen nicht als belastend gegen diesen verwertet werden darf, weil sonst wegen Verstoßes gegen den nemotenetur Grundsatz die Menschenwürde beeinträchtigt wäre 217 – ohne jede Abwägung entnimmt der Bundesgerichtshof das Verwertungsverbot allein dem Verstoß gegen die die Menschenwürde schützenden Grundrechtsnormen der Verfassung. „Der Schutz gegen Selbstbezichtigungen beschränkt sich“ indes „nicht auf strafrecht- 79 liche und vergleichbare Verfahren“ – und dies gilt gleichermaßen für Beschuldigte wie aber auch, und, dies „erst recht“, für „Zeugen“.218 Jedoch wird dieser „Schutz gegen Selbstbezichtigungen“ dem Bundesverfassungsgericht zufolge nicht lückenlos etwa „ohne Rücksicht darauf“ gewährt, „ob dadurch schutzwürdige Belange Dritter beeinträchtigt werden“ – und deshalb ist die der Wahrung der Menschenwürde zugehörige Selbstbezichtigungsfreiheit gegen berechtigte Informationsinteressen Dritter „abzuwägen“,219 was im Konkursverfahren zwar zur Bejahung der Auskunftspflicht des Gemeinschuldners führt, jedoch nur, wird diese Pflicht „durch ein strafrechtliches Verwertungsverbot“ ergänzt.220 Anders als der Bundesgerichtshof gewinnt das Bundesverfassungsgericht das 212 213 214 215

BGH NStZ 1998 426; krit. zu dieser Rechtsprechung Neuhaus FS Rieß 375, 403 ff. BGHSt 28 122. Vgl. dazu Janicki 157 ff. BVerfGE 56 37, 42; BGHSt 38 214, 220; 302, 305; 45 367, 368; zur Bedeutung dieses Prinzips im Steuerrecht vgl. Besson; zum ganzen ausführlich LR/Kühne Einl. J 84 ff.

216 217 218 219 220

Vgl. dazu LR/Kühne Einl. J 84 ff. m.w.N.; Nothhelfer 4 f. BGHSt 38 302, 305 f. BVerfGE 56 37, 44. BVerfGE 56 37, 49. BVerfGE 56 37, 50; s. auch LR/Kühne Einl. J 97.

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Verwertungsverbot als Ergebnis einer Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen und nicht etwa direkt aus der Beeinträchtigung der von der Verfassung geschützten Menschenwürde.221

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b) Soweit § 81b StPO Identifizierungsmaßnahmen erlaubt, dürfen diese zwangsweise nur durchgeführt werden, wenn sie vom Beschuldigten passiv erduldet werden (z.B. Fingerabdruckabnahme, Messungen, Lichtbilder).222 Wird allerdings der Beschuldigte zwangsweise ohne eine dies rechtfertigende Norm (z.B. §§ 81a, 81g StPO) veranlasst, solche Maßnahmen „durch aktives Tun selbst herbeizuführen“, so wird der nemotenetur Grundsatz verletzt, so z.B. dann, wird der Beschuldigte „zu Tests, Tatrekonstruktionen, Schriftproben, zur Schaffung ähnlicher, für die Erstattung eines Gutachtens notwendigen Anknüpfungstatsachen“, zu einer Sprechprobe zu Zwecken der Stimmenidentifizierung 223 oder zur Abgabe einer Speichelprobe gezwungen 224 oder zum Objekt von Videofilmen gemacht 225. Anders als in den oben Rn. 78 erwähnten Fällten leitet der Bundesgerichtshof hier indessen ein Verwertungsverbot nicht schon aus dem bloßen Verstoß gegen die Grundrechtsnorm zur Wahrung der Menschenwürde ab. Ein Verwertungsverbot wird erst nach einer Interessenabwägung (insoweit in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht, vgl. oben Rn. 78) in Verbindung mit dem Beruhenselement des § 337 StPO dann bejaht, wenn die unter dem genannten Gesetzesverstoß erlangten Informationen auch nicht „auf legalem Weg im Zeitpunkt der Verwertung“ hätten erlangt werden können.226 Ganz ähnlich hat der Bundesgerichtshof (GrSSt) im sog. Hörfallenbeschluss die Verwertung solcher selbstbelastender Äußerungen des Beschuldigten von einer Interessenabwägung abhängig gemacht, die von Privatpersonen im Auftrag der Strafverfolgungsbehörden herbeigeführt wurden 227 (s. dazu unten Rn. 115).

221

Von dieser Konstellation sind allerdings die Fälle zu unterscheiden, in denen eine gesetzliche Auskunftspflicht nicht mit staatlichen Zwangsmaßnahmen bewehrt und deren Nichterfüllung nur mit nichtstrafrechtlichen Rechtsnachteilen verbunden ist. In diesen Fällen wird ein Verwertungsverbot schon mangels einer Selbstbezichtigungspflicht verneint: so können einmal schon Angaben außerhalb einer Vernehmungssituation z.B. bei der Zollkontrolle (so OLG Oldenburg NStZ-RR 1996 144, sehr zweifelhaft; vgl. im übrigen dazu oben Rn. 42), ferner auch Angaben des Versicherungsnehmers aufgrund § 34 Abs. 1 VVG in einem Strafverfahren verwertet werden, das gegen diesen wegen § 142 StGB durchgeführt wird (BVerfG NStZ 1995 599 f); Entsprechendes

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222 223

224 225 226 227

gilt für die Angaben eines Asylbewerbers im Rahmen seiner Anhörung über die Modalitäten seiner Einreise (BGH NStE § 47 AuslG Nr. 8; ähnlich auch OLG Düsseldorf NStZ 1992 349 und OLG Hamm NStE § 47 AuslG Nr. 6; sehr zweifelhaft). BGH NStZ 1993 47, 48. BGHSt 34 39, 45 f. – anders jedoch, wird ein mit Zustimmung des Angeklagten aufgezeichnetes Gespräch später, dann aber ohne dessen Einwilligung, für einen Stimmenvergleich verwertet: BGH StV 1985 397. BGHSt 49 56, 58. LG Berlin NStZ 1989 488. BGHSt 34 39, 53. BGHSt 42 139 mit Anm. Rieß NStZ 1996 505 und Roxin NStZ 1997 18; s. ferner Kudlich JuS 1997 696.

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Beweisverbote

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VI. Verfassungsrechtliche Beweisverbote in der Rechtsprechung: Eingriffe in die Privatsphäre nach der Dreisphärentheorie des Bundesverfassungsgerichts 1. Privatsphäre als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts a) Grundlage. Das in der Verfassung vorangestellte Gebot zur Achtung und zum 81 Schutze der Menschenwürde durch alle staatliche Gewalt (Art. 1 Abs. 1 GG) gewährt insbesondere einen unantastbaren „Bereich privater Lebensgestaltung“, der auch durch das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG auf die „Unverletzlichkeit der Wohnung“ konkretisiert wird.228 Im Übrigen ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit langem anerkannt, dass alle Einzelgrundrechte (auch) „dem Schutz der“ in Art. 2 Abs. 1 GG erwähnten „Persönlichkeit dienen“,229 wie aber auch zudem die Existenz eines „durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleistete(n) allgemeine(n) Persönlichkeitsrecht(s)“ als eines die speziellen Freiheitsrechte ergänzenden, „‚unbenannten‘ Freiheitsrecht(s)“.230 Dieses allgemeine Persönlichkeitsrecht enthalte „ein Element der ,freien Entfaltung der Persönlichkeit‘“ (Art. 2 Abs. 1 GG), „das sich als Recht auf Respektierung des geschützten Bereichs von dem ,aktiven‘ Element dieser Entfaltung, der allgemeinen Handlungsfreiheit“, abhebe und „nicht abschließend umschrieben“ sei, deren „Ausprägungen“ allerdings durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wie auch des Bundesgerichtshofs „jeweils anhand des zu entscheidenden Falles herausgearbeitet“ worden seien. „So sind als Schutzgüter des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anerkannt die Privat-, Geheim- und Intimsphäre …, die persönliche Ehre, das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person …, das Recht am eigenen Bild und am gesprochenen Wort … und unter bestimmten Umständen das Recht, von der Unterschiebung nicht getaner Äußerungen verschont zu bleiben“,231 und später zudem – s. dazu unten Rn. 101 ff. – das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.232 b) Beispiele. Die Sachverhaltsermittlung im Strafverfahren kann insbesondere durch 82 Verwertung von persönlichen und beruflichen schriftlichen Aufzeichnungen, Akten jeder Art, Lichtbildern, magnetischen Aufzeichnungen auf Ton- und Videobändern und auf jeglichen sonstigen Datenträgern (Festplatte eines Computers, Disketten, CDs, DVDs) die genannten Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verletzen. Auch ist „die akustische Überwachung von Wohnungen dort“ ausgeschlossen, „wo“ eine „Ermittlungsmaßnahme in“ diesen „unantastbaren Bereich … vordringen würde“;233 „jede Verwertung“ der aus solchen Ermittlungsmaßnahmen gewonnenen „Informationen ist ausgeschlossen“ 234 (s. dazu auch unten Rn. 83). Die nachfolgende Darstellung beschränkt sich auf grundlegende und derzeit aktuelle Fragestellungen; im Übrigen wird auf die Erläuterungen zu den je in Betracht kommenden Einzelvorschriften in der StPO verwiesen wie z.B. §§ 81b, 94, 98a, 98c, 100c StPO. 228 229 230 231 232

BVerfG NJW 2004 999, 1002. Vgl. z.B. BVerfGE 54 148, 152. BVerfGE 54 148, 153. BVerfGE 54 148, 153 f. m.w.N. BVerfGE 65 1, 41 ff.; nach der hier vertretenen Auffassung wird die Dreistufentheorie des BVerfG durch die Entwicklung des Rechts auf informationelle Selbstbestim-

233 234

mung lediglich weiter ausgebaut, nicht aber etwa überholt. Näheres dazu s. bei Gössel GA 1991 508. Vgl. dazu auch BVerfG NJW 2006 976, 980 f. BVerfG NJW 2004 999, 1003. BVerfG NJW 2004 999, Leitsatz 5 und S. 1003.

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2. Die Dreisphärentheorie des Bundesverfassungsgerichts: Übersicht

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a) In seiner grundlegenden Entscheidung vom 31. Januar 1973 hat das Bundesverfassungsgericht neben einer aus dem Schutz des Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 herausfallenden Sphäre zwei Zonen jeweils unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Schutzes anerkannt. Mit der „Intimsphäre des Einzelnen“ habe das Grundgesetz dem einzelnen Bürger einen Kernbereich unantastbarer „privater Lebensgestaltung gewährt, der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen“ 235 sei, in den einzugreifen, unter Berücksichtigung des Art. 19 Abs. 2 GG und im Sinne der absoluten Wesensgehaltsgarantie,236 „selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit … nicht rechtfertigen“ könnten.237 Jedoch steht dem Bundesverfassungsgericht zufolge „nicht der gesamte Bereich des privaten Lebens unter dem absoluten Schutz des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1“: „Als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger muß vielmehr jedermann staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots getroffen werden, soweit sie nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung beeinträchtigen“.238 Demnach ist neben dem staatlichen Eingriffen unzugänglichen Kernbereich eine weitere private Schutzsphäre anzuerkennen, in der die Zulässigkeit staatlicher Eingriffe von einer Abwägung des Rechts auf Privatheit mit den Interessen der Allgemeinheit abhängig ist, im Strafverfahren also mit den Interessen einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege.239

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b) Unbeschränkt zulässig werden staatliche Eingriffe erst in dem außerhalb der genannten Schutzsphären liegenden Bereich, in dem „in aller Regel das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit … noch nicht betroffen“ ist, so etwa hinsichtlich des gesprochenen Wortes bei solchen „Mitteilungen“, bei denen „der objektive Gehalt des Gesagten so sehr im Vordergrund“ steht, „daß die Persönlichkeit des Sprechenden nahezu vollends dahinter zurücktritt und das gesprochene Wort damit seinen privaten Charakter einbüßt“, wie etwa „im geschäftlichen Verkehr“.240 Ausreichend klare Abgrenzungen zwischen den verschiedenen Stadien werden damit zu wichtigen Voraussetzungen für die Praktikabilität der Dreisphärentheorie. 3. Die Abgrenzung der einzelnen Sphären voneinander

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a) Außenbereich. Das OLG Schleswig hat unter Anwendung der Dreisphärenlehre des Bundesverfassungsgerichts die Verwertbarkeit einer heimlichen Videoaufzeichnung vom Gelddiebstahl eines Finanzamts-Angestellten als Revisor beim Zählen der Einnahmen im Geldzählraum eines Kasinos deshalb für verwertbar erachtet, weil in Anbetracht der gegenseitigen Kontrolle aller beim Geldzählen anwesenden Personen das Verhalten des Täters am Arbeitsplatz im Kasino nicht mehr dem geschützten Bereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sei. Im Übrigen könne die Frage, ob der geschützte Bereich privater Lebensgestaltung betroffen sei, auch „im sozialen Außenbereich … nur unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalles“ entschieden werden – und dies gelte auch für Aufzeichnungen vom Verhalten einer Person am Arbeitsplatz, der jedenfalls nicht schon als solcher dem von der Verfassung geschützten Privatbereich 235 236 237 238

BVerfGE 34 238, 245. Vgl. dazu Gössel GedS Meyer 138. BVerfGE 34 238, 245. BVerfGE 34 238, 246.

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239

240

BVerfGE 34 238, 249; zum Topos der funktionstüchtigen Rechtspflege vgl. ausführlich LR/Kühne Einl. H 10 ff. BVerfGE 34 238, 247.

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zuzurechnen sei.241 Ähnlich hat der Bundesgerichtshof Aufnahmen von Teilnehmern an einer öffentlichen Versammlung nicht mehr dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Versammlungsteilnehmer unterstellt.242 b) Der Kernbereich als Intimsphäre ohne Sozialbezug. Erweist sich damit schon die 86 Herausarbeitung eines öffentlichen, vom Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht mehr erfassten Bereichs als nicht unproblematisch, so dürfte der Versuch, einen absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung von einem gleichsam nur einfach verfassungsrechtlich geschützten Privatbereich abzugrenzen, noch größere Schwierigkeiten aufwerfen. Dies dürfte auch darin aufscheinen, dass sich das Bundesverfassungsgericht zwar in vielen Entscheidungen zur Abgrenzung des Kernbereichs von der sonstigen Privatsphäre und den dabei heranzuziehenden Kriterien geäußert hat, aber, soweit ersichtlich, bisher noch in keinem konkreten Fall einen Eingriff in den Kernbereich festgestellt hat, weshalb es aus einem solchen Eingriff auch noch kein Verwertungsverbot ableiten konnte. Es blieb dem Bundesgerichtshof vorbehalten, in, soweit ersichtlich, bisher vier Fällen einen Eingriff in den Kernbereich zu bejahen, aus dem aber nur in zwei Fällen ein Verwertungsverbot abgeleitet wurde: bei der sog. Raumgesprächsaufzeichnung (Verwertungsverbot, BGHSt 31 296; unten Rn. 89), der Aufzeichnung eines Gesprächs „ohne Zustimmung des Partners“ (kein Verwertungsverbot, erwähnt in BGHSt 19 325, 327; unten Rn. 91), der Aufzeichnungen „für sich selber“ in einem Tagebuch (kein Verwertungsverbot, BGHSt 19 325, 327; unten Rn. 91) und schließlich bei der Aufzeichnung eines Selbstgesprächs (Verwertungsverbot, BGH NJW 2005 325; unten Rn. 88, 93). aa) Sozialbezug. Soweit ersichtlich, hat sich das Bundesverfassungsgericht mit der 87 Abgrenzung des Kernbereichs von der sonstigen Privatsphäre zum ersten Mal in einer Entscheidung aus dem Jahre 1957 befasst. Bei der Bejahung der Verfassungsmäßigkeit der damaligen Strafvorschriften gegen die männliche Homosexualität sah das Gericht den absolut geschützten Intimbereich privater Lebensgestaltung dann als „verlassen“ an, „wenn Handlungen des Menschen in den Bereich eines anderen einwirken, ohne daß besondere Umstände, wie etwa familienrechtliche Beziehungen, diese Gemeinschaftlichkeit des Handelns als noch in den engsten Intimbereich fallend erscheinen lassen“. Die „Berührung mit der Persönlichkeitssphäre eines andern Menschen“ führe im Regelfall zu rechtlich regelbarem Sozialbezug menschlichen Verhaltens, dann aber ausnahmsweise nicht, wenn der Sozialbezug nicht intensiv genug sei 243 – und folgerichtig wurde der Intimbereich schon dann als verlassen angesehen, sobald sich jemand „anderen freiwillig mitteilt“,244 auch bei brieflichen Äußerungen eines Untersuchungsgefangenen an seine Ehefrau 245 sowie bei an bestimmte Personen gerichteten Abschiedsbriefen anlässlich eines Suizidversuchs;246 Gleiches gilt für die Verwertung des Tagebuchs einer verstorbenen Zeugin, deren Aufzeichnungen einen „engen Bezug zu den abgeurteilten Taten“ aufweisen.247 241

OLG Schleswig JZ 1979 816, 817. In ähnlicher Weise hält das LG Zweibrücken Videoaufnahmen am Arbeitsplatz zur Aufklärung von Diebstählen für verwertbar, rechnet aber den Arbeitsplatz der Privatsphäre außerhalb des Kernbereichs zu, allerdings ohne sich mit der insoweit entgegengesetzten vorgenannten Entscheidung des OLG Schleswig auseinanderzusetzen.

242 243 244 245 246 247

BGH NJW 1975 2075, 2076. BVerfGE 6 389, 433; ebenso BayObLG NJW 1979 2624, 2625. BVerfGE 33 367, 377. BVerfGE 35 35, 39. BGH NJW 1995 269. BGH NStZ 1998 635.

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bb) Art und Intensität des Sozialbezugs als Abgrenzungskriterium. Diese relativierende Bestimmung des Sozialbezugs als entscheidendes Merkmal für das Verlassen des Kernbereichs hat das Bundesverfassungsgericht unter Zustimmung des Bundesgerichtshofs zuletzt in seiner Entscheidung zur Zulässigkeit der akustischen Wohnraumüberwachung konkretisiert, unter Fortführung seiner Rechtsprechung zur Verwertung von Tagebuchaufzeichnungen. Weil „der Mensch als Person, auch im Kernbereich seiner Persönlichkeit, … sich notwendig in sozialen Bezügen“ verwirkliche, könne „die Zuordnung eines Sachverhalts zum unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung oder – soweit dieser nicht betroffen ist – zum Sozialbereich, der unter bestimmten Voraussetzungen dem staatlichen Zugriff offensteht, … daher nicht danach vorgenommen werden, ob eine soziale Bedeutung oder Beziehung überhaupt besteht; entscheidend ist vielmehr, welcher Art und wie intensiv sie im konkreten Fall ist“. „Dies“ könne „befriedigend nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten des einzelnen Falls beantwortet werden“ und sei neben dem Geheimhaltungswillen des Betroffenen (sog. formales Element) davon abhängig, „in welcher Art und Intensität“ der jeweilige Sachverhalt „aus sich heraus die Sphäre anderer oder die Belange der Gemeinschaft“ (sog. inhaltliches Element) berühre.248 So gehörten „Gespräche, die Angaben über begangene Straftaten enthalten, … ihrem Inhalt nach nicht dem unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung an“, wohl aber „Äußerungen im Zwiegespräch, die zum Beispiel ausschließlich innere Eindrücke und Gefühle wiedergeben und keine Hinweise auf konkrete Straftaten enthalten“; solche Äußerungen gewönnen „nicht schon dadurch einen Gemeinschaftsbezug, dass sie Ursachen oder Beweggründe eines strafbaren Verhaltens freizulegen vermögen“.249 Für die Zuordnung „des nicht öffentlich gesprochenen Worts in Wohnungen …, wenn sich jemand allein oder ausschließlich mit Personen in der Wohnung aufhält, zu denen er in einem besonderen, den Kernbereich betreffenden Vertrauensverhältnis steht“, sei „der Inhalt des Gesprächs maßgeblich“. Deshalb erfordere „der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung …, daß vor Maßnahmen akustischer Wohnraumüberwachung tatsächliche Anhaltspunkte gegeben sind, aus denen zumindest in typisierender Weise geschlossen werden kann, daß das Gespräch nicht den Bereich des Höchstpersönlichen betrifft“ 250 (s. dazu die Erl. zu § 100c m.w.N.). Jedoch hat ein Selbstgespräch des Beschuldigten nach der zutr. Auffassung des Bundesgerichtshofs „ausschließlich höchstpersönlichen Charakter und berührt aus sich heraus nicht die Sphäre anderer oder der Gemeinschaft“, weshalb dieses ausnahmslos dem absolut geschützten Kernbereich zugehört mit der Folge, dass die Aufzeichnung eines Selbstgesprächs des Beschuldigten im Krankenzimmer nicht verwertet werden darf.251 4. Kritische Beurteilung der Rechtsprechung zur Abgrenzung des Kernbereichs von der sonstigen Privatsphäre a) Unsichere bis widersprüchliche Ergebnisse

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aa) Die als Abgrenzungsmerkmal herangezogene Art und Intensität des Sozialbezugs und die darüber entscheidenden Merkmale erscheinen indessen entgegen der Erwartung des Bundesverfassungsgerichts über eine „praktisch mögliche“ Beurteilung einer Ermitt-

248 249

BVerfGE 80 367, 374; ebenso BVerfG NJW 2004 999, 1003 f. BVerfG NJW 2004 999, 1003; zust. BGH NJW 2005 3295, 3297.

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BVerfG NJW 2004 999, 1003 f. BGH NJW 2005 3295, 3297 mit krit., nur im Ergebnis zust. Bespr. Kolz NJW 2005 3248; vgl. auch die Bespr. Jahn JuS 2006 91.

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lungsmaßnahme als in den Kernbereich eingreifend kaum justitiabel unsicher.252 Wird z.B. bei einem zulässigerweise überwachten Telefonanschluss der Hörer nicht korrekt aufgelegt und überträgt dieser deshalb als Mikrophon alle Geräusche einschließlich etwaiger Unterhaltungen aus einem privaten Raum (Raumgespräch) auf die Aufzeichnungsgeräte, so soll dem Bundesgerichtshof zufolge in der Verwertung der Aufzeichnung eines in diesem Raume geführten Gesprächs unter Eheleuten ein Eingriff in „den unantastbaren Bereich der privaten Lebensgestaltung“ liegen, „auf den daher die öffentliche Gewalt nicht einwirken darf“.253 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Abgrenzung der Intimsphäre von der sonstigen Privatsphäre bleibt dabei unberücksichtigt: Auch ohne irgendwelche Abwägungen zwischen Strafverfolgungsinteressen und dem Persönlichkeitsrecht wird „die Unterhaltung zwischen Eheleuten in der ehelichen Wohnung“ dem „unantastbaren Bereich“ zugerechnet.254 Dass der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung auf die Abgrenzung zwischen Kern- und Abwägungsbereich verzichtet, erstaunt um so mehr, als die gegenseitige Berührung der jeweiligen Persönlichkeitssphären der Ehepartner doch unübersehbar ist. Freilich ließe sich auch vom Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts wegen der familienrechtlichen Beziehungen der Sozialbezug als weniger intensiv dem Kernbereich zuordnen – aber dann bliebe doch wohl wenig verständlich, warum dann briefliche Äußerungen unter Ehegatten und geschlechtliche Beziehungen zwischen Unverheirateten einen stärkeren, zum Verlassen des Intimbereichs führenden Sozialbezug darstellen sollen, wie dies vom Bundesverfassungsgericht wie auch vom BayObLG angenommen wird.255 Die Unsicherheit wird noch größer, wird die Intimität jener innerpsychischen Vorgänge bedacht, die z.B. bei Gutachten über die Schuldfähigkeit oder sonst über den psychischen Zustand des Beschuldigten nach § 81 StPO auch noch in öffentlicher Hauptverhandlung offenbart werden – und auch jener Fall, in dem der Inhaber des überwachten Anschlusses selbst die überwachte Verbindung hergestellt, jedoch versehentlich nicht beendet hatte: Hier hat der Bundesgerichtshof die Verwertung eines außerhalb der Intimsphäre geführten und aufgezeichneten Raumgesprächs durch eine zulässigerweise überwachte Telekommunikationsanlage unter Heranziehung der Dreistufentheorie wegen Überwiegens der Strafverfolgungsinteressen bejaht.256 bb) Die Unsicherheit über die klare Ausgrenzung des Kernbereichs wird noch größer, 90 werden die Rechtsprechung zur Verwertung von Tagebüchern und Tonbandaufzeichnungen und zudem die oben Rn. 88 erwähnte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit der akustischen Wohnraumüberwachung und die des Bundesgerichtshofs zur Unzulässigkeit der Verwertung der Aufzeichnung eines Selbstgesprächs betrachtet. (11) In einer Entscheidung aus dem Jahre 1964 hält der Bundesgerichtshof – ungeach- 91 tet der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – die dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zugehörige „engste Eigensphäre“ für verletzt, wird ein Gespräch von einem der beiden Partner ohne Zustimmung des anderen auf Tonband aufgenommen, wie auch bei der Verwertung von Aufzeichnungen in einem Tagebuch ohne Kundgebungszweck 257 – 252 253 254 255

Zur Kritik an der Dreistufenlehre vgl. weiter Riepl 21 ff. m.w.N. BGHSt 31 296, 299. BGHSt 31 296, 300. BVerfGE 6 389, 432 ff. für homosexuelle Handlungen; BayObLG NJW 1979 2624 f. bei – heterosexuellem – Verkehr mit Prostituierten; zur Kritik vgl. schon Benda in:

256 257

Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung (1974) 23, 30 und Lorenz GA 1992 263. BGH NJW 2003 2034, krit. dazu Fezer NStZ 2003 625; Braum JZ 2004 128. BGHSt 19 325, 327; im Erg. ebenso BGHSt 34 397, 399, 401.

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gleichwohl wird vom Standpunkt der damals noch vom Bundesgerichtshof vertretenen relativen Wesensgehaltstheorie erst aufgrund einer Abwägung der Strafverfolgungsinteressen mit dem Grundrechtsschutz über die staatlichen Eingriffsbefugnisse und damit die Verwertbarkeit der erlangten Erkenntnisse entschieden: Bei Aufzeichnungen eines Verbrechers über „seine Verbrechen und Opfer“ sei für Persönlichkeitsschutz kein Raum, weil das GG die Entfaltung und nicht den Verfall der Persönlichkeit schütze;258 deshalb seien solche Aufzeichnungen verwertbar, die „der Aufklärung eines Mordes, also einer der schwersten Straftaten, die das Strafgesetzbuch kennt“, dienten und, obwohl nicht das einzige Beweismittel, doch „für die Entscheidung von nicht unerheblicher Bedeutung“ waren.259 Dagegen sei Verwertbarkeit zu verneinen, handele es sich außerhalb des Bereichs der Schwerkriminalität um Aufzeichnungen über Liebesbeziehungen;260 ebenso wurde in einem Verfahren wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit, einem gegenüber Mord „deutlich weniger gewichtige(n) Vergehen“, der Schutz des Persönlichkeitsrechts als gegenüber den Strafverfolgungsinteressen vorrangig bewertet und deshalb Unverwertbarkeit angenommen,261 allerdings auch deshalb, weil andere Beweismittel zur Überführung zur Verfügung standen.262 Die These, derzufolge Aufzeichnungen über begangene Straftaten dem Kernbereich 92 nicht zugehören, wird nunmehr auch durch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur akustischen Wohnraumüberwachung bestätigt.263 Jedoch erweckt diese Auffassung schon deshalb erhebliche Bedenken, weil diese These, die auf die Auffassung des Bundesgerichtshofs vom angeblich schutzlosen Verfall der Persönlichkeit in kriminelles Verhalten zurückgeht,264 de facto die Existenz eines unantastbaren Kerns der Persönlichkeit jedenfalls im Bereich kriminellen Verhaltens verneint und sich damit in direktem Gegensatz zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs über die Zugehörigkeit eines ehelichen Gesprächs über gemeinsames kriminelles Verhalten zum absolut geschützten Kernbereich 265 setzen dürfte, die ihrerseits mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur akustischen Wohnraumüberwachung nicht mehr zu vereinbaren ist,266 aber auch der früheren und zutreffenden Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts widerspricht, derzufolge auch im Bereich der Schwerkriminalität der Täter „dennoch ein Glied“ der Rechtsgemeinschaft bleibt „mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Schutz seiner Individualität“.267 (22) Die Schwierigkeiten bei der Zuordnung einer Ermittlungsmaßnahme zum abso93 lut geschützten Kernbereich hat das Bundesverfassungsgericht mit einer Entscheidung aus dem Jahre 1989 – ebenfalls im Gegensatz zu der soeben erwähnten Entscheidung des Bundesgerichtshofs über den absoluten Schutz ehelicher Gespräche – schon mit seiner Auffassung vermehrt, mit der schriftlichen Niederlegung seiner Gedanken in einem Tagebuch habe der Verfasser diese Gedanken der Gefahr des Zugriffs preisgegeben und aus dem absolut geschützten Kernbereich entlassen 268 (vgl. oben Rn. 88) – eine kaum verständliche Entscheidung, die den Kernbereich letztlich auf Gedanken und Gefühle beschränkt, auf die schon faktisch niemand zugreifen kann,269 weshalb der Bundes-

258 259 260 261 262 263 264 265

BGHSt 19 325, 331. BGHSt 34 397, 401. BGHSt 19 325, 331, 333. Wohl im Gegensatz zu BGHSt 19 325, 331. BGH NStZ 1994 350. BVerfG NJW 2004 999, 1003 f. BGHSt 19 325, 331. BGHSt 31 296, 300.

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269

BVerfG NJW 2004 999, 1003 f. BVerfGE 35 202, 233. BVerfGE 80 367, 376; im Erg. ebenso BerlVerfGH NJW 2004 593, der Tagebuchaufzeichnungen ohne nähere Begründung aus dem Kernbereich ausscheidet. Vgl. dazu auch Ellbogen NStZ 2001 460, 463.

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gerichtshof in seiner oben Rn. 88 genannten Entscheidung die Aufzeichnung eines Selbstgesprächs völlig zu Recht dem Kernbereich des Persönlichkeitsrechts zuordnet, aber wohl doch im Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht, weil dieses bei den mündlichen Äußerungen in einem Selbstgespräch konsequenterweise ebenso die Gefahr des Zugriffs und den zur Entlassung aus dem Kernbereich führenden Sozialbezug bejahen müsste wie die schriftliche Fixierung in einem Tagebuch: In beiden Fällen fehlt der mündlichen wie der schriftlich fixierten Äußerungen die Bestimmung, „von anderen zur Kenntnis genommen zu werden“.270 Zudem ist hier zu fragen, ob nicht der von § 81 StPO gestattete Zugriff auf das psychische Innenleben als Eingriff in den absolut geschützten Kernbereich angesehen werden muss, was aber bisher nicht einmal als problematisch erkannt wurde (s. oben Rn. 89). b) Die faktische Aufgabe der Lehre von der Existenz eines absolut geschützten Kern- 94 bereichs durch das Bundesverfassungsgericht. Schon mit der soeben Rn. 93 erwähnten Aussonderung der Tagebuchaufzeichnungen aus dem Kernbereich durch die auf Art und Intensität des Sozialbezugs abstellende relativierende Bestimmung des Kernbereichs dürfte das Bundesverfassungsgericht die Lehre von der Existenz eines absolut geschützten Kernbereichs nahezu aufgegeben haben,271 und deshalb hat auch das BayObLG entgegen dieser verfassungsgerichtlichen Auffassung den noch nicht abgesandten Brief eines Drogenabhängigen an seinen Arzt zu Recht dem absolut geschützten Kernbereich zugeordnet und deshalb ein Verwertungsverbot bejaht.272 Im Übrigen erscheinen die soeben erwähnte Tagebuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts und diejenige zur akustischen Wohnraumüberwachung auch widersprüchlich: Wird der Grundsatz der Existenz eines absolut unantastbaren Kernbereichs der Persönlichkeit aufrechterhalten,273 die Zuordnung eines Sachverhalts zu diesem Bereich dann aber im Sinne der relativen Wesensgehaltstheorie von Art und Intensität des Sozialbezugs abhängig gemacht (oben Rn. 88), so wird die Grenze des Kernbereichs in Abhängigkeit von bestimmten Eigenschaften des abgrenzenden Merkmals relativierend bestimmt und ebenso der Kernbereich selbst: Ein Schutzbereich aber, dessen Grenzen relativ bestimmt werden, kann nicht mehr als absolut geschützt bezeichnet werden. Damit ist die absolute Wesensgehaltstheorie der Sache nach aufgegeben.274 Zu bedenken ist ferner, dass die Rechtsprechung sich nirgendwo klar und eindeutig zum Verhältnis des Schutzes des Kernbereichs des Persönlichkeitsrechts zur Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG äußert.275 5. Verwertungsverbote wegen unzulässiger Eingriffe in die Privatsphäre außerhalb des 95 Kernbereichs. Neben der Abgrenzung des Kernbereichs von der sonstigen Privatsphäre bereitet auch die über ein Verwertungsverbot entscheidende konkrete Einzelfallabwägung der Strafverfolgungsinteressen mit den Interessen an der Wahrung der Privatsphäre außerhalb des absolut geschützten Intimbereichs nicht unerhebliche Schwierigkeiten, wie sich aus der folgenden Übersicht ergeben dürfte. 270 271

272 273 274

BGH NJW 2005 2395, 3297. Vgl. dazu schon Geis 114, der diese Konsequenz schon der Entscheidung des BVerfG zum Volkszählungsgesetz (BVerfG 65 1) entnimmt. BayObLG MDR 1992 993. BVerfGE 80 367, 373; BVerfG NJW 2004 999. Lorenz GA 1997 62 hält gar das Festhalten

275

an der Existenz eines absolut geschützten Kernbereichs für bloße „Semantik“, in Wahrheit liege „Abwägung in Reinform“ vor; wie hier schon Lorenz GA 1992 264. Vgl. z.B. BVerfGE 34 238, 245: unantastbarer Bereich privater Lebensführung – „überdies“ gelte das Verbot des Art. 19 Abs. 2 GG.

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a) Den Rückgriff auf von Dritten (Privaten) heimlich hergestellte Tonbandaufnahmen 276 hält das Bundesverfassungsgericht dann für verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn dies „in Fällen schwerer Kriminalität – sei es gegen Leib und Leben anderer, sei es gegen die existentiellen Grundlagen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder gegen sonstige Rechtsgüter vergleichbaren Ranges – zur Feststellung der Identität von Straftätern wie zur Entlastung zu Unrecht Beschuldigter“ geschieht; eine exakte Grenze für hiernach zulässige Eingriffe in das Recht am eigenen Wort lasse sich indessen nicht ziehen.277 In allen Fällen komme es zunächst entscheidend auf die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes an, wobei einmal die Schwere des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Bedeutung sei, zum anderen das im Einzelfall – unabhängig von der Art der je verwirklichten Straftat – „konkrete Tatunrecht“. Darüber hinaus müsse bei der notwendigen Abwägung bedacht werden, ob die jeweilige Tonbandaufnahme sich als einziges Beweismittel zur Überführung oder Entlastung erweise, aber auch, inwieweit „die auf dem Tonband festgehaltenen, für das Strafverfahren möglicherweise nicht relevanten Äußerungen … auf den Kreis der unmittelbar am Verfahren Beteiligten beschränkt werden“ könnten – diesen Kriterien zufolge könne das Interesse an der Tataufklärung wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung, des Betrugs und der Urkundenfälschung allein (insbesondere ohne Berücksichtigung des konkreten Tatunrechts) den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht nicht rechtfertigen.278 Die gleichen Grundsätze gelten auch für die Verwertung von Videokassetten;279 ist hiernach ein Verwertungsverbot zu bejahen, darf der Inhalt der Aufzeichnungen auch nicht durch Vernehmung von Personen verwertet werden, die vom Inhalt der Aufzeichnung Kenntnis haben.280 Auch der EGMR wägt ab, wenn auch unter leichter Akzentverschiebung: So hat dieser Gerichtshof die Verwertbarkeit eines rechtswidrig aufgenommenen Tonbandes nur für zulässig erachtet, soweit das Recht der Verteidigung gewahrt ist und die Verurteilung nicht ausschließlich auf dem rechtswidrig erlangten Beweismittel beruht.281

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b) Die Verwertung eines an eine andere Person gerichteten Abschiedsbriefes aus Anlass eines Suizidversuchs hat der Bundesgerichtshof nach Zuordnung zur Privatsphäre außerhalb des Kernbereichs aufgrund einer Abwägung der hier widerstreitenden Interessen für zulässig erklärt: der Brief enthalte wesentliche Anhaltspunkte zur „Klärung des dem Angeklagten zur Last gelegten versuchten Mordes“, und dies rechtfertige den Vorrang der Strafverfolgungsinteressen 282 – und umgekehrt hat er die Verwertung von Unterlagen, „die sich ein Beschuldigter erkennbar zu seiner Verteidigung in dem gegen ihn laufenden Strafverfahrens anfertigt“, deshalb für unverwertbar gehalten, weil „dem aus Art. 6“ Abs. 3 EMRK i.V.m. „dem aus Art. 2“ Abs. 1, „Art. 20“ Abs. 3 „GG herzuleitenden rechtsstaatlichem Gebot, dem Beschuldigten jederzeit die Möglichkeit einer geordneten Verteidigung zu geben …, bei der Abwägung mit dem staatlichen Interesse an einer funktionierenden Strafrechtspflege Vorrang“ gebühre.283 276 277 278

279

Vgl. dazu Frank aaO. BVerfGE 34 238, 249 f. BVerfGE 34 238, 250 f.; ebenso BayObLG NJW 1990 197, 198 in einem Verfahren wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung und BerlVerfGH NJW 2004 593 in Verfahren wegen Wahlfälschung (§ 107a StGB). BGHSt 36 167, 173; BGH MDR 1991 885. Auch im Zivilprozess wird die Verwertbar-

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280 281 282 283

keit von Videoaufnahmen zur Aufklärung von Sachbeschädigungen an Kraftfahrzeugen in einer Tiefgarage vom OLG Karlsruhe verneint (NJW 2002 2799). BayObLG NJW 1990 197, 198, allerdings nur für Tonbandaufnahmen. EGMR NJW 1989 654 f.; „Fall Schenk“. BGH NJW 1995 269. BGH NStZ 1998 309, 310; OLG München NStZ 2006 300.

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c) Schriftliche ärztliche Unterlagen (z.B. Krankenblätter) „betreffen“ nach der Auf- 98 fassung des Bundesverfassungsgerichts „mit ihren Angaben über Anamnese, Diagnose und therapeutische Maßnahmen zwar nicht die unantastbare Intimsphäre, wohl aber den privaten Bereich des Patienten“. Die Verwertung solcher Unterlagen ohne Einverständnis der je betroffenen Patienten wird folglich auch hier von einer Abwägung abhängig gemacht: Die Strafverfolgungsinteressen können vorgehen, wenn „in Zeiten allgemeiner Unruhen oder um sich greifender Gewalttätigkeit“ der Arzt die Identität von Personen offenbaren müsse, „die sich mit Hieb-, Stich- oder Schußverletzungen bei ihm einfinden“, aber auch dann, „wenn der Arzt selbst einer Straftat beschuldigt wird oder der Teilnahme an einer strafbaren Handlung des beschuldigten Patienten verdächtig ist“ und zur Aufklärung dieser Straftaten der Einblick in die Patientenkartei notwendig ist – dagegen gehe im Regelfall die Achtung der Privatsphäre vor, gehe es um die „Aufklärung von Straftaten“, „die allein dem Patienten zur Last gelegt werden“, auch dann, wenn sich die entsprechenden Unterlagen im Gewahrsam eines Nachfolgers des früher behandelnden Arztes befinden.284 In ähnlicher Weise wie die Verwertung ärztlicher Unterlagen hat das Bundesver- 99 fassungsgericht auch die Verwertung von Klientenakten einer Drogenberatungsstelle des Caritasverbandes beurteilt. Auch diese Akten betreffen zwar „nicht die unantastbare Intimsphäre, wohl aber den privaten Bereich des Klienten“.285 Als vorrangig sind die Interessen der Strafverfolgung anzusehen, „soweit die Bekämpfung illegaler Händler in Rede steht“ oder soweit sich „Hinweise für die Begehung eines Kapitalverbrechens“ ergeben 286 – sie treten dagegen hinter den Persönlichkeitsschutz zurück, soweit es sich um Akten einer öffentlich-rechtlich anerkannten und damit gesundheitsfürsorgerischen Zwecken dienenden Drogenberatungsstelle handelt und es nur darum geht, „den staatlichen Strafanspruch gegenüber Drogenverbrauchern zur Geltung zu bringen“.287 d) Werden bei der Weitergabe eines Lichtbildes durch die Meldebehörde an die Ver- 100 folgungsbehörden in Straf- oder Ordnungwidrigkeitensachen die dazu notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen nicht beachtet (etwa § 2b Abs. 2 PAuswG; § 22 PaßG), so entscheidet „eine die Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Abwägung zwischen den geschützten Interessen des“ Beschuldigten oder Betroffenen „und dem staatlichen Verfolgungsinteresse“, zu der festgestellt wird, der hier vorliegende Verfahrensfehler wiege „nicht so schwer“, weil „die Übermittlung … den Kernbereich“ des Beschuldigten oder Betroffenen „nicht berührt und seine Identifizierung durch die Polizei jederzeit auch auf gesetzlichem Wege hätte erfolgen können“ 288 – eine schon deshalb wenig überzeugende Begründung, weil die fehlende Berührung des Kernbereichs, jedenfalls nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, eine Voraussetzung für die Zuordnung zur sonstigen Privatsphäre und der erst hier zulässigen Abwägung der betroffenen Interessen bildet.

284

285 286 287 288

BVerfGE 32 373, 379, 381; hinsichtlich Straftaten des behandelnden Arztes ebenso BGHSt 38 144, 147 f. BVerfGE 44 353, 372. BVerfGE 44 353, 377, 379. BVerfGE 44 353, 377 f. OLG Frankfurt NJW 1997 2963, 2964 im

Anschluss an OLG Hamm v. 7.11.1989, 3 Ss OWi 695/89, wohl unveröffentlicht; zust. BayObLG NJW 1998 3656, 3657; im Erg. ebenso BayObLG NStZ-RR 2004 91. Mit Recht kritisch zu dieser Rechtsprechung Nobis DAR 2002 299, 300 f. m.w.N. aus der Rechtsprechung.

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VII. Verfassungsrechtliche Beweisverbote in der Rechtsprechung wegen unzulässiger Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung 101

1. Im Jahre 1983 entwickelte das Bundesverfassungsgericht mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht ein neues Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (oben Rn. 81): die auch „aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden“.289 Allerdings bleibt unklar, ob das Bundesverfassungsgericht diesem Recht wie auch dem Recht am gesprochenen Wort 290 einen unantastbaren Kernbereich zuordnen will 291 und wie es insoweit um den Schutz der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 bestellt ist. Der Entscheidungswortlaut spricht eher gegen die Anerkennung eines derartigen unantastbaren Bereichs: „Der Einzelne hat nicht ein Recht im Sinne einer absoluten, uneinschränkbaren Herrschaft über ,seine‘ Daten“ – er muss „Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen“, soweit sie sich unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aufgrund einer gesetzlichen Grundlage nach Voraussetzungen und Umfang „klar und für den Bürger erkennbar ergeben“.292 Ein überwiegendes Allgemeininteresse könne regelmäßig „nur an Daten mit Sozialbezug bestehen unter Ausschluß unzumutbarer intimer Angaben und von Selbstbezichtigungen“, und im Übrigen setze ein Zwang zur Angabe personenbezogener Daten voraus, „daß der Gesetzgeber den Verwendungszweck bereichsspezifisch und präzise bestimmt und daß die Angaben für diesen Zweck geeignet und erforderlich“ und „auf den gesetzlich bestimmten Zweck begrenzt“ sind, weshalb „ein – amtshilfefester – Schutz gegen Zweckentfremdung durch Weitergabe- und Verwertungsverbote erforderlich“ sowie „Aufklärungs-, Auskunftsund Löschungspflichten“ als „weitere verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen wesentlich“ 293 seien.

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2. Die strafverfahrensrechtliche Brisanz dieses vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Instituts wurde mit den Fortschritten in der Genomanalyse und der Entdeckung des genetischen Fingerabdrucks unübersehbar deutlich. Die mit der Genomanalyse erstrebte Kartierung der biologischen Grundlagen des Individuums kann dessen Recht, über seine persönlichen Daten selbst zu verfügen, offensichtlich massiv beeinträchtigen. Aber auch die im genetischen Fingerabdruck ausschließlich zur Identifizierung eines Individuums enthaltenen persönlichen Daten berühren dieses Recht.

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a) Bundesgerichtshof wie Bundesverfassungsgericht haben § 81a StPO als ausreichende Grundlage zur Erhebung und Verwertung des genetischen Fingerabdrucks im Strafverfahren angesehen,294 dabei allerdings von den in BVerfGE 65 1, 44, 46 aufgestellten Voraussetzungen, jedenfalls für das Strafverfahren, sehr weitgehend Abstand genommen,295 ohne sich mit entgegenstehenden gewichtigen Argumenten des Schrift-

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BVerfGE 65 1, 42 m.w.N.; zur Zulässigkeit von Ermittlungen unter Eingriff in dieses Recht s. Perschke 54 ff. BVerfG NJW 1992 815 zur Unverwertbarkeit von Kenntnissen über ein an einem Diensttelefon geführtes und mitgehörtes Gespräch in einem Arbeitsgerichtsprozess.

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Krit. dazu auch Jäger 13. BVerfGE 65 1, 43 f. BVerfGE 65 1, 46. BVerfG NJW 1996 1587, 1588; NStZ 1996 45; bestätigt von BVerfG NStZ 1996 606. Näheres LR/Gössel 25 Einl. K 91.

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tums 296 ausreichend auseinanderzusetzen.297 Erfreulicherweise hat hier aber der Gesetzgeber die Initiative ergriffen und die nach der hier vertretenen Auffassung notwendigen gesetzlichen Grundlagen geschaffen. b) Der 1997 durch das DNA-IFG eingeführte § 81e StPO erlaubt die molekulargene- 104 tische Untersuchung von Körperzellen, die dem Beschuldigten nach § 81a StPO oder Dritten nach § 81c StPO entnommen wurden, damit zur Feststellung von Tatsachen, die innerhalb eines beliebigen anhängigen Strafverfahrens (§§ 81e Abs. 2 Satz 2; 81a Abs. 3 StPO) von Bedeutung sind.298 Darüber hinaus bietet § 81g StPO eine gesetzliche Grundlage für die Beschaffung von Beweismitteln zur Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren 299 und § 81h StPO für Reihengentests an Personen mit bestimmten Prüfungsmerkmalen – mit deren schriftlicher Einwilligung – zur Feststellung der Identität von Tätern von Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 81g StPO unter Anwendung der Dreistufentheorie beurteilt. Die Vorschrift greife zwar in das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ ein,300 jedoch liege ein zu einem Verwertungsverbot führender Eingriff in den absolut geschützten „Kernbereich der Persönlichkeit“ jedenfalls nicht vor, „solange sich die Eingriffsermächtigung nur auf den nicht-codierenden, zu etwa 30 % aus Wiederholungseinheiten bestehenden Anteil“ des zu untersuchenden genetischen Materials (DNS 301; Näheres s. Erl. zu § 81e) bezieht.302 Daraus folgt, dass bei der Verwendung codierender Teile der DNS wegen eines Eingriffs in den absolut geschützten Kernbereich ein Verwertungsverbot zu bejahen ist; die notwendige Abwägung des Persönlichkeitsrechts mit den Strafverfolgungsinteressen bei einem Zugriff auf die nicht-codierenden Teile der DNS hat der Gesetzgeber nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise schon selbst vorgenommen.303 Für §§ 81e und 81h StPO kann nichts anderes gelten.304 Ob und inwieweit schon der Gesetzgeber zwischen codierenden und nicht-codierenden Teilen der DNS unterschieden hat (vgl. Erl. zu § 81e), erscheint insoweit unbeachtlich; jedoch erscheint die Unterscheidung des Bundesverfassungsgerichts deshalb fragwürdig, weil sie schon derzeit praktisch als kaum durchführbar beurteilt wird.305

VIII. Verwertungsverbote in der Rechtsprechung: Reichweite 1. Fernwirkungen a) Ob und inwieweit aus dem berechtigten Schweigen Beschuldigter oder personaler 105 Beweismittel Schlüsse gezogen werden dürfen, ist keine Frage einer Fernwirkung der die Sachverhaltsermittlung betreffenden Beweisverbote (oben Rn. 2),306 sondern der Grenzen 296 297 298 299 300 301

Vgl. z.B. Jung MschrKrim. 1989 103, 105, 107; Keller NJW 1989 2289, 2294. BVerfG NStZ 1996 45, 46. Meyer-Goßner § 81e, 10. Krause FS Rieß 265 und LR/Krause 25 § 81g, 2. BVerfG NJW 2001 2320, 2321. Desoxyribonukleinsäure; die Verwendung der im Englischen gebräuchlichen Abkürzung DNA erscheint allenfalls zur Bezeich-

302 303 304 305 306

nung der Analyse der DNS sprachlich korrekt: Die Gerichtssprache ist deutsch. BVerfG NStZ 2001 328, 329, vgl. dazu Fluck NJW 2001 2292. BVerfG NJW 2001 2320, 2321. LR/Krause 25 § 81e, LR/Rieß 25 § 81 g, 3. Näheres s. bei Meyer-Goßner § 81 e, 5. A.A. LR/K. Schäfer 24 Einl. 14 38; vgl. auch LR/Kühne Einl. J 91 ff.

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der freien Beweiswürdigung; insoweit wird auf die Erläuterungen zu § 261 StPO verwiesen (zur Bedeutung der Beweisverwertung als Beweiswürdigung s. oben Rn. 3, 5).

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b) Unter der möglichen Fernwirkung von Beweisverboten wird hier allein die Fragestellung verstanden, ob neben der Verwertung der unmittelbar unter Verstoß gegen ein Beweisverwertungsverbot erlangten Informationen auch zudem die Verwertung aller weiteren Beweismittel verboten ist, die ohne Verstoß gegen das Verwertungsverbot nicht erlangt worden wären. Eine derartige Fernwirkung hat die Rechtsprechung bisher im Grundsatz verneint: „Nicht jeder Verfahrensfehler, der ein Verwertungsverbot eines Beweismittels herbeiführt“, darf „ohne weiteres dazu führen, dass das gesamte Strafverfahren lahmgelegt wird“.307 Ausnahmen von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung bisher nur in wenigen Fällen anerkannt: einmal bei der Beschuldigtenvernehmung (unten Rn. 108 f.), und zum andern bei der Telefonüberwachung (unten Rn. 110 f.). Darüber hinaus hat das LG Halle angenommen, Verwendungsverbote normierten im Gegensatz zu Verwertungsverboten (wenn auch ausdrücklich nur für den Fall des § 97 Abs. 1 InsO angenommen) stets auch ein Fernwirkungsverbot,308 womit der Wortsinn von „verwenden“ (oben Rn. 8) allerdings überdehnt sein dürfte.

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aa) Das Verwertungsverbot des § 136 a Abs. 3 StPO gilt dem soeben erwähnten Grundsatz entsprechend nur für „die unter Verstoß gegen § 136 a Abs. 1 StPO herbeigeführt(en)“ Bekundungen des Angeklagten, nicht aber für „eine spätere Aussage …, bei der seine Willensfreiheit nicht mehr beeinträchtigt war“. Eine Art beschränkter Fortwirkung als Quasi-Fernwirkung des Verbots des § 136a Abs. 3 StPO wird aber für jene späteren Aussagen anerkannt, bei denen der Verstoß gegen § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO bei der unmittelbar erlangten früheren Aussage „fortgewirkt und die Aussagefreiheit des Angeklagten in rechtserheblicher Weise beeinträchtigt hat“ 309: Es kann „für die Frage der Verwertbarkeit der Aussage keinen Unterschied machen, ob in der Vernehmung selbst ein Druck ausgeübt worden ist oder ob ein vorangegangener Druck weiter wirkt“.310 Unverwertbar ist daher z.B. eine Aussage vor dem Ermittlungsrichter, bei der sich die 108 „Täuschung der ermittelnden Staatsanwältin über das angebliche Auffinden der Kindesleiche … ausgewirkt hat“ 311 und ebenso eine Aussage vor dem Haftrichter, bei der der bei der polizeilichen Vernehmung unzulässig ausgeübte Druck, den Angeklagten an die Leiche seines Kindes zu führen, noch im Zeitpunkt der richterlichen Vernehmung fortwirkt 312 oder aber eine rechtswidrige Täuschung durch den zuvor vernehmenden Polizeibeamten, ohne dass der Richter den „von der Polizei hervorgerufene(n) Irrtum beseitigt oder abgeschwächt oder gar auf die mögliche Unverwertbarkeit“ der früheren Angaben, etwa eines Geständnisses, hingewiesen hat.313 Eine Fortwirkung ist dagegen zu verneinen, legt der Angeklagte in Kenntnis seines Schweigerechts und der Unverwertbarkeit seiner früheren Bekundungen vor der Polizei und damit unter Wahrung seiner Entscheidungsfreiheit gleichwohl ein Geständnis ab.314 Die Anerkennung einer Fernwirkung des ursprünglichen Verwertungsverbots in die109 sen Fällen beruht also darauf, dass der bei der früheren Vernehmung begangene Rechts-

307 308 309 310

BGHSt 27 355, 358. Wistra 2000 439. BGH NJW 1995 2047 m.w.N.; NStZ 2006 402, 404. BGHSt 17 364, 368.

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BGH NStZ 1996 290, 291. BGHSt 17 364, 368 f. BGHSt 35 328, 332; LG Dortmund NStZ 1997 356, 358. BGHSt 37 48, 53 f.

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verstoß eben wegen dessen Fortwirkung bei etwaiger Einführung der Ergebnisse dieser fehlerhaften Vernehmung in die Hauptverhandlung letztlich bloß wiederholt worden wäre – eine bloße Quasi-Fernwirkung. bb) Der grundsätzlichen Ablehnung einer Fernwirkung von Verwertungsverboten 110 entspricht auch die Rechtsprechung zur grundsätzlichen Unverwertbarkeit der aus rechtswidrig angeordneter Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnisse (BGH NStZ 2006 402, 404). Wie derartige Erkenntnisse „nicht als Beweismittel im Strafverfahren verwendet werden“ dürfen, so auch nicht „die unter dem Eindruck des Vorhalts“ 315 der rechtswidrig erlangten Kenntnisse gewonnenen Bekundungen des Beschuldigten, auch hier allerdings, wie schon bei unter Verstoß gegen § 136 a Abs. 1 StPO gewonnenen Aussagen des Beschuldigten (oben Rn. 108), nur bei Fortwirkung des ursprünglichen Gesetzesverstoßes, nicht aber dann, sagt der Angeklagte – „etwa weil längere Zeit verstrichen ist“ 316 – unbeeinflusst vom Vorhalt freiwillig z.B. deshalb aus, um „sich die Taten ,quasi von der Seele zu reden‘ “.317 Nicht bloß eine derartige Quasi-Fernwirkung, sondern eine echte Fernwirkung hat 111 der Bundesgerichtshof (vom Gesetzgeber nunmehr bestätigt in § 100 b Abs. 5 StPO 318 i.d.F. des OrgKG) hier deshalb anerkannt, weil die Telefonüberwachung nur zur Verfolgung jener Straftaten gegen alle Teilnehmer der überwachten Gespräche zulässig ist, die im Katalog der diesen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 GG rechtfertigenden Vorschriften (Art. 1 § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 G 10; § 100a StPO) aufgeführt sind oder mit diesen in Zusammenhang stehen 319 – und dies gilt aufgrund einer Abwägung der Interessen der Strafverfolgung mit den betroffenen Individualinteressen unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch hinsichtlich jener „Kenntnisse und Unterlagen“, „zu denen die überwachten Gespräche erst den Weg weisen, die also aufgrund weiterer, außerhalb der Telefonüberwachung durchgeführter Ermittlungen gefunden werden“.320 2. Erkenntnisse, die Privatpersonen auf ihre Eigeninitiative ohne Einflussnahme der Strafverfolgungsbehörden gewinnen a) Die Regeln über die Sachverhaltsermittlung im Strafverfahren gelten nur für die 112 Strafverfolgungsbehörden, nicht aber für Privatpersonen. Deshalb hat die Rechtsprechung zu Recht anerkannt, dass die bloße rechtswidrige „Erlangung eines Beweismittels durch“ eine Privatperson, etwa heimliche Tonbandaufnahmen entgegen § 201 StGB oder durch Erpressung oder körperliche Beeinträchtigungen erwirkte Erklärungen 321 gegenüber einem späteren Zeugen, „nicht ohne weiteres“ zur „Unverwertbarkeit dieses Beweismittels im Strafverfahren“ führt; dem Bundesgerichtshof zufolge ist über die Verwertbarkeit in diesen Fällen unter Anwendung der Dreistufentheorie des Bundesverfassungsgerichts zu entscheiden 322 (oben Rn. 83 ff.). Der EGMR hat die Frage der Verwertbarkeit solcher Beweismittel lediglich unter den Gesichtspunkten einer fairen Verfahrensführung (Art. 6 EMRK) und einer Beeinträchtigung der Privatsphäre (Art. 8 EMRK) beurteilt und sie der Sache nach zugelassen, wenn „die Rechte der Verteidigung 315 316 317 318 319

BGHSt 32 68, 70. BGHSt 27 355, 358. BGHSt 35 32, 35. Lohberger 276. BGHSt 29 244; zum Umfang des durch Art. 10 Abs. 1 GG gewährten Schutzes vgl. BVerfG NJW 2006 976.

320 321 322

BGHSt 29 244, 251; abl. Mende 232 f. Vgl. dazu OLG Oldenburg NJW 1953 1237. BGHSt 36 167, 173; a.A. Koriath 57 ff., 99 f.: jede rechtswidrige Beschaffung durch Private führt zu einem Verwertungsverbot.

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nicht mißachtet wurden“ und die rechtswidrig erlangte Erkenntnis „nicht der einzige Beweis war, auf dem die Verurteilung beruhte“.323 Die gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Schrifttum erhobene Forde113 rung, nur solche privaten Ermittlungsergebnisse für verwertbar zu erachten, die „materiell rechtmäßig“ erlangt seien,324 insbesondere diejenigen aber nicht, die durch die nach § 136 a StPO verbotenen Mittel erlangt seien, erscheint als zu weitgehend.325 Verschafft sich ein Privatdetektiv etwa durch List oder Täuschung eine Speichelprobe, die er in einem privaten Labor molekulargenetisch analysieren lässt, so kann unter Anwendung der Dreistufentheorie über die Verwertbarkeit diese Analyse entschieden werden: Stellen sich dabei aus dem codierenden Teil der DNS gewonnene Daten als erheblich heraus, wird wegen eines Eingriffs in den Kernbereich der Persönlichkeit die Verwertbarkeit zu verneinen sein.326 Bei mündlichen Äußerungen gegenüber privaten Ermittlern ist zu bedenken, dass der je Betroffene bei der Preisgabe von verfahrensrelevanten Tatsachen gegenüber einer Privatperson „weiß, daß er sich … nicht zu äußern braucht“ 327: Selbst wenn der private Ermittler List, insbesondere Täuschung oder Belohnung als Mittel zur Erlangung der verfahrensrelevanten Kenntnisse einsetzt, äußert sich der je Betroffene „aus freien Stücken“ wie gegenüber sonstigen Privatpersonen: „Wer sich privat zu ihm bekannten Beweisumständen äußert, kann über die Freiwilligkeit seines Tuns und die jederzeitige Möglichkeit der Weitergabe oder Verbreitung nicht im Zweifel sein“ 328. Setzt der Private indessen Folter oder sonstige Mittel ein, die einem derartigen Zwang gleichkommen, dass von dem je Betroffenen, parallel zur Nötigung durch Drohung, nicht „erwartet werden kann, daß er“ dem jeweils geübten Zwang „in besonnener Selbstbehauptung standhält“,329 wie etwa regelmäßig bei rechtswidrigem straftatbestandsmäßigem Verhalten 330 gegenüber dem je Betroffenen 331, so erscheint das private Ermittlungsergebnis derart kontaminiert, dass dessen Verwertung unzulässig wird.332 Nur in diesen Fällen auch erscheint das staatliche Repressionsmonopol beeinträchtigt, nicht aber schon bei systematischer und organisierter Durchführung privater Ermittlungen: Die gegenteilige Auffassung von Mende 333 übersieht insoweit auch mögliche Beeinträchtigungen einer effektiven Verteidigung wie aber auch der Berufsfreiheit privater Ermittlungsunternehmen.

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327 328

EGMR NJW 1989 654, 655 f. Mende 197 ff., 225. Jäger 222 ff.; wie hier wohl auch Keller FS Grünwald 280. Bockemühl Meistbegünstigung bei „kontaminierten“ Beweismitteln, in: 50 Jahre Grundgesetz – kritische Würdigung, europäische Bezüge in der Strafgerichtsbarkeit, 23. Strafverteidigertag 1999 161, 167. BGHSt 42 139, 147. BGHSt 40 211, 215, die dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerden wurden vom Bundesverfassungsgericht als unzulässig nicht zur Entscheidung angenommen. Jedoch wurde wegen „Mißachtung des Vertrauensverhältnisses zwischen einem Beschuldigten und seinen Angehörigen im Sinne des § 52 StPO“ ohne „spezielle gesetzliche Ermächti-

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gungsgrundlage“ ein Verstoß gegen das Prinzip eines fairen Verfahrens bejaht, aus dem sich „nicht ohne weiteres ein Beweisverwertungsverbot ableiten läßt“ (BVerfG JR 2000 333 f. mit insoweit zust. Anmerkung Rogall NStZ 2000 490; krit. dazu die Anmerkungen von Lesch JR 2000 334 und JA 2000 637). Ein Beweisverwertungsverbot in diesem Fall bejahen aber Müssig GA 2000 487, 103, Wolter FS II BGH 970 ff. und wohl auch Weßlau StV 2000 468. BGHSt 31 195, 201; Näheres bei Gössel/ Dölling § 17, 65. Vgl. Bienert 145 ff., 166; 179 ff. Mende 209. Einschränkend Bockemühl (Fn. 326) 170. Mende 125 ff., 154 f., 243.

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b) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt letztlich zu den Verwertungskri- 114 terien, welche bereits bei der Frage nach einer Fernwirkung des Verwertungsverbots aus § 136 a Abs. 3 StPO bedeutsam waren (oben Rn. 107 ff.): würde die Einführung der von privater Seite rechtswidrig erlangten Erkenntnisse in die Hauptverhandlung selbst einen Gesetzesverstoß bedeuten und würde dieser zu einem Verwertungsverbot führen? Die ausdrückliche Bezugnahme auf die in BVerfGE 34 238 entwickelte Dreistufentheorie führt damit nicht zu neuen Kriterien zur Bestimmung von Verwertungsverboten – lediglich der EGMR stellt insoweit auf die vom Bundesgerichtshof bisher nicht erwähnten Gesichtspunkte der Wahrung der Verteidigungsrechte ab – der von diesem Gerichtshof ferner berücksichtigte Beweiswert ist ein Problem der Beweiswürdigung (s. dazu auch oben Rn. 68). 3. Erkenntnisse, die Privatpersonen auf Initiative der Strafverfolgungsbehörden ge- 115 winnen. Ermitteln verdeckte Ermittler, V-Leute der Ermittlungsbehörden oder sonst auf Veranlassung dieser Behörden tätig werdende Private verfahrensrelevante Tatsachen z.B. in scheinbar privaten Gesprächen mit dem Beschuldigten oder mit auch zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen, so gilt auch hier, dass die genannten Ermittler den Beschuldigten oder Zeugen gerade nicht „in amtlicher Funktion“ gegenübertreten 334 und die letztgenannten deshalb davon ausgehen, dass sie sich nicht zu äußern brauchen 335 (Rn. 113). Auch eine vernehmungsähnliche Situation scheidet aus (vgl. oben Rn. 42 f.), weshalb über das Vorliegen eines Verwertungsverbots erst aufgrund einer Abwägung der hier widerstreitenden Interessen (nemo-tenetur-Grundsatz, Rechtsstaatsprinzip und der Grundsatz eines fairen Verfahrens mit der rechtstaatlichen Pflicht zu effektiver Strafverfolgung) zu entscheiden ist,336 selbst in den Fällen, in denen die im Auftrag der Ermittlungsbehörden tätig werdende Privatperson den Beschuldigten zu ihn selbst belastenden Äußerungen veranlassen soll.337 Jedoch sind auch solchen privaten Ermittlungen „rechtsstaatliche Grenzen gesetzt“ 338: so etwa in den oben Rn. 113 erwähnten Fällen der durch den eingesetzten Zwang kontaminierten Ermittlungsergebnisse, oder wenn „eine von den Ermittlungsbehörden geduldete oder pflichtwidrig nicht erkannte schwerwiegende Zwangswirkung“ in der U-Haft zu einem Ermittlungsergebnis führt.339 Gleiches (Verwertungsverbot) gilt bei rechtsstaatswidriger Übertragung von Strafverfolgungsaufgaben auf Private (s. oben Rn. 73 f.),340 ferner bei verbotswidrigen, insbesondere „ohne gesetzliche Ermächtigungsgrundlage“ erfolgenden Eingriffen „in das verfassungsrechtlich verbürgte Persönlichkeitsrecht am eigenen Wort“ durch Fixierung des gesprochenen Wortes 341 etwa in den Stasi-Abhörprotokollen,342 wohl auch in den Fällen, in denen „ein bereits ausgeübtes Zeugnisverweigerungsrecht gezielt unterlaufen“ wird.343 Bei Äußerungen, die ein Untersuchungshäftling gegenüber einem Spitzel macht, der diesem Häftling zum Zwecke der Ausforschung in die Zelle gelegt wurde, ist ein Verwertungs-

334 335 336

Vgl. BGHSt 40 211, 213. Kritisch dazu Meurer FS Roxin 1291. BGHSt 42 139, 145 ff., 147, 157; 44 129, 133 (Hörfalle bei Veranlassung eines von der Polizei mitgehörten Anrufs der Privatperson aus dem Polizeipräsidium; Veranlassung von Privatpersonen durch die Ermittlungsbehörden); 40 211, 212 ff. (Einsatz von V-Leuten). Ablehnend zur „Abwägungspraxis der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre“ Mende 219, 244.

337 338 339 340 341 342

343

BGHSt 42 139, 155 ff. BGHSt 42 139, 154; vgl. dazu auch Detter NStZ 2003 1, 6 ff. BGHSt 44 125, 135. S. dazu Keller FS Grünwald 274 ff. BGHSt 34 39, 43. Vgl. zur Nutzung dieser Protokolle durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss DRiZ 2000 165 ff. Offengelassen von BGHSt 40 211, 214.

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verbot ebenfalls zu bejahen 344: In diesem Fall ist die „Möglichkeit, sich der Einflußnahme des ‚Polizeispitzels‘ zu entziehen, maßgeblich eingeschränkt“.345 Provozieren polizeiliche Scheinaufkäufer einen bisher des Betäubungsmittelhandels Unverdächtigen zur Lieferung von Heroin, so verstößt die Verwertung der Angaben der polizeilichen Lockspitzel dem EGMR zufolge gegen das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) und unterliegt deshalb einem Verwertungsverbot.346

116

4. Möglichkeit zu rechtmäßiger Beweisgewinnung. Dass das Urteil auch auf einem zum Verwertungsverbot führenden Gesetzesverstoß beruhen muss, hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich verlangt (vgl. oben Rn. 18 f.), wenn auch nicht durchgehend. An dieser schon nach § 337 StPO notwendigen Voraussetzung fehlt es z.B. in den Fällen, in denen eine prozessordnungswidrige Beweiserhebung in zulässiger Weise wiederholt wird: das im Ermittlungsverfahren durch Täuschung erzielte Geständnis wird nach qualifizierter richterlicher Belehrung über dessen Unverwertbarkeit in der Hauptverhandlung wiederholt.347 An einem den Angeklagten beschwerenden Gesetzesverstoß (unten Rn. 174 ff.) fehlt es in den Fällen, in denen der jeweilige Sachverhalt zwar unter einem Gesetzesverstoß in das Verfahren eingeführt wurde, jedoch auf gesetzmäßigem Wege hätte erlangt werden können (oben Rn. 61 und unten Rn. 174).348 Im Falle einer ohne richterliche Anordnung durchgeführten Telefonüberwachung jedoch wurde die Zulässigkeit dieser Argumentation verworfen: „Für eine Betrachtung unter dem Gesichtspunkt eines ,hypothetischen Ersatzeingriffs‘ “ sei kein Raum.349

IX. Verwertungsverbote in der Rechtsprechung: Verfahrensrechtlicher Nachweis 117

a) Ob gegen ein Beweisverbot mit der Folge der Unverwertbarkeit des Beweismittels verstoßen ist, unterliegt den Regeln des Freibeweises.350 Dies gilt auch für Verstöße gegen § 136a StPO im ersten Rechtszug.351 In der Revisionsinstanz ist der Verstoß – anders als bei der Nichtbeachtung von Verfahrenshindernissen – nicht von Amts wegen, sondern nur auf Rüge gemäß § 344 Abs. 2 StPO zu beachten.352

118

b) Bei der Würdigung des Ergebnisses der Ermittlungen gilt der Grundsatz „in dubio pro reo“ nicht; Verfahrensfehler müssen nachgewiesen werden.353

344 345 346 347 348

BGHSt 34 362; zust. Schneider NStZ 2001 8, 9 f.; a.A. Lesch GA 2000 359. BGHSt 44 129, 135. EGMR NStZ 1999 47. Schlothauer 765. Zust. Rogall NStZ 1988 391; eingeschränkt zust. Riepl 293 unter Berufung auf ReichertHammer JuS 1988 450 auf die Fälle, in denen „die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe … in den Ermittlungen bereits vor dem unzulässigen Eingriff angelegt waren und sich als höchstwahrscheinlich unmittelbar aufdrängten“ – eine ihrer Unsicherheit wegen kaum praktikable Einschränkung. Gänzlich ablehnend zur Be-

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349 350 351

352 353

rücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe Kaiser (Dreistufentheorie) 27 ff. BGHSt 31 304, 306; vgl. dazu auch Roxin NStZ 1989 379. St.Rspr., vgl. z.B. BGHSt 42 15, 18. BGHSt 16 164 = JR 1962 108 mit Anm. Eb. Schmidt; h.M. z.B. KK/Boujong § 136a, 43; KMR/Lesch § 136a, 50; SK/Rogall § 136a, 83; a.A. Peters 339; kritisch LR/ Hanack 25 § 136a, 68. Offengelassen in BGHSt 25 25 f. BGHSt 38 214, 224; a.A. LR/Hanack 25 §§ 136a StPO, 69: Zweifel am Vorliegen eines Verfahrensverstoßes sind dann beachtlich, wenn aus Gründen, die in der Sphäre

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Beweisverbote

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X. Ergebnis der Übersicht über die Rechtsprechung zu den Beweisverboten 1. Kritik und Defizite a) Der Rechtsprechung ist es bisher in verdienstvoller Weise gelungen, entscheidend 119 wichtige Kriterien für das Vorliegen von Verstößen gegen Beweisverbote und deren Beurteilung als revisible Verfahrensverstöße herauszuarbeiten. Unbefriedigend bleiben aber insbesondere einige Widersprüche bei der Verwendung dieser Merkmale (vgl. z.B. oben Rn. 40, 41, 74), die hin und wieder beliebig erscheinende Heranziehung der einzelnen Kriterien (vgl. z.B. oben Rn. 46 f., 50 f.) 354 und die nur wenig überzeugenden Ergebnisse bei der Anwendung der sog. Dreisphärentheorie (oben Rn. 83 ff., vgl. vor allem Rn. 89, 91 ff.), die sich auch nicht dadurch ausräumen lassen dürften, dass auf die unsichere Grenze „extremer Menschenrechtswidrigkeit“ oder auf die Wahrung der Menschenwürdegarantie abgestellt wird 355: Es bedarf schon der Beseitigung dieser Widersprüche durch die Rechtsprechung selbst. Insbesondere unbefriedigend erscheinen die Unklarheiten einmal darüber, in welchen Fällen schon der Gesetzesverstoß allein über ein Verwertungsverbot entscheidet und in welchen Fällen erst eine Abwägung zwischen den mit dem staatlichen Interesse an einer effektiven Strafverfolgung kollidierenden Individualinteressen (z.B. oben Rn. 73 f.), zum anderen aber auch über die Bedeutung des Beruhenselementes entweder schon als Merkmal eines Verwertungsverbotes oder aber als ein zur Verletzung eines Verwertungsverbotes über den Erfolg der Revision entscheidendes zusätzliches Merkmal (oben Rn. 48). b) Die bereits oben Rn. 15 erwähnte Unterscheidung zwischen Beweiserhebungs- und 120 Beweisverwertungsverboten lässt es geradezu selbstverständlich erscheinen, dass die Rechtsprechung die Frage in den Vordergrund stellt, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen einem Erhebungsverbot ein Verwertungsverbot zuzuordnen ist und in welchen nicht (vgl. dazu oben Rn. 26 f.): Ist allgemein anerkannt, dass nicht jeder Verfahrensverstoß die Revision begründen kann, so muss dies auch für die Sachverhaltsermittlung gelten. Damit ist die Problematik des Verhältnisses zwischen Erhebungs- und Verwertungsverbot berührt, die schon angesichts der oben Rn. 73 f. erwähnten Fälle ebenfalls als bisher nicht ausreichend geklärt erscheint. 2. Das Verhältnis zwischen Erhebungs- und Verwertungsverboten a) Selbständigkeit und Unselbständigkeit der Verwertungsverbote. Dencker und 121 Rogall ist die inzwischen allgemein anerkannte Einteilung der Beweisverwertungsverbote in solche selbständiger und unselbständiger Natur zu verdanken. Danach sind Verwertungsverbote dann unselbständig, wenn sie „sich als Folge einer Verletzung von Beweiserhebungsverboten ergeben“, selbständig aber, ergeben sie sich unabhängig „von einem vorangehenden Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot“,356 so z.B. die Verwertung

der Justiz liegen, die Vermutung der Rechtmäßigkeit und Justizförmigkeit des staatlichen Vorgehens ernsthaft erschüttert ist; für unbeschränkte Anwendung des Satzes „in dubio pro reo“ Hauf 197. Vgl. auch Foertsch Die Berücksichtigung von Beweisverboten im Zwischenverfahren (2002), der sich für die unbeschränkte Anwendung des

354 355 356

„in dubio“ Satzes im Zwischenverfahren ausspricht (S. 58, 93). Zur Kritik vgl. ferner Jäger 67. Wolter StV 1990 175, 179, ähnlich Kaiser (Dreistufentheorie) 76. Rogall ZStW 91 (1979) 3 und RudolphiSymp. 145; so der Sache nach vorher schon Dencker (Verwertungsverbote) 10 f., 101;

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eines nach Art. 1 §§ 2, 3 G 10 in zulässiger Weise ermittelten Sachverhalts in Verfahren wegen anderer als der im Katalog dieser Vorschriften enthaltenen Straftaten (Verwertungsverbot nach Art. 1 § 7 Abs. 3 G 10 357), ferner die Verwertung von in zulässiger Weise ermittelten Aussagen zeugnisverweigerungsberechtigter Zeugen, die z.B. erst im Berufungsverfahren ihr Zeugnisverweigerungsrecht geltend machen (Verwertungsverbot aus §§ 250 Satz 2; 252 StPO 358). Schon damit wird es notwendig, neben der Unterscheidung von Beweiserhebungs- und -verwertungsverboten auch das Verhältnis dieser beiden Arten von Beweisverboten zueinander zu klären.

122

b) Verwertungsverbote und Verfahrensstadium. Die (auch) in der Rechtsprechung in den Vordergrund gestellte Frage, in welchen Fällen einem Erhebungsverbot ein Verwertungsverbot zuzuordnen sei, geht für den Regelfall davon aus, ein Beweisverwertungsverbot beziehe sich auf solche Tatsachen, die durch einen Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot in einem der Urteilsfällung voraufgehenden Stadium ermittelt wurden.359 Diese Auffassung allerdings erscheint schon mit der Existenz selbständiger Verwertungsverbote nicht recht vereinbar. Im Übrigen wurde bereits oben (Rn. 3, 5) darauf hingewiesen, dass Beweisverwertung 123 Beweiswürdigung bedeutet, die schon im Ermittlungsverfahren anzustellen und nicht etwa dem gerichtlichen Erkenntnisverfahren allein vorbehalten ist (Rn. 5, 14). Entsprechendes gilt aber auch für die Beweiserhebung: Sie erfolgt nicht etwa bloß im Ermittlungsverfahren, sondern schon als Voraussetzung der Beweiswürdigung auch im gerichtlichen Erkenntnisverfahren (oben Rn. 3 ff.) – und dies nicht etwa nur bei der erstmaligen Beweiserhebung (z.B. die Aussage eines bisher unbekannt gebliebenen Zeugen in der Berufungshauptverhandlung), sondern recht häufig auch bei der Einführung eines im Ermittlungsverfahren ermittelten Sachverhalts in die Hauptverhandlung: Auch der Inhalt der im Ermittlungsverfahren beschlagnahmten Urkunden wird im gerichtlichen Erkenntnisverfahren erneut durch Verlesung wahrnehmend festgestellt und also erhoben (oben Rn. 3). Damit aber können sowohl im Ermittlungsverfahren als auch im gerichtlichen Erkenntnisverfahren gleichermaßen Erhebungsverbote und Verwertungsverbote missachtet werden. Ebenso aber kann es im gerichtlichen Erkenntnisverfahren erlaubt sein, Tatsachen oder Sachverhalte zur Urteilsgrundlage zu machen, die im Ermittlungsverfahren etwa gesetzeswidrig (z.B. eine Blutprobenentnahme unter Verstoß gegen § 81a StPO) festgestellt wurden. Damit wird allerdings nicht etwa die Unterscheidung zwischen selbständigen und 124 unselbständigen Verwertungsverboten in Frage gestellt: Schon die Verlobung im Gerichtssaal während der Zeugenvernehmung und die sofort anschließende Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts dürfte deutlich machen, dass auch eine im Erkenntnisverfahren zulässige Beweiserhebung einem von einem vorherigen Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot unabhängigen Verwertungsverbot unterliegen kann.

357

ebenso Dalakouras 107; Grünwald (Beweisrecht) 142; Janicki 32 ff.; Ranft 1582; Walder 39 ff.; kritisch Peres 136; Störmer 12; Herdegen (Bemerkungen) 110. Schroeder JR 1973 253; erwähnenswert erscheint insoweit auch, dass der BGH in dem sog. Raumgesprächsurteil (BGHSt 31 296 s. dazu oben Rn. 89) die Verwertbarkeit

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des aufgezeichneten Gesprächs unabhängig davon verneinte, ob die Aufzeichnung selbst mit den gesetzlichen Normen vereinbar war oder nicht. Dencker (Verwertungsverbote) 111. Vgl. z.B. LR/K. Schäfer 24 Einl. 14 13; Schlüchter 4.2.

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Beweisverbote

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c) Vorauswirkungen von Verwertungsverboten aa) Wenn auch bisher wenig beachtet, so dürfte die schon bisher in der Literatur 125 gelegentlich vertretene Auffassung gleichwohl auf allgemeine Zustimmung rechnen dürfen, derzufolge von der Existenz eines etwaigen Verwertungsverbots im gerichtlichen Verfahren eine zu einem Erhebungsverbot führende Vorauswirkung für frühere Verfahrensstadien ausgehen kann 360: Würde etwa der Verwertung eines körperlichen Eingriffs vor Gericht ein grundgesetzliches Verbot entgegenstehen, so ist schon die richterliche Anordnung zur Vornahme dieses Eingriffs nach § 81a StPO oder § 81c StPO eben wegen der späteren Unverwertbarkeit unverhältnismäßig.361 Bei der Regelung des sog. großen Lauschangriffs hat der Gesetzgeber eine derartige Vorauswirkung für bestimmte Fälle sogar ausdrücklich angeordnet (§ 100c Abs. 5 StPO). bb) Gibt es aber Fälle, in denen einem Erhebungsverbot kein Verwertungsverbot 126 zugeordnet wird (oben Rn. 125), so will schon im Hinblick auf die gerichtliche Aufklärungspflicht aus § 244 Abs. 2 StPO auch eine etwaige Vorauswirkung der Nichtexistenz eines Verwertungsverbotes bedacht sein. So sind im Jahre 1997 einige Entscheidungen veröffentlicht worden, in denen die Aufklärungsrüge oder die auf unzureichende Aufklärung gestützte Sachrüge deshalb für begründet erachtet wurden, weil in den jeweils angefochtenen Entscheidungen einem Verstoß gegen ein Erhebungsverbot auch ein Verwertungsverbot zugeordnet worden war: so bei der unterbliebenen Verwertung rechtsgrundlos und deshalb rechtsstaatswidrig gewonnener Ergebnisse von Maßnahmen der Verkehrsüberwachung (s. oben Rn. 73 f.) 362 und auch bei dem zur Annahme eines Verwertungsverbotes notwendigen, aber unterbliebenen Widerspruch des Verteidigers gegen die Verwertung eines fehlerhaft erhobenen Beweises.363 Wird nun bedacht, dass Beweisverwertung wesentlich Beweiswürdigung ist und dass damit zugleich auch die wahrnehmende Feststellung des Sachverhalts verbunden ist (Rn. 123), so führt diese Rechtsprechung zu dem denkwürdigen Ergebnis, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht im Rahmen der gebotenen Verwertung zu Gesetzesverstößen bei der Sachverhaltsermittlung zwingt. Dies erscheint indessen nicht bloß inakzeptabel, sondern auch widersprüchlich: Wie kann dem Gericht etwas von der Rechtsordnung nach § 244 StPO geboten sein, was zu tun ihm von der Rechtsordnung in einem Beweiserhebungsverbot zu tun verboten ist? 364 – Entsprechendes gilt aber auch für das Ermittlungsverfahren, weil die

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LG Halle wistra 2000 439. Gössel GedS Meyer 130 und FS Hanack 280; Eisenberg 353 m.w.N.; SternbergLieben NJW 1987 1242, 1243 f.; vgl. auch Schroeder 121 und Janicki 34; vgl. auch Grünwald (Beweisrecht) 143 und Gleß 198. BayObLG NVZ 1997 276 für den fließenden und NJW 1997 3454 für den ruhenden (vgl. dazu aber auch KG NJW 1997 2894) Verkehr. OLG Celle NStZ-RR 1997 177 – hier auf die mit mangelhafter Aufklärung begründete Sachrüge. Vgl. näher dazu Gössel NStZ 1998 126, 129; ähnlich auch Meyer-Goßner Einl. 50; krit. zu dieser Rechtsprechung auch Müssig GA 1999 119, 142. Die Möglichkeit, § 244

Abs. 2 StPO etwa als generelle Befugnisform alle gegen ein Erhebungsverbot verstoßenden Eingriffe in Grundrechte bei fehlendem Verwertungsverbot heilen zu lassen, scheidet schon aus den oben Fn. 191 dargelegten Gründen aus; wer der gegenteiligen Auffassung folgt, müsste die Frage beantworten, warum § 244 Abs. 2 StPO seine etwaige befugnisgebende und heilende Kraft nicht auch in allen Fällen entfalten kann, in denen das Erhebungsverbot mit einem Verwertungsverbot gekoppelt ist. Die dagegen von Jäger 133 ff. (im Anschluss an Rogall z.B. in FS Hanack 305) und Maiberg (S. 55, Fn. 28) ins Feld geführte Unterscheidung einer Bindung an die Verfahrensvorschriften ex ante (aus der Sicht der Ermittlungsbehörden) und

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für die ermittelnde Tätigkeit der Staatsanwaltschaft geltende Aufklärungspflicht aus § 160 StPO der des § 244 StPO bekanntlich entspricht.365

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3. Die Fragwürdigkeit der Unterscheidung zwischen Erhebungs- und Verwertungsverbot. Das Gesetz kennt den Begriff „Beweiserhebungsverbot“ ebenso wenig wie den des „Beweisverwertungsverbots“ – es kennt lediglich den „Gesetzesverstoß“ (§ 337 StPO). „Beweiserhebung und Beweisverwertung lassen sich nicht jeweils verschiedenen Verfahrensstadien zuweisen, vielmehr werden Beweise im Ermittlungsverfahren wie auch im gerichtlichen Erkenntnisverfahren zugleich erhoben und gewürdigt“.366 Zerlegt man den Gesetzesverstoß, wenn auch nur auf dem Teilgebiet des Beweisens, in die zwei voneinander verschiedenen rechtlichen Erscheinungen einmal des Verstoßes gegen ein Erhebungs-, zum anderen des gegen ein Verwertungsverbot, so stellt sich geradezu zwangsläufig die Frage nach ihrem Verhältnis zueinander unter anderem mit den soeben Rn. 126 aufgezeigten Folgen. Diese Erwägung aber zeigt die mögliche und auch nötige Abhilfe auf: Mit den Stimmen in der Literatur, die schon bisher Bedenken gegen die Differenzierung zwischen Beweiserhebung und Beweisverwertung erhoben haben,367 ist, dabei, teilweise darüber hinausgehend, auf die Unterscheidung zwischen Beweiserhebung und -verwertung zu verzichten und damit auch auf die Frage, ob einem Erhebungsverbot ein Verwertungsverbot zugeordnet werden kann. Statt dessen ist auf den Gesetzesverstoß abzustellen, sowie darauf, ob der jeweils Betroffene insoweit beschwert ist, als ihm die Rechtsordnung diesen Verstoß hinzunehmen zumutet oder nicht; näher wird darauf (unten Rn. 156 f., 174 ff.) jedoch erst nach einer Übersicht über die Auffassungen im Schrifttum eingegangen.

XI. Die im Schrifttum entwickelten Beweisverbotslehren 1. Wege zur Gewinnung von Beweisverbotslehren

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a) Funktionslehre und die Lehren von der Eigenständigkeit der Beweisverbote. Neben dem von der Rechtsprechung entwickelten Funktionsansatz, „Grenzen und … Umfang des Revisionsrügerechts“ als „entscheidende Schlüsselstelle zum Verständnis der Beweisverbote“ heranzuziehen 368 und die Beweisverbote „im Hinblick auf ihre prozessuale Funktion“ zu definieren und zu systematisieren (oben Rn. 18 f.), wurde in der Literatur von jeher versucht, Beweisverbote als eigenständige prozessuale Institute anzusehen und, vom Wesen des Beweisverbots ausgehend, ohne Rücksicht auf die verfahrensrechtlichen Folgen, systematisch geordnete Regeln und damit eine Dogmatik des Beweisverbots zu finden.369

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ex post (aus der Sicht des Revisionsgerichts) geht fehl: Der aufgezeigte Widerspruch bleibt unberührt von solcher Unterscheidung weiterbestehen. Gössel FS Hanack 280 f. Gössel FS Hanack 282 f. Der dagegen von Jäger 136 erhobene Einwand, „die rechtliche Bewertung eines Vorgangs“ müsse „nicht immer der natürlichen Betrachtung folgen“, geht deshalb fehl, weil es sich in beiden Fäl-

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len um die rechtliche Bewertung derselben Tatsachen handelt. Vgl. z.B. Grünwald (Beweisrecht) 116 und Peres 14. So die treffende Beschreibung von Rengier 291 m.w.N. Vgl. die Nachweise bei Gössel FS Bockelmann 802; NJW 1981 649 und GA 1991 483; s. ferner Bockemühl 94 f.; Kelnhofer 51 ff.

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b) Die beiden Wege der Eigenständigkeitslehren. Bei den eigenständigen Beweisver- 129 botslehren werden im Wesentlichen zwei Wege beschritten. Ausgehend von einer bestimmten Definition des Beweisverbots wird einmal versucht, auf formalem Wege durch eine Einteilung der Beweisverbote zu dem Ziel einer Beweisverbotslehre zu gelangen (unten Rn. 130 ff.), zum anderen durch eine Verbindung formaler und materialer Kriterien (unten Rn. 144 ff.). 2. Die formalen Beweisverbotslehren a) Beweisverbote als Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote aa) Innerhalb der Beweisverbote wurden zunächst zwei sich gegenseitig überschnei- 130 dende Mengen unterschieden: einmal Beweisverwertungsverbote (s. oben Rn. 15) und zum anderen Beweiserhebungsverbote (Verbote der Ermittlung bestimmter Tatsachen oder der Benutzung bestimmter Beweismittel). Diese Einteilung ist auch derzeit noch weitgehend anerkannt;370 zur Kritik s. oben Rn. 127. bb) Auch in der Literatur wird ganz überwiegend auch derzeit noch die Frage als ent- 131 scheidend angesehen, ob der Verstoß gegen ein Erhebungsverbot stets auch ein Verwertungsverbot zur Folge hat oder nicht. Damit aber erweist es sich als notwendig, aus dem Kreis aller denkbaren Verstöße gegen die Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung diejenigen herauszufiltern, die als Verstöße gegen Beweisverwertungsverbote die Revision begründen.371 Die hier behandelten formalen Beweisverbotslehren versuchen dies auf dem Weg über eine formale Einteilung zu erreichen, wie nunmehr dargelegt werden soll.

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Vgl. z.B. KK/Pfeiffer Einl. 118 ff.; MeyerGoßner Einl. 50 ff.; AK/Kühne vor § 48, 48; Kühne (Lehrbuch) 881; Haller/Conzen 488 ff.; Beulke § 32, 455 f.; Hellmann 780; Ranft 1582; Roxin § 24, 16 ff.; Rüping 479; Volk § 28, 1 ff.; Alsberg/Nüse/Meyer 431 f.; Bockemühl 92; Kelnhofer 48; Gössel JZ 1984 361; Gropp 217; Rogall (RudolphiSymp.) 143; ablehnend dazu Peres 14: „Differenzierung überflüssig“; zweifelnd auch Grünwald (Beweisrecht) 142. Wenn auch ein nur in etwa repräsentativer rechtsvergleichender Überblick hier nicht geboten werden kann, so sei gleichwohl darauf hingewiesen, dass in einigen zum common-law Rechtskreis gehörenden Ländern (Australien, England, Irland, Kanada, Neuseeland, Schottland, USA) auch gesetzeswidrig erlangte Beweise in das Verfahren eingeführt werden dürfen. Bis auf Kanada und die USA wird dem Richter aber das Recht zugestanden, in bestimmten schwerwiegenden Fällen Beweise auszuschließen, in England dann, wenn die Zulassung der Beweise sich unfair gegen einen Angeklagten auswirken würde („judicial discretion to exclude evidence on the ground that the strict rules

of admission would operate unfairly against an accused“), was in Fällen eines auch die Täuschung umfassenden „entrapment“ (Fallenstellens) – im Gegensatz zu § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO – ausdrücklich verneint wird (zitiert nach: Report of the Federal/ Provincial Task Force on Uniform Rules of Evidence, Carswell Ltd, Toronto 1982 S. 226; a.A. wohl LR/Kühne Einl. G 30). In den USA ist der Grundsatz der Zulässigkeit auch gesetzeswidrig erlangter Beweise weitgehender eingeschränkt: Jeder Beweis, der unter Verletzung der verfassungsmäßigen Rechte eines Bürgers erlangt wird, ist automatisch ausgeschlossen (Report S. 229 aaO). In Italien kann nur die „Nichtbeachtung von Verfahrensvorschriften“, deren Einhaltung bei sonstiger Nichtigkeit, Unverwendbarkeit, Unzulässigkeit oder bei sonstigem Ausschluss festgesetzt ist, mit der Revision gerügt werden (Art. 606 Abs. 1 Buchst. c der italienischen Strafprozeßordnung, zitiert nach der zweisprachigen Textausgabe bei Athesia, Bozen 1991). Zur Rechtslage in Österreich s. Schmoller FS Platzgummer 283. Für ein ausnahmsloses Verwertungsverbot bei allen „unter Ver-

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cc) Formal anknüpfend an die Unterscheidung von Beweiserhebungs- und -verwertungsverboten und ausgehend von der Annahme, Verstöße gegen Beweisverwertungsverbote setzten einen vorhergehenden Verstoß gegen Beweiserhebungsverbote voraus, hat man zunächst versucht, bestimmten Arten von Beweiserhebungsverboten ein Verwertungsverbot zuzuordnen, anderen dagegen nicht.

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b) Einteilung der Beweiserhebungsverbote. Den wohl umfangreichsten Versuch einer systematischen Einteilung der Beweisverbote insgesamt hat Peters in seinem Gutachten für den 46. DJT unternommen und die jeweilige Art der Beweisverbote darüber entscheiden lassen, ob sie ein Verwertungsverbot darstellen oder dazu führen.372 Von diesem auf Belings Vorarbeiten zurückgehenden Vorschlag hat die Einteilung der Beweisverbote in Beweisthemen-, Beweismittel- und Beweismethodenverbote, als Unterarten der Beweiserhebungsverbote verstanden, allgemeine Anerkennung gefunden.373 Über einen gewissen didaktischen und systematischen Wert hinaus kann diesen Einteilungen indessen keine Bedeutung zuerkannt werden:374 Versuche, aus der Art eines Beweiserhebungsverbotes Merkmale zur Bestimmung von Heilungsmöglichkeiten hinsichtlich begangener Verstöße oder zur Bestimmung von Verwertungsverboten herzuleiten, dürften als gescheitert zu beurteilen sein,375 nicht zuletzt auch deswegen, weil die eindeutige Einordnung der einzelnen Erhebungsverbote in die je vorgeschlagenen Unterarten nicht überzeugend gelungen ist, wie im folgenden dargelegt werden wird.

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aa) Beweisthemenverboten zufolge dürfen bestimmte Sachverhalte nicht ermittelt werden: so z.B. die dem richterlichen Beratungsgeheimnis und der Amtsverschwiegenheit unterliegenden Gegenstände (§ 43 DRiG; § 54 StPO), ferner getilgte oder tilgungsreife Vorstrafen (§ 51 BZRG). Die Zugehörigkeit von Beweiserhebungsverboten zu dieser Untergruppe sagt indessen 135 nichts darüber aus, ob bei etwaigem Verstoß ein Verwertungsverbot vorliegt. So statuiert zwar § 51 BZRG ausdrücklich ein Verwertungsverbot, jedoch nur für den Regelfall: Tat und Verurteilung dürfen entgegen § 51 BZRG festgestellt werden, wenn sich der Angeklagte zu seiner Entlastung darauf beruft 376 – und während ein Verstoß gegen § 43 DRiG stets zu einem Verwertungsverbot führt,377 kann umgekehrt die Offenbarung von Dienstgeheimnissen ohne die erforderliche Genehmigung entgegen § 54 StPO die Revision und damit ein Verwertungsverbot gerade nicht begründen.378 Auch über Heilungsmöglichkeiten kann die Zugehörigkeit zu der hier behandelten 136 Untergruppe von Erhebungsverboten nicht entscheiden: Während eine nachträgliche

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letzung von Rechtsnormen gewonnene(n) Beweismittel(n)“ aber Bernsmann StraFo 1998 73 f. Peters Verh. des 46. DJT (1966) Band I 91, 99, 106 ff. LR/K. Schäfer 24 Einl. 14 3 ff., KK/Pfeiffer Einl. 119, Meyer-Goßner Einl. 51 ff., Haller/Conzen 488, Beulke § 32, 455, Hellmann 780, Rüping 480 ff., Volk § 28, 1 ff.; ebenso AK/Kühne Vor § 48, 48; Kühne (Lehrbuch) 881 ff.; Roxin § 24, 14; Ranft 1583 ff., die indessen zusätzlich noch die Gruppe der sog. relativen Beweisverbote nennen.

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374

375 376 377 378

Diese Auffassung wendet sich jedoch keineswegs gegen die Entwicklung einer Beweisverbotslehre, verkannt von Kaiser (Dreistufentheorie) 18 f. Wie hier auch Hellmann 780. AK/Kühne vor § 48, 48; Dalakouras 107; Röger 9; Gössel GA 1991 484. BGHSt 27 108, 109; Ranft 1585. Vgl. z.B. Volk § 28, 1. LR/Dahs 25 § 54, 31; Meyer-Goßner § 54, 32.

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Beweisverbote

Einl. Abschn. L

Genehmigung in den Fällen des § 54 StPO zur Heilung des jeweiligen Verstoßes führen kann, dürfte sich in den übrigen Fällen die Revisibilität nur dadurch ausschließen lassen, dass der verbotswidrig ermittelte Sachverhalt bei der Urteilsfindung außer acht gelassen und also das Verwertungsverbot doch noch beachtet wird. Aussagen über Heilungsmöglichkeiten lassen sich demgemäß nur unter Beachtung der Besonderheiten des jeweiligen Verbots machen. Darüber hinaus erscheint eine eindeutige Zuordnung zu dieser Gruppe schon deshalb 137 kaum möglich, weil einerseits § 54 StPO auch dem sogleich zu erörternden Beweismittelverbot zugeordnet werden kann,379 aber andererseits auch das Umgekehrte gilt (Vernehmung unter Verstoß gegen § 252). bb) Beweismittelverbote sollen bestimmte Beweismittel von der Wahrheitsermittlung 138 ausschließen,380 wie z.B. der entgegen § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO, § 55 Abs. 2 StPO unbelehrt gebliebene Zeuge oder das schriftliche privatärztliche Gutachten über schwere Körperverletzungen als von § 256 StPO verbotener Urkundenbeweis. Als „Verlängerung“ oder „Ergänzung“ des § 52 StPO 381 gehört auch das Verbot zur Feststellung des Inhalts der früheren Aussage des sein Zeugnisverweigerungsrecht erst später geltend machenden Zeugen durch andere Beweismittel (Vernehmungsprotokolle, Verhörspersonen – s. dazu die Erläuterungen zu § 252 StPO) hierher. Auch hier lässt die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe von Beweiserhebungsverboten 139 keine Aussage darüber zu, ob deren Verletzung ein revisibles Verwertungsverbot zur Folge hat: Ein Verstoß gegen § 256 StPO begründet die Revision (s. Erläuterungen zu § 256 StPO), ebenso die Vernehmung des nach § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO unbelehrt gebliebenen Zeugen, nicht aber diejenige des Zeugen, der entgegen § 55 Abs. 2 StPO nicht belehrt wurde – und zudem lässt sich eine eindeutige Abgrenzung zur Gruppe der Beweisthemenverbote schon aus den oben Rn. 137 dargelegten Gründen nicht erreichen. Für etwaige Heilungsmöglichkeiten gelten die Ausführungen zu Rn. 136 entsprechend. cc) Beweismethodenverbote liegen vor, ist eine bestimmte Art der Beschaffung eines 140 Beweismittels absolut oder relativ (nach den Umständen des Einzelfalles) unzulässig, während andere Methoden aber zur Verfügung stehen. Beispiele: der Ausforschungsbeweis, die Herbeiführung der Aussage des Beschuldigten oder der Bekundung eines Zeugen auf die in §§ 136a, 69 Abs. 3 StPO verbotene Weise; die Ermittlung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten durch eine Liquorentnahme (§ 81a StPO) unter Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei unerheblichen Straftaten 382 oder durch eine Blutentnahme durch einen Nichtarzt. Bei dieser Gruppe ist schon die Zuordnung außerordentlich problematisch: der gefol- 141 terte Zeuge könnte ebenso wie die durch den Nichtarzt entnommene Blutprobe als verbotenes Beweismittel angesehen werden, weshalb in der Literatur das Beweismethodenverbot sogar mit dem Beweismittelverbot als identisch angesehen wird.383 Ebenso wenig erlaubt die Zugehörigkeit zur Gruppe der Beweismethodenverbote Aussagen über das Vorliegen eines Verwertungsverbots als deren Wesen oder Folge 384: Während § 136a

379 380 381 382

Vgl. Ranft 1592; Rengier 284 f. Vgl. z.B. Roxin § 24, 14. Vgl. z.B. Meyer-Goßner § 252, 1. BVerfGE 16 194, 202; Näheres s. die Erl. zu § 81a StPO.

383 384

AK/Kühne Vor § 48, 48. Alsberg/Nüse/Meyer 477.

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Einleitung

StPO in seinem Absatz 3 ein eindeutiges Verwertungsverbot normiert, hat die Rechtsprechung die Verwertung einer von einem Nichtarzt entnommenen Blutprobe (Verstoß gegen § 81a StPO) zugelassen,385 dagegen nicht die Liquorentnahme bei unerheblichen Straftaten.386 Etwaige Heilungsmöglichkeiten sind auch hier nach den Besonderheiten des jeweiligen Verbots zu beurteilen (s. oben Rn. 136).

142

dd) Weitere Einteilungen. Auch sonstige in der Literatur vorgeschlagene Einteilungen der Beweisverbote bringen keine Aufschlüsse über solche Merkmale, die Beweisverwertungsverbote eindeutig kennzeichnen könnten. Soweit mit relativen Beweisverboten die gesonderte Erfassung der nur durch bestimmte Personen anzuordnenden oder durchzuführenden Sachverhaltsermittlung vorgeschlagen wird, werden lediglich die schon oben erwähnten Gruppen der Beweismittelverbote 387 und der Beweismethodenverbote erfasst; insoweit gelten die obigen Ausführungen zu Rn. 138 mit 141 entsprechend. Ob es sog. Beweisregelungs- oder Beweisverfahrensverbote gibt, „die aus Gründen 143 der äußeren guten Ordnung des Verfahrens Modalitäten der Beweiserhebung regeln“,388 aber niemals „die Gewinnung eines bestimmten Beweises verbieten oder ausschließen“ können,389 wird hier nicht für bedeutsam erachtet.390 Entscheidend erscheint allein, ob eine bestimmte Norm die Sachverhaltsermittlung beschränkt oder nicht, und das ist auch bei jenen Vorschriften der Fall, welche die Tatsachenfeststellung an bestimmte Formen oder inhaltliche Voraussetzungen binden (oben Rn. 12). Bedenkt man zudem, dass auch hier die Zuordnung von Verbotsnormen zu dieser Gruppe erhebliche Schwierigkeiten bereitet, wie sich etwa schon daraus ergibt, dass das Verbot der Blutentnahme durch einen Nichtarzt dieser Gruppe zugeordnet wird,391 welches zuvor schon der Gruppe der relativen Beweisverbote und der der Beweismethodenverbote (mit Abgrenzungsproblemen zur Gruppe der Beweismittelverbote) zuzuordnen vorgeschlagen wurde, so dürften sich auch aus dieser Einteilung keine Kriterien zur Bestimmung von Beweisverwertungsverboten herleiten lassen. 3. Formal-materiale Beweisverbotslehren

144

a) Wesen. Versuche, aus einer bloß formalen Einteilung der Beweisverbote Aufschlüsse über das Wesen der Beweisverbote zu erlangen, erscheinen über die soeben abgelehnten Modelle hinaus aber auch künftig schon deshalb nicht erfolgversprechend, weil einer bloßen formalen Ordnung keine inhaltlichen Kriterien zur näheren Bestimmung auch nur eines Teils der zu ordnenden Gegenstände entnommen werden können. Schon deshalb hat man zu Recht von jeher versucht, unter Übernahme der formalen Einteilung der Beweisverbote in Erhebungs- und Verwertungsverbote die zuletzt genannte Gruppe auch material nach inhaltlichen Kriterien zu bestimmen, die an das Wesen und die Zweckbestimmung der jeweiligen Beweisverbote anknüpfen, aber ebenso an die Bedeutung der hier betroffenen – und kollidierenden – Interessen. Standen zunächst Versuche im Vordergrund, über das Vorliegen von Beweisverwer145 tungsverboten nur bestimmte einzelne Merkmale entscheiden zu lassen (faktorielle Ansätze, unten Rn. 146 f.), so folgten doch schon bald komplexe Ansätze, in denen Wesen,

385 386 387 388

BGHSt 24 125. BVerfGE 16 194. So AK/Kühne vor § 48, 48. LR/K. Schäfer 24 Einl. 14 8.

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389 390 391

Rengier 283. Gegen diese Einteilung Alsberg/Nüse/Meyer 479. LR/K. Schäfer 24 Einl. 14 9.

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Beweisverbote

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Funktion oder Zweck von Beweisverboten mit bestimmten Methoden zur Bestimmung von Verwertungsverboten und der dabei heranzuziehenden Merkmale verschmolzen wurden (unten Rn. 150 ff.). b) Faktorielle Ansätze aa) Wie insbesondere die übersichtliche Darstellung bei Rogall zeigt, gehen diejeni- 146 gen Autoren, die (im Regelfall mehrere) einzelne inhaltliche Merkmale über das Vorliegen von Verwertungsverboten entscheiden lassen wollen, von einer bestimmten Funktion oder einem bestimmten Zweck derjenigen Rechtsregel aus, die mit dem Erlangen oder der Verwertung der jeweiligen Erkenntnis verletzt worden war oder aber im Falle ihrer erst bevorstehenden Erlangung oder Verwertung verletzt worden wäre.392 So wurde den Beweisverwertungsverboten z.B. die Funktion beigelegt, „das Opfer mit einem wirksamen Rechtsmittel aus(zu)statten“,393 die Wahrheitsfindung des Gerichts vor der Verwendung erfahrungsgemäß fehlerträchtiger „Mittel und Wege“ 394 zu bewahren, die Reinheit des Verfahrens zu erhalten,395 die sittliche Überlegenheit des Staates 396 oder die rechtsbefriedende „Funktion des Urteils“ 397 zu sichern, „den Strafverfolgungsbehörden den Anreiz zur rechtswidrigen Gewinnung von Beweismitteln zu nehmen“ 398 oder mögliche „Gefahren für die spezialpräventive Wirkung der Strafe“ 399 wegen fehlerhaften staatlichen Verhaltens bei der Sachverhaltsfeststellung 400 ebenso abzuwenden wie solche für die generalpräventive Funktion der Strafe, die in der „Erhaltung und Schaffung des Bewußtseins sozialethischer Werte“ liege.401 So verdienstvoll und erhellend die Herausarbeitung dieser möglichen Zwecke von 147 Beweisverboten auch ist, so dürfte sich auf diese Weise dennoch eine ausreichend klare Bestimmung der Verwertungsverbote nicht erreichen lassen: führen doch letztlich alle genannten Zwecke bei jedwedem Verstoß gegen Normen über die Sachverhaltsermittlung zur Annahme eines Verwertungsverbots.402 bb) Gleiches gilt auch für den Ansatz von Peres, der ein Verwertungsverbot immer 148 dann annehmen will, wenn „Rechte von Verfahrensbeteiligten, Rechtsgüter der Allgemeinheit oder Staatsinteressen verletzt“ werden 403: Jedwede fehlerhafte Sachverhalts-

392 393 394

395 396 397

Rogall ZStW 91 (1979) 11 ff. Vgl. dazu die Übersicht bei Otto GA 1970 290. Eb. Schmidt MDR 1970 461, 464; dagegen Schöneborn MDR 1971 713, 715; für diesen Zweck in Fällen der §§ 250 ff. Amelung (Informationsbeherrschungsrechte) 28 und GedS Schlüchter 419 ff. Osmer 10 ff.; ähnlich Reinecke 181 ff.: „Innerprozessuales Sanktionsprinzip“. Eb. Schmidt § 136a, 21. Mende 209 m.w.N. Soweit dieser Autor allerdings argumentiert, es sei davon auszugehen, „daß Beweisergebnisse nicht berücksichtigt werden dürfen“ (S. 233), ist ihm teilweise unter dem Gesichtspunkt der Vorauswirkung eines Beweiserhebungsverbotes zuzustimmen: s. dazu oben Rn. 125 ff.

398 399 400 401

402

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Grünwald JZ 1966 499; ähnlich Amelung GedS Schlüchter 422 f. So Rogall in seiner Übersicht ZStW 91 (1979) 13. Vgl. Otto GA 1970 300. Dencker (Verwertungsverbote) 60, 72; ähnlich auch Ranft FS Spendel 724: Befriedungsfunktion des Strafverfahrens. Vgl. dazu Gössel NJW 1981 650 f. und GA 1991 485; grundlegende Kritik ferner z.B. bei Rogall ZStW 91 (1979) 11 ff. und auch Dencker (Verwertungsverbote) 47 ff., der allerdings das Wesen eines Verwertungsverbots in der Störung der generalpräventiven Funktion der Strafe – 59 ff. – erblickt. Peres 136.

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ermittlung verstößt gegen das Recht des Angeklagten auf eine prozessordnungsgemäße Verfahrensweise und würde deshalb ausnahmslos zu einem Verwertungsverbot führen. Nichts anderes gilt aber auch für die sog. Schutzzwecklehren, sofern sie ein Verwertungsverbot immer dann annehmen wollen, werden die von den jeweiligen Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung verfolgten Schutzzwecke beeinträchtigt.404 Ebenso wenig überzeugt der derzeit wohl neueste Ansatz zur Charakterisierung des 149 Verwertungsverbots als Verletzung eines Informationsbeherrschungsrechts,405 welches durch das Bestehen eines öffentlich-rechtlichen Anspruchs auf Unterlassung von Informationsverarbeitung gekennzeichnet wird,406 weil nicht alle Verwertungsverbote als Verletzungen von Informationsbeherrschungsrechten verstanden werden können 407: So gewähren weder Vernehmungsprotokolle noch schriftliche Erklärungen solche Rechte und dürfen doch in den Fällen des § 250 Satz 2 StPO nicht durch Verlesung verwertet werden, und auch das aus der Verletzung der Benachrichtigungspflicht über richterliche Vernehmungen aus § 168c Abs. 5 StPO folgende Verwertungsverbot 408 kann nicht mit einem Eingriff in ein Informationsbeherrschungsrecht erklärt werden.409 Überdies lässt sich nicht erklären, warum Verstöße gegen Informationsbeherrschungsrechte von Zeugen (§§ 52, 53, 54 und 55 StPO) gegenüber dem Angeklagten zu einem Verwertungsverbot führen können und warum in welchen Fällen nicht.410 Im Übrigen ist zu bedenken, dass Informationen „nicht eigentumsähnlich beherrschbar sind“ und, zudem wegen „entgegenstehende(r) Äußerungs- und Informationsrechte anderer“ etwa aus Art. 5 Abs. 1 GG, deshalb auch nicht zu subjektiven Rechten werden können.411

150

c) Komplexe Ansätze. Aus der Vielzahl der die Verwertungsverbote zusammenfassend nach deren Wesen, Funktion oder Zweck bestimmenden Lehren können hier nur einige wenige erwähnt werden, die bisher besondere Beachtung gefunden haben.

404

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So z.B. Grünwald (Beweisrecht) 155; die von Grünwald insoweit anerkannte einzige Ausnahme – kein Verwertungsverbot bei irreparablen Verletzungen „von Interessen anderer Personen als des Beschuldigten, der Allgemeinheit oder des Staates“, S. 152 – überzeugt deshalb nicht, weil auch bei vorhergehenden irreparablen Interessenverletzungen durch die öffentliche Verhandlung der fehlerhaft gewonnenen Tatsachen die bereits verletzten Interessen erneut betroffen wären. Zur Kritik vgl. auch Rogall FS Grünwald 527 ff., der zutr. darauf hinweist, dass Grünwald neben der Schutzzwecklehre weitere Gesichtspunkte über die Verwertbarkeit entscheiden lässt. Amelung empfiehlt deshalb, die Begriffe „Beweiserhebungsverbot“ und „Beweisverwertungsverbot“ durch die neuen Begriffe „Informationserhebungsverbot“ und „Informationsverwertungsverbot“ zu ersetzen (Informationsbeherrschungsrechte 12 f.), deren Vorliegen Amelung aus übergeordneten Prinzipien ableiten will wie etwa dem

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Schutz der Wahrheitsfindung und dem der Wahrung der Legitimation zum Strafen (Informationsbeherrschungsrechte 14 ff.; GedS Schlüchter 419). In seinen Darlegungen in GedS Schlüchter 426 sieht er den Schutz von Individualrechten als selbständiges Prinzip zur Begründung von Verwertungsverboten neben anderen an und setzt sich damit in Widerspruch zu seinem o.e. Vorschlag, alle Beweiserhebungs- und -verwertungsverbote als Informationserhebungs- und -verwertungsverbote zu behandeln. Störmer 234 f. im Anschluss an Amelung (Informationsbeherrschungsrechte); vgl. dazu auch Amelung (FS Bemmann) 510 ff. Ebenso Rogall FS Grünwald 532; Schroth 973. Meyer-Goßner § 168c, 6; insbesondere zu dessen Umfang § LR/Rieß 25 § 168c, 56. Vgl. dazu auch BGH NStZ 2003 671. Riepl 286. Ablehnend auch Ackemann 183 ff. Rogall GA 1985 11; zust. Riepl 27.

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Beweisverbote

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aa) Nach Dencker dienen alle Verwertungsverbote dem oben Rn. 146 bereits er- 151 wähnten Zweck, mögliche Gefahren für die Beeinträchtigung der generalpräventiven Wirkung der Strafe abzuwenden, und im Falle ihrer Unselbständigkeit „folgen“ sie „auf jeden rechtswidrigen staatlichen Beweisgewinnungsakt, bei dem ein Individualrechtsgut verletzt wird“ – im Falle ihrer Selbständigkeit „finden“ sie „ihre Begründung in den durch eine Verwertung drohenden Vertrauensschäden, die die Ausübung geschützter Rechte verhindern oder beeinträchtigen könnten“,412 wobei Dencker zur Feststellung einer Rechtsverletzung auf den Schutzzweck der Norm abstellt.413 Unabhängig von den bereits oben Rn. 147 erhobenen Bedenken gegen die von 152 Dencker den Verwertungsverboten beigelegten Zwecken ist hiergegen indessen vorzubringen, dass z.B. in §§ 81a, 81d StPO Beweisverbote enthalten sind, die selbst wie auch deren Schutzzweck z.B. mit der Blutentnahme durch einen Nichtarzt bzw. der körperlichen Untersuchung einer Frau durch einen Mann beeinträchtigt werden, ohne aber zugleich Verwertungsverbote darzustellen (allerdings will Dencker im Fall des § 81a StPO ein Verwertungsverbot bejahen 414), während umgekehrt die Verlesung der Niederschrift einer Zeugenaussage etwa entgegen § 250 Satz 2 StPO; § 325 StPO ebenso wenig eine Individualrechtsgutsverletzung erkennen lässt wie die Verlesung des Gutachtens eines privatrechtlich organisierten Krankenhauses entgegen § 256 StPO. Im Übrigen erscheint auch kaum einsichtig, die Verwertung tilgungsreifer Straftaten entgegen § 51 BZRG deshalb für unzulässig zu halten, weil anders ein Vertrauensschaden entstünde, der die Ausübung geschützter Rechte auch nur beeinträchtigen könnte. bb) Rogall erblickt das Wesen der selbständigen wie der unselbständigen Verwer- 153 tungsverbote einheitlich darin, „Schutzinstrumente des Einzelnen gegenüber der staatlichen Strafverfolgung“ zur „Durchsetzung der Individualrechtsgüter im Strafverfahren“ zu sein 415 und knüpft daran die Frage nach der Feststellung eines Verwertungsverbots, die aufgrund einer Abwägung zwischen den hier kollidierenden Interessen des Individualrechtsschutzes mit den Strafverfolgungsinteressen „unter Berücksichtigung der Fehlerschwere, der Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des verletzten … Interesses sowie des obwaltenden Strafverfolgungsinteresses zu beantworten“ sei,416 ein Verfahren, welches er als „normative Rechtsfolgenlehre“ 417 und nunmehr als „normative Fehlerfolgenlehre“ 418 bezeichnet und damit einen Weg beschreitet, der, trotz aller Differenzen im einzelnen, auch hier für richtig gehalten wird (Näheres unten Rn. 155 ff.). Aber auch diesem Ansatz wird schon deshalb nicht gefolgt werden können, weil auch 154 hier die Fälle von Verwertungsverboten ohne Individualrechtsbeeinträchtigung (oben Rn. 152: §§ 250 Satz 2; 325, 256 StPO) nicht erfasst werden und mangels eines beeinträchtigten Individualrechtsguts eine Abwägungssituation fehlt 419 – aus dem gleichen 412 413 414 415 416

Dencker (Verwertungsverbote) 147. Dencker (Verwertungsverbote) 92. Dencker (Verwertungsverbote) 97. Rogall ZStW 91 (1979) 21. Rogall (Rudolphi-Symp.) 157 und schon früher ZStW 91 (1979) 22 ff.; diesem zustimmend gegen die hier vorgebrachte Kritik Bockemühl 104 ff.; ähnlich auch SK/Wolter Vor § 151, 196, 201 ff.; vgl. auch S. Schröder 51 ff.: Abwägung nur insoweit, als sie nicht schon vom Gesetz vorgenommen wurde.

417 418 419

JZ 1996 948. FS Hanack 294 und FS Grünwald 546. Gegen die Abwägungslehre insbesondere und zumeist die Vertreter der Schutzzwecklehren (oben Rn. 151 f.), vgl. z.B. Grüner 39, der in bedenkenswerter Weise auf die Gefahr der Abwägungslehre hinweist, Verwertungsverbote zu Instrumenten „tatrichterlicher Billigkeitserwägungen“ werden zu lassen.

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Grunde kann auch den bisher vorgeschlagenen Kombinationen des Abwägungsansatzes mit anderen Kriterien nicht zugestimmt werden.420

V. Eigene Auffassung 1. Ausgangspunkt

155

a) Beurteilung der bisherigen Diskussion. Die Auseinandersetzung um die Beweisverbotslehre in Wissenschaft und Praxis darf insoweit als fruchtbar bezeichnet werden, als doch mindestens die wichtigsten Gesichtspunkte zur Entwicklung einer entsprechenden Dogmatik benannt und diskutiert werden konnten. Auf einem derart schwierigen und umstrittenen Gebiet wird dies schon als ein nicht unerheblicher Erkenntnisfortschritt gedeutet werden dürfen. Gleichwohl ist das Ziel noch nicht erreicht (s. dazu auch oben Rn. 17). Wie oben Rn. 132 ff., 144 ff. dargelegt wurde, stehen den bisher in der Wissenschaft entwickelten Ansätzen noch erhebliche Bedenken entgegen. Auch der Rechtsprechung ist es schon angesichts der Vielzahl der zur Bestimmung von Beweisverwertungsverboten verwendeten Kriterien bisher nicht gelungen, Regeln zu einer auch nur überwiegend sicheren Beurteilung des Vorliegens von Beweisverwertungsverboten zu entwickeln.421 Dies dürfte mindestens auch darin seine Erklärung finden, dass einmal zu Recht auf die konkrete Entscheidung im Einzelfall abgestellt wird, zum anderen aber der Komplexität der Beweisverbotsproblematik nicht ausreichend Rechnung getragen wurde. Nach der hier vertretenen Auffassung müssen alle bisher entwickelten Ansätze berücksichtigt werden,422 wobei letztlich doch einseitige Antagonismen 423 in ihrer zumeist nur scheinbaren Gegensätzlichkeit zu erkennen und von einer übergreifenden Betrachtungsweise abzulösen sein werden. Dies soll hier unter Vermeidung einer die verschiedenen Ansätze bloß kumulativ zusammenfassenden Verfahrensweise 424 auf einem methodischen Weg versucht werden, der an anderer Stelle als Weg zur Rechtsgewinnung beschrieben wurde: in einem prozesshaften Zusammenwirken von Natur der Sache, Normwortlaut, Gesetzessystematik und Kriminalpolitik.425

156

b) Entscheidende Fragestellungen. Wer wissen will, was ein Verwertungsverbot ist, muss zunächst, insoweit im Einklang mit der oben Rn. 128 dargelegten Eigenständigkeitslehre, den Begriff der Verwertung selbst zu klären versuchen. Vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Natur der Sache unter zusätzlicher Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs der Rechtssätze lässt sich Beweisverwertung als Bewertung wahrgenommener Tatsachen als tatsächliche Entscheidungsgrundlage im Vorgang der Beweiswürdigung bestimmen (oben Rn. 3 ff.).

420

421

Vgl. dazu Beulke ZStW 103 663 f.: Schutzzweckkriterium als vorrangiges Merkmal mit subsidiärem Einsatz der Abwägungslehre bei aus der Verfassung ableitbarer Beweismittelbeschränkung; Fezer (Grundfragen) 38 und Koriath 105: Abwägung in besonders gelagerten Fällen bei selbständigen Verwertungsverboten, bei unselbständigen Verboten stets Verwertungsverbot. Kritisch zur Rspr. insbesondere des BVerfG Frank 75.

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422 423

424 425

Vgl. insoweit auch Mende 189. Etwa zwischen revisionsrechtlichem Ansatz und einer eigenständigen Beweisverbotslehre – so z.B. Rogall ZStW 91 (1979) 7 f. – oder auch – so z.B. Grünwald (Beweisrecht) 155 – zwischen Schutzzweck- und Abwägungslehre. Auf diese Gefahr weist SK/Wolter Vor § 151, 197 zu Recht hin. Gössel FS Peters 41.

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Beweisverbote

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Die daran anschließende Frage, in welchen Fällen es verboten ist, bestimmte Tat- 157 sachen oder Sachverhalte zum Gegenstand der Beweiswürdigung und damit zur tatsächlichen Entscheidungsgrundlage zu machen (oben Rn. 5 ff.), muss sich mit zwei Problemen auseinandersetzen: einmal mit dem Verstoß gegen die rechtlichen Regeln, die Tatsachen oder Sachverhalte als (un)taugliche Gegenstände der Beweiswürdigung bestimmen, zum andern mit der Belastung regelmäßig des Angeklagten (denkbar allerdings auch eines anderen Verfahrensbeteiligten wie z.B. des Privatklägers, s. dazu unten Rn. 172 f). durch diesen Verstoß. aa) Die hier in Betracht kommenden Regeln finden sich nicht etwa nur in der StPO, 158 sondern in vielen Bereichen der Rechtsordnung wie z.B. in § 393 Abs. 2 AO, insbesondere auch im Grundgesetz. Deshalb erscheint es gerechtfertigt, einen Verstoß gegen die Rechtsordnung insgesamt als Voraussetzung eines Verwertungsverbotes anzusehen. Ob ein solcher Verstoß vorliegt, ist unter dem Gesichtspunkt des jeweiligen Regelwortlauts, des systematischen Zusammenhangs der Gesetze und der Kriminalpolitik u.a. unter Heranziehung der von den jeweiligen Regeln verfolgten Zwecke, insbesondere etwaiger Schutzzwecke, zu beurteilen, ist unter Umständen auch von einer Abwägung der etwa jeweils kollidierenden Interessen abhängig (unten Rn. 161 ff.). bb) Die zweite Frage nach der Belastung des Angeklagten etc. durch verbotene Be- 159 weisverwertung ist mit dem Rechtsmittelrecht verknüpft; vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Natur der Sache ist hier zu berücksichtigen, ob der Angeklagte durch verbotene Beweiswürdigung in seinen Rechten beeinträchtigt ist und ob das Urteil darauf beruhen kann (unten Rn. 174 ff.). 2. Der Verstoß gegen die Rechtsordnung a) Umfang. Das als Würdigungsverbot zu verstehende Verwertungsverbot bezieht 160 sich im Vorgang der Beweiswürdigung sowohl auf die wahrnehmende Feststellung von Tatsachen als auch auf deren Bewertung als entscheidungsrelevant (oben Rn. 3 ff.). aa) Obwohl Tatsachen in der Hauptverhandlung in zulässiger Weise wahrnehmend 161 festgestellt wurden, kann deren Verwertung verboten sein: so z.B. die Aussage des früheren Mitangeklagten A, der nach Verfahrensabtrennung im Verfahren gegen den übriggebliebenen B von dem ihm jetzt zustehenden Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht. Aber auch umgekehrt kann eine unzulässige Ermittlung von Tatsachen (polizeiliche Vernehmung des Beschuldigten ohne Belehrung über das bestehende Schweigerecht) der richterlichen Würdigung in der Hauptverhandlung und damit der urteilsrelevanten Verwertung durchaus zugänglich sein: so etwa in den Fällen, in denen der im Ermittlungsverfahren unbelehrt gebliebene und aussagende Beschuldigte sein Schweigerecht kannte oder in der Hauptverhandlung der Verwertung seiner früheren Aussagen nach Belehrung nicht widersprach (oben Rn. 57). bb) Darin zeigt sich die oben Rn. 121, 127 aufgezeigte Unabhängigkeit des Verwer- 162 tungsverbots von einem Erhebungsverbot ebenso wie auch darin, dass das Verwertungsverbot sich auch auf solche Tatsachen erstreckt, die ohne jeden Verstoß gegen Erhebungsverbote gar nicht erst in die Hauptverhandlung eingeführt wurden: so das bloße Sonderwissen eines Richters, welches erst in der Beratung des Richterkollegiums bekannt gegeben wird, ferner Tatsachen, die wegen Prozesshängigkeit (Rechtshängigkeit) oder Rechtskraft oder der fehlenden Anklage nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden.

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163

Dieser Unabhängigkeit wegen erscheint daher die Frage einzig sinnvoll, ob zu irgendeinem Zeitpunkt bei der Gewinnung jener Tatsachen, die zur Urteilsgrundlage wurden, gegen die Rechtsordnung verstoßen wurde.426 Folglich kann auch ein Gesetzesverstoß bei außerhalb eines Strafverfahrens vorgenommenen Ermittlungen bedeutsam sein (z.B. § 100d Abs. 6 Nr. 3 StPO, s. dazu auch oben Rn. 16). Deshalb kommt es auch nicht darauf an, in welchem Verfahrensstadium, etwa im Ermittlungsverfahren, dies geschah (oben Rn. 123), und ebenso wenig darauf, ob der Verwertung ein Verstoß gegen ein Erhebungsverbot (man denke hier nur an die unselbständigen Verwertungsverbote, s. oben Rn. 121) vorausging oder nicht. Damit kann es für das Vorliegen eines Verwertungsverbotes weder darauf ankommen, 164 in welchem Verfahrensstadium mit der Wahrnehmung von Tatsachen gegen ein Erhebungsverbot verstoßen wurde noch darauf, ob dies überhaupt der Fall war. Werden etwa Notizen aus dem Tagebuch des Beschuldigten zur tatsächlichen Urteilsgrundlage, so ist allein entscheidend, ob die darin liegende Verwertung gegen die Rechtsordnung verstößt oder nicht. Es kommt nicht darauf an, ob ein Erhebungsverbot im Ermittlungsverfahren oder erst später verletzt wurde: der mit der verbotenen Wahrnehmung des Tagebuchinhalts anlässlich der Durchsicht nach § 110 StPO verbundene Eingriff in das Persönlichkeitsrecht wird bei der Einführung in die Hauptverhandlung regelmäßig wiederholt werden, kann aber wegen der späteren Zustimmung des Beschuldigten auch geheilt sein – umgekehrt aber wird bei etwa unerlaubter Blutentnahme der Verstoß gegen das Erhebungsverbot des § 81a StPO bei der Einführung des Ergebnisses der Blutuntersuchung auch dann nicht wiederholt werden, wenn das Ergebnis der Blutprobenentnahme (ausnahmsweise 427) unverwertbar ist. b) Feststellung

165

aa) Ob die Rechtsordnung der Würdigung bestimmter Tatsachen für die Urteilsfindung entgegensteht, ist zunächst dem jeweiligen Wortlaut der je in Betracht kommenden Regeln über die Sachverhaltsermittlung zu entnehmen (so z.B. bei den ausdrücklichen Verwertungsverboten des § 51 Abs. 1 BZRG und des § 136a Abs. 3 StPO, s. auch oben Rn. 16), kann darüber hinaus aber – zumeist – erst aus dem Gesetzeszusammenhang erschlossen oder unter kriminalpolitischen Gesichtspunkten entschieden werden: so z.B. das Verbot des Vorhalts einer früheren Aussage nach Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts (s. Erläuterungen zu § 252 StPO). Die vom Gesetz ausdrücklich normierten Verwertungsverbote mögen auch als absolute Verwertungsverbote bezeichnet werden, weil unabhängig von weiteren Erwägungen (etwa nach den Abwägungs- oder Schutzzwecklehren) mit dem bloßen Gesetzesverstoß schon ein Verstoß gegen ein Beweisverwertungsverbot zu bejahen ist; freilich kann auch in diesen Fällen die Revision nur begründet sein, beruht das Urteil auf einer Verletzung des in diesem Sinne absoluten Verwertungsverbotes (s. dazu unten Rn. 179 ff.).

166

bb) Zumeist allerdings wird sich das (Nicht-)Vorliegen eines Verstoßes gegen die Rechtsordnung erst unter zusätzlicher Berücksichtigung anderer verfassungsrechtlich oder sonst kriminalpolitisch bedeutsamer Kriterien beurteilen lassen, wobei auf die von Ipsen entwickelte Unterscheidung von Grundrecht und grundrechtlich geschütztem Rechtsgut 428 Bedacht zu nehmen sein wird. Dieses Verfahren ist insbesondere zur Beant426 427

Ebenso Fickert 176 für Zufallserkenntnisse im Ermittlungsverfahren. Vgl. dazu Meyer-Goßner § 81a, 32 ff.

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Ipsen Gesetzliche Einwirkungen auf grundrechtlich geschützte Rechtsgüter JZ 1997 473.

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Beweisverbote

Einl. Abschn. L

wortung der Frage anzuwenden, ob eine konkrete Maßnahme zur Sachverhaltsfeststellung ohne eine dazu speziell ermächtigende Befugnisnorm gegen die Rechtsordnung verstößt (s. dazu oben Rn. 73 f.).429 Hier dürfte die wahre Bedeutung der Zweckverfolgungslehren, der Abwägungs-430 und der Schutzzwecklehren liegen,431 wie auch die der Beachtung des Verhältnismäßigkeitspinzips. Ob etwa Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, gegebenenfalls auch mit 167 Art. 19 Abs. 2 GG, die gerichtliche Würdigung von Tatsachen verbietet, die in einem Tagebuch des Beschuldigten verzeichnet sind, wird nach derzeitiger Rechtsprechung zu Recht erst unter Heranziehung der Dreisphärentheorie des Bundesverfassungsgerichts nach (etwaiger) Ausscheidung der Aufzeichnungen aus dem Kernbereich des Persönlichkeitsrechts und deren Zuordnung zur sonst geschützten Privatsphäre aufgrund einer Abwägung der hier kollidierenden Interessen entschieden werden können (Näheres oben Rn. 83 ff.) – und dies gilt auch für die von Privatpersonen unter Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Beschuldigten oder sonstiger Personen gewonnenen Erkenntnisse (oben Rn. 112 ff., 115). Gleiches gilt für die Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 53 StPO: 168 Ob diese Vorschrift auch die verwertende Würdigung früherer Aussagen des damals von seiner Schweigepflicht entbundenen Zeugen verbietet, lässt sich wohl mit dem Zweck des § 53 StPO verneinen, nur einer tatsächlich bestehenden Zwangslage des Zeugen gerecht werden zu wollen (s. oben Rn. 49). Freilich ist damit allein noch nicht für ausreichende Klarheit gesorgt: besteht doch hinsichtlich der Verletzung von Zeugnisverweigerungsrechten generell erhebliche Unsicherheit. Wie oben Rn. 37 ff. bereits dargelegt wurde, hat der Bundesgerichtshof z.B. den Schutzbereich des § 52 StPO einmal auch auf den Persönlichkeitsbereich des Beschuldigten ausgedehnt, andererseits aber – und später – behauptet, § 52 StPO habe allein den Schutz des Zeugen im Auge.432 Jedoch kann durch diese Schwierigkeiten die grundsätzliche Tauglichkeit des Schutzzweckkriteriums zur Bestimmung eines Regelverstoßes nicht in Frage gestellt werden. 3. Umfang und Wirkung des Rechtsverstoßes a) Relative Wirkung. Urteilsfindung und Beweiswürdigung beziehen sich notwendig 169 auf bestimmte Personen (§ 155 Abs. 1 StPO) und dürfen deshalb nicht absolut, losgelöst von konkret betroffenen Verfahrensbeteiligten beurteilt werden: Die Beweiswürdigung ist nicht abstrakt verboten, sondern nur zum Nachteil eines bestimmten Verfahrensbeteiligten: im Regelfall des Angeklagten. aa) Die Verwertungsverbote verbieten damit im Regelfall nur eine Beweisverwertung 170 zu Lasten des Angeklagten, nicht aber zu dessen Gunsten.433 In Übereinstimmung damit hat die Rechtsprechung mit ihrer Widerspruchslösung (oben Rn. 28 ff.) dem Angeklagten damit in der Regel die Freiheit eingeräumt, selbst zu entscheiden, ob das Gericht bestimmte Beweise verwerten darf.434

429 430 431

432

Vgl. dazu Perschke z.B. 32 ff., 102 ff. S. dazu auch Rogall FS Hanack 294. Zur Verbindung der letztgenannten Lehren s. auch Beulke ZStW 103 663 f.; Fezer (Grundfragen) 38 und Koriath 105. Vgl. einerseits BGHSt 11 213, 216 f., andererseits BGHSt 22 35, 37 f.; s. im Übrigen

433 434

oben Rn. 37 f. sowie ferner Gössel NJW 1981 652 f. und GA 1991 488 ff. Rogall ZStW 91 (1979) 38; Rosenthal (Fn. 72) 149, 155. Deshalb tritt Ignor 192 ff. ausdrücklich für die Widerspruchslösung ein.

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499

Einl. Abschn. L 171

Einleitung

Nur scheinbar entgegengesetzt führt Kleinknecht zwar aus, „ein Verwertungsverbot“ schließe „grundsätzlich die Verwertung sowohl zuungunsten als zugunsten des Beschuldigten aus“, bezieht dies aber ausdrücklich nur auf die Fälle, in denen das Verwertungsverbot „auf gesetzlich statuierter Unbrauchbarkeit des Beweisergebnisses beruht“, wie etwa in den Fällen des § 136a Abs. 1 und 2 StPO.435 Daraus erhellt: Neben den der Dispositionsfreiheit des Angeklagten unterliegenden Verwertungsverboten mit relativer Wirkung werden auch solche anerkannt, welche die Verwertung mit absoluter Wirkung gegenüber jedermann 436 unabhängig davon verbieten, ob die von dem Verwertungsverbot betroffene Sachverhaltsermittlung den Angeklagten oder einen sonstigen Verfahrensbeteiligten be- oder entlastet (unten Rn. 178). Die hier notwendige Diskussion hat zwar schon begonnen,437 steht aber im Wesentlichen noch aus, vor allem hinsichtlich praktikabler Ergebnisse.

172

bb) Die lediglich relative Wirkung der nur eine den Beschuldigten belastende Beweisverwertung verbietenden Verwertungsverbote erscheint angesichts der Machtfülle des strafverfolgenden Staates in der überwältigenden Mehrheit aller Fälle auch gerechtfertigt: Schon der Grundsatz einer fairen Verfahrensführung fordert eine effektive Kontrolle und Beschränkung der dem Beschuldigten gegenüberstehenden Staatsgewalt. Gleichwohl kann und darf nicht übersehen werden, dass auch andere Verfahrensbeteiligte durch eine verbotene Beweiswürdigung in ihren Rechten beeinträchtigt werden können. So erscheint es mindestens in besonders gelagerten Ausnahmefällen erörterungswür173 dig, Verwertungsverbote zur Vermeidung von Nachteilen anderer Verfahrensbeteiligter wie der Staatsanwaltschaft, Privat- und Nebenkläger oder der Beteiligten in Verfahren wegen Einziehungen und Vermögensbeschlagnahmen anzuerkennen, etwa dann, wird eine den Angeklagten entlastende Tatsache unter Verletzung des Kernbereichs der Persönlichkeit des Privatklägers ermittelt oder unter nach § 136a StPO, § 69 Abs. 3 StPO verbotener Gewaltanwendung gegen einen Zeugen (was zur Anwendung des Satzes in dubio pro reo führen wird). Solche Fälle werden selten sein, können aber schon angesichts der wachsenden organisierten Kriminalität nicht mehr gänzlich in den Bereich der Exotik verwiesen werden und bedürfen daher einer bisher noch ausstehenden Diskussion, die hier (auch hinsichtlich möglicher Nachteile der Staatsanwaltschaft) nur angemahnt, aber nicht geleistet werden kann. b) Beschwer des Angeklagten durch den Rechtsverstoß

174

aa) Die Notwendigkeit eines derartigen Erfordernisses als Merkmal eines Verwertungsverbots ergibt sich schon aus der oben (Rn. 169) erwähnten relativen Wirkung des ein etwaiges Verwertungsverbot kennzeichnenden Rechtsverstoßes. Bleibt die Rechtsstellung des Angeklagten durch eine verbotene Beweiswürdigung unangetastet, oder wird sie sogar dadurch verbessert, dass die verbotene Beweiswürdigung den Angeklagten entlastet,438 so kann von einem Verwertungsverbot schwerlich die Rede sein. Hätte der gesetzeswidrig ermittelte Sachverhalt auch auf gesetzmäßigem Wege erlangt werden können (vgl. oben Rn. 116), so erscheint der Angeklagte durch den Gesetzesverstoß nicht als

435 436 437

Kleinknecht 1543. So jetzt auch Ufer 183 f. Grundlegend Nack aaO; s. auch Amelung StraFo 1999 181 ff., Hamm aaO und Wolter in: Wolter et al. (Hrsg), Einwirkungen der

500

438

Grundrechte auf das Zivilrecht, Öffentliche Recht und Strafrecht 1999 319, 324 und FS II BGH 993. Zutr. Hamm 364 f.; Nack 367.

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Beweisverbote

Einl. Abschn. L

beschwert; betrifft die verbotswidrig gewürdigte Tonbandaufnahme nicht den Angeklagten A, sondern ausschließlich den Mitangeklagten B, so ist kein Verwertungsverbot zum Nachteil des A verletzt. Es bleibt das Verdienst der vom Bundesgerichtshof entwickelten Rechtskreistheorie (oben Rn. 22 f.),439 diesen Gesichtspunkt nachhaltig betont zu haben; aber auch kriminalpolitische Überlegungen zum Schutzzweck sind wiederum von Bedeutung. Auch wenn der Schutzzweck der §§ 52, 55 StPO durch die Vernehmung des insoweit unbelehrt gebliebenen Zeugen beeinträchtigt wurde, so doch nicht zwangsläufig ein gegenüber dem Angeklagten bestehender Schutzzweck.440 So kann etwa ein nach § 52 StPO zeugnisverweigerungsberechtigter Zeuge nicht nur auf die Ausübung seines Zeugnisverweigerungsrechts verzichten, sondern auch der Verwertung derjenigen Aussagen zustimmen, die er in der Hauptverhandlung nach Geltendmachung seines Zeugnisverweigerungsrechts gemacht hatte „und damit auf das in § 252 StPO enthaltene Verwertungsverbot … verzichten“.441 Ähnliches gilt im Fall des § 55 StPO. Wer den Zweck dieser Vorschrift ausschließlich im Schutz des Zeugen vor selbstbelastenden Aussagen erblickt, kann den Angeklagten durch einen Verstoß gegen die Pflicht, den Zeugen gemäß § 55 Abs. 2 StPO zu belehren, nicht als beschwert ansehen – anders dagegen, wird der Zweck des § 55 StPO im Schutz der Wahrheitsfindung des Gerichts vor konfliktbehafteten Aussagen erblickt.442 Im Übrigen ist zu bedenken: Viele Verwertungsverbote sind einschließlich ihrer auch einschränkenden Voraussetzungen richterrechtlich geschaffen worden 443 – fehlt eine derartige Voraussetzung, wie z.B. der unterbliebene Widerspruch, so fehlt es ebenso an einer Beschwer des Angeklagten durch den vorausgegangenen Rechtsverstoß. Im Übrigen kann hier nicht unbeachtet bleiben, dass der unverteidigte Angeklagte vom Vorsitzenden ausdrücklich über sein Widerspruchsrecht belehrt werden muss und dass die Widerspruchslösung im Übrigen wohl zu Recht davon ausgeht, dass Strafverteidiger ihr Metier beherrschen und deshalb ihre nicht weiter nachzuforschenden Gründe haben, von einem Verfahrensrecht keinen Gebrauch zu machen 444 – andernfalls wäre das Gericht verpflichtet, den Verteidiger und den Angeklagten auf etwaige Versäumnisse der Verteidigung hinzuweisen, was für Gericht wie Verteidigung gleichermaßen unzumutbar wäre. bb) Außerdem kann und sollte dem Angeklagten, der „reinen Tisch machen“ will, 175 die Möglichkeit bleiben, einen geschehenen Rechtsverstoß gegen sich gelten zu lassen, indem er etwa auf einen zumutbaren Widerspruch gegen die Verwertung eines im Ermittlungsverfahren ohne die erforderliche Belehrung über sein Schweigerecht belehrten Geständnisses verzichtet 445 und so den Verfahrensverstoß heilt. Diese Möglichkeit ergibt sich indirekt auch aus dem aus § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO folgenden Verwertungsverbot: Zwar kann selbst die Genehmigung des Beschuldigten das Verbot der Verwertung der durch verbotene Vernehmungsmethoden erlangten Aussagen nicht aufheben, jedoch bleibt es dem Angeklagten unbenommen, vor Gericht diese Aussagen freiwillig zu wiederholen,446 also nur und insbesondere ohne Fortwirkung der im Ermittlungsverfahren eingesetzten verbotenen Mittel. 439

440 441 442 443 444

Zur Bedeutung der Rechtskreistheorie s. auch das Streitgespräch zwischen Bauer (NJW 1994 2530; wistra 1996 46) und Hauf (NStZ 1993 457; wistra 1995 53). Ebenso Frisch 192 f. BGHSt 45 203, 206. Vgl. dazu Gössel NJW 1981 653. Meyer-Goßner/Appl 261. Vgl. dazu Meyer-Goßner/Appl 261.

445

446

A.A. Kindhäuser 532, der dies indessen wegen mangelnder Verpflichtung des Angeklagten zur Rüge von Verfahrensfehlern bestreitet, indessen deshalb zu Unrecht, weil eine derartige Verpflichtung über die Beschwer des Angeklagten nicht entscheiden kann. Gössel FS Hanack 285 f.

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501

Einl. Abschn. L 176

Einleitung

cc) Damit wird zugleich klar, dass nicht in allen Fällen ein prozessordnungswidriges Verfahren im Bereich der Tatsachenfeststellungen ein Verwertungsverbot zugunsten des Angeklagten nach sich ziehen kann: Zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens im Allgemeinen ist er nicht berufen. 4. Revisibilität von Verstößen gegen Verwertungsverbote

177

a) Bedeutung revisionsrechtlicher Elemente. Wie sehr auch immer eine etwa verbotene Beweiswürdigung den Angeklagten beschweren mag: der Angeklagte kann das gleichwohl gegen ihn ergangene verurteilende Erkenntnis nicht erfolgreich mit der Revision anfechten, wenn das Urteil nicht auf diesem Rechtsverstoß beruht. Deshalb erscheint es verständlich, wenn die oben Rn. 18 erwähnte Funktionslehre der Rechtsprechung unter teilweiser Zustimmung des Schrifttums das Beruhenserfordernis des § 337 StPO zu den Merkmalen eines Verwertungsverbots rechnet, schon um ein „Auseinanderfallen von Revisions- und Beweisverbotsrecht“ zu verhindern 447 – im Übrigen aber wohl auch deshalb, weil es für den Angeklagten nur von untergeordneter Bedeutung erscheint, ob seine Revision mangels eines Verstoßes gegen ein Verwertungsverbotes verworfen wurde oder, bei bejahtem solchem Verstoß, weil es am Beruhenserfordernis fehlt. Bedenkt man jedoch die oben Rn. 73 erwähnten Beispiele offensichtlich rechtsstaats178 widriger Ermittlungen, so muss die Möglichkeit auch absoluter Verwertungsverbote 448 bedacht werden: so bei derart schwerwiegenden Gesetzesverstößen, die „schon allein und ohne Berücksichtigung sonstiger Kriterien ausnahmslos in allen Fällen“ auch dann zu berücksichtigen sind (s. auch oben Rn. 171), selbst wenn das verurteilende Erkenntnis nicht auf diesen Gesetzesverstößen beruht (etwa: die zwar unzulässige, aber auch auf zulässigem Wege hypothetisch erreichbare belastende Beweisverwertung): in diesen Fällen steht der Gesetzesverstoß einem absoluten Revisionsgrund gleich.449 In Betracht kämen hier etwa die in § 136a Abs. und 2 StPO 450 genannten Beweisverbote, ferner aber auch sonstige rechtsstaatswidrige Ermittlungen. Mit der der hier geforderten Anerkennung solcher absoluter Verwertungsverbote scheidet des Beruhenserfordernis zwangsläufig aus dem Begriff des Verwertungsverbots aus, und der Funktionslehre kann damit nicht mehr gefolgt werden.451

179

b) Selbständige Bedeutung des Beruhenselelementes. Im Anschluss an die Lehre vom Beruhenszusammenhang, die in der Theorie der objektiven Zurechnung im materiellen Strafrecht entwickelt wurde,452 wird hier vorgeschlagen, dieses Erfordernis dann zu bejahen, wenn zwischen der verbotenen Beweiswürdigung und dem Urteil ein nicht ausschließbarer realer Zusammenhang und auch ein solcher finaler Art besteht.453 Solange das Urteil noch nicht gefällt ist, setzt die Beurteilung dieses Zusammenhangs allerdings

447

448 449 450 451

452

So Alsberg/Nüse/Meyer 478; zu dieser Problematik im übrigen s. oben Rn. 19 und die in Fn. 32 Genannten. Vgl. dazu Ufer 55 f. Gössel FS Hanack 286 f. Vgl. Heinrich 419 ff.; Ufer 76. Anders Voraufl. 154, 163; instruktiv zum Streitstand um die Funktionslehre zuletzt Janicki 62. Ähnlich auch Kelnhofer 22 ff., 301; a.A.

502

453

Frisch FS Rudolphi 609, der die Bedeutung des Beruhenselementes „aus der Funktion des Beruhens“ herleiten will (S. 621), dabei aber verkennen dürfte, dass die Funktion eines bestimmten Gegenstandes nicht darüber entscheiden kann, was dieser Gegenstand ist, welche Merkmale ihn inhaltlich bestimmen. Vgl. dazu Gössel NJW 1981 2218 f. und Maurach/Gössel AT § 43, 85 ff.

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Beweisverbote

Einl. Abschn. L

eine Prognose voraus, die anzustellen aus dem materiellen Recht bekannt ist und deren Schwierigkeiten gemeistert werden können.454 aa) Ein realer Zusammenhang besteht immer dann, hat die dem Angeklagten nachteilige und gegen die Rechtsordnung verstoßende Beweiswürdigung entweder zu einem Schuldspruch oder zu einer Rechtsfolgenfestsetzung geführt, die sonst – also bei Wegfall dieser Beweiswürdigung – nicht oder für den Angeklagten günstiger ergangen wären. (11) Demnach fehlt der notwendige Beruhenszusammenhang, wird der Schuldspruch ausschließlich auf die glaubwürdigen Bekundungen des Angeklagten selbst und eines Belastungszeugen gestützt, nicht aber auf die verbotswidrige und den Angeklagten in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigende Würdigung von Tagebuchnotizen; Gleiches gilt, wird ein polizeiliches Protokoll über ein Geständnis unter Verstoß gegen § 254 StPO verlesen, der Schuldspruch aber allein auf die zulässige Vernehmung des betreffenden Polizeibeamten als Verhörsperson gestützt. (22) Ebenso fehlt es am realen Zusammenhang, hätte der entgegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO unbelehrt gebliebene Beschuldigte in Kenntnis seines Schweigerechts nicht anders ausgesagt (oben Rn. 57) oder wenn der durch prozessordnungwidriges Prozedieren erzielte Beweis erneut und prozessordnungsgemäß erhoben wird (oben Rn. 175). Gleiches gilt, hätte sich die unter Verstoß gegen die Rechtsordnung ermittelte Tatsache auch ohne einen solchen Verstoß feststellen lassen: Hätte der Richter auf einen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme verfahrensbedeutsamer Urkunden anordnen müssen, welche die Polizei ohne Gefahr im Verzug beschlagnahmt hat, so ist die Würdigung der sich aus diesen Urkunden ergebenden verfahrensbedeutsamen Tatsachen unabhängig vom voraufgegangenen Regelverstoß.455 Hier allerdings wird stets auf den konkreten Vorgang abzustellen sein: Fehlte es etwa im Zeitpunkt der jeweiligen Ermittlungshandlung an einer gesetzlichen Grundlage für deren Vornahme, wie etwa bei Geschwindigkeitsmessungen im Straßenverkehr durch private Unternehmen, so ist der reale Zusammenhang unabhängig davon zu bejahen, dass es möglich wäre, eine solche Grundlage zu schaffen – anders dagegen, hätte die privat und unerlaubt durchgeführte konkrete Geschwindigkeitsmessung von einem Polizeibeamten durchgeführt werden dürfen und auch können, was im Falle eines bewussten Missbrauchs staatlicher Zwangsbefugnisse deshalb regelmäßig zu verneinen sein wird, weil der Missbrauchswille die rechtmäßige Ermittlungsvariante ausschließen dürfte.

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bb) Ein finaler Beruhenszusammenhang ist immer dann zu bejahen, soll diejenige 184 Regel, deren Verletzung Gegenstand eines Verwertungsverbotes ist, gerade die urteilsbedeutsame Beweiswürdigung verhindern. Auch hier ist der (Schutz-)Zweck der verletzten Regel von Bedeutung. § 81d StPO kann demnach kein Verwertungsverbot darstellen: Diese Vorschrift 185 bezweckt die Verhinderung eines unverhältnismäßigen Eingriffs in die Persönlichkeitssphäre, nicht aber, die bei einer Verletzung dieser Vorschrift gewonnenen Erkenntnisse von Beweiswürdigung und Urteilsfindung auszuschließen. Ähnliches gilt im Falle des § 81a StPO bei der Blutprobenentnahme durch einen Nichtarzt: Hier könnte ein Verwertungsverbot nur angenommen werden, hätte der Gesetzgeber die Entnahme durch einen Arzt mindestens auch zur Sicherung des Beweiswertes angeordnet. 454 455

A.A. offenbar Reinecke 157. Im Ergebnis ebenso S. Schröder 136 ff.; a.A. aber Grüner 41.

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Einl. Abschn. M 186

Einleitung

Auch die Frage eines Fernwirkungsverbots ist ein Problem des finalen Zusammenhangs.456 So hat der Bundesgerichtshof zu Recht angenommen, dass Art. 1 § 7 Abs. 3 G 10 die Verwertung ausnahmslos aller durch die Telefonüberwachung ermittelten Tatsachen verbietet, die keine der im Katalog der Art. 1 §§ 2, 3 G 10 aufgeführten Straftaten betreffen (oben Rn. 111). Ob dies auch in anderen Fällen gelten kann, muss weiteren Untersuchungen zu den jeweils verletzten Regeln vorbehalten bleiben. 5. Gesetzgeberische Maßnahmen

187

Könnte sich der Gesetzgeber zur vermehrten Normierung absoluter Verwertungsverbote (oben Rn. 171) entschließen, würde dies nicht nur die tägliche Arbeit vor allem des Praktikers erleichtern können. Auch könnte der Gesetzgeber dadurch der Gefahr vorbeugen, Entscheidungen von grundsätzlicher kriminalpolitischer Bedeutung in unzulässiger Weise unter Verwischung der Grenzen zwischen Legislative und Judikative auf den Richter zu übertragen. Im Übrigen wäre zu erwägen, einige besonders schwerwiegende Verstöße gegen absolute Verwertungsverbote auch in den Katalog der absoluten Revisionsgründe des § 338 StPO zu übernehmen.

M. Zur Methode der Rechtsanwendung im Strafverfahren Schrifttum Adomeit Der gerichtliche Prozeß in Sicht der Rechtstheorie, AcP 174 (1974) 407; Alexy/Koch/ Kuhlen/Rüßmann Elemente einer juristischen Begründungslehre (2003); Arzt Ketzerische Bemerkungen zum Prinzip in dubio pro reo (1997); Bär Der Zugriff auf Computerdaten im Strafverfahren (1992); ders. Ist die Kritik an der „Rechtskreistheorie“ (methodisch) noch zu halten? NJW 1994 2530; ders. Der neue Streit um die Rechtskreistheorie als methodisches Problem, wistra 1996 46; Bauer Die alternative Rüge gemäß §§ 244 II , 261 StPO, NStZ 2000 72; Baumann Der Aufstand des schlechten Gewissens (1965); Beckemper Der Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren, NStZ 1999 221; Blankenburg/Rogowski Zur Theorie von Gerichtsverfahren, ZFRSoz 1983 133; Bleckmann Zu den Methoden der Gesetzesauslegung in der Rechtsprechung des BVerfG, JuS 2002 942; Blum Strafbefreiungsgründe und kriminalpolitische Begründungen (1996); Bottke Materielle und formale Verfahrensgerechtigkeit im demokratischen Rechtsstaat (1991); Brockmöller Die Entstehung der Rechtstheorie im 19. Jahrhundert in Deutschland (1997); Brugger Konkretisierung des Rechts und Auslegung der Gesetze, AöR 119 (1994) 1; R. Bruns Besprechung von Johann Josef Hagen, Elemente einer allgemeinen Prozesslehre, ZZP 87 (1974) 104; Bung Subsumtion und Interpretation (2003); Bydlinski Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2 (1991); Chanos Begriff und Geltungsgrundlagen der Rechtsanalogie im heutigen juristischen Methodenstreit (1994); Coing Juristische Methodenlehre (1972); Christensen/Kudlich Theorie richterlichen Begründens (2001); Dannecker Das intertemporale Strafrecht (1993); Degener Zu den Bedeutungen des Erfolges im Strafrecht, ZStW 103 (1991) 357; Demko Zur „Relativität der Rechtsbegriffe“ in strafrechtlichen Tatbeständen (2002); Eder Prozedurale Rationalität. Moderne Rechtsentwicklung jenseits von formaler Rationalisierung, ZfRSoz 1986 1; Eicker Die Prinzipien der „materiellen Wahrheit“ und der „freien Beweiswürdigung“ im Strafprozess (2001); Freund Normative Probleme der Tatsachenfeststellung (1987); Frisch Prognoseentscheidungen im Strafrecht (1983); Frisch/Vogt (Hrsg.) Prognoseentscheidungen in der strafrechtlichen Praxis (1994); Frister Schuldprinzip, Verbot

456

Im Ergebnis so auch Knoll 143, 149 trotz – S. 142 – grundsätzlicher Ablehnung revisionsrechtlicher Ansätze.

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Zur Methode der Rechtsanwendung im Strafverfahren

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der Verdachtsstrafe und Unschuldsvermutung als materielle Grundprinzipien des Strafrechts (1988); Gaßner Juristische Methodik in der Gerichtspraxis, Rpfleger 1993 474; Gilles Prozeßrechtsvergleichung – Generalbericht zum Thema „Eigenleistung der Prozeßvergleichung“ aus Anlaß des Weltkongresses der Internationalen Vereinigung für Prozeßrecht in Taormina (Sizilien) 1995 (1996); ders. Verfahrensfunktionen und Legitimationsprobleme richterlicher Entscheidungen im Zivilprozeß – zur Kritik N. Luhmanns am Richtigkeitspostulat der sog. klassischen Prozeßrechtslehre, in: Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung – Die deutschen Landesberichte zum VII. Internationalen Kongreß für Prozeßrecht in Würzburg 1983 (1984); Gössel Ermittlung oder Herstellung von Wahrheit im Strafprozeß (2000); Goldschmidt Der Prozeß als Rechtslage (1925); Gottwald Richterliche Entscheidung und rationale Argumentation, ZZP 98 (1985) 113; Grasnick „Hätte es doch Methode“, JR 1998 179; Grunsky Zur Bedeutung der Logik für das Verständnis des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens, JZ 1974 750; Grunst Prozeßhandlungen im Strafprozeß (2002); ders. Moderne Gesetzestechniken in StGB und StPO aus kritischer Sicht der juristischen Methodenlehre, GA 2002 214; K. Günther Die Feststellung der Kausalität im Strafprozeß, KritV 1997 211; Hahn Der Vergleich der Rechtsmethodologien – eine europäische Notwendigkeit, ThürVBl 2004 228; R. Hamm Rechtsbehelfe im Ermittlungsverfahren, AnwBl. 1986 66; ders. Rechtsgespräch oder Urteilsabsprachen? Der Deal erreicht die Revision, FS Dahs 267; Hauf Der neue Streit um die Rechtskreistheorie, wistra 1995 53; ders. Ist die „Rechtskreistheorie“ noch zu halten? NStZ 1993 457; Haverkate Normtext – Begriff – Telos. Zu den drei Grundtypen des juristischen Argumentierens (1996); Herdegen Beweisantragsrecht, Beweiswürdigung, strafprozessuale Revision (1995); Hilgendorf Argumentation in der Jurisprudenz (1991); ders. Die Renaissance der Rechtstheorie zwischen 1965 und 1995 (2005); Hillenkamp Beweisprobleme im Wirtschaftsstrafrecht. Ringvorlesung im Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Osnabrück 1984/1985, Recht und Wirtschaft 1985 221; F. v. Hippel Zur modernen konstruktiven Epoche der deutschen Prozeßrechtswissenschaft. Gedanken zu Werner Nieses „Doppelfunktion Prozeßhandlungen. Ein Beitrag zur allgemeinen Prozeßrechtslehre“, ZZP 65 (1952) 424; L. Hoffmann (Hrsg.) Rechtsdiskurse (1989); R. Hoffmann Verfahrensgerechtigkeit (1992); Jäger Subjektive Verbrechensmerkmale als Gegenstand psychologischer Wahrheitsfindung, in: Jäger (Hrsg.) Kriminologie im Strafprozeß (1980) 173; Jahn Es gibt ein Leben zwischen den Zeichenketten: Zur Rechtstheorie richterlicher Entscheidungsbegründung, JA 2002 518; ders. Das partizipatorische Ermittlungsverfahren im deutschen Strafprozess, ZStW 115 (2003) 815; ders. Zurück in die Zukunft – Die Diskurstheorie des Rechts als Paradigma des neuen konsensualen Strafverfahrens, GA 2004 272; ders. Besprechung von Minor E. Salas: Kritik strafprozessualen Denkens, GA 2006 542; ders. Die Konsensmaxime in der Hauptverhandlung, ZStW 118 (2006), 427; Jahn/Dallmeyer Zum heutigen Stand der beweisrechtlichen Berücksichtigung hypothetischer Ermittlungsverläufe im deutschen Strafverfahrensrecht, NStZ 2005 297; Arthur Kaufmann Natur der Sache und Analogie (1965); ders. Läßt sich die Hauptverhandlung in Strafsachen als rationaler Diskurs auffassen? in: Jung/Müller-Dietz (Hrsg.) Dogmatik und Praxis des Strafverfahrens. Beiträge anläßlich des Colloquiums zum 65. Geburtstag von Gerhard Kielwein 15; ders. Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit (1989); Arthur Kaufmann/Hassemer (Hrsg.) Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart7 (2004); Hilde Kaufmann Strafanspruch, Strafklagerecht (1968); Klatt Theorie der Wortlautgrenze (2003); Koch/Rüßmann Juristische Begründungslehre (1982); Kramer Juristische Methodenlehre2 (2005); Krauss Das Prinzip der materiellen Wahrheit im Strafprozeß, FS Schaffstein (1975) 411; Krey Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht: eine Einführung in die Problematik des Analogieverbots (1977), ders. Parallelitäten und Divergenzen zwischen strafrechtlichem und öffentlich-rechtlichem Gesetzesvorbehalt, FS Blau 123; Kühl Die Bedeutung der Rechtsphilosophie für das Strafrecht (2001); Kühne Vom Strafrecht, von der Kriminologie und vom Mythos der Rationalität, GA 1994 503; Kudlich Ist eine allgemeine gesetzliche strafprozessuale Missbrauchsklausel notwendig? ZRP 1997 295; Looschelders/Roth Juristische Methodik im Prozeß der Rechtsanwendung (1996); Lüderssen Erfahrung als Rechtsquelle (1972); ders. Die strafrechtsgestaltende Kraft des Beweisrechts, ZStW 85 (1973) 288; ders. Erfolgszurechnung und „Kriminalisierung“, FS Bockelmann 381; ders. Die Krise des öffentlichen Strafanspruchs (1989); ders. Genesis und Geltung in der Jurisprudenz (1996); ders. Paradoxien im Strafrecht und Strafprozessrecht, FS Simon 367; ders. Viktimologie: Ursache und Wirkung der Entdeckung des Opfers auf die Kriminologie und Kriminalpolitik, in Brägger u.a. (Hrsg.), Kriminologie – wissenschaftliche und praktische Entwicklungen: gestern, heute, morgen (2004), S. 171 ff.; Maier Die

Klaus Lüderssen/Matthias Jahn

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Einleitung

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Der Tatverdacht. Zum Verhältnis von Strafprozeßrecht und neuerer Kriminologie, FS Wissenschaftliche Gesellschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main (1980) 293; ders. Die Wechselwirkung zwischen Strafziel und Verbrechensbegriff (1985); ders. Lücken im Allgemeinen Teil des Strafrechts, in: Lahti/Nuotio (Hrsg.), Strafrechtstheorie im Umbruch. Finnische und vergleichende Initiativen (1992) 269; ders. Die Aushöhlung der strafrechtlichen Gesetzlichkeit durch den relativistischen, politisch aufgeladenen strafrechtlichen Positivismus, in: Institut für Kriminalwissenschaften (Hrsg.), Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts (1995) 483; ders. Wissenschaftliches Strafrechtssystem und positives Strafrecht, GA 1998 263; Nehlsen-v. Stryk Prozessuales und materielles Rechtsdenken im Sachsenspiegel, FS Gagnér (1996) 33; Neumann Materiale und prozedurale Gerechtigkeit im Strafverfahren ZStW 101 (1989) 52; ders. Juristische Argumentationslehre (1986); ders. Zur Interpretation des forensischen Diskurses der Rechtsphilosophie von Jürgen Habermas, Rechtstheorie 27 (1996) 415; ders. Juristische Methodenlehre und Theorie der juristischen Argumentation, Rechtstheorie 32 (2001) 239; ders. Wahrheit im Recht (2004); Niemöller/Schuppert Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Strafverfahrensrecht, AöR 107 (1982) 389; Niese Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen. Ein Beitrag zur allgemeinen Prozeßrechtslehre (1950); Oevermann Kriminalistische Ermittlungspraxis als naturwüchsige Form der hermeneutischen Sinnauslegung von Spurentexten, in: Bundeskriminalamt (Hrsg.), Perseveranz und Kriminalpolizeilicher Meldedienst (1984) 135; Paeffgen Vorüberlegungen zu einer Dogmatik des Untersuchungshaftrechts (1986); Papacharalambous Strafprozessuale Szene und Entscheidung, Rechtstheorie 24 (1993) 353; Paroussis Theorie des juristischen Diskurses (1995); Pawlowski Einführung in die Juristische Methodenlehre2 (2000); Pföhler Zur Unanwendbarkeit des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots im Strafprozeßrecht in dogmenhistorischer Sicht (1988); Popp Verfahrenstheoretische Grundlagen der Fehlerkorrektur im Strafverfahren (2004); Reichertz Aufklärungsarbeit. Kriminalpolizisten und Feldforscher bei der Arbeit (1991); Rieß Verfassungsrecht und Strafprozeß, StraFo 1995 94; Rode/Kammeier/Leipert (Hrsg.), Prognosen im Strafverfahren und bei der Vollstreckung (2004); Rödig Die Theorie des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens (1973); Roxin Zur richterlichen Kontrolle von Untersuchungen und Beschlagnahmen, StV 1997 654; Rückert Zu Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der juristischen Methodendiskussion nach 1945, in: Acham/Nörr/Schefold, Erkenntnisgewinne, Erkenntnisverluste (1998) 113; Rüthers Methodenrealismus in Jurisprudenz und Justiz, JZ 2006 53; ders. Rechtstheorie2 (2005); Salas Kritik des strafprozessulaen Denkens (2005); Sax Zur Anwendbarkeit des Satzes „In dubio pro reo“ im strafprozessualen Bereich, FS Stock 143; Schaper Studien zur Theorie und Soziologie des gerichtlichen Verfahrens (1984); Schapp Hauptprobleme der juristischen Methodenlehre (1983); Schild Der Strafrichter in der Hauptverhandlung (1983); Schreiber Zur Zulässigkeit der rückwirkenden Verlängerung von Verjährungsfristen früher begangener Delikte, ZStW 80 (1968) 366; ders. Gesetz und Richter (1976); Schünemann Methodologische Prolegomena zur Rechtsfindung im Besonderen Teil des Strafrechts, FS Bockelmann 117; Seibert Gerichtsrede (2004); L. Schulz Normiertes Misstrauen. Der Verdacht im Strafverfahren (2001); Simon Gesetzesauslegung im Strafrecht (2005); Simshäuser Zur Entwicklung des Verhältnisses von materiellem Recht und Prozeßrecht seit Savigny (1965); Soiné Straf(verfahrens)-recht und Kriminalistik, KR 1998 247; Stamp Die Wahrheit im Strafverfahren (1998); Stehmeyer Symbole und Rituale in der Hauptverhandlung im Strafverfahren, Diss. Münster 1990; Strempel Vom Entscheiden zum Verhandeln – Paradigmenwechsel juristischer Methodik, FPR 1998 248; Tiedemann Die Auslegung des Strafprozeßrechts, FS Peters 131; Vogel Juristische Methodik (1998); Vogenauer Eine gemeineuropäische Methodenlehre des Rechts – Plädoyer und Programm, ZEuP 2005 234; Volckart Praxis der Kriminalprognose, Methodologie und Rechtsanwendung (1997); Volk Prozeßvoraussetzungen im Strafrecht (1978); ders.

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Klaus Lüderssen/Matthias Jahn

Zur Methode der Rechtsanwendung im Strafverfahren

Einl. Abschn. M

Wahrheit und materielles Recht im Strafprozess (1980); ders. Entkriminalisierung durch Strafwürdigkeitskriterien jenseits des Deliktsaufbaus, ZStW 97 (1985) 871; T. Walter Die Beweislast im Strafprozeß JZ 2006 340; Wank Die Auslegung von Gesetzen3 (2005); Wasserburg Die Funktion des Grundsatzes „in dubio pro reo“ im Additions- und Probationsverfahren, ZStW 94 (1983) 914; Weigend Bewältigung von Beweisschwierigkeiten durch Ausdehnung des materiellen Strafrechts? FS Triffterer 695; Weßlau Das Konsensprinzip im Strafverfahren (2002); Wohlers Das partizipatorische Ermittlungsverfahren – kriminalpolitische Forderung oder „unverfügbarer“ Bestandteil eines fairen Strafverfahrens? GA 2005, 11; Wolfslast Staatlicher Strafanspruch und Verwirkung (1995); Wolter Aspekte einer Strafprozeßform bis 2007 (1991); ders. Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts, Rudolphi-Symp. 267; ders. Kriminalpolitik und Strafprozessrechtssystem, FS Roxin 1141; ders. 35 Jahre Verfahrensrechtskultur und Strafprozeßverfassungsrecht in Anschauung von Freiheitsentziehung, (DNA-) Identifizierung und Überwachung, GA 1999 158; Zippelius Juristische Methodenlehre9 (2005); Zöllner Materielles Recht und Prozeßrecht, AcP 190 (1990) 471; Zopfs Der Grundsatz „in dubio pro reo“ (1999).

Übersicht Rn. I. Vorbemerkung, Abhängigkeit der Methode der Rechtsanwendung von Struktur und Inhalt der Rechtsnorm . . . . . . II. Die Besonderheiten des Strafverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Verhältnis von materiellem Strafrecht und Strafprozessrecht a) Modelle aa) Konfundation von materiellem Strafrecht und Strafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . bb) Dienende Funktion des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . cc) Gleichrangigkeit von materiellem Strafrecht und Strafprozessrecht dd) Dominierende Funktion des Strafverfahrensrechts . . . . . . . . b) Reale Erscheinungsformen . . . . . c) Konzeption der Gleichwertigkeit strafrechtlicher Eingriffbefugnisse . . . . aa) Die wesentlichen Strukturelemente der Strafverfolgung . . . bb) Ein Kriminal-Justiz-System? . . 2. Das Verhältnis zwischen Strafprozessrecht und Polizeirecht . . . . . . . . . III. Folgerungen für die Rechtsanwendung im Strafprozessrecht. Das Prinzip: Gleichordnung mit dem materiellen Strafrecht

1 2

3 4 5 6 7 12 14 29 32

Rn. 1. Auslegung. Rechtssatzkonkretisierung a) Primär mit dem materiellen Strafrecht verbundene Kriterien . . . . . . . . b) Primär mit dem Strafprozessrecht verbundene Kriterien . . . . . . . . . . aa) Zur teleologischen Auslegung . . bb) Zur systematischen Auslegung . 2. Geltungserweiterungen a) Analogie aa) Definition . . . . . . . . . . . . bb) Abgrenzung zur extensiven Auslegung . . . . . . . . . . . . . cc) Analogie „zuungunsten oder zugunsten“ . . . . . . . . . . . . . dd) Analogieverbot im Strafprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . b) Rückwirkungsverbot . . . . . . . . c) In dubio pro reo . . . . . . . . . . . d) Wahlfeststellung . . . . . . . . . . . 3. Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Verfahrensabschnitte aa) Hauptverfahren . . . . . . . . . bb) Ermittlungsverfahren . . . . . . c) Perzeption bestimmter Beweistatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung und Ausblick: ein erweiterter Methodenbegriff . . . . . . . .

34 35 35 36

41 42 43 47 48 59 66 68 72 73 74

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Alphabetische Übersicht Analogie, Analogieverbot 41 ff. Anfangsverdacht 23, 38, 73 Auslegung, rahmenbeschlusskonforme 57 Auslegung, systematische und teleologische 35 ff. Auslegungskriterien 34 ff. Gesetzlicher Richter 13 ff. Haftbefehl, Europäischer 49a In dubio pro reo 59 ff. Kriminal-Justiz-System, gemeinsames 29

Methoden-Begriff im Strafprozess 75 f. Prozesshandlungen, Bewertungskategorien 10 Prozessrechtslehre, allgemeine 9 Rückwirkung im Strafprozessrecht 48 ff. Strafprozessrecht und Polizeirecht, Verhältnis 32 Strafprozessrecht und Strafrecht, Verhältnis 3 ff., 36 Wahlfeststellung 66 Zweifelsgrundsatz 59 ff.

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Einleitung

I. Vorbemerkung: Abhängigkeit der Methode der Rechtsanwendung von Struktur und Inhalt der Rechtsnorm 1

In einer Kommentierung der Strafprozessordnung müsste die Methode der Rechtsanwendung nicht behandelt werden, wenn ihre Beantwortung bereits aus der allgemeinen Methodologie der Rechtsanwendung oder jedenfalls des materiellen Strafrechts folgte. Das wäre der Fall, wenn das Strafverfahrensrecht sich nicht signifikant von anderen Rechtsgebieten – insbesondere dem materiellen Strafrecht – unterschiede. Diese Frage muss also zunächst geklärt werden. Wie ein Recht angewendet wird, hängt – mindestens zu einem nicht unwesentlichen Teil – von dem ab, was seine spezielle Struktur oder auch inhaltliche Konzeption genannt werden kann. Zwar informieren die Abschnitte B sowie G bis K darüber im Allgemeinen. Die im vorliegenden Abschnitt zu bewältigende Aufgabe erfordert insoweit jedoch vielfältige Ergänzungen und Präzisierungen. 1a Keine Einigkeit besteht bereits innerhalb der strafjuristischen Fachdiskussion über die Frage, ob es überhaupt so etwas wie ein genuin strafprozessuales Denken mit der nahe liegenden Folge einer sowohl gegenüber den anderen Prozessrechten als auch gegenüber dem materiellen Strafrecht eigenständigen Methodenlehre gibt.1 Die methodologische (Lehrbuch-) Literatur verknüpft das Stichwort Strafprozessrecht heute noch nicht mit eigenständigen Inhalten, sondern begnügt sich bestenfalls mit kursorischen Hinweisen auf Einzelfragen der Auslegung.2 Diese Reserve beruht zum Teil auf einer aus der Geschichte der juristischen Methodenlehre erklärbaren Präponderanz zivilrechtlicher Erkenntnisinteressen. Sowohl in der Methodenlehre als auch in der allgemeinen rechtstheoretischen Diskussion wird über diesen Zustand allerdings nicht besonders häufig Klage geführt.3 Dies dürfte mit der Befürchtung zusammenhängen, dass die vor allem am privatrechtlichen Beispiel entwickelte Methodenlehre ihren Universalitätsanspruch verlieren und darüber das hergebrachte Desiderat einer allgemeinen Prozesslehre aus dem Blick geraten könne.4 1b Indessen verlangt die ungehindert fortschreitende Ausdifferenzierung der Rechtsordnung nicht nur nach einer Besinnung auf vorhandene gemeinsame Grundüberzeugungen, sondern gerade dort, wo diese Überzeugungen auf eine immer komplexere und technisch hochgerüstete Lebenswirklichkeit treffen, nach einer Verfeinerung und Sektoralisierung der Methodenlehre. Der Hinweis auf das gemeinsame theoretische Erbe trägt der komplexen Problemlage ebenso wenig Rechnung wie derjenige auf Art. 2 EGGVG. Dass ein undifferenziertes Einheitsdenken zu methodisch anfechtbaren Ergebnissen führen kann, zeigt bereits die Behandlung der Frage, ob der zivilprozessuale 1

2

Mit Nachdruck bejahend zuletzt Salas 55, allerdings mit zweifelhaften Folgerungen (vgl. Jahn GA 2006 542 f.). Grundlegend zur „Methode des prozeßrechtlichen Denkens“ im Strafprozess noch immer Eb. Schmidt Kolleg Rn. 30 ff. Siehe etwa Zippelius 95; Vogel 6; AK/Loos Einl. III 1; Klatt 24, 240 f. Dies verwundert um so mehr, als es sowohl zwischen der Rechtstheorie (und Rechtsphilosophie) und dem Straf(prozess)recht eine stets enge, mit großen Namen assoziierte Verbindung gegeben hat, wie man etwa bei Kühl 19 ff. nachlesen kann.

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3

4

Vgl. aber Rüthers Rn. 674; Müller/Christensen I Rn. 3; Grunst 1 f., 137 f.; Salas 61 f. und wohl auch Hilgendorf (Renaissance) 76. Bydlinski 593 ff.; Rödig 32 f.; Schaper 249 ff.; Bruns ZZP 87 (1974) 104 (105). Die prinzipielle Gleichbehandlung von Straf- und Zivilprozess bei der Analyse der Methoden richterlichen Entscheidungsfindung ist in dieser Perspektive nur konsequent, vgl. dafür aus zivilrechtlicher Sicht Adomeit AcP 174 (1974) 407 (413 f.); Gottwald ZZP 98 (1985) 113 (119 ff.) und für den Strafprozess Sauer Allgemeine Prozessrechtslehre (1951) sowie – allerdings zurückhaltender – Popp 28 ff., 51 ff.

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Zur Methode der Rechtsanwendung im Strafverfahren

Einl. Abschn. M

Grundsatz, dass jede Prozesshandlung von Treu und Glauben bestimmt sein muss,5 auch für das Strafprozessrecht Geltung beansprucht. Ob aus der im Zivilverfahrensrecht etablierten Abwehraufgabe dieser Formel gegen die funktionswidrige Ausnutzung der Rechtsschutzeinrichtung auch für das Strafprozessrecht Folgerungen zu ziehen sind, wie dies teilweise befürwortet wird,6 kann methodisch angemessen nur beantwortet werden, wenn bei ihrer Beantwortung die Eigengesetzlichkeiten des Strafverfahrens berücksichtigt werden. Diese Ausgangslage macht eine eingehende Klärung des Verhältnisses von allgemeiner 1c Methodenlehre zur Methode der Rechtsfindung im Strafprozessrecht nicht überflüssig. Es handelt sich hier ebenso um eine „Lebensfrage der Strafrechtsdogmatik“, wie dies auch für die Auslegung des Besonderen Teils des materiellen Strafrechts gegenüber dem Allgemeinen Teil reklamiert wird.7 Gerade für das Strafprozessrecht fordert das Verfassungsrecht die Beachtung von methodischen Standards bei der Rechtsfindung. Ein Verfassungsverstoß kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 8 auch vorliegen, wenn der Richter zu einem Ergebnis, das den Wertvorstellungen der Verfassung entspricht, auf einem methodischen Wege gelangt, der die ihm bei der Rechtsfindung gezogenen verfassungsrechtlichen Grenzen missachtet. Soweit die allgemeinen methodischen Standards im Strafprozess besonderen Modifikationen unterliegen, verlangt daher die Gesetzesbindung des (Straf-)Richters (Art. 20 Abs. 3 GG) ihre Berücksichtigung bei der Konkretisierung des Normbefehls.

II. Die Besonderheiten des Strafverfahrensrechts Die Besonderheiten des Strafverfahrensrechts lassen sich nicht ohne weiteres in einer 2 Definition zusammenfassen. Vielmehr bedarf es zunächst induktiver Annäherungen. 1. Das Verhältnis von materiellem Strafrecht und Strafprozessrecht a) Modelle aa) Konfundation von materiellem Strafrecht und Strafverfahrensrecht. Die Voraus- 3 setzungen, unter denen jemand strafrechtlich verfolgt werden kann, werden nicht danach unterschieden, ob sie unabhängig von dem im Einzelfall zu beurteilenden Verhalten formuliert sind oder erst ad hoc. Auch die Rechtsfolgen (z.B. Einsperren des Verdächtigen, Bestrafung des Überführten) sind nicht substantiell geschieden. bb) Dienende Funktion des Strafverfahrens. Das Strafverfahrensrecht hat keine 4 selbständige Funktion. Mit den Maßnahmen, die es vorsieht, wird nur das Ziel der Aburteilung nach materiellem Strafrecht (Verurteilung oder Freispruch) verfolgt.

5 6

Vgl. BGHZ 20 198 (206); 44 367 (371). Grundlegend Rüping/Dornseifer JZ 1977 417 (418); Weber GA 1975 289 (293). Zur jüngeren Diskussion unter methodischen Aspekten Kudlich Strafprozeß und allgemeines Mißbrauchsverbot (1998) 64 ff.; Kudlich ZRP 1997 295; Fahl Rechtsmißbrauch im Strafprozeß (2004) 79 ff.; Jahn/Schmitz wistra

7 8

2001 328 (330 ff.) sowie LR/Kühne Einl H 39 ff. Siehe Schünemann FS Bockelmann 117 (119). BVerfGE 34 269 (280); 49 304 (313). Siehe dazu Rüthers Rn. 649; Christensen/Kudlich 326 f.; Looschelders/Roth 5 ff.; Koch in: Alexy/Koch/Kuhlen/Rüßmann 511 (514 ff.).

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Einl. Abschn. M

Einleitung

5

cc) Gleichrangigkeit von materiellem Strafrecht und Strafprozessrecht. Die Materien werden zwar begrifflich auseinander gehalten, die Entscheidungen im Prozess balancieren indessen die normativen Aussagen des materiellen Rechts.

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dd) Dominierende Funktion des Strafverfahrensrechts. Die normativen Aussagen des materiellen Rechts treten im Vergleich mit den im Verfahren getroffenen Entscheidungen zurück.

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b) Reale Erscheinungsformen. Alle unter a) beschriebenen Modelle kommen vor, allerdings nicht in Reinkultur, sondern mehr oder weniger gemischt, in ständiger Entwicklung begriffen, worüber im Einzelnen die Rechtsgeschichte Auskunft gibt.9 Älteren Rechtsordnungen ist die Trennung von materiellem Strafrecht und Strafver8 fahrensrecht ganz unbekannt.10 Dabei muss man freilich berücksichtigen, dass erst mit dem Begriff vom Strafrecht, das einen öffentlichen, das heißt im Namen der Allgemeinheit über den Kopf der Opfer hinweg geltend zu machenden Strafanspruch etabliert,11 sich die Bedeutung von Strafrecht und Strafverfahrensrecht, die der gegenwärtige Betrachter zugrunde legt, verbindet. Die entscheidende Zäsur bestand in der Rationalisierung des Verfahrens durch den inquisitorischen Prozess (als Offizialverfahren mit dem Ziel der Wahrheitsfindung).12 Gleichwohl kam es noch nicht zu einer Aufspaltung der Materien, sondern – im Gegenteil – erst einmal zu einer besonders eindrucksvollen Integrationsleistung in Gestalt der Constitutio Criminalis Carolina (1532), mit der das öffentliche Strafrecht zu Beginn der Neuzeit einen ersten Höhepunkt erreichte. Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein wird das Prozessrecht als rein praktische Diszi9 plin begriffen. Die Prozesskunde beschäftigt sich vor allem mit den »Kunstgriffen« für ein erfolgreiches Prozessieren.13 Rechtstheorie, Rechtslehre und Rechtswissenschaft werden noch bis zum letzten Drittel des 19. Jahrhunderts als Synonyme gebraucht.14 Auch die moderne Trennung von Prozessrecht und materiellem Recht beginnt erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und hat nicht nur mit Rechtspositivismus, sondern auch mit Begriffsjurisprudenz etwas zu tun; beide sind ihrerseits wiederum nicht zu trennen von der modernen Entwicklung der Naturwissenschaften in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts: begriffliche Klarheit und Abgeschlossenheit waren die Parole, das heißt, ein Forschungsgebiet musste sich deutlich abgrenzbar von anderen definieren – das ist einer der Aspekte des Konzeptes der reinen Prozessrechtslehre. Rechtspositivismus heißt freilich auch: rechtspolitische, also gesetzgeberische Kreativität, und schließlich (im Zuge der Befreiung vom Metaphysischen) eine große Ernüchterung, die zu einer endgültigen Eliminierung tradierter Rituale den Weg für ein – sich dann verselbständigendes – zweckrationales Verfahren ebnete.15 9

10 11

Umfassend dazu Kollmann Begriffs- und Problemgeschichte des Verhältnisses von formellem und materiellem Recht (1996); Schaper 105 ff., 152 ff. Zur fächerübergreifenden Diskussion über die Entwicklung des Verhältnisses von materiellem Recht und Prozeßrecht vgl. die von Gilles (Prozeßrechtsvergleichung) 46 ff. vorgestellten sechs bis sieben Phasen; s. auch Gilles (Verfahrensfunktionen) 183 ff. und aus straf(verfahrens)rechtlicher Sicht Grunst 22 ff. Vgl. Nehlsen-von Stryk 33. Vgl. dazu Lüderssen (Krise) 25 ff.; ders.

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12 13 14 15

(Hrsg.), Zur Durchsetzung des öffentlichen Strafanspruchs (2002); unter besonderer Berücksichtigung der schwindenden Rolle des Opfers Weigend Deliktsopfer und Strafverfahren (1989) 59 ff. Zur Genese und zum inneren Zusammenhang L. Schulz 23 ff. Vgl. Stein/Jonas/Brehm 22 Einl. 47. Brockmöller 28. Ähnlich Schaper 29 ff.; Popp 41. Umfassende Orientierung bei Brockmöller 17 ff. Zu den Resten der überlieferten Rituale Stehmeyer 126 ff.

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Zur Methode der Rechtsanwendung im Strafverfahren

Einl. Abschn. M

Die Folge dieses Trennungsdenkens war unter anderem die Ausbildung ganz neuer 10 Begriffspaare auch im Strafprozess: wirksam/unwirksam; zulässig/unzulässig – in Konfrontation mit: rechtmäßig/rechtswidrig. Das implizierte eine bestimmte Lehre von den Prozesshandlungen (Bewirkungshandlungen, Erwirkungshandlungen 16) und nahm, nachdem – reichlich verspätet – Eberhard Schmidt in den fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts (die eine gewisse Renaissance begriffsjuristischen Denkens brachten) die Verknüpfung der Strafprozessrechtswissenschaft mit den großen Theorien des Zivilprozessrechts hergestellt hatte,17 jahrzehntelang in der gesamten Prozessrechtswissenschaft 18 einen großen Raum ein (nie in der Prozessrechtspraxis). Bald indessen begann die berechtigte Kritik daran 19 und verhalf allmählich wieder der Auffassung zur Geltung, dass am Ende auch im Prozess doch Bewertungen den Ausschlag geben, die von dem, was man rechtmäßig oder rechtswidrig zu nennen gewohnt ist, eigentlich nicht abweichen.20 Nur die Ideologie, wonach die Prädikate rechtmäßig/rechtswidrig lediglich für Verbotenes – im Strafrecht für strafrechtlich Verbotenes – reserviert sind, konnte jene fruchtlosen Differenzierungen begünstigen. Macht man sich aber klar, dass die Voraussetzungen, unter denen etwas rechtmäßig oder rechtswidrig ist, und die Folgen, die sich an das Wort rechtmäßig oder rechtswidrig knüpfen, ohnehin jeweils sehr vielgestaltig sein können, dann tritt die Einheitlichkeit des Bewertungsmaßstabs deutlich hervor. So richtig es also zunächst war, im Zivilrecht das überkommene Konglomerat des aktionenrechtlichen Denkens aufzulösen, den rein materiellrechtlichen Anspruch zu „entdecken“,21 so übertrieben war die Konsequenz, die Differenzierung der Wertgesichtspunkte gleich zur Etablierung ganz verschiedener, ständig mit ihrer Selbstbehauptung beschäftigter Rechtsgebiete heraufzustilisieren.22 Dass im Straf- und Strafprozessrecht die Ausgangsposition insofern anders war, hat die Übernahme dieses Trennungsdenkens aus dem Zivil- und Zivilprozessrecht in das Strafrecht und Strafprozessrecht nicht verhindern können, und deshalb gilt für Strafrecht und Strafprozessrecht nichts anderes als für Zivilrecht und Zivilprozessrecht. Nach einer Phase der künstlichen Trennung sieht man jetzt wieder das Gemeinsame. 11 Diese Entwicklung entspricht dem heute vorherrschenden Verständnis juristischer Methodologie.23 Das, was vor der Modernisierung der Prozesskategorien eine unklare Gemengelage war, ist im modernen Verhältnis von materiellem Zivilrecht und Zivilprozessrecht eine stufenreiche, aber in einem einheitlichen Rahmen gehaltene Wertungs-

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19 20

Vgl. die Darstellung und Begründung bei Niese 88 ff.; im Übrigen LR/Kühne Einl. K 13 ff.; Schlüchter Rn. 135; Grunst 4 ff., 165 ff.; Schaper 76 ff. Eb. Schmidt I 227 ff.; Eb. Schmidt Kolleg Rn. 36 ff. Für das Strafrecht und das Strafprozessrecht vgl. H. Kaufmann (Strafanspruch), freilich mit einem neuen Abgrenzungsversuch 132 ff. Zusammenfassend zur Entwicklung Salas 48 ff. v. Hippel ZZP 65 (1952) 424 ff. Volk (Prozeßvoraussetzungen) 7 ff.; Paeffgen 22 ff.; Grunst 212; auch in den neueren Gesamtdarstellungen des Strafprozessrechts wird der Antagonismus nicht mehr so zugespitzt; s. aber LR/Kühne Einl. K 16.

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Über diesen Vorgang und seine Folgen informiert immer noch besonders gut Simshäuser. Im aktionenrechtlich geprägten Denken können Rechtsfolgen demgegenüber nur als Chancen und Risiken in konkreten prozessualen Situationen begriffen werden, vgl. Staudinger/J. Schmidt 13 (1995) § 242 BGB, 618. Überzeugendes kritisches Resümee bei Zöllner AcP 190 (1990) 471 ff. Grundlegend Coing 25 ff.; Schapp 87 ff. und speziell für das Strafrecht Vogel 19 f.; Demko 106. Zur Rezeption der Hermeneutik in der neueren Rechtstheorie Klatt 52 ff.; Jestaedt ZÖR 55 (2000) 133 (146 ff.) und umfassend Hilgendorf (Renaissance) 36 ff.

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Einleitung

skala. Im Strafrecht und Strafprozessrecht haben wir vergleichbare Entwicklungen, wenn man sich einen größeren Zeitraum vor Augen führt: vor der Etablierung des öffentlichen Strafrechts im hohen Mittelalter gibt es ein Nebeneinander von Rache, Vergeltung, Buße, vielfältigen finanziellen Ablösungsformen, Vergleichen, Verträgen und ähnlichem,24 und jetzt, nachdem in Jahrhunderten der öffentliche Strafanspruch aufgebaut worden ist und am Schluss seine Krönung durch das Legalitätsprinzip bekommen hat, ist wiederum eine Ausdifferenzierung der Reaktionen auf rechtswidrig-schuldhafte schwere Interessenverletzungen zu registrieren,24a deren Stichworte sind: Wiedergutmachung,25 zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche Alternativen zum Strafen, Konzeptionen spezieller Interventionsrechte, Mediation im Strafverfahren,26 das alles auf der Basis von allmählich etablierten prozessualen Erledigungsmöglichkeiten verschiedenster Art, insbesondere der Verständigung 27 sowie der Forderung nach einem partizipatorisch ausgestalteten (Vor-) Verfahren.28 Dabei wächst die Gewissheit, dass diese Entwicklungen auch für die Methodenlehre folgenreich sein müssen. Verdichtet man diese Entwicklungslinien zu einem System, so ergibt sich eine

12

c) Konzeption der Gleichwertigkeit strafrechtlicher Eingriffsbefugnisse. Man ist gewohnt, den im materiellen Strafrecht formulierten Verboten und den an sie geknüpften Sanktionen eine abstrakte Bedeutung zuzuschreiben und darauf die Behauptung zu stützen, damit sei eine klare Trennung von der nur und erst im Strafprozess konkretisierten Funktion der Strafgesetze etabliert. Aber dieses Bild einer gleichsam als Wertetafel fungierenden Verbotsmaterie mit generalpräventivem Effekt täuscht eine Selbstständigkeit nur vor. Auch die Regeln des Strafprozessrechts existieren abstrakt und entfalten eine ganz entsprechende Wirkung, indem sie die Voraussetzungen formulieren, unter denen die bloße Existenz materiell-strafrechtlicher Verbote in – den einzelnen Menschen treffende – Sanktionen umschlägt. Damit sind sie ein Teil auch des abstrakten, an Bestrafung orientierten Normsystems.29 Auch die Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes wären insoweit in die Gesamtperspektive einzuschließen, bleiben hier aber wegen der begrenzten Zielsetzung der Darstellung außer Betracht. Wenn das richtig ist, kann aus der Perspektive der spezifischen Relevanz abstrakter 13 Tatbestände des materiellen Strafrechts und seiner Sanktionen nicht dem Eindruck entgegengetreten werden, der sich bei der Anwendung des Strafrechts und des Strafprozess24

Weitzel Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 111 (1994) 66. 24a Allgemein dazu Lüderssen in: ders. (Hrsg.), Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse I (1998) 480. 25 Zur spezifischen Bedeutung der Opferorientierung im Strafrecht für die juristische Methodik instruktiv Strempel FPR 1998 248 (250); s. auch die Nachw. bei Roxin StrafR I § 3, 100 ff.; Lüderssen Viktimologie, S. 171 ff.; Hörnle JZ 2006 950 (953 ff.). 26 Vgl. Heike Jung GedS Burmeister (2005) 171 (179 f.). 27 Ausführlich Weßlau 85 ff.; LR/Kühne Einl. H 37, F 232 und G 58 ff. sowie zur rechtstheoretischen Fundierung der Verständigung im Strafverfahren Jahn ZStW 118 (2006) 427

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(455 ff.); Jahn GA 2004 272 (275 ff.); krit. – mit weiteren Belegen – Hamm FS Dahs 267 ff. Zum Informalismus im Gerichtsverfahren unter methodischen Aspekten bereits informativ Blankenburg/Rogowski ZfRSoz 1983 133 (139 f.). Überblick bei Wohlers GA 2005 11 (26 ff.); zu gesellschaftstheoretischen Grundlagen der Forderung ausf. Jahn ZStW 115 (2003) 815 (818 ff.). Eine Parallele findet die hier befürwortete Konzeption in der Gleichordnung von Verfassungsprozessrecht und materiellem Verfassungsrecht durch Schorkopf AöR 130 (2005) 465 (483 ff.). Gegen die ganzheitliche Betrachtung von Strafrecht und Strafprozessrecht aber Schild 83 ff.; Grunst 136 ff.

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Zur Methode der Rechtsanwendung im Strafverfahren

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rechts einstellt: dass wir es mit einer gleitenden Skala von Eingriffen in die Rechtssphäre der Personen, die der Strafverfolgung ausgesetzt sind, zu tun haben. Diese Eingriffe sind einander sehr ähnlich – etwa vom Beginn der Untersuchungshaft bis zur Ladung zum Strafantritt nach der Verurteilung, bleiben aber auch diesseits und jenseits davon vergleichbar: Der Verdacht gegen den Beschuldigten – der ihn nicht erst belastet, wenn er ihn kennt – wird durch die Verurteilung zur Überzeugung oder durch den Freispruch beseitigt; Strafrecht und Strafprozess bewegen sich zusammen in einem gleichsam durch ein „Auf und Ab“ geprägten Kontinuum. Ein sehr anschauliches Beispiel dafür, wie nahe diese einheitliche Betrachtung liegt, sind die verfassungsrechtlichen Beschlüsse zur Anfechtung überholter Entscheidungen über die Anwendung strafprozessualer Zwangsmittel 30 und die durch die Europäisierung des Strafrechts bedingte Konfundation von materiellem (ausländischem) Strafrecht und Verfahrensrecht, etwa in Gestalt der Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls auf der Grundlage des § 83a Abs. 2 IRG (a.F.).31 aa) Die wesentlichen Strukturelemente der Strafverfolgung. Für die Suche nach einer 14 einheitlichen Perspektive empfiehlt sich eine Orientierung an der Struktur von Überlegungen, die typischerweise im Gesetzgebungsprozess auftauchen und damit auch das innere Gerüst der etablierten Norm bilden. Das sind: Auswahl der Regelungsziele, Fixierung der Wege ihrer Realisierung, Kalkulation der dabei eventuell auftretenden unerwünschten Nebenfolgen (Entscheidung von Zielkonflikten).32 (1) Die Ziele der Strafverfolgung. Nach dem bislang Gesagten ist die in der Metho- 15 denlehre etablierte 33 Verengung der Zielbestimmung des Verfahrens auf die Widerlegung oder Bestätigung der in der Anklage liegenden Behauptung nicht geeignet, die Konfundation von materiellem Recht und Prozessrecht angemessen zu fixieren. Das alle Erscheinungsformen potentieller wie aktualisierter Strafverfolgung beherrschende Ziel ist der Schutz von Rechtsgütern. Das ist herrschende Meinung;34 die – vor allem aus der Kriminalsoziologie kommende – abweichende Position, nicht Rechtsgüterschutz, sondern Etablierung und Erhaltung von Macht durch repressive Disziplinierung sei Ziel des Strafens,35 wird hier nicht weiter verfolgt, so dass insoweit auch kein Zielkonflikt ab ovo angenommen werden kann. 30 31

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BVerfGE 96 27 m. Anm. Roxin StV 1997 654 ff.; näher LR/Kühne Einl. K 21. BVerfGE 113 273 (308 ff.). Vgl. dazu Böhm NJW 2005 2588; Ranft wistra 2005 361 (363 ff.) sowie unten M 47. Ausf. H.-P. Schneider ZG 2004 105 ff. Insoweit lässt sich trotz aller Unterschiede im Einzelnen für das Strafprozessrecht eine Linie von Goldschmidt 151 (Rechtskraft als Prozessziel; krit. dazu Schaper 130 ff.) bis hin zur Methodenlehre der 1970er Jahre (etwa bei Rödig 7, 113) ziehen. Manche wollen hier mehr und weniger zugleich fordern: Nur subjektive Rechte sollen geschützt werden, diese aber sehr viel entschiedener und konsequenter als die Masse der inzwischen existierenden Güter, vgl. K. Günther Von der Rechts- zur Pflichtverletzung. Ein „Paradigmenwechsel“ im Straf-

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recht? in: Institut für Kriminalwissenschaften Frankfurt/M. (Hrsg.), Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts (1995) 445 ff.; Köhler Strafrecht AT (1997) 24 f. Auf die Auseinandersetzung mit dieser Auffassung muss hier indessen verzichtet werden; über die neueste Entwicklung Roxin StrafR I § 2, 2 ff. mit vielen Belegen; das Gleiche gilt von der reanimierten Theorie, dass das Strafrecht die Verletzung von P f l i c h t e n bekämpfe (Überblick bei Lüderssen Das moderne Strafrecht, StV 2004 99). Vgl. die Nachweise bei Lüderssen Kriminologie (1984) Rn. 622 ff. Neuerdings findet die Diskussion vor allem über die von der Kriminologie entdeckte soziale Ausschließungsfunktion der Strafe statt; vgl. z.B. CremerSchäfer KrimJ 1995 89; Steinert KrimJ 1995 82; dabei kann man eine aparte Parallele

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Wohl aber könnte unter den Rechtsgütern eine primäre gleichrangige Konkurrenz entstehen, indem Schutz vor Tötung, Körperverletzung oder Vermögenseinbuße etc. durch andere Personen und die eben zu diesem Zweck aufgebotenen staatlichen Eingriffe uno actu das Bedürfnis nach Schutz vor Unberechenbarkeit, Unkontrollierbarkeit und Unverhältnismäßigkeit auslösen. Diese doppelte Zielsetzung würde dann zu einer prozeduralen, die praktische Kriminalistik einschließenden Wahrheits- und Richtigkeitskonzeption verschmelzen. Bei einer so komplexen Zielvorgabe könnte dann freilich die vertraute Hierarchisie17 rung von Ziel, Realisierung des Zieles und Vermeidung unwillkommener Nebenwirkungen entfallen. Einfacher wäre daher die Rechnung, an dem primären Zweck des Rechtsgüterschutzes festzuhalten, im Prozess – in den der gesamte Bereich von Kriminaltaktik und -technik zur zunächst vorläufigen, dann endgültigen Klärung des Verdachtes einzubeziehen wäre – das Mittel seiner Realisierung zu sehen und die mit der Vorantreibung des Prozesses verbundenen Beeinträchtigungen der Rechtssphären von Beschuldigten und Dritten abwägend in Beziehung zum Ausgangsziel zu setzen. Damit wäre dann das Modell der dienenden Funktion des Prozesses adaptiert. Gegen diese Deutung spricht indessen eine Reihe von Phänomenen im Zusammenspiel von materiellem Strafrecht und Strafprozessrecht: Der auffälligste Indikator ist insofern vielleicht die schon ins allgemeine Bewusstsein 18 der Fachwelt eingegangene Wahrnehmung, dass mit Blick auf mögliche Schwierigkeiten beim Beweis der einen Straftatbestand erfüllenden Tatsachen dessen normative Voraussetzungen einschränkend formuliert werden. Umweltstraftaten und Subventionsbetrug,36 Submissionsbetrug 37 und Korruption 38 sind jüngere Beispiele. Aus der Rechtsgeschichte – mit neueren Vorzeichen jederzeit reproduzierbar – sind die praesumptio doli des Hehlereitatbestands und die fortbestehende Konstruktion des § 248b StGB 39 zu nennen; allgemeiner: Ersetzung von Verletzungsdelikten durch Gefährdungsdelikte 40, der Verzicht auf die äußerste Individualisierung bei der Schuld.41 Dass auch das umgekehrte Modell geläufig werden kann – Lockerung des Beweisrechts 42 –, zeichnet sich als literarische Tendenz im stark in Entwicklung begriffenen Völkerstrafrecht ab. Diese speziellen Wechselbeziehungen finden nun zunehmend ihre Entsprechung in allgemeineren Zusammenhängen. Nicht nur Beweisschwierigkeiten, sondern auch Definitionsprobleme verändern das 19 Verhältnis zwischen materiellem Strafrecht und Strafprozessrecht. Kausalität als Merkmal eines Straftatbestandes etwa scheint sich einer Definition zu entziehen, die noch auf Feststellungen fixiert ist. Die Kausalität ist ein Merkmal der objektiven Tatbestände, das seinerseits bereits naturwissenschaftlich bestimmt wird, wenn man beispielsweise an die Anforderungen denkt, welche die Verteidigung in den bekannten Produkthaftungsfällen schon an die Definition dieses Merkmals gestellt hat: Die Kausalität des Produkts für

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registrieren zu dem von Strafjuristen entwickelten Konzept eines abstrakten Normschutzes aus der Perspektive eines „Feindstrafrechts“, dazu Roxin StrafR I § 2, 126 ff. Vgl. Weigend FS Triffterer 695 (696 f.). Lüderssen wistra 1995 243; Lüderssen BB, Beilage 11 zu Heft 25, 1996; Lüderssen BB 1996 2525. Lüderssen JZ 1997 112; Lüderssen FS Müller-Dietz 467.

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Hillenkamp 221 ff. (225). Weigend FS Triffterer 695 (701); Hassemer NStZ 1989 553 (558); Wohlers Deliktstypen des Präventionsstrafrechts (2000) 281 ff.; Hassemer StV 2006 321. Lüderssen aaO 308; dazu auch Hillenkamp FS Wassermann 861 ff. Lüderssen ZStW 85 (1973) 288 ff. (309); dazu auch Hillenkamp 225.

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einen eingetretenen Schaden ist ein naturwissenschaftlicher Vorgang, und dementsprechend muss das Beweisverfahren seine Feststellungen treffen. Nun sind, wie zahlreiche Prozesse gezeigt haben, diese Naturgesetze nicht zu finden, und die Gerichte flüchten daher ins Normative. In der Wissenschaft findet dies seine Entsprechung darin, dass die Zulassung eines Anscheinsbeweises im Strafprozess gefordert wird, dessen Voraussetzungen an rein normative Leitgesichtspunkte anknüpfen sollen.43 Beides ist ein Beleg für die geradezu seherische Umkehrung der Logik, die von dem Soziologen Paul Fauconnet stammt: „Ergibt sich die sogenannte Kausalitätsvermutung nicht gerade aus der Verantwortlichkeit, anstatt sie umgekehrt zu bestimmen?“ 44 Der verfassungsrechtliche Auftrag, bei Zugriff auf einen Beschuldigten, gleichviel in welchem Stadium des Verfahrens, gerecht und rechtstaatlich zu verfahren,45 bekommt also durch dieses naturwissenschaftliche Dilemma eine neue Pointe. Es gebietet förmlich, eine neue Einheit von materiellem Recht und Strafprozessrecht zu schaffen, in deren Rahmen die „politische Entscheidung über die Verteilung von Verantwortlichkeit“ 46 jeweils gefällt wird. Die differenzierter gewordenen, tiefer gestaffelten empirischen Implikationen des gesetzlichen Merkmals ziehen neue Anforderungen an ihre prozessuale Feststellung nach sich, und indem man im Prozess sieht, dass man diesen Anforderungen nicht ganz nachkommen kann, werden die zu anspruchsvoll gewordenen Merkmale wieder normativ gelockert. Das ist nicht nur bei der Kausalität der Fall, sondern auch dort, wo es um bewegliche Begriffe geht, etwa bei der an vielen Stellen des Strafrechts heute verlangten Prognostik 47 – also etwas Prospektivem – und bei der Fixierung des Verdachts als Voraussetzung für die Einleitung von Ermittlungsverfahren oder auch einzelner Ermittlungs- und Zwangsmaßnahmen im Strafprozessrecht – ein retrospektives Problem.48 Bei den Prognose-Entscheidungen gibt es längst den Vorwurf, dass der Gesetzgeber etwas Unmögliches verlange, was unter anderem zu der Forderung nach Abschaffung der Prognoseregelungen geführt hat. Die Unmöglichkeit besteht für viele darin, dass zu den nur deskriptiven Verfahren angesichts moderner sozialwissenschaftlicher Entwicklung jetzt auch noch hermeneutische getreten sind.49 Beim Verdacht ist diese Skepsis nicht so weit gediehen, es überwiegt noch die Hoffnung, man könne von der gleichsam wertverhangenen Metapher des Verdachts irgendwann durchweg zu Merkmalen wie bestimmte Tatsachen etc. gelangen und damit eine größere Präzisierung und Sicherheit erreichen.50 Aber die Selbsttäuschung, die in dieser rein juristischen Entwicklung liegt, ist schon vorprogrammiert, wenn auch nur mit einer, wie man wohl sagen muss, Langzeitwirkung. Schon vor mehr als 30 Jahren haben Sozio-

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Chr. M. Müller 161 f., 239 f. Fauconnet Warum es die Institution „Verantwortlichkeit“ gibt, in: Lüderssen/Sack (Hrsg.), Abweichendes Verhalten Bd. II (1975) 293 ff. (308). Bis hin zur Wahrung des „Unverfügbaren“ (Art. 1 Abs. 1 S. 1, 79 Abs. 3 GG) vgl. Hassemer FS Maihofer 183 ff.; Wolter (Aspekte) 23 ff.; Wohlers GA 2005 11 (17 ff.); s. ferner Hettinger Entwicklungen im Strafrecht und Strafverfahrensrecht der Gegenwart (1997) 43 ff. sowie Jahn Das Strafrecht des Staatsnotstandes (2004) 542 ff.

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Günther KritV 1997 223. Grundlegender Überblick bei Frisch; Frisch/Vogt; Pollähne in: Rode/Kammeier/ Leipert (Hrsg.) 11 (20 ff.); knapp dazu auch Vogel 28 f. Überblick zu den Anforderungen an Prognosegutachten speziell bei psychisch kranken Straftätern M. Koller BewHi 2005 237 (250 ff.); s. aber jetzt auch Hendrik Schneider StV 2006 99 ff. Im Einzelnen dazu unten M 63 f., 73. Volckart 16 ff.; ferner Schneider Grundlagen der Kriminalprognose (1996). Vgl. LR/Lüderssen 25 § 138 a, 16 ff.

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logen die Schwierigkeiten dargelegt, in denen die sogenannte kriminalistische Erfahrung steckt, die als die Grundlage für das Verdachtsurteil herangezogen wird.51 Diese Einsichten sind in der Rechtsprechung und Literatur des Strafprozessrechts lange nicht zur Kenntnis genommen worden, vielleicht nur deshalb nicht, weil ihnen keine wirklich verbindliche Forschung in den Sozialwissenschaften gefolgt ist. Das könnte sich aber ändern.52 Allerdings bleibt, ähnlich wie bei der Prognoseforschung, die empirische Überforderung durch das normative Konzept. Jene bestimmten Tatsachen sind eben nicht nur Tatsachen, die alte Verdachtslehre tritt wieder in ihr Recht, jetzt aber nicht in Gestalt eines traditionell und volkstümlich gefassten Begriffs, den jeder versteht, sondern – wiederum, wie bei der Prognose – durch die Etablierung hermeneutischer Verfahren.53 Wenn es also gerade die spezifischen sozialwissenschaftlichen Probleme, welche die 24 Begriffe des materiellen Strafrechts wie des Strafprozessrechts aufwerfen, sind, die jene – in der Tat ja nur von Juristen getroffene – Unterscheidung so zweifelhaft machen und eine neue Gesamtperspektive nahe legen, dann ist das Verfassungsrecht in seiner nicht nur das materielle Strafrecht, sondern vor allem auch das Prozessrecht determinierenden Funktion aufs neue gefordert. Dort müssen also die Maßstäbe für jene Verantwortungsverteilung, die sich jetzt im freien Spiel zwischen materiellem Strafrecht und Strafprozessrecht ergeben, gesucht werden.54 Eine weitere Einbruchstelle in das Konzept einer scharfen Trennung zwischen mate25 riellem Strafrecht und Strafprozessrecht ist durch die folgende Einsicht sichtbar geworden: Das Erfordernis des eingetretenen Erfolges, das diejenigen Strafgesetze formulieren, die ein Verhalten unter der Voraussetzung unter Strafe stellen, dass es einen bestimmten zusätzlichen Erfolg zeitigt, kann systematisch nicht zum strafrechtlichen Unrecht gerechnet werden. Es ist dies eine bleibende Erkenntnis der finalen Unrechtslehre, deren Verdienst, wie man jetzt weiß, weniger in der Aufdeckung ontologischer als psychologischer Bindungen des strafrechtlichen Normgebers besteht. Man kann nur Handlungen verbieten, nicht aber Erfolge.55 Eine juristisch befriedigende Einordnung des eingetretenen Erfolges in das Deliktsystem ist bisher nicht erreicht worden. Appelle an die Sozialwissenschaften, den Juristen beizustehen in dem Versuch, die Elemente eines gut funktionierenden Kriminaljustizsystems zu kombinieren, sind ungehört verhallt, zum Teil auch von juristischer Seite als verfehlt bezeichnet worden.56 Die Lösung des Problems könnte darin bestehen, dass der eingetretene Erfolg als 26 Beweiszeichen für ein sonst schwer beweisbares Handlungsunrecht fungiert. Dann wäre hier wieder ein Anwendungsfall dafür gegeben, dass das materielle Strafrecht Beweisfragen schon abstrakt entscheidet. Aber damit ist die Frage nach der Relevanz des Erfolgs51 52

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Vgl. näher unten M 63 f. Vgl. die Hinweise bei L. Schulz 408 ff. Zur gewachsenen Bedeutung der Kriminalistik für die Ausbildung im Strafverfahrensrecht auch Soiné KR 1998 247 (248 ff.). Ausf. dazu Reichertz. Auch deshalb besteht zu für eine „Verfassungsrechtsmüdigkeit“, die sich in der Strafrechtswissenschaft von Zeit zu Zeit offenbart, kein Anlass, vgl. Kühne JZ 2001 1148; Wolter GA 1999 158 (174); Lagodny Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte (1996) 3 f. Anderer Akzent etwa bei Tiedemann 148 f. und LR/Gössel Einl L 60.

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Einzelheiten mögen umstritten bleiben. Welzel selbst hat nur für die Fahrlässigkeitsdelikte die Konsequenz gezogen, dass der Erfolg eine objektive Bedingung der Strafbarkeit sei; Armin Kaufmann und Diethart Zielinski haben dann Konsequenzen für die Vorsatzdelikte ausformuliert. Vgl. dazu mit Nachweisen Lüderssen (Erfolgszurechnung) 318 ff.; weiterführend Degener ZStW 103 (1991) 357 ff.; Degener Die Lehre vom Schutzzweck der Norm und die strafgesetzlichen Erfolgsdelikte (2001) 127 ff.; krit. Maiwald 64. Maiwald aaO.

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eintritts nicht erschöpfend beantwortet. Er hat offenbar auch die Funktion, die Effektivität der Strafverfolgung in dem Sinne sicherzustellen, dass sie exemplarisch bleibt. Das, was hinter dieser Devise der Präventivwirkung des Nichtwissens 57 steht, ist freilich nach wie vor nicht aufgeklärt, indessen nicht Thema dieser Einleitung. Aber dass hier jedenfalls die Unterscheidung zwischen materieller und prozessualer Betrachtung nicht weiterhilft, ist offenbar und stützt die Konzeption, dass es zwischen den Eingriffen der Strafverfolgung, seien sie abstrakt angedroht oder konkret realisiert, keine entscheidenden qualitativen Sprünge gibt. (2) Die Mittel der Strafverfolgung. Auf der Ebene der Mittel, die zur Erreichung die- 27 ser komplexen Ziele eingesetzt werden, bietet sich ein entsprechendes Bild. Dass nicht jede Kausalität für die Verletzung des Rechtsguts zur strafrechtlichen Haftung führt, sondern zusätzliche objektive (bestimmte Angriffswege) und subjektive (Intentionen, besondere Vorwerfbarkeiten) Voraussetzungen erfüllt sein müssen, ergibt sich teils aus den materiellrechtlichen Tatbeständen, teils aber auch aus prozessrechtlichen Regelungen, die entweder schon tatbestandsausschließend (z.B. kein tatbestandsmäßiger Hausfriedensbruch bei einem Lauschangriff nach § 100c Abs. 1 StPO; keine tatbestandsmäßige Strafvereitelung bei prozessual zulässigem Verteidigerhandeln) oder rechtfertigend (§§ 81a, 102 ff., 112, 127 StPO) wirken, oder schließlich – unspezifisch – strafaufhebend; das gilt für einen großen Teil der Überlegungen, die jenseits des Deliktsbegriffs zur Strafwürdigkeit und zum Strafbedürfnis angestellt werden.58 (3) Nebenwirkungen. Der gleiche Befund ergibt sich schließlich bei dem Konflikt 28 zwischen erstrebten Zielen und nicht beabsichtigten Nebenwirkungen. Dieser Konflikt tritt beispielsweise auf bei den Beweiserhebungsverboten. Dass sie der Wahrheitsfindung dienen, ist trotz der falschen Geständnisse, die auf Folterung beruhen, wenigstens nicht ihre einzige Legitimation; vielmehr geht es auch und im Wesentlichen um den „Schutz außerprozessualer Interessen und Rechte des Beschuldigten“.59 Eine Verwertung freilich würde die durch die Erhebung bewirkte Verletzung der Beschuldigten-Interessen nicht steigern, und doch verzichtet die Strafprozessordnung nicht durchweg auf das Verbot der Verwertung: hier tritt demgemäß wieder ein anderes Ziel in Konkurrenz zur Wahrheitsfindung, das man als Gebot der Fairness des Verfahrens bezeichnen könnte.60 Dort, wo – trotz Verletzung des Verbots – Verwertung stattfindet, stellt sich die Frage, ob die Rechtsordnung sich mit einer paradoxen Lösung arrangiert, sie womöglich sogar intendiert.61 bb) Ein Kriminal-Justiz-System? Eine völlig konsistente Gleichordnung von mate- 29 riellem Strafrecht und Strafprozessrecht zu begründen, kann nicht Aufgabe dieses Ab-

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Vgl. die inzwischen klassisch gewordene Abhandlung von Popitz Über die Präventivwirkung des Nichtwissens (1968); Lüderssen Strafrecht und „Dunkelziffer“ (1972). S. dazu LR/Kühne Einl. B 12; ferner Lüderssen/Sack in: Lüderssen/Sack (Hrsg.), Abweichendes Verhalten Bd. II (1975) 220; Volk ZStW 97 (1985) 871 ff.; Blum; NK-StGB/ Hassemer/Neumann 2 Vor § 1, 82 ff. Neumann ZStW 101 (1989) 52 (61). Neumann aaO 66 und ausf. Rzepka Zur Fairness im deutschen Strafverfahren (2000). Die Einbindung der Beweisverwertungsver-

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bote in die Theorie der positiven Generalprävention (vgl. darüber Neumann aaO mit Belegen) würde an diesem Ergebnis nichts ändern; im Gegenteil: die Vertreter der positiven Generalprävention betonen ja gerade mit ihrer Behauptung, dass das faire Verfahren normstabilisierend wirke, die Einheit der beiden Rechtsgebiete, vgl. Hassemer FS Buchala (1994) 134 ff. und NK-StGB/Hassemer/Neumann 2, Vor § 1, 288 ff. Vgl. Lüderssen Verdeckte Ermittlungen im Strafprozeß, FS II BGH 883 (907 ff.); Lüderssen FS Dieter Simon (2005) 373 ff.

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schnittes der Einleitung sein.62 Allerdings muss hier so viel darüber gesagt werden, dass die für Auslegung und Anwendung des Strafprozessrechts abzuleitenden Konsequenzen nachvollziehbar werden. Das Problem ist, dass mit der Beseitigung einer als überholt empfundenen Trennung von Phänomenen nicht automatisch eine einheitliche Grundlage gegeben ist. Die Beseitigung der Trennung stellt nicht einfach wieder etwas her. Erstens deshalb nicht, weil die Trennung zu lange angedauert hat, als dass ein einfaches Zurückgehen auf den Status quo ante überhaupt möglich erscheint. Ferner: selbst wenn man das könnte, wird man keineswegs auf eine geschlossene Konzeption stoßen, sondern lediglich auf etwas relativ ungeordnet Historisch-Gewachsenes. Für unsere Epoche und die Zukunft muss das ersetzt werden durch etwas, was man „criminal justice system“ nennen könnte, und in der Tat scheint insofern die anglo-amerikanische Tradition eine günstigere Basis für die Lösung der Probleme zu bieten, von denen hier die Rede ist. Eine konzeptionelle Gleichgewichtigkeit materiellrechtlicher und prozessualer Probleme muss sui generis sein,63 kann nicht nur durch Verschmelzung stattfinden. Der Weg dahin ist schwierig und von der Gefahr bedroht, dass nunmehr das Prozes30 suale gegenüber dem Materiellen zu sehr betont wird, auch wenn das zunächst noch als liberale Lösung erscheint.64 Kriminalsoziologisch gesehen würde das auf einen konsequenten Interaktionismus (jetzt – sozialer – Konstruktivismus genannt) 65 hinauslaufen. Bemerkenswert ist, wie nahe diesen modernen Ansichten die Version vom Prozess gewesen ist, die in den zwanziger Jahren James Goldschmidt präsentiert hat, klar erkannt bereits von Fritz v. Hippel 66. Der Prozess erscheint „als die übergeordnete Macht … die nicht dem Rechte, sondern der das Recht unterworfen ist“.67 Luhmann 68 hat das später „Immunisierung“ getauft, damit aber im Grunde seine Diagnose nur euphemistisch verschleiert. Die Spannung zwischen materieller Richtigkeit und prozessualer Realisierung ist letztlich nicht auflösbar. Deshalb wird auch jene Richtung, die sich darauf beschränkt, die Auflösung der 31 Spannung durch eine besonders strikte Anwendung des Gesetzlichkeitsprinzips zu bewirken,69 den verschiedenen Sachlagen nicht gerecht. Erforderlich ist vielmehr eine wirklich 62

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Grundlegende Ausführungen dazu – im Sinne der hier eingenommenen Position – bei Naucke (Wechselwirkung) 8 ff.; Naucke (Lücken) 269 (275 ff.); Naucke GA 1998 263; ebenso Hassemer ZRP 1997 316 (319 f.); ausführlicher und systematisch in NK-StGB/Hassemer/Neumann 2 Vor § 1, 198 ff.; besonders gründlich: Marxen 324 ff.; ferner Volk und Paeffgen; Wolter RudolphiSymp. 267 ff. und FS Roxin 1141 (1155 ff.); Wolfslast 92 ff.; Lüderssen ZStW 85 (1973) 288 ff. (308 f.). Eindeutige Tendenzen in dieser Richtung finden sich aber auch schon in der älteren Literatur, z.B. bei Baumann 14 ff. mit weiteren Belegen. Deshalb kann insoweit nicht zurückgegriffen werden auf die Anstrengungen, die P.-A. Albrecht Krim. 137 ff. auf die Ausarbeitung eines „Kriminaljustizsystems“ verwendet, denn das materielle Recht wird dabei ganz ausgeblendet. Wie etwa der Vorschlag von K. Günther KritV 1997 223, angesichts jener Aporien, in

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die man bei der Kausalitätsfeststellung gerät, wenigstens die prozessualen Möglichkeiten des Beschuldigten auszubauen (also z.B. nicht nur keine Einschränkung des Beweisantragsrechts, sondern vielleicht sogar eine Erweiterung) und zusätzliche richterliche Begründungspflichten zu etablieren. Hess/Scheerer KrimJ 1997 83; Lüderssen KJ 1997 442; Lüderssen FS Schreiber 289 (298 ff.) und in Lüderssen (Hrsg.), Die Durchsetzung des öffentlichen Strafanspruchs (2002) 235 (243 ff.) mit Nachweisen der grundlegenden Literatur. v. Hippel ZZP 65 (1952) 424 ff. Goldschmidt 246. Krit. demgegenüber etwa Grunsky JZ 1974 750 (751); Schaper 82 ff. Legitimation durch Verfahren (1969). Zu den Auswirkungen seiner Konzeption auf den Verfahrensbegriff Schaper 205 f. So z.B. Naucke (Aushöhlung) 483 (495); Hamm NJW 1996 2981; Mertens 87 ff.; Maier 123 ff.

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in die Tiefe gehende Analyse der Situation des Beschuldigten in den verschiedenen Phasen, die er bis zur Verurteilung oder zum Freispruch erlebt, konfrontiert mit dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft und den Bedürfnissen einzelner Geschädigter. Anders ausgedrückt, es konkurriert die Unschuldsvermutung mit den Strafzwecken. Beide Materien sind in unglaublicher Bewegung. Bei den Strafzwecken ist längst der Abschied von den monolithischen Blöcken: Vergeltung und/oder Prävention eingeleitet. An die Stelle davon ist ein großes Ensemble von Reaktionen getreten. Das Bild der Unschuldsvermutung ist ähnlich komplex, insbesondere durch Rechtsvergleichung und übergreifende Rechtsordnungen bestimmt. Hinzu kommt, dass man viel reflektierter geworden ist mit Bezug auf das wissenschaftstheoretische Problem, das hinter der Dialektik von Unschuldsvermutung und Strafzwecken verborgen ist.70 2. Das Verhältnis zwischen Strafprozessrecht und Polizeirecht. Die Einheit von Straf- 32 recht und Strafprozess schließt das Polizeirecht aus. Dessen ausschließlich präventive Funktion folgt prinzipiell anderen Regeln. Die gelegentlich – in der Praxis – zu beobachtenden Überschneidungen (repressive Nutzung präventiv gewonnener Informationen) werden – freilich wohl vergebens – mit Recht kritisiert.71 Ebenso verhält es sich bei den Übergängen vom Strafprozessrecht zum Polizeirecht (präventive Nutzung repressiv gewonnener Informationen, vgl. etwa § 100d Abs. 6 Nr. 2 StPO). In einem vor allem am Ziel der bestmöglichen Risikovorsorge orientierten, amorphen »Sicherheits-« oder »Strafpolizeirecht« wird diese Abgrenzung zur Lösung konkreter Auslegungsprobleme im Grenzbereich beider Materien ohnehin immer fragwürdiger.72 Für die Methode der Rechtsanwendung wird hier gleichwohl insoweit von der Trennung der Materien ausgegangen. Diese Konzeption wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich – über die Strafzwecke – mit der repressiven Tätigkeit der Strafverfolgungsorgane ein präventives Fernziel verbindet. Auch die Teile des Verwaltungsrechts, die in Verbindung mit dem Strafprozess (z.B. 33 spezielle Rechtswegfragen) stehen, bleiben – unter Methodenaspekten – ausgeklammert. Das mag mit Blick darauf problematisch erscheinen, dass die Strafprozessordnung, in dem Maße, wie sie die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft regelt, auch für die Exekutive gilt.73 Indessen ändert das Zusammentreffen von Exekutive und Judikative nichts daran, dass die strafrechtstypischen Eingriffe – obwohl, wie dargelegt, äußerst komplex zusammengesetzt – eine Einheit bilden.74 70

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Im Einzelnen kann das hier nicht ausgeführt werden; vgl. Stuckenberg Untersuchungen zur Unschuldsvermutung (1998) 519 ff. (s. dazu aber auch L. Schulz GA 2001 226) und schon Schubarth Zur Tragweite des Grundsatzes der Unschuldsvermutung (1978) 27 ff. unter Bezugnahme auf ältere Literatur; ferner Frister. Denninger in: Lisken/Denninger 193 ff.; Paeffgen Rudolphi-Symp. 13 ff.; Paeffgen GA 2003 647; Wolter ZStW 107 (1995) 793 ff.; Wolter GA 1999 158 (170 f.); Lüderssen Polizei zwischen Effizienzerfordernissen und rechtsstaatlichen Kontrollbedürfnissen, in: Kühne/Miyazawa, Neue Strafrechtsentwicklungen im deutsch-japanischen Vergleich (1995) 195; Schröder Das verwaltungsrecht-

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lich organisierte Verhältnis der strafverfolgenden Polizei zur Staatsanwaltschaft (1996). Vgl. Roggan KritV 1998 336; Jahn KritV 2004 24 (40 f.). Streitig; für die hier eingenommene Position vgl. Koller Die Staatsanwaltschaft – Organe der Judikative oder Exekutivbehörde? Die Stellung der Anklagebehörde und die Gewaltenteilung des Grundgesetzes (1997) mit Nachweisen aller vertretenen Meinungen; s. auch BVerfGE 103 142 (156); Weiß JR 2005 363 (369) und LR/Kühne Einl. J 56. Die Einheit der Materie zieht nicht die Einheit der Organisationsform nach sich. Strafverfolgung kann auf mehrere Staatsgewalten verteilt bleiben (man denke insoweit auch an den Strafvollzug); d.h. nur für einen engeren

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III. Folgerungen für die Rechtsanwendung im Strafprozessrecht. Das Prinzip: Gleichordnung mit dem materiellen Strafrecht 1. Auslegung. Rechtssatzkonkretisierung

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a) Primär mit dem materiellen Strafrecht verbundene Kriterien. Abgesehen von den ganz allgemeinen Regeln, die für die Auslegung aller Rechtssätze gelten 75 – grammatische 76, (auf den Willen des Gesetzgebers bezogene) subjektive, (auf die objektiven „Gesetzesmaterialien“ bezogene evolutionsorientierte) historische 77, systematische und (auf den Sinn und Zweck der Norm hier und jetzt bezogene) teleologische Auslegung 78 –, ist

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Kreis von Entscheidungen ist sie typisch richterlich. Auch auf diesem Gebiete wirkt sich der wohldurchdachte Antagonismus der Staatsgewalten fruchtbar aus. Der Strafanspruch der Allgemeinheit (eine problematisch gewordene, aber jedenfalls bezogen auf den Sanktionenanspruch noch gültige Metapher, vgl. Lüderssen Der öffentliche Strafanspruch im demokratischen Zeitalter in: Prittwitz/ Manoledakis [Hrsg.], Strafrechtsprobleme an der Jahrtausendwende [2000] 63 ff.; Lüderssen StV 2004 97 ff.) ist dem Staat, nicht einer seiner Staatsgewalten übertragen. Der Staat übt diesen Sanktionenanspruch in der Weise aus, dass die Staatsanwaltschaft im Einzelfall ihre Vorstellungen über Strafgerechtigkeit konzipiert und sie dann vor seine Gerichte trägt. Zur Gewaltenteilung im Strafverfahren grundsätzlich Hassemer KritV 1990 260 (271 ff.); ferner L. Schulz in: Durand/Mayali/Schioppa/Simon (Hrsg.), Staatsanwaltschaft (2005) 311 ff. Für den Benutzer der Strafprozessordnung zusammengestellt in AK/Loos Einl. III 10 ff.; Meyer-Goßner Einl. 190 ff.; sehr ausführlich die – parallele, auch für den Strafprozessualisten instruktive – Kommentierung der ZPO: Stein/Jonas/Brehm 22 Einl. 46 ff. mit zahlreichen Nachweisen aus der allgemeinen methodologischen Literatur. Eingehend zum heutigen Forschungsstand der Überblick bei Klatt 40 ff., 95 ff. Zum Streit zwischen „subjektiver“, „objektiver“ und „Andeutungs-“ Theorie statt vieler Bydlinski 434 ff.; Wank 46 f. Unberücksichtigt bleibt, dass von subjektiver Auslegung auch bezogen auf die Person des Interpreten gesprochen wird (s. dazu Isensee FS Winkler 367 ff.). Für den insoweit in der allgemeinen Methodenlehre erreichten Status muss es hier bei dem Hinweis auf ganz allgemeine Linien bewenden. Mit Blick auf die Zweifel an der

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deduktiv-analytischen Möglichkeit der Rekonstruktion des Gesetzes bzw. der Intentionen und Ausgangspunkte des Gesetzgebers spricht man eher von Konkretisierung als von Auslegung. In die Reflexion der Methoden, die den Prozess der Konkretisierung lenken, gehen diverse philosophisch-soziologische Entwicklungen ein, für die hier nur einige Stichworte gegeben werden können. Sie bewegen sich zwischen Hermeneutik, Topik (anspruchsvoller: „Argumentationstheorie“), Systemdenken, neuer idealistischer Philosophie, Varianten der Subjektphilosophie und des Konsenskonzepts, aber auch Sprachanalyse, Law and Literature, Law and Economics, Beziehungen zur Rechtsgeschichte, Methodendiskussionen auf der Basis neuerer – vor allem posttotalitärer – Rechtsentwicklungen, daraus hervorgehende Auseinandersetzungen mit neuerer Literatur zum Vernunftrecht, damit konfrontiert: restriktiver Positivismus, ferner: neue Bedürfnisse der Rechtsgesellschaft, etwas rechtlich zu regeln, was bisher rechtlich nicht geregelt war, und andererseits rechtliche Regeln, dort, wo sie traditionell waren, zurückzudrängen. Neue Rechtsbegriffe (z.B. kommunikativtopischer Rechtsbegriff), weitergehende Rechtsbegriffe (Einbeziehung sozialer Wertungen); die neue Oszillation zwischen Moral und Recht, Herkunft der entscheidenden Impulse für moderne Gesetzgebung, zum Teil aber auch für die Rechtsprechung aus der Moral (z.B. Umweltrecht), dann das Gegenteil: moralische Probleme werden nur durch das Nadelöhr des Rechts sichtbar (z.B. nicht legalisierbare verdeckte Ermittlungen). Ausführlicher Kramer 110 ff.; Zippelius 49 ff.; Bydlinski 453 ff.; Wank 41 ff.; Schapp 67 ff.; Christensen/Kudlich 359 ff.; Looschelders/ Roth 130 ff.; Hilgendorf (Argumentation); Demko 145 ff.; Brugger AöR 119 (1994) 1 ff. sowie Simon 41 ff. (mit zahlr. Nachw. aus

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für das Strafprozessrecht auch das verbindlich, was speziell für das materielle Strafrecht entwickelt worden ist. Zunächst ist das für die unstreitigen Fragen festzuhalten, also vor allem für die besondere Akzentuierung des Bestimmtheitsgrundsatzes im Rahmen des Gesetzesvorbehalts. Er ist das funktionale Äquivalent für den „nulla poena sine crimen“-Satz des materiellen Strafrechts.79 Aber auch für speziell im Strafrecht streitig gewordene allgemeine Auslegungslehren, also etwa die Bevorzugung der subjektiven Methode 80 (jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Kriterienkonkurrenz), muss das Gleichordnungsprinzip beachtet werden: Wer insofern zugespitzte Fragen stellt, muss das auch im Strafprozessrecht tun.81 b) Primär mit dem Strafprozessrecht verbundene Kriterien aa) Zur teleologischen Auslegung. Hier tauchen spezielle Figuren der Folgenorien- 35 tierung auf, wie „Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“,82 konkretisiert etwa in Grenzsituationen (z.B. sehr lange ganz ohne gesetzliche Grundlagen agierender verdeckter Ermittler, Umgang mit Sperrerklärungen bei V-Leuten, Reduzierung von Beweis-, insbesondere Beweiserhebungsverboten durch schutzzweckorientierte Betrachtungsweisen wie die „Rechtskreistheorie“ 83 und andere Abwägungslehren 84). Weitere hierher gehörige Begriffe 85 sind Fürsorgepflicht, Waffengleichheit, Prozessökonomie, Rechtsmissbrauch 86 und vor allem das Verhältnismäßigkeitsprinzip.

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bb) Zur systematischen Auslegung. Hierher gehören speziell (1) die Konkordanzprobleme (a) Strafrecht, Strafprozessrecht: Was prozessual erlaubt ist, kann nicht strafbar sein.87 Den Grundfall bilden die Zwangsmaßnahmen, die strafrechtlich geschützte Rechtsgüter verletzen. Aber hier gibt es viele Grenzfälle. Beispiel: Wie weit kann die Gewaltanwendung bei vorläufiger Fest-

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der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Strafgerichte). Sehr krit. dazu – mit unterschiedlichen Ausgangspunkten und Konsequenzen – Grasnick JR 1998 179 ff.; Neumann Wahrheit im Recht; Neumann Rechtstheorie 32 (2001) 239: „Die klassische juristische Methodenlehre ist tot“. Die noch von LR/Rieß 25 Einl. B 24 eingenommene Position, dass für diesen Satz im Strafprozessrecht kein Raum sei, wird hier nicht geteilt. Naucke (Nutzen) 274. Grundsätzlich für die subjektive Auslegung hingegen Rüthers Rn. 784 ff. und JZ 2006 53 (54, 57 f.); Depenheuer Der Wortlaut als Grenze (1988) 55 ff. Konsequent Naucke (Grundlinien) 40 ff. Krit. zum Topos Niemöller/Schuppert AöR 107 (1982) 389 (399); Hassemer StV 1982 275 (277); Jahn »Konfliktverteidigung« und Inquisitionsmaxime (1998) 177 ff. und auch BGHSt 40 211 (217 f.).

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Siehe dazu die unter Methodenaspekten lehrreiche Kontroverse zwischen Hauf NStZ 1993 457 (458 ff.) und Bauer NJW 1994 2530 (2531) mit Replik Hauf wistra 1995 53 und Duplik Bauer wistra 1996 46 (49). Umfangreiche Nachw. aus der Rspr. bei LR/Gössel Einl L 25 ff. Krit. Dallmeyer Beweisführung im Strengbeweisverfahren (2002) 149 ff.; Jahn/Dallmeyer NStZ 2005 297 (301 ff.). Von Tiedemann 131 ff. „Zwischenbegriffe“ genannt; s. dazu auch LR/Kühne Einl. I 103 ff. Siehe LR/Kühne Einl H 56 ff. und oben M 1 a. Weitgehend überholt dürften die Abstufungen nach Formvorschriften, wozu auch Belehrungspflichten gerechnet werden, und „echten“ Verboten sein (so aber noch Tiedemann 135). Tiedemann 145.

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nahme nach § 127 Abs. 1 StPO gehen; aktuell: schließt § 81a StPO die Erlaubnis zur Verabreichung von Brechmitteln bei Drogendealern ein?88 Umgekehrt: was nicht strafbar ist, kann prozessual unzulässig sein. Der Hauptanwendungsfall ist § 136a StPO; auch wenn keine Rechtsbeugung gegeben ist, kann unerlaubte Täuschung etc. vorliegen. Ein besonders umstrittener Grenzfall: § 136a Abs. 1 Satz 2 (genügt schon der objektiv unzulässige Zwang – in Gestalt unzulässiger Untersuchungshaft, etwa weil der dringende Tatverdacht oder ein Haftgrund fehlt,89 oder muss es ein finaler Zwang sein, der freilich im Zweifel bereits Rechtsbeugung bedeutet).

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(b) Strafprozessrecht, Verfassungsrecht, EMRK und IPBPR sowie Verwaltungsvorschriften: Was verfassungsrechtlich und völkerrechtlich verboten ist, kann im Strafprozess nicht erlaubt sein. Verfassungskonforme Auslegung ist längst ein fester Topos.90 Noch immer nicht erschöpfend indessen ist die Orientierung an der EMRK und am IPBPR; immerhin hat die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung hier einige grundsätzliche Konkordanzprobleme aufgegriffen (und dabei neue geschaffen 91). Wenig befriedigend ist auch die Abklärung des Verhältnisses zum BKAG 92, JuMiG sowie zu den RiStBV 93 und zu den MiStra.

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(c) Strafprozessrecht, Europarecht: Das sind Kategorien der Zukunft. Eine europäische Rechtsmethodologie steht noch ganz am Anfang. Die ersten, noch zaghaften Schritte werden einstweilen durch die wachsende Einsicht in die Notwendigkeit einer Bestandsaufnahme der in den Nationalstaaten entwickelten und ausdifferenzierten Methodencanones getragen.94 Die Europäisierung des Strafverfahrens ist dessen ungeachtet faktisch längst im Gange. Insbesondere der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat hier eine Vorreiterrolle übernommen, die über die Auslegung des Art. 6 EMRK tief in das bundesdeutsche Strafprozessrecht hineinwirkt. Das BVerfG hat dieser Entwicklung im Sinne einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung des innerstaatlichen Verfahrensrechts seinen grundsätzlichen Segen erteilt.95 Ein genuin gemeinschaftliches Strafprozessrecht der EU, das neben dem Völkerrecht der EMRK zur Entstehung gelangt, ist aber derzeit allenfalls in Umrissen erkennbar.96 Ob die jüngst erfolgte „Entdeckung“ des 88

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Dagegen OLG Frankfurt StV 1996 651; Dallmeyer StV 1997 606; krit. Benfer JR 1998 53. A.A. die wohl h.M., vgl. OLG Karlsruhe NStZ 2005 399 m. abl. Anm. Dallmeyer StV 2005 378; KG NStZ-RR 2001 204; OLG Bremen NStZ-RR 2000 270, je m.w.N. Generell zu den „Begleiteingriffen“ bei der Anwendung des § 81 a StPO Mertens 36 ff. Aus Sicht der EMRK dazu jetzt EGMR NJW 2006 3117 (3119 ff.). So LG Bad Kreuznach StV 1993 629; Jahn JuS 2005 1057 (1061); dagegen BGHSt 44 129 (135) m. Anm. Jahn JuS 2000 441; BGH StV 1996 76; zustimmend LR/Hanack 25 § 136 a, 47; krit. Fezer StV 1996 73; Paeffgen NStZ 1997 75 ff. Vgl. F. Müller 90; Müller/Christensen I Rn. 100 ff.; Pawlowski Rn. 196; Bydlinski 455 ff.; Bleckmann JuS 2002 946 f. Aus Sicht der Rechtspraxis dazu Gaßner Rpfleger 1993 474 (478 f.).

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BVerfGE 111 307 (315 ff.); vgl. dazu MeyerLadewig/Petzold NJW 2005 15 (16 f.) und für ein wichtiges Detailproblem Safferling NStZ 2006 75 f. Krit. zum davor erreichten Stand Frister StV 1998 159; LR/Kühne Einl. D 1 ff. Dazu W. Schreiber NJW 1997 2137; Riegel NJW 1997 3408. Die Arbeit von Leonhardt Rechtsmittelermessen der Staatsanwaltschaft (1994) ist nach wie vor eine Ausnahme; s. im Übrigen LR/Kühne Einl. C 28; Heghmanns GA 2003 433 (441). Vogenauer ZEuP 2005 234; Hahn ThürVBl 2004 228 (229 f.). BVerfGE 111 307 (324 ff.); s. dazu soeben M 37. Dazu genauer Nelles ZStW 109 (1997) 727 (730); Prittwitz ZStW 113 (2001) 774; Hassemer ZStW 116 (2004) 304; Nestler ZStW 116 (2004) 332 sowie LR/Kühne Einl. F 240.

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Straf- und Strafverfahrensrechts als möglicher Gegenstand der Rechtssetzung der Gemeinschaft in der ersten Säule durch den EuGH 97 daran mittelfristig etwas ändern wird, ist noch nicht ausgemacht. Was das Verfahren angeht, so werden auch hier die „Verpolizeilichung“ 98 und Informalisierung 99 beklagt; für die Methodenlehre stellt die rahmenbeschlusskonforme Auslegung ein neues Problemfeld dar.100 (2) Das missglückte Gesetz: Diese bisher verborgene Kategorie rückt mit einer gewis- 39 sen zeitlichen Verzögerung in den Vordergrund.101 Vor die Wahl gestellt, einen inneren Widerspruch einer einzelnen Norm oder eines größeren Normzusammenhanges pragmatisch zu akzeptieren, mit der Folge ständiger Begründungsnot im Einzelfall, oder die missglückte Systematik zu korrigieren, entscheidet sich die Praxis in der Regel für die erste, die Wissenschaft für die zweite Möglichkeit. Das ist deshalb bemerkenswert, weil der Praxis die nicht miteinander zu vereinbarenden Ergebnisse eher vor Augen treten als der Wissenschaft. Um das Auseinanderklaffen dieser Schere zu vermeiden, muss der Gesetzgeber des Strafprozessrechts bereits im legislatorischen Verfahren strikt auf den Gedanken der Systemgerechtigkeit verpflichtet werden.102 Ein Hauptbeispiel für dieses Problem ist der Antagonismus zwischen Pflicht- und 40 Wahlverteidigung. Der Gesetzgeber hat diese beiden Regelungskomplexe nicht nach dem einheitlichen Prinzip gestaltet, das dem Strafprozessrecht in Verbindung mit der Verfassung zu entnehmen ist: Der allgemeine Gleichheitssatz – Art. 3 Abs. 1 GG – fordert, dass das Recht des Beschuldigten auf Verteidigung nicht mit zweierlei Maß gemessen werden darf. Will man dieses Ergebnis vermeiden, müssen die Vorschriften über die Pflichtverteidigung so interpretiert werden, dass – bei Hintanstellung der für ihre isolierte Betrachtung maßgebenden sprachlichen und historischen Kriterien – Lösungen entwickelt werden, die nur mit Blick auf die große systematisch-teleologische Linie – die der Gesetzgeber aber nachweislich verfehlt hat – vertretbar sind.103 Andere Beispiele lassen sich leicht finden, und zwar überall dort, wo die Anwendung eines Zwangsmittels nur möglich erscheint unter der Voraussetzung, dass man auch andere Zwangsmittel (körperliche Eingriffe, Freiheitsentziehungen) anwendet, obwohl die speziellen Voraussetzungen für ihre Zulässigkeit nicht gegeben sind. Die Praxis hilft sich hier mit dem Argument einer evidenten Implikation unter dem Gesichtspunkt der „Annexkompetenz“.104 Aber das ist ebenfalls ein Kunstgriff, der seine Legitimation aus der Tatsache ableitet, dass übergeordnete Gesichtspunkte den Widerspruch in casu aufheben. Wie wenig verlässlich diese Methode ist, geht allein schon daraus hervor, dass die Grenzen jener, mit der Gestattung des einen Eingriffs implizit gemeinten Gestattung anderer Eingriffe keineswegs leicht zu ziehen sind. 97

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EuGH NVwZ 2005 1289 m. – auf das Strafrecht bezogener – krit. Anm. Wegener/ Greenawalt ZUR 2005 585 ff.; Heger JZ 2006 310; zust. aber Böse GA 2006 211 (212 ff.). Zu den erheblichen praktischen Auswirkungen Mitteilung der Kommission KOM(2005) 583 endgültig/2 Rn. 11. Nelles ZStW 109 (1997) 727 (731 ff.); s. bereits oben M 32. Braum wistra 2005 401 (404 f.). EuGH NJW 2005 2839; vgl. dazu aus strafrechtlicher Sicht Wehnert NJW 2005 3760 ff. und unten M 57. Vgl. die unter dem gleichen Titel von Diede-

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richsen herausgegebene Monographie (1997) sowie Lüderssen FS Simon, 367 (370 ff.) Grunst GA 2002 214 (223). Vgl. LR/Lüderssen 25 Vor § 137, 68 ff.; Lüderssen StV 1998 353; Jahn StV 2000 431 (432). Die Grenzziehung der Praxis erfolgt damit allein nach Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten, vgl. BGHSt 46 266 (273 f.); BGH (ER) NJW 1997 2189; Meyer-Goßner § 100 c, 8. Zu Recht restriktiver Kühne 414.3; KMR/Eschelbach Einl. 64.

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2. Geltungserweiterungen a) Analogie

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aa) Definition. Von einer analogen Geltung eines Rechtssatzes spricht man, wenn eine sogenannte Regelungslücke existiert (wobei planmäßige und planwidrige unterschieden werden) und Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit – oder Sicherheitserwägungen – darauf deuten, dass ein Sachverhalt, der einem Sachverhalt ähnlich ist, für dessen Behandlung eine klare Regelung zur Verfügung steht, ebenso behandelt werden soll.

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bb) Abgrenzung zur extensiven Auslegung. Dieses Problem hat die allgemeine Rechtslehre bisher vergeblich zu lösen versucht.105 Es taucht in allen Rechtsgebieten auf, und die Entscheidungen darüber, ob etwas erlaubte extensive Auslegung oder unerlaubte Analogie sei, ist fast immer rechtspolitisch motiviert.106 Je mehr es bei einem Rechtssatz auf seine Bestimmtheit ankommt, um so weniger wird man die Grenze der Analogie zugunsten einer extensiven Auslegung verschieben. Da der Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht eine sehr große Bedeutung hat, ist dort also besondere Vorsicht geboten; vereinzelt führt sie sogar dazu, die teleologische Auslegung ganz abzulehnen.107 In dem Maße, wie hier dargelegt, das Strafprozessrecht sich in seinen Funktionen vom Strafrecht nicht unterscheidet, gilt jene Vorsicht also auch dort. Eine Reihe von Fällen, in denen die Rechtsprechung die analoge Bildung von Rechtssätzen zur Rechtfertigung von Eingriffen abgelehnt hat, wäre demgemäß unter der Devise extensiver Auslegung eventuell anders entschieden worden. Kritiker dieser Entscheidungen 108 versuchen daher zum Teil auch einfach über die im Prinzip unstreitige extensive Auslegung ihre Ergebnisse zu verteidi-

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Speziell für das Strafrecht dazu Hassemer FS Coing 493 (517 f.); Überblick bei Rüthers JZ 2006 53 (59 f.); Bär 160 ff.; Chanos 19 ff.; Christensen/Kudlich 120 ff. Vgl. Schünemann FS Bockelmann 117 (126 f.). S. nochmals Naucke (Aushöhlung) 483 (495). Guter Überblick über die Kasuistik bei Bär 73 ff. („Lügendetektor“, „Alkoholtest“, „Verteidigerausschluss“, „Zufallsfunde bei Telefonüberwachung“, „Gegenüberstellung mit Zwang“, „Auskunft über behördlich geheim gehaltenen Zeugen“, „Raumgesprächsaufnahme“, „Beschlagnahmeverbot bei Telefonüberwachung“, „Stimmenvergleich“, „Fernsehfahndung“, „Haftrecht“); s. ferner die von Mertens 24 ff. behandelten Fälle (Untersuchungshaft wegen Verdachts der Wiederholung des Vollrausches – analoge Anwendung des § 112a StPO?, Sicherungshaftbefehl bei nachträglicher Entscheidung über die Nichtaussetzung der Jugendstrafe – die Analogie zu § 453c StPO, Haft zur Erzwingung des Eides – die Analogie zu § 70 Abs. 2 StPO, Begleiteingriffe

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bei der Anwendung des § 81a StPO, die Erzwingung von Identifizierungsgegenüberstellungen und von Maßnahmen zu deren Durchführung, die Personendurchsuchung des Nichtbeschuldigten); weitere Bsp. bei Brenner Die strafprozessuale Überwachung des Fernmeldeverkehrs mit Verteidigern (1994) 122 ff. (Analogie zu § 108 Abs. 1 StPO, Anpassung an die spezifischen Voraussetzungen des § 100a StPO, analoge Anwendung des § 97 Abs. 2 S. 3 StPO auf den Verteidiger, Überwachung des Anschlusses des Verteidigers nach § 100a S. 2 Var. 1 StPO bzw. seines Anschlussüberlassers nach § 100a S. 2 Var. 3 StPO); s. auch Baier Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der Strafprozeßordnung als Ergänzung der §§ 52 ff. StPO (1996) 167 ff.; Dencker Willensfehler bei Rechtsmittelverzicht und Rechtsmittelrücknahme im Strafprozeß (1972) 30 ff. (analoge Anwendung des § 136a StPO auf Fälle von Willensfehlern bei Prozesshandlungen). Zur Behandlung der Regelbeispiele Reineke Regelbeispiele im Strafprozess (1991) 23 ff.

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gen.109 Unter der Prämisse der Gleichordnung von Strafrecht und Strafprozessrecht ist dieser Weg freilich versperrt.110 cc) Analogie „zuungunsten oder zugunsten“. In den Fällen, die eindeutig analogi- 43 sierende Rechtssatzkonkretisierung darstellen, drängt sich die Frage nach „zugunsten oder zuungunsten“ unter dem Aspekt auf, dass im materiellen Strafrecht analoge Strafrechtsanwendung nur zuungunsten des Angeklagten ausdrücklich verboten ist. Die Analogie zugunsten des Beschuldigten unterliegt den allgemeinen Kriterien, wobei aber auch hier mehr als in anderen Rechtsgebieten der Bestimmtheitsgrundsatz zu beachten ist.111 Andererseits bringt gerade die moderne Gesetzgebung die Gerichte insofern in größte Nöte: Die Einführung des Instituts der Annahmeberufung 112 etwa hat sehr bald zu oberlandesgerichtlichen Entscheidungen geführt, die über die Frage zu entscheiden hatten, ob die Staatsanwaltschaft nicht nur bei geringfügigen Strafanträgen, sondern auch im Falle der Beantragung eines Freispruchs auf die Annahme der Berufung angewiesen sein sollte. Die Oberlandesgerichte haben das abgelehnt mit der Begründung, in diesen Fällen handele es sich um ein aliud, die Motive für die Beantragung eines Freispruchs hätten nicht unbedingt etwas mit der Schwere des Tatvorwurfs zu tun, sondern seien eher mit Blick auf die Beweislage zu interpretieren; die Staatsanwaltschaft habe in der Hoffnung gehandelt, in der nächsten Instanz mehr Material zur Verfügung zu haben. Die analoge Anwendung des § 313 Abs. 2 StPO wird also abgelehnt, obwohl sie eigentlich nur zugunsten des Verurteilten ausschlagen kann, weil das Risiko, dass die Berufung nicht angenommen wird, von der Staatsanwaltschaft getragen wird. Hier ist nun sehr deutlich zu erkennen, dass mit einem strengen Gesetzlichkeitsprinzip der Weg in eine Analogie abgeschnitten werden kann,113 aber man sieht zugleich, dass ein inhaltliches, den Abwägungsprozess zwischen „Allmacht des strafenden Staates und Ohnmacht des verdächtigten Einzelnen“ – so hat Walter Sax die Aufgabe des Strafprozessrechts einmal formuliert – zu einem überzeugenden Kompromiss führendes Kriterium dabei ganz fehlen würde. Denn es könnte ja mit Blick auf die Asymmetrie der Machtverhältnisse durchaus sinnvoll sein, die Annahme der Berufung der Staatsanwaltschaft unter strengere Voraussetzungen zu stellen als die des Beschuldigten. Die Achtung, die der Bestimmtheitsgrundsatz genießt, kann man im Übrigen am 44 besten ablesen an dem Umgang mit unbestimmten Rechtsbegriffen und mit Generalklauseln. Solange das Bundesverfassungsgericht 114 darin keine prinzipielle Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes sieht – auch im materiellen Strafrecht nicht 115 –, sind insoweit

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Gegen diese Praxis entschieden Mertens aaO; dagegen wiederum im Ergebnis skeptisch Bär 63 f., 167 f. Die Kasuistik kann hier nicht im Einzelnen durchgegangen werden; dort, d.h. bei den einzelnen Vorschriften, wo sie jeweils auftaucht, wären nach der hier entwickelten Grundlinie also regelmäßig restriktive Empfehlungen auszusprechen. Vgl. Bär 146; Anwendungsfälle versagter Analogie zugunsten des Beschuldigten bei Wasserburg Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens (1984) 271 ff.; hierher gehört auch die Entscheidung BGH StV 2006 60 m. Anm. Lüderssen. Das Gericht lehnt bei

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einer Mordanklage eine Hinweispflicht gem. § 265 Abs. 2 StPO wegen in Betracht kommender Feststellung der besonderen Schuldschwere ab, hätte aber – in analoger Anwendung – die Hinweispflicht gem. § 265 Abs. 1 StPO bejahen müssen, vgl. Lüderssen aaO 61 ff. Dazu LR/Gössel 25 § 313, 2; ferner Hettenbach Die Annahmeberufung nach § 313 StPO (1997) mit weiterer Literatur. Meyer-Goßner NStZ 1998 19. Vgl. dazu die Nachweise bei Bär 151. BVerfGE 92 1 (12); 87 209 (224); 71 108 (115); 47 109 (121). Krit. Müller-Dietz FS Lenckner 179 (191 f.); Naucke KritV 1990

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keine besonderen Beschränkungen angezeigt.116 Wie schwer im Einzelfall die Entscheidung auch fallen mag, das Terrain scheint durch die dichte Abstufung von allmählich entwickelten Prinzipien einigermaßen überschaubar. Keineswegs kann man das aber sagen in Bezug auf die Frage, ob immer mit Sicherheit 45 vorauszusehen ist, welche Entscheidung zugunsten und welche zuungunsten des Beschuldigten ausfällt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat es z.B. abgelehnt, in analoger Anwendung des § 168c Abs. 2 StPO auch bei der Vernehmung des Mitbeschuldigten dem Beschuldigten die Anwesenheit zu gestatten.117 Eine Rückausnahme wird nur für die missbräuchliche Belassung des Zeugen in der Rolle des Mitbeschuldigten erwogen.118 Fezer hat jedoch bereits dem Grundsatz widersprochen.119 Zwar geht der Streit nur darum, ob die allgemeinen Voraussetzungen für eine Analogie vorliegen.120 Stillschweigend wird angenommen, dass es für den Beschuldigten günstig sei, wenn er bei der Vernehmung des Mitbeschuldigten dabei ist. Indessen ist das in Einzelfällen durchaus zweifelhaft. Wenn ein Mitbeschuldigter die Tat bestreitet, der andere Mitbeschuldigte aber schon ein Geständnis abgelegt hat, kann die Konfrontation beider Mitbeschuldigten in der Verhandlung leicht dazu führen, dass der geständige Mitbeschuldigte den nichtgeständigen Beschuldigten mit Anschuldigungen konfrontiert, die seine bestreitende Position ernsthaft gefährden. Gewährt man dem geständigen Mitbeschuldigten das Recht zur Anwesenheit bei der Vernehmung des nichtgeständigen Mitbeschuldigten, so kann das also für diesen eine große Belastung bedeuten. Ein weiteres Problem wirft die Unterscheidung „zugunsten oder zuungunsten“ auf, 46 wenn nicht nur die Beschuldigten, sondern auch Zeugen oder andere Dritte in die Erwägung einbezogen werden, ob ihre Position durch eine Verfahrensmaßnahme verbessert oder verschlechtert wird. Die aus dem materiellen Strafrecht geläufige Vorstellung, dass Belastungen oder Entlastungen sich immer nur auf den Beschuldigten beziehen, muss hier verlassen werden. Die einfachste Lösung wäre, alle Fälle „zuungunsten“ gleich zu behandeln. Aber dem steht entgegen, dass eine Maßnahme oder ein Verfahrensschritt gleichzeitig zugunsten des einen Betroffenen und zuungunsten des anderen Betroffenen erfolgen kann. Im Zweifel immer für die Position des Beschuldigten einzutreten kann mit Blick auf Zeugen- und auch Opferschutz (beides ebenfalls Aufgaben des Strafprozessrechts) nicht die einzige Devise sein. Vielmehr wird es hier um schwierige Abwägungsprozesse gehen.121

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244 (253); Schünemann Nulla poena sine lege? (1978) 7 ff.; Staechelin Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat (1998) 220 ff. Relativierend zur Begrenzungsfunktion des Wortlauts aber grundsätzlich Müller/Christensen I Rn. 533 ff. Gleichwohl fällt auf, wie vorsichtig insoweit im materiellen Strafrecht gearbeitet wird, wenn man sich etwa vergegenwärtigt, mit welchen Schwierigkeiten ein Prinzip der übergesetzlichen Unzumutbarkeit anderen Verhaltens noch jenseits der Fahrlässigkeitsund Unterlassungsdelikte zu kämpfen hat, vgl. nur Schönke/Schröder/Lenckner Vor § 32, 122 ff. BVerfGE 96 68 (96); BGHSt 42 391 (393); OLG Düsseldorf StV 2003 488 (489). BGH b. Becker NStZ-RR 2002 65 (67 f.).

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Fezer JZ 1997 1019 ff.; kritisch auch Rieß NStZ 1997 353. Nach § 161a Abs. 2 S. 1 des StPO-Diskussionsentwurfs (StV 2004 233) soll dem Verteidiger auch bei der Vernehmungen von Mitbeschuldigten durch die Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Mitwirkung gegeben werden, sofern hierdurch eine Gefährdung des Untersuchungszwecks nicht zu besorgen ist. Allerdings dürfte die Ablehnung einer planwidrigen Regelungslücke wegen der Existenz eines Gesetzentwurfs frühestens ab dem in Art. 76 Abs. 1 GG genannten Zeitpunkt gerechtfertigt sein, s. auch Jahn ZStW 115 (2003) 815 (838). Auch sie können hier nicht im Einzelnen für jede Fallkonstellation fixiert werden. Die grundsätzliche Bedeutung der Opferorientie-

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dd) Analogieverbot im Strafprozessrecht. Für die den Beschuldigten belastende Ana- 47 logie ergibt sich dies ohne weiteres aus der Gleichordnung des strafrechtlichen und strafprozessualen Eingriffs. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Eingriff eine Zwangsmaßnahme im Sinne des Strafprozessrechts ist oder eine den Beschuldigten „nur“ in anderer Weise belastende Verfahrensmaßnahme.122 Auf die Frage, ob dieses Analogieverbot schon aus dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt für öffentlich-rechtliche Regelungen folgt, wie dies namentlich von der Rechtsprechung des BVerfG 123 und der verfassungsrechtlichen Kommentarliteratur 124 angenommen wird – keine Analogie zu Lasten des Grundrechtsträgers 125 –, kommt es insoweit also nicht an. Noch offensichtlicher ist das bei Zwangsmaßnahmen, die zu einer Freiheitsentziehung führen, also bei der Untersuchungshaft und der vorläufigen Festnahme. Hier ergibt sich das Analogieverbot direkt aus Art. 104 Abs. 1 GG.126 Für die den Beschuldigten nicht belastenden Maßnahmen oder Verfahrensvorgänge ist die Parallele zum materiell-strafrechtlichen Analogieverbot nicht ohne weiteres einsichtig. Hier wird man dann auf den allgemeinen Gesetzesvorbehalt zurückgreifen müssen, mit der Maßgabe, dass er im öffentlichen Recht besonders streng zu handhaben ist.127 b) Rückwirkungsverbot. Der Grundsatz der Gleichrangigkeit strafrechtlicher und 48 strafprozessualer Eingriffe muss dazu führen, das Rückwirkungsverbot auch im Strafprozessrecht durchzusetzen. Eine direkte Anknüpfung an Art. 103 Abs. 2 GG scheint dabei freilich zunächst nicht in Betracht zu kommen, denn dort ist eindeutig von der Strafbarkeit einer Tat die Rede. Eine reflektierte Wortauslegung könnte die Strafbarkeit zwar in

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rung im Strafrecht für die juristische Methodik betont aber auch Strempel FPR 1998 248 (250). S. dazu Bär 157. BVerfGE 25 269 (286 f.); 63 343 (359) sowie zuletzt – allerdings nunmehr mit dem einschränkenden Zusatz „grundsätzlich“ – BVerfGE 112 304 (315); KG NJW 1979 1668 (1669) sowie BGHSt 46 310 (318 f.); Meyer-Goßner Einl. 198; Krey JA 1983 233 (235). Vgl. dazu die Ausführungen von Bär 122 ff. mit reichhaltigen Literaturnachweisen sowie unten M 49 a. Maunz/Dürig/Schmidt-Assmann Art. 103 Abs. 2, 233; Bonn.Komm/Rüping 2 Art. 103 Abs. 2, 76 sowie Erg. unten M 49. Dieser Grundsatz ist nicht nur in der öffentlich-rechtlichen Diskussion, sondern auch im strafrechtlichen Kontext immer wieder hervorgehoben worden, vgl. etwa Amelung NJW 1977 833 (835); Bottke Jura 1987 356 (363). S. auch Krey (Gesetzesvorbehalt) 44 f.; Canaris Die Feststellung von Lücken im Gesetz2 (1983) 181 f. Das wird auch von der Rechtsprechung nicht bestritten, vgl. BVerfGE 78 374 (383); 96 68 (97). Einzelheiten gehören wiederum nicht hier-

her. Aber ergänzend ist vielleicht zu vermerken, dass das Bild, das Rechtsprechung und Literatur in Bezug auf die Frage der Zulässigkeit der Analogie im Strafverfahren bietet, sehr unübersichtlich ist. In der Literatur überwiegen die Meinungen, wonach das Analogieverbot des materiellen Strafrechts nicht auf das Strafverfahrensrecht übertragen werden dürfe (vgl. Nachweise bei Chr. Jäger GA 2006 615; Bär 72 ff.). In der Rechtsprechung wird generalisierend ebenso argumentiert (vgl. Nachweise bei Bär aaO). Daher mag es überraschen, dass in so vielen Einzelfällen die Erweiterung von Eingriffsbefugnissen abgelehnt wird (vgl. etwa BGHSt 34 39 [51]; 30 38 [41]). Die Erklärung hierfür mag darin liegen, dass in diesen Fällen die Rechtsprechung offenbar nicht die Frage des Analogieverbotes vor Augen hat, sondern den allgemeinen Gesetzesvorbehalt im öffentlichen Recht (so freilich auch ein Teil der Literatur, insbesondere Krey Gesetzesvorbehalt und Krey FS Blau 123 ff.). Im Text dürfte deutlich geworden sein, dass diese Positionen zu undifferenziert sind (einen Überblick über Regeln und Praxis des Analogieverbotes im Strafverfahrensrecht in anderen Staaten gibt Bär 158).

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dem hier skizzierten umfassenden Sinne deuten,128 und auch systematisch-teleologische Erwägungen könnten dieses Ergebnis stützen, man hätte dann jedoch mit der historischen (subjektiven wie objektiven) Ausgangsposition Schwierigkeiten 129 – unter der Voraussetzung, dass bei einer derartigen Sachlage die Konkurrenz der Auslegungskriterien, die auch für das Verfassungsrecht gelten,130 zugunsten der historischen Auslegung aufzulösen wäre. Ein dahingehender Grundsatz existiert allerdings nicht. Hinzu kommt, dass man die Auffassungen, die sich in der Gesetzgebungsgeschichte widerspiegeln, in ihrem Selbstverständnis korrigieren muss.131 Wenn der Sinn des Rückwirkungsverbots darin bestanden hat, den Bürger vor gesetzgeberischer Willkür durch eine objektive Begrenzung staatlicher Strafgewalt zu schützen, so folgt daraus, dass dieser Schutz durch das Erfordernis „allgemeiner, nicht auf bestimmte Einzelfälle rückwirkender Gesetze“ auch die Einbeziehung von Prozessgesetzen nahe legt, die den Freiheitsbereich des Betroffenen berühren.132 Wer das in dieser Allgemeinheit nicht anerkennen möchte, dem bleibt immer noch die 49 Position, es vom konkreten Einzelfall abhängig zu machen, ob Rückwirkung im Prozess möglich sei oder nicht.133 So gesehen ist also auch verfassungsrechtlich die Argumentation offen für ein teleologisches Verständnis des Eingriffscharakters der Strafverfolgung, das Prozessrecht und Strafrecht gleichermaßen im „Tat“begriff berücksichtigt. Dass man dabei ein „abgestuftes System“ der Geltung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots zum Strafverfahrensrecht befürwortet,134 ist dann nicht mehr von prinzipieller Bedeutung, zumal die Geltung des Rückwirkungsverbotes im Strafverfahrensrecht auch danach sehr weit geht; es soll erst bei den Normen der Gerichtsverfahrensorganisation enden.135 Dass demgegenüber im verfassungsrechtlichen Schrifttum die – freilich im Wesentlichen begründungslose – kategorische Ablehnung der Geltung des Rückwirkungsverbotes im Strafverfahrensrecht überwiegt,136 ist ein merkwürdiger, die mangelhafte Kooperation

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Vgl. den Tatbegriff bei Naucke (Grundlinien) passim und Marxen 345. Zur geschichtlichen Entwicklung vgl. Pföhler 185, insb. 186 ff. und speziell zur Entstehungsgeschichte des Art. 103 Abs. 2 GG BVerfGE 25 269 (287 ff.). Die These, das Bundesverfassungsgericht selbst wende, wie Bleckmann JuS 2002 942 f. meint, seinen Methodenkanon ohne Unterschied sowohl auf strafprozessuale als auch materiell-strafrechtliche Vorschriften an, bedürfte allerdings noch näherer Untersuchung. Einige Hinweise dazu finden sich nunmehr bei Simon 577 ff. S. dazu die Retrospektive bei Baumann 12 ff. Schreiber (Gesetz und Richter) 220; Schreiber ZStW 80 (1968) 366 (368); ferner SK-StGB/Rudolphi § 1, 9. Einschränkungen dieses Selbstverständnisses gibt es übrigens in Bezug auf das Beweisrecht, das zu Beginn des 19. Jahrhunderts als durchaus in den Schutzbereich des „nulla poena“-Prinzips einzubeziehen vorgeschlagen worden ist, dazu Dannecker 353.

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Dies ist auch der Standpunkt von Jakobs 4/9 und 4/57. A.A. die st. Rspr. und h.M., vgl. BVerfGE 1 4; 24 33 (55); 25 269 (287); 39 156 (167); 63 343 (359 f.); 109 13 (37); BVerfG (2. Kammer des Zweiten Senats) NJW 1992 2877 (allerdings mit dem wohl einschränkend gemeinten Zusatz „grundsätzlich“) sowie – obiter dictu – BVerfGE 109 38 (63); BGHSt 22 321 (325); 46 310 (317 f.); OLG Braunschweig NStZ-RR 2005 18 (19); BayObLG NJW 2005 1592; MeyerGoßner Einl. 203; einschr. sogl. M 49a. Jakobs aaO. Ibid. Maunz/Dürig/Schmidt-Assmann Art. 103 Abs. 2, 245; Bonn.Komm/Rüping 2 Art. 103 Abs. 2, 62; von Mangoldt/Klein/Starck/ Nolte Art. 103 Abs. 2, 168; Sachs/Battis/ Degenhart Art. 103, 59; Dreier/SchulzeFielitz (2000) Art. 103 Abs. 2, 22; SchmidtBleibtreu/Klein/Brockmeyer Art. 103, 8; Umbach/Clemens/Zierlein, Grundgesetz (2002), Art. 103, 144. An anderen Orten wird das Problem nicht einmal erwähnt, vgl. etwa von Münch/Kunig Art. 103, 31 f.

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der an der Behandlung dieses Problems beteiligten Fächer widerspiegelnder Anachronismus. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zur Verfassungs- 49a mäßigkeit des deutschen Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses zum Europäischen Haftbefehl nunmehr – wenn auch den Nichtigkeitsausspruch nicht tragend – ausdrücklich anerkannt, dass es auch im Prozessrecht Lagen geben kann, die eine Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG rechtfertigen. Zwar wird zunächst stereotyp der hergebrachte Grundsatz wiederholt, nach dem das Rückwirkungsverbot nur bei Änderungen des materiellen Strafrechts und nicht bei solchen des Verfahrensrechts gelte. Doch gerade durch ein Auslieferungsrecht, das auf die Prüfung der Strafbarkeit nach bundesdeutschem Recht zum Zeitpunkt der Begehung der Tat vollständig verzichtet und die Auslieferung nur davon abhängig macht, dass der ersuchende Mitgliedsstaat der Europäischen Union nach Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion anbieten wird, den Verfolgten auf seinen Wunsch zur Vollstreckung in den Geltungsbereich dieses Gesetzes zurückzuüberstellen, wird dieser Grundsatz offensichtlich dementiert. An die Stelle der materiell-rechtlichen Vorschriften des innerdeutschen Strafrechts tritt hier das formelle Auslieferungsrecht, durch das der ausländische Gesetzesbefehl quasi unmittelbare innerstaatliche Wirksamkeit erlangt. Die Gefahren dieser Strafbegründung durch Prozessrecht erkennt auch der 2. Senat 137 und merkt an, dass es einer materiellen rückwirkenden Rechtsänderung – so wörtlich – „gleichstehen“ könne, wenn sich ein bislang vor Auslieferung absolut geschützter Deutscher für Taten in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union verantworten muss, die keinen maßgeblichen Auslandsbezug aufweisen und zum Zeitpunkt ihrer Begehung in Deutschland straffrei waren. Etwas verzerrt wird das Bild durch die Diskussion um die rückwirkende Verlängerung 50 von Verjährungsfristen und – parallel laufend – die rückwirkende Änderung von Strafantragserfordernissen. Der Streit darüber ist einmal belastet durch die Frage, ob Verjährungsvorschriften materiellrechtlicher oder prozessrechtlicher Natur seien.138 Sind sie materiellrechtlicher Natur, so greift das Rückwirkungsverbot ohne weiteres. Dies ist freilich nur die Auffassung einer Minderheit von Autoren 139 und vor allem nicht die Auffassung der Rechtsprechung.140 Aber selbst dort, wo die Rechtsnatur der Verjährungsvorschriften im Prozessrecht lokalisiert wird, gibt es – mit Blick auf die besondere rechtsstaatliche Brisanz – Meinungen, die abweichend von dem im Verfassungsrecht vertretenen allgemeineren Grundsatz der Nichtgeltung des Rückwirkungsverbotes im Strafverfahrensrecht hier ein Rückwirkungsverbot annehmen wollen.141 In der Tat ist die Verjährung neben dem Auslieferungsrecht eine weitere für die Praxis 51 des Strafverfahrens besonders bedeutsame Schnittstelle zwischen materiellem Strafrecht

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BVerfGE 113 273 (308 ff.) m. insoweit zust. Anm. Ranft wistra 2005 361 (364 f.) widerspricht damit ausdrücklich der im Verfahren vorgetragenen Rechtsansicht der Bundesregierung. Zu den – hier nicht weiter interessierenden – Folgen für die erneute Umsetzung des Rahmenbeschlusses Buermeyer HRRS 2005 273 (281 ff.); LR/Kühne Einl F 203. I.S.d. herrschenden gemischten Theorie Tröndle/Fischer Vor § 78, 4; Beulke Rn. 8; Rudolphi NStZ 1997 489 f. m.w.N. Zur

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geschichtlichen Entwicklung des Einordnungsproblems vgl. Dannecker 324 ff. Dafür können vor allem die Ausführungen von Maiwald GA 1970 33 (38) zum Strafantragserfordernis entsprechend herangezogen werden. BVerfGE 1 418 (423); 25 269 (287); BGHSt 8 269; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999 183 sowie BGHSt 46 310 (317 f.) m. Anm. Knauth StV 2003 418 für den Strafantrag. Belege bei Pföhler Rn. 150.

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und Strafprozessrecht, die das Gemeinsame der beiden Materien noch einmal besonders deutlich macht.142 Das zeigt etwa die Diskussion um die Verlängerung der Verjährungsfristen in Bezug auf in der ehemaligen DDR begangene Taten. Das in dieser Sache vom Bundestag verabschiedete Gesetz 143 beruht zwar auf der stillschweigenden Annahme, dass es sich um Prozessrecht handele und daher das Rückwirkungsverbot des Grundgesetzes nicht gelte. In der Sache werden die Fragen dann aber doch an einen Punkt geführt, der einerseits die Tragweite des Grundsatzes der Gleichrangigkeit von strafprozessrechtlichen und materiell-strafrechtlich formulierten Eingriffen erkennen lässt, andererseits aber auch die Schwierigkeit, zu vernünftigen Abgrenzungen in politischen Übergangszeiten zu kommen. Denn selbst wenn man postuliert, dass jemand, der eine Straftat begeht, zu diesem Zeitpunkt soll wissen dürfen, wie lange er dafür verfolgt wird, erhebt sich die zusätzliche Frage, wie bei nachträglichen Unterbrechungsentscheidungen zu verfahren ist. Müssen die Gesichtspunkte, unter denen eine Unterbrechung der Verjährung angenommen werden darf, ebenfalls zum Zeitpunkt der Tat feststehen? Damit ist eine weitere wichtige Besonderheit des Rückwirkungsverbotes berührt: Es kann sowohl durch Gesetzgebungsakte wie durch Rechtspraxis verletzt werden. Da man beim Rückwirkungsverbot primär an die Gesetzgebung denkt, hat sich in Bezug auf die durch Änderungen der Rechtsprechung herbeigeführten Rückwirkungen keine spezifische Fragestellung entwickelt; vielmehr wird das Problem im Rahmen der allgemeinen Frage nach der Tragweite der Garantiefunktion des Strafgesetzes behandelt.144 Was die generelle Seite dieser Frage angeht, so ist sie hier nicht weiter zu behandeln; zum Prozessrecht indessen schon gehört die Entscheidung der Frage, ob ein Bürger, dem man im Prinzip zubilligt, im Vertrauen darauf, wann seine Tat verjähren wird, handeln zu dürfen, auch noch oder erst recht den Anspruch erheben darf, nicht zur Verantwortung gezogen zu werden, weil die politischen Veränderungen, die zur Unterbrechung der Verjährung führen, nicht innerhalb des identisch bleibenden Staates passieren, sondern dadurch, dass dieser Staat seine Justizgewalt auf einen anderen Staat, in den er gleichzeitig eintritt, überträgt. Die Frage muss hier nicht endgültig beantwortet werden. Es ist aber gerade diese politische Zuspitzung, die das zentrale Problem – wie weit ist der Kreis der den Bürger treffenden Eingriffe zu ziehen, für welche die Garantie des Art. 103 Abs. 2 GG gelten soll – besonders anschaulich macht. Was die Einzelfälle jenseits des Verjährungsproblems betrifft, so ist wiederum bei Freiheitsbeschränkungen, etwa durch rückwirkende Änderungen der Haftgründe (§ 112 Abs. 3, 112a StPO), relativ leicht prinzipielle Einigkeit zu erzielen, wenn man auch hier Art. 104 Abs. 1 GG heranzieht.145 Weniger spektakulär, aber strukturell gleichliegend sind die Fälle der rückwirkenden Einschränkung der Einstellungsmöglichkeiten. Werden sie als materiellrechtliche Lösungen beispielsweise der Bagatellkriminalität gedeutet,146 so gibt es kein Problem, weil auch hier wiederum eine Rolle spielt, dass jenseits des Deliktsystems Kriterien wie Straf-

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S. soeben M 49 a. v. 30.12.1997 (BGBl. I S. 3223). Hierzu Runte Die Veränderung von Rechtfertigungsgründen durch Rechtsprechung und Lehre (1991) 285. S. oben M 47. Merkwürdigerweise wird das Argument hier aber nicht mobilisiert (vgl.

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Jakobs 4/9). Zum sehr häufig praktisch werdenden möglichen Anwendungsbereich des Rückwirkungsverbotes bei den Antragsdelikten vgl. Dannecker 335 ff. Naucke FS Maurach 197 (206). Ebenso Braun Die Verwarnung mit Strafvorbehalt (1979) 333 ff.

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würdigkeit und Strafbedürfnis eine Rolle spielen.147 Der herrschenden Meinung entspricht das nicht.148 Auch die Abgrenzung zwischen objektiver Strafbarkeitsbedingung und Prozessvoraus- 56 setzung entscheidet – vor jeder grundsätzlichen Überlegung – die Frage nach der Rückwirkung.149 Was die Fälle angeht, in denen unstreitig ist, dass eine Prozessvoraussetzung vorliegt, so gibt es hier insofern eine Einbruchstelle in der allgemeinen Ablehnung des Rückwirkungsverbotes für das Strafprozessrecht, als die Devise ausgegeben wird, „das Zugriffsrecht des Staates auf den Täter“ dürfe „nach Begehung der Tat nicht ausgedehnt werden“.150 Mit Recht wird freilich hierzu bemerkt, aus dieser Zweckbestimmung müsse eigentlich folgen, „dass das gesamte Prozessrecht Art. 103 Abs. 2 GG“ unterliege „und Durchbrechungen im einzelnen zu legitimieren“ seien.151 Von großer Bedeutung wird in Zukunft sein, wie man mit dem Rückwirkungsverbot 57 bei der Etablierung neuer Zuständigkeiten im Bereich der internationalen Gerichtsbarkeit umgeht.152 Auch ist derzeit nicht absehbar, wie sich die jüngsten Entwicklung im Europarecht, die durch die mit dem Pupino-Beschluss 153 gestiftete rahmenbeschlusskonforme Auslegung das Verhältnis von Unionsrecht zum deutschen Straf(verfahrens)recht neu justiert, auf die Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG auswirken wird.154 Eine besonders wichtige, zukunftsträchtige Position im Rahmen der Diskussion über 58 das strafprozessuale Rückwirkungsverbot bildet das Beweisrecht.155 Hier geht es vor allem um die nachträgliche Verschärfung von Beweisverboten oder die Einführung von Beweisvermutungen.156 Als entscheidendes Kriterium wird angeführt, ob die einschlägigen gesetzlichen Regelungen als „Neubewertung der Tat“ zu verstehen sind.157 Für die hier eingenommene Position bedarf es dieser zusätzlichen Bewertung nicht. Was die Beweisvermutungen angeht, so haben sie vor allem das Problem der nachträglichen Veränderung der Promille-Grenze hervorgebracht. Wer hier freilich eine materiellrechtlich zu entscheidende Frage sieht, kann das Rückwirkungsverbot unter keinen Umständen beiseite schieben.158 Da die herrschende Meinung diesen Weg allerdings nicht geht, muss auch insoweit die prinzipielle Frage nach Rückwirkung prozessrechtlicher Vorschriften gestellt werden.159

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Über diese Schiene lösen Peters ZStW 68 (1956) 396 und Cramer FS Maurach 490 ff. das Problem. S. die Belege bei Dannecker 345 ff. Vgl. dazu Dannecker 318 ff. Jakobs 4/9; Schreiber ZStW 80 (1968) 366; Krahl Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (1986) 74. Dannecker 321. Vgl. Ambos Zur Bekämpfung der Makrokriminalität durch eine supranationale Strafgerichtsbarkeit, in: Lüderssen (Hrsg.), Aufgeklärte Kriminalpolitik oder der Kampf gegen das „Böse“ III (1998) 377 ff. Werle Rückwirkungsverbot und Staatskriminalität NJW 2001 3001 (3006 ff.); jedenfalls zur Geltung des Art. 7 Abs. 1 EMRK im Verfahrensrecht abl. LR/Gollwitzer 25 Art. 7 EMRK, 15.

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EuGH NJW 2005 2839 m. scharf abl. Anm. Hillgruber JZ 2005 838; zurückhaltender Masing NJW 2006 264 (267 f.); Gärditz/ Gusy GA 2006 225 (237). Siehe Wehnert NJW 2005 3760 ff. Dannecker 353 ff. Dannecker 356 ff. Dannecker 356 ff. Vgl. Dannecker 360. Der Gesetzgeber hat das Problem offen gelassen (Dannecker 360), so dass die oben (M 49) getroffene Feststellung, die rückwirkende Änderung durch Rechtsprechung spiele im Strafprozessrecht keine besondere Rolle, insofern eine Einschränkung erfahren muss.

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c) In dubio pro reo. Anders als beim Analogieverbot und beim Rückwirkungsverbot gibt es hier keine direkte verfassungsrechtliche Anknüpfung.160 Gleichwohl werden selten ausdrückliche Begründungen gegeben. Es handelt sich um eine Maxime des Prozessrechts, genauer des Beweisrechts 161, die primär für die Anwendung des materiellen Rechts gilt. Da das Prozessrecht den Nachweis der Schuld des Angeklagten erfordert, genügt das, was unterhalb der nach menschlichem Ermessen erzielbaren Überzeugung von der Schuld liegt, nicht für die Verurteilung.162 Das heißt, von mehreren Sachverhalten, die bei dieser Sachlage möglich erscheinen, wird für die Entscheidung von dem Sachverhalt ausgegangen, der für den Angeklagten am günstigsten ist.163 Materiellrechtlich ist die Schuld (im Sinne der Erfüllung sämtlicher Deliktsvoraussetzungen) die maßgebende Grundlage für die Bestrafung. Sieht man im Zusammenwirken der Rechtsgebiete die Voraussetzungen für die Bestrafung, das heißt im Strafprozessrecht nicht nur eine dienende zusätzliche Bedingung für die Realisierung des materiellen Strafrechts, so müssen die Sachverhalte, die für das Vorliegen der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen einer Verurteilung gegeben sein müssen, genauso behandelt werden wie die Sachverhalte, die zum Schuldnachweis führen. Danach müsste der Rechtssatz in dubio pro reo in seiner Geltung also auch auf das Strafprozessrecht erstreckt werden. Auf der Basis der Trennung von materiellem Strafrecht und Prozessrecht müsste die 60 herrschende Lehre eigentlich die Anwendbarkeit des Satzes in dubio pro reo für das Strafprozessrecht kategorisch ablehnen. Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr wird differenziert, wobei freilich im Einzelnen vieles kontrovers bleibt. Die Hauptanwendungsfälle sind: Prozessvoraussetzungen und Verfahrenshindernisse 164 (mit dem Sonderfall der Verjährung), die Voraussetzungen für die Einlegung von Rechtsmitteln, der Nachweis von Verfahrensfehlern.165 Für die Prozessvoraussetzungen etc. hat sich eine einheitliche Linie in der Rechtspre61 chung noch nicht durchgesetzt; vielmehr ist nach Auffassung des Bundesgerichtshofs von Fall zu Fall zu entscheiden. Ein Grundsatz ist nicht erkennbar,166 obwohl die prinzipielle 160

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Zusf. T. Walter JZ 2006 340 (344 f.). Bekanntlich lässt BVerfG NJW 1988 477 die Frage ausdrücklich offen. Vgl. BVerfGE 9 167 (170); 63 380 (392). Zweifel an dieser Deutung des „in dubio pro reo“-Satzes entwickelt Michael 17 ff.; dort auch ausführlicher Bericht über die geschichtliche Entwicklung, mit weiteren Belegen; über die kriminalpolitische Funktion des Satzes vgl. Arzt; s. auch LR/Kühne Einl. I 48 f. So gesehen ist „in dubio pro reo“ eine Ausprägung der Unschuldsvermutung und dann doch über Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich fundiert, vgl. BVerfGE 63 380 (392) und die in BVerfGE 101 106 (118) mitgeteilte Rechtsansicht. Aus Sicht der Erkenntnistheorie zur Regelung des § 261 StPO Engländer in: Alexy (Hrsg.), Juristische Grundlagenforschung (ARSP-Beih. 104) 85 (98). Roxin § 15, 31. Dazu ausführlich LR/Rieß 25 § 206a, 28 ff.; s. auch LR/Kühne Einl. I 51 ff.

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Eher am Rande liegen die von Wasserburg ZStW 94 (1983) 914 ff. erörterten Konstellationen. So wird einerseits in den Fällen, in denen nicht klar ist, ob die Tat vor oder nach dem Stichtag eines Straffreiheitsgesetzes begangen ist, das Straffreiheitsgesetz nicht angewendet (Nachweise bei Sarstedt/Hamm Rn. 396 Fußn. 807), andererseits bei Zweifeln darüber, ob die Strafklage verbraucht ist, zugunsten des Angeklagten entschieden (Nachweise wiederum bei Sarstedt/Hamm Rn. 398 Fußn. 816); vgl. im Übrigen die umfassende Orientierung bei LR/Rieß 25 § 206a, 28 ff. mit weit. Nachw. Ebenso ist die Tendenz bei der Frage, ob der Strafantrag rechtzeitig gestellt ist (vgl. die Belege bei Michael 23 f. sowie Rödig 311 ff.; Dannecker 335 ff.); s. ferner Montenbruck In dubio pro reo aus normtheoretischer, straf- und strafverfahrensrechtlicher Sicht (1985) 12 ff. und umfassend Zopfs.

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Trennung von materiellem Strafrecht und Prozessrecht, wie sie in der Praxis noch vorherrscht, hier eigentlich die Lösung vorzeichnet. Was speziell die Verjährung angeht, so gleichen hier die Argumente denen, die für die Geltung des Rückwirkungsverbotes vorgetragen werden. Bei der Beurteilung der verbleibenden Teilgruppen gibt es die schon im Rahmen der 62 Erörterung des Analogieverbots aufgetretenen Komplikationen. Dies gilt sowohl nach der Seite der Adressaten 167 hin wie in Bezug auf die Frage, ob über „zugunsten oder zuungunsten“ klare Antizipationen möglich sind.168 Auch in der Sache gehen die Meinungen auseinander, ohne dass grundsätzliche Unterschiede in der Konzeption des Verhältnisses von materiellem Strafrecht und Prozessrecht sichtbar werden.169 Ein besonderes Problem ist – im Bereich des Ermittlungsverfahrens – die Geltung des „in dubio“-Satzes in Hinblick auf den Verdacht. Zwei Ansatzpunkte bestehen dafür: – Die prognostische Komponente des Verdachtsurteils (bereits ein Anfangsverdacht liegt 63 dann nicht vor, wenn es – prognostisch – aussichtslos ist, das Verfahren zum Abschluss zu bringen, beispielsweise weil eine entscheidende, aber zweifelhafte Tatsache wegen des „in dubio“-Satzes am Ende der Beweisaufnahme nicht herangezogen werden darf). – Das Verdachtsurteil besteht aus sog. Anknüpfungstatsachen und einem Schluss- 64 element. Für diese Tatsachen ist Gewissheit zu fordern,170 die – natürlich – nur im 167

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So meinen Sarstedt/Hamm (Rn. 399), dass das in dubio im Falle der Nichtaufklärbarkeit einer versäumten Frist dem Beschwerdeführer zugute kommen müsste. Sarstedt/Hamm aaO bilden den Fall, dass die Staatsanwaltschaft mit der Rüge, ein Schöffe habe geschlafen, die Revision zuungunsten des Angeklagten einlege. Da die Revision der Staatsanwaltschaft, auch wenn sie zuungunsten des Angeklagten eingelegt sei, zu seinen Gunsten wirken kann (§ 301 StPO), stellt sich das Problem der Voraussage. „Der schlafende Schöffe kann ebensogut etwas entscheidend Günstiges wie etwas Ungünstiges verschlafen haben.“ Der Revisionsrichter könne also gar nicht wissen, ob die Verwerfung der Revision oder die Aufhebung des Urteils „pro reo“ wirken werde. Die Problematik ist bereits von Sax 167 scharf erfasst worden, der sie auf die folgende allgemeine Formel bringt: „Für den Unschuldigen ist diejenige prozessuale Zweifelslösung günstiger, die ihm den Verfahrensfortgang und damit die Möglichkeit offenhält, seine Unschuld durch Gerichtsurteile ausdrücklich festgestellt zu erhalten. Für den Schuldigen dagegen ist jede Lösung günstiger, durch die ein Strafverfahren überhaupt verhindert, ein bereits eingeleitetes Verfahren angehalten oder abgebrochen, jedenfalls nicht bis zur rechtskräftigen Verurteilung zur Strafe durchgeführt wird, denn solange sie aussteht, gilt er als unschuldig.“

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Das belegt etwa die berechtigte Kritik an der Rechtsprechung, wonach, wenn ein Angeklagter seine Revision darauf stütze, dass ihm eine Aussage durch Misshandlungen (§ 136a StPO) abgezwungen worden sei, contra reum zu entscheiden sei (so i. Erg. BGHSt 16 164 [166 f]; 44 129 [138]; OLG Hamburg NJW 2005 2326 [2329 f.] sowie Meyer-Goßner § 136a, 33). Mit Rücksicht auf Art. 1 Abs. 1 GG einerseits und Art. 19 Abs. 4 GG andererseits ist daher die Auffassung (LR/Hanack 25 136a, 69; AK/Kühne § 136a, 78; Roxin § 16, 40; Eisenberg, Beweisrecht Rn. 708; Jahn JuS 2005 1057 [1062]; Noak Jura 2004 539 [540]) vorzuziehen, nach der der Beweis des Verfahrensverstoßes schon dann erbracht ist, wenn aus Gründen, die in der Sphäre der Justiz liegen, die Vermutung der Rechtmäßigkeit und Justizförmigkeit des staatlichen Verfahrens durch feststellbare verdächtige Umstände ernsthaft erschüttert ist. Weitere Zweifelsfälle bei Sarstedt/Hamm Rn. 400. LR/Hilger 25 § 112, 22; LR/Lüderssen 25 § 138a, 17; SK/Rudolphi § 100a, 11 f.; KMR/Müller § 112, 15, 7; AK/Deckers § 112, 23; Schlothauer/Weider Rn. 245; nach Verdachtsgraden differenzierend L. Schulz 566 ff. anders selbst beim dringenden Verdacht SK/Paeffgen § 112, 30 im Kontext der Verdunkelungsgefahr, offengelassen bei Meyer-Goßner § 112, 7 (verneinend allerdings in Hinblick auf die Tatsachen-

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Freibeweis erreicht werden kann. Das Problem besteht freilich auch dann, wenn man beim Anfangsverdacht eine (hohe) Wahrscheinlichkeit der Anknüpfungstatsachen genügen lässt. Jedenfalls für den dringenden Verdacht ist eine evidente Tatsachenbasis zu fordern, vermutlich auch für jeden gesteigerten Verdacht (gerade die Figur des Verdachts aufgrund „bestimmter“ Tatsachen legt die Forderung nahe).171 Ist der „in dubio pro reo“-Satz auf eben diese Tatsachenbasis beziehbar? Der Natur der Sache nach lässt sich das nicht ausschließen, doch wäre das erst zu begründen. Näher liegt es zu fragen, ob der „in dubio pro reo“-Satz auf das Verdachtsurteil insgesamt anwendbar ist. Das ist aber, weil der Verdacht gerade dem Bestehen eines Zweifels Ausdruck gibt, kaum denkbar, weil damit die zu Lasten des Betroffenen gehende Verdachtsbildung prinzipiell ausgeschlossen wäre. Zu gewährleisten ist freilich, dass der „in dubio“-Satz auf der Ebene der Anknüpfungstatsachen nicht unterlaufen wird.

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Die Anwendbarkeit des „in dubio pro reo“-Satzes kann ganz sicher nicht davon abhängig gemacht werden, ob es um Strengbeweis oder um Freibeweis geht. „Denn auch der Freibeweis ergibt nicht immer Gewissheit im einen oder anderen Sinne“.172 Sucht man gewissermaßen unterhalb der Linie, die durch die Einheit von materiell-strafrechtlichem und strafprozessualem Eingriff gezogen ist, ein gemeinsames Prinzip, so ist es, ebenso wie schon beim Analogieverbot festgestellt werden konnte (dort mit Blick auf die Bedeutung des Art. 104 GG), der direkte Verfassungsbezug, der eine Erweiterung der rein materiellstrafrechtlichen Betrachtungsweise erzwingt.173 Da die Einheit von materiellem Strafrecht und Strafprozessrecht ihrerseits Ausdruck eines an der Verfassung orientierten Verständnisses der Relevanz von Eingriffen in die Sphäre des von der Strafverfolgung Betroffenen ist, könnte dies ein Schritt sein auf einem Wege, der schließlich zur Anerkennung der hier vertretenen grundsätzlichen Position führt.

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d) Wahlfeststellung. Die Erörterungen darüber, ob diese Rechtsfigur 174 in das Prozessrecht zu übernehmen sei, sind verhältnismäßig neu.175 Der Fall, für den der Bundesgerichtshof die Frage geprüft hat, bezog sich auf Unsicherheiten der Reproduktion einer den Angeklagten entlastenden Zeugenaussage aus dem Ermittlungsverfahren. Es konnte nicht aufgeklärt werden, ob es insoweit einen Vorhalt in der Hauptverhandlung gegeben hat oder ob bei der Beweiswürdigung dieser Vorhalt, wenn er stattgefunden hat, nicht berücksichtigt worden ist, das heißt, es war entweder eine Aufklärungsrüge nach § 244 Abs. 2 StPO begründet oder eine auf mangelhafte Beweiswürdigung gestützte Rüge nach § 261 StPO. Der BGH hat in diesem konkreten Falle die prozessuale Wahlfeststellung allerdings nicht gelten lassen, weil sie auf eine unzulässige Rüge der Aktenwidrigkeit hinauslaufe.176 Neuere Entscheidungen lassen die „Alternativrüge“ zur Aufklärung essentieller, nicht erklärlicher Widersprüche zwischen Urteil und Akteninhalt dann zu, wenn zur Feststellung ihrer Begründetheit eine Rekonstruktion der tatrichterlichen Hauptverhandlung nicht erforderlich ist; wenn also das Revisionsgericht (durch Rückgriff auf bei den Akten befindliche objektive Grundlagen, wie etwa Urkunden und Abbildungen) den geltend gemachten Rechtsfehler ohne weiteres feststellen kann.177

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basis bei den Haftgründen Meyer-Goßner § 112, 22, 28). So L. Schulz aaO; für die abw. Ansicht siehe die vorstehenden Nachweise. Ibid. Vgl. die Hinweise oben M 20, 49a. Grundlegende Informationen bei Wolter Wahlfeststellung und in dubio pro reo

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(1987); Montenbruck Wahlfeststellung und Werttypus (1976); Beulke/Fahl Jura 1998 262. Vgl. Ziegert StV 1996 279; s. aber auch schon Wolter aaO 130 ff. BGH NJW 1992 2840 f. Siehe BGHSt 43 212 (214). In der Literatur wird auch diese Kompromisslinie noch als

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Ob diese Argumentation zutrifft oder nicht, ist hier nicht zu entscheiden; vielmehr 67 geht es nur um die Frage, ob – parallel zum materiellen Strafrecht – eine derartig geltungserweiternde Rechtssatzkonkretisierung für zulässig erklärt werden soll. Mit Blick auf die aus dem Systemzusammenhang sich ergebenden Gerechtigkeitspostulate, die freilich unter dem Aspekt der Normbestimmtheit nur in engen Grenzen zu berücksichtigen sind, könnte man das befürworten. Hier treffen Erwägungen sowohl aus dem Analogieprinzip wie aus dem Satz „in dubio pro reo“ zusammen. Tatsächliche Zweifel sollen sich in dem Sinne zugunsten des Beschuldigten auswirken, dass über den Wortlaut der Vorschriften hinaus eine ihm günstige Regelung angewandt wird. Mit anderen Worten: Die bei jeder Analogie auftauchende Frage, zugunsten oder zuungunsten, ist es nicht, die hier zu entscheiden ist; denn bei der Analogie geht es um die Produktion einer für den Angeklagten günstigen oder ungünstigen Rechtsnorm, wofür der Satz in dubio pro reo „gerade nicht zur Verfügung steht“.178 Analogien zuungunsten des Beschuldigten sind im Prinzip auszuschließen.179 Um so mehr wird man, wenn an „zugunsten oder zuungunsten“ in tatsächlicher Hinsicht Zweifel bestehen, die gleiche Tendenz verfolgen müssen.180 3. Anwendung a) Allgemeines. In der allgemeinen Rechtslehre ist damit das Stichwort für die Sub- 68 sumtion benannt. Steht der Obersatz fest, wird der Sachverhalt als Untersatz daruntergeschrieben und dann im Wege des Syllogismus festgestellt, ob der Obersatz (eine Regel) den Untersatz (einen Fall) erfasst. Das ist ein deduktiv-analytischer Schluss, den man leicht nachvollziehen, aber keineswegs problemlos analysieren kann. Hier waltet nicht ein logischer Automatismus; vielmehr geht es um wechselseitige Annäherungen von Obersatz und Untersatz im Wege einer analogisierenden Betrachtung, die irgendwann – bei sich einstellender Evidenz – abgebrochen wird.181 Steht der Sachverhalt fest, um dessen Subsumtion es geht, so stellen sich für das Straf- 69 prozessrecht keine anderen Probleme als für andere Rechtssätze auch, so dass an dieser Stelle nichts Zusätzliches zu bemerken ist. Da es aber zu den Aufgaben des Strafprozesses gehört, den Sachverhalt überhaupt erst einmal zu fixieren, ergeben sich methodologische Probleme der Rechtsanwendung, die im materiellen Recht nicht auftauchen.182 Sie

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181

zu eng empfunden (KK/Kuckein § 337, 26a; ausf. Bauer NStZ 2000 72 ff.). Roxin § 15, 41. S. aber auch die besonderen Konstellationen bei schwerer Antizipation dieser Frage und die Abwägungsproblematik bei Rücksichtnahme auf andere Adressaten als die Angeklagten; zu einer parallelen Problematik F. Herzog StV 1999 455 (457). S. oben M 43; vgl. aber auch insoweit die Problematik der Antizipation und der Abwägung bei mehreren Adressaten. Am überzeugendsten immer noch nachzulesen bei Arthur Kaufmann (Analogie); umfassende Orientierung jetzt bei Bung 23 ff.; s. auch L. Schulz in: Liu (Hrsg.), Wertpluralismus, Toleranz und Recht (GedS Arthur Kaufmann) (2004) 1 ff. Darüber,

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dass es, denkt man die Subsumtion zu Ende, nicht den Ermessensspielraum gibt, den man zunächst vermutet, sondern alle Konkretisierungen, die schließlich zur Konkordanz von Ober- und Untersatz führen, sich im Obersatz abspielen, Lüderssen Kriminologie (1984) Rn. 227. Übersicht über die abweichenden Deutungen des richterlichen Begründungsprozesses bei Christensen/Kudlich 127 ff. (dazu Jahn JA 1998 518); Rüthers Rn. 681 ff. Damit mag es zusammenhängen, dass sie auch in der allgemeinen Methodenliteratur kaum vorkommen, vgl. aber immerhin: Koch/Rüßmann 271 ff.; Rüthers Rn. 669 ff. Ein zentrales Anwendungsproblem behandelt insoweit aber Hilgendorf FS Lenckner (1998) 699.

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sind kompliziert, denn die Regeln des Strafprozessrechts geben die Ziele der Sachverhaltsfixierung zwar vor, sind ihrerseits aber auch durch die faktischen Bedingungen der Sachverhaltsfixierung determiniert; man kann insoweit von einer kriminalistischen Induktion der Strafprozessrechtsnormen sprechen. Insofern ist das Zustandekommen des Untersatzes – des Sachverhaltes – ein kreativer Bestandteil der Rechtsanwendung im Strafprozess, der über die Rechtsanwendung in anderen Rechtsgebieten hinausgeht.183 Im Einzelnen sind drei Funktionen zu unterscheiden: – Die Fixierung von Sachverhalten wird einem normativen Programm unterworfen. – Das normative Programm ist durch die faktischen Zwänge der Sachverhaltsfixierung determiniert. – Die Methoden der Sachverhaltsfixierung.

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Feststellung oder Zuschreibung oder beides in einer schwer entwirrbaren Mischung sind die Wege, auf denen man sich der Fixierung des Sachverhaltes nähert. Die erkenntnistheoretischen, rechtstheoretischen, kriminalsoziologischen Einsichten und kritischen Postulate, die es dazu gibt, sind mannigfach und können hier nicht ausgebreitet werden.184 Unstreitig ist, dass diese verschiedenen Konzepte mit dem, was das Strafprozessrecht unter Beweis versteht, harmonisiert werden müssen. Wie weit die klassischen Kriterien der Auslegung den Beurteilungsspielraum hier öffnen, muss an dieser Stelle offen bleiben; nicht übersehen kann man freilich, dass die Beweismittel der StPO durchgehend von der Möglichkeit der Feststellung ausgehen, interaktionistische oder konstruktivistische Zuschreibungsprozesse 185 oder Diskursmodelle 186, wie sie die Verfahrenssoziologie entwickelt hat, nach ihrer Entstehungsgeschichte nicht kennt und auch in der Praxis der teleologischen Auslegung heute noch nicht ausreichend berücksichtigt.187 Gleichwohl sind von dem Spielraum, der sich für die Sachverhaltsfixierung angesichts 71 dieser verschiedenen Konzeptionen ergibt, sowohl Tragweite und Intensität des deduktivanalytisch zu ermittelnden normativen Auftrags zur Sachverhaltsfixierung wie auch das Ausmaß der induktiven Funktion der Sachverhaltsfixierungen für die Ausgestaltung jenes 183

184

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Vergleichbar ist die Lage natürlich in anderen Prozessrechten; indessen wird das dort nicht sehr intensiv reflektiert, vgl. dazu bereits die Hinweise oben M 1 a, 34. Vgl. zunächst die Ausgangspunkte bei Lüderssen Kriminologie (1984) Rn. 646 ff.; s. ferner Lüderssen FS Schreiber, 289 (298 ff.). Vgl. dazu Eder ZfRSoz 1986 1 ff.; s. ferner bereits oben M 30. Bejahend zur praktischen Anwendung auf der rechtstheoretischen Grundlage der Diskurslehre von Habermas und Alexy aber Jahn GA 2004 272 (280 ff.); Jahn ZStW 118 (2006) 427 (455 ff.); Tscherwinka Absprachen im Strafprozeß (1995) 46; kritisch oder abl. demgegenüber Radtke FS Schreiber 375 (385); Neumann Rechtstheorie 27 (1996) 415 (417 ff.); Arthur Kaufmann (Diskurs) 15 ff.; Volk (Wahrheit) 15 ff.; Weßlau 92 ff.; Engländer Diskurs als Rechtsquelle? (2002) 150 f.; R. Hoffmann 186 ff.; Christensen/

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Kudlich 91 f.; Schaper 174 ff.; Stamp 49; AK/Wassermann Einl. II 18 sowie aus (der sowohl gegenüber den Kritikern als auch der Diskurslehre eigenständigen) Perspektive der Rechtslinguistik Seibert 106 ff.; L. Hoffmann in: ders. (Hrsg.), Rechtsdiskurse 165 (193 f.) Freilich ist die gesamte, auch gerade die einschlägige juristische Diskussion damit belastet, dass sie den Tatsachen geltende Interaktionen und Diskurse nicht scharf genug von den bewertenden trennt, s. dazu Lüderssen Genesis und Geltung in der Jurisprudenz (1996) 176 ff.; Lüderssen StV 1990 415 (418). Vorsichtige Annäherungen an das Problem freilich bei Herdegen JZ 1998 53 (54); s. auch Freund mit Akzentuierung auf das Ermitteln „subjektiver Tatsachen“ (ähnlich wohl auch Gössel 19; Eicker 89 f.), s. auch schon Jäger 173 ff.; weiter ausgreifend Stein Rudolphi-Symp. 233 ff. und Volk FS Salger 411. Zusammenfassend Stamp 208 ff.

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Zur Methode der Rechtsanwendung im Strafverfahren

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normativen Auftrages abhängig. Deshalb gehören die Methoden der Sachverhaltsfixierung, die für sich genommen im empirischen Bereich der Kriminalistik liegen, auch zur Rechtsanwendung im Strafprozess. Die Rechtssätze, die darüber entscheiden, unter welchen Voraussetzungen in Ermittlungsverfahren ein Verdacht angenommen werden kann, in der Hauptverhandlung die Tat bewiesen, in der Rechtsmittelinstanz eine Tatsachenfeststellung (sei es direkt – Berufung – oder indirekt – Revision) kritisiert werden kann, also die Vorschriften, welche betreffen – die Einleitung des Ermittlungsverfahrens, die Vernehmung des Beschuldigten, Durchsuchungen, körperliche Untersuchungen oder (unter gesteigerten Voraussetzungen) Anklageerhebung oder (sogar) Anordnung und Vollzug der Untersuchungshaft, Ausschluss des Verteidigers, – die Verurteilung, – die Aufhebung einer erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung, haben einen mehr oder weniger großen Geltungsbereich, je nachdem, welche Spielräume bei der Fixierung der Sachverhalte bestehen.188 Das bedeutet mehr als nur die selbstverständliche Bindung jeder Norm an ihre Anwendbarkeit – bis zur Grenze der Obsoleszenz. Denn vom Normalfall der Anwendbarkeit, der zur Existenz jeder Rechtsvorschrift gehört, unterscheiden sich die hier interessierenden Strafprozessrechtsnormen durch die ihnen zugewiesene Aufgabe der Sachverhaltsfixierung. b) Verfahrensabschnitte aa) Hauptverfahren. In der Strafprozessrechtspraxis und -wissenschaft ist die Sach- 72 verhaltsfixierung Thema nur insoweit, als es um das Beweisverfahren in der Hauptverhandlung geht. Zwar ist es unter der Devise „Entzauberung der materiellen Wahrheit“ allgemeine Meinung, dass deren Bedingungen den höchsten Grad der Bestätigung – die objektive Wahrheit – ausschließen, „weil dem Tatgericht das Instrumentarium einer solchen Bestätigung – Basissätze, deduktive Schlüsse, methodische Beobachtung, exakte experimentelle Erprobung – nicht oder nur ausnahmsweise zur Verfügung steht“,189 doch das bedeutet nur den Rückzug auf die Wahrscheinlichkeit, bleibt also im Rahmen eines auf Feststellung gerichteten Konzepts. Ob sich daran unter dem Eindruck von epistemologischer Skepsis getragener forensisch-psychologischer Forschung etwas ändern wird, ist schwer zu beurteilen.190 Das gleiche gilt für den Komplex der Überprüfung von Tatsachenfeststellungen durch die Revisionsgerichte 191 und im Wiederaufnahmeverfahren.192 188

Hierher gehören Entwicklungen wie etwa der gezielte V-Mann-Einsatz unter Umgehung der §§ 52, 136 Abs. 1, 252 StPO, Verwertung heimlich herbeigeführter Stimmenvergleiche unter Negation des nemo tenetur-Satzes, Überkreuzverwertungen unter Reduktion des Anwendungsbereichs der §§ 163a Abs. 4, 136 Abs. 1 S. 2 StPO, die Selektion der Wahrheit durch die Exekutive über Aussageverweigerungen für Zeugen (§ 54 StPO) sowie – auch und gerade – die strafprozessuale Vereinbarung. Die Beispiele ließen sich mehren, vgl. dazu bereits (mit Folgerungen für die Verfahrensbeteilig-

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ten) LR/Lüderssen 25 Vor § 137, 92; Jahn »Konfliktverteidigung« und Inquisitionsmaxime (1998) 191. Herdegen 155 mit Nachw.; s. aber auch schon Krauss 411 ff.; ferner Schild; Schünemann FS-Pfeiffer 461 (475). Vgl. aber immerhin die viele Hintergründe ausleuchtende Anmerkung von Herdegen JZ 1998 54. S. dazu ebenfalls aber Herdegen; ferner Schünemann Die vier Stufen der Rechtsgewinnung, exemplifiziert am strafrechtlichen Revisionsrecht (1975, ungedr. Habil.Schrift); Honel Die Abgrenzung von Rechts-

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Einleitung

73

bb) Ermittlungsverfahren. Anders sieht es aus im Ermittlungsverfahren. Hier hat es an strafprozessrechtlicher Erörterung der Voraussetzungen für die Fixierung eines Verdachtes immer gefehlt; es gab und gibt in der Praxis nur den allgemeinen Hinweis auf die polizeiliche Erfahrung.193 Um so mehr hat die Kriminalsoziologie geleistet.194 Neuerdings bemüht sich auch eine philosophisch-soziologische Richtung sinnstrukturorientierter Hermeneutik um die Aufklärung dieser – zweifellos auch mit Verstehen und nicht nur Feststellen oder Zuschreiben – verbundenen Vorgänge.195 Diese Diskrepanz zwischen juristischen und soziologischen Forschungsinteressen hat wahrscheinlich zwei miteinander zusammenhängende Gründe. Das Defizit der juristischen Forschung beruht darauf, dass Entscheidungen im Ermittlungsverfahren nur selten und dann auch nur oberflächlich überprüft werden, und das hat etwas zu tun mit dem defizitären Zustand des Rechtsmittelsystems im Ermittlungsverfahren.196 Das zeigen auch die Begründungsanforderungen: Solange beispielsweise der Begriff des Verdachts – anders als im Verwaltungsrecht – als unbestimmter Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum qualifiziert wird, sind Begründungsdefizite programmiert. Dieser Zustand ist um so unverständlicher, als die allgemeine Methodenlehre sich des Phänomens der vertretbaren Entscheidungen bereits seit längerem angenommen hat.197 Die Verdachtsprüfung im Strafverfahren hat jedoch mit den subtilen Unterscheidung der im Verwaltungsrecht seit langem etablierten Dogmatik nicht Schritt gehalten. Eine Neuorientierung könnte aber mit der Entscheidung zur Justitiabilität des Rechtsbegriffs Gefahr im Verzug beginnen, wo ausgeführt wird, dass allein die prognostischen Elemente des Gefahrbegriffs nicht schon von sich aus eine Kontrollbeschränkung der Gerichte zu rechtfertigen vermögen.198 Die begründungsarme und daher schematisch verfahrende Praxis war es auch hier, die das soziologische Interesse an den juristisch definierten, aber durchaus ins öffentliche Bewusstsein tretenden Vorgängen ausgelöst hat.

74

c) Perzeption bestimmter Beweistatsachen. Vergleichbares kann man für einen weiteren Bereich durch Rechtssätze vorgegebener Aufgaben der Tatsachenermittlung im

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194

und Tatfrage in der Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs, Diss. Frankfurt (1989); Kuhlen in: Alexy/Koch/ Kuhlen/Rüßmann 323 ff. sowie aus der allgemeinen Methodenlehre Vogel 17; Schapp 26 ff.; Zippelius 91 ff. v. Stackelberg FS Peters II 453 ff. Vgl. BVerfG (Vorprüfungsausschuss) NJW 1984 1451 (1452); BVerfG (Vorprüfungsausschuss) NStZ 1982 430 m. Anm. Kuhlmann NStZ 1983 130; BerlVerfGH JR 2000 317 (318) m. Anm. Jahn. Weiterführend Kühne Rn. 325. Beginnend mit den Untersuchungen von Fest und Lautermann, fortgesetzt mit den Arbeiten von Sessar und Blankenburg und schließlich von Steffen (vgl. dazu die Hinweise bei Lüderssen in: Lüderssen/Sack, Abweichendes Verhalten Bd. III 83 ff.); s. ferner Naucke (Tatverdacht) 293 ff.; Lüderssen Kriminologie (1984) Rn. 649 ff.;

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Lohner Der Tatverdacht im Ermittlungsverfahren (1994) 149 ff.; Eisenberg/Conen NJW 1998 2241 (2245); Schlachetzki Die Polizei – Herrin des Strafverfahrens? (2003) 45 ff.; G. Haas Vorermittlungen und Anfangsverdacht (2003) 64 ff. Vgl. Oevermann 135 ff.; ferner Reichertz; Papacharalambous Rechtstheorie 24 (1993) 353 (357 ff.). Umfassende, auch historische Orientierung bei L. Schulz 623 ff. Vgl. dazu Hamm AnwBl. 1986 66; Nagel StV 2001 185 (192); Beckemper NStZ 1999 221 (222 ff.); AK/Schöch Vor § 158, 24; SK/Wohlers § 160, 102. Vgl. die Nachw. bei Zippelius 100 ff. BVerfGE 103 142 (157); s. kritisch bereits Störmer ZStW 108 (1996), 494 (512 ff.) sowie SK/Weßlau § 152, 56; L. Schulz StraFo 2003 295 ff.; Bernsmann NStZ 1995 512 f.; A. Ebert Der Tatverdacht im Strafverfahren (2000) 54 f.

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Zur Methode der Rechtsanwendung im Strafverfahren

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Strafverfahren – gemeint sind die Voraussetzungen für Resozialisierungs-Prognosen 199, für Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit 200, Echtheit und Inhalt von Urkunden, Überzeugungskraft des Augenscheins – sagen.201 Allerdings ist hier die Vorarbeit der Juristen stärker, weil das Thema vor allem über die Notwendigkeit der Sachverständigenbestellung rechtzeitig in den Blick gekommen ist. Für die Einzelheiten muss jeweils auf die einschlägigen Vorschriften und deren Kommentierungen verwiesen werden.

IV. Zusammenfassung und Ausblick: ein erweiterter Methodenbegriff Eigentlich geht es um „Methoden im Strafprozess“ – und das ist eine bewusste Mehr- 75 deutigkeit. Denn Methoden, die im Strafprozess angewendet werden, sind ja sowohl solche, die die Ermittlungen initiieren, antreiben und zum Ende bringen, also etwas – prima vista – Faktisches, wie die der Rechtsanwendung, also der Konkretisierung der Strafprozessrechtssätze.202 Freilich ist diese Anwendung durch den Zweck des Prozesses (mit) bestimmt – hier gibt es also wieder eine Verbindung, und dabei erhebt sich sogar eine Prioritätsfrage. Determinieren die – kriminalistischen – Zwecke die Rechtssätze und damit deren Anwendung oder schränkt der Rahmen des Rechts, der vorgegeben ist, die Zwecke nicht nur (von vornherein oder im Laufe der Entwicklung) ein, sondern bringt sie erst hervor. Das rührt an die Genese jeden Rechtssatzes. Es handelt sich um ein dialektisch zu begreifendes Phänomen, dessen Ursprünge sich im Dunkeln verlieren, für uns am sinnfälligsten demonstriert durch das Verhältnis von Verbrechen und gesellschaftlichen Reaktionen darauf. Mit der Durchsetzung des Gesetzespositivismus scheint sich zunächst die Definitionsseite behauptet zu haben: die Kriminologie erhält ihren Gegenstand durch das Strafrecht, bis hin zum – insofern gar nicht so originellen – Konzept des „labeling approach“. Aber bald sieht man, dass diese Position nicht durchgehalten wird. Unter der Hand operieren die Dogmatiker weiter mit einem materiellen oder sogar natürlichen Verbrechensbegriff, und auch die kritische Kriminologie begreift – freilich sehr spät 203 –, dass es, trotz aller soziostrukturellen, institutionellen, sprachlichen Paradigmen, immer doch schon Gegenständliches gibt: Schutzbedürfnisse, Verletzungen, Gefährdungen, Absichten, Sorgfaltswidrigkeiten etc. Im Prozess liegen diese Erfahrungen und Einsichten nicht so offen zutage. Das mag 76 überraschen, denn sein Anteil an der Konstruktion der Kriminalität ist evident. Für die Kriminologen stellen sich insofern keine Probleme, sie haben diese Seite der Sache immer gesehen.204 Allenfalls würden sie vielleicht dazu neigen, nicht nur die Einheit von Prozessrecht und materiellem Recht zu postulieren, sondern sogar ein Übergewicht des Prozesses. Den Strafjuristen hingegen wird der Blick für diese Zusammenhänge in eben dem Zeitpunkt verstellt, als der Rechtspositivismus ihn eigentlich schärfen könnte. Denn es beginnt jene eigentümliche Dynamik des Prozessrechts: die Epoche des reinen prozessualen Denkens und damit eine folgenschwere Isolierung innerhalb der Aufgabe des

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Vgl. dazu schon oben M 21, 63. Anschaulich Nack KR 1995 257 ff.; Jahn Jura 2001 450 (451 ff. m.w.N.). Weiterführend Kühne GA 1994 503 (504 ff.). Zu dieser Aufgabe jeder Methodenlehre grundlegend Zippelius 1 („Weg zu einem Ziel“).

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204

Dazu die Kontroverse zwischen Lüderssen KJ 1997 442 ff. und Hess/Scheerer KrimJ 1997 83 ff.; KJ 1998 60 ff. S. nochmals Hess/Scheerer KrimJ 1997 83 ff. und die sich daran anschließende Debatte innerhalb der kritischen Kriminologie (KrimJ 1998 100, 109, 122, 128).

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staatlich-gesellschaftlichen Umganges mit abweichendem Verhalten. Wer den Stoff – Methoden des Strafprozesses – sinnvoll ordnen möchte, gerät damit in die Schwierigkeit, sich für eine historische oder systematische Perspektive entscheiden zu müssen. Die systematische hätte den Vorteil, die Einheitlichkeit der Annäherung an die Probleme zu zeigen, müsste aber mit der Prämisse operieren, dass darüber (jetzt wieder) Konsens besteht: Prozess und Strafgesetz zusammen ergeben den Beschuldigten und damit – spiegelbildlich – eine Perspektive für das Opfer. Dann kann man ins Einzelne gehen, Taktik und Technik der Verbrechensbekämpfung im Rahmen der Anwendung des Prozessrechts prüfen, die Interdependenzen von Fakten und Normen immer im Visier. Indessen sind wir von einer in diesem Sinne harmonisierten Perspektive eben noch so weit entfernt, dass es präokkupativ wäre, sie sofort und umstandslos einzunehmen. Daher führt der Ausblick wieder zum Rückblick. Auch zur Zukunft der Methoden des Strafprozesses gehört ihre Geschichte.

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Strafprozeßordnung Vom 1. Februar 1877 in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074) ERSTES BUCH Allgemeine Vorschriften ERSTER ABSCHNITT Sachliche Zuständigkeit der Gerichte Vorbemerkungen Übersicht Rn. 1. Arten der Zuständigkeit . . . . . . . . . 2. Sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . 3. Funktionelle Zuständigkeit . . . . . . . .

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Rn. 4. Feststellung und Nachprüfung der Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zuständigkeitsstreit . . . . . . . . . . . .

10 12

1. Arten der Zuständigkeit. Die Zuständigkeit der Gerichte i.S. der Frage, wer zur 1 Entscheidung einer Rechtssache berufen ist, muss unter mehreren Gesichtspunkten geprüft werden: Die örtliche Zuständigkeit betrifft die Zuordnung der Sache zum Gericht eines bestimmten Bezirks; sie ist für die erste Instanz, wo sie als Gerichtsstand bezeichnet wird, in den §§ 7–21 geregelt (zur örtlichen Zuständigkeit der Rechtsmittelgerichte s. Vor § 7, 28 ff.). Als sachliche Zuständigkeit bezeichnet man die Verteilung der Strafsachen in erster Instanz auf Gerichte unterschiedlicher Ordnung (Amts-, Land- und Oberlandesgericht) und im Falle des Amtsgerichts darüber hinaus die Verteilung auf die unterschiedlich besetzten 1 Spruchkörper „Strafrichter“ und „Schöffengericht“. Auf sie beziehen sich im Wesentlichen die Vorschriften des ersten Abschnitts; gemäß § 6 ist sie in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Auch die Zuständigkeit im vorbereitenden Verfahren (i.d.R. Amtsgericht, vgl. etwa § 125 Abs. 1, § 162 Abs. 1, zu abw. Regelungen § 100d Abs. 2, § 122, § 169) sowie diejenige des Rechtshilfegerichts nach § 157 GVG ist eine sachliche, wenngleich sich die §§ 1 ff. nicht auf sie beziehen. Die

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Zur unterschiedlichen Besetzung der Spruchkörper als Kennzeichen unterschiedlicher

sachlicher Zuständigkeiten Rieß GA 1976 1, 2.

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Vor § 1

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

zahlreichen weiteren Zuständigkeitsregeln, die in keine der vorgenannten Kategorien fallen, kann man unter den Sammelbegriff der funktionellen Zuständigkeit fassen.2

2

2. Sachliche Zuständigkeit. Die sachliche Zuständigkeit der Gerichte ergibt sich (abgesehen von derjenigen im vorbereitenden Verfahren) nicht aus der StPO, sondern im Wesentlichen aus dem GVG. Ergänzende Bestimmungen enthalten das Jugendgerichtsgesetz (§§ 39 bis 41, 108 Abs. 1), das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (§ 68), das Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Binnenschiffahrtssachen (§§ 1, 2 Abs. 3, § 3 Abs. 3 Satz 1) und die §§ 17 bis 19 ZustErgG (für Strafsachen, die am 8.5.1945 bei einem Gericht anhängig oder rechtskräftig abgeschlossen waren, an dessen Sitz deutsche Gerichtsbarkeit nicht mehr ausgeübt wird). Der erste Abschnitt der StPO regelt demgegenüber lediglich die Verlagerung der sachlichen Zuständigkeit auf ein Gericht höherer Ordnung bei Verbindung von Strafsachen, zwischen denen ein Zusammenhang besteht, sowie die Prüfung der sachlichen Zuständigkeit und der Zuständigkeit besonderer Strafkammern durch das Gericht.

3

3. Funktionelle Zuständigkeit. Im Zusammenhang mit den folgenden Regelungen, die jenseits der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit angesiedelt sind, kann man jeweils von „funktioneller“ Zuständigkeit sprechen, wobei man sich freilich der Tatsache bewusst sein muss, dass in dieser Bezeichnung keine übergeordnete Gemeinsamkeit dieser Zuständigkeitsformen zum Ausdruck kommt.3 Die erstinstanzliche Zuständigkeit besonderer Strafkammern nach §§ 72 Abs. 2, 74a, 4 74c GVG wird im ersten Abschnitt der StPO mit angesprochen, weil sie wie die sachliche Zuständigkeit durch die Verbindung zusammenhängender Sachen eine Verlagerung erfahren kann. Von der sachlichen Zuständigkeit ist sie jedoch durch § 6a abgeschichtet, der für ihre Prüfung durch das Gericht eine gesonderte Regelung vorsieht. Sie stellt in der Sache eine gesetzliche Geschäftsverteilung dar.4 Ansonsten richtet sich die funktionelle Zuständigkeit gleichrangiger Spruchkörper innerhalb desselben Gerichts nach dessen Geschäftsverteilungsplan. Die Zuständigkeit der Jugendgerichte im Verhältnis zu den allgemeinen Strafgerichten 5 hat eine Zwischenstellung zwischen einer besonderen sachlichen und einer funktionellen Zuständigkeit.5 Für eine Zuordnung zu Ersterer spricht neben dem Umstand, dass die sachliche Zuständigkeit der Spruchkörper i.e.S. in §§ 39–41 JGG eigenen Regeln unterworfen ist, auch die Geltung der Prüfungspflicht nach § 6 StPO hinsichtlich der Frage, ob in einer Sache im ersten Rechtszug ein Jugendgericht zu entscheiden hat.6 Auf der anderen Seite ist die richtige Beantwortung dieser Frage im Gegensatz zur sachlichen Zuständigkeit i.e.S. (s.u. Rn. 6) keine Verfahrensvoraussetzung, die in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen wäre.7 2

Ebenso KK/Pfeiffer § 1, 4; demgegenüber schichtet Meyer-Goßner 6 die gesetzliche Zuständigkeit besonderer Strafkammern und die Zuständigkeit nach dem Geschäftsverteilungsplan von der funktionellen Zuständigkeit ab (ebenso OLG Karlsruhe JR 1985 521). Bei LR/Wendisch 25 10 ff. wurde ein Teil der funktionellen Zuständigkeitsregeln (insbesondere die Zuständigkeit der Rechtsmittelgerichte) als besonders geregelte örtliche und sachliche Zuständigkeiten eingestuft und die übrigen Zuständigkeitsfragen zur „geschäft-

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3

4 5 6 7

lichen Zuständigkeit“ zusammengefaßt (Rn. 10 ff.). Rieß GA 1976 4 spricht insoweit von einem „recht diffusen“ Begriff; krit. gegenüber seiner Verwendung deshalb KMR/Paulus 34; SK/Rudolphi 10. BGHSt 30 187; OLG Celle MDR 1986 954 = JR 1987 34 mit Anm. Seebode. Ebenso KK/Pfeiffer § 1, 28. BGHSt 30 260. BGHSt 18 79, 81 ff.; 26 191, 198; MeyerGoßner § 338, 34.

Volker Erb

Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte

Vor § 1

Eine besondere funktionelle Zuständigkeit im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens hat das Gesetz in § 462a i.V.m. §§ 78a, 78b GVG den Strafvollstreckungskammern zugewiesen. Das Gesetz enthält zahlreiche Regelungen darüber, wer innerhalb eines Spruchkörpers für eine Handlung zuständig ist, deren Vornahme nicht dem vollständig besetzten Spruchkörper obliegt: Zuständigkeit des Vorsitzenden eines Kollegialgerichts (z.B. §§ 125 Abs. 2 Satz 2, 126 Abs. 2 Satz 3 und 4, 142 Abs. 1, 147 Abs. 5 Satz 1, 213, 221, 225a Abs. 2 Satz 2, 228 Abs. 1 Satz 2, 231 Abs. 1 Satz 2, 231a Abs. 2, 238–243, 248 Abs. 1 Satz 1, 249 Abs. 2 Satz 2 und 3, 270 Abs. 4 Satz 2, 271; §§ 176–179 GVG); Zuständigkeit des Spruchkörpers ohne Schöffen (§ 76 Abs. 1 Satz 2 GVG) bzw. des Vorsitzenden allein (§§ 30 Abs. 2, 76 Abs. 3 Satz 2 GVG) bei Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung. In diesem Zusammenhang wäre auch die Verteilung von Aufgaben innerhalb des Spruchkörpers auf Berichterstatter zu nennen, für die jeweils eine Regelung nach § 21g GVG zu treffen ist. Der Vollständigkeit halber sei noch auf das RPflG hingewiesen, das u.a. in § 22 eine Bestimmung darüber enthält, für welche Geschäfte der Rechtspfleger anstelle des Richters zuständig ist. Eine Sonderstellung kommt der Zuständigkeit der Rechtsmittelgerichte zu, weil hier wie bei der sachlichen Zuständigkeit wiederum nicht nur die Zuständigkeit eines bestimmten Spruchkörpers oder eines Teils desselben, sondern diejenige des Gerichts einer bestimmten Ordnung zur Debatte steht. Weil sich die Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts nicht nach den für die sachliche Zuständigkeit maßgeblichen Eigenschaften der betreffenden Rechtssache richtet, sondern nur danach, welches Gericht die angefochtene Entscheidung erlassen hat, handelt es sich gleichwohl nicht um eine sachliche, sondern um eine jenseits dieser angesiedelte „funktionelle“ Zuständigkeit.8

6 7

8 9

4. Feststellung und Nachprüfung der Zuständigkeit. Grundsätzlich hat das angerufene 10 Gericht bzw. der Spruchkörper seine Zuständigkeit in jeder Hinsicht (sachlich, örtlich und funktional) von Amts wegen zu prüfen, bis eine Entscheidung ergangen oder – im Ermittlungsverfahren oder beim ersuchten Richter – die nachgesuchte oder gebotene Amtshandlung vorgenommen ist.9 In bestimmten Fällen (z.B. § 6a, § 16 Satz 2, § 269) sieht das Gesetz allerdings Abweichungen von diesem Grundsatz vor. Das Rechtsmittelgericht prüft die sachliche Zuständigkeit des Gerichts, das das ange- 11 fochtene Urteil erlassen hat, von Amts wegen, weil es sich dabei um eine Verfahrensvoraussetzung handelt.10 Wegen § 269 ist es allerdings auch in der Revisionsinstanz unschädlich, wenn statt des an sich sachlich zuständigen Gerichts ein Gericht höherer Ordnung entschieden hat, es sei denn, dieses hätte seine Zuständigkeit objektiv willkürlich angenommen.11 Die örtliche Zuständigkeit 12 wird ebenso wie die funktionelle Zuständigkeit 13 nur auf Rüge nachgeprüft. 5. Zuständigkeitsstreit. Ein Streit über die Zuständigkeit ist dergestalt möglich, dass 12 sich mehrere in Betracht kommende Gerichte bzw. Spruchkörper in einer Sache für 8

9 10

BGHSt 19 177, 179; KK/Pfeiffer 4; MeyerGoßner 9; a.A. (sachliche Zuständigkeit) noch LR/Wendisch 25 7. OLG Nürnberg NJW 1963 502. BGHSt 18 79, 81; KMR/Paulus § 338, 45; Meyer-Goßner § 338, 32; s.u. § 6, 16.

11

12 13

BGHSt 38 172, 176 mit zust. Anm. Rieß NStZ 1992 548, 549; BGHSt 40 120 = JR 1995 255 mit zust. Anm. Sowada; MeyerGoßner § 338, 32. KMR/Paulus § 338, 47 f. BGHSt 13 378; HK/Lemke § 1, 8.

Volker Erb

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Vor § 1

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

zuständig oder allesamt für unzuständig halten. Im erstgenannten Fall spricht man von einem positiven, im letztgenannten von einem negativen Kompetenzkonflikt. Im Gegensatz zur ausdrücklichen Regelung, die in § 12 getroffen worden ist, um 13 einen Streit über die örtliche Zuständigkeit dann auszuschließen, wenn mehrere Gerichte die Sache für sich in Anspruch nehmen, lässt die Strafprozessordnung eine Vorschrift darüber vermissen, wie ein in Bezug auf die sachliche Zuständigkeit entstandener positiver Kompetenzkonflikt zu lösen ist. Auch hier gilt jedoch der in § 12 geregelte Grundsatz der Prävention, wonach dasjenige Gericht das Verfahren einstellen muss, das die Untersuchung später eröffnet hat, und zwar selbst dann, wenn es sich dabei um das höherrangige Gericht handelt, weil auch dieses das Verfahrenshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit beachten muss.14 Die bei der Anwendung von § 12 geltenden Ausnahmen von diesem Grundsatz (insbesondere Erlöschen des Vorrangs, wenn die nicht vorrangige Sache rechtskräftig entschieden worden ist, sowie Vorrang des zweiten Gerichts, wenn diesem die Sache zu umfassenderer Erledigung unterbreitet wurde, dazu unten § 12 Rn. 14 ff.) sind entsprechend zu berücksichtigen.15 Für eine entsprechende Anwendung von § 12 Abs. 2, der keinen allgemeinen Rechtsgedanken, sondern eine Sonderregelung für die örtliche Zuständigkeit enthält, ist kein Raum. Anders als bei der örtlichen Zuständigkeit, wo das Gesetz nach § 14 oder § 19 für 14 diesen Fall eine Entscheidung durch das gemeinschaftliche obere Gericht vorsieht, wird ein negativer Kompetenzkonflikt bei der sachlichen Zuständigkeit durch die Regelungen der §§ 209, 225a, 269, 270 Abs. 1 im allgemeinen ausgeschlossen: Ein Gericht höherer Ordnung kann in einer bei ihm angeklagten Sache das Hauptverfahren gemäß § 209 Abs. 1 vor einem Gericht niedrigerer Ordnung eröffnen und umgekehrt die Übernahme einer von Letzterem nach § 209 Abs. 2 vorgelegten Sache ablehnen, wenn es sich für sachlich unzuständig hält; Letzteres ist auch dann noch möglich, wenn die Vorlage gemäß § 225a Abs. 1 zwischen Eröffnung des Hauptverfahrens und Beginn der Hauptverhandlung erfolgt. In einer Sache, in der es das Hauptverfahren eröffnet hat, bleibt das höhere Gericht hingegen nach § 269 selbst dann sachlich zuständig, wenn die Sache eigentlich vor ein Gericht niedererer Ordnung gehört, und nach Beginn der Hauptverhandlung kann ein Gericht niedererer Ordnung sogar umgekehrt eine das höhere Gericht bindende Verweisung beschließen (§ 270), wenn es sich für unzuständig hält. Sind diese Vorschriften in Ausnahmefällen gleichwohl nicht in der Lage, einen negativen Kompetenzkonflikt zu verhindern, so ist dieser durch entsprechende Anwendung der §§ 14 und 19 zu lösen.16 Eine vom vorlegenden Gericht für sachlich falsch gehaltene Ablehnung der Übernahme durch ein höheres Gericht im Zwischenverfahren oder vor Beginn der Hauptverhandlung ist kein solcher Fall; sie muss von Ersterem hingenommen werden und ermöglicht keine Einschaltung des nächsthöheren Gerichts.17 Für die Zuständigkeit besonderer Strafkammern, für die § 209a Nr. 1 insoweit eine 15 Rangordnung festlegt, finden die vorgenannten Regelungen zur Vermeidung negativer Kompetenzkonflikte mit Ausnahme von § 269 ebenfalls Anwendung (im Falle von § 270 mit der durch § 6a begründeten Einschränkung). Gleiches gilt für das Verhältnis zwi-

14

15 16

RGSt 29 174, 179 f.; BGHSt 22 232, 235; KK/Pfeiffer § 1, 25; KMR/Paulus 37; MeyerGoßner 15. Meyer-Goßner 15. RGSt 29 174, 178; BGHSt 18 381, 383; 31 183, 184; OLG Saarbrücken NJW 1959 1889; KG JR 1964 470; OLG Düsseldorf

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17

NJW 1979 1724; OLG München JR 1980 78; OLG Zweibrücken OLGSt § 462a StPO, 1; OLG Karlsruhe NStZ 1987 375; Busch LM § 14 StPO, 1; Eb. Schmidt JZ 1963 715; KK/Pfeiffer 25; SK/Rudolphi Vor § 1, 16. OLG Karlsruhe MDR 1980 427.

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Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte

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schen Jugendgerichten und Erwachsenengerichten gleicher Ordnung, indem § 209 Nr. 2 Erstere insoweit als höhere Gerichte einstuft und ihnen damit die Kompetenz einräumt, über ihre Zuständigkeit selbst zu entscheiden; dabei enthält § 47a Satz 1 JGG eine § 269 entsprechende Regelung. Über Kompetenzkonflikte gleichartiger und gleichrangiger Spruchkörper – mithin 16 nicht solche nach § 74 Abs. 2, §§ 74a und 74 c GVG – entscheidet grundsätzlich das Präsidium.18 In Eilfällen findet § 21i GVG Anwendung.19 Im Übrigen gelten auch hier die Ausführungen zu Rn. 13 entsprechend.

§1 Die sachliche Zuständigkeit der Gerichte wird durch das Gesetz über die Gerichtsverfassung bestimmt 1. Inhalt. Die Bestimmung ist eine inhaltsleere, entbehrliche Verweisungsvorschrift, 1 die zudem unvollkommen ist, weil Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit der Gerichte auch außerhalb des Gerichtsverfassungsgesetzes zu finden sind (Vor § 1, 2). Das GVG regelt neben der sachlichen Zuständigkeit im Übrigen auch die Zuständigkeit besonderer Strafkammern. Für die sachliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften vgl. § 142 GVG. 2. Gerichte sind im ersten Rechtszug das Amtsgericht (§ 24 GVG), das Landgericht 2 (§ 74 Abs. 1 GVG) und das Oberlandesgericht (§ 120 Abs. 1 und 2, § 122 Abs. 2 GVG); das Bayerische Oberste Landesgericht (§ 120 Abs. 1 und 2 Satz 2 GVG, § 9 EGGVG, Art. 11 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BayAGGVG 1) wurde durch Beschluss der Bayerischen Landtags vom 20.10.2004 mit Wirkung zum 1.7.2006 aufgelöst. Ein Rangverhältnis unterschiedlicher sachlicher Zuständigkeiten, das stets mit einer unterschiedlichen Besetzung der Spruchkörper korrespondiert,2 besteht dabei nicht nur zwischen Amtsgericht, Landgericht und Oberlandesgericht als unterschiedlichen Gerichten im organisatorischen Sinn, sondern auch innerhalb von Ersterem zwischen dem Richter beim Amtsgericht als Strafrichter (§ 25 GVG) und dem Schöffengericht (§ 28 GVG).3 Demgegenüber differenziert das GVG innerhalb des Landgerichts nur hinsichtlich der Zuständigkeit besonderer Strafkammern, nämlich zwischen allgemeiner großer Strafkammer (§ 74 Abs. 1 GVG), Schwurgerichtskammer (§ 74 Abs. 2 GVG), Wirtschaftsstrafkammer (§ 74c GVG) und Staatsschutzstrafkammer (§ 74a GVG). Dabei handelt es sich nicht um eine sachliche, sondern um eine besondere funktionale Zuständigkeit (s.o. Vor § 1, 4). Die sachliche Zuständigkeit in Jugendsachen regelt das JGG (Jugendrichter gemäß § 39, Jugendschöffengericht gemäß § 40 Abs. 1 und Jugendkammer gemäß § 41 Abs. 1). 18

19

BGHSt 25 244; 26 200; OLG Schleswig SchlHA 1977 29; OLG Düsseldorf MDR 1982 689; Heintzmann DRiZ 1975 320; Müller JZ 1976 587; KMR/Paulus Vor § 1, 41; Meyer-Goßner 17. BGH bei Holtz MDR 1977 461; KK/Pfeiffer § 1, 27.

1 2 3

Vom 23.6.1981 – Bay RS 300 – 1 – 1 J. Rieß GA 1976 1, 3 f. Das gemäß § 29 Abs. 2 GVG erweiterte Schöffengericht ist gegenüber dem dreigliedrigen Schöffengericht kein höheres Gericht mit einer eigenen sachlichen Zuständigkeit, RGSt 62 270; OLG Düsseldorf NStZ 1994 238; KK/Pfeiffer § 2, 5; LR/Wendisch 25 § 2, 12.

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3

3. Die Merkmale der sachlichen Zuständigkeit sowie derjenigen besonderer Strafkammern bestimmt das GVG nach einem gemischten System abstrakter (angeklagte Tatbestände oder deren Strafdrohung) und konkreter (insbesondere Straferwartung und Bedeutung der Sache) Kriterien. Die „Bedeutung“ einer Sache (und genaugenommen auch die konkrete Straferwartung) werfen dabei im Hinblick auf den Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 GG) gewisse Probleme auf, weil sie angesichts ihrer Unbestimmtheit der Staatsanwaltschaft in vielen Fällen de facto die Möglichkeit verschaffen, wahlweise beim einen oder beim anderen Spruchkörper Anklage zu erheben. Die Verwendung entsprechender Kriterien und der durch sie geschaffenen „beweglichen Zuständigkeiten“ ist gleichwohl verfassungsgemäß, wobei in diesem Zusammenhang aber nicht von der Einräumung eines staatsanwaltschaftlichen Ermessens, sondern von gerichtlich nachprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriffen ausgegangen werden muss.4

4

4. Die Zuständigkeit der Rechtsmittelgerichte ergibt sich nicht aus diesen Kriterien, sondern allein danach, welches Gericht die angefochtene Entscheidung erlassen hat (weshalb es sich nicht um eine „sachliche“ Zuständigkeit handelt, s.o. Vor § 1, 9). Zuständig ist als Berufungsgericht die Strafkammer (§ 74 Abs. 3 GVG) in der Form der kleinen Strafkammer (§ 76 Abs. 1 Satz 1 letzter Hs. GVG), als Revisions- und Rechtsbeschwerdegerichte das Oberlandesgericht (§ 121 Abs. 1 Nr. 1, 3 GVG, § 79 Abs. 3 OWiG) und der Bundesgerichtshof (§ 135 Abs. 1 GVG); als Beschwerdegerichte die Strafkammer (§ 73 Abs. 1 GVG), das Oberlandesgericht (§ 121 Abs. 1 Nr. 2 GVG) und der Bundesgerichtshof (§ 135 Abs. 2 GVG).

§2 (1) 1Zusammenhängende Strafsachen, die einzeln zur Zuständigkeit von Gerichten verschiedener Ordnung gehören würden, können verbunden bei dem Gericht anhängig gemacht werden, dem die höhere Zuständigkeit beiwohnt. 2Zusammenhängende Strafsachen, von denen einzelne zur Zuständigkeit besonderer Strafkammern nach § 74 Abs. 2 sowie den §§ 74a, 74c des Gerichtsverfassungsgesetzes gehören würden, können verbunden bei der Strafkammer anhängig gemacht werden, der nach § 74e des Gerichtsverfassungsgesetzes der Vorrang zukommt. (2) Aus Gründen der Zweckmäßigkeit kann durch Beschluß dieses Gerichts die Trennung der verbundenen Strafsachen angeordnet werden.

Schrifttum zu den §§ 2–6. Achenbach Staatsanwalt und gesetzlicher Richter – ein vergessenes Problem? FS Wassermann 849; D. Barton Die „Trennung“ verbundener Strafsachen gem. §§ 2 II, 4 I und § 237 StPO (1978); Dünnebier Die Verbindung von Strafsachen nach §§ 2 bis 4, 13 StPO, JR 1975 1; Fahl Zur Verbindung von Strafsachen gegen Jugendliche und Erwachsene gemäß § 103 JGG, NStZ 1983 309; Felsch Rechtsprobleme des fehlerhaften Verbindungsbeschlusses nach § 4 StPO, NStZ 1996 163; Fischer Zum Rollentausch zwischen Zeugen und Angeklagten, StV 1981 85; Hinrichsen Zuständigkeiten als Prozeßvoraussetzung, Heilung von Zuständigkeitsfehlern, Diss. Kiel 1993; Kost Verbindung und Trennung von Strafsachen (1989); Meyer-Goßner Verfahrensverbindung im Strafverfahren ohne gesetzliche Grundlage? DRiZ 1985 241; ders. Die Verbindung ver4

Grundlegend BVerfGE 9 223, 226 ff.; Rieß GA 1976 1, 7 ff.; vgl. ferner KK/Pfeiffer 7 f.

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Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte

schiedener, gegen denselben Angeklagten bei demselben Landgericht anhängiger Strafverfahren, NStZ 1989 297; ders. Zur Zulässigkeit von Verfahrensverbindungen und zu den Folgen einer zulässigen Verbindung (§§ 2 ff. StPO), DRiZ 1990 284; ders. Die Verbindung von Strafsachen beim Landgericht, NStZ 2004 353; Mutzbauer Gerichtliche Zuständigkeiten nach der Trennung verbundener Strafverfahren, NStZ 1995 213; Rotsch/Sahan Verbindung und Trennung von Strafsachen, JA 2005 801; Rosenmeier Die Verbindung von Strafsachen im Erwachsenenstrafrecht (1973); Sowada Der gesetzliche Richter im Strafverfahren (2002); Steinmetz Das Gleichzeitigkeitserfordernis des § 53 StGB und die Rechtsprechungsänderung zu §§ 4, 237 StPO, JR 1993 228.

Übersicht Rn. 1. Allgemeines a) Zweck und Inhalt . . . . . . . . . . . b) Vorschriften mit ähnlichem Regelungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verbindungen ohne Zuständigkeitsverschiebung . . . . . . . . . . . . . d) Begriff der „zusammenhängenden Strafsache“ . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ermessen und Grundsatz des gesetzlichen Richters . . . . . . . . . . . . 2. Verbindung (Abs. 1) a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . .

Rn. b) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . c) Verbindung im Ermittlungsverfahren d) Gemeinsame Anklageerhebung . . . e) Unanfechtbarkeit . . . . . . . . . . 3. Trennung (Absatz 2) a) Natur der Trennung . . . . . . . . . b) Anwendungsbereich der Vorschrift . c) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . d) Form der Trennung . . . . . . . . . e) Anfechtbarkeit . . . . . . . . . . . 4. Revision . . . . . . . . . . . . . . . .

1 4 5 7 8

. . . .

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. . . . . .

19 20 21 24 26 28

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Alphabetische Übersicht Anhängigkeit beim selben Spruchkörper 5 Anklageerhebung 16 Berufungsverfahren 6, 16 Beschleunigungsgebot 1, 11 Beschluss 24, 26 Beschwerde 26 f. Einstellung, vorläufige 25 Ermessen 2, 8, 10 ff., 21, 27 f. Ermittlungsverfahren 14 f. Eröffnung des Hauptverfahrens 20, 24 Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege 1 Gesamtstrafe 1, 5 Haftsachen 11 Hauptverfahren 4, 16, 20, 24 Jugendstrafsachen 3

Klagerücknahme 20 Mitangeklagte 13, 23 Natur der Trennung 19 Revision 28 Richter, gesetzlicher 8 Rollentausch zwischen Beschuldigten und Zeugen 23 Spruchkörper desselben Gerichts 4 Staatsanwaltschaft 2, 9 ff., 20, 26 f. Strafsache, Begriff der 7 Umstände des Einzelfalls 1, 8 Verfahrensfehler 28 Verhandlungsverbindung 6 Zeugen 13, 23 Zuständigkeit, sachliche und örtliche 4 Zweckmäßigkeit 1, 14, 22, 27

1. Allgemeines a) Zweck und Inhalt. Ob es sinnvoll erscheint, mehrere selbständige Taten im prozes- 1 sualen Sinn (vgl. dazu die Kommentierung von § 264), die von einem oder mehreren Beschuldigten begangen wurden, getrennt oder zusammen abzuurteilen, ist im Wesentlichen eine Frage der Zweckmäßigkeit, die von den Umständen des Einzelfalls abhängt.1 Eine gemeinsame Aburteilung kann Doppelarbeit ersparen und insofern der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege dienen.2 Sie verhindert zugleich, dass mehrere Gerichte 1

Eingehend zum Ganzen D. Barton 14 ff.; Kost 201 ff.; Rosenmeyer 7 ff.; Sowada 710 ff.; Rotsch/Sahan JA 2005 801; AK/Dästner 1 ff.

2

BVerfGE 45 354, 359.

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denselben Sachverhalt in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht unterschiedlich würdigen,3 ermöglicht es, die Täterpersönlichkeit auf breiter und umfassender Grundlage sachgemäß zu beurteilen,4 und vermeidet nachträgliche Gesamtstrafenbildungen nach Aktenlage gemäß § 460.5 Auf der anderen Seite hat sie im Falle der gemeinsamen Verhandlung gegen mehrere Personen den Nachteil, dass potentielle Zeugen zu Mitangeklagten werden und damit nicht der Wahrheitspflicht unterliegen. Sie hat außerdem u.U. eine Verkürzung des Instanzenzugs zur Folge und kann im Übrigen zur Bildung von Großverfahren führen, bei denen nicht nur die Beachtung des Beschleunigungsgrundsatzes gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK in Gefahr gerät,6 sondern die Verbindung auch unter verfahrensökonomischen Aspekten kontraproduktiv erscheinen kann. Vor diesem Hintergrund legt es § 2 Abs. 1 in das Ermessen der Staatsanwaltschaft, 2 Sachen, zwischen denen ein Zusammenhang i.S. von § 3 besteht, ohne Rücksicht auf unterschiedliche sachliche Zuständigkeiten bzw. unterschiedliche Zuständigkeiten besonderer Strafkammern gemäß §§ 74 Abs. 2, 74a, 74c GVG beim höheren Gericht bzw. bei der nach § 74e GVG vorrangigen besonderen Strafkammer zusammen anzuklagen. Gemäß § 2 Abs. 2 steht es dem Gericht aber frei, die verbundenen Sachen zu trennen. Der Anwendungsbereich der Vorschrift wird von § 102 Abs. 1 JGG unter den dort 3 genannten Voraussetzungen („zur Erforschung der Wahrheit oder aus anderen wichtigen Gründen geboten“) auf die Verbindung von Strafsachen gegen Jugendliche (bzw. Heranwachsende, § 112 Satz 1 JGG) und Erwachsene erstreckt. Zuständig ist in diesem Fall grds. das Jugendgericht (§ 103 Abs. 2 Satz 1 JGG), sofern keine Zuständigkeit des OLG (§ 102 Satz 1 JGG) und in der Strafsache gegen Erwachsene keine Zuständigkeit der Wirtschafts- oder Staatsschutzkammer begründet ist (§ 103 Abs. 2 Satz 2 JGG).

4

b) Vorschriften mit ähnlichem Regelungszweck. Ergänzt wird die Vorschrift durch § 4, der die Verbindung und Trennung im Hauptverfahren regelt, wobei § 4 Abs. 1 für die Verbindung von Verfahren, die bei gleichrangigen Spruchkörpern desselben Gerichts anhängig sind, entsprechende Anwendung findet (s.u. § 4, 4). Für die Verbindung und Trennung von Sachen, mit der eine Veränderung der örtlichen Zuständigkeit einhergeht, gilt § 13. Ist sowohl die örtliche als auch die sachliche Zuständigkeit berührt, so sind wegen § 4 Abs. 2 im Ergebnis die §§ 2–4 maßgeblich.7 §§ 42, 64 OWiG ermöglichen es der Staatsanwaltschaft, die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit mit derjenigen einer mit ihr zusammenhängenden Straftat zu verbinden. Eine Trennung mit Abgabe der Sache bzgl. der Ordnungswidrigkeit an die Verwaltungsbehörde ist dabei nur möglich, solange das Verfahren noch nicht bei Gericht anhängig ist.8

5

c) Verbindungen ohne Zuständigkeitsverschiebung. Wird durch eine Verbindung von Verfahren, zwischen denen ein Zusammenhang besteht, weder die sachliche Zuständigkeit noch die Zuständigkeit besonderer Spruchkörper noch die örtliche Zuständigkeit berührt, so können diese ohne weiteres durch eine einheitliche Anklage gemeinsam anhängig gemacht werden.9 Werden sie gleichwohl getrennt angeklagt, so können sie im

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Meyer-Goßner 2. BGHSt 18 238, 239. BGHSt 4 152, 153; KK/Pfeiffer 3; SK/Rudolphi 6. Rosenmeier 128; D. Barton 16 f.; KK/Pfeiffer 3, 6. RGSt 45 166, 167; BGHSt 22 232, 234; BGH

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8 9

NStZ 1986 564; Rosenmeier 33; Hanack JZ 1971 91; KK/Pfeiffer 1; SK/Rudolphi 3. KK/Pfeiffer 9; Meyer-Goßner 8. RG GA 36 (1890) 171; John §§ 2 bis 4, I 1; Rosenmeier 31; Rotsch/Sahan JA 2005 801, 803.

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Falle ihrer Anhängigkeit beim selben Spruchkörper (!) jederzeit von Amts wegen zu einem einheitlichen Verfahren zusammengeführt werden.10 Eine solche Verbindung ist in allen Instanzen möglich und im Falle mehrerer Taten desselben Beschuldigten in der Regel geboten, um eine Gesamtstrafe bilden zu können.11 Dabei handelt sich nicht um einen Anwendungsfall von § 237: Diese Vorschrift regelt 6 lediglich die Verbindung von Strafsachen zum Zwecke gleichzeitiger Verhandlung innerhalb desselben Spruchkörpers,12 die einerseits nicht an die Voraussetzung von § 3 gebunden ist und andererseits nicht zur Verschmelzung der Sachen führt. Die gleichzeitig verhandelten Sachen folgen anders als bei einer Verbindung i.e.S. vielmehr weiter ihren eigenen verfahrensrechtlichen Gesetzen 13 und werden durch gesonderte Entscheidungen abgeschlossen.14 So kann nach § 237 ein Berufungsverfahren mit einem erstinstanzlichen gleichzeitig verhandelt werden, ohne seine Eigenschaft als zweitinstanzlich zu verhandelndes Rechtsmittelverfahren zu verlieren,15 und soweit sich eine evtl. Revision gegen das im Berufungsverfahren ergangene Urteil richtet, ist für diese das Oberlandesgericht zuständig.16 Über diese lose Verhandlungsverbindung greift die Sachverbindung der §§ 2 und 4 hinaus; sie macht die verbundenen Sachen zu einem einheitlichen Prozess (wobei die Sachverbindung stets die Verhandlungsverbindung umfasst).17 d) Begriff der „zusammenhängenden Strafsache“. Mit „Strafsache“ bezeichnet § 2 ist 7 Tat im prozessualen Sinn (vgl. dazu die Kommentierung von § 264) 18: Da diese den unteilbaren Prozessgegenstand bildet, sind mehrere Straftaten im materiellrechtlichen Sinn, die in ihr enthalten sein können, von vornherein keiner gesonderten Aburteilung zugänglich.19 Den Begriff des Zusammenhangs definiert das Gesetz in § 3. e) Ermessen und Grundsatz des gesetzlichen Richters. Die Einräumung von Ermes- 8 sensspielräumen bei Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Verbindung nach Abs. 1 und derjenigen des Gerichts über eine evtl. Trennung nach Abs. 2 (sowie im Rahmen von § 4) wirft die Frage eines Verstoßes gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters auf.20 Aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG wird man indessen nur die Pflicht herleiten können, die richterliche Zuständigkeit so weit wie möglich anhand abstrakter Regeln vorherzubestimmen.21 Angesichts der Notwendigkeit, eine Vielzahl völlig unterschiedlicher Umstände

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14 15

Meyer-Goßner NStZ 2004 353, 355; dazu auch § 4, 3 ff. SK/Rudolphi 2. Kost 20 ff.; Meyer-Goßner DRiZ 1990 284, 286 f.; ders. NStZ 2004 353, 354; Rotsch/Sahan JA 2005 801, 802; KK/Tolksdorf § 237, 2; Meyer-Goßner § 237, 3; Sowada 721 f.; a.A. („Gericht“ als administrative Einheit) noch BGHSt 26 271, 273; offengelassen von BGHSt 38 376, 379. BGHSt 19 177, 182; 26 271, 275; MeyerGoßner DRiZ 1985 243 ff.; ders. NStZ 1998 297. Meyer-Goßner § 237, 8. BGHSt 19 177, 182; 26 271, 275; 35 195, 197; 36 349, 351; KG JR 1969 349; OLG Düsseldorf MDR 1985 252; LR/Gollwitzer 25 § 237, unter 4a; KK/Treier § 237, 10;

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Meyer-Goßner § 237, 8; ders. DRiZ 1985 241, ders. NStZ 1989 297. BGHSt 34 159, 160; 36 348, 351. BGHSt 36 348, 349; J. Fischer StV 1981 85; Mutzbauer NStZ 1995 213, 214; Rotsch/Sahan JA 2005 801, 802; KK/Pfeiffer 11; näher zum Verh. von §§ 2, 4 zu § 237 OLG Stuttgart NStZ 1995 248 mit Anm. Meyer-Goßner NStZ 1996 51 = JR 1995 517 mit Anm. Wendisch; vgl. ferner § 4, 28. HK/Lemke 3; KK/Pfeiffer 2. Vgl. Rotsch/Sahan JA 2005 801, 802; KMR/Paulus 6. Bejahend Achenbach FS Wassermann 849, 857 f.; Rosenmeier 130 ff. BVerfGE 17 294, 298 ff.; 19 52, 59 f.; 20 336, 344.

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des Einzelfalls gegeneinander abzuwägen, um über die Sachdienlichkeit einer Verbindung oder Trennung von Strafsachen unter prozessökonomischen und sonstigen Aspekten entscheiden zu können, erscheint es jedoch schlechthin ausgeschlossen, an dieser Stelle eine praktikable abstrakte Regelung zu treffen.22 Aufgrund der Vielgestaltigkeit der Abwägungsfaktoren kann das Ermessen im vorliegenden Zusammenhang auch schwerlich durch einen unbestimmten Rechtsbegriff ersetzt werden,23 der sich zwangsläufig in einer völlig nichtssagenden Generalklausel erschöpfen müsste.24 Sowada warnt im Übrigen zu recht davor, ohne die bislang fehlenden empirischen Erkenntnisse darüber, „inwieweit dieser Themenkomplex im Interesse der Rechtssicherheit einer stärkeren normativen Reglementierung zugänglich ist und inwiefern ein Bedürfnis für eine bessere Konditionierung flankierender Sicherungsmechanismen besteht“, konkrete „Maßnahmen mit ungewisser Wirksamkeit“ zur conditio sine qua non der Verfassungsmäßigkeit der §§ 2 ff. zu erheben.25 2. Verbindung (Absatz 1)

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a) Anwendungsbereich. § 2 Abs. 1 gestattet es der Staatsanwaltschaft, zusammenhängende Strafsachen (s.o. Rn. 7), für die nach allgemeinen Regeln unterschiedliche sachliche Zuständigkeiten oder unterschiedliche Zuständigkeiten besonderer Spruchkörper bestehen, in erster Instanz beim höherrangigen Gericht bzw. beim zuständigen Spruchkörper (s.o. Rn. 2 f.) im Verbund anhängig zu machen.

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b) Zulässigkeit. Ob von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, entscheidet die Staatsanwaltschaft nach pflichtgemäßem Ermessen.26 Dabei sind alle Vor- und Nachteile, die von einer Verbindung oder deren Unterbleiben für die Strafrechtspflege auf der einen und den Beschuldigten auf der anderen Seite in concreto zu erwarten sind, gegeneinander abzuwägen.27 Der Beschuldigte hat keinen Anspruch darauf, dass mehrere Verfahren verbunden werden 28 oder getrennt bleiben.29 Eine Nachprüfung des staatsanwaltschaftlichen Ermessens ist im Gesetz nicht vorgesehen, jedoch kann das Gericht jenes durch sein eigenes Ermessen setzen, indem es verbundene Sachen bei Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 2 Abs. 2 wieder trennt oder im Hauptverfahren selbst eine Verbindung oder Trennung nach § 4 anordnet.30 Bei der Ausübung des Ermessens muss darauf geachtet werden, dass die Verbindung 11 nicht durch eine wesentliche Verzögerung des Verfahrensgangs zu einer Verletzung des Beschleunigungsgebots (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) führt.31 Dies gilt vor allem in Haftsachen (Art. 5 Abs. 3 Satz 1, 2. Hs. EMRK), wo die Notwendigkeit, schnell zu einem Urteil zu gelangen, einer an sich wünschenswerten Verbindung vielfach entgegenstehen wird.

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Im Grundsatz bereits LR/Wendisch 25 § 4, 22; AK/Dästner 2; eingehend Kost 201 ff.; Sowada 709 ff. Dafür aber LR/Wendisch 25 § 4, 21. Zutr. Dünnebier JR 1975 1, 4; SK/Rudolphi 8. Sowada 713 f. OLG Düsseldorf DRiZ 1981 238; Rogall StV 1985 354; KK/Pfeiffer 3. Ähnlich SK/Rudolphi 7.

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RGSt 54 107; BGH bei Miebach/Kusch NStZ 1991 226 (zu § 4); OLG Stuttgart NJW 1960 2353; KK/Pfeiffer 3. BGHSt 18 238. Vgl. SK/Rudolphi, 7. BVerfG StV 2002 578, 581; Meyer-Goßner NStZ 2004 353, 358; ebenso bereits Kost 169 f.

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Ein Ermessensmissbrauch kommt z.B. in Betracht, wenn dem Angeklagten durch die 12 Verbindung ohne ersichtlichen Verfahrensgewinn im Hinblick auf § 146 die Verteidigung durch den Anwalt seines Vertrauens unmöglich gemacht wird.32 Dass die Verbindung, Nichtverbindung oder Trennung von Verfahren im Ergebnis 13 darüber entscheidet, ob sich mehrere Tatbeteiligte in der Hauptverhandlung als Mitangeklagte oder aber als Zeugen gegenüberstehen, steht einer Entscheidung in der einen oder anderen Richtung nicht entgegen: Ein Beteiligter, der auf entlastende Angaben eines anderen hofft, wird durch die Verbindung nicht beschwert, weil der Beweiswert der Äußerung eines anderen Tatbeteiligten nicht davon abhängt, ob dieser als Zeuge oder als Mitbeschuldigter vernommen wird.33 c) Verbindung im Ermittlungsverfahren. Die Verbindung kann bereits im Ermittlungs- 14 verfahren erfolgen,34 wobei es eine reine Zweckmäßigkeitsfrage ist, ob die Ermittlungen von Anfang an einheitlich geführt werden, ob man sie zu irgendeinem späteren Zeitpunkt zusammenfasst, in dem dies sachdienlich erscheint, oder ob die Verbindung erst nach Abschluss der Ermittlungen zwecks Erhebung einer einheitlichen Anklage bei dem für die verbundenen Sachen zuständigen Gericht erfolgt. Werden die zu verbindenden Vorgänge bei ein und derselben Staatsanwaltschaft ge- 15 führt, so erfolgt die Verbindung formlos durch interne Verfügung. Wurden bei mehreren Staatsanwaltschaften Ermittlungsverfahren eingeleitet, so müssen jene untereinander eine Einigung treffen. Kommt eine solche nicht zustande und ist eine gemeinsame vorgesetzte Behörde (Generalstaatsanwaltschaft) vorhanden, so entscheidet diese, indem sie ihr Weisungsrecht nach § 146 GVG ausübt oder die Sachen gemäß § 145 Abs. 1 GVG zwecks Verbindung an sich zieht. Gegenüber der Staatsanwaltschaft eines fremden Bezirks ist selbstverständlich auch eine Generalstaatsanwaltschaft nicht zu einem derartigen Vorgehen befugt. Hier müssen sich die beteiligten Generalstaatsanwaltschaften um eine einvernehmliche Lösung bemühen. Scheitert diese, so wird ein landesinterner Kompetenzkonflikt durch die Landesjustizverwaltung entschieden (§ 147 Nr. 2 GVG),35 ein länderübergreifender durch den Generalbundesanwalt (§ 143 Abs. 3 GVG).36 d) Gemeinsame Anklageerhebung. Nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens be- 16 wirkt die Staatsanwaltschaft die gerichtliche Verbindung dadurch, dass sie die bei ihr verbundenen Sachen – gleichgültig, ob die Verbindung nur die sachliche oder auch die örtliche Zuständigkeit betrifft – durch eine einheitliche Anklage bei dem Gericht der höheren Zuständigkeit anhängig macht. Ist bei diesem Gericht bereits ein Verfahren anhängig, aber das Hauptverfahren noch nicht eröffnet, so können die Wirkungen von § 2 Abs. 1 auch noch dadurch erreicht werden, dass weitere Sachen, die an sich in die Zuständigkeit eines nachrangigen Gerichts fallen würden, mit dem anhängigen Verfahren jedoch i.S. von § 3 zusammenhängen, beim höheren Gericht anklagt werden, wenn die Staatsanwaltschaft dabei den Antrag stellt, das Hauptverfahren mit der schon anhängigen Sache gemeinschaftlich zu eröffnen.37 Das erscheint deshalb gerechtfertigt, weil die Staatsanwaltschaft die Anklage bis zu Eröffnung des Hauptverfahrens ja ebensogut zurücknehmen und im Verbund mit den hinzukommenden Sachen neu erheben könnte.

32 33 34

BVerfGE 45 354, 359 f.; StV 2002 578. BGHSt 18 238; vgl. im übrigen unten Rn. 23. Rosenmeier 27 ff.; Meyer-Goßner DRiZ 1985 241; KK/Pfeiffer 6; Meyer-Goßner 3; SK/Rudolphi 14.

35 36 37

LR/Boll 25 § 143 GVG, 9. LR/Boll 25 § 143 GVG, 8. Ebenso SK/Rudolphi 15.

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Mit einer Sache, in der das Hauptverfahren bereits eröffnet wurde, kann die Verbindung hingegen nur noch über § 4 hergestellt werden.38 § 2 Abs. 1 erlaubt es im Übrigen nicht, eine Sache, für die das Amtsgericht sachlich zuständig ist, beim Landgericht anzuklagen, weil dort ein Berufungsverfahren anhängig ist, mit dem ein Zusammenhang i.S. von § 3 besteht.39 Dem Regelfall der Anklageerhebung durch Einreichung einer Anklageschrift stehen 17 im vorliegenden Zusammenhang gleich: Die mündliche Anklage im beschleunigten Verfahren (§ 418 Abs. 3 Satz 2); der Antrag im Sicherungsverfahren (§ 414 Abs. 2 Satz 1), das mit einem Strafverfahren verbunden werden kann;40 das objektive Einziehungsverfahren (§ 440 Abs. 1), das objektive Geldbußenverfahren gegen juristische Personen (§ 444 Abs. 3). Der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls scheidet im vorliegenden Zusammenhang hingegen aus, weil dieser nur noch beim Strafrichter in Betracht kommt, der gemäß § 25 Nr. 2 für alle Vergehen mit einer Straferwartung bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe zuständig ist.

18

e) Unanfechtbarkeit. Die Verbindung von Strafsachen nach § 2 Abs. 1 ist abgesehen von der Möglichkeit, eine Dienstaufsichtsbeschwerde zu erheben, nicht anfechtbar.41 Ihre Bestätigung durch das Gericht durch den Verzicht auf eine mögliche Trennung nach § 2 Abs. 2 ist entgegen Rosenmeyer 135 wegen § 305 Satz 1 ihrerseits keine beschwerdefähige Entscheidung. 3. Trennung (Absatz 2)

19

a) Natur der Trennung. Die Trennung nach § 2 Abs. 2 (und nach § 4 Abs. 1) bewirkt die vollständige Auflösung der nach §§ 2, 4 herbeigeführten Sachverbindung.42 Es handelt sich also nicht etwa nur um eine Verhandlungstrennung, wie sie dort erfolgt, wo eine bloße Verhandlungsverbindung nach § 237 (s.o. Rn. 6) wieder aufgehoben wird.43

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b) Anwendungsbereich der Vorschrift. § 2 Abs. 2 regelt die Verfahrenstrennung durch das Gericht bei der Eröffnung des Hauptverfahrens, indem das Gericht die eine Sache bei sich, die andere vor dem Gericht niedrigerer Ordnung eröffnet, das für diese originär sachlich zuständig ist. Bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens kann die Staatsanwaltschaft verbunden anhängig gemachte Sachen durch Klagerücknahme ohne weiteres wieder trennen; eine Aufhebung der Verbindung von Sachen vor Anklageerhebung ist erst recht jederzeit möglich (und allenfalls im Wege der Dienstaufsichtsbeschwerde angreifbar). Nach Eröffnung des Hauptverfahrens wird die Verfahrenstrennung durch § 4 Abs. 1 ermöglicht, weshalb für eine Erstreckung des Anwendungsbereichs von § 2 Abs. 2 auf diese Konstellation 44 insoweit kein Bedarf ersichtlich ist.45 38 39 40

KK/Pfeiffer 7; Meyer-Goßner 3; SK/Rudolphi 15. BGHSt 38 172; KK/Pfeiffer. SK/Rudolphi 15; in BGHSt 22 185 war die Verbindung nur deshalb unzulässig, weil das Sicherungsverfahren die gleiche Tat der gleichen Person zum Gegenstand hatte wie das zuvor eröffnete Hauptverfahren und deshalb wegen des Verfahrenshindernisses anderweitiger Rechtshängigkeit eingestellt werden musste.

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41 42

43 44 45

Bohnert 26; Meyer-Goßner 12; SK/Rudolphi 21. John §§ 2 bis 4 Abschn. II 10; Kost 107; Mutzbauer NStZ 1995 214; KK/Pfeiffer 12; Meyer-Goßner 10 und § 4, 11; SK/Rudolphi 17; Schlüchter Rdn. 18; s. auch § 4, 30. Was jederzeit möglich ist, vgl. Mutzbauer NStZ 1995 215. Dafür wohl LR/Wendisch 25 60; KK/Pfeiffer 14; Meyer-Goßner 11. Zur Frage evtl. Auswirkungen einer Ver-

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Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte

§2

c) Zulässigkeit. Wie die Verbindung zusammenhängender Strafsachen, steht auch die 21 Trennung verbundener Strafsachen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.46 Der Angeklagte hat keinen verfahrensrechtlichen Anspruch auf Trennung.47 Die Abtrennung von Teilen einer Tat im prozessualen Sinn ist ausgeschlossen (s.o. Rn. 7). Abgesehen von dem Fall, dass das Gericht die Zweckmäßigkeitserwägungen nicht teilt, 22 die die Staatsanwaltschaft zur Verbindung nach Abs. 1 veranlasst haben, können etwa die folgenden nachträglich eingetretenen Gründe eine Trennung nahelegen: Ein Angeklagter, der infolge eines mittelbaren Zusammenhangs mit anderen Angeklagten an seinem Wohnort angeklagt ist, verzieht nachträglich an den Tatort der allein ihn betreffenden Haupttat, wo auch die Zeugen wohnen; der Verhandlung der Tat, welche die Zuständigkeit des höheren Gerichts begründet hat, stehen für eine unabsehbare Zeit Hindernisse entgegen, während eine mit ihr verbundene, an sich zur Zuständigkeit eines niederen Gerichts gehörige Sache vor diesem alsbald verhandelt werden kann. Ein naheliegender Grund für eine Verfahrenstrennung ist das Ziel, den Angeklagten 23 der einen Sache in der anderen als Zeuge zu vernehmen. Soll dabei lediglich die Möglichkeit geschaffen werden, einen Mitangeklagten zu einer Tat im prozessualen Sinn, an der er selbst nicht beteiligt war, als Zeuge zu hören, so ist eine (und sei es nur vorübergehende) Trennung der Verfahren mit entsprechender Zweckrichtung zulässig und sachgerecht.48 Dies gilt freilich nicht, wenn die Bekundungen des Zeugen auf die gegen ihn ergehende Entscheidung irgendwelchen Einfluss haben könnten.49 Erst recht missbräuchlich und unzulässig ist eine Verfahrenstrennung zur gezielten Umgehung des Grundsatzes, wonach ein Angeklagter in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren nicht als Zeuge seiner eigener Straftat gehört werden darf.50 Soweit der Wechsel zwischen Beschuldigten- und Zeugenrolle in eigener Sache nur die Nebenfolge einer aus anderen Gründen angeordneten Verfahrenstrennung darstellt, steht er deren Zulässigkeit allerdings nicht im Wege. Da die Eigenschaft als Zeuge oder Beschuldigter allein durch die formale prozessuale Rolle bestimmt wird, kann der frühere Mitangeklagte in diesem Fall auch tatsächlich als Zeuge vernommen werden.51 Hier wird man lediglich eine spätere Rückverbindung als unzulässig betrachten müssen; unter dieser Voraussetzung genügt die Anwendung von § 55, um sicherzustellen, dass der Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ trotz der „Rollenvertauschung“ uneingeschränkt gewahrt bleibt.52 d) Form der Trennung. Die Trennung verbunden anhängig gemachter Sachen nach 24 § 2 Abs. 2 erfolgt dadurch, dass das Gericht die eine Sache bei sich, die andere vor dem niederen Gericht eröffnet (§ 209 Abs. 1).53 Eine Trennung zusammen angeklagter Straf-

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fahrenstrennung nach Eröffnung des Hauptverfahrens auf die Zuständigkeit deshalb unten § 4 Rn. 33 ff. BGHSt 18 238; BGH JR 1974 429; Rogall StV 1985 354; KK/Pfeiffer 3, 12; MeyerGoßner 10. BGH GA 1968 306 = JR 1969 mit zust. Anm. von Gerlach; OLG Frankfurt StV 1983 92. BGH NJW 1964 2397; bei Dallinger MDR 1971 897; KK/Pfeiffer 11; KMR/Paulus 11; Meyer-Goßner Vor § 48, 22; a.A. Rotsch/ Sahan JA 2005 801, 804. Für diese Einschränkung zutr. LG Frankfurt StV 1986, 470; AK/Dästner 11.

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52 53

BGH GA 1968 306 = JR 1969 148; bei Holtz MDR 1977 639; StV 1984, 186; OLG Frankfurt StV 1981 85; KK/Pfeiffer 11; KMR/ Paulus 11; Meyer-Goßner Vor § 48, 22; zum Problem der „Rollenvertauschung“ auch Peters 46. DJT 1 3 A 136. BGH NStZ 1986 464 f. mit eingehender Kritik an einem materiellen Beschuldigtenbegriff, der diesem Ergebnis entgegenstünde; dazu auch KMR/Paulus 12; a.A. noch LR/Wendisch 25 56 sowie Peters 46. DJT 1 3 A 136; Dünnebier JR 1975 1, 3; Rosenmeier 116. KMR/Paulus 11; krit. Kost 117 f. OLG Düsseldorf NStZ 1991 145; Mutzbauer

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sachen, die schon ohne Anwendung von § 2 Abs. 1 jeweils für sich genommen allesamt der sachlichen Zuständigkeit des betreffenden Gerichts unterfallen, ist ebenso wie ihre Verbindung (s.o. Rn. 5) ohne weiteres möglich, indem das Gericht eine getrennte Eröffnung der Verfahren beschließt. Zur Verfahrenstrennung nach Eröffnung des Hauptverfahrens s.u. § 4 Rn. 30 ff. Wird das Verfahren gegen einen Angeschuldigten nach § 205 vorläufig eingestellt, 25 während es gegen den oder die übrigen eröffnet wird, so impliziert dies zwangsläufig eine Sachtrennung: Wird das Verfahren gegen eine Person bis auf weiteres nicht fortgeführt, während gegen die anderen alsbald die Hauptverhandlung stattfinden soll, dann zielt ein solches prozessuales Vorgehen primär nicht mehr darauf ab, gegen alle Beteiligten eine einheitliche verfahrensabschließende Entscheidung herbeizuführen. Für die Annahme einer bloßen „Verhandlungstrennung“ mit der Folge, dass sich der abwesende Beteiligte im Hauptverfahren gegen die übrigen in der Rolle eines Mitbeschuldigten befinden würde,54 ist deshalb kein Raum.55 Besteht bzgl. der nach § 205 vor Eröffnung des Hauptverfahrens vorläufig eingestellte Strafsache für sich genommen keine sachliche Zuständigkeit des Gerichts, bei dem die Anklage der nach § 2 Abs. 1 verbundenen Verfahren erhoben wurde, so fällt diese mithin konsequenterweise in die originäre Zuständigkeit des Gerichts niedrigerer Ordnung zurück. e) Anfechtbarkeit. Soweit der Beschluss, durch den die Verfahrenstrennung herbeigeführt wird, in der Teileröffnung vor einem Gericht niederer Ordnung besteht, ist er gemäß § 210 für die Staatsanwaltschaft, nicht jedoch für den Angeklagten mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.56 Dabei muss man freilich beachten, dass § 210 nur diejenige Beschwer im Auge hat, die aus der Perspektive der Staatsanwaltschaft bei einer Nichteröffnung oder einer in irgendeiner Form hinter ihrem Antrag zurückbleibenden Eröffnung des Hauptverfahrens zu verzeichnen ist. Umgekehrt betrifft der Ausschluss einer Anfechtung durch den Angeklagten in § 210 Abs. 1 nur den Umstand, dass das Hauptverfahren überhaupt oder vor einem bestimmten Gericht eröffnet worden ist. Demgegenüber kann die Verfahrenstrennung als solche sowohl für den Angeklagten 27 als auch für die Staatsanwaltschaft eine spezifische Beschwer begründen (drohende Verzögerungen, Mehrbelastungen oder Beeinträchtigungen der Wahrheitsfindung), die mit dem Regelungsgehalt von § 210 in keinerlei Zusammenhang steht. Macht der Angeklagte oder die Staatsanwaltschaft solche negativen Auswirkungen der Verfahrenstrennung geltend, ist deshalb weder (auf Seiten des Angeklagten) § 210 Abs. 1 noch (auf Seiten der Staatsanwaltschaft) § 210 Abs. 2 einschlägig. Hier ist vielmehr gegen jeden gerichtlichen Beschluss, in dem die Verfahrenstrennung angeordnet wird, die einfache Beschwerde nach § 304 Abs. 1 eröffnet. § 305 Satz 1 steht nicht entgegen (im Gegensatz zur umgekehrten Situation, in dem das Gericht eine beantragte Verfahrenstrennung ablehnt, s.o. Rn. 18), weil die Trennung das Verfahren hemmt und insofern keine der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung i.S. dieser Vorschrift darstellt.57 Das Beschwerdegericht prüft den Beschluss nicht nur auf Ermessensfehler, sondern auch auf seine Zweckmäßigkeit, setzt also ggf. sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der Vorinstanz.58

26

54 55 56 57

NStZ 1995 213; Rotsch/Sahan JA 2005 801, 804; KK/Pfeiffer 14; Meyer-Goßner 11. So OLG Frankfurt StV 1981 85. Zutr. J. Fischer StV 1981 85; a.A. LR/Wendisch 25 62. KK/Pfeiffer 14; SK/Rudolphi 21. BayObLGSt 1953 86, 87; OLG Frankfurt

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StV 1983 92; 1991 504; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996 142; KK/Pfeiffer 14; MeyerGoßner 13. BayObLGSt 1953 87; OLG Düsseldorf NStZ 1991 145; OLG Frankfurt StV 1983 92; 1991 504; KK/Pfeiffer 14; Meyer-Goßner 13; a.A. (Ermessen nicht überprüfbar) OLG Hamm

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§3

4. Revision. Mit der Revision kann gerügt werden, dass die gesetzlichen Voraus- 28 setzungen für eine Verbindung oder für eine Trennung nicht vorgelegen hätten,59 dass ein unzuständiges Gericht (etwa das niedere anstelle des höheren) die Verfahren verbunden habe oder dass der Beschluss nicht in der vorgeschriebenen Weise zustande gekommen sei.60 Ebenso kann ein Missbrauch des Ermessens (Rn. 10 ff.) gerügt werden,61 anders als im Beschwerdeverfahren (Rn. 27) jedoch nicht eine schlichte Unrichtigkeit der Ermessensausübung durch den Tatrichter.62 Verfahrensfehler, die sich als mittelbare Folge der Verbindung oder Trennung ergeben (etwa ein Verstoß gegen §§ 230, 231,63 gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht 64 oder gegen §§ 261, 264 65), können selbstverständlich als solche gerügt werden.66

§3 Ein Zusammenhang ist vorhanden, wenn eine Person mehrerer Straftaten beschuldigt wird oder wenn bei einer Tat mehrere Personen als Täter, Teilnehmer oder der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beschuldigt werden.

Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift gebrauchte früher als Anknüpfungspunkt sowohl beim persönlichen als auch beim sachlichen Zusammenhang die Worte „strafbare Handlung“. Durch Art. 21 Nr. 1 EGStGB 1974 wurde für den ersten Fall das Wort „Straftat“ und für den zweiten das Wort „Tat“ eingesetzt. 1. Zusammenhang. § 3 definiert den Begriff des Zusammenhangs als Voraussetzung 1 sowohl der Verbindung nach § 2 und § 4 als auch derjenigen nach § 13. Er ist insoweit abschließend; von ihm nicht erfasste Formen tatsächlicher Zusammenhänge erlauben keine Verbindung nach § 2, § 4 oder § 13 (wohl aber eine solche zum Zwecke gemeinsamer Verhandlung gemäß § 237).1 Der Zusammenhang i.S. von § 3 kann ein persönlicher („wenn eine Person mehrerer Straftaten beschuldigt wird“) oder ein sachlicher („wenn bei einer Tat mehrere Personen als Täter, Teilnehmer oder der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beschuldigt werden“) sein. 2. Der Tatbegriff, den § 3 zur Beschreibung des Zusammenhangs verwendet, ist nach 2 heute allg. M. prozessualer Art (also i.S. von § 264 zu verstehen). Für den persönlichen Zusammenhang folgt dies schon daraus, dass mehrere Taten i.S. von § 53 StGB, die ein Beschuldigter begangen hat, einer getrennten Aburteilung überhaupt nur dann zugänglich sind, wenn es sich zugleich um verschiedene Taten im prozessualen Sinn handelt, d.h. nur für diesen Fall besteht für Regelungen zur Verbindung von Verfahren überhaupt

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HESt 2 102; Eb. Schmidt § 4, 16; KMR/ Paulus § 4, 34. RGSt 48 297; SK/Rudolphi 22. SK/Rudolphi 22. BGHSt 18 238, 239; Brunner JR 1974 429; Rogall StV 1985 354. BGH NJW 1953 836; BGHSt 18 238; OLG

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Koblenz VRS 49 (1975) 115; KK/Pfeiffer 15; Meyer-Goßner 14. BGH NJW 1953 836; BGHSt 24 257. Vgl. BGHSt 18 238, 239. RGSt 67 417, 418; BGH NJW 1953 836. KK/Pfeiffer 15; SK/Rudolphi 22.

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ein Bedürfnis.2 Für den sachlichen Zusammenhang kann nichts anderes gelten.3 Abgesehen davon, dass der Gesetzgeber mit der Ersetzung des Begriffs „strafbare Handlung“ durch „Tat“ ausdrücklich eine Klarstellung in diesem Sinne treffen wollte,4 kann der Begriff der „Tat“ innerhalb eines Satzes in ein und derselben prozessualen Vorschrift schwerlich unterschiedliche Bedeutungen haben. Im Übrigen können sich Zuständigkeitsregeln sinnvollerweise nur auf diejenige „Tat“ beziehen, die nach §§ 155, 264 den Gegenstand der Verhandlungs- und Aburteilungsbefugnis bildet.5

3

3. Persönlicher Zusammenhang besteht nach § 3 somit überall dort, wo einem Beschuldigten mehrere Taten im prozessualen Sinn vorgeworfen werden. Nicht erfasst ist hingegen der Fall, in dem wegen der gleichen Tat ein und desselben Beschuldigten unzulässigerweise zwei Verfahren eröffnet wurden, und zwar auch dann nicht, wenn es sich dabei um verschiedenartige Verfahren (Strafverfahren und Sicherungsverfahren gemäß §§ 413ff.) handelt. Hier haben wir es vielmehr von vornherein nur mit einer einzigen Sache zu tun, weshalb die Rechtshängigkeit des zuerst eröffneten Verfahrens ein Prozesshindernis für das zweite bildet, das mithin einzustellen ist; eine Verbindung beider Verfahren ist in dieser Situation nicht zulässig.6

4

4. Sachlicher Zusammenhang wird durch die Beziehung zu einer und derselben Tat hergestellt, an der mehrere Personen als Täter (§ 25 Abs. 1 StGB), Anstifter (§ 26 StGB), Gehilfe (§ 27 Abs. 1 StGB) oder der Begünstigung (§ 257 StGB), Strafvereitelung (§§ 258, 258a StGB) oder der Hehlerei (§§ 259, 260 StGB) beschuldigt werden.7 Soweit die mehreren Personen als Täter beschuldigt werden, können sie Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB), Nebentäter 8 oder notwendige Beteiligte sein oder zu demselben rechtswidrigen Erfolg durch ihre Fahrlässigkeit, mag diese auch bei jedem anders gestaltet sein,9 beigetragen haben. Der Begriff der Beteiligung i.S. dieser Vorschrift ist mithin nicht auf die Teilnahme i.S. des materiellen Strafrechts beschränkt; es genügt vielmehr jede strafbare, in dieselbe Richtung zielende Mitwirkung an einem geschichtlichen Vorgang.10 Die Verknüpfung der den einzelnen Beschuldigten zur Last gelegten Verhaltensweisen zu einem einheitlichen Geschehen im vorgenannten Sinn muss durch konkrete, in der Anklage im Einzelnen dargestellte Tatsachen begründet sein; die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs i.S. von § 3 genügt nicht.11

5

5. Kombinierter (vermittelter) Zusammenhang. Handelt es sich um mehr als zwei Strafsachen, so hängt die Zulässigkeit der Verbindung nicht davon ab, dass sie alle mit der Strafsache, für die das Gericht höherer Ordnung zuständig ist, unmittelbar zusam-

1 2 3

4 5 6

KK/Pfeiffer 1; SK/Rudolphi 1. Vgl. Kleinknecht MDR 1958 357; Rotsch/ Sahan JA 2005 801, 802; KMR/Paulus 2. BGH NJW 1988 150; BGHSt 38 376, 379 = JZ 1993 477 mit zust. Anm. Kindhäuser; Dünnebier JR 1975 2; Rotsch/Sahan JA 2005 801, 802; KK/Pfeiffer 3; Meyer-Goßner 3; a.A. Rosenmeyer 25 f.; überholt BGHSt 11 130. BTDrucks. 7 550, S. 289; dazu eingehend LR/Wendisch25 7 ff. KK/Pfeiffer 3. BGHSt 22 185, 186; KK/Pfeiffer 2.

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KK/Pfeiffer 3. RGSt 25 17; 34 258; 43 296. Beispiel: Verbreiten ein und desselben Korrespondenzartikels durch mehrere Redakteure (RG GA 55 [1908] 109), dagegen nicht Druck und Nachdruck eines beleidigenden Artikels (RGSt 42 133). Vgl. RGSt 64 379. BGH MDR 1987 1042 = NJW 1988 150; Rotsch/Sahan JA 2005 801, 802 f.; KMR/ Paulus 6; Meyer-Goßner 3. Kindhäuser JZ 1993 478, 479.

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Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte

§4

menhängen. Es genügt vielmehr, wenn der Zusammenhang zwischen Taten mehrerer Beschuldigter durch den sachlichen Zusammenhang anderer Taten derselben Beschuldigten vermittelt wird.12 Bsp: Hat die Staatsanwaltschaft gegen A wegen eines Raubes mit Todesfolge und gegen B wegen einer hierauf bezogenen Begünstigung Anklage bei der Schwurgerichtskammer (§ 74 Abs. 2 GVG) erhoben, so kann sie B dort auch wegen einer unabhängig von diesem Tatkomplex begangenen Sachbeschädigung anklagen. 6. Revision. Das Fehlen der Voraussetzungen von § 3 im Zeitpunkt der Verbindung 6 kann mit der Revision gerügt werden. Eine Bestimmung im Geschäftsverteilungsplan, wonach eine Strafkammer auch im Falle des Ausscheidens des einzigen Angeklagten, der ihre Zuständigkeit begründet, für die anderen Angeklagten zuständig bleibt, ändert (selbstverständlich) nichts an der Begründetheit der Revision nach § 338 Nr. 1, wenn das LG auch zur Verhandlung gegen den ausgeschiedenen Angeklagten in Wirklichkeit von Anfang an unzuständig war.13

§4 (1) Eine Verbindung zusammenhängender oder eine Trennung verbundener Strafsachen kann auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten oder von Amts wegen durch gerichtlichen Beschluß angeordnet werden. (2) 1Zuständig für den Beschluß ist das Gericht höherer Ordnung, wenn die übrigen Gerichte zu seinem Bezirk gehören. 2Fehlt ein solches Gericht, so entscheidet das gemeinschaftliche obere Gericht.

Entstehungsgeschichte. In der ursprünglichen Fassung gab § 4 Abs. 1 die für den Erlass des gerichtlichen Beschlusses maßgebende Verfahrenslage mit den Worten „nach Eröffnung der Untersuchung“ an. Dadurch entstandene Zweifel beseitigte die durch Art. 3 Nr. 1 VereinhG herbeigeführte Fassung, die auf die Eröffnung der Voruntersuchung oder des Hauptverfahrens abstellte. Durch Art. 1 Nr. 1 des 1. StVRG wurde nach Abschaffung der Voruntersuchung die Bezugnahme auf diese gestrichen. Weil nach der nunmehr allein verbleibenden Eröffnung des Hauptverfahrens nur vom Angeklagten gesprochen werden kann (§ 157), hat die Bekanntmachung 1975 die in der Verwendung des Wortes „Angeschuldigter“ liegende Unstimmigkeit des Wortlauts auf Grund der Ermächtigung in Art. 323 Abs. 1 EGStGB 1974 dadurch beseitigt, dass das Wort Angeklagter“ eingesetzt worden ist. Durch Art. 1 Nr. 2 StVÄG 1979 sind in Absatz 2 die Worte „Gericht, zu dessen Bezirk die übrigen Gerichte gehören“ ersetzt worden durch die Worte „Gericht höherer Ordnung, wenn die übrigen Gerichte zu seinem Bezirk gehören“. Der bisherige zweite Halbsatz ist Satz 2 geworden.

12

KK/Pfeiffer 4; KMR/Paulus 7; Meyer-Goßner 4; SK/Rudolphi 4.

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BGHSt 38 376, 378; KK/Pfeiffer 5.

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Übersicht Rn. 1. Zweck und Anwendungsbereich . . . . . 2. Erweiterte Anwendung a) Vor Eröffnung des Hauptverfahrens . . b) Anhängigkeit beim selben Gericht . . . 3. Anwendbarkeit jenseits der ersten Instanz? a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . b) Nach Zurückverweisung . . . . . . . c) Beim selben Landgericht anhängige Berufungssachen . . . . . . . . . . . . . d) Verfahren bei mehreren Gerichten . . . e) Instanzübergreifende Verbindung . . . f) Wiederaufnahmeverfahren . . . . . . 4. Durchführung der Verbindung

Rn.

1 3 4 8 9 10

5.

6. 11 15 17 23

7. 8.

a) Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . c) Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . Trennung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . b) Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . c) Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeiten a) Das beteiligte Gericht höherer Ordnung b) Das gemeinschaftliche obere Gericht . c) Trennung von Verfahren . . . . . . . Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . Revision . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 25 27 30 31 32 33 37 39 43 44 45

Alphabetische Übersicht Abgabe, einvernehmliche 6 Analogie 6, 11, 15 ff. Antrag der Staatsanwaltschaft 3, 24 Anwendungsbereich 1 Begründung 26 Bekanntgabe 25 Berufungssachen 11–22 Beschluss 25 ff., 32, 45 Beschwerde 44 Dauer der Verbindung 32 Dispositionsbefugnis der Staatsanwaltschaft 3 Eigenständigkeit, prozessuale 30 Ermessen 24, 26, 31 Erstinstanzliche Verhandlung einer Berufungssache 17 f., 21 Gericht höherer Ordnung 37 f., 40 Gericht, gemeinschaftliches oberes 39, 41 Instanzenzug 8–21 Jugendstrafsachen 1, 13 f., 17, 19, 36 Nachtragsanklage 3 Präsidium 7 Rechtliches Gehör 24 Rechtshängigkeit, anderweitige 2, 28

1

Rechtsmittelverfahren 20 f. Revisionsinstanz 31, 42, 45 Rücknahme der Berufung 17 Rücknahme einer Anklage 40 Spruchkörper, gleichrangige 4 ff. Strafkammer, große 13, 17 f. Strafkammer, kleine 12 ff. Teilrechtskraft, horizontale 17 Trennung, keine automatische oder stillschweigende 32 Trennung, vorübergehende 31 Trennung, Zuständigkeit 43 Verhandlungsverbindung 4, 22 Wegfall des Grundes der Verbindung 31 f. Wiederaufnahmeverfahren 23 Wirksamkeit der Verbindung 42, 45 Wirkungen der Trennung 33 ff. Wirkungen der Verbindung 28 Wirtschaftsstrafkammer 12, 14, 17 Zulässigkeit in jedem Verfahrensabschnitt 27 Zurückverweisung 10, 31 Zuständigkeit, kein Rückfall nach Trennung 34 ff.

1. Zweck und Anwendungsbereich. Die Vorschrift erweitert die in § 2 vorgesehenen Verbindungs- und Trennungsmöglichkeiten auf den Zeitraum nach der Eröffnung des Hauptverfahrens. Wie bei § 2 geht es auch hier nur um die Verbindung zusammenhängender Strafsachen, die für sich genommen unterschiedlichen sachlichen Zuständigkeiten – einschließlich derjenigen von Strafrichter und Schöffengericht 1 – (s.o. Vor § 1, 1) oder unterschiedlichen Zuständigkeiten besonderer Strafkammern gemäß §§ 74 Abs. 2, 74a, 74c GVG (s.o. Vor § 1, 4) unterliegen würden. Bei gleichzeitigem Auseinanderfallen der örtlichen Zuständigkeiten ist die Vorschrift ebenfalls anwendbar;2 speziell für diesen Fall gilt Abs. 2 Satz 2. Für die Verbindung von Jugendsachen mit Erwachsenensachen sind ebenso wie bei § 2 (s. dort Rn. 3) die §§ 103, 112 JGG zu beachten. 1

BGHSt 25 51; Meyer-Goßner DRiZ 1985 241, 242; Meyer-Goßner 2.

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KK/Pfeiffer 2.

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Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte

§4

§ 4 ist nicht einschlägig, wenn sich mehrere bei verschiedenen Gerichten anhängige 2 Strafverfahren wegen derselben Tat gegen denselben Angeklagten richten. Denn dann handelt es sich nicht um zusammenhängende (selbständige) Strafverfahren, vielmehr liegt eine von Anfang an bestehende Prozesseinheit vor, die ohnehin in einem Verfahren abzuurteilen ist.3 Klagt die Staatsanwaltschaft eine solche einheitliche Tat gleichwohl bei verschiedenen Gerichten an und zieht das höhere Gericht das andere Verfahren an sich, so liegt kein Fall des § 4 vor, vielmehr wird nur das Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit beseitigt.4 2. Erweiterte Anwendung a) Vor Eröffnung des Hauptverfahrens in allen zu verbindenden Sachen ist § 4 grds. 3 unanwendbar, weil das Verfahren noch der Dispositionsbefugnis der Staatsanwaltschaft unterliegt, die die Anklage bis zur Eröffnung des Verfahrens zurücknehmen kann.5 Eine Ausnahme gilt jedoch, wenn die Staatsanwaltschaft, die zu dem abgebenden Gericht eine noch nicht zugelassene Anklage erhoben hat, die Abgabe selbst beantragt oder ihr zustimmt, so dass ihre Dispositionsbefugnis durch die Verbindung mit dem bereits eröffneten Verfahren vor dem höheren Gericht nicht beeinträchtigt wird.6 Im Übrigen kann die Staatsanwaltschaft eine Strafsache, die an sich in die Zuständigkeit eines niederen Gerichts fällt, unmittelbar bei einem höheren Gericht anklagen und die Verbindung mit einer dort bereits anhängigen (nicht notwendigerweise schon eröffneten) anderen Sache beantragen, zu der ein Zusammenhang i.S. von § 3 besteht (unter den Voraussetzungen von § 266 ggf. auch noch im Wege einer Nachtragsanklage, wenn die Hauptverhandlung bereits begonnen hat).7 Hier zu verlangen, dass die Staatsanwaltschaft erst vor dem niederen Gericht Anklage erhebt, bevor sie die Verbindung bei dem höheren Gericht beantragen kann,8 wäre eine unnötige Förmelei. b) Anhängigkeit beim selben Gericht. Besteht zwischen mehreren Sachen, die bei dem- 4 selben Spruchkörper oder bei verschiedenen gleichrangigen Spruchkörpern desselben Gerichts anhängig sind, ein Zusammenhang i.S. von § 3, so ist § 4 an sich nicht einschlägig. Es besteht indessen kein Zweifel, dass eine Zusammenführung der Sachen, die die Staatsanwaltschaft schon im Ermittlungsverfahren jederzeit durch eine formlose Verbindung der Vorgänge und durch die Erhebung einer einheitlichen Anklage bewirken konnte (s.o. § 2, 5), auch im gerichtlichen Verfahren möglich ist: Wenn § 4 eine Verbindung erlaubt, die die sachliche Zuständigkeit verändert, dann muss man eine Verbindung, die lediglich die geschäftsplanmäßige Zuständigkeit von Spruchkörpern (oder nicht einmal diese) berührt, bei Vorliegen eines entsprechenden Zusammenhangs i.S. von § 3 erst recht als

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BGH MDR 1976 64; Kleinknecht MDR 1958 357. BGHSt 19 177, 181; BGH NJW 1958 31; BGHSt 36 175, 184; Meyer-Goßner § 3, 2. BGH bei Miebach/Kusch NStZ 1991 27; im Erg. bereits OLK Karlsruhe MDR 1998 517; vgl. auch BGH NStZ-RR 2005 77. BGH NStZ 1990 448 (nach BGH v. 31.7.1992 – 2 ARs 345/92 aber nicht im umgekehrten Fall, in dem das Hauptverfahren in der vor dem höheren Gericht angeklagten Sache noch nicht eröffnet wurde); Meyer-Goßner 4 will

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demgegenüber unabhängig von einer Zustimmung der StA zulassen, dass das höhere Gericht ein durch das niedere Gericht noch nicht eröffnetes Verfahren nach § 4 an sich zieht. BGH v. 15.11.1960 – 5 StR 439/60; BGH NStZ 1996, 447; Meyer-Goßner DRiZ 1985 241, 242; KK/Pfeiffer 1; KMR/Paulus 7; Meyer-Goßner 5; SK/Rudolphi 1. So OLG Celle MDR 1954 375; Rosenmeier 47 ff.

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zulässig betrachten.9 Dabei handelt es sich nicht um einen Anwendungsfall von § 237 (der lediglich die Verbindung zum Zwecke gemeinsamer Verhandlung, nicht aber die Verschmelzung zu einem einheitlichen Verfahren zum Gegenstand hat).10 Danach ist die Zusammenführung von Verfahren, die bei ein und demselben Spruch5 körper anhängig sind, wo sie bereits gemeinsam hätten angeklagt werden können, von Amts wegen oder auf Antrag jederzeit zulässig, ohne dass hierfür eine besondere Rechtsgrundlage erforderlich wäre.11 Sind Verfahren, zwischen denen ein Zusammenhang i.S. von § 3 besteht, bei mehreren 6 gleichrangigen Spruchkörpern desselben Gerichts anhängig, so können sie analog § 4 Abs. 1 zu einem einheitlichen Verfahren zusammengefasst werden.12 Die Verbindung erfolgt in diesem Fall durch formlose Abgabe- und Übernahmeentscheidungen, die von den beteiligten Spruchkörpern nur einvernehmlich getroffen werden können,13 d.h. eine Übernahme kann weder durch den abgebenden Spruchkörper erzwungen werden, noch hat ein Spruchkörper die Möglichkeit, ein bei einem anderen Spruchkörper anhängiges Verfahren einseitig an sich zu ziehen: § 4 Abs. 2 Satz 1 ist bei Gleichrangigkeit der beteiligten Spruchkörper nicht anwendbar, und für eine analoge Anwendung von § 4 Abs. 2 Satz 2 ist nach allg. M. kein Raum.14 Der Vorschlag, wonach dort, wo eine Einigung zwischen den beteiligten Spruch7 körpern nicht zustande kommt, das Präsidium entsprechend § 21e Abs. 1 Satz 1 GVG die Verbindung bei einem von ihnen anordnen soll,15 wenn das sachdienlich erscheint, erscheint unter pragmatischen Gesichtspunkte erwägenswert. Im Hinblick darauf, dass das Präsidium auf diese Weise nachträglich die Zuständigkeit der Spruchkörper für einen konkreten Einzelfall (!) verändern würde, dürften ihm im Hinblick auf den Grundsatz des gesetzlichen Richters letzten Endes jedoch durchschlagende Bedenken entgegenstehen. So bleibt in der entsprechenden Situation wohl nichts anderes übrig, als auf die Verbindung der Verfahren notgedrungen zu verzichten.16

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3. Anwendbarkeit jenseits der ersten Instanz? Große Probleme bereitet die Frage, ob § 4 nur innerhalb der ersten Instanz gilt, oder ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen einer Verbindung auch dann noch in Betracht kommt, wenn in einem oder beiden Verfahren schon ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist.

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a) Grundsatz. Dabei hat sich im Grundsatz die zutr. Ansicht durchgesetzt, dass ein erstinstanzliches Urteil durch die Anwendung von § 4 nicht der Überprüfung durch das insoweit zuständige Rechtsmittelgericht entzogen werden darf, weil dies einen Eingriff in 9

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BGHSt 36 348, 350; BGH NJW 1995 1688, 1689; Meyer-Goßner NStZ 1989 297, 298; ders. NStZ 2004 353, 355; Rotsch/Sahan JA 2005 801, 808; KMR/Paulus 4; Meyer-Goßner 6; überholt BGHSt 20 219 220. Dazu bereits § 2, 6. Meyer-Goßner NStZ 2004 353, 355; für eine analoge Anwendung von § 4 Abs. 1 auch in diesem Fall KG Berlin NStZ 1998 400; Rotsch/Sahan JA 2005 801, 808. BGHSt 26 191, 199; 36 348, 350; 38 172, 175; BGH NJW 1995 1688, 1689; MeyerGoßner NStZ 1989 297, 298; Rotsch/Sahan JA 2005 801, 808; KMR/Paulus 4; Meyer-

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Goßner 7; im Erg. auch Sowada 716; a.A. (Bedenken im Hinblick auf den Grundsatz des gesetzlichen Richters) Steinmetz JR 1993 228 ff.; HK/Lemke 6. BGHSt 26 191, 199; OLG Düsseldorf MDR 1980 1041, 1042; NStZ 1996 51; MeyerGoßner 6; SK/Rudolphi § 2, 4. BGH NJW 1995 1688, 1689; OLG Düsseldorf MDR 1980 1041, 1042; Meyer-Goßner NStZ 1989 297; ders. NStZ 2004 353, 355; KK/Pfeiffer 2; im Erg. zust. Sowada 717. Meyer-Goßner NStZ 2004 353, 357. So im Erg. auch Sowada 717.

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Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte

§4

den Instanzenzug bedeuten würde. Ein solcher ist aber in den §§ 2 ff., die lediglich die sachliche Zuständigkeit und die Zuständigkeit besonderer Strafkammern in erster Instanz zum Gegenstand haben, nicht vorgesehen, stünde im Widerspruch zu den einschlägigen Vorschriften im GVG und würde mithin gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen.17 b) Nach Zurückverweisung. Diese Überlegung steht einer Anwendung von § 4 indes- 10 sen nicht entgegen, wenn das höherrangige Gericht, bei dem die Verbindung erfolgen soll, in dem bei ihm anhängigen Verfahren nach Zurückverweisung der Sache, in der zuvor bereits ein Urteil ergangen war, wieder als Gericht des ersten Rechtszugs tätig wird,18 und zwar selbst dann nicht, wenn die Aufhebung und Zurückverweisung auf den Strafausspruch beschränkt war.19 c) Beim selben Landgericht anhängige Berufungssachen, zwischen denen ein Zusammenhang i.S. von § 3 besteht, können ebenfalls ohne Bedenken miteinander verbunden werden, weil der Instanzenzug als solcher hierdurch nicht berührt wird.20 Sind die Berufungsverfahren bei der gleichen Kammer anhängig, ist die Verschmelzung der Verfahren entsprechend der Situation in erster Instanz (s.o. Rn. 5) jederzeit möglich. Verfahren, die bei verschiedenen Kammern anhängig sind, können wiederum (s.o. Rn. 6) nur im Einvernehmen zwischen diesen analog § 4 Abs. 1 verbunden werden. Handelt es sich bei einer der betroffenen Sachen um ein Berufungsverfahren gegen ein Urteil des Schöffengerichts in Wirtschaftsstrafsachen, muss dabei die besondere Zuständigkeit einer kleinen Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer gemäß § 74c Abs. 1 GVG beachtet werden, d.h. die Verfahren können in diesem Fall nur bei Letzterer und nicht bei einer allgemeinen Berufungsstrafkammer verbunden werden.21 Ist eines der Verfahren in zweiter Instanz bei einer großen Strafkammer anhängig, was heute nur noch in Jugendstrafsachen möglich ist (§ 41 Abs. 2 JGG), bestehen gegen eine Verbindung mit einem bei einer allgemeinen Berufungskammer anhängigen Verfahren entsprechend § 103 (ggf. i.V.m. § 112 Satz 1) ebenfalls keine durchgreifenden Bedenken, wenn die Jugendkammer das Verfahren entsprechend § 103 Abs. 2 Satz 1 JGG insgesamt übernimmt: Auch hier bleibt der Rechtsmittelzug unverändert, und dem Angeklagten in dem zunächst bei einer kleinen Strafkammer anhängigen Berufungsverfahren erwächst durch den Wechsel der Zuständigkeit auf einen „besser“ besetzten Spruchkörper desselben Gerichts kein Nachteil.22 Unzulässig ist die Verbindung hingegen, wenn eines der betroffenen Berufungsverfahren bei einer Jugendkammer, das andere bei einer kleinen Wirtschaftsstrafkammer anhängig ist: Eine Verbindung der Verfahren bei Ersterer würde dem Rechtsgedanken von § 103 Abs. 2 Satz 2 JGG widersprechen, und eine Verbindung bei Letzterer würde entgegen

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Vgl. BGHSt 19 177, 179 = JZ 1964 468 mit zust. Anm. Eb. Schmidt; BGHSt 25 51, 53; BGHSt 37 15, 18 f.; BGHR StPO § 4 Verbindung 11; OLG Düsseldorf MDR 1985, 1048; Rosenmeier 55 ff.; Rotsch/Sahan JA 2005 801, 802; KK/Pfeiffer 3; Meyer-Goßner 3, 8d; SK/Rudolphi 7; a.A. noch BGHSt 4 152; LR/Wendisch 25 10 ff.; differenzierend (Zulässigkeit des Eingriffs in den Instanzenzug „ausnahmsweise bei übergewichtigen Vor-

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teilen einer solchen Maßnahme“) KMR/ Paulus 4. BGHSt 25 51, 53 f. BGH v. 19.10.1977 – 2 StR 283/77; Rotsch/Sahan JA 2005 801, 805; KK/Pfeiffer 3; Meyer-Goßner 3; SK/Rudolphi 6. BGHSt 38 172, 175; Meyer-Goßner NStZ 1989 297, 299; Meyer-Goßner 7. Meyer-Goßner NStZ 2004 353, 357. Meyer-Goßner NStZ 2004 353, 357.

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§ 41 Abs. 2 Satz 1 JGG die Entscheidung einer kleinen Strafkammer über eine Berufung in Jugendstrafsachen nach sich ziehen.23

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d) Verfahren bei mehreren Gerichten. Die Verbindung von Verfahren, die bei verschiedenen Landgerichten anhängig sind, und von denen sich eines oder beide in der Berufungsinstanz befinden, wäre im Gegensatz zur Verbindung von Berufungsverfahren, die von vornherein in die Zuständigkeit desselben Landgerichts fallen, hingegen ein unzulässiger Eingriff in den Instanzenzug .24 Handelt es sich um zwei Berufungsverfahren, von denen das eine die Berufung gegen ein strafrichterliches, das andere diejenige gegen ein schöffengerichtliches Urteil zum Gegenstand hat,25 würde die erstgenannte Sache dem für sie zuständigen Gericht entzogen. In gleicher Weise würde die mit dem Erlass eines amtsgerichtlichen Urteils begründete Zuständigkeit des übergeordneten Landgerichts für das Berufungsverfahren ausgehebelt, ließe man es zu, dass die bei diesem in zweiter Instanz anhängige Sache mit einem bei einem anderen Landgericht anhängigen erstinstanzlichen Verfahren verbunden und dort erneut in erster Instanz verhandelt wird. In diesen Fällen wird eine analoge Anwendung von § 4 deshalb heute zu recht weitgehend abgelehnt.26 Ebenso unzulässig ist es, ein beim Amtsgericht anhängiges Verfahren mit einem Be16 rufungsverfahren beim Landgericht zu verbinden, weil dessen Zuständigkeit zur Entscheidung über die beim Amtsgericht anhängige Sache über § 4 nur dann begründet werden kann, wenn in einer anderen Sache, zu der ein Zusammenhang besteht, eine originäre erstinstanzliche Zuständigkeit besteht.27 Die Anklage darf auch nicht etwa nur deshalb beim Landgericht erhoben werden, um die (von der Rspr. grds. zugelassene, dazu folgende Rn.) Verbindung mit einem dort anhängigen Berufungsverfahren zu ermöglichen.28

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e) Instanzübergreifende Verbindung beim selben Landgericht. Den umstrittenen Problemfall bildet die Verbindung eines Berufungsverfahrens mit einem Verfahren, das bei demselben Landgericht in erster Instanz anhängig ist. Sie wird von der Rspr. nicht nur dort zugelassen, wo beide Verfahren bei derselben großen Strafkammer anhängig sind (was heute nur noch in Jugendstrafsachen gemäß § 41 Abs. 2 JGG möglich ist),29 sondern auch dort, wo eine große Strafkammer das bei einer kleinen Strafkammer geführte Berufungsverfahren übernimmt.30 Danach wird die zu einem einheitlichen Verfahren verschmolzene Sache vor der großen Strafkammer insgesamt erstinstanzlich verhandelt, wobei eine Rücknahme der Berufung nicht mehr möglich ist.31 Ausgeschlossen sein soll die Verbindung nur dann, wenn in der Berufungssache schon horizontale Teilrechtskraft eingetreten ist, weil diese einer erneuten erstinstanzlichen Verhandlung der Sache entgegensteht.32 Im Übrigen kann im Hinblick auf §§ 74c GVG i.V.m. § 74e Nr. 2 23 24 25

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Eingehend Meyer-Goßner NStZ 1989 297, 300 f. BGHSt 19 177. So im Falle von BGHSt 19 177; richteten sich beide Berufungen gegen Urteile des Strafrichters oder gegen Urteile des Schöffengerichts, wäre schon in erster Instanz nicht § 4, sondern § 13 Abs. 2 einschlägig gewesen! Meyer-Goßner DRiZ 1985 241, 242; ders. NStZ 1989 297, 299; KK/Pfeiffer 3, SK/ Rudolphi 7; a.A. LR/Wendisch 25 10 ff.

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BGHSt 37 15, 18. BGHSt 38 172, 174 f.; BGH NStZ 1992 397. Möglicherweise nur für diesen Fall KK/ Pfeiffer 2. BGHSt 36 348, 350; 37 15, 17; 38 300; BGH NStZ 1998, 628 f.; im Schrifttum ebenso AK/Dästner 4; AK/Keller § 237, 5; KMR/ Paulus § 237, 4. BGHSt 38 300. BGHSt 36 348, 350 f.; 37 15, 17; BGH NStZ-RR 1997 171.

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Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte

§4

GVG bzw. § 103 Abs. 2 Satz 2 JGG ein bei der kleinen Wirtschaftsstrafkammer anhängiges Berufungsverfahren nicht von der Staatsschutzkammer oder der Jugendkammer zu einem dort anhängigen erstinstanzlichen Verfahren übernommen werden, und der Verbindung eines Berufungsverfahrens bei der Jugendkammer mit einem erstinstanzlichen Verfahren in Staatsschutz- oder Wirtschaftsstrafsachen stehen auf der einen Seite wiederum § 74a bzw. § 74c GVG, auf der anderen Seite § 41 Abs. 2 Satz 1 JGG entgegen.33 Die durch eine Verbindung mit einem erstinstanzlichen Verfahren beim Landgericht bewirkte Rückversetzung von Berufungssachen in den ersten Rechtszug hat nach der Rspr. des BGH auch dann Bestand, wenn die Verfahren nachträglich wieder getrennt werden, d.h. die frühere Berufungssache muss von der großen Strafkammer als erstinstanzliches Verfahren weitergeführt werden.34 Richtigerweise ist die analoge Anwendung von § 4 Abs. 1 im Verhältnis zwischen erst- und zweitinstanzlichen Verfahren beim Landgericht generell abzulehnen. Durch eine solche Verbindung wird nämlich nicht nur dort ohne hinreichende gesetzliche Grundlage in den Instanzenzug eingegriffen, wo die Verfahren bei verschiedenen Gerichten anhängig sind (s.o. Rn. 13), sondern auch im Falle ihrer Anhängigkeit bei ein und demselben Gericht.35 Dabei spielt es auch keine Rolle, ob erst- und zweitinstanzliches Verfahren bei unterschiedlichen Spruchkörpern anhängig sind (was wegen der heutigen Fassung von § 76 Abs. 1 Satz 1 GVG heute fast durchweg der Fall ist), oder ob die durch § 41 Abs. 2 Satz 1 JGG nach wie vor eröffnete Möglichkeit zum Tragen kommt, dass eine Jugendstrafkammer sowohl für ein erstinstanzliches Verfahren als auch für ein damit zusammenhängendes Berufungsverfahren zuständig ist: In beiden Fällen wird der Instanzenzug dergestalt verändert, dass für die Revision in der zunächst als selbständiges Berufungsverfahren geführten Sache nach Verschmelzung mit dem erstinstanzlichen Verfahren nicht mehr das OLG, sondern der BGH zuständig wäre.36 Dies kann man nicht mit der Erwägung legitimieren, dass die Verschiebung des nachfolgenden Instanzenzuges in der Natur der Anwendung von § 4 liege.37 Es macht nämlich einen zentralen Unterschied, ob eine von den §§ 2 ff. ausdrücklich vorgesehene Änderung der erstinstanzlichen Zuständigkeiten eine Reflexwirkung dahingehend entfaltet, dass bzgl. der Sache, über die nun statt dem Amtsgericht das Landgericht (mit-) entscheidet, der BGH anstelle des OLG die Revisionszuständigkeit erlangt, oder ob der Instanzenzug im laufenden Rechtsmittelverfahren verändert wird. Letzteres auf eine Analogie § 4 zu stützen, bedeutet letzten Endes, einer Norm im Rahmen ihrer analogen Anwendung weitergehende Regelungswirkungen beizumessen als dort, wo sie unmittelbar anwendbar ist. Das kann nicht richtig sein.38 Im Übrigen ist gegenüber einer Verschmelzung von Verfahren aus unterschiedlichen Rechtszügen folgender Einwand zu erheben: Mit der vollständigen Verkündung eines Urteils ist der Rechtszug endgültig abgeschlossen, d.h. eine Aufhebung oder Abänderung des Urteils kann nur noch durch eine Entscheidung im Rechtsmittelverfahren erfolgen. Es bedeutet einen krassen Verstoß gegen diesen Grundsatz, der in seinem Gewicht einer Missachtung von Rechtskraftwirkungen kaum nachstehen dürfte, wenn man die Einlegung eines Rechtsmittels zum Anlass nimmt, über die gleiche Sache ohne Durchführung 33 34

Meyer-Goßner NStZ 1989 297, 303; MeyerGoßner 8a. BGHSt 38 300, 301; OLG Stuttgart NStZ 1995, 248 = JR 1995 517; Meyer-Goßner NStZ 1996 51; Meyer-Goßner 11; a.A. Wendisch JR 1995 519, 521.

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Meyer-Goßner NStZ 2004 353, 357; Sowada 719 f. Meyer-Goßner NStZ 2004 353, 357 f. In dieser Richtung BGHSt 36 348, 351. Zutr. Meyer-Goßner NStZ 2004 353, 357; Sowada 720.

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des Rechtsmittelverfahrens noch einmal „erstinstanzlich“ zu verhandeln. Dass die Wiedereröffnung des ersten Rechtszugs in den umstrittenen Fällen von dem gleichen Gericht erfolgt, das nach ähnlichen Regeln (ebenfalls neue Erhebung der Tatsachen in mündlicher Hauptverhandlung) auch das Berufungsverfahren durchzuführen hätte, vermag an dieser Erkenntnis nichts zu ändern. Von diesen Bedenken unberührt bleibt lediglich die Möglichkeit, ein erst- und ein 22 zweitinstanzliches Verfahren gemäß § 237 zum Zecke der gemeinsamen Verhandlung miteinander zu verbinden, weil die Verfahren dabei weiter ihren eigenen verfahrensrechtlichen Gesetzen folgen und durch gesonderte Entscheidungen (d.h. in concreto: durch ein erstinstanzliches und durch ein Berufungsurteil) abgeschlossen werden (s.o. § 2, 4),39 womit der Instanzenzug im Ergebnis unberührt bleibt.40 Weil § 237 richtigerweise eine Anhängigkeit der betreffenden Verfahren von ein und demselben Spruchkörper voraussetzt (dazu bereits § 2, 6 Fn. 12), kommt diese Möglichkeit jedoch wiederum nur noch im Jugendstrafverfahren in Betracht (§ 42 Abs. 2 Satz 1 JGG im Gegensatz zu § 76 Abs. 1 Satz 1 GVG).

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f) Im Wiederaufnahmeverfahren ist wegen der ausschließlichen Zuständigkeit eines anderen, mit gleicher sachlicher Zuständigkeit versehenen Gerichts als desjenigen, dessen Urteil mit dem Wiederaufnahmeantrag angefochten wird (§ 140a GVG i.V.m. § 367), jede Verbindung unzulässig.41 4. Durchführung der Verbindung

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a) Ermessen. Liegen die Voraussetzungen einer Verbindung in direkter oder entsprechender Anwendung von § 4 vor, so kann diese – ebenso wie die Trennung verbundener Verfahren (dazu unten Rn. 30 ff.) nach dem Gesetz „auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Angeklagten oder von Amts wegen“ erfolgen. Sie steht in allen Fällen im Ermessen des Gerichts,42 was nicht gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters verstößt (s.o. § 2, 8). Dabei wäre ein einseitiges Abstellen auf verfahrensökonomische Gesichtspunkte ermessensfehlerhaft: Rechtsstaatprinzip, Übermaßverbot, der Grundsatz des fairen Verfahrens, das Recht des Beschuldigten am zügigen Abschluss seines Verfahrens und vor allem sein Interesse, durch die Verbindung nicht wegen § 146 den Verteidiger seiner Wahl zu verlieren, sind in die Abwägung einzubeziehen und können das öffentliche Interesse an einer Verbindung der Verfahren im Einzelfall überwiegen.43 Vor Verbindung oder Trennung eines Verfahrens ist rechtliches Gehör zu gewähren.44

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b) Beschluss. Die Entscheidung ergeht in Form eines Gerichtsbeschlusses. Für die Besetzung des Gerichts gelten dabei die allgemeinen Vorschriften, namentlich für Beschlüsse außerhalb der Hauptverhandlung die §§ 76, 122 Abs. 1, 139 Abs. 2 GVG. Der Beschluss ist grds. nach § 35 bekanntzugeben, wobei nach h.M. freilich ausnahmsweise eine stillschweigende Bekanntgabe möglich sein soll, wenn der Vorsitzende die erforderlichen 39 40

BGHSt 19 177, 182; 37 42; Meyer-Goßner NStZ 2004 353, 358; Sowada 718. BGHSt 36 348, 351 f. gegen die – insoweit überholte – Rspr., die im Anschluß an BGH MDR 1955 755 auch bei einer Verbindung nach § 237 über eine analoge Anwendung von § 5 eine einheitliche Revisionszuständigkeit des BGH annahm.

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OLG Koblenz NStZ-RR 1998 18, 19. BGHSt 18 238; 45 342, 351; KK/Pfeiffer 6; Meyer-Goßner 10; SK/Rudolphi 8. BVerfG StV 2002 578; Meyer-Goßner 10. BGH NJW 1989 2403 (2407); KK/Pfeiffer 6; Meyer-Goßner 10; Eb. Schmidt 12.

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Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte

§4

Maßnahmen trifft (z.B. Ladung zur gleichen Terminsstunde), das Gericht dies nicht beanstandet und die intendierte Verbindung für alle Verfahrensbeteiligten klar erkennbar ist.45 Wie ein solches Vorgehen mit dem Erfordernis des rechtlichen Gehörs (s.o. Rn. 24) vereinbar sein soll, ist indessen schwer ersichtlich.46 Soweit der Beschluss einen Antrag ablehnt, ist er gemäß § 34 zu begründen. Der ver- 26 breiteten Ansicht, wonach als Begründung der Ermessensentscheidung die Aussage genüge, das Gericht halte ein entsprechendes Vorgehen für sachgerecht, diese Aussage im Beschluss implizit enthalten sei und auf eine Begründung i.e.S. deshalb verzichtet werden könne,47 kann jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden: Zumindest dort, wo ein Verfahrensbeteiligter bei der Gewährung des rechtlichen Gehörs Sachgründe vorgetragen hat, die gegen die vom Gericht beschlossene Verbindung/Trennung (bzw. im Falle der Ablehnung für diese) sprechen, muss das Gericht darlegen, welche Gegengründe den Ausschlag dafür gaben, nicht antragsgemäß zu entscheiden. Nur so lässt sich nämlich überprüfen, ob das Gericht die Grenzen seines Ermessens (s.o. Rn. 24) eingehalten hat.48 Keines Verbindungsbeschlusses bedarf es, wenn das Gericht das Verfahren wegen ver- 27 bunden anhängig gemachter Sachen (§ 2 Abs. 1) antragsgemäß eröffnet. Es kann auch bei der Eröffnung mit der zu eröffnenden Sache eine schon eröffnete verbinden.49 Im Übrigen ist der Verbindungsbeschluss in dem Verfahren zur Vorbereitung der Hauptverhandlung und auch während dieser in jedem Verfahrensabschnitt 50 bis zum Urteil zulässig.51 Wegen der Notwendigkeit, in der hinzuverbundenen Sache mit Rücksicht auf § 261 die bisherigen Teile der Hauptverhandlung zu wiederholen (s.u. Rn. 29), wird die Verbindung mit dem Fortgang der Hauptverhandlung in dem zu übernehmenden Verfahren allerdings immer unzweckmäßiger. c) Wirkungen. Die Verbindung führt zur Verschmelzung der Sachen zu einem einheit- 28 lichen, beim Gericht höherer Ordnung (bzw. im Falle einer einvernehmlichen Verbindung unter gleichrangigen Spruchkörpern analog § 4 Abs. 1 bei demjenigen, der die Sache insgesamt übernimmt) anhängigen Verfahren. Zugleich endet die Rechtshängigkeit bei dem Gericht niederer Ordnung (bzw. beim abgebenden Spruchkörper).52 Die Wirkungen der Verbindung treten auch dann ein, wenn das Verfahren zur Abgabe beim Gericht niederer Ordnung vor Eröffnung des Hauptverfahrens fehlerhaft ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft durchgeführt wurde.53 War eine Sache bei einem Gericht niederer Ordnung anhängig, und ist sie dann nochmals zusammen mit anderen Sachen bei einem Gericht höherer Ordnung anhängig gemacht worden, so entfällt für das höhere Gericht, wenn es einen Verbindungsbeschluss erlässt, durch diesen das Verfahrenshindernis anderweitiger Rechtshängigkeit.54 Wurden beim abgebenden Gericht vor der Verbindung bereits Teile der Hauptverhand- 29 lung durchgeführt, so müssen diese bei dem übernehmenden Gericht mit Rücksicht auf

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RGSt 52 138, 140; 70 65, 68; RG GA 72 (1928) 346; BayObLG NJW 1961, 2318; KK/Pfeiffer 7; Meyer-Goßner 11; a.A. SK/Rudolphi 11. Zutr. SK/Rudolphi 11. RGSt 52 138, 140; 57 44; RG GA 36 (1888) 168, 169; Bohnert 29; KK/Pfeiffer 7; MeyerGoßner 10; LR/Wendisch 25 26; offengelassen in BGH NStZ 2000 211. Zutr. HK/Lemke 12; SK/Rudolphi 11.

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RGSt 46 130. RGSt 64 179. RG GA 36 (1888) 168; BGH NJW 1953 836; BGHSt 45 342, 351 = JR 2001 250 m. zust. Anm. Gollwitzer; Meyer-Goßner 9. BGH NJW 1958 31; KK/Pfeiffer 9; MeyerGoßner 9. BGHR StPO § 4 Verbindung 16. Rosenmeier 85; KK/Pfeiffer 9.

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§4

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

§ 261 wiederholt werden.55 Im Übrigen ist es unzulässig, gegen einen durch die Verbindung hinzugekommenen Mitangeklagten Verfahrensstoff aus den Teilen der Hauptverhandlung zu verwerten, die noch ohne ihn erfolgt sind.56

30

5. Trennung. Ebenso wie im Falle von § 2 Abs. 2 können Verfahren gemäß § 4 Abs. 1 nach Eröffnung des Hauptverfahrens mit der Maßgabe voneinander getrennt werden, dass die Sachverbindung erlischt und die getrennten Sachen ihre vollständige prozessuale Eigenständigkeit (zurück-)erlangen.

31

a) Voraussetzungen. Die – selbstverständlich auf eigenständige Taten im prozessualen Sinn beschränkte – Trennung unterliegt ebenso wie die Verbindung dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts; zu den maßgeblichen Gesichtspunkten und Grenzen sei auf § 2, 21 ff. verwiesen. Sie kann in jeder Phase des Verfahrens unter Einschluss der Revisionsinstanz (bei Zurückverweisung einer Sache, während die andere rechtskräftig wird) sowie der neuen Tatsacheninstanz nach einer Zurückverweisung durch das Revisionsgericht erfolgen.57 Die Trennung wird jedoch keinesfalls deshalb notwendig, weil der Grund der Verbindung nachträglich entfällt.58 Solange der Grund der Verbindung fortbesteht, schließt die Trennung eine spätere Wiederverbindung der Verfahren nicht aus. Die Trennung ist grds. auch dann zulässig, wenn sie von Anfang an nur vorübergehend erfolgen soll.59 Die Möglichkeit einer vorübergehenden Verfahrenstrennung darf allerdings nicht dazu missbraucht werden, um gegen den Willen des Angeklagten den Effekt einer Beurlaubung gemäß § 231c zu erzielen und so das dort statuierte Antragserfordernis zu umgehen.60

32

b) Vollzogen wird die Trennung wiederum durch einen Beschluss, zu dessen Bekanntgabe- und Begründungserfordernissen 61 die Ausführungen unter Rn. 25 f. sinngemäß gelten. Eine automatische oder stillschweigende Trennung gibt es nicht, d.h. ohne Trennungsbeschluss hat eine einmal erfolgte Verbindung nach Eröffnung des Hauptverfahrens auch dann Bestand, wenn der Zusammenhang erlischt, das Urteil gegen einen von mehreren Angeklagten rechtskräftig wird 62 oder die Sache, für welche das Gericht höherer Ordnung an sich zuständig ist, völlig (z.B. durch den Tod des Angeklagten) in Wegfall kommt.

33

c) Was die Wirkungen der Trennung nach Eröffnung des Hauptverfahrens betrifft, so sind die Konsequenzen des Umstands, dass die verbundenen Sachen ihre prozessuale Selbständigkeit zurückgewinnen, in einem zentralen Punkt umstritten: Ein Teil des Schrifttums steht auf dem Standpunkt, dass die Aufhebung der Sachver34 bindung zugleich die nach den §§ 2 ff. begründete Zuständigkeit des höheren Gerichts 55 56 57 58 59

BGH NJW 1953 836; BGHSt 45 342, 351. BGHSt 45 342, 351; HK/Lemke 10; KK/Pfeiffer 9. BGH bei Dallinger MDR 1975 23; KK/Pfeiffer 10; Meyer-Goßner 11; SK/Rudolphi 9. Meyer-Goßner 11. BGHSt 32 270, 272; noch offengelassen in BGH NStZ 1983 34; wie hier Meyer-Goßner DRiZ 1990 285; KK/Pfeiffer 6; KK/Treier § 231c, 2; Meyer-Goßner 11; a.A. Schlothauer FS Koch 250, der in diesem Fall einen generellen Vorrang von § 231c befürwortet.

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60

61 62

BGHSt 32 270, 272; HK/Lemke § 2, 15; KK/Pfeiffer 11; für eine Einschränkung des Ermessensspielraums zur vorübergehenden Trennung durch § 231c Kost 188 ff.; LR/Gollwitzer 25 § 231c, 3. Deren Reichweite BGH NStZ 2000 211 offengelassen hat. RGSt 48 121; BGH MDR 1955 755; OLG Köln VRS 53 (1977) 130; HK/Lemke § 2, 13; Meyer-Goßner § 2, 11.

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Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte

§4

für die Sache entfallen lässt, für die an sich ein Gericht niederer Ordnung zuständig wäre, so dass das abgetrennte Verfahren automatisch in die originäre Zuständigkeit zurückfalle. Insoweit statuiere die Ermächtigung zur Verfahrenstrennung nach § 4 eine Ausnahme von § 269.63 Dem ist der BGH in einer grundlegenden Entscheidung 64 mit der zutr. Erwägung 35 entgegengetreten, dass § 4 Abs. 1 nur die Möglichkeit einer Verfahrenstrennung an sich eröffnet, aber keine Sonderregelung über eine Änderung der Zuständigkeit enthält und insofern nicht geeignet ist, die Anwendung von § 269 zu beschränken.65 Ergänzend kann man anführen, dass die Übertragung von Zuständigkeiten bei der Verbindung von Verfahren in der Natur der Sache liegt, während sie bei der Verfahrenstrennung unnötig ist – das Gericht, bei dem die zusammenhängenden Sachen im Verbund anhängig waren, kann auch nach der Trennung problemlos beide weiterführen. Eine Veränderung der Zuständigkeit bedeutet an dieser Stelle mithin ein vermeidbares zusätzliches Manipulationsrisiko, das dem Grundsatz des gesetzlichen Richters nicht zu-, sondern abträglich ist.66 Im Übrigen wäre ein Rückfall von Zuständigkeiten an andere Gerichte oder Spruchkörper infolge der Trennung zusammenhängender Verfahren unter prozessökonomischen Gesichtspunkten nicht nur misslich,67 sondern in bestimmten Konstellationen geradezu untragbar: Stellt sich z.B. in einem Verfahren vor dem Landgericht, zu dem das ursprünglich vor dem Schöffengericht anhängige Verfahren gegen einen anderen Beteiligten hinzuverbunden wurde, nach einer Vielzahl von Verhandlungstagen heraus, dass bzgl. des ursprünglich vor dem Landgericht angeklagten Beteiligten eine Einhaltung der Fristen von § 229 nicht mehr möglich ist, bestünde keine Möglichkeit, durch eine Verfahrenstrennung wenigstens das Verfahren gegen den anderen Beteiligten zu „retten“: Bei Rückfall der Zuständigkeit zum Schöffengericht hätte eine Verfahrenstrennung wegen § 261 zur Folge, dass dort nunmehr auch die Hauptverhandlung gegen ihn von neuem beginnen müsste – eine Konsequenz, die der verfahrenserleichternden Funktion der §§ 2 ff. diametral zuwiderliefe. Wird eine nach § 103 Abs. 1 JGG erfolgte Verbindung von Strafsachen gegen Jugend- 36 liche und Erwachsene durch Trennungsbeschluss wieder aufgelöst, so behält das Jugendgericht ebenfalls die durch die Verbindung begründete Zuständigkeit für das abgetrennte Verfahren gegen die erwachsenen Beschuldigten. Dies gilt trotz des gegenteiligen Wortlauts von § 103 Abs. 3 JGG, der durch die Einführung von § 47a JGG insofern eine Einschränkung erfahren hat.68 6. Zuständigkeiten a) Das beteiligte Gericht höherer Ordnung ist nach § 4 Abs. 2 Satz 1 für die Hinzu- 37 verbindung von Verfahren zuständig, die bei Gerichten niedererer Ordnung innerhalb seines eigenen Bezirks anhängig sind. Die höhere Ordnung eines Gerichts i.S. dieser Vorschrift kann sich dabei nicht nur 38 aus der Rangfolge der sachlichen Zuständigkeiten i.e.S. ergeben, sondern auch aus dem 63 64

65

AK/Dästner 5 i.V.m. § 2, 9; SK/Rudolphi Rn. 10; LR/Wendisch 25 9 und § 2, 51 f. BGHSt 47 116, 118 f.; entsprechend schon früher OLG Hamburg MDR 1970, 523; OLG Stuttgart NStZ 1995 248. Im Schrifttum entsprechend Eb. Schmidt § 4, 11; Kost 110, 152; Mutzbauer NStZ 1995 213, 214 f.; KK/Engelhardt § 269, 5;

66 67 68

KK/Pfeiffer 10; KMR/Voll § 269, 3 MeyerGoßner § 269, 7; Schlüchter § 269, 3; AK/Westermann § 269, 4. Ähnlich bereits OLG Hamburg MDR 1970 523, 524; Kost 152 f. So auch BGHSt 47 116, 119. BGHSt 30 260; BayObLGSt 1980 46; KMR/Voll § 269, 3; a.A. KMR/Paulus 17.

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§4

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

in § 209a i.V.m. § 74e GVG und § 103 Abs. 2 JGG statuierten Vorrang besonderer Spruchkörper.69 In diesem Fall ist es möglich, dass sich die Zuständigkeitsbezirke des höheren und des niedereren Gerichts i.S. von § 4 Abs. 2 Nr. 1 nicht nur decken, sondern der Bezirk von Ersterem ausnahmsweise sogar kleiner ist als derjenige von Letzterem. So ist nach § 74a GVG ist die Staatsschutzkammer für den gesamten Bezirk eines Oberlandesgerichts zuständig, während sich die örtliche Zuständigkeit der nach § 74e Nr. 1 GVG vorrangigen Schwurgerichtskammer (vom Sonderfall einer Regelung nach § 74d GVG einmal abgesehen) auf einen Landgerichtsbezirk beschränkt. In diesem Fall kann die Zuständigkeit der Schwurgerichtskammer gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 nicht daran scheitern, dass die Staatsschutzkammer, von der sie ein Verfahren zur Verbindung übernehmen will, bei einem anderen Landgericht desselben OLG-Bezirks angesiedelt ist (d.h. es bedarf keiner Entscheidung des Oberlandesgerichts nach § 4 Abs. 2 Satz 2).

39

b) Das gemeinschaftliche obere Gericht ist nach § 4 Abs. 2 Satz 2 zur Entscheidung berufen, wenn ein nach § 4 Abs. 2 Satz 1 zuständiges Gericht „fehlt“, d.h. wenn der Bezirk eines beteiligten Gerichts niedererer Ordnung außerhalb des Bezirks des Gerichts höherer Ordnung liegt. Diese Entscheidung kann (anders als bei § 13 Abs. 2, ohne dass ein sachlicher Grund für diese Verschiedenheit ersichtlich wäre) nicht durch eine Vereinbarung der beteiligten Gerichte ersetzt werden.70 Ist eine Sache bei dem für diese originär zuständigen bezirksfremden Gericht niedererer 40 Ordnung noch nicht rechtshängig, so steht es der Staatsanwaltschaft hingegen frei, die Sache (ggf. nach Rücknahme einer bereits erhobenen Anklage) unmittelbar bei dem Gericht höherer Ordnung anzuklagen, bei dem bereits ein Verfahren rechthängig ist, zu dem sie hinzuverbunden werden soll.71 In diesem Fall kann das letztgenannte Gericht die Verbindung selbst vornehmen; die Einholung einer Entscheidung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 ist hier nicht zulässig.72 Gemeinschaftliches oberes Gericht i.S. von § 4 Abs. 2 Satz 2 ist das Landgericht, 41 wenn innerhalb seines Bezirks bei Strafrichter und Schöffengericht verschiedener Amtsgerichte anhängige Verfahren zur Verbindung anstehen. Ansonsten ist das Oberlandesgericht zuständig, wenn alle beteiligten Gerichte zu seinem Bezirk gehören (oder auch zu mehreren Bezirken, für die eine entsprechende Zuständigkeitsübertragung nach § 121 Abs. 3 GVG erfolgt ist 73). Ist das nicht der Fall, so entscheidet der Bundesgerichtshof, und zwar im Falle der Verbindung mehrerer Verfahren auch über diejenigen Verbindungen, für die seine Zuständigkeit nach § 4 Abs. 2 Satz 2 für sich genommen nicht gegeben wäre.74 Wird eine Verbindung von Verfahren unter Verstoß gegen § 4 Abs. 2 Satz 2 durch ein 42 unzuständiges Gericht vorgenommen, so ist sie unwirksam.75 In diesem Fall kann das nach § 4 Abs. 2 Satz 2 zuständige Gericht die Verbindung jedoch nachholen, wenn die Sache in der Revisionsinstanz zu ihm gelangt.76

69

70 71 72 73

KK/Pfeiffer 8; Meyer-Goßner 13; SK/Rudolphi 12; zur entsprechenden Intention des Gesetzgebers eingehend LR/Wendisch 25 32 ff. BGH NStZ-RR 1996 232; 1997 170; 2002 257; StV 2005, 646; SK/Rudolphi 13. Dazu bereits oben Rn. 3. BGH NStZ 1996 447. Vgl. BGH NStZ-RR 1997 187; Volckart NStZ 1990 205; Meyer-Goßner 14.

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74 75

76

BGH NStZ 2001 656 (LS); Meyer-Goßner 14. BGHSt 22 232; BGH NStZ 1982, 294; NStZ 1996 47; NStZ 2000 435 f.; NStZ-RR 2002 257; KK/Pfeiffer 12; krit. Felsch NStZ 1996 163, 165 f. BGH NStZ-RR 1997 170; 2002 257; MeyerGoßner 14.

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Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte

§5

c) Für die Trennung von Verfahren ist dasjenige Gericht zuständig, bei dem die ver- 43 bundenen Verfahren anhängig sind. Für eine Entscheidung durch ein übergeordnetes Gericht gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 ist auch dann kein Raum, wenn die originäre Zuständigkeit für eine abzutrennende Sache bei einem Gericht niedererer Ordnung in einem anderen Bezirk gelegen hatte, und zwar selbst dann nicht, wenn die Verbindung nach § 4 Abs. 2 Satz 2 durch das gemeinschaftliche obere Gericht angeordnet wurde. Die gegenteilige Ansicht 77 vernachlässigt den Umstand, dass die Verfahren mit der Trennung zwar ihre prozessuale Eigenständigkeit zurückgewinnen, das Gericht für sie aber insgesamt weiter zuständig bleibt: Hält man bei einer Trennung verbundener Sachen nach Eröffnung des Hauptverfahrens richtigerweise § 269 für anwendbar,78 so muss eine Rückübertragung der Zuständigkeit auf ein Gericht niederer Ordnung konsequenterweise auch dann ausscheiden, wenn dieses in einem anderen Bezirk liegt. Lässt die Verfahrenstrennung die Zuständigkeit unberührt, so ist aber kein Anlass ersichtlich, ein übergeordnetes Gericht mit der Frage zu befassen, ob das Gericht, bei dem die verbundenen Sachen anhängig sind, diese in einem einheitlichen oder in prozessual selbständigen Verfahren aburteilen soll. Der Anwendungsbereich von § 4 Abs. 2 ist damit im Ergebnis auf die Verbindung zusammenhängender Verfahren beschränkt – bei der Trennung verbundener Verfahren ist die von ihm vorausgesetzte Situation, dass der Beschluss die Entscheidungskompetenzen mehrerer Gerichte berührt, von vornherein nicht gegeben. 7. Beschwerde. Die Verbindung von Verfahren ist nach § 305 Satz 1 der Beschwerde 44 entzogen 79 (in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift richtigerweise auch dann, wenn sie nicht durch das erkennende Gericht, sondern gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 durch ein übergeordnetes Gericht angeordnet wurde). Gleiches gilt für die Ablehnung eines Antrags auf Trennung verbundener Verfahren.80 Gegen die Verfahrenstrennung ist hingegen dann die Beschwerde eröffnet, wenn sich der Trennungsbeschluss auf das abgetrennte Verfahren hemmend auswirkt.81 8. Zur Revision kann im Wesentlichen auf § 2, 28 verwiesen werden. War der Ver- 45 bindungsbeschluss unwirksam, weil er nicht von dem nach § 4 Abs. 2 Satz 2 zuständigen Gericht erlassen wurde, so hebt das Revisionsgericht, sofern es die Verbindung nicht ausnahmsweise selbst nachholen kann (s.o. Rn. 42), das Urteil in der nicht wirksam hinzuverbundenen Sache auf und verweist diese an das originär zuständige Gericht zurück.82

§5 Für die Dauer der Verbindung ist der Straffall, der zur Zuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung gehört, für das Verfahren maßgebend. 1. Regelungsgegenstand. Die Vorschrift regelt die prozessualen Konsequenzen der 1 Verschmelzung mehrer i.S. von § 3 zusammenhängender Strafsachen zu einem einheit-

77 78 79 80

KK/Pfeiffer 8; Meyer-Goßner 15. Dazu oben Rn. 33 f. Meyer-Goßner 16; a.A. Rosenmeyer 91. BayObLGSt 1952 116; KK/Engelhardt § 305, 6.

81 82

Dazu § 2, 27 m.w.N. BGH NStZ 1996 47.

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§5

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

lichen Verfahren infolge einer Verbindung nach § 2 oder § 4. Auf eine bloße Verhandlungsverbindung nach § 237 ist die Vorschrift mithin nicht anwendbar.1

2

2. Wirkungen. Die Regelung, wonach für das Verfahren diejenige der verbundenen Sachen maßgebend ist, die zur Zuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung gehört, hat im Einzelnen folgende Auswirkungen:

3

a) Das erstinstanzliche Verfahren ist einheitlich nach dem Verfahrensrecht zu behandeln, das für das höhere erstinstanzliche Gericht gilt. Handelt es sich bei diesem um das Landgericht, gilt somit § 222a, und für alle Angeklagten ergibt sich gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 1 unabhängig von der Schwere und Komplexität des Tatvorwurfs ein Fall notwendiger Verteidigung. Bei einer Verbindung vor dem Amtsgericht infolge eines persönlichen Zusammenhangs (§ 3, 1. Alt.) gilt ein Verteidiger, der in einem Fall nach § 140 bestellt wurde, für den betreffenden Angeklagten als für das gesamte Verfahren bestellt (bei mehreren Angeklagten sind die Voraussetzungen von § 140 hingegen bei jedem von ihnen gesondert zu prüfen).2 Bei der von der h.M. zugelassenen Verbindung einer Berufungssache mit einer erstinstanzlichen Sache 3 wird das gesamte Verfahren ein erstinstanzliches,4 so dass § 325 – anders als bei der Verhandlungsverbindung nach § 237 5 – keine Anwendung findet. Der durch einen einzelnen Straffall begründete Ausschluss eines Richters ist für die 4 sämtlichen verbundenen Strafsachen wirksam.6 Nach einer Verbindung kraft sachlichen Zusammenhangs hat ein Zeuge, dessen Aussage auch seinen Angehörigen betrifft, nicht nur das Auskunftverweigerungsrecht nach § 55, sondern das Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52.7 Zwingende Konsequenz der Verschmelzung zu einem einheitlichen Verfahren ist weiterhin, dass der Einspruch gegen einen Strafbefehl, dessen Verfahren mit einer angeklagten Sache verbunden wurde, nur dann gemäß § 411 Abs. 3 zurückgenommen werden kann, wenn die Verfahren zuvor wieder getrennt werden.8

5

b) Das Rechtsmittel richtet sich allein nach der Zuständigkeit des Gerichts, bei dem die Sachen verbunden sind, auch wenn eine zweitinstanzliche mit einer erstinstanzlichen verbunden worden ist,9 gleichgültig, ob persönliche 10 oder sachliche Verbindung 11 vorliegt. Da die Wirkungen der Verbindung durch Erledigung einer der verbundenen Sachen nicht entfallen,12 spielt es auch keine Rolle, wenn die Sache, die die originäre erstinstanzliche Zuständigkeit des höheren Gerichts begründet hatte, inzwischen durch Einstellung erledigt ist, oder wenn die Revision nur diejenige der verbundenen Sachen angreift, für die ursprünglich eine niederere erstinstanzliche Zuständigkeit bestanden hatte.13

1 2 3 4 5 6 7 8

BGHSt 35 195, 197 = JR 1988 385 mit Anm. Meyer. Eb. Schmidt 4; KK/Pfeiffer 1; Meyer-Goßner 1; SK/Rudolphi 1. Dazu mit eingehender Kritik § 4, 17 ff. BGHSt 36 349. RGSt 20 161; 57 271. BGHSt 14 219, 222; KK/Pfeiffer 1; MeyerGoßner 1. Meyer-Goßner 1 i.V.m. § 52, 11. Zutr. Meyer-Goßner 1; offengelassen in BGHSt 36 175, 187 f.

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RGSt 59 363, 364; BGH NJW 1955 1198; KK/Pfeiffer 1; SK/Rudolphi 2; Meyer-Goßner 1. BGH MDR 1955 755; bei Dallinger MDR 1975 198. BGH NJW 1955 1890; BGH LM § 135 GVG, 3. S.o. § 4, 32. BGH MDR 1955 755; KK/Pfeiffer 1; MeyerGoßner 1; SK/Rudolphi 2.

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Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte

§6

c) Zurückverweisung. Die Einheitlichkeit der Sache gilt auch für die Zurückverwei- 6 sung (§ 354 Abs. 2), die an das Gericht der höheren Zuständigkeit geht. Das Revisionsgericht hat nach § 354 Abs. 3 allerdings die Möglichkeit, nach Erledigung der Sache, die die höhere Zuständigkeit begründet hatte, an das Gericht niederer Ordnung zurückzuverweisen, das für die verbleibende Sache originär zuständig ist.14 3. Verbleibende Elemente der Selbständigkeit. Prozesshindernisse, die nur für eine 7 Strafsache bestehen, z.B. Verjährung 15 und Fehlen eines notwendigen Strafantrags,16 wirken auch nach einer Verbindung nur für diese Sache. Um eine in diesem Fall unangemessene Entscheidung durch einheitlichen Urteilsausspruch zu vermeiden, kann es sich empfehlen, die Verbindung nach § 4 durch Beschluss wieder aufzuheben und ggf. durch eine solche nach § 237 zu ersetzen.17 Richtet sich eine der Strafsachen, die vor einem für allgemeine Strafsachen zuständi- 8 gen Gericht verbunden sind, gegen einen Jugendlichen oder Heranwachsenden (§§ 103, 112 JGG), so sind in Ansehung dieser Sache die Vorschriften des JGG anzuwenden, soweit dies in § 104 JGG (teils obligatorisch, teils nach Ermessen des Gerichts) vorgesehen ist.18

§6 Das Gericht hat seine sachliche Zuständigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen.

Übersicht Rn. 1. Regelungsgehalt und Geltungsbereich . . 2. Bedeutung für das Gericht des ersten Rechtszugs . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Berufungsinstanz . . . . . . . . . . . . .

Rn.

1

4. Revisionsinstanz . . . . . . . . . . . . . 5. Bindungswirkung und Anfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen . . . . . . . . .

5 9

16 21

1. Regelungsgehalt und Geltungsbereich. § 6 erklärt die sachliche Zuständigkeit i.e.S. 1 als Prozessvoraussetzung für unabdingbar und unverzichtbar, indem sie in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen geprüft werden muss (im Gegensatz zur Zuständigkeit besonderer Strafkammern und zur örtlichen Zuständigkeit, deren Fehlen nur in dem von § 6a bzw. § 16 vorgesehenen Rahmen zu berücksichtigen ist). Dies gilt uneingeschränkt für alle Konstellationen, in denen das Gericht die eigene Strafgewalt zu überschreiten droht. Für den umgekehrten Fall, in dem die sachliche Zuständigkeit bei einem Gericht 2 niederer Ordnung liegt, erfährt der Geltungsbereich von § 6 indessen eine wesentliche Einschränkung durch § 269, wonach der Zuständigkeitsmangel grundsätzlich unbeacht-

14 15 16

KK/Pfeiffer 2; SK/Rudolphi 2. RGSt 8 310, 312. Eb. Schmidt 7 ff.; KK/Pfeiffer 3; KMR/ Paulus 5.

17 18

Meyer-Goßner 2. KK-Pfeiffer 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner 2.

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§6

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

lich wird, sobald das Hauptverfahren vor einem Gericht höherer Ordnung eröffnet worden ist.1 Dies gilt allerdings nicht, wenn die § 269 zugrundeliegende verfahrensökonomische 3 Zwecksetzung durch höherrangige Rechtsgrundsätze überlagert wird.2 Das ist zum einen da der Fall, wo das Gericht höherer Ordnung seine Zuständigkeit bei Eröffnung des Verfahrens nicht irrtümlich, sondern aufgrund sachfremder oder sonst offensichtlich unhaltbarer Erwägungen willkürlich angenommen und damit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt hat,3 zum anderen dort, wo die erstinstanzliche Zuständigkeit eines Oberlandesgerichts gemäß § 120 GVG in Frage steht, weil hier die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern berührt wird.4 In diesen Fällen ist § 6 deshalb auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Gericht höherer Ordnung anwendbar.5 Für das Oberlandesgericht (das in Wahrnehmung der Justizaufgaben des Bundes 4 gegenüber dem Landgericht letzten Endes kein Gericht höherer, sondern ein solches anderer Ordnung ist), soll das indessen nur gelten, wenn die Bejahung seiner Zuständigkeit im Eröffnungsbeschluss fehlerhaft war; entfallen die zuständigkeitsbegründenden Merkmale nach § 120 GVG erst aufgrund später gewonnener Erkenntnisse, so habe die Verweisung an ein anderes erstinstanzliches Gericht nach „dem Rechtsgedanken von § 269“ zu unterbleiben.6

5

2. Bedeutung für das Gericht des ersten Rechtszugs. Zur Vermeidung einer Einstellung des Verfahrens nach §§ 206a, 260 Abs. 3, die eine neue Erhebung der Anklage erforderlich machen und damit der Prozessökonomie zuwiderlaufen würde,7 stellt die StPO für alle in der jeweiligen Verfahrenslage beachtlichen Mängel der sachlichen Zuständigkeit Verweisungs- bzw. Vorlagemöglichkeiten zur Verfügung, durch die der Mangel behoben werden kann. Dabei gilt im Einzelnen folgendes: Stellt das Gericht im Zwischenverfahren fest, dass ein Gericht niederer Ordnung 6 sachlich zuständig ist, so hat es das Verfahren gemäß § 209 Abs. 1 bei diesem zu eröffnen; im Fall der Zuständigkeit eines höheren Gerichts hat es hingegen gemäß § 209 Abs. 2 dessen Entscheidung herbeizuführen. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens ist es nach § 269 wie gesagt grds. unbeachtlich, 7 wenn sich herausstellt, dass die Sache eigentlich vor ein Gericht niederer Ordnung gehört; lediglich in den unter Rn. 3 genannten Ausnahmefällen kann und muss das Gericht die Sache analog § 209 Abs. 1 StPO an das originär zuständige Gericht verweisen.8 Eine Einschränkung der Überprüfung der sachlichen Zuständigkeit kommt jetzt aber auch in umgekehrter Richtung zum Tragen: Die „besondere Bedeutung der Sache“ i.S. von § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG wird nicht mehr geprüft, weshalb das Amtsgericht seine Zuständigkeit nicht mehr im Hinblick auf eine nach dieser Vorschrift begründete Zuständigkeit des Landgerichts verneinen kann.9 Ebensowenig führt eine Erhöhung der Rechtsfolgenerwartung auf über zwei bis maximal vier Jahre Freiheitsstrafe nachträglich zur sach-

1 2 3

4

Grundlegend BGHSt 46 238, 240. BGHSt 46 238, 240 f.; SK/Schlüchter § 269, 7. BGH GA 1970 25; BGHSt 38 212; 40 120, 122 = JR 1995 255 m. zust. Anm. Sowada; 46 238, 241; OLG Hamm StV 1996 300; eingehend und m.w.N. LR/Gollwitzer 25 § 269, 9a. BGHSt 46 238, 241 ff.; Welp NStZ 2002 1, 2 f.

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Meyer-Goßner § 237, 8. BGHSt 46 238, 247; krit. Welp NStZ 2002 1, 4. Hohendorf NStZ 1987, 389, 391 f.; vgl. die skurril anmutende Situation in BGHSt 18 1. BGHSt 46 238, 246 f. Meyer-Goßner 2 und § 24 GVG, 8.

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Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte

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lichen Unzuständigkeit des Strafrichters, weil dieser trotz § 25 Nr. 2 über die volle Strafgewalt des Amtsgerichts verfügt. Dies gilt auch dann, wenn die Umstände, die die höhere Straferwartung begründen, schon bei Eröffnung des Hauptverfahrens bekannt waren.10 Es handelt sich dabei um den Ausfluss eines allgemeinen Grundsatzes, wonach die Pflicht zur Prüfung und Beachtung normativer Zuständigkeitsmerkmale mit Eröffnung des Hauptverfahrens endet.11 Ansonsten ist die Sache bei nachträglich erkannter sachlicher Zuständigkeit eines 8 Gerichts höherer Ordnung vor Beginn der Hauptverhandlung gemäß § 225a diesem zur Entscheidung über eine Übernahme vorzulegen, und zwar auch dann, wenn bereits eine Hauptverhandlung stattgefunden hat.12 In der Hauptverhandlung wird die Sache hingegen nach § 270 an das zuständige Gericht verwiesen. 3. Berufungsinstanz. Hat der Strafrichter oder das Schöffengericht seine jeweilige sachliche Zuständigkeit willkürlich fehlerhaft bejaht, so ist die Sache wegen der in diesem Fall bestehenden Unanwendbarkeit von § 269 (s.o. Rn. 3) unabhängig davon, ob die erstinstanzliche Zuständigkeit bei einem Gericht höherer oder niederer Ordnung liegt,13 gemäß § 328 Abs. 2 unter Aufhebung des Urteils an das erstinstanzlich zuständige Gericht zu verweisen. Ansonsten ist der Umstand, dass das Schöffengericht über eine an sich der sachlichen Zuständigkeit des Strafrichters unterfallende Sache entschieden hat, wegen § 269 in der Berufungsinstanz ebenso belanglos wie in erster Instanz nach Eröffnung des Hauptverfahrens (s.o. Rn. 2).14 Auch dort, wo der Strafrichter nach willkürfreier Bejahung seiner Zuständigkeit gemäß § 24 Nr. 2 GVG schließlich eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verhängt, den Rahmen von § 24 Abs. 2 GVG (Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren) aber eingehalten hat, kommt eine Aufhebung des Urteils wegen eines Zuständigkeitsmangels nicht in Betracht.15 Ist das Amtsgericht (Strafrichter oder Schöffengericht) im erstinstanzlichen Urteil über diesen Rahmen hinausgegangen, hat es hingegen seine Zuständigkeit überschritten. Um diesem Mangel abzuhelfen, muss die als Berufungsgericht angerufene kleine Strafkammer gemäß § 328 Abs. 2 das erste Urteil aufheben und die Sache an die erstinstanzlich zuständige große Strafkammer verweisen; formlose Abgabe genügt nicht.16 Dass eine große Strafkammer als Berufungsgericht zugleich die erstinstanzliche Zuständigkeit für die Sache besitzt und insofern ohne Verweisung erstinstanzlich weiterverhandeln kann,17 ist heute nur noch nach § 33 b Abs. 1 JGG bei Berufungen gegen Urteile des Jugendschöffengerichts denkbar.18 Das Berufungsgericht muss nicht nur prüfen, ob die Grenze von vier Jahren Freiheitsstrafe gemäß § 24 Abs. 2 GVG in erster Instanz eingehalten wurde, sondern ist auch

10 11 12 13 14 15 16

BayObLG NStZ 1985 470 m. abl. Anm. Achenbach. Rieß GA 1976 1, 11 f.; NJW 1978 2265, 2267 f.; AK/Dästner 5; Hinrichsen 141 f. KK/Pfeiffer 5. OLG Koblenz StV 1996 588, 589 f.; SK/ Frisch § 328, 19 f. Meyer-Goßner § 237, 7. KK-Pfeiffer 3. KMR-Paulus 9.

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Zu dieser früher verbreiteten Möglichkeit, bei der es nicht darauf ankommen sollte, ob nach dem Geschäftsverteilungsplan eine andere große Strafkammer zuständig wäre, RGSt 74, 140; 75 305; BGH MDR 1957 370; BGHSt 21 229; KMR/Paulus 9; SK/ Rudolphi 8. Vgl. BGHR § 328 Abs. 1 Überleitung 2; Bedenken gegen die Überleitung auch in diesem Fall bei Meyer-Goßner § 328, 11.

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§6

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

selbst zur Einhaltung dieser Grenze verpflichtet.19 Deshalb bedarf es z.B. dort, wo die Staatsanwaltschaft gegen ein Urteil des Schöffengerichts zuungunsten des Angeklagten Berufung eingelegt hat und sich aufgrund neuer Erkenntnisse nunmehr abzeichnet, dass eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe in Betracht kommt, ebenfalls einer Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und einer Verweisung der Sache an die große Strafkammer als erstinstanzliches Gericht. In diesem Fall wird die Verweisung nicht deshalb nachträglich unzulässig, weil die große Strafkammer schließlich doch auf eine Rechtsfolge innerhalb der Grenzen von § 24 Abs. 2 GVG erkennt.20 Umgekehrt ist eine Verweisung wegen drohender Überschreitung der Grenze von vier 14 Jahren Freiheitsstrafe in der berufungsgegenständlichen Sache wiederum ausgeschlossen, wenn das Schöffengericht seine Zuständigkeit zwar im Hinblick auf die Straferwartung gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG zu Unrecht (jedoch ohne Willkür) angenommen, im Ergebnis seine Strafgewalt aber nicht überschritten hatte und Rechtsmittel nur zugunsten des Angeklagten eingelegt ist. Hier wird nämlich gemäß § 331 die Straferwartung durch das erste Urteil begrenzt, so dass eine höhere Straferwartung im Zeitpunkt der Prüfung des Rechtsmittelgerichts gerade nicht mehr in Betracht kommt,21 womit die kleine Strafkammer über die Berufung selbst entscheiden kann. Zu beachten ist allerdings, dass die Verweisung an eine erstinstanzlich zuständige 15 Strafkammer in bestimmten Konstellationen auch bei einer nur zugunsten des Angeklagten eingelegten Berufung gegen eine Verurteilung zu nicht mehr als vier Jahren Freiheitsstrafe erforderlich sein kann: Hier ist z.B. an den Fall zu denken, dass die Vierjahresgrenze wegen der Einbeziehung weiterer Verurteilungen in eine neue Gesamtstrafenbildung überschritten wird. Zu nennen wäre ferner die nach § 331 Abs. 2 nicht ausgeschlossene Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus. Auch eine Schuldspruchberichtigung, die etwa durch den nachträglichen Tod des Opfers bzgl. eines Delikts erforderlich wird, das der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts entzogen ist (§ 227 StGB durch § 74 Abs. 2 Nr. 8 GVG), kann nur nach Verweisung an die insoweit erstinstanzlich zuständige Kammer erfolgen.22

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4. Revisionsinstanz. Als Verfahrensvoraussetzung ist die sachliche Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszugs grds. auch in der Revisionsinstanz ohne Revisionsrüge von Amts wegen zu prüfen,23 und zwar selbst dann, wenn zwischenzeitlich ein Berufungsurteil ergangen ist.24 In Konstellationen, in denen der Zuständigkeitsmangel in erster Instanz nur bei will17 kürlichem Vorgehen beachtlich ist (also in erster Linie bei willkürlicher Annahme der Zuständigkeit durch ein Gericht höherer Ordnung und der hierdurch begründeten Unanwendbarkeit von § 269, s.o. Rn. 3; bei willkürlicher Annahme der Voraussetzungen von § 25 Nr. 2 GVG durch den Strafrichter bei Einhaltung der Grenze von § 24 Abs. 1 Nr. 2 kann nichts anderes gelten) steht der Annahme eines Verfahrenshindernisses indessen die

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BGHSt 23 283, 284; LR/Gössel 25 § 328, 25; SK/Frisch § 328, 21. Vgl. BGHSt 21 229, 231 f. für die damals noch gängige Konstellation der Überleitung einer bei der großen Strafkammer anhängigen Berufungssache in ein erstinstanzliches Verfahren. BGHSt 31 63, 66; Gössel GA 1968 356, 369. SK/Frisch § 328, 21.

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RGSt 66 255, 256; 67 57, 58; BGHSt 10 74; 13 157, 161; 13 378, 379; 18 79, 81; 22 1, 2; 38 172, 176; 38 212; Hohendorf NStZ 1987 389, 391; Meyer-Goßner NStZ 2003 169 f.; a.A. Engelhardt JZ 1995 262 f.; Hinrichsen 23 ff., 94 ff. OLG Köln StV 1996 298; Brandenburgisches OLG NStZ 2001 611 m. Anm. MeyerGoßner.

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Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte

§6

Wertungsabhängigkeit des Willkürkriteriums entgegen. Hier wird der Zuständigkeitsmangel deshalb in der Revisionsinstanz nur aufgrund einer entsprechenden Verfahrensrüge geprüft.25 Als Mangel der sachlichen Zuständigkeit, der vom Revisionsgericht wirklich von Amts wegen zu prüfen ist, bleibt damit im Ergebnis nur die Überschreitung der Strafgewalt des Amtsgerichts durch den Strafrichter, das Schöffengericht oder (in der Berufungsinstanz) die kleine Strafkammer sowie die Verletzung der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nach § 120 Abs. 1 GVG. Auch in diesem Fall kommt der Mangel im Ergebnis selbstverständlich nur dann zum Tragen, wenn das Urteil als solches angefochten wurde, da die fehlende sachliche Zuständigkeit die Wirksamkeit und Rechtskraftfähigkeit des Urteils nicht in Frage stellt.26 Die Tatsache, dass ein bei Eröffnung unzuständiges Gericht nach der Reichweite der 18 Verurteilung betrachtet für die Sache zuständig wäre (Bsp.: Trotz hinreichenden Tatverdachts einer Körperverletzung mit Todesfolge eröffnet entgegen § 74 Abs. 2 Nr. 8 GVG das Schöffengericht das Hauptverfahren, verurteilt den Angeklagten letzten Endes aber nur nach § 223 zu einer Strafe im Rahmen von § 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG), kann das Urteil nicht vor der Aufhebung bewahren.27 Die Zuständigkeitsvorschriften schützen nämlich nicht nur den Angeklagten davor, durch ein niederes Gericht wegen gravierender Tatvorwürfe zu entsprechend gravierenden Sanktionen verurteilt zu werden. Ein Gericht, dem die sachliche Zuständigkeit zur Aburteilung derartiger Taten fehlt, darf über entsprechende Vorwürfe vielmehr überhaupt nicht entscheiden – ansonsten müsste man den Zuständigkeitsmangel ja konsequenterweise auch dort als geheilt ansehen, wo ein Strafrichter einen Angeklagten vom Vorwurf des Mordes freispricht! Auf den ursprünglichen, eine vorrangige oder höhere Zuständigkeit begründenden Verdacht kommt es lediglich dann nicht mehr an, wenn das nicht in die Zuständigkeit des entscheidenden Gerichts fallende Delikt gemäß § 154 aus dem Verfahren ausgeschieden wurde.28 Führt ein in erster Instanz oder in der Berufungsinstanz erfolgter Verstoß gegen § 6 in 19 der Revisionsinstanz zur Aufhebung des Urteils, so verweist das Revisionsgericht die Sache gemäß § 355 durch Urteil an das erstinstanzlich zuständige Gericht. Soweit der Mangel von Amts wegen zu berücksichtigen ist, gilt dies richtigerweise auch dann, wenn das Urteil nur im Rechtsfolgenausspruch bzgl. einer Nebenstrafe oder Nebenfolge angefochten wurde,29 weil die Teilrechtskraft der Berücksichtigung eines Prozesshindernisses nach allgemeinen Grundsätzen nicht entgegensteht. Für die Zuständigkeit der Revisionsgerichte im Verhältnis zueinander ist § 348 maß- 20 gebend. 5. Bindungswirkung und Anfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen. Hinsichtlich 21 der Frage, inwieweit Verweisungsbeschlüsse das Gericht binden, an die Sache verwiesen wird, sei auf die Kommentierung der einschlägigen Verweisungsvorschriften verwiesen.

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Eingehend BGHSt 43 53, 56 ff. = JZ 1998 m. krit. Anm. Bernsmann = JR 1999 164 m. krit. Anm. Renzikowski; zuvor bereits BGH GA 1970 25; BGH NJW 1993 1608; KK/Pfeiffer, 2; für den Fall eines zwischenzeitlich ergangenen Berufungsurteils auch BGHSt 42 205, 211 f. = JR 1997, 430 m. Anm. Gollwitzer; a.A. BGHSt 38 172, 176; 40, 120; NStZ 1992 397; OLG Hamm StV 1996 300 f.

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RGSt 71 377, 378; KK/Pfeiffer 7; KMR/ Paulus 12. Zutr. BGH GA 1962 149; OLG Oldenburg NStZ-RR 1996 240; wohl überholt die gegenteilige Position von BGHSt 1 346, 347; 10 64, 65. Insoweit zutr. BGH StV 1987 139 f. A.A. LR/Wendisch 25 19 in Anlehnung an BayObLGSt 1962 88.

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Gleiches gilt für die Frage, inwieweit unabhängig von der Möglichkeit, wegen eines Verstoßes gegen § 6 ein Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen, ein vom Gericht erlassener Verweisungsbeschluss oder die Ablehnung eines Antrags auf Erlass eines solchen Beschlusses isoliert mit der (einfachen oder sofortigen) Beschwerde angefochten werden kann.

§ 6a 1Die Zuständigkeit besonderer Strafkammern nach den Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes (§ 74 Abs. 2, §§ 74a, 74c des Gerichtsverfassungsgesetzes) prüft das Gericht bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens von Amts wegen. 2Danach darf es seine Unzuständigkeit nur auf Einwand des Angeklagten beachten. 3Der Angeklagte kann den Einwand nur bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache in der Hauptverhandlung geltend machen.

Schrifttum. Brauns Die Besetzungsrüge und ihre Präklusion im Strafprozeß, Diss. Köln 1984; Brause Die Zuständigkeit der allgemeinen und besonderen Strafkammern nach dem Strafverfahrensänderungsgesetz, NJW 1979 802; Meyer-Goßner Die Behandlung von Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen allgemeinen und Spezialstrafkammern beim Landgericht, NStZ 1981 168; ders. Berufungskammer als Schwurgericht? DRiZ 1989 297; Rieß Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979, NJW 1978 2265; ders. Zur Zuständigkeit der allgemeinen und besonderen Strafkammern, NJW 1979 1536.

Entstehungsgeschichte. Eingefügt durch Art. 1 Nr. 3 StVÄG 1979. Übersicht Rn. 1. 2. 3. 4.

1

Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . Einwand des Angeklagten (Satz 2) . . . . a) Zur Erhebung des Einwands berechtigt b) Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . c) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 3 7 10 11 13 17

Rn. d) Wiederholte Erhebung . . . . . . e) Behandlung durch das Gericht . . 5. Zur Situation in der Berufungsinstanz 6. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . a) Beschwerde . . . . . . . . . . . b) Revision . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Bedeutung. Das Gerichtsverfassungsgesetz weist drei Strafkammern unterschiedliche, grundsätzlich ausschließliche Zuständigkeiten zu. Es sind dies die Schwurgerichtskammer (§ 74 Abs. 2, § 74d GVG), die sog. Staatsschutzkammer (§ 74a GVG) und die Wirtschaftsstrafkammer (§ 74c GVG). Diese Strafkammern sind mit je einem eigenen, grundsätzlich (Ausnahme § 74c Abs. 1 Nr. 6: „soweit“ …) geschlossenen Zuständigkeitskatalog ausgestattet. Sie sind nach § 74e GVG untereinander derart in ein Vorrangverhältnis gesetzt, dass in erster Linie der Schwurgerichtskammer, in zweiter der Wirtschaftskammer und in dritter Linie der Staatsschutzkammer der Vorrang zukommt, der dann auch vor der allgemeinen Strafkammer (§ 74 Abs. 1 GVG) besteht.1 Trotz der 1

Wegen des grundsätzlichen Vorrangs der Jugendgerichte bei verbundenen Verfahren

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gegen Jugendliche und Erwachsene, für die § 6a nicht gilt (BGHSt 30 260), vgl. § 103

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Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte

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geschlossenen Kataloge können Sachen versehentlich oder rechtsirrtümlich bei einer falschen Kammer anhängig gemacht (§ 2 Abs. 1) oder verbunden (§ 4 Abs. 1) werden, oder es kann im Lauf der Verhandlung die Zuständigkeit einer vorrangigen oder nachrangigen Strafkammer hervortreten. Die Vorschrift regelt das dazu erforderliche Prüfungsverfahren nach den Grundsätzen, die für die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit gelten, auch im Wortlaut fast gleichlautend mit § 16. Die Verfahren zur Bestimmung der Folgen der Unzuständigkeit dagegen lehnen sich den Regelungen bei sachlicher Unzuständigkeit (§§ 209, 225a Abs. 4, 270 Abs. 1 Satz 2) an.2 Ermöglicht wird dies durch die Fiktion in § 209a, wonach die besonderen Strafkammern gegenüber den allgemeinen Strafkammern und in ihrem Rangverhältnis untereinander wie Gerichte höherer Ordnung zu behandeln sind (Nr. 1); Entsprechendes gilt nach Nr. 2 im dort vorgesehenen Rahmen für die Jugendgerichte. Für Letztere findet § 6a indessen grds. keine Anwendung, d.h. die Frage, ob die Sache 2 vor ein Jugend- oder ein Erwachsenengericht gehört, ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen.3 Der durch § 103 Abs. 2 Satz 2 bestimmte Vorrang der Wirtschafts- und der Staatsschutz- gegenüber der Jugendkammer führt allerdings dazu, dass im Verhältnis zwischen den beiden Erstgenannten und Letzterer § 6a entsprechende Anwendung findet.4 2. Prüfung. Die Pflicht der Staatsanwaltschaft zur Prüfung der Zuständigkeit beson- 3 derer Strafkammern vor Anklageerhebung ist nicht in § 6a geregelt, folgt aber aus § 170 Abs. 1, wonach die Staatsanwaltschaft die Anklage „bei dem zuständigen Gericht“ erhebt.5 Nach Anklageerhebung hat die Zuständigkeit besonderer Strafkammern bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens im Hinblick darauf, dass sie nach Satz 1 von Amts wegen erfolgt, die Bedeutung einer vorübergehenden Prozessvoraussetzung. Nach diesem Zeitpunkt ist die Prüfung nach Satz 2 nur noch auf Einwand des Angeklagten (dazu Rn. 10 ff.) zulässig, wenn dieser ihn i.S. von Satz 3 rechtzeitig geltend macht. Der Grundsatz von § 269 findet in diesem Fall keine Anwendung, d.h. das Gericht beachtet auch eine Unzuständigkeit, die mit der Zuständigkeit einer allgemeinen oder einer gemäß § 74e GVG nachgeordneten besonderen Strafkammer korrespondiert. Dies gilt nicht nur vor Beginn der Hauptverhandlung, wo das Gesetz für diesen Fall in § 225a Abs. 4 Satz 2 eine ausdrückliche Regelung bereithält, sondern auch in der Hauptverhandlung selbst.6 Wird die Unzuständigkeit vom Gericht nicht rechtzeitig erkannt bzw. vom Angeklagten 4 nicht rechtzeitig gerügt, dann wird das an sich unzuständige Gericht von Rechts wegen zuständig. Dies gilt auch dann, wenn die Umstände, die an sich die originäre Zuständigkeit bei einer anderen Kammer begründen würden, erst nachträglich zutage treten.7 Deshalb führt z.B. der nach Vernehmung des Angeklagten eingetretene Tod des Opfers einer vorsätzlichen Körperverletzung nicht mehr zu einem Übergang der Zuständigkeit von der allgemeinen Strafkammer auf die Schwurgerichtskammer.8

2

3 4

Abs. 2 Satz 1 JGG sowie BGH bei Holtz MDR 1980 456 und OLG Oldenburg NJW 1981 1385. Demgemäß „beachtet“ das Gericht seine Unzuständigkeit nach § 6a, während es sie nach § 16 das Gericht seine Unzuständigkeit „ausspricht“. BGHSt 30 260; NStZ 2003 47, 48; LR/ Hanack 25 § 338, 77 m.w.N. SK/Rudolphi 2.

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KK/Pfeiffer 2; SK/Rudolphi 2. BTDrucks. 8 976, S. 57; Rieß NJW 1978 2267 Fn. 58; 1979 2267; Meyer-Goßner NStZ 1981 168, 171; Meyer-Goßner 3; a.A. Brause NJW 1979 802; vgl. zu diesem Problem auch Bohnert 36 ff. Rieß NJW 1978 2265, 2266; AK/Dästner 4; KK/Pfeiffer 10; Meyer-Goßner 7. BGHSt 30 187.

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Eine Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen ist bei der Prüfung der Erforderlichkeit besonderer Kenntnisse des Wirtschaftslebens gemäß § 74c Abs. 1 Nr. 6 GVG zu beachten: Hierbei handelt es sich um ein normatives Zuständigkeitsmerkmal, das (ebenso wie im Rahmen der sachlichen Zuständigkeit die „besondere Bedeutung der Sache“ gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 3 und die Straferwartung nach § 25 Nr. 2, s.o. § 6, 7) nur bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens Beachtung findet. Danach kann eine durch dieses Merkmal begründete Zuständigkeit oder Unzuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer außer im Falle von Willkür nicht mehr gemäß § 6a Satz 2 und 3 geltend gemacht 9 und dementsprechend auch nicht mehr mit der Revision gerügt werden.10 In den besonderen Verfahrensarten, wo das Hauptverfahren nicht ausdrücklich eröff6 net wird, sind der Eröffnung diejenigen gerichtlichen Akte gleichzustellen, die mit der Feststellung hinreichenden Tatverdachts oder danach den Beginn der gerichtlichen Untersuchung über die dem Verdacht zugrundeliegende Tat bezeichnen. Demzufolge stehen der Eröffnung des Hauptverfahrens gleich bei der Nachtragsanklage (§ 266 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1) der Einbeziehungsbeschluss (§ 266 Abs. 1), im nachträglichen oder selbständigen Einziehungsverfahren bei Entscheidung durch Beschluss (§ 441 Abs. 2) die Zulassung des Antrags, bei Entscheidung durch Urteil (§ 441 Abs. 3) die Anberaumung der Hauptverhandlung.11 Dasselbe gilt im selbständigen Verfahren über die Festsetzung von Geldbußen gegen juristische Personen oder Personenvereinigungen (§ 444 Abs. 3 Satz 1).

7

3. Verfahren. Im Falle einer nach § 6a zu beachtenden Unzuständigkeit des Gerichts richtet sich das weitere Vorgehen gemäß § 209a nach § 209, wenn das Hauptverfahren noch nicht eröffnet ist. Zwischen Eröffnung des Hauptverfahrens und Beginn der Hauptverhandlung gilt § 225 Abs. 4, nach Beginn der Hauptverhandlung § 270 Abs. 1 Satz 2. Wie für die Situation bei Feststellung der sachlichen Unzuständigkeit (dazu § 6, 5 ff.) sieht das Gesetz insofern auch hier stets eine Möglichkeit vor, dem Zuständigkeitsmangel durch einen Verweisungs- bzw. Vorlagebeschluss abzuhelfen. Dabei gilt wie gesagt die Besonderheit, dass innerhalb der von § 209a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 74e GVG statuierten Rangfolge eine Verweisung „nach unten“ auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens ohne weiteres möglich ist, weil § 269 insoweit keine Anwendung findet (s.o. Rn. 3). In allen Fällen ist § 33 Abs. 1 oder Abs. 2 (Anhörung der Beteiligten) zu beachten.12 Weil das Gesetz den Regelfall im Auge hat, in dem das Gericht seine Zuständigkeit im 8 Rahmen der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens prüft und dort ggf. die Konsequenzen ihres Fehlens zieht, fehlt eine Regelung des Falles, in dem in einer an das Gericht herangetragenen Sache, in der es sich für unzuständig hält, schon zu einem früheren Zeitpunkt Entscheidungen getroffen werden müssen. Als solche Entscheidungen, zu denen das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag der Staatsanwaltschaft u.U. bereits vor Erhebung der Anklage berufen ist, wären etwa die Unterbringung des Beschuldigten zur Beobachtung gemäß § 81 Abs. 3 und die Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 141 Abs. 4 zu nennen. Hier muss die Lösung in einer entsprechenden Anwendung von § 209 i.V.m. § 209a 9 gesucht werden 13 (wobei zu beachten ist, dass hierdurch keine verbindliche Festlegung der Zuständigkeit für die spätere Eröffnung des Hauptverfahrens geschaffen wird): Hält 9

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Rieß GA 1976 1, 11; NJW 1978 2265, 2268; NJW 1979 1536; LR/Rieß 25 § 209a, 45; a.A. Meyer-Goßner NStZ 1981 168, 170. BGH NStZ 1985 464, 466; KK/Pfeiffer 5, 13.

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RGSt 19 428. Meyer-Goßner 12. OLG Koblenz NStZ 1986 425 m. Anm. Rieß; KK/Pfeiffer 3; SK/Rudolphi 5.

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die nach § 209 i.V.m. § 74e GVG vorrangige Strafkammer eine ihr nachrangige Strafkammer für zuständig, so gibt sie die Sache zum Erlass der notwendigen Anordnung in Anlehnung an den Rechtsgedanken von § 209 Abs. 1 an Letztere ab, während im umgekehrten Fall entsprechend § 209 Abs. 2 eine Vorlage an Erstere erfolgen muss, damit diese die Entscheidung über die Zuständigkeit trifft.14 Verfährt das Gericht, bei dem die Staatsanwaltschaft die jeweilige Anordnung beantragt hat, nicht in dieser Weise, sondern lehnt die beantragte Handlung unter Berufung auf seine Unzuständigkeit schlicht ab, so kann die Staatsanwaltschaft wahlweise hiergegen Beschwerde einlegen oder den ursprünglichen Antrag bei (einer) der anderen Strafkammer(n), deren Zuständigkeit alternativ in Betracht kommt, erneut stellen. Erklärt sich auch diese für unzuständig, dann liegt ein negativer Zuständigkeitsstreit vor, über den in entsprechender Anwendung des § 14 – in der Regel auf Antrag der Staatsanwaltschaft – zu entscheiden ist. 4. Einwand des Angeklagten i.S. von § 6a Satz 2 bedeutet begrifflich die Stellung 10 eines Antrags, der nach Eröffnung des Hauptverfahrens die notwendige Voraussetzung für eine Entscheidung des Gerichts über seine Unzuständigkeit nach § 6a bildet. a) Zur Erhebung des Einwands berechtigt ist der Angeklagte, im Jugendgerichts- 11 verfahren sowie in Verfahren gegen Jugendliche vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten auch der Erziehungsberechtigte und der gesetzliche Vertreter (§ 67 Abs. 1, § 104 Abs. 1 Nr. 9 JGG).15 Dem Angeklagten stehen gleich der Beschuldigte im Sicherungsverfahren (§ 414 Abs. 2 Satz 1 und 2), der Einziehungsbeteiligte (§ 433 Abs. 1), der Beschuldigte im selbständigen Einziehungsverfahren (§ 440 Abs. 1 und 3), der Antragsteller im Nachverfahren (§ 439 Abs. 1) sowie der Beteiligte im Verfahren bei Festsetzung von Geldbußen gegen juristische Personen und Personenvereinigungen (§ 444 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 433 Abs. 1). Der Verteidiger kann den Einwand für den Angeklagten, nicht jedoch kraft eigenen Rechts erheben.16 Stellen andere Verfahrensbeteiligte (z.B. die Staatsanwaltschaft) vor Eröffnung des 12 Hauptverfahrens einen entsprechenden Antrag, so handelt es sich nur um eine Anregung für die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung nach Satz 1; im Hauptverfahren geht ein solcher Antrag ins Leere, weil ihn das Gericht nach § 6a Satz 2 nicht mehr berücksichtigen darf.17 b) Zeitpunkt. Die Verwendung des Begriffs „Angeklagter“ in § 6 Satz 2 und 3 resul- 13 tiert daraus, dass das Gesetz hier auf den Zeitraum nach Eröffnung des Hauptverfahrens abstellt. Für den Angeklagten besteht denn auch keine Notwendigkeit, schon im Zwischenverfahren auf die an ihn ergehende Aufforderung gemäß § 201 Abs. 1 hin Einwendungen gegen die Zuständigkeit gemäß § 6a vorzubringen; ein diesbezügliches Unterlassen hat nicht etwa den Verbrauch des Einwands zu Folge. Umgekehrt ist der Angeschuldigte aber auch nicht gehindert, den Einwand bereits vor Eröffnung des Hauptverfahrens zu erheben, wobei das Gericht allerdings nicht verpflichtet ist, darüber eine ausdrückliche Entscheidung zu treffen, weil der Erlass des Eröffnungsbeschlusses die Zurückweisung des Einwands impliziert. Wird der vor Eröffnung des Hauptverfahrens erhobene Einwand ausdrücklich zurückgewiesen oder als solcher nicht beschieden, so kann ihn der Angeklagte nach Vorliegen des Eröffnungsbeschlusses bis zu dem in § 6a

14 15

Meyer-Goßner NStZ 1981 168, 174. KK/Pfeiffer 7; KMR/Paulus 9; SK/Rudolphi 8.

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KK/Pfeiffer 7; Meyer-Goßner 5. KK/Pfeiffer 7.

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Satz 3 bezeichneten Zeitpunkt wiederholen; er muss dies tun, um sich die Möglichkeit einer revisionsgerichtlichen Nachprüfung offenzuhalten.18 In der Hauptverhandlung muss der Angeklagte den Einwand nach § 6a Satz 3 14 spätestens im Anschluss an eine auf die Belehrung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 folgende Äußerung erheben, ob er sich zur Sache äußern will (d.h. nicht etwa erst nach zwischenzeitlicher Vertagung zum Beginn des nächsten Verhandlungstages 19), und zwar bevor er sich in irgendeiner Form zur Sache geäußert hat.20 Danach ist der Einwand schlechthin unzulässig, und zwar selbst dann, wenn die Umstände, die an sich eine Veränderung der Zuständigkeit bewirken würden, erst später hervortreten (s.o. Rn. 4), oder wenn die Tat abweichend vom Eröffnungsbeschluss beurteilt wird.21 Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ausgeschlossen.22 Der Einwand bleibt auch dann unzulässig, wenn es nach Aussetzung der Hauptverhandlung oder nach Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht zu einer neuen Hauptverhandlung kommt; § 6a Satz 3 bezieht sich insofern ausschließlich auf die erste Hauptverhandlung.23 Einzige Ausnahme hiervon ist der Fall, dass die Hauptverhandlung infolge einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 235 zu wiederholen ist.24 Bei mehreren Angeklagten kann jeder von ihnen den Einwand bis zu seiner eigenen 15 Vernehmung zur Sache erheben, also unabhängig davon, ob ein zuvor vernommener Mitangeklagter ihn bereits verloren hat. Wer zu einem gleichlautenden Einwand eines Mitangeklagten nach § 33 gehört worden ist, ohne sich ihm anzuschließen, kann die Unzuständigkeit nach § 6a später jedoch nicht mehr geltend machen.25 Nachdem einer von mehreren Mitangeklagten den Einwand rechtzeitig geltend gemacht hat, kann und muss die Kammer ihre Unzuständigkeit nach § 6a in Bezug auf das gesamte Verfahren beachten, ist also nicht etwa gehalten, das Verfahren bzgl. dieses Angeklagten abzutrennen und nur insoweit eine Verweisung auszusprechen.26 Findet die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten statt, so ist für den 16 Ausschluss des Einwands der Beginn der Verlesung der Niederschrift über die richterliche Anhörung bzw. Vernehmung des Angeklagten maßgeblich, die nach den einschlägigen Vorschriften (§§ 231a Abs. 1 Satz 2, 232 Abs. 3, 233 Abs. 1 Satz 1) erforderlich ist und die Vernehmung des Angeklagten in der Hauptverhandlung ersetzt.27 Das Gleiche gilt, wenn die Hauptverhandlung im Sicherungsverfahren) ohne den Beschuldigten stattfindet (§ 415 Abs. 1). In diesen Fällen ist der Antrag vom Verteidiger vor Beginn der Verlesung zu stellen, wenn er nicht (was genügt 28) vorher schriftlich oder bei der richterlichen Vernehmung gestellt worden ist.

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c) Form. Der Antrag ist an das mit der Sache befasste Gericht zu richten, vor Beginn der Hauptverhandlung nach allgemeinen Grundsätzen schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle, in der Hauptverhandlung mündlich, wobei er gemäß § 273 Abs. 1 im Sitzungsprotokoll beurkundet wird.29 Der Fall, dass der Einwand während der Hauptverhandlung von einem abwesenden Angeklagten (Rn. 16) zu Protokoll der Geschäfts-

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Meyer-Goßner NStZ 1981 169, 170; KK/Pfeiffer 8, 13; SK/Rudolphi 16, 21. BGH NStZ 1984 128 f. KK/Pfeiffer 8; Meyer-Goßner 7. So zum gleichlautenden § 16 Satz 3 schon RG GA 59 (1912) 138; RGSt 65 267, 268. KK/Pfeiffer 10; Meyer-Goßner 7. RGSt 70 239, 241.

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KK/Pfeiffer 10; Meyer-Goßner 10; SK/Rudolphi 13. Meyer-Goßner 8. RGSt 23 155, 156. Meyer-Goßner 9. RGSt 40 354; Meyer-Goßner 9. Meyer-Goßner 11.

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Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte

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stelle erhoben wird, dürfte rein theoretischer Art sein. In diesem Fall trägt der Angeklagte das volle Risiko dafür, dass die Vorlage an das erkennende Gericht bis zum kritischen Zeitpunkt (Rn. 14) erfolgt ist; § 299 Abs. 2 findet keine entsprechende Anwendung. d) Wiederholte Erhebung. Der Angeklagte ist nicht gehindert, den Einwand gemäß 18 § 6a Satz 2 nach Eröffnung des Hauptverfahrens bis zu dem in Satz 3 bezeichneten Zeitpunkt wiederholt zu erheben. Dies kann sinnvoll sein, um der Kammer die Möglichkeit zu eröffnen, neu zutage getretene zuständigkeitsrelevante Umstände zu berücksichtigen, ihre Rechtsansicht zu korrigieren oder nach einer gescheiterten Abgabe gemäß § 225a in der Hauptverhandlung eine bindende Verweisung nach § 270 Abs. 1 Satz 2 herbeizuführen.30 Solange die zuständigkeitsrelevante Sachlage unverändert bleibt, ist der Einwand 19 allerdings dann „verbraucht“, wenn ihn der Angeklagte bereits erhoben hatte, er für begründet erachtet wurde und die Sache deshalb gemäß § 225a Abs. 4 zu der Kammer gelangt ist, deren Zuständigkeit der Angeklagte geltend gemacht hatte: Durch einen neuen Einwand, mit dem er nunmehr die Unzuständigkeit dieser Kammer nach § 6a behauptet, würde der Angeklagte ein prozessual widersprüchliches Verhalten an den Tag legen, dessen Ermöglichung nicht dem Sinn und Zweck von § 6a entspricht.31 Ebenso wird man richtigerweise den Fall behandeln müssen, in dem der Angeschuldigte durch einen entsprechenden Antrag vor Eröffnung des Hauptverfahrens bewirkt hat, dass das Verfahren nach § 209 Abs. 1 oder 2 i.V.m. § 209a dort eröffnet wurde, wo es nunmehr rechtshängig ist. Lediglich dort, wo nach Erhebung des ersten Einwands, aber vor Verstreichen des in § 6a Satz 3 bezeichneten Zeitpunkts neue Umstände zutage treten, die für die Frage der Zuständigkeit besonderer Strafkammern relevant sind, kann der Angeklagte in diesen Fällen den Einwand mit veränderter Zielrichtung erneut erheben. e) Behandlung durch das Gericht. Hält das Gericht den fristgerecht erhobenen Ein- 20 wand für begründet, so wird es i.d.R. von der einschlägigen Vorlage- oder Verweisungsmöglichkeit (s.o. Rn. 7) Gebrauch machen. Die Kammer ist jedoch nicht gehindert, dadurch ihre Zuständigkeit nach den § 74 ff. herzustellen und dem Einwand somit die Grundlage zu entziehen, dass sie die Verfahrensteile, die die Zuständigkeit einer besonderen Strafkammer begründen, gemäß § 154 aus dem Verfahren ausscheidet, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt sind.32 5. Zur Situation in der Berufungsinstanz. Für die Berufung gegen Urteile des Schöf- 21 fengerichts ist bei Vorliegen einer Wirtschaftsstrafsache ist nach § 74c GVG Abs. 1 a.E. i.V.m. § 76 Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. GVG eine kleine Wirtschaftsstrafkammer zuständig. Das bedeutet, dass die Zuständigkeit einer besonderen Strafkammer hier erstmals in der Berufungsinstanz relevant wird und demgemäß dort geprüft werden muss.33 Hier findet § 6a analoge Anwendung.34 30 31

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Meyer-Goßner NStZ 1981 168, 170; HK/Lemke 11; a.A. LR/Wendisch 25 20. Für die Situation nach Anwendung von § 225a Abs. 4 Satz 2 Meyer-Goßner NStZ 1981 169, 170. BGH NStZ 1987 132, 133; KK/Pfeiffer 8. Dabei handelt sich um die einzige Konstellation dieser Art, weil in den Fällen der §§ 74 Abs. 2 und 74a keine sachliche Zuständigkeit

des Amtsgerichts besteht und ein gleichwohl ergangenes amtsgerichtliches Urteil in der Berufungsinstanz schon deshalb aufzuheben und die Sache an den zuständigen Spruchkörper zu verweisen wäre. Der Streit um eine evtl. analoge Anwendung von § 6a, wenn die Möglichkeit einer erstinstanzlichen Weiterverhandlung bei derselben Kammer besteht, bei der die Sache in der Berufungsinstanz

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Dabei ist umstritten, welcher Zeitpunkt in Ermangelung einer dem Eröffnungsbeschluss entsprechenden Entscheidung in der Berufungsinstanz den spätesten Zeitpunkt der Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen markiert. Weil in der Berufungsinstanz eine Beratung und Beschlussfassung der Kammer über die Sache vor der Hauptverhandlung in Ermangelung eines Zwischenverfahrens gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, kann die Prüfungspflicht analog § 6a schwerlich schon vor Beginn der Hauptverhandlung enden.35 In der Hauptverhandlung kommt es richtigerweise auf den Zeitpunkt an, in dem eine umfassende Information aller Richter über den Inhalt des erstinstanzlichen Urteils gewährleistet ist. Dies ist mit Abschluss des Vortrags des Berichterstatters nach § 324 Abs. 1 Satz 1 (einschließlich der Verlesung des erstinstanzlichen Urteils, soweit darauf nicht gemäß § 324 Abs. 1 Satz 2, 2. Hs. verzichtet wird) der Fall.36 Erst wenn danach gemäß § 324 Abs. 2 weiterverhandelt wird, ohne dass die Kammer eine Entscheidung über ihre Unzuständigkeit getroffen hat, erlischt die Pflicht und das Recht, die Zuständigkeit nach § 74c Abs. 1 GVG von Amts wegen zu prüfen. Hiergegen kann nicht Intention von § 6a ins Feld geführt werden, die Hauptverhandlung so weit wie möglich von der Prüfung der Zuständigkeit einer besonderen Strafkammer zu entlasten,37 weil das hierfür notwendige Instrument – nämlich das Zwischenverfahren – in der Berufungsinstanz vom Gesetz eben nicht vorgesehen ist. Der Angeklagte kann den Zuständigkeitsmangel entsprechend § 6a Satz 3 wie in 23 erster Instanz bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache in der Hauptverhandlung rügen.38 Für das weitere Verfahren ist § 225a Abs. 4 analog anzuwenden, wenn die Kammer 24 auf den aus § 74c Abs. 1 GVG resultierenden Mangel ihrer Zuständigkeit vor der Berufungshauptverhandlung reagiert;39 soweit der Mangel in der Berufungshauptverhandlung zu beachten ist, gilt § 270 Abs. 1 Satz 2 i.V.m § 332,40 wiederum ohne Anwendung von § 269 (s.o. Rn. 3, 7).

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anhängig wurde (dagegen OLG Karlsruhe NStZ 1985 423 m. zust. Anm. Seebode = JR 1985 521 mit abl. Anm. Meyer; MeyerGoßner DRiZ 1989 297; Meyer-Goßner 15; § 328, 9; dafür OLG Celle JR 1987 34 mit abl. Anm. Seebode; Gössel NStZ 1987 241 ff.), ist durch den Wegfall der Berufungszuständigkeit großer Strafkammern in Strafsachen gegen Erwachsene überholt. OLG Düsseldorf JR 1982 514 m. zust. Anm. Rieß; OLG Schleswig OLGSt § 6a StPO n.F., 1; OLG Karlsruhe NStZ 1985 423 mit insoweit abl. Anm. Seebode = JR 1985 521 mit insoweit zust. Anm. Meyer; Meyer-Goßner NStZ 1981 168, 171 f.; KMR/Paulus 3; a.A. OLG München JR 1980 77, das die §§ 14, 19 entsprechend anwenden will; Schlüchter Rn. 415 Fn. 34; vgl. aber Rn. 674 Fn. 247a, wo sie den hiesigen Standpunkt vertritt. Insoweit auch LR/Wendisch 25 27 gegen die

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Erwägung von Rieß JR 1982 515, auf die Terminierung der Sache durch den Vorsitzenden abzustellen. Meyer-Goßner NStZ 1981 168, 172 f.; Meyer-Goßner 14; a.A. (Beginn des Vortrags maßgeblich) Rieß JR 1980 79, 80; KMR/ Paulus 3; SK/Rudolphi 3; LR/Wendisch 25 26. So aber Rieß JR 1985 515. Rieß JR 1980 79, 80 Rieß JR 1980 79, 82; a.A. Meyer-Goßner NStZ 1981 168, 173, der § 209 analog anwenden will, wogegen indessen spricht, daß § 209 nicht nur nach seinem systematischen Standort, sondern auch inhaltlich eine spezifische Regelung für das – der Berufungsinstanz insgesamt fremde – Zwischenverfahren darstellt. Rieß JR 1980 79, 82; Meyer-Goßner NStZ 1981 168, 173.

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Erster Abschnitt. Sachliche Zuständigkeit der Gerichte

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6. Rechtsmittel a) Beschwerde. Die selbständige Anfechtbarkeit von Entscheidungen, die nach Prü- 25 fung der Zuständigkeit gemäß § 6a ergehen, richtet sich nach den jeweils einschlägigen allgemeinen Vorschriften. Danach ist die Beschwerde für den Beschuldigten durchweg ausgeschlossen, nämlich je nach Verfahrensstadium gemäß § 201 Abs. 2 Satz 2, § 210 Abs. 1 (ggf. i.V.m. den Verweisungen in § 225a oder in § 270 Abs. 3 Satz 2) oder § 305 Satz 1.41 Für die Staatsanwaltschaft ist lediglich im Rahmen von § 210 Abs. 2 (ggf. wiederum i.V.m. den Verweisungsnormen in § 225a oder in § 270 Abs. 3 Satz 2) die sofortige Beschwerde eröffnet. Das ist im Ergebnis überall dort der Fall, wo die Sache abweichend vom Antrag der Staatsanwaltschaft von einer besonderen Strafkammer an eine allgemeine oder eine i.S. von § 74e GVG nachrangige Strafkammer verwiesen wurde. b) Revision. Zur Geltendmachung des absoluten Revisionsgrunds nach § 338 Nr. 4 26 kann der Angeklagte die Unzuständigkeit einer besonderen Strafkammer bzw. die aus deren Zuständigkeit folgende Unzuständigkeit der allgemeinen Strafkammer mit der Revision rügen, wenn er den Einwand gemäß § 6a Satz 3 rechtzeitig (nach erfolgloser Erhebung im Zwischenverfahren nach Eröffnung des Hauptverfahrens erneut, s.o. Rn. 13 a.E.) erhoben hatte 42 und dies aus der Revisionsbegründung hervorgeht.43 Die Staatsanwaltschaft kann eine entsprechende Rüge generell nicht erheben: Zum 27 Nachteil des Angeklagten nicht, weil ihr gegen Entscheidungen, die abweichend von ihrem Antrag zur Behandlung der Sache durch einen i.S. der §§ 209a, 47e GVG niedereren Spruchkörper führen, die sofortige Beschwerde eröffnet ist (s.o. Rn. 25), was nach § 336 Satz 2 zum Ausschluss der Revision führt; die Behandlung der Sache durch einen höherrangigen Spruchkörper begründet demgegenüber nach der in § 210 Abs. 2 verkörperten Wertung keine Beschwer. Die Frage, ob die Staatsanwaltschaft zugunsten des Angeklagten Revision einlegen 28 kann, wenn dieser den Einwand der Unzuständigkeit i.S. von § 6 Satz 3 rechtzeitig erhoben hatte, und wenn sie diesen Einwand im Gegensatz zur Strafkammer für begründet hält, ist umstritten.44 Sie ist richtigerweise zu verneinen,45 weil die Beschränkung von § 6a Satz 2 auf einen Einwand des Angeklagten die Wertung enthält, dass nach Eröffnung des Hauptverfahrens weder dem Gericht noch der Staatsanwaltschaft die Aufgabe zukommen soll, weiterhin von Amts wegen über die Einhaltung der Vorschriften über die Zuständigkeit besonderer Strafkammern zu wachen. Warum diese Wertung in der Revisionsinstanz nicht mehr in vollem Umfang gelten sollte, ist nicht ersichtlich. Deshalb muss es konsequenterweise auch dort dem Angeklagten selbst überlassen bleiben, ob er sich weiter auf den Zuständigkeitsmangel berufen will, mit dessen Geltendmachung er in erster Instanz nicht durchgedrungen ist.

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KK/Pfeiffer 12. Brauns 6. BGH GA 1980 255; KK/Pfeiffer 13.

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Bejahend KK/Pfeiffer 13; LR/Wendisch 25 15. Ebenso Bohnert 35; Meyer-Goßner 16.

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ZWEITER ABSCHNITT Gerichtsstand Vorbemerkungen Schrifttum zu den §§ 7–21. Achenbach Staatsanwalt und gesetzlicher Richter – ein vergessenes Problem? FS Wassermann 849; Behl Verweisungsbeschluß gemäß § 270 StPO und fehlende örtliche Zuständigkeit des höheren Gerichts, DRiZ 1980 182; Dorbritz Der strafprozessuale Gerichtsstand bei Rundfunksendungen (Fernsehsendungen) mit strafbarem Inhalt, NJW 1971 1209; Dose Zur analogen Anwendung des § 7 Abs. 2 StPO (Gerichtsstand des Tatortes) auf Rundfunk- und Fernsehsendungen, NJW 1971 2212; Engelhardt Staatsanwalt und gesetzlicher Richter DRiZ 1982 418; Heghmanns Auswahlermessen der Staatsanwaltschaft bei Anklageerhebung und gesetzlicher Richter, StV 2000 277; Herzog Über bewegliche Zuständigkeitsregelungen, instrumentelle Zuständigkeitswahl und das Prinzip des gesetzlichen Richters, StV 1993 609; v. Hippel Zeit und Ort der Tat, ZStW 37 (1916) 1; Kammerer § 12 StPO – Ein Weg zur Beseitigung der Teilrechtskraft bei Tatidentität? MDR 1990 785; Kitzinger Ort und Zeit der Handlung im Strafrecht, VDA 1 135; Mankiewicz Die Verfolgung der in einem Luftfahrzeug begangenen Straftat, GA 1961 193; Rosenmeier Die Verbindung von Strafsachen im Erwachsenenstrafrecht (1973); Rotsch Materielle Strafrechtsdogmatik und strafprozessuale Zuständigkeit – Zur Kollision von Zuständigkeitskumulation und Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, ZIS 2006 17; Rotsch/Sahan Verbindung und Trennung von Strafsachen, JA 2005 801; Schermer Über die Rangordnung der Gerichtsstände im Strafverfahren, MDR 1964 895; Sowada Der gesetzliche Richter im Strafverfahren (2002); Wille Die Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen (1974).

Entstehungsgeschichte. Der zweite (in den Entwürfen erste) Abschnitt ist mehrfach geändert worden. Die Änderungen sind bei den einzelnen Bestimmungen vermerkt. Die wichtigsten sind: Die Beseitigung des „fliegenden Gerichtsstandes der Presse“ durch Gesetz vom 13.6.1902 (§ 7 Abs. 2); die Einführung eines allgemeinen Gerichtsstandes des Ergreifungsorts (§ 9) durch Art. 4 Nr. 2 des 3. StRÄndG und für Taten, die außerhalb des Geltungsbereichs der Strafprozessordnung begangen worden sind, die mehrfache Neuregelung des Gerichtsstands für Straftaten auf Schiffen (§ 10 Abs. 1) durch Art. 3 Nr. 6 VereinhG und Art. 21 Nr. 3 EGStGB 1974 sowie auf Luftfahrzeugen (§ 10 Abs. 2) durch Art. 4 Nr. 3 des 3. StRÄndG, die Begründung eines – subsidiären – Gerichtsstands für Umweltkriminalität auf dem Meer (§ 10a) durch Art. 5 Nr. 1 des 18. StRÄndG, die Ausdehnung der Gerichtsstandsbestimmung (§ 13a) zufolge Art. 4 Nr. 4 des 3. StRÄndG sowie die Zusammenfassung der Regelungen über den Einwand der Unzuständigkeit nach §§ 16 und 18 in § 16 durch Art. 1 Nr. 5 u. 6 StVÄG 1979. Übersicht Rn. 1. Örtliche Zuständigkeit a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . b) Weitere Vorschriften . . . . . . . . . 2. Die Systematik der Gerichtsstände a) Gerichtsstände nach §§ 7 ff. . . . . . b) Zusätzliche Gerichtsstände in Jugendsachen . . . . . . . . . . . . . . . .

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Rn. c) Ausschließliche besondere Gerichtsstände . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Besondere subsidiäre örtliche Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Konzentrationszuständigkeiten . . . . 3. Das Wahlrecht der Staatsanwaltschaft . . a) Grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit .

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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften Rn.

b) Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konsequenzen für das gerichtliche Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die örtliche Zuständigkeit der Rechtsmittelgerichte . . . . . . . . . . . . . . .

Rn.

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5. Entscheidung durch das gemeinschaftliche obere Gericht . . . . . . . . . . . . . . . 6. Im vorbereitendes Verfahren . . . . . . . 7. Zur örtlichen Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Örtliche Zuständigkeit

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a) Grundsatz. Abweichend vom Sprachgebrauch früherer Strafverfahrensordnungen bezieht sich der Ausdruck „Gerichtsstand“ in der Strafprozessordnung ausschließlich auf die im zweiten Abschnitt geregelte örtliche Zuständigkeit der Gerichte erster Instanz. Diese ist eine – im Hinblick auf ihre durch § 16 zeitlich begrenzte Überprüfbarkeit allerdings „kurzlebige“ 1 – Prozessvoraussetzung.2 Die Wirksamkeit von Entscheidungen des örtlich unzuständigen Gerichts wird hierdurch indessen nicht berührt.3

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b) Weitere Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit enthalten § 388 Abs. 1 (Widerklage im Privatklageverfahren), § 441 Abs. 1 Satz 2 (Entscheidung über die selbständige Einziehung) und § 444 Abs. 3 Satz 2 (Entscheidung im selbständigen Verfahren bei Festsetzung von Geldbußen gegen juristische Personen). In der Revisionsinstanz ist die erstinstanzliche örtliche Zuständigkeit im Rahmen von 3 § 338 Nr. 4 (allerdings mit den aus § 16 resultierenden Einschränkungen, s. dort Rn. 18) und von § 355 von Bedeutung. Eine Verschiebung der örtlichen Zuständigkeit bei Zurückverweisung einer Sache durch das Revisionsgericht regelt § 354 Abs. 2 Satz 1, 2. Alternative. 2. Die Systematik der Gerichtsstände

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a) Gerichtsstände nach §§ 7 ff. Als primäre oder Hauptgerichtsstände bestimmt das Gesetz den Gerichtsstand des Tatortes (§ 7 Abs. 1), des Wohnsitzes (§ 8 Abs. 1) und des Ergreifungsortes (§ 9). Der Gerichtsstand des Tatorts erfährt nach § 7 Abs. 2 eine Einschränkung durch den 5 besonderen Gerichtsstand der Presse: Nach Satz 1 dieser Vorschrift wird für Pressedelikte, die im Offizialverfahren verfolgt werden, als ausschließlicher Tatort derjenige fingiert, an dem die Druckschrift erschienen ist; die weiteren Tatorte an denen die Druckschrift verbreitet wird, sind nach Satz 2 nur für eine im Wege der Privatklage verfolgte Beleidigung und dabei wiederum nur insoweit relevant, als die beleidigte Person dort ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die Hauptgerichtsstände werden durch subsidiäre Gerichtsstände ergänzt. So wird 6 der fehlende Gerichtsstand des Tatorts bei Taten, die außerhalb des Geltungsbereichs der StPO begangen wurden, in bestimmten Fällen durch die Gerichtsstände des Heimat(flug)hafens und des nächsten (Flug-)Hafens (§ 10) sowie durch den Gerichtsstand bei Straftaten im Bereich des Meeres (§ 10a) ersetzt. Gegenüber dem Gerichtsstand des Wohnsitzes subsidiär ist der Gerichtsstand des gewöhnlichen Aufenthaltsorts und diesem gegenüber derjenige des letzten Wohnsitzes (§ 8 Abs. 2), ferner derjenige für exterritoriale Deutsche sowie im Ausland angestellte Bundes- oder Landesbeamte (§ 11). Bei Verhinde-

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Meyer-Goßner 7. Ebenso SK/Rudolphi 12.

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BGHSt 27 329, 331; KK/Pfeiffer § 7, 2; SK/ Rudolphi 13.

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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand

Vor § 7

rung eines an sich zuständigen Gerichts kommt in allen Fällen eine Übertragung der Zuständigkeit nach § 15 in Betracht, bei Fehlen jeglichen anderen Gerichtsstands greift die Zuständigkeitsbestimmung durch den BGH nach § 13a. Alle Gerichtsstände werden durch den Gerichtsstand des Zusammenhangs (§ 13) 7 erweitert. b) Zusätzliche Gerichtsstände in Jugendsachen. In Jugendsachen bestehen neben der 8 örtlichen Zuständigkeit nach den §§ 7 ff. weitere selbständige (als nicht nur subsidiäre 4, sondern im Gegenteil grds. vorrangige 5) örtliche Zuständigkeiten nach § 42 Abs. 1 JGG. Sie liegen bei dem Richter, dem die vormundschaftlichen Erziehungsaufgaben für den Beschuldigten obliegen, dem Richter, in dessen Bezirk sich der auf freiem Fuß (§ 35, 24) befindliche Angeschuldigte zur Zeit der Anklage aufhält und – solange der Verurteilte eine Jugendstrafe noch nicht vollständig verbüßt hat – bei dem Richter, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen. c) Ausschließliche besondere Gerichtsstände. Nach § 3 Abs. 3 i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 1 9 Buchst. a BinnSchiffVfG ist für die Verhandlung und Entscheidung von Strafsachen, die Binnenschifffahrtssachen sind, das Amtsgericht des Tatorts ausschließlich zuständig. Liegt der Tatort auf einem Gewässer zwischen zwei deutschen Ufern, die zum Bezirk verschiedener Gerichte gehören, so sind die Gerichte beider Ufer zuständig. Fehlt es nach diesen Vorschriften an einem Gerichtsstand, dann gelten die allgemeinen Vorschriften, soweit die Landesregierung keine andere Regelung getroffen hat. Binnenschifffahrtssachen sind Strafsachen wegen Taten, die auf oder an Binnengewässern unter Verletzung von schifffahrtspolizeilichen Vorschriften begangen worden sind und deren Schwerpunkt in der Verletzung dieser Vorschriften liegt,6 soweit für die Strafsachen nach den Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetz die Amtsgerichte zuständig sind (§ 2 Abs. 3 Satz 1 Buchst. a BinnenSchiffVfG). Ausnahmen enthält Satz 2. Nach § 14 BinnSchiffVfG ist für „Straf“-Verfahren wegen Zuwiderhandlungen gegen 10 Schiffahrts- und Strompolizeivorschriften – nunmehr Ordnungswidrigkeiten – auf dem Rhein (Art. 34 RheinSchA) ausschließlich zuständig dasjenige Rheinschifffahrtsgericht, in dessen Bereich die „strafbare Handlung“ begangen ist (Art. 35 RheinSchA), d.h. der Tatort. Die gleiche Zuständigkeitsregelung gilt nach Art. 35 Nr. 1 des Vertrags über die Schiffbarmachung der Mosel in Verbindung mit § 18a BinnSchiffVfG für die Moselschifffahrt. Danach ist zuständig das Amtsgericht als Moselschifffahrtsgericht. Weitere Einzelheiten siehe die Kommentierung zu § 14 GVG. Ist für eine nach Art. 2 des Gesetzes vom 26.9.1969 (BGBl. II 1939) zu dem Europä- 11 ischen Übereinkommen vom 22.1.1965 zur Verhütung von Rundfunksendungen, die von Sendestellen außerhalb der staatlichen Hoheitsgebiete gesendet werden, rechtswidrige Tat kein Gerichtsstand nach §§ 7 und 10, 13, 98 Abs. 2 Satz 3, § 128 Abs. 1, § 162 Abs. 1 oder § 165 StPO oder § 157 GVG begründet, so ist Hamburg Gerichtsstand; zuständiges Amtsgericht ist das Amtsgericht Hamburg (Art. 4 Ges. 1969). d) Besondere subsidiäre örtliche Zuständigkeiten werden festgelegt durch Art. I §§ 2 12 und 3 des Gesetzes über die Zuständigkeit der Gerichte bei Änderung der Gerichtseinteilung vom 6.12.1933 (BGBl. III 300-4) für die erste Instanz und durch § 5 für die Rechtsmittelinstanzen sowie durch §§ 17 bis 19 ZustErgG. 4 5

BGHSt 13 209, 210. Brunner/Dölling § 42, 1 JGG; Eisenberg § 42, 6 JGG.

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Dazu OLG Nürnberg NStZ-RR 1997 271.

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e) Konzentrationszuständigkeit. Nach § 58 GVG (§ 157 Abs. 2 GVG enthält eine entsprechende Regelung für Rechtshilfeersuchen, § 33 Abs. 3 JGG für Jugendstrafsachen) kann die Landesjustizverwaltung für den Bezirk mehrerer Amtsgerichte einem von ihnen die Entscheidung in Strafsachen ganz oder zum Teil zuweisen. Auf Landgerichtsebene finden sich Konzentrationsermächtigungen in § 74c Abs. 3 und 4 GVG (Konzentrationszuständigkeit in Wirtschaftsstrafsachen) und in § 74d GVG (Errichtung gemeinschaftlicher Schwurgerichtskammern); für die Staatsschutzkammer bestimmt § 74a Abs. 1 GVG ohnehin eine Konzentration beim Landgericht am Sitz des Oberlandesgerichts. Auf der Ebene des Oberlandesgerichts ist schließlich die Konzentration in § 120 Abs. 1 GVG zu beachten, die gemäß § 120 Abs. 5 Satz 2 GVG durch Staatsvertrag auf den Bereich mehrerer Bundesländer ausgedehnt werden kann. Soweit Strafsachen gegen Jugendliche und Heranwachsende gemäß § 102 oder (im Falle der Verbindung mit Strafsachen gegen Erwachsene) gemäß § 103 Abs. 2 Satz 2 ausnahmsweise nicht vor den Jugendgerichten verhandelt werden, gelten die allgemeinen Zuständigkeitskonzentrationen konsequenterweise auch hier. Für die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen enthält Anl. I Kap. III Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Maßgaben des EinigungsV eine umfassende und weitergehende Konzentrationsermächtigung.7 Sie besteht auch nach dem Übergang zur ordentlichen Gerichtsbarkeit weiter.8 Durch § 4 Abs. 1 BinSchiffVfG ist die Landesregierung ermächtigt, Binnenschifffahrtssachen für bestimmte Binnengewässer oder Abschnitte von ihnen einem Gericht für den Bezirk mehrerer Gerichte zuzuweisen. Darüber hinaus können Bundesländer eine ihre Grenzen überschreitende Zuständigkeit eines Gerichts vereinbaren. In Strafverfahren wegen Steuerstraftaten (§§ 369 ff. AO), die in die sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte fallen, bestimmt § 391 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AO eine Konzentration der örtlichen Zuständigkeit beim Amtsgericht am Sitz des Landgerichts.9 Diese gilt allerdings nur, soweit die Landesregierung (oder die von ihr ermächtigte Landesjustizverwaltung) keine abweichende Regelung erlassen hat. Diese Ermächtigung erlaubt es auch, die Zuständigkeit über die Grenzen eines Landgerichtsbezirks hinaus bei einem Amtsgericht zu konzentrieren.10 Der Gerichtsstand wird nicht dadurch berührt, dass das Verfahren nicht nur Steuervergehen zum Gegenstand hat (§ 391 Abs. 4 AO). Mit § 391 AO identische Regelungen finden sich nach Wegfall von § 43 Abs. 1 AWG noch in § 13 Abs. 1 WiStG und in § 38 Abs. 1 MOG. Die Zuständigkeitskonzentration nach § 391 Abs. 4 AO greift nicht im Verhältnis zu den besonderen Gerichtsständen nach § 42 Abs. 1 JGG. Hier gilt vielmehr uneingeschränkt der Vorrang des JGG.11

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Näher LR/Rieß24 Nachtrag EinigungsV Teil b 132 ff. Rieß NJ 1996 15. Wegen weiterer Einzelheiten s. Rüping in: Hübschmann/Hepp/Spitaler und Joecks in: Franzen/Gast/Joecks, jeweils zu § 391 AO. In Bayern sind durch die VO vom 21.11.1967 (GVBl. 477) sieben Amtsgerichte für zuständig erklärt worden. – Gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 391 Abs. 2 Satz 1 AO (von § 391 Abs. 1 Satz 1 AO abweichende Regelung der Zuständigkeit durch die

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Landesregierung zulässig) bestehen keine Bedenken (BVerfGE 30 103, 106 = NJW 1971 796 – noch zu dem früheren § 426 ergangen). Zutr. bereits Grethlein NJW 1957 1370 f.; vgl. im übrigen Eisenberg § 42, 5 JGG; Joecks in: Franzen/Gast/Joecks § 391, 11 AO; Rüping in: Hübschmann/Hepp/Spittaler § 391, 41 AO; die noch zu § 476a RAO ergangene abw. Entscheidung in BGHSt 10 323, 326 (zust. Kopacek NJW 1961 2147 f.; krit. Grethlein a.a.O.) ist überholt.

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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand

Vor § 7

Soweit eine Konzentrationszuständigkeit zum Tragen kommt, ist das betreffende 18 Gericht innerhalb des Bezirks, auf den sich die Konzentration erstreckt, mit Ausnahme des in der vorangegangenen Rn. behandelten Falles ausschließlich örtlich zuständig. 3. Das Wahlrecht der Staatsanwaltschaft. Soweit (was zumeist der Fall ist) im Einzel- 19 fall mehrere Gerichte örtlich zuständig sind, liegt es im Ermessen der Staatsanwaltschaft (im Privatklageverfahren hat dementsprechend der Privatkläger die Wahl), bei welchem Gericht sie die Anklage erhebt. Bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens kann sie diese Wahl noch korrigieren, indem sie die Anklage zurücknimmt und bei einem anderen örtlich zuständigen Gericht neu erhebt.12 a) Grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit. Ob das Wahlrecht der Staatsanwaltschaft mit dem Grundsatz des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 in Einklang steht, ist umstritten. Im Schrifttum wird diese Frage vielfach verneint 13 oder die Verfassungsmäßigkeit der §§ 7 ff. zumindest als zweifelhaft angesehen.14 Andere verlangen in Bezug auf das Wahlrecht der Staatsanwaltschaft jeweils in bestimmter Hinsicht eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften: Gefordert wird z.B., den Gerichtsstand der Ergreifungsortes (§ 9) grds. als subsidiär zu behandeln und seine Wahl anstelle eines anderen vorhandenen Gerichtsstands nur bei Sachen zuzulassen, die unmittelbar an Ort und Stelle (insbesondere im beschleunigten Verfahren) angeklagt werden können.15 Eine weitere Forderung hat die Etablierung einer Rangordnung der Gerichtsstände mit Priorität des (in der Praxis heute schon dominierenden) Gerichtsstands des Tatortes zum Gegenstand, von der nur in besonders begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden darf.16 Demgegenüber halten der BGH 17 und wesentliche Stimmen im Schrifttum die gegenwärtige Rechtslage für verfassungsgemäß.18 Anders als im Zusammenhang mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der „besonderen Bedeutung des Falles“ bei der sachlichen Zuständigkeit, wo die Anklage bei Vorliegen der einschlägigen Voraussetzungen in verfassungskonformer Auslegung von § 24 Abs. 1 Nr. 3 zwingend beim Landgericht zu erheben ist,19 wird der Staatsanwaltschaft dabei ein echtes Auswahlermessen zugestanden. Dem ist im Grundsatz zuzustimmen, weil die aus Art. 101 Abs. 1 GG folgende Pflicht einer vorab erfolgenden Festlegung der richterlichen Zuständigkeit durch abstrakte Regeln

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BGHSt 21 247, 249; Meyer-Goßner 10. So z.B. Achenbach FS Wassermann 849, 855 f.; Engelhardt DRiZ 1982 418, 419; Hellmann Teil III § 1, 11; F. Herzog StV 1993 609, 612; weitere Nachw. aus dem öffentlichrechtlichen Schrifttum bei Sowada 631 Fn. 4. Rotsch ZIS 2006 17, 25 ff. erblickt einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG speziell darin, daß sich innerhalb der zuständigkeitsbegründenden Vorschriften nach §§ 7 ff. (insbesondere im Rahmen von § 7 Abs. 1 und seiner Verweisung auf § 9 StGB) jeweils eine große Zahl von Gerichtsständen ergeben kann, womit die Wahlmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft völlig ausufern. Katholnigg § 16, 5; Roxin § 8, 1.

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Sowada 638 ff. Heghmanns StV 2000 277, 280; HK/Lemke 6; SK/Rudolphi 9; entsprechend für die Festlegung einer Rangfolge zwischen mehreren Tatorten, die eine Zuständigkeit nach § 7 Abs. 1 begründen, Rotsch ZIS 2006 17, 28. Unveröffentlichtes Urteil v. 18.3.1975 – 1 StR 559/74. Vgl. etwa Beulke Rn. 57; KK/Pfeiffer § 7, 2; Meyer-Goßner 10; J. Lange NStZ 1995 110, 111; im Wesentlichen auch Sowada 648. BVerfGE 9 223, 229 und dem folgend die Rspr. und die ganz h.M. im Schrifttum, vgl. KK/Pfeiffer § 24, 6 GVG; LR/Siolek 25 § 24, 24 GVG; Meyer-Goßner § 24, 5 GVG, jeweils m.w.N.

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keine absolute ist, sondern nur ein mit gegenläufigen Belangen durchaus abwägungsfähiges Optimierungsgebot enthält.20 Dabei steht die Vielgestaltigkeit der Konstellationen, in denen neben der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege auch die Interessen des Beschuldigen massiv für die Durchführung des Hauptverfahrens an jeweils unterschiedlichen Gerichtsständen streiten können, einer starren abstrakten Vorrangregelung zwischen den Gerichtsständen klar im Wege.21 Anders als im Rahmen von § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG dürfte bei der Gerichtsstandswahl auch die Bindung an einen unbestimmten Rechtsbegriff ausgeschlossen sein. Hier ist im Gegensatz zur „besonderen Bedeutung des Falles“ nämlich nicht über eine (bei aller Unbestimmtheit noch begrifflich fassbare) Eigenschaft des jeweiligen Falles zu befinden, sondern über völlig unterschiedliche Belange der Strafrechtspflege und der Verfahrensbeteiligten, die für oder gegen die Wahl eines bestimmten Gerichtsstands sprechen können und im Verhältnis zueinander nicht in einer abstrakt verbindlichen Rangfolge stehen. Zur Vermeidung der überwiegenden Nachteile einer starren Hierarchie der örtlichen Zuständigkeiten führt deshalb im Ergebnis wohl kein Weg daran vorbei, der Staatsanwaltschaft bei der Wahl des Gerichtsstands ein echtes Ermessen zuzubilligen.

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b) Grenzen. Damit ist freilich nicht gesagt, dass die Staatsanwaltschaft zwischen den nach §§ 7 ff. in Betracht kommenden Gerichtsständen im Einzelfall nach Belieben wählen dürfte: Selbstverständlich ist als Grenze jeder Ermessensausübung auch hier das Willkürverbot zu beachten. Dieses wäre in besonders nachhaltiger Form verletzt, wenn die Entscheidung in irgendeiner Form durch Erwägungen über die erwartete „Strenge“ oder „Milde“ eines bestimmten Gerichts mitbestimmt würde. Sachfremd und objektiv willkürlich ist eine Gerichtsstandswahl aber z.B. auch dort, wo sie nicht mehr unter Zweckmäßigkeitsaspekten des konkreten Verfahrens, sondern nur noch vor dem Hintergrund übergeordneter Interessen der beteiligten Staatsanwaltschaften und Gerichte nachvollziehbar erscheint.22 So berechtigt weder das Interesse, einen bestimmten Gerichtsort von einem aufwendigen Verfahren zu entlasten, noch ein Bestreben, gesetzlich nicht vorgesehene Spezialisierungen bei der Verfolgung bestimmter Kriminalitätsformen zu etablieren, die Staatsanwaltschaft zu einer Gerichtsstandswahl, die für den Angeklagten und die Zeugen mit unverhältnismäßigen Belastungen verbunden ist.23 Dies gilt um so mehr, wenn schon die Art und Weise, wie die Wahlmöglichkeit begründet wurde, den Eindruck einer Manipulation erweckt, etwa bei einer sachlich nicht nachvollziehbaren Verschiebung des Festnahme des Beschuldigten, durch die der letzten Endes gewählte Gerichtsstand nach § 9 begründet wurde.24 Es liegt auf der Hand, dass die Annahme eines Ermessensfehlers dann besonders 25 naheliegt, wenn die Staatsanwaltschaft bei der Wahl des Gerichtsstands von ihrer regelmäßigen Vorgehensweise abweicht, ohne dass hierfür besondere sachliche Gründe zu erkennen sind.25 Dies bedeutet indessen nicht den z.T. geforderten (s.o. Rn. 19) normativen Vorrang des Gerichtsstands des Tatorts. Dieser erweist sich aufgrund der Zweckmäßigkeitsaspekte, die für ihn zumeist sprechen werden, in der Praxis zwar als dominie-

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Dazu bereits § 2, 8 m.w.N. aus der Rspr. des BVerfG. Eingehend Sowada 635 ff., 648. Vgl. Sowada 643 ff. Insoweit eindrucksvoll der bei Sowada 643 f. eingehend dargestellte Sachverhalt, der dem unveröffentlichten Beschl. des KG Berlin

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v. 26.6.1997 – 1 AR 773/97 – 5 ARs 12/97 zugrunde lag. Ebenfalls eindrucksvoll OLG Hamm StV 1999 240, 242; dazu Heghmanns StV 2000 277. Zutr. KMR/Paulus 14.

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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand

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rend. Es gibt aber typische Situationen (Bsp.: Beschuldigter, Geschädigter und sämtliche Zeugen wohnen in A, und die Tat wurde auf einer gemeinschaftlichen Reise nach B begangen), in denen sich die Wahl eines anderen Gerichtsstands aufdrängt und dann wiederum dem regelmäßigen Vorgehen der Staatsanwaltschaft in solchen Konstellationen entspricht. Hier wäre dann für eine Anklage beim Gericht des Tatorts das Vorliegen besonderer Gründe zu fordern. c) Konsequenzen für das gerichtliche Verfahren. Hat die Staatsanwaltschaft die Gren- 26 zen ihres Auswahlermessens eingehalten, so ist das Gericht, bei dem sie die Anklage erhebt, nach der jeweils einschlägigen Vorschrift örtlich zuständig. Es ist dabei nicht berechtigt, allein deshalb, weil nach §§ 7 ff. an seiner Stelle auch ein anderes Gericht örtlich zuständig wäre, wenn die Staatsanwaltschaft die Anklage dort erhoben hätte, die Zweckmäßigkeit der Gerichtsstandswahl als solche zu überprüfen (womit es im Ergebnis das Ermessen der Staatsanwaltschaft durch sein eigenes ersetzen würde).26 Erscheint die Entscheidung der Staatsanwaltschaft hingegen bei Berücksichtigung der in concreto in Betracht kommenden Sacherwägungen nicht mehr vertretbar und insofern „objektiv willkürlich“ und „ermessensfehlerhaft“, so ist das Gericht zur Durchführung des Hauptverfahrens ebensowenig örtlich zuständig wird dort, wo von vornherein kein Gerichtsstand gegeben ist. Deshalb richtet sich das weitere Vorgehen in diesem Fall konsequenterweise nach § 16.27 Eine Anwendung von § 23 EGVGG scheidet demgegenüber aus.28 Auch eine analoge 27 Anwendung von § 12 Abs. 2 29 dürfte richtigerweise nicht in Betracht kommen: Der durch eine ermessensfehlerhafte Gerichtsstandswahl begründete Zuständigkeitsmangel kann schwerlich weitergehende Wirkungen entfalten als ein solcher, der durch das völlige Fehlen des Gerichtsstands bedingt ist. Eine Korrektur muss deshalb hier wie dort dem Verfahren nach § 16 (mit den dort vorgesehenen einschränkenden Voraussetzungen) vorbehalten bleiben. 4. Die örtliche Zuständigkeit der Rechtsmittelgerichte folgt aus der örtlichen Zustän- 28 digkeit des erstinstanzlichen Gerichts: Sie liegt i.d.R. ausschließlich bei demjenigen für die Entscheidung über das Rechtsmittel funktionell zuständigen Gericht, zu dessen Bezirk das Gericht gehört, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Sie hängt nicht davon ab, dass das untere Gericht für den Erlass der angefochtenen Entscheidung selbst örtlich zuständig war. Ausnahmsweise kann sich die Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts aus einem 29 anderen Bezirk ergeben, wenn von der länderübergreifenden Konzentrationsermächtigung in Staatsschutzsachen nach § 120 Abs. 5 Satz 2 GVG (s.o. Rn. 13) Gebrauch gemacht wurde. Durch diese wird das betreffende Oberlandesgericht gemäß §§ 120 Abs. 4 GVG auch für die Entscheidung über Beschwerden gegen Verfügungen und Entscheidungen der nach § 74a GVG zuständigen Strafkammer des Landes zuständig, das die Aufgaben übertragen hat. Im Übrigen können sich Verschiebungen der örtlichen Zuständigkeit auf der Ebene 30 der Rechtsmittelgerichte aus der auch hier möglichen Anwendung von § 15 ergeben,30 26 27 28

Sowada 643. OLG Hamm StV 1999 240; Sowada 647; KMR/Paulus 14; Meyer-Goßner 10. OLG Hamm StV 1999 240, 241; Sowada 646; Meyer-Goßner 10.

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Dafür Sowada 646 f.; dagegen Meyer-Goßner 10. S.u. § 15, 3; § 12 Abs. 2 ist hingegen nur in erster Instanz anwendbar, s.u. § 12, 28.

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des weiteren nach der Zurückverweisung an ein anderes Berufungsgericht nach erfolgreicher Revision gemäß § 354 Abs. 1 Satz 2, 2. Hs. oder nach einer Zurückverweisung durch das Bundesverfassungsgericht gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG.

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5. Entscheidung durch das gemeinschaftliche obere Gericht. Bei der Regelung der örtlichen Zuständigkeit sieht das Gesetz vielfach eine Entscheidung durch das „gemeinschaftliche“ (§§ 12 Abs. 2, 13 Abs. 2 und 3, 14, 19) bzw. „zunächst“ (§ 15) „obere Gericht“ vor. Damit ist im Verhältnis zum Amtsgericht bzw. zu mehreren Amtsgerichten desselben Landgerichtsbezirks das übergeordnete Landgericht gemeint, im Verhältnis zum Landgericht bzw. zu mehreren Landgerichten eines OLG-Bezirks sowie zu mehreren Amtsgerichten, die in verschiedenen Landgerichtsbezirken, aber ein und demselben OLGBezirk liegen, das übergeordnete Oberlandesgericht, ansonsten der Bundesgerichtshof.31 Gegen die in Beschlussform ergehenden Entscheidungen ist kein Rechtsmittel eröffnet, 32 weil die Zulässigkeit einer Beschwerde gemäß § 304 Abs. 1 daran scheitert, dass die Entscheidung nicht im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren ergangen ist, im Falle einer Entscheidung des Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs im Übrigen an § 304 Abs. 4.32 Das obere Gericht ist jedoch befugt, seinen Beschluss aufzuheben oder zu ändern.33 Die Veranlassung hierzu kann auch ein gegen den Beschluss gerichteter Widerspruch eines Prozessbeteiligten geben. Ein solcher Rücknahme- oder Änderungsbeschluss ist gleichfalls unanfechtbar.34

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6. Im vorbereitenden Verfahren folgt die örtliche Zuständigkeit des Gerichts zur Vornahme von Untersuchungshandlungen zumeist aus § 162 Abs. 1. Diese Vorschrift findet überall dort Anwendung, wo die StPO außerhalb des 9. Abschnitts insoweit allgemein den „Richter“ für zuständig erklärt. Der 9. Abschnitt (Verhaftung und vorläufige Festnahme) enthält in den §§ 125, 126, 128 Abs. 1 detaillierte Sonderregelungen, die sich sowohl auf die örtliche als auch (§ 125 Abs. 2 Satz 1, § 126 Abs. 2 Satz 1 und 2) auf die sachliche Zuständigkeit beziehen. Sonderregelungen außerhalb des Haftrechts finden sich in § 98 Abs. 2 Satz 3 und 4, § 100 Abs. 4 Satz 1, § 162 Abs. 1 sowie in § 157 GVG, ferner in § 81 Abs. 1 Satz 2, wo das Gesetz schon im Ermittlungsverfahren das Gericht des ersten Rechtszugs für zuständig erklärt, und schließlich in § 100d Abs. 1 (Zuständigkeit der besonderen Strafkammer – § 74a Abs. 4 GVG – für die Anordnung des „großen Lauschangriffs“).

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7. Zur örtlichen Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft s. § 143 GVG. Die örtliche Zuständigkeit der Finanzbehörde im Steuerstrafverfahren ist in § 388 AO geregelt.

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Das Bayerische Oberste Landesgericht war kein oberstes Gericht i.S.d. vorgenannten Bestimmungen (BGHSt 11 80; BayObLGSt 1957 165 = NJW 1957 1566), wohl aber war es der besondere Senat bei dem Bezirksgericht, in dessen Bezirk die Regierung eines der neuen Bundesländer ihren Sitz hat, für die übrigen Bezirksgerichte dieses Bundeslandes (BGH DAZ 1992 120; LR-Rieß 24 Nachtr. EinigungsV, Teil B Rn. 126).

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Vgl. Mot. Hahn 1 81; BayObLG JW 1924 1778; Giesler Der Ausschluß der Beschwerde gegen richterliche Entscheidungen im Strafverfahren (1981), S. 164; a.A. Feisenberger § 12,7; wie hier Bohnert 20 ff. OLG Celle NdsRpfl. 1957 39. OLG Schleswig SchlHA 1958 235.

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§7 (1) Der Gerichtsstand ist bei dem Gericht begründet, in dessen Bezirk die Straftat begangen ist. (2) 1Wird die Straftat durch den Inhalt einer im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes erschienenen Druckschrift verwirklicht, so ist als das nach Absatz 1 zuständige Gericht nur das Gericht anzusehen, in dessen Bezirk die Druckschrift erschienen ist. 2Jedoch ist in den Fällen der Beleidigung, sofern die Verfolgung im Wege der Privatklage stattfindet, auch das Gericht, in dessen Bezirk die Druckschrift verbreitet worden ist, zuständig, wenn in diesem Bezirk die beleidigte Person ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Entstehungsgeschichte. Absatz 2 ist eingefügt durch Gesetz vom 13.6.1902 (RGBl. 227). In Absatz 2 Satz 1 ist das Wort „Inland“ ersetzt worden durch „Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes“ durch Art. 4 Nr. 1 des 3. StRÄndG. Durch Art. 21 Nr. 2 EGStGB 1974 wurden die Worte „strafbare Handlung“ durch „Straftat“ ersetzt. Übersicht Rn. I. Gerichtsstand des Tatorts (Absatz 1) 1. Ort der Tatbegehung . . . . . . . . . 2. Mehrheit von Tatorten . . . . . . . . 3. Anschlussdelikte nach §§ 257–261 . II. Gerichtsstand der Presse (Absatz 2) 1. Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich

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Rn. a) Druckschriften . . . . . . . . . b) Rundfunk- und Fernsehsendungen c) Beschränkung auf Presseinhaltsdelikte . . . . . . . . . . . . . . 3. Erscheinungsort . . . . . . . . . . 4. Privatklagen wegen Beleidigungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Gerichtsstand des Tatorts (Absatz 1) 1. Ort der Tatbegehung. Da die Begehung einer Tat erst durch das rechtskräftige 1 Urteil festgestellt wird, ist der Tatort i.S. von § 7 ein hypothetischer. Entscheidend ist insoweit der für die Anklageerhebung und die Eröffnung des Hauptverfahrens maßgebliche hinreichende Tatverdacht.1 An welchen Orten eine Straftat in diesem Sinne begangen worden ist, bestimmt das 2 materielle Strafrecht in § 9 StGB. Die Vorschrift lautet: (1) Eine Tat ist an jedem Ort begangen, an dem der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters eintreten sollte. (2) Die Teilnahme ist sowohl an dem Ort begangen, an dem die Tat begangen ist, als auch an jedem Ort, an dem der Teilnehmer gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem nach seiner Vorstellung die Tat begangen werden sollte. Hat der Teilnehmer an einer Auslandstat im Inland gehandelt, so gilt für die Teilnehmer das deutsche Strafrecht, auch wenn die Tat nach dem Recht des Tatorts nicht mit Strafe bedroht ist.

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2. Mehrheit von Tatorten. Daraus ergibt sich vielfach eine Mehrheit von Tatorten, und zwar nicht nur durch das mögliche Auseinanderfallen von Handlungs- und Erfolgsort: Eine Tat kann bereits mehrere Handlungsorte aufweisen, so etwa bei mehraktigen oder bei Dauerdelikten an jedem Ort, an dem ein Teilakt stattfand, bei mittelbarer Täterschaft überall dort, wo der mittelbare Täter selbst oder durch einen Dritten als Werkzeug gehandelt hat,2 bei Beförderung verbotener Gegenstände alle Zwischenstationen des Transports.3 Bei Unterlassungsdelikten ergibt sich eine entsprechende Vervielfältigung, wenn der Täter während des Aufenthalts an mehreren Orten handeln konnte und musste.4 Ein Erfolgsort ist nach dem Gesetz nicht nur dort gegeben, wo der Erfolg (ggf. auch nur ein Teil desselben) eingetreten ist, sondern auch da, wo er nach Vorstellung des Täters eintreten sollte. Bei konkreten Gefährdungsdelikten ist der Ort der Gefahrkonkretisierung maßgeblich.5 Ob eine Gefahrkonkretisierung auch bei abstrakten Gefährdungsdelikten einen Tatort begründet, ist umstritten.6 Zu näheren Einzelheiten sei auf die Kommentare zum StGB verwiesen. Sind mehrere Tatorte in unterschiedlichen Bezirken sachlich zuständiger Eingangs4 gerichte gegeben, so begründet dies eine entsprechende Mehrzahl von Gerichtsständen nach § 7 Abs. 1. Für das in diesem Fall bestehende Wahlrecht der Staatsanwaltschaft seine Grenzen sowie grundlegende verfassungsrechtliche Bedenken gelten die Ausführungen Vor § 7, 19 ff. entsprechend. Liegt kein Tatort im Geltungsbereich der Strafprozessordnung, findet § 7 keine An5 wendung. Der Gerichtsstand bestimmt sich dann nach §§ 8 bis 13a.

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3. Anschlussdelikte nach §§ 257–261 sind selbständige Taten und daher nicht (auch) am Ort der Vortat begangen 7 und umgekehrt nicht geeignet, einen weiteren Tatort der Vortat zu begründen. In diesem Fall ermöglicht jedoch § 13 i.V.m. § 3 die Wahl eines einheitlichen Gerichtsstands für Vortäter und Täter des Anschlussdelikts nach §§ 257–260a (nicht: § 261).

II. Gerichtsstand der Presse (Absatz 2) 7

1. Regelungsgehalt. Abs. 2 Satz 1 beseitigt den sog. „fliegenden Gerichtsstand der Presse“ 8 und schränkt dazu die Geltung des ersten Absatzes für Erzeugnisse der Presse so ein, dass der Gerichtsstand des Begehungsorts nicht bei jedem Gericht, in dessen Bezirk das Druckwerk verbreitet worden ist, sondern grundsätzlich nur beim Gericht des Erscheinungsorts begründet ist.9 Die weiteren Gerichtsstände nach §§ 8 ff. bleiben hiervon unberührt. Abs. 2 gilt nur für Druckwerke, die im Geltungsbereich der Strafprozessordnung 8 erscheinen. Für ausländische Druckschriften bleibt es bei der allgemeinen Regelung in 2 3 4 5 6

RGSt 67 130, 138; BGH wistra 1991 135; KK/Pfeiffer 4; Meyer-Goßner 2. KMR/Paulus 3. KK/Pfeiffer 4. KK/Pfeiffer 4; Meyer-Goßner 4. Bejahend KMR/Paulus 5; BGHSt 42 235 242 f. (allerdings zu § 323a, wo die Gefahrverwirklichung mit der Verwirklichung einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit einhergeht); abl. BGHSt 26 121, 123; KK/Pfeiffer 4;

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Meyer-Goßner 4; zum Gesamtproblem und den damit verbundenen Abgrenzungsschwierigkeiten eingehend Tröndle/Fischer § 9, 5 ff. RGSt 43 84, 85, OLG München StV 1991 504. RGSt 23 155; BGHSt 11 59; zur Intention und zum historischen Hintergrund eingehend Löffler/Kühl Vorbem. §§ 20 ff., 15 LPG. RGSt 36 271.

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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand

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Abs. 1, d.h. der Gerichtsstand ist dann an jedem Ort gegeben, wo die Druckschrift verbreitet worden ist. Soweit schon die Einfuhr verboten ist (§ 86 Abs. 1, § 184 Abs. 1 Nr. 4 und 8, § 184a Nr. 3; § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB), ist der Gerichtstand nach § 7 Abs. 1 ferner am Ort der Einfuhr eröffnet. Bei der Anwendung von Abs. 1 bleibt es auch dort, wo (insbesondere wegen eines fehlenden oder falschen Impressums) ein Erscheinungsort nicht festzustellen ist.10 Eine Ausnahme von Abs. 2 Satz 1 gilt nach Abs. 2 Satz 2 zugunsten des Privatklägers 9 (näher dazu unten Rn. 23 ff.). Die örtliche Zuständigkeit für richterliche Anordnungen im Ermittlungsverfahren (ins- 10 besondere zur Beschlagnahme der Druckschriften) wird durch § 7 Abs. 2 nicht berührt. Insofern kann sich nach allgemeinen Vorschriften die Zuständigkeit einer Vielzahl von Amtsgerichten ergeben. Um zu gewährleisten, dass Pressesachen gleichwohl einheitlich bearbeitet werden, hat der Staatsanwalt, der ein Verfahren wegen eines nicht in seinem Bezirk erschienen Druckwerks einleitet, diese Tatsache dem Staatsanwalt des Erscheinungsorts mitzuteilen (Nr. 250 Abs. 1 Satz 2 RiStBV). 2. Anwendungsbereich a) Druckschriften. § 7 Abs. 2 gilt unmittelbar für „Druckschriften“ (gleichgültig, ob 11 diese einmalig, in unregelmäßiger Folge oder periodisch erscheinen), wobei es sich entsprechend den Landespresse- bzw. Landesmediengesetzen verbreiteten Legaldefinitionen von „Druckwerken“ nicht nur um schriftliche Texte, sondern auch um Träger von Video- und Tonaufzeichnungen handeln kann.11 Dabei werden auch Bilder und Musikaufzeichnungen erfasst, und zwar unabhängig davon, ob sie mit einem Text versehen sind, weil das Interesse, die Begründung einer Vielzahl von Gerichtsständen über das gesamte Verbreitungsgebiet eines inkriminierten Druckwerks zu vermeiden, nicht vom Vorhandensein eines Textes abhängt.12 Unabdingbares Erfordernis ist jedoch in allen Fällen die Anfertigung im Wege eines zur Massenherstellung geeigneten Verfahrens und die Bestimmung zur Verbreitung an einen größeren, nicht im Einzelnen überschaubaren Personenkreis.13 Einzelaufzeichnungen, Durchschläge oder individuell gefertigte Abschriften fallen damit aus dem Begriff der „Druckschrift“ heraus.14 Wie das jeweilige Verfahren zur Massenherstellung technisch ausgestaltet ist (mechanisch – von einem mit der Handkurbel betriebenen Vervielfältigungsapparat bis zur Hochleistungsdruckmaschine, fototechnisch, elektronisch u.s.w.), spielt wiederum keine Rolle.15 Das verwendete Material kann ebenfalls beliebiger Art sein, so dass etwa auch Gedenk- und Erinnerungsmünzen, die nicht als Wertträger fungieren, sondern der Verbreitung der auf ihnen angebrachten Aufschriften oder Darstellungen dienen, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen als „Druckschriften“ anzusehen sind.16

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BGHSt 43 122; KK/Pfeiffer 6; Meyer-Goßner 7. Meyer-Goßner 8. Auf die Frage, ob das jeweilige Landesgesetz für das Vorliegen eines „Druckwerks“ das Vorhandensein eines Textes verlangt (so z.B. § 3 Abs. 2 Nr. 1a des rheinland-pfälzischen Landesmediengesetzes, anders hingegen § 4 Abs. 1 des hessischen Pressegesetzes), kommt es dabei nicht an).

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KK/Pfeiffer 8; KMR/Paulus 12; SK/Rudolphi 7; zum Merkmal des Verbreitens BGHSt 13 257, 258. Vgl. bereits RGSt 47 243, 244; KMR/Paulus 12; Meyer-Goßner 8; SK/Rudolphi 7. So bereits RGRspr. 3 445; RGSt 4 362; KMR/Paulus 12; Löffler/Sedelmeier § 7, 25 LPG. PrOVG JW 1928 2110; KMR/Paulus 12.

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b) Rundfunk- und Fernsehsendungen. Umstritten ist die analoge Anwendung von § 7 Abs. 2 auf Rundfunk- und Fernsehsendungen. Sie wurde in der Vergangenheit von einigen Untergerichten bejaht,17 von der h.M. im Schrifttum indessen mit der Begründung verneint, dass der Gesetzgeber eine diesbezügliche Erweiterung der Vorschrift gerade nicht vorgenommen habe und dem Ausstrahlungsort die Offenkundigkeit des Erscheinungsortes bei Druckwerken fehle.18 Dazu ist folgendes zu bemerken: Sowohl nach dem Gegenstand der Betätigung (öffentliche Verbreitung von Informa13 tionen und Meinungen) als auch im Hinblick auf den Umstand, dass der Gerichtsstand nach § 7 ohne die Beschränkung nach § 7 Abs. 2 bei überregional zu empfangenden Rundfunk- und Fernsehprogrammen schlechthin überall im Geltungsbereich der StPO gegeben wäre, ist die Interessenlage, auf die der Normzweck der Vorschrift zugeschnitten ist, völlig identisch.19 Ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung ist dabei nicht ersichtlich. Welche Rolle die (durch die weite Verbreitung moderner Aufzeichnungsgeräte im Übrigen stark relativierte) „Flüchtigkeit“ von Rundfunk- und Fernsehsendungen im vorliegenden Zusammenhang spielen sollte,20 erscheint kaum nachvollziehbar.21 Die Behauptung, das Äquivalent zum Erscheinungsort sei bei ausgestrahlten Beiträgen nicht so eindeutig zu bestimmen wie der Erscheinungsort einer Druckschrift,22 erweist sich bei der Wahl eines sachgerechten Ansatzes zu seiner Bestimmung (s.u. Rn. 22) ebenfalls als unzutreffend.23 Die insoweit bestehende Regelungslücke im Gesetz ist auch offensichtlich planwidrig, 14 weil § 7 Abs. 2 aus dem Jahre 1902 und mithin aus einer Zeit stammt, als an die Entwicklung der modernen Medien noch nicht zu denken war.24 Die von der h.M. ins Feld geführte schlichte Untätigkeit des Gesetzgebers 25 vermag daran nichts zu ändern, weil diese schwerlich auf dem Willen beruht, für Pressedelikte in Funk und Fernsehen de facto bei jedem sachlich zuständigen Gericht dieser Republik einen Gerichtsstand zu begründen (zumal die gezielte Schaffung einer solchen Allzuständigkeit sämtlicher Gerichte geradezu einen Frontalangriff auf Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG darstellen würde). Hier kommen vielmehr nur folgende Gründe in Betracht: Entweder hat der Gesetzgeber in Ermangelung eines hinreichend spektakulären Anlasses bislang keine Notwendigkeit gesehen, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen 26 (ebenso, wie die positive Vertragsverletzung und die culpa in contrahendo ein Jahrhundert lang nicht im BGB geregelt wurden – ohne dass deshalb jemand auf die Idee gekommen wäre, den diesen Instituten zugrunde liegenden Analogieschluss für unzulässig zu erklären). Oder aber der Bundes-

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LG Arnsberg NJW 1964 1972; AG Würzburg NStZ 1990 199 m. zust. Anm. Kusch; NStZRR 1999 367; im Schrifttum ferner Dose NJW 1971 2212; KMR/Paulus 11; Löffler/ Kühl Vorbem. §§ 20 ff., 17 LPG. Dorbritz NJW 1971 1209; Krey JA 1984 295; HK/Lemke 13; KK/Pfeiffer 7; LR/Wendisch 25 13; Meyer-Goßner 7; SK/Rudolphi 8. Zutr. LG Arnsberg NJW 1964 1972; AG Würzburg NStZ 1990 199, 200; LG Landshut NStZ-RR 1999 367, 368; Dose NJW 1971 2212. So Dobritz NJW 1971 1209, 210. Dose NJW 1971 2212, 2213. Dobritz NJW 1971 1209 f.; KK/Pfeiffer 7; LR/Wendisch 25 13; SK/Rudolphi 8.

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Ebenso AG Würzburg NStZ 1990 199, 200. Zutr. LG Landshut NStZ-RR 1999 367, 368; Dose NJW 1971 2212. Wenn der letztgenannte Umstand demgegenüber von Dorbritz NJW 1971 1209 als Argument gegen die Analogiefähigkeit der Vorschrift im Zusammenhang mit technischen Neuerungen ins Feld geführt wird, so stellt dies die Dinge auf den Kopf. KK/Pfeiffer 7; LR/Wendisch 25 13; SK/Rudolphi 8. AG Würzburg NStZ 1990 199; Dose NJW 1971 2212.

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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand

§7

gesetzgeber scheute einen möglichen Konflikt mit den Ländern, die in einer entsprechenden Erweiterung von § 7 Abs. 2 vielleicht einen Angriff auf ihre medienrechtlichen Kompetenzen erblickt hätten. Richtigerweise werden die Kompetenzen der Länder indessen in keiner Weise berührt, 15 da § 7 Abs. 2 eine originär strafprozessuale Vorschrift darstellt. Wenn diese aufgrund einer in der Natur der Sache liegenden, für die strafprozessuale Interessenlage maßgeblichen Übereinstimmung zwischen Druckwerken auf der einen und Funk- und Fernsehsendungen auf der anderen Seite auf beide Gruppen von Medien Anwendung findet (sei es durch den hier befürworteten Analogieschluss, sei es durch eine entsprechende Anpassung des Gesetzestextes), so kann dagegen nicht die Kompetenz der Länder ins Feld geführt werden, in anderen Regelungszusammenhängen selbst zu bestimmen, inwieweit Funk und Fernsehen der Presse gleichgestellt werden. § 6 EGStPO lässt den Ländern abgesehen von den ausdrücklich durch Bundesgesetz bestimmten Ausnahmen nämlich gerade keinen Spielraum zum Erlass eigener strafprozessualer Vorschriften.27 Unbegründet ist schließlich der Einwand, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 erlaube die Erstre- 16 ckung von § 7 Abs. 2 auf Rundfunk- und Fernsehsendungen nur kraft einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung.28 Die analoge Anwendung von § 7 Abs. 2 bedeutet ja keine Erweiterung, sondern eine Einschränkung der ansonsten de facto unbegrenzten Wahlmöglichkeiten der Anklagebehörden. Sie stellt damit keinen Eingriff in den Grundsatz des gesetzlichen Richters dar, sondern verhindert im Gegenteil, dass dieser ad absurdum geführt wird.29 Nach alledem sind sämtliche Voraussetzungen eines Analogieschlusses erfüllt, so dass 17 § 7 Abs. 2 bei Rundfunk- und Fernsehsendungen im Ergebnis in gleicher Weise anzuwenden ist wie bei Druckwerken. c) Beschränkung auf Presseinhaltsdelikte. § 7 Abs. 2 findet nur auf solche Delikte 18 Anwendung, bei denen die Strafbarkeit die Kundgabe einer Äußerung zum Gegenstand hat, die durch das Druckwerk (bzw. durch die Rundfunk- oder Fernsehsendung) verbreitet wird.30 Das ist neben den Beleidigungsdelikten z.B. auch bei § 184 StGB und bei §§ 353b, 353d der Fall.31 Keine Presseinhaltsdelikte in diesem Sinne sind Presseordnungsvergehen,32 Verletzungen des Urheberrechts 33 und solche Delikte, bei denen die Verbreitung des Gedankeninhalts nicht per se, sondern nur bei Vorliegen einer besonderen Art der Verbreitung (z.B. § 21 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte), einer besonderen Absicht (z.B. § 90b) oder beidem (z.B. § 89 StGB) zur Strafbarkeit führt.34 In diesen Fällen (und erst recht natürlich dort, wo erst eine auf das originäre Erscheinen nachfolgende Tätigkeit die Strafbarkeit begründet) 35, bleibt es bei der allgemeinen Regelung von § 7 Abs. 1, es sei denn, das betreffende Delikt trifft tateinheitlich mit einem echten Presseinhaltsdelikt zusammen, was dann wiederum für den gesamten Vorgang die Anwendung von § 7 Abs. 2 zur Folge hat.36 3. Erscheinungsort. Nach verbreiteter Definition erscheint ein Druckwerk dort, wo es 19 mit dem Willen des Verfügungsberechtigten die Stätte der seine Verbreitung vorbereiten27 28 29 30

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Verfehlt deshalb Dorbritz NJW 1971 1209. KK/Pfeiffer 7. Zutr. AG Würzburg NStZ 1990 199, 200. RGSt 36 145, 146; 40 354, 358; 66 145, 146; KK/Pfeiffer 10; KMR/Paulus 14; SK/Rudolphi 6. Vgl. Meyer-Goßner 10.

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Löffler/Kühl Vorbem. §§ 20 ff., 18 LPG. KG DJZ 1903 550. BGHSt 26 40, 43 ff.; 27 353 (jeweils für die besondere presserechtliche Verjährungsfrist); SK/Rudolphi 6. RG GA 56 (1911) 322; KMR/Paulus 15. KMR/Paulus 15.

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den Handlungen zum Zweck der Verbreitung verlässt.37 Da der Unrechtsschwerpunkt der einschlägigen Delikte nicht bei der körperlichen Herstellung und Verbreitung der Druckwerke liegt (die in aller Regel an ausschließlich hierfür und gerade nicht für den Inhalt verantwortliche Mitarbeiter oder gleich an Drittunternehmer delegiert wird), sondern bei der Verantwortlichkeit für die Verbreitung des geistigen Inhalts, erscheint diese Definition indessen wenig sachgerecht. Sie mag so lange unschädlich gewesen sein, als ein Verleger üblicherweise unmittelbar vor Ort eine Hausdruckerei mit Auslieferungslager unterhielt, so dass man auf ihrer Grundlage mit Fug und Recht sagen konnte, der Erscheinungsort sei zumeist mit dem Verlagssitz identisch.38 In Zeiten, in denen die Verlage die körperliche Herstellung und Auslieferung ihrer 20 Druckwerke häufig in auswärts angesiedelten Druckereien und Lagern betreiben oder die entsprechenden Tätigkeiten sogar an Drittunternehmer vergeben, ist sie hingegen nicht mehr zeitgemäß: Die Frage, wo das Druckwerk körperlich betrachtet den Weg seiner Verbreitung antritt, steht in keinem notwendigen Bezug zum Ort, an dem die verantwortlichen Personen agieren, und führt als Ausgangspunkt zur Bestimmung des Erscheinungsorts deshalb leicht zu willkürlich anmutenden Ergebnissen.39 Sie ist vielfach nicht eindeutig zu beantworten (Bsp.: Der Presseartikel wird von einem Hauptlager aus zunächst auf dezentrale Lager verteilt und von dort über lokale Zusteller verbreitet) oder führt zu einer dem Zweck von § 7 Abs. 2 zuwiderlaufenden Vervielfachung des Gerichtsstands nach § 7 Abs. 2 (Bsp.: gleichzeitiger Druck einer überregionalen Zeitung an einer Vielzahl von Orten, von denen aus jeweils ein bestimmtes Gebiet versorgt wird). Richtigerweise ist der „Erscheinungsort“ i.S. von § 7 Abs. 2 deshalb ausschließlich 21 dort zu lokalisieren, wo (den Unrechtskern des Presseinhaltsdelikts bildende) verantwortliche Entscheidung über die Veröffentlichung getroffen wird. Das ist der Geschäftssitz des Verlegers oder – bei entsprechend delegierten Entscheidungskompetenzen – ein evtl. anderweitiger Sitz des verantwortlichen Redakteurs.40 Auf diese Weise lässt sich auch der „Erscheinungsort“ einer Rundfunk- oder Fernseh22 sendung in ebenso sachgerechter und eindeutiger Weise bestimmen,41 ohne dass sich gegenüber der Situation bei Druckerzeugnissen irgendein relevanter Unterschied ergeben würde. Auf einen „Ausstrahlungsort“ im technischen Sinn (also auf den Standort von Sendeanlagen, auf dessen Unpraktikabilität als Anküpfungspunkt gerichtlicher Zuständigkeiten sich die Gegner der analogen Anwendung von § 7 Abs. 2 auf Rundfunk und Fernsehen z.T. berufen) 42 kommt es mithin nicht an.43

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4. Privatklagen wegen Beleidigungsdelikten. Die Beschränkung des Gerichtsstands des Tatorts bei Presseinhaltsdelikten wird durch § 7 Abs. 2 Satz 2 dahingehend relati37

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RGSt 40 354, 359; 64 292 f.; KK/Pfeiffer 9; KMR/Paulus 13; LR/Wendisch25 16; MeyerGoßner 9; SK/Rudolphi 9. So die Annahme der ersten vier in der vorangegangenen Fn. zitierten Kommentarstellen. Vgl. das von Dose NJW 1971 2212, 2213 Fn. 18 angeführte Beispiel, wonach die Zuständigkeit gemäß § 7 Abs. 2 für die Druckschriften eines in einem anderen Bundesland angesiedelten Verlages nur deshalb in Hamburg liegen soll, weil dort das Auslieferungslager unterhalten wird. Ähnlich für den Erscheinungsort im presse-

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rechtlichen Sinn (grds. Verlagsort; ggf. gesonderter Erscheinungsort bei Regionalausgaben) E. Burkhardt in: Burkhardt/ Gamer/Ritter von Strobl-Albeg Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung5 (2003) Kap. 11 Rn. 32; G. Schmidt in: Seitz/Schmidt Der Gegendarstellungsanspruch (1998) Rn. 45. AG Würzburg NStZ 1990 199, 200. So insbesondere Dobritz NJW 1971 1909. Aus rundfunkrechtlicher Perspektive G. Schmidt in: Seitz/Schmidt Der Gegendarstellungsanspruch (1998) Rn. 47.

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viert, dass bei Beleidigungsdelikten nach §§ 185–189 StGB, die im Wege der Privatklage verfolgt werden, auch das Gericht des Verbreitungsorts örtlich zuständig ist, wenn die beleidigte Person in dessen Bezirk seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat (und zwar entsprechend dem Zweck der Vorschrift, dem an seinem Wohn- oder Aufenthaltsort Beleidigten den Gang an ein fernes Gericht zu ersparen, nur dann, wenn dies sowohl bei Tatbegehung als auch noch bei Klageerhebung der Fall ist). Ein Verbreitungsort ist bei Druckschriften dort gegeben, wo sie im gewöhnlichen Geschäftsbetrieb 44 (also nicht durch Verbringen oder Versenden durch den Beleidigten selbst oder einen Dritten) einem größeren Personenkreis 45 gegenständlich (d.h. nicht nur durch Vorlesen 46) zugänglich gemacht werden.47 Nicht erforderlich ist, dass dieser Personenkreis eine unbestimmte Mehrheit darstellt.48 Auch reicht die Zusendung an einen einzelnen Empfänger aus, wenn sie in der Absicht vorgenommen wird, dass dieser sie einem größeren Personenkreis zugänglich machen werde.49 Bei Rundfunk- und Fernsehsendungen ist ein Verbreitungsort überall dort gegeben, wo eine unmittelbare Empfangsmöglichkeit (gleich auf welchem Wege – terrestrischer Empfang, Satellitenempfang, Kabel oder Internet) besteht. Die individuelle Weitergabe von Aufzeichnungskopien durch den Beleidigten oder Dritte an Personen außerhalb des Verbreitungsgebiets im vorgenannten Sinn begründet hingegen entsprechend der Situation bei Druckwerken keinen zusätzlichen Verbreitungsort. Treffen Verbreitungsort des Mediums und Wohnsitz oder gewöhlicher Aufenthalt des Beleidigten nicht in einem Gerichtsbezirk zusammen, so bleibt es bei der allgemeinen Beschränkung des Gerichtsstands für Presseinhaltsdelikte nach § 7 Abs. 1 Satz 1. Übernimmt die Staatsanwaltschaft gemäß § 377 Abs. 2 die Verfolgung einer am Gerichtsstand nach § 7 Abs. 2 Satz 2 anhängigen Privatklagesache, so bleibt das entsprechende Gericht auch dann örtlich zuständig, wenn eine Zuständigkeit nach § 7 Abs. 1 Satz 1 nicht gegeben wäre.50

§8 (1) Der Gerichtsstand ist auch bei dem Gericht begründet, in dessen Bezirk der Angeschuldigte zur Zeit der Erhebung der Klage seinen Wohnsitz hat. (2) Hat der Angeschuldigte keinen Wohnsitz im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes, so wird der Gerichtsstand auch durch den gewöhnlichen Aufenthaltsort und, wenn ein solcher nicht bekannt ist, durch den letzteren Wohnsitz bestimmt.

Entstehungsgeschichte. Durch Art. 3 Nr. 3 VereinhG ist in Absatz 2 die Wendung „Deutsches Reich“ in „Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes“ geändert worden.

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Eb. Schmidt 14; KMR/Paulus 17. BGHSt 19 63, 74. BGHSt 18 63. RGSt 36 330, 331. RGSt 7 113, 114; 36 330, 331; BGHSt 13 257, 258.

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RGSt 16 245. BGHSt 11 56; heute allg. M.; zum überholten gegenteiligen Standpunkt des Reichsgerichts LR/Wendisch 25 28.

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1. Der Gerichtsstand des Wohnsitzes steht grds. gleichberechtigt neben demjenigen des Tatorts,1 wenngleich die Zweckmäßigkeitsaspekte, die von der Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer willkürfrei zu treffenden Auswahlentscheidung (Vor § 7, 24 f.) berücksichtigt werden müssen, in der Praxis zumeist für die Wahl des Gerichtsstands nach § 7 sprechen. Mehrere Wohnsitze des Beschuldigten begründen mehrere Gerichtsstände nach § 8, wobei für das Auswahlrecht der Staatsanwaltschaft und seine Grenzen wiederum die Ausführungen Vor § 7, 19 ff. entsprechend gelten. Wo eine Person einen Wohnsitz hat, ist im Einzelnen in §§ 7–11 BGB geregelt, die 2 insofern auch für die strafprozessuale Betrachtung Anwendung finden.2 Ausschlaggebend ist danach der Wille, sich für einen maßgeblichen Zeitraum niederzulassen,3 wofür das Innehaben einer Wohnung ein Indiz, aber weder eine notwendige (die Niederlassung kann z.B. auch in einem Hotel erfolgen) noch eine hinreichende Bedingung ist.4 Im Gegensatz zum Wohnsitz des Zeit- oder Berufssoldaten gemäß § 9 BGB begründet ein Amtssitz (z.B. nach § 10 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BNotO) oder eine gewerbliche Niederlassung keinen Gerichtsstand nach § 8,5 eine nach § 10 Abs. 2 Satz 2 BNotO oder beamtenrechtlichen Vorschriften auf Anweisung zu beziehende Wohnung erst dann, wenn dort tatsächlich eine Niederlassung erfolgt.

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2. Der Gerichtsstand des gewöhnlichen Aufenthalts nach Abs. 2 kommt nur zum Tragen, wenn der Beschuldigte im Geltungsbereich der Strafprozessordnung keinen Wohnsitz hat (also nicht etwa dort, wo ein Beschuldigter den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen unterhält, solange daneben noch ein Wohnsitz besteht, selbst wenn dieser eher formaler Art ist und nur unregelmäßig aufgesucht wird). Auch ein gemäß § 11 Abs. 1 fingierter Wohnsitz schließt die Anwendbarkeit von § 8 Abs. 2 aus.6 Der gewöhnliche Aufenthalt ist dort gegeben, wo sich jemand freiwillig für einen 4 längeren Zeitraum oder ständig (wenn auch ggf. mit Unterbrechungen) aufhält, ohne dass die Voraussetzungen für die Begründung eines Wohnsitzes (insbesondere der Wille zur Niederlassung) erfüllt sind.7 Zwangsaufenthalte (Inhaftierung, behördlich angeordnete Unterbringung) begründen insofern selbst bei langer Dauer keinen gewöhnlichen Aufenthalt,8 wohl aber ein längerfristiger Aufenthalt in einer Anstalt, einem Flüchtlingslager u.s.w., den der Betroffene vor dem Hintergrund nötigender Umstände (Krankheit, Notsituationen), aber gleichwohl aufgrund eines eigenverantwortlichen Entschlusses verbringt.9 Besuchs-, Urlaubs-, Kur- und Klinikaufenthalte von überschaubarer Dauer stellen keinen gewöhnlichen Aufenthalt dar. Der gewöhnliche Aufenthalt muss tatsächlich begründet sein, d.h. ein hierauf gerichteter Wille des Betroffenen genügt für sich genommen nicht. Eine für die örtliche Zuständigkeit der Finanzbehörde in Steuerstrafsachen gemäß 5 § 388 Abs. 3 AO unmittelbar maßgebliche Definition mit näheren Festlegungen (insbe-

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KK/Pfeiffer 1; KMR/Paulus 2; Meyer-Goßner 1; a.A. SK/Rudolphi 1. Für die örtliche Zuständigkeit der Finanzbehörde im Steuerstrafverfahren gilt hingegen die Sonderregelung in § 388 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 8 AO. Nicht hingegen der Rechtsfolgenwille zur Begründung eines Wohnsitzes i.S. des BGB, BVerfGE 8 81, 86; Meyer-Goßner 1. KK/Pfeiffer 1.

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Insoweit ebenso KMR/Paulus 3. SK/Rudolphi 4. Zur Herkunft und Entwicklung des Begriffs LR/Wendisch 25 5. BGHSt 13 209; KK/Pfeiffer 2; KMR/Paulus 6; Meyer-Goßner 3; SK/Rudolphi 7; für das Steuerrecht Joecks in: Franzen/Gast/Joecks § 388, 38 AO; a.A. Hellwig in: Hübschmann/ Hepp/Spitaler § 9, 15 AO. HK/Lemke 4; SK/Rudolphi 7.

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sondere zur Behandlung Besuchs- und ähnlicher Aufenthalte), denen man auch außerhalb ihres eigentlichen Anwendungsbereichs eine gewisse Indizfunktion beimessen kann, enthält § 9 AO. Anders als der Wohnsitz kann der gewöhnliche Aufenthalt einer Person schon rein 6 begrifflich nicht an mehreren Orten gleichzeitig gegeben sein.10 3. Der Gerichtsstand des letzten Wohnsitzes ist ausschließlich für den Fall bestimmt, 7 dass der Beschuldigte keinen aktuellen inländischen Wohnsitz mehr hat und der gewöhnliche Aufenthalt unbekannt ist oder im Ausland liegt.11 4. Maßgebender Zeitpunkt für die Ermittlung der Gerichtsstände nach § 8 ist die 8 Anklageerhebung gemäß §§ 170 Abs. 1, 199 Abs. 2, 200 bzw. in den besonderen Verfahrensarten die an deren Stelle tretende Handlung (§ 381, § 407 Abs. 1, § 414 Abs. 2, § 418 Abs. 3, § 440 Abs. 1, § 444 Abs. 3; § 400 AO). Ein abweichender Wohnsitz bzw. gewöhnlicher Aufenthalt, der bei Tatbegehung oder irgendwann im Laufe des Ermittlungsverfahrens einmal bestanden hatte, ist hingegen ebenso unbeachtlich wie eine Änderung der Verhältnisse nach Klageerhebung (allg. M.).

§9 Der Gerichtsstand ist auch bei dem Gericht begründet, in dessen Bezirk der Beschuldigte ergriffen worden ist.

Entstehungsgeschichte. In der ursprünglichen Fassung war der Gerichtsstand des Ergreifungsortes als bloßer Hilfgerichtsstand für den Fall vorgesehen, dass die Straftat im Ausland begangen und kein Gerichtsstand nach § 8 begründet war. Außerdem sah § 9 Abs. 1 Satz 2 die Gerichtsstandsbestimmung durch das Reichsgericht vor, wenn keine Ergreifung stattgefunden hatte; Gleiches galt nach Abs. 2, wenn bei Tatbegehung im Inland kein Gerichtsstand nach §§ 7, 8 gegeben war. Durch die Verordnung vom 6.5.1940 1 wurde mit § 8a der Gerichtsstand auch bei dem Gericht begründet, in dessen Bezirk der Beschuldigte zur Zeit der Erhebung der Anklage auf behördliche Anordnung verwahrt wird. § 8a ist durch Art. 3 Nr. 4 VereinhG aufgehoben worden. Gleichzeitig wurden durch Nr. 5 in § 9 die Wendungen „außerhalb“ und „im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes“ an die Stelle von „Ausland“ und „Inland“ gesetzt. Die gegenwärtige Fassung des § 9 beruht auf Art. 4 Nr. 2 des 3. StRÄndG. Die Änderung soll dem praktischen Bedürfnis Rechnung tragen, einen allgemeinen, nicht subsidiären Gerichtsstand des Ergreifungsortes zu schaffen.2 Die Gerichtsstandsbestimmung durch das oberste Gericht findet sich jetzt in § 13a. 1. Anwendbarkeit. Der in der letzten Änderung zum Ausdruck gekommene Wille des 1 Gesetzgebers, den Gerichtsstand des Ergreifungsortes als selbständigen, den Gerichts10

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KK/Pfeiffer 2; Meyer-Goßner 3; für das Steuerrecht Joecks in: Franzen/Gast/Joecks § 388, 37 AO. Für die Einbeziehung des letztgenannten Falls zutr. KK/Pfeiffer 3; Meyer-Goßner 4.

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RGBl. I 754. Begr. BTDrucks. 1 3713, 46.

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ständen nach §§ 7, 8 grds. gleichwertigen Gerichtsstand zu behandeln, spricht gegen eine Umdeutung in eine generell nur subsidiär anwendbare Vorschrift.3 Da der Ergreifungsort für sich genommen nichts über die Verhältnisse von Tat und Täter besagt, erscheint die Wahl dieses Gerichtsstands im Normalfall freilich wenig sachgerecht. Daraus folgt eine besondere Begründungslast der Staatsanwaltschaft, die im Einzelnen darlegen muss, warum eine Durchführung des Hauptverfahrens am Ergreifungsort im Einzelfall prozessökonomisch vorteilhaft erscheint, ohne den Beschuldigten und die Zeugen unangemessen zu benachteiligen. Diese Voraussetzungen werden i.d.R. nur dort vorliegen, wo der Beschuldigte geständig ist oder alsbald an Ort und Stelle überführt werden kann, ohne dass Zeugen und Sachverständige deshalb weite Reisen unternehmen müssen.4 Das dürfte insbesondere dort der Fall sein, wo zugleich die Durchführung eines beschleunigten Verfahrens in Betracht kommt.5 In solchen Konstellationen kann die Ersparnis der Kosten für unnötige Transporte eine sachliche Rechtfertigung für die Wahl des Gerichtsstands nach § 9 darstellen. Sind entsprechende Umstände nicht im Einzelnen dargelegt oder offenkundig gegeben, besteht die Vermutung einer ermessensfehlerhaften Wahl des Gerichtsstands nach § 9. In diesem Fall ist das Gericht örtlich unzuständig (Vor § 7, 26),6 und es ist nach § 16 zu verfahren (s. dort). Durch eine entsprechende Handhabung der Ermessenskontrolle können die Missbrauchsgefahren, die aus der leichten Manipulierbarkeit des Ergreifungsortes resultieren,7 und die damit verbundenen verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 ausgeräumt werden.8 2. Ergreifung ist nach herkömmlicher Auffassung eine Handlung, durch die der Beschuldigte von einem hierzu berufenen Beamten (§ 152 GVG) aufgrund eines Haftbefehls oder der Voraussetzungen von § 127 Abs. 2 oder von einer beliebigen Person unter den Voraussetzungen von § 127 Abs. 1 zum Zwecke der Strafverfolgung festgenommen wird. Sie wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Beschuldigte sich freiwillig stellt. Zur Begründung eines Gerichtsstands nach § 9 wurde im Falle einer vorläufigen Festnahme darüber hinaus bis vor kurzem einhellig gefordert, dass gegen den Beschuldigten im Anschluss tatsächlich ein Haftbefehl ergeht, u.a. mit der Begründung, dass nur in diesem Fall eine sachlich gerechtfertigte Ergreifung vorliege.9 Demgegenüber hält der BGH nunmehr nicht nur den Erlass eines Haftbefehls für entbehrlich, sondern verzichtet überhaupt auf das Erfordernis, dass das „Ergreifen“ in einer Handlung besteht, die auf eine Inhaftierung des Beschuldigten abzielt. Statt dessen soll es ausreichen, wenn der Beschuldigte im Rahmen einer Kontrolle einer Straftat verdächtigt wird und daraufhin Ermittlungen gegen ihn eingeleitet werden.10 Die Ansicht des BGH erscheint vorzugswürdig: Die Gefahr von Manipulationen 11 steht letzten Endes bei jeder Möglichkeit im Raum, am Ergreifungsort einen Gerichtsstand zu begründen; ihr kann und muss auf dem oben Rn. 2 f. dargestellten Weg begegnet werden. In begrifflicher Hinsicht setzt „Ergreifen“ nicht die Herstellung eines längerfristigen Gewahrsams voraus (diese ist nur eine mögliche Folge des „Ergreifens“), 3 4 5 6 7

Dafür Heghmanns StV 2000 277, 279 f. Dallinger MDR 1953 432, 441; KMR/Paulus 3. Sowada 640. Sowada 643 ff.; SK/Rudolphi Vor § 7, 9. Vgl. OLG Hamm StV 1999 240, 242; dazu Heghmanns StV 2000 277.

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AK/Dästner 1. AK/Dästner 2; LR/Wendisch 25 5; SK/Rudolphi 2; a.A. HK/Lemke 3. BGHSt 44 347, 348 ff.; KK/Pfeiffer 2. Entsprechende Bedenken bei Meyer-Goßner 2.

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sondern bedeutet nur ein Habhaftwerden als solches.12 Auch der Sinn und Zweck der Vorschrift verlangt keine Koppelung an die Voraussetzungen der Untersuchungshaft, weil die Durchführung des Verfahrens an Ort und Stelle unter den einschlägigen Voraussetzungen (s.o. Rn. 2) auch dort sachdienlich sein kann, wo ein Beschuldigter, bei dem mit einer Fortsetzung des Aufenthalts in der jeweiligen Gegend gerechnet werden kann, nach Feststellung seiner Personalien auf freien Fuß gesetzt wird. Eine Beschränkung von § 9 auf Haftsachen könnte im Gegenteil bewirken, dass die Vorschrift völlig leerläuft, weil sie de facto auf den Bereich der leichteren Kriminalität beschränkt sein dürfte, wo der Erlass eines Haftbefehls zumeist aus Verhältnismäßigkeitsgründen ausscheidet.13 Wird die Realisierbarkeit eines legitimen Interesses, das Strafverfahren dort durchzuführen, wo der Beschuldigte ergriffen wurde, an den Erlass eines Haftbefehls gekoppelt, so könnte schlimmstenfalls sogar ein neuer „apokrypher Haftgrund“ 14 erzeugt werden. Mit diesen Überlegungen steht auch die schon früher verbreitete These in Einklang, 7 wonach das vorübergehende Festhalten eines Verdächtigten im Identitätsfeststellungsverfahren nach § 163b, 163c zwar nicht per se eine Ergreifung i.S. von § 9 darstellt, wohl aber dann, wenn dabei die Beschuldigteneigenschaft begründet wird.15 Der Ergreifung nachfolgende Maßnahmen (Vorführungen, Gegenüberstellungen, Ein- 8 lieferung in die JVA u.s.w.) sind für § 9 bedeutungslos; die Vorschrift begründet in ihrer heutigen Fassung insbesondere keinen Gerichtsstand des Verwahrungsortes mehr. 3. Dauer und Reichweite der Gerichtsstandsbegründung. Bereits auf der Grundlage 9 der früher h.M., nach der die Begründung des Gerichtsstands nach § 9 vom Erlass eines Haftbefehls abhängen sollte, war anerkannt, dass Änderungen der Sachlage (z.B. zwischenzeitliche Freilassung oder Flucht des Beschuldigten) zwischen Ergreifung und Anklageerhebung (um so mehr gilt dies für den Zeitraum danach) den Gerichtsstand des Ergreifungsortes nicht wieder entfallen lassen.16 Nach Verselbständigung des Merkmals „ergreifen“ von der Frage einer evtl. Inhaftierung des Beschuldigten gilt das erst recht. Auch die Wiederergreifung eines flüchtigen Beschuldigten lässt den zunächst begründeten Gerichtsstand nach § 9 nicht entfallen, sondern begründet neben diesem einen weiteren Gerichtsstand derselben Art.17 Die grundsätzliche Fortdauer eines einmal begründeten Gerichtsstands nach § 9 10 ändert freilich nichts daran, dass die legitimen Zweckmäßigkeitsgründe, die für dessen Wahl zu verlangen sind, zumeist entfallen werden, wenn der (freigelassene, entwichene oder von vornherein auf freiem Fuß befindliche) Beschuldigte die jeweilige Region dauerhaft verlässt. Damit wird die Erhebung einer Anklage (nicht hingegen die Durchführung des Hauptverfahrens auf eine bereits erhobene Anklage hin) beim Gericht des (ersten) Ergreifungsortes nach den oben Rn. 2 f. dargestellten Prinzipien gleichfalls unzulässig. Die Ergreifung wegen einer anderen als der nunmehr angeklagten Tat stellt in Bezug 11 auf Letztere ein rein zufälliges Ereignis dar und ist deshalb nicht geeignet, für diese den Gerichtsstand nach § 9 zu begründen. § 9 ist in diesem Fall auch nicht deshalb umfas12 13 14 15

BGHSt 44 347, 348 f. Ähnlich BGHSt 44 347, 349 f.; vgl. auch Sowada 640. Zu deren Problematik allgemein Dahs Apokryphe Haftgründe, FS Dünnebier 227. KMR/Paulus 5; LR/Wendisch 25 2; MeyerGoßner 3; KK/Pfeiffer 2; a.A. (auf der Grundlage der früher h.M. allein konse-

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quent: Erfordernis der Umwandlung in eine Festnahme nach § 127 Abs. 2) SK/ Rudolphi 2. AK/Dästner 2; KMR/Paulus 7; LR/ Wendisch 25 6; Meyer-Goßner 6; SK/Rudolphi 4. HK/Lemke 5; Meyer-Goßner 6.

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send anwendbar, weil die Taten gemeinsam angeklagt werden. In diesem Fall folgt die örtliche Zuständigkeit des Gerichts des Ergreifungsortes für sämtliche Taten des Beschuldigten vielmehr aus § 13, soweit dessen Voraussetzungen gegeben sind.18

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4. Gerichtsstand der Ergreifung bei einem gemeinsamen Haftgericht. Ist einem Amtsgericht für den Bezirk mehrerer Amtsgerichte die Entscheidung in Haftsachen zugewiesen (§ 58 Abs. 1 GVG), so ist dieses das Gericht des Ergreifungsortes, selbst wenn der Täter im Bezirk eines anderen von den mehreren Amtsgerichten ergriffen worden ist.19

§ 10 (1) Ist die Straftat auf einem Schiff, das berechtigt ist, die Bundesflagge zu führen, außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes begangen, so ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Heimathafen oder der Hafen im Geltungsbereich dieses Gesetzes liegt, den das Schiff nach der Tat zuerst erreicht. (2) Absatz 1 gilt entsprechend für Luftfahrzeuge, die berechtigt sind, das Staatszugehörigkeitszeichen der Bundesrepublik Deutschland zu führen.

Entstehungsgeschichte. Nach der Reichstagsvorlage von 1875 sollte mit § 10 (damals § 3) ein Gerichtsstand errichtet werden für Straftaten, die „auf einem deutschen Schiff in offener See begangen“ wurden. Weil es dort an einem Gerichtsstand fehlt, sollte einer „mittels einer gesetzlichen Fiktion geschaffen“ werden.1 Da aber „bei der Verschiedenheit in der Behandlungsweise von Delikten an Bord der Handelsschiffe nach den Rechten der seefahrenden Nationen“ nicht ausgeschlossen werden konnte, dass „ein im fremden Hafen auf einem deutschen Handelsschiff begangenes Delikt gänzlich ungestraft bleiben“ könne, wurde in der 2. Lesung der Kommission die Wendung „auf einem deutschen Schiffe im Ausland oder in offener See“ gewählt.2 Durch Art. 3 Nr. 6 VereinhG wurde bei den Worten „Ausland“ und „deutscher“ Hafen jeweils auf den „Geltungsbereich dieses Gesetzes“ abgestellt. Durch Art. 2 Nr. 1 EGOWiG wurden die Worte „in offener See“ gestrichen. Durch Art. 21 Nr. 1 EGStGB 1974 wurden die Worte „auf einem deutschen Schiff“ ersetzt durch die Worte „auf einem Schiff, das berechtigt ist, die Bundesflagge zu führen“. Der zweite Absatz ist durch Art. 4 Nr. 3 des 3. StRÄndG angefügt worden. Übersicht Rn. 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schiffe mit Berechtigung zum Führen der Bundesflagge . . . . . . . . . . . . . . . 3. Luftfahrzeuge . . . . . . . . . . . . . . . 18

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4. Die Begründung des Gerichtsstands a) Schiffe . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Luftfahrzeuge . . . . . . . . . . . . .

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Zutr. SK/Rudolphi 3; a.A. BGH bei Dallinger MDR 1954 336; OLG München MDR 1954 336; AK/Dästner 2; KK/Pfeiffer 3; LR/Wendisch 25 8; Meyer-Goßner 4. Corves MDR 1956 335; HK/Lemke 2; KK/Pfeiffer 3; KMR/Paulus 6.

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Rn.

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Mot. zu §§ 1 bis 3; Abs. 1; Hahn 1 78. Hahn Mat. 2 1194 f.

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1. Bedeutung. Die Vorschrift flankiert § 4 StGB, wonach auf Schiffen und Luftfahr- 1 zeugen, die berechtigt sind, die Bundesflagge zu führen, das deutsche Strafrecht unabhängig vom Recht des Tatorts gilt. Sie kommt dann zum Tragen, wenn sich das Schiff bzw. Luftfahrzeug bei Tatbegehung „außerhalb des Geltungsbereichs“ der StPO befindet. Der Geltungsbereich der StPO entspricht dem Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland. Er umfasst an Land das Gebiet innerhalb der Bundesgrenzen,3 an der deutschen Küste die Eigengewässer (Seehäfen, Meeresbuchten) und das Küstenmeer – einen Meeresstreifen, der in zwölf Seemeilen Breite den Eigengewässern vorgelagert ist 4 –, sowie allgemein den über den vorgenannten Bereichen liegenden Luftraum. Jenseits dieser Gebiete beginnt der von § 10 erfasste Bereich. Anderweitig begründete Gerichtsstände werden durch § 10 nicht ausgeschlossen: Er- 2 streckt sich die Tatbegehung über eine Fahrt- bzw. Flugstrecke, die z.T. innerhalb und z.T außerhalb des Geltungsbereichs der StPO liegt, kann die Staatsanwaltschaft zwischen dem Gerichtsstand nach § 7 und demjenigen nach § 10 wählen (unter Berücksichtigung der Vor § 7, 24 f. dargestellten Grundsätze). Die Gerichtsstände nach §§ 8, 9, 11 und 13 stehen im Verhältnis zu § 10 ebenfalls wahlweise zur Verfügung. Wurde die Tat in einem Schiff oder Flugzeug ausschließlich im Geltungsbereich der 3 StPO begangen, so ist § 10 unanwendbar, und zwar auch dann, wenn der Tatort und mithin der Gerichtsstand nach § 7 nicht im Einzelnen ermittelt werden kann; in diesem Fall bedarf es ggf. einer Gerichtsstandsbestimmung nach § 13a. 2. Schiffe mit Berechtigung zum Führen der Bundesflagge. Schiffe i.S. der Vorschrift 4 sind zur See- oder Binnenschifffahrt 5 bestimmte Wasserfahrzeuge aller Art.6 Befindet sich das Schiff in Seenot, gilt die Vorschrift auch für das Wrack sowie für Rettungsboote und Flöße.7 Die Berechtigung (bzw. z.T. weitergehend die Verpflichtung) zum Führen der Bundes- 5 flagge ergibt sich aus dem Flaggenrechtsgesetz. Sie besteht für Seeschiffe, deren Eigentümer Deutsche (bei inländischem Wohnsitz Verpflichtung gemäß § 1 Abs. 2 FlRG, bei Fehlen eines solchen Berechtigung nach § 2 Abs. 2 FlRG) oder bestimmte Gesellschaften, juristische Personen, Partenreedereien oder Erbengemeinschaften (§ 1 Abs. 2 und 3 FlRG; § 2 Abs. 2 FlRG) sind. Sind die Eigentümer Staatsangehörige anderer Mitgliedsstaaten der EU oder nach dem Recht anderer Mitgliedsstaaten der EU gegründete Gesellschaften, besteht die Berechtigung unter bestimmten weiteren Voraussetzungen gemäß § 2 Abs. 1 und 1a FlRG. In allen Fällen bedarf sie eines Nachweises gemäß § 3 FlRG. Darüber hinaus kann sie nach §§ 10, 11 FlRG verliehen werden. Für Binnenschiffe gilt § 14 FlRG, für Schiffe der Seestreitkräfte der Bundeswehr die Anordnung des Bundespräsidenten über die Dienstflagge der Seestreitkräfte der Bundeswehr vom 25.5.1956.8 3. Luftfahrzeuge i.S. von § 10 Abs. 2 sind nach der abschließenden Aufzählung in § 1 6 Abs. 2 LuftVG: Flugzeuge, „Drehflügler“ (d.h. Hubschrauber), Luftschiffe, Segelflug3 4

5 6 7

Zum Bodensee und zur Situation bei Grenzflüssen Tröndle/Fischer Vor §§ 3–7, 15 f. Prot. d. BReg. vom 11.11.1994 (BGBl. I 3428); in der Ostsee ist er z.T. weniger breit, dazu Tröndle/Fischer Vor §§ 3 bis 7, 13. Zur Historie der Einbeziehung von Binnenschiffen LR/Wendisch 25 2 f. Tröndle/Fischer § 4, 3. Rietzsch DJ 1940 565.

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BGBl. III 1130-5; dass Schiffe der Streitkräfte völkerrechtlich Boden des Heimatlandes sind (vgl. Art. 3 Abs. 1 des Internationalen Abkommens zur einheitlichen Feststellung von Regeln über die Immunität der Staatsschiffe vom 10.4.1926, RGBl. 1927 II 484), hat im vorliegenden Zusammenhang keine weiteren Auswirkungen.

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zeuge, Motorsegler, Frei- und Fesselballone, Drachen, Rettungsfallschirme, Flugmodelle, Luftsportgeräte und sonstige für die Benutzung des Luftraumes bestimmte Geräte, sofern sie in Höhen von mehr als dreißig Metern über Grund oder Wasser betrieben werden. Ihre Zuordnung zu einem Staat wird gemäß Art. 17 des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt (BGBl. II 1956, 411, 934) nach der Eintragung in ein Register begründet, in Deutschland in die Luftfahrzeugrolle beim Luftfahrt-Bundesamt in Braunschweig, wobei die Eintragungsvoraussetzungen in § 3 LuftVG geregelt sind. Die dort eingetragenen Luftfahrzeuge haben nach § 2 Abs. 5 LuftVG die Pflicht, das deutsche Staatszugehörigkeitszeichen zu führen – nach II 1, III der Anlage 1 zur Luftverkehrs-ZulassungsOrdnung die Bundesflagge und (mit Ausnahme bei Ballonen) den Buchstaben D. 4. Die Begründung des Gerichtsstands

7

a) Bei Schiffen besteht der Gerichtsstand nach § 10 Abs. 1 in jedem Fall bei dem für den Heimathafen örtlich zuständigen Gericht. Heimathafen ist derjenige deutsche Hafen, von dem aus die Seeschifffahrt mit dem Schiff betrieben wird (§ 480 Abs. 1 HGB; § 4 Abs. 1 der Schiffsregisterverordnung,9 § 3 Abs. 1 Nr. 7 der 1. DVO zum Flaggenrechtsgesetz.10 Bei Binnenschiffen kann es an einem Heimathafen fehlen; es kommt dann auf den Heimatort an (§ 4 Abs. 1 der Schiffregisterverordnung), notfalls auf den Ort der Registereintragung (§ 4 Abs. 3). Der Gerichtsstand des ersten Hafens innerhalb des Geltungsbereichs der StPO, den 8 das Schiff nach der Tatbegehung erreicht, steht gleichberechtigt neben demjenigen des Heimathafens. Liegen beide Häfen in verschiedenen Gerichtsbezirken, ist somit in beiden ein Gerichtsstand nach § 10 Abs. 1 begründet. Wird nach einem Schiffbruch das Wrack nicht alsbald in einen Hafen geschafft, so ist 9 neben dem Gericht des Heimathafens dasjenige zuständig, in dessen Bezirk das Schiff gestrandet ist.11

10

b) Luftfahrzeuge. Den Begriff des Heimatflughafens kennt das Luftverkehrsgesetz nicht. In entsprechender Anwendung von Absatz 1 und von § 480 Abs. 1 HGB ist statt dessen auf denjenigen Flughafen abzustellen, auf dem das Luftfahrzeug zum Zweck seines Betriebs dauernd stationiert ist.12 Der zuerst erreichte Flughafen im Geltungsbereich der StPO ist derjenige, auf dem das 11 Flugzeug nach der Tat zuerst landet. Bei Notlandungen auf freiem Feld, nach denen das Luftfahrzeug wieder aufsteigt, wird der Gerichtsstand erst durch die nachfolgende Landung auf einem Flugplatz begründet. Ohne nachfolgenden Wiederaufstieg ist hingegen dasjenige Gericht zuständig (neben demjenigen des „Heimatflughafens“), in dessen Bezirk das Luftfahrzeug niedergegangen ist.13

§ 10a Ist für eine Straftat, die außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes im Bereich des Meeres begangen wird, ein Gerichtsstand nicht begründet, so ist Hamburg Gerichtsstand; zuständiges Amtsgericht ist das Amtsgericht Hamburg. 9 10 11

Vom 26.5.1951 (BGBl. III 315–18). Vom 23.2.1951 (BGBl. III 9514-1-1). Vgl. KMR/Paulus 10.

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12 13

Zust. Wille 200. Zust. Wille 199.

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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand

§ 11

Entstehungsgeschichte. Eingefügt durch Art. 5 des 18. StRÄndG. Durch Art. 2 des Ausführungsgesetzes zum Suchtstoffübereinkommen vom 2. August 1993 – BGBl. I S. 1407 ist die frühere Beschränkung auf Umweltstraftaten nach §§ 324–330d StGB entfallen. In ihrer heutigen Fassung entspricht sie einer früher in § 12 des zwischenzeitlich aufgehobenen Festlandsockelgesetzes vom 24.7.1964 – BGBl. I 497 i.d.F. von Art. 190 Nr. 3 EGStGB – BGBl. 1974 I 591 enthaltenen Sonderregelung.1 1. Bedeutung. Die Vorschrift bestimmt Hamburg zum subsidiären Gerichtsstand für 1 Straftaten, die auf dem Meer außerhalb der Bundesrepublik Deutschland begangen werden. Die zusätzliche Nennung des Amtsgerichts Hamburg ist deshalb erforderlich, weil es in Hamburg noch weitere Amtsgerichte gibt. 2. Voraussetzungen. § 10a setzt eine dem deutschen Strafrecht unterfallende (!) Tat 2 voraus, die außerhalb der deutschen Küstengewässer (s.o. § 10, 1 – innerhalb derselben ist ein Gerichtsstand nach § 7 Abs. 1 begründet) im Bereich des Meeres begangen wurde. Insofern kommen sowohl das offene Meer als auch die Küstengewässer anderer Staaten in Betracht, jeweils einschließlich des Meeresbodens und des über dem Wasser liegenden Luftraums. Bei Vorliegen irgendeines anderen Gerichtsstands nach den §§ 7 ff. ist die Anwendung von § 10a ausgeschlossen.

§ 11 (1) 1Deutsche, die das Recht der Exterritorialität genießen, sowie die im Ausland angestellten Beamten des Bundes oder eines deutschen Landes behalten hinsichtlich des Gerichtsstandes den Wohnsitz, den sie im Inland hatten. 2Wenn sie einen solchen Wohnsitz nicht hatten, so gilt der Sitz der Bundesregierung als ihr Wohnsitz. (2) Auf Wahlkonsuln sind diese Vorschriften nicht anzuwenden.

Entstehungsgeschichte. In der ursprünglichen Fassung war von Beamten des Reichs oder eines Bundesstaats die Rede und wurde in erster Linie auf den Wohnsitz im Heimatstaat, dann auf dessen Hauptstadt abgestellt. Durch Art. 35 EGBGB wurde als weiterer Hilfsgerichtsstand Berlin bezeichnet. Die gegenwärtige Fassung beruht auf Art. 3 Nr. 7 VereinhG. 1. Exterritoriale Deutsche gibt es im Inland nicht, so dass sich die Bestimmung nur 1 auf im Ausland wohnende Personen bezieht. Der Kreis der Exterritorialen ist dem Völkerrecht zu entnehmen, das Art. 25 GG als Bestandteil des Bundesrechts anerkennt. Danach kommen als Deutsche, die das Recht der Exterritorialität genießen, namentlich die Missionschefs (Botschafter, Gesandte, außerordentliche Gesandte und Geschäftsträger), ihr Personal und ihre Familien in Betracht, nicht die Konsuln.1

1

Eine gleichlautende Regelung enthält Art. 4 des Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 22. Januar 1965 zur Verhütung von Rundfunksendungen, die von Sendestellen außerhalb staatlicher Hoheitsgebiete

gesendet werden, vom 26.9.1969 – BGBl. II 1939. 1

Dahm Völkerrecht 1 315, 325, 341, 369.

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§ 12

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

2

2. Beamte. Da die Vorschrift für Auslandstaten deutscher Repräsentanten im Ausland, die im Geltungsbereich der Strafprozessordnung keinen Wohnsitz haben, einen Gerichtsstand schaffen will, ist der Begriff „Beamter“ i.S. von § 11 weit auszulegen, so dass auf jeden Fall auch höhere Angestellte darunter fallen. Maßgeblich ist insofern nicht der staatsrechtliche, sondern der erweiterte strafrechtliche Beamtenbegriff nach § 11 Abs. 1 Nr. 2–4 StGB.2 Beamte sind auch die Konsuln (§ 2 KonsG). Dabei sind die Wahlkonsuln, bei denen 3 es sich um Ehrenbeamte i. S. von § 5 Abs. 3 BBG handelt, meist Ausländer, die nur eine lose Verbindung zur Bundesrepublik haben; für sie ist die Vorschrift deshalb nach Abs. 2 ausdrücklich unanwendbar.

4

3. Die Anwendbarkeit der Vorschrift erstreckt sich auf alle Taten der von ihr erfassten Personen, auch auf solche, die der Exterritoriale oder Beamte im Inland oder in einem anderen ausländischen Staat begangen hat als dem, in welchem er wohnt.

§ 12 (1) Unter mehreren nach den Vorschriften der §§ 7 bis 11 zuständigen Gerichten gebührt dem der Vorzug, das die Untersuchung zuerst eröffnet hat. (2) Jedoch kann die Untersuchung und Entscheidung einem anderen der zuständigen Gerichte durch das gemeinschaftliche obere Gericht übertragen werden.

Übersicht Rn. 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen von § 12 Abs. 1 a) Möglichkeit konkurrierender Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . b) Eröffnung der Untersuchung . . . . . c) Kein Erfordernis definitiver Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unanwendbarkeit im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . .

1

3 5 7 8 11

Rn. 4. Ausnahme bei umfassenderer Aburteilungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . a) Die beiden Fallgruppen . . . . . . b) Verfahren . . . . . . . . . . . . . 5. Die Übertragung der Sache (Abs. 2) a) Funktion . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen . . . . . . . . . c) Wirkung . . . . . . . . . . . . . . d) Unanfechtbarkeit . . . . . . . . .

Alphabetische Übersicht Aburteilungsmöglichkeit, umfassendere 15 ff. An-sich-Ziehen eines Verfahrens 15, 19 Antrag 26 Beschleunigtes Verfahren 6, 24 Bindungswirkung der Übertragung 29 Dispositionsbefugnis der Staatsanwaltschaft 1, 5 f., 23 Einstellung 12 f., 20

2

Ermessen 27 Ermittlungsverfahren 8 ff., 12 Eröffnung 1, 5, 23 Gewohnheitsrecht 15, 19 Hauptverhandlung, Wiederholung der 30 Jugendgerichtsverfahren 24 Jugendverfahren, vereinfachtes 6, 24

HK/Lemke 3; KK/Pfeiffer 2; KMR/Paulus 3; Meyer-Goßner 3; SK/Rudolphi 3; a.A. Eb. Schmidt 2.

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. . . . . .

15 16 19

. . . .

22 23 29 31

. . . .

Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand Kognitionspflicht des Gerichts 17 Lage des Verfahrens 12, 28, 30 Nachtragsanklage 6 ne bis in idem 1 Prävention 1 Priorität 1 Prozesshindernis 12 ff., 30 Rechtshängigkeit 5, 29 – anderweitige 12 f., 20, 30 Rechtskraft 14 Rechtsmittelinstanz 12, 28 Rückübertragung 28 Sicherungsverfahren 6 Strafbefehlsverfahren 6, 24

§ 12

Strafklageverbrauch 13 Tat im prozessualen Sinn 1, 3, 12, 17 f. Übertragung der Sache 22 ff. – mehrfache 28 Urteil, erstinstanzliches 28 Verfahrensarten, besondere 6, 24 Zuständigkeit – ausschließliche 1, 11 – konkurrierende 3 – örtliche 1, 3, 25 – sachliche 4, 17 f. – zweifelhafte 7 Zweckmäßigkeit 9, 22

1. Bedeutung. Da über eine Tat im prozessualen Sinn nach dem Grundsatz „ne bis in 1 idem“ (Art. 103 Abs. 3 GG) nur eine Entscheidung ergehen darf, muss möglichst schon verhindert werden, dass die mögliche Vielzahl von Gerichtsständen in einer Strafsache zu mehreren Hauptverfahren führt (die ja jeweils auf die Herbeiführung einer eigenen Entscheidung gerichtet wären). Dies ist die Aufgabe von § 12. Maßgeblicher Zeitpunkt der Verengung konkurrierender örtlicher Zuständigkeiten auf die Zuständigkeit eines einzigen Gerichts ist gemäß Abs. 1 der Vorschrift grds. die Eröffnung „der Untersuchung“. Dabei erlangt – unabhängig von der zeitlichen Reihenfolge einer evtl. Mehrzahl von Anklagen – dasjenige Gericht die ausschließliche Zuständigkeit,1 das durch die Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 203 i.V.m. § 156 (zu den maßgeblichen Verfahrensschritten in besonderen Verfahrensarten s.u. Rn. 6) als erstes die Dispositionsbefugnis der Staatsanwaltschaft über die Anklage zum Erlöschen bringt (Prinzip der „Priorität“ oder „Prävention“). Weil die Durchführung des Hauptverfahrens bei diesem Gericht in bestimmten Kon- 2 stellationen unzweckmäßig, eröffnet Abs. 2 allerdings die Möglichkeit einer Übertragung der Zuständigkeit auf eines der anderen ursprünglich zuständigen Gerichte (s.u. Rn 22). 2. Voraussetzungen von § 12 Abs. 1 a) Möglichkeit konkurrierender Zuständigkeiten. § 12 Abs. 1 setzt voraus, dass 3 wegen ein und derselben Tat im prozessualen Sinn (§§ 155, 264) die örtlicher Zuständigkeit mehrerer erstinstanzlicher Gerichte im Raum steht. Diese kann dabei zum einen aus den §§ 7–11 (ggf. auch i.V.m. § 13) folgen, zum anderen (entgegen dem Wortlaut der Vorschrift, der insofern als Redaktionsversehen zu behandeln – seinem Sinn und Zweck nach soll § 12 die Konkurrenz von Gerichtsständen umfassend auflösen) aus § 13a.2 Geht die unterschiedliche örtliche mit einer verschiedenen sachlichen Zuständigkeit 4 einher, ist die Vorschrift ebenfalls anwendbar.3 Der Grundsatz der Prävention gilt im Übrigen auch dort, wo ausschließlich unterschiedliche sachliche Zuständigkeiten im Raum stehen.4 b) Eröffnung der Untersuchung ist nach Sinn und Zweck der Vorschrift im Regel- 5 verfahren nach allg. M. gleichbedeutend mit dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses nach 1 2 3

BGHSt 3 134, 138; HK/Lemke 5; KK/Pfeiffer 3, 4; Meyer-Goßner 1. BGHSt 10 255, 259; HK/Lemke 1; KK/ Pfeiffer 1; SK/Rudolphi 5. RGSt 55 186, 187; BGHSt 22 232, 233; OLG

4

Stuttgart Justiz 1982 304; Meyer-Goßner 1; SK/Rudolphi 6; RGSt 29 174, 178 f.; AK/Dästner 4; KMR/ Paulus 2 i.V.m. Vorb. § 1, 37.

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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

§ 203. Ein früherer Zeitpunkt kommt deshalb nicht in Betracht, weil die Staatsanwaltschaft gemäß § 157 bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens die Klage zurücknehmen und die Wirkungen einer vorherigen Anklageerhebung damit neutralisieren kann. Solange diese Möglichkeit besteht, die Sache also nur anhängig, aber noch nicht rechtshängig ist, muss der Staatsanwaltschaft konsequenterweise weiterhin das Auswahlermessen zwischen verschiedenen Gerichtsständen zur Verfügung stehen. Demnach kann die Wirkung von § 12 Abs. 1 in den besonderen Verfahrensarten 6 ebenfalls nur durch denjenigen Verfahrensschritt ausgelöst werden, mit dem die Dispositionsbefugnis der Staatsanwaltschaft über die Sache erlischt.5 Das ist im Sicherungsverfahren gemäß § 414 Abs. 1 wiederum die Eröffnung, bei der Nachtragsanklage der Einbeziehungsbeschluss (§ 266 Abs. 1), im selbständigen Einziehungsverfahren der Beschluss nach § 441 Abs. 2 oder die Anordnung der mündlichen Verhandlung nach Abs. 3 Satz 1. Im Strafbefehlsverfahren entscheidet der Beginn der Hauptverhandlung sowohl nach beantragtem, aber nicht erlassenem Strafbefehl, als auch im Falle des Einspruchs 6 (die freie Dispositionsmöglichkeit der Staatsanwaltschaft entfällt trotz § 411 Abs. 3 Satz 1 wegen Satz 2); ohne Einspruch ist die Rechtskraft des Strafbefehls maßgebend.7 Im beschleunigten Verfahren (§§ 417 ff.) und im vereinfachten Jugendverfahren (§ 76 JGG) muss auf den Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache abgestellt werden,8 wenn man der Ansicht folgt, wonach der Antrag der Staatsanwaltschaft danach nicht mehr zurückgenommen werden kann.9 Hält man die Rücknahme des Antrags hingegen bis zum Beginn der Urteilsverkündung für möglich,10 so kommt auch die Prävention nach § 12 Abs. 1 erst mit dieser zum Tragen.11

7

c) Kein Erfordernis definitiver Zuständigkeit. Eine mögliche Unzuständigkeit des eröffnenden Gerichts steht dem Eintritt der Wirkungen von § 12 Abs. 1 nicht entgegen: Hat ein Gericht eine Eröffnungsentscheidung getroffen, so impliziert dies die Annahme der eigenen Zuständigkeit. Diese muss von anderen Gerichten zunächst einmal selbst dann respektiert werden, wenn sie ihnen offensichtlich fehlerhaft erscheint. Für die Korrektur oder Heilung (!) einer fehlerhaften Bejahung der Zuständigkeit sieht das Gesetz nämlich Lösungen innerhalb des – und sei es objektiv zu Unrecht – eröffneten Verfahrens vor (Anwendung von § 16, evtl. Revision des Angeklagten, der den Einwand erfolglos erhoben hat, s.u. § 16, 18), nicht aber die Eröffnung eines anderen Verfahrens durch ein anderes Gericht, das die Zuständigkeit für sich reklamiert. Die Sperrwirkung von § 12 Abs. 1 entfällt deshalb nur und erst dann, wenn das zuerst eröffnete Verfahren tatsächlich wegen Unzuständigkeit des Gerichts eingestellt wird.

8

d) Unanwendbarkeit im Ermittlungsverfahren. Im Ermittlungsverfahren findet der Rechtsgedanke von § 12 keine Anwendung: Hier ist jede Staatsanwaltschaft örtlich zuständig, die die Sache bei dem Gericht, für das sie bestellt ist (§ 143 Abs. 1 GVG), anhängig machen kann. 5 6

7

8

SK/Rudolphi 9. BGHSt 13 186, 189; 14 343, 344; 26 374; BGH NStZ 2004 449; KK/Pfeiffer 2; MeyerGoßner 3. Vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1991 602; a.A. (schon der Erlass des Strafbefehls) auch KMR/Paulus 9; M. Mayer NStZ 1992 605. AK/Dästner 3; KMR/Paulus 11; Meyer-Goßner 3.

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10 11

Für das beschleunigte Verfahren MeyerGoßner § 417, 13; für das vereinfachte Jugendverfahren Brunner/Dölling §§ 76–78, 9 JGG; Eisenberg § 78, 13 JGG. Für das beschleunigte Verfahren LR/Gössel 25 § 417, 21; SK/Paeffgen § 417, 11. Dafür BGHSt 12 180, 184 (vereinfachtes Jugendverfahren); 15 314, 315 f. (beschleunigtes Verfahren a.F.); SK/Rudolphi 9.

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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand

§ 12

Zur Vermeidung überflüssiger Parallelermittlungen bedarf es freilich einer möglichst 9 frühzeitigen Festlegung, welche Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren tatsächlich durchführt. Das wird zumeist diejenige Staatsanwaltschaft sein, die am Ende auch die Anklage erheben soll. Weil sie das wiederum nur bei dem Gericht tun kann, für das sie bestellt ist, impliziert die Entscheidung, welche Staatsanwaltschaft die Ermittlungen führt, insofern u.U. de facto schon die Wahl des Gerichtsstands. Zwingend ist das allerdings nicht: So kann es bei z.B. bei umfangreichen Tatkomplexen mit vielen Beschuldigten zweckmäßig sein, die Ermittlungen zunächst gebündelt zu führen und erst in einem späteren Stadium oder bei Anklagereife das Ermittlungsverfahren in Bezug auf einzelne Beschuldigte abzutrennen und jeweils an die Staatsanwaltschaft abzugeben, in deren Bezirk das Hauptverfahren gegen den betreffenden Beschuldigten durchgeführt werden soll. Auch dort, wo eine Staatsanwaltschaft die Ermittlungen zunächst mit dem Ziel der Anklageerhebung in ihrem eigenen Bezirk führt, kann es sich später als zweckmäßig erweisen, die Sache zur Anklagheerhebung doch noch an eine andere Staatsanwaltschaft abzugeben. Dies ist sogar zwingend, wenn während des Ermittlungsverfahrens der Gerichtsstand im Bezirk der ermittelnden Staatsanwaltschaft entfällt (Wohnsitzwechsel des Angeklagten im Falle von § 8). Die zur Umsetzung der vorgenannten Grundsätze ggf. erforderlichen Abgabe- und 10 Übernahmeentscheidungen werden in der Regel im Einvernehmen zwischen den beteiligten Staatsanwaltschaften getroffen. In Einzelfällen auftretende (positive oder negative) Kompetenzkonflikte sind innerhalb eines Landes durch die Ausübung des Weisungsrechts nach § 146 i.V.m. § 147 Nr. 2 oder 3 GVG, in länderübergreifenden Fällen gemäß § 143 Abs. 3 GVG durch eine Entscheidung des Generalbundesanwalt aufzulösen.12 3. Wirkungen. Die nach § 12 Abs. 1 begründete, nunmehr ausschließliche Zuständig- 11 keit des betreffenden Gerichts (s.o. Rn. 1) hat zur Folge, dass dieses grds. (d.h. abgesehen von den Fällen der Verbindung mit einem anderen Verfahren nach § 4 Abs. 2 oder § 13 Abs. 2 Satz 2, einer Übertragung nach § 12 Abs. 2 sowie der unten Rn. 14 genannten Ausnahme) nicht mehr an der Ausübung seiner Gerichtsbarkeit gehindert werden kann.13 Zugleich entsteht für weitere Verfahren, die die gleiche(n) Tat(en) im prozessualen 12 Sinn zum Gegenstand haben, das – vorläufige – Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit.14 Parallel geführte Ermittlungsverfahren sind also nach § 170 Abs. 2 einzustellen. In Verfahren, in denen bereits Anklage erhoben ist, darf kein Eröffnungsbeschluss mehr ergehen. Ergeht er gleichwohl, weil das Gericht von der anderweitigen Rechtshängigkeit der Sache nicht rechtzeitig erfährt, so ist das Verfahren unabhängig von der Lage, in der es sich befindet (ggf. auch noch in der Rechtsmittelinstanz 15) einzustellen, sobald das Verfahrenshindernis bekannt wird. Die Einstellung steht allerdings unter dem Vorbehalt der Fortdauer der Wirkungen 13 von § 12 Abs. 1.16 Der Vorbehalt entfällt, wenn das vorrangige Verfahren mit einer die Strafklage verbrauchenden Entscheidung endet und damit ein endgültiges Prozesshinder-

12 13

14

Näher dazu LR/Boll 25 § 143, 8 f. GVG. Zutr. für die skurrile Situation der Niederschlagung der Strafverfolgung durch eine Straffreiheitsgesetz eines anderen Bundeslandes BGHSt 3 134. KK/Pfeiffer 3; KMR/Paulus 12; SK/Rudolphi 8.

15 16

RGSt 67 53, 55; KK/Pfeiffer 5; KMR/Paulus 15; SK/Rudolphi 11. RGSt 52 259, 264; 67 53, 57; HK/Lemke 6; Meyer-Goßner 4.

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§ 12

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

nis entsteht. Bei seiner endgültigen und unanfechtbaren Einstellung durch eine Entscheidung, die keinen Strafklageverbrauch bewirkt (insbesondere, aber nicht nur bei einer Einstellung wegen örtlicher Unzuständigkeit des Gerichts, das die Untersuchung zuerst eröffnet hat), erlöschen hingegen die Wirkungen von § 12 Abs. 1.17 Weil die Durchführung eines anderen Verfahrens über denselben Prozessgegenstand damit wieder zulässig wird, ist ein Verfahren, das wegen der anderweitigen Rechtshängigkeit eingestellt wurde, in diesem Fall fortzuführen. Bei mehreren Parallelverfahren kommen die Wirkungen von § 12 Abs. 1 dabei erneut zum Tragen, nämlich zugunsten desjenigen Verfahrens, das nach dem nunmehr endgültig eingestellten zuerst eröffnet wurde. Die Wirkungen von § 12 Abs. 1 erlöschen auch dann, wenn ein nach dieser Vorschrift 14 an sich unzulässiges Verfahren mit einem rechtskräftigen Urteil abgeschlossen wird: Infolge seiner prinzipiellen Endgültigkeit wiegt das nunmehr in gegenläufiger Richtung zum Tragen kommende Prozesshindernis der anderweitigen Rechtskraft stärker als die Prävention nach § 12 Abs. 1. Hier muss also ausnahmsweise das eigentlich vorrangige Verfahren eingestellt werden.18 Das gilt richtigerweise schon dann, wenn das Urteil in dem unzulässigen Verfahren in Teilrechtskraft erwachsen ist.19

15

4. Ausnahme bei umfassenderer Aburteilungsmöglichkeit. Der Grundsatz der Prävention nach § 12 Abs. 1 hat nach allg. M. ausnahmsweise keine Geltung, wenn das Gericht, das die Untersuchung später eröffnet hat, die Sache vollständiger und umfassender aburteilen kann. In diesem Fall soll Letzterem der Vorrang gebühren,20 und wenn es sich bei ihm um ein Gericht höherer Ordnung handelt, soll es nach verbreiteter Formulierung berechtigt und verpflichtet sein, das vor dem Gericht niederer Ordnung schwebende Verfahren zwecks umfassender Aburteilung „an sich zu ziehen“.21 Die in der StPO getroffene Regelung enthält hierfür letzten Endes keine dogmatische Grundlage. Deshalb kann die Ausnahme von § 12 Abs. 1 (bzw. die punktuelle Umkehr von dessen Wirkungen) nur deshalb anerkannt werden, weil sie in Rspr. und Schrifttum schon seit Zeiten des Reichsgerichts einhellig in der Annahme vertreten wird, sie sei rechtens. Damit handelt es sich bei ihr um echtes Gewohnheitsrecht.

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a) Die beiden Fallgruppen. Dabei sind zwei strukturell recht unterschiedliche Fallgruppen zu unterscheiden: Bei Identität der mehrfach angeklagten Tat(en) im prozessualen Sinn ist es begriffs17 notwendig ausgeschlossen, dass der Prozessstoff dem einen Gericht „zu einer weitergehenden Aburteilung unterbreitet“ ist als dem anderen, denn die Kognitionspflicht des Gerichts umfasst jede angeklagte Tat i.S. von § 264 bekanntlich immer in deren gesamten rechtlichen und tatsächlichen Dimension.22 Zu beachten ist lediglich die Mög17 18

19

20

21

AK/Dästner 2; KK/Pfeiffer 4. BGHSt 9 190; 38 37, 42 f.; AK/Dästner 2; KK/Pfeiffer 4; KMR/Paulus 12; MeyerGoßner 4. Kammerer MDR 1990 785 786; KMR/ Paulus 12; Meyer-Goßner 4; a.A. BayObLG NStZ 1989 241. RGSt 70 336, 337; BGHSt 5 381, 384; 19 177, 18; 36 175, 181; BGH NStZ 1995 351, 352; AK/Dästner 4; KK/Pfeiffer 3; LR/Wendisch 25 17; Meyer-Goßner 2; SK/Rudolphi 7. BGHSt 36 175, 181; BGH NStZ 1995 351, 352; LR/Wendisch 25 17; zu recht krit. gegen

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diese Formulierung Meyer-Goßner 2, der statt dessen eine Einstellung des Verfahrens durch das niedere Gericht befürwortet. Die seinerzeit praktizierte Ausnahme, wonach zwar die Anklage einer fortgesetzten Tat als solcher zur Erledigung aller Einzelakte, die Anklage eines Einzelakts aber nicht zur Erledigung der fortgesetzten Tat in ihrer Gesamtheit führen sollte (zuletzt BGH NStZ 1993 51), gehörte zu den großen Ungereimtheiten des Fortsetzungszusammenhangs. Sie ist heute überholt.

Volker Erb

Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand

§ 12

lichkeit, dass bei einer entsprechend umfassenden Würdigung das niederere Gericht, das das Verfahren zuerst eröffnet hat, in Wirklichkeit nicht sachlich zuständig ist. Für diesen Fall entbindet die gewohnheitsrechtliche Ausnahme von § 12 Abs. 1 zusätzlich von der an sich gegebenen Notwendigkeit, § 225a oder § 270 anzuwenden. Im Übrigen kann die Möglichkeit einer umfassenderen Aburteilung darauf beruhen, 18 dass bei dem Gericht, das die Untersuchung später eröffnet, neben der bzw. den beim ersten Gericht bereits rechtshängigen Tat(en) im Verbund mit diesen eine oder mehrere weitere Taten im prozessualen Sinn angeklagt sind. Auch in diesem Fall kann sich zugleich eine Verschiebung der sachlichen Zuständigkeit ergeben. Zwingend ist das jedoch nicht, weil die größere Zahl der angeklagten Taten die Straferwartung ja nicht unbedingt so zu erhöhen braucht, dass hierdurch die Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung begründet wird. Bei strikter Beachtung von § 12 dürfte in diesen Fällen das zweite Gericht das Hauptverfahren nur bzgl. derjenigen Taten eröffnen, die von der Anklage beim ersten Gericht nicht umfasst waren; im Übrigen müsste es die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen bzw. dieses wieder einstellen. Um gleichwohl noch eine Aburteilung aller Taten in einem einheitlichen Verfahren zu ermöglichen, müsste die Verfahren dann in einem zweiten Schritt nach § 13 Abs. 2 bei einem von ihnen bzw. (wenn zugleich die sachliche Zuständigkeit betroffen ist) nach § 4 beim höheren Gericht verbunden werden. Dieses umständliche Vorgehen wird wiederum entbehrlich, wenn man infolge der umfassenden Aburteilungsmöglichkeiten des Gerichts, das die Untersuchung später eröffnet, eine Ausnahme von § 12 Abs. 1 anerkennt. b) Verfahren. Eine tragfähige dogmatische Konstruktion, die zur umfassenden Weiter- 19 führung des gesamten Verfahrens durch dasjenige Gericht führt, das die Untersuchung als zweites eröffnet hat, kann indessen nicht darin bestehen, dass Letzteres das zuerst eröffnete Verfahren „an sich zieht“: Es mag zwar sein, dass auf diese Weise der Gefahr einer Fortführung von Parallelverfahren besonders effektiv begegnet wird.23 Ein solches Vorgehen des höheren Gerichts wäre aber zum einen prinzipiell nur gegenüber einem niedereren Gericht innerhalb des eigenen Bezirks denkbar, taugt also nicht für allgemeine Lösung des Problems.24 Zum anderen ist für die (als solche erst in der neueren Rspr. des BGH auftretende, im Schrifttum nicht allgemein befürwortete 25 und insofern keinesfalls als Bestandteil des Gewohnheitsrechts anzusehende) Konstruktion einer Prozesshandlung des „An-sich-Ziehens“ in den anerkannten dogmatischen Kategorien unseres Strafprozessrechts schlechthin kein Raum. Richtigerweise hat das Gericht, das über die umfassendere Aburteilungsmöglichkeit 20 verfügt, sein Verfahren mangels Anwendbarkeit von § 12 Abs. 1 ganz regulär zu eröffnen und dies dem anderen Gericht mitzuteilen. Daraufhin hat Letzteres sein Verfahren schlicht einzustellen, nämlich wegen der anderweitigen Rechtshängigkeit, bei der es ausnahmsweise keine Rolle spielt, dass sie nicht als erste begründet wurde.26 Bei alledem spricht selbstverständlich nichts dagegen, eine Aktenübersendung, die auf 21 eine vom höheren Gericht als „An-sich-Ziehen“ bezeichnete Anforderung erfolgt, oder eine „Abgabe“ oder sonstige Verfahrenshandlung, durch die die Sache nunmehr allein dem Gericht mit der umfassenderen Aburteilungsmöglichkeit in die Hände gelegt wird, in die richtigen dogmatischen Kategorien umzudeuten.27

23 24 25

BGH NStZ 1995 351, 352. Zutr. Meyer-Goßner 2. S.o. Rn. 15.

26 27

Meyer-Goßner 2. Ähnlich Meyer-Goßner 2.

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§ 12

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5. Die Übertragung der Sache (Abs. 2)

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a) Funktion. Erscheint sich die Durchführung des Hauptverfahrens bei dem nach Abs. 1 zuständigen Gericht als unzweckmäßig, so ermöglicht Abs. 2 die Übertragung auf ein anderes nach §§ 7 ff. zuständiges Gericht. Denkbarer Anlass wäre z.B. die Rücksicht den Wohnort von Zeugen oder auf Krankheit oder Reiseunfähigkeit eines Beteiligten,28 aber auch der Umstand, dass sich das später eröffnete Verfahren schon in einem weiter fortgeschrittenen Stadium 29 befindet als das zuerst eröffnete, von dem das zweite Gericht zunächst keine Kenntnis erlangt hatte.

23

b) Voraussetzungen. § 12 Abs. 2 ist erst anwendbar, wenn (wenigstens) ein 30 Gericht die Untersuchung i.S. von Abs. 1 eröffnet hat (zum maßgeblichen Zeitpunkt s.o. Rn. 5f.). Bis dahin ist nämlich die Staatsanwaltschaft befugt, den Gerichtsstand (nach Klagerücknahme ggf. neu) zu wählen, so dass sich dessen gerichtliche Festlegung verbietet.31 Bei mehreren miteinander verbundenen Anklagen setzt die Übertragung des gesamten Verfahrens auf ein anderes Gericht mithin voraus, dass das Hauptverfahren beim ersten Gericht in Bezug auf alle eröffnet wurde.32 In besonderen Verfahrensarten ist insbesondere zu beachten: Geht man im beschleunigten Verfahren (§§ 417 ff.) und im vereinfachten Jugendverfahren (§ 76 JGG) davon aus, dass die Verfügungsbefugnis der Staatsanwaltschaft erst mit dem Urteil endet (s.o. Rn. 6 a.E.), findet § 12 Abs. 2 dort überhaupt keine Anwendung 33 (im normalen Jugendgerichtsverfahren ist § 12 Abs. 2 neben § 42 Abs. 3 JGG hingegen ohne weiteres anwendbar 34). Im Strafbefehlsverfahren ist (ebenso wie im Bußgeldverfahren 35) der Beginn der Hauptverhandlung nach rechtzeitigem Einspruch maßgeblich (s.o. Rn. 6). Die Übertragung kann nur an ein Gericht erfolgen, das schon bei Eintritt der Wirkungen von § 12 Abs. 1 örtlich zuständig war.36 Für den Gerichtsstand nach § 13 ist dabei anerkannt, dass der zuständigkeitsbegründende Zusammenhang zum Zeitpunkt der Entscheidung nach § 12 Abs. 2 noch bestehen muss.37 Richtigerweise wird man aber auch bei einer Übertragung an das nach § 8 zuständige Gericht verlangen müssen, dass der Beschuldigte in dessen Bezirk nach wie vor seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt hat. § 12 Abs. 2 setzt keinen Antrag eines Verfahrensbeteiligten voraus. Das gemeinschaftliche obere Gericht (vgl. dazu Vor § 7, 31) kann die Übertragung vielmehr auch (auf Anregung eines der beteiligten Gerichte) von Amts wegen beschließen. Ein in der Hauptverhandlung gestellter Antrag eines Verfahrensbeteiligten begründet keine Verpflichtung des Gerichts, die Sache dem oberen Gericht vorzulegen.38 Das obere Gericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, wobei die Vor § 7, 24 f. dargelegten Schranken entsprechend zu beachten sind.

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30 31 32

Dazu und zu möglichen entgegenstehenden Gesichtspunkten BGH wistra 1998 307. Zum dessen Bedeutung als (in concreto allerdings umgekehrt einer Anwendung von § 12 Abs. 2 entgegenstehender) Zweckmäßigkeitsaspekt BGH bei Becker NStZ-RR 2002 65. Vgl. OLG Düsseldorf MDR 1984 70. RGSt 45 174; BGHSt 10 392 f.; 26 374; BGH NStZ 2004 449; Meyer-Goßner 6. BGH NStZ-RR 1997 380.

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BGHSt 12 180, 184 (vereinfachtes Jugendverfahren); BGHSt 15 314 (beschleunigtes Verfahren). BGHSt 13 186, 188; 13 209, 217. BGH bei Miebach/Kusch NStZ 1991 27; BGH NStZ 2003 558. RGSt 45 174, 175; BGHSt 13 209, 217. BGHSt 16 391, 393; KK/Pfeiffer 7; KMR/ Paulus 23; Meyer-Goßner 5; SK/Rudolphi 13. BGH StraFo 2003 272.

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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand

§ 13

Nach Eröffnung der Untersuchung durch das erste Gericht ist die Übertragung (ggf. 28 auch mehrfach oder als Rückübertragung 39) in jeder Lage des Verfahrens bis zum Erlass des erstinstanzlichen Urteils möglich. Danach kommt sie nicht mehr in Betracht (und zwar auch nicht nach Zurückverweisung der Sache aus der Rechtsmittelinstanz 40), weil andernfalls der Instanzenzug durchbrochen und in die ausschließliche Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts eingegriffen würde.41 c) Wirkung. Durch die Übertragung geht die Rechtshängigkeit von dem Gericht, das 29 die Untersuchung zuerst eröffnet hat, auf das nach § 12 Abs. 2 bestimmte über,42 und zwar mit Zugang des Beschlusses bei diesem.43 Die Übertragung durch das obere Gericht ist insofern bindend, als das beauftragte Gericht seine örtliche Zuständigkeit nicht mehr von Amts wegen verneinen kann (dazu § 16, 2; die Pflicht zur Prüfung der sachlichen Zuständigkeit gemäß § 6 bleibt hingegen unberührt.44 Das Verfahren geht in der Lage auf das neue Gericht über, in der es sich befindet, d.h. 30 Prozesshandlungen brauchen grds. nicht wiederholt zu werden. Hatte beim ersten Gericht schon die Hauptverhandlung begonnen, so muss diese jedoch wegen §§ 226, 261 von Beginn an wiederholt werden. Hatte das zweite Gericht das Hauptverfahren in der Sache in Unkenntnis der anderweitigen Rechtshängigkeit seinerseits bereits eröffnet, so sollte es hingegen zulässig sein, eine hier bereits begonnene Hauptverhandlung fortzuführen: Da sich durch die Übertragung die zunächst unzulässigerweise parallel geführten Verfahren in der Hand dieses Gerichts vereinigen, kann man das Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit insofern als geheilt betrachten. d) Unanfechtbarkeit. Die Entscheidung nach § 12 Abs. 2 ist als solche unanfechtbar 31 (Vor § 7, 32), ebenso die Ablehnung eines in der Hauptverhandlung gestellten Antrags, eine Entscheidung nach § 12 Abs. 1 herbeizuführen.45

§ 13 (1) Für zusammenhängende Strafsachen, die einzeln nach den Vorschriften der §§ 7 bis 11 zur Zuständigkeit verschiedener Gerichte gehören würden, ist ein Gerichtsstand bei jedem Gericht begründet, das für eine der Strafsachen zuständig ist. (2) 1Sind mehrere zusammenhängende Strafsachen bei verschiedenen Gerichten anhängig gemacht worden, so können sie sämtlich oder zum Teil durch eine den Anträgen der Staatsanwaltschaft entsprechende Vereinbarung dieser Gerichte bei einem unter ihnen verbunden werden. 2Kommt eine solche Vereinbarung nicht zustande, so entscheidet, wenn die Staatsanwaltschaft oder ein Angeschuldigter hierauf anträgt, das gemeinschaftliche obere Gericht darüber, ob und bei welchem Gericht die Verbindung einzutreten hat. (3) In gleicher Weise kann die Verbindung wieder aufgehoben werden. 39 40 41

KK/Pfeiffer 10; SK/Rudolphi 16. BGHSt 18 261; 33 111, 112. RGSt 13 365; BGHSt 19 177, 179; 33 111, 112 f.; HK/Lemke 12; KK/Pfeiffer 8; KMR/ Paulus 20; Meyer-Goßner 7; SK/Rudolphi 14; für § 42 Abs. 3 JGG entsprechend BGHSt 10 177; insgesamt a.A. LR/ Wendisch 25 49 f.

42 43 44 45

RGSt 45 67, 70; KK/Pfeiffer 11. Meyer-Goßner 8. KMR/Paulus 25; KK/Pfeiffer 11; MeyerGoßner 8; SK/Rudolphi 17. BGH StraFo 2003 272.

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§ 13

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

Übersicht Rn. 1. Gerichtsstand des Zusammenhangs a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . c) Auswahl des Gerichtsstands . . . . . . 2. Verbindung (Absatz 2) a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . c) Die Verbindung nach § 13 Abs. 2 Satz 1 d) Die Entscheidung durch das gemeinschaftliche obere Gericht . . . . . . .

Rn. e) Begründung und Bekanntmachung f) Dauer der Verbindung . . . . . . g) Anfechtbarkeit . . . . . . . . . 3. Aufhebung der Verbindung a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen . . . . . . . . c) Verfahren . . . . . . . . . . . . d) Wirkung . . . . . . . . . . . . e) Anfechtbarkeit . . . . . . . . .

1 4 6 10 11 15

. . . . . . . .

18 19 20

. . . . .

23 24 25 27 28

. . . . .

. . . . .

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1. Gerichtsstand des Zusammenhangs (Absatz 1) a) Bedeutung. Um die vielfach zweckmäßige (bzw. im Einzelfall sogar verfahrensökonomisch unerlässliche) gemeinschaftliche Aburteilung zusammenhängender Sachen zu ermöglichen, eröffnet § 13 für solche einen Gerichtsstand bei jedem Gericht, das jeweils für eine von ihnen örtlich zuständig ist. Dabei hat § 13 nur die örtliche Zuständigkeit mehrerer Gerichte gleicher Ordnung 2 zum Gegenstand.1 Sind für die zusammenhängenden Sachen Gerichte unterschiedlicher Ordnung zuständig, erfordert die gemeinschaftliche Aburteilung nämlich zwangsläufig eine Verschiebung der originären sachlichen Zuständigkeit. Diese kann nur durch eine Verbindung bei dem höheren Gericht nach § 2 oder § 4 erfolgen, wobei die im Falle von § 4 Abs. 2 Satz 2 obligatorische Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts keinesfalls durch eine Vereinbarung nach § 13 Abs. 2 Satz 1 ersetzt werden darf.2 Die durch § 13 Abs. 1 angeordnete Erstreckung der örtlichen Zuständigkeit auf zusammenhängende Sachen bildet letzten Endes jedoch die Legitimation dafür, beim höheren Gericht auch solche Sachen gemäß § 2 mit anzuklagen bzw. gemäß § 4 hinzuzuverbinden, für dort bei isolierter Betrachtung kein Gerichtsstand gegeben wäre.3 Der Gerichtsstand nach § 13 Abs. 1 wird nicht erst durch die Verbindung der Sachen, 3 sondern schon durch den Zusammenhang begründet und ist gegenüber den anderen Gerichtsständen grundsätzlich gleichwertig.4 Er geht aber unter, wenn der Zusammenhang erlischt, bevor in den nach § 13 Abs. 1 im Verbund angeklagten Sachen das Hauptverfahren eröffnet 5 wurde oder im Falle gesonderter Anklagen eine Verbindung nach § 13 Abs. 2 erfolgt ist; erst ein danach erfolgender Wegfall des Zusammenhangs lässt den nach § 13 begründeten Gerichtsstand wiederum unberührt.6

1

1

2

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RGSt 45 167; 48 297, 299; BGHSt 22 232, 234; 36 175, 184; 37 15, 17; BGH NStZ 1982 294; 1986 564; StV 1993 452; KK/Pfeiffer 1; Meyer-Goßner 2, 5a. BGHSt 22 232, 234; 36 184; 37 15; BGH NStZ 1982 294; 1986 564; 1996 47; 2000 435; BGH bei Becker NStZ-RR 2003, 1; StV 2005, 646; KK/Pfeiffer 3; Meyer-Goßner 5a; zur Möglichkeit einer Nachholung der Verbindung in der Revisionsinstanz, wenn das Revisionsgericht Spruchkörper des gemeinschaftlichen oberen Gerichts ist, BGH NStZRR 1997 170. Vgl. bereits John 1 § 4, IV 3.

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BGHSt 11 106, 108; 16 391, 393; Rotsch/Sahan JA 2005 801, 807; KMR/Paulus 1; Meyer-Goßner 1; SK/Rudolphi 3. BGH NJW 1993 2819, 2820; 2003 446, 452. BGHSt 16 391 393; BGH NJW 1993 2819, 2820; 2003 446, 452; NStZ 2004 100; OLG Zweibrücken NJW 1979 827; Rotsch/Sahan JA 2005 801, 807; KK/Pfeiffer 1; KMR/Paulus 7; Meyer-Goßner 1; SK/Rudolphi 3; a.A. hinsichtlich des Zeitpunkts der Verfestigung (bereits mit gemeinsamer Anklageerhebung der zusammenhängenden Sachen) OLG München NJW 1969 148, 149; LR/Wendisch 25 6.

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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand

§ 13

b) Voraussetzungen. Der den Gerichtsstand nach § 13 begründende Zusammenhang 4 muss ein solcher i.S. von § 3 sein (s. dort).7 Im Falle des sachlichen Zusammenhangs ist der Gerichtsstand für alle Beteiligten überall dort gegeben, wo eine örtliche Zuständigkeit bzgl. eines von ihnen besteht, unabhängig davon, ob es sich bei diesem um einen Täter oder um einen Teilnehmer handelt.8 Die Anwendung von § 13 setzt voraus, dass für jede der zu verbindenden Sachen bereits ein inländischer Gerichtsstand besteht,9 wobei es sich jedoch nicht nur um einen solchen nach §§ 7–11, sondern auch um einen solchen nach § 13a handeln kann.10 Besteht eine örtliche Sonder- oder Konzentrationszuständigkeit (s. Vor § 7, 9 ff., 5 13 ff.), so kann § 13 nach dem Sinn und Zweck der einschlägigen Regelungen, das Vorliegen notwendiger Spezialkenntnisse zu gewährleisten, keinen Gerichtsstand bei einem Gericht begründen, das über die entsprechende Zuständigkeit nicht verfügt. § 13 eröffnet hier lediglich umgekehrt beim Gericht der Sonder- oder Konzentrationszuständigkeit einen Gerichtsstand des Zusammenhangs auch für solche Sachen, die nicht der speziellen Zuständigkeitsregelung unterliegen. Von diesem sollte indessen möglichst zurückhaltend Gebrauch gemacht werden, um die Wahrnehmung der Schwerpunktzuständigkeit nicht durch eine unnötige Überhäufung des Gerichts mit Allgemeinsachen zu erschweren. c) Auswahl des Gerichtsstands. Die Frage, ob zwecks gemeinsamer Anklage zusam- 6 menhängender Sachen von einem nach § 13 begründeten Gerichtsstand Gebrauch gemacht wird, unterliegt ebenso dessen Auswahl nach allgemeinen Grundsätzen dem pflichtgemäßen Ermessen der Staatsanwaltschaft.11 Die Wahl erfolgt dadurch, dass die Staatsanwaltschaft zusammenhängende Sachen entweder verbunden anhängig macht oder zu einer bereits anhängigen Sache nachträglich (unter den Voraussetzungen von § 266 ausnahmsweise auch noch nach Eröffnung des Hauptverfahrens) weitere Sachen anklagt, die mit dieser i.S. von § 3 zusammenhängen. Weil auf diese Weise einer von mehreren gesetzlich begründeten Gerichtsständen aus- 7 gewählt wird, hat das Gericht (anders als bei einer Verbindung nach § 2) keine Möglichkeit, die Verbindung aus Zweckmäßigkeitsgründen von Amts wegen wieder aufzuheben; eine Trennung kommt vielmehr grds. nur noch nach § 12 Abs. 3 (s.u. Rn. 23 ff.) in Betracht.12 Wie jede Gerichtsstandswahl unterliegt freilich auch diejenige nach § 13 einer Missbrauchskontrolle: Erscheint das Vorgehen der Staatsanwaltschaft nach Lage der Dinge objektiv willkürlich und ermessensfehlerhaft, ist das angerufene Gericht örtlich unzuständig, so dass § 16 zur Anwendung gelangt.13 Weil die Staatsanwaltschaft nach § 142 Abs. 1 GVG nur bei dem Gericht Anklage 8 erheben kann, für das sie bestellt ist, erscheint es i.d.R. sachdienlich, wenn sich die beteiligten Staatsanwaltschaften im Ermittlungsverfahren möglichst frühzeitig über die Wahl eines Gerichtsstands nach § 13 verständigen und die für das betreffende Gericht zuständige Staatsanwaltschaft alle Ermittlungen übernimmt.

7

8 9 10

Die in § 3 getroffene Regelung war im Entwurf als Teil von § 7 konzipiert, der ansonsten dem späteren § 13 entsprach, Hahn Mat. 1 5. BGHSt 11 106, 108; KK/Pfeiffer 1. BGH NJW 1992 1635; KK/Pfeiffer 1. Schermer MDR 1964 895; Meyer-Goßner 2; SK/Rudolphi 2.

11 12 13

Dazu und zu den hiermit verbundenen Problemen Vor § 7, 19 ff. KK/Pfeiffer 2; KMR/Paulus 3; Meyer-Goßner 2. Vgl. Vor § 7, 22; SK/Rudolphi 4; a.A. (für Anwendung von §§ 23 ff. GVG) Strubel/ Sprenger NJW 1972 1734, 1738.

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§ 13 9

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

Eine Sache, für die wegen Erlöschen des Zusammenhangs (z.B. durch den Tod eines Mitangeklagten) vor Eröffnung des Hauptverfahrens der Gerichtsstand nach § 13 entfällt (s.o. Rn. 3), und für die der Gerichtsstand im Zuständigkeitsbezirk der mit ihr befassten Staatsanwaltschaft nicht aus einem anderen Grund eröffnet ist, muss (ggf. nach Rücknahme einer bereits erhobenen Anklage) an die Staatsanwaltschaft bei einem Gericht abgegeben werden, bei dem weiterhin eine örtliche Zuständigkeit besteht. 2. Verbindung (Absatz 2)

10

a) Bedeutung. Abs. 2 ermöglicht die nachträgliche gerichtliche Verbindung zusammenhängender Sachen, die nicht schon verbunden anhängig gemacht worden sind.

11

b) Voraussetzungen. Hierfür müssen zunächst die allgemeinen Voraussetzungen von Abs. 1 erfüllt sein (Zusammenhang, Sachdienlichkeit der Verbindung) und im Zeitpunkt der Verbindung noch vorliegen (s.o. Rn. 3). Die zu verbindenden Verfahren müssen sodann bei Gerichten gleicher Ordnung (s.o. 12 Rn. 2) bereits anhängig sein. Da Rechtshängigkeit insofern nicht erforderlich ist,14 hat die Staatanwaltschaft in der Zeit zwischen Einreichung der Anklageschrift und Eröffnung des Hauptverfahrens (in besonderen Verfahrensarten zwischen den Verfahrenshandlungen, die an deren Stelle die Anhängigkeit bzw. die Rechtshängigkeit der Sache begründen) die Wahl, ob sie Verbindung über § 13 Abs. 2 herbeiführt oder dadurch, dass sie eine der Anklagen zurücknimmt und gemäß § 13 Abs. 1 dort neu erhebt, wo die mit ihr zusammenhängende Sache anhängig ist. Nach Eintritt der Rechtshängigkeit stellt das Vorgehen nach § 13 Abs. 2 die einzige Möglichkeit dar, eine nachträgliche Verbindung der Sachen zu erreichen. Nach § 13 Abs. 2 können nur erstinstanzliche Verfahren (ggf. auch nach einer 13 Zurückverweisung gemäß § 354 Abs. 2 15) miteinander verbunden werden. Die z.T. für zulässig erachtete Verbindung von Berufungsverfahren untereinander 16 ist abzulehnen, weil hierdurch das erstinstanzliche Urteil in einer der Sachen der Überprüfung durch das zuständige Rechtsmittelgericht entzogen und mithin in unzulässiger Weise in den Instanzenzug eingegriffen würde.17 Die Verbindung nach § 13 Abs. 2 erfordert in jedem Fall (d.h. auch bei einer Verbin14 dung durch das obere Gericht nach Satz 2 18) übereinstimmende Anträge der beteiligten Staatsanwaltschaften oder den Antrag einer diesen gemeinsam vorgesetzten Generalstaatsanwaltschaft.19 Geht die Initiative zur Verbindung von den beteiligten Gerichten aus, so impliziert die „Zustimmung“ der jeweiligen Staatsanwaltschaft den nach § 13 Abs. 2 erforderlichen Antrag.20 14 15

16 17 18

BGHSt 20 219, 221; 21 247, 248. RGSt 14 396; OLG Nürnberg MDR 1965 678; KK/Pfeiffer 3; KMR/Paulus 8; a.A. Meyer-Goßner 5a. LR/Wendisch 25 19; SK/Rudolphi 7. Zu dieser Problematik bereits § 4, 9, 15. RG GA 62 (1915/16) 489; HRR 1925 1474; BGHSt 21 247; BGH bei Kusch NStZ 1993 27; BGH bei Becker NStZ-RR 2002 257; BGH NStZ-RR 2003 273; BGH StraFo 2003 235; BGH NStZ 2004 688; BGH NStZ-RR 2005 77; Feisenberger 7; Eb. Schmidt 9; Kern JZ 1956 723, 724; Hanack JZ 1971 89,

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19

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91; Rosenmeier 42 ff.; Rotsch/Sahan JA 2005 801, 807; KK/Pfeiffer 4; KMR/Paulus 10; Meyer-Goßner 6; a.A. (durch BGHSt 21 247 überholt) BGHSt 9 223, 224. Für eine Antragsbefugnis des Generalbundesanwalts ist hingegen keine Rechtsgrundlage ersichtlich, weil kein Fall von § 143 Abs. 3 GVG vorliegt; a.A. wohl Kern JZ 1956 723, 725; zweifelnd KMR/Paulus 12. BayObLG NJW 1957 1329; Rotsch/Sahan JA 2005 801, 807; KMR/Paulus 11; Meyer-Goßner 4.

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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand

§ 13

c) Die Verbindung nach § 13 Abs. 2 Satz 1 erfolgt durch eine Vereinbarung der betei- 15 ligten Gerichte bei einem von ihnen, indem nach vorangegangener formloser Absprache das eine einen Abgabe- und das andere einen Übernahmebeschluss erlässt. Mit Wirksamkeit beider Beschlüsse geht die Anhängigkeit der Sache vom abgebenden auf das übernehmende Gericht über.21 Erfolgt die Abgabe einer Sache vor Mitteilung der Anklageschrift an den Angeklag- 16 ten, so muss das übernehmende Gericht bzgl. der übernommenen Sache nunmehr nach § 201 Abs. 1 verfahren. Hatte das abgebende Gericht die entsprechenden Mitteilungen und Aufforderungen schon vorgenommen, so ist es ein Gebot von Art. 103 Abs. 1 GG, dass das übernehmende Gericht den Angeklagten vor Eröffnung des Hauptverfahrens von der Übernahme in Kenntnis setzt und ihm so die Gelegenheit gibt, Einwendungen in Bezug auf den Gerichtsstand für die übernommene Sache vorzubringen. Im Hauptverfahren muss der Angeklagte bei Unzulässigkeit der Verbindung gemäß § 16 Satz 3 bis zum Beginn seiner Vernehmung (§ 6a, 14 ff.) in der übernommenen Sache den Einwand der insoweit fehlenden örtlichen Zuständigkeit erheben. d) Die Entscheidung durch das gemeinschaftliche obere Gericht (Vor 7, 28) sieht § 12 17 Abs. 2 Satz 2 für den Fall vor, dass sie von einer der Staatsanwaltschaften, einem evtl. Privat- oder Nebenkläger oder dem Beschuldigten beantragt wird, nachdem trotz übereinstimmender Anträge der Staatsanwaltschaften (zu deren Unabdingbarkeit s.o. Rn. 14) keine Vereinbarung der Gerichte, bei denen die Sachen anhängig sind, zustande gekommen ist. Von Amts wegen oder auf Antrag eines der betroffenen Gerichte ist das obere Gericht (anders als im Rahmen von § 4) nicht zur Entscheidung berufen.22 e) Für die Begründung und Bekanntmachung von Entscheidungen im Rahmen des 18 Verfahrens nach § 13 Abs. 2 gelten die Ausführungen unter § 4, 26 f. entsprechend. f) Dauer der Verbindung. Wie bei der gemeinsamen Anklageerhebung nach § 13 19 Abs. 1 (s.o. Rn. 3) bringt ein nachträglicher Wegfall der Voraussetzungen einer Verbindung deren Wirkungen auch im Falle von Abs. 2 nicht zum Erlöschen.23 Lediglich dort, wo der zuständigkeitsbegründende Zusammenhang vor Eröffnung des Hauptverfahrens entfällt, muss das Gericht eine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens insoweit wiederum wegen örtlicher Unzuständigkeit ablehnen, weil die Verfestigung des Gerichtsstands nach § 13 hier nicht eingetreten ist. g) Anfechtbarkeit. Die Ablehnung einer Verbindung nach § 13 Abs. 2 Satz 1 durch 20 eines der beteiligten Gerichte ist nicht mit der Beschwerde angreifbar, weil das Gesetz für diesen Fall die Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts nach § 13 Abs. 2 Satz 2 als speziellen Rechtsbehelf bereitstellt. Die Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts ist in jedem Falle unanfechtbar (Vor § 7, 29). Dagegen kann eine Verfahrensverbindung, die durch eine Vereinbarung nach § 13 21 Abs. 2 Satz 1 zustande gekommen ist, im Wege einer gegen den Abgabebeschluss gerichteten Beschwerde angegriffen werden.24 Dies gilt richtigerweise unabhängig davon, ob

21 22

Rotsch/Sahan JA 2005 801, 807; KK/Pfeiffer 4; KMR/Paulus 14, 16; Meyer-Goßner 5. BGH bei Becker NStZ-RR 2003 97; BGH NStZ-RR 2003 257; KK/Pfeiffer 4; MeyerGoßner 6.

23 24

RGSt 25 406, 407; 49 9, 10; BGHSt 16 391, 393; KMR/Paulus 17. OLG Nürnberg MDR 1965 678.

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§ 13

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

das abgebende Gericht das Hauptverfahren schon eröffnet hatte und mithin „erkennendes Gericht“ i.S. von § 304 Abs. 1 geworden war, weil die Abgabeentscheidung nicht der Urteilsfällung durch dieses Gericht vorausgeht und sich auf das abgegebene Verfahren im Übrigen hemmend auswirken kann. Der Übernahmebeschluss ist als solcher hingegen wiederum unanfechtbar: Ergeht er im Zwischenverfahren, so besitzt er als solcher nur vorbereitenden Charakter für eine spätere Eröffnungsentscheidung des übernehmenden Gerichts, ergeht er zusammen mit dem Eröffnungsbeschluss oder hat er ein bereits eröffnetes Verfahren zum Gegenstand, so handelt es sich um eine der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung des erkennenden Gerichts.25 Der Übernahmebeschluss wird freilich gegenstandslos, wenn der Abgabebeschluss durch das zuständige Beschwerdegericht aufgehoben und der Verbindung der Verfahren nach § 13 Abs. 2 Satz 1 damit die Grundlage entzogen wird. Die Möglichkeit, willkürliches Vorgehen bei einer Entscheidung nach § 13 durch den 22 Einwand der Unzuständigkeit nach § 16 zu rügen und im Anschluss daran ggf. den Revisionsgrund nach § 338 Nr. 4 geltend zu machen, bleibt unberührt. 3. Aufhebung der Verbindung (Absatz 3)

23

a) Bedeutung. § 13 Abs. 3 ermöglicht sowohl nach gemeinsamer Anklageerhebung gemäß Absatz 1 26 als auch nach einer Verbindung anhängiger Sachen gemäß Absatz 2 eine Verfahrenstrennung, bei der diejenigen Sachen, die originär (d.h. ohne den nach § 13 zuständigkeitsbegründenden Zusammenhang) der örtlichen Zuständigkeit eines anderen Gerichts unterfallen, an dieses abgegeben werden. Die Vorschrift ist nicht nur dort von Bedeutung, wo sich die gemeinschaftliche Aburteilung der verbundenen Sachen bei fortbestehendem Zusammenhang nachträglich als unzweckmäßig erweist, sondern auch dort, wo der Zusammenhang nach Eröffnung des Hauptverfahrens überhaupt entfällt. Weil Letzteres nicht zu einem Wegfall des nach § 13 begründeten Gerichtsstands und mithin nicht zu einem automatischen Rückfall der Sache in eine ihrer originären Zuständigkeiten nach §§ 7–11 oder 13a führt (s.o. Rn. 3, 19), erfordert die Rückübertragung hier nämlich ebenfalls eine besondere Verfahrenshandlung zur Trennung, Abgabe und Übernahme des Verfahrens.

24

b) Voraussetzungen. Die Aufhebung der Verbindung ist aus Zweckmäßigkeitsgründen zulässig (insbesondere, aber nicht zwangsläufig nach Wegfall des Zusammenhangs; zu möglichen Anlässen s.o. § 2, 22 f.), solange noch kein Urteil ergangen ist. Ebenso wie die Verbindung nach § 13 Abs. 2 setzt sie übereinstimmende Anträge der beteiligten Staatsanwaltschaften voraus. Bei dem Gericht, dem die abzutrennende Sache übergeben werden soll, muss selbstverständlich ein Gerichtsstand begründet sein (bei dem es sich wiederum um einen solchen nach § 13 handeln kann).27

25

c) Verfahren. Wie die Verbindung nach Abs. 2 soll auch die Trennung nach Abs. 3 nach Möglichkeit durch eine Vereinbarung zwischen den beteiligten Gerichten mit einem Abgabe- und einem Übernahmebeschluss bzgl. des abgetrennten Verfahrens erfolgen.

25

Für die Anfechtbarkeit der Abgabe- und Übernahmebeschlüsse allgemein auf den letztgenannten Gesichtspunkt abstellend Eb. Schmidt 10; KK/Pfeiffer 6; KMR/Paulus 21; Meyer-Goßner 8.

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26 27

RGSt 31 171, 174; OLG Schleswig SchlHA 1958 115; KK/Pfeiffer 5; Meyer-Goßner 7. KK/Pfeiffer 5.

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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand

§ 13a

Dies gilt grds. auch dann, wenn die Verfahren zuvor gemäß Abs. 2 Satz 2 durch das gemeinschaftliche obere Gericht verbunden wurden,28 jedoch wird man in diesem Fall verlangen müssen, dass sich die zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände verändert haben, weil andernfalls die obergerichtliche Entscheidung unterlaufen würde.29 Kommt eine von den beteiligten Staatsanwaltschaften übereinstimmend beantragte 26 Verfahrenstrennung durch Vereinbarung nicht zustande, entscheidet auf weiteren Antrag einer von ihnen oder des Angeklagten (nicht eines der Gerichte oder von Amts wegen) wiederum das gemeinschaftliche obere Gericht. d) Wirkung. Mit der Trennung geht die abgetrennte Sache in der Lage, in der sie sich 27 zur Zeit der Trennung befindet, auf das Gericht über, das mit dem Gericht, bei dem die Sache verbunden anhängig war, die Trennung vereinbart hatte, oder dem sie vom gemeinschaftlichen oberen Gericht zugewiesen wurde. Eine in der abgetrennten Sache bereits begonnene Hauptverhandlung muss allerdings wegen § 261 von Beginn an wiederholt werden. e) Zur Anfechtbarkeit der Trennung gelten die Ausführungen unter Rn. 20 ff. ent- 28 sprechend.

§ 13a Fehlt es im Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes an einem zuständigen Gericht oder ist dieses nicht ermittelt, so bestimmt der Bundesgerichtshof das zuständige Gericht. Entstehungsgeschichte. Eingefügt durch Art. 4 Nr. 4 des 3. StRÄndG. In § 9 a.F. war die Gerichtsstandsbestimmung vorgesehen bei Auslandstaten, wenn keine Ergreifung stattgefunden hatte, und bei Inlandstaten, wenn ein Gerichtsstand des Tat- oder Wohnortes nicht ermittelt werden konnte. Übersicht Rn. 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen a) Gegenstand der Gerichtsstandsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fehlen eines Gerichtsstands . . . . . c) Nicht ermittelter Gerichtsstand . . . d) Keine evidente Unzulässigkeit des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . .

.

1

. . .

3 4 5

.

6

Rn. 3. Verfahren a) Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . b) Anlass . . . . . . . . . . . . . . c) Entscheidung . . . . . . . . . . 4. Dauer der Gerichtsstandsbestimmung 5. Unanfechtbarkeit . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

8 11 12 13 14

1. Bedeutung. Die Vorschrift soll die Durchführung eines Strafverfahrens auch dann 1 ermöglichen, wenn die Anwendung der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit unter keinem Gesichtspunkt einen Gerichtsstand eröffnet oder wenn die tatsächlichen

28 29

KMR/Paulus 20. Im Ergebnis ebenso KK/Pfeiffer 5; MeyerGoßner 6.

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§ 13a

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

Voraussetzungen für die Anwendung einer dieser Vorschriften nicht ermittelt werden können.1 Dabei wird vorausgesetzt, dass die Tat der deutschen Gerichtsbarkeit unterfällt, die der Bundesgerichtshof durch Entscheidungen nach § 13a (selbstverständlich) nicht erweitern kann. Für die örtliche Zuständigkeit in Rechtshilfesachen ist § 13a unanwendbar, weil das 2 IRG insoweit eigenständige Regelungen enthält.2 2. Voraussetzungen

3

a) Gegenstand der Gerichtsstandsbestimmung kann jeweils nur eine konkret-individuelle Tat im prozessualen Sinn sein, nicht hingegen die Zuständigkeit eines Gerichts für eine lediglich allgemein umschriebene Mehrzahl von Taten („Kriegsverbrechen im Bosnienkonflikt“).3 Im letztgenannten Fall würde die Entscheidung nämlich auf eine abstrakte Klärung von Zuständigkeitsfragen hinauslaufen, für die die Vorschrift keine Grundlage enthält.4

4

b) Fehlen eines Gerichtsstands. An einem zuständigen Gericht fehlt es, wenn die Anwendung der §§ 7–11, 13 oder sonstiger gesetzlicher Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit unter keinem Gesichtspunkt zur Begründung eines Gerichtsstands führt. Der Weg für die Anwendung von § 13a ist dabei erst dann eröffnet, wenn die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts auch nicht anhand teleologischer Erwägungen durch die erweiterte Auslegung einer gesetzlichen Bestimmung begründet werden kann.5

5

c) Nicht ermittelter Gerichtsstand. Neben dem Fehlen eines zuständigen Gerichts erfasst § 13a auch den Fall, dass ein solches „nicht ermittelt“ ist. Hiervon ist nicht schon dann auszugehen, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen einer zuständigkeitsbegründenden Vorschrift (etwa der Begehungsort der Tat) nicht mit Sicherheit feststehen. Die Zuständigkeit zur Ergreifung von Strafverfolgungsmaßnahmen wird nämlich ebenso wie das Recht und die Pflicht, solche überhaupt zu ergreifen, schon durch den Verdacht und nicht erst durch die Gewissheit des Vorliegens der entsprechenden Umstände begründet.6 Andererseits steht es der Anwendung von § 13a nicht entgegen, dass ein gesetzlich begründeter Gerichtsstand ermittelt werden könnte, wenn dies in concreto noch nicht geschehen ist 7 – wo zunächst niemand weiß, wer für die Klärung eines Tatverdachts örtlich zuständig sein könnte, würden die Ermittlungen ohne Gerichtsstandsbestimmung ja u.U. niemals in Gang kommen.

6

d) Keine evidente Unzulässigkeit des Verfahrens. Die Entscheidung, ob der Einleitung und Durchführung des Verfahrens möglicherweise ein Verfahrenshindernis entgegensteht, obliegt der Staatsanwaltschaft und dem Gericht, die der BGH nach § 13a für zuständig erklärt. Sie soll durch die Zuständigkeitsbestimmung nicht vorweggenommen werden, weshalb die Zulässigkeit des betreffenden Verfahrens grds. keine vom BGH zu prüfende 1

2 3 4

Für die Vereinbarkeit mit Art. 101 Abs. 1 Satz 1 GG BVerfGE 20 336, 343 = NJW 1967 99, 100; KK/Pfeiffer 1; Meyer-Goßner 1. Zum Prioritätsgrundsatz nach § 14 Abs. 2 IRG BGH wistra 1989 34. BGH NStZ 1994 139. BGH bei Kusch NStZ 1992 27; BGH NStZ 1999 577; KK/Pfeiffer 1; Meyer-Goßner 5.

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5

6 7

BGHSt 20 157, 158; BGH bei Miebach NStZ 1988 209; HK/Lemke 1; KMR/Paulus 2; KK/ Pfeiffer 1; Meyer-Goßner 1; SK/Rudolphi 2. Ebenso SK/Rudolphi 2. BGHSt 10 255, 257; KMR/Paulus 8; MeyerGoßner 1; SK/Rudolphi 2.

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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand

§ 13a

Voraussetzung einer Anwendung von § 13a darstellt.8 Liegt die Unzulässigkeit des Verfahrens allerdings zweifelsfrei auf der Hand, so unterbleibt die Gerichtsstandsbestimmung, weil der BGH keine offenkundig sinnlose Entscheidung zu treffen braucht.9 Dies gilt insbesondere für Sachen, die offensichtlich nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen, etwa bei Fehlen des inländischen Anknüpfungspunkts, der bei der Verfolgung von Straftaten nach dem Weltrechtsprinzip zu verlangen ist, die Ausländer im Ausland an Ausländern begangen haben,10 oder bei evidenter Exterritorialität des Beschuldigten nach §§ 18 ff. GVG.11 Eine möglicherweise zu erwartende Einstellung des Verfahrens nach einer Oppor- 7 tunitätsvorschrift steht der Gerichtsstandsbestimmung nicht entgegen,12 weil in diesem Fall ja zunächst einmal festgelegt werden muss, welche Staatsanwaltschaft für die Opportunitätsentscheidung zuständig ist. 3. Verfahren a) Zeitpunkt. Die Bestimmung eines Gerichtsstands nach § 13a erfolgt regelmäßig 8 bereits zu Beginn des Ermittlungsverfahrens, weil auf diese Weise gemäß § 143 Abs. 1 GVG zugleich eine Staatsanwaltschaft die örtliche Zuständigkeit zur Wahrnehmung der Aufgaben erlangt, die sich aus § 152 Abs. 2 ergeben. Sie kann später vorgenommen werden, wenn zunächst eine unzuständige Staatsanwaltschaft (§ 143 Abs. 2 GVG) die Ermittlungen aufgenommen hatte. Soweit eine Katalogtat nach § 120 Abs. 1 GVG im Raum steht, besteht für die 9 Bestimmung eines örtlich zuständigen OLG im Ermittlungsverfahren hingegen kein Raum, weil hier die Ermittlungszuständigkeit des Generalbundesanwalts durch §§ 142a Abs. 1 Satz 1, 120 Abs. 1 GVG und die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters beim BGH durch § 169 Abs. 1 Satz 2 gesetzlich festgelegt sind.13 Hier käme die Anwendung von § 13a mithin erst dann in Betracht, wenn nach Abschluss der Ermittlungen immer noch kein örtlich zuständiges OLG ersichtlich wäre. Da wegen § 143 Abs. 1 GVG nur die Staatsanwaltschaft am Sitz eines örtlich zustän- 10 digen Gerichts Anklage erheben darf, ist für die Anwendung von § 13a nach Anhängigkeit der Sache nur ausnahmsweise Bedarf, wenn sich herausstellt, dass versehentlich ein unzuständiges Gericht angerufen wurde und ein zuständiges nicht ermittelt ist. Im Falle einer Wiederaufnahme nach zwischenzeitlicher Änderung der Gerichtseinteilung hat § 13a richtigerweise keine Bedeutung, weil hier besondere Zuständigkeitsregeln eingreifen (dazu Vor § 7, 12). b) Der Anlass eines Verfahrens nach § 13a liegt zumeist darin, dass eine Staats- 11 anwaltschaft vom Verdacht einer Straftat Kenntnis erlangt, für die ein Gerichtsstand 8 9 10 11

BGHR StPO § 13 a Anwendungsbereich 3. HK/Lemke 4; KK/Pfeiffer 4. BGH NStZ 1999 236. BGHSt 33 97 unter ausdrücklicher Aufgabe des entgegenstehenden Standpunkts in einem unveröffentlichten Beschl. v. 13.4.1983 – 2 ARs 109/83; Meyer-Goßner 3; speziell für diesen Fall a.A. KK/Pfeiffer 4. Früher tendierte der BGH dazu, die Gerichtsstandsbestimmung nur dann zu verweigern, wenn er deutsche Gerichte allgemein für unzustän-

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dig hielt, ein Verfahren der jeweiligen Art durchzuführen (BGHSt 11 379; 12 326; 15 72), während er evtl. Verfahrenshindernisse im Einzelfall prinzipiell nicht beachten wollte (BGHSt 18 19 m. zust. Anm. Jescheck JZ 1963 564); in diesem Sinne auch LR/Wendisch 25 9; KMR/Paulus 4, 9. HK/Lemke 5; Meyer-Goßner 4. BGH NStZ 1999 577; HK/Lemke 3; KK/Pfeiffer 1.

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§ 13b

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

weder unmittelbar ersichtlich ist noch ohne größeren Aufwand ermittelt werden kann. In einem solchen Fall wird sie neben der Veranlassung evtl. unaufschiebbarer Maßnahmen nach § 143 Abs. 2 GVG über den Generalbundesanwalt eine Gerichtsstandsbestimmung durch den BGH beantragen. Der BGH kann jedoch auch von Amts wegen nach § 13a tätig werden, so dass entsprechende Anregungen Dritter nicht nur bei einer Staatsanwaltschaft, sondern auch unmittelbar beim BGH angebracht werden können.14

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c) Entscheidung. Da der BGH nach § 13a nur die örtliche, nicht jedoch die sachliche Zuständigkeit bestimmen kann, geht die Zuweisung einer Sache an ein bestimmtes Landgericht ins Leere, soweit in diesem Verfahren in der Folgezeit Entscheidungen zu treffen sind, die in die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts fallen. Dies kann dazu führen, dass der BGH erneut mit der Sache befasst werden muss, um nunmehr einen Gerichtsstand bei einem der Amtsgerichte im Bezirk des betreffenden Landgerichts zu bestimmen.15 Zur Vermeidung dieses umständlichen Verfahrensgangs sollte der Bundesgerichtshof bei einer Gerichtsstandsbestimmung im Ermittlungsverfahren zweckmäßigerweise kein bestimmtes Landgericht, sondern allgemein das für einen bestimmten Ort zuständige Gericht benennen 16 – auf diese Weise ist der Gerichtsstand für alle denkbaren sachlichen Zuständigkeiten von vornherein eindeutig festgelegt!

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4. Dauer der Gerichtsstandsbestimmung. Ist der Gerichtsstand nach § 13a einmal begründet, so steht er einem sonstigen Gerichtsstand gleich 17 und fällt mithin nicht deshalb weg, weil nachträglich ein anderer Gerichtsstand begründet oder ermittelt wird.18 Er genießt allerdings umgekehrt auch keinen Vorrang, so dass die Staatsanwaltschaft zwischen ihm und Letzterem ggf. ein Wahlrecht erlangt.19 Eine nachträgliche Aufhebung oder Änderung der Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 13a ist ausgeschlossen.20 Möglich ist jedoch eine nachträgliche Übertragung der Zuständigkeit nach § 12 Abs. 2.21

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5. Unanfechtbarkeit. Entscheidungen nach § 13a sind gemäß § 304 Abs. 4 Satz 1 unanfechtbar.

§ 13b behandelte Zuständigkeitsfragen für Strafkammern, die im Hinblick auf eine nach § 74c Abs. 1 GVG a.F. ergangene Regelung entstehen konnten. Die Vorschrift ist wegen der Neufassung des § 74c Abs. 1 GVG n.F. überholt; die Zuständigkeitsregelung ist jetzt in § 6a enthalten. Demzufolge ist die Vorschrift durch Art. 1 Nr. 4 StVÄG 1979 aufgehoben worden. 14

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Vgl. BGH NStZ 1994 139 (Antrag des Bayerischen Staatsministers für Arbeit, Familie und Sozialordnung) und BGHR StPO § 13a (Antrag eines Herrn M. unter Bezugnahme auf einen Zeitungsartikel), wobei die Voraussetzungen von § 13a freilich aus anderen Gründen jeweils nicht vorlagen. BGHSt 32 159; HK/Lemke 2; Meyer-Goßner 6; SK/Rudolphi 6. Ebenso SK/Rudolphi 6.

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Zum Ganzen Schermer MDR 1964 895; HK/Lemke 2; Meyer-Goßner 6. BGHSt 10 255, 257 f.; 32 159, 160; NStZRR 2003 268; teilweise a.A. durch die Annahme einer grds. Pflicht zur Übertragung nach § 12 Abs. 2 bei „Vorrang“ des später ermittelten Gerichtsstands SK/Rudolphi 8. Schermer MDR 1964 895. BGHSt 32 159, 160; NStZ-RR 2003 268. BGHSt 10 255, 258 f.

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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand

§ 14

§ 14 Besteht zwischen mehreren Gerichten Streit über die Zuständigkeit, so bestimmt das gemeinschaftliche obere Gericht das Gericht, das sich der Untersuchung und Entscheidung zu unterziehen hat.

1. Anwendungsbereich. Die Vorschrift gilt sowohl beim positiven als auch beim nega- 1 tiven örtlichen Kompetenzkonflikt. Erfasst werden grds. nur Konflikte bzgl. der Zuständigkeit mehrerer Gerichte im organisatorischen Sinn, nicht der Zuständigkeitsstreit zwischen verschiedenen Abteilungen desselben Gerichts,1 mag er die Auslegung des Geschäftsverteilungsplans,2 die Zuständigkeit einer besonderen Strafkammer nach §§ 74 Abs. 2, 74a, 74c 3 oder die Zuständigkeit des Jugendrichters 4 betreffen (zu Ausnahmen s.u. Rn. 3). Der Streit zwischen den an einem Rechtshilfeersuchen beteiligten Gerichten über die Berechtigung, das Ersuchen abzulehnen, ist in § 159 GVG abschließend geregelt, so dass eine Anwendung von § 14 insoweit ausscheidet.5 Im Übrigen eröffnet § 14 einem Gericht selbstverständlich keine Möglichkeit, der Zurückverweisung einer Sache durch das Beschwerdegericht durch deren Vorlage an das nächsthöhere Gericht entgegenzutreten.6 Der Streit muss eine gesetzlich (d.h. nicht durch Verwaltungsvorschriften) 7 geregelte 2 Zuständigkeitsfrage bzgl. einer richterlichen Tätigkeit im Rahmen der Rechtsprechung zum Gegenstand haben. § 14 gilt daher nicht für Justizverwaltungsaufgaben, etwa im Rahmen der Strafvollstreckung,8 der Führungsaufsicht 9 oder der Festsetzung und Anweisung von Kosten und Gebühren.10 Besteht der Streit zwischen Rechtspflegern (etwa in einem Kostenfestsetzungsverfahren), ist die Vorschrift ebenfalls nicht anzuwenden; in einem solchen Fall hat der Rechtspfleger die Sachen seinem Richter vorzulegen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 RPflG).11 Bei negativen Kompetenzkonflikten in Bezug auf die sachliche Zuständigkeit ist § 14 3 dann entsprechend anwendbar, wenn der Konflikt im Einzelfall nicht über die in §§ 209, 209a, 225a, 169, 270, 328 Abs. 2 und 355 enthaltenen Regelungen aufgelöst werden kann (z.B. weil das Verfahren gemäß § 270 Abs. 1 an ein Gericht höherer Ordnung verwiesen wurde, dieses den Verweisungsbeschluss jedoch für unwirksam hält) und infolgedessen ein Stillstand des Verfahrens droht.12 Gleiches muss dort gelten, wo der Streit um eine gesetzlich bestimmte (und insofern nicht durch eine Entscheidung des Präsidiums zu klärende) Zuständigkeit eines Spruchkörpers eine entsprechende Situation auslöst.13 Die analoge Anwendung von § 14 kommt in all diesen Fällen jedoch nur als ultima ratio in Betracht, scheidet also z.B. dort aus, wo bei Zweifeln über die Art des eingelegten 1 2 3

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HK/Lemke 2; KK/Pfeiffer 1; Meyer-Goßner 1. OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1982 114. OLG Düsseldorf JR 1982 514 mit Anm. Rieß; OLG Düsseldorf MDR 1982 689; MeyerGoßner NStZ 1981 168, 172. KG NJW 1964 2437; LG Zweibrücken NStZRR 2005 153, 154. OLG Frankfurt NStZ-RR 2004 50, 52. BGH bei Kusch NStZ 1995 23. OLG Frankfurt NStZ 1982 260. BGH bei Kusch NStZ 1995 218. OLG Zweibrücken NStZ 2002 279.

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OLG Oldenburg Rpfleger 1990 408. BGH bei Miebach/Kusch NStZ 1991 27. BGHSt 18 381, 384; 45 26, 28 mit zust. Anm. Franke NStZ 1999 524; HK/Lemke 3, 8; Meyer-Goßner 2; a.A. Weidemann wistra 2000 45, 46 f., der den Eintritt einer solchen Situation bei konsequenter Beachtung der Bindungswirkung von Verweisungsbeschlüssen für ausgeschlossen hält. Für das Verhältnis zwischen Berufungs- und Beschwerdekammer beim Landgericht OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 302; MeyerGoßner 2.

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§ 14

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

Rechtsmittels das Revisionsgericht das Berufungsgericht mit bindender Wirkung als zuständig bezeichnen kann.14 § 14 ist grds. in allen Verfahrensstadien unter Einschluss des Ermittlungsverfahrens 15 4 und des Vollstreckungsverfahrens 16 anwendbar.17

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2. Voraussetzungen. Der in der Vorschrift vorausgesetzte Streit über die Zuständigkeit manifestiert sich in positiver Form, wenn mindestens zwei Gerichte mit derselben Sache befasst sind und eine Einstellung des Verfahrens ablehnen, weil sie die Zuständigkeit für sich reklamieren. Ein von § 14 ebenfalls erfasster negativer Kompetenzkonflikt liegt vor, wenn in derselben Sache zwei oder mehr Unzuständigkeitserklärungen verschiedener Gerichte vorliegen (unabhängig davon, in welcher Form sie ergangen sind) und mindestens zwei davon noch anfechtbar sind 18 (nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Unzuständigkeitserklärung aller in Betracht kommenden Gerichte gilt § 19). Die Möglichkeit, dass der Zuständigkeitsstreit durch ein (im Belieben der Prozess6 beteiligten stehendes, durch § 14 seinerseits nicht ausgeschlossenes) Rechtsmittel gegen eine der ihn begründenden Entscheidungen erledigt wird, schließt ein Vorgehen nach § 14 nicht aus. Die Anrufung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts (Vor § 7, 31) setzt kein beson7 deres Verfahren voraus.19 Sie kann im Wege einer Vorlage der Sache durch eines der beteiligten Gerichte, eines mit der Sache befassten Beschwerdegerichts 20 oder durch den Antrag eines Verfahrensbeteiligten erfolgen; ggf. kann das obere Gericht von Amts wegen entscheiden. Eine Vorlage durch einen mit mehreren Berufsrichtern besetzten Spruchkörper muss jedoch grds. durch einen förmlichen Beschluss erfolgen.21

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3. Entscheidung. Das obere Gericht bestimmt eines der streitenden Gerichte, das es für zuständig hält, durch Beschluss zur weiteren Durchführung des Verfahrens. Die Bestimmung eines am Streit unbeteiligten Gerichts ist im Rahmen von § 14 nicht zulässig.22 Hält das obere Gericht alle beteiligten Gerichte für unzuständig, kann es den Gerichtsstand nur unter den Voraussetzungen von § 13a unmittelbar verbindlich festlegen – also dann, wenn es sich beim oberen Gericht um den BGH handelt und ein Gerichtsstand nicht besteht oder nicht ermittelt ist. Ansonsten muss es die Gerichtsstandsbestimmung ablehnen, wobei es das seiner Ansicht nach zuständige Gericht zweckmäßigerweise in den Beschlussgründen nennen und auf diese Weise der Staatsanwaltschaft die Anregung geben wird, die Sache vor dieses Gericht zu bringen.23 Der Beschluss des oberen Gerichts ist unanfechtbar (Vor § 7, 32). 9

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BGHSt 31 183; 39 162. BGH NJW 1976 153. BGHSt 36 313, 314; BayObLG NJW 1955 601; OLG Braunschweig NdsRpfl. 1975 176; Meyer-Goßner 1. HK/Lemke 4; KMR/Paulus 3. OLG Hamm VRS 58 (1980) 364; Wendisch JR 1995 519, 520; HK/Lemke 4; KMR/ Paulus 2; KK/Pfeiffer 1; SK/Rudolphi 1. Vgl. BGHSt 11 56, 58; 116, 117; KK/Pfeiffer 2; SK/Rudolphi 4.

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BGH, Beschl. v. 14.10.1975 – 2 ARs 256/76; KK/Pfeiffer 2. OLG Düsseldorf NStZ 2000, 609; KK/ Pfeiffer 1. BGHSt 26 162, 164; 27 329, 333; 31 244, 245; Wendisch JR 1995 519, 520. Vgl. BGHSt 26 162; 28 351; zum Ganzen im vorliegend dargestellten Sinn auch HK/ Lemke 7; KK/Pfeiffer 3; KMR/Paulus 10; Meyer-Goßner 3; SK/Rudolphi 5.

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§ 15

Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand

§ 15 Ist das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Falle an der Ausübung des Richteramtes rechtlich oder tatsächlich verhindert oder ist von der Verhandlung vor diesem Gericht eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu besorgen, so hat das zunächst obere Gericht die Untersuchung und Entscheidung dem gleichstehenden Gericht eines anderen Bezirks zu übertragen.

Übersicht Rn. 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . a) Rechtliche Verhinderung . . . . . . . b) Tatsächliche Verhinderung . . . . . . c) Gefährdung der öffentlichen Sicherheit 3. Entscheidung

Rn.

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a) b) c) d) e) f)

Entscheidungskompetenz . Übertragungspflicht . . . . Auswahl des neuen Gerichts Umfang der Übertragung . Wirkungen . . . . . . . . Unanfechtbarkeit . . . . .

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1. Bedeutung. Die mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbare,1 wegen des Eingriffs in 1 den Grundsatz des gesetzlichen Richters jedoch restriktiv auszulegende 2 Vorschrift regelt den Gerichtsstand kraft Übertragung (oder „des Auftrags“ 3). Sie soll ausschließen, dass die Verhinderung eines Gerichts den Stillstand der Rechtspflege auslöst und deshalb schuldige Täter nicht bestraft oder unschuldige Angeklagte nicht freigesprochen werden können.4 § 15 hat damit eine ähnliche Funktion wie § 13a und erlaubt wie dieser (und im 2 Gegensatz zu § 12 Abs. 2 und § 14) auch eine Übertragung der Sache an ein sonst nicht zuständiges Gericht.5 Dies gilt selbst dann, wenn neben dem verhinderten Gericht noch ein weiteres nach §§ 7–11, 13 zuständiges Gericht vorhanden ist.6 So ist es z.B. zulässig, die Sache bei Verhinderung des Tatortgerichts auf ein anderes tatortnahes Gericht zu übertragen, wenn die an sich denkbare Übertragung auf ein anderweitig zuständiges Gericht (etwa am Wohnsitz des Beschuldigten) im Einzelfall unzweckmäßig erscheint.7 Die Übertragung des Gerichtsstands nach § 15 kommt in jeder Lage des Verfahrens 3 einschließlich der Rechtsmittelinstanzen in Betracht – die notstandsähnliche Situation erlaubt hier ausnahmsweise auch den sonst unzulässigen Eingriff in den Instanzenzug.8 2. Voraussetzungen. § 15 setzt voraus, dass ein an sich (nicht unbedingt nach §§ 7–11, 4 13, sondern ggf. auch aufgrund einer vorangegangenen Entscheidung nach § 12 Abs. 2,9 § 13a oder – auch dieser Fall ist theoretisch denkbar – § 15) zuständiges Gericht im jeweiligen Verfahren aus einem der im Gesetz genannten Gründe an der Wahrnehmung seiner Aufgaben gehindert ist. Da eine nicht nur kurzfristige allgemeine Verhinderung des betreffenden Gerichts (die in einem funktionierenden Gemeinwesen recht unwahrscheinlich, aber nicht prinzipiell ausgeschlossen erscheint) zwangsläufig dessen Verhinderung in

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BVerfGE 20 336, 343 = NJW 1967 99; SK/ Rudolphi 1. BGHSt 47 275, 276; Meyer-Goßner 2. LR/Wendisch 25 1. BGHSt 22 250, 252. RGSt 45 67, 69; BGHSt 16 84, 86.

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KMR/Paulus 3; Meyer-Goßner 1; SK/Rudolphi 2. BGHSt 21 212, 215. BGHSt 22 250, 252; KK/Pfeiffer 1; KMR/ Paulus 2; Meyer-Goßner 2. RGSt 45 67, 68.

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§ 15

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

jedem Einzelfall nach sich zieht, wäre § 15 trotz der Formulierung „in einem einzelnen Falle“ auch hier anwendbar. Aus dieser Fassung des Gesetzes folgt jedoch, dass in einem solchen Fall für jedes einzelne Verfahren ein gesonderter Beschluss ergehen muss, die Zuständigkeit also nicht pauschal für alle betroffenen Fälle oder Gruppen von ihnen auf ein anderes Gericht übertragen werden kann.

5

a) Rechtliche Verhinderung liegt vor, wenn die zuständigen Richter und eine so große Anzahl ihrer geschäftsplanmäßig vorgesehenen oder zu bestellenden Vertreter 10 ausgeschlossen (§§ 22, 23) oder erfolgreich abgelehnt (§§ 24, 28 Abs. 1) wurden, dass das Gericht nicht mehr ordnungsgemäß besetzt (§ 27 Abs. 4) werden kann.11 Die allgemeine Gefahr, dass das gesamte Gericht voreingenommen sein könnte, wird von den §§ 22 ff. nicht als Hinderungsgrund anerkannt und genügt mithin nicht.

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b) Tatsächliche Verhinderung ist zunächst dann gegeben, wenn durch Erkrankung von Richtern usw. das Gericht beschlussunfähig (§ 27 Abs. 4) geworden oder durch Aufruhr, Besatzung, kriegerische oder kriegsähnliche Ereignisse u.s.w. Stillstand der Rechtspflege eingetreten ist.12 Die Anwendbarkeit von § 15 scheitert in solchen Konstellationen nicht daran, dass hier eine allgemeine Verhinderung des Gerichts vorliegt, weil eine solche zwangsläufig die Verhinderung im Einzelfall nach sich zieht. Aus der gesetzlichen Formulierung „in einem einzelnen Falle“ folgt in diesem Zusammenhang nur, dass für jedes einzelne Verfahren ein gesonderter Beschluss ergehen muss, die Zuständigkeit also nicht pauschal für alle betroffenen Fälle auf ein anderes Gericht übertragen werden kann. Eine tatsächliche Verhinderung des Gerichts kann auch daraus resultieren, dass der 7 Angeklagte (oder auch ein wichtiger Zeuge, dessen kommissarische Vernehmung nicht ausreicht 13) vor diesem nicht erscheinen kann.14 Das Gericht kann die Hauptverhandlung zwar außerhalb seines Bezirks durchführen (weshalb insofern keine rechtliche Verhinderung vorliegt).15 Weil das Gericht dazu je nach dem zu erwartenden Aufwand jedoch nicht in jedem Fall verpflichtet ist, wird die Durchführung der Hauptverhandlung tatsächlich unmöglich, wenn das Gericht ihre Verlegung an einen Ort, an dem einem Erscheinen des Angeklagten nichts entgegensteht, zulässigerweise ablehnt.16 8 Das Fehlen eines Auffangspruchkörpers zur weiteren Bearbeitung eines nach § 210 Abs. 3 Satz 1, 1. Fall oder § 354 Abs. 2 Satz 1, 1. Fall zurückverwiesenen Verfahrens 10

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Vgl. RGSt 40 436; 57 269. Dabei ist zu beachten, dass als solche nur diejenigen Richter in Betracht kommen, die schon bei Eintritt des Verhinderungsfalls als Vertreter bestellt werden konnten, nicht hingegen solche, die von der Landesjustizverwaltung nachträglich bereitgestellt werden, um die Verhinderung zu beheben, HK/Lemke 3; Meyer-Goßner 4. Vgl. RGSt 10 381. BGHSt 1 211, 214. Meyer-Goßner 4. HK/Lemke 4; KK/Pfeiffer 3; KMR/Paulus 6; Meyer-Goßner 4. BGHSt 22 250, 253 ff. In den vom BGH früher entschiedenen Fällen

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wurde deshalb die Übertragung auf Berliner Gerichte ausgesprochen, wenn der Angeklagte das damalige Westberlin weder auf dem Landweg (aus politischen Gründen) noch auf dem Luftweg (aus gesundheitlichen Gründen) verlassen konnte (BGHSt 16 84, 87; 22 250, 255). In BGHR StPO § 15 Verhinderung 1, wo der Angeklagte aus gesundheitlichen Gründen nicht von Augsburg an das zuständige Landgericht Hof reisen konnte, lehnte der BGH eine Übertragung an das Landgericht Augsburg ab, weil das Landgericht Hof noch keine Ermessensentscheidung über eine mögliche Durchführung der Hauptverhandlung in Augsburg getroffen hatte.

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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand

§ 15

führt i.d.R. weder zu einer rechtlichen noch eine tatsächliche Verhinderung des Gerichts. In einem solchen Fall muss der erforderliche Spruchkörper vielmehr grds. durch eine Ergänzung des Geschäftsverteilungsplans nachträglich gebildet werden.17 Nur wenn dies aufgrund besonderer Umstände einmal unmöglich sein sollte, findet ausnahmsweise § 15 Anwendung.18 c) Die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kann nach allg.M. sowohl in der 9 Bedrohung von Richtern oder Verfahrensbeteiligten als auch in zu befürchtenden Unruhen (gewalttätige Demonstrationen u.s.w.) oder terroristischen Aktionen bestehen. Wegen der gebotenen restriktiven Auslegung von § 15 (s.o. Rn. 1) müssen dabei folgende Erfordernisse kumulativ erfüllt sein: Die entsprechende Gefahr besitzt nach Grad und Ausmaß der drohenden Schäden erhebliches Gewicht, sie resultiert gerade daraus, dass die Verhandlung vor dem betreffenden Gericht stattfinden soll, und ihr kann nicht durch geeignete Sicherheitsmaßnahmen begegnet werden. Bei Letzteren ist neben der Bereitstellung eines entsprechenden Polizeiaufgebots evtl. die Verlegung der Hauptverhandlung an einen besonders gesicherten Ort in Erwägung zu ziehen, der ggf. auch außerhalb des Bezirks liegen kann.19 3. Entscheidung a) Entscheidungskompetenz. Das nach § 15 zur Entscheidung berufene „zunächst 10 obere Gericht“ ist gegenüber dem Amtsgericht das übergeordnete Landgericht, für dieses das übergeordnete Oberlandesgericht und für dieses der Bundesgerichtshof.20 Dieses kann die Sache allerdings nur auf ein Gericht innerhalb seines Bezirks übertragen. Wenn ein Gericht außerhalb desselben gewählt werden soll (aus Zweckmäßigkeitsgründen) oder muss (z.B. weil das verhinderte Amtsgericht gemäß § 58 GVG das einzige ist, das in einem Landgerichtsbezirks für Strafsachen zur Verfügung steht), bedarf es einer Entscheidung des Gerichts, das sowohl dem verhinderten als auch dem zum beauftragenden Gericht übergeordnet ist (gemeinschaftliches oberes Gericht, Vor § 7, 31), also ggf. einer solchen des BGH.21 Hat das zunächst obere Gericht sich zu Unrecht zu einer Übertragung für unzustän- 11 dig erklärt, kann das ihm übergeordnete Gericht die Übertragung vornehmen.22 b) Übertragungspflicht. Erlangt das obere Gericht Kenntnis, dass in einem Verfahren 12 vor einem nachgeordneten Gericht die Voraussetzungen von § 15 vorliegen (i.d.R. durch die Anregung des verhinderten Gerichts oder eines Verfahrensbeteiligten, nach § 15 zu verfahren, es kommen aber auch Mitteilungen von dritter Seite oder dienstliche Wahrnehmungen in Betracht), so muss es in jeder Lage des Verfahrens (s.o. Rn. 3) von Amts 17

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BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 204; OLG München JR 1978 301 mit Anm. Rieß = MDR 1977 1037 mit Anm. Müller; KK/Pfeiffer 3. OLG Oldenburg NStZ 1985 473 mit Anm. Rieß; KMR/Paulus 6; Meyer-Goßner 4. Grundlegend BGHSt 47 275 = JR 2002 432 mit zust. Anm. Best, u.a. mit der zutr. Erwägung, dass eine großzügige Anwendung von § 15 bei terroristischen Bedrohungsszenarien auf die untragbare Konsequenz hinausliefe,

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alle einschlägigen Verfahren bestimmten Oberlandesgerichten zu übertragen, die über besonders gesicherte Gebäude und Räumlichkeiten verfügen. Das Bayerische Oberste Landesgericht war in Strafsachen den Oberlandesgerichten nicht übergeordnet (BayObLGSt 1957 167). BGHSt 16 84; 22 250, 251; HK/Lemke 8; KK/Pfeiffer 2; Meyer-Goßner 6; SK/Rudolphi 8. RGSt 45 67, 70.

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§ 15

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

wegen 23 eine Übertragung vornehmen 24 (bzw. die Sache dem nächsthöheren Gericht vorlegen, wenn eine Übertragung innerhalb seines Bezirks nicht möglich oder nicht sachdienlich erscheint); das „Ob“ der Entscheidung steht insofern nicht in seinem Ermessen.25

13

c) Auswahl des neuen Gerichts. Das Gericht, dem die Sache übertragen wird, muss dieselbe sachliche Zuständigkeit haben wie das verhinderte. Soweit die Zuständigkeit eines besonderen Spruchkörpers besteht und insofern eine Zuständigkeitskonzentration erfolgt ist (z.B. im Falle der Wirtschaftsstrafkammer nach § 74c Abs. 3 GVG), muss es über einen solchen verfügen. Ob bei ihm zuvor bereits aus anderen Gründen ein Gerichtsstand eröffnet war oder nicht, spielt keine Rolle (s.o. Rn. 2). Innerhalb des Kreises der insoweit in Betracht kommenden Gerichte erfolgt die Aus14 wahl unter Zweckmäßigkeitsaspekten nach pflichtgemäßem Ermessen des zunächst oberen Gerichts 26 – oder eines höheren Gerichts, zu dem die Sache schließlich gelangt, wenn ein Gericht außerhalb des Bezirks von Ersterem gewählt werden soll oder muss (s.o. Rn. 10). Der BGH kann die Sache dabei auch dem Gericht eines anderen Landes übertragen.27

15

d) Umfang der Übertragung. Ist das ursprünglich zuständige Gericht an der Durchführung des Verfahrens insgesamt verhindert, so ist zwangsläufig eine Übertragung der ganzen Sache erforderlich. Es gibt aber auch Fälle, in denen der Hinderungsgrund lediglich der Vornahme einzelner Prozesshandlungen entgegensteht. Hier wäre insbesondere die Entscheidung über Ablehnungsgesuche zu nennen, ferner Situationen im Ermittlungsverfahren, in denen keine Verhinderung des Gerichts für das Zwischen- und Hauptverfahren absehbar ist, sondern nur einzelne Untersuchungshandlungen nicht durch das nach § 162 zuständige Gericht vorgenommen werden können. In solchen Konstellationen ist es möglich und (um den Eingriff in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG möglichst gering zu halten) geboten, nur die Zuständigkeit zur Vornahme der betreffenden Prozesshandlungen auf ein anderes Gericht zu übertragen.28

16

e) Wirkungen. Mit Zugang des Übertragungsbeschlusses wird das beauftragte Gericht in dem darin ausgesprochenen Rahmen zuständig. Hat die Übertragung das Verfahren als Ganzes zum Gegenstand, wird auf diese Weise ggf. ein neuer Gerichtsstand begründet. Erfolgt die Übertragung vor Eröffnung des Hauptverfahren, so bleibt das Wahlrecht 17 der Staatsanwaltschaft zwischen dem nach § 15 bestimmten und einem oder mehreren anderweitig gegebenen Gerichtsständen hierdurch unberührt.29 Insofern ist es der Staatsanwaltschaft auch nicht verwehrt, am Ende doch bei dem ursprünglich verhinderten Gericht Anklage zu erheben, sollte der Hinderungsgrund entfallen. Erscheint eine Anklageerhebung beim beauftragten Gericht den Umständen nach objektiv willkürlich (entsprechende Konstellationen wären speziell bei Wegfall der Verhinderung des originär zuständigen Gerichts ohne weiteres denkbar!), so ist dieses konsequenterweise auch nicht

23 24 25 26 27

BGHSt 47 275, 276. RGSt 45 67, 69; KK/Pfeiffer 2. HK/Lemke 9; Meyer-Goßner 6; SK/Rudolphi 9. BGHSt 21 212, 214; SK/Rudolphi 10. BGHSt 22 250, 252; KMR/Paulus 9; MeyerGoßner 6.

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28 29

Vgl. auch HK/Lemke 10; KK/Pfeiffer 2. BGHSt 21 212, 215; HK/Lemke 2; KK/ Pfeiffer 1; KMR/Paulus 12; Meyer-Goßner 2; SK/Rudolphi 3, 11.

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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand

§ 16

gehindert, wegen ermessensfehlerhafter Gerichtsstandswahl seine Zuständigkeit gemäß § 16 zu verneinen (vgl. Vor § 7, 26). Eine nach Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgte Übertragung begründet hingegen 18 einen Vorzug dieses Gerichts vor allen anderen Gerichten, die ursprünglich ebenfalls zuständig waren. Deshalb setzt hier nicht nur eine Weiterübertragung, sondern auch eine Rückübertragung der Zuständigkeit nach Wegfall des Hintergrundgrunds eine neue Entscheidung des oberen Gerichts voraus 30 (im erstgenannten Fall gemäß § 12 Abs. 2 oder – sollte beim beauftragten Gerichts ebenfalls ein Hinderungsgrund eintreten – wiederum nach § 15; im letztgenannten Fall durch eine – zulässige, aber keinesfalls zwingend gebotene – Rücknahme des Übertragungsbeschlusses). Da der Übertragungsbeschluss für das beauftragte Gericht bindend ist, kann dieses 19 aus seiner evtl. Unrichtigkeit keine Befugnis herleiten, sich von Amts wegen oder auf einen entsprechenden Einwand des Angeklagten gemäß § 16 für unzuständig zu erklären.31 Eine Ausnahme hiervon wird man lediglich dann machen müssen, wenn das obere Gericht die Sache einem bezirksfremden Gericht übertragen und damit schlechthin außerhalb der ihm durch § 15 eingeräumten Kompetenzen (s.o. Rn. 10) gehandelt hat.32 Hatte ein weiteres zuständiges Gericht schon vor dem verhinderten Gericht die Unter- 20 suchung eröffnet und dadurch nach § 12 Abs. 1 den Zuständigkeitsvorrang gewonnen, so wird dieser durch die Übertragung des später eröffneten Verfahrens nicht berührt. In diesem Fall kann und muss das beauftragte Gericht das Verfahren vielmehr in gleicher Weise einstellen, wie es das verhinderte Gericht hätte tun müssen. f) Unanfechtbarkeit. Gegen den Übertragungsbeschluss ist kein Rechtsmittel eröffnet 21 (s. Vor § 7, 32). Im Falle einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 durch willkürliche Anwendung der Norm kann er jedoch nach erfolgloser Gegenvorstellung mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden.33

§ 16 1Das Gericht prüft seine örtliche Zuständigkeit bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens von Amts wegen. 2Danach darf es seine Unzuständigkeit nur auf Einwand des Angeklagten aussprechen. 3Der Angeklagte kann den Einwand nur bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache in der Hauptverhandlung geltend machen.

Entstehungsgeschichte (ohne Berücksichtigung der Regelungen im Zusammenhang mit der früheren Voruntersuchung). § 16 enthielt als solcher ursprünglich nur eine dem heutigen Satz 3 entsprechende Regelung. Danach musste der Einwand der Unzuständigkeit in der Hauptverhandlung bis zur Verlesung des Beschlusses über die Eröffnung des Hauptverfahrens geltend gemacht werden (Bekanntmachung vom 22.3.1924 – RGBl. I 30 31

HK/Lemke 10; KK/Pfeiffer 6; Meyer-Goßner 7; SK/Rudolphi 11. BVerfGE 12 113, 124; Meyer-Goßner 7; teilweise a.A. RGSt 10 381, 382; KMR/Paulus 11, wonach lediglich eine Überprüfung der tatsächlichen Grundlagen ausgeschlossen, bei

32 33

rechtsfehlerhafter Übertragung aber § 16 anwendbar sein soll. Hier liegt der zutr. Kern des Standpunkts von RGSt 10 381, 382 und KMR/Paulus 11. BVerfGE 12 113, 124.

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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

322). Durch Art. 2 der VO vom 13.8.1942 (RGBl. I 512) wurde bestimmt, dass die an der Verlesung des Eröffnungsbeschlusses geknüpften Wirkungen nunmehr mit dem Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache eintreten. Art. 3 VereinhG bestimmte alsdann, dass der Einwand spätestens in der Hauptverhandlung geltend zu machen ist, solange mit der Verlesung des Beschlusses über die Eröffnung des Hauptverfahrens nicht begonnen ist. Art. 7 Nr. 1 StPÄG 1964 gab der Vorschrift wieder den Inhalt, den sie durch die VO vom 13.8.1942 erhalten hatte, indem er als Zeitpunkt für die Geltendmachung nunmehr die Hauptverhandlung bis zum Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache bestimmte. Art. 1 Nr. 2 des 1. StVRG ließ die Vorschrift (insoweit) unberührt. Die jetzige Fassung hat sie durch Art. 1 Nr. 5 StVÄG 1979 erhalten, wobei in Satz 1 ein bis dahin ungeschriebener Grundsatz und in Satz 2 der Regelungsgehalt des früheren § 18 mit einbezogen wurde.

Übersicht Rn. 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einschränkungen der Anwendbarkeit . . 3. Prüfung der örtlichen Zuständigkeit a) Ermittlungsverfahren . . . . . . . . b) Zwischenverfahren . . . . . . . . . c) Hauptverfahren . . . . . . . . . . . 4. Verfahren a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Im Ermittlungsverfahren . . . . . . c) Zwischenverfahren . . . . . . . . . d) Nach Eröffnung des Hauptverfahrens

. .

1 2

. . .

4 6 7

. . . .

9 11 12 14

Rn. 5. Rechtsmittel a) Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . b) Berufung . . . . . . . . . . . . . . . c) Revision . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtskraftwirkungen der Unzuständigkeitserklärung . . . . . . . . . . . . . . 7. Örtliche Unzuständigkeit des Rechtsmittelgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 17 18 19 20

1

1. Bedeutung. Die Vorschrift betrifft ausschließlich die Prüfung des Gerichtsstands,1 die einer zeitlichen Beschränkung unterworfen wird, um den ungehinderten Fortgang des Verfahrens zu sichern.2 Wie die Zuständigkeit besonderer Strafkammern (§ 6a) und im Gegensatz zur sachlichen Zuständigkeit (§ 6) ist die örtliche Zuständigkeit damit eine „nur befristete kurzlebige Verfahrensvoraussetzung“.3 Die Regelung hat u.a. auch die Konsequenz, dass eine neue rechtliche Bewertung der Tat in der Hauptverhandlung, durch die sich normalerweise zugleich der Ort ihrer Begehung nach § 9 StGB und mithin der Gerichtsstand nach § 7 Abs. 1 ändern würde, die weitere örtliche Zuständigkeit des Gerichts nicht in Frage stellt.4

2

2. Einschränkungen der Anwendbarkeit. Weil die Übertragung oder Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit in den Fällen von § 12 Abs. 2, § 13 Abs. 2 Satz 2, § 14 und § 19 eine für das Gericht verbindliche Feststellung derselben durch das obere Gericht impliziert, ist es Ersterem hier verwehrt, sich von Amts wegen für unzuständig zu erklären. Das Recht des Angeklagten, im Hauptverfahren gleichwohl gemäß § 16 Abs. 2 den Einwand der örtlichen Unzuständigkeit geltend zu machen, woraufhin das Gerichts ungeachtet der vorangegangenen Entscheidung des oberen Gerichts noch einmal seine örtliche

1 2

Hahn Mat. 1 156; OLG Breslau GA 71 (1927) 64. RGSt 4 232; 26 340, 341 f.; 40 354, 356; 65 267, 268; KK/Pfeiffer 1.

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3 4

Meyer-Goßner 1. RGSt 65 267.

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Zuständigkeit prüfen kann und muss, bleibt jedoch unberührt.5 In den Fällen von § 13a oder § 15 führt die Übertragung der Sache an ein ursprünglich unzuständiges Gericht hingegen dazu, dass bei diesem ein Gerichtsstand neu begründet wird, so dass eine Verneinung der örtlichen Zuständigkeit nach § 16 hier auch auf entsprechenden Einwand des Angeklagten nicht mehr möglich ist.6 Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die örtliche Zuständigkeit des Amts- 3 gerichts, an das die Sache gemäß § 328 Abs. 2 zurückverwiesen wird, hindert dieses wiederum an einer Unzuständigkeitserklärung von Amts wegen, wenn es zum Bezirk von Ersterem gehört.7 Zurückverweisungen aus der Revisionsinstanz sind wegen § 358 Abs. 1 immer bindend (auch im Falle von § 355 8), so dass für eine Unzuständigkeitserklärung nach § 16 in der neuen Tatsacheninstanz generell kein Raum mehr ist, richtigerweise auch nicht auf einen entsprechenden Einwand des Angeklagten in der neuen Hauptverhandlung.9 3. Prüfung der örtlichen Zuständigkeit a) Ermittlungsverfahren. Die Staatsanwaltschaft muss die örtliche Zuständigkeit des 4 Gerichts der Hauptsache im Ermittlungsverfahren von Anfang an von Amts wegen beachten, weil von dieser gemäß § 143 Abs. 1 GVG ihre eigene Zuständigkeit abhängt, und zwar auch in den Fällen, in denen bestimmte Strafsachen bei einem Gericht örtlich konzentriert sind (§§ 58, 74a, 74c Abs. 3 und 4, § 74d GVG).10 Abgesehen von den Nothandlungen eines unzuständigen Staatsanwalts (§ 143 Abs. 2) ist eine Staatsanwaltschaft insofern von Anfang an nur in solchen Verfahren zur Durchführung von Ermittlungen befugt, in denen sie bei einem Gericht, für das sie bestellt ist, letzten Endes auch Anklage erheben könnte. Gegen das Tätigwerden eines unzuständigen Staatsanwalts kann sich der Beschuldigte im Wege der Dienstaufsichtsbeschwerde zur Wehr setzen. Entfällt die Zuständigkeit (z.B. durch einen Wohnsitzwechsel des Beschuldigten), 5 muss die Sache an die nunmehr zuständige Staatsanwaltschaft (bei mehreren zuständigen Staatsanwaltschaften an eine von ihnen) abgeben werden, weil das Gesetz eine Fortdauer der staatsanwaltlichen Zuständigkeit in laufenden Verfahren nicht vorsieht.11 In der Praxis tritt dieser Fall allerdings nur selten ein, weil die zumeist in Anspruch genommene Tatortzuständigkeit de facto änderungsfest ist. b) Im Zwischenverfahren ist die örtliche Zuständigkeit des Gerichts nicht nur 6 durch dieses selbst, sondern auch weiterhin durch die Staatsanwaltschaft (zwecks evtl. Klagerücknahme 12) von Amts wegen zu prüfen. Die gerichtliche Prüfung erstreckt sich 5

6

7

8

Für das Verfahren im Anschluss an die Entscheidung eines Zuständigkeitsstreits nach § 14 OLG Köln VRS 74 (1988) 32, 34. Dazu § 15, 19 mit dem a.E. genannten Ausnahmefall der unzulässigen Übertragung einer Sache auf ein Gericht außerhalb des eigenen Bezirks. LR/Gössel 25 § 328, 34; SK/Frisch § 328, 27; a.A. (gegen jede Bindungswirkung) AK/Dölling § 328, 14; KK/Ruß § 328, 14; KMR/Brunner § 328, 27; Meyer-Goßner § 328, 13. LR/Hanack 25 § 355, 13 .

9 10 11

12

A.A. für § 354 Abs. 2 wohl LR/Wendisch 25 12. KK/Pfeiffer 2. Das gilt auch, wenn der Generalbundesanwalt nach § 143 Abs. 3 GVG entschieden hat, denn seine Entscheidung begründet keine Zuständigkeit, er wählt nur unter mehreren bestehenden eine aus. Fällt diese nachträglich weg, so entfällt damit die Zuständigkeit der mit der Sache befassten Staatsanwaltschaft. KMR/Paulus 5.

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dabei auf mögliche Ermessensfehler der Staatsanwaltschaft bei der Gerichtsstandswahl (Vor § 7, 26).

7

c) Hauptverfahren. Mit Erlass des Eröffnungsbeschlusses (zu den Handlungen, die in den besonderen Verfahrensarten an dessen Stelle treten, § 6a, 6) endet die Prüfung von Amts wegen. Danach darf eine evtl. örtliche Unzuständigkeit gemäß § 16 Satz 2 nur auf Einwand des Angeklagten berücksichtigt werden, und zwar nur bis zu dem in Satz 3 bestimmten Zeitpunkt. Was die Berechtigung zur Geltendmachung des Einwands, seine Form, den maßgeb8 lichen Zeitpunkt und die Bedeutung von Satz 3 als absolute Ausschlussfrist betrifft, gelten die gleichen Grundsätze wie bei § 6a, so dass insofern auf die Ausführungen unter § 6a, 10–18 zu verweisen ist. Da das Gesetz bzgl. der örtlichen Zuständigkeit im Gegensatz zur Zuständigkeit besonderer Strafkammern keine Verweisung an das zuständige Gericht vorsieht, kann der Angeklagte mit dem Einwand selbst dann, wenn er die Zuständigkeit eines bestimmten anderen Gerichts behauptet, im laufenden gerichtlichen Verfahren nur eine Unzuständigkeitserklärung herbeiführen (dazu die folgenden Rn.). Deshalb ist er nach erfolgreicher Geltendmachung des Einwands andererseits aber auch nicht gehindert, im Falle einer späteren Anklageerhebung vor einem Gericht, das er in der Begründung seines Einwands im ersten Verfahren (unnötigerweise) als örtlich zuständig bezeichnet hatte, nunmehr auch die örtliche Zuständigkeit dieses Gerichts gemäß § 16 zu bestreiten.13 4. Verfahren

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a) Allgemeines. Anders als bei den Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit (§ 6) und die Zuständigkeit besonderer Strafkammern (§ 6a) führt die Feststellung der örtlichen Unzuständigkeit eines Gerichts nur dann zur Verweisung an das zuständige Gericht, wenn sie in der Berufungs- (§ 328 Abs. 2) oder Revisionsinstanz (§ 355) erfolgt (dazu unten Rn. 18 f.). Dies ist damit zu erklären, dass bei einer örtlichen Unzuständigkeit des Gerichts, die im Zwischenverfahren oder während des erstinstanzlichen Hauptverfahrens zutage tritt, regelmäßig mehrere andere Gerichte nach den §§ 7 ff., 13 an seine Stelle treten können. Insofern besteht weiterhin ein Wahlrecht der Staatsanwaltschaft, das nicht durch einen Verweisungsbeschluss des örtlich unzuständigen Gerichts unterlaufen werden darf.14 Verweist ein örtlich unzuständiges Gericht in rechtsirriger Anwendung von § 270 die 10 Sache gleichwohl an ein anderes Gericht, so wird die Sache bei diesem nicht rechtshängig. Ein dort trotzdem fortgesetztes Verfahren leidet an dem unheilbaren Mangel, dass kein von dem betreffenden Gericht erlassener Eröffnungsbeschluss (bzw. keine Entscheidung, die in den besonderen Verfahrensarten der an dessen Stelle tritt) vorliegt.15 Ausnahmsweise zulässig ist die Fortsetzung des Verfahrens auf eine solche fehlerhafte Verweisung hin nur dann, wenn sich die Staatsanwaltschaft mit der Abgabe an das neue Gericht ausdrücklich einverstanden erklärt (womit die Abgabe in der Sache der an sich gebotenen Einstellung durch das unzuständige Gericht und einer anschließenden Neuanklage beim

13 14

Zur insoweit abweichenden Situation bei § 6a s. dort Rn. 19. Anders liegen die Dinge im Verfahren §§ 109 ff. StVollzG, wo nur eine Strafvollstreckungskammer örtlich zuständig ist und

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15

deshalb nach BGHSt 36 33, 36 f. keine Bedenken bestehen, eine entsprechende Verweisung seitens des unzuständigen Gerichts zuzulassen. OLG Hamm NJW 1961 233.

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§ 16

zuständigen Gericht gleichsteht) und dieses daraufhin einen eigenen Eröffnungsbeschluss erlässt.16 b) Im Ermittlungsverfahren führt die Annahme der Unzuständigkeit durch das Gericht, 11 bei dem die Staatsanwaltschaft die Vornahme einer richterlichen Untersuchungshandlung beantragt (s. Vor § 7, 33) schlicht dazu, dass das Gericht den Antrag ablehnt, woraufhin ihn die Staatsanwaltschaft bei einem zuständigen Gericht erneut stellen muss. Gibt das örtlich unzuständige Gericht dem Antrag gleichwohl statt (indem es z.B. einen beantragten Haftbefehl erlässt), darf das Beschwerdegericht die Sache ebenfalls nicht an ein örtlich zuständiges Gericht verweisen, sondern muss die Entscheidung entweder aufheben oder (was bei Haftbefehlen aus naheliegenden Gründen geboten sein kann) nur noch für einen bestimmten Zeitraum bis zur Entscheidung des zuständigen Gerichts vorläufig aufrechterhalten.17 c) Zwischenverfahren. Bemerkt das Gericht, bei dem die Sache anhängig ist, im 12 Zwischenverfahren seine örtliche Unzuständigkeit, so ist umstritten, ob es die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen 18 oder sich durch Beschluss für unzuständig erklären soll, ohne eine Entscheidung über die Eröffnung oder Nichteröffnung zu treffen.19 Letzteres erscheint zutreffend: Die Formulierung „Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens“ hat sich als spezifische Bezeichnung des in § 204 bezeichneten Beschlusses etabliert, der bei allgemeinem Fehlen der Eröffnungsvoraussetzungen ergeht, auf eine endgültige Erledigung des Strafverfahrens abzielt und deshalb mit besonderen Rechtsfolgeanordnungen verbunden ist (§ 210 Abs. 2: Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde, § 211: beschränkter Strafklageverbrauch, § 120 Abs. 1 Satz 2: Aufhebung eines evtl. Haftbefehls). Ein örtlich unzuständiges Gericht ist indessen gerade nicht befugt, eine Entscheidung über das Vorliegen der allgemeinen Eröffnungsvoraussetzungen zu treffen, und die Anwendung von § 211 und § 120 Abs. 1 Satz 2 erschiene unter diesen Umständen geradezu absurd. Weil der Beschluss, den das Gericht bei örtlicher Unzuständigkeit erlässt, gegenüber demjenigen nach § 204 somit ein aliud darstellt, sollte hier nicht ebenfalls von einer „Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens“ gesprochen werden, um unnötige Verwirrung (insbesondere hinsichtlich des statthaften Rechtsmittels) zu vermeiden. Dass der Beschluss selbstverständlich nicht nur einen deklaratorischen Ausspruch der Unzuständigkeit, sondern eine Entscheidung darstellt, mit der das angerufene Gericht das Verfahren an die Staatsanwaltschaft zurückgibt, sollte der Bezeichnung als „Unzuständigkeitserklärung“ nicht entgegenstehen,20 da Missverständnisse an dieser Stelle wohl kaum zu befürchten sind. In der Sache handelt es sich um eine Einstellung des Verfahrens.21 Die Unzuständigkeitserklärung beendet (vorbehaltlich einer evtl. erfolgreichen An- 13 fechtung, s.u. Rn. 16) die Anhängigkeit des Verfahrens bei dem betreffenden Gericht und versetzt die Staatsanwaltschaft in die Lage, die Klage bei einem anderen Gericht, das sie für zuständig hält, neu zu erheben.

16 17

OLG Braunschweig GA 1962 284; OLG Karlsruhe GA 1977 58; KMR/Paulus 14. Die Befugnis hierzu folgt zumindest bei Gefahr im Verzug aus den Rechtsgedanken von § 20 und § 21; nicht überzeugend deshalb KG StV 1998 384, wonach ein Haftbefehl in der entsprechenden Situation ausnahmslos sofort aufzuheben sei.

18 19

20 21

KK/Pfeiffer 4; Krey II Rn. 66. H.M.; RGSt 32 50, 51; OLG Hamm NStZRR 1999 16, 17 f.; HK/Lemke 2; MeyerGoßner 4; SK/Rudolphi 6. So aber wohl die Bedenken bei KK/Pfeiffer 4. Zutr. Meyer-Goßner Prozesshindernisse und Einstellung des Verfahrens, FS Eser 373, 375.

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d) Nach Eröffnung des Hauptverfahrens wird das Verfahren unter den Voraussetzungen von § 16 Abs. 2 außerhalb einer Hauptverhandlung nach § 206a Abs. 1 durch Beschluss eingestellt, in der Hauptverhandlung nach § 260 Abs. 3 durch Urteil.22 Ein statt dessen ergangener Beschluss über die „Unzuständigkeit des Gerichts“ hat jedoch die gleiche Wirkung.23 Die Verfahrenseinstellung beendet die Wirkungen von Rechtshängigkeit und Anklageerhebung.24 Zur Durchführung des Hauptverfahrens vor einem anderen, zuständigen Gericht muss die Klage deshalb bei diesem neu erhoben und von ihm ein neuer Eröffnungsbeschluss erlassen werden.25 5. Rechtsmittel

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a) Beschwerde. Gegen die Verwerfung des Einwands der örtlichen Unzuständigkeit ist für den Beschuldigten in keinem Stadium des gerichtlichen Verfahrens die Beschwerde eröffnet. Bei Verwerfung eines im Zwischenverfahren erhobenen Einwands folgt dies aus § 201 Abs. 2 Satz 2 oder (wenn die Verwerfung – ggf. konkludent – mit dem Eröffnungsbeschluss erfolgt) aus § 210 Abs. 1, nach Eröffnung des Hauptverfahrens gilt insofern § 305 Satz 1. Ein Beschluss, durch den das Gericht im Zwischenverfahren seine örtliche Unzu16 ständigkeit ausspricht (s.o. Rn. 13 f.), ist nach § 304 mit der einfachen Beschwerde anfechtbar 26 (und zwar auch für den Angeschuldigten, dessen Beschwer aus drohenden Verzögerungen des Verfahrens resultieren kann 27), eine Einstellung nach Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 206 a Abs. 2 mit der sofortigen Beschwerde, eine Einstellung in der Hauptverhandlung, die gemäß § 260 Abs. 3 durch Urteil erfolgt, mit den dafür allgemein vorgesehenen Rechtsmitteln der Berufung oder Revision.

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b) Berufung. Ausschließlich unter der Voraussetzung, dass der Angeklagte im erstinstanzlichen Hauptverfahren fristgerecht, aber im Ergebnis ohne Erfolg den Einwand der örtlichen Unzuständigkeit erhoben hatte, überprüft das Berufungsgericht die örtliche Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts. Verneint es diese, so hebt es gemäß § 328 Abs. 2 das erstinstanzliche Urteil auf und verweist die Sache an das zuständige Amtsgericht (notfalls auch ein solches außerhalb des eigenen Bezirks).28 Dies setzt nicht voraus, dass der Angeklagte den Einwand der örtlichen Unzuständigkeit in der Berufungsinstanz noch einmal wiederholt ;29 lediglich dann, wenn er ihn ausdrücklich zurücknimmt, wird der Zuständigkeitsmangel geheilt.30

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c) Revision. Der Angeklagte kann den mangelnden Gerichtsstand wiederum nur dann gemäß § 338 Nr. 4 mit der Revision rügen, wenn er den Einwand im Hauptverfah22

23 24 25 26

27

BGHSt 18 1, 3; OLG Köln VRS 74 (1988) 32; OLG Düsseldorf VRS 80 (1991) 282; KK/Pfeiffer 6; Meyer-Goßner 4; SK/Rudolphi 10; a.A. Gössel GedS H. Kaufmann 977, 983: Beschluss über Unzuständigkeit. BGHSt 18 1, 2 f. BGHSt 18 1, 3. KMR/Paulus 16. HK/Lemke 6; KK/Pfeiffer 8; LR/Rieß 25 § 210, 31 f.; Meyer-Goßner 7; SK/Rudolphi 12. Zutr. LR/Rieß 25 § 210, 31.

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BayObLG NJW 1987 3091; OLG Hamm wistra 2006 37; AK/Dölling § 328, 10; KK/Ruß § 328, 11; Meyer-Goßner § 328, 6; SK/Frisch § 328, 18; differenzierend (Verweisung nur, wenn sie auf Antrag der Staatsanwaltschaft an ein Amtsgericht im Bezirk des Berufungsgerichts erfolgt, ansonsten Einstellung) KMR/Brunner § 328, 24; zweifelnd LR/Gössel 25 § 328, 22. OLG Köln NStZ-RR 2000 273. Meyer-Goßner § 328, 6; LR/Gössel 25 § 328, 22.

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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand

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ren 31 erster Instanz rechtzeitig erhoben hatte. Dies muss er in der Form des § 344 Abs. 2 Satz 2 geltend machen 32 und dabei darlegen, ob und in welcher Weise das Tatgericht den Einwand beschieden hat.33 Weil die örtliche Zuständigkeit nach Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 16 Satz 2 nicht mehr von Amts wegen zu prüfen ist, kann ihr Fehlen von der Staatsanwaltschaft nicht mit der Revision gerügt werden, und zwar richtigerweise auch nicht zugunsten des Angeklagten, der den Einwand nach § 16 Satz 3 in erster Instanz rechtzeitig erhoben hatte.34 6. Rechtskraftwirkungen der Unzuständigkeitserklärung. Mit Eintritt ihrer Unanfecht- 19 barkeit entfaltet die Entscheidung, mit der das Gericht seine örtliche Zuständigkeit verneint hat, eine dahingehende Sperrwirkung, dass eine neue Anklage wegen der Tat(en) im prozessualen Sinn, auf die sich die Unzuständigkeitserklärung bezieht, bei diesem Gericht nicht mehr zulässig erhoben werden kann.35 Diese Wirkung steht allerdings unter dem Vorbehalt einer evtl. Entscheidung nach § 19, so dass die Durchführung eines Strafverfahrens letzten Endes nicht daran scheitern kann, dass sich alle anderen in Betracht kommenden Gerichte ebenfalls für unzuständig erklären. 7. Örtliche Unzuständigkeit des Rechtsmittelgerichts. In dem (in der Praxis recht un- 20 wahrscheinlichen) Fall, dass nicht die örtliche Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts in Frage steht, sondern die Sache in der Rechtsmittelinstanz an das falsche Berufungsoder Revisionsgericht gelangt (d.h. als an ein anderes als dasjenige, zu dessen Bezirk das erstinstanzliche Gericht gehört), soll § 16 nach verbreiteter Ansicht entsprechende Anwendung finden.36 Dem kann nicht gefolgt werden, denn die Zuständigkeit der Rechtsmittelgerichte innerhalb des Instanzenzugs ist von völlig anderer Qualität als die örtliche Zuständigkeit in erster Instanz: Während Letztere im Einzelfall tatsächlichen und rechtlichen Zweifeln unterliegen kann und durch das Wahlrecht der Staatsanwaltschaft zwischen mehreren Gerichtsständen und diverse Übertragungsmöglichkeiten flexibel ausgestaltet ist, ist die Zuständigkeit der Rechtsmittelgerichte in der hierarchischen Organisation der Gerichtsbarkeit mit größtmöglicher Evidenz und (mit der einzigen Ausnahme in § 15, s. dort Rn. 3) unverrückbar festgeschrieben. Ihre Prüfung kann deshalb in keinem Verfahrensstadium entsprechend § 16 Satz 2 von der Initiative des Angeklagten abhängen. Hier ist vielmehr von Amts wegen entsprechend § 348 zu verfahren.37 31

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Ein bereits im Zwischenverfahren erfolglos erhobener Einwand muss nach Eröffnung des Hauptverfahrens wiederholt werden, entsprechend der Situation bei § 6a, s. dort Rn. 13, 26. BGH GA 1980 255; MDR 1993 891; OLG Düsseldorf VRS 71 (1986) 366. Wurde das Verfahren in der Vorinstanz gemäß § 260 Abs. 3 wegen (vermeintlicher) örtlicher Unzuständigkeit durch Urteil eingestellt (s.o. Rn. 16) und wird gegen dieses Urteil Revision eingelegt, prüft das Revisionsgericht hingegen auch ohne einschlägige Verfahrensrüge, ob die örtliche Zuständigkeit zu recht verneint wurde, OLG Köln VRS 74 (1988) 32, 33. Wegen eines Verfahrenshindernisses von Amts wegen eingestellt wird das Verfahren durch das Revisionsgericht, wenn das erstinstanzliche Gericht nach einer Unzu-

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ständigkeitserklärung ohne neue Anklage und neuen Eröffnungsbeschluss weiterverhandelt und in der Sache entschieden hat (BGHSt 18 1, 3). Das Gleiche muss dort gelten, wo ein Gericht nach unzulässiger Verweisung durch ein anderes Gericht (und insofern ebenfalls ohne wirksame Anklage und wirksamen Eröffnungsbeschluss, s.o. Rn. 10) in der Sache verhandelt und entschieden hat. OLG Köln StV 2004 314. Zur Begründung s.o. § 6a, 28; a.A. LR/ Wendisch 25 18. BGHSt 18 5; BGH NStZ 1988 371. HK/Lemke 5; LR/Wendisch 25 21; MeyerGoßner 6. BGH NStE Nr. 1; KK/Kuckein § 348, 1; Pfeiffer § 348, 1.

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§ 19

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

§ 17 bestimmte, dass durch eine Entscheidung, die die Zuständigkeit für die Voruntersuchung festgestellt hatte, die Zuständigkeit auch für das Hauptverfahren festgestellt war. Die Vorschrift ist nach Wegfall der Voruntersuchung durch Art. 1 Nr. 3 des 1. StVRG gestrichen worden.

§ 18 enthielt eine dem heutigen § 16 Satz 2 entsprechende Regelung und ist Zuge der Neufassung dieser Vorschrift durch Art. 1 Nr. 6 StVÄG 1979 gestrichen worden.

§ 19 Haben mehrere Gerichte, von denen eines das zuständige ist, durch Entscheidungen, die nicht mehr anfechtbar sind, ihre Unzuständigkeit ausgesprochen, so bezeichnet das gemeinschaftliche obere Gericht das zuständige Gericht.

1. Anwendungsbereich. Die Vorschrift gilt (ausschließlich) für Fall, dass zwischen mehreren Gerichten (nicht verschiedenen Spruchkörpern eines und desselben Gerichts 1) ein negativer Kompetenzkonflikt über die örtliche Zuständigkeit besteht, in dem die Unzuständigkeit aller beteiligten Gerichte bereits unanfechtbar festgestellt wurde. In diesem Fall ist § 14, dessen Anwendbarkeit im negativen Kompetenzkonflikt umgekehrt voraussetzt, dass wenigstens zwei Entscheidungen noch anfechtbar sind (§ 14, 5), ebenso ausgeschlossen wie eine Auflösung des Konflikts durch die Aufhebung der einer der zuständigkeitsverneinenden Entscheidungen in der Rechtsmittelinstanz. Um hier doch noch eine Entscheidung in der Sache zu ermöglichen, sieht § 19 eine Zuständigkeitsbestimmung durch das gemeinschaftliche obere Gericht (Vor § 7, 31) vor, die die Rechtskraftwirkungen einer der Entscheidungen beseitigt, in der die Unzuständigkeit des betreffenden Gerichts ausgesprochen wurde. Ob die Unzuständigkeit von den betreffenden Gerichten in einer nunmehr unanfecht2 baren Entscheidung selbst ausgesprochen oder erst im Rahmen einer Beschwerdeentscheidung festgestellt wurde, spielt entgegen dem (insoweit unklaren Wortlaut) keine Rolle.2 3 Bei einem negativen Kompetenzkonflikt über die sachliche Zuständigkeit oder die gesetzlich bestimmte Zuständigkeit besonderer Strafkammern ist § 19 (ebenso wie § 14, s. dort Rn. 3) nur ausnahmsweise anwendbar, wenn andernfalls der Stillstand des Verfahrens droht und keine andere Abhilfemöglichkeit besteht. Ein solcher Fall ist nicht gegeben, wenn zwischen Berufungs- und Revisionsgericht ein Streit über die Art des eingelegten Rechtsmittels besteht, weil das Revisionsgericht hier die Möglichkeit besitzt, das Berufungsgericht analog § 348 mit bindender Wirkung als zuständig zu bezeichnen.3

1

1 2

OLG Düsseldorf MDR 1982 689. Ebenso HK/Lemke 1; Meyer-Goßner 1.

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3

BGHSt 31 183, 184 = JR 1983 343 mit nur im Ergebnis zust. Anm. Meyer.

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Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand

§ 20

2. Zuständigkeit eines der Gerichte. § 19 findet nur Anwendung, wenn eines der be- 4 teiligten Gerichte nach den §§ 7 bis 11, 13 örtlich zuständig ist. Hält das obere Gericht ein anderes Gericht für örtlich zuständig, darf es die Sache nicht an dieses verweisen, sondern muss es ablehnen, eine Entscheidung nach § 19 zu treffen. Es ist dann Sache der Staatsanwaltschaft (oder ggf. des Privatklägers), Anklage beim zuständigen Gericht zu erheben. Ist kein zuständiges Gericht vorhanden oder ist dieses nicht ermittelt, kommt eine 5 Entscheidung nach § 19 ebenfalls nicht in Betracht. Hier bedarf es vielmehr einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 13a. Diese kann der BGH von Amts wegen unmittelbar vornehmen, wenn ihm die Entscheidung nach § 19 als gemeinschaftlichem oberem Gericht angetragen wurde.4 3. Verfahren. Da das Verfahren für die beteiligten Gerichte im Fall des § 19 mit der 6 unanfechtbaren Feststellung ihrer Unzuständigkeit jeweils seinen Abschluss gefunden hat, können diese hier (anders als bei § 14) nicht in die Lage kommen, die Sache dem gemeinschaftlichen oberen Gericht vorzulegen. Letzteres entscheidet vielmehr auf Antrag eines der Prozessbeteiligten, regelmäßig der Staatsanwaltschaft,5 nach Anhörung des Prozessgegners (§ 33 Abs. 2, 3) durch unanfechtbaren Beschluss (Vor § 7, 32), in dem das zuständige Gericht bezeichnet wird. Damit verliert die Entscheidung, in der dessen Unzuständigkeit ausgesprochen wurde (bei der es sich ohne weiteres auch um eine solche handeln kann, die das gemeinschaftliche Gericht seinerzeit als Beschwerdegericht selbst erlassen hatte 6), ihre Wirksamkeit, ohne dass es ihrer ausdrücklichen Aufhebung bedarf.7

§ 20 Die einzelnen Untersuchungshandlungen eines unzuständigen Gerichts sind nicht schon dieser Unzuständigkeit wegen ungültig.

1. Die Vorschrift enthält den allgemeinen Verfahrensgrundsatz (vgl. § 7 FGG, § 22d 1 GVG; § 44 Abs. 3 Nr. 1 VwVfG), dass von einem örtlich unzuständigen Gericht erlassene einzelne richterliche Untersuchungshandlungen wirksam bleiben. Für die Unzuständigkeit nach dem Geschäftsverteilungsplan gilt gemäß § 22d GVG das Gleiche. Auf Entscheidungen in Strafvollstreckungs- und Strafvollzugssachen ist § 20 entspre- 2 chend anwendbar.1 Eine Anwendung der Vorschrift bei sachlicher Unzuständigkeit kommt hingegen nicht in Betracht.2

4

Da der BGH im Verfahren nach § 13a ggf. von Amts wegen entscheidet (s.o. § 13a, 11), ist es möglich, aber nicht unbedingt erforderlich, dass die Staatsanwaltschaft einen beim BGH gestellten Antrag nach § 19 mit einem Hilfsantrag nach § 13a verbindet, wenn ihr die Zuständigkeit aller beteiligten Gerichte zweifelhaft erscheint (dafür KK/Pfeiffer 2; LR/Wendisch 25 4).

5 6 7 1 2

Vgl. OLG Düsseldorf MDR 1982 689. KK/Pfeiffer 2; KMR/Paulus 5; Meyer-Goßner 3. HK/Lemke 4; KK/Pfeiffer 4; Meyer-Goßner 4. BGHSt 27 329, 331. OLG Köln StV 2004 417, 418.

Volker Erb

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§ 20

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

3

Der in § 20 zum Ausdruck kommende Grundsatz findet allgemein dort seine Grenze, wo die Entscheidung an einem so schweren und offenkundigen Mangel leidet, dass es mit wesentlichen Grundsätzen der Strafprozessordnung oder allgemein des rechtsstaatlichen Verfahrens nicht vereinbar wäre, sie als wirksam zu behandeln.3 Bei einem Zuständigkeitsmangel, der ein solches Gewicht aufweist, kann die Untersuchungshandlung des örtlich unzuständigen Richters im Einzelfall also trotz § 20 ausnahmsweise unwirksam sein.4

4

2. Einzelne Untersuchungshandlungen (§ 162) – im Gegensatz zum Verfahren als Ganzem – sind in erster Linie richterliche Beweiserhebungen und die richterliche Anordnung von Zwangsmaßnahmen. Insofern kommen namentlich in Betracht: Vernehmung (§ 58) und Vereidigung (§ 59) von Zeugen und Sachverständigen (§ 72), Unterbringung des Beschuldigten zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand (§ 81), körperliche Untersuchung des Beschuldigten (§ 81a) oder anderer Personen (§ 81c), molekulargenetische Untersuchung (§§ 81e, 81f), DNA-Identitätsfeststellung (§ 81g), Reihengentests (§ 81h), richterlicher Augenschein (§ 86), Beschlagnahme von Beweisgegenständen (§ 98 Abs. 1, § 100 Abs. 1), Überwachung der Telekommunikation (§§ 100a, 100b), Überwachungsmaßnahmen nach §§ 100c, 100d, nach § 100f Abs. 2 sowie nach § 100i, Durchsuchungen nach § 105 Abs. 1 i.V.m. § 102 oder § 103, Einsatz verdeckter Ermittler nach § 100b Abs. 2, Einrichtung von Kontrollstellen (§ 111), vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a), Beschlagnahmen und Arrestanordnungen nach § 111e Abs. 1,5 Erlass eines Haftbefehls (§ 114 Abs. 1), weitere richterliche Entscheidungen und Maßnahmen im Zusammenhang mit der Untersuchungshaft (§§ 116, 116a, 117, 120), einstweilige Unterbringung (§ 126a), Fahndungsmaßnahmen nach § 131c Abs. 1 Satz i i.V.m. § 131a Abs. 3 oder § 131b, vorläufiges Berufsverbot (§ 132a).

5

3. Die Gültigkeit der betreffenden Untersuchungshandlungen hat zur Folge, dass diese im weiteren Verfahren verwertet werden dürfen, insofern also keine Wiederholung durch das zuständige Gericht erforderlich ist. Dies gilt nicht nur für Untersuchungshandlungen im Vorverfahren und im Zwischenverfahren, sondern auch für Beweiserhebungen nach §§ 223–225, deren Protokolle somit nach §§ 251, 253, 254 verlesen werden können, und für Beweiserhebungen im Wiederaufnahmeverfahren gemäß § 369.6 Demgegenüber ist es durch das Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsprinzip ausge6 schlossen, einzelne Beweiserhebungen aus einer Hauptverhandlung vor dem örtlich unzuständigen Gericht unter Berufung auf § 20 in einer neuen Hauptverhandlung vor dem zuständigen Gericht zu verwerten.

7

4. Die Möglichkeit der Aufhebung einer vom örtlich unzuständigen Gericht getroffenen Anordnung bleibt selbstverständlich unberührt.7 Dies gilt insbesondere dort, wo das betreffende Gericht selbst oder das Beschwerdegericht über die weitere Aufrechterhaltung einer Maßnahme zu entscheiden hat und dabei den Zuständigkeitsmangel entdeckt. Hier ist vor allem an die Bekanntgabe des Haftbefehls, die Haftprüfung und das Beschwerdeverfahren in Haftsachen zu denken. Dabei sollte eine Unzuständigkeits-

3 4 5

BGHSt 29 351, 353; BGH NStZ 1984 279. KK/Pfeiffer 1; KMR/Paulus 2; Meyer-Goßner 1; SK/Rudolphi 1. LG Köln MDR 1996 192.

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6 7

OLG Düsseldorf NJW 1979 1724. § 20 entzieht diese insbesondere keinesfalls der Anfechtbarkeit, zutr. OLG Köln StV 2004 417, 418.

Volker Erb

Zweiter Abschnitt. Gerichtsstand

§ 21

erklärung stets mit einer ausdrücklichen Entscheidung darüber verbunden werden, ob der Haftbefehl aufgehoben oder bis zur Entscheidung des zuständigen Gerichts aufrechterhalten wird.8

§ 21 Ein unzuständiges Gericht hat sich den innerhalb seines Bezirks vorzunehmenden Untersuchungshandlungen zu unterziehen, bei denen Gefahr im Verzug ist.

Entstehungsgeschichte. Der Text, in dem das letzte Wort „ist“ an die Stelle von „obwaltet“ getreten ist, beruht auf Art. 9 VereinhG in Verb. mit Anlage 3 zu diesem Gesetz. Inhaltlich ist die Vorschrift seit 1877 unverändert.

1. Bedeutung. Im Gegensatz zu § 20, der Untersuchungshandlungen eines Gerichts 1 im Auge hat, das sich bei Vornahme der Handlung irrtümlich für zuständig hält, beauftragt § 21 ein Gericht, dem seine örtliche Unzuständigkeit bekannt ist, mit gewissen Untersuchungshandlungen, und begründet für deren Vornahme insofern eine (Not-)Zuständigkeit. Die Vorschrift erlaubt keine Eingriffe in die sachliche Zuständigkeit.1 Sie erfasst nur einzelne Untersuchungshandlungen (§ 20, 4), begründet also selbstverständlich keinen Gerichtsstand. 2. Verfahrensstadium. § 21 gilt zwar grds. in allen Verfahrensstadien, hat im Ermitt- 2 lungsverfahren aber deshalb kaum Bedeutung, weil § 162 Abs. 1 Satz 1 für die Vornahme richterlicher Untersuchungshandlungen hier ohnehin dasjenige Amtsgericht für örtlich zuständig erklärt, in dessen Bezirk die Handlung vorzunehmen ist (wobei die in Satz 2 vorgesehene Ausnahme bei „Gefahr im Verzug“ gemäß Satz 3 gerade nicht zum Tragen kommt); für richterliche Nothandlungen ohne Antrag der Staatsanwaltschaft gilt dabei im Übrigen § 165. Praktische Relevanz kann die Vorschrift hingegen für Sachen erlangen, in denen schon bei einem anderen Gericht Anklage erhoben ist und die Zuständigkeiten nach §§ 162, 165 deshalb nicht mehr bestehen. § 21 gilt auch für einzelne Untersuchungshandlungen im Strafvollstreckungs- oder Strafvollzugsverfahren.2 3. Als Gericht kommt in erster Linie das Amtsgericht in Betracht. Die Anwendung 3 der Vorschrift bei anderen Gerichten ist jedoch nicht ausgeschlossen; als Bsp. wäre etwa der Fall zu nennen, in dem sich eine Strafkammer nach Anklageerhebung gemäß § 16 Satz 1 in der Hauptsache für örtlich unzuständig erklärt, es aber gleichzeitig für unumgänglich hält, den Angeschuldigten sofort in Haft zu nehmen.

8

Was entgegen KG StV 1998 384 bei Gefahr im Verzug nach dem Rechtsgedanken von § 21 ohne weiteres möglich ist.

1

KK/Pfeiffer 1; KMR/Paulus 2; Meyer-Goßner 1; SK/Rudolphi 1.

2

Ebenso KMR/Paulus 4; in BGHSt 27 329, 331 kommt dies allerdings nicht zum Ausdruck.

Volker Erb

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§ 21 4

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

4. Gefahr im Verzug liegt vor, wenn die Abgabe der Sache an das zuständige Gericht infolge der damit verbundenen Verzögerung den Untersuchungserfolg gefährden würde.3 Unter dieser Voraussetzung verfährt das Gericht nicht nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft, sondern ggf. auch von Amts wegen nach § 21.4 Weitere Verfügungen, die nicht mehr besonders eilbedürftig sind, hat das originär zuständige Gericht zu treffen.

3

Eingehend LR/Schäfer 25 Vor § 94, 127.

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4

KK/Pfeiffer 2; KMR/Paulus 7.

Volker Erb

DRITTER ABSCHNITT Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen Vorbemerkungen Schrifttum. Arloth Zur Ausschließung und Ablehnung des Staatsanwalts, NJW 1983 207; Bruns Ablehnung eines Staatsanwalts aus den Gründen des § 24 StPO, insbesondere wegen Besorgnis der Befangenheit? FS Grützner 42; ders. Ungeklärte verfahrensrechtliche Fragen des ConterganProzesses, FS Maurach 469, 483; ders. Inwieweit unterliegt die Mitwirkung eines als befangen abgelehnten Staatsanwalts der revisionsgerichtlichen Kontrolle – Fortentwicklung der Rechtsprechung? JR 1980 397; Buckert Der Rechtsanspruch des Bürgers auf Ablösung eines befangenen Staatsanwalts und seine gerichtliche Durchsetzung, NJW 1970 847; Dästner Bedenken gegen eine Einschränkung des Ablehnungsrechts im Strafverfahren, ZRP 1977 53; Dahs Wechsel des Staatsanwalts im Wiederaufnahmeverfahren, DRiZ 1971 83; Frisch Ausschluß und Ablehnung des Staatsanwalts, FS Bruns 385; Hackner Der befangene Staatsanwalt im deutschen Strafverfahrensrecht (1995); Hilgendorf Verfahrensfragen bei der Ablehnung eines befangenen Staatsanwalts, StV 1996 50; Joos Ablehnung des Staatsanwalts wegen Befangenheit? NJW 1981 100; Kintzi Plädoyer für eine Neuordnung des Amtsrechts der Staatsanwälte, FS Wassermann 899; Krey Grundzüge des Strafverfahrensrechts (II. Teil) – Befangenheit des Staatsanwalts –, JA 1985 511; Kuhlmann Ausschließung und Ablehnung des Staatsanwalts, DRiZ 1976 11; Malmendier „Konfliktverteidigung“ – ein neues Prozeßhindernis? NJW 1997 227; Meyer-Mews Der Befangenheitsantrag nach erfolgloser Gegenvorstellung, StraFo 2000 369; Müller-Gabriel Neue Rechtsprechung des BGH zum Ausschluß des „Zeugen-Staatsanwalts“, StV 1991 235; Oppe Wechsel des Staatsanwalts im Wiederaufnahmeverfahren, DRiZ 1971 23; Reinhardt Der Ausschluss und die Ablehnung des befangen erscheinenden Staatsanwalts (1997); Roxin Fragen der Hauptverhandlungsreform im Strafprozeß, FS SchmidtLeichner 145, 149; Schairer Der befangene Staatsanwalt (1983); Schneider Gedanken zur Problematik des infolge einer Zeugenvernehmung „befangenen“ Staatsanwalts, NStZ 1994 457; Sessar Wege zu einer Neugestaltung der Hauptverhandlung, ZStW 90 (1978) 698, 701; Tolksdorf Mitwirkungsverbot für den befangenen Staatsanwalt (1989); Wendisch Zur Ausschließung und Ablehnung des Staatsanwalts, FS Schäfer 243.

Entstehungsgeschichte. Nach dem alten, später durch die EmmingerVO gestrichenen § 23 Abs. 3 durfte der Berichterstatter des Eröffnungsverfahrens nicht am Hauptverfahren der Strafkammer teilnehmen. Ein Richter konnte ursprünglich nur bis zur Verlesung des Eröffnungsbeschlusses und in den Rechtsmittelinstanzen bis zum Beginn der Berichterstattung abgelehnt werden. Durch Art. 3 Nr. 9 VereinhG wurde dieser Zeitpunkt bis zum Beginn des Teils der Hauptverhandlung verschoben, der an die Vernehmung des Angeklagten zur Sache anschließt. Das StPÄG 1964 hat den Kreis der Richter, die durch eine Vortätigkeit befangen erscheinen könnten, erweitert: Im Wiederaufnahmeverfahren darf kein Richter mitwirken, der bei der Entscheidung beteiligt gewesen ist, die durch die Wiederaufnahme angefochten wird (§ 23 Abs. 2).1 Der Zeitpunkt für die Ablehnung ist wieder dem 1

Vgl. E 1930 (EG zum ADStGB; Mat. zur StRRef. 7 51).

Wolfgang Siolek

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Vor § 22

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

Anfang der Hauptverhandlung nähergerückt worden (Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache, durch das StVÄG 1987 sogar auf den Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse), hat aber praktisch seine Bedeutung verloren. Denn die Ablehnung ist, wenn dem Ablehnenden die Ablehnungsumstände erst später bekanntgeworden sind, weiterhin bis zum letzten Wort zulässig (§ 25 Abs. 2 Satz 2). Für unzulässige Ablehnungen stellt das Gesetz ein vereinfachtes Verfahren bereit (§ 26a),2 aber auch das regelmäßige Verfahren wird für den Fall vereinfacht, dass ein Richter beim Amtsgericht, auch als Strafrichter, abgelehnt wird (§ 27 Abs. 3 Satz 3). Durch Änderung des § 28 wird die Anfechtung von Beschlüssen, die eine Ablehnung für unzulässig erklärt haben, in derselben Weise für statthaft erklärt wie bei Anträgen, die als unbegründet verworfen sind. Art. 1 Nr. 7 StVÄG 1979 bringt eine Auflockerung des Verfahrens, indem er durch die Einfügung eines Absatzes 2 in § 29 die Möglichkeit eröffnet, die Entscheidung über einen erst in der Hauptverhandlung gestellten Ablehnungsantrag bis höchstens den Beginn des übernächsten Verhandlungstages zurückzustellen, wenn anderenfalls die Fortsetzung der Hauptverhandlung (übermäßig) verzögert würde. Wegen weiterer – geringfügiger – Änderungen s. Entstehungsgeschichte zu den einzelnen Paragraphen. Übersicht Rn. 1. Ausschließung und Ablehnung . . . . 2. Gerichtspersonen a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Maßnahmen der Justizverwaltung . c) Verweisung auf andere Personenkreise 3. Staatsanwalt a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Kein Rechtsanspruch auf Auswechselung des Staatsanwalts . . . . . . . c) Keine Befugnis des Gerichts zur Auswechselung . . . . . . . . . . . . .

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Rn. d) „Antragstellung“ und Anfechtbarkeit e) Folgen der Mitwirkung eines ausgeschlossenen Staatsanwalts . . . . . f) Analogie zu §§ 22, 24 . . . . . . . g) Befangenheitsmaßstab beim Staatsanwalt . . . . . . . . . . . . . . . h) Einzelfälle der Ausschließung . . . . i) Kein Ausschluss . . . . . . . . . . j) Einzelfälle der Ablehnung . . . . . k) Nicht ausreichende Ablehnungsgründe . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Ausschließung und Ablehnung. Der Abschnitt handelt von der Ausschließung und von der Ablehnung von Berufsrichtern, Schöffen und Urkundsbeamten, nicht von Staatsanwälten (Rn. 8). Seine Vorschriften bezwecken die materiell-rechtliche Absicherung des in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten Prinzips des gesetzlichen Richters.3 Nach dem dazu vom Bundesverfassungsgericht ausgeformten Grundsatz muss gewährleistet sein, dass der Rechtsuchende nicht vor einem Richter steht, von dem er besorgen kann,4 dass dieser die gebotene Distanz zum Rechtsuchenden 5 oder zur Sache 6 vermissen lässt. Um auch nur den Anschein eines Verdachts der Parteilichkeit zu vermeiden, trifft das Gesetz deswegen Vorsorge, dass ein Richter, bei dem ein solcher Fall vorliegt, ausgeschlossen ist

2

Vgl. Reformkommission (Prot. 1 15; 2 200, 403), E 1908/1909 (Mat. zur StRRef. 13 20), E 1919 (Reichsratsvorlage; Mat. zu StrafRRef. 14 18), E 1939 § 127 Abs. 1 Nr. 3.

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3 4 5 6

BVerfGE 21 139, 146; 30 149, 153; 63 79 ff.; s.a. KMR/Bockemühl Vor § 22, 1. Vgl. Arzt NJW 1971 1114. BVerfGE 21 146 = NJW 1967 1124. BVerfGE 30 153 = NJW 1971 1030.

Wolfgang Siolek

Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

Vor § 22

oder im Ablehnungsverfahren ausgeschlossen werden kann.7 Die §§ 22 ff. stellen insoweit auch eine besondere Ausprägung des Grundsatzes des fairen Verfahrens dar.8 Der Unterschied zwischen Ausschließung und Befangenheit liegt neben der sachlichen Unterscheidung auch darin, dass im ersteren Fall der Ausschluss eines Richters von der Mitwirkung bei einer Entscheidung kraft Gesetzes eintritt, das Gericht mithin nur deklaratorisch feststellt, der Richter sei ausgeschlossen. Im Fall der Befangenheit ist die Entscheidung des Gerichts dagegen konstitutiv; erst ihre Feststellung macht den Richter unfähig, an weiteren Entscheidungen des Gerichts mitzuwirken.9 Zur Umsetzung dieser Prinzipien sehen die Regelungen zwei verschiedene Wege vor: 2 die Ausschließung (§§ 22, 23) und die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 24 Abs. 2). Die Ausschließungsgründe sind fest und eng umrissen und vor allem erschöpfend aufgeführt.10 Besorgnis der Befangenheit kann aus sehr verschiedenen Anlässen entstehen. Der gleiche Umstand kann sie bei dem einen hervorrufen, bei dem anderen nicht, auch kann seine Wirkung zu verschiedenen Zeiten verschieden sein. Wenn auch Ausschließung wie Befangenheit letztlich beide dazu führen, dass der Richter ausfällt, so sind doch ihre Folgen nicht völlig gleich. Der Ausschließungsgrund wirkt ohne weiteres und ohne Ausnahme kraft Gesetzes 11 3 vom Zeitpunkt seines Entstehens in der Weise, dass der Ausgeschlossene sein Amt nicht ausüben darf, gleichviel ob ihm oder einem anderen der Ausschließungsgrund bekannt oder verborgen ist; ob der Verdacht einer Befangenheit besteht oder ausscheidet und ob ein Verfahrensbeteiligter der Amtsausübung widersprochen oder ihr zugestimmt hat. Denn die §§ 22, 23 sollen nicht nur verhindern, dass persönliche Empfindungen des Richters die Entscheidung beeinflussen,12 sondern darüber hinaus, dass auch nur der Anschein eines Verdachts der Parteilichkeit entstehe.13 „Gewisse Hinderungsgründe sind von der Art, dass schon die Rücksicht auf das Ansehen der Justiz die Ausschließung des Richters erheischt“.14 Der Ausschließung tritt, sie ergänzend – als Auffangtatbestand 15 –, das Institut der 4 Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit zur Seite. Kommt es beim Ausschluss allein darauf an, dass (objektiv) der Ausschließungsgrund besteht, und bleibt es unbeachtlich, welche Wirkungen er (subjektiv) auf den Richter und auf den Ablehnungsberechtigten hervorruft, so ist bei der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit entscheidend, dass der Ablehnende Grund hat zu besorgen, der Richter werde unter Einfluss des Ablehnungsgrundes sein Amt nicht in voller Unparteilichkeit ausüben.16 Die Ablehnung wirkt daher immer nur in die Zukunft und macht nicht, wie die während der richterlichen Handlung oder nach ihr festgestellte Ausschließung, die Handlung rückwirkend fehlerhaft. 2. Gerichtspersonen a) Allgemeines. Wenngleich die Überschrift des dritten Abschnitts von „Gerichts- 5 personen“ spricht, befassen sich die Regelungen in erster Linie mit der Ausschließung und Ablehnung von Richtern. Unter Richtern (§§ 22 bis 26a, § 27 Abs. 3, § 30) und

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Vgl. auch BGHSt 31 358, 359. AK/Wassermann Vor § 22, 2. BVerfGE 46 37. BVerfGE 46 38; s.a. KK/Pfeiffer § 22, 1. BVerfGE 21 145 f. = NJW 1967 1123; 46 37. BGHSt 3 69.

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RGSt 28 54; 59 267; BGHSt 9 193; 14 221; 28 265. Mot. Hahn Mat. 1 82. Schairer 49. RGSt 33 309.

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Vor § 22

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

richterlichen Mitgliedern (§ 27 Abs. 2) sind zu verstehen die Richter auf Lebenszeit (§ 10 DRiG), auf Probe (§ 12 Abs. 1, § 19a Abs. 3 DRiG) und kraft Auftrags (§ 14 DRiG), die die ordentliche (§ 5 DRiG) oder die außerordentliche (§ 7 DRiG; ordentliche Universitätsprofessoren der Rechte) Befähigung zum Richteramt haben, in Rechtshilfesachen auch die Referendare (§ 10 S. 1 GVG). Der Abschnitt befasst sich im Übrigen nur mit Richtern, die in Ausübung ihres Richteramts handeln.

6

b) Maßnahmen der Justizverwaltung. Übt der Richter Maßnahmen der Justizverwaltung 17 aus, kann er eben so wenig wie ein Staatsanwalt abgelehnt werden. Ist er als Richter ausgeschlossen, bleibt er zu den genannten Maßnahmen befugt. Er kann jedoch eine Entscheidung seiner Vorgesetzten darüber herbeiführen, ob er in der Amtsausübung zu ersetzen ist, und er muss das tun, wenn er die Besorgnis der Befangenheit für begründet erachtet.

7

c) Verweisung auf andere Personenkreise. Die für die Richter geltenden Vorschriften werden summarisch auf Schöffen und Urkundsbeamte und andere als Protokollführer verpflichtete und zugezogene Personen für anwendbar erklärt (§ 31). Außerhalb des Abschnitts behandeln – meist durch Verweisung auf ihn – die Ablehnung von Sachverständigen § 74, von Dolmetschern § 191 GVG, von Rechtspflegern § 10 RPflG – soweit diese nicht mit der Wahrnehmung von Strafvollstreckungsgeschäften betraut sind (§ 32 in Verb. mit § 10 RPflG; § 451, 85) – und die Ausschließung von Gerichtsvollziehern § 155 GVG. Auf den Bezirksrevisor finden sie keine Anwendung;18 sie gelten auch nicht für Konsularbeamte.19 3. Staatsanwalt

8

a) Allgemeines. Der dritte Abschnitt ist auf Staatsanwälte nicht anwendbar.20 Auch eine entsprechende Anwendung soll ausscheiden.21 Ebenso wenig lassen sich den §§ 141 bis 151 GVG Rechtssätze über Ausschließung oder Ablehnung von Beamten der Staatsanwaltschaft entnehmen, weil sie nach zutreffender Auffassung nur die innere Organisation der Staatsanwaltschaft betreffen und dem Bürger keinen Rechtsanspruch auf die Ersetzung eines befangenen Staatsanwalts einräumen.22 Vor allem enthalten sie aber auch keinerlei Regelungen, unter welchen Voraussetzungen eine Auswechselungspflicht bestehen sollte.23 In den Motiven (Hahn Mat. 1 93) wird zu diesem Problem bemerkt: „Es erschien überflüssig, besondere Vorschriften hinsichtlich der Beamten der Staatsanwaltschaft zu geben. Die Organisation der Staatsanwaltschaft gestattet es, dass in Fällen, in denen die Ersetzung eines staatsanwaltschaftlichen Beamten durch einen anderen geboten oder wünschenswert erscheint, diese auf Antrag des Beschuldigten oder jenes 17 18 19

20

BGHSt 3 68. OLG Koblenz MDR 1985 257. OLG Düsseldorf NStZ 1983 469 = MDR 1984 70; OLG Karlsruhe GA 1975 218; LG Darmstadt GA 1970 250. BVerfGE 25 345 = NJW 1969 1106; RG LZ 1918 454; BGH NJW 1980 845; 1984 1907; NStZ 1991 595; bei Holtz MDR 1992 19; BayObLG GA 1983 327; OLG Hamm NJW 1969 808; OLG Stuttgart NJW 1974 1394; Hilgendorf StV 1996 50, KK/Pfeiffer § 22,

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16; KK/Schoreit § 145 GVG, 11; KMR/ Bockemühl 3; Meyer-Goßner Vor § 22, 3; Kintzi 906 ff.; Malmendier 230; Zuck DRiZ 1988 174; LG Köln NStZ 1985 235 mit abl. Anm. Wendisch. A.A. SK/Rudolphi Vor § 22, 18 ff., der sich allerdings bei Rn. 38 selbst widerspricht. RGSt 4 266; BGH bei Miebach NStZ 1989 13 f. Hackner 64.

Wolfgang Siolek

Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

Vor § 22

Beamten selbst oder auch von Amts wegen durch die vorgesetzte Behörde bewirkt werden kann, ohne dass es eines förmlichen Verfahrens bedarf“.24 b) Kein Rechtsanspruch auf Auswechselung des Staatsanwalts. Trotz der soeben 9 geschilderten Rechtslage 9 besteht heute auf der Grundlage des § 145 GVG Einigkeit darüber, dass sowohl das Gericht als auch die Prozessbeteiligten bei dem Vorgesetzten eines Beamten der Staatsanwaltschaft darauf hinwirken können, dass dieser durch einen anderen ersetzt werde.25 Der Vorgesetzte muss das auf Antrag oder von Amts wegen immer tun, wenn ein Grund vorliegt, der beim Richter (abgesehen von den meisten Fällen der „Vortätigkeit“) zur Ausschließung führt, oder wenn der Beschuldigte besorgen könnte, der Staatsanwalt sei befangen. In einem solchen Fall hat der Staatsanwalt auch selbst darauf hinzuwirken, dass er ersetzt wird, und sich, bis der Vorgesetzte entschieden hat, aller Amtshandlungen zu enthalten, wenn nicht Gefahr im Verzug ist.26 Bei der Beurteilung der Befangenheit eines Staatsanwalts gelten allerdings nicht die gleichen Maßstäbe wie bei Richtern.27 c) Keine Befugnis des Gerichts zur Auswechselung. Eine eigene Befugnis, den Staats- 10 anwalt zu entfernen,28 besteht für das Gericht nicht.29 Sie wäre auch zwecklos, weil die Möglichkeit fehlt, selbst einen neuen Staatsanwalt einzusetzen. Ein Streit ist allein mit den Mitteln der Dienstaufsicht auszutragen. Dazu muss das Gericht ggf. die Sache vertagen.30 Gelingt es nicht, den Staatsanwalt zu ersetzen, ist die Hauptverhandlung allerdings fortzusetzen mit dem Risiko, dass sie nach erfolgreicher Revision wiederholt werden muss.31 d) „Antragstellung“ und Anfechtbarkeit. Der Beschuldigte kann einen Ablehnungs- 11 antrag nicht bei Gericht anbringen 32 und er kann auch die Verfügung des vorgesetzten

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Vgl. auch Bohnert 106 m.w.N.; MüllerGabriel StV 1991 236; Pfeiffer FS Rebmann 359, 363 ff.; Schneider NStZ 1994 457, 461. BGH bei Miebach NStZ 1989 13; LG Mönchengladbach MDR 1987 693 = StV 1987 333 mit zust. Anm. Bruns; KK/Pfeiffer § 24, 13; HK/Lemke § 22, 4; Meyer-Goßner Vor § 22, 4; instruktiv auch LG Köln NStZ 1985 235 mit teilw. krit. Anm. Wendisch. Weitere Einzelheiten dazu bei Wendisch FS Schäfer 260, 268 sowie in § 145a des RefE eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Staatsanwaltschaft von 1976, abgedruckt in LR/Schäfer 23 § 145, 9 GVG. Ähnliche Regelungen enthalten z.B. § 7 NdsAGGVG vom 5.4.1963 – GVBl. 225 – und § 11 BWAGGVG vom 16.12.1975 – Gbl. 868. Wegen der Bedenken gegen die Wirksamkeit der beiden landesr. Vorschriften s. Wendisch FS Schäfer 247 m.w.N. sowie Arloth NJW 1983 208 und Bohnert 105, aber auch BGH StV 1991 546. Wegen des Verfahrens s. Schairer 165 ff.; 171 ff. BVerfG JR 1979 28; BGH NJW 1984 1907;

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StV 1996 297; Pawlik NStZ 1995 311; a.A. SK/Rudolphi Vor § 22, 28. Schairer 45; 153. BGH NJW 1980 845; OLG Stuttgart NStZ 1992 99; Schneider NStZ 1994 459 (zugleich mit Hinweisen, wie bei Ablösung des Zeugen-Staatsanwalts gleichwohl eine wirksame Fortführung seitens der Staatsanwaltschaft erreicht werden kann); ähnlich auch Schlüchter 66, 2; Bedenken dagegen Tolksdorf 118 f. OLG Düsseldorf NJW 1963 1167. Frisch 414; Wendisch FS Schäfer 266; OLG Stuttgart NStZ 1992 99; a.A. Arloth 210: Gericht muss schon in der Hauptverhandlung die Befugnis haben, von Amts wegen einen Beschluss über das Vorliegen eines Ausschließungs- oder Befangenheitsgrundes zu erlassen, mit der Folge, dass die Staatsanwaltschaft alsdann nicht mehr ordnungsgemäß vertreten sei. So aber Frisch 411, 413; Arloth 209; Joos 100 und wohl auch Kuhlmann 14; wie hier LG Mönchengladbach MDR 1987 693 = StV 1987 333 mit zust. Anm. Bruns.

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Vor § 22

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

Beamten der Staatsanwaltschaft nicht nach §§ 23 ff. EGGVG anfechten;33 denn einmal ist die Entscheidung nach § 145 Abs. 1 (Rn. 9) kein Justizverwaltungsakt,34 zum anderen stellt sie vielmehr eine Prozesshandlung dar, die wegen ihrer funktionalen Bedeutung für das Strafverfahren sachlich dem Bereich der Rechtsprechung zuzurechnen ist.35 Des Weiteren wird der Beschuldigte durch eine solche Entscheidung des Dienstvorgesetzten des für befangen gehaltenen Staatsanwalts nicht in seinen Rechten verletzt. Die Befugnis, mit der Wahrnehmung der Amtsverrichtungen einen anderen als den zunächst zuständigen Staatsanwalt zu betrauen, ist dem Behördenleiter im Interesse einer sachgemäßen und geordneten Durchführung der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit, d.h. im Interesse der Allgemeinheit, eingeräumt. § 145 GVG begründet mithin kein Recht eines Prozessbeteiligten, dass der Behördenleiter seine Befugnis in einem bestimmten Sinn ausübt.36

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e) Folgen der Mitwirkung eines ausgeschlossenen Staatsanwalts. Es wäre allerdings verfehlt, hieraus herzuleiten, die Amtshandlungen eines Staatsanwalts seien, wenn er sich in einem Verhältnis der beschriebenen Art befindet, nicht fehlerhaft. Vielmehr stellt die unzulässige Mitwirkung des Staatsanwalts einen Verfahrensverstoß dar, weil „das Gesetz“ (§ 337 Abs. 1), nämlich die den §§ 22 ff. zugrundeliegenden Grundsätze in Verbindung mit denjenigen über die Stellung der Staatsanwaltschaft im Prozess, verletzt ist. Demzufolge ist die Revision zulässig,37 allerdings nicht im Rahmen eines absoluten Revisionsgrundes im Sinne des § 338, sondern nur im Rahmen des § 337. Die Revision ist also nur dann begründet, wenn nicht auszuschließen ist, dass das Urteil auf der Mitwirkung des „ausgeschlossenen“ Staatsanwalts beruht.38 Das Urteil kann auf dem Mangel nur beruhen, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Staatsanwalt das Gericht beeinflusst haben könnte.39 Dafür wieder ist Voraussetzung, dass ein solcher Einfluss denkbar ist. Das ist in der Tat der Fall. Denn es ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft – wie auch des Angeklagten und des Verteidigers –, Einfluss auf das Gericht auszuüben, damit dieses aufgrund der verschiedenen Einflüsse um so sorgfältiger die Tatsachen würdigen und das Recht anwenden kann. Demzufolge ist es als ein – zur Aufhebung des Urteils führender – 33

Koffka ZStW 84 (1972) 671; OLG Hamm NJW 1969 808; OLG Karlsruhe MDR 1974 423; OLG Schleswig SchlHA 1983 10; Müller-Gabriel StV 1991 23; offengelassen von OLG Stuttgart NJW 1973 1324; Schairer 151; Meyer-Goßner Vor § 22, 5; a.A. Bückert NJW 1970 848; Hilgendorf StV 1996 53 ff. 34 Vgl. OLG Hamm NJW 1965 1241; 1966 684; 1969 808; 1973 1089; OLG Stuttgart NJW 1972 2146; 1977 2276; OLG Hamburg NJW 1972 1586; OLG Karlsruhe NJW 1976 1417; 1978 1595; OLG Nürnberg GA 1968 59; OLG Koblenz GA 1975 340; Altenhain JZ 1965 757, DRiZ 1970 105; Lüke JuS 1961 208; Meyer JuS 1971 297. 35 Wendisch FS Schäfer 263. 36 Wendisch FS Schäfer 264 m.w.N. sowie Arloth 208; Bruns JR 1980 400; Bottke JA 1980 720. Mit der Verneinung einer Rechtsverletzung wird auch dem angeblichen Widerspruch zu Art. 19 Abs. 4 GG die Grundlage entzogen.

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OLG Stuttgart NJW 1974 1394; ebenso Frisch 385, 414; Kuhlmann 11; Schäfer 116; SK/Rudolphi Vor § 22, 41; wohl auch Schairer 71; a.A. Bohnert 115; Tolksdorf 28. Zur allgemeinen Frage der Befangenheit des Staatsanwalts vgl. im übrigen BVerfG JR 1979 28; BGH NJW 1980 845 = JR 1980 431; BayObLG GA 1983 328 sowie Bruns JR 1979 31 und JR 1980 397. RGSt 29 236; RG GA 67 (1919) 437; 71 (1927) 93; JW 1924 1761; 1925 1402, beide mit Anm. Alsberg; JW 1933 523 mit Anm. Drucker; BGHSt 14 265; BGH NJW 1980 845 = JR 1980 431; NStZ 1983 135; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984 14; bei Miebach NStZ 1990 24; KK/Pfeiffer 16 d; Schairer 182; Müller-Gabriel StV 1991 235; Schneider NStZ 1994 457 f.; a.A. Eb. Schmidt 3; Bohnert 111, 115. Drucker JW 1933 523.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

Vor § 22

Mangel angesehen worden, wenn der Staatsanwalt in der Hauptverhandlung es unterlassen hat, einen Schlussantrag zu stellen.40 Der Schlussantrag aber ist wiederum nur von Wert und legaler Einfluss im Sinn des Gesetzes, wenn er frei von Mängeln ist und das ist er nur dann, wenn der Staatsanwalt unbefangen ist. f) Analogie zu §§ 22, 24. Die im Rahmen des § 145 GVG nicht erzwingbare Mög- 13 lichkeit der Verfahrensbeteiligten, auf eine Auswechselung des Staatsanwalts hinzuwirken, beantwortet allerdings nicht die Frage, weshalb die Nichtauswechselung des Staatsanwalts revisibel sein soll. Das erschließt sich nur dann, wenn die unter Rückgriff auf die sich aus §§ 22 ff. ergebenden Grundsätze angenommene Verletzung des Gesetzes (§ 337 Abs. 1) in konsequenter Analogie auf den Staatsanwalt übertragen werden. Nur dann besteht eine Grundlage, die überhaupt die Prüfung zulässt, ob beim mitwirkenden Staatsanwalt Gründe vorliegen, die bei einem Richter zur Ausschließung oder Ablehnung führen würden. Da die Praxis genau nach diesem Schema verfährt, dürften keine ernsthaften Zweifel daran bestehen, dass hier eine Analogie zu den für Richter geltenden Regeln praktiziert wird.41 Soweit diese Analogie vereinzelt unter dem zusätzlichen Aspekt des fair-trial-Gebots begründet wird,42 verändert das den rechtlichen Ausgangspunkt nicht. g) Befangenheitsmaßstab beim Staatsanwalt. Die Maßstäbe zur Beurteilung der Be- 14 fangenheit eines Staatsanwalts sind grundsätzlich dieselben wie bei einem Richter. Allerdings müssen dabei auch die Funktionsunterschiede hinreichend berücksichtigt werden.43 So ist allgemein anerkannt, dass besondere Umstände hinzuzutreten haben, die „unter Berücksichtigung der Aufgaben und Pflichten des staatsanwaltschaftlichen Amtes die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen“.44 Demzufolge scheiden allgemeine Umstände ohne konkreten Bezug zum jeweiligen Verfahren aus.45 Es kommt deshalb darauf an, ob ein unbeteiligter, objektiver Beobachter Befangenheit besorgen würde, oder ob es sich noch um den Bereich normativ hinzunehmender Voreingenommenheit handelt.46 Damit scheidet jede subjektive Überempfindlichkeit und willkürliche Besorgnis aus. Als hilfreich erweist sich häufig die Überlegung, wie sich ein anderer Staatsanwalt in derselben Situation verhalten hätte. h) Einzelfälle der Ausschließung. Einigkeit besteht darüber, dass ein Staatsanwalt in 15 den Fällen des § 22 Nr. 1–3 von der Mitwirkung ausgeschlossen ist, denn dies folgt ohne weiteres aus der Pflicht zur Objektivität.47 Dasselbe gilt für frühere Tätigkeiten als Anwalt des Verletzten oder als Verteidiger (§ 22 Nr. 4, 3. und 4. Alternative).48 Weiter besteht Übereinstimmung, dass dem Staatsanwalt grundsätzlich versagt ist, in der Hauptverhandlung weiterhin in dieser Funktion aufzutreten, nachdem er in dieser – nicht auch in einer früheren – als Zeuge benannt und vernommen worden ist 49 (§ 22 Nr. 5). Dies 40 41

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OLG Düsseldorf NJW 1963 1167; vgl. auch OLG Köln GA 1964 156. Vgl. auch Frisch 401; Hackner 72 ff., 93, 99; Schairer 35. Wegen vereinzelter landesrechtlicher Regelungen s. Fn. 25. Tolksdorf 42 ff. BVerfG JR 1979 28; BGH NJW 1984 1907; StV 1996 297; Pawlik NStZ 1995 311; a.A. SK/Rudolphi Vor § 22, 28. BVerfG JR 1979 28; LG Mönchengladbach

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MDR 1987 303 f.; SK/Rudolphi Vor § 22, 28; Tolksdorf 113 ff. Hackner 241. Hackner 234. Vgl. nur KK/Pfeiffer § 22, 16; Meyer-Goßner Vor § 22, 3; SK/Rudolphi Vor § 22, 23; Hackner 201 ff. KK/Pfeiffer aaO.; SK/Rudolphi aaO. Rn. 25; Hackner 205. RGSt 29 236; BGHSt 21 85, 89; BGH NStZ

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Vor § 22

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

gilt allerdings nicht ausnahmslos. So hat der BGH das weitere Auftreten des als Zeuge vernommenen Staatsanwalts zugelassen, wenn sich seine Vernehmung auf Wahrnehmungen bezog, die nicht in unlösbarem Zusammenhang mit dem im Übrigen zu erörternden Sachverhalt stehen und deshalb Gegenstand einer gesonderten Betrachtung und Würdigung sein können.50 Ein Ausschluss kommt demnach nur dann in Betracht, wenn seine eigene Person und eigene Aussage für die Beweiswürdigung in Frage steht. Das ist nicht der Fall, wenn der Staatsanwalt als Zeuge lediglich tatsächliches Geschehen im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit bekundet, wie etwa die Tatsache der Übergabe von Beweisstücken durch den Verteidiger.51 Nicht mitwirken darf der Staatsanwalt auch an der Entscheidung über ein Rechtsmittel, wenn er an der zu überprüfenden Entscheidung als erkennender Richter mitgewirkt hat.52 Entsprechend § 23 darf der Staatsanwalt nicht über Rechtsmittel gegen eigene Entscheidungen befinden.53 In Betracht kommen namentlich Fälle der Abordnung oder Versetzung zur Generalstaatsanwaltschaft und der dortigen Bearbeitung von Beschwerden gegen eigene Einstellungsbescheide.

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i) Kein Ausschluss. Nach ganz h.M. ist der ermittelnde oder anklageverfassende Staatsanwalt nicht gehindert, an der Hauptverhandlung teilzunehmen.54 Ebenso wenig ist ihm die Sitzungsvertretung im Instanzenzug verwehrt.55 Werden Verfahren nach § 354 Abs. 2 an eine andere Kammer oder Abteilung zurückverwiesen, darf der an der vorausgehenden Tatsacheninstanz mitwirkende Staatsanwalt auch an der neuen Hauptverhandlung teilnehmen.56 Keine Disqualifikation des Staatsanwalts erfolgt, wenn er als Ermittlungs-, Eröffnungs- oder Ergänzungsrichter mit der Sache vorbefasst war.57 Dasselbe gilt bei einer Vortätigkeit als Polizeibeamter.58

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j) Einzelfälle der Ablehnung. In Betracht kommen zunächst Fälle einer nur mittelbaren Schädigung des Staatsanwalts. Ist der Staatsanwalt Täter oder Teilnehmer der aufzuklärenden Tat, ist er naturgemäß ebenfalls ausgeschlossen.59 Unter den Täterbegriff fällt auch eine Tatverstrickung durch Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei.60 Ferner lassen persönliche Beziehungen zu dem Verletzten oder Beschuldigten eine Befangenheit besorgen,61 wie etwa enge freundschaftliche Bindungen oder Liebesverhältnisse oder Feindschaft. Darüber hinaus kommen alle Umstände in Betracht, die den Anschein der Parteilichkeit oder Voreingenommenheit befürchten lassen.62 Dies wird im Verhältnis zu einem unmittelbaren Vorgesetzten sowie in jedem Abhängigkeitsverhältnis angenommen werden können. Dazu gehören aber auch Äußerungen, die als Vorverurteilung verstanden

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1994 194; Schairer 100; Müller-Gabriel StV 1991 236; Malmendier 230; Schneider NStZ 1994 458. BGHSt 21 89 = JR 1967 228 mit abl. Anm. Hanack; bei Dallinger MDR 1957 16 (zu §§ 48 ff.); Schairer 95; Dose NJW 1978 349, 352 ff.; Schneider NStZ 1994 458; krit. Schlüchter Rn. 66 Fn. 1. BGHR StPO § 24 (Staatsanwalt 6). OLG Stuttgart NJW 1974 1396; Frisch 400; Pfeiffer 372; Wendisch 256. Hackner 211; Pfeiffer 373; Tolksdorf 95. Frisch 401; Hackner 206; Schairer 71 ff.; Tolksdorf 90 ff.; Wendisch 253. Hackner 208 ff.; Kuhlmann DRiZ 1976 11,

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15; Pfeiffer 372; Tolksdorf 93; Wendisch 257 f.; a.A. Frisch 400 f.; Schairer 76 f. Hackner 215 m.w.N. BGHR StPO 24 (Staatsanwalt 4); OLG Stuttgart NJW 1974 1392, 1395; Frisch 401; Krey JA 1985 511, 514; SK/Rudolphi Vor § 22, 27; Wendisch 256; a.A. Schairer 85; Tolksdorf 97 f. KK/Pfeiffer § 22, 16; SK/Rudolphi Vor § 22, 26; Hackner 216 m.w.N. KK/Pfeiffer aaO. Hackner 203. SK/Rudolphi aaO. Rn. 29; Tolksdorf 100 ff. Tolksdorf 110 ff.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 22

werden können, z.B, tendenziöse Presseauskünfte, oder Verhaltensweisen in der Hauptverhandlung, die deutlich machen, dass der Staatsanwalt an Erklärungen des Beschuldigten nicht interessiert ist. Auch die Unterdrückung von Beweismitteln 63 und Verstöße gegen § 136a lassen besorgen, dass der Staatsanwalt den Beschuldigten/Angeklagten um jeden Preis überführen will und rechtfertigen damit die Ablehnung.64 k) Nicht ausreichende Ablehnungsgründe. Als nicht ausreichend dürfte anzusehen 18 sein: außergewöhnlich schleppende Sachbearbeitung, einseitige Ermittlungen, Verweigerung von Akteneinsicht,65 die Zugehörigkeit des Staatsanwalts und des Beschuldigten zum selben Verein oder zu einer politischen Partei,66 bestimmte rechtliche oder politische Ansichten des Staatsanwalts,67 fehlerhaftes Prozessverhalten, soweit es den Grad der Willkür nicht erreicht,68 Verfahrenseinstellung gegenüber Tatbeteiligten bzw. Absehen von der Anklage einzelner Taten, weil sich in all diesen Beispielsfällen ohne weitere Anhaltspunkte keine Umstände herleiten lassen, die das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren beeinträchtigten. Auch die heutzutage von einigen sog. Konfliktverteidigern bevorzugte Strafanzeige gegen den Staatsanwalt wegen Verfolgung Unschuldiger muss einen damit korrespondierenden Ablehnungsantrag scheitern lassen,69 weil die dafür vorgetragenen Behauptungen in aller Regel aus der Luft gegriffen sind.

§ 22 Ein Richter ist von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen: 1. wenn er selbst durch die Straftat verletzt ist; 2. wenn er Ehegatte, Lebenspartner, Vormund oder Betreuer des Beschuldigten oder des Verletzten ist oder gewesen ist; 3. wenn er mit dem Beschuldigten oder mit dem Verletzten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war; 4. wenn er in der Sache als Beamter der Staatsanwaltschaft, als Polizeibeamter, als Anwalt des Verletzten oder als Verteidiger tätig gewesen ist; 5. wenn er in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger vernommen ist.

Schrifttum. Cuno Die Ausschließung des Richters in den Fällen des § 23 StPO, Diss. Freiburg 1934; Müller Unter welchen Voraussetzungen ist jemand als Richter wegen früherer Befassung mit der Sache ausgeschlossen? NJW 1961 102; Rissing-van Saan Der „erkennende Richter“ als Zeuge im Strafprozeß? MDR 1993 310; W. Schmid Richterausschluss (§ 22 Nr. 5 StPO) durch „dienstliche Äußerungen“? GA 1980 285; Schorn Die Ausschließung eines Richters im Strafprozeß in Rechtsprechung und Schrifttum, GA 1963 257.

Entstehungsgeschichte. Durch Art. IV des Gesetzes über die Zulassung der Frauen zu Ämtern und Berufen der Rechtspflege vom 11.7.1922 (RGBl. I 573) wurde in Nr. 2 das Wort „Ehegatte“ an die Stelle des Wortes „Ehemann“ gesetzt. Durch Art. 7 § 19 des 63 64 65 66

Schairer 134; Frisch 405 f. Schairer 131 f. Schairer 133. Vgl. BayVerfGH NJW 1997 3162 f.

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SK/Rudolphi Vor § 22, 29. Vgl. dazu Hackner 255. Malmendier 230.

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§ 22

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

Gesetzes zur Reform der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz – BtG) vom 12.9.1990 (BGBl. I 2002) ist das Wort „Betreuer“ eingefügt worden. Durch Art. 21 Nr. 4 EGStGB 1974 wurden in Nr. 1 die Worte „strafbare Handlung“ durch das Wort „Straftat“ ersetzt. Durch Art. 7 Nr. 3 Buchst. a AdoptG sind die Worte „oder durch Annahme an Kindes Statt verbunden“ gestrichen und ist der letzte Satzteil „auch wenn die Ehe, durch welche die Schwägerschaft begründet ist, nicht mehr besteht“ durch die Worte „oder war“ ersetzt worden. Art. 3 § 18 Nr. 1 des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften vom 22.2.2001 – LPartG – (BGBl. I S. 266) hat den Katalog der gesetzlichen Ausschließungsgründe unter Ziffer 2 erweitert. Übersicht Rn. I. Ausschließung als Verletzter oder wegen Beziehung zum Beschuldigten oder Verletzten (Nr. 1 bis 3) 1. Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegenstand des Verfahrens . . . . . . 3. Begriffe Beschuldigter und Verletzter a) Beschuldigter . . . . . . . . . . . . b) Verletzter . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausschließungsgründe a) Verletzter Richter (Nr. 1) . . . . . . b) Ehegatte, Lebenspartner, Vormund, Betreuer (Nr. 2) . . . . . . . . . . c) Verwandter oder verschwägerter Richter (Nr. 3) . . . . . . . . . . . 5. Einzelfälle a) Vermögensdelikte . . . . . . . . . b) Beleidigung . . . . . . . . . . . . c) Bedrohung . . . . . . . . . . . . . 6. Richter als Beschuldigter . . . . . . .

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Rn. II. Ausschließung wegen nichtrichterlicher Vortätigkeit (Nr. 4 und 5) 1. Begriff der Sache . . . . . . . . . . 2. Begriff der Tätigkeit . . . . . . . . 3. Beamte der Staatsanwaltschaft (§ 146 GVG) . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Polizeibeamte . . . . . . . . . . . . 5. Anwalt und Verteidiger . . . . . . . 6. Zeuge und Sachverständiger . . . . 7. Dolmetscher . . . . . . . . . . . . III. Wirkungen und Folgen 1. Wirkungen . . . . . 2. Verfahren . . . . . . 3. Folgen a) Prozesshandlungen b) Beschluss . . . . . c) Urteile . . . . . . d) Hauptverhandlung 4. Revision . . . . . . 5. Eröffnungsbeschluss

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Alphabetische Übersicht A. Ausschließung aufgrund persönlicher Beziehungen Ausschlussgründe 1–21 Adoption 12 Bedrohung 21 Beleidigung 20 Beschuldigter – allgemein 6 – als Richter 22 Betreuer 10 Ehegatte 10 Einheitliches Strafverfahren 5 Lebenspartner 10 Gegenstand des Verfahrens 4 Richter als Täter 24 Sache 2, 24–28 Straftat 1, 3 Verletzter 7, 8, 16–19 Verletzter Richter 9

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Vermögensdelikte 16–19 Verwandter, Verschwägerter 11, 13–15 Vormund 10 B. Nichtrichterliche Tätigkeit Anwalt 38 Beamter der Staatsanwaltschaft 31, 33 Dolmetscher 46 Justizverwaltung 34, 51 Polizeibeamter 35 Sachbegriff 24–28 Sachverhaltserforschung 29 Sachverständiger 43, 45 Tätigkeit 29ff. – Leitender Beamter 31 Verteidiger 38 Zeuge 40ff. – Benennung 42

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen – Ladung 44 – Vernehmung 40f. – Vorhalt 45 C. Wirkungen und Folgen Ausschluss kraft Gesetzes 50 Beweisverbot 57 Entscheidung 53 Ergänzungsrichter 59 Eröffnungsbeschluss 66 – fehlerhafter 67 – Mitwirkung des ausgeschlossenen Richters 68

§ 22

Hauptverhandlung, Bekanntwerden in der 60 Irrtümliche Verneinung 48 Prozesshandlungen 54 – Beschlüsse 56 – Haftbefehle 55 – Ladung 55 – Urteile 58 Revision 63–65 – Verfahrensmangel 63 – Verhinderungsgrund 64 Umfang 49 f.

I. Ausschließung als Verletzter oder wegen Beziehung zum Beschuldigten oder Verletzten (Nr. 1 bis 3) 1. Straftat. Die Ausschließung hängt, wie in Nr. 1 ausdrücklich gesagt wird, wie aber 1 auch in Nr. 2 und 3 zu ergänzen ist, davon ab, dass der Richter selbst oder ein mit ihm in besonderer Beziehung Stehender durch die Straftat verletzt ist, oder davon, dass der Richter zu den in Nr. 2 und 3 Genannten in einem besonderen, meist nahen, Verhältnis steht oder stand. Das Wort Straftat ersetzt den früheren Begriff der strafbaren Handlung und begreift die tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Handlung im Sinn des materiellen Strafrechts.1 Den Gegensatz bildet die Tat im Sinn des § 264.2 In Nr. 4 und 5 dagegen wird von der Sache gesprochen, worunter das gesamte Ver- 2 fahren zur strafrechtlichen Verfolgung einer bestimmten Tat zu verstehen ist (Rn. 24). Da der Anknüpfungspunkt für den Ausschluss in den einzelnen Nummern nicht verschieden sein kann,3 muss der durch eine nicht angeklagte Straftat, eine mitbestrafte, konsumierte oder subsidiäre Straftat verletzte Richter, ebenso kraft Gesetzes als befangen angesehen werden wie derjenige, der in irgendeinem, auch später etwa nicht angeklagten Punkt der Sache, soweit sie zur Tat i.S. des § 264 gehört, ermittelt hat. Das Wort Straftat bleibt daher, ebenso wie früher der Begriff der strafbaren Hand- 3 lung, hinter dem zurück, was das Gesetz meint; es ist als Tat zu lesen. Die Verletzung braucht nicht durch die Straftat bewirkt zu sein, wegen der der Angeklagte angeklagt worden ist; es genügt die Verletzung durch einen Teil des gesamten geschichtlichen Vorgangs, dem das in der zugelassenen Anklage aufgeführte Tun des Angeklagten entnommen ist, soweit dieser Vorgang nach der Auffassung des Lebens eine sinnvolle Einheit bildet. 2. Gegenstand des Verfahrens. Auch damit ist der Anknüpfungspunkt für die Aus- 4 schließung noch nicht umfassend genug bezeichnet. Nach den §§ 2 bis 4 können zusammenhängende Strafsachen verbunden anhängig gemacht oder nach Eröffnung des Hauptverfahrens verbunden werden. Nach § 13 können zusammenhängende Strafsachen am gleichen Gerichtsstand angeklagt oder dorthin verbunden werden. Ist das geschehen, verliert die einzelne Strafsache für die Dauer der Verbindung ihre Selbständigkeit; es liegt nur noch ein einheitliches Strafverfahren vor. Daraus ist zu Recht gefolgert worden, dass der durch eine Tat begründete Ausschluss 5 eines Richters für die sämtlichen verbundenen Strafsachen, d.h. für das gesamte durch 1 2

Begr., BTDrucks. VI 3250, S. 181. Begr. zu Art. 19 Nr. 1 EGStGB 1974, BTDrucks. 7 550, S. 275.

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BGHSt 14 221.

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§ 22

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

die Verbindung entstandene einheitliche Strafverfahren, wirksam ist 4 und dieser Ausschluss wirkt sogar für alle verbunden gewesenen Teile fort, wenn die Verfahren wieder getrennt werden.5 Der Richter ist daher ausgeschlossen, wenn sich im Fall der Nr. 1 die Verletzung, in den Fällen der Nr. 2 und 3 die Beziehung zu dem Beschuldigten oder Verletzten auf den Gegenstand des Strafverfahrens bezieht, und sei es nur auf einen Teil von diesem, selbst wenn dieser nicht in der Anklage aufgenommen wird oder bis zur Aburteilung – etwa durch Einstellung nach §§ 153 bis 153e, 154, 154a – wieder weggefallen ist.6 Entscheidend ist allein, ob der Richter in irgendeinem Punkt durch die Straftat verletzt ist, unabhängig davon, ob der Beschuldigte (Angeklagte) deswegen noch zur Rechenschaft gezogen werden soll oder kann.7 3. Begriffe Beschuldigter und Verletzter

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a) Der Begriff Beschuldigter bedarf hier kaum der Erläuterung. Soweit er den Angeschuldigten und den Angeklagten erfasst – die Hauptfälle, wo die Ausschließung eine Rolle spielt –, ist die Abgrenzung § 157 zu entnehmen. Die bei den §§ 136, 163a erörterte, von der Redaktionskommission des Reichstags nicht geklärte 8 Frage, von wann an ein Verdächtiger (§ 160 Abs. 1: „Verdacht“ einer Straftat) anfängt, Beschuldigter zu werden, kann kaum streitig werden, weil ein Richter im vorbereitenden Verfahren (§ 26a Abs. 2 Satz 3) erst in Anspruch genommen wird, wenn feststeht, dass die Staatsanwaltschaft jenen einer Straftat beschuldigt.

7

b) Der Begriff Verletzter findet sich in der Strafprozessordnung an vielen Stellen (z.B. § 61 Nr. 2, § 111e Abs. 3, 4, § 111g Abs. 1, § 111h Abs. 1, § 111i, § 111k Abs. 1; § 172 Abs. 1, § 272 Nr. 4, § 374 Abs. 1, § 388 Abs. 1 und 2, § 395 Abs. 1 und 2, §§ 403 ff., § 472a), doch sind ihm nicht überall dieselben Grenzen gezogen;9 er ist vielmehr nach dem Zweck der einzelnen Vorschrift bald enger, bald weiter auszulegen. Für § 22 muss wegen der Anfechtbarkeit der Handlungen eines ausgeschlossenen Richters (Rn. 56) ein fest umgrenzbarer Begriff gefordert werden. Dieser Forderung kann eine mittelbare Verletzung 10 nicht genügen, weil die Grenzen des Mittelbaren verfließen.11 Verletzt i.S. des § 22 ist daher, wer durch die abzuurteilende Tat unmittelbar betroffen ist, d.h. bei Straftaten gegen das Vermögen durch die Straftat einen unmittelbaren Nachteil an seinem Vermögen erleidet.12 Auch die mittelbare Verletzung kann, und das wird oft nahe liegen, die Befangenheit 8 des Richters begründen. Dann sind die Wege der §§ 24 und 30 zu wählen. Die Verletzung wird nicht dadurch beseitigt, dass das auf die Hauptverhandlung ergehende Urteil die verletzende Straftat nicht feststellt; es kommt vielmehr allein darauf an, dass dem Angeklagten durch die Anklage eine Tat zur Last gelegt wird, aus der, wenn sie als begangen festgestellt wird, sich die Verletzung ergäbe.13

4 5 6 7 8 9

BGHSt 14 222. BGHSt 14 222; Meyer-Goßner 6; SK/Rudolphi 3. BGHSt 14 222; KG StV 1981 13. BGHSt 14 219; BGH MDR 1954 628; KG StV 1981 14. Hahn Mat. 2 1974. BGHSt 4 203; 5 87; 29 355 = JR 1981 377 mit Anm. Meyer-Goßner.

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So Eb. Schmidt 6; Peters § 20 II 1; Schorn 261. BGHSt 1 299. RGSt 24 342; 25 170; 37 145; 67 219; 69 127; BGHSt 1 298; BayObLG NJW 1993 2630;KK/Pfeiffer 4; SK/Rudolphi 4. RGRspr. 8 582.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 22

4. Ausschlussgründe a) Verletzter Richter (Nr. 1). Nach dem selbstverständlichen Grundsatz, dass nie- 9 mand Richter in eigener Sache sein kann, ist der durch den Gegenstand des Strafverfahrens verletzte Richter ausgeschlossen. Wird der Richter durch eine Straftat verletzt, die nicht Gegenstand des Verfahrens ist, findet die Vorschrift keine Anwendung.14 Der Richter wird also nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Angeklagte ihn während der Verhandlung bestiehlt oder beleidigt. Allerdings kann der Fall des § 24 oder des § 30 vorliegen, aber nicht regelmäßig, wie sich schon aus § 178 GVG („vorbehaltlich der strafgerichtlichen Verfolgung“) ergibt. b) Ehegatte, Lebenspartner, Vormund, Betreuer (Nr. 2). Der Richter ist auch aus- 10 geschlossen, wenn er zum Beschuldigten oder Verletzten in einem besonderen Verhältnis steht, z. B. dessen Ehegatte – nicht der oder die Verlobte –, Lebenspartner, Vormund (§ 1773 BGB) oder Betreuer (§ 1896 BGB) ist. Das erstere Verhältnis setzt voraus, dass eine im Inland oder auch im Ausland geschlossene, nach dem Recht der Bundesrepublik als gültig anzuerkennende Ehe, besteht oder früher bestanden hat. Gleichgültig ist dabei, aus welchem Grund – Scheidung, Aufhebung oder Nichtigkeitserklärung – das Eheverhältnis beendet worden ist.15 Die Eigenschaft als Ehegatte ist allerdings zu verneinen, wenn eine formgültige Ehe überhaupt nie bestanden hat (Nichtehe). Das betrifft nicht nur die Fälle der Eheschließung ohne einen Standesbeamten im Sinne des § 11 EheG, sondern vor allem alleinige kirchliche Trauungen.16 Lebenspartner ist nach § 1 LPartG nur, wer in einer förmlich anerkannten gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt. Nicht erfasst werden hiervon die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft (s. hierzu § 24 Rn. 32 ). Die Eigenschaft als Vormund (§ 1773 BGB) umfasst auch die Gegenvormundschaft (§ 1792 BGB),17 nicht aber die Pflegschaft (§ 1909 BGB). Die Aufgaben des Betreuers ergeben sich aus den §§ 1896 bis 1908i BGB. Während die Stellung eines Vormunds nur durch richterliche Bestellung erfolgt, kommt beim Betreuer daneben auch eine rechtsgeschäftliche Beauftragung in Betracht (sog. betreuungsersetzende Ermächtigung).18 Hierfür kann nach der ratio der Ausschließungsregelung jedoch nichts anderes gelten. Da in diesen Fällen eine Überwachungsbetreuung (§ 1896 Abs. 3 BGB) angeordnet werden kann, erstreckt sich die Ausschließung auch auf diesen Betreuer. c) Verwandter oder verschwägerter Richter (Nr. 3). Auf die in Nr. 3 aufgeführten 11 Verwandtschaften und Schwägerschaften finden nach Art. 33 EGBGB die Vorschriften des bürgerlichen Rechts Anwendung, das sind § 1589 BGB für die Verwandtschaft und § 1590 BGB für die Schwägerschaft. Ausgeschlossen ist ein Richter, wenn er in gerader Linie mit dem Beschuldigten oder mit dem Verletzten verwandt ist. Ein solches Verhältnis besteht zwischen Personen, deren eine von der anderen abstammt (Eltern, Kinder), und zwar ohne Rücksicht auf den Grad ihrer Verwandtschaft. In der Seitenlinie verwandt sind Personen, die von derselben dritten Person abstammen (§ 1589 Satz 2 BGB), in erster Hinsicht also Geschwister. Da sich der Grad der Verwandtschaft nach der Zahl der sie vermittelnden Geburten (§ 1589 Satz 3 BGB) bestimmt, ist ein Richter wohl gegenüber voll- oder halbbürtigen Geschwistern und Geschwisterkindern (Neffen, Nichten) im Verfahren gegen die eigenen Geschwister oder die Geschwister ihrer Eltern (und umgekehrt), nicht aber gegenüber Geschwisterkindern (Vettern, Basen) im Verfahren gegen 14 15

BGHSt 14 222; BayObLG MDR 1993 370. Vgl. RGSt 18 42; 41 113; 47 287; 56 427; BGHSt 9 37.

16 17 18

Palandt/Diederichsen § 11, 11 EheG. RGSt 11 223. Palandt/Diederichsen Einf. v. § 1896, 6 f.

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eines von ihnen ausgeschlossen. Für nichteheliche Kinder bestehen nach der Aufhebung des § 1589 Abs. 2 BGB durch das Gesetz vom 19.8.1969 19 keine Besonderheiten, da auch die nichteheliche Geburt Verwandtschaft vermittelt. Mehrere nichteheliche Kinder derselben Mutter und desselben Erzeugers sind vollbürtige Geschwister. Wird das nichteheliche Kind auf Antrag des Vaters für ehelich erklärt (§ 1723 BGB), so erstrecken sich diese Wirkungen auch auf die Verwandten des Vaters. Seit der Neuordnung des Adoptionsrechts durch das AdoptG vom 2.7.1976 erlangt das angenommene minderjährige Kind die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes des oder der Annehmenden (§ 1754 BGB). Die Adoption begründet bei Annahme eines minderjährigen Kindes die volle Verwandtschaft zwischen Kind und Annehmendem samt dessen Verwandten sowie die entsprechenden Schwägerschaften, während die bisherigen Verwandtschaftsverhältnisse grundsätzlich (Ausnahme § 1756 BGB) erlöschen (§ 1755 BGB). Diese Rechtsfolgen sind auch für die Ausschließung maßgebend. Die Annahme eines Volljährigen begründet dagegen nur die Verwandtschaft zum Annehmenden selbst (§ 1770 BGB), erstreckt sich nicht auch auf dessen Verwandtschaft, es sei denn, dass das Vormundschaftsgericht nach § 1772 BGB etwas anderes bestimmt; sie begründet die Ausschließung mithin auch nur in diesen Fällen. Schwägerschaft (§ 1590 BGB) besteht zwischen einem Ehegatten und den Verwandten des anderen; sie ist mithin gegeben im Verhältnis zu den Schwiegereltern (aufsteigende Linie), den Kindern des anderen Ehegatten (Stiefkinder, absteigende Linie) und den in der Seitenlinie mit seinem Ehegatten Verwandten. Zufolge Aufhebung von § 1589 Abs. 2 BGB sind auch das nichteheliche Kind und seine Verwandten mit der Ehefrau seines Vaters und deren Verwandten, aber auch die Ehefrau des nichtehelichen Kindes mit dessen Vater und seinen Verwandten verschwägert. Keine Schwägerschaft besteht zwischen den Ehegatten selbst, den Verwandten eines mit den Verwandten des anderen Ehegatten, den Verschwägerten eines Ehegatten mit dem anderen, dem Ehegatten des Annehmenden mit dem Angenommenen, wohl aber zwischen dem Ehegatten des Kindes mit dem Annehmenden (§ 1754 BGB). Voraussetzung der Schwägerschaft ist aber auch hier, dass eine gültige Ehe besteht oder früher bestanden hat (Rn. 10). Auch hier braucht die Ehe, durch welche die Schwägerschaft vermittelt worden ist, nicht mehr zu bestehen und ist es auch bedeutungslos, aus welchem Grund das Eheverhältnis beendet worden ist. Verwandte eines Lebenspartners gelten nach § 11 Abs. 2 LPartG als mit dem anderen Lebenspartner verschwägert. Linie und Grad der Schwägerschaft bestimmen sich nach Linie und Grad der sie vermittelnden Verwandtschaft. Im Rahmen der geraden Linie bedeutet dies immer und im Rahmen der Seitenlinie bis zum dritten Grad den Ausschluss des Richters kraft Gesetzes. Für Verwandte in gerader Linie gilt der Ausschlussgrund ohne Einschränkung (Rn. 11), für Verwandte in der Seitenlinie bis zum dritten Grad, für Verschwägerte nur bis zum zweiten Grad; er schließt diese Grade ein. Die Verwandtschaft oder Schwägerschaft des Richters mit einem anderen mitwirkenden Richter, mit dem Beamten der Staatsanwaltschaft, dem Urkundsbeamten, dem Verteidiger des Beschuldigten oder dem Anwalt des Privatklägers oder Verletzten oder mit einem Zeugen oder Sachverständigen fällt nicht unter die Vorschrift,20 doch kann ggf. Befangenheit des Richters zu besorgen sein (§ 24 Abs. 2, § 30).

19 20

BGBl. I 1243. BGH bei Dallinger MDR 1974 547; Eb. Schmidt 12.

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5. Einzelfälle a) Vermögensdelikte. Beim Diebstahl ist sowohl der Gewahrsamsinhaber als auch der Eigentümer verletzt.21 Beim Betrug ist verletzt, wer an seinem Vermögen beschädigt, dagegen nicht, wer getäuscht, aber ein anderer als der Geschädigte ist.22 Konkursdelikte verletzen jeden Konkursgläubiger, der wegen Unzulänglichkeit der Masse nicht voll befriedigt wird;23 nachträgliche Befriedigung beseitigt die Eigenschaft als Verletzter nicht.24 Dagegen verletzt eine Tat zum Nachteil der Konkursmasse den Konkursverwalter nicht.25 Verwirklicht sich der schädliche Erfolg am Vermögen einer Gesellschaft, so kommt es für die Frage, ob die Gesellschafter unmittelbar geschädigt sind, auf die Gesellschaftsform an: Bei der Gesellschaft des bürgerlichen Rechts steht das Eigentum am Gesellschaftsvermögen der Gesamtheit der Gesellschafter zu (§ 718 Abs. 1 BGB). Daher nimmt jeder Gesellschafter unmittelbar an dem Schaden teil, der das Geschäftsvermögen trifft. Dasselbe trifft auf die offene Handelsgesellschaft zu, da sie, wenn ihr auch § 124 Abs. 1 HGB in gewissen Grenzen eine rechtliche Selbständigkeit einräumt, doch keine juristische Person, die rechtliche Stellung ihrer Gesellschafter vielmehr so geordnet ist, dass diese in ihrer jeweiligen Vereinigung Eigentümer des Gesellschaftsvermögens sind.26 Es gilt auch für den nicht rechtsfähigen Verein und die Kommanditgesellschaft.27 Für die GmbH & Co., KG gilt dies allerdings nur für den Kommanditisten, sofern dieser eine natürliche Person ist. Anders verhält es sich mit dem eingetragenen Verein (§ 21 BGB), der eingetragenen Genossenschaft (§ 1 Abs. 1 GenG),28 der Aktiengesellschaft (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AktG), der Kommanditgesellschaft auf Aktien (§ 278 Abs. 1 AktG) 29 und mit der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (§ 18 Abs. 1 GmbHG). In diesen Fällen liegt eine von ihren Gesellschaftern verschiedene Rechtspersönlichkeit vor. Dieser gehört das Vermögen; wird es verringert, bewirkt das für die Beteiligten nur einen mittelbaren Schaden,30 der sich wegen des Umfangs des Vermögens, der inneren Ausgleichsmöglichkeiten, der Limitierung der Dividenden und anderer Faktoren auf das Vermögen des Gesellschafters oder Mitglieds nicht auszuwirken braucht, jedenfalls in der Regel als Einzelschaden nicht messbar und nicht mit Sicherheit feststellbar ist. Demzufolge nimmt auch der Prokurist einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung an dem Schaden, der dieser widerfährt, selbst dann nicht unmittelbar teil, wenn er Anteil am Gewinn der Gesellschaft hat.31 Wird eine Stadtgemeinde, eine Kirchengemeinde oder eine andere Körperschaft des öffentlichen Rechts geschädigt, so trifft der Schaden unmittelbar weder die Mitglieder noch die verfassungsmäßigen Vertreter,32 auf keinen Fall die Mitglieder willensbildender Organe, wie Kreistagsabgeordnete eines geschädigten Landkreises.33

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b) Beleidigung. Der in einem voraufgegangenen Verfahren durch eine Beleidigung 20 verletzte Richter ist wegen seiner Verletzung ausgeschlossen, diese Beleidigung abzuurteilen. Dabei ist es gleichgültig, ob er selbst oder ob der die Dienstaufsicht Führende Straf21 22 23 24 25 26

Vgl. RGSt 10 210; 19 378; 50 46; Eb. Schmidt 7. RGSt 74 170; BGH bei Dallinger MDR 1971 363. RGSt 11 233; 33 309. RGSt 21 291. RG HRR 1938 636. RGSt 46 77.

27 28 29 30 31 32 33

KK/Pfeiffer 6. RGSt 3 362. RGSt 37 415; 69 128. RGSt 37 415; 69 128; anders bei § 60 Nr. 2: BGHSt 4 202. BGHSt 1 300. RGSt 67 220. BGH bei Dallinger MDR 1955 145.

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antrag gestellt hat.34 Dagegen ist der die Dienstaufsicht führende Richter niemals ausgeschlossen, mag er (§ 77a Abs. 2 Satz 1 StGB) den Strafantrag gestellt 35 oder mag der Richter das selbst getan haben,36 doch kann in dem ersten Fall Besorgnis der Befangenheit begründet sein.37 Durch die Beleidigung des gesamten Richterstands 38 oder sämtlicher Richter eines Landes 39 werden nicht sämtliche Richter, sondern nur diejenigen verletzt, die persönlich getroffen werden sollen und gegen die damit die beleidigende Kundgebung unmittelbar gerichtet ist.40

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c) Bedrohung. Nicht verletzt sind bei einer Bombendrohung gegen Justizbehörden insoweit die durch die Bedrohung betroffenen Richter, da sie nicht unmittelbarer Adressat der Drohung sind, sondern die verantwortlichen Organwalter.41

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6. Richter als Beschuldigter. Die Nummern 2 und 3 schließen den Richter sowohl aus, wenn er zu dem Beschuldigten als auch wenn er zu dem Verletzten in einem besonderen Verhältnis steht. In Nr. 1 dagegen ist nur auf seine Verletzung durch die Straftat abgestellt. Den Parallelfall hierzu, dass der Richter selbst Beschuldigter ist, erwähnt das Gesetz nicht. Denn es ist selbstverständlich, dass niemand Richter über sich selbst sein kann. Daher ist der Richter nicht nur ausgeschlossen, wenn er Angeklagter ist, sondern auch, wenn er zufolge einer Anzeige als Beschuldigter geführt wird.42 Der Richter ist aber nicht nur ausgeschlossen, wenn er als Beschuldigter geführt wird, sondern auch, wenn er, ohne beschuldigt worden zu sein, Täter ist, gleichviel ob er das weiß oder nicht. Unter den Begriff des Täters fällt der Richter, der der wirkliche Alleintäter ist oder 23 sich an der Tat als Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB), Nebentäter, Anstifter (§ 26 StGB) oder Gehilfe (§ 27 Abs. 1 StGB) beteiligt oder sich einer Begünstigung (§ 257 StGB) oder Strafvereitelung (§ 258 StGB) in bezug auf den Täter der abzuurteilenden Straftat oder einer Hehlerei (§ 259 StGB) in bezug auf den Gegenstand der abzuurteilenden Tat schuldig gemacht hat; ein seltener Fall, der zudem, wenn er einmal vorliegen sollte, kaum bis zur Revision (§ 338 Nr. 2) aufgedeckt werden wird. Einen Wiederaufnahmegrund (§ 359) enthält er nach geltendem Recht nicht.

II. Ausschließung wegen nichtrichterlicher Vortätigkeit (Nr. 4 und 5) 24

1. Begriff der Sache. Im Unterschied zu § 23, der die Ausschließung bei richterlicher Vortätigkeit regelt, handeln die Nr. 4 und 5 vom Ausschluss, wenn der Richter in bestimmter Weise nichtrichterlich tätig geworden oder in der Sache vernommen worden ist. Der Begriff „Sache“ ist hierbei nach h.M. weit auszulegen, da § 22 schon den Anschein eines Verdachts der Parteilichkeit vermeiden will.43 34 35 36 37 38 39 40 41 42

BGH MDR 1954 628. RGRspr. 4 209; RGSt 30 125. RGRspr. 5 333. RGSt 30 124. Vgl. RGSt 4 342. RGSt 25 179; KG JR 1978 422. RG JW 1912 942. BGHR § 22 Nr. 1 (Verletzter 1). Beispiel: Ein Richter des Strafsenats des Oberlandesgerichts ist wegen Rechtsbeugung angezeigt; das Verfahren wird eingestellt

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(§ 171), die Beschwerde gegen die Einstellung zurückgewiesen. Im Anklageerzwingungsverfahren (§ 172 Abs. 2) ist der Richter ausgeschlossen (OLG Stuttgart MDR 1971 67). BGHSt 9 193, 194 f.; 14 221; 28 263 f.; 31 359; NStZ 2000 217; StV 2006 4; MeyerGoßner 17; SK/Rudolphi 10; KK/Pfeiffer 9; HK/Lemke 16; KMR/Bockemühl 14. Die gegenteilige Ansicht von LR/Wendisch 25 23 ff. wird nicht weiter vertreten.

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Zur Sache gehört das gesamte Verfahren von den Ermittlungen an über die Hauptverhandlung,44 die Strafvollstreckung nach §§ 453 ff.45 bis zum Wiederaufnahmeverfahren.46 Sache in diesem Sinn ist das Verfahren, das die Verfolgung einer bestimmten Straftat zum Gegenstand hat.47 Entscheidend ist danach die Identität des historischen Ereignisses, um dessen Aufklärung es ging, als der Richter eine nichtrichterliche Funktion ausgeübt hat.48 Dabei ist ohne Bedeutung, ob es sich um eine Tat oder um Tatmehrheit handelt. Ausschlaggebend ist vielmehr die Einheitlichkeit der Hauptverhandlung; diese kann auch Vorgänge, die bei natürlicher Betrachtung als verschiedene historische Ereignisse erscheinen, zu einer Einheit zusammenfassen.49 Auch verbundene Sachen stellen eine Sache in diesem Sinne dar.50 Eine spätere Trennung der Verfahren lässt den Ausschließungsgrund nicht entfallen.51 Die Sachgleichheit setzt auch keine Verfahrensidentität voraus,52 sondern es genügt, wenn der Richter in derselben Sache, aber in einem anderen Verfahren tätig war. Das kommt namentlich dann in Betracht, wenn umfangreiche Verfahren, z. B. gegen Banden, in mehrere Einzelverfahren getrennt werden und sich die Tätigkeit des Richters nur auf eines dieser Verfahren bezieht. Ein Richter ist auch ausgeschlossen, wenn er als früherer Staatsanwalt ein Verfahren nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt hat und dieses Verfahren im ihm vorliegenden Verfahren strafschärfend berücksichtigen will. Nicht „in der Sache“ tätig war ein Richter, der als früherer Staatsanwalt im Rahmen von Todesermittlungen die Obduktion einer Leiche angeordnet hat, und zwar selbst dann nicht, wenn dabei eine etwaige Verantwortung des Angeklagten erwogen worden ist, aber Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden sich nicht ergeben haben und die Ermittlungen eingestellt worden sind.53 Insoweit handelt es sich nämlich um kein Ermittlungsverfahren im Sinne von § 160 StPO. Anderes gilt dann, wenn bereits ein begründeter Verdacht einer Straftat vorlag.54 Nicht zur Sache gehört ebenso wenig ein sich anschließendes Verfassungsbeschwerdeverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG i.V.m. § 13 Nr. 8a BVerfGG. Für dieses Verfahren ist die Ausschließung besonders geregelt. Zwar enthält § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG eine dem Wortlaut des § 22 Nr. 4 ähnliche Regelung; jedoch lässt sich ein allgemeiner, verfahrensübergreifender Rechtssatz in bezug auf die Auslegung des dort durch die höchstrichterliche Rechtsprechung in Strafsachen festgelegten weiten Anwendungsbereichs auf das Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde schon wegen der besonderen Eigenart dieses Verfahrens nicht herleiten. Für die Auslegung des Begriffs „dieselbe Sache“ im Sinn von § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG sind deshalb allein die Vorschriften des Verfassungsprozessrechts maßgebend. Sie gebieten es, den Begriff in einem konkreten, strikt verfahrensbezogenen Sinn auszulegen. Es genügt nicht, dass der Richter in seiner früheren amtlichen oder beruflichen Eigenschaft in einem mit dem anhängigen verfassungsgerichtlichen Verfahren in irgendeinem Zusammenhang stehenden Verfahren tätig geworden ist.

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46

RGSt 17 174; 30 70; 57 275; BGHSt 28 263. BayObLG NStZ 1988 286; OLG Hamm MDR 1957 760; OLG Koblenz GA 1978 156; OLG Düsseldorf StV 1983 361; OLG Karlsruhe Justiz 1983 26; OLG Stuttgart NStZ 1988 376 = GA 1989 38; KMR/ Bockemühl 14; SK/Rudolphi 13. RGSt 30 71; BGHSt 28 262, 264; KK/Pfeiffer 9; Meyer-Goßner 17; SK/Rudolphi 13; KMR/Bockemühl 14.

47 48 49 50 51 52 53 54

BGH NJW 1979 2160. HK/Lemke 16; KK/Pfeiffer 9; SK/Rudolphi 10. BGH NStZ 2004 217. BGHSt 28 262 f.; SK/Rudolphi 12. SK/Rudolphi 12. BGH StV 2006 4. H.M. BGH NStZ 2004 217 m.w.N. BGH aaO.

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Zu seinem Ausschluss kann regelmäßig nur eine Tätigkeit in dem verfassungsgerichtlichen Verfahren selbst oder in dem diesem unmittelbar vorausgegangenen und ihm sachlich zugeordneten Verfahren führen.55 Wegen der Bedeutung des Begriffs, wenn die Vortätigkeit als Anwalt und als Verteidiger entfaltet worden ist, s. Rn. 36; wenn der Richter als Zeuge vernommen worden ist, s. Rn. 40.

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2. Begriff der Tätigkeit. Der Richter ist nach Nr. 4 ausgeschlossen, wenn er in der Sache in einer bestimmten Eigenschaft tätig geworden ist. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob die frühere Tätigkeit sachlich oder formeller Art war 56 und ob sie für das Verfahren wesentlich oder unbedeutend war. Entscheidend ist allein, ob der Richter als früherer Staatsanwalt irgend etwas zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Beeinflussung des Verfahrensablaufs getan hat.57 Insofern umfasst der Begriff der Tätigkeit jede Art amtliches Handeln in der Sache, 30 das geeignet ist, den Sachverhalt zu erforschen oder den Gang des Verfahrens zu beeinflussen.58 Danach ist der Begriff Tätigkeit weit zu fassen. Dennoch fällt die Tätigkeit als Gnadenbeauftragter der Landesjustizverwaltung nicht darunter, da sie nicht Sache i.S. von Absatz 1 Nr. 4 sein kann.59 Als Richter ausgeschlossen ist dagegen, wer als Beamter der Staatsanwaltschaft eine Verfügung entworfen 60 oder die von einem anderen Dezernenten entworfene Verfügung unterzeichnet hat.61 Auch genügt eine schlichte Sachstandsanfrage und Verfügung einer Wiedervorlagefrist 62 oder eine Aufenthaltsermittlungs- oder Zustellungsverfügung.63 Nicht ausgeschlossen ist dagegen, wer Akten abgegeben, nachdem er seine Unzuständigkeit – und zwar schon aufgrund der Buchstabenzuteilung – festgestellt hat. Konnte er diese erst erkennen, nachdem er geprüft hat, ob der Verdacht eines bestimmten Delikts besteht, war er aufgrund dieser Prüfung in der Sache tätig 64 und deshalb ausgeschlossen. Dagegen ist ein Ausschlussgrund selbst dann zu verneinen, wenn ein Richter, der in einem früheren Verfahren gegen denselben Angeklagten als Staatsanwalt tätig gewesen war, die in jenem Verfahren (von einem anderen Richter) verhängte Strafen in einem neuen Verfahren in die zu bildende Gesamtstrafe einbeziehen muss.65 Ebenfalls nicht ausreichend ist die Vornahme von Untersuchungshandlungen nach § 165.66 Der leitende Beamte der Staatsanwaltschaft, der „erste Beamte“ (§ 144, § 145 Abs. 1 31 GVG), der mit der Sache selbst nicht befasst gewesen ist,67 ist mangels Tätigkeit nicht ausgeschlossen, wohl aber ist er es, wenn er auf die Sache selbst Einfluss genommen hat, indem er z.B. die Beweisergebnisse oder Rechtsfragen mit dem Dezernenten oder Abteilungsleiter, wenn auch nur mündlich, erörtert und dadurch, auch ohne Weisungen zu erteilen, auf dessen Entschließung eingewirkt hat, wenn auch nur in der Weise, dass er dessen Ansicht bekräftigt hat.68 Nicht ausgeschlossen ist wiederum der (vorgesetzte) Staatsanwalt, der nur den Sitzungsdienst eingeteilt 69 oder – ohne Anordnungen in der Sache zu treffen – nur verfügt hat, dass die Akten dem Dezernenten nach Rückkehr aus

55 56 57 58 59 60 61 62

BVerfGE 47 108 = MDR 1978 553. RGSt 28 53; 55 113; BGH NJW 1952 1149; RG GA 40 (1892) 447; vgl. auch Schairer 85. BGH StV 1982 51. RGSt 59 268; 70 162; BGHSt 9 193; BGH bei Holtz MDR 1982 281 = NStZ 1982 78. OLG Düsseldorf NStZ 1987 571. RGSt 7 236. BGH NJW 1952 1149. BGH StV 1982 51.

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SK/Rudolphi 15. RGSt 55 113. BGHSt 28 262. BGHSt 9 233, 235. RGSt 70 163. Mangels Dokumentation einer solchen Einflussnahme dürfte dieser Ausschließungsgrund in der Praxis wohl kaum eine Rolle spielen. Beling JW 1925 2779.

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dem Urlaub vorzulegen seien, und zwar selbst dann nicht, wenn er die prozessualen Fragen des Falls mit einem Referendar zu dessen Ausbildung besprochen hatte.70 Die Rücknahme einer Ausschreibung zur Fahndung (§§ 131 ff.) macht nur dann 32 befangen, wenn sie auf eigener Beurteilung des Sachverhalts beruht. Ist sie nur die Konsequenz einer von einem anderen Staatsanwalt beschlossenen Einstellung, stellt sie eine unausweichliche und allein technische Entscheidung dar, die keine Einwirkung auf die Sache in sich schließt. Daher kann sie den Richter nicht als befangen erscheinen lassen, mithin auch keinen Ausschluss begründen. 3. Beamte der Staatsanwaltschaft (§ 146 GVG) sind die Bundesanwälte (einschließ- 33 lich der Oberstaatsanwälte bei der Bundesanwaltschaft), die Staatsanwälte (einschließlich der nach § 19a Abs. 3 DRiG) und die Amtsanwälte (§ 142 Abs. 1 Nr. 3 GVG) – in beiden Fällen unabhängig von der Dienstbezeichnung – sowie die mit der Wahrnehmung staatsanwaltschaftlicher Aufgaben beauftragten Richter auf Probe,71 die mit der Wahrnehmung amtsanwaltlicher Aufgaben beauftragten Referendare (§ 142 Abs. 3 GVG) 72 und Angehörige des gehobenen Dienstes (unabhängig von der Dienstbezeichnung, meist Inspektoren). Beamte der Staatsanwaltschaft sind auf jeden Fall nach dem Sinn der Vorschrift auch die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft (§ 152 GVG). Freilich werden sie in der Regel zugleich Polizeibeamte (Rn. 35) sein. Führen die aufgeführten Beamten der Staatsanwaltschaft Geschäfte der allgemeinen 34 Justizverwaltung, wie die Bearbeitung von Dienstaufsichtsbeschwerden, so wird dadurch die Fähigkeit für eine spätere Richtertätigkeit in einer Strafsache, auf die die Aufsichtsbeschwerde Bezug hatte, nicht gehindert.73 4. Polizeibeamte, die in einer Strafsache aus eigener Entschließung tätig geworden 35 sind (§ 163 Abs. 1), sind in derselben Sache als Richter ausgeschlossen,74 nicht jedoch Polizeibeamte, die ohne eigene Ermittlungen bloß eine Anzeige nach § 159 Abs. 1 erstattet haben.75 Beschließt ein Bürgermeister als Leiter der örtlichen Polizei nach eigener Prüfung, von weiteren Ermittlungen bis zur Entschließung der Staatsanwaltschaft abzusehen, so ist er damit in der Sache tätig geworden.76 Als Polizeibeamter ist auch anzusehen, wer ohne als solcher angestellt zu sein, polizeiliche Dienste der Strafverfolgung leistet, z.B. der Richter, der – etwa um die polizeiliche Praxis und die dabei verwendeten Geräte kennen zu lernen – an einer Geschwindigkeitskontrolle der Verkehrspolizei teilgenommen und selbst die Geschwindigkeit des Fahrzeugs gemessen hat, dessen Fahrer wegen der dabei festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung von ihm abzuurteilen wäre.77 Polizeibeamte, die nicht zur Sicherheitspolizei gehören, sind nur ausgeschlossen, wenn 36 sie in der Sache eine Tätigkeit in der Strafrechtspflege ausgeübt, namentlich eine mit Strafe bedrohte Handlung oder Unterlassung erforscht haben;78 sonst begründet die Tätigkeit innerhalb eines anderen Zweigs der Polizei, etwa der Wohlfahrts-79 oder der

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RGSt 59 267. RGSt 7 236. Nicht aber auch der Richter beim Amtsgericht, der wegen Gefahr im Verzug und Nichterreichbarkeit eines Staatsanwalts als „Notstaatsanwalt“ nach § 165 tätig geworden ist (RGSt 68 377; BGHSt 9 235; a.A. Gössel GA 1980 347). OLG Düsseldorf JMBlNRW 1965 103.

73 74 75 76 77 78 79

Beling JW 1925 2779. RGSt 17 422. RG GA 49 (1903) 118. RGSt 55 251. OLG Karlsruhe VRS 39 (1970) 109. RGSt 17 424; RG JW 1892 199. RGSt 17 419.

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Gesundheitspolizei,80 nicht die Ausschließung. Ebenso genügen Transport oder Bewachung eines Gefangenen nicht. Auch war nicht „als“ Polizeibeamter tätig, wer als Kriminalbeamter ein wissenschaftliches oder kriminaltechnisches Gutachten erstattet hat;81 doch kann er mit Erfolg als befangen (§ 24) abgelehnt werden und hat, wenn das nicht geschieht, nach § 30 zu verfahren. Die Begriffe Sache und Tätigkeit können bei Polizeibeamten nicht anders als bei 37 Staatsanwälten aufgefasst werden.

38

5. Anwalt und Verteidiger. Unter Anwalt des Verletzten ist nur der Rechtsanwalt zu verstehen.82 Dabei ist es gleichgültig, ob er den Verletzten nur beraten, eine Anzeige für ihn aufgesetzt oder erstattet, ihn im Beschwerde- oder Anklageerzwingungsverfahren (§ 172) vertreten oder im Privatklageverfahren (§ 378) oder als Nebenkläger (§ 397) vertreten oder Beistand geleistet hat. Hat ein Richter den Verletzten zuvor rechtlich beraten, ist er nicht nach Nr. 4 ausgeschlossen. Hier kommt aber eine Ablehnung nach § 24 in Betracht.83 Verteidiger sind die Wahlverteidiger (§ 138 Abs. 1), auch die „anderen Personen“ des § 138 Abs. 2, Referendare, denen die Verteidigung nach § 139 übertragen worden ist, und die Pflichtverteidiger (§ 142 Abs. 1) einschließlich der zum Verteidiger bestellten Rechtskundigen.84 Der Begriff der Sache gilt auch hier in dem zu Rn. 25 festgestellten Umfang. Auch wer 39 den Antrag, die Verteidigung zu übernehmen, ablehnt, kann damit als Verteidiger tätig sein, nämlich dann, wenn er die Sache zur Kenntnis genommen oder die Handakten des bisherigen Verteidigers eingesehen hat,85 nicht jedoch, wenn er überhaupt keine Verteidigungen übernimmt und nur aus Höflichkeit eine kurze Unterhaltung geführt hat, ohne sich geistig mit der Sache zu befassen.

40

6. Zeuge und Sachverständiger. Nr. 5 liegt derselbe Sachbegriff zu Grunde wie bei Nr. 4. Es bedarf also keiner Verfahrensidentität.86 Danach ist der Richter ausgeschlossen, wenn er in der Sache (Rn. 25) gerichtlich, polizeilich oder von der Staatsanwaltschaft, einem Finanz- oder Hauptzollamt oder einer Zollfahndungsstelle als Zeuge oder Sachverständiger vernommen worden ist, gleichviel ob er Bekundungen gemacht oder die Erklärung abgegeben hat, von der Sache nichts zu wissen. Wird der die richterliche Zeugenaussage betreffende Sachverhalt in einem späteren Verfahren gegen einen Mittäter gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, darf der Richter an diesem Verfahren nicht mitwirken.87 Der mündlichen Vernehmung steht die von einem Richter (nicht Beamten) angeordnete Abgabe eines schriftlichen Sachverständigengutachtens im vorbereitenden Verfahren (§§ 158 bis 177) gleich (§ 82). Umstritten ist, ob von diesem vorgenannten Fall abgesehen, schriftliche Erklärungen 41 des Richters, insbesondere dienstliche Äußerungen, als Vernehmung i.S.d. Nr. 5 gelten. Während die ältere Rechtsprechung dies mit der Begründung verneint, es fehle in diesen Fällen an einer förmlichen Vernehmung,88 wird in der Literatur schon länger die gegenteilige Ansicht vertreten.89 Der 5. Strafsenat des BGH ist dieser Ansicht gefolgt 90 und hat

80 81 82 83 84 85 86

RGSt 35 320. BGH MDR 1958 785. RG GA 47 (1900) 377. SK/Rudolphi 17. Vgl. Dünnebier JR 1973 367 Fn. 2. RG GA 40 (1892) 447. BGHSt 31 358; NStZ 2006 113.

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87 88 89

90

BGH NStZ 2006 113. RGSt 12 181; 58 286. Ebenso noch LR/Wendisch 25, 42 f. W. Schmid GA 1980 285; SK/Rudolphi 21; Meyer-Goßner 20; AK/Wassermann 11a; KK/Pfeiffer 14; KMR/Bockemühl 15. NStZ 1998 93.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

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in einem Fall, in dem eine Richterin während des Ermittlungsverfahrens der Polizei telefonisch Kenntnisse weitergegeben hatte, die sie von ihrem Ehemann hatte, die Voraussetzungen einer Vernehmung angenommen, obwohl von der Polizei darüber nur ein Vermerk gefertigt worden war, der zu einer als nicht ergiebig angesehenen Spurenakte genommen wurde. Der Senat ließ es genügen, dass sich die Richterin als eigene Erkenntnisquelle zur Verfügung gestellt hatte. Der 3. Strafsenat des BGH 91 geht nunmehr einen differenzierten Weg: unter Hinweis auf § 251 Abs. 2, wonach schriftliche Erklärungen eines Zeugen ohne dessen Anwesenheit in die Hauptverhandlung eingeführt werden können, hält er eine persönliche Anhörung nicht stets für erforderlich.92 Dienstliche Erklärungen seien einer Vernehmung aber nicht ohne weiteres gleichzusetzen. Hierzu sei schon bisher anerkannt, dass dies nicht für Erklärungen gelte, die sich lediglich zu prozessual erheblichen Vorgängen und Zuständen verhalten,93 etwa wenn sie der freibeweislichen Aufklärung der Frage dienen, ob ein Richter überhaupt als Zeuge in Betracht kommt. Für die Gleichstellung einer mündlichen oder schriftlichen Erklärung eines Richters mit einer Vernehmung i.S. der Nr. 5 kommt es darauf an, ob der Richter tatsächlich Bekundungen zur Schuld- und Straffrage außerhalb des anhängigen Prozesses gemacht hat, wie es für einen Zeugen kennzeichnend ist.94 Das scheidet bei dienstlichen Wahrnehmungen zum anhängigen Verfahren, die der mit der Sache befasste Richter machen musste, aus. Diese Wahrnehmungen können vielmehr durch eine dienstliche Erklärung – gleichsam als gerichtskundige Tatsache – in die Hauptverhandlung eingeführt werden.95 In der Entscheidung NStZ 2005 219 hat der 3. Senat nochmals klargestellt, dass der Vernehmungsbegriff in einem weiten Sinne zu verstehen sei, unabhängig davon, ob die Angaben förmlich protokolliert oder nur in einem internen Vermerk festgehalten werden. Die Vernehmung umfasst somit alle Bekundungen über wahrgenommene Tatsachen im Rahmen einer durch ein Staatsorgan durchgeführten Befragung, bei der der Beweiserhebungswille des Amtsträgers nach außen erkennbar ist. Dieser Rechtsprechung ist zuzustimmen, denn sie lässt eine klare Abgrenzung der Zeugenstellung nach nachvollziehbaren Kriterien zu und sie hält sich im Rahmen zulässiger teleologischer Auslegung der Vorschrift. Einigkeit besteht darüber, dass der Richter nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass 42 er als Zeuge benannt wird.96 Deshalb kann der als Zeuge benannte Richter auch über den gestellten Beweisantrag mitentscheiden.97 Andernfalls hätte es der Angeklagte in der Hand, durch bloße Benennung des Richters als Zeugen, jedes Gericht ohne sachlichen Grund an der Ausübung seines Amts zu hindern und damit eine geordnete Rechtspflege unmöglich zu machen.98 In der täglichen Praxis kommt es immer wieder vor, dass ein Richter als Zeuge für Vorgänge in der laufenden Hauptverhandlung benannt wird, etwa über den Inhalt einer Zeugenaussage oder Wahrnehmungen zum Aussageverhalten eines Zeugen. Hier handelt es sich um einen unzulässigen Beweisantrag, weil diese Umstände bereits zum Inbegriff der Hauptverhandlung geworden sind und deshalb bereits der unmittelbaren Würdigung des Gerichts unterliegen.99 Sie können deshalb nicht noch einmal Beweisgegenstand sein. 91 92 93

94 95 96

StV 1998 467 = NStZ 1998 524. StV 1998 468. BGHSt 44 4; s.a. Rissing-van Saan MDR 1993 310 m. w. N. aus der Rspr.; SK/Rudolphi 21; KK/Pfeiffer 14; Meyer-Goßner 20. BGH StV 1998 468. BGH aaO. RGSt 42 2; GA 59 (1912) 126; BGHSt 11

97 98

99

206; 14 219; BGH bei Holtz MDR 1977 107; NStZ 1994 80 mit Anm. Bottke. BGH aaO; Rissing-van Saan MDR 1993 310. BGHSt 7 331 = JR 1955 391 mit Anm. Niese = JZ 1956 31 mit Anm. Kleinknecht; KK/Pfeiffer 14; KMR/Paulus 20. BGH StV 2004 355; Rissing-van Saan MDR 1993 310.

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Schwieriger ist die Sache, wenn sich der Antrag auf Wahrnehmungen des Richters in einer früheren Hauptverhandlung bezieht, wenn nämlich ein Zeuge dort (auch als Angeklagter) angeblich anders ausgesagt hat, als in der laufenden Hauptverhandlung. Hier darf der Richter eine dienstliche Äußerung darüber abgeben, ob er die in sein Wissen gestellten Tatsachen bestätigen kann. Erklärt der Richter dienstlich, er könne die behauptete Tatsache nicht bestätigen, ist ein gleichwohl aufrechterhaltener Beweisantrag unzulässig im Sinne des § 244 Abs. 3 S. 1.100 Die dienstlichen Äußerungen sind nämlich nicht dazu bestimmt, Gegenstand der Beweiswürdigung zu sein, sondern sie dienen der freibeweislichen Aufklärung der Frage, ob ein Richter überhaupt als Zeuge in Betracht kommt.101 Diese Erklärung steht einer Zeugenvernehmung nicht gleich und führt damit auch zu keinem Richterausschluss.102 Dabei ist es völlig unerheblich, aus welchem Grunde der Richter die Beweisbehauptung nicht bestätigen kann, also ob er sich etwa nicht erinnert oder weil er vielleicht das Gegenteil der Behauptung in Erinnerung hat.103 Selbst wenn er erklärt, die Behauptung bestätigen zu können, dürfte dies nicht zu einer Zeugenvernehmung führen, sondern ebenfalls zur Ablehnung des Beweisantrags, weil auch hier von einem unzulässigen Antrag auszugehen ist, denn es handelt sich gerade nicht um außerhalb des Verfahrens erworbene Kenntnisse,104 wie sie bei einem sonstigen Zeugen selbstverständlich sind. Soweit das LG Lüneburg 105 für diesen Fall aufgrund einer Selbstanzeige des Vorsitzenden einen Ausschluss angenommen hat, weil eine Vernehmung sicher bevorstehe, hat es die Möglichkeit zu einer dienstlichen Äußerung des Richters nicht gesehen. Einen Ausschluss bewirkt auch die Ladung nicht,106 doch verhindert sie den Richter, 44 wenn er zur Hauptverhandlung als Zeuge und nicht als Richter erscheint,107 an ihr als Richter teilzunehmen, und zwar selbst dann, wenn er als Zeuge nicht vernommen wurde.108 Sagt der Richter aus, z.B. dadurch, dass er privates Wissen kundgibt, sei es in der Verhandlung, sei es unzulässigerweise nur in der Beratung, dann verlässt er damit die Stellung des Richters, nimmt die eines Zeugen ein und ist dadurch als Richter ausgeschlossen.109 Ein bloßer Vorhalt, z.B. ob eine Örtlichkeit nicht dieser oder jener Beschaffenheit sei, 45 ist eben so wenig Zeugenaussage wie der Umstand, dass der Richter allgemeinkundige Tatsachen, etwa Straßenverhältnisse, in der Hauptverhandlung zum Gegenstand der Verhandlung macht. Ist der Richter vernommen worden, darf er das Richteramt selbst dann nicht ausüben, wenn sich seine Aussage als bedeutungslos erweist.110 Die Vernehmung schließt ihn auch für ein Wiederaufnahmeverfahren aus,111 nicht aber für Teile des Verfahrens, in denen zufolge Abtrennung die frühere Aussage keine Rolle mehr spielt.112

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7. Dolmetscher. Der Dolmetscher gehört nicht zu den Sachverständigen i.S. der Nr. 5.

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101 102 103 104

BGH StV 1991 99 f. Zur Frage, ob hier auch eine Ablehnung wegen Rechtsmissbrauchs in Betracht kommen kann, s. Rissing-van Saan MDR 1993 312. BGH StV 2004 355. BGH aaO. BGH aaO. S.a. Rissing-van Saan MDR 1993 312.

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105 106 107 108 109 110 111 112

StV 2005 77. BGHSt 14 220; BGH StV 1993 507. RGSt 42 3. BGHSt 7 46. RGSt 26 273; vgl. W. Schmid 294. RGSt 12 181. RGRspr. 6 161; RGSt 30 70. RGSt 17 173.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

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III. Wirkungen und Folgen 1. Wirkungen. Liegt ein Ausschließungsgrund vor, ist der Richter „ohne Anregung von seiten der Parteien und unabhängig von einem etwaigen Verzicht derselben eo ipso, also kraft des Gesetzes“,113 ausgeschlossen, das Richteramt auszuüben. Er steht einer Person außerhalb der Gerichte gleich.114 Ob der Richter oder einer der Beteiligten den Ablehnungsgrund kennt, ist – anders als bei der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit – gleichgültig.115 Aus dem Grundsatz, dass der Ausschließungsgrund den Richter ausschließt, folgt zweierlei: Grundsätzlich bedarf es keiner Entscheidung, sondern nur im Zweifelsfall. Eine irrtümliche Entscheidung, der Richter sei nicht ausgeschlossen, ändert nichts an dem kraft Gesetzes eingetretenen Ausschluss. Der Grundsatz, dass bei einer auf Verfahrensirrtum beruhenden gesetzwidrigen Besetzung Art. 101 Abs. 1 Nr. 2 GG nicht verletzt sei, gilt nicht für den ausgeschlossenen Richter;116 für den umgekehrten Fall, dass ein Richter irrtümlich als ausgeschlossen angesehen worden ist, s. Rn. 64. Der Ausschluss bezieht sich auf den gesamten Verfahrensgegenstand. Sind mehrere Sachen miteinander verbunden, so wirkt die Ausschließung, die zufolge der Beziehung zu der einen Sache begründet ist, für alle Sachen,117 selbst wenn sie wieder getrennt werden sollten. Diese umfassende Ausschließung wird auch nicht dadurch beseitigt, dass das Verfahren wegen der Tat, auf der die Ausschließung beruht, sich – etwa durch Einstellung nach §§ 153 bis 153e, 154, 154a 118 oder durch Teilrechtskraft – erledigt, im Übrigen aber fortgesetzt wird. Ob das auch für den mit Erfolg abgelehnten Richter gilt, kann zweifelhaft sein. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Frage in der Entscheidung vom 7.11.1979 119 offengelassen. Auch für unaufschiebbare Handlungen und bei Gefahr im Verzug gilt keine Ausnahme;120 lediglich das jedermann zustehende Festnahmerecht nach 127 Abs. 1 bleibt unberührt. Der Richter ist nicht nur von Entscheidungen, sondern von jeder richterlichen Tätigkeit im Verfahren schlechthin ausgeschlossen. Daher bezieht sich der Ausschluss auch auf Entscheidungen nach § 458 121 oder nach den §§ 462 und 463.122 Allerdings erstreckt sich der Ausschluss nur auf richterliche Handlungen. Er beginnt in dem Zeitpunkt, wo der Ausschlussgrund entsteht. Dieser Zeitpunkt wird regelmäßig vor Beginn der richterlichen Handlung liegen, kann aber ausnahmsweise, namentlich im Fall der Nummer 5, auch erst während des Verfahrens eintreten. Für Maßnahmen der Justizverwaltung 123 gibt es keinen Ausschluss.

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2. Verfahren. Sobald der Richter von einem Ausschließungsgrund Kenntnis erhält, 52 hat er sich jeder Ausübung des Richteramts zu enthalten. Auch darf er nicht außerhalb von Diensthandlungen auf die Sache einwirken, etwa die Terminbestimmung durch seine Autorität beeinflussen.124 Er ist verhindert i.S. von 21f Abs. 2 GVG – so dass ein Vertre-

113 114 115 116 117 118

RGSt 2 211. BVerfGE 4 417 = NJW 1956 545. RGSt 33 309. BVerfGE 30 167 = NJW 1971 1033. BGH GA 1979 311 = bei Holtz MDR 1979 281 – zu § 24 Abs. 2; BGHSt 28 264. BGHSt 14 219; Rosenmeier – LV zu § 2 – 85; Hanack JZ 1971 90.

119 120 121 122 123 124

BGH GA 1979 311. RGSt 30 71. OLG Hamm MDR 1957 760. OLG Koblenz GA 1978 157; OLG Düsseldorf StV 1983 361. Wie die Auslosung von Schöffen: BGHSt 3 68. BVerfGE 4 412 = NJW 1956 545.

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tungsfall (21e Abs. 1 Satz 1, § 22b Abs. 2, 3 GVG) vorliegt – und i.S. des § 192 Abs. 2 GVG (Eintritt des Ergänzungsrichters). Einer Entscheidung des Gerichts bedarf es nicht, wenn der Ausschließungsgrund 53 offensichtlich ist, wie regelmäßig in den Fällen des § 22 Nr. 4 und 5 und meist im Fall der Verwandtschaft mit dem Beschuldigten (§ 22 Nr. 3). Dann scheidet der verhinderte Richter aus und wird durch seinen nach der Geschäftsverteilung berufenen Vertreter ersetzt. Das ergibt sich aus der Ausschließung kraft Gesetzes sowie zusätzlich aus § 30, der die Entscheidung über Ausschließungsgründe nur für den Fall vorschreibt, dass Zweifel darüber bestehen, ob sie vorliegen. Hat ein Richter solche Zweifel, muss er die Entscheidung des Gerichts nach § 30 herbeiführen, entstehen bei Gericht Zweifel, hat es von Amts wegen zu entscheiden (§ 30). Die Entscheidung kann jeder Prozessbeteiligte jederzeit während des ganzen Verfahrens anregen.125 Anspruch auf Entscheidung und Bescheidung hat er jedoch nur, wenn er das Verfahren nach § 24 Abs. 1, § 26 Abs. 1 und 2 betreibt (§ 24, 2), für das die zeitliche Grenze des § 25 nicht gilt (§ 25, 9). 3. Folgen

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a) Prozesshandlungen. Wirkt ein ausgeschlossener Richter im Strafverfahren mit, sei es, weil er den Ausschließungsgrund nicht kennt, sei es, weil er etwa glaubt, dringende Amtshandlungen vornehmen zu dürfen, so sind alle vor, von oder mit ihm nach der Entscheidung über den Ausschließungsgrund bewirkten Amtshandlungen fehlerhaft.126 Prozessleitende Verfügungen sind grundsätzlich wirksam und bilden z.B. bei Ladungen auch eine tragfähige Grundlage für Maßnahmen nach den §§ 51, 230 Abs. 2, 236, 329 Abs. 1, 412, weil diese die Hauptverhandlung vorbereitenden Maßnahmen das Ergebnis der Hauptverhandlung nicht beeinflussen.127

55

b) Beschlüsse. Beschlüsse (z. Eröffnungsbeschluss s. u. 63 ff.), die unter Mitwirkung eines ausgeschlossenen Richters ergehen, sind fehlerhaft, aber wirksam.128 Deshalb hat die Untersuchungshaftanstalt den Haftbefehl zu beachten, doch ist er im Haftprüfungsverfahren oder auf Beschwerde aufzuheben129 und durch den Haftbefehl eines nicht ausgeschlossenen Richters, auch des Beschwerdegerichts (309 Abs. 2), zu ersetzen. Das gleiche gilt für sonstige Beschlüsse – namentlich im Fall des § 23 Abs. 2 –, doch 56 wird hier oft geboten sein, die Sache zur Beschlussfassung in die ordentlich besetzte Instanz zurückzuverweisen, damit dem Beteiligten keine Instanz verloren geht.130 Von der Zurückverweisung wird jedoch abzusehen sein, wenn der Inhalt der Entscheidung ohne Beurteilung der Sache selbst feststeht, z.B. wenn das falsch besetzte Gericht nur die Frage zu entscheiden hatte, dass ein vom Verurteilten persönlich in einem Schriftsatz angebrachter Wiederaufnahmeantrag unzulässig ist. Soweit Prozesshandlungen auf das Urteil Einfluss haben können, ist dem Zweck des 57 Gesetzes ein Beweisverbot der Art zu entnehmen, dass die wegen des Ausschlusses vom Richteramt fehlerhaften Akte nicht verwertet werden dürfen.131 Zwar ist der vor einem 125 126

127

Ebenso Bohnert 70. Henkel (§ 28 II Fn. 6) unterscheidet zwischen Nichtigkeit im allgemeinen und Anfechtbarkeit bei Urteilen; zu den verschiedenen Rügemöglichkeiten vgl. auch Bohnert 82. SK/Rudolphi Vor § 22, 13; a.A. wohl KK/Pfeiffer 17.

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128 129 130 131

Meyer-Goßner 21; SK/Rudolphi 14. Eb. Schmidt II § 22, 11. OLG Koblenz GA 1978 157. KMR/Paulus Vor § 22, 32; RGSt 30 72; LG Kreuznach StV 1993 629, 636.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

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ausgeschlossenen Richter geleistete Eid gültig; er ist auch wenn mit ihm vorsätzlich eine unwahre Aussage bekräftigt wird, ein Meineid.132 Im Prozess darf er aber ebenso wenig verwertet werden wie ein von einem ausgeschlossenen Richter aufgenommenes Protokoll über Vernehmungen oder Augenscheinseinnahmen.133 c) Urteile unterliegen auf Anfechtung, im Revisionsverfahren bei ordnungsmäßiger 58 Rüge, der Aufhebung (§ 338 Nr. 2), erwachsen aber sonst in Rechtskraft.134 Die letztere Folge gilt grundsätzlich in gleicher Weise für Beschlüsse; auch sie sind nach Eintritt formeller Rechtskraft regelmäßig nicht aufhebbar. Jedoch hat die Rechtsprechung zu Recht gewisse Ausnahmen anerkannt, wenn andernfalls die Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu einem anders nicht zu beseitigenden groben prozessualen Unrecht führen würde.135 So hat die obergerichtliche Rechtsprechung die Rücknahme eines Verwerfungsbeschlusses nach § 349 Abs. 1 für den Fall gebilligt, dass dieser auf unrichtiger tatsächlicher Grundlage beruht.136 Dieser Rechtsprechung ist auch deshalb zuzustimmen, weil es angesichts der an sich schwächeren Wirkung der Rechtskraft eines Beschlusses gegenüber einem Urteil geboten ist, in den genannten Ausnahmefällen der Gerechtigkeit gegenüber der Sicherheit den Vorzug zu geben, zumal da Urteile endgültige Entscheidungen sind, Beschlüsse dagegen vorwiegend Teilregelungen betreffen und die allgemeine Entwicklung (vgl. dazu die Erl. Vor § 304) ohnehin eine gewisse Auflockerung erkennen lässt. Aus diesem Grund soll auch der Ansicht des OLG Düsseldorf 137 nicht entgegengetreten werden, wonach ein unanfechtbarer Beschluss auch dann zurückgenommen werden kann, wenn bei seiner Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der nach § 23 Abs. 2 Satz 1 von der Mitwirkung ausgeschlossen war. d) Hauptverhandlung. Entsteht ein Ausschließungsgrund während der Hauptverhand- 59 lung, so muss sie wiederholt werden. Denn § 226 (ununterbrochene Gegenwart der zur Urteilsfindung berufenen Richter) kann nicht gewahrt werden, wenn ein Richter ersetzt wird. War jedoch ein Ergänzungsrichter zugezogen und tritt er alsbald ein, nachdem der Ausschließungsgrund entstanden ist, wird die Hauptverhandlung fortgesetzt. Wird ein von Anfang an bestehender Ausschließungsgrund erst während der Haupt- 60 verhandlung bekannt, kann auch die Teilnahme und der Eintritt eines Ergänzungsrichters die Hauptverhandlung nicht immer retten: Der Ergänzungsrichter war zwar schon vor seinem Eintritt Richter, aber von Beratungen und Abstimmungen ausgeschlossen.138 Die bisherigen Entscheidungen des Gerichts sind daher ohne ihn ergangen; wegen der Teilnahme des ausgeschlossenen Richters sind sie fehlerhaft und mit der Revision anfechtbar, wenn das Urteil auf ihnen beruht. Um den Mangel zu beheben, müssen Entscheidungen, die sich auf das Urteil auswirken können, mit dem eingetretenen Ergänzungsrichter neu beschlossen, ggf. geändert werden. Die bloße Nachprüfung der früheren Entscheidung bei der Urteilsfällung 139 macht die 61 fehlerhaften Entscheidungen nicht fehlerfrei; sie kann auch, weil ein absoluter Revisions132 133 134 135 136

BGHSt 10 142. RGSt 30 72. RGSt 72 181; OLG Bamberg HESt 3 1. Vgl. BayObLGSt 1970 115 = JR 1970 391 mit Anm. Peters. RGSt 59 419; BGH NJW 1951 771; OLG Köln NJW 1954 692. Weitere Beispiele zu § 349 Abs. 1: KG JW 1937 1835; OLG Braunschweig DRZ 1950 332; zu § 349

137 138 139

Abs. 2: OLG Hamm NJW 1971 1623, OLG Köln MDR 1979 603 = VRS 57 (1979) 201; zu § 346 Abs. 2: OLG Schleswig NJW 1971 1016. JMBlNRW 1979 259. BGHSt 18 332. So RGSt 67 278; Eb. Schmidt III § 192 GVG, 20.

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grund vorliegt (§ 338 Nr. 2 und 1) nicht zu der Feststellung führen, dass das Urteil nicht auf der mangelhaften Entscheidung beruhe. Wird eine frühere Entscheidung unter Mitwirkung des Ergänzungsrichters nicht be62 stätigt und kann sie nicht mehr rückgängig gemacht werden, muss die Hauptverhandlung wiederholt werden.140 Denn § 192 GVG hat nicht die Macht, fehlerhaften Entscheidungen Gültigkeit zu verleihen; er bietet ein für die meisten Fälle (Krankheit, Befangenheit) praktikables Verfahren, besagt aber nichts über die Frage, wie Entscheidungen zu behandeln sind, die wegen Mitwirkung eines ausgeschlossenen Richters fehlerhaft sind. Hierzu hätte im dritten Abschnitt eine dem § 20 entsprechende Regelung getroffen werden müssen. Das war nach der Natur der Sache nicht möglich.

63

4. Revision. Hat das Gericht die Mängel nicht durch Wiederholung beseitigt, so können sie, wenn es zu einem Urteil gekommen ist, mit der Revision gerügt werden. Unterbleibt eine Anfechtung, erwächst das Urteil gleichwohl in Rechtskraft.141 Soweit der Mangel dem Beweismaterial anhaftet, wird das Urteil stets auf ihm beruhen (§ 337 Abs. 1). Hat der ausgeschlossene Richter an der Hauptverhandlung mitgewirkt, beruht das Urteil stets auf der Gesetzesverletzung (§ 338 Nr. 2), auch wenn das Gericht irrtümlich verneint hatte, dass ein Ausschließungsgrund vorliege (Rn. 45). Weitere Einzelheiten siehe § 28, 31. Hat das Gericht einen Verhinderungsgrund angenommen, obwohl in Wirklichkeit 64 keiner vorlag, war es vorschriftswidrig besetzt. In diesem Fall ist § 338 Nr. 1 erster Halbs. aber nur dann verletzt, wenn jener Umstand auf einem klar zutage liegenden Gesetzesverstoß oder auf Willkür beruht;142 ein schlichter Verfahrensirrtum reicht nicht aus.143 Daher ist die Revision nicht begründet, wenn in Rechtsprechung und Schrifttum streitig ist, ob ein Ausschließungsgrund vorliegt, das Gericht einen angenommen, aber dafür nicht die Billigung des Revisionsgerichts hat.144 Die Rechtsmittel stehen allen Prozessbeteiligten zu. Auch Nr. 4 ist nicht nur zugunsten 65 des Angeklagten gegeben. Daher kann auch die Staatsanwaltschaft rügen, dass die Vorschrift verletzt sei, selbst wenn sie das Urteil zum Nachteil des Angeklagten angreift.145

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5. Eröffnungsbeschluss. Fehlt ein Eröffnungsbeschluss (§ 203), dann mangelt es an einer Prozessvoraussetzung. Fehlt eine Prozessvoraussetzung, ist das Verfahren einzustellen,146 sei es vom erkennenden Gericht, sobald es den Mangel bemerkt, sei es vom Rechtsmittelgericht. Das ist auch dann der Fall, wenn der Beschluss, der die Prozessvoraussetzung schafft, vom Angeklagten nicht angefochten werden kann, wie das beim Eröffnungsbeschluss der Fall ist (§ 210 Abs. 1). Denn auch sonstige Verfahrensvoraussetzungen (z.B. Strafantrag, öffentliche Klage) sind der Anfechtung durch den Beschuldigten entzogen, aber gleichwohl von Amts wegen zu prüfen. Dem Fehlen des Eröffnungsbeschlusses steht es nach der Rechtsprechung gleich, wenn 67 er an schwerwiegenden Mängeln leidet,147 die im Laufe des Verfahrens nicht mehr beho140

141

A.A. RGSt 67 277, doch ist die Entscheidung im Ergebnis richtig, weil sie von einem Ablehnungsfall handelt, und die für zulässig erklärte Ablehnung keine Rückwirkung zeitigt (§ 27, 41). RGSt 35 372 handelt von einem Ausschließungsfall, doch ist nicht zu erkennen, dass das Gericht vor dem Eintritt der Ergänzungsgeschworenen Entscheidungen getroffen hatte. RGSt 72 181; BGHSt 29 355.

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142 143 144 145 146

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BGHSt 11 110; 12 406. Vgl. dazu auch Dahs GA 1979 354. OLG Hamm GA 1971 186. RGSt 59 267. St. Rspr. z.B. RGSt 10 58 bis 68 291; BGHSt 5 227; 6 113; 10 140 = JR 1957 384 mit Anm. Eb. Schmidt; 10 279 = JZ 1958 93 mit Anm. Kern; 29 354. RGSt 68 107; BGHSt 10 140; 279.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

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ben werden können. Dem ist für den Fall zuzustimmen, dass es sich um Mängel handelt, die „der Eröffnungsbeschluss gleichsam an der Stirn trägt“ 148 und die dem Beschluss die einzige das Verfahren ggf. überdauernde Wirkung nehmen, den Gegenstand der Urteilsfindung erkennen zu lassen (§ 264 Abs. 1 i.V.m. § 207 Abs. 1 und 2). Als ein dem Fehlen gleichstehender Mangel ist es angesehen worden, wenn am Eröffnungsbeschluss ein ausgeschlossener Richter mitgewirkt hat.149 In neueren Entscheidungen des Bundesgerichtshofes ist diese Ansicht aufgegeben worden.150 Das entspricht der gegenwärtig überwiegenden Meinung im Schrifttum.151 Das mag zwar Sinn und Zweck der §§ 22ff. widersprechen und auch gewisse Bedenken im Lichte des Art. 101 GG begründen, aber gleichwohl verdient diese Ansicht wegen der unbestreitbaren Praktikabilität der Vorzug, weil Eröffnungsbeschlüssen – wie vielen anderen Prozesshandlungen (Beschlüssen im vorbereitenden Verfahren, Vernehmungen) – nicht anzusehen ist, ob ein ausgeschlossener Richter mitgewirkt hat. Daher zeichnet eine solche Mitwirkung den Eröffnungsbeschluss nicht zu einem solchen, der wie ein als fehlerhaft erkannter zu behandeln ist. Er ist zwar mangelhaft; der Mangel ist aber in der Hauptverhandlung nur auf Hinweis zu berücksichtigen.152 Mit der Revision kann ein solcher fehlerhafter Eröffnungsbeschluss wegen § 336 Abs. 2 i.V.m. § 210 deshalb nicht angefochten werden, weil dieser nicht unwirksam ist.153

§ 23 (1) Ein Richter, der bei einer durch ein Rechtsmittel angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, ist von der Mitwirkung bei der Entscheidung in einem höheren Rechtszuge kraft Gesetzes ausgeschlossen. (2) 1Ein Richter, der bei einer durch einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, ist von der Mitwirkung bei Entscheidungen im Wiederaufnahmeverfahren kraft Gesetzes ausgeschlossen. 2Ist die angefochtene Entscheidung in einem höheren Rechtszug ergangen, so ist auch der Richter ausgeschlossen, der an der ihr zugrunde liegenden Entscheidung in einem unteren Rechtszug mitgewirkt hat. 3Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für die Mitwirkung bei Entscheidungen zur Vorbereitung eines Wiederaufnahmeverfahrens. 148

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BGHSt 10 281; zu der Frage, ob und wann sonstige Mängel die Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses beeinflussen können, s. bei LR/Rieß 25 § 207, 60 ff. RGSt 55 113 mit der (abzulehnenden) Begründung, es habe ein Richter zu wenig entschieden; BGH bei Herlan MDR 1954 656; GA 1980 108; Eb. Schmidt 10; LR/Rieß 25 bei § 207, 51f; Meyer-Goßner 21. Ablehnend gegenüber dieser Ansicht: OLG Bamberg OGHSt 3 1; LG Kempten NJW 1975 1937; Meyer-Goßner JR 1981 380 r. Sp.; Kern JZ 1958 94. BGHSt 29 351, 356 = JR 1981 377 mit Anm. Meyer-Goßner; BGH NStZ 1985 465. KK/Tolksdorf § 207, 16; Meyer-Goßner 21; KK/Pfeiffer 17; HK/Lemke 24; KMR/Seidl

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§ 207, 33; a.A. LR/Rieß 25 § 207, 51 f.; SK/Rudolphi 14. Vgl. BGHSt 10 280; 22 170 – beide freilich zu sogenannten Besetzungsrügen, bei denen die Ausschließungsfrage keine Rolle spielte –; offen gelassen in BGH NJW 1979 2160 – insoweit in BGHSt 28 262 nicht abgedruckt –; Kern JZ 1958 94 gegen RGSt 10 56; 55 113. Zu dem Problem der Anfechtung eines fehlerhaften Eröffnungsbeschlusses vgl. im übrigen die Erläuterungen zu § 207 sowie Meyer-Goßner JR 1981 215 und 379. BGH NStZ 1981 447 mit Anm. Rieß; LR/Rieß 25 bei § 207, 51 f.; KK/Pikart § 336, 7.

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Schrifttum. Arzt Ausschließung und Ablehnung des Richters im Wiederaufnahmeverfahren, NJW 1971 1112; Cuno Die Ausschließung des Richters in den Fällen des § 23 StPO, Diss. Freiburg 1934; Dahs Ablehnung von Tatrichtern nach Zurückweisung durch das Revisionsgericht, NJW 1966 1691; Müller Unter welchen Voraussetzungen ist jemand als Richter wegen früherer Befassung mit der Sache ausgeschlossen? NJW 1961 102; Raacke Zurückverweisung in Strafsachen und Nachtragsentscheidung, NJW 1966 1697; Sieg Richterausschluß im Wiederaufnahmeverfahren, NJW 1984 1519; Zeitz Ausschließung des Richters nach erfolgreicher Revision, DRiZ 1965 393.

Entstehungsgeschichte. In einem ursprünglichen dritten Absatz war vorgeschrieben, dass der Richter, der bei Eröffnung des Hauptverfahrens Bericht über den Antrag der Staatsanwaltschaft erstattet hatte, am Hauptverfahren vor der Strafkammer nicht teilnehmen dürfe. Diese „Ausschließung des Berichterstatters“ wurde durch § 21 Abs. 1 der Emminger VO beseitigt. Durch Art. 5 Nr. 1 StPÄG 1964 sind die beiden ersten Sätze des zweiten Absatzes, durch Art. 1 Nr. 4 des 1. StVRG ist der letzte Satz eingefügt worden. Die Vorschrift enthielt früher einen Absatz 3 (bis zur Einfügung des jetzigen Absatz 2 als Absatz 2) mit dem Wortlaut: „Der Untersuchungsrichter darf in Sachen, in denen er die Voruntersuchung geführt hat, nicht Mitglied des erkennenden Gerichts sein, auch nicht bei einer außerhalb der Hauptverhandlung ergehenden Entscheidung der Strafkammer mitwirken“. Dieser Absatz ist durch Art. 1 Nr. 4 Buchst. b des 1. StVRG zufolge Wegfalls der Voruntersuchung gestrichen worden.

Übersicht Rn. I. Inhalt

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II. Ausschluss von der Rechtsmittelentscheidung (Absatz 1) 1. Entscheidung im unteren Rechtszug . 2. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . 3. Entscheidung im höheren Rechtszug 4. Entscheidung im niederen Rechtszug

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. . . .

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III. Ausschluss im Wiederaufnahmeverfahren (Absatz 2) 1. Mitwirkung bei der ersten Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mitwirkung der Revisionsrichter bei der ersten Entscheidung . . . . . . . . 3. Ausschluss bei Entscheidungen in

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Rn. einem höheren Rechtszug (Absatz 2 Satz 2) a) Berufungsinstanz . . . . . . . . b) Revisionsinstanz . . . . . . . . . 4. Mitwirkung im Wiederaufnahmeverfahren . . . . . . . . . . . . . . 5. Verfahren zur Vorbereitung eines Wiederaufnahmeverfahrens (Absatz 2 Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . .

. .

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IV. Entscheidung nach Zurückverweisung 1. Keine Wiederaufnahme . . . . . . . . 2. Kein Ausschließungsgrund . . . . . . 3. Ablehnungsgrund . . . . . . . . . . .

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I. Inhalt 1

Die Vorschrift behandelt einen Sonderfall richterlicher Vortätigkeit, die grundsätzlich keinen Ausschlussgrund darstellt und auch keine Ablehnung wegen Befangenheit rechtfertigt.1 Von diesem Grundsatz hat der Gesetzgeber zwei Ausnahmen für erforderlich gehalten und deshalb zwei scharf begrenzte Ausschließungsgründe geregelt. Beide Fälle schließen sich an die Fälle des § 22 Nr. 4 an, bei denen der Richter als früherer Beamter oder Anwalt ausgeschlossen ist, betreffen aber hier ausschließlich richterliche Vortätig-

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St. Rspr., vgl. nur BGH NStZ 1999 311.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

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keit: Ein Richter darf nicht über ein Rechtsmittel gegen seine eigene Entscheidung entscheiden (Absatz 1); im Wiederaufnahmeverfahren und im Verfahren zu dessen Vorbereitung darf bei Entscheidungen kein Richter mitwirken, der an der ursprünglichen Entscheidung beteiligt war (Absatz 2).2 – Der Ausschließungsgrund im Wiederaufnahmeverfahren ist in seiner praktischen Bedeutung dadurch zurückgetreten, dass nach § 140a GVG im Wiederaufnahmeverfahren im Regelfall ein anderes Gericht (nur beim Oberlandesgericht ein anderer Senat) entscheidet als das, gegen dessen Entscheidung sich der Wiederaufnahmeantrag richtet. Zusammen mit §§ 22, 148a Abs. 2 Satz 1 bildet die Vorschrift einen erschöpfenden Katalog der Ausschließungsgründe.3 Aus der engen Begrenzung der Ausschließungsgründe ist zu entnehmen, dass die ver- 2 schiedenen Aufgaben des Richteramts im Übrigen grundsätzlich miteinander vereinbar sind 4 und dass die beiden Fälle der Unvereinbarkeit Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz der Vereinbarkeit aller richterlichen Aufgaben miteinander darstellen. Als Ausnahmevorschrift ist § 23 eng und nicht über seinen Wortlaut hinaus auszulegen.5 Denn die Ausschließungsgründe greifen auch ein, wenn der Ablehnungsberechtigte keine Befangenheit besorgt, ja vielleicht dem ausgeschlossenen Richter sogar besonders vertraut.6 Daher darf ihm, dem in erster Linie gesetzlichen Richter, nur bei scharf begrenzten, weiter Auslegung nicht zugänglichen Tatbeständen 7 ein anderer, allerdings nunmehr auch gesetzlicher Richter substituiert werden. Die Nichtanerkennung bestimmter Vortätigkeiten als Ausschließungsgrund bedeutet 3 jedoch nicht gleichzeitig, dass dadurch auch eine allgemeine Vermutung der Unvoreingenommenheit statuiert wäre, sondern die Nähe zu den gesetzlich geregelten Ausschließungsgründen lässt durchaus bei manchen Fällen der Vortätigkeit die Besorgnis der Befangenheit begründen (§ 24, 38 bis 40) 8 und müsste dem Richter, der nicht abgelehnt wird, Veranlassung bieten, nach § 30 zu verfahren. Die – streng begrenzten – Ausschließungsgründe sind 9 von verwandten Ablehnungsgründen umlagert. Das ist sowohl bei § 24 als auch bei § 30 zu beachten. Was zu § 22 über die Wirkungen und Folgen der Ausschließung gesagt ist (§ 22, 4 47 ff.), gilt auch für § 23, weil diese Vorschrift den Katalog des § 22 ergänzt.

II. Ausschluss von der Rechtsmittelentscheidung (Absatz 1) 1. Entscheidung im unteren Rechtszug. Der Ausschließungsgrund des Absatzes 1 liegt 5 vor, wenn der Richter bei einer durch Rechtsmittel angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Der Begriff Entscheidung ist hier, unabhängig von dem Inhalt, den er an 2

3 4

Einen weiteren Fall gesetzlicher Ausschließung regelt § 148a Abs. 2. Danach darf der Richter, der mit Überwachungsmaßnahmen nach § 148 Abs. 2 betraut ist, mit dem Gegenstand der Untersuchung weder befasst sein noch befasst werden; über Kenntnisse aus der Überwachung hat er Verschwiegenheit zu bewahren. Wegen weiterer Einzelheiten vgl. die Erläuterungen zu § 148a Abs. 2. BVerfGE 46 34, 38; Stuttgart StV 1985 492; Meyer-Goßner 1; KK/Pfeiffer 1. RGSt 62 302.

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BVerfGE 30 149, 155; RGSt 2 91; 9 287; 60 325; BGHSt 9 234; OLG Bremen NStZ 1990 97; Meyer-Goßner 1; ebenso zu § 18 Abs. 1 BVerfGG BVerfGE 78 331 = NJW 1989 25; a.A. SK/Rudolphi 1. Geiter RuP 1991 16. BVerfGE 30 149, 155 = NJW 1971 1029, 1030; 46 38 = NJW 1978 37; BGHSt 20 252; 21 142; 24 336; OLG Stuttgart StV 1985 493. So auch SK/Rudolphi 1. Wie Arzt – LV zu § 24 – 17 zutreffend ausführt.

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anderen Orten hat, allein nach Sinn und Zweck der Vorschrift selbst auszulegen. Danach ist Entscheidung jede mit einem Rechtsmittel anfechtbare Willensäußerung des Gerichts. Die Entscheidung wird wegen § 305 Satz 1 in der Regel ein Urteil sein, doch sind auch Beschlüsse denkbar. Da nur die Mitwirkung an der Entscheidung, bei Kollegialgerichten an der Abstim6 mung, bedeutsam ist, schließt die Mitwirkung bloß an der Verhandlung – etwa als Ergänzungsrichter (§ 192 Abs. 1 GVG) oder als vor dem Urteil durch Ablehnung ausgeschiedener Richter – den Richter nicht aus, im ersten Fall selbst dann nicht, wenn er (unzulässigerweise) an der Beratung teilgenommen hat.10 Ebenso wenig bewirkt die Vorbereitung der angefochtenen Entscheidung den Ausschluss, etwa die Anordnung einer kommissarischen Vernehmung,11 einzelner Beweiserhebungen oder eine Beweisaufnahme, gleichviel ob sie vor dem erkennenden Gericht stattgefunden hat oder ob der Richter sie zufolge Auftrags oder Ersuchens vorgenommen hat.12 Kein Ausschlussgrund liegt vor, wenn der Richter in derselben Sache als Ermittlungsrichter (§§ 162, 169) tätig war 13 oder wenn er an Haftentscheidungen mitgewirkt hat.14 War der Richter durch vorbereitende Entscheidungen für eine spätere jedoch schon weitgehend festgelegt, kann das die Besorgnis der Befangenheit begründen.

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2. Rechtsmittel. Der Ausschluss hängt davon ab, dass eine Entscheidung durch ein Rechtsmittel angefochten worden ist. Rechtsmittel sind nur Beschwerde (§ 304). Berufung (§ 312) und Revision (§§ 333 bis 335). Keine Rechtsmittel sind der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 44), der Antrag auf Haftprüfung (§ 117 Abs. 1) und der Antrag auf mündliche Verhandlung im Haftprüfungsverfahren (§ 118 Abs. 1 15), der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 366 16) und der Einspruch gegen den richterlichen Strafbefehl (§§ 410, 411 Abs. 1). Der Fall der Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren ist indessen in Absatz 2 in ähnlicher Weise wie für das Rechtsmittelverfahren geregelt.

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3. Entscheidung im höheren Rechtszug. Der Richter ist nur von der Mitwirkung bei der Entscheidung ausgeschlossen, die im höheren Rechtszug über die von ihm in einem niederen Rechtszug erlassene oder miterlassene Entscheidung ergeht. Die Entscheidungen in den beiden Instanzen müssen einander entsprechen: Ergeht in erster Instanz ein Haftbefehl, kann ein Richter, der ihn erlassen hat, nach der Versetzung in die höhere Instanz an der Entscheidung über die Haftbeschwerde nicht mitwirken. Die Mitwirkung ist aber zulässig, wenn die Entscheidungen in den beiden Instanzen 9 einander nicht entsprechen. War der Richter in erster Instanz an der Anordnung der Untersuchungshaft beteiligt, darf er am Erlass des Berufungsurteils mitwirken, wenn er vor dem Urteil erster Instanz aus dem erstinstanzlichen Gericht ausgeschieden ist. Aus dem gleichen Grund darf der Richter, der das Urteil in erster Instanz miterlassen hat, im Berufungsverfahren über das Ablehnungsgesuch gegen einen Berufungsrichter 17 oder über einen Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung 18 mitentscheiden. Das gleiche gilt für einen Richter, der beispielsweise

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RGSt 65 40, 41; vgl. BVerfGE 30 149, 157 = NJW 1971 1029, 1030. RG JW 1925 794. RGSt 60 322; 63 337; RG JW 1901 289; BGHSt 9 223. BGHSt 9 233, 235.

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RGSt 61 415; BGH MDR 1972 387; KG v. 24.1.01 – 1 AR 39/01 – 4 Ws 12/01 –. 15 Vgl. RGSt 61 416. 16 KG JW 1932 2919. 17 RG DRiZ 1927 326. 18 OLG Koblenz MDR 1982 428.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

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erstinstanzlich bei einem Landgericht ein auf eine Bewährungsstrafe lautendes Urteil miterlassen hat, wenn die Aussetzung später widerrufen wird und er nach zwischenzeitlicher Versetzung an das Oberlandesgericht nunmehr über die sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss entscheiden muss. Ebenso ist ein Richter, der in der Beschwerdeinstanz mitgewirkt hat, nicht in der Berufungsinstanz 19 und der Richter, der bei Erteilung sicheren Geleits (§ 295 Abs. 1) durch die Strafkammer beteiligt war, nicht vom Richteramt in der Hauptverhandlung ausgeschlossen.20 Ist eine weitere Beschwerde (§ 310) oder nach der Berufung noch Revision eingelegt, 10 so wird zwar die Entscheidung des Beschwerde- oder des Berufungsgerichts überprüft, doch enthält die Entscheidung in der Regel zugleich die Rechtfertigung oder Missbilligung der ersten Entscheidung. Der erste Richter ist daher auch in der dritten Instanz ausgeschlossen.21 Aus dem gleichen Grund darf ein Richter, der an einem auf Revision aufgehobenen Urteil mitgewirkt hat, an der Entscheidung nicht mitwirken, die nach erneuter Revision im Revisionsrechtszug zu treffen ist.22 Dagegen darf ein Richter im Revisionsrechtzug wiederholt in der Sache entscheiden, also nach einer Aufhebung und Zurückverweisung über die erneut eingelegte Revision.23 Kein Verfahren im höheren Rechtszug ist das Haftprüfungsverfahren (§ 117 Abs. 1). Deshalb können – und das ist die Regel – die Richter, die den Haftbefehl erlassen haben, auch im Haftprüfungsverfahren mitentscheiden.24 Dagegen ist das Verfahren nach §§ 121, 122 ein Verfahren im höheren Rechtszug, wo 11 geprüft wird, ob – außer bei der Staatsanwaltschaft – auch beim erkennenden Gericht Umstände, die dem Urteil entgegenstehen, unabwendbar gewesen sind. Indessen findet Absatz 1 keine Anwendung, weil das Oberlandesgericht nicht auf Beschwerde, sondern von Amts wegen entscheidet.25 Daher wird ein Richter, der den Haftbefehl erlassen hatte und dann zum Oberlandesgericht versetzt worden ist, nach § 30 zu verfahren haben, wenn er berufen sein sollte, am Verfahren nach §§ 121, 122 an der Prüfung des Haftbefehls mitzuwirken, den er erlassen hatte. 4. Entscheidung im niederen Rechtszug. Der Gesetzgeber hat bei seiner Anordnung 12 den Normalfall im Auge gehabt, bei dem sowohl die Sache von der unteren in die höhere Instanz geht als auch ein Richter vom niederen an ein höheres Gericht berufen wird. Es können aber auch Richter von höheren Gerichten an niedere Gerichte versetzt werden und damit nach der Geschäftsverteilung berufen sein, an der Verhandlung einer Sache mitzuwirken, die durch das Urteil eines höheren Gerichts unter Mitwirkung des in die untere Instanz versetzten Richters an diese zurückverwiesen worden ist. Der Richter sitzt in diesem Fall zwar nicht über sein eigenes Urteil zu Gericht, was Absatz 1 ausschließen will. An die neue Entscheidung geht er aber auch nicht allein auf Grund des Ergebnisses der neuen Hauptverhandlung (§ 261) heran, sondern, wenigstens in der Regel, begleitet von den Eindrücken der Rechtsmittelverhandlung. Das braucht nicht stets der Fall zu sein, etwa wenn das erste Urteil lediglich wegen eines Verfahrensmangels aufgehoben worden ist. Im Regelfall indessen wird die besondere Art der richterlichen Vortätigkeit besorgen lassen, der Richter sei befangen. Weil aber der Kreis der Ausschließungsgründe geschlossen ist, ist § 22 nicht entsprechend anzuwenden.26 Wohl aber steht das Ableh19 20 21 22 23

RG JW 1933 444. RGSt 59 102. KG JW 1928 1949; OLG Königsberg GA 73 (1929) 65; SK/Rudolphi 7. OLG Schleswig SchlHA 1958 318. BGH v. 22.4.2005 – 2 StR 46/05 – .

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RGSt 61 416. OLG Bremen NStZ 1990 96. BGH bei Dallinger MDR 1971 387; zweifelnd, aber eher wie hier OLG Hamm JMBlNRW 1966 55.

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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

nungsverfahren nach § 24 Abs. 1, 2. Halbsatz, § 25 offen. In der Regel wird der Richter Anzeige nach § 30 zu machen haben.

III. Ausschluss im Wiederaufnahmeverfahren (Absatz 2) 13

1. Mitwirkung bei der ersten Entscheidung. Die Ausschließung trifft die Richter, die bei einer Entscheidung mitgewirkt haben, die später durch einen Antrag auf Wiederaufnahme angefochten wird. Davon sind in erster Linie die Richter betroffen, die das Urteil in erster Instanz und in der Berufungsinstanz erlassen haben.27 Mitwirken bedeutet, dass der Richter in seiner richterlichen Funktion an der Urteilsfindung, d.h. an den tatsächlichen Feststellungen und an den rechtlichen Folgerungen unmittelbar beteiligt ist, dass er also das Urteil mit zu verantworten hat.28 Demzufolge wird der Richter nicht ausgeschlossen, der nicht an der (abschließenden) Entscheidung mitgewirkt hat, sondern nur an vorbereitenden Entscheidungen, etwa am Eröffnungsbeschluss, oder allein an der Verhandlung (Beispiele Rn. 6), etwa als Ergänzungsrichter (BVerfG aaO), beteiligt gewesen ist.29 Im Regelfall wird aber darin ein Ablehnungsgrund liegen.30 Mit der Wahl des Wortes Entscheidungen trägt der Gesetzgeber der Erkenntnis Rech14 nung, dass nicht nur gegen Urteile (§§ 359, 362) Wiederaufnahme begehrt werden kann, sondern auch gegen Strafbefehle (§ 373a), Bußgeldbescheide (§ 85 OWiG) sowie gegen urteilsersetzende Beschlüsse nach § 322 Abs. 1 Satz 1, § 349 Abs. 1, 2 und 4, im letzten Fall allerdings nur, wenn das Revisionsgericht nach § 354 Abs. 1 in der Sache selbst entschieden hat.31 Gegen Einstellungsbeschlüsse (§ 153 Abs. 2 Satz 1, § 153a Abs. 2 Satz 1, § 153b 15 Abs. 2, § 153e Abs. 2, 154 Abs. 2, 154b Abs. 4, 383 Abs. 2) ist keine Wiederaufnahme zulässig.32 ebenso nicht gegen Beschlüsse, durch die eine Gesamtstrafe gebildet wird (§ 363 33).

16

2. Mitwirkung der Revisionsrichter bei der ersten Entscheidung. War das Urteil, gegen das sich der Wiederaufnahmeantrag richtet, mit der Revision angefochten worden, dann sind auch die Richter, die über die Revision entschieden hatten, im Wiederaufnahmeverfahren ausgeschlossen.34 Der Fall kann, nachdem das Revisionsgericht von Wieder-

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Wegen der Revisionsinstanz s. Rn. 16. BVerfGE 30 156 = NJW 1971 1030. Das Votum der Minderheit legt den „interpretationsbedürftigen Begriff der Mitwirkung“ in einem weiteren Sinn aus, der dem Rechts- und Vertrauensschutz des Beschuldigten, „wie er heute verstanden wird“, gerecht werde. Es erachtet die Teilnahme des Ergänzungsrichters als Mitwirkung, weil er seiner Funktion nur dann gerecht werde, wenn er das Ergebnis der Beweisaufnahme tatsächlich und rechtlich würdige, sich eine Überzeugung von Unschuld oder Schuld des Angeklagten bilde und Überlegungen zum Strafmaß anstelle (BVerfGE 30 161, 163 = NJW 1971 1032). Mit Arzt (1114) ist diese Dehnung des Begriffs der Mitwirkung abzu-

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lehnen, aber auf § 24 Abs. 2 und namentlich auf § 30 zu verweisen. Im Fall RGSt 65 41 (unzulässige Teilnahme des Ergänzungsrichters an der Beratung), der nach § 23 Abs. 1 zu entscheiden war, hätte der Richter nach § 30 verfahren müssen. Für § 23 Abs. 2 gilt dasselbe. Ebenso zu § 349 Abs. 1 und 2 Eb. Schmidt Nachtr. § 367, 9; zu § 349 Abs. 2 und 4 Schmitt JZ 1961 17 Anm. 17; zu § 349 Abs. 4 OLG Braunschweig NJW 1950 36. OLG Bremen NJW 1959 353; OLG Hamburg JZ 1951 185; OLG Hamm NJW 1952 568; a.A. OLG Neustadt NJW 1961 2363. A.A. BayObLGSt 1955 47. BVerfGE 30 168 = NJW 1971 1033; BVerfGE 63 80 = NStZ 1983 324; OLG Düsseldorf

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

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aufnahmeentscheidungen ausgeschlossen worden ist (§ 140a Abs. 1 Satz 2 GVG), nur äußerst selten eintreten, etwa wenn ein Bundesrichter an ein Tatgericht übergeht, praktisch also nur, wenn er Oberlandesgerichtspräsident geworden ist und in einer Sache nach § 120 Abs. 1 und 2 GVG, über die er als Revisionsrichter (§ 135 Abs. 1 GVG) entschieden hatte, in seinem Senat im Wiederaufnahmeverfahren zu entscheiden hätte. Zu der Ausschließung gelangt das Bundesverfassungsgericht, indem es an den Begriff 17 der Mitwirkung (Rn. 13) anknüpft, mit der Erwägung, dass der Revisionsrichter, was in der Tat zutrifft, das tatrichterliche Urteil mit zu verantworten habe. Freilich wird damit die Forderung der unmittelbaren Beteiligung aufgegeben und der Begriff „Mitwirkung“ sehr weit – nach Ansicht des Votums der Minderheit zu weit 35 – ausgedehnt.36 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nötigt nicht, die Richter des Beru- 18 fungsgerichts als ausgeschlossen anzusehen, wenn dieses nicht das mit dem Wiederaufnahmeantrag angefochtene Urteil erlassen, sondern nach § 328 Abs. 2 und 3 entschieden hat; hier wird auch in der Regel kein Grund gegeben sein, den Richter als befangen abzulehnen. Ebenfalls nicht ausgeschlossen sind Richter, die an einem Urteil mitgewirkt haben, das vom Revisionsgericht aufgehoben ist, in einem Wiederaufnahmeverfahren, mit dem das nach Aufhebung (ohne die ersten Richter) ergangene Urteil angegriffen wird.37 Wenn das zweite Urteil die wesentlichen und die Entscheidung tragenden Gesichts- 19 punkte, die zu der früheren Verurteilung geführt hatten, stellenweise wörtlich, sinngemäß in vollem Umfang übernommen hat, wird Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit begründet sein.38 3. Ausschluss bei Entscheidungen in einem höheren Rechtszug (Absatz 2 Satz 2) a) Berufungsinstanz. Wird ein Wiederaufnahmeantrag gegen ein Berufungsurteil ge- 20 stellt, sind – wie sich aus Satz 1 ergibt – die Richter des Berufungsgerichts ausgeschlossen. Da das Berufungsurteil in der Regel auch die erste Entscheidung, sei es rechtfertigend, sei es missbilligend, mitbehandelt, sind ausdrücklich auch der Strafrichter oder der Richter beim Amtsgericht als Vorsitzender des Schöffengerichts ausgeschlossen, der das amtsgerichtliche Urteil erlassen hat. Die genannten Richter beim Amtsgericht sind aber nicht ausgeschlossen, wenn ein 21 nach § 322 Abs. 1 Satz 1 erlassener Beschluss im Wiederaufnahmeverfahren angegriffen wird. Denn das ist nur möglich, wenn der Antrag auf einen Wiederaufnahmegrund gestützt wird, der im Beschlussverfahren selbst liegt. Das ist nur in den seltenen Fällen von § 359 Nr. 3, § 362 Nr. 3 und allenfalls noch in entsprechender Anwendung des

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JMBlNRW 1979 259 = MDR 1980 335; Berkemann JR 1983 140. BVerfGE 30 170 = NJW 1971 1034. Die Rechtsprechung hatte die Revisionsrichter nicht als ausgeschlossen angesehen (Arzt NJW 1971 1113 mit Fn. 11). Arzt billigt die Ausdehnung des Begriffs, weist aber zu Recht darauf hin, dass die Revisionsrichter nicht ausgeschlossen sind, wenn sie die Revision als unzulässig verworfen haben. Dasselbe nimmt er an, wenn das Revisionsgericht das angefochtene Urteil aufgehoben

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hat. So allgemein ist dieser Satz aber nicht richtig. Der Ausschluss kann durchaus begründet sein, wenn das Revisionsgericht das Urteil wegen eines Formfehlers aufhebt, sich aber – was oft geschieht – auch mit der materiellen Grundlage des Urteils befasst und etwa gar Hinweise für die rechtliche Beurteilung in einer neuen Hauptverhandlung gibt. OLG Hamm NJW 1966 2073. Im Fall des Oberlandesgerichts Hamm (NJW 1966 2073) hätte der Richter nach § 30 verfahren müssen.

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§ 359 Nr. 1 (Beispiel: gefälschter Eingangsstempel) denkbar. In diesen Fällen liegt der angefochtenen Entscheidung nicht die „Entscheidung in einem unteren Rechtszug“ (§ 23 Abs. 2 Satz 2, letzter Halbsatz), sondern der Vorgang der „Einlegung der Berufung“ (§ 322 Abs. 1 Satz 1) zugrunde.

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b) Revisionsinstanz. Richtet sich der Wiederaufnahmeantrag gegen die Entscheidung eines Revisionsgerichts, sind dessen Richter nicht ausgeschlossen, aber nur deshalb, weil sie im Wiederaufnahmeverfahren ohnehin nicht mitwirken können. Denn über einen Wiederaufnahmeantrag gegen ein im Revisionsverfahren erlassenes Urteil entscheidet ein anderes Gericht der Ordnung des Gerichts, gegen dessen Urteil die Revision eingelegt war (§ 140a Abs. 1 Satz 2 GVG). Ausgeschlossen sind in Strafkammersachen die Richter der Strafkammer, die das 23 Urteil erlassen hatte, in Amtsgerichtssachen die Richter des Amtsgerichts, die in erster Instanz und die der Strafkammern, die in der Berufungsinstanz entschieden haben. Die Richter des Berufungsgerichts sind jedoch nicht ausgeschlossen, wenn sie zufolge Teilrechtskraft nur über einen Teil des ersten Urteils entschieden haben, gegen den sich der Wiederaufnahmeantrag nicht richtet, z.B. über den seinerzeit allein angefochtenen Strafausspruch. Diese Regeln gelten auch, wenn die urteilsersetzenden Beschlüsse nach § 349 Abs. 2 und 4 angegriffen werden. Für den Beschluss nach § 349 Abs. 1 gelten die gleichen Erwägungen wie für den nach 322 Abs. 1 Satz 1 (Rn. 21).

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4. Mitwirkung im Wiederaufnahmeverfahren. Der Richter ist von Entscheidungen im Wiederaufnahmeverfahren ausgeschlossen. Im Gegensatz zu Absatz 1 ist von Entscheidungen und nicht von der Entscheidung die Rede. Der Ausschluss erstreckt sich also nicht nur auf die Entscheidung in der neuen Hauptverhandlung (§ 373), sondern nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes auch auf die Beschlüsse, die für das Schicksal der Wiederaufnahme oft am bedeutendsten sind, nämlich, ob der Antrag zulässig (§ 367 39) und vornehmlich, ob er begründet ist (§ 370). Nach dem Zweck der Vorschrift wäre es wohl unbedenklich, wenn der Richter des 25 ersten Urteils im Wiederaufnahmeverfahren an einem Beschluss über eine Richterablehnung oder über die Anordnung der Untersuchungshaft mitwirkte. Es wäre aber schon bedenklich, wenn er mitentschiede, ob eine Beweisaufnahme erforderlich ist (§ 369 Abs. 1). Da dem Gesetz keine Abgrenzungsrichtlinie zu entnehmen ist und da Satz 3 den Richter auch von den Entscheidungen zur Vorbereitung des Wiederaufnahmeverfahrens ausschließt, muss man den Text wörtlich auslegen und im Wortlaut die gesetzgeberische Entscheidung finden, dass von jeder Mitwirkung im Wiederaufnahmeverfahren ausgeschlossen ist, wer am ersten Urteil – und wenn das angegriffene Urteil in einer höheren Instanz ergangen ist, auch an dem ihm zugrunde liegenden Urteil der Vorinstanzen – mitgewirkt hat. Danach ist der Richter des ersten Urteils – und ihm voraufgegangener Urteile – bei schlechthin allen Entscheidungen im Wiederaufnahmeverfahren ausgeschlossen. Das gilt nicht nur bei den erstinstanzlichen Entscheidungen, sondern auch bei denen im Beschwerdeverfahren.40

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5. Verfahren zur Vorbereitung eines Wiederaufnahmeverfahrens (Absatz 2 Satz 3). Nach § 364b ist dem Verurteilten, der die Wiederaufnahme des Verfahrens anstrebt, schon für die Vorbereitung eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens ein Verteidiger zu bestellen. Da der Verurteilte Veranlassung haben könnte, an der Unvoreinge39

OLG Saarbrücken NJW 1965 167.

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40

OLG Bremen NJW 1966 168.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 23

nommenheit eines Richters zu zweifeln, der bereits an dem Urteil mitgewirkt hat, gegen das sich der angestrebte Wiederaufnahmeantrag richten soll, ist dieser Richter von der Entscheidung über die Verteidigerbestellung kraft Gesetzes ausgeschlossen. Das Gesetz spricht, wohl an einen überholten Entwurf anknüpfend, von Entscheidungen zur Vorbereitung eines Wiederaufnahmeantrags, doch sind andere als die Verteidigerbestellung nicht (mehr) vorgesehen.

IV. Entscheidung nach Zurückverweisung 1. Zurückverweisung (§ 328 Abs. 2, § 354 Abs. 2). Eine ausdrückliche Regelung, 27 dass ein Richter, der an der aufgehobenen Entscheidung mitgewirkt hat, von der erneuten Verhandlung und Entscheidung ausgeschlossen ist, fehlt. Daher kann nach dem Gesetzeswortlaut ein solcher Richter bei der Entscheidung in der neuen Hauptverhandlung im Fall des § 328 Abs. 2 vor dem Gericht des ersten Rechtszugs oder in den Fällen des § 354 Abs. 2 vor der anderen Abteilung oder Kammer dieses Gerichts mitwirken, wenn er ihr inzwischen nach der Geschäftsverteilung angehört, oder vor dem anderen Gericht teilnehmen, wenn er dorthin versetzt worden ist.41 Dabei ist es gleichgültig, wo die neue Verhandlung stattfindet: vor einer anderen 28 Abteilung – auch einem Strafrichter 42 – oder einer anderen Abteilung oder Kammer des Gerichts, dessen Urteil aufgehoben worden ist (§ 354 Abs. 2, erste Alternative), vor einem zu demselben Land gehörenden anderen Gericht gleicher Ordnung (§ 354 Abs. 2, zweite Alternative), vor einem Gericht niederer Ordnung (§ 354 Abs. 3), vor dem zuständigen Gericht, wenn zuerst ein unzuständiges entschieden hatte (§ 328 Abs. 2, § 355), und in diesem Falle auch vor einem höheren erstinstanzlichen Gericht.43 2. Kein Ausschließungsgrund. Welch unglückliche Situation aber durch Änderung 29 der Geschäftsverteilung entstehen kann, zeigt das Beispiel eines Landgerichts, bei dem zwei kleine Strafkammern bestanden. Aufgehobene und zurückverwiesene Sachen kamen zu neuer Verhandlung und Entscheidung jeweils vor die andere Kammer. Mit Ablauf eines Geschäftsjahres wechselten die beiden Kammervorsitzenden aus hier nicht interessierenden Gründen die Kammern. Die Folge war, dass die aufgehobenen und zurückverwiesenen Sachen letztlich wieder demselben Vorsitzenden vorlagen. Zwar lässt die Gesetzeslage derartige Konstellationen zu, aber hier muss dann ernsthaft über eine Ablehnung nach § 24 Abs. 2 oder von Seiten des Richters an eine Anzeige nach § 30 nachgedacht werden (s.u. Rn. 33 ff.).44 Deswegen ist vereinzelt an dieser h.M. Kritik geäußert worden. Zeitz fasst § 354 30 Abs. 2 unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte als Ausschließungsgrund für die Richter auf, die an dem vom Revisionsgericht aufgehobenen Urteil mitgewirkt haben; die Bestimmung müsse verstanden werden, als laute sie: „… ist die Sache an eine anders besetzte Abteilung oder Kammer … zurückzuverweisen“.45 Die Auslegung ist nach der

41

42 43

BVerfGE 30 155 = NJW 1971 1030; BGHSt 20 252; 21 142; OLG Celle NJW 1966 168; KK/Pfeiffer 5; SK/Rudolphi 17. OLG Saarbrücken MDR 1970 347; OLG Hamm GA 1971 185. RGSt 31 225. Beispiel: Das Urteil in einer vor dem Schöffengericht verhandelten Sache ist

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wegen Unzuständigkeit des Amtsgerichts aufgehoben, die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die Strafkammer verwiesen worden. Vgl. auch SK/Rudolphi 17. DRiZ 1965 393.

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Entstehungsgeschichte nicht zwingend; 354 Abs. 2 kann – trotz ursprünglicher Absicht, einen Ausschließungsgrund zu schaffen (Vor § 22, 19) – nicht als ein versteckter Ausschließungsgrund angesehen werden.46 In keinem der unter Rn. 28 aufgeführten Fälle ist der Richter, der bei einer vom Revisionsgericht aufgehobenen Entscheidung mitgewirkt hat, nach Zurückverweisung der Sache von der Mitwirkung bei der neuen tatrichterlichen Entscheidung kraft Gesetzes ausgeschlossen.47 Das beruht darauf, dass kein Grund zu der Besorgnis besteht, Richter könnten schon allein deshalb voreingenommen sein, weil ihr Urteil aufgehoben worden ist. Zudem sind die §§ 22 und 23 abschließend. Die vorbezeichneten Erwägungen gelten entsprechend, wenn der an dem aufgehobenen Urteil beteiligte Richter nicht als Richter sondern als Staatsanwalt an der nach der Entscheidung des Revisionsgerichts gebotenen neuen Hauptverhandlung teilnimmt.48 Zeitz übersieht, dass der Gesetzgeber für den früheren § 328 Abs. 2 keine dem § 354 31 Abs. 2 entsprechende Regelung getroffen hatte. Er hat sein Ziel – wenn auch vielleicht versehentlich – (Vor § 22, 19) im großen durch die in § 354 Abs. 2 getroffene Anordnung verfolgt; verbleiben Befangenheitsfälle, ist mit den für Einzelfälle geschaffenen Mitteln der §§ 24 und 30 zu verfahren.49 Dass das Verfahren nach § 30 unzulässig wäre, weil nur die Auswirkung eines Gesetzes umgangen werden solle,50 ist unzutreffend. Das Gesetz stellt nicht die Fiktion auf, dass ein Richter, der am aufgehobenen Urteil mitgewirkt hat und inzwischen an das Gericht gelangt ist, das nun in der Sache zu entscheiden hat, dem Angeklagten als unbefangen zu erscheinen habe. Ist schon der Richter nicht ausgeschlossen, wenn auch oft befangen, der nach 32 Zurückverweisung der Sache erneut mit ihr befasst ist, dann ist es auch der nicht, der an einem nach § 329 Abs. 1 erlassenen Urteil oder an einem die Wiedereinsetzung (§ 329 Abs. 3) versagenden Beschluss mitgewirkt und alsdann erneut nach § 324 zu verhandeln und zu entscheiden hat, nachdem der die Wiedereinsetzung verwerfende Beschluss vom Beschwerdegericht aufgehoben worden ist.51 Denn er war nicht mit der Sache befasst, sondern nur mit dem Zwischenstreit über die Frage, ob das Ausbleiben genügend entschuldigt (§ 329 Abs. 1) und ob der Angeklagte ohne Verschulden verhindert war, den Termin einzuhalten (§ 329 Abs. 3 i.V.m. § 44 Satz 1).

33

3. Ablehnungsgrund. Gegen die Mitwirkung desselben Richters in der neuen Verhandlung bestehen im Fall des § 329 Abs. 3 keine Bedenken. Das ist auch nicht immer der Fall, wenn eine Sache aus der Revisionsinstanz zurückverwiesen wird. Lag der Zurückverweisung ein Rechtsirrtum, ein nicht auf die Beweiswürdigung bezüglicher Prozessverstoß oder gar eine Gesetzesänderung nach dem Urteil zugrunde, besteht kaum Veranlassung, Befangenheit des Richters zu besorgen, der an dem ersten Urteil mitgewirkt hatte. Befangenheit kann aber besorgt werden, wenn der Vorderrichter Denkgesetze nicht beachtet, Beweise – auch in einem früheren Verfahren – zu Unrecht nicht erhoben 52 oder andere Fehler gemacht hat, die sich auf die Tatsachenfeststellung und die Beweiswürdigung auswirken; wenn er bei der Strafzumessung abträgliche Werturteile über den Angeklagten und sein Verhalten vor oder nach der Tat abgegeben hat, die sich in rechtlich unzulässiger Weise nachteilig auf die Strafzumessung ausgewirkt haben könnten;53 46 47

Dahs NJW 1966 1693. BVerfG DRiZ 1968 141; BGHSt 20 253; 21 144; 24 337; BGH NJW 1966 1718; 1967 2217; bei Pfeiffer NStZ 1981 298; OLG Celle NJW 1966 168; JZ 1979 486; OLG Hamm NJW 1966 362; JMBlNRW 1967 103; GA 1971 186.

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48 49 50 51 52 53

BGH NStZ 1991 595. OLG Frankfurt VRS 57 (1979) 207. Zeitz 394. OLG Stuttgart Justiz 1970 311. OLG Frankfurt VRS 57 (1979) 207. BGH NJW 1972 1288.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 23

oder wenn er im Strafmaß mit mangelhafter Begründung grob von dem für gleiche Fälle Üblichen abgewichen ist. In solchen Fällen entspricht die Mitwirkung des Vorderrichters nicht der Absicht des 34 Gesetzgebers. Nach dieser sollte die Sache zufolge der Verweisung an eine andere Abteilung oder Kammer (§ 354 Abs. 2 Satz 1) „grundsätzlich an andere Richter gehen“;54 der Angeklagte sollte nicht „vor demselben Richter stehen.55 Daher wird eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit begründet und wird, wenn keine Ablehnung angebracht wird, nach § 30 zu verfahren sein, wenn dem Gericht, das über eine zurückverwiesene Sache verhandelt, ein Richter angehört, der an der Entscheidung in der ersten Verhandlung mitgewirkt hatte, falls das aufhebende Urteil Beanstandungen erhebt, die sich auf die Tatsachenfeststellung, die Beweiswürdigung oder die Behandlung der Strafoder Maßregelfrage im ersten Urteil beziehen.56 Die Ansicht, dass ein Fall der Verhinderung vorliege und der Richter durch seinen 35 Vertreter ersetzt werden könne,57 findet in keiner gesetzlichen Bestimmung eine Stütze.58 Der Richter ist nicht verhindert, sondern kann – und auch das nicht in allen Fällen – vom Standpunkt des Angeklagten aus als befangen erscheinen. Ob das der Fall ist, darf nur in den ordentlichen Verfahren der §§ 27, 30 entschieden werden. Die Rechtsprechung erkennt zwar an, dass das Gesetz erstrebe, die Sache solle vor 36 andere Richter kommen,59 zieht aber daraus nicht den Schluss, dass der Richter allein wegen seiner Mitwirkung bei der früheren Entscheidung in Bezug auf die Mitwirkung bei der neuen Entscheidung befangen sei.60 Im Grundsatz kann dieser abstrakten Formulierung kaum widersprochen werden, doch ist eine differenziertere Betrachtung (und Darstellung der Sachverhalte) zu verlangen. Dann wird sich herausstellen, dass die Fälle, wo der Angeklagte zu Recht Befangenheit besorgen kann,61 wohl zahlreicher sind als die, wo eine solche Besorgnis unbegründet ist.62 Befangenheit wird daher in Fällen der Vorbefassung häufiger und namentlich dann zu bejahen sein, wenn sich der Richter in dem Vorprozess eine eindeutige Überzeugung gebildet hat.63

54 55 56

Abg. Dr. Kanka, BTProt. IV 6470 A. Bundesminister Dr. Bucher, BTProt. IV 6471 C. Enger BGHSt 24 336; wohl noch weiter gehend Arzt 1114. Hanack (JZ 1971 91) verlangt „generelle Befangenheit“ anzunehmen, wenn, nachdem die Sache gemäß § 354 Abs. 2 zurückverwiesen worden ist, ein früher beteiligter Richter erneut mit der Sache befasst wird, „weil nur auf diese Weise die unmöglichen und verfassungswidrigen Konsequenzen des schlechten gesetzgeberischen Kompromisses zu § 354 Abs. 2 abzufangen sind“. Ebenso, weil der Befangenheitsgrund auf dem „faktischen Niveau der

57 58

59 60 61 62 63

Ausschließungsgründe“ stehe, Hamm „Der gesetzliche Richter“, Diss. 1973, 178. So noch KMR/Müller-Sax 6 § 354, 6d Abs. 4. Dahs NJW 1966 1967; Hanack NJW 1967 589; Hamm „Der gesetzliche Richter“, Diss. 1973, 174. BGH NJW 1966 1718; BGHSt 21 144; OLG Hamm NJW 1966 362. BGHSt 21 142, 342; 24 336; BGH NJW 1967 2217; GA 1968 372. BGHSt 24 336; BGH GA 1978 243; LG Münster NJW 1966 1723. Arzt JZ 1973 34. OLG Celle RuP 1991 44; Geiter RuP 1991 14.

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§ 24

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

§ 24 (1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. (2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. (3) 1Das Ablehnungsrecht steht der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu. 2Den zur Ablehnung Berechtigten sind auf Verlangen die zur Mitwirkung bei der Entscheidung berufenen Gerichtspersonen namhaft zu machen. Schrifttum zu den §§ 24 bis 26. Arzt Der befangene Strafrichter (1969); Bernsmann Wider eine Vereinfachung der Hauptverhandlung (Ablehnungsrecht), ZRP 1994 332; Böttcher/Widmaier Absprachen im Strafprozeß? – Besprechung des Urteils des BGH vom 23.1.1991 – 3 StR 365/90 –, JR 1991 353; Böttcher/Dahs/Widmaier Verständigung im Strafverfahren – eine Zwischenbilanz, NStZ 1993 375; Dahs Ablehnung von Tatrichtern nach Zurückweisung durch das Revisionsgericht, NJW 1966 1691; Draber Zur Neuregelung der Richterablehnung im Strafverfahren, DRiZ 1977 330; Drees Die Entscheidung des Vorsitzenden über den Zeitpunkt der Anbringung von Ablehnungsgesuchen, NStZ 2005 184; Frister Beschleunigung der Hauptverhandlung durch Einschränkungen von Verteidigungsrechten? (zum Ablehnungsrecht), StV 1994 450; Geiter Richterablehnung wegen Vorbefassung, RuP 1991 14; Gilles Richterliche Unabhängigkeit und parteipolitische Bindung, DRiZ 1983 41; Grieg/Widmaier Der gestellte Verwerfungsantrag, NStZ 2001 57; Günther Unzulässige Ablehnungsgesuche und ihre Bescheidung, NJW 1986 281; Hamm Der gesetzliche Richter und die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit unter besonderer Berücksichtigung des Strafverfahrens, Diss. Frankfurt 1973; ders. Können Ablehnungsgründe bei rechtzeitigem und zulässigem Ablehnungsgesuch auch verspätet sein? NJW 1973 178; ders. Recht des Verletzten im Strafverfahren zur Richterablehnung? NJW 1974 682; Herzog ‚Deals‘ zu Lasten Dritter in vorgängigen abgetrennten Verfahren und die Besorgnis der Befangenheit, StV 1999 455; Horn Der befangene Richter (1977); Kintzi Verständigung im Strafrecht – Überlegungen zu den Thesen und dem Gutachten der Großen Strafrechtskommission –, JR 1990 309; ders. Verständigung im Strafverfahren – Eine unendliche und spannende Geschichte –, DRiZ 1992 245; Krekeler Der befangene Richter, AnwBl. 1981 326 = NJW 1981 1633; Lamprecht Befangenheit an sich: Über den Umgang mit einem prozessualen Grundrecht, NJW 1993 2222; Landau Verfahrensabsprachen im Ermittlungsverfahren, DRiZ 1995 132; Mahne Der Befangenheitsantrag im Strafprozeß, Diss. Köln 1979; Meyer-Goßner Strafverfolgung und Gerechtigkeit – ist der Strafprozeß noch zu retten, DRiZ 1996 180; MeyerMews Der Befangenheitsantrag nach erfolgloser Gegenvorstellung, StraFo 2000 369; Michel Befangenheit in der Strafgerichtsbarkeit, MDR 1993 1146; Molketin Sitzungspolizeiliche Maßnahmen des Vorsitzenden – Anlaß zur Ablehnung wegen „Besorgnis der Befangenheit“? MDR 1984 20; Ohain Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit aus politischen Gründen, Diss. Freiburg 1932; Pfister Beschleunigung der Hauptverhandlung durch Einschränkung von Verteidigerrechten, StV 1994 445 (hier: Verschärfung der Vorschriften über die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit 450 III); Claus Rabe Ablehnung des Strafrichters bei provokativem oder beleidigendem Verhalten des Angeklagten oder seines Verteidigers, NJW 1976 172; ders. Der befangene Richter, AnwBl. 1981 331; Riedel Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters (1980); Rieß Die Änderungen im Strafverfahrensrecht zum 1.4.1987, StV 1987 212; Rieß/Hilger Das neue Strafverfahrensrecht – Opferschutzgesetz und Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 –, NStZ 1987 145; Rostek Ablehnung des Amtsrichters wegen Besorgnis der Befangenheit in der Hauptverhandlung, NJW 1975 192; Schorn Die Ablehnung eines Richters im Strafprozeß in Rechtsprechung und Schrifttum, GA 1963 161; Schünemann Wetterzeichen einer untergehenden Strafprozeßkultur? Wider die falsche Prophetie des Absprachenelysiums, StV 1993 172; ders. Die Absprachen im Strafverfahren – Von ihrer Gesetz- und Verfassungswidrigkeit, von der ihren Versuchungen erliegenden Praxis und vom dogmatisch gescheiterten Versuch des 4. Strafsenats des BGH, sie im geltenden

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§ 24

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Strafprozessrecht zu verankern, FS Rieß 525; Seibert Befangenheit und Ablehnung, JZ 1960 85; Siolek Verständigung in der Hauptverhandlung 1993; ders. Neues zum Thema Verständigung im Strafverfahren, DRiZ 1993 422; ders. Zur Fehlentwicklung strafprozessualer Absprachen, FS Rieß 563; Stemmler Befangenheit im Strafprozeß, Diss. Tübingen 1975; Teplitzky Probleme der Richterablehnung wegen Befangenheit, NJW 1962 2044; ders. Die Richterablehnung wegen Befangenheit, JuS 1969 318; ders. Auswirkung der neueren Verfassungsrechtsprechung auf Streitfragen der Richterablehnung wegen Befangenheit, MDR 1970 106; Wassermann Richterablehnung wegen Befangenheit, NJW 1963 429; ders. Richterlicher Selbstschutz bei der Ablehnung von Richtern des BVerfG? NJW 1987 418; ders. Zur Ablehnung des Richters wegen politischer Befangenheit, DRiZ 1987 144; ders. Zur Richterablehnung im verfassungsrechtlichen Verfahren, FS M. Hirsch 65; Wipfelder Der Richter – ein Bürger wie jeder andere? DRiZ 1987 117, 125; Zschockelt Die Urteilsabsprache in der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH, NStZ 1991 305; Zuck Befangenheit als Fehlerquelle für ein faires Verfahren, DRiZ 1988 172.

Übersicht Rn. I. Grundsätze (Absatz 1) 1. Ausgeschlossener Richter 2. Befangenheit a) Begriff . . . . . . . . b) Begriffsgrenzen . . . . c) Einzelfallentscheidung

. . . . . .

1

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4 7 9

II. Befangenheitsgründe (Absatz 2) 1. Einflussnahme auf den Richter . . 2. Einwirkungen durch den Richter . 3. Abhängigkeit von privaten Stellen . 4. Politische Bindungen . . . . . . . 5. Mitwirkung an Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 6. Religiöse Anschauungen . . . . . . 7. Dienstliche oder geschäftliche Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . 8. Rechtliche Ansichten . . . . . . . 9. Persönliche Verhältnisse . . . . . . 10. Anzeigen . . . . . . . . . . . . .

. . . .

12 19 20 21

. .

25 26

. . . .

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III. Befangenheit wegen richterlicher Tätigkeit 1. Vorbefassung . . . . . . . . . . . . 2. Zwischenbeurteilungen . . . . . . .

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Rn. 3. Eröffnung des Hauptverfahrens . . . 4. Frühere Verfahren . . . . . . . . . . 5. Laufende Verfahren a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . b) Ausnahmen . . . . . . . . . . . aa) Verhalten vor der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . bb) Verhalten während der Hauptverhandlung . . . . . . . . . c) Keine Befangenheit . . . . . . . . 6. Absprachen a) Zulässigkeit von Absprachen . . b) Inhalt von Absprachen . . . . . . c) Folgerungen . . . . . . . . . . . d) Ablehnungsgründe . . . . . . . . IV. Verfahren 1. Ablehnungsberechtigte (Absatz 3 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . 2. Namhaftmachung (Absatz 3 Satz 2) 3. Anfechtung . . . . . . . . . . . . 4. Verweisungen . . . . . . . . . . .

. . . .

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Alphabetische Übersicht Ablehnungsberechtigte 62–65 Abhängigkeit von privaten Stellen 20 Absprachen – Ablehnungsgründe 59 – Inhalt 57 – Folgerungen 58 – Zulässigkeit 56 Anfechtung 69 Anklageerzwingungsverfahren 65 Anzeigen 35, 36 Ausgeschlossener Richter 1–3 Ausländerfeindlichkeit 31 Ausnahmen 52 Befangenheit von Richtern der Verfassungsgerichte 11

Begriff 4 Demokratische Grundordnung 23 Dienstliche Beziehungen 27 Differenzen Richter – Verteidiger 33 Ehrverletzende Äußerungen 54 (11), (28) Einflussnahme – auf den Richter 12–18 – durch den Richter 19 Einzelfallentscheidung 9 Eröffnung des Hauptverfahrens 46–48 Fachpublikationen 28 Frühere Verfahren 49, 50 Feindschaft 33 Freundschaft 32

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Geschäftliche Beziehungen 27 Geschlecht 31 Gesetzgebung, Mitwirkung an 25 Gespräche (getrennte) mit Verfahrensbeteiligten 61 Gewerkschaft, Mitgliedschaft 24 Grobe Rechtsfehler 54 (23) Hauptverhandlung 51–55 Herkunft 31 Irrtum, grober 51, 54 (23) Kollegenverhältnis 34 Kontaktaufnahmen 59 Laufende Verfahren 51–55 Maßstab 7 Mißtrauen 5 Namhaftmachung 66–68 Persönliche Verhältnisse 29–34 Politische Bindungen 21 Politische Hintergründe 22, 23 Presseveröffentlichungen 45 Prozessverstoß 49 Prozesserledigung, schnelle 54 (44) Prozessvorgänge, frühere 40 Rasse 31 Rechtsansichten 28 Religiöse Anschauungen 26 Richterliche Tätigkeit 38–49 Richterliche Unabhängigkeit 12 Tatsachen, feststehende 6

Überraschungsentscheidungen 54 (24) Überzeugungen 54 – politische 21–23 – rechtliche 28 – religiöse 26 Überzogene Strenge 54 (13) Unangemessene Reaktion 54 (32) Ungewöhnlich scharfe Worte 54 (11) Unmut 54 (18) Verallgemeinerung 9 Verhalten des Ablehnenden 37 Verhalten des Richters 53, 54 Verletzter 65 Verlöbnis 32 Vermutungen 47 Verständiger Angeklagter 7 Verweisungen 70 Verwerfungsantrag, bestellter 43 Vorbefassung 38 Vorläufige Bewertungen 43 Weltanschauungen 31 Wirkung auf Angeklagten 7 Würdigung 7 Zeit, Einfluss der zeitlichen Umstände 10 Zeugen, Einwirkung auf 54 (9), (30) Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft 26 Zwischenbeurteilungen 42 Zwischenentscheidungen 38

I. Grundsätze (Absatz 1) 1

1. Ausgeschlossener Richter. Ein Richter kann sowohl wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden als auch, wenn er kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, das Richteramt auszuüben. Im letzten Fall bedarf es der Ablehnung an sich nicht. Wenn sie ausdrücklich auch hierfür zugelassen ist, „so liegt die Bedeutung dieser Bestimmung darin, dass auch über die Behauptung eines Beteiligten, es liege ein Fall der Ausschließung vor, in dem in diesem Abschnitt geordneten Verfahren verhandelt und entschieden werden soll“.1 2 Lehnt der Ablehnungsberechtigte – statt sich auf die Anregung zu beschränken, die Frage der Ausschließung von Amts wegen zu prüfen (§ 22, 53) – den Richter in dem Verfahren des § 24 ab, um einen Ausschließungsgrund geltend zu machen, dann finden nicht nur die auf dieses Verfahren bezüglichen Bestimmungen des § 27 und des § 26 Abs. 1 Anwendung. Vielmehr muss der Ablehnende, wenn er die Vorteile des Verfahrens erlangen will, auch die Last der Glaubhaftmachung (§ 26 Abs. 2) auf sich nehmen,2 wobei freilich gewisse Erleichterungen gelten (§ 26, 19). 3 Mit der Ablehnung im förmlichen Verfahren tritt auch die Folge des § 29 ein (§ 29, 2; 5; 7; 8): der abgelehnte Richter darf nur noch solche Handlungen vornehmen, die keinen Aufschub gestatten.

1

Mot. Hahn Mat. 1 90.

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2

KK/Pfeiffer 2; a.A. Schorn 279.

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§ 24

2. Befangenheit a) Begriff. Befangenheit ist, wie sich aus dem Sinn und den Vorläufern der Vor- 4 schrift 3 ergibt, die des Richters, nicht etwa 4 die des Angeklagten.5 Sie ist ein innerer Zustand des Richters, der seine vollkommen gerechte, von jeder falschen Rücksicht freie Einstellung zur Sache, seine Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten,6 beeinträchtigen kann. Dieser Zustand kann in der Regel nicht bewiesen werden. Daher ist die Ablehnung 5 schon begründet, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.7 Es ist also nicht erforderlich, dass der Richter in der Tat parteilich oder befangen ist. Auch kommt es weder darauf an, ob er sich selbst für unbefangen hält,8 noch darauf, ob er für Zweifel an seiner Unbefangenheit Verständnis aufbringt.9 Vielmehr ist die Ablehnung begründet, wenn der Ablehnende einen vernünftigen Grund 10 zu der Annahme hat, dass der Richter befangen sei.11 Dafür spielt es keine Rolle, wie ein der Sache fern stehender Mensch die Sachlage beurteilt; ausschlaggebend ist vielmehr, ob die Umstände dem Ablehnenden von seinem Standpunkt aus begründeten Anlass geben, an der Unparteilichkeit des Richters zu zweifeln.12 Die Besorgnis der Befangenheit kann nur aus feststehenden Tatsachen abgeleitet wer- 6 den, nicht aber aus Vermutungen.13 Insoweit kann es aber genügen, dass ein Zeuge Tatsachen bekundet, die – als wahr unterstellt – eine Befangenheit besorgen lassen.14 b) Begriffsgrenzen. Freilich kann, nicht nur aus Gründen der Prozessökonomie, son- 7 dern um Willkür und Missbrauch zu verhindern, nicht auf einen objektiven Maßstab verzichtet werden,15 was sich schon aus dem Wort „rechtfertigen“ ergibt. Die Rechtsprechung findet diesen Maßstab mit Recht in der „verständigen“ 16 oder „vernünftigen Würdigung“ aller Umstände.17 Diese Würdigung ist die, die ein vernünftig denkender 3 4

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Mot. Hahn Mat. 1 82 ff. So wohl nur missverständlich, von Arzt (3) freilich als schönes Wortspiel aufgefasst, RGSt 61 71. Thilo 2. BVerfGE 21 146 = NJW 1967 1123; BGHSt 1 34; OLG Koblenz StV 1986 7; OLG Bremen StV 1989 145 mit zust. Anm. Hamm; KK/ Pfeiffer 3; Meyer-Goßner 8 ff. BGHSt 21 334, 341; BGH NStZ 1991 346; bei Kusch NStZ 1996 323; Karlsruhe NJW 1995 2903; Arzt 28; Bohnert 68. Schairer 104. Dennoch findet sich dieser Hinweis in vielen dienstlichen Äußerungen. BVerfGE 32 290; BayObLGZ 1974 135; DRiZ 1977 244. Auch hierzu enthalten dienstliche Äußerungen gelegentlich Ausführungen, die sogar im Einzelfall erst die Befangenheit besorgen lassen. BVerfGE 20 1, 5; 32 288; 43 126 = NJW 1977 799; 72 296 = NJW 1987 431; 73 330 = NJW 1987 430. RGSt 55 57; 60 44; 61 69; RG JW 1912 943; GA 71 (1927) 132; BGHSt 24 338; BGH NStZ 1992 291; 1993 35; StV 1995 397; bei

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Dallinger MDR 1974 367; bei Holtz MDR 1991 107; BayObLG NJW 1993 2948; StV 1988 97; 1995 8; OLG Koblenz VRS 44 (1973) 292; StV 1986 7; OLG Düsseldorf VRS 66 (1984) 27; OLG Celle NdsRpfl. 1982 101; OLG Karlsruhe StV 1995 344; LG Bremen StV 1988 12; KK/Pfeiffer 3; Meyer-Goßner 8. RGSt 61 69; BVerfGE 88 1; NJW 1995 1277 (st. Rspr.); BGHSt 1 36; 23 285; BayObLGSt 1972 220 = VRS 44 (1973) 208; OLG Frankfurt VRS 57 (1979) 206. BGH NJW 1996 1355; 1998 2459; KMR/Bockemühl 6; KK/Pfeiffer 3. SK/Rudolphi 6. OLG Hamm JMBlNRW 1982 222; OLG Düsseldorf VRS 66 (1984) 28; ähnlich EGH Frankfurt StV 1981 31. BGHSt 1 39; 21 334; BGH bei Dallinger MDR 1972 572; StV 1982 335. BVerfGE 20 1, 5; 20 14 = NJW 1966 923; 32 290; 43 126 = NJW 1977 799; 72 296 = NJW 1987 431; 73 330 = NJW 1987 430; 82 30, 38 = NJW 1990 24, 57; NJW 1987 429; 1993 2231; Zuck DRiZ 1988 172, 174.

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Mensch 18, ein unbefangener Dritter 19, ein verständiger 20, ein vernünftiger 21 Angeklagter anstellen würde, wenn er der Angeklagte in der konkreten Situation wäre.22 Diesen als „subjektiv-objektiv“ bezeichneten Maßstab hält das OLG Celle deshalb für wenig präzise, weil er nicht empirisch ermittelt, vielmehr von dem über die Ablehnung entscheidenden Gericht wertend festgelegt werde.23 Seiner Ansicht nach soll es allein darauf ankommen, ob ein durchschnittlicher vernünftiger und verständiger Laie das Misstrauen des Angeklagten teilen würde. Von diesem Standpunkt aus – und nur von diesem, nicht von einem richterlichen, der 8 dem Angeklagten als der seine unterstellt wird – müssen die Ablehnungsgründe auch dem Gericht als gerechtfertigt erscheinen.24 Nur wenn der Bezugspunkt der (verständigen) Würdigung der Anschauung des Angeklagten verfehlt wird, kann es zu einer so schlechthin unverständlichen Entscheidung kommen, dass der frühere Klägervertreter als unbefangener Richter gegen den wegen desselben Vorgangs Angeklagten als unbefangen angesehen wird.25 Bei seiner Entscheidung hat das Gericht nicht nur das Vorbringen des Ablehnenden, sondern alle Umstände 26 zu berücksichtigen,27 namentlich auch die dienstliche Äußerung des Richters (§ 26 Abs. 3).

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c) Einzelfallentscheidung. Mehr als sonst ist in der Ablehnungsrechtsprechung auf den Einzelfall abzustellen.28 Daher ist, wenn zu der Prüfung, ob Befangenheit anzunehmen ist, Rechtsprechung verglichen wird, jede Verallgemeinerung einer, oft nur scheinbar, einschlägigen Entscheidung zu vermeiden, weil bei ähnlichen Sachverhalten schon feinste Abweichungen zu verschiedenen Ergebnissen führen können.29 Zuweilen beruhen im Leitsatz allgemein gehaltene Erkenntnisse in Wirklichkeit nur auf besonderen Umständen des Einzelfalls. Deshalb ist die verständliche Forderung nach einem „echten Präjudizienrecht“ 30 schwer zu erfüllen. Wo es wesentlich auf den subjektiven Standpunkt des Ablehnungsberechtigten (Rn. 5), ja auf den Zeitpunkt der Äußerung ankommt, die Befangenheit besorgen lassen kann (Vor § 22, 3), wird die Rechtsprechung immer nur eine an Beispielen ausgerichtete Grundlage liefern können, auf der sich nur Grundzüge eines Präjudizienrechts aufbauen lassen, die im Einzelfall immer wieder variiert werden müssen. Ist die Besorgnis der Befangenheit aus politischen Verhältnissen hergeleitet worden, 10 darf auch die Zeit, in der die einschlägige Entscheidung gefällt worden ist, und die, in der die neue zu treffen ist, nicht außer Betracht bleiben: Wer in ruhigen Zeiten tolerant und objektiv ist, kann, wenn schwere Auseinandersetzungen toben, seine Unbefangenheit verlieren; der Beschuldigte, der in ungestörten Verhältnissen politisches Andersdenken als selbstverständlich hinnimmt, kann daraus in Krisenzeiten bei besonderen Verhältnissen die Besorgnis der Befangenheit herleiten. Namentlich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Befangenheit seiner 11 Mitglieder ist nur mit Zurückhaltung auf den Strafprozess zu übertragen. Schon § 18 BVerfGG setzt besondere Maßstäbe. Der Rang des Gerichts, die Eigenschaft der Parteien

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BayObLG Recht 1915 581. BGH JR 1957 68. RGSt 65 43; OLG Köln StV 1988 287; 1991 292. BGHSt 21 341; OLG Koblenz StV 1986 7. Abl. Arzt 23 mit Modifikationen 29. RuP 1991 44; krit. dazu Geiter RuP 1991 14. RG GA 71 (1927) 132.

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BGH bei Dallinger MDR 1972 752. RGSt 58 287; 61 69. RGSt 60 44; RG DRiZ 1927 423. OLG Frankfurt VRS 57 (1979) 207. Beispiel: BGH JR 1972 119 mit Anm. Peters. S. zu diesem Problem auch Geiter RuP 1991 17. Hamm Diss. 215.

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und die Auswirkung eines Richterausschlusses begründen Besonderheiten,31 die in der allgemeinen Gerichtsbarkeit nicht gegeben sind. Von Bedeutung kann demgegenüber die Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte sein, soweit – wie etwa in Bayern 32 – die Vorschriften der §§ 22 bis 30 ausdrücklich für anwendbar erklärt worden sind.

II. Befangenheitsgründe (Absatz 2) 1. Einflussnahme auf den Richter. Grundlage der spezifischen richterlichen Tätigkeit ist die Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 Abs. 1 GG), d. h. der Gerichtsbarkeit (vgl. Art. 95 Abs. 1 GG), der richterlichen – richtiger: rechtsprechenden (Art. 92 GG) – „Gewalt“ (§ 1 GVG) und dazu des (einzelnen) Richters (§ 25 DRiG). Diese gesetzlichen Regelungen geben nicht zuletzt die Grundlage dafür, dass der Bürger der Rechtsprechung vertrauen können soll. Unparteilichkeit und Objektivität des Richters sollen deshalb nicht durch schädliche Einflüsse gefährdet werden. Nur dann ist die Rechtsprechung auch in der Lage, die ihr primär obliegende Aufgabe, das materielle Strafrecht gegenüber dem Straftäter durchzusetzen und zugleich die Verbindlichkeit der Normen gegenüber jedermann zu bekräftigen.33 Die Unabhängigkeit des Richters kann auf verschiedenste Weise in Gefahr geraten. Wird auf den Richter durch Empfehlungen, Hinweise oder auf ähnliche Art eingewirkt, sei es von Kollegen, der Justizverwaltung oder übergeordneten Instanzen, muss dem Rechtsuchenden die Unabhängigkeit bedroht und der Richter befangen erscheinen,34 und zwar unabhängig davon, ob der Richter die Möglichkeit hat, derartige Einflüsse zu unterbinden und unabhängig davon, ob er diese Möglichkeiten wahrnimmt; denn auch dann wäre seine Distanz, Neutralität und Unparteilichkeit gegenüber den Verfahrensbeteiligten aus der Sicht eines verständigen Beobachters nicht gesichert. Neben Beeinflussungen aus dem unmittelbaren Arbeitsbereich des Richters sind aber auch Beeinflussungen durch Massenmedien in Form einseitiger und tendenziöser Berichterstattung 35 in Verbindung mit deutlicher Kritik an der bisherigen Rechtsprechung des Richters denkbar. Gar nicht selten wird aus dem Umfeld des Angeklagten 36 versucht, auf den Richter einzuwirken. „Sitzblockaden“ von Familienangehörigen vor oder gar im Dienstzimmer des Richters oder unverhohlene Drohungen, nächtliche Störanrufe bis hin zu Sachbeschädigungen von Haus oder Auto sind hier zu verzeichnen. Vereinzelt versuchen selbst Verteidiger auf den Richter Einfluss zu nehmen indem sie für den Fall der Überschreitung eines bestimmten Strafmaßes eine sog. Konfliktverteidigung und einen lange dauernden Prozess in Aussicht stellen. Alle genannten Versuche, den Richter in unerlaubter Weise zu beeinflussen, lassen Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit aber nur dann als gerechtfertigt erscheinen, wenn er Anlass zu der Befürchtung gibt, er werde dem Druck nachgeben.37

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BVerfGE 35 173 = NJW 1973 1267; st. Rspr. zuletzt 73 330; krit. dazu Wassermann NJW 1987 418; wegen weiterer Bedenken gegen die Praxis des BVerfG s. Lamprecht NJW 1993 2222. Art. 9 VfGHG. SK/Rudolphi Vor § 22, 5.

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Arzt NJW 1971 1111; Schairer – LV Vor § 22, 137. Ähnlich: SK/Rudolphi 25. HK/Lemke 14. RGSt 66 385; OLG Celle MDR 1971 774; Arzt 110 ff.

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Kritisiert das Justizministerium scharf und unangemessen ein erstinstanzliches Urteil und stellt es Maßnahmen der Dienstaufsicht in Aussicht, können auch die Richter des Berufungsgerichts als befangen erscheinen.38

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2. Einwirkungen durch den Richter. Historisch gesehen, ist bei der Unabhängigkeit in erster Linie an die von staatlicher Seite, aber auch von Vorgesetzten gedacht. Praktisch weit aus bedeutender sind indessen Handlungen des Richters, die fehlende Unvoreingenommenheit besorgen lassen. Hierzu lassen sich der Rechtsprechung eine Fülle von Beispielen entnehmen. So kann Befangenheit gegeben sein, wenn die Entscheidung des Kammervorsitzenden, durch die er einen Schöffen von der Verpflichtung zur Dienstleistung entbindet, den Eindruck erweckt, er habe dabei unter dem bestimmenden Einfluss der Staatsanwaltschaft gehandelt und deshalb dem Wunsch auf Änderung der Gerichtsbesetzung nachgegeben.39

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3. Abhängigkeit von privaten Stellen. Auch die Abhängigkeit von privaten Stellen und Personen macht den Richter befangen. Der Richter, dessen Kind als Geisel genommen worden ist, um seine Entscheidung in einer bestimmten Sache zu beeinflussen, kann in dieser Sache nicht rechtsprechen. Als weiteres theoretisches Beispiel sei der bestochene Richter genannt. Fälle dieser Art sind jedoch noch nicht bekannt geworden.

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4. Politische Bindungen. Grundsätzlich rechtfertigt die Zugehörigkeit zu einer Partei, die andere Ziele als der Ablehnende oder gleiche Ziele mit anderen Mitteln oder auf anderen Wegen verfolgt,40 nicht die Ablehnung.41 Das gilt regelmäßig auch bei Straftaten mit politischem Hintergrund,42 ist aber dort 22 nicht völlig unerheblich und kann von Bedeutung werden, wenn weitere Umstände hinzutreten.43 Als solche Umstände genügen jedoch nicht politische Äußerungen eines Richters außerhalb des Verfahrens, die mit diesem in keinem Zusammenhang stehen und sich allein aus der Teilnahme am politischen Leben erklären.44 Doch sind auch hier Ausnahmen zu machen: Einen Richter, der öffentlich die demo23 kratische Grundordnung ablehnt, kann die Staatsanwaltschaft in Staatsschutzverfahren stets (und mit Erfolg) ablehnen.45 Als befangen anzusehen ist auch ein Richter, der eine besondere politische Tätigkeit in einer Partei ausübt, die zu der des Angeklagten im

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RGSt 66 390. LG Bremen StV 1988 12. RG DRiZ 1931 531. BVerfGE 2 297 = NJW 1953 1097; 11 3 = NJW 1961 26; NJW 1993 2230; krit. dazu Lamprecht NJW 1993 2223; BGH bei Dallinger MDR 1957 16; NJW 1962 749; OLG Koblenz NJW 1969 1177; KK/Pfeiffer 8 und – mit Ausnahmen – Teplitzky NJW 1962 2045; Gilles DRiZ 1983 45. RGRspr. 4 854; Ohain 18. Arzt 108 f.; Schlüchter 41; SK/Rudolphi 16. Beispiele: RGSt 55 57 Befangenheit eines Richters in einem Strafverfahren, in dem die Durchsetzung des neuen Rechts gegen die

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alte Ordnung eine Rolle spielt, wenn dieser den Eid auf die neue Verfassung abgelehnt hat; RG DRiZ 1931 781; DJZ 1932 170; HRR 1933 448: besondere politische Betätigung für eine Partei, die im scharfen Gegensatz zu der des Angeklagten steht; OLG Karlsruhe StV 1995 343 = NJW 1995 2503; besondere Sympathiebekundungen eines Richters für den Vorsitzenden einer „ultrarechten“ Partei in einem Verfahren gegen einen Ausländer, dem aus linksgerichteten Motiven heraus begangene Straftaten vorgeworfen werden. BGH NJW 1962 749. Ohain 34.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

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scharfen Gegensatz steht.46 In einem Verfahren wegen Fortführung einer verbotenen Partei ist ein Schöffe befangen, der der aufgelösten Partei als Mitglied angehört hatte.47 Auch die Mitgliedschaft oder Tätigkeit in einer Gewerkschaft oder anderen berufs- 24 spezifischen Organisation kann für sich allein niemals die Besorgnis der Befangenheit begründen.48 5. Mitwirkung an Gesetzgebungsverfahren. Hiermit sind einerseits die gutachtlichen 25 oder wissenschaftlichen Stellungnahmen eines Richters angesprochen, die er gelegentlich zu aktuellen Gesetzgebungsvorhaben abgibt oder die er als Mitglied eines Verbandes oder einer Interessenorganisation beisteuert, sowie andererseits eine frühere Abgeordnetentätigkeit und insoweit seine direkte Beteiligung an der Gesetzgebung. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu schon frühzeitig ausgeführt, dass eine derartige Tätigkeit eine Ablehnung nicht rechtfertigt.49 6. Religiöse Anschauungen. Kein Ablehnungsgrund ist die Zugehörigkeit zu einer 26 Religionsgemeinschaft,50 die andere Ziele als der Ablehnende oder gleiche Ziele mit anderen Mitteln oder auf anderen Wegen verfolgt. 7. Dienstliche oder geschäftliche Beziehungen. Auch dienstliche oder geschäftliche 27 Beziehungen eines Richters zu einem Beschuldigten, Verletzten oder Zeugen können nicht ohne weiteres die Besorgnis der Voreingenommenheit begründen.51 Das kann aber dann in Betracht kommen, wenn diese Beziehungen besonders eng sind oder sich zu einem engen persönlichen Verhältnis entwickelt haben,52 z.B. bei gemeinsamer Arbeit im selben Spruchkörper.53 Befangenheit ist auch angenommen worden bei einem Schöffen, der Oberinspektor bei dem Bauamt war, das der Angeklagte geschädigt haben sollte.54 8. Rechtliche Ansichten. Die Äußerung von dem Beschuldigten ungünstigen Rechts- 28 ansichten in wissenschaftlichen Fachpublikationen oder im Gespräch rechtfertigt in der Regel keine Ablehnung.55 In außergewöhnlichen Fällen kann aber u.U. die Besorgnis der Befangenheit begründet sein.56 Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Richter diese Folge seiner Äußerungen hätte erkennen müssen, insbesondere ob ihm der Vorwurf einer Verletzung seiner richterlichen Dienstpflichten (§ 39 DRiG) zu machen ist. Entscheidend ist allerdings, dass zwischen dieser Äußerung und dem konkreten Verfahren, in dem der Richter abgelehnt wird, ein Bezug gegeben ist, denn eine verfahrensübergreifende Generalablehnung wegen geäußerter Rechtsansichten kennt das Gesetz nicht. 9. Persönliche Verhältnisse. Die Ausschließungsregelung in § 22 Nr. 1 bis 3 erweist, 29 dass persönliche Verhältnisse des Richters als geeignet angesehen werden, dessen Entscheidungsfreiheit zu beeinträchtigen oder wenigstens den Anschein erwecken zu können, dies könnte der Fall sein. Zwar darf man im Grundsatz, soweit nicht die im Gesetz aufgeführten engen persönlichen Verhältnisse vorliegen, von der Fähigkeit des Richters 46

RG DRiZ 1931 781; DJZ 1932 170; HRR 1933 448; weitere Beispiele bei Gilles DRiZ 1983 46. 47 RG HRR 1930 1420. 48 HK/Lemke 15. 49 BVerfGE 1 67. 50 RG JW 1930 2560; 1932 658. 51 BVerfG NJW 1995 2913.

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BGH 43 16; Meyer-Goßner 10; SK/Rudolphi 11. Arzt 51; Meyer-Goßner 10. BGH bei Dallinger MDR 1954 150. BVerfGE 4 143; BGH LM Nr. 6 zu § 24 StPO; BSG NJW 1993 2261. BVerfG NJW 1996 3333.

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ausgehen, sich von Befangenheit frei zu halten, und von der Einsicht der Prozessbeteiligten, dass der Richter das tun werde; bei einzelnen Fallgruppen ist das aber nicht gerechtfertigt. Auf jeden Fall sind Ablehnungen unbegründet, die zwar auf einen besonderen Richter bezogen und mit Gründen belegt sind, die auch zutreffen, aber ihre Grundlage in der Gerichtsverfassung haben. So ist es unzulässig, wenn in einer Notzuchtsache ein Richter, nur weil er verheiratet ist, bei sexuellen Handlungen mit Kindern ein Richter, nur weil er Kinder hat, abgelehnt wird. Hier richtet sich der Befangenheitsvorwurf nicht gegen den abgelehnten Richter, sondern gegen alle Richter mit gleichem Familienstand und damit gegen die Gerichtsverfassung überhaupt, die auf die Familienverhältnisse des Richters grundsätzlich (Ausnahme § 37 JGG) keine Rücksicht nimmt.57 Auch Weltanschauungen, Geschlecht, Rasse oder landsmannschaftliche Herkunft begründen regelmäßig keine Ablehnung.58 Bestehen Anhaltspunkte für eine Ausländerfeindlichkeit des Richters, kann dies aber die Ablehnung durch einen Angeklagten ausländischer Herkunft rechtfertigen.59 Stets als befangen anzusehen ist jedoch der Richter, der mit der beschuldigten oder verletzten Person verlobt ist, mit ihr zusammenlebt oder in einem sehr engen freundnachbarlichen Verhältnis zu ihr steht.60 Wer nach etwa zweijähriger Verhandlungsdauer mit dem Angeklagten Tennis spielt und sich anschließend mit ihm im Restaurant der Tennisanlage über das laufende Verfahren unterhält, erweist sich zumindest aus der Sicht anderer Angeklagter als befangen.61 Auch eine zwischen Richter und Angeklagtem bestehende Feindschaft begründet Besorgnis der Befangenheit .62 Das gleiche kann der Fall sein bei schwerwiegenden Differenzen zwischen Richter und Verteidiger,63 nicht aber bei jeder Spannung oder sogar Auseinandersetzung, wie sie das Verhandeln mit sich bringen kann.64 Gravierende Spannungen reichen aber dann nicht aus, wenn sie ihre Ursache in einem früheren Verfahren haben, an dem der Antragsteller nicht beteiligt war, weil daraus nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden kann, dass der Richter eine evtl. Abneigung gegen den Verteidiger auf ihn und seine Sache überträgt.65 Ist der Verteidiger im laufenden Verfahren sogar vom Richter beigeordnet worden, ist dies ein Indiz für die Normalität in der Beziehung des Richters zum Angeklagten.66 Selbst wenn der Richter den Verteidiger im früheren Verfahren in Ordnungshaft genommen hat, lassen sich daraus Folgerungen für das laufende Verfahren ohne weitere Anhaltspunkte nicht ziehen.67 Ebenso ist die Ablehnung begründet, wenn der Richter dem Privatkläger, etwa in Urheberrechtssachen, ein Gutachten erstattet hatte.68 57

Ebenso Teplitzky NJW 1962 2046; Arzt 57. – Vgl. für einen ähnlichen Fall aus der freiwilligen Gerichtsbarkeit (keine unvorschriftsmäßige Besetzung, wenn bei Entscheidung über elterliche Gewalt das Gericht nur aus männlichen Mitgliedern besteht) OLG Köln NJW 1972 911. 58 BGH 92 934. 59 OLG Karlsruhe NJW 1995 2503. 60 BGH NJW 1957 387. 61 BGH StV 1986 369. 62 OLG Augsburg JW 1923 839. 63 BGH StV 1993 339; StV 1995 396; NJW 1998 2458; OLG Braunschweig StraFo 1997

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76; OLG Hamm StraFo 2002 355; Beschluss v. 7.10.04 – 2 Ss 345/04 –. BGH bei Dallinger MDR 1971 897; StV 1986 281; BayObLG Rpfleger 1975 93; LG Aachen NJW 1974 422; zuvor schon RG HRR 1933 555; KG JW 1931 1104; OLG München HRR 1937 471; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1949 93; OLG Hamm NJW 1951 731. OLG Hamm v. 7.10.04 – 2 Ss 345/04 –. OLG Braunschweig StraFo 1997 76. OLG Hamm v. 7.10.04 – 2 Ss 345/04 –. Schorn 162.

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Ein Kollegenverhältnis, dienstliche und damit im Zusammenhang stehende Kontakte – 34 ohne relevante positive oder negative Beziehung 69 – zu dem Beschuldigten oder zu einem nahen Angehörigen des Beschuldigten rechtfertigt noch kein Misstrauen in die Unparteilichkeit,70 kann es aber begründen, wenn das Dienstverhältnis besonders eng ist und auf das persönliche Verhältnis ausstrahlt.71 10. Anzeigen. Auf die Umstände des einzelnen Falls kommt es, wie schon allgemein, 35 namentlich dann an, wenn Richter mit Anzeigen oder auf ähnliche Weise angegriffen werden. Die gegen jeden Richter bestehende Möglichkeit von Maßnahmen nach Art. 98 Abs. 2 GG lässt regelmäßig keine Befangenheit besorgen.72 Besorgnis der Befangenheit kann gerechtfertigt sein, wenn der Verteidiger den Richter wegen falscher Anschuldigung angezeigt hat;73 sie wird es sein, wenn umgekehrt gegen den Angeklagten zufolge eines Strafantrags oder einer Strafanzeige des Richters ein Strafverfahren anhängig ist oder wenn der Richter gegen den Verteidiger ein Strafverfahren herbeigeführt, der Verteidiger sein Mandat niedergelegt und der Angeklagte damit zufolge der Anzeige seinen Verteidiger verloren hat.74 Besorgnis der Befangenheit kann auch dann gerechtfertigt sein, wenn die dienstliche Äußerung eines Richters zu einem Ablehnungsantrag in wesentlichen Punkten objektiv unrichtig ist. Ein solches Verhalten kann auch bei einem besonnenen Antragsteller die Befürchtung begründet erscheinen lassen, dieser Richter werde auch sonst in seiner Sache unsorgfältig verfahren.75 Zeigt der Angeklagte den Richter – etwa wegen Rechtsbeugung – an, beschwert er 36 sich über ihn, beantragt er gegen ihn ein Disziplinarverfahren oder hat er ein Klageerzwingungsverfahren eingeleitet,76 so wird das, da Richter täglich wegen ihrer Tätigkeit angegriffen werden, in der Regel keine Besorgnis der Befangenheit begründen,77 doch kann das der Fall sein, wenn der Richter durch – auch unbegründete – Einwirkungen des Angeklagten zu wirklich unbefangener Beurteilung unfähig wird.78 Der Satz, ein Angeklagter könne aus seinem eigenen Verhalten keinen Ablehnungs- 37 grund herleiten,79 ist nicht zu verallgemeinern, weil immer geprüft werden muss, wie es zu dem Verhalten gekommen ist. Ist das Verhalten verständig, dann ist die darauf gegründete Ablehnung nicht deshalb unzulässig, weil der Angeklagte sich eines ihm nicht genehmen Richters entledigen will. Ist sein Verhalten unverständig, dann begründet es nicht die Besorgnis der Befangenheit. Es kommt hier zwar grundsätzlich, aber nicht allein, auf die subjektive Reaktion des Betroffenen an.80

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BGH bei Holtz MDR 1992 934; OLG Frankfurt NStZ 1981 234; s. aber auch BGH StV 1982 99. OLG Zweibrücken NJW 1968 1440; vgl. auch Schairer 120. OLG Stuttgart MDR 1961 1035; OLG Zweibrücken NJW 1968 1440; LG Osnabrück NdsRpfl. 1980 17. OLG Düsseldorf NJW 1950 395. OLG Oldenburg HESt 1 2. A.A. BGH NStZ 1992 598; Rabe NJW 1976 173; Krehl NStZ 1992 598; Meyer-Goßner 7. OLG Frankfurt MDR 1978 409; vgl. auch OLG Hamm NJW 1951 731; Rabe 172.

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S. dazu OLG Hamm v. 8.7.04 – 3 Ss 245/04 –. BVerfG NJW 1996 2022; BGH NJW 1962 749; KG JR 1962 113. Arzt 54. RGSt 55 57; BGH NJW 1952 1425. An dieser scheint es im Fall OLG München (NJW 1971 385) gefehlt zu haben, weshalb der Entscheidung im Ergebnis wohl beigepflichtet werden kann. Soweit auf den Grundsatz abgestellt wird, eine Partei könne aus ihrem eigenen Verhalten keinen Ablehnungsgrund herleiten, bleibt sie bedenklich.

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III. Befangenheit wegen richterlicher Tätigkeit 1. Vorbefassung. Da das Gesetz mehrfach Entscheidungen des Richters im Prozessverlauf verlangt, die eine Vorprüfung der Schuldfrage zum Inhalt haben, ist Vortätigkeit des Richters, wenn sie der Gesetzgeber nicht zum Ausschließungsgrund erhoben hat (§ 23), im Allgemeinen kein Ablehnungsgrund, sofern zu ihr nicht besondere Umstände hinzukommen, die die Besorgnis der Befangenheit begründen.81 Deswegen sind Richter nicht ausgeschlossen und können auch nicht abgelehnt werden, wenn sie bereits denselben Verfahrenskomplex gegen Mittäter abgeurteilt haben.82 Andererseits soll die Ablehnung gerechtfertigt sein gegen Richter, die in einem vorangegangenen Verfahren zur Entscheidung berufen waren, wenn sie nunmehr über ein in diesem Verfahren begangenes Aussagedelikt zu entscheiden haben.83 Es entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass die Mitwirkung 39 des Richters an Zwischenentscheidungen in dem anhängigen Verfahren und die dabei geäußerten Rechtsmeinungen regelmäßig selbst dann nicht die Annahme der Befangenheit begründen, wenn dabei Verfahrensverstöße vorliegen, die auf einem Irrtum 84 oder auf einer unrichtigen oder sogar unhaltbaren Rechtsansicht beruhen.85 Dies folgt aus dem Grundsatz, dass sachliche und rechtliche Fehler für sich genommen nicht geeignet sind, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Anderenfalls würde die Vorbefassung mit der Sache faktisch zum Ausschluss führen, was nicht der Konzeption des Gesetzes entspricht.86 Grundsätzlich ist nach dem Gesetz von der Unvoreingenommenheit eines Richters auszugehen, denn von ihm wird auch verlangt, dass er sich an seine eigenen Zwischenentscheidungen nicht gebunden fühlt, sondern seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung schöpft.87 Dieser Maßstab gilt nur dann nicht, wenn die Entscheidungen abwegig sind oder sogar den Anschein der Willkür erwecken.88 Daher vermag auf jeden Fall die dienstliche Beteiligung eines Richters an Prozess40 vorgängen, die der in Rede stehenden Diensthandlung vorausgegangen sind, auch dann nicht die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, wenn sie, wie der Erlass eines Haftbefehls, die Ablehnung der Haftentlassung nach Aufhebung des Urteils im Strafausspruch,89 die Anordnung der Durchsuchung oder Beschlagnahme, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, die Anordnung, dass der Beschuldigte in ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus gebracht und dort beobachtet werde, mit der zu treffenden Entscheidung enge Berührung haben. Denn ein verständiger Angeklagter wird von der (zutreffenden) Erwägung ausgehen, dass ein Richter sich auf Grund der ihm nach seiner Stellung, Erziehung und Ausbildung eigenen Haltung von Befangenheit frei hält und sich nicht durch dienstliche Vorentscheidungen bei künftigen Entscheidungen, namentlich dem Urteil, beeinflussen lässt.90

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BGHSt 21 142; BGH NStZ 1983 136; bei Miebach NStZ 1985 492; OLG Bremen StV 1989 146 mit zust. Anm. Hamm; OLG Celle RuP 1991 44; KK/Pfeiffer 6; Beispiele für Ausnahmen BGHSt 24 338; OLG Karlsruhe StV 1981 616; OLG Bremen NStZ 1990 97; LG Berlin StV 1993 9. BGH wistra 1997 336; NStZ-RR 2001 129. OLG Celle RuP 1991 44. Beispiele: KG JR 1957 64; OLG Koblenz NJW 1972 953; GA 1977 319; StV 1986 7; BayObLG DRiZ 1977 244; OLG Bremen

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AnwBl. 1977 74; zustimmend auch KK/ Pfeiffer 7; KMR/Bockemühl 21; Meyer-Goßner 5; Teplitzki JuS 1969 323; Gießler NJW 1973 982; Krekeler 1637; Schairer 130. BGH StV 2002 581. BGH wistra 1997 336. BGH aaO. BGH aaO; BayObLG aaO; Meyer-Goßner 14. Martin DRiZ 1962 156. St. RGRspr. Zuletzt: 65 43; BGHSt 9 234; 21 342; BGH JR 1957 68; NStZ 1983 136; KK/Pfeiffer 6; KMR/Bockemühl 20.

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Dabei kann es auch keine Rolle spielen, dass jene Entscheidungen dem Angeklagten 41 nachteilig waren.91 2. Zwischenbeurteilungen. Befangenheit ist regelmäßig dann nicht zu besorgen, wenn 42 der Richter gelegentlich sein vorläufiges Urteil über die Prozessaussichten nach dem jeweiligen Stand des Verfahrens bekannt gibt.92 In den meisten Berufungshauptverhandlungen oder Hauptverhandlungen nach Einspruch gegen einen Strafbefehl oder einen Bußgeldbescheid können deshalb in zulässiger Weise nach vorläufiger Bewertung Ausführungen zur Erfolgsaussicht des Rechtsmittels gemacht werden. Auch die Ankündigung, es werde Haftbefehl ergehen, wenn der Angeklagte nicht zur Hauptverhandlung erscheinen werde, legt den Richter nicht fürs Urteil fest und begründet daher keine Besorgnis der Befangenheit.93 Ein besonderes Problem ergibt sich in Revisionsverfahren, wenn das Gericht entgegen 43 dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Revision für offensichtlich unbegründet hält. Hier ist umstritten, ob das Revisionsgericht bei der Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf das vorläufige Beratungsergebnis einen Verwerfungsantrag nach § 349 Abs. 2 anregen darf, ohne sich dem Vorwurf der Befangenheit auszusetzen. Während in der Literatur teilweise der sog. „bestellte Verwerfungsantrag“ als unzulässig angesehen wird, weil eine solche Praxis von der Regelungskonzeption des § 349 Abs. 2 und 3 so stark abweiche, dass ein Verstoß gegen die Grundstruktur des Revisionsverfahrens anzunehmen sei und den Angeklagten in seinem Anspruch auf ein faires Verfahren verletze,94 hält die Rechtsprechung 95 diese Verfahrensweise für zulässig, weil das nach § 349 Abs. 3 vorgesehene Anhörungsverfahren die Rechte und die Möglichkeit zur Ergänzung der Sachrüge gewährleistet. Das BVerfG 96 hat eine gegen diese Praxis gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil der Beschwerdeführer nicht ein den Umständen nach nahe liegendes Ablehnungsverfahren eingeleitet habe. Das OLG Celle 97 hat in einem ähnlichen Fall Ablehnungsanträge zurückgewiesen. Dort hatte die Generalstaatsanwaltschaft zunächst die Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragt. Nach einer Zwischenberatung fertigte der Berichterstatter einen Aktenvermerk über die vorläufige Bewertung durch den Senat und leitete diesen der Generalstaatsanwaltschaft mit der Anheimgabe einer Stellungnahme zu. Diese stellte danach einen Antrag nach § 349 Abs. 2 und leitete den Antrag zusammen mit dem Vermerk des Senats dem Verteidiger gem. § 349 Abs. 3 zu. Das OLG hat dazu ausgeführt, der in den Akten dokumentierte Ablauf sei transparent und kein „Geheimverfahren“ und mit der in solchen Fällen vom Senat praktizierten Übung, dass die Staatsanwaltschaft mit ihrem evtl. neuen Antrag die vorläufige Bewertung des Senats dem Verteidiger zur Kenntnis gebe, werde der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht gefährdet. Um eine keine Ablehnung rechtfertigende Zwischenentscheidung handelt es sich auch 44 dann, wenn in der Hauptverhandlung zunächst im Lichte des § 136a StPO im Freibe-

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RGRspr. 4 529; RGSt 59 410; RG DRiZ 1929 204; RG GA 71 (1923) 132. 92 BGH GA 1962 282; VRS 41 (1971) 203; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 492; bei Miebach/Kusch NStZ 1991 27; bei Kusch NStZ 1995 218; BayObLG wistra 2002 196. 93 OLG Koblenz VRS 44 (1973) 293. 94 Vgl. Gieg/Widmaier NStZ 2001 61 m.w.N.; a.A. Meyer-Goßner § 349, 12.

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KG StV 2001 153. StV 2001 151 m. Anm. Neuhaus. Dort hatte die Staatsanwaltschaft allerdings die Akten ohne Antragstellung dem Revisionsgericht vorgelegt. Beschluss vom 22.9.04 – 21 Ss 65/04 – .

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weisverfahren die Verwertbarkeit früherer Vernehmungen des Angeklagten geklärt wird und das Gericht danach von sich aus oder auf ausdrücklichen Antrag der Verteidigung sein vorläufiges Ergebnis bekannt gibt. Es begründet auch keinen Unterschied, wenn der Richter seine Äußerung außerhalb 45 des Gerichtssaals gegenüber einem Dritten abgibt, mag auch eine solche „Stilwidrigkeit“ unerwünscht sein.98 Auch die Tatsache, dass ein Laienrichter Presseveröffentlichungen gelesen hat, in denen das Ergebnis der Beweisaufnahme „vorweggenommen“ worden ist, kann für sich allein kein Misstrauen gegen seine Unbefangenheit rechtfertigen.99 Noch weniger kann die Tatsache, dass der Richter als unbeteiligter Zuhörer Zeuge eines Meineids geworden ist, ihn befangen machen, diesen abzuurteilen.100

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3. Eröffnung des Hauptverfahrens. Die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 207 Abs. 1) ist die wichtigste Vorentscheidung und Vorbeurteilung im Hauptverfahren. Dass bei der Eröffnung die Überzeugung des Gerichts, der Angeschuldigte sei der Tat hinreichend verdächtig, nicht mehr zum Ausdruck kommt, ist nur äußerlich. Denn nach wie vor ist diese Überzeugung Voraussetzung der Eröffnung (§ 203). Daher war gefordert und erwogen worden, den Eröffnungsrichter kraft Gesetzes von der Teilnahme an der Hauptverhandlung auszuschließen (LR/Wendisch 24 Vor § 22, 20). Da das Gesetz aus der Eröffnung des Hauptverfahrens keine Vermutung der Be47 fangenheit herleitet,101 ist grundsätzlich auch die Ablehnung nicht begründet. Daher können auch Richter am Oberlandesgericht grundsätzlich nicht deshalb abgelehnt werden, weil sie an dem Beschluss, dass die öffentliche Klage zu erheben sei (§ 175 Satz 1), mitgewirkt haben. Das gilt jedenfalls dann, wenn das Gericht von der Staatsanwaltschaft nur in Rechtsfragen abgewichen ist oder wenn das oberlandesgerichtliche Verfahren neues Beweismaterial zutage gebracht hat. Hat jedoch das Oberlandesgericht die tatsächlichen Ergebnisse zuungunsten des An48 geklagten abweichend von der Ansicht der Staatsanwaltschaft gewürdigt, wird in der Regel Befangenheit zu besorgen sein. Das gewinnt sowohl Bedeutung, wenn ein Richter am Oberlandesgericht, der an dem Beschluss, dass die Klage zu erheben sei (§ 175 Satz 1) mitgewirkt und danach, etwa als vorsitzender Richter in die Tatsacheninstanz zurückgekehrt ist und dort in der Tatsacheninstanz zur Entscheidung berufen ist,102 als auch wenn Richter, welche die Erhebung der Klage angeordnet hatten, dann über eine Revision gegen das auf die Anklage ergangene Urteil zu entscheiden haben. Erfolgt keine Ablehnung, wird es Pflicht des Richters sein, nach § 30 zu verfahren.

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4. Frühere Verfahren. Hat ein Richter sich in einem früheren Verfahren – mag es auch mit dem neuen in Zusammenhang stehen 103 und den gleichen Sachverhalt betreffen – sachlich verhalten, so kann er nicht allein wegen der Beteiligung an jenem Verfahren abgelehnt werden,104 selbst wenn dabei ein Prozessverstoß unterlaufen ist;105 anderen-

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Beispiel: BGHSt 21 86: Geschworener in einem Ladengeschäft mit der unerbetenen Meinung behelligt, der Angeklagte könne nicht verurteilt werden, antwortet: „Das glauben Sie.“ BGHSt 22 294. RGSt 58 287. BVerfGE 30 157 = NJW 1971 1031. RGSt 19 341.

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BVerfGE 30 149, 153; OLG Düsseldorf JMBlNRW 1959 237; NJW 1982 2832. BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 135; 1986 206; bei Holtz MDR 1986 644 = StV 1987 1 mit Anm. de Boor; NStZ 1996 323; wistra 1997 336; OLG Stuttgart StV 1985 492 mit Anm. Hannover; OLG Bremen NStZ 1991 96; KG v. 24.1.01 – 1 AR 39/01 – 4 Ws 12/01 –; OLG Düsseldorf VRS 87

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falls hätte die frühere Tätigkeit die Bedeutung eines Ausschließungsgrundes.106 Das aber hat der Gesetzgeber nicht gewollt; wäre er davon ausgegangen, so müsste angenommen werden, dass er den gesetzlichen Ausschluss des mit der Sache bereits anderweitig befasst gewesenen Richters ausdrücklich bestimmt und in gleicher Weise in § 23 aufgenommen hätte, wie er das bei Entscheidungen im Wiederaufnahmeverfahren bezüglich der Tätigkeit im Ursprungsverfahren getan hat.107 Da die Gefahr einer möglichen Befangenheit in diesen Fällen jedoch stärker ist als in sonstigen Fällen (vgl. dazu § 23, 36), muss sich ein Richter, der in einem früheren Verfahren – auch Zivilverfahren – bei einer dem Angeklagten nachteiligen Entscheidung mitgewirkt hat, „besonders behutsam verhalten und Zurückhaltung üben“;108 Befangenheit wird daher – freilich nicht allgemein – aber doch häufig zu bejahen sein, wenn sich der Richter in einem Vorprozess, selbst in einem vorangegangenen Zivilverfahren, eine endgültige Überzeugung gebildet hat.109 Hat der Richter in einem Vorprozess einen Zeugen wegen Unglaubwürdigkeit nicht 50 vereidigt, das Berufungsgericht aber die Verteidigung angeordnet, so ist er in einem nachfolgenden Meineidsprozess befangen.110 Ebenso ist er, wenn er als Richter des Vorprozesses den Angeklagten wegen Prozessbetrugs oder einen Zeugen wegen Meineids angezeigt hat, in dem durch die Anzeige ausgelösten Strafverfahren stets als befangen anzusehen. Eindeutig befangen ist ein Richter in einem Verfahren wegen Betrugs gegen einen Angeklagten, dessen Verhalten er als Prozessbevollmächtigter in einem Verfahren wegen „unerlaubter Handlung i.S. des § 823 Abs. 2 BGB in Verb. mit § 263 StGB“ als arglistig bezeichnet hatte.111 Befangenheit ist auch angenommen worden, wenn die Beisitzerin in einem Haftbeschwerdeverfahren Vorsitzende im vorausgegangenen Hauptverfahren gewesen war 112 oder wenn der Richter in dem aufgehobenen Urteil, über das er mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 23 erneut mitzuentscheiden hat, eine besonders negative Wertung des Verhaltens des Angeklagten vorgenommen 113 oder erheblich nachteilige charakterliche Mängel festgestellt hat,114 wenn er in dem laufenden Verfahren feststellt, dass der Angeklagte in dem vorausgegangenen bewusst die Unwahrheit gesagt habe, und zwar selbst dann, wenn diese Feststellung nicht zu den tragenden Gründen jenes Urteils gehörte.115 5. Laufende Verfahren a) Grundsatz. Die Ausführungen im Zusammenhang von Zwischenentscheidungen 51 (Rn. 39) und Zwischenbeurteilungen (Rn. 42) gelten grundsätzlich auch für die Hauptverhandlung eines laufenden Verfahrens. Daher rechtfertigen tatsächliche Irrtümer, wie

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(1994) 345; krit. Dahs NJW 1966 1691; Hanack JZ 1971 91; Arzt JZ 1973 33; Rieß JR 1980 388; Meyer-Goßner 12. RGSt 65 41: Teilnahme eines Ergänzungsrichters an Zwischenberatungen; BGH NStZ 1994 447: Entscheidung in einer unzulässigen Verfahrensart; anders LG Hildesheim StV 1987 12: Befangenheit wegen verfahrenswidriger Verweigerung des rechtlichen Gehörs. BGH GA 1978 243. BGHSt 21 342. BGH GA 1978 243. Noch weitergehender – Mitwirkung im

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Vorprozess macht regelmäßig befangen – Teplitzky NJW 1962 2044; ähnlich OLG Celle RuP 1991 44; Geiter RuP 1991 17; vgl. auch OLG Bremen StV 1984 415; 1986 470. RGSt 59 410. BGH bei Dallinger MDR 1972 572. OLG Bremen bei Paeffgen NStZ 1990 534. OLG Bremen NStZ 1991 96; LG Köln MDR 1992 892. LG Heilbronn StV 1987 333. LG Wuppertal und AG Mannheim NStZ 1989 296.

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sie jedem Richter unterlaufen können, sowie Äußerungen einer Rechtsmeinung auch hier die Ablehnung des Richters selbst dann nicht, wenn in ihr aus prozessual veranlassten Gründen die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten zum Ausdruck kommt.116 Die nachfolgend (Rn. 52 ff.) erörterten zahlreichen Ausnahmen lassen aber erkennen, dass die Obergerichte bei der Bewertung des richterlichen Verhaltens keineswegs großzügig verfahren.

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b) Ausnahmen. Wie schon oben (Rn. 9) erwähnt, handelt es sich bei der Bewertung, ob ein Verhalten eines Richters Befangenheit besorgen lässt, um Einzelfallentscheidungen. Insofern hat die Rechtsprechung eine umfangreiche Kasuistik entwickelt, die im Folgenden schlagwortartig dargestellt werden soll. Dabei lassen sich zwei Verfahrensabschnitte bilden, die jeweils danach unterteilt werden können, ob Befangenheit angenommen worden ist oder nicht.

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aa) Verhalten vor der Hauptverhandlung Befangenheit wurde angenommen, (1) wenn der Richter vor dem Termin allein aufgrund der Akten dem Angeklagten eröffnet, für das Gericht stehe fest, dass er der Typus des Gewohnheitsverbrechers sei,117 (2) oder die dem Angeklagten zur Last gelegten Vorgänge der Presse als feststehende Tatsachen mitteilt;118 (3) wenn er vor dem Prozess auf umlaufende Gerüchte in der Öffentlichkeit („Zigarrengeschäft“) erklärt, als Richter werde er wissen, wie er derartige unsaubere Geschäfte zu bestrafen habe;119 (4) bei einer Schöffin, die als Abgeordnete der Bürgerschaft verschiedentlich durch ausländerfeindliche Äußerungen aufgefallen war, in einem Verfahren gegen einen ausländischen Angeklagten;120 (5) bei Verheimlichung von Nachermittlungen;121 (6) wenn der zunächst beigeordnete Verteidiger ohne Anhörung des Angeklagten entpflichtet wird;122 (7) wenn der abgelehnte Richter sich weigert, eine konkrete dienstliche Äußerung zu dem Gesuch abzugeben (Grundlage für einen neuen Ablehnungsantrag);123 (8) wenn unmittelbar vor der Hauptverhandlung Akteneinsicht versagt wird, obwohl dies zeitlich möglich wäre;124 (9) wenn der Richter in einer Bußgeldsache mit leichtem Personenschaden die Terminsladung für den Betroffenen und den Verteidiger mit dem Zusatz versieht, es sei nicht der Verdienst des Betroffenen, dass er sich nicht vor dem Schöffengericht wegen fahrlässiger Tötung zu verantworten habe und es deswegen unverständlich

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BGH bei Holtz MDR 1990 678; BGH bei Miebach NStZ 1991 27. BGH MDR 1961 432. BGHSt 4 264. RGSt 61 67. LG Bremen StV 1993 69; ebenso: OLG Karlsruhe NJW 1995 2503. BGH StV 1995 396.

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AG Bergheim StV 1996 592. Nach Ansicht des OLG Hamburg, ZfStrVo 1995 184, reicht aber die Erklärung, eine dienstliche Äußerung sei nicht veranlasst, da der Akteninhalt den Beteiligten bekannt sei, aus, sofern es nur darauf ankommt. AG Bergheim StV 1998 534. OLG Zweibrücken StV 1996 650.

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sei, wenn gleichwohl gegen einen Bußgeldbescheid über nur 100 DM Einspruch eingelegt werde;125 wenn im vorbereitenden Verfahren eine erneute psychiatrische Begutachtung des Angeklagten angeordnet wird, ohne der Verteidigung das Erstgutachten zur Verfügung zustellen und ohne sie an der Auswahl des zweiten Gutachters zu beteiligen;126 wenn das Gericht ohne Antrag der Staatsanwaltschaft und ohne dem Angeschuldigten rechtliches Gehör zu gewähren, im Zwischenverfahren ein vorläufiges Berufsverbot verhängt;127 wenn im Fall einer notwendigen Verteidigung ein Antrag auf Beiordnung bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens zurückgestellt wird, so dass der Angeklagte zur Frage der Eröffnung nicht über den anwaltlichen Beistand Stellung nehmen kann und auch über die gegen die Zurückstellung der Beiordnung eingelegte Beschwerde keine Entscheidung herbeigeführt wird;128 wenn in einem Telefonat mit dem Verteidiger geäußert wird, die Einlassung des Angeklagten sei „schwachsinnig“ und die Sachverständige, deren vorbereitendes Gutachten sich mit dieser Einlassung deckt, solle sich „für die Hauptverhandlung warm anziehen“;129 wenn das BVerfG festgestellt hat, eine gerichtliche Entscheidung (Arrestbeschluss) verstoße gegen das Willkürverbot, rechtfertigt allein diese Feststellung die Ablehnung der beteiligten Richter für das weitere Verfahren;130 wenn der Richter über einen von der Staatsanwaltschaft gestellten Beiordnungsantrag nicht entscheidet und auf die Rücknahme des Antrags hinwirkt, weil er beabsichtigt, das Verfahren nach § 153 StPO einzustellen;131 wenn bei mehreren Mitangeklagten einige zu einem Geständnis bewegt werden sollen und im Gegenzug die sonst drohende Sicherungsverwahrung für entbehrlich angesehen wird, weil dadurch die Prozesslage der ihre Tatbeteiligung weiter bestreitenden Mitangeklagten erheblich verschlechtert werde.132

bb) Verhalten während der Hauptverhandlung. In den folgenden Fällen ist Befangen- 54 heit angenommen worden: (1) wenn das Gericht ohne prozessuale Veranlassung über die Schuldfrage berät und der Vorsitzende, um die Rücknahme der Berufung zu erreichen, dem Angeklagten bekannt gibt, dass das Gericht einstimmig von seiner Schuld überzeugt sei;133 (2) wenn das Gericht ohne prozessuale Notwendigkeit bei unsicherer Beweisgrundlage in sicherer Form seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten zum Ausdruck bringt;134

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KG StV 1988 98; AG Berlin-Tiergarten StV 1993 517. BGH NStZ 2003 99 m. Anm. Duttge 375. OLG Frankfurt/M StV 2001 496. AG Hameln StV 2004 127. LG Mainz StV 2004 531. LG Hamburg StV 2004 590. AB Bremen StraFo 2001 171.

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BGH StV 2006 118. Beling JW 1926 1209; a.A. RGSt 60 45. Hamm (NJW 1973 185) generalisiert das Merkmal „ohne prozessuale Veranlassung“ dahin, dass er Besorgnis der Befangenheit annimmt, wenn der Zwischenentscheidung „die Vorbehalte der Vorläufigkeit“ fehlen. BGH GA 1962 282.

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(3) wenn es den Angeklagten bei seiner Einlassung im Rahmen des § 243 Abs. 4 Satz 2 mehrfach mit der Feststellung unterbricht, das alles gehöre nicht zur Sache;135 (4) wenn er bei offener Beweislage bemerkt, der Zeuge habe jetzt endlich die Wahrheit gesagt;136 (5) wenn er seine Ansicht über den Sinngehalt einer Urkunde in Formulierungen kleidet, die den Eindruck erwecken, er habe sich bereits endgültig festgelegt;137 (6) wenn er trotz Überzeugung, dass kein Ablehnungsgrund für einen Beweisantrag des Staatsanwalts vorliegt, dennoch auf diesen einwirkt, den Antrag zurückzunehmen und sich dabei des unzulässigen Mittels der Zusage bezüglich des Strafmaßes bedient;138 (7) wenn er in der Hauptverhandlung seine Befriedigung darüber zum Ausdruck bringt, dass der Angeklagte keinen Kontakt mehr zu dem Mitangeklagten unterhalte;139 (8) wenn ein Schöffe bei dem Hinweis des Richters, für einen bestimmten Vorwurf komme es darauf an, ob der Angeklagte mit verkehrswidrigem Verhalten von Kindern habe rechnen müssen, einwirft: „Eigentlich müsste er“;140 (9) wenn der Richter im Prozess auf einen Zeugen einwirkt, von seinem Zeugnisverweigerungsrecht keinen Gebrauch zu machen;141 (10) wenn der Richter dem Angeklagten vorhält, bei der Vielzahl von Beweisen sei es weder klug, überhaupt nichts zu sagen, noch ratsam, auf der Ladung von weiteren Zeugen aus dem Ausland zu bestehen, zumal da die möglicherweise Dinge erzählen könnten, von denen das Gericht noch gar nichts wisse;142 (11) wenn er den Angeklagten durch ungewöhnlich scharfe Worte zu einer Schilderung des Tathergangs 143 oder zum Geständnis drängt 144 oder von ihm mit ehrverletzenden Ausdrücken unter Verstoß gegen den richterlichen Verhandlungsstil spricht („Sie lügen nach Aktenlage unverschämt“);145 (12) wenn er das Verhalten bei der Tat mit starken Worten und abwegigen Vergleichen (Fahrweise wie auf einem Rummelplatz) kennzeichnet; (13) wenn ein Angeklagter besorgen muss, der Richter werde bei der Findung des Strafmaßes eine überzogene Strenge walten lassen,146 weil er den Angeklagten darauf hinweist, dass seine Straftat in ausländischen Rechtsordnungen entweder mit dem Tode oder aber 40 Jahren Haft geahndet werden könne, und zwar selbst dann, wenn der Richter damit nur verdeutlichen wollte, welchen Stellenwert andere Länder der Bekämpfung der dem Angeklagten vorgeworfenen Straftat beimessen;147 (14) wenn der Richter bei dem zur Sache schweigenden Angeklagten den Eindruck entstehen lässt, er werde wegen seiner bloßen Ähnlichkeit mit der auf dem Radarfoto erkennbaren Person verurteilt, falls er nicht „Ross und Reiter“ (d.h. den Fahrer zur Tatzeit) nenne;148 135 136 137 138 139 140 141 142 143

LG Krefeld StV 1984 196. BGH GA 1978 243. BGH bei Holtz MDR 1984 797. BGH StV 1984 449 = NStZ 1985 36. BGH StV 1991 450. OLG Hamm JMBlNRW 1968 68. BGHSt 1 37. LG Frankfurt StV 1984 415. BGH NJW 1959 55; BayObLG StV 1994 116.

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BGH NJW 1982 1712; BGHR § 24 II Befangenheit 14. 145 BGH StV 2004 356; OLG Hamm NJW 1967 1577; BayObLG NJW 1993 2948. 146 LG Frankfurt StV 1984 237. 147 BGH StV 1991 49 = bei Miebach/Kusch NStZ 1991 226. 148 BayObLG StV 1995 7.

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(15) wenn der Angeklagte den Eindruck gewinnen kann, es komme dem Richter in erster Linie darauf an, das Verfahren in dem angesetzten Hauptverhandlungstermin zum Abschluss zu bringen, ohne auf den berechtigten Wunsch, von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigt zu werden, die gebührende Rücksicht zu nehmen, ihm vielmehr einen nicht gewünschten Pflichtverteidiger aufnötigt;149 (16) wenn er die Bestellung eines Pflichtverteidigers deshalb zurücknimmt, weil dieser nach seiner Ansicht unvorschriftsmäßig gekleidet sei;150 (17) wenn der Richter mit der – eindeutig fehlerhaften – Zurücknahme der Verteidigerbestellung den Eindruck erweckt, er wolle dadurch einen missliebigen, weil unbequemen Verteidiger aus dem Verfahren entfernen;151 (18) wenn er seinen Unmut über eine vom Angeklagten beantragte Beweisaufnahme durch mehrfache grob unsachliche Äußerungen zum Ausdruck bringt 152 (die Befangenheit entfällt dann auch nicht dadurch, dass der Richter sich, wenn auch widerstrebend, der gesetzlichen Anordnung beugt, eine beantragte Beweisaufnahme durchzuführen);153 (19) wenn er sich gegenüber dem Verteidiger dahin äußert, er mache die Kammer nicht fertig, sie hätte den längeren Arm; er müsse ja wissen, wie er den Angeklagten verteidige und werde schon sehen, was er davon habe, oder: der Schuss gehe nach hinten los, aber er werde ja wissen, wie er seinen Mandanten berate;154 oder diesem gegenüber bemerkt: „Ich frage mich, Herr Rechtsanwalt, wo Sie das Recht gelernt haben“;155 (20) wenn ein Rechtsanwalt als Mitglied eines Ehrengerichts sich in der Öffentlichkeit über die Art der Verteidigung eines Kollegen in einer Weise äußert, die den Eindruck der Standeswidrigkeit des Verteidigerhandelns entstehen lässt, wenn dieses Verhalten Gegenstand des ehrengerichtlichen Verfahrens ist;156 (21) wenn eine – zumindest für die Straffrage erhebliche – Beweisaufnahme darüber, dass der Täter zur Tat von einem Lockspitzel verleitet worden sei, mit der Bemerkung: „Wir werden die Sache nicht platzen lassen, auch auf die Gefahr hin, dass wir aufgehoben werden“ 157 abgelehnt wird; (22) Ablehnung, den Kunstbegriff zu erörtern, obwohl breite Kreise der außerjuristischen Literatur die Äußerung der Kunst zurechnen; (23) bei groben Rechtsfehlern wie bedeutsamen Tatsachenirrtümern (Verwechslung von Verkehrszeichen); (24) bei unverständlichen Überraschungsentscheidungen;158 (25) bei „Vorbereitung“ oder Absetzung des Urteils schon während des Schlussvortrags des Verteidigers;159 (26) wenn der Richter die Erhebung einer Nachtragsanklage anregt;160 (27) bei Erklärung gegenüber dem Vorgesetzten des Sitzungsstaatsanwalts, dieser fungiere als vierter Verteidiger;161 149 150 151 152

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BayObLG StV 1988 97. BGH NStZ 1988 510. BGH NStZ 1990 289. BGH StV 1988 281; einschränkend für volkstümlich, wenn auch drastisch formulierte Unmutsäußerungen BGH NStZ-RR 1996 199. BGH NStZ 1988 372. BGH bei Holtz MDR 1988 629.

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LG Frankfurt StV 1990 258. EGH Frankfurt StV 1981 31. BGH bei Dallinger MDR 1972 571. BGH VRS 41 (1971) 205. BayObLG bei Rüth DAR 1979 239. BGH MDR 1957 653. BGH NStZ 1991 348; Zschockelt NStZ 1991 306.

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(28) die Äußerung, der Angeklagte sehe wie ein Rauschgifthändler aus;162 (29) wenn der Richter bei Vernehmung eines Entlastungszeugen zu erkennen gibt, er halte dessen Aussage für unwahr (er solle die Wahrheit sagen oder „die Klappe halten“);163 (30) wenn auf einen Zeugen eingewirkt wird, er solle von seinem Zeugnisverweigerungsrecht keinen Gebrauch machen;164 (31) wenn der Richter einen inhaftierten Mitangeklagten in der Zelle aufsucht und sich mit ihm über das Verfahren unterhält;165 (32) bei völlig unangemessenen Reaktionen auf ein Verhalten des Verteidigers;166 (33) wenn dem Angeklagten das rechtliche Gehör versagt wird;167 (34) wenn das Fragerecht unberechtigt eingeschränkt wird;168 (35) wenn der Vorsitzende nach dem Beschluss über die Zulassung der Nebenklage entgegen dem Antrag des Verteidigers anmerkt: „Ihre erste Niederlage, Herr Verteidiger“;169 (36) bei einer Äußerung des Berufungsrichters: „Beim Lesen der Akten und Beiakten habe ich die Einlegung dieser für wenig aussichtsreich erachteten Berufung nahezu als ein Ansinnen an das vielbeschäftigte Gericht betrachtet.“;170 (37) bei unberechtigter und damit willkürlicher Ablehnung einer vom Verteidiger beantragten Terminsverlegung;171 (38) wenn die Vorsitzende in einer Hauptverhandlung, in der über sexuelle Übergriffe des Angeklagten gegen seine minderjährige Tochter Beweis erhoben wird, sich bei der Betreuerin der Geschädigten erkundigt, ob sich diese wegen der Geschehnisse bereits in Therapie befinde, weil darin bereits eine Festlegung zur Schuldfrage liegen kann;172 (39) eine im Strafvollstreckungsverfahren (Reststrafenaussetzung) gemachte ironische Bemerkung, die Ablehnung des Antrags des prominenten Antragstellers werde auch nicht in der Presse stehen, begründet den Verdacht, der Richter habe sich bereits festgelegt;173 (40) die Oberbekleidung eines Schöffen, die Rechtsradikalen zugeordnet wird, im Verfahren gegen einen Angeklagten ausländischer Abstammung;174 (41) die dauerhafte körperliche Erschöpfung eines Schöffen erweckt den Eindruck, dieser würde dem Schicksal des Angeklagten extrem gleichgültig gegenüberstehen;175 (42) ein Hinweis an den nicht geständigen Angeklagten, fehlende Einsicht in das Unrecht der Tat könne strafschärfend berücksichtigt werden, begründet dann die Besorgnis der Befangenheit, wenn es sich unter Berücksichtigung der Erklärungssituation nicht nur um einen abstrakten Hinweis auf die Rechtslage handelt;176 (43) wenn der Antrag eines inhaftierten Angeklagten auf Aufhebung des Haftbefehls im Hinblick darauf, dass ein Mitangeklagter auf freiem Fuß ist, dazu führt, dass auch 162 163 164 165 166 167 168 169 170

BGH HRSt 2. BGH NJW 1984 1908. BGHSt 1 34. BGH NStZ 1983 359. BGH StV 1993 339. BGH VRS 41 205. BGH StV 1985 2. Brandenburgisches OLG StV 1997 455. OLG Hamm StV 1998 64.

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OLG Naumburg StraFo 2005 24; OLG Bamberg NStZ 2006 588; LG Krefeld StV 1995 426; LG Mönchengladbach StV 1998 533. BGH StV 1999 575 = NStZ 1999 629. OLG Frankfurt/M. StV 2000 687. LG Berlin StV 2002 132. LG Bremen StV 2002 357. BGH StV 2002 115.

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177 178 179 180 181 182

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gegen diesen Angeklagten Haftbefehl erlassen wird und wird dies vom Richter damit kommentiert: „Das haben Sie nun davon. Dies ist das Resultat dieser Anträge“, begründet dies aus Sicht des Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit;177 wird die Beweisaufnahme trotz Auftauchens neuer Beweismittel und der Ankündigung weiterer Beweisanträge geschlossen, erweckt das den Eindruck, der Richter ziehe eine schnelle Prozesserledigung einer sachgemäßen Aufklärung vor und lässt damit Befangenheit besorgen;178 dasselbe gilt bei Äußerung eines Richters gegenüber dem Verteidiger, dass dessen angekündigte Beweisanträge zu erheblichen Beweistatsachen (trotz einer problematischen Beweissituation) möglicherweise alle abgelehnt würden;179 bei Unkenntnis vom Inhalt von Beiakten und der Erklärung des Richters, das sei auch entbehrlich, weil die Hauptakten allen verfahrensrelevanten Prozessstoff enthielten;180 wenn durch Äußerungen der Eindruck besteht, der Richter habe sich hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme bereits festgelegt, indem er dem Angeklagten vorhält, er habe die Zeit zwischen den Verhandlungstagen offensichtlich nicht genutzt, um sich zu überlegen, etwas zur Sache zu sagen, zumal, wenn dies im Kontext zu einer früheren Äußerung steht, der Angeklagte sei der erste Albaner, der sich seine Frau nicht zurechtschnitze;181 wenn ein Befangenheitsantrag mit ungewöhnlich drastisch formulierten Vorwürfen gegen die Verteidigung zurückgewiesen wird und dabei der Bereich der Sachlichkeit verlassen wird;182 wenn der Vorsitzende auf eine den Tatvorwurf bestreitende Einlassung des Angeklagten bemerkt: “Dann will ich es Ihnen mal erklären, denn Sie waren es“;183 wenn der Vorsitzende den Verteidiger hindert, in der Hauptverhandlung einen Ablehnungsantrag zu stellen und darauf verweist, dies zu Protokoll der Geschäftsstelle zu tun;184 wenn der Vorsitzende dem Verteidiger vorwirft, mit der Stellung eines Ablehnungsantrags wolle er ohnehin “nur Sand ins Getriebe streuen“ und wenn diese Äußerung durch den Verfahrensgang sachlich nicht veranlasst war;185 wenn Erklärungen und Verfügungen des Vorsitzenden im Zusammenhang mit der Terminierung der Berufungshauptverhandlung und der Anordnung der Haftfortdauer in ihrer Gesamtschau geeignet sind, den Anschein einer willkürlichen Ausübung des richterlichen Ermessens im Rahmen der Terminsbestimmung zu erwecken, was dann der Fall ist, wenn diese objektiv unzutreffend sind 186 (angeblich keine Möglichkeit früherer Terminierung bei streitiger Verhandlung); wenn der Vorsitzende vor der Beratung eines Beweisantrages zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten auf die Dauer der Beratungspause angesprochen erklärt: „Meinen Sie, dass wir die Anträge noch schneller ablehnen können?“ und dadurch den Eindruck erweckt, er habe sich zu dieser Frage bereits festgelegt.187

BGH StV 2002 116. BGH NStZ 2003 666. BGH StV 2003 369. LG Hanau StV 2004 71. BGH StraFo 2004 237. BGH NStZ 2005 218.

183 184 185 186 187

KG StV 2005 490. BGH StV 2005 531. BGH StV 2005 531. OLG Karlsruhe StV 2005 539. BGH StV 2006 59.

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§ 24 55

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

c) Keine Befangenheit ist dagegen in den folgenden Fällen angenommen worden: (1) wenn dem Angeklagten geraten wird, den Einspruch gegen den Strafbefehl 188 oder die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts 189 zurückzunehmen; (2) wenn der Richter es ablehnt, das Verfahren nach §§ 153, 153a StPO einzustellen;190 (3) wenn dem Angeklagten – auch in massiver Form – Vorhalte gemacht werden;191 (4) wenn der Richter zu erkennen gibt, dass er den Angeklagten für schuldig hält;192 es sei denn, dass er das trotz unsicherer Beweislage in sicherer Form tut;193 (5) wenn der Richter bei Vereidigung eines Zeugen den Sachverhalt würdigt,194 selbst wenn er dabei seine bisherige Rechtsansicht ändert;195 (6) bei nach Sachlage noch verständlichen Unmutsäußerungen des Vorsitzenden („alles nur Theater der Verteidigung, die den Angeklagten nicht ausreden ließe“);196 (7) bei sachlich gerechtfertigten sitzungspolizeilichen Maßnahmen;197 (8) bei Hinweis auf die Bedeutung eines Geständnisses für die Strafzumessung,198 selbst wenn dabei auf noch nicht in der Hauptverhandlung verwertete Beweismittel (Aktenlage) hingewiesen wird, weil dies nicht über die Beurteilung im Eröffnungsbeschluss hinausgeht;199 (9) bei nicht schwerwiegenden Spannungen zwischen dem Richter und dem Verteidiger bzw. dem Sachverständigen;200 (10) wegen Abschaltens des Mikrofons des Verteidigers, nachdem dieser seine Lautstärke so sehr gesteigert hatte, dass er auch ohne die Lautsprecher im Saal von allen gut zu verstehen war;201 (11) bei Verfahrensverstößen, wie sie jedem Richter unterlaufen können,202 soweit ihnen nicht Willkür anhaftet;203 (12) Äußerungen zum Sinngehalt der dem Angeklagten vorgehaltenen Urkunde;204 (13) beim Schöffen, der Mitglied der Vertreterversammlung einer Genossenschaftsbank ist, in einem Verfahren gegen ein Vorstandsmitglied dieser Bank;205 (14) bei Schöffen, denen in der Hauptverhandlung zum besseren Verständnis der Beweisaufnahme aus den Akten stammende Protokolle (Tonbandprotokolle) als Begleittext zur Verfügung gestellt werden;206 (15) kritische und nachdrückliche Bemerkungen, wenn sie situationsangemessen sind, auch wenn sie mit einem gewissen Unmut verbunden sind;207 (16) wenn ein Ablehnungsgesuch fälschlich als unzulässig statt als unbegründet beschieden wird;208

188 189 190 191 192 193 194 195 196 197 198

OLG Hamm GA 1958 58. RGSt 60 44; Düsseldorf StraFo 1999 347. OLG Düsseldorf StraFo 1999 347. BGH MDR 1957 16; VRS 25 423. OLG Köln JMBlNRW 1956 284. BGH GA 1962 282. OLG Hamm JMBlNRW 1973 272. BGH NJW 1962 749. BGH NStZ 2000 325. Molketin MDR 1984 20. BGHR § 24 II Befangenheit 12; NStZ-RR 1998 257.

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199 200

201 202 203 204 205 206 207 208

BGHR § 24 II Befangenheit 12. BGH NJW 1998 2458 = StV 1999 463 mit krit. Anm. Zieschang; s.a. BGH NStZ 2005 218 = StV 2005 72. BGH NStZ 1995 18. BayObLG DRiZ 1977 244. BGH NJW 1984 1909. BGH MDR 1984 797. BGH NStZ 1997 559 = wistra 1997 265. BGH StV 1997 450. BGH StV 2004 357. BGHR StPO § 26a (Unzulässigkeit 9).

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 24

(17) wenn der Richter sich zu den Prozessaussichten äußert;209 (18) wenn ein Aussetzungsgesuch zu Recht abgelehnt worden ist.210 6. Absprachen a) Zulässigkeit von Absprachen. Kontaktaufnahmen, Absprachen und Verständigung 56 haben in den letzten Jahren in der täglichen Praxis des Strafprozesses zunehmend Bedeutung erlangt. Der früher teilweise verbissen geführte Streit um die Zulässigkeit von Absprachen 211 kann mittlerweile, insbesondere seit der Entscheidung des 4. Strafsenats vom 28.8.1997 212 als beigelegt gelten. Umstritten ist aber nach wie vor die Reichweite der dabei dem Richter zustehenden Befugnisse, denn das als Grundsatzentscheidung gedachte Urteil des 4. Senats hat zwar versucht, präzise und begrenzende Anforderungen an Inhalt und Verfahrensweise aufzustellen, aber dies ist von der Praxis immer noch nicht durchgängig umgesetzt worden, wie spätere Entscheidungen des BGH belegen. An dieser Stelle ist es weder der geeignete Ort zu einer diesbezüglichen Vertiefung noch besteht dazu eine Notwendigkeit. Hier geht es vielmehr darum, wann Verhalten im Rahmen von Absprachen Befangenheit begründen kann. b) Inhalt von Absprachen. Zum besseren Verständnis des Problembereichs sollen 57 kurz die vom 4. Strafsenat aufgestellten Zulässigkeitsgrenzen in Erinnerung gerufen werden. Danach ist eine Absprache mit dem Inhalt zulässig, dass das Gericht für den Fall eines glaubhaften 213 Geständnisses eine Strafmilderung in Aussicht stellt und dabei eine Sanktionsobergrenze bezeichnet, die es in diesem Fall nicht überschreiten werde. Keinesfalls darf bei Berücksichtigung des auf einer Absprache beruhenden Geständnisses die schuldangemessene Strafe unterschritten werden. Unzulässig ist eine Absprache über den Schuldspruch. Verfahrensmäßig ist an der Absprache das gesamte Gericht (also auch Schöffen) zu beteiligen und die Absprachen sind entweder in der öffentlichen Hauptverhandlung zu treffen oder müssen, wenn sie in zulässigen Vorgesprächen zwischen den Beteiligten vereinbart worden sind,214 dort wenigstens offen gelegt werden. Als wesentliche Förmlichkeit im Sinne des § 273 Abs. 1 sind Absprachen in das Protokoll aufzunehmen.215 Damit tritt für das Gericht eine Bindungswirkung ein, die nur entfallen kann, wenn „schwerwiegende“ neue Tatsachen eine andere Entscheidung notwendig machen. In einem solchen Fall bedarf es eines vorherigen Hinweises gemäß § 265. Die Zusage eines Rechtsmittelverzichts darf nicht Gegenstand einer Absprache sein.216 c) Folgerungen. Absprachen sind daher nur unzulässig, wenn sie gegen das Gebot des 58 fairen Verfahrens, die Aufklärungspflicht oder den Grundsatz der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung verstoßen oder wenn sie geeignet sind, bei einzelnen Verfahrensbeteiligten Besorgnis der Befangenheit zu besorgen. d) Ablehnungsgründe. Soweit die Obergerichte mit dem Problem befasst worden 59 sind, waren Gegenstand ihrer Entscheidungen vorwiegend Rügen wegen fehlerhafter 209 210 211 212 213

KG StraFo 2004 349. BGH NStZ 2005 646. Siehe dazu die ausführliche Übersicht bei LR/Rieß 25 Einl. Abschn. G Rn. 63 ff. BGHSt 43 195. Insoweit Klarstellung durch BGH StV 1999 408.

214 215 216

BGH StV 1999 407. BGH aaO. BGH aaO; BGH GSSt StV 2005 311 = NJW 2005 1440.

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§ 24

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

Zurückweisung von Richterablehnungen. Dabei sind folgende Grundsätze entwickelt worden: Es ist dem Richter nicht verwehrt, zur Förderung des Verfahrens – häufig zur Vorbereitung der Sitzung – mit den Verfahrensbeteiligten während, aber auch außerhalb der Hauptverhandlung, Fühlung zu den Prozessbeteiligten aufzunehmen.217 Solche Kontaktaufnahmen vermögen daher grundsätzlich keine Befangenheit zu begründen. Allerdings sollte der Richter, wenn sich das Verfahren gegen mehrere Angeklagte richtet, ein solches Gespräch auf alle Beteiligten erstrecken. Tut er das nicht, verständigt er sich vielmehr außerhalb der Hauptverhandlung nur mit einem Teil der Angeklagten, ohne seine Verständigung den nicht beteiligten Angeklagten in der Hauptverhandlung offen zu legen, dann können diese zu Recht Befangenheit besorgen,218 zumal da ein solches Verhalten den Verdacht erwecken kann, der Richter habe sich in rechtsstaatswidriger Weise auf einen Vergleich oder einen Handel mit der Gerechtigkeit eingelassen.219 Richterliche Befangenheit ist auch begründet, 60 – wenn der Vorsitzende im Anschluss an die Hauptverhandlung eines bestimmten Tages längere Zeit mit dem sachbearbeitenden Staatsanwalt und dem Wirtschaftsreferenten der Staatsanwaltschaft konferiert, es aber ablehnt, auf die Frage des Verteidigers, ob Gegenstand des Gesprächs das anhängige Verfahren gewesen sei, eine Erklärung abzugeben;220 – wenn Vorsitzender und Berichterstatter versucht haben, den Staatsanwalt dadurch zur Rücknahme eines Gegenbeweisantrags zu bewegen, dass sie ihm zusagten, die von ihm geforderte Strafe käme nach dem derzeitigen Verfahrensstand weiterhin in Betracht;221 – wenn ein Richter ohne Anwesenheit aller Prozessbeteiligten – einschließlich des Angeklagten – eine in Betracht kommende Strafe, wenn auch nach außen hin unverbindlich, nennt ;222 – wenn zwischen Gericht, Staatsanwalt und Verteidiger eines Mitangeklagten eine Absprache zu Lasten eines anderen Angeklagten getroffen wird ;223 – wenn das Gericht nach Vorberatung über die Strafobergrenze den Eindruck erweckt, sich insoweit ohne Rücksicht auf den Umfang des Geständnisses und den weiteren Verlauf der Hauptverhandlung vorbehaltlos und endgültig festgelegt zu haben ;224 – wenn Verfahrensbeteiligte an Vorbesprechungen zur Verfahrenserledigung nicht beteiligt werden 225 oder über die Verbindlichkeit einer derart unwirksamen Zusage getäuscht werden;226 217

218

219

220 221

BGH StV 1984 449 = NStZ 1985 36; StV 1988 417; 1996 354 = NStZ 1996 448; OLG Bremen StV 1989 146 mit teilw. krit. Anm. Hamm. BGHSt 37 99 = JR 1991 116 mit Anm. Böttcher; 37 298; 38 102; BGH StV 1996 354 = NStZ 1996 448 mit krit. Anm. Zschockelt NStZ 1991 306; Schünemann StV 1993 659. BVerfG NStZ 1987 419 und (ausführlicher) wistra 1987 134; s. auch BGH DRiZ 1994 64 und StV 1996 354. BGH StV 1984 318; Zschockelt NStZ 1991 306; s. auch BGHSt 36 308; StV 1995 397. BGH StV 1984 449 = NStZ 1985 36; Zschockelt NStZ 1991 307.

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223 224 225

226

Ausführlich dazu (zustimmend) Zschockelt NStZ 1991 310. Überwiegend ablehnend Schünemann StV 1993 662 f. unter Hinweis auf Rollen- und Kontrollkonzept der Strafprozessordnung; s. auch BGH NJW 1992 519; LG Kassel StV 1993 68 und Schellenberg DRiZ 1996 281 IV. BGH wistra 1996 145. BGH StV 2000 177 m. Anm. Sinner 289 und Anm. Kintzi JR 2001 161. BGH NStZ 2005 395 (bei Zusicherung einer Strafobergrenze unter Umgehung der Staatsanwaltschaft). BGH StV 2003 481 m. Anm. Schlothauer.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 24

– wenn im Zusammenhang mit vorbereitenden Gesprächen über eine Urteilsabsprache mit einer sog. „Sanktionsschere“ gedroht wird, z.B. für den Fall, dass der Angeklagte kein Geständnis ablegen sollte, die (ansonsten zulässige) Anordnung der Sicherungsverwahrung angedroht wird.227 Befangenheit ist nicht auszuschließen, wenn der Richter in einem Gespräch außerhalb 61 der Hauptverhandlung unter Ausschluss des Staatsanwalts dem Verteidiger konkret, wenn auch unverbindlich, erklärt, welche Strafe bei einem Geständnis in Betracht komme. Ein derartiges Verfahren widerspricht dem Grundsatz der Mündlichkeit der Hauptverhandlung und dem Öffentlichkeitsgrundsatz, wenn es nicht in der Hauptverhandlung ausdrücklich erörtert wird; zum anderen kann in einem solchen Fall nicht ausgeschlossen werden, dass der bei der vertraulichen Absprache nicht anwesende Prozessbeteiligte zu Recht befürchten kann, der Richter sei im Sinne der den anderen Verfahrensbeteiligten in Abwesenheit der übrigen Beteiligten konkret genannten Strafe voreingenommen.228 Erlangt die Staatsanwaltschaft die Kenntnis von solchen Gesprächen allerdings aus einem überwachten Telefongespräch zwischen dem Angeklagtem und seinem Verteidiger, das aus Rechtsgründen nicht verwertet werden darf, dann darf diese Kenntnis auch nicht als Grundlage für ein Ablehnungsgesuch gegen einen der erkennenden Richter herangezogen werden.229

IV. Verfahren 1. Ablehnungsberechtigte (Absatz 3 Satz 1). Nach den Motiven (Hahn 1 90) soll das 62 Ablehnungsrecht allen Prozessbeteiligten, also dem Beschuldigten, der Staatsanwaltschaft und dem als Kläger (Privatkläger, Nebenkläger) auftretenden Verletzten zustehen. Für den Nebenkläger, der in Absatz 3 Satz 1 nicht aufgeführt ist, ergibt sich das ausdrücklich aus § 397 Abs. 1 Satz 3. Der Beschuldigte im Sicherungsverfahren (§ 413) hat nach § 414 Abs. 1, der Einziehungsbeteiligte (§ 431 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3) nach § 433 Abs. 1, § 440 Abs. 3, der Antragsteller im Nachverfahren (§ 439 Abs. 1) nach § 441, der Beteiligte im Verfahren bei Festsetzung von Geldbußen gegen juristische Personen und Personenvereinigungen (§ 444 Abs. 1 Satz 1) nach § 444 Abs. 2 Satz 2 in Verb. mit § 433 Abs. 1 die Befugnisse des Angeklagten und damit das Ablehnungsrecht. Dagegen steht dem Verteidiger (§ 138) und dem Rechtsanwalt als Beistand eines Privatklägers (§ 387) kein eigenes Ablehnungsrecht zu, doch ist, wenn sie ablehnen, anzunehmen, dass sie das für den Angeklagten oder Privatkläger tun.230 Das Ablehnungsrecht steht allen Ablehnungsberechtigten gleichmäßig zu, auf eine 63 Beschwer kommt es nicht an; der Staatsanwalt kann immer zugunsten des Angeklagten ablehnen.231 Umgekehrt kann, wenn ein Richter mit dem Beschuldigten verwandt ist, der Beschuldigte und nicht etwa nur der Staatsanwalt die Ablehnung anbringen. Tun es beide nicht, hat der Richter nach § 30 zu verfahren. 227 228

BGH StV 2005 372. BGHSt 37 298, 302 = StV 1991 194 mit Anm. Weider; 38 102; BGH MDR 1995 732, 733 mit Hinweis auf Eröffnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn der Angeklagte aufgrund einer unzuständigerweise abgegebenen und alsbald nach Urteilsverkündung nicht eingehaltenen Zusage des Vorsitzenden auf Rechtsmittel verzichtet hat; StV 1996 354.

229

230 231

Diese Konstellation hatte der BGH in der Entscheidung vom 10.3.2005 – 3 StR 233/04 – nur am Rande zu beurteilen und er hat dabei offen gelassen, ob das Ablehnungsgesuch aus diesem Grunde bereits unzulässig war, was wohl anzunehmen sein dürfte, weil nur legal erworbenes Wissen einen Antrag zu rechtfertigen vermag. OLG Hamm NJW 1951 731. Arzt 37.

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§ 24

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

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Kein Ablehnungsrecht haben Zeugen, Sachverständige und bei der Verhandlung nicht beteiligte Personen im Ordnungsmittelverfahren (§§ 177, 178, 180, 181 GVG; §§ 70, 77). Das kann oft als ungerecht empfunden werden, ist aber der Natur der Sache nach nicht anders zu regeln, weil nicht jedes Mal ein anderer Richter zugezogen werden kann, der Beweis über den Verstoß erhebt. Kein Ablehnungsrecht haben auch der Verletzte im Adhäsionsverfahren (§ 403) und im Prozess, solange er sich nicht – soweit zulässig (§ 395 Abs. 2 Nr. 2) – als Nebenkläger angeschlossen hat. Das ergibt sich aus § 24 Abs. 3 und ist hinzunehmen, weil er keine Prozesspartei ist und weil die ablehnungsberechtigte Staatsanwaltschaft die Interessen des Verletzten wahrnimmt. Eine Ausnahme gilt jedoch für „Dritte“, die durch Ermittlungsmaßnahmen, die nicht gegen sie gerichtet sind, von schwerwiegenden – grundrechtsrelevanten – Eingriffen betroffen werden, wie etwa bei der Durchsuchung bei anderen Personen (§ 103 StPO), der Wohnraumüberwachung bei anderen (§ 100c Abs. 3 S. 2 StPO) oder der Überwachung der Telekommunikation bei Nichtbeschuldigten (§ 100a S. 2 Alt. 2 StPO).231a Im Anklageerzwingungsverfahren (§ 172 Abs. 2) dagegen ist der Verletzte eine auf 65 sich allein gestellte Verfahrenspartei. Es widerspräche jeder Gerechtigkeit, ihn (etwa in dem Fall § 22, 21, Fn. 38) darauf zu verweisen, dass das Gericht nach § 30 verfahren werde. Vielmehr ist ihm über den Wortlaut in sinngemäßer Anwendung der Vorschrift ein eigenes Ablehnungsrecht einzuräumen.232

66

2. Namhaftmachung (Absatz 3 Satz 2). Zur Sicherung des Ablehnungsrechts gibt das Gesetz den Ablehnungsberechtigten den Anspruch auf Auskunft über die Besetzung des Gerichts. Daraus folgt zugleich, dass dem Ablehnungsberechtigten eine angemessene Frist einzuräumen ist, um einen angekündigten Befangenheitsantrag zu begründen.233 Dem Sinn der Bestimmung entsprechend ist dem Verlangen auch stattzugeben, wenn die Richter zur Mitwirkung nicht bei einer Entscheidung, sondern bei einer anderen richterlichen Tätigkeit berufen sind. Die Vorschrift gilt allgemein – auch für die Entscheidung im Klageerzwingungsverfahren 234 –; sie greift schon auf § 31 vor und regelt die Bekanntgabe sämtlicher Gerichtspersonen, also der Richter (§§ 22 bis 25), der Schöffen und Urkundsbeamten (§ 31 Abs. 1). Den Namen des Staatsanwalts gibt das Gericht nicht bekannt. Der Beschuldigte kann 67 den Namen beim Leiter der Staatsanwaltschaft erfragen. Dieser hat ihn, ohne eine Begründung zu verlangen, bekannt zu geben, damit der Berechtigte bei ihm, wenn er dafür einen Grund darlegt, Ersetzung durch einen anderen Staatsanwalt (Vor § 22, 9) erwirken kann. Von Amts wegen ist keine Mitteilung zu machen („auf Verlangen“).235 Ist aber Mit68 teilung gemacht, so ist jeder Wechsel von Amts wegen bekannt zu geben.236 Bis zu welchem Zeitpunkt eine Besetzungsänderung bekannt zu geben ist, lässt das Gesetz offen. Jedoch ist die Bekanntgabe auf jeden Fall dann nicht mehr als rechtzeitig anzusehen, wenn der Ablehnungsberechtigte dadurch gehindert ist, noch vor dem letzten Wort (§ 25 231a BGH

233

232

234

NStZ 2005 584. OLG Karlsruhe NJW 1973 1658; OLG Saarbrücken NJW 1975 399; OLG Hamm NJW 1976 1701; OLG Koblenz NStZ 1983 470; OLG Celle NdsRpfl 1985 238. John § 24, I 4; Hartmann JW 1928 2965; Teplitzky MDR 1970 108; JuS 1969 323; Hamm 125; NJW 1974 683; Eb. Schmidt 7; KMR/ Bockemühl 29; KK/Pfeiffer 10; MeyerGoßner 20; SK/Rudolphi 26; HK/Lemke 32; a.A. RGSt 52 292; KG JR 1954 35.

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BVerfG NJW 1991 2758. OLG Düsseldorf NStZ 1983 470. Anders für LG- und OLG-Strafsachen im ersten Rechtszug; für diese Gerichte ergibt sich die Mitteilungspflicht der Gerichtsbesetzung aus § 222a. RGSt 66 10; RG JW 1930 925; BayObLG MDR 1985 342; 1988 339; Schorn GA 1963 173; KK/Pfeiffer 12; Meyer-Goßner 21.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 25

Abs. 2 Satz 2) einen bestimmten erfolgreichen Ablehnungsantrag anzubringen.237 Abgesehen von der Namhaftmachung ist das Gericht nicht verpflichtet, dem Angeklagten tatsächliche Unterlagen zur Begründung seines Antrags zu liefern,238 und zwar auch nicht im Rahmen der Entscheidung über einen Ablehnungsantrag.239 3. Anfechtung. Lehnt das Gericht die Bekanntgabe der Gerichtspersonen ab (etwa 69 weil der Antragsteller nicht ablehnungsberechtigt ist), so steht ihm, sofern die Entscheidung nicht die eines – auch erstinstanzlich entscheidenden – Strafsenats ist (§ 304 Abs. 4), die Beschwerde zu (§ 304 Abs. 1 und 2). Die Beschwerde ist ausgeschlossen, wenn die Entscheidung vom erkennenden Gericht (§ 28, 12; 19) erlassen wird, es sei denn, der Antragsteller (etwa der bestrafte Zeuge, der unrichtigerweise ein Ablehnungsrecht in Anspruch nimmt) sei Dritter i.S. von § 305 Satz 2, § 304 Abs. 2. Nur wenn die Prozessbeteiligten kein Beschwerderecht haben,240 können sie die Verletzung des § 24 Abs. 3 Satz 2, die in der Praxis nur durch das Unterlassen begangen werden wird, einen Wechsel in der ursprünglichen Liste von Amts wegen bekannt zu geben, mit der Berufung und namentlich mit der Revision rügen.241 4. Verweisungen. Wegen der Entscheidung über den Ablehnungsantrag s. §§ 26a, 42, 70 wegen der Rechtsmittel § 28.

§ 25 (1) 1Die Ablehnung eines erkennenden Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ist bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse, in der Hauptverhandlung über die Berufung oder die Revision bis zum Beginn des Vortrags des Berichterstatters, zulässig. 2Alle Ablehnungsgründe sind gleichzeitig vorzubringen. (2) 1Nach diesem Zeitpunkt darf ein Richter nur abgelehnt werden, wenn 1. die Umstände, auf welche die Ablehnung gestützt wird, erst später eingetreten oder dem zur Ablehnung Berechtigten erst später bekannt geworden sind und 2. die Ablehnung unverzüglich geltend gemacht wird. 2Nach dem letzten Wort des Angeklagten ist die Ablehnung nicht mehr zulässig. Schrifttum siehe bei § 24.

Entstehungsgeschichte. Ursprünglich konnte ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit in der Hauptverhandlung des ersten Rechtszugs nur bis zur Verlesung des Eröffnungsbeschlusses und in der Hauptverhandlung über Berufung und Revision nur bis zum Beginn der Berichterstattung abgelehnt werden. Art. 2 Abs. 2 der VO über die Beseitigung des Eröffnungsbeschlusses im Strafverfahren vom 13.8.1942 (RGBl. I 512) verschob den kritischen Zeitpunkt auf den Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache. Art. 3 Nr. 9 VereinhG dehnte die Ablehnungsbefugnis bis zum Beginn des Teils der Hauptverhandlung aus, der der Vernehmung des Angeklagten zur Sache nachfolgt. 237

BayObLG NStZ 1990 200 unter Aufgabe der früheren Rspr., in der es noch den Standpunkt vertreten hatte, dass die verspätete Namhaftmachung des Verfahrensbeteiligten stets einen Verfahrensfehler darstelle, auf dem das Urteil beruhen könne.

238 239 240 241

RG JW 1933 964. OLG Düsseldorf NStZ 1983 471. RGSt 29 62. BayObLG MDR 1988 339.

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§ 25

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

Durch Art. 5 Nr. 2 StPÄG wurde diese Erweiterung wieder auf den Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache zurückgenommen. Durch Art. 1 Nr. 1 StVÄG 1987 ist der Zeitpunkt für das unbedingte Ablehnungsrecht nunmehr auf den Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse vorverlegt worden. Der darüber hinaus gehende Regierungsentwurf, der die unverzügliche Ablehnung forderte, sobald die Besetzung des Gerichts gemäß § 222a Abs. 1 Satz 1 mitgeteilt worden ist,1 konnte sich nicht durchsetzen.

Übersicht Rn. 1. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Präklusionszeitpunkt (Absatz 1 Satz 1) a) Erster Rechtszug . . . . . . . . . b) Berufungs- und Revisionsinstanz . c) Andere Verfahren . . . . . . . . . d) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . 3. Außerhalb der Hauptverhandlung . . 4. Beginn der Ablehnung . . . . . . . . 5. Erlöschen der Ablehnung . . . . . . 6. Beginn der Vernehmung . . . . . . .

1

. . . . . . . . . .

. . . . . . . .

Rn.

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7. Verfahren bei abwesendem Angeklagten . 8. Konzentrationsgebot (Absatz 1 Satz 2) . 9. Bedingtes Ablehnungsrecht (Absatz 2 Satz 1) a) Bekanntwerden . . . . . . . . . . . . b) Geltendmachen . . . . . . . . . . . . c) Spannungsverhältnis zwischen § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und § 238 Abs. 1 . d) Nachschieben von Gründen . . . . . . 10. Absolutes Erlöschen des Ablehnungsrechts (Absatz 2 Satz 2) . . . . . . . . . . . . .

2 7 8 9 10 14 16 17

18 20 22 24 29 30 31

1. Inhalt. Die Vorschrift erfasst nur die Fälle der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit. Nicht anwendbar ist sie auf einen nach §§ 22, 23 ausgeschlossenen Richter. Dessen Ablehnung ist ohne zeitliche Begrenzung bis zum Abschluss der Hauptverhandlung möglich. Für das nach § 24 erforderliche Ablehnungsverfahren legt sie den Zeitpunkt fest, in dem das Ablehnungsrecht erlischt, d. h. die Ablehnung unzulässig wird. Das geschieht einmal absolut (Absatz 2 Satz 2) und dann für den Regelfall unbedingt (Absatz 1 Satz 1), aber zugleich für weitere Fälle in der Weise relativ, dass wichtige Ausnahmen zugelassen werden (Absatz 2 Satz 1). Die Bestimmung bezieht sich in allen ihren Teilen nur auf die Ablehnung in der Hauptverhandlung.2 Das war schon früher herrschende Meinung;3 es ergibt sich aus dem Wort Angeklagter in Absatz 1 Satz 1, erstem Halbsatz; aus dem Zusammenhang (Absatz 1 Satz 1, zweiter Halbsatz: Hauptverhandlung über die Berufung oder die Revision; Absatz 2 Satz 2: nach dem letzten Wort); und endlich aus der Entstehungsgeschichte: alle vorangegangenen Fassungen enthielten das Wort „Hauptverhandlung“. Nunmehr wird es durch die Einfügung des Wortes „erkennender“ in Absatz 1 Satz 1 ausdrücklich bestätigt.4 Wegen des Begriffs erkennender Richter s. § 28, 11 ff. 2. Präklusionszeitpunkt

2

a) Erster Rechtszug. Für den Ablehnungsberechtigten (Staatsanwalt, Privatkläger, Beschuldigter, § 24 Abs. 3 Satz 1, und Nebenkläger, § 397 Abs. 1 Satz 3) erlischt das unbedingte Ablehnungsrecht in der ersten Instanz mit dem Beginn der Vernehmung des ersten 1 2 3

BTDrucks 10 1313 – Allg. Begründung B II S. 12. Begr. BTDrucks. IV 178 S. 34. OLG Saarbrücken NJW 1975 399; OLG Schleswig SchlHA 1982 32; KG NStZ 1991 401; OLG Koblenz GA 1982 471.

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Rieß/Hilger NStZ 1987 148 l. Sp. unten; KK/Pfeiffer 2; Meyer-Goßner 2; AK/Wassermann 2.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 25

Angeklagten – und zwar auch bei abwesendem Ablehnungsberechtigten 5 – über seine persönlichen Verhältnisse nach § 243 Abs. 2 Satz 2 (s. Erl. zu § 243 unter III). Bis zu diesem Zeitpunkt kann jeder Ablehnungsberechtigte (§ 24 Abs. 3) selbst dann noch warten, wenn er von dem Ablehnungsgrund schon vorher Kenntnis erlangt hat,6 sofern er dadurch nicht das Konzentrationsgebot (Absatz 1 Satz 2; Rn. 20 f.) verletzt. Sind mehrere Personen angeklagt, so tritt der Zeitpunkt des Satzes 1 nicht für jeden 3 Angeklagten gesondert,7 sondern schon mit der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse ein. Besonders für umfangreiche Mehrtäter-Verfahren, bei denen nicht selten bis zur Vernehmung des letzten Angeklagten ein längerer Zeitraum verstreicht, bedeutet die neue Festlegung des Präklusionszeitpunkts mithin eine wesentliche Konzentration und damit Beschleunigung des Verfahrens. Schließlich wird durch das Abstellen auf den Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten auch erreicht, dass die Prüfung bekannter Ablehnungsgründe und die Entscheidung über sie einheitlich vorgenommen werden kann.8 Ein Verstoß gegen das Konzentrationsgebot führt zu einer Verwerfung gemäß § 26a als unzulässig.9 Tritt der Zeitpunkt für den Eintritt des unbedingten Ablehnungsrechts mehrfach ein, 4 etwa weil eine Hauptverhandlung wegen der Überschreitung der nach § 229 erlaubten Unterbrechungsfristen neu beginnen muss, die Hauptverhandlung ausgesetzt worden ist 10 oder weil eine Sache aus der Revisionsinstanz (§ 354 Abs. 2) zurückverwiesen worden ist, kann der Angeklagte den Richter in der erneuten Verhandlung selbst dann ablehnen, wenn er ihn in der ersten Verhandlung hingenommen hatte 11 oder in der früheren Hauptverhandlung kein Ablehnungsgrund bestanden hat.12 War ein Ablehnungsgesuch in einer ausgesetzten Hauptverhandlung erfolglos, muss es zur Erhaltung einer Revisionsrüge in der neuen Hauptverhandlung nochmals angebracht werden.13 Bei einer Verweisung (§ 328 Abs. 2) oder Zurückverweisung folgt dies im Übrigen daraus, dass in der neuen Hauptverhandlung andere Richter mitwirken können. Eine Ausnahme gilt für das Ablehnungsrecht eines Angeklagten, dessen Verfahren erst 5 nach Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse mit diesem Verfahren verbunden wird, weil diesem Angeklagten anderenfalls die Möglichkeit zur Stellung eines Ablehnungsantrags in der Hauptverhandlung zwar nicht gänzlich,14 aber hinsichtlich solcher Ablehnungsgründe entzogen würde, von denen er schon vorher Kenntnis hatte, sie aber, da sein Verfahren noch nicht begonnen hatte, deshalb noch nicht anzubringen brauchte. Das Ablehnungsrecht steht ihm dann bis zur Vernehmung des nach der Verbindung nächsten („ersten“) Angeklagten zu.15 Soweit vereinzelt vertreten wird, das Ablehnungsrecht stehe bis zur Vernehmung zu seinen persönlichen Verhältnissen zu,16 ist dies abzulehnen, weil bis dahin noch eine Reihe anderer Angeklagter vernommen werden könnten und insoweit die dadurch eintretende zeitliche Verschiebung mit der gesetzlichen Regelung nicht in Einklang zu bringen ist. 5

6 7 8 9 10

Rieß/Hilger NStZ 1987 148 l. Sp. unten; SK/Rudolphi 7; Meyer-Goßner 2; MeyerGoßner NStZ 1987 1168; zur vergleichbaren Lage bei § 222b s. LR/Gollwitzer § 222b, 8. BVerfGE 2 297 = NJW 1953 1097; BGHSt 4 264, 270. So nach der früheren Fassung. Begr. BTDrucks. 10 6592 – zu Art. 1 Nr. 1, 2, S. 22 r. Sp. SK/Rudolphi 11; KK/Pfeiffer 3. BGH StV 1997 456.

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12 13 14 15 16

RGSt 19 335; BGHSt 23 278; BGH StV 1997 456; OLG Schleswig SchlHA 1953 247; OLG Oldenburg NJW 1959 2225; BayObLG MDR 1997 284; Meyer-Goßner 2. Meyer-Goßner 4. BGH NStZ 2006 234. So aber Rieß/Hilger NStZ 1987 148 r. Sp. oben. HK/Lemke 9. KMR/Bockemühl 4.

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Gleiches muss für den Nebenkläger gelten, wenn sich dessen Anschlussbefugnis ausschließlich aus dem verbundenen Verfahren ergibt, nicht aber, wenn er sich erst nach dem Präklusionszeitpunkt dem Verfahren anschließt, obwohl die Anschlussbefugnis von Anfang an bestand.17

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b) Berufungs- und Revisionsinstanz. Für das Berufungs- bzw. das Revisionsverfahren tritt der Präklusionszeitpunkt nach der Änderung des Absatzes 1 Satz 1 nicht mehr mit der Vernehmung (§ 324 Abs. 2) bzw. der Anhörung (§ 351 Abs. 2 Satz 1) des Angeklagten zur Sache, sondern bereits mit dem Vortrag des Berichterstatters (§ 324 Abs. 1 Satz 1, § 351 Abs. 1) ein. Soweit hier auf „die Ausführungen des Angeklagten zur Revision“ oder bei dessen Abwesenheit auf „den Beginn der Ausführungen des Verteidigers“ abgestellt wird,18 ist dies mit dem Wortlaut der Regelung nicht vereinbar. Im Übrigen gelten die Ausführungen zu Rn. 2 f. entsprechend.

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c) Andere Verfahren. Der Präklusionszeitpunkt gilt auch bei der Vernehmung des Beschuldigten im Sicherungsverfahren nach §§ 413 ff., des Einziehungsbeteiligten nach §§ 430 ff., des Antragstellers im Nachverfahren nach § 430 sowie des Vertreters juristischer Personen oder Personenvereinigungen in Verfahren bei Festsetzung von Geldbußen nach § 444 (§ 24, 62).

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d) Ausnahmen. Wie nicht anders möglich, ist § 25 auf die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit beschränkt. Daher ist die Ablehnung eines Richters, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist (§ 24 Abs. 1, erste Alternative), auch in der Hauptverhandlung jederzeit möglich und die Amtsprüfung (§ 30) jederzeit nötig. Das Recht, einen ausgeschlossenen Richter abzulehnen und die Pflicht zur Amtsprüfung enden erst mit der Hauptverhandlung.19 Dass ein ausgeschlossener Richter mitgewirkt hat, kann auch ohne vorgängige Ablehnung mit der Revision (§ 338 Nr. 2) und bei Beschlüssen, die außerhalb einer Hauptverhandlung ergangen sind, mit der Beschwerde gerügt werden.

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3. Außerhalb der Hauptverhandlung ist die Ablehnung jederzeit statthaft.20 Auch Absatz 1 Satz 2 gilt nur für die Hauptverhandlung. Denn für Ablehnungen außerhalb der Hauptverhandlung unterlässt es das Gesetz, das Ablehnungsrecht zeitlich zu begrenzen oder sonst einzuschränken. Hätte das Konzentrationsgebot des Absatzes 1 Satz 2 auch für Ablehnungen außerhalb der Hauptverhandlung gelten sollen, was an sich sinnvoll wäre, dann hätte die Vorschrift aus dem Zusammenhang derjenigen Bestimmungen gelöst werden müssen, die allein für die Hauptverhandlung anwendbar sind. Da das nicht geschehen ist, kann ein Richter, der außerhalb der Hauptverhandlung tätig wird, jederzeit in Bezug auf künftige richterliche Handlungen und Entscheidungen abgelehnt werden,21 z.B. im Verfahren über ein Ablehnungsgesuch,22 im Klageerzwingungsverfahren,23 im Verfahren über die Fortdauer der Untersuchungshaft 24 oder im Verfahren über die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 3 OWiG.25 17 18 19 20

Rieß/Hilger NStZ 1987 148 r. Sp. oben; Meyer-Goßner 2. AK/Wassermann 4. OLG Schleswig SchlHA 1953 246. OLG Schleswig SchlHA 1982 32; KG NStZ 1991 401; KK/Pfeiffer 1; Meyer-Goßner 10; AK/Wassermann 2; SK/Rudolphi 16.

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OLG Königsberg DStR 1935 123. BGH NJW 1968 710. OLG Karlsruhe NJW 1973 1658. OLG Koblenz OLGSt § 24 StPO, 13. OLG Düsseldorf StV 1991 411.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 25

Das gilt auch für die Ablehnung im Fall des § 165.26 Zwar ist die unaufschiebbare 11 Handlung eines abgelehnten Richters auch dann wirksam, wenn die Ablehnung begründet ist (§ 29, 20). Der Schluss, dass der Antrag unzulässig sei, weil er wegen jener Wirksamkeit doch ohne Erfolg bleiben müsse, ist indessen nicht gerechtfertigt. Sowohl die Worte „keinen Aufschub gestatten“ (§ 29), als auch „Gefahr im Verzug“ (§ 165) sind auslegungsfähig. Im Fall des § 165 muss immer Zeit für den Versuch sein, einen Staatsanwalt zu erreichen. Dann aber kann, jedenfalls im Regelfall, die Handlung auch so lange aufgeschoben werden, bis ein anderer Richter beim Amtsgericht entschieden hat (§ 27 Abs. 3 Satz 2) und ggf. eingetreten ist. Seit den Reformgesetzen Ende der Sechziger/ Anfang der Siebziger Jahre sind wohl bei allen Amtsgerichten mehrere Richter tätig. Auch kann in dem, vielleicht ungeschickt angebrachten, Ablehnungsantrag ein Ausschließungsgrund enthalten sein, der immer unfähig und die Handlung fehlerhaft macht (§ 22, 47 ff.). Weil Absatz 1 Satz 2 außerhalb der Hauptverhandlung nicht gilt, kann in diesem Ver- 12 fahrensabschnitt ein Ablehnungsantrag auch dann für begründet erklärt werden, wenn der Ablehnungsgrund nicht unverzüglich nach Bekanntwerden (Absatz 2 Satz 1 Nr. 1) geltend gemacht worden ist. Das Ablehnungsrecht erlischt jedoch, wenn die Entscheidung erlassen ist.27 Bis zu diesem Zeitpunkt muss der Beteiligte sein Recht geltend machen und dazu verlangen, dass ihm die zu der Handlung und ggf. Entscheidung berufenen Richter namhaft gemacht werden (§ 24 Abs. 3 Satz 2). Dass er, wenn er das unterlassen hat, einen Richter – etwa im Wege einer Gegenvorstellung – auch noch ablehnen könnte, nachdem das Gericht entschieden hat,28 ist mit dem Ablehnungssystem unvereinbar 29 und auch nicht aus 33a herzuleiten.30 Kommt es in einem Verfahren zur Nachholung des rechtlichen Gehörs gemäß § 33a, 13 so kann der Richter, der an der bereits getroffenen Entscheidung mitgewirkt hat, nunmehr abgelehnt werden.31 Diese schon nach bisheriger Rechtslage überwiegende Ansicht findet in der Neufassung des § 33a durch das am 1.1.2005 in Kraft getretene Anhörungsrügengesetz 32 eine Bestätigung, denn danach ist das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurückzuversetzen, die vor dem Erlass der Entscheidung bestand. 4. Beginn der Ablehnung. Abgelehnt werden kann ein Richter, der einem Gericht 14 angehört, das in der Sache tätig werden (§ 22, § 23 Abs. 3) oder entscheiden (§ 23 Abs. 1 und 2) muss. Die Ablehnung ist zulässig, sobald feststeht, welche Richter zur Mitwirkung (§ 28, 13) berufen sind,33 d.h. die richterlichen Handlungen vorzunehmen haben, von denen der Ablehnungsberechtigte sie fernhalten möchte.34 Der Ablehnungs26 27

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Ebenso Meyer-Goßner 10. BGH NStZ 1993 600; NStZ-RR 2001 130; Hamm VRS 101 (2001) 204; Jena NStZ 1997 510; KK/Pfeiffer 5; SK/Rudolphi 17; Meyer-Goßner 4; a.A. KMR/Bockemühl Vor § 22, 16. OLG Saarbrücken NJW 1975 399; OLG Schleswig SchlHA 1976 44; OLG Düsseldorf MDR 1993 789. BGH NStZ-RR 1998 51; 2001 333; OLG Düsseldorf NStZ 1989 86. BGH NStZ 1993 600; OLG Hamm NJW 1976 1701; MDR 1993 789; OLG Koblenz NStZ 1982 217; MDR 1983 151; OLG Celle

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NdsRpfl. 1985 238; OLG Düsseldorf VRS 82 (1992) 189; KG NStZ 1983 44; anders JR 1984 39; Thüring. OLG NStZ 1997 510; Meyer-Goßner 10. KG JR 1984 39; OLG Düsseldorf MDR 1986 777; OLG Koblenz NStZ 1983 470; Meyer-Goßner 10; SK/Rudolphi 17; HK/Lemke 6. BRDrucks. 848/04 v. 5.11.04. OLG Schleswig SchlHA 1953 246; KG NStZ 1983 44: für das staatsanwaltschaftliche Vollstreckungsverfahren; KK/Pfeiffer 2; SK/Rudolphi 6. RGSt 21 251.

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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

berechtigte kann verlangen, dass ihm die Richter namhaft gemacht werden (§ 24 Abs. 2 Satz 2), doch sind weder das Verlangen noch die Namhaftmachung Voraussetzung der Ablehnung. Müssen, weil nicht nach § 26a entschieden werden kann, zur Ergänzung (§ 27, 25) 15 Richter eintreten, so können sie abgelehnt werden, sobald der Eintrittsfall feststeht. Die zufolge dieser Ablehnung eintretenden Richter kann der Berechtigte erst ablehnen, wenn feststeht, dass die vorher abgelehnten Richter nicht nach § 26a selbst entscheiden können.

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5. Erlöschen der Ablehnung. Das Ablehnungsrecht erlischt, wenn die Entscheidung ergangen, also z. B. eine Revision nach § 346 Abs. 1, § 349 Abs. 1 als unzulässig oder nach § 349 Abs. 2 als offensichtlich unbegründet verworfen und der Beschluss bekannt gegeben worden ist.35 Ein trotzdem, vielleicht in Unkenntnis, dass die Entscheidung schon ergangen ist, angebrachtes Gesuch ist als unzulässig zu verwerfen.36 Die ergangene Entscheidung kann dann nicht mit der Begründung angefochten werden, der Richter sei befangen gewesen. Denn das Ablehnungsrecht steht den Verfahrensbeteiligten nur zu, um sicherzustellen, dass an noch bevorstehenden gerichtlichen Entscheidungen nur unbefangene Richter mitwirken. Diesen Zweck kann die Ablehnung nach Beendigung 37 des Verfahrens durch eine Sachentscheidung regelmäßig nicht mehr erreichen; eine Ausnahme ist nur für den Fall gerechtfertigt, wo der Antragsteller einen Antrag nach § 33a auf Nachholung des rechtlichen Gehörs gestellt hat und erreichen will, dass die abgelehnten Richter in diesem Verfahren ausscheiden.38 Sie gilt nicht für die Ablehnung eines Richters, der an einer mit einer Gegenvorstellung angegriffenen Entscheidung mitgewirkt hat. Das folgt schon aus der Natur dieses Rechtsbehelfs als bloßer Anregung, die getroffene Entscheidung nochmals zu überprüfen.39

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6. Der Beginn der Vernehmung des Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse ist für die Hauptverhandlung in der ersten Instanz in § 243 Abs. 2, für die in der Revisionsinstanz in § 351 Abs. 2 festgelegt. Er ist ein genau bestimmter und – von den Fällen der Wiederholung der Hauptverhandlung abgesehen – einmaliger Vorgang. Durch Teilung der Vernehmung in sog. Punktesachen oder durch Wiederaufnahme einer zunächst beendeten Vernehmung in derselben, nicht unterbrochenen Hauptverhandlung wird kein neuer Vernehmungsbeginn gesetzt.40 In Verfahren nach § 329 Abs. 1 und nach § 412 Satz 1 ist der Antrag, weil nicht zur Sache verhandelt wird, alsbald nach Prüfung der Formalien anzubringen.

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7. Verfahren bei abwesendem Angeklagten. Für den nicht anwesenden Angeklagten gelten keine Besonderheiten (Rn. 2). Lässt sich im Privatklageverfahren der Angeklagte durch einen Rechtsanwalt (§ 387 Abs. 1) oder im Verfahren nach § 232 Abs. 1 durch einen Verteidiger (§ 234) vertreten, müssen diese für den Angeklagten die Befangenheits-

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BGH NStZ 1993 600; OLG Hamm NJW 1976 1701; OLG Koblenz GA 1982 471; KG JR 1984 39; Thüring. OLG NStZ 1997 510; a.A. OLG Saarbrücken NJW 1975 399. KG NStZ 1983 44. OLG Koblenz MDR 1977 425. KG JR 1984 39; OLG Düsseldorf MDR 1986 777; Günther NJW 1986 284.

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BGH NStZ 1993 600; OLG Düsseldorf NStZ 1989 86; VRS 80 (1991) 27. Die frühere Rechtsprechung (BGHSt 13 358; 18 46), die Abhilfe gegen das damals unbefriedigende Recht suchte, ist durch das bedingte Ablehnungsrecht des Absatzes 2 überholt.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

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anträge innerhalb der Frist des Absatzes 1 Satz 1 anbringen, so dass sich keine Besonderheiten ergeben. Im Verfahren nach § 233 Abs. 1 tritt die Verlesung über die richterliche Vernehmung 19 (§ 233 Abs. 3 Satz 2) an die Stelle der hier entfallenden Vernehmung.41 Das gleiche gilt im Verfahren nach § 232 Abs. 1, falls eine richterliche Vernehmung stattgefunden hat; sonst ist ein Ablehnungsantrag vor Beginn der Verlesung des Anklagesatzes (§ 243 Abs. 3) anzubringen.42 Findet im Sicherungsverfahren die Hauptverhandlung ohne den Beschuldigten statt (§ 415 Abs. 1), so tritt die Verlesung über die richterliche Vernehmung (§ 415 Abs. 4 Satz 2) an die Stelle der Vernehmung.43 8. Konzentrationsgebot (Absatz 1 Satz 2). Satz 2 enthält eine Einschränkung des in 20 Satz 1 gewährten Rechts, mit der Ablehnung bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse zu warten. Wer unbeschadet dieses Rechts einen Ablehnungsgrund früher geltend macht, muss dann auch alle ihm zu diesem Zeitpunkt bekannten Ablehnungsgründe zur gleichen Zeit vorbringen. Damit soll einer evtl. Taktik des Ablehnenden entgegengewirkt werden, schon bekannte Gründe später nachzuschieben.44 Nach dem in Satz 1 genannten Zeitpunkt kommt dem Gebot keine Bedeutung mehr zu. Denn wenn die Ablehnung unverzüglich nach Bekanntwerden eines Ablehnungsgrundes geltend gemacht werden muss (Absatz 2 Nr. 2), versteht es sich von selbst, dass alle zur gleichen Zeit bekannt gewordenen Gründe gleichzeitig angebracht werden müssen. Zur Anwendung gelangt Satz 2 nur bis zu dem Zeitpunkt des Satzes 1. Das Gewicht dieses Gebots ist indessen dadurch gemindert, dass es keiner Behaup- 21 tung bedarf, die Ablehnung hätte nicht zugleich mit einer früheren verbunden werden können, und keiner Glaubhaftmachung der Umstände, die das ausgeschlossen hatten. Denn die Voraussetzungen des rechtzeitigen Vorbringens sind nur in den Fällen des § 25 Abs. 2 glaubhaft zu machen (§ 26 Abs. 2 Satz 1), nicht im Fall des § 25 Abs. 1 Satz 2. Dass die Ablehnung verspätet ist (26a Abs. 1 Nr. 1), wird daher nur dann erkennbar sein, wenn dies aus der Begründung der Ablehnung hervorgeht; wenn der Ablehnende, wozu er nicht verpflichtet ist, selbst erklärt, dass er in der Lage gewesen wäre, die Ablehnung zusammen mit einer früheren geltend zu machen; und endlich im Fall der unveränderten Wiederholung einer Ablehnung (§ 26a, 17). 9. Bedingtes Ablehnungsrecht (Absatz 2 Satz 1) a) Bekanntwerden. Mit dem Zeitpunkt des Absatzes 1 Satz 1 (Rn. 2 ff.) wird die Ab- 22 lehnung wegen Besorgnis der Befangenheit unzulässig für alle Ablehnungsgründe, die dem Ablehnungsberechtigten bis dahin bekannt waren. Für das Erlöschen der Ablehnungsbefugnis ist es gleichgültig, ob der Berechtigte in dem genannten Zeitpunkt anwesend 45 oder vertreten ist. Nach diesem Zeitpunkt darf ein Richter nur noch abgelehnt werden, wenn die Umstände, auf die die Ablehnung gestützt wird, dem zur Ablehnung Berechtigten erst später bekannt werden. Wann diese Umstände eingetreten sind, ist gleichgültig. Zwar erwähnt das Gesetz den Fall, dass die Umstände erst später, also nach dem Beginn der Vernehmung nach Absatz 1 Satz 1, eingetreten sind. Diesem Fall kommt aber keine Bedeutung zu. Denn von dem weiter im Gesetz vorgesehenen Fall, dass die Umstände dem Berechtigten erst später bekannt geworden sind, werden auch solche 41 42 43

HK/Lemke 11. KK/Pfeiffer 2; SK/Rudolphi 8. KK/Pfeiffer 2.

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BTDrucks. IV/178 S. 34; HK/Lemke 12; KK/Pfeiffer 3; Meyer-Goßner 5. BayObLGSt 1961 37.

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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

erfasst, die vor dem Zeitpunkt des Absatzes 1 Satz 1 entstanden sind. Für das Bekanntwerden der Ablehnungstatsachen kommt es darauf an, wann der Berechtigte selbst sie erfährt.46 Wenn sein Anwalt früher von ihnen Kenntnis erhält als er selbst, schadet das dem Berechtigten nicht; und es kommt ihm nicht zugute, wenn das später der Fall ist. Der Bundesgerichtshof beschränkt diesen Grundsatz auf das Verhältnis zwischen 23 Angeklagten und Verteidiger,47 lehnt ihn dagegen im Verhältnis zwischen Nebenkläger und seinem Anwalt ab. Er begründet seinen Standpunkt damit, dass sich im Strafverfahren die Stellung des Nebenklägers von der des Verteidigers grundlegend unterscheide und es deshalb nicht gerechtfertigt sei, ihn in seinen Rechten einem Angeklagten gleich- und damit besser zu stellen als etwa die Partei eines Zivilprozesses. Für die Rechtzeitigkeit des Ablehnungsantrags des Nebenklägers soll es deshalb – wie im Zivilprozess 48 – allein auf die Kenntnis des Ablehnungsgrundes durch den bevollmächtigten Vertreter ankommen.49

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b) Geltendmachen. Das bedingte Ablehnungsrecht hängt außer von dem soeben beschriebenen Zeitpunkt der Kenntnis des Ablehnungsgrundes auch davon ab, dass der Berechtigte die Ablehnung unverzüglich geltend macht. Unverzüglich bedeutet, auf Handlungen des Gerichts bezogen, ein Handeln ohne eine nicht durch die Sachlage begründete Verzögerung. Bei den Prozessbeteiligten kann man auf ein subjektives Moment nicht verzichten, so dass unverzüglich als „ohne schuldhafte Verzögerung“ auszulegen ist.50 Das bedeutet aber nicht, dass dem Angeklagten keine Überlegungsfrist einzuräumen wäre.51 Demzufolge ist die Ablehnung noch unverzüglich, wenn der Angeklagte sich vorher mit seinem Verteidiger bespricht 52 oder wenn der Verteidiger den Richter nicht in der Vernehmung eines Zeugen unterbricht, sondern abwartet, bis der Angeklagte nach der Zeugenvernehmung Gelegenheit zur Erklärung erhält (§ 257).53 Wird wegen der eine Ablehnung begründenden Umstände – wie vereinzelt vorgeschla25 gen 54 – zunächst eine Gegenvorstellung erhoben und erst nach deren Erfolglosigkeit ein Ablehnungsgesuch angebracht, ist dies nicht mehr unverzüglich und deswegen, weil verspätet, unzulässig.55 Dass möglicherweise durch die Bescheidung der Gegenvorstellung Gewissheit über die Ablehnungsgründe besteht, bedeutet nicht, dass diese Umstände dann erst bekannt geworden wären.56 Einigkeit besteht allerdings darin, dass ein im Rahmen eines Gegenvorstellungsverfahrens angebrachtes Ablehnungsgesuch unzulässig ist.57 Da die Hauptverhandlung ein mündliches Verfahren ist, wird man den Beteiligten, 26 obwohl die Ablehnung zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden kann (§ 26 Abs. 1, 46 47 48 49

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KK/Pfeiffer 4; Meyer-Goßner 7; HK/Lemke 13. BGHSt 37 264; KK/Pfeiffer 4; MeyerGoßner 7. Günther NJW 1986 288. Zu dem ähnlichen Problem bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand s. LR/Graalmann-Scheerer § 44, 56 ff. BGHSt 21 339; BGH StV 1991 49; bei Holtz MDR 1991 107; StV 1995 397; NStZ 1996 47; OLG Düsseldorf MDR 1992 985: keine Verpflichtung zur Bearbeitung am Wochenende; OLG Köln StV 1988 288; KK/Pfeiffer 4; Meyer-Goßner 4. BGH NStZ 1982 291; StV 1992 211; bei Kusch NStZ 1996 21; BayObLG NJW 1992 2242.

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BGH NStZ 1984 371; 1992 598; StV 1991 49; bei Holtz MDR 1991 107 = bei Miebach/Kusch NStZ 1991 227; BayObLG NStZ 1992 509; OLG Köln StV 1988 288; Meyer-Goßner 8; Zusammenfassung bei Holtz MDR 1992 634. BGH StV 1986 281; KK/Pfeiffer 4; MeyerGoßner 8; SK/Rudolphi 13. Meyer-Mews StraFo 2000 369; Gatzweiler/ Mehle, Die Hauptverhandlung, in: Brüssow u.a., Strafverteidigung in der Praxis, 370 Rn. 85 ff. LG Bremen v. 7.1.1998 u. 13.1.1998 – 11 KLs 320 Js 24874/97 –. So aber Meyer-Mews aaO. OLG Düsseldorf NStZ 1989 86; VRS 83 (1992) 356; Meyer-Mews aaO 373.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

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2. Halbsatz), in der Regel zugestehen müssen, dass sie Ablehnungsanträge in der Hauptverhandlung vorbringen. Daher ist die Ablehnung regelmäßig auch dann noch unverzüglich, wenn der Beteiligte während einer kurzen Unterbrechung der Hauptverhandlung nicht zur Geschäftsstelle geht, sondern wartet, bis die Hauptverhandlung wieder begonnen hat. Bei einer größeren Unterbrechung 58 wird die Unverzüglichkeit zu verneinen sein, wenn der Ablehnungsantrag erst bei Wiederbeginn der Hauptverhandlung angebracht wird. Solche Fälle werden allerdings selten vorkommen und sollten deshalb nicht verallgemeinert werden. Der Staatsanwaltschaft ist – auch bei Einrechnung einer gewissen Überlegungsfrist 27 und der für die Vorbereitung, Abfassung und Übermittlung des Antrags benötigten Zeit – regelmäßig zuzumuten, den Antrag noch am Tag der Kenntnis des Ablehnungsgrunds, allerspätestens jedoch am Vormittag des nächsten Tages, erforderlichenfalls auch außerhalb der Hauptverhandlung zu stellen.59 Der Berechtigte muss die Ablehnung unverzüglich geltend machen (Absatz 2 Satz 1 28 Nr. 2), nachdem ihm der Ablehnungsgrund bekannt geworden ist (Absatz 2 Satz 1 Nr. 1). Daraus folgt, dass er besorgt sein muss, Mittel zur Glaubhaftmachung (§ 26 Abs. 2) zu beschaffen. Indessen kommt es für die Ablehnung auf Einzelheiten an; auch wird vom Ablehnungsberechtigten Sorgfalt verlangt. Demzufolge wird ihm der Ablehnungsgrund in einer Weise, die einem Ablehnungsantrag als Grundlage dienen kann, in der Regel erst dann bekannt sein, wenn er schriftliche Äußerungen von Zeugen in der Hand hält, sofern er sich nur alsbald um sie bekümmert hat. Seine Pflicht, das zu tun, gewinnt besondere Bedeutung, wenn er einen abgelehnten Antrag mit neuem Beweismaterial wiederholen (§ 26a, 17) will. Er darf dann nicht warten, bis ihm neues Material zufällt, sondern muss sich alsbald darum bemühen.60 Ihm zur Beschaffung solchen Materials oder zur Begründung seines Antrags eine Frist einzuräumen, ist unzulässig.61 Jedoch wird die (neue) Ablehnung unverzüglich sein, wenn unverhofft neues Material aus einer Richtung auftaucht, wo der Berechtigte zu suchen vernünftigerweise keinen Anlass hatte. c) Spannungsverhältnis zwischen § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und § 238 Abs. 1. Abs. 2 29 Satz 1 Nr. 2 gibt in der täglichen Praxis immer wieder Anlass zu Missverständnissen. Offenbar besteht vereinzelt die Meinung, durch den Begriff der Unverzüglichkeit stehe Verteidigern das Recht zu, zu jedem Zeitpunkt in der Hauptverhandlung das Wort zu ergreifen, um einen Befangenheitsantrag zu stellen. Dies geschieht meistens mit der Vorbemerkung, man habe einen „unaufschiebbaren Antrag“ zu stellen. Oft genug lassen sich Richter dadurch in der Verhandlungsführung unterbrechen. Ein solches Recht, in jeder Lage des Verfahrens das Wort erteilt zu bekommen, lässt sich der Regelung indessen nicht entnehmen.62 Auch setzt das Ablehnungsrecht die Vorschrift des § 238 Abs. 1 nicht außer Kraft oder genießt ihr gegenüber Vorrang. Vielmehr folgt aus der dem Vorsitzenden obliegenden Verhandlungsführung, die auch die Worterteilung an die Verfahrensbeteiligten umfasst,63 dass auch zur Stellung eines Befangenheitsantrags der Verteidiger um das Wort zur Antragstellung nachsuchen muss.64 Der Vorsitzende ist dazu nicht verpflichtet

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BGHSt 21 344: 10 Tage; BGH StV 1981 163: eine Woche; 1995 397 (sechs Tage); BayObLG NJW 1992 2242; OLG Düsseldorf NJW 1992 2243. BGH NStZ 1982 292; NJW 1993 141; StV 1996 2 = NStZ 1996 47. BGHSt 21 353.

61 62 63 64

OLG München NJW 1976 436. Vgl. Senge NJW 2002 232; Drees NStZ 2005 184. BGH MDR 1957 33; LR/Gollwitzer § 238, 3; Meyer-Goßner 5. Senge aaO.

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§ 25

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

und kann den Verteidiger auf einen späteren Zeitpunkt verweisen.65 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat eine solche Verfahrensweise für Fallgestaltungen empfohlen, in denen die Vernehmung eines Zeugen von einem Verfahrensbeteiligten u.a. durch „extensive Antragstellung, wiederholte Beanstandungen, Herbeiführung von Gerichtsbeschlüssen und Anträgen auf wörtliche Protokollierung (§ 273 Abs. 3) fortwährend unterbrochen“ wird.66 Dem Angeklagten wird dadurch das Recht der Ablehnung nicht abgeschnitten, sondern lediglich der Zeitpunkt wird hinausgeschoben. Bei ständigen Unterbrechungen durch einen Verfahrensbeteiligten kann der Vorsitzende auch aufgeben, sämtliche in Aussicht genommene und ggf. noch entstehende Ablehnungsgründe ohne erneute Wortmeldung insgesamt zu einem späteren Zeitpunkt anzubringen. Dies muss allerdings noch am selben Hauptverhandlungstag ermöglicht werden.67 Greift der Angeklagte diese Verhandlungsführung mit einem späteren Befangenheitsantrag an, wäre dieser nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 als unzulässig zu verwerfen.

30

d) Nachschieben von Gründen. Aus der Konzentrationsmaxime folgt auch, dass Ablehnungsgründe und Beweismittel zu deren Glaubhaftmachung im Revisionsrechtszug nicht statthaft sind, denn sonst liefe das auf eine Umgehung der zeitlichen Grenzen des § 25 hinaus.68 Möglich bleibt aber, diese an sich verwirkten Gründe zur Unterstützung eines neuen, auf einen noch nicht verwirkten Grund gestütztes Ablehnungsgesuch heranzuziehen.69

31

10. Absolutes Erlöschen des Ablehnungsrechts (Absatz 2 Satz 2). Das unbedingte Ablehnungsrecht erlischt nach Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse (Rn. 2); die bedingte Ablehnung (Rn. 22 ff.) ist – für alle Berechtigten – noch während des letzten Worts des Angeklagten (§ 258 Abs. 2) möglich; danach ist sie unzulässig.70 Wird dann gleichwohl noch ein Antrag angebracht, ist er, weil verspätet, als unzulässig zu verwerfen (§ 26a Abs. 1 Nr. 1). Aus diesem Grunde können namentlich solche Bemerkungen nicht zum Gegenstand der Ablehnung gemacht werden, die der Vorsitzende zu dem letzten Wort (§ 258 Abs. 2) oder zu den eigenen Äußerungen des Angeklagten (§ 258 Abs. 3) abgibt (Beispiel: „Ich bin unschuldig“ – „Das werden Sie gleich sehen“). Das letzte Wort des Angeklagten (§ 258 Abs. 2 letzter Halbs.) ist in der Haupt32 verhandlung der ersten Instanz die Duplik auf die Replik des Staatsanwalts. Verzichtet dieser auf sein Recht zu erwidern, dann sind die Ausführungen des Angeklagten (§ 258 Abs. 1) sein letztes Wort. Entsprechend ist es in der Berufungs- und Revisionsverhandlung (§§ 326, 351 Abs. 2). Hatte der Angeklagte das Rechtsmittel eingelegt und demnach zuerst gesprochen, kann er nach den Ausführungen des Staatsanwalts das letzte Wort nehmen. Wird die Hauptverhandlung nach dem letzten Wort wieder aufgenommen, dann erhalten die Beteiligten erneut das Wort. Oft spricht das letzte Wort nicht der Angeklagte, sondern sein Verteidiger. In diesem Fall ist der Angeklagte zu befragen, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung auszuführen habe (§ 258 Abs. 3). Ausführungen, die er daraufhin macht, sind nicht das letzte Wort. Daher geben Umstände, die sich dabei ereignen, keine Grundlage zur Ablehnung. Bei der Großzügigkeit, mit der das Ablehnungsrecht geregelt ist, ist es nicht verständ33 lich, warum Vorfälle nach dem letzten Wort sowie bei den eigenen Ausführungen des 65 66 67 68

Vgl. auch BGHSt 38 111. NStZ 2004 163. Drees NStZ 2005 184. BGHSt 21 85, 88.

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KMR/Bockemühl 7; Meyer-Goßner 5. BVerfG NJW 1988 477; KK/Pfeiffer 5; Meyer-Goßner 9.

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§ 26

Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

Angeklagten und nach ihnen nicht mehr zur Ablehnung führen dürfen. Freilich muss einmal Schluss sein. Aber nachdem sich der Gesetzgeber zu einem praktisch unbeschränkten Ablehnungsrecht bekannt hat, wäre es besser gewesen, die letzten Möglichkeiten, bei denen ein Gerichtsmitglied durch seine Äußerungen die Besorgnis erregen kann, es sei befangen, nicht von der Ablehnung auszuschließen. Noch weiter geht Hanack 71, der selbst in der Rechtsmittelinstanz noch neue Beweismittel für eine Befangenheit der Richter der vorangegangenen Verhandlung zugelassen sehen möchte.72

§ 26 (1) 1Das Ablehnungsgesuch ist bei dem Gericht, dem der Richter angehört, anzubringen; es kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden. 2§ 257a findet keine Anwendung. (2) 1Der Ablehnungsgrund und in den Fällen des § 25 Abs. 2 die Voraussetzungen des rechtzeitigen Vorbringens sind glaubhaft zu machen. 2Der Eid ist als Mittel der Glaubhaftmachung ausgeschlossen. 3Zur Glaubhaftmachung kann auf das Zeugnis des abgelehnten Richters Bezug genommen werden. (3) Der abgelehnte Richter hat sich über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern.

Schrifttum siehe bei § 24.

Entstehungsgeschichte. Durch Art. 5 Nr. 3 StPÄG 1964 ist in Absatz 2 Satz 1 das Wort „ist“ gestrichen und sind die Wörter „und in den Fällen des § 25 Abs. 2 die Voraussetzungen des rechtzeitigen Vorbringens sind“ eingefügt; durch Art. 4 VerbrbekG Absatz 1 um einen Satz 2 ergänzt worden.

Übersicht Rn. 1. 2. 3. 4. 5.

Anwendungsbereich . . . . . Eigenständiges Verfahren . . . Zuständigkeit (Absatz 1 Satz 1) Form des Antrags . . . . . . . Begründung a) Entscheidungsvoraussetzung

. . . .

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. . . .

1 2 4 6

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Rn. 6. 7. 8. 9.

b) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . Glaubhaftmachung (Absatz 2) . . . . . Mittel der Glaubhaftmachung . . . . . Dienstliche Äußerung (Absatz 3) . . . . Ausnahme von § 257a (Absatz 1 Satz 2)

. . . . .

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1. Anwendungsbereich. Die Vorschrift regelt Einzelfragen des Ablehnungsverfahrens. 1 § 26 gilt nach seinem Wortlaut (Gericht, dem der Richter angehört) im Gegensatz zu § 27 (Gericht, dem der Abgelehnte angehört) zunächst für die sog. „richterlichen Mitglieder“ (§ 27 Abs. 2), doch ist er nach § 31 Abs. 1 für Schöffen (§§ 31 bis 34, 43, 48, 49, § 77 Abs. 1 GVG) und für Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (§ 153 Abs. 1 GVG) voll anwendbar. 71 72

JR 1967 203. Der für Großverfahren erörterte, aber allgemein vorgetragene Vorschlag Gerhard Schmidts (JR 1974 234), die erweiterte

Ablehnungsmöglichkeit des Absatzes 2 wieder zu streichen oder einzuschränken, wäre ein das Rechtsempfinden verletzender Rückschritt, der nicht getan werden sollte.

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§ 26

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

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2. Eigenständiges Verfahren. Das Ablehnungsverfahren ist nicht Teil der Hauptverhandlung, sondern ein selbständiges, eigenen Regeln unterliegendes Verfahren, das der Sache nach zum Gerichtsverfassungsgesetz gehört. Deswegen gilt weder das Öffentlichkeitsprinzip noch das Gebot der Anwesenheit des Angeklagten.1 Nichts anderes gilt für die Anbringung des Ablehnungsgesuchs, die in den Stellungnahmen der übrigen Verfahrensbeteiligten bestehende Verhandlung über das Gesuch und die Einholung und Bekanntgabe der dienstlichen Äußerungen.2 Dass das Gesuch in der Hauptverhandlung angebracht werden kann, ändert daran nichts.3 Das hat vielmehr nur eine zufällige, unwesentliche (akzidentielle) Bedeutung.4 Die materielle Abschichtung des Ablehnungsgesuchs von der Hauptverhandlung und seine Zugehörigkeit zum eigenständigen, vom Öffentlichkeitsprinzip befreiten Ablehnungsverfahren findet schließlich auch darin seinen Ausdruck, dass das Gesuch zur Wahrung des Unverzüglichkeitsgebots in § 25 Abs. 2 Nr. 2 bei längeren Unterbrechungen der Hauptverhandlung außerhalb derselben und damit unabhängig von ihr gestellt werden muss.5 Aus der Selbständigkeit des Ablehnungsverfahrens folgt, dass bei einem von der Haupt3 verhandlung gemäß § 247 StPO ausgeschlossenen Angeklagten dieser nicht vor Verkündung einer Entscheidung über das Ablehnungsgesuch über das vorausgegangene Ablehnungsverfahren unterrichtet werden muss.6

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3. Zuständigkeit (Absatz 1 Satz 1). Ablehnungsgesuche sind nach der klaren gesetzlichen Regelung bei dem Gericht anzubringen, dem der Richter angehört. Mithin also bei dem Spruchkörper (Senat, Kammer, Schöffengericht, Strafrichter), der mit der Sache befasst ist, in der es zur Ablehnung kommt.7 Gehört ein Richter zugleich dem Amts- und dem Landgericht an (§ 22 Abs. 2, § 59 Abs. 2 GVG), ist das Gericht zuständig, bei dem die Strafsache schwebt, in der die Ablehnung angebracht wird. Wird der Richter eines auswärtigen Strafsenats (§ 116 Abs. 2 Satz 1 GVG) oder einer auswärtigen Strafkammer (§ 78 GVG) abgelehnt, ist das Gesuch dort anzubringen, auch wenn ein anderer Senat oder eine andere Kammer zur Entscheidung zuständig ist (§ 27, 5). Soll ein ersuchter Richter abgelehnt werden, ist der Antrag bei ihm anzubringen, nicht beim ersuchenden Gericht. Die Regelung der Zuständigkeit für die Annahme des Antrags soll sichern, dass die 5 Fristen des § 25 eingehalten werden können und dass dieser Umstand leicht festgestellt werden kann. Daher muss der Antrag innerhalb der Frist des § 25 bei dem Gericht, dem der Abgelehnte angehört, angebracht, begründet und – anders als nach § 45 Abs. 2 Satz 2 – glaubhaft gemacht werden, auch wenn nicht dieses, sondern ein höheres Gericht (§ 27 Abs. 2 bis 4) zu entscheiden hat. Das gilt auch für Nachträge mit neuen tatsächlichen Behauptungen,8 weil sie entweder Teil des Antrags oder ein neuer Antrag sind. Schriftsätze, die den Antrag lediglich erläutern oder die Rechtsausführungen enthalten, können jedoch dem höheren Gericht unmittelbar zugeleitet werden und sind von diesem zu beachten.

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BGH NStZ 1996 398 = MDR 1996 951; KK/Pfeiffer 1; KMR/Bockemühl 2; MeyerGoßner 2. BGH aaO. SK/Rudolphi 2. BGH aaO. BGH aaO m.w.N.

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BGH aaO. Der BGH hat dabei ausdrücklich offen gelassen, ob § 247 S. 4 hier überhaupt anwendbar ist, weil rechtliches Gehör durch die anwesenden Verteidiger gewährt worden sei. RGSt 19 336; KK/Pfeiffer 1; Meyer-Goßner 1. RGSt 5 135.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 26

4. Form des Antrags. Der Antrag kann bei dem zu Rn. 2 genannten Gericht in jeder 6 Form 9 angebracht werden, also innerhalb der Hauptverhandlung mündlich oder schriftlich,10 außerhalb der Hauptverhandlung schriftlich und stets zu Protokoll des Urkundsbeamten. Der Grundsatz der Mündlichkeit der Hauptverhandlung steht der schriftlichen Ablehnung nicht entgegen. Dadurch soll vielmehr sichergestellt werden, dass der Angeklagte an der Verhandlung zur Schuld- und Straffrage beteiligt ist. Die Abgabe von Anträgen, die eine Verhandlung unmöglich machen sollen, erfordert deswegen die Anwesenheit des Angeklagten nicht. Der Erklärung zu Protokoll des Urkundsbeamten kommt während der Hauptver- 7 handlung dann Bedeutung zu, wenn ein ablehnungsberechtigter Angeklagter wegen des Ablehnungsgrunds nicht vor Gericht erscheint. Nimmt der Angeklagte, wie das regelmäßig der Fall ist, an der Hauptverhandlung teil, sollte er den schriftlichen Antrag oder die Übergabe einer Protokollanlage dem mündlichen Antrag vorziehen.11 Denn nach § 273 Abs. 1 sind zwar die Anträge zu protokollieren; auf die Protokollierung ihrer Begründung besteht aber kein Anspruch.12 Die Begründung kann aber namentlich im Hinblick auf eine spätere Anfechtung von Bedeutung sein. Wird der Antrag während einer Hauptverhandlung zu Protokoll der Geschäftsstelle 8 gegeben, kommt es für den Zeitpunkt der Ablehnung (§ 25) darauf an, wann der Antrag dem Gericht vorgelegt wird. Der Ablehnungsberechtigte trägt für die Behandlung des Antrags im Geschäftsbetrieb alle Gefahr allein; sein Ablehnungsrecht erlischt, wenn der Antrag in dem maßgebenden Zeitpunkt dem verhandelnden Gericht nicht vorliegt, selbst wenn er bei ordnungsgemäßer Behandlung rechtzeitig hätte vorliegen können. Das gilt auch, wenn ein Angeklagter, der nicht auf freiem Fuß ist, in einem auswärtigen Bezirk verwahrt wird, dort seine Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts gibt, wozu er wegen der Formfreiheit der Erklärung befugt ist. § 299 Abs. 2 findet keine entsprechende Anwendung. 5. Begründung a) Entscheidungsvoraussetzung. Zwar schreibt die Vorschrift nicht vor, dass der Ab- 9 lehnende im Ablehnungsantrag die Ablehnungsgründe angeben muss. Gleichwohl ist neben der Glaubhaftmachung (Absatz 2 Satz 1) auch die Begründung Voraussetzung der Zulässigkeit des Antrags. Das ergibt sich – in Übereinstimmung mit der früheren Rechtsprechung 13 – aus § 26a Abs. 1 Nr. 2. Dort ist bestimmt, dass der Ablehnungsantrag als unzulässig zu verwerfen ist, wenn er keinen Grund zur Ablehnung oder kein Mittel zur Glaubhaftmachung enthält. Begründung und Glaubhaftmachung sind also gleicherweise Voraussetzung der Entscheidung. Weil demzufolge die Begründung des Antrags Entscheidungsvoraussetzung ist, kann sie nicht nachgeschoben oder, wenn sie nicht durchschlägt, durch eine andere ersetzt, wohl aber, wenn sie im Kern gegeben worden ist, verbessert und ergänzt werden. Wird, etwa durch die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters (§ 26 Abs. 3), 10 ersichtlich, dass nicht der angenommene wohl aber ein anderer Ablehnungsgrund vorliegt, muss der Ablehnungsberechtigte diesen in einem neuen Verfahren nach § 25 Abs. 2 geltend machen. Das Gericht darf den neu bekannt gewordenen Ablehnungsgrund nicht 9 10

RGSt 13 304; Meyer-Goßner 2. Wegen der Ausnahme von § 257a s. Rn. 31. BGH StV 1982 134; KMR/Bockemühl 2; a.A. – nur mündlich – Feisenberger 2.

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Burhoff, Hauptverhandlung Rn. 28; KMR/Bockemühl 3. RGSt 32 241. KG DJZ 1929 184; BayObLGSt 1952 188.

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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

von Amts wegen substituieren.14 Die gegenteilige Ansicht von Hamm 15 knüpft an eine gelegentliche Entscheidung an,16 in der, um ein Verfahren endlich abzuschließen, die Frage der Antragsbegründung wohl etwas großzügig behandelt, aber keineswegs entschieden worden ist, denn das Gericht wirft die Streitfrage nicht einmal auf. Die Auffassung Hamms, sobald ein Beteiligter die „Frage der Parteilichkeit … mit einem Ablehnungsgesuch aufgeworfen habe“, höre der Abgelehnte „auf, gesetzlicher Richter zu sein, und zwar gleichviel aus welchen Gründen die Zweifel berechtigt sind“, höbe unser Ablehnungsrecht, eines der großzügigsten, das denkbar ist, aus den Angeln, ohne dass dazu ein Anlass vorläge. Denn wenn ein anderer Ablehnungsgrund „bekannt wird“, liegt der Fall des § 25 Abs. 2 Satz 1 vor.

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b) Inhalt. Zur Begründung müssen die Namen der abgelehnten Richter 17 und die Ablehnungsgründe, d. h. die Tatsachen, auf die sich die Ablehnung stützt,18 angegeben werden; reines Behaupten eines Ablehnungsgrundes genügt nicht.19 Ablehnungsgrund ist (§ 24 Abs. 2) derjenige, der geeignet ist, vom Standpunkt des – vernünftigen – Angeklagten aus (§ 24, 5) Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.20 Dass der Ablehnende Besorgnis der Befangenheit hege, braucht er nicht besonders vorzutragen.21 Ist der Ablehnungsgrund den Akten des laufenden Prozesses, namentlich dem Hauptverhandlungsprotokoll, zu entnehmen oder beruht er auf dem Verhalten eines Richters in der Verhandlung, genügt es, die Tatsache kurz anzugeben; wegen der Einzelheiten kann auf das Gerichtskundige Bezug genommen werden. Denn was das Gericht weiß, braucht ihm nicht erst zur Kenntnis gebracht zu werden. Sonst aber darf zum Vortrag der Tatsachen nicht auf Akten oder Schriftstücke verwiesen werden. Die Begründungspflicht besteht auch, wenn Ausschließungsgründe geltend gemacht werden, doch wird hier die Möglichkeit, auf Gerichtskundiges Bezug zu nehmen, öfter gegeben sein. Kann der Ablehnungsberechtigte nicht feststellen, auf welche von mehreren Richtern ein Ablehnungsgrund zutrifft, reicht es aus, wenn er so deutliche Angaben macht, dass das Gericht eindeutig erkennen kann, welche Richter abgelehnt werden sollen.22 Wird die Ablehnung in einer Hauptverhandlung erst nach Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse, in der Hauptverhandlung über die Berufung oder die Revision erst nach Beginn des Berichterstatters, angebracht, dann gehört zur Begründung die Angabe, wann die Umstände, auf die die Ablehnung gestützt wird, eingetreten und wann sie dem Ablehnungsberechtigten bekannt geworden sind (§ 25 Abs. 2 Nr. 1). Wird die Ablehnung nicht alsbald nach Bekanntwerden angebracht, ist ferner darzulegen, welche Umstände entgegengestanden haben, sie früher anzubringen (§ 25 Abs. 2 Nr. 2). Bevor das Gericht einen nicht begründeten Antrag als unzulässig verwirft (§ 26a Abs. 1 Nr. 2), kann es verpflichtet sein, den behaupteten Ausschließungsgrund von Amts wegen zu prüfen, doch wird hierzu seltener Veranlassung bestehen, als wenn die Glaub14 15 16 17 18

Peters JR 1972 121; Günther NJW 1986 288; KMR/Bockemühl 6. NJW 1973 178. BGH JR 1972 119. RGSt 13 305. BayObLGSt 1952 188; OLG Düsseldorf VRS 82 (1992) 190; 456; KK/Pfeiffer 3; MeyerGoßner 4.

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BGH bei Dallinger MDR 1970 899. BGHSt 21 334; 341; OLG Düsseldorf VRS 82 (1992) 456; 87 345; GA 1993 461; Arzt 26. Feisenberger 1. BVerfGE 2 297 = NJW 1953 1097; Günther NJW 1986 282.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 26

haftmachung unterblieben ist (Rn. 20), weil ohne Tatsachenbehauptung in der Regel der Ansatzpunkt für eine Prüfung fehlen wird. 6. Glaubhaftmachung (Absatz 2). Alles was zur Begründung des Antrags gehört, hat der Antragsteller glaubhaft zu machen. Absatz 2 Satz 1 erwähnt ausdrücklich, dass in den Fällen des § 25 Abs. 2 die Voraussetzungen des rechtzeitigen Vorbringens glaubhaft zu machen sind. Zu diesen Voraussetzungen gehört auch, wann die Umstände, auf welche die Ablehnung gestützt wird, dem zur Ablehnung Berechtigten bekannt geworden sind; denn nur danach kann beurteilt werden, ob dieser sie unverzüglich geltend gemacht hat. Glaubhaftmachung bedeutet, dass die behaupteten Ablehnungsgründe (Tatsachen) durch die beigebrachten Beweismittel wenigstens wahrscheinlich gemacht werden 23 und dass das Gericht in die Lage versetzt wird, ohne den Verfahrensfortgang verzögernde weitere Ermittlungen über das Ablehnungsgesuch zu entscheiden,24 denn eine Beweisaufnahme über die Ablehnungsgründe findet nicht statt.25 Dem Gericht braucht also nicht die volle Überzeugung von der Wahrheit der behaupteten Tatsachen vermittelt zu werden. Nicht behebbare Zweifel an der Richtigkeit gehen zu Lasten des Ablehnenden, weil der Grundsatz in dubio pro reo hier nicht gilt.26 Was zweifelhaft bleibt, ist nicht wahrscheinlich gemacht. Ist Grundlage eines Ablehnungsgesuchs eine Äußerung des Vorsitzenden und kann sich keiner Verfahrensbeteiligten an den genauen Wortlaut erinnern, kann aber auch keiner dem behaupteten Wortlaut widersprechen, ist die Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit hinreichend dargetan.27 Nach dem Zusammenhang des § 26 muss der Antragsteller seine Angaben dann glaubhaft machen, wenn er den Antrag anbringt. Denn sonst kann über diesen nicht sachlich entschieden werden. Demzufolge gehört die Glaubhaftmachung nach dem Gesetzestext eindeutig zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen (§ 26a Abs. 1 Nr. 2). Daher muss der Ablehnende auch Ausschließungsgründe glaubhaft machen. Gerichtsbekannte Tatsachen bedürfen keiner Glaubhaftmachung.28 Zu ihnen gehören Tatsachen, die das Gericht jederzeit aus den Akten feststellen kann oder die sich in Ablehnungsfällen vor den Augen und Ohren des Gerichts ereignet haben.29 Im letzten Fall braucht auch die Rechtzeitigkeit nicht glaubhaft gemacht zu werden, wenn sie für das Gericht nach der Sachlage auf der Hand liegt.30 Demzufolge brauchen z.B. die Tatsachen, die eine Ausschließung nach § 22 Nr. 4 und 5 oder nach § 23 begründen, regelmäßig nicht glaubhaft gemacht zu werden. Dagegen kann die Glaubhaftmachung in den Fällen des § 22 Nr. 1 bis 3 erforderlich sein, wenn die Verletzung nicht aktenkundig ist. Hat das Gericht einen Antrag wegen mangelnder Glaubhaftmachung verworfen, kann gleichwohl die Verpflichtung bestehen, einen nicht glaubhaft gemachten Ausschließungsgrund von Amts wegen zu prüfen (§ 30).

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7. Mittel der Glaubhaftmachung. Mittel der Glaubhaftmachung müssen mit dem 21 Gesuch beigebracht werden. Dafür kommen vor allem schriftliche Erklärungen, insbe-

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BVerfGE 26 319; BGHSt 21 334, 350; NStZ 1991 144; KMR/Bockemühl 7; SK/Rudolphi 8. Burhoff, Hauptverhandlung Rn. 47; KK/Pfeiffer 4; KMR/Bockemühl 7. BGH MDR 1972 17. BGHSt 21 352; OLG Düsseldorf StV 1985 223; VRS 81 (1991) 373; Meyer-Goßner 7;

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SK/Rudolphi 8; KK/Pfeiffer 4; a.A. HK/Lemke 12. BGHR StPO § 26 (Glaubhaftmachung 1). OLG Neustadt GA 1956 94; OLG Schleswig MDR 1972 265; BayObLG StV 1995 7; Peters JR 1974 154; Heyland JR 1977 402. Vgl. BGH bei Dallinger MDR 1972 17. BGH MDR 1965 1004.

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sondere eidesstattliche Versicherungen von Zeugen in Betracht, Die Benennung von Zeugen allein reicht regelmäßig nicht aus. Ausnahmsweise genügt dies dann, wenn der Zeuge eine solche Erklärung verweigert oder eine Erklärung nicht unverzüglich beigebracht werden kann.31 Das kann beispielsweise bei einem Beamten gegeben sein, der ohne Genehmigung durch den Dienstvorgesetzten nicht aussagen darf.32 Dann müssen diese Umstände aber glaubhaft gemacht werden.33 Nicht ausreichend wäre, wenn der Verteidiger wegen später Kenntnis vom Ablehnungsgrund nicht genügend Zeit hatte, mit dem Zeugen Kontakt aufzunehmen.34 Als Mittel der Glaubhaftmachung kommen ferner in Betracht: anwaltliche Versicherungen,35 Urkunden, ärztliche Zeugnisse sowie vor allem das Zeugnis des abgelehnten Richters (Abs. 2 S. 3). Auf Letzteres muss der Ablehnende sich aber ausdrücklich berufen,36 das darf nicht unterstellt werden.37 Eid und eidesstattliche Versicherung sind nach Absatz 2 Satz 2 nicht nur für den 22 Beschuldigten, sondern für alle Ablehnungsberechtigten, also etwa auch den Privatkläger ausgeschlossen.38 Die Bezugnahme auf das Zeugnis des abgelehnten Richters meint allein die in Abs. 3 23 bezeichnete dienstliche Äußerung,39 nicht eine Aussage des Richters, die erst durch eine besondere Vernehmung gewonnen würde. Das Gericht kann aufgrund der Äußerung des Richters entscheiden, doch steht es ihm frei, weitere Beweise zu erheben. Verpflichtet dazu ist es nicht.40 Es entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob es die vom Ablehnungsberechtigten geltend gemachten Tatsachen für glaubhaft hält oder auf welche Weise – u.U. sogar von Amts wegen 41 – es sich weitere Kenntnisse für seine Entscheidung verschaffen will. Hat das Gericht die Vorgänge in der Hauptverhandlung selbst erlebt, so kann es ohne weiteres aufgrund der eigenen Wahrnehmungen entscheiden.42

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8. Dienstliche Äußerung (Absatz 3). Die Vorschrift ist nur für das ordentliche Verfahren des § 27 sinnvoll. Wird das Gesuch als unzulässig nach § 26a verworfen, entfällt die dienstliche Äußerung.43 Wird dagegen nach § 27 verfahren, ist der abgelehnte Richter dienstlich verpflichtet, sich zu äußern.44 Da die Äußerung ggf. dem Rechtsmittelgericht als Entscheidungsgrundlage dienen muss, muss sie notwendigerweise schriftlich sein. Sie wird zu den Sachakten genommen.45 Sie darf nicht lediglich in das Protokoll diktiert werden.46 Unterbleibt eine dienstliche Äußerung, weil das Ablehnungsgesuch fälschlich als 25 unzulässig (§ 26a) behandelt wird, kann im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens (§ 28 31 32 33 34 35 36

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KK/Pfeiffer 4; KMR/Bockemühl 8; MeyerGoßner 11; HK/Lemke 13; SK/Rudolphi 9. BGH v. 22.12.76 – 2 StR 527/76 –. BGHSt 21 334, 347. BGH MDR 1978 111. OLG Köln NJW 1964 1038; OLG Schleswig MDR 1972 165. OLG Frankfurt/M. NJW 1977 767. Das OLG Celle (NdsRpfl. 1982 100) hält nicht einmal die ausdrückliche Berufung auf die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters als Mittel der Glaubhaftmachung für erforderlich, wenn nur sie als solches in Betracht kommt und nach Abs. 3 ohnehin einzuholen ist. Günther NJW 1986 283; HK/Lemke 14.

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RGSt 57 53; 58 148; 62 121; 70 268; OLG Hamm MDR 1965 843; OLG Koblenz VRS 64 (1983) 271; OLG Düsseldorf StV 1985 223; NStZ 1990 149; Eb. Schmidt 6; KK/Pfeiffer 5; Meyer- Goßner 9; SK/Rudolphi 12. Hahn Mat. 2 1527. KK/Pfeiffer 7. BGH bei Holtz MDR 1978 111. BGH bei Dallinger MDR 1972 17. BVerfGE 11 3 = MDR 1961 26. BGHSt 23 203. BayObLG StV 1982 460; Pentz JVBl. 1963 186; Meyer-Goßner 14. BayObLG StV 1962 460.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 26

Abs. 2 S. 1) die Erklärung des Richters nachgefordert werden.47 Das gilt jedoch nicht für das Revisionsverfahren.48 Die Pflicht, sich zum Ablehnungsgrund zu äußern, beinhaltet eine sachliche Stellungnahme zu den behaupteten Tatsachen und darf sich demzufolge nicht auf die lapidare und unmaßgebliche Erklärung beschränken, dass sich der Richter nicht befangen fühlt.49 Eine derartige Erklärung kommt einer Verweigerung der Abgabe gleich und kann Grundlage für ein neues Ablehnungsgesuch sein. Die dienstliche Äußerung ist aufgrund der hier anwendbaren § 33 Abs. 2, 3 zur Gewährung rechtlichen Gehörs dem Antragsteller, dem Staatsanwalt und allen übrigen Verfahrensbeteiligten mitzuteilen 50 und es ist ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.51 Das verpflichtet allerdings nur dazu, die von der Darstellung der Ablehnungsbegründung abweichende dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters inhaltlich zur Kenntnis zu bringen,52 bevor sie zum Nachteil der Beteiligten verwertet wird.53 Anderenfalls ist das Ablehnungsverfahren fehlerhaft.54 Das rechtliche Gehör wird gegenüber dem anwaltlich vertretenen Beteiligten schon dadurch gewährt, dass der Verteidiger Gelegenheit bekommt, sich zu äußern.55 Da Beschlüsse, die eine Ablehnung für begründet erklären, nicht anfechtbar sind (§ 28 Abs. 1), liegt in der Anerkennung eines Ablehnungsgrundes kein Nachteil. Daraus folgt, dass nach § 33 Abs. 3 der Ablehnende, der Privat- und der Nebenkläger zu der Äußerung des abgelehnten Richters nur dann zu hören sind, wenn das Gericht nicht schon entschlossen ist, dem Antrag stattzugeben. Dass der Ablehnende benachteiligt wird, wenn das Gericht seinem Antrag nicht stattgibt, bedarf keiner Ausführung. Aber auch der Privat- und der Nebenkläger können benachteiligt sein, weil sie damit rechnen müssen, dass das Urteil aufgehoben wird, wenn das Gericht dem Ablehnungsantrag zu Unrecht nicht stattgegeben hat.56 Wird die Bekanntgabe der dienstlichen Äußerung des Richters unterlassen, kann der Berechtigte die Ablehnung unverzüglich (§ 25 Abs. 2 Nr. 2) wiederholen, nachdem er aus dem den Antrag verwerfenden Beschluss die ihm vorenthaltene Äußerung des Richters kennen lernt und wenn ihm aus dieser Äußerung Umstände bekannt werden, auf die er die Ablehnung noch nicht gestützt hatte.57 Besteht diese Möglichkeit nicht, so kann er die Revision auf das unterlassene rechtliche Gehör stützen (§ 33, 25).58 Dass er verpflichtet wäre, ein Verfahren nach § 33a selbst dann anzuregen, wenn er gegen den die Ablehnung verwerfenden Beschluss ein Rechtsmittel hat,59 ist weder mit dem Wortlaut des § 33a noch mit dem Sinn der Regelung zu vereinbaren.

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9. Ausnahme von § 257a (Absatz 1 Satz 2). Nach § 257a kann das Gericht den Ver- 31 fahrensbeteiligten in geeigneten Fällen aufgeben, Anträge und Anregungen zu Verfah47 48 49 50 51 52 53

OLG Hamburg OLGSt StPO § 26 Nr. 1. BGHSt 23 200, 203; a.A. LR/Hanack 25 § 338, 64. HK/Lemke 16; AK/Wassermann 5. BGHSt 23 203. BVerfGE 24 56, 62; BGHSt 21 87. BGH v. 1.7.71 – 1 StR 362/70 –. BVerfGE 24 62 = NJW 1968 1621; BGHSt 21 87 = JR 1967 227 mit Anm. Hanack; 21 345; 23 203; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983 354; Schorn GA 1963 174; Meyer-Goßner 14.

54 55 56 57 58 59

BGH NStZ 1983 354. KK/Pfeiffer 8; KMR/Bockemühl 10; HK/ Lemke 16. Pentz JVBl. 1963 186. Wohl weitergehend BGHSt 21 87; KK/Pfeiffer 8. Wegen der Form der Revisionsrüge vgl. OLG Koblenz MDR 1978 423. So Hanack JR 1967 230.

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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

rensfragen schriftlich zu stellen. Absatz 1 Satz 2 stellt klar, dass Anträge auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit deshalb davon ausgenommen bleiben, weil wegen der von § 25 Abs. Satz 1 Nr. 2 verlangten Unverzüglichkeit eine schriftliche Antragstellung nicht immer möglich ist.60

§ 26a (1) Das Gericht verwirft die Ablehnung eines Richters als unzulässig, wenn 1. die Ablehnung verspätet ist, 2. ein Grund zur Ablehnung oder ein Mittel zur Glaubhaftmachung nicht angegeben wird oder 3. durch die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen. (2) 1Das Gericht entscheidet über die Verwerfung nach Absatz 1, ohne daß der abgelehnte Richter ausscheidet. 2Im Falle des Absatzes 1 Nr. 3 bedarf es eines einstimmigen Beschlusses und der Angabe der Umstände, welche den Verwerfungsgrund ergeben. 3Wird ein beauftragter oder ein ersuchter Richter, ein Richter im vorbereitenden Verfahren oder ein Strafrichter abgelehnt, so entscheidet er selbst darüber, ob die Ablehnung als unzulässig zu verwerfen ist. Schrifttum. Deckers „Missbrauch“ von Anwaltsrechten zur „Prozesssabotage“, AnwBl. 1981 316; Kröpil Zur Entstehung und Bedeutung des § 26a Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 StPO, AnwBl. 1997 575; Rabe Zur Zulässigkeit eines Ablehnungsgesuches gemäß § 26a I Nr. 2 StPO, NStZ 1996 369; Rüping Der Missbrauchsgedanke im Strafprozessrecht und sein Missbrauch, JZ 1997 865; Senge Missbräuchliche Inanspruchnahme verfahrensrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten – wesentliches Merkmal der Konfliktverteidigung? Abwehr der Konfliktverteidigung, NStZ 2002 225; Sieg Verwerfung der Richterablehnung und das Recht auf den gesetzlichen Richter, NJW 1978 1962; Weber Der Missbrauch prozessualer Rechte im Strafverfahren, GA 1975 289; Weiss „Missbrauch“ von Anwaltsrechten zur „Prozesssabotage“, AnwBl. 1981 321; weiteres Schrifttum bei § 24.

Entstehungsgeschichte. Eingefügt durch Art. 5 Nr. 4 StPÄG 1964. Die Richterbezeichnungen in Absatz 2 Satz 3 entstammen Art. 1 Nr. 5 des 1. StVRG. Übersicht Rn. 1. Bedeutung a) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ziel der Regelung . . . . . . . . . . c) Verhältnis zu § 27 . . . . . . . . . . 2. Unzulässigkeitsfälle (Absatz 1) a) Verspätung (Nr. 1) . . . . . . . . . . b) Fehlende Begründung (Nr. 2) . . . . c) Wiederholung . . . . . . . . . . . . d) Fehlende Glaubhaftmachung (Nr. 2) . e) Verschleppungsabsicht (Nr. 3) . . . . f) Verfolgung verfahrensfremder Zwecke (Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . 60

. . .

1 2 5

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8 11 18 19 22

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Rn. g) Ablehnung des Gerichts als Ganzes h) Verfrühte Anträge . . . . . . . . . i) Ablehnung im Gegenvorstellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . j) Ablehnung im Verfahren nach § 33a 3. Verfahren (Absatz 2) a) Gericht . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . c) Entscheidung . . . . . . . . . . . d) Begründung . . . . . . . . . . . . e) Bekanntmachung . . . . . . . . . f) Rechtsmittel . . . . . . . . . . . .

BTDrucks. 12 6853; Begr. zu Art. 4 Nr. 8 (§ 257a); BGH MDR 1996 951; SK/Rudolphi 2.

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30 34

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38 39 43 45 48 49

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 26a

Alphabetische Übersicht Ablehnung des ganzen Gerichts 30 Anschein eines Ablehnungsgesuchs 23 Auslegung, enge 12 auswärtige Strafkammer 40 beauftragter Richter 42 Begründung des Verwerfungsbeschlusses 45 Begründung, fehlende 11 Behauptung, neue 18 Bekanntmachung 48 Besetzung des Gerichts 32 Demonstrationszwecke 28 einstimmiger Beschluss 29, 43 Entscheidung nach Beschwerdegrundsätzen 25 Fehlende Begründung 11 f. Formalentscheidung 35 Gegenvorstellungsverfahren 36 Glaubhaftmachung, fehlende 3, 19 Gleichzeitiges Vorbringen von Gründen 10 Inhalt von Zeugenaussagen 13 Kostenentscheidung 47 Missbrauch des Ablehnungsrechts 4, 22 Rechtsmittel 49

Regelungsinhalt 1 Regelungsziel 2 Stimmenmehrheit 43 ungeeignete Gründe 12 Unverzüglichkeit 20 unvollständige Ablehnungsgründe 14 Unzulässigkeit 8 ff. Verfahren 38 ff. Verfahren nach § 33a 37 Verfahrensfremde Zwecke 4, 28 verfrühte Anträge 34 Verhältnis zu § 27 5 Verschleppungsabsicht 22 ff., 28 Verspätung 8 Verzögerung der Hauptverhandlung 22 Vorentscheidung, Mitwirkung an 15 Wiederholung von Ablehnungsgesuchen 18 Zeitpunkt für Ablehnung 9 Zulässigkeit des Verfahrens 5 Zuständigkeit 39 Zweifel bei der Anwendung 7 Zwischenentscheidung, Mitwirkung an 15

1. Bedeutung a) Inhalt. § 27 ordnet die regelmäßige Behandlung des Ablehnungsantrags. Als Aus- 1 nahme davon stellt § 26a für die Ablehnung unzulässiger Anträge ein vereinfachtes Verfahren zur Verfügung. Im regelmäßigen Verfahren darf nur entschieden werden, nachdem der abgelehnte Richter ausgeschieden ist, in Unterbrechung der Hauptverhandlung und in Beschlussbesetzung (§ 27, 8 f.). Demzufolge kann der Richter beim Amtsgericht nicht selbst über einen Ablehnungsantrag beschließen, vielmehr entscheidet ein anderer Richter beim Amtsgericht (§ 27 Abs. 3 Satz 2). Dagegen ist die Ablehnung unzulässiger Anträge dem Gericht, dem der Abgelehnte angehört, unter dessen Mitwirkung (Rn. 38) oder dem abgelehnten Richter selbst (Rn. 39 ff.) zugewiesen.1 Der Katalog des Absatzes 1 ist – abgesehen von den zu Rn. 26 ff.; 30; 31 behandelten Fällen – abschließend. Der gelegentlich behandelte Fall der bloßen Unmutsäußerung 2 ist zu Recht nicht aufgenommen worden. b) Ziel der Regelung. Anliegen des StPÄG war es u.a., im Interesse einer beschleunig- 2 ten Verfahrensführung bei bestimmten Ablehnungsanträgen die Hauptverhandlung nicht unterbrechen oder gar aussetzen zu müssen und einem Missbrauch des Ablehnungsrechts entgegenzuwirken. Mit der Regelung des § 26a wurde deshalb ein Instrumentarium geschaffen, das in einem vereinfachten Verfahren Entscheidungen über Ablehnungsanträge zulässt. Erfasst werden sollten dabei all jene Fälle, in denen die Unzulässigkeit offen zutage liegt. Dafür wurden Grundsätze, die für die Behandlung unzulässiger Rechtsmittel gelten, in erweitertem Umfang auf den Ablehnungsantrag übertragen: Nach § 319 Abs. 1 kann das Gericht des ersten Rechtszugs die verspätete Berufung, nach 346 Abs. 1 das Gericht, dessen Urteil mit der Revision angefochten wird, eine Revision, die verspätet eingelegt oder begründet worden ist, als unzulässig verwerfen. Verfassungsrechtlich unbedenklich ist diese Regelung aber nur dann, wenn bei strenger Prüfung ihrer tatbestand1

BGHSt 37 105.

2

OLG Hamm JMBlNRW 1963 49.

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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

lichen Voraussetzungen die danach ergehende Entscheidung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters enthält und mithin keine echte Entscheidung in eigener Sache ist.3 Unproblematisch sind deswegen die Fälle zu Nr. 1 sowie zu Nr. 2, soweit dort die 3 vereinfachte Ablehnung von Anträgen zugelassen wird. Nicht unbedenklich ist aber schon Nr. 2, soweit auf die fehlende Glaubhaftmachung abgestellt wird und die Verwerfung an normative Voraussetzungen gebunden ist, die sich vielfach einer eindeutigen Feststellung entziehen.4 Denn ob etwas glaubhaft gemacht worden ist, kann bei den weiten Möglichkeiten, die dafür bereitstehen (§ 45, 17 bis 20), durchaus zweifelhaft sein. Besonderen Bedenken begegnet aber Nr. 3 über die Verwerfung der Ablehnung, wenn 4 mit dieser offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden.5 Von der Intention der Regelung sollen dadurch Fälle des Missbrauchs des Ablehnungsrechts erfasst werden. Diesem an sich legitimen Anliegen kann die Fassung jedoch nicht gerecht werden. Denn bei dem weitgefassten Tatbestand, der mehrere unbestimmte Rechtsbegriffe enthält und deshalb bei der Subsumtion Wertungen erfordert, ist die Entscheidung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters oder beim Strafrichter in der Hauptverhandlung gar allein durch diesen selbst der Gefahr ausgesetzt, dass die Forderung, die Interessen des Beschuldigten gegenüber den öffentlichen Interessen vorsichtig abzuwägen, dem Wunsch, dem Verfahren ungestört Fortgang zu geben, wenn auch nur unbewusst, untergeordnet wird.6 Hierin liegt ein erhebliches Risiko, weil die ablehnende Entscheidung, die in den meisten Fällen in der Hauptverhandlung erfolgt, erst mit dem Urteil angefochten werden kann (§ 28 Abs. 2). Bei rechtsirrtümlicher Anwendung der Vorschrift bedeutet dies, dass die Verhandlung wiederholt werden muss (§ 338 Nr. 3). Schon deswegen empfiehlt sich eine restriktive Anwendung der Nr. 3 und um das Risiko einer Urteilsaufhebung weiter zu reduzieren, könnte sich in diesen Fällen das ordentliche Ablehnungsverfahren nach § 27 anbieten.7

5

c) Verhältnis zu § 27. Das Regelverfahren des § 27 findet nach dessen erstem Halbsatz immer Anwendung, wenn der Ablehnungsantrag nicht als unzulässig verworfen wird. Entgegen der Ansicht des Bundesgerichtshofs 8 bezieht sich der Wortlaut des § 27 Abs. 1 nicht nur auf den Fall, dass der Antrag als unbegründet zurückgewiesen worden ist, und kommt es nicht darauf an, ob das erkennende Gericht den Antrag als zulässig angesehen hat. Vielmehr ist für die Zulässigkeit, § 27 anzuwenden, allein der Umstand maßgebend, dass nicht der Weg des § 26a gewählt worden ist.9 Dagegen kann das Verfahren nach § 27 nicht etwa mit der Begründung als unzulässig abgelehnt werden, der Antrag könne in dem vereinfachten Verfahren des § 26a verworfen werden.10 Denn § 27 Abs. 1 wird nicht mit der Wendung eingeleitet: „Ist die Ablehnung nicht als unzulässig zu verwerfen“, sondern mit den Worten: „wird die Ablehnung nicht als unzulässig verworfen“. Daraus folgt, dass nach § 27 sowohl, was allerdings der Regelfall sein wird, über zulässige als auch über unzulässige Anträge entschieden werden kann.11 3 4 5

6

BVerfG StV 2005 478; BT-Drs. IV/178 S. 35. Ebenso SK/Rudolphi 2. Deckers AnwBl. 1981 319; Draber DRiZ 1977 330. Rieß FS Kleinknecht 368 sieht in der Nr. 3 dagegen „eine Regelung, die die berechtigten Interessen an der Unparteilichkeit der Rechtsprechung mit den Bedürfnissen einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege vereint“. SK/Rudolphi 2.

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7 8 9 10 11

A.A. Meyer-Goßner 2; er hält die hier gegebene Empfehlung für gesetzwidrig. BGHSt 21 337. AK/Wassermann 2; KMR/Bockemühl 2. KMR-Bockemühl aaO. BGHSt 21 337; OLG Hamm JMBlNRW 1973 273; vgl. Begr. zu § 21 E 1909, Mat. zur StRRef. 12 70.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 26a

Das hat auch seinen guten Grund. Denn nur in den Fällen der Nummer 1 und der 6 ersten Alternative der Nummer 2 ist lediglich eine Formalentscheidung zu treffen. In den anderen Fällen, namentlich denen der Nummer 3, ist eine Wertung erforderlich, die vorzunehmen sich der abgelehnte Richter befangen fühlen könnte; zumindest könnte er dem Ablehnenden als befangen erscheinen. Ist das der Fall oder besteht der geringste Zweifel, ob nicht das beigebrachte Mittel 7 doch als Glaubhaftmachung angesehen werden könnte; ob der Ablehnende nicht neben der Absicht der Verschleppung auch von anderen Absichten geleitet sein könnte; ob er wirklich lediglich verfahrensfremde Zwecke verfolgt oder ob er nicht vielmehr ernstlich verfolgte Verfahrenszwecke über diese Absicht hinaus auch noch verfahrensfremden Zwecken dienstbar macht, dann ist stets das Regelverfahren des § 27 einzuschlagen. 2. Unzulässigkeitsfälle (Absatz 1) a) Verspätung (Nr. 1). Es entspricht der früheren Rechtsprechung,12 dass der ver- 8 spätete Antrag verworfen werden kann, ohne dass der Abgelehnte ausscheidet. Dieser Fall gewinnt besondere Bedeutung durch die Vorschrift, dass nach dem Zeitpunkt des § 25 Abs. 1 Satz 1 eine Ablehnung nur noch geltend gemacht werden darf, wenn die Umstände, auf die sie gestützt wird, erst später eintreten oder dem Berechtigten bekannt werden, und wenn die Ablehnung unverzüglich nach diesem Ereignis geltend gemacht wird (§ 25 Abs. 2). Wird der Ablehnungsgrund nach dem kritischen Zeitpunkt angebracht, ohne dass die 9 Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 behauptet werden, bedarf es zur Entscheidung nur der Feststellung, dass der Antrag verspätet angebracht ist. Das ist in der Hauptverhandlung stets der Fall, wenn die Ablehnung nach dem letzten Wort angebracht worden ist (§ 25, 31), bei einer außerhalb der Hauptverhandlung ergehenden Entscheidung, nachdem die Beteiligten gehört worden sind (Rn. 44). Werden die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 dargetan, sind sowohl der Zeitpunkt, in dem dem Ablehnungsberechtigten die Umstände bekannt geworden sind, als auch der, in dem er sie geltend gemacht hat, vom Gericht zu überprüfen. Dass es nicht darauf ankommt, wann die Ablehnungsumstände entstanden sind, ist bei § 25, 22 dargelegt. Zwar besteht keine Verpflichtung, Ablehnungsgründe außerhalb der Hauptverhand- 10 lung alsbald und während der Hauptverhandlung vor dem Zeitpunkt des § 25 Abs. 1 Satz 1 anzubringen. Da aber nach § 25 Abs. 1 Satz 2 alle Ablehnungsgründe gleichzeitig vorzubringen sind, ist ein Antrag auch vor dem Zeitpunkt des § 25 Abs. 1 Satz 1 verspätet, wenn der Ablehnende schon einen Antrag angebracht und es dabei unterlassen hat, weitere ihm bekannte Ablehnungsgründe geltend zu machen. Indessen erstreckt sich die Glaubhaftmachung, wie § 26 Abs. 2 Satz 1 eindeutig ergibt, nur auf die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 (Bekanntwerden, Geltendmachen) und nicht auf die des § 25 Abs. 1 Satz 2 (Konzentration). Daher wird vor dem Zeitpunkt des § 25 Abs. 1 Satz 1 nicht allzu häufig festzustellen sein, dass bei einer weiteren Ablehnung das Konzentrationsgebot des § 25 Abs. 1 Satz 2 verletzt ist (§ 25, 20). b) Fehlende Begründung (Nr. 2). Die Fassung der Nr. 2, die Ablehnung sei zu ver- 11 werfen, wenn ein Grund zur Ablehnung oder ein Mittel zur Glaubhaftmachung nicht angegeben werde, kann zu Zweifeln Anlass geben. Liest man „ein“ als Zahlwort, dann

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RGSt 54 328.

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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

geht der Wortlaut über das Gewollte hinaus. Denn der Gesetzgeber hat nicht Anträge für unzulässig erklären wollen, in denen von mehreren Gründen einer nicht angegeben oder – und hier wird der Wortlaut von ausschlaggebender Bedeutung – einer nicht glaubhaft gemacht worden ist.13 Vielmehr ist, wenn von mehreren Gründen nur einer glaubhaft gemacht worden ist, nach § 27 zu verfahren. Mit der missverständlichen Wortfassung ist gemeint, der Antrag sei als unzulässig zu verwerfen, wenn (überhaupt) kein Grund zur Ablehnung oder kein Mittel zur Glaubhaftmachung angegeben wird, wie dies der früheren Rechtsprechung 14 entspricht.15 Die Ankündigung einer noch beizubringenden Begründung genügt nicht.16 Eine Nachfrist dafür darf nicht bewilligt werden.17 Weil die Vorschrift nur klar liegende Formalentscheidungen ermöglichen oder einen 12 offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern will, ist sie eng auszulegen.18 Sie ist nur anzuwenden, wenn sich der Ablehnende auf die bloße Erklärung der Ablehnung beschränkt und von jeder Begründung absieht oder zur Begründung nur solche Erwägungen vorbringt, die völlig ungeeignet sind, einen Ablehnungsantrag zu rechtfertigen.19 Was völlig ungeeignet ist, ist rechtlich wie das Fehlen einer Begründung zu behandeln.20 Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich.21 Gleiches gilt für eine sich in bloßen Anwürfen ergehende Schmähung.22 In Fällen, in denen die Frage der Unzulässigkeit nicht klar und eindeutig zu beantworten ist, wird das Regelverfahren nach § 27 zu wählen sein, um jeden Anschein einer Entscheidung in eigener Sache zu vermeiden.23 Auf Fälle „offensichtlicher Unbegründetheit“ des Ablehnungsgesuchs darf das vereinfachte Verfahren wegen des sonst vorliegenden Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht ausgedehnt werden.24 Einer der häufigsten Ablehnungsfälle beruht auf der Ablehnung von Beweisanträgen. 13 Wird das Ablehnungsgesuch darauf gestützt, enthält es ebenfalls eine völlig ungeeignete Begründung.25 Entsprechendes gilt, wenn sich die Ausführungen in pauschalen und in weiten Teilen abstrusen Vorbehalten gegenüber Angehörigen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe erschöpft und die Darlegung konkreter Anhaltspunkte fehlt, die auf eine Befangenheit schließen lassen könnten 26 oder wenn es nur Wertungen ohne Tatsachen13 14

15

16 17 18 19

20

BGHSt 37 95, 96, 105 = JR 1991 116 mit Anm. Böttcher; Meyer-Goßner 2. KG DJZ 1929 184. Zur Frage, ob der Hinweis auf frühere gesetzlich gebotene Prozessentscheidungen dem Fehlen eines Grundes gleichzustellen ist, s. Rabe NStZ 1996 369. Die (schlechte) Fassung erklärt sich aus der auf einem sprachlichen Missverständnis beruhenden Scheu der Gesetzessprache vor dem Wort „kein“. Richtig: § 132 Abs. 1. Günther NJW 1986 283. OLG München NJW 1976 436. So jetzt auch BVerfG StV 2005 478. BGH NStZ 1999 311; BGH v. 1.2.2005 – 4 StR 486/04 –; BGH NStZ 2006 51; OLG Köln JMBlNRW 1967 91; StV 1991 293; OLG Düsseldorf VRS 82 (1992) 191; 456; 85 (1993) 359; 87 (1994) 345; Günther NJW 1986 281, 286; KK/Pfeiffer 3; Meyer-Goßner 4; krit. Draber DRiZ 1977 331. BGH NStZ 1997 331; NStZ 1999 311;

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BGHR StPO § 26a (Unzulässigkeit 9); BGH StV 2005 587; OLG Düsseldorf VRS 85 (1993) 339; VRS 87 (1994) 344; so auch BayVerfGH MDR 2000 659; KK/Pfeiffer 3; a.A. offenbar BGH (2. Strafsenat) StraFo 2004 238 ohne nähere Begründung und unter missverständlichem Hinweis auf Meyer-Goßner 4. BVerfG StV 2005 478; BGH StV 2005 588. BGH NStZ 1997 331. BVerfG StV 2005 478; HK/Lemke 4. BVerfG aaO.; KMR/Bockemühl 8. Der ursprünglich im Bundesratsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege enthaltene Vorschlag, den Zurückweisungsgründen des § 26a Abs. 1 den der „offensichtlichen Unbegründetheit“ hinzuzufügen (BT-Drucks. 13/4541 S. 4, 11 und 15 f.) ist gerade nicht Gesetz geworden. BGHR § 26a StPO (Unzulässigkeit 10). BGH NStZ-RR 2002 66.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 26a

behauptung 27 enthält. Entsprechendes gilt für die Unterlassung der Mitteilung der Gerichtsbesetzung.28 Als völlig ungeeignet und damit unzulässig ist ein Gesuch auch abzulehnen, wenn es darauf gestützt wird, dass der Vorsitzende in der Hauptverhandlung einem Sachverständigen verfälschende Angaben über den Inhalt von Zeugenaussagen gemacht haben soll, denn der Ort, um entscheidungserheblichen Inhalt der Beweisaufnahme festzustellen, ist allein das Urteil.29 Deshalb kann das, was ein Zeuge aussagte oder wie das Ausgesagte zu verstehen ist, nicht in derselben Hauptverhandlung zum Beweisgegenstand gemacht werden.30 Ebenso wenig kann ein Angeklagter einen Ablehnungsantrag auf seine abweichende Wiedergabe und Würdigung von Zeugenaussagen stützen.31 Werden mit dem Ablehnungsgesuch prozessordnungsgemäße Maßnahmen der Verhandlungsleitung des Vorsitzenden gerügt, ist auch dies ein völlig ungeeigneter Grund.32 Unvollständige Ablehnungsgründe 33 berechtigen dagegen nicht zur vereinfachten Verwerfung.34 Dies gilt auch, wenn die Ablehnungsgründe schwerverständlich gefasst sind. In jedem Fall ist zu beachten, dass auf Gerichtsbekanntes nur hingewiesen zu werden braucht. Wird als Ablehnungsgrund nur die erlaubte Mitwirkung des abgelehnten Richters an einer Zwischenentscheidung angegeben, ist in Wirklichkeit kein Ablehnungsgrund genannt, so dass das Gesuch als unzulässig verworfen werden kann.35 Dasselbe gilt, wenn sich eine Ablehnung auf Vorentscheidungen gründet und das Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters ausschließlich aus der nach Ansicht des Antragstellers unrichtigen Vorentscheidung abgeleitet wird.36 Die Vorschrift bezieht sich nur auf das Fehlen von Ablehnungsgründen. Wird der abgelehnte Richter nicht mit dem Namen genannt, sondern nur durch Angabe einer bestimmten Vortätigkeit bezeichnet, so rechtfertigt das keine Entscheidung nach § 26a.37 Wegen der Unzulässigkeit, Gründe, die nicht durchschlagen, von Amts wegen durch neu bekannt gewordene zu ersetzen, s. § 26, 10.

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c) Wiederholung. Wenn der Ablehnende einen bereits beschiedenen Antrag unver- 18 ändert wiederholt, ist dieser nicht unbeachtlich, sondern zunächst zu bescheiden.38 Jedoch ist er als unzulässig zu verwerfen.39 Durch die bereits erfolgte Entscheidung über den Ablehnungsgrund ist dieser nämlich verbraucht und steht damit einer fehlenden Begründung gleich. Da die schlichte Wiederholung selten vorkommt, ist stets sorgfältig 27

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Beispiele: „weil er ungerecht, mir nicht wohlgesonnen ist“; „weil der abgelehnte Personenkreis mit rassisch Verfolgten verwandt oder verschwägert ist“; BGH bei Dallinger MDR 1970 899; Günther NJW 1986 285. BGH NStZ-RR 2005 173. BGH NStZ 2004 630. BGH aaO; Rissing-van-Saan MDR 1993 311. BGH aaO. BGH NStZ 2006 51. Beispiel: Behauptung, der Richter sei ausgeschlossen, „weil ich mit ihm verschwägert bin“, ohne Angabe der die Schwägerschaft vermittelnden Personen. AK/Wassermann 4; HK/Lemke 8. SK/Rudolphi 6; Rabe NStZ 1996 369, der

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38 39

jedoch unzutreffend jede auf eine Zwischenentscheidung gegründete Ablehnung als unzulässig verwerfen will. BGH NStZ 1999 311. Beispiel: Die Richter, die in einem – näher angegebenen – früheren Verfahren mitgewirkt haben. Weiteres Beispiel s. BVerfGE 2 297 = NJW 1953 1097. Weber GA 1975 298. RGSt 30 275; OLG Hamm NJW 1966 2073; Meyer-Goßner 4; KK/Pfeiffer 2; Günther NJW 1986 283; vgl. auch Begr. zu § 26a, BTDrucks. IV 178, S. 35; KMR/Bockemühl 5 und SK/Rudolphi 5 gehen ohne nähere Begründung davon aus, dass hier ein Fall nach Nr. 1 vorliegt.

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zu prüfen, ob in dem Antrag nicht doch eine neue Behauptung enthalten oder für eine alte Behauptung ein neues Mittel der Glaubhaftmachung rechtzeitig (§ 25, 24) beigebracht worden ist. Alsdann ist der neue Antrag nicht unzulässig 40 und darf nicht nach § 26a behandelt werden (vgl. Rn. 19).

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d) Fehlende Glaubhaftmachung (Nr. 2). Das Mittel zur Glaubhaftmachung bezieht sich nicht nur auf den Ablehnungsgrund, sondern auch auf die Voraussetzungen des rechtzeitigen Vorbringens (§ 25 Abs. 2, § 26 Abs. 2 Satz 1). Der Antrag ist also in der vereinfachten Form des § 26a zu verwerfen, wenn nach dem in § 25 genannten Zeitpunkt ein Ablehnungsgrund angegeben und glaubhaft gemacht, aber keine Glaubhaftmachung zu den Umständen des Absatzes 2 beigebracht wird. Werden in dem genannten Fall die in § 25 Abs. 2 Nr. 1 genannten Umstände glaubhaft gemacht, aber nicht die Unverzüglichkeit der Nummer 2, dann kann nach § 26a verfahren werden. Liegt jedoch die Unverzüglichkeit für das Gericht zutage (der Angeklagte lehnt den 20 Vorsitzenden unmittelbar nach einem Vorhalt, den er als Ablehnungsgrund vorträgt, ab, ohne die Unverzüglichkeit glaubhaft zu machen), dann findet § 26a keine Anwendung. Denn Gerichtskundiges braucht nicht glaubhaft gemacht zu werden. Was zur Glaubhaftmachung gehört, ist zu § 26, 16 ff. ausgeführt. Da das vereinfachte 21 Ablehnungsverfahren nur zulässig ist, wenn jegliche Glaubhaftmachung fehlt, ist bei den weiten Möglichkeiten der Glaubhaftmachung Zurückhaltung in der Beurteilung geboten, dass ein angegebenes Mittel keines der Glaubhaftmachung sei.41 Kann das Mittel unter irgendeinem Gesichtspunkt noch als Mittel der Glaubhaftmachung angesehen werden, ist das vereinfachte Ablehnungsverfahren unstatthaft.

22

e) Verschleppungsabsicht (Nr. 3). Abs. 1 Nr. 3 regelt nach ganz h.M. einen prozessualen Missbrauchstatbestand 42 und stellt damit eine Abwehrmöglichkeit gegen exzessiv und rechtsmissbräuchlich gestellte Ablehnungsanträge dar. In Betracht kommen hier Fälle, in denen ein Angeklagter, um den Prozess zu verschleppen, eine Vielzahl von Anträgen stellt (Beweis-, Aussetzungs- und Befangenheitsanträge),43 obwohl er weiß, dass er mit den Ablehnungsanträgen keinen Erfolg haben kann, entweder weil die behaupteten, ins Zeugnis des abgelehnten Richters gestellten Tatsachen nicht vorliegen oder weil sie zwar gegeben, aber für jeden verständigen Menschen keine Ablehnungsgründe sind. Kommt es dem Antragsteller also offensichtlich ausschließlich auf eine Verzögerung der Hauptverhandlung an, ist Verschleppungsabsicht gegeben.44 Die Praxis erachtete es früher schon für zulässig, solche Anträge, denen nur der 23 falsche Anschein einer Ablehnung gegeben sei, unter Mitwirkung der abgelehnten Richter 45 abzulehnen.46 Die Rechtsprechung verlangte jedoch, um die Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht zu gewährleisten, sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht eine eingehende Begründung.47 Diese sollte auf die Frage, ob die Ablehnung

40 41

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RGSt 24 14. Beispiel: Der Ablehnende verweist wegen einer Äußerung, die der Richter außerhalb der Hauptverhandlung abgegeben haben soll, auf das Zeugnis eines Beamten, weil er sich gescheut hat, diesen um eine eidesstattliche Versicherung zu bitten. KMR/Bockemühl 10; HK/Lemke 9; Meyer-

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Goßner 5; Kröpil AnwBl. 1997 575 m.w.N.; Senge NJW 2002 226. BGH NStZ 2005 579. BGH NStZ 2004 630. RGSt 30 273. RGSt 56 49; RG JW 1901 397; RG GA 65 (1918) 439; BayObLGSt 18 35. RGSt 30 273; RG GA 46 (1898/99) 201.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

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unbegründet sei, nicht eingehen dürfen, weil es unzulässig sei, aus der Unbegründetheit die Verschleppungsabsicht zu folgern.48 Dieser Weg des – ohnehin schwer vorstellbaren – Abstrahierens ist nach der Neu- 24 fassung durch Art. 5 Nr. 4 StPÄG 1964 nicht mehr gangbar. Die vereinfachte Verwerfung ist nur zulässig, wenn mit dem Mittel der Ablehnung lediglich das Verfahren offensichtlich verzögert werden soll; sie ist aber „nicht anwendbar, wenn mit der Ablehnung neben den angegebenen gleichzeitig auch andere Zwecke erstrebt werden“.49 Demzufolge darf die Verschleppungsabsicht nicht allein aus der Häufung der Anträge gefolgert werden;50 sie setzt vielmehr voraus, dass der Ablehnende Anträge stellt, obwohl er weiß, dass er nur das Entscheidungsverfahren (auf das es ihm ankommt), nicht aber das Ausscheiden des Richters (auf das es ihm nicht ankommt) erreichen kann. Dieser Absicht steht es regelmäßig entgegen, wenn ein Antrag vorgebracht wird, der begründet sein kann oder gar begründet ist. Macht der Angeklagte in Verschleppungsabsicht – aber nicht offensichtlich nur in dieser 51 – einen Ablehnungsgrund und die Voraussetzungen des rechtzeitigen Vorbringens (§ 26 Abs. 2 Satz 1), etwa das spätere Bekanntwerden (§ 25 Abs. 2 Nr. 1), geltend, darf nicht nach § 26a verfahren werden. In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass in unzulässiger Weise versucht wird, 25 durch Ablehnungsgesuche vorangegangene Sachentscheidungen einer erneuten, gesetzlich nicht vorgesehenen, Überprüfung zuzuführen. Derartige Gesuche werden in der Regel nach der Ablehnung eines Beweisantrages oder der Ablehnung eines Aussetzungsantrages 52 angebracht und mit deren rechtswidriger Ablehnung begründet. Wenngleich sich in diesen Fällen die Annahme eines Missbrauchs von Verfahrensrechten aufdrängt, könnten doch Zweifel bleiben, die dann ein Ablehnungsverfahren nach § 27 nach sich ziehen und zur Verzögerung der Hauptverhandlung führen. Wenn dann gleichwohl nach § 26a verfahren wird, war dies nach der bisherigen Rechtsprechung unschädlich, weil das Revisionsgericht die Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs allein nach Beschwerdegrundsätzen geprüft hat, so dass letztlich nur entscheidend war, ob das Gesuch begründet war (§ 28 Rn. 28). War es das nicht, war bisher eine möglicherweise fehlerhafte Anwendung der Regelung unbeachtlich. Dieser Verfahrensweise ist nunmehr das BVerfG 53 entgegengetreten. Indem es herausstellt, dass auch für das Ablehnungsverfahren Art. 101 Abs. 2 S. 2 GG gilt, verlangt es nicht nur eine Begründetheitsprüfung, sondern vielmehr eine Prüfung dahingehend, ob die Grenzen des § 26a eingehalten worden sind, weil anderenfalls die Vorschrift leer laufe und entgegen dem erklärten Willen des Gesetzgebers auf offensichtlich unbegründete Ablehnungsgesuche ausgedehnt werde.54 Das hat zur Folge, dass jedenfalls willkürliche Überschreitungen des von § 26a gesteckten Rahmens zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung führen.55 Dieser Entscheidung des BVerfG könnte grundsätzlich zugestimmt werden. Es muss sich jedoch der Kritik stellen, dass es sich trotz der erkannten Willkürschwelle hat verleiten lassen, in verallgemeinernder Form jedes sachlich nicht gerechtfertigte Vorgehen als willkürlich zu behandeln.56 Verständig dürfte diese mehr als missverständliche Formulierung aber wohl dahin auszu-

48 49 50 51

52

RG GA 65 (1918) 540; RG LZ 1918 284. Begr. zu § 26 a, BTDrucks. IV 178, S. 35. KK/Pfeiffer 4. BayObLGSt 1972 219 = VRS 44 (1973) 206; OLG Karlsruhe NJW 1995 2503 = StV 1995 343; KK/Pfeiffer 4. S. dazu BGH NStZ 2005 646. Der Senat hat dabei leider offen gelassen, ob er von einer

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Verfahrensverschleppung oder der Verfolgung verfahrensfremder Zwecke ausgeht. BVerfG StV 2005 478. BVerfG aaO, S. 483. Das BVerfG hat offen gelassen, ob dies auch bei einer nicht willkürlichen, aber rechtsfehlerhaften, Anwendung des § 26a gilt. BVerfG aaO, S. 482.

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legen sein, dass der Willkürvorwurf sich ausschließlich auf die der Entscheidung zu Grunde liegenden Verfahrensweisen beziehen soll, denn es dürfte nach wie vor unbestritten sein, dass nicht jeder Fehler in der Sachbehandlung Willkür darstellt; sondern Willkür liegt nur dann vor, wenn die Entscheidung des Gerichts auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts beruht und daher in der Sache offensichtlich unhaltbar ist.57 Zweifelhaft könnte diese Auslegung aber im Hinblick auf eine weitere Passage des Beschlusses sein, weil das BVerfG offenbar rechtsirrtümlich auch davon ausgeht, dass nach Aufhebung und Zurückverweisung das Verfahren nach § 27 vom Tatgericht nachzuholen ist,58 was nach den Regelungen über das Revisionsverfahren indessen nicht möglich ist. Der 3. Strafsenat des BGH hat die Entscheidung des BVerfG dahin interpretiert, dass eine nicht willkürliche, aber rechtsfehlerhafte Anwendung des § 26a nicht wegen Verstoßes gegen Art. 101 GG aufzuheben ist.59 Ebenso geht auch der 5. Strafsenat des BGH davon aus, dass nur bei einer willkürlichen Rechtsanwendung des § 26a ein Ablehnungsgesuch „mit Unrecht verworfen“ wird.60 Allein diese Abgrenzung dürfte sachgerecht sein, denn von der richterlichen Beurteilung des Ablehnungsgesuchs als zulässig oder unzulässig hängt die Zusammensetzung der Richterbank ab und jede falsche Entscheidung – gleichgültig in welche Richtung – könnte das Prinzip des gesetzlichen Richters berühren. Würde jedoch jede fehlerhafte Anwendung des § 26a bzw. des § 27 zur Urteilsaufhebung führen, wären die Ablehnungsvorschriften kaum noch praktikabel. Für die Annahme einer Verschleppungsabsicht gelten im Übrigen dieselben strengen 26 Anforderungen, wie sie für den inhaltsgleichen Begriff nach § 244 Abs. 3 StPO verlangt werden. Insoweit wird auf die weiteren Ausführungen bei LR/Gollwitzer 25 § 244, 209 ff. verwiesen. Der Fall, dass durch die Ablehnung offensichtlich, also ohne jeden Zweifel zutage 27 liegend, das Verfahren nur verschleppt, also nicht neben der Verschleppung auch prozessordnungsgemäß verfahren wird, kann alsdann nur vorliegen, wenn der Ablehnende erklärt oder auf andere Weise eindeutig und zweifelsfrei zu erkennen gibt, dass ihm das Ausscheiden des Richters selbst dann gleichgültig sei, wenn sein Ablehnungsgrund durchschlage. Anders ausgedrückt: Die Vorschrift darf nur angewendet werden, wenn es keinem Zweifel unterliegen kann, dass der Beteiligte ernstlich gar keine Ablehnung will, sondern allein und ausschließlich die Absicht hat, das Verfahren zu verschleppen.61 Da solche Absichten in der Praxis kaum je erweislich sein werden, wird der ersten Alternative der Nummer 3 keine Bedeutung zukommen.62 Das wäre auch dann der Fall, wenn die angestellten Überlegungen nicht durchschlügen. Denn zufolge der Konzentrationsmaxime (§ 25 Abs. 1 Satz 2) und der Verpflichtung, Ablehnungsgründe, die erst nach dem Zeitpunkt des § 25 Abs. 1 Satz 1 eintreten oder bekannt werden, unverzüglich vorzubringen und das rechtzeitige Vorbringen glaubhaft zu machen, sind Verschleppungsanträge, die nicht schon nach den Nummern 1 und 2 im vereinfachten Verfahren abgelehnt werden könnten, wenigstens in der Hauptverhandlung, wo ihre Behandlung bisher allein Schwierigkeiten verursacht hat, kaum denkbar; der Nr. 3 hätte es nicht bedurft.

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f) Verfolgung verfahrensfremder Zwecke (Nr. 3). Die zweite Alternative, dass durch die Ablehnung nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen, ist wie die erste zu 57 58 59 60

Zuletzt: BGH StV 2005 587; StV 2005 588. BVerfG aaO, S. 483. BGH NStZ 2006 51 mit zust. Anm. MeyerGoßner. BGH NStZ 2006 50.

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61 62

BGH bei Dallinger MDR 1955 271. BayObLG VRS 44 (1973) 206; OLG Köln StV 1991 292; Deckers AnwBl. 1981 319; Weiß AnwBl. 1981 325; Günther NJW 1986 286; HK/Lemke 10.

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behandeln; denn die Verschleppung ist nur ein Unterfall der verfahrensfremden Zwecke. Für den Fall der verfahrensfremden Zwecke gibt es keine feste oder ständige Rechtsprechung und keinen Vorgang in der Entwurfsgeschichte.63 Die Begründung zum StPÄG 1964 64 nennt unter verfahrensfremden Zwecken Demonstrationszwecke.65 Dabei ist wohl daran gedacht, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung, um seine Gesinnung darzutun, diejenige des Richters, sei es die vermutete, sei es eine allgemein oder nur dem Ablehnenden bekannte, durch ein (unbegründetes) Ablehnungsgesuch herabsetzt. Auch könnte der Fall hierunter zu zählen sein, dass der Angeklagte seine prozessuale Macht missbraucht und den Richter durch den Schein einer Ablehnung verunglimpft.66 Die Alternative ist gleichwohl entbehrlich, weil in den meisten Fällen die Nummern 1 und 2 durchschlagen. Liegen sie ausnahmsweise nicht vor, wird der Umstand, dass allein verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden, kaum nachweisbar sein. Für gewöhnliche Prozesse hat diese Alternative mithin kaum Bedeutung. Wird sie in 29 außergewöhnlichen Prozessen, wo der Angeklagte auch mit unfairen Mitteln kämpft – statt des Wegs nach 26a Abs. 1 Nr. 1 und 2 oder des § 27 –, angewendet, wird sie Anlass zu vermeidbaren Angriffen sein. Die Bedenklichkeit der Vorschrift (Rn. 4) wird nur wenig dadurch gemildert, dass Kollegialgerichte die Ablehnung nur einstimmig verwerfen dürfen (Absatz 2 Satz 2). g) Ablehnung des Gerichts als Ganzes. Ein Gericht als Ganzes, das heißt als Behörde, 30 kann nicht in einem Verhältnis stehen, das die Ausschließung nach §§ 22, 23 begründet. Eine Vorschrift über die Ablehnung eines Gerichts wurde nach den Motiven 67 für überflüssig erachtet, weil sich aus dem Inhalt des Abschnitts von selbst ergebe, dass sich die Ablehnung immer nur gegen einzelne Richter wenden könne. In Übereinstimmung mit dieser Begründung hat die Rechtsprechung von jeher daran festgehalten, dass ein Ablehnungsantrag vom abgelehnten Gericht in seiner regelmäßigen Zusammensetzung als unzulässig zurückgewiesen werden muss, wenn er gegen ein Gericht als Ganzes oder gegen alle Richter oder alle Kammern oder Senate eines Gerichts oder gegen eine Kammer oder einen Senat als Spruchkörper (und nicht gegen die ihn darstellenden Richter) vorgebracht wird.68 Die (unzulässige) Ablehnung eines Gerichts als Ganzes ist in § 26a nicht geregelt. Die 31 Begründung bemerkt dazu, § 26a gelte nur für die Ablehnung eines einzelnen Richters, nicht für die Ablehnung des Gerichts (oder eines seiner Spruchkörper) als solches. Derartige Anträge seien, führt die Begründung weiter aus, wie durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt, vom Gericht in seiner gewöhnlichen Besetzung zu verwerfen.69 Mit § 26a soll dem Gericht die Möglichkeit eröffnet werden, unzulässige Anträge in 32 seiner gewöhnlichen Besetzung zu verwerfen (Rn. 39). Damit soll durch Gesetz bestimmt

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64 65

Der Entwurf 1939 hatte die vereinfachte Verwerfung offenbar mutwilliger Gesuche vorgeschlagen (§ 127). Die Kommission für die Reform des Strafprozesses hatte sie ausdrücklich abgelehnt (Prot. 2 202) mit der Begründung, dass der Begriff zu dehnbar sei und auch mit ihm doch nicht alle denkbaren Missbräuche verhindert werden könnten. BTDrucks. IV 178, S. 35. Kröpil AnwBl. 1997 577; Beispiele KG GA 1974 220; OLG Koblenz MDR 1977 425.

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KG JR 1966 230. Hahn Mat. 1 90. RGSt 27 175; 56 49; RG JW 1895 590; 1904 64; 1935 2894; LZ 1923 31; BGH bei Dallinger MDR 1955 271; OLG Schleswig SchlHA 1996 89; Günther NJW 1986 282; zur Ablehnung nicht namentlich genannter Richter des Bundesverfassungsgerichts s. BVerfGE 11 1; 46 200. BTDrucks. IV 178, S. 35; BGH bei Kusch NStZ 1995 18.

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werden, was die Rechtsprechung, und zwar auch für die Ablehnung eines ganzen Gerichts, zugelassen hatte. Es wäre daher zweckmäßig gewesen, die Ablehnung des Gerichtskörpers in den Katalog des § 26a Abs. 1 aufzunehmen. Auf jeden Fall stellt die Begründung klar, dass die bisherige Rechtsprechung gebilligt und ihre Fortführung als selbstverständlich angesehen wird. Da der Fall zu den klaren Fällen unzulässiger Ablehnung gehört, ist die Verwerfung auch weiterhin, wie in § 26a geregelt, ohne Ausscheiden des abgelehnten Richters in der gewöhnlichen Besetzung des Gerichts auszusprechen. Keine Ablehnung des Gerichts als Ganzes ist es, wenn der Antragsteller alle einzelnen 33 Richter namhaft macht, wenn auch nur dadurch, dass er auf die Sitzungsniederschrift verweist und angibt, warum er die Richter als befangen ansieht.70 Dabei ist es gleichgültig, ob der Ablehnende für alle Abgelehnten verschiedene Ablehnungsgründe angibt oder den gleichen Grund.71 Der Antrag ist auch zulässig, wenn der Ablehnende zwar das Gericht ablehnt, aus dem Ablehnungsgrund aber erkennbar wird, dass unter der Sammelbezeichnung des Gerichts dessen Berufsrichter abgelehnt werden sollen.72

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h) Verfrühte Anträge (§ 25, 15) betreffen noch keinen Richter, der (schon) zur Mitwirkung berufen ist. Dazu gehört eine Ablehnung aufgrund von Umständen, die zur Zeit nicht gegeben sind, sondern nur möglicherweise einmal eintreten werden,73 oder die Ablehnung eines Richters, der demnächst vielleicht einmal als nach der Geschäftsverteilung ursprünglich zuständiger 74 oder für einen ausscheidenden eintretender Richter entscheiden könnte.75 Die Entscheidung, dass ein Antrag verfrüht ist, ist ebenso eine Formalentscheidung 35 wie die, dass einer verspätet ist. Ebenso wie die Entscheidung, dass ein Antrag verspätet ist (Absatz 2 Nr. 1), ist daher auch die, dass ein Antrag verfrüht ist, im Verfahren nach § 26a zu treffen.

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i) Ablehnung im Gegenvorstellungsverfahren. Immer wieder versuchen Verfahrensbeteiligte mit Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare Entscheidungen im Wege des formlosen Rechtsbehelfs der Gegenvorstellung anzugreifen. Um ihre Position vermeintlich zu verbessern, werden die an der Entscheidung beteiligten Richter als befangen abgelehnt. Derartige Ablehnungsgesuche sind im Verfahren der Gegenvorstellung schlichtweg unzulässig.76 Dies folgt aus der Natur des Rechtsbehelfs, der für den Verfahrensfortgang ohne unmittelbaren Einfluss ist. Es handelt sich lediglich um eine Anregung an die Stelle, die bereits entschieden hat, die getroffene Entscheidung aufgrund vorgetragener Tatsachen bzw. rechtlicher Erwägungen nochmals zu überprüfen. Der Natur nach ist die Gegenvorstellung eine Petition, die zwar sachlich überprüft und beschieden werden muss,77 aber eine Berechtigung zur Ablehnung ausschließt.78

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j) Ablehnung im Verfahren nach § 33a. Die vorbeschriebene Rechtslage galt auch für das frühere Verfahren nach § 33a, weil auch dieses Verfahren der Sache nach eine Gegen-

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RG JW 1924 1252; BGHSt 23 202; KK/Pfeiffer 1. OLG Stuttgart Justiz 1994 188; Peters JR 1970 269. BGH bei Herlan MDR 1955 651; Günther NJW 1986 284. RGSt 66 391. OLG Colmar Alsb. 1 65.

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Günther NJW 1986 284. BGHR § 26a (Unzulässigkeit 8); BGH NStZ-RR 2005 173; OLG Düsseldorf NStE Nr. 6 zu § 24; OLG Schleswig MDR 2001 169 m. Anm. Schneider. LR/Hanack 25 vor § 296, 77 ff.; KK/Ruß Vor § 296, 4. OLG Düsseldorf NStE Nr. 6 zu § 24.

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vorstellung 79 war. Die seit dem 1.1.2005 geltende Neufassung des § 33a durch das Anhörungsrügengesetz 80 hat daran aber Entscheidendes geändert. Nunmehr ist ausdrücklich ein eigenständiger Rechtsbehelf 81 eingeführt worden, mit dem der Anhörungsverstoß gerügt werden kann. Dieser Rechtsbehelf führt bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zum Fortfall der getroffenen Entscheidung und deren Rechtskraft.82 Indem das Verfahren in die Lage zurückversetzt wird, die vor dem Erlass der Entscheidung bestand, bedeutet dies konsequenter Weise auch, dass in diesem Verfahrensstadium wieder Ablehnungsgesuche gestellt werden können. Dies folgt nicht nur daraus, dass § 33a insoweit keinerlei Ausnahmen oder Beschränkungen vorsieht, sondern auch daraus, dass an der neu zu treffenden Entscheidung andere Richter mitwirken können. In der Sache ist das Verfahren dem der Wiedereinsetzung vergleichbar.83 Dies gilt allerdings dann nicht, wenn der behauptete Gehörsverstoß nicht festgestellt werden kann.84 Anderenfalls würde die Verspätungsregelung in § 25 schlichtweg unterlaufen. 3. Verfahren (Absatz 2) a) Gericht. § 27 Abs. 1 lautete früher: Über das Ablehnungsgesuch entscheidet das 38 Gericht, dem der Abgelehnte angehört. Der Satz ist in § 27 Abs. 1 der geltenden Fassung wiederholt für den Fall, dass die Ablehnung nicht als unzulässig verworfen wird, allerdings mit dem klarstellenden Zusatz „ohne dessen Mitwirkung“. Da § 26a gegenüber § 27 die Vereinfachung enthalten soll, dass das Gericht unter Mitwirkung des abgelehnten Richters befinden soll,85 ist in § 26a unter Gericht dasjenige gemeint, dem der Abgelehnte angehört. Wie in § 27 Abs. 1 ist daher von Rechts wegen und ohne eine Möglichkeit der Änderung durch die Geschäftsverteilung das Gericht in der Gestalt zuständig, in der es vermöge sachlicher und örtlicher Zuständigkeit und der Geschäftsverteilung berufen ist, in der Strafsache tätig zu sein, bei der es zur Ablehnung kommt (§ 27, 4). b) Zuständigkeit. Es entscheidet das mit der Sache befasste Gericht. Während der 39 Hauptverhandlung beschließt das vollbesetzte Gericht.86 Es scheiden keine Mitglieder aus, weder der abgelehnte Richter noch Schöffen. Aus diesem Grund kann die Beratung auch im Sitzungszimmer mit leiser Stimme gehalten werden. Allerdings wird ein solches Verfahren fast nie angebracht sein, das Gericht sich vielmehr wohl stets ins Beratungszimmer zurückziehen. Dadurch wird die Hauptverhandlung unterbrochen. Dies muss aber nicht sogleich geschehen, denn § 29 Abs. 2 Satz 1 sieht auch für das nach § 26a ablaufende Verfahren die danach gegebenen Fortsetzungsmöglichkeiten der Hauptverhandlung vor. Im Fall der auswärtigen Strafkammer (§ 78 GVG), die eine Zuständigkeit nur für die 40 Hauptverhandlung hat (§ 27, 6), entscheidet diese über den Ablehnungsantrag und nicht die Strafkammer des Landgerichts. Außerhalb der Hauptverhandlung ergeht die Entscheidung in Beschlussbesetzung 41 unter Beteiligung des abgelehnten Richters. Ist das Gericht ein einzelner (untersuchender oder entscheidender) Richter, wie der Ermittlungsrichter (§ 169), der ersuchte Richter (§ 157 GVG), der Richter beim Amtsgericht im vorbereitenden Verfahren (§ 162 Abs. 1,

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BGHR aaO. BGBl. I 2004 S. 3220. BTDrs. 15/3706 S. 13. BTDrs. 15/3706 S. 18. BTDrs. 15/3706 S. 18.

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S. a. BGH NStZ-RR 2005 173. Begr. BTDrucks. IV 178, S. 35. Heute allg. M.; vgl. KK/Pfeifer 5; MeyerGoßner 8.

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§ 165, § 128 Abs. 1), der Strafrichter (§ 25 GVG) oder der Jugendrichter (§ 39 JGG), dann entscheidet er selbst (Absatz 2 Satz 3). Insoweit folgt Satz 3 aus Satz 1; er soll ohne eigenen Inhalt die Rechtslage nur verdeutlichen und den Unterschied zu § 27 Abs. 3 deutlich machen. Bei dem beauftragten Richter (§ 66b Abs. 1, § 173 Abs. 3, § 223 Abs. 1, § 233 42 Abs. 2, § 369 Abs. 1, § 415 Abs. 2) könnte, wenn nur die Regelung des Satzes 1 zur Verfügung stünde, zweifelhaft sein, ob er selbst zu entscheiden hat oder das Gericht, dem er angehört. Für diesen Fall wird in Absatz 2 Satz 3 die ausdrückliche gesetzliche Anordnung getroffen, dass er allein entscheidet. Das ist sinnvoll, weil die Vorschrift vermeiden will, dass Amtshandlungen unterbrochen werden.

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c) Entscheidung. Die Entscheidung ergeht als Beschluss (§ 28). Für die Beschlussfassung ist Stimmenmehrheit (§ 196 GVG) erforderlich. Im Fall des Abs. 1 Nr. 3 wird für eine Verwerfung jedoch Einstimmigkeit verlangt (Abs. 2 Satz 2). Die Unzulässigkeit ist allein aus dem Inhalt und aus der Anbringung (Begründung, 44 Glaubhaftmachung, Zeitpunkt) des Gesuchs herzuleiten. Grundsätzlich ist eine Beweisaufnahme ausgeschlossen. Während der Hauptverhandlung – der Regelfall der Vorschrift – sind die Beteiligten nach § 33 Abs. 1 zu hören. Wird außerhalb der Hauptverhandlung entschieden, hat sich vor dem Beschluss die Staatsanwaltschaft zu erklären (§ 33 Abs. 2). Sonst Beteiligte (§ 33 Abs. 3) sind zu hören, weil ihnen ein Nachteil daraus erwachsen kann, dass ein Ablehnungsantrag als unzulässig verworfen wird. Denn im Rechtsmittelverfahren könnte das Urteil aufgehoben werden, weil der Antrag in Wahrheit nicht unzulässig war. Durch Beweisverlust in der neuen Hauptverhandlung könnte ihnen in ihren Rechten ein Nachteil entstehen.

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d) Begründung. Der eine Ablehnung verwerfende Beschluss ist zu begründen (§§ 28 Abs. 2, 34). Für Nummer 3 (Verschleppung) ist das in Absatz 2 Satz 2 ausdrücklich hervorgehoben. Der Beschluss muss in diesem Fall darlegen, aus welchen Umständen sich ergibt, dass der Ablehnende gar nicht das Ausscheiden des abgelehnten Richters, sondern lediglich (Rn. 22) eine Verzögerung der Hauptverhandlung erreichen wollte.87 Sonst ist der Ablehnungsgrund (Nr. 1; Nr. 2) anzugeben und die Verwerfung in der Regel – wenn auch kurz, so doch so eindeutig – zu begründen, so dass dem Beschwerdegericht eine sachliche Nachprüfung möglich ist.88 Der Gegenschluss,89 weil nur für den Fall der Nr. 3 eine Begründung vorgeschrieben sei, könne die Begründung bei fehlender Glaubhaftmachung der Rechtzeitigkeit (§ 26 Abs. 2 Satz 1, 2. Alternative) unterbleiben, ist im Hinblick auf § 34 und § 28 Abs. 2 nicht statthaft. An sich ist die Vorschrift, dass die Umstände angegeben werden müssen, die den Ver46 werfungsgrund angeben, weil selbstverständlich, entbehrlich. Denn es ist ohnehin unzureichend, den Gesetzeswortlaut formelhaft wiederzugeben (§ 34, 6). Der Beschluss enthält keine Kostenentscheidung.90 47

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e) Bekanntmachung. Zur Bekanntmachung ist der Beschluss zuzustellen (§ 35 Abs. 2 Satz 1), wenn er in der Hauptverhandlung ergeht, zu verkünden. In diesem Fall ist die 87 88

BGH bei Dallinger MDR 1973 375; BayObLGSt 1972 218 = VRS 44 (1973) 206. BayObLGSt 1972 218 = VRS 44 (1973) 206; OLG Köln StV 1991 292; KK/Pfeiffer 4; KMR/Bockemühl 15; SK/Rudolphi 14; Meyer-Goßner 9.

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So bis zur 33. Aufl. Kleinknecht 2. HK/Lemke 15; KMR/Bockemühl 15; MeyerGoßner 10.

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Entscheidung zu protokollieren und § 274 anzuwenden. Der Ablehnende erhält, wenn er es verlangt, eine Abschrift, aber regelmäßig erst nach Schluss der Hauptverhandlung (§ 27, 50). Da der abgelehnte Richter an der Entscheidung mitwirkt, nimmt er auch an der Verkündung teil. Namentlich verkündet also der Vorsitzende die Entscheidung auch dann, wenn sich die Ablehnung gegen ihn gerichtet hatte. f) Rechtsmittel. Wegen der Anfechtungsmöglichkeiten vgl. § 28, 10; 27 ff. sowie 49 § 338 Nr. 3.

§ 27 (1) Wird die Ablehnung nicht als unzulässig verworfen, so entscheidet über das Ablehnungsgesuch das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung. (2) Wird ein richterliches Mitglied der erkennenden Strafkammer abgelehnt, so entscheidet die Strafkammer in der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung vorgeschriebenen Besetzung. (3) 1Wird ein Richter beim Amtsgericht abgelehnt, so entscheidet ein anderer Richter dieses Gerichts. 2Einer Entscheidung bedarf es nicht, wenn der Abgelehnte das Ablehnungsgesuch für begründet hält. (4) Wird das zur Entscheidung berufene Gericht durch Ausscheiden des abgelehnten Mitglieds beschlußunfähig, so entscheidet das zunächst obere Gericht.

Schrifttum. Pentz Formelle Fragen der Richterablehnung unter besonderer Berücksichtigung der geschäftsmäßigen Behandlung, JVBl. 1963 185; Voormann Die mehrfache Ablehnung von Richtern im Strafverfahren, NStZ 1985 444. Weiteres Schrifttum siehe bei § 24.

Entstehungsgeschichte. § 27 hatte ursprünglich nur den Inhalt der jetzigen Absätze 1, 3 und 4 mit der Maßgabe, dass in den Fällen des Absatzes 3 das Landgericht zu entscheiden hatte. Absatz 2 ist eingefügt worden durch § 21 Abs. 2 der EmmingerVO in Verb. mit der Bekanntmachung 1924. Durch die Dritte VereinfVO wurde die Entscheidungsbefugnis der Stelle übertragen, der die Dienstaufsicht über den Richter zusteht. Art. 3 Nr. 10 VereinhG hatte die frühere Fassung wiederhergestellt. Durch Art. 5 Nr. 5 StPÄG 1964 sind in Absatz 1, zur deutlichen Abgrenzung von § 26a Abs. 2 Satz 1, die Worte eingefügt worden „ohne dessen Mitwirkung“ und ist in Absatz 3 zur Entscheidung über Ablehnungen eines Richters beim Amtsgericht anstelle des Landgerichts ein anderer Richter jenes Amtsgerichts befugt worden. Durch Art. 1 Nr. 6 des 1. StVRG sind Bestimmungen entfernt worden, die sich auf Schwurgerichte und Untersuchungsrichter bezogen. Von dort stammen auch die neuen Richterbezeichnungen. Übersicht Rn. 1. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidendes Gericht a) Zuständiges Gericht . . . . . . . . . . b) Entscheidender Spruchkörper . . . . . c) Oberlandesgericht und Bundesgerichtshof (Absatz 1) . . . . . . . . . . . . .

1 4 7 11

Rn. d) Strafkammer (Absatz 2) . . . . . . e) Richter beim Amtsgericht (Absatz 3 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . f) Beschlussunfähigkeit (Absatz 4) . . g) Obere Gerichte . . . . . . . . . . 3. Verfahren

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16 18 21

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§ 27

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften Rn.

a) Gericht . . . . . . . . . . . . . . . b) Entbehrliche Entscheidung (Absatz 3 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . c) Entscheidung . . . . . . . . . . . d) Rechtliches Gehör . . . . . . . . . e) Reihenfolge der Entscheidungen . .

. .

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. . . .

27 30 34 35

. . . .

Rn. f) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Mitwirkung an der Entscheidung . . . g) Ablehnende Entscheidungen . . . . h) Stattgebende Entscheidungen . . . i) Bekanntmachung . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

40 41 44 47

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1. Inhalt. § 27 regelt das Ablehnungsverfahren, wenn keine Entscheidung nach § 26a getroffen werden kann oder getroffen worden ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob dessen Anwendung unzulässig, zweifelhaft oder nur übersehen war. Über das Ablehnungsgesuch ist in Unterbrechung der Hauptverhandlung in einem besonderen Zwischenverfahren in Beschlussbesetzung zu entscheiden. Der nach § 27 zur Beschlussfassung berufene Spruchkörper darf, wie schon ausgeführt (§ 26a, 5), die Entscheidung nicht mit der Begründung ablehnen, es könne im vereinfachten Weg des § 26a entschieden werden. Denn sonst könnte wegen der Verschiedenheit der Besetzung ein negativer Kompetenzkonflikt entstehen, für den keine Lösung vorgesehen ist. Mit dem Ausschluss des abgelehnten Richters von der Entscheidung über das Ab2 lehnungsgesuch trägt die Regelung der Einsicht Rechnung, dass einem abgelehnten Richter regelmäßig die innere Unbefangenheit und Unparteilichkeit fehlen wird, wenn er über die gegen seine Unbefangenheit vorgebrachten Bedenken selbst entscheiden müsste.1 Der Begriff Gericht ist derselbe wie in § 26 Abs. 1 (§ 26, 1) 2 und in § 26a Abs. 1, 3 Abs. 2 Satz 1 (§ 26a, 37), doch enthalten die Absätze 3 und 4 Ausnahmen. Obwohl Absatz 1 im Gegensatz zu § 26 Abs. 1 und § 26a Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 statt vom „Richter“ von dem „Abgelehnten“ spricht, bezieht sich § 27, namentlich dessen Absatz 2 und 3, wie sich für diese Bestimmungen aus dem Wortlaut ergibt und wie zudem für Absatz 1 und 4 aus § 31 Abs. 2 folgt, nur auf die sog. „richterlichen Mitglieder“ (§ 27 Abs. 2). Wegen dieses Begriffs: Vor § 22, 5. 2. Entscheidendes Gericht

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a) Zuständiges Gericht. Unter dem Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ist nicht das Gericht als institutionelle Einrichtung im Sinne des § 12 zu verstehen, sondern gemeint ist der jeweilige Spruchkörper, der zur Entscheidung in der Sache berufen ist. Aus den Worten „ohne deren Mitwirkung“ folgt zugleich, dass von Rechts wegen und ohne dass eine abweichende Geschäftsverteilung möglich ist, das Gericht in der Gestalt zuständig ist, in der es nach der sachlichen Zuständigkeit, dem Gerichtsstand und nach der auf die Strafsache bezogenen Geschäftsverteilung berufen ist, in der Strafsache tätig zu sein, in der es zur Ablehnung kommt.3 Hiervon gibt es nur zwei Ausnahmen für die auswärtigen Strafsenate und namentlich 5 die auswärtigen Strafkammern, denen keine volle Zuständigkeit verliehen ist. Nach § 116 Abs. 2 Satz 1 GVG können außerhalb des Sitzes des Oberlandesgerichts für den Bezirk eines oder mehrerer Landgerichte Strafsenate gebildet und ihnen für diesen Bezirk die

1 2 3

BGH NJW 1984 1909; HK/Lemke 1; KK/Pfeiffer1. BGH NJW 1959 1141. OLG Zweibrücken NJW 1968 1430; MDR

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1971 861; für die Strafvollstreckung KG MDR 1987 606; a.A. OLG Karlsruhe MDR 1979 1045.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 27

gesamte Tätigkeit des Strafsenats des Oberlandesgerichts oder ein Teil dieser Tätigkeit zugewiesen werden. Nach § 78 Abs. 1 Satz 1 GVG kann bei einem Amtsgericht für den Bezirk eines oder mehrerer Amtsgerichte eine Strafkammer gebildet und ihr für diesen Bezirk die gesamte Tätigkeit der Strafkammer des Landgerichts oder ein Teil dieser Tätigkeit zugewiesen werden. Ist dem Spruchkörper nur die Tätigkeit als erkennendes Gericht in der Hauptverhand- 6 lung zugewiesen,4 so ist für alle Entscheidungen, die außerhalb der Hauptverhandlung ergehen, also auch für solche über die Richterablehnung, der Strafsenat des Oberlandesgerichts oder die Strafkammer des Landgerichts zuständig, die nach der Geschäftsverteilung berufen ist, die nicht übertragenen Sachen zu erledigen.5 Es handelt sich um seltene Fälle. In der Regel wird die Strafkammer beim Amtsgericht die volle Zuständigkeit haben, auf jeden Fall aber als erkennendes Gericht, also von der Eröffnung bis zur Endentscheidung auch außerhalb der Hauptverhandlung, zuständig sein. b) Entscheidender Spruchkörper. Aus § 29 ergibt sich, dass die Ablehnung, auch wenn sie unbegründet ist, den Richter zu richterlichen Handlungen grundsätzlich unfähig macht. Aus § 26a Abs. 2 folgt, dass der Grundsatz eine Ausnahme erleidet, wenn ein Ablehnungsgesuch verworfen wird, weil es aus den dort genannten Gründen (und ebenso, weil es als verfrüht oder das Gericht als Ganzes abgelehnt wird; § 26a, 29 f.) unzulässig ist. Demzufolge bestimmt Absatz 1, dass der abgelehnte Richter bei der Entscheidung über das wider ihn gerichtete Gesuch nicht mitwirken darf, wenn es nicht nach § 26a als unzulässig verworfen wird.6 Der abgelehnte Richter hat also alsbald auszuscheiden, nachdem ein Ablehnungsgesuch angebracht worden ist,7 das nicht erkennbar unzulässig ist. Für die Hauptverhandlung folgt daraus, dass der Zwischenstreit über die Ablehnung nicht in ihr erledigt werden kann. Denn die Hauptverhandlung kann nach § 226 nur in ununterbrochener Gegenwart der zur Urteilsfindung berufenen Richter stattfinden. Demzufolge muss für den Zwischenstreit notwendigerweise die Hauptverhandlung unterbrochen und über die Ablehnung in einer Beschlusssitzung entschieden werden.8 Auch wenn sofort im Gerichtssaal über das Ablehnungsgesuch verhandelt wird, ist das kein Teil der Hauptverhandlung 9 (§ 26, 2). Da der Zwischenstreit keine Hauptverhandlung ist, wirken die Schöffen an der Entscheidung nicht mit. Deswegen kann die Zahl der richterlichen Mitglieder ggf. geringer als in der Hauptverhandlung sein (§ 122 Abs. 1 Satz 1, § 139 Abs. 1, § 76 Abs. 1 Satz 2 GVG).10 Wenngleich der Ausschluss der Schöffen in Absatz 2 ausdrücklich nur für die Strafkammer bestimmt ist, folgt dies für das Schöffengericht aber ebenso aus der Tatsache, dass die Hauptverhandlung für den Zwischenstreit zu unterbrechen ist. Deswegen ist diese Bestimmung an sich überflüssig. Auf der anderen Seite ist die Vorschrift unvollkommen, weil sie nicht regelt, in welcher Besetzung erstinstanzlich entscheidende Strafsenate des Oberlandesgerichts sonstige Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung zu treffen haben. Für diese folgt aus der Notwendigkeit, außerhalb der Hauptverhandlung in Beschlussbesetzung zu entscheiden: Wird lediglich ein Richter eines erstinstanzlichen Senats des Oberlandesgerichts 4 5 6 7 8

Wie in dem RGSt 44 118 entschiedenen Fall. RGSt 41 119. Voormann NStZ 1985 445. RGSt 13 305. RGSt 13 304.

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RGSt 21 251; 49 9; BGH NStZ 1996 398; KK/Pfeiffer 1; KMR/Bockemühl 2; MeyerGoßner 2; Krey JA 1984 576. RGSt 49 11.

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(§ 122 Abs. 2 Satz 1 GVG) abgelehnt, so hat ein weiterer Richter auszuscheiden (§ 122 Abs. 1 GVG), und zwar, soweit sich die dafür erforderliche Besetzung nicht aus der Geschäftsverteilung ergibt, das dienstjüngste Mitglied; eine Überbesetzung (vier statt drei Mitglieder) ist unzulässig.11

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c) Oberlandesgericht und Bundesgerichtshof (Absatz 1). Werden Richter der Strafsenate der Oberlandesgerichte und des Bundesgerichtshofs abgelehnt, entscheidet der Strafsenat, dem der abgelehnte Richter angehört. Wird ein Richter eines auswärtigen Strafsenats des Oberlandesgerichts § 116 Abs. 2 GVG) abgelehnt, entscheidet dieser, wenn er die volle Zuständigkeit hat. Während des Hauptverfahrens entscheidet er auch dann, wenn er die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts hat. Ist ihm nur die Tätigkeit in der Hauptverhandlung zugewiesen – ein kaum denkbarer Fall –, entscheidet über Ablehnungen, die während der Hauptverhandlung angebracht werden, der nach der Geschäftsverteilung zuständige Strafsenat des Oberlandesgerichts, da die Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung ergeht (Rn. 1). Das Oberlandesgericht beschließt stets in der Besetzung von drei Mitgliedern mit Ein12 schluss des Vorsitzenden (§ 122 Abs. 1 GVG). Der Bundesgerichtshof entscheidet mit fünf Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden (§ 139 Abs. 1 GVG), weil die Ablehnungsentscheidung in dem geschlossenen Katalog des § 139 Abs. 2 Satz 1 nicht aufgeführt ist. Für Ablehnungsanträge gegen einen Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs oder des Oberlandesgerichts (§ 169 Abs. 1), der in dieser Funktion keinem Senat zugeordnet ist, sondern in seinem Geschäftsbereich allein und eigenverantwortlich handelt, enthält das Gesetz keine Regelung, wer darüber zu entscheiden hat. Insoweit besteht jedoch Einigkeit, dass die Entscheidung nicht der Strafsenat trifft, sondern ein anderer Ermittlungsrichter, der im Geschäftsverteilungsplan zu bestimmen ist 12 oder der Vertreter des abgelehnten Richters. Soweit dies in der Vorauflage aus der Regelung des Absatzes 1 abgeleitet worden ist, wird hier daran nicht festgehalten, weil es sich beim Ermittlungsrichter nicht um einen von Absatz 1 vorausgesetzten Spruchkörper handelt. Deswegen ist es näher liegend, die für den Ermittlungsrichter beim Amtsgericht getroffene Regelung in Absatz 3 auch entsprechend für die Ermittlungsrichter beim Oberlandesgericht und beim Bundesgerichtshof anzuwenden.13

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d) Strafkammer (Absatz 2). Werden richterliche Mitglieder der erkennenden großen Strafkammer (§ 74 Abs. 1 und 2, § 74a Abs. 1, § 74c Abs. 1 i.V.m. § 76 GVG) oder der Jugendkammer (§ 33 Abs. 2 und 3 JGG) abgelehnt, dann entscheidet die Strafkammer in der Besetzung von drei Mitgliedern mit Einschluss des Vorsitzenden (§ 76 Absatz 1 Satz 2 GVG). Zur Frage der Entscheidungszuständigkeit über die Ablehnung des Vorsitzenden der kleinen Strafkammer oder des nach § 76 Abs. 3 GVG hinzugezogenen zweiten Richters enthält § 27 keine ausdrückliche Regelung. Es bestehen aber keine Bedenken, hier die in Absatz 3 für den Richter beim Amtsgericht getroffene Regelung entsprechend anzuwenden (Rn. 16). Allerdings sollte der andere Richter möglichst nicht der Vertreter des abgelehnten Richters sein, zumal da die Möglichkeit nicht völlig auszuschließen sein dürfte, dass dieser besonders hohe Anforderungen an die Voraussetzungen einer Befangenheit stellen könnte, weil (im Fall der Bejahung der Befangenheit) er nunmehr in der Sache selbst entscheiden müsste.

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RGSt 49 11. BGH bei H.-W. Schmidt MDR 1986 179; KK/Pfeiffer 4.

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So auch Meyer-Goßner 7; KK/Pfeiffer 4; HK/Lemke 9; SK/Rudolphi 8.

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Wird ein richterliches Mitglied einer bei einem Amtsgericht gebildeten (auswärtigen) 14 Strafkammer (§ 78 GVG) abgelehnt, entscheiden die verbleibenden Berufsrichter unter Hinzuziehung des nach der Geschäftsverteilung zur Vertretung berufenen Ersatzrichters (vgl. Rn. 17, 20), wenn die Kammer die volle Zuständigkeit hat. Während des Hauptverfahrens entscheidet sie auch dann, wenn sie die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts hat. Dabei ist es gleichgültig, ob die abgelehnten Richter solche beim Landgericht oder beim Amtsgericht (vgl. § 78 Abs. 2 Satz 1 GVG) sind. Ist der auswärtigen Strafkammer nur die Tätigkeit in der Hauptverhandlung zuge- 15 wiesen – ein Fall, der vermieden werden sollte –, entscheidet, weil die Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung ergeht, über Ablehnungen, die während der Hauptverhandlung angebracht werden, die nach der Geschäftsverteilung zuständige Strafkammer des Landgerichts. e) Richter beim Amtsgericht (Absatz 3 Satz 1). Wird ein Richter beim Amtsgericht 16 abgelehnt, gleichviel ob er als Vorsitzender Richter des Schöffengerichts (§ 29 Abs. 1 GVG), als zweiter Richter beim erweiterten Schöffengericht (§ 29 Abs. 2 GVG), als Strafrichter (§ 25 GVG) oder als ersuchter Richter tätig wird, so entscheidet ein anderer Richter beim Amtsgericht, bei einem einstelligen Amtsgericht der nach § 22b Abs. 1 GVG bestellte Vertreter. Einer Entscheidung bedarf es nicht, wenn der Abgelehnte das Ablehnungsgesuch für begründet hält (Absatz 3 Satz 2). Voraussetzung dafür ist allerdings, dass er das Ablehnungsgesuch überhaupt für zulässig hält (Rn. 27 ff). Ist der abgelehnte Richter beim Amtsgericht ersuchter Richter, steht die Entscheidung 17 einem anderen Richter desjenigen Amtsgerichts zu, dem der ersuchte Richter angehört, nicht einem des ersuchenden Gerichts. Wird der Richter beim Amtsgericht als Mitglied einer auswärtigen Strafkammer (§ 78 Abs. 2 GVG) abgelehnt, gilt nicht Absatz 3, sondern Absatz 2 (Rn. 14). Welcher andere Richter beim Amtsgericht zur Entscheidung zuständig ist, bestimmt sich nach der Geschäftsverteilung (§ 21e Abs. 1 GVG). f) Beschlussunfähigkeit (Absatz 4). Wird das zur Entscheidung zuständige Gericht 18 dadurch beschlussunfähig, dass der abgelehnte Richter ausscheidet, entscheidet das zunächst obere Gericht. Denn der Grundsatz, dass die Gerichte nur in der im Gerichtsverfassungsgesetz bestimmten Richterzahl entscheiden dürfen,14 lässt auch bei der Erledigung von Ablehnungsanträgen keine Ausnahme zu. Beschlussunfähig ist das Gericht, wenn nicht so viele nach der Geschäftsverteilung zur Vertretung berufene Richter zur Verfügung stehen, als erforderlich sind, den abgelehnten Richter zu ersetzen. Vorstellbar ist insoweit, dass bei einem kleineren Amtsgericht alle für die Entscheidung in Betracht kommenden Richter sich wegen möglicher Befangenheit selbst ablehnen (§ 30). Im Übrigen dürfte dieser Fall nach Auflösung der kleinen Amtsgerichte praktisch kaum auftreten. Das Gericht ist nicht beschlussunfähig, wenn die erforderliche Richterzahl nur, etwa 19 zufolge anderer Sitzungen, an einem bestimmten Tag fehlt.15 Scheiden der Vorsitzende Richter und sämtliche Mitglieder der Kammer aus, so wird diese dadurch so lange noch nicht beschlussunfähig, als der Vorsitzende, in Ausnahme von § 21f Abs. 2 GVG, durch das Mitglied einer anderen Kammer ersetzt werden kann.16 Für die Ersetzung kommt es nicht nur auf die Vertreter (§ 21e Abs. 1 Satz 1 GVG) an. Ein Gericht ist vielmehr 14 15

Hahn Mat. 1 91. RGSt 40 436; OLG Kassel GA 37 (1889) 449; Meyer-Goßner 8.

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BGH NJW 1959 1141.

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so lange nicht beschlussunfähig, als die Beschlussfähigkeit durch das Präsidium (§ 21e Abs. 1 Satz 1 GVG) in sinngemäßer Erweiterung (vgl. § 67 GVG a.F.) des doch recht unvollkommen formulierten § 21e Abs. 3 GVG, notfalls durch den Präsidenten (§ 21i Abs. 2 Satz 1 GVG), hergestellt werden kann.17 Das Verfahren nach § 70 Abs. 1, § 117 GVG braucht nicht eingeschlagen zu werden.18 Werden Richter einer auswärtigen Strafkammer (§ 78 GVG) abgelehnt, kommt es für 20 die Beschlussunfähigkeit auf die Besetzung der auswärtigen Strafkammer an,19 nicht auf die der Strafkammer des Landgerichts. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob es zur Zuständigkeit der auswärtigen Strafkammer gehört, über die Richterablehnung zu entscheiden (Rn. 5, 6).

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g) Obere Gerichte i.S. des Absatzes 4 sind im Fall des Absatzes 3 Satz 1 das Landgericht,20 im Übrigen das Oberlandesgericht und der Bundesgerichtshof. § 45 Abs. 1 ZPO bestimmt für den gleichen Fall als zuständig das „im Rechtszuge zunächst höhere Gericht“. Ebenso lautete § 21 im ersten Entwurf der Strafprozessordnung. Aber schon in der Reichstagsvorlage wurde die Wendung durch die Worte „das zunächst obere Gericht“ ersetzt. Die Änderung ist verständlich, weil wegen des Rechtsmittelzugs vom Landgericht zum Bundesgerichtshof eine von der Zivilprozessordnung abweichende Formulierung zumindest aus Gründen der Klarheit ratsam war. Bei dem Rechtsmittelsystem der Strafprozessordnung ist die Wortänderung eine Ent22 scheidung in der Sache.21 Das leugnete das Bayerische Oberste Landesgericht mit einem Hinweis auf die Motive.22 Die Bezugnahme auf die Motive ist verfehlt, weil diese versehentlich trotz Änderung der Vorlage noch in Anknüpfung an den ersten, inzwischen überholten Entwurf von dem „Gericht der höheren Instanz“ 23 sprechen. Nach der Ansicht des Bayerischen Obersten Landesgerichts wäre das zunächst obere Gericht das im Instanzenzug vorgesetzte. Da der Bundesgerichtshof dem Oberlandesgericht im Instanzenzug in der Mehrzahl aller Sachen nicht vorgesetzt ist, wäre er nach dieser Auffassung nur in Staatsschutzsachen für das Oberlandesgericht das zunächst obere Gericht, sonst aber für die Strafkammer, wenn diese in erster Instanz entscheidet. Folgerichtig wäre das Oberlandesgericht für das Landgericht nur dann das zunächst obere Gericht, wenn es diesem im Instanzenzug vorgesetzt ist, so wenn das Landgericht als Berufungsgericht (§ 121 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG) entscheidet oder eine mit Beschwerde anfechtbare Entscheidung (§ 304 Abs. 1, § 310 Abs. 1) erlässt. Danach wäre für den Instanzenzug die Prüfung notwendig, ob die Ablehnung in 23 Bezug auf eine künftige Entscheidung ergeht, die mit dem Urteil, oder auf eine solche, die mit der Beschwerde anfechtbar ist. Weil es aber auch innerhalb der Hauptverhandlung trotz § 305 Satz 1 Entscheidungen gibt, die mit Beschwerde anfechtbar sind, und weil die Ablehnung nicht in Bezug auf einzelne Entscheidungen, sondern für das ganze Verfahren ausgesprochen wird, verursacht die Auslegung des Bayerischen Obersten Landesgerichts Schwierigkeiten. Gerade solche Schwierigkeiten und die Notwendigkeiten, sowohl das zunächst obere Gericht klar festzulegen, als auch ein dem beschlussunfähig gewordenen möglichst nahes Gericht zu bestimmen, dürfen maßgebend dafür gewesen sein, § 27 Abs. 4 abweichend von § 45 Abs. 1 ZPO zu formulieren. 17 18 19

OLG Zweibrücken NJW 1968 1439; OLG Stuttgart MDR 1974 1035. RGSt 40 438. OLG Kassel GA 37 (1889) 450; Müller NJW 1963 616.

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LG Hannover NdsRpfl. 1966 275. John Anm. zu § 27. BayObLGSt 18 34. Hahn Mat. 1 91.

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Der Wortlaut des § 27 Abs. 4 muss daher für maßgeblich erachtet werden. Danach ist 24 das zunächst obere Gericht dasjenige Gericht, das unabhängig vom Instanzenzug in der Hierarchie der Gerichte an der nächsten Stelle über dem beschlussunfähig gewordenen steht.24 Damit erweist sich, dass das „zunächst obere“ Gericht (§ 27 Abs. 4, § 15) das gleiche obere Gericht ist wie das „gemeinschaftliche obere“ Gericht (Vor § 7, 33),25 soweit nicht bei diesem eine Verschiebung nach oben eintritt, weil es das für mehrere Bezirke oder Länder obere Gericht sein muss. Es entscheidet also das Landgericht, wenn das Amtsgericht, das Oberlandesgericht, wenn das Landgericht, und der Bundesgerichtshof, wenn das Oberlandesgericht beschlussunfähig geworden ist. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist kein oberes Gericht i.S. des § 27 Abs. 4. Sollte der schwer denkbare Fall eintreten, dass durch zulässige Ablehnungsanträge der Bundesgerichtshof beschlussunfähig wird, so wird man es für zulässig erachten müssen, dass die abgelehnten Richter mitwirken.26 3. Verfahren a) Gericht. Soweit nicht in Absatz 3 Satz 1 und 2 eine Sonderregelung vorgesehen ist, 25 entscheidet das Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört, nachdem dieser ausgeschieden ist. Der abgelehnte Richter darf auch nicht über den gegen einen gleichfalls abgelehnten anderen Richter gerichteten Antrag mit entscheiden, solange nicht der ihn betreffende Teil des Antrags erledigt ist (§ 29, 10). Wird durch das Ausscheiden die für die Entscheidung vorgeschriebene Richterzahl unterschritten, so ist das Gericht auf dem zu Rn. 19 aufgezeigten Weg zu ergänzen. Für den Richter beim Amtsgericht gilt das zu Rn. 16 und 17 Ausgeführte. Wird ein 26 beauftragter Richter (§ 66b Abs. 1, § 173 Abs. 3, § 223 Abs. 1 und 2, § 233 Abs. 2, § 289, § 369 Abs. 1, § 415 Abs. 2) abgelehnt, dann entscheidet – wenn er nicht Richter beim Amtsgericht ist und nach Absatz 3 Satz 2 verfahren wird (Rn. 16 und 17) – das Gericht, dem er angehört, nachdem er ausgeschieden und ein Ersatzmann eingetreten ist. Dasselbe gilt, wenn Richter, die in der Hauptverhandlung tätig werden sollen, vor der Hauptverhandlung abgelehnt werden, falls vor dieser entschieden wird.27 b) Entbehrliche Entscheidung (Absatz 3 Satz 2). Von einer Entscheidung kann abge- 27 sehen werden, wenn ein abgelehnter Richter beim Amtsgericht (Rn. 16 bis 18) – gleichviel ob er außerhalb eines Hauptverfahrens oder in der Hauptverhandlung abgelehnt wird – den Ablehnungsantrag für begründet hält, indem er in der nach § 26 Abs. 3 abzugebenden Äußerung die Ablehnungstatsachen als zutreffend anerkennt und – ebenso wie der Antragsteller, wenn auch vielleicht zufolge anderer Erwägungen – den Schluss zieht, dass er ausgeschlossen sei oder dass der Ablehnungsberechtigte besorgen könne, er sei befangen. Aufgrund der schriftlichen und unanfechtbaren (§ 28 Abs. 1) Erklärung steht zugleich fest, dass der Richter nicht mehr berufen ist, in dem Strafverfahren weiterhin mitzuwirken.28 Unsichere, fern liegende Möglichkeiten oder fragwürdige Schlüsse dürfen seine Erwägungen nicht leiten. Im Zweifel muss er die stets zulässige 29 Entscheidung eines anderen Richters beim 28 Amtsgericht herbeiführen. Die Staatsanwaltschaft kann hierauf antragen, doch zwingt 24 25 26

So auch HK/Lemke 10; KK/Pfeiffer 5; KMR/Bockemühl 10; SK/Rudolphi 10. Feisenberger 14. Puchelt 3 Abs. 6; Rasch DJZ 1915 97.

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RGSt 21 251; 22 136. OLG Düsseldorf MDR 1987 253. RGSt 5 438; RG GA 38 (1891) 425; RG LZ 1914 1571.

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das den abgelehnten Richter nicht zum Verfahren nach Absatz 3 Satz 1 oder 2, sondern nur zu neuer Prüfung. Nach dieser kann er bei dem Verfahren nach Satz 2 beharren. Die Entscheidung des anderen Richters beim Amtsgericht ist jedoch nicht entbehrlich, 29 wenn einem Richter beim Amtsgericht ein von ihm für begründet erachteter Ablehnungsgrund, der Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt, auf andere Weise als durch Ablehnung bekannt wird. In diesem Fall ist nach § 30 zu verfahren. Wird dem Richter beim Amtsgericht auf diese Weise ein Ausschließungsgrund bekannt, der zweifelsfrei gegeben ist, bedarf es keiner Entscheidung; bestehen Zweifel, findet § 30 Anwendung (§ 22, 48).

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c) Entscheidung. Das Gericht entscheidet über den behaupteten Ablehnungsgrund, wie er in dem Gesuch geltend gemacht worden ist und wie er sich durch die dienstliche Äußerung des Richters darstellt.30 Eine mündliche Verhandlung ist nicht vorgesehen.31 Jedoch kann das Gericht im Freibeweisverfahren Zeugen vernehmen und andere Beweise erheben.32 Wenn die Beweisaufnahme den Ablehnungsgrund nur zum Teil bestätigt, dann ist nur dieser Teil Entscheidungsgrundlage. Erbringt die Beweisaufnahme einen anderen Ablehnungsgrund, ist dieser nicht Gegenstand der Entscheidung, sondern muss neu angebracht werden.33 Über neu zutage getretene Ausschließungsgründe ist jedoch von Amts wegen zu entscheiden.34 Der abgelehnte Richter gibt die dienstliche Äußerung nach § 26 Abs. 3 schriftlich 31 ab;35 als Zeuge wird er nicht vernommen. Vom Ablehnenden benannte Zeugen werden vernommen,36 soweit dies aufgrund der dienstlichen Äußerung noch erforderlich ist; ihre Vereidigung ist zulässig, aber nicht notwendig. Das Gericht entscheidet abweichend vom Verfahren des § 26a (§ 26a, 37 ff.) immer – 32 sowohl außerhalb der Hauptverhandlung als auch während des Hauptverfahrens – in Beschlussbesetzung. Denn wenn der Richter während der Hauptverhandlung abgelehnt wird, ist diese, wie zu Rn. 8 ausgeführt, zum Zwischenstreit über die Ablehnung zu unterbrechen; der abgelehnte Richter – und wenn notwendig ein weiterer Richter (Rn. 10) – scheidet aus. Das Gericht entscheidet durch Beschluss (§ 28). Der Beschluss, durch den die Ableh33 nung als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen wird (§ 28 Abs. 2 Satz 1), ist, weil er durch ein Rechtsmittel angefochten werden kann (§ 28 Abs. 2), zu begründen; der stattgebende Beschluss kann ohne Begründung bleiben (§ 34).

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d) Rechtliches Gehör. Weil während der (unterbrochenen) Hauptverhandlung („außerhalb einer Hauptverhandlung“) entschieden wird, richtet sich das Gehör nach § 33 Abs. 2 und 3. Die Staatsanwaltschaft erklärt sich zur Ablehnung, zu der Äußerung des Richters und zu etwa erlangten Beweisergebnissen. Die anderen Beteiligten (Angeklagter, Privatkläger, Nebenkläger) sind, sofern sie den Richter nicht selbst abgelehnt haben, zu hören, wenn ihnen die Ablehnungstatsachen nicht durch den Ablehnungsvorgang – etwa in der Hauptverhandlung – bekannt geworden sind. Das kann alsbald formlos in der Weise geschehen, dass sie zu der Beschlusssitzung vorübergehend zugezogen werden, die dazu – als eine nichtöffentliche Sitzung – in den Verhandlungssaal verlegt werden mag. Eine mündliche Verhandlung findet jedoch nicht statt. 30 31 32 33

RGSt 60 44; HK/Lemke 13; Meyer-Goßner 9. RGSt 49 9, 11. RGSt 61 67, 70. Meyer-Goßner 9; a.A. BGH JR 1972 119 mit

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abl. Anm. Peters; Hamm NJW 1973 178; dazu § 26, 8. KK/Pfeiffer 6. BayObLG StV 1982 460. RGSt 61 70.

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e) Reihenfolge der Entscheidungen. In Fällen nacheinander eingehender und unterschiedlich begründeter Ablehnungsgesuche ist grundsätzlich in der Reihenfolge der Ablehnungen zu entscheiden.37 Werden sie gleichzeitig abgelehnt, ist in der Reihenfolge zu entscheiden, in der die Abgelehnten namentlich aufgeführt sind. Werden alle Richter einer Kammer oder eines Senats aus unterschiedlichen Gründen abgelehnt, sieht das Gesetz keine Lösung vor. Bisherige Lösungsvorschläge sehen – orientiert an Zweckmäßigkeitserwägungen – eine Entscheidung in der Reihenfolge vor, in der die Richter im Ablehnungsgesuch oder in der Geschäftsverteilung aufgeführt sind 38 oder nach dem Anfangsbuchstaben oder ihrem Dienstalter.39 Der BGH hat diese Frage nach wie vor offen gelassen. Soweit auch für das Ablehnungsverfahren als Zwischenstreit Anforderungen im Lichte des gesetzlichen Richters zu stellen sind,40 trägt dem allein die Anlehnung an die Reihenfolge in der Geschäftsverteilung hinreichend Rechnung, weil alle anderen Vorschläge entweder manipulierbar sind (willkürliche Namensfolge) oder nicht von vornherein abstrakt und eindeutig bestimmt sind. Die Reihenfolge im Geschäftsverteilungsplan steht dagegen für das Geschäftsjahr von vornherein und nach außen nachvollziehbar fest. Aus der hier vertretenen Lösung folgt, dass zunächst über das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden und sodann unter dessen Mitwirkung über das Gesuch gegen den nächsten Richter usw. zu entscheiden ist. Anders ist dagegen ist die Lage in den weit häufiger gegebenen Fällen, in denen ein Ablehnungsgesuch zugleich gegen mehrere erkennende Richter eingereicht wird und in denen die Ablehnungsgründe in Verbindung zueinander stehen. In diesen Fällen ist es sachgerecht, nicht das zuvor beschriebene langdauernde und umständliche Verfahren einzuschlagen, sondern in einer einzigen einheitlichen Entscheidung über alle Gesuche gleichzeitig zu entscheiden.41 Dafür sprechen Sinn und Zweck der Ausschließungsvorschriften.42 Anderenfalls müsste sonst jeweils ein Richter nach Ablehnung des gegen ihn gerichteten Gesuchs auch über die gegen ihn selbst vorgetragenen Ablehnungsgründe grundsätzlich mitentscheiden. Das aber widerspräche der Regelung des § 27.43 Werden jedoch Richter, die zur Mitwirkung berufen sind, und gleichzeitig Richter abgelehnt, die, falls nicht nach § 26a entschieden werden sollte, zur Ergänzung (Rn. 25) eintreten, dann ist, wenn nicht nach § 26a, sondern nach § 27 entschieden wird (§ 26a, 5), über den Ablehnungsantrag gegen die eintretenden Richter vorab zu entscheiden, und zwar in der Reihenfolge der Ablehnungen. Dadurch wird erreicht, dass, wenn ein Ablehnungsantrag für unbegründet erklärt wird, der zu Unrecht abgelehnte Richter alsbald (Rn. 38) wieder mitwirken kann.44 37 38

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BGH NStZ 1996 144; KMR/Bockemühl 15. OLG Schleswig SchlHA 1982 31; Frohne NStZ 1984 473; KK/ Pfeiffer 6; LR/ Wendisch 25 35; a.A. OLG Hamburg MDR 1984 512; OLG Frankfurt StV 1984 449; LG Münster NStZ 1984 472; Meyer-Goßner 3 (anders noch Kleinknecht/Meyer 36 4); offengelassen BGHSt 21 337; für den Zivilprozess Günther NJW 1986 289. Vgl. Voormann NStZ 1985 444. Das könnte zweifelhaft sein, weil Art. 101 GG primär auf den erkennenden Richter ausgerichtet ist (vgl. BVerfGE 17 298; 18 425; 31 54; 40 360). BGHSt 44 26 = StV 1999 464 m. Anm. Zieschang; Meyer-Goßner 4.

42 43 44

Zieschang StV 1999 468. Zieschang StV 1999 468; auf dieser Linie liegt auch BGH NStZ 1984 419. BGHSt 21 337; BGH NJW 1996 1159 = NStZ 1996 144. Voormann, NStZ 1985 445, spricht sich für folgende Regelung aus: Bei der mehrfachen Ablehnung von erkennenden Richtern sollten – und zwar durch einheitlichen Beschluss – die nicht abgelehnten Berufsrichter sowie die geschäftsplanmäßigen Vertreter der abgelehnten Richter entscheiden; eine gesonderte – und zwar im voraus zu treffende – Entscheidung sei nur erforderlich, soweit das Ablehnungsgesuch auch einen Vertreter betrifft.

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Diese in Rn. 35 ff. dargelegte Reihenfolge hat auch das obere Gericht (Rn. 24) zu beachten.45 Eine Auswahl der Ablehnungen, „die unbegründet sind oder die schwächste Begründung haben“, ist unzulässig; ihr Ergebnis könnte den Grundsatz des gesetzlichen Richters verletzen.46 Das obere Gericht hat mit weiteren Entscheidungen innezuhalten, sobald das untere Gericht wieder beschlussfähig geworden ist.47 Nur auf diese Weise kann angestrebt werden, dass „das Gericht, dem der Abgelehnte angehört“ (§ 27 Abs. 1), nach Möglichkeit selbst entscheidet.

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f) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Mitwirkung an der Entscheidung. Gesetzlicher Richter für die Mitwirkung an dem das Ablehnungsgesuch bescheidenden Beschluss ist nicht der im Zeitpunkt der Antragstellung, sondern der im Zeitpunkt der Entscheidung berufene Richter. Da über die Ablehnung eines erkennenden Richters nicht alsbald entschieden werden muss (§ 29 Abs. 2 S. 1), kann sich die für die Ablehnungsentscheidung zuständige Gerichtsbesetzung zwischen Antragstellung und Entscheidung ändern, sei es durch Krankheit, Urlaub, sonstige Verhinderung oder durch deren Wegfall.48 Müsste dagegen der im Zeitpunkt der Antragstellung berufene Richter mitwirken, könnte u.U. aus den vorgenannten Gründen nicht mehr innerhalb der gesetzlichen Fristen während des Laufs der Hauptverhandlung entschieden werden und das würde zur Aussetzung der Hauptverhandlung führen.49

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g) Ablehnende Entscheidungen. Über unzulässige Anträge wird regelmäßig nach § 26a entschieden, doch kommen solche Anträge auch im Verfahren nach § 27 zur Entscheidung (§ 26a, 5; § 27, 1). Diese Anträge werden als unzulässig verworfen;50 unbegründete Anträge werden als unbegründet zurückgewiesen (§ 28 Abs. 2 Satz 1). Unbegründet ist der Antrag, wenn der behauptete Ablehnungsgrund nicht vorliegt, auch wenn ein (anderer) Ausschließungsgrund gegeben ist. Über diesen ist gleichzeitig von Amts wegen zu entscheiden. Wird die ablehnende Entscheidung rechtskräftig oder eine gegen sie eingelegte sofortige 42 Beschwerde (§ 28 Abs. 1) verworfen oder ist der Beschluss, weil ein erkennender Richter (§ 28, 11; 19) abgelehnt war, nur mit dem Urteil anfechtbar, so tritt der Zustand ein, der vor der Ablehnung bestanden hat, im letzteren Fall allerdings mit der Möglichkeit, dass das Rechtsmittelgericht im späteren Rechtsmittelverfahren die Entscheidung nicht billigt. Der Richter tritt – wenn er nicht aus anderem Grunde ausscheiden muss – wieder ins entscheidende Gericht zurück, der Ersatzmann scheidet aus. Der – zu Unrecht – abgelehnte Richter muss alsbald wieder an der Untersuchung und Entscheidung 51 sowie an der Verkündung des die Ablehnung zurückweisenden oder verwerfenden Beschlusses (Rn. 47) mitwirken. Ist sachlich entschieden worden, dann ist der Ablehnungsgrund verbraucht und ein 43 weiteres Gesuch mit dem gleichen Inhalt unzulässig 52 (s.a. § 26a, 17). Doch liegt keine Wiederholung vor, wenn dieselbe gegen denselben Richter gerichtete Behauptung mit anderen Tatsachen belegt oder mit neuen Mitteln rechtzeitig glaubhaft gemacht wird; wenn neue Gründe vorgebracht werden;53 wenn die Hauptverhandlung neu begonnen

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OLG Frankfurt NStZ 1981 234. KK/Pfeiffer 6; Meyer-Goßner 8; a.A. OLG Zweibrücken NJW 1968 1439. Feisenberger 12. BGHSt 44 26. BGHSt 44 26.

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BGHSt 21 337. BGHSt 21 338; Meyer-Goßner 11. RGSt 11 224; RG GA 44 (1896) 385; OLG Hamm NJW 1966 2073; Meyer-Goßner 11; kritisch Günther NJW 1986 288. RGSt 24 14; BGHSt 21 353.

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hat, etwa weil das Gericht durch Ausscheiden eines anderen Richters nicht mehr weiterverhandeln konnte, weil eine Hauptverhandlung länger als zulässig unterbrochen war (§ 229); oder nach Zurückverweisung der Sache aus der Berufungs- (§ 328 Abs. 2) oder Revisionsinstanz (§ 354 Abs. 2). h) Stattgebende Entscheidungen erklären die Ablehnung für begründet (§ 28 Abs. 1). 44 Durch die Entscheidung wird der abgelehnte Richter von dem Zeitpunkt an, in dem sie erlassen worden ist (vgl. § 338 Nr. 3),54 einem ausgeschlossenen Richter gleichgestellt. Über die Wirkung der Ausschließung s. § 22, 47f. Ein Urteil, an dem ein Richter mitgewirkt hat, nachdem ein wider ihn gerichteter Ablehnungsantrag für begründet erklärt worden ist, beruht stets auf einer Verletzung des Gesetzes (§ 338 Nr. 3). Dagegen findet Rückwirkung auf richterliche Akte, die vor der stattgebenden Ent- 45 scheidung stattgefunden haben – anders als bei der Ausschließung –, selbst dann nicht statt, wenn der erst nach jenen Akten geltend gemachte Ablehnungsgrund schon bei ihnen bestanden hat. Demzufolge kann der Richter sich nicht weigern, die Niederschrift über den Teil der Sitzung zu beurkunden, den er vor einer erfolgreichen Ablehnung geleitet hat. Daraus folgt, dass er auch eine Protokollberichtigung nicht verweigern darf, wenn sich die Berichtigung auf ein Ereignis bezieht, das stattgefunden hat, bevor er mit Erfolg abgelehnt worden war.55 Eine Rückwirkung kann auch nicht durch analoge Anwendung der Vorschriften über die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 359 erreicht werden. Abgesehen davon, dass einer solchen Ansicht schon der Grundgedanke dieser Bestimmung, namentlich ihre Beschränkung auf fünf genau bezeichnete Punkte, entgegenstehen dürfte, muss eine analoge Anwendung auf jeden Fall daran scheitern, dass nichts dafür angeführt werden kann, diese auf die Richterablehnung zu beschränken, sie aber für andere Beschlüsse zu verneinen. Die Wirkung der einer Ablehnung stattgebenden Entscheidung umfasst das gesamte 46 Verfahren, in dem die Ablehnung für begründet erklärt worden ist. Sie erstreckt sich auch auf die Verhandlung gegen Mitangeklagte, und zwar unabhängig davon, ob diese selbst ein Ablehnungsgesuch angebracht haben oder ein solches Gesuch verworfen worden ist. Denn ein Richter kann in einem einheitlichen Strafverfahren nicht teilweise zur Ausübung seines Amts befugt und teilweise davon ausgeschlossen sein.56 Auf andere Verfahren gegen den gleichen Angeklagten, in denen der Richter nicht erfolgreich abgelehnt worden ist, äußert die Ablehnung keine Wirkung, kann den Richter aber veranlassen, nach § 30 zu verfahren. i) Bekanntmachung. Die Entscheidung ergeht in Abwesenheit der davon betroffenen 47 Personen. Sie wird wirksam, wenn sie an Personen außerhalb des Gerichts bekannt gemacht wird (§ 33, 12). Außerhalb des Gerichts befindet sich auch der abgelehnte Richter. Mit der Bekanntgabe an ihn tritt daher, wenn sie vor der Bekanntgabe an den Ablehnenden liegt, die Wirksamkeit der Entscheidung ein.57 Wegen der Formlosigkeit genügt es, die Entscheidung dem Richter mündlich zu eröffnen oder ihm die Urschrift vorzulegen.58 Betrifft ein ablehnender Beschluss keinen erkennenden Richter (§ 28, 11 ff.), ist er 48 dem Antragsteller stets zuzustellen (§ 35 Abs. 2 Satz 1). So wird in der Regel auch ver54 55

OLG Koblenz NStZ 1983 471. OLG Hamm MDR 1964 344; OLG Koblenz NStZ 1983 471; Meyer-Goßner 11; HK/Lemke 17; SK/Rudolphi 14.

56 57 58

BGH GA 1979 311 sowie § 22, 44 f. und Rn. 44; KMR/Bockemühl 17. BGHSt 15 386; KMR/Bockemühl 16. RGSt 58 288; RG GA 59 (1912) 351.

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fahren, wenn ein erkennender Richter vor der Hauptverhandlung abgelehnt und auch vor der Hauptverhandlung über die Ablehnung entschieden wird, doch wird ein vor der Hauptverhandlung ergehender Beschluss, der die Ablehnung eines erkennenden Richters für begründet erklärt, ohne sonstige Bekanntgabe auch dadurch wirksam erlassen, dass er ausgeführt wird,59 indem der Vertreter eintritt. Ergeht der Beschluss in der Ablehnungssache wider einen erkennenden Richter im 49 Zwischenverfahren einer unterbrochenen Hauptverhandlung, wird er in der Regel durch Verkündung bekannt gemacht, nachdem die Hauptverhandlung wieder eröffnet worden ist. Hiergegen bestehen keine Bedenken.60 Denn durch die Bekanntmachung der Entscheidung wird im Hinblick auf § 28 Abs. 2 Satz 2 keine Frist in Lauf gesetzt. Es genügt daher formlose Mitteilung (§ 35 Abs. 2 Satz 2). Anstelle des formlosen Verfahrens kann aber das förmlichere der Verkündung gewählt werden. Wird so verfahren, ist die Entscheidung zu protokollieren; § 274 gilt . Der Ablehnende erhält, wenn er es verlangt, eine Abschrift (§ 35 Abs. 1 Satz 2). Dazu 50 braucht die Hauptverhandlung nicht unterbrochen zu werden; die Abschrift kann nach Schluss der Hauptverhandlung erteilt werden. Denn der Ablehnende hat, weil er den Beschluss erst mit dem Urteil anfechten kann (§ 28 Abs. 2 Satz 2), kein Interesse, schon früher eine Abschrift zu erhalten. 51 Da mit der Zurückweisung oder Verwerfung eines Ablehnungsantrags die vorläufige Unfähigkeit des Richters (§ 29) wieder entfällt (Rn. 42), kann er, nachdem ihm die Entscheidung bekannt gegeben worden ist, bei der Verkündung des die Ablehnung zurückweisenden oder verwerfenden Beschlusses mitwirken.61 Namentlich kann also der Vorsitzende die Entscheidung auch dann verkünden, wenn sich die Ablehnung gegen ihn gerichtet hatte.

§ 28 (1) Der Beschluss, durch den die Ablehnung für begründet erklärt wird, ist nicht anfechtbar. (2) 1Gegen den Beschluss, durch den die Ablehnung als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen wird, ist sofortige Beschwerde zulässig. 2Betrifft die Entscheidung einen erkennenden Richter, so kann sie nur zusammen mit dem Urteil angefochten werden.

Schrifttum. Brack Zur Ablehnung des erkennenden Richters, SchlHA 1965 11; Sieg Zum Begriff des erkennenden Richters im Sinne des § 28 II 2 StPO, StV 1990 283. Weiteres Schrifttum siehe bei § 24.

Entstehungsgeschichte. Ursprünglich hatte § 28 den Inhalt, den er jetzt hat, mit der Ausnahme, dass nicht geregelt war, wie verfahren werden musste, wenn das Gericht die Ablehnung als unzulässig verworfen hatte. Art. 1 Nr. 1 der 3. VereinfVO schloß jede Anfechtung der Entscheidung über die Ablehnung aus. Art. 3 Nr. 10 VereinhG stellte 61 59 60

RGSt 58 288; BGHSt 15 386.

RGSt 66 121. RGSt 21 253; 58 287.

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unter sprachlicher Verbesserung den ursprünglichen Inhalt wieder her. Durch Art. 5 Nr. 6 StPÄG 1964 wurde die Verwerfung einer unzulässigen Ablehnung der einer unbegründeten gleichgestellt und die Fassung redaktionell verbessert.

Übersicht Rn. 1. 2. 3. 4.

Stattgebende Beschlüsse (Absatz 1) . . Ablehnende Beschlüsse (Absatz 2) . . . Sofortige Beschwerde (Absatz 2 Satz 1) Anfechtbarkeit bei fehlender Ablehnungsentscheidung . . . . . . . . . . . 5. Beschwerdeentscheidung . . . . . . . . 6. Verbrauch des Rechtsmittels . . . . . . 7. Erkennender Richter a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . b) Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . .

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Rn. 8. besondere Verfahrensarten a) Allgemein . . . . . . . . . . . . . b) Beispiele . . . . . . . . . . . . . 9. Anfechtung mit dem Urteil (Absatz 2 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Entscheidung des Rechtsmittelgerichts 12. Besonderheiten im Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG . . . . . . . . . .

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1. Stattgebende Beschlüsse (Absatz 1). Entscheidungen, mit denen dem Ablehnungs- 1 antrag entsprochen wird, sind unanfechtbar. Denn für ein Rechtsmittel besteht kein praktisches Bedürfnis.1 Ein solches könnte nur der Gegner des Ablehnenden beanspruchen mit der Begründung, durch die rechtsirrige Annahme eines Ablehnungsgrundes sei sein Anspruch auf den gesetzlichen Richter verletzt. Mit Recht dehnt das Gesetz den Grundsatz vom gesetzlichen Richter nicht so weit aus. Nach dem Gedanken des Gesetzes sind alle Richter der gleichen Instanz gleich befähigt.2 Gesetzlicher Richter ist daher auch derjenige Richter, der ordnungsmäßig für einen Abgelehnten eintritt, wenn ein Gericht die Ablehnung für begründet erklärt hat (§ 28 Abs. 1) 3 oder die, falls eine Entscheidung von Rechts wegen unterbleiben kann, ein Richter beim Amtsgericht für begründet gehalten hat (§ 27 Abs. 3 Satz 2). Das Gericht ist auch dann ordnungsmäßig besetzt, wenn es der Ablehnung rechtsirrig zu Unrecht stattgegeben hat. Allerdings kann eine willkürliche Entscheidung die Besetzungsrüge hinsichtlich des neu eintretenden Richters begründen.4 2. Ablehnende Beschlüsse (Absatz 2). Entscheidungen, mit denen ein Ablehnungs- 2 antrag als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen wird, sind, wenn Rechtsmittel überhaupt statthaft sind (Rn. 5, 27), stets anfechtbar, sowohl wenn die Ablehnung als unbegründet zurückgewiesen, als auch wenn sie als unzulässig verworfen worden ist. Mittel der Anfechtung ist entweder die sofortige Beschwerde (Rn. 4) oder, wenn die Anfechtung einen erkennenden Richter (Rn. 12) betrifft, das ordentliche Rechtsmittel gegen das Urteil (Rn. 27). Auch wenn der Richter beim Amtsgericht einen Antrag selbst als unbegründet 3 zurückgewiesen hat, obwohl – anders als bei unzulässigen Anträgen (§ 26a Abs. 2 Satz 3) – ein anderer Richter beim Amtsgericht zuständig gewesen wäre (§ 27 Abs. 3 Satz 1), bleibt es bei dem Verfahren des Absatzes 2 Satz 2; d.h. der Beschluss kann nur mit dem Urteil angefochten werden, wenn der unzuständige Richter beim Amtsgericht ein erkennender Richter (Rn. 12, 27) war.5 1 2 3 4

Hahn Mat. 1 90. RGRspr. 10 355. Vgl. BGH GA 1962 338. BGH aaO; OLG Hamm GA 1971 186; KK/ Pfeiffer 1; KMR/Bockemühl 1; SK/Rudolphi 1.

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OLG Saarbrücken NJW 1966 169; a.A. LG Krefeld NJW 1964 2438.

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3. Die sofortige Beschwerde (Absatz 2 Satz 2) ist in allen Ablehnungsfällen statthaft, die nicht unter Absatz 1 oder unter Absatz 2 Satz 2 fallen, sofern der Beschluss überhaupt nach § 304 der Beschwerde unterliegt. Gegen Beschlüsse der Oberlandesgerichte findet, selbst wenn sie im ersten Rechtzug entscheiden, auch in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 nach § 304 Abs. 4 keine Beschwerde statt.6 Damit ist die nach § 304 Abs. 1 und 2 statthafte Beschwerde eine sofortige und an die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 Satz 1 gebunden.7 Beschwerdeberechtigt ist nur, wer die Ablehnung angebracht hat, nicht auch ein sonst 5 Ablehnungsberechtigter, der von seinem Ablehnungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat.8 Der Richter ist nicht beschwerdeberechtigt, auch wenn er sich in Übereinstimmung mit dem Ablehnenden, aber im Gegensatz zur Ansicht des Gerichts für ausgeschlossen oder befangen hält.

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4. Anfechtbarkeit bei fehlender Ablehnungsentscheidung. Nicht immer werden Ablehnungsgesuche in der Sache beschieden, und zwar namentlich dann nicht, wenn sich das mit der Sache befasste Gericht für unzuständig erklärt. Das Gesetz enthält für diesen Fall keine Lösung. Da jedoch eine Möglichkeit bestehen muss, die Entscheidung des zuständigen Gerichts herbeizuführen, ist auf solche Beschlüsse Absatz 2 Satz 2, der die Anfechtung während des Hauptverfahrens ausschließt, nicht anwendbar.9 Nach einer gelegentlichen Bemerkung des Reichsgerichts soll die allgemeine Beschwerde (§ 304 Abs. 1) statthaft sein,10 doch wird man wegen der gebotenen Beschleunigung Absatz 2 Satz 1 entsprechend anzuwenden haben. Danach ist die sofortige Beschwerde gegeben. Sie findet aber nicht nur außerhalb des Hauptverfahrens, sondern entgegen Absatz 2 Satz 2 auch gegen Beschlüsse des erkennenden Gerichts statt.11 Das Beschwerdegericht darf nicht in der Sache selbst entscheiden; es hat sich auf die Frage der Zuständigkeit zu beschränken und muss die Sachentscheidung dem zuständigen Gericht überlassen.12

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5. Beschwerdeentscheidung. Das Beschwerdegericht hat den angefochtenen Beschluss voll nachzuprüfen und dabei, soweit eine Wertung in Betracht kommt, seine Wertung an die Stelle derjenigen des ersten Richters zu setzen. Auch wenn der erste Richter den Ablehnungsantrag als unzulässig verworfen hatte, ist das Beschwerdegericht berechtigt, alsbald in der Sache zu entscheiden (§ 309 Abs. 2).13 Die Erwägung, dass der erste Richter dem Antrag, wenn er diesen für zulässig erachtet hätte, hätte entsprechen können und dass diese Entscheidung unanfechtbar gewesen wäre (§ 28 Abs. 1), rechtfertigt es nicht, die Entscheidungsbefugnis des Beschwerdegerichts auf die Zulässigkeitsfrage zu beschränken. Das Reichsgericht hat eine solche Beschränkung zwar für den Fall angenommen, dass der erste Richter seine Zuständigkeit verneint hatte.14 Dieser Gedanke darf aber nicht 15 verallgemeinert werden; er kann nur dort angewendet werden, wo der erste Richter in der Annahme fehlender Zuständigkeit überhaupt nicht zur Ablehnungsfrage entschieden hatte. In allen anderen Fällen hat das Beschwerdegericht die Befugnis,

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7 8 9

BGHSt 27 96; wegen der Verfassungsmäßigkeit von Absatz 2 Satz 2 vgl. BVerfGE 45 363 = MDR 1978 25; a.A. Schmidt-Leichner NJW 1977 1804. Hahn Mat. GVG 1 862. BGH bei Holtz MDR 1985 981; KK/Pfeiffer 2; KMR/Bockemühl 3. A.A. noch KMR/Paulus 2.

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RGSt 19 334. SK/Rudolphi 4. RGSt 19 338. BGHSt 18 203; 23 265. RGSt 19 338. So RGSt 49 12; Dallinger MDR 1955 271; Schaper NJW 1963 1883.

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einen irrtümlich als unzulässig verworfenen Ablehnungsantrag darauf nachzuprüfen, ob er begründet ist.16 Das Beschwerdegericht ist aber berechtigt, die Sache an den ersten Richter zurück- 8 zuverweisen, wenn dieser, weil er den Antrag für unzulässig erachtet hatte, notwendige Feststellungen unterlassen hat.17 Denn bei dieser Sachlage würde dem Beschwerdeführer durch die Sachentscheidung des Beschwerdegerichts eine Instanz genommen und damit namentlich die Möglichkeit vorenthalten, den Gründen des ersten Richters entgegenzutreten. Grundsätzlich wird die Sache auch dann in die Vorinstanz zurückzuverweisen sein, wenn dort ein (z.B. nach § 23 Abs. 2) ausgeschlossener Richter mitgewirkt hat.18 Zwar hat hier ein Richter sachlich über die Ablehnung entschieden, aber doch einer, von dem das Gesetz verlangt, dass er sich jeder Entscheidung enthält, und der deshalb dem Beschwerdeführer als befangen erscheinen kann. In klaren Fällen, namentlich wenn ein von dem unzuständigen Richter verworfener 9 Antrag wegen eines Formfehlers notwendigerweise aufgehoben werden muss, wird das Beschwerdegericht sachlich über die Beschwerde entscheiden.19 6. Verbrauch des Rechtsmittels. Ist über den Verwerfungsbeschluss durch sofortige 10 Beschwerde entschieden, kann wegen des gleichen Beschlusses nicht mehr Revision mit der Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 3 erhoben werden.20 Aber selbst wenn der Ablehnungsberechtigte keine Beschwerdeentscheidung herbeigeführt hat, ist die Rüge nach § 338 Nr. 3 in Verb. mit § 336 ausgeschlossen, sofern nur die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde bestanden hatte,21 der Fall also nicht nach Absatz 2 Satz 2 zu behandeln war. Endlich eröffnet auch die Unmöglichkeit der Beschwerde nicht die Anfechtung nach Absatz 2, wenn die Ablehnung eines Richters, der nicht erkennender Richter ist, von einem Strafsenat, auch einem erstinstanzlich entscheidenden, für unbegründet erklärt worden ist. In allen diesen Fällen macht die Rechtskraft des Beschlusses die Anfechtung mit dem gegen das Urteil gerichteten Rechtsmittel unzulässig. Die Rüge aus § 338 Nr. 2 (Ausschluss kraft Gesetzes) ist dagegen niemals ausgeschlossen. 7. Erkennender Richter a) Begriff. Die Beschwerde ist ausgeschlossen, wenn die Entscheidung über das Ab- 11 lehnungsgesuch einen erkennenden Richter betrifft. Das ist erforderlich, weil große Verhandlungen mit vielen Zeugen und Sachverständigen nicht beliebig unterbrochen werden können, einer Beschwerde aber, „wenn sie Bedeutung haben sollte, aufschiebende Wirkung beigelegt werden müsste“.22 Brack 23, der diese Abweichung vom Zivilprozess (§ 46 Abs. 2, 2. Halbsatz ZPO) rügt, legt den Besonderheiten des Strafprozesses nicht genügend Gewicht bei. Zudem ist seine Arbeit vor dem StPÄG 1964 abgefasst, das mit § 25 Abs. 2 die (bedingte) Ablehnung bis zum letzten Wort zulässt. Würde man die

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BGHSt 18 203 mit Anm. Philipp NJW 1963 1883. KG NStZ 1991 401; KK/Pfeiffer 2; AK/Wassermann 3; HK/Lemke 5; KMR/Bockemühl 3; a.A. OLG Schleswig SchlHA 1982 32; Meyer-Goßner 4. OLG Saarbrücken NJW 1966 167; OLG Bremen NJW 1966 605; Meyer-Goßner 5; a.A. LG Krefeld NJW 1964 2438.

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KG JR 1967 266. RGSt 7 175; BGH NJW 1952 234; OLG Schleswig SchlHA 1982 34. BGH NJW 1962 261; vgl. RGSt 20 48; 44 384; HK/Lemke 6; KMR/Bockemühl 4; SK/Rudolphi 7. Hahn Mat. 1 92. SchlHA 1965 11.

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Beschwerde bis zu diesem Zeitpunkt gewähren, müssten sich die Misshelligkeiten, die schon einer Beschwerde zu Beginn der Hauptverhandlung entgegengestanden haben, unerträglich vermehren. Für eine Änderung der geltenden Rechtslage zugunsten der Einführung eines Beschwerderechtszugs auch für den Fall, dass die Entscheidung über den Ablehnungsantrag einen erkennenden Richter betrifft, tritt auch Draber ein.24 Erkennende Richter sind die Richter, die berufen sind, in der Hauptverhandlung mitzuwirken,25 auch wenn ihre Mitwirkung sich nicht auf die Urteilsfindung beschränkt, sondern, wie beim Vorsitzenden, zugleich andere Maßnahmen und Entscheidungen umfasst. Die Eigenschaft als erkennender Richter beginnt in der Regel – abgesehen von besonderen Verfahren – mit der Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 199 Abs. 1, § 207 Abs. 1, 2);26 diese ist selbst schon ein Akt des erkennenden Gerichts, wenn sie von dem künftig entscheidenden Gericht beschlossen wird. Die Tätigkeit als erkennendes Gericht erstreckt sich alsdann auf das ganze Hauptverfahren und endet mit der Urteilsfällung;27 Unterbrechungen oder Aussetzungen lassen die Stellung als erkennendes Gericht unberührt.28 Erkennender Richter ist auch der Ergänzungsrichter (§ 192 Abs. 2 GVG), aber erst von dem Zeitpunkt an, wo feststeht, dass er eintritt.29 Erkennende Richter sind weiter die Richter, die nach Ausscheiden abgelehnter Richter nunmehr als Mitglieder des erkennenden Gerichts in dem Zwischenverfahren (§ 27, 1) an der Entscheidung über den Ablehnungsantrag mitwirken.30 Sieg 31 will dieses Ergebnis nur akzeptieren, wenn das Revisionsgericht auf die Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 3 seine Prüfung auch auf die Frage erstreckt, ob die „richtigen“ Richter über das Ablehnungsgesuch entschieden haben. Eröffnet das höhere Gericht vor dem niederen (§ 209 Abs. 1), wird dieses mit der Eröffnung erkennendes Gericht und werden seine Mitglieder erkennende Richter. Die Eigenschaft als erkennender Richter endet grundsätzlich mit der Urteilsfällung,32 aber auch mit der Verfahrenseinstellung.33 Demzufolge ist der Richter, der bei der Verwerfung eines Rechtsmittels nach § 319 Abs. 1, § 346 Abs. 1 mitwirkt, kein erkennender Richter.34 Das gleiche gilt für die Mitglieder einer Berufungskammer, die nach Verwerfung der Berufung gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 über einen Wiedereinsetzungsantrag wegen Versäumung der Berufungshauptverhandlung (§ 329 Abs. 3) zu entscheiden haben.35 24 25 26

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DRiZ 1977 332. BayObLGSt 24 (1925) 109; OLG Düsseldorf MDR 1987 253; KK/Pfeiffer 3. RGSt 7 175; 43 179; BGH NJW 1952 234; OLG Koblenz VRS 44 (1973) 291; OLG Hamburg NJW 1964 23; OLG Karlsruhe NJW 1975 448; KG JR 1981 169; OLG München MDR 1982 773; OLG Schleswig SchlHA 1982 31; bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1982 215; OLG Bremen NStZ 1991 95; OLG Köln NJW 1993 608; Sieg StV 1990 283; KK/Pfeiffer 3; KMR/Bockemühl 7 f.; Meyer-Goßner 6. RGSt 43 181; Rissing-van Saan MDR 1993 310. BGHSt 31 15. KK/Pfeiffer 3; SK/Rudolphi 9; einschr. OLG Celle NJW 1973 1059; OLG Schleswig StV

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1994 642; Meyer-Goßner 6; KK/Diemer § 192, 9 GVG. KG JR 1976 26; OLG Düsseldorf JMBlNRW 1976 67; OLG Hamburg NStZ 1999 50; KK/Pfeiffer 3. StV 1990 284. OLG Schleswig SchlHA 1953 246; OLG Celle NJW 1960 210; NdsRpfl. 1982 100; OLG München MDR 1982 773; LG Düsseldorf StV 1991 411. Meyer-Goßner 6. OLG Celle NJW 1960 210; SK/Rudolphi 10. OLG München MDR 1982 773; OLG Celle NdsRpfl. 1982 100; KG NZV 2002 334; Meyer-Goßner 6; SK/Rudolphi 10; a.A. OLG Frankfurt OLGSt § 28 StPO, 5; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2004 47; OLG Hamm NStZRR 2005 267.

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Mitglieder der Strafvollstreckungskammern sind nach überwiegender Ansicht erken- 16 nende Richter.36 Das gilt auch für Anordnungen, die den Verfahren nach § 454 Abs. 1, § 463 Abs. 3 vorausgehen.37 b) Zeitpunkt. Da die Entscheidung einen erkennenden Richter betreffen muss, ist 17 diese Eigenschaft nach dem Zeitpunkt zu beurteilen, in dem über den Ablehnungsantrag entschieden wird.38 Danach findet Absatz 2 Satz 2 (Anfechtung nur mit dem Urteil) Anwendung, wenn der Antrag vor der Eröffnung des Hauptverfahrens angebracht worden ist, das Gericht aber erst nach diesem Zeitpunkt darüber entschieden hat.39 Ist dagegen die Entscheidung schon vor der Eröffnung des Hauptverfahrens ergangen,40 betrifft sie keinen erkennenden Richter. Eine gegen einen das Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschluss eingelegte sofortige Beschwerde wird allerdings unzulässig, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts der Abgelehnte erkennender Richter geworden ist,41 also namentlich in den Fällen, in denen zwischenzeitlich das Hauptverfahren eröffnet worden ist. Dagegen kommt es auf den Beginn der Hauptverhandlung nicht an.42 Absatz 2 18 Satz 2 findet auf einen nach der Eröffnung des Hauptverfahrens ergangenen Beschluss sowohl dann Anwendung, wenn er in der Hauptverhandlung als auch wenn er vor dieser ergangen ist.43 Wenn allerdings der abgelehnte erkennende Richter inzwischen als erkennender Richter aus der Sache ausgeschieden ist, ist Absatz 2 nicht anwendbar.44 Dafür besteht durch das Ausscheiden des abgelehnten Richters auch kein praktisches Bedürfnis mehr. Ein vor dem Ausscheiden erhobenes Ablehnungsgesuch wird deswegen unzulässig. Scheidet der abgelehnte Richter nach Erlass des Ablehnungsbeschlusses aber vor der Beschwerdeentscheidung aus, wird der Ablehnungsantrag unzulässig und die sofortige Beschwerde ist als (jetzt) unbegründet zu verwerfen.45 Der Ausschluss der sofortigen Beschwerde ist nur für die Hauptverhandlung selbst 19 geboten. Für die Zeit von der Eröffnung des Hauptverfahrens bis zum Beginn der Hauptverhandlung kann er zweckmäßig sein, weil sonst durch mehrfache Ablehnungen der Termin in Frage gestellt werden könnte; er kann aber auch nachteilig wirken. Denn dem erkennenden Gericht könnte eine Entscheidung des Beschwerdegerichts erwünscht sein, damit die Hauptverhandlung nicht mit der Belastung durchgeführt werden muss, dass das Urteil aufgehoben werden könnte, weil sich herausstellen könnte, dass das Ablehnungsgesuch zu Unrecht verworfen worden war (§ 338 Nr. 3). Trotzdem darf die Rechtsprechung keine Ausnahme machen, weil der Wortlaut, der mit der allgemeinen Regel des § 305 Satz 1 übereinstimmt, eindeutig ist und keine Abweichung zulässt. Eine elastischere Regelung (Zulassung der Beschwerde durch das erkennende Gericht bis zum Zeitpunkt des § 25) wäre aber de lege ferenda zu erwägen. 36

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OLG Celle ZfStrVo 1999 56; OLG Hamm NStZ 1987 93; OLG Koblenz NStZ 1986 384; OLG Stuttgart NStZ 1985 524; KG NStZ 2001 448; Callies/Müller-Dietz StVollzG § 120, 2; Schuler in Schwindt/Böhm StVollzG § 120, 3; Volckart AKStVollzG § 118, 9; a.A. KG NStZ 1983 44; OLG Nürnberg NStZ 1988 475. OLG Düsseldorf JMBlNRW 1986 32 = MDR 1987 516. OLG Karlsruhe NJW 1975 458; OLG Köln NJW 1993 608; OLG Hamburg NStZ 1999 50; Krey GA 1984 577; Meyer-Goßner 4.

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OLG Köln NJW 1993 608; KK/Pfeiffer 3; Meyer-Goßner 7; vgl. auch BGHSt 31 15. Wie im Fall BGH NJW 1952 234. OLG Düsseldorf NStZ 2003 448; vgl. auch BayObLGSt 11 328. KK/Pfeiffer 3. RGSt 7 175; 22 135; 43 181; BGHSt 31 15. OLG Hamburg NStZ 1999 50; a.A. HK/Lemke 9 sowie LR/Wendisch 25 17. OLG Hamburg NStZ 1999 50.

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8. Besondere Verfahrensarten

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a) Allgemein. Findet das Verfahren ganz oder in der Instanz ohne Eröffnungsbeschluss statt, so beginnt die Eigenschaft als erkennender Richter mit jeder gerichtlichen Verfügung, die bestimmt oder erkennen lässt, dass die Hauptverhandlung stattfinden soll und vor welchem Gericht.46 Ein nichtrichterlicher Akt, wie der Einspruch gegen einen Strafbefehl oder der Eingang der Akten beim Berufungsgericht, genügt eben so wenig wie im regelmäßigen Verfahren die Anklage. Durch diese kommt die Sache ans Gericht; das Verfahren wird anhängig.47 Rechtshängig wird das Verfahren erst durch einen richterlichen Akt, der die Feststellung in sich trägt, dass das Gericht zuständig, d.h. dass es das zur Entscheidung berufene Gericht (§ 27 Abs. 4, erster Halbsatz) ist. Erst durch diese richterliche Zuständigkeitserklärung, mag sie auch meist stillschweigend ergehen, erklärt sich das Gericht zum erkennenden Gericht. b) Beispiele. Nach diesen Erwägungen wird das Gericht erkennendes Gericht: im beschleunigten Verfahren mit der Anordnung des Vorsitzenden, dass die Hauptverhandlung sofort durchgeführt werde, oder mit der Anberaumung eines Termins dazu (§ 418 Abs. 1);48 im Berufungsverfahren mit der Anberaumung des Termins zur Hauptverhandlung oder mit einer ihr vorangehenden Anordnung, den Angeklagten durch einen beauftragten oder ersuchten Richter (§ 323 Abs. 1 Satz 1 in Verb. mit § 223 Abs. 1 und 2) zu vernehmen, oder mit sonstigen die Entscheidung vorbereitenden Maßnahmen (z.B. nach § 225 oder Anordnungen zur Aufklärung von Prozessverstößen in der ersten Instanz).49 Das gilt auch für den Fall der Zurückverweisung nach § 354 Abs. 2, 3 oder § 355.50 Soweit hier – wie auch im Revisionsverfahren – von der überwiegenden Meinung auf die Vorlage der Akten durch die Staatsanwaltschaft abgestellt wird,51 entfernen sich deren Vertreter von dem ansonsten unbestrittenen Ausgangspunkt der Rechtshängigkeit und lassen ohne weitere Begründung die Anhängigkeit der Sache ausreichen; im Revisionsverfahren mit der Bestimmung eines Berichterstatters, der Terminbestimmung oder ihr voraufgehenden, die Entscheidung vorbereitenden Maßnahmen (etwa zur Aufklärung von Prozessverstößen in den Vorinstanzen), spätestens mit der Beschlussentscheidung nach § 349 Abs. 2 und 4; im Wiederaufnahmeverfahren mit allen richterlichen Handlungen, die getroffen werden, nachdem das Gericht die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Erneuerung der Hauptverhandlung angeordnet hat (§ 370 Abs. 2), und in den Verfahren des § 371; im Verfahren nach § 408 Abs. 3 Satz 2 mit der Anberaumung der Hauptverhandlung; im Verfahren nach Einspruch gegen einen Strafbefehl (§ 411 Abs. 1 Satz 2) und im selbständigen Einziehungsverfahren (§ 440) mit der Terminbestimmung.52 Vgl. auch § 442 Abs. 1, § 444 Abs. 3.

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RGSt 59 57, 61; BGHSt 14 11, 17; 22 232; 29 341. BGHSt 12 217, 219; OLG Bremen NStZ 1991 96. OLG Hamburg NJW 1964 2123; KK/Pfeiffer 3; Meyer-Goßner 6; SK/Rudolphi 12; a.A. Schorn GA 1963 183: mit Eingang des Antrags des Staatsanwalts. OLG Bremen NStZ 1991 96; a.A. OLG

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Karlsruhe NJW 1975 458; KG JR 1981 169; KK/Pfeiffer 3; KMR/Bockemühl 8; MeyerGoßner 6. OLG Bremen NStZ 1991 96. OLG Karlsruhe NJW 1975 458; KG JR 1981 169; KK/Pfeiffer 3; KMR/Bockemühl 7; HK/Lemke 9. OLG Dresden Alsb. 1 68; OLG Köln MDR 1957 437; LG Zweibrücken NStZ 2006 120.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 28

9. Anfechtung mit dem Urteil (Absatz 2 Satz 2). Nach dem Wortlaut des Absatzes 2 27 Satz 2 kann die Entscheidung über die Ablehnung eines erkennenden Richters nur mit dem Urteil angefochten werden. In der Sache ist diese Anfechtung eine sofortige Beschwerde,53 die lediglich aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung einen von Absatz 2 Satz 1 abweichenden Instanzenzug eröffnet.54 Insoweit entspricht die Fassung nicht ganz dem Sinn der Vorschrift. Sie will nicht besagen, dass neben dem Rechtsmittel gegen das Urteil (Berufung oder Revision) eine besondere, bis zur Rechtsmitteleinlegung aufgeschobene Beschwerde gegen den Beschluss zulässig sein soll, sondern dass, falls der Abgelehnte am Verfahren oder an der Urteilsfällung teilgenommen hat,55 aus der rechtsirrigen Verwerfung oder Zurückweisung des Ablehnungsantrags eine Rüge zur Urteilsanfechtung entnommen werden kann,56 sofern das Urteil überhaupt anfechtbar ist.57 Satz 2 gibt deshalb mit der Ausnahme der zeitlichen Verschiebung nicht mehr und nicht weniger als Satz 1. Daraus folgt zum ersten, dass Beschlüsse der Oberlandesgerichte, auch wenn diese 28 erstinstanzlich entschieden haben, deshalb nicht „mit dem Urteil“ angefochten werden können, weil gegen sie keine sofortige Beschwerde zulässig ist.58 Danach ist, wenn in einer beim Landgericht anhängigen Sache nach § 27 Abs. 4 das Oberlandesgericht entschieden hat, auch keine Anfechtung nach Satz 2 zulässig.59 Zum anderen ergibt sich aus jener Voraussetzung, dass das Beschwerderecht nicht „qualitativ beschränkt“ 60 sein soll, mithin über die mit der Revision angebrachte Rüge – verfassungsrechtlich unbedenklich 61 – nach Beschwerdegrundsätzen (Rn. 7) zu entscheiden ist.62 Dabei ist jetzt allerdings auch die durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 63 veranlasste neue Entwicklung der Rechtsprechung zu beachten, wie sie zu § 26a Rn. 25 dargestellt worden ist. Die Beschwerde gegen einen Beschluss, der einem gegen einen erkennenden Richter 29 angebrachten Ablehnungsantrag nicht stattgegeben hat, ist indessen trotz Absatz 2 Satz 2 statthaft, wenn das erste Gericht die Entscheidung wegen Unzuständigkeit abgelehnt hat (Rn. 6). 10. Form. Die Anfechtung mit dem Urteil ist die Berufung (§ 312) oder die Revision 30 (§§ 333, 334) gegen das Urteil, das in dem Rechtszug ergangen ist, in dem der gegen einen erkennenden Richter angebrachte Ablehnungsantrag für unbegründet oder unzulässig erklärt worden ist. Demzufolge kann gegen das Urteil eines Berufungsgerichts Revision nicht mit der Begründung eingelegt werden, dass schon das Amtsgericht die Ablehnung zu Unrecht verworfen habe.64 Die formelle Anfechtung ist Voraussetzung für die Entscheidung des Rechtsmittel- 31 gerichts (Rn. 36). Bei der Revision ergeben sich dabei keine Besonderheiten (§§ 344, 345). Denn da die Anfechtung nach Absatz 2 Satz 2 zusammen mit der Revision Teil dieses Rechtsmittels ist 65 und wie eine Verfahrensrüge behandelt wird, muss auch sie den 53 54 55 56 57 58 59

BGHSt 27 99; HK/Lemke 10; KK/Pfeiffer 4; KMR/Bockemühl 10; SK/Rudolphi 14. RGSt 30 227; BGHSt 27 98. RGSt 60 112. OLG Hamm JMBlNRW 1973 272. KG GA 57 (1910) 233; OLG Köln MDR 1976 774. BGHSt 27 99. A.A. RGSt 33 315; 37 113; Feisenberger § 27, 13.

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RGSt 30 277. BVerfGE 44 363, 369 = NJW 1977 1815. RGSt 22 136; BGHSt 1 36; 18 203; 21 340; 23 266; 27 98; BayObLG StV 1982 460; KK/Pfeiffer 6; KMR/Bockemühl 13; Vor § 22, 37; Meyer-Goßner 8. StV 2005 478. RGSt 60 112. RGSt 22 136; 74 296; OLG Köln GA 1974 379; MDR 1976 774.

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§ 28

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

strengen Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 genügen.66 Dazu gehört, dass der Beschwerdeführer, wenn er die Revision mit der Verletzung des § 338 Nr. 3 oder 2 begründet, nicht nur den Inhalt des Ablehnungsantrags, sondern auch die Gründe mitteilt, aus denen dieser zurückgewiesen worden ist.67 Dabei genügt die Wiedergabe einzelner Sätze des Gerichtsbeschlusses nicht;68 er muss – wenn auch nicht wörtlich – seinem ganzen Inhalt nach vorgetragen werden.69 Außerdem ist der Inhalt der dienstlichen Äußerungen anzugeben 70 sowie sonstiges zum Verständnis der Rüge erforderliches Vorbringen.71 Wird gerügt, der Tatrichter sei nach § 22 oder 23 ausgeschlossen gewesen, muss der 32 Revisionsführer die Tatsachen angeben, die die Revision begründen, und den gesetzlich ausgeschlossenen Richter namentlich bezeichnen.72 Rügt er, dass ihm trotz entsprechenden Verlangens die Namen der bei der Entscheidung mitwirkenden Richter oder eine nachträglich eingetretene Änderung in der Besetzung nicht bekannt gegeben worden seien (§ 24 Abs. 3 Satz 2), ist keine weitere Begründung erforderlich, kann namentlich nicht verlangt werden, dass der Beschwerdeführer auch vorträgt, welche Ablehnungsgründe er geltend gemacht hätte, wenn der Vorsitzende ihm die Namen bekannt gegeben hätte.73 Denn da die Revision nicht darzulegen braucht, dass das Urteil auf der Gesetzesverletzung beruht,74 und da dieser Ursachenzusammenhang angenommen wird, solange die Möglichkeit seines Bestehens nicht widerlegt wird, ist es in der Regel nicht auszuschließen, dass das Urteil auf der Gesetzesverletzung beruht.75 Wird die Verletzung von § 26a gerügt, reicht die Behauptung nicht aus, das Gericht 33 habe den Antrag nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Weil es auch darauf ankommt, ob das Gesuch sachlich gerechtfertigt gewesen wäre,76 muss die Revisionsbegründung auch die Tatsachen vortragen, aus denen sich ergeben soll, dass die Ablehnung unbegründet war.77 Behauptet die Revision, der Tatrichter habe sein Gesuch zu Unrecht nach § 26a Abs. 1 Nr. 1 als verspätet verworfen, muss die Revision den Verfahrensablauf, aus dem sich die Rechtzeitigkeit des Gesuchs beurteilen lässt, vollständig mitteilen.78 Bei der Berufung muss, obwohl dort die Begründungsfrist sonst belanglos ist, geprüft 34 werden, ob der Betroffene die Entscheidung, dass seine Ablehnung als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen sei, innerhalb der Wochenfrist zur Begründung der Berufung (§ 317) angefochten hat. Die Berufungsbegründung ist zwar ins Belieben des Beschwerdeführers gestellt (§ 317), doch muss er sich ihrer bedienen, wenn er den Ablehnungsbeschluss anfechten will. Daher kann der Beschluss, durch den die Ablehnung eines im ersten Rechtszug erkennenden Richters als unzulässig verworfen 66

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BGHSt 21 340; 23 265; BayObLGSt 1956 249; 1971 124 = VRS 42 (1972) 46; 1972 217 = VRS 44 (1973) 207; OLG Stuttgart VRS 46 (1974) 145; OLG Koblenz VRS 67 (1984) 345. OLG Stuttgart NJW 1969 1776; OLG Karlsruhe Justiz 1974 65; missverständlich insoweit die Formulierung Bohnerts 70, dass „der Rechtsbehelf ... seinen Charakter als Beschwerde nicht verliere“. BGH bei Dallinger MDR 1972 387. OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1976 172; OLG Koblenz MDR 1978 423. Wegen weiterer Einzelheiten s. § 338 unter IV: Richterablehnung wegen Befangen-

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70 71 72 73 74 75

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heit eines erkennenden Richters und § 344: Begründung von Verfahrensrügen, sowie KK/Pfeiffer 6. BGH StV 1981 163; 1993 235. BGHR § 344 Abs. 2 S. 2 Befangenheitsrüge 1. BGH NJW 1962 500; KK/Pfeiffer 9. RGSt 66 10; Schorn GA 1963 173. Sarstedt/Hamm 525. Anders, wenn der Angeklagte die Ablehnungsgründe angibt, diese aber nicht durchschlagen; RG JW 1930 925. BGHSt 18 200; 23 265. BGH bei Holtz MDR 1979 637. BGH bei Holtz MDR 1977 109; KK/Pfeiffer 6.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 28

oder als unbegründet zurückgewiesen worden ist, nur bis zum Ende der Frist zur Rechtfertigung der Berufung (§ 317) angefochten werden.79 Die Anfechtung kann nur auf die Tatsachen gestützt werden, die dem Ablehnungs- 35 beschluss zugrunde gelegen haben.80 Deshalb dürfen – anders als im Ablehnungsverfahren gegen einen nichterkennenden Richter 81 – auch neue Beweismittel zur Glaubhaftmachung eines abgelehnten Ablehnungsgrundes beim Rechtsmittelgericht nicht mehr nachgebracht werden.82 Daneben kann der Beschwerdeführer sich mit neu vorgebrachten Tatsachen der Rüge aus § 338 Nr. 2 (Ausschluss kraft Gesetzes) – nicht Nr. 3 – bedienen, auch wenn er vorher kein Ablehnungsgesuch angebracht hatte. 11. Entscheidung des Rechtsmittelgerichts. Das Rechtsmittelgericht entscheidet über 36 die Anfechtung im Urteil, jedoch nach den für die Beschwerde maßgebenden Grundsätzen (Rn. 28; § 338 unter IV 3). Daher hat das Revisionsgericht die Ablehnungsbeschlüsse auch in tatsächlicher Beziehung frei nachzuprüfen.83 Voraussetzung dafür ist jedoch, dass der Angeklagte die Anfechtung nach Absatz 2 Satz 2 mit einer nach § 344 Abs. 2 Satz 2 zulässigen Verfahrensrüge geltend gemacht hat. Soweit aus dem Auftreten eines Richters in der Hauptverhandlung Schlüsse von den anderen anwesenden Richtern auf die Besorgnis der Befangenheit zu ziehen sind, ist der Nachprüfung des dabei obwaltenden Ermessens jedoch dadurch eine gewisse Grenze gesetzt, dass dem Revisionsgericht die eigene Beobachtung fehlt.84 War der Antrag als unzulässig verworfen, hält ihn das Gericht aber für zulässig, so 37 begründet der Umstand, dass das Gericht in fehlerhafter Besetzung entschieden hat, noch nicht den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3. Vielmehr prüft das Revisionsgericht nunmehr grundsätzlich selbst, ob die Ablehnung begründet ist.85 Allerdings kann es in diese Prüfung nur eintreten, wenn der Revisionsführer die Formvorschriften der §§ 344, 345 (Rn. 31) beachtet, d.h. in der Revisionsbegründung die Tatsachen angegeben hat, aus denen sich ergeben soll, dass die Ablehnung unbegründet war.86 Dazu hat es ggf. die Äußerung des abgelehnten Richters herbeizuführen und sie dem Ablehnenden, wenn sie dessen Darstellung nicht bestätigt, zur Kenntnis zu bringen. Das Revisionsgericht braucht aber nicht so zu verfahren, sondern kann die Sache wegen Verletzung von § 27 durch Nichtanwendung (§ 337) aufheben und zurückverweisen,87 namentlich wenn die Beurteilungsgrundlage nicht ausreicht zu entscheiden, ob der Ablehnungsantrag sachlich gerechtfertigt war.88 Das Gericht darf – soweit es nicht über die selbständige Revisionsrüge aus § 338 38 Nr. 2 entscheidet – nur diejenigen Ablehnungsgründe in Betracht ziehen, die vorgebracht waren, als das Gesuch verworfen worden ist.89 Grundlage seiner Entscheidung sind nur 79 80 81 82 83

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BayObLGSt 1956 249 = NJW 1957 599. RGRspr. 4 528. Vgl. OLG Schleswig SchlHA 1982 32. BGHSt 21 88; HK/Lemke 14. So schon RGSt 7 342; 22 136; 55 56; 65 42; 74 297 und diese Ansicht fortsetzend BGHSt 1 36; 2 11; 18 203; 21 88; 340; 23 267 = JR 1957 468 mit krit. Anm. Peters; 25 126; BGH NStZ 1984 203; BayObLGSt 1971 124; OLG Koblenz VRS 44 (1979) 292; OLG Köln JMBlNRW 1973 259. BayObLGSt 1949/51 391; wegen der formellen Prüfungsvoraussetzungen s. § 338 unter IV 3.

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BGHSt 18 203; 21 338; 23 267; BayObLG VRS 88 (1995) 196. BGH bei Holtz MDR 1979 637; dagegen Hanack JZ 1973 730; LR-Hanack 24 § 338, 13; Meyer-Goßner § 338, 13, wie hier KK/Kuckein § 344, 47. BGHSt 23 203; KK/Pfeiffer 6; SK/Rudolphi 18. BGH JR 1972 268. RGRspr. 4 527; RG LZ 1921 66; RGSt 74 297.

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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

der Tatsachenvortrag und die Glaubhaftmachung, die – zulässigerweise (§ 26, 9; 16) – dem nach § 26 zuständigen Gericht vorgebracht waren. Beweismittel zur Glaubhaftmachung können in der Revisionsinstanz nicht nachgebracht,90 „nachgeschoben“,91 werden. Die Erwägungen in Rn. 36 bis 38 gelten nicht für das Berufungsverfahren. Das Beru39 fungsgericht muss, nachdem der frühere § 328 Abs. 2, der in Fällen, in denen das Urteil an einem Mangel litt, der die Revision wegen Verletzung einer Verfahrensnorm begründen würde, die Zurückverweisung an das Amtsgericht zuließ, durch Art. 1 Nr. 25 StVÄG 1987 aufgehoben worden ist, daher auch in diesen Fällen in der Sache selbst entscheiden, und zwar unabhängig davon, ob der Erstrichter zu Recht abgelehnt worden war oder nicht.92

40

12. Besonderheiten im Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG. Da überwiegend Einigkeit darüber besteht, dass die Mitglieder der Strafvollstreckungskammer erkennende Richter sind, bedeutet das für Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG, dass bei Richterablehnungen § 28 Abs. 2 dahin anzuwenden ist, dass die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs nur im Rahmen einer Rechtsbeschwerde angefochten werden kann.93

§ 29 (1) Ein abgelehnter Richter hat vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten. (2) 1Wird ein Richter während der Hauptverhandlung abgelehnt und würde die Entscheidung über die Ablehnung (§§ 26a, 27) eine Unterbrechung der Hauptverhandlung erfordern, so kann diese so lange fortgesetzt werden, bis eine Entscheidung über die Ablehnung ohne Verzögerung der Hauptverhandlung möglich ist; über die Ablehnung ist spätestens bis zum Beginn des übernächsten Verhandlungstages und stets vor Beginn der Schlußvorträge zu entscheiden. 2Wird die Ablehnung für begründet erklärt und muß die Hauptverhandlung nicht deshalb ausgesetzt werden, so ist ihr nach der Anbringung des Ablehnungsgesuchs liegender Teil zu wiederholen; dies gilt nicht für solche Handlungen, die keinen Aufschub gestatteten. 3Nach Anbringung des Ablehnungsgesuches dürfen Entscheidungen, die auch außerhalb der Hauptverhandlung ergehen können, unter Mitwirkung des Abgelehnten nur getroffen werden, wenn sie keinen Aufschub gestatten.

Schrifttum. F.-Ch. Schroeder Kritische Bemerkungen zum Strafverfahrensänderungsgesetz 1979, NJW 1979 1527; Hans Meyer-Mews Verfahrensbeendigung durch den abgelehnten Richter, StraFo 1998 47.

Entstehungsgeschichte. Durch Art. 1 Nr. 7 StVÄG 1979 ist Absatz 2 an den unveränderten Absatz 1 angefügt worden.

90 91 92

BGHSt 21 88. OLG Stuttgart Justiz 1971 312. Meyer-Goßner 9; unrichtig insoweit LG Köln MDR 1992 893 unter Hinweis auf AK/Wassermann und KK/Pfeiffer, jeweils unter Rn. 5

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OLG Frankfurt/M. NStZ-RR 1996 352; a.A. OLG Hamburg ZfStrVo 1995 184.

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§ 29

Übersicht Rn. I. Inhalt und Bedeutung der Vorschrift

. .

Rn.

1

II. Regel (Absatz 1) 1. Abgelehnter Richter . . . . . . . . . . 2. Erledigung des Ablehnungsantrags . . 3. Keinen Aufschub duldende Handlungen a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . b) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . c) Dokumentation . . . . . . . . . . d) Erlass eines Haftbefehls . . . . . . 4. Ergebnis a) Ausschließungsgrund . . . . . . . b) Aufschiebbare Handlung . . . . . . c) Unaufschiebbare Handlung . . . . d) Mitwirkung am Eröffnungsbeschluss

18 19 20 22

III. Ausnahme (Absatz 2) 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Hauptverhandlung . . . . . . . . . . 3. Unterbrechung . . . . . . . . . . . . 4. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Dauer der Fortsetzung 1. Entscheidung ohne Verzögerung (Satz 1) 2. Spätester Termin (Satz 2) . . . . . . .

31 32

V. Folgen 1. Unzulässige und unbegründete Anträge 2. Begründete Ablehnungen . . . . . . . 3. Selbständige Entscheidungen (Satz 3) .

33 34 36

VI. Weitere Folgen 1. Ausgeschlossener Richter . . . . . . . 2. Schöffen und Urkundsbeamte . . . . .

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VII. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Inhalt und Bedeutung der Vorschrift Schon bei Erlass der Strafprozessordnung, als ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit im ersten Rechtszug nur bis zur Verlesung des Eröffnungsbeschlusses abgelehnt werden konnte (s. § 25 Entstehungsgeschichte), wurde als Zweck des § 29 angesehen, ein Ablehnungsantrag dürfe für sich allein nicht die Wirkung haben, dass der Abgelehnte sogleich von jeder Mitwirkung in der Sache ausgeschlossen werde.1 Das kommt im Gesetz eindeutig zum Ausdruck und versteht sich eigentlich von selbst. Denn sonst wäre der Beschuldigte imstande, dringliche Untersuchungshandlungen durch ein unbegründetes Ablehnungsgesuch zu verhindern. Absatz 1 enthält den Grundsatz, dass die Ablehnung amtsunfähig macht,2 und die Ausnahme, dass der abgelehnte Richter befugt bleibt, unaufschiebbare Handlungen – dazu zählt nicht die Entscheidung über die Ablehnung – vorzunehmen. Der Regelung ist denknotwendigerweise die Folgerung zu entnehmen, dass die unaufschiebbare Handlung wirksam ist, auch wenn die Ablehnung für begründet erklärt wird. Dagegen berührt die Vorschrift nicht die Fehlerhaftigkeit von Handlungen, die ein kraft Gesetzes ausgeschlossener Richter (§ 22, 54 ff.) vorgenommen hat. Demzufolge hat das Gericht, wenn es feststellt, der abgelehnte Richter sei ausgeschlossen gewesen, stets anzuordnen, dass die dringliche Handlung zu wiederholen sei. Das Gericht kann auch wirksame Handlungen wiederholen. Das empfiehlt sich, wenn Zweifel vorliegen, ob die Handlung eines erkennenden Richters unaufschiebbar war, weil die Frage im Fall der Anfechtung vom Berufungs- oder Revisionsgericht erst dann endgültig entschieden wird, nachdem die Hauptverhandlung bereits durchgeführt worden ist (§ 28 Abs. 2 Satz 2). Der Grundsatz, dass allein durch die Ablehnung für alle Handlungen, die keinen Aufschub gestatten, Amtsunfähigkeit herbeigeführt wird, gilt auch dann, wenn der Ablehnungsantrag unzulässig ist.3 Die Amtsunfähigkeit tritt dabei in dem Zeitpunkt ein, in 1 2

Hahn Mat. 1 92. A.A. OLG München NStZ 1993 354; KMR/Paulus 2.

3

BayObLGSt 1954 56; OLG Düsseldorf VRS 88 (1995) 37; KK/Pfeiffer 5; Meyer-Goßner 7.

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dem das Gesuch beim Gericht eingeht. Auf die Kenntnis des abgelehnten Richters von diesem Gesuch kommt es nicht an.4 Die Regelung entspricht einer sehr weitgehenden Vorsicht des Gesetzgebers. Sie wird in ihren Auswirkungen dadurch gemildert, dass – seit dem Inkrafttreten des Strafprozessänderungsgesetzes 1964 – unzulässige Anträge in einem vereinfachten Verfahren – während der Hauptverhandlung ohne deren Unterbrechung – erledigt werden können (§ 26a, 37) und dass der abgelehnte Richter bei der Entscheidung mitwirkt (§ 26a Abs. 2 Satz 1). Die Verwerfung als unzulässig ist u.a. auch – allerdings nur bei Einstimmigkeit (§ 26a 6 Abs. 2 Satz 2) – dann statthaft, wenn durch die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen (§ 26a Abs. 1 Nr. 3). Die Vorschrift ist schwer anwendbar (§ 26a, 27), weil der Umstand, dass allein verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen, kaum nachweisbar ist. Deshalb wird das ordentliche Ablehnungsverfahren des § 27 empfohlen (§ 26a, 4), für das die Hauptverhandlung stets unterbrochen werden muss (§ 27, 8). Nicht allein, aber namentlich für diese Fälle bringt Absatz 2 Satz 1 eine Auflockerung des Verfahrens zur Entscheidung über die Ablehnung mit dem Ziel, Verzögerungen der Hauptverhandlung 5 entgegenzuwirken, die notwendigerweise entstehen, wenn die Hauptverhandlung für rasch aufeinanderfolgende Ablehnungen mehrfach unterbrochen und nach Verwerfung des Ablehnungsantrags fortgesetzt werden muss, Vorgänge, für die mehr Zeit benötigt wird als für die Erledigung des Ablehnungsantrags selbst. Die – komplizierte – Regelung 6 der Auflockerung wäre wohl schon bei der Ausdehnung des Ablehnungsrechts bis zum letzten Wort zu erwägen gewesen; sie wurde notwendig, als in einzelnen Verfahren Richterablehnungen in einem Maß erhoben wurden, das geeignet war, den Lauf der Hauptverhandlung zu lähmen.

II. Regel (Absatz 1) 7

1. Abgelehnter Richter ist nach § 24 Abs. 1 der Richter, gegen den ein Ablehnungsantrag angebracht worden ist, sei es weil der Ablehnende Befangenheit besorgt, sei es weil er behauptet, der Richter sei kraft Gesetzes davon ausgeschlossen, das Richteramt auszuüben. Danach findet die Vorschrift auf den Richter, dessen Ausschließung behauptet wird, insoweit Anwendung, dass er – auch wenn er in Wirklichkeit nicht ausgeschlossen ist – keine Handlung vornehmen darf, die Aufschub gestattet. Soweit die Vorschrift dagegen zulässt, dass der abgelehnte Richter trotz der Ablehnung nicht aufschiebbare Handlungen vornimmt, ist sie wegen der Wirkung, die die Ausschließung von Rechts wegen hat, auf den ausgeschlossenen Richter nicht anwendbar. Daher darf der Richter, wenn er durch die Ablehnung erfahren hat, dass er nach § 22 von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, keine – auch keine dringliche – Handlung vornehmen (§ 22, 54). In Bezug auf den ausgeschlossenen Richter (§§ 22, 23) hat die Vorschrift daher nur 8 Bedeutung, wenn der Ausschließungsgrund zwar behauptet ist, aber offensichtlich nicht vorliegt.7 Dass sie auch anzuwenden wäre, wenn der behauptete Ausschließungsgrund nicht alsbald feststellbar sei,8 kann nicht anerkannt werden. Zwar ist eine vorgenommene 4

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BGH NStZ 2003 668; OLG Frankfurt/M. NJW 1998 1238; Meyer- Goßner 1; KK/Pfeiffer 1. Begr. BTDrucks. 8 976, S. 23.

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So Rieß NJW 1978 2268. Ebenso KMR/Paulus 3. Eb. Schmidt 2.

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Handlung, die unaufschiebbar war, wirksam, wenn das Gericht später feststellt, dass kein Ausschließungsgrund gegeben ist (Rn. 22). Wird aber ein solcher festgestellt, ist auch die im guten Glauben vorgenommene unaufschiebbare Handlung eines ausgeschlossenen Richters fehlerhaft; denn für die Ausschließung kommt es nicht darauf an, dass der Richter den Ausschließungsgrund kennt. Dem ausgeschlossenen Richter stehen gleich der Richter, gegen den eine Ablehnung 9 für begründet erklärt worden ist (§ 25 Abs. 1), sowie der Richter beim Amtsgericht, der einen Ablehnungsantrag für begründet hält (§ 27 Abs. 3 Satz 2). Auch dieser ist nicht befugt, dringende Amtshandlungen vorzunehmen. Er darf auch seine Feststellung, dass der Antrag begründet ist, wenn er weiß, dass er sie treffen muss, nicht aufschieben, um vorher eine dringliche Handlung vorzunehmen. 2. Erledigung des Ablehnungsantrags. Die gesetzlich angeordnete Amtsbeschränkung 10 auf die Vornahme unaufschiebbarer Handlungen endet mit der Erledigung des Ablehnungsantrags. „Erledigung“ im Sinne von § 29 Abs. 1 tritt nach ganz h.M. mit der endgültigen Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ein.9 Das kann der Beschluss nach § 28 Abs. 1 sein, durch den das Gesuch für begründet erklärt wird oder bei einem Verwerfungsbeschluss nach § 28 Abs. 2 Satz 1 dessen Rechtskraft durch die Entscheidung des Beschwerdegerichts 10 oder nach Ablauf der Beschwerdefrist (§ 311 Abs. 2) und im Fall des § 28 Abs. 2 Satz 2 mit Erlass der Entscheidung nach § 27, weil dann die Ablehnungsentscheidung nur noch gemeinsam mit dem Urteil angefochten werden kann.11 3. Keinen Aufschub duldende Handlungen a) Grundsatz. Keinen Aufschub gestatten Handlungen, die wegen ihrer Dringlichkeit 11 nicht anstehen können, bis der Ersatzrichter eintritt.12 Bei der Beurteilung, wann eine Amtshandlung unaufschiebbar ist, steht dem Richter ein Spielraum zu, der auch nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt. Insofern genügt es, dass die Entscheidung vertretbar und nicht ermessensfehlerhaft ist.13 b) Beispiele dafür sind die Sicherung von Beweisen, wenn sie während der Entschei- 12 dung über das Ablehnungsgesuch verloren gehen können (z.B. Vernehmung eines todkranken Zeugen, nicht dagegen die Vernehmung eines von weit her angereisten Zeugen), oder das nur in der Sitzung zulässige 14 und daher unaufschiebbare Verhängen eines Ordnungsmittels wegen Ungebühr nach § 178 Abs. 1 GVG 15 und bei Vorliegen besonderer Umstände auch die Terminbestimmung zur Hauptverhandlung.16 Des weiteren kann auch der Beginn der Hauptverhandlung durch Aufruf der Sache und Feststellung der Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten gerechtfertigt sein, wenn es sich um ein umfangreiches Verfahren mit mehreren Verteidigern, Sachverständigen, Dolmetscher(n) und zahlreichen ausländischen Zeugen handelt und das Ablehnungsgesuch erst kurz vor

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11 12

HK/Lemke 3; KK/Pfeiffer 4; KMR/Paulus 5; Meyer-Goßner 3. OLG Celle NdsRpfl 1998 130; OLG München MDR 1982 773; OLG Stuttgart MDR 1994 499; a.M. KG JR 1968 28. HK/Lemke 3; KK/Pfeiffer 4; KMR/Paulus 5; Meyer-Goßner 3. OLG Köln VRS 59 (1980) 428.

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BGH NStZ 2002 429 (Rn. 8); KK/Pfeiffer 14; KMR/Paulus 4; HK/Lemke 18. BayObLGSt 8 75. OLG Hamburg GA 70 (1926) 54. OLG Köln VRS 59 (1980) 428: um die sonst drohende Verfolgungsverjährung zu unterbrechen.

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Beginn der Hauptverhandlung angebracht wird.17 Dagegen ist die Verlesung der Anklage sowie die Feststellung ihrer Zulassung durch den Eröffnungsbeschluss nicht unaufschiebbar.18

13

c) Dokumentation. Nimmt der Richter eine unaufschiebbare Handlung vor, wird er den Grund, aus dem er sie für unaufschiebbar hält, aktenkundig machen. Bloße Zweckmäßigkeit macht die Sache nicht unaufschiebbar, ein selbst von weither gereister Zeuge kann die Reise erneut machen. Bei den heutigen Verkehrsmöglichkeiten und Nachrichtenverbindungen wird der Fall der unaufschiebbaren Handlung nicht oft eintreten. Nicht ernstlich zu erörtern ist die Ansicht, die Entscheidung über die Befangenheit 14 eines weiteren Richters sei für den zur Anzeige nach § 30 verpflichteten Richter unaufschiebbar oder er dürfe sie treffen, bevor er Anzeige nach § 30 macht.19 Die Fragen, die sich bei Anzeigen sämtlicher Richter eines Gerichts nach § 30 stellen, sind mit § 27 Abs. 4 und den Erörterungen zu § 27 (Rn. 35 ff.) unschwer zu lösen.20

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d) Der Erlass eines Haftbefehls, d.i. die schriftliche Anordnung der Untersuchungshaft (§ 114), nach Erhebung der öffentlichen Klage (§ 125 Abs. 2) ist für den abgelehnten Richter eines Kollegialgerichts regelmäßig keine Amtshandlung, die keinen Aufschub gestattet. Denn in dringenden Fällen kann der Vorsitzende – wenn er abgelehnt wird, der für ihn eintretende Vertreter – den Haftbefehl erlassen (§ 125 Abs. 2 Satz 2). Lediglich wenn alle Richter eines Kollegialgerichts oder der Strafrichter abgelehnt 16 werden und erwartet werden muss, dass der Angeklagte die Zeit, bis über die Ablehnung entschieden ist, zur Flucht benutzen wird, gestattet der Erlass des Haftbefehls keinen Aufschub. Zwar ist der Staatsanwalt in diesem Fall befugt, den Angeklagten vorläufig festzunehmen (§ 127 Abs. 2); allerdings braucht das Gericht sich nicht vom Handeln oder Unterlassen des Staatsanwalts abhängig zu machen.21 Scheidet der abgelehnte Richter aus, muss in der neuen Besetzung erneut über die Haftfrage entschieden werden. Bei neuen Straftaten in der Hauptverhandlung ist das in der anhängigen Sache ver17 handelnde Gericht in der Regel unzuständig, den Haftbefehl zu erlassen, wenn nicht ausnahmsweise der nach § 125 Abs. 1 zuständige Richter als Strafrichter verhandelt und der Staatsanwalt den notwendigen Antrag stellt (§ 125 Abs. 1). Das Gericht ist aber nach § 183 Abs. 2 GVG berechtigt, „in geeigneten Fällen“ die Festnahme des Täters zu verfügen. Im Fall der Ablehnung wird diese Vorschrift durch § 29 ergänzt und beschränkt. Das Gericht ist danach zur Festnahme befugt, wenn ohne eine solche einer Flucht des Täters nicht vorgebeugt werden kann. Auch in diesem Fall braucht das Gericht nicht zu warten, ob der Staatsanwalt von seinem Festnahmerecht aus § 127 Abs. 2 Gebrauch machen wird. Doch empfiehlt sich hier eine Verständigung zwischen Gericht und Staatsanwalt, weil – anders als im Fall des § 125 Abs. 2 – für den nachfolgenden Erlass des Haftbefehls durch den Richter beim Amtsgericht der Antrag des Staatsanwalts erforderlich ist (§ 125 Abs. 1).

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BGHR StPO § 29 Abs. 1 (Amtshandlung, unaufschiebbare 3). BGH aaO. Koch DRiZ 1970 328.

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20 21

Meyer DRiZ 1971 161. So Peters bis zur 2. Auflage (1966) § 20 III 2 letzter Absatz.

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4. Ergebnis a) Wenn das Gericht feststellt, dass ein Ausschließungsgrund vorgelegen hat, ist die 18 vom Richter vorgenommene Handlung stets fehlerhaft (§ 22, 54), gleichgültig, ob sie aufschiebbar oder unaufschiebbar war, und gleichviel, welche Vorstellung der Richter über die Aufschiebbarkeit hatte. b) Die aufschiebbare Handlung ist, unabhängig von der Vorstellung des Richters von 19 der Aufschiebbarkeit, nach dem Sinn der Vorschrift (Rn. 1) stets fehlerhaft, auch wenn ein wegen Besorgnis der Befangenheit angebrachter Ablehnungsantrag für unbegründet erklärt oder festgestellt wird, dass kein Ausschließungsgrund vorgelegen hat. Das bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass die Handlung auch unwirksam wäre.22 Für eine derart weit reichende Auslegung des § 29 Abs. 1 besteht im Hinblick auf den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 kein Anlass. So ist das OLG Hamburg 23 bereits in Übereinstimmung mit dem OLG München 24 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Mitwirkung eines abgelehnten Richters am Eröffnungsbeschluss 25 davon ausgegangen, dass derartige Handlungen trotz Fehlerhaftigkeit wirksam sind, wenn das Ablehnungsgesuch nachträglich rechtskräftig zurückgewiesen wird.26 Dieser Rechtsprechung im Sinne einer Heilbarkeit des Verstoßes gebührt der Vorzug, weil es sich lediglich um einen formalen Verstoß handelt und zudem durch die rechtskräftige Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs die Schutzfunktion des § 29 Abs. 1 retrospektiv entbehrlich geworden ist.27 c) Die unaufschiebbare Handlung des wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnten 20 Richters ist auch dann wirksam, wenn ein Ablehnungsantrag wegen Besorgnis der Befangenheit für begründet erklärt wird (Rn. 2). Sie ist ferner wirksam, wenn festgestellt wird, dass kein Ausschließungsgrund vorgelegen hat. Sie ist dagegen unwirksam, wenn ein solcher festgestellt wird (Rn. 3; 38). Der Mangel kann mit der Revision gerügt werden. Das Revisionsgericht prüft nach, 21 ob die Handlung aufschiebbar war,28 doch ist dem Richter, der die Prozesshandlung vornimmt, ein gewisser Spielraum bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unaufschiebbarkeit zuzugestehen (Rn. 11). d) Hat der durch Ablehnung amtsunfähige Richter an einem Eröffnungsbeschluss 22 mitgewirkt, dann ist dieser zwar mangelhaft, jedoch nicht unwirksam.29 Da die durch eine Ablehnung herbeigeführte Amtsunfähigkeit aber nur ein vorläufiger Zustand ist, wirkt der Mangel nicht so stark, dass der mangelhafte Eröffnungsbeschluss einem fehlenden (§ 22, 66 ff.) gleichzustellen wäre. Diese Folge tritt nicht einmal dann ein, wenn ein Ausschließungsgrund festgestellt oder ein Ablehnungsantrag für begründet erklärt wird.30

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23 24 25

So aber: OLG Düsseldorf StV 1994 528; Martin LM § 29, 1; KK/Pfeiffer 5; KMR/ Paulus 24; SK/Rudolphi 1, 7; AK/Wassermann 4. OLGSt StPO § 26 Nr. 1. NStZ 1993 354. BGHSt 4 208; bei gesetzlich ausgeschlossenem Richter: BGHSt 29 351.

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So auch KK/Pfeiffer 5; Meyer-Goßner 7. OLG Hamburg aaO. Eb. Schmidt 3 Abs. 2. BGHSt 4 208. BGHSt 29 351; KK/Pfeiffer 5, LR/Rieß 25 § 207, 51 ff.

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III. Ausnahme (Absatz 2) 23

1. Grundsatz. Entgegen dem Grundsatz des Absatzes 1, dass die Ablehnung den Richter – mit der Ausnahme für solche Handlungen, die keinen Aufschub gestatten – sofort amtsunfähig macht, gestattet Absatz 2 Satz 1, die Hauptverhandlung für eine bestimmte Zeit (Rn. 36, 37) fortzusetzen, und ermächtigt den Abgelehnten, in dieser Zeit Prozesshandlungen vorzunehmen. Damit soll einer missbräuchlichen Ablehnungspraxis und dadurch bewirkten Verfahrensverzögerungen entgegengewirkt werden.31 Absatz 2 Satz 1 gilt nicht für das vorbereitende Verfahren und das Hauptverfahren in der Zeit, bevor die Hauptverhandlung begonnen hat,32 und ist weiterhin von zwei Voraussetzungen (Rn. 25, 27) abhängig. Im Einzelnen kann Absatz 2 Satz 1 unter den folgenden Voraussetzungen angewendet werden.

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2. Hauptverhandlung. Absatz 2 Satz 1 gilt nur während der Hauptverhandlung, Unterbrechungen einbezogen.33 Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache (§ 243 Abs. 1 Satz 1) durch den Vorsitzenden oder durch eine andere Gerichtsperson, die auf seine Anordnung handelt. Einzelheiten dazu s. § 243. § 243 Abs. 1 Satz 1 gilt auch für die Hauptverhandlung im Berufungsverfahren (§ 324 Abs. 1 Satz 1). Im Revisionsverfahren ist der auch hier regelmäßig stattfindende Aufruf der Sache ohne Bedeutung; im Rechtssinn beginnt die Revisionsverhandlung erst mit dem Vortrag eines Berichterstatters (§ 351 Abs. 1), den auch der Vorsitzende selbst übernehmen kann (§ 351). Wann die Hauptverhandlung endet, ist für die hier behandelte Frage ohne Bedeutung, weil das Recht zur Ablehnung mit dem letzten Wort des Angeklagten (§ 25 Abs. 2 Satz 2 für die erste Instanz; § 326 Satz 2 für das Berufungsverfahren; § 351 Abs. 2 Satz 2 für das Revisionsverfahren) erlischt.

3. Unterbrechung. Die Fortsetzung der Hauptverhandlung ist nur zulässig, wenn sie wegen der Entscheidung über die Ablehnung unterbrochen werden müsste. Hauptverhandlung ist die mündliche Verhandlung vor dem Gericht in ununterbrochener Gegenwart der zur Urteilsfindung berufenen Personen, eines Staatsanwalts, eines Urkundsbeamten (§ 226), grundsätzlich des Angeklagten (§§ 230 ff.) und bei notwendiger Verteidigung eines Verteidigers (vgl. § 145 Abs. 1). Wird diese gleichzeitige Gegenwart der genannten Personen aufgehoben, dann wird damit die Hauptverhandlung unmöglich; sie muss unterbrochen werden. Unterbrechung der Hauptverhandlung ist demzufolge das Einlegen eines verhandlungsfreien Zwischenraums zwischen mehrere Teile einer in sich zusammenhängenden Verhandlung (§ 228). Darunter fällt auch die Beratung des Gerichts über einen Ablehnungsantrag, weil sie geheim und ohne Beteiligung des Angeklagten, seines Verteidigers und des Staatsanwalts stattfindet und deshalb nicht Bestandteil der Hauptverhandlung ist.34 Freilich gibt es zwei Arten der Unterbrechung: Im Fall des § 27 ist die Unterbrechung 26 nach § 226 notwendig, weil der Abgelehnte nicht mitwirken kann (§ 27 Abs. 1); die Ablehnungsentscheidung wird in Beschlussbesetzung getroffen (§ 27, 8). Im Fall des § 26a entscheidet das Gericht, ohne dass der abgelehnte Richter ausscheidet (§ 26a Abs. 2 Satz 1); die Ablehnungsentscheidung trifft das vollbesetzte Gericht (§ 26a, 37). In

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31 32 33

Rieß NJW 1979 2268; kritisch: Dästner ZRP 1977 53. Begr. BTDrucks. 8 976, S. 34; Rn. 27. KK/Pfeiffer 7; kritisch dazu: Schroeder NJW 1979 1528 r. Sp.

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So für die Urteilsberatung Meyer-Goßner § 260, 2.

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diesem Fall kann die Beratung auch im Sitzungszimmer mit leiser Stimme gehalten werden (§193 GVG). Die leise Verständigung über die Verwerfung eines Ablehnungsantrags wird indessen fast nie angebracht sein, das Gericht wird sich wohl stets ins Beratungszimmer zurückziehen. Dadurch wird, mag die Gerichtsbesetzung im Fall des § 26a auch unverändert bleiben, die Hauptverhandlung unterbrochen. Da somit die Unterbrechung der Hauptverhandlung die Regel sein wird, erscheint die 27 Bezugnahme auf dieses Merkmal nahezu unnötig.35 Es erhält seine Kontur durch die Bestimmung, dass die Hauptverhandlung (nur) so lange fortgesetzt werden kann, bis eine Entscheidung ohne Verzögerung der Hauptverhandlung möglich ist. Daraus folgt, dass die Hauptverhandlung gar nicht erst fortgesetzt werden darf, sondern alsbald unterbrochen und über die Ablehnung entschieden werden muss, wenn dadurch die Hauptverhandlung nicht verzögert wird. Jede Zwischenentscheidung verzögert die Hauptverhandlung zumindest um Minuten. Dieser Umstand kann dem Gesetzgeber nicht verborgen gewesen sein. Wenn er gleichwohl die Fortsetzung der Hauptverhandlung an die Voraussetzung geknüpft hat, dass die Entscheidung über den Ablehnungsantrag eine Unterbrechung der Hauptverhandlung erfordern würde, kann daraus nur der Schluss gezogen werden, dass nicht jede auf die ganze Hauptverhandlungsdauer bezogene geringfügige Verzögerung gemeint ist, sondern nur eine solche, die durch ihre Dauer oder wegen mehrfacher Wiederholung die Hauptverhandlung mehr aufhält als eine übliche Beratung; die Verzögerung muss also übermäßig sein.36 4. Verfahren. Liegen in der Hauptverhandlung (Rn. 27) die Voraussetzungen der 28 Unterbrechung (Rn. 29) und einer dadurch verursachten übermäßigen Verzögerung (Rn. 27, 31) vor, dann kann die Hauptverhandlung mit dem abgelehnten Richter fortgesetzt werden; sie wird nicht unterbrochen. Über die Fortsetzung, d.h. darüber, dass die Hauptverhandlung nicht unterbrochen wird, entscheidet der Vorsitzende. Die Begründung 37 findet die Grundlage dafür in § 238 Abs. 1, doch sind weitere Überlegungen erforderlich, weil die Zuständigkeit, Unterbrechungen der Hauptverhandlung anzuordnen, in § 228 Abs. 1 geregelt ist. Daher ist zunächst auf diese Vorschrift einzugehen. Nach § 228 Abs. 1 entscheidet über die Unterbrechung der Hauptverhandlung für 29 mehr als drei Wochen (§ 229 Abs. 2) das Gericht. Da das Gericht über die Aussetzung der Hauptverhandlung entscheidet, entscheidet es auch darüber, dass die Hauptverhandlung nicht unterbrochen (sondern fortgesetzt) wird. Kürzere (als die in § 229 Abs. 2 aufgeführten) Unterbrechungen „ordnet der Vorsitzende an“ (§ 228 Abs. 1 Satz 2). Da der Vorsitzende aber auch davon absehen kann, eine Unterbrechung anzuordnen, ist die Fassung von § 228 Abs. 1 Satz 2 eine, wohl aus stilistischen Gründen gewählte, Vereinfachung. Der Sinn des Textes ist, dass – wie in den Fällen des Satzes 1 das Gericht –, im Fall des Satzes 2 über Unterbrechungen bis zu drei Wochen der Vorsitzende entscheidet. Daher entscheidet er auch, dass solche Unterbrechungen nicht stattfinden. Da über eine Ablehnung stets innerhalb der Dreiwochen-Frist entschieden wird, ist der Vorsitzende auch berufen zu entscheiden, dass die Hauptverhandlung fortgesetzt wird. Die Entscheidung des Vorsitzenden, dass die Hauptverhandlung unter Mitwirkung 30 des abgelehnten Richters fortgesetzt werde, ist eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden im Sinn des § 238 Abs. 2.38 Diese Vorschrift findet zwar

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Vgl. die Stellungnahme des Bundesrats BTDrucks. 8 976, S. 93. Meyer-Goßner 10.

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BTDrucks. 8 976, S. 34. BGH NStZ 2002 429 Rn. 9; KK/Pfeiffer 14.

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bei einer Unterbrechung der Hauptverhandlung grundsätzlich keine Anwendung.39 Die Entscheidung dagegen, vom Prinzip des Absatzes 1 abzuweichen und nicht – was auch möglich wäre (so kann diese … fortgesetzt werden) – bei ihm zu verharren; die Fortsetzung der Hauptverhandlung mit einem abgelehnten Richter, der, wenn die Ablehnung durchschlägt, nicht mehr der gesetzliche Richter ist; die Fortsetzung einer Hauptverhandlung, die ggf. zu einem Teil wiederholt werden muss, greift so stark in die Verfahrensrechte der Beteiligten ein, dass sie zur Sachleitung zu rechnen ist. Daher kann gegen die Entscheidung des Vorsitzenden diejenige des Gerichts angerufen werden (§ 238 Abs. 2).40 Da der Vorsitzende bei der Sachleitung das Gericht vertritt 41 und dieses nicht gehindert ist, schon während der Hauptverhandlung die Entscheidung an sich zu ziehen, wird man dem Vorsitzenden das Recht zugestehen müssen, die Entscheidung dem Gericht zu überlassen.42 Die Regel sollte das freilich nicht sein, weil es dadurch zum Zweck der Beratung zu einer Unterbrechung der Hauptverhandlung kommt, die zu vermeiden gerade der Zweck des Absatzes 2 Satz 1 ist. Muss ausnahmsweise so verfahren werden, wird immer zu prüfen sein, ob gleich über die Ablehnung entschieden werden kann, eine Frage, die durchaus nicht stets zu bejahen sein wird.

IV. Dauer der Fortsetzung 31

1. Entscheidung ohne Verzögerung (Satz 1). Sofern die Entscheidung über die Ablehnung nicht schon ohne Verzögerung alsbald nach der Ablehnung möglich war (Rn. 27), ist sie zu treffen, sobald diese Möglichkeit eintritt.43 Zur Entscheidung gehört die Verkündung, weil jene erst durch diese wirksam wird (§ 33, 10). Wegen des Begriffs der Verzögerung als einer übermäßigen s. Rn. 27. Die Möglichkeit zur unverzögerlichen Entscheidung wird in der Regel gegeben sein, wenn die Sitzung auf den nächsten Tag vertagt wird, doch kann ausnahmsweise die Anspannung der Sitzung eine anschließende Beratungssitzung ausschließen. Auch kann es geboten sein, am nächsten Tag zunächst eine am Vortag begonnene Beweisaufnahme zu beenden, wenn durch die Verkündung (und ihretwegen zu erwartende neue Ablehnungen) eine übermäßige Verzögerung noch zu befürchten ist. Doch muss im Allgemeinen jede ohnehin notwendig werdende Verhandlungspause zur Erledigung des Ablehnungsantrags genutzt werden. Der Zeitaufwand muss ja einmal erbracht werden, die „Verzögerung“ tritt notwendigerweise einmal ein. Daran kann die Vorschrift nichts ändern; sie will lediglich den Zwang lockern, die Hauptverhandlung sofort zu unterbrechen, damit die „geordnete Verhandlungsführung möglich bleibt“.44

32

2. Spätester Termin (Satz 2). Das Gesetz soll nach seiner Begründung Unzuträglichkeiten entgegenwirken, aber keine wesentlichen Eingriffe ins Ablehnungsverfahren vornehmen.45 Deshalb werden absolute Grenzen gesetzt: Über die Ablehnung ist bis zum Beginn des übernächsten Verhandlungstags zu entscheiden. Zwischen der Ablehnung des Richters und der Entscheidung darüber darf daher außer dem Verhandlungstag, an dem 39 40 41 42

Vgl. dazu die Erläuterungen zu § 238. BTDrucks. 8 976 Begr. zu § 29, S. 34; BGH NStZ 2002 429 Rn. 9; Meyer-Goßner 11. Vgl. Erläuterungen zu § 238. Der Sachverhalt ist anders als bei § 126 Abs. 2 Satz 3 und bei § 141 Abs. 4, wo der Vorsitzende nicht für das Gericht entscheidet,

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43 44 45

sondern allein zuständig ist und die Maßnahmen keine auf die Sachleitung bezüglichen Anordnungen des Vorsitzenden sind. KK/Pfeiffer 8; Meyer-Goßner 12. Begr. BTDrucks. 8 976, S. 23. BTDrucks. 8 976, S. 23.

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der Richter abgelehnt wird, nur noch ein weiterer Verhandlungstag liegen. Am dritten Tag muss die Verhandlung mit der Verkündung der Entscheidung über die Ablehnung beginnen; die Beratung darüber kann auch noch an diesem (übernächsten) Tag stattfinden, aber nur vor Beginn der Fortsetzung der Hauptverhandlung. Eine Begrenzung nach Kalendertagen (§ 42) oder nach Arbeitstagen (vgl. § 43 Abs. 2) sieht das Gesetz nicht vor. Danach wäre es möglich, dass über einen Ablehnungsantrag, der am Tage einer Aussetzung nach § 229 Abs. 2 für dreißig Tage angebracht wird, erst nach 32 Tagen entschieden wird oder entsprechend der seit dem 1.9.2004 geltenden Neufassung des § 229 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 4 sogar am 45. Tag, wenn der letzte Hauptverhandlungstag ein Freitag war. Das frische Erlebnis des Vorgangs, der zur Ablehnung geführt hat, ist dann in der Erinnerung verblasst, die Entscheidung eine bloße Papierentscheidung. Solche Lagen sollten auf jeden Fall vermieden werden. Vor einer Aussetzung von dreißig Tagen sollte das Gericht über vorliegende Ablehnungsanträge entscheiden. Werden die Schlussvorträge vor Beginn des übernächsten Verhandlungstags gehalten, dann ist auf jeden Fall vor deren Beginn zu entscheiden und, wie Rn. 36 ausführt, die Entscheidung zu verkünden. Schlussvorträge sind die Ausführungen und Anträge des Staatsanwalts und des Angeklagten nach dem Schluss der Beweisaufnahme (§ 258 Abs. 1; § 326 Satz 1), im Revisionsverfahren nach dem Vortrag des Berichterstatters (§ 351 Abs. 2 Satz 1). Werden anlässlich der Verkündung der Entscheidung über die Ablehnung neue Ablehnungsanträge gestellt, dann ist über diese sofort zu entscheiden. Jedoch findet wieder die Ausnahme des Satzes 1 statt, wenn die Beweisaufnahme wiederaufgenommen wird.

V. Folgen 1. Unzulässige und unbegründete Anträge. Wird der Antrag als unzulässig verworfen 33 oder als unbegründet zurückgewiesen, so ist, wenn nicht ein Oberlandesgericht entschieden hat, die Anfechtung zusammen mit dem Urteil zulässig (§ 28 Abs. 2 Satz 2; § 28, 27 bis 29). Die sofortige Beschwerde (§ 28 Abs. 1 Satz 1) ist unzulässig. Denn das Verfahren des Absatzes 2 Satz 1 findet nur während der Hauptverhandlung statt, und in dieser Zeit betrifft die Entscheidung stets einen erkennenden Richter (§ 28, 11 bis 13). Die Hauptverhandlung wird also fortgesetzt. Der Sinn der Erlaubnis, die Hauptverhandlung fortzusetzen, ist aber gerade der, dass der abgelehnte Richter in der Fortsetzungszeit auch aufschiebbare Handlungen vornehmen kann mit der Wirkung, dass diese, was aus Satz 2 folgt, dann wirksam bleiben, wenn der Ablehnungsantrag erfolglos geblieben ist.46 2. Begründete Ablehnungen führen, weil der abgelehnte Richter ausscheiden muss 34 (vgl. § 338 Nr. 3) und wegen § 226 kein neuer Richter eintreten kann, zur Aussetzung der Hauptverhandlung, d.h. zum Abbrechen der Hauptverhandlung mit der Folge, dass demnächst eine neue selbständige Hauptverhandlung stattfinden muss (§ 228).47 Die richterlichen Handlungen verlieren damit ihre Wirksamkeit mit Ausnahme solcher, die keinen Aufschub gestattet hatten (Rn. 20) und die ihre Wirkung auch nach Abbruch der Hauptverhandlung beibehalten, wie etwa ein Haftbefehl. Diese Sachlage tritt nach der

46 47

So auch Begr. BTDrucks. 8 976, S. 35. Schroeder (NJW 1979 1529 l. Sp.) sieht darin „erst recht eine Verzögerung“; um zu vermeiden, dass die Vorschrift geradezu ins Gegenteil verkehrt werde, sollte sie möglichst

nur bei Ablehnungsgesuchen in Prozessverschleppungsabsicht oder zu verfahrensfremden Zwecken (§ 26 Abs. 1 Nr. 3) sowie bei solchen mit geringer Erfolgswahrscheinlichkeit angebracht werden.

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Gestaltung unseres Prozesses nicht nur grundsätzlich, sondern auch tatsächlich fast immer ein. Davon gibt es für die Richterablehnung nur eine Ausnahme, die in normalen Prozessen keine Rolle spielt, wohl aber bei Verhandlungen von längerer Dauer, häufig in Strafsachen nach § 129a StGB oder aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität, nämlich die, dass zur Fortführung des Prozesses ein Ergänzungsrichter zur Verfügung steht. Nach § 192 Abs. 2 GVG kann der Vorsitzende bei Verhandlungen von längerer Dauer 35 anordnen, Ergänzungsrichter (nach Absatz 3 auch Schöffen) zuzuziehen. Diese wohnen der Hauptverhandlung von Anfang an ununterbrochen bei und treten, wenn ein Richter verhindert wird, für diesen ein.48 Nachdem der Ergänzungsrichter eingetreten ist, wird die Verhandlung in dem bisherigen Stadium fortgesetzt (s. Erl. zu § 192 GVG), d.h. die Hauptverhandlung braucht nicht deshalb ausgesetzt zu werden, weil die Ablehnung für begründet erklärt worden ist (Satz 2 erster Teilsatz). Da die Hauptverhandlung zunächst fortgesetzt worden war (Satz 1), scheidet der Richter, wenn die Ablehnung für begründet erklärt wird, „zu spät“ aus. Satz 2 legt die Folge jener Entscheidung daher zurück, und zwar nach dem Grundsatz des Absatzes 1 auf den Zeitpunkt der Ablehnung. Als Folge wird verordnet, dass der Teil der Verhandlung zu wiederholen ist, der nach dem Ablehnungsantrag geführt worden ist. Der wiederholte Teil tritt für die Urteilsfindung (§ 261) an die Stelle dessen, den er ersetzt; diesen müssen die Richter ausschalten. Dass Handlungen, die in dem Zeitpunkt, wo sie vorgenommen wurden, keinen Aufschub gestatteten, nicht wiederholt zu werden brauchen, ergibt sich schon aus Absatz 1 49 und wird wohl nur zur Verdeutlichung ausgesprochen.

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3. Selbständige Entscheidungen (Satz 3). Für eine gewisse Gruppe von Entscheidungen (Rn. 37) wird die Möglichkeit, sie in Abweichung von Absatz 1 nach der Ablehnung in der nach Satz 1 fortgeführten Hauptverhandlung zu erlassen, durch Satz 3 grundsätzlich ausgeschlossen und nur für den in Absatz 1 vorgesehenen Fall zugelassen, dass sie keinen Aufschub gestatten (dazu Rn. 11, 12); d.h. für diese Entscheidungen ist allein Absatz 1 anzuwenden. Das bedeutet: In der laufenden Hauptverhandlung dürfen solche Entscheidungen nicht durch „leise Verständigung“ (Rn. 26) beschlossen werden, auch wenn sie für einen eintretenden Eventualfall vorberaten waren. Da zur Entscheidung auch die Verkündung gehört (Rn. 31), kann auch eine in einer Beratungspause beschlossene, aber mangels Verkündung noch nicht wirksam gewordene Entscheidung nicht verkündet werden – es sei denn, dass sie keinen Aufschub gestattet –, wenn nach Beschlussfassung, aber vor Verkündung ein Ablehnungsantrag angebracht wird. Vielmehr ist die Hauptverhandlung zu unterbrechen, was ohnehin der Regelfall sein wird. In der Beratung ist dann, im Fall des § 27 in anderer Besetzung, zuerst über die Ablehnung zu entscheiden; dann erst darf die andere Entscheidung getroffen werden. An dieser wirkt der abgelehnte Richter wieder mit, wenn die Ablehnung verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen ist (§ 27, 38), da die Bekanntgabe an den abgelehnten Richter die Ablehnungsentscheidung wirksam macht (§ 27, 47). Welche Entscheidungen, die auch außerhalb der Hauptverhandlung ergehen können, 37 der Gesetzgeber im Sinn gehabt hat, ist nicht klar ersichtlich. Die Begründung spricht von Entscheidungen über Untersuchungshaft, Beschlagnahme- und Durchsuchungsanordnungen, Anordnungen der Unterbringung nach § 81 und ähnlichem und meint, das Gericht könne sie auch während der Hauptverhandlung in der Besetzung erlassen, die für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung vorgesehen sind.50 Ob die Bemer48

KK/Pfeiffer 10; KMR/Paulus 20; Meyer-Goßner 14.

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Rieß NJW 1978 2268; KK/Pfeiffer 10. BTDrucks. 8 976, S. 35.

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§ 29

kung zu der Besetzungsfrage zutrifft (vgl. zum Haftbefehl die Erl. zu § 126), kann hier auf sich beruhen, da die Gedanken der Begründung im Gesetz keinen Ausdruck gefunden haben. Unter Entscheidungen, die auch außerhalb der Hauptverhandlung ergehen können, sind sowohl solche zu verstehen, die im ausgesetzten Prozess in Beschlussbesetzung erlassen werden, um den neubegonnenen Prozess vorzubereiten (Anordnung nach § 81), als auch solche, die im zur Beratung unterbrochenen Prozess (Rn. 29) in voller Besetzung beschlossen, aber nicht in der Hauptverhandlung, sondern in der Beratungspause (durch Bekanntgabe an die Staatsanwaltschaft) verkündet werden (Haftbefehl), als auch endlich solche Entscheidungen, die im vorbereitenden Verfahren ergehen (aber auch später ergehen können) und die sich nicht mit der Ausführung erledigen, sondern weitere Wirkung behalten, meist sog. doppelfunktionelle Prozesshandlungen, worunter in der Tat in erster Linie die in der Begründung genannten fallen.51

VI. Weitere Folgen 1. Ausgeschlossene Richter. Da ein nach den §§ 22, 23 ausgeschlossener Richter 38 keinerlei Handlungen, auch nicht unaufschiebbare, vornehmen kann (Rn. 3), muss, wenn nach Ablehnung eines ausgeschlossenen Richters (§ 24, 1) die Hauptverhandlung fortgesetzt wird – was nach dem Wortlaut des § 24 Abs. 1 möglich ist –, der Teil, der nach dem Ablehnungsantrag liegt, auch dann wiederholt werden, wenn die Handlung, als sie vorgenommen wurde, keinen Aufschub gestattete. Es ist daher nicht angebracht, Absatz 2 Satz 1 anzuwenden, wenn ein Richter mit der Begründung abgelehnt wird, es sei kraft Gesetzes ausgeschlossen (Rn. 3). Ein unangemessener Gebrauch dieses Ablehnungsgrundes ist auch kaum zu befürchten. 2. Schöffen und Urkundsbeamte. Für Schöffen und Urkundsbeamte gilt die Vor- 39 schrift nach § 31 entsprechend. Wird ein Schöffe abgelehnt, bleiben „aufschiebbare“ Entscheidungen nach Absatz 2 Satz 3 außerhalb der Hauptverhandlung zulässig; der Vorsitzende darf sie in der fortgesetzten Hauptverhandlung verkünden, weil auch hieran kein Schöffe mitwirkt.52 Scheidet ein Urkundsbeamter aus, wird er durch einen anderen ersetzt, denn dieser ist jederzeit austauschbar;53 die Hauptverhandlung wird nicht ausgesetzt (§ 31, 8).

VII. Rechtsmittel Mit der Revision kann der Angeklagte die Überschreitung der absoluten Grenzen 40 nach Absatz 2 Satz 1 rügen, allerdings nur, wenn das Urteil darauf beruht, weil ein solcher Verstoß nicht zu einem absoluten Revisionsgrund erklärt worden ist.54 Ebenso kann die Missachtung des Wiederholungsgebots nach Absatz 2 Satz 2 (§ 261: der nicht wiederholte Teil ist nicht Inbegriff der Hauptverhandlung) gerügt werden. Darüber hinaus kann der Angeklagte die Verkennung des Begriffs der Unaufschiebbarkeit rügen. Da dem Richter aber eine vertretbare und nicht fehlerhafte Ermessensausübung einzuräumen ist

51

In Betracht kommen danach Beschlüsse nach § 81 Abs. 2, § 81a Abs. 2, § 81c Abs. 5, §§ 98, 100, 100b, 105, 111a, 111e, 111n, 114, 116, 125, 126, 126a Abs. 2, § 132a.

52 53 54

KMR/Paulus 22. BGHSt 21 85, 89. BGH StV 1997 113 = NStZ 1996 398.

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§ 30

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

(Rn. 21),55 findet nur eine beschränkte Prüfung statt 56 und kann das Urteil auf der unrichtigen Anwendung nur dann beruhen (§ 337), wenn die vorgenommenen aufschiebbaren Prozesshandlungen nicht wiederholbar waren.57 Wegen der Anfechtung der Entscheidung über die Anordnung der Fortsetzung der Hauptverhandlung (Absatz 2 Satz 1) vgl. Rn. 30. Ein Verstoß gegen Abs. 1 ist aber dann nicht revisibel, wenn das Ablehnungsgesuch 41 noch während der Hauptverhandlung zurückgenommen worden ist.58

§ 30 Das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuchs zuständige Gericht hat auch dann zu entscheiden, wenn ein solches Gesuch nicht angebracht ist, ein Richter aber von einem Verhältnis Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte, oder wenn aus anderer Veranlassung Zweifel darüber entstehen, ob ein Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen ist.

Entstehungsgeschichte. Die 3. VereinfVO hatte § 30 mit § 27 vereinigt. Art. 3 Nr. 11 VereinhG hat die ursprüngliche Fassung wiederhergestellt.

Übersicht Rn. 1. 2. 3. 4.

Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis zu §§ 25, 26, 28 . . . . . . . Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . Anzeige von einem Ablehnungsgrund a) Anzeige . . . . . . . . . . . . . . . b) Anzeigende Richter . . . . . . . . . 5. Zweifel über einen Ausschließungsgrund

. . .

1 4 6

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7 9 12

Rn. 6. Entscheidungsfälle . . . . 7. Verfahren . . . . . . . . . 8. Anfechtung a) Anfechtungsausschluss b) Beschwerde . . . . . . c) Revision . . . . . . . . 9. Wirkung der Selbstanzeige

. . . . . . . . . . . . . . . .

13 15

. . . .

17 21 23 25

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1

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1. Inhalt. Die Vorschrift begründet zwei Pflichten: Zum ersten die, über die Frage der Ausschließung eines Richters nicht nur zu befinden, wenn ein Ablehnungsberechtigter einen Ausschließungsgrund behauptet, sondern von Amts wegen immer dann zu prüfen und zu entscheiden, wenn sich ein Anhalt dafür zeigt, dass ein Ausschließungsgrund auf einen zur Mitwirkung berufenen Richter zutreffen könnte. Zum zweiten gibt sie jedem Richter die Möglichkeit, zu seiner Entlastung Zweifel darüber vom Gericht prüfen zu lassen, ob ein Beteiligter ihn als befangen ansehen könnte. Diese Prüfung zu veranlassen, ist der Richter verpflichtet;1 einmal im Interesse der 2 Beteiligten, da ja sehr wohl Ablehnungsgründe zwar dem Richter, nicht aber dem Berechtigten bekannt sein können, zum anderen im Interesse des Ansehens der Rechtspflege, weil Ablehnungsgründe von solcher Stärke vorliegen können, dass das Amtieren 55 56 57 58

KK/Pfeiffer 14. BGH NStZ 2002 429 Rn. 8. BGH NStZ 1996 398. Meyer-Goßner 16.

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1

BGH NJW 1970 1644; OLG Schleswig SchlHA 1953 69; KK/Pfeiffer 1.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 30

des Richters selbst dann unerwünscht ist, wenn der Berechtigte ihn nicht ablehnt, sei es aus Scheu oder Gleichgültigkeit, sei es in der Hoffnung auf einen Skandal, den er durch nachträgliche Bekanntmachung erregen könnte. Diese Pflicht wird als Dienstpflicht verstanden,2 ist aber viel eher eine Ausprägung des Gebots eines fairen Verfahrens und des Prinzips des gesetzlichen Richters (Art. 101 GG).3 Das Verfahren des § 30 findet jederzeit statt, unabhängig von den zeitlichen Schran- 3 ken des § 25;4 der Richter darf die Anzeige aber nicht hinauszögern.5 Er hat sie zu erstatten, sobald ihm der Ablehnungsgrund bekannt wird. Dabei kommt es nicht darauf an, ob er sich befangen fühlt, sondern darauf, ob ein Ablehnungsberechtigter Befangenheit besorgen könnte. Kann ein Ablehnungsgesuch noch angebracht werden, darf er es nicht abwarten. Er hat die Anzeige auch dann zu machen, wenn die Tatsachen, die seine Ablehnung rechtfertigen könnten, offenkundig und mithin auch den Ablehnungsberechtigten bekannt sind.6 Die Anzeige kann auch noch zu einem Zeitpunkt erfolgen, in dem die Verfahrensbeteiligten den Richter nicht mehr ablehnen können.7 Für die Prüfung, ob ein Ausschließungsgrund vorliegt, ist das selbstverständlich. Hinsichtlich der Prüfung, ob ein Beteiligter besorgen könne, der Richter sei befangen, ergänzt die Vorschrift § 24, hat aber einen Teil ihrer Bedeutung verloren, seitdem § 25 neu gefasst und damit das Ablehnungsrecht, wenn auch unter bestimmten Voraussetzungen, bis zum letzten Wort ausgedehnt worden ist. 2. Verhältnis zu §§ 25, 26, 28. Die Stellung der Vorschrift erweist, dass das Verfah- 4 ren der §§ 25 und 26, 28 keine Anwendung finden soll, dass es sich vielmehr ausschließlich um ein gerichtsinternes Verfahren handelt, an dem – anders als bei einem Antrag eines Verfahrensbeteiligten – nach der Absicht des Gesetzgebers die Verfahrensbeteiligten nicht teilnehmen sollten (vgl. § 48 Abs. 2 ZPO). Die gesetzgeberische Absicht ist im Gesetz klar zum Ausdruck gekommen. Denn wenn die Verfahrensbeteiligten auch an diesem Zwischenverfahren hätten voll teilhaben sollen, hätte die Vorschrift hinter § 26 eingesetzt werden müssen. Dieser Ansicht kann seit Geltung des Art. 103 Abs. 1 GG aber nicht mehr gefolgt 5 werden. Durch ihn ist das Verfahren aus seiner Isolation herausgenommen worden.8 Die Beteiligten sind zu hören.9 Ihnen ist deswegen die Anzeige des Richters mitzuteilen und ihnen ist die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben.10 3. Zuständigkeit. Die Entscheidung steht dem Gericht zu, das nach § 27 zuständig 6 ist, über die Ablehnung zu entscheiden. Demzufolge findet auch § 27 Abs. 4 (Entscheidung durch das zunächst obere Gericht) Anwendung, wenn der Fall des § 30 bei so vielen Richtern vorliegt, dass die für die Entscheidung erforderliche Richterzahl nicht mehr gegeben ist.11 2 3 4 5 6

7 8

BGH bei Dallinger MDR 1966 24; KK/ Pfeiffer 4. Dünnebier JR 1975 5; HK/Lemke 1; KK/Pfeiffer 1. RGSt 67 276; BGH GA 1962 338. Meyer-Goßner 2. Eb. Schmidt 2; Arzt LV zu § 24, 37; KMR/Paulus 4; a.A. OLG München GA 37 (1889) 223; OLG Colmar Alsb. E 1 62. BGH GA 1962 338; KK/Pfeiffer 3; HK/Lemke 4. Arzt JR 1974 76; Pentz JVBl. 1963 186; JR

9

10 11

1967 87; Schneider JR 1977 270; Metzner ZZP 97 (1984) 196. BVerfGE 89 28 = NJW 1993 2229; KMR/Paulus 6; AK/Wassermann 4; a.A. BGH GA 1962 338; NJW 1970 1649; KK/Pfeiffer 4; Meyer-Goßner 5. BVerfGE aaO; HK/Lemke 8; KK/Pfeiffer 6; KMR/Paulus 6; Meyer-Goßner 5. OLG Frankfurt/M. NStZ 1981 233; HK/Lemke 10; a.A. wohl Koch DRiZ 1970 328.

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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

4. Anzeige von einem Ablehnungsgrund a) Anzeige. Das Gesetz kennt kein Selbstablehnungsrecht des Richters. Das gilt trotz des Wortlauts des § 19 Abs. 3 BVerfGG auch für den Verfassungsrichter.12 § 27 Abs. 3 Satz 2 enthält ein beschränktes Selbstentscheidungsrecht. Dafür verpflichtet die Vorschrift jeden Richter, der berufen ist, im Verfahren mitzuwirken, mögliche Ablehnungsgründe dem Gericht anzuzeigen.13 Ablehnungsgründe liegen nach § 24 Abs. 1 sowohl vor, wenn der Richter kraft Ge8 setzes ausgeschlossen ist (§§ 22, 23), als auch wenn Besorgnis der Befangenheit (§ 24, 4 ff.) besteht (§ 24 Abs. 2). Allein auf die Möglichkeit einer solchen Besorgnis hat der Richter abzustellen, nicht darauf, wie er die Frage der Befangenheit selbst beurteilt. Das wird nicht selten verkannt.

7

b) Anzeigende Richter. Die Anzeige können nur Richter machen, die zur Mitwirkung berufen sind. Dazu gehören auch die Richter, die als Vertreter zur Ergänzung (§ 27, 25) eintreten, aber erst, wenn der Eintrittsfall eingetreten ist. Entsprechendes gilt aber im Hinblick auf § 31 auch für Schöffen und Urkundsbeamte der Geschäftsstelle bzw. andere Protokollführer. Da der Richter alsbald ausscheidet, sobald er die Anzeige gemacht hat (Rn. 25), 10 können u.U. viele (Vertretungs-)Richter ausscheiden, aber immer nur nacheinander und erst, nachdem der vorhergehende Anzeige gemacht hat. Dann aber muss der eintretende Vertreter die Anzeige sofort machen. Er ist nicht berechtigt, vorher über das Ablehnungsgesuch gegen den Richter zu entscheiden, an dessen Stelle er eintritt.14 Anders ist es bei den Ergänzungsrichtern des § 192 Abs. 2 GVG. Zwar steht auch bei 11 ihnen erst im Eintrittsfall mit Sicherheit fest, dass sie „zur Mitwirkung bei der Entscheidung berufene Gerichtspersonen“ (§ 24 Abs. 3 Satz 2) sind. Es wäre aber widersinnig, wenn ein Ersatzrichter, der einziger Ersatzrichter ist und einen Ablehnungsgrund kennt, diesen erst offenbaren könnte, wenn er für einen ausscheidenden Richter eintreten soll, aber alsbald wegen Befangenheit wieder ausscheiden müsste. Der Ergänzungsrichter des § 192 Abs. 2 GVG kann und muss daher, wenn die Voraussetzungen dazu vorliegen, alsbald Anzeige nach § 30 erstatten.

9

12

5. Zweifel über einen Ausschließungsgrund. Kommt es bei dem Ablehnungsgrund wegen Besorgnis der Befangenheit entweder auf die befristete (§ 25) Ablehnung (§ 26) oder auf die jederzeit mögliche und nach der Amtspflicht gebotene Anzeige des Richters an, so hat das Gericht Ausschließungsgründe bei jedem Stand des Verfahrens von Amts wegen zu beachten, gleichgültig ob sie ein Ablehnungsberechtigter zum Gegenstand eines rechtzeitigen (§ 25) Ablehnungsantrags macht (§ 25 Abs. 1); ob er nach dem Termin des § 25 auf sie hinweist; ob der Richter, den sie angehen, sie anzeigt; oder ob sie auf sonstige Weise, etwa durch Hinweise eines anderen Gerichtsmitglieds, Anträge der Staatsanwaltschaft oder Erörterungen in der Presse, bekannt werden. Der Zeitpunkt spielt dabei keine Rolle.

12 13 14

BVerfGE 20 26, 29 = NJW 1966 924; Maunz/Dürig/Klein BVerfGG § 19, 11. OLG Schleswig SchlHA 1953 69; vgl. auch BGH NJW 1970 1644. Bei einem kleinen Amtsgericht kann es auf

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diese Weise vorkommen, dass kein Richter (§ 27 Abs. 3 Satz 1) über die Anzeige des anderen Richters entscheidet (a.A. Koch DRiZ 1970 328). Es ist dann nach § 27 Abs. 4 zu verfahren.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 30

6. Entscheidungsfälle. Keiner Entscheidung bedarf es, wenn von außen, etwa vom 13 Angeklagten, nach Ablauf des in § 25 genannten Zeitpunkts, Tatsachen vorgetragen werden, indessen zweifelsfrei ersichtlich ist, dass sie keinen Ablehnungsgrund ergeben. Es bedarf ferner keiner Entscheidung, wenn zweifelsfrei ein Ausschließungsgrund (§§ 22, 23) gegeben ist.15 Bestehen dagegen Zweifel, ob ein Ausschließungsgrund vorliegt, oder zeigt der Richter Umstände an, die seine Befangenheit besorgen lassen könnten, so hat das Gericht zu entscheiden. In den beiden genannten Fällen kann weder der Richter von selbst ausscheiden, noch kann ihn der Vorsitzende durch eine andere Verteilung innerhalb der Kammer oder des Senats (§ 21g GVG) ersetzen. Denn mit der Zuteilung ist er der gesetzliche Richter geworden. Diese Eigenschaft kann er, wenn er nicht zweifelsfrei kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, nur durch die gerichtliche Entscheidung verlieren.16 In den beiden vorgenannten Fällen liegt aber schon nach dem Wortlaut des Gesetzes Zweifelhaftigkeit vor („könnte“; „Zweifel“). Auch der Strafrichter kann nicht, ohne dass ein anderer Richter des Amtsgerichts ent- 14 schieden hat (§ 27 Abs. 3 Satz 1), ausscheiden, wenn er sich auf einen nicht von einem Ablehnungsberechtigten geltend gemachten, sondern ihm von Amts wegen bekanntgewordenen Ablehnungsgrund beruft, der die Besorgnis der Befangenheit begründet;17 § 27 Abs. 3 Satz 3 (Ausscheiden ohne Entscheidung) gilt nur, wenn der Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt wird. Dagegen hat der Strafrichter einen ihm bekanntgewordenen Ausschließungsgrund auch ohne Entscheidung nach § 30 zu beachten, wenn die Ausschließung zweifelsfrei gegeben ist. 7. Verfahren. Das Gericht entscheidet in dem Verfahren des § 27 mit den Änderungen, 15 die sich daraus ergeben, dass es keinen Antragsteller gibt, sondern das Verfahren eine innere Angelegenheit des Gerichts 18 ist. Da eine Entscheidung des Gerichts ergeht, sind die Beteiligten gem. Art. 103 Abs. 1 GG nach § 33 zu hören (Rn. 5). Beteiligt sind die von der Gerichtsbesetzung berührten Personen, der Angeklagte, der Staatsanwalt, der Privatkläger, der Nebenkläger, ggf. der Einziehungsbeteiligte. Die Entscheidung ist den Beteiligten bekanntzumachen.19 Wegen der Wirkung s. 16 Rn. 25, 26. 8. Anfechtung a) Anfechtungsausschluss. Unanfechtbar ist es, wenn der Richter von einem Verhält- 17 nis, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte, keine Anzeige macht.20 Denn es handelt sich dabei um keine gerichtliche Entscheidung, sondern um eine Dienstpflicht des Richters, die er dem Gericht gegenüber zu erfüllen hat. Dass er das tut, kann selbst dann nicht durch Beschwerde oder Urteilsanfechtung erzwungen werden, wenn das Unterlassen einen Ermessensmissbrauch darstellt.21 Hat das Gericht entschieden, dass Befangenheit zu besorgen ist oder dass ein Aus- 18 schließungsgrund vorliegt, ist in entsprechender Anwendung von § 28 Abs. 1 die Anfech-

15 16 17 18 19 20

BGHSt 25 26; Meyer-Goßner 3; SK/Rudolphi 7; § 22, 53. BGHSt 25 125. OLG Hamm MDR 1964 77. BGHSt 3 69. AK/Wassermann 6; HK/Lemke 11. BGH bei Dallinger MDR 1966 24.

21

BGH GA 1962 338; Bohnert Beschränkungen der strafprozessualen Revision durch Zwischenverfahren (1983) 12; KK/Pfeiffer 8; Meyer-Goßner 9; AK/Wassermann 9; a.A. OLG Neustadt NJW 1963 2087; Teplitzky JuS 1969 325; KMR/Paulus 11; Hamm LV zu § 24, 147.

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tung unzulässig (§ 28, 1).22 Hat das Gericht festgestellt, dass keine Befangenheit zu besorgen sei oder dass kein Ausschließungsgrund vorliege, hat der beteiligte Richter, wenn das Gericht entgegen seiner Ansicht entschieden hat, kein Beschwerderecht, muss sich vielmehr der Entscheidung fügen.23 Auch die Prozessbeteiligten können den Beschluss, wenn er ergeht, bevor das Haupt19 verfahren eröffnet worden ist, selbst dann nicht mit der sofortigen Beschwerde anfechten, wenn das Gericht feststellt, dass kein Ausschließungsgrund vorliege. Denn sie sind an dem gerichtsinternen.24 Verfahren allein durch das ihnen gesetzlich (Art. 103 Abs. 1 GG) eingeräumte Gehör (Rn. 5) beteiligt; ein Anfechtungsrecht ist ihnen nicht gewährt und kann nicht durch Auslegung gewonnen, sondern allein durch den Gesetzgeber geschaffen werden. Dazu besteht indessen kein Anlass. Durch das Gehör erfährt der Beteiligte „die Umstände, auf welches die Ablehnung gestützt“ werden kann. Damit kann er das Verfahren nach §§ 24, 25 einleiten und hat dann die Rechtsmittel des § 28 Abs. 2. Ergeht die gerichtliche Entscheidung nach dem Eröffnungsbeschluss, findet aus dem 20 gleichen Grund § 28 Abs. 2 Satz 2 keine Anwendung.25 Jedoch wird die Rüge aus § 338 Nr. 2 nicht berührt (s. Rn. 23 f.).26

21

b) Beschwerde. Hat das Gericht im Verfahren des § 30 einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ausgeschieden, obwohl der Richter keine Anzeige nach § 30 gemacht hatte (und auch nicht nach § 24 abgelehnt worden war), ist die Entscheidung, weil die Anzeige Entscheidungsvoraussetzung ist, gesetzwidrig. Ist die Entscheidung nicht die eines erkennenden Gerichts, steht – wenn sie nicht von einem Strafsenat, auch von einem, der erstinstanzlich entschieden hat, erlassen worden ist (§ 304 Abs. 4) – das allgemeine Rechtsmittel der Beschwerde zur Verfügung (§ 304 Abs. 1). Hat die Entscheidung ein erkennendes Gericht (§ 28, 11 ff.) erlassen, ist die Beschwerde nach § 305 ausgeschlossen, dafür die Revision wegen Verletzung des § 16 Satz 2 GVG nach §§ 336, 337 zulässig und begründet.27 Das Oberlandesgericht Köln 28 will darüber hinaus die Anfechtung mit der Rüge der 22 Verletzung des § 16 Satz 2 GVG immer zulassen, wenn der Vorsitzende eines Schöffengerichts oder einer kleinen Strafkammer erst nach Beginn der Urteilsberatung einen Schöffen für kraft Gesetzes ausgeschlossen oder befangen erklärt. Die Entscheidung 29 ist insoweit abzulehnen. Es können sehr wohl erst bei der Urteilsberatung Ausschließungsgründe hervortreten.30 Alsdann ist der Ausschluss ungeachtet des Zeitpunkts zwingend. Auch eines Ablehnungsgrundes kann sich der Schöffe erst während der Beratung, nach-

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25 26

RGSt 30 124; 67 277; BGHSt 3 69; BGH GA 1962 338. OLG Köln Alsb. E 1 73; OLG Breslau GA 51 (1904) 68; OLG Schleswig SchlHA 1953 69; OLG Celle NdsRpfl. 1966 118; KMR/Paulus 9; Bohnert 86; a.A. – Richter hat Beschwerderecht – Teplitzky JuS 1969 325. BGHSt 3 68; KK/Pfeiffer 7; Meyer-Goßner 8; weitergehend Bohnert (87): auch externe Wirkung. RGSt 67 277; BGHSt 3 69. So auch Bohnert 91.

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OLG Köln JMBlNRW 1965 214; vgl. dazu auch Bohnert 91 ff. JMBlNRW 1965 214. Die nach dem Sachverhalt nicht veranlasst war, weil schon das Fehlen des Antrags die Revision begründete. Beispiel: Ein Schöffe schöpft in der Hauptverhandlung Verdacht, dass seine Frau Opfer des angeklagten Sammlungsbetrügers sein könnte, wagt den Vorsitzenden nicht zu unterbrechen und stellt die Verletzung erst durch ein Telefongespräch in der Beratungspause fest.

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

§ 30

dem er sich beim Vorsitzenden Rat eingeholt hat, bewusst werden. Wenn er dann Anzeige nach § 30 macht und Befangenheit zu besorgen ist, muss der Vorsitzende beschließen, dass er auszuscheiden hat. In beiden Fällen widerspricht es dem System des § 28 Abs. 1, § 30, die Revision für zulässig zu erklären. c) Revision. Hat ein Richter von einem Verhältnis Anzeige gemacht, das seine Ab- 23 lehnung rechtfertigen könnte, und hat das Gericht von einer Entscheidung darüber abgesehen und den Richter einfach durch einen anderen ersetzt, dann ist § 338 Nr. 1 verletzt und die Revision begründet. Das Revisionsgericht kann den nach § 30, § 27 Abs. 1 erforderlichen Beschluss nicht durch eigene Erwägungen ersetzen.31 Die Nichtbeachtung eines Ausschließungsgrundes stellt dagegen stets einen absoluten Revisionsgrund dar (§ 338 Nr. 2).32 Im Übrigen kann die Revision aber weder auf das Unterlassen der Selbstanzeige ge- 24 stützt werden 33 noch auf den Beschluss, durch den die Anzeige für begründet oder unbegründet erklärt wird.34 Eine Ausnahme besteht allerdings dann, wenn das Verfahren des § 30 missbraucht wird.35 Das wäre beispielsweise der Fall, wenn ein Richter Anzeige nach § 30 erstattet und das Gericht sie für begründet erklärt, obwohl der Anzeigende als auch das Gericht keine Befangenheit besorgen. Dann wird eine Rüge, § 16 Satz 2 GVG sei verletzt, durchgreifen, doch ist die Frage nicht hier, sondern bei jener Bestimmung zu behandeln. 9. Wirkung der Selbstanzeige. Tritt einer der Fälle des § 30 ein, scheidet der Richter 25 bis zur gerichtlichen Entscheidung aus, was sich aus entsprechender Anwendung des § 29 (und eigentlich als Selbstverständlichkeit) ergibt. Bis zur Entscheidung gilt § 29 Abs. 1, d.h., der Richter darf unaufschiebbare Handlungen vornehmen.36 Entscheidet das Gericht, dass das angezeigte Verhältnis keine Ablehnung rechtfertige oder dass der Richter nicht ausgeschlossen sei, so tritt er alsbald wieder ein. Wird die Anzeige für begründet erklärt oder die Ausschließung festgestellt, gelten die 26 gleichen Grundsätze wie bei Entscheidungen, durch die einem Ablehnungsantrag stattgegeben worden ist.37 Der Richter, auf dessen Anzeige festgestellt worden ist, dass ein Ablehnungsberechtigter (§ 24 Abs. 3) Befangenheit besorgen könnte, steht einem kraft Gesetzes nach § 22 ausgeschlossenen Richter gleich. Tritt der Fall, was die Regel sein wird, während der Hauptverhandlung ein, gilt das zu § 22, 59 ff. Ausgeführte. Der Umstand, dass diese Wirkung auf eine Anzeige des Richters zurückzuführen ist, berechtigt diesen nicht, nachdem die Umstände, die zu seiner Anzeige geführt haben, weggefallen sind, wieder richterliche Handlungen in dem Verfahren vorzunehmen, aus dem er ausgeschieden ist.38 Da das Verfahren ein Internum des Gerichts ist, äußert es nach außen, abgesehen vom 27 rechtlichen Gehör, keine Wirkung, wenn es negativ ausgegangen ist. Das Gericht hat erneut zu entscheiden, wenn ein Ablehnungsberechtigter sich das vergebliche Vorbringen des Richters zu eigen macht, ihn damit ablehnt und sich das Verfahren der §§ 25 bis 28 eröffnet. 31

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BGHSt 25 127 = JR 1974 73 mit abl. Anm. Arzt gegen BGH NJW 1952 789; OLG Hamm MDR 1964 77; s.a. LR/Hanack 25 § 338, 8 ff. KK/Pfeiffer 8; SK/Rudolphi 15. BGH GA 1962 338; HK/Lemke 12; KK/Pfeiffer 8; Meyer-Goßner 9; SK/ Rudolphi 14.

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BGH NJW 1973 860. BGH NJW 1977 1829. KK/Pfeiffer 6; SK/Rudolphi 8. RGSt 30 124; BGHSt 3 69; § 27, 44. OLG Schleswig SchlHA 1963 79.

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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

§ 31 (1) Die Vorschriften dieses Abschnitts gelten für Schöffen sowie für Urkundsbeamte der Geschäftsstelle und andere als Protokollführer zugezogene Personen entsprechend. (2) 1Die Entscheidung trifft der Vorsitzende. 2Bei der großen Strafkammer und beim Schwurgericht entscheiden die richterlichen Mitglieder. 3Ist der Protokollführer einem Richter beigegeben, so entscheidet dieser über die Ablehnung oder Ausschließung.

Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift wurde wiederholt, besonders durch die VO vom 4.1.1924 (RGBl. I 15), das Gesetz vom 9.7.1927 (RGBl. I 175) und die VO vom 3.11.1927 (RGBl. I 334) mit Rücksicht auf die Besetzung der Strafkammer mit Schöffen und auf den Wegfall der Bezeichnungen „Gerichtsschreiberei“ und „Gerichtsschreiber“ geändert. Die Beseitigung der Schöffen durch die §§ 13 und 14 der 1. VereinfVO hatte zur Folge, dass Absatz 1, soweit er sich auf Schöffen bezog, und Absatz 2 im ganzen Umfang unanwendbar wurden. Art. 1 Nr. 3 der 3. VereinfVO übertrug die Entscheidung über die Ablehnung von Urkundsbeamten dem Vorsitzenden Art. 3 Nr. 13 VereinhG hat im Wesentlichen den ursprünglichen Inhalt wiederhergestellt mit der Maßgabe, dass die Entscheidungsbefugnis für Schöffen und Urkundsbeamte übereinstimmend geregelt ist. Auch ist der Inhalt des früheren § 32 in § 31 aufgegangen. Die frühere Erwähnung der Geschworenen ist durch Art. IV Nr. 1 PräsVerfG gestrichen worden.

Übersicht Rn. 1. Schöffen a) Grundsatz . . . . . . . b) Ausnahme . . . . . . . c) Erweiterung . . . . . . 2. Urkundsbeamte a) Grundsatz . . . . . . . b) Ausnahme . . . . . . . c) Beschränkte Anwendung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 3

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4 5 8

Rn. 3. Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsmittel a) In Bezug auf Schöffen . . . . . . . . b) In Bezug auf Urkundsbeamte . . . . 5. Folgen des Ausscheidens a) Schöffen . . . . . . . . . . . . . . . b) Urkundsbeamte . . . . . . . . . . . c) Prüfungsumfang des Revisionsgerichts

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1. Schöffen

1

a) Grundsatz. Die entsprechende Anwendung der für die Berufsrichter, die „richterlichen Mitglieder“ des Gerichts (§ 27 Abs. 2), aufgestellten Vorschriften auf die Schöffen ist vorgeschrieben, weil sie das Richteramt in vollem Umfang und mit gleichem Stimmrecht wie die Richter ausüben (§ 30 Abs. 1, § 77 Abs. 1 GVG) und demzufolge bei den gerichtlichen Entscheidungen wie die Richter mitwirken (§§ 192 bis 197 GVG). Die entsprechende Anwendung bedeutet zweierlei: Einmal ist in den § 22 und 23 überall, wo Richter steht, auch Schöffe zu lesen. Zum anderen ergibt das Wort „mitwirken“ in § 23, dass ein Schöffe ausgeschlossen ist, wenn er im vorangegangenen Verfahren als solcher, aber auch wenn er – freilich ein seltener Fall – als (später aus dem Dienst ausgeschiedener) Richter mitgewirkt hatte.

2

b) Ausnahme. Sieht man von dem letzten Fall ab, dem ohnehin mehr theoretische Bedeutung zukommt, dann scheiden für eine entsprechende Anwendung aus: § 27 Abs. 2 und 4, weil er „richterliche Mitglieder“, § 27 Abs. 3, weil er den Richter am Amtsgericht

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Dritter Abschnitt. Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen

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betrifft, und § 29 Abs. 1,1 weil unaufschiebbare Handlungen von Schöffen nicht denkbar sind. § 27 Abs. 1 ist durch § 31 Abs. 2 ersetzt, der auch § 30 in Bezug auf die Schöffen modifiziert. Die übrigen Vorschriften des dritten Abschnitts sind voll anzuwenden. c) Erweiterung. Die Ausschließungsgründe der §§ 22, 23 werden ergänzt durch die 3 Fälle der Unfähigkeit. Diese sind in § 32 GVG für die Schöffen am Amtsgericht aufgestellt. Für die Schöffen beim Schwurgericht und die Schöffen der Strafkammer wird in § 77 Abs. 1 GVG darauf verwiesen. Die Unfähigkeitsgründe sind in jeder Beziehung den Ausschließungsgründen gleichzustellen, namentlich also von Amts wegen zu beachten.2 Wenngleich die „Schöffenunfähigkeit“ für alle Verfahren gilt, in denen der Schöffe mitwirken müsste (§ 45 GVG), kommt der Regelung des § 32 GVG dennoch kein Vorrang zu,3 weil maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Unfähigkeit der der tatsächlichen Ausübung des Schöffenamtes ist.4 Mithin beurteilt sich der Ausschluss wie bei §§ 22, 23 anhand eines konkreten Verfahrens. 2. Urkundsbeamte a) Grundsatz. Die gleichartige Behandlung der Urkundsbeamten beruht hauptsäch- 4 lich auf der Erwägung, dass ihre Protokolle Beweiskraft genießen.5 Dabei ist in erster Linie an die Hauptverhandlungsprotokolle (§ 274) zu denken. Der Wortlaut der Ablehnungsvorschriften geht über das Ziel jener Erwägung weit hinaus, doch muss aus dem hauptsächlichen Zweck der Bestimmung und aus der Wortfassung „als Protokollführer zugezogene Personen“ geschlossen werden, dass die Vorschrift nur auf Personen Anwendung findet, die richterliche Handlungen beurkunden. b) Ausnahme. Nimmt der Urkundsbeamte sonst Erklärungen zu Protokoll der Ge- 5 schäftsstelle entgegen (z.B. § 345 Abs. 2), findet der dritte Abschnitt keine Anwendung.6 Demzufolge ist der Urkundsbeamte, der als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung tätig war, rechtlich nicht gehindert, die Revisionsbegründung in der gleichen Sache zu Protokoll zu nehmen,7 ein heute freilich seltener Fall. Von der entsprechenden Anwendung ist § 27 Abs. 2 und 4 aus den zu Rn. 2 angege- 6 benen Gründen ausgeschlossen; § 27 Abs. 1 ist durch 31 Abs. 2 ersetzt, der auch hier § 30 in Bezug auf die Urkundspersonen ändert. Im Gegensatz zu der für die Schöffen geltenden Rechtslage ist bei den Urkundspersonen 7 § 23 nicht anzuwenden;8 vielmehr darf in jedem Stande des Verfahrens derselbe Schriftführer tätig sein, weil er auf die Entscheidung keinen Einfluss hat und daher nicht durch eine vorgängige Entscheidung befangen sein kann. Demzufolge kann in der Berufungsverhandlung der Urkundsbeamte der ersten Instanz mitwirken.9 Entsprechendes gilt für 1 2

A.A. KMR/Paulus 1; Meyer-Goßner 2. RGSt 25 415; enger Bohnert 95: Unfähigkeit geht der Ausschließung voraus. S. zu diesem Problem auch LG Lübeck SchlHA 1977 56: Keine Befangenheit eines Schöffen, der die Anklageschrift kennt; BGH GA 1976 368: Keine Befangenheit bei vollständiger Verlesung des ersten im Revisionsverfahren aufgehobenen Urteils in der erneuten Hauptverhandlung; Rieß JR 1987 392 (2 e); wie hier Meyer-Goßner 1.

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So aber: SK/Rudolphi 3; Bohnert 95. LR/Siolek 25 § 32, 2 GVG. Hahn Mat. 1 92. OLG Schleswig SchlHA 1959 107; MeyerGoßner 4; a.A. – ohne Begründung – RG JW 1893 419. OLG Schleswig SchlHA 1959 107. KK/Pfeiffer 3; Meyer-Goßner 3; SK/Rudolphi 8. RGRspr. 3 789.

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das Revisionsverfahren. Aus diesen Erwägungen folgt jedoch, dass als Urkundsbeamter nicht tätig sein darf, wer vorher als (später aus dem Dienst ausgeschiedener) Richter i.S. des § 23 an einer Entscheidung mitgewirkt hat. § 29 findet, anders als bei den Schöffen, Anwendung.10 c) Beschränkte Anwendung. Auch § 25 ist entsprechend anzuwenden.11 § 25 Abs. 1 findet jedoch nur Anwendung, wenn der Urkundsbeamte seine Tätigkeit zu Beginn der Sitzung aufnimmt. Tut er das erst später, passt § 25 Abs. 1 nicht. Denn durch diese Vorschrift soll vermieden werden, dass eine Hauptverhandlung unterbrochen und wiederholt werden muss. Sie setzt voraus, dass das Gericht während der ganzen Verhandlung gleich besetzt ist (§ 226) und dass diese Besetzung vor der Sitzung oder zu ihrem Beginn den Ablehnungsberechtigten bekannt gegeben werden kann. Da indessen Urkundsbeamte der Geschäftsstelle auch während der Hauptverhandlung jederzeit wechseln können,12 sind diese Voraussetzungen bei ihnen nicht gegeben. Gleichwohl bietet die Ablehnung eines Urkundsbeamten auch dann keine Besonder9 heiten, wenn er nach dem Zeitpunkt des § 25 Abs. 1 in die Hauptverhandlung eintritt. Denn § 25 Abs. 2 deckt diesen Fall. Es können nämlich, bevor der Urkundsbeamte eingetreten ist, Umstände, auf die die Ablehnung gestützt wird, nicht eingetreten sein. Mag der Umstand auch eine Äußerung des Urkundsbeamten vor der Sitzung betreffen, so wird er erst dadurch zu einem Ablehnungsgrund, dass der Beamte als Urkundsbeamter zu der zu verhandelnden Sache in amtliche Beziehung kommt. Ein vor der Sitzung liegender Umstand tritt daher i.S. des § 25 Abs. 2 erst dann ein, wenn der Urkundsbeamte in seine Stellung in der zu verhandelnden Sache einrückt. Unverzüglich nach diesem Zeitpunkt ist der Beamte abzulehnen.

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3. Entscheidung. Für den Zeitpunkt der Ablehnung gilt § 25, für den Antrag § 26. Über unzulässige Anträge wird in der Hauptverhandlung nach § 26a entschieden. Die Entscheidung über Anträge, die nicht nach § 26a behandelt werden, obliegt beim Schöffengericht und bei der kleinen Strafkammer dem Vorsitzenden (Absatz 2 Satz 1). Ist ein Urkundsbeamter einem Richter beim Amtsgericht oder einem beauftragten Richter beigegeben, entscheidet dieser. Bei Kollegialgerichten entscheiden die „richterlichen Mitglieder“ (Vor § 22, 5). Das Gesetz ordnet das zwar nur für die Strafkammer (und – unnötigerweise oder ver11 sehentlich? – für das Schwurgericht) an. Da es aber damit zu erkennen gibt, dass die Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung in Beschlussbesetzung ergeht, muss das gleiche auch – in Bezug auf den Urkundsbeamten – für das Oberlandesgericht und den Bundesgerichtshof entsprechend gelten.13 Die Besetzung richtet sich dabei nach §§ 122, 139 GVG. Wegen des Ersatzes eines ausgeschiedenen Schöffen vgl. § 49, § 77 Abs. 1 GVG. Ein 12 ausgeschiedener Urkundsbeamter wird im Verwaltungsweg ersetzt. Aus diesem Grund muss, da ein Urkundsbeamter jederzeit während der Verhandlung wechseln kann, nur dann nach § 31 Abs. 2 verfahren werden, wenn ein unbegründeter Ablehnungsantrag zurückgewiesen werden soll.

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KK/Pfeiffer 3; SK/Rudolphi 9; a.A. HK/ Lemke 5; Meyer-Goßner 3 bezügl. § 29 Abs. 2.

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HK/Lemke 5; KK/Pfeiffer 3; SK/Rudolphi 9. Vgl. BGHSt 21 89. Eb. Schmidt 11.

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4. Rechtsmittel a) In Bezug auf Schöffen. Wegen der Anfechtung der Entscheidung s. § 28. Diese 13 Vorschrift gilt unmittelbar. Für Schöffen ergibt sich das aus § 338 Nr. 3. Denn diese Vorschrift ist nur sinnvoll, wenn durch § 28 Abs. 2 Satz 2 die sofortige Beschwerde bei Entscheidungen ausgeschlossen ist, die sich auf erkennende Schöffen beziehen. b) In Bezug auf Urkundsbeamte. Wird die Ablehnung eines Urkundsbeamten für 14 unbegründet erklärt, gilt § 28 ebenfalls. Die Ansicht, dass diese Vorschrift weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar sei,14 entbehrt – wenn sie auch für Ablehnungen während der Hauptverhandlung im Ergebnis zutrifft – der Begründung.15 Sie entspricht auch nicht dem System der Strafprozessordnung. Nach dieser wird der – seltene – Ausschluss eines Rechtsmittels stets besonders verordnet.16 Da es an einer solchen Anordnung fehlt, gilt § 28 auch für Ablehnungsgesuche, die sich auf Urkundsbeamte beziehen. Für § 28 Abs. 2 Satz 1 (sofortige Beschwerde) ergeben sich dabei keine Besonderheiten. § 28 Abs. 2 Satz 2 dagegen gilt seinem Wortlaut nach („erkennenden Richter“) bei 15 der Ablehnung von Urkundsbeamten nicht unmittelbar. Da durch § 28 Abs. 2 Satz 2 die Unterbrechung der Hauptverhandlung vermieden werden soll, gilt die Vorschrift nach diesem Zweck aber über ihren Wortlaut hinaus entsprechend in der Weise, dass sie auch auf den Beschluss Anwendung findet, durch den die Ablehnung des Urkundsbeamten eines erkennenden Gerichts als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen wird.17 Daher ist die sofortige Beschwerde ausgeschlossen, aber die Anfechtung mit Berufung oder Revision in der Weise statthaft, dass Verletzung der §§ 336, 337 gerügt wird. Freilich ist die Revision nur begründet, wenn das Urteil auf dem gerügten Mangel beruht (§ 336 Satz 1). Das kann – und aus diesem Grund behalten die Anfechtungsgegner im Ergebnis recht – kaum je der Fall sein, weil das Urteil auf der Hauptverhandlung beruht, nicht aber auf der Tätigkeit des Urkundsbeamten oder auf dem Sitzungsprotokoll.18 5. Folgen des Ausscheidens a) Schöffen. Stellt sich vor Beginn der Hauptverhandlung heraus, dass ein Schöffe 16 von der Mitwirkung ausgeschlossen ist, so tritt an seine Stelle ein Hilfsschöffe (§ 49 GVG). Wird dagegen der Ausschließungsgrund erst während der Hauptverhandlung bekannt, muss die Hauptverhandlung ausgesetzt und mit einem anderen Schöffen neu begonnen werden. Das lässt sich nur vermeiden, wenn zur Hauptverhandlung bereits ein Ergänzungsschöffe hinzugezogen worden ist, der dann den ausscheidenden Schöffen ersetzt. Insoweit gilt nichts Anderes, als schon zu den Berufsrichtern ausgeführt worden ist (§ 22, 54 ff., § 27, 44).

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LG Stuttgart NJW 1964 677; ebenso KK/Pfeiffer 5; Meyer-Goßner 6; wie hier: SK/Rudolphi 11; AK/Wassermann 6. Offengelassen von KK/Pfeiffer 5: weil das Urteil auf der Hauptverhandlung und nicht auf der Tätigkeit des Urkundsbeamten, der zudem noch jederzeit austauschbar sei, oder auf dem Sitzungsprotokoll beruhe, komme es nicht darauf an.

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Vgl. z.B. § 28 Abs. 1, § 46 Abs. 2, § 153 Abs. 2 Satz 4, § 153a Abs. 2 Satz 4, § 210 Abs. 1, § 212b Abs. 2 Satz 2, § 305 Satz 1. Insoweit zustimmend Bohnert 95. RGSt 68 273; KMR/Paulus 9; Meyer-Goßner 7; a.A. Bohnert 96.

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b) Urkundsbeamte. Ist ein Urkundsbeamter ausgeschlossen oder mit Erfolg abgelehnt, darf er das Protokoll nicht führen. Tut er es gleichwohl, etwa weil er den Ausschließungsgrund nicht kennt, entbehrt sein Protokoll der Beweiskraft.19 Die Verlesung nach § 251 ist unzulässig, ein Verstoß dagegen kann mit der Revision gerügt werden. Die Wirkung des § 274 tritt nicht ein.20

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c) Prüfungsumfang des Revisionsgerichts. Das Revisionsgericht hat behauptete Verfahrensverstöße im Freibeweis zu würdigen. Keinesfalls sind Behauptungen des Revisionsführers dadurch bewiesen, dass ihr Gegenteil wegen der Untauglichkeit des Protokolls auf diesem nicht nachgewiesen werden kann. Auf diese Weise kann der Angeklagte durch das Fehlen der Beweiskraft des Protokolls erheblich benachteiligt sein. Gleichwohl gibt ihm das Gesetz keine durchgreifende Möglichkeit, seine Revision auf die Mitwirkung eines ausgeschlossenen Urkundsbeamten zu stützen (Rn. 15). Ein gewisser Ausgleich mag darin gefunden werden, dass die Revisionsgerichte an den Beweis eines Verfahrensverstoßes, wenn ein beweistaugliches Protokoll fehlt, keine sehr hohen Anforderungen zu stellen pflegen.

§ 32 hatte die entsprechende Anwendung der für Schöffen geltenden Vorschriften über Ausschließung und Ablehnung auf Geschworene vorgeschrieben. Art. 3 Nr. 12 VereinhG hat den Inhalt von § 32 in § 31 Abs. 1 übernommen, Art. 3 Nr. 13 den § 32 gestrichen.

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RGSt 68 273.

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RGSt 13 77.

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VIERTER ABSCHNITT Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung Vorbemerkungen Entstehungsgeschichte. Der Abschnitt ist mehrfach von Vereinfachungsvorschriften während des Krieges betroffen worden, hat aber nur wenig bleibende Änderungen erfahren, die bei den §§ 35, 36 und 37 erwähnt werden. § 35a (Rechtsmittelbelehrung) ist durch das 3. StRÄndG eingefügt worden, um aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit die Strafprozessordnung an die Vorschriften für das Verwaltungsstreitverfahren anzupassen; Art. 1 Nr. 3 StVÄG 1987 hat ihn dahin erweitert, dass in Verfahren über eine Berufung des Angeklagten die Belehrung auch einen Hinweis auf die durch dasselbe Gesetz durch § 40 Abs. 3 erweiterte Zulässigkeit einer öffentlichen Zustellung enthalten muss. Durch das StPÄG 1964 sind die Bestimmungen zur Sicherung des rechtlichen Gehörs um § 33 Abs. 3 und 4 und § 33a erweitert worden. Dem gleichen Gesetz entstammt § 37 Abs. 2 (Doppelzustellungen). Durch Art. 1 Nr. 7 des 1. StVRG sind die Zustellung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen neu geregelt worden (§ 36). Die Zustellung obliegt dem Gericht, die Vollstreckung ist grundsätzlich Sache der Staatsanwaltschaft. Der durch Art. 1 Nr. 8 StVÄG 1979 eingefügte § 34a enthält eine allgemeine Regelung über den Eintritt der Rechtskraft von nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen auf ein rechtzeitig eingelegtes Rechtsmittel, die außerhalb der Hauptverhandlung ergehen. Durch Art. 2 Abs. 12 Nr. 1 und 2 ZustRG wurden der bisherige Absatz 1 Satz 2 von § 37 und der bisherige Absatz 2 aufgehoben. Durch Art. 2 Nr. 1 des Anhörungsgesetzes wurde § 33a entsprechend den Vorgaben des Plenarbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 30.4.2003 neu gefasst.1 Außer zu Tatsachen und Beweisergebnissen sollen sich die Verfahrensbeteiligten etwa auch zu Anträgen und Rechtsausführungen anderer Beteiligter äußern können, die für die Entscheidung des Gerichts erheblich sind. Die Neufassung des § 33a verdeutlicht damit die gebotene weite Auslegung der Vorschrift, jeden Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG im Beschlussverfahren zu erfassen. Durch Art. 6 Nr. 3 JKomG wurde § 41a eingefügt. Die Vorschrift regelt den Eingang elektronischer Dokumente bei Gericht und Staatsanwaltschaft. Der Ausgang von Zustellungen und – a maiore ad minus – formfreien Mitteilungen von Schriftstücken auf elektronischem Wege ist seit Inkrafttreten des Zustellungsreformgesetzes am 1.7.2002 nach dem über § 37 Abs. 1 Satz 1 anwendbaren § 174 Abs. 3 ZPO möglich. 1. Inhalt. Die Überschrift des Abschnitts entspricht dem Inhalt nur unvollständig. 1 Über die Begründung gerichtlicher Entscheidungen enthält die Strafprozessordnung weitere Bestimmungen (§ 34, 10 ff.); die Beratung und Abstimmung bei gerichtlichen Entscheidungen sind in den §§ 192 bis 197 GVG geregelt. Auf der anderen Seite bezieht sich § 36 nicht nur auf die Bekanntmachung, sondern auch auf die Vollstreckung von Entscheidungen und regeln die §§ 37 bis 41a nicht nur die Bekanntmachung von Entscheidungen, sondern die Zustellung überhaupt. 1

NJW 2003 1924.

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2. Sprachgebrauch. Das Wort Entscheidung wird nicht einheitlich verwendet. Den umfassendsten Gehalt hat es notwendigerweise in § 35, der von der Bekanntmachung handelt. Da die Entscheidung erst mit der Bekanntmachung existent wird, müssen hier auch die prozessleitenden Verfügungen erfasst werden (§ 35, 3). Diese und bloß gerichtsinterne Entscheidungen sind dagegen in §§ 33, 33a nicht gemeint (§ 33, 4 ff.; § 33a, 4 ff.), doch ist der Begriff sonst sehr weit auf alle Urteile, Beschlüsse, Anordnungen, Befehle aller Gerichte innerhalb und außerhalb der Hauptverhandlung zu beziehen (§ 33, 6 ff.). In § 34 wird ein besonderer Ausschnitt („durch ein Rechtsmittel anfechtbar“) erfasst. Mit dem Ausdruck Urteil werden nur folgende Entscheidungen bezeichnet: die die Hauptverhandlung erster Instanz abschließende, die Anklage erledigende Entscheidung (§ 260); die Entscheidungen der Rechtsmittelgerichte über die Berufung (§ 322 Abs. 1 Satz 2, § 328, § 329) und die Revision (§ 349 Abs. 5, § 353), soweit sie nicht in Beschlussform ergehen (§ 322 Abs. 1 Satz 1, § 349 Abs. 1, 2 und 4); die Entscheidung, die nach Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 370 Abs. 2) das frühere Urteil oder den früheren Strafbefehl (§ 373a) aufrechterhält oder aufhebt (§ 373), soweit sie nicht als Beschluss ergeht (§ 371 Abs. 1 und 2).2 Für die Unterscheidung des Urteils vom Beschluss ist nicht die Bezeichnung maßgebend; vielmehr ist unter Berücksichtigung des Inhalts der Entscheidung 3 auf die Besetzung des erkennenden Gerichts, das vorgeschriebene Verfahren (Entscheidung aufgrund einer Hauptverhandlung oder ohne sie) 4 und den Rechtsmittelzug abzustellen.5 Strafbefehle sind ohne Hauptverhandlung ergehende Entscheidungen des Strafrichters oder des Vorsitzenden des Schöffengerichts (§ 407 Abs. 1), die angefochten werden können, ohne dass eine Begründung gegeben zu werden braucht, und die, wenn sie rechtskräftig werden, – anders als nach dem bis zum 31.3.1987 geltenden Recht 6 – die gleiche Wirkung wie ein rechtskräftiges Urteil erlangen (§ 410 Abs. 3).7 Die übrigen gerichtlichen Entscheidungen werden Beschlüsse oder Verfügungen genannt; ausnahmsweise wird auch die Form der Entscheidung nicht bezeichnet (§ 118a Abs. 4, § 122 Abs. 2, § 124 Abs. 3). Eine durchgängige Unterscheidung bewahrt die Strafprozessordnung nicht. Jedoch ergehen Entscheidungen eines Kollegialgerichts niemals in der Form von Verfügungen. Die Schöffengerichte, Strafkammern und Strafsenate erlassen, soweit sie nicht in Urteilsform entscheiden, stets nur Beschlüsse. Dagegen wird für Entscheidungen des Strafrichters, des Richters beim Amtsgericht (§ 162) oder des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs (§ 169 Abs. 1), der im vorbereitenden Verfahren Untersuchungshandlungen (§ 162 Abs. 1) vornimmt (§ 162 Abs. 3, §§ 165, 166, 168, 168a, 168c, 168d), des beauftragten oder ersuchten Richters und des Vorsitzenden eines Kollegialgerichts (§ 304 Abs. 1) sowohl die Bezeichnung Verfügung (vgl. § 219 Abs. 1 Satz 2) als auch Beschluss gebraucht.8 Der Unterschied hat keine praktische Bedeutung, weil § 304, der die Beschwerde zulässt und begrenzt, von Beschlüssen und Verfügungen, und § 305, der sie ausschließt, von Entscheidungen spricht.9 Bei Anordnungen, die eine Beschränkung der Freiheit des von ihr Betroffenen herbeiführen, gebraucht die Strafprozessordnung den Ausdruck Befehl, so beim Haftbefehl 2 3 4 5 6

BGHSt 8 383. RGSt 65 398; BGHSt 18 385. BayObLGSt 1989 85. BGHSt 8 385. BVerfGE 3 248 = NJW 1954 69; 65 377 = NJW 1984 604; RGSt 56 253; BGHSt 18 142.

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LR/Gössel 25 § 410, 20 ff. BGH NJW 1979 1612 für den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs. KMR/Paulus Vor § 33, 13; Eb. Schmidt Vor § 33, 12.

Kirsten Graalmann-Scheerer

Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung

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(§ 114 Abs. 1), beim Unterbringungsbefehl (§ 126a Abs. 1) und beim Vorführungsbefehl (§ 134 Abs. 2). Die besondere Ausdrucksweise hat keine sachliche Bedeutung. Die Befehle fallen ebenso unter den Begriff Verfügungen und Beschlüsse wie die den Befehlen nahe stehenden Anordnungen.10 Staatsanwaltschaftliche Entscheidungen unterstehen grundsätzlich nicht den Bestim- 8 mungen des vierten Abschnitts. Ihre Benennung ist noch uneinheitlicher (§ 151: Klage; § 154d Satz 2: Nachricht; § 111f Abs. 2, § 161: Ersuchen, Auftrag; § 100 Abs. 2 und 4, § 171 Satz 1: Verfügung; § 81f Abs. 1 Satz 1, § 81g Abs. 3 Satz 1, § 100b Abs. 1 Satz 3, § 100f Abs. 2 Satz 2, § 100h Abs. 1 Satz 3, § 100i Abs. 4 Satz 1, § 105 Abs. 1 Satz 2 letzter Halbsatz, § 111 Abs. 2, § 111e Abs. 1 Satz 1, § 111l Abs. 2 Satz 1 und Abs. 6, § 120 Abs. 3 Satz 2, § 459e: Anordnung; § 171 Satz 2: Bescheid). 3. Reform. Bei den Zustellungsvorschriften ist die Verweisung auf die Zivilprozess- 9 ordnung nicht sachgemäß. Deren Vorschriften gelten nach § 37 entsprechend. Die Zustellungen sind solche von Amts wegen. Für diese schreibt § 191 ZPO – unter umgekehrtem Vorzeichen – vor, dass auf die von Amts wegen zu bewirkenden Zustellungen die Vorschriften über die Zustellung auf Betreiben der Parteien entsprechend gelten. Diese doppelte entsprechende Anwendbarkeit und der Umstand, dass der größere Teil der Zustellungsvorschriften der Zivilprozessordnung nicht (§ 37, 12 ff.) oder nur beschränkt (§ 37, 22 ff.) anwendbar ist, machen den Anwendungsbereich der zivilprozessualen Vorschriften unübersichtlich. In § 35 ist Absatz 3 als gesetzliche Regelung entbehrlich, dafür aber eine Anordnung 10 über die Übersetzung für solche Zustellungsempfänger erwünscht, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind.

§ 33 (1) Eine Entscheidung des Gerichts, die im Laufe einer Hauptverhandlung ergeht, wird nach Anhörung der Beteiligten erlassen. (2) Eine Entscheidung des Gerichts, die außerhalb einer Hauptverhandlung ergeht, wird nach schriftlicher oder mündlicher Erklärung der Staatsanwaltschaft erlassen. (3) Bei einer in Absatz 2 bezeichneten Entscheidung ist ein anderer Beteiligter zu hören, bevor zu seinem Nachteil Tatsachen oder Beweisergebnisse, zu denen er noch nicht gehört worden ist, verwertet werden. (4) 1Bei Anordnung der Untersuchungshaft, der Beschlagnahme oder anderer Maßnahmen ist Absatz 3 nicht anzuwenden, wenn die vorherige Anhörung den Zweck der Anordnung gefährden würde. 2Vorschriften, welche die Anhörung der Beteiligten besonders regeln, werden durch Absatz 3 nicht berührt. 10

Vgl. § 33 Abs. 4 Satz 1, § 81 Abs. 2, § 81a Abs. 2, § 81c Abs. 3 Satz 3, Abs. 5, Abs. 6 Satz 2, § 81f Abs. 1, § 81g Abs. 3 Satz 1, § 81h Abs. 2 Satz 1, § 82, § 87 Abs. 4 Satz 1, § 98 Abs. 1, § 100a i.V.m. § 100b Abs. 1 bis 3, § 100d, § 100f Abs. 2 Satz 2, § 100h Abs. 1 Satz 3, § 100i Abs. 4 Satz 1, § 105 Abs. 1, § 110b Abs. 2 Satz 1 und 4, § 111

Abs. 2, § 111a Abs. 1 Satz 1, § 111e Abs. 1 bis 3, § 111f Abs. 3 Satz 3, § 111g Abs. 2 Satz 1, § 111h Abs. 2 Satz 1, § 111l Abs. 3 Satz 1, § 111m Abs. 2 und 3 i.V.m. § 111n Abs. 1 Satz 3, § 114b Abs. 1 Satz 2, § 119 Abs. 6 Satz 1, § 127 Abs. 1 Satz 1, § 127a Abs. 1, § 132 Abs. 2, § 207 Abs. 4, § 304 Abs. 4 Satz 2 Nr. 5.

Kirsten Graalmann-Scheerer

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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

Schrifttum. Arndt Das rechtliche Gehör, NJW 1959 6; ders. Die Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs, NJW 1959 1297; Bohnert Zum Problem des Anhörungsrechts Dritter im Strafverfahren, JZ 1978 710; Bröll Das rechtliche Gehör im Strafprozeß unter besonderer Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Einflüsse, Diss. Münster 1964; Dahs Das rechtliche Gehör im Strafprozeß (1965); Frohn Rechtliches Gehör und richterliche Entscheidung (1989); ders. Strafverteidigung und rechtliches Gehör, GA 1984 554; Gantzer Die Rechtskraft prozessualer Beschlüsse und Verfügungen, Diss. München 1967; Hamann Rechtliches Gehör, AnwBl. 1958 141; Hanack Rechtliches Gehör, Vollstreckbarkeit und Verhaftung beim Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung, JZ 1966 43; Jagusch Über das rechtliche Gehör im Strafverfahren, NJW 1959 265; Kastendiek „Erlass“ von Beschluß, Verfügung oder Bescheid, DRiZ 1977 276; Knemeyer Rechtliches Gehör im Gerichtsverfahren, HdbStR Bd. IV (1989), § 155 S. 1271; Lesser Anspruch auf rechtliches Gehör, DRiZ 1960 420; Löwe Das rechtliche Gehör, Diss. Hamburg 1957; Röhl Das rechtliche Gehör, NJW 1953 1531; ders. Das rechtliche Gehör, NJW 1958 1268; ders. Das rechtliche Gehör, NJW 1964 273; Rüping Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs und seine Bedeutung im Strafverfahren (1976); Schneider Verfassungsrechtliche Grundlagen des Anwaltsberufs, NJW 1977 833 (zum rechtlichen Gehör); Schulte Die Gewährung rechtlichen Gehörs in der Praxis des Revisionsverfahrens in Strafsachen, FS Kleinknecht 465; Seidel Das Recht des Beschuldigten auf rechtliches Gehör im Strafprozeß, Diss. Köln 1963; Wagner Rechtliches Gehör und der Rechtsschutz des Strafgefangenen, GA 1975 321; ders. Rechtliches Gehör im Ermittlungsverfahren, ZStW 109 (1997) 545; Wiedemann Die Korrektur strafprozessualer Entscheidungen außerhalb des Rechtsmittelverfahrens (1980); von Winterfeld Das Verfassungsprinzip des rechtlichen Gehörs, NJW 1961 849; Woesner Rechtliches Gehör und Sitzungspolizei, NJW 1959 866.

Entstehungsgeschichte. § 33 bestand früher nur aus einem Absatz, der den Inhalt der jetzigen ersten beiden Absätze hatte. Die jetzigen Absätze 3 und 4 sind angefügt durch Art. 8 Nr. 1 StPÄG 1964, durch den auch die Teilung der alten Vorschrift in die beiden ersten Absätze herbeigeführt worden ist. Übersicht Rn. I. Inhalt und Begriffe 1. Bedeutung der Vorschrift 2. Entscheidungen . . . . 3. Ergehen a) Allgemeines . . . . . b) Mündlicher Erlass . . c) Schriftlicher Erlass . . 4. Beurkundung . . . . . .

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II. Anhörung vor im Laufe einer Hauptverhandlung ergehender Entscheidungen (Absatz 1) 1. Hauptverhandlung . . . . . . . . . 2. Anhörung der Beteiligten . . . . . . 3. Weitere Vorschriften . . . . . . . . 4. Revision . . . . . . . . . . . . . .

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Rn. III. Anhörung vor außerhalb der Hauptverhandlung ergehender Entscheidungen (Absatz 2) 1. Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erklärung der Staatsanwaltschaft . . . 3. Weitere Vorschriften . . . . . . . . .

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IV. Anhörung anderer Beteiligter (Absatz 3) 1. Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatsachen oder Beweisergebnisse . . . 3. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Sonstige Regelungen der Anhörung von Beteiligten (Absatz 4 Satz 2) . . . . . . .

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VI. Mit dem Prozesszweck nicht zu vereinbarende Anhörung (Absatz 4 Satz 1) 1. Wegfall der Anhörung . . . . . . . . 2. Beschwerde . . . . . . . . . . . . . .

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Alphabetische Übersicht Anhörung 15 ff., 26 ff., 32 ff., 39 f. Bedeutung der Vorschrift 1 Beschuldigter 20 Beschwerde 44 Beschwerdegericht 45

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Beschwerdeverfahren 31 Beteiligter 18 Beurkundung 13 Beweisergebnisse 34 Entscheidung 4

Kirsten Graalmann-Scheerer

Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung Erlass 10 f., 12 f. Hauptverhandlung 12, 15 f., 26 f. Öffentlichkeit 16 Prozessbeteiligter 18 Prozessleitende Verfügung 7 Prozesszweck 41 ff. Rechtliches Gehör 1, 25, 43 Rechtsansicht 24 Rechtsgespräch 23 Rechtsmittelentscheidung 2 Revision 25 Richterliche Untersuchungshandlung 11

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Sitzungspolizeiliche Maßnahmen 38 Schriftliche Fassung 14 Sondervorschrift 23 Sonstige Regelungen 39 Staatsanwaltschaft 19, 27 f. Strafbefehl 33 Tatsachen 34 Unabänderlichkeit 9 Verhandlungsniederschrift 13 Verteidiger 20 Wegfall der Anhörung 41 ff. Zwischenentscheidung 24

I. Inhalt und Begriffe 1. Bedeutung der Vorschrift. Mit §§ 33, 33a und den anderen Bestimmungen des 1 Art. 8 StPÄG 1964 (§ 175 Satz 1, § 311 Abs. 3 Satz 2, § 311a Satz 1, § 462 Abs. 2) soll das rechtliche Gehör vor Gericht gesichert werden. Die Begründung bemerkt dazu: „§ 33 StPO in der geltenden Fassung bleibt hinter dem verfassungsrechtlichen Gebot (Art. 103 Abs. 1 GG), wonach vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat, zurück. Zwar gilt Art. 103 Abs. 1 unmittelbar für alle Arten des gerichtlichen Verfahrens; aber die Strafprozessordnung ist unvollständig, solange der Verfahrensgrundsatz des rechtlichen Gehörs nicht in ihr ausgeformt wird. Diesen Mangel will der Entwurf durch eine Generalklausel beseitigen (§ 33 Abs. 3). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist ein dem Einzelnen zustehendes Recht auf Gelegenheit zur Äußerung. Es bedeutet nicht dasselbe wie das Recht auf Beteiligung am Verfahren. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör kann auch verletzt werden, obgleich der Träger dieses Anspruchs in das Verfahren eingeschaltet worden ist. Das wäre der Fall, wenn das Gericht bei seiner Entscheidung neue Tatsachen oder Beweisergebnisse verwerten würde, zu denen sich der Beteiligte bei seiner Einschaltung in das Verfahren noch nicht äußern konnte.“ 1 Das Gesetz will damit die Grundsätze berücksichtigen, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung zu Art. 103 Abs. 1 GG entwickelt hat. Danach hat der Beteiligte eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf, dass ihm Gelegenheit gegeben wird, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern, vor und in der Hauptverhandlung Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen.2 Einer ausdrücklichen Aufforderung zur Äußerung bedarf es – jedenfalls bei einem verteidigten Angeklagten – nicht. Es genügt, wenn die Beteiligten erkennbar Gelegenheit zur Äußerung gehabt haben.3 Die §§ 33, 33a sind nur ein Teil der Bestimmungen, die das rechtliche Gehör sicher- 2 stellen sollen. Für Rechtsmittelentscheidungen wird das Gehör des Gegners des Beschwerdeführers herbeigeführt nach § 308 Abs. 1 Satz 1, § 311a Abs. 1 (Beschwerde), § 320 Abs. 1 Satz 1 (Berufung) und § 347 Abs. 1 Satz 1, § 356a (Revision). In vielen Vorschriften wird über das Minimum des § 33 hinausgegangen (Rn. 21 ff.; 3 30 f.; 39 f.). Eine Ausnahme von § 33 Abs. 3 enthält für das Strafbefehlsverfahren § 407 Abs. 3. Danach bedarf es der vorherigen Anhörung des Beschuldigten durch das Gericht

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Begr., BTDrucks. 3 2037 S. 18. St. Rspr. BVerfG, vgl. etwa BVerfGE 1 429; 25 140; 36 87; 50 284; 53 113; 54 142; OLG Frankfurt StV 1992 483; Meyer-Goßner

3

Einl. Rn. 23 ff. und Rüping Rechtliches Gehör, 198 f. BGHSt 17 337, 340; BGH NStZ 1993 500.

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nicht; der Beschuldigte kann sich durch Einspruch (§ 411 Abs. 1 Satz 2) rechtliches Gehör verschaffen.4 2. Entscheidungen. Schon bei den Verhandlungen in der Reichstagskommission bestand kein Einverständnis, was unter dem Begriff Entscheidungen zu verstehen sei. Es wurden die Auffassungen vertreten: Entscheidungen seien nur die der Kollegialgerichte und des Strafrichters; es seien nur Beschlüsse gemeint, mit denen einem Antrag stattgegeben oder ein Antrag verworfen werde. Entscheidung sei jede Entscheidung und Anordnung, die das Gericht durch Beschluss erlässt, mit Ausnahme der Entscheidungen des Richters im vorbereitenden Verfahren.5 Keine der Auffassungen hat den Gesetzestext für sich. Dieser machte es gerade notwendig, für die Entscheidungen des Richters im vorbereitenden Verfahren (und seinerzeit auch des Untersuchungsrichters) Ausnahmen vorzuschlagen, die aber nicht angenommen worden sind. Auch der schließlich gewählte Ausweg, das Gehör des Beschuldigten außerhalb der Hauptverhandlung nicht allgemein, sondern von Fall zu Fall zu regeln, macht deutlich, dass die Entscheidungen, zu denen nun allerdings nur die Staatsanwaltschaft zu hören war, alle Arten von Beschlüssen und Verfügungen sein sollten, sogar die prozessleitenden Verfügungen, freilich nicht die des Richters im vorbereitenden Verfahren.6 Obwohl der Wortlaut keinem der Wünsche entspricht und kaum eine der Interpretationen standhalten lässt, hat die Entstehungsgeschichte auf die Literatur eingewirkt, so dass im Allgemeinen prozessleitende Verfügungen sowie Anordnungen des Richters im vorbereitenden Verfahren nicht unter den Begriff Entscheidungen gezählt werden.7 Diese Einschränkungen sind aber nur zum Teil zu halten: Der Wortlaut, der Sinn der Vorschrift und der Zweck, Art. 103 Abs. 1 GG auszuführen, gebieten eine weite Auslegung. Danach muss der Beteiligte oder sein prozessualer Gegner immer gehört werden, wenn über einen Antrag entschieden wird, wenn eine Entscheidung in seine Rechte eingreifen oder die Prozesslage verändern kann oder wenn eine Zwischenentscheidung ergeht. Dabei ist es gleichgültig, ob eine solche Entscheidung die eines erkennenden Gerichts ist oder ob sie vom Richter im vorbereitenden Verfahren erlassen wird, wie sich aus Absatz 4 ergibt. Nur die prozessleitenden Verfügungen und alle Entscheidungen, die lediglich den Gang des Verfahrens betreffen, wird man mit Sicherheit von dem in § 33 gemeinten Begriff ausnehmen können, weil sie keine Eingriffe in Rechte und Rechtsstellungen bewirken, sondern allenfalls vorbereiten. Dagegen können gerichtsinterne Entscheidungen (z.B. solche nach § 30) von § 33 durchaus erfasst werden;8 so wird das Gehör der Beteiligten stets geboten sein, wenn das Gericht von Amts wegen über die Frage zu entscheiden hat, ob ein Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen ist. Von diesen Ausnahmen abgesehen sind Entscheidungen die Urteile, Beschlüsse, Anordnungen und Befehle der erkennenden und beschließenden Gerichte, gleichviel ob sie von einem Kollegialgericht oder von einem Strafrichter erlassen werden; ob im Haupt- oder vorbereitenden Verfahren. Die notwendige Einschränkung ist nicht durch eine Auslegung des Wortes Entscheidung zu suchen. Vielmehr trifft sie das Gesetz in Absatz 3 dahin, dass es das Gehör nur unter bestimmten Voraussetzungen verlangt, allerdings nicht bei der Staatsanwaltschaft, sondern nur bei den anderen Beteiligten. 4 5 6 7

BVerfGE 3 253 = NJW 1954 68; BVerfGE 25 158, 165. Hahn Mat. 2 1209. Hahn Mat. 1 572. Feisenberger 2; Eb. Schmidt 1; KK/Maul 2;

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Meyer-Goßner 2; HK/Lemke 2; AK/Kirchner 2; Pfeiffer 1; a.A. KMR/Paulus 4; zweifelnd SK/Weßlau 5. KK/Maul 2; enger BGH GA 1962 338.

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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung

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3. Ergehen a) Allgemeines. Eine Entscheidung ist ergangen, wenn sie für das Gericht, das sie 9 beschlossen hat, außer in den gesetzlich vorgesehenen Fällen (§ 33a, § 306 Abs. 2, § 311 Abs. 3 Satz 2, § 311a Abs. 1, § 356a), unabänderlich ist. Unabänderlich ist sie, wenn sie außerhalb des Gerichts Wirksamkeit entfalten kann, d. h. sobald sie bekannt gegeben ist. Solange die Entscheidung noch geändert werden kann, ist sie nur ein Entwurf.9 Für einen Schwebezustand von der Beschlussfassung bis zur Bekanntmachung,10 lässt die Notwendigkeit klarer Rechtslagen im Prozess keinen Raum.11 Auch die Einheitlichkeit des Begriffs verlangt, auf die Unabänderlichkeit abzustellen; denn nur diese ist für Rechtskraft und Vollstreckung brauchbar.12 Endlich ist unbestritten, dass bei Entscheidungen, die in der Hauptverhandlung ergehen, nicht auf die – der Beschlussfassung entsprechende – Entscheidung im Beratungszimmer, sondern nur auf die Verkündung abgestellt werden kann. Bei Entscheidungen, die außerhalb der Hauptverhandlung erlassen werden, entspricht diesem Akt der Kundgabe nach außen die Zustellung oder Mitteilung (§ 35 Abs. 1 und 2).13 b) Mündlicher Erlass. Danach ergeht eine in der Hauptverhandlung getroffene Ent- 10 scheidung, sobald sie verkündet ist, gleichgültig ob der von ihr Betroffene bei der Verkündung anwesend oder abwesend ist.14 Sie kann allein durch Verkündung wirksam werden.15 Die Verkündung ist abgeschlossen, wenn die Entscheidungen, bei Urteilen die Urteilsformel und die Urteilsgründe, vollständig bekannt gegeben sind oder wenn nach Verlesen der Urteilsformel der Verkündungsakt – etwa wegen Erkrankung des Vorsitzenden – beendet werden musste und daher die Gründe überhaupt nicht oder nur teilweise eröffnet werden konnten. Bis zu diesem Abschluss steht es dem Gericht frei, von der beschlossenen Entscheidung wieder abzugehen und sie durch eine andere zu ersetzen,16 selbst wenn die ursprüngliche Entscheidung niedergeschrieben und die Niederschrift unterzeichnet ist; vor der Verkündung hat die Niederschrift nur die Bedeutung eines Entwurfs. Nach der Verkündung kann die Entscheidung nie geändert werden; nur offensichtliche Schreibfehler dürfen berichtigt werden. Auch im Verlauf anderer richterlicher Untersuchungshandlungen kann eine Entschei- 11 dung mündlich erlassen werden, jedoch nur, wenn der von ihr Betroffene bei der Verkündung anwesend ist. Als Beispiele sind die Entscheidungen am Schluss der mündlichen Verhandlung bei der Haftprüfung (§ 118a Abs. 4 Satz 1), bei der Ausschließung eines Verteidigers (§ 138d Abs. 5 Satz 1), die Maßnahmen, die der Richter im vorbereitenden Verfahren oder der beauftragte oder ersuchte Richter nach § 70 bei gesetzwidriger Verweigerung des Zeugnisses oder der Eidesleistung ergreift, sowie die auf § 180 GVG beruhenden Maßregeln zur Aufrechterhaltung der Ordnung zu erwähnen. In Fällen dieser Art ergeht die Entscheidung wie in der Hauptverhandlung durch die Verkündung; auf den Zeitpunkt, in dem sie schriftlich abgefasst wird, kommt es nicht an. c) Schriftlicher Erlass. Sonstige Entscheidungen, die außerhalb der Hauptverhand- 12 lung ergehen, sind erlassen, wenn sie, schriftlich abgefasst und unterschrieben, auf Anordnung des Vorsitzenden (§ 36 Abs. 1 Satz 1), diese ausgeführt von der Geschäftsstelle 9 10 11 12

Gantzer 25. Niese JZ 1951 758. OLG Hamburg NJW 1963 874. OLG Hamm JZ 1951 756; OLG Celle NJW 1951 415.

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BayObLGSt 34 (1934) 109. Gantzer 24 B 1; KMR/Paulus Vor § 33, 29. OLG Hamm NJW 1962 1734. BGH NJW 1953 155; Gantzer 24 B 1.

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(§ 36 Abs. 1 Satz 2), an eine Person außerhalb des Gerichts bekannt gegeben werden;17 Ausnahmen sind nur für Beschlüsse anzuerkennen, die – wie der Beschluss nach § 349 Abs. 2 – nach rechtzeitiger Einlegung eines Rechtsmittels unmittelbar die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung herbeiführen (§ 34a, 9). Diese sind bereits dann mit Außenwirkung erlassen und damit der Abänderung durch die entscheidenden Richter entzogen, wenn sie mit deren Unterschrift versehen und in den Geschäftsgang gegeben werden.18 Das soll auch für die Festlegung des Zeitpunkts der früheren Verurteilung bei Einbeziehung einer durch Strafbefehl erkannten Strafe in eine Gesamtstrafe gelten. Auch in diesem Fall soll die Wirksamkeit des Strafbefehls schon mit der Unterzeichnung durch den Richter, nicht erst mit der Zustellung an den Beschuldigten eintreten.19 Für alle sonstigen Fälle muss es bei dem Grundsatz verbleiben, dass eine Entscheidung, die nicht in der Hauptverhandlung getroffen wird, erst mit der Bekanntgabe an eine Person außerhalb des Gerichts erlassen ist, nicht schon dann, wenn sie zur Bekanntgabe an eine solche Person bestimmt wird.20 Bis zur Bekanntgabe stellt die Entscheidung nur einen Entwurf dar, den das Gericht, wie in der Hauptverhandlung bis zur Verkündung noch ändern kann,21 etwa nach Herausholen aus einem Postausgangsfach des Gerichts oder der Justizbehörden, wenn auch nach den Umständen des Falls, z.B. beim Auftrag an die Post, praktisch die Möglichkeit, auf die Entscheidung einzuwirken, schon früher enden kann. Aus diesem Grund stellen einige Gerichte,22 aber auch Kommentatoren 23 auf den Zeitpunkt ab, an dem die Entscheidung zum Zweck ihrer Bekanntgabe dadurch aus dem räumlichen Geschäftsbereich des Gerichts gelangt, dass der zuständige Geschäftsstellenbeamte sie an eine Person, die Staatsanwaltschaft oder eine sonstige Behörde herausgibt.24 Im Übrigen sind Entscheidungen, die außerhalb der Hauptverhandlung ergehen,

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OLG Bremen NJW 1956 435; OLG Frankfurt MDR 1962 744; OLG Hamburg NJW 1963 874; OLG Koblenz VRS 42 (1971) 376; 48 (1975) 376; OLG Karlsruhe Justiz 1974 436; OLG Düsseldorf AnwBl. 1981 288; vgl. auch BGHSt 25 187 – allerdings nimmt die Entscheidung nur zur Frage der Unterzeichnung Stellung, ohne auf die Frage der Unabänderbarkeit, etwa zufolge Herausgabe in den Geschäftsgang, einzugehen. Wie hier auch Dalcke/Fuhrmann/Schäfer 1; Geppert GA 1972 166; vgl. auch BayVerfGH MDR 1963 376; HessVGH DRiZ 1983 238 und Sieg NJW 1975 530. Wegen der verschiedenen Theorien zu dieser Frage – Äußerungsoder Kreationstheorie, Entäußerungs- oder Emissionstheorie, modifizierte Entäußerungstheorie, (Nieses) Emissionstheorie (JZ 1971 757) und Zugangstheorie – vgl. Gantzer 25 bis 35 sowie KMR/Paulus Vor § 33, 19 bis 27 und neuerdings Laubenthal NStZ 1991 402. Sonderregelungen enthalten § 78c Abs. 2 Satz 1 StGB und § 33 Abs. 2 Satz 1 OWiG für die Verjährungsunterbrechung sowie § 34a für die Strafzeitberechnung. BGH NStZ 1994 97. BGHSt 33 230.

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So RGSt 56 359; 66 122; OLG Hamburg HESt 1 161; OLG Köln NJW 1954 1738; JR 1976 514; OLG Hamm GA 1959 287; JZ 1967 185; Eb. Schmidt 12; KMR/Paulus Vor § 33, 28. OLG Düsseldorf NJW 1970 1949; OLG Celle MDR 1976 508. OLG Hamburg MDR 1970 949; KG JR 1970 72; OLG Celle MDR 1976 508; BayObLG MDR 1977 778; OLG Köln NJW 1993 608. Meyer JR 1976 516; Meyer-Goßner JR 1986 472; KK/Maul 4; KMR/Paulus 31; Meyer-Goßner Vor § 33, 9; SK/Weßlau 9; AK/Kirchner 4; HK/Lemke 6; für den Strafbefehl Remmele NJW 1974 486. Laubenthal NStZ 1991 402 – allerdings beschränkt auf die Frage der Anfechtungsmöglichkeiten – ebenso Meyer-Goßner – lässt die rechtliche Existenz schon mit dem aktenmäßigen Erlass eintreten. Ähnlich Schneider MDR 1979 2: sieht den Beschluss mit der Absendung als existent = erlassen an, seine Wirksamkeit dagegen erst mit der Zustellung eintreten.

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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung

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namentlich solche, die der Vollstreckung durch die Staatsanwaltschaft bedürfen (§ 36 Abs. 2 Satz 1), erlassen, sobald sie im regelmäßigen Geschäftsgang – d.h. aufgrund der Anordnung des Vorsitzenden,25 die Entscheidung der Staatsanwaltschaft durch Vorlegung der Urschrift des Schriftstücks zuzustellen (§ 41 Satz 1) – bei dieser eingegangen sind.26 4. Beurkundung. Über die Beurkundung gerichtlicher Entscheidungen enthält die Straf- 13 prozessordnung Bestimmungen nur für Urteile (§§ 271, 273 Abs. 1, § 275 Abs. 1), jedoch nicht für andere gerichtliche Entscheidungen. Die Unterzeichnung von Beschlüssen ist daher – anders als bei Urteilen (§ 275 Abs. 2) – gesetzlich nicht vorgeschrieben.27 Eine andere Frage ist, ob es zulässig ist, gegen einen schriftlich zugestellten „Beschlussentwurf“ wegen des damit verbundenen Rechtsscheins einer wirksamen Entscheidung, ein Rechtsmittel einzulegen.28 Selbst wenn man dieser Ansicht folgt, ist darauf hinzuweisen, dass die zufolge des Rechtsscheins veranlasste Rechtsmitteleinlegung ihre Grundlage verliert, wenn das Gericht seinen Fehler bemerkt und durch nachträgliche Unterzeichnung des Beschlusses und erneute Zustellung selbst beseitigt. Denn mit der Beseitigung entfällt auch die Zulässigkeit des vor dem rechtswirksamen Erlass eingelegten Rechtsmittels. Sie macht mithin seine erneute Einlegung erforderlich.29 Entscheidungen, die der Richter in vorbereitenden Verfahren, der beauftragte oder ersuchte Richter im Verlauf einer Untersuchungshandlung erlässt, werden durch die Verhandlungsniederschrift beurkundet. In den beratenden Sitzungen der Gerichte bedarf es keiner Niederschrift über den 14 Hergang und das Ergebnis der Beratung; die in ihnen gefassten Beschlüsse werden beurkundet, indem ein mitwirkender Richter, ein zur Ausbildung beschäftigter (§ 193 GVG) Referendar (§ 5b DRiG) oder eine nach Abschluss der Beratung zugezogene Hilfskraft (nicht notwendigerweise ein Urkundsbeamter der Geschäftsstelle) sie niederschreibt. Dass alle mitwirkenden Richter unterschreiben, ist zwar zweckmäßig, aber, weil das Gesetz die für die Urteile gegebene Vorschrift des § 275 Abs. 2 nicht auf Beschlüsse erstreckt, nicht unerlässlich.30 Sie müssen allerdings, damit der Beschluss wirklich erlassen ist, im Zeitpunkt der Vorlage der schriftlichen Fassung zur Unterschrift noch mitwirkungsfähig sein.31 Unterschreiben nur 32 der Vorsitzende und der Berichterstatter oder unterschreibt der Vorsitzende allein, dann ist es zweckmäßig, die Mitwirkung der übrigen Richter dadurch zu beurkunden, dass im Rubrum im Anschluss an die Gerichtsbezeichnung die Namen der Richter in derselben Weise wie bei Urteilen aufgeführt werden. Diese Form liegt nahe, wenn ein Richter auf Probe, ein Richter kraft Auftrags oder ein abgeordneter Richter an der Entscheidung mitwirkt. Gesetzlich vorgeschrieben ist die Angabe der

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BayObLGSt 1963 140 = MDR 1963 868; 1972 23 = VRS 43 (1972) 58. A.A. Remmele NJW 1974 486 sowie BayObLG NJW 1981 2589, wonach eine Entscheidung auch dann erlassen und nicht mehr abänderbar sein soll, wenn sie ohne richterliche Verfügung Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis gebracht worden ist. BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 492; OLG Düsseldorf VRS 96 (1999) 204; MDR 1984 164; OLG Hamm JMBlNRW 1978 70; Kohlhaas GA 1955 69; Sarstedt JR 1959 69. So LG Hildesheim NStZ 1991 401. So Laubenthal NStZ 1991 402; s. zu diesem

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Problem auch BVerfG NJW 1985 788; KMR/Paulus Vor § 296, 41; Meyer-Goßner § 410, 1. RGSt 1 210, 402; 43 218; RGRspr. 1 362, 697; RG JW 1901 247; GA 63 (1916/17) 437; LZ 1916 1384; OLG Köln NJW 1954 1738; OLG Hamm NJW 1957 802. HessVGH DRiZ 1983 238. Wie dies z.B. nach § 14 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesgerichtshofs vom 3.3.1952 (BAnz. Nr. 83 – DRiZ 1963 152) i.d.F. vom 21.6.1971 (BAnz. Nr. 114) zulässig ist.

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Dienstbezeichnung – auch bei der Unterschrift – allerdings nicht. § 29 Satz 2 DRiG verlangt nur, dass ein solches Richterverhältnis im Geschäftsverteilungsplan kenntlich gemacht ist.

II. Anhörung vor im Laufe einer Hauptverhandlung ergehender Entscheidungen (Absatz 1) 15

1. Hauptverhandlung. Die gerichtlichen Entscheidungen ergehen teils auf Grund einer mündlichen Verhandlung, die vor dem entscheidenden Gericht stattfindet, teils auf Grund des Inhalts der Akten. Die mündliche Verhandlung wird Hauptverhandlung genannt, wenn sie während des Hauptverfahrens stattfindet; sonst wird der erste Ausdruck statt des letzten gebraucht (§§ 118, 118a, 138d; § 309 Abs. 1, § 462 Abs. 1), zuweilen allerdings auch, obwohl eine mündliche Verhandlung in Rede steht, absichtlich vermieden (§ 124 Abs. 2 Satz 3). 16 Die Begriffe Hauptverhandlung und Urteil stehen zueinander in Wechselbeziehung: Einerseits kann ein Urteil regelmäßig nur in einer Hauptverhandlung erlassen werden; diese Regel erleidet eine Ausnahme nur durch § 371.33 Andererseits findet die Hauptverhandlung zwar zum Zweck der Urteilsfällung statt, doch kann das erkennende Gericht im Laufe der Hauptverhandlung auch andere Entscheidungen erlassen, z.B.: dass der Beschuldigte, um ein Gutachten über dessen psychischen Zustand vorzubereiten, in ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus gebracht, dass ein als Beweismittel dienlicher Gegenstand nach § 94 in Verwahrung genommen oder dass der Angeklagte auf Grund des § 112 verhaftet werde. Auch die Beschlüsse, durch die das Gericht die Öffentlichkeit gemäß § 173 Abs. 2 GVG für die Verkündung der Urteilsgründe ausschließt, gehören zu den hier in Betracht kommenden Entscheidungen.34

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2. Anhörung der Beteiligten. Dass alle Beteiligten sich äußern – oder wenigstens die Möglichkeit haben, das zu tun –, bevor eine gerichtliche Entscheidung ergeht, ist das wünschenswerte Ideal. Es lässt sich verwirklichen für die Hauptverhandlung, weil in ihr regelmäßig alle Beteiligten anwesend sind. Aus dieser Grundlage für das Gesetz ergibt sich auch die Ausnahme: In der Hauptverhandlung müssen nur die Beteiligten gehört werden, die anwesend sind.35 Ermöglicht wird ihnen die Anwesenheit durch den Aufruf der Sache (§ 243 Abs. 1). Wird ein Beteiligter durch den unzulänglichen Aufruf der Sache gehindert, an der Verhandlung teilzunehmen, ist der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.36 18 Beteiligter i.S. des Absatzes 1 ist der Angeklagte, der Staatsanwalt, der Privatkläger, der Nebenkläger, der Verletzte nach § 111e Abs. 3, 4, §§ 111g, i, k, §§ 403 ff., der Verfalls- und Einziehungsbeteiligte nach § 431 Abs. 1 Satz 1, § 442 Abs. 2, der Geldbußenbeteiligte nach § 444, der Erziehungsberechtigte und gesetzlicher Vertreter (§ 50 Abs. 2, § 67 JGG), die Finanzbehörde im Steuerstrafverfahren (§§ 403, 407 AO), aber auch jeder andere, der von der Entscheidung betroffen wird (§ 304 Abs. 2), ohne Prozessbeteiligter zu sein, z.B. eine „bei der Verhandlung nicht beteiligte Person“, gegen die ein Ordnungsgeld oder Ordnungshaft festgesetzt wird (§ 178 GVG). Beteiligte, die nicht Prozessbeteiligte sind, sind nur zu den sie betreffenden Entscheidungen zu hören. Betroffen in diesem Sinn sind alle Personen, in deren Rechte die gerichtliche Entscheidung ein33 34

RGSt 47 166; BGHSt 8 383; 14 64, 66. RGSt 69 176, 401.

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OLG Celle JR 1957 72. BVerfGE 42 364, 369 = DRiZ 1977 54.

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greift.37 Der Gehörsanspruch folgt mithin aus der Betroffenheit im eigenen Recht.38 Prozessbeteiligte müssen dagegen zu allen Entscheidungen gehört werden. Ausdrücklich aufgefordert, sich zu äußern, brauchen sie nicht zu werden 39; es genügt, dem Beteiligten auf irgendeine Weise ausreichend Gelegenheit zur Äußerung zu geben, falls ihm nur dadurch sein Recht, sich erklären zu können, erkennbar zum Bewusstsein gebracht wird.40 Nicht ausreichend ist dagegen die bloße Möglichkeit,41 die „tatsächliche Gelegenheit“,42 Stellung zu nehmen.43 Der Staatsanwalt ist als berufsmäßiger Sitzungsvertreter mit dem Gang des Prozesses 19 vertraut und zu besonderer Aufmerksamkeit verpflichtet. Bei ihm ist daher § 33 Genüge getan, wenn er erkennen kann, dass eine Prozesshandlung bevorsteht, und wenn er Gelegenheit nehmen kann, sich zu äußern.44 Verteidiger und Beschuldigter sind nicht zwei voneinander unabhängige Beteiligte. 20 Regelmäßig ist der Beschuldigte gehört, wenn sein Verteidiger gehört ist.45 Wenn das Gehör ausschließlich eine Tatsache betrifft, die der Verteidiger nicht kennen kann, genügt es, in der Hauptverhandlung den Beschuldigten zu hören; der Verteidiger kann nach § 257 Abs. 2 Erklärungen abgeben. Sonst und stets außerhalb der Hauptverhandlung muss der Verteidiger gehört werden, sei es allein, sei es neben dem Beschuldigten. Diesen allein anzuhören genügt nicht.46 Im Haftprüfungsverfahren nach § 121 sind stets der Beschuldigte und sein Verteidiger zu hören (§ 122 Abs. 2 Satz 1). 3. Weitere Vorschriften. Im Abschnitt über die Hauptverhandlung (§§ 226 bis 275) 21 sind einige weitere Vorschriften enthalten, mit denen vorgeschrieben wird, die Beteiligten zu hören: Nach § 248 Satz 2 sind die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte zu hören, bevor die prozessleitende Verfügung ergeht, dass Zeugen und Sachverständige entlassen werden. Nach § 257 Abs. 1 soll der Angeklagte nach jedem Akt der Beweisaufnahme befragt werden, ob er etwas zu erklären habe. § 257 Abs. 2 schreibt vor, dem Staatsanwalt und dem Verteidiger Gelegenheit einzuräumen, Erklärungen abzugeben. Diese drei Vorschriften erweitern § 33. Dagegen enthält § 258 Abs. 1 (ebenso wie § 326 Satz 1 und § 351 Abs. 2 Satz 1) nur 22 eine Regelung, wann und wie das letzte Wort zu gewähren ist. Die Vorschriften, nach denen dem Angeklagten das letzte Wort gebührt (§ 258 Abs. 2, § 326 Satz 2 und § 351 Abs. 2 Satz 2), und die Bestimmung, dass der verteidigte Angeklagte auch selbst sprechen darf und zu befragen ist, ob er das will (§ 258 Abs. 3), erweitern § 33 ebenfalls 47, aller37

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BVerfGE 7 95 = NJW 1957 1228; 8 253 = NJW 1958 2011; 13 140 = NJW 1962 29; 17 361 = NJW 1964 1412; 21 137 = NJW 1967 492; 21 373 = NJW 1967 1411; BGHSt 19 7, 15. Bohnert JZ 1978 712. Er will darüber hinaus in Verfahren, in welchen die Verhängung einer längeren Freiheitsstrafe droht, dem Ehepartner sowie den Kindern des Angeklagten aus Art. 6 Abs. 1 bis 3 GG eine eigene Rechtsposition zuerkennen, die ihnen ein selbständiges Äußerungs- und Anhörungsrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG einräumt (713). BGH JZ 1951 655; BGH NStZ 1993 500; KK/Maul 7.

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RGSt 10 94; 47 343; 69 401; BGH NJW 1989 2407; enger RGSt 37 438; BGHSt 2 114. GHSt 1 349. BGH JZ 1955 385; BayObLG StV 1982 460; vgl. auch BVerfGE 24 61 = NJW 1968 1621. Eb. Schmidt 4; Dahs 61. BGHSt 17 341; OLG Köln JMBlNRW 1960 107. BGH bei Dallinger MDR 1974 367; BGHSt 25 252; 26 379; BGHR StPO § 33a Satz 1 Anhörung 6; KK/Maul 6; KMR/Paulus 15; Meyer-Goßner 12. BGHSt 25 252; 26 379; OLG Karlsruhe NJW 1968 1438. Vgl. BVerfGE 54 140 = MDR 1980 909.

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dings mehr im Technischen als im Prinzip. Alle in diesem und im vorhergehenden Absatz angeführten Bestimmungen sind neben § 33 sinnvoll und zweckmäßig. § 265 Abs. 1 und 2 verlangt über § 33 hinaus, dass der Angeklagte auf die Verände23 rung des rechtlichen Gesichtspunkts hingewiesen werde. Es handelt sich um eine der Verallgemeinerung nicht zugängliche Sondervorschrift.48 Weder nach § 33 noch nach Art. 103 Abs. 1 GG haben die Verfahrensbeteiligten einen Anspruch, dass das Gericht seiner Entscheidung bloß solche rechtlichen Erwägungen zugrunde legt, auf die das Gericht sie hingewiesen hat, wenn die rechtliche Beurteilung im Rahmen dessen liegt, was nach Lehre und Rechtsprechung zu erwarten ist. Das Gericht ist nicht verpflichtet, ein Rechtsgespräch mit den Prozessbeteiligten zu führen.49 Das Recht auf Gehör ist daher nicht verletzt, wenn das Gericht aus Angaben des Angeklagten andere Folgen zieht, als der Angeklagte es gewünscht hatte,50 sofern diese Folge im Rahmen dessen lag, was ein vernünftiger Angeklagter (noch) erwarten konnte. Dagegen muss das Gericht die Beteiligten auf eine Rechtsansicht hinweisen, die sie 24 nicht voraussehen können,51 sei es, dass das Gericht von seiner eigenen Rechtsprechung abweicht, sei es, dass es eine den Verfahrensbeteiligten bekannt gegebene Rechtsauffassung verlässt, sei es endlich, dass es dem Gesetz eine völlig neue Auslegung gibt. Demzufolge braucht das Gericht im Klageerzwingungsverfahren den Anzeigeerstatter nicht darauf hinzuweisen (wenn es das auch besser doch tun sollte), dass er und die Staatsanwaltschaft die Verjährung übersehen haben, wohl aber müsste der Angeklagte z.B. belehrt werden, wenn ein Gericht ihn – was niemand zu erwarten hat 52 – etwa deshalb wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilen wollte, weil er zwar nicht, wie die Anklage angenommen hatte, sich von der Unfallstelle entfernt, wohl aber nach dem Unfall Alkohol getrunken hatte, um seinen Blutalkoholgehalt zu verschleiern. Schließlich sind die Beteiligten stets zu allen Zwischenentscheidungen zu hören (Rn. 6), auch wenn es dabei nur auf Rechtsfragen ankommt und nicht auch auf Tatsachen und Beweisergebnisse, zu denen sie noch nicht gehört worden sind.

25

4. Revision. Der Angeklagte kann die Revision auf unterlassenes Gehör stützen.53 Da kein Fall des § 338 Nr. 8 vorliegt – denn es fehlt, wenn der Beteiligte schlicht nicht gehört worden ist, an einem Beschluss, dass das rechtliche Gehör versagt werde –, kommt es darauf an, dass das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruht. Das kann auf doppelte Weise der Fall sein: Einmal könnte das Gericht auf Grund der Äußerung des Angeklagten die Entscheidung nicht oder anders erlassen haben. Zum andern könnte der Angeklagte, wenn er sich vor der Entscheidung hätte äußern können, zufolge einer anschließenden Erörterung mit dem Gericht den Sinn der Entscheidung anders erkannt und alsdann weitere Entscheidungen beantragt haben. Immerhin wird von Bedeutung sein, ob der Angeklagte die ohne sein Gehör beschlossene Maßnahme beanstandet hat. Hat er sie gebilligt, wird es einleuchtender Ausführungen bedürfen, um das Gericht zu überzeugen, dass das Urteil auf dem Unterlassen des Gehörs beruht.54 So haben das Reichsgericht 55 und der Bundesgerichtshof 56 ein Beruhen für den Fall der Verletzung 48 49

50

BayVerfGH NJW 1959 285. BGHSt 22 339 m.w.N.; BGH NJW 1989 2403, 2407; BayVerfGH JZ 1963 64 mit abl. Anm. Ad. Arndt; Rüping Rechtliches Gehör, 140, 151, 157; LR/Gollwitzer 25 § 265, 4 und 58; SK/Weßlau 10; Meyer-Goßner 1 und § 265, 7a. BGH bei Dallinger MDR 1972 925.

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51 52 53 54 55 56

BGH NJW 1989 2403, 2407; Dahs 35. BGHSt 17 144: durch den Tatbestand des § 142 StGB nicht erfasst. RGSt 69 404. So auch RGSt 6 401, 404; Meyer-Goßner 19; KK/Maul 16; Pfeiffer 4; a.A. SK/Weßlau 28. RGSt 24 14. BGHSt 21 85; BGH StV 1982 457.

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rechtlichen Gehörs durch Nichtbeachtung der Verpflichtung, die dienstliche Äußerung des Richters auf ein Ablehnungsgesuch dem Antragsteller vor der Entscheidung bekannt zu geben, mit der Begründung verneint, dass dieser nach Kenntnisnahme der dienstlichen Erklärung das Ablehnungsgesuch hätte erneuern können.57

III. Anhörung vor außerhalb der Hauptverhandlung ergehender Entscheidungen (Absatz 2) 1. Zweck. Das Ideal, vor einer gerichtlichen Entscheidung alle Beteiligten zu hören, 26 lässt sich außerhalb der Hauptverhandlung regelmäßig nur verwirklichen, wenn man eine Verzögerung des Verfahrens in Kauf nimmt. Sowohl im Interesse der Wahrheitsfindung als auch im besonderen Interesse des Beschuldigten ist aber so rasch wie möglich die Endentscheidung anzustreben. Daher schränkt § 33 das Gehör aller Beteiligten mit Ausnahme der Staatsanwaltschaft (Rn. 27 ff.) ein; doch wird es in Sondervorschriften wieder erweitert (Rn. 39 f.). 2. Erklärung der Staatsanwaltschaft. Die Beschränkung der Idealforderung, vor allen 27 Entscheidungen alle Beteiligten zu hören, trifft die Staatsanwaltschaft nicht. Absatz 2 verlangt vielmehr, dass sie stets 58 zu hören ist. Denn sie ist dazu berufen, das öffentliche Interesse wahrzunehmen und darauf hinzuwirken, dass das Gesetz beachtet wird (Nr. 127 Abs. 1 Satz 1 RiStBV). Eine solche öffentlich-rechtliche Verpflichtung haben der Privatund der Nebenkläger nicht. Trotz § 385 Abs. 1 (und § 397 Abs. 1 Satz 2) ist daher Absatz 2 wörtlich zu verstehen: Er bezieht sich nur auf die Staatsanwaltschaft (§ 142 GVG). Privat- und der Nebenkläger sind „andere Beteiligte“ i.S. des Absatzes 3. Bei der staatsanwaltschaftlichen Äußerung bildet die schriftliche Erklärung die Regel; nach ihr wird in der weit überwiegenden Zahl aller Fälle ohne weiteres Formerfordernis verfahren. Eine mündliche Erklärung ist in § 118 a Abs. 3 Satz 1 für das Haftprüfungsverfahren, 28 in § 124 Abs. 2 Satz 3 vor der Entscheidung über die Beschwerde gegen den Beschluss, der den Verfall einer noch nicht frei gewordenen Sicherheit zum Gegenstand hat, in § 138d Abs. 4 Satz 1 für das Verfahren über die Ausschließung des Verteidigers und in § 138 Abs. 2 Satz 2 GVG für die Beratung über die vom Großen Senat für Strafsachen oder von den Vereinigten Großen Senaten zu erlassenden Entscheidungen in dem Sinn vorgeschrieben, dass der Vertreter der Staatsanwaltschaft nicht verpflichtet ist, mündlich vorzutragen, aber einen Anspruch darauf hat, mit seinem mündlichen Vortrag gehört zu werden. Die Vorschriften sind sinnvoll, weil sie eine besondere Art der Erörterung mit dem Gericht sicherstellen. Außer in den vorgenannten Fällen besteht kein Anspruch der Staatsanwaltschaft auf 29 mündliches Gehör außerhalb der Hauptverhandlung. Da sie nie verpflichtet ist, sich außerhalb der Hauptverhandlung mündlich zu äußern, kommt diese Form sonst nur in

57

58

Dagegen mit beachtlichen Erwägungen Hanack JR 1967 229; JZ 1971 92 und LR/Hanack 25 § 337, 256. Eine Ausnahme gilt für die Durchführung von Überwachungsmaßnahmen gegen einen nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten, wenn Gegenstand der Untersuchung eine

Straftat nach § 129a StGB ist. Denn die dem Überwachungsrichter obliegende Verschwiegenheitspflicht (§ 148a Abs. 2 Satz 2 Hs. 1) gilt auch und gerade gegenüber der Staatsanwaltschaft (BayObLGSt 1979 65 = MDR 1979 863) und schließt deshalb ihre Anhörung aus.

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Betracht, wenn Gericht und Staatsanwaltschaft sie übereinstimmend für zweckmäßig halten, etwa zur Erledigung einer größeren Anzahl von Amnestieentscheidungen nach Erlass eines Straffreiheitsgesetzes. Wird ein Vertreter der Staatsanwaltschaft zu einer beratenden Sitzung des Gerichts zugezogen, so darf er zwar dem Vortrag des Berichterstatters beiwohnen, muss aber, wenn er seine Ansicht mündlich dargelegt hat, die Sitzung verlassen, bevor das Gericht berät und abstimmt.59

30

3. Weitere Vorschriften. Schwerer einzuordnen sind dagegen § 453 Abs. 1 Satz 2 (Gehör der Staatsanwaltschaft vor Nachtragsentscheidungen über die Strafaussetzung), § 454 Abs. 1 Satz 2 (Gehör der Staatsanwaltschaft vor Aussetzung des Strafrestes) und § 462 Abs. 2 Satz 1 und § 463 Abs. 5 (Gehör der Staatsanwaltschaft vor Entscheidungen, die bei der Strafvollstreckung und der nachträglichen Gesamtstrafenbildung notwendig werden). Die Aufnahme dieser Bestimmungen erklärt sich aus der Entstehungsgeschichte: In der ersten Lesung der Kommission waren aus § 33 (damals § 27) die Vorschriften entfernt worden, die sich auf Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung bezogen; es blieb nur das Gehör während der Hauptverhandlung geregelt.60 Demzufolge erschien es notwendig, in § 462 (§ 415) das Gehör besonders anzuordnen.61 Als in § 33 dann das Gehör der Staatsanwaltschaft auch außerhalb der Hauptverhandlung bestimmt wurde, ist wohl übersehen worden, in § 462 Abs. 2 die Anordnung, die Staatsanwaltschaft zu hören, wieder zu streichen. Die §§ 453 und 454 sind als spätere Einfügung dem Vorbild des § 462 nachgebildet worden. Alle vier Bestimmungen sind wegen des über Absatz 3 hinausgehenden Gehörs des Beschuldigten bedeutsam, lassen aber keinen Rückschluss zu, § 33 Abs. 2 einschränkend auszulegen; er gilt vielmehr für sämtliche Entscheidungen, die nach der Strafprozessordnung ergehen. Für das Beschwerdeverfahren wird § 33 durch § 309 Abs. 1 letzter Halbsatz durch31 brochen. Die Einschränkung, die Absatz 2 dadurch erfährt, entspricht weder der Rolle der Staatsanwaltschaft im Verfahren noch der Bedeutung, die das Gehör aller Beteiligten nicht nur für diese, sondern auch für das Gericht selbst hat. Die Beschwerdegerichte wenden daher § 33 Abs. 2 regelmäßig an, d. h. sie betrachten alle Beschwerdesachen als geeignet, erst nach Gehör der Staatsanwaltschaft entschieden zu werden.62

IV. Anhörung anderer Beteiligter (Absatz 3) 32

1. Nachteile. Im Gegensatz zum Verfahren in der Hauptverhandlung sind außerhalb einer solchen – abgesehen von der Staatsanwaltschaft (Absatz 2) – nicht alle anderen Beteiligten vor allen gerichtlichen Entscheidungen zu hören, wohl aber die, zu deren Nachteil die Entscheidung ergehen könnte. Das wird auch bei einem Verweisungsbeschluss 63 nach § 225a Abs. 4, §§ 348, 355 regelmäßig der Fall sein.64 Selbst die anderen Beteiligten haben, soweit nicht Einzelvorschriften weitergehende Anordnungen treffen, nur einen beschränkten Anspruch: Sie brauchen nur gehört zu werden, wenn bei der bevorstehenden Entscheidung Tatsachen oder Beweisergebnisse zu ihrem Nachteil

59 60 61 62

Hahn Mat. 1 95. Hahn Mat. 1 573. Hahn Mat. 1 1143. Zum Charakter dieses Gehörsrechts s. KMR/Paulus 12; KK/Engelhardt § 309, 3; Meyer-Goßner § 309, 2.

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63 64

BVerfGE 61 37 = NJW 1982 2367 zu § 281 ZPO a.F. BGH NJW 1989 2403, 2407.

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verwertet werden könnten, zu denen sie noch nicht gehört worden sind. Ausführungen, die nur Rechtsansichten enthalten, gehören nicht dazu; insoweit bedarf es mithin auch keiner Gewährung rechtlichen Gehörs.65 Das Gehör ist darüber hinaus immer erforderlich, wenn der etwa benachteiligte Beteiligte sonst überrascht würde und bei allen Zwischenentscheidungen (Rn. 24). Ergeht die Entscheidung außerhalb einer Hauptverhandlung, aber in einer mündlichen Verhandlung (Beisp.: § 118a, § 124 Abs. 2 Satz 3, § 138d), gilt wegen der Art und Weise der Anhörung das zu Rn. 17 ff. Ausgeführte entsprechend. Im schriftlichen Verfahren sind dem Beteiligten das Thema der anstehenden Entschei- 33 dung sowie die Tatsachen und Beweisergebnisse mitzuteilen. Sie werden in einem Schreiben aufgeführt, oder es werden Abschriften übersandt. Der Beteiligte kann auch von einem Richter oder Beamten (etwa in der Justizvollzugsanstalt) zu Protokoll gehört werden. Dem Verteidiger können die Akten übersandt werden. Es ist nicht erforderlich, dass das Gehör von einem Richter veranlasst wird. Auch der Staatsanwalt kann es vornehmen, bevor er dem Gericht seine Stellungnahme abgibt. Nur muss dem Beteiligten erkennbar sein, dass er vor einer richterlichen Entscheidung gehört wird. Werden ihm Tatsachen und Beweisergebnisse mitgeteilt, ist ihm gleichzeitig Gelegenheit zu geben, zu ihnen Stellung zu nehmen. Zweckmäßigerweise wird dabei eine Frist genannt, nach deren Ablauf entschieden – oder wenn das Gehör von der Staatsanwaltschaft ausgeht, die Sache dem Gericht zur Entscheidung übergeben – werden wird, auch wenn keine Stellungnahme eingegangen sein sollte. Der Beteiligte wird sich in der Regel (wenn überhaupt) schriftlich äußern. Er hat keinen Anspruch, seine Erklärungen vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abzugeben, doch sollte dieser sie von ungewandten Beteiligten entgegennehmen. Wegen des rechtlichen Gehörs im Verfahren mit Strafbefehlen s. § 407 Abs. 3.66 2. Tatsachen oder Beweisergebnisse. Ein Beteiligter ist zu Tatsachen oder Beweis- 34 ergebnissen zu hören, die zu seinem Nachteil verwertet werden sollen. Tatsachen können ein äußeres Geschehen umschließen, aber auch einen Vorgang im Innern des Menschen betreffen.67 Sie können jedoch auch Geschehnisse rein prozessualer Bedeutung darstellen.68 Angebliche Erschwernisse im Justizvollzug zählen nicht dazu.69 Zu den Beweisergebnissen zählen insbesondere Sachverständigengutachten, Ergebnisse des Augenscheins, (neu) sichergestellte Beweisgegenstände, Aussagen von Zeugen sowie gewonnene Erkenntnisse aus der Überwachung der Telekommunikation. Tatsachen und Werturteile sind in der Regel so eng miteinander verbunden, dass sie nicht getrennt werden können.70 Bloße Rechtsausführungen stellen keine Tatsachen im Sinne der Vorschrift dar.71 2. Beispiele. Der Rechtsprechung sind zu Bestimmungen, die nicht zur Sicherung des 35 rechtlichen Gehörs geändert worden sind, folgende Beispiele entnommen: Vor der Entscheidung nach § 67e StGB (Überprüfung der weiteren Vollstreckung einer Unterbringung) i.V.m. § 463 Abs. 1, § 462 Abs. 1 und 2 StPO ist der Verurteilte zu Beweisergebnissen, namentlich zu einer Äußerung der Anstalt zu hören. Die darin enthaltenen

65

66 67

OLG Hamm MDR 1956 687; OLG Düsseldorf VRS 82 (1992) 192; KG StV 1993 370; KMR/Paulus 16; offen gelassen BVerfGE 19 32, 36; 55 95, 96. LR/Gössel 25 § 407, 60 f. KK/Maul 9; Meyer-Goßner 13.

68 69 70

71

OLG Köln NJW 1970 1336. BGH NStZ-RR 1999 258. BVerfGE 17 139, 143 = NJW 1964 293; BVerfG NJW 2006 1048, 1049; KK/Maul 9; Meyer-Goßner 13. OLG Düsseldorf VRS 82 (1992) 189.

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Werturteile werden sich dabei von Tatsachenmitteilungen in der Regel nicht trennen lassen.72 Das gleiche gilt bei Entscheidungen nach § 56f Abs. 1, § 56g Abs. 2 (Widerruf der Strafaussetzung bzw. des Straferlasses) i.V.m. § 453 Abs. 1 Satz 2 StPO 73 und nach § 57 Abs. 1 und 2 StGB (Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe) i.V.m. § 454 Abs. 1 Satz 2 StPO.74 Das Gehör ist nicht nur erforderlich, wenn das Gericht die Äußerung als entscheidungserheblich ansieht;75 das Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet vielmehr die Möglichkeit, sich zu den Tatsachen in der Form zu äußern, wie sie dem Gericht zur Beurteilung vorliegen.76 Daher ist es geboten, dem Verurteilten die Stellungnahme der Vollzugsanstalt 77 bekannt zu geben;78 dem Untergebrachten ist die Stellungnahme der Maßregelvollzugseinrichtung zur Kenntnis zu geben.79 Ebenso sind nach § 454 Abs. 2 und § 463 Abs. 3 Satz 3 eingeholte Sachverständigengutachten dem Verurteilten bzw. Untergebrachten und seinem Verteidiger bekannt zu geben. Beabsichtigt das Gericht, eine Beschwerde aus formellen Gründen zu verwerfen, so 36 hat es dem Beschwerdeführer jedenfalls dann Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wenn ein angenommener Verfahrensmangel vielleicht nicht vorliegt oder behoben werden kann.80 Bevor über eine zeitweilige Entfernung des Angeklagten oder über den Ausschluss der Öffentlichkeit befunden wird, sind die Beteiligten anzuhören.81 Eine Privatklage darf nicht zurückgewiesen,82 ein Privatklageverfahren nicht eingestellt (§ 383 Abs. 2) werden,83 bevor dem Privatkläger erhobene Beweise bekannt gegeben worden sind. Ebenso darf ein Strafverfahren nicht nach § 153 Abs. 2 oder nach § 153a Abs. 2 eingestellt werden, ehe über den Antrag des im Klageerzwingungsverfahren erfolgreichen Anzeigeerstatters, ihn als Nebenkläger zuzulassen (§ 395 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2), entschieden worden ist.84 Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn der Angeklagte weder erschienen noch vertreten ist, und ein ihm nicht angekündigter Beweis erhoben und zu seinen Ungunsten verwertet worden ist,85 wenn das Gericht eine offenkundige 86 oder Gerichts bekannte 87 Tatsache zum Nachteil des Betroffenen zugrunde gelegt hat, ohne diesem vorher Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äußern. Zwar bedürfen solche Tatsachen keines Beweises; jedoch enthebt dieser Umstand das Gericht nicht der Pflicht, die als offen- oder gerichtskundig behandelte Tatsache dadurch in den Prozess einzuführen, dass es dem Betroffenen Kenntnis davon gibt. Das rechtliche Gehör ist auch verletzt, wenn ein bei dem Gericht eingegangener, aber – wenn auch versehentlich – nicht zu den Akten gelangter Schriftsatz bei der Entscheidung unberücksichtigt geblieben ist 88 oder wenn der dazu Berechtigte eine Frist erbeten, aber keine oder keine ausreichende 89 oder, obwohl er damit rechnen konnte, keinen Bescheid erhalten 90 oder, wenn das

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73 74 75 76 77 78

BVerfGE 17 143 = NJW 1964 293; OLG Hamm JMBlNRW 1962 199; OLG Köln JMBlNRW 1962 199; H.-W. Schmid MDR 1961 195; NJW 1965 1318; a.A. Schütz NJW 1961 583. BVerfGE 7 340. OLG Hamm MDR 1960 424. OLG Hamburg NJW 1964 2315. Nöldeke MDR 1972 480; a.A. KK/Maul 8. BVerfGE 19 201; OLG Hamm MDR 1960 424. BVerfGE 18 419, 422; 19 198, 201; OLG Frankfurt NStZ 1992 455; KK/Maul 10; Meyer-Goßner § 454, 18.

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79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90

OLG Hamm JMBlNRW 1962 199. OLG Köln JMBlNRW 1962 282. BGH NJW 1968 167. BVerfGE 8 184 = NJW 1958 1723. BVerfGE 8 208. BVerfGE 14 323 = NJW 1962 2248. BayObLGSt 1972 251 = Rpfleger 1973 61 für Ordnungswidrigkeiten. BVerfGE 48 209. BVerfGE 10 182 = NJW 1960 31; 12 113. BVerfGE 46 185 = MDR 1978 201. BVerfGE 4 193 = NJW 1955 1145; 8 90 = NJW 1958 1436. OLG Oldenburg NdsRpfl. 1973 53.

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Gericht zwar eine Frist gewährt, ihren Ablauf – wenn auch versehentlich 91 – aber nicht abgewartet hatte.92 Dagegen ist keine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG angenommen worden bei Ver- 37 werfung der Berufung nach § 329 Abs. 1: Der Angeklagte kann sich mit dem Rechtsmittel der Revision oder mit dem Rechtsbehelf der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 329 Abs. 3) rechtliches Gehör verschaffen.93 Die Gehörsvorschrift ist nicht verletzt, wenn der Beteiligte sich ihm das nicht ausdrücklich eingeräumte rechtliche Gehör selbst verschafft hatte.94 Ein Verstoß ist auch nicht darin zu sehen, dass die Ladung des Verteidigers des Betroffenen versehentlich unterblieben ist und die Hauptverhandlung ohne den Verteidiger stattgefunden hat. Denn Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet das rechtliche Gehör grundsätzlich nur als solches, nicht unbedingt durch die Vermittlung eines Rechtsanwalts.95 Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann nicht geltend machen, wer die prozessualen Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen, nicht wahrnimmt96 oder gar eine Anhörung vereitelt.97 Schließlich ist das Gehör des Beschwerdegegners nicht erforderlich, wenn ohne weiteres zu seinen Gunsten entschieden werden soll.98 Rechtliches Gehör ist nicht notwendig bei sitzungspolizeilichen Maßnahmen nach 38 § 175 Abs. 1, § 176 GVG 99; anders grundsätzlich bei Ordnungsmitteln nach § 178 GVG, es sei denn, eine Anhörung würde nur Anlass zu weiteren Störungen und Ausfällen geben.100 Es soll nicht erforderlich sein bei Entscheidungen über die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrags zuungunsten des Verurteilten (§ 367);101 eine Entscheidung, die sowohl in der Sache als auch in der Begründung nicht unbedenklich ist.102

V. Sonstige Regelungen der Anhörung von Beteiligten (Absatz 4 Satz 2) Über das Gehör der Beteiligten finden sich in vielen Bestimmungen weitere Vor- 39 schriften: § 81 Abs. 1 Satz 1 (Gehör des Verteidigers vor der Beobachtung in einem psychiatrischen Krankenhaus); § 111l Abs. 4 (Gehör des Beschuldigten, des Eigentümers und anderer, denen Rechte an der Sache zustehen, vor der Notveräußerung); § 118a Abs. 3 Satz 1 (Gehör der anwesenden Beteiligten im mündlichen Haftprüfungsverfahren); § 122 Abs. 2 Satz 1 (Gehör des Beschuldigten und des Verteidigers im Prüfungsverfahren des Oberlandesgerichts); § 124 Abs. 2 (Gehör des Beschuldigten und des Bürgen vor der Entscheidung, dass eine Sicherheit verfallen ist); § 138c Abs. 2 Satz 3 (Beteiligung des Vorstands der Rechtsanwaltskammer im Ausschließungsverfahren gegen 91 92

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BVerfGE 42 243, 247 = NJW 1976 1837. BVerfGE 12 113; 49 215; nach BVerwG NJW 1979 1619 soll die Garantie des rechtlichen Gehörs es gebieten können, auch bei verspätetem (vorher angekündigtem) Eintreffen eines Verfahrensbeteiligten mit der Eröffnung, Fortsetzung oder Schließung der mündlichen Verhandlung zu warten, wenn und solange dies mit dem Interesse an der Einhaltung des Sitzungsplans (Tagesordnung) vereinbar ist. BayObLGSt 1966 58 = MDR 1966 941; OLG Hamm NJW 1965 410; OLG Frankfurt NJW 1968 218.

94 95 96

97 98 99 100 101

102

BVerfGE 7 329. OLG Köln VRS 59 (1980) 247. BVerfGE 5 10 = NJW 1956 985; 15 267; OLG Düsseldorf JR 1989 167 mit zust. Anm. Wendisch. OLG Köln NJW 1963 875. KG NJW 1954 1411. Woesner 866. LR/Wickern 25 § 178, 34 ff. GVG. BVerfGE 15 307 = NJW 1963 758; OLG Bamberg HESt 3 5; Eb. Schmidt 6; KMR/Paulus 20. Bedenken bei Peters Fehlerquellen 3 140.

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einen Verteidiger, der Rechtsanwalt ist); § 175 Satz 1 (Gehör des Beschuldigten vor Anordnung der Klage im Klageerzwingungsverfahren); § 201 Abs. 1 (Gehör des Angeschuldigten vor der Eröffnung des Hauptverfahrens); § 216 Abs. 2 Satz 2 (Befragung des nicht auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten bei der Ladung zur Hauptverhandlung, welche Anträge er zu seiner Verteidigung zu stellen habe); § 225a Abs. 2 Satz 1 (Hinweis an den Angeklagten auf die Möglichkeit, bei dem Vorsitzenden des um Übernahme ersuchten Gerichts die Vornahme einzelner Beweiserhebungen zu beantragen); § 257 Abs. 1 (Gelegenheit des Angeklagten zur Erklärung); § 258 Abs. 1 und 2 (Schlussvortrag des Angeklagten und letztes Wort); § 275a Abs. 1 und 2 (Anhörung im Verfahren über die vorbehaltene oder nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung); § 308 Abs. 1 Satz 1 (Gehör des Gegners des Beschwerdeführers, bevor die angefochtene Entscheidung zu seinem Nachteil geändert wird); § 347 Abs. 1 Satz 2 (Revisionsgegenerklärung); § 349 Abs. 3 Satz 1 (Mitteilung des Antrags der Staatsanwaltschaft an den Angeklagten, mit dem sie beantragt, seine Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen); § 356a (nachträgliches rechtliches Gehör im Revisionsverfahren); § 453 Abs. 1 Satz 2 (Gehör des Angeklagten vor Nachtragsentscheidung über die Strafaussetzung); § 453 Abs. 1 Satz 3 (mündliche Anhörung des Verurteilten vor Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung wegen Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen); § 454 Abs. 1 Satz 2 und 3 (Gehör des Verurteilten vor Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes); § 454 Abs. 2 Satz 3 (Gelegenheit für den Verurteilten, seinen Verteidiger, die Staatsanwaltschaft und die Vollzugsanstalt zur Mitwirkung bei der mündlichen Anhörung des Sachverständigen); § 462 Abs. 2 (Gehör des Verurteilten vor Entscheidungen, die bei der Strafvollstreckung und der nachträglichen Gesamtstrafenbildung notwendig werden); § 463 Abs. 3 Satz 1, 3 und 5 (rechtliches Gehör bei Entscheidungen betreffend die Vollstreckung von Maßregeln der Besserung und Sicherung). Alle diese Bestimmungen erweitern § 33 Abs. 3; sie werden durch ihn nicht berührt. 40 Das Gehör hat – in den Fällen des § 308 unter der dort angegebenen Voraussetzung – stets stattzufinden, gleichviel ob Tatsachen und Beweisergebnisse in Rede stehen oder Rechtsfragen, und gleichviel ob, wenn Tatsachen und Beweisergebnisse verwertet werden sollen, diese Verwertung zum Nachteil des Beschuldigten in Aussicht genommen ist oder zu seinem Vorteil.

VI. Mit dem Prozesszweck nicht zu vereinbarende Anhörung (Absatz 4 Satz 1) 41

1. Wegfall der Anhörung. Das in Absatz 3 vorgeschriebene Gehör entfällt, wenn die vorherige Anhörung den Zweck der Anordnung gefährden würde.103 Der Zweck der Anordnung wäre gefährdet, wenn der von ihr Betroffene sie, wüsste er vorher von ihr, vereiteln könnte. Das kommt in Betracht bei Anordnung der Untersuchungshaft (§ 114) durch Flucht und – entsprechend – für das Haftbeschwerdeverfahren bei Bekanntgabe des Haftbefehls an den Verteidiger eines flüchtigen Beschuldigten, weil dabei über die Rechtmäßigkeit der Anwendung der Untersuchungshaft entschieden wird,104 bei der Beschlagnahme (§ 98 Abs. 1 Satz 1, § 111a Abs. 1 Satz 1), der Anordnung der Hausdurchsuchung (§ 105 Abs. 1) oder der Postbeschlagnahme (§ 100 Abs. 1) durch Vernich-

103

Zum – schwächer ausgestalteten – rechtlichen Gehör durch Akteneinsicht vgl. Erl. zu § 147 Abs. 2; dort genügt für ihre Verweigerung, dass „sie den Untersuchungs-

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zweck gefährden kann“, vgl. aber BVerfG NJW 2006 1048, 1049. OLG Stuttgart bei Paeffgen NStZ 1990 430.

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ten oder Verstecken; bei der Anordnung, die Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen (§§ 100a, 100b), durch Unterlassen dieses Verkehrs. Eine vorherige Anhörung entfällt auch in den Fällen des maschinellen Abgleichens und der Übermittlung personenbezogener Daten nach §§ 98a ff., bei Maßnahmen, die nach § 100c ohne Wissen des Betroffenen angeordnet werden dürfen, im Zusammenhang mit dem Einsatz Verdeckter Ermittler nach §§ 100a ff., bei der Ausschreibung zur Festnahme (§ 131) und Aufenthaltsermittlung (§ 131a) und der Veröffentlichung von Abbildungen (§ 131b) sowie bei einer Schleppnetzfahndung nach § 163d und der Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung nach § 163e. Die Vorschrift ersetzt bei gewissen Gruppen von Maßnahmen das vorherige Gehör durch das nachträgliche (vgl. §§ 101, 110d, 163d Abs. 5). Das erscheint dem Gesetzgeber gerechtfertigt, weil es sich in keinem Fall um endgültige 42 Entscheidungen handelt; weil die Anordnungen in der Regel rasch ergehen müssen; und weil ihnen nach ihrem Inhalt leicht entgegengetreten werden kann. Nach diesem Sinn der Vorschrift ist keine zu weitgehende Abwägung im Einzelfall zu verlangen, ob die Persönlichkeit des Betroffenen und die Umstände des Einzelfalls eine Gefährdung nahe legen; sie wird vielmehr nach der Lebenserfahrung in der Regel anzunehmen sein, wenn nicht die Umstände des Einzelfalls die allgemeine Vermutung widerlegen. Ist eine Entscheidung nach § 33 Abs. 4 Satz 1 ohne vorherige Anhörung des Beteilig- 43 ten ergangen, so ist diesem nachträglich nach § 33a Gehör zu gewähren,105 sobald die Gefährdung der Anordnung entfallen ist; spätestens ist das nach Vollzug der Anordnung der Fall, ggf. aber schon früher.106 Über das Recht, nachträglich gehört zu werden, ist der Beteiligte zu belehren.107 Stets kann vom Gehör nur abgesehen werden, wenn der Zweck der Anordnung tatsächlich gefährdet würde.108 Ist das nicht zu erwarten, muss der Beteiligte gehört werden, bevor zu seinem Nachteil Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet werden, zu denen er noch nicht gehört worden ist.109 2. Beschwerde. Steht dem Beteiligten, der nicht gehört worden ist, die Beschwerde 44 zu, so kann er mit ihr auch die unterbliebene Anhörung geltend machen. Dabei kann er alles vorbringen, was er geäußert hätte, wenn er gehört worden wäre. Sind ihm Tatsachen oder Beweismittel, die zu seinem Nachteil verwertet worden sind, noch unbekannt, und kennt das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, diesen Umstand, dann hat es ihm die Tatsachen bekannt zu geben. Denn das Gericht hat einer begründeten Beschwerde abzuhelfen (§ 306 Abs. 2, erster Hs. ; § 311 Abs. 3 Satz 2), dazu gehört, dass einem Mangel abgeholfen wird, auch wenn das schließlich nicht zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führt. Unterlässt das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, das nachträgliche 45 Gehör, dann hat es das Beschwerdegericht zu gewähren, für das Absatz 3 ebenfalls 105 106

BGHSt 26 127; 36 311. Beispiel: Der Ermittlungsrichter hat eine Durchsuchungsanordnung (§ 103 Abs. 1) erlassen, ohne den unbeteiligten Betroffenen anhören zu können. Hier wird es die Achtung vor der Unverletzlichkeit der Wohnung eines Unbeteiligten gebieten, dass ihm der die Durchsuchung durchführende Beamte oder Staatsanwalt vor der Durchsuchung Gelegenheit gibt, sich zwecks Anhörung an den zuständigen Richter zu wenden, wenn dieser alsbald zu erreichen ist und sicher-

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gestellt werden kann, dass der Betroffene den Zustand der Wohnung unverändert lässt. BVerfGE 9 107 = NJW 1959 430; 18 604 = NJW 1965 1172. Weitergehend KMR/Paulus 22, wonach die Gewährung bereits unterbleiben darf, wenn der dafür erforderliche Aufwand zum Strafverfolgungsinteresse außer Verhältnis steht. BayVerfGH JR 1963 477; OLG Hamm JMBlNRW 1960 118.

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gilt.110 Das Beschwerdegericht hat dann in der Regel in der Sache selbst zu entscheiden. Lag kein Fall des Absatzes 4 Satz 1 vor und sind auf die Äußerung der Beteiligten umfängliche Ermittlungen zu veranlassen, zu denen er dann wieder zu hören ist, dann kann das Beschwerdegericht ausnahmsweise auch die angefochtene Entscheidung aufheben und dem ersten Richter das Weitere überlassen, wenn die angegriffene Entscheidung ohne Beeinträchtigung des Verfahrens zunächst wegfallen kann.

§ 33a 1Hat das Gericht in einem Beschluß den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt und steht ihm gegen den Beschluß keine Beschwerde und kein anderer Rechtsbehelf zu, versetzt es, sofern der Beteiligte dadurch noch beschwert ist, von Amts wegen oder auf Antrag insoweit das Verfahren durch Beschluß in die Lage zurück, die vor Erlaß der Entscheidung bestand. 2§ 47 gilt entsprechend.

Schrifttum. Eschelbach Gehör vor Gericht, GA 2004 228; Hohmann Die Gegenvorstellung – „Stiefkind“ des Strafverfahrens?, JR 1991 10; Matt Die Gegenvorstellung im Strafverfahren, MDR 1992 820; Meyer-Mews Rechtsschutzgarantie und rechtliches Gehör im Strafverfahren, NJW 2004 716; Piepenbrock Das Anhörungsrügengesetz, AnwBl. 2005 125; Vosskuhle Bruch mit einem Dogma: Die Verfassung garantiert Rechtsschutz gegen den Richter, NJW 2003 2193; Werner Strafprozessuale Gegenvorstellung und Rechtsmittelsystem, NJW 1991 19; Wölfl Die Gegenvorstellung im Strafprozeß, StraFo 2003 222.

Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift wurde durch Art. 8 Nr. 2 StPÄG 1964 eingefügt. In Befolgung des Plenarbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 30.4.2003 1 hat die Vorschrift durch das Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) vom 9.12.2004 2 die jetzige Fassung erhalten.

Übersicht Rn. 1. Bedeutung der Vorschrift . . . . . . . 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . 3. Voraussetzungen der Anhörungsrüge a) Beschluss . . . . . . . . . . . . . b) Beteiligter . . . . . . . . . . . . . c) Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise . . . . . . . . . . . . d) Unanfechtbarkeit des Beschlusses . e) Andauernde Beschwer . . . . . . .

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BVerfG NJW 2006 1048, 1049.

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Rn. 4. Verfahren a) Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Von Amts wegen . . . . . . . . . . . c) Nachverfahren . . . . . . . . . . . . d) Überprüfungsverfahren . . . . . . . . 5. Anfechtung der gerichtlichen Entscheidung a) Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . b) Verhältnis zu § 356a . . . . . . . . . . c) Verfassungsbeschwerde . . . . . . . .

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BVerfGE 107 395 = NJW 2003 1924. BGBl. I S. 3220.

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Alphabetische Übersicht Abänderung des Beschlusses 24 Anfechtung 26 ff. Anfechtungsausschluss 13 Anhörung 12 Anhörungsrüge 2, 4 ff. Anhörungsverstoß 2 Antrag 19 Anwendung 12 Anwendungsbereich 2 f. Aufhebung des Beschlusses 24 Auslegung 3 Bedeutung der Vorschrift 1 Beschluss 4, 12, 24 Beschwer 16 f. Beschwerde 26 Beschwerdeentscheidung 12 Besonderheiten 14 Beweisergebnisse 9 Entscheidungserheblichkeit 9, 11 Erstinstanzliche Entscheidung 12 Form 19 Frist 19

Gericht 6, 15 Justizgewährungsanspruch 1 Klageerzwingungsverfahren 12 Kostenentscheidung 25 Nachverfahren 22, 26 Rechtliches Gehör 1, 9 Rechtsbehelf 2 Revisionsverfahren 28 Staatsanwaltschaft 7 Statthaftigkeit der Beschwerde 26 f. Tatsachen 9 Treu und Glauben 20 Überprüfungsverfahren 24 f. Unanfechtbarkeit 12 Urteil 4 Verfahren 19 ff. Verfassungsbeschwerde 29 Verhältnis zu § 356 a 28 Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör 9 f. Verschlechterungsverbot 24 Von Amts wegen 21

1. Bedeutung der Vorschrift. Die Vorschrift soll den Anspruch auf rechtliches Gehör 1 als Verfahrensgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG im fachgerichtlichen Verfahren sichern, wenn das Gericht ihn in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Nach dem Plenarbeschluss des Bundesverfassungsgerichts 3 verstößt es gegen das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG, wenn eine Verfahrensordnung keine fachgerichtliche Abhilfemöglichkeit für den Fall vorsieht, dass ein Gericht in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Der allgemeine Justizgewährungsanspruch fordert danach eine zumindest einmalige gerichtliche Kontrolle für die Einhaltung des verfassungsrechtlich verbürgten Anspruchs auf rechtliches Gehör.4 Das rechtliche Gehör sichert den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Prozessverhalten eigen bestimmt und situationsspezifisch gestalten können. Es stellt namentlich sicher, dass sie mit Ausführungen und Anträgen gehört werden 5 und schafft die Voraussetzungen für eine willkürfreie richterliche Entscheidung auf hinreichend sicherer Tatsachengrundlage.6 Nach dem Plenarbeschluss des Bundesverfassungsgerichts 7 muss der gebotene Rechtsschutz bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör Mindestanforderungen genügen. Zum einen war der Rechtsbehelf bei den Fachgerichten einzurichten.8 Die Möglichkeit, mit der Verfassungsbeschwerde die Verletzung des rechtlichen Gehörs zu rügen, genügt nicht,9 um den Anspruch auf rechtliches Gehör hinreichend zu gewährleisten. Zum anderen muss der Rechtsbehelf Verletzungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör in jeder gerichtlichen Instanz erfassen, also auch den Fall eines Verstoßes erstmals in einem Rechtsmittelverfahren. Entsprechend den Vorgaben durch das Bundesverfassungsgericht war die Vorschrift

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BVerfGE 107 395 = NJW 2003 1924. BTDrucks. 15 3706 S. 13. BVerfGE 107 395 = NJW 2003 1924. BTDrucks. 15 3706 S. 13.

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BVerfGE 107 395 = NJW 2003 1924. BTDrucks. 15 3706 S. 13. BVerfGE 107 395 = NJW 2003 1924.

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neu zu fassen, als eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach geltendem Verfahrensrecht weder innerhalb des allgemeinen Rechtsbehelfssystems noch mit einem ausdrücklich dafür vorgesehenen Rechtsbehelf gerügt werden kann. Die Neufassung des § 33a schließt diesen Regelungsbedarf.

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2. Anwendungsbereich. Die Vorschrift geht davon aus, dass die Überprüfung von Anhörungsverstößen zunächst im vorhandenen Rechtszug erfolgt. Soweit Rechtsmittel nicht (mehr) gegeben sind, sieht § 33a einen eigenständigen Rechtsbehelf 10 vor, mit dem ein Anhörungsverstoß gerügt werden kann. Die Anhörungsrüge kommt als subsidiärer Rechtsbehelf allerdings nur dann zum Zuge, wenn der Anhörungsverstoß nicht im Rahmen anderer zur Überprüfung der Entscheidung gegebener Rechtsmittel oder Rechtsbehelfe behoben werden kann. Bei Verletzung des rechtlichen Gehörs ist also zunächst das nach den Verfahrensvorschriften statthafte Rechtsmittel oder ein vorgesehener Rechtsbehelf einzulegen. § 33a ändert insoweit an der früheren Rechtslage nichts. Auch bei offensichtlicher Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör muss der Betroffene das nach den allgemeinen Verfahrensvorschriften vorgesehene Rechtsmittel oder den Rechtsbehelf zunächst einlegen und kann nicht sogleich die Anhörungsrüge erheben. Mit dem Vorrang des Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs können jedoch andernfalls unvermeidbare Konkurrenzen zwischen diesen und der Anhörungsrüge weitgehend ausgeschlossen werden.11 Auf eine Sonderregelung für „offenkundige Pannenfälle“ hat der Gesetzgeber bewusst verzichtet, da diese sich möglicherweise erst bei Prüfung der Anhörungsrüge als solche erweisen und nicht immer von vorn herein erkennbar sind.12 Die Vorschrift ist so auszulegen und anzuwenden, dass sie jeden Verstoß gegen § 33 3 Abs. 3 und damit Art. 103 Abs. 1 GG in den Beschlussverfahren, auf die sie anwendbar ist, erfasst.13 Die damit gebotene weite Auslegung wird durch die Neufassung des Wortlauts verdeutlicht. Außer zu Tatsachen und Beweisergebnissen müssen sich der Beschuldigte und die übrigen Beteiligten etwa auch zu Anträgen und Rechtsauffassungen anderer Beteiligter äußern können, die für die Entscheidung des Gerichts erheblich sein können. Jeder Beteiligte soll sich damit auch auf neue rechtliche Gesichtspunkte einstellen und zu ihnen Stellung nehmen können.14 Die Vorschrift trägt damit der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht zu Art. 103 Abs. 1 GG für das einfache Recht Rechnung,15 die dieses Gericht in einer Vielzahl von Entscheidungen nach seinem Grundsatzbeschluss vom 25. Oktober 1956 16 getroffen hat, wonach „das Recht auf Gehör verlangt, dass einer gerichtlichen Entscheidung … nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.“ 17 10 11 12 13

BTDrucks. 15 3706 S. 13. BTDrucks. 15 3706 S. 13. BTDrucks. 15 3706 S. 13. BVerfGE 42 243 = NJW 1976 1837; 42 252 = NJW 1976 1839; BVerfG NStZ 1985 277; NZV 2005 51; BayObLG VRS 86 (1994) 348; OLG Düsseldorf NStZ 1985 277; NJW 1989 312; MDR 1993 786; OLG Köln VRS 87 (1994) 302; Matt MDR 1992 823; KK/Maul 1 f.; Meyer-Goßner 1; SK/Weßlau 4; AK/Kirchner 1 f.; HK/Lemke 1 f.; KMR/Paulus 3. Wegen der entsprechenden Anwendung zur Nachholung einer Kostenentscheidung zugunsten des Nebenklägers, wenn das Revisionsgericht den Aus-

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spruch unterlassen hat, vgl. KG JR 1989 393; OLG Düsseldorf VRS 84 (1993) 446; im Ergebnis ebenso Weber MDR 1986 74 im Fall der Einstellung des Verfahrens nach §§ 153, 153a, 154 b Abs. 4, § 383 Abs. 2. BTDrucks. 15 3706 S. 17; so schon Goerlich JZ 1977 24; BVerfG NStZ 1985 277; OLG Frankfurt NStZ-RR 2002 306; Meyer-Goßner 1; a.A. LR/Wendisch 25 2. So schon Goerlich JZ 1977 23. BVerfGE 6 12, 14 = NJW 1957 17. BVerfGE 42 250 = NJW 1976 1839; BVerfG NStZ 1985 277; OLG Frankfurt NStZ-RR 2002 306.

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3. Voraussetzungen der Anhörungsrüge a) Beschluss. Die Vorschrift gilt, wie § 311a, nur für Beschlüsse,18 nicht für Urteile.19 4 Bei letzteren kann der Fall des § 33a nicht eintreten, weil der Angeklagte regelmäßig in der Hauptverhandlung anwesend ist (§ 226 Abs. 1, § 230 Abs. 1), im Falle seiner Abwesenheit aber Rechtsbehelfe (§ 235 Satz 1, § 329 Abs. 3) und in jedem Fall das Rechtsmittel der Revision hat. Auch bei Urteilen oder Beschlüssen des Revisionsgerichts nach § 349 Abs. 1 und 2 5 kann es zu einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kommen. Bisher wurde § 33a von der Rechtsprechung im Revisionsverfahren (entsprechend) angewandt,20 wenn etwa im Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts die Frist zur Abgabe einer Gegenerklärung auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft noch nicht abgelaufen war oder dem Angeklagten als Beschwerdeführer eine Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft oder des Nebenklägers versehentlich nicht zugestellt worden war. Um Verletzungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Revisionsgerichte abzuhelfen, sieht nunmehr der im Verhältnis zu § 33a speziellere Rechtsbehelf des § 356a sowohl für den Fall einer Entscheidung durch Beschluss als auch einer solchen durch Urteil unter bestimmten Voraussetzungen vor, das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurückzuversetzen, die vor dem Erlass der Entscheidung bestand. Im Gegensatz zur Anhörungsrüge nach § 33a setzt § 356a einen frist- und formgebundenen Antrag (§ 356a Satz 2) und die Glaubhaftmachung des Zeitpunkts der Kenntniserlangung (§ 356a Satz 3) voraus.21 § 33a spricht von einem Beschluss. Demgegenüber ist in § 304, auf den sich § 33a 6 bezieht, von Beschlüssen und Verfügungen die Rede. § 33, den § 33a ergänzt, spricht von Entscheidungen (Absatz 1 bis 3) und Anordnungen (Absatz 4). Da § 33a gerade auch wegen der Fälle des § 33 Abs. 4 eingefügt worden ist, umfasst der Begriff „Beschlüsse“ auch nach der Neufassung der Vorschrift durch das Anhörungsrügengesetz auf jeden Fall auch die Anordnungen des § 33 Abs. 4, ist wegen seiner Beziehung zu § 33 aber in dem Sinne auszulegen, der dort dem Begriff „Entscheidung“ zukommt (§ 33, 4 ff.). Wegen der Beschlüsse des erkennenden Gerichts vgl. Rn. 15. b) Beteiligter. Wegen des Begriffs s. § 33, 18. Nach dem Zweck des § 33 ist Beteilig- 7 ter i.S. des § 33 Abs. 1 (Anhörung in der Hauptverhandlung) auch die Staatsanwaltschaft. Das folgt aus § 33 Abs. 2, wonach die Staatsanwaltschaft auch außerhalb der Hauptverhandlung – im Gegensatz zu den anderen Beteiligten – stets zu hören ist. Ist das außerhalb der Hauptverhandlung notwendig, so ist es in ihr erst recht geboten. Da aber in § 33 Abs. 1 die Staatsanwaltschaft nicht besonders aufgeführt ist, muss sie in dem Begriff „Beteiligter“ enthalten sein. Für § 33a dagegen muss man die Staatsanwaltschaft von dem Begriff des Beteiligten 8 ausnehmen. § 33a stellt eine Ausformung des Verfahrensgrundrechts des Art. 103 Abs. 1 GG dar. Letzteres steht aber nur dem Bürger gegenüber dem Staat, nicht hingegen der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Gericht zu.22 Zudem schließt der praktische Umgang

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Geppert GA 1972 165, 176. BGH bei Kusch NStZ 1992 27; BVerfGE 42 243 = NJW 1976 1837; 42 250 = NJW 1976 1839; KK/Maul 2; Meyer-Goßner 1; SK/ Weßlau 4. BGHR StPO § 33a Beschluss 1; BGHR StPO

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§ 33a Zuständigkeit 1; BGHR StPO § 33a Satz 1 Anhörung 1; BGHR StPO § 33a Satz 1 Anhörung 4. Meyer-Goßner § 356a, 1; OLG Hamm VRS 109 (2005) 43, 44. OLG Braunschweig NJW 1962 753; a.A.

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mit § 309 Abs. 1 (vgl. § 33, 31) aus, dass die Staatsanwaltschaft mit Entscheidungen überrascht wird, deren Beweisgrundlage sie nicht kennt.

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c) Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise. Voraussetzung für eine nachträgliche Anhörung ist unter anderem, dass der Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt ist. Soweit das Gesetz von einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör spricht, handelt es sich um eine sprachliche Ungenauigkeit. Gemeint ist eine Verweigerung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, und zwar sowohl eine berechtigte Verweigerung (§ 33 Abs. 4) als auch eine unberechtigte. Eine Verweigerung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kommt dann in Betracht, wenn sich der Beteiligte zu Tatsachen oder Beweisergebnissen nicht hat äußern können. Zu den Tatsachen gehören auch solche, die keiner Beweisaufnahme bedürfen, weil sie offenkundig sind.23 Dem Beteiligten müssen alle tatsächlichen Grundlagen der zu treffenden Entscheidung, durch die er beschwert sein kann, bekannt sein. Der Beteiligte muss sich auch zu Anträgen und Rechtsausführungen anderer Beteiligter äußern können, die für die Entscheidung des Gerichts erheblich sein können. Für den Beschuldigten ergibt sich dies schon daraus, dass keine der ihm eine Äußerung ermöglichenden Vorschriften insoweit eine Differenzierung oder Beschränkung enthält. Ein Beteiligter muss sich nicht nur mit seiner Stellungnahme mit den tatsächlichen Grundlagen, sondern auch oder ausschließlich mit der Rechtsauffassung anderer Beteiligter auseinandersetzen können und damit in die Lage versetzt werden, sein Prozessverhalten darauf – wie auch immer – einzustellen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist gewahrt, wenn der Beteiligte ausreichende 10 Gelegenheit zur Äußerung erhalten hat. Es kommt nicht darauf an, ob er sie wahrgenommen hat. Das rechtliche Gehör kann entfallen, wenn der Beteiligte durch ein ihm zuzurechnendes Verhalten die vom Gesetz vorgesehene Gelegenheit zur Äußerung nicht nutzen kann, etwa wenn der Angeklagte unentschuldigt ausbleibt, seine Verhandlungsunfähigkeit schuldhaft herbeiführt, sein Entfernung aus der Hauptverhandlung durch prozessordnungswidriges Verhalten bewirkt oder zu einer Berufungshauptverhandlung nur durch öffentliche Zustellung geladen werden kann. In solchen Fällen liegt keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor. Der Anspruch auf rechtliches Gehör muss in entscheidungserheblicher Weise verletzt 11 worden sein. Entscheidungserheblich ist eine unterbliebene Anhörung nur dann, wenn und soweit sie sich auf das Ergebnis des Beschlusses ausgewirkt hat. Hätte der Betroffene auch im Falle einer Anhörung nichts anderes vorgetragen oder vortragen können, sich also nicht anders verteidigt oder verteidigen können, als er es tatsächlich getan hat oder ist es sonst ausgeschlossen, dass das Gericht bei ordnungsgemäßer Anhörung anders entschieden hätte, so ist die Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht entscheidungserheblich.24

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d) Unanfechtbarkeit des Beschlusses. § 33a ist eine ergänzende, subsidiäre Vorschrift. Voraussetzung für eine nachträgliche Anhörung ist daher unter anderem, dass der Beteiligte das (nachträgliche) rechtliche Gehör nicht durch Rechtsmittel (z.B. Beschwerde, weitere Beschwerde) oder andere Rechtsbehelfe (z.B. Wiedereinsetzung in den vorigen

Eb. Schmidt Nachtr. I § 33, 16 m.w.N.; Röhl NJW 1964 235; zum Ganzen ausführlich Rüping 142 f. m.w.N.

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BVerfGE 10 177; Rüping 153 f. m.w.N. BTDrucks. 15 3706 S. 17.

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Stand nach §§ 44, 45; Antrag auf Entscheidung des Berufungsgerichts nach § 319 Abs. 2; Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2) erzwingen kann.25 Die Vorschrift gilt mithin nicht nur für Beschlüsse, die kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung von jeder Anfechtung ausgeschlossen sind. Das ist immer der Fall bei erstinstanzlichen Entscheidungen der Strafsenate mit Ausnahme besonders eingreifender Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug (§ 304 Abs. 4) und bei allen Beschwerdeentscheidungen, sofern nicht die in § 310 Abs. 1 genannten Ausnahmen (Haftsachen) vorliegen (§ 310 Abs. 2), aber auch bei Entscheidungen der Oberlandesgerichte im Klageerzwingungsverfahren.26 Dieses ist ein prozessual selbständiges Verfahren, so dass der Beschuldigte nicht darauf verwiesen werden kann, seine Einwendungen und Beweisanträge im Verfahren über die Eröffnung des Hauptverfahrens oder im nachfolgenden Hauptverfahren geltend zu machen.27 Hat der Strafsenat versäumt, den Beschuldigten anzuhören, bevor er eine für diesen ungünstige Entscheidung getroffen hat, findet mithin § 33a Anwendung. Ist die Anhörung unterblieben, weil der Strafsenat eine sofortige Beschwerde irrtümlich als verspätet angesehen hat, muss er – da gegen den Senatsbeschluss kein Rechtsmittel gegeben ist – die sachliche Überprüfung der angefochtenen Entscheidung in entsprechender Anwendung des § 33a nachholen.28 Die Vorschrift ist weiter entsprechend anwendbar, wenn ohne vorherige Anhörung des Verurteilten eine ihm gewährte Straf(rest)aussetzung widerrufen und der Beschluss öffentlich zugestellt worden ist, weil sein Aufenthalt nicht zu ermitteln war.29 Eine nachträgliche Anhörung kommt aber dann nicht in Betracht, wenn das Beschwerdegericht auf eine angekündigte Begründung der sofortigen Beschwerde eine angemessene Zeit gewartet und diese alsdann verworfen hat. Denn die Gewährung rechtlichen Gehörs gebietet nicht, dem Beschwerdeführer in einem solchen Fall eine besondere Begründungsfrist zu setzen.30 Eine solche Pflicht ist auch nicht aus der allgemeinen Fürsorgepflicht oder dem Gebot des fairen Verfahrens herzuleiten. Zumindest bei einem anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer darf das Gericht erwarten, dass dieser wegen des auch im Beschwerdeverfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatzes seine Begründung nicht mehrere Wochen oder sogar Monate hinausschiebt, sondern sie vielmehr alsbald nachreicht.31 Wegen der entsprechenden Anwendung der Vorschrift bei Widerrufsbeschlüssen von Straf(rest)aussetzungen, die zufolge wirksamer öffentlicher Zustellung rechtskräftig geworden sind, s. § 453, 42 ff. Die Strafprozessordnung enthält darüber hinaus in den verschiedenen Verfahrens- 13 abschnitten Bestimmungen, wonach Beschlüsse der Anfechtung schlechthin entzogen oder nur aus bestimmten Gründen zugänglich sind. Einen generellen Anfechtungsausschluss sehen § 138d Abs. 6 Satz 3, § 210 Abs. 132, § 270 Abs. 3 Satz 2, § 304 Abs. 3, § 305 Abs. 1 Satz 2, § 348 Abs. 2, § 453 Abs. 2 Satz 2, § 463 Abs. 2 i.V.m. § 453 Abs. 2 Satz 2; sowie nur für den Nebenkläger § 46 Abs. 2, § 153 Abs. 2 Satz 4, § 153a Abs. 2 Satz 4, § 153b Abs. 2 i.V.m. § 397 Abs. 2, § 202 Satz 2 vor. Einige Vorschriften sehen eine Anfechtung von Beschlüssen nur „zusammen mit dem Urteil“ vor. So ist der Ausschluss der Beschwerde in § 28 Abs. 2 Satz 2 ausdrücklich geregelt. 25 26 27 28 29

OLG Stuttgart NJW 1974 284; NStZ 1992 104; Meyer-Goßner 4. LR/Graalmann-Scheerer 25 § 172, 13. BVerfGE 42 175 = NJW 1976 1629. OLG Düsseldorf MDR 1985 956. BGHSt 26 127; OLG Düsseldorf JR 1993 125 mit zust. Anm. Wendisch; OLG Hamm NJW 1977 61.

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OLG Karlsruhe MDR 1983 250. OLG Bamberg MDR 1991 665. OLG Hamburg NJW 1965 2417; LG Nürnberg-Fürth NStZ 1983 136; Kohlhaas NJW 1968 26; Rieß NStZ 1983 249.

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Für die Fälle des § 305 Satz 2 gelten keine Besonderheiten. Der Beteiligte hat Abhilfe mit der Beschwerde zu suchen. Sofern im Beschwerdeverfahren § 33 verletzt wird, gilt § 33a. Ferner gewährt § 311a als speziellere Vorschrift gegenüber § 33a Abhilfe bei Verletzungen des § 308, die nicht in der Vorenthaltung neuer Tatsachen oder Beweisergebnisse bestehen. Dass die übrigen oben aufgeführten Fälle der nicht oder nur beschränkt anfechtbaren Entscheidungen von § 33a erfasst sind, ist nach dessen Wortlaut zweifelsfrei.33 Auch Entscheidungen erkennender Gerichte, die der Urteilsfällung vorausgehen 15 (§ 305 Satz 1) und die einen erkennenden Richter betreffende Ablehnungsentscheidung (§ 28 Abs. 2 Satz 2) gehören zu den in § 33a genannten Beschlüssen.34 Dafür spricht zum einen der Wortlaut, denn die Urteilsanfechtung erfolgt weder durch eine Beschwerde noch einen Rechtsbehelf. Zum anderen spricht gegen eine Ausnahme die Erwägung, dass nach § 33a dasselbe Gericht entscheidet, das den Fehler begangen hat,35 so dass der Grund für den Ausschluss der Beschwerde gegen Entscheidungen der erkennenden Gerichte, das Verfahren nicht durch Zwischenentscheidungen höherer, oft entfernter Gerichte zu stören, für das Verfahren nach § 33a nicht zutrifft. Die verbleibende Störung durch eine neue Beratung (und ggf. Entscheidung) während der Hauptverhandlung tritt zurück hinter den Gesichtspunkten des fairen Verfahrens, der freien Verteidigung und der Pflicht zur umfassenden Sachaufklärung, denen der Grundsatz des rechtlichen Gehörs dient. Zu Recht wird auch darauf hingewiesen, dass selbst bei anfechtbaren Beschlüssen die Beteiligten vom Gericht immer die Prüfung einer fehlerhaft herbeigeführten Entscheidung verlangen können.36

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e) Andauernde Beschwer. Der Beschluss muss den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt haben und die dadurch eingetretene Beschwer muss noch andauern. Die Beschwer ist nicht die Verletzung des rechtlichen Gehörs, sondern die Folge dieser Verletzung, die nachteilige Entscheidung (§ 33 Abs. 3), für die Tatsachen oder Beweisergebnisse kausal gewesen sind,37 zu denen der Beteiligte nicht gehört worden ist. Es kommt nicht darauf an, ob die Entscheidung richtig oder falsch ist und ob sie bei Gehör des Beteiligten anders ergangen wäre. Entscheidend ist vielmehr allein, ob in die Rechtsposition des Betroffenen eingegriffen worden ist, ob er also beschwert ist.38 Die Beschwer muss andauern. Ist sie entfallen, etwa durch Aufhebung eines Haftbe17 fehls vor dessen Vollstreckung oder vollständige Vollstreckung einer Restfreiheitsstrafe,39 so ist eine Nachholung des rechtlichen Gehörs nicht geboten.40 Das gilt grundsätzlich

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34 35

OLG Hamburg NJW 1965 2417; Kohlhaas NJW 1968 26; Rieß NStZ 1983 249; zur Anwendung der Vorschrift im Ordnungswidrigkeitenverfahren vgl. BVerfG NZV 2005 51; BayObLGSt 1971 63 = NJW 1971 1709; NJW 1973 1140; OLG Zweibrücken VRS 56 (1979) 40; OLG Hamm VRS 62 (1982) 13. KK/Maul 2; Meyer-Goßner 4; SK/Weßlau 16; KMR/Paulus 3. OLG Celle NJW 1973 2306; OLG Koblenz MDR 1976 598.

804

36 37

38 39 40

Meyer-Goßner 8. BVerfGE 42 257 = NJW 1976 1839; OLG Koblenz NJW 1987 856; OLG Düsseldorf MDR 1993 1001. Meyer-Goßner 8. LG Krefeld NJW 1977 642. BVerfGE 49 329; OLG Celle JR 1973 339, 341 mit abl. Anm. Peter; kritisch auch Rieß/Thym GA 1981 189, 197 f.

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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung

§ 33a

auch, wenn der Nachteil infolge prozessualer Überholung nicht mehr beseitigt werden kann, etwa nach Übergang von Untersuchungshaft in Strafhaft oder nach Durchführung der Auslieferung.41 Dies gilt indessen nicht uneingeschränkt. Nach der durch die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 42 und des 18 Bundesgerichtshofs 43 geschaffenen Rechtslage bei der Überprüfung strafprozessualer Zwangsmaßnahmen besteht auch bei Erledigung einer strafprozessualen Zwangsmaßnahme ein Rechtsschutzbedürfnis des Betroffenen für die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme bei einem tief greifenden Grundrechtseingriff, sofern die Anordnung – was in der Praxis die Regel ist – ohne vorherige Anhörung erging, und zwar auch dann, wenn sie folgenlos geblieben ist, etwa wenn bei einer Durchsuchung keine Gegenstände beschlagnahmt, bei einer Überwachung der Telekommunikation keine Gespräche abgehört oder sonstige Daten nicht erhoben wurden. Ist eine strafprozessuale Zwangsmaßnahme, die einen tief greifenden Grundrechtseingriff bedeutet, aufgrund richterlicher Anordnung ohne vorherige Anhörung des Betroffenen (§ 33 Abs. 4) vollzogen worden, so folgt die Nachholung des rechtlichen Gehörs aus § 33 Abs. 3 und nicht aus § 33a. Die Entscheidung des Gerichts unterliegt, auch wenn die strafprozessuale Zwangsmaßnahme vollzogen ist, der Beschwerde nach § 304 Abs. 1. Soweit die Abhilfeentscheidung nach § 306 Abs. 2 die Beschwer nicht beseitigt, ist die Entscheidung des Beschwerdegerichts herbeizuführen. Die nachträgliche Anhörung nach § 33a ist subsidiär. Wird in dem Beschwerdeverfahren der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, so ist das Nachverfahren auch bei bereits vollzogener strafprozessualer Zwangsmaßnahme statthaft.44 In diesem Fall dauert die Beschwer noch an. 4. Verfahren a) Antrag. Das Verfahren auf nachträgliche Anhörung wird auf Antrag des Beteilig- 19 ten eingeleitet. Der Antrag ist von Gesetzes wegen weder an eine Frist 45 noch an eine Form gebunden. Er unterliegt zwar keinen gesetzlichen Begründungserfordernissen. Der Beteiligte wird jedoch die Voraussetzungen des § 33a darzulegen haben, d.h. dartun müssen, welche Tatsachen oder Beweisergebnisse das Gericht verwertet hat, ohne dass dem Beteiligten dazu rechtliches Gehör gewährt worden ist.46 Schließlich bedarf es des Nachweises, dass die getroffene Entscheidung auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht oder – zumindest – beruhen kann.47 Fehlt es daran, so ist der Antrag als unzulässig zu verwerfen. Bei einem nicht anwaltlich vertretenen Beteiligten ohne Rechtskenntnisse wird das Gericht wegen der Bedeutung des Anspruchs auf rechtliches Gehör allerdings im Rahmen der prozessualen Fürsorgepflicht unter Umständen vor einer Entscheidung über den Antrag Anlass haben, den Antragsteller zu weiterem Vortrag aufzufordern, sofern seinem bisherigem Vorbringen nach Auslegung zu entnehmen ist, dass er eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör rügen will, aber es aufgrund unzureichender Rechtskenntnisse unterlassen hat, die erforderlichen Tatsachen oder Beweisergebnisse, die ohne Gewährung rechtlichen Gehörs bei der Entscheidung verwertet

41

42 43

OLG Düsseldorf MDR 1993 1000; vgl. auch BVerfG NStZ-RR 2003 338 zur Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gegenüber einem Antrag nach § 77 IRG i.V.m. § 33a. BVerfGE 96 27; 96 44. BGH NJW 2000 84; NStZ 2000 154; BGHSt 44 171; 44 265; 45 184.

44 45 46 47

BVerfG NJW 2003 1513. OLG Hamm VRS 109 (2005) 43, 44. OLG Düsseldorf VRS 99 (2000) 430. BGH NStZ 1993 552; Hohmann JR 1991 11.

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§ 33a

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

worden sind, darzutun. Da das Gesetz für den Antrag keine inhaltlichen Mindesterfordernisse vorschreibt, dürfen die Anforderungen an den Antrag insoweit insbesondere bei rechtsunkundigen Beteiligten nicht überzogen werden. Der Antrag ist zwar an keine Frist gebunden. Der Beteiligte verstößt aber gegen Treu 20 und Glauben, wenn er erst nach Jahren einen Antrag auf nachträgliche Anhörung stellt. Wer so lange wartet, obwohl keine vernünftigen Gründe ersichtlich sind, den Antrag nicht zeitgerecht zu stellen, verwirkt seinen Anspruch.48 Der Antrag auf nachträgliche Anhörung wird in der Regel mit einem Antrag verbunden sein, die Entscheidung zu ändern, doch kann das Gericht das auch ohne Antrag tun.

21

b) Von Amts wegen. Das Gericht leitet das Verfahren der nachträglichen Anhörung von Amts wegen ein, wenn es auf andere Weise als durch einen Antrag des Beteiligten Kenntnis davon erlangt, dass es den Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.49 Von Amts wegen ist eine nachträgliche Anhörung in den Fällen des § 33 Abs. 4 geboten sowie dann, wenn das Gericht die Gewährung rechtlichen Gehörs versehentlich unterlassen hat.50 Die Pflicht zur nachträglichen Anhörung besteht selbst dann, wenn der Beteiligte die Gewährung rechtlichen Gehörs schuldhaft vereitelt hat.51 Von der nachträglichen Anhörung von Amts wegen kann aber abgesehen werden, wenn der Beteiligte in Kenntnis der Sach- und Rechtslage ausdrücklich oder – zweifelsfrei – konkludent darauf verzichtet hat.52

22

c) Nachverfahren. Die nachträgliche Anhörung wird entweder auf Antrag oder von Amts wegen durchgeführt. Ist der Antrag unsubstantiiert und ggf. der Vortrag auch auf Hinweis des Gerichts nicht ergänzt worden, so verwirft das Gericht den Antrag als unzulässig. Das gilt auch, wenn die Voraussetzungen für die nachträgliche Anhörung nach § 33a nicht vorliegen.53 Sofern der Antrag auf nachträgliche Anhörung begründet oder diese von Amts wegen 23 geboten ist, so versetzt das Gericht das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurück, die vor dem Erlass der Entscheidung bestand. Das bedeutet, dass dem Beteiligten nunmehr nachträglich rechtliches Gehör gewährt wird.

24

d) Überprüfungsverfahren. Das Gesetz schreibt nicht vor, in welcher Form die nachträgliche Anhörung stattzufinden hat. In der Regel wird das Gericht dem Beteiligten unter Fristsetzung Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu den in der Entscheidung verwerteten Tatsachen oder Beweisergebnissen geben. In geeigneten Fällen kann die nachträgliche Anhörung aber auch durch eine mündliche Anhörung erfolgen, etwa im Rahmen eines Haftprüfungsverfahrens.54 Auch in der Form der Hauptverhandlung wird die nachträgliche Anhörung für zulässig gehalten.55 Allerdings wird eine nachträgliche Anhörung nicht regelmäßig in die Hauptverhandlung verlagert werden dürfen. Der Beteiligte ist – selbst wenn er den Antrag gestellt hat – im nachträglichen Anhörungsverfahren nicht verpflichtet, sich zu äußern. Sofern die nachträgliche Anhörung von Amts wegen erfolgt, sollte das Gericht dem Beteiligten, dessen Anspruch auf rechtliches 48 49 50 51

OLG Koblenz wistra 1987 357; MDR 1985 344; Hohmann JR 1991 11. BayVerfGH NJW 1987 314. BGH bei Holtz MDR 1976 634; 1979 105; BayObLG VRS 86 (1994) 348. BGHSt 26 127, 130 = NJW 1975 2211; OLG Düsseldorf JMBlNRW 1982 141.

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52 53 54 55

KK/Maul 8; Meyer-Goßner 8; SK/Weßlau 21; AK/Kirchner 9; KMR/Paulus 17. KG JR 1984 39; Meyer-Goßner 7. OLG Düsseldorf StV 1993 205. BayObLGSt 1973 42 = NJW 1973 1140.

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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung

§ 33a

Gehör es in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat, entweder mündlich oder schriftlich in geeigneter Weise erläutern, warum es sich an ihn wendet. Sofern sich der Beteiligte im Nachverfahren zu Tatsachen oder Beweisergebnissen äußert oder zu Rechtsausführungen Stellung nimmt, hat das Gericht unter Berücksichtigung der Ergebnisse des nachträglichen Anhörungsverfahrens durch Beschluss zu entscheiden. Es versetzt das Verfahren – durch Abänderung oder Aufhebung des zuerst ergangenen Beschlusses – in die Lage zurück, die vor dem Erlass der Entscheidung bestand. Nach Satz 2 gilt § 47 entsprechend. Mithin wird die Vollstreckung der Entscheidung durch den Antrag und den Beschluss nach § 33a Satz 1 nicht gehemmt. Allerdings kann das Gericht einen Aufschub der Vollstreckung anordnen (§ 33a Satz 2 i.V.m. § 47 Abs. 2). Der Beschluss ist zu begründen (§ 34) und bekannt zu machen (§ 35). Ggf. muss das Gericht in dem Beschluss seine zuerst unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör 56 ergangene Entscheidung abändern oder aufheben.57 Dabei gilt das Verschlechterungsverbot.58 Sofern sich der Beteiligte – selbst wenn er einen Antrag auf nachträgliche Anhörung gestellt hat – im Nachverfahren nicht geäußert hat, kann das Nachverfahren nicht formlos beendet werden.59 Auch in einem solchen Fall bedarf es eines neuen Beschlusses, in dem sich das Gericht mit dem Antragsvorbringen oder bei Einleitung von Amts wegen mit der Sach- und Rechtslage nach Aktenlage auseinander zu setzen hat. Die Entscheidung, durch die ein Antrag auf Nachholung des rechtlichen Gehörs nach 25 § 33a in vollem Umfang verworfen oder zurückgewiesen wird, löst den Gebührentatbestand Nr. 3900 in dem durch das Anhörungsrügengesetz 60 eingeführten Hauptabschnitt 9 zu Teil 3 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) und damit eine Gebühr in Höhe von 50,– € aus. Mit dieser Gebührenregelung hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass er das Anhörungsrügeverfahren als einen selbständigen Rechtsbehelf ansieht (Rn. 2).61 Beschlüsse nach § 33a müssen daher eine Kostengrundentscheidung enthalten, damit eine Kostenfestsetzung nach Nr. 3900 des Kostenverzeichnisses erfolgen kann.62 Für das Bußgeldverfahren gilt dies gleichermaßen (§§ 46 Abs. 1, 79 Abs. 3 OWiG).63 5. Anfechtung der gerichtlichen Entscheidung a) Beschwerde. Der Beteiligte kann die neue Entscheidung, die ergeht, nachdem er 26 nachträglich gehört und das Beweismaterial geprüft worden ist (Überprüfungsverfahren), nicht mit der Beschwerde anfechten, unabhängig davon, ob das Gericht die zuerst ergangene Entscheidung aufhebt, ändert oder dadurch bestätigt, dass es zum Ausdruck bringt, es bestehe kein Anlass, die ursprüngliche Entscheidung zu ändern.64 Das ergibt sich daraus, dass § 33a nur bei Beschlüssen anwendbar ist, die nicht mit der Beschwerde oder einem anderen Rechtsbehelf anfechtbar sind. Dann kann die auf einen Antrag auf 56 57

58 59 60 61 62

OLG Karlsruhe Justiz 1985 319. BayObLGSt 1973 42 = NJW 1973 1140; OLG Schleswig SchlHA 1988 39; KG JR 1989 392; BVerfG NJW 1990 3191. BayObLGSt 1973 42 = NJW 1973 1140. So KK/Maul 10; a.A. Meyer-Goßner 9; SK/Weßlau 24. BGBl. I S. 3220, 3226. BTDrucks. 15 3706 S. 13. OLG Köln wistra 2006 75 = VRS 109 (2005) 346.

63 64

OLG Köln wistra 2006 75 = VRS 109 (2005) 346. KG NJW 1966 991; OLG Karlsruhe MDR 1974 685; GA 1975 284; OLG Hamburg NJW 1972 219; OLG Hamm NJW 1977 61; OLG Celle NJW 1973 2306 = JR 1974 112; NdsRpfl. 1983 71 = VRS 64 (1983) 440; OLG Düsseldorf MDR 1990 1034; VRS 83 (1993) 271 = JR 1993 125; NStZ 1992 453; Hanack JR 1974 114; KK/Maul 11; MeyerGoßner 10; SK/Weßlau 26; AK/Kirchner 14;

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§ 34

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

nachträgliche Anhörung oder von Amts wegen ergehende Entscheidung auch nicht anfechtbar sein, denn das würde auf die Zulassung einer (gesetzlich ausgeschlossenen) weiteren Beschwerde hinauslaufen.65 Das gilt auch dann, wenn mit der Beschwerde geltend gemacht wird, die Tatsachen seien nicht ausreichend berücksichtigt worden.66 Dagegen kann der Mangel bei der Anfechtung des Urteils mit den zulässigen Rechtsmitteln, namentlich mit der Revision (§ 338 Nr. 8), gerügt werden. Wegen der Unanfechtbarkeit der Überprüfungsentscheidung auch bei entsprechender Anwendung des § 33a in den Fällen des Widerrufs einer Straf(rest)aussetzung und der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen Aufhebungsbeschluss vgl. § 453, 40 ff. Die Beschwerde ist jedoch statthaft, wenn sie sich nicht gegen die Überprüfungsent27 scheidung, sondern dagegen richtet, dass das Gericht sie nicht treffen will, so wenn es das Nachverfahren ablehnt, sei es, weil es den Antrag für unzulässig (Antrag unsubstantiiert; Antragsrecht verwirkt; keine Abhilfe mehr möglich), sei es, weil es ihn für unbegründet hält (keine Verwertung des Beweisergebnisses in der Entscheidung). Denn insoweit handelt es sich nicht um die sachliche Auswertung des Beweisergebnisses, sondern um die prozessrechtliche Frage, ob eine solche Auswertung stattfinden muss oder unterlassen werden darf.67 Die Beschwerde ist ferner statthaft, wenn das Gericht den ursprünglichen Beschluss aufhebt.68

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b) Verhältnis zu § 356a. Das Verfahren bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Revisionsverfahren regelt § 356a. Im Verhältnis zu § 33a ist § 356a für das Revisionsverfahren die speziellere Vorschrift.69

29

c) Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs kann der Beteiligte erst einlegen, wenn er zuvor den Antrag nach § 33a gestellt hat.70

§ 34 Die durch ein Rechtsmittel anfechtbaren Entscheidungen sowie die, durch welche ein Antrag abgelehnt wird, sind mit Gründen zu versehen. Übersicht Rn. 1. Bedeutung der Vorschrift . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . a) Anfechtbare Entscheidungen . . . . . b) Ablehnende Entscheidungen . . . . . . c) Von Amts wegen zu treffende Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhaltliche Anforderungen an die Begründung der Entscheidung

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1 2 3 7 8

HK/Lemke 13; a.A. OLG Braunschweig NJW 1971 1710; Kallmann NJW 1972 1479. OLG Frankfurt NStZ-RR 2003 79. BbgVerfG NStZ-RR 2000 173. OLG Hamburg NJW 1972 219; OLG Karlsruhe MDR 1974 685; GA 1975 284; Justiz 1985 319; OLG Hamm NJW 1977 61.

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Rn. a) Allgemeine Anforderungen . . . . b) Ermessensentscheidungen . . . . . c) Sondervorschriften . . . . . . . . 4. Beurkundung . . . . . . . . . . . . . 5. Verstöße gegen die Begründungspflicht a) Fehlen von Entscheidungsgründen b) Mängel der Begründung . . . . . .

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. . . .

. . . .

10 11 12 13

. . . .

14 16

LG Aachen MDR 1992 790; Katzenstein StV 2003 364; Meyer-Goßner 10; SK/Weßlau 26; a.A. OLG Düsseldorf JR 1993 125 mit abl. Anm. Wendisch. BTDrucks. 15 3706 S. 17 f. BVerfGE 33 192 = NJW 1972 1237; 42 243 = NJW 1976 1837, 1839; NStZ 1985 277.

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§ 34

Alphabetische Übersicht Anwendungsbereich 2 ff. Bedeutung 1 ff. Begründung – Inhaltliche Anforderungen 10 ff. – Mängel 16 Begründungspflicht 2 f. – Verstöße gegen 14 ff. Begründungszwang 1 Beurkundung 13 Definitionsfunktion 1 Entscheidung – ablehnende 7 – anfechtbare 3 – Aufhebung 14

– außerhalb der Hauptverhandlung 3 – der Staatsanwaltschaft 5 – von Amts wegen 8 Ermessensentscheidung 11 Fehlen der Entscheidungsgründe 14 Informationsfunktion 1 Kontrollfunktion 1 Prozessleitende Verfügung 6 Sondervorschriften 12 Staatsanwaltschaft 5 Urteil 4 Urteilsgründe 4 Vollstreckungsbehörde 5 Widerspruch 9

1. Bedeutung der Vorschrift. Die Vorschrift verpflichtet die Gerichte, Entscheidungen 1 zu begründen. Der Begründungszwang verfolgt den Zweck, den Verfahrensbeteiligten und insbesondere den Anfechtungsberechtigten die Auffassung des Gerichts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht mitzuteilen (Definitionsfunktion), damit sie ihr Prozessverhalten darauf abstellen können. Darüber hinaus dient der Begründungszwang aber auch dem Zweck, dem Rechtsmittelgericht die Nachprüfung der Entscheidung zu ermöglichen (Kontrollfunktion) 1 und zwingt damit das Gericht zugleich zu einer Eigenkontrolle.2 Schließlich kommt der Begründung der Entscheidung auch eine Informationsfunktion zu, soweit zu einem späteren Zeitpunkt von anderen Gerichten oder Behörden darauf zurückgegriffen werden muss, wie etwa im Wiederaufnahme-, Vollstreckungsund Gnadenverfahren. Auch Urteile der Revisionsgerichte unterliegen dem Begründungszwang.3 2. Anwendungsbereich. Die Begründungspflicht besteht hinsichtlich aller durch ein 2 Rechtsmittel anfechtbaren Entscheidungen sowie hinsichtlich solcher, durch die ein Antrag abgelehnt wird. Streitig ist, ob auch bei einer von Amts wegen zu treffenden Entscheidung ein Begründungszwang besteht (Rn. 8). a) Anfechtbare Entscheidungen. Alle durch ein Rechtsmittel anfechtbaren Entschei- 3 dungen sind zu begründen. Das bedeutet, dass alle mit einem Rechtsmittel i.S. des Dritten Buches der StPO, also alle mit einfacher Beschwerde (§ 304), sofortiger Beschwerde (§ 311), weiterer Beschwerde (§ 310), Berufung (§ 312) und Revision (§§ 333, 335) anfechtbaren Entscheidungen dem Begründungszwang unterliegen. Die Vorschrift findet im Ordnungswidrigkeitenverfahren für mit der Rechtsbeschwerde (§ 79 OWiG) oder dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 80 OWiG) anfechtbare Entscheidungen (§ 46 Abs. 1 OWiG) entsprechende Anwendung. Es ist unbeachtlich, ob die Entscheidung verfahrensrechtliche oder sachlich-rechtliche Fragen betrifft. Auch anfechtbare Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung sind stets zu begründen.4 Die Begründungspflicht entfällt grundsätzlich bei unanfechtbaren Entscheidungen wie

1

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RGSt 75 13; OLG Oldenburg NJW 1971 1098; KG StV 1986 142; OLG Köln StV 1988 335; OLG Düsseldorf StV 1991 521 mit Anm. Schlothauer; VRS 86 (1994) 446. SK/Weßlau 1.

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Krehl GA 1987 172. Etwa bei Beiordnung zur Beobachtung des Beschuldigten nach § 81, so OLG Oldenburg NJW 1961 981.

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§ 34

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Beschlüssen, durch die die Revision als offensichtlich unbegründet verworfen wird,5 soweit nicht, was oft der Fall sein wird, die zweite Alternative des § 34 gegeben ist. Eine Ausnahme von der Begründungspflicht besteht für Beschlüsse des erkennenden Gerichts, die zwar nicht mit der Beschwerde anfechtbar sind (§ 305 Satz 1), aber der Überprüfung durch das nächst höhere Gericht auf das Rechtsmittel der Berufung oder Revision unterliegen und das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten beeinflussen können. In diesen Fällen genügt es nicht, dass das erkennende Gericht die nicht mit der Beschwerde anfechtbare Entscheidung erst im Urteil begründet. Zu begründen sind daher z.B. die Anordnung der Unterbringung zur Beobachtung des Beschuldigten nach § 81 durch das erkennende Gericht,6 die Entscheidung (Zustimmung) des Gerichts nach § 110b Abs. 2,7 Ordnungsgeldbeschlüsse,8 die Entscheidung über das Absehen von der Vereidigung eines Zeugen,9 der Beschluss über eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung,10 ggf. auch eine Nichtabhilfeentscheidung.11 Urteile des erkennenden Gerichts sind stets zu begründen. Die Begründungspflicht 4 ergibt sich aus §§ 267, 338 Nr. 7. § 267 ist im Verhältnis zu § 34 lex specialis. Über die Gestaltung der Urteilsgründe des Revisionsgerichts enthält das Gesetz keine Bestimmungen. § 267, der nur für das Tatgericht gilt, ist insoweit jedoch sinngemäß anzuwenden,12 wenn das Revisionsgericht durch Urteil gemäß § 354 Abs. 1 Nr. 1a und 1b entscheidet. Für Entscheidungen der Staatsanwaltschaft gilt, soweit nicht das Gesetz die Begrün5 dung staatsanwaltschaftlicher Entscheidungen ausdrücklich vorschreibt (z.B. § 171), § 34 sinngemäß.13 Ermessensentscheidungen der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde sind grundsätzlich zu begründen, um dem Gericht eine Überprüfung auf Ermessensfehlgebrauch zu ermöglichen. Die Begründung einer staatsanwaltschaftlichen Ermessensentscheidung in entsprechender Anwendung von § 34 ist ausnahmsweise dann verzichtbar, wenn die angeordnete Rechtsfolge die Regelfolge ist und offenkundig keine Besonderheiten des Einzelfalls vorliegen, die eine Abweichung von der Regelfolge in Betracht kommen lassen.14 Prozessleitende Verfügungen, die lediglich den Gang des Verfahrens bestimmen,15 6 bedürfen keiner Begründung, obwohl auch diese nach § 304 Abs. 1 mit der Beschwerde angefochten werden können. Denn es läuft dem Zweck der Begründung zuwider, bei jeder prozessleitenden Verfügung, etwa der Anordnung der Ladung von Zeugen, diese Einzelfall bezogen zu begründen.16

7

b) Ablehnende Entscheidungen. In ihrer zweiten Alternative bezieht sich die Vorschrift nach ihrem Wortlaut nur auf Entscheidungen, durch die ein Antrag abgelehnt wird. Für mündliche Entscheidungen in der Hauptverhandlung kommt dieser Alternative in der Regel keine Bedeutung zu, da solche Entscheidungen zumeist bereits nach der ersten Alternative begründet werden müssen. Der Begründungspflicht unterliegen namentlich Beschlüsse,

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Jagusch NJW 1960 75. KG JR 1965 69; OLG Karlsruhe Justiz 1997 141; OLG Stuttgart NJW 1961 2077; OLG Oldenburg NJW 1971 1098; OLG Koblenz OLGSt § 81 S. 21. BGHSt 42 103 = NJW 1996 188 = MDR 1996 1053 mit Anm. Bernsmann NStZ 1997 250 und Weßlau StV 1996 579. OLG Koblenz GA 1989 174; OLG Düsseldorf VRS 87 (1995) 437.

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BGHSt 1 175 = NJW 1951 671. LG München NStZ 1989 245. OLG Celle StV 1996 421. LR/Hanack 25 § 356, 5; SK/Weßlau 4. OLG Hamburg NStZ-RR 1999 123 = JR 1999 385. Ebenda. RGRspr. 4 324; KK/Maul 3; KMR/Paulus 3; SK/Weßlau 5. Graf zu Dohna 84.

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durch die ein Beweisantrag 17, ein Beweisermittlungsantrag 18, eine beantragte Vereidigung von Zeugen 19, eine Aussetzung der Hauptverhandlung 20, ein Antrag auf Durchsuchung nach §§ 102, 103 21 oder Anträge der Staatsanwaltschaft auf Anordnung sonstiger strafprozessualer Zwangsmaßnahmen 22 abgelehnt werden. Die im Erinnerungsverfahren nach § 11 Abs. 2 RpflG vom Gericht getroffene Nichtabhilfeentscheidung stellt eine Sachentscheidung dar, die in Form eines mit Gründen versehenen Beschlusses zu ergehen hat.23 c) Von Amts wegen zu treffende Entscheidungen. Umstritten ist, ob auch Entschei- 8 dungen, die von Amts wegen zu treffen sind, der Begründungspflicht unterliegen.24 Hier wird zu differenzieren sein. Nicht jede von Amts wegen zu treffende Entscheidung bedarf der Begründung. Eine Begründung ist aber regelmäßig dann erforderlich, wenn die Verfahrensbeteiligten nach § 33 zu hören waren und in der Sache Stellung genommen haben. Das Gericht ist aufgrund der ihm obliegenden Fürsorgepflicht in solchen Fällen grundsätzlich gehalten, sich in der Begründung seiner Entscheidung mit den von den jeweiligen Verfahrensbeteiligten vorgetragenen beachtenswerten Argumenten auseinander zu setzen, damit diese ihr weiteres Prozessverhalten darauf einstellen können. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass der Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör bei von Amts wegen zu treffenden Entscheidungen zu einer verfahrensrechtlichen Formalie verkümmern könnte. Ob auch dann eine ablehnende Entscheidung vorliegt, wenn das Gericht dem Antrag 9 eines Verfahrensbeteiligten gegen den Widerspruch eines anderen Beteiligten entspricht, ist streitig.25 Der verneinenden Ansicht ist zuzustimmen, wenn der Widerspruch nur eine unsubstantiierte Gegenvorstellung gegen eine von Amts wegen zu treffende Entscheidung ist, die nach § 238 Abs. 1 die Zuständigkeit vom Vorsitzenden auf das Gericht überträgt.26 Wird der Widerspruch jedoch substantiiert unter Angabe einer Rechtsgrundlage näher ausgeführt, so ist er wie ein Antrag zu behandeln mit der Folge, dass das Gericht seine Entscheidung zu begründen hat. Es kann nämlich nicht von den Fähigkeiten eines widersprechenden Verfahrensbeteiligten abhängen, ob er seinen Widerspruch in die Form eines Antrags zu kleiden versteht.27 3. Inhaltliche Anforderungen an die Begründung der Entscheidung a) Allgemeine Anforderungen. Die inhaltlichen Anforderungen an die Begründung 10 der Entscheidung bestimmen sich nach dem Sinn und Zweck des Begründungszwangs (Rn. 1). Die konkreten inhaltlichen Anforderungen ergeben sich aus dem jeweiligen 17

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RGSt 1 189; BGHSt 1 32; 2 286; 19 24, 26; BGH StV 1994 635; LR/Gollwitzer 25 § 244, 145 ff.; KK/Herdegen § 244, 58; Meyer-Goßner § 244, 41a. BGHSt 30 131, 143; 36 159, 165; BGH NStZ 1985 229; LR/Gollwitzer 25 § 244, 121; KK/Herdegen § 244, 55; J. Schulz GA 1981 301, 318. BGHSt 10 109, 112; 14 374; BGH NStZ 1989 128; LR/Dahs 25 § 64, 2 ff.; KK/Senge § 64, 2 ff.; Meyer-Goßner § 64, 1. RGSt 57 145; OLG Celle NJW 1961 1319; LR/Gollwitzer 25 § 228, 17; KK/Tolksdorf § 228, 8. BGH NStZ 2003 273, 274. So §§ 81, 81a, 81c, 81e, 81g, 81h, 94, 98a,

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99, 100a, 100c, 100g, 100h, 100i, 110a, 111, 111a, 111b, 111c, 111d, 111g, 111h, 111l, 111m, 111n, 111o, 111p, 112 ff., 126a, 127b, 131a Abs. 3, 131b, 132, 132a. OLG München AnwBl. 1980 122; OLG Hamm MDR 1996 317. BGHSt 15 253; Meyer-Goßner 3; a.A. KK/Maul 4; KMR/Paulus 4 ; SK/Weßlau 6 f.; Hanack JZ 1971 92. Bejahend RGRspr. 4 324, verneinend RGRspr. 3 295; RG GA 59 (1912) 454; BGHSt 15 253. RG GA 40 (1892) 158. Eb. Schmidt 5a; kritisch Fränkel LM § 34, 2 und Hanack JZ 1971 92; SK/Weßlau 7.

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§ 34

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

Gegenstand der Entscheidung. Die Begründung muss den Verfahrensbeteiligten in die Lage versetzen, sein weiteres Prozessverhalten auf die Meinung und die Absicht des Gerichts einzustellen und dem Rechtsmittelgericht ermöglichen, nachzuprüfen, ob das Gericht von zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist.28 Die Entscheidung muss namentlich eindeutig erkennen lassen, ob und inwieweit sie auf tatsächlichen oder rechtlichen Gründen beruht. Subjektive prozessuale Voraussetzungen, wie etwa die Verschleppungsabsicht (§ 244 Abs. 3 Satz 2), sind besonders sorgfältig unter Angabe konkreter Tatsachen zu begründen.29 Die Begründung muss die wahren Gründe angeben. Es ist unzulässig, Gründe, die in dem Beschluss nicht dargelegt sind, in den Urteilsgründen nachzuschieben.30 Auch der Hinweis auf die künftigen Urteilsgründe genügt nicht.31 Die Begründung darf sich nicht auf die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts beschränken. Ebenso sind allgemeine und formelhafte Wendungen als Begründung unzureichend.32 Haftbeschwerdeentscheidungen sind stets zu begründen,33 wobei umstritten ist, ob sich die Begründung zum dringenden Tatverdacht mit der Qualität der Beweismittel auseinandersetzen muss.34 Sofern mit der (weiteren) Haftbeschwerde oder einem Haftprüfungsantrag (§ 117 Abs. 1) ausdrücklich die Beweismittel, auf die sich der dringende Tatverdacht stützt, in Zweifel gezogen werden, ist das Gericht gehalten, sich in den Gründen seiner Entscheidung damit auseinander zu setzen. Ansonsten reicht es aus, auf die Gründe der letzten Haftentscheidung Bezug zu nehmen.35 Ein Beschluss, der die Überwachung der Telekommunikation anordnet (§ 100b Abs. 1 Satz 1) oder bestätigt (§ 100b Abs. 1 Satz 3) muss zumindest eine knappe Darlegung der den Tatverdacht begründenden Tatsachen und der Beweislage enthalten, um die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu ermöglichen.36 Auch Entscheidungen, die zusammen mit dem Urteil verkündet werden (§§ 268a, 268b) sind zu begründen.37 Die Anforderungen an die Begründung einer Entscheidung steigen mit der Eingriffsintensität. Entscheidungen, mit denen strafprozessuale Zwangsmaßnahmen gegen den Beschuldigten oder andere Personen angeordnet oder Anträge der Staatsanwaltschaft auf Anordnung solcher Maßnahmen abgelehnt werden, unterliegen stets hohen Begründungserfordernissen. Letzteren wird regelmäßig nur dann genügt, wenn die Entscheidung erkennen lässt, dass eine richterliche Einzelfallprüfung auf der Grundlage sämtlicher für die Entscheidung relevanter Erkenntnisse statt gefunden hat.38 Gegen die Verwendung von Formularen bestehen zwar grundsätzlich keine Bedenken.39 Allerdings muss der Entscheidung zu entnehmen sein, dass sie aufgrund einer richterlichen Einzelfallprüfung ergangen ist. Auch die verbreitete Übung mancher Gerichte, seine Entscheidung vollständig oder im wesentlichen mit wörtlichen Auszügen aus der Stellungnahme oder dem Antrag der Staatsanwaltschaft

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33

RGRspr. 4 324; RGSt 67 98; 75 11, 13; BGHSt 1 177; OLG Hamm NJW 1951 166; KG StV 1986 142; OLG Celle StV 1989 254. RGSt 74 154; BGHSt 21 118 = NJW 1966 2174. BGHSt 19 24, 26 = NJW 1963 1788; BGH NJW 1951 368. RG JW 1929 259. BayObLGSt 1952 257, 258 = NJW 1953 233; OLG Hamm NJW 1951 166; OLG Schleswig SchlHA 1955 228; OLG Köln StV 1988 336; LG Berlin StV 2002 67. OLG Celle StV 1989 253 ; OLG Düsseldorf StV 1991 521.

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Bejahend Rudolphi StV 1988 534; Schlothauer StV 1991 522; a.A. OLG Düsseldorf StV 1988 534. OLG Düsseldorf VRS 86 (1994) 446. BGH NStZ 2003 215, 216; Arloth NStZ 2003 609, 610 m.w.N.; LR/Schäfer 25 § 100b, 16. LR/Gollwitzer 25 § 268a, 5 und § 268b, 7; KK/Engelhardt § 268a, 8 und § 268b, 5; Meyer-Goßner § 268a, 7 und § 268b, 3. BGHSt 42 103, 105 f. BVerfG NJW 1982 29; BGHSt 42 103, 105; a.A. Bernsmann NStZ 1997 250 f.; Weßlau StV 1996 579; SK/Weßlau 11.

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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung

§ 34

zu begründen, der beigetreten wird oder nichts hinzuzufügen ist, wird dem Zweck der Vorschrift nicht gerecht.40 Das Gericht darf grundsätzlich auch auf die Gründe eines früher in demselben Verfahren ergangenen Beschlusses Bezug nehmen, wenn es einen auf dasselbe Ziel gerichteten Antrag schon einmal zurückgewiesen hat und der neuerliche Antrag keinen neuen Vortrag enthält.41 b) Ermessensentscheidungen. Bei Ermessensentscheidungen bedarf es nur dann 11 keiner Begründung, wenn sich die Begründung aus der Entscheidung selbst ergibt, weil letztere von reinen Zweckmäßigkeitserwägungen abhängt.42 Eine Ermessensentscheidung muss erkennen lassen, ob überhaupt der Fall einer Ermessensentscheidung vorliegt 43 und welchen Fall, für den das Gesetz eine Ermessensentscheidung vorsieht, das Gericht angenommen hat.44 Ferner muss sich aus der Entscheidung ergeben, ob das Gericht überhaupt erkannt hat, dass es ein Ermessen auszuüben hat 45 und ob es ein ihm eingeräumtes Ermessen nicht missbraucht hat. Das Gericht muss die bei der Ermessensentscheidung zu erwägenden tatsächlichen Feststellungen kurz und auf das Wesentliche beschränkt wiedergeben und die Erwägungen gedrängt, aber klar darlegen, nach denen es sein Ermessen ausgeübt hat.46 Das gilt auch für halb akzessorische Nebenentscheidungen über Kosten, Auslagen und Entschädigungen.47 c) Sondervorschriften über den Inhalt der Begründung enthält die Strafprozessord- 12 nung bei gewissen Ablehnungsentscheidungen (§ 26a Abs. 2 Satz 2), für das Urteil (§ 267), den Haftbefehl (§ 114 Abs. 2 und 3), für die Beschlüsse, mit denen das Hauptverfahren eröffnet (§ 207 Abs. 1 und 2) oder die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wird (§ 204 Abs. 1), für Vorlage- (§ 225a Abs. 3) sowie Verweisungsbeschlüsse (§ 270 Abs. 2). 4. Beurkundung. Werden die Gründe der Entscheidung eines Kollegialgerichts nicht 13 in der Hauptverhandlung niedergeschrieben, sondern erst später durch einen mitwirkenden Richter abgefasst, so hat zwar der Vorsitzende die Niederschrift auf ihren Inhalt und ihre Form zu prüfen; er darf sie aber nicht einseitig inhaltlich abändern.48 Er hat beim Abfassen der Entscheidungsgründe nur dasselbe Stimmrecht wie beim Beschluss über den mit der Entscheidung zu fällenden Spruch. Er darf weder einen von der Kammer oder dem Senat gebilligten, ihm selbst aber nicht genehmen Entscheidungsgrund nachträglich beseitigen noch einen Grund, den die Mehrheit nicht gutgeheißen hat, nach seinem Gutdünken hinzufügen.49 5. Verstöße gegen die Begründungspflicht a) Fehlen von Entscheidungsgründen stellt bei Urteilen einen absoluten Revisions- 14 grund (§ 338 Nr. 7 erster Halbsatz) dar. Ebenso werden schriftliche außerhalb der Hauptverhandlung ergehende Beschlüsse in der Regel 50 aufzuheben sein, wenn ihnen die

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So auch LR/Hanack 25 § 356, 6. BGH StraFo 2004 134. RGSt 57 44; 77 332; KK/Maul 7; SK/Weßlau 10. OLG Celle NJW 1961 1319. BGHSt 1 177 = NJW 1951 671. OLG Stuttgart MDR 1987 164.

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OLG Köln JMBlNRW 1971 223. Seier GA 1980 405, 413. OLG Düsseldorf MDR 1985 866. RGSt 24 118; 28 56; 44 121; Sachse GA 70 (1925) 161. Weitergehend: stets OLG Köln JMBlNRW 1960 44.

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§ 34a

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

Begründung fehlt.51 Bei der Festsetzung eines Ordnungsgeldes nach § 178 GVG ist das Fehlen bzw. die Abgabe einer unzureichenden Begründung nur dann unschädlich, wenn nach der Darstellung im Protokoll die Gründe der Entscheidung für den Betroffenen außer Zweifel stehen und auch für das Beschwerdegericht die Möglichkeit der Nachprüfung anhand der Darstellung besteht.52 Fehlen die Gründe, so kommt regelmäßig eine Entscheidung des Beschwerdegerichts in der Sache selbst (§ 309 Abs. 2) nicht in Betracht. Es hat vielmehr die nicht begründete Entscheidung aufzuheben und die Sache an den judex a quo zur verfahrensgemäßen Behandlung zurückzuverweisen, weil sonst dem Beschwerdeführer eine Instanz genommen werden würde.53 Ausnahmen hiervon sind denkbar, etwa wenn ein privatschriftliches Wiederaufnahmegesuch ohne Begründung verworfen worden ist; hier wären Aufhebung und Zurückverweisung sinnlos. Vielmehr genügt es dann, den Beschwerdeführer mit der Begründung der Beschwerdeentscheidung auf den Formmangel hinzuweisen. Fehlt einem vom erkennenden Gericht erlassenen Beschluss die Begründung, so ist das 15 zwar bei ablehnenden Beschlüssen unter allen Umständen unzulässig und mit der Revision anfechtbar.54 Dieser Mangel führt aber nicht zur Aufhebung des – unter anderem – auf seiner Grundlage ergangenen Urteils, wenn ersichtlich ist, dass der Beschwerdeführer über die Gründe nicht hat im Zweifel sein können.55

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b) Mängel der Begründung führen nur ausnahmsweise zur Aufhebung und Zurückverweisung durch das Beschwerdegericht.56 Grundsätzlich hebt das Beschwerdegericht eine mangelhaft begründete Entscheidung auf die Beschwerde hin auf und setzt seine eigene Entscheidung an ihre Stelle (§ 309 Abs. 2).

§ 34a Führt nach rechtzeitiger Einlegung eines Rechtsmittels ein Beschluß unmittelbar die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung herbei, so gilt die Rechtskraft als mit Ablauf des Tages der Beschlußfassung eingetreten.

Schrifttum. Pohlmann Welche Bedeutung hat § 34a StPO für die Strafzeitberechnung? Rpfleger 1979 126

Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift wurde eingefügt durch Art. 1 Nr. 8 StVÄG 1979.

51 52

53

BGH NStZ 2003 273, 274; KK/Maul 11; SK/Weßlau 18. OLG Celle MDR 1958 265, OLG Hamm MDR 1978 780; OLG Koblenz MDR 1989 174 = GA 1989 175. OLG Bremen NJW 1951 84; BayObLGSt 1953 167 = NJW 1954 123; OLG Köln JMBlNRW 1960 44; OLG Oldenburg NJW 1971 1098, 1099; OLG Schleswig bei

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Ernesti/Lorenzen SchlHA 1982 118; LG Kleve AnwBl. 1978 356; LG Konstanz AnwBl. 1978 357; KK/Maul 11; SK/Weßlau 18. RGSt 69 98. RG GA 64 (1917) 373; RG JW 1931 2504; OLG Hamburg VRS 56 (1979) 458. LR/Matt 25 § 309, 14 ff.; Meyer-Goßner § 309, 7 ff.

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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung

§ 34a

Übersicht Rn. 1. Bedeutung der Vorschrift . . . . . . . . . 2. Angefochtene Entscheidung . . . . . . . . 3. Anwendungsbereich

Rn.

1 6

a) Keine Anwendung . . . . . . . . . . . b) Anwendung . . . . . . . . . . . . . . 4. Tag der Beschlussfassung . . . . . . . . .

7 9 10

Alphabetische Übersicht Anwendungsbereich 7 ff. Bedeutung 1, 3 Berufsverbot 3 Beschluss 1 Beschlussfassung 10 Entziehung der Fahrerlaubnis 5

Führungsaufsicht 5 Hauptanwendungsfälle 9 Rechtskraft 3 ff. Strafzeitberechnung 4 Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts 5

1. Bedeutung der Vorschrift. Die Strafprozessordnung enthält keine ausdrückliche 1 allgemeine Regelung über den Eintritt der Rechtskraft von Entscheidungen. In Rechtsprechung und Lehre besteht nur Einigkeit darin, dass für den Anfechtungsberechtigten die formelle Rechtskraft von anfechtbaren Entscheidungen in dem Zeitpunkt eintritt, wo dieser auf die Einlegung des Rechtsmittels verzichtet, ein bereits eingelegtes Rechtsmittel wirksam zurückgenommen hat oder die Frist zur Einlegung des Rechtsmittels abgelaufen ist. Entscheidungen, gegen die kein Rechtsmittel (mehr) gegeben ist, werden mit ihrem Erlass rechtskräftig. Zu letzteren zählen namentlich solche, über die durch nicht mehr anfechtbaren Beschluss auf ein fristgerecht eingelegtes Rechtsmittel hin entschieden wird.1 Es ist streitig, wann ein solcher Beschluss erlassen ist. Nach der hier vertretenen 2 Ansicht (§ 33, 12) ist eine Entscheidung, die außerhalb der Hauptverhandlung ergeht, dann erlassen, wenn sie schriftlich abgefasst und unterschrieben, auf Anordnung des Vorsitzenden (§ 36 Abs. 1 Satz 1), diese ausgeführt durch die Geschäftsstelle (§ 36 Abs. 1 Satz 2), an eine Person außerhalb des Gerichts bekannt gegeben 2 oder der Staatsanwaltschaft durch Übersendung der Akten mit der in ihnen enthaltenen unterschriebenen Entscheidung (§ 36 Abs. 2 Satz 1) übergeben wird.3 Nach anderer Ansicht soll der Beschluss schon mit der förmlichen Anordnung des Vorsitzenden zur Herausgabe des Beschlusses aus dem inneren Geschäftsgang erlassen sein.4 Nach OLG Düsseldorf 5 und Kastendiek 6 soll es auf den durch das Beschlussdatum ausgewiesenen Tag der unterzeichneten Entscheidung, nach OLG Köln 7 auf den Zeitpunkt der Übergabe an die Geschäftsstelle ankommen.8 § 34a enthält sich einer Entscheidung zu dem dogmatischen Streit über den tatsäch- 3 lichen Eintritt der Rechtskraft. Er sieht stattdessen eine allgemeine Regelung vor, wonach 1 2

BTDrucks. 8 976 S. 35. OLG Bremen NJW 1956 435; OLG Frankfurt MDR 1962 744; OLG Hamburg NJW 1963 874; OLG Koblenz VRS 48 (1975) 291; OLG Düsseldorf AnwBl.1981 288; Dalcke/Fuhrmann/Schäfer § 33, 1; Eb. Schmidt Nachtr. II § 33, 12; Geppert GA 1972 166; vgl. auch BayVerfGH MDR 1963 376 und Sieg NJW 1975 530; a.A. Meyer-Goßner Vor § 33, 8.

3 4

5 6 7 8

OLG Celle NJW 1951 415 ; JZ 1955 124. RGSt 56 360; 66 122; OLG Hamburg HESt 1 161; OLG Köln NJW 1954 1738; JR 1976 514; OLG Hamm GA 1959 287 ; JZ 1967 185; KMR/Paulus Vor § 33, 28. NJW 1950 760 zu § 349 Abs. 2, § 449. DRiZ 1977 276. JR 1976 514. Vgl. auch § 33, 12.

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§ 34a

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

der Eintritt der Rechtskraft bei Entscheidungen, über die durch nicht mehr anfechtbaren, auf ein fristgerecht eingelegtes Rechtsmittel hin ergehenden Beschluss entschieden wird, als mit dem Ablauf des Tages der Beschlussfassung eingetreten gilt.9 Die Regelung baut auf dem durch Art. 1 Nr. 32 StVÄG 1979 aufgehobenen § 450 Abs. 2 auf, wonach für die Berechnung der Strafzeit – in Form einer gesetzlichen Fiktion 10 – die Rechtskraft des Urteils rückwirkend als zu Beginn des Tages der Beschlussfassung eingetreten galt. Obwohl die Regelung in dem früheren § 450 Abs. 2 den Anforderungen der Praxis in 4 vollem Umfang gerecht geworden war, hat der Gesetzgeber sie für die nunmehr allgemein geltende Regelung des § 34a nicht übernommen. Entscheidend dafür war unter anderem, dass sie in den Fällen zu unbefriedigenden Ergebnissen führen muss, in denen etwa ein Berufsverbot (§ 70 StGB) gegen Beamte oder Notare rechtskräftig wird, die noch am Tag der Beschlussfassung Handlungen vorgenommen haben, die Dritten gegenüber Rechtswirkungen entfalten und bei einer Rückwirkung auf den Beginn des Tages der Beschlussfassung unwirksam sein würden. Entsprechend der Regelung des § 187 Abs. 1 BGB sollen die durch die Rechtskraft bedingten Wirkungen der angefochtenen Entscheidung daher erst mit Ablauf des Tages der Beschlussfassung eintreten, wobei sich bei der Strafzeitberechnung nur in den sehr seltenen Fällen eine Schlechterstellung um einen Tag ergibt, in denen nach der engen Ausnahmevorschrift des § 51 Abs. 1 Satz 2 StGB die Untersuchungshaft nicht auf die erkannte Strafe angerechnet wird.11 Für die Berechnung der Strafzeit gilt daher nunmehr § 34a.12 Abgesehen von dem Fall der Strafzeitberechnung hat die Frage des Eintritts der 5 Rechtskraft Bedeutung für folgende Fälle: Wirksamkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 Abs. 3 Satz 1 StGB); Anordnung des Berufsverbots (§ 70 Abs. 4 Satz 1 StGB),13 soweit das Gericht nicht gemäß § 456c Abs. 1 Satz 1 bei Erlass des Urteils das sofortige Wirksamwerden des Berufsverbots durch Beschluss aufgeschoben hat; Zeitpunkt des Verlusts der in § 45 StGB bezeichneten Fähigkeiten, Rechtsstellungen und Rechte (§ 45a Abs. 1 StGB);14 die Ausfüllung der Strafnachricht an das Bundeszentralregister (§§ 4, 20 BZRG); zu Unrecht entfernte Eintragungen in das Bundeszentralregister (§ 26 BZRG); Beginn der Bewährungszeit (§ 56a Abs. 2 Satz 1 StGB);15 Anordnung der Führungsaufsicht (§ 68c Abs. 3);16 die kraft Gesetzes eintretende Führungsaufsicht nach § 67d Abs. 2 Satz 2 StGB 17 im Gegensatz zu den sonstigen Fällen der kraft Gesetzes zu unterschiedlichen Zeitpunkten eintretenden Führungsaufsicht (§ 67d Abs. 3 Satz 2, § 67d Abs. 5 Satz 2, § 68f Abs. 1 Satz 1 StGB); die Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis (§ 69a Abs. 5 Satz 1 StGB.18

6

2. Die angefochtene Entscheidung, deren Rechtskraft der Beschluss herbeiführt, ist regelmäßig ein Urteil im Straf- oder Bußgeldverfahren; sie kann auch ein Beschluss sein, der der Rechtskraft fähig ist. Es muss sich aber auf jeden Fall um eine Entscheidung handeln, gegen die ein befristetes Rechtsmittel, nämlich eine Berufung, Revision, Rechtsbeschwerde oder sofortige Beschwerde statthaft und fristgerecht eingelegt worden ist.

9 10 11 12 13 14

BTDrucks. 8 976 S. 36. OLG Hamm NJW 1956 274. BTDrucks. 8 976 S. 36. BTDrucks. 8 976 S. 61. Tröndle/Fischer § 70, 15 StGB; MünchKomm/Bockemühl § 70, 29 StGB. Tröndle/Fischer § 45a, 2 StGB; MünchKomm/Radtke § 45a, 4 StGB.

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OLG Düsseldorf MDR 1973 426; OLG Hamm MDR 1974 947; NJW 1978 2208. Tröndle/Fischer § 68c, 9 StGB; LK/Hanack 11 § 68c, 12 StGB; MünchKomm/Groß § 68c, 17 StGB. Tröndle/Fischer § 67d, 6d StGB. Tröndle/Fischer § 69a, 35 StGB; MünchKomm/Athing § 69a, 40 StGB.

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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung

§ 34a

Wird die Entscheidung nicht fristgerecht angefochten, so wird sie mit dem Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels rechtskräftig.19 Das gilt auch in Bezug auf die sofortige Beschwerde. Zwar hemmt eine solche grundsätzlich nicht die Vollstreckung des angefochtenen Beschlusses (§ 307 Abs. 1); jedoch lässt dieser Umstand den Eintritt der Rechtskraft unberührt. Der Beschluss führt unmittelbar die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung herbei, wenn er nicht mehr angefochten werden kann. 3. Anwendungsbereich a) Die Vorschrift findet keine Anwendung für Entscheidungen – Urteile oder Be- 7 schlüsse –, die im Laufe der Hauptverhandlung ergehen (§ 33 Abs. 1) und auch nicht bei Entscheidungen in anderen mündlichen Verhandlungen, wenn der von ihr Betroffene bei der Verkündung der Entscheidung anwesend war. Diese werden durch mündliche Verkündung erlassen und damit zugleich wirksam (§ 33 Abs. 1, § 35 Abs. 1 Satz 1). § 34a gilt weiter nicht für solche Beschlüsse, durch die ein Rechtsmittel wegen ver- 8 späteter Einlegung als unzulässig verworfen worden ist, wie aus der Formulierung „nach rechtzeitiger Einlegung“ folgt. Die Vorschrift findet mithin keine Anwendung auf Beschlüsse nach § 319 Abs. 1 (Verwerfung der Berufung durch das Gericht des ersten Rechtszuges als unzulässig; dagegen: Antrag auf Entscheidung des Berufungsgerichts nach § 319 Abs. 2); nach § 322 Abs. 1 (Verwerfung der Berufung als unzulässig durch das Berufungsgericht; dagegen: sofortige Beschwerde nach § 322 Abs. 2); nach § 346 Abs. 1 (Verwerfung der Revision als unzulässig durch das Gericht, dessen Urteil angefochten wird; dagegen: Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 Satz 1); nach § 349 Abs. 1 (Verwerfung der Revision als unzulässig durch das Revisionsgericht). In den letzten drei Fällen findet § 34a aber nur dann keine Anwendung, soweit die verspätete Einlegung des Rechtsmittels der Grund der Verwerfung ist. In diesen Fällen tritt die Rechtskraft mit dem ungenutzten Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels ein.20 § 34a gilt auch nicht bei Entscheidungen des Revisionsgerichts nach § 354 Abs. 1a Satz 2, denn sie haben nach dem Willen des Gesetzgebers durch Urteil zu ergehen. b) Die Vorschrift findet Anwendung bei Beschlüssen, die, sobald sie selbst Wirksam- 9 keit erlangt haben, die Rechtskraft unmittelbar herbeiführen. Dazu gehören Beschlüsse nach § 322 Abs. 2, § 346 Abs. 2 und § 349 Abs. 1, soweit sie das Rechtsmittel aus anderen Gründen als wegen verspäteter Einlegung als unzulässig verwerfen.21 Hauptanwendungsfälle sind Beschlüsse, durch die die Revision nach § 349 Abs. 2 als (offensichtlich) unbegründet, die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG oder der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG einstimmig als unbegründet verworfen wird. Diese Entscheidungen führen die Rechtskraft unmittelbar herbei, weil sie unanfechtbar sind. Dagegen fallen alle Beschlüsse, durch die das Rechtsmittelgericht die Berufung nach § 322 Abs. 1 oder die Revision nach § 346 Abs. 1 als unzulässig verworfen hat, nur dann unter § 34a, wenn ihre Rechtskraft nicht schon zufolge des ungenutzten Ablaufs der Beschwerde- oder Antragsfrist, sondern erst durch die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts eingetreten ist.22 19 20

KK/Maul 5; Meyer-Goßner 6; SK/Weßlau 3; HK/Lemke 3; KMR/Paulus 9. RGSt 53 236; BGHSt 22 219; KG GA 71 (1927) = DJZ 1926 458; OLG Düsseldorf JMBlNRW 1951 60; OLG Neustadt GA 1955 185; OLG Hamburg NJW 1963 265;

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Niese JZ 1951 757; 1957 77; Küper GA 1969 364; KK/Maul 5; Meyer-Goßner 6; SK/Weßlau 5; vgl. auch BTDrucks. 8 976 S. 36. BGH NJW 1976 373. LR/Hanack 25 § 346, 24, 35 und § 349, 27.

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4. Der Tag der Beschlussfassung ist der Tag, der in dem Beschluss angegeben ist.23 Es kommt nicht darauf an, ob die Verwerfung des Rechtsmittels schon früher nach mündlicher Beratung beschlossen wurde, wenn der Beschluss erst später, weil mit Begründung versehen, abgesetzt und an dem Tag der Unterzeichnung zu den Akten gebracht wird; denn der Sinn und Zweck der Regelung besteht ja gerade darin, Zweifel jeder Art durch eindeutige Festlegung des für den Eintritt der Rechtskraft und für den Beginn der Strafzeitberechnung maßgebenden Zeitpunkts ausschließen.

§ 35 (1) 1Entscheidungen, die in Anwesenheit der davon betroffenen Person ergehen, werden ihr durch Verkündung bekanntgemacht. 2Auf Verlangen ist ihr eine Abschrift zu erteilen. (2) 1Andere Entscheidungen werden durch Zustellung bekanntgemacht. 2Wird durch die Bekanntmachung der Entscheidung keine Frist in Lauf gesetzt, so genügt formlose Mitteilung. (3) Dem nicht auf freiem Fuß Befindlichen ist das zugestellte Schriftstück auf Verlangen vorzulesen.

Entstehungsgeschichte. Satz 2 des Absatzes 2 ist eingefügt durch Art. IV Nr. 1 der Verordnung zu Vereinfachung der Zustellungen vom 17.6.1933 (RGBl. I 394). Seine jetzige Fassung beruht auf Art. 1 Nr. 2 StVÄG 1987. Durch ihn ist die frühere Ausnahmeregelung in Absatz 2 Satz 2 letzter Satzteil beseitigt worden, wonach die formlose Mitteilung von Urteilen ausgeschlossen war.

Übersicht Rn. 1. Bedeutung der Vorschrift . . . . . . . 2. Anwendungsbereich a) Straf- und Bußgeldverfahren . . . b) Entscheidungen . . . . . . . . . . c) Betroffener . . . . . . . . . . . . 3. Bekanntmachung von Entscheidungen durch Verkündung a) Verkündung (Absatz 1 Satz 1) . . . b) Abschrift (Absatz 1 Satz 2) . . . . c) Geheimschutz . . . . . . . . . . . d) Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . e) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . f) Kosten . . . . . . . . . . . . . . .

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. .

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Rn. 4. Bekanntmachung von Entscheidungen durch Zustellung a) Gerichtliche Entscheidungen (Absatz 2 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Staatsanwaltschaftliche Entscheidungen 5. Formlose Mitteilung (Absatz 2 Satz 2) . . 6. Pflicht zum Vorlesen (Absatz 3) a) Nicht auf freiem Fuß Befindliche . . . b) Verlangen . . . . . . . . . . . . . . . 7. Übersetzung von Entscheidungen . . . . .

OLG Frankfurt NJW 1965 1725.

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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung

§ 35

Alphabetische Übersicht Abschrift 9, 12 – bei Freispruch 17 – Zeitpunkt 12 f. – Zweck 12 Angeklagter 17 Anwendungsbereich 2 ff. Ausnahme 21 Bedeutung 1 Bekanntmachung 6 ff., 18 Beschluss 6 Besondere Vorschriften 5 Betroffener 4 Beurkundung 8 Bußgeldverfahren 2 Entscheidung 3 – Bekanntmachung 18 – gerichtliche 1, 3, 18 – staatsanwaltschaftliche 1, 19 – Übersetzung 28 – Zeitpunkt 12 Ermittlungsverfahren 19 Freiheitsentziehung 24 Geheimschutz 11

Geschäftsstelle 15 Inhaftierter 24 Kosten 16 Mängel 8 Mitteilung – fernmündliche 23 – formlose 21, 26 – schriftliche 23 Prozessbeteiligter 4 Rechtliches Gehör 1 Rechtskraft 14 Referendar 7 Staatsarchiv 15 Strafverfahren 2 Übersetzung 27 f. Urkundsbeamter der Geschäftsstelle 7 Urteil 6 Verfassungsbeschwerde 22 Verkündung 6, 23 Verlangen 25 Vorlesen 24 f. Zuständigkeit 14 Zustellung 18

1. Bedeutung der Vorschrift. Die Vorschrift bezweckt wie §§ 33, 33a und 34 die 1 Sicherung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Strafverfahren. Durch die – mündliche oder schriftliche – Unterrichtung über Ergebnis und Begründung der ergangenen Entscheidung wird der betroffenen Person die Möglichkeit eröffnet, ihr weiteres prozessuales Vorgehen, namentlich die Frage abzuwägen, ob sie ein Rechtsmittel einlegen will.1 2. Anwendungsbereich a) Straf- und Bußgeldverfahren. Die Vorschrift regelt die Bekanntmachung von ge- 2 richtlichen Entscheidungen im Ermittlungs-, Zwischen-, Haupt- und Vollstreckungsverfahren. Bei staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen im Ermittlungs- und Vollstreckungsverfahren ist die Vorschrift nicht anwendbar (vgl. im Einzelnen Rn. 19 f.), wohl aber bei gerichtlichen Entscheidungen im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren. Im Bußgeldverfahren findet die Vorschrift in allen Verfahrensstadien über § 46 Abs. 1 OWiG entsprechende Anwendung, soweit das Ordnungswidrigkeitengesetz keine besonderen Regelungen enthält. b) Entscheidungen. Die Pflicht zur Bekanntmachung erstreckt sich auf alle gericht- 3 lichen Entscheidungen. Zu dem Begriff s. § 33, 4 ff., doch fallen hier auch die prozessleitenden Verfügungen unter den Begriff.2 Demzufolge gehören hierher unter anderem auch Beschlüsse, durch die ein Beweisantrag 3 oder ein Vertagungsantrag 4 abgelehnt

1 2

BVerfGE 36 88 = NJW 1974 133; BGHSt 27 88; KK/Maul 1; SK/Weßlau 1. RGRspr. 1 543; RGSt 1 346; OLG Braunschweig JZ 1953 640; OLG Hamm VRS 66 (1984) 44; KK/Maul 2; Meyer-Goßner 1;

3 4

SK/Weßlau 3; HK/Lemke 2; Pfeiffer 1; AK/Kirchner 1. RGSt 1 36. RGSt 23 137.

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wird sowie Beschlüsse über die Entbindung des Angeklagten von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung 5 und über die Anordnung und die Fortdauer der Untersuchungshaft 6 sowie Beschlüsse über die Erteilung eines Verteidigersprechscheins.7

4

c) Betroffener. Wer Betroffener ist, beantwortet sich im Einzelfall nach den Grundsätzen der Strafprozessordnung und der Bedeutung der einzelnen Vorschrift. Die Bemerkung des Kammergerichts,8 der Begriff des Betroffenen sei enger als der des Prozessbeteiligten (§ 33, 18) ist im Grundsatz zutreffend. So ist z.B. von einem Beschluss, der die Ablehnung für unbegründet erklärt (§ 28 Abs. 2), nur betroffen, wer die Ablehnung angebracht hatte. Gleichwohl trifft die Ansicht des Kammergerichts in dieser Allgemeinheit nicht zu. Denn grundsätzlich ist von einer Entscheidung jeder Prozessbeteiligte betroffen, den ihre Auswirkungen berühren können, gleichgültig, ob er von ihr beschwert oder begünstigt ist,9 also z.B. auch der Nebenkläger hinsichtlich des Urteils 10 oder der Kostenentscheidung.11 Da die Möglichkeit einer Auswirkung in der Regel bei jedem Prozessbeteiligten besteht, wird der Begriff des Betroffenen meistens mit dem des Prozessbeteiligten zusammen treffen. Die Staatsanwaltschaft ist, da sie auch zugunsten des Beschuldigten Rechtsmittel einlegen kann (§ 296 Abs. 2), in Offizialverfahren stets betroffen.12 Für gewisse Fälle enthält das Gesetz besondere Vorschriften, die in der Regel den 5 Kreis der Beteiligten einengen, so in § 114a über die Bekanntmachung des Haftbefehls bei Vollziehung oder unmittelbar danach, in § 201 Abs. 1 über die Mitteilung der Anklageschrift, in § 316 Abs. 2, § 343 Abs. 2 über die Zustellung von Urteilen. Ferner bestimmt § 54 Abs. 2 JGG, dass die Urteilsgründe dem Angeklagten nicht mitgeteilt werden, soweit davon Nachteile für die Erziehung zu befürchten sind und § 67 Abs. 2 JGG, dass eine Mitteilung, die an den Beschuldigten vorgeschrieben ist, an den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertreter gerichtet werden soll.13 3. Bekanntmachung von Entscheidungen durch Verkündung

6

a) Verkündung (Absatz 1 Satz 1). Entscheidungen, die in Anwesenheit der davon betroffenen Person ergehen, werden ihr durch Verkündung bekannt gemacht. Die Verkündung erfolgt nicht nur bei Entscheidungen, die in einer Hauptverhandlung ergehen, sondern auch bei solchen, die ein Richter im vorbereitenden Verfahren oder ein beauftragter oder ersuchter Richter bei einer Vernehmung oder einem Augenschein erlässt. Für die Verkündung des Urteils gilt § 268 Abs. 2. Eine Bekanntgabe des Zeitpunkts der Urteilsverkündung ist nur geboten, wenn die Verkündung ausgesetzt wird, nicht aber dann, wenn die Beratung sich an die Verhandlung anschließt.14 Für Beschlüsse ist § 268 nicht anwendbar; sie brauchen nicht verlesen zu werden. Es genügt, wenn dem Betroffenen der wesentliche Inhalt mitgeteilt wird.15 Lehnt das Berufungsgericht in der Hauptverhandlung einen Antrag des insoweit bevollmächtigten Verteidigers in dessen Anwe-

5 6 7 8 9 10 11

RGSt 15 203; 44 48. Dörr BayZ 2 115. LG München StV 2000 517. GA 59 (1912) 476. OLG Braunschweig JZ 1953 641. OLG Hamburg HRR 1932 1529. OLG Hamm MDR 1996 643.

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12 13 14 15

KK/Maul 2; KMR/Paulus 17 ; SK/Weßlau 4; HK/Lemke 3; AK/Kirchner 2. BayObLGSt 1954 51 – Leitsatz a = NJW 1954 1378. RG JW 1933 434. RGSt 44 54.

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senheit ab, den nicht erschienenen Angeklagten nach § 233 Abs. 1 vom Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, so braucht der Beschluss dem Angeklagten nicht selbst bekannt gemacht zu werden.16 Das gilt gleichermaßen, wenn eine Entscheidung in Gegenwart eines von drei Wahlverteidigern verkündet worden ist. Mit der Verkündung ist die Verteidigung insgesamt unterrichtet.17 Die Verkündung ist eine richterliche Handlung und obliegt als solche regelmäßig dem 7 Vorsitzenden als Verhandlungsleiter (§ 238 Abs. 1), ausnahmsweise einem anderen Richter des erkennenden Gerichts. Ein nichtrichterlicher Beamter (Urkundsbeamter der Geschäftsstelle als Protokollführer) darf die Verkündung nicht vornehmen. Einem Referendar darf die Verkündung nicht übertragen werden, wohl aber aus besonderen Gründen einem anderen richterlichen Mitglied des Spruchkörpers.18 Der Richter muss die Entscheidung selbst dann verkünden, wenn der davon Betroffene der deutschen Sprache nicht mächtig oder taub oder stumm (§§ 185, 186 GVG) ist. Allerdings ist die Entscheidung nur dann wirksam, wenn sie unverzüglich im Anschluss oder während der Verkündung simultan durch einen Dolmetscher in eine für den von der Entscheidung Betroffenen verständliche Sprache übersetzt wird.19 Der Dolmetscher hat dem Betroffenen die Entscheidungsformel und -begründung zu übersetzen.20 Die Verkündung der Entscheidung ist erst dann abgeschlossen, wenn der Dolmetscher dem Betroffenen den letzten Satz zur Kenntnis gebracht hat.21 Die Verkündung ist im Protokoll zu beurkunden. Ist die Entscheidung in einer Haupt- 8 verhandlung ergangen, so wird der Beweis, dass sie verkündet worden ist, nach § 274 nur durch die Niederschrift über die Hauptverhandlung erbracht. Ist die Entscheidung in einer dem Gesetz nicht genügenden, also rechtlich unwirksamen Weise verkündet worden oder fehlt es am Beweis der Verkündung, so kann der Mangel bei Beschlüssen durch Zustellung geheilt werden. Bei Urteilen ist der Mangel nicht heilbar.22 Die Hauptverhandlung ist nicht zu Ende geführt. Sie muss, soweit das noch möglich ist (§ 229), durch Verkündung zu Ende gebracht, sonst wiederholt werden. b) Abschrift (Absatz 1 Satz 2). Dem von einer Entscheidung Betroffenen ist auf Ver- 9 langen eine Abschrift derselben zu erteilen, denn es liegt im staatlichen Interesse, ihn klar zu unterrichten. Das bedeutet jedoch nicht, dass einem der deutschen Sprache nicht (hinreichend) kundigen Ausländer auf Verlangen auch eine kostenfreie Übersetzung des Urteils auszuhändigen ist.23 Der Betroffene muss sein Verlangen auf Erteilung einer Abschrift und den Zweck, den er damit verfolgt, nicht begründen. Er kann durchaus ein privates Interesse haben, eine Abschrift der Entscheidung für seine persönlichen Unterlagen zu erhalten. Die Erteilung einer Abschrift darf daher nicht von einem Zusammenhang mit strafverfahrensrechtlichen Zwecken abhängig gemacht werden.24 Ebenso wenig

16 17 18 19 20 21 22 23

BGHSt 25 281. BGH v. 15.11.1977 – 1 StR 301/77; KK/Maul 6. OLG Oldenburg NJW 1952 1310. LG Limburg StV 1999 104. BGH GA 1963 148. BGH NStZ-RR 1996 337; LR/Gollwitzer 25 § 268, 23. LR/Gollwitzer 25 § 268, 15. BVerfGE 64 135 = JZ 1983 659 mit zust. Anm. Rüping. So schon früher OLG Ham-

24

burg NJW 1978 2462; OLG Frankfurt NJW 1980 1238; OLG Stuttgart NStZ 1981 225; KK/Maul 22; KK/Franke § 464a, 4b; SK/Weßlau 23; HK/Lemke 14; differenzierend Pfeiffer 4; LR/Wickern 25 § 184, 11 GVG; AK/Kirchner 21; Römer NStZ 1981 474; a.A. Strate AnwBl. 1980 16; Sieg MDR 1981 281; Heldmann StV 1981 253. KK/Maul 8; SK/Weßlau 10; a.A. KG JR 1960 352; Meyer-Goßner 7; KMR/Paulus 20.

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darf auf Verlangen des Betroffenen die Erteilung einer Abschrift der Entscheidung mit der Begründung abgelehnt werden, dass dadurch Personal- und Sachkosten verursacht werden (vgl. Rn. 16). Der Betroffene kann nur eine Abschrift der Entscheidung verlangen. Er hat zwar 10 keinen darüber hinaus gehenden Anspruch. Sofern er jedoch den Wunsch nach Erteilung weiterer Abschriften nachvollziehbar begründet, wird ein solches Begehren in aller Regel nicht abzulehnen sein. Wegen der insoweit anfallenden Kosten vgl. Rn. 16. Abschriften sonstiger Aktenteile 25, namentlich der Sitzungsniederschrift oder von Sachverständigengutachten oder Vernehmungsniederschriften, können aufgrund § 35 nicht begehrt werden.

11

c) Geheimschutz. Das Recht auf eine Abschrift der Entscheidung muss unter Umständen gegenüber höherrangigen Interessen zurückstehen, namentlich wenn sich das Schriftstück mit Vorgängen und Nachrichten befasst, die im Staatsinteresse geheim zu halten sind.26 Insoweit bedarf es einer Abwägung der Notwendigkeit des Geheimschutzes einerseits und der Wahrung der Belange des Strafverfahrens, insbesondere der dem Beschuldigten und seinem Verteidiger gewährten Rechtsstellung andererseits. Wenigstens dem Verteidiger ist grundsätzlich eine Abschrift mit Verpflichtung zur Geheimhaltung und ggf. unter Auflagen (z.B. zur Fertigung von Ablichtungen, Zugänglichmachung an andere Personen) auszuhändigen (Nr. 213 Abs. 2 bis 5 RiStBV).27 Sofern dies in besonders gelagerten Ausnahmefällen wegen des überragenden Geheimschutzes nicht möglich sein sollte, ist namentlich bei Urteilen dem Angeklagten zu seiner Verteidigung wenigstens eine gekürzte Abschrift auszuhändigen. Ist auch das ausnahmsweise nicht angängig, so ist, wie auch für weggelassene Teile, großzügig – unter Beachtung der Geheimhaltungsvorschriften (Nr. 213 RiStBV) – Akteneinsicht, ggf. unter Aufsicht auf der Geschäftsstelle, zu gewähren, um die Beeinträchtigung der Verfahrensrechte des Beschuldigten und seines Verteidigers soweit wie möglich auszugleichen.28

12

d) Zeitpunkt. Die Abschrift muss, damit der Angeklagte in seinen prozessualen Rechten nicht beeinträchtigt wird, unverzüglich 29 erteilt werden. Zwar kann der Angeklagte nicht verlangen, dass die Sitzung unterbrochen wird, damit ihm die Abschrift der Entscheidung erteilt werde, das Gericht wolle von einem präsenten Beweismittel (§ 245) Gebrauch machen. Jedoch kann der Ansicht 30 nicht beigepflichtet werden, dass während der Hauptverhandlung keine Abschrift eines in ihr verkündeten Beschlusses verlangt werden könne, wenn dadurch der Fortgang der Verhandlung gehemmt werden würde.31 Einer solchen Auslegung steht der Zweck der Abschrift entgegen, dem Betroffenen eine klare, unverrückbare Unterlage für seine weiteren Prozesshandlungen in die Hand zu geben.32 Der Ablehnung von Beweisanträgen kann der Angeklagte ohne schriftliche Unterlage nur schwer entgegen treten; die Beschwerde gegen ein Ordnungsmittel (§ 181 Abs. 1 GVG) ist in der Regel ohne Kenntnis des Protokoll- und Beschlusswortlauts nicht sachgemäß zu begründen. Demzufolge sind alle bedeutsameren Beschlüsse ohne Verzöge25 26 27 28

29

OLG Rostock Alsb. E 1 107. BayObLGSt 1932 178 = JW 1933 527. BGHSt 18 371f. = NJW 1963 1462. KK/Maul 12; Meyer-Goßner 8; Pfeiffer 1; HK/Lemke 6; AK/Kirchner 12; a.A. SK/Weßlau 14 (Anspruch auf Erteilung einer Abschrift der Entscheidung besteht einschränkungslos). KK/Maul 9; KMR/Paulus 23 ; Pfeiffer 1;

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30 31

32

HK/Lemke 7; SK/Weßlau 13; AK/Kirchner 8 (im Rahmen des Möglichen unverzüglich); einschränkend LR/Wendisch 25 11 (sobald als möglich). RGSt 44 54. KMR/Paulus 23; Pfeiffer 1; SK/Weßlau 13; HK/Lemke 8; einschränkend Meyer-Goßner 6. Eb. Schmidt 11; Bendix GS 39 (1887) 1.

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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung

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rung abzusetzen und später dem Protokoll als Anlage beizufügen.33 Insbesondere darf der Betroffene, der die Erteilung einer Abschrift der Entscheidung begehrt, nicht auf den Zeitpunkt nach der Fertigstellung des Protokolls verwiesen werden, denn dadurch kann er unter Umständen in der Wahrnehmung seiner prozessualen Rechte beeinträchtigt werden.34 Bedenken gegen dieses Verfahren bestehen nicht.35 Die Abschrift kann nicht nur unmittelbar nach der Verkündung, sondern auch zu 13 jedem späteren Zeitpunkt, also auch noch nach Rechtskraft der Entscheidung, verlangt werden,36 solange die Akten im Gewahrsam der Justiz sind. e) Zuständigkeit. Über das Verlangen auf Erteilung einer Abschrift der Entscheidung 14 entscheidet vor Rechtskraft der Vorsitzende des erkennenden Gerichts.37 Nach Rechtskraft ist die die Akten verwahrende Behörde, also die Staatsanwaltschaft, zur Entscheidung berufen.38 Die Erteilung der Abschrift ist durch den Vorsitzenden bzw. den Staatsanwalt anzuordnen und in den Akten schriftlich zu dokumentieren. Im Vollstreckungsverfahren entscheidet der Rechtspfleger (§ 31 Abs. 2 Satz 1 RPflG). Die Abschrift erteilt die Geschäftsstelle der Behörde, die über den Antrag bejahend 15 entschieden hat. Sind die Akten nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist nicht vernichtet worden, sondern an das Staatsarchiv zur weiteren Verwahrung abgeliefert worden, so entscheidet dieses nach seinen Vorschriften, denn die Akten befinden sich in einem solchen Fall nicht mehr im Gewahrsam der Justiz. f) Kosten. Für Abschriften werden zwar keine Kosten, wohl aber Auslagen als Doku- 16 mentenpauschale erhoben (§ 17 Abs. 2 GKG). Kostenschuldner ist derjenige, der die Handlung beantragt hat (§ 35 Abs. 1 Satz 2 StPO, § 17 Abs. 2 GKG). Ein zur Deckung der Auslagen hinreichender Vorschuss für die Herstellung und Überlassung von Abschriften wird in Strafsachen sowie in gerichtlichen Verfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz nicht verlangt, wenn der Beschuldigte bzw. Betroffene oder sein Verteidiger Antragsteller ist (§ 17 Abs. 4 Satz 2 GKG). Der Beschuldigte und sein bevollmächtigter Vertreter sind frei von der Dokumentenpauschale jeweils für eine vollständige Ausfertigung oder Ablichtung jeder gerichtlichen Entscheidung, eine Ausfertigung der Entscheidung ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe sowie eine Ablichtung jeder Niederschrift über eine Sitzung (Nr. 9000 KV amtliche Anm. II). Damit erledigt sich, da nach § 35 Abs. 1 Satz 2 nur eine Abschrift verlangt werden 17 kann, die Frage, ob einem freigesprochenen Angeklagten eine kostenfreie Urteilsabschrift zusteht. Nr. 140 Abs. 1 Satz 1 RiStBV schreibt ausdrücklich vor, dass von einem rechtskräftigen Urteil sowie einem in § 268a genannten Beschluss über die Strafaussetzung zur Bewährung dem Verurteilten oder Freigesprochenen und, sofern er einen Verteidiger hat, auch diesem eine Abschrift des rechtskräftigen Urteils ohne Antrag zu übersenden ist. Das Gericht ist aber auch sonst befugt, die Übersendung von Abschriften ohne Antrag anzuordnen, wenn es erforderlich ist, den Zweck der Strafe zu erreichen. Das kann bei verurteilenden Erkenntnissen dann der Fall sein, wenn sie ernste Warnungen für den Rückfall enthalten, namentlich bei Bewährungsversagen, vorbehaltener Sicherungsverwahrung oder bei Ankündigung sonstiger freiheitsentziehender Maßregeln. 33 34 35 36

Dünnebier 41. DJT II G 16. KK/Maul 9; SK/Weßlau 13; Pfeiffer 1; AK/Kirchner 8. RGSt 2 33, 38 f.; 25 250. BayObLG JW 1933 526, 527; KG JR 1960 352.

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BayObLGSt 5 (1905) 237. BayObLGSt 32 (1932) 177 = JW 1933 527; KG JR 1960 352.

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4. Bekanntmachung von Entscheidungen durch Zustellung

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a) Gerichtliche Entscheidungen (Absatz 2 Satz 1). Entscheidungen, die nicht in Anwesenheit des davon Betroffenen ergehen, werden durch Zustellung bekannt gemacht. Zustellung ist der in gesetzlicher Form zu bewirkende Akt, durch den dem Adressaten Gelegenheit zur Kenntnisnahme eines Schriftstücks verschafft wird. Sie dient dem Interesse sowohl des Anordnenden als auch des Adressaten. Ersterem wird mit Hilfe der Zustellungsurkunde der Nachweis ermöglicht, dass der auf ihr bezeichnete Empfänger von dem zugestellten Schriftstück Kenntnis nehmen konnte. Für letzteren sichert sie auch die Verwirklichung des rechtlichen Gehörs, indem sie gewährleistet, dass der Adressat Kenntnis von dem zugestellten Schriftstück nehmen und seine Rechtsverteidigung darauf einstellen kann.39 Zustellungen dienen daher als Mittel der Gewährung und Kontrolle des rechtlichen Gehörs.40 Zustellung erfolgt bei Entscheidungen, die in Abwesenheit der von ihnen Betroffenen ergangen sind, wenn durch die Bekanntmachung eine Frist in Lauf gesetzt wird. Bekanntmachung durch Zustellung ist mithin geboten bei Abwesenheitsurteilen (§ 329 Abs. 1 und 3, § 412 Satz 1 StPO, § 74 Abs. 2 OWiG).41 Das gilt auch dann, wenn das Berufungsgericht eine Berufung des in der Berufungshauptverhandlung zwar anwesenden, aber als selbst verschuldet verhandlungsunfähigen Angeklagten nach § 329 Abs. 1 Satz 1 verworfen hat, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Angeklagte zu Recht als abwesend behandelt worden ist.42 Zustellung ist ferner geboten bei Beschlüssen nach § 72 Abs. 1 Satz 1 OWiG,43 hinsichtlich der Belehrung nach § 74 Abs. 3 OWiG,44 bei Beschlüssen nach § 346 Abs. 1, bei Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe,45 bei Widerruf der Aussetzung der Vollstreckung (des Restes) einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe (§ 56f StGB; § 57 Abs. 3 i.V.m. § 56f StGB). Letztlich sind alle Beschlüsse, die mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sind, den davon Betroffenen zuzustellen.46 Auch wenn an sich formlose Mitteilung genügt, kann Zustellung geboten sein (vgl. Rn. 22). Zustellung ist auch vorzuziehen, wenn die Entscheidung von besonderer Bedeutung ist oder der Nachweis der Bekanntmachung als Grundlage für gerichtliche Maßnahmen oder erneuter Strafbarkeit dienen kann (vgl. § 111a i.V.m. § 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG; § 132a Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 145c StGB). Die Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung ist ihm unter anderem zum Nachweis der Ladungsfrist (§ 217) 47 und der Ladung als solcher zuzustellen. Auch anderen Beteiligten ist die Ladung zuzustellen, denn die Anordnung von Ordnungsmitteln setzt im Falle des Ausbleibens eine ordnungsgemäße Ladung voraus. Der Beschluss, durch den der Angeklagte von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung (§ 233 Abs. 1) entbunden wird, bedarf ebenso der Zustellung 48 wie derjenige, durch den außerhalb der Hauptverhandlung Termin zu ihrer Fortsetzung anberaumt wird.49 Auch die Mitteilung nach § 222a Abs. 1 ist wegen der Frist des Absatzes 2 dem Mitteilungsadressaten zuzustellen.50 39

40 41

42 43

BGHZ 12 96; BGH (Z) NJW 1978 1858 = JR 1978 377; BGHSt 27 85, 88 = NJW 1977 723. BVerfGE 36 88 = NJW 1974 133; BGHSt 27 85, 88. RGSt 59 279; BayObLG VRS 95 (1998) 258 = NZV 1998 513; OLG Düsseldorf MDR 1997 489. BayObLG VRS 95 (1998) 258 = NZV 1998 513. OLG Hamm VRS 50 (1976) 291.

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44 45 46 47 48

49 50

OLG Brandenburg NZV 1996 163. OLG Celle MDR 1978 71. KK/Maul 16. LR/Gollwitzer 25 § 216, 5. RGSt 15 202; 29 70; 62 259; BayObLG NJW 1970 1055; Eb. Schmidt 13; Küper NJW 1974 1927; KK/Maul 17. BGH NStZ 1984 41 mit krit. Anm. Hilger. LR/Gollwitzer 25 § 222a, 9; KK/Tolksdorf § 222a, 7; Meyer-Goßner § 222a, 10.

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§ 35

b) Staatsanwaltschaftliche Entscheidungen. Für das staatsanwaltschaftliche Ermitt- 19 lungsverfahren gilt § 35 nicht. Denn, wie sich schon aus der amtlichen Überschrift des Vierten Abschnitts des Ersten Buches der StPO ergibt, gelten dessen Vorschriften nur für gerichtliche Entscheidungen.51 Es wird sich allerdings oftmals empfehlen, § 35 Abs. 2 auf die Bekanntmachung staatsanwaltschaftlicher Einstellungsbescheide sinngemäß anzuwenden. Innerdienstlich ist der Staatsanwalt gehalten, die Zustellung anzuordnen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass mit einer Beschwerde oder einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu rechnen ist (Nr. 91 Abs. 2 Satz 2 RiStBV).52 Ordnet die Staatsanwaltschaft die Zustellung eines Einstellungsbescheids an, so 20 beginnt der Fristenlauf mit der Zustellung oder Ersatzzustellung, gleichgültig wann der Zustellungsadressat das Schriftstück in seine Hand bekommt und von dessen Inhalt Kenntnis nimmt.53 5. Formlose Mitteilung (Absatz 2 Satz 2) genügt, wenn durch die Bekanntmachung 21 der Entscheidung keine Frist in Lauf gesetzt wird. Mit dem Fortfall der Ausnahmeregelung für Urteile durch Art. 1 Nr. 2 StVÄG 1987 54 sind nunmehr alle unanfechtbaren Urteile den sonstigen gerichtlichen Entscheidungen gleichgestellt. Es reicht also regelmäßig aus, wenn Revisionsurteile oder andere Urteile, durch deren Bekanntmachung ausnahmsweise keine Frist in Lauf gesetzt wird, den davon Betroffenen durch einfachen Brief mitgeteilt werden. In besonderen Fällen wird, auch wenn durch die Bekanntmachung kein Fristenlauf in Gang gesetzt wird, gleichwohl die Zustellung eines unanfechtbaren Urteils anzuordnen sein, etwa wenn es ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Entscheidung ankommt, weil an die Rechtskraft des Urteils sanktionsbewährte Pflichten anknüpfen (z.B. nach §§ 145a, 145c StGB, § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG).55 Der formlosen Mitteilung steht auch nicht entgegen, dass gegen Revisionsurteile Ver- 22 fassungsbeschwerde statthaft ist. Zwar ist eine solche binnen einem Monat nach der Zustellung oder formloser Mitteilung der Entscheidung einzulegen (§ 93 Abs. 1 BVerfGG); jedoch handelt es sich bei dieser Frist nicht um eine solche nach § 35 Abs. 2 Satz 2. Diese Vorschrift bezieht sich nur auf strafprozessuale Fristbestimmungen.56 Das gilt gleichermaßen für die Fristenregelung für eine Individualbeschwerde nach Art. 35 Abs. 1 MRK. Die formlose Mitteilung erfolgt durch Übersendung einer Ausfertigung oder Abschrift 23 der Entscheidung, wobei in geeigneten Fällen auch ihr Inhalt schriftlich mitgeteilt wird. Die Ladung des Angeklagten zu einem außerhalb der Hauptverhandlung bestimmten Fortsetzungstermin bedarf stets einer schriftlichen Bekanntmachung, wenn die Ladungsmitteilung unmittelbar an den Angeklagten gerichtet ist. Sofern sich diese jedoch an den Verteidiger richtet, enthält § 145a insoweit eine besondere Regelung, die auch eine fernmündliche Mitteilung nicht ausschließt.57 Die mündliche Eröffnung und Beurkundung durch den Urkundsbeamten ist nicht zulässig.58 Auch die fernmündliche Eröffnung eines

51

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OLG Düsseldorf MDR 1960 603; Nöldeke NStZ 1991 52; H. J. Wagner NStZ 1991 201; LR/Graalmann-Scheerer 25 § 171, 10. LR/Graalmann-Scheerer 25 § 171, 10 und § 172, 110. LR/Graalmann-Scheerer 25 § 172, 110 m.w.N. BGBl. I S. 475. Rieß/Hilger NStZ 1987 145, 153. So ausdrücklich die Begründung zu Art. 1 Nr. 3 BTDrucks. 10 1313 S. 17.

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BVerfG NStZ 1993 90; BGH NStZ 1984 41 mit abl. Anm. Hilger; BGHSt 38 271, 273; LR/Gollwitzer 25 § 229, 7. Offengelassen von OLG Hamm VRS 57 (1979) 125; a.A. LR/Wendisch 25 23; wie hier SK/Weßlau 19; HK/Lemke 12; MeyerGoßner 12.

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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

Gerichtsbeschlusses durch einen Polizeibeamten ersetzt die Mitteilung nach Absatz 2 nicht.59 Eine früher ergangene Entscheidung kann in einer späteren Verhandlung verkündet werden,60 wenn weder ihre Verkündung noch ihre Zustellung notwendig war. Die Verkündung ersetzt dann die formlose Mitteilung,61 die in jeder Form, also auch derjenigen der Verkündung, zulässig ist. 6. Pflicht zum Vorlesen (Absatz 3)

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a) Ein Schriftstück muss auf Verlangen nur dem nicht auf freiem Fuß Befindlichen vorgelesen werden. Damit wird jede Form der Freiheitsentziehung im weitesten Sinne umfasst, also jede Anordnung, die den davon Betroffenen in seiner persönlichen Freiheit und der Wahl seines Aufenthaltsorts beschränkt.62 Eine solche Freiheitsentziehung liegt vor, wenn dem Zustellungsempfänger die Freiheit durch behördlichen Akt der öffentlichen Gewalt wider seinen Willen oder wider den Willen des Personensorgeberechtigten entzogen ist. Beruht die Freiheitsentziehung auf dem Willen des Vormunds eines Volljährigen oder Minderjährigen oder des Betreuers eines Volljährigen, so treten zufolge der Notwendigkeit der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung (§§ 1631b, 1906b Abs. 2 BGB) die öffentlich-rechtlichen Elemente der Vormundschaft so in den Vordergrund, dass auch eine solche Unterbringung als Freiheitsentziehung anzusehen ist.63 Demzufolge geht der Begriff „nicht auf freiem Fuß“ über die Begriffe des Gefangenen und auf behördliche Anordnung Verwahrte (§§ 120, 121 StGB) hinaus und deckt sich mit dem Begriff des von einer Freiheitsentziehung Betroffenen i.S. des Art. 104 GG.

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b) Sofern dem Verlangen des nicht auf freiem Fuß Befindlichen auf Vorlesen des zugestellten Schriftstücks nicht entsprochen worden ist, berührt dies die Wirksamkeit der Zustellung nicht. Das Vorlesen obliegt dem Zustellungsbeamten, einem Anstaltsbeamten oder dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, in dessen Bezirk die Anstalt liegt. Bei Zweifeln hat das Gericht, dessen Entscheidung zugestellt wird, darüber zu bestimmen und kann mit dem Vorlesen, wenn ihm das Landesrecht nicht andere Beamte dafür zur Verfügung stellt, einen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder sonstigen Mitarbeiter des Gerichts beauftragen. Nach dem Wortlaut des Absatzes 3 ist das Vorlesen nur für den Fall der förmlichen 26 Zustellung (Absatz 2 Satz 1) vorgeschrieben. Da aber Absatz 2 Satz 2, der die formlose Mitteilung betrifft, erst später eingefügt worden ist, liegt es nahe, ein Redaktionsversehen dahin anzunehmen, dass in Absatz 3 die Ausdehnung auf formlose Mitteilungen versehentlich unterblieben ist. Wenn der Gesetzgeber eine Fürsorge für Menschen mit Lese- und/oder Sehschwäche für angebracht hält, so besteht sie bei allen gerichtlichen Entscheidungen jedenfalls dann, wenn der Verwahrte selbst der Zustellungsempfänger ist. Wird er nur von einer Zustellung an den Verteidiger unterrichtet (§ 145a Abs. 3 Satz 1), besteht keine Pflicht zum Vorlesen nach Absatz 3. In der Praxis wird in aller Regel kein Vorlesen der Entscheidung verlangt. Ein solches 27 Verlangen ist aber neben der Verwahrung Voraussetzung für die Pflicht zum Vorlesen der Entscheidung. Eine Belehrung über diese Voraussetzungen ist nicht vorgeschrieben. Die meisten nicht auf freiem Fuß Befindlichen werden die Voraussetzungen der Regelungen 59 60 61 62

LG Hildesheim NdsRpfl.1988 251. Feisenberger 3; KMR/Paulus 11. BGHSt 15 385. BGHSt 4 309; 13 212.

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Vgl. für den Zustand vor dem Familienrechtsänderungsgesetz BVerfGE 10 324 = NJW 1960 813; OLG Hamm NJW 1960 2239.

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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung

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nicht kennen. Die Leitung der verwahrenden Einrichtung wird daher von Amts wegen und nicht nur auf Antrag – ggf. auch zu einem späteren Zeitpunkt – dafür Sorge zu tragen haben, dass in den eher seltenen Fällen, in denen die Notwendigkeit besteht, einem kranken, sehbehinderten, des Lesens nicht kundigen oder sonst behinderten Empfänger eingehende Schriftstücke vorgelesen werden. Zusätzlich ist – auch über Art.6 Abs. 3a und e MRK hinaus – die Übersetzung zu veranlassen, wenn der Verwahrte (Rn. 25) der deutschen Sprache nicht so mächtig ist, dass er auch das oft nur schwer verständliche Amtsdeutsch verstehen kann. Dafür hat – auch ohne besondere Vorschrift – ebenfalls das Gericht im Rahmen der ihm obliegenden Fürsorgepflicht zu sorgen, wenn ihm dieser Umstand bekannt ist. Sofern der Verwahrte dauernd Beistand der Vertretung seines Landes hat, kann die Übersetzung unterbleiben, wenn nicht eine Fristversäumung droht. 7. Übersetzung von Entscheidungen. Eine der deutschen Sprache nicht mächtige 28 Person hat einen Anspruch darauf, dass eine sie betreffende gerichtliche Entscheidung bei Verkündung von einem Dolmetscher übersetzt wird.64 Einen Anspruch auf eine schriftliche Übersetzung einer mündlich durch Verkündung unter Mitwirkung eines Dolmetschers bereits bekannt gemachten Entscheidung hat die davon betroffene sprachunkundige Person grundsätzlich nicht.65 Eine Ausnahme gilt aber regelmäßig dann, wenn die von der Entscheidung betroffene sprachunkundige Person auf eine schriftliche Übersetzung für ihre weitere Verteidigung angewiesen ist.66 Die Einlegung einer Berufung 67 oder Revision 68 begründet für sich genommen noch keinen Anspruch auf eine schriftliche Übersetzung des angefochtenen Urteils. Eine angefochtene Entscheidung wird jedoch dann in schriftlicher Übersetzung bekannt zu machen sein, wenn der sprachunkundigen Person ausnahmsweise kein Verteidiger beigeordnet ist oder auch sonst nicht ersichtlich ist, dass sie Kenntnis von dem Inhalt der Entscheidung erlangt. Andernfalls wäre sie in der Wahrnehmung ihrer prozessualen Rechte beeinträchtigt (z.B. §§ 317, 344, 345). Bei Abwesenheitsurteilen ist einer der deutschen Sprache unkundigen Person die sie betreffende Entscheidung, sofern ein Verteidiger nicht mitwirkt, mit schriftlicher Übersetzung in einer ihr verständlichen Sprache bekannt zu machen.69 Im Zuge der Erweiterung der Europäischen Union und der zunehmenden Migration 29 nimmt die Anzahl der Strafverfahren in der Praxis stetig zu, in denen der Beschuldigte die dem Verfahren zugrunde liegende Sprache nicht spricht oder versteht. Zwar bestehen im deutschen Strafverfahrensrecht vielfältige Vorschriften, die die Verfahrensrechte von sprachunkundigen betroffenen Personen auch im Lichte der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sichern. Die Aufstellung von Rechtsgrundsätzen zur Übersetzung von Entscheidungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wäre nicht nur für 64 65

EuGH NJW 1978 477. BVerfGE 64 135, 150 = NJW 1983 2763 = JZ 1983 659 mit Anm. Rüping; BGH GA 1981 262; OLG Düsseldorf JZ 1985 200; OLG Frankfurt NJW 1980 1238; OLG Hamburg NJW 1978 2462; OLG Hamm StV 1990 101 mit Anm. Kühne; OLG Stuttgart NStZ 1981 225; KK/Maul 22; SK/Weßlau 23; HK/Lemke 14; AK/Kirchner 21; kritisch Pfeiffer 4 (das Gericht hat mindestens allen zuzustellenden oder mitzuteilenden Schrift-

66 67 68 69

stücken eine Übersetzung beizufügen, sofern dem Beschuldigten kein Dolmetscher beigegeben wurde); Strate AnwBl. 1980 15; Sieg MDR 1981 281; Römer NStZ 1981 474; Esser 515 f. Römer NStZ 1981 474. OLG Stuttgart MDR 1983 256. OLG Stuttgart NStZ 1981 225; a.A. Sieg MDR 1983 636. Meyer-Goßner 27; a.A. OLG Köln VRS 63 (1982) 457; OLG Stuttgart Justiz 1986 307.

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die konkrete Anwendung des nationalen Strafverfahrensrechts hilfreich, sondern auch ein Beitrag auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahrensrecht und einheitlichen Standards in der Europäischen Union insoweit.70

§ 35a 1Bei der Bekanntmachung einer Entscheidung, die durch ein befristetes Rechtsmittel angefochten werden kann, ist der Betroffene über die Möglichkeiten der Anfechtung und die dafür vorgeschriebenen Fristen und Formen zu belehren. 2Ist gegen ein Urteil Berufung zulässig, so ist der Angeklagte auch über die Rechtsfolgen des § 40 Abs. 3 und der §§ 329, 330 zu belehren.

Schrifttum. Heldmann Ausländer und Strafjustiz, StV 1981 251; F. Meyer Willensmängel beim Rechtsmittelverzicht des Angeklagten im Strafverfahren (2003); J. Meyer „Die Gerichtssprache ist deutsch“ – auch für Ausländer, ZStW 93 507; Nöldeke Plädoyer für eine ausführliche Rechtsmittelbelehrung im Falle der Verwerfung einer verspäteten oder nicht formgerechten Revision nach § 346 I, 349 I StPO, NStZ 1991 70; Schrader Wiedereinsetzung und Rechtsmittelbelehrung (§§ 35a, 45 StPO), NStZ 1987 447; Warda Um die Rechtsmittelbelehrung im Strafprozeß, MDR 1957 717.

Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift wurde durch Art. 4 Nr. 5 des 3. StRÄndG zugleich mit der Streichung von § 268 Abs. 4 (Rechtsmittelbelehrung bei Urteilen) durch Art. 4 Nr. 31 eingefügt. Sie wurde durch Art. 1 Nr. 3 StVÄG 1987 um Satz 2 ergänzt.

Übersicht Rn. 1. Bedeutung der Vorschrift . . . . . . . . 2. Anwendungsvoraussetzungen a) Bekanntmachung . . . . . . . . . . b) Entscheidung . . . . . . . . . . . . c) Befristetes Rechtsmittel . . . . . . . 3. Belehrungsadressat a) Betroffener . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzlicher Vertreter . . . . . . . . c) Erziehungsberechtigter . . . . . . . 4. Form der Belehrung a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Mündliche Belehrung . . . . . . . . c) Schriftliche Belehrung . . . . . . . . d) Unklarheiten . . . . . . . . . . . . e) Sprachunkundiger Belehrungsadressat

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.

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Rn. 5. Inhalt der Belehrung a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . b) Frist der Anfechtung . . . . . . . . . c) Form der Anfechtung . . . . . . . . . d) Erweiterung bei öffentlicher Zustellung (Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Qualifizierte Belehrung . . . . . . . . 6. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 7. Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . 8. Verzicht auf die Rechtsmittelbelehrung . . 9. Belehrungsmängel a) Unterbliebene Belehrung . . . . . . . b) Unvollständige Belehrung . . . . . . . c) Falsche Belehrung . . . . . . . . . . . d) Widersprüchliche Belehrung . . . . . .

Zur Rechtsprechung des EGMR LR/Gollwitzer 25 Art. 6, 243 ff. MRK.

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21 22 23 25 28 29 30 34 36 41 43 45

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Alphabetische Übersicht Abwesenheitsurteil 11 Anfechtung 22 – Form 23 – Frist 22 Angeklagter 9 Angeschuldigter 9 Anwendungsvoraussetzungen 2 ff. Bedeutung 1 Bekanntmachung 2 Belehrung – allgemeine 14 – falsche 43, 44 – Grundsatz 21 – Inhalt 21 – mündliche 15, 30 – Nachholung 16 – Protokollierung 32 – qualifizierte 28, 31 – Rechtsmittel 24 – schriftlich 18, 33 – unterbliebene 36 – unterbliebene qualifizierte 37, 39, 40 – unvollständige 41 – Verzicht 34, 35 – widersprüchliche 45 Belehrungsadressat 8 – sprachunkundiger 20 Belehrungsmängel 36 ff. Belehrungspflicht 26 Berufung 21 Beschluss 6 Beschuldigter 9 Beschwerde 21 Betroffener 8, 9 Bußgeldverfahren 8 Dokumentation 30 Einziehungsbeteiligter 9 Entscheidung 3 Erziehungsberechtigter 11

Frist der Anfechtung 22 Form der Anfechtung 23 Fürsorgepflicht 19 Gesetzlicher Vertreter 10, 11 Jugendlicher 11, 12 Jugendstrafverfahren 11 Juristische Person 9 Merkblatt 17 Mitwirkungspflicht 1 Nebenkläger 9, 24 Öffentliche Zustellung 25 Personenvereinigung 9 Privatkläger 9 Protokollierung 32 Qualifizierte Belehrung 28 – Inhalt 31 – Protokollierung 32 – unterbliebene 37, 39, 40 – Verzicht 35 Rechtsmittel 3 f., 7, 21 Rechtsmittelbelehrung 15, 24 – mündlich 15, 16 – schriftlich 18, 33 – Verzicht 34, 35 Revision 21 Sachverständiger 9 Sofortige Beschwerde 6 Staatsanwaltschaft 8 Urteil – freisprechendes 5 – Verkündung in Abwesenheit 11 Verfügung 6 Wesentliche Förmlichkeiten 30 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 24, 27, 38 Zeuge 9 Zulässigkeitsvoraussetzungen 24 Zuständigkeit 29 Zustellung 20 Zustellungsmängel 27

1. Bedeutung der Vorschrift. Sinn und Zweck der Vorschrift besteht darin, dem 1 Betroffenen einen möglichst effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten 1 und ihn namentlich vor nachteiligen Folgen seiner Rechtsunkenntnis zu schützen.2 Die Vorschrift greift daher dann nicht Platz, wenn der Betroffene die Erteilung der Rechtsmittelbelehrung bewusst vereitelt, weil ein solches Verhalten einem wirksamen Verzicht auf die Belehrung gleich kommt.3 Eine Erweiterung enthält Satz 2, durch den in Verfahren über die Berufung des Angeklagten die Zulässigkeit einer öffentlichen Zustellung erweitert wird (§ 40). Mit dieser Erweiterung wird der Angeklagte dazu angehalten, bei einer von ihm eingelegten Berufung dafür Sorge zu tragen (Mitwirkungspflicht), dass ihm Ladungen zur Berufungshauptverhandlung oder andere Entscheidungen unter einer bestimmten Anschrift zugestellt werden können, wenn er nicht eine öffentliche Zustellung nach § 40

1

BVerwG MDR 1976 604; Schrader NStZ 1987 448.

2 3

Warda MDR 1957 717. OLG Düsseldorf MDR 1990 652.

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Abs. 3 in Kauf nehmen will. Um den Angeklagten nicht mit einer solchen für ihn nachteiligen Möglichkeit zu überraschen, ist es aus rechtsstaatlichen Gründen erforderlich, ihn darüber zu belehren.4 2. Anwendungsvoraussetzungen

2

a) Bekanntmachung ist die Verkündung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 (§ 35, 6 ff.) und die Zustellung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 (§ 35, 18).

3

b) Der Begriff Entscheidung knüpft an § 33 (§ 33, 4 ff.), § 34 (§ 34, 3 ff.; 7 ff.) und § 35 (§ 35, 3) an, wird aber dadurch eingeschränkt, dass sich die Vorschrift nur auf solche Entscheidungen bezieht, die durch ein befristetes Rechtsmittel (§ 34 betrifft auch unbefristete) angefochten werden können.

4

c) Durch ein befristetes Rechtsmittel sind erstinstanzliche Urteile des Strafrichters und der Schöffengerichte, der Strafkammern, auch als Schwurgerichte (§ 333), und der Oberlandesgerichte (§ 120 Abs. 1 und 2, § 120a GVG) sowie Berufungsurteile der Strafkammern (§ 74 Abs. 3 GVG) anfechtbar. Gegen Urteile des Strafrichters und der Schöffengerichte ist die Berufung (§ 312) bzw. (Sprung-)Revision (§§ 333, 335) statthaft. Freisprechende Urteile sind mit sofortiger Beschwerde anfechtbar, wenn die Auslagen 5 der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeklagten nicht der Staatskasse (§ 467 Abs. 1 ) auferlegt worden sind (§ 464 Abs. 3). Dabei kann nur eine falsche Anwendung des § 467 Abs. 2 und 3 gerügt werden, nicht aber, wenn das Gericht den Angeklagten als nicht überführt angesehen hat, Freispruch wegen dar getaner Unschuld 5 und bei Freispruch wegen Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) ein solcher wegen fehlender Tatbestandserfüllung 6 begehrt wird. Auch der Freispruch wegen Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) kann nicht angefochten werden,7 so dass in diesen Fällen eine Rechtsmittelbelehrung nicht geboten ist. Bei unterlassener Kostenentscheidung über seine notwendigen Auslagen ist der Nebenkläger nach dem Freispruch des Angeklagten über die Möglichkeit der Einlegung der sofortigen Beschwerde nach § 464 Abs. 3 zu belehren.8 Mit befristetem Rechtsmittel sind ferner von den Gerichten im ersten Rechtszug oder 6 im Berufungsverfahren erlassene Beschlüsse oder Verfügungen des Vorsitzenden, des Strafrichters und eines beauftragten oder ersuchten Richters und des Richters im vorbereitenden Verfahren (§ 304 Abs. 1), gegen die das Gesetz ausdrücklich die sofortige Beschwerde (§ 311) zulässt.9 Dazu zählt auch der Kostenfestsetzungsbeschluss (§ 464b). Gegen die Entscheidung des Rechtspflegers (§ 11 Abs. 1 RPflG) ist das nach den allge-

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BTDrucks. 10 1313 S. 18; Meyer-Goßner 16; § 40, 5. BVerfGE 6 7 = NJW 1956 1833; BGHSt 7 153; 13 177. BGHSt 16 374. BVerfGE 28 159; BGHSt 5 268; 16 374, 378. OLG Koblenz NStZ 1989 291; OLG Hamm MDR 1996 643. § 28 Abs. 2 Satz 1, § 46 Abs. 3, § 81 Abs. 4 Satz 1; § 111g Abs. 2 Satz 2; § 124 Abs. 2 Satz 2, § 138d Abs. 6 Satz 1, § 206a Abs. 2, § 206b Satz 2, § 210 Abs. 2, § 225a Abs. 3

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Satz 3 i.V.m. § 210 Abs. 2, § 231a Abs. 3 Satz 3, § 270 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 210 Abs. 2, § 322 Abs. 2, § 372 Satz 1, § 379 Abs. 3 Satz 2, § 383 Abs. 2 Satz 3, § 408 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 210 Abs. 2, § 411 Abs. 1 Satz 1, § 431 Abs. 5 Satz 2, § 441 Abs. 2, § 453 Abs. 2 Satz 3, § 454 Abs. 3 Satz 1, § 454 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 453 Abs. 2 Satz 3, § 462 Abs. 3, § 463 Abs. 2 i.V.m. § 453 Abs. 2 Satz 3, § 463 Abs. 3 i.V.m. § 454 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1, § 464 Abs. 3 Satz 1; § 181 Abs. 1 GVG.

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meinen Vorschriften gegebene Rechtsmittel, im Strafverfahren die sofortige Beschwerde, statthaft.10 Keine Rechtsmittel sind der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 7 (§§ 44, 45) 11, der Antrag auf Entscheidung des Rechtsmittelgerichts bei Verwerfung einer verspäteten Berufung (§ 319 Abs. 2 Satz 1) oder Revision (§ 346 Abs. 2 Satz 1) sowie der Einspruch gegen einen Strafbefehl (§ 410 Abs. 1 Satz 1). Doch ist in den Hauptfällen § 35a entsprechend anzuwenden (vgl. § 235 Satz 2, § 319 Abs. 2 Satz 3, § 346 Abs. 2 Satz 3, § 409 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7).12 Über sein Recht, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung zu beantragen, ist der Angeklagte in den Fällen des § 235 Satz 2, § 329 Abs. 3 und § 412 Satz 1 i.V.m. § 329 Abs. 3 zu belehren.13 In Haftsachen ist eine besondere Rechtsbehelfsbelehrung vorgeschrieben (§ 115 Abs. 4). 3. Belehrungsadressat a) Betroffener ist, wer gegen eine Entscheidung, die ihm bekannt zu machen ist, ein 8 befristetes Rechtsmittel einlegen kann. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Betroffene durch einen Rechtsanwalt vertreten ist. Er soll sich vielmehr selbst ein Bild von seinen Möglichkeiten machen können. Auch die Tatsache, dass der Betroffene im Einzelfall als rechtskundig bekannt ist, befreit nicht von der Belehrungspflicht, kann aber einer Wiedereinsetzung entgegen stehen (§ 44, 25, 53). Eine Einschränkung ergibt sich aus § 44 Satz 2. Danach ist die Versäumung einer Rechtsmittelfrist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung unterblieben ist. Eine solche Kausalität ist undenkbar bei der Staatsanwaltschaft. Keine praktische Bedeutung hat die Thematik seit der Streichung der Nebenklagebefugnis des Bundespräsidenten (§ 90 StGB) und der betroffenen Verfassungsorgane (§ 90b StGB) von § 395 Abs. 2 Nr. 2 a.F. durch Art. 1 Nr. 11 Buchst. b) aa) des Opferrechtsreformgesetzes vom 24.6.2004 14 für den Bundespräsidenten und die in § 90 StGB genannten Verfassungsorgane oder deren Mitglieder. Betroffen ist im Bußgeldverfahren auch die zur Einlegung von Rechtsmitteln berechtigte Verwaltungsbehörde.15 Mithin besteht ihr gegenüber eine Belehrungspflicht. Betroffene sind danach: der Privatkläger (§ 390 Abs. 1 Satz 1), der Nebenkläger 9 (§ 401 Abs. 1 Satz 1), der Beschuldigte, Angeschuldigte und Angeklagte (§ 296 Abs. 1), der Einziehungsbeteiligte (§ 431 Abs. 5 Satz 2; § 433 Abs. 1; § 439 Abs. 1, § 440 Abs. 3, § 441 Abs. 2), die juristische Person oder Personenvereinigung bei Festsetzung von Geldbußen (§ 444), wer für den Beschuldigten Sicherheit geleistet hat und nach § 124 Abs. 2 Satz 1 gehört ist, Zeugen, Sachverständige und bei der Verhandlung nicht beteiligte Personen, gegen die ein Ordnungsgeld oder Ordnungshaft verhängt worden ist (§ 178 GVG). b) Gesetzlicher Vertreter. Da die Rechtsmittelbelehrung nur im Zusammenhang mit 10 einer Bekanntmachung zu ergehen hat, entfällt sie gegenüber dem gesetzlichen Vertreter

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12

BGHSt 48 106; Meyer-Goßner § 464b, 7. OLG Bremen GA 1957 87; OLG Hamm VRS 63 (1982) 362; KK/Maul § 44, 1; MeyerGoßner § 44, 1. Nöldeke NStZ 1987 71; KK/Maul 4; KMR/Paulus 6; a.A. Heyland JR 1977 404; vgl. Schrader NStZ 1987 447, der die feh-

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lende Belehrung in § 45 für ein Redaktionsversehen hält. SK/Weßlau 4; KK/Maul 4; KMR/Paulus 6; vgl. auch Nr. 142 Abs. 3 Satz 2 RiStBV. BGBl. I S. 1354. BayObLGSt 1966 90 = NJW 1967 123.

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(§ 298), solange ihm die Entscheidung nicht bekannt zu machen ist. Dieser Fall tritt erst ein, wenn er sich durch Einlegen von befristeten Rechtsmitteln am Verfahren beteiligt hat. Alsdann wird er Betroffener i.S. des § 35a.

11

c) Erziehungsberechtigter. Im Jugendstrafverfahren gilt für den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertreter von Jugendlichen (§ 67 Abs. 2 JGG) nichts Abweichendes. Er erhält zwar entsprechende Mitteilungen wie der Jugendliche, wird aber erst dann Verfahrensbeteiligter, wenn er von seinen besonderen Rechten (§ 67 Abs. 1 und 3 JGG) Gebrauch macht. Ist er bei der Urteilsverkündung anwesend, so ist er über das Rechtsmittel des Jugendlichen und über sein eigenes Rechtsmittel zu belehren. Bei Verkündung des Urteils in Abwesenheit des Jugendlichen ist letzterem, dem gesetzlichen Vertreter und dem Erziehungsberechtigten das Urteil mit Rechtsmittelbelehrung zuzustellen. Der Erziehungsberechtigte und der gesetzliche Vertreter sind dabei darauf hinzuweisen, dass sie nur innerhalb der für den Angeklagten laufenden Frist von dem Rechtsmittel Gebrauch machen können (§ 67 Abs. 3 JGG i.V.m. § 298 Abs. 1). Ist nur der Jugendliche bei der Urteilsverkündung anwesend, so wird dieser belehrt. 12 Es ist dann Sache des Erziehungsberechtigten, sich um die Rechtsmittelmöglichkeiten zu kümmern. Das wird er tun, wenn er zwar Interesse an der Hauptverhandlung hatte, aber an der Teilnahme gehindert war. Ist er aus mangelndem Interesse fern geblieben, so besteht kein Anlass, ihn zu belehren.16 Teilt allerdings das Gericht dem Erziehungsberechtigten das in Gegenwart des Angeklagten verkündete Urteil mit, wozu nach § 67 Abs. 2 JGG keine Verpflichtung besteht,17 dann wird der Erziehungsberechtigte durch die Mitteilung Betroffener und ist über das dem Jugendlichen und über das ihm selbst zustehende Rechtsmittel zu belehren. Die Belehrung hat jedoch zu unterbleiben, wenn sie deshalb sinnlos ist, weil die Rechtsmitteleinlegungsfrist bei Mitteilung des Urteils schon abgelaufen ist (§ 67 Abs. 3 JGG i.V.m. § 298 Abs. 1). Erachtet das Gericht es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls für erwünscht, dass der in der Hauptverhandlung abwesend gebliebene Erziehungsberechtigte auf jeden Fall von dem Urteil Kenntnis erlangt, etwa wegen zu erwartender ausländerrechtlicher Folgen, und die Einlegung eines Rechtsmittels erwägt, so muss es ihm das Urteil rechtzeitig vor Ablauf der Rechtsmitteleinlegungsfrist zustellen oder wenigstens den Tenor mitteilen und ihn dabei über das Rechtsmittel belehren. Es ist selbstverständlich, dass eine etwa dem Erziehungsberechtigten oder gesetzlichen 13 Vertreter zu erteilende Rechtsmittelbelehrung entfällt, wenn der Jugendliche zwischenzeitlich volljährig geworden ist.18 4. Form der Belehrung

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a) Allgemeines. Die Belehrung obliegt dem Gericht, das die bekannt zu machende Entscheidung erlassen hat,19 nicht der Staatsanwaltschaft. § 35a sagt nichts über die Art und Weise der Belehrung. Sie steht dem Gericht daher frei.20 Da sie jedoch mit der 16

BGHSt 18 25; OLG Stuttgart NJW 1960 2353; KK/Maul 7; Meyer-Goßner 4; SK/Weßlau 7; AK/Kirchner 5; KMR/Paulus 8; Potrykus NJW 1954 1836; Eisenberg § 67, 22 JGG; a.A. – gesetzliche Vertreter und Erziehungsberechtigte sind stets Betroffene – Eb. Schmidt 8; BayObLGSt 1954 51 = NJW 1954 1378; Ostendorf § 67, 8 JGG.

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BayObLG DRiZ 1928 196. BGH NJW 1956 1607. OLG Hamm NJW 1954 812; OLG Schleswig SchlHA 1955 227. OLG Stuttgart MDR 1990 74.

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Bekanntmachung (§ 35) verbunden ist („bei der Bekanntmachung“), wird sie dieser regelmäßig in der Form, wenn auch nicht notwendigerweise, folgen. b) Mündliche Belehrung. Das Gericht wird bei Entscheidungen, die es in Anwesen- 15 heit des Betroffenen bekannt macht, in der Regel mündlich belehren, ansonsten schriftlich. Ist die mündliche Bekanntmachung der Entscheidung vorgesehen, so muss die Belehrung auch dann erteilt werden, wenn sich der Betroffene (Angeklagter, Privatkläger, Nebenkläger) zwar nach der Urteilsverkündung, aber vor der Rechtsmittelbelehrung entfernt hat. Das OLG Koblenz meint, dass in einem solchen Fall eine mündliche Belehrung ent- 16 falle, das Gericht aber verpflichtet sei, die Belehrung schriftlich nachzuholen.21 Dieser Ansicht kann nur für Verfahren zugestimmt werden, in denen neben dem Staatsanwalt nur ein weiteres Prozesssubjekt, nämlich der Angeklagte, beteiligt ist und das Gericht wegen der Entfernung des Angeklagten auf eine Belehrung verzichtet hat. Richtet sich das Verfahren hingegen gegen mehrere Angeklagte oder sind an ihm andere Betroffene (Nebenkläger) beteiligt, ist eine mündliche Rechtsmittelbelehrung schon deshalb erforderlich. Die mündlich erteilte Rechtsmittelbelehrung entfaltet dann auch voll ihre Wirkung mit der Folge, dass der Angeklagte nicht mit der Behauptung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsmitteleinlegungsfrist verlangen kann, ihm sei keine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden (§ 44 Satz 2).22 Wer die Kenntnisnahme einer tatsächlich erfolgten Belehrung dadurch verhindert, dass er sich vor ihrer Bekanntgabe entfernt, muss sich die Unkenntnis als eigenes Verschulden zurechnen lassen. Wird der Betroffene mündlich belehrt, so kann der Vorsitzende wegen der Einzel- 17 heiten auf ein Merkblatt verweisen, das jenem ausgehändigt wird (Nr. 142 Abs. 1 Satz 2 RiStBV). Die Aushändigung des Merkblatts macht jedoch die Belehrung nicht überflüssig.23 Ist der zu Belehrende nicht anwaltlich vertreten, so reicht eine mündliche Belehrung allein regelmäßig nicht aus. Vielmehr folgt aus der richterlichen Fürsorgepflicht, dass dem Betroffenen wegen der Einzelheiten der Belehrung ergänzend ein Merkblatt auszuhändigen ist.24 Denn der Betroffene ist durch die Verhandlung und den Urteilsspruch oft so aufgeregt und infolgedessen nur eingeschränkt in der Lage, das gesprochene Wort zu verstehen und aufzunehmen. Die Belehrung ist im Protokoll über die Hauptverhandlung zu vermerken (Nr. 142 Abs. 1 Satz 4 RiStBV).25 Wird zusätzlich ein Merkblatt ausgehändigt, sollte das – da es mehrere Merkblätter gibt mit der Bezeichnung (Umdrucknummer) des Merkblatts – ebenfalls im Protokoll angegeben werden. c) Schriftlich. Die schriftliche Belehrung wird zweckmäßigerweise in den Text der 18 Entscheidung eingefügt, entweder hinter den Tenor oder mit der besonderen Überschrift „Rechtsmittelbelehrung“ im Anschluss an die Entscheidungsgründe. Es ist zulässig und zur Vermeidung unvollständiger und damit fehlerhafter Belehrungen angebracht, Merkblätter zu verwenden (Nr. 142 Abs. 3 Satz 1 RiStBV). Geschieht dies, muss das Merkblatt mit seiner Bezeichnung (Umdrucknummer) als Gegenstand der Zustellung in der

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NStZ 1991 42 unter Bezugnahme auf Kleinknecht/Meyer 39 § 35a, 7. KG NJW 1955 565. Vgl. aber Pfeiffer 2. BVerfG NJW 1996 1811; KG VRS 82 (1992) 194; OLG Düsseldorf VRS 96 (1999) 111;

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OLG Hamm VRS 59 (1980) 347; OLG Köln OLGSt § 35a StPO, 1; OLG Saarbrücken NJW 2003 2182; OLG Zweibrücken OLGSt § 44 StPO, 51; Wendisch NStZ 1986 234; SK/Weßlau 12; AK/Kirchner 9. OLG Hamm VRS 59 (1980) 347.

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Zustellungsurkunde vermerkt werden (Nr. 142 Abs. 3 Satz 1 RiStBV), damit der Nachweis über den Inhalt der Belehrung geführt werden kann.26

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d) Unklarheiten. Ergibt sich aus einer Erklärung des Betroffenen, dass er die Belehrung nicht oder falsch verstanden hat, gebietet die richterliche Fürsorgepflicht in der Regel die Wiederholung. Eine mündlich erteilte Belehrung wird schriftlich zu wiederholen sein.27 Der Richter darf sich aber nicht zum Vormund eines Erwachsenen machen. Er ist auch nicht verpflichtet, einer erkennbaren Sorglosigkeit abzuhelfen. Ob daher ein Hinweis auf den Irrtum und auf bestehende Unterrichtungsmöglichkeiten ausreichend ist, ist letztlich eine Frage des Einzelfalls.

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e) Sprachunkundiger Belehrungsadressat. Ist der Betroffene der deutschen Sprache nicht mächtig, so ist eine ihm in der Hauptverhandlung erteilte Rechtsmittelbelehrung durch einen Dolmetscher (§ 185 Abs. 1 GVG) zu übersetzen (Art. 6 Abs. 3 MRK). Ist ein sprachunkundiger Betroffener – ausnahmsweise – nicht anwaltlich vertreten, so ist ihm neben der Übersetzung der Entscheidung und einer ihm zu erteilenden Rechtsmittelbelehrung durch einen Dolmetscher in der Hauptverhandlung ein Merkblatt mit den Einzelheiten der Belehrung in einer für ihn verständlichen Sprache auszuhändigen.28 Dies gebietet die gerichtliche Fürsorgepflicht. Die Erstellung derartiger Merkblätter in den gängigen Sprachen dürfte für die gerichtliche Praxis ohne Probleme und ohne nennenswerten Kostenaufwand möglich sein. Ein sprachunkundiger, anwaltlich nicht vertretener Betroffener ist insofern nicht anders zu behandeln als ein sprachkundiger Betroffener (vgl. Rn. 17). Wird eine Entscheidung einem sprachunkundigen Betroffenen durch Zustellung bekannt gemacht und enthalten die Akten keinen verlässlichen Hinweis, das er die deutsche Sprache auch ohne Übersetzung (Nr. 181 Abs. 1 RiStBV) versteht, so muss die Rechtsmittelbelehrung – in der Regel in Form eines Merkblatts (vgl. Rn.18) – in einer für ihn verständlichen Sprache beigefügt werden mit dem Hinweis, dass die schriftliche Rechtsmitteleinlegung in deutscher Sprache zu erfolgen hat.29 5. Inhalt der Belehrung

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a) Grundsatz. Die Belehrung muss klar, unmissverständlich und vollständig sein.30 Sie muss die Art des Rechtsmittels – sofortige Beschwerde, Berufung, Revision –, bei Wahlmöglichkeit (§ 335 Abs. 1) diese und die zur Wahl stehenden Rechtsmittel angeben. Die Belehrung ist daher unvollständig, wenn das Gericht den Angeklagten nur über das Rechtsmittel der Revision, nicht aber auch der Berufung belehrt hat, obwohl diese ebenfalls zulässig war 31 oder umgekehrt.32 Auf die Möglichkeit, das Urteil zunächst nur anzufechten und nach Zustellung des Urteils innerhalb der Revisionsbegründungsfrist

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28

29

OLG Düsseldorf NStZ 1986 233 mit zust. Anm. Wendisch. OLG Neustadt GA 1956 92; OLG Hamm JMBlNRW 1963 147; OLG Koblenz MDR 1977 425; KK/Maul 11; AK/Kirchner 12. J. Meyer ZStW 93 (1981) 507, 527; SK/Weßlau 14; a.A. BVerfGE 42 120, 125; OLG Köln VRS 67 (1984) 251; KK/Maul 8; Meyer-Goßner 9; KMR/Paulus 14. BVerfGE 64 149; BGHSt 30 182; BGH 1 StR 222/05 vom 29.6.2005; KG JR 1977 130;

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30 31 32

OLG Frankfurt StV 1987 518; a.A. J. Meyer ZStW 93 (1981) 507, 527 f. (ein in fremder Sprache eingelegtes Rechtsmittel reiche zur Fristwahrung aus; es bestehe eine Pflicht des Gerichts zur Selbstbeschaffung der Übersetzung, wenn es das Schriftstück für erheblich halte, was bei Rechtsmitteln nicht zweifelhaft sein könne). BVerfG StV 1994 113; BGHSt 24 25. BayObLG NJW 1956 1368. Insoweit a.A. KG JR 1977 81.

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§ 35a

endgültig zu wählen,33 braucht, da nicht gesetzlich geregelt, nicht hingewiesen zu werden, doch ist eine Belehrung darüber selbstverständlich zulässig. Ist die Revision statthaft, so ist auch über die Notwendigkeit der Begründung (§ 344) zu belehren. b) Frist der Anfechtung. In der Belehrung sind das für die Einlegung zuständige 22 Gericht,34 die gesetzliche Frist und der Tag ihres Beginns oder Endes, der Hinweis, dass das Rechtsmittel innerhalb der Frist bei Gericht eingegangen sein muss 35 und die Form anzugeben, in der das Rechtsmittel einzulegen ist.36 Die Berechnung des Fristenlaufs bleibt dem Betroffenen überlassen. Dieser hat dabei § 43 Abs. 2 (Fristende an Sonnabenden, Sonntagen oder allgemeinen Feiertagen) bei seiner Fristberechnung selbst zu berücksichtigen. Er braucht nicht darüber belehrt zu werden, dass sich durch jene Bestimmung die Frist verlängert.37 Es bestehen aber auch keine Bedenken, das zu tun. Wenn auch die mündliche Belehrung dadurch wohl unübersichtlich würde, so empfiehlt es sich aber, in die Merkblätter § 43 Abs. 2 mit einer entsprechenden Belehrung aufzunehmen. c) Form der Anfechtung. Der Betroffene ist über die Möglichkeiten zu belehren, die 23 Rechtsmittel schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 306 Abs. 1, § 314 Abs. 1, § 341 Abs. 1) einzulegen.38 Bei der Revision ist über die Form der Begründung durch einen Verteidiger, Rechtsanwalt oder zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 345 Abs. 2) zu belehren. Zur Form gehört auch die Angabe des Gerichts, bei dem das Rechtsmittel einzulegen ist (§ 306 Abs. 1, § 314 Abs. 1, § 341 Abs. 1) oder bei dem es wahlweise auch eingelegt werden kann. Das Gericht ist nach Ort, Straße und Hausnummer zu bezeichnen.39 Befindet sich ein Betroffener, dem zugestellt werden soll, kraft behördlicher Anordnung nicht auf freiem Fuß, so ist er über die Möglichkeiten zu belehren, seine Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts abzugeben, in dessen Bezirk die Anstalt liegt, in der er verwahrt wird und dass die Frist gewahrt ist, wenn das Protokoll innerhalb der Frist aufgenommen wird (§ 299).40 Bei einem sprachunkundigen Ausländer gehört zu einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung auch der Hinweis, dass die schriftliche Rechtsmitteleinlegung in deutscher Sprache erfolgen muss. Soweit ein Rechtsmittel nur bei Vorliegen zusätzlicher besonderer Zulässigkeitsvoraus- 24 setzungen zulässig ist, ist der Betroffene hierüber zu belehren. In den Fällen der Annahmeberufung (§ 313) ist der Angeklagte daher über die zusätzliche besondere Zulässigkeitsvoraussetzung zu belehren. Der Nebenkläger ist über die beschränkte Anfechtbarkeit des Urteils (§ 400 Abs. 1) und des die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnenden Beschlusses (§ 204) zu belehren. Der Betroffene ist von Gesetzes wegen über die Möglichkeiten, Formen und Fristen der Anfechtung durch ein Rechtsmittel zu belehren. Daher braucht sich bei Urteilen, die bei Ausbleiben des Angeklagten (§ 232 Abs. 1, § 329 Abs. 1, § 412 Satz 1) oder des Privatklägers (§ 391 Abs. 3) ergehen, die Rechtsmittelbelehrung nicht 33 34 35

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BGHSt 2 63; vgl. LR/Hanack 25 § 335, 6. BayObLG VRS 50 (1976) 430; OLG Hamburg GA 1962 218. BGHSt 8 106; BVerwG NJW 1970 484; OLG Hamburg GA 1963 348; OLG Saarbrücken NJW 1986 471; NStZ-RR 2002 334. OLG Hamm NJW 1956 1571. BVerfGE 31 390 = NJW 1971 2217; a.A. Weihrauch NJW 1972 243. Nach BGHSt 29 173 soll gegen einen Bußgeldbescheid auch die telefonische Einlegung

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des Einspruchs zulässig sein. Das LG Münster folgert daraus, dass dann auch die Belehrung einen entsprechenden Hinweis enthalten muss (MDR 1986) 1047; vgl. hinsichtlich der telefonischen Einlegung einer Berufung (gegen BGHSt 30 64 = NJW 1981 1627) LG Münster NJW 2005 166. A.A. Warda MDR 1957 520; Meyer-Goßner 10. OLG Bremen MDR 1979 517; LR/Hanack 25 § 299, 9.

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§ 35a

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erstrecken. Da indessen in den genannten Fällen der richtige Gebrauch der Rechtsmittel von der Kenntnis der Wiedereinsetzungsmöglichkeit gegen die Versäumung der Hauptverhandlung abhängt, ist es angebracht, den Angeklagten hierauf hinzuweisen.41 Eine entsprechende Empfehlung enthält Nr. 142 Abs. 3 Satz 2 RiStBV.

25

d) Erweiterung bei öffentlicher Zustellung (Satz 2). Satz 2 soll sicherstellen, dass § 40 Abs. 3 nur nach entsprechender Belehrung über die Rechtsfolgen anwendbar ist. Das Gesetz verzichtet darauf, ausdrücklich festzustellen, dass die öffentliche Zustellung erst angeordnet werden darf, wenn der Angeklagte belehrt worden ist. Das ist deshalb unschädlich, weil sich aus dem Gesamtzusammenhang der §§ 35a und 40 Abs. 3 eindeutig ergibt, dass die (erfolgte) Belehrung Zulässigkeitsvoraussetzung für die öffentliche Zustellung nach § 40 Abs. 3 ist.42 Aufgrund einer umfassenden Belehrung über die Rechtsfolgen des § 40 Abs. 3 und der §§ 329, 330 kann der Angeklagte sein Verhalten auf diese Folgen einstellen. Um sicherzustellen, dass sich der Angeklagte über diese Rechtsfolgen im Klaren ist, erscheint es sachgerecht, ihn auch auf die Folgen der §§ 329, 330 schon im Rahmen der allgemeinen Rechtsmittelbelehrung und nicht erst in der öffentlichen Zustellung hinzuweisen.43 Trotz der Erweiterung der allgemeinen Belehrungspflicht sind dadurch keine Verfah26 rensverzögerungen zu befürchten, weil dem Angeklagten bei Belehrungen nach § 35a regelmäßig ein Merkblatt ausgehändigt wird (vgl. Rn. 17, 20), auf das wegen der Einzelheiten verwiesen werden kann (Nr. 142 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 RiStBV). Die Belehrungspflicht nach § 323 Abs. 1 Satz 2 (Hinweis auf die Folgen des Ausbleibens in der Ladung zur Berufungshauptverhandlung) bleibt durch die Neufassung unberührt. Führen Fehler beim Zustellungsversuch – etwa im postalischen Zustellungsverfahren – 27 dazu, dass das Gericht irrtümlich angenommen hat, die Voraussetzungen des § 40 Abs. 3 lägen vor, so ist dem Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§§ 44, 329 Abs. 3), wenn nicht die öffentliche Zustellung mangels Vorliegens ihrer Voraussetzungen ohnehin unwirksam ist.44

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e) Qualifizierte Belehrung. Nach jedem Urteil, dem eine Urteilsabsprache zugrunde liegt, ist der Rechtsmittelberechtigte, der nach Abs. 1 über ein Rechtsmittel zu belehren ist, stets auch darüber zu belehren, dass er ungeachtet der Absprache und ungeachtet der Empfehlung der übrigen Verfahrensbeteiligten, auch seines Verteidigers, in seiner Entscheidung frei ist, Rechtsmittel einzulegen (qualifizierte Belehrung). Der Rechtsmittelberechtigte ist weiter darauf hinzuweisen, dass ihn eine – etwa im Rahmen einer Urteilsabsprache abgegebene – Ankündigung, kein Rechtsmittel einlegen zu wollen, weder rechtlich noch sonst bindet, dass er also frei ist, gleichwohl Rechtsmittel einzulegen.45

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OLG Hamm NJW 1982 1825 (zu § 319); Schrader NStZ 1987 447; KK/Maul § 45, 18; wegen der vergleichbaren Wahl zwischen Wiedereinsetzung und Entscheidung des Revisionsgerichts Nöldeke NStZ 1991 70. Wegen weiteren Einzelheiten dazu s. Wendisch NStZ 1988 376; SK/Weßlau § 40, 15; a.A. OLG Hamburg NStZ-RR 2000 238; OLG Frankfurt NStE Nr. 2 zu § 40; MeyerGoßner 16.

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BTDrucks. 10 1313 S. 18. BTDrucks. 10 1313 S. 18; vgl. auch OLG Frankfurt NStZ 1988 376 mit Anm. Wendisch; OLG Stuttgart Justiz 1988 215: Wiedereinsetzung bei Verfahrensfortsetzung nach vorläufiger Einstellung gemäß § 153a Abs. 2. BGH NStZ 2005 389 = StV 2005 311 = JR 2005 430 mit Anm. Rieß.

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§ 35a

6. Zuständigkeit. Die Belehrung obliegt dem Gericht, das die bekannt zu machende 29 Entscheidung erlassen hat.46 7. Dokumentation. Die – einfache und qualifizierte – Belehrung gehören zu den wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung und nehmen an der Beweiskraft des Protokolls nach § 274 teil.47 Die mündlich erteilte Belehrung ist daher stets in der Sitzungsniederschrift zu protokollieren (Nr. 142 Abs. 1 Satz 4 RiStBV). Sofern dem Rechtsmittelberechtigten ein Merkblatt mit schriftlicher Rechtsmittelbelehrung ausgehändigt worden ist, ist die genaue Bezeichnung des Merkblatts in der Sitzungsniederschrift zu protokollieren.48 Ist die einfache Belehrung beurkundet, so gilt sie – und zwar gegenüber allen Verfahrensbeteiligten, mithin auch dem Nebenkläger – als erteilt, auch wenn sie tatsächlich unterblieben ist. Gilt die Belehrung durch den Protokollvermerk „Rechtsmittelbelehrung ist erfolgt“ als erwiesen, so muss man daraus aber auch die weitere Folge ziehen, dass mit der Protokollierung der Beweis der Vollständigkeit und Richtigkeit der Belehrung erbracht ist.49 Denn die Beurkundung, der Vorsitzende habe den Angeklagten über das Rechtsmittel belehrt, kann wohl keinen anderen Sinn als den haben, dass er das so getan hat, wie das Gesetz es vorschreibt. Hat eine qualifizierte Belehrung 50 zu erfolgen, so ist nur der Umstand der Belehrung, also dass das Gericht den Angeklagten (und seinen Verteidiger) qualifiziert belehrt hat, in der Sitzungsniederschrift zu protokollieren. Einer Protokollierung des Inhalts der qualifizierten Belehrung bedarf es grundsätzlich nicht. Denn selbst wenn die gebotene qualifizierte Belehrung unterblieben oder mangelhaft gewesen und deshalb ein Rechtsmittelverzicht des Angeklagten nicht wirksam erfolgt ist, kann er noch Rechtsmittel einlegen, jedoch nur innerhalb der Rechtsmitteleinlegungsfrist. Einer unbefristeten Möglichkeit zur Rechtsmitteleinlegung steht entgegen, dass die Frage der Rechtskraft wegen der mit ihr verbundenen weitreichenden Folgen durch eine klare Fristenregelung eindeutig geklärt sein muss und durch die Rechtsmitteleinlegungsfrist geklärt ist. Der Rechtsmittelberechtigte, der auf Rechtsmittel verzichtet hat, nachdem ihm die Rechtsmittelbelehrung ohne qualifizierte Belehrung erteilt worden ist, darf auch nicht besser stehen als derjenige, der keinen Rechtsmittelverzicht erklärt hat.51 Eine Protokollierung des Inhalts der qualifizierten Belehrung kann aber durchaus zweckmäßig sein, um ggf. den Nachweis erbringen zu können, dass der Angeklagte qualifiziert belehrt worden ist. Die Erklärung eines qualifiziert belehrten Angeklagten, auf die Einlegung eines Rechtsmittels zu verzichten, ist wirksam und unwiderruflich, weil sie in voller Kenntnis von Bedeutung und Tragweite des Verzichts abgegeben worden ist.52 Bei schriftlicher Belehrung muss das beigefügte Merkblatt mit der Rechtsmittelbelehrung in der Zustellungsurkunde vermerkt werden (Nr. 142 Abs. 3 Satz 1 RiStBV), damit der Nachweis über die erfolgte Belehrung geführt werden kann.53

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8. Verzicht auf die Rechtsmittelbelehrung. Die Belehrung ergeht zwar im öffentlichen 34 Interesse an einem fairen Verfahren, in dem die sonstigen Verfahrensbeteiligten dem

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OLG Hamm NJW 1954 812; OLG Schleswig SchlHA 1955 227; KK/Maul 5; SK/Weßlau 15; HK/Lemke 4; AK/Kirchner 6. BGH NStZ 2005 389; OLG Düsseldorf NStE Nr. 3 zu § 274. So auch SK/Weßlau 16. KG VRS 102 (2002) 198.

50 51 52 53

BGH NStZ 2005 389 = StV 2005 311. BGH NStZ 2005 389, 390 = StV 2005 311 = JR 2005 430 mit Anm. Rieß. BGH StV 2005 311, 315 = JR 2005 430, 435. OLG Düsseldorf NStZ 1986 233 mit Anm. Wendisch; Meyer-Goßner 8; SK/Weßlau 16; HK/Lemke 6.

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rechtskundigen Staatsanwalt nicht unterlegen sein sollen. Sie liegt aber vornehmlich im privaten Interesse des jeweiligen betroffenen Verfahrensbeteiligten und unterliegt daher seiner Disposition und damit seinem Verzicht.54 Der Verteidiger des Angeklagten kann auf die Erteilung der Rechtsmittelbelehrung verzichten, sofern die ihm erteilte Vollmacht den Verzicht auf Rechtsmittel umfasst.55 Unter dieser Voraussetzung kann als Verzicht sogar dessen Erklärung angesehen werden, er übernehme die Rechtsmittelbelehrung.56 Das Gericht darf nicht auf einen solchen Verzicht hinwirken. Ebenso wenig darf das Gericht der Rechtsmittelbelehrung Formeln anfügen, die zu einer Überlegung vor Gebrauch ermahnen.57 Dass die Rechtsmittelbelehrung in manchen Fällen zu unbegründeten Rechtsmitteln anreizt, hat der Gesetzgeber gewusst, als er die Vorschrift einfügte. Er hat diesen Umstand um der von ihm verfolgten Ziele willen in Kauf genommen. Dieser gesetzgeberischen Entscheidung wird durch eine klare Belehrung ohne Vorbehalte und Ermahnungen Genüge geleistet. Der Verzicht auf die Rechtsmittelbelehrung unterliegt der Protokollierungspflicht.58 Ein Verzicht auf eine gebotene qualifizierte Rechtsmittelbelehrung – etwa als Bestand35 teil einer Urteilsabsprache – ist nicht zulässig. Bei jeder Urteilsabsprache – mit Gesprächen über den Rechtsmittelverzicht oder auch ohne diese, mit oder ohne Aufnahme in die Sitzungsniederschrift – ist dem Angeklagten, der nach Satz 1 über ein Rechtsmittel zu belehren ist, über die hier unverzichtbare Rechtsmittelbelehrung hinaus stets auch eine ebenfalls unverzichtbare qualifizierte Belehrung über seine fortbestehende Rechtsmittelbefugnis zu erteilen,59 die als wesentliche Förmlichkeit zu protokollieren ist (§ 273 Abs. 1) und an der Beweiskraft des Protokolls nach § 274 teilnimmt.60 9. Belehrungsmängel

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a) Die unterbliebene Belehrung ist, anders als in § 172 Abs. 1 Satz 3, ohne Einfluss auf den Fristablauf und auf die Wirksamkeit der Entscheidung.61 Die Folgen einer Fristversäumung können nicht dadurch beseitigt werden, dass die Entscheidung demselben Zustellungsempfänger nochmals bekannt gemacht und dabei die zunächst unterbliebene Rechtsmittelbelehrung nachgeholt wird. Die Gegenansicht 62 wird durch § 44 Satz 2 widerlegt.63 37 Ist die gebotene qualifizierte Belehrung nach einer Urteilsabsprache unterblieben und ist deshalb der Rechtsmittelverzicht des Angeklagten nicht wirksam erfolgt, so kann letzterer noch Rechtsmittel einlegen, allerdings nur innerhalb der Rechtsmitteleinlegungsfrist.64 Einer unbefristeten Möglichkeit zur Rechtsmitteleinlegung steht entgegen, dass 54 55 56 57

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OLG Hamm NJW 1956 1330; OLG Stuttgart MDR 1990 74. OLG Zweibrücken MDR 1978 861. OLG Hamm MDR 1978 337 = VRS 54 (1978) 356. Z.B.: „Die Revision ist, wenn Sie eine solche einlegen wollen“ oder „wenn Sie sich davon Erfolg versprechen“, „innerhalb der Frist von … einzulegen“. OLG Hamm OLGSt § 35a, 9; LR/Gollwitzer 25 § 273, 12. BGH NStZ 2005 389 = StV 2005 311, 315 = JR 2005 430, 435 mit Anm. Rieß. Ebenda.

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62 63 64

BGH NStZ 1984 181; BayObLGSt 1957 157; 1967 68 = GA 1968 55; OLG Frankfurt NJW 1953 1725; OLG Hamm NJW 1955 433; 1963 1791; OLG Saarbrücken NJW 1964 1634; OLG Schleswig SchlHA 1976 28; OLG Bremen MDR 1977 598; OLG Düsseldorf VRS 78 (1990) 460. OLG Neustadt GA 1955 185. OLG Saarbrücken NJW 1964 1633. BGH NStZ 2005 389 = StV 2005 311, 315 = JR 2005 430 mit krit. Anm. Rieß JR 2005 438; BGH wistra 2006 28.

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die Frage der Rechtskraft wegen der mit ihr verbundenen weitreichenden Folgen durch eine klare Fristenregelung eindeutig geklärt sein muss und durch die Rechtsmitteleinlegungsfrist geklärt ist. Im Übrigen darf auch der Rechtsmittelberechtigte, der nach einer Urteilsabsprache auf Rechtsmittel verzichtet hat, nachdem ihm die Rechtsmittelbelehrung ohne qualifizierte Belehrung erteilt worden ist, nicht besser stehen als derjenige, der keinen Rechtsmittelverzicht erklärt hat.65 Eine unterbliebene Rechtsmittelbelehrung nach Satz 1 begründet unwiderlegbar die 38 Annahme einer unverschuldeten Versäumung (§ 44 Satz 2) und gibt damit dem Betroffenen das Recht, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen, wenn ihn das Fehlen der Belehrung gehindert hat, die Frist einzuhalten (§ 44, 65).66 Dieser Grundsatz gilt auch dann, wenn die zunächst unterbliebene Rechtsmittelbelehrung dem Betroffenen nachträglich, aber noch innerhalb der Rechtsmitteleinlegungsfrist zugestellt wird. Wiedereinsetzung ist ihm selbst dann zu gewähren, wenn er die Rechtsmitteleinlegungsfrist noch hätte einhalten können.67 Wiedereinsetzung kann dagegen nicht beanspruchen, wer ungeachtet der fehlenden Belehrung die Frist gekannt, sie aber aus anderen Gründen versäumt hat,68 doch wird Beweis darüber nur erhoben werden, wenn besondere Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Unterlassen der Belehrung für die Versäumung der Frist nicht kausal war. Die Frist ist auch dann versäumt, wenn das Rechtsmittel zwar fristgemäß, aber formfehlerhaft eingelegt ist. Der Betroffene hat dann die Frist mit dem vorgeschriebenen Rechtsmittel versäumt. Es begründet daher die Wiedereinsetzung auch, wenn keine Belehrung über die Form des Rechtsmittels statt gefunden hat und letzteres infolge der insoweit unterbliebenen Belehrung in unzulässiger Form eingelegt worden ist.69 Bei erfolgter Rechtsmittelbelehrung, aber ohne die gebotene qualifizierte Belehrung 39 kommt die gesetzliche Vermutung des § 44 Satz 2 für die unterbliebene qualifizierte Belehrung nicht zur Anwendung.70 Die Vermutung gilt nur für die unterbliebene Rechtsmittelbelehrung nach Satz 1, der die notwendige Kenntnis des Rechtsmittelberechtigten von der zu wahrenden Rechtsmitteleinlegungsfrist effektiv absichern soll.71 Es ist aber nicht geboten, die Vermutung auf die durch Richterrecht geschaffene weitere qualifizierte Belehrung zu erstrecken.72 Denn der Rechtsmittelverzicht eines Betroffenen nach einer Urteilsabsprache wird, und zwar selbst wenn diese unzulässigerweise die Frage eines Rechtsmittelverzichts einbezogen hatte, oftmals darauf beruhen, dass der Betroffene das Ergebnis der Verständigung als dauerhaft akzeptiert und eine Überprüfung der Entscheidung wünscht. Eine abweichende Lösung würde die im Interesse der Rechtssicherheit nicht hinnehmbare Gefahr begründen, Rechtsmittelmöglichkeiten ohne gebotene Fristgrenzen auch nach einem späteren Motivwechsel hinsichtlich der Rechtsmitteldurchführung zu eröffnen.73 Ist die gebotene qualifizierte Belehrung unterblieben, so kann nur demjenigen, der 40 ohne gesetzliche Vermutung glaubhaft machen kann (§ 45 Abs. 2), aufgrund unstatthafter Einwirkungen, etwa weil er entgegen bestehender Informationspflichten, gar wider

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Ebenda. OLG Bremen MDR 1977 597; 1979 517; OLG Hamm MDR 1996 643. OLG Stuttgart NJW 1976 1279. BGH GA 1968 469; BAyObLGSt 1967 69 = GA 1968 55; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1968 196; OLG Celle NdsRpfl. 1972 70 ; OLG Frankfurt MDR 1974 159; NStZ 1988 377; OLG Bremen MDR 1977 597; 1979

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517; OLG Köln VRS 67 (1984) 251; OLG Düsseldorf MDR 1984 71. OLG Hamm NJW 1956 1572. BGH NStZ 2005 389 = StV 2005 311, 315 = JR 2005 430 mit krit. Anm. Rieß JR 2005 438; BGH wistra 2006 28. Ebenda. Ebenda. Ebenda.

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besseres Wissen, zumal vom Gericht, vom Beschreiten eines vorhandenen, von ihm gewünschten Rechtsweges abgebracht worden ist,74 auf Rechtsmittel verzichtet und das Rechtsmittel folglich nicht fristgerecht eingelegt zu haben, weil er sich unverschuldet daran gebunden hielt, Wiedereinsetzung nach § 44 Satz 1 gewährt werden. Die Glaubhaftmachung der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen wird in diesen Fällen in der Praxis nicht einfach sein, denn in der Unkenntnis des Angeklagten oder seines Verteidigers von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs 75 liegt keine Verhinderung im Sinne von § 44 Satz 1.76 b) Die unvollständige Belehrung steht der unterbliebenen gleich,77 wenn die Unvollständigkeit das Fehlen der Belehrung über einen für das Rechtsmittel wesentlichen Punkt herbeiführt, wenn also nur über die Frist und nicht über die Form oder umgekehrt belehrt worden ist; wenn nicht angegeben ist, bei welchem Gericht 78 das Rechtsmittel 79 oder der Antrag auf Entscheidung des Revisions- oder Rechtsbeschwerdegerichts 80 angebracht werden kann, wenn der Hinweis fehlt, dass das Rechtsmittel innerhalb der Frist bei Gericht eingegangen sein muss;81 wenn bei Wahlmöglichkeit nur über die Berufung, nicht aber über die Revision belehrt worden ist;82 wenn im Verfahren nach § 72 Abs. 1 Satz 2 OWiG der Bußgeldrichter die Rechtsmittelbelehrung nur auf die Kosten-, nicht aber auf die Hauptentscheidung erstreckt hat, und zwar gleichgültig, ob die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und 5 OWiG ein Rechtsmittel gegen die Hauptentscheidung statthaft ist;83 oder wenn bei der Rechtsmittelbelehrung eines Ausländers der Hinweis unterblieben ist, dass die schriftliche Rechtsmitteleinlegung in deutscher Sprache vorgenommen werden muss.84 Bezieht sich die Unvollständigkeit nicht auf einen wesentlichen Punkt, so ist im Einzel42 fall zu prüfen, ob es dem Betroffenen nicht möglich war, die Unvollständigkeit durch zumutbares eigenes Tätigwerden zu beseitigen.85 So gehören zwar zur Rechtsmittelbelehrung die Angaben von Ort, Straße und Hausnummer des zuständigen Gerichts. Das Gesetz will aber den Bürger nicht unmündig machen. Wer daher eine Fristversäumung wegen fehlender Anschriftangabe behauptet, wird glaubhaft zu machen haben, dass er keine Möglichkeit gehabt hat, die Anschrift von dem Augenblick an, wo er das Rechtsmittel hat einlegen wollen, bis zum Fristablauf zu ermitteln. Diese Glaubhaftmachung wird angesichts des Umstands, dass die Gerichte inzwischen ganz überwiegend über eine Homepage im Internet verfügen, nur schwer gelingen.

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c) Die falsche Belehrung ist nach den gleichen Grundsätzen zu behandeln, wie die unvollständige. Eine falsche Belehrung liegt auch vor, wenn neben einer mündlichen Belehrung ein Merkblatt ausgehändigt wird, das die richtig erteilte mündliche Belehrung falsch wiedergibt. Denn der Belehrte kann davon ausgehen, dass er die mündliche Beleh74 75 76

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BGHSt 45 227; 47 238. BGH NStZ 2005 389 = StV 2005 311, 315. Ebenda; BGH bei Becker NStZ-RR 2002 66; BGH NStZ 2004 162; wistra 2005 344 f.; wistra 2006 28 f. Für den Fall des § 299 vgl. OLG Bremen MDR 1979 517. BVerfG NJW 1996 1811. OLG Hamburg GA 1962 218. BayObLGSt 1976 19 = JR 1976 217.

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OLG Hamburg GA 1963 348. LG München NJW 1956 1368. OLG Koblenz VRS 56 (1979) 32. BGHSt 30 182; KG JR 1977 129; OLG Düsseldorf MDR 1982 866 = JMBlNRW 1982 187; vgl. auch Heldmann StV 1981 253. BayObLG VRS 88 (1995) 277 = wistra 1995 76; OLG Zweibrücken VRS 88 (1995) 356; KK/Maul 17.

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rung in der Aufregung falsch aufgefasst habe und sich nach der schriftlichen richten müsse.86 Ist eine Belehrung in wesentlichen Punkten falsch, liegt insoweit keine Belehrung und damit ein Fall der unterbliebenen Belehrung vor.87 Anders verhält es sich, wenn die Belehrung in unwesentlichen Punkten falsch ist.88 44 Sofern bei der Belehrung über die Berufung rechtsfehlerhaft eine Begründung verlangt worden ist, wird der Betroffene glaubhaft zu machen haben, dass er gerade infolge dieses Umstands die Frist unverschuldet versäumt hat. Ebenso verhält es sich, wenn etwa nach einem Umzug des Gerichts ein Merkblatt mit der früheren Anschrift verwendet wird, dem Betroffenen aber der Umzug, etwa aufgrund der Ladung, bekannt und ihm möglich war, das Versehen zu erkennen und die neue Anschrift festzustellen. Die Vorschrift ist kein Freibrief für Gleichgültigkeit oder Nachlässigkeit. d) Eine widersprüchliche Belehrung steht, sofern der Widerspruch einen wesentlichen 45 Mangel betrifft, regelmäßig einer unterbliebenen Belehrung gleich. Eine widersprüchliche Belehrung liegt insbesondere dann vor, wenn die mündliche Belehrung richtig vorgenommen worden ist, aber ein Merkblatt mit falscher oder unvollständiger schriftlicher Belehrung ausgehändigt worden ist.89 Der rechtsunkundige Betroffene kann in einem solchen Fall in der Regel nicht erkennen, welche Belehrung die rechtlich zutreffende ist.

§ 36 (1) 1Die Zustellung von Entscheidungen ordnet der Vorsitzende an. 2Die Geschäftsstelle sorgt dafür, daß die Zustellung bewirkt wird. (2) 1Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen, sind der Staatsanwaltschaft zu übergeben, die das Erforderliche veranlaßt. 2Dies gilt nicht für Entscheidungen, welche die Ordnung in den Sitzungen betreffen.

Schrifttum. Barre Hat das Gericht oder die Staatsanwaltschaft die Revisionsschrift zuzustellen (§ 387 StPO)? GA 38 (1891) 15; Doller Zustellung von Straf- und Bußgeldentscheidungen (§ 36 StPO n.F.), DRiZ 1975 280; ders. Entlassung des Verurteilten vor Rechtskraft des Aussetzungsbeschlusses, NJW 1977 2153; Frenzel Die Anordnung der Zustellung gerichtlicher Entscheidungen, DRiZ 1982 220; Rieß Der Hauptinhalt des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts (1. StVRG), NJW 1975 81; Wendisch Zustellung von Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen, JR 1978 445; Wessels Vollstreckung von Ordnungsstrafen und Erzwingungshaftbeschlüssen in Strafsachen, FS Mayer 587.

Entstehungsgeschichte. Durch Art. 9 § 1 Abs. 1 der 2. VereinfVO ist in dem früheren Absatz 2 – jetzt Absatz 1 – das Wort „Amtsrichter“ durch „Vorsitzer des Gerichts“ ersetzt worden, um damit eine Gerichtspraxis 1 zu legalisieren. Art. 3 Nr. 14 VereinhG hat das Wort „Vorsitzer“ durch „Vorsitzender“ ersetzt.

86 87

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OLG Saarbrücken NJW 1965 1031. OLG Hamm Rpfleger 1961 80; BVerwG NJW 1979 1670; LG Münster VRS 73 (1987) 368. A.A. KMR/Paulus 18.

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1

BGH NStZ 1994 194; OLG Saarbrücken NJW 1965 1031; OLG Köln JMBlNRW 1973 33. RGRspr. 4 323; RGSt 6 179.

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Durch Art. 1 Nr. 7 des 1. StVRG ist die Vorschrift neu gefasst worden. Sie stellt nunmehr eindeutig klar, wann das Gericht und wann die Staatsanwaltschaft Zustellung und Vollstreckung zu veranlassen haben, indem die Zuständigkeit für die Zustellung von der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen getrennt wird: die Zustellung obliegt dem Gericht, die Vollstreckung der Staatsanwaltschaft.2 Übersicht Rn. I. Bedeutung der Vorschrift

. . . . . . . .

II. Gerichtliche Zustellung von Entscheidungen (Absatz 1) 1. Entscheidungen . . . . . . . . . . . . 2. Zustellung . . . . . . . . . . . . . . 3. Anordnung des Vorsitzenden (Satz 1) 4. Anordnung der Staatsanwaltschaft . . 5. Ausführung der Anordnung (Satz 2) . 6. Zusammenfallen von Anordnung und Ausführung . . . . . . . . . . . . . . III. Zu vollstreckende Entscheidungen (Absatz 2 Satz 1) 1. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vollstreckung . . . . . . . . . . . 3. Beispiele . . . . . . . . . . . . . 4. Übergabe an die Staatsanwaltschaft 5. Veranlassung des Erforderlichen .

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14 18 21 23 25

Rn. IV. Richterliche Vollstreckung 1. Ordnung in der Sitzung (Absatz 2 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weitere Zuständigkeiten a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . b) Vollstreckung von Erzwingungshaft c) Anordnung von Beweiserhebungen d) Ladungen . . . . . . . . . . . . . e) Zustellung der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft . . . . . . . V. Mängel bei der Anordnung der Zustellung 1. Zustellung ohne Anordnung des Vorsitzenden . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zustellung entgegen der Anordnung des Vorsitzenden . . . . . . . . . . . VI. Anfechtung

. . . . . . . . . . . . . . .

Alphabetische Übersicht Anfechtung 37 Anordnung – der Staatsanwaltschaft 10, 26 – des Vorsitzenden 5, 7, 33–36 Antrag auf gerichtliche Entscheidung 37 Ausführung der Zustellung 11, 18 Auslegung 19 Bedeutung der Vorschrift 1 Bekanntmachung 6, 16 Berufungsbegründungsschrift 32 Beurkundung 4 Beweiserhebung 30 Entscheidung 3, 15 zu vollstreckende 14 Erzwingungshaft 29 Gericht 17 Herausgabe von Beweismitteln 29 Ladung 31 Legaldefinition 4 Mängel 34 Ordnung in der Sitzung 27 Privatklageverfahren 31 Revisionsbegründung 32 Staatsanwaltschaft 9, 10, 23 Strafrichter 5

2

Übertragung richterlicher Befugnisse 8 Veranlassung des Erforderlichen 25 Vereinfachung 2 Verfahrensökonomie 2 Vollstreckung 18, 22–23, 27 – Beispiele 21 Vollstreckungsbehörde 28 Vorsitzender 5, 7, 33-36 Zusammenfallen von – Anordnung und Ausführung 13 – Bekanntmachung und Vollstreckung 16 Zuständigkeit 20, 24, 28 – der Staatsanwaltschaft 10 Zustellung 3, 4 – Anordnung 7 – entgegen der Anordnung des Vorsitzenden 36 – Ausführung 11 – Legaldefinition 4 – Mängel 34 – Staatsanwaltschaft 9 – Unwirksamkeit 34 – Wirksamkeitsvoraussetzungen 4 Zustellungsart 7 Zustellungsempfänger 7

BTDrucks. 7 551 S. 58.

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I. Bedeutung der Vorschrift Das frühere Recht ging davon aus, dass es grundsätzlich Sache der Staatsanwaltschaft 1 sei, die Zustellung und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen zu veranlassen. Die Regelung beruhte auf der Erwägung, die Gerichte soweit wie möglich von allen Aufgaben zu entlasten, die außerhalb ihrer Hauptaufgabe, der Rechtsprechung, lagen. Ausgenommen waren solche Entscheidungen, die nur den inneren Dienst oder die Ordnung in den Sitzungen betrafen. Allerdings konnte der Vorsitzende auch in allen sonstigen Fällen die Zustellung und Vollstreckung seiner Entscheidungen unmittelbar veranlassen. Bei Entscheidungen des Strafrichters, aber auch des Vorsitzenden des Schöffengerichts, war das zum Teil schon überwiegend die Regel. Die seit Inkrafttreten des 1. StVRG geltende Regelung gibt diesen Grundsatz im Inte- 2 resse einer klaren Zuständigkeitsregelung auf. Dies ist schon deshalb zu begrüßen, weil sie verfahrensökonomischen Belangen Rechnung trägt. Die Entscheidungen – das gleiche gilt für Ladungsanordnungen (§ 214 Abs. 1 Satz 1) – trifft stets der Richter. Für ihn bedeutet es keine nennenswerte zusätzliche Belastung, wenn er die nach seiner Entscheidung erforderlichen Maßnahmen für deren Bekanntmachung selbst veranlasst. Eine erhebliche Vereinfachung des Verfahrens besteht insbesondere darin, wenn ein Hauptverhandlungstermin aufzuheben oder zu verlegen ist oder wenn der Angeklagte oder sein Verteidiger weitere Zeugen oder Sachverständige benennen, über deren Ladung der Richter zu entscheiden hat. Durch die neue Zuständigkeitsverteilung wird vermieden, dass die Akten zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft – ohne Grund – hin- und hergeschickt werden.3 Der damit verbundene Zeitaufwand wird vermindert. Zugleich wird der Forderung nach einem ökonomischen und zügigen Abschluss des Verfahrens Rechnung getragen.4

II. Gerichtliche Zustellung von Entscheidungen (Absatz 1) 1. Entscheidungen, die einer Zustellung bedürfen, sind solche, durch deren Bekannt- 3 machung eine Frist in Lauf gesetzt wird (§ 35, 18). Formlose Zustellungen fallen nicht darunter, es sei denn, dass das Gericht im Einzelfall die Zustellung gleichwohl für erforderlich hält (vgl. § 35, 18 a.E.). 2. Der Begriff der Zustellung war bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des 4 Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz – ZustRG) vom 25.6.2001 5 nicht legal definiert. Die Rechtsprechung verstand bis zur Schaffung einer Legaldefinition in § 166 Abs. 1 ZPO durch das Zustellungsreformgesetz unter einer Zustellung den in der gesetzlichen Form zu bewirkenden und zu beurkundenden Akt, durch den dem Adressaten Gelegenheit zur Kenntnisnahme eines Schriftstücks verschafft wird.6 Die Legaldefinition weicht hiervon in einem wesentlichen Punkt ab. Der Gesetzgeber sieht in der Beurkundung des Zustellungsvorgangs keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Zustellung, sondern lediglich die Möglichkeit des Nachweises.7 3. Anordnung des Vorsitzenden (Satz 1). Die Befugnis, Zustellungen (und Voll- 5 streckungen) unmittelbar zu veranlassen, stand ursprünglich dem Untersuchungsrichter 3 4 5

Herrmann NJW 1978 653. OLG Frankfurt GA 1980 475. BGBl. I S. 1206.

6 7

BGH NJW 1978 1858. BTDrucks. 14 4554 S. 15; Heß NJW 2002 2417, 2418; vgl. § 37, 1.

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und dem Amtsrichter – jetzt: Richter am Amtsgericht – zu. Die frühere Vorschrift wurde jedoch gleichwohl so ausgelegt, dass auch der Vorsitzende einer Strafkammer oder eines Strafsenats befugt sei, eine Zustellung oder die Vollstreckung einer Entscheidung ohne Vermittlung durch die Staatsanwaltschaft herbeizuführen, wenn der Weg über diese zur Folge haben könnte, dass die beschlossene Maßnahme verzögert oder vereitelt wird, oder wenn sich eine Entscheidung kurzerhand vollstrecken lässt, ohne dass es einer außerhalb der Gerichtsstelle vorzunehmenden Handlung bedarf. In der früheren Rechtsprechung wurde deshalb auch anerkannt, dass eine vom Vorsitzenden der Strafkammer unmittelbar veranlasste Zustellung wirksam ist und die gesetzliche Frist in Lauf setzt.8 Mit Art. 9 § 1 Abs. 1 der VO vom 13.8.1942 sollte die von der Rechtsprechung gebilligte Rechtsanwendung legalisiert werden; er wollte den Anwendungsbereich der Vorschrift erweitern, nicht etwa einschränken. Dieser nach der Entstehungsgeschichte nicht zweifelhafte Wille zur Erweiterung schließt die Annahme aus, dass die neue Fassung dem Amtsrichter die Befugnis zum unmittelbaren Vorgehen, die ihm bis dahin eingeräumt worden war, habe nehmen wollen. Sie sollte ihm weiterhin zustehen, auch wenn er nicht als Vorsitzender eines erkennenden Gerichts handelt.9 Die vorstehende Rechtsansicht ist nie in Zweifel gezogen worden. Auch die Neufassung durch Art. 1 Nr. 7 Abs. 1 StVRG hat sie insoweit unberührt gelassen. Für die richterliche Anordnung sind daher wie bisher neben dem Vorsitzenden auch der Strafrichter, der Richter beim Amtsgericht im vorbereitenden Verfahren sowie der beauftragte oder ersuchte Richter (§ 223 Abs. 1) zuständig. Der beisitzende Richter ist zur Anordnung nur dann berufen, wenn er den Vorsitzenden in dieser Eigenschaft vertritt. Andernfalls darf er die Zustellung nicht anordnen. Die richterliche Anordnung gilt für jede Art der Bekanntmachung nach § 35 Abs. 1 6 oder 2.10 Das kann nicht zweifelhaft sein, soweit bei Anwesenheit der betroffenen Person die Entscheidung durch Verkündung bekannt gemacht wird, gilt aber ebenso, wenn bei Abwesenheit der betroffenen Person die Entscheidung durch Zustellung oder formlose Mitteilung bekannt gemacht wird. Nach § 35 Abs. 2 Satz 1 ist die Zustellung von Entscheidungen ein Unterfall der in § 35 Abs. 1 Satz 1 geregelten Bekanntmachung. Wenn dem Richter die Anordnung der Zustellung übertragen wird, die zuweilen einer Vollstreckung schon recht nahe kommt, muss ihm eine solche Befugnis bezüglich der Mitteilung einer Entscheidung, die regelmäßig zu einem entfernteren Verhältnis zur Vollstreckung steht, erst recht zukommen. Absatz 1 Satz 1 kann daher nur als eine Teilregelung der (drei) Konstellationen von Bekanntmachungen aufgefasst werden. Eine weitergehende gesetzliche Regelung war auch deshalb nicht erforderlich, weil die Bekanntmachung in der Form der bloßen Mitteilung schon nach früherem Recht kaum je der Staatsanwaltschaft überlassen worden ist. Absatz 1 Satz 1 ist daher in dem Sinne auszulegen, dass der Vorsitzende die Bekanntmachung von Entscheidungen, namentlich deren Zustellung, anordnet. Die Anordnung der Zustellung ist zwar nicht an eine besondere Form gebunden. Sie 7 muss aber im Zeitpunkt der Zustellung aktenkundig sein.11 Sie kann mithin durch eine vom Vorsitzenden unterzeichnete Anordnung oder durch einen von ihm unterzeichneten Vermerk über die Anordnung erfolgen. Hat der Vorsitzende die Anordnung nur mündlich getroffen, so muss sie – ggf. durch einen schriftlichen Vermerk der Geschäftsstelle – spätestens im Zeitpunkt der Zustellung festgehalten werden. Die Anordnung muss aus 8 9 10

RGRspr. 4 323; RGSt 6 179. Grau DJ 1942 615. OLG Saarbrücken NStZ 1986 470 mit insoweit zust. Anm. Wendisch.

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OLG Zweibrücken MDR 1986 1047.

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Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit den Zustellungsempfänger eindeutig bezeichnen und ferner die Zustellungsart angeben.12 Eine generelle Anordnung des Vorsitzenden an die Geschäftsstelle, alle von seinem Spruchkörper getroffenen Entscheidungen zuzustellen, soweit nicht die Staatsanwaltschaft dafür zuständig sei, genügt grundsätzlich nicht.13 Wohl aber kann eine für den Einzelfall getroffene – auch allgemein gehaltene – Anordnung ausreichen, wenn ihr zweifelsfrei zu entnehmen ist, an wen in welcher Form zugestellt werden soll.14 Wegen Mängeln bei der Anordnung der Zustellung vgl. Rn. 34 ff. Die Befugnis des Vorsitzenden, die Zustellung anzuordnen, könnte auf den Rechts- 8 pfleger übertragen werden.15 Eine solche Übertragung ist aber zu Recht nicht vorgenommen worden, denn die damit angeblich verbundene Entlastung würde nur zu einer das Verfahren verzögernden Verlagerung der Zuständigkeit ohne Nutzen führen. Die Übertragung richterlicher Befugnisse auf die Geschäftsstelle ist unzulässig. Zur Zustellung ohne Anordnung des Vorsitzenden vgl. Rn. 34 f. Wegen der Zustellung gerichtlicher Entscheidungen an die Staatsanwaltschaft vgl. § 41. 9 4. Anordnung der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist zur Anordnung der 10 Zustellung von gerichtlichen Entscheidungen nur unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 befugt. Eine hilfsweise Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft in den Fällen, in denen der Vorsitzende die Anordnung unterlassen hat,16 besteht für die Staatsanwaltschaft nicht.17 Der eindeutige Wortlaut von Absatz 1 steht der Annahme einer Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft entgegen. Eine gleichwohl bewirkte Zustellung einer gerichtlichen Entscheidung – abgesehen von den Fällen des Absatzes 2 – aufgrund einer staatsanwaltschaftlichen Anordnung erweist sich als unwirksam und ist damit nicht geeignet, eine Rechtsmitteleinlegungs- oder Rechtsmittelbegründungsfrist in Lauf zu setzen. Sofern der Gesetzgeber aus verfahrensökonomischen Gründen 18 eine hilfsweise Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft hätte begründen wollen, so hätte er hierzu im Rahmen des Zustellungsreformgesetzes Gelegenheit gehabt und eine entsprechende gesetzliche Regelung schaffen können. Letzteres ist aber nicht geschehen.

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BGH NStZ 1986 230; BayObLGSt 1982 12 = MDR 1982 600; 1989 665; OLG Stuttgart Rpfleger 1976 65; OLG Celle MDR 1977 67; NdsRpfl. 1984 173; OLG Düsseldorf NJW 1982 590; MDR 1983 339; NStZ 1996 403 LS = StV 1997 121 LS = VRS 91 (1996) 286; NStZ-RR 1997 332; OLG Hamm – 6. StS – NStZ 1982 479; OLG Koblenz NStZ 1992 194; a.A. BayObLG NStZ-RR 1999 243 = VRS 97 (1999) 34; OLG Düsseldorf – 1. StS – NStZ-RR 2000 335 = VRS 98 (2000) 286, wonach der Vorsitzende nach § 36 Abs. 1 Satz 1 lediglich anzuordnen hat, dass und an wen eine Entscheidung zuzustellen ist, nicht jedoch, wie die Zustellung erfolgen soll, denn dies ist nach § 36 Abs. 1 Satz 2 grundsätzlich Sache der Geschäftsstelle. KK/Maul 2; SK/Weßlau 4; Meyer-Goßner 3; KMR/Paulus 4. BGH NStZ 1983 325; BGHR StPO § 36

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Abs. 1 Satz 1 Anordnung 1 Zeitpunkt, Empfänger; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997 332; OLG Hamm NStZ 1982 479; OLG Koblenz NStZ 1992 194. Dem Vorschlag Dollers DRiZ 1975 281, de lege ferenda die Zustellung im Regelfall auf den Rechtspfleger zu übertragen, sollte gleichwohl nicht näher getreten werden, weil die durch die Einschaltung eines weiteren Rechtspflegeorgans notwendig bedingte Verzögerung des Verfahrensablaufs erheblich über die Zeitersparnis hinausginge, die mit einer etwaigen Entlastung des Richters verbunden wäre. A.A. LR/Wendisch 25 10; Meyer-Goßner 2; KMR/Paulus 4, 10; OLG Düsseldorf MDR 1982 599; OLG Schleswig bei Ernesti/ Lorenzen SchlHA 1982 116. OLG Düsseldorf NStZ 1988 150. Vgl. insoweit LR/Wendisch 25 10.

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5. Die Ausführung der Anordnung (Satz 2) – nicht der Zustellung – obliegt der Geschäftsstelle. Sie besteht darin, dass die Geschäftsstelle der Post, einem Justizbediensteten oder einem Gerichtsvollzieher einen Zustellungsauftrag erteilt oder eine andere Behörde um die Ausführung der Zustellung ersucht (§ 176 Abs. 1 ZPO), mithin dafür sorgt, „dass die Zustellung bewirkt wird“ (Absatz 1 Satz 2). Die Ausführung der Anordnung ist nur dann rechtswirksam, wenn sie sich im Rahmen der Anordnung, des Auftrags (Rn. 5 ff.) hält (vgl. Rn. 36).19 Hat der Vorsitzende zwar die Zustellung als solche, nicht aber die Art der Zustellung angeordnet, so ist es Aufgabe der Geschäftsstelle, die Art der förmlichen Zustellung zu bestimmen.20 Grundsätzlich muss der Vorsitzende aber in seiner Zustellungsanordnung auch zu der Art der Zustellung eine Anordnung treffen, denn er kennt den Akteninhalt im Einzelnen und ist damit wohl eher in der Lage, unter den verschiedenen Arten der Zustellung die im Einzelfall sachgerechte Art auszuwählen. Die Ausführung der Zustellung erfolgt gemäß § 37 Abs. 1 i.V.m. §§ 177 bis 181 12 ZPO.21 Wird der Deutschen Post AG ein Zustellungsauftrag erteilt, so handelt diese als beliehener Unternehmer hoheitlich (§ 33 Abs. 1 PostG). Nach § 33 PostG sind marktbeherrschende Lizenznehmer, die Briefzustelldienstleistungen erbringen, verpflichtet, Schriftstücke förmlich zuzustellen und als beliehene Unternehmer mit entsprechenden hoheitlichen Befugnissen ausgestattet. Ist eine Zustellung – aus welchen Gründen auch immer – trotz ordnungsgemäßer Anordnung nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden und erweist sich damit als unwirksam, so bedarf es keiner erneuten Anordnung der Zustellung durch den Vorsitzenden. Vielmehr ist die Geschäftsstelle aufgrund der vorhandenen Anordnung des Vorsitzenden befugt, die Zustellung erneut zu bewirken und ggf. eine andere Art der Zustellung zu wählen.

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6. Zusammenfallen von Anordnung und Ausführung. Anordnung und Ausführung können in einer Hand liegen, z.B. bei Zustellung im Ausland dann, wenn der Richter eine ausländische Behörde ersucht, die Zustellung vorzunehmen (§ 183 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) oder auf Ersuchen des Vorsitzenden des Prozessgerichts durch das Auswärtige Amt an einen Deutschen, der Immunität genießt und zu einer Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gehört (§ 183 Abs. 1 Nr. 3 ZPO).22 Ausführung der Anordnung und Bewirken der Zustellung können aber auch dann zusammenfallen, wenn das zu übergebende Schriftstück an der Amtsstelle demjenigen ausgehändigt wird, an den die Zustellung zu bewirken ist (§ 173 Satz 1 ZPO).23

III. Zu vollstreckende Entscheidungen (Absatz 2 Satz 1) 14

1. Inhalt. Absatz 2 Satz 1 regelt einen Ausnahmefall von Absatz 1, nämlich die Bekanntmachung von Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen.24 In Bezug auf die Entscheidungen umfasst er an sich den gleichen Kreis wie Absatz 1 (Rn. 6), also solche, 19 20

21

RGRspr. 9 42; RGSt 47 115; OLG Köln NJW 1962 1929. BayObLG NStZ-RR 1999 243 = VRS 97 (1999) 34; OLG Düsseldorf – 1. StS – NStZRR 2000 335 = VRS 98 (2000) 286; OLG Hamm JMBlNRW 1982 223; Meyer-Goßner 6; SK/Weßlau 5; AK/Kirchner 4; Pfeiffer 2. Vgl. zur Anwendbarkeit von §§ 177 bis 181 ZPO im Strafverfahren § 37, 52, 55 ff.

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Vgl. zur Anwendbarkeit von § 183 ZPO im Strafverfahren § 37, 86 ff. Vgl. zur Anwendbarkeit von § 173 ZPO im Strafverfahren § 37, 31 ff. Rieß NJW 1975 86; Doller DRiZ 1975 280; Wendisch JR 1978 445; KK/Maul 10 ff.; SK/Weßlau 7; Meyer-Goßner 10; KMR/ Paulus 15; AK/Kirchner 8f; Pfeiffer 3; a.A. OLG Saarbrücken NStZ 1986 471: gericht-

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die nach § 35 Abs. 2 entweder durch Zustellung (Satz 1) oder durch formlose Mitteilung (Satz 2) bekannt zu machen sind. Die Ausnahmeregelung gilt jedoch nur für letztere und schränkt diese insoweit noch weiter ein, als es sich dabei um Entscheidungen handeln muss, die der Vollstreckung bedürfen. Satz 1 ist daher mit folgendem Inhalt zu lesen: „Die Bekanntmachung (in Form der formlosen Mitteilung) von Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen, ordnet der Vorsitzende nicht an; solche Entscheidungen sind vielmehr der Staatsanwaltschaft zu übergeben, die alsdann das Erforderliche veranlasst“. Dieser Schluss, nämlich ausnahmsweise keine Anordnung der Bekanntmachung durch den Vorsitzenden, ist die Folge des Gebots, solche Entscheidungen der Staatsanwaltschaft zu übergeben. Andere – z.B. in Anwesenheit der betroffenen Person ergangene (§ 35 Abs. 1), aber 15 auch rechtskräftige – Entscheidungen fallen nicht darunter. Erstere werden durch Verkündung bekannt gemacht (§ 35, 6 ff.); letztere bedürfen in keinem Fall einer Zustellung. Soweit rechtskräftige Entscheidungen zu vollstrecken sind, gilt dafür der Erste Abschnitt des Siebenten Buchs.25 Zwar spricht § 449 nur von Strafurteilen; jedoch ist der Begriff Strafurteil hier nicht im formellen Sinn zu verstehen. Er umfasst vielmehr auch Urteilssurrogate wie Strafbefehl, Entscheidungen nach §§ 460, 462 sowie Entscheidungen, in denen in einem Nachverfahren einem Strafurteil die ihm zunächst fehlende Vollstreckbarkeit erst oder die ihm entzogene Vollstreckbarkeit wieder verschafft wird, wie der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung, der Aussetzung des Strafrestes sowie des Straferlasses (§ 453 Abs. 2 Satz 3, § 454 Abs. 3 Satz 1) 26 oder der Widerruf der Aussetzung einer Unterbringung (§ 67g Abs. 1 bis 3 StGB). Mit diesem Inhalt ist die Ausnahme von Absatz 1 nicht nur zweckmäßig. Umfang- 16 mäßig wird sie – wie in § 33 Abs. 4 Satz 1 – auf die Fälle beschränkt, in denen andernfalls der mit der Entscheidung verfolgte Zweck gefährdet wäre oder gar vereitelt würde. Eine Gefährdung ist anzunehmen, wenn der von ihr Betroffene die Anordnung in der Entscheidung, wüsste er vorher von ihr, vereiteln könnte (§ 33, 41). Um dies zu verhindern, dürfen zahlreiche vollstreckungsbedürftige Entscheidungen wie Haft- und Unterbringungsbefehle, Beschlagnahme-, Durchsuchungs- oder Überwachungsanordnungen vor ihrer Vollstreckung dem Betroffenen nicht bekannt werden. Bekanntmachung und Vollstreckung müssen in diesen Fällen zusammenfallen. Das kann nur sichergestellt werden, wenn beides in einer Hand liegt.27 Da die Vollstreckung Sache der Staatsanwaltschaft ist, ist es folgerichtig, diese auch für die Bekanntmachung vollstreckungsbedürftiger Entscheidungen im Sinne dieses Absatzes für zuständig zu erklären. Wer gleichwohl meint, der Gesetzgeber habe an dem früheren Zustand nichts ändern 17 wollen, wonach die Zustellung deshalb der Staatsanwaltschaft übertragen sei, um das Gericht von nichtrichterlichen Aufgaben zu entlasten, verwechselt die Institution des Gerichts mit der des Richters. Die Zuweisung der Zustellung an die Staatsanwaltschaft beruhte zur Zeit der Einführung der Staatsanwaltschaft, aber auch der Verkündung der Strafprozessordnung, darauf, dass die Gerichte nur kleine und unvollkommen ausgestattete Geschäftsstellen hatten und der damalige Amtsrichter viele Aufgaben selbst erledigen musste, die heute dem Rechtspfleger oder der Geschäftsstelle obliegen. Diese Zeit ist längst vorbei; die Gerichte haben große Geschäftsstellen, oftmals als Serviceeinheiten, die ohne weiteres die Aufgaben übernehmen können, die früher von der Staatsanwaltschaft –

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liche Zuständigkeitskompetenz gilt auch für diesen Fall – mit insoweit abl. Anm. Wendisch. Vgl. LR/Wendisch 25 Vor § 449, 1 ff.

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Vgl. LR/Wendisch 25 § 449, 1. OLG Düsseldorf NStZ 1988 150; Rieß NJW 1975 81, 85; Doller DRiZ 1975 280; NJW 1977 2153.

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notgedrungen und aushilfsweise – ausgeführt werden mussten. Der Richter wird durch die (bloße) Anordnung der Zustellung auch nicht übermäßig belastet, weil er sich dabei in der Regel bestimmter Verfügungsmuster oder Dokumentvorlagen bedient. Eine auf diese Weise einfach gestaltete Anordnung der Zustellung stellt keine ins Gewicht fallende Belastung dar.

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2. Vollstreckung. Der Begriff „Vollstreckung“ umfasst nach dem Wortsinn die Befugnis des dafür zuständigen Organs, erforderlichenfalls,28 d.h. dann Gewalt anzuwenden, wenn andernfalls der mit der Entscheidung erklärte Wille des Gerichts nicht durchzusetzen wäre. Vollstreckung im Sinne von Absatz 2 setzt die Möglichkeit voraus, die Entscheidung notfalls unter Anwendung von physischem Zwang gegen Personen oder Sachen zu erzwingen.29 Nur diese Entscheidungen bedürfen einer Vollstreckung, nicht jedoch solche, bei denen eine zwangsweise Durchführung von vorn herein ausscheidet. Der Begriff „Vollstreckung“ ist daher nicht in dem weiteren Sinne von Ausführung, sondern in dem gewöhnlichen Wortsinn von zwangsweiser Durchführung zu verstehen.30 Das war bis zum Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrens nicht zweifelhaft und sollte es auch in Zukunft nicht sein, auch wenn – allerdings vereinzelt – versucht wird, einer weiten Auslegung das Wort zu reden.31 Zu den Anhängern einer weiten Auslegung gehören Kleinknecht (bis zur 35. Auflage), 19 Schätzler und Meyer.32 Alle drei sprechen sich für eine sehr weite Auslegung aus. Nach Kleinknecht soll Absatz 2 Satz 1 schon dann Anwendung finden, wenn „zur Durchsetzung der Entscheidung etwas zu veranlassen ist, was über eine bloße Anordnung der Beendigung eines Freiheitsentzugs hinausgeht“.33 Schätzler will zu den vollstreckungsbedürftigen Entscheidungen alle Fälle rechnen, in denen etwas zu veranlassen, auszuführen oder zu vollziehen ist, was in die Kompetenz der Staatsanwaltschaft gehört.34 Den gleichen Standpunkt vertreten die Oberlandesgerichte Zweibrücken 35, Hamm 36 und Celle 37. Nach OLG Zweibrücken soll zu den Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen, auch der Beschluss gehören, durch den – wie beim Aussetzungsbeschluss – die Rückgängigmachung eines Eingriffs angeordnet wird. Das OLG Hamm will unter Vollstreckung all das erfasst sehen, was „über die Zustellung hinaus zur Durchsetzung der Entscheidungen geboten ist“. Eine überzeugende Begründung ihrer Ansicht bleiben alle schuldig. Sie ist namentlich bei Aussetzungsbeschlüssen nicht zu führen, zumal da es bei ihnen nichts zu vollstrecken gibt.

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OLG Karlsruhe Rpfleger 1968 288. RGSt 41 88. So schon die früheste Rechtsprechung OLG Celle GA 37 (1889) 73; 59 (1912) 366; OLG Kassel GA 40 (1892) 357; in neuerer Zeit OLG Karlsruhe Rpfleger 1968 288; OLG Hamm JMBlNRW 1977 235; aufgegeben NJW 1978 175; OLG Düsseldorf NStZ 1988 150; wie hier Rieß NJW 1975 86; Doller DRiZ 1977 2153; Herrmann NJW 1978 653; KK/Maul 11; Meyer-Goßner 10; SK/Weßlau 8; HK/Lemke 12; AK/Kirchner 9; Siewert/ Mattheus DRiZ 1993 355. Wegen weiterer Einzelheiten zu diesem Problem Wendisch JR 1978 447. Zu ihnen muss wohl auch Paulus gezählt

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werden, der die Zuständigkeit von der Vollstreckungsfähigkeit abhängig machen will. Sie soll – mit der Folge, dass alsdann die Staatsanwaltschaft Zustellungsbehörde wäre – immer dann zu bejahen sein, wenn die gerichtliche Entscheidung ohne weiteres zu vollziehen sei, KMR/Paulus 16; dagegen zu Recht KK/Maul 11. Kleinknecht 35 12. JR 1977 294. JR 1977 293 mit Anm. Schätzler. NJW 1978 175 mit abl. Anm. Herrmann NJW 1978 653 – unter Aufgabe seiner früheren Ansicht JMBlNRW 1977 235. MDR 1978 71 LS.

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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung

§ 36

Den Vertretern einer weiten Auslegung des Begriffs Vollstreckung ist weiter entgegen 20 zu halten, dass der Gesetzgeber die bisherige Praxis ausdrücklich aufgeben wollte, die – obwohl gesetzlich nicht geregelt war, in welchen Fällen die Staatsanwaltschaft und unter welchen Voraussetzungen das Gericht Zustellungen und Vollstreckungen zu veranlassen hatte – aufgrund der früheren Fassung des § 36 davon ausging, dass die Zustellung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen grundsätzlich Sache der Staatsanwaltschaft sei.38 Er hielt eine klare und einfache Regelung, nämlich die Trennung der Zuständigkeit für die Zustellung von der für die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen auch deshalb für erforderlich, weil die bisherige Regelung gelegentlich zu nicht unerheblichen Schwierigkeiten geführt hatte. Um das zu vermeiden, entschied er: „Die Zustellung obliegt dem Gericht, die Vollstreckung ist grundsätzlich Sache der Staatsanwaltschaft“.39 Dieser eindeutige Standpunkt trägt darüber hinaus dem Grundsatz Rechnung, dass die Anordnung der Zustellung von Entscheidungen grundsätzlich demjenigen obliegen sollte, der sie erlassen hat. Auch für den Empfänger dürfte es einleuchtender sein, wenn er eine Entscheidung unmittelbar von dem Rechtspflegeorgan erhält, das sie erlassen hat. Für gerichtliche Entscheidungen bedeutet das, dass grundsätzlich der Richter die Zustellung anzuordnen hat.40 Diese Regelung ist zweckmäßig. Sie hält den Richter auch nicht von seiner eigentlichen Aufgabe fern, Recht zu sprechen; denn es bringt für ihn regelmäßig keine wesentliche Mehrarbeit, wenn er die Zustellung seiner Entscheidung selbst veranlasst (Rn. 2, 17). 3. Beispiele. Zu den Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen, zählen: Ord- 21 nungsgeld- oder Ordnungshaftbeschlüsse nach § 51 Abs. 1 Satz 2 und 3 gegen trotz ordnungsgemäßer Ladung ausgebliebene Zeugen; nach § 70 Abs. 1 Satz 1 und 2 bei grundloser Zeugnis- oder Eidesverweigerung von Zeugen; bei Anordnung von Erzwingungshaft nach § 70 Abs. 2 gegen einen Zeugen, der im vorbereitenden Verfahren vor der Staatsanwaltschaft aussagen soll;41 Ordnungsgeldbeschlüsse nach § 77 Abs. 1 und 2 Satz 1 und 3 gegen Sachverständige, die zur Erstattung eines Gutachtens verpflichtet sind, wenn sie trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen sind, sich weigern, ein Gutachten zu erstatten, eine angemessene Frist abzusprechen oder die abgesprochene Frist versäumen; Anordnungen nach § 81a Abs. 2 (Entnahme von Blutproben, Vornahme körperlicher Eingriffe); Anordnungen nach § 81c Abs. 5 (Untersuchung anderer Personen als Beschuldigte, § 81c) 42 und § 81c Abs. 6 i.V.m. § 70 bei grundloser Untersuchungsverweigerung; Anordnungen nach § 81f Abs. 1, § 81g Abs. 3; Anordnungen nach § 81h Abs. 2 Satz 1; Anordnung der Herausgabe nach § 95 Abs. 1 oder Ordnungsgeld- oder Ordnungshaftbeschlüsse nach § 95 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 70; Beschlagnahmebeschlüsse nach § 98 Abs. 1 (für die Untersuchung bedeutsame Beweismittel); Anordnungen nach § 98b Abs. 1 und 2; Beschlüsse nach § 100 Abs. 1 i.V.m. § 99 (Postbeschlagnahme); Beschlüsse nach § 100b Abs. 1 Satz 1, mit denen die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation (§ 100a) angeordnet wird; Beschlüsse nach § 100d Abs. 1 und 2; Beschlüsse nach § 100h Abs. 1 (Anordnung zur Auskunftserteilung von Telekommunikationsverbindungen); Beschlüsse nach § 100i Abs. 4 Satz 1 und 4 (Maßnahmen bei Mobilfunkendgeräten); Durchsuchungsbeschlüsse nach § 105 Abs. 1 i.V.m. §§ 102 bis 104; der nach § 111a Abs. 3 als Anordnung der Beschlagnahme des Führerscheins wirkende Beschluss über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis sowie – bei Ausländern – der

38 39 40

BTDrucks. 7 551 S. 46, 57; vgl. Rn. 1. BTDrucks. 7 551 S. 58. Rieß NJW 1975 86.

41 42

BGH NStZ 1989 280. Wegen des Ausschlusses der Anordnung einer Beobachtung nach § 81 Abs. 1 vgl. Rn. 22.

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§ 36

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

anzubringende Vermerk in dem ausländischen Führerschein nach § 111a Abs. 6 Satz 1; an sich auch Beschlüsse nach § 111b (Gegenstände, die der Einziehung nach §§ 74, 74a, 74c, 74d StGB unterliegen oder Vermögensvorteile, deretwegen das Gericht den Verfall nach §§ 73, 73a, 73d StGB anordnen wird), für die aber § 111f eine besondere Regelung enthält; Beschlüsse nach § 111n Abs. 1 (Beschlagnahme eines periodischen Druckwerks); Haftbefehle,43 auch solche nach § 230 Abs. 2, § 236, § 329 Abs. 4 und § 453c; der Widerruf des Aussetzungsbeschlusses durch Anordnung des (erneuten) Vollzugs nach § 116 Abs. 4; Beschlüsse über die einstweilige Unterbringung (§ 126 a); Beschlüsse nach § 275a Abs. 5 Satz 1; die Ausschreibung zur Festnahme (§ 131 Abs. 1 und 2); die Anordnung einer Öffentlichkeitsfahndung (§ 131 Abs. 3); die Anordnung von Fahndungsmaßnahmen (§ 131c Abs. 1 Satz 1); Beschlüsse nach § 132 Abs. 2. Für die Anordnung des dinglichen Arrests wegen einer Vermögensstrafe (§ 111o Abs. 3 Satz 1) sowie der Vermögensbeschlagnahme (§ 111p Abs. 4 i.V.m. § 111o Abs. 3) ist kein Anwendungsbereich mehr gegeben, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Vermögensstrafe nach § 43a StGB für verfassungswidrig erklärt hat.44 Keiner Vollstreckung im Sinne dieser Vorschrift bedürfen: der Beschluss, durch den 22 ein Haftbefehl nach § 120, § 121 Abs. 2 oder § 122a aufgehoben oder sein Vollzug nach § 116 Abs. 1 bis 3 ausgesetzt wird, sowie der Beschluss, durch den ein Unterbringungsbefehl nach § 126a Abs. 3 oder nach § 275a Abs. 5 Satz 1 aufgehoben wird; die Anordnung einer Beobachtung in einem öffentlichen psychiatrischen Krankenhaus nach § 81 Abs. 1. Zwar hat die Staatsanwaltschaft auch eine solche Anordnung zu vollstrecken; jedoch unterliegt sie gleichwohl nicht der Regelung des § 36 Abs. 2 Satz 1,45 weil die Vollstreckung erst nach Rechtskraft der Entscheidung zulässig ist (§ 81 Abs. 4 Satz 2).46 Dieser Umstand sowie die Schwere des Eingriffs rechtfertigen es, dass dieser Fall wie die Vollstreckung eines Strafurteils oder eines ihm entsprechenden Beschlusses behandelt wird. Nicht vollstreckungsbedürftig sind, und zwar selbst dann, wenn man auch rechtskräftige Entscheidungen der Regelung des § 36 Abs. 2 Satz 1 unterstellen will, Urteile, durch die das erkennende Gericht die erkannte Strafe nach § 56 StGB oder Beschlüsse, durch die Strafvollstreckungskammer (§ 462a Abs. 1) 47 oder das Gericht des ersten Rechtszugs (§ 462a Abs. 3) den Strafrest nach § 454 i.V.m. § 57 StGB zur Bewährung ausgesetzt hat.48 Denn das auf Strafaussetzung zur Bewährung lautende Urteil oder der Beschluss, durch den ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt wird, enthält zunächst noch keinen vollstreckbaren Strafausspruch. Die Vollstreckbarkeit wird beiden erst durch den gestaltenden Akt des Widerrufs der Aussetzung beigelegt, der nach dem Grundgedanken des § 449 den Strafausspruch erst (oder erst wieder) vollstreckungsfähig macht, wenn der Widerrufsbeschluss rechtskräftig geworden ist (§ 453).49

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46 47

Die Feststellung des Verfalls der Sicherheit nach § 124 unterliegt deshalb nicht der Regelung des § 36 Abs. 2 Satz 1, weil der Eintritt des Verfalls regelmäßig keine besondere Vollstreckung erfordert; vgl. insoweit LR/Hilger § 124, 23. BVerfGE 105 135 = NJW 2002 1779. A.A. LR/Krause 25 § 81, 39; BayObLGSt 3 411; OLG München Alsb. E 1 Nr. 204; OLG Nürnberg OLGSt § 81 S. 9. OLG Nürnberg OLGSt § 81 S. 9. OLG Düsseldorf NStZ 1988 150.

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A.A. OLG Hamm NJW 1978 175; OLG Frankfurt GA 1980 375; Mrozynski JR 1983 140. A.A. OLG Zweibrücken MDR 1977 293; OLG Hamm NJW 1978 175; OLG Schleswig SchlHA 1978 87; Kleinknecht 35 12; Schätzler JR 1977 294; wie hier OLG Hamm JMBlNRW 1977 235; OLG Frankfurt GA 1980 475; Doller NJW 1977 2153; OLG Düsseldorf JMBlNRW 1988 20; KK/Maul 13; MeyerGoßner 12; SK/Weßlau 9.

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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung

§ 36

4. Die Übergabe an die Staatsanwaltschaft wird dadurch bewirkt, dass das Gericht 23 die Akten – regelmäßig auf Anordnung des Vorsitzenden – mit der in ihnen enthaltenen unterschriebenen Entscheidung übersendet. Das Gericht hat auf den Vorgang der Vollstreckung keinen Einfluss. Die Staatsanwaltschaft, der die Entscheidung übergeben worden ist, führt die Vollstreckung nach dem Inhalt der Entscheidung ggf. mit Hilfe der Polizei (Verhaftung) durch, bei Vollstreckung von Ordnungs- und Erzwingungshaft (§§ 51, 70, 95) nach § 87 Abs. 1 StrVollstrO, bei Vollstreckung derartiger Ordnungsgelder nach §§ 3 ff. der Einforderungs- und Beitreibungsanordnung (EBAO) vom 20.11. 1974 in der Fassung vom 10.7.1979.50 Der Staatsanwaltschaft obliegt ggf. die Bewilligung von Ratenzahlungen.51 Die Zuständigkeit richtet sich allein nach § 36 Abs. 2 Satz 1, nicht nach § 2 EBAO. Zuständig ist die Staatsanwaltschaft bei dem Gericht, das die Entscheidung erlassen 24 hat, jedoch kann die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht einer ihr unterstellten Staatsanwaltschaft die Zustellung übertragen (§ 145 Abs. 1 GVG).52 Davon wird zweckmäßig Gebrauch gemacht, wenn die Akten etwa nach Revisionsentscheidung des Oberlandesgerichts ohnehin vom Generalstaatsanwalt an die Staatsanwaltschaft beim Landgericht zurückgegeben und dort weitere Verfügungen getroffen werden müssen. Dagegen scheidet eine Übertragung aus, wenn eine nachgeordnete Staatsanwaltschaft am Verfahren nicht beteiligt ist, z.B. bei Strafsachen, die in erster Instanz von dem Oberlandesgericht entschieden werden (§ 120 Abs. 1 GVG). 5. Veranlassung des Erforderlichen. Außer der Zustellung hat die Staatsanwaltschaft 25 auch das Erforderliche zu veranlassen. Diese Regelung beruht auf der Erkenntnis, dass „die sachgerechte Veranlassung von Vollstreckungsmaßnahmen und deren Ausführung eher durch den Einsatz der vorzugsweise der Staatsanwaltschaft zur Verfügung stehenden Mittel zu verwirklichen sind“.53 Die Befugnis, das Erforderliche zu veranlassen, hat nur der Staats- oder Amtsanwalt. 26 Die Geschäftsstelle darf die Zustellung vollstreckbarer Entscheidungen nicht anordnen, sondern nur Anordnungen des Staats- oder Amtsanwalts ausführen. Die Auffassung, bei der Staatsanwaltschaft könne die Anordnung der Zustellung der Geschäftsstelle übertragen werden,54 ist abzulehnen, weil die Strafprozessordnung, wenn sie von Staatsanwaltschaft spricht, immer den Staatsanwalt und Amtsanwalt meint (§ 142 GVG), und damit die Übertragung einer – nicht vorhandenen – gesetzlichen Grundlage bedürfte. Dagegen können die Länder bestimmen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Anordnungen des Staatsanwalts Beamte des gehobenen oder – wie es regelmäßig der Fall ist – des mittleren Dienstes auszuführen haben.

IV. Richterliche Vollstreckung 1. Ordnung in der Sitzung (Absatz 2 Satz 2). Entscheidungen, welche die Ordnung in 27 den Sitzungen nach §§ 169 ff. GVG betreffen, vollstreckt der Richter selbst. Nach § 179 GVG hat der Vorsitzende die Vollstreckung der Ordnungsmittel unmittelbar zu veranlassen. Nach § 31 Abs. 3 RPflG ist die Durchführung der Vollstreckung verhängter Ordnungsmittel dem Rechtspfleger übertragen, soweit sich der Vorsitzende dies nicht selbst 50 51

Pohlmann/Jabel/Wolf § 33, 1. OLG Hamm GA 1960 318; JMBlNRW 1971 274.

52 53 54

KK/Maul 10, 16; SK/Weßlau 12. BTDrucks. 7 551 S. 158; Meyer-Goßner 13. Müller-Sax 6 2.

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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

vorbehält.55 Die Staatsanwaltschaft ist zur Vollstreckung nicht befugt,56 wohl aber verpflichtet, auf eine versehentlich unterbliebene Vollstreckung hinzuwirken. Der Richter ist nicht berechtigt, die Vollstreckung zu unterlassen, kann aber einen Gnadenerweis anregen. 2. Weitere Zuständigkeiten

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a) Grundsatz. Nach früherem Recht konnte der Richter die Vollstreckung von Beschlüssen und Verfügungen stets unmittelbar veranlassen. Dafür enthält die neue Fassung keine Grundlage mehr. Gleichwohl muss dem Richter weiterhin die Befugnis und gegebenenfalls die Pflicht eingeräumt werden, auch Entscheidungen zu vollstrecken, die nicht nur die Ordnung in den Sitzungen betreffen. Dafür spricht einmal, dass der Gesetzgeber – wie die Regelung des Satzes 2 bestätigt (Rn. 27) – den Richter nicht schlechthin als Vollstreckungsbehörde ausschließt. Sie wird zusätzlich durch die Erwägung gestützt, dass mit den neuen Zuständigkeitsregelungen zugleich erreicht werden sollte, die Verfahren insgesamt zu beschleunigen und ein sachlich nicht gebotenes oder gar unsinniges Hin- und Hersenden der Akten zu vermeiden.

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b) So obliegt dem Richter die Vollstreckung von Erzwingungshaft gegen einen Zeugen (§ 70 Abs. 2) oder der Anordnung zur Herausgabe von Beweismitteln (§ 95 Abs. 2 i.V.m. § 70 Abs. 2). Das ist auch schon deshalb geboten, weil jederzeit ein Vollstreckungshindernis eintreten kann (Aussage des Zeugen, Geständnis oder Tod des Beschuldigten, Amnestie, Bekanntwerden von Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen, die beim Beschuldigten liegen), das allein der Richter berücksichtigen kann 57 oder wenn eine Trennung zwischen Richterspruch und dessen Vollstreckung nicht durchführbar ist.58 Eine Ausnahme ist nur dann zulässig, wenn die Erzwingungshaft gegen einen Zeugen angeordnet worden ist, den die Staatsanwaltschaft im vorbereitenden Verfahren in eigener Zuständigkeit vernehmen will. In diesem Fall obliegen ihr auch die Vollstreckung der Erzwingungshaft sowie die Entscheidung über etwaige Vollstreckungshindernisse.59 Allerdings hat der auf richterliche Anordnung inhaftierte Zeuge aufgrund entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 2 Satz 2 jederzeit das Recht, den Ermittlungsrichter anzurufen.

30

c) Auch die Anordnung von Beweiserhebungen hat das Gericht 60 oder sein Vorsitzender 61 durchzuführen, sofern nicht Maßnahmen in Betracht kommen, für die es den Gerichten an einer besonderen gesetzlichen Grundlage fehlt, die aber für die Staatsanwaltschaft gegeben ist.62 Das ist etwa bei der Durchführung polizeilicher Ermittlungen der Fall. Bei diesen ist das Gericht auf die allgemeine Amtshilfe angewiesen, während die Staatsanwaltschaft ein Anordnungs- (§ 152 Abs. 1 GVG) und Auftragsrecht (§ 161 Abs. 1) hat.

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d) Wegen der Anordnung und Ausführung von Ladungen – auch in Privatklagesachen s. § 214 Abs. 1;63 wegen sonstiger Zustellungen und Vollstreckungen in Privat-

55 56 57 58

LR/Wickern 25 § 179, 1, 7 GVG. RGSt 15 230. Wessels FS Mayer 600; LR/Dahs 25 § 70, 20 ff.; Meyer-Goßner 14. VerfGH NRW OVGE 20 311, 315.

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59 60 61 62 63

Vgl. Rn. 21 und BGH NStZ 1989 280. OLG Kassel GA 40 (1892) 357. OLG Celle GA 37 (1889) 73. OLG Celle GA 59 (1912) 366. LR/Gollwitzer 25 § 214, 11.

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klagesachen s. § 385 Abs. 1 (allgemein) 64 und § 390 Abs. 3 Satz 2 (Zustellung von Rechtsmittelschriften).65 e) Zustellung der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft. Die Zustellung der 32 Revisionsanträge der Staatsanwaltschaft und ihrer Begründung obliegt ebenfalls dem Vorsitzenden. Absatz 1 steht dieser Auffassung schon deshalb nicht entgegen, weil dieser nur gerichtliche Entscheidungen betrifft.66 Eine Pflicht der Staatsanwaltschaft, ihre Revisionsbegründung selbst zuzustellen, besteht nicht. Sie kann namentlich nicht aus § 320 hergeleitet werden, nach dessen Satz 2 die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten die Berufungseinlegungs- und Berufungsbegründungsschrift selbst zustellen muss, wenn sie dieses Rechtsmittel eingelegt hat. Eine dieser Vorschrift entsprechende Regelung besteht für das Revisionsverfahren nicht. Die Anordnungszuständigkeit des Vorsitzenden ist nicht nur zweckmäßig, sondern 33 wegen der Besonderheiten des Revisionsverfahrens auch notwendig. Der Staatsanwalt muss die Revisionsbegründung – aus den Handakten – in der Frist des § 345 Abs. 1 bei dem Gericht anbringen, dessen Urteil er angefochten hat und bei dem sich auch die Akten befinden. Die Revisionsbegründung muss dem Gegner zugestellt (§ 347 Abs. 1 Satz 1) und alsdann noch die einwöchige Frist des § 347 Abs. 1 Satz 2 zur Abgabe einer etwaigen Gegenerklärung abgewartet werden, bevor die Akten der Staatsanwaltschaft zur Weiterleitung an das Revisionsgericht übergeben werden. Die Gegenerklärung kann der Revisionsgegner aber auch zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts abgeben. Bei diesem Verfahrensablauf wäre es unzweckmäßig, wenn nicht das Gericht, bei dem sich die Akten ohnehin befinden, die Zustellung der Revisionsbegründung anordnen würde, sondern die Akten hin und her geschickt werden müssten. Es ist daher davon auszugehen, dass die Zustellung der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft ausnahmslos dem Gericht obliegt.67 Gleichwohl ist auch die Zustellung der eigenen Revisionsbegründung durch die Staatsanwaltschaft wirksam.68

V. Mängel bei der Anordnung der Zustellung 1. Eine bewirkte Zustellung ohne Anordnung des Vorsitzenden ist – auch an die 34 Staatsanwaltschaft nach § 41 – unwirksam.69 Schon nach § 36 a.F. entsprach es ständiger Rechtsprechung, dass eine ohne eine entsprechende Anordnung des Staatsanwalts bewirkte Zustellung unwirksam war.70 Die Neufassung hat – abgesehen von der Übertragung der Anordnungsbefugnis auf den Richter – hieran nichts geändert.71 Der Begründung zum Regierungsentwurf ist vielmehr eindeutig zu entnehmen, dass die Ausführung der Anordnung des Vorsitzenden der Geschäftsstelle obliegt. Die Staatsanwalt64 65 66

67 68 69

LR/Hilger 25 § 385, 6 f. LRHilger 25 § 390, 17. OLG Düsseldorf GA 58 (1911) 258; OLG Celle GA 60 (1913) 302; Barre GA 39 (1891) 15; KK/Maul 11. OLG Düsseldorf GA 58 (1911) 258; LR/Hanack 25 § 347, 4. OLG Breslau Alsb. E 1 87; LR/Hanack 25 § 347, 4. RGSt 47 114; BGH NStZ 1986 230; OLG Köln NJW 1962 1929; OLG Hamm – 4. BS –

70 71

VRS 49 (1975) 430 = MDR 1976 66; 6. StS – NStZ 1982 479; OLG Stuttgart MDR 1976 245; OLG Schleswig SchlHA 1976 187; StV 1985 23; OLG Celle NdsRpfl. 1977 26 = MDR 1977 67; OLG Düsseldorf NJW 1982 590 ; MDR 1983 339; VRS 97 (1999) 421; OLG Zweibrücken VRS 53 (1977) 278. RGSt 47 114; OLG Köln NJW 1962 1929. BTDrucks. 7 551 S. 57 f.

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schaft ist nicht – auch nicht hilfsweise – zur Anordnung der vom Vorsitzenden – aus welchen Gründen auch immer – unterlassenen Anordnung der Zustellung befugt.72 Mit einer grundlosen, lediglich den Abschluss des Verfahrens verzögernden Weigerung des Vorsitzenden, die ordnungsgemäße Zustellung der Entscheidung anzuordnen, verstößt er gegen seine sich aus Absatz 1 Satz 1 ergebende Verpflichtung, die wirksame Zustellung anzuordnen.73 Eine unvollständige Anordnung des Vorsitzenden steht einer unterlassenen Anord35 nung gleich. Unvollständig ist eine Anordnung namentlich dann, wenn ihr nicht zweifelsfrei zu entnehmen ist, wem die Entscheidung zuzustellen ist.74

36

2. Eine bewirkte Zustellung entgegen der Anordnung des Vorsitzenden ist ebenfalls unwirksam.75 Die Geschäftsstelle, die zur Ausführung der Anordnung des Vorsitzenden berufen ist, hat sich an die Anordnung des Vorsitzenden zu halten und bei Bedenken ggf. Rücksprache mit diesem zu halten. Sie ist nicht befugt, die Zustellungsanordnung des Vorsitzenden – selbst wenn diese mit Mängeln behaftet sein sollte – eigenmächtig durch eine eigene zu ersetzen. Eine Zustellung entgegen der Anordnung des Vorsitzenden an den Angeklagten anstelle an dessen Verteidiger 76 oder eine solche an den Verteidiger anstelle an den Angeklagten 77 erweist sich als unwirksam, denn es obliegt nicht der Beliebigkeit der Geschäftsstelle, wem die Entscheidung zugestellt wird. Zu Zustellungsmängeln und deren Heilung vgl. § 37, 95 ff.

VI. Anfechtung 37

Soweit der von einer Vollstreckung Betroffene durch diese selbst, nicht durch die ihr zugrunde liegende Anordnung, in seinen Rechten verletzt ist, kann er Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff. EGGVG stellen.78 § 23 EGGVG schließt insoweit eine Lücke in der Strafprozessordnung bezüglich des Rechtsschutzes gegen Vollstreckungsmaßnahmen der Strafverfolgungsorgane.79

72 73 74 75 76

77

Vgl. Rn. 10. OLG Düsseldorf VRS 93 (1997) 170. Vgl. Rn. 11; OLG Hamm NStZ 1982 479; OLG Düsseldorf MDR 1982 428. KK/Maul 5; SK/Weßlau 16; HK/Lemke 9; AK/Kirchner 6. RGRspr. 9 42; RGSt 47 115; OLG Zweibrücken VRS 53 (1977) 278; OLG Düsseldorf VRS 97 (1999) 421; OLG Hamm NZV 1998 475 = VRS 94 (1998) 345. BayObLGSt 1989 1; a.A. OLG Düsseldorf VRS 64 (1983) 270; LR/Wendisch 25 11;

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78 79

Meyer-Goßner 8; HK/Lemke 9; SK/Weßlau 16. BGHSt 28 208. BayVerfGH NJW 1969 229; OLG Stuttgart NJW 1972 2146; 1977 2276; KG GA 1978 244; OLG Koblenz JVBl. 1961 237; OVG Hamburg NJW 1970 1699; Altenhain JZ 1965 756, 758; DRiZ 1970 106; Strubel/Sprenger NJW 1972 1732; KK/Maul 18; Meyer-Goßner 15; kritisch Lisken NJW 1979 1992; a.A. wohl OLG Karlsruhe NJW 1976 1417.

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§ 37

§ 37 (1) Für das Verfahren bei Zustellungen gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung entsprechend. (2) Wird die für einen Beteiligten bestimmte Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte bewirkt, so richtet sich die Berechnung einer Frist nach der zuletzt bewirkten Zustellung.

Schrifttum. Arnold Zustellungen, Ladungen, Vorführungen in der Bundeswehr, NJW 1957 1220; Blaese/Wielop Die Förmlichkeiten der Revision in Strafsachen (1991), S. 76 ff.; Blankenheim Zustellung des Strafbefehls an Nichtseßhafte, MDR 1992 926; Böttcher/Mayer Änderungen des Strafverfahrensrechts durch das Entlastungsgesetz, NStZ 1993 153 (zu § 37 Abs. 2 a.F.); Dünnebier Fristberechnung bei mehrfacher Zustellung (§ 37 Abs. 2 a.F.), JZ 1969 94; Eyinck Zustellungsrecht und Postreform: Gemeinschaftsbriefkasten bei Ersatzzustellung durch Niederlegung, NJW 1998 206; Heß Die Zustellung von Schriftstücken im europäischen Justizraum, NJW 2001 15; ders. Neues deutsches und europäisches Zustellungsrecht, NJW 2002 2417; Hornung Zustellungsreformgesetz, Rpfleger 2002 493; Jastrow Auslandszustellung im Zivilverfahren – Erste Praxiserfahrungen mit der EG-Zustellungsverordnung, NJW 2002 3382; Knauer/Wolf Zivilprozessuale und strafprozessuale Änderungen durch das Erste Justizmodernisierungsgesetz, Teil 1: Änderungen der ZPO, NJW 2004 2857, 2860; dies. Zivilprozessuale und strafprozessuale Änderungen durch das Erste Justizmodernisierungsgesetz, Teil 2: Änderungen der StPO, NJW 2004 2932; Kohlhaas Mehrfache Zustellung nach § 37 StPO, NJW 1967 24; Kunz Die Rechtskraft bei Zustellung an Minderjährige, MDR 1979 723; H. W. Mayer-Rang Der Lebensgefährte – untauglicher Empfänger einer Ersatzzustellung? NJW 1988 811; Meyer-Goßner Änderungen der Strafprozeßordnung durch das Rechtspflegeentlastungsgesetz, NJW 1993 499 (zu § 37 Abs. 2 a.F.); Reichert Der Zugangsnachweis beim Einwurf-Einschreiben, NJW 2001 2523; Scheld/Ledigbund Ersatzzustellung, Zwangsvollstreckung. DGVZ 1983 65; Schweckendiek Die ordnungsgemäße Ladung von jugendlichen Angeklagten und minderjährigen Zeugen zu Hauptverhandlung, NStZ 1990 170; Siegismund/Wickern Das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege – ein Überblick über die Änderungen der StPO, des GVG, des JGG und des StGB (Teil 1), wistra 1993 81 (zu § 37 Abs. 2 a.F.); Westphal Noch einmal: Gemeinschaftsbriefkasten bei Ersatzzustellung durch Niederlegung, NJW 1998 2413; Wunsch Zustellungsreformgesetz – Vereinfachung und Vereinheitlichung des Zustellwesens, JuS 2003 273.

Entstehungsgeschichte. Obwohl § 37 zunächst nicht geändert wurde, ist doch das strafprozessuale Zustellungsverfahren durch vorübergehende Kriegsvereinfachungsmaßnahmen und durch Änderungen der Zivilprozessordnung beeinflusst worden. Die bedeutsamste Änderung ist die über die Heilung von Zustellungsmängeln (§ 187 ZPO a.F.) durch Abschn. 2 Nr. 2 ZustVO, beibehalten durch Art. 2 Nr. 20 VereinhG. Satz 2 ist angefügt durch Art. 4 Nr. 6 des 3. StRÄndG, weil auch bei den gesetzlichen Fristen der Strafprozessordnung ebenso wie bei den Notfristen der Zivilprozessordnung der Nachweis der formgerechten Zustellung unerlässlich erschien.1 Durch Art. 2 Nr. 1 RpflEntlG ist ein neuer Absatz 2 eingefügt und der bisherige Absatz 2 nunmehr Absatz 3 geworden. Zufolge des neuen Absatzes 2 konnten Zustellungen im Ausland durch Einschreiben mit Rückschein bewirkt werden, wenn aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen Schriftstücke unmittelbar durch die Post versandt werden dürfen. Der frühere Absatz 2 – dann Absatz 3 – ist unverändert geblieben. Er war durch Art. 10 Nr. 1 StPÄG 1964 eingefügt worden. Das war notwendig geworden, weil durch Art. 3 Nr. 4 (§ 145a) die Zustellung an den Verteidiger neu geregelt worden und dadurch die Gefahr gewach1

BTDrucks. 1 3713 S. 46.

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sen ist, dass mehrere Zustellungen vorgenommen werden. Dem dadurch möglicherweise entstehenden Zweifel, wann die Frist zu laufen beginnt, soll durch den bisherigen Absatz 3 (jetzt Absatz 2) begegnet werden. Durch das Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz – ZustRG) vom 25.6.2001 2 ist das Zustellungsrecht nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung umfassend geändert worden. Diese Änderungen haben Anpassungen in § 37 erforderlich gemacht, der nach wie vor für das Verfahren bei Zustellungen im Strafverfahren auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung verweist. Die Reform des Zustellungsrechts verfolgt das Ziel, das seit Inkrafttreten der Zivilprozessordnung weitgehend in seinen Grundzügen und seiner Systematik unverändert gebliebene Verfahren bei Zustellungen gemäß §§ 166 bis 213a ZPO den gewandelten Lebensverhältnissen und insbesondere der technischen Entwicklung anzupassen und berücksichtigt die Auswirkungen der Poststrukturreform. Das Gesetz soll ferner das Verfahren bei förmlicher Zustellung im gerichtlichen Verfahren vereinfachen und die Möglichkeiten der Geschäftsstelle erweitern, zwischen mehreren Zustellungsformen auswählen zu können. Die Ersatzzustellung wird vereinfacht. Insbesondere wird die kostenaufwändige und für den Zustellungsadressaten oft umständliche beurkundete Zustellung durch Niederlegung, soweit vertretbar, vermieden und der zunehmende Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel berücksichtigt.3 Durch Art. 2 Abs. 12 Nr. 1 ZustRG wurde der bisherige Absatz 1 Satz 2 aufgehoben. Die Regelung ist entbehrlich geworden, weil Zustellungsmängel nach § 189 ZPO unbeachtlich sind, wenn der Zustellungszweck erreicht ist. Das gilt auch dann, wenn durch die Zustellung der Lauf einer Notfrist (im Strafverfahren einer Rechtsmittel- oder Rechtsbehelfsfrist) in Gang gesetzt werden soll.4 Durch Art. 2 Absatz 12 Nr. 2 ZustRG wurde der bisherige Absatz 2 – wieder – aufgehoben. Einer Zustellung im Ausland durch Einschreiben mit Rückschein, soweit aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen Schriftstücke unmittelbar durch die Post übersandt werden dürfen, ist nach § 183 ZPO ohne Einschränkungen für das Zustellungsverfahren der ordentlichen Gerichte und Fachgerichtsbarkeiten möglich.5 Übersicht Rn. I. Zustellungsverfahren (Absatz 1) 1. Begriff der Zustellung . . . . . . . . 2. Gegenstand der Zustellung . . . . . 3. Zustellungsadressat . . . . . . . . . 4. Verfahren bei Zustellungen . . . . . 5. Nicht anwendbare Vorschriften a) § 167 ZPO . . . . . . . . . . . . b) § 170 ZPO . . . . . . . . . . . . c) § 171 ZPO . . . . . . . . . . . . d) § 172 ZPO . . . . . . . . . . . . e) § 184 ZPO . . . . . . . . . . . . f) § 191 ZPO . . . . . . . . . . . . g) § 192 ZPO . . . . . . . . . . . . h) § 195 ZPO . . . . . . . . . . . . 6. Beschränkt anwendbare Vorschriften a) §§ 185 bis 188 ZPO . . . . . . . b) §§ 192 bis 194 ZPO . . . . . . . 7. Anwendbare Vorschriften

2 3

BGBl. I S. 1206. BTDrucks. 14 4554 S. 13; 14 5564 S. 1.

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Rn. a) Allgemeines . . . . . . . . . . b) § 166 ZPO . . . . . . . . . . . c) § 168 ZPO . . . . . . . . . . . d) § 173 ZPO . . . . . . . . . . . e) § 174 ZPO . . . . . . . . . . . f) § 175 ZPO . . . . . . . . . . . g) § 176 ZPO . . . . . . . . . . . h) § 177 ZPO . . . . . . . . . . . i) § 183 ZPO . . . . . . . . . . . j) § 190 ZPO . . . . . . . . . . . 8. Ersatzzustellung a) Wohnung, Geschäftsräume und Einrichtungen (§ 178 ZPO) . . aa) Wohnung . . . . . . . . . bb) Familienangehöriger; in der Familie beschäftigte Person; ständiger Mitbewohner . . cc) Geschäftsräume . . . . . .

1 2 4 11 12 13 15 17 18 19 20 21 22 23

4 5

BTDrucks. 14 4554 S. 27. BTDrucks. 14 4554 S. 23, 27.

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. . . . . . . . . .

24 25 26 31 34 45 49 52 53 54

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55 57

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67 71

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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung Rn. dd) Gemeinschaftseinrichtungen . . . . . . . . . . . . b) Zustellung bei verweigerter Annahme (§ 179 ZPO) . . . . . . c) Einlegen in den Briefkasten (§ 180 ZPO) . . . . . . . . . . . d) Niederlegung (§ 181 ZPO) . . . . e) Zustellungsurkunde (§ 182 ZPO) 9. Zustellungen von Verfahrensurkunden und gerichtlichen Entscheidungen im Ausland a) Allgemeines . . . . . . . . . . . b) Einschreiben mit Rückschein (§ 183 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) . . . . c) Behörden des fremden Staates oder diplomatische oder konsu-

72 74 77 81 85

87 88

Rn. larische Vertretung ( § 183 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) . . . . . . . . . . . . d) Immunität (§ 183 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . 10. Zustellungsmängel a) Heilung . . . . . . . . . . . . . b) Unwirksamkeit . . . . . . . . . . aa) Anordnung . . . . . . . . . bb) Durchführung . . . . . . . . cc) Beurkundung . . . . . . . . II. Mehrfache Zustellung (Absatz 2) 1. Inhalt . . . . . . . . . . . . 2. Rechtskraft . . . . . . . . . 3. Empfangsberechtigte . . . . 4. Zustellung . . . . . . . . .

. . . .

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90 94 95 97 98 99 100

102 104 105 107

Alphabetische Übersicht Abschrift 3 Amtsstelle 31 f. Annahmeverweigerung 48, 74 Auslandsvertretung 92 Auslandszustellung 53, 87 Behörde 30 Bevollmächtigter 16 Briefkasten 77 ff. Datumsangabe auf dem Empfangsbekenntnis 41 Diplomatische Vertretung 90 Ehegatte 67 Einschreiben mit Rückschein 45 f., 53, 87 ff. Einwurfeinschreiben 46 Elektronisches Dokument 39 f. – Empfangsbekenntnis 44 Elektronische Post 39 Elektronische Signatur – fortgeschrittene 40 – qualifizierte 40, 44 Empfangsbekenntnis 34 ff. – als elektronisches Dokument 44 – Form 41 – Inhalt 41 – durch Telefax 43 Empfangsberechtigte 105 Ermessen 26 Ersatzempfänger 47 Ersatzzustellung 55 ff. Familienangehöriger 47, 67 Gemeinschaftseinrichtung 55, 72, 75 Gerichtsvollzieher 23, 30 Geschäftsräume 55, 71, 74 Geschäftsstelle 82 Gewerbetreibende 71 Heilung von Zustellungsmängeln 95 ff. Immunität 94 Inhaftierung 59 Justizbediensteter 28 Kontaktadresse 62 Krankenhausaufenthalt 60

Lagerfrist 48 Lebenspartner 68 Legaldefinition 25 Mehrfachzustellung 102 f., 106 Minderjähriger 4 Mitbewohner 67, 69 Nebenkläger 14, 22 Niederlegung 81 – Benachrichtigung 83 f. Niederlegungsstellen 82 Öffentliche Urkunde 80 Öffentliche Zustellung 22 Persönlichkeitsschutz 56 Pflegeeltern 67 Pflegekind 67 Pflichtverteidiger 5 Post 29 Postagenturen 82 Postfach 83 Privatkläger 14, 22 Prozessfähigkeit 14 Rechtshilfeersuchen 93 Rechtskraft 104 Scheinwohnung 63 Schiff 30, 64 Sicherheitsleistung 22 Soldaten 65, 72 Strafhaft 59 Studenten 66 Subsidiarität 50, 78 Telefax 38 Übergabeeinschreiben 46 Untersuchungshaft 59 Verhandlungsfähigkeit 14 Verteidiger 6, 9, 10, 106 Vertreter 14, 15, 31, 72 Vorschriften – anwendbare 24 ff. – beschränkt anwendbare 22 ff. – nicht anwendbare 12 ff.

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Wahlverteidiger 5 Wohnsitzlose 30 Wohnung 55, 57, 74 Zugangsfiktion 56, 76 Zustellung – Begriff 1, 25 – Beurkundung 1, 100 – Datum 42 – Form 3 – Gegenstand 2 – Gerichtsvollzieher 23 – Legaldefinition 1 – Mängel 99 – mehrfache 102 – Nachweis 80, 89 – durch Niederlegung 54

– öffentliche 22 – Ort 52 – Telefax 38 – Unwirksamkeit 42, 68, 97 – Verteidiger 9 – Wirksamkeit 102 Zustellungsadressat 4, 14, 39 Zustellungsauftrag 54 Zustellungsbevollmächtigter 5, 16, 102 Zustellungsfiktion 76 Zustellungsmängel 95 Zustellungsnachweis 80 Zustellungsurkunde 1, 54, 85 f. Zustellungsverfahren 1 ff., 11 Zustellungsvollmacht 6

I. Zustellungsverfahren (Absatz 1) 1

1. Begriff der Zustellung. § 166 Abs. 1 ZPO enthält nunmehr eine Legaldefinition des Begriffs der Zustellung, der bis dahin von der Rechtsprechung als der in der gesetzlichen Form zu bewirkende und zu beurkundende Akt, durch den dem Adressaten Gelegenheit zur Kenntnisnahme eines Schriftstücks verschafft wird, definiert wurde.6 Zustellung im Sinne von § 166 Abs. 1 ZPO ist nunmehr die Bekanntgabe eines Dokuments an eine Person in der im Titel 2 der Zivilprozessordnung bestimmten Form. Die Legaldefinition weicht von dem früheren Begriff der Zustellung damit in einem wesentlichen Punkt ab. Der Gesetzgeber sieht jetzt in der Beurkundung des Zustellungsvorgangs keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Zustellung, sondern lediglich die Möglichkeit des Nachweises.7 Die Beurkundung ist also kein notwendiger (konstitutiver) Bestandteil der Zustellung mehr. Vielmehr besteht der Zustellungszweck darin, dem Adressaten angemessene Gelegenheit zur Kenntnisnahme des Schriftstücks zu verschaffen. Die Zustellung dient damit der Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), des Anspruchs auf Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie der Rechtssicherheit. Den Nachweis der Zustellung und ihres Zeitpunktes kann der Zustellende durch die in den einzelnen – anwendbaren – Vorschriften hierfür vorgesehenen Beurkundungen, aber auch in anderer Weise führen.8 Der Zustellungsurkunde kommt aber auch jetzt noch wegen ihrer Beweiskraft als öffentliche Urkunde (§§ 415, 418 ZPO) eine herausragende Bedeutung zu. Die Legaldefinition der Zustellung erlaubt es nunmehr, technische Möglichkeiten moderner Kommunikationsdienste zu nutzen.9

2

2. Gegenstand der Zustellung. Der Gesetzgeber hat bewusst darauf verzichtet, eine Aufzählung der zuzustellenden Schriftstücke in das Gesetz aufzunehmen.10 Das Ob der Zustellung bleibt vielmehr den jeweiligen Verfahrensvorschriften vorbehalten. Ob ein Schriftstück zuzustellen ist, richtet sich damit nach den Notwendigkeiten des Strafverfahrens. Die §§ 166 ff. ZPO enthalten keine Regelungen darüber, in welcher Form das Schrift3 stück (Urschrift, Ausfertigung, beglaubigte oder einfache Abschrift) 11 zuzustellen ist. 6 7 8 9

BGH NJW 1978 1858. BTDrucks. 14 4554 S. 15; Heß NJW 2002 2417, 2418. BTDrucks. 14 4554 S. 15. BTDrucks. 14 4554 S. 15.

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10 11

BTDrucks.14 4554 S. 15. Zu den Begriffen vgl. MünchKommZPO/ Aktualisierungsbd. – Wenzel § 166, 8 ff. ZPO.

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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung

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Nach dem Willen des Gesetzgebers ist die Festlegung der jeweiligen materiell-rechtlichen oder prozessrechtlichen Norm vorbehalten.12 Die Zustellung kann, vorbehaltlich einer gesetzlich vorgeschriebenen Form, auch durch Übergabe einer einfachen Abschrift erfolgen.13 Dessen ungeachtet sollte auch weiterhin durch Übergabe einer beglaubigten Abschrift, deren Inhalt in allen wesentlichen Teilen mit der Ausfertigung übereinstimmen muss, zugestellt werden.14 Die Beglaubigung dient wie die Beurkundung des Zustellungsvorgangs nunmehr nur noch der Beweisführung und bezweckt, die Übereinstimmung des zugestellten Schriftstücks mit dem Original (oder einer Ausfertigung) zu dokumentieren. Sofern sich der Zustellungsadressat darauf beruft, dass das an ihn zugestellte Schriftstück inhaltlich nicht mit dem zuzustellenden übereinstimmt, hat derjenige, der sich auf die Wirksamkeit der Zustellung beruft, den Beweis der inhaltlichen Übereinstimmung zu führen. 3. Zustellungsadressat ist regelmäßig derjenige, für den das zuzustellende Schrift- 4 stück bestimmt ist.15 Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Zustellungsadressat geschäftsfähig ist.16 Die Zustellung an einen Minderjährigen ist daher grundsätzlich an diesen selbst zu adressieren.17 Der Wirksamkeit der Zustellung steht zwar die fehlende oder eingeschränkte Geschäftsfähigkeit des Zustellungsadressaten nicht entgegen, wohl aber dessen Verhandlungsunfähigkeit.18 Der gesetzliche Vertreter ist nicht empfangsberechtigt.19 Anders als im Zivilprozess (§ 184 Abs. 1 ZPO) besteht für den Betroffenen – außer in 5 den Fällen des § 116a Abs. 3, § 127a Abs. 2, § 132 Abs. 1 Nr. 2 – keine Pflicht, einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen. Er kann sich jedoch auch in anderen als den dort geregelten eines Zustellungsbevollmächtigten bedienen.20 Seitdem der Pflichtverteidiger, der Wahlverteidiger, dessen Vollmacht sich spätestens im Zeitpunkt der Ausführung der Zustellung 21 bei den Akten befindet (§ 145a Abs. 1 ) 22 sowie der Vertreter des Einziehungsbeteiligten (§ 434 Abs. 1) als ermächtigt gelten, Zustellungen, außer Ladungen (§ 145a Abs. 2 Satz 1), entgegen zu nehmen, hat die Zustellungsvollmacht im Strafverfahren nur noch geringe praktische Bedeutung. Sie kommt aber noch bei der Ladung zur Hauptverhandlung 23 oder wenn anderen Personen als Verteidigern Zustellungsvollmacht erteilt werden soll, in Betracht. Mit der Bevollmächtigung wird der Bestellte Zustellungsadressat.24 Die Zustellungs- 6 vollmacht bleibt gegenüber dem Gericht so lange wirksam, bis diesem die Rücknahme zur Kenntnis gebracht worden ist, sei es durch eine Erklärung des Betroffenen oder seines Bevollmächtigten, sei es durch eine die Rücknahme darlegende konkludente Handlung.25 Wegen der Zustellung an den Verteidiger und an den Vertreter des Ein-

12 13

14 15 16 17

BTDrucks. 14 4554 S. 15. Hannich/Meyer-Seitz/Häublein ZPO-Reform 2002 mit Zustellungsreformgesetz, § 166, 5 ZPO; MünchKommZPO/Aktualisierungsbd.Wenzel § 166, 15 ZPO. BGH VersR 1971 470. KK/Maul 9; Meyer-Goßner 3; SK/Weßlau 4; AK/Kirchner 8; KMR/Paulus 11. Schweckendiek NStZ 1990 170. KK/Maul 9; Meyer-Goßner 3; SK/Weßlau 4; AK/Kirchner 8; KMR/Paulus 11; KG StV 2003 343.

18 19 20 21 22 23 24 25

OLG Düsseldorf MDR 1993 70. OLG Düsseldorf NStZ 1996 52 bzgl. eines Betreuers; OLG Schleswig SchlHA 1983 106. RGSt 43 321. OLG Hamm NStZ 1982 129. BGH NStZ 1996 97; OLG Karlsruhe MDR 1996 842. Greßmann NStZ 1991 216; RGSt 43 321. Greßmann NStZ 1991 216; KK/Maul 9. BayObLGSt 6 (1907) 11.

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ziehungsbeteiligten vgl. § 145a, wegen der an den Vertreter des Privatklägers vgl. § 378 Satz 2; wegen der Zustellung bei mehreren Zustellungsadressaten vgl. Rn. 106 f. Ausnahmen von der Zustellung an einen Zustellungsbevollmächtigten bestehen nach einer gefestigten Rechtsprechung, wenn der Nachweis der Zustellung dazu dient, „die persönliche Gestellung des Angeklagten zu ersetzen“,26 wenn sie „zum Zwecke der Bekanntmachung statt findet“ 27 oder „wenn sonst das rechtliche Gehör gefährdet“ wäre.28 Danach soll die Zustellung an den Zustellungsbevollmächtigten unzulässig sein 29 bei der Mitteilung der Anklageschrift (§ 201 Abs. 1);30 dem Beschluss, durch den der Angeklagte von der Verpflichtung entbunden wird, in der Hauptverhandlung zu erscheinen (§ 233 Abs. 1);31 der Ladung zur Hauptverhandlung über die Berufung des Angeklagten (§ 323 Abs. 1 Satz 2);32 in Abwesenheit verkündeten Urteilen mit Ausnahme derjenigen der Revisionsgerichte 33 und bei Strafbefehlen. Weitere Ausnahmen werden anerkannt für die Zustellung an den in der Hauptverhandlung anwesenden Zustellungsbevollmächtigten eines bei der Urteilsverkündung nicht anwesenden Einziehungsbeteiligten 34 und an den nach § 116a Abs. 3 bestellten Zustellungsbevollmächtigten eines bei der Urteilsverkündung anwesenden Angeklagten.35 Für die Zustellung an den Verteidiger (§ 145a Abs. 1) und an den Vertreter des Einziehungsbeteiligten (§ 434 Abs. 1) ist diese Rechtsprechung durch die Neufassung der genannten Bestimmungen überholt. Zustellung ist zulässig an die ausdrücklich zum Empfang von Zustellungen bestimmten Bevollmächtigten in den Fällen des § 116a Abs. 3, § 127a Abs. 2, § 132 Abs. 1 Nr. 2 36 sowie an den Vertreter des Privat- und Nebenklägers. Aus der Regelung des § 145a Abs. 1 ist zu folgern, dass die Zustellung an Zustellungsbevollmächtigte auch dann zulässig ist, wenn sie keine Verteidiger sind. Denn wenn einer Person zugestellt werden kann, die kraft Gesetzes (nur) als ermächtigt gilt, Zustellungen entgegen zu nehmen, muss sie erst recht an eine Person zulässig sein, die der Berechtigte kraft seines Willens ermächtigt hat. Er hat ihn ja gerade ausgewählt, um durch die Zustellung an seinen Vertrauensmann alle Zufälligkeiten auszuschließen, wie sie namentlich der Ersatzzustellung anhaften. Wird dem Zustellungsbevollmächtigten der Aufenthalt des Vollmachtgebers unbekannt, so kann er die Vollmacht durch Anzeige an das Gericht niederlegen. 4. Verfahren bei Zustellungen. Nach § 37 Abs. 1 gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung für das Verfahren bei Zustellungen entsprechend. Für jede einzelne Vorschrift der Zivilprozessordnung muss geprüft werden, ob sie sich nach ihrem Inhalt für eine entsprechende Anwendung im Strafverfahren eignet. Soweit das der Fall ist, sind die Vorschriften auch bei der Zustellung an die Staatsanwaltschaft nach § 41 zu beachten.37 Das Verfahren bei Zustellungen ist nunmehr in den §§ 166 bis 195 ZPO geregelt. 5. Nicht anwendbare Vorschriften

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a) § 167 ZPO. Die Vorschrift regelt die Rückwirkung der Zustellung, wenn durch diese eine Frist gewahrt oder die Verjährung unterbrochen werden soll. Sie ersetzt die 26 27 28 29 30 31

RGSt 44 48. RGSt 19 390. RGSt 63 14. Janetzke NJW 1956 620; ihm folgend KK/Maul 9. Eb. Schmidt 15. RGSt 44 48.

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32 33 34 35 36 37

RGSt 63 11. RGSt 19 390; 34 331; 43 221; BGHSt 15 265; BayObLGSt 3 173. RGSt 34 331; 53 327. RGSt 77 221; Greßmann NStZ 1991 217. OLG München MDR 1995 405. RGSt 72 318.

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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung

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bisherigen Vorschriften der §§ 207, 270 Abs. 3 und 693 Abs. 2 ZPO a.F. § 167 ZPO ist im Strafverfahren nicht entsprechend anwendbar. b) § 170 ZPO. Die Vorschrift entspricht mit sprachlichen Klarstellungen im wesent- 13 lichen § 171 ZPO a.F. und regelt die Zustellung an den gesetzlichen Vertreter bei nicht prozessfähigen Personen. Der dem bürgerlichen Recht eigentümliche Begriff der Prozessfähigkeit hat keine 14 Bedeutung für den Beschuldigten im Strafverfahren.38 Im Verfahren bei Zustellungen wird weder zwischen dem volljährigen und minderjährigen 39 noch zwischen dem geistig gesunden und dem geistig behinderten Beschuldigten unterschieden. Strafprozessual bedeutsam ist nur die Unterscheidung zwischen dem verhandlungsfähigen und verhandlungsunfähigen Beschuldigten. Auf Privatkläger und Nebenkläger ist der Begriff der Prozessfähigkeit zwar anwendbar. Wenn sie jedoch gesetzlich vertreten werden, so steht der Vertreter an Stelle des Vertretenen und ist daher selbst Zustellungsadressat. Für den Privatkläger folgt dies unmittelbar aus § 374 Abs. 3. Für den Nebenkläger ergab sich diese Folgerung bis zum Inkrafttreten des Opferschutzgesetzes am 1. 4.1987 aus der Globalverweisung des § 395 Abs. 1 auf die Rechte des Privatklägers. Nachdem die frühere Globalverweisung durch einen Enumerativkatalog ersetzt worden ist, fehlt nunmehr zwar eine dem § 374 Abs. 3 entsprechende Vorschrift für den Nebenkläger. Nach § 397a Abs. 1 Satz 2 ist jedoch dem Nebenkläger, der seine Interessen ersichtlich nicht selbst wahrnehmen kann, ein Rechtsanwalt als Beistand auch dann zu bestellen, wenn die Tat im Sinne von § 397a ein Vergehen ist oder er durch eine rechtswidrige Tat nach § 225 StGB verletzt ist.40 Es versteht sich von selbst, dass – wenn die Voraussetzungen für den Anschluss bei einem Prozessunfähigen vorliegen – dessen Rechte nur durch einen Rechtsanwalt als Beistand wahrgenommen werden können. Zur Prozessfähigkeit des Antragstellers nach § 172 Abs. 2 vgl. § 172, 40. c) § 171 ZPO. Nach § 171 ZPO kann an den rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter 15 mit gleicher Wirkung wie an den Vertretenen zugestellt werden. Der Vertreter hat nach § 171 Satz 2 ZPO eine schriftliche Vollmacht vorzulegen. Die Vorschrift knüpft an § 173 ZPO a.F. an und erweitert den Kreis der in Betracht kommenden bevollmächtigten Personen. Es ist beabsichtigt, damit die Lücke zu schließen, die dadurch entsteht, dass bestimmte Empfänger einer Ersatzzustellung nicht in Betracht kommen, obwohl ein praktisches Bedürfnis für eine Zustellung an solche Personen (etwa Nachbarn) bestehen kann.41 Die Art des Strafverfahrens erfordert es, gegen den Willen des Beteiligten nicht einem 16 anderen als ihm selbst zuzustellen. Ein Bevollmächtigter kann ihm, sofern nicht der Gesetzgeber insoweit besondere Regelungen getroffen hat (§ 116a Abs. 3, § 127a Abs. 2, § 132 Abs. 1 Nr. 2, § 145a Abs. 1), nicht aufgezwungen werden kann. Das Recht zur Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten bleibt davon unberührt. Vgl. insoweit Rn. 5 ff. d) § 172 ZPO. Die Vorschrift, die die bislang in den §§ 176 bis 178, 210a Abs. 1 17 ZPO a.F. enthaltenen Regelungen über die Zustellung an den Prozessbevollmächtigten

38

OLG Düsseldorf MDR 1993 70; Schweckendiek NStZ 1990 170; KK/Maul 2; MeyerGoßner 5; SK/Weßlau 7.

39 40 41

RG GA 41 (1893) 401; JW 1893 583. LR-Hilger 25 § 397a, 10. BTDrucks. 14 4554 S. 17.

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zusammenfasst, ist nicht anwendbar, weil es im Strafverfahren keine Prozessbevollmächtigten gibt.

18

e) § 184 ZPO. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht bei bestimmten Zustellungen im Ausland (§ 183 Abs. 1 Nr. 2 und 3 ZPO) anordnen, dass die Partei innerhalb einer angemessenen Frist einen Zustellungsbevollmächtigten benennt, der im Inland wohnt oder dort einen Geschäftsraum hat, falls sie nicht einen Prozessbevollmächtigten bestellt hat. § 184 Abs. 2 ZPO regelt die Voraussetzungen einer Zustellungsfiktion. Die Vorschrift, die sich an § 174 ZPO a.F. anlehnt, ist mit Verfahrensmaximen des Strafverfahrens nicht vereinbar und daher im Strafverfahren nicht anwendbar, denn keinem im Ausland befindlichen Verfahrensbeteiligten kann eine Verpflichtung zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten auferlegt werden.

19

f) § 191 ZPO. § 191 ZPO knüpft regelungstechnisch, jedoch unter umgekehrtem Vorzeichen, an § 208 ZPO a.F. an, der für die Zustellung von Amts wegen auf Vorschriften über die Parteizustellung verwies. Da im Strafverfahren alle Zustellungen von Amts wegen bewirkt werden, kommt § 191 ZPO hier keine Bedeutung zu.

20

g) § 192 ZPO. Die Vorschrift regelt die Zustellung durch den Gerichtsvollzieher, die vormals in § 166 ZPO a.F. geregelt war. Eine entsprechende Anwendung wäre lediglich im Privatklageverfahren denkbar, findet dort aber nicht statt (§§ 382, 384 Abs. 1 Satz 1). Für das Verfahren bei unmittelbarer Ladung von Zeugen und Sachverständigen (§§ 220 Abs. 1 Satz 1, § 386 Abs. 2) entspricht § 38 dem § 192 Abs. 1 ZPO. § 192 Abs. 2 ZPO ist in diesen Fällen entsprechend anwendbar.

21

h) § 195 ZPO. Die Vorschrift, die die Zustellung von Anwalt zu Anwalt regelt, entspricht weitgehend wörtlich § 198 ZPO a.F. Die Zustellung von Anwalt zu Anwalt kommt im Strafverfahren nicht vor. 6. Beschränkt anwendbare Vorschriften

22

a) §§ 185 bis 188 ZPO. Die Vorschriften über die öffentliche Zustellung, die weitgehend inhaltlich unverändert geblieben sind, waren bisher in den §§ 203 bis 207 ZPO a.F. enthalten. Die §§ 185 bis 188 ZPO sind im Strafverfahren nur beschränkt anwendbar, denn § 40 enthält eine Sonderregelung für die öffentliche Zustellung an den Beschuldigten, die für den Einziehungsbeteiligten hinsichtlich der Bekanntmachung des Termins zur Hauptverhandlung entsprechend gilt (§ 435 Abs. 1 2. Hs.). Die entsprechende Anwendbarkeit der §§ 185 bis 188 ZPO beschränkt sich im Strafverfahren auf die Zustellung an Beteiligte, die für den Beschuldigten Sicherheit geleistet haben (§ 124 Abs. 2 und 3), an Privat- und Nebenkläger. Über die Bewilligung der öffentlichen Zustellung entscheidet in diesen Fällen das Gericht, bei dem die Sache anhängig ist (§ 186 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Über den Antrag der Staatsanwaltschaft, die öffentliche Zustellung an den Nebenkläger, der Revision eingelegt hat, zu bewilligen, hat das Gericht, dessen Urteil der Nebenkläger angefochten hat, so lange zu entscheiden, bis die Akten dem Revisionsgericht übersandt worden sind.

23

b) §§ 192 bis 194 ZPO. Die Vorschriften regeln die Zustellung durch Gerichtsvollzieher (§ 192 ZPO) und deren Ausführung (§§ 193, 194 ZPO). Die Vorschriften sind im Strafverfahren nur beschränkt anwendbar bei unmittelbarer Ladung von Zeugen und Sachverständigen (§§ 220 Abs. Satz 1, § 386 Abs. 2). § 38 entspricht dem § 192 Abs. 1

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ZPO. § 192 Abs. 2, §§ 193, 194 ZPO sind bei unmittelbarer Ladung von Zeugen und Sachverständigen entsprechend anwendbar. Vgl. auch Rn. 20. 7. Anwendbare Vorschriften a) Allgemeines. Die §§ 166 ff. ZPO regeln lediglich das Übermittlungsverfahren. Die 24 Notwendigkeit, ein Schriftstück förmlich zuzustellen, ergibt sich aus den jeweiligen Prozessordnungen. Mit dem Zustellungsreformgesetz verfolgte der Gesetzgeber u. a. das Ziel, das Zustellungsverfahren zu vereinfachen und effektiver zu gestalten.42 Die Neuregelungen sehen vier alternative Zustellungswege (§§ 173 bis 176 ZPO) vor.43 Über deren Auswahl entscheidet die Geschäftsstelle nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 168 Abs. 1 ZPO),44 sofern der Richter keine besondere Anordnung getroffen hat. Ferner hat das Zustellungsreformgesetz die Grundlage für den Einsatz moderner Kommunikationsmittel geschaffen.45 b) § 166 ZPO. Die Vorschrift enthält eine Legaldefinition des Begriffs der Zu- 25 stellung. Danach wird unter Zustellung die Bekanntgabe eines Dokuments an eine Person in der im Zweiten Titel des Dritten Abschnitts des Ersten Buches der Zivilprozessordnung verstanden. Vgl. auch Rn. 1 ff. c) § 168 ZPO. Die Vorschrift knüpft an § 209 ZPO a.F. an und stellt klar, dass die 26 Ausführung der Zustellung grundsätzlich Sache der Geschäftsstelle (§ 153 GVG) ist. Nach § 168 Abs. 1 Satz 2 ZPO entscheidet der Urkundsbeamte der Geschäftstelle über das Wie der Zustellung nach pflichtgemäßem Ermessen. Gleiches gilt für die Frage, ob ein Schriftstück formlos mitzuteilen oder von Amts wegen zuzustellen ist. Sofern sowohl eine formlose Mitteilung als auch eine Zustellung des Schriftstücks in Betracht kommt, entscheidet das Gericht oder der Staatsanwalt, an dessen Entscheidung der Urkundsbeamte gebunden ist. Aus der Verweisung in § 168 Abs. 1 Satz 1 ZPO auf die §§ 173 bis 175 ZPO ergibt 27 sich, dass der Urkundsbeamte hinsichtlich des Wie der Zustellung zwischen der Zustellung durch Aushändigung an der Amtsstelle (§ 173 ZPO), der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis (§ 174 ZPO) und der Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein (§ 175 ZPO) wählen kann. Mit der Ausführung der Zustellung kann ein nach § 33 Abs. 1 PostG beliehener Unternehmer (Post) oder ein Justizbediensteter beauftragt werden. Der Urkundsbeamte entscheidet insoweit nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Ermessensausübung erfolgt in der Regel dann pflichtgemäß, wenn er den einfachsten und kostengünstigsten Weg wählt, wobei die Erfolgsaussichten des Zustellungsversuchs, aber auch die vorhandenen Personalkapazitäten bei der Zustellung durch Justizbedienstete zu berücksichtigen sind.46 Mit der Ausführung der Zustellung an einen Gefangenen ist regelmäßig ein Bediensteter der Justizvollzugsanstalt zu beauftragen.47 Mit dem Begriff „Justizbediensteter“ in § 168 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist klar gestellt, dass 28 die Geschäftsstelle nicht mehr nur – wie nach früherem Recht – einen Justizwachtmeister, sondern auch andere geeignete Bedienstete des Gerichts, der Staatsanwaltschaft oder Justizvollzugsanstalt mit der Ausführung beauftragen kann. 42 43 44

BTDrucks. 14 4554 S. 13; BTDrucks. 14 5564 S. 1, vgl. Entstehungsgeschichte. Heß NJW 2002 2417, 2418f. MünchKommZPO/Aktualisierungsbd.Wenzel § 168, 2 ZPO.

45 46 47

Im Einzelnen Heß NJW 2002 2417, 2420. BTDrucks. 14 4554 S. 16. BTDrucks. 14 4554 S. 16.

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Die Geschäftsstelle kann aber auch die Post mit der Ausführung der Zustellung beauftragen. Unter dem Begriff „Post“ sind nach der Legaldefinition in § 168 Abs. 1 Satz 2 ZPO die nach § 33 Abs. 1 PostG beliehenen Unternehmer zu verstehen. Für die Beförderung der zuzustellenden Sendung kommt nicht nur die für Briefsendungen mit 200 Gramm bis 31.12.2007 (§ 51 Abs. 1 Satz 1 PostG i.d.F. vom 2.9.2001) 48 mit einer Exklusivlizenz ausgestattete Deutsche Post AG (§ 5 Abs. 1, § 51 Abs. 1 PostG), sondern auch jeder andere Lizenznehmer in Betracht, der Briefzustelldienstleistungen anbietet und ausführt. Denn nach § 33 Abs. 1 PostG ist jedes – nicht nach Absatz 2 befreites – lizensierte Unternehmen zur förmlichen Zustellung von Schriftstücken unabhängig von ihrem Gewicht verpflichtet und ist insoweit als beliehener Unternehmer mit Hoheitsbefugnissen versehen. Verspricht in Einzelfällen die Zustellung nach § 168 Abs. 1 ZPO keinen Erfolg, so 30 kann der Vorsitzende des Gerichts und bei Zustellungen durch die Staatsanwaltschaft der zuständige Staatsanwalt nach § 168 Abs. 2 ZPO den Gerichtsvollzieher oder eine andere Behörde mit der Zustellung beauftragen. Die beauftragte Behörde und der Gerichtsvollzieher werden in diesem Fall als gesetzliches Zustellungsorgan für die Zustellung von Amts wegen tätig.49 Die Vorschrift ist erforderlich für die Zustellung auf Schiffen, die im Bereich der Binnenschifffahrt bislang gewohnheitsrechtlich durch die Wasserschutzpolizei erfolgte oder aber auch für die Zustellung an Personen ohne festen Wohnsitz, deren Aufenthaltsort bekannt ist.50

31

d) § 173 ZPO. Die Vorschrift entspricht im wesentlichen § 212b ZPO a.F. und regelt die Zustellung durch Aushändigung an der Amtsstelle. Als Zustellungsempfänger kommen neben dem Adressaten auch rechtsgeschäftlich bestellte Vertreter (§ 171 ZPO) in Betracht. Keine rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter sind die in § 170 ZPO genannten Vertreter und Prozessbevollmächtigten (§ 172 ZPO). Diese sind vielmehr selbst als Adressaten im Sinne von § 173 Satz 1 ZPO anzusehen, wie die Bezugnahme auf § 171 Satz 2 in § 173 Satz 2 2. Hs. ZPO belegt.51 Die Zustellung kann an der Amtsstelle bewirkt werden. Dieser Begriff umfasst jeden 32 Dienstraum des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft, auch den Gerichtsflur, aber auch andere Orte, an denen gerichtliche oder staatsanwaltschaftliche Tätigkeiten im Einzelfall ausgeübt werden,52 also unter Umständen auch im Krankenhaus oder eine Pflegeeinrichtung. Die Zustellungshandlung kann der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle selbst oder der 33 von diesem mit der Ausführung der Zustellung beauftragte Bedienstete vornehmen. Der Vermerk über die Aushändigung (§ 173 Satz 2 und 3 ZPO) ersetzt als Nachweis die Zustellungsurkunde. Er ist – wie diese – allerdings nicht mehr Voraussetzung für die Wirksamkeit der Zustellung. Vielmehr kommt ihm nur eine Beweisfunktion zu.53 Der fehlende Vermerk kann daher auch noch nachgeholt werden. Eine Aushändigung durch den Richter oder bei Zustellungen durch die Staatsanwaltschaft durch den Staatsanwalt selbst ist ohne nähere Erwähnung zulässig. Sofern die Aushändigung in ein gerichtliches Protokoll aufgenommen wird, ersetzt diese höherwertige Form der Beurkundung den vorgesehenen Zustellungsvermerk (§ 173 Satz 2, 3 ZPO).54 48 49 50 51

BGBl. I S. 2271. BTDrucks. 14 4554 S. 16. BTDrucks. 14 4554 S. 16. Hannich/Meyer-Seitz/Häublein § 173, 1 ZPO.

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BTDrucks. 14 4554 S. 17. MünchKommZPO/Aktualisierungsbd.Wenzel § 173, 4 ZPO. BTDrucks. 14 4554 S. 17.

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e) § 174 ZPO. Die Vorschrift regelt die in der Praxis besonders bedeutsame und bewährte Zustellung gegen Empfangsbekenntnis und baut damit auf § 212a ZPO a.F. auf. Sie erweitert entsprechend den Bedürfnissen der Rechtsprechung den Adressatenkreis dieser Zustellungsform und eröffnet weiter die Möglichkeit, Mittel der modernen Bürokommunikation für die Zustellung zu nutzen.55 Der Adressatenkreis für die Zustellung gegen schriftliches Empfangsbekenntnis (§ 174 Abs. 1 ZPO) ist erweitert worden. Neben den bislang als Zustellungsadressaten genannten Personen (Anwälte, Notare, Gerichtsvollzieher) sowie Behörden und Körperschaften des öffentlichen Rechts lässt das Gesetz nunmehr ausdrücklich weitere Personen und Anstalten des öffentlichen Rechts zur Zustellung gegen Empfangsbekenntnis zu. § 174 Abs. 1 ZPO zählt die in Betracht kommenden Personen beispielhaft, also nicht abschließend, auf. Vielmehr bleibt es ausdrücklich der Praxis überlassen, die Berufsgruppen festzulegen, bei denen von einer erhöhten Zuverlässigkeit ausgegangen werden kann.56 Daher werden den genannten Personen Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und öffentlich bestellte Sachverständige gleichzustellen sein.57 Als sonstige Personen, bei denen aufgrund ihres Berufs von einer erhöhten Zuverlässigkeit ausgegangen werden kann (§ 174 Abs. 1 ZPO), werden Patentanwälte, Rechtsbeistände und Steuerbevollmächtigte angesehen.58 Auch an Pfarrer, Lehrer, Polizei- und Finanzbeamte, Richter, Staatsanwälte sowie sonstige Beamte soll gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden können, weil bei ihnen eine von Berufs wegen erhöhte Zuverlässigkeit vorausgesetzt werden kann.59 Im Strafverfahren wird es letztlich von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere von dem Tatvorwurf, der verfahrensrechtlichen Bedeutung des zuzustellenden Schriftstücks und der Verfahrensrolle des Zustellungsadressaten, abhängig sein, ob dieser als eine sonstige Person anzusehen ist, bei der aufgrund ihres Berufes von einer erhöhten Zuverlässigkeit ausgegangen werden kann. Im Zweifel ist wohl doch eine eher umsichtige Abwägung gegen als für eine Annahme berufsbedingter erhöhter Zuverlässigkeit vorzunehmen. Da das Gesetz ausdrücklich auf eine von Berufs wegen erhöhte Zuverlässigkeit abstellt, scheidet eine Zustellung gegen schriftliches Empfangsbekenntnis an Privatpersonen auch dann aus, wenn diese für besonders zuverlässig gehalten werden. Eine Zustellung gegen schriftliches Empfangsbekenntnis an alle Personen zuzulassen, ist nicht möglich, da eine Mitwirkung bei der Zustellung nicht generell von allen erwartet werden kann und die Gefahr besteht, dass der Zustellungsadressat aus Nachlässigkeit oder böswillig das Empfangsbekenntnis nicht zurücksendet und dann eine erneute Zustellung auf anderem Wege erforderlich werden würde, was zu Verzögerungen und erheblichem Mehraufwand bei der Zustellung führen würde. Der Zustellungsadressat muss den Willen haben, das Schriftstück als zugestellt entgegen zu nehmen. Der Wille muss sich auf das zuzustellende Schriftstück beziehen und durch den Adressaten – wenigstens konkludent – zum Ausdruck gebracht und durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses beurkundet werden. Die Entgegennahme des zuzustellenden Schriftstücks durch Mitarbeiter des Zustellungsadressaten hat nur vorbereitenden Charakter.60 § 174 Abs. 2 ZPO eröffnet die Zustellung durch Telekopie (Telefax) und damit die Möglichkeit, die Mittel moderner Bürokommunikation für die Ausführung der förm55 56 57

BTDrucks. 14 4554 S. 17. BTDrucks. 14 4554 S. 18. Hannich/Meyer-Seitz/Häublein § 174, 2 ZPO; Heß NJW 2002 2417, 2419.

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MünchKommZPO/Aktualisierungsbd.Wenzel § 174, 4 ZPO. Ebenda. BGH NJW 1991 42.

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lichen Zustellung eines Schriftstücks zu nutzen. Die Übermittlung soll mit einem Vorblatt mit dem Hinweis „Zustellung gegen Empfangsbekenntnis“ eingeleitet werden und die absendende Stelle, den Namen und die Anschrift des Zustellungsadressaten sowie den Namen des Justizbediensteten erkennen lassen, der das Dokument zur Übermittlung aufgegeben hat (§ 174 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Die Zustellung ist nicht schon mit dem Eingang des Schriftstücks auf dem Empfangsgerät und den Ausdruck des Übersendungsprotokolls durch das Sendegerät, aber auch nicht erst mit der Ausstellung oder dem Absenden des Empfangsbekenntnisses bewirkt, sondern in dem Zeitpunkt, in dem der Adressat das Schriftstück erkennbar mit dem Willen, es als zugestellt entgegen zu nehmen, annimmt. Die Vorschrift des § 174 Abs. 2 ZPO unterstellt, dass Personen, die ein Schriftstück als zugestellt akzeptieren, wenn es sie als einfacher Brief oder über ein Abholfach erreicht, in gleicher Weise mitwirken, wenn ihnen das Schriftstück mittels Telekopie übermittelt wird.61 § 174 Abs. 3 ZPO regelt die Zustellung elektronischer Dokumente. Damit sind solche 39 Fälle erfasst, in denen das zuzustellende Schriftstück auf einem elektronischen Datenträger gespeichert ist und per elektronischer Post (E-Mail) an den Zustellungsadressaten gesendet werden soll.62 Als Adressaten der Zustellung kommen neben den in § 174 Abs. 1 ZPO genannten Personen auch andere Verfahrensbeteiligte (z.B. Nebenkläger, Einziehungsbeteiligte) in Betracht, wenn sie der Übermittlung elektronischer Dokumente ausdrücklich zugestimmt haben. Da § 174 Abs. 3 Satz 2 ZPO für die Zustellung elektronischer Dokumente die ausdrückliche Zustimmung des Zustellungsadressaten erfordert, genügt die Angabe einer E-Mail-Adresse auf seinem Briefkopf nicht den Erfordernissen des § 174 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Voraussetzung für die Zustellung elektronischer Dokumente (§ 174 Abs. 3 ZPO) ist, 40 dass das Dokument mit einer elektronischen Signatur versehen und gegen unbefugte Kenntnisnahme Dritter geschützt ist. § 2 SigG 63 sieht drei Arten elektronischer Signaturen vor, und zwar die elektronische Signatur (§ 2 Nr. 1 SigG), die fortgeschrittene elektronische Signatur (§ 2 Nr. 2 SigG) und die qualifizierte elektronische Signatur (§ 2 Nr. 3 SigG). § 174 Abs. 3 ZPO schreibt keine besondere Form der elektronischen Signatur vor. Es obliegt daher der absendenden Stelle zu entscheiden, welche der zur Verfügung stehenden Signaturformen nach dem Signaturgesetz sie für die Zustellung elektronischer Dokumente wählt. Die Wahl der Signatur richtet sich danach, ob sie nur die Authentizität des Absenders erkennen lassen oder auch die Integrität der Daten sichern soll. Im Allgemeinen wird die (einfache) elektronische Signatur genügen. Soll hingegen sichergestellt werden, dass der Inhalt des zuzustellenden Dokuments während der Übertragung nicht unerkannt verändert werden kann, wird das Dokument in qualifizierter Form elektronisch signiert werden müssen (z.B. bei der Urteilszustellung). Für die (einfache) elektronische Signatur reicht die eingescannte Unterschrift als einfache Signatur aus.64 Form und Inhalt des Empfangsbekenntnisses für die Zustellungen nach § 174 Abs. 1 41 bis 3 ZPO sind in 174 Abs. 4 ZPO geregelt.65 Zum Nachweis der Zustellung genügt danach das mit Datum und Unterschrift des Adressaten versehene Empfangsbekenntnis, das an das Gericht zurückzusenden ist. Das Empfangsbekenntnis kann schriftlich, durch 61 62

BTDrucks. 14 4554 S. 18. BTDrucks. 14 4554 S. 18 f.; zur Frage der Anwendbarkeit der Vorschrift für die Versendung elektronischer Dokumente per Computerfax vgl. Hannich/MeyerSeitz/Häublein § 174, 11 ZPO.

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Vom 16.5.2002, BGBl. I S. 876. Rossnagel NJW 2001 1817, 1819. Vgl. Art. 1 Nr. 3 OLGVertrÄndG.

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Telekopie oder als elektronisches Dokument (§ 130a ZPO) zurückgesandt werden. Wird es als elektronisches Dokument erteilt, so soll es mit einer qualifizierten Signatur nach § 2 Nr. 3 SigG versehen werden.66 Das Fehlen einer Datumsangabe auf dem Empfangsbekenntnis hat nicht die Unwirksamkeit der Zustellung zur Folge. Zwar lässt der Wortlaut von § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO ohne weiteres erkennen, dass ein ordnungsgemäßes Empfangsbekenntnis eine Datumsangabe zu enthalten hat. Das Gesetz bestimmt allerdings ausdrücklich nur, dass ein derartiges ordnungsgemäßes Empfangsbekenntnis bereits für sich genommen genügt, um die erfolgte Zustellung nachzuweisen. Dass das Fehlen einer Datumsangabe die Unwirksamkeit der Zustellung zur Folge hat, ordnet das Gesetz hingegen nicht an. Ebenso wenig schließt das Gesetz es aus, dass in einem solchen Fall das Datum der Zustellung auf andere Weise festgestellt werden kann.67 Das schriftliche Empfangsbekenntnis muss nicht auf einem hierfür besonders vorge- 42 sehenen Schriftstück gesondert erteilt werden. Es reicht aus, dass der Empfänger seinen Annahmewillen schriftlich zum Ausdruck bringt. Das Ausfüllen, die Unterzeichnung und Rücksendung des Empfangsbekenntnisses ist – anders als früher – nunmehr gesetzliche Pflicht (§ 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO).68 Ein Anwalt kann auch im Nachhinein auf Nachfrage der Geschäftsstelle den Empfang schriftlich bestätigen.69 Es reicht ferner grundsätzlich auch die Bezugnahme auf das zugestellte Schriftstück in einem Schriftsatz des Zustellungsadressaten,70 sofern der Schriftsatz ein Datum aufweist. Datum der Zustellung ist der Tag, an dem der Zustellungsadressat persönlich das Schriftstück empfangsbereit entgegen genommen hat und nicht ein auf dem Schriftstück angebrachter Datumstempel der Kanzlei.71 Ein zunächst unrichtiges Datum auf dem Empfangsbekenntnis kann ein Anwalt berichtigen. Das berichtigte Datum ist jedenfalls dann für den Fristbeginn maßgebend, wenn seine Richtigkeit bewiesen ist.72 Der Gegenbeweis gegen die Richtigkeit des Datums ist jedoch nur unter strengen Voraussetzungen zulässig.73 Das Empfangsbekenntnis durch Telekopie ist entgegen der früheren Regelung durch 43 die Änderung des § 174 Abs. 4 ZPO durch Art. 1 Nr. 3 Buchst. b OLGVertrÄndG nunmehr zulässig. Der Gesetzgeber hat damit eine berechtigte Kritik der Praxis aufgegriffen. Für das Empfangsbekenntnis als elektronisches Dokument ist durch § 174 Abs. 4 44 Satz 3 ZPO klar gestellt, dass es mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen sein soll. Vgl. Erl. zu § 41a, 6 f. f) § 175 ZPO. Die Vorschrift lässt nunmehr in Anlehnung an § 4 VwZG auch die 45 Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein bei inländischen Zustellungen zu. Damit wird die mit dem Europäischen Zustellungsübereinkommen, das von dem Justizministern der Mitgliedstaaten der Europäischen Union am 26.5.1996 unterzeichnet worden ist, eingeleitete Entwicklung, innerhalb der Mitgliedstaaten unmittelbar durch die Post zustellen zu können, für die Zustellung im Inland berücksichtigt.74 Insoweit ist jetzt die Rechtslage bei der Zustellung im Inland der – bereits früher geltenden (§ 37 Abs. 2 a.F.) – Auslandszustellung im Strafverfahren angeglichen worden. 66 67 68 69 70 71

Vgl. Erl. zu § 41a. BGH NJW 2005 3216. Vgl. im einzelnen MünchKommZPO/ Aktualisierungsbd.-Wenzel § 174, 13 ZPO. BGH NJW 1994 2297. BTDrucks. 14 4554 S. 18. BVerfG NJW 2001 1563; BGH NJW 1974 1469 f.; 1979 2566; 1991 709; NStZ-RR 2004 46.

72 73

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BGH NStZ-RR 2004 46. BVerfG NJW 2001 1563; BGH NJW 1969 1297; 1980 1846 f.; 1987 325 und 1335; OLG Karlsruhe NStZ 1983 570; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1998 110. BTDrucks. 14 4554 S. 19.

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Die Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein ist eine eigenständige Form der Zustellung, die mit der Übergabe des Einschreibebriefes an den Adressaten wirksam vollzogen ist. Das Einwurf- oder Übergabeeinschreiben kommt, weil es keinen Nachweis durch Rückschein vorsieht, für die förmliche Zustellung nicht in Betracht.75 Da die Sendung mit der Übergabe zugestellt ist, dient der Rückschein nur dem Nachweis der Zustellung. Der Rückschein steht also insofern der Zustellungsurkunde gleich, auch wenn er im Gegensatz zu dieser keine öffentliche Urkunde, sondern eine Privaturkunde (§ 416 ZPO) darstellt. Auch ohne den Zugang des Rückscheins bei dem Absender ist daher von einer wirksamen Zustellung auszugehen, wenn der Absender die Übergabe an den Adressaten anderweitig nachweisen kann (z.B. durch Zeugnis des Zustellers oder Vortrag des Zustellungsadressaten).76 Die Übergabe muss nicht unbedingt an den Zustellungsadressaten persönlich erfol47 gen, sofern nicht die Einschreibesendung den Vermerk „eigenhändig“ trägt. Als Zustellungsempfänger kommen neben dem Ehepartner oder Postbevollmächtigten auch nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutschen Post AG Ersatzempfänger in Betracht. Als Ersatzempfänger sehen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Familienangehörigen des Adressaten, eine in der Wohnung oder in einem Betrieb des Adressaten regelmäßig beschäftigte Person vor, von der angenommen werden kann, dass sie zur Entgegennahme berechtigt ist.77 Die Übergabe an den Ehepartner, Postbevollmächtigten oder Ersatzempfänger ist ausgeschlossen, wenn der Einschreibebrief den Vermerk „eigenhändig“ trägt. Der Zugang des zuzustellenden Schriftstücks an den Adressaten oder an einen Ersatzempfänger wird durch den Rückschein nachgewiesen. Zum Nachweis der Zustellung, wenn der Rückschein dem Absender nicht zugegangen ist, vgl. Rn. 46. Wird der Adressat oder ein Ersatzempfänger nicht angetroffen und die Sendung auch 48 nicht innerhalb der Lagerfrist (sieben Tage) bei der auf der Benachrichtigung genannten Filiale der Deutschen Post AG abgeholt, so wird die Sendung an den Absender als unzustellbar zurückgesandt.78 Das gilt gleichermaßen bei Verweigerung der Annahme durch den Adressaten oder den Ersatzempfänger. Die Geschäftsstelle hat zu prüfen, ob eine Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein auch unter Berücksichtigung der Kosten am besten geeignet ist, den Zustellungserfolg herbeizuführen oder eine andere Zustellungsform zu wählen ist. Letzteres wird nach fehlgegangener Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein schon zur Vermeidung weiterer Verzögerungen in aller Regel zu erfolgen haben.

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g) § 176 ZPO. Die Vorschrift übernimmt im wesentlichen § 211 ZPO a.F. Allerdings wird der Kreis der Personen, die mit der Zustellung beauftragt werden können, erweitert. Nicht nur Justizwachtmeister, sondern generell Justizbedienstete können die Zustellung ausführen (vgl. Rn. 28). Die Zustellung nach den Vorschriften der §§ 176 ff. ZPO ist wegen des mit diesem 50 Verfahren verbundenen erhöhten Aufwands von der Geschäftsstelle grundsätzlich nur dann zu wählen, wenn eine Zustellung nach den §§ 173 bis 175 ZPO nicht möglich oder nicht Erfolg versprechend ist.79 Die Zustellung nach den §§ 176 bis 181 ZPO ist damit subsidiär. Soll der Zustellungsauftrag an den Gerichtsvollzieher oder eine andere Be75 76 77

Heß NJW 2002 2417, 2419. Hannich/Meyer-Seitz/Häublein § 175, 2 ZPO. BTDrucks. 14 4554 S. 19; a.A. BSG NJW 2005 1303.

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Vgl. zum Verfahren insoweit Reichert NJW 2001 2523, 2524. BTDrucks. 14 4554 S. 19.

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hörde erteilt werden (vgl. Rn. 30), so ist zunächst zu prüfen, ob eine Zustellung durch die Post oder einen Justizbediensteten, die insoweit Vorrang haben, keinen Erfolg verspricht.80 Nach § 176 Abs. 1 ZPO ist das zuzustellende Schriftstück von der Geschäftsstelle 51 generell in einem verschlossenen Umschlag zu übergeben. Die Ausführung der Zustellung erfolgt nach §§ 177 bis 181 ZPO. h) § 177 ZPO. Die Vorschrift entspricht § 180 ZPO a.F. und regelt den Ort der 52 Zustellung. Die Zustellung kann – wie nach früherem Recht – grundsätzlich an jedem Ort erfolgen, an dem die Person angetroffen wird, der zugestellt werden soll. Die Vorschrift erlaubt aber keine Zustellung bei unangemessenen Gelegenheiten (z.B. bei einer Beerdigung, während eines Gottesdienstes oder Aufenthaltes des Zustellungsadressaten als Patient auf einer Intensivstation) oder zu allgemein unpassender Zeit.81 Letztere liegt in der Regel an Sonn- und Feiertagen vor. Zur Nachtzeit (vgl. § 104 Abs. 3) wird eine Zustellung dann nicht als unpassend anzusehen sein, wenn es sich bei dem Ort der Zustellung um einen solchen im Sinne des § 104 Abs. 2 handelt. Bei unberechtigter Verweigerung der Annahme des zuzustellenden Schriftstücks durch den Zustellungsadressaten, dem außerhalb seiner Wohnung oder eines Geschäftsraums zugestellt werden soll, gilt § 179 Satz 2 und 3 ZPO. i) § 183 ZPO. § 183 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erlaubt jetzt, wie bislang bereits § 37 Abs. 2, 53 der durch Art. 2 Abs. 12 Nr. 2 ZustRG aufgehoben wurde, die Auslandszustellung durch Einschreiben mit Rückschein. Wegen der Einzelheiten vgl. Rn. 87 ff. j) § 190 ZPO. Die Vorschrift soll sicherstellen, dass alle nach § 33 Abs. 1 PostG 54 beliehenen Unternehmer einheitliche Vordrucke verwenden und ermächtigt das Bundesministerium der Justiz, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der Zustellung Vordrucke einzuführen.82 Von der Vereinheitlichung sind der Vordruck für den Zustellungsauftrag (§ 168 Abs. 1 Satz 2 ZPO), die schriftliche Mitteilung über eine Zustellung durch Niederlegung (§ 181 Abs. 1 Satz 2 ZPO), der für den Versand vorgeschriebene Umschlag (§ 176 Abs. 1 ZPO) sowie die Zustellungsurkunde (§ 182 Abs. 1 und 2 ZPO) betroffen. Durch die Verordnung zur Einführung von Vordrucken für die Zustellung im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsvordruckverordnung – ZustVV) vom 12.2.2002 83 hat das Bundesministerium der Justiz von der Verordnungsermächtigung Gebrauch gemacht und einheitliche Vordrucke eingeführt. Die bisherigen Vordrucke konnten für eine – einmal durch Art. 1 Nr. 1 der Ersten Verordnung zur Änderung der Zustellungsvordruckverordnung vom 23.4.2004 84 verlängerte – Übergangszeit bis zum 31.12.2004 weiter verwendet werden. Seit dem 1.1.2005 ist der zu § 1 Nr. 1 ZustVV bestimmte Vordruck in der Fassung des Anhangs zu Art. 1 Nr. 2 der Ersten Verordnung zur Änderung der Zustellungsvordruckverordnung für die Zustellung zu verwenden.85

80 81 82

BTDrucks. 14 4554 S. 14. BTDrucks. 14 4554 S. 20; Hannich/MeyerSeitz/Häublein § 177, 1 ZPO. BTDrucks. 14 4554 S. 25.

83 84 85

BGBl. I S. 671. BGBl. I S. 619. BGBl. I S. 620 f.

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8. Ersatzzustellung a) Wohnung, Geschäftsräume und Einrichtungen (§ 178 ZPO). Die Vorschrift regelt nunmehr einheitlich das bisher in den §§ 181, 183, 184 ZPO a.F. festgelegte Verfahren bei der Ersatzzustellung in der Wohnung (§ 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), in dem Geschäftsraum (§ 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) und in Gemeinschaftseinrichtungen (§ 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). § 178 ZPO enthält wesentliche Änderungen, die das frühere fehleranfällige Ersatzzustellungsverfahren wesentlich erleichtern und vereinfachen. Die Ersatzzustellung ist nur dann statthaft, wenn der Zustellungsadressat nicht ange56 troffen wird. Das ist auch dann der Fall, wenn er in der Wohnung, in den Geschäftsraum oder in der Gemeinschaftseinrichtung zwar anwesend, aber etwa wegen schwerer Krankheit, wegen Volltrunkenheit oder eines sonstigen schweren Rauschzustands oder wegen anderer Dienstgeschäfte an der Annahme gehindert ist.86 Bei der Ersatzzustellung handelt es sich nicht um einen Fall einer gesetzlichen Zustellungsvertretung. Vielmehr stellt die Ersatzzustellung eine Zugangsfiktion dar, der die Lebenserfahrung zugrunde liegt, dass bei Aushändigung eines Schriftstücks an eine bestimmte Person letzteres an den Zustellungsadressaten weitergeleitet wird. Die Ersatzzustellung ist daher ohne Rücksicht darauf zu wirksam, ob die Ersatzperson die Sendung auch tatsächlich an den Adressaten weitergibt oder nicht. Die Ersatzzustellung fingiert aber nicht, dass der Zustellungsadressat auch Kenntnis von dem Inhalt des Schriftstücks erlangt hat. Aus der Systematik des § 178 Abs. 1 StPO und dem Persönlichkeitsschutz ergibt sich eine einzuhaltende Rangfolge bei der Ersatzzustellung. Die nummernmäßig nachfolgende Ersatzzustellung ist mithin gegenüber der vorgehenden subsidiär.87

55

aa) Wohnung i.S. des § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist ohne Rücksicht auf den Wohnsitz diejenige Räumlichkeit, die der Zustellungsadressat zum Wohnen und nicht nur zum Aufenthalt benutzt.88 § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO findet nur dann Anwendung, wenn der Empfänger die Wohnung zur Zeit der Zustellung tatsächlich benutzt.89 Es kommt daher nicht darauf an, ob diese Räumlichkeit mit dem Wohnsitz des Adressaten i.S. von § 7 BGB übereinstimmt oder ob der Adressat in dieser Wohnung polizeilich gemeldet ist.90 Entscheidend ist vielmehr, ob die Wohnung tatsächlich zum Tagesaufenthalt und zum Schlafen 91 benutzt wird. Demzufolge sind Wohnwagen, Schiffe, Sommer- und Wochenendhäuser, Hotelzimmer Wohnungen, ebenso abbruchreife Häuser oder Häuser, die gerade umgebaut werden.92 Ein Mensch kann mehrere Wohnungen haben und trotz Anmeldung und Belassen von Hausrat in einer Wohnung nicht dort wohnen, wenn er diese für längere Zeit verlassen hat, ohne die Absicht 93 oder bei bestehender Absicht die Möglichkeit zu haben, jederzeit dorthin zurückzukehren. Ständiger Aufenthalt ist für den Begriff der Wohnung nicht erforderlich. Die Eigenschaft als Wohnung wird nicht durch eine vorübergehende Entfernung 58 (Besuchs-, Urlaubs-, Geschäftsreisen) und selbst nicht durch eine vorläufige Fest-

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86 87 88

BTDrucks. 14 4554 S. 20. MünchKommZPO/Aktualisierungsbd.Wenzel § 178, 2 ZPO. BGH NJW 1978 1858 = JR 1978 377; NJW 1985 2197; NJW 1988 713; BayObLGSt 1961 79 = JR 1961 271; NStZ-RR 2004 237 = VRS 106 (2004) 452; OLG Koblenz MDR 1981 1036; OLG Düsseldorf MDR 1983 339; StV 1987 378; 1993 400; VRS 89

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89 90

91 92 93

(1995) 462; VRS 96 (1999) 27, 28; OLG Frankfurt NStZ-RR 2003 174f. OLG Bamberg NJW 2006 1078. BGH NJW 1978 1858 = JR 1978 377; OLG Düsseldorf StV 1993 401; LG Ellwangen StV 1985 496. BGH NJW 1985 2197; 1988 713; 1992 1963. BayObLG NJW-RR 1988 509. BayObLGSt 1961 79 = JR 1961 271.

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§ 37

nahme 94 aufgehoben. Sie geht erst dann verloren, wenn sich während der Abwesenheit des Zustellungsadressaten auch der räumliche Mittelpunkt seines Lebens an den neuen Aufenthaltsort verlagert.95 Ob das der Fall ist, lässt sich regelmäßig nur nach den Umständen des Einzelfalls entscheiden. Geeignete Gesichtspunkte für eine solche Prüfung können die Dauer der Abwesenheit 96, die Möblierung der Wohnung und Fortzahlung der Miete 97, das Vorhandensein von Briefkasten und Klingelschild, die Erteilung eines Nachsendeauftrags 98, das Vorhandensein einer neuen festen und dauerhaften Unterkunft 99 sein. Wer sich hingegen in das Ausland begeben hat, um sich einem behördlichen Verfahren auf nicht absehbare Zeit zu entziehen, dessen bisher bewohnte Räumlichkeiten stellen keine Wohnung mehr dar.100 Demzufolge hebt eine vorübergehende, selbst länger andauernde Abwesenheit die Wohnungseigenschaft nicht auf, sofern mit der Rückkehr des Zustellungsadressaten zu rechnen ist.101 Feste zeitliche Grenzen für den Verlust der Eigenschaft als Wohnung lassen sich nicht ziehen. Bei einer Abwesenheit von drei Wochen bestehen in der Regel keine ernsthaften Zweifel an der Wohnungseigenschaft,102 aber wohl bei drei Monaten.103 Bei einer länger andauernden Inhaftierung verlieren die vor der Verhaftung benutzten 59 Räume ihre Eigenschaft als Wohnung.104 Eine Strafhaft von über zwei Monaten Dauer hebt die Wohnungseigenschaft der früher bewohnten Räume auf.105 selbst wenn der Zustellungsadressat noch einen Kontakt zu seiner Ehefrau unterhält.106 Für den Vollzug der Untersuchungshaft 107 und der einstweiligen Unterbringung nach § 126a gilt nichts anderes. Dass bei einem Vollzug einer Unterbringung nach den §§ 63, 64 oder 66 StGB die früher bewohnten Räume nicht mehr als Wohnung i.S. von § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO anzusehen sind, versteht sich aufgrund des dauerhaft verlagerten Aufenthalts des Zustellungsadressaten von selbst. Bei einem länger andauernden Krankenhausaufenthalt kommt es entscheidend auf die 60 Umstände des Einzelfalls an. Ein zweimonatiger Klinikaufenthalt hebt noch nicht zwingend die Wohnungseigenschaft auf.108 Bei einem mehrmonatigen stationären Aufenthalt in einer Therapieeinrichtung ist hingegen von einer Verlagerung des räumlichen Mittelpunkts des Lebens an einen anderen Aufenthaltsort auszugehen.109 Für die Ersatzzustellung im Krankenhaus oder einer Therapieeinrichtung findet § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO Anwendung (vgl. Rn. 72). Ein dauerhafter und uneingeschränkter Postnachsendeantrag, der auch Postzustellungs- 61 aufträge mit einschließt, indiziert, dass der Zustellungsadressat unter der angegebenen Anschrift nunmehr seine Wohnung hat.110 94 95

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OLG Hamm NJW 1962 264. BGH NJW 1978 1858 = JR 1978 377; BayObLG MDR 1961 785; OLG Düsseldorf StV 1987 378; StV 1993 401; OLG Koblenz VRS 44 (1973) 209. BGH NJW 1992 1239. BGH NJW-RR 1994 564. BGH NJW 1988 713. BayObLGSt 1971 95 = VRS 41 ( 1971) 282. BGH LM BGB § 328 Nr. 15. BGH NJW 1978 1858 = JR 1978 377; 1985 2197; NJW-RR 1994 564, 565. BayObLGZ 1980 266, 267. OLG Düsseldorf NJW-RR 1999 1441. OLG Düsseldorf VRS 96 (1999) 27, 28; NStZ-RR 2003 189.

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BGH NJW 1978 1858 = JR 1978 377; OLG Karlsruhe NJW 1973 1515; OLG Hamm Rpfleger 1977 170; LG Hagen NJW 1980 1703. OLG Düsseldorf FamRZ 1980 718. OLG Oldenburg MDR 1968 941; OLG Karlsruhe StV 1985 291; OLG Hamm NStZ-RR 2003 189 = VRS 104 (2003) 450. BGH NJW 1985 2197. OLG Hamm NStZ 1982 521, 522; OLG Frankfurt NStZ-RR 2003 174. BFH NJW 1988 1999, 2000; a.A. OLG Hamburg MDR 1982 1041; OLG München NJW-RR 1995 59.

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§ 37 62 63

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66 67

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Die Angabe einer Kontaktadresse in der geschäftlichen Korrespondenz oder einer Ladungsanschrift („zu laden über...“) macht diese Anschrift noch nicht zur Wohnung des Zustellungsadressaten.111 Bei einer Scheinwohnung reicht es für eine Ersatzzustellung aus, wenn der Zustellungsadressat den Anschein erweckt hat, in der fraglichen Wohnung zu wohnen und das Gegenteil nicht bekannt ist (Rechtsscheinzustellung).112 Der Zusteller kann lediglich nach dem äußeren Anschein prüfen, ob es sich um die Wohnung des Zustellungsadressaten handelt, dabei aber nicht alle für den Wohnungsbegriff maßgeblichen Umstände erkennen. Auch Schiffe können eine Wohnung darstellen, und zwar unabhängig von der Art des Schiffes. Seeschiffe, Binnenschiffe, Handels- und Kriegsschiffe kommen als Wohnung in Betracht, wenn sie den räumlichen Mittelpunkt des Lebens des Zustellungsadressaten bilden. Die so genannte Zustellung nach Seemannsart kann durch einen Beamten der Wasserschutzpolizei vorgenommen werden (§ 168 Abs. 2 ZPO). Bei Soldaten ist in aller Regel die Truppenunterkunft als Wohnung anzusehen. Das gilt aber nicht, wenn sich der Zustellungsadressat für einen längeren Zeitraum im Auslandseinsatz befindet. Für ihn gilt § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO (vgl. Rn. 72). Der Wehrdienst hebt allerdings die Wohnungseigenschaft der bisherigen – zivilen – Wohnung des Soldaten nicht auf,113 so dass unter Umständen zwei Wohnungen vorhanden sind. Bei Studenten ist der Studienort in der Regel – zumindest während des Semesters – als räumlicher Lebensmittelpunkt anzusehen.114 bb) Familienangehöriger; in der Familie beschäftigte Person; ständiger Mitbewohner. Zustellungsempfänger können nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ein erwachsener Familienangehöriger, eine in der Familie beschäftigte Person oder ein erwachsener ständiger Mitbewohner sein. Familienangehöriger ist jedes durch Ehe, Verwandtschaft oder Schwägerschaft verbundene Familienmitglied oder der Partner einer registrierten Lebenspartnerschaft.115 Sinn und Zweck der Vorschrift zielt nicht auf den Schutz von Ehe, Familie und eingetragenen Lebenspartnerschaften ab, sondern stellt vielmehr auf einen Personenkreis ab, der nach der Lebenserfahrung aufgrund eines nach außen erkennbaren bestehenden Vertrauensverhältnisses die Gewähr für die Weiterleitung der Sendung an den Zustellungsadressaten bietet.116 Als Familienangehörige im Sinne von § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO werden auch das Pflegekind, die Pflegeeltern 117, Ehegatten, auch wenn sie in der Wohnung getrennt leben.118 Dies entspricht, auch wenn es bei in derselben Wohnung getrennt lebenden Ehegatten nicht unproblematisch sein mag, dem Zweck der Zustellungsvorschriften vor dem Hintergrund der gewandelten tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse.119 Kennt derjenige, der die Zustellung ausführen soll, die Beziehung des Zustellungsadressaten zu der in der Wohnung angetroffenen Person nicht, so hat er sich ggf. durch Nachfrage davon zu überzeugen, ob es sich um einen Familienangehörigen im

111 112

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BGH NJW-RR 1993 1083; LG Hagen MDR 1984 1034. BGH NJW 1992 1239; OLG Karlsruhe NJW-RR 1992 700; OLG Köln NJW-RR 2001 1511; OLG Hamm VRS 106 (2004) 57, 58. LG Aachen DGVZ 1984 40. LG Ellwangen StV 1985 496. Vgl. § 11 des Gesetzes zur Beendigung der

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116 117 118 119

Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften vom 16.2.2001, BGBl. I S. 266. BTDrucks. 14 4554 S. 20. MünchKommZPO/Aktualisierungsbd.Wenzel § 178, 13 ZPO; SK/Weßlau 22 OLG Hamm NJW 1969 800. MünchKommZPO/Aktualisierungsbd.Wenzel § 178, 13 ZPO.

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Sinne von § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO handelt. Die Ersatzzustellung ist nur dann zulässig, wenn der Angetroffene dies glaubhaft bejaht. Dabei ist nicht Voraussetzung, dass der in der Wohnung angetroffene Familienangehörige auch in der Wohnung mit wohnt. Eine Ersatzzustellung kann daher auch an einen zufällig in der Wohnung anwesenden Familienangehörigen erfolgen. Er braucht nicht wie früher „Hausgenosse“ zu sein.120 Die Übergabe eines Schriftstücks durch einen Mitarbeiter der Deutschen Post AG an eine Bedienstete der Poststelle einer Hochschule für einen auf dem Hochschulgelände wohnhaften Mitarbeiter derselben stellt keine wirksame Zustellung dar, denn das Schriftstück ist keiner nach § 178 Abs. 1 ZPO als Zustellungsempfänger berufenen Person übergeben worden.121 Die Ersatzzustellung kann auch an eine in der Familie beschäftigte Person erfolgen. 68 Hierzu gehört jede Hilfsperson, die in einem auf Dauer angelegten Dienstverhältnis zu dem Zustellungsadressaten oder einem Familienmitglied steht.122 Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis oder um eine regelmäßig aus bloßer Gefälligkeit ausgeübte Tätigkeit 123 oder um Schwarzarbeit handelt. Als in der Familie beschäftigte Personen kommen die Haushilfe, Köchin, der Chauffeur, Gärtner, Privatsekretär, Hauswart, die Erzieherin, Kinderpflegerin, Privatlehrer, Aupairmädchen, die Krankenschwester und der -pfleger, Altenpflegepersonal sowie die Putzfrau in Betracht. Die Ersatzzustellung kann ferner an einen ständigen Mitbewohner erfolgen. Der 69 Gesetzgeber hat damit die Problematik der Zustellung in Wohngemeinschaften und an nichteheliche Lebenspartner geregelt.124 Der (nichteheliche) Lebenspartner wird regelmäßig als erwachsener ständiger Mitbewohner anzusehen sein, an den die Ersatzzustellung erfolgen kann. Sowohl der Familienangehörige als auch der ständige Mitbewohner muss im Zeitpunkt 70 der Ersatzzustellung erwachsen sein. Als Erwachsen ist derjenige anzusehen, der nach seinem Alter und seiner geistigen Entwicklung erkennbar in der Lage ist, den Zweck der Zustellung und die Verpflichtung, das zuzustellende Schriftstück ordnungsgemäß weiterzugeben, zu erkennen.125 Auf Volljährigkeit und Geschäftsfähigkeit kommt es nicht an.126 Ein Siebzehnjähriger gilt regelmäßig als erwachsen im Sinne von § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO 127, ebenso ein Vierzehn- oder Fünfzehnjähriger 128, nicht jedoch ein Siebenjähriger 129. cc) Geschäftsräume. Die Ersatzzustellung in Geschäftsräumen (§ 178 Abs. 1 Nr. 2 71 ZPO) betrifft insbesondere die Zustellung an einen Gewerbetreibenden (bisher § 183 Abs. 1 ZPO a.F.), einen Rechtsanwalt, Notar und Gerichtsvollzieher (bisher § 183 Abs. 2 ZPO a.F.), die Zustellung in Geschäftsräumen einer Behörde, einer Gemeinde, einer Korporation oder eines Vereins (bisher § 184 ZPO a.F.). Geschäftsräume sind solche Räume, die der Zustellungsadressat regelmäßig für seine berufliche Tätigkeit nutzt und die dem 120 121 122

123 124 125

Vgl. zur früheren Rechtslage LR/Wendisch 25 § 37, 30 ff. BerlVerfGH JR 1999 187. MünchKommZPO/Aktualisierungsbd.Wenzel § 178, 14 ZPO; Baumbach/Lauterbach/Hartmann § 178, 13 ZPO; Zöller/ Stöber § 178, 11 ZPO. OLG Hamm MDR 1982 516. Vgl. LR/Wendisch 25 § 37, 31 ff. RGZ 14 338, 339; BGH NJW 1981 1613; LG Koblenz NJW-RR 1999 1508.

126 127 128

129

RGSt 47 375; OLG Hamm NJW 1974 1150. BGH NJW 1981 1613 f.; OLG Hamm NJW 1974 1150. LG Köln NStZ-RR 1999 368; BSG MDR 1977 82, 83; LG Frankenthal Rpfleger 1982 384, 385. MünchKommZPO/Aktualisierungsbd.Wenzel § 178, 16 ZPO.

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Kundenverkehr zugänglich sind.130 Es muss sich aber um Geschäftsräume gerade des Zustellungsadressaten handeln. Dem Geschäftsführer einer GmbH als Privatperson und Zustellungsadressaten kann in den Geschäftsräumen der GmbH nicht wirksam zugestellt werden, weil es sich nicht um seine Geschäftsräume, sondern um solche der GmbH handelt.131 Soweit der Zustellungsadressat mehrere Geschäftsräume unterhält, kann in jedem zugestellt werden. Wird der Zustellungsadressat im Geschäftsraum nicht angetroffen, so kann das zuzustellende Schriftstück in diesem Raum an eine dort beschäftigte Person übergeben werden. Aus dem Umstand, dass der Geschäftsinhaber dem Beschäftigten das Geschäftslokal überlässt, ist nämlich auf das für die Zustellung erforderliche Vertrauensverhältnis zu schließen.132 Als Zustellungsempfänger kommen namentlich Angestellte, Auszubildende, Buchhalter, Kellner, Verkäufer, Volontäre, ein Gehilfe oder eine Angestellte oder Sekretärin eines Rechtsanwalts, Notars oder Gerichtsvollziehers, ein Beamter oder Bediensteter einer Behörde in Betracht. An nur zufällig in den Geschäftsräumen anwesende Beschäftigte des Zustellungsadressaten (z.B. Monteure, Außendienstmitarbeiter) ist nicht zuzustellen. Es muss sich aber um Geschäftsräume gerade des Zustelladressaten handeln. Dem Geschäftsführer einer GmbH als Zustelladressaten kann in den Geschäftsräumen der GmbH nicht wirksam zugestellt werden, weil es sich nicht um seine Geschäftsräume, sondern um solche der GmbH handelt.132a

72

dd) Gemeinschaftseinrichtungen. Die Ersatzzustellung in Gemeinschaftseinrichtungen regelt § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Als Gemeinschaftseinrichtung im Sinne der Vorschrift sind z.B. Alten-, Auszubildenden- und Arbeiterwohnheime, Justizvollzugsanstalten, Maßregelvollzugseinrichtungen, Krankenhäuser, Kasernen, Pflegeeinrichtungen, Obdachlosenunterkünfte, Frauenhäuser oder ähnliche Einrichtungen anzusehen. Es kommt nicht darauf an, ob die Einrichtung öffentlich- oder privatrechtlich organisiert ist.133 Die Ersatzzustellung an den Leiter der Einrichtung oder einen von ihm ermächtigten Vertreter kann erst dann erfolgen, wenn die unmittelbare Zustellung an den Adressaten nicht möglich ist. Als Leiter kommt z.B. der Leiter einer Justizvollzugsanstalt 134, der ärztliche Direktor oder der Verwaltungsleiter eines Krankenhauses 135 oder der Leiter oder dessen ermächtigter Vertreter eines Therapiezentrums 136 in Betracht. Leiter einer Truppenunterkunft ist nach dem Erlass des Bundesministers der Verteidigung über Zustellungen, Ladungen, Vorführungen und Zwangsvollstreckungen bezüglich Soldaten in der Bundeswehr vom 23.7.1998 137 der Kompaniefeldwebel oder dessen Vertreter 138, nicht aber ein Gefreiter 139. Die Vorschrift des § 178 Abs. 2 ZPO entspricht § 185 ZPO a.F. Sie ist im Strafverfah73 ren entsprechend anwendbar.

74

b) Zustellung bei verweigerter Annahme (§ 179 ZPO). Die Vorschrift knüpft an § 186 ZPO a.F. an und regelt die Zustellung bei verweigerter Annahme. Der Zustellungsadressat und sein Vertreter haben grundsätzlich kein Annahmeverweigerungsrecht. Sie können die Annahme aber verweigern, wenn etwa zu allgemein unpassender Zeit oder 130

BVerwG NJW 2006 460; OLG Bamberg NJW 2006 1078. 131 OLG Bamberg NJW 2006 1078. 132 BTDrucks. 14 4554 S. 20. 132a OLG Bamberg NJW 2006 1078. 133 BTDrucks. 14 4554 S. 21. 134 VGH Mannheim NJW 2001 3569 (zu § 181 ZPO a.F.).

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135 136 137 138 139

OLG Stuttgart Rpfleger 1975 102. OLG Bremen StV 2005 541. VMBl. 1998 246. LG Münster MDR 1978 427. OLG Oldenburg Rpfleger 1975 102.

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bei unangemessenen Gelegenheiten zugestellt werden soll.140 Das ist in der Regel an Sonn- und Feiertagen, zur Nachtzeit sowie bei Trauerfeierlichkeiten und während eines Gottesdienstes der Fall. Sofern keine Berechtigung für eine Annahmeverweigerung vorliegt, kann durch Zurücklassen des zuzustellenden Schriftstücks in der Wohnung oder in dem Geschäftsraum zugestellt werden. Das Zurücklassen soll in der Weise erfolgen, dass das zuzustellende Schriftstück wie ein gewöhnlicher Brief behandelt und zum Beispiel in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten eingeworfen wird, ohne dass es insoweit einer gesetzlichen Regelung bedarf.141 Dem Zustellungsadressaten wird damit die Möglichkeit erhalten, seine Annahmeverweigerung zu überdenken und doch noch Kenntnis vom Inhalt des Schriftstücks zu nehmen. Bei Verweigerung der Annahme in einer Gemeinschaftseinrichtung oder an einem 75 anderen Zustellungsort als dem der Wohnung oder des Geschäftsraums ist eine Zurücklassung des Schriftstücks an diesem Ort nicht statthaft. Das zuzustellende Schriftstück wäre in diesem Fall dem ungehinderten Zugriff Dritter preisgegeben und dem Zustellungsadressaten wäre die Möglichkeit einer Kenntnisnahme erschwert bzw. unmöglich gemacht. Das Schriftstück ist daher in solchen Fällen an die absendende Stelle zurückzusenden. Die Annahmeverweigerung sowie die Zurücklassung oder Zurücksendung des 76 Schriftstücks sind zu beurkunden. Dazu ist der von der absendenden Stelle beigefügte Vordruck einer Zustellungsurkunde zu verwenden. Mit der Annahmeverweigerung greift die Zustellungsfiktion; das Schriftstück gilt als zugestellt.142 c) Einlegen in den Briefkasten (§ 180 ZPO). Bei der Ersatzzustellung durch Einlegen 77 in den Briefkasten handelt es sich um eine wesentliche Neuregelung des Zustellungsrechts, die den Zweck verfolgt, den hohen Anteil der Zustellungen durch Niederlegung spürbar zu reduzieren und zugleich den Zugang der Sendung an den Adressaten zu erleichtern und zu beschleunigen.143 Darüber hinaus beseitigt die Neuregelung die nach dem früheren Recht bestehende, kaum zu rechtfertigende Ungleichbehandlung von Ersatzzustellungen in Geschäftsräumen und solchen in Wohnungen oder an juristische Personen. Nunmehr kann bei der Zustellung in der Wohnung und in Geschäftsräumen gleichermaßen verfahren werden. Die Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten ist nur unter der Voraussetzung 78 zulässig, dass eine Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 ZPO ohne Erfolg verlaufen ist (vgl. Rn. 55 ff.). Als Zustellungsform ist sie daher subsidiär (§ 180 Satz 1 ZPO). Das Schriftstück ist in den zur Wohnung oder zu dem Geschäftsraum gehörenden 79 Briefkasten einzuwerfen. Der Zusteller muss sich also vergewissern, ob der Briefkasten tatsächlich eindeutig dem Zustellungsadressaten zugeordnet werden kann. Ein wesentliches Kriterium dafür wird die Beschriftung sein. Dem Briefkasten stehen ähnliche Vorrichtungen gleich, die der Adressat für den Empfang seiner Post eingerichtet hat, wie etwa ein an der Haustür angebrachter Türschlitz.144 Der Briefkasten oder eine vergleichbare Empfangsvorrichtung muss zu einer sicheren Aufbewahrung geeignet sein. Das ist dann nicht der Fall, wenn die Konstruktion Dritten ohne größere Probleme einen Zugriff auf den Inhalt ermöglicht, etwa im Falle nur eines Briefschlitzes oder eines Gemeinschaftsbriefkastens in einem Mehrfamilienhaus.145 Ein ordnungsgemäßer Zustand liegt ferner nicht vor, wenn der Briefkasten überfüllt ist und damit ein Indiz besteht, dass er 140 141 142 143

BTDrucks. 14 4554 S. 21. BTDrucks. 14 4554 S. 21. BTDrucks. 14 4554 S. 21. BTDrucks. 14 4554 S. 21.

144 145

BTDrucks. 14 4554 S. 21. OLG Hamm VRS 107 (2004) 109, 111; Wunsch JuS 2003 276, 279.

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nicht regelmäßig geleert wird.146 Das gilt gleichermaßen, wenn bei einem so genannten englischen Briefkasten mit Hinweis auf einen Nebenbriefkasten die Zuordnung der Briefkästen Zweifel begründet sind.147 Mit dem Einlegen gilt das Schriftstück als zugestellt (§ 180 Satz 2 ZPO). Der Nach80 weis der Zustellung erfolgt durch öffentliche Urkunde (§ 182 Abs. 2 ZPO). In der Zustellungsurkunde bedarf es nicht einer konkreten Kennzeichnung der im Einzelfall benutzten Einrichtung.148

81

d) Niederlegung (§ 181 ZPO). Die Vorschrift regelt die Ersatzzustellung durch Niederlegung und entspricht im wesentlichen § 182 ZPO a.F. Sie regelt das Zustellungsverfahren für den Fall, dass eine Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO oder § 180 ZPO nicht ausführbar ist. Die Ersatzzustellung durch Niederlegung kann erst dann erfolgen, wenn andere Formen der Ersatzzustellung nicht möglich oder erfolglos waren. Sie ist daher im Verhältnis zu anderen Formen der Ersatzzustellung subsidiär.149 Die Niederlegung nach § 181 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann auf der Geschäftsstelle des 82 Amtsgerichts, in dessen Bezirk der Ort der Zustellung liegt, erfolgen.150 Daneben sieht § 181 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Möglichkeit einer Niederlegung bei einer von der Post dafür bestimmten Stelle vor. Mit der nun erfolgten Neuregelung soll sichergestellt werden, dass die Post, wenn sie mit der Zustellung beauftragt wird, eigene Niederlegungsstellen zu unterhalten hat. Jedoch muss die Post nunmehr nicht mehr in jedem Ort eine Niederlegungsstelle unterhalten, in dem die Zustellung zu erfolgen hat. Es ist vielmehr ausreichend, wenn eine solche Niederlegungsstelle am Ort des Amtsgerichts besteht, in dessen Bezirk die Zustellung zu erfolgen hat. Der Schutz des Zustellungsadressaten ist damit hinreichend sichergestellt.151 Als Niederlegungsstellen kommen auch so genannte Postagenturen in Betracht.152 Die früheren Niederlegungsorte des Gemeinde- oder Polizeivorstehers kennt das Gesetz jetzt nicht mehr.153 § 181 Abs. 1 Satz 3 ZPO ordnet an, dass eine Mitteilung über die Niederlegung zu 83 erfolgen hat. Diese Mitteilung ist auf dem nach § 1 Nr. 4 ZustVV eingeführten Vordruck durch Einwurf in den Briefkasten oder eine vergleichbare Einrichtung vorzunehmen. Da die Niederlegung die unsicherste Zustellungsart ist, genügt es nicht, wenn die Mitteilung über die Niederlegung in ein Postfach des Zustellungsadressaten eingelegt 154, am Gartentor befestigt 155, auf dem Küchentisch des Empfängers hinterlassen 156 oder dessen zehnjährigem Kind auf der Straße übergeben wird 157, wohl aber, wenn die Mitteilung in den Briefschlitz der verschlossenen Tür eingeworfen – und zwar selbst dann, wenn sich in dem betreffenden Haus mehrere Wohnungsinhaber befinden 158 – oder mangels 146 147 148 149 150

151 152

BTDrucks. 14 4554 S. 21. OLG Köln NJW-RR 2001 1221. OLG Köln NStZ 2005 583 = VRS 109 (2005) 22. OLG Düsseldorf StraFo 2001 199 = VRS 99 (2000) 264 f. = NJW 2000 3511. Vgl. Änderungen des § 181 Abs. 1 ZPO durch das Erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz) vom 24.8.2004, BGBl. I S. 2198. BTDrucks. 15 1508 S. 49; Knauer/Wolf NJW 2004 2857, 2860. BGH NJW 2001 832; Hannich/MeyerSeitz/Häublein § 181, 2 ZPO m.w.N.

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153 154

155 156 157 158

Vgl. Stellungnahme des Bundesrats BTDrucks. 14 4554 S. 32. BFH NJW 1984 448; BayObLG NJW 1963 600; OLG Oldenburg MDR 1962 828; LG Köln MDR 1973 768; a.A. BVerwG NJW 1971 1284; Schumann NJW 1969 2185, 2186. BVerfG NJW 1988 857. BVerwG NJW 1973 1945. LAG Hamm MDR 1978 82. OLG Hamm JMBlNRW 1981 68; Eyinck NJW 1998 206; a.A. OLG Köln JurBüro 1979 607; LG Neuruppin NJW 1997 2337.

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eines Briefschlitzes oder eines Briefkastens unter der Wohnungstür durchgeschoben wird.159 Bereits mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung und nicht erst mit der Nieder- 84 legung des Schriftstücks gilt letzteres als zugestellt (§ 181 Abs. 1 Satz 4 ZPO).160 Daraus folgt, dass es auf den Zugang der schriftlichen Mitteilung bei dem Zustellungsadressaten ebenso wenig ankommt wie darauf, ob die Niederlegung des Schriftstücks ordnungsgemäß erfolgt ist. Auch Verstöße gegen § 181 Abs. 2 ZPO, der die bisherige Praxis der dreimonatigen Aufbewahrung bei anschließender Rücksendung nunmehr gesetzlich festschreibt, berühren die Wirksamkeit der bereits mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung erfolgten Zustellung nicht,161 wohl aber die unterbliebene Niederlegung.162 e) Zustellungsurkunde (§ 182 ZPO). Die Vorschrift fasst die bisher in den §§ 190 85 Abs. 1, 191, 195 Abs. 1 und 2 Satz 3 sowie § 212 ZPO a.F. enthaltenen Regelungen über die Beurkundung der Zustellung in einer Vorschrift redaktionell zusammen. § 182 ZPO regelt keine Zustellungsvoraussetzungen, sondern lediglich die Anforderungen an den Nachweis der Zustellung nach den §§ 171, 177 bis 181 ZPO. Bei der Zustellungsurkunde handelt es sich um eine öffentliche Urkunde (§ 415 Abs. 1 86 ZPO), und zwar auch dann, wenn sie von einem mit der Ausführung der Zustellung beauftragten Mitarbeiter der Post (vgl. Rn. 29) errichtet wurde. Sie begründet den vollen Beweis dafür, dass das Schriftstück zu der darin angegebenen Zeit und am angegebenen Ort der vermerkten Person übergeben worden ist.163 Zum Nachweis der Wirksamkeit einer Ersatzzustellung nach § 180 ZPO ist es nicht erforderlich, dass der Zusteller in der Urkunde angibt, in welche Empfangseinrichtung – Briefkasten oder ähnliche Vorrichtung – er das Schriftstück eingelegt hat, und im Fall einer ähnlichen Vorrichtung diese näher bezeichnet.164 Bei einer Ersatzzustellung nach § 181 ZPO wird bewiesen, dass der Zusteller unter der angegebenen Anschrift weder den Zustellungsadressaten persönlich noch eine in Betracht kommende Ersatzperson angetroffen hat, ein Briefkasten oder eine vergleichbare Vorrichtung zum Einwerfen nicht vorhanden war und die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung in der angegebenen Weise hinterlassen hat.165 Die Beweiskraft erstreckt sich nicht darauf, dass der Zustellungsadressat unter der angegebenen Anschrift auch tatsächlich wohnt.166 Die Erklärung des Zustellers begründet insoweit nur ein beweiskräftiges Indiz, das der Zustellungsadressat durch eine schlüssige und plausible Erklärung entkräften kann.167

159 160 161 162 163

BVerwG NJW 1973 1945. BTDrucks. 14 4554 S. 22. Hannich/Meyer-Seitz/Häublein § 181, 7 ZPO. MünchKommZPO/Aktualisierungsbd.Wenzel § 181, 10 ZPO. BFH NJW 2000 1976; a.A. AG Neuruppin NJW 2003 2249 (Zustellungsurkunde nach der Zustellungsvordruckverordnung entspricht für den Fall der Niederlegung nicht den Vorgaben der ZPO).

164 165

166 167

BGH NJW 2006 150. BVerfG NJW 1992 224, 225; OLG Frankfurt JurBüro 1998 209; OLG Düsseldorf NJW 2000 2831 = wistra 2000 436 f. = VRS 99 (2000) 201 ff. BVerfG NStZ-RR 1997 70; a.A. OLG Frankfurt NStZ-RR 1997 138 f. BVerfG NStZ-RR 1997 70, 71.

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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

9. Zustellungen von Verfahrensurkunden und gerichtlichen Entscheidungen im Ausland

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a) Allgemeines. § 183 Abs. 1 ZPO regelt das Verfahren bei der Zustellung im Ausland. § 183 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erlaubt jetzt, wie bislang bereits § 37 Abs. 2, der durch Art. 2 Abs. 12 Nr. 2 ZustRG aufgehoben wurde, die Auslandszustellung durch Einschreiben mit Rückschein, soweit völkerrechtlich vereinbart. § 183 Abs. 1 Nr. 2 ZPO regelt die Zustellung im Ausland in solchen Staaten, in denen die Übersendung durch die Post völkerrechtlich – mangels entsprechender völkerrechtlicher Vereinbarungen – nicht zulässig ist. § 183 Abs. 1 Nr. 3 ZPO regelt die Auslandszustellung an einen Deutschen, der das Recht der Immunität genießt und zu einer Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gehört.

b) Einschreiben mit Rückschein (§ 183 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Nach dieser im Strafverfahren entsprechend anwendbaren Vorschrift erfolgt die Zustellung im Ausland durch die Post ausschließlich in der Form des Einschreibens mit Rückschein. Der Rückschein muss für den internationalen Verkehr gelten (so genannter internationaler Rückschein). Für das Strafverfahren eröffnet Art. 52 Abs. 1 SDÜ einer Vertragspartei, Personen, die sich im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei aufhalten, gerichtliche Urkunden unmittelbar durch die Post zu übersenden.168 Nicht in allen Mitgliedstaaten ist die Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein oder nur unter bestimmten Bedingungen zulässig.169 Die Zustellung durch Einschreiben mit Rückschein im Ausland ist mit der Übergabe 89 des Einschreibebriefes an den Adressaten, seinen Ehepartner, Postbevollmächtigten oder an einen Ersatzempfänger, dem die Sendung nach den im Bestimmungsland geltenden Postbestimmungen ausgehändigt werden kann, wirksam erfolgt.170 Die Übergabe an einen Ersatzempfänger ist ausgeschlossen, wenn der eingeschriebene Brief den Vermerk „eigenhändig“ trägt.171 Zum Nachweis der Zustellung genügt der Rückschein (§ 183 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Auf dem an die absendende Stelle zurückzusendenden Rückschein muss vermerkt sein, an wen die Sendung wann ausgehändigt worden ist.172

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90

c) Behörden des fremden Staates oder diplomatische oder konsularische Vertretung (§ 183 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Kommt eine Zustellung gemäß § 183 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht in Betracht, sei es, dass ein entsprechendes völkerrechtliches Abkommen nicht besteht oder dass eine Zustellung durch die Post nicht Erfolg versprechend erscheint, so erfolgt die Zustellung auf Ersuchen des Vorsitzenden des mit der Sache befassten Gerichts und bei Zustellungsanordnung durch die Staatsanwaltschaft auf Ersuchen des zuständigen Staatsanwalts. Die Regelung des § 183 Abs. 1 Nr. 2 ZPO entspricht § 199 ZPO a.F. Die Zustellung erfolgt dann durch die Behörden des fremden Staates oder durch die diploma-

168

169

Listen der Urkunden, die gemäß Art. 52 Abs. 1 SDÜ unmittelbar durch die Post übersandt werden dürfen, sind nach Staaten geordnet abgedruckt bei Schomburg/ Lagodny zu Art. 52, 11 ff. SDÜ. Vgl. zu Dänemark, Vereinigtem Königreich, Irland und Griechenland Hannich/MeyerSeitz/Häublein § 183, 5 ZPO; vgl. auch Heß NJW 2001 15, 17 ff. und NJW 2002 2417, 2423 f.; Jastrow NJW 2002 3382.

878

170

171 172

A.A. Hackner/Schomburg/Lagodny/Wolf Rn. 183 („Eine Ersatzzustellung im Ausland sieht § 37 StPO nicht vor.“). BTDrucks. 14 4554 S. 23; Meyer-Goßner 25; SK/Weßlau 37. OLG Köln NStZ 2000 666; Rose wistra 1998 11, 16; Sommer StraFo 1999 41.

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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung

§ 37

tische oder konsularische Vertretung des Bundes, die in dem betreffenden Staat residiert. Für das Verfahren enthält § 183 Abs. 1 ZPO nur Rahmenbestimmungen.173 Das Nähere ergibt sich aus völkerrechtlichen Verträgen sowie den Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in Strafsachen (RiVASt), die in ihrem Länderteil für die meisten ausländischen Staaten Bestimmungen über Weg, Form und Beförderung des Rechtshilfeersuchens enthalten. Nach Nr. 115 RiVASt sind Zustellungen im Ausland auf Ersuchen an den ausländi- 91 schen Staat zu bewirken. Die Zuständigkeit, solche Ersuchen zu stellen, ist den Landesregierungen übertragen; diese haben das Recht der Weiterübertragung.174 Ist Gegenstand des Verfahrens, in dem die Zustellung begehrt wird, eine politische oder fiskalische Straftat, dann besteht im Allgemeinen eine Zuständigkeit des Bundes. Handelt es sich bei dem Zustellungsadressaten um einen deutschen Staatsange- 92 hörigen, so kann in der Regel die deutsche Auslandsvertretung um Zustellung ersucht werden (§ 16 KonsG; Nr. 129 Abs. 3 Satz 2 RiVASt).175 In diesen Fällen ist der Rechtshilfeverkehr zwischen der ersuchenden Behörde und der diplomatischen oder konsularischen Vertretung des Bundes im Ausland innerstaatlicher Rechts- und Amtshilfeverkehr, der nach innerdeutschen Bestimmungen statt findet (Nr. 129 Abs. 3 Satz 3 RiVASt). Ist die Zustellung durch Vermittlung der deutschen Auslandsvertretung bewirkt worden (Nr. 129 Abs. 3 Satz 2 RiVASt), so genügt für den Nachweis der Zustellung das schriftliche Zeugnis (§ 16 Satz 2 KonsG) des Konsularbeamten, aus dem sich ergibt, auf wessen Ersuchen, in welcher Strafsache und welches Schriftstück wann ausgehändigt worden ist.176 Sind dagegen in dem Ersuchen um Rechtshilfe die Behörden des fremden Staates um 93 die Zustellung gebeten worden, so wird der Nachweis entweder durch das vom Zustellungsadressaten unterschriebene Empfangsbekenntnis oder durch schriftliches Zeugnis der ersuchten Behörde nachgewiesen, welches die Tatsache, die Form und das Datum der Zustellung beurkundet (Art. 7 Abs. 2 Satz 1 EuRhÜbk). Die Urkunde eines ausländischen Urkundsbeamten über die Zustellung genügt nicht.177 Die Bescheinigung kann auch in der Rücksendung der vom Zustellungsorgan aufgenommenen Zustellungsurkunde mit dem Vermerk „nach Entsprechung rückgemittelt“ gesehen werden.178 d) Immunität (§ 183 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Zustellungen an einen deutschen Staats- 94 angehörigen, der das Recht der Immunität genießt oder zu einer Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gehört, erfolgen durch das Auswärtige Amt. Insoweit handelt es sich um innerstaatlichen Verkehr. Der Nachweis über die erfolgte Zustellung wird durch das Zeugnis des Auswärtigen Amtes erbracht (§ 183 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Das Zeugnis muss die Tatsache, die Form und das Datum der Zustellung beurkunden. Andernfalls lässt sich die Wirksamkeit der Zustellung nicht hinreichend sicher feststellen.

173 174

MünchKommZPO/Aktualisierungsbd.Wenzel § 183, 6 ZPO. Nr. 2 und 3 der Zuständigkeitsvereinbarung (BAnz. Nr. 100 vom 29.5.2005 S. 11494). Wegen der Übertragungen, meistens auf die Landgerichtspräsidenten und die Leitenden Oberstaatsanwälte, vgl. Nr. 4 der Zuständigkeitsvereinbarung und die einzelnen Delegationserlasse und -verordnungen der

175 176 177 178

Bundesländer bei Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen (1982) I A 3. Greßmann NStZ 1991 216. BGHSt 26 140. BayOLGSt 1981 17 = GA 1981 513 = StV 1981 224. BayObLG GA 1982 374.

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§ 37

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

10. Zustellungsmängel a) Heilung. Der Zweck der Zustellung besteht darin, dem Zustellungsadressaten die angemessene Gelegenheit zur Kenntnisnahme vom Inhalt des Schriftstücks zu verschaffen. Die Einhaltung von Zustellungsvorschriften ist mithin kein Selbstzweck. Sofern das Schriftstück dem Zustellungsadressaten oder einem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist, besteht kein Grund, die mit der Zustellung verbundenen Folgen nicht auch eintreten zu lassen. Zustellungsmängel sind daher nunmehr unter der Voraussetzung, dass überhaupt eine Zustellung beabsichtigt war, d.h. ein Zustellungswille bestand, unbeachtlich, wenn der Zustellungszweck erreicht ist.179 Die Zustellungsfiktion gilt nicht für vor dem Inkrafttreten des Zustellungsreformgesetzes am 1.7.2002 abgeschlossene Sachverhalte, auch wenn über diese erst nach Inkrafttreten gerichtlich entschieden wird.180 Die Heilung eines Zustellungsmangels tritt nur dann ein, wenn das zuzustellende 96 Schriftstück der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Zugegangen ist ein Schriftstück dann, wenn es so in den Machtbereich des Zustellungsadressaten oder eines Empfangsberechtigten gelangt ist, dass dieser die Möglichkeit hatte, von dessen Inhalt Kenntnis zu nehmen. Den Zeitpunkt des Zugangs ermittelt das Gericht bzw. die Staatsanwaltschaft in freier Beweiswürdigung.181 Die Heilung eines Zustellungsmangels tritt im Gegensatz zu der bisherigen Rechtlage kraft Gesetzes ein. Anders als nach § 187 Satz 2 ZPO a.F. werden Mängel bei der Zustellung jetzt auch dann geheilt, wenn durch die Zustellung eine Notfrist in Gang gesetzt werden soll.182 Im Strafverfahren wird damit für die Heilung von Zustellungsmängeln ein erweiterter Anwendungsbereich eröffnet.

95

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b) Unwirksamkeit. Wesentliche Mängel bei der Anordnung, Durchführung oder Beurkundung der Zustellung können zu deren Unwirksamkeit führen.

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aa) Anordnung. Eine ohne Anordnung des Vorsitzenden (§ 36 Abs. 1 Satz 1) bewirkte Zustellung ist ebenso wie eine unvollständige Anordnung unwirksam (vgl. § 36, 34 f.). Das gilt gleichermaßen für eine entgegen der Anordnung des Vorsitzenden (vgl. § 36, 36).

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bb) Durchführung. Wesentliche Mängel bei der Durchführung der Zustellung führen zu deren Unwirksamkeit, wie etwa die Zustellung des Urteils vor Fertigstellung des Protokolls (§§ 273 Abs. 4),183 die Zustellung einer Urteilsausfertigung, in der ein nicht ganz unwesentlicher Teil der Urteilsformel fehlt 184 oder die in wesentlichen Teilen unleserlich ist 185 oder die nur die Unterschrift des Vorsitzenden, nicht aber die der übrigen richterlichen Mitglieder des Spruchkörpers, aufweist,186 wenn die Ersatzzustellung an einem Ort vorgenommen wird, wo der Zustellungsadressat nicht wohnt.187 Die frühere Rechtsprechung, wonach die Zustellung durch einen nicht zum Justizwachtmeister des Gerichts bestellten Justizvollzugsbeamten 188 unwirksam ist, ist durch § 168 Abs. 1 Satz 2 ZPO 179 180 181 182

BTDrucks. 14 4554 S. 14. OLG Hamburg NStZ-RR 2005 17. BTDrucks. 14 4554 S. 14; Heß NJW 2002 2417, 2421. BTDrucks. 14 4554 S. 25; BGH NJW 2005 3216; OLG Frankfurt NStZ-RR 2004 336; OLG Hamburg NStZ-RR 2003 46; NStZRR 2005 17; vgl. zur früheren Rechtslage LR/Wendisch 25 63 ff.

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183 184 185 186 187 188

Börtzler MDR 1972 185. BGH NJW 1978 60. BayOLG MDR 1982 501. KG JR 1982 251. BayOLSt 1967 165 = NJW 1968 513; OLG Frankfurt NStZ-RR 2003 174. BayObLG NJW 1965 1612.

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§ 37

überholt. Entsprechendes gilt für eine durch Polizeibeamte bewirkte Zustellung,189 die nach § 168 Abs. 2 ZPO als Beauftragung einer anderen Behörde nunmehr zulässig ist. cc) Beurkundung. Die Zustellung ist nach der Legaldefinition des Begriffs jetzt nicht 100 schon deshalb unwirksam, wenn die Beurkundung wesentliche Mängel aufweist, denn die Beurkundung ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung mehr, sondern dient lediglich dem Nachweis der Zustellung (vgl. Rn. 1). Die nach der früheren Rechtsprechung zur Unwirksamkeit der Zustellung führenden Beurkundungsmängel haben nur noch Bedeutung für den Nachweis der Zustellung, wenn etwa die Übergabe überhaupt nicht 190 beurkundet worden ist, wenn wesentliche Teile der Urkunde, die dem Zustellungsnachweis dienen, wie Datum 191 oder Unterschrift 192 fehlen oder unrichtig angegeben werden; wenn die Person, der die Sendung ausgehändigt werden soll, in der Zustellungsurkunde unrichtig angegeben ist;193 wenn die nicht in Betracht kommenden Felder der Zustellungsurkunde nicht durchgestrichen und daher die Voraussetzungen für eine an sich zulässige Ersatzzustellung nicht unmissverständlich ausgewiesen werden;194 wenn wesentliche Teile nicht ausgefüllt worden sind 195 oder wenn der Zusteller eine andere Zustellungsart beurkundet, als er wirklich vorgenommen hat;196 wenn der Vermerk über die schriftliche Mitteilung (§ 181 Abs. 1 Satz 3, § 182 Abs. 2 Nr. 4 ZPO) fehlt.197 Denn dann kann die zustellende Behörde nicht erkennen, ob das zuzustellende Schriftstück wenigstens in den Bereich des Zustellungsadressaten gekommen ist. Die für eine verloren gegangene Zustellungsurkunde ausgestellte „Ersatzurkunde“ ist nicht geeignet, die Zustellung zu beweisen.198 Die Wirksamkeit der Zustellung wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass die 101 Geschäftsstelle auf der Sendung keine oder eine unrichtige Geschäftsnummer angibt,199 denn § 176 ZPO setzt die Angabe der Geschäftsnummer anders als § 194 Abs. 1 Satz 2 ZPO a.F. nicht mehr voraus. Allerdings erleichtert die Angabe der Geschäftsnummer bei Rücklauf der Sendung die Zuordnung derselben zu den jeweiligen Akten. Eine zunächst ordnungsgemäß angeordnete und bewirkte Urteilszustellung verliert ihre Wirksamkeit nicht, wenn sich später herausstellt, dass die vom Richter und Urkundsbeamten unterzeichnete Sitzungsniederschrift im Zeitpunkt der Zustellung formelle Mängel aufweist und deshalb berichtigt werden muss.200

189

190 191 192

LG Darmstadt NStZ-RR 1998 113, das vor Inkrafttreten des ZustRG die durch einen Polizeibeamten bewirkte Zustellung für unwirksam hielt. OLG Dresden GA 71 (1927) 59. GmS OGB NJW 1977 621; OLG Hamburg NStZ 1992 301; LG Berlin NJW 2001 238. BGH NJW 1981 875; OLG Düsseldorf StraFo 2000 380; 2002 87; OLG Frankfurt NJW 1993 3079 (Unterschrift auf der Zustellungsurkunde); BGHR StPO § 37 Wirksamkeit 3 (Unterschrift auf dem Empfangsbekenntnis).

193 194 195 196

197 198 199 200

OLG Celle Nds.Rpfl. 1985 172. OLG Hamm NJW 1974 658. OLG Düsseldorf NJW 2000 3511. BayObLGSt 1962 257; OLG Hamm MDR 1969 850; JMBlNRW 1981 68; OLG Karlsruhe MDR 1976 162. OLG Bremen NJW 1955 643 (zu §§ 182, 191 Nr. 4 ZPO a.F.). OLG Bremen MDR 1959 862. So noch RGSt 37 157; OLG Hamm NZV 2003 298. BayObLG NJW 1981 1975.

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§ 37

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

II. Mehrfache Zustellung (Absatz 2) 1. Inhalt. Nach § 145a Abs. 1, der mit § 378 Satz 2 zu vergleichen ist, gelten der gewählte Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, sowie der bestellte Verteidiger und nach § 434 Abs. 1 Satz 2 bevollmächtigte Vertreter und nach § 434 Abs. 2 bestellte Vertreter des Einziehungsbeteiligten als ermächtigt, Zustellungen in Empfang zu nehmen. Darüber hinaus kann sich der Zustellungsempfänger der durch § 116a Abs. 3, § 127a Abs. 2, § 132 Abs. 1 Nr. 2 anerkannten Einrichtung eines Zustellungsbevollmächtigten auch in anderen als den dort geregelten Fällen bedienen (vgl. Rn. 5 ff.). Die Zustellung ist aber weder an den Verteidiger, der als Zustellungsbevollmächtigter gilt, noch an den ermächtigten Zustellungsbevollmächtigten vorgeschrieben. § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO, der bestimmt, dass die Zustellung an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen hat, ist im Strafverfahren nicht entsprechend anwendbar (vgl. Rn. 17), weil der Zustellungsbevollmächtigte, der Verteidiger und der Vertreter des Einziehungsbeteiligten keine Prozessbevollmächtigten sind. Die Zustellung bleibt deshalb auch stets an den Betroffenen selbst zulässig. Davon sollte jedoch nur dann zurückhaltend Gebrauch gemacht werden, wenn der Betroffene ausdrücklich einen Zustellungsbevollmächtigten – zumeist seinen Verteidiger – gewählt hat, um Zufälligkeiten auszuschließen, die namentlich bei Ersatzzustellungen möglich sind. Die Wirksamkeit der persönlichen Zustellung wird selbst dann nicht in Frage gestellt, wenn das Gericht es entgegen § 145a Abs. 3 Satz 2 unterlassen hat, den Verteidiger von der unmittelbaren Zustellung an den Betroffenen zu unterrichten.201 Wegen der Möglichkeit, sowohl dem Betroffenen als auch dem Zustellungsbevollmächtigten zuzustellen, können mehrfache Zustellungen vorkommen. Zwar sollten sie nach Möglichkeit vermieden werden (Nr. 154 Abs. 1 Satz 2 RiStBV), doch kann die Fürsorgepflicht sie im Einzelfall gebieten.202 Für mehrfache Zustellungen setzt die Vorschrift nicht etwa jedem Zustellungsempfänger 103 eine eigene Frist;203 sie geht vielmehr davon aus, dass eine einheitliche Frist gilt. Diese ist nicht nach der ersten, sondern nach der letzten Zustellung zu berechnen.204 Das bedeutet, dass die durch die erste Zustellung in Lauf gesetzte Frist so lange läuft, bis auch die durch die letzte Zustellung eröffnete Frist abgelaufen ist.205 Die „formlose Zustellung“ der Urteilsgründe an den Angeklagten mit dem Hinweis auf die Zustellung an den Verteidiger ist keine weitere Zustellung im Sinne von Absatz 2. Bei ihr handelt es sich vielmehr um die nach § 145a Abs. 3 Satz 1 erster Halbsatz vorgesehene Unterrichtung des Beschuldigten, die für den Lauf der Revisionsbegründungsfrist nach § 345 Abs. 1 ohne Bedeutung ist. Ordnet der Vorsitzende allerdings ausdrücklich an, dass das Urteil dem Angeklagten und dem Verteidiger zuzustellen ist, so beginnt, wenn ihnen nicht gleichzeitig zugestellt wird, die Revisionsbegründungsfrist erst mit der zuletzt bewirkten Zustellung.

102

104

2. Rechtskraft. Auch wenn in der Regel nicht viele, sondern nur zwei Zustellungsempfänger in Betracht kommen, so lässt es sich in der Praxis doch nicht erzwingen, dass die Zustellung an beide gleichzeitig oder unmittelbar nacheinander angeordnet wird.206

201

BVerfG NJW 2002 1640; BGH NJW 1977 640; BayObLG NStZ 1983 242; NJW 1993 150; OLG Düsseldorf VRS 89 (1995) 42; OLG Frankfurt StV 1986 288; OLG Köln VRS 42 (1972) 125.

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202 203 204 205 206

Dünnebier JZ 1969 96. Mamroth JW 1919 998. BGH bei Miebach NStZ 1989 287. BayObLG bei Rüth DAR 1975 205. So aber Kohlhaas NJW 1967 24.

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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung

§ 37

Die zuletzt bewirkte Zustellung entfaltet nur dann Wirkung, wenn sie vor Ablauf der Frist für die erste Zustellung angeordnet 207 oder bewirkt worden ist.208 3. Empfangsberechtigte. Nur Zustellungen, die an Empfangsberechtigte bewirkt 105 werden, sind wirksam. Empfangsberechtigte sind der Betroffene (vgl. § 35a, 8 f.), der Zustellungsbevollmächtigte (vgl. Rn. 5 ff.), der Pflichtverteidiger sowie derjenige Wahlverteidiger, dessen Verteidigervollmacht – nicht notwendig zugleich Zustellungsvollmacht – sich bei den Akten befindet (§ 145a), nicht der Vormund oder Betreuer.209 Zustellungen an Wahlverteidiger, deren Vollmacht sich weder in den Akten befindet noch in der Hauptverhandlung mündlich erteilt und im Protokoll beurkundet worden ist, sind unwirksam.210 Wird nur eine Zustellung bewirkt, so ist sie die letzte und für die Fristberechnung auch dann maßgebend, wenn die in § 145a Abs. 3 vorgesehene Unterrichtung (entweder des Beschuldigten oder seines Verteidigers) unterblieben ist.211 Absatz 2 betrifft nur Zustellungen an mehrere Empfangsberechtigte. Wird an den- 106 selben Empfangsberechtigten mehrfach zugestellt, so ist für die Fristberechnung die erste wirksame Zustellung maßgeblich.212 Dies gilt auch dann, wenn eine der Formen der Ersatzzustellung gewählt wird. Der Brauch der „Hafenbehörden, eine doppelte Zustellung anzuordnen“ („zunächst durch Niederlegung bei der Post und später durch die Hafenkontrolle an Bord“), ist ebenso ungesetzlich, wie die Auslegung,213 maßgeblich sei die zweite Zustellung. Vielmehr ist der Fall klar in § 44 Satz 1 geregelt und allein nach dieser Vorschrift zu behandeln. Hat der Beschuldigte mehrere Verteidiger, auf die § 145a Abs. 1 anzuwenden ist, und wird ihnen allen zugestellt – was nicht erforderlich ist nach Nr. 154 Abs. 1 Satz 2 RiStBV 214 – so handelt es sich dabei um eine Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte, so dass die Frist nach der zuletzt bewirkten Zustellung zu berechnen ist. 4. Zustellung ist nur die gebotene, zumindest die zulässige Zustellung. Die Zustel- 107 lungsbehörde (§ 36) kann nicht dadurch gleichsam Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren, dass sie, nachdem eine Frist versäumt worden ist, demselben Empfangsberechtigten ein zweites Mal zustellt. Sie ist aber nicht gehindert, wenn sie einem von mehreren Empfangsberechtigten zugestellt und dieser die Frist versäumt hat, nunmehr einem anderen Empfangsberechtigten zuzustellen, dem sie vorher noch nicht zugestellt hatte. Sie sollte dies allerdings nur dann tun, wenn die weitere Zustellung aus einem wichtigen Grund geboten ist. 207 208

209

210

KG JR 1967 110; 1968 391. BGHSt 22 221; 34 371 = NStZ 1987 422 = JR 1988 467 mit krit. Anm. Wendisch; BayObLGSt 1967 101 = NJW 1967 2124; NJW 1975 150; OLG Celle OLGSt § 37, 7; OLG Koblenz VRS 62 (1982) 449; 63 (1982) 69; OLG Zweibrücken VRS 53 (1977) 278; KK/Maul 10; Meyer-Goßner 29; SK/Weßlau 45; a.A. LR/Wendisch 25 74. OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1983 106; OLG Düsseldorf NStZ 1996 52. BGHSt 41 304; BayObLGSt 1992 157; BayObLG VRS 84 (1993) 447; OLG Düsseldorf NStZ 1988 327; MDR 1993 459; OLG Karlsruhe MDR 1996 842; a.A. OLG Düsseldorf VRS 73 (1987) 389.

211 212

213 214

OLG Hamburg NJW 1965 1614; OLG Düsseldorf StV 1997 121. BGH NJW 1978 60; BayObLG bei Rüth DAR 1979 240; OLG Hamburg NJW 1965 1614; Dünnebier JZ 1969 96; a.A. für den Fall, dass die Entscheidung einmal ohne, ein zweites Mal mit Rechtsmittelbelehrung zugestellt worden ist, OLG Neustadt GA 1955 187; dagegen mit Recht OLG Saarbrücken NJW 1964 1633. Schifffahrtsobergericht Köln JMBlNRW 1972 260. BGH NStZ-RR 1997 364; NStZ-RR 2003 205.

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§ 38

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

§ 38 Die bei dem Strafverfahren beteiligten Personen, denen die Befugnis beigelegt ist, Zeugen und Sachverständige unmittelbar zu laden, haben mit der Zustellung der Ladung den Gerichtsvollzieher zu beauftragen.

Schrifttum. Widmaier Zur Rechtsstellung des nach §§ 220, 38 vom Verteidiger geladenen Sachverständigen, StV 1985 526.

1

1. Unter der unmittelbaren Ladung wird im Strafverfahren die Ladung eines Zeugen oder Sachverständigen verstanden, die von dem Zustellungsbeamten nicht im Auftrag der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts, sondern unmittelbar im Auftrag des Beschuldigten, des Privatklägers oder des Nebenklägers bewirkt wird. Die Befugnis, Zeugen und Sachverständige unmittelbar zu laden, ist geregelt in § 220 Abs. 1 (Ladung von Zeugen), § 323 Abs. 1 Satz 1 (Berufungsverhandlung), § 298 Abs. 2 in Verb. mit § 323 Abs. 1 Satz 1 (Berufung des gesetzlichen Vertreters), § 386 Abs. 2 (Privatkläger, nicht auch der Nebenkläger) 1, § 414 Abs. 1 (Sicherungsverfahren), § 433 Abs. 1 (Einziehungsverfahren), § 440 Abs. 3 (selbständiges Einziehungsverfahren), § 444 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 (Verfahren bei Festsetzung von Geldbußen gegen juristische Personen und Personenvereinigungen).

2

2. Auftrag an den Gerichtsvollzieher. Wer unmittelbar zu laden berechtigt ist, muss den Gerichtsvollzieher beauftragen, er kann weder die Vermittlung der Geschäftsstelle in Anspruch nehmen (§ 161 GVG) noch die Post unmittelbar angehen (§ 196 ZPO).2 Dagegen kann der Gerichtsvollzieher seinerseits die Zustellung nach §§ 193 bis 194 ZPO durch die Post bewirken; der Auftraggeber kann den Gerichtsvollzieher hierzu anweisen, um sich vor unnötigen Kosten zu schützen. Die Beteiligten können eine durch die Post auszuführende Zustellung jedem in der Bundesrepublik Deutschland angestellten Gerichtsvollzieher übertragen (§ 160 GVG). Nur wenn die Zustellung ohne Mitwirkung der Post stattfinden soll, muss ein Gerichtsvollzieher beauftragt werden, zu dessen Amtsbezirk der Bestimmungsort gehört.3

3. Verfahren. Die Ladung wird ausgeführt durch Zustellung einer vom Auftraggeber unterschriebenen Ladung. Der unmittelbar geladene Zeuge oder Sachverständige ist zum Erscheinen nur verpflichtet, wenn ihm bei der Ladung die gesetzliche Entschädigung für Reisekosten und Versäumnis bar dargeboten oder deren Hinterlegung bei der Geschäftsstelle (Gerichtskasse) nachgewiesen wird (§ 220 Abs. 2). Der Gerichtsvollzieher hat daher auf Verlangen des Auftraggebers dem Geladenen bei der Zustellung entweder die Entschädigung gegen Quittung zu übergeben oder die Hinterlegungsbescheinigung mit zuzustellen (§ 51 Abs. 2 GVGA). Soll der Gerichtsvollzieher dem Geladenen den Betrag in bar auszahlen und trifft er ihn nicht in Person an, so übersendet er ihm den Betrag mittels Postanweisung der Deutschen Post AG. Der Gerichtsvollzieher führt die Zustellung auch dann aus, wenn ihm der Auftrag4 geber die Entschädigung weder zur Auszahlung übergeben noch sie hinterlegt hat. In diesem Fall darf die Ladung aber keinen Hinweis auf die gesetzlichen Folgen des Ausblei-

3

1

LR/Hilger 25 § 397, 10; Beulke DAR 1988 118; KMR/Stöckel § 397, 11, a.A. MeyerGoßner 2; § 397, 10; SK/Weßlau 1; HK/Kurth § 397, 13; AK/Rössner § 397, 11.

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2 3

BGH NJW 1952 836. BGH NJW 1952 836; KK/Maul 2; MeyerGoßner 3.

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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung

§ 40

bens enthalten. Das ist in der Zustellungsurkunde ersichtlich zu machen (§ 51 Abs. 3 GVGA).4 Sofern der Geladene die Entschädigung zurückweist, gibt der Gerichtsvollzieher die 5 ihm zum Zwecke der Darbietung übergebene Entschädigung mit der Zustellungsurkunde dem Auftraggeber zurück (§ 51 Abs. 2 GVGA). Zum Nachweis der Wirksamkeit einer unmittelbaren Ladung muss der Gerichtsvoll- 6 zieher auf der Zustellungsurkunde oder einem Nachtrag zu ihr das Anbieten der Entschädigung, ihre Auszahlung oder Zurückweisung ersichtlich machen. Im Falle der Zurückweisung ist darüber hinaus der Grund zu vermerken, den der Empfänger gegenüber dem Gerichtsvollzieher hierfür angegeben hat. Ferner hat der Gerichtsvollzieher die Mitzustellung der Bescheinigung der Kasse oder Gerichtszahlstelle schriftlich festzuhalten, wenn der Auftraggeber die Entschädigung hinterlegt hat (§ 51 Abs. 2 GVGA).

§ 39 Die Vorschrift, in der die Landesjustizverwaltungen ermächtigt wurden, in gewissen Fällen einfachere Formen für den Nachweis der Zustellung zuzulassen, ist durch Art. 4 Nr. 7 des 3. StRÄndG als überholt (vgl. Begr. BTDrucks. I 3713, S. 46) aufgehoben worden.

§ 40 (1) 1Kann eine Zustellung an einen Beschuldigten, dem eine Ladung zur Hauptverhandlung noch nicht zugestellt war, nicht in der vorgeschriebenen Weise im Inland bewirkt werden und erscheint die Befolgung der für Zustellungen im Ausland bestehenden Vorschriften unausführbar oder voraussichtlich erfolglos, so ist die öffentliche Zustellung zulässig. 2Die Zustellung gilt als erfolgt, wenn seit dem Aushang der Benachrichtigung zwei Wochen vergangen sind. (2) War die Ladung zur Hauptverhandlung dem Angeklagten schon vorher zugestellt, dann ist die öffentliche Zustellung an ihn zulässig, wenn sie nicht in der vorgeschriebenen Weise im Inland bewirkt werden kann. (3) Die öffentliche Zustellung ist nur im Verfahren über eine vom Angeklagten eingelegte Berufung bereits zulässig, wenn eine Zustellung nicht unter der Anschrift möglich ist, unter der letztmals zugestellt wurde oder die der Angeklagte zuletzt angegeben hat.

Schrifttum. Mosenheuer Über die Zulässigkeit einer öffentlichen Zustellung der Mitteilung des Inhalts der Anklageschrift, wistra 2002 409; Knauer/Wolf Zivilprozessuale und strafprozessuale Änderungen durch das Erste Justizmodernisierungsgesetz – Teil 2: Änderungen der StPO, NJW 2004 2932; M. J. Schmid Die öffentliche Zustellung im Strafverfahren, MDR 1978 96; F.-C. Schroeder Die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten als Anwendungsvoraussetzung strafprozessualer Zwangsmaßnahmen, GA 2005 73.

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Zum Missbrauch des Ladungsrechts LR/Gollwitzer 25 § 220, 10 f.

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§ 40

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

Entstehungsgeschichte. Durch § 22 EmmingerVO i.V.m. der Bekanntmachung 1924 ist die Möglichkeit eingefügt worden, auch im Fall des Absatzes 1 durch Anheften an die Gerichtstafel zuzustellen. Art. 9 VereinhG i.V.m. der Bekanntmachung 1950 hat die Worte „Deutsches Reich“ durch „Inland“ und „Instanz“ durch „Rechtszug“ ersetzt. Absatz 3 ist durch Art. 1 Nr. 4 StVÄG 1987 eingefügt worden. Durch Art. 3 Nr. 1 des Ersten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz) vom 24.8.2004 1 wurden Absatz 1 und 2 neu gefasst, so dass nunmehr auch im Strafverfahren über die Verweisung in § 37 Abs. 1 die Regelungen der §§ 186, 187 ZPO über die Ausführung der öffentlichen Zustellung von Schriftstücken gelten, während in § 40 die abgestuften Regelungen zur Zulässigkeit der öffentlichen Zustellung und zur Dauer des Aushangs, die von den §§ 185, 188 ZPO abweichen, beibehalten werden. Übersicht Rn. 1. Bedeutung der Vorschrift . . . . . . . 2. Anwendungsbereich a) Gerichtliche Entscheidungen . . . b) Personenkreis . . . . . . . . . . . c) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . 3. Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . b) Erforschungspflicht . . . . . . . . c) Unmöglichkeit der Inlandszustellung (Absatz 1 und 2) . . . . . . . . . .

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Rn. d) Unausführbarkeit oder voraussichtliche Erfolglosigkeit der Auslandszustellung (Absatz 1) . . . . . . . . . . . . . . . e) Erleichterte Voraussetzungen bei Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Belehrungspflicht . . . . . . . . . . . . . 5. Verfahren a) Anordnung . . . . . . . . . . . . . . b) Ausführung . . . . . . . . . . . . . . c) Mängel . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anfechtung . . . . . . . . . . . . . .

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Alphabetische Übersicht Anfechtung 23 Anordnung der öffentlichen Zustellung 17 Anwendungsbereich 2 Aufenthalt des Beschuldigten 9 Ausland 7 Ausländer 8 Auslandszustellung 10 Aussetzung des Strafrestes 3 Bedeutung der Vorschrift 1 Belehrungspflicht 16 Benachrichtigung 18 Berufung 13 Beteiligter 5 Einziehungsbeteiligter 5 Erforschungspflicht 8, 12 Erleichterte Voraussetzungen 12

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Fiktion der Bekanntmachung 1 Gerichtliche Entscheidung 2 Gerichtstafel 19 Inland 7 Inlandszustellung 7, 9, 10 Mängel der öffentlichen Zustellung 22 Öffentliche Zustellung 3 – Anordnung 17 – Ausführung 18 – Ausnahmen 6 – Erleichterte Voraussetzungen 12 – Unwirksamkeit 22 – Voraussetzungen 7 ff. Revision 14 Strafbefehl 2 Zustellungsmangel 22

1. Bedeutung der Vorschrift. Die Vorschrift regelt im Spannungsfeld der Pflicht zur Justizgewährung und des sich daraus ergebenden Beschleunigungsgebots im Strafverfahren einerseits und des Anspruchs des Zustellungsadressaten auf rechtliches Gehör andererseits die Zustellung bei dessen unbekanntem oder unerreichbarem Aufenthalt.

1

BGBl. I S. 2198.

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Vierter Abschnitt. Gerichtliche Entscheidungen und ihre Bekanntmachung

§ 40

Die öffentliche Zustellung sichert den Fortgang des Verfahrens, weil sie es dem Beschuldigten unmöglich macht, sich der Zustellung zu entziehen und damit den Verfahrensfortgang zu verzögern, was unter Umständen für andere Verfahrensbeteiligte (z.B. Nebenkläger) unzuträglich sein kann. Da wegen des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) grundsätzlich in einer gerichtlichen Entscheidung kein Tatsachenstoff verwertet werden darf, zu dem der davon Betroffene nicht vollständig und in Kenntnis seiner potentiellen rechtlichen Bedeutung hat Stellung nehmen können, erweist sich die öffentliche Zustellung, die auf einer Fiktion der Bekanntmachung beruht, nur deswegen als verfassungsrechtlich unproblematisch, weil die Strafprozessordnung in zahlreichen Einzelvorschriften (z.B. § 33a, § 311 Abs. 3, § 311a) die Nachholung des rechtlichen Gehörs sicherstellt 2 und die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 44, § 315, § 329 Abs. 3, § 412) eröffnet, wenn der Betreffende ohne Verschulden verhindert war, eine Frist bzw. den Termin zur Hauptverhandlung einzuhalten. 2. Anwendungsbereich a) Gerichtliche Entscheidungen. Die Vorschrift findet nur Anwendung auf die Zustel- 2 lung gerichtlicher Entscheidungen. Sie erfasst mithin Urteile, Beschlüsse, Anordnungen, Verfügungen und unter engen Voraussetzungen auch die Mitteilung der Anklageschrift nach § 201.3 Auch der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der Strafaussetzung nach § 453 Abs. 1 Satz 2 kann öffentlich zugestellt werden.4 Die öffentliche Zustellung von Strafbefehlen ist nicht zulässig.5 Mit Art. 103 Abs. 1 GG ist es nicht vereinbar, wenn gegen einen Beschuldigten Strafe rechtskräftig festgesetzt wird und es – im Falle einer öffentlichen Zustellung – so gut wie ausgeschlossen erscheint, dass er hiervon vor der Vollstreckung überhaupt Kenntnis erlangt. Aus solchen Erwägungen hatten schon frühere Entwürfe die öffentliche Zustellung des Strafbefehls ausdrücklich für unzulässig erklären wollen.6 Es besteht auch keine praktische Notwendigkeit für eine öffentliche Zustellung von Strafbefehlen, denn nach Nr. 175 Abs. 2 Satz 1 RiStBV soll der Erlass eines Strafbefehls ohnehin nur dann beantragt werden, wenn der Aufenthalt des Beschuldigten bekannt ist, so dass in der regelmäßigen Form zugestellt werden kann. Keine Anwendung findet die Vorschrift auf staatsanwaltschaftliche Entscheidungen. Sie gilt mithin nicht bei der Ladung zur Vernehmung nach § 163a Abs. 1.7 Trotz der Verwendung der Worte „Beschuldigter“ (Absatz 1) und „Angeklagter“ 3 (Absatz 2) ist die öffentliche Zustellung nicht auf das Verfahren bis zur Rechtskraft

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BVerfGE 25 165; 77 285; BVerfG NJW 1988 2361. Mosenheuer wistra 2002 409, 413, der die öffentliche Zustellung der Mitteilung der Anklageschrift nach § 201 für zulässig hält, soweit die Verjährung der angeklagten Taten droht, gegen den Angeschuldigten Haftbefehl wegen des Haftgrundes der Flucht besteht und kein Grund für den Ausschluss der Öffentlichkeit besteht, dessen Zweck durch die – nach altem Recht erforderliche, nach neuem Recht aber nicht mehr zulässige – Veröffentlichung der Anklageschrift vereitelt werden würde; OLG Karlsruhe NJW 1974 712; Meyer-Goßner 1; a.A. Schmid MDR 1978 96,

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97; LR/Rieß 25 § 201, 14; KK/Maul 3; SK/Weßlau 5; KMR/Paulus 4. KK/Maul 2; Meyer-Goßner 1; HK/Lemke 2; OLG Stuttgart NJW 1983 1987; a.A. SK/Weßlau 4. OLG Düsseldorf NJW 1997 2965; LG Kiel SchlHA 1982 76; LG Köln MDR 1982 601; LR/Gössel 25 Vor § 407, 48; KK/Maul 3; KK/Fischer § 407, 36; Meyer-Goßner § 409, 21; SK/Weßlau 6; KMR/Metzger § 409, 39; Blankenheim MDR 1992 926, 927 f.; a.A. LR/Wendisch 25 1; Schmid MDR 1978 96, 98; LG München I MDR 1981 71. Vgl. LR/Gössel 25 Vor § 407, 48. KK/Maul 3; Meyer-Goßner 1.

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beschränkt;8 auch der rechtskräftig Verurteilte wird Angeklagter genannt (§§ 362, 453, 453a). Daher ist die öffentliche Zustellung auch bei einem Beschluss zulässig, durch den die Aussetzung des Strafrestes widerrufen wird. Dies war vor dem Erlass des 1. StVRG, durch das § 453c mit Wirkung vom 1.1.1975 in die Strafprozessordnung eingestellt worden ist, einhellige Meinung,9 ist in der Folgezeit aber teilweise in Frage gestellt worden. So hält das LG München 10 die bisherige Verfahrensweise deshalb für unzulässig, weil dafür keine Notwendigkeit mehr bestehe. Wo das Gesetz die Möglichkeit eröffne, rechtliches Gehör vor Eintritt der Rechtskraft zu gewähren, dürfe dieses nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht in ein nachträgliches umgewandelt und damit mehr als erforderlich beschränkt werden.11 Die Oberlandesgerichte Hamburg 12 und Frankfurt 13 meinen, § 453c sei gerade deshalb in die Strafprozessordnung eingefügt worden, um vor Erlass der Widerrufsentscheidung das gebotene rechtliche Gehör durchführen zu können und dadurch dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, von dieser Entscheidung Kenntnis zu nehmen, um gegen sie rechtzeitig ein Rechtsmittel einlegen zu können.14 Das OLG Hamburg hält die öffentliche Zustellung des Widerrufsbeschlusses dann für zulässig, wenn der Verurteilte vor dem Widerruf rechtliches Gehör erhalten hat, d.h. erst nach seiner Anhörung geflüchtet ist oder sich verborgen hält.15 Die Bedenken gegen die öffentliche Zustellung von die Strafaussetzung widerrufenden 4 Beschlüssen vermögen nicht zu überzeugen. Denn wenn vor Anordnung des Widerrufs einer Strafaussetzung zur Bewährung die Anhörung des Verurteilten unterbleibt und der Widerrufsbeschluss wirksam öffentlich zugestellt wird, so ist dessen Anspruch auf rechtliches Gehör durch eine entsprechende Anwendung des § 33a und damit nachträgliche Anhörung durch das Gericht, das den Beschluss erlassen hat, hinreichend sicher gestellt.16 Dem Verfahren zur Nachholung des rechtlichen Gehörs ist daher vor dem Erlass eines Sicherungshaftbefehls regelmäßig der Vorrang einzuräumen.

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b) Personenkreis. § 40 findet nur auf Zustellungen an den Beschuldigten und kraft ausdrücklicher Regelung in § 435 Abs. 1 letzter Halbsatz auch an den Einziehungsbeteiligten Anwendung. Gegenüber diesen beiden kann und muss gegebenenfalls nach § 40 verfahren werden, gleichviel ob ihnen eine Ladung oder eine andere gerichtliche Entscheidung zuzustellen ist. Bei Ladungen zur Hauptverhandlung hat sie allerdings nur Bedeutung, wenn der Beschuldigte auf die öffentliche Ladung auch erscheint (§ 232 Abs. 2). Diese Einschränkung gilt jedoch nur für die erstinstanzliche Hauptverhandlung,

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Meyer-Goßner 2. BGHSt 26 127 = NJW 1975 2211 = MDR 1975 679; OLG Hamburg GA 1960 152; OLG Karlsruhe NJW 1964 1086; Justiz 1968 187; MDR 1974 686; OLG Düsseldorf JMBlNRW 1966 46; OLG Braunschweig NJW 1971 1710; OLG Hamm MDR 1972 259; JMBlNRW 1974 106; OLG Celle NJW 1973 2306 = JR 1974 112 m. abl. Anm. Hanack; MDR 1976 948; OLG Saarbrücken NJW 1974 283; OLG Stuttgart NJW 1974 284; OLG Bremen MDR 1976 865. NJW 1975 2308. Krause NJW 1977 2250 unter ausführlicher Würdigung der Entscheidung des LG München II, aber auch der Entscheidungen des

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OLG Hamburg (NJW 1976 1327) und des OLG Bremen (MDR 1976 865); ähnlich auch Burmann Die Sicherungshaft gemäß § 453c (1984), S. 91 (Regelfall Sicherungshaftbefehl, öffentliche Zustellung nur, wenn Sicherungshaftbefehl untaugliches Mittel). MDR 1975 1042 = NJW 1976 1327. StV 1983 113; a.A. aber MDR 1978 71. Ähnlich auch OLG Koblenz OLGSt § 453c Nr. 5; OLG Celle NdsRpfl. 1985 48 = StV 1985 495; 1987 30; OLG Düsseldorf JR 1989 166. JR 1978 390 m. zust. Anm. Krause. BGHSt 26 127 f.; KK/Fischer § 453c, 5; Meyer-Goßner § 453c, 11 m.w.N.; a.A. SK/Weßlau 4.

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§ 40

da § 232 Abs. 2 auf die Berufungshauptverhandlung keine Anwendung findet. Eine Ladung nach § 40 Abs. 2 oder 3 schließt deshalb die Anwendung des § 329 Abs. 1 nicht aus.17 Im Strafbefehlsverfahren gelten die gleichen Erwägungen für die Ladung zur Hauptverhandlung nach Einspruchseinlegung (§ 412 Satz 1).18 Für Zustellungen an andere Beteiligte gelten die §§ 185 bis 188 ZPO (§ 37, 22). c) Ausnahmen. Die öffentliche Zustellung ist nicht zulässig, wenn eine Zustellung 6 nach § 145a Abs. 1 möglich ist.19 Sie ist auch ausgeschlossen, wenn das Schriftstück an einen nach § 116a Abs. 3 oder § 132 Abs. 1 Satz 2 bestellten Zustellungsbevollmächtigten zugestellt werden kann.20 Bei einer Ladung zur Hauptverhandlung nach § 40 Abs. 2 verliert eine ordnungsgemäß angeordnete und damit zunächst wirksame öffentliche Zustellung ihre Wirksamkeit, wenn dem Gericht ein inländischer Aufenthaltsort, an dem die Ladung in der nach § 37 vorgeschriebenen Weise bewirkt werden kann, bekannt wird, bevor es in die Verhandlung eintritt, zu der öffentlich geladen worden war.21 In anderen Fällen – öffentliche Zustellung von Beschlüssen – wird sie dann unzulässig, wenn die Abschrift des Betroffenen zu einem Zeitpunkt bekannt wird, an dem der Aushang der Benachrichtigung zwar schon an der Gerichtstafel angeheftet, die Zweiwochenfrist aber noch nicht verstrichen ist.22 Im Jugendstrafverfahren ist die öffentliche Zustellung nicht zulässig,23 weil sie den Grundsätzen des Jugendgerichtsgesetzes widerspricht. Denn wenn schon die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Entscheidung nicht öffentlich ist, würde es diesem Grundsatz widersprechen, durch den Aushang der Benachrichtigung an der Gerichtstafel, der unter anderem den Namen des Zustellungsadressaten und die Bezeichnung des Prozessgegenstands enthält,24 auf die bevorstehende Hauptverhandlung aufmerksam zu machen. 3. Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung a) Grundsatz. Die Vorschrift findet nur Anwendung, wenn die Zustellung einer ge- 7 richtlichen Entscheidung nicht bewirkt werden kann. Das ist dann der Fall, wenn die Entscheidung im Inland nicht in der nach § 37 vorgeschriebenen Form bewirkt werden kann oder im Ausland eine Zustellung entweder unausführbar oder voraussichtlich erfolglos sein wird (Absatz 1 Satz 1) und dadurch verhindert wird, dass das zuzustellende Schriftstück in die Hände des Empfängers gelangt.25 Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Aufenthalt des Beschuldigten unbekannt ist, sowie unter anderem auch dann, wenn er seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort aus dem Inland ins Ausland verlegt und im Inland einen Geschäftsbetrieb und einen Geschäftsraum für den Betrieb beibehalten hat, aber in diesem Raum selbst nicht mehr als Geschäftsinhaber regelmäßig tätig ist,26 es sei denn, dass eine Zustellung im Inland an einen Zustellungsbevollmächtigten,27 an einen gewählten Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, 17

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RGSt 66 76, 79; KG NJW 1969 475; OLG Düsseldorf StV 1982 127; OLG Frankfurt StV 1983 233; Meyer JR 1978 393. KMR/Paulus 5; M. J. Schmid MDR 1978 98. OLG Köln StV 1998 211; LG Frankfurt StV 2004 554. Rieß/Hilger NStZ 1987 152. OLG Oldenburg StraFo 2004 274. OLG Stuttgart MDR 1973 950; OLG Düsseldorf MDR 1992 985.

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OLG Stuttgart StV 1987 309; Meyer-Goßner 2; SK/Weßlau 3; Pfeiffer 1; Brunner/Dölling § 2, 5 JGG; Eisenberg § 2, 6a JGG; a.A. LR/Wendisch 25 4; LG Zweibrücken MDR 1991 985. BTDrucks 15 3482 S. 20. OLG Rostock GA 42 (1894) 146; OLG Düsseldorf VRS 89 (1995) 292. RG HRR 1927 2163; KG DStR 1942 125. RGSt 66 79.

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oder an einen bestellten Verteidiger (§ 145a Abs. 1) bewirkt werden kann.28 Liegen die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung vor, muss von ihr auch Gebrauch gemacht werden. Für eine vorläufige Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Angeklagten ist namentlich dann kein Raum, wenn ein Berufungsverfahren zufolge wirksamer öffentlicher Zustellung der Ladung durch Verwerfungsurteil nach § 329 abgeschlossen werden kann.29 Die Zustellung kann auch dann nicht im Inland bewirkt werden, wenn eine inländische Behörde die ordnungsgemäße Zustellung verhindert.30 Doch wird die öffentliche Zustellung dann oft bedenklich und in der Regel nicht zweckmäßig sein.

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b) Erforschungspflicht. Die öffentliche Zustellung ist erst dann zulässig, wenn sich das Gericht aller Mittel, die ihm zu Gebote stehen und zumutbar sind, bedient hat, um den Aufenthalt des Beschuldigten zu erforschen.31 Denn in erster Linie sind die ordentlichen Zustellungsverfahren anzuwenden, um die stets mit Gefahren verbundene öffentliche Zustellung zu vermeiden.32 Daher ist ein Rückbrief mit dem Vermerk „Empfänger unbekannt verzogen“ keine ausreichende Grundlage, die öffentliche Zustellung anzuordnen.33 Ebenso wenig reicht eine Anfrage bei dem Einwohnermeldeamt des letzten sich aus den Akten ergebenden Wohnsitzes oder Aufenthaltsortes des Beschuldigten aus.34 Seiner Erforschungspflicht kommt das Gericht nur dann nach, wenn es neben sich weiter aufdrängenden Aufklärungsmaßnahmen eine aktuelle Auskunft aus dem Bundeszentralregister (§ 41 Abs. 1 Nr. 1 BZRG) anfordert und ferner die Staatsanwaltschaft um Stellungnahme ersucht, ob im Inland neue Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten anhängig waren oder sind. Denn nur der Staatsanwaltschaft, nicht aber dem Gericht dürfen Auskünfte aus dem zentralen staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister erteilt werden (§ 492 Abs. 3 Satz 2).35 Sofern eine solche Auskunft ergibt, dass gegen den Beschuldigten im Inland neue Ermittlungsverfahren anhängig waren oder sind, teilt die Staatsanwaltschaft dem Gericht die betreffenden Aktenzeichen mit, damit das Gericht die Akten anfordern und auswerten kann. Diese Aufgabe obliegt dem Gericht im Rahmen seiner Erforschungspflicht und nicht der Staatsanwaltschaft. Den Ausdruck der Auskunft aus dem zentralen staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister darf die Staatsanwaltschaft dem Gericht nicht übersenden. Dadurch würde § 492 Abs. 3 Satz 2 unterlaufen werden. Bei einem Ausländer darf die öffentliche Zustellung regelmäßig erst dann angeordnet werden, wenn eine Anfrage beim Bundesverwaltungsamt – Ausländerzentralregister – erfolglos war.36 Ergeben sich nach Aktenlage oder im Rahmen der Nachforschungen des Gerichts Anhaltspunkte für eine Zwangsräumung, so ist das Gericht verpflichtet, insoweit ein Auskunftsersuchen an die zuständige Sozialbehörde zu richten. Bewährungshefte sowie Führungsaufsichtshefte sind bei noch laufender oder gerade 28 29 30 31

OLG Hamburg MDR 1971 775; OLG Köln StV 1998 211; LG Frankfurt StV 2004 554. OLG Stuttgart MDR 1982 775. Eb. Schmidt 4 b. BayObLG NStZ 1984 29; 1991 598; OLG Köln JR 1968 390; VRS 59 (1980) 42; 64 (1983) 198; OLG Hamm MDR 1972 259; JMBlNRW 1974 106; 1977 200; OLG Stuttgart MDR 1973 950; VRS 51 (1976) 108; OLG Stuttgart MDR 1973 950; VRS 51 (1976) 108; OLG Celle MDR 1976 335; Nds. Rpfl. 1985 48 = StV 1985 495; OLG Frankfurt StV 1983 233; OLG Schleswig

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OLGSt § 40; OLG Düsseldorf VRS 87 (1994) 350; 89 (1995) 292. OLG Hamm GA 1960 152. OLG Köln NJW 1956 642; OLG Celle StV 1985 495. OLG Düsseldorf VRS 89 (1995) 291. LR/Hilger 25 § 492, 26; Meyer-Goßner 4; SK/Weßlau 12. OLG Stuttgart VRS 51 (1976) 107 = NJW 1976 599; OLG Köln StV 1990 345; VRS 59 (1980) 42; OLG Düsseldorf NStZ 1999 476 = StV 2000 352.

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abgelaufener Bewährungszeit bzw. Unterstellung stets auszuwerten.37 Ob eine Ausschreibung des Beschuldigten zur Aufenthaltsermittlung (§ 131a Abs. 1) 38 einer Anordnung der öffentlichen Zustellung als möglicherweise weniger einschneidende Maßnahme vorangehen muss, ist eine Frage des Einzelfalls und wird entscheidend von dem dem Verfahren zugrunde liegenden Tatvorwurf, den voraussichtlich zu erwartenden Rechtsfolgen sowie den voran gegangenen fehlgeschlagenen Bemühungen um Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten abhängen. Das gilt gleichermaßen für sonstige strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, die auch zur Ermittlung des Aufenthaltsortes durch neuere technische Mittel eingesetzt werden können. Insoweit bedarf es stets einer sorgfältigen Prüfung der Verhältnismäßigkeit der strafprozessualen Zwangsmaßnahme. Eine trotz fehlender Voraussetzungen angeordnete öffentliche Zustellung ist unwirksam.39 c) Unmöglichkeit der Inlandszustellung (Absatz 1 und 2). Die Anordnung einer im 9 Inland zu bewirkenden öffentlichen Zustellung setzt voraus, dass der Aufenthalt des Beschuldigten nach Ausschöpfung der im Einzelfall gebotenen Nachforschungen unbekannt ist (Rn. 7 f.). d) Unausführbarkeit oder voraussichtliche Erfolglosigkeit der Auslandszustellung 10 (Absatz 1). Weitere Voraussetzung für die Anordnung der öffentlichen Zustellung ist, dass es unausführbar erscheint, die für Zustellungen im Ausland bestehenden Vorschriften zu befolgen. Absatz 2 schränkt diese Regel dadurch ein, dass in Fällen, wo dem Angeklagten schon zuvor die Ladung zur Hauptverhandlung in der vorgeschriebenen Weise im Inland zugestellt worden ist, das Erfordernis der Auslandszustellung entfällt. Die öffentliche Zustellung ist nach Absatz 2 schon dann zulässig, wenn sie im Inland nicht in der vorgeschriebenen Form (§ 37) bewirkt werden kann. Die Voraussetzungen für die beiden Fälle (Absatz 1 und 2) sind verschieden gestaltet, 11 weil von dem Beschuldigten, dem die Ladung zur Hauptverhandlung in der vorgeschriebenen Weise im Inland zugestellt worden ist (Absatz 2), verlangt werden muss, dass er sich um den Fortgang des Verfahrens kümmert und die gesetzlich vorgeschriebene Zustellung im Inland für die weiteren Mitteilungen ermöglicht. War der Angeklagte zur Hauptverhandlung des ersten Rechtszuges nach den für Zustellungen im Inland bestehenden Vorschriften geladen worden, so kann demzufolge auch dann nach Absatz 2 verfahren werden, wenn der Angeklagte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort aus dem Inland in das Ausland erst verlegt, nachdem er das im ersten Rechtszug ergangene Urteil mit der Berufung angefochten hat.40 Dieser allgemeine Grundsatz rechtfertigt es, Absatz 2 auch auf den Fall zu erstrecken, wo ein Angeklagter mit ausländischem Wohnsitz, der zur ersten Hauptverhandlung ordnungsgemäß geladen und erschienen war, nach Urteilsverkündung und Rechtsmitteleinlegung an seinen ausländischen Wohnsitz zurückkehrt.41 Er findet ferner Anwendung, wenn nach Einlegen der Berufung 42 oder Revision, sei es, dass der Angeklagte 43 die Staatsanwaltschaft 44 das 37 38 39

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KG StraFo 2006 105. F.-C. Schroeder GA 2005 73, 79. BayObLG NStZ 1984 29; OLG Celle NdsRpfl. 1976 42 = MDR 1976 335; StV 1985 495; OLG Köln VRS 64 (1983) 198. RG JW 1927 2040 m. Anm. Drucker. OLG Hamburg JR 1982 122 m. zust. Anm. Wendisch; OLG Stuttgart StV 1987 309; Krause JR 1978 392.

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RGSt 65 417; 66 79; KG NJW 1969 475; Meyer JR 1978 393; a.A. OLG Frankfurt JR 1978 392. BayObLGSt 1952 126 = JZ 1953 92; OLG Köln NJW 1957 153. BayObLGSt 1962 85 = JR 1962 309.

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Rechtsmittel eingelegt hat, sein Aufenthalt unbekannt geworden ist. In den beiden ersten Fällen ist das Gericht nicht verpflichtet, dem Angeklagten, der einen neuen Wohnsitz im Ausland begründet hat oder an seinen früheren Auslandswohnsitz zurückgekehrt ist, an seinen bekannten ausländischen Aufenthaltsort Nachricht von einer an ihn ergangenen öffentlichen Zustellung zu geben.45

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e) Erleichterte Voraussetzungen bei Berufung. Die Erforschungspflicht (Rn. 8) des Gerichts führte in der Praxis häufig zu erheblichen Verfahrensverzögerungen. Insbesondere in Verfahren über die (alleinige) Berufung des Angeklagten konnte dieser die sofortige Verwerfung seiner Berufung nach § 329 Abs. 1 dadurch verhindern, dass er nach Einlegung der Berufung seinen bisherigen Wohnsitz aufgab, an einen dem Gericht unbekannten Ort verzog und damit eine ordnungsgemäße Ladung verhinderte. Zwar kann das Gericht auch in diesen Fällen die Ladung nach § 40 Abs. 1 oder 2 öffentlich zustellen, aber erst nachdem es seiner Erforschungspflicht genügt hat. „In entsprechender Weise kann das Verhalten des Angeklagten den weiteren Ablauf des Berufungsverfahrens behindern und den Eintritt der Rechtskraft der Berufungsentscheidung verzögern, soweit nämlich nach der Ladung erforderlich werdende Zustellungen, namentlich die des Berufungsurteils, erschwert werden.“ 46 Ausschließlicher Zweck des Absatzes 3 ist es, missbräuchlichen Verfahrensverzöge13 rungen entgegen zu wirken. Seine Anwendung erstreckt sich daher ausnahmslos auf Zustellungen – allerdings nicht nur von Ladungen des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung, sondern auch sonstiger Entscheidungen – in Verfahren über eine Berufung des Angeklagten. Zugleich wird die öffentliche Zustellung insofern erleichtert, als sie auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen der Absätze 1 und 2 schon zulässig ist, wenn eine gerichtliche Anordnung nicht unter der Anschrift zugestellt werden kann, unter der letztmals zugestellt wurde oder die der Angeklagte zuletzt angegeben hatte.47 Ist dem Berufungsgericht positiv bekannt, dass der Angeklagte nicht mehr unter der Anschrift wohnt, unter der letztmals zugestellt wurde oder die er zuletzt angegeben hat, dass sein Aufenthalt (im Ausland) vielmehr unbekannt ist, so setzt die Anordnung der öffentlichen Zustellung bei einer vom Angeklagten eingelegten Berufung nicht voraus, dass zunächst ein vergeblicher Ladungsversuch unter jener Anschrift unternommen wurde.48 Im Revisionsverfahren findet Absatz 3 keine Anwendung. Für diese Auslegung spricht 14 schon sein klarer Wortlaut, wonach die Vorschrift nur „im Verfahren über eine vom Angeklagten eingelegte Berufung“ gilt. Nach der klaren Abgrenzung zwischen Berufungs- und Revisionsverfahren endet ersteres mit der Verkündung des Berufungsurteils, letzteres beginnt mit der Einlegung der Revision. Die bei rechtzeitiger Einlegung der Revision erforderliche Zustellung des Berufungsurteils (§ 343 Abs. 2) ist damit bereits Teil des Revisionsverfahrens. Die Vorschrift findet selbst dann keine Anwendung, wenn ein Angeklagter Revision eingelegt hat, die alsdann gemäß § 335 Abs. 3 als Berufung zu behandeln ist.49 Auch in diesem Fall treffen den Beschwerdeführer nicht die Mitwirkungspflichten, die sonst dem Berufungsführer obliegen. Eine Ausnahme von Absatz 3 im Revisionsverfahren ist nur für den Fall anzuerkennen, dass das Berufungsurteil – etwa nach § 329 Abs. 1 – in Abwesenheit verkündet worden und ihm zuzustellen ist, um die Revisionseinlegungsfrist in Lauf zu setzen und bei Nichtanfechtung die Rechtskraft her45 46 47

OLG Köln HRR 1931 1616. BTDrucks. 10 1313 S. 18. OLG Hamburg NStZ-RR 2000 238; OLG Frankfurt NStZ-RR 2004 48.

892

48 49

BayObLG NStZ-RR 2001 139. OLG Bremen StV 1991 150 LS; BayObLG StV 1992 458.

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§ 40

beizuführen.50 Zulässig bleibt allerdings auch in diesem Fall – wie auch sonst im Revisionsverfahren – die öffentliche Zustellung nach Absatz 2;51 man wird jedoch darauf wegen der Sonderregelung in § 350 Abs. 1 Satz 2 regelmäßig verzichten können.52 Soweit es um die allgemeinen Anforderungen an die Zulässigkeit der öffentlichen 15 Zustellung geht, besteht zwischen den Absätzen 2 und 3 kein Unterschied. Für die Anwendung des Absatzes 3 kommt es mithin ebenfalls nicht darauf an, ob eine Zustellung im Ausland unausführbar erscheint oder keinen Erfolg verspricht. Die – wesentliche – Erleichterung gegenüber Absatz 2 (und damit auch gegenüber Absatz 1) besteht allein darin, dass das Berufungsgericht von der Erforschungspflicht befreit ist, vor der Anordnung der öffentlichen Zustellung besondere Maßnahmen zu ergreifen, um den Aufenthalt des Angeklagten zu erforschen und damit doch noch eine Zustellung nach § 37 zu ermöglichen.53

16

4. Belehrungspflicht. Wegen der Belehrung s. § 35a, 25 ff. 5. Verfahren

a) Anordnung. Die Anordnung der öffentlichen Zustellung obliegt nach § 37 Abs. 1 17 Satz 1 i.V.m. § 186 Abs. 1 ZPO dem mit der Sache befassten Gericht (vgl. § 37, 22), nicht seinem Vorsitzenden.54 Zuständig ist das Gericht, bei dem die Sache anhängig, in Revisionssachen dasjenige Gericht, dessen Urteil angefochten wird, bis zur Abgabe der Akten an das Revisionsgericht.55 b) Ausführung. Die öffentliche Zustellung erfolgt dadurch, dass eine Benachrichti- 18 gung über die Zustellung an der Gerichtstafel des Gerichts, das die Anordnung getroffen hat, ausgehängt wird. Die Benachrichtigung muss insbesondere den Namen des Zustellungsadressaten, die Bezeichnung des Prozessgegenstands und die Stelle, wo das Schriftstück eingesehen werden kann, enthalten.56 Das Einsichtsrecht in das zuzustellende Schriftstück selbst hat nur der Berechtigte oder sein Bevollmächtigter; es kann regelmäßig auf der Geschäftsstelle des Gerichts ausgeübt werden. Für den Berechtigten ist damit während der üblichen Dienstzeiten die Kenntnisnahme möglich, während ein Unberechtigter nunmehr nicht mehr über die Zustellung erfährt, als unumgänglich ist.57 Diese Form der öffentlichen Zustellung dient dem Schutz der Persönlichkeit des Zustellungsadressaten.58 Sie trägt aber auch zu einer Vereinfachung für die Gerichte bei.59 Die Benachrichtigung muss zwei Wochen an der Gerichtstafel ausgehangen haben. Nach Ablauf dieses Zeitraums gilt die Zustellung als erfolgt (Absatz 1 Satz 2). Die Benachrichtigung muss stets, auch wenn der Angeklagte vor ein Gericht des 19 höheren Rechtszuges geladen werden soll, an der Gerichtstafel des Gerichts des ersten Rechtszuges ausgehängt werden.60 Das Aushängen an der Gerichtstafel des Gerichts des höheren oder niedrigeren Rechtszuges entfaltet keine Wirkung.61 Erster Rechtszug ist die 50 51

52 53 54

BayObLG VRS 81 (1991) 452. RGSt 56 419; BayObLGSt 1952 126 = JZ 1953 92; 1962 84 = JR 1962 309; LR/Hanack 25 § 350, 4; Eb. Schmidt NJW 1967 857. Rieß/Hilger NStZ 1987 152. Rieß/Hilger NStZ 1987 152. OLG Hamm JMBlNRW 1958 262; MDR 1972 259; Meyer-Goßner 6.

55 56 57 58 59 60 61

BayObLG DRiZ 1932 111. BTDrucks. 15 3482 S. 20. BTDrucks. 15 3482 S. 20. BTDrucks. 15 3482 S. 20. BTDrucks. 15 3482 S. 20 f. OLG Düsseldorf VRS 97 (1999) 132. OLG Hamm GA 1960 152.

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erste Instanz in der konkreten Sache, bei Strafkammeranklagen also das Landgericht, in Vollstreckungssachen – weil es sich hierbei um ein selbständiges Verfahren mit einem eigenen Rechtszug geht – das in den Verfahrensordnungen für das Vollstreckungsverfahren zur erstinstanzlichen Entscheidung berufene Gericht, in der Regel also die Strafvollstreckungskammer.62 Es obliegt der Geschäftsstelle, auf Anordnung des Gerichts die Benachrichtigung an 20 der Gerichtstafel auszuhängen, nach Ablauf von zwei Wochen wieder abzunehmen, sodann auf ihr zu bescheinigen, dass sie zwei Wochen an der Gerichtstafel ausgehangen hat (§ 37 Abs. 1 i.V.m. § 186 Abs. 3 ZPO). Wie seit jeher besteht auch die Möglichkeit, dass das Gericht zusätzlich mit der 21 Anordnung der öffentlichen Zustellung bestimmt, dass die Benachrichtigung einmal oder mehrfach im Bundesanzeiger oder in anderen Blättern (§ 37 Abs. 1 i.V.m. § 187 ZPO) statt des Aushangs an der Gerichtstafel oder neben ihm zu veröffentlichen ist.

22

c) Mängel. Die öffentliche Zustellung ist unwirksam, wenn sie mit Mängeln behaftet ist. Das ist dann der Fall, wenn die Voraussetzungen fehlten oder wesentliche Förmlichkeiten bei der Anordnung oder Ausführung nicht beachtet worden sind. Unwirksam ist die Anordnung der öffentlichen Zustellung, wenn der Vorsitzende eines Kollegialgerichts sie anstelle des Gerichts getroffen hat.63 Sie ist weiter unwirksam, wenn die Benachrichtigung entweder gar nicht oder an einer Gerichtstafel eines dafür nicht berufenen Gerichts ausgehängt, wenn sie vor Ablauf von zwei Wochen abgehängt worden ist oder wenn der Vermerk über die Abnahme fehlt.

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d) Anfechtung. Gegen die Anordnung der öffentlichen Zustellung ist – bis zur Ausführung der Anordnung 64 – die Beschwerde nach § 304 Abs. 1 statthaft.65 Nach Ausführung der öffentlichen Zustellung ist eine Aufhebung des anordnenden Beschlusses ausgeschlossen.66 Die Beschwerde ist ausgeschlossen, wenn das erkennende Gericht die Zustellung angeordnet hat (§ 305 Satz 1).67

§ 41 1Zustellungen

an die Staatsanwaltschaft erfolgen durch Vorlegung der Urschrift des zuzustellenden Schriftstücks. 2Wenn mit der Zustellung der Lauf einer Frist beginnt, so ist der Tag der Vorlegung von der Staatsanwaltschaft auf der Urschrift zu vermerken.

1

1. Zustellung an die Staatsanwaltschaft. Ein Schriftstück kann der Staatsanwaltschaft nur auf zwei Wegen zugestellt werden, nämlich entweder förmlich nach § 37 unter Einhaltung der Vorschriften der Zivilprozessordnung über Zustellungen (§ 37 i.V.m. § 174 oder § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) 1 oder – das ist die Regel 2 – in der vereinfachten Form des

62 63 64 65

OLG Düsseldorf StraFo 2002 394; OLG Köln NStZ-RR 2000 83. Meyer-Goßner 6. OLG Düsseldorf VRS 90 (1996) 183. OLG Celle MDR 1976 335; OLG Düsseldorf VRS 90 (1996) 183.

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66 67 1 2

LG Aachen NStZ 1992 143 m. zust. Anm. Wendisch. KG JR 1995 38. OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 234. Schätzler (JR 1977 295) will das vom Einzel-

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§ 41, d.h. durch Vorlegung der Urschrift des zuzustellenden Schriftstücks. Dagegen erfüllt das formlose Zusenden oder Vorlegen einer Ausfertigung oder beglaubigten Abschrift die Erfordernisse der Zustellung nicht.3 Bei der Zustellung kommt es nicht auf den Willen und das Handeln des Beamten an, dem zugestellt werden soll, sondern allein auf den Willen und die Vorstellung des zustellenden Beamten, sofern nur der Zustellungswille der zustellenden Behörde einen erkennbaren Ausdruck gefunden hat.4 Wenn es auch keines ausdrücklichen Hinweises auf § 41 bedarf, so ist jedoch unbedingt erforderlich, dass die Staatsanwaltschaft aus der Übersendungsverfügung in Verbindung mit der aus den Akten zu ersehenden Verfahrenslage erkennen kann, mit der Übersendung an sie werde die Zustellung nach § 41 bezweckt.5 Dafür ausreichen kann schon eine Verfügung des Vorsitzenden mit dem Wortlaut „zur gefälligen Kenntnisnahme“ 6 oder „zur weiteren Veranlassung“ 7, nicht aber – entgegen § 36 Abs. 1 – eine Verfügung des Geschäftsstellenbeamten, die Akten und Beiakten an die Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft nach Erledigung zurückzusenden.8 Ob aufgrund des erkennbaren Zustellungswillens in dem Beamten, dem das Schriftstück zugestellt wird, eine bestimmte Vorstellung über den Zweck der Zustellung erwachsen ist, ist ohne Bedeutung.9 Wird der Staatsanwalt, dem zugestellt werden soll, in seinem Geschäftsraum nicht 2 angetroffen, so kann zufolge § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO einem Beamten der Geschäftsstelle zugestellt werden. Der Behördenleiter ist allgemein als verhindert anzusehen.10 Es entspricht gewohnheitsrechtlicher Übung, dass bei ihm kein Versuch der Zustellung unternommen wird. Die Zustellung ist vielmehr bewirkt, wenn die Urschrift mit Zustellungswillen der zustellenden Behörde bei der Staatsanwaltschaft – regelmäßig der Verwaltungsgeschäftsstelle oder der Posteingangsstelle – eingeht und der Eingang durch den Eingangsstempel bewiesen wird (Nr. 159 Satz 1 RiStBV).11 Gebräuchlich und allein zweckmäßig ist es, wenn das Schriftstück mit den Akten vorgelegt wird, weil die Staatsanwaltschaft alsbald weitere Vorkehrungen zu treffen haben wird, zu denen sie die Akten in der Regel benötigt. 2. Vermerk auf der Urschrift. Die dahingehende Anordnung in Satz 2 ist eine Verwal- 3 tungsvorschrift, die nicht ins Gesetz gehört.12 Der Lauf einer Frist beginnt im Fall des § 41 an dem Tag, an dem die zum Zweck der Zustellung vorgelegte Schrift bei der Staatsanwaltschaft eingeht, ohne Rücksicht darauf, wann der Leiter der Behörde, sein Stellvertreter oder der sachbearbeitende Staatsanwalt Kenntnis davon erhält, dass die

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4

fall abhängen lassen: was am schnellsten und mit dem geringsten Aufwand geht; das OLG Zweibrücken (JR 1977 293) will den Weg über § 37 – trotz der Schwierigkeiten, die sich bei einem solchen Verfahren für die Vollstreckungsbehörde bei der Prüfung der Anfechtungsfrage ergeben können – selbst dann bevorzugen, wenn die Strafvollstreckungskammer entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Aussetzung eines Strafrestes angeordnet hat. RGSt 61 352; OLG Hessen HESt 2 125; OLG Köln MDR 1966 947 = JMBlNRW 1967 118; OLG Hamm GA 1957 183; OLGSt § 41 StPO Nr. 2; JMBlNRW 1977 257. RGSt 57 55; OLG Saarbrücken VRS 47

5 6 7 8 9 10 11

12

(1974) 367; OLG Hamm JMBlNRW 1982 22. RGSt 61 351. OLG Koblenz HESt 3 7; OLG Zweibrücken VRS 54 (1978) 284. OLG Hamm GA 1957 183. OLG Hamm JMBlNRW 1977 257. OLG Hessen HESt 2 125. RGSt 72 317; OLG Braunschweig NStZ 1988 514. RGSt 57 55; 61 351; KG GA 67 (1919) 461; OLG Hamm GA 1957 183; OLG Braunschweig NStZ 1988 514; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996 234; Eb. Schmidt 3; KK/Maul 5; Meyer-Goßner 3. Vgl. für das Urteil Nr. 159 RiStBV.

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Schrift zur Zustellung vorgelegt worden ist; eine entgegenstehende Anordnung des Behördenleiters 13 oder des Geschäftsstellenleiters 14 ist unerheblich. Für den Fristbeginn kommt es allein darauf an, wann die zuzustellende Schrift der Staatsanwaltschaft tatsächlich vorgelegt worden ist. § 41 Satz 2 verpflichtet die Staatsanwaltschaft zwar, den Vorlagetag auf der Urschrift zu vermerken; doch kann die Staatsanwaltschaft nicht dadurch Einfluss auf den Beginn der Frist ausüben, dass sie dieser Pflicht nicht ordnungsmäßig nachkommt. Der Lauf der Frist beginnt mit dem Tag der tatsächlichen Vorlage sowohl dann, wenn die Staatsanwaltschaft es versäumt oder sich weigert, diesen auf der ihr vorgelegten Schrift zu vermerken, als auch dann, wenn sie einen früheren oder späteren Tag dafür auf der Schrift angibt.15 Der Zustellungsvermerk ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Zustellung.16

§ 41a (1) 1An das Gericht oder die Staatsanwaltschaft gerichtete Erklärungen, Anträge oder deren Begründung, die nach diesem Gesetz ausdrücklich schriftlich abzufassen oder zu unterzeichnen sind, können als elektronisches Dokument eingereicht werden, wenn dieses mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen und für die Bearbeitung durch das Gericht oder die Staatsanwaltschaft geeignet ist. 2In der Rechtsverordnung nach Absatz 2 kann neben der qualifizierten Signatur auch ein anderes sicheres Verfahren zugelassen werden, das die Authentizität und die Integrität des übermittelten elektronischen Dokuments sicherstellt. 3Ein elektronisches Dokument ist eingegangen, sobald die für den Empfang bestimmte Einrichtung des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft es aufgezeichnet hat. 4Ist ein übermitteltes elektronisches Dokument zur Bearbeitung nicht geeignet, ist dies dem Absender unter Angabe der geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitzuteilen. 5Von dem elektronischen Dokument ist unverzüglich ein Aktenausdruck zu fertigen. (2) 1Die Bundesregierung und die Landesregierungen bestimmen für ihren Bereich durch Rechtsverordnung den Zeitpunkt, von dem an elektronische Dokumente bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften eingereicht werden können, sowie die für die Bearbeitung der Dokumente geeignete Form. 2Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. 3Die Zulassung der elektronischen Form kann auf einzelne Gerichte oder Staatsanwaltschaften oder Verfahren beschränkt werden.

Schrifttum. Fischer-Dieskau Der Referentenentwurf zum Justizkommunikationsgesetz aus Sicht des Signaturgesetzes, MMR 2003 701; Roßnagel Rechtliche Unterschiede von Signaturverfahren, MMR 2002 215; Viefhues/Hoffmann ERVG: Gesetz zur Verhinderung des elektronischen Rechtsverkehrs? – Praktische Auswirkungen des Diskussionsentwurfs und Anpassungsbedarf an die Regelungen bei den Gerichten der Europäischen Gemeinschaften, MMR 2003 71; Viefhues/Scherf Elektronischer Rechtsverkehr – eine Herausforderung für Justiz und Anwaltschaft, MMR 2001 596.

13 14 15

RGSt 72 317. OLG Hamm GA 1957 183. RGSt 57 55; 61 352; OLG Marienwerder GA

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51 (1904) 70; KG GA 67 (1919) 461; OLG Hessen HESt 2 125. KK/Maul 6; SK/Weßlau 5.

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Entstehungsgeschichte. Die Vorschrift wurde durch Art. 6 Nr. 3 des Gesetzes über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz (Justizkommunikationsgesetz – JKomG) vom 22.3.2005 1 eingefügt. Übersicht Rn. 1. Bedeutung der Vorschrift . . . . . . . . 2. Voraussetzungen (Absatz 1 Satz 1) a) Erklärungen, Anträge oder deren Begründung . . . . . . . . . . . . . . b) Schriftform . . . . . . . . . . . . . c) Unterzeichnung . . . . . . . . . . . d) Qualifizierte elektronische Signatur . e) Zulassung eines anderen sicheren Verfahrens (Absatz 1 Satz 2) . . . . f) Eignung für die Bearbeitung . . . . . 3. Eingang des elektronischen Dokuments (Absatz 1 Satz 3) . . . . . . . . . . . .

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. . . .

2 3 5 6

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Rn. 4. Ungeeignetheit zur Bearbeitung (Absatz 1 Satz 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mitteilungspflicht . . . . . . . . . . b) Zeitpunkt der Mitteilung . . . . . . c) Inhalt der Mitteilung . . . . . . . . d) Absender . . . . . . . . . . . . . . 5. Dokumentationspflicht (Absatz 1 Satz 5) 6. Verordnungsermächtigung . . . . . . . 7. Aktenaufbewahrung . . . . . . . . . . a) Schriftgut . . . . . . . . . . . . . . b) Aufbewahrungsfrist . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

11 12 15 16 17 18 21 23 24 25

Alphabetische Übersicht Absender 17 Adressierung 21 Aktenaufbewahrung 23 ff. Aktenvollständigkeit 18 Antrag 2 Aufbewahrungsfrist 25 Authentizität 6, 8 Bedeutung der Vorschrift 1 Begründung 2 Beschränkung des elektronischen Rechtsverkehrs 22 Dateiformat 21 Dokumentationspflicht 18 ff. Verstoß gegen 20 Eignung für die Bearbeitung 9 Eingang 10 Elektronisches Dokument 2 Erklärung 2 Ermächtigung 21 Fortgeschrittene elektronische Signatur 6

Integrität 6, 8 Mitteilungspflicht 12 ff. – Inhalt 16 – Verzicht 14 – Zeitpunkt 15 Qualifizierte elektronische Signatur 3, 6 – Fehlen 7 Rechtsverordnung 21 Schriftform 3 f. Schriftgut 24 Ungeeignetheit zur Bearbeitung 11 Unterzeichnung 5 Unverzüglichkeit 15, 19 Verordnungsermächtigung 21 Verstoß gegen Dokumentationspflicht 20 Voraussetzungen 2 ff. Wiedereinsetzung 10, 13 Zertifizierungsdienst 6 Zulassung eines anderen sicheren Verfahrens 8

1. Bedeutung der Vorschrift. Im Strafverfahren sieht bereits § 37 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 1 § 174 Abs. 3 ZPO die Zustellung eines elektronischen Dokuments und – a maiore ad minus – formfreier Mitteilungen von Schriftstücken auf elektronischem Wege an einen Anwalt, Notar, Gerichtsvollzieher, Steuerberater oder eine sonstige Person, bei der aufgrund des Berufes von einer erhöhten Zuverlässigkeit ausgegangen werden kann, eine Behörde, eine Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts oder bei ausdrücklicher Zustimmung eines anderen Verfahrensbeteiligten vor. § 41a regelt den Eingang elektronischer Dokumente bei Gericht und Staatsanwaltschaft, ohne für das Strafverfahren eine vollständige elektronisch geführte Akte einzuführen. Eingänge von externen Verfahrens-

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BGBl. I 837.

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beteiligten und sonstigen Personen werden im Strafverfahren noch auf nicht absehbare Zeit in erheblichem Umfang in Papierform anfallen und müssten im Falle der Einführung einer elektronischen Akte unter beachtlichem Personaleinsatz konvertiert werden. Niederschriften über die Vernehmung von Beschuldigten und Zeugen als nach Umstand und Bedeutung wesentliche Teile der Ermittlungsakte können nicht ohne erhebliche Beeinträchtigung ihres Beweiswerts durch elektronische Dokumente ersetzt werden.2 Die Form der Dokumentation ist im Strafverfahren eng verbunden mit den rechtlichen Möglichkeiten des Urkundenbeweises und mit dem ihr bei der Beweiswürdigung zukommenden Gewicht. Schließlich würde eine verbindliche Festlegung etwa des Beschuldigten, seines Verteidigers oder des Nebenklägers auf papierlose elektronische Kommunikation mit Gericht und Staatsanwaltschaft sowie sonstigen Strafverfolgungsbehörden Zugangsschranken errichten, die verfassungsrechtlichen Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Anspruchs auf Gewährung des rechtlichen Gehörs begegnen. Soweit solche verfassungsrechtlichen Bedenken zurücktreten, etwa bei Sachverständigen und teilweise auch bei Zeugen, stehen derzeit noch beschränkte technische Möglichkeiten einer verbindlichen Einführung der elektronischen Akte entgegen. Denn gerade am Strafverfahren sind nicht selten Personen beteiligt, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft auch in Zukunft wohl nicht über die erforderliche technische Ausstattung und die erforderlichen Kenntnisse verfügen werden, die sie in die Lage versetzen, mit Gericht und Staatsanwaltschaft in elektronischer Form zu kommunizieren.3 § 41a stellt es daher einem Verfahrensbeteiligten frei, ob er Dokumente auf elektronischem Wege oder herkömmlich in Papierform übermittelt. Die Gerichte und Staatsanwaltschaften eröffnen vielmehr mit dem elektronischen Rechtsverkehr einen zusätzlichen Kommunikationsweg. 2. Voraussetzungen (Absatz 1 Satz 1)

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a) Erklärungen, Anträge oder deren Begründung, die an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft gerichtet sind und nach den Vorschriften der Strafprozessordnung ausdrücklich schriftlich abzufassen oder zu unterzeichnen sind, können als elektronisches Dokument eingereicht werden. Sowohl der Beschuldigte, sein Verteidiger, Sachverständige, (sachverständige) Zeugen, Nebenkläger und sonstige Beteiligte können elektronische Dokumente einreichen. Durch den Begriff „Erklärungen“ ist klar gestellt, dass jedwede Äußerung gegenüber dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft auf elektronischem Wege übermittelt werden kann und nicht nur Anträge oder deren Begründung.

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b) Schriftform. Absatz 1 Satz 1 eröffnet den elektronischen Rechtsverkehr für solche Erklärungen, Anträge oder deren Begründung, die nach den Vorschriften der Strafprozessordnung schriftlich abzufassen sind. Das bedeutet aber nicht, dass nur bei gesetzlichem Schriftformerfordernis eine Übermittlung auf elektronischem Wege zulässig ist. Vielmehr können auch solche Anträge oder Begründungen als elektronisches Dokument übermittelt werden, für die die Schriftform nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist. Für derartige Anträge kann durch innerbehördliche Anordnungen sichergestellt werden, dass sie ebenfalls mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen sind, um die notwendige Sicherheit des elektronischen Rechtsverkehrs zu gewährleisten.4 Schriftform schreibt die Strafprozessordnung für die Einlegung der Beschwerde (§ 306 4 Abs. 1) 5, Berufung (§ 314 Abs. 1) 6, Revision (§ 341 Abs. 1) 7, des Einspruchs gegen den 2 3 4

BTDrucks. 15 4067 S. 26. BTDrucks. 15 4067 S. 26. BTDrucks. 15 4067 S. 43.

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Vgl. Erl. § 306, 1. Vgl. Erl. § 314, 14. Vgl. Erl. § 341, 14.

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Strafbefehl (§ 410 Abs. 1 Satz 1) 8, für den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 366 Abs. 2) 9, für die Anschlusserklärung als Nebenkläger (§ 396 Abs. 1 Satz 1) 10 und den Strafantrag (§ 158 Abs. 2) 11 vor. In anderen Fällen muss ausdrücklich eine „Schrift“ (z.B. zur Begründung der Revision nach § 345 Abs. 2;12 zur Erhebung der Privatklage nach § 381 13) eingereicht oder ein Antrag „unterzeichnet“ (z.B. beim Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 Satz 3 14) werden. In diesen Fällen ist eine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich, wenn eine elektronische Übermittlung erfolgen soll.15 Da Absatz 1 Satz 1 die Einreichung als elektronisches Dokument auf Erklärungen, Anträge oder deren Begründung, die nach den Vorschriften der Strafprozessordnung ausdrücklich schriftlich abzufassen sind, beschränkt, kommt eine Einreichung von Anträgen nach § 23 EGGVG, die nach § 26 Abs. 1 EGGVG der Schriftform unterliegen, zur Zeit nach Absatz 1 Satz 1 nicht in Betracht. Insoweit dürfte es sich wohl um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers handeln. c) Unterzeichnung. Die Strafprozessordnung schreibt die Unterzeichnung für den 5 Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 172 Abs. 2 Satz 3) und die Revisionsbegründungsschrift (§ 345 Abs. 2) ausdrücklich vor. d) Qualifizierte elektronische Signatur. Nach Absatz 1 Satz 1 müssen Erklärungen, 6 Anträge oder deren Begründung, die als elektronisches Dokument bei Gericht oder der Staatsanwaltschaft eingereicht werden, mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein. Qualifizierte elektronische Signaturen sind fortgeschrittene elektronische Signaturen, die auf einem zum Zeitpunkt ihrer Erzeugung gültigen qualifizierten Zertifikat beruhen und mit einer Signaturerstellungseinheit erzeugt werden (§ 2 Nr. 3 SigG). Bei der qualifizierten elektronischen Signatur handelt es sich um eine Steigerung der fortgeschrittenen elektronischen Signatur, indem sie durch qualifizierte Zertifizierungsdienste vergeben und verwaltet wird. Mit der qualifizierten elektronischen Signatur wird die höchste Sicherheitsstufe für die Integrität und Authentizität elektronischer Dokumente erreicht. Die qualifizierte elektronische Signatur zeichnet sich durch die Sicherheitsanforderungen, die qualifizierten Zertifizierungsdienste, die Art der Vergabe qualifizierter elektronischer Signaturen, das Zertifikatsverzeichnis, den Zeitstempeldienst und nicht zuletzt die zivilrechtliche Haftung der qualifizierten Zertifizierungsdienste für falsch vergebene qualifizierte elektronische Signaturen aus.16 Das Fehlen einer qualifizierten elektronischen Signatur ist dann unschädlich, wenn 7 die Strafprozessordnung keine Formvorschriften (Schriftform oder Unterzeichnung) vorschreibt. Insbesondere bei Anträgen, über die das Gericht – etwa im Rahmen seiner Fürsorge- oder Aufklärungspflicht – auch von Amts wegen entscheiden kann und ggf. sogar muss, wäre die Einführung zusätzlicher Formvorschriften nicht sachgerecht. e) Zulassung eines anderen sicheren Verfahrens (Absatz 1 Satz 2). Nach Absatz 1 8 Satz 2 kann in einer Rechtsverordnung neben der qualifizierten elektronischen Signatur auch ein anderes sicheres Verfahren zugelassen werden, das die Authentizität und

8 9 10 11 12 13

Vgl. Erl. § 410, 9. Vgl. Erl. § 366, 10. Vgl. Erl. § 396, 1. Vgl. Erl. § 158, 31ff. Vgl. Erl. § 345, 20. Vgl. Erl. § 381, 1.

14 15 16

Vgl. Erl. § 172, 140. BTDrucks. 15 4067 S. 43. Spindler/Schmitz/Geis TDG, Einf. SigG Rn. 12 ff.; Roßnagel MMR 2002 215, 216 f.; Schmidl CR 2002 508, 510 ff.

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Integrität des übermittelten Dokuments sicherstellt. Solche sicheren Verfahren müssen gewährleisten, dass das elektronische Dokument dem angegebenen Absender zuzurechnen ist, in seiner Integrität geschützt übermittelt wird, und nach Eingang bei Gericht oder Staatsanwaltschaft so gespeichert wird, dass die Überprüfbarkeit der Integrität sichergestellt ist.17 Zur Sicherung der Integrität des elektronischen Dokuments ist es erforderlich, dass die Übermittlung elektronischer Dokumente mittels kryptografischer Verfahren erfolgt, die mindestens auf den Standards und Architekturen für GovernmentAnwendungen (SAGA) in der jeweils aktuellen Fassung beruhen. Dem Verordnungsgeber wird dadurch die Möglichkeit eröffnet festzulegen, dass elektronische Dokumente nur an den elektronischen Briefkasten des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft übertragen werden können und dass dabei bestimmte Protokolle zu verwenden sind. Ferner ist sicherzustellen, dass das übermittelte elektronische Dokument bei dem Eingang bei dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft so gespeichert wird, dass seine Integrität für die Zeit der Speicherung überprüfbar ist.18 Geeignete alternative sichere Verfahren dürfen aber immer nur neben der qualifizierten elektronischen Signatur zugelassen werden. Damit ist hinreichend sichergestellt, dass im Strafverfahren mit der qualifizierten elektronischen Signatur ein bundesweit einheitlich einsetzbares Verfahren besteht.19 Soweit durch Rechtsverordnung ein anderes sicheres Verfahren zugelassen wird, sollte dieses Verfahren einheitlich in allen Verfahrensarten im räumlichen Geltungsbereich der Rechtsverordnung anwendbar sein. Für den Bürger sollte nämlich für alle Verfahrensarten klar erkennbar sein, welche Mindestanforderungen seine elektronischen Mitteilungen an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft erfüllen müssen.20

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f) Eignung für die Bearbeitung. Erklärungen, Anträge oder deren Begründung, die als elektronisches Dokument eingereicht werden, müssen für die Bearbeitung durch das Gericht oder die Staatsanwaltschaft geeignet sein. Auch bei Beachtung der technischen Vorgaben durch den Absender kann es geschehen, dass Gericht oder Staatsanwaltschaft ein ihnen auf elektronischem Weg übermitteltes elektronisches Dokument – aus welchen technischen Gründen auch immer – nicht bearbeiten können. Es kommt insoweit allein darauf an, ob das elektronische Dokument für die Bearbeitung objektiv geeignet ist. Aus welchen Gründen es für die Bearbeitung im Einzelfall nicht geeignet ist, ist unerheblich.

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3. Eingang des elektronischen Dokuments (Absatz 1 Satz 3). Nach Absatz 1 Satz 3 ist ein elektronisches Dokument eingegangen, sobald die für den Eingang bestimmte Einrichtung des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft es aufgezeichnet hat. Die Aufzeichnung erfolgt auf einem maschinenlesbaren Datenträger. Dem Absender soll dadurch ermöglicht werden, Fristen bis kurz vor ihrem Ablauf zu nutzen. Schöpft ein Verfahrensbeteiligter die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Frist gebundenen Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs aus und übermittelt ein elektronisches Dokument erst kurz vor Fristablauf, so darf er aufgrund des heutigen Stands der Technik grundsätzlich darauf vertrauen, dass bei Gericht oder der Staatsanwaltschaft die für den Empfang bestimmte Einrichtung mangelfrei funktioniert und das elektronische Dokument unverzüglich aufgezeichnet wird und damit fristgerecht eingegangen ist. Technische Mängel oder Störungen auf Seiten des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft hat der Absender nicht zu vertreten, denn sie sind für ihn nicht vorhersehbar und auch nicht beeinflussbar. Versäumt ein Verfahrensbeteiligter, auch wenn er ein elektronisches Dokument erst kurz vor Frist-

17 18

BTDrucks. 15 4067 S. 37. Ebenda.

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BTDrucks. 15 4067 S. 43. BTDrucks. 15 4067 S. 26.

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ablauf eingereicht hat, eine gesetzliche Frist aufgrund von Mängeln oder Störungen der für den Empfang bestimmten Einrichtung von Gericht oder Staatsanwaltschaft, so ist ihm auf Antrag oder von Amts wegen, sofern die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen aktenkundig sind, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§§ 44, 45). 4. Ungeeignetheit zur Bearbeitung (Absatz 1 Satz 4). Absatz 1 Satz 4 regelt, wie 11 Gericht oder Staatsanwaltschaft mit übermittelten elektronischen Dokumenten umzugehen haben, die zur Bearbeitung nicht geeignet sind. Damit wird die Fürsorgepflicht beim Auftreten technischer Probleme konkretisiert.21 a) Mitteilungspflicht. Gegenüber dem Absender besteht für Gericht oder Staats- 12 anwaltschaft eine Mitteilungspflicht. Auch bei Beachtung aller technischen Vorgaben durch den Absender kann es – aus welchen Gründen auch immer – geschehen, dass Gericht oder Staatsanwaltschaft ein ihnen übermitteltes elektronisches Dokument nicht bearbeiten können. Die Ungeeignetheit zur Bearbeitung muss auf typischen Problemen im Zusammenhang mit den technischen Einrichtungen für die elektronische Übermittlung, etwa auf Störungen, der für den Empfang bestimmten Einrichtung bei Gericht oder Staatsanwaltschaft, beruhen. Ein übermitteltes elektronisches Dokument ist nicht deshalb zur Bearbeitung nicht geeignet, weil Justizbedienstete von Gericht oder Staatsanwaltschaft mit den für den Empfang bestimmten technischen Einrichtungen nicht hinreichend vertraut sind. Für eine Einweisung ihrer Mitarbeiter in die technischen Einrichtungen haben die Präsidenten der Gerichte und die Behördenleiter der Staatsanwaltschaft Sorge zu tragen. Die Mitteilungspflicht ist obligatorisch. Dadurch soll sicher gestellt werden, dass der 13 Absender ohne Verzögerung davon Kenntnis erlangt, dass das von ihm eingereichte elektronische Dokument von Gericht oder Staatsanwaltschaft nicht bearbeitet werden kann. Bei Frist gebundenen Erklärungen, Anträgen oder deren Begründung versetzt die Mitteilung den Absender unter Umständen in die Lage, den Eingang des Dokuments auf andere Weise (z. B. per Telefax) noch fristgerecht sicherzustellen. Mit Eingang der Mitteilung beim Absender, dass das übermittelte elektronische Dokument nicht zur Bearbeitung geeignet ist, fällt bei ihm für den Fall der Versäumung einer gesetzlichen Frist das Hindernis im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 weg mit der Folge, dass binnen einer Woche ggf. ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt werden muss. Ein Verzicht auf die Mitteilungspflicht durch den Absender ist angesichts der zwingen- 14 den Regelung des Absatzes 1 Satz 4 nicht möglich. Ein Verzicht berührt nämlich nicht nur den Rechtskreis des verzichtenden Verfahrensbeteiligten, sondern unter Umständen auch den anderer Verfahrensbeteiligter. b) Zeitpunkt der Mitteilung. Die Mitteilung nach Absatz 1 Satz 4 muss durch das 15 Gericht oder die Staatsanwaltschaft unverzüglich erfolgen. Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Verzögern. Die Gerichte und die Staatsanwaltschaft haben alle zu Gebote stehenden personellen und organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen, die eine unverzügliche Mitteilung sicherstellen (z.B. durch Dienstanweisung). Insbesondere rechtfertigen personelle Engpässe es nicht, die Anforderungen an die gesetzliche Verpflichtung zu reduzieren. Vielmehr gebietet es die Justizgewährungspflicht, die personellen und

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BTDrucks. 15 4067 S. 43.

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organisatorischen Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass der gesetzlichen Verpflichtung genüge getan wird.

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c) Inhalt der Mitteilung. Die Mitteilung muss nach Absatz 1 Satz 4 bestimmten inhaltlichen Anforderungen genügen. Dem Absender ist der Umstand, dass das von ihm eingereichte elektronische Dokument nicht zur Bearbeitung geeignet ist, unter Angabe der geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitzuteilen. Letztere werden durch Rechtsverordnung geregelt werden, die unter anderem den Zeitpunkt der Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs, die Dateiformate und die zulässige Adressierung festlegen. Die Angabe der geltenden technischen Rahmenbedingungen in der Mitteilung soll den Absender in die Lage versetzen, diese bei einer künftigen Einreichung elektronischer Dokumente zu beachten und damit eine Bearbeitung des übermittelten elektronischen Dokuments durch Gericht oder Staatsanwaltschaft zu ermöglichen. Denn nur wer die geltenden technischen Rahmenbedingungen kennt, kann diese auch beim elektronischen Rechtsverkehr mit Gericht und Staatsanwaltschaft beachten.

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d) Absender. Die Mitteilung nach Absatz 1 Satz 4 hat gegenüber dem Absender zu erfolgen. In aller Regel wird sich der Absender aus dem mit qualifizierter elektronischer Signatur versehenen übermittelten elektronischen Dokument ergeben. Sofern der Absender aus technischen oder sonstigen Gründen nicht feststeht, bedarf es keiner Ermittlungen durch das Gericht oder die Staatsanwaltschaft, um den Absender festzustellen und alsdann der Mitteilungspflicht zu genügen. Kann das Gericht oder die Staatsanwaltschaft, weil der Absender des übermittelten elektronischen Dokuments nicht feststeht, der Mitteilungspflicht nach Absatz 1 Satz 4 nicht nachkommen, so kann der Absender im Falle einer Fristversäumung einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen. Zur Begründung bedarf es in einem solchen Fall des Tatsachenvortrags und der Glaubhaftmachung, dass der Absender das elektronische Dokument von einer für die Absendung bestimmten technischen Einrichtung zu einem bestimmten Zeitpunkt an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft übermittelt, er keine Mitteilung nach Absatz 1 Satz 4 erhalten und infolgedessen die Frist versäumt hat.

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5. Dokumentationspflicht (Absatz 1 Satz 5). Absatz 1 Satz 5 stellt klar, dass im Strafverfahren von dem elektronischen Dokument ein Ausdruck gefertigt werden muss, der unverzüglich zu den Akten zu nehmen ist. Damit wird aus Gründen der Aktenvollständigkeit eine Dokumentationspflicht begründet. Aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut von Absatz 1 Satz 5 sowie dem Willen des Gesetzgebers 22 ergibt sich zweifelsfrei, dass die Dokumentationspflicht obligatorisch ist. Jeder, der Akteneinsicht nimmt, muss auch über den Akteninhalt vollständig informiert werden,23 also auch über die im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs übermittelten elektronischen Dokumente, denn damit eröffnen Gericht und Staatsanwaltschaft einen zusätzlichen Kommunikationsweg.24 Der Aktenausdruck von dem elektronischen Dokument ist unverzüglich zu fertigen. 19 Unverzüglich bedeutet auch hier ohne schuldhafte Verzögerung. Insoweit gelten die Maßstäbe wie für die unverzügliche Mitteilung nach Absatz 1 Satz 4 entsprechend (vgl. Rn. 15). Verstöße gegen die Dokumentationspflicht nach Absatz 1 Satz 5 berühren den Ein20 gang des übermittelten elektronischen Dokuments nicht, denn letzteres ist eingegangen, 22 23

BTDrucks. 15 4067 S. 43 f. BTDrucks. 15 4067 S. 44.

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BTDrucks. 15 4067 S. 23.

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sobald die für den Empfang bestimmte Einrichtung des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft es aufgezeichnet hat (Absatz 1 Satz 3). Solange das übermittelte elektronische Dokument in elektronischer Form aufbewahrt wird, kann der Verstoß noch geheilt werden. Verstöße gegen die Dokumentationspflicht führen aber regelmäßig zu Verzögerungen des Strafverfahrens und können auch insbesondere den Absender des übermittelten elektronischen Dokuments in seinen prozessualen Rechten beeinträchtigen und nicht zuletzt im Einzelfall unter Umständen sogar auch Amtshaftungsansprüche (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) auf Seiten des Absenders begründen. Bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften sind daher alle zu Gebote stehenden organisatorischen Maßnahmen durch innerdienstliche Anordnungen zu ergreifen, um die strikte Beachtung der Dokumentationspflicht sicher zu stellen. 6. Verordnungsermächtigung. Absatz 2 ermächtigt die Bundesregierung und die Lan- 21 desregierungen jeweils für ihren Bereich, Rechtsverordnungen zu erlassen, die den Zeitpunkt der Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften, die für die Bearbeitung der Dokumente geeigneten Formate, also die Dateiformate und die zulässige Adressierung zu bestimmen. Nach Absatz 2 Satz 2 können die Landesregierungen die Ermächtigung ihrerseits durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen weiter übertragen. Nach Absatz 2 Satz 3 kann die Zulassung der elektronischen Form auf einzelne 22 Gerichte oder Staatsanwaltschaften oder einzelne Verfahren beschränkt werden. Damit wird vor allem dem Umstand Rechnung getragen, dass insbesondere in großen Bezirken der elektronische Rechtsverkehr als zusätzlicher Kommunikationsweg nicht sogleich bei allen Gerichten und Staatsanwaltschaften flächendeckend wird eingeführt werden können. 7. Aktenaufbewahrung. Für elektronisch geführte Akten und Dateien ist durch das 23 Justizkommunikationsgesetz vom 22.3.2005 durch Art. 11 mit dem Gesetz zur Aufbewahrung von Schriftgut der Gerichte des Bundes und des Generalbundesanwalts nach Beendigung des Verfahrens (Schriftgutaufbewahrungsgesetz – SchrAG) 25 eine gesetzliche Grundlage für die Aufbewahrung von Akten der Gerichte des Bundes und des Generalbundesanwalts geschaffen worden. Damit ist einer seit langem erhobenen Forderung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder nach einer gesetzlichen Grundlage für die Aktenaufbewahrung Rechnung getragen worden. Der Anwendungsbereich beschränkt sich aber nur auf Schriftgut der Gerichte des Bundes und des Generalbundesanwalts. Für elektronisch geführte Akten und Dateien gelten die Aufbewahrungsvorschriften entsprechend (§ 1 Abs. 2 Satz 2 SchrAG). Die Länder werden nun ihrerseits zu prüfen haben, ob die bisherigen bundeseinheitlich abgestimmten Vorschriften über die Aufbewahrung für das Schriftgut der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Staatsanwaltschaften und der Justizvollzugsbehörden noch eine ausreichende Grundlage für die Aufbewahrung von Schriftgut darstellt. Hieran dürften Zweifel bestehen, die mit der Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs im Strafverfahren weiter untermauert worden sind. Die Aufbewahrung gespeicherter Dokumente bedarf vielmehr ebenso wie die Aufbewahrung sonstigen Schriftguts einer gesetzlichen Regelung durch die Länder. a) Schriftgut sind Aktenregister, Namensverzeichnisse, Karteien, Urkunden, Akten 24 und Blattsammlungen sowie einzelne Schriftstücke, Bücher, Drucksachen, Karten, Pläne, 25

BGBl. I S. 837, 852.

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Zeichnungen, Lichtbilder, Filme, Schallplatten, Tonträger und sonstige Gegenstände, die Bestandteile oder Anlagen der Akten geworden sind (§ 1 Abs. 2 Satz 1 SchrAG). § 1 Abs. 2 Satz 1 SchrAG gilt für elektronisch geführte Akten und Dateien entsprechend. Das bedeutet, dass auch die von der für den Empfang elektronischer Dokumente bestimmten Einrichtungen der Gerichte des Bundes oder des Generalbundesanwalts aufgezeichneten elektronischen Dokumente – unabhängig von der Dokumentationspflicht nach Absatz 1 Satz 5 – Schriftgut im Sinne von § 1 Abs. 1 SchrAG sind und damit unter die darin geregelten Aufbewahrungsregelungen fallen.

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b) Aufbewahrungsfrist. Das Schriftgut der Gerichte des Bundes und des Generalbundesanwalts, das für das Verfahren nicht mehr erforderlich ist, darf nach Beendigung des Verfahrens nur so lange aufbewahrt werden, wie schutzwürdige Interessen der Verfahrensbeteiligten oder sonstiger Personen oder öffentliche Interessen dies erfordern. § 2 Abs. 1 SchrAG enthält eine Verordnungsermächtigung der Bundesregierung zur näheren Regelung über das aufzubewahrende Schriftgut und die hierbei zu beachtenden allgemeinen Aufbewahrungsfristen. Nach § 2 Abs. 3 SchrAG beginnen die Aufbewahrungsfristen mit Ablauf des Jahres, in dem nach Beendigung des Verfahrens die Weglegung der Akten angeordnet wurde. Die Regelungen des Zweiten Abschnitts des Achten Buches der Strafprozessordnung bleiben durch die Vorschriften des Schriftgutaufbewahrungsgesetzes unberührt.

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FÜNFTER ABSCHNITT Fristen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Vorbemerkungen Schrifttum. Buckenberger Fernschreiben und Fernkopieren – Formerfordernisse, Absendung und Zugang, DB 1980 291; ders. Teletex – Formerfordernisse, Absendung und Zugang, DB 1982 634; ders. Die Einlegung von Rechtsmitteln mit Hilfe moderner Kommunikationswege, NJW 1983 1475; Ebnet Rechtsprobleme bei der Verwendung von Telefax, NJW 1992 1985; Graalmann-Scheerer Moderne Kommunikationsformen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Strafverfahren, FS Nehm 221; Melullis Elektronische Willenserklärung, MDR 1994 109; Müller Die Rechtsprechung des BGH zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – VIII Fristwahrung durch Telefax –, NJW 1995 3233; Pape/Notthoff Prozeßrechtliche Probleme bei der Verwendung von Telefax, NJW 1996 417; W. Schmid Über den Zugang strafprozessualer Willenserklärungen, FS Dünnebier 101; Schwachheim Abschied vom Telefax, NJW 1999 621; Chr. Wolf Die Verwendung eines Fernkopierers zur Dokumentenübermittlung, NJW 1989 2592; E. Wolf Neue Kommunikationstechniken im Anwaltsbüro – Teletex, Telefax, Telebox, AnwBl. 1986 126.

Übersicht Rn. I. Fristen 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 2. Handlungsfristen . . . . . . . . . . . 3. Ausschlussfristen . . . . . . . . . . . II. Wahrung der Erklärungsfristen 1. Mündliche Erklärungen . . . . 2. Fernmündliche Erklärungen . . 3. Schriftliche Erklärungen a) Grundsatz . . . . . . . . . . b) Übergabe durch Aushändigung des Einlieferungsscheins . . .

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Rn. c) Briefkästen . . . . . . . d) Briefannahmestelle . . . e) Postschließfach . . . . . 4. Telegramme . . . . . . . . 5. Fernschreiben . . . . . . . 6. Telebriefe . . . . . . . . . . 7. Telefax . . . . . . . . . . . 8. Elektronischer Rechtsverkehr 9. Fristversäumnis . . . . . . .

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III. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

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IV. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Fristen 1. Allgemeines. Fristen sind abgegrenzte Zeiträume, die bestimmt bezeichnet oder 1 jedenfalls bestimmbar sind.1 Ihre Dauer kann zeitlich fest begrenzt sein oder in einem unbestimmten Rechtsbegriff – z.B. unverzüglich: § 25 Abs. 2 Nr. 2, § 115 Abs. 1 u. 2, § 115a Abs. 1 und 2 Satz 1, § 118 Abs. 5, § 121 Abs. 3 Satz 3, § 127b Abs. 1 Nr. 1, § 128 Abs. 1 Satz 1; sofort, in kurzer Frist: § 418 Abs. 1 – bestehen.2 Regelungen über Fristen enthalten sowohl materiellrechtliche Vorschriften als auch Verfahrensgesetze; z.T. 1 2

RGZ 120 355, 362. Letztere sind keine Fristen i.S. von §§ 42, 43. Ihrer Regelung unterliegt auch nicht die

Sechsmonatsfrist des § 121, obwohl dort in Absatz 3 Satz 1 vom Fristenlauf die Rede ist, sowie die Wochenfrist des § 36 Abs. 3 GVG.

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ordnen letztere ausdrücklich die Geltung materiellrechtlicher Bestimmungen an, so z.B. § 222 Abs. 1 ZPO, § 17 Abs. 1 FGG, § 31 Abs. 1 VwVfG, § 115 Abs. 2 Satz 1 FlurBG, § 108 Abs. 1 AO, § 26 SGB – X – VwVf, wonach für die Berechnung der Fristen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs gelten, und zwar §§ 187 bis 189 BGB. Eigene Fristenregelungen auf materiellrechtlichem Gebiet enthalten §§ 359, 361 HGB; Art. 36, 37, 72, 73 WG; Art. 29 Abs. 4, 30, 55 Abs. 1 u. 2, 56 ScheckG; § 7 VVG; § 69 UrhG; § 77b StGB; auf verfahrensrechtlichem Gebiet § 93 Abs. 1 BVerfGG; § 222 Abs. 2 u. 3 ZPO; § 17 Abs. 2 FGG; § 31 Abs. 2 bis 7 VwVfG; § 115 Abs. 2 Satz 2 FlurBG; § 108 Abs. 2 bis 6 AO; § 64 SGG; § 26 Abs. 2 bis 6 SGB – X – VwVf und §§ 42, 43 StPO. Bei den Fristen der Strafprozessordnung handelt es sich einmal um solche, mit denen 2 das Gesetz die Wirksamkeit gewisser Handlungen davon abhängig macht, dass die Verfahrensbeteiligten diese vor dem Ablauf einer von einem bestimmten Ereignis an laufenden Frist vornehmen (Handlungs-, namentlich Erklärungsfristen), zum anderen um solche, die der Richter oder Staatsanwalt in der Weise innezuhalten hat, dass er entweder eine Handlung nicht vor Fristablauf vornehmen darf oder sie innerhalb einer bestimmten Frist vornehmen soll oder muss (Zwischenfristen). Zu den letzteren gehören die Ladungsfristen des Beschuldigten (§ 418 Abs. 2 Satz 3), des Angeklagten (§ 217 Abs. 1) und seines Verteidigers (§ 218 Satz 2 i.V.m. § 217 Abs. 1), des Verteidigers im Verfahren über seine Ausschließung (§ 138d Abs. 2 Satz 2), die Frist bei der öffentlichen Zustellung (§ 40) und die Fristen, innerhalb derer eine bestimmte richterliche Handlung vorgenommen werden soll (§ 98 Abs. 3, § 100b Abs. 1 Satz 3, § 100d Abs. 1 Satz 3, § 100h Abs. 1 Satz 3, § 100i Abs. 4 Satz 1, § 110b Abs. 2 Satz 3, § 115 Abs. 2, § 115a Abs. 2 Satz 1, § 118 Abs. 5, § 118a Abs. 4 Satz 2, § 122 Abs. 4 Satz 2, § 128 Abs. 1 Satz 1, § 129) 3 oder vorgenommen sein muss (§ 275 Abs. 1 Satz 2), im Fall des § 100 Abs. 2 mit der Folge, dass die von der Staatsanwaltschaft verfügte Beschlagnahme ohne diese Handlung außer Kraft tritt.

3

2. Handlungsfristen. Die von den Beteiligten wahrzunehmenden Fristen, meist Erklärungsfristen, sind teils gesetzliche, d.h. solche, deren Dauer das Gesetz allgemein bestimmt und die von einem bestimmten Verfahrensvorgang, etwa von der Verkündung oder Zustellung einer Entscheidung, an zu laufen beginnen, teils richterliche, d.h. solche, deren Beginn und Dauer der Richter im einzelnen Fall durch Verfügung festsetzt. Die Dauer der gesetzlichen Fristen beträgt regelmäßig eine Woche (§ 45 Abs. 1 Satz 1, § 235 Satz 1, § 311 Abs. 2, § 314 Abs. 1, § 317, § 319 Abs. 2, § 341 Abs. 1, § 346 Abs. 2), ist aber ausnahmsweise auch länger (§ 172 Abs. 1, § 410 Abs. 1: zwei Wochen; § 172 Abs. 2 Satz 1, § 345 Abs. 1, § 463c Abs. 2: ein Monat). Richterliche Fristen sind z.B. vorgesehen in § 123 Abs. 3, § 201 Abs. 1 Satz 1, § 368 Abs. 2, § 379a Abs. 1, § 382 und – als Beispiel aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht – § 72 Abs. 1 Satz 2 OWiG.4 Der Lauf einer solchen Frist beginnt, wenn nicht bei richterlichen Fristen im Einzel4 nen Abweichendes bestimmt wird, mit der Bekanntmachung der Entscheidung, durch die die „Frist in Lauf gesetzt wird“ (§ 35, beachte aber §§ 42, 43). Eine richterliche Frist kann auch so bestimmt werden, dass sie mit einem in der Verfügung gesetzten Tag endet, so dass es auf den Beginn und die Regeln zur Fristberechnung nicht ankommt. Gesetzliche Fristen können nicht verlängert werden. Eine gleichwohl gewährte Verlängerung ist wirkungslos, wird aber in der Regel die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründen, es sei denn, dass es sich um absolute Ausschlussfristen handelt (Rn. 5). Dagegen ist 3

KK/Maul § 43, 6; KMR/Paulus 5; MeyerGoßner 2.

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BGHSt 27 85.

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bei richterlichen Fristen im Recht des Richters, ihre Dauer zu bestimmen, auch die Befugnis enthalten, die ursprünglich gesetzte Frist auf Antrag oder von Amts wegen zu verlängern, jedoch nur, wenn sie noch nicht abgelaufen ist. Nach Ablauf einer richterlichen Frist kann der Richter, wenn es nach den Umständen des Falles prozessual geboten erscheint, eine neue richterliche Frist bestimmen. 3. Ausschlussfristen. Außerhalb der gesetzlichen Fristen i.S. dieses Abschnitts stehen 5 die auf einen Prozessabschnitt abgestellten Handlungsfristen (§ 6a Satz 3, § 16 Satz 3, § 25, § 222b Abs. 1 Satz 1, § 275 Abs. 1 Satz 2, § 303 Satz 1, § 388 Abs. 1, § 391 Abs. 1 Satz 2, § 439 Abs. 2 Satz 2).5 Sie sind Ausschlussfristen dergestalt, dass die in Rede stehende Prozesshandlung schlechthin unzulässig und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen ist, wenn die Handlung erst nach Eintritt der im Gesetz genannten Verfahrenslage vorgenommen wird.

II. Wahrung der Erklärungsfristen 1. Mündliche Erklärungen. Wird eine Erklärung mündlich zur Niederschrift bei Ge- 6 richt abgegeben, so ist die Frist gewahrt, wenn die Erklärung innerhalb der Frist von einem Urkundsbeamten des zuständigen Gerichts niedergeschrieben wird.6 Die Zeit des Eingangs bei Gericht wird durch die Zeitangabe in der Niederschrift festgestellt. Kann die Erklärung auch privatschriftlich abgegeben werden, so kann das Protokoll auch von einer unzuständigen Stelle aufgenommen werden, doch kommt es dann, wie bei schriftlichen Erklärungen, darauf an, wann es bei der zuständigen Stelle eingeht. Der Nachweis, dass das Datum des Eingangsstempels oder des Protokolls unrichtig ist, ist zulässig. Wird die Erklärung im Laufe einer Hauptverhandlung abgegeben, etwa ein Rechts- 7 mittel auf das Strafmaß beschränkt, so nimmt die Erklärung, auch hinsichtlich des im Protokoll angegebenen Datums, an der erhöhten Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls (§ 274) teil.7 Wird sie nach Abschluss der Hauptverhandlung abgegeben, aber – was nicht verlangt werden kann – noch ins Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommen, dann findet § 274 keine Anwendung, gleichwohl kann eine solche Erklärung der Schriftform genügen.8 Die Behauptung, das Datum sei falsch beurkundet, ist alsdann in freier Beweiswürdigung zu beurteilen.9 2. Fernmündliche Erklärungen sind auch dann nicht dem Schriftverkehr zuzurechnen, 8 wenn die empfangende Behörde über sie eine Urkunde errichtet. Zwar kann der Erklärende einen anderen mündlich und auch fernmündlich ermächtigen, in seinem Namen eine Urkunde aufzusetzen. Indessen ist die behördliche Niederschrift über ein Ferngespräch eine Urkunde, die die Behörde kraft eigener Zuständigkeit und nicht kraft Ermächtigung errichtet. Telefonische Erklärungen sind daher, weil es an einer Sonderregelung fehlt, nur in Betracht zu ziehen, wenn die Erklärung nicht schriftlich sein muss, sondern entweder formfrei ist oder bei Formzwang zur Niederschrift der Geschäftsstelle

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Zu den absoluten Ausschlussfristen zählen auch die Strafantragsfrist nach § 77b StGB, die Verjährungsfrist im Fall der Nichtunterbrechung nach § 78 Abs. 2 StGB, die Frist für die Verfassungsbeschwerde nach § 93 BVerfGG, der Antrag nach Art. 26 MRK.

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KK/Maul § 43, 10; Meyer-Goßner Vor § 42, 12. RGSt 66 419. BGH NJW 1984 1974. RGSt 40 134.

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erklärt werden kann (Hauptfälle: § 306 Abs. 1, § 311 Abs. 2 i.V.m. § 306 Abs. 1, § 314 Abs. 1, § 341 Abs. 1). Die ältere Rechtsprechung sah fernmündliche Rechtsmittel überwiegend als wirkungs9 los an.10 Ihr kann indessen nicht beigetreten werden. Sie beruft sich auf die Unsicherheit der Identitätsfeststellung und die Möglichkeiten von Irrtümern im fernmündlichen Verkehr. Wären diese Argumente richtig, müsste auch – und noch mehr – die fernmündliche Telegrammaufnahme ausgeschlossen sein, die die Rechtsprechung schon seit langem zugelassen hat. In der Praxis sind diese Übermittlungsformen mit Einführung des Telefaxverkehrs ohne Bedeutung. Mit Rücksicht auf den Ablauf der Arbeit in den Geschäftsstellen, wo sich meist 10 mehrere Bedienstete ein Zimmer teilen, auf die dadurch und durch sonstige Störungen möglichen Irrtümer und auf den Mangel einer gesetzlichen Regelung wird man dem Urkundsbeamten namentlich dann das Recht zugestehen müssen, eine fernmündliche Protokollaufnahme abzulehnen, wenn der Anrufer eine längere Erklärung abgeben will 11 oder es sich um offensichtlich querulatorisches Vorbringen handelt. Findet er sich aber bereit, das Protokoll fernmündlich aufzunehmen und bestehen über die Person des Erklärenden keine begründeten Zweifel,12 so ist die Erklärung zur Niederschrift der Geschäftsstelle abgegeben und steht das so entstandene Protokoll in seiner Wirksamkeit einem anderen nicht nach. Ob der Erklärende selbst erscheint oder ob er die Geschäftsstelle anruft, ist für die Form der Niederschrift unerheblich.13 Die Zulässigkeit der fernmündlichen Rechtsmitteleinlegung zu Protokoll der Geschäftsstelle wäre nur dann ausgeschlossen, wenn man annehmen wollte, dass die Verhandlung über die Aufnahme des Protokolls zwingend in Anwesenheit des Erklärenden durchgeführt werden müsste.14 Die Strafprozessordnung schreibt dies jedoch nirgends vor. 10

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12 13

RGSt 38 282; BGH bei Dallinger MDR 1971 547; OLG Hamm NJW 1952 176; OLG Frankfurt NJW 1953 1118; BFH NJW 1951 174; Eb. Schmidt § 314, 6; Seibert DRiZ 1952 8; Sarstedt/Hamm 70. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist die Frage ebenfalls strittig: Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 17 176) und der Bundesfinanzhof (NJW 1965 176) lassen eine fernmündliche Rechtsmitteleinlegung nicht zu. Wolter (JR 1982 214, 3a) will das nur für die telefonische Rechtsmittelbegründung gelten lassen, nicht aber für die Einlegung eines Rechtsmittels, hier soll der Urkundsbeamte zur Aufnahme einer Niederschrift verpflichtet sein. Vgl. Dahs NJW 1952 276. So für das Strafverfahren: OLG Schleswig NJW 1963 1455; OLG Düsseldorf – 1. StS – NJW 1969 1361; OLG Celle NJW 1970 107; MDR 1970 608; GA 1970 218; OLG Köln Rpfleger 1977 105; OLG Frankfurt DRiZ 1978 186; BayObLG VRS 58 (1980) 426; LG Stolp JW 1929 155; KMR/Paulus Vor § 42, 10; Gössel StVR (1977) 162; Maschke DRiZ 1930 14; Schönke JZ 1953 180; Dahs NJW 1952 276; Rötelmann Rpfleger 1953 31 und

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251; für das Bußgeldverfahren: BGHSt 29 173; BayObLG VRS 56 (1979) 371; LG Münster JMBlNRW 1979 225; Göhler § 67, 26 OWiG; KK-OWiG/Bohnert § 67, 73; für weitere Verfahrensordnungen: FG Düsseldorf EFG 1957 59; LArbG Baden- Württemberg BB 1971 1104; LG Aschaffenburg NJW 1969 280; Schultzenstein ZZP 27 (1900) 514, 569; Rötelmann Rpfleger 1953 32; Schuwardt FinRdsch. 1962 417; a.A. (telefonische Einlegung genügt selbst dann nicht, wenn der Urkundsbeamte die Niederschrift entsprechend der telefonischen Durchsage fertigt) BVerwGE 17 176; BFH NJW 1965 176. So für das Strafverfahren: RGSt 38 282; RG JW 1914 895; OLG Naumburg DRiZ (Rspr.) 1929 Sp. 504 Nr. 1174; OLG Dresden JW 1929 2773; OLG Hamm NJW 1952 276; OLG Frankfurt NJW 1953 1118 und ähnlich – allerdings nur für eine fernmündlich erklärte Rechtsmittelrücknahme – wohl auch OLG Hamburg MDR 1981 324; Eb. Schmidt § 314, 6; Seibert DRiZ 1952 8; für das Bußgeldverfahren: OLG Düsseldorf – 2. StS – JMBlNRW 1978 229; für das Verwaltungsund Finanzverfahren: BVerwGE 17 166; BayVGH BayVerwBl. 1971 238; VerwG

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Fünfter Abschnitt. Fristen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

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Der Bundesgerichtshof, der für das Ordnungswidrigkeitenverfahren entschieden hat, 11 dass der Betroffene den Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid nach § 67 Abs. 1 OWiG auch fernmündlich zur Niederschrift bei der Verwaltungsbehörde einlegen kann,15 verneint diese Befugnis für die Einlegung eines Rechtsmittels im Strafverfahren.16 Maul ist dieser Ansicht ohne Begründung gefolgt;17 Meyer-Goßner hat sie mit der auch vom Bundesgerichtshof gegebenen Begründung verteidigt, dass, wer Erklärungen zu Protokoll geben wolle, sich persönlich auf der Geschäftsstelle einfinden müsse, weil nur dann der Urkundsbeamte Identität und Berechtigung des Erklärenden sowie den Inhalt der Erklärung zulässig feststellen könne.18 Abgesehen davon, dass er die Antwort darüber schuldig bleibt, warum diese Erwägungen für das Bußgeldverfahren nicht gelten sollen, ist sowohl ihm als auch Maul in Übereinstimmung mit Wolter entgegenzuhalten, dass sie allenfalls auf die Fälle einer Form gebundenen Rechtsmittelbegründung, nicht aber auf die Einlegung des Rechtsmittels bezogen werden könnten.19 Denn mit der Rechtsmitteleinlegung bekundet der Beschwerdeführer nur, dass er mit der angefochtenen Entscheidung nicht einverstanden ist und innerhalb der ihm vom Gesetzgeber bestimmten Frist, die er voll ausschöpfen darf, das zulässige Rechtsmittel geltend macht. Der Entscheidung, die kein Verfassungsrecht verletzt, kann auch sonst nicht gefolgt werden. Sie stellt für ihren Standpunkt auf Besonderheiten zwischen Straf- und Bußgeldverfahren ab, die – wie Wolter zu Recht betont 20 – in Wahrheit nicht gegeben sind und führt die Rechtsentwicklung auf eine Stufe zurück, die aufgrund der noch in den Anfängen steckenden technischen Entwicklungen des Telefon- und Telegrafenverkehrs im Jahre 1905 21 durchaus berechtigt war, aufgrund der heutigen fortgeschrittenen technischen Entwicklungen und den sich daraus ergebenden und auch auszunutzenden Möglichkeiten jedoch nicht mehr zu vertreten ist. Sie gibt deshalb keine Veranlassung, den hier vertretenen Standpunkt (Rn. 10) aufzugeben. Anders zu beurteilen ist es, wenn die Rechtsmittelschrift beim Rechtsmittelgericht 12 und nicht bei dem Gericht eingeht, das das angefochtene Urteil erlassen hat (§ 314 Abs. 1, § 317, § 341 Abs. 1, § 345 Abs. 1 Satz 1), und das unzuständige Gericht den Inhalt der Schrift dem zuständigen telefonisch bekannt gibt. Dann nimmt dieses das Rechtsmittel bei dem unzuständigen Gericht in Empfang 22 in gleicher Weise wie fernmündlich durchgesagte Telegramme auf dem Postamt (Rn. 27).

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Berlin BB 1953 755; BFH BStBl. 1954 III 27; NJW 1965 174; für weitere Verfahrensordnungen: OLG Hamburg OLG Rspr. 37 146; BDHE 7 128 = NJW 1965 176; Crevecoeur NJW 1977 1320; KK/Maul § 43, 11; MeyerGoßner Einl. 140. BGHSt 29 173; ebenso für die Beschwerde im Klageerzwingungsverfahren nach § 172 Abs. 1 Satz 1 OLG Stuttgart NStZ 1989 42; vgl. auch LR/Graalmann-Scheerer 25 § 172, 106. BGHSt 30 64: für die Einlegung der Berufung nach § 314 Abs. 1 = JR 1982 210 mit Anm. Wolter; ebenso für die Einlegung der sofortigen Beschwerde OLG Düsseldorf

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Rpfleger 1983 363; für die Erinnerung und sofortige Beschwerde gegen die Kostenfestsetzung nach § 464b OLG Stuttgart MDR 1984 75; für den Einspruch gegen den Strafbefehl OLG Zweibrücken StV 1982 415; wie hier AK/Lemke §§ 42/43, 14 ; SK/Weßlau § 43, 11. KK/Maul § 43, 13. Meyer-Goßner Einl. 140. JR 1982 214. JR 1982 212. Entscheidung RGSt 38 282. Im Ergebnis mit abw. Begründung ebenso OLG Celle VRS 39 (1970) 359.

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Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

3. Schriftliche Erklärungen a) Grundsatz. Bei schriftlichen Erklärungen ist die Frist auf jeden Fall gewahrt, wenn sie vor Fristablauf bei dem zuständigen Gericht eingegangen ist. Auf die richtige Adressierung kommt es nicht an. Auch der Eingang bei einer Zweigstelle des Gerichts ,23 statt bei dem auswärtigen Senat eines Oberlandesgerichts beim Stammgericht,24 oder bei einer sonstigen falschen Abteilung des zuständigen Gerichts, wahrt die Frist (nicht auch der Eingang bei einer unzuständigen Stelle, dazu Rn. 15). Es genügt aber nicht, dass das Schriftstück irgendwie körperlich in den Machtbereich des Gerichts, namentlich in dessen Amtsräume, gelangt.25 Der Einwurf in ein offenes Fenster, die Niederlegung der Schrift nach Dienstschluss auf dem Schreibtisch des nicht mehr anwesenden Beamten, die Abgabe an eine Raumpflegerin oder an einen zur Entgegennahme nicht befugten Hausmeister wahren die Frist nicht.26 Erforderlich ist vielmehr, dass das Schriftstück rechtzeitig in die Hände eines Beamten – etwa des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle 27 – gelangt, der nach den Dienstvorschriften oder dem Dienstgebrauch befugt ist, sie für die zuständige Behörde zu empfangen und mit dem Eingangsvermerk zu versehen,28 und zwar ohne Rücksicht auf gegenteilige oder vermeintlich gegenteilige dienstliche Anordnungen, die dazu führen, Rechtsmittel als später eingegangen zu behandeln.29 Ob der Beamte und wann das Gericht von den Erklärungen Kenntnis nimmt, ist 14 bedeutungslos.30 Keine Rolle spielt auch, ob er das Schriftstück innerhalb oder außerhalb der Dienststunden 31 oder innerhalb oder außerhalb des Gerichtsgebäudes in Empfang nimmt.32 Das gilt auch für den (zuständigen) Richter;33 allerdings genügt es nicht, dass ihm kurz vor Ablauf der Frist in seiner Privatwohnung ein Telegramm mit der Rechtsmitteleinlegung zugestellt wird,34 zumal da keine Amtspflicht zur dienstlichen Annahme von Schriftstücken außerhalb der Dienststunden im häuslichen Bereich besteht.35 Ist eine Postsendung ordnungsgemäß in den Bereich des zuständigen Gerichts gelangt, so ist die Frist auch gewahrt, wenn der Beamte unter Verstoß gegen Verwaltungsvorschriften die Annahme wegen ungenügender Frankierung und Forderung einer Nachgebühr verweigert.36 Die Zeit des Eingangs wird durch den Eingangsvermerk beurkundet; der Nachweis der Unrichtigkeit ist zulässig.37

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23 24 25 26

27 28

BayObLG VRS 53 (1977) 434. BGH AnwBl. 1967 25; KK/Maul § 43, 12. LG Stuttgart AnwBl. 1986 250 = MDR 1986 689; Meyer-Goßner Vor § 42, 13. RGSt 10 74; 22 124; 31 5; OLG Kiel GA 41 (1893) 155; wegen weiterer Beisp. s. W. Schmid 109. W. Schmid 104. RGSt 6 85; RGZ 76 129; BGHZ 2 32; ebenso RGSt 44 350; 67 387; RG JW 1910 480; 1929 3157 m. Anm. Jonas; RG JW 1931 2020; 1938 2153; RG LZ 1915 711; RG Recht 1923 Nr. 1282; BayObLGSt 1968 86 = NJW 1969 201; 1972 25 = VRS 43 (1972) 124; OLG Hamm NJW 1956 1168; GA 1959 283; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1955 159; OLG Stuttgart Justiz 1972 42; LG Stuttgart AnwBl. 1986 250; KK/Maul § 43, 12; KMR/Paulus 12; Meyer-Goßner Vor § 42, 13.

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OLG Hamburg HRR 1929 Nr. 2061. RGSt 44 351. RGSt 31 6; RG JW 1904 3157 m. Anm. Jonas; RG Recht 1923 Nr. 1282; KG JW 1916 1550; OLG Dresden GA 64 (1917) 564; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1955 159; MeyerGoßner Vor § 42, 13; KMR/Paulus 12; W. Schmid 107. RGSt 31 6; RG JW 1904 211; 1929 3157 m. Anm. Jonas; RG Recht 1923 Nr. 1282; OLG Dresden GA 64 (1917) 564. RGSt 60 330. RGRspr. 2 369. W. Schmid 107, a.A. LR/Meyer 23 § 341, 25. OLG Hamm MDR 1971 947. RG DRiZ 1929 Nr. 77; OLG Oldenburg OLGSt § 341 StPO, 1.

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Fünfter Abschnitt. Fristen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Vor § 42

Hat der Betroffene das Schriftstück bei einem unzuständigen Gericht oder bei der 15 Staatsanwaltschaft eingereicht, kommt es für die Fristwahrung darauf an, dass die Schrift noch innerhalb der Einlegungsfrist dem zuständigen Gericht vorliegt.38 Die bloße Mitteilung an das zuständige Gericht vom Eingang des Schriftstücks genügt nicht, ausreichend ist aber eine telefonische Übermittlung des Inhalts.39 Bei der Abgabe des Schriftstücks an einen zur Entgegennahme nicht befugten Beamten gilt das entsprechend. Die tatsächliche Gestaltung des Dienstbetriebes kennt jedoch in der Regel den Empfang 16 bei dem Eingangsbeamten des Gerichts nicht mehr, vor allem, wenn mehrere Behörden in einem und demselben Gebäude untergebracht sind. Eingangsstellen und Briefkästen dienen nicht mehr allein der Bequemlichkeit des Publikums; sie sichern vor allem einen ungestörten Geschäftsbetrieb. Die Behörden betrachten daher regelmäßig Schriftstücke schon dann als eingegangen, wenn sie an den dafür vorgesehenen Stellen niedergelegt worden sind. Denn damit sind sie schon in ihre Verfügungsgewalt gelangt.40 In diesen Fällen bewirkt der Eingangsstempel nicht den Empfang, sondern bescheinigt ihn nachträglich.41 Sinnfällig wird das besonders bei einem vor Mitternacht in einen Nachtbriefkasten eingeworfenen Schriftstück, das erst am anderen Tag den Eingangsstempel des vorausgegangenen Einwurftages erhält. Danach kommen folgende vor dem Schreibtisch des Empfangsbeamten liegende Mög- 17 lichkeiten in Betracht: b) Übergabe durch Aushändigung des Einlieferungsscheins. Wird die Schrift durch 18 eingeschriebenen Brief übersandt und dieser in der Weise zugestellt, dass dem zuständigen Beamten der Einlieferungsschein ausgehändigt, ihm aber überlassen wird, den Brief bei der Post abzuholen, dann erhält die empfangende Behörde mit der Aushändigung des Scheins die Verfügungsgewalt über den Brief und ist dieser damit in diesem Zeitpunkt bei ihr eingegangen.42 c) Briefkästen. Mit dem Bereithalten von Briefkästen gibt die Behörde die Erklärung 19 ab, dass sie das eingeworfene Schriftstück mit dem Einwurf entgegennehme.43 Dabei

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KG JR 1954 391 mit Anm. Sarstedt; OLG Celle NJW 1960 114; 1970 218; MDR 1970 608; GA 1970 218; NdsRpfl. 1973 27; OLG Koblenz MDR 1973 691; OLG Köln StV 1981 118; OLG Düsseldorf JMBlNRW 1983 163; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1983 108; OLG Braunschweig NStZ 1988 514; OLG Karlsruhe JR 1992 302 mit abl. Anm. Sommermeyer; Meyer-Goßner Vor § 42, 16; vgl. auch BVerfGE 60 246 = NJW 1982 1804; KK/Maul § 43, 16; KMR/Paulus 9; Eb. Schmidt § 314, 11; im übrigen s. Rn. 21 und § 44, 39 ff. OLG Celle MDR 1970 608; GA 1970 218; OLG Düsseldorf NStZ 1984 184 mit Anm. Maul; enger OLG Zweibrücken VRS 61 (1981) 439 = MDR 1982 166: weiteres Erfordernis, der Urkundsbeamte des zuständigen Gerichts muss einen schriftlichen Aktenvermerk darüber aufnehmen.

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BVerfGE 52 203 = NJW 1980 580; 57 117 = NJW 1981 1951; 69 381, 385 ff. = NJW 1986 244; ebenso schon BVerwGE 18 52 = NJW 1964 1239; NJW 1974 73; BFH BStBl. 1976 II 571 und seitdem auch BGH (Z) NJW 1981 1261 = JR 1981 331 m. Anm. Grundmann; BayObLG NJW 1983 896 = MDR 1982 601 unter Aufgabe von BayObLGSt 1974 141) JR 1976 27; Meyer-Goßner Vor § 42, 13. A.A. die ältere Rechtsprechung RGRspr. 2 613, 6 85; RGSt 10 74; 22 124; 31 5; KG JW 1916 1550; OLG Dresden GA 64 (1917) 564; vgl. auch die bei W. Schmid FS Dünnebier 105 Fn. 14 zitierte weitere Rechtsprechung. RGSt 44 351; RG Recht 1918 1747; MeyerGoßner Vor § 42, 13; Bedenken dagegen W. Schmid 116. Vgl. BVerfGE 41 323 = NJW 1976 747 – für Fernschreiben; BVerfGE 42 128 = NJW 1976

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kann es keinen Unterschied machen, ob es sich bei dem Briefkasten um einen gewöhnlichen Hausbriefkasten handelt, bei dem der genaue Zugang des Schriftstücks nicht festgehalten werden kann, oder um einen Nachtbriefkasten (vgl. dazu Rn. 20).44 Denn entscheidend für die Fristwahrung ist nicht, wann die Zusendung in die Hände des zur Entgegennahme Zuständigen gelangt, sondern dass sie vor Fristablauf in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt. Dabei ist es gleichgültig, ob das innerhalb oder außerhalb der Dienststunden der jeweiligen Behörde der Fall ist,45 zumal da das Abstellen auf die Dienstzeit oder auf die üblichen Leerungszeiten wegen deren Uneinheitlichkeit zu Rechtsunsicherheit und Ungleichbehandlung führen kann.46 Es schadet auch nicht, dass die zur Fristwahrung bestimmte Schrift erst einen Tag oder sogar mehrere Tage später in die Hände des zur Entgegennahme Zuständigen gelangt. Nachtbriefkästen, für deren Einrichtung die Verwaltung Sorge zu tragen hat,47 müs20 sen mit Einrichtungen versehen sein, die sie als solche erkennen lassen (Beleuchtung, Hinweis), und Vorrichtungen enthalten, die gewährleisten, dass die vor Mitternacht eingeworfene Post von der später eingegangenen getrennt wird. Denn wer Nachtbriefkästen zur Verfügung stellt, erklärt damit seine Bereitschaft, Briefe mit dem Einwurf entgegenzunehmen.48 Da es ausschließlich auf diese Bereitschaft ankommt, ist allein die äußere Bezeichnung maßgebend, sei es, dass sie ausdrücklich „Nachtbriefkasten“ lautet, sei es, dass sie die Aufschrift „Frist- und Eilsachen“ aufweist.49 Aus dieser Erwägung folgt: Ist der Brief vor Mitternacht eingeworfen worden, ist er – wenn das auch oft schwer zu beweisen ist – auch dann am Tag des Einwurfs eingegangen, wenn die Trennvorrichtung versagt hat 50 oder beim Abstempeln die Vortagspost versehentlich mit dem Stempel des Öffnungstages versehen worden ist oder wenn gar keine Trennvorrichtung vorhanden war.51 Ist eine eindeutige Klärung nicht möglich, muss fristgemäßer Eingang unterstellt werden.52 Bei Briefkästen, die mehreren Behörden gemeinsam sind, nimmt mit der Entnahme, 21 bei Nachtbriefkästen mit dem Einwurf, die zuständige Stelle an, falls auch sie sich im Hause befindet, gleichgültig, welche Aufschrift das Schriftstück trägt (Staatsanwaltschaft anstelle von Gericht, Landgericht anstelle von Oberlandesgericht), wenn nur aus seinem Inhalt für einen mit den Prozessvorschriften Vertrauten der richtige Empfänger ermittelt werden kann.53

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1255 – für einfachen Brief; ebenso schon BVerfGE 18 51 = NJW 1964 1239 und NJW 1974 73; OLG Frankfurt NJW 1974 1959; OLG Hamm NJW 1976 762. Bis zu den angeführten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts war diese Frage streitig. Bejaht hatten sie: BVerfGE 18 51 = NJW 1964 1239; BVerfG NJW 1974 73; OLG Frankfurt NJW 1974 1959 = AnwBl. 1975 171; OLG Hamm NJW 1976 762; verneint hatten sie: RG Recht 1923 Nr. 1282; BGHZ 2 31; BayObLGSt 1968 86 = NJW 1969 201; 1968 103 = NJW 1969 201; MDR 1976 76; OLG Hamm NJW 1956 1168; GA 1959 283; wegen der historischen Entwicklung s. W. Schmid 110 ff. BVerfGE 41 323 = NJW 1976 74; MeyerGoßner Vor § 42, 13. BVerfGE 42 128 = NJW 1976 1255.

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Oswald DAR 1971 323. BGHZ 2 32; BayObLGSt 1968 105 = NJW 1969 202. BayObLGSt 1972 26 = Rpfleger 1972 177. BayObLGSt 1968 106 = NJW 1969 202; Meyer-Goßner Vor § 42, 15. BayObLGSt 1972 26 = Rpfleger 1972 177. BGHSt 11 395; BGH NJW 1969 2202; OLG Düsseldorf – 2. StS – MDR 1969 1031; OLG Hamburg NJW 1974 68; OLG Celle NdsRpfl. 1983 123; vgl. auch BVerwG NJW 1969 1731; BSG NJW 1973 535; BayVGH BayVerwBl. 1975 561; a.A. KG JR 1954 470 mit abl. Anm. Sarstedt; OLG Hamm GA 1957 222; OLG Düsseldorf – 1. StS – NJW 1964 1684. BVerfGE 52 207 = NJW 1980 581; 57 120 = NJW 1981 1951; BayObLGSt 1974 141 = VRS 48 (1979) 216; VRS 66 (1984) 285

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d) Briefannahmestelle. Das Personal der Briefannahmestelle – dazu gehören nicht 22 sog. Behördenaustauschfächer, z.B. zwischen Gericht und Rechtsanwaltskammer 54 – ist stets empfangsberechtigt; ist die Annahmestelle für mehrere Behörden errichtet, für jede von ihnen, auch wenn nach Verteilung der Post auf die beteiligten Behörden dort ein zweiter Annahmevermerk angebracht wird. Es kommt nur auf den der Annahmestelle an. Im Übrigen gilt hier das gleiche wie beim Briefkasten: Die Annahmestelle nimmt unabhängig von der Anschrift für die zuständige Behörde an.55 Ist die Schrift an eine unzuständige, der gemeinsamen Briefannahmestelle aber gleich- 23 falls angeschlossene Behörde gerichtet, dann ist die Frist zumindest dann gewahrt, wenn die Schrift trotzdem rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingeht. Nach allgemeiner Ansicht ist es auch unschädlich, wenn der Beamte der Briefannahmestelle den Fehler erkennt und sich sofort entschließt, das Schriftstück an die zuständige Behörde weiterzuleiten; ob es dort noch innerhalb der Erklärungsfrist ankommt, ist gleichgültig.56 Die Frist muss sogar dann als gewahrt angesehen werden, wenn das bei der gemeinsamen Briefannahmestelle innerhalb der Frist eingegangene Schriftstück entsprechend der falschen Adressierung an die unzuständige Behörde weitergeleitet worden und bei dem zuständigen Gericht erst nach Fristablauf eingegangen ist.57 Denn auch in diesem Fall ist es schon mit dem Eingang bei der gemeinsamen Annahmestelle in den Machtbereich des zuständigen Gerichts gelangt.58 Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat – zunächst nur für den ihm vorgelegten 24 Fall – zusätzlich gefordert, dass der Annahmebeamte sich innerhalb der Frist zur Weiterleitung an die zuständige Stelle entschließt.59 Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat daraus abgeleitet, dass ein Rechtsmittel verspätet sei, wenn die mit unrichtiger Anschrift versehene Rechtsmittelschrift zwar fristgerecht an eine sowohl für das auf der Rechtsmittelschrift angegebene als auch für das wirklich zuständige Gericht bestimmte gemeinsame Einlaufstelle gelange, von dort aber entsprechend der unrichtigen Anschrift an das unzuständige Gericht weitergeleitet werde und erst nach Fristablauf an das zuständige Gericht gelange.60 Dieser Ansicht haben sich alsdann – auch für das Strafverfahren – das Oberlandesgericht Saarbrücken 61, der erste Strafsenat des Kammer-

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unter Aufgabe von BayObLGSt 1982 26 = VRS 62 (1982) 375; OLG Stuttgart NStZ 1987 185; OLG Frankfurt NJW 1988 2812; a.A. BGH – Z – NJW 1951 71 zu § 518 ZPO; BGH – Z – JR 1975 64 zu § 253 Abs. 5 ZPO; BGH – Z – NJW 1983 123 zu § 518 ZPO. LG Stuttgart AnwBl. 1986 250 = MDR 1986 689. OLG Bremen NJW 1950 395; KG – 2. StS – JR 1955 152; OLG Hamm JMBlNRW 1956 141; OLG Neustadt NJW 1962 359; KK/Maul § 43, 16; KMR/Paulus 15 f.; Meyer-Goßner Vor § 42, 17; AK/Lemke 28; Eb. Schmidt § 314, 12; Sarstedt JR 1954 391. BGH JR 1953 430; NJW 1961 361; OLG Saarbrücken JBlSaar 1964 16; KK/Maul § 43, 16; Küper JR 1976 29; anders BGH NJW 1983 123; 1990 990. Vgl. BVerfGE 57 117 = NJW 1981 1951; BGH – Z – NJW 1981 1261 = JR 1981 331

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mit Anm. Grundmann; BayObLG MDR 1982 601. OLG Bremen NJW 1950 395; KG JR 1955 152; OLG Hamm JMBlNRW 1956 141; ebenso OVG Berlin JR 1952 372; KK/Maul § 43, 16; KMR/Paulus 15; Meyer-Goßner Vor § 42, 17; Eb. Schmidt § 314, 12; a.A. BGH NJW 1951 71; 1975 2294; 1983 123; JR 1960 381; BayObLGSt 1974 141 = JR 1976 26 m. abl. Anm. Küper; BayObLG NJW 1988 174; OLG Stuttgart NStZ 1987 mit zust. Anm. Maul; KG – 1. StS – JR 1954 391 m. abl. Anm. Sarstedt; OLG Dresden JW 1930 2081 m. abl. Anm. Heilberg; OLG Hamburg MDR 1960 768; OLG Saarbrücken JBlSaar 1964 116. JR 1953 430; NJW 1961 361; jeweils zu § 518 Abs. 1 ZPO. JR 1960 381. JBlSaar 1964 116.

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gerichts 62 und der 5. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts 63 unter Abweichung von dem Rechtsstandpunkt des 2. und 3. Strafsenats desselben Gerichts in zwei nicht veröffentlichten Entscheidungen (RReg. 2 St 70/74 und RReg. 3 St 38/74) angeschlossen.64 Ihrem Standpunkt kann nicht gefolgt werden. Gemeinsame Briefannahmestellen dienen dem Einlieferer; sie sollen auch dazu beitragen, Irrtümern bei der Angabe der Anschrift abzuhelfen. Wegen dieses Zwecks kann nur eine Auslegung in Betracht gezogen werden, die der durchschnittliche Einlieferer versteht, die also einfach ist. Dem entspricht nur die Auslegung, dass die gemeinsame Annahmestelle unabhängig von der Anschrift für die Behörden annimmt, für die sie errichtet ist.65

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e) Postschließfach. Auf Sendungen, die in ein Postschließfach eingelegt werden, können die Grundsätze zum Briefkasten (Rn. 19) und zur Briefannahmestelle (Rn. 22) nicht angewandt werden. Denn Einlegen einer Sendung in ein Postschließfach bedeutet benutzungsrechtlich Bereithalten zur Abholung, nicht schon Auslieferung.66 Frist gebundene Schriftstücke, die am letzten Tag der Frist in ein Postschließfach des Gerichts eingelegt werden, sind mithin nur dann rechtzeitig zugegangen, wenn sie noch an diesem Tag abgeholt werden oder üblicherweise noch mit ihrer Abholung an diesem Tag zu rechnen war.67

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4. Telegramme. Schriftliche Erklärungen können auch durch Telegramm abgegeben werden,68 wenn auch andere moderne Kommunikationsformen das Telegramm weitgehend verdrängt haben. Dabei braucht das Aufgabetelegramm nicht einmal der Schriftform zu genügen.69 Der Schriftform ist dadurch genügt, dass der Beschwerdeführer die Post zur technischen Herstellung seiner schriftlichen Erklärung in Telegrammform veranlasst. Alsdann wird das am Ankunftsort angefertigte Telegramm als die vom Aussteller unter Benutzung der Einrichtungen und des Personals der Post errichtete und von der Post mit Ermächtigung des Ausstellers unterschriebene Urkunde angesehen,70 und zwar selbst dann, wenn das Ankunftstelegramm mit der Aufgabeerklärung nicht wörtlich, wohl aber der Sache nach übereinstimmt. Da keine Eigenhändigkeit des Aufgabetelegramms vorgeschrieben ist,71 ist es auch nicht erforderlich, dass die Ermächtigung zur Herstellung dieser Urkunde schriftlich gegeben wird; es genügt, wenn das Telegramm fernmündlich aufgegeben wird.72

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JR 1954 391. BayObLGSt 1974 141, 143. 64 Vgl. auch OLG Frankfurt NStZ-RR 2000 212; OLG Stuttgart 1987 185 mit abl. Anm. Maul. 65 Enger W. Schmid 118. 66 KK/Maul § 43, 17; Meyer-Goßner Vor § 42, 13; a.A. W. Schmid FS Dünnebier 114 ff: schon mit dem Einsortieren; AK/Lemke §§ 42/ 43, 26. 67 RGZ 142 408; BGH DB 1955 214; BVerwG NJW 1960 1587; zu eng insoweit LG Hamburg MDR 1981 422 mit krit. Anm. Karwacki MDR 1981 690: schlechthin verfassungswidrig. 68 BVerfGE 4 12 = NJW 1954 1235; 32 368 = 63

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NJW 1972 899; 72 228 = NJW 1987 2067; RGSt 9 39; 38 283; 57 280; 62 53; 63 246; BGHSt 8 175; 29 173, 179; 30 64, 69 = JR 1982 210 mit Anm. Wolter; 31 7 = NStZ 1983 36 mit Anm. W. Schmid; BGHZ 87 64 = NJW 1983 1498. Ebenso die Rechtsprechung in den anderen Gerichtszweigen, z.B. BVerwGE 1 103; 3 56; BSGE 1 245; 7 16; BAG JZ 1963 320; NJW 1984 199; BFHE 92 438 = NJW 1969 256 136 41; OVG Münster MDR 1970 1042. BGHSt 14 233, 239. RGSt 8 97; vgl. dazu auch BGHSt 31 8. Eb. Schmidt § 314, 10. BGHSt 8 174 mit weit. Angaben; ebenso schon RGZ 139 45; 151 82.

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Strittig ist, ob es für den rechtzeitigen Eingang auch genügt, wenn der Inhalt des 27 Ankunftstelegramms vom Postamt der Geschäftsstelle fernmündlich zugesprochen wird, während das Telegramm selbst erst nach Fristablauf bei Gericht eingeht. Ein Teil der Rechtsprechung und des Schrifttums 73 hat dies früher mit der Begründung verneint, dass die Frist nur durch eine der gesetzlich vorgeschriebenen Form genügende Erklärung gewahrt werden könne; es gehe deshalb nicht an, diese Regelung dadurch zu umgehen, dass eine fristgerechte mündliche Erklärung als ausreichend angesehen werde, die für die schriftliche Erklärung geltende Frist zu wahren. Der Bundesgerichtshof 74 sieht nunmehr in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der anderen Obergerichte die Frist auch dann als gewahrt an, wenn der Inhalt des Telegramms vom Postamt der Geschäftsstelle innerhalb der Frist zugesprochen wird, sofern dort eine zur Entgegennahme einer solchen Erklärung zuständige und bereite Person das Gespräch annimmt und darüber noch am Tag der Durchsage eine Aktennotiz fertigt,75 die den Inhalt des Telegramms wörtlich wiedergeben muss, weil nur so die Identität des durchgesprochenen Inhalts mit dem später einlaufenden Telegramm überprüft werden könne.76 Auch diese Ansicht ist noch zu eng. Das Bayerische Oberste Landesgericht will sie 28 dadurch erweitern, dass es dem Beamten, dem ein Telegramm mit Rechtsmitteleinlegung fernmündlich zugesprochen wird, für verpflichtet hält, die Aktennotiz anzufertigen. Es gewährt deshalb dem Antragsteller – ggf. ohne Antrag – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn der Beamte die Aufnahme einer amtlichen Notiz unterlässt.77 Stellt dieser Standpunkt schon einen erfreulichen Schritt in die richtige Richtung dar, so wird er gleichwohl dem Interesse des Bürgers auf einen umfassenden und dann auch modernen und erleichterten Rechtsschutz noch nicht gerecht. Zwar ist nicht zu verkennen, dass die fernmündliche Ermächtigung zur Errichtung der Urkunde nicht mit der fernmündlichen Mitteilung ihres Inhalts verglichen werden kann. Wenn aber ein Brief unbekannten Inhalts als eingegangen behandelt wird, falls nur der Empfänger die Verfügungsgewalt über ihn erlangt hat,78 so muss erst recht die Telegrammurkunde als eingegangen angesehen werden, wenn die empfangende Behörde den Inhalt kennt und durch die fernmündliche Annahme die Zustimmung zur Zustellung der Urkunde in der für Briefe vorgeschriebenen Form erteilt. Diese Ansicht findet ihre Bestätigung in der früheren Fassung von § 18 Abs. 1 Satz 2 und 3 der Telegrammordnung, wonach – bei Einverständnis des Empfängers – Telegramme auch durch Übermittlung über Fernsprech- oder Telexanschluss zugestellt werden können. Die empfangende Behörde nimmt die Urkunde damit auf dem Postamt in Empfang.

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BayObLGSt 1949/51 505 = JZ 1952 117 m. zust. Anm. Niethammer JZ 1953 265 = JR 1954 353 m. Anm. Herlan; OLG Hamm NJW 1952 276; JMBlNRW 1953 108; 1954 262; LG Stuttgart NJW 1958 2028; Seibert DRiZ 1952 8; Rötelmann Rpfleger 1953 32. BGHSt 14 233 = LM § 314 StPO, 1 m. Anm. Geier; 30 64, 69; ebenso OLG Neustadt ZfZ 1963 20. Hanack JZ 1973 693; KK/Maul § 43, 18; KMR/Paulus 18; ebenso BGH NJW 1953 179 m. Anm. Schöpke für eine nur schriftlich eingelegte Rechtsbeschwerde in Landwirt-

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schaftssachen; OLG Braunschweig HESt 3 7; OLG Köln JMBlNRW 1952 87; OLG Neustadt NJW 1952 271; OLG Tübingen MDR 1954 109; OLG Schleswig SchlHA 1974 184; LG Tübingen MDR 1957 567: Unwirksamkeit einer Durchsage, wenn sie nicht in einer Niederschrift festgehalten wird. So auch KK/Ruß § 314, 12 und KMR/Paulus 19. BayObLGSt 1976 82 = VRS 51 (1976) 436 = MDR 1977 68; ebenso OLG Zweibrücken VRS 61 (1971) 439. RGSt 44 351.

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5. Fernschreiben. Die für Telegramme entwickelten Grundsätze gelten auch für Fernschreiben.79 Wird eine Erklärung fernschriftlich mitgeteilt, dann ist sie in dem Zeitpunkt schriftlich eingelegt, in dem ihr Text der Fernschreibstelle des Gerichts vorliegt.80 Die Fernschreibstelle dient insoweit als Briefannahmestelle (Rn. 22).81 Wird das Fernschreiben dagegen von einer Stelle außerhalb des Gerichts angenommen – etwa von einer Polizeistation – und muss sein Text dem Gericht übermittelt werden, dann gelten dieselben Grundsätze wie beim Telegramm.82 Fernschreiben haben als Übermittlungsform angesichts neuer Kommunikationsformen wie das Telefax und der elektronischer Rechtsverkehr kaum noch praktische Bedeutung.

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6. Es bestehen auch keine Bedenken, diese Grundsätze auf Telebriefe anzuwenden. Dabei handelt es sich um gewöhnliche Briefsendungen, die auf einem Teil des Postweges durch Fernkopierer übermittelt und anschließend von der Post im verschlossenen Umschlag durch Boten oder auf postalischem Weg als Fernkopie zugestellt werden.83 Das ist einhellige Meinung, soweit nur die Post an diesem Verfahren beteiligt ist,84 muss aber auch anerkannt werden, wenn das Verfahren über private Zwischenempfänger abgewickelt wird.85 Der Telebrief genügt grundsätzlich der Schriftform, da das Empfangsgerät die Urschrift vollständig reproduziert. Soweit für die Formwahrung – wie bei Rechtsmitteln – die Wiedergabe der eigenhändigen Unterschrift erforderlich ist, muss diese mithin auf der Urschrift geleistet sein. Der Rechtsmittelführer muss das, was für ihn technisch möglich ist, leisten, um den gesetzlichen Erfordernissen zu entsprechen.86

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7. Telefax. Ebenso wie durch Fernschreiben oder Telebrief kann der Absender Schriftsätze auch durch die Verwendung des Übertragungssystems des Fernkopierens einer Vorlage über das öffentliche Telefonnetz direkt und originalgetreu an die empfangende Behörde, Staatsanwaltschaft oder Gericht, (Telefaxdienst) mitteilen.87 Für die Beurteilung

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BayObLGSt 1967 60 = NJW 1967 1816. BVerfGE 41 323 = NJW 1976 747; BGHSt 1 9; NStZ 1983 36 mit Anm. W. Schmid; BGHZ 79 318 = NJW 1981 1618; BayObLG NJW 1981 2591, OLG Hamm NJW 1961 2285; OLG Stuttgart Justiz 1982 42; OLG Koblenz VRS 67 (1984) 253. OLG Zweibrücken MDR 1990 1036. Rn. 26; BayOBLSt 1967 61 = NJW 1967 1816; KK/Maul § 43, 21; KMR/Paulus 19. Chr. Wolf NJW 1989 2592; Meyer-Goßner Einl. 139. BGHZ 79 314 = NJW 1981 1619; 87 63 = NJW 1983 1498; BVerwGE 77 38 = NJW 1987 2098; BAG 43 46 = NJW 1984 199; 1987 341; BSG MDR 1985 1053; BFHE 136 38 = NJW 1982 2520; 138 403 = NJW 1983 2464; VGH BaWü Justiz 1986 148; OLG Karlsruhe NJW 1986 2773; OLG Koblenz NStZ 1984 236; OLG Düsseldorf NJW 1995 2177; Buckenberger DB 1980 291; 1982 634; NJW 1983 1475; W. Schmid NStZ 1983 38; KK/Ruß § 314, 13; Meyer-Goßner Einl. 139. VGH München BB 1977 568; Buckenberger

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NJW 1983 1475; Chr. Wolf NJW 1989 2593; SK/Frisch Vor § 296, 227; offen gelassen E. Wolf AnwBl. 1986 129; a.A. BGH NJW 1981 1619; BAG NJW 1989 1823; Wolter JR 1982 213 und wohl auch KMR/Paulus 21. BGH NJW 1986 1778; 1989 1823; BVerwG NJW 1987 341; OLG Hamburg NJW 1989 3167 = MDR 1990 77. BVerfGE 74 228, 235 = NJW 1987 2067; BGHSt 31 7; BGH NJW 1989 584, 589; 1990 187, 990, 1002; 1992 244; MDR 1990 226; 1991 1193; NStZ 1994 200; BGHZ 111 339; BGH FamRZ 1991 113; BVerwG NJW 1991 1193; BAG NJW 1987 342, 1989 1823; BayVerwGH NJW 1993 1125; OLG Hamburg NStZ 1989 587 = MDR 1990 77; OLG Koblenz NJW 1990 002; OLG Düsseldorf NJW 1995 671, 2177; Chr. Wolf NJW 1989 2592 mit weit. Hinw. auf die obergerichtliche Rechtsprechung. Bedenken erhebt Melullis MDR 1994 109 ff. wegen nicht auszuschließender Manipulationsmöglichkeiten namentlich hinsichtlich der materiellrechtlichen und prozessualen Urkundenqualität.

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der Rechtzeitigkeit des Eingangs eines per Telefax übersandten Schriftsatzes kommt es jedoch allein darauf an, ob die gesendeten Signale noch vor Ablauf des letzten Tages der Frist vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig gespeichert worden sind. Auf den Zeitpunkt des Ausdrucks der Sendung durch ein Telefaxgerät des Gerichts kommt es hingegen nicht an.87a Ergänzend ist zu bemerken: Die fristgerechte Absendung einer Rechtsmittelerklärung durch Telefax ist durch das „Sendeprotokoll“ belegt, wenn das Übertragungsprotokoll, das Auskunft über den tatsächlichen Eingang geben kann, nicht beigebracht werden kann. Zweifel an der Versäumung der Einlegefrist wirken sich zugunsten des Beschwerdeführers aus.88 Allerdings belegt ein bloßer „OK“-Vermerk im Sendebericht nicht schon den ordnungsgemäßen Empfang des Telefaxschreibens und ist daher auch nicht geeignet, die fristgemäße Einlegung des Rechtsmittels zu beweisen.89 Denn durch den Sendebericht wird nur die Herstellung der Verbindung zwischen Sende- und Empfangsgerät angezeigt. Soweit es um Fragen der Wiedereinsetzung wegen verspäteten Eingangs oder des Zugangs an eine falsche Empfangsbehörde geht, gelten keine Besonderheiten.90 Die in den Rn. 26 bis 31 dargelegte Ausdehnung schriftlicher prozessrechtlicher 32 Erklärungen durch Gebrauchmachen erleichterter und schnellerer Kommunikation von fernmeldetechnischen Übertragungsmöglichkeiten findet ihre Rechtfertigung in dem Bestreben, dem Rechtsuchenden zur Wahrung seiner Rechte die volle Ausnutzung der Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen auch unter Zuhilfenahme der modernen Nachrichtenübermittlungstechnik zu ermöglichen. Aus dieser Zweckbestimmung folgt aber auch, dass ihre Grundsätze auf diesen prozessrechtlichen Zweck beschränkt bleiben müssen, ihre Anwendung auf Vorschriften im materiellen Recht mithin ausgeschlossen ist, soweit diese aus Schutzgründen die Schriftform vorschreiben.91 8. Elektronischer Rechtsverkehr. Mit der Einführung des elektronischen Rechts- 33 verkehrs im Strafverfahren durch § 41a können an das Gericht oder die Staatsanwaltschaft gerichtete Erklärungen, Anträge oder deren Begründung, die nach den Vorschriften der Strafprozessordnung ausdrücklich schriftlich abzufassen und zu unterzeichnen sind, als elektronisches Dokument eingereicht werden, wenn dieses mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (§ 41a, 6 f.) versehen und für die Bearbeitung durch das Gericht oder die Staatsanwaltschaft geeignet ist (§ 41a, 9, 11). Nach § 41a Abs. 1 Satz 3 ist ein elektronisches Dokument eingegangen, sobald die für den Empfang bestimmte Einrichtung des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft es aufgezeichnet hat. Die Aufzeichnung erfolgt auf einem maschinenlesbaren Datenträger (§ 41a, 10). Technische Mängel oder Störungen bei Gericht oder der Staatsanwaltschaft hat der Absender nicht zu vertreten, denn sie sind für ihn nicht vorhersehbar und auch nicht beeinflussbar (§ 41a, 10, 13; § 45, 14). 9. Fristversäumnis. Die Wirkung der Fristversäumung ist verschieden und in jedem 34 Fall besonders zu prüfen: Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist macht ein statthaftes Rechtsmittel unzulässig. Dabei spielt es auch keine Rolle, dass die Säumnis durch ein Verschulden der empfangenden Behörde (falsche Rechtsmittelbelehrung, säumige Behandlung eines bei einer falschen Stelle eingegangenen Schreibens, das bei richtiger Behandlung noch fristgemäß an die zuständige Stelle gelangt wäre) eingetreten ist. Solche 87a 88 89 90

BGH NJW 2006 2263. BGH StV 1995 454. OLG Düsseldorf NJW 1995 2303 = VRS 89 (1995) 214. S. Rn. 29; Beispiele BGH NJW 1989 589;

91

1992 244; BSG MDR 1993 904; OLG Zweibrücken MDR 1990 1036; OLG Karlsruhe NStZ 1994 200. BGH – Z – JR 1993 318.

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Umstände begründen indessen in der Regel die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist ohne jede Bedeutung für die Berufung, begrenzt aber das Recht, Beschlüsse anzufechten, durch die eine Richterablehnung zurückgewiesen worden ist.92 Kann nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer tatsächlich eine Frist versäumt hat, muss fristgemäßer Eingang angenommen werden.93

III. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 35

Der fünfte Abschnitt betrifft nur die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist. Die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung einer Hauptverhandlung ist geregelt in §§ 235, 315, 329 Abs. 3, §§ 342, 391 Abs. 4, § 412 Satz 1 i.V.m. § 329 Abs. 3. Die Wiedereinsetzung gehört nicht zu den Rechtsmitteln der Strafprozessordnung, die §§ 296 bis 298 können nicht ohne weiteres sinngemäß auf sie angewendet werden; auch eine dem § 365 entsprechende Vorschrift ist für sie nicht gegeben.94 Die Wiedereinsetzung ist vielmehr der außerordentliche Rechtsbehelf, den das Gesetz mit der Macht ausstattet, das Verfahren in einen Abschnitt vor der Versäumung der Frist zurückzuversetzen und dabei Entscheidungen, die inzwischen auf Grund der Säumnis ergangen sind, und deren Rechtskraft zu beseitigen.95 Der mit der Behauptung einer unverschuldeten Versäumnis eintretende Zustand der Ungewissheit muss rasch beseitigt werden. Dazu stellt das Gesetz ein summarisches Verfahren zur Verfügung, das auch den Säumigen zu raschem und umfassendem Handeln zwingt. Durch Art. 1 Nr. 9 des 1. StVRG ist die Wiedereinsetzung in einem weiteren Punkt 36 erweitert worden: Sie kann seither auch, insoweit den Regelungen in § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO, § 56 Abs. 2 Satz 4 FGO, § 67 Abs. 2 Satz 4 SGG und § 26 Abs. 3 Satz 4 EGGVG entsprechend, von Amts wegen gewährt werden (§ 45 Abs. 2 Satz 2).

IV. Kritik 37

Moderne Kommunikationsformen haben die von Betroffenen, Verteidigern und Rechtsanwälten zu beachtenden Sorgfaltspflichten bei der Kommunikation mit den Gerichten und der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren stetig erhöht. Die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten werden künftig nicht überspannt werden dürfen, denn ansonsten besteht die Gefahr, dass der Zugang zu Gericht sowie die Gewährung rechtlichen Gehörs und effektiven Rechtsschutzes für Verfahrensbeteiligte, die eine Frist versäumt haben, in nicht mehr hinnehmbarer Weise erschwert werden.96 Um jedermann hinreichend Rechtsschutz zu gewähren, wird es darauf ankommen, im Strafverfahren die Vielfalt der Kommunikationsformen zu erhalten.

92 93

BayObLGSt 1956 248 = NJW 1957 599, § 28, 32. BGHSt 11 395; BGH NJW 1960 2202; OLG Düsseldorf – 2. StS – MDR 1969 1031; OLG Hamburg NJW 1974 68; OLG Celle NdsRpfl. 1985 72; KK/Maul § 43, 20; a.A. KG JR 1954 470 mit abl. Anm. Sarstedt; OLG Düsseldorf – 1. StS – NJW 1964 1684.

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RGSt 22 31; RGJW 1891 377; Wendisch JR 1981 132. 95 RGSt 53 289; 54 287; ähnlich BGHSt 25 89, 91; KMR/Paulus 23. 96 Graalmann-Scheerer FS Nehm 221, 232.

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§ 42 Bei der Berechnung einer Frist, die nach Tagen bestimmt ist, wird der Tag nicht mitgerechnet, auf den der Zeitpunkt oder das Ereignis fällt, nach dem der Anfang der Frist sich richten soll. 1. Nach Tagen bestimmte Fristen. Die Vorschrift bezieht sich auf sämtliche Fristen 1 (wegen des Begriffs s. Vor § 42, 1), gesetzliche wie richterliche, Handlungsfristen für die Beteiligung wie amtliche Fristen für den Richter. Sie besagt, dass eine nach Tagen bestimmte Frist mit Beginn (0 Uhr) des Tages zu laufen anfängt, der dem Tag folgt, an dem das Ereignis stattgefunden hat, das den Fristbeginn auslöst. Beginnt eine Frist von drei Tagen am 1., so endet sie am 4., 24 Uhr, nicht schon mit dem Ende der Dienstzeit.1 Bei richterlichen Fristen schließt die Bestimmung des Richters die Regel des § 42 aus, 2 wenn der Richter nicht nur eine Frist (etwa von drei Tagen) setzt, sondern zugleich ihren Anfang oder ihr Ende regelt. Daher endet eine Frist von drei Tagen am 3., 24 Uhr, wenn der Richter verfügt, dass sie am 1. beginnt. 2. Fristende. § 43 Abs. 2 bestimmt, dass Wochen- oder Monatsfristen, deren Ablauf 3 auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend fällt, mit Ablauf des nächstfolgenden Werktages enden. Der Regelung liegt die Erwägung zugrunde, dass der von der Fristbestimmung Betroffene an Sonnabenden sowie an Sonn- und Feiertagen keine Beratungsmöglichkeit und wegen der geschlossenen Behörden keine Protokollmöglichkeiten vorfindet. Dieser Gedanke gilt allgemein; § 43 Abs. 2 findet daher trotz seiner Stellung im Gesetz grundsätzlich auch auf die Fristen des § 42 Anwendung.2 Das gilt ausnahmslos für Handlungsfristen der Beteiligten, seien sie gesetzliche, seien sie richterliche. Dagegen schließt der Wortlaut „nach Tagen bestimmt“ es aus, § 43 Abs. 2 auf 4 richterliche Fristen anzuwenden, wenn sie der Richter nach dem Datum bestimmt und als solches – was, wenn tunlich, zu vermeiden ist – einen Sonnabend, einen Sonntag oder einen allgemeinen Feiertag festgesetzt hat. Das Bayerische Oberste Landesgericht schiebt den Wortlaut unter Hinweis auf § 193 BGB beiseite.3 Indessen wäre eine Änderung allein Sache des Gesetzgebers, wenn er sie, was zweifelhaft ist, wollte. Zu der Willkür, ihm vorzugreifen, besteht um so weniger Anlass, weil der Richter durchaus Grund haben kann, mit Rücksicht auf weitere Fristen oder eine gebotene Beschleunigung dem Beteiligten anzusinnen, ein Schriftstück so einzuwerfen, dass es ihm am Montag früh vorliegt. Hat der Richter für eine kurze Frist ein „ungeeignetes“ Datum festgesetzt, wird in der Regel § 44 Platz greifen. Für Fristen, die dem Richter gesetzt sind (Zwischenfristen), findet der Grundsatz 5 jedoch keine Anwendung, wenn nach deren Sinn und Zweck die Frist eine äußerste ist. Das ist der Fall bei den Vernehmungsfristen in Haftsachen (§ 115 Abs. 2, § 115a Abs. 1 und 2, § 128 Abs. 1, § 129, § 135 – dieser gilt nach § 163a Abs. 3 entsprechend, wenn der Beschuldigte auf Grund eines Vorführungsbefehls des Staatsanwalts diesem zur Vernehmung vorgeführt worden ist; Art. 104 Abs. 2 GG), bei den Bestätigungsfristen für die 1 2

BVerfGE 41 323, 327 f. = NJW 1976 747; 42 128 = NJW 1976 1255. RGSt 62 141; BayObLG MDR 1970 678). Wegen der Anwendbarkeit von § 43 Abs. 2 auf die Fristen zur Urteilsabsetzung nach

3

§ 275 vgl. BGH bei Holtz MDR 1980 815 sowie LR/Gollwitzer 25 § 275, 13. BayObLGSt 1971 55 = JR 1972 mit im wesentl. zust. Anm. Meyer; KMR/Paulus 1; KK/Maul § 43, 22; Meyer-Goßner § 43, 2.

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Beschlagnahme (§ 100 Abs. 2) und die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation (§ 100b Abs. 1 Satz 3), die Auskunftserteilung von Telekommunikationsverbindungen (§ 100h Abs. 1 Satz 3) und Maßnahmen bei Mobilfunkendgeräten (§ 100i Abs. 4 Satz 1), ferner bei der Dauer der Unterbrechung einer Hauptverhandlung (§ 229 Abs. 1 und 2) 4 und der Frist zur Urteilsverkündung (§ 268 Abs. 3 Satz 2).

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3. Stundenfristen. Im Gegensatz zur Zivilprozessordnung (§ 222 Abs. 3), dem Verwaltungsverfahrensgesetz (§ 31 Abs. 6) und der Abgabenordnung (§ 108 Abs. 6) enthält die Strafprozessordnung keine ausdrückliche Regelung für Fristen, die nach Stunden bestimmt sind. Zwar schreibt § 418 Abs. 2 Satz 3 vor, dass im beschleunigten Verfahren die Ladungsfrist 24 Stunden betrage; jedoch bringt das Gesetz damit nur zum Ausdruck, diese Frist ist keine Tagesfrist mit der Folge, dass der allgemeine Gedanke des § 43 Abs. 2 (vgl. Rn. 3 a.E.) für diese Stundenfrist nicht gilt.5 Nach ihrem Wortlaut und Sinn ist sie vielmehr – abweichend von der sonstigen Regelung – dahin auszulegen, dass der Zustellungstag bei der Berechnung mitzählt. Es braucht also zwischen der Zustellung der Ladung und dem Verhandlungsbeginn ein Zeitraum von nur 24 Stunden zu liegen.

§ 43 (1) Eine Frist, die nach Wochen oder Monaten bestimmt ist, endet mit Ablauf des Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, der durch seine Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat; fehlt dieser Tag in dem letzten Monat, so endet die Frist mit dem Ablauf des letzten Tages dieses Monats. (2) Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages.

Entstehungsgeschichte. Durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes über den Fristablauf am Sonnabend vom 10.8.1965 (BGBl. I 753) sind in den bisherigen Text des Absatzes 2 die Worte „oder einem Sonnabend“ eingefügt worden.1

Übersicht Rn. 1. Begriff der Frist . . . . . . . . . . . . . . 2. Fristberechnung . . . . . . . . . . . . . . 3. Wochenenden und Feiertage (Absatz 2) . .

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1 2 7

Rn. 4. Allgemeine Feiertage . . . . . . . . . . . 5. Besondere Fristen . . . . . . . . . . . . .

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1. Wegen des Begriffs der Frist s. Vor § 42, 1 ff. Die Vorschrift findet auch auf richterliche Fristen Anwendung, soweit sie als Wochen- oder Monatsfristen gesetzt sind.

4 5 1

RGSt 57 266. KK/Maul § 43, 3; Meyer-Goßner 2. Den gleichen Wortlaut wie Absatz 2 haben § 77b Abs. 1 Satz 2 StGB, § 222 Abs. 2 ZPO, § 17 Abs. 2 FGG, § 108 Abs. 3 AO, § 31

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Abs. 3 Satz 1 VwVfG; § 26 Abs. 3 Satz 1 SGB X-VwVf; inhaltlich entsprechen ihm § 193 BGB, Art. 72 WG, Art. 55 Abs. 2 ScheckG, § 115 Abs. 2 Satz 2 FlurBG, § 64 Abs. 3 SGG, aber auch § 229 Abs. 4 Satz 2 StPO.

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§ 43

2. Fristberechnung. § 43 Abs. 1 drückt durch das Festlegen des Endes einer Frist dasselbe aus, was § 42 durch die Regelung des Fristbeginns erreicht: Der Anfangstag wird nicht mitgezählt. Beginnt eine Siebentagefrist am 1., einem Dienstag, so endet sie nach § 42 am 8., 24 Uhr, der wiederum ein Dienstag ist, genau so wie eine am Dienstag, einem 1., beginnende Wochenfrist nach § 43 Abs. 1 am folgenden Dienstag, im Beispielsfall dem 8., 24 Uhr, endet.2 Selbstverständlich gilt § 43 Abs. 1 auch für Fristen von nur einer Woche oder nur einem Monat. Die Berechnung nach der entsprechenden Benennung bedarf kaum der Erläuterung, doch ist zu bemerken, dass § 43 Abs. 2 auf den Fristbeginn nicht entsprechend anwendbar ist. Eine am Gründonnerstag beginnende Wochenfrist endet, obwohl ein Feiertag, ein Sonnabend, ein Sonntag und ein weiterer Feiertag folgen, am Donnerstag nach Ostern. Nach dem letzten Halbsatz des Absatzes 1 endet eine Monatsfrist, die am 31. August beginnt, am 30. September, eine am 31. Januar beginnende Frist am 28. Februar, in Schaltjahren am 29. Februar. Stoßen zwei Fristen derart aneinander, dass die zweite ohne ein neues Ereignis sich unmittelbar an die erste anschließt (§ 345 Abs. 1 Satz 1), also alsbald nach Mitternacht beginnt, so ist der Tag des Beginns der zweiten Frist – entgegen § 188 Abs. 2 BGB – nicht mitzuzählen.3

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3. Wochenenden und Feiertage (Absatz 2) schieben das Fristende bis zum Ablauf des 6 nächsten Werktags hinaus. Für die Berechnung von Fristen muss Sicherheit und dazu Eindeutigkeit bestehen. Absatz 2 ist daher weder auf staatlich geschützte Feiertage, die aber keine allgemeinen Feiertage sind (Mariä Empfängnis in Bayern), anzuwenden,4 noch auf Tage vor Feiertagen, an denen der Betrieb in Behörden und Anwaltskanzleien ruht, wie etwa am 24. oder 31. Dezember, oder an denen sonst nach regionalem Brauch nicht gearbeitet wird, wie am Rosenmontag im Rheinland. Warum das Ende der Frist auf einen der in Absatz 2 genannten Tage fällt, ist gleich- 7 gültig. Die Bestimmung findet daher auch dann Anwendung, wenn der nächste Werktag, an dem die Frist erst zufolge der Regel des Absatzes 2 endet, ein Sonnabend ist, etwa der nach Karfreitag. Alsdann ist § 43 Abs. 2 zweimal anzuwenden, so dass die Frist, da Ostermontag ein Feiertag ist, am Dienstag endet. 4. Allgemeine Feiertage. Die allgemeinen Feiertage sind gesetzlich abschließend fest- 8 gelegt.5 Danach sind in allen Ländern anerkannt: Neujahr, Karfreitag, Ostermontag, 2

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4 5

BVerfGE 41 323, 327 f = NJW 1976 747; OLG Frankfurt NJW 1974 1959; MeyerGoßner 1. BGHSt 36 241; OLG Köln NStZ 1987 243; Meyer-Goßner 1; a.A. BayObLG NJW 1968 904; Schulze JR 1996 51; SK/Weßlau 29. BayObLGSt 1957 131. Bundesrepublik: Art. 2 Abs. 2 EinigungsV. Baden-Württemberg: G i.d.F. der Bek. v. 8.5.1995 (GBl. 450). Bayern: Feiertagsgesetz v. 21.5.1980 (BayRS 1131-3-J), geändert durch G v. 27.12.1991 (GVBl. 491) und G v. 20.12.1994 (GVBl. 1049). Berlin: G v. 28.10.1954 (GVBl. 615), geänd. durch G v. 17.7.1969 (GVBl. 1030) und v. 2.12.1994

(GVBl. 491). Brandenburg: Feiertagsgesetz v. 21.3.1991 (GVBl. 44), geänd. durch G v. 19.12.1994 (GVBl. 514). Bremen: G v. 12.11.1954 (SaBremR 113-c-1), geänd. durch G v. 8.9.1970 (GBl. s. 94), v. 1.3.1976 (GBl. 85), v. 13.10.1992 (GBl. 607), v. 23.3.1993 (GBl. 115) und v. 29.11.1994 (GBl. 307). Hamburg: G v. 16.10.1953 (HambSLR 113-a), geänd. durch G v. 2.3.1970 (GVBl. 90), v. 19.3.1991 (GVBl. 82) und v. 20.12.1994 (GVBl. 441). Hessen: G i.d.F. der Bek. v. 29.12.1971 (GVBl. I 343), geänd. durch G v. 15.5.1974 (GVBl. I 241) und v. 11.10. 1994 (GBl. I 596). Mecklenburg-Vorpommern: Feiertagsgesetz v. 18.6.1992 (GVOBl.

Kirsten Graalmann-Scheerer

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§ 44

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

1. Mai, Christi Himmelfahrt, Pfingstmontag, 3. Oktober (Tag der Deutschen Einheit), erster und zweiter Weihnachtstag. Der Buß- und Bettag ist nur in wenigen Ländern allgemeiner Feiertag. Nur in einigen Ländern oder Landesteilen sind weiter anerkannte Feiertage: Dreikönigstag, Fronleichnam, Mariä Himmelfahrt, Reformationstag, Allerheiligen. Der 8. August ist nur im Stadtkreis Augsburg Feiertag. 5. Besondere Fristen. Im Fall des § 172 Abs. 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 6 beginnen die Fristen trotz des Wortlauts mit der Bekanntmachung. Für die erste Frist ist § 43 entsprechend anzuwenden, für die letzte Frist (Antrag auf gerichtliche Entscheidung) unmittelbar, weil die Frist notwendigerweise bei Gericht wahrzunehmen ist. Die Frist für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen einen am 5. Dezember zugestellten Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft endet also am 5. Januar; wenn dieser aber ein Sonnabend, ein Sonntag oder ein allgemeiner Feiertag ist, mit Ablauf des nächsten Werktags. Die Verjährungsfrist unterfällt nicht § 43, namentlich nicht dessen Absatz 2; § 78a 10 Abs. 1 StGB ist abschließend. Eine abschließende Regelung enthält auch § 77b Abs. 1 und 2 StGB für die Strafantragsfrist. Sie beginnt mit dem Ablauf des Tages, an dem der zum Antrag Berechtigte von der Tat und der Person des Täters Kenntnis erlangt hat. Dieser Tag ist, da auf seinen „Ablauf“ abgestellt wird, entgegen der früheren Rechtsprechung 7 nicht in die Frist einzurechnen. Für das Ende der Frist enthält § 77b Abs. 1 Satz 2 StGB eine Regelung, die wörtlich mit Absatz 2 übereinstimmt.

9

§ 44 1War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. 2Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den §§ 35a, 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.

Schrifttum. Berndt Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Verteidigerverschulden: zugleich eine rechtstatsächliche Untersuchung zur Versäumung von Revisionsfristen (1999); Bischoff Die Wiedereinsetzung bei Versäumung der Beschwerdefrist des § 172 I StPO, NJW 1986 2097; 342), geänd. durch Art. 8g vom 4.3.1994 (GVOBl. 564) und G v. 20.12.1994 (GVOBl. 1055). Niedersachsen: G v. 7.3.1995 (GVBl. 50). Nordrhein-Westfalen: G i.d.F. der Bek. v. 23.4.1989 (GV NW 222), geänd. durch G. v. 17.41991 (GV NW 200) und v. 20.12. 1994 (GV NW 1114). Rheinland-Pfalz: G v. 15.7.1970 (GVBl. 223), geänd. durch G v. 5.10.1990 (GVBl. 289), v. 8.6.1993 (GVBl. 314) und v. 20.12.1994 (GVBl. 474). Saarland: G v. 18.2.1976 (Amtsbl. 213), geänd. durch G v. 8.4.1992 (Amtsbl. 510), v. 26.1.1994 (Amtsbl. 509) und v. 14.12.1994 (Amtsbl. 1995 18). Sachsen: G v. 10.11.1992 (GVBl. 536) und VO v. 4.5.1993 GVBl. 417), geänd. durch VO v. 30.5.1995 (GVBl. 160).

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6

7

Sachsen-Anhalt: G v. 22.5.1992 (GVBl. 356) geänd. durch G v. 6.7.1994 (GVBl. 802) und v. 16.12.1994 (GVBl. 1044). SchleswigHolstein: G i.d.F. v. 30.6.1969 (GVOBl. 112), geänd. durch G v. 25.2.1971 (GVOBl. 66), v. 9.12.1974 (GVOBl. 453), v. 30.10.1981 (GVOBl. 239) v. 16.2.1993 (GVOBl. 62), Art. 23 LandesVO v. 30.11.1994 (GVOBl. 527 und G v. 8.12.1994 (GVBl. 536). Thüringen: Thüringer Feiertagsgesetz (ThürFtG) v. 21.12.1994 (GVBl. 1221). Wegen der Zustellung vgl. OLG Hamm JMBlNRW 1963 109; LR/GraalmannScheerer 25 § 172, 108, 127. RGSt 71 359.

Kirsten Graalmann-Scheerer

Fünfter Abschnitt. Fristen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

§ 44

Böhm Die Wiedereinsetzung von Strafurteilen und die Anfechtung der Urteile mit Rechtsmitteln, JR 1925 664; Born Die Rechtsprechung des BGH zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, NJW 2005 2042 (zu § 233 ZPO); Dahs Die Wiedereinsetzung im Strafprozeß in der Krise, AnwBl. 1973 331; Deubner Die Wiedereinsetzung im Strafverfahren, JuS 1968 125; Dittmar Das Verschulden des Angeklagten und des Verteidigers bei der Wiedereinsetzung im Strafprozeß, MDR 1975 270; ders. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Terminsversäumnis des nicht wirksam geladenen Angeklagten, NJW 1982 209; Doller Wiedereinsetzungsquerelen, DRiZ 1975 342; Ebnet Rechtsprobleme bei der Verwendung von Telefax, NJW 1992 2985; Fünfsinn die Auslegung des Begriffs „ohne Verschulden“ bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, NStZ 1985 486; Goerlich Wiedereinsetzung und erster Zugang zu Gericht, NJW 1976 1526; Graalmann-Scheerer Moderne Kommunikationsformen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Strafverfahren, FS Nehm 221; Heiner Offene Fragen im Wiedereinsetzungsrecht des Strafprozesses (1981); Heiß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Verschulden von Behördenbediensteten, BayVerwBl. 1984 646; Henne Zur Wiedereinsetzung in Finanzsachen, Betrieb 1986 301; Hilger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei „mangelhafter“ Verfahrensrüge durch den Verteidiger? NStZ 1983 152; Kalthoener Probleme aus dem strafprozessualen Recht der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (1957); Kaiser Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beim Nachschieben von Verfahrensrügen, NJW 1975 338; Kohlhaas Keine Wiedereinsetzung in Strafsachen bei Nichteinhaltung der eigentlichen Revisionsbegründungsfrist nach Erhebung der allgemeinen Sachrüge, NJW 1955 742; ders. Wiedereinsetzung für Privat- und Nebenkläger bei Verschulden des Anwalts, NJW 1967 191; Lintz Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ohne Antrag, JR 1987 94; Mertens Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und § 338 Nr. 7 StPO, NJW 1979 1698; G. Müller Typische Fehler bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, NJW 1993 681 (zu § 233 ZPO); Mürbe Fahrverbot und Wiedereinsetzung, JR 1989 1; Pahlmann § 338 Nr. 7 StPO – ein absoluter Revisionsgrund, NJW 1979 98; Pentz Wiedereinsetzung im Rahmen von § 346 StPO, NJW 1962 1236; von Pentz Die Rechtsprechung des BGH zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, NJW 2003 858 (zu § 233 ZPO); Renke Die Versäumung von Rechtsmittelfristen durch den Nebenkläger und Wiedereinsetzung nach der Neufassung von § 44 StPO, MDR 1975 904; M. J. Schmid Wiedereinsetzung nach § 44 StPO bei Verschulden eines Dritten, der nicht Rechtsanwalt ist, NJW 1976 941; H.-W. Schmidt Verschulden des Vertreters des Privat-Nebenklägers und des Antragstellers nach § 172 Abs. 2, 3 StPO als unabwendbarer Zufall? MDR 1963 638; Schrader Wiedereinsetzung und Rechtsmittelbelehrung (§§ 35a, 45 StPO), NStZ 1987 447; Schwachheim Abschied vom Telefax? NJW 1999 621; Sieg Zur Verjährung bei Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand, NJW 1975 153; ders. Zur Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bei Versäumung einzelner Revisionsrügen – ein Beispiel, MDR 1979 813; Stein § 338 Nr. 7 StPO und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, NJW 1980 1086; Strauss Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, GerS 108 (1936) 41; Waldner Wiedereinsetzung im Verfassungsbeschwerdeverfahren, ZRP 1986 32; Warda Um die Rechtsmittelbelehrung im Strafprozeß, MDR 1957 717; Wirges Neue Rechtsprechung zum anwaltlichen Organisationsverschulden in Fristsachen, MDR 1998 1459 (zu § 233 ZPO); Zuck Die Wiedereinsetzung im Verfassungsbeschwerdeverfahren, ZRP 1985 299.

Entstehungsgeschichte. Der letzte Halbsatz ist angefügt durch Art. 4 Nr. 8 des 3. StRÄndG als Folge der Einfügung von § 35a (Begr. BTDrucks. 1 3713, S. 46). Durch Art. 1 Nr. 8 des 1. StVRG ist die Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich erweitert und sprachlich neu gefasst worden. In Satz 1 sind die Worte „durch Naturereignisse oder andere unabwendbare Zufälle“ durch „ohne Verschulden“, in Satz 2 die Worte „als unabwendbarer Zufall ist es“ durch „die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet“ ersetzt worden. Als Folge dieser Änderung ist der „vermutete Zufall“ bei unverschuldet fehlgegangener Zustellung – anders als bei unterbliebener Rechtsmittelbelehrung – entfallen. Dieser Fall unterliegt nunmehr der allgemeinen Wiedereinsetzungsregelung.

Kirsten Graalmann-Scheerer

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§ 44

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

Übersicht Rn. I. Wiedereinsetzungsanspruch 1. Inhalt und Zweck . . . . . . . . . . 2. Versäumung . . . . . . . . . . . . . 3. Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strafantrag und Beschwerde im Klageerzwingungsverfahren . . . . . . . . 5. Nachholung von Verfahrensrügen . . 6. Anspruchsberechtigte . . . . . . . . II. Ohne Verschulden 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . a) Verhindern . . . . . . . . . . b) Verschulden . . . . . . . . . 2. Persönliche Verhältnisse . . . . . 3. Fehlgegangene Zustellung . . . . 4. Unwirksame Zustellung . . . . . 5. Öffentliche Zustellung . . . . . . 6. Zustellung an Zustellungsbevollmächtigten . . . . . . . . . . . 7. Post und Beförderung . . . . . . 8. Behörden . . . . . . . . . . . .

. . . . . . .

1 6 7 11 13 17

. . . . . . .

18 19 21 22 27 32 33

. . . . . .

35 36 39

Rn. 9. Vollzugsanstalten . . . . . . . . . . 10. Verteidiger a) Historische Entwicklung . . . . . b) Rechtsprechung . . . . . . . . . c) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . d) Durchschnittliche Rechtskenntnisse e) Mängel der Büroorganisation . . f) Moderne Kommunikationsmittel . 11. Anwalt als Vertreter a) Herrschende Ansicht . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . 12. Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . .

56 59 62 63

III. Vermutung der unverschuldeten Versäumung (Satz 2) 1. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterbliebene Rechtsmittelbelehrung 3. Unvollständige Rechtsmittelbelehrung 4. Qualifizierte Belehrung . . . . . . .

64 65 67 69

IV. Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

Alphabetische Übersicht Abschluss des Verfahrens 16 Änderungsbedürftigkeit 2 Änderung der Kostenentscheidung 61 Amtliches Verschulden 39 f., 45 Anspruchsberechtigter 17 Antragsteller im Klageerzwingungsverfahren 43, 62 Anwalt als Vertreter 56-62 Anwaltspersonal 45 Ausländer 13, 23, 68 Beförderung durch die Post 38 f. Behörden 39 Beschwerde im Klageerzwingungsverfahren 11, 12 Beteiligte 17 Beurteilung der Erfolgsaussicht 25 Billigkeitserwägungen 58, 60 Durchschnittliche Rechtskenntnisse 53 Eigenes Verschulden 39, 48 Einreichen an falscher Stelle 41 f. Einzelfälle bei Verschulden des Verteidigers 47 ff. Entscheidungskompetenz des Generalstaatsanwalts 12 Entschädigungsverfahren 61 Entwürfe 1908, 1919 2 ff. Erkrankung 24 Ersatzzustellung 30 Fehlende Rechtsmittelbelehrung 65 Fehlgegangene Zustellung 27, 30 Fristen 7, 8, 11, 12 Fristversäumnis 12 Form 9 Geldmangel 24 Gerichtliche Kontrolle 12 Gerichtliche Zuständigkeit 12 Gesetzesgehorsam 61 Gesetzliche Vertreter 26

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Gleichgültigkeit 22 Klageerzwingungsverfahren 11–15 Mängel der Büroorganisation 54 Moderne Kommunikationsmittel 55 Nachholen von Verfahrensrügen 13 ff. Naturereignis 20 Nebenkläger 62 Öffentliche Zustellung 33, 36 Ohne Verschulden 18 ff., 32 Persönliche Verhältnisse 22 Pflichtverteidiger 45 Pflichtverletzungen des Verteidigers 50 Post und Beförderung 36 f. Privatkläger 43, 62 Qualifizierte Belehrung 69 Rechtliches Gehör 28 Rechtsbehelf 1 ff. Rechtskenntnisse 52 Rechtsmittelbelehrung 64-68 Sachentscheidung 12 Staatsanwaltschaft 63 Ständige Wohnung 29 Strafantrag 11 f. Unaufmerksamkeit 22 Unbeholfenheit 22 Unwirksame Zustellung 32 Unregelmäßigkeiten des Postverkehrs 37 Unvollständige Rechtsmittelbelehrung 67 Urkundsbeamter 42 Verfahrensrügen 13 ff. Verhindern 19 Versäumung der Form 9 f. Versäumung der Frist 6, 12 Versäumung einer Rechtshandlung 14

Kirsten Graalmann-Scheerer

44 45 46 47 53 54 55

Fünfter Abschnitt. Fristen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Verschulden 21, 31, 48 f. Verschulden des Verteidigers 15, 48, 49 Verteidiger 13 Verwaltungsvorschrift 12 Verzögerungen 37, 40 Vollzugsanstalten 44

§ 44

Vorübergehende Abwesenheit 29 Wahlverteidiger 45 Willenserklärungen des Vertreters 57 Wirkung 71 Zustellungsbevollmächtigter 35 Zweck 1

I. Wiedereinsetzungsanspruch (Satz 1) 1. Inhalt und Zweck. Die Vorschrift soll Hilfe geben, wenn ein Beteiligter eine Frist 1 ohne Verschulden versäumt hat. Sie dient unter anderem der Gewährung des rechtlichen Gehörs und soll einen effektiven Rechtsschutz bei unverschuldeter Fristversäumung sicherstellen. Die frühere Fassung wurde diesem Anliegen nur unzureichend gerecht. Denn sie ließ Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur zu, „wenn der Antragsteller durch Naturereignisse oder andere unabwendbare Zufälle an der Einhaltung der Frist verhindert worden“ war. Schon um die vorige Jahrhundertwende hatte diese – zu enge – Regelung Widerspruch 2 erfahren. Ihre Änderungsbedürftigkeit war erstmals im E 1908 anerkannt worden. Sein § 39 Abs. 1 sah die Wiedereinsetzung schon dann vor, wenn der Beteiligte „ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert gewesen war“. In der Begründung (S. 205 f.) 1 ist ausgeführt: „Diese Vorschriften (der §§ 44, 234, 370, 431 des geltenden Gesetzes) haben der Rechtsprechung erhebliche Schwierigkeiten bereitet, weil der Begriff des unabwendbaren Zufalls unklar ist; auch führen die Vorschriften zu ungerechtfertigten Härten. Infolgedessen ist die Praxis der Gerichte zu einer dem Wortlaute des Gesetzes kaum noch entsprechenden Auslegung übergegangen und nähert sich immer mehr dem Standpunkte, dass eine Wiedereinsetzung stattfindet, sofern nur die Frist ohne Verschulden des Angeklagten versäumt ist. Der Natur und den Zwecken des Strafverfahrens entspricht es in der Tat nicht, dem Beteiligten, der eine Frist oder einen Termin versäumt, ohne daß ihn dabei ein Vorwurf trifft, wichtige prozessuale Rechte, wie z.B. die Rechtsmittel, aus formalen Gründen abzuschneiden. Der Entwurf schlägt daher vor, das Recht auf Wiedereinsetzung allgemein zu gewähren, soweit der Beteiligte ohne eigenes Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert gewesen ist …“

Auch der Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen aus dem Jahre 3 1919 (E 1919) stellte in § 54 bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf das Verschulden ab. Eine ähnliche Regelung – unter fast wörtlicher Wiederholung der Begründung zum E 1908 – sah auch § 292 E 1939 vor (Begr. S. 136). Die vorstehend angeführten Erwägungen trafen bis zur Neufassung weiterhin zu. 4 Mangels gesetzlicher Regelung hatte die Praxis, um Unbilligkeiten einzuschränken, den Begriff unabwendbarer Zufall schon weitgehend in die Richtung entwickelt, die nunmehr Gesetz geworden ist,2 wenn auch ein Unterschied zwischen „entschuldigt“ und „unabwendbarem Zufall“ namentlich bei § 329 gelegentlich noch betont wurde.3 Die Neuregelung am 1.1.1975 trägt dieser Entwicklung Rechnung, indem sie Wieder- 5 einsetzung schon zulässt, wenn „jemand ohne sein Verschulden verhindert (war), eine Frist einzuhalten“. Damit hat der Gesetzgeber auch für das Strafverfahren eine Regelung getroffen, für die er sich in den neueren Verfahrensordnungen – so in § 60 Abs. 1

1

Strauß GS 108 (1936) 41 ff.; Fünfsinn NStZ 1985 487; Zuck ZRP 1985 299; Schrader NStZ 1987 448.

2 3

LR/Dünnebier 22 II 1 f. LR/Dünnebier 22 II 1 Fn. 6.

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§ 44

Erstes Buch. Allgemeine Vorschriften

VwGO, § 56 Abs. 1 FGO, § 67 Abs. 1 SGG, § 22 Abs. 2 FGG und § 26 Abs. 2 EGGVG – schon wiederholt entschieden hat. Sie gilt in gleicher Weise für Rechtsbehelfe nach dem Strafvollzugsgesetz (§ 112 Abs. 2 StVollzG) und ist durch Art. 1 Nr. 20 des Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren (Vereinfachungsnovelle) vom 3.12.1976 auch für das Zivilverfahren (§ 233 ZPO) übernommen worden.

6

2. Versäumung. Wiedereinsetzung setzt voraus, dass eine Frist versäumt ist. Das ist daher zunächst festzustellen. Läuft die Frist in Wahrheit noch, ist der Antrag unzulässig, weil er eine unmögliche Rechtsfolge begehrt.4 Dieser Fall kann sowohl bei Irrtümern über den Fristenlauf eintreten, als auch besonders, wenn eine Zustellung unwirksam ist. Denn unwirksame Zustellungen eröffnen den Fristenlauf nicht (Rn. 32; § 37, 98). Umgekehrt ist der Antrag auch unzulässig, wenn der Betroffene ein ihm an sich zustehendes Rechtsmittel durch ausdrücklich erklärten Rechtsmittelverzicht oder durch bewusstes Verstreichen lassen der Rechtsmittelfrist verloren hat, weil es alsdann ebenfalls an der Versäumung einer Frist mangelt.5 Wegen der Fristen s. Vor § 42, 1 ff., wegen der Wahrung und Versäumung der Fristen Vor § 42, 6 ff., 30.

7

3. Fristen i.S. des § 44 sind, wie sich aus den §§ 45 und 46 ergibt, prozessuale, notwendigerweise bei Gericht wahrzunehmende Fristen,6 gleichgültig ob sie gesetzliche oder richterliche und im letzten Fall ursprüngliche oder verlängerte (z.B. nach § 201 Abs. 1) sind. Wegen der Besonderheit bei der Versäumung dieser Erklärungsfrist vgl. § 201, 20. Unter diesen Begriff fallen nicht die Fristen zur Veröffentlichung eines Urteils 7 und 8 zum Widerruf eines Vergleichs in einer Privatklagesache 8 und die Bestimmung des Zeitraums, innerhalb dessen die Bestellung zum Pflichtverteidiger beantragt werden und erfolgen kann (§ 141).9 Die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung einer Hauptverhandlung ist abschließend geregelt (Vor § 42, 34). Demzufolge bietet § 44 keine Möglichkeit, die Wiedereinsetzung bei der Versäumung einer Hauptverhandlung im Fall des § 231 10 oder derjenigen vor dem Revisionsgericht 11 zu gewähren. Fristen i.S. des § 44 sind auch nicht die Vor § 42, 3 genannten Handlungsfristen. Daher ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich, wenn die Frist zur Wahl abgelaufen ist, ob ein zunächst ohne nähere Bezeichnung eingelegtes Rechtsmittel als Revision bezeichnet wird.12 Das gilt selbst dann, wenn der Angeklagte bei der Rechtsmittelbelehrung nicht auf die Möglichkeit der Revisionseinlegung hingewiesen worden ist.13 Wohl aber zählt zu den Fristen des § 44 die in § 45 bestimmte Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung;14 das gleiche gilt für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 Satz 1.15 4

5 6 7 8 9 10 11 12

BGHSt 17 96; BayObLGSt 1971 229 = NJW 1972 1098; OLG Karlsruhe NJW 1981 471 = JR 1981 130; Meyer-Goßner 2. OLG Hamm MDR 1974 1035; BGH NStZ-RR 1998 109. OLG Bremen GA 1956 185; Bischof NJW 1986 2097; Saenger JuS 1991 842. BayObLGSt 10 145. OLG Oldenburg JW 1931 2389 = HRR 1932 299; LG Würzburg NJW 1954 768. OLG Hamm VRS 103 (2002) 379. OLG Breslau Alsb. E 1 106. OLG Dresden Alsb. E 1 105, OLG Köln NJW 1957 74. BayObLGSt 1970 159 = JR 1971 120;

926

13 14

15

BayObLG bei Rüth DAR 1972 204; MDR 1983 1045; OLG Hamm NJW 1956 1168; OLG Stuttgart Justiz 1974 99; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1983 106; OLG Zweibrücken VRS 66 (1984) 138; KK/Maul 7; KK/Pikart § 335, 6; KMR/Paulus 3; Meyer-Goßner 3; a.A. OLG Düsseldorf NStZ 1983 443; LR/Hanack 25 § 335, 19. KG JR 1977 81. Mat. Hahn 2 1779; Beling § 45 III 1 Abs. 2; OLG Hamm NJW 1958 1104; OLG Düsseldorf NJW 1982 61. OLG Celle GA 1977 150; vgl. dazu auch Rn. 12 ff.

Kirsten Graalmann-Scheerer

Fünfter Abschnitt. Fristen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

§ 44

Die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung sind auch dann gegeben, wenn ohne 9 Verschulden die vorgeschriebene Form – auch des § 344 Abs. 2 16 – für die Abgabe einer Erklärung versäumt ist.17 Denn dann hat der Betroffene zufolge nicht verschuldeter Umstände, etwa wegen einer unterbliebenen oder falschen Belehrung durch den Urkundsbeamten,18 die Frist insofern versäumt, als er bis zu ihrem Ablauf keine den Formerfordernissen entsprechende Erklärung abgegeben hat.19 Aus den Erwägungen in der vorhergehenden Randnummer ist auch einem Angeklag- 10 ten, der in unverschuldeter Unkenntnis – das wird bei einem juristischen Laien regelmäßig der Fall sein – 20 der gesetzlichen Regelung des § 146 oder seiner tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen die Begründung der Revision einem nach dieser Vorschrift ausgeschlossenen Verteidiger anvertraut hat, auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Auch ihm darf dadurch kein Rechtsnachteil entstehen, dass die von einem solchen Verteidiger begründete Revision zufolge § 345 Abs. 2 als unwirksam anzusehen ist.21 Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung liegen dagegen nicht vor, wenn der Betroffene eine Rechtsmittelfrist deshalb bewusst verstreichen lassen hat, weil er keine Kenntnis von Umständen hatte, die sich später nachteilig für ihn auswirkten. Denn § 44 stellt nur auf unverschuldete Hindernisse bei Einhaltung einer Frist ab. Als ein solches Hindernis kommt nicht verschuldete Unkenntnis von Umständen nur insoweit in Betracht, als letztere für den Beginn und den Lauf der einzuhaltenden Frist maßgeblich sind, nicht aber die Unkenntnis von Umständen, die lediglich den Beweggrund zur Wahrung einer Frist beeinflussen können.22 4. Strafantrag und Beschwerde im Klageerzwingungsverfahren. Die Fristen des § 77b 11 StGB (Strafantragsfrist) und des § 172 Abs. 1 (Beschwerde an den Generalstaatsanwalt) sind zwar prozessuale, aber nicht notwendigerweise bei Gericht wahrzunehmen. Der Strafantrag kann wohl bei Gericht angebracht werden, aber ebenso bei der Staatsanwaltschaft und der Polizei (§ 158 Abs. 2), für die Beschwerde des § 172 Abs. 1 ist das Gericht unzuständig. Bei beiden Fristen ist daher die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 44 an sich unzulässig.23 16 17

18 19 20 21

RGSt 67 198. BGHSt 26 335; BayObLGSt 1959 275 = NJW 1960 208; OLG Hamm NJW 1956 1571; JMBlNRW 1963 147; MDR 1978 508; OLG Koblenz NJW 1962 977; OLG Hamburg NJW 1965 312; OLG Zweibrücken StV 1991 550; OLG Köln NStZ-RR 1996 212; Saenger JuS 1991 843; Meyer-Goßner 6; a.A. Pentz NJW 1965 773. RGSt 67 199; BGHSt 26 335, 338; Nöldeke NStZ 1991 71. Sarstedt JR 1955 29; Kalthoener 41; Dittmar MDR 1975 273; Wendisch JR 1978 429. OLG Düsseldorf NStZ 1984 235; AnwBl. 1986 155. BGHSt 26 338; 373; BGH StV 1983 225; OLG Hamm NJW 1980 1059; OLGSt § 45 StPO, 5; OLG Düsseldorf AnwBl. 1986 155; Wendisch JR 1978 429. Allerdings werden solche Fälle nach der Neuregelung in § 146a Abs. 2 wohl kaum noch vorkommen.

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BayObLGSt 1970 149 = JR 1971 29; VRS 54 (1978) 285 = JR 1978 428 mit zust. Anm. Wendisch; OLG Hamm VRS 50 (1976) 436; OLG Düsseldorf MDR 1984 71; MeyerGoßner 5. Wegen des gleichen Problems im Zusammenhang mit § 375 s. Mertens NJW 1979 1698; Pahlmann NJW 1979 98; Stein NJW 1980 1086. So für Antragsfrist: BGH NJW 1994 1165; OLG Bremen GA 1956 185; OLG Hamm NJW 1970 578; OLG Düsseldorf JMBlNRW 1973 57; KK/Maul 10; KMR/Paulus Vor § 42, 37; Meyer-Goßner 3; für Beschwerdefrist nach § 172 Abs. 1: KG GA 42 (1894) 429; OLG Hamburg HansOLGSt 1928 190; OLG Hamm JMBlNRW 1964 92; OLG Celle NJW 1971 1374; Feisenberger 3; Deubner JuS 1968 125. Wegen weiterer Einzelheiten dazu, namentlich zur Entstehungsgeschichte des Klageerzwingungsverfahrens s. Wendisch Anm. zu OLG

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Das Ergebnis ist unbefriedigend. In der Rechtsprechung wird es dadurch gemildert, dass diese beim Strafantrag zufolge des Wortes „unterlässt“ (§ 77 Abs. 1 StGB) die Berücksichtigung unverschuldeter Fristversäumnis gestattet,24 und für die Beschwerdefrist des § 172 Abs. 1 die Wiedereinsetzung entweder in unmittelbarer 25 oder entsprechender 26 Anwendung der §§ 44 ff. oder der verwaltungsrechtlichen Vorschriften über die Wiedereinsetzung nach § 70 Abs. 2 in Verb. mit § 60 Abs. 4 VwGO bzw. § 32 VwVfG 27 oder durch Anerkennung eines in Allgemeingültigkeit erwachsenen Rechtsgedankens der Wiedereinsetzungsmöglichkeiten gegen die schuldlose Versäumnis prozessualer Fristen auf allen Rechtsgebieten 28 für zulässig hält. Wird die Wiedereinsetzung danach – wenn auch mit unterschiedlicher Begründung – bejaht, so ist indes umstritten, wer für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung zuständig ist, namentlich ob die Entscheidungskompetenz dafür ausschließlich und stets dem ersten Beamten der Staatsanwaltschaft, also dem Generalstaatsanwalt, oder, und zwar wiederum stets oder je nach dem Stand des Verfahrens, dem Oberlandesgericht zusteht. Zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag bei Versäumung der Frist für die Einlegung der Vorschaltbeschwerde (§ 172 Abs. 1) ist stets das Oberlandesgericht berufen.29

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5. Nachholung von Verfahrensrügen. Schon das Reichsgericht hat in ständiger Rechtsprechung entschieden,30 dass gegen die Versäumung der Frist zur Anbringung einzelner Verfahrensrügen keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden könne. Der Bundesgerichtshof hat sich dieser Rechtsprechung grundsätzlich für die Fälle angeschlossen, in denen sowohl der Angeklagte als auch sein Verteidiger in der Hauptverhandlung anwesend waren.31 Begründet hat er seinen Standpunkt damit, dass das öffent-

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Düsseldorf OLGSt § 44 StPO Nr. 12 S. 5 bis 8 sowie Saenger JuS 1991 842. RGSt 71 39; OLG Bremen GA 1976 185. OLG Koblenz GA 1981 325; Kirstgen Das Klageerzwingungsverfahren, Diss. Bonn 1986, 132; Kühne MSchrKrim 69 (1986) 377; Kleinknecht MDR 1972 69; Fuhrmann JR 1972 166; LR/Meyer-Goßner 23 § 172, 24; Eb. Schmidt 3 und Nachtr. I § 44, 2. OLG Oldenburg NJW 1967 1814; OLG Nürnberg MDR 1972 67; OLG Köln MDR 1972 623; OLG Hamm NJW 1973 1055; OLG Stuttgart NJW 1977 61; OLG München NJW 1977 2365; OLG Celle NdsRpfl. 1980 37 = MDR 1980 335; OLG Koblenz GA 1981 324; MDR 1985 75; KG JR 1982 209; OLG Düsseldorf OLGSt § 172 StPO Nr. 3; JMBlNRW 1983 52; OLGSt § 44 StPO Nr. 12 mit Anm. Wendisch; Kalthoener 21 ff.; Kleinknecht MDR 1972 69; LR/Meyer-Goßner 23 § 172, 19 f.; LR/Graalmann-Scheerer 25 § 172, 133 ff.; KMR/Paulus Vor § 42, 35; Meyer-Goßner § 172, 17; SK/Weßlau 8; Bischoff NJW 1986 2097. Vgl. LR/Wendisch 25 12; OLG Celle NJW 1971 1374 = MDR 1972 68 mit Anm. Kleinknecht = JR 1972 164 mit Anm. Fuhr-

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mann will sowohl die verwaltungsrechtliche als auch die Möglichkeit über § 44 zulassen; s. auch OLG Hamm NJW 1973 1055; OLG München NJW 1977 2365. Eb. Schmidt 3 und Nachtr. I § 44, 2. LR/Graalmann-Scheerer 25§ 172, 134 ff.; a.A. OLG Oldenburg NJW 1967 1814; OLG Celle MDR 1972 67; OLG München NJW 1977 2365, zum Gesamtproblem eingehend Wendisch in Anm. zu OLG Düsseldorf OLGSt § 44 StPO Nr. 12 S. 4 ff.; LR/ Wendisch 25 12 f. Vgl. RGSt 24 250; RG Recht 1926 Nr. 1743; RG JW 1928 2718 mit kritischer Anm. Mannheim; 1935 1636. Wegen der trotz Rechtsmittelverzichts ausnahmsweise einzuräumenden Möglichkeit Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist zu beantragen s. BGH StV 1995 395. BGHSt 1 44; 14 330; 26 335; BGH NJW 1951 572; MDR 1960 862; NStZ 1981 110; 1985 181; NStZ-RR 1996 140 und 201; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 13, 493; BayObLG MDR 1984 773; OLG Saarbrücken JBlSaar 1961 49; OLG Oldenburg NJW 1968 64; OLG Schleswig bei Ernesti/ Lorenzen SchlHA 1978 60; 1983 107; OLG Stuttgart MDR 1990 271. Grundsätzlich

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liche Interesse verlange, den geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und – ohne Verzögerung – alsbald eine klare Verfahrenslage zu schaffen. Wie unbefriedigend dieses Ergebnis ist, erhellt bereits daraus, dass nicht nur der Bundesgerichtshof, sondern auch die übrigen Obergerichte – zunehmend –, wenn auch mit dem Hinweis auf die besondere Verfahrenslage des Einzelfalls, Ausnahmen zulassen. So haben die Obergerichte Wiedereinsetzung gewährt, wenn der Verteidiger entgegen seiner Zusage die Revision nicht begründet hat;32 wenn er mit der wirksam erhobenen allgemeinen Sachrüge eine besondere Verfahrensrüge angekündigt, diese aber während der Begründungsfrist – z.B. zufolge Erkrankung – nicht begründet hat;33 wenn die vom Verteidiger eingereichte Revisionsbegründung, mit der auch das Verfahren beanstandet wird, rechtzeitig bei dem Gericht eingegangen, versehentlich aber von dem Verteidiger nicht unterzeichnet worden ist;34 wenn dem Verteidiger die zur Begründung seiner Verfahrensrüge erforderliche Akteneinsicht zu spät gewährt worden ist;35 wenn es sich bei dem Angeklagten um einen in der Hauptverhandlung vor dem Berufungsgericht nicht von einem Rechtsanwalt verteidigten Ausländer mit mangelhaften Kenntnissen der deutschen Sprache gehandelt hat, der deshalb nicht in der Lage war, schon mit der Erhebung der allgemeinen Sachrüge zu Protokoll der Geschäftsstelle auch eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge zu erheben;36 wenn der von einem Angeklagten nach Erhebung der allgemeinen Sachrüge gewählte Verteidiger die Revisionsbegründungsfrist versäumt hat;37 wenn das Gericht einem Angeklagten in einem Fall notwendiger Verteidigung einen Verteidiger erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist bestellt 38 oder einen zu Recht abberufenen erst nach diesem Zeitpunkt durch einen neuen ersetzt hat;39 wenn der Angeklagte zufolge Verschuldens seines Verteidigers die allein in Betracht kommende Rüge der Verletzung formellen Rechts nicht in der durch § 344 Abs. 2 S. 2 vorgeschriebenen Form ausgeführt hat;40 wenn der Verteidiger ohne Unterrichtung des Angeklagten bewusst die Revisionsbegründungsfrist verstreichen lässt, um mit Hilfe eines Wiedereinsetzungsantrags die erforderliche Recherchen in Literatur und Rechtsprechung zur Begründung einer Verfahrensrüge vornehmen zu können 41 oder zufolge Verschuldens des Urkundsbeamten die Verfahrensrügen nicht rechtzeitig

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zustimmend auch Eb. Schmidt Vor § 44, 12; LR/Hanack 25 § 345, 9a; Dalcke/Fuhrmann 1 a.E.; KK/Maul 13 f.; KK/Pikart § 345, 26; Meyer-Goßner 7 f., 76; SK/Weßlau 12; KMR/Paulus Vor § 42, 30, 31 f.; Kaiser 339; kritisch, eher ablehnend, Dittmar 270, 274 und auch Sarstedt JR 1960 146: zu BGHSt 1 44; weitere Beispiele bei Hilger NStZ 1983 156 Fn. 19. BGH StV 1988 45. BGH bei Dallinger MDR 1966 25 – 3 Beispiele; NStZ 1981 110; 1983 34; 1984 418; BGHSt 31 161; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 204; OLG Köln NJW 1952 558; OLG Stuttgart GA 1959 384; OLG Braunschweig NJW 1963 2038. BGH StV 1988 465. BGH StV 1985 353; BGH NStZ-RR 1997 302; BGHR StPO § 44 Satz 1 Verfahrensrüge 3 nachträgliches Anbringen; BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 12, Bemühungen um Akteneinsicht; BGHR StPO § 44 Verfahrens-

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rüge 2 Keine Wiedereinsetzungsgründe; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 492; OLG Frankfurt NJW 1963 2038; OLG Zweibrücken wistra 2001 277; anders BGH StV 1988 55; OLG Oldenburg VRS 82 (1992) 350. BayObLG MDR 1984 773. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 11, verspäteter Eingang; BayObLGSt 1984 6. OLG Schleswig SchlHA 1978 60. BayObLGSt 1973 143 = MDR 1974 247. Vgl. dazu auch die kritische Stellungnahme von Sieg MDR 1979 813 zu zwei – offensichtlich strengere Anforderungen stellende – nicht veröffentlichten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 26.4.1978 – 2 StR 95/78 – sowie des Bundesverfassungsgerichts – 2 BvR 523/78 –. OLG Zweibrücken StV 1991 550. Nur ganz ausnahmsweise BGHR StPO § 44 Verschulden 1, bewusste Fristversäumung durch Verteidiger.

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angebracht hat;42 wenn der Angeklagte glaubhaft gemacht hat, dass der Rechtspfleger entgegen seinem Begehren den Inhalt von ihm vorgelegten Schriftstücken nicht in die protokollierte Revisionsbegründung aufgenommen hat.43 Schließlich hat die Rechtsprechung ein Nachschieben überhaupt verneint, wenn die Revisionsrechtfertigungsschrift ohne Verschulden des Angeklagten verspätet, eine danach abgegebene Ergänzung aber rechtzeitig eingegangen ist.44 Keine Ausnahme wird angenommen, wenn der Beschwerdeführer die Revisionsbegründung zu Protokoll des Urkundsbeamten am Tag des Fristablaufs nach den üblichen Dienstzeiten nicht vollständig anbringen konnte;45 wenn der Verteidiger nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist von einer Änderung der Rechtsprechung, auf die er nunmehr eine Verfahrensrüge stützen will, erfährt;46 wenn der Angeklagte es unterlassen hat, die Verfahrensrügen innerhalb der Frist zur Begründung der Revision in einer den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 genügenden Form zu begründen;47 wenn der Wahlverteidiger neben dem bestellten Pflichtverteidiger die Revisionsbegründungsfrist versäumt hat, jedoch der Pflichtverteidiger die Revision unter anderem mit einer Verfahrensrüge begründet hat;48 wenn der Angeklagte zusätzliche Verfahrensrügen erheben will;49 wenn die Akten dem Verteidiger nicht mit ins Büro gegeben wurden;50 wenn der Verteidiger innerhalb der Revisionsbegründungsfrist die Erledigung seines Akteneinsichtsantrags gegenüber dem Gericht nicht angemahnt hat;51 wenn der Verteidiger Akten des Gerichts 52 oder des Präsidiums 53 nicht rechtzeitig zur Einsicht erhalten hat. Die Rechtsprechung zur Frage des Nachholens von Verfahrensrügen, die die Möglich14 keit von Ausnahmen in besonderen Verfahrenslagen für Einzelfälle zugesteht, ist ungerecht und in der Begründung nicht frei von Widerspruch. Wenn man darauf abstellt, dass § 44 nicht von der Versäumung einer Rechtshandlung, sondern einer Frist spricht, muss man die Möglichkeit der Wiedereinsetzung schlechthin verneinen und nicht nur für Regelfälle unter bestimmten Voraussetzungen, die zudem nicht auf den Begriff der Frist, sondern in Wirklichkeit auf den des fehlenden Verschuldens zu beziehen sind. Eine Wiedereinsetzung völlig abzulehnen, ist aber – man braucht nur an den Fall des Ausscheidens eines Anwalts zwischen Hauptverhandlung und Revisionsbegründung zu denken – unbillig und daher nur hinzunehmen, wenn der Gesetzeswortlaut, wie in den Fällen unter Rn. 11, dazu zwingt.54 Das ist nicht der Fall. Ebenso wie bei der Versäumung der Form (Rn. 9) ist die Auslegung zulässig, dass der Angeklagte unverschuldet die Frist insofern versäumt hat, als er bis zu ihrem Ablauf keine alle Angriffsmittel umfassende Begründung abgegeben hat.55 Es ist auch ungereimt, dem Angeklagten, der zufolge eines 42

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BayObLGSt 1959 275 = JR 1960 145 mit Anm. Sarstedt = Rpfleger 1960 mit Anm. Lappe; 1978 11 = MDR 1978 777; OLG Celle GA 1968 153; vgl. OLG Hamm Rpfleger 1960 213. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 6 Nachbesserung. BGHSt 14 330; weitere Beispiele zu Ausnahmen bei Hilger NStZ 1983 154 Fn. 20 bis 27; Meyer-Goßner 7a. BGH StV 1997 230 mit Anm. Harzer. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8, Änderung der Rechtsprechung = BGH wistra 2003 30. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 7 Akteneinsicht; Verfahrensrüge 4 Aktenein-

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sicht, Verfahrensrüge 5 Bemühen um Akteneinsicht; Verfahrensrüge 3 Ergänzung; BGH NStZ 1985 181; wistra 1992 28; OLG Köln NStZ-RR 1996 212. BGH StraFo 2005 25. BGHR StPO § 44 Wirkung 1 zusätzliche Verfahrensrügen. BGH NStZ 1985 13, NStZ-RR 1998 258. BGH NStZ 1985 492; 2000 326. BayObLG NStZ-RR 2004 82. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 4 Akteneinsicht. Ähnlich Hilger NStZ 1983 152; enger Kaiser NJW 1975 338. Zust. OLG Hamm MDR 1973 691.

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nicht zu vertretenden Umstands nicht fristgemäß alle Rügen erheben kann, die Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn er mutig genug ist, die Begründung ganz zu unterlassen,56 ihm aber hinsichtlich einzelner Rügen, auf die allein das hindernde Ereignis eingewirkt hat, die Wiedereinsetzung zu versagen. Es muss vielmehr schlechthin für zulässig erachtet werden, zum Nachholen einzelner 15 Verfahrensrügen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.57 Namentlich kommt eine Wiedereinsetzung nach Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls in Betracht, wenn das Protokoll zwar geändert wird, die Änderung aber nicht dem Antrag des Angeklagten entspricht. Etwaigen Missbräuchen dürfte die Notwendigkeit hinreichend entgegenwirken, dass der Betroffene nachgewiesen hat, er habe die nachgeholte Verfahrensrüge ohne Verschulden (Rn. 47 ff.) verspätet angebracht.58 Der Bundesgerichtshof hält die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Frist 16 zur (weiteren) Begründung der Revision auf jeden Fall dann für unzulässig, wenn das Verfahren durch eine vom Revisionsgericht erlassene Sachentscheidung zum Abschluss gekommen sei, weil die Rechtssicherheit keinen im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehenen Eingriff in die Rechtskraft gestatte.59 Indessen schlägt dieser Grund nicht durch, weil das Institut der Wiedereinsetzung gerade geschaffen worden ist, um die Rechtskraft zu beseitigen.60 6. Anspruchsberechtigte. Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat 17 jeder am Verfahren Beteiligte: Der Beschuldigte, auch im Privatklageverfahren,61 der gesetzliche Vertreter für Fristen aus eigenem Recht (§ 298) 62, der Einziehungsbeteiligte (§ 433 Abs. 1, § 440 Abs. 3), wenn er vor der Fristversäumnis am Verfahren beteiligt war, der Vertreter im Verfahren bei Festsetzung von Geldbußen gegen juristische Personen und Personenvereinigungen (§ 444 Abs. 2 Satz 2), die Staatsanwaltschaft, der Privatkläger (§ 385 Abs. 1), der Nebenkläger (§ 397) 63, wenn sein Anschluss vor der Fristversäumnis zugelassen war,64 der Bürge (§ 123 Abs. 3, § 124 Abs. 2), Zeugen und Sachverständige und bei der Verhandlung nicht beteiligte Personen (§ 178 Abs. 1 Satz 1, § 181 Abs. 1 GVG). § 296 Abs. 2 ist, da eine dem § 365 entsprechende Vorschrift fehlt, nicht analog anwendbar;65 doch kann ein solcher Antrag u. U. als Anregung betrachtet

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Sarstedt/Hamm 124. OLG Frankfurt HESt 2 76; OLG Bremen MDR 1968 202; Kohlhaas NJW 1955 742; Kalthoener 56; Pentz NJW 1962 1237 und im Ergebnis auch Heiner 89 f. sowie – differenzierter – Hilger NStZ 1983 156 und Ventzke StV 1997 227; offen – aber wohl eher zustimmend – KK/Maul 14; SK/Weßlau 13; AK/Lemke 11, HK/Lemke 7; abl. BGH wistra 1992 28 und – mit Befürwortung einer gewissen Lockerung für Härtefälle Sarstedt/Hamm 189 und KK/Pikart § 345, 26; Pfeiffer 4; einschränkend auch OLG Braunschweig NStZ 1996 298. Wendisch JR 1978 430; ebenso Dittmar 274. BGHSt 17 95; 23 102; 25 91; BGH GA 1980 390; bei Dallinger MDR 1966 728; bei Spiegel DAR 1978 1531; 1979 190; bei Miebach NStZ 1989 218; Kaiser NJW 1975

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399; KK/Maul 15; BGHR StPO § 44 Satz 1 Verfahrensrüge 2; a.A. für den Fall einer bloßen Prozessentscheidung OLG Düsseldorf MDR 1983 106. RGSt 53 288 RGSt 67 199. Ablehnend auch Martin LM § 44, 4; KMR/Paulus Vor § 42, 24; § 349, 35; Meyer-Goßner 1; Hanack JZ 1991 92; Geppert GA 1972 176; Schaper NJW 1962 1358. KG DRiZ 1929 Rspr. Nr. 288. OLG Düsseldorf HRR 1941 749; BayObLGSt 1954 51 = NJW 1954 1378. RGSt 76 179; Saenger JuS 1991 842. RGSt 71 173. RGSt 22 31; OLG Bremen GA 1957 87; Kleinknecht NJW 1961 86; KMR/Paulus 5; KK/Maul 3; a.A. Kalthoener 99, SK/Weßlau 14 und AK/Lemke 15, die die Staatsanwaltschaft zugunsten des Betroffenen für antrags-

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werden, von Amts wegen Wiedereinsetzung zu gewähren. § 297 räumt dem Verteidiger die Möglichkeit, einen Antrag zu stellen, für den Fall ein, dass er die Frist für ein Rechtsmittel versäumt hat, das er aus eigenem Recht eingelegt hatte.66

II. Ohne Verschulden 18

1. Begriff. § 44 stellt nur auf Hindernisse bei Einhaltung einer Frist ab. Als ein solches Hindernis kommt nicht verschuldete Unkenntnis von Umständen nur insoweit in Betracht, als letztere für den Beginn und den Lauf einer einzuhaltenden Frist maßgeblich sind, nicht aber die Unkenntnis von Umständen, die lediglich den Beweggrund zur Wahrung einer Frist beeinflussen können.67 Weder die irrige Beurteilung der Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels noch die Unvorhersehbarkeit einer nachträglichen Gesetzesänderung oder einer neueren Rechtsentwicklung auf dem Gebiet des sachlichen Rechts hindern die Fristeinhaltung als Verwirklichung des Willens, die Frist zu wahren.68 Wer eine Frist bewusst ungenutzt verstreichen lässt, verliert den Anspruch auf Wiedereinsetzung auch dann, wenn er ohne Verschulden keine Kenntnis von Umständen gehabt hat, die sich erst später nachteilig für ihn auswirkten.69

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a) Verhindern bedeutet soviel wie Unmöglichmachen. Was dem einen noch möglich, ist dem anderen schon unmöglich. Daraus folgt, dass die Frage, ob jemand ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten, stets nach den subjektiven Verhältnissen und Eigenschaften des Säumigen beurteilt werden muss.70 Daher ist die Rechtsprechung, die stets an einen besonderen Fall anknüpft, nur mit Vorsicht auf anscheinend, in Wirklichkeit aber vielleicht nur scheinbar, ähnliche Fälle zu übertragen.71 Obwohl im Gesetz nicht aufgeführt, liegt es auf der Hand, dass eine Fristversäumung, 20 die auf ein Naturereignis zurückzuführen ist, von dem Beteiligten nicht verschuldet ist.72 Unter Naturereignis ist ein Vorgang zu verstehen, den die Natur ohne menschliches Zutun auslöst und der von Menschen nicht abgewendet, wohl aber in seinen Folgen gemildert oder beseitigt werden kann (Schneeverwehung, Hochwasser, Einfrieren der Weichen der Eisenbahn). Ihnen nahe kommen Ereignisse, die auf menschlicher Tätigkeit beruhen oder mit beruhen,73 aber wegen ihrer Gewalt nicht alsbald abgewendet oder normalisiert werden (Revolution, Bürgerkrieg, kriegerische oder kriegsähnliche Ereignisse, Terroranschlag) oder zufolge der Technisierung oder wegen Einrichtungen der modernen Gesellschaft nur von bestimmten Kräften abgewendet oder beseitigt werden können, z. B. Stromausfall, Lahmlegung des Schienenverkehrs; Generalstreik.74

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b) Verschulden. Dagegen sind Ereignisse, die nur für einen einzelnen ein Hindernis bilden, nach dem neu eingeführten Begriff des Verschuldens zu behandeln. Dazu müssen

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berechtigt halten, wenn die Wahrung eines fremden Rechts im öffentlichen Interesse liegt. OLG Köln OLGSt § 145a StPO, 11; KK/Maul 3; Meyer-Goßner 9. Wendisch JR 1978 430. BayObLGSt 1970 149 = JR 1971 29; 1977 189 = JR 1978 428 mit zust. Anm. Wendisch; OLG Hamm VRS 50 (1976) 436.

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BGH NStZ 2001 160; NStZ-RR 1998 109; BGHR StPO § 44 Anwendungsbereich 2, nicht bei bewusster Nichteinlegung; OLG Hamm MDR 1974 1035. RGJW 1920 899; Fünfsinn NStZ 1985 488. Ähnlich KMR/Paulus 13. Saenger JuS 1991 843. RGZ 71 323; RGSt 70 188. RGSt 53 400.

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unter Beachtung der Eigenschaften und Verhältnisse des Säumigen 75 und der allgemeinen Umstände 76 die Anforderungen und die Sorgfalt ermittelt werden, die dem Handelnden gerechterweise zuzumuten sind.77 Sie dürfen nicht überspannt werden.78 Das gilt namentlich bei Verfahren gegen Ausländer 79 und wenn es für den Antragsteller um den ersten Zugang zu Gericht geht.80 Auf dieser Grundlage und unter Verwertung und Fortführung der hierauf schon abzielenden früheren Rechtsprechung ist Verschulden schon anzunehmen, wenn derjenige, dem die Verfahrenshandlung wahrzunehmen oblegen hatte, bei Anwendung der gerade ihm nach Lage des Falls gerechterweise zuzumutenden Sorgfalt den Eintritt oder die Folge des Ereignisses hätte abwenden können.81 Im Einzelnen kommen in Betracht: 2. Persönliche Verhältnisse. Unbeholfenheit eines Angeklagten, der den Sitzungssaal 22 nicht findet, kann u. U. Verschulden ausschließen, so wenn die Ladung versehentlich zu den Anwaltsakten genommen war;82 wenn das Auffinden des Saals im umgebauten Gebäude erschwert war;83 wenn der Beschwerdeführer die – zufolge Umzugs geänderte – Anschrift der Behörde nicht erkannt oder Änderungen im Dienstbetrieb 84 übersehen hat; wenn der Angeklagte eine Rechtsmittelbelehrung zufolge besonderer Erregung aufgrund einer hohen Freiheitsstrafe missverstanden, eine bereits abgegebene, aber nicht protokollierte Rechtsmittelerklärung nach Hinweis des Vorsitzenden, sich die Sache noch einmal in Ruhe zu überlegen, nicht wiederholt worden ist; wenn entgegen Nr. 142 Abs. 1 Satz 2 RiStBV kein Merkblatt ausgehändigt worden ist,85 allerdings wohl nur dann , wenn der Angeklagte keinen Anlass hatte, durch Rückfrage bei Gericht oder Einholung anwaltlichen Rats innerhalb der Rechtsmittelfrist Rat einzuholen;86 wenn nicht erwartet werden kann, dass der Angeklagte das ihm Gesagte richtig interpretieren und in Erinnerung behalten kann;87 wenn ein schon älterer Angeklagter die Uhrzeit der Zeugenladung mit der für seine Vorladung verwechselt oder ein handschriftliches Zustellungsdatum falsch gelesen hat. Gerade bei solchen Irrtümern kommt es ganz auf den Einzelfall an; einzelne Entscheidungen zu verallgemeinern, ist hier besonders zu vermeiden. Wer allerdings eine Frist oder einen Termin zufolge bloßer Unaufmerksamkeit 88 oder deshalb versäumt, weil er einer unrichtigen Empfehlung seines Verteidigers in Bezug auf eine außerhalb seiner eigentlichen Verteidigung liegenden Auskunft vertraut,89 muss sich diese Säumnis ge-

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RGJW 1920 899. RGZ 166 208. RGZ 138 350; RG JW 1928 1855. BVerfGE 31 388 (390) = NJW 1971 2217; 40 182; 41 332 (334 f) = NJW 1976 1537; 54 80 (84) = NJW 1981 1168; NJW 1991 351; 2377; 1994 2377 OLG Düsseldorf NStZ 1990 149 und – Mindestanforderungen anführend – VRS 91 (1996) 120; wegen der Anwendung dieser Grundsätze im Rahmen des § 45 Abs. 1 Satz 1 s. dort Rn. 7. BVerfG StV 1991 498; OLG Stuttgart Justiz 1985 321; Kalthoener 65; Fünfsinn NStZ 1985 489; Arzt ZStW 91 (1979) 883 ff.; Herzberg Jura 1984 412; KK/Maul 18; Meyer-Goßner 11. BbgVerfG NStZ-RR 2002 239; Goerlich NJW 1976 1526 m.w.N.

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RGSt 35 110; 40 120; 70 187; Fünfsinn NStZ 1985 488; Saenger JuS 1991 843. BayObLGSt 9 171. Zu Unrecht verneint von OLG Rostock Alsb. E 1 127. RGSt 10 74. OLG Köln VRS 93 (1997) 428. OLG Hamm NJW 2001 3279; KG VRS 101 (2001) 132. KG VRS 99 (2000) 440. OLG München Alsb. E 1 127: Verwechslung des Gerichts; LG Köln DAR 1979 339: Unzureichende Freimachung einer Frist gebundenen Postsendung; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996 169 (langer Zeitraum zwischen Zugang der Ladung und Berufungshauptverhandlung) = VRS 91 (1996) 120. OLG Düsseldorf VRS 81 (1991) 127:

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nauso zurechnen lassen wie allgemeine Gleichgültigkeit bei der Behandlung von gerichtlichen Zustellungen.90 Wer ohne weiteres darauf vertraut, dass einem Vertagungsantrag 91 oder einem Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers 92 entsprochen werde, dass eine Privatperson 93 – anders 94 zu Recht bei einem Ehegatten 95, Verlobten 96 oder sonstigen Angehörigen 97 – den Auftrag ausführen werde, Rechtsmittel für ihn einzulegen, hat, wenn die Ausführung unterbleibt, die Fristversäumnis regelmäßig selbst verschuldet.98 Das gleiche muss für einen Angeklagten gelten, der sich nach Kenntnisnahme des Urteilstenors aus der Hauptverhandlung entfernt und dem damit die Rechtsmittelbelehrung erst mit der Zustellung des Urteils an seine Ehefrau bekannt gemacht wird, wenn er diese nicht von der Bedeutung der zu erwartenden Zustellung informiert und deshalb zu spät Kenntnis vom Ablauf der Berufungseinlegungsfrist erhält,99 oder der nach Berufungseinlegung und ohne Rücksicht auf den zu erwartenden Hauptverhandlungstermin einen Erholungsurlaub bucht und deshalb der Hauptverhandlung fernbleibt.100 Regelmäßig kann auch keine Wiedereinsetzung beanspruchen, wer von der öffentlichen Zustellung eines Widerrufsbeschlusses nach § 56f StGB deshalb keine Kenntnis erlangt hat, weil er entgegen der ausdrücklichen Auflage dem Gericht einen Wohnungswechsel nicht mitgeteilt und dadurch die Feststellung seines Aufenthalts verhindert hat.101 Die kurzzeitige Verlegung in eine andere Zelle während der Revisionsbegründungsfrist rechtfertigt bei deren Versäumung keine Wiedereinsetzung.102 Gleichgültigkeit soll Verschulden selbst dann nicht ausschließen, wenn ein sprachun23 kundiger Ausländer seine Untätigkeit damit begründet, dass er einem ihm durch Niederlegung zugestelltes Schriftstück deshalb keine Beachtung geschenkt habe, weil er dieses ohne fremde Hilfe nicht verstehe,103 da regelmäßig jeder Ausländer in der Bundesrepublik sprachliche Hilfe erlangen könne. Beruht die Fristversäumnis dagegen nicht auf Gleichgültigkeit, sondern auf mangelnden Sprachkenntnissen, so ist Verschulden zu verneinen;104 es sei denn, dass dem Betroffenen vorzuwerfen ist, er habe sich nicht zureichend um die Verfolgung seiner Interessen gekümmert, obwohl er nach Lage des Falls dazu Anlass hatte und auch imstande war.105

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Versäumung eines Berufungstermins zufolge des Ratschlags seines Verteidigers zu einer wegen des allgemein bekannten morgendlichen Verkehrsstaus zu späten Abfahrtszeit. OLG Hamm JMBlNRW 1975 166; Saenger JuS 1991 843. KG NZV 1993 453; LG Berlin NZV 2006 48. OLG Frankfurt NStZ-RR 2003 204. Z.B. Prokurist: OLG Hamm DAR 1956 306; sonstiger Angestellter: KG JR 1955 274; OLG Neustadt GA 1955 378; Arbeitgeber: OLG Hamm BB 1965 603. Entgegen OLG Hamm JMBlNRW 1982 59. BGH NStZ 1996 50; OLG Zweibrücken StV 1992 360; OLG Frankfurt NStZ-RR 2001 85. LG Krefeld NJW 1966 789. Offengelassen von Saenger JuS 1991 843; a.A. BGH NStZ 1996 50; OLG Düsseldorf NStZ 1992 99; OLG Zweibrücken StV 1992 360.

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BGH bei Pfeiffer NStZ 1981 93: Beauftragung eines Mitgefangenen. OLG Frankfurt MDR 1987 76. OLG Hamm MDR 1975 422 (L); OLG Saarbrücken NJW 1975 1613; OLG Düsseldorf VRS 64 (1983) 438; KG VRS 84 (1993) 131; KK/Maul 18; Meyer-Goßner 14. OLG Hamm JMBlNRW 1977 201; BGHR StPO § 44 Satz 1 Verhinderung 7 Verschulden des Verurteilten. BGHR StPO § 44 Satz 1 Verhinderung 14 Verlegung in eine andere Zelle. OLG Hamm JMBlNRW 1974 192. BVerfGE 40 95 = NJW 1975 1597; OLG Frankfurt StV 1986 288; Fünfsinn NStZ 1985 488. BVerfGE 42 120 = NJW 1976 1021; BGHR StPO § 44 Satz 2 Rechtsmittelbelehrung 1 Ausländer; OLG Köln MDR 1979 864; VRS 67 (1984) 252.

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Unverschuldet ist eine plötzliche Erkrankung 106 und die dadurch bedingte Unter- 24 bringung in einem Krankenhaus,107 bei vorsätzlicher Herbeiführung allerdings nur, wenn zwischen der vorsätzlichen Herbeiführung der Erkrankung und der darauf beruhenden Versäumung keine unmittelbare Beziehung besteht;108 die Niederkunft der Ehefrau,109 aber auch „Prüfungsneurose“ kann es in engen Grenzen sein.110 Dagegen sind krankhafte und normwidrige Dauerzustände, z.B. Schwerhörigkeit, weil dem Beteiligten bekannt, in ihren Folgen regelmäßig abwendbar;111 eine auf ihnen beruhende Verhinderung ist daher verschuldet. Geldmangel schließt Verschulden regelmäßig nicht aus,112 weil im Allgemeinen Erklärungen bei der nächstgelegenen Behörde, zumindest dem nächstgelegenen Gericht abgegeben und an die zuständige Stelle weitergegeben werden können oder aber, wenn Ortsanwesenheit notwendig ist, Reisekostenvorschuss beantragt werden kann. Doch kann, wenn solche Möglichkeiten nicht bestehen oder nicht erkannt werden, auch Geldmangel ein Verschulden ausschließen.113 Dabei muss man im Auge behalten, dass die nahezu allenthalben im behördlichen Verkehr vorgeschriebenen Belehrungen über Rechtsmittel und Rechtsbehelfe den Bürger eigener Initiative, sich über Abhilfen zu unterrichten, weitgehend entwöhnt haben. Zu den persönlichen Verhältnissen zählen zwar auch Rechtskenntnisse. Gleichwohl 25 rechtfertigen weder neue Überlegungen und Erkenntnisse, noch das Bekanntwerden neuer Entscheidungen, noch die irrige Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Denn die Regelung in Satz 1 stellt nur auf unverschuldete Hindernisse bei Einhaltung einer Frist ab. Als ein solches Hindernis kommt unverschuldete Unkenntnis von Umständen nur in Betracht, soweit sie für den Beginn und Lauf einer einzuhaltenden Frist maßgeblich sind, nicht dagegen die Unkenntnis von Umständen, die nur den Beweggrund zur Wahrung einer Frist beeinflussen können.114 Die Unkenntnis des Angeklagten oder seines Verteidigers von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Wirksamkeit des abgesprochenen Rechtsmittelverzichts ist keine Verhinderung im Sinne von Satz 1.115 Hat der gesetzliche Vertreter (§ 298 Abs. 1) oder der Erziehungsberechtigte (§ 67 26 Abs. 3 JGG) von den Umständen keine Kenntnis erhalten, die den Beginn einer Rechtsmittelfrist begründen, so wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand allein weder durch seine Unkenntnis noch durch die Tatsache gerechtfertigt, dass ihm das Gericht die

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RG Recht 1914 3021; Saenger JuS 1991 843; OLG Düsseldorf VRS 98 (2000) 353; LG Zweibrücken VRS 100 (2001) 32 (wiederholte Vorlage eines ärztlichen Attests). OLG Stuttgart Justiz 1985 321; OLG Düsseldorf VRS 99 (2000) 121. OLG Hamburg MDR 1983 152; OLG Düsseldorf VRS 99 (2000) 121. OLG Celle MDR 1966 949. OLG Köln VRS 42 (1972) 129. Das OLG Hamm will diesen Grundsatz sogar auf den Fall einer zeitweisen Verhandlungsunfähigkeit zufolge übermäßigen Alkoholgenusses anwenden: Wer weiß, dass er sich durch Alkoholmissbrauch oft verhandlungsfähig macht, muss die Zeit, in der er verhandlungsfähig ist, zu Vorkehrungen nutzen, damit Rechtshandlungen frist-

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gerecht vorgenommen werden (MDR 1979 424). OLG München Alsb. E 1 125. OLG Königsberg JW 1927 1659; OLG Karlsruhe JW 1925 1035. BGH NStZ 2004 162; BGH bei Becker NStZ-RR 2002 66; BGH wistra 2005 310; BayObLGSt 1970 149 = JR 1971 29; 1977 189 = JR 1978 428 mit zust. Anm. Wendisch; OLG Hamm MDR 1974 1035; JMBlNRW 1976 67; OLG Düsseldorf JMBlNRW 1982 176; OLG Koblenz OLGSt § 44 StPO Nr. 14; a.A. für den Fall des Verstoßes gegen § 275 Abs. 1 Pahlmann NJW 1979 98; wie hier Mertens 1698; Stein 1086; vgl. im übrigen Rn. 54 ff. BGH wistra 2005 344 f.

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Entscheidung nicht bekannt gemacht hatte.116 Die Wiedereinsetzung kann aber zu gewähren sein, wenn der gesetzliche Vertreter oder Erziehungsberechtigte, etwa wegen Abwesenheit, gar keine Möglichkeit hatte, von dem Ereignis Kenntnis zu nehmen, das den Fristbeginn begründet hatte.117

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3. Fehlgegangene Zustellung. Die Ungerechtigkeiten, die durch Ersatzzustellungen entstehen können (§ 37, 55), versuchte das frühere Recht dadurch auszugleichen, dass die Unkenntnis von einer Zustellung als unabwendbarer Zufall angesehen wurde. Allerdings wurde die Vermutung des unabwendbaren Zufalls dadurch etwas abgeschwächt, dass die Unkenntnis nicht verschuldet sein durfte. Darüber hinaus durfte das Verschulden allein auf die Unkenntnis bezogen werden. Für seine Bejahung galten, weil die Ersatzzustellung eine Irregularität ist und um das rechtliche Gehör zu erhalten, strenge Maßstäbe. Diese Grundsätze haben durch die Aufgabe des „vermuteten Zufalls“ keine Änderung 28 erfahren,118 zumal da dieser Begriff für die Beurteilung der fehlgegangenen Zustellung ohnehin nicht in Betracht kam. Auch nach neuem Recht gelten alsdann weiterhin die Erwägungen, die das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung veranlasst haben, an das Verschulden immer dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn andernfalls das rechtliche Gehör eingeschränkt würde, namentlich also, wenn das rechtliche Gehör nicht nur für einzelne Entscheidungen, sondern dafür maßgeblich ist, ob diesem Verfahren überhaupt Gehör gewährt wird,119 besonders also beim Einspruch gegen einen Strafbefehl oder einen Bußgeldbescheid 120 und beim Widerruf einer Strafaussetzung. Wer eine ständige Wohnung hat und diese nur vorübergehend nicht benutzt,121 29 braucht selbst dann keine besonderen Vorkehrungen hinsichtlich möglicher Zustellungen zu treffen, wenn er schon polizeilich vernommen worden ist. Voraussetzung ist allerdings, dass die Anwesenheit die Regel und die Abwesenheit die Ausnahme bildet. Alsdann ist es dem Bürger nicht zuzumuten, im Hinblick auf mögliche, aber zeitlich eben ungewisse Zustellungen „besondere“ Vorkehrungen zu treffen und kann er damit rechnen, dass er Wiedereinsetzung erhält, wenn ihm etwa während eines Urlaubs – auch außerhalb der allgemeinen Ferienzeit 122 – ein Schriftstück durch Niederlegung bei der Post zugestellt wird und er aus Unkenntnis der Ersatzzustellung eine Frist versäumt.123 Das gilt allerdings nicht, wenn der Betroffene selbst keine zumutbaren Anstrengungen zum „Wegfall des Hindernisses“ unternimmt, z.B. die Abholung einer bei der Post niedergelegten Terminsladung vernachlässigt hat.124 Anders liegt der Fall, wenn jemand – auch aus beruflichen Gründen – regelmäßig oder über Wochen hinweg auf Reisen ist. Weil als116

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BGHSt 18 25; ebenso BayObLG DRiZ 1928 196; OLG Düsseldorf HRR 1941 749; a.A. – Wiedereinsetzung begründet, wenn dem in der Hauptverhandlung abwesenden gesetzlichen Vertreter nicht das Urteil mit Rechtsmittelbelehrung mitgeteilt wird – BayObLGSt 1954 51 = NJW 1954 1378. OLG Düsseldorf HRR 1941 749; s. auch Rn. 64 ff. BVerfE 40 88 = NJW 1975 1355. BVerfGE 25 166 = NJW 1969 1104; 26 318 = NJW 1969 1531; 40 42 = NJW 1975 1405; BVerfG 1993 847.

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BVerfGE 35 298 = MDR 1974 25; 37 100 = MDR 1974 822; 38 38 = NJW 1974 1903; 40 88 = NJW 1975 1355; 41 337 = NJW 1976 1537; BVerfG JZ 1975 571. BVerfGE 26 315 = NJW 1969 1531; 41 336 = NJW 1976 1537; BVerfG NJW 1993 847. BVerfGE 41 336 = NJW 1976 1537; 69 381 (385) = NJW 1986 244; 1993 720; BVerfG 1993 847. BVerfGE 34 154 = NJW 1973 178; LG Zweibrücken NStZ 1988 267. BVerfGE NJW 1993 847.

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dann nicht mehr von einer nur vorübergehenden Abwesenheit gesprochen werden kann, muss der Betroffene hier durch besondere Vorkehrungen sicherstellen, dass Frist gebundene Rechtsmittel gegen Entscheidungen, die während seiner Abwesenheit zugestellt werden, rechtzeitig eingelegt werden.125 Diesem Erfordernis genügt, wer wegen Antritts eines mehrwöchigen Urlaubs das Gericht bittet, alle weitere Korrespondenz mit seinem Verteidiger zu führen, zumal da er darauf vertrauen darf, dass das Gericht diesen selbst dann über eine getroffene Entscheidung unterrichten wird, wenn es die Zustellung an den Betroffenen schon vor Eingang seiner Bitte veranlasst hat.126 Aus der Verpflichtung, besondere Vorkehrungen zu treffen, ist einem auswärts Tätigen, gegen den ein Bußgeldverfahren anhängig ist, zuzumuten, sich bei jedem Wochenendbesuch nach amtlichen Postsendungen bei seinen Angehörigen zu erkundigen. Unterlässt er das und versäumt er deshalb wiederholt Rechtsmittelfristen, ist ihm Wiedereinsetzung zu versagen.127 Nicht schuldhaft handelt wiederum, wer davon absieht, sich nach Rückkehr von 30 einer Reise bei Hausgenossen nach einer Ersatzzustellung zu erkundigen 128 oder von einer Ersatzzustellung deshalb keine Kenntnis erhalten hat, weil seine mit ihm allein lebende – sonst selbständig und selbstverantwortlich bestimmte Tätigkeiten ausübende – dreizehnjährige Tochter den Benachrichtigungsschein nicht übergeben, sondern versehentlich weggeworfen hat.129 Ohne Verschulden handelt auch, wer es unterlässt, eine Revision vor Zustellung des Urteils zu begründen, weil er sich unter stetem Wechsel des Aufenthalts Arbeit suchen will.130 Erst recht besteht keine Pflicht, keine Reise anzutreten oder gar als Seemann nicht anzuheuern.131 Eine Wiedereinsetzung kommt allerdings auch in solchen Fällen nicht in Betracht, wenn dem Beteiligten anderweit ein Verschulden zur Last fällt, wenn er etwa die Abholung der niedergelegten Sendung vernachlässigt oder sich einer erwarteten Zustellung vorsätzlich entziehen wollte.132 Verschulden liegt vor, wenn ein von der Reise Zurückkehrender die eingelaufene Post, 31 unter der sich eine an die Vermieterin bewirkte Zustellung befindet, aus Gleichgültigkeit nicht durchsieht. Ebenso ist Verschulden anzunehmen, wenn ein auf Bewährungsfrist Entlassener entgegen einer ihm erteilten Auflage seinen Aufenthalt nicht mitteilt, ihm öffentlich zugestellt (§ 40) wird und er von dieser Zustellung keine Kenntnis erlangt hat.133 Wer sich so verhält, muss mit öffentlicher Zustellung (Rn. 35) rechnen und sich darauf einstellen.134 4. Unwirksame Zustellung. Die Erwägungen zu der fehlgegangenen Zustellung gelten 32 im gleichen Maße, wenn zufolge einer unter Verletzung von Formvorschriften vorgenommenen und daher unwirksamen Zustellung keine Frist versäumt, der Beschuldigte aber irrtümlich als säumig behandelt worden ist.135 Diese Grundsätze gelten auch für den Fall 125 126 127 128 129 130 131 132

OLG Hamm JMBlNRW 1977 92. OLG Köln VRS 57 (1979) 288. OLG Frankfurt VRS 56 (1979) 34. A.A. OLG Colmar Alsb. E 1 151. OLG Stuttgart NStZ 1992 99; LG Frankfurt MDR 1979 602; KK/Maul 21. A.A. OLG Kiel GA 42 (1894) 150. OLG Hamburg Alsb. E 1 150. BVerfGE 35 299 = MDR 1974 25; BVerfG NJW 1993 857; OLG Hamm JMBlNRW 1973 260; KG VRS 87 (1994) 131; OLG Hamm NJW 1970 1429; 1974 1477; OLG Celle StraFo 2002 17.

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BGHSt 26 127; BGHR StPO § 44 Satz 1 Verhinderung 7 Verschulden des Verurteilten; OLG Düsseldorf StraFo 2002 394; OLG Hamm NStZ-RR 2004 46; OLG Hamm MDR 1971 862; Meyer-Goßner 14. LG Flensburg NJW 1977 1698. BGH NStZ 1987 240; bei Miebach NStZ 1988 210; BayObLGSt 1970 75 = VRS 39 (1970) 272; OLG München HRR 1938 427; OLG Bremen MDR 1960 244; OLGSt § 411 StPO, 13; OLG Koblenz OLGSt § 44 StPO, 58; OLG Oldenburg MDR 1968 941; OLG Stuttgart NJW 1970 2224; Justiz 1973 289;

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der Verwerfung einer Berufung nach § 329 Abs. 1 zufolge irriger Annahme einer ordnungsgemäßen Ladung.136 Das LG Siegen 137 will einem Angeklagten für den Fall der Verwerfung der Berufung trotz nicht ordnungsgemäßer Ladung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen gewähren, das OLG Karlsruhe 138 das Verwerfungsurteil sogar für gegenstandslos erklären, wenn der Angeklagte die Fehlerhaftigkeit des Urteils innerhalb einer Woche ab Zustellung – außerhalb der Revision – geltend macht.139 Ob die Frist wirklich versäumt worden ist, ist im Rahmen des Wiedereinsetzungsverfahrens nicht mehr zu prüfen, wenn ein Rechtsmittel wegen Versäumung der Frist, wenn auch zu Unrecht, verworfen worden ist.140 Sofern aber noch ein ordentliches Rechtsmittel zur Verfügung steht, konkurriert dieses mit dem Wiedereinsetzungsantrag. Nicht zu prüfen ist schließlich auch, ob den Angeklagten an der fehlerhaften Ladung ein (Mit-)Verschulden trifft.141

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5. Öffentliche Zustellung. Die frühere Regelung, wonach die Unkenntnis von einer Zustellung als unabwendbarer Zufall angesehen wurde, war zwar auf die Ersatzzustellung abgestellt,142 galt aber nach Sinn und Wortlaut auch für die öffentliche Zustellung.143 Grundsätzlich braucht niemand einer Zustellung nachzulaufen, denn die Justiz arbeitet oftmals so langsam, dass man den Zeitpunkt einer Zustellung gar nicht abschätzen kann; es besteht keine Pflicht zu handeln.144 Ein Verurteilter, dem in einem Bewährungsbeschluss aufgegeben ist, jeden Wohnsitzwechsel anzuzeigen, hat es jedoch selbst zu vertreten, wenn er sich mit unbekannten Aufenthalt ins Ausland begibt, ohne seinen Bewährungshelfer und dem Gericht seinen neuen Aufenthaltsort mitzuteilen und deshalb eine Widerrufsentscheidung öffentlich zugestellt werden muss.145 Wer eine Zustellung zu

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OLG Frankfurt JR 1978 522 mit Anm. Rieß; MDR 1980 513; StV 1983 234; NStZ 1986 279; OLG Celle JR 1979 122; OLG Schleswig SchlHA 1980 214; OLG Hamburg MDR 1982 250; OLG Düsseldorf StV 1982 217; VRS 64 (1983) 200; NStZ 1987 523; KG wistra 2002 37; OLG Hamm NStZ 1982 521; MDR 1985 782; Dittmar NJW 1982 211; KK/Maul 22; Meyer-Goßner 2. Noch weitergehend OLG Stuttgart VRS 51 (1976) 109, wonach – in gewiss seltenen Fällen – selbst auf die Beschreitung dieses Weges soll verzichtet werden können; ähnlich auch OLG Hamm JMBlNRW 1979 179. OLG Köln OLGSt a.F. § 329 StPO, 107; Wendisch JR 1976 426; 1981 131; OLG Hamm JMBlNRW 1979 179; OLG Stuttgart Justiz 1973 289; offen gelassen OLG Koblenz OLGSt § 44 StPO, 10; a.A. KG JR 1976 425; 1984 78: nach dem Willen des Gesetzgebers sei dem Angeklagten nur die Revision eröffnet; OLG Karlsruhe Justiz 1986 52; OLG Saarbrücken MDR 1987 695; Meyer JR 1979 122; NStZ 1982 523; 1986 280. NJW 1976 2359. JR 1981 129. Wegen der Bedenken dagegen s. OLG

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Düsseldorf NStZ 1987 524; OLG Koblenz OLGSt § 44 StPO; 10; Wendisch JR 1981 131; Dittmar NJW 1982 209; Meyer NStZ 1986 280. BayObLGSt 1970 73 = VRS 39 (1970) 272. Dazu ausführlich Wendisch JR 1981 131 und im Anschluss daran OLG Hamm NStZ 1982 523 mit abl. Anm. Meyer; MDR 1985 782. Im Ergebnis ebenso OLG Bremen OLGSt § 411 StPO, 13; OLG Koblenz OLGSt § 44 StPO, 58; OLGSt n.F. § 44 StPO, 10; OLG Frankfurt JZ 1978 409; MDR 1980 513, JR 1986 214 mit im Erg. wohl zust. Anm. Hilger = NStZ 1986 279 mit abl. Anm. Meyer; OLG Celle JR 1979 121 mit abl. Anm. Meyer; OLG Düsseldorf JMBlNRW 1982 68; OLG Hamburg MDR 1982 250; a.A. OLG Stuttgart NJW 1970 2224; Justiz 1973 289; OLG Hamm – 4. StS – JMBlNRW 1979 178; nicht ganz eindeutig OLG Bremen MDR 1960 244; OLG Oldenburg MDR 1968 941; BayObLGSt 1970 73 = VRS 39 (1970) 272. KG VRS 3 (1951) 328. BayObLGSt 9 230; OLG Königsberg JW 1928 839. OLG Karlsruhe NJW 1974 1152. OLG Hamm NStZ-RR 2004 46.

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erwarten hat, handelt nicht schuldhaft, wenn er es unterlässt, die an der Gerichtstafel angehefteten Benachrichtigungen zu überwachen,146 oder Vorsorge zu treffen, dass ihm Schriftstücke nachgesandt werden.147 Das Oberlandesgericht Braunschweig 148 schlägt einen seltsamen Weg ein, um zu einer 34 ihm erwünschten Nachprüfung zu kommen: Es versagt zwar dem Adressaten einer öffentlichen Zustellung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, räumt ihm aber ein Nachverfahren ein, in dem er Gegenvorstellung erheben kann. Es beruft sich auf BVerfGE 9 89 = NJW 1959 427, obwohl dieser Entscheidung durch § 33a, § 311a Rechnung getragen ist. Die Zuständigkeit, über die Gegenvorstellung zu entscheiden, überlässt es aber nicht dem Gericht, dessen Entscheidung (öffentlich) zugestellt worden war, sondern zieht sie selbst an sich.149 Diese Rechtsprechung entzieht das „Nachverfahren“ dem Gericht, das nach § 33a zuständig ist, und führt es aus praktischen Gründen über § 44 in der Rechtsmittelinstanz selbst durch. Das Rechtsmittelgericht ist aber nicht der gesetzliche Richter (§ 46, 6 ff., 20).150 6. Zustellung an Zustellungsbevollmächtigten. Bei Zustellung an einen Zustellungs- 35 bevollmächtigten (§ 116a Abs. 3, § 127a Abs. 2, § 132 Abs. 1 Nr. 2), an den gewählten Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, und an den Pflichtverteidiger (§ 145a Abs. 1), an den schriftlich bevollmächtigten Rechtsanwalt eines Privatklägers (§ 378 Satz 2) oder Nebenklägers (§ 397 Abs. 1 Satz 2) und an jeden sonst ausdrücklich zur Entgegennahme von Zustellungen Ermächtigten ist der Zustellungsbevollmächtigte oder der Rechtsanwalt Zustellungsempfänger. Daher kann in diesen Fällen der Beschuldigte, der Privat- oder der Nebenkläger einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht darauf stützen, dass er selbst von der Zustellung keine Kenntnis erlangt habe;151 wohl aber kann ein ausländischer Betroffener Wiedereinsetzung beantragen, wenn er die Einspruchsfrist gegen einen Bußgeldbescheid deshalb versäumt hat, weil der von ihm nach § 132 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bestellte Zustellungsbevollmächtigte den Bußgeldbescheid verspätet und mit einfachem Brief an ihn weitergeleitet hat.152 Wegen des umgekehrten Falls vgl. Rn. 48. 7. Post und Beförderung. Der Beteiligte kann eine ihm eingeräumte Frist bis zur 36 äußersten Grenze ausnutzen.153 Bedient er sich zur Beförderung seines Schreibens der

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BayObLGSt 11 263; s. aber Rn. 33. Löwenstein JW 1921 417; a.A. OLG Karlsruhe JW 1921 417; OLG Köln NJW 1963 875; OLG Hamm NJW 1970 1429; 1974 1477; MDR 1975 422; VRS 42 (1972) 130; OLG Braunschweig NJW 1971 1711. NJW 1971 1710. Ähnlich OLG Frankfurt NJW 1972 1095; OLG Koblenz MDR 1972 965; OLG Celle 1. StS Rpfleger 1972 373; OLG Köln MDR 1972 965; OLG Stuttgart NJW 1974 284 und OLG Hamburg 2. StS MDR 1974 417. Richtig – nämlich Überprüfung im Nachverfahren – OLG Hamburg 1. StS NJW 1972 219; mit abl. Anm. Kallmann NJW 1972 1478; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1972 246; OLG Celle 2. StS NJW 1973 2307; JR 1974

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112; MDR 1974 948; OLG Saarbrücken NJW 1974 283; OLG Karlsruhe MDR 1974 686; GA 1975 284; OLG Stuttgart Justiz 1975 276; OLG Koblenz MDR 1975 595 sowie – auf Antrag des Generalbundesanwalts – BGHSt 26 127; im Grundsatz zustimmend auch Hanack JR 1974 114. RGSt 66 350; BGH NJW 1977 640; KK/Maul 25. LG Karlsruhe DAR 1982 237. BVerfGE 4 30 = NJW 1955 17; 6 49 = NJW 1957 337; 40 44; 41 329 = NJW 1975 1405; 52 209; 69 385; OLG Hamm JMBlNRW 1957 178; OLG Stuttgart NStZ 1992 99; OLG Rostock MDR 1994 402 (bei Möglichkeit der Einlegung per Telefax); Zuck ZRP 1985 302.

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Post, so muss er die gewöhnliche Laufzeit einer Postsendung je nach deren Art und je nach der Entfernung zwischen Aufgabe- und Zustellungsort, in die Fristberechnung einbeziehen,154 nicht aber eine Verzögerung der Postbeförderung.155 Die gewöhnliche „normale“ Laufzeit ist objektiv – und zugleich dem Grundsatz der Gleichbehandlung Rechnung tragend – danach bestimmbar, wie die Deutsche Post AG sie nach ihren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen für den regelmäßigen Betriebsablauf selbst bemisst.156 Übliche Verlängerungen der Laufzeit, etwa wegen vermindertem oder ganz entfallendem Leerungs- 157 und Beförderungsdienst an Wochenenden und Feiertagen, muss der Beteiligte bei seinen Überlegungen – in Zweifelsfällen durch besondere Erkundigung – berücksichtigen. Bei fehlender Angabe der vorgesehenen Postleitzahl 158 kann der Absender nicht von der üblichen Beförderungsdauer ausgehen.159 Bei ordnungsgemäßer Adressierung kann er bei Aufgabe der Sendung – bei mittleren Entfernungen – am Vortag 160, bei größeren zwei Tage vor Fristablauf 161 mit fristgerechtem Eingang grundsätzlich rechnen. Der Beweis dafür wird regelmäßig durch den Poststempel auf dem Briefumschlag erbracht. Befindet sich dieser nicht bei den Akten und kann aus diesem Grund die rechtzeitige Aufgabe des Briefes nicht festgestellt werden, kann dieser Umstand dem Beteiligten nicht angelastet werden.162 Damit das Gericht die Frage eines etwaigen Verschuldens oder auch nur Mitverschuldens hinreichend zuverlässig beurteilen kann, muss allerdings von dem Betroffenen verlangt werden, dass er die Umstände der Einlieferung der Sendung nach Zeit und Ort genau darlegt.163 Bei Einschreibesendungen kann der Absender nicht auf die Laufzeit bei gewöhnlichen Postsendungen vertrauen, da diese auf dem Weg vom Absender zum Empfänger besonders zeitaufwändigen Kontrollen unterzogen werden, die zu einer längeren Laufzeit führen können.164 Sonstige Unregelmäßigkeiten des Postverkehrs dürfen, weil der Betroffene darauf 37 keinen Einfluss hat, ebenfalls keine Nachteile für ihn begründen. Ist die Mitteilung über die Niederlegung eines Schriftstücks entgegen § 1 Nr. 4 ZustVV nicht auf dem dafür vorgesehenen Vordruck, sondern durch eine Blanko-Benachrichtigung erfolgt, die weder den Namen des Empfängers der Zustellung noch das Aktenzeichen oder sonstige Angaben enthält, so liegt in der Regel kein Verschulden des Zustellungsadressaten vor, der infolgedessen eine Frist versäumt.165 Eine zufolge solcher Unregelmäßigkeiten eingetretene Fristversäumung ist für den Betroffenen unverschuldet,166 einerlei ob es sich dabei um den

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BGH NJW 1958 2015. BGH GA 1994 75; BayObLG NJW 1978 1488; OLG Hamburg NJW 1974 68; Saenger JuS 1991 843. BVerfG NJW 2001 744. BVerfGE 40 42, 45 = NJW 1975 1405. So OLG Stuttgart NJW 1982 2832 mit der Begründung, dass das Anbringen der Postleitzahl nicht unabdingbare Voraussetzung für die Beförderung einer Postsendung sei, die – wie die Praxis bei der Post beweise – bei sonst einwandfreier und deutlicher Anschrift regelmäßig ohne weitere Verzögerung bearbeitet und an den Empfänger befördert würde. OLG Frankfurt NStZ-RR 1997 137. Beispiele: OLG Hamburg NJW 1974 68: Berlin/Hamburg; BVerfGE 41 25 = NJW

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1976 513: Essen/Aschaffenburg; BVerfGE 41 341: Hamburg-Bergedorf/Hamburg-Altona; BVerfGE 41 357 = DRiZ 1976 150: Porz/Köln; BVerfGE 42 258; Kriftel/Düsseldorf; BVerfGE 43 78: Erkelenz/Köln; BVerfGE 43 151: Hamburg/Neumarkt in der Oberpfalz; BVerfGE 50 397: Fürth (Odenwald)/Kassel. Beispiele: BVerfGE 40 42 = NJW 1975 1405 Norden/Heidelberg; BVerfGE 46 406; Bückeburg/Schweinfurt; BGH bei Dallinger MDR 1974 547: München/Essen. LG Flensburg MDR 1976 599. OLG Hamm MDR 1977 948. LG Berlin VRS 108 (2005) 109. AG Baden-Baden NJW 2001 839. OLG Dresden Alsb. E 1 129; OLG Hamm JMBlNRW 1971 1261.

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ersten Zugang zum Gericht 167 oder um Fälle des Zugangs zu einer weiteren Instanz 168 handelt. Der Grundsatz gilt ganz allgemein – auch bei Inanspruchnahme von Übermittlungsmöglichkeiten per Eilboten, Telegramm oder Telefax 169 – und für jedes rechtsstaatliche Gerichtsverfahren, mithin im Zivilprozess 170, und zwar auch für den Zugang Frist wahrender Schriften innerhalb einer Instanz 171, im Einspruchsverfahren gegen einen Vollstreckungsbeschluss nach §§ 699, 700 ZPO 172, im arbeitsgerichtlichen Verfahren 173 sowie im Finanzgerichtsverfahren174. Er findet auch Anwendung, wenn die Fristversäumnis auf Verzögerung bei der Entgegennahme durch das Gericht beruht, die der Bürger nicht zu vertreten hat.175 Kleinere Verzögerungen muss der Absender allerdings einrechnen.176 Wird sonnabends nicht zugestellt, dann trägt § 43 Abs. 2 dem Rechnung. Folglich braucht der Beteiligte daher Einschränkungen der Post, die den Zustellungsdienst an Wochenenden oder Feiertagen betreffen, bei der Fristberechnung nicht zu berücksichtigen.177 Gibt der Beteiligte die Erklärung persönlich ab, ist eine Zugverspätung 178 oder ein 38 sonstiges Verkehrshindernis für ihn ein Ereignis, das ihn ohne sein Verschulden gehindert hat, die Frist einzuhalten. Doch muss er auch hier kleinere Verkehrsstörungen, als stets voraussehbar, auf sich nehmen; auf die Minute genau darf er die Beförderungszeit nicht bemessen.179 Das gilt auch, wenn er ein Kraftfahrzeug benutzt. Dabei ist zwar ein (eigener) Unfall oder die Straßensperre wegen eines (fremden) Unfalls ein Umstand, der eigenes Verschulden ausschließt; Wartezeit an Tankstellen, Geschwindigkeitsbeschränkungen an Baustellen und in Stoßzeiten sind aber „normal“ und daher einzurechnen. Auch das Versehen eines verlässlichen Boten oder Kurierdienstes begründet kein Verschulden,180 doch muss die Verlässlichkeit erprobt sein. Im Übrigen gelten für sonstige private Kurier- und Botendienste die gleichen Grundsätze wie für die Beförderung durch die privatisierte Deutsche Post AG. 8. Behörden. Zwar liegt es jedem am Verfahren Beteiligten ob, seine Rechtsangelegen- 39 heiten mit Sorgfalt selbst zu verfolgen; er darf sich nicht darauf verlassen, dass eine Behörde für ihn handeln werde. Ist er aber zu einer Amtsstelle in Beziehung getreten, dann darf er sich von dem Vertrauen leiten lassen, dass diese ihre Tätigkeit nach den bestehenden Vorschriften und sachgemäß ausübt.181 Ein Angeklagter kann deshalb grundsätzlich darauf vertrauen, dass das Tatgericht einen unmittelbar nach Beginn der Revisionsbegründungsfrist gestellten Antrag, ihm einen Pflichtverteidiger für die Revisionsbegründung beizuordnen, so rechtzeitig bescheidet, dass ihm für den Fall der Ablehnung noch die Möglichkeit verbleibt, sich entweder eines Wahlverteidigers zu bedienen oder die Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle zu erklären.182 Hat ein Betei-

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BVerfGE 41 23 = NJW 1976 513. BVerfGE 44 302 = NJW 1977 1233; 53 25 = NJW 1983 560; 62 216 = NJW 1983 560; 62 334 = NJW 1983 1479; 63 336. BVerfG NJW 1992 1952; 1994 1854. BVerfGE 50 1 = NJW 1979 641; 51 146. BVerfGE 52 203 = NJW 1980 580. BVerfGE 51 352 = MDR 1979 907. BVerfGE 53 29. BVerfGE 53 151. BVerfGE 41 323, 327 = NJW 1976 747; 44 307 = NJW 1977 1233; 62 221 = NJW 1983 560; JMBlNRW 1983 22.

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OLG München Alsb. E 1 133. So aber BVerfGE 40 45 = NJW 1975 405. OLG Colmar Alsb. E 1 129. KG DJZ 1918 193. BVerfG NJW 1999 3701; 2000 2657 (betr. Kurierdienst eines Anwaltsvereins); BayObLGSt 1 145; OLG Jena NJW 1999 3053. RGSt 68 300; RGZ 116 14; 129 174; OLG Düsseldorf JMBlNRW 1983 215; Saenger JuS 1991 843. OLG Hamm MDR 1976 1038.

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ligter eine Rechtsauskunft erhalten, darf er bei seinem weiteren Verhalten davon ausgehen, dass sie richtig und vollständig ist.183 Danach ist amtliches Verschulden einer Behörde oder eines Amtsträgers, durch das ein Beteiligter eine Frist versäumt hat, diesem nicht anzulasten, wenn er nicht durch eigenes Verschulden die Versäumung mit verursacht hat 184 und ohne sein eigenes Verschulden das der Behörde oder des Amtsträgers nicht zur Versäumung der Frist geführt hätte. Als eigenes Verschulden in Form des Mitverschuldens ist es anzusehen, wenn der Antragsteller eine Rechtsmittelschrift bei einem unzuständigen Gericht so spät einreicht, dass diese nur durch außerordentliche Maßnahmen außerhalb des ordentlichen Geschäftsgangs und der normalen Geschäftszeiten noch Frist wahrend an das zuständige Gericht hätte weitergeleitet werden können.185 Da jeder Prozessbeteiligte die Fristen bis zur äußersten Grenze ausnutzen kann,186 40 dürfen etwaige Fristversäumnisse, die auf Verzögerungen der Entgegennahme der Sendung durch das Gericht beruhen, dem Beteiligten nicht angelastet werden.187 Es beruht nicht auf einem Verschulden des Beteiligten, wenn ein Schriftstück – auch ein Telegramm, nicht ein eingeschriebener Brief 188 – nach Dienstschluss nicht mehr mit fristwahrender Wirkung eingereicht werden kann.189 Das gleiche gilt, wenn eine Behörde ihre Briefe auf der Post abholen lässt und diese dadurch erst nach Fristablauf bei ihr eingehen.190 Wer seine Briefe bei der falschen Stelle einreicht, hat zwar selbst dafür ein zu stehen,191 41 doch kann er damit rechnen, dass ein unzuständiges, funktionell noch nicht oder nicht mehr zuständiges Gericht 192, die Staatsanwaltschaft 193 oder eine Behörde 194, die früher mit dem Verfahren befasst war oder sonst zu ihm in Beziehung gestanden hatte 195 – zumal wenn von dieser die Zustellung, die die Frist ausgelöst hat, ausgegangen war 196 –, sie rechtzeitig im ordentlichen Geschäftsgang und bei erkennbar unmittelbar bevorstehendem Fristablauf auch durch Einsatz moderner Kommunikationsmittel wie Telefax sofort an die zuständige Behörde weiterleitet. Tut sie das nicht, trifft den Betroffenen kein Verschulden.197 Wohl aber muss sich ein Beteiligter die unterbliebene Weiterleitung 183 184 185

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BGHSt 24 25; OLG Zweibrücken NStZ-RR 2000 111. RGSt 70 188; BVerfG NJW 2004 2887 (Irreführung durch das Gericht). OLG Düsseldorf NStZ 1984 184 mit zust. Anm. Maul; OLG Hamm NStZ 1985 472; OLG Schleswig SchlHA 1985 129; OLG Braunschweig NStZ 1988 514; OLG Hamm NJW 1997 2829. BVerfGE 40 44 = NJW 1975 1405; 41 328 = NJW 1976 747; 52 203 = NJW 1980 580; 69 389 = NJW 1986 244; Meyer-Goßner 12. BVerfGE 44 306 = NJW 1977 1255; 52 203 = NJW 1980 580; 57 117 = NJW 1981 1951. OLG Karlsruhe Alsb. E 1 134. OLG Hamm JMBlNRW 1957 178; Oswald DAR 1971 324. BVerfG NStZ 1983 83; RGSt 2 271; KG GA 39 (1891) 184. KG Alsb. E 1 122; OLG Frankfurt NStZ-RR 2000 212. OLG Hamm NJW 1958 1836; MDR 1978

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73; NStZ 1985 472; OLG Naumburg NStZ-RR 2001 272; OLG Zweibrücken OLGSt a.F. § 44 StPO, 69; Saenger JuS 1991 843. RG LZ 1919 1545; OLG Celle OLGSt a.F. § 44, 35; OLG Koblenz MDR 1973 691; OLG Hamm JMBlNRW 1975 191; OLG Zweibrücken VRS 54 (1978) 127; NJW 1982 1008; OLG Düsseldorf JMBlNRW 1983 163; VRS 69 (1985) 35; einschränkend jedoch JMBlNRW 1983 215 = NStZ 1984 184 mit zust. Anm. Maul; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1983 108; Schrader NStZ 1987 448. LG Flensburg DAR 1979 78. Z.B. Straßenverkehrsamt: OLG Hamm JMBlNRW 1978 229. OLG Celle NdsRpfl. 1973 27. BVerfGE 93 99 = NJW 1995 3173; NJW 2005 2137; OLG Düsseldorf NStZ 1999 147; OLG Frankfurt StV 1981 118; OLG Hamm StraFo 2004 51 = NStZ-RR 2004 81; OLG Naumburg NStZ-RR 2001 272.

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als eigenes Verschulden zurechnen lassen, wenn die Staatsanwaltschaft ein bei ihr – ohne Aktenzeichen – eingegangenes Schreiben mangels näherer Hinweise nicht der zuständigen Stelle zuleiten konnte und deshalb zur Ergänzung an ihn zurücksenden musste.198 Kein Verschulden des Beteiligten liegt vor, wenn der noch anwesende Urkundsbeamte 42 sich kurz nach Dienstschluss weigert, eine Erklärung entgegenzunehmen;199 wenn ein unzuständiger Urkundsbeamter eine Erklärung entgegennimmt;200 wenn der Urkundsbeamte die Aufnahme der Erklärung eines Bevollmächtigten ablehnt, weil dieser keine schriftliche Vollmacht, die indessen nachgereicht werden durfte, hat 201 oder weil er ein Rechtsmittel für unzulässig hält;202 wenn er einen Antrag unsachgemäß aufnimmt 203 oder überhaupt fehlerhaft behandelt;204 wenn er – oder das Gericht durch Aushändigen eines unzutreffenden Formblattes 205 – oder sonst falsch belehrt 206 oder eine gebotene Belehrung unterlässt;207 wenn der Rechtspfleger den Beschwerdeführer, der ein Rechtsmittel zu Protokoll der Geschäftsstelle einlegen will, darauf verweist, das schriftlich zu tun,208 und ihm klar sein muss, dass der Beschwerdeführer bei Befolgung des Hinweises die Frist versäumen wird.209 Dabei kann nach den Umständen, namentlich bei einem ungewandten, nicht durch einen Anwalt vertretenen Angeklagten, eine wiederholte Belehrung notwendig sein, wenn ersichtlich ist, dass er die erste, zumal wenn sie mündlich war, missverstanden hat. Ein inhaltlich unzutreffendes Schreiben des Rechtspflegers kann bei einem in Haft befindlichen Angeklagten mit niedrigem Bildungsniveau bei Fristversäumung die Wiedereinsetzung rechtfertigen.210 Sofern der Wiedereinsetzungsgrund in einem den Gerichten zuzurechnenden Fehler liegt, fordert der Grundsatz fairer Verfahrensführung eine ausdrückliche Belehrung des Betroffenen über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung.211 Dem Beschuldigten ist allerdings zuzumuten, dass er sich sogleich an rechtskundiger Stelle über die form- und fristgerechte Einlegung des Rechtsmittels vergewissert. Unterlässt er dies und versäumt er dadurch die Frist, so hat auch er (durch eigenes Verschulden) eine Ursache für die Versäumnis gesetzt 212 und kann deshalb keine Wiedereinsetzung beanspruchen.213 Für den Privatkläger unverschuldet ist es, wenn das Gericht über seine Revision ent- 43 scheidet, ohne vorher seinen Antrag auf Prozesskostenhilfe beschieden zu haben.214 Nichts anderes gilt für den Antragsteller im Klageerzwingungsverfahren, der unter Hinweis auf sein persönliches und wirtschaftliches Unvermögen, die dafür erforderlichen

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OLG Hamm JMBlNRW 1977 213 = MDR 1978 73; s. auch OLG Düsseldorf VRS 69 (1985) 85. OLG Colmar Alsb. E 1 116. RG JW 1911 247; BayObLGSt 16 99; VRS 55 (1978) 128; OLG Köln NZV 2006 47 = VRS 109 (2005) 347. OLG Bremen Rpfleger 1955 108. RG JW 1925 2779. RGSt 68 299; OLG Braunschweig GA 70 (1922) 152. BayObLG JR 1960 145 mit Anm. Sarstedt; OLG Bremen NJW 1956 46; OLG Hamm JMBlNRW 1974 80; KK/Maul 28. OLG Neustadt VRS 15 (1958) 281. BayObLGSt 1959 275; a.A. zu Unrecht OLG Hamburg Alsb. E 1 124. BayObLGSt 9 (1909) 174; OLG Hamm

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JMBlNRW 1974 80; OLG Düsseldorf NJW 1988 1923. BGHSt 30 69; OLG Bremen Rpfleger 1956 240; BVerfG NJW 2005 3629 = wistra 2006 15. OLG Düsseldorf NJW 1988 1924. BGH NStZ 1994 194; BVerfG NJW 2005 3629 = wistra 2006 15. BVerfG NStZ-RR 2005 238; NJW 2005 3629 = wistra 2006 15; Geppert GedS Meyer 105. OLG Hamm JMBlNRW 1973 259; weitergehend noch OLG Hamm JMBlNRW 1963 147. Anders nunmehr OLG Hamm VRS 59 (1980) 166. BayObLGSt 10 135.

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Prozesskosten zu erbringen, zunächst um Bewilligung der Prozesskostenhilfe (§ 114 ZPO) und Beiordnung eines Rechtsanwalts (§ 121 ZPO) nachgesucht hat. Auch ihm ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er wegen verspäteten Zugangs der ablehnenden Entscheidung erst nach Ablauf der Monatsfrist des § 172 Abs. 2 Satz 1, aber binnen der Wochenfrist des § 45 Abs. 1, einen solchen Antrag stellt.215

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9. Vollzugsanstalten. Auch Straf- und Untersuchungsgefangene können die ihnen eingeräumten Fristen bis zum äußersten ausnutzen. Sie sind nicht verpflichtet, eine etwa stattfindende Postkontrolle und die Eigenarten des inneren Betriebs der Anstalt einzurechnen,216 zumal da diese in der Regel für den Gefangenen nicht durchschaubar sind und Veränderungen unterliegen. Daher reicht es, wenn der normale Postlauf nicht länger dauert, in der Regel aus, wenn sie ihre Erklärungen einen Tag vor Fristablauf in der Anstalt abgeben. Läuft der Brief zufolge der Anstaltsverhältnisse verspätet ein, ist die Fristversäumung für den Absender unverschuldet.217 Bei Abgabe des Schreibens am Tag des Fristablaufs hingegen kann ein Gefangener nicht mit dem fristgerechten Eingang bei Gericht rechnen.218 Das ist auch der Fall, wenn ein Gefangener trotz seinem Wunsch nicht 219 oder verspätet 220 vorgeführt, die Annahme einer Erklärung abgelehnt 221 oder trotz Zusage nicht aufgenommen wird, obwohl sich der Gefangene um die Aufnahme bemüht hatte;222 wenn ein Anstaltsbeamter einen Brief falsch frei macht, so dass ihn das Gericht nicht annimmt;223 oder wenn er falsche Auskünfte erteilt,224 es sei denn, dass der Gefangene von ihm wegen seiner Dienststellung keine sachgemäße Auskunft erwarten kann.225 10. Verteidiger

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a) Historische Entwicklung. Nach § 232 Abs. 2 ZPO 226 und § 22 Abs. 2 FGG ist eine Versäumnis, die auf dem Verschulden eines Vertreters beruht, Verschulden der Partei. Obwohl der Verteidiger nicht Vertreter des Beschuldigten ist, hatten die Strafsenate des Reichsgerichts diesen Grundsatz zunächst auch für das Gebiet der Strafprozessordnung vertreten.227 Andererseits hatte das Reichsgericht einen dem Beschuldigten nicht anzulastenden Umstand darin erblickt, dass der Vorsitzende dem Beschuldigten einen Verteidiger bestellt hatte, der die gesetzlichen Bestimmungen nicht handhaben konnte,228 und damit ausgesprochen, dass das Verschulden eines Pflichtverteidigers dem Beschuldig215 216

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OLG Celle MDR 1977 160; LR/GraalmannScheerer 25 § 172, 172 ff. OLG Bremen NJW 1956 233; OLG Düsseldorf NStZ 1990 = StV 1990 486; KK/Maul 29. OLG Düsseldorf NStZ 1990 149; VRS 96 (1999) 29; Saenger JuS 1991 843; MeyerGoßner 17. BGHR StPO § 44 Verhinderung 4 und 12; BGH NStZ-RR 1999 258; 2001 259; BGH NStZ 2006 54. BayObLGSt 1 31. RGRspr. 1 179; BayObLG NStZ-RR 2000 248; OLG Celle MDR 1963 522. RG JW 1925 2779. OLG Hamm MDR 1963 522.

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OLG Hamburg Alsb. E 1 130. BGHR StPO § 44 Satz 1 Verhinderung 13 Verschulden des Angeklagten. OLG München Alsb. E 1 125. Die Vorschrift ist durch das Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren (Vereinfachungsnovelle) vom 3.12.1976 aufgehoben und bei gleichem Inhalt durch § 85 Abs. 2 ZPO ersetzt worden. Da die zitierte Rechtsprechung (vgl. dazu auch Rn. 56 ff.) zu § 232 ZPO ergangen ist, wird diese Bestimmung im Rahmen dieses Abschnitts mit dem Zusatz „jetzt § 85 Abs. 2“ angeführt. RGRspr. 1 689; 8 508; RGSt 10 74. RGSt 40 121.

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ten nicht zum Nachteil gereichen dürfe. Später hat es diese Rechtsprechung erweitert und ein Verschulden des Verteidigers schlechthin, auch des Wahlverteidigers, als einen für den Beschuldigten „unabwendbaren Zufall“ anerkannt, sofern nicht der Beschuldigte selbst durch eigenes Verschulden eine Ursache für das Versäumnis gesetzt hat.229 Das wird aber nur dann anzunehmen sein, wenn nach Art des Anwaltsverschuldens und dem bisherigen Verfahrensgang für einen verständigen Angeklagten Anlass bestand, mit der Fristversäumung zu rechnen.230 Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsprechung fortgesetzt.231 Sie gilt auch für Versehen des Anwaltspersonals,232 nicht aber für sonstige Dritte.233 b) Der Rechtsprechung ist zuzustimmen. Sie hat in der Praxis zu keinen Schwierig- 46 keiten geführt und ist auch – von wenigen auf besondere Einzelfälle beschränkte Ausnahmen abgesehen – in der Literatur gebilligt worden. Allerdings dürfen die aufgestellten Grenzen nicht unbeachtet bleiben. c) Einzelfälle. Wer einen ihm als liederlich und unzuverlässig bekannten Anwalt 47 beauftragt, kann sich damit nicht Freiheit von den Fristen der Strafprozessordnung erkaufen.234 Allerdings kann eine solche Kenntnis bei einem rechtsunkundigen Angeklagten, der seinem Verteidiger weiterhin voll und ganz vertraut, obwohl er von einem Verwerfungsantrag der Staatsanwaltschaft und einem Verwerfungsbeschluss des Gerichts unterrichtet worden war, noch nicht angenommen werden.235 Nichts anderes gilt für den Fall, wo der anwesende Angeklagte trotz ordnungsgemäßer mündlicher und schriftlicher Belehrung auf die Richtigkeit einer vorherigen Auskunft seines Verteidigers vertraut, die Rechtsmittelfrist beginne erst mit der Urteilszustellung.236 Wer von seinem Anwalt aufgeklärt wird, dieser könne wegen seines Urlaubs eine Revision nicht begründen, handelt selbst schuldhaft, wenn er dies im Vertrauen auf eine spätere Wiedereinsetzung zulässt.237 Wer eine Rechtsmittelfrist versäumt, weil der von ihm (schriftlich) beauftragte Rechtsanwalt es abgelehnt hat, wegen noch nicht – auch nicht nach Mahnung – bezahlter

229 230 231

RGSt 60 191. OLG Frankfurt NJW 1991 1191. BGHSt 14 308, 332; 18 34; 25 92; BGH NJW 1973 1138; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 493; bei Miebach NStZ 1990 25; KG GA 76 (1928) 166; JW 1934 1681; HESt 1 162; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1953 171; OLG Hamburg MDR 1974 248; OLG Karlsruhe VRS 75 (1988) 354; OLG Düsseldorf VRS 91 (1996) 119; ebenso BVerfG NJW 1991 351; KK/Maul 31; MeyerGoßner 18; SK/Weßlau 33. S. aber den Beschluss des 5. Strafsenats BGH NJW 1993 742, in dem dieser angekündigt, der Frage nachgehen zu wollen, ob die Rechtsprechung zur Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zufolge Verteidigerverschuldens etwa dahin zu korrigieren sei, dass dem Angeklagten Wiedereinsetzung nur zu gewähren ist, soweit er es versäumt hat, fristgemäß die Verletzung materiellen Rechts zu rügen,

232

233 234

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nicht dagegen, soweit die Versäumung die Verletzung von Verfahrensrügen betrifft. RGSt 35 109; BGHSt 14 332; Fünfsinn NStZ 1985 488; KK/Maul 35; enger OLG Düsseldorf StV 1987 97: nur wenn der Verteidiger dargelegt und glaubhaft macht, dass er sein Personal sorgfältig ausgewählt und überwacht hat und eine zur Vermeidung von Fristüberschreitungen taugliche Büroorganisation vorhanden ist; ähnlich NJW 1993 1345. LG Mainz NJW 1975 2113. BayObLG VRS 88 (1995) 277; OLG Düsseldorf NZV 1995 164; M. J. Schmid 1976 941; Fünfsinn NStZ 1985 488; Saenger JuS 1991 843; KMR/Paulus 29; kritisch Schlüchter Rn. 151 Fn. 57. BGHSt 25 89, 93; vgl. auch OLG Frankfurt VRS 59 (1980) 431. BayObLG bei Rüth DAR 1979 240. BGHSt 14 306.

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früherer Honorarforderungen für den Auftraggeber überhaupt tätig zu werden, hat die Versäumnis selbst verschuldet.238 Eigenes Verschulden trifft auch den, der seinem nicht mit Vollmacht versehenen 48 Wahlverteidiger (§ 145a Abs. 1) den Tag der Zustellung nicht oder verspätet mitteilt und deshalb eine Frist versäumt.239 Dabei ist es gleichgültig, ob der Verteidiger die nach § 145a Abs. 3 Satz 2 vorgeschriebene Unterrichtung über die an den Angeklagten bewirkte Zustellung erhalten hat oder ob diese unterblieben ist.240 Denn wenn der Beschuldigte auch davon ausgehen darf, dass nach dem Gesetz verfahren wird, so weiß er doch, dass er allein die Zustellung erhält und dass dem Verteidiger zwar die Tatsache der Zustellung mitgeteilt wird, der Zeitpunkt aber nicht genau bekannt sein kann.241 Dagegen liegt kein Verschulden vor, wenn nicht nur dem bevollmächtigten oder bestellten Verteidiger (§ 145a Abs. 1), sondern auch dem Beschuldigten, und diesem früher als dem Verteidiger, zugestellt wird und der Verteidiger von der Zustellung an den Beschuldigten nicht unterrichtet wird;242 es sei denn, dass diesen aufgrund der besonderen Umstände eine aktive Mitwirkungspflicht zum Zweck der Fristwahrung traf.243 Es ist um so mehr zu verneinen, wenn nach Einlegung der Revision durch den Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet, das Urteil entgegen Nr. 154 Abs. 1 Satz 1 RiStBV nur dem Angeklagten zugestellt und der Verteidiger entgegen § 145a Abs. 3 Satz 2 nicht benachrichtigt wird.244 Denn durch die Regelung des § 145a i.V.m. Nr. 154 Abs. 1 RiStBV soll dem bevollmächtigten oder bestellten Verteidiger die Fristenkontrolle übertragen werden. Der Beschuldigte kann sich – anders als im Fall des nicht bevollmächtigten Wahlverteidigers – darauf verlassen, dass der Verteidiger Kenntnis von wenigstens einer Zustellung erhält, nach der er sich, da die spätere maßgeblich ist (§ 37 Abs. 2), ohne weitere Rückfragen richten kann. Eigenes Verschulden ist auch zu verneinen, wenn der Verteidiger eine ihm erteilte Vollmacht nicht zu den Akten gibt und der Beschuldigte diesen Umstand nicht kennt.245 Ebenso kann der Angeklagte darauf vertrauen, dass der Verteidiger es tut, wenn er erklärt, er werde ein beschleunigt einzulegendes Rechtsmittel sofort einlegen. Der Angeklagte braucht weder telegrafische Erledigung zu verlangen 246 noch die Einlegung nachzuprüfen. Eigenes Verschulden trifft denjenigen Angeklagten, der seinen Verteidiger mit der 49 Einlegung des Rechtsmittels beauftragt hat und nicht dafür Sorge trägt, dass er für seinen Verteidiger erreichbar ist.247 Eigenes Verschulden trifft einen Angeklagten auch dann, wenn er nach einem Gespräch mit seinem Verteidiger davon ausgehen muss, dass dieser 238 239

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BGHR StPO § 44 Satz 1 Verhinderung 15; OLG Hamm MDR 1975 70. BGHR StPO § 44 Satz 2 Rechtsmittelfrist 1; BayObLGSt 1952 244; 1962 237 = JR 1963 70; OLG Hamm – 3. StS – VRS 53 (1977) 191. BayObLGSt 1981 193 = VRS 62 (1982) 197; BayObLG bei Rüth DAR 1986 247; NStZ 1993 242; OLG Nürnberg NStZ-RR 1999 114; a.A. LG Düsseldorf AnwBl. 1978 72. Vgl. zum alten Recht BayObLGSt 1952 244 und BayObLGSt 1962 237 = JR 1963 70; a.A. OLG Hamm – 2. StS – VRS 47 (1974) 272. BayObLG NStZ-RR 2000 110 = VRS 98 (2000) 195 = StV 2000 407 = NZV 2000 380; OLG Hamm NJW 1965 2216; OLG

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Köln VRS 42 (1972) 128; OLG Schleswig NJW 1981 1682. OLG Hamm NJW 1973 1338; OLG Frankfurt VRS 59 (1980) 429; OLG Düsseldorf VRS 89 (1995) 43. BayObLGSt 1975 150 = Rpfleger 1976 100 = VRS 50 (1976); BayObLG 1981 194; NJW 1993 150; OLG Düsseldorf VRS 89 (1995) 42; OLG Köln VRS 101 (2001) 373; LG Stuttgart AnwBl. 1979 38, 197; LG Berlin AnwBl. 1980 120. OLG Köln VRS 100 (2001) 186. BGH NJW 1994 3112; OLG Nürnberg MDR 1964 614. BGH NStZ 1997 95; BGH NStZ-RR 2000 83 = BGHR StPO § 44 Verschulden 5.

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die Revision nicht begründen werde. In einem solchen Fall muss sich der Angeklagte sofort um einen neuen Verteidiger bemühen oder aber die Begründung zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts abgeben.248 Allein der Umstand, dass ein nachträglich beauftragter weiterer Verteidiger nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist zu der Auffassung gelangt, die Revision hätte auch auf eine Verfahrensrüge gestützt werden können, rechtfertigt keine Wiedereinsetzung.249 Wer als Gerichts erfahrener Angeklagter seinem gewählten Verteidiger keinen für diesen eindeutigen Auftrag zur Rechtsmitteleinlegung und -begründung erteilt, darf nicht darauf vertrauen, dass der Verteidiger von sich aus das Erforderliche veranlassen werde.250 Ebenso wenig darf ein Angeklagter, dessen Verteidiger nach Absprache mit ihm die Revision nur zur Fristwahrung eingelegt hat und dem der Angeklagte nach der getroffenen Absprache die Durchführung des Rechtsmittels überlassen hatte, darauf vertrauen, dass der Verteidiger die Revision, wenn er sie für wenig aussichtsreich hält, auch tatsächlich durchführt. Will der Angeklagte entgegen der Absprache, dass die Revision in jedem Fall durchgeführt wird, so hätte er dies seinem Verteidiger mitteilen oder auf andere Weise sicher stellen müssen, dass die Begründung fristgerecht erfolgt; auf jeden Fall darf der Angeklagte nicht untätig bleiben.251 Wer seinen Verteidiger mit der Einlegung eines Rechtsmittels erst am Tag des Fristablaufs über einen Dritten telefonisch beauftragt, kann nicht davon ausgehen, dass dieser Auftrag dem Verteidiger noch rechtzeitig zur Kenntnis gelangt und von diesem erledigt wird.252 Kein Verschulden trifft den Angeklagten bei groben Pflichtverletzungen des Verteidi- 50 gers, so wenn dieser trotz mehrfacher Erkundigungen seitens des Angeklagten versichert hat, die Revision werde fristgerecht begründet werden.253 Ausnahmsweise hat der Bundesgerichtshof in einer Einzelfallentscheidung ein Verschulden des insoweit vom Verteidiger nicht unterrichteten Angeklagten bei bewusster Fristversäumung durch den Verteidiger zum Zwecke der erforderlichen Recherchen in Literatur und Rechtsprechung verneint, soweit er es versäumt hat, fristgerecht die Sachrüge zu erheben.254 Kein Verschulden trifft, wer dem Vorschlag seines Verteidigers zustimmt, ein Rechts- 51 mittel erst kurz vor Ablauf der Frist einzulegen und im Vertrauen darauf keine eigenen Maßnahmen trifft.255 Genauso zu beurteilen ist der Fall, wo trotz zutreffender mündlicher Rechtsmittelbelehrung der Angeklagte die Rechtsmitteleinlegungsfrist deshalb versäumt, weil sein Verteidiger ihm unmittelbar nach der Hauptverhandlung empfiehlt, damit bis zur Vorlage der schriftlichen Urteilsbegründung zu warten.256 Unverschuldet ist auch die Fristversäumnis, wenn sich der Pflichtverteidiger des Angeklagten weigert, die von diesem für notwendig erachtete weitere Revisionsbegründung zu der schon erklärten Rüge der „Verletzung formellen und materiellen Rechts“ abzugeben, und dem Antrag des Angeklagten, ihm einen neuen Pflichtverteidiger zu bestellen, erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist entsprochen wird.257 248 249 250

251 252 253 254 255

BGHR StPO § 44 Verhinderung 6. BGH StV 1999 198. BGHR StPO § 44 Satz 1 Verhinderung 2; § 44 Verschulden 8; OLG Düsseldorf NZV 1996 320; VRS 92 (1997) 115; VRS 96 (1999) 374. BGHR StPO § 44 Verhinderung 9. BGHR StPO § 44 Verschulden 2. BGHR StPO § 44 Verschulden 3. BGHR StPO § 44 Verschulden 1. OLG München MDR 1973 868; OLG Köln

256 257

VRS 46 (1974) 198; a.A. BGH NJW 1973 1138 mit im Ergebnis zust. Anm. Peters JR 1973 471; abl. dagegen Janknecht NJW 1973 1890, kritisch auch Dahs AnwBl. 1973 331; NStZ 1995 353. OLG Frankfurt NJW 1983 895; vgl. auch OLG Frankfurt NJW 1982 60. BayObLGSt 1973 143 = MDR 1974 247; StV 1984 327; OLG Düsseldorf MDR 1984 867.

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Die Berufungsverhandlung ohne Verschulden versäumt hat, wer im Vertrauen auf die Auskunft seines Verteidigers, dass die Vertretung durch einen (nicht zur Vertretung bevollmächtigten) Verteidiger auch im Berufungstermin genüge, nicht erschienen ist.258 Nichts anderes gilt für einen Angeklagten, der die Berufungsverhandlung deshalb versäumt hat, weil er sich auf die unrichtige Auskunft seines Verteidigers – oder auch seines Sozius’ – über die genaue Terminsstunde 259 oder über ihre angebliche Aufhebung verlassen hat.260 Diese Grundsätze gelten auch für die Revision gegen ein Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1, mit der gerügt wird, das Gericht hätte die Berufung nicht verwerfen dürfen, da sie zuvor schon rechtswirksam zurückgenommen worden sei.261 Andererseits trifft den auf den Beginn der Berufsverhandlung wartenden Angeklagten zumindest ein Mitverschulden, wenn er auf die Aufforderung des Verteidigers „kommen Sie, wir gehen“ mit diesem das Gerichtsgebäude verlässt, so dass seine Berufung in der kurz darauf beginnenden Hauptverhandlung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 verworfen wird.262 Ein Mitverschulden ist auch anzunehmen, wenn ein Angeklagter im Hinblick auf einen Vertagungsantrag seines Verteidigers ohne weiteres dessen Erklärung vertraut, die anberaumte Berufungsverhandlung werde sicherlich nicht bestehen bleiben, und deshalb zu dem angesetzten Termin nicht erscheint.263

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d) Nur durchschnittliche Rechtskenntnisse des Verteidigers sind, wenn nicht ein extremer Fall vorliegt,264 nicht unverschuldet i.S. dieser Vorschrift.265 In dem in Fn. 264 angeführten Beispielfall hatte der Verteidiger die Revision beim Reichsgericht eingereicht; sie ging verspätet beim Landgericht ein. Es ist zweifelhaft, ob das Reichsgericht auch dann einen unabwendbaren Zufall bejaht, d.h. Verschulden verneint hätte, wenn der Verteidiger die Revision zwar richtig angebracht, aber nur mit Angriffen auf die Beweiswürdigung begründet hätte. Schwerwiegende Verteidigerfehler, die zur Fristversäumung führen, sind dem Beschuldigten in aller Regel nicht zuzurechnen,266 denn er ist im Allgemeinen nicht in der Lage, die Rechtskenntnisse des Verteidigers einzuschätzen. Zu Lasten des Beschuldigten geht es jedoch, wenn der Verteidiger einen Verfahrensverstoß nicht „entdeckt“ (vgl. Rn. 25), die Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis falsch berechnet 267 oder die Erfolgsaussichten einer Revision irrig beurteilt 268 oder erst, nachdem die Frist abgelaufen ist, von einer der Revision günstigeren Rechtsprechung Kenntnis erlangt.269 Der Irrtum eines zweiten Verteidigers über den Ablauf der Revisionsbegründungsfrist rechtfertigt nicht die Wiedereinsetzung hinsichtlich der von ihm erhobenen Rügen.270 Ebenso können das Bekanntwerden neuerer gerichtlicher Entschei-

258 259 260 261 262 263 264 265 266 267

KG JW 1933 1784; BayObLGSt 1956 32 = NJW 1956 838. OLG Hamm VRS 42 (1972) 289; OLG Karlsruhe AnwBl. 1977 244. A.A. LG Köln MDR 1982 73 mit abl. Anm. Schellenkamp. OLG Karlsruhe NStZ 1988 471. OLG Hamm JMBlNRW 1978 115 = VRS 55 (1978) 275. OLG Hamm JMBlNRW 1979 20. Beispiel: RGSt 40 119. Ebenso Hilger NStZ 1983 157. BGHR StPO § 45 Abs. 2 Tatsachenvortrag 9; OLG Hamm VRS 104 (2003) 361. BayObLG JR 1971 29; 1978 428; bei Rüth

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270

DAR 1974 181; OLG Düsseldorf NJW 1982 66; MDR 1982 866, anders VRS 82 (1992) 460; KG NStZ 1994 603; Dittmar MDR 1975 374. Zweifelnd, eher zustimmend OLG Celle NdsRpfl. 1972 70; OLG Düsseldorf MDR 1982 866. BayObLGSt 1970 1409 = JR 1971 29; 1978 428; OLG Hamm MDR 1974 1035; VRS 60 (1976) 436; OLG Düsseldorf NJW 1982 61 – und als Ausnahme zu diesen Grundsätzen – VRS 82 (1992) 461; Wendisch JR 1978 430. BGH StraFo 2005 25.

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dungen wie auch eine andere rechtliche Bewertung durch Obergerichte eine Wiedereinsetzung nicht begründen.271 Der Angeklagte kann auch nicht nach Jahr und Tag eine zunächst als ergebnislos unterlassene Revision anbringen oder bei angebrachter oder verworfener Revision Verfahrensrügen nachschieben mit der Behauptung, es sei für ihn unverschuldet, dass sein (erster) Verteidiger den Mangel (etwa der Besetzung des Gerichts) nicht erkannt habe.272 Alsdann werden regelmäßig nur Fehler im Bürobetrieb oder solche, die auch der Verteidiger nicht abwenden konnte,273 die Annahme rechtfertigen, die Versäumung der Frist sei unverschuldet. e) Bei Mängeln der Büroorganisation des Verteidigers, die ursächlich für die Fristver- 54 säumung sind, trifft den Beschuldigten in aller Regel kein Verschulden,274 so wenn die Revisionsbegründungsschrift ohne Unterzeichnung durch den Verteidiger an das Gericht übersandt wird,275 wenn das Personal des Verteidigers erteilte Anweisungen zum Umgang mit Fristensachen – auch bei der Führung elektronischer Fristenkalender – nicht beachtet hat. Allerdings hat der Verteidiger bei einer auf einem Büroversehen beruhenden Fristversäumung die die Versäumung begründenden Tatsachen im Einzelnen darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 45 Abs. 2 Satz 1). f) Moderne Kommunikationsmittel erfordern die Beachtung besonderer Sorgfalts- 55 pflichten in der Büroorganisation des Verteidigers.276 Kein Verschulden trifft den Beschuldigten, wenn sich sein Verteidiger für die Übermittlung fristgebundener Schreiben an das Gericht per Telefax eines seit Jahren bewährten EDV-Programms in der jeweils neuesten Version bedient, das jedoch eine falsche Telefaxnummer des Gerichts enthält,277 wenn die Übermittlung per Telefax einen außergewöhnlich langen Zeitraum in Anspruch nimmt,278 wenn der Verteidiger oder seine Mitarbeiter eine falsche Faxnummer bei der Übermittlung des Schriftstücks eingegeben haben und daher letzteres bei einem unzuständigen Gericht eingegangen ist, wenn der Verteidiger es entgegen der ihm obliegenden Sorgfaltspflichten unterlassen hat, organisatorische Anweisungen für das Verhalten bei Störfällen im Telefaxverkehr zu treffen, wenn der Verteidiger keine ausreichenden Vorkehrungen für die Ausgangskontrolle bei Übermittlung fristgebundener Schriftstücke per Telefax getroffen hat, wenn der Verteidiger mit der Übermittlung per Telefax erst kurz vor Fristablauf beginnt und die Sendung infolge anderweitiger Belegung oder Störung des Empfangsgeräts nicht mehr fristgerecht beim Empfänger eingeht oder wenn eine fristgerechte Fertigstellung und Einreichung der Rechtsmitteleinlegungs- oder Rechtsmittelbegründungsschrift infolge eines nicht behebbaren und nicht absehbaren Absturzes des Computers nicht möglich ist, wenn aufgrund nicht mehr aufklärbarer Umstände die Revisionsbegründungsschrift bei Gericht nur unvollständig eingegangen ist.279

271 272 273

BGH wistra 2004 30. Vgl. Pentz 1237. OLG Frankfurt HESt 2 76: Der Verteidiger hatte keinen Zugang zu den Akten; OLG Schleswig SchlHA 1972 35: Der Verteidiger hatte das Urteil nicht zur Hand und verkannte die Möglichkeit, sich zunächst mit der allgemeinen Sachrüge zu behelfen.

274 275 276 277 278 279

BGHSt 14 332; NStZ 2000 545; OLG Düsseldorf NJW 1993 1345. BGHR StPO § 44 Satz 1 Verfahrensrüge 1 fehlende Unterschrift. Graalmann-Scheerer FS Nehm 221, 229 f. BGH NJW 2004 2830 (zu § 233 ZPO). BGH NJW 2005 678 (zu § 233 ZPO). BGH wistra 2005 344.

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11. Anwalt als Vertreter a) Herrschende Ansicht. Als das Reichsgericht das Verschulden des Wahlverteidigers als „unabwendbaren Zufall“ anerkannte, hat es ausgeführt: „Nur eine dem § 232 Abs. 2 ZPO entsprechende, den Wahlverteidiger betreffende Sondervorschrift der Strafprozessordnung könnte eine andere Auffassung rechtfertigen. Es besteht aber keine solche Vorschrift“;280 auch nicht für die Fälle der Vertretung durch einen Rechtsanwalt im Strafprozess. Die herrschende Ansicht 281 überträgt § 232 Abs. 2 – jetzt § 85 Abs. 2 – ZPO gleichwohl auf § 44. Die Argumente dafür sind in der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bayerischen Obersten Landesgerichts 282 wie folgt zusammengestellt: Wer sich im rechtsgeschäftlichen Verkehr eines Vertreters bediene, müsse mit Rück57 sicht auf den Geschäftsgegner die Willenserklärung des Vertreters gegen sich gelten las-

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280 281

RGSt 70 191. Betr. Privatkläger: BGHSt 30 309 = NJW 1982 1544, OLG Hamburg HESt 2 75; NJW 1947/48 534; 1953 38; JR 1955 32; BayObLGSt 1949/51 556 = JZ 1952 429; VRS 39 (1970) 40; OLG Düsseldorf JMBlNRW 1951 209; NJW 1964 1533; NStZ 1989 193; NJW 1993 341, 1344; VRS 91 (1996) 119; OLG Köln JR 1952 484; JMBlNRW 1962 260; OLG Braunschweig NJW 1954 1619; OLG Schleswig SchlHA 1954 209; OLG Celle MDR 1959 60; OLG Nürnberg OLGSt § 44 StPO, 1 = MDR 1964 252; OLG München NJW 1965 120; KG NJW 1965 1032; Sarstedt/Hamm 125; Saenger JuS 1991 843; Löwenheim NJW 1947/48 516; KK/Maul 34; anders KK/Senge § 378, 4; KMR/Paulus 31 f; Meyer-Goßner 19; H. W. Schmidt 638; betr. Nebenkläger: BGHSt 30 309; BGH NStZ-RR 2003 80; BGHR StPO § 44 Verschulden 6; BayObLGSt 1951 557 = JZ 1952 429; 1970 9 = GA 1971 117; OLG München NJW 1962 1530; OLG Frankfurt GA 1965 185; OLG Oldenburg OLGSt § 44 StPO, 11; OLG Zweibrücken OLGSt § 44 StPO, 47, 65; OLG Hamm NJW 1961 475; OLG Düsseldorf VRS 91 (1996) 119; MDR 1996 102; betr. Klageerzwingungsverfahren: OLG Braunschweig NJW 1954 1619; OLG Hamburg JR 1955 32; OLG Hamm JMBlNRW 1955 226; OLG Celle MDR 1959 60; OLG Düsseldorf MDR 1960 603; JMBlNRW 1983 53; NStZ 1989 193 mit abl. Anm. Rieß; NJW 1993 341; VRS 91 (1996) 119; OLG München NJW 1962 1530; OLGSt § 44 StPO, 6 = NJW 1965 120; NStZ 1987 136; OLG Köln JMBlNRW 1962 260; OLG Frankfurt GA 1965 185; OLG Hamm NJW 1972 1432; OLG

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Koblenz VRS 64 (1983) 34; Dallinger JZ 1953 440; Poppe NJW 1953 1501; KK/Maul 34; Meyer-Goßner § 172, 25; a.A. SK/Weßlau 37; HK/Lemke 28; LR/Graalmann-Scheerer 25 § 172, 132; vgl. zum Gesamtkomplex auch Dittmar MDR 1975 271 sowie Wehnert Rechtliche und tatsächliche Aspekte des Klageerzwingungsverfahrens (1988), S. 50 ff.; betr. Verfahren bei Einziehungen und Vermögensbeschlagnahmen: KG DR 1933 127; betr. Entschädigungsverfahren nach StrEG: BGHZ 66 122 = NJW 1976 1218; OLG Schleswig SchlHA 1979 163; KG JR 1979 128; OLG Karlsruhe MDR 1980 693; OLG Düsseldorf OLGSt n.F. § 44, 7; StV 1989 447 = MDR 1988 986; OLG Hamburg NStZ 1990 191; betr. Kosten- und Auslagenentscheidung: BGHSt 26 127; 30 310; OLG Celle NJW 1959 1932; OLGSt § 44 StPO, 31; OLG Hamm NJW 1961 1319 (L); OLG Oldenburg OLGSt § 44 StPO, 25; OLG Stuttgart OLGSt § 44 StPO, 29; OLG Karlsruhe MDR 1980 693; OLG Düsseldorf OLGSt n.F. § 44, 13; NStZ 1989 242; GA 1990 268; OLG Koblenz MDR 1988 986; KK/Maul 34; KK/Franke § 464, 10; MeyerGoßner 19; § 464, 21; LR/Hilger 25 § 464, 45; betr. Strafvollzugssachen: OLG Hamburg ZfStrVo. Sonderheft 1978 52; OLG Frankfurt NStZ 1981 408; 1982 351; OLG Nürnberg bei Franke NStZ 1985 356; OLG Hamburg NStZ 1991 56; betr. Verfahren nach § 23 EGGVG: OLG Hamburg NJW 1968 854; a.A. zu Recht OLG Hamm MDR 1983 70 = NStZ 1982 483; OLG Stuttgart NStZ 1988 430; bzgl. Antrag auf gerichtliche Überprüfung einer Entscheidung der Vollstreckungsbehörde nach § 35 BtMG. BayObLGSt 1970 9 = GA 1971 117.

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sen. Für den Fall der Versäumung gebe § 232 Abs. 2 – jetzt § 85 Abs. 2 – ZPO diesem allgemeinen Grundsatz der Rechtsordnung Ausdruck; die Partei, die ihren Rechtsstreit durch einen Vertreter führen lasse, werde so behandelt, als wenn sie den Prozess selbst geführt hätte. Das habe das Reichsgericht für die Beteiligten des Strafprozesses zunächst bejaht und später das „Ergebnis“ der Entscheidung RGSt 70 191, dass ein Verschulden des Verteidigers für den Angeklagten einen „unabwendbaren Zufall“ darstelle, als Ausnahme von der Grundregel des § 232 Abs. 2 – jetzt § 85 Abs. 2 – ZPO verstanden. Diese Entscheidung sei zudem auf die Versäumung einer Frist durch den Angeklagten beschränkt. Ihre Argumente auch auf andere am Strafverfahren Beteiligte zu übertragen hieße an der Rechtsentwicklung vorbeigehen. Denn in den neuzeitlichen Verfahrensordnungen gelte der Grundsatz, dass der Verfahrensbeteiligte für das Verschulden seines Vertreters einstehen müsse. Daher sei „im umfassenden Hinblick“ auf die derzeit geltenden Verfahrensordnungen die Ausnahme, dass für den Angeklagten das Verschulden seines Verteidigers ein „unabwendbarer Zufall“ sei. Maßgebend für diese Ausnahme seien Billigkeitserwägungen: der Angeklagte dürfe in 58 seinem Kampf um Ehre und Freiheit nicht durch ein für ihn unabwendbares Verschulden seines Verteidigers gehindert sein.283 Die Frage der Zurechenbarkeit des Vertreterverschuldens müsse auch „im Geltungsbereich der StPO“ nicht nur einheitlich bejaht oder verneint werden, vielmehr sei auch eine – durch das ungleiche Gewicht der unterschiedlichen Interessen bedingte – Differenzierung möglich. Dazu vergleicht das Gericht die Stellung des Privat- und Nebenklägers mit der Position der Verfahrensbeteiligten in den anderen Verfahrensordnungen und die Stellung des Angeklagten mit der des Privatund des Nebenklägers anhand gesetzlicher Regelungen. b) Kritik. Schon der Ausgangspunkt (§ 164 Abs. 1, § 166 Abs. 1 BGB) des überschau- 59 baren Rechtsverkehrs des 19. Jahrhunderts ist für die Vertreterfrage des 21. Jahrhunderts, wo kaum jemand aus dem Publikum die Inhaber der großen Anwaltsbüros kennt, nicht zu billigen. Im rechtsgeschäftlichen Verkehr entscheiden die Beteiligten immer frei, ob sie selbst oder durch einen Vertreter handeln wollen. Der Privatkläger und der Nebenkläger dürfen das zwar auch, sind aber faktisch nicht in der Lage, eine Privatklage persönlich zu führen; im Klageerzwingungsverfahren (mit dem sich das Gericht allerdings nicht befasst) darf der Verletzte das Verfahren nicht selbst betreiben. Der Sprung von einem, der seinen „Rechtsstreit durch einen Vertreter führen lässt“, zu einem anderen, der ihn praktisch nur durch einen Vertreter führen lassen kann, nimmt dem Argument die Überzeugungskraft. RGSt 70 191 behandelt zwar den Fall eines verteidigten Angeklagten. Der Satz: „nur eine … Sondervorschrift … könnte eine andere Auffassung rechtfertigen“ ist aber allgemein. Mit ihm befreite sich das Reichsgericht vom zivilrechtlichen Denken, in das der Große Senat des Bayerischen Obersten Landesgerichts zurückfällt. Für die Billigkeitserwägungen, aus denen er dem Angeklagten eine Ausnahme zuge- 60 steht, muss er die gesetzliche Grundlage vermissen lassen, weil im Strafprozess die angebliche Ausnahme eben die Regel ist. Der Vergleich mit anderen Verfahrensordnungen sucht eine Einheit der Rechtsordnung, die der Gesetzgeber nicht gewährt hat. Das Gericht will durch Auslegung erzwingen, was das Gesetz bei § 44 versagt hat. Die Erkenntnis, dass das Gesetz an anderen Stellen differenziert, sollte zu der Bescheidung führen, dem Gesetzgeber auch bei § 44 die Entscheidung zu überlassen und, solange er § 44 nicht ändert – wozu er, hätte er das gewollt, bei der alten Streitfrage oft Gelegenheit

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gehabt hätte –, den Wortlaut des Gesetzes zu achten, der nicht auf den Beschuldigten beschränkt ist. Zu diesem Gesetzesgehorsam führt auch die Überlegung, dass § 232 Abs. 2 – jetzt 61 § 85 Abs. 2 – ZPO und § 22 Abs. 2 FGG kein selbstverständlicher Rechtsgedanke ist, der gleichsam natürlicherweise auch im Strafprozess Anwendung erheischt.284 Der Gedanke, der nunmehr in § 232 Abs. 2 – jetzt § 85 Abs. 2 – ZPO zum Ausdruck kommt, war selbst für den Zivilprozess früher nicht herrschend;285 er enthält eine gesetzgeberische Entscheidung. Diese mag für den Zivilprozess – obwohl im „Gerechtigkeitswert fragwürdig“ 286 – tragbar sein, weil sein Gegenstand in erster Linie Geldforderungen sind; diese kann der Anwalt, der eine Frist versäumt hat, ausgleichen. Im Strafprozess führt die Fristversäumnis zum Verlust von Rechtsstellungen, für die es – wenn man bei der Grundsatzfrage die isolierte Anfechtung einer Kostenentscheidung außer Betracht lässt – keinen Ausgleich durch Schadensersatz gibt.287 Dass andere Verfahrensordnungen die Regelungen der Zivilprozessordnung übernommen haben,288 zwingt nicht zu einem gleichen Schritt im Strafprozess; eher sollte zu prüfen sein, ob das zivilrechtliche Denken bei der Entscheidung des Gesetzgebers in § 22 Abs. 2 FGG und selbst in der „Sondervorschrift“ des § 232 Abs. 2 – jetzt § 85 Abs. 2 – ZPO etwa für Kindschaftssachen289 nicht der Korrektur bedarf.

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c) Ergebnis. Nach dieser Rechtslage darf das Verschulden des Vertreters des Privatoder Nebenklägers, aber auch seines Kanzleipersonals,290 für den Privat- oder Nebenkläger keine Nachteile zur Folge haben.291 Es darf ihm nur dann angelastet werden, wenn er selbst durch eigenes Verschulden eine Ursache für die Versäumnis gesetzt hat.292 Dasselbe muss für den Antragsteller im Klageerzwingungsverfahren,293 in Entschädigungsverfahren nach § 9 Abs. 1 (Grundverfahren) und § 10 Abs. 1 StrEG (Betragsverfahren), aber auch in Verfahren nach § 23 EGGVG gelten. Die abgelehnte Ansicht 294 geht von der These aus, dass sich der Vertretene stets das Verschulden des Verteidigers und Vertreters zurechnen lassen müsse, und erlässt jene Zurechnung wegen der schweren Folgen nur gleichsam aus Gnade, wenn der Beschuldigte Strafe zu erwarten hat. Da es an einer gesetzlichen, dem § 232 Abs. 2 – jetzt § 85 Abs. 2 – ZPO entsprechenden Bestimmung in der Strafprozessordnung fehlt, kehrt sie damit unzulässigerweise die Gesetzeslage um und maßt sich eine Entscheidung an, die nur dem Gesetzgeber zusteht. Deshalb

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Scheffler NJW 1964 997, 998; BGH NJW 1975 1332; ähnlich M. J. Schmid 941; a.A. OLG Hamburg NJW 1968 854. Mot. zur ZPO Hahn 1 245. Bruns JZ 1968 456. M. J. Schmid NJW 1976 941. H.-W. Schmidt MDR 1963 639; OLG Hamburg NJW 1968 854. Abw. Votum von Schlabrendorffs zum Beschluss BVerfGE 35 63 = NJW 1973 1316. BGH NStZ 2000 545; OLG Zweibrücken VRS 53 (1977) 120. Zum Verschulden des Rechtsanwalts als Vertreter im Zusammenhang mit dem Einsatz moderner Kommunikationsformen Graalmann-Scheerer FS Nehm 221, 230 f. OLG Hamm NJW 1951 854 (L); OLG

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Düsseldorf NJW 1964 1533; OLG Koblenz OLGSt § 44 StPO, 40; OLG München AnwBl. 1974 83; Eb. Schmidt 15; Nachtr. 8; Roxin § 22 B V 1, S. 118; Schönke JZ 1952 431; Rutkowsky NJW 1953 38; 1962 1530; 1964 1533; Kohlhaas NJW 1967 191, der auf einen unveröffentlichten Beschluss des Bundesgerichtshofs verweist. KG HESt 1 163; OLG Koblenz NJW 1962 977; LR/Graalmann-Scheerer 25 § 172, 132; Rieß NStZ 1986 433; SK/Weßlau 37; HK/Lemke 28; NStZ 1986 433; 1989 194. Eingehend H.-W. Schmidt MDR 1963 638; BayObLGSt 1970 9 = GA 1971 117; OLG Hamm NJW 1971 1431; OLG Schleswig SchlHA 1978 163; BGHZ 66 122 = NJW 1976 1218, alle m.w.N.

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ist auch die Ansicht, das Verschulden des Verteidigers sei dem Angeklagten zuzurechnen, der nur eine Änderung der Kostenentscheidung begehrt,295 abzulehnen. Dem Einwand, das Schutzbedürfnis des Angeklagten müsse in diesem Fall deshalb zurücktreten, weil es sich bei der Kosten- und Auslagenentscheidung um eine Nebenentscheidung handle, die in ihrem Wesen und ihren Auswirkungen dem Schuldtitel über eine Geldforderung ähnlich sei, ist entgegenzuhalten, dass diesem Standpunkt zufolge der Neubewertung der Strafen, namentlich der erheblich zunehmenden Bedeutung der Geldstrafen, heute nur noch eingeschränkt zugestimmt werden kann. Die tägliche Praxis bestätigt immer mehr, dass diese Nebenentscheidungen für den Angeklagten oftmals schwerer wiegen als die Strafe selbst. 12. Für die Staatsanwaltschaft ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht 63 ausgeschlossen, aber wesentlich eingeschränkt. Denn die Behörde handelt durch ihre Amtsträger. Deren Handlungen sind somit solche der Behörde, für die sie auch einstehen muss. Verschulden der Amtsträger ist mithin eigenes Verschulden und rechtfertigt keine Wiedereinsetzung (war für sie kein unabwendbarer Zufall).296 Indessen muss es sich dabei um Beamte oder Angestellte handeln, die – wenn auch als Vertreter oder Beauftragte von Vorgesetzten oder auf deren Anordnung – mit einer gewissen Selbständigkeit innerhalb ihres Wirkungsbereichs auf die Sache einwirkend für die Behörde handeln, gleichviel ob entscheidend oder vorbereitend. Danach ist Verschulden gegeben, wenn der Beamte der Eingangsstelle Abgänge liegen lässt; kein Verschulden liegt dagegen vor, wenn der Wachtmeister Akten verlegt 297 oder wenn die Raumpflegerin Akten vom Schreibtisch in den Kleiderschrank legt, um leichter saubermachen zu können.298

III. Vermutung der unverschuldeten Versäumung (Satz 2) 1. Inhalt. Durch Satz 2 wird für die fehlende Rechtsmittelbelehrung (wegen der 64 falschen und der unvollständigen: § 35a, 41 ff.) die unwiderlegbare Vermutung aufgestellt, der Betroffene habe die Versäumung der Rechtsmittelfrist nicht verschuldet. Die gesetzliche Vermutung erstreckt sich danach nur auf das Schuldelement in Satz 1; auf den Begriff der Verhinderung ist die Vermutung dagegen ohne Einfluss.299 Die Wiedereinsetzung ist danach nur gerechtfertigt, wenn die Nichtkenntnis für die Verhinderung ursächlich war.300 Besteht diese Ursächlichkeit, dann kann die Wiedereinsetzung nicht daran

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BGHSt 26 126; 30 309; OLG Celle NJW 1959 1932; LG Hamm NJW 1961 1319; OLG Oldenburg OLGSt a.F. § 44 StPO, 25; NdsRpfl. 1968 196; 1972 70; OLG Stuttgart OLGSt a.F. § 44 StPO, 29 = Justiz 1971 189; OLG Schleswig SchlHA 1976 29; OLG Düsseldorf GA 1990 267; LR/Hilger 25 § 464, 45; KK/Maul 34; Meyer-Goßner 19; § 464, 21. RG JW 1981 116; 1925 966 mit krit Anm. Mamroth; RGSt 67 265; KG GA 41 (1983) 155; OGHSt 2 135 = MDR 1949 764; BGH bei Miebach NStZ 1988 446; OLG Frankfurt NStZ-RR 1997 176. A.A. BayObLGSt 1984 129 = JR 1985 254

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mit krit. Anm. Wendisch; Saenger JuS 1991 843; KK/Maul 33; Meyer-Goßner 21. Vgl. KG HRR 1927 199 mit abl. Note von Feisenberger. BGH GA 1980 468; BayObLGSt GA 1968 54; OLG Frankfurt MDR 1974 158; NStZ 1988 376; OLG Bremen MDR 1977 597; OLG Stuttgart NJW 1981 1917; OLG Schleswig SchlHA 1987 108; OLG Düsseldorf MDR 1984 71; 1990 460; NStZ 1985 233 mit zust. Anm. Wendisch; NStZ 1989 242; VRS 78 (1990) 459; 85 (1993) 107; OLG Koblenz NStZ 1991 43; Warda MDR 1957 717; KK/Maul 36; Meyer-Goßner 22. BGH NStZ 2001 45; OLG Düsseldorf NJW

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scheitern, dass die versäumte Handlung nicht innerhalb der Frist des § 45 Abs. 1 Satz 1 nachgeholt worden ist.301 Satz 2 gilt nicht für Rechtsbehelfe. Maul 302, Paulus 303, aber auch das OLG Hamm 304 sehen darin zu Recht einen Mangel, für dessen Abhilfe der Gesetzgeber zumindest in den Fällen durch eine Belehrungspflicht Sorge tragen sollte, in denen ein Rechtsmittel wegen nicht frist- oder formgerechter Einlegung als unzulässig verworfen worden ist.305

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2. Unterbliebene Rechtsmittelbelehrung. Die Regelung des Satzes 2 stellt eine Ergänzung zu § 35a dar, der die Rechtsmittelbelehrung bei der Bekanntgabe von Entscheidungen vorschreibt, die mit einem befristeten Rechtsmittel angefochten werden können. Die Vorschrift betrifft daher nur die Fälle, in denen eine Entscheidung zwar vorschriftsmäßig bekannt gemacht worden, dabei aber eine vorgeschriebene (§ 35a, 36) Rechtsmittelbelehrung unterblieben ist. Ist dagegen, wie in § 67 Abs. 2 JGG, eine Bekanntmachung nicht zwingend vorgeschrieben (§ 35a, 11), dann kann 306 nicht aus § 35a gleichwohl die Notwendigkeit einer Rechtsmittelbelehrung hergeleitet und bei ihrem Unterbleiben § 44 Satz 2 angewendet werden.307 Schließlich ist Satz 2 auch dann nicht anzuwenden, wenn der Verteidiger zufolge entsprechender Ermächtigung in der Vollmachtsurkunde ausdrücklich auf eine Rechtsmittelbelehrung verzichtet hat 308 und aus diesem Grunde unterblieben ist. Fehlt die Belehrung, so wird dadurch im Gegensatz zum Verwaltungsverfahren (§ 58 66 Abs. 2 VwGO) und zum Klageerzwingungsverfahren (§ 172 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2) die Rechtsmittelfrist nicht gehemmt (§ 35a, 36).309 Mit dieser Regelung lässt der Gesetzgeber erkennen, dass er – mit Recht – von einer allgemeinen Kenntnis der Fristen des Strafprozesses ausgeht und daher, soweit nicht die Vermutung reicht, die Nachprüfung offen lassen will, ob das Fehlen der Rechtsmittelbelehrung für die Versäumung der Frist ursächlich war oder ob der Zustellungsempfänger die Frist trotz fehlender Belehrung gekannt, aber aus anderen Gründen versäumt hat. Denn sonst wäre die unterbliebene Rechtsmittelbelehrung nur der Form nach eine Wiedereinsetzung, in Wirklichkeit aber eine Fristhemmung.310 Diese Form hat der Gesetzgeber ausdrücklich nicht gewählt. Daraus folgt: Die Behauptung, der Zustellungsempfänger habe die Rechtsmittelfrist nicht gekannt, ist zufolge der Vermutung nicht widerlegbar.311 Dagegen ist ein ohne diese Behauptung angebrachter Antrag nicht ausreichend begründet.312 Denn er lässt die Mög-

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1993 1344; MDR 1996 102; MDR 1997 282; NStZ 1989 242. BVerfG NJW 1991 2227. KK/Maul § 45, 18. KMR/Paulus § 45, 12. JMBlNRW 1982 167. Nöldeke NStZ 1991 71 mit Fassungsvorschlag für eine Belehrung. Entgegen BayObLGSt 1954 51 = NJW 1954 1378. BGHSt 18 25; s. auch Rn. 26. OLG Zweibrücken MDR 1978 861 = GA 1979 193. Begr. BTDrucks. 7 551 zu Art. 1 Nr. 8 (§ 44 StPO); BayObLGSt 1957 157; 1967 68 = GA 1968 55; OLG Frankfurt NJW 1953 1725; OLG Hamm NJW 1963 1791; OLG Saarbrücken NJW 1964 1634; OLG

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Schleswig SchlHA 1976 28; OLG Bremen MDR 1977 598. OLG Celle NdsRpfl. 1972 70. Beispiel: LG Aachen AnwBl. 1980 34. Zust. BGH NStZ 2001 45; BayObLGSt 1967 60 = GA 1968 55; OLG Oldenburg NdsRpfl. 1968 196; OLG Celle NdsRpfl. 1972 70; OLG Frankfurt MDR 1974 159; NStZ 1988 376; OLG Hamm JMBlNRW 1977 119; OLG Bremen MDR 1977 597; 1979 517; OLG Stuttgart NJW 1981 1971; OLG Düsseldorf MDR 1984 71; 1986 516 = NStZ 1986 233 mit Anm. Wendisch; MDR 1990 460; NJW 1993 1344; MDR 1996 102; MDR 1997 282; NStZ 1989 242; OLG Köln VRS 67 (1984) 251; KK/Maul 36; Meyer-Goßner 22; Warda 717; KMR/Paulus § 35a, 20; a.A. OLG Schleswig SchlHA

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lichkeit offen, dass der Antragsteller die Rechtsmittelfrist gekannt hat. Wer die Frist gekannt hat, war aber nicht durch die bloß vermutete Unkenntnis von ihr „an der Einhaltung der Frist verhindert“.313 3. Unvollständige Rechtsmittelbelehrung. Die Grundsätze für die unterbliebene 67 Rechtsmittelbelehrung gelten auch dann, wenn dieser eine unvollständige oder falsche Belehrung gleichsteht (§ 35a, 41 ff.) 314 oder die Wirksamkeit der zunächst richtigen und vollständigen Rechtsmittelbelehrung durch nachfolgende unrichtige Zuschriften des Gerichts wieder aufgehoben wird.315 Das gilt selbst dann, wenn der Betroffene und sein nach § 138 Abs. 2 zugelassener Verteidiger Juristen sind.316 Unvollständigkeit der Belehrung liegt nicht vor, wenn ein Hinweis auf § 43 Abs. 2 unterblieben ist,317 doch kann u. U. die Unfähigkeit, die Abweichung vom normalen Fristablauf zu erkennen und Erkundigungen über eine Fristverlängerung einzuziehen, Verschulden ausschließen und die Wiedereinsetzung begründen.318 Schließlich gelten die Grundsätze für die unterbliebene Rechtsmittelbelehrung auch 68 für den Fall, wo einem der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtigen Ausländer ein Strafbefehl (oder Bußgeldbescheid) in deutscher Sprache ohne eine ihm verständliche Belehrung über den Rechtsbehelf des Einspruchs zugestellt worden ist. Versäumt er zufolge seiner mangelnden Sprachkenntnis die Frist, kann er nicht anders behandelt werden, als wenn die Rechtsmittelbelehrung unterblieben wäre;319 es sei denn, dass dem Betroffenen vorzuwerfen ist, er habe sich nicht zureichend um die Verfolgung seiner Interessen gekümmert, sich namentlich nicht um eine Übersetzung bemüht,320 obwohl er nach Lage des Falls dazu Anlass hatte und auch imstande war.321 Zu Recht hat schon das Kammergericht322 auch den Fall nach diesen Grundsätzen behandelt, d.h. Wiedereinsetzung gewährt, wo ein der deutschen Sprache nicht genügend mächtiger Ausländer eine Revisionserklärung deshalb entgegen § 184 GVG nicht in deutscher Sprache abgegeben hat, weil ihn das Gericht in der erteilten Rechtsmittelbelehrung nicht – in einer für ihn verständlichen Sprache (Nr. 181 Abs. 2 RiStBV) – auf dieses Erfordernis hingewiesen hat.323 Zwar sind einem Ausländer, der die deutsche Sprache nicht hinreichend

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1976 28; dagegen mit überzeugenden Erwägungen OLG Bremen MDR 1977 598. Dieser Gedanke kommt – wie schon in der früheren – auch in der geltenden Fassung schlecht zum Ausdruck. Erwünscht gewesen wäre eine gesetzgeberische Klarstellung dahin, dass zunächst festzustellen ist, ob der Antragsteller die versäumte Rechtsmittelfrist gekannt hat; erst wenn seine Nichtkenntnis festgestellt worden ist, ist alsdann die Frage des Verschuldens zu prüfen, wobei sich das Nichtverschulden als unwiderlegbare Vermutung aus unterbliebener Rechtsmittelbelehrung ergeben kann; s. dazu auch BVerfG StV 1994 113 mit insoweit abl. Anm. Sieg. BGHSt 30 185; OLG Hamm Rpfleger 1961 80; OLG Hamburg NJW 1962 602; OLG Saarbrücken NJW 1965 1031; KG JR 1977 129; OLG Bremen MDR 1977 597; 1979 517; OLG Düsseldorf VRS 82 (1992) 460; LG Saarbrücken NJW 1983 2041.

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BGH NStZ 1994 194. OLG Köln VRS 47 (1974) 189. § 35 a, 22; BVerfGE 31 390 = NJW 1971 2217. Vgl. Weihrauch NJW 1972 243. BVerfGE 40 95 = NJW 1975 1597; BVerfG StV 1991 497 BGHSt 30 182; KG JR 1977 130; LG Mainz StV 1985 317; LG Karlsruhe StV 1988 57. OLG Düsseldorf MDR 1982 247; OLG Köln VRS 63 (1982) 457; 67 (1984) 252; enger BGH GA 1981 252; bei Pfeiffer/ Miebach NStZ 1985 204. BVerfGE 42 120 = NJW 1976 1021; StV 1991 497; OLG Köln MDR 1979 864. JR 1977 130. BVerfGE StV 1995 894; BGH MDR 1981 949 = NJW 1982 532; BGHSt 30 182, 185; BGH 1 StR 222/05 vom 29.6.2005; OLG Düsseldorf MDR 1982 866; OLG Frankfurt StV 1987 518; OLG Celle StV 1994 7.

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beherrscht, danach nicht nur Anklageschriften und gerichtliche Sachentscheidungen, sondern auch Ladungen, Haftbefehle und Strafbefehle mit einer Übersetzung in eine ihm verständliche Sprache bekannt zu machen. Nach seinem Grundgedanken, dem nicht sprachkundigen Ausländer in Verfahren vor deutschen Gerichten die gleichen prozessualen Grundrechte und den gleichen Anspruch für ein rechtsstaatliches Verfahren (vgl. dazu Art. 6 Abs. 3 Buchst. a und e MRK) wie einem Deutschen einzuräumen (Art. 19 Abs. 4; 103 Abs. 1 GG), muss dieser Grundsatz – zumal da Nr. 181 Abs. 2 RiStBV keine abschließende Regelung enthält – auch für die in ihrer Bedeutung nicht minder wichtige Rechtsmittelbelehrung gelten.324

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4. Qualifizierte Belehrung. Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hat durch Beschluss vom 3.3.2005 Rechtsgrundsätze für die Wirksamkeit eines im Zusammenhang mit einer Urteilsabsprache erklärten Rechtsmittelverzichts aufgestellt.325 Danach ist unter anderem nach jedem Urteil, dem eine Urteilsabsprache zugrunde liegt, der Rechtsmittelberechtigte, der nach § 35a Satz 1 über ein Rechtsmittel zu belehren ist, stets auch darüber zu belehren, dass er ungeachtet der Absprache in seiner Entscheidung frei ist, Rechtsmittel einzulegen (qualifizierte Belehrung). Das gilt auch dann, wenn die Absprache einen Rechtsmittelverzicht nicht zum Gegenstand hatte. Ist die gebotene qualifizierte Belehrung nach einer Urteilsabsprache unterblieben und erweist sich daher ein erklärter Rechtsmittelverzicht als unwirksam, so kann der Angeklagte noch Rechtsmittel innerhalb der Rechtsmitteleinlegungsfrist einlegen.326 Im Übrigen darf der Rechtsmittelberechtigte, dem nach einer Urteilsabsprache keine qualifizierte Belehrung erteilt worden ist, nicht besser stehen als derjenige, der einen – unwirksamen – Rechtsmittelverzicht nicht erklärt hat. Bei erfolgter Rechtsmittelbelehrung, aber ohne qualifizierte Belehrung, kommt daher die gesetzliche Vermutung des Satzes 2 für die unterbliebene qualifizierte Belehrung nicht zur Anwendung.327 Sie gilt nämlich nur für die unterbliebene Rechtsmittelbelehrung nach § 35a Satz 1, die die notwendige Kenntnis des Rechtsmittelberechtigten von der zu wahrenden Rechtsmittelfrist effektiv absichern soll. Auf die durch Richterrecht geschaffene weitere qualifizierte Belehrung ist sie hingegen nicht zu erstrecken, weil ansonsten die Gefahr bestünde, Rechtsmittelmöglichkeiten ohne gebotene Fristgrenzen auch nach bloßem späteren Motivwechsel hinsichtlich der Rechtsmitteldurchführung noch zu eröffnen.328 Allerdings kann demjenigen, der ohne gesetzliche Vermutung glaubhaft machen kann 70 (§ 45 Abs. 2), aufgrund unstatthafter Einwirkungen – etwa weil er entgegen bestehender Informationspflichten, gar wider besseres Wissen, zumal vom Gericht, vom Beschreiten eines vorhandenen, von ihm gewünschten Rechtswegs abgebracht worden ist,329 infolgedessen auf Rechtsmittel verzichtet und das Rechtsmittel folglich nicht fristgerecht eingelegt hat, weil er sich zu Unrecht daran gebunden hielt, Wiedereinsetzung gewährt werden. Die Glaubhaftmachung (§ 45 Abs. 2) der die Wiedereinsetzung begründenden 324

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Vgl. dazu Römer NStZ 1981 476 sowie Sieg MDR 1981 281 und 1983 363; BVerfG StV 1995 894; BGHSt 30 182, 185; BGH 1 StR 220/05 vom 29.6.2005; wegen des engeren Standpunkts des Bundesverwaltungsgerichts s. DVBl. 1978 888. NStZ 2005 389 = StV 2005 311 = JR 2005 430. BGH NStZ 2005 389 = StV 2005 311, 315; wistra 2005 310.

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BGH NStZ 2005 389 = StV 2005 311, 315 = JR 2005 430 mit krit. Anm. Rieß JR 2005 438; wistra 2006 28; a.A. Rieß FS MeyerGoßner 645, 658, 660 ff. BGH NStZ 2005 389 = StV 2005 311, 315 f. = JR 2005 430 mit krit. Anm. Rieß JR 2005 438; vgl. § 35a, 28, 30 ff., 37, 39. BGHSt 45 227, 231 f.; 47 238, 241.

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Tatsachen wird jedoch in derartigen Fällen nicht ohne weiteres gelingen. Wenn auch insoweit die Anforderungen an den Tatsachenvortrag nicht überspannt werden dürfen, so vermögen unzureichende Rechtskenntnisse des Angeklagten oder seines Verteidigers nur bei schwer wiegenden Verteidigerfehlern eine Wiedereinsetzung im Einzelfall zu rechtfertigen,330 die im Einzelnen mit einem Wiedereinsetzungsantrag fristgerecht vorgetragen (§ 45 Abs. 1 Satz 1) und glaubhaft gemacht (§ 45 Abs. 2 Satz 1) werden müssen.

IV. Wirkung Wegen der Wirkung und Folgen einer gewährenden Wiedereinsetzung s. § 46, 11 ff.

§ 45 (1) 1Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses bei dem Gericht zu stellen, bei dem die Frist wahrzunehmen gewesen wäre. 2Zur Wahrung der Frist genügt es, wenn der Antrag rechtzeitig bei dem Gericht gestellt wird, das über den Antrag entscheidet. (2) 1Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. 2Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. 3Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

Schrifttum. Graalmann-Scheerer Moderne Kommunikationsformen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Strafverfahren, FS Nehm 221; Heyland Zur Auslegung des § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO n.F. – Bemerkungen zu der Entscheidung BVerfGE 41 332 –, JR 1977 402; Lintz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ohne Antrag, JR 1987 94 (zu Gössel JR 1986 383) mit Schlußwort Gössel JR 1987 97; Schrader Wiedereinsetzung und Rechtsmittelbelehrung (§§ 35a, 45 StPO), NStZ 1987 447; W. Schmid Über Eid und eidesstattliche Versicherung im strafprozessualen Freibeweisrecht, SchlHA 1981 41; W. Schmid Über Glaubhaftmachen im Strafprozeß, SchlHA 1981 73.

Entstehungsgeschichte. Satz 2 des Absatzes 2 ist durch Art. 2 Nr. 2 EGOWiG eingefügt worden. Durch Art. 1 Nr. 9 des 1. StVRG ist Absatz 1 dem modernen Sprachgebrauch von § 60 Abs. 2 VwGO, § 56 Abs. 2 FGO und § 67 Abs. 2 SGG angeglichen worden. Das Erfordernis der Glaubhaftmachung ist jetzt in Absatz 2 geregelt. Satz 1 dieses Absatzes lässt sie entsprechend der Regelung in den zuvor angeführten modernen Verfahrensordnungen auch noch während des Verfahrens über den Wiedereinsetzungsantrag zu. Satz 2 entspricht – mit der Erweiterung, dass die Handlung innerhalb der Antragsfrist (Absatz 1 Satz 1) nachgeholt sein muss – dem bisherigen Absatz 2. Durch Satz 3 wird nunmehr dem Gericht die Möglichkeit eröffnet, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch vom Amts wegen zu gewähren.

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BGH NStZ 2005 389 = StV 2005 311, 316 = JR 2005 430; BGH NStZ 2004 162; BGH bei Becker NStZ-RR 2002 66; vgl. Rn. 53.

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Übersicht Rn. 1. Bedeutung der Vorschrift a) Früheres Recht . . . . . . . . . b) Entwürfe . . . . . . . . . . . . c) Andere Verfahrensordnungen . . 2. Antrag (Absatz 1) a) Form und Frist (Satz 1) . . . . . b) Wegfall des Hindernisses . . . . c) Zuständigkeit (Satz 1 und 2) . . 3. Angabe der Versäumungsgründe und Glaubhaftmachung (Absatz 2) a) Angabe der Versäumungsgründe (Satz 1) . . . . . . . . . . . . .

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5 7 9

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Rn. b) Glaubhaftmachung . . . . . . . . . c) Mittel der Glaubhaftmachung . . . d) Eidesstattliche Versicherung des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . e) Frist zur Glaubhaftmachung . . . . f) Nachholen der versäumten Handlung (Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . g) Wiedereinsetzung ohne Antrag (Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . .

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Alphabetische Übersicht Antrag 5 ff. – Form 5 – Frist 5 – auf Entscheidung des Rechtsmittelgerichts 6 – verspäteter 31 Antragsfrist 5, 29 Antragsteller 22 Bedeutung der Vorschrift 1 ff. Eidesstattliche Versicherung 22 Früheres Recht 1 ff. Gerichtsbekannte Tatsachen 17 Glaubhaftmachung 16 – Frist 24 – Mittel 17

Nachholen der versäumten Handlung 29 Schlichte Erklärung 18 Versäumung der Hauptverhandlung 32 Versäumungsgründe 13 ff. Versicherung 21 Verteidiger 19 Wegfall des Hindernisses 7 Wiedereinsetzung ohne Antrag 30 Zeugen 20 Zulässigkeitsvoraussetzung 25 Zuständigkeit 9 ff.

1. Bedeutung der Vorschrift

1

a) Das frühere Recht ließ Wiedereinsetzung in den vorigen Stand weder von Amts wegen 1 noch auf Antrag der Staatsanwaltschaft zu.2 Der Staatsanwaltschaft versagte es den Antrag, weil es sich hierbei mangels Devolutiv- und Suspensiveffekts nicht um ein Rechtsmittel, sondern um einen Rechtsbehelf eigener Art handelt, auf den § 296 Abs. 2 StPO (auch analog) keine Anwendung finde. Die Rechtsprechung versuchte, Härten dadurch auszugleichen, dass sie Wiedereinsetzung auch ohne förmlichen Antrag bewilligte, wenn nur aus den Umständen des Falles zu schließen war, dass der Beteiligte um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bitten wollte.3 Müller-Sax 6 (§ 44, 5) und Kleinknecht 31 wollten einem unbilligen Ergebnis auch durch den Hinweis begegnen, dass bei offensichtlich unverschuldeter Fristversäumung die prozessuale Fürsorgepflicht Staatsanwaltschaft und Gericht gebieten könne, den Beschwerdeführer auf die Möglichkeit eines Wiedereinsetzungsantrags hinzuweisen.

2

b) Entwürfe. Schon die Entwürfe einer Strafprozessordnung von 1908 (E 1908) und eines Gesetzes über den Rechtsgang in Strafsachen von 1919 (E 1919) sahen eine Vorschrift des Inhalts vor, dass Wiedereinsetzung auch ohne ausdrücklichen Antrag bewilligt

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Allgemeine Ansicht seit RGSt 52 300 und 76 178. Erstmals RGSt 22 31; ferner OLG Bremen GA

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1957 87 und LG Aachen NJW 1961 86 mit zust. Anm. Kleinknecht. So OLG Bremen GA 1957 87.

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werden könne. In der Begründung zum E 1908 ist hierzu ausgeführt, es werde nur vorausgesetzt, dass der Wunsch des Antragstellers auf Wiedereinsetzung irgendwo erkennbar zum Ausdruck gelangt sei. § 292 des Entwurfs einer Strafverfahrensordnung von 1939 (E 1939) verlangte zwar einen Antrag auf „Nachholung einer versäumten Handlung“ (= Wiedereinsetzung in den vorigen Stand), erklärte aber zugleich die allgemeinen Vorschriften über Rechtsbehelfe für entsprechend anwendbar, so dass der Staatsanwaltschaft nach § 299 Satz 1 E 1939 die Möglichkeit gegeben war, auch zugunsten des Beschuldigten den Antrag auf Nachholung einer versäumten Handlung zu stellen. c) Andere Verfahrensordnungen. Die neuen Verfahrensordnungen – so § 60 Abs. 2 3 Satz 4 VwGO, § 56 Abs. 2 Satz 4 FGO, § 27 Abs. 2 Satz 4 SGB X ; § 67 Abs. 2 Satz 4 SGG, § 26 Abs. 3 Satz 4 EGGVG, § 112 Abs. 3 Satz 4 StVollzG und zufolge Änderung durch die Vereinfachungsnovelle vom 3.12.1976 auch § 236 Abs. 2 Satz 2 letzter Halbsatz ZPO – sehen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für den Fall von Amts wegen vor, dass der Beteiligte innerhalb der Antragsfrist die versäumte Handlung nachgeholt hat. Es ist zu begrüßen, dass diese Regelung auch für das Strafverfahren gilt, werden doch damit die unbilligen Härten vermieden, die darin liegen, dass – auch bei offensichtlichem Behördenverschulden – das Gericht gehindert war, dem Beschwerdeführer trotz Unverschuldens alsbald Wiedereinsetzung zu gewähren.4 Abweichend von den zuvor genannten Verfahrensordnungen, die überwiegend eine zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist vorsehen, hält die Neufassung an der Wochenfrist fest und vermeidet damit eine Ungleichheit zwischen der Rechtsmitteleinlegungsfrist in Strafsachen, die ausnahmslos eine Woche beträgt, und der Wiedereinsetzungsfrist. Zu Recht enthält § 45 – anders als § 60 Abs. 3 VwGO, § 56 Abs. 3 FGO; § 27 4 Abs. 3 SGB X; § 67 Abs. 3 SGG, § 22 Abs. 2 Satz 4 FGG, § 26 Abs. 4 EGGVG, § 112 Abs. 4 StVollzG und § 234 Abs. 3 ZPO – auch keine Ausschlussfrist 5. Der für diese Vorschriften angeführte Gesichtspunkt, von einem gewissen Zeitpunkt an sollten klare Verhältnisse geschaffen werden, kann nicht ohne weiteres auf die Strafprozessordnung übertragen werden. Eine – wenn auch im Fall höherer Gewalt abgeschwächte – Ausschlussfrist könnte im Strafverfahren zu unbilligen Ergebnissen und Härten führen. 2. Antrag (Absatz 1) a) Form und Frist (Satz 1). Der Antrag ist in der Anbringungsform frei. Die bloße 5 Behauptung, der Antragsteller habe ohne sein Verschulden eine bestimmte Frist versäumt, ist ein – wenn auch unzulässiger – Wiedereinsetzungsantrag und als solcher zu behandeln.6 Er ist aber nur dann zulässig, wenn die Frist von einer Woche (§ 43, 2 ff.) gewahrt ist; die Tatsachen zur Begründung des Antrags (Rn. 13 ff.) angegeben 7 und – wenn auch gegebenenfalls später – glaubhaft (Rn. 16 ff.) gemacht worden sind; die versäumte Handlung nachgeholt (Rn. 28) worden ist; und, falls sie einem Formzwang unterliegt (z.B. § 172 Abs. 2, § 345 Abs. 2, § 390 Abs. 2), diesem genügt. Bestehen Zweifel,

4

Begr. BTDrucks. 7 551 S. 58. Das OLG Düsseldorf will diesen Grundsatz unter Hinweis auf BVerfGE 42 257 = NJW 1976 1840 auch auf die Versäumung eines Hauptverhandlungstermins anwenden und bei offensichtlichem Behördenverschulden auch in diesem Fall Wiedereinsetzung von Amts

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wegen gewähren (VRS 57 [1979] 441 = NJW 1980 1705). OLG Düsseldorf NJW 1982 61; Schrader NStZ 1987 448. RG HRR 1935 1359. OLG Düsseldorf VRS 78 (1990) 459.

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ob die Wochenfrist gewahrt ist, und können diese nicht ausgeräumt werden, so kann zugunsten des Antragstellers davon ausgegangen werden, dass er die Frist eingehalten hat.8 Wenn der Antrag anders bezeichnet wird, als im Gesetzestext angegeben, ist das nach dem sinngemäß anzuwendenden § 300 unschädlich. In dem Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Rechtsmittelgerichts (§ 319 6 Abs. 2 Satz 1, § 346 Abs. 2 Satz 1) liegt regelmäßig zugleich ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Darüber ist zuerst zu entscheiden, weil die Bewilligung der Wiedereinsetzung den Antrag auf Entscheidung des Rechtsmittelgerichts gegenstandslos macht.9 Des Verfahrens nach § 44 bedarf es nicht, wenn das Gericht eine Entscheidung in der irrigen Annahme getroffen hat, dass eine Frist versäumt sei. Das Gericht kann und muss in einem solchen Fall seine Entscheidung von Amts wegen aufheben oder ändern, sobald sich herausstellt, dass die irrigerweise angenommene Versäumnis in Wirklichkeit nicht vorliegt.10 Ein – selbst unzulässiger – Wiedereinsetzungsantrag kann hierzu Veranlassung bieten.

7

b) Wegfall des Hindernisses. Unter Hindernis ist der Umstand zu verstehen, der die Versäumung verursacht hat. Hat jemand das zur Wahrung der Frist Erforderliche getan, diese aber, ohne dass er das weiß, doch versäumt, dann bildet diese Unkenntnis das Hindernis. Das Hindernis ist weggefallen, wenn der Betroffene davon Kenntnis erlangt, dass er die Frist versäumt hat,11 bei unterbliebener Rechtsmittelbelehrung mithin nicht erst mit deren Nachholung, wenn der Beschwerdeführer schon vorher von der Fristgebundenheit Kenntnis erlangt hat 12 oder diese bei der von ihm erwartenden Sorgfalt hätte erlangen können.13 Geht ein rechtzeitig aufgegebener Brief verloren, ist das Hindernis weggefallen, wenn dem Absender der Verlust bekannt wird. Hat jemand von einer Zustellung keine Kenntnis, ist das Hindernis weggefallen, wenn der Adressat von der Zustellung Kenntnis erlangt und dazu die Gelegenheit erhält, von dem Gegenstand der Zustellung Kenntnis zu nehmen. Ist jemand über eine Rechtsmittelfrist nicht belehrt worden und hat von ihr keine Kenntnis gehabt, ist das Hindernis weggefallen, wenn die Belehrung nachgeholt wird oder der Beteiligte sonst, etwa weil das Rechtsmittel verworfen worden ist, Kenntnis von der Frist erlangt. Hat der Verletzte innerhalb der Frist des Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 Satz 1 beantragt, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihm einen Rechtsanwalt beizuordnen, und ist ihm der Beschluss, durch den ihm die Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht versagt worden ist, erst nach Ablauf der Antragsfrist zugegangen, so ist das Hindernis erst in diesem Zeitpunkt weggefallen. Denn Wiedereinsetzungsgrund ist in diesem Fall nicht die Fortdauer oder der Fortfall der Unmöglichkeit, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, sondern die Weigerung, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, nachdem der Verletzte den Antrag dafür rechtzeitig gestellt hatte.14 Bei Übermittlung eines fristgebundenen Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs oder bei Übermittlung einer gesetzlich vorgeschriebenen schriftlichen Begründung (z.B. § 172 Abs. 3 Satz 2, § 345 Abs. 2) im Wege des elektroni-

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9 10 11

BGHSt 11 395; OLG Hamburg NJW 1974 68; OLG Stuttgart NJW 1981 471; KK/Maul 3; a.A. OLG Karlsruhe OLGSt § 45 StPO, 27; OLG Celle NdsRpfl. 1982 140; KMR/Paulus 4; Meyer-Goßner 3. RGSt 53 288; BGHSt 11 154. RGSt 59 419; RG JW 1927 395. BGH bei Miebach NStZ 1988 210. Zur

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Behandlung einer irrtümlich als versäumt behandelten Frist s. § 44, 32. OLG Düsseldorf VRS 87 (1994) 351. BVerfG NJW 1994 1857 unter Hinweis auf BGH JR 1990 379 und NJW 1993 1332. OLG Celle GA 1977 150; OLG Hamburg MDR 1984 775; LR/Graalmann-Scheerer 25 § 172, 173.

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schen Rechtsverkehrs als elektronisches Dokument fällt mit dem Eingang und der Kenntnis der Mitteilung nach § 41a Abs. 1 Satz 4 beim Absender, dass das übermittelte elektronische Dokument nicht zur Bearbeitung geeignet ist, im Falle der Versäumung einer gesetzlichen Frist das Hindernis nach Absatz 1 Satz 1 weg.15 Für die Frage, wann das Hindernis weggefallen ist, kommt es auf die persönliche 8 Kenntnis des von ihm Betroffenen an.16 Es schadet ihm nicht, wenn sein Anwalt früher 17, und es kommt ihm nicht zugute, wenn sein Anwalt später 18 von dem Umstand Kenntnis erhalten hat als er selbst. Besteht zwischen Behörden Meinungsverschiedenheit über den hindernden Umstand und sind diese mit der Aufklärung befasst, dann ist das Hindernis erst erhoben, wenn dem Betroffenen die ermittelten Umstände bekannt gegeben worden sind und er damit endgültig Klarheit erlangt hat.19 c) Zuständigkeit (Satz 1 und 2). Der Antrag ist bei dem Gericht zu stellen, bei dem 9 die Frist wahrzunehmen gewesen wäre (judex a quo). Das gilt nunmehr auch für den Fall, dass der Antrag sich gegen die Versäumung einer sofortigen Beschwerde richtet, da § 311 Abs. 2 Satz 2, der insoweit eine Ausnahmeregelung enthielt, durch Art. 4 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 8.7.1986 mit dem 1.4.1987 aufgehoben worden ist. Zuständig ist darüber hinaus das Gericht, bei dem die versäumte Handlung auch vorgenommen werden durfte. Danach kann der Beschuldigte, der sich nicht auf freiem Fuß befindet (§ 35, 24 f.), den Antrag auch bei dem Amtsgericht anbringen, in dessen Bezirk er verwahrt wird (§ 299).20 Hat der Angeklagte die Frist zur Berufungseinlegung (§ 314 Abs. 1) versäumt und hat 10 der Strafrichter deshalb die Berufung durch Beschluss als unzulässig verworfen (§ 319 Abs. 1), so ist ein Antrag auf Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Berufungsfrist bei dem Amtsgericht – dem Gericht, bei dem die Frist wahrzunehmen war – zu stellen und von diesem über die Staatsanwaltschaft dem Berufungsgericht zur Entscheidung vorzulegen (§ 46 Abs. 1). Die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung wird allerdings auch dann gewahrt, wenn der Antrag rechtzeitig bei dem Berufungsgericht angebracht worden ist (Satz 2). Ist die Frist zur Einlegung der Revision (§ 341 Abs. 1) oder zur Begründung der Revi- 11 sion (§ 345 Abs. 1) versäumt und hat der Tatrichter deshalb die Revision durch Beschluss als unzulässig verworfen (§ 346 Abs. 1), so ist der Antrag auf Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Revisionseinlegungs- oder Begründungsfrist bei dem Tatgericht anzubringen, bei dem die Frist wahrzunehmen war und von diesem wiederum über die Staatsanwaltschaft dem Revisionsgericht zur Entscheidung vorzulegen (§ 46 Abs. 1). Auch in diesen beiden Fällen wird die Frist gewahrt, wenn der Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig bei dem Revisionsgericht angebracht worden ist (Satz 2).21

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Graalmann-Scheerer FS Nehm 221, 224 f. BGH wistra 2001 64; OLG Celle NJW 1973 2307; OLG Karlsruhe MDR 1993 564; Meyer-Goßner 3. BayObLGSt 1956 251 = NJW 1957 192; OLG Hamm NJW 1965 2216; OLG Braunschweig NJW 1967 1432. BayObLGSt 1955 188 = NJW 1956 154; OLG Köln VRS 42 (1972) 127; OLG Hamm

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NJW 1965 2216; OLG Schleswig SchlHA 1959 301 und bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1983 107. OLG Hamburg Alsb. E 1 156. KG DRiZ 1929 1151. OLG Hamburg MDR 1978 244 = JR 1978 430 mit Anm. Meyer; KK/Maul 5; KMR/Paulus 13.

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§ 45 12

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Die in den Randnummern 9 bis 11 behandelte Zuständigkeitsregelung ist zweckmäßig, weil der Antrag auf diese Weise dorthin kommt, wo sich in der Regel die Akten befinden werden. Soweit Satz 2 diesen Grundsatz durchbricht, ist seine Regelung gleichwohl zu billigen. Denn es war unbefriedigend, dass bis zu seiner Einführung durch Art. 2 Nr. 2 EGOWiG 22 die Antragsfrist nicht gewahrt wurde, wenn der Antrag versehentlich bei dem Gericht eingereicht wurde, das darüber nach § 46 Abs. 1 zu entscheiden hat (judex ad quem). 3. Angabe der Versäumungsgründe und Glaubhaftmachung (Absatz 2)

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a) Angabe der Versäumungsgründe (Satz 1). Der Antrag muss unter Behauptung von Tatsachen so vollständig begründet werden,23 dass ihm die unverschuldete (vgl. § 44, 21 ff.) Verhinderung des Antragstellers, der Hinderungsgrund, entnommen werden kann.24 Versäumungsgründe nachzuschieben ist unzulässig.25 Denn Absatz 2 Satz 1 erweitert wohl die Frist zur Glaubhaftmachung, nicht aber für die Angabe der Tatsachen zur Begründung des Antrags. Sie müssen daher – wie bisher – mit der Antragstellung, spätestens innerhalb der Antragsfrist, vorgetragen werden. Das schließt indessen nicht aus, dass der Antragsteller sein fristgerecht angebrachtes Vorbringen nach Ablauf der Frist bis zur gerichtlichen Entscheidung erläutert, vervollständigt und ergänzt,26 solange damit der fristgerecht vorgebrachte, Anspruchs begründende Tatsachenvortrag nicht verändert wird.27 Umstände, die den Akten zu entnehmen (Zustellung durch Niederlegung oder an 14 Dritte, Unterlassen der Rechtsmittelbelehrung nach § 35a, unrichtiger Akteninhalt) oder gerichtskundig sind (Überschwemmung, Schneeverwehung, Stillstand der Rechtspflege), unterliegen nicht der Darlegungspflicht.28 Zum Tatsachenvortrag bei Fristversäumung unter Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs vgl. § 41a, 10, 13. Zu der Aufklärung, die der Antragsteller erbringen muss, gehört es, dass er darlegt, 15 wann das Hindernis weggefallen ist und wodurch.29 Die Begründung eines Wiederein22 23 24

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Begr. BTDrucks. 5 1319 S. 71. BayObLGSt 1949/51 350; OLG Köln NStZ-RR 2002 142. BGH NStZ 1996 149; OLG Düsseldorf VRS 81 (1991) 373; 85 (1993) 342; 90 (1996) 185, 187, 189; OLG Köln NStZ-RR 2002 142; KK/Maul 6; KMR/Paulus 6; MeyerGoßner 5. BGH NStZ 1996 149; OLG Celle NdsRpfl. 1976 41; KG JR 1977 308; OLG Saarbrücken StV 1986 471; OLG Düsseldorf NJW 1984 2901. BGH – Z – NJW 1951 964; KG JR 1975 380; OLG Düsseldorf OLGSt § 44 StPO, 13; MDR 1990 1025; Rpfleger 1993 460; einschränkend OLG Braunschweig NJW 1967 1432 für den Fall, dass der Angeklagte erst nachträglich von neuen – erheblichen – Tatsachen Kenntnis erlangt. Beispiel: Der Antragsteller trägt vor, er sei, im Begriff einen Schriftsatz zur Post zu bringen, so erkrankt, dass er sein Vorhaben nicht habe ausführen können. Er gibt nach

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Fristablauf die Art der Erkrankung an und trägt vor, dass er allein im Haus gewesen sei und keinen Telefonanschluss unterhalte. BVerfG NJW 1995 2544; BayObLGSt 1952 62, OLG Hamm NJW 1955 1850; OLG Saarbrücken Rpfleger 1960 344; OLG Düsseldorf VRS 64 (1983) 271; OLG München MDR 1985 162; Meyer-Goßner 5; 12; SK/Weßlau 7. BVerfG NJW 1995 2544; BGH bei Dallinger MDR 1972 925; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1987 217; NStZ 1991 295; OLG Köln NStZRR 2002 142; OLG Saarbrücken NJW 1969 1865; OLG Düsseldorf VRS 64 (1983) 271; 82 (1992) 196; MDR 1990 1035; OLG Hamm VRS 86 (1994) 179; OLG Celle MDR 1982 774; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1983 107; 1984 98; KK/Maul 6; KMR/Paulus 7; Meyer-Goßner 5. Den gleichen Standpunkt vertreten auch die Verwaltungsgerichte, so BVerwG MDR 1963 868 (zu § 33 VVG); OVG Koblenz NJW 1972 2326 (zu § 60 Abs. 2 VwGO).

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setzungsantrags muss Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses auch dann enthalten, wenn der Verteidiger eigenes Verschulden geltend macht.30 Die entgegen gesetzte Ansicht 31 beruft sich zu Unrecht auf den Wortlaut des § 45 und auf einen Vergleich mit § 236 Abs. 1 ZPO und § 22 Abs. 2 FGG. Denn es kann nicht der Sinn eines summarischen Verfahrens sein, über dessen erste Voraussetzung, ob die Frist gewahrt ist, Rückfragen zu halten und Beweise zu erheben. b) Die Glaubhaftmachung soll den Richter in die Lage versetzen, ohne den Fortgang 16 des Verfahrens verzögernde weitere Ermittlungen über den Antrag zu entscheiden,32 d.h. auch ohne förmliche Beweiserhebung die behaupteten Tatsachen für wahr zu halten. Dafür wird indessen nicht die volle richterliche Überzeugung von der Richtigkeit der behaupteten Tatsachen gefordert. Es genügt, dass dem Richter durch die beigebrachten Beweismittel in einem nach Lage der Sache vernünftigerweise zur Entscheidung hinreichenden Maß die Wahrscheinlichkeit ihrer Richtigkeit dargetan wird.33 Diesem Zweck dienen präsente schriftliche Beweismittel, die der Richter unmittelbar, regelmäßig ohne andere Personen zu befragen, durch Einsicht würdigen kann; die bloße Bezeichnung eines Beweismittels, wie etwa die Benennung eines Zeugen, reicht in der Regel zur Glaubhaftmachung nicht aus.34 Der Grundsatz, dass im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden sei, gilt für die Glaubhaftmachung durch Beteiligte auch dann nicht, wenn sie dem Angeklagten dienen soll.35 c) Als Mittel der Glaubhaftmachung kommen etwa in Betracht ärztliche Zeugnisse, 17 gewöhnliche schriftliche Erklärungen, selbst wenn diese in einer fremden Sprache abgefasst sind,36 Telekopien 37, Urkunden wie Fahrkarten oder Flugtickets oder eidesstattliche Versicherungen von Zeugen 38, etwa des Zustellungsempfängers, des Arbeitgebers oder eines Tankwarts, amtliche Bescheinigungen wie die Mitteilung nach § 41a Abs. 1 Satz 4, in seltenen Fällen schriftliche Sachverständigengutachten, und endlich eidesstattliche Versicherungen des Gesuchstellers selbst, soweit er nicht im gleichen Verfahren Beschuldigter ist (Rn. 22). Soweit keine Darlegungspflicht besteht (Rn. 14), bedarf es auch nicht der Glaubhaftmachung, namentlich also nicht für gerichtsbekannte Tatsachen.39

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KG VRS 109 (2005) 281. BayObLGSt 1952 16; OLG Düsseldorf VRS 90 (1996) 187; KMR/Müller-Sax 6 2; Eb. Schmidt Nachtr. 2 5. BGHSt 21 347; BGH NStZ 1991 144; KG NJW 1974 657; OLG Düsseldorf NJW 1985 2207; JMBlNRW 1985 226; KK/Maul 10; Meyer-Goßner 10. RGSt 28 10; BGHSt 21 350; BayObLGSt 1955 224 = NJW 1956 640; OLG Düsseldorf StV 1985 224; NJW 1985 2207; NStZ 1990 149; VRS 81 (1991) 374; Saenger JuS 1991 844; KK/Maul 10; Meyer-Goßner 10. BGHSt 21 347. Wegen Ausnahmen s. Rn. 20. BGHSt 21 352; BGHR StPO § 45 Glaubhaftmachung 2; OLG Düsseldorf VRS 80 (1991) 30; 97 (1999) 422; offen gelassen OLG Hamm NStZ 1999 97; W. Schmid 74; Meyer-Goßner 10; SK/Weßlau 17.

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OLG Bamberg NStZ 1989 335; OLG Düsseldorf VRS 93 (1997) 171: bloße Vorlage einer Kopie eines ärztlichen Attests genügt nicht, wenn das angeblich vorhandene Original dem Gericht ohne Angabe von Gründen vorenthalten wird. OLG Bamberg NStZ 1989 335. RGSt 28 11; 57 54; 58 148; 62 121; 70 268; OLG Hamm MDR 1965 843; OLG Düsseldorf StV 1985 223; NStZ 1990 149; VRS 96 (1999) 111: bloße Benennung von Zeugen reicht nicht aus. OLG Neustadt GA 1956 94; OLG Saarbrücken Rpfleger 1960 344; OLG Düsseldorf VRS 64 (1983) 269; VRS 92 (1997) 115; Peters JR 1974 254; Heyland JR 1977 405; KK/Maul 10; Meyer-Goßner 6.

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Bis zum Inkrafttreten der Neufassung des § 45 (Art. 1 Nr. 9 des 1. StRVG) hatte das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, auf die Glaubhaftmachung könnte auch verzichtet werden, wenn dem Vorbringen selbst schon zufolge seiner schlüssigen und erschöpfenden Darstellung eines ausgesprochen nahe liegenden, der Lebenserfahrung entsprechenden Versäumnisgrunds – z.B. Urlaub in der allgemeinen Ferienzeit – eine nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit innewohne.40 Nach der Neufassung des Absatzes 1 sieht es nunmehr keinen Anlass mehr, die Glaubhaftmachung durch „schlichte Erklärung“ ganz allgemein auch bei nahe liegenden Versäumnisgründen allein ausreichen zu lassen,41 zumal da Absatz 1 dem Betroffenen die Möglichkeit eröffnet, einen zunächst unzulänglich glaubhaft gemachten Wiedereinsetzungsgrund selbst in der Beschwerdeinstanz (vgl. dazu Rn. 24 ff.) noch zu vervollständigen.42 Ob gleichwohl die „schlichte Erklärung“ ausnahmsweise einmal zur Glaubhaftmachung ausreichen kann,43 haben nunmehr die Fachgerichte selbst zu entscheiden.44 Wenn der Verteidiger den Antrag stellt, ist der Vortrag durch ihn allein – auch nicht 19 mit dem Hinweis, er habe das Vorbringen dem Beschuldigten vorgelesen und dieser es als richtig bezeichnet 45 – keine Glaubhaftmachung. Bestätigt er aber im Antrag die Wiedereinsetzungsgründe als eigene Wahrnehmung, so wird das in der Regel als Glaubhaftmachung genügen,46 wenn auch eine „anwaltliche Versicherung“ angebrachter ist.47 Ausnahmsweise kann auch die bloße Benennung eines Zeugen genügen: einmal, wenn 20 er als Bediensteter einer Behörde (Gericht, Staatsanwaltschaft, Vollzugsanstalt) angehört, die mit dem Antrag befasst ist,48 zum anderen, wenn der Antragsteller glaubhaft vorbringt, der Zeuge habe eine schriftliche Bestätigung verweigert,49 und endlich, wenn es unangemessen oder voraussichtlich zwecklos ist, dass der Antragsteller den Zeugen um eine Erklärung angeht und dieser Umstand entweder auf der Hand liegt oder glaubhaft gemacht worden ist. Ist es dem Beschuldigten unmöglich, Beweismittel beizubringen, dann kann, nament21 lich bei nicht von ihm zu vertretendem Beweisverlust – etwa eines Briefumschlags mit Poststempel auf der Behörde –, seine eigene schlichte (nicht eidesstattliche) Versicherung genügen.50 Auch kann seine – nicht zulässige, vgl. Rn. 22 – eigene eidesstattliche Ver-

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BVerfGE 38 39 = NJW 1974 1903; 40 91 = NJW 1975 1356; 40 186 = JZ 1975 571 = MDR 1975 997; BVerfG StV 1975 394 mit weiteren Beispielen; NJW 1995 2546; vgl. dazu ausführlich Goehrlich NJW 1976 1526 mit weiteren Hinweisen. BVerfG StV 1993 451; zuvor schon KG JR 1974 252 mit Anm. Peters; OLG München NStZ 1988 378; KK/Maul 12; MeyerGoßner 9. BVerfGE 41 332, 337 = NJW 1976 1537 = MDR 1976 732. Grundsätzlich verneinend OLG Köln VRS 51 (1976) 52; vgl. auch BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985 493. BVerfGE 41 340; vgl. dazu Rn. 21. BayObLG bei Rüth DAR 1974 181. BGH NStZ 1996 149; OLG Neustadt MDR 1956 312; OLG Schleswig MDR 1972 165; LG Gera VRS 95 (1998) 377.

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OLG Köln NJW 1964 1038; OLG Koblenz OLGSt n.F. § 45 StPO Nr. 5. Etwas weitergehend BayObLGSt 1955 223 = NJW 1956 640. BayObLGSt 1955 210 = JZ 1956 341; weitere Beispiele: KG NJW 1974 657; OLG Bremen JZ 1977 442; OLG Düsseldorf NJW 1985 2207; StV 1987 428 = MDR 1987 1048; OLG Koblenz OLGSt § 45 StPO, 5. BVerfGE 26 315, 320 = NJW 1969 1531; BVerfG 1995 2546; BGHSt 25 92; BayObLGSt § 45 StPO, 15; OLG Hamm JMBlNRW 1954 134; NJW 1970 1429; OLG Bremen Rpfleger 1962 386; OLG Braunschweig GA 1966 56; KG NJW 1974 657 = JR 1974 253 mit Anm. Peters; OLG Koblenz OLGSt § 45 StPO 5; OLG München NStZ 1988 377; OLG Düsseldorf NStZ 1990 149; VRS 89 (1995) 122; OLG Schleswig NJW 1994 2841; LG Flensburg MDR 1976 599;

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sicherung namentlich dann als schlichte Versicherung gewertet werden, wenn er die Versäumungsgründe durch die schlichte Erklärung sogleich wahrscheinlich macht.51 Dagegen ist es ausgeschlossen, sie 52 als Beteuerung mit besonderer, bestärkter Bedeutung zu würdigen. In einem solchen Fall ist die Prüfung der Zulässigkeit schwer von derjenigen der Begründetheit zu scheiden.53 Der Richter wird die vorgebrachte Behauptung nach den Umständen zu beurteilen und dabei u.U. den Beschuldigten persönlich zu vernehmen haben. Freilich wird nicht jedes Vorbringen 54 glaubhaft sein. Im Übrigen kann der Beschuldigte, wenn er erst verspätet ein Beweismittel erlangen konnte, Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist begehren.55 Die Nutzung moderner Kommunikationsformen erfordert besondere Sorgfalt bei 22 dem Vortrag der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen und deren Glaubhaftmachung. Bei der Übermittlung fristgebundener Rechtsmittel- oder Rechtsbehelfseinlegungsschriften sowie bei der Revisionsbegründung und Stellung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 per Telefax trifft den Beschwerdeführer bzw. Antragsteller eine besondere Darlegungslast, wenn das Schriftstück beim Empfänger nicht fristgerecht eingegangen ist und er deswegen die Wiedereinsetzung begehrt. Ein Faxgerät, das ein Dokument empfängt, muss einschlägigen internationalen Standards (ITU-T-Empfehlung T.30) genügen und dem sendenden Gerät den Erfolg der Sendung quittieren. Ist ein per Telefax übermitteltes Schriftstück nicht zu den Akten gelangt, so reicht die Vorlage des Telefaxsendeprotokolls mit dem OK-Vermerk als Mittel der Glaubhaftmachung grundsätzlich nicht aus.56 Das Telefaxsendeprotokoll mit OK-Vermerk sagt nur etwas über die Absendung eines Fax aus, nicht aber über den Zugang einer ganz bestimmten Sendung beim Empfänger. Das Sendeprotokoll mit OK-Vermerk vermag nicht den Beweis für den Inhalt des gesendeten Dokuments und die Authentizität des Sendeprotokolls zu erbringen.57 Zur Glaubhaftmachung der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen (hier: technische Störung des Empfangsgeräts) reicht es daher nicht aus, lediglich das Sendeprotokoll mit OK-Vermerk vorzulegen. Es bedarf zusätzlich

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VRS 60 (1981) 42; LG Münster VRS 69 (1985) 443; KK/Maul 12 f.; Meyer-Goßner 9; SK/Weßlau 15; a.A. Saenger JuS 1991 844. Dagegen hält das Kammergericht (NJW 1974 657 = JR 1974 252) ausnahmslos an dem Grundsatz fest, ein Verzicht auf die Glaubhaftmachung müsse auf den Fall beschränkt bleiben, dass es dem Antragsteller unmöglich sei, Beweismittel beizubringen; vermittelnd Peters JR 1974 253; wie Kammergericht Heyland 406: Eine sog. schlichte Erklärung enthält keine Glaubhaftmachung i.S. des § 45 Abs. 2 Satz 1. Im übrigen zieht Heyland aus der Aufgabe der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur schlichten Erklärung den Schluss (402, 405), dass damit die Bindung der Fachgerichte an die Auffassung jenes Gerichts von der schlichten Erklärung als Glaubhaftmachung im Wiedereinsetzungsverfahren – das Kammergericht hatte in der o. a. Entscheidung dagegen verstoßen, BVerfGE 40 91 = NJW 1975 1356 – schlechthin entfällt.

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So OLG Hamm MDR 1965 843. Weitergehend OLG Koblenz (VRS 64 [1983] 372), wonach die eidesstattliche Versicherung des Beschuldigten den Wiedereinsetzungsantrag in keinem Fall unzulässig mache, weil der Richter in jedem Fall prüfen müsse, ob nicht ausnahmsweise seine Versicherung als schlichte Erklärung ausreiche, seine Säumnis zu entschuldigen. Diese Prüfung betreffe eher schon die Frage, ob sein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründet sei oder nicht. Beispiel: Der in den oberen Teil des Nachtbriefkastens eingeworfene Brief sei ohne Zeugen 23 Uhr eingeworfen worden; die Klappe müsse eine Stunde zu früh gefallen sein. OLG Hamm NJW 1958 1104; VRS 53 (1977) 191; OLG Düsseldorf NJW 1982 60. Graalmann-Scheerer FS Nehm 221, 226. Gregor NJW 2005 2885, 2886.

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vielmehr der eidesstattlichen Versicherung des Verteidigers oder Rechtsanwalts oder des mit der Absendung des Fax beauftragten Anwaltspersonals darüber, wann welches konkret bezeichnetes Dokument mit welchem Inhalt wie übermittelt worden ist.58 Je nach Lage des Einzelfalls wird sich eine eidesstattliche Versicherung auch dazu zu verhalten haben, ob die mit der Faxsendung befasste Person mit der erforderlichen Sicherheit ein fehlerhaftes Einlegen des Schriftstücks ausschließen kann, das zum Einlesen und zur Sendung leerer Seiten geführt hat.59 Hat der Betroffene selbst eine fristgebundene Rechtsmittel- oder Rechtsbehelfseinlegungsschrift per Telefax abgesandt, reicht es als Mittel der Glaubhaftmachung nicht aus, dass er die Tatsachen zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags durch eine eigene eidesstattliche Versicherung glaubhaft macht, denn eine solche ist nicht statthaft (Rn. 23). Vielmehr kann er die Authentizität des Sendeprotokolls durch Vorlage eines Einzelverbindungsnachweises der Telefonrechnung glaubhaft machen, aus dem sich ergibt, ob zu dem im Sendeprotokoll dokumentierten Zeitpunkt tatsächlich eine Verbindung vom Faxanschluss des Absenders zur Rufnummer des Empfängers bestanden hat.60

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d) Eidesstattliche Versicherung des Beschuldigten. § 26 Abs. 2 Satz 2 und § 74 Abs. 3, zweiter Halbsatz schließen den Eid, und damit auch die ihn ersetzende eidesstattliche Versicherung,61 des Ablehnungsberechtigten ausdrücklich aus. Die abweichende Fassung des § 45 Abs. 2 Satz 1 kann nicht schlechthin unbeachtet bleiben. Grundsätzlich ist daher der Antragsteller befugt, sich zur Glaubhaftmachung der eidesstattlichen Versicherung zu bedienen. Eine Ausnahme gilt jedoch für den Fall, dass der Antragsteller der Beschuldigte im Strafverfahren ist. Denn der Eid und die eidesstattliche Versicherung des Beschuldigten sind im Strafverfahren nach deutscher Auffassung, die im System der Strafprozessordnung ihren Ausdruck findet, mit der Stellung des Beschuldigten nicht vereinbar.62 Wenn mit den genannten Mitteln der Glaubhaftmachung im Wiedereinsetzungsverfahren auch nicht die Schuld abgeschworen werden soll, so dienen doch auch sie der Verteidigung. Insoweit gehen die allgemeinen Erwägungen dem Fassungsunterschied bei der Auslegung vor.63 Der Beschuldigte kann also seinen eigenen Wiedereinsetzungsantrag nicht mit einer eigenen eidesstattlichen Versicherung glaubhaft machen;64 nicht ausge58 59 60 61 62

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Graalmann-Scheerer FS Nehm 221, 226. Schneider MDR 1999 193, 197. AG Rudolstadt NJW-RR 2004 1151. RGSt 57 54. BayObLG NStZ 1990 340; OLG Düsseldorf OLGSt § 45 StPO, 13; Saenger JuS 1991 844; KK/Maul 13; Meyer-Goßner 9. Vgl. RGSt 57 53. RGSt 70 268; BGHSt 25 89; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1989 493; BayObLGSt 1953 207 = NJW 1954 204; NStZ 1990 340 = StV 1991 468; KG VRS 6 (1954) 283; 87 (1994) 130; OLG Braunschweig GA 1966 55; OLG Hamm MDR 1965 843; NJW 1974 328; OLG Düsseldorf StV 1985 224; NStZ 1990 149; OLG Koblenz VRS 64 (1983) 29; Mittelbach JR 1955 274; Heyland JR 1977 402; W. Schmid SchlHA 1981 73, 75; Eb. Schmidt Nachtr. 3 11; KK/Maul 13; Meyer-Goßner 9; SK-StGB/Rudolphi § 156,

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7; a.A. – auch Beschuldigter kann, um einen Versäumungsgrund glaubhaft zu machen, eine Versicherung an Eides Statt abgeben – Gerland 192; Clemens DStR 1939 197; OLG Hamburg JR 1955 274; OLG Hamm MDR 1965 843; LG Mainz MDR 1972 165; LG München NJW 1972 406. Beide Landgerichte berufen sich zu Unrecht auf BVerfGE 26 320 = NJW 1969 1532: dort wird nur – wie hier (Rn. 21) – von der eigenen schlichten (d.h. nicht eidesstattlichen) Versicherung des Beschuldigten gesprochen. Auch die Annahme, RGSt 70 268 rücke von RGSt 57 73 ab, ist falsch. Das Landgericht Mainz gibt RGSt 70 268 unrichtig wieder; der Nebensatz („als sie Tatsachen betreffen, die für die Entscheidung der Schuldfrage unmittelbar von Bedeutung sind“) bezieht sich nur auf eidesstattliche Versicherungen von Zeugen. Eidesstattliche

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schlossen ist es, sie als schlichte Erklärung zu werten (Rn. 21). Dagegen kann er als Zeuge eines anderen Antragstellers eine solche Versicherung abgeben. e) Frist zur Glaubhaftmachung. Nach der früheren Fassung des § 45 Abs. 1 musste 24 der Antrag fristgemäß unter Glaubhaftmachung angebracht werden; der Antragsteller musste seine Angaben regelmäßig schon mit dem Antrag, spätestens jedoch bis zum Ablauf der Antragsfrist glaubhaft machen. Nach dem neuen Wortlaut von Absatz 2 Satz 1 genügt es nunmehr, wenn der Antragsteller die Tatsachen zur Begründung seines Antrags im Verfahren über den Antrag glaubhaft macht. Damit gilt für das Strafverfahren die gleiche Regelung, die sich in anderen Verfahrensordnungen (vgl. § 60 Abs. 2 VwGO; § 26 Abs. 3 Satz 2 EGGVG; § 112 Abs. 3 Satz 2 StVollzG und § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO) 65 bewährt hat und in der Praxis – allerdings zurückhaltend – schon geübt wurde. Denn der bisherigen Gesetzesfassung war nicht zu entnehmen, dass das Gericht nach Ablauf der Frist eingegangenes Material zur Glaubhaftmachung nicht berücksichtigen durfte; der Antragsteller hatte nur keinen Anspruch darauf, danach mit neuem Material zugelassen zu werden. Der neuen Regelung – sie ist ein weiterer Schritt auf dem Weg, die Verfahrensordnungen einander anzugleichen – ist zuzustimmen, vermeidet sie doch, dass ein Antragsteller gezwungen wird, nur deshalb einen zweiten Wiedereinsetzungsantrag zu stellen, weil es ihm oftmals unmöglich war, die unverschuldete Fristversäumung innerhalb der einwöchigen Antragsfrist glaubhaft zu machen.66 Zwar ist nicht auszuschließen, dass durch die neue Regelung der mit der Behauptung einer unverschuldeten Fristversäumnis eingetretene Zustand der Ungewissheit über die Rechtsbeständigkeit der zufolge der Säumnis erlassenen Entscheidung etwas verlängert wird; jedoch sollte das wegen der nunmehr eindeutigen Lösung hingenommen werden. Die Glaubhaftmachung ist auch weiterhin Zulässigkeitsvoraussetzung. Der Antrag ist 25 unzulässig, wenn er keine Glaubhaftmachung enthält; verändert worden ist nur der Zeitpunkt, bis zu dem das noch möglich ist. Fiel das Ende der Frist zur Glaubhaftmachung früher mit dem Ablauf der Antragsfrist zusammen, so wird sie jetzt bis zum Abschluss des rechtskräftigen Wiedereinsetzungsverfahrens hinausgeschoben.67 Die Glaubhaftmachung wird mithin zu einer bis zu diesem Zeitpunkt suspendierten Zulässigkeitsvoraussetzung in der Form einer Entscheidungsvoraussetzung. Wird die Glaubhaftmachung nicht bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens nachgeholt, ist der Antrag daher nicht als unbegründet, sondern als unzulässig zu verwerfen.68 Jedoch lebt die Zulässigkeit wieder auf, wenn der Betroffene eine fehlende Glaubhaftmachung in der Beschwerdeinstanz nachholt oder eine unzulässige Glaubhaftmachung in zulässiger Weise ergänzt (Rn. 27).69

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Versicherungen von Beschuldigten hält auch diese Entscheidung „überhaupt“ für unzulässig, wozu sie ausdrücklich auf RGSt 57 53 Bezug nimmt. Sie fehlt noch im Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. § 22 Abs. 2 Satz 1 FGG) und im Sozialgerichtsgesetz (vgl. § 67 Abs. 2 Satz 2 SGG). Vgl. OLG Nürnberg MDR 1963 669; OLG Braunschweig MDR 1967 321. BVerfGE 41 332, 338 = NJW 76 1538; 43 95, 98; OLG München GA 1985 237 = MDR 1985 162; OLG Hamm OLGSt § 45 StPO S. 27, 28; OLG Bamberg NStZ 1989 336;

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KG JR 1992 347; LG Karlsruhe NJW 1976 1278; KK/Maul 15; KMR/Paulus 11; MeyerGoßner 7; a.A. OLG Stuttgart NJW 1976 1279 = MDR 1976 509; OLG Hamm MDR 1976 509; Heyland JR 1977 402; zweifelnd auch Schrader NStZ 1987 448. OLG Koblenz VRS 64 (1983) 29; KK/Maul 10; Meyer-Goßner 6. Ist die Beschwerde in einem solchen Fall begründet, besteht allerdings kein Anlass, die dem Antragsteller erwachsenden notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er die Beweismittel zur Glaubhaftmachung schon in der ersten Instanz hätte

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Heyland hält dieser Ansicht einmal die Motive des Gesetzgebers entgegen: Zwar möge es dessen Absicht gewesen sein, die Voraussetzungen an die Wiedereinsetzung nicht zu überspannen; nirgends lasse sich aber nachlesen, dass er deshalb die Glaubhaftmachung auch noch in der Beschwerdeinstanz zulassen wollte.70 Das widerspreche auch dem inneren Zusammenhang mit einer gleichartigen Regelung in der Strafprozessordnung, dem Wiederaufnahmerecht, wonach es ausgeschlossen sei, in dem Verfahren über die sofortige Beschwerde neue Beweismittel oder Tatsachen beizubringen.71 Als weiteren Gesichtspunkt für die Ansicht, dass die – erste – Glaubhaftmachung nur bis zum Abschluss der ersten Instanz zulässig sei, führt Heyland schließlich ins Feld, mit der Neuregelung sei eine Anpassung an die übrigen Verfahrensordnungen zum Zweck einer Verfahrensvereinfachung beabsichtigt gewesen;72 diese verständen aber den Begriff „im Verfahren über den Antrag“ in dem von ihr vertretenen Sinn.73 Trotz der Möglichkeit, die Tatsachen zur Begründung des Antrags noch im Verfahren 27 über den Antrag glaubhaft zu machen, ist das Gericht gleichwohl nicht gehalten, den Antragsteller auf eine fehlende Glaubhaftmachung hinzuweisen. Hat der Antragsteller jedoch bei Anbringung seines Wiedereinsetzungsantrags angekündigt, er werde die behaupteten Tatsachen noch glaubhaft machen, so wird das Gericht ihm regelmäßig eine angemessene Frist einräumen mit dem Hinweis, dass es über den Antrag auch dann entscheiden werde, wenn die Glaubhaftmachung bis zu dem angegebenen Zeitpunkt nicht nachgeholt sei.74 Kommt er alsdann dieser Aufforderung nicht nach, so hat das Gericht über den Antrag zu entscheiden. Allerdings kann der Antragsteller im Beschwerdeverfahren die – fehlende oder nicht ausreichende – Glaubhaftmachung noch nachholen.75 Mit der Neuregelung ist die frühere Streitfrage hinfällig geworden, ob, wann und in 28 welchem Umfang nach Ablauf der Antragsfrist eine unterlassene oder nur unzulängliche Glaubhaftmachung nachgeholt oder verbessert werden kann.76 Sie ist nunmehr eindeutig dahin zu beantworten, dass sie auch noch in der Beschwerdeinstanz vervollständigt werden kann,77 stellt sie doch nur einen Unterfall einer unterbliebenen – ersten – Glaubhaftmachung dar. Beide – gegenüber dem bis zum 31. Dezember 1974 geltenden Recht – Erweiterungen rechtfertigen es auch, die so genannte schlichte Erklärung (vgl. Rn. 18) zur Glaubhaftmachung eines besonders nahe liegenden, der Lebenserfahrung entsprechenden Versäumungsgrundes nicht mehr ganz allgemein dem verfassungsrechtlichen Schutz der Art. 19 Abs. 4 und 103 Abs. 1 GG zu unterstellen.78

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f) Nachholen der versäumten Handlung (Satz 2). Ist die versäumte Handlung noch nicht vorgenommen, muss sie innerhalb der einwöchigen Antragsfrist nachgeholt werden.

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beibringen können (OLG Hamm NStZ 1981 112). Heyland JR 1977 403. Ebenda. Vgl. BTDrucks. 7 551 S. 52 und 59 zu Nr. 9 – § 45 StPO –. Mit der letzteren Begründung rechtfertigt auch OLG Stuttgart NJW 1976 1279 seinen – gleichen – Standpunkt. Es stützt sich ebenfalls auf die engere Auslegung des Begriffs „im Verfahren über den Antrag“. So auch Heyland JR 1977 404 . KG JR 1992 347 unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung KG JR 1988 263.

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Vgl. zum früheren Recht: Bejahend KG VRS 6 (1954) 383, JR 1975 380; OLG Nürnberg MDR 1963 699; OLG Saarbrücken NJW 1969 1864; OLG Stuttgart Justiz 1972 121; Kleinknecht 31 2; KMR/Müller-Sax 6 2b Abs. 2; Peters JR 1974 254; verneinend LG Braunschweig MDR 1967 1433; offen gelassen OLG Oldenburg NJW 1966 321 = NJW 1967 1135. Vgl. OLG Stuttgart NJW 1976 1279 = MDR 1976 509. BVerfGE 41 339 = NJW 1976 1538; Ergänzung zu BVerfGE 40 186 = JZ 1975 571 = MDR 1975 997.

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Unterliegt sie besonderen Formerfordernissen (z.B. § 344 Abs. 2, § 345 Abs. 2), ist sie nur nachgeholt, wenn sie – innerhalb der Antragsfrist – diesen Erfordernissen genügt.79 Das bedeutet im Fall der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist, dass die fehlende Revisionsbegründung grundsätzlich innerhalb einer Woche anzubringen ist (vgl. dazu auch § 44, 16). Die nachgeholte Handlung – hier die Revisionsbegründung – muss allerdings – nur – den Formerfordernissen von § 344 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und § 345 Abs. 2 genügen. Ob die ausgeführte Revisionsbegründung auch § 344 Abs. 2 Satz 2 entspricht, ist nicht im Wiedereinsetzungsverfahren, sondern nur im Revisionsverfahren zu prüfen.80 Eine Ausnahme ist allerdings für den Fall zuzulassen, wo der Antragsteller erst durch einen Zurückweisungsbeschluss des Revisionsgerichts erfährt, dass sein Verteidiger wegen Verstoßes gegen § 146 für ihn nicht tätig werden durfte. Ein solcher Zurückweisungsbeschluss stellt den Angeklagten vor eine völlig neue Lage. Wenn § 146 entgegen seinem Schutzzweck nicht zu seinen Ungunsten ausschlagen soll, muss in einem solchen (Ausnahme-)Fall die für das Anbringen der Revisionsanträge und ihre Begründung geltende Monatsfrist des § 345 Abs. 1 die an sich für das Nachholen der versäumten Handlung vorgesehene Wochenfrist des § 45 Abs. 1, Absatz 2 Satz 2 verdrängen.81 Für den Wiedereinsetzungsantrag selbst ist stets an der Wochenfrist des Absatzes 1 festzuhalten. War die Handlung schon, wenn auch verspätet – falls formgebunden, in rechter Form –, vorgenommen, braucht sie nicht wiederholt zu werden. Es genügt die Bezugnahme auf sie,82 was unter Umständen auch stillschweigend möglich ist.83 g) Wiedereinsetzung ohne Antrag (Satz 3). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 30 kann auch ohne Antrag gewährt werden, wenn der Betroffene die versäumte Handlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt hat (was nicht unbedingt im Bewusstsein der Fristversäumung erfolgt sein muss),84 aus dem Inhalt der Handlung oder dem Zusammenhang auf seinen Willen geschlossen werden kann, Wiedereinsetzung zu begehren,85 und wenn das Fehlen des Verschuldens offensichtlich ist und wegen Offenkundigkeit keiner Glaubhaftmachung bedarf oder aber durch die Akten selbst glaubhaft gemacht wird.86

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RGSt 50 153; 53 289; 58 BGH NStE § 45 StPO Nr. 5; bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1989 15; BGH NStZ-RR 1997 267; OLG Hamm JMBlNRW 1978 109; OLG Düsseldorf NStZ 1993 496; NZV 1995 164; VRS 88 (1995) 279; Meyer JR 1978 432; KK/Maul 9; KMR/Paulus 13, Meyer-Goßner 11; SK/Weßlau 18. Einen Sonderfall betreffen die Entscheidungen OLG Zweibrücken MDR 1979 957 und 1985 517 sowie OLG Schleswig MDR 1981 251; OLG Köln NStZ 1994 199. Danach soll keine Nachholung der Revisionsbegründung erforderlich sein, wenn der Revisionsführer mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung zugleich erklärt, die Revision nunmehr als Berufung zu behandeln. Für diese Entscheidung ist sodann das Berufungsgericht zuständig. BGHSt 42 365. BGHSt 26 335, 339; vgl. auch § 44 Fn. 17 a.E. Dass die Ausnahmeregelung nur dann gilt, wenn das Versäumen einer rechtzeitigen

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und wirksamen Revisionsbegründung auf die Anwendung einer dem Schutz des Angeklagten im besonderen Maße dienenden Vorschrift zurückzuführen ist, betont besonders OLG Oldenburg NdsRpfl. 1979 209: In anderen Fällen besteht für eine solche Verdrängung kein rechtfertigender Anlass. OLG Celle NdsRpfl. 1951 226; Gössel JR 1986 342 ; Lintz JR 1987 98. OLG Bremen DRZ 1950 94; Meyer JR 1978 532; Gössel JR 1987 98. BayObLGSt 1987 102 = MDR 1988 163 = OLGSt § 46 StPO, 1 mit Anm. Wendisch. BGH bei Miebach NStZ 1988 446, OLG Hamburg StV 2001 339. OLG Frankfurt VRS 59 (1980) 429; OLG Bamberg NStZ 1985 568; OLG Düsseldorf VRS 82 459; OLG Bremen StV 1991 505; KK/Maul 16; Meyer-Goßner 12; im Ergebnis ebenso Gössel JR 1986 384; jedoch geht dieser von fingierten Prozesshandlungen aus, dagegen zu Recht Lintz JR 1987 95.

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§ 46

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Andererseits setzt die Annahme einer stillschweigenden Gewährung den Willen des Richters voraus, über den Wiedereinsetzungsantrag tatsächlich zu entscheiden. Der Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins bei einem verspäteten Rechtsmittel allein lässt sich ein solcher Wille nicht entnehmen.87 Die Wiedereinsetzung ist selbst bei verspätetem Antrag möglich.88 Sie ist nachzuholen, 31 wenn eine wegen verzögerlicher Postbeförderung gebotene Wiedereinsetzung von Amts wegen nur deshalb unterblieben ist, weil das Gericht deren Voraussetzungen wegen Vernichtung des Briefumschlags nicht erkannt hat.89 Darüber hinaus ist in einem – weil verspätet – an sich unzulässigen Antrag auf Wiedereinsetzung regelmäßig die Anregung zu sehen, eine solche von Amts wegen vorzunehmen. Davon ist schon deshalb auszugehen, weil es dem Antragsteller entscheidend darum geht, trotz der Säumnis den verfassungsmäßig garantierten Zugang zum Rechtsmittelgericht zu erlangen, wobei es ihm gleichgültig ist, ob Wiedereinsetzung aus den von ihm vorgetragenen Gründen oder wegen ihm bisher unbekannter, aber dem Gericht offenkundiger Umstände gewährt wird. Denn solche Umstände sind vom Gericht ungeachtet der Zulässigkeit oder Begründetheit des von dem Betroffenen gestellten Antrags im Rahmen der Entscheidung zu berücksichtigen.90 Das OLG Düsseldorf hält eine Wiedereinsetzung von Amts wegen auch bei Ver32 säumung der Hauptverhandlung für zulässig: 91 Zwar spreche § 235 StPO nur davon, dass der Angeklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter den gleichen Voraussetzungen „nachsuchen“ könne; jedoch müsse das nicht bedeuten, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung von Amts wegen bei Terminversäumungen habe ausschließen wollen. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden; denn ob der Angeklagte das Verfahren fortgesetzt haben will, das zufolge seines Nichterscheinens zum Abschluss gekommen ist, muss ihm selbst überlassen bleiben.92

§ 46 (1) Über den Antrag entscheidet das Gericht, das bei rechtzeitiger Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst berufen gewesen wäre. (2) Die dem Antrag stattgegebene Entscheidung unterliegt keiner Anfechtung. (3) Gegen die den Antrag verwerfende Entscheidung ist sofortige Beschwerde zulässig.

Schrifttum. Mosbacher Freiheit durch Säumnis: Keine Haftfortdauer bei Wiedereinsetzung, NJW 2005 3110.

Entstehungsgeschichte. Durch Art. 1 Nr. 10 des 1. StVRG sind in den Absätzen 1 und 3 jeweils die Worte „das Gesuch“ durch die Worte „den Antrag“, in Absatz 2 ist das Wort „Gesuch“ durch das Wort „Antrag“ ersetzt worden.

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OLG Hamm MDR 1994 715. OLG Bremen StV 1991 505. OLG Brandenburg wistra 2006 36; LG Münster VRS 69 (1985) 443. BGH bei Miebach NStZ 1988 446; bei Kusch NStZ 1994 23.

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NJW 1980 1705; ebenso LG Siegen NJW 1976 2359; KK/Maul 17. LR/Gollwitzer 25 § 235, 10; Meyer-Goßner 12; KK/Tolksdorf § 235, 6; KMR/Müller § 235, 3.

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§ 46

Fünfter Abschnitt. Fristen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Übersicht Rn. 1. Erledigung des Antrags a) Antrag . . . . . . . b) Zuständigkeit . . . c) Rechtsmittelinstanz d) Entscheidung . . . e) Wirkung . . . . . . f) Reformbedarf . . .

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Rn. g) Beschwerde . . . . . . . . . . . . 2. Fehlerhafte Wiedereinsetzungsentscheidungen a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . b) Gewährende Beschlüsse . . . . . . c) Ablehnende Beschlüsse . . . . . .

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Alphabetische Übersicht Ablehnender Beschluss 28 Anspruch auf rechtliches Gehör 22 Antrag 1, 11 Anwaltsgerichtsverfahren 21 Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft 21 Berufsverbot 21 Berufung 4 Berufungseinlegungsfrist 15 Berufungsgericht 17 Beschluss 10, 26, 28 Beschwerde 24 Durchbrechung der Rechtskraft 15 Einziehung 20 Entscheidung 9, 25 – nach § 95 Abs. 2 BVerfGG 22 Erledigung des Antrags 1 ff. Fehlerhafte Wiedereinsetzungsentscheidung 25 ff. Haftentlassung 16 Haftsachen 16

Nichtrevident 22 Rechtskraft 15 ff., 25 Rechtsmittelinstanz 5 Reformbedarf 23 Revision 4 Revisionsgericht 29 Unterbringungssachen 16 Verfall 20 Versäumung – Berufungseinlegungsfrist 15 – Revisionsbegründungsfrist 12, 18 – Revisionseinlegungsfrist 15 ff. Vertretungsverbot 21 Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis 19 Wiederaufnahme 22 Wiedereinsetzung 10, 15 ff. Wirkung 11 ff. Zuständigkeit 3, 17 – des Rechtsmittelgerichts 7

1. Erledigung des Antrags a) Antrag. Voraussetzung der gerichtlichen Entscheidung ist regelmäßig ein Antrag 1 i.S. des § 45 Abs. 1. Jedoch kann das Gericht Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewähren, wenn das fehlende Verschulden des Betroffenen auf der Hand liegt (Fristversäumung zufolge von Mängeln im behördlichen Verkehr, namentlich verspätete Beförderung der Fristsache aus der Vollzugsanstalt) 1, durch die Akten selbst glaubhaft gemacht ist und die Prozesshandlung, weil schon vorgenommen, nicht nachgeholt zu werden braucht (§ 45 Abs. 2 Satz 3). Der Staatsanwalt kann und wird eine solche Verfahrenshandlung anregen, falls die 2 Voraussetzungen dafür erkennbar sind. Einen entsprechenden Antrag zugunsten des Beschuldigten stellen kann er aber nicht.2 Um ein Antragsrecht zu begründen, hätte es – wie es nach § 299 Satz 1 E 1939 (§ 45, 2) vorgesehen war – zumindest einer Verweisung auf § 296 Abs. 2 bedurft. Das ist aber unterblieben; eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift kann nicht in Betracht gezogen werden. Denn wenn der Staatsanwalt zugunsten des Angeklagten ein Rechtsmittel einlegt, so handhabt er ein eigenes pro-

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Lintz JR 1987 96. OLG Bremen GA 1957 87; LG Aachen NJW 1961 86 mit Anm. Kleinknecht; Eb. Schmidt § 44, 5; KMR/Paulus § 44, 5; Meyer-Goßner

§ 44, 9; a.A., OLG München Alsb. 1 110; Kalthoener – LV zu § 44 – 99; AK/Lemke § 44, 15.

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zessuales Recht; die Wiedereinsetzung steht aber dem Versäumenden persönlich zu.3 Demzufolge kann auch der gesetzliche Vertreter (§ 298) nicht für den Vertretenen Wiedereinsetzung beanspruchen.4

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b) Zuständigkeit. Das Verfahren ist dasselbe wie bei Rechtsmitteln. Der Antrag ist mithin dort anzubringen, wo die Frist wahrzunehmen gewesen wäre. Die Entscheidung steht dem Gericht zu, das, wäre die Handlung rechtzeitig vorgenommen, zu der durch sie veranlassten Entscheidung berufen gewesen wäre; wenn ein Rechtsmittel versäumt ist, also dem zur Entscheidung über das Rechtsmittel selbst berufenen judex ad quem,5 bei Versäumung der Einspruchsfrist gegen einen Strafbefehl oder Bußgeldbescheid der Amtsrichter.6 Das Gesetz will damit Weiterungen vermeiden, die in Bezug auf die Rechtsmittel eintreten müssten, wenn über die Wiedereinsetzung bei versäumten Rechtsmitteln der judex a quo zu entscheiden hätte.7 Hat der Angeklagte ein Urteil, das statt mit der Berufung mit der Revision angefochten 4 werden kann (§ 335 Abs. 1), ohne Bezeichnung des Rechtsmittels zulässigerweise 8 nur angefochten, dabei aber die Rechtsmittelfrist versäumt, dann entscheidet das für das regelmäßige Rechtsmittel der Berufung zuständige Landgericht, nicht das Revisionsgericht.9 Anders ist es, wenn der Angeklagte das von ihm eingelegte Rechtsmittel ausdrücklich als Berufung bezeichnet hat. Zwar kann er auch dann noch innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 zur Revision übergehen,10 jedoch ist ihm der Übergang nach Ablauf dieser Frist versagt und er kann alsdann auch nicht Wiedereinsetzung zu diesem Zweck beanspruchen, und zwar selbst dann nicht, wenn ihn der Vorsitzende bei der Rechtsmittelbelehrung nicht auf die Möglichkeit der Revisionseinlegung hingewiesen hat.11 Hat der Angeklagte dagegen ausdrücklich Revision eingelegt, alsdann aber die Revisionsbegründungsfrist ohne eigenes Verschulden verstreichen lassen und erklärt er nunmehr zugleich mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist den Übergang von der Revision auf das Rechtsmittel der Berufung, dann ist für diese Entscheidung das Revisionsgericht zuständig,12 nicht das Berufungsgericht.13 Denn „recht3 4 5 6 7 8 9

John § 44, 2 Abs. 2. BayObLGSt 7 = Alsb. 1 110; LR/Hanack 25 § 298, 5. RGRspr. 8 704; RGSt 40 272. BGHSt 22 52, 57. Hahn Mat. 1 98. BGHSt 2 63. BayObLGSt 1962 156 = NJW 1962 1927; OLG Zweibrücken MDR 1985 518. Eine etwas kompliziertere Lage ergibt sich, wenn die Entscheidung des Rechtspflegers in Kostensachen verspätet mit Erinnerung angefochten und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrt wird. Denn dann gilt die Erinnerung als Beschwerde, wenn der für den Rechtspfleger zuständige Richter sie nicht für zulässig und begründet erachtet (§ 11 Abs. 2 RPflG). Daher ist der Richter des § 11 Abs. 2 RPflG zuständig, wenn er den Wiedereinsetzungsantrag für gerechtfertigt und die Erinnerung für begründet erachtet, sonst das Rechtsmittelgericht (OLG Hamburg MDR 1971 509). Die hiergegen vorgebrachte Ansicht

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Bergerfurths (Rpfleger 1971 395), die Entscheidung komme dem Rechtspfleger zu, geht fehl, weil in § 4 Abs. 1 RPflG lediglich von Maßnahmen die Rede ist, die zur Erledigung der dem Rechtspfleger übertragenen Geschäfte erforderlich sind, nicht aber von Entscheidungen, die die Erledigung der Geschäfte erst zulässig machen. BGHSt 5 338; 6 207; 17 44; 25 324; BayObLGSt 1971 74 = MDR 1971 948; OLG Bremen Rpfleger 1958 182; OLG Hamburg NJW 1972 1146; OLG Koblenz VRS 42 (1972) 29; OLG Düsseldorf JZ 1984 756; MDR 1985 518; OLG Karlsruhe VRS 52 (1977) 26; s. auch § 44, 8; § 335, 15. KG JR 1977 81; a.A. LR/Hanack 25 § 335, 19. OLG Schleswig SchlHA 1981 40 = MDR 1981 251; OLG Köln NStZ 1994 199; Meyer-Goßner § 335, 13. So aber OLG Zweibrücken MDR 1979 957; 1985 518.

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zeitige Handlung“ ist hier nicht die Ausübung des Wahlrechts, wofür das Gesetz überhaupt keine Frist vorsieht, sondern die Begründung der Revision.14 c) Rechtsmittelinstanz. Aus der Befugnis, im Zivilprozess bei der Prüfung der Prozess- 5 voraussetzungen auch die Zulässigkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung von Fristen der Vorinstanz zu prüfen (Rn. 16), ist die Folgerung gezogen worden, dass das Rechtsmittelgericht auch über übergangene Wiedereinsetzungsanträge zu entscheiden und dabei auch vom Vorderrichter nicht festgestellte Tatsachen zu berücksichtigen habe.15 Der zweite Strafsenat des BayObLG hat – ohne allerdings die Frage der Tatsachenfest- 6 stellung zu entscheiden – diese Rechtsprechung zunächst auch für das Strafverfahren übernommen.16 Seine damalige Begründung, jene Befugnis erwachse aus der Pflicht, die Prozessvoraussetzungen nachzuprüfen, verkennt jedoch, dass sich im Strafverfahren, anders als im Zivilprozess, die Prüfung des Rechtsmittelgerichts lediglich darauf erstreckt, ob durch die Wiedereinsetzung eine Prozesslage geschaffen worden war, die eine Entscheidung des Vorderrichters zulässig gemacht hatte (Rn. 16). Das Oberlandesgericht Celle ist der dargestellten Rechtsprechung beigetreten.17 Es begründet die Befugnis des Revisionsgerichts, über den Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden, mit der „sog. Devolutivwirkung“.18 Indessen ist es lediglich eine der Begründung bedürftige Behauptung, dass der Effekt des Rechtsmittels, die Zuständigkeit zur Sachentscheidung vom ersten Richter auf das Rechtsmittelgericht zu übertragen, zugleich die Wirksamkeit habe, diesem auch die Zuständigkeit für Vorentscheidungen zu geben, die der erste Richter unterlassen hatte. Das Behauptete geht aus keiner Bestimmung der Strafprozessordnung hervor, ergibt sich nicht aus dem Wesen der Devolutivwirkung und widerspricht dem Wortlaut des § 46 Abs. 1 sowie dem System der Strafprozessordnung; diese hat die Devolutivwirkung in jedem Einzelfall ausgesprochen oder klar kenntlich gemacht. Danach kann keine Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts anerkannt werden, auf 7 Wiedereinsetzungsanträge zu entscheiden, die der Vorderrichter übergangen hatte.19 Es kann sich vielmehr lediglich fragen, ob Gründe der Prozessökonomie es gebieten oder zulassen, dass das Rechtsmittelgericht selbst entscheidet, statt die Sache nach Urteilsaufhebung an den Vorderrichter zurückzuverweisen, wenn dieser etwa über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen einen Strafbefehl nicht entschieden hat. Auch das ist unzulässig.20

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OLG Schleswig SchlHA 1981 40 = MDR 1981 251; OLG Köln NStZ 1994 199. BGHZ 7 280 = NJW 1953 504. BayObLGSt 1960 1114 = NJW 1960 1730; mit zusätzlichen Erwägungen 1963 54 = VRS 48 (1975) 33. NdsRpfl. 1963 237. Ebenso OLG Hamburg NStZ 1985 562 = JR 1986 382 mit abl. Anm. Gössel; Lintz JR 1987 94; abl. auch BayObLGSt – 1. StS – 1987 102 = OLGSt § 46, 1 mit insoweit zust. Anm. Wendisch. BGHSt 22 52; Mayer JZ 1964 386; KK/Maul 2; KMR/Paulus 5; Meyer-Goßner 2. Die gegenteilige Auffassung des 2. StS des BayObLG (s. Fußn. 16), die der Senat mit

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seiner Entscheidung vom 30.8.1988, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch mit Hinweis auf BayObLGSt 1987 102 (s. Fn. 18 a.E.) aufgegeben hat, ist durch die Entscheidung des BGH überholt, was OLG Hamburg NStZ 1987 568 = JR 1986 382 bestreitet, Gössel dagegen zu Recht bejaht (JR 1986 385 1. Sp.). Überholt sind damit auch die Ansichten des OLG Düsseldorf JMBlNRW 1960 71 und OLG Celle NdsRpfl. 1964 185. So für die Revisionsinstanz BayObLGSt 1987 102 = OLGSt § 46 StPO, 1; anders – bei unzulässigem Wiedereinsetzungsantrag – für Berufungsinstanz BayObLG JR 1990 36 mit Anm. Wendisch; NStZ-RR 1996 74.

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Eine solche Entscheidung wäre systemwidrig; und ein Fehler sollte nicht durch einen zweiten geheilt werden. Auch sachlich wäre es falsch, wenn das Rechtsmittelgericht einen vom Vorderrichter übergangenen Wiedereinsetzungsantrag verwerfen würde. Denn bei diesem, nicht aber bei jenem, können Wiedereinsetzungsgründe gerichtskundig sein, so dass sie von der Darlegungspflicht und von der Glaubhaftmachung ausgenommen sind. Die Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn der Antrag offensichtlich begründet ist,21 mag oft im Ergebnis annehmbar sein; es bleibt aber systematisch bedenklich; gewährleistet nicht die Richtigkeit der Entscheidung und bietet den Anreiz, was in einem Fall eine erleichternde Großzügigkeit sein mag, dort zu wiederholen, wo es dem Berechtigten nachteilig sein kann. Aus den gleichen Erwägungen sind die Entscheidungen abzulehnen,22 die dem Revi8 sionsgericht die Befugnis zugestehen wollen, über einen Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden, der hilfsweise anlässlich einer Revision gegen eine Sachentscheidung angebracht wird, zu der der Tatrichter gelangt war, weil er den Einspruch gegen einen Strafbefehl irrigerweise für rechtzeitig gehalten hatte,23 oder über einen, der gegen die Versäumung einer Einspruchsfrist erst im Revisionsverfahren gestellt wird.24

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d) Entscheidung. Das Gericht entscheidet im Allgemeinen aufgrund des vom Antragsteller beigebrachten Materials, kann aber, wenn es dieses zur Glaubhaftmachung nicht als ausreichend ansieht, sowohl dem Antragsteller Gelegenheit geben, es zu ergänzen, als auch selbst Beweise erheben.25 Das wird namentlich dann geboten sein, wenn der hindernde Umstand allein durch die Angabe des Antragstellers bekundet werden kann und das Gericht persönlicher Vernehmung bedarf, um die Glaubwürdigkeit beurteilen zu können. Die gerichtliche Entscheidung ergeht in Beschlussbesetzung durch schriftlichen Be10 schluss, nachdem die Staatsanwaltschaft (§ 33 Abs. 2) und die sonstigen Prozessbeteiligten (§ 33 Abs. 3), z.B. der Privatkläger 26 gehört worden sind. Das Gericht kann auch (etwa wenn die Revisionsbegründungsfrist versäumt worden ist) in der Hauptverhandlung durch verkündeten Beschluss entscheiden,27 wenn nicht durch die Wiedereinsetzung eine neue Erklärungsfrist eröffnet wird. Stillschweigende Wiedereinsetzung, in der Weise, dass das Gericht, nachdem es die Fristversäumung und den Wiedereinsetzungsantrag festgestellt hat, dem Verfahren ohne ausdrückliche Entscheidung – z.B. durch Bestimmung des Termins zur Hauptverhandlung – Fortgang gibt, ist nicht ausgeschlossen,28 aber besser zu vermeiden. Voraussetzung ist allerdings stets, dass sich aus den Umständen eindeutig der Wille des Richters ergibt, Wiedereinsetzung zu gewähren.29 Eine stillschweigende Wiedereinsetzung liegt danach nicht vor, wenn der Akteninhalt ergibt, dass das Gericht die Verspätung der vorzunehmenden Handlung deshalb – nur versehentlich – als rechtzeitig behandelt hat.

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OLG Düsseldorf JMBlNRW 1960 71. Eingehend Mayer JZ 1 964 386; MeyerGoßner 2. BayObLGSt 1963 54 = JZ 1964 385. OLG Celle NdsRpfl. 1964 185. OLG München Alsb. E 1 157. BVerfGE 14 8 = NJW 1962 580. Saenger JuS 1991 844. OLG Hamm NJW 1958 880; VRS 51 (1976) 296; OLG Hamburg VRS 14 (1958) 57;

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OLG Stuttgart NJW 1976 1905 = VRS 50 (1976) 433; OLG Düsseldorf VRS 73 (1987) 390; OLG Oldenburg VRS 68 (1985) 282; Lintz JR 1987 97. BayObLG VRS 58 (1980) 366; BayObLGSt 1987 102 = OLGSt § 46, 1 mit Anm. Wendisch; OLG Hamm MDR 1974 715; KG VRS 87 (1994) 127; OLG Köln JMBlNRW 1984 225; OLG Düsseldorf JR 1986 121 mit zust. Anm. Welp; Meyer-Goßner 4.

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e) Wirkung. Der bloße Antrag auf Wiedereinsetzung hat auf die Rechtskraft einer 11 zufolge der Fristversäumung ergangenen Entscheidung keinen Einfluss (§ 47 Abs. 1).30 Dagegen versetzt die gewährte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand das Verfahren grundsätzlich in den Abschnitt vor der Versäumung der Frist in der Weise zurück, dass sie die Rechtslage herstellt, die vor der Versäumung bestanden hätte, wenn die Handlung rechtzeitig vorgenommen worden wäre.31 Sie bringt eine Entscheidung, die zufolge der Versäumung ergangen war, von Rechts wegen in Wegfall, beseitigt ihre etwa eingetretene Rechtskraft 32 und macht etwa notwendige Prozesshandlungen nachholbar.33 Eine in der Vollstreckung begriffene Strafe wird unterbrochen, wenn nicht mit der Wiedereinsetzung zugleich die endgültige Entscheidung über ein Rechtsmittel ergeht und damit eine Unterbrechung entbehrlich wird.34 Allerdings bleibt die Rechtslage entgegen der früher vertretenen Rechtsauffassung nicht unberührt (Rn. 15 ff.).35 Jedoch entfaltet ein die Wiedereinsetzung versagender Beschluss keine Bindungswirkung hinsichtlich der Wirksamkeit der Zustellung eines Strafbefehls bei der späteren Entscheidung über die Zulässigkeit des Einspruchs. Denn die Wiedereinsetzung verfolgt nicht den Zweck, dem Säumigen Vorteile zu verschaffen, die er ohne die Säumnis nicht gehabt hätte.36 Es wird mithin keine neue Verjährungsfrist in Lauf gesetzt, wenn die Verfolgungsverjährung schon eingetreten war, bevor das Gericht einen Wiedereinsetzungsbeschluss wegen vermeintlicher Versäumung der Einspruchsfrist erlassen hatte.37 Wird dem Angeklagten gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wieder- 12 einsetzung gewährt, so ist das Urteil nicht erneut nach § 345 Abs. 1 zuzustellen, wenn es schon vor der Wiedereinsetzung ordnungsgemäß zugestellt war; die Revisionsbegründungsfrist läuft nunmehr von der Zustellung des die Wiedereinsetzung gewährenden Beschlusses an.38 Ist das Urteil aber wegen Abwesenheit durch Zustellung bekannt gemacht worden (§ 341 Abs. 2), so wird der Lauf der Begründungsfrist durch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einlegungsfrist nicht berührt.39 Der Angeklagte muss daher bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ebenfalls Wiedereinsetzungsgründe vortragen und glaubhaft machen.40 Eine verbüßte Strafe bleibt Strafhaft; sie kann sich nicht rückwirkend in Unter- 13 suchungshaft verwandeln.41 Ebenso bleibt die nach Rechtskraft laufende Vollstreckungsverjährung von der Wiedereinsetzung unberührt; sie kann nicht rückwirkend als Verfolgungsverjährung gewertet werden;42 vielmehr beginnt diese mit dem Erlass des 30 31

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RGSt 54 287; Saenger JuS 1991 844. OLG Hamm NJW 1972 2098; OLG Köln NJW 1987 80; Meyer JR 1979 432; Mürbe JR 1989 2; einschränkend OLG Koblenz NStZ 1987 137. RGSt 53 289; 54 287; 61 181; 65 233; BGHSt 11 154; OLG Schleswig SchlHA 1965 301; OLG Frankfurt MDR 1980 513. Eb. Schmidt § 44, 1; a.A. Meyer JR 1978 438 1: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedeutet, dass die zugleich mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachgeholte Handlung als rechtswirksam festgestellt wird; ebenso KMR/Paulus Vor § 42, 43; Kalthoener – LV zu § 44 – 18 ff. OLG Hamm NJW 1956 274. Frühere Rechtsprechung: OLG Hamm NJW 1972 2098; OLG Celle NStZ-RR 2004 300;

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Lichti MDR 1954 500; jetzt: BVerfG NJW 2005 3131 = StV 2005 613. BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1988 17. OLG Braunschweig GA 1974 154 = NJW 1973 2119; vgl. auch OLG Frankfurt VRS 50 (1976) 128. BGHSt 30 335; RGSt 76 280; BayObLG JR 1988 304 mit Anm. Wendisch; OLG Koblenz MDR 1967 857; OLG Celle NJW 1968 809; OLG Hamm VRS 49 (1975) 33; BayObLGSt 1971 189 = NJW 1972 172 unter Aufgabe der abweichenden Meinung in BayObLGSt 1954 26 = MDR 1954 499 mit Anm. Lichti; Kaiser NJW 1975 338. BayObLGSt 1953 26. OLG Koblenz NJW 1952 1229. BGHSt 18 36; OLG Hamm NJW 1956 275. OLG Hamburg VRS 29 (1965) 360; OLG

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Wiedereinsetzungsbeschlusses neu;43 jedoch wird keine neue Verjährungsfrist in Lauf gesetzt, wenn die Verfolgungsverjährung schon vor dem Erlass des Wiedereinsetzungsbeschlusses eingetreten war.44 Die durch die Wiedereinsetzung beseitigte Entscheidung braucht nicht förmlich auf14 gehoben zu werden,45 doch empfiehlt es sich, die von Rechts wegen eintretende Folge im Tenor der Entscheidung – deklaratorisch 46 – auszusprechen; zumindest sollte das in den Gründen geschehen.47 Die Rechtskraft durchbrechende Wirkung bei Gewährung von Wiedereinsetzung in 15 den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungs- oder Revisionseinlegungsfrist lässt einen zuvor durch Rechtskraft des Urteils gegenstandslos gewordenen Haftbefehl nicht wieder aufleben.48 Die Freiheit der Person darf gemäß Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes beschränkt werden, das die Voraussetzungen der Freiheitsentziehungen im Gesetzestext hinreichend bestimmt regelt. Aus diesem Grunde scheidet auch Gewohnheitsrecht oder eine richterliche Rechtsfortbildung als „gesetzliche Grundlage“ aus. Nur der Gesetzgeber entscheidet nach Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 104 Abs. 1 GG darüber, in welchen Fällen Freiheitsentziehungen zulässig sein sollen. Mit dieser Zielsetzung des Art. 104 Abs. 1 GG ist ein wie auch immer geartetes „Wiederaufleben“ eines bereits gegenstandslos gewordenen Haftbefehls im Wege haftrichterlicher Rechtsfortbildung unvereinbar.49 Nach Durchbrechung der Rechtskraft eines Urteils infolge gewährter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lebt ein einmal durch den Eintritt der Rechtskraft gegenstandslos gewordener Haftbefehl nicht wieder auf, sondern bleibt gegenstandslos und bildet damit keine rechtliche Grundlage für den Vollzug von Untersuchungshaft. Vielmehr ist, sofern die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft bestehen, gegebenenfalls ein neuer Haftbefehl zu erlassen (§ 125 Abs. 2). Anordnung und Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft können nur auf gesetzlicher Grundlage, nicht aber im Wege einer richterlichen Auslegung von Sinn und Zweck der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfolgen.50 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18.8.2005 51 hat für die Praxis 16 weitreichende Auswirkungen. Besondere Probleme ergeben sich in Haft- und Unterbringungssachen, soweit eine verhängte Freiheitsstrafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Bis zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war anerkannt, dass das Verfahren bei einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in den Zustand versetzt wird, der bestanden hätte, wenn die Frist nicht versäumt worden wäre 52 mit der Folge, dass die aufgrund des vorübergehenden Eintritts der Rechtskraft gegenstandslos gewordene letzte Haftentscheidung des Tatgerichts nach § 268b wieder auflebt und die Grundlage für die weitere Untersuchungshaft darstellt.53 Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist nunmehr entgegen der früher vertretenen Auffassung davon auszugehen, dass ein Haftbefehl bzw. die letzte Entscheidung des Tatgerichts über die Anordnung der Haftfortdauer durch die

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Hamm NJW 1972 2097; OLG Frankfurt VRS 50 (1976) 128; kritisch dazu Sieg NJW 1975 153. BayObLGSt 1953 197; OLG Stuttgart Justiz 1972 364. OLG Braunschweig NJW 1973 2119. RGSt 53 288; 61 181. Geppert GA 1972 176. Wendisch JR 1981 132. BVerfG NJW 2005 3131 = StV 2005 613.

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BVerfG NJW 2005 3131 = StV 2005 613, 614. Ebenda. Ebenda. LR/Wendisch 25 11ff.; KK/Maul 4 ff.; MeyerGoßner § 44, 24; OLG Hamm NJW 1972 2097; OLG Köln 1987 80. BGHSt 18 34; OLG Karlsruhe NStZ 1997 301; vgl. auch die Argumentation für die Einführung von § 356a, BTDrucks. 15 3706 S. 18.

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zunächst eingetretene Rechtskraft gegenstandslos wird und nicht wieder auflebt, weil dies mit der Zielsetzung des Art. 104 Abs. 1 GG nicht vereinbar ist.54 Mit Gewährung von Wiedereinsetzung gegen die Rechtsmitteleinlegungsfrist besteht mithin keine Rechtsgrundlage mehr für die Freiheitsentziehung mit der Folge, dass der Angeklagte sofort aus der Haft zu entlassen ist. Eine unverzügliche Haftentlassung lässt sich nur dadurch vermeiden, dass gegen den Angeklagten ohne Verzögerung ein neuer Haftbefehl durch das Tatgericht erlassen und ggf. zuvor die vorläufige Festnahme nach § 127 Abs. 2 durch die Staatsanwaltschaft angeordnet wird. Bei der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Revisionseinlegungsfrist ergeben sich in der Praxis zudem besondere Probleme dadurch, dass verschiedene Entscheidungszuständigkeiten bestehen und die Entscheidungen asynchron getroffen werden. Denn zur Entscheidung über die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionseinlegungsfrist ist gemäß § 46 Abs. 1 das Revisionsgericht, zur Entscheidung über die Haftfrage hingegen gemäß § 125 Abs. 2 Satz 1 das letzte Tatgericht berufen. Demgegenüber besteht diese Problematik bei Versäumung der Berufungseinlegungsfrist nicht, denn in Berufungssachen ist nach §§ 46 Abs. 1, 126 Abs. 2 Satz 1 das Berufungsgericht für beide Entscheidungen zuständig mit der Folge, dass in Berufungssachen keine Probleme durch ein Auseinanderfallen der Entscheidungszuständigkeiten auftreten dürften. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat Auswirkungen auch auf andere vorläufige strafprozessuale Zwangsmaßnahmen. Für die einstweilige Unterbringung nach § 126a gelten die Auswirkungen wie für Haftsachen entsprechend. Keine Auswirkungen ergeben sich dagegen bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist. In diesem Fall wird das angefochtene Urteil mit dem Ablauf der Revisionsbegründungsfrist noch nicht rechtskräftig.55 Das Revisionsgericht entscheidet über die Gewährung der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zugleich mit über die Revision. Auch auf weitere vorläufige strafprozessuale Zwangsmaßnahmen wirkt sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus. In der Praxis bedeutsam sind vor allem Fälle der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a. Ist die Fahrerlaubnis gemäß § 111a vorläufig entzogen und durch rechtskräftiges Urteil oder rechtskräftigen Strafbefehl endgültig entzogen, so wird bei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsmitteleinlegungsfrist oder bei der in der Praxis häufig gewährten Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einspruchsfrist nach § 410 Abs. 1 durch den Wegfall der zunächst eingetretenen Rechtskraft die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gegenstandslos mit der Folge, dass der nach § 94 Abs. 3 sichergestellte Führerschein sofort an den Angeklagten ausgehändigt und die Eintragung im Verkehrszentralregister gelöscht werden müssen. Der Angeklagte darf sofort wieder am Straßenverkehr teilnehmen, sofern nicht mit dem Wiedereinsetzung gewährenden Beschluss zugleich eine erneute Anordnung nach § 111a ergeht. Auch bei der Anordnung des Verfalls (§§ 73 ff. StGB) oder der Einziehung (§§ 74 ff. StGB) wirkt sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus, sofern eine vorläufige Sicherstellung nach den §§ 111b bis 111d vor dem Urteil angeordnet wurde. Vorläufige Anordnungen nach §§ 111b ff. werden mit dem Eintritt der Rechtskraft gegenstandslos. Aufgrund der Durchbrechung der Rechtskraft des Urteils gerät die endgültige Anordnung des Verfalls oder der Einziehung in Wegfall und eine vorläufige Sicherstel54

BVerfG NJW 2005 3131 = StV 2005 613, 614.

55

BGHSt 22 213, 218.

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lungsanordnung nach den §§ 111b ff. wird gegenstandslos. Damit entfällt das Veräußerungsverbot nach § 111c Abs. 5 sowie die Pfandwirkung des dinglichen Arrests nach § 111d, §§ 930 ff. ZPO mit der Folge, dass der Angeklagte wieder über sein Eigentum und Vermögen verfügen und bei beweglichen Sachen diese auch an Dritte nach § 931 BGB übereignen kann. Von geringer praktischer Bedeutung dürften demgegenüber die Auswirkungen der Ent21 scheidung des Bundesverfassungsgerichts bei Anordnung des Berufsverbots (§ 70 StGB) und insoweit eines vorläufigen Berufsverbots nach § 132a sein. Anders stellt es sich hingegen dar bei der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionseinlegungsfrist im Anwaltsgerichtsverfahren (§§ 116 Satz 2, 146 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 145 BRAO) bei zunächst rechtskräftig angeordneter Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft (§ 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO) oder Anordnung eines zeitlich befristeten Vertretungsverbots (§ 114 Abs. 1 Nr. 4 BRAO) nach vorläufiger Anordnung eines Verbots nach § 150 Abs. 1 BRAO. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts betrifft aber nicht nur Fälle, in 22 denen durch Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Rechtskraft eines Urteils durchbrochen wird. In der Praxis sind weiter Fälle der Erstreckung der Urteilsaufhebung durch das Revisionsgericht auf den Nichtrevidenten nach § 357 sowie die Zurückversetzung des Verfahrens wegen Verstoßes gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nach § 33a und § 356a Satz 1 sowie die Anordnung der Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 370 Abs. 2 oder die Aufhebung eines Urteils durch Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach § 95 Abs. 2 BVerfGG von Bedeutung.

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f) Reformbedarf. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erfordert bis zu einer vom Bundesverfassungsgericht eingeforderten gesetzlichen Regelung 56 umfassende organisatorische Maßnahmen seitens der Staatsanwaltschaften und Gerichte, entsprechende Vorbereitungen für den Antrag bzw. die Anordnung der betreffenden vorläufigen strafprozessualen Zwangsmaßnahmen zu treffen. Dessen ungeachtet dürfte eine gesetzliche Regelung erforderlich sein, die zumindest bei den Rechtskraft durchbrechenden Entscheidungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie nach § 356a und § 357 das Wiederaufleben von Haftbefehlen nach § 112, einstweiligen Anordnungen nach § 126a, aber auch vorläufigen Anordnungen nach § 111a sowie §§ 111b bis 111d vorsieht. Ob ein darüber hinaus gehendes Regelungsbedürfnis besteht, erscheint angesichts der insoweit eher geringen praktischen Bedeutung zweifelhaft.

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g) Beschwerde. Wie im Fall des § 28 Abs. 1 ist die Entscheidung, die dem Antrag stattgibt, unanfechtbar (Absatz 2), die ihn verwirft, mit sofortiger Beschwerde des Antragstellers oder der Staatsanwaltschaft 57 anfechtbar, soweit sie nicht vom Oberlandesgericht (§ 304 Abs. 4 Satz 2), auch soweit es im ersten Rechtszug entscheidet, oder vom Bundesgerichtshof (§ 304 Abs. 4 Satz 1) erlassen ist.58 Das Gericht kann die gewährende Entscheidung nicht wieder aufheben,59 wohl aber die verwerfende, wenn diese auf einer unrichtigen tatsächlichen Grundlage beruht.60

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BVerfG NJW 2005 3131 = StV 2005 613, 614. Kleinknecht NJW 1961 86. BGH NJW 1976 525. BVerfGE 14 8 = NJW 1962 580; RGSt 40 271; OLG Hamm VRS 65 (1983) 33; OLG

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Oldenburg VRS 68 (1985) 282; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1984 99; Meyer-Goßner 6. RGSt 59 419; BayObLGSt 1951 61; OLG Hamburg JR 1955 274 mit Anm. Mittelbach.

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Fünfter Abschnitt. Fristen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

§ 46

2. Fehlerhafte Wiedereinsetzungsentscheidungen a) Grundsatz. Im Zivilprozess ist die Entscheidung, mit der Wiedereinsetzung ge- 25 währt wird, zwar für die Instanz bindend,61 doch prüft das Revisionsgericht mit der Zulässigkeit des Rechtsmittels auch die der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Fristen zum Einlegen und Begründen der Berufung.62 Das Bayerische Oberste Landesgericht übernimmt aus dieser Rechtsprechung den Satz, dass die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch im Strafverfahren von Amts wegen zu prüfen ist.63 Dem ist zuzustimmen, doch darf daraus nicht wie im Zivilprozess (§ 238 Abs. 2 ZPO) die Folgerung gezogen werden, dass das Rechtsmittelgericht die Wiedereinsetzungsentscheidung der Vorinstanz nachprüfen und ggf. ändern dürfte; die Prüfung erstreckt sich im Rahmen der Feststellung der Prozessvoraussetzungen nur darauf, ob durch eine Wiedereinsetzung eine Prozesslage geschaffen worden ist, in der der Vorderrichter zu entscheiden befugt war.64 Denn Absatz 2 entzieht die dem Antrag stattgebende Entscheidung der Anfechtung und verleiht ihr damit Rechtskraft. Die Behandlung fehlerhafter Wiedereinsetzungsentscheidungen ergibt sich daher allein aus den allgemeinen Regeln der Rechtskraft. Nach diesen haben fehlerhafte Entscheidungen grundsätzlich Bestand, wenn sie in Rechtskraft erwachsen sind, es sei denn, dass die gewollte Wirkung vom Standpunkt des Rechts aus nicht denkbar ist oder mit Hauptgrundsätzen der Rechtsordnung in Widerspruch steht, oder dass die Entscheidung, ihr Bestand oder ihre Folge so unerträglich sind, dass sie sich mit einer geordneten Prozessführung nicht vereinbaren lassen.65 b) Gewährende Beschlüsse. Demzufolge ist die vom judex a quo gewährte Wiederein- 26 setzung rechtswirksam und für den judex ad quem bindend,66 ebenso die von einem sonst unzuständigen Gericht – Oberlandesgericht statt Reichsgericht 67 – oder einer unzuständigen Behörde – Verwaltungsbehörde statt Amtsgericht, §§ 52, 68 OWiG 68 – bewilligte Wiedereinsetzung. Hat ein unzuständiges Gericht die Wiedereinsetzung bewilligt, aber den gewährenden Beschluss wieder aufgehoben, so geht der letzte Beschluss ins Leere, weil die Wirkung der Rückversetzung eingetreten ist; er ist unbeachtlich.69 Als völlig prozessordnungswidrig und daher unwirksam ist anzusehen, wenn das 27 Gericht gegen die Versäumung der in einem Privatklagevergleich vereinbarten Widerrufsfrist Wiedereinsetzung gewährt.70 Dagegen ist die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Strafantragsfrist zwar unrichtig, aber vertretbar und daher bindend.71 c) Ablehnende Beschlüsse. Für ablehnende Beschlüsse kann entgegen einer wohl vor- 28 herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Lehre 72 nichts anderes als für gewährende 61 62

63 64 65

66

BGH NJW 1954 880. RGZ 100 269; 167 215; BGHZ 6 369 = NJW 1952 1137; BGHZ 12 165; BGHZ 21 142 = NJW 1956 1518. BayObLGSt 1960 114 = NJW 1960 1730. OLG Hamm NJW 1964 265. RGSt 40 273; 72 78; BGH MDR 1989 1117; OLG Bremen GA 1956 186; JZ 1958 546; OLG Hamm NJW 1958 880; Meyer-Goßner 7. BVerfGE 14 8 = NJW 1962 580; RGSt 40 271; RG JW 1927 396; 1937 175; BayObLGSt 1980 36 = VRS 59 (1980) 214; KG GA 76 (1932) 237; VRS 35 (1968) 288; OLG Hamm VRS 65 (1983) 33; OLG Braun-

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schweig NJW 1973 2119; OLG Karlsruhe Justiz 1981 21; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1983 108; OLG Düsseldorf NStZ 1988 238; KK/Maul 7; Meyer-Goßner 7 f. JW 1927 396. OLG Hamm VRS 65 (1983) 83. KG GA 76 (1928) 237. OLG Oldenburg JW 1931 2389. OLG Bremen GA 1956 185; OLG Düsseldorf JMBlNRW 1973 57; a.A. – unwirksam – OLG Oldenburg JW 1931 2389; KMR/ Paulus 16. RGSt 75 172; BGH bei Holtz MDR 1977 284; BayObLGSt 1980 36 = VRS 59 (1980)

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gelten.73 Daher erwächst auch der Beschluss, mit dem das Amtsgericht einen Antrag auf Wiedereinsetzung wegen Versäumung einer Rechtsmittelfrist verwirft, wenn er unangefochten bleibt, in Rechtskraft.74 Das Amtsgericht kann ihn, wenn er auf unrichtiger tatsächlicher Grundlage beruht, wieder aufheben (Rn. 15), nicht aber aus rechtlichen Erwägungen, etwa weil es seine Unzuständigkeit erkannt hat. Tut es das gleichwohl, hat die Aufhebung verfahrensrechtlich keine Bedeutung.75 Der Antragsteller ist, um den Beschluss des unzuständigen Gerichts zu beseitigen, auf den Weg der sofortigen Beschwerde angewiesen. Ist das Beschwerdegericht (§ 73 Abs. 1, zweiter Halbsatz, § 121 Abs. 1 Nr. 2 GVG) nicht das nach Absatz 1 zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag berufene Gericht, so ergeht die Beschwerdeentscheidung dahin, dass die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Sache dem zuständigen Gericht zur Entscheidung vorgelegt wird.76 Entscheidet es trotz Unzuständigkeit in der Sache selbst, indem es die Wiedereinsetzung ebenfalls versagt, so erwächst auch diese Entscheidung in Rechtskraft und ist für das später mit der Sache befasste Gericht bindend.77 Ist auf einen Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Einspruchsfrist die Wiedereinsetzung rechtskräftig versagt worden, so entfaltet diese Entscheidung keine Bindungswirkung hinsichtlich der Wirksamkeit der Zustellung des Strafbefehls bei der späteren Entscheidung über die Zulässigkeit des Einspruchs.78 Das Bayerische Oberste Landesgericht will diesen Weg vermeiden und anstelle des 29 Landgerichts das Revisionsgericht selbst über die sofortige Beschwerde entscheiden lassen, wenn mit dieser zugleich dessen Entscheidung nach § 346 Abs. 2 begehrt wird.79 Eine Benachteiligung des Angeklagten kann dadurch in der Tat nicht eintreten, doch ist der prozessökonomische Gewinn zu gering, als dass er ein Abweichen vom Gesetz rechtfertigen könnte. Das angestrebte Ziel könnte durch die Auslegung 80 erreicht werden, dass bei Beschwerden, mit denen eine Verletzung des Absatzes 1 gerügt wird, das Gericht zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde zuständig ist, das bei rechtzeitiger Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst berufen gewesen wäre (vgl. die Regelung in § 305a Abs. 2). Dieser an sich sinnvollen Auslegung steht indessen entgegen, dass der Beschwerdeführer, wenn er sie nicht kennt und sich an das Gesetz hält (§ 306 Abs. 1), die Beschwerde bei dem alsdann unzuständigen Landgericht einlegen könnte. Sie ist

73 74

214; bei Rüth DAR 1978 280; 1980 247; OLG Neustadt GA 1960 121; OLG Hamm MDR 1979 426; OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1983 108; LR/Hanack 25 § 346, 39 Fn. 52; KK/Maul 10; KMR/Paulus 20; Meyer-Goßner 7. Eb. Schmidt 7. KG JR 1956 111 mit Anm. Sarstedt; OLG Düsseldorf GA 1968 247; a.A. OLG Hamm – Vorlagebeschluss – MDR 1972 77; BGH – 4. StS – bei Holtz MDR 1977 284 unter Bezugnahme auf zwei frühere, nicht veröffentlichte Beschlüsse des 5. Strafsenats – 5 StR 373/59 – vom 1.9.1959 und des 4. Strafsenats – StR 143/60 –; BayObLG bei Rüth DAR 1978 210, 1986 247; LR/Hanack 25 § 346, 39 Fn. 52, der eine Bindung an die rechtskräftige Ablehnung der Wiedereinsetzung allerdings für den Fall

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bejaht, wo das Revisionsgericht (nur) über einen Antrag nach § 346 Abs. 2 entscheidet. KG JR 1956 111. OLG Schleswig bei Ernesti/Lorenzen SchlHA 1982 117; a.A. KG JR 1983 214. OLG Koblenz VRS 62 (1982) 450. OLG Celle NStZ-RR 2004 300. BayObLGSt 1961 157 = NJW 1961 1982; ebenso für den Fall, dass über das gleichzeitig eingelegte Rechtsmittel noch nicht entschieden ist, MDR 1993 892; ebenso OLG Celle NZV 1998 258 = VRS 95 (1998) 120. Das Kammergericht (JR 1983 214) hält eine solche Auslegung des Beschwerdebegriffs deshalb für überflüssig, weil sich nach einer Ansicht die Zuständigkeit zur Entscheidung durch das Revisionsgericht aus § 121 Abs. 1 Nr. 2 GVG ergäbe.

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Fünfter Abschnitt. Fristen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

§ 47

daher unzulässig. Der Weg des Bayerischen Obersten Landesgerichts, im Einzelfall, wenn dem Beschwerdeführer kein Nachteil entstehen kann, einen Prozess kürzenden Weg zu suchen, ist unsystematisch und daher abzulehnen.

§ 47 (1) Durch den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird die Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung nicht gehemmt. (2) Das Gericht kann jedoch einen Aufschub der Vollstreckung anordnen.

Entstehungsgeschichte. Durch Art. 1 Nr. 11 des 1. StVRG sind in Absatz 1 die Worte „das Gesuch um“ durch die Worte „den Antrag auf“ ersetzt worden. 1. Inhalt. Absatz 1 versagt dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 1 die aufschiebende Wirkung, um den Missbrauch auszuschließen, dem die Rechtseinrichtung der Wiedereinsetzung sonst preisgegeben wäre.1 Doch hemmt oder unterbricht der Beschluss, der dem Antrag stattgibt, die Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung, wenn und soweit er das Verfahren in den Zeitpunkt vor dem Eintritt der Rechtskraft der in Betracht kommenden Entscheidung zurückversetzt (§ 46, 11).2 Demzufolge ist in der Zeit vom Anbringen des Antrags bis zum Beschluss des Gerichts ein Zustand der Unsicherheit gegeben. Um ihr zu begegnen, kann das Gericht den Aufschub der Vollstreckung anordnen (Absatz 2). Wegen der dabei zu treffenden Abwägung ist die Entscheidung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt. Das Gericht darf dem Antrag auf Aufschub der Vollstreckung nur stattgeben, wenn der Wiedereinsetzungsantrag zulässig, also fristgerecht angebracht ist, die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft gemacht sind und, soweit erforderlich, die versäumte Handlung, wenn notwendig formgerecht, nachgeholt ist.3 Ist das der Fall, wird das Gericht dem Antrag stattgeben, wenn der Wiedereinsetzungsantrag erfolgreich erscheint. Da in der Regel über den Wiedereinsetzungsantrag alsbald entschieden werden kann, kommt Absatz 2, im Gegensatz zu § 360 Abs. 2, keine große Bedeutung zu. 2. Aufschub. Die Strafprozessordnung versteht unter Aussetzung der Vollstreckung 2 (Strafausstand) den Strafaufschub (Strafausstand vor dem Vollzug; § 456) und die Strafunterbrechung (Strafausstand während des Vollzugs). So verwenden § 360 Abs. 2 und § 458 Abs. 3 die Worte „Aufschub oder Unterbrechung“, während § 307 Abs. 2 den Oberbegriff „aussetzen“ verwendet. Dem Zweck des § 47 entsprechend kann die Wendung „Aufschub der Vollstreckung“ in § 47 Abs. 2 nur untechnisch i. S. von Aussetzung verstanden werden, so dass sowohl Strafaufschub als auch Strafunterbrechung zulässig ist,4 wenn es auch selten notwendig sein wird, die Vollstreckung einer Strafe zu unterbrechen. 3. Zuständigkeit. Da § 47 eine Ergänzung des § 46 ist, ergibt sich die Zuständigkeit, 3 über den Aufschub zu entscheiden, aus § 46 Abs. 1; wegen der Anbringung des Antrags 1 2

Hahn Mat. 1 98. BGHSt 18 34, 36; OLG Hamm NJW 1956 274; Meyer-Goßner 1.

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KK/Maul 3; Meyer-Goßner 2. Eb. Schmidt 1; KK/Maul 3.

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gilt § 45 Abs. 1, namentlich auch Satz 2. Zuständig für die Entscheidung nach Absatz 2 ist danach das Gericht, das über den Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden hat (§ 46 Abs. 1). Da namentlich bei drohender Verhaftung eilige Maßnahmen des Orts nächsten Gerichts geboten sein können, muss man auch demjenigen Gericht die Befugnis zum Strafausstand zugestehen, bei dem der Wiedereinsetzungsantrag anzubringen ist (vgl. § 307 Abs. 2).5 Anordnungen nach Absatz 2 sind ihrer Natur nach einstweilig. Sie sind, wenn sich die 4 ihnen zugrunde liegenden Tatsachen oder Beweise ändern, zugunsten und zuungunsten des Betroffenen aufzuheben oder zu ändern. Demzufolge kann auch das Gericht des § 46 eine vom Gericht des § 45 getroffene Entscheidung aufheben und selbst eine neue treffen. In der Praxis ist die Frage ohne besondere Bedeutung, weil in Wiedereinsetzungssachen die Sachentscheidung meist ohne Beweisaufnahme rasch getroffen werden kann. Das Gericht 6 (nicht der Vorsitzende) entscheidet auf Antrag oder von Amts wegen. 5 Gegen die Entscheidung steht, wenn ein Antrag verworfen wird, dem Antragsteller und stets der Staatsanwaltschaft die Beschwerde zu (§ 304 Abs. 1), soweit nicht ein Strafsenat, auch ein erstinstanzlich entscheidender, den Beschluss erlassen hat. Dabei ist § 307 zu beachten.

6

4. Die Vollstreckungsbehörde hat einen an das Gericht gerichteten Antrag mit ihrer Stellungnahme dorthin abzugeben. Liegt ein Antrag vor, der nicht an das Gericht gerichtet ist, so ist die Vollstreckungsbehörde im Rahmen des § 456 befugt (auf Antrag des Verurteilten), die Vollstreckung aufzuschieben, nicht aber sie zu unterbrechen. Von Amts wegen darf sie jedoch nicht nach § 456 tätig werden. Sie hat auch keine Möglichkeit, wegen eines Wiedereinsetzungsantrags die Vollstreckung „nicht einzuleiten“.7 Sie muss vielmehr beim Gericht eine Anordnung nach Absatz 2 beantragen oder ausdrücklich eine Gnadenentscheidung nach den Vorschriften der jeweiligen Gnadenordnung treffen oder, wenn sie keine Zuständigkeit für eine Gnadenentscheidung hat, etwa weil sie bei Gewährung eines Aufschubs der Vollstreckung im Gnadenweg ihre Gnadenkompetenz überschreiten würde, bei der zuständigen Gnadenbehörde eine solche Maßnahme anregen.

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Eb. Schmidt 2; KMR/Paulus 1. Meyer-Goßner 2.

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KMR/Paulus 3.

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Sachregister Die fetten Zahlen verweisen auf die Kapitel der Einleitung bzw. auf die Paragraphen, die mageren auf die Randnummern Ablehnung eines Richters (allgemein) Ablehnungsberechtigte 24 62 Adhäsionsverfahren 24 64 Allgemeines siehe Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen Anfechtbarkeit (Beschwerde) 24 69 bei Ausschließungsgrund 24 1 Befangenheit siehe dort Beschwer 24 63 Entscheidung von Amts wegen siehe unten Folgen 24 3 Fortsetzung der Hauptverhandlung siehe unten Frist für Antragstellung 24 66 Glaubhaftmachung 24 2 Grundsätze 24 1 ff. Klageerzwingungsverfahren 24 65 Namhaftmachung (Anspruch) 24 66 Namhaftmachung des Staatsanwalts 24 67 Ordnungsmittelverfahren 24 64 Rechtsmissbrauch im Strafverfahren Einl. H 58 Sachverständiger 24 64 Selbstanzeige siehe unten: Entscheidung von Amts wegen unaufschiebbare Maßnahmen siehe unten Zeuge 24 64 Ablehnung eines Richters, Anfechtbarkeit des Beschlusses Anfechtung mit dem Urteil 28 27 Berufungsverfahren 28 22, 34, 39 beschleunigtes Verfahren 28 21 Beschluss, ablehnender 28 1 Beschluss, stattgebender 28 2 Beschwerdeentscheidung 28 7 besondere Verfahrensarten 28 20 fehlende Entscheidung 28 6 Form 28 30 Oberlandesgericht 28 28 Rechtsmittelgericht, Entscheidung 28 36 Revisionsverfahren 28 23, 31

Richter, erkennender – Begriff 28 12 – Ergänzungsrichter 28 13 – Gericht, höheres 28 14 – Problematik 28 11 – Strafvollstreckungskammer 28 16 – Zeitpunkt der Entscheidung 28 17 – Zeitraum 28 15 sofortige Beschwerde 28 5 Strafbefehlsverfahren 28 25 f. Strafvollzugsverfahren 28 40 Verbrauch des Rechtsmittels 28 10 Wiederaufnahmeverfahren 28 24 Ablehnung eines Richters, Entscheidung von Amts wegen Ablehnungsgrund 30 8 Anfechtbarkeit 30 17 ff. Anfechtbarkeit (Beschwerde) 30 21 Anfechtbarkeit (Revision) 30 23 Anfechtbarkeit vor dem Hauptverfahren 30 19 f. Anfechtbarkeit, Ausschluss 30 17 anzeigender Richter 30 9 Bekanntmachung der Entscheidung 30 16 Ergänzungsrichter 30 11 Fälle notwendiger Entscheidung 30 13 Inhalt der Regelung 30 1 ff. Prüfungspflicht 30 2 rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) 30 5, 17, 19 Selbstablehnung 30 7 Selbstanzeige 30 7 ff. Selbstanzeige eines Verfassungsrichters 30 7 Selbstanzeige, Wirkung 30 25 Strafrichter 30 14 Verfahren 30 15 Verhältnis zu den Ablehnungsvorschriften 30 4 Zeitraum 30 3 Zuständigkeit 30 6 Zweifel über Ausschließungsgrund 30 12 Ablehnung eines Richters, Entscheidungsträger Amtsgericht, Einzelrichter 27 16 Beschlussbesetzung 27 1, 8 ff. Beschlussunfähigkeit 27 18

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Abl

Sachregister

Bundesgerichtshof 27 11 Ermittlungsrichter beim OLG/BGH 27 12 ersuchter Richter 27 17 Gericht, Begriff 27 3 Geschäftsverteilung 27 17 Inhalt der Vorschrift 27 1 ff. Instanzenzug 27 21 ff. obere Gerichte 27 21 Oberlandesgericht 27 11 Rechtsprechung des BayObLG 27 22 Spruchkörper 27 7 Strafkammer 27 13 Strafkammer, auswärtige 27 5, 14 Unterbrechung der Hauptverhandlung 27 1, 8 ff. Vertretung von Kammermitgliedern 27 19 Zeitpunkt, maßgebender 27 40 Zuständigkeit 27 4 Ablehnung eines Richters, Fortsetzung der Hauptverhandlung Anfechtbarkeit der Entscheidung 29 30 begründete Ablehnung 29 34 Dauer 29 31 f. Entscheidung ohne Verzögerung 29 31 Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung 29 36 f. Folgen 29 33 ff. Grundsatz 29 23 Hauptverhandlung 29 24 spätester Termin für Ablehnungsverfahren 29 32 Unterbrechung der Hauptverhandlung 29 25 Unterbrechung, Voraussetzungen 29 29 unzulässige/unbegründete Anträge 29 33 Verfahren bei Fortführung 29 28 Ablehnung eines Richters, unaufschiebbare Amtshandlungen Amtsunfähigkeit 29 2 ff. Anfechtbarkeit (Revision) 29 21, 40 keinen Aufschub duldende Handlungen 29 11 ff. Ausschluss des Richters 29 3 Bedeutung der Regelung 29 1 Beispiele 29 12 Dokumentation der Maßnahme 29 13 Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung 29 36 f. Erledigung des Ablehnungsantrags 29 10 Folgen, weitere 29 38 f. Fortsetzung der Hauptverhandlung siehe oben Haftbefehl, Erlass 29 15 Inhalt der Regelung 29 1 Regelfall 29 7 ff.

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Richter beim Amtsgericht 29 9 Richter, abgelehnter 29 7 Richter, ausgeschlossener 29 39; 29 8 Schöffen 29 39 unzulässiger Antrag 29 5 Urkundsbeamte 29 39 Verschleppungs-/Verzögerungsabsicht 29 6 Wiederholung der Maßnahmen 29 3 f., 35, 38 Wirksamkeit der Maßnahme – aufschiebbare Handlungen 29 19 – Ausschließungsgrund, bestehender 29 18 – Eröffnungsbeschluss 29 22 – unaufschiebbare Handlungen 29 20 Ablehnung eines Richters, unzulässige Ablehnung von Beweisanträgen 26a 13 Ablehnung, pauschale 26a 30 Anfechtbarkeit 26a 49 Auslegung, enge 26a 12 außerhalb der Hauptverhandlung 26a 41 Bedeutung der Regelung 26a 1 ff. Begründung der Entscheidung 26a 45 Begründung, fehlende 26a 11 Bekanntmachung der Entscheidung 26a 48 Beweiswürdigung 26a 14 Entscheidung 26a 43 Gegenvorstellungsverfahren 26a 36 Gericht, Besetzung 26a 38 Gericht, Zuständigkeit 26a 39 gesetzlicher Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) 26a 25 Glaubhaftmachung, fehlende 26a 19 Inhalt der Regelung 26a 1 Kosten 26a 47 Missbrauch des Ablehnungsrechts 26a 4 nachträgliche Anhörung 26a 37 Rechtsprechung des BVerfG 26a 25 Richter, beauftragter 26a 42 Strafkammer, auswärtige 26a 40 Unverzüglichkeit 26a 20 Unvollständigkeit der Ablehnung 26a 15 Unzulässigkeitsfälle 26a 8 ff. Verfahren 26a 38 ff. verfahrensrechtliche Zwecke 26a 28 Verfassungsmäßigkeit der Regelung 26a 2 verfrühte Anträge 26a 34 Verhältnis zur Begründetheitsprüfung 26a 5 Verschleppungsabsicht 26a 4, 22 Verspätung 26a 8 Vor- und Zwischenentscheidungen 26a 16 Wiederholung 26a 18 Ziel der Regelung 26a 2 Ablehnung eines Richters, Verfahren Ablehnungsberechtigte 24 62 ff.

Sachregister Abschrift der Entscheidung 27 50 abwesender Angeklagter 25 18 Anfechtbarkeit (Revision) 26 30 Anwendungsbereich 26 1 Begründung 26 9 ff. Begründung der Ablehnung im Hauptverfahren 26 14 Begründung, fehlende 26 15 Bekanntmachung der Entscheidung 27 47 Beschluss 27 33 Bezeichnung des Richters 26 13 Bezug auf Akteninhalt 26 12 dienstliche Äußerungen 26 24 dienstlichen Äußerung, Form 26 24 dienstlichen Äußerung, Inhalt 26 26 Eid/eidesstattliche Versicherung 26 22 Entscheidung 27 30 Entscheidung, ablehnende 27 41 Entscheidung, entbehrliche 27 27 Entscheidung, Gerichtsbesetzung siehe oben: entscheidendes Gericht Entscheidung, stattgebende 27 44 Entscheidungsvoraussetzungen 26 9 Erklärung zu Protokoll 26 7 Form des Antrags 26 6 Gericht 27 25 Gericht, Begriff 27 3 Gericht, entscheidendes siehe oben: entscheidendes Gericht Glaubhaftmachung 26 16 Glaubhaftmachung, Begriff 26 17 Glaubhaftmachung, Grenzen 26 19 Glaubhaftmachung, Mittel 26 21 Inhalt des Antrags 26 11 Mehrzahl von Ablehnungen 27 36 Öffentlichkeitsprinzip 26 2 Prüfung von Amts wegen 26 15, 20 rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) 26 27 ff.; 27 34 Rechtsnatur 26 2; 27 1 Reihenfolge der Entscheidungen 27 35 Richter, beauftragter 27 26 Rückwirkung 27 45 Schriftformerfordernis 26 31 Unzulässigkeit der Ablehnung siehe oben Verkündung der Entscheidung 27 49 Wiederholung der Ablehnung 27 43 Wirkung einer Stattgabe 27 46 Zeitpunkt der Ablehnung 26 8 siehe auch unten Zeugnis des Richters 26 23 Zuständigkeit 26 4 Zuständigkeitsregelung, Zweck 26 5 Zustellung der Entscheidung 27 48

Abl

Ablehnung eines Richters, Zeitpunkt Abwesenheit des Angeklagten, Verfahren 25 18 Anfechtbarkeit (Revision) 25 9, 30 außerhalb der Hauptverhandlung 25 10 Aussetzung der Hauptverhandlung 25 4 Beginn der Ablehnung 25 14 Beginn der Vernehmung 25 17 – Antrag während der Vernehmung 25 29 – Bekanntwerden 25 22 – Bekanntwerden, Verteidigerwissen 25 22 f. – Erlöschen des Ablehnungsrechts 25 31 – Frist zur Überlegung 25 24 – Gegenvorstellungsverfahren 25 25 – Geltendmachen 25 24 – Glaubhaftmachung 25 28 – letztes Wort des Angeklagten 25 32 – Nachschieben von Gründen 25 30 – Staatsanwaltschaft 25 27 – Unterbrechung der Hauptverhandlung 25 26 Berichterstattervortrag 25 7 Berufungsinstanz 25 7 Beschleunigungsgrundsatz 25 3 Einziehungs-/Verfallsverfahren 25 8 Erlöschen des Ablehnungsrechts 25 2 ff., 16, 31 im ersten Rechtszug 25 2 Geldbuße gegen jur. Personen/Personenvereinigungen 25 8 gleichzeitiges Vorbringen aller Gründe 25 20 Inhalt der Regelung 25 1 Konzentrationsgebot 25 20 mehrere Angeklagte 25 3 Nachholung des rechtlichen Gehörs 25 13 Nachverfahren 25 8 Nebenkläger 25 6 Neubeginn der Hauptverhandlung 25 4 Revisionsinstanz 25 7 Sicherungsverfahren 25 8 Stellungnahme 25 33 Zurückverweisung der Revisionsinstanz 25 4 Ablehnung eines Schöffen Anfechtbarkeit 31 13 anwendbare Vorschriften 31 1; 31 2 Entscheidung 31 10 Ersatzschöffe 31 12 Folgen des Ausscheidens 31 16 Revision, Prüfungsumfang 31 18 Unfähigkeit zur Ausübung 31 3 Ablehnung eines Urkundsbeamten Anfechtbarkeit 31 14 anwendbare Vorschriften 31 4 f.

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Abs

Sachregister

anwendbare Vorschriften, Beschränkungen 31 8 Bundesgerichtshof 31 11 Entscheidung 31 10 Folgen des Ausscheidens 31 17 Oberlandesgericht 31 11 Revision, Prüfungsumfang 31 18 Abschrift der gerichtlichen Entscheidung 35 9 ff. Absprache zwischen Prozessbeteiligten siehe auch Strafverfahren, Verfahrensverkürzung/Absprachen Ablehnungsgründe 24 59 f. Befangenheit des Richters 24 56 ff. Bindungswirkung 24 57 Folgen 24 58 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 135 Inhalt 24 57 Mündlichkeitsgrundsatz Einl. I 60; 24 61 Obergrenze von Sanktionen 24 57 Öffentlichkeitsgrundsatz 24 61 Rechtsmissbrauch im Strafverfahren siehe dort Rechtsmittelverzicht 24 57 Schuldspruch 24 57 Strafverfahren/Strafprozess allgemein Einl. B 63 ff. Zulässigkeit 24 56 Adhäsionsverfahren Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit 24 64 Akkusationsprinzip siehe Anklagegrundsatz Amtsanwaltschaft Beteiligung am Strafverfahren Einl. J 63 Amtsaufklärungsgrundsatz (Instruktionsmaxime) Ausnahmen Einl. I 36 Bedeutung Einl. I 30 Beweislast Einl. I 32 Dispositionsmaxime Einl. I 30 eigene Aufklärung der Prozessbeteiligten Einl. I 35 Ermittlungen Einl. I 33 gesetzliche Regelungen Einl. I 31 Geständnis Einl. I 32 Grenzen Einl. I 36 Inhalt Einl. I 30 offenkundige Tatsachen Einl. I 34 Rechtskraft/Bestandskraft von Entscheidungen Einl. K 95 Revisionsverfahren Einl. I 38 Verfahrenshindernisse Einl. I 37 Wahrheitserforschung im Strafverfahren Einl. H 27

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Amtsgericht Ablehnung eines Richters, entscheidendes Gericht 27 16 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 103 Zuständigkeit des Gerichts 1 2 Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen 6 5, 10 f. Analogie Abgrenzung zur extensiven Auslegung Einl. M 42 Analogieverbot Einl. M 47 Ausschließung und Ablehnung des Staatsanwalts Vor 22 13 Begriff Einl. M 41 Bestimmtheitsgrundsatz Einl. M 42 Generalklauseln Einl. M 44 Gerichtsstand der Presse 7 12 ff. Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 61 Gesetzgebung, moderne Einl. M 43 Rechtsmissbrauch im Strafverfahren Einl. H 62 Regelungslücke Einl. M 41 unbestimmte Rechtsbegriffe Einl. M 44 Verbindung/Trennung im Hauptverfahren 4 6, 11, 15 ff. zugunsten/zuungunsten Einl. M 43 Zuständigkeit besonderer Strafkammern, Prüfung der 6a 21 Angehöriger Adoption 22 12 Ausschließung eines Richters 22 10 ff. Ehegatte, Begriff 22 10 Kinder, nichteheliche 22 11 Lebenspartner 22 10 nichteheliche Lebensgemeinschaft 22 10 Partnerschaft, gleichgeschlechtliche 22 10 Schwägerschaft 22 11, 13 Verwandtschaft 22 11 Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 67 Angeklagter siehe Beschuldigter Angeschuldigter siehe Beschuldigter Anhängigkeit des Verfahrens Verbindung/Trennung von Strafsachen 2 5 Anhörung der Beteiligten, gerichtliche siehe auch rechtliches Gehör, Grundsatz (Art. 103 Abs. 1 GG) Anfechtbarkeit (Beschwerde) 33 44 Anfechtbarkeit (Revision) 33 25 Anfechtbarkeit eines Entwurfs 33 13 Anwesenheit 33 17 Aufforderung durch das Gericht 33 18 Beispiele 33 35

Sachregister Beschuldigter 33 20 Beschwerde 33 44 Beschwerdeverfahren 33 31 Beteiligter, Begriff 33 18 Beurkundung 33 13 Beweisergebnisse 33 34 Entscheidung des Gerichts siehe dort Ergehen einer Entscheidung – allgemein 33 9 – Beschluss 33 12 – mündlicher Erlass 33 10 – mündlicher Erlass bei Untersuchungshandlungen 33 11 – schriftlicher Erlass 33 12 – Unterzeichnung durch den Richter 33 12 Gefährdung des Anordnungszwecks 33 41 ff. gesetzliche Regelungen – außerhalb der Hauptverhandlung 33 30 – in der Hauptverhandlung 33 21 ff. – Überblick 33 39 ff. in der Hauptverhandlung 33 15 ff., 26 ff. Hauptverhandlung, Begriff 33 15 Nachteil 33 32 Prozessbeteiligter 33 18 prozessleitende Verfügung 33 7 rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) 33 1 ff., 6, 23 ff., 35 ff. schriftliches Verfahren 33 33 sitzungspolizeiliche Maßnahmen 33 38 Staatsanwaltschaft 33 19 Staatsanwaltschaft, mündliche Erklärung 33 28 f. Staatsanwaltschaft, schriftliche Erklärung 33 27 Tatsachen 33 34 Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes 33 23 Verteidiger 33 20 Wegfall der Anhörung 33 41 Wegfall der Gefährdung 33 43 Zeitpunkt 33 22 Zwischenentscheidungen 33 24 Anhörung der Beteiligten, nachträgliche Ablehnung eines Richters, unzulässige 26a 37 analoge Anwendung 33a 12 Anfechtbarkeit (Beschwerde) 33a 26 Anfechtbarkeit (Verfassungsbeschwerde) 33a 29 Anfechtbarkeit im Revisionsverfahren 33a 28 Antrag eines Beteiligten 33a 19 Anwendungsbereich 33a 2 Bedeutung der Vorschrift 33a 1

Aus

Beschluss 33a 4 Beschlüsse, unanfechtbare 33a 13 Beschwer bei Grundrechtseingriffen 33a 18 Beschwer, andauernde 33a 16 Beteiligter 33a 7 Einleitung von Amts wegen 33a 21 entscheidungserhebliche Verletzung 33a 11 Form/Frist des Verfahrens 33a 19 Gelegenheit zur Äußerung 33a 10 Kosten 33a 25 Nachverfahren 33a 22 rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) 33a 1, 3 Rechtsbehelf, eigenständiger 33a 2 Staatsanwaltschaft 33a 7 f. Subsidiarität des Rechtsbehelfs 33a 12 Überprüfungsverfahren 33a 24 Unanfechtbarkeit des Beschlusses 33a 12 Urteil 33a 4 Verfahren der Anhörungsrüge 33a 19 ff. Verfügung 33a 6 Verletzung rechtlichen Gehörs 33a 9 Verschlechterungsverbot 33a 24 Verwirkung 33a 20 Voraussetzungen der Anhörungsrüge 33a 4 ff. Anklageerhebung Verbindung/Trennung von Strafsachen 2 16 f., 20 Anklageerzwingungsverfahren Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit 24 65 Anklagegrundsatz (Akkusationsprinzip) Anfangsverdacht Einl. I 13 Bedeutung Einl. I 9 Einschränkungen Einl. I 11 Ermittlungsverfahren, Einleitung Einl. I 13 Grenzen Einl. I 11 Inhalt Einl. I 9 Klageerzwingungsverfahren Einl. I 11 Richter im Ermittlungsverfahren Einl. I 12 Anordnung, gerichtliche siehe Entscheidung Anschlussdelikte Gerichtsstand des Tatortes 7 6 Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 23 EGGVG) Fristberechnung 43 9 Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 36 37 Aufenthaltsermittlung, Ausschreibung zur Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 41 Ausland Beweise, Geltung im Strafverfahren Einl. D 112 ff.

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Aus

Sachregister

Geltungsbereich des Strafverfahrensrechts Einl. E 4, 10, 13 Gerichtsstand des letzten Wohnsitzes 8 7 Gerichtsstand für deutsche Beamte im Ausland 11 1 ff. Rechtskraft/Bestandskraft von Entscheidungen Einl. K 79, 98 ff. Strafverfahren/Strafprozess allgemein Einl. B 6, 12 Verhältnis zum nationalen Verfahrensrecht Einl. D 1 ff. Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 87 ff. Zustellung, öffentliche 40 7 ff. Ausländer Befangenheit (Ausländerfeindlichkeit) 24 31, 53 Bekanntmachung der gerichtlichen Entscheidung 35 27 ff. Rechtsmittelbelehrung 35a 20 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 44 13, 23, 68 Auslegung, Rechtssatzkonkretisierung EMRK, IPBPR Einl. M 37 Europarecht Einl. M 38 Konkordanzprobleme Einl. M 36 Kriterien des materiellen Rechts Einl. M 34 Kriterien des Prozessrechts Einl. M 35 rahmenbeschlusskonforme Einl. M 57 Rechtsanwendung, Methode Einl. M 34 ff. systematische Einl. M 36 teleologische Einl. M 35 verfassungskonforme Einl. M 37 Verteidigung, Antagonismus Einl. M 40 Ausschließung eines Richters Adoption 22 12 Anfechtbarkeit (Revision) 22 63 Anhörungsrüge 33a 15 Anwalt 22 38 f. Bedrohung 22 21 Beleidigungsdelikte 22 20 Benennung als Zeuge 22 42 Beschlüsse 22 56 Beschuldigter, Begriff 22 6 Betreuer 22 10 Betrug 22 16 Beweisverbot 22 57 wegen Beziehung zum Beschuldigten/Verletzten 22 1 ff., 10 ff. Diebstahl 22 16 Dolmetscher 22 46 Ehegatte 22 10 Einstellung des Verfahrens 22 26 Entscheidung 22 53 Eröffnungsbeschluss 22 66

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Fahndungsmaßnahmen 22 32 Folgen 22 54 ff. Gegenstand des Verfahrens 22 4, 9 gleichgeschlechtliche Partnerschaft 22 10 Hauptverhandlung 22 59 ff. Identität der Verfahren 22 24 Justizverwaltungsaufgaben 22 34 Konkursdelikte 22 16 Ladung als Zeuge 22 44 Lebenspartner 22 10 nichteheliche Kinder 22 11 nichteheliche Lebensgemeinschaft 22 10 Polizeibeamter 22 35 ff. Prozesshandlungen 22 54 Richter als Beschuldigter 22 22 Sache, Strafsache 22 2, 24 ff. Sachverständiger 22 40 Schwägerschaft 22 11, 13 Staatsanwaltschaft, Vortätigkeit 22 31, 33 f. Straftat 22 1 Täter, Begriff 22 23 Todesermittlung 22 27 Urteil 22 58 Verfahren 22 52 Verfassungsbeschwerdeverfahren 22 28 als Verletzter 22 1 ff., 9 Verletzter, Begriff 22 7 f. Vermögensdelikte 22 16 Vermögensdelikte betr. jur. Personen 22 17 ff. Verteidiger 22 38 f. Verwandtschaft 22 11 Verwandtschaft/Schwägerschaft zwischen Richtern 22 15 Vormund 22 10 Vortätigkeit, Begriff 22 29 ff. wegen Vortätigkeit, nichtrichterlicher 22 24 ff. Wirkungen – allgemein 22 47 ff. – irrtümliche Entscheidung 22 48 – Justizverwaltungsmaßnahmen 22 51 – Tätigkeiten, richterliche 22 50 – verbundene Sachen 22 49 – Verfahrensgegenstand 22 49 Zeuge 22 40 Zurückverweisung, Entscheidung nach – Ablehnungsgrund 23 33 – Ausschließungsgründe 23 29 ff. – Geschäftsverteilung, Änderung 23 29 – Verhinderung 23 35 – Zurückverweisung 23 27 Ausschließung eines Richters, Rechtsmittelentscheidung Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens 23 7

Sachregister Besorgnis der Befangenheit 23 3 Entscheidung im höheren Rechtszug 23 8 Entscheidung im niederen Rechtszug 23 12 Entscheidung im unteren Rechtszug 23 5 Haftprüfung 23 7, 10 Inhalt der Regelung 23 1 ff. Rechtsmittel 23 7 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 23 7 Wirkung und Folgen 23 4 Ausschließung eines Richters, Wiederaufnahmeverfahren Berufungsinstanz 23 20 Berufungsrichter, Mitwirkung 23 18 Beschwerdeverfahren 23 25 Einstellungsbeschlüsse 23 15 Entscheidung, Begriff 23 14 Revisionsinstanz 23 22 Revisionsrichter, Mitwirkung 23 16 Richter erster Instanz, Mitwirkung 23 13 Vorbereitungshandlungen 23 26 Wiederaufnahmeverfahren, Mitwirkung 23 24 Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen Ablehnung Vor 22 1 ff. Ausschließung Vor 22 1 ff. Befangenheit Vor 22 1 Bezirksrevisor Vor 22 7 Dolmetscher Vor 22 7 Gerichtspersonen Vor 22 5 ff. Gerichtsvollzieher Vor 22 7 gesetzlicher Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) Vor 22 1 Justizverwaltungsmaßnahmen Vor 22 6 Konsularbeamter Vor 22 7 Protokollführer Vor 22 7 Rechtspfleger Vor 22 7 Richter siehe im Einzelnen unter Ablehnung/Ausschließung eines Richters Richter allgemein Vor 22 5 Sachverständiger Vor 22 7 Schöffen Vor 22 7 Sinn und Zweck der Regelungen Vor 22 1 Staatsanwalt siehe unten Urkundsbeamte Vor 22 7 Ausschließung und Ablehnung des Staatsanwalts allgemein Vor 22 8 ff. Analoge Anwendung der §§ 22, 24 Vor 22 13 Anfechtbarkeit Vor 22 11 ff. Anfechtbarkeit (Revision) Vor 22 12 Antrag des Beschuldigten Vor 22 11

Bef

Befangenheitsmaßstab Vor 22 14 Einzelfälle der Ablehnung Vor 22 17 f. Einzelfälle der Ausschließung Vor 22 15 Folgen bei unterlassener Ausschließung Vor 22 12 Folgen der Ausschließung Vor 22 16 gerichtliche Befugnisse Vor 22 10 Prüfung von Amts wegen Vor 22 9 Rechtsanspruch auf Auswechselung Vor 22 9 Aussetzung (Vollzug des Haftbefehls) Überstellung an den IStGH Einl. D 99 Bayerisches Oberstes Landesgericht Ablehnung eines Richters, entscheidendes Gericht 27 22 ff. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 46 6, 29 Zuständigkeit des Gerichts 1 2 Beamter Gerichtsstand für deutsche Beamte im Ausland 11 2 Befangenheit Ablehnung eines Richters siehe dort Absprachen siehe dort Angeklagter, eigenes Verhalten 24 37 Ausländerfeindlichkeit 24 31 Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen Vor 22 1 Begriff 24 4 ff. Begriffsgrenzen 24 7 Beispiele (keine Befangenheit) 24 55 Beispiele (Verhalten vor Hauptverhandlung) 24 53 Beispiele (Verhalten während der Hauptverhandlung) 24 54 Bestechung 24 20 dienstliche Beziehungen 24 27 Einflussnahme auf den Richter 24 12 Einwirkung aus dem Umfeld des Angeklagten 24 15 Einwirkung durch den Richter 24 19 Einwirkung durch Kollegen, etc. 24 13 Einwirkung durch Massenmedien 24 14 Einzelfallentscheidung 24 9 Erpressung 24 20 Feindschaft mit Verteidiger/Angeklagtem 24 33 Freunde als Verletzte 24 32 geschäftliche Beziehungen 24 27 Gewerkschaftszugehörigkeit 24 24 Gründe 24 12 ff. Kollegenverhältnis 24 34 im laufenden Verfahren 24 51 ff.

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Bef

Sachregister

Mitwirkung an Gesetzgebungsverfahren 24 25 objektiver Maßstab 24 7 persönliche Verhältnisse 24 29 politisch motivierte Straftaten 24 22 f. politische Bindungen 24 21 politische Verhältnisse, Krisenzeiten 24 10 Rechtsansichten 24 28 Rechtsprechung der LVerfGe 24 11 Rechtsprechung des BVerfG 24 11 religiöse Anschauungen 24 26 wegen richterlicher Tätigkeit 24 38 ff. Strafanzeige gegen den Richter 24 35 Tatsachengrundlage 24 6 Verlobte als Verletzte 24 32 bei Vorbefassung mit der Sache siehe unten Befangenheit bei Vorbefassung allgemein 24 38 Eröffnung des Hauptverfahrens 24 46 ff. frühere Verfahren 24 49 Haftentscheidungen 24 40 irrtümliche Entscheidung 24 39 Meineidsprozess gegen Zeugen 24 50 Mittäter (Aburteilung) 24 38 Presseveröffentlichungen 24 45 Revisionsverfahren 24 43 Verfahrensverstöße 24 39 Vernehmung des Angeklagten 24 44 Willkür 24 39 Zwischenbeurteilung 24 42 Zwischenentscheidungen 24 29 Befehl, gerichtlicher siehe Entscheidung Begründung der gerichtlichen Entscheidung Anforderungen, allgemeine 34 10 Anwendungsbereich 34 2 Bedeutung der Vorschrift 34 1 Beurkundung 34 13 Eingriffsqualität der Entscheidung 34 10 Entscheidungen, ablehnende 34 7 Entscheidungen, anfechtbare 34 3 Entscheidungen, von Amts wegen zu treffende 34 8 Ermessensentscheidungen 34 11 Fehlen von Entscheidungsgründen 34 14 Hinweis auf spätere Begründung 34 10 inhaltliche Anforderungen 34 10 ff. Mängel der Begründung 34 16 prozessleitende Verfügungen 34 6 Rechtsmittel 34 3 Sondervorschriften 34 12 staatsanwaltschaftliche Entscheidungen 34 5 Urteile 34 4 Widerspruch gegen Anträge 34 9

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Begründung gerichtlicher Entscheidungen Urteil siehe dort Behinderung, Verständigung mit Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 162 Behörden/Beamte des Polizeidienstes Ausschließung eines Richters 22 35 Ausschließung und Ablehnung des Staatsanwalts Vor 22 16 Beteiligung am Strafverfahren Einl. J 58 ff. Rechtsquellen des Strafverfahrens siehe Polizei Beibringungsgrundsatz Wahrheitserforschung im Strafverfahren Einl. H 27 Beistand siehe Rechtsbeistand Bekanntmachung der gerichtlichen Entscheidung Ablehnung eines Richters 27 47 ff. Abschrift der verkündeten Entscheidung – allgemein 35 9 – bei Freispruch 35 17 – Geheimschutz 35 11 – Geschäftsstelle 35 15 – Kosten 35 16 – Zeitpunkt der Erteilung 35 12 – Zuständigkeit 35 14 – Zweck 35 12 Anhörung der Beteiligten 33 9 Anwendungsbereich 35 2 ff. Bedeutung der Vorschrift 35 1 Betroffener 35 4 Beurkundung der Verkündung 35 8 Einzelheiten siehe Zustellung gerichtlicher Entscheidungen Entscheidungen 35 3 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 35 29 fernmündliche Mitteilung 35 23 formlose Mitteilung 35 21 nicht auf freiem Fuß befindlich 35 24 rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) 35 1 Rechtsmittelbelehrung siehe dort Straf- und Bußgeldverfahren 35 2 Übersetzung (schriftliche) mündlicher Bekanntmachung 35 28 Übersetzung der Entscheidung 35 28 Verfassungsbeschwerde 35 22 durch Verkündung 35 6 ff. Verkündung, Anwendungsbereich 35 6 Verkündungsberechtigung 35 7 Verlangen des Vorlesens 35 25

Sachregister Vorlesen der Entscheidung 35 24 ff. Vorlesen formloser Mittelungen 35 26 durch Zustellung der Entscheidung 35 18 ff. Zustellung gerichtlicher Entscheidungen 35 18 Zustellung staatsanwaltschaftlicher Entscheidungen 35 19 Belehrung siehe auch Rechtsmittelbelehrung Beweisverbot/Beweisverwertungsverbot Einl. L 37 ff. Beleidigungsdelikte Gerichtsstand der Presse 7 23 ff. Benutzerhinweise, allgemeine Einl. A 1 ff. Beobachtung (polizeiliche), Ausschreibung zur Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 41 Berichterstatter Ablehnung eines Richters 25 7 Berufsverbot Rechtskraft, Beschluss bei angefochtener Entscheidung 34a 4 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 46 21 Berufsverbot, vorläufiges Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 111 Berufung (allgemein) Ablehnung eines Richters 25 7; 28 22, 34 Ausschließung eines Richters 23 18, 20 Befangenheit des Richters 24 18 Begründungspflicht für gerichtliche Entscheidungen 34 3 Verbindung/Trennung von Verfahren 2 16; 4 11 ff. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 45 10; 46 4, 15, 17 Zuständigkeit des Gerichts 1 4 örtliche Zuständigkeit des Gerichts, Prüfung von Amts wegen 16 3, 17, 20 Zuständigkeit, örtliche Vor 7 28 Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen 6 9 ff. Zustellung der unmittelbaren Ladung 38 1 Zustellung, öffentliche 40 12 f. Beschlagnahme Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 41 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 14, 111, 153 Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) Einl. D 101 beschleunigtes Verfahren Ablehnung eines Richters 28 21 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 149 Verbindung/Trennung von Strafsachen 2 17 Zuständigkeitskonkurrenz der Gerichte 12 24

Bes

Beschleunigungsgebot (Art. 6 MRK, 14 IPBPR) Allgemeines siehe Prozessmaximen Frist zur Urteilsabsetzung Einl. I 67 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 23 gesetzliche Regelungen Einl. I 67, 69 Organisationsverschulden Einl. I 67 Rechtsmissbrauch im Strafverfahren Einl. H 49 Rechtsprechung des BGH Einl. I 68 Rechtsprechung des EGMR Einl. I 67 Rechtswirklichkeit Einl. I 69 Strafverfahren/Strafprozess allgemein Einl. B 37 ff. Überlastung der Justiz Einl. I 67 Verbindung/Trennung von Strafsachen 2 11 Verfahrenshindernis Einl. I 68 Verletzung, Folgen Einl. I 68 Beschluss Ablehnung eines Richters 27 1, 32 f. allgemeine Anforderungen siehe Entscheidung (gerichtliche) Begriff Vor 33 5 Bekanntmachung der gerichtlichen Entscheidung 35 6 Nichtigkeit gerichtlicher Entscheidungen siehe dort Nichtigkeit von Entscheidungen Einl. K 127 ff. Rechtskraft/Bestandskraft von Entscheidungen siehe dort Rechtsmittelbelehrung 35a 6 Beschuldigter Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit 24 62 ff. Angeklagter Einl. J 71 Angeschuldigter Einl. J 71 Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 18, 20 Anwesenheitspflicht Einl. J 81 Auskunftspflichten Einl. J 95 Aussagefreiheit Einl. J 87 Aussagefreiheit im eigenen Verfahren Einl. J 90 Ausschließung und Ablehnung des Staatsanwalts Vor 22 9 Befangenheit, Verursachung 24 15, 36, 37 Befugnisse allgemein Einl. J 73 Beginn und Ende der Beschuldigteneigenschaft Einl. J 72 Begriff Einl. J 71; 22 6 Belehrung Einl. J 78 Beteiligungsrechte Einl. J 77 als Beweismittel Einl. J 84

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Bes

Sachregister

Beweisverbot/Beweisverwertungsverbot siehe dort Beweisverbote Einl. J 89 Beweiswürdigung, richterliche Einl. J 92 Einwirkungsrechte Einl. J 77 Freigesprochener Einl. J 71 gesetzliche Grundlagen Einl. J 68 Grundrechte Einl. J 73 Mitwirkung unter Täuschung/Irrtum Einl. J 88 Mitwirkungspflichten Einl. J 95 Nemo-tenetur-Grundsatz Einl. J 87 als Passivbeteiligter Einl. J 69 Pflichten allgemein Einl. J 73 Pflichten, einzelne Einl. J 81 ff. Presseberichterstattung Einl. J 80 Schutzregelungen Einl. J 79 Schweigen, teilweises/vollständiges Einl. J 92 Stellung im Verfahren Einl. J 65 Steuerstrafsachen Einl. J 99 Täter-Opfer-Ausgleich Einl. J 94 Unschuldsvermutung Einl. J 74 Unterlassungspflichten Einl. J 82 als Verfahrensbeteiligter Einl. J 65 ff. Verhandlungsunfähigkeit Einl. J 78 Verteidigerkonsultation Einl. J 78 Verurteilter Einl. J 71 Vorverdächtiger Einl. J 71 Wahrheitspflicht Einl. J 82 Würdigung der Prozessverhaltens, richterliche Einl. J 91 Zeugnispflicht Einl. J 95 Zustellung der unmittelbaren Ladung 38 1 Zustellung, öffentliche 40 5 Zwangsmaßnahmen, strafprozessuale Einl. J 76 Beschuldigter, Abwesenheit Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 111 Beschwerde (allgemein) Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit 24 69 Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 31 Ausschließung eines Richters 23 25 Begründungspflicht für gerichtliche Entscheidungen 34 3 Verbindung/Trennung von Strafsachen 4 44 Beschwerde, sofortige Begründungspflicht für gerichtliche Entscheidungen 34 3 Rechtsmittelbelehrung 35a 6 Zuständigkeit besonderer Strafkammern, Prüfung der 6a 25 Beschwerde, weitere Ausschließung eines Richters 23 10

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Begründungspflicht für gerichtliche Entscheidungen 34 3 Beschwerdegegenstände, einfache Beschwerde Ablehnung eines Richters 28 1 ff.; 30 17, 21 f. Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 44 Anhörung der Beteiligten, nachträgliche 33a 26 Gerichtsstand des Zusammenhangs 13 21 Verbindung/Trennung von Strafsachen 2 27 örtliche Zuständigkeit des Gerichts, Prüfung von Amts wegen 16 15 Zustellung, öffentliche 40 23 Beschwerdegegenstände, sofortige Beschwerde Ablehnung eines Richters 28 5, 19; 30 19 f. Verbindung/Trennung von Strafsachen 2 26 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 46 24, 28 Bestandskraft von Entscheidungen siehe auch Rechtskraft Allgemeines Einl. K 64 ff. ausländische Gerichte Einl. K 98 ff. Besatzungsgerichte Einl. K 101 Beschlüsse, sonstige Einl. K 102 ff. Beschlüsse, urteilsersetzende siehe Rechtskraft DDR-Gerichte Einl. K 100 europäische Gerichte Einl. K 98 gerichtliche Entscheidungen, sonstige Einl. K 103 Grundlagen Einl. K 64 internationaler Strafgerichtshof (IStGH) Einl. K 99 Nichtigkeit siehe dort Rechtskraft von Entscheidungen siehe dort staatsanwaltschaftliche Entscheidungen Einl. K 104 Streitkräfte, ausländische Einl. K 101 Terminologie Einl. K 67 Überblick Einl. K 66 Urteile siehe Rechtskraft Betäubungsmittelgesetz Rechtsquellen des Strafverfahrens Einl. C 9 Beurkundung Begründungspflicht für gerichtliche Entscheidungen 34 13 Beweis (allgemein) Begriffsbestimmung Einl. L 1 Beschuldigtenvernehmung Einl. L 9 Beweiserhebung Einl. L 5 Beweismittel Einl. L 3, 6 Beweisverbot allgemein Einl. L 2, 11 ff.

Sachregister Beweisverbot, Einzelheiten siehe dort Beweisverwertung Einl. L 5 Beweisverwertungsverbot allgemein Einl. L 7 Beweisverwertungsverbot, Einzelheiten siehe dort Entscheidungsgrundlage Einl. L 7 Feststellung von Tatsachen Einl. L 3 Form Einl. L 10 Freibeweisverfahren Einl. L 10 gesetzliche Grenzen außerhalb der StPO Einl. L 13 gesetzliche Grenzen in der StPO Einl. L 12 Grenzen siehe Beweisverbot Rechtsanwendung, Methode Einl. M 18, 26 ff., 58, 65, 70, 74 Sachverhaltsermittlung, verbotene Einl. L 9 Strengbeweis Einl. L 10 Umfang Einl. L 9 Wahrheitserforschung im Strafverfahren Einl. H 34 Würdigung von Tatsachen Einl. L 3 Beweis, Geltung ausländischer Beweise anwendbares Recht – „Beweismittel-Shopping“ Einl. D 128 – Abwägung, einzelfallbezogene Einl. D 135 – BGH-Rechtsprechung Einl. D 133 – Doppelbestrafung, Verbot der Einl. D 133 – kumulative Anwendung beider Rechte Einl. D 132 – Modelle, denkbare Einl. D 123 – ordre publique Einl. D 124 – Rechtsschutz für den Beschuldigten, besserer Einl. D 134 – des Staates der Beweisaufnahme Einl. D 126 – des Staates der Hauptverhandlung Einl. D 125 – Stellungnahme Einl. D 136 ff. – Zweifel an der Rechtmäßigkeit Einl. D 127 Beweisanordnung, europäische Einl. D 129 ff. für die Beweisaufnahme geltendes Recht Einl. D 123 ff. Beweiserhebung, ausländische Einl. D 117 Erlangung von Sachen, Daten, Schriftstücken Einl. D 129 ff. Ermittlungsaktivitäten Einl. D 116 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) Einl. D 122

Bew

europäisches Strafverfahrensrecht Einl. D 112 Personalitätsprinzip Einl. D 114 Regelungen, Fehlen von Einl. D 118 Teilnahme an Prozesshandlungen Einl. D 119 Territorialitätsprinzip Einl. D 114 Verfolgungszuständigkeiten Einl. D 113 Verwertbarkeit Einl. D 121 Videokonferenz Einl. D 120 Beweisantrag Ablehnung eines Richters, unzulässige 26a 13 Rechtsmissbrauch im Strafverfahren Einl. H 58 Beweiserhebung Geltung ausländischer Beweise Einl. D 117 ff. Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 36 30 Beweismittel Beschuldigtenrechte, Gewährleistung Einl. J 84 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 14, 121 Beweisverbot (Beweiserhebungsverbot) Abschiedsbrief Einl. L 97 Abwägungslehre Einl. L 26 ff., 83, 95, 97, 100, 119, 153 Anfangsverdacht und Zufallfunde Einl. L 7 6 ärztliche Unterlagen Einl. L 98 Aussageverweigerungsrecht, nicht belehrungspflichtiges Einl. L 49 Ausschließung eines Richters 22 57 Belehrung des Beschuldigten Einl. L 53 ff. Belehrung von Zeugen Einl. L 37 ff. Benachrichtigungspflicht Einl. L 46 Beruhenserfordernis Einl. L 65, 119, 179 ff. Beschuldigtenrechte, Gewährleistung Einl. J 89 Beschuldigter, Belehrung über Schweigerecht Einl. L 53 Beweismethodenverbote Einl. L 140 Beweismittelverbote Einl. L 138 Beweisregelungsverbot Einl. L 143 Beweisthemenverbote Einl. L 134 Beweisverfahrensverbot Einl. L 143 Beweisverwertungsverbot – allgemein Einl. L 15 ff., 105 ff. – Einzelheiten – Fragwürdigkeit der Unterscheidung Einl. L 127 – Selbstständigkeit/Unselbstständigkeit Einl. L 121

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Bew

Sachregister

– und Verfahrensstadium Einl. L 122 – Verhältnis zwischen Erhebungs- und Verwertungsverbot Einl. L 121 ff. – Vorauswirkungen Einl. L 125 Beweiswürdigung statt Verwertungsverbot Einl. L 34 BVerfG, Dreisphärentheorie – Tagebücher Einl. L 90 DNA-Analyse Einl. L 104 Dreisphärentheorie des BVerfG siehe unten Drogen-, Suchtberatung Einl. L 99 Durchsuchung/Beschlagnahme Einl. L 82 Eingriffsermächtigungen in Grundrechte Einl. L 60 Einteilung Einl. L 15 erkennungsdienstliche Maßnahmen Einl. L 80 Europäische Menschenrechtskonvention Einl. L 72, 96 Fingerabdrücke Einl. L 80 formale Beweisverbotslehren – Einteilung der Verbote Einl. L 133 – Einteilungen, weitere Einl. L 142 – Erhebungs- und Verwertungsverbote Einl. L 130 formal-materielle Beweisverbotslehren – faktorielle Ansätze Einl. L 146 – komplexe Ansätze Einl. L 150 – Wesen Einl. L 144 Funktionslehre Einl. L 18, 128 Gefahrenabwehr, polizeiliche Einl. L 63 genetischer Fingerabdruck Einl. L 102 gesetzliche Grenzen außerhalb der StPO Einl. L 13 gesetzliche Grenzen in der StPO Einl. L 12 gesetzliche Grundlagen Einl. L 16 als Grenze des Beweises Einl. L 11 ff. Heilungsmöglichkeit Einl. L 136 Hinweispflichten Einl. L 57 informationelle Selbstbestimmung Einl. L 101 Interessenabwägung Einl. L 60 f. Lehre von der Eigenständigkeit Einl. L 128 Lehre von der Eigenständigkeit, Wege Einl. L 129 Lehren, Wege zur Gewinnung Einl. L 128 f. Lichtbilder Einl. L 80, 100 Menschenwürde Einl. L 73 ff. Mündlichkeitsgrundsatz Einl. L 66 f. Nemo-tenetur-Grundsatz Einl. L 57, 78 Privatsphäre als Persönlichkeitsrecht Einl. L 81 Privatsphäre außerhalb des Kernbereichs Einl. L 95

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Privatsphäre, Eingriffe Einl. L 81 ff. Prozessgrundsätze bez. Sachverhaltsermittlung Einl. L 66 Rechtsanwendung, Methode Einl. M 28 Rechtskreistheorie des Reichsgerichts Einl. L 20 ff., 54, 62 in der Rechtsprechung Einl. L 18 ff. Rechtsprechung, Kritik und Defizite Einl. L 119 Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens Einl. L 73 Sachverhaltsermittlung, Vorschriften der Einl. L 63 Schrifttum, Beweisverbotslehren Einl. L 128 ff. Schutzzweck Einl. L 57, 148 ff., 158 ff. Schutzzweck der Norm Einl. L 151 Schutzzwecklehren Einl. L 148 Selbstgespräch Einl. L 88 Stellungnahme des Verfassers siehe unten Strafverfolgungsinteresse, Vorrang Einl. L 45 Tagebuchaufzeichnungen Einl. L 90 Täuschung Einl. L 30 Telekommunikationsüberwachung Einl. L 77 Tonbandaufzeichnungen Einl. L 90, 96 Umfang Einl. L 14 Unmittelbarkeitsmaxime Einl. L 66 f. verdeckter Ermittler Einl. L 69, 115 Verfassungs- und Strafverfahrensrecht Einl. L 70 verfassungsrechtliche Verbote Einl. L 70 ff. Verhörspersonen, richterliche/nichtrichterliche Einl. L 45 Verstöße gegen StPO-Regeln Einl. L 37 ff. Verteidigung, Gewährleistung Einl. L 96 V-Leute Einl. L 69, 115 Wahrheitserforschung im Strafverfahren Einl. H 31 Wahrheitsfindung Einl. L 11 Widerspruch als Voraussetzung – Begründung der Rechtsprechung Einl. L 33 – Umfang Einl. L 31 – Widerspruchsfälle Einl. L 28 – Zeitpunkt Einl. L 31 Wohnraumüberwachung Einl. L 81, 90 Zeuge vom Hörensagen Einl. L 68 Zeugenbelehrung, fehlerhafte/unterlassene Einl. L 37 ff. Zeugnisverweigerungsrechte Einl. L 49 Zufallsfunde Einl. L 75

Sachregister Beweisverbot, Dreisphärentheorie Abgrenzung der Sphären Einl. L 85 ff. Arbeitsplatz Einl. L 85 Außenbereich Einl. L 85 Intimsphäre ohne Sozialbezug Einl. L 86 Kernbereich Einl. L 86 Selbstgespräch Einl. L 88 Sozialbezug, Art und Intensität Einl. L 88 Sozialbezug, Begriff Einl. L 87 Stellungnahme des Verfassers Einl. L 89 ff. Tonbandaufzeichnungen Einl. L 90, 96 Übersicht Einl. L 83 Beweisverbot, Stellungnahme des Verfassers Ausgangspunkt Einl. L 155 Beruhenselement Einl. L 179 Beschwer des Angeklagten Einl. L 174 bisherige Diskussion Einl. L 155 DNA-Probe/Blutprobe Einl. L 185 Fehlen des finalen Zusammenhangs Einl. L 184 Fehlen des realen Zusammenhangs Einl. L 180 Fernwirkungsverbot Einl. L 186 Fragestellung, entscheidende Einl. L 156 gesetzgeberische Maßnahmen Einl. L 187 kriminalpolitische Gesichtspunkte Einl. L 165 f. Revisibilität von Verstößen Einl. L 177 ff. Revisibilität, Bedeutung Einl. L 177 Revision Einl. L 177 ff., 187 Verstoß gegen Rechtsordnung, Feststellung Einl. L 165 Verstoß gegen Rechtsordnung, Umfang Einl. L 160, 169 ff. Verstoß gegen Rechtsordnung, Wirkung Einl. L 169 Beweisverwertungsverbot ausländisches Recht, Geltung im Strafverfahren Einl. D 40, 78 Dreistufentheorie des BVerfG Einl. L 112 Erkenntnisse Privater (auf Initiative der Behörden) Einl. L 115 Erkenntnisse Privater (Eigeninitiative) Einl. L 112 faires Verfahren, Recht auf Einl. I 42, 116 Fernwirkungen Einl. L 105 Freibeweis Einl. L 116 Nachweis, verfahrensrechtlicher Einl. L 117 Privatpersonen Einl. L 112 rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) Einl. I 94 rechtmäßige Beweisgewinnung, Möglichkeiten Einl. L 116

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Reichweite Einl. L 105 ff. Spitzeltätigkeit auf Initiative der Strafverfolgungsbehörden Einl. L 115 Spitzeltätigkeit aufgrund privater Initiative Einl. L 112 Telekommunikationsüberwachung Einl. L 110 verdeckter Ermittler Einl. L 115 verfassungsrechtliche Grundlagen des Verfahrens Einl. H 5 V-Leute Einl. L 115 Beweiswürdigung, freie richterliche Allgemeines siehe Prozessmaximen Ausnahmen Einl. I 41 Bedeutung Einl. I 39 Beschuldigtenrechte, Gewährleistung Einl. J 92 Beweisregeln, gesetzliche Einl. I 39 Beweisverwertungsverbote Einl. I 42 Denkgesetze Einl. I 41 Ermittlungsverfahren Einl. I 40 freibeweisliche Ermittlungen Einl. I 40 Grenzen Einl. I 41 Inhalt Einl. I 39 Rechtsmittelverfahren Einl. I 40 Reichweite Einl. I 39 Tatsachengrundlage Einl. I 46 Verdacht Einl. I 43 ff. Verdachtsformen Einl. I 47 Wahrscheinlichkeitsgrade Einl. I 46 wissenschaftliche Erkenntnisse Einl. I 41 Bild- und Tonaufzeichnung Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 100, 161 Binnenschifffahrt Gerichtsstand Vor 7 9, 15 Briefkasten siehe Fristwahrung Bundesflagge Gerichtsstand bei Schiffen 10 4 f. Bundesgerichtshof (allgemein) Ablehnung eines Richters, entscheidendes Gericht 27 11 ff., 24 Beweise, Geltung ausländischer Einl. D 133 Beweisverbot/Beweisverwertungsverbot siehe dort Fristwahrung Vor 42 11, 24 Gerichtsstand, Bestimmung durch den BGH 13a 1 ff. Verwirkung wegen Rechtsmissbrauchs Einl. H 69 Zuständigkeit des Gerichts 1 4 Bundeskriminalamt Rechtsquellen des Strafverfahrens Einl. C 9

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Sachregister

Bundesnachrichtendienst Rechtsquellen des Strafverfahrens Einl. C 21 Bundesverfassungsgericht Ablehnung eines Richters, unzulässige 26a 25 Analogieverbot Einl. M 47 ausländisches Recht, Geltung im Strafverfahren Einl. D 84 ff. Befangenheit 24 11 Beweiserhebungsverbote/-verwertungsverbote siehe dort Dreisphärentheorie (Beweisverbote) Einl. L 83 ff. europäischer Haftbefehl Einl. M 49a Bundeszentralregister Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 17, 105 Rechtsquellen des Strafverfahrens Einl. C 9 Bußgeldverfahren siehe Ordnungswidrigkeitenverfahren Daten, elektronisch gespeicherte Aufbewahrung 41a 23 ff. ausländisches Recht, Geltung im Strafverfahren Einl. D 129 ff. Datenabgleich Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 41 Datenschutz Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 152 Deutsche Demokratische Republik (DDR) Geschichte/Reformbestrebungen siehe dort Nichtigkeit von Entscheidungen Einl. K 109 Rechtskraft/Bestandskraft von Entscheidungen Einl. K 100 Rechtsquellen des Strafverfahrens Einl. C 1 diplomatische/konsularische Vertretung Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen Vor 22 7 Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 90 Diskriminierungsverbot ausländisches Recht, Geltung im Strafverfahren Einl. D 39, 41 Disziplinarverfahren Rechtskraft/Bestandskraft von Entscheidungen Einl. K 92 Strafverfahren/Strafprozess allgemein Einl. B 55 DNA-Analyse Beweisverbot/Beweisverwertungsverbot Einl. L 104 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 152, 158

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Dolmetscher Ausschließung eines Richters 22 46 Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen Vor 22 7 Doppelbestrafung, Verbot (ne bis in idem) siehe Strafklageverbrauch Drogen- und Suchtberatung Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 139 Druckschriften siehe Massenmedien Durchsuchung Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) Einl. D 101 verfassungsrechtliche Grundlagen des Verfahrens Einl. H 3 Ehegatte siehe auch Angehöriger Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 67 Eidesleistung Ablehnung eines Richters, Verfahren 26 22 eidesstattliche Versicherung Ablehnung eines Richters, Verfahren 26 22 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 45 21, 23 ff. Eidesverweigerung Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 116 Einigungsvertrag Gerichtsstand Vor 7 14 Einstellung des Verfahrens (allgemein) Ausschließung eines Richters 23 15 Gerichtsstand, Bestimmung durch den BGH 13a 7 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 23 Rechtsanwendung, Methode Einl. M 55 Einstellung des Verfahrens, vorläufige Verbindung/Trennung von Strafsachen 2 25 Zuständigkeitskonkurrenz der Gerichte 12 12 f., 20 Einziehungs-/Verfallsverfahren (allgemein) Ablehnung eines Richters 25 8 Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit 24 62 Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 18 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 153 Verbindung/Trennung von Strafsachen 2 17 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 46 20 Zuständigkeit besonderer Strafkammern, Prüfung der 6a 6 Zustellung der unmittelbaren Ladung 38 1 Zustellung, öffentliche 40 5 elektronisches Dokument Absender des Dokuments 41a 17

Sachregister Aktenausdruck 41a 18 Anträge oder deren Begründung 41a 2 Aufbewahrung der Akten 41a 23 Aufbewahrungsfrist 41a 25 Bedeutung der Regelung 41a 1 Dokumentationspflicht 41a 18 ff. mangelnde Eignung für die Bearbeitung 41a 9, 11 ff. Eingang bei Gericht/Staatsanwaltschaft 41a 1 ff., 10 Erklärungen oder deren Begründung 41a 2 Inhalt der Mitteilung mangelnder Eignung 41a 16 Mitteilungspflicht bei mangelnder Eignung 41a 12 Schriftform 41a 3 Schriftgut, Begriff 41a 24 Signatur, qualifizierte elektronische 41a 6 Ungeeignetheit zur Bearbeitung 41a 11 Unterzeichnung 41a 5 Verordnungsermächtigung 41a 21 Verstoß gegen Dokumentationspflicht 41a 20 Voraussetzungen 41a 2 ff. Zeitpunkt der Mitteilung mangelnder Eignung 41a 15 Zulassung anderer Verfahren 41a 8 Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 38 ff. Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 105 Entschädigungsverfahren Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 44 62 Entscheidung (gerichtliche), allgemeine Anforderungen Anforderungen im Einzelnen siehe Anhörung; Begründung; Rechtskraft; Bekanntmachung; Rechtsmittelbelehrung; Zustellung Anordnung, Begriff Vor 33 2, 7 Befehl, Begriff Vor 33 7 Beschluss, Begriff Vor 33 5 Entscheidung, Begriff Vor 33 2; 33 4 ff. gerichtsinterne Entscheidungen Vor 33 2; 33 7 gesetzliche Regelungen Vor 33 1 Inhalt der allgemeinen Vorschriften Vor 33 1 prozessleitende Verfügungen Vor 33 2; 33 7 Reformfragen Vor 33 9 f. staatsanwaltschaftliche Entscheidungen Vor 33 8 Strafbefehl, Begriff Vor 33 4 Urteil, Begriff Vor 33 3 Verfügung, Begriff Vor 33 5

Erm

Entziehung der Fahrerlaubnis Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 151 Rechtskraft, Beschluss bei angefochtener Entscheidung 34a 5 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 46 19 Entziehung der Fahrerlaubnis, vorläufige Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 93 Ergänzungsrichter Ablehnung eines Richters 28 13; 30 11 Ablehnung eines Richters, unaufschiebbare Maßnahmen 29 35 Ermessen Begründungspflicht für gerichtliche Entscheidungen 34 11 Gerichtsstand des Zusammenhangs 13 6 ff. Gerichtsstand kraft Übertagung 15 14 Verbindung/Trennung von Strafsachen 2 2, 8, 10, 12; 4 24, 26, 31 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 47 1 Zuständigkeitskonkurrenz der Gerichte 12 27 Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 26 Ermittlung, verdeckte mit technischen Mitteln Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 41 Rechtsquellen des Strafverfahrens Einl. C 24 Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft siehe auch Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft; Beteiligung am Strafverfahren Einl. J 58 ff. Ermittlungsverfahren faires Verfahren, Recht auf Einl. I 112 Fürsorgepflicht der Strafverfolgungsorgane Einl. I 128 Gerichtsstand der Presse 7 10 Gerichtsstand kraft Übertagung 15 17 Gerichtsstand, Bestimmung durch den BGH 13a 8 Gerichtsstand, Zuständigkeitsstreit 14 4 Prozessmaximen siehe dort rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) Einl. I 80 Rechtsanwendung, Methode Einl. M 73 Strafverfahren/Strafprozess allgemein Einl. B 58 Verbindung/Trennung von Strafsachen siehe dort Verhältnismäßigkeitsgebot Einl. I 99 Wahrheitserforschung im Strafverfahren Einl. H 33 Zuständigkeit des Gerichts, örtliche Vor 7 33 örtliche Zuständigkeit des Gerichts, Prüfung von Amts wegen 16 4, 11

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Erm

Sachregister

Zuständigkeitskonkurrenz der Gerichte 12 8 Ermittlungsverfahren, Zuständigkeit Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 113, 129 Eröffnungsbeschluss Ablehnung eines Richters, unaufschiebbare Maßnahmen 29 22 Ausschließung eines Richters 22 66 Befangenheit des Richters 24 46 ff. Eröffnungsverfahren Gerichtsstand des Zusammenhangs 13 16 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 98 örtliche Zuständigkeit des Gerichts, Prüfung von Amts wegen 16 6, 12 sachliche Zuständigkeit, Prüfung von Amts wegen 6 6 Erziehungsberechtigter siehe gesetzlicher Vertreter Erzwingungshaft Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 36 29 Eurojust ausländisches Recht, Geltung im Strafverfahren Einl. D 31 ff. Europäische Gemeinschaften (EG) ausländisches Recht, Geltung im Strafverfahren Einl. D 5 Europäische Kommission ausländisches Recht, Geltung im Strafverfahren Einl. D 19 ff. Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ausländisches Recht, Geltung im Strafverfahren Einl. D 1, 46 ff., 81 ff. Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) Einl. D 106 Rechtsanwendung, Methode Einl. M 37 Europäische Union ausländisches Recht, Geltung im Strafverfahren Einl. D 2 Strafverfahren/Strafprozess allgemein Einl. B 6 Europäische Verfassung ausländisches Recht, Geltung im Strafverfahren Einl. D 9 Europäischer Gerichtshof (EuGH) ausländisches Recht, Geltung im Strafverfahren Einl. D 36 ff., 94 Strafverfahren/Strafprozess allgemein Einl. B 6 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beweisverbot/Beweisverwertungsverbot Einl. L 72, 96

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Strafverfahren/Strafprozess allgemein Einl. B 6 Europäischer Rat (der EU) ausländisches Recht, Geltung im Strafverfahren Einl. D 12 ff. Europäisches Justizielles Netzwerk (EJN) ausländisches Recht, Geltung im Strafverfahren Einl. D 28 ff. Europäisches Parlament ausländisches Recht, Geltung im Strafverfahren Einl. D 19 ff. Europarat ausländisches Recht, Geltung im Strafverfahren Einl. D 4 Europol ausländisches Recht, Geltung im Strafverfahren Einl. D 21 ff. Exterritorialität siehe Immunität faires Verfahren, Recht auf (Art. 20 GG, 6 MRK, 14 IPBPR) Adressaten Einl. I 112 Allgemeines siehe Prozessmaximen angloamerikanisches Recht Einl. I 103 Bedeutung Einl. I 103 Begünstigte Einl. I 111 Beschuldigter Einl. I 113 Beweisverwertungsverbote Einl. I 116 Chancengleichheit Einl. I 117 Eigenverantwortung Einl. I 108 Einschränkungen Einl. I 110 Ermittlungsverfahren Einl. I 112 Gesetzgeber, Vorgabe Einl. I 120 Gleichheitssatz (Art. 3 GG) Einl. I 119 Grenzen Einl. I 110 Grundsatz Einl. I 103 Inhalt Einl. I 107 Missbrauch Einl. I 109 Revision Einl. I 116 Strafzumessung Einl. I 116 Teilhabe- und Abwehrrechte Einl. I 107 Verfassungsbeschwerde Einl. I 115 Verstöße Einl. I 114 Verteidiger Einl. I 113 Waffengleichheit Einl. I 117 Fernmeldeüberwachung siehe Telekommunikationsüberwachung Fernschreiben Fristwahrung Vor 42 29 Festnahme, Ausschreibung zur Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 41 Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 GG)

Sachregister verfassungsrechtliche Grundlagen des Verfahrens Einl. H 3 Freiheitsentziehung Bekanntmachung der gerichtlichen Entscheidung 35 24 ff. Fristwahrung Aktennotiz Vor 42 27 Allgemeines Vor 42 1 Ausschlussfristen Vor 42 5 Berufungsbegründung, Versäumen der Vor 42 34 Briefannahmestelle Vor 42 22 Briefkasten Vor 42 19 Briefkasten, gemeinsamer Vor 42 21 Eingang bei unzuständiger Stelle Vor 42 15, 23 Eingang elektronischer Dokumente siehe Elektronisches Dokument, Eingang bei Gericht/StA elektronischer Rechtsverkehr Vor 42 33 fernmündliche Erklärung Vor 42 8 fernmündliche Protokollaufnahme Vor 42 10 Fernschreiben Vor 42 29 Frist, Begriff Vor 42 1 ff. Geltungsbereich des Strafverfahrensrechts Einl. E 21 Handlungsfristen Vor 42 3 in der Hauptverhandlung Vor 42 7 Kenntnisnahme durch Gericht/StA Vor 42 14 Kritik Vor 42 37 mündliche Erklärung Vor 42 6 Nachtbriefkasten Vor 42 20 Niederschrift durch die Geschäftsstelle Vor 42 8 Ordnungswidrigkeitenverfahren Vor 42 11 Postschließfach Vor 42 25 Rechtsmittelverfahren Vor 42 12 schriftliche Erklärungen Vor 42 13 ff. Telebrief Vor 42 30 Telefax Vor 42 31 Telegramm Vor 42 26 Übergabe gegen Einlieferungsschein Vor 42 18 Versäumen der Frist Vor 42 34 Wahrung der Erklärungsfrist Vor 42 6 ff. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Vor 42 35 siehe im Einzelnen dort Zwischenfristen Vor 42 2 Fristwahrung, Tagesfristen Anwendungsbereich 42 1 Datumsnennung (richterliche Frist) 42 4 Ende der Frist 42 3 richterliche Fristen 42 2

gen

Stundenfristen 42 6 Zwischenfristen 42 5 Fristwahrung, Wochen- und Monatsfristen Antrag auf gerichtliche Entscheidung 43 9 Berechnung der Fristen 43 2 besondere Fristen 43 9 Feiertage 43 6 Feiertage, allgemeine 43 8 Feiertage, mehrere 43 7 Mehrzahl von Fristen 43 5 Monatsfrist 43 4 Strafantrag 43 10 Verjährungsfrist 43 10 Wochenende 43 6 Wochenfrist 43 3 Fürsorgepflicht der Strafverfolgungsorgane Abgrenzungen Einl. I 121 Adressaten Einl. I 128 Allgemeines siehe Prozessmaximen Bedeutung Einl. I 121 Berechtigte Einl. I 127 Fairnessprinzip Einl. I 121 Funktion Einl. I 122 Grenzen Einl. I 126 Grundsatz Einl. I 121 Inhalt Einl. I 124 Subsidiarität Einl. I 123 Überraschungsentscheidungen Einl. I 124 Verteidigungsverhältnis Einl. I 126, 128 Gefahr im Verzug Untersuchungshandlungen bei Unzuständigkeit 21 4 Gefahrenabwehrrecht Rechtsanwendung, Methode Einl. M 32 Gegenvorstellung Ablehnung eines Richters 25 12, 25 Ablehnung eines Richters, unzulässige 26a 36 Geldbuße gegen jur. Personen/Personenvereinigungen Ablehnung eines Richters 24 62; 25 8 Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 18 Verbindung/Trennung von Strafsachen 2 17 Zuständigkeit besonderer Strafkammern, Prüfung der 6a 6 Zustellung der unmittelbaren Ladung 38 1 Generalbundesanwalt elektronisches Dokument, Eingang 41a 23 genetischer Fingerabdruck siehe auch DNA-Analyse Beweisverbot/Beweisverwertungsverbot Einl. L 102 ff.

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Ger

Sachregister

Gericht Amtsgericht Einl. J 22 Aufbau der Strafgerichte Einl. J 21 Beteiligte, dem Richter zugeordnete Einl. J 36 ff. Bundesgerichtshof Einl. J 22 Einzelrichter Einl. J 22 elektronisches Dokument, Eingang 41a 1 ff. Entscheidung, allgemeine Anforderungen siehe Anhörung; Begründung; Rechtskraft; Bekanntmachung; Rechtsmittelbelehrung; Zustellung; Gerichtshilfe Einl. J 36 Gerichtsverfassung, Entwicklung Einl. J 23 Jugendgericht Einl. J 22 Kollegialgerichte Einl. J 22 Laienbeteiligung Einl. J 27 ff. Landgericht Einl. J 22 Oberlandesgericht (Kammergericht) Einl. J 22 Rechtsmittelspruchkörper Einl. J 25 Rechtspfleger Einl. J 37 Schöffen, Rechtsstellung Einl. J 35 Urkundsbeamter der Geschäftsstelle Einl. J 38 Zuständigkeit, örtliche siehe Gerichtsstand Zuständigkeit, sachliche siehe dort Zuständigkeiten allgemein Einl. J 21 Zuständigkeitsabgrenzung allgemein Einl. J 24 Zuständigkeitsabgrenzung, Merkmale Einl. J 24 Zuständigkeitskonflikte Einl. J 26 Gerichtsbarkeit, deutsche Gerichtsstand, Bestimmung durch den BGH 13a 1 Nichtigkeit von Entscheidungen Einl. K 120 Gerichtsferien Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 151 Gerichtshilfe Beteiligung am Strafverfahren Einl. J 36, 62 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 111 Gerichtsstand (allgemein) Änderung der Gerichtseinteilung Vor 7 12 Anfechtbarkeit der Entscheidung Vor 7 32 Aufenthalt, gewöhnlicher – Dauer 8 4 – freiwilliger Aufenthalt 8 4 – mehrere Orte 8 6 – ohne Wohnsitz 8 3 – Steuerstrafsachen 8 5 – Zeitpunkt für Bestimmung 8 8

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ausschließlicher besonderer Vor 7 9 Binnenschifffahrtssachen Vor 7 9, 15 Einigungsvertrag Vor 7 14 Entscheidung über Zuständigkeit Vor 7 31 im Ermittlungsverfahren Vor 7 33 fehlende Zuständigkeit siehe Gerichtsstand, Bestimmung durch den BGH Gefahr im Verzug – Bedeutung der Vorschrift 21 1 – Begriff 21 4 – Gericht, handelndes 21 3 – Verfahrensstadium 21 2 – weitere Verfügungen 21 4 gemeinschaftliches oberes Gericht Vor 7 31 gesetzliche Regelungen Vor 7 2 Hauptgerichtsstände Vor 7 4 in Jugendsachen Vor 7 8, 17 Konzentrationszuständigkeit Vor 7 13, 18, 29 Küstengewässer 10a 2 Meer (ohne sonstigen Gerichtsstand) 10a 1 f. örtliche Zuständigkeit Vor 7 1 ff. Rechtsmittelgerichte Vor 7 28 Rhein-/Moselschiffahrtsgericht Vor 7 10, 15 Rundfunksendungen Vor 7 11 Staatsanwaltschaft, Wahlrecht Vor 7 19 ff. Staatsschutzsachen Vor 7 29 Steuerstrafsachen Vor 7 16 subsidiärer Vor 7 6 Suchtstoffübereinkommen 10a 1 f. Umweltstraftaten 10a 2 Untersuchungshandlungen bei Unzuständigkeit – Aufhebung 20 7 – einzelne 20 4 – Gefahr im Verzug 21 1 ff. – Gültigkeit 20 5 – Mündlichkeitsprinzip 20 6 – offenkundiger Mangel 20 3 – örtliche Unzuständigkeit 20 1 – sachliche Unzuständigkeit 20 2 – schwerer Mangel 20 3 – Strafvollstreckungssachen 20 2 – Strafvollzugssachen 20 2 – Unmittelbarkeitsprinzip 20 6 – Verfahrensgrundsatz, allgemeiner 20 1 Unzuständigkeit des Gerichts, Folgen 20 1 ff.; 21 1 ff. Verfassungsmäßigkeit des Wahlrechts Vor 7 20 ff. Verhinderung des zuständigen Gerichts siehe Gerichtsstand kraft Übertragung Wohnsitz, letzter 8 7 des Wohnsitzes

Sachregister – Anwendbarkeit 8 1 – Begriff 8 2 – Zeitpunkt für Bestimmung 8 8 nach Zurückverweisung Vor 7 30 Zuständigkeit der Finanzbehörde Vor 7 34 Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Vor 7 34 sachliche Zuständigkeit des Gerichts siehe Zuständigkeit des Gerichts örtliche Zuständigkeit des Gerichts allgemein Vor 1 1 Gerichtsstand bei Luftfahrzeugen Anwendbarkeit 10 2 Bedeutung der Vorschrift 10 1 Begründung 10 10 f. Flughafen, zuerst erreichter 10 11 Geltungsbereich der StPO 10 3 Heimatflughafen 10 10 Luftfahrzeuge 10 6 Notlandung 10 11 Gerichtsstand bei Schiffen Anwendbarkeit 10 1 Bedeutung der Vorschrift 10 1 Begründung 10 7 ff. Binnenschifffahrt; Rhein-/Moselschifffahrt Vor 7 9 f., 15; 10 1 ff. Bundesflagge 10 4 f. Geltungsbereich der StPO 10 3 Geltungsbereich des Strafverfahrensrechts Einl. E 12 Hafen, erster nach Tatbegehung 10 8 Heimathafen 10 7 Schiffbruch 10 9 Wasserfahrzeuge 10 4 Zuständigkeit des Gerichts siehe Gerichtsstand Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 30, 64 Gerichtsstand der Presse allgemein Vor 7 5 analoge Anwendung 7 12 ff. Anwendungsbereich 7 11 ff. Beleidigungsdelikte 7 23 ff. Druckschriften 7 11 Ermittlungsverfahren 7 9 Erscheinungsort 7 19 Geltungsbereich 7 8 Presseinhaltsdelikte 7 18 Privatklage 7 9, 23 ff. Regelungsgehalt 7 7 Rundfunk-/Fernsehsendungen 7 12, 22, 25 Staatsanwaltschaft, Zuständigkeit 7 27 Urheberrecht 7 18 Verbreitungsort 7 24

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Gerichtsstand des Ergreifungsortes Anwendbarkeit 9 1 Begründungslast der Staatsanwaltschaft 9 2 Dauer 9 9 Ergreifung, Begriff 9 4 Ermessensfehler 9 3 Haftbefehl 9 4 Haftsachen 9 12 Identitätsfeststellungsverfahren 9 7 Reichweite 9 9 Sachbezug 9 11 Wiederergreifung 9 9 Zweckmäßigkeit 9 10 Gerichtsstand des Tatortes Anschlussdelikte 7 6 Mehrheit von Tatorten 7 3 ff. Ort der Tatbegehung 7 1 Tatverdacht, hinreichender 7 1 Gerichtsstand des Zusammenhangs Anwendungsbereich 13 2 Aufhebung der Verbindung – Anfechtbarkeit 13 28 – Bedeutung 13 23 – Entscheidung durch das gemeinschaftliche obere Gericht 13 26 – Vereinbarung 13 25 – Verfahren 13 25 – Voraussetzungen 13 24 – Wirkungen 13 27 Auswahl der Gerichtsstandes 13 6 Bedeutung der Regelung 13 1 Entstehung 13 3 Erlöschen des Zusammenhangs 13 9 Ermessen der Staatsanwaltschaft 13 6 Konzentrationszuständigkeit 13 5 Missbrauchskontrolle 13 7 Sonderzuständigkeit 13 5 Trennung verbundener Sachen siehe oben Aufhebung der Verbindung Verbindung nach Anhängigkeit – Abgabe im Eröffnungsverfahren 13 16 – Anfechtbarkeit 13 20 ff. – Antragserfordernis 13 14 – Bedeutung 13 10 – Begründung der Entscheidung 13 18 – Bekanntmachung der Entscheidung 13 18 – Dauer 13 19 – Entscheidung durch das gemeinschaftliche obere Gericht 13 17 – Gerichte gleicher Ordnung 13 12 – Rechtsmittelverfahren 13 13 – Vereinbarung 13 15 – Verfahrensstadium 13 13 – Voraussetzungen 13 11

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Sachregister

Voraussetzungen 13 4 ff. Zusammenhang 13 4 Gerichtsstand für deutsche Beamte im Ausland Anwendbarkeit 11 4 Beamte 11 2 exterritoriale Deutsche 11 1 Konsul, Wahlkonsul 11 3 Gerichtsstand kraft Übertagung Anfechtbarkeit 15 21 Anwendungsbereich 15 3 Auswahl des neuen Gerichts 15 13 Auswahlermessen 15 14 Bedeutung der Vorschrift 15 1 Bindungswirkung 15 19 Entscheidungskompetenz 15 10 Ermittlungsverfahren 15 17 Fehlen eines Auffangspruchkörpers 15 8 Gefährdung der öffentlichen Sicherheit 15 9 Hauptverfahren 15 18 Übertragungspflicht 15 12 Umfang der Übertragung 15 15 Unzuständigerklärung 15 11 Verfassungsmäßigkeit 15 1 Verhinderung des Angeklagten 15 7 Verhinderung des zuständigen Gerichts 15 4 Verhinderung, rechtliche 15 5 Verhinderung, tatsächliche 15 6 Voraussetzungen 15 4 ff. Wirkungen 15 16 Zuständigkeitskonkurrenz 15 20 Gerichtsstand, Bestimmung durch den BGH Anfechtbarkeit 13a 14 nach Anhängigkeit 13a 10 Anlass des Bestimmungsverfahrens 13a 11 Bedeutung der Vorschrift 13a 1 f. Dauer der Bestimmung 13a 13 deutsche Gerichtsbarkeit 13a 1 Einstellung des Verfahrens 13a 7 Entscheidung 13a 12 nicht ermittelter Gerichtsstand 13a 5 Ermittlungsverfahren, Beginn 13a 8 Fehlen eines Gerichtsstandes 13a 4 Gegenstand der Bestimmung 13a 3 Katalogtat nach § 120 Abs. 1 GVG 13a 9 Rechtshilfesache 13a 2 Unzulässigkeit des Verfahrens, evidente 13a 6 Verfahren 13a 8 ff. Voraussetzungen 13a 3 ff. bei Wiederaufnahme 13a 10 Zeitpunkt der Bestimmung 13a 8 Gerichtsstand, Prüfung von Amts wegen Anfechtbarkeit (Berufung) 16 17 Anfechtbarkeit (Beschwerde) 16 15 f. Anfechtbarkeit (Revision) 16 18

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Anwendbarkeit, Einschränkungen 16 2 Bedeutung der Vorschrift 16 1 besondere Strafkammern siehe Zuständigkeit besonderer Strafkammern, Prüfung der Einwand des Angeklagten 16 7 f. Ermittlungsverfahren 16 4 Hauptverfahren 16 7 örtliche Zuständigkeit 16 4 ff. Rechtsmittelgerichte 16 3 Sperrwirkung 16 19 Unzuständigkeit des Rechtsmittelgerichts 16 20 Unzuständigkeitserklärung 16 13 Unzuständigkeitserklärung, Rechtskraft 16 19 Verfahren 16 9 Verfahren im Ermittlungsverfahren 16 11 Verfahren im Hauptverfahren 16 14 Verfahren im Zwischenverfahren 16 12 Verweisung durch unzuständiges Gericht 16 10 Zwischenverfahren 16 6 Gerichtsstand, Zuständigkeitskonkurrenz anderweitige Rechtshängigkeit 12 12 Arten der Zuständigkeit 12 4 Bedeutung der Vorschrift 12 1 definitive Zuständigkeit 12 7 Einstellung des Verfahrens 12 12 f. Entscheidungsfindung 12 10 Ermittlungsverfahren 12 8 Eröffnung der Untersuchung 12 5 Festlegung 12 9 Gewohnheitsrecht 12 15 Staatsanwaltschaft, Wahlrecht 12 6 Übertragung der Sache 12 22 ff. – Anfechtbarkeit 12 31 – Antragsfreiheit 12 26 – besondere Verfahrensarten 12 24 – Ermessensentscheidung 12 27 – Funktion 12 22 – Rückübertragung 12 28 – Voraussetzungen 12 23 – Wirkungen 12 29 – Zuständigkeit der Gerichte 12 25 umfassendere Aburteilungsmöglichkeit 12 15 Urteil, rechtskräftiges 12 14 Verfahren 12 19 Verfahrensarten, besondere 12 6 vollständigere Aburteilungsmöglichkeit 12 15 Wirkungen 12 11 ff. Zuständigkeit mehrerer Gerichte 12 3 Gerichtsstand, Zuständigkeitsstreit Anfechtbarkeit 14 9

Sachregister Anwendungsbereich der Vorschrift 14 1 Entscheidung 14 8 Erledigung durch Rechtsmittel 14 6 Ermittlungsverfahren 14 4 Führungsaufsicht 14 2 Justizverwaltungsaufgaben 14 2 negativer Kompetenzkonflikt 14 3 – Anwendungsbereich der Vorschrift 19 1 – bei sachlicher Zuständigkeit 19 3 – Stillstand des Verfahrens 19 3 – Verfahren 19 6 – Voraussetzungen 19 4 Rechtspfleger 14 2 richterliche Tätigkeit 14 2 sachliche Zuständigkeit 14 3 Spruchkörper desselben Gerichts 14 3 bei Unzuständigkeitserklärungen siehe oben: negativer Kompetenzkonflikt Verfahren 14 7 Verfahrensstadium 14 4 Vollstreckungsverfahren 14 4 Voraussetzungen 14 5 ff. Gerichtsvollzieher Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen Vor 22 7 Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 23, 30 Zustellung der unmittelbaren Ladung 38 2 ff. Geschäftsstelle Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 36 11; 37 26, 82 Geschäftsverteilung Ablehnung eines Richters, entscheidendes Gericht 27 17 Zuständigkeit des Gerichts Vor 1 4 Geschichte, Bundesrepublik (seit 1950) „Kleine Strafprozessreform“ durch das StPÄG 1964 Einl. F 95 ff. Absprachen zwischen Prozessbeteiligten Einl. F 135 Abwesenheitsverfahren Einl. F 111 Amtsgericht, Sanktionsgewalt Einl. F 103 Behinderte, Verständigungshilfen Einl. F 162 Berufsverbot, vorläufiges Einl. F 111 Beschlagnahme Einl. F 153 beschleunigtes Verfahren Einl. F 149 Beweismittel, Verwendung präsenter Einl. F 121 Bild- und Tonaufnahmen in der Verhandlung Einl. F 100, 161 Bundeszentralregistergesetz Einl. F 105 Datenschutz Einl. F 152 DNA-Analyse Einl. F 152, 158

Ges

Drogen-, Suchtberatung Einl. F 139 Eidesverweigerung Einl. F 116 Einführungsgesetz zum OWiG (1968) Einl. F 104 Eingriffsermächtigungen Einl. F 158 Einziehung/Verfall Einl. F 153 Entlastung der Justiz (2004) Einl. F 159 Entlastung der Justiz, nicht verwirklichte (1998) Einl. F 156 Entlastung der Rechtspflege, Gesetz zur Einl. F 143 Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen Einl. F 105 Entwicklungslinien Einl. F 88 Entziehung der Fahrerlaubnis Einl. F 151 Entziehung der Fahrerlaubnis, vorläufige Einl. F 93 Ermittlungsverfahren, Zuständigkeiten Einl. F 113, 129 Eröffnungsverfahren, Neugestaltung Einl. F 98 europäisch veranlasste Änderungen Einl. F 163 europäischer Haftbefehl Einl. F 163 Fernmeldeüberwachung Einl. F 104, 139 Fortführung alter Verfahren Einl. F 94 Freiheitsstrafe durch Strafbefehl Einl. F 111 Gerichtsferien, Abschaffung Einl. F 151 Gerichtshilfe Einl. F 111 Gesetzgebung bis 1964, sonstige relevante Einl. F 94 Gesetzgebung bis 1973, sonstige relevante Einl. F 105 Gesetzgebung zu GVG und StPO bis 1964 Einl. F 93 Gesetzgebung zum GVG (2000-2004) Einl. F 162 Gesetzgebung zum GVG bis 1973 Einl. F 103 Gesetzgebung zur StPO bis 1973 Einl. F 104 Haftgrund der Wiederholungsgefahr Einl. F 136 Hauptverhandlungshaft Einl. F 153 informationelle Selbstbestimmung Einl. F 152 Jugendstrafsache Einl. F 94, 116, 144 Klageerzwingungsverfahren Einl. F 93 Kontaktsperregesetz Einl. F 119 Kostenrechtsänderungsgesetz 1994 Einl. F 146 Lauschangriff, großer Einl. F 158 Mehrfachverteidigung, Verbot Einl. F 116 Modernisierung der Justiz (2004) Einl. F 159

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Sachregister

Nebenbeteiligte am Strafverfahren Einl. F 104 Opferrechte und Verletztenschutz (2004) Einl. F 161 Opferschutz (1986) Einl. F 155 Opferschutzgesetz (1986) Einl. F 125 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) 1968 Einl. F 105 Ordnungswidrigkeitenverfahren Einl. F 156 Organisierte Kriminalität, Gesetz gegen die (1992) Einl. F 133, 139 Organisierte Kriminalität, Gesetz gegen die (1998) Einl. F 154 Präsidialverfassung Einl. F 103 Presse/Rundfunk, Zeugnisverweigerung Einl. F 118 Protokollierung Einl. F 122 rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) Einl. F 98 Rechtsmittelbelehrung Einl. F 93 Rechtsmittelrecht Einl. F 109, 129 Reform durch EGStGB 1974, 1. StVRG und ErgG Einl. F 110 ff. Schlussanhörung/-gehör Einl. F 113 Schöffengericht, erweitertes Einl. F 93 Schwurgericht, Beseitigung Einl. F 113 Selbstleseverfahren Einl. F 121 Sicherungsbeschlagnahme Einl. F 111 Sicherungsverfahren Einl. F 111 Staatsanwaltschaft, Zuständigkeiten Einl. F 113 Staatsschutzsachen Einl. F 103 Staatsschutz-Strafkammer Einl. F 93 Strafbefehlsverfahren, Freiheitsstrafe Einl. F 111, 128 Strafklageverbrauch Einl. F 163 Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 Einl. F 120 Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 Einl. F 127 Strafverfügungsverfahren Einl. F 111 Strafvollstreckungskammer Einl. F 111 Telekommunikationsüberwachung Einl. F 158 Terrorismusbekämpfung Einl. F 90, 108, 117, 119, 124, 132 Übersicht Einl. F 88 Übersicht, Zeit von 1950 bis 1964 Einl. F 93 f. Übersicht, Zeit von 1965 bis 1973 Einl. F 102 ff. Übersicht, Zeit von 1974 bis 1987 Einl. F 106 ff. Übersicht, Zeit von 1975 bis 1978 Einl. F 118

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Übersicht, Zeit von 1979 bis 1986 Einl. F 123 Übersicht, Zeit von 1987 bis 1990 Einl. F 136 Übersicht, Zeit von 1987 bis 1998 Einl. F 131 ff. Übersicht, Zeit von 1991 bis 1994 Einl. F 139 Übersicht, Zeit von 1995 bis 1998 Einl. F 151 ff. Übersicht, Zeit von 1999 bis 2005 Einl. F 157 ff. Untersuchungshaft Einl. F 98, 104 Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 Einl. F 147, 153 Verfall, erweiterter Einl. F 140 Verfassungsschutz Einl. F 148 Vermögensstrafe Einl. F 140 Verteidigerstellung Einl. F 98, 128 Wiederaufnahme des Verfahrens Einl. F 113, 151 Wiedervereinigung siehe Geschichte, DDR Wirtschaftsstrafkammer Einl. F 103, 121 Wohnraumüberwachung Einl. F 154 Zeuge, Kronzeugengesetz Einl. F 137, 150 Zeugenschutz Einl. F 116, 122, 155 Zeugnisverweigerungsrechte Einl. F 93, 151, 160 Zwangsmaßnahmen Einl. F 158 Geschichte, DDR Allgemeines Einl. F 164 Gerichtsverfassung, allgemeine Einl. F 173 Gerichtsverfassungsgesetz 1952 Einl. F 173 Gerichtsverfassungsgesetz 1963 Einl. F 174 Kassation Einl. F 170, 182, 188 Rechtsmittelsystem Einl. F 182 Rechtspflegeerlass 1963 Einl. F 172 Staatsanwaltschaft Einl. F 178 Staatsanwaltschaftsgesetz 1952 Einl. F 179 Strafprozessordnung 1968 Einl. F 183 Strafverfahren Einl. F 181 Übersicht Einl. F 164 Übersicht, Zeit von 1945 bis 1949 Einl. F 169 Übersicht, Zeit von 1949 bis 1990 Einl. F 171 Waldheim-Prozesse Einl. F 168 Wiedervereinigung, Allgemeines Einl. F 184 Wiedervereinigung, Übergangsregelungen Einl. F 186 Geschichte, Deutsches Reich (bis 1918) Beschleunigung des Verfahrens Einl. F 23 Einstellung des Verfahrens Einl. F 23 Gesetzgebung, sonstige relevante Einl. F 17

Sachregister Jugendstrafsachen Einl. F 22 Laienbeteiligung Einl. F 21 Reformbemühungen, Bewertung Einl. F 24 Reformentwurf 1908/1909 Einl. F 20 ff. Reformkommission 1903 Einl. F 19 Reformvorstöße, isolierte Einl. F 18 Schöffen Einl. F 21 Schwurgerichte Einl. F 21 StPO und GVG Einl. F 16 Strafregister, Einführung Einl. F 17 Übersicht Einl. F 15 Geschichte, Entstehung von StPO und GVG Auslagenerstattung Einl. F 14 Beratungsverlauf bei der StPO Einl. F 8 Beratungsverlauf beim GVG Einl. F 10 Beschlagnahme Einl. F 14 Beweiserhebung Einl. F 14 Durchsuchung Einl. F 14 Gesamtreform, Bemühungen Einl. F 3 inhaltliche Kontroversen Einl. F 11 Klageerzwingungsverfahren Einl. F 14 Laienbeteiligung Einl. F 12 notwendige Verteidigung Einl. F 14 Privatklage Einl. F 14 Quellen Einl. F 7 Rechtsmittel Einl. F 13 Verteidigerstellung Einl. F 14 Vorgeschichte Einl. F 5 Zeugnisverweigerungsrechte Einl. F 14 Geschichte, Nachkriegsdeutschland (19451950) Besatzungsrecht Einl. F 77 Besetzung der Gerichte Einl. F 80 Grundgesetz Einl. F 81 Gründung der Bundesrepublik Einl. F 81 Justizhoheit Einl. F 77 Kontrollratsgesetze Einl. F 78 sowjetische Besatzungszone Einl. F 75 Übersicht Einl. F 74 Vereinheitlichungsgesetz Einl. F 83 Vereinheitlichungsgesetz, Neuerungen Einl. F 87 westliche Besatzungszonen Einl. F 79 Wiederherstellung der Rechtseinheit Einl. F 81 ff. Geschichte, Nationalsozialismus (1933-1945) Analogieverbot, Beseitigung Einl. F 61 Entwicklungslinien Einl. F 49 Erlass des Führers zur Vereinfachung der Rechtspflege Einl. F 72 friedensrichterliches Verfahren Einl. F 67 Gerichtsbesetzung Einl. F 54, 70 Gerichtsverfassung, allgemeine Einl. F 53 Gesamtreform, Bemühungen Einl. F 62 ff. Gewohnheitsverbrecher Einl. F 60

ges

Haftprüfungsverfahren, Beseitigung Einl. F 61 Maßregeln der Besserung und Sicherung Einl. F 60 Militärgerichtsbarkeit Einl. F 53 Nichtigkeitsbeschwerde Einl. F 71 Präsidialverfassung, Aufhebung Einl. F 54 Rechtsmittel Einl. F 68 Reformentwurf von 1939 Einl. F 64 Reformentwurf von 1939, Inhalt Einl. F 67 Regelungstechnik Einl. F 52 Sondergerichte Einl. F 55 Strafprozesskommission, amtliche Große Einl. F 65 Strafverfahrensrecht, allgemeines Einl. F 59 Übersicht Einl. F 46 Übersicht, Zeit von 1933 bis 1939 Einl. F 53 ff. Übersicht, Zeit von 1939 bis 1945 Einl. F 47, 69 Volksgerichtshof Einl. F 55 Zustellungswesen Einl. F 60 Geschichte, Weimarer Zeit (1918-1932) Bemühungen um umfassende Reform Einl. F 30 Einsparungsmaßnahmen nach 1930 Einl. F 43 Emminger Reform 1924 Einl. F 36 Gerichtsorganisation und -besetzung Einl. F 37 Gesetzgebung zu GVG und StPO Einl. F 34 Legalitätsprinzip, Durchbrechungen Einl. F 39 Rechtsmittelverfahren Einl. F 38 Rechtspflege und Verwaltung (4. AusnVO) Einl. F 44 Reform durch EGStGB 1930 Einl. F 41 Sicherung inneren Friedens Einl. F 45 Sondergerichte und -verfahren Einl. F 35 Strafgerichtshof zum Schutz der Republik Einl. F 35 Übersicht Einl. F 25 Übersicht, Zeit bis 1923 Einl. F 30 ff. Übersicht, Zeit bis 1930 Einl. F 40 Übersicht, Zeit des Zusammenbruchs (19301932) Einl. F 42 gesetzlicher Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) Ablehnung eines Richters 28 1 Ablehnung eines Richters, unzulässige 26a 25 Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen Vor 22 1 Gerichtsstand kraft Übertagung 15 1 Gerichtsstand, Wahl der StA Vor 7 19 ff. Richter als Verfahrensbeteiligter Einl. J 16 ff.

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Sachregister

Verbindung/Trennung von Strafsachen 2 8 verfassungsrechtliche Grundlagen des Verfahrens Einl. H 3 Zuständigkeit des Gerichts 6 3 gesetzlicher Vertreter/Erziehungsberechtigter Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 18 Rechtsmittelbelehrung 35a 10 f. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 44 26 Zuständigkeit besonderer Strafkammern, Prüfung der 6a 11 Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 4, 14 Geständnis Amtsaufklärungsgrundsatz Einl. I 32 Wahrheitserforschung im Strafverfahren Einl. H 36 ff. Glaubhaftmachung Ablehnung eines Richters 25 28 Ablehnung eines Richters, unzulässige 26a 3, 19 Ablehnung eines Richters, Verfahren 26 16 ff. Begriff 26 17 ff. Wahrheitserforschung im Strafverfahren Einl. H 35 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 45 13 ff. Gleichheitssatz verfassungsrechtliche Grundlagen des Verfahrens Einl. H 4 Grundrechte verfassungsrechtliche Grundlagen des Verfahrens Einl. H 4 Haft siehe Strafhaft; Untersuchungshaft Haftbefehl Ablehnung eines Richters, unaufschiebbare Maßnahmen 29 15 ff. Ausschließung eines Richters 22 55 Gerichtsstand des Ergreifungsortes 9 4 ff., 12 Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) Einl. D 97 Haftbefehl, europäischer Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 163 Rechtsanwendung, Methode Einl. M 49a Haftgrund Wiederholungsgefahr siehe dort Haftprüfungsverfahren Anhörung der Beteiligten 33 11 Ausschließung eines Richters 23 7, 11 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 61

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Hauptverfahren Gerichtsstand kraft Übertagung 15 18 Rechtsanwendung, Methode Einl. M 72 Verbindung/Trennung im Hauptverfahren siehe dort Verbindung/Trennung von Strafsachen siehe dort örtliche Zuständigkeit des Gerichts, Prüfung von Amts wegen 16 7 sachliche Zuständigkeit, Prüfung von Amts wegen 6 7 Hauptverhandlung (allgemein) Ablehnung eines Richters, entscheidendes Gericht 27 1, 8 ff. Ablehnung eines Richters, unaufschiebbare Maßnahmen 29 1 ff. Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 15 ff. Ausschließung eines Richters 22 59 ff. Befangenheit des Richters 24 51 ff. Fristwahrung Vor 42 7 Prozessmaximen Einl. I 53 ff. Rechtskraft, Beschluss bei angefochtener Entscheidung 34a 7 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 45 32 Zuständigkeit besonderer Strafkammern, Prüfung der 6a 13 ff. Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen 6 8 Zustellung der Ladung, öffentliche 40 6 Hauptverhandlung, Schriftform für Erklärungen Ablehnung eines Richters 26 31 Hauptverhandlung, Unterbrechung Ablehnung eines Richters, unaufschiebbare Maßnahmen 29 25 ff. Hauptverhandlungshaft Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 153 Hausdurchsuchung Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 41 Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft siehe auch Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft; Beteiligung am Strafverfahren Einl. J 58 ff. Identitätsfeststellung Gerichtsstand des Ergreifungsortes 9 7 Immunität, diplomatische/konsularische Geltungsbereich des Strafverfahrensrechts Einl. E 6 Nichtigkeit von Entscheidungen Einl. K 120 Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 94 Immunität, parlamentarische Geltungsbereich des Strafverfahrensrechts Einl. E 8

Sachregister In-dubio-pro-reo-Grundsatz Allgemeines siehe auch Prozessmaximen Rechtsanwendung, Methode Einl. M 62, 65 informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) Beweisverbot/Beweisverwertungsverbot Einl. L 81, 90, 101 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 152 verfassungsrechtliche Grundlagen des Verfahrens Einl. H 5 internationale Rechtshilfe in Strafsachen Geltungsbereich des Strafverfahrensrechts Einl. E 2, 10 Rechtsquellen des Strafverfahrens Einl. C 10 Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) Anerkennung, nationale Einl. D 95 Anfechtbarkeit der OLG-Entscheidung Einl. D 100 Aussetzung des Vollzugs der Überstellungshaft Einl. D 99 Beschlagnahmeanordnungen Einl. D 101 Doppelbestrafung, Verbot der Einl. D 98, 103 Durchsuchungsanordnungen Einl. D 101 Entscheidungskompetenz des OLG Einl. D 98 Europäische Menschenrechtskonvention (EGMR) Einl. D 106 Jugoslawien-Tribunal Einl. D 107 Kontrollmöglichkeiten Einl. D 106 Rechtsbeistand für Beschuldigten Einl. D 102 Rechtskraft/Bestandskraft von Entscheidungen Einl. K 99 Römisches Statut Einl. D 95 Ruanda-Tribunal Einl. D 107 Überstellung an den IStGH Einl. D 96 Überstellungshaftbefehl Einl. D 97 Verhältnis zum nationalen Recht Einl. D 104 Völkerstrafgesetzbuch Einl. D 95 Vorbildfunktion Einl. D 105 Zusammenarbeit, gesetzlich geregelte Einl. D 95 Jugendgericht Zuständigkeit besonderer Strafkammern, Prüfung der 6a 2, 11 Zuständigkeit des Gerichts Vor 1 5, 15; 1 2 Jugendlicher/Heranwachsender siehe auch Minderjähriger; Kind Jugendstrafsache Gerichtsstand Vor 7 8 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 22, 94, 116, 144

Lan

Rechtsmittelbelehrung 35a 11 ff. Rechtsquellen des Strafverfahrens Einl. C 8 Verbindung/Trennung von Strafsachen 2 3; 4 13 f. Zuständigkeitskonkurrenz der Gerichte 12 24 Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen 6 12 Justizverwaltung Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen Vor 22 6 Gerichtsstand, Zuständigkeitsstreit 14 2 Rechtsquellen des Strafverfahrens Einl. C 29 Strafverfahren/Strafprozess allgemein Einl. B 56 ff. Klageerzwingungsverfahren siehe Anklageerzwingungsverfahren Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 14, 93 Legalitätsprinzip Einl. I 25 Prozessmaximen Einl. I 11 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 44 11 ff. Konsul Gerichtsstand für deutsche Beamte im Ausland 11 3 Kontaktsperregesetz Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 119 Kontrollstellenfahndung, computergestützte Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 41 Konzentrationsmaxime siehe Beschleunigungsgebot Kosten des Verfahrens Ablehnung eines Richters, unzulässige 26a 47 Bekanntmachung der gerichtlichen Entscheidung 35 16 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 146 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 44 62 Krankenhaus Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 60 Kronzeugenregelung Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 137, 150 Legalitätsprinzip Einl. I 26 Ladung Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 36 31 Landesverfassungsgericht Befangenheit 24 11 Landgericht Strafvollstreckungskammer siehe dort

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Lau

Sachregister

Verbindung/Trennung im Hauptverfahren 4 11 ff. Zuständigkeit des Gerichts 1 2 Lauschangriff siehe Ermittlung, verdeckte mit technischen Mitteln; siehe auch Wohnraumüberwachung, akustische Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 158 Lebenspartner/Lebensgemeinschaft siehe Angehöriger Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 67, 69 Legalitätsprinzip Begrenzung Einl. I 26 Einstellung durch die StA Einl. I 29 gesetzliche Grundlagen Einl. I 22 Grundsatz Einl. I 20 Klageerhebungspflicht Einl. I 28 Klageerzwingungsverfahren Einl. I 25 Kontrolle Einl. I 23 Kronzeugenregelung Einl. I 26 Rechtsprechung, höchstrichterliche Einl. I 24 Reichweite Einl. I 23 Sachverhaltserforschungspflicht Einl. I 22 Steuerstrafsachen Einl. I 29 Weisungsrecht Einl. I 24 Lüge, Recht auf Beschuldigtenrechte, Gewährleistung Einl. J 82 Massenmedien siehe auch Presse Befangenheit des Richters 24 14, 45 Beschuldigtenrechte, Gewährleistung Einl. J 80 Gerichtsstand der Presse 7 7 ff. Rundfunksendungen, Gerichtsstand Vor 7 11; 7 12 ff. Maßregeln der Besserung und Sicherung Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 60 Mehrfachverteidigung, Verbot Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 116 Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) Beweisverbot/Beweisverwertungsverbot Einl. L 73 ff. verfassungsrechtliche Grundlagen des Verfahrens Einl. H 5 Militärgerichtsbarkeit Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 53 Minderjähriger siehe auch Jugendlicher; Heranwachsender; Kind Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 4

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Mitbeschuldigter Verbindung/Trennung von Strafsachen 2 13 Zuständigkeit besonderer Strafkammern, Prüfung der 6a 15 Mitteilung, formlose Bekanntmachung der gerichtlichen Entscheidung 35 21 Mündlichkeitsgrundsatz Allgemeines Einl. I 53 ff. Befangenheit des Richters 24 61 Freibeweis Einl. I 61 gesetzliche Regelungen Einl. I 58 Hauptverhandlung Einl. I 53, 62 Rechtsmittelverfahren Einl. I 62 sonstige mündliche Verhandlungen Einl. I 62 Untersuchungshandlungen bei Unzuständigkeit 20 6 Verwertung des Akteninhalts Einl. I 59 Verwertung von Erkenntnissen Einl. I 60 Nachschieben von Gründen Ablehnung eines Richters 25 30 Nachtragsanklage Verbindung/Trennung im Hauptverfahren 4 3 Zuständigkeit besonderer Strafkammern, Prüfung der 6a 6 Zuständigkeitskonkurrenz der Gerichte 12 6 Nachverfahren Ablehnung eines Richters 25 8 Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit 24 62 Namhaftmachung Ablehnung eines Richters 24 66 ff.; 25 14 NATO Geltungsbereich des Strafverfahrensrechts Einl. E 7 Rechtskraft/Bestandskraft von Entscheidungen Einl. K 101 Nebenkläger Ablehnung eines Richters 25 6, 23 Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 18 Gerichtsstand des Zusammenhangs 13 17 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 104 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 44 17, 43, 62 Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 14, 22 Zustellung der unmittelbaren Ladung 38 1 Ne-bis-in-idem-Grundsatz (Art. 101 Abs. 3 GG) siehe Strafklageverbrauch verfassungsrechtliche Grundlagen des Verfahrens Einl. H 3 Zuständigkeitskonkurrenz der Gerichte 12 1

Sachregister Nemo-tenetur-Grundsatz (Art. 2 Abs. 1 GG, 6 MRK, 14 IPBPR) Beschuldigtenrechte, Gewährleistung Einl. J 87 Beweisverbot/Beweisverwertungsverbot Einl. L 78 ff. Verbindung/Trennung von Strafsachen 2 23 Nichtigkeit von Entscheidungen Allgemeines Einl. K 105 Anfechtbarkeit (Geltendmachung) Einl. K 129 f. Anfechtung der Vollstreckung Einl. K 130 Doppelbestrafung (ne bis in idem) Einl. K 119 Einzelfragen Einl. K 118 ff. Entscheidungen, andere als Urteile Einl. K 127 Eröffnungsbeschluss Einl. K 127 Gerichtsbarkeit, fehlende Einl. K 120 Gesetze, nicht bestehende Einl. K 125 Grundsätze Einl. K 107 Immunität, diplomatische/völkerrechtliche Einl. K 120 nichtiges Urteil, Begriff Einl. K 108 nichtiges Urteil, Problematik Einl. K 112 Nichturteil, Begriff Einl. K 108 Personenverwechslung Einl. K 122 Prozessgegenstand, Überschreitung Einl. K 123 Rechtskraft/Bestandskraft von Entscheidungen siehe dort Rechtsmittel Einl. K 113, 129 Rechtsprechung Einl. K 106 Strafe, gesetzlich nicht geregelte Einl. K 126 Strafmündigkeit, mangelnde Einl. K 121 Systemwechsel (DDR) Einl. K 109 Systemwechsel (Nationalsozialismus) Einl. K 109 Teilrechtskraft, Bedeutung Einl. K 111 Tod des Angeklagten Einl. K 124 Tribunale Einl. K 108 Urteilsentwurf Einl. K 108 Wiederaufnahme des Verfahrens Einl. K 129 notwendige Verteidigung Zuständigkeit besonderer Strafkammern, Prüfung der 6a 8 Oberlandesgericht Ablehnung eines Richters 28 28 Ablehnung eines Richters, entscheidendes Gericht 27 11 Bayrisches Oberstes Landesgericht (BayObLG) siehe dort

Pol

Gerichtsstand, Bestimmung durch den BGH 13a 9 Überstellung an den IStGH Einl. D 97 ff. Zuständigkeit des Gerichts 1 2 Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen 6 4 Öffentlichkeitsgrundsatz Ablehnung eines Richters, Verfahren 26 2 Befangenheit des Richters 24 61 Opferschutz Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 104, 125, 155, 161 Opportunitätsprinzip (§ 153 c) Strafverfahren/Strafprozess allgemein Einl. B 12 Ordnungs- und Zwangsmittel Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 36 27 ff. Ordnungsmittelverfahren Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit 24 64 Ordnungswidrigkeitenverfahren Begründungspflicht für gerichtliche Entscheidungen 34 3 Fristwahrung Vor 42 11 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 104 f., 156 Rechtskraft/Bestandskraft von Entscheidungen Einl. K 92 f. Rechtsmittelbelehrung 35a 8 Rechtsquellen des Strafverfahrens Einl. C 9 Strafverfahren/Strafprozess allgemein Einl. B 60 Zuständigkeitskonkurrenz der Gerichte 12 24 ordre publique Beweise, Geltung ausländischer Einl. D 124 organisierte Kriminalität Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 133, 139, 154 Polizei siehe Behörden/Beamte des Polizeidienstes Polizei, Rechtsquellen des Strafverfahrens allgemein Einl. C 5, 12 ff. Datenaustausch Einl. C 17, 26 ff. europäische Zusammenarbeit Einl. C 12 Geheimdienste, Zusammenarbeit Einl. C 21 Informationsgewinnung Einl. C 19 kommunale Kriminalprävention Einl. C 18 Lauschangriff Einl. C 24 organisierte Kriminalität Einl. C 22 präventive und repressive Tätigkeit Einl. C 12 Terrorismusbekämpfung Einl. C 22

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Pos

Sachregister

verdeckter Ermittler Einl. C 24 Videoüberwachung Einl. C 24 Vorfeldermittlung Einl. C 13 ff. Wahl zwischen Eingriffsbefugnissen Einl. C 25 Weiterverwertung erlangter Daten Einl. C 28 Post Begriff 37 29 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 44 36 ff. Postbeschlagnahme Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 41 Postschließfach siehe Fristwahrung Präsidium des Gerichts Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 54, 103 Verbindung/Trennung im Hauptverfahren 4 7 Zuständigkeitsstreit Vor 1 16 Privatklageverfahren Ablehnung eines Richters 25 18 Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 18 Anklagegrundsatz (Akkusationsprinzip) Einl. I 15 Gerichtsstand der Presse 7 9, 23 ff. Gerichtsstand des Zusammenhangs 13 17 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 14 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 44 17, 43, 62 Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 36 31; 37 14, 22 Zustellung der unmittelbaren Ladung 38 1 Prognoseentscheidung In-dubio-pro-reo-Grundsatz Einl. I 49 Protokoll über die Hauptverhandlung Ablehnung eines Richters, Verfahren 26 7 Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 13 Begründungspflicht für gerichtliche Entscheidungen 34 13 Bekanntmachung der gerichtlichen Entscheidung 35 8 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 122 Rechtsmissbrauch im Strafverfahren Einl. H 59 Rechtsmittelbelehrung 35a 30 ff. Protokollführer Ablehnung wegen Befangenheit 31 4, 10, 14, 17 f. Ausschließung/Ablehnung allgemein Vor 22 7 Prozessfähigkeit Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 14

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Prozesshandlung Allgemeines Einl. K 5 Bedeutung Einl. K 5 Bedingungen Einl. K 27 Befragung Einl. K 13 Begriff Einl. K 9 Begründetheit Einl. K 19 Beschuldigteneinlassung Einl. K 10 Beseitigung, sonstige Einl. K 26 Bewertungskategorien Einl. K 16 ff. Bewirkungshandlung Einl. K 13 doppelfunktionelle Handlung Einl. K 15 Drohung Einl. K 30 ff. Einteilung, Übersicht Einl. K 11 Erledigung Einl. K 22 Erwirkungshandlung Einl. K 13 Irrtum Einl. K 30 ff. Missbrauch von Befugnissen Einl. K 34 Prozessverschleppung Einl. K 34 Rechtsmittelverzicht Einl. K 33 Rücknahme Einl. K 24 Sachverständigenaussage Einl. K 10 Täuschung Einl. K 30 ff Überholung, prozessuale Einl. K 21 Verhandlungsunfähigkeit Einl. K 18 Vertretung Einl. K 18 Verwirkung Einl. K 34 Verzicht Einl. K 24 Widerruf Einl. K 24 Willensmängel Einl. K 30 ff. Willensmängel, Wirkung auf gerichtl. Entscheidungen Einl. K 31 Willensmängel, Wirkung bei sonst. Erklärungen Einl. K 32 Wirksamkeit, Übersicht Einl. K 16 Wirksamkeitsvoraussetzungen Einl. K 17 Zeugenaussage Einl. K 10 Zulässigkeit Einl. K 19 Prozessmaximen Akten des Vorverfahrens Einl. I 55 Allgemeines Einl. I 1 Amtsaufklärungsgrundsatz (Instruktionsmaxime) siehe dort Anklagegrundsatz (Akkusationsprinzip) siehe dort Anklagemonopol – Begriff Einl. I 16 – Einschränkungen Einl. I 17 – negatives Anklagemonopol Einl. I 18 Beschleunigungsgebot (Konzentrationsmaxime) siehe dort Beweisverbot/Beweisverwertungsverbot Einl. L 66 ff.

Sachregister Beweiswürdigung, freie richterliche siehe dort Einteilung Einl. I 4 faires Verfahren siehe dort Funktionen Einl. I 2 Fürsorgepflicht der Strafverfolgungsorgane siehe dort Geltungsgrund Einl. I 3 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. I 10, 56 Grenzen bez. auf Gegenmaximen Einl. I 6 Grenzen bez. der Verfahrensabschnitte Einl. I 7 In-dubio-pro-reo-Grundsatz – Bedeutung Einl. I 48 – Denkvoraussetzung Einl. I 50 – Einzelheiten siehe dort – Geltungsbereich Einl. I 51 – Grenzen Einl. I 51 – Inhalt Einl. I 48 – Prognoseentscheidungen Einl. I 49 – Tatsachenfeststellung Einl. I 49 – Wahrscheinlichkeitsurteil Einl. I 52 – Wiederaufnahmeverfahren Einl. I 51 klassische Maximen Einl. I 9 ff. Legalitätsprinzip siehe dort Maximen der Hauptverhandlung Einl. I 53 Menschenrechte Einl. I 54 Mündlichkeitsgrundsatz siehe dort Öffentlichkeitsgrundsatz Einl. I 70 Offizialprinzip – Begriff Einl. I 14 – Einschränkungen Einl. I 15 – Ermächtigung Einl. I 15 – Privatklagedelikte Einl. I 15 – Strafantrag Einl. I 15 – Strafverlangen Einl. I 15 rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) siehe dort Reichweite bez. auf Gegenmaximen Einl. I 6 Reichweite bez. der Verfahrensabschnitte Einl. I 7 Unmittelbarkeitsgrundsatz siehe dort verfassungsrechtliche Maximen Einl. I 71 ff. Verhältnismäßigkeitsgebot siehe dort Prozessvoraussetzungen Bedeutung Einl. K 35 Begriff Einl. K 37 Behandlung im Verfahrensgang Einl. K 41

rec

Bestrafungsvoraussetzung Einl. K 39 Bewertung Einl. K 47 bindender Charakter Einl. K 41 Einstellung des Verfahrens Einl. K 43 Einteilung Einl. K 37 einzelne Voraussetzungen Einl. K 40 Freibeweis Einl. K 44 geschichtliche Entwicklung Einl. K 35 Prüfung von Amts wegen Einl. K 42 Revision Einl. K 44 Verfahrenshindernis Einl. K 37 Verfahrenshindernisse, behebbare Einl. K 39 Verfahrenshindernisse, Erweiterung Einl. K 45 ff. Verfahrenshindernisse, Rechtsprechung Einl. K 46 Wesen Einl. K 37 Prüfung von Amts wegen Zuständigkeit des Gerichts 6 1 ff. Rasterfahndung Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 41 rechtliches Gehör, Grundsatz (Art. 103 Abs. 1 GG) siehe auch Anhörung der Beteiligten, gerichtliche Ablehnung eines Richters 25 13; 27 34; 30 5, 17, 19 Ablehnung eines Richters, Verfahren 26 27 Allgemeines siehe Prozessmaximen Anhörung der Beteiligten, gerichtliche siehe dort Anträge Einl. I 87 Bedeutung Einl. I 75 Bekanntmachung der gerichtlichen Entscheidung 35 1 Berechtigte Einl. I 82 Beweisergebnisse Einl. I 84 Beweisverwertungsverbot Einl. I 94 Einschränkungen Einl. I 81 Ermittlungsverfahren Einl. I 80, 82 Form Einl. I 90 Fristsetzung Einl. I 91 Gegenstand Einl. I 84 Gelegenheit zur Äußerung Einl. I 88 Geltungsbereich Einl. I 80 generelle Vorschriften Einl. I 78 Gerichtsstand des Zusammenhangs 13 16 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 98, 113 gesetzliche Regelungen Einl. I 77 Grundlagen Einl. I 75 Hinweispflichten Einl. I 79

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Rec

Sachregister

Informationsbefugnisse und -pflichten Einl. I 79 Inhalt Einl. I 84 Justizgewährleistungsanspruch Einl. I 75 Justizgrundrechte Einl. I 75 Nachholung Einl. I 93 Nachholung im Rechtsmittelverfahren Einl. I 93 Pflicht zur Äußerung Einl. I 88 Rechtsausführungen Einl. I 85 f. Rechtsfragen Einl. I 85 Staatsanwaltschaft Einl. I 83 Strafbefehlsverfahren Einl. I 81 Tatsachen Einl. I 84 übergreifende Vorschriften Einl. I 78 Verbindung/Trennung im Hauptverfahren 4 24 Verfassungsbeschwerde Einl. I 95 verfassungsrechtliche Grundlagen des Verfahrens Einl. H 3 Verletzter Einl. I 82 Verletzung, Folgen Einl. I 92 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 44 28 Zeitpunkt Einl. I 90 Rechtsanwalt siehe auch Strafverteidiger; Rechtsbeistand Ausschließung eines Richters 22 38 Rechtsanwendung, Methode Abhängigkeit von Struktur und Inhalt der Norm Einl. M 1 Analogie siehe dort Anfangsverdacht Einl. M 23, 73 Auslegung siehe dort Beweisschwierigkeiten Einl. M 18 Beweisverwertungsverbote Einl. M 28 Definitionsprobleme Einl. M 19 Effektivität der Strafverfolgung Einl. M 26 Eigengesetzlichkeit des Strafverfahrens Einl. M 1b Einstellungsmöglichkeiten Einl. M 55 im Ermittlungsverfahren Einl. M 73 Erscheinungsformen der Modelle, reale Einl. M 7 faires Verfahren Einl. M 28 Folgerungen der Gleichordnung Einl. M 34 ff. Freiheitsbeschränkungen Einl. M 54 Funktion, dienende Einl. M 4 Funktion, dominierende Einl. M 6 geltungserweiternde Rechtssatzkonkretisierung Einl. M 67 Geltungserweiterungen Einl. M 41 ff.

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genuin strafprozessliches Denken Einl. M 1a Geschichte Einl. M 8 ff. Gesetzesbindung des Richters Einl. M 1c gesetzlicher Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) Einl. M 13 ff. Gesetzlichkeitsprinzip Einl. M 31 Gleichrangigkeit des Prozessrechts Einl. M 5 Gleichwertigkeit der Eingriffsbefugnisse, Konzeption Einl. M 14 ff. Haftbefehl, europäischer Einl. M 49a im Hauptverfahren Einl. M 72 In-dubio-pro-reo-Grundsatz Einl. M 59 Kausalität Einl. M 19 Konfundation Einl. M 3 Kriminal-Justiz-System Einl. M 29 Methodenbegriff, erweiterter Einl. M 75 Mittel der Strafverfolgung Einl. M 27 Nebenwirkungen der Strafverfolgung Einl. M 28 Perzeption bestimmter Beweistatsachen Einl. M 74 Prinzip der Gleichordnung Einl. M 34 ff. Prognoseentscheidungen Einl. M 22, 63 Prozesshandlungen Einl. M 10 Prozessrechtslehre, allgemeine Einl. M 9 Rationalisierung des Verfahrens Einl. M 8 Rechtsordnungen, ältere Einl. M 8 Rückwirkungsverbot Einl. M 48 Schutz von Rechtsgütern Einl. M 17 Sektoralisierung der Methodenlehre Einl. M 1b Sozialwissenschaften Einl. M 23 Stellungnahme Einl. M 75 Strafantragserfordernis Einl. M 50 im Strafverfahren allgemein Einl. M 68 ff. Strafverfahren, Besonderheiten Einl. M 2 ff. Strengbeweis/Freibeweis Einl. M 65 Strukturelemente der Strafverfolgung Einl. M 14 ff. Subsumtion Einl. M 68 Unrechtslehre, finale Einl. M 25 Unschuldsvermutung Einl. M 31 Verdacht Einl. M 23, 62 ff., 73 verfassungsrechtlicher Auftrag Einl. M 20 Verhältnis materielles Recht - Prozessrecht, Modelle Einl. M 3 ff. Verhältnis Prozessrecht - Polizeirecht Einl. M 32 Verjährung, Unterbrechung Einl. M 52 Verjährungsfristen Einl. M 50 Verwaltungsrecht Einl. M 33 Wahlfeststellung Einl. M 66 Ziele der Strafverfolgung Einl. M 15 Zusammenfassung Einl. M 75

Sachregister Rechtsbeistand siehe auch Rechtsanwalt; Strafverteidiger Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit 24 62 Fristversäumnis 44 56 ff. Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) Einl. D 102 Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 5 Rechtsbeschwerde Rechtskraft, Beschluss bei angefochtener Entscheidung 34a 9 Zuständigkeit des Gerichts 1 4 Rechtshängigkeit des Verfahrens anderweitige – Verbindung/Trennung im Hauptverfahren 4 2, 28 Zuständigkeit des Gerichts Vor 1 13 Zuständigkeitskonkurrenz der Gerichte 12 12 ff. Rechtshängigkeit des Verfahrens, anderweitige Tatbegriff (prozessuale Tat) Einl. K 57 Rechtshilfe Gerichtsstand, Bestimmung durch den BGH 13a 2 Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 93 Rechtskraft von Entscheidungen Allgemeines Einl. K 64 ff. ausländische Gerichte Einl. K 98 ff. ausländische Streitkräfte Einl. K 101 Auslieferungsübereinkommen Einl. K 99 Besatzungsgerichte Einl. K 101 beschränkte Rechtskraft Einl. K 67, 102 Bestandskraft von Entscheidungen siehe auch dort Bestandskraft, Begriff/Abgrenzung Einl. K 64 Bindungswirkung, innerprozessuale Einl. K 68 DDR-Gerichtsurteile Einl. K 100 Doppelbestrafungsverbot, grenzüberschreitendes Einl. K 98 Entscheidungen, sonstige Einl. K 102 ff. EuGH-Rechtsprechung Einl. K 98 formelle siehe unten formelle/materielle Rechtskraft Einl. K 67 freisprechende Entscheidungen Einl. K 98 gerichtliche Entscheidungen (Beschlüsse und sonstige) Einl. K 103 Grundlagen Einl. K 64 Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) Einl. K 99 NATO-Truppenstatut Einl. K 101

Rec

Nichtigkeit von Entscheidungen siehe dort Rechtsfrieden, Wiederherstellung Einl. K 65 Rechtshilfeübereinkommen Einl. K 99 staatsanwaltschaftliche im Ermittlungsverfahren Einl. K 66 staatsanwaltschaftliche ohne Richterbeteiligung Einl. K 104 Tatbegriff (prozessuale Tat) Einl. K 51 Teilrechtskraft Einl. K 68 Teilrechtskraft, vertikale/horizontale Einl. K 68 Terminologie Einl. K 67 Überblick Einl. K 66 Unterteilungen Einl. K 67 f. Völkerstrafrecht Einl. K 99 Rechtskraft von Entscheidungen, formelle absolute/relative Rechtskraft Einl. K 70 Begriff Einl. K 69 Berufung, Annahmeberufung Einl. K 70 Beschluss Einl. K 71 Eintritt Einl. K 69 Urteil Einl. K 70 Wegfall Einl. K 72 Wirkungen Einl. K 73 Rechtskraft von Entscheidungen, materielle Bindung an tatsächliche Feststellungen Einl. K 96 Bindungswirkung Einl. K 75, 94 Bindungswirkung für andere Verfahren Einl. K 91 Bindungswirkung und Amtsaufklärung Einl. K 95 Disziplinarverfahren Einl. K 92 Doppelbestrafungsverbot Einl. K 74 ff. Doppelbestrafungsverbot, EU-Übereinkommen Einl. K 78 Einstellungsurteile Einl. K 85 Entscheidungen, rechtskraftfähige Einl. K 83 ff. erfolgsqualifizierte Delikte Einl. K 90 Feststellungen des rechtskräftigen Urteils Einl. K 91 Feststellungswirkung Einl. K 75, 94 Gegenstand Einl. K 88 Geltungsgrund Einl. K 79 gesetzliche Grundlagen Einl. K 74 Gestaltungstheorie, prozessrechtliche Einl. K 82 Grundgesetz, Werteordnung Einl. K 78 negative Sachentscheidung Einl. K 86 Ordnungswidrigkeiten Einl. K 92 f. Rechtskraftdurchbrechung Einl. K 97 Rechtskrafttheorien Einl. K 79, 81

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Rec

Sachregister

Rechtsmittelbezug Einl. K 84 Schuldfeststellung Einl. K 83 Strafbefehl Einl. K 83 Strafklageverbrauch (Ne-bis-in-idem-Grundsatz) Einl. K 74, 76 ff., 80 Tatbegriff Einl. K 88 Überblick Einl. K 74 Umfang Einl. K 88 Urteile Einl. K 83 Verfahrenshindernis Einl. K 75 Verfahrenshindernis, behebbares Einl. K 87 Verfahrenshindernis, endgültiges Einl. K 86 Wesen Einl. K 79 Wiederaufnahme Einl. K 85, 97 Rechtskraft, Beschluss bei angefochtener Entscheidung allgemein 34a 1 Anwendungsbereich der Vorschrift 34a 7 ff. Anwendungsfälle 34a 5 Bedeutung der Regelung 34a 1 Berufsverbot 34a 4 Beschluss, Streitstand 34a 2 Entscheidung, angefochtene 34a 6 historische Entwicklung 34a 3 f. Tag der Beschlussfassung 34a 10 Rechtsmissbrauch Ablehnung eines Richters Einl. H 58 Allgemeines Einl. H 40 Analogieschluss Einl. H 62 Beweisanträge Einl. H 58 Durchsetzungsstrategien im Prozess Einl. H 51 Erforderlichkeit des Prinzips Einl. H 63 gesetzliche Regelungen Einl. H 41 Justizgewährungspflicht Einl. H 70 Präklusionswirkung Einl. H 67 durch private Prozessbeteiligte Einl. H 64 Protokollanträge Einl. H 59 Rechtsprechung des BGH Einl. H 69 Strafverfahren als Konfliktaustragung Einl. H 42 durch Strafverfolgungsbehörden Einl. H 66 Streitkultur im Verfahren Einl. H 48 allgemeines Verbot de lege ferenda Einl. H 60 allgemeines Verbot de lege lata Einl. H 57 verfahrensfremde Zwecke Einl. H 40 Verwirkung des staatlichen Strafanspruchs Einl. H 69 Verwirkung von Rechten Einl. H 67 Wesen, dogmatisches Einl. H 62 Rechtsmittel (allgemein) DDR-Recht Einl. F 170, 182, 188 faires Verfahren, Recht auf Einl. I 40

1014

Geltungsbereich des Strafverfahrensrechts Einl. E 18 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 13, 38, 68, 109, 129 Mündlichkeitsgrundsatz Einl. I 62 Nichtigkeit von Entscheidungen Einl. K 113, 129 f. rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) Einl. I 93 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Vor 42 35 Zuständigkeit des Gerichts Vor 1 9, 11 Rechtsmittelbelehrung Annahmeberufung 35a 24 Anwendungsvoraussetzungen 35a 2 ff. Art des Rechtsmittels 35a 21 Art und Weise 35a 14 Ausländer 35a 20 Bedeutung der Regelung 35a 1 Bekanntmachung 35a 2 Berechnung der Frist 35a 22 Berufung, Ausbleiben des Angeklagten 35a 25 Beschlüsse 35a 6 Betroffener 35a 8 Beurkundung/Dokumentation 35a 30 Bußgeldverfahren 35a 8 Dolmetscher 35a 20 Einziehungs-/Verfallsbeteiligte 35a 9 Entscheidung 35a 3 Erziehungsberechtigter 35a 11 falsche Belehrung 35a 43 Fehler beim Zustellungsversuch 35a 27 Form 35a 14 Form der Anfechtung 35a 23 Form mündlicher Belehrung 35a 15 Form schriftlicher Belehrung 35a 18 Förmlichkeiten, wesentliche 35a 30 Frist der Anfechtung 35a 22 Fürsorgepflicht, richterliche 35a 19 Geschäftsstelle, Aufnahme der Anfechtung 35a 23 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 93 Haftsachen 35a 7 Inhalt 35a 21 ff. Jugendstrafverfahren 35a 11 juristische Personen/Personenvereinigungen 35a 9 Mängel 35a 36 ff. Merkblatt 35a 17 Nebenkläger 35a 9, 24 öffentliche Zustellung 35a 25 von Ordnungsmaßnahmen Betroffener 35a 9 Privatkläger 35a 9

Sachregister qualifizierte Belehrung 35a 28, 31 f., 35, 37, 40 qualifizierte Belehrung, Protokollierung 35a 32 Rechtsmittel, befristetes 35a 4 Rechtsmittelbenennung 35a 21 Sachverständiger 35a 9 Sicherheit Leistender 35a 9 Staatsanwaltschaft 35a 8 Strafbefehl, Einspruch 35a 7 Übersetzung 35a 20 unterbliebene Belehrung 35a 36 unvollständige Belehrung 35a 41 Urteile, freisprechende 35a 5 Urteile, mit Berufung anfechtbare 35a 25 Verfügungen, richterliche 35a 6 Vertreter, gesetzliche 35a 10 Verwerfung verspäteter Rechtsmittel 35a 7 Verzicht auf Rechtsmittelbelehrung 35a 34 widersprüchliche Belehrung 35a 45 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 35a 7, 24, 38; 44 64 ff. Wiederholung 35a 19 Zeuge 35a 9 Zuständigkeit für Erteilung 35a 29 Rechtspflege Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 143 Rechtspfleger Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen Vor 22 7 Beteiligung am Strafverfahren Einl. J 37, 63 Gerichtsstand, Zuständigkeitsstreit 14 2 Strafverfahren/Strafprozess allgemein Einl. B 56 Zuständigkeit des Gerichts Vor 1 8 Rechtsprechungsmonopol/richterliche Unabhängigkeit verfassungsrechtliche Grundlagen des Verfahrens Einl. H 3 Rechtsquellen des Strafverfahrens siehe Strafverfahren Rechtsschutzgarantie/Justizgewährung (Art. 19 Abs. 4 GG) verfassungsrechtliche Grundlagen des Verfahrens Einl. H 3, 15 ff. Verwirkung wegen Rechtsmissbrauchs Einl. H 70 Rechtssicherheit Strafverfahren/Strafprozess allgemein Einl. B 23, 50, 53 Rechtsstaatsprinzip verfassungsrechtliche Grundlagen des Verfahrens Einl. H 5

Rev

Referendar Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen Vor 22 5 Beteiligung am Strafverfahren Einl. J 36 reformatio in peius siehe Verschlechterungsverbot Reformbestrebungen Absprachen Einl. F 208 f. Entlastung der Justiz Einl. F 204 Ermittlungsaktivitäten Einl. F 207 Ermittlungsrichter Einl. F 206 europäische Perspektive Einl. F 200, 211 gegenwärtige Lage der Strafjustiz Einl. F 189 Gesamtreform Einl. F 194 Geschichte des Strafverfahrensrechts siehe dort Opferbeteiligung Einl. F 210 organisierte Kriminalität Einl. F 208 Polizeistaat Einl. F 204 Terrorismusbekämpfung Einl. F 208 Überwachungsstaat Einl. F 204 Unschuldsvermutung Einl. F 210 Verteidiger- und Beschuldigtenrechte Einl. F 208 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 46 23 Zukunft des Strafprozesses Einl. F 201 Zustellungsvorschriften Vor 33 9 f. Revision (allgemein) Ablehnung eines Richters 25 4, 7, 30; 28 23, 31 Anhörung der Beteiligten, nachträgliche 33a 28 Ausschließung eines Richters 23 10, 16, 22 Befangenheit des Richters 24 43 Begründungspflicht für gerichtliche Entscheidungen 34 3 Beweisverbot/Beweisverwertungsverbot Einl. L 18, 64, 117 ff. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 45 11; 46 4, 12, 15 ff., 29 Zuständigkeit des Gerichts 1 4 Zuständigkeit, örtliche Vor 7 29 Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen 6 16 ff. Zustellung, öffentliche 40 14 Revisionsgründe, einzelne Ablehnung eines Richters 25 9; 26 30; 30 23 f. Ablehnung eines Richters, unaufschiebbare Maßnahmen 29 21, 40 Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 25 Ausschließung eines Richters 22 63

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Rhe

Sachregister

Befangenheit des Staatsanwalts Vor 22 12 Verbindung/Trennung im Hauptverfahren 4 45 Verbindung/Trennung von Strafsachen 2 28; 36 Zuständigkeit besonderer Strafkammern, Prüfung der 6a 26 ff. örtliche Zuständigkeit des Gerichts 16 18 Rhein-/Moselschifffahrt Gerichtsstand Vor 7 10, 15 Richter (allgemein) Aburteilungsmonopol Einl. J 6 Aufbau der Gerichte Einl. J 21 Aufgaben Einl. J 6 ff. Ausschließung/Ablehnung Einl. J 15 Beteiligte, zugeordnete Einl. J 36 Beweissicherung Einl. J 9 Einzelrichter siehe Richter beim Amtsgericht Ergänzungsrichter siehe dort Ermittlungsverfahren, Beteiligung Einl. J 9 Gerichtshilfe Einl. J 36 gesetzlicher Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) Einl. J 16 Jugendgericht Einl. J 22 Klageerzwingungsverfahren Einl. J 9 Laienbeteiligung – Funktion Einl. J 29 – Geschichte/Reform Einl. J 27 – Grundlagen Einl. J 27 – Legitimation Einl. J 29 – Schöffen, Rechtsstellung Einl. J 35 – Umfang der Mitwirkung Einl. J 32 Neutralitätspflicht Einl. J 15 Präsidialverfassung Einl. J 14 Rechtspfleger Einl. J 37 sonstige Tätigkeiten Einl. J 8 Strafrichter siehe Richter beim Amtsgericht Strafvollstreckung Einl. J 10 Unabhängigkeit Einl. J 12 ff. Urkundsbeamter der Geschäftsstelle Einl. J 38 als Verfahrensbeteiligter Einl. J 6 ff. Zuständigkeiten der Gerichte Einl. J 21 Zuständigkeitsabgrenzung, Merkmale Einl. J 24 Zuständigkeitskonflikte Einl. J 26 Richter beim Amtsgericht Ablehnung eines Richters 30 14 Ablehnung eines Richters, unaufschiebbare Maßnahmen 29 9 Richter, beauftragter Ablehnung eines Richters 27 26

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Ablehnung eines Richters, unzulässige 26a 42 Richter, ersuchter Ablehnung eines Richters, entscheidendes Gericht 27 17 Ablehnung eines Richters, Verfahren 26 4 Rückwirkungsverbot Rechtsanwendung, Methode Einl. M 48 ff. Rundfunk/Fernsehen siehe Massenmedien Sachverständiger Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit 24 64 Aufklärung/Belehrung Einl. J 131 Ausschließung eines Richters 22 40 Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen Vor 22 7 Rechtsbeistand Einl. J 130 Schutz Einl. J 130 als Verfahrensbeteiligter Einl. J 125, 130 ff. Zustellung der unmittelbaren Ladung 38 1 Schengener Übereinkommen ausländisches Recht, Geltung im Strafverfahren Einl. D 10 Schleppnetzfandung siehe Kontrollstellenfahndung, computergestützte Schöffe Ablehnung eines Richters, unaufschiebbare Maßnahmen 29 39 Ablehnung wegen Befangenheit siehe dort Ausschließung/Ablehnung allgemein Vor 22 7 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 12, 21 Jugendgericht Einl. J 32 Laienbeteiligung am Strafverfahren Einl. J 27 ff. Rechtsstellung allgemein Einl. J 35 Schöffengericht, erweitertes Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 21, 93 Schriftform elektronisches Dokument, Eingang 41a 3 f. Schriftgut, Begriff 41a 24 Schwurgericht Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 21, 113 Laienbeteiligung am Strafverfahren Einl. J 27 Selbstleseverfahren Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 121

Sachregister Sicherheit und Ordnung, öffentliche Gerichtsstand kraft Übertagung 15 9 Sicherungsverfahren Ablehnung eines Richters 25 8 Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit 24 62 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 111 Zustellung der unmittelbaren Ladung 38 1 Sitzungspolizei Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 38 Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 36 27 ff. Sitzungsvertreter (Staatsanwaltschaft) Beteiligung am Strafverfahren Einl. J 63 Sondergerichte Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 35, 55 Sozialstaatsprinzip verfassungsrechtliche Grundlagen des Verfahrens Einl. H 5 Staatsanwaltschaft Ablehnung eines Richters 25 27 Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit 24 62 ff. Amtsanwalt Einl. J 63 angloamerikanischer Parteiprozess Einl. J 53 Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 17, 19, 27 ff. Anhörung der Beteiligten, nachträgliche 33a 7 Anklage zusammenhängender Sachen 13 6 Anklagegrundsatz (Akkusationsprinzip) Einl. I 11 ff. Aufbau und Struktur Einl. J 57 Aufgaben im Gesamtgefüge Einl. J 39 ff. Ausschließung eines Richters 22 26, 31, 33 Ausschließung und Ablehnung Vor 22 8 ff. Befangenheit Vor 22 14 Begründungspflicht für gerichtliche Entscheidungen 34 5 Bekanntgabe von Entscheidungen 35 19 Beteiligte, innerhalb Einl. J 63 Beteiligte, sonstige Behörden und Organträger Einl. J 62 Beteiligte, zugeordnete Einl. J 58 ff. Beziehung zum Gericht Einl. J 46 DDR-Recht Einl. F 178 elektronisches Dokument, Eingang 41a 1 ff. Entscheidungen, Anforderungen/Sprachgebrauch Vor 33 8 Entstehung und Entwicklung Einl. J 39 Ermessen bei Gerichtsstandswahl Vor 7 19 ff. Ermittlungsassistenten Einl. J 63

Sta

Ermittlungsbeamte der Staatsanwaltschaft Einl. J 62 Europäische Staatsanwaltschaft Einl. D 51 ff.; Einl. J 64 Exekutive, Teil der Einl. J 55 Funktionen, Überblick Einl. J 43 Gerichtshilfe Einl. J 62 Gerichtsstand der Presse 7 27 Gerichtsstand des Ergreifungsortes 9 2 ff. Gerichtsstand, Wahlrecht Vor 7 19 ff. Geschichte/Reformbestrebungen Einl. J 39 Jugendgerichtshilfe Einl. J 62 Leiterin des Ermittlungsverfahrens Einl. J 43, 61 Objektivitätspostulat Einl. J 48 Organ der Rechtspflege Einl. J 55 Parteistellung Einl. J 52 Polizei, Aufgaben Einl. J 58 rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) Einl. I 80, 83 Rechtskraft/Bestandskraft von Entscheidungen Einl. K 66, 104 Rechtsmissbrauch im Strafverfahren Einl. H 40 ff. Rechtsmittelbelehrung 35a 8 Sitzungsvertreter, örtlicher Einl. J 63 staatsrechtliche Stellung Einl. J 55 ff. Steuerstrafsachen Einl. J 62 Strafverfahren/Strafprozess allgemein Einl. B 58 Verbindung/Trennung von Strafsachen siehe dort als Verfahrensbeteiligte Einl. J 39 ff. Verhältnis zur Polizei Einl. J 58 Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen Einl. J 45, 49 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 44 63 Wirtschaftsreferent Einl. J 63 Zuständigkeit besonderer Strafkammern, Prüfung der 6a 3, 12, 25 ff. Zuständigkeitskonkurrenz der Gerichte 12 8 ff. Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 36 9, 14 ff., 24; 41 1 ff. Zustellung zu vollstreckender Entscheidungen siehe dort Staatsschutzsache Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 93, 103 Rechtsquellen des Strafverfahrens Einl. C 28 Zuständigkeit des Gerichts, örtliche Vor 7 29

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Sta

Sachregister

Staatsschutz-Strafkammer Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 93, 103 Steckbrief siehe Festnahme, Ausschreibung zur Steuerstrafsache Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 18 Beschuldigtenrechte, Gewährleistung Einl. J 99 Beteiligung am Strafverfahren Einl. J 62 Gerichtsstand Vor 7 16, 34 Gerichtsstand des gewöhnlichen Aufenthalts 85 Rechtsquellen des Strafverfahrens Einl. C 9 Stillstand des Verfahrens negativer Kompetenzkonflikt der Gerichte 19 3 Strafantrag Anklagegrundsatz (Akkusationsprinzip) Einl. I 13 Fristberechnung 43 10 Strafanzeige Befangenheit des Richters 24 35 ff. Strafbefehlsverfahren Ausschließung eines Richters 23 7 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 111, 119 Strafbefehl, Begriff Vor 33 4 Verbindung/Trennung von Strafsachen 2 17 Zuständigkeitskonkurrenz der Gerichte 12 24 Zustellung, öffentliche 40 2 Strafhaft Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 46 13, 16 Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 59 Strafkammer des Landgerichts Zuständigkeit besonderer Strafkammern, Prüfung der siehe dort Strafkammer des Landgerichts, große Ablehnung eines Richters, entscheidendes Gericht 27 13 Strafkammer des Landgerichts, kleine Ablehnung eines Richters, entscheidendes Gericht 27 13 Strafkammer, auswärtige Ablehnung eines Richters, entscheidendes Gericht 27 5, 14 Ablehnung eines Richters, unzulässige 26a 40 Ablehnung eines Richters, Verfahren 26 4 Strafklageverbrauch Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 163

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Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) Einl. D 98, 103 Nichtigkeit von Entscheidungen Einl. K 119 Rechtskraft/Bestandskraft von Entscheidungen Einl. K 74, 76 ff., 80 Tatbegriff (prozessuale Tat) Einl. K 51 Zuständigkeitskonkurrenz der Gerichte 12 13 Strafmündigkeit Nichtigkeit von Entscheidungen Einl. K 121 Straftat, Tatbegriff (prozessuale Tat) Ausschließung eines Richters 22 1 ff. Bedeutung Einl. K 48 Bezeichnung in der Klage Einl. K 54 Bindung an Straftatbestand Einl. K 50 Einheitlicher Tatbegriff Einl. K 53 Ermittlungsverfahren, Prozessgegenstand Einl. K 59 Erschöpfung der Klage Einl. K 55 Funktionen allgemein Einl. K 50 Funktionen im Einzelnen Einl. K 51 Inhalt, Allgemeines/Grundsätze Einl. K 60 Inhalt, einzelne Probleme Einl. K 62 Mehrheit von Prozessgegenständen Einl. K 58 Nichtigkeit von Entscheidungen Einl. K 123 normativ-faktischer Tatbegriff Einl. K 61 ontologisch-naturalistischer Tatbegriff Einl. K 61 prozessuale Behandlung der Tat Einl. K 54 Rechtshängigkeit, anderweitige Einl. K 57 Rechtskraft/Bestandskraft von Entscheidungen Einl. K 88, 90 Rechtskraftwirkung Einl. K 51 Strafklageverbrauch Einl. K 51 Tateinheit und Tatmehrheit Einl. K 63 Verbindung/Trennung von Strafsachen 2 7; 3 2 Verfahrensvoraussetzung Einl. K 54 Zuständigkeitskonkurrenz der Gerichte 12 16 ff. Strafverfahren (allgemein) Absprachen zwischen Prozessbeteiligten Einl. B 63 ff. siehe auch Strafverfahren, Verfahrensverkürzung/Absprachen als Administrationsakt, staatliche Einl. B 11 Aufbau und Ablauf siehe Strafverfahren, Struktur Aufgabe Einl. B 3 ff. Auslegung Einl. M 34 ff. Austauschbarkeit der Institutionen Einl. B 12 Begrenzung staatlicher Eingriffsbefugnisse Einl. B 35 ff.

Sachregister Begriff Einl. B 1 Berufsrecht der Notare Einl. B 55 Berufsrecht der Rechtsanwälte Einl. B 55 Beschleunigung des Verfahrens Einl. B 37 Diskurs und Kommunikation, Modell von Einl. B 28 Disziplinarverfahren, beamtenrechtliches Einl. B 55 dynamischer Charakter Einl. B 2 Einheitlichkeit des Rechts Einl. B 53 Einleitung, Benutzerhinweise Einl. A 2 Einleitung, Überblick Einl. A 3 ff. Einzelfallgerechtigkeit Einl. B 48 empirische Erkenntnisse Einl. B 66 Entwicklung neuere Einl. A 1 erkenntnistheoretische Vorfrage Einl. B 14 Ermittlungsinteresse Einl. B 33 Ermittlungsverfahren Einl. B 58 europarechtlicher Kontext Einl. B 6 Fehlervermeidung Einl. B 32 Französische Verfassung von 1789 Einl. B 34 Fremddisziplinen, begrenzte Anwendung Einl. B 26 Funktion Einl. B 3 ff. Geltung für andere Rechtsgebiete Einl. B 55 als Geltungsvoraussetzung, justizielle Einl. B 8 Gerechtigkeit, gültige Einl. B 43 Gerechtigkeit, präventiver Rechtsschutz Einl. B 42 Gerechtigkeit, Produktion von Einl. B 42 ff. Gerechtigkeitskonzepte, Konkurrenz der Einl. B 45 geschichtliche Entwicklung im Einzelnen siehe Geschichte geschichtliche Entwicklung im Überblick Einl. F 1 ff. Grundbegriffe, verfahrensrechtliche Einl. K 1 ff. Individualrechtsschutz Einl. B 33 internationaler Kontext Einl. B 6 Justizförmigkeit des Prozesses Einl. H 19 Justizgewährleistungsanspruch Einl. H 15 Justizgewährleistungspflicht Einl. H 15 Justizverwaltung Einl. B 56 Kommunikations- und Sprachwissenschaften Einl. B 30 als Konfliktverarbeitung Einl. B 31 Kriminalstatistik Einl. B 66 labeling approach Einl. B 24 Legitimation durch Verfahrensgerechtigkeit Einl. B 22 Methode der Rechtsanwendung siehe Rechtsanwendung

Str

methodische Grundlagen Einl. B 66 Nichtigkeit gerichtlicher Entscheidungen siehe dort Ordnungswidrigkeitenrecht Einl. B 60 Praktikabilitätserwägungen Einl. B 37 präventive Verbrechensbekämpfung Einl. B 42 Prozessgegenstand siehe Straftat, Tatbegriff Prozesshandlungen siehe dort Prozessrechtsverhältnis Einl. K 4 Prozessvoraussetzungen siehe dort Rechtsanwendung, Methode siehe dort Rechtskraft/Bestandkraft von Entscheidungen siehe dort Rechtsmissbrauch siehe dort Rechtssicherheit, Schaffung von Einl. B 23, 50 Rechtssystem, Stellung im Einl. B 52 ff. Reformbestrebungen siehe dort Rückwirkungsverbot Einl. M 59 ff. sozialwissenschaftlicher Blick Einl. B 24, 26 f. Sprache Einl. B 14 ff. Staatsanwaltschaft, Tätigkeit der Einl. B 58 statistische Datengewinnung – Aktenanalyse Einl. B 72 f. – Befragung Einl. B 74 – Beobachtung, teilnehmende Einl. B 75 – Experiment Einl. B 76 – Literaturvergleich Einl. B 72 Strafprozesslehre Einl. B 25 Strafrechtspflege Einl. B 56 ff. Strafsache, Begriff 22 24 als szenisches Verstehen Einl. B 29 Tatbegriff siehe Straftat, Tatbegriff Theorie des Strafverfahrens Einl. B 3 Vereinheitlichung, europäische Einl. B 6 Verfahrenswirklichkeit Einl. B 61 ff. Verfahrenswirklichkeit, Theorie und Praxis Einl. B 61 Verfassungsmäßigkeit Einl. B 54 verfassungsrechtliche Gewährleistungen siehe unten: verfassungsrechtliche Grundlagen als Verhaltensanweisungen Einl. B 7 Vollstreckung und Vollzug Einl. B 59 Wahlfeststellung Einl. M 66

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Str

Sachregister

Wahrheit, Erforschung der materiellen siehe Wahrheitserforschung Wahrheitsfindung Einl. B 20 ff. Wahrheitsfindung und gegenläufige Interessen Einl. B 33 Wahrnehmung, menschliche Einl. B 14 ff. Wesen des Strafverfahrensrechts Einl. B 7 Ziele des Strafverfahrensrechts Einl. B 13, 51 Zukunft des Strafprozesses siehe Reformbestrebungen Strafverfahren, europarechtliche Bezüge Beschluss Einl. D 16 Ebenen, rechtliche Einl. D 4 ff. Empfehlung Einl. D 18, 20 Entscheidung Einl. D 19 Entschließung Einl. D 18 Erklärung Einl. D 18 Eurojust Einl. D 31 ff. Europäische Gemeinschaften Einl. D 5 Europäische Menschenrechtskonvention Einl. D 1 Europäische Polizeiakademie Einl. D 27 Europäische Union Einl. D 2 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einl. D 46 ff. Europäischer Rat der Union, Steuerungsmöglichkeiten Einl. D 12 Europäisches Justizielles Netzwerk (EJN) Einl. D 28 ff. Europarat Einl. D 4 Europarat, Steuerungsmöglichkeiten Einl. D 11 European Drug Unit (EDU) Einl. D 22 Europol Einl. D 21 Europol, Ermittlungszuständigkeit Einl. D 25 Europol, geschichtliche Entwicklung Einl. D 22 ff. Europol, Haftungsfreistellung Einl. D 26 Institutionen Einl. D 4 ff. Instrumente der Institutionen Einl. D 11 ff. Maastrichter Vertrag Einl. D 8 Rahmenbeschluss Einl. D 15 Rechtsquellen Einl. D 36 ff. siehe auch unten Strafverfahren, Rechtsquellen Richtlinie Einl. D 19 Schengener Abkommen Einl. D 3, 10 Schlussfolgerung Einl. D 18 Staatsanwaltschaft, europäische Einl. D 33 Stellungnahme Einl. D 20 Struktur des Verfahrensrechts siehe unten Übereinkommen Einl. D 17

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Verfahrensverkürzung/Absprachen siehe unten Verfassung, europäische Einl. D 9 Vernetzung mit europäischem Recht Einl. D 1 ff. Verordnung Einl. D 19 Vorlage an den EuGH Einl. D 42 Strafverfahren, Rechtsquellen Abgabenordnung Einl. C 9 Anerkennung rechtskräftiger Urteile, europaweite Einl. D 44 Betäubungsmittelgesetz Einl. C 9 Beweisverwertungsverbot nach EuGH Einl. D 40 Bundeskriminalamtsgesetz Einl. C 9 Bundesrecht Einl. C 3 ff. Bundeszentralregistergesetz Einl. C 9 corpus iuris Einl. D 49 ff. Datenaustausch zwischen Polizei und StA Einl. C 26 ff. DDR-Recht Einl. C 1 Diskriminierungsverbot nach Art. 6 EGV Einl. D 39 Doppelbestrafungsverbot, grenzüberschreitendes Einl. D 45 Europäische Menschenrechtskonvention Einl. D 46 ff. Europäische Staatsanwaltschaft Einl. D 51 ff. europäisches Gemeinschaftsrecht Einl. D 3 6 ff. Gemeinschaftstreue nach Art. 10 EGV Einl. D 39 Gerichtsverfassungsgesetz Einl. C 2, 7 Gewohnheitsrecht Einl. C 2 internationale Rechtshilfe in Strafsachen Einl. C 10 Jugendgerichtsgesetz Einl. C 8 Justizverwaltungsvorschriften Einl. C 29 Landesrecht Einl. C 3 ff., 11 ff. Ordnungswidrigkeitengesetz Einl. C 9 Polizeirecht siehe Polizei, Rechtsquellen im Strafverfahren Strafgesetzbuch Einl. C 9 Strafprozessordnung Einl. C 2, 7 Überblick Einl. C 1 Verfassungsrecht Einl. C 6 Vordrucke, Verwendung von Einl. C 30 Vorlage an den EuGH Einl. D 42 Vorrang des Gemeinschaftsrechts Einl. D 41 Wahl zwischen Eingriffsbefugnissen (StPO/PolG) Einl. C 25 Weiterverwertung erlangter Daten Einl. C 28 Zivilprozessordnung Einl. C 10

Sachregister Strafverfahren, Struktur Adhäsionsverfahren Einl. G 20 Amtsaufklärungsgrundsatz Einl. G 10 angelsächsisches Prozessmodell Einl. G 22 Anklagemonopol Einl. G 14 Anklageprozess Einl. G 10 Aufbau und Ablauf des Verfahrens Einl. G 1 ff. Auflagen und Weisungen Einl. G 19 beschleunigtes Verfahren Einl. G 19 besondere Verfahrensformen Einl. G 18 Beweisverwertungsverbote Einl. G 10, 30 Einstellung des Verfahrens Einl. G 19 Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren Einl. G 2 Erkenntnisverfahren, allgemein Einl. G 3 Ermittlungsverfahren, Leitung Einl. G 12 Großverfahren Einl. G 21 Jugendstrafverfahren Einl. G 20 Legalitätsprinzip Einl. G 14 Mündlichkeitsgrundsatz Einl. G 10 Nachverfahren Einl. G 2 Normalverfahren Einl. G 18 Objektivitätspostulat Einl. G 14 Opportunitätsprinzip Einl. G 15 Privatklage Einl. G 19 Prozessmodell, deutsches Einl. G 9 ff. Prozessmodelle europäischer Nachbarn Einl. G 22 Prozessmodelle im Vergleich Einl. G 8 Rechtsmittelverfahren Einl. G 3 Rechtsstaatsprinzip Einl. G 10 Richter, freie Überzeugungsbildung Einl. G 10 Schwurgericht Einl. G 25 Sicherungsverfahren Einl. G 20 Staatsanwaltschaft Einl. G 12 Steuerstrafverfahren Einl. G 20 Strafbefehlsverfahren Einl. G 19 Strukturelemente im vollständigen Verfahren Einl. G 9 Trichtermodell Einl. G 5 Unmittelbarkeitsgrundsatz Einl. G 10 verfassungsrechtliche Aspekte Einl. G 17 Strafverfahren, Verfahrensbeteiligte Beschuldigter Einl. J 65 ff. Beteiligte im weiteren Sinne Einl. J 1 Einzelheiten siehe bei den jeweiligen Beteiligten Polizei Einl. J 58 ff. Prozesssubjekte Einl. J 2 richterliche Tätigkeit Einl. J 6 ff. Sachverständiger Einl. J 125, 130 ff. sonstige Beteiligte Einl. J 5

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staatsanwaltschaftliche Tätigkeit Einl. J 39 ff. Verletzter Einl. J 111 ff. Verteidiger Einl. J 101 ff. Zeugen Einl. J 125 ff. Strafverfahren, Verfahrensverkürzung/Absprachen Absprachen allgemein Einl. G 58 siehe auch dort Absprachen, gescheiterte Einl. G 63 Begrenzung der partiellen Anwendung Einl. G 70 beschleunigtes Verfahren Einl. G 41 Beschuldigtenrechte, Gewährleistung Einl. G 32 Einführung Einl. G 32 englisches Recht Einl. G 42, 53 Ermittlungsverfahren Einl. G 65 europäische Nachbarstaaten Einl. G 32 ff. formelle Strategien der Verfahrensverkürzung Einl. G 52 ff., 58 ff., 67 französisches Recht Einl. G 43, 54 Freiwilligkeit bei Absprachen Einl. G 39, 71 italienisches Recht Einl. G 44 ff., 55 österreichisches Recht Einl. G 49, 56 Rechtsgewährung in der Praxis, notwendige Einl. G 68 Rechtsprechung von BGH, BVerfG und EGMR Einl. G 32 spanisches Recht Einl. G 50, 57 Strafbefehlsverfahren Einl. G 40 vereinfachte Verfahren, gesetzliche Einl. G 40 Vereinfachung der Beweisaufnahme Einl. G 58 Vereinfachung des Verfahrens Einl. G 58 verkürzte Verfahren als Regelverfahren Einl. G 36 ff. Vermeidung der Hauptverhandlung Einl. G 52 Verteidiger als Verzögerer Einl. G 76 Strafverfahren, verfassungsrechtliche Grundlagen Abwägungsgebot Einl. H 8 Allgemeines Einl. H 1 Auslegung, verfassungskonforme Einl. H 6 Beweisverwertungsverbote Einl. H 5 Formen Einl. H 6 Gleichheitssatz Einl. H 4 Grundrechte Einl. H 4 als Handlungsanweisung Einl. H 3 informationelle Selbstbestimmung Einl. H 5 Konsequenzen für das Strafverfahren Einl. H 7 Menschenwürde Einl. H 5

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Sachregister

als Rechtsquelle Einl. H 3 Rechtsstaatsprinzip Einl. H 5 Schutzpflicht für das Gemeinwesen Einl. H 13 Sicherung der Strafrechtspflege Einl. H 9 Sozialstaatsprinzip Einl. H 5 Umfang der Einwirkung Einl. H 3 Strafverfahren, Verhältnis zu ausländischem Recht ad hoc Gerichtshöfe (Ruanda/Jugoslawien) Einl. D 95 Allgemeines Einl. D 55 angelsächsisches Recht Einl. D 59, 62 ff. Bedeutung ausländischer Gerichtsentscheidungen Einl. D 80 Bedeutung von EGMR-Entscheidungen Einl. D 81 Begründungen, gerichtliche Einl. D 72 ff Beweise, Geltung ausländischer Einl. D 112 ff. Beweisverwertung, Einzelheiten siehe dort Beweisverwertungsverbote Einl. D 78 Bundesverfassungsgericht, "Solange-Entscheidungen" Einl. D 84 Doppelbestrafung Einl. D 98 englisches Rechtssystem Einl. D 62 ff., 73 europäische Rechtsprechung nach BVerfG Einl. D 84 ff. Europäischer Gerichtshof der EU (EuGH) Einl. D 94 französisches Rechtssystem Einl. D 68 ff., 75 internationale Rechtshilfe Einl. D 108 ff. internationaler Strafgerichtshof (IStGH) Einl. D 95 ff. Italien, Urteilbegründungen Einl. D 76 Rechtssysteme, konkurrierende Einl. D 59 romanisches/germanisches Recht Einl. D 59 Spanien, Urteilbegründungen Einl. D 76 Sprachsysteme, konkurrierende Einl. D 56 Struktur des Verfahrensrechts siehe oben Subsidiaritätsprinzip (EU-Recht) Einl. D 89 systemübergreifende Tätigkeit Einl. D 55 Überstellung an den IStGH Einl. D 96 f. Überstellung an den IStGH, Verfahren Einl. D 98 ff. Verfahrensverkürzung/Absprachen siehe oben Verhältnismäßigkeitsgebot (EU-Recht) Einl. D 89 Wahrheit als Verfahrensziel Einl. D 79 Strafverfahrensrecht, Geltungsbereich Allgemeines Einl. E 1

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Auslandsaufenthalt Einl. E 4 Besetzungsänderung Einl. E 19 Beweisaufnahme im Ausland Einl. E 10 Exterritorialität Einl. E 6 Fristbestimmungen, neue Einl. E 21 Grundsätze Einl. E 1 Immunität, diplomatische/völkerrechtliche Einl. E 6 Immunität, parlamentarische Einl. E 8 internationale Rechtshilfe Einl. E 2 Landesrecht Einl. E 11 Luftfahrzeuge Einl. E 12 materielles Strafrecht Einl. E 5 NATO-Angehörige Einl. E 7 persönlicher Geltungsbereich Einl. E 3 ff. Präklusionsvorschriften Einl. E 21 räumlicher Geltungsbereich Einl. E 9 Rechtshilfeersuchen, ausländisches Einl. E 10 Rechtsmittelsicherheit Einl. E 18 Schiffe Einl. E 12 staatliche Funktionsträger Einl. E 8 Strafbarkeit des Beschuldigten Einl. E 5 Truppenangehörige, ausländische Einl. E 7 Verfahrensvoraussetzungen, Änderung Einl. E 20 Wiederaufnahmerecht, Änderungen Einl. E 23 zeitlicher Geltungsbereich Einl. E 16 Zulässigkeit von Prozesshandlungen, Änderung Einl. E 22 Zuständigkeitsänderung Einl. E 19 Strafverteidiger Ablehnung eines Richters 25 32 Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit 24 62 Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 20 Ausschließung eines Richters 22 38 Befangenheit, Verursachung 24 16 bestellter Verteidiger Einl. J 102 Effektivität der Verteidigung Einl. J 103 Ermittlungsverfahren Einl. J 103 Fristversäumnis siehe Wiedereinsetzung nach Verteidigerverschulden Fürsorgepflicht der Strafverfolgungsorgane Einl. I 128 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 14, 98, 128 gesetzliche Regelungen Einl. J 104 Interessentheorie Einl. J 110 notwendige Verteidigung Einl. J 102 als Organ der Rechtspflege Einl. J 106 Organtheorie Einl. J 108 Pflichtverteidiger Einl. J 102

Sachregister als Prozesssubjekt Einl. J 106 Rechtsanwendung, Methode Einl. M 40 Rechtsmissbrauch im Strafverfahren Einl. H 40 ff. Rechtsstellung allgemein Einl. F 14, 98, 128; Einl. J 107 als Verfahrensbeteiligter Einl. J 101 ff. Vertauensbeziehung zum Mandanten Einl. J 105 Verteidigung, materielle und formelle Einl. J 101 Vertragstheorie Einl. J 109 Wahlverteidiger Einl. J 102 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 46 21 Zuständigkeit besonderer Strafkammern, Prüfung der 6a 11 Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 5 ff. Strafverteidiger, Ausschließungsverfahren Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 11 Strafvollstreckung Gerichtsstand, Zuständigkeitsstreit 14 2, 4 Nichtigkeit von Entscheidungen Einl. K 130 Untersuchungshandlungen bei Unzuständigkeit 20 2 Strafvollstreckungskammer Ablehnung eines Richters 28 16 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 111 Zuständigkeit des Gerichts Vor 1 6 Strafvollzug Ablehnung eines Richters 28 40 Untersuchungshandlungen bei Unzuständigkeit 20 2 Tatbegriff siehe Straftat, Tatbegriff Täter Begriff 22 23 Täter-Opfer-Ausgleich Beschuldigtenrechte, Gewährleistung Einl. J 94 Tatverdacht (allgemein) Anklagegrundsatz (Akkusationsprinzip) Einl. I 13 faires Verfahren, Recht auf Einl. I 47, 74 Gerichtsstand des Tatortes 7 1 Rechtsanwendung, Methode Einl. M 21, 23, 73 Verdachtsstufen Einl. I 47 Unmittelbarkeitsgrundsatz Einl. I 66 Telebrief Fristwahrung Vor 42 30 Telefax Fristwahrung Vor 42 31

Unt

Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 38 Telegramm Fristwahrung Vor 41 26 Telekommunikationsüberwachung Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 41 Beweisverbot/Beweisverwertungsverbot Einl. L 81, 90 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 104, 139, 158 Terrorismusbekämpfung Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 90, 108, 117, 119, 124, 132 Trennung verbundener Strafsachen Anfechtbarkeit – für den Angeklagten 2 27 – Revision 2 28 – für die Staatsanwaltschaft 2 26 Anwendungsbereich 2 20 Einstellung, vorläufige (§ 205) 2 25 Eröffnung des Hauptverfahrens 2 20 Form 2 24 Gründe 2 22 im Hauptverfahren siehe Verbindung/Trennung im Hauptverfahren Klagerücknahme 2 20 Rechtsnatur 2 19 Wiederverbindung 2 23 Zeugenaussage des Mitangeklagten 2 23 Zulässigkeit 2 21 Universitätsprofessor Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen Vor 22 5 Unmittelbarkeitsgrundsatz Allgemeines siehe Prozessmaximen Anfangsverdacht Einl. I 66 Beweisnähe Einl. I 63 formelle Unmittelbarkeit Einl. I 63 f. gesetzliche Regelungen Einl. I 64 f. materielle Unmittelbarkeit Einl. I 65 Untersuchungshandlungen bei Unzuständigkeit 20 6 Verhandlungseinheit Einl. I 63 Unschuldsvermutung (ne bis in idem) Beschuldigtenrechte, Gewährleistung Einl. J 74 Rechtsanwendung, Methode Einl. M 31 Unterbringung zur Begutachtung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 46 16 Zuständigkeit besonderer Strafkammern, Prüfung der 6a 8

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Unt

Sachregister

Untersuchungshaft Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 41 Gerichtsstand des Ergreifungsortes 9 4 ff., 12 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 98, 104, 136 Verhältnismäßigkeitsgebot Einl. I 99 Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 59 Urheberrecht Gerichtsstand der Presse 7 18 Urkunde Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 85 f. Urkundsbeamter der Geschäftsstelle (UdG) Ablehnung eines Richters, unaufschiebbare Maßnahmen 29 39 Ablehnung wegen Befangenheit siehe dort Ausschließung/Ablehnung allgemein Vor 22 7 Beteiligung am Strafverfahren Einl. J 38 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 44 42 Urteil allgemeine Anforderungen siehe Entscheidung (gerichtliche) Ausschließung eines Richters 22 58 Begriff Vor 33 3 Begründungspflicht für gerichtliche Entscheidungen 34 4 Bekanntmachung der gerichtlichen Entscheidung 35 6 Nichtigkeit gerichtlicher Entscheidungen siehe dort Nichtigkeit von Entscheidungen siehe dort Rechtskraft/Bestandskraft von Entscheidungen siehe dort Rechtsmittelbelehrung 35a 4 f. Verbindung von Strafsachen Abgrenzung zu § 237 2 6, 19 Anfechtung 2 18 Anklageerhebung 2 16 f. Anwendungsbereich 2 9 Begriff der Strafsache 2 7 beschleunigtes Verfahren 2 17 Beschleunigungsgebot 2 11 Dienstaufsichtsbeschwerde 2 18 Durchführung 2 16 Einziehungsverfahren 2 17 Entscheidung 2 15 Ermessen der Staatsanwaltschaft 2 2, 8, 10, 12

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Ermessensmissbrauch 2 12 f. im Ermittlungsverfahren 2 14 f. Geldbuße gegen jur. Personen/Personenvereinigungen 2 17 Gerichtsstand des Zusammenhangs siehe dort Gesamtstrafenbildung 2 5 zur gleichzeitigen Verhandlung siehe Verhandlungsverbindung/-trennung im Hauptverfahren 2 4 Jugendstrafsache 2 3 Ordnungswidrigkeiten 2 4 örtliche Zuständigkeit 2 4 Prozesstaktik 2 13 Sicherungsverfahren 2 17 Strafbefehlsverfahren 2 17 Trennung siehe dort Verfassungsmäßigkeit 2 8 Verschiebung der Zuständigkeit 2 5 Wirkungen – Eingangsinstanz 5 3 – instanzübergreifende Verbindung 5 3 – Jugendstrafsachen 5 8 – maßgebendes Verfahren 5 1 f. – Rechtsmittelverfahren 5 5 – Selbstständigkeit, verbleibende 5 7 f. – Zurückverweisung 5 6 Zeitpunkt 2 16 Zulässigkeit 2 10 Zusammenhang – allgemein 2 7; 3 1 – Anfechtbarkeit (Revision) 3 6 – Arten 3 1 f. – kombinierter 3 5 – persönlicher 3 3 – sachlicher 3 4 Zweck der Regelung 2 1 Verbindung/Trennung im Hauptverfahren Anfechtbarkeit (Beschwerde) 4 44 Anfechtbarkeit (Revision) 4 45 Anhängigkeit bei gleichrangigen Spruchkörpern 4 6 Anhängigkeit bei mehreren Gerichten 4 15 Anhängigkeit beim selben Gericht 4 4 ff. Anhängigkeit beim selben Spruchkörper 4 5 Anwendung vor Eröffnung 4 3 Anwendungsbereich der Vorschrift 4 1 f. Anwendungsbereich, erweiterter 4 3 ff. Berufungssachen beim Landgericht 4 11 instanzübergreifende Verbindung 4 16 ff. Jugendstrafsachen in Berufung 4 13 f. Rechtsmittelinstanz 4 8 Trennung – allgemein 4 30

Sachregister – Jugendstrafsachen 4 36 – Verfahren 4 32 – Voraussetzungen 4 31 – Wirkungen 4 33 ff. – Zuständigkeit nach BGH 4 35 Verfahren – Begründung 4 26 – Beschluss 4 25 – Ermessen 4 24 – ohne Verbindungsbeschluss 4 27 Wiederaufnahmeverfahren 4 23 Wirkungen 4 28 f. Wirtschaftsstrafkammer 4 12 nach Zurückverweisung 4 10 Zuständigkeit – besondere Spruchkörper 4 38 – gemeinschaftliches oberes Gericht 4 39 – Gericht höherer Ordnung 4 37 – vor Rechtshängigkeit 4 40 – für Trennung von Verfahren 4 43 Zweck der Regelung 4 1 f. Verbrechensbekämpfung Strafverfahren/Strafprozess allgemein Einl. B 42 verdeckter Ermittler Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 41 Beweisverbot/Beweisverwertungsverbot Einl. L 69, 115 Rechtsquellen des Strafverfahrens Einl. C 24 Verfahrenshindernis faires Verfahren, Recht auf Einl. I 116 Rechtskraft/Bestandskraft von Entscheidungen Einl. K 75, 86 f. Verfall, erweiterter Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 140 Verfassungsbeschwerde Anhörung der Beteiligten, nachträgliche 33a 28 Ausschließung eines Richters 22 28 Bekanntmachung der gerichtlichen Entscheidung 35 22 faires Verfahren, Recht auf Einl. I 115 rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) Einl. I 95 Verfassungsrecht Rechtsquellen des Strafverfahrens Einl. C 6 Verfassungsschutz Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 148 Rechtsquellen des Strafverfahrens Einl. C 21 Verfügung, gerichtliche allgemeine Anforderungen siehe Entscheidung (gerichtliche) Begriff Vor 33 5 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Abwägung im Einzelfall Einl. I 98

Ver

ausländisches Recht, Geltung im Strafverfahren Einl. D 89 Bedeutung Einl. I 96 Beschleunigungsgebot Einl. I 99 Deliktskataloge Einl. I 100 Erforderlichkeit Einl. I 97 erhebliche Straftaten Einl. I 100 Ermittlungsverfahren Einl. I 99 Geeignetheit Einl. I 97 gesetzliche Regelungen Einl. I 100 Grenzen Einl. I 102 Grundlagen Einl. I 96 Korrekturinstrument Einl. I 98 Merkmale der Verhältnismäßigkeit Einl. I 97 Subsidiarität Einl. I 100 Übermaßverbot (Angemessenheit) Einl. I 97 Untersuchungshaft Einl. I 99 Verdachtsschwelle, erhöhte Einl. I 100 Verhandlungsfähigkeit Beschuldigtenrechte, Gewährleistung Einl. J 78 Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 14 Verhandlungsmaxime (Dispositionsmaxime) Amtsaufklärungsgrundsatz Einl. I 30 Verhandlungsverbindung/-trennung Verbindung/Trennung von Strafsachen 2 6 Verjährung Fristberechnung 43 10 Rechtsanwendung, Methode Einl. M 50 ff. Verkündung der gerichtlichen Entscheidung siehe Bekanntmachung der gerichtlichen Entscheidung Verletzter Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit 24 62 ff. Amtspflichtverletzung Einl. J 124 Anhörung der Beteiligten, gerichtliche 33 18 Begriff Einl. J 117; 22 7 f. Behandlung durch die Prozessbeteiligten Einl. J 123 Beziehung zum Beschuldigten Einl. J 118 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 104, 125, 155, 161 geschichtliche Entwicklung/Reformbestrebungen Einl. J 113 Interessen, berechtigte Einl. J 119 Nebenkläger siehe dort Opferschutz siehe dort Opferschutzgesetz Einl. J 115 als Prozesssubjekt Einl. J 122 Rechtsstellung im Überblick Einl. J 117 Täter-Opfer-Ausgleich Einl. J 116

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Ver

Sachregister

als Verfahrensbeteiligter Einl. J 111 ff. Wiedergutmachung Einl. J 116, 120 Vermögensstrafe Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 140 Vermutung, gesetzliche Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 44 64 ff. Vernehmung des Beschuldigten (Hauptverhandlung) Ablehnung eines Richters 25 1 ff. Verschlechterungsverbot (reformatio in peius) Anhörung der Beteiligten, nachträgliche 33a 24 Verschleppung des Verfahrens siehe auch Rechtsmissbrauch Ablehnung eines Richters, unzulässige 26a 4, 22, 28 Begründungspflicht für gerichtliche Entscheidungen 34 10 Verteidiger siehe Strafverteidiger Verweisung der Sache Zuständigkeitsprüfung von Amts wegen 6 14 f., 21 Verwirkung Anhörung der Beteiligten, nachträgliche 33a 20 Rechtsmissbrauch im Strafverfahren Einl. H 67 ff. V-Leute Beweisverbot/Beweisverwertungsverbot Einl. L 69, 115 Völkerstrafgesetzbuch Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) Einl. D 95 Volksgerichtshof Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 55 Vollstreckung Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 36 18 ff. Vormund/Betreuer Ausschließung eines Richters 22 10 Waffengleichheit siehe faires Verfahren, Recht auf (Art. 20 GG, 6 MRK, 14 IPBPR) Wahlfeststellung Rechtsanwendung, Methode Einl. M 66 f. Wahrheitserforschung Amtsaufklärungsgrundsatz Einl. I 30 Aufklärungsgrundsatz Einl. H 27 Bedeutung Einl. H 23 Begriff Einl. H 24 Beibringungsgrundsatz Einl. H 27 Beweisrecht Einl. H 28

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Beweisverbote Einl. H 31 Ermittlungsverfahren Einl. H 33 Formen des Beweises Einl. H 34 Freibeweis Einl. H 34 Geständnis Einl. H 36 Glaubhaftmachung Einl. H 35 Grade des Beweises Einl. H 35 Grenzen Einl. H 29 Grundlagen Einl. H 23 ff. Mittel Einl. H 32 ff. Notwendigkeit Einl. H 32 prozessuale/forensische Wahrheit Einl. H 26 Strengbeweis Einl. H 34 Wiederaufnahme des Verfahrens Ablehnung eines Richters 28 24 Ausschließung eines Richters 23 13 ff. Geltungsbereich des Strafverfahrensrechts Einl. E 23 Gerichtsstand, Bestimmung durch den BGH 13a 10 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 113, 151 Nichtigkeit von Entscheidungen Einl. K 129 Rechtskraft/Bestandskraft von Entscheidungen Einl. K 85, 97 Verbindung/Trennung von Strafsachen 4 23 Wiederaufnahmeverfahren In-dubio-pro-reo-Grundsatz Einl. I 51 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (allgemein) Abwesenheit, vorübergehende 44 29 Änderungen im Dienstbetrieb 44 22 Annspruch auf Wiedereinsetzung 44 1 ff. Antragsteller/Anspruchsberechtigter 44 17 Ausländer, sprachunkundiger 44 13, 23, 68 Auslegung 44 14 Ausschließung eines Richters 23 7 Beförderung, private 44 36 Behörden 44 39 Billigkeitserwägungen 44 58, 60 Entschädigungsverfahren 44 61 Erfolgsaussichten, irrige Beurteilung 44 25 Erkrankungen 44 24 Formverstöße 44 9 Fristen 44 7 Fristversäumnis siehe auch Fristwahrung Geldmangel 44 24 Gemütsverfassung des Antragstellers 44 22 Inhalt der Vorschrift 44 1 Klageerzwingungsverfahren 44 43, 62 Klageerzwingungsverfahren, Beschwerdefrist 44 11 Kostenentscheidung, Änderung 44 61 Naturereignis 44 20

Sachregister Nebenkläger 44 62 persönliche Verhältnisse 44 22 Postweg 44 36 Privatklage 44 43, 62 rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) 44 28 Rechtshandlung, Versäumung 44 14 Rechtsmittelbelehrung 35a 7, 24, 27, 38 Rechtsmittelbelehrung, qualifizierte 44 69 Rechtsmittelbelehrung, unterbliebene 44 65 Rechtsmittelbelehrung, unvollständige 44 67 Reise 44 29 f. Revisionsschrift/-begründung 44 13 für die Staatsanwaltschaft 44 63 Strafantragsfrist 44 11 Verfahrensrügen, Nachholung 44 13 verhindert sein 44 19 Verkehrsverzögerungen 44 38 Vermutung der unverschuldeten Versäumung 44 64 Versäumung einer Frist 44 6 siehe auch Fristwahrung Verschulden 44 21 ohne Verschulden verhindert sein 44 18 ff. Verschulden, Begriff 44 18 Verteidigerverschulden siehe unten Vertreter, gesetzlicher/Erziehungsberechtigter 44 26 Vertreterverschulden (Rechtsanwalt) 44 56 ff. Vollzugsanstalt 44 44 Wirkung 44 71 Zustellung – an Bevollmächtigten 44 35 – Ersatzzustellung 44 30 – fehlgegangene 44 27 – öffentliche 44 33 – unwirksame 44 32 Zweck der Regelung 44 1 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Antrag Antrag 45 5 ff. Aufschub der Vollstreckung 47 2 Aufschub, zuständiges Gericht 47 3 Bedeutung der Vorschrift 45 1 ff. Begründung bei Übermittlungsfehlern 45 22 Begründung des Antrags 45 13 ff. Berufungsfrist 45 10 eidesstattliche Versicherung 45 23 Entbehrlichkeit 45 30 Form des Antrags 45 5 Frist für Antragstellung 45 5 Frist zur Glaubhaftmachung 45 24 Glaubhaftmachung 45 16 Glaubhaftmachung, Mittel 45 17

Wie

historische Entwicklung 45 1 Kenntnis, persönliche 45 8 Nachholen der versäumten Handlung 45 29 beim Rechtsmittelgericht 45 6 Revisionsfristen 45 11 Tatsachen, gerichtsbekannte 45 17 Verfahrensordnungen, andere 45 3 Versäumen der Hauptverhandlung 45 32 Versäumnisgründe, Angabe der 45 13 Verteidiger als Antragsteller 45 19 Vollstreckungsbehörde 47 6 Vollstreckungshemmung 47 1 ff. Vollstreckungshemmung, Ermessen 47 1 Wegfall des Hindernisses 45 7 Zeugenbenennung 45 20 Zuständigkeit des Gerichts 45 9 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Entscheidung Anfechtbarkeit (Beschwerde) 46 24 Antrag 46 1 Anwaltsgerichtsverfahren 46 21 Berufsverbot 46 21 Berufung 46 4, 15, 17 Durchbrechung der Rechtskraft 46 15 Einziehungs-/Verfallsverfahren 46 20 Entscheidung 46 9 Entziehung der Fahrerlaubnis, vorläufige 46 19 Erledigung des Antrags 46 1 ff. fehlerhafte Wiedereinsetzung 46 25 Haftsachen 46 16 Hemmung der Vollstreckung 47 1 ff. rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) 46 22 Rechtsmittelinstanz 46 5 Reformbedarf 46 11 Revision 46 4, 12, 15 ff., 29 stattgebende Entscheidung 46 26 stillschweigende 46 10 Unterbringung zur Beobachtung 46 16 verwerfende Entscheidung 46 28 Vollstreckungsverjährung 46 13 Wiederaufnahme 46 22 Wirkung der Wiedereinsetzung 46 11 Zuständigkeit 45 9; 46 3 Wiedereinsetzung nach Verteidigerverschulden Anwalt als Vertreter 44 56 ff. Büroorganisation, mangelhafte 44 54 Einzelfälle 44 47 Erreichbarkeit des Mandanten 44 49 historische Entwicklung 44 45 Kommunikationsmittel, moderne 44 55 Nebenkläger 44 62 Personal des Verteidigers 44 45 Pflichtverletzung, grobe 44 50

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Wie

Sachregister

Pflichtverteidiger 44 45 Privatkläger 44 62 Ratschläge, fehlerhafte 44 51 f. Rechtskenntnisse, durchschnittliche 44 53 Rechtsprechung 44 46 vollmachloser Verteidiger 44 48 Wahlverteidiger 44 45 Wiederholungsgefahr (Haftgrund) Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 136 Wiedervereinigung Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 184 ff. Willkür Befangenheit des Richters 24 39 Wirtschaftsstrafkammer Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 103, 121 Verbindung/Trennung von Strafsachen 4 12, 14 Zuständigkeit besonderer Strafkammern, Prüfung der 6a 5 Wohnraumüberwachung, akustische Beweisverbot/Beweisverwertungsverbot Einl. L 81, 90 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 154 Rechtsquellen des Strafverfahrens Einl. C 24 Wohnsitz Gerichtsstand 8 1 ff. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 44 29 Wohnung/Geschäftsräume Zustellung der gerichtlichen Entscheidung 37 55 ff., 71 Zeuge Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit 24 64 Ausschließung eines Richters 22 40 Beweisverbot/Beweisverwertungsverbot siehe dort vom Hörensagen, Beweisverwertungsverbot Einl. L 68 Rechtsbeistand Einl. J 129 Schutz Einl. J 127 Verbindung/Trennung von Strafsachen 2 13 als Verfahrensbeteiligter Einl. J 125 ff. Zeugenschutz, Geschichte Einl. F 116, 122, 137, 150, 155 Zustellung der unmittelbaren Ladung 38 1 Zeugnis-/Auskunftsverweigerungsrecht Beweisverbot/Beweisverwertungsverbot Einl. L 49 ff. Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 14, 93, 118, 151, 160

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Zurückverweisung Ausschließung eines Richters 23 27 ff. Zuständigkeit besonderer Strafkammern, Prüfung der Anfechtbarkeit (Beschwerde) 6a 25 Anfechtbarkeit (Revision) 6a 26 Bedeutung der Vorschrift 6a 1 Berufungsinstanz 6a 21 Einbeziehungsbeschluss 6a 6 Einwand des Angeklagten – bei Abwesenheit 6a 16 – allgemein 6a 10 ff. – Einziehungs-/Verfallsverfahren 6a 11 – Form 6a 17 – Geldbuße gegen jur. Personen/Personenvereinigungen 6a 11 – gerichtliche Entscheidung 6a 20 – in der Hauptverhandlung 6a 14 – Jugendgerichtsverfahren 6a 11 – mehrere Angeklagte 6a 15 – Nachverfahren 6a 11 – Sicherungsverfahren 6a 11 – Staatsanwaltschaft 6a 12 – Strafverteidiger 6a 11 – wiederholte Erhebung 6a 18 – Zeitpunkt 6a 13 Einziehungsverfahren 6a 6 Geldbuße gegen jur. Personen/Personenvereinigungen 6a 6 Jugendstrafsache 6a 2 Nachtragsanklage 6a 6 Pflichtverteidiger, Bestellung 6a 8 f. staatsanwaltliche Prüfungspflicht 6a 3 Unterbringung zur Beobachtung 6a 8 f. Verfahren 6a 7 ff. Wirtschaftsleben, besondere Kenntnisse 6a 5 Zuständigkeit des Gerichts Arten Vor 1 1 ff. besondere Strafkammern siehe Zuständigkeit besonderer Strafkammern, Prüfung der Einzelheiten siehe bei den jeweiligen Gerichten Feststellung Vor 1 10 f. funktionelle – allgemein Vor 1 3 – besondere Strafkammern Vor 1 4 – Geschäftsverteilung Vor 1 4 – Jugendgerichte Vor 1 5 – spruchkörperintern Vor 1 7 – Strafvollstreckungskammern Vor 1 6 gesetzlicher Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) 6 3 Kompetenzkonflikt

Sachregister – anderweitige Rechtshängigkeit Vor 1 13 – besondere Strafkammern Vor 1 15 – Entscheidung des Präsidiums Vor 1 16 – Jugendgerichte Vor 1 15 – positiv, negativ Vor 1 12 ff. – bei sachlicher Zuständigkeit Vor 1 14 Nachprüfung durch Rechtsmittelgerichte Vor 1 11 örtliche siehe Gerichtsstand Prüfung von Amts wegen siehe unten siehe auch Gerichtsstand, Prüfung von Amts wegen Rechtsmittelgerichte Vor 1 9 Rechtspfleger Vor 1 8 sachliche – allgemein Vor 1 2; 1 1 – erster Rechtszug 1 2 – Merkmale 1 3 – Rangverhältnis 1 2 – Rechtsmittelgerichte 1 4 Unbeachtlichkeit 6 2 f. Verbindung/Trennung von Strafsachen siehe dort Zuständigkeit des Gerichts, Prüfung von Amts wegen Änderung siehe Verweisung Änderung durch Verurteilung 6 18 Anfechtbarkeit des Verweisungsbeschlusses 6 21 Berufungsinstanz 6 9 ff. Eingangsinstanz 6 5 ff. nach Eröffnungsbeschluss 6 7 Geltungsbereich 6 1 vor/in der Hauptverhandlung 6 8 Jugendstrafsachen 6 12 Oberlandesgericht 6 4 örtliche Zuständigkeit siehe Gerichtsstand, Prüfung von Amts wegen Regelungsgehalt 6 1 Revisionsinstanz 6 16 ff. bei Verfahrensrüge 6 17 Verweisung siehe dort Verweisungsbeschluss 6 21 bei Willkür der ersten Instanzen 6 17 Zuständigkeit nach § 24 Abs. 2 GVG 6 13 f. Zwischenverfahren 6 6 Zustellung der gerichtlichen Entscheidung Anfechtbarkeit 36 37 Anordnung des Staatsanwaltschaft 36 10

Zus

Anordnung des Vorsitzenden 36 5 Ausführung der Anordnung 36 11 Auslandszustellung 36 13 Bedeutung der Regelung 36 1 Bekanntgabe 35 18 ff. Bekanntmachung, Art der 36 6 Eingang elektronischer Dokumente siehe Elektronisches Dokument, Eingang bei Gericht/StA entgegen der Anordnung 36 36 Entscheidungen, zustellungsbedürftige 36 3 fehlende Anordnung 36 34 Form der Anordnung 36 7 Geschichte/Reformbestrebungen Einl. F 60 Mängel bei der Anordnung 36 34 ff. öffentliche Zustellung siehe unten Rechtsmittelbelehrung 35a 25 ff. Staatsanwaltschaft – Abschrift, beglaubigte 41 1 – allgemein 36 9, 14 ff., 24 – Fristbeginn 41 3 – Geschäftsstelle/Posteingangsstelle 41 2 – Verfahren der Zustellung 41 1 ff. – Vermerk auf der Urschrift 41 3 – zu vollstreckende Entscheidungen 36 24 – Vorlegung der Urschrift 41 1 Übertragung der Befugnis 36 8 zur vollstreckende Entscheidungen siehe Zustellung zu vollstreckender Entscheidungen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 44 27 ff. Zivilprozessordnung, Anwendbarkeit der 36 11 f. Zusammenfallen von Anordnung und Ausführung 36 13 Zustellung, Begriff 36 4 Zustellung der unmittelbaren Ladung Auftrag an den Gerichtsvollzieher 38 2 Befugnis zur Ladung 38 1 Beurkundung 38 6 Gerichtsvollzieher, Ausführung 38 4 Ladung, unmittelbare 38 1 Verfahren 38 3 Zustellung zu vollstreckender Entscheidungen Anfechtbarkeit (Antrag auf gerichtliche Entscheidung) 36 37 Beispiele 36 21 Beispiele nicht zu vollstreckender Entscheidungen 36 22 Beweiserhebungen, Anordnung 36 30 Inhalt der Ausnahmeregelung 36 14 Ladungen 36 31

1029

Zus

Sachregister

Privatklage 36 31 Revisionsbegründung der StA 36 32 richterliche Vollstreckung – Ordnung der Sitzung 36 27 – weitere Zuständigkeit 36 28 Staatsanwaltschaft, zuständige 36 24 Übergabe an die Staatsanwaltschaft 36 23 Veranlassung des Erforderlichen 36 25 Vollstreckung von Erzwingungshaft 36 29 Vollstreckung, Begriff 36 18 Zustellung, öffentliche Adressaten 40 5 Anfechtbarkeit (Beschwerde) 40 23 Anordnung 40 17 Anwendbarkeit der ZPO 37 22; 40 5 Anwendungsbereich 40 2 ff. Ausführung der Anordnung 40 18 Ausländer 40 8 Auslandszustellung, Unmöglichkeit 40 10 Ausnahmen 40 6 Aussetzung des Strafrests 40 3 Bedeutung der Vorschrift 40 1 Belehrungspflicht 40 16 Berufung, Erleichterung 40 12 Beschuldigter 40 5 Einziehungs-/Verfallsbeteiligte 40 5 Entscheidungen, gerichtliche 40 2 Erforschungspflicht 40 8 Fiktion der Bekanntmachung 40 1 Inlandszustellung, Unmöglichkeit 40 9 Ladung zur Hauptverhandlung 40 6 Mängel 40 22 Revisionsverfahren 40 14 Strafbefehlsverfahren 40 2 Verfahren 40 17 ff. Verfahrensverzögerung 40 1, 12 Voraussetzungen 40 7 Zustellung, Verfahren Adressat 37 4 von Anwalt zu Anwalt (§ 195 ZPO) 37 21 nicht anwendbare Vorschriften 37 12 ff., 22 f., 24 ff. Aushändigung an der Amtsstelle (§ 173 ZPO) 37 31 Auslandszustellung – Behörden, ausländische 37 90 ff. – diplomatische/konsularische Vertretung 37 90 ff. – Einschreiben mit Rückschein 37 88 – Immunität 37 94 – Verfahrensurkunden 37 87 ff. Auslandszustellung (§ 183 ZPO) 37 53, 87 ff. Betreiben der Parteien (§ 191 ZPO) 37 19 Beurkundung 37 1, 100

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Bevollmächtigter; Aufgabe zur Post (§ 184 ZPO) 37 18 Briefkasten, Einlegen in den (§ 180 ZPO) 37 77 Datum 37 42 Ehegatte 37 67 Einschreiben mit Rückschein (§ 175 ZPO) 37 45, 88 elektronische Dokumente 37 39 ff. E-Mail 37 39 Empfangsbekenntnis (§ 174 ZPO) 37 34 entsprechende Anwendung der ZPO 37 11 Ermessen 37 26 Ersatzzustellung 37 55 ff. Ersatzzustellung in der Wohnung, etc. (§ 178 ZPO) 37 55 in der Familie Beschäftigter 37 68 Familienangehöriger 37 67 Form 37 3 Gegenstand der Zustellung 37 2 Gemeinschaftseinrichtungen 37 72 Gerichtsvollzieher (§§ 192 bis 194 ZPO) 37 20, 23 Geschäftsräume 37 71 Geschäftsstelle, Aufgaben (§ 168 ZPO) 37 26 Häftling 37 59 Heilung von Zustellungsmängeln 37 95 Inhalt der Zustellungsvorschriften 37 24 Krankenhausaufenthalt 37 60 Mängel bei der Anordnung 37 98 Mängel bei der Beurkundung 37 100 Mängel bei der Durchführung 37 99 Mängel bei der Zustellung 37 95 ff. Mängel, wesentliche 37 97 ff. mehrfache Zustellung – Empfangsberechtigte 37 105 – Fristen, Ingangsetzung 37 107 – Inhalt der Regelung 37 102 – Rechtskraft 37 104 Minderjähriger 37 4 Mitbewohner, ständiger 37 69 Nebenkläger 37 14, 22 nichteheliche Lebensgemeinschaft 37 69 Niederlegung (§ 181 ZPO) 37 81 öffentliche Zustellung siehe oben öffentlichen Rechts, Personen und Anstalten des 37 35 Ort der Zustellung (§ 177 ZPO) 37 52 Pflegefamilien 37 67 Post, Begriff 37 29 Privatkläger 37 14, 22 Prozessfähigkeit 37 14 Rückwirkung der Zustellung (§ 167 ZPO) 37 12

Sachregister Schiffe 37 30, 64 Soldaten 37 65 Studenten 37 66 Telefax 37 38 Übermittlungsverfahren 37 24 Unwirksamkeit der Zustellung 37 97 ff. verhandlungsunfähige Personen 37 14 Verteidiger/Rechtsbeistand 37 5 ff. verweigerte Annahme (§ 179 ZPO) 37 74 Vordrucke, einheitliche (§ 190 ZPO) 37 54 Wohnsitzlose 37 30 Wohnung 37 57

Zwi

Wohnung, Scheinwohnung 37 63 Zustellung an Bevollmächtigte (§ 171 ZPO) 37 15 Zustellung an Prozessbevollmächtigte (§ 172 ZPO) 37 17 Zustellung an Vertreter (§ 170 ZPO) 37 13 Zustellung, Begriff (§ 166 ZPO) 37 1, 25 Zustellungsauftrag (§ 176 ZPO) 37 49 Zustellungsurkunde (§ 182 ZPO) 37 85 Zwischenverfahren siehe Eröffnungsverfahren

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