Luthertum und Obrigkeit im Alten Reich in der Frühen Neuzeit: Dargestellt am Beispiel von Tilemann Heshusius (1527–1588) [1 ed.] 9783428547371, 9783428147373

Seit dem linguistic turn ist innerhalb der historischen Forschung ein methodischer und thematischer Paradigmenwechsel vo

162 81 4MB

German Pages 681 Year 2016

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Luthertum und Obrigkeit im Alten Reich in der Frühen Neuzeit: Dargestellt am Beispiel von Tilemann Heshusius (1527–1588) [1 ed.]
 9783428547371, 9783428147373

Citation preview

Historische Forschungen Band 109

Luthertum und Obrigkeit im Alten Reich in der Frühen Neuzeit Dargestellt am Beispiel von Tilemann Heshusius (1527–1588)

Von Chang Soo Park

Duncker & Humblot · Berlin

CHANG SOO PARK

Luthertum und Obrigkeit im Alten Reich in der Frühen Neuzeit

Historische Forschungen Band 109

Luthertum und Obrigkeit im Alten Reich in der Frühen Neuzeit Dargestellt am Beispiel von Tilemann Heshusius (1527–1588)

Von Chang Soo Park

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: CPI buchbücher.de, Birkach Printed in Germany ISSN 0344-2012 ISBN 978-3-428-14737-3 (Print) ISBN 978-3-428-54737-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-84737-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die wesentlichen Anregungen zu diesem Buch gab Frau Prof. Dr. Luise Schorn-Schütte, die mich seit mehr als einem Jahrzehnt aufmerksam und hilfreich in jeglicher Hinsicht begleitet hat. Der gedankliche Austausch mit ihr vom ersten Forschungskonzept bis zur Veröffentlichung gehört zu einer der reichsten Erfahrungen meiner wissenschaftlichen Laufbahn. Dass es möglich war, die Idee einer Verbindung der Konfliktanalyse in den Stadtgemeinden des 16. Jahrhunderts mit der Veränderung bzw. Konstanz der theologiepolitischen Argumente des orthodoxen Lutheraners Tilemann Heshusius hier in dieser Form ein Stück weiterzuführen, verdanke ich vielen Menschen, die mich bei der Fertigstellung unterstützt haben, denn ohne sie hätte das Vorhaben nie diese Gestalt angenommen. Zu nennen sind hier zunächst vor allem Frau Prof. Dr. Inge Mager, die für mein Vorhaben ein zweites Gutachten zur Finanzierung des Vorhabens bei der DFG verfasst hatte. Sie hat auch viel Mühe verwendet, um die lateinischen Textstellen Korrektur zu lesen. Eine große Erleichterung bedeutete für mich die unkomplizierte Benutzung der Stadtarchive und Staatsarchive in Bremen, Emden, Goslar, Wesel, Rostock, Weimar, Jena, Magdeburg sowie der Forschungsbibliothek in Gotha, Johannes a Lasco Bibliothek in Emden und der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. Wertvolle Anregung und guten Rat habe ich von Prof. Dr. Heinz Duchhardt und Prof. Dr. Martin Brecht sowie Prof. Dr. Hartmut Rosa am Max-Weber-Kolleg und Prof. Dr. Peter F. Barton im Institut für protestantische Kirchengeschichte in Wien empfangen. Nicht vergessen möchte ich das fördernde Gespräch mit Freunden und Kollegen im Historischen Seminar an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Beim Lesen der Korrekturen waren mir Prof. Dr. Heiko Droste, Prof. Dr. Konrad Elmshäuser, Dr. Adolf Hoffmann, Dr. Herbert Kipp und Dr. Lothar Berndorff sehr behilflich. Den Weg zur Drucklegung in der Schriftenreihe „Historische Forschungen“ haben Prof. Dr. Volker Leppin und Dr. Florian Simon ge­ebnet. Ihnen gilt hierfür mein aufrichtiger Dank. Für alle Unterstützung, auch die der Nichtgenannten, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Des weiteren bin ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie der Herzog August Bibliothek zu Dank verpflichtet, die mich mit einem großzügigen Stipendium für diese Arbeit freigestellt hat. Ohne all diese Förderung wären die Abfassung und das Erscheinen dieses Buches kaum möglich gewesen.

6 Vorwort

Nicht zuletzt aber habe ich meiner Frau und meinen Töchtern zu danken, ohne die dieses Buch nicht hätte entstehen können. Sie haben es ermöglicht, dass ich trotz manch schwieriger äußerer Umstände arbeiten und den Weg unerschütterlich voranschreiten konnte. Ich widme diese Arbeit ihnen und meinem Herrn Jesus Christus. 

Chang Soo Park

Inhaltsverzeichnis I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1. Problemstellung und Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Tilemann Heshusius als Fallstudie und Forschungsaufgabe . . . . . . . . . . 29 3. Methodischer Zugriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 4. Untersuchungsgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 II. Biographie des Heshusius. Zum Leben und zu den Schriften Tilemann Heshusius’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 III. Voraussetzungen: Luther und Melanchthon. Analogie und Differenz ihrer Obrigkeitslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 a) Die Zwei-Reiche-Lehre bzw. Zwei-Regimenten-Lehre . . . . . . . . . . . 58 b) Die Dreiständelehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Ursprung der Obrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3. Aufgabe und Pflicht der Obrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 4. Verhältnis von Obrigkeit und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 5. Verhältnis von Obrigkeit und Untertanen – Widerstandsauffassung . . . 81 IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Methodische Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Die Begriffsbildung bei Heshusius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 a) Die Obrigkeitsterminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 aa) societas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 bb) respublica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 cc) respublica christiana . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 dd) imperia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 ee) ordo politicus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 ff) magistratus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 gg) subditi et cives . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 hh) status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 ii) ordo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 jj) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 b) Heshusius’ Tugendverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 aa) timor Dei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 bb) iustitia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 cc) clementia  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 dd) obedientia et honor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

8 Inhaltsverzeichnis ee) pax et salus publica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 ff) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 c) Heshusius’ Rechtfertigungsmuster in seiner Obrigkeitskritik . . . . . . 181 aa) Das „geistliche Sonderbewusstsein“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 bb) Zwei-Regimenten-Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (1) Rostock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 (2) Magdeburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 cc) Die Dreiständelehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 dd) Unterscheidung vom Amt und Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 ee) Das Konzept des Rechtes auf Widerstand, Gegenwehr und Notwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (1) Der Prediger zu Bremen Bekanntnis / vom Nachtmal Jesu Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 (2) Vrsach / Warumb das Newe Hällische Mandat /   . . . . . . . . . . 268 Exkurs: Matthias Judex (1528–1564) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (3) „Präventivschlag“ als zeitgenössisches politisches Vokabular im 16. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (4) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 ff) Die leges divinae, naturae und humanae . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 gg) Gemeindeprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 hh) custos utriusque tabulae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 ii) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 Exkurs: Konrad Heresbach (1496–1576)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 3. Zusammenfassende Darstellungvon Heshusius’ Obrigkeitsauffassung  . 332 a) Ursprung der Obrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 b) Aufgabe und Pflicht der Obrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 c) Das Verhältnis von Obrigkeit und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 d) Das Verhältnis von Obrigkeit und Untertan  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 V. Heshusius’ praktisch-politische Auseinandersetzung mit den Obrigkeiten. Die Fallstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 1. Methodische Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 a) Der Begriff „Politische Sprache“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 2. Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 a) Die Hardenbergschen Unruhen (1547–1568) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 aa) Die soziale und politische Konstellation in ihren Grundzügen  . 348 (1) Der außenpolitische Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 (2) Der innerstädtische Herrschaftskonflikt zwischen dem Kräftedreieck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 (a) Kräfteverhältnisse zwischen Rat und Bürgerschaft. . . . 353 (b) Die Kräftekonstellation zwischen Rat, Geistlichkeit und Bürgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 (3) Der konfessionspolitische Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365

Inhaltsverzeichnis9 bb) Die politische und soziale Kräftekonstellation aus sozialgeschichtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 (1) Die politische und bürgerliche Elite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 (2) Das geistliche Ministerium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 cc) Verwendung der Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster . . . 401 (1) Die Geistlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 (2) Die weltliche Obrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 (3) Die Bürgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 dd) Umdeutung und Instrumentalisierung der Dreiständelehre . . . . 436 (1) Die Geistlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 (2) Die weltliche Obrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 ee) Konkurrierende Paradigmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 b) Jodocus-Glanäus-Streit (1572–1582) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 c) Der Konflikt zwischen Rat und geistlichem Ministerium (1595– 1601) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 3. Emden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 a) Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 b) Die politische und soziale Konstellation in ihren Grundzügen . . . . 492 aa) Emden bis zur „Emder Revolution“ von 1595 . . . . . . . . . . . . . 492 (1) Emden: Landstadt und Herrschaftssitz bis zur Regierungszeit der Gräfin Anna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 (2) Emden in der Regierungszeit der Gräfin Anna (1542–1575) . 497 (3) Emden im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts  . . . . . . . . . . 501 c) Konfliktfelder  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 aa) Die Auseinandersetzung um das Interim 1548 . . . . . . . . . . . . . . 503 bb) Der Konflikt um das Mandat gegen Prophezey (um 1560) . . . 507 cc) Der Konflikt um das Begräbnis (1588) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 dd) Auseinandersetzung um die Kirchenordnung von 1593–1594  . 512 ee) Die „Emder Revolution“ von 1595 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 (1) Die Verwendung der Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 (a) Die gemeinsame Opposition von Bürgerschaft und Pfarrern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 (aa) Die Vorrede Pezels von 1593 . . . . . . . . . . . . . . . . 520 (bb) Die Gravamina von 1593 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 (cc) Gründtlicker Warhafftiger Bericht von 1594 . . . . 527 (dd) Die schottische Anfrage von 1597 . . . . . . . . . . . . 528 (ee) Johannes Acronius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 (ff) Apologia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 (gg) Der Delfzijler Vertrag vom 15. Juli 1595 . . . . . . . 532 (b) Die weltliche Obrigkeit: Graf Edzard II. . . . . . . . . . . . 534 (c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535

10 Inhaltsverzeichnis ff) Die Auseinandersetzung zwischen Stadtrat und dem Kirchenrat (1608–1609) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 gg) Der Kompetenzstreit zwischen Rat und „Vierzigern“ (1615– 1626) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 hh) Der Konflikt zwischen Stadtrat und Kirchenrat um das ius ­vocandi (um 1665) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548 ii) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 Exkurse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 (1) Goslar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 (2) Rostock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 (3) Magdeburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 (a) Der außenpolitische Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 (b) Der innerstädtische Herrschaftskonflikt zwischen dem Kräftedreieck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574 (aa) Kräfteverhältnis zwischen Rat und Bürgerschaft  . 574 (bb) Die Kräftekonstellation zwischen Rat, Geistlichkeit und Bürgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 (c) Verwendung der Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 (aa) Die Geistlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 (bb) Die weltliche Obrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 (cc) Die Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 (dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 (d) Die Instrumentalisierung der Dreiständelehre . . . . . . . . 591 (aa) Die Geistlichkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 (α) Tilemann Heshusius  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 (β) Der Magdeburger Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 (e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 (4) Wesel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596 (a) Träger der politischen Kommunikation . . . . . . . . . . . . . 604 (aa) Politische Entscheidungsträger. . . . . . . . . . . . . . . . 604 (α) Johan van Bert und die oppositionelle lutherische Ratsminderheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 (β) Der Bürgermeister Dietrich van Groen und die regierenden Ratsherren . . . . . . . . . . . . . . . 605 (γ) Herzog Wilhelm V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608 (bb) Bürgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613 Vl. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616 VII. Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677

Abkürzungsverzeichnis a. d. an der ADB Allgemeine deutsche Biographie 1–56. Leipzig 1875–1912 Anm Anmerkung ARG Archiv für Reformationsgeschichte Aufl. Auflage ausgew. ausgewählt Bd. Band Bgm Bürgermeister BGR Beiträge zur Geschichte Rostock Bjb Bremisches Jahrbuch. Bremen. 1863 ff. Bl. Blatt BM Bremer Mark BPfKG Blätter für pfälzische Kirchengeschichte BUB Bremisches Urkundenbuch bzw. beziehungsweise Chart. Catalogue CR Corpus Reformatorum. Philippi Melanchthonis Opera Quae Supersut Omnia. d. Ä. der Ältere ders. derselbe dies. dieselbe (n) Diss. Dissertation d. J. der Jüngere Dr. Doktor DrSLUB Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden Ebd. Ebenda EDG Enzyklopädie für Deutsche Geschichte EKAW Archiv Evangelische Kirchengemeinde Wesel EKL Evangelisches Kirchenlexikon FBG Forschungs- und Landesbibliothek in Gotha GG Geschichtliche Grundbegriffe Gro. Grossen

12 Abkürzungsverzeichnis HAB

Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel

HE

Hospitium Ecclesiae. Forschungen zur Bremischen Kirchengeschichte

HG Herausgeber Hofm. Hofmeister HS Handschrift HStA Hauptstaatsarchiv HZ

Historische Zeitschrift

i in Jal

Johann à Lasco Bibliothek in Emden

JBE

Jahresbericht Emden

JbGNKG

Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte

JbWB

Jahrbuch der Wittheit zu Bremen. Bremen / Hannover 1957 ff.

JmGA

Jahrbücher für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde

Kap. Kapitel Kaufm. Kaufmann Konpr.

Konsistorial Präsident

KRP

Kirchenratsprotokolle der reformierten Gemeinde Emden

Lehr Lehrer LexMA

Lexikon des Mittelalters

Lic. Licentiatus Lit. Literatur LuJ Luther Jahrbuch M. A.

Magister Artium

Mag. Magister Mart. Martini Med. Medizin MEKRh

Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes

MRhKg

Monatshefte für Rheinische Kirchengeschichte

MWA

Melanchthons Werke in Auswahl 1–7 / 2. Gütersloh 1951–1975

MWG

Max Weber – Gesamtausgabe

ND Neudruck NDB

Neue deutsche Biographie. Berlin 1953 ff.

N. F.

Neue Folge

NsHSA

Niedersäsisches Hauptstaatsarchiv

P.

Pastor

Pas. Pastor Phil. Philosophie Prof. Professor

Abkürzungsverzeichnis13 Prot. Protokoll QFRG

Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte

RE

Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche 1–24. Leipzig 1896–1913.

Reg. Register Rekt. Rektor Remb. Remberti Rthrl Reichstaler Rtr. Ratsherrn S Sohn SBB

Staatsbibliothek in Berlin

SBB HA

Staatsbibliothek in Berlin, Handschriftenabteilung

s. e. k.

seine Enkelkinder

St. Sanct StA A

Stadtarchiv Aurich

StA B

Staatsarchiv Bremen

StA E

Stadtarchiv Emden

StA G

Stadtarchiv Goslar

StA R

Stadtarchiv Rostock

StA W

Stadtarchiv Wesel

Steph. Stephani Sup. Superintendent T Tochter Theol. Theologie Thlr. Taler u. und UB HU

Universitätsbibliothek Humboldt Universität in Berlin

UBB

Staats- und Universitätsbibliothek in Bremen

ULF

Unser Lieben Frauen

Uni. Universität Urk. Urkunden TRE

Theologische Realenzyklopädie 1 ff. Berlin / New York 1977 ff.

vgl. vergleichend VIEGM

Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz

VSWG

Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

WA

D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe 1–15

Witt. Wittenberg WLB

Württembergische Landesbibliothek

14 Abkürzungsverzeichnis ZHF ZKG ZKR ZRGG ZST ZThK

Zeitschrift Zeitschrift Zeitschrift Zeitschrift Zeitschrift Zeitschrift

für für für für für für

Historische Forschung Kirchengeschichte Kirchenrecht Religions- und Geistesgeschichte, Leiden systematische Theologie Theologie und Kirche

I. Einleitung 1. Problemstellung und Forschungsstand Obrigkeitsgläubig, opurtunistisch, unpolitisch: Über Jahrzehnte hat die Frühneuzeitforschung das Luthertum in jener Weise charakterisiert, wo immer sie sich um eine politische Standortbestimmung desselben bemühte. Das Luthertum hatte einen schweren Stand. Entsprechend sind auch der so genannte „calvinistische Ursprung der Modernität“ und der „konservative Charakter des Luthertums“ zum festen Bestandteil des Wissens über den Zusammenhang von „Staat“ und Kirche bzw. Religion und Politik in der Frühneuzeit avanciert.1 Zu den Begründern dieser Forschungstradition zählen insbesondere zwei Berliner Wissenschaftler: Der Theologe und Reli­ gionssoziologe Ernst Troeltsch2 und der Soziologe Max Weber3 rekonstruierten in ihren monumentalen und methodisch sehr anregenden, aber von zeitgenössischem Gegenwartsinteresse geprägten Werken vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in dessen 20er Jahre hinein die historischen Erscheinungsformen des Luthertums.4 Beide belebten dabei die wesensmäßige 1  Die These von der Modernitätsfeindlichkeit des Luthertums ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA bis in die jüngste Zeit hinein verbreitet. Vgl. hierzu N. O. Hatsch, The Democratization of American Christianity and the Character of American Politics. New Haven 1989; W. Huber, Protestantismus und Demokratie, in: W. Huber (Hg.), Protestanten in der Demokratie. Positionen und Profile. Neukirchen 1990. S. 11–36; ders., Christianity and Democracy in Europe, in: J. Witte (Hg.), Christianity and Democracy in Global Context. 1993, S. 31–46. 2  E. Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen. Tübingen 1912 (Neudruck Aalen 1977); ders., Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt. München 1906; ders., Luther, der Protestantismus und die moderne Welt, in: H. Baron (Hg.), Aufsätze zur Geistesgeschichte und Reli­ gionssoziologie (Gesammelte Schriften Bd. 4), Tübingen 1925, S. 202–254. 3  M. Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. D. Kaesler (Hg.), Vollständige Ausgabe. München 2004; Dazu vgl. H. Lehmann / J. M. Ouédraogo (Hg.), Max Webers Religionssoziologie in interkultureller Perspektive (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 194), Göttingen 2003; H. Lehmann (Hg.), Max Webers „Protestantische Ethik“. Beiträge aus der Sicht eines Historikers. Göttingen 1996; R. van Dülmen, Protestantismus und Kapitalismus. Max Webers These im Lichte der neueren Sozialgeschichte, in: C. Gneuss / J. Kocka (Hg.), Max Weber. Ein Symposion. München 1988, S. 88–101. 4  „Das Luthertum sei für mich [Max Weber, Hervorhebung durch Ch. P.] in seinen historischen Erscheinungsformen der schrecklichste der Schrecken […] für uns

16

I. Einleitung

Unterscheidung der beiden Konfessionen nach oboedientia passiva des Luthertums und oboedientia activa des Calvinismus5, was für die nachfolgende historische Forschung weitreichende Bedeutung hatte. Die unpolitische Ausrichtung des Luthertums wurde von beiden Forschern als Besonderheit der deutschen politischen Kultur charakterisiert. Die Thesen Webers und Troeltschs lassen sich wie folgt zusammenfassen:6 Die lutherische Soziallehre habe notwendigerweise zum „sklavischen“ Gehorsam gegenüber der Obrigkeit und somit zum Staatsabsolutismus geführt.7 Die Staatskirchen der deutschen Lutheraner trügen damit den untilgbaren Stempel der Missbildung des politischen Lebens, das sich im territorialen Kleinfürstentum und einem unpolitischen Patriarchalismus ausdrücke. Dagegen Deutsche, ein Gebilde, von dem ich nicht sicher bin, wie viel Kraft zur Durchdringung des Lebens von ihm ausgehen könnte.“ MWG II / 5 S. 32 f. 5  Die zitierten Formulierungen bei S. Holtz, Gesellschaft und Luthertum bei Max Weber, in: H. Lehmann / J. M. Ouédraogo (Hg.), Max Webers Religionssoziologie in interkultureller Perspektive (wie Anm. 3), S. 175–192. Hier S. 187. Weitere vergleichbare Formulierungen wie „Pathos des Gehorsams“ eigne dem Luthertum, „Pathos der Freiheit“ sei dagegen das Typische für den Calvinismus, finden sich bei H. Heimpel, Der Mensch in seiner Gegenwart. Göttingen 1957; K. G. Kracht, Fritz Fischer und der deutsche Protestantismus, in: Zeitschrift für neuere Theologiegeschichte 10 (2003), S. 224–252; F. Fischer, Die Auswirkungen der Gegenreformation auf das deutsche und westeuropäisch-amerikanische politische Leben, in: F. K. Schumann (Hg.), Europa in evangelischer Sicht. Stuttgart 1953, S. 37; G. Ritter, Die Neugestaltung Deutschlands und Europas im 16. Jahrhundert (Deutsche Geschichte 2), Berlin 1967, S. 165 ff. 6  Diese Zusammenfassung basiert hauptsächlich auf folgenden Darstellungen: K. Tanner, Die fromme Verstaatlichung des Gewissens. Göttingen 1989; L. SchornSchütte, Ernst Troeltschs Soziallehren und die gegenwärtige Frühneuzeitforschung. Zur Diskussion um die Bedeutung von Luthertum und Calvinismus für die Entstehung der modernen Welt, in: F. W. Graf / T. Rendtorff (Hg.), Troeltsch-Studien 6. Gütersloh 1993, S. 133–151; dies., Die Wiederbelebung der Drei-Stände-Lehre in der frühen Reformation, in: B. Moeller (Hg.), Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 199), S. 435–461; dies., Die Reformation: Vorgeschichte – Verlauf – Wirkung (Beck’sche Reihe 2054), München 1996; dies. Luther im Gedächnis der Nachwelt in: Martin Luther ungewohnt (Herrenalber Forum 20), Karlsruhe 1998, S. 120–140; dies., Konfessionalisierung als wissenschaftliches Paradigma?, in: M. G. Müller / W. Eberhard / J. Bahlcke (Hg.), Konfessionalisierung und Staatsbildung in Ostmitteleuropa. Stuttgart 1999, S. 63–77; dies., Altprotestantismus und moderne Welt, in: dies., (Hg.), Alteuropa und Frühe Moderne. Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 23 (1999), S. 45–54; dies., Religion, Kultur und Staat. Deutungsmuster aus dem Krisenbewusstsein der Republik von Weimar. Eine Einleitung, in: dies., (Hg.), Alteuropa oder Frühe Moderne (wie Anm. 4), S. 7–24; dies., Politikberatung im 16. Jahrhundert, in: A. Kohnle (Hg.), Zwischen Wissenschaft und Politik. Festschrift für E. Wolgast. Stuttgart 2001, S. 49–66; dies., Glaube und weltliche Obrigkeit bei Luther und im Luthertum, in: M. Walther (Hg.), Religion und Politik. Baden-Baden 2004, S. 87–103. 7  E. Troeltsch, Gesammelten Schriften. Bd. 1, S. 545–546; 563 f.



1. Problemstellung und Forschungsstand17

habe sich der deutsche Calvinismus, vom angelsächsischen ganz zu schweigen, unvergleichlich viel weiter einem freieren, korporativ-genossenschaftlichen Geist der sozialen und politischen Institutionen geöffnet und mit einem aktiven politischen Widerstandsrecht auf das Engste verbunden.8 ­ Während also der Calvinismus Freiheit, Demokratie und Kapitalismus9 beförderte, habe das Luthertum eine Mentalität der Obrigkeitshörigkeit und des Quietismus, der kritiklosen Anpassung an gegebene Verhältnisse befördert und damit den Prozess der „Demokratisierung“ in Deutschland behindert.10 Die Zwei-Reiche-Lehre bzw. Zwei-Regimenten-Lehre Luthers habe nichts anderes bedeutet als den Rückzug der Gläubigen und Priester in ein apolitisches Dasein der reinen Innerlichkeit und Weltabgewandtheit, so gesehen sei er als ein Ausweichen vor gebotenen Entscheidungen zu interpretieren.11 Die Zwei-Regimenten-Lehre trüge somit den Charakter einer konfliktverdrängenden Anpassungsideologie.12 Luthers Denken rekurierte, so vor allem Troeltsch, auf die spätmittelalterlichen patriarchalisch-ständischen Ordnungsvorstellungen, denen der Reformator zutiefst verhaftet geblieben sei. Mit seiner antiquierten Interpretation von weltlicher Obrigkeit bzw. des Verhältnisses von Glaube und Obrigkeit habe Luther so den Grund für die als bigott zu charakterisierende politische Ethik des Luthertums gelegt. Mit der Unterscheidung von Privat- und Amtsmoral sei der Gegensatz von politischem Handeln und privatem Glauben in den einzelnen Christen „hineinverlegt“ und so zwar die Legitimität eines individuellen Freiraums begründet worden, aber zugleich die Duldung bzw. Anerkennung jeglicher Art politischer Herrschaft postuliert worden.13 Diese „Doppelmoral“ habe den einzelnen Christen dazu gebracht, im politischen Amt anders als im privaten Leben zu handeln.14 Die individuelle moralische Gesinnung erlaube bei Luther also durchaus die öffentliche politische Unmoral, z. B. in Gestalt von Machtmissbrauch. Auf diese Weise sei es zu dem verhängnisvollen politi8  Zitiert nach S. Holtz, Gesellschaft und Luthertum bei Max Weber, in: H. Lehmann / J. M. Ouédraogo (Hg.), Max Webers Religionssoziologie in interkultureller Perspektive (wie Anm. 3), S. 175–192. Hier S. 184. 9  Vgl. dazu H. Vahle, Calvinismus und Demokratie im Spiegel der Forschung, in: Archiv der Reformationsgeschichte 66 (1975), S. 182–212. 10  P. Reichel, Politische Kultur der Bundesrepublik. Opladen 1981. 11  E. Wolf, Zur Selbstkritik des Luthertums, in: ders., Peregrinatio II. Studien zur reformatorischen Theologie, zum Kirchenrecht und zur Sozialethik. München 1965, S. 82–103. Hier S. 102. 12  U. Duchrow, Nachwort – Typen des Gebrauchs und Missbrauchs einer Lehre von zwei Reichen und Regimenten, in: ders (Hg.), Zwei Reiche und Regimente. Ideologie oder evangelische Orientierung? Gütersloh 1977, S. 272–304. 13  Vgl. hierzu K. Tanner, Die fromme Verstaatlichung des Gewissens (wie Anm. 6), S. 157–160. 14  L. Schorn-Schütte, Die Reformation (wie Anm. 6), S. 95.

18

I. Einleitung

schen Sonderweg der Deutschen in Europa spätestens seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert gekommen, der von der Monarchie über eine verunglückte Demokratie schließlich zum Nationalsozialismus geführt habe.15 Die deutschen Historiker des beginnenden 20. Jahrhunderts, z. T. sogar bis in die 1980er Jahre hinein, – wie z. B. Hans-Ulrich Wehler16, Richard van Dülmen17, Martin Greifenhagen18, Rainer Wohlfeil19 und Bernd Moeller20 – schlossen sich der Einschätzung des Luthertums im Sinne von ­Troeltsch und Weber in den Grundzügen an, sie schienen mit der Kapitalismus- und Calvinismusthese21 also mehrheitlich einverstanden zu sein.22 Erst seit den 70er Jahren haben Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen an diesem Urteil bzw. der Weber / Troeltsch-Rezeption des wesensmäßigen Zusammenhangs von Luthertum und patriarchalisch-konservativer Staatsgesinnung einerseits23, von Calvinismus und demokratischer Staats15  L. Schorn-Schütte, Glaube und weltliche Obrigkeit bei Luther und im Luthertum (wie Anm. 6), S. 87–88. 16  Vgl. dazu H. U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1. Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur defensiven Modernisierung der Reformära 1700–1815. München 1987, S. 270–278. bes. S. 271. 17  Van Dülmen schrieb, dass das Luthertum zwar bei der For­mierung einer neuen staatlichen Ordnung in nachre­ forma­ tori­ scher Zeit eine wesentliche Rolle gespielt habe, dann aber letztlich doch in den Ab­solutis­mus mündete. Vgl. R. van Dülmen, Entstehung des frühneuzeitlichen Europa 1550–1650 (Fischer Weltge­ schichte 24), Frankfurt / M. 1984, S. 15, 103, 256 ff.; ders., Formierung der europäischen Ge­ sellschaft in der Frühen Neuzeit. Ein Versuch, in: GG 7 (1981), S. 22 ff. 18  Der Politologe Martin Greiffenha­ gen knüpft an die bestehenden Auf­fassungen an, dass das Wesen deutscher und lutheri­scher Kultur dem west­europäisch-calvinisti­ schen Weg der Entwicklung politischer Daseins­formen wesensfremd gegenüber­stehe. Vgl. dazu M. Greiffenhagen, Von Potsdam nach Bonn – 10 Kapitel zur politischen Kultur Deutsch­lands. München 1986, S. 52. 19  Vgl. R. Wohlfeil, Einführung in die Geschichte der deutschen Reformation. München 1982, S. 87. 20  Vgl. B. Moeller, Deutschland im Zeitalter der Reformation. Göttingen 1981, S. 119. 21  Zur bemerkenswerten Nähe von beiden hinsichtlich des theologiehistorischen Urteils über das Luthertum vgl. F. W. Graf, Fachmenschenfreundschaft. Bemerkungen zu Max Weber und Ernst Troeltsch, in: W. J. Mommsen / W. Schwentker (Hg.), Max Weber und seine Zeitgenossen. Göttingen 1988, S. 313–336; Zur wechselseitigen Weber- und Troeltsch-Rezeption siehe T. Rendtroff / S. Paulter (Hg.), Schriften zur Bedeutung des Protestantismus für die moderne Welt (Kritische Gesamtausgabe Ernst Troeltsch 8), Berlin 2001. 22  Vgl. hierzu W. Sparn, Preußische Religion und lutherische Innerlichkeit. Ernst Troeltschs Erwartungen an das Luthertum, in: F. W. Graf / T. Rendtorff (Hg.), ­Troeltsch-Studien 6 (wie Anm. 6), S. 152–177. 23  Diesbezüglich stellte jüngst Dörfler-Dierken die Kontextbezogenheit lutherischer Sozialethik gegenüber einer notorischen Konfessionsbezogenheit heraus. Vgl. A. Dörfler-Dierken, Luthertum und Demokratie: deutsche und amerikanische Theo-



1. Problemstellung und Forschungsstand19

form andererseits, immer wieder – wenn auch mit unterschiedlicher Radikalität – Kritik geübt.24 Zwei Wissenschaftler haben dabei die entscheidenden Wegmarken für die weitere Forschung bzw. für die Neubewertung und Neuakzentuierung des Luthertums gesetzt. Anfang der 70er Jahre beschrieb der Kirchenhistoriker Martin Kruse in einer Analyse der lutherischen Obrig­keits­predi­gten erstmals ausführlich die recht bewegte Geschichte der Obrigkeitskritik am Ende des 16. und im 17. Jahr­hundert bis hin zu Spener.25 Von Kruse gingen dabei die ersten Anregungen und Ansätze zur Differenzierung der zentralen Thesen Troeltschs über die ethische Abgrenzung von Calvinismus und Luthertum aus. Wenige Jahre später widmete sich der Augsburger Historiker Wolfgang Reinhard dem Thema. Dies geschah im Anschluss an Arbeiten von Ernst Walter Zeeden26, der seit den ausgehenden 50er Jahren auf den Vorgang der Konfessionsbildung in Protestantismus und Katholizismus hingewiesen hatte. Reinhard widmete sich der Betrachtung paralleler Erscheinungsformen bei der Entfaltung konfessioneller Kulturen seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert. Er stellte fest, dass alle drei Konfessionen im Bündnis mit den ständischen Kräften gegen die auf Zentrierung von Herrschaft drängenden Landesherrn aktiv sein konnten.27 Reinhards Befund war, dass es keine wesensmäßig modernisierend wirkende Konfession gab, und dass sowohl das Luthertum als auch Katholizismus und Reformiertentum modernisierungsfördernd ebenso wie modernsierungshemmend auftreten konnten. Allerdings ging er in seiner Untersuchung keinen sozialgeschichtlichen, sonlogen des 19. Jahrhunderts zu Staat, Gesellschaft und Kirche (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 75), Göttingen 2001, S. 11–17. 24  Von Bedeutung ist, dass die Weber / Troeltsch-Kritik nicht nur in die deutsche Frühneuzeitforschung, sondern auch parallel in die angelsächsische Historiographie Eingang fand, ohne dass allerdings hinreichend Kenntnis voneinander genommen wurde. Vgl. dazu L. Schorn-Schütte, Ernst Troeltschs Soziallehren und die gegenwärtige Frühneuzeitforschung (wie Anm. 6), S. 138; R. Wohlfeil, Das wissenschaftliche Lutherbild der Gegenwart in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Hannover 1982; H. Lehrmann, Katastrophe und Kontinuität, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 25 (1974), S. 129–149. 25  M. Kruse, Speners Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment und ihre Vorgeschichte. Witten 1971. 26  E. W. Zeeden, Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung im Zeitalter der Glaubenskämpfe, in: Historische Zeitschrift 185 (1958), S. 249–299; ders., Die Entstehung der Konfessionen. Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung im Zeitalter der Glaubenskämpfe. München 1965. 27  W. Reinhard, Gegenreformation als Modernisierung? In: Archiv für Reformationsgeschichte 68 (1977), S. 226–252; ders., Zwang zur Konfessionalisierung?, in: Zeitschrift für Historische Forschung 10 (1983), S. 257–277. Hier S. 258–259; ders., Konfession und Konfessionalisierung in Europa, in: ders., (Hg.), Bekenntnis und Geschichte. Augsburg 1981, S. 165–189.

20

I. Einleitung

dern nur politik- und verfassungsgeschichtlich ausgerichteten Fragestellungen nach. Entscheidend für die weitere Forschung zur Differenzierung der Deutung Troeltschs war, dass Reinhard herausstellte, dass die angeblich wesensmäßige Verbindung des Calvinismus mit politischer Opposition und seine autonome Entfaltung in Westeuropa letztlich als Faktum historischer Kontingenz zu werten seien.28 Bis in die 1980er Jahre hinein war man um weitere Differenzierung der Troeltsch-Weber’schen Thesen bemüht. Hierbei ging es um Traditionsbewältigung. Die viel geschmähte lutherische Orthodoxie und ihr politisches Potential wurden im abgesteckten Rahmen neu definiert, wobei die anfänglich dominierende politik- und verfassungsgeschichtliche Dimension und deren Fragestellungen bald durch eine sozialgeschichtliche Perspektive erweitert wurden. Dazu trugen die Arbeiten des Frühneuzeithistorikers Heinz Schilling entscheidend bei, der – von einer Fallstudie zur Grafschaft Lippe ausgehend – den hohen Stellenwert des Konfessionellen für den gesamt­ gesellschaftlichen, d. h. politischen und sozialen Wandel bis in das 17. Jahrhundert hinein betonte.29 In seiner Studie stellte er insbesondere heraus, dass es keinen wesensmäßigen Unterschied der politischen Wirkung beider Konfessionen, nämlich Luthertum und Reformiertentum gab, und dass es in der früh­neu­zeitli­chen Ge­schichte der Grafschaft Lippe gerade der Calvinis­ mus gewesen sei, der die Herrschaft verschärft und die fürst­lich­-gräflic­he Obrigkeit stabilisiert habe, wäh­rend das Luthertum demgegenüber Widerstand geleistet habe.30 Seitdem haben sich die Forschungen zur Entfaltung konfessioneller Kulturen bzw. zur „Konfessionalisierung“31 in einer un28  W.

Reinhard, Zwang zur Konfessionalisierung? (wie Anm. 27), S. 260. Konfessionskonflikt und Staatsbildung. Gütersloh 1981; ders. (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der zweiten Reformation. Gütersloh 1986; ders., Die Konfessionalisierung im Reich, in: Historische Zeitschrift 246 (1988), S. 1–45. 30  H. Schilling, Konfessionskonflikt und Staatsbildung (wie Anm. 29). 31  Der Anspruch der Konfessionalisierungsforschung, den Faktoren „Staat“ und Konfession die maßgeblichen Formierungspotenzen im Werdeprozess der Frühneuzeit zuzuschreiben, ist durch Einwände seitens der Wissenschafts- und Kultur­ geschichte sowie der Kirchen- und Sozialgeschichte in Frage gestellt worden. Derzeitiger Forschungskonsens ist es einerseits, die Bindung des Konzepts an die Staatsbildung zu lockern und andererseits die Faktoren der inter-, trans- und binnenkonfessionellen Pluralität sowie der interaktiven und kommunikativen Herrschaft mehr zu betonen. Dazu vgl. K. v. Greyerz / M. Jakubowskie-Tiessen / T. Kaufmann / H. Lehmann (Hg.), Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 201), Gütersloh 2003; S. Schmidt, Glaube – Herrschaft – Disziplin. Konfessionalisierung und Alltagskultur in den Ämtern Siegen und Dillenburg (Forschungen zur Regionalgeschichte 50), Paderborn 2005; R. Schlögl (Hg.), Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt 29  H.  Schilling,



1. Problemstellung und Forschungsstand21

glaublichen Fülle von Veröffentlichungen und Einzelstudien32 niedergeschlagen, was insgesamt zu einer erheblichen Korrektur der zentralen Thesen Troeltschs und Webers führte. Die nun intensivierten Detailuntersuchungen förderten wiederum die Frühneuzeitforschung, insbesondere in den kirchenhistorischen Disziplinen. Wolfgang Sommer nahm das Thema Kruses wieder auf und versuchte, am Befund Kruses anknüpfend die lutherische Obrigkeitslehre in den Hof­predig­ten der lutherischen Geistlichen Nikolaus Selnecker und Polykarp Leyser zu beschreiben und deren obrigkeitskritische Haltung nachzuweisen.33 Auch betonten Martin Brecht34, Inge Mager35, Walter Sparn36, Jörg Bauer37 und ande(Historische Kulturwissenschaft 5), Konstanz 2004; A. Stromeyer, Konfessionskonflikt und Herrschaftsordnung. Widerstandsrecht bei den österreichischen Ständen (1550–1650), (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz Abteilung für Universalgeschichte 201; Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 16), 2006 Mainz, S. 427–429; M. Meumann / R. Pröve (Hg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses. Münster 2004; dies., Die Faszination des Staates und die historische Praxis. Zur Beschreibung von Herrschaftsbeziehungen jenseits teleologischer und ­ dualistischer Begriffsbildungen, in: dies., Herrschaft in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 31), S. 11–49. Hier S. 22  f. Zur Zusammenfassungen der Diskussion vgl. J. Deventer, Confessionalisation – a Useful Theoretical Concept fort the Study of Religion, Politics, and Society in Early Modern East-Central Europe, in: European review of History – Revue européenne d’Histoire 11 (2004), S. 403–425. Hier S. 408–415; S. Ehrenpreis / U. Lotz-Heumann, Reformation und konfessionelles Zeitalter. Darmstadt 2002, S. 67–71. Zum Überblick über den Stand der Konfessionalisierungsforschung vgl. J. Bahlcke / A. Strohmeyer (Hg.), Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur, Stuttgart 1999, S. 79–88. 32  Dazu ist auf die Tagungs- und Sammelbände zu den drei großen Konfessionen zu verweisen: H.  Schilling (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung (wie Anm. 29); H. C. Rublack (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 197), Gütersloh 1992; W. Reinhard / H. Schilling (Hg.), Die katholische Konfessionalisierung. Münster 1995. Für Forschungsberichte und Bibliographien siehe T. Kauffmann, Die Konfessionalisierung von Kirche und Gesellschaft, Sammelbericht über eine Forschungsdebatte, in: Theologische Literaturzeitung 121 (1996), S. 1008–1025; 1112–1121; H. SchnabelSchüle, Vierzig Jahre Konfessionalisierungsforschung – eine Standortbestimmung, in: P. Frieß / R. Kießling (Hg.), Konfessionalisierung und Region (Forum Suevicum 3), Konstanz 1999, S. 23–40; R. Schlögl, Differenzierung und Integration: Konfessionalisierung im frühneuzeitlichen Gesellschaftssystem, in: Archiv für Reforma­ tionsgeschichte 91 (2000), S. 238–284. 33  W. Sommer, Gottesfurcht und Fürstenherrschaft. Göttingen 1988. 34  M. Brecht, Lutherische Kirchenzucht bis in die Anfänge des 17. Jahrhunderts im Spannungsfeld von Pfarreramt und Gesellschaft, in: H. C. Rublack (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung (wie Anm. 31), S. 400–420. 35  I. Mager, Ich habe dich zum Wächter gesetzt über das Haus Israel, in: Braunschweiger Jahrbuch 69 (1988), S. 57–69.

22

I. Einleitung

re die obrigkeitskritische Haltung der lutherischen Geistlichkeit und die so­ ziale und politische Rolle des Luthertums. Wenige Jahre später befassten sich Hans-Christoph Rublack38, Norbert Haag39, Monika Hagen­meier40, Sabine Holtz41, Tho­mas Kauf­mann42 und jüngst auch Kenneth Appold43 mit dem Thema Kruses und stellten ebenso fest, dass die lutheri­schen Predig­ten in der Tat nicht dogma­ tisch, welt­ fremd und streit­ süchtig, sondern situations­ be­ zogen, sozial und politisch orien­tiert gewesen seien.44 Die Predigten, so trug man vor, hätten nicht nur transformatorisch potentiell,45 sondern ganz direkt auf die politischen Institutionen gewirkt. Herausgestellt wird hierbei vor allem, dass auch das Luthertum eine breite Palette lebensweltlicher Gestal3637

36  W. Sparn, Die Krise der Frömmigkeit und ihr theologischer Reflex im nachreformatorischen Luthertum, in: H. C. Rublack (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung (wie Anm. 31), S. 54–82. 37  J. Baur, Lutherische Christologie, in: H. C. Rublack (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung (wie Anm. 31), S. 83–124. 38  H.  C. Rublack, Lutherische Predigt und soziale Wirklichkeiten, in: H. C. Rublack (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung (wie Anm. 31), S. 344–399. 39  N. Haag, Predigt und Gesellschaft (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte 145), Mainz 1992. 40  M. Hagenmeier, Predigt und Policy. Baden-Baden 1989. 41  S. Holtz, Theologie und Alltag. Lehre und Leben in den Predigten der Tübinger Theologen 1550–1750. Tübingen 1993; dies., Vom Umgang mit der Obrigkeit. Zum Verhältnis von Kirche und Staat im Herzogtum Württemberg, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 55 (1996), S. 131–159. 42  T. Kaufmann, Universität und lutherische Konfessionalisierung (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 66), Gütersloh 1997; ders., Das Ende der Reformation (Beiträge zur historischen Theologie 123), Tübingen 2003; ders., Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 29), Tübingen 2006. 43  K. G. Appold, Orthodoxie als Konsensbildung (Beiträge zur historischen Theologie 127), Tübingen 2004. 44  Einige Beispiele dafür finden sich in: H. Scheible (Hg.), Das Widerstandsrecht als Problem der deutschen Protestanten: 1523–1546 (Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte 10), Mohn 1969; E. Wolgast, Die Wittenberger Theologie und die Politik der evangelischen Stände (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 47), Gütersloh 1977; P. Münch, Zucht und Ordnung. Reformierte Kirchenverfassungen im 16. und 17. Jahrhundert, Stuttgart 1978; W. Schulze, Zwingli. Lutherisches Widerstandsdenken, monarchomachischer Widerstand, in: P. Blickle (Hg.), Zwingli und Europa. Zürich 1985, S. 199–216; B. Bauer, Lutheranische Obrigkeitskritik in der Publizistik der Kipper- und Wipperzeit (1620–1623), in: W. Brückner /  P. Blickle / D. Breuer (Hg.), Literatur und Volk im 17. Jahrhundert. Probleme populärer Kultur in Deutschland. Teil II. Wiesbaden 1985, S. 649–677; D. Böttcher, Ungehorsam oder Widerstand? Zum Fortleben des mittelalterlichen Widerstandsrechts in der Reformationszeit (Historische Forschungen 46), Berlin 1991. 45  Zu diesem Begriff vgl. dazu S. N. Eisenstadt, Wandel, Tradition und Modernität. Frankfurt a. M. 1979, S. 243; 250 ff.



1. Problemstellung und Forschungsstand23

tungsangebote unterbreitete und mit Nachdruck an deren Umsetzung arbeitete. Zusammenfassend kam man zu dem Schluss, dass Luther und die Theologen der lutherischen Orthodoxie an der Schaffung und Einprägung mentaler Strukturen beteiligt waren, die sich positiv auf die Herausbildung und Verwirklichung der abendländischen Modernität ausgewirkt hätten.46 Bis in den 1990er Jahren wurden die Thesen Troeltschs über einen wesensmäßigen Zusammenhang einer bestimmten Konfession mit einer bestimmten Form der Herrschaftsordnung weiter relativiert. Dies geschah nun im Zusammenhang mit dem Souveränitäts- und Verstaatlichungsproblem und dem Problem des demokratietheoretisch variierten Konsensmodells vom modernisierungstheoretischen Standpunkt. Es entstanden eine Reihe alternative Deutungskonzepte. In welche Richtung die Neuorientierung letztendlich erfolgen wird, ist gegenwärtig jedoch noch offen. Wichtige Schwerpunkte dieser an neuen Forschungskonzepten orientierten Studien und Einzeluntersuchungen sind: spätmittelalterliche Zunftdemokratie47, städtisches Patriziat48, Bürgeropposition49, Kommunalismus50, städtischer Republikanismus51 und „konsensgestützte Herrschaft“.52 Alle Studien konn46  Vgl. S. Holtz, Gesellschaft und Luthertum bei Max Weber (wie Anm. 8), S. 192. 47  R. Luther, Gab es eine Zunftdemokratie? Berlin 1968; P. Eitel, Die oberschwäbischen Reichsstädte im Zeitalter der Zunftherrschaft. Untersuchungen zu ihrer politischen und Sozialstruktur unter besonderer Berücksichtigung der Städte Lindau, Memmingen, Revensburg und Überlingen, Stuttgart 1970. 48  I. Bartori, Das Patriziat der deutschen Stadt, in: Zeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalspflege 2 (1975), S. 1–30. 49  R. Hildebrandt, Rat contra Bürgerschaft. Die Verfassungskonflikte in den Reichsstädten des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalspflege 1 (1974), S. 221–241; R. Barth, Argumente und Selbstverständnis der Bürgeropposition in den städtischen Auseinandersetzungen des Spätmittelalters. Lübeck 1403–1408 – Braunschweig 1474–1446 – Köln 1396–1400. Köln 1976; O. Mörke, Der Konflikt als Kategorie städtischer Sozialgeschichte der Reformationszeit. Ein Diskussionsbeitrag am Beispiel der Stadt Braunschweig, in: B. Distelkamp (Hg.), Beiträge zum spätmittelalterlichen Städtewesen. Köln 1982, S. 144–161. 50  P. Blickle, Kommunalismus, Skizzen einer gesellschaftlichen Organisationsform. 2 Bde. München 2000. 51  H. Schilling, Gab es im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit in Deutschland einen städtischen „Republikanismus“?, in: H. Königsberger (Hg.), Republiken und Republikanismus im Europa der Frühen Neuzeit (Schriften des Historischen Kollegs / Kolloquien 11), Oldenbourg 1988, S. 101–143. 52  K. Schreiner, Jura et libertas. Wahrnehmungsformen und Ausprägungen „bürgerlicher Freyheyten“ in Städten des Hohen und Späten Mittelalters, in: H. J. Puhle (Hg.), Bürger in der Gesellschaft der Neuzeit. Wirtschaft – Politik – Kultur. Göttingen 1991, S. 59–106; ders., Die mittelalterliche Stadt in Webers Analyse und Deutung des occidentalen Rationalismus. Typus, Legitimität, Kulturbedeutung, in:

24

I. Einleitung

ten dabei auf einen Realtypus der vormodernen, herrschaftlich autonomen Stadt verweisen, deren politische Ordnung durch die Satzungsautonomie eines aus Wahlen hervorgegangenen, sich als Obrigkeit verstehenden Ratsgremiums gekennzeichnet und dessen Verfassungswirklichkeit durch die darin realisierte Herrschaft einer oligarchisch abgeschlossenen sozialen Gruppe bestimmt war. Das Hauptproblem dieser neuen Forschungsansätze liegt aber darin, dass sie in ihrem Politik- und Verfassungsbegriff an Max Webers Staatsvorstellung und die dort vorgegebene Konzentration auf gewaltgestütztes Handeln eines Verwaltungsstabes gebunden waren. Das heißt, die Forscher setzten auf einen institutionell konturierten Verfassungsbegriff, der im Wesentlichen auf die politischen Ordnungsvorstellungen des 19. und 20. Jahrhunderts zurückgeht, nämlich Max Webers verfassungsgeschicht­ liche Begrifflichkeit, die höchstens eine „Soziologisierung“ von Herrschaft und Politik in der genossenschaftlich geprägten Stadt erlaubte.53 Mitte der 1990er Jahre erhielt die Forschung zur Neubewertung des Luthertums u. a. durch Luise Schorn-Schütte einen neuen Impuls. In ihrer an die politiktheoretischen Ansätze der „Cambridge School“ anknüpfenden konfessionssoziologischen Studie arbeitete die Historikerin heraus, dass die lutherische Geistlichkeit in Braun­schweig-Wol­fenbüt­tel und Hessen-Kassel die Obrigkeitskritik als Pflicht verstanden habe. Sie ging sogar so weit, das Recht zur Obrigkeitskritik als Amtsauftrag der lutherischen Geistlichkeit zu postulie­ren.54 Schorn-Schütte entfaltete ihren Ansatz sukzessive im Kontext J. Kocka (Hg.), Max Weber, Der Historiker. Göttingen 1986, S. 119–150. Zusammenfassend K. Schreiner / U. Meier (Hg.), Stadtregiment und Bürgerfreiheit. Handlungsspielräume in deutschen und italienischen Städten des Späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Göttingen 1994; vgl. darin insbes. die Einleitung S. 16 ff. Aus diesem Forschungszusammenhang: J. Rogge, Für den Gemeinen Nutzen. Politisches Handeln und Politikverständnis von Rat und Bürgergesellschaft in Augsburg im späten Mittelalter. Tübingen 1996; U. Meier, Mensch und Bürger. Die Stadt im Denken spätmittelalterlicher Theologen, Philosophen und Juristen. München 1994. Für eine Vermittlung zwischen den Konzepten des Kommunalismus und Republikanismus einerseits und der auf das 19. Jahrhundert ausgerichteten Bürgertumsforschung andererseits: B. Weinnmann, Eine andere Bürgergesellschaft. Klassischer Republikanismus und Kommunalismus im Kanton Zürich im späten 18. und 19. Jahrhundert. Göttingen 2002. Früher schon: R. Kießling, Städtischer Republikanismus. Regimentsformen des Bürgertums in oberschwäbischen Stadtstaaten im ausgehenden Mittelalter und der beginnenden Frühneuzeit, in: P. Blickle (Hg.), ­Politische Kultur in Oberschwaben. Tübingen 1993, S. 175–197. 53  Siehe dazu die informative Einleitung von R. Schlögl, Vergesellschaftung unter Anwesenden. Zur kommunikativen Form des Politischen in der vormodernen Stadt, in: ders., (Hg.), Interaktion und Herrschaft (wie Anm. 31), S. 9–60. 54  L. Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 62), Gütersloh 1996; dies., Obrigkeitskritik im Luthertum?, in: M. Erbe u. a. (Hg.) Querdenken. Dissens und Toleranz im Wandel der Geschichte. Festschrift zum 65. Geburtstag von H. R. Guggisberg. Mannheim 1995, S. 253–270.



1. Problemstellung und Forschungsstand25

der Dreiständelehre und eingebettet in eine europäische Perspektive zu einer umfassenden Theorie des politischen Denkens und Handelns des Altprotestantismus. Sie bestätigte in einer Vielzahl von Veröffentlichungen anhand von exemplarisch überzeugenden Nachweisen, dass die politischen Abläufe im Alten Reich keineswegs einen Sonderweg, sondern vielmehr eine Variante der gesamteuropäischen politischen Entwicklung darstellten. Sie stellte fest, dass eine Doppelmoral im Sinne der Formulierungen von Troeltsch und Nachfolgern in den Vorstellungen Luthers zum Verhältnis von Glaube und weltlicher Obrigkeit nicht existierte und dass eine vorgeblich bei Luther selbst vorfindliche „doppelte Moral“ im Luthertum der nachfolgenden Generation keinen Nachhall gefunden habe.55 In ihren jüngst erschienenen, politiktheorie- und sozial-verfassungsgeschichtlich ausgerichteten Studien56 schlägt Schorn-Schütte vor, den Zusammenhang von Religion und Politik im 16. und 17. Jahrhundert nicht mehr nur im Rahmen des bisher gewohnten Forschungsparadigmas der Gegesatzhypothese von Monarchie und Republik zu untersuchen, sondern vielmehr aus der Verzahnung von „monarchischen“ und „republikanischen“ Elementen unter dem Aspekt der europäischen politischen Entwicklung in Betracht zu ziehen. Schorn-Schütte plädiert damit für eine Neu- und Um­orientierung bei der Untersuchung der Kirchen-, Sozial- und Verfassungsgeschichte der Frühneuzeit. Die Historikerin fordert einen Wechsel des Forschungsparadigmas, denn ihrer Ansicht nach gehöre die kommunikative Beziehung zwischem Herrschaft und Partizipation in Gestalt der wechselseitigen Verzahnung vom Religiösem und Politischem zu den charakteristischen und prägenden Merkmalen der Epoche. Politische Legitimation in den frühneuzeitlichen Gesellschaften Europas bestehe vielmehr in einem spezifisch verschränkten Miteinander von Herrschenden und Beherrschten. Mit anderen Worten: Die Akzeptanz der Existenz von Obrigkeit sei an die als unverzichtbar angesehene Zustimmung der Beherrschten geknüpft und stehe mit 55  Glaube und wetliche Obrigkeit bei Luther und im Luthertum (wie Anm. 6), S. 88–91. 56  L. Schorn-Schütte, Historische Politikforschung. München 2006; dies., Einleitende Bemerkungen, in: dies. / S. Tode (Hg.), Debatten über die Legitimation von Herrschaft. Politische Sprachen in der Frühen Neuzeit (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 19), Berlin 2006, S. 9–17; dies., Politische Kommunikation in der Frühen Neuzeit: Obrigkeitskritik im Alten Reich, in: Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft 32 / 3 (2006), S. 273–314; dies., Kommunikation über Herrschaft: Obrigkeitskritik im 16. Jahrhundert, in: L. Raphael / H. E. Tenorth (Hg.), Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit. München 2006, S. 71–108; dies., Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht. Die politica christiana als Legitimitätsgrundlage, in: dies., (Hg.), Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Politische Theologie – Res Publica Verständnis – Konsensgestützte Herrschaft. München 2004, S. 195–232. Hier. S. 195–197; dies., Einleitung, in: Aspekte der politischen Kommunikation (wie Anm. 56), S. 1–12.

26

I. Einleitung

den praktischen Entscheidungen der Herrschaftsträger (Konsens), die alles andere als formalen Charakter trugen,57 auf derselben Ebene. Ob aber die skizzierten Überlegungen und daran anschließenden Debatten zu einem Erkenntnisgewinn führen, lässt sich noch nicht beurteilen. Sicherlich wird es noch dauern, ehe ein solches Paradigma seine Wirkung voll entfaltet.58 Es bleibt also spannend, die Bemühungen um diese neuen forschungsstrategischen Überlegungen zu verfolgen. Subsumierend lassen sich die wichtigsten Maximen, die sich aus all diesen Ansätzen und Kritikpunkten herausfiltern lässt, folgendermaßen zusammenfassen: Erstens: Das pauschale Urteil Webers und Troeltschs zur konfessionsgeleiteten Verhaltensform muss dringend differenziert werden. Dabei sollen Spuren einer lutheri­ schen Wider­ stands­ lehre bzw. des Rechtes zur Obrigkeitskritik gesucht und schließlich das Luthertum im Kontext der gesamt­ europäischen Entwicklung von 16. bis ins frühe 18. Jahrhundert neu bewertet werden, denn das Luthertum erwies sich in der Tat entgegen jenen auf unzulässiger Verallgemeinerung beruhenden und am Kern der frühneuzeit­ lichen Wirklichkeit vorbeigehenden Urteilen als außerordentlich obrigkeitskritisch, widerstandsfähig und herrschaftsbegrenzend. Zweitens: Es besteht die Notwendigkeit, Distanz zu zeitfremden Begriffen wie Max Webers verfassungsgeschichtlichem Vokabular und vor allem zu modernisierungstheoretischen Deutungskonzepten, die in Anknüpfung an die aristotelischen Herrschaftsformen zur Charakterisierung der frühneuzeitlichen Herrschaft dienen wollen, zu schaffen. Dies mitunter, weil jene Herrschaftsordnungen in schlichter Gegenüberstellung monarchischer und nicht-monarchischer Elemente zu beschreiben versuchen, also den positiv bewerteten Republikanismus mit einer negativ bewerteten monarchischen Herrschaft kontrastieren, beispielsweise städtischer Republikanismus59 oder 57  L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritk und Widerstandsrecht (wie Anm.  56), S.  197, 202 f. 58  Allerdings ist Bewegung innerhalb der jüngeren Generation der Frühneuzeithistoriker zu beobachten. Arno Strohmeyer untersuchte mit dem Konzept der Sprache im Sinne Skinners und Pococks die Widerstandssprache der österreichischen Ständen im Zeitraum von 1550 bis1650. A. Strohmeyer, Konfessionskonflikt und Herrschaftsordnung (wie Anm. 31), Markus Meumann (geb. 1965) und Ralf Pröve (geb. 1960) erteilten in ihrer Untersuchungen dem binären Konzept von Befehlenden und Gehorchenden eine Absage und postulierten ausdrücklich Herrschaft als dynamischen und kommunikativen Prozess. M. Meumann / R. Pröve (Hg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 31), S. 11–49. 59  Schilling sieht in der Deutungstradition Otto Brunners in den städtischen Unruhen einen Beleg dafür, dass die Bürger nicht nur ein genossenschaftliches Selbstverständnis hatten, sondern ihr Streben nach Partizipation zudem eine Art frühneu-



1. Problemstellung und Forschungsstand27

„Kommuna­lismius“60 vs. konservativer Monarchismus61. Zur besseren Durchdringung des Themas wird dabei die verstärkte Berücksichtigung der zeitgenössischen Begriffe und Deutungsperzeption gefordert.62 Hier ist auf den lange Zeit zu gering veranschlagten Stellenwert der christlichen Herrschaftslehre von der politica christiana, die sich in Gestalt der Dreiständelehre manifestierte, zu verweisen. Dieses Konzept muss zur Erforschung der

zeitliche Form des Republikanismus offenbarte. Selbstverständlich ist dieser Republikanismusbegriff bei Schilling nicht mit dem des 18. oder 19. Jahrhunderts zu vergleichen, sondern eher relativ zu der sonst recht absolutistischen Entwicklung während der frühen Neuzeit zu sehen. Vgl. H. Schilling, Gab es im späten Mittelalter (wie Anm. 51), S. 101–141. Ähnlich wie Schilling formulierte Wolfgang Mager in seiner begriffsgeschichtlichen Studie von jenem Gegensatz zwischen obrigkeitlichen Absolutismus und gemeindlichen Autonomiestreben ausgehend, in dem Begriff der res publica in den politiktheoretischen Schriften des 16. und 17. Jahrhundert sei die spätmittelalterlische Idee der Identität von Bürgerverband und Republik kaum mehr enthalten und der politische Verband der Stadt im 16. und 17. Jahrhundert sei druch die Zentralgewalt geleitet worden, die die Untertanen mit Hilfe des Stadtrats beherrschte. Vgl. W. Mager, Art. „Republik“, in: O. Brunner / W. Conze / R. Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historische Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 5. Stuttgart 1984, S. 549–681. Hier S. 568 f.; ders., Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment, in: Aspekte der politischen Kommunikation (wie Anm. 56), S. 13–122. Jedoch Schorn-Schütte stellt heraus, dieser Gegensatzpaar Monarchie – Republik sei eher eine Kategorie der Forschung zur Frühen Neuzeit als eine Kategorie der frühneuzeitlichen politischen Diskussionen selbst gewesen, so dass er am Kern der frühneuzeitlichen Realität vorbeigehe. Vgl. L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht (wie Anm. 56), S. 200–204. 60  Wie Schilling und Brady kommt Peter Blickle zu dem Ergebnis, es habe eine vergleichbare Gegenüberstellung von monarchisch, absolutstisch und genossenschaftlich-selbstverwalteten Herrschaftsformen allerdings unter Bezugnahme auf die ländlichen Regionen. Vgl. P. Blickle, Kommunalismus (wie Anm. 50); L. SchornSchütte, Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht (wie Anm. 56), S. 200–201. Dort Anm. 16. 61  Von dem Gegensatz zwischen obrigkeitlichen Herrschaftsanspruch und gemeindlichem Autonomiestreben ausgehend betont der nordamerikanische Reformationshistoriker Thomas Brady, es habe in den deutschen Reichsstädten der ursprüngliche Republikanismus der italienischen Stadtstaaten nie gegeben. Die politischen Vorstellungen insbesondere der reichsstädtischen Eliten seien durch einen „konservativen Monarchismus“ geprägt gewesen. Vgl. T. A. Brady, Turning Swiss: Cities and Empire, 1450–1550. Cambridge 1985, S. 24–27, 85 f.; L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht (wie Anm. 56), S. 201. Dort Anm. 17. 62  Die vorliegende Studie geht davon aus, dass es eine dichte Kommunikation um das Notwehr- und Widerstandsrecht gegeben hat, die über den Repblikanismusbegriff ebenso wie über das Konzept des Kommunalismus hinausweist, so dass eine Lösung von diesen sehr zeitgebundenen Begriffen forschungsstrategisch sinnvoll erscheint. Vgl. L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht (wie Anm. 56), S. 201.

28

I. Einleitung

frühneuzeitspezifischen Politikkommunikation63 in Gestalt der wechselseitigen Verzahnung vom Religiösem und Politischem einerseits, politischer Sprache und politischem Handeln bzw. politischer Norm und Herrschaftsordnung andererseits verstärkt berücksichtigt werden. Denn es handelt sich um ein zeitgenössisches Wahrnehmungsmuster, dessen jeweilige Bedeutung diskursiv bestimmt wurde und welches, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, auch auf verschiedenen Ebenen der politischen Kommunikation in Gebrauch war. Insbesondere spielt die politica christiana als eine handhabbare Herrschaftslehre eine zentrale Rolle in den frühneuzeitlichen Debatten um die Legitimation von Herrschaft und die Struktur der Herrschaftsordnung. In ihrer Anknüpfung an die spätmittelalterliche Ständelehre64 war sie ein eigenständiges Modell „konsensgestützter“ Herrschaft in Gestalt der wechselseitigen Prägung von Politischem und Religiösem.65 Drittens: Zur Erforschung der Komplexität der Wechselwirkung von Sprache bzw. politischer Norm und politischer Realität in der Frühen Neuzeit muss das angelsächsische Konzept66 weiter verstärkt berücksichtigt 63  Zum Begriff vgl. L. Schorn-Schütte, Einleitung, in: Aspekte der politischen Kommunikation (wie Anm. 56), S. 1–12; dies, Politikberatung im 16. Jahrhundert (wie Anm. 6), S. 49–66; dies., Historische Politikforschung (wie Anm. 56), S. 77. 64  Dazu vgl. L. Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 54); dies., Obrigkeitskritik im Luthertum? (wie Anm. 54); dies., Die Drei-Stände-Lehre im reformatorischen Umbruch (wie Anm. 6), S. 435–461; dies., Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht (wie Anm. 56), S. 195–232. 65  Vgl. L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht (wie Anm. 56), S. 204. 66  Gemeint ist die Gruppe von Historikern und Politikwissenschaftlern um Quentin Skinner und J. K. A. Pocock. Vgl. dazu den informativen Aufsatz von H. Rosa: Ideengeschichte und Gesellschaftstheorie, in: Politische Vierteljahresschrift 35 (1994), S. 197–223; M. Richter, Zur Rekonstruktion der Geschichte der Politischen Sprachen: Pocock, Skinner und die Geschichtlichen Grundbegriffe, in: H. E. Bödeker / E. Heinichs (Hg.), Alteuropa – Ancien Regime – Frühe Neuzeit. Stuttgart 1991, S. 134–174. Vgl. auch L. Schorn-Schütte, Die Drei-Stände-Lehre (wie Anm. 6), S. 435–437; L. Schorn-Schütte, Einleitung, in: Aspekte der politischen Kommunikation (wie Anm. 56), S. 1–12; dies, Politikberatung im 16. Jahrhundert (wie Anm. 6), S. 49–66. Ihr Forschungskonzept fand jedoch wie oben erwähnt in der europäischen und nordamerikanischen historischen Forschung auf sehr unterschiedliche Art und Weise Verwendung. Vgl. dazu A. Strohmeyer, Konfessionskonflikt und Herrschaftsordnung (wie Anm. 31), S. 52–53; G. Asch, Das Common Law als Sprache und Norm der politischen Kommunikation in England (ca. 1590–1640), in: H. Duchhardt / G. Melville (Hg.), Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit. Köln 1997, S. 103–136; A. Black, Political Thought in Europe. 1250–1450. Cambridge 1992. Hier S. 1–13. In deutschsprachigen Raum erfolgte die Rezeption allerdings nur zögernd, wohl verbunden mit dem Vorwurf der Kritiker, die betonten, Skinner und Pocock ordne das Verhältnis Text – Kontext falsch ein. Zum Überblick dieser kritischen Stimmen vgl. E. Helmuth / C. Ehrenstein, Intellectual History Made in Britain: Die Cambridge School



2. Tilemann Heshusius als Fallstudie und Forschungsaufgabe 29

werden. Die von der modernisierungstheoretischen Annahme ausgehende begriffsgeschichtliche Forschungsmethode will und kann, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, die beharrenden Momente kaum berücksichtigen.67

2. Tilemann Heshusius als Fallstudie und Forschungsaufgabe In der vorliegenden Arbeit soll das Verhältnis von Luthertum und Obrig­ keit in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts am Beispiel des lutherischen Geistlichen Tilemann Hes­husius (1527–1588) auf der Basis fun­dierter Quel­ lenstudien untersucht werden. Anhand der Ergebnisse soll in Auseinandersetzung mit der eingangs skizzierten tradionellen Sichtweise schließlich eine Neubewertung des Verhältnisses zwischen lutherischer Geistlichkeit und Obrigkeit vorgenommen werden. Im Fokus steht dabei die Funktion und Rolle der lutherischen Dreiständelehre. Die Untersuchung nimmt nicht nur die theologische Texte Heshusius’ ins Blickfeld, sondern auch die konkreten Auseinandersetzungen, die Heshusius in seiner Amtszeit mit seinen Gegnern erlebte. Zentral dabei sind die Auseinandersetzungen zwischen Heshusius und den orthodoxen Lutheranern sowie den (krypto-) Calvinisten in Bremen und Emden aus komparatistischer Sicht. Die historische Forschung zur Politik- und Sozialgeschichte, zur Kirchen-, Theologie-, Literatur- und Frömmigkeitsgeschichte der Frühen Neuzeit, befindet sich, wie Wolfgang Sommer zutreffend herausgestellt hat,68 momentan in einer besonders produktiven Phase. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit führte zu intensiven, fruchtbaren Diskussionen über neue Per­ spektiven in der Wahrnehmung dieser Zeit und zum historischen Verständnis des Luthertums. Jedoch scheint sich das gewohnte Bild vom Luthertum, jene „langgestrickte Legende von der angeblichen lutherischen politischen Passivität“69 in der und ihre Kritiker, in: W. Hardtwig (Hg.), Geschichte und Gesellschaft 27 / 1 (2001), S. 149–172; vgl. dazu L. Schorn-Schütte, Einleitung, in: Aspekte der politischen Kommunikation (wie Anm. 56), S. 1–12. 67  Denn die hier zu beobachtende Verzahnung von politischem Teilhabeanspruch und dessen religiöser Legitimation kann sowohl als Beharren auf traditionalen Mustern als auch Weg in die „Moderne“ charakterisiert werden. Dazu vgl. L. SchornSchütte, Einleitung, in: Aspekte der politischen Kommunikation (wie Anm. 56), S. 1–12. 68  Vgl. W. Sommer, Politik, Theologie und Frömmigkeit im Luthertum der Frühen Neuzeit (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 74), Göttingen 1999, S. 286–307. 69  J. Bauer, Die Leuchte Thüringen. Johann Gerhard (1582–1637), Zeitgerechte Rechtgläubigkeit im Schatten des Dreißigjährigen Krieges, in: ders., (Hg.), Luther und seine klassischen Erben. Tübingen 1993, S. 335–356. Hier S. 341 f.

30

I. Einleitung

Tat kaum verändert zu haben. Vielmehr beherrscht es offenbar noch den derzeitigen Forschungskonsens. Zumindest scheint es fraglich, ob die herkömmliche Beschreibung des Verhältnisses von Luthertum und Calvinismus im allgemeinen Geschichtsbewusstsein schon als überwunden gelten kann. Was die Thematik Obrigkeitskritik und politisches Widerstandsdenken anbelangt, bietet sich am Ende des 20. Jahrhunderts eine sehr andere Forschungsper­ spektive als noch zu seinem Beginn dar.70 Darüber hinaus ist der Topos von einer bei Luther vorhandenen „doppelten Moral“ bzw. weltindifferenten Ethik nach wie vor virulent: Die Meinung geht dahin, dass Martin Luther vom einzelnen Christen nur den Glauben und die unmittelbare Nächstenliebe gefordert und die „weltlich ding“ dabei ihren eigenen Gesetzen, d. h. einem rein positivistisch verstandenen Naturrecht der Macht, überlassen habe.71 Durch das Luthertum der nachfolgenden Generationen sei diese Tendenz noch verstärkt und der Obrigkeitsglaube der Lutheraner dadurch endgültig befestigt worden.72 Das Luthertum – heute wie damals – wird als Stütze des Obrigkeitsstaates interpretiert.73 Hein­rich Richard Schmidt meint wohl zu Recht, dass die Diskus­sion über ein lutheri­sches Wider­spruchs- oder gar Widerstands­ denken erst am Anfang stehe.74 Und Schorn-Schütte unterstreicht in ihrer jüngsten Untersuchung ebenfalls, dass die jetzt anstehende, erst in Ansätzen begonnene Forschung vor einer doppelten Aufgabe der Tradittionsbewältigung stehe.75 Auch Kenneth Appold pointiert, dass ein Vorurteil über die lutherische Orthodoxie bislang immer noch haften geblieben ist: Das Stigma der „toten Lehre“.76 Die vorliegende Untersuchung möchte das negative Urteil der historischen Erscheinung des Luthertums korrigieren und einen Beitrag zu der skizzierten, erst in Ansätzen begonnenen Forschung leisten. Der Versuch, am Beispiel von Tilemann Heshusius das Verhältnis von Luthertum und Obrigkeit darzu­ stellen und durch die Verknüpfung von 70  W. Sommer, Obrigkeitskritik und die politische Funktion der Frömmigkeit im deutschen Luthertum des konfessionellen Zeitalters, in: R. v. Friedeburg (Hg.), Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 26), Berlin 2001, S. 245–263. 71  L. Schorn-Schütte, Die Reformation (wie Anm. 6), S. 95. 72  H. U. Wehler, „Preußen vergiftet uns“. Frankfurter Allgemeine Zeitung (23. Feb. 2002), S. 41; U. Volkmann, Risse in der Rechtsordnung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 11. 03. 2004 (Nr. 60), S. 8 f. 73  Vgl. hierzu L. Schorn-Schütte, Glaube und weltliche Obrigkeit bei Luther und im Luthertum (wie Anm. 6), S. 87. 74  H. R. Schmidt, Die Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert (EDG 12), München 1992. 75  L. Schorn-Schütte, Glaube und weltliche Obrigkeit bei Luther und im Luthertum (wie Anm. 6), S. 99. 76  K. G. Appold, Orthodoxie als Konsensbildung (wie Anm. 43), vgl. dazu das Vorwort.



2. Tilemann Heshusius als Fallstudie und Forschungsaufgabe 31

ideen­geschichtlicher mit sozialgeschichtlicher Analyse neu zu charakterisieren, beruht auf zwei Be­obachtu­ngen: Heshusius war einer derjenigen lutherischen Theologen, der Obrigkeitskritik als seinen Amtsauf­ trag, als einen Teil des Wächteramtes verstand. Er begriff die Wächterrolle seines Predigt­ am­tes als „wachen Dienst am weltlichen Regiment“. Heshusius übte auf der Kanzel öffentliche Kritik an der Obrig­keit und bezog zu der Zeit, als die Kirchenzucht dem obrigkeitlichen Erzie­ hungs­ anspruch dienstbar gemacht wurde, die Obrigkeit in die Kirchenzucht­maßnahmen ein. Aber seine Obrigkeitskritik richtete sich nicht nur gegen das persönliche Verhal­ten der weltlichen Obrig­kei­t, sondern auch gegen den obrigkeitlichen Zugriff auf die Kirche. Heshusius käm­pfte gegen den Herr­sch­afts­anspruch der Obrig­keit in kirch­lichen Belangen, um die Un­abhängig­keit der Kirche zu bewahren, indem er die strikte Unterscheidung zwi­schen dem geistlichen und dem weltlichen Regiment betonte. Er vertrat angesichts eines Zen­trierungsprozesses ob­rigkeit­licher Gewalt, in dem Widerstand zum Akt der Auflehnung gegen eine göttliche Ord­nung wer­den konnte und in dem es zu einem Ineinanderfließen von Obrigkeit und Kirche in Gestalt des „Cäsaropapismus“ in den lutheri­schen Territorien kam, nicht nur das Recht zur Obrigkeitskritik, sondern sogar ein Wider­standsrecht der lutherischen Untertanen. In zahlreichen Schriften, die er vor allem in mehreren Kon­fliktsitu­ationen mit den Obrigkeiten verfasst hatte, nahm Heshu­si­us zur weltlichen Obrig­keit Stellung. Tatsächlich ist Heshusius’ Obrig­keits­kritik ebenso wie seine Auffassung von der weltlichen Herrschaft und seine Widerstandsauffassung in der Früh­neu­zeit­for­schung kaum unter­sucht worden. Sein Amtsverständnis und seine Bann­lehre wurden le­diglich auf­Grundlage weniger Schriften dargestellt. Von Heshusius’ um­fangreic­hen Schrif­ten77 untersuchte Heinz Schei­ ble78 nur eine Po­stil­la. Peter Fr­ied­­rich Bar­ton79 interpretierte an­hand zweier Sch­ r­ i­ f­ ten („Ur­ sach und Grund“ und „Von Amt und Ge­ walt“) dessen Amts­ver­ständnis und Bann­lehre. Inge Ma­ger80 analysierte jüngst erneut das Amts­ver­ständnis von Hes­hu­sius an­hand seiner Schrift „Vom Amt und Ge­ walt“ und charakterisierte es als eine Synthese beider Reformatoren (Lu77  Eine von Barton in Titelablichtungen erstellte Bibliographie umfasst 353 Titel. P. F. Bar­ton, Tilemann Heshusius, in: TRE 10, S. 258. 78  H. Scheible, Die Lebensernte eines amtsbewussten Streittheologen. T. Heshu­ sens Postil­la (1580), in: Bibliotheca Palatina Ausstellungskatkalog. E. Mül­ler (Hg.), Heidelberg 1986, S. 184 f. 79  P. F. Barton, Das Amtsverständnis Tilemann Heshusen, in: Kerygma und Dogma 7 / 1961, S. 115–127; ders., Um Luthers Erbe. Witten 1972, S. 80–120; ders., Umsturz in Bremen, in: Geschichtsmächtigkeit und Geduld. Festschrift de. Ev. Theol. Fakultät. München 1972, S. 66–76. 80  I. Mager, T. Heshusen. Geistliches Amt, Glaubensmündigkeit und Gemeinde­ autonomie, in: H. Scheible (Hg.), Melanchthon in seinen Schülern (Wolfenbütteler Forschungen 73), Wiesbaden 1997, S. 341–359.

32

I. Einleitung

ther und Melanchthon). Doch geschah dies primär unter theolo­ gie- und kirchengeschichtlichem Blick­ win­ kel. Auch Martin Kruses Arbeit, dessen Ansatz die For­ schung zur Obrig­ keitskritik der lutherischen Geistlichkeit stark angeregt hat, u. a. durch die Be­ obach­ tung­ en, dass die Wider­ stand­ s­ tradition der lutheri­schen Geistlich­keit bereits im 16. Jahr­hundert existier­te, stellte lediglich Heshusius’ Voka­ tions­ streit mit dem Magdeburger­Rat als ein Beispiel unter vielen vor.81 Die Eignung Heshusius’ als Untersuchungsobjekt im dargestellten Zusammenhang liegt auch darin begründet, dass er aufgrund der Ausübung eines schonungs­ losen pastora­ len Straf­ amtes wiederholt in Kon­ flikte mit den Obrig­keiten in Städten und Terri­torien, namentlich Gos­lar, Ro­stock, Kur­ pfalz, Bremen, Mag­ de­ burg, Jena, Neu­ burg, Wesel, Königs­ berg i. Pr. und Helm­ stedt, geraten ist. Doch gerade auf diese Ausein­ andersetzungen mit den Obrigkei­ten um die Kir­chenz­ucht und die vocatio, die eigentlich den realhistorischen Kon­flikt darstellen und die Konvergenz von theologischer Deutung und realhistorischer Konfliktanalyse ver­deutli­chen könnten, wurde kaum ein Blick­gewor­fen. Die wenigen Arbei­ten zu diesen Konflikten stan­ den unter dem Aspekt der Biograp­ hie82, unter theologi­schen Ge­sich­ts­ 83 punkten­ ­oder wurden im Rah­ men der älteren bzw. j­ ün­ ge­ ren kir­ chenge­ schicht­lichen, städte­ge­schicht­lichen und landes­gesch­icht­lichen Dar­stellun­ gen lediglich am Ran­de abgehandelt, wie u. a. in den Monogra­phien von Wilhelm Hep­pe,84 Al­brecht Wol­ter,85 Edu­ard Crusius,86 Lud­wig Häus­ser,87 81  M.

Kruse, Speners Kritik (wie Anm. 25). z. B. J. G. Leuckfeld, Historia Heshusiana, Quedlinburg 1716; K. v. Helmholt, Tilemann Heßhus und seine 7 exilia, Leipzig 1859; G. Frotscher, Tilemann Heshusen, Plauen 1938; C. A. Wilkens, Tilemann Heßhusius, Ein Streittheologe der Luther-Kirche, Leipzig 1860; K. A. Schierenberg, Tilemann Heshusen 1527–1588, in: Mecklenburgische Kir­chengesc­hichte 14 (1965), S. 190–204; P. E. Ba­rton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79). 83  P. F. Barton, Tilemann Heshusius und die lutherische Lehre vom Bann. Diss. Wien 1­957; ders., Das Amtsver­ständnis Tilemann Heshusen (wie Anm. 79), S. 115– 127; T. Kauf­mann, Universität (wie Anm. 42); I. Mager, Die Konkordienformel im Fürstentum Braun­schweig-Wolfenbüt­tel. Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens 33 Göttingen 1993; I. Dingel, Concordia Contro­versa (Quellen und Forschungen zur Reformations­gesch­ichte 63), Gütersloh 1997; T. Krüger, Empfangene Allmacht. Die Christologie Tilemann Heshusens (1527–1588), Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 87. Göttingen 2004. 84  Geschichte der deutschen Protestantismus in den Jahren 1555–1581. Bde. 1–4. Marburg / ­Lahn 1852–1859. 85  A. Wolters, Die Reformationsgeschichte der Stadt Wesel, Bonn 1868. 86  G. F. E. Crusius, Geschichte der vormals kaiserlichen freien Reichsstadt Goslar. Oster­ode 1842. 87  L. Häusser, Geschichte der rheinischen Pfalz nach ihren politischen, kirch­ lichen und literarischen Verhältnissen 2 Bde. Heidelberg 1924. 82  Wie



2. Tilemann Heshusius als Fallstudie und Forschungsaufgabe 33

Ot­to ­R­­­­­­­­­­­­­­­­­­­ed­lich,88 Karl Sch­maltz,89­­­­­­­­­ Hans Ber­nitt,90 Erich Bey­reuther,91 Karl Wolf­­­­­­­­­­­­gang Huis­­­­­­­mann Schos­­­­­­­­­­­,92 Hans Pat­ze93 und Wal­ter Stem­pel94. Die jüngst erschienenen, so­zial­ge­schichtlich und politik­theoretisch orien­ tier­ten Studien von Luise Schorn-Schütte95 verdeutlichen, dass das Verhältnis der lutheri­schen Geist­lich­keit und Obrig­keit im Rah­men der Dreiständeordnung in einem gleichberech­tigten Neben­ein­ander von status politi­cus, status ec­clesias­t­icus und status oeconomicus bestand. Sie erhellen auch die Bedeutung der Wie­derbele­bung der Dreiständelehre für die christli­che Sozial- und Herrschafts­lehre. Dabei wird Hes­husius zwar erwähnt, aber seine Lehre und sein Verhalten sind nicht primärer Gegenstand der Untersuchungen.96 Ein weiterer Grund, sich umfassend mit Heshusius zu beschäftigen, liegt in seiner Rolle als einer der bedeutenden Spätreformatoren. Als solcher liefert er ein klassisches Beispiel für die Zweckmäßigkeit einer Neubewertung der politisch-sozialen Funktion der lutherischen Geistlichkeit und ihres politischen Denkens im konfessionellen Zeitalter. Der „Fall Heshusius“ könnte sowohl für die Erforschung der nachreformatorischen politischen Ethik, für eine Neubewertung des Luthertums als Bestandteil der politischen Kultur im Alten Reich sowie für die deutsche Zeitgeschichtsforschung von Belang sein. Dies trifft insbesondere deshalb zu, weil in der Untersuchung 88  O. R. Redlich, Staat und Kirche am Niederrhein zur Reformationszeit, in: Schrif­ten des Vereins für Reformationsgeschichte 164. Leipzig 1938. 89  K. Schmaltz, Kirchengeschichte Mecklenburgs 2: Reformation und Gegenreformation, Schwerin 1936. 90  H. Bernitt, Zur Geschichte der Stadt Rostock, Rostock 1956. 91  E. Beyreuther, Die Kirche in der Neuzeit, in: Geschichte Thüringens. Köln / Wien 1972 Bd. 4 S. 1–52. 92  K.W. H. Schoss, Die rechtliche Stellung, Struktur und Funktion der frühen evangeli­schen Konsistorien nach den evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts. Eine rechtsgeschichtlich-rechtsvergleichende Untersuchung. Diss. Heidelberg 1980; ders., Evangeli­sches Geistliches Ministerium im 16. Jahrhun­dert. Eine Untersuchung norddeutscher Stadt­ ministerien unter Einbeziehung des Predigermi­ nisteriums in Frankfurt am Main und des Geistlichen Ministeri­ums in Regensburg. Diss. Heidelberg 1983. 93  H. Patze, Geschichte Niedersachsens 3 / 2: Kirche und Kultur von der Reformation bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Hildesheim 1983. 94  W. Stempel, Die Reformation in der Stadt Wesel, in: J. Prieur (Hg.), Geschichte der Stadt Wesel. Düsseldorf 1992, S. 107–147. 95  L. Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 54); dies., Die DreiStände-Lehre im reformatorischen Umbruch (wie Anm. 6), S. 435–461. 96  Den Untersuchungen Schorn-Schüttes verdanken unsere Studien zum Verhältnis von Luthertum und Obrigkeit im älteren Luthertum wichtige Einsichten und forschungsmethodologische Anregungen und Konzepten.

34

I. Einleitung

der Fragen zu Obrigkeitskritik, öffentlicher Opposition und aktivem Widerstand im Luthertum in der bisherigen Forschung überwiegend mit der widerstandsabstinenten lutherischen Tradition argumentiert worden ist.97 Eine sorgfältig abwägende Nachzeichnung des Lebensweges des Heshusius ist, soweit es die zeitgenössische politische Geschichte angeht, ein De­ siderat der Forschung. Obwohl eine auf Quellen fußende, wissen­schaftliche Heshusius-Biographie von der Frühneuzeitforschung als notwendig erkannt wurde, steht ebendiese noch aus. Das einschlägige, aber der skizzierten neuen Forschungsrichtung kaum entsprechende Werk von Johann Georg Leuckfeld, „Historia Heshusiana“98 ist so noch immer unentbehr­lich. Die beiden Dar­stellungen von Karl von Helmolt und Gerhard Frotscher99 sind ohne wis­senschaftliche Ambitionen verfasst. Die viel verwendete Arbeit von C. A. Wilkens100 gibt sich zwar einen wissen­schaftlic­hen Anstrich, ist aber als unzuverlässig einzuschätzen. Die Dar­stellung von Peter Fried­rich Barton101, die Heshusius’ Leben ausführ­lich schildert und es zugleich in ausgewogener Weise in den Kontext der Entwicklungen der zweiten Hälfte des 16. Jahr­hunderts stellt, ist unvollständig. Hier fehlt die Dar­stellung der Zeit in Magde­ burg, Jena, Neu­ burg, Königsberg und Helm­ stedt.102 Die jüngst erschienene theologiegeschichtliche Studie von Tilo Krüger folgt ebenfalls diesem fragmenthaften biographischen Wissensstand.103 Diese Forschungslücke will die Studie nun schließen und damit auch zu einer umfassenden Darstellung des Lebens und Wirkens von Heshusius beitragen. Heshusius’ Obrigkeits­ vorstellungen werden dabei anhand einer Vielzahl seiner Schriften analysiert und die sich darin zeigenden Kon­flikte um die Kir­chenzu­cht und um die obrigkeitliche vocatio untersucht. Insbesondere wird sich die Untersuchung auf die Erforschung der Rechtfertigung von Obrigkeitskritik durch das Luthertum konzentrieren, die in den hier bezeichneten Ausein­andersetzungen bis zum aktiven Widerstand gediehen ist. Leitende Fragen der Untersuchung sind: 97  Vgl. dazu R. v. Friedeburg, Widerstandsrecht im Europa der Neuzeit. Forschungsgegenstand und Forschungsperspektiven, in: ders., (Hg.), Widerstandsrecht in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 70), S. 11–59; ders., Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt. Notwehr und Gemeiner Mann im deutsch-britischen Vergleich 1530–1669 (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 27), Berlin 1999; ders., (Hg.), Widerstandsrecht im Europa der Neuzeit. Erträge und Persfektiven der forschung im deutsch-brigtischen Vergleich. Berlin 2001. 98  Dazu vgl. J. G. Leuckfeld, Historia Heshusiana (wie Anm. 82). 99  Ebd. 100  Ebd. 101  P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79). 102  Vgl. I. Mager, T. Heshusen (wie Anm. 80). 103  T. Krüger, Empfangene Allmacht (wie Anm. 83).



3. Methodischer Zugriff35

a) Wie sah Heshusius’ Obrigkeitsverständnis aus? b) Wie rechtfertigte er seine Obrigkeitskritik? c) Gab es bei Heshusius eine Verbindung zwischen Obrigkeitskritik und der Legitimation von Widerstand, und, wenn ja, wie wurde sie formuliert? d) Welche Bedeutung hatte die Dreiständelehre für die politisch-sozialen Kontroversen, an denen Heshusius über Jahrzehnte beteiligt war? In d) soll vor allem danach gefragt werden, ob die Dreiständelehre als Referenzsystem in Gestalt der wechselseitiger Steuerungsmechanismen des Politischen und Religösen in den politischen und sozialen Auseinandersetzungen um das Verhältnis zwischen Obrigkeit und Kirche zu charakterisieren ist. Ein Beitrag für eine Neubewertung der Rolle und Funktion der politica christiana für das politische Denken und Handeln im Alten Reich soll damit geleistet werden, dies auch im Kontext der neuen Forschungen zum Topos „Politik als kommunikativer Raum“104.

3. Methodischer Zugriff Die Beantwortung des im vorigen Abschnitt entwickelten Fragenkatalogs ist nur nach methodischen Vorüberlegungen möglich. Gesucht ist ein Analyseinstrument, das es gestattet, das Wechselverhältnis von Sprache und politischer Ordnung bzw. politischer Norm und politischer Realität in politisch-sozialen Auseinandersetzungen schärfer zu fassen und die dahinter stehenden Prozesse des politischen Austausches über Herrschaft und Ordnung zu analysieren und mit diesen Kategorien die Rolle und Bedeutung der Dreiständelehre als Referenzsystem in den politisch-sozialen Kontroversen um das Verhältnis zwischen „Staat“ und Kirche im Alten Reich herauszustellen sowie die Frage nach der Charakterisierung der Politik als „politische Kommunikation“ im 16. und 17. Jahrhundert zu beantworten. Als dieses Instrumentarium schien für unsere Untersuchung gerade das Konzept der political languages der Cambridge School105 (Quentin Skinner /  Johan G. Pocock) besonders geeignet, weil die politische Sprache hier nicht nur eine Rolle als theoretisches, sondern vielmehr als operatives Paradigma repräsentierte.106 Unsere Studie verwendet jedoch das Konzept in einer auf 104  Auf dessen Verständnis wird im nächsten Hauptteil näher einzugehen sein. Vgl. dazu jüngst L. Schorn-Schütte, Historische Politikforschung (wie Anm. 56), S. 85 ff. 105  Folgende Darstellung basiert zum großen Teil auf die Ausführungen von Hartmut Rosa, Eckhart Hellmuth, Christoph Ehrenstein (wie Anm. 66).und Arno Stromeyer in ihrer Studien (wie Anm. 31). 106  Zum Begriff siehe den Abschnitt „Politische Sprache“ im Kapitel V. dieser Studie. Vgl. dazu H. Rosa, Ideengeschichte und Gesellschaftstheorie (wie Anm. 66),

36

I. Einleitung

die spezifischen Erfordernisse des Untersuchungsgegenstandes und die Erkenntnisinteressen zugeschnittenen Form. Die Untersuchung gebraucht weder Pococks Konzept noch Skinners Methodik allein, sondern in gemischter Form. Die Studie zielt sowohl darauf, die Dreiständelehre als die das politische Denken und Argumentieren bestimmende und operierende politische Sprache, in der sich das politische Denken im Alten Reich, insbesondere Luthertum im 16. und 17. Jahrhundert vollzog und in unterschiedlichen Diskussionszusammenhängen fortlebte, in ihren Traditionszusammenhängen und charakteristischen Argumentationsfiguren zu rekonstruieren und in i­hren wechselseitigen Abhängigkeiten, Einflüssen, Transformationen und Kontextverschiebungen zu analysieren, als auch deren manipulative Handlungen im Sinne Skinners „Ideologie“ mit dem Ziel der Legitimierung oder auch Unterminierung bestimmter, problematischer Elemente der politischen Praxis durch die Geistlichkeit und politischen Entscheidungsträgern und Juristen, auf deren konzeptuellen Erläuterung wir im zweiten Hauptabschnitt ausführlich eingehen werden.107 Neben diesen „linguistischen Vorausetzung“ politischer Kommunikation soll außerdem der politische, soziale und konfessionelle Kontext in die Untersuchung miteinbezogen werden. Zwar liegt das Hauptaugenmerk der vorliegenden Studie darauf, die Dreiständelehre als operatives Paradigma zu untersuchen. Die Analyse des Praktisch-Werdens und die interventive Reichweite politischer Sprache kann nicht allein aus der Textualität, Semantik und Pragmatik der theoretischen Entwürfe erklärt werden, wie Skinner es vorschlug108, sondern hat immer auch die sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, aus denen heraus die jeweiligen politischen Vorstellungen entstanden sind und auf die sie reagieren.109 Ohne Rekurs auf diese sozio-ökonomischen Grundkonstellation ist ein angemessenes Verständnis politischer Sprache und ihres Einwirkens auf die sozio-politische Welt nicht möglich. Um die Rolle der Dreiständelehre als operatives Paradigma beim Kommunikationsprozess über Herrschaft und Ordnung aus einer präzise bestimmten, historischen S. 205 ff.; A. Strohmeyer, Konfessionskonflikt und Herrschaftsordnung (wie Anm. 31), S. 51–53 und die dortige Anmerkungen. 107  Vgl. H.  Rosa, Ideengeschichte und Gesellschaftstheorie (wie Anm.  66), S.  202 ff. 108  Ebd. S. 207 ff.; E. Hellmuth / C. v. Ehrenstein, Intellectual History Made in Britain (wie Anm. 66), S. 156 f. 109  H. Münkler / H. Grünberger / K. Mayer (Hg.), Nationenbildung – Die Nationalisierung Europas im Diskurs humanistischer Intellektueller. Italien und Deutschland (Politische Ideen 8), Berlin 1998, S. 24; H. Münkler, Politische Theorie und praktische Politik. Zur Bestimmung ihres Verhältnisses in ideengeschichtlicher Perspektive, in: R. S. Bruns (Hg.), Politische Theorie und Demokratie. Baden-Baden 1998; E. Hellmuth / C. v. Ehrenstein, Intellectual History Made in Britain (wie Anm. 66), S. 164 ff.



4. Untersuchungsgang37

Konstellation heraus zu deuten und in die detailliert biographischen, tagespolitischen, sozialen und religiösen Sachverhalte „einzuspielen“, müssen zuvor die städtischen Rahmenbedingungen bzw. der historische Kontext der politischen Auseinandersetzungen ausführlich dargestellt und die für diese Fragestellung relevanten gesellschaftlichen und politischen Subsysteme bzw. Institutionen, Gruppen, Milieus oder andere soziale Räume in den Städten und Territorien analysiert werden, in denen politische „Wissensbestände“ Heshusius’ und der beteiligten Kontrahenten zirkuliert, generiert und verhandelt werden, und in denen sich ihre Argumentation für ihre unterschiedlichen politischen und sozialen Interessen vollzog.

4. Untersuchungsgang Für die Strukturierung der vorliegenden Untersuchung lässt sich aufgrund der bereits dargelegten Fragestellung und des methodisch-theoretischen Ansatzes folgendes Fazit ziehen: Die ersten zwei Hauptteile der Arbeit (Abschnitt II. und III.) stellen neben dem biographischen Abriss die Grundzüge der Lehren Luthers und Me­lanchthons dar. Dabei werden Analogien und die Differenzen der Obrigkeitsauffassung der beiden Refomatoren herausgearbeitet. Die hier gewonnenen Erkenntnisse machen es möglich, Heshusius’ Obrigkeitsdenken in der Geschichte des lutherischen Obrigkeitsverständnisses besser verorten zu können. In welcher Tradition steht das Obrigkeitsdenken des Heshusius im Vergleich zu Luther und Melanchthon? Findet sich in Heshusius’ Obrigkeitsdenken ein autonomer theologiepolitischer Theorieansatz? Auf Basis einer biographischen Einführung in Leben und Werk von Heshusius, die einen Überblick über sein Schaffen und die Hintergründe für manche Aspekte seines Denkansatzes und die zeitliche Entwicklung seines Obrigkeitsdenkens geben soll, werden Entwicklung und Transfomationen seiner Obrigkeitsauffassung schließlich in Abschnitt IV. dargestellt. Zwar wäre es methodisch möglich, den Charakter des Obrigkeitsverständnisses des Heshusius allein aus seinen Schriften herauszuarbeiten. Aber dessen eigentliche Position und Leistung wird erst in der praktischen Auseinandersetzung mit der „Obrigkeit“ sichtbar. Auf diese Weise kann auch ein Beitrag zum Problem der theologisch-politischen Vermittlung bei Heshusius geleistet werden, wenn die Obrigkeitsauffassung im Hinblick auf ihre ideengeschichtliche Tradition untersucht wird, das heißt wenn man seine Begriffsvorstellung in den Zusammenhang ihrer Traditionsgeschichte stellt. Diesen Fragen ist außerdem in der Heshusius-Forschung bisher kaum Beachtung geschenkt worden. Das heißt, wir verbinden die historisch-traditionsgeschichtliche Fragestellung mit der systematischen Fragestellung kombinierend.

38

I. Einleitung

Heshusius befasste sich mit dem Thema „Obrigkeit“ keineswegs als Theo­ retiker, Denker und Systematiker, wie etwa Johann Gerhard oder Johannes Althusius. Auch hat er keine Kommentare zur politischen Ethik und Rechtslehre verfasst. Dennoch bezog er in seinen zahlreichen Schriften, insbesondere in den theologischen und kirchenpolitischen Streitschriften, Predigten und auch Kommentaren, die eine tiefe exegetische und auch systematische Reflexion zeigen, vielfach Stellung gegenüber der Obrigkeit. Von großer Bedeutung ist, dass seine einschlägigen Äußerungen und Darstellungen zur Obrigkeit, die überall fest in den Quellen verankert sind, zumeist nicht aus abstrakten Überlegungen, sondern aus der realen und konkreten Konfliktsituation mit den Obrigkeiten in seiner beruflichen Praxis herrühren. In diesem Sinne ist seine Obrigkeitsvorstellung eine Weiterführung praktischer Erfahrung, wie im nachfolgenden Abschnitt zu zeigen sein wird. Ähnlich wie bei Luther sind die meisten schriftlichen Äußerungen bei Heshusius situationsbedingt, aktualitätsbezogen, ganz eigentlich kasuale Miszellen. Das hindert aber nicht, diese verstreuten Gelegenheitsäußerungen Heshu­ sius’ zum Thema Obrigkeit systematischem Zugriff zu unterwerfen. Es wäre wünschenswert, im Rahmen dieser Arbeit all jene Schriften, die Heshusius’ Äußerungen zur Obrigkeit enthalten, in die Analyse einzubeziehen, um sein Obrigkeitsverständnis vollgültig herauszuarbeiten. Da sein umfangreiches Schrifttum einen fast unübersehbaren Stoff darbietet, soll im Folgenden hauptsächlich auf die Schriften eingegangen werden, die Heshusius zum einen direkt im Rahmen der heftigen Auseinandersetzung mit der weltlichen Obrigkeit oder nach seiner Amtsenthebung verfasst hat,110 die zum zweiten als Grundbelege für die Obrigkeitslehre der lutherischen Orthodoxie111 bekannt sind und die Heshusius in seiner Exegese behandelt hat. He­ rangezogen werden ferner Schriften,112 die nicht direkt aus den Konflikten mit der weltlichen Obrigkeit hervorgingen, aber Beachtung finden müssen, um das Bild von Heshusius’ Obrigkeitsvorstellung zu vervollständigen: Leichenpredigt, Postillen und Predigttexten. Diese Auswahl mag dadurch gerechtfertigt sein, dass sich Heshusius in diesen Rechtfertigungs- bzw. Streitschriften 110  Hierzu gehören die Schriften von Heshusius, die er in seinen folgenden Lebensstationen verfasst hat: Goslar, Rostock, Magdeburg, Bremen und Wesel. Siehe den Abschnitt IV. 2. Die Begriffsbildung bei Heshusius. 111  Vgl. W. Sommer, Gottesfurcht und Fürstenherrschaft (wie Anm. 33), S. 74. Zu diesen Schriften gehören z. B.: die Exegese und Kommentare, die Heshusius besonders in seinen folgenden Lebensabschnitte verfasst hat: Examen Theologicum und Römerbrief 13 in Jena, Euangelium am 23. Sonntage nach Trinitatis / Mat. 22, Psalm 82 und 101 in Helmstedt. 112  Sie sind beispielsweise die Schriften, die Heshusius in folgenden Aufenthaltsort verfasst hat: Die Andere Predig und DJe Dritte Predig in Heidelberg, Oratio fvnebris in Jena und Königsberg.



4. Untersuchungsgang39

und in der Exegese deutlich intensiver und ausführlicher als in anderen Textgattungen wie z. B. Briefe, Traktaten, Memoranden, Protokolle und Erlasse usw. mit dem Thema Obrigkeit befasst hat. Nach unserer Auffassung besteht also keine Gefahr, Fehlergebnisse zu erzielen, auch wenn manche Schriften nicht bearbeitet werden. Diese werden dennoch für unsere Untersuchung herangezogen, sofern sie für Heshusius’ politische Ethik grundlegend sind. Nach sorgfältig abwägender Sichtung der Quellen unter Berücksichtigung der erwähnten Auswahlkriterien kommen von 353 Titeln im Wesentlichen 35 Schriften113 von Heshusius in Betracht, in denen sich vielfach über das Aktuelle hinausgehende Reflexionen zeigen. Damit ist das quellenmäßige Fundament skizziert. Auf diese Schriften wollen wir eingehen. Untersucht werden soll, worin Heshusius’ Obrigkeitsverständnis wurzelt, aus welcher Tradition es sich speist und wo er in Neuland vorstößt. Ihre Beantwortung hängt in besonderem Maße daran, das Verhältnis Heshusius’ zu Melanchthon und Luther einerseits, seine Stellung innerhalb der Gnesionlutheraner und unter den Reformatoren und Spätreformatoren im Luthertum und Calvinismus bestimmen zu können und das Innovative seiner Zeit herauszufinden. In der Analyse liegt das Hauptaugenmerk vor allem darauf, wie Hes­ husius in Fragen der Obrigkeit argumen­ tiert hat. Um seine Äußerung in seiner Argumentation bzw. die Intention seines Textes angemessen entschlüsseln zu können, konzentriert sich die Analyse darauf, welche Absicht Heshusius mit seinen Sätzen, Argumenten und Theorien verfolgt. Es wäre sicherlich methodisch möglich, im Rahmen dieser Studie die oben erwähnten Schriften einzeln zu behandeln und daraus die Obrigkeitsvorstellung von Heshusius zusammenfassend herauszustellen. Da sich aber zum einen dieselben bzw. vergleichbaren Argumentationen Heshusius’ in Fragen der weltlichen Obrigkeit in seinen Schriften ununterbrochen wiederholen, die sich zum Teil im Zuge der Konfessionskonflikte zu jener Zeit kaum vermeiden lassen, eben weil sich Heshusius immer wieder in ähnlichen Konfliktlage befand, und vor allem weil er zum anderen zur Legitimation seiner Obrigkeitskritik immer wieder ähnliche oder dieselben Argumentationen in seinen Schriften geäußert hat, soll in der Studie im Folgenden statt einer Einzelanalyse der Schriften sein Obrigkeitsverständnis in zwei Schritten herausgestellt werden: Zum ersten die Untersuchung des sprachlichen Umfeldes, das heißt konkret die Analyse der Bedeutungskonnotationen der Obrigkeitsterminologie, mit der Heshusius seine Obrigkeitsauffassung aufgebaut hat, und die Analyse seines Tugendverständnisses, die Heshusius im Zusammenhang mit Fragen der weltlichen Obrigkeit äußerte, und schließlich die Analyse der 113  Siehe

den Abschnitt IV. 2. Die Begriffsbildung bei Heshusius.

40

I. Einleitung

Rechtfertigungsmuster, deren sich Heshusius in seiner Obrigkeitskritik sowie der Darstellung des Widerstandsakts vorzugsweise und regelmäßig als Legitimationsgrundlage bedient hatte. Dieses Erkenntnisziel ist im Hinblick auf die hier interessierende Fragestellung, insbesondere in der Verbindung von theologischer Deutung und realhistorischer Konfliktanalyse gerade von besonderer Bedeutung, da durch diese Analyse der sprachlichen Konventionen, die diskursive Praxis bestimmen, erst verdeutlicht werden kann, worauf Heshusius mit seinem Text zielt, das heißt die Intention Heshusius’. Zum zweiten, die daraus sich ergebenden Ergebnisse werden in die folgenden vier inhaltlichen Schwerpunkte einordnend zusammengefasst: Erstens, Ursprung der Obrigkeit, zweitens, Aufgabe und Pflicht der Obrigkeit, drittens, das Verhältnis von Obrigkeit und Kirche und viertens, das Verhältnis von Obrigkeit und Untertanen. Diese methodische Vorgehensweise ist durchaus gerechtfertigt, da sich einerseits Heshusius’ Obrigkeitsverständnis in dieser Begriffsbildung sowie dem Tugendverständnis und vor allem in seinem Legitimationsmuster am deutlichsten zeigt, und da sich andererseits Heshusius mit seiner Äußerung prinzipiell nur im Rahmen vorgegebener Sprachen artikuliert, und da Heshusius zum dritten trotz der unterschiedlichen Ausprägung und Intensität in den verschiedenen Phasen seines Lebens ein konstantes und kohärentes Obrigkeitsverständnis bewahrt hat. Als Beispiel für letzteres Postulat kann angeführt werden, dass Heshusius sein 1556 erstmals expliziertes Verständnis von den obrigkeitlichen Pflichten und Aufgaben in Fragen der Kirche bis an sein Lebensende für gültig befunden hat.114 Im zweiten Hauptteil (V.) werden Heshusius’ praktische Auseinandersetzungen mit der Obrigkeit in seinen Lebensstationen anhand der archivarischen Überlieferung sowie nicht primär theologischer „Texte“ untersucht, die für seine Argumentation exemplarisch sind und die bezeugen können, ob und wie die theoretische Diskussion Heshusius’ bzw. seine Argumentationsmuster den Eingang gefunden hat in sein praktisches Handeln als politischer Akteur. Nach sorgfältiger und intensiver Prüfung der Quellenlage und Sichtung der Quellen werden in der folgenden Untersuchung Konflikte in sechs Städten, an denen Heshusius unmittelbar oder indirekt beteiligt war, näher betrachtet. Auf die praktisch-politischen Auseinandersetzungen von Heshusius in Bremen und Emden werden wir in einer Vergleichsstudie ausführlicher, detaillierter und systematischer eingehen als auf die anderen vier Konflikte in den Städten Goslar, Rostock, Magdeburg und Wesel, weil dort die Überlieferungen nicht lückenhaft, sondern fast vollständig waren. Die Auswahl orientiert sich jedoch nicht am Gewicht der Auseinandersetzungen, sondern hauptsäch114  Vgl.

I. Mager, Tilemann Heshusen (wie Anm. 80), S. 347.



4. Untersuchungsgang41

lich an der jeweiligen Überlieferungslage. Dennoch würdigen die andere vier Konfliktmuster unsere Forschungsfrage zusätzlich, weshalb sie im gesonderten Rahmen der Exkurse hinzugefügt wurden.115 Die innovativen Möglichkeiten einer vergleichenden Geschichtsbetrachtung sind allgemein anerkannt, gerade auch um ein solches Phänomen wie den politischen Austauschprozess über Herrschaft und Ordnung in den Städten und Territorien, hier insbesondere Bremen und Emden im 16. und 17. Jahrhundert, möglichst objektiv analysieren zu können. Dieser komparative Ansatz wird nicht primär die Einzelerscheinungen zur politica christi­ ana-Geschichte bzw. Politikkomunikationsgeschichte in den jeweiligen Städten und Territorien additiv aneinanderreihen, sondern Allgemeines und Besonderes zu speziellen Aspekt der politica christiana-Problematik inte­ grativ untersuchen. Zunächst soll der politische, soziale und konfessionelle Kontext skizziert werden, d. h. es wird die gesell­schaftliche und politische Struk­tur bzw. das V­erhä­ltnis des so genannten Machtdreiecks in den jeweili­ gen Städten und Territorien vor der Ankunft von Heshusius dargestellt. An­schließend soll die Aufmerksamkeit nunmehr auf die interne Konstella­ tion gelenkt werden, wie sich die Verhältnisse in diesem Kräftedreieck in Heshusius’ Anwesenheit und nach seinem Weg­gang jeweils verändert haben – ob z. B. die lutherische Geist­lich­keit mit der Bür­ger­schaft oder den Ständen koalierte, um ihren politischen Teilhabeanspruch durch­zusetzen und ihre kirchliche Autonomie bzw. Eigenständigkeit zu bewahren, oder ob die politischen Entscheidungsträger mit der Bürgerschaft in Koalition auftraten, um ihren Herrschaftsanspruch in die kirchlichen Belange noch zu erweitern. Dabei wird unter­sucht, welchen Stellenwert die Dreiständelehre in diesen Kräfteverhältnissen jeweils einnimmt und welche Bedeutung die Dreiständelehre für die politisch-sozialen Auseinandersetzungen hat. Zu bemerken ist, dass dieser Abschnitt die folgende Frage zwar in die Untersuchung miteinbezieht, aber sich nicht allzu sehr darauf konzentriert zu analysieren, ob und wie sich Sinn und Funktion der Dreiständelehre im Verlauf des Konfessionskonflikts veränderte und damit einen verfassungsmäßigen Veränderungsprozess in dem Untersuchungsraum gab, und ob die veränderte Herrschaftsordnung wiederum Sinn und Funktion der Dreiständelehre veränderte. Es wird in diesem Abscnitt vielmehr versucht, die politica christi­ ana in Gestalt der Dreiständelehre als operatives Paradigma im Sinne Skinners und Poccoks nachzuweisen. Angestrebt ist, das frühneuzeitliche Politikverständnis als „politische Kommunikation“ herauszustellen.

115  Siehe dazu auch die methodische Vorbemerkung im Kapitel V. Auf die stadtgeschichtliche Untersuchung der weiteren Lebensstationen Heshusius’ hofft der Verfasser in anderen Zusammenhang ausführlich darstellen zu können.

II. Biographie des Heshusius. Zum Leben und zu den Schriften Tilemann Heshusius’ Um die theologischen Denkansätze des Heshusius besser interpretieren zu können, gilt es die biographischen Hintergründe zu berücksichtigen. Ebenfalls ist der allgemeinen historischen und theologischen Entwicklung im zeitgenössischem Kontext Rechnung zu tragen. Nur durch Offenlegung der theologischen Deutungsmuster und realhistorische Konfliktanalyse gelangt der Historiker sich zu einem kohärenten Verständnis der Überlegungen des Heshusius zu den Themen Obrigkeitsverständnis und Dreiständelehre. In diesem Abschnitt wird ein biographischer Abriss gegeben werden, soweit er für die Fragestellung von Bedeutung ist.116 Tilemann Heshusius wurde 1527 als Patriziersohn zu Wesel im Herzogtum Kleve geboren. Der Reformationsprozess hatte in Wesel zu jener Zeit bereits begonnen. Zwar wuchs er zunächst im Katholizismus heran, aber mit dem Lutherischwerden seiner Familie kam Heshusius in seiner Kindheit sowohl mit der katholischen wie auch der lutherischen Lehre in Berührung. Diese familiäre Konstellation sorgte dafür, dass er von Jugend an mit den konfessionellen Unterschieden und den sich hieraus ergebenden Konfrontationen aufs engste vertraut wurde. Entgegen des Vorschlags seiner Eltern, sich zum Kaufmann bzw. Hofdienst ausbilden zu lassen, setzte Heshusius seinen Wunsch Theologe zu werden durch. Er wurde 1546 an der Wittenberger Artistischen Fakultät immatrikuliert, in der durch Melanchthons Impulse eine Bildungsreform gerade erfolgreich zum Abschluss gekommen war.117 Zugleich wurde hier noch die antike Moral- und Naturphilosophie gelehrt, wie es im 16. Jahrhundert auch an anderen artistischen Fakultäten 116  Die folgenden Ausführungen stützen sich im Wesentlichen auf die grundlegenden biographiegeschichtlichen Forschungsarbeit von P. F. Barton zu Tilemann Heshusius (wie Anm. 79) und von T. Krüger, Empfangene Allmacht (wie Anm. 83), wurden aber auch durch neue Ergebnisse ergänzt. Vgl. TRE 15, S. 256–260; RE 8, S. 8–14. 117  Vgl. I. Mager, Melanchthons Impulse für das evangelische Theologiestudium, in: U. Sträter (Hg.), Melanchthonsbild und Melanchthonrezeption in der lutherischen Orthodoxie und im Pietismus (Themata Leucoreana 5), Wittenberg 1999, S. 105– 126; H. Scheible, Aristoteles und die Wittenberger Universitätsreform, in: M. Bayer /  G. Wartenberg (Hg.), Humanismus und Wittenberger Reformation. Leipzig 1997, S. 123–144.



II. Biographie des Heshusius43

der Universitäten in Deutschland üblich war.118 Heshusius wurde folglich mit dieser Disziplin, insbesondere auf dem Gebiet der politischen Ethik, sehr vertraut. Nach einer zweijährigen Studienreise, die ihn bis nach Paris und Oxford führte, kehrte Heshusius im Winter 1549 / 1550 nach Wittenberg zurück. Er wurde am 14. August 1550 unter dem Rektorat Paul Ebers (1511–1568) Magister der freien Künste. Bereits 1551 wurde er Mitglied des Artistensenats.119 Er hielt zwei Jahre lang Vorlesungen ab und las in seinem RhetorikKolleg über die Schriften des Isokrates gegen Demonicus und Ciceros gegen Piso.120 Heshusius war, wie Barton festgestellt hat, ein Lieblingsschüler Melanchthons.121 Dieser hat Heshusius in jeder Hinsicht, insbesondere in der Entwicklung seines Denkens – soviel sei hier vorweggenommen –, stark beeinflusst. So etwa was die Verbindung unterschiedlicher intellektueller Traditionen betrifft, wie z. B. die der philosophischen und theologischen oder der aristotelischen und ciceronischen Deutung des Naturrechts und positiven Rechts oder aber in Fragen der Staats- und Soziallehre. Nicht nur in den philosophischen und theologischen Disziplinen, sondern auch im Lebensstil und Engagement für das von Melanchthon vertretene Humanistenideal war er in vollem Wortsinn ein Schüler Melanchthons.122 Nach zweijähriger Dozententätigkeit an der artistischen Fakultät wechselte Heshusius 1552 an die Theologische Fakultät. Hier las er unter anderem auch über die „Loci Communes“ Melanchthons. In den folgenden Jahren profitierte er in reichem Maße von seinem Lehrer. Heshusius Studium der Theologie und seine Beschäftigung mit den geistes- und wortmächtigen Schriften Luthers war geprägt von den Fragestellungen und Kategorien Melanchthons. Er verdankte jenem auch die formale theologische Ausrüstung, besonders die Sicherheit im Umgang mit aristotelischen Begriffen und Kategorien. Me­ lanchthons wissenschaftliche Methoden waren es, die Heshusius in späteren theologischen Auseinandersetzungen als Waffe zu führen wusste.123 Besonders die Angriffe des Heshusius auf die Obrigkeiten in seinen Hauptschriften beweisen eine solide Kenntnis der antiken Philosophie, Geschichte, Dichtung und des Rechtes, worauf wir im nächsten Abschnitt noch 118  P. Petersen, Geschichte der aristotelischen Philosophie im protestantischen Deutschland. Leipzig 1927; W. Maurer, Luthers Lehre von den drei Hierarchien und ihr mittelalterlicher Hintergrund. München 1970, S. 14 ff.; R. Schwarz, Luthers Lehre von den drei Ständen und die drei Dimensionen der Ethik, in: LuJ 45 (1978), S. 15–34. Hier S. 19 ff. 119  P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 35. 120  Ebd. S. 35. 121  Ebd. S. 36. 122  Ebd. S. 35–36. 123  Ebd. S. 34.

44

II. Biographie des Heshusius

näher eingehen werden. Verwiesen sei hier auch darauf, dass es sich bei der Fülle an klassischen Zitaten, Exempeln und Reminiszenzen, die Heshusius zu aktuellen theologischen und kirchlichen Fragen beisteuerte, keineswegs nur um allmählich verblassendes Schul- und Universitätswissen handelte, sondern dass er sich auch im Alter noch mit Vorliebe der Welt der Klassik zuwandte.124 Über die Einzelheiten dieser Entwicklung wird in der nachfolgenden Untersuchung zu sprechen sein. 1553 trat Heshusius auf Melanchthons Empfehlung in der Reichsstadt Goslar als Pastor, Primarius und Superintendent ein. Er wurde kurz danach im Mai auf Kosten der Stadtgemeinde Goslar in Wittenberg zum Doktor der Theologie promoviert.125 Bereits in Goslar vertrat Heshusius eine eigensinnige Haltung in Kirchenfragen. Als 1531 die vom Rat beschlossene erste Goslarische Kirchenordnung dem Superintendent nicht genügend Freiraum bot, publizierte er unter Mitarbeit der anderen Prediger 1555 eine Konsistorialordnung, nach der ausdrücklich der Superintendent als Vorsitzender des Konsistoriums benannt wird.126 Damit verschaffte er dem Superintendenten einen freien, nicht mehr nur von der Anweisung des Rats gebundenen, sondern vielmehr gegenseitig mitwirkenden, unabhängigen Status und verhinderte die Kompetenzausweitung der goslarischen Obrigkeit. Er machte auch von seinem pastoralen Strafamt schonungslosen Gebrauch, indem er gegen die Übergriffe des Bürgermeisters auf das Kirchengut und ein Vergehen des Sohnes des ersten Bürgermeisters vorging. Heshusius verstand bereits in Goslar die Obrigkeitskritik als seinen Amtsauftrag, als einen Teil seines Wächteramtes, als Wächterdienst des Predigers über das weltliche Regiment. Dieser Anspruch des Heshusius wurde vom Stadtrat bestritten – Heshusius verlor aufgrund der Beschuldigung, in das Obrigkeitsamt eingegriffen zu haben, sein Amt.127 In unmittelbarer Reaktion darauf verfasste Heshusius zur Rechtfertigung seiner Position eine kleine Schrift, die erst 1573 gedruckt wurde.128 Aus dieser Schrift geht hervor, dass Heshusius bereits in der Goslarer Zeit im Unterschied zu Melanchthon und anderen orthodoxen Theologen dem allgemeinen Priestertum eine große 124  Ebd.

S. 33. S. 43. 126  Ebd. S. 50. 127  Ebd. S. 54–58. 128  Vrsach vnd Grundt / Warumb ein trewer Pfarrherr oder Seelsorger /  einen offentlichen Vnbusfertigen Sunder /  Als Gotteslersterer / halstarrigen Papisten /  vberfurten Caluinisten /  vberwiesenen Huren /  Ehebrechern oder wucherer /  der keine Busse zusagen will /  bey der hei. Tauffe nicht solle Geuatter stehen lassen /  noch im das H. Nachtmal reichen. Jhena 1573 [HAB Wf. 523.22 Theol. 17]. Im Folgenden ­Vrsach vnd Grundt / Warumb. 125  Ebd.



II. Biographie des Heshusius45

Bedeutung für die kirchlichen Strukturen einräumte.129 Liebergs130 und Kaufmanns131 These, dass der konzeptionelle Bedeutungsverlust des allgemeinen Priestertum in der Orthodoxie den stärksten Differenzpunkt zu Luther darstellen und als Weiterführung Melanchthonischer Ansätze zu werten sein dürfte, scheint im Fall von Heshusius also nicht zutreffend zu sein. Heshusius, der noch 1553 in seinen Promotionsthesen132 die melanchthonische Amtsauffassung vertrat, dass die Gemeinde den Amtsträgern Gehorsam schulde, vertrat in dieser Protestschrift nicht mehr Melanchthons Amtsauffassung des Gegenübers von Lehrenden und Lernenden. Zwar lehnte er das Prinzip vom Wort Gottes und der hörenden Gemeinde nicht ab, machte sich aber stark für das Gemeindeprinzip bzw. die Laienkompetenz. Heshusius’ laientheologisches Grundsatzprogramm scheint sich also nicht erst in Magdeburg, nach dem theologischen Bruch mit Melanchthon im Jahre 1558, wie Mager meint133, sondern bereits in der Goslarzeit entwickelt zu haben. Was das Programm des allgemeinen Priestertums und die damit verbundene Problematik des Gemeindeprinzips und der Laienkompetenz betrifft, scheint Heshusius bereits in Goslar für Luthers Position zu optieren und wirkte, von Melanchthon unabhängig, als Gnesiolutheraner. Daraus ergibt sich, dass Heshusius von der Goslarzeit an im Unterschied zu zeitgenössischen Theologen und Juristen, die die Vorstellung einer ständischen Rang- und Wertverschiedenheit auf den Melanchthonschen Begriff des praecipuum membrum ecclesiae übertragen und daraus den alleinigen Herrschaftsanspruch der weltlichen Obrigkeit bei den interna ecclesiae abgeleitet haben,134 eine sog. aristokratische Dreiständevorstellung vertrat. Heshusius muss wohl bereits in Goslar die Obrigkeit nur als ein gleichberechtigtes Glied der Kirche und nicht als das vornehmste Glied, so wie sie im städtischen Leben für die Untertanen vorgesehen war, angesehen und konsequent danach gehandelt haben. Nach der Absetzung in Goslar erhielt Heshusius am 22. Juli 1556 auf Melanchthons Vermittlung die Berufung zum Theologieprofessor an der Rostocker Universität und zugleich das Pfarramt von St. Jakob durch Her129  E. Winkler, Melanchthons Amtsverständnis, in: U. Sträter (Hg.), Themata Leucoreana (wie Anm. 117), S. 45. 130  H. Lieberg, Amt und Ordination bei Luther und Melanchthon. Berlin 1962, S.  381 ff. 131  T. Kaufmann, Universität und lutherische Konfessionalisierung (wie Anm. 43), S. 240. 132  I. Mager, T. Heshusen (wie Anm. 80), S. 346. 133  Ebd. S. 355. 134  Vgl. J. Heckel, cura religionis. Ius in sacra – ius circa sacra, in: Kirchenrechtliche Abhandlungen 117 / 118 (1938), Darmstadt 1962, S. 32–48.

46

II. Biographie des Heshusius

zog Johann Albrecht I. von Mecklenburg (1525–1576). Heshusius hielt hier seine ersten großen Psalmenvorlesungen. Er gab sie 1561 heraus und widmete sie Herzog Johann Friedrich II. (1529–1595), den Heshusius als einen Verteidiger des Luthertums schätzte.135 Dieser Psalmenkommentar wurde von Heshusius fortlaufend erweitert, modifiziert und durch die Auslegung anderer Psalmen ergänzt.136 Seine Methoden und Ergebnisse finden sich auch im großen Psalmenkommentar von 1586. Der Rostocker Psalmenkommentar ist für unsere Fragestellung von erheblicher Bedeutung. Denn wie z. B. in den Kommentaren zu den Psalmen 2, 24, 82 und 101 hat Heshusius darin nicht nur die fundamentalen und zentralen Belegstellen zur lutherischorthodoxen Obrigkeitslehre ausgelegt, sondern auch seinen Standort innerhalb der lutherischen Orthodoxie klar formuliert. Auffallend ist, dass Heshusius zur Rechtfertigung seiner Obrigkeitsdefinition als Belegstelle Psalm 82 bevorzugt.137 Hervorzuheben ist außerdem, dass er in seiner Auslegung von Psalm 101 – anders als viele lutherische Hofprediger138 – Luthers Kommentar zum Psalm 101, auf den noch näher einzugehen sein wird, kaum als Vorlage benutzt hat. Heshusius erweist sich in der Auslegung stattdessen als zuverlässiger Melanchthonschüler, der sowohl im Stil der Exegese (z. B. die Anwendung der Loci doctrinae und Argumenta) als auch in der Verwendung der politischen Begriffe Melanchthon verhaftet bleibt.139 Auch in Rostock wurde Heshusius, ähnlich wie in Goslar, in die seit längerem schwelenden Auseinandersetzungen zwischen dem Rat und den Stadtpredigern verwickelt. In deren Verlauf trat er entschieden auf die Seite der Prediger und exkommunizierte schließlich die beiden Bürgermeister, weil der eine ihn einen Pharisäer geheißen, der andere eine Sonntagshochzeit abgehalten hatte. Als der Rostocker Rat Heshusius beschuldigte, er habe in das Amt der weltlichen Obrigkeit eingegriffen, wies er in einer nach dem Rostocker-Exil verfassten Schrift140 diesen Vorwurf mit der Begrün135  P.

F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 131. S. 141–142. 137  Vgl. Examen Theologicum D. Tilemanni Heshusij. Wittenberg 1587 [HAB ALVENSLEBEN Ba 99]. S. Tt 3; Tt 4. Im Folgenden Examen Theologicum; Römer 13, 1–7. Explicatio epistolae pavli ad romanos. Ienae 1572 [HAB Wf. 817.10 Theol.], S. 390. Im Folgenden Römer 13; Postilla Das ist /  Auslegung Der Sontag­ lichen Euangelien /  Durchs gantze jahr Durch D. Tilemanum Heshusium. Eisleben 1586 [HAB Wf. 305.5 Theol. 2°]. Euangelium am 23. Sonntage nach Trinitatis / Mat. 22, S. 130, 131. Im Folgenden Mat. 22; Die neunte Passionspredigt /  Matth. 27. Bl. K iiij.; Antwort d. Tilemanni Heshusy vnd Petri Eggerdes auff das mandath der Burgermeister vnd des Radts der Stadt. Rostock 1557. StA Rostock 1.1.17 XI Bl. 343–410, S. 357. Im Folgenden Antwort. 138  W. Sommer, Gottesfurcht und Fürstenherrschaft (wie Anm. 33), S. 23–27. 139  P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 141–142. 140  Antwort (wie Anm. 137). 136  Ebd.



II. Biographie des Heshusius47

dung zurück, die Kanzelkritik und das Strafamt sei die von Gott anvertraute heilige Wächterpflicht der Prediger gegenüber den anderen Ständen der Kirche. Keineswegs, so Heshusius, handle es sich um einen Übergriff in ein fremdes Amt, vielmehr um einen göttlichen Amtsauftrag.141 Interessant ist, dass Hesusius wiederum das Prinzip des allgemeinen Priestertums stark betonte, denn er sprach hierin jedem einzelnen Christen die Rolle des Mahnund Wächteramtes zu, da im Falle des Pflichtversäumnisses der weltlichen Obrigkeit Obrigkeitskritik zur christlichen Pflicht würde: „Dieses bekenntnus habe wir gern gethan, wie auch ein jder Christ schuldig ist anzuzeigen welcher Kirche glidmaß er sey.“142 Hinsichtlich des allgemeinen Priestertums hat Melanchthon offensichtlich weniger stark auf Heshusius gewirkt. Trotz des Rückhalts in der Bürgerschaft und der Intervention des mecklenburgischen Herzogs Johann Albrecht I. wurde Heshusius aus Rostock gewaltsam vertrieben.143 Am 10. Oktober 1557 musste er die Stadt mit seiner Familie verlassen und bezog vorübergehend Quartier in der nahe gelegenen Ortschaft Schwan. Anfang 1558 kehrte er nach Wittenberg zurück. Melanchthon, der Heshusius nach seiner Vertreibung aus Goslar nach Rostock vermittelt hatte, zögerte auch dieses Mal nicht, sich nach neuer Beschäftigung für ihn umzusehen. So konnte Heshusius durch Wittenberger Fürsprache144 bereits im Frühjahr 1558 eine neue Stelle als Generalsuperintendent der Kurpfalz antreten. Zugleich wurde er zum Theologieprofessor an der Heidelberger Universität, zum Pfarrer an der dortigen Heilig-GeistKirche und zum Präsidenten des Kirchenrates ernannt.145 Doch wie bereits in Goslar und Rostock machte er erneut von seinem schonungslos pastoralen Strafamt Gebrauch und opponierte offen gegen die sich unter Kurfürst Friedrich III. (1515–1576) anbahnende reformierte Konfessionalisierung.146 Er verlor ein drittes Mal sein Amt. In Heidelberg kam es außerdem anlässlich eines auf kurfürstliche Bitte hin angefertigten Gutachtens durch Me­ lanch­thon zum theologischen Bruch zwischen Lehrer und Schüler.147 Später 141  P.

F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 392. (wie Anm. 137), S. 345. 143  P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 142–150. 144  Heshusius wurde zudem auch von dem der Kurpfälzer Kirche eng verbundenen Straßburger Theologen Johannes Marbach und dem ehemaligen Rostocker Kollegen David Chytraeus empfohlen. Vgl. dazu W. Koch, Johann Marbach in seiner Bedeutung für die Pfälzische Kirchengeschichte, in: BPfKG 29 (1962), S. 119–129; T. Krüger, Empfangene Allmacht (wie Anm. 83), S. 31. Dort Anm. 25. 145  Zu Heshusius’ Leben und Wirken Heidelberger Zeit ausführlich T. Krüger, Empfangene Allmacht (wie Anm. 83), S. 158–225. 146  Ebd. S.  196 ff. 147  Zu dessen theologischen Hintergründe ausführlich T. Krüger, Empfangene Allmacht (wie Anm. 83), S. 31–117. 142  Antwort

48

II. Biographie des Heshusius

schrieb Heshusius von Magdeburg aus seine „Responsio ad praeiudicium Philippi Melanchthonis“148 und distanzierte sich von Melanchthon völlig, insbesondere in allen theologischen Fragen der Abendmahlslehre. Heshusius musste aufgrund seines kompromisslosen Gebrauchs von seinem pastoralen Strafamt an allen Wirkungsstätten außer Helmstedt weitere Amtsenthebungen und Vertreibungen erfahren. Dabei verband sich die Theologie Heshusius’ stets mit beißender Kanzelpolemik und schroffer Bannpraxis insbesondere gegen die weltliche Obrigkeit, die seinem an der theologia crucis orientierten strengen Strafamtsverständnisses geschuldet war.149 Bei Heshusius zeigte sich also deutlich eine starke Ausprägung des geistlichen Sonderbewusstseins.150 Die wiederholten Konflikte dürften Heshusius veranlasst haben, das Verhältnis von Obrigkeit und Kirche einerseits, Obrigkeit und Untertan andererseits zum zentralen Gegenstand seiner literarischen Auseinandersetzungen zu machen. Deshalb treten die intensiv geführten Diskurse zu diesem Thema in jenen Schriften, die er nach Heidelberg verfasst hat, noch stärker hervor. In allen diesen Schriften ging es um die Zuordnung und Unterscheidung beider Regimenter, um die Abgrenzung zwischen obrigkeitlichem Gehorsamkeitsanspruch und Widerstandsforderungen der Untertanen. Den Argumentationsrahmen bildete, wie bei Luther und Melanchthon, die Vorstellung von einem ungeteilten corpus christianum,151 worauf noch zurückzukommen ist. Nach seiner Amtsenthebung in Heidelberg erhielt Heshusius wiederum ohne große Schwierigkeiten, durch Empfehlung des Braunschweigischen Superintendenten Joachim Mörlin (1514–1571), eine Stelle als Superintendent in Bremen. Im Dezember 1559 reiste Heshusius in die Hansestadt, trat jedoch sein Amt nicht an, sondern erklärte, er wolle dies erst nach der Absetzung des Dompredigers Albert Hardenberg tun. Um dieses Ziel zu erreichen, bot er sogar eine Disputation mit Hardenberg an, in der ihm Joachim Mörlin, Paul von Eitzen (1521–1598) aus Hamburg und Konrad Becker (gestorben 1588) aus Stade zur Seite stehen sollten. Da eine solche nicht zustande kam, nahm er 1560 die Berufung zum Pfarrer der JohannesKirche in Magdeburg an. Dem Neuanfang in Magdeburg stellten sich keine Hemmnisse in den Weg. Heshusius wurde vom Magdeburger Rat be148  P.

F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 196 ff. Mager, T. Heshusen (wie Anm. 80), S. 342. 150  L. Schorn-Schütte, Prediger an protestantischen Höfen der Frühneuzeit, in: H. Schilling / H. Diederiks (Hg.), Bürgerliche Eliten in den Niederlanden und in Norddeutschland. Köln / Wien 1985, S. 279. 151  Vgl. K. D. Schmidt, Luthers Staatsauffassung, in: G. Wolf (Hg.), Luther und die Obrigkeit. Darmstadt 1972, S. 193 f.; P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 135. 149  I.



II. Biographie des Heshusius49

reits am 24. März 1561 als Nachfolger Johann Wigands (1523–1587) zum Superintendenten berufen. Neben dieser Tätigkeit unterstützte er von Magdeburg aus den Kampf der Lutheraner gegen den „Rottengeist zu Bremen“, der den Dom in eine „Mordgrube“ verwandelt hätte. Als Folge dieser literarischen Interventionen wurde Hardenberg schließlich aus Bremen ausgewiesen. Heshusius fuhr auch in der Widerlegung der Abendmahlslehre Melanchthons fort und musste sich gegen Angriffe Jean Calvins (1509–1564), Pierre Boquins (gestorben 1582), Wilhelm Klebitz’ (1533–1568), Theodor de Bèzes (1519–1605) und vieler anderer Reformierte verteidigen.152 In diesen Auseinandersetzungen gelang es Heshusius vor seinen gnesiolutherischen Gesinnungsgenossen am deutlichsten, die lutherische Lehre von der Realpräsenz ohne nennenswertes Zurückgreifen auf Ubiquitätsspekulationen zu entwickeln.153 In Magdeburg entwickelte er auch seine kompromisslos strenge Ansicht über die Kirchenzucht und verfasste dazu eine Schrift,154 die unter den Magdeburger Publikationen theologisch wie sprachlich hervorsticht. Heshusius selbst gab sie 1575 und nochmals 1585 heraus und ergänzte sie um jeweils zwei Zusätze über das umstrittene Vokationsrecht und über die Kompetenz von Laien in Notsitua­ tionen. Die literarische Tätigkeit Heshusius’ in Magdeburg kann als überaus rege bezeichnet werden. Für unsere Fragestellung sind zwei Streitschriften dieser Zeit von außerordentlicher Bedeutung: Zum einen eine Schrift gegen Albert Ritzeus Hardenberg (um 1510–1574)155, die nicht nur Heshusius’ Widerstandsauffassung erkennen lässt, sondern auch von der Dreiständelehre als politischer Sprache Gebrauch macht. Zum zweiten jene Schrift156, die sich auf das Lüneburgische Mandat der Stände des niedersächsischen Reichskreises vom August 1562 bezieht, in welchem die Strafamtübung der Prediger faktisch untersagt wurde.157 Darin vertrat Heshusius nicht nur den zentralen Ansatzpunkt für 152  J.

G. Leuckfeld, Historia Heshusiana (wie Anm. 82), S. 30–31. z. B. Defensio verae confessionis. Vgl., P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 226. 154  Vom Ampt vnd gewalt der Pfarrherr. Auch Wer macht /  fug vnd recht hab Pfarrherrn zuberufen. 1601 Wittenberg [HAB Wf. 919. 87 Theol. 2]. Im Folgenden Vom Ampt vnd gewalt. 155  Der Prediger zu Bremen Bekantniss /  vom Nachtmal Jesu Christi vnd Doctoris Tilemann Heshusij Bekanntniss vom Nachtmal Jesu CHRJsti. Dem Churfürsten Pfalzgrauen beym Rein vberantwortet. Anno M. D. LIX. Den i.Septembris. 1561 Magdeburg [HAB Wf. 183.9 Theol. 2]. Im Folgenden Der Prediger zu Bremen. 156  Vrsach /  Warumb das Newe Hällische Mandat /  einem trewen Leerer nicht anzunemmen sey. 1562 Leipzig [HAB Wf. 156. 22 Theol. 13]. Im Folgenden ­Vrsach /  Warumb. 157  Einzelheiten zum Folgenden bei C. A. Salig. Vollständige Historie der Augs­ purgischen Cofession Bd. 3. Halle 1735, S. 766 ff. 153  Wie

50

II. Biographie des Heshusius

das politische Denken im Luthertum, das so genannte aktive Widerstandsrecht des magistratus inferior gegenüber einer unchristlichen Obrigkeit, sondern auch ein Recht auf den „präventiven“ Widerstand des Einzelnen, das später noch näher erläutert werden soll. Heshusius geriet auch in Magdeburg in Konflikt mit dem Rat. 1562 kam es im Zusammenhang mit dem Lüneburgischen Mandat158, das jede Streit schürende Polemik und gegenseitiges Verdammen untersagte, wegen der Wiederbesetzung einer Pfarrstelle zu einem folgenschweren Streit zwischen Geistlichkeit und Rat um das ius vocandi, der schließlich zu öffentlicher Ratskritik und in deren Folge zu einem Straßentumult und zur Verhaftung einiger Kirchenältesten führte. Heshusius und der Kirchenvorstand von St. Ulrich setzten sich dafür ein, den inzwischen aus Jena vertriebenen und nach Magdeburg zurückgekehrten Johannes Wigand in sein vormaliges Pfarramt zu berufen. Doch ließ der Rat angesichts der turbulenten Ereignisse im Herzogtum Sachsen159 die Pfarrerwahl verbieten. Dieses Verbot des Vokationsrechts empfanden Heshusius und die Kirchenväter von St. Ulrich als Eingriff in das interna ecclesiae und beschuldigten den Rat in Betonung eines schonungslosen pastoralen Sonderbewusstseins, sich in kirchliche Angelegenheiten eingemischt zu haben. Als Heshusius sich zur Rechtfertigung ihrer Position auf die aristotelische Dreiständelehre berief und die weltliche Obrigkeit lediglich als einen Stand der Kirche (status politicus) neben den beiden anderen kennzeichnete, dem Rat also nur ein Mitwirkungsrecht zusprach, beanspruchte eben dieser das ius vocandi für sich allein. Er berief sich dabei auf die so genannte monarchische Dreiständelehre, nach der die Obrigkeit das vornehmste Glied der Kirche wäre.160 Aufgrund dieser konträren Auslegung der Dreiständelehre gab es keine Aussicht auf eine friedliche Einigung. Tatsächlich war eine weitere Eskalation die Folge. Schließlich wurde Heshusius gewaltsam ausgewiesen und verlor ein viertes Mal sein Amt.161 Jedoch waren die Auseinandersetzungen damit keineswegs beendet, vielmehr folgte in den beiden folgenden Jahren eine heftige literarische Ausei158  Zum Hintergrund, warum die Stadt Magdeburg davo betroffen war, siehe den Abschnitt Exkurse 3. Magdeburg. 159  Eine durch Quellen belegte Darstellung der Ereignisse gibt C. A. Salig, Vollständige Historie (wie Anm. 157), S. 917–949; Vgl. dazu auch T. Krüger, Empfangene Allmacht (wie Anm. 83), S. 124. Dort Anm. 51. 160  Dazu vgl. L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik im Luthertum? (wie Anm. 54), S.  258 ff. 161  Dass Nikolaus Amsdorf dabei eine wesentliche Rolle gespielt hat, betont jüngst Kühne in seinem kurzen Aufsatz: H. Kühne, „Bestechlich? Nikolaus von Amsdorf im Streit zwischen dem Magdeburger Rat und lutherischen Theologen um die Amtsenthebung Tileman Heshusens“, in: Tagungsbericht von Kerstin Größ über Nikolaus von Amsdorf zwischen Reformation und Politik. VII. Frühjahrstagung zur Wittenberger Reformation. 08.03.2007–10.03.2007 Witten, S. 1–4.



II. Biographie des Heshusius51

nandersetzung. Der Rat von Magdeburg rechtfertigte in einer Schrift sein Vorgehen gegen Heshusius. Dieser widerlegte die Rechtfertigung, worauf der Rat wiederum antwortete. Insgesamt wurden noch 23 Schriften in dieser Angelegenheit gewechselt.162 All diese Schriften behandelten die grund­ legende politische Auseinandersetzung um das Verhältnis von „Staat“ und Kirche bzw. Obrigkeit und Geistlichkeit, wobei die jeweilige Legitimationsgrundlage bezeichnenderweise in der Abgrenzung von geistlichem und weltlichem Regiment in Rahmen der Dreiständelehre gesucht wurde. Nach dieser Amtsenthebung suchte Heshusius im Mai 1563 nach einem längeren Zwischenaufenthalt bei Joachim Mörlin und Martin Chemnitz (1522–1586) in Braunschweig in seiner Vaterstadt Wesel Zuflucht. In Wesel wiederum drohte Heshusius wegen seines schonungslosen Strafamtgebrauchs die Ausweisung durch den Herzog von Jülich. Der Rat von Wesel zögerte zunächst, gab allerdings auf Insistieren des Herzogs nach und forderte Heshusius auf, die Stadt zu verlassen. Heshusius verweigerte wie in Magdeburg den Gehorsam. Er bezichtigte den Rat von Wesel einer unrechten Vorgehensweise, weil dieser seine obrigkeitliche Pflicht, Bürger und Untertanen zu schützen, vernachlässige und die Freiheit der Stadt missbrauche.163 Von Wesel ging Heshusius nach Frankfurt am Main. In einem Brief bat er den Straßburger Superintendenten Johannes Marbach (1521–1581), sich beim Straßburger Rat für seine Aufnahme einzusetzen. Der Rat lehnte jedoch ab. Heshusius hätte während seiner Zeit in Magdeburg die Bürger von ihrem Gehorsamseid gegen die Obrigkeit entbunden, heißt es in der Begründung. In der schwierigen Lage erhielt Heshusius 1565 durch den Pfalzgrafen Wolfgang von Zweibrücken und Neuburg (1526–1569) die Berufung zum Hofprediger und Generalsuperintendenten im Fürstentum Neuburg an der Donau. Heshusius wurde hier alsbald zu einem gesuchten Berater in theologischen Fragen. In der neueren Forschung zur Landesgeschichte scheint Heshusius’ Beraterrolle immer noch nicht die ihr gebührende Beachtung gefunden zu haben. Konersmann hat in seiner jüngst erschienenen Studie den Namen dieses gewichtigen Ratgebers nicht einmal erwähnt.164 162  J.

G. Leuckfeld, Historia Heshusiana (wie Anm. 82), S. 35–36. B 311v; Zu Heshusius’ Wesler Konflikt vgl. C. S. Park, Politica christiana und die politische Kommunikation in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts – am Beispiel des Tilemann Heshusius (1527–1588), in: M. W. Roelen (Hg.), ecclesia Wesele (Studien und Quelle zur Geschichte von Wesel 28), Wesel 2005, S. 75–98. 164  Zum Fürstentum Neuburg an der Donau vgl. F. Konersmann, Kirchenregiment und Kirchenzucht im frühneuzeitlichen Kleinstaat – Studien zu den herrschaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen des Kirchenregiments der Herzöge von PfalzZweibrücken 1410–1793 (Veröffentlichungen des Vereins für Pfälzische Kirchengeschichte 16), Speyer 1996, S. 160 ff. 163  EKAW

52

II. Biographie des Heshusius

Im Mai 1566 begleitete Heshusius den Pfalzgrafen zum Augsburger Reichstag, auf dem es Friedrich III. von der Pfalz (1515–1576) gelang, sich gegen den massiven Widerstand Wolfgangs und Christophs von Württemberg (1515–1568) durchzusetzen und die evangelischen Fürsten dazu zu bewegen, ihm seine Zugehörigkeit zu den Anhängern der Confessio Augustana zu bestätigen. So gut das Verhältnis zwischen Heshusius und seinem Landesherrn im Großen und Ganzen auch war, frei von Spannungen blieb es nicht. Ausdrücklich missbilligte Heshusius in einem Gutachten vom 28. Oktober 1568 Wolfgangs Plan, den verfolgten Hugenotten in Frankreich mit einem Heer zu Hilfe zu kommen. Vermutlich befürchtete Heshusius, dass der Calvinismus dadurch einen vermehrten Auftrieb erhalten könnte. Doch ließ sich der Fürst nicht von seinem Vorhaben abbringen. Er stellte ein Herr auf und brach am 20. Februar 1569 nach Frankreich auf. Das Unternehmen endete tragisch, Wolfgang starb am 11. Juni 1569 im Feld­ lager in Nessun, unweit von Limoges. Heshusius, der im Februar 1566 in zweiter Ehe eine Tochter Simon Musäus’ (1521–1576) geheiratet hatte, konnte in Neubrug eine mehrjährige Phase ungestörten Wirkens entfalten, deren theologisch einschneidendes Ereignis seine Abkehr von Matthias Flacius Illyricus (1520–1575)165 wegen dessen Erbsündenlehre war. Es gelang Heshusius, die wichtigsten Exponenten der Gnesiolutheraner, Nikolaus Gallus (um 1516–1570), Martin Chemnitz und Johannes Wigand, von seiner Argumentation zu überzeugen und Flacius so zu isolieren. Nach dem Tod des Pfalzgrafen wurde Heshusius’ Stellung unsicher, zudem sehnte er sich nach einer akademischen Tätigkeit. Als Herzog Johann Wilhelm von Sachsen (1530–1570) ihn im März 1569 als Theologieprofessor nach Jena berief, um durch ihn das Land für das Luthertum zurückzuerobern, nahm er die Berufung ohne Zögern in Anspruch. Er reiste im September 1569 nach Jena ab. Mit Heshusius’ Berufung stand Herzog Johann Wilhelm ein zuverlässiger Helfer für die von ihm angestrebte Reinigung seines Landes vom Strigel’schen Synergismus zur Verfügung. Im Einvernehmen mit dem Herzog führte Heshusius zusammen mit seinen Kollegen Johannes Wigand und Johann Friedrich Coelestin (gestorben 1578) eine strenge Visitation durch und säuberte die thüringische Kirche vom Einfluss der so genannten „Declaratio Victorini“, die vom Theologieprofessor Victorinus Strigel (1524–1569) verfasst wurde und 1562 durch Vermittlung von Jakob Andreae (1528–1590) zustande gekommen war. Heshusius sah in Johann Wilhelm von Sachsen die Verkörperung der wahren christlichen Obrigkeit und zitierte ihn deshalb immer wieder in 165  Zu seinem Leben und Werk vgl. O. K. Olson, Matthias Flacius and the survival of Luther’s reform. Wiesbaden 2002.



II. Biographie des Heshusius53

seinen Schriften, hob sein Vorbild für eine christliche Obrigkeit hervor und verfasste später dessen Leichenpredigt166, die er am 21. März 1573 an der Universität Jena hielt. In Jena erreichte Heshusius’ literarisches Schaffen den „zweiten“ Höhepunkt. Er verfasste, inspiriert von der strengen Visita­ tionstätigkeit, sein berühmtes dogmatisches Lehrbuch167, das immer neue Auflagen, Überarbeitungen und Übersetzungen erlebte.168 Hervorzuheben ist, dass Heshusius in diesem Lehrbuch nicht den lutherischen Kirchenbegriff verwendet, sondern die melanchthonischen Definitionen der Kirche fast wörtlich übernimmt: „coetus visibilis hominum complectentium salutarem filii Dei doctrinam et utentium sacramentis.“169 Außerdem gebraucht er im Abschnitt „De magistratus“ bestimmte Begriffe im Sinne Melanchthons, z. B. societas humana. Darin zeigt sich wiederum, dass Heshusius in vielen zentralen Punkten, insbesondere hinsichtlich des Themas Obrigkeit, zeitlebens von seinem Lehrer abhängig blieb. Weiterhin erschienen neben einer Unzahl kleinerer Schriften Auslegungen des 19. Psalms, des Römerbriefes, des 1. Korintherbriefes – insgesamt weitere 1400 Seiten stark – sowie umfangreiche Arbeiten zur Ekklesiologie und Predigten über das Abendmahl. Heshusius wurde schließlich zum Rektor der Universität Jena ernannt. Nach dem Tod Herzog Johann Wilhelms musste er auf Befehl des Kurfürsten August (1526–1586) neben anderen lutherischen Geistlichen das Land Sachsen wieder verlassen.170 Heshusius fand zunächst zusammen mit Johann Wigand Herberge bei dem theologisch engagierten Landadligen Andreas von Meyendorff (gestorben 1573) auf dessen Gut Ummendorf im Magdeburgischen. Später – ab Mai 1573 – bezog er bei Martin Chemnitz in Braunschweig Quartier. Lan166  Leichpredig, Vom leben, Regierung, vnd Seligem abschied Des Durchlauchtigen Hochgebornen Fursten vnd Herren, Herrn Johans Wilhelms, Hertzogen zu Sachsen, Landgrafen Jnn Duringen vnd Marggrafen zue Meissen, Anno 1573. den 12 Martij Jnn Latinischer Sprach auff der Hohen Schule zu Jhena gehalten, durch D. Tilemanum Hesshusium Bisschoff auff Samblandt Jnn Preußenn, Jtztt vordeutschet etc. Anno Dominj 1574. Forschungs- und Landesbibliothek Gotha. Chart. B 304, Bl. 1–57v. Die lat. Textfassung „Oratio funebris“, die Justus Lipsius ins Deutsch übersetzt hat, befindet sich ebenfalls unter demselben Signatur 57b–96v. Im Folgenden Oratio funebris. 167  Examen Theologicum (wie Anm. 137). 168  P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 229. 169  Vgl. Melanchthons Kirchendefinition „Ecclesia visibilis est coetus hominum amplectentium incorruptam Evangelii doctrinam et recte utentium Sacramentis, in quo coetu Filius Dei est efficax per ministerium Evangelii et mutlos regenerat ad vitam aeternam, quamquam sunt in eo coetu et alii multi non sancti, sed tamen de doctrina et externa professione consentientes. Haec est simplicissima definitio visibilis ecclesiae.“ CR Bd. 21, 1087. 170  P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 229–230.

54

II. Biographie des Heshusius

ge dauerte sein Exil auch diesmal nicht, denn bereits am 7. Juli 1573 erhielt Heshusius durch die lutherische Mehrheit der Landadligen wieder eine Berufung, diesmal zum Bischof des Samlandes. Die Ausgangsposition war nicht günstig für Heshusius, denn der preußische Herzog Albrecht Friedrich, die kryptocalvinistisch orientierte Universität und die reformierten Adligen protestierten gegen seine Berufung. Dennoch erfüllte Heshusius seine vielfältigen Verpflichtungen als Bischof des Samlandes sowie als theologischer Gutachter und akademischer Lehrer. Insbesondere gegen den Calvinismus publizierte er weiterhin Lehrpredigten und las über die Psalmen und den Galaterbrief. Er verfasste eine kurze Schrift über die „verbotene Grade“, die acht Auflagen erreichte und in der Heshusius’ Anschauungen zum kanonischen und positiven Recht deutlich erkennbar werden. Die sich schon vor seiner Berufung anbahnende calvinistische Konfessionsbildung konnte er jedoch nicht mehr verhindern und wurde schließlich entlassen.171 Zum siebten und letzten Mal trat er den Gang ins Exil an. Am 11. Juli 1577 verließ er Königsberg auf dem Seeweg und landete neun Tage später nach gefährlicher Überfahrt wohlbehalten in Lübeck, wo er fürs Erste eine Bleibe fand. Wigand dagegen übernahm die mit Heshusius’ Absetzung frei gewordene Stelle und hatte bis zu seinem Tod am 21. Oktober 1587 nicht nur das pomesanische, sondern auch das samländische Bischofsamt in Personal­ union inne. In der Not erwies sich Martin Chemnitz einmal mehr als Helfer. Befördert durch dessen und auch Meyendorffs Fürsprache wurde Heshusius im August 1577 durch Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel zum Theologieprofessor an der neu gegründeten Universität Helmstedt berufen. Hier wurde er in die Fehden um die Gültigkeit der Konkordienformel verstrickt.172 Heshusius übte auch in Helmstedt sein Strafamt konsequent aus und unterzeichnete einen Protestbrief der Helmstedter Theologen vom 16. Dezember 1578. In diesem wurde der Plan des Herzogs, seinen Sohn Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel nach katholischem Ritus zu tonsurieren und ihn als Administrator von Halberstadt einzusetzen, scharf kritisiert.173 Heshusius publizierte in seiner Helmstedter Zeit eine Vielzahl von über 1300 Folioseiten zählenden Postillen,174 die bezeugen, dass die lutherische Predigt keineswegs als lehrhaft, polemisch, weltfremd und nur dogmatisch bzw. als reine Exegese charakterisiert werden kann. Sie war vielmehr eine Auslegung ihrer Gegenwart, die auf die lebensweltliche Er171  Ebd.

S. 230. I. Dingel, Concordia Controversa (wie Anm. 83); I. Mager, Die Konkordienformel im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel (wie Anm. 83). 173  I. Mager, T. Heshusen (wie Anm. 80), S. 357–358. 174  Postilla Das ist /  Auslegung (wie Anm. 137). 172  Vgl.



II. Biographie des Heshusius55

fahrung der Zuhörer hin orientiert war und Informationen gesellschaftspolitisch relevanten Inhalts, Normen und Soziallehren an die Zuhörer vermittelte.175 Für unsere Fragestellung sind diese Postillen von nicht unerheblicher Bedeutung, da Heshusius darin seine bisherigen Erfahrungen und Gedanken über die Obrigkeit zusammenfasst. Daneben verfasste er ebenso umfangreiche Predigtsammlungen, Kommentarwerke mit einem Umfang von mehr als 3000 Seiten, sowie ein die reformatorische Rechtfertigungslehre abschließendes, zusammenfassendes Monumentalwerk, „De justificatione hominis coram Deo libri sex“.176 Er starb am 25. September 1588.

175  Jedoch scheint in der neueren Lutherforschung und Diskussion um die Bedeutung der lutherischen Predigten den Postillen von Heshusius nicht die ihr gebührende Beachtung geschenkt zu werden. Vgl. H. C. Rublack, Lutherische Predigt und soziale Wirklichkeit, in: H. C. Rublack (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung (wie Anm. 32), S. 383–395. 176  P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 232. Siehe dortige Anmerkungen.

III. Voraussetzungen: Luther und Melanchthon. Analogie und Differenz ihrer Obrigkeitslehre177 1. Vorbemerkung Seit Elert178, Maurer179 und Schwarz180 gehört es zur communis opinio der lutherischen Orthodoxie-Forschung, dass Luther, Melanchthon und die Orthodoxie die Bausteine für ihre politische Ethik und Sozialethik vorwiegend von der antiken philosophischen Tradition, insbesondere vom Aristotelismus übernommen haben.181 Alle entscheidenden politischen Begriffe, 177  Die folgende zusammenfassende Ausführung der Obrigkeitslehre beider Reformatoren erfolgt wesentlich nach: M. Brecht, Martin Luther. 3 Bde. Stuttgart 1981 / 1987; B. Lohse, Luthers Theologie. Göttingen 1995; ders., Martin Luther. Eine Einführung in sein Leben und sein Werk. München 1981 sowie M. Jacobs, Confessio und Res Publica. Göttingen 1994; ders., Die evangelische Staatslehre (Quellen zur Konfessionskunde Reihe B Hefte 5), Göttingen 1971 und auch R. B. Huschke, Melanchthons Lehre vom Ordo politicus. Gütersloh 1968; G. Weber, Grundlagen und Normen politischer Ethik bei Melanchthon, in: K. G. Steck / G. Eichholz (Hg.), Theologische Existenz Heute. N. F. 96 (1962), S. 5–41. 178  W. Elert, Societas bei Melanchthon, in: Das Erbe Martin Luthers und die gegenwärtige theologische Forschung. Festschrift Ludwig Ihmels. 1928 S. 101–115; ders., Morphologie des Luthertums. Bd. 2. München 1953.S. 57 ff.; ders., Zur Terminologie der Staatslehre Melanchthons und seiner Schüler, in: ZST (1932), S. 522– 534. 179  W. Maurer, Luthers Lehre von den drei Hierarchien (wie Anm. 118). 180  R. Schwarz, Ecclesia, oeconomia, politia. Sozialgeschichtliche und fundamentalethische Aspekte der protestantischen Drei-Stände-Theorie, in: H. Renz / F. W. Graf (Hg.), Protestantismus und Neuzeit (Troeltsch Studien Bd. 3), Gütersloh 1984, S. 78–88; ders., Luthers Lehre von den drei Ständen (wie Anm. 119), S. 15–34. 181  Damit ist jedoch nicht gemeint, dass Luther und Melanchthon gleichermaßen Grundbestandteile ihrer Obrigkeitslehre von der antiken philosophischen Tradition erworben haben. Das ist vom heutigen Forschungsstand nicht vertretbar. Der Theologe Luther besaß z. B. zwar vorzügliche Aristoteleskenntnis und zeitbezogenes aristotelisches Argumentieren und machte sich auch von der scholastischen Aristote­ les-Auslegung nicht wirklich frei, aber brachte für Aristoteles – anders als Melanchthon sowie manche zeitgenössische Humanisten – „kein eigenständiges Interesse“ auf. Also ist bei der Frage nach der Rezeption der aristotelischen Tradition eine differenzierte analytische Durchdringung unabdingbar erforderlich. Vgl. dazu die exzellente Studie von T. Dieter, Die junge Luther und Aristotelismus. Eine historisch-systematische Untersuchung zum Verhältnis von Theologie und Philosophie. Walter de Gruyter / Berlin / New York 2001. S. 629–631. Zum Traditionsbezug aristotelischer Tradition bei Melanchthon siehe G. Frank, „Politica Aristotelis“. Zur Über-



1. Vorbemerkung57

durch welche sie dem Obrigkeitsverständnis tragfähige Voraussetzungen und Zusammenhänge gaben, sind also vorzugsweise aus der antiken Moral- und Naturphilosophie und deren Fortwirken in der mittelalterlichen Tradition geschöpft.182 Lässt sich das auch für die politische Ethik von Heshusius behaupten? Um diese Frage beantworten zu können, bedarf es zuerst einer Darlegung der politischen Ethik bei Luther und Melanchthon. Eine solche Darstellung aber ist wegen der Forschungslage nicht einfach.183 In der vergangenen Zeit zeichneten sich in der Luther-Melanchthon-Forschung immer deutlicher Schwierigkeiten ab,184 von denen auch die Untersuchung des Obrigkeitsverständnisses beider Reformatoren betroffen ist. Allein der Überblick über die neueren Untersuchungen zur Zwei-Reiche-Lehre Luthers zeigt das kaum überschaubare Ausmaß an bereits vorhandener Literatur. Bezüglich der Begriffs-, Wirkungs- und Traditionsgeschichte, der Eigengesetzlichkeit, Bedeutung und Problematik der Zwei-Reiche- bzw. Zwei-Regimenten-Lehre Luthers und der offenen Fragen zu Forschungsmethode und weiteren Aufgaben ist Literatur in außerordentlichem Umfang vorhanden. Für die MelanchthonForschung lässt sich ähnliches konstatieren. Das berühmte Humanismus-Problem bei Melanchthon, etwa das Verhältnis des späten Melanchthon zum Humanismus, seine Humanismus-Rezeption oder das Verhältnis von Humanismus und Rechtfertigungslehre, muss jedoch weiterhin als ungeklärt gelten.185 lieferungsgeschichte der aristotelischen „Politica“ im Humanismus und in der frühen Neuzeit, in; G. Frank / A. Speer (Hg.), Der Aristotelismus in der Frühen Neuzeit – Kontinuität oder Wiederaneignung? Wiesbaden 2007. S. 325–352; N. Dauber, Deutsche Reformation: Philipp Melanchthon, in: Christoph Horn / Ada Neschke-Hentschke (HG.), Politischer Aristotelismus. Stuttgart / Weimar 2008; A. Moritz, Die Aristotelesrezeption der protestantischen Geistlichen zwischen theologischer und praktischer Ethik, in: A. Fidora / J. Fried / M. Lutz-Bachmann / L. Schorn-Schütte (Hg.), Politischer Aristotelismus und Religion in Mittelalter und Früher Neuzeit, Berlin 2007. In knapper Zusammenfassung vgl. jüngst N. Kuropka, Philipp Melanchthon: Wissenschaft und Gesellschaft. Tübingen 2002. S. 85–88. Dort auch weitere Literaturhinweise. 182  Vgl. M. Honecker, Sozialethik des Luthertums, in: H. C. Rublack (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland (wie Anm. 32), S. 316–343; ders., cura religionis magistratus christiani (Jus Ecclesiasticum Bd. 7), München 1968, S. 160–197. 183  Vgl. dazu R. Vinke (Hg.), Luther Forschung im 20. Jahrhundert. Rückblick – Bilanz – Ausblick. Mainz 2004. 184  B. Lohse, Luthers Theologie (wie Anm. 177); ders., Martin Luther (wie Anm. 177). 185  J. Wallmann, Zwischen Reformation und Humanismus, in: ZThK 74 (1977), S. 342–370; H. Scheible (Hg.), Melanchthon in seinen Schülern (wie Anm. 80); ders., Melanchthon und die Reformation. Mainz 1996; R. B. Huschke, Melanchthons Lehre vom Ordo politicus (wie Anm. 177).

58

III. Voraussetzungen: Luther und Melanchthon

Es lässt sich somit von vornherein feststellen, dass eine umfassende Berücksichtigung der komplexen Forschungsproblematik und ein analytischfundiertes Herausarbeiten des Traditionsbezuges bzw. der Vorstellungen aristotelischer wie paulinischer Tradition mit konkret vorliegenden und gebrauchten Interpretationssträngen in diesem Rahmen zwar wünschenswert und angestrebt ist, doch wohl kaum verwirklicht werden kann. Darum sollen im Folgenden die charakteristischen Grundzüge der Obrigkeitsauffassung der Reformatoren, die im Hinblick auf unsere Fragestellung von besonderer Bedeutung sind, skizziert werden, statt sich zu sehr auf die oft diffizile Debatte einzulassen. Die Darstellung wird sich darauf konzentrieren, Analogien und Differenzen in der Obrigkeitslehre Luthers und Melanch­thons in folgenden vier Punkten zu erfassen: Ursprung der Obrigkeit, Aufgabe und Pflicht der Obrigkeit, das Verhältnis von Obrigkeit und Kirche sowie die Widerstandsauffassung. Weiterführendes zur Obrigkeitslehre kann nur am Rande behandelt werden, wobei zumindest auf die entsprechende Literatur verwiesen sein soll. a) Die Zwei-Reiche-Lehre bzw. Zwei-Regimenten-Lehre Die so genannte Zwei-Reiche-Lehre ist wohl dasjenige Thema in Luthers Obrigkeitsverständnis, das in den letzten Jahrzehnten am intensivsten erörtert, diskutiert und am heftigsten angefochten worden ist.186 Wer sich der Zwei-Reiche-Vorstellung im Luthertum zunächst über die Sekundärliteratur zu nähern versucht, stellt fest, dass die inzwischen fast nicht mehr zu übersehende Literatur zu diesem Thema sich entweder auf Luthers Werke selbst oder auf die Neubesinnung auf die Zwei-Reiche-Lehre im Luthertum des 19. und 20. Jahrhunderts bezieht.187 Dabei bestehen deutliche Unterschiede zwischen Luthers eigenen Ansichten und deren Fortbildungen (etwa bereits bei Melanchthon). Andererseits ist problematisch, dass Luthers Anschauun186  Zur Diskusssion darüber vgl. v. a.: Per Frostin, Luther’s Two Kingdoms Doctrine. Oslo 1994, S. 26–34. Einen guten Überblick aus kirchengeschichtlicher Sicher bietet R. Anselm, Zweireichelehre. Art, in: TRE 36 (2004), S. 776–784; Ein fundierter und souveräner Überblick über den Traditionsbezug findet sich bei U. Duchrow, Christenheit und Weltverantwortung. Traditionsgeschichte und systematische Struktur der Zweireichelehre. 2. Aufl. Stuttgart 1983; A. Raunio, Luthers politische Ethik, in: R. Vinke (Hg.), Luther Forschung im 20. Jahrhundert. Rückblick – Bilanz – Ausblick. Mainz 2004, S. 151–170; B. Lohse, Martin Luther (wie Anm. 177), S. 190–192; H. J. Gänssler, Evangelium und weltliches Schwert (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für abendländische Religionsgeschichte 109), Wiesbaden 1983, S. 138–145. 187  Vgl. z. B. H. J. Gänssler, Evangelium und weltliches Schwert (wie Anm. 186), S. 138–145; W. Lienemann, Zwei-Reiche-Lehre, in: EKL 4, 1996. Sp. 1408–1419 (Lit.).



1. Vorbemerkung59

gen über die zwei Reiche auch in seinem eigen Werk in unterschiedlichen Bezügen Gestalt gewinnen: Sie sind Paränese, seelsorgerliche Anrede, theozentrische Geschichtstheologie, Ordnungsmetayphysik, gelegentlich verbunden mit politischen und gesellschaftlichen Urteilen über seine Zeit.188 Zum dritten liegt eine Schwierigkeit darin, dass Luther selbst den Begriff nicht verwendet hat. Dieser Begriff ist erst in der Zeit um 1922 aufgetaucht und hat sich schnell durchgesetzt.189 Darüber hinaus besteht vor allem ein Problem hinsichtlich der Zuordnung der Begriffe Reich bzw. Regiment Gottes zu den geschichtlichen Größen von „Staat“ und Kirche.190 Für manche ist es immer noch umstritten, ob sich Luther z. B. beim Begriff des weltlichen Reichs nur auf den „Staat“ oder die Obrigkeit beschränkt hat oder ob er schlechterdings damit den gesamten weltlichen Bereich einschließlich der Natur, der Familie, der Wissenschaften, der Künste gemeint hat. Die Zuordnung der beiden Reiche oder Regimente ist bei den nachfolgenden Reformatoren unterschiedlich gehandhabt worden. Einig sind sich alle Reformatoren in der sowohl gegen Rom als auch gegen die so genannten „Schwärmer“ gerichteten Forderung, beide Regimente dürften nicht vermischt werden. Das heißt: Der „Staat“ darf nicht zur Kirche und die Kirche darf nicht zum „Staat“ werden. Jede Vermischung und Grenzüberschreitung in Gestalt von Papocäsarie wie von Cäsaropapie werden verworfen.191 Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Ambivalenz der Deutung, ob Luther tatsächlich von zwei Regimenten redete, wenn er meinte, Gott regiere auf doppelte Weise, nämlich auf weltliche und auf geistliche, und zwar das eine Mal durch das Schwert der weltlichen Obrigkeit und das andere Mal durch das Wort der kirchlichen Verkündigung.192 Eine affirmative Sicht hierzu nimmt insbesondere die schwedische Forschung ein. Sie versteht unter den Regimenten ausschließlich die konkreten Größen „Staat“ und Kirche, was aber leicht zu einem ständisch-soziologischen Missverständnis des Regiments Gottes bei Luther führt, wie es sich bereits bei Melanchthon entwickelte.193 188  Wie Werner Elert zu Recht bemerkt hat, findet sich eine Systematisierung seiner Gedanken bei ihm nicht. Was die Dogmatiker zu systematisieren versuchten, stand bei ihm ganz unsystematisch einfach nebeneinander. W. Elert, Morphologie (wie Anm. 178), S. 60; M. Jacobs, Die evangelische Staatslehre (wie Anm. 178), S. 8–9. 189  B. Lohse, Martin Luther (wie Anm. 177), S. 192; 195–196. 190  M. Jacobs, Die evangelische Staatslehre (wie Anm. 177), S. 9. 191  Ebd. S. 15–16. 192  B. Lohse, Martin Luther (wie Anm. 177), S. 193. 193  M. Jacobs, Die evangelische Staatslehre (wie Anm. 177), S. 10.

60

III. Voraussetzungen: Luther und Melanchthon

Johannes Heckel vertrat die Auffassung, dass es bei Luthers Zwei-ReicheLehre um den alten Gegensatz von Gottesreich und Teufelsreich gehe. Für Heckel steht also bei Luther nicht die doppelte Regierungsweise Gottes im Zentrum, sondern die Weiterentwicklung der Vorstellung Augustins von den zwei civitates.194 Dagegen entwickelt Paul Althaus die Vorstellung von der zweifachen Herrschaftsweise Gottes, die vom „Staat“ und der Kirche als den positiven geschichtlichen Phänomenen ausgehe,195 und betont, Luther dürfe hier nicht einfach an der neutestamentlichen Gegenüberstellung von Gottesreich und Satansreich gemessen werden.196 Nach Althaus hat Luther „Staat“ und Kirche als ein zusammenhängendes, durch verschiedene Rechtskompetenzen in sich gegliedertes Institutionssystem verstanden. Diese Auffassung von Althaus lässt sich folgendermaßen skizzierend darstellen: Gott regiere die Welt auf eine doppelte Weise. Die eine Weise helfe zur Erhaltung des leiblichen, irdischen, zeitlichen Lebens, damit zur Erhaltung der Welt. Die andere Weise helfe zum ewigen Leben, das heißt: zur Erlösung der Welt. Das erste Regiment führe Gott mit der linken Hand, das zweite mit der rechten Hand. An jenem liege ihm alles, dieses sei untergeordnet. Luther spreche von einem Reich mit der linken Hand, nicht zur linken, wie man heute meist sagt. Der Unterschied sei nicht belanglos. Die Wendung, die Luther gebraucht, zeige auch ihrerseits, dass er das Reich nicht als einen Bereich, sondern als ein Regiment, als eine Weise des Herrschens Gottes, also als ein Wirken und Geschehen von Gott her auffasst. Daher treffe der Ausdruck zwei Regimente den Sinn Luthers besser als zwei Reiche.197 Manfred Jacobs ist der Ansicht, dass zwischen der Zwei-Reiche-Lehre und der Zwei-Regimenten-Lehre unterschieden werden müsse. Die Zwei-Regimenten-Lehre sei in ihrer spezifischen Form von Melanchthon und Calvin entwickelt worden, also eine deutliche Generation nach Luther und unter deutlich veränderten reichsrechtlichen und konfessionspolitischen Gesichtspunkten der vierziger und fünfziger Jahre. Gleichzeitig sei zu beachten, dass die Unterscheidung von Reich und Regiment sich bei Luther schwierig gestalte, weil dieser die beiden Begriffe zuweilen promiscue gebraucht habe. 194  J. Heckel, Lex Charitatis. Köln / Darmstadt 1973; M. Jacobs, Die evangelische Staatslehre (wie Anm. 177), S. 16–17. 195  M. Jacobs, Die evangelische Staatslehre (wie Anm. 177), S. 16. 196  B. Lohse, Martin Luther (wie Anm. 177) S. 194; M. Jacobs, Die evangelische Staatslehre (wie Anm. 177), S. 16. 197  P. Althaus, Luthers Lehre von den beiden Reichen im Feuer der Kritik, Berlin 1957, S. 42. Zitiert nach T. Vogt, Die Drei-Stände-Lehre bei Martin Luther. Darstellung derselben und Diskussion der biblischen Begründung, in: T. Schirrmacher (Hg.), Die vier Schöpfungsordnungen Gottes. Kirche, Staat, Wirtschaft und Familie bei Martin Luther und Dietrich Bonhoeffer. Nürnberg 2001, S. 42.



1. Vorbemerkung61

Luther verstehe die beiden Reiche von Gott her im Sinne einer Geschichtstheologie, die weltlichen Regimente seien im Sinne jener Veränderlichkeit, nicht aber im Sinne einer starren, juridischen Legitimation an Gott gebunden. Gott sei es zwar, der durch sie wirke, aber die Regimente hätten nicht die starren Schöpfungsinstitutionen irdischer Herrschaft.198 Bei Melanchthon trete allerdings in den Loci praecipui der dritten Aetas von 1559 das spätmittelalterliche Reden vom ordo hervor. Gott habe einen Ordo der Wirklichkeit eingesetzt und die beiden Regimente, weltliches und geistliches Regiment, seien die von Gott gestifteten und geordneten Institutionen, mit denen die societas gelenkt und regiert werden solle. Hier seien die Regimente auch im soziologisch-geschichtlichen Sinne Herrschaftssystemen gleich. So wie die Ordo die Gestirne bewege und ordne, so werden auch die Menschen in der Gesellschaft durch die beiden Herrschaftsregimente regiert.199 Der Sinn der Zwei-Regimenten-Lehre bei Melanchthon sei daher, die Kompetenzen dieser beiden Regimente voneinander abzugrenzen, die staatliche und die kirchliche Gewalt je nach ihrer besonderen Funktion zu begründen und zu zeigen, dass beide in ihrer von Gott gegebenen Ordnung doch ein und demselben Ziel dienen. Letzteres drücke Melanchthon durch die Theorie aus (die dann auch Calvin vertritt), dass dem „Staat“ auch die Pflege der ersten Tafel der mosaischen Gebote, der custodia utriusque tabulae, zukomme.200 Luther habe diesen ordo-Aspekt so nicht vertreten. Auch die von ihm zuweilen herangezogene Dreiständelehre bedeute keine rudimentäre Soziologie. Luther habe den Gedanken eines religiös begründeten, christlichen Staates mit christlich-relgiösen Zielsetzungen sowohl im Hinblick auf den Kirchenstaat als auch mit Blick auf die Einflussnahme deutscher Fürsten bei der Einführung der Reformationen scharf zurückgewiesen.201 Es soll hier davon ausgegangen werden, dass Luther bei der Zwei-ReicheLehre eher die Auffassung der zwei Reiche in doppelten Sinne vertrat. Zum einen im Sinne der Vorstellung Augustins von den zwei civitates und zum andern als Vorstellung von der zweifachen Herrschaftsweise Gottes. Me­ lanch­thons Begriff über zwei Reiche ist dagegen wesentlich von der Regimentenvorstellung geprägt, wobei er unter den Regimenten die konkreten Größen „Staat“ und Kirche verstanden haben dürfte, d. h. „Staat“ und Kirche als ein zusammenhängendes, durch verschiedene Rechtskompetenzen in sich gegliedertes Institutionssystem.202 198  M.

Jacobs, Confessio und Res Publica (wie Anm. 177), S. 20–21. S. 21. 200  Ebd. 201  Ebd. 202  Vgl. H. Grünberger, Wege zum Nächsten. Luthers Vorstellungen vom Gemeinen Nutzen, in: H. Münkler / H. Bluhm (Hg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn. Histo199  Ebd.

62

III. Voraussetzungen: Luther und Melanchthon

b) Die Dreiständelehre Im Vergleich zur Zwei-Reiche-Lehre bzw. Zwei-Regimenten-Lehre, die häufig im Zusammenhang mit Luthers und Melanchthons gesellschaftspolitischem Denken thematisiert wurden und mit denen dieses Denken sogar identifiziert worden ist, ist nach dem heutigen Forschungsstand die Dreiständelehre offensichtlich bisher weniger beachtet worden.203 Diese Geringschätzung der Bedeutung der Dreiständelehre in der Frühneuzeitforschung zeigt sich am deutlichsten im dreiteiligen Artikel „Stand, Klasse“ in den Geschichtlichen Grundbegriffen, der die gesamte Entwicklung des Schemas von der Antike bis ins 19. Jahrhundert überblickt.204 Lohse hat darauf hingewiesen, dass die traditionsgeschichtliche Verankerung der Dreiständelehre bei Luther erst in Ansätzen erforscht ist,205 die später noch ausführlicher dargestellt werden. Die Erforschung der Geschichte des politischen Denkens im Luthertum zielte nur selten auf diese Thematik. Die Diskussion über Luthers politisch-soziales Denken konzentriert sich vielmehr auf ebenjene Zwei-Reiche-Lehre. In seiner jüngst erschienenen Studie über die spätmittelalterlichen Traditionslinien in Luthers Zwei-Reiche-Lehre betont Mantey, dass von einer Dreiständelehre neben der Zwei-Reiche-Lehre zu sprechen nur Sinn mache, wenn man innerhalb von Luthers Zwei-Reiche-Lehre die Zuspitzung auf das Wirken Gottes in der Welt dadurch zum Ausdruck bringen will, dass jeder Mensch durch die innerweltliche Organisation seines eigenen privaten Lebens Gottes Ordnung gewärtigen könne.206 rische Semantiken politischer Leitbegriffe Bd. 1. Berlin 2001, S. 147–168; T. Vogt, Die Drei-Stände-Lehre bei Martin Luther (wie Anm. 197), S. 42 ff. 203  Eine informative Darstellung der Forschungslage bietet jüngst W. Behrendt, Lehr-, Wehr- und Nährstand. Haustafelliteratur und Dreiständelehre im 16. Jahrhundert. Diss. 2009 Berlin. Ich danke dem Herrn Dr. Behrendt für die Zusendung seines Manuskriptes. 204  Folgende Darstellung stützt sich auf die Ausführung von Walter Behrendt (wie Anm. 203): Am Umfang der einzelnen Teile erkenne man die inhaltliche Gewichtung. Otto Gerhard Oexle verfolge auf 45 Seiten die antiken und mittel­alterlichen Verwendungen des Standes­begriffes, während Werner Conze auf 17 Seiten die Aufnahme des Dreiständeschemas bei Luther, Justus Menius und einigen Autoren des 17. Jahrhunderts darstelle. Schließlich werde von Rudolph Walther der Prozess, in dem im 18. Jahrhundert der Begriff „Stand“ von dem der „Klasse“ abgelöst, in dem 67 Seiten umfassenden dritten Teil des Artikels nachgezeichnet. Vgl. Otto Gerhard Oexle, Werner Conze, Rudolph Walther, Artikel „Stand, Klasse“, in: O. Brunner / W. Conze / R. Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischsozialen Sprache in Deutschland. Bd. 6. Stuttgart 1990, S. 155–284. 205  B. Lohse, Luthers Theologie (wie Anm. 177), S. 342. 206  Vgl. dazu V. Mantey, Zwei Schwerter – Zwei Reiche. Martin Luthers ZweiReiche-Lehre vor ihrem spätmittelalterlichen Hintergrund (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 26), Tübingen 2005, S. 286.



1. Vorbemerkung63

Da die Dreiständelehre einerseits beim späten Luther als politik- und sozialtheoretisches Grundschema erscheint und andererseits die protestantischen Staats- und Gesellschaftslehren der Nachfolgezeit stärker beeinflusst hat als die Zwei-Regimenten-Lehre, sollten sich die Untersuchungen stärker als bislang geschehen auf jene konzentrieren.207 Dies wurde bereits 1983 auf dem Erfurter Luther-Kongress betont. Die Dreiständelehre rückte in ihrer geschichtlichen Bedeutung stärker ins Bewusstsein.208 Bereits 1867 urteilte der Erlanger Theologe Christoph Ernst Luthardt, dass die ZweiReiche-Thematik nach Luther fast keine Rolle mehr gespielt habe.209 Davon ist auch Oswald Beyer überzeugt: In Luthers Selbstzeugnis komme der Dreiständelehre ein weit größeres Gewicht zu als der Lehre von den beiden Regimenten, die sich in summarischen und testamentarischen Texten nicht fände. Würde dies in der gegenwärtigen Lutherrezeption beachtet, ließen sich viele Diskussionen vermeiden.210 Jüngst vertrat die Hamburger Kirchenhistorikerin Inge Mager die Auffassung, dass Luthers Zwei-Reiche-Vorstellung zur Eindämmung der landesherrlichen Zuständigkeiten in der Kirche überwiegend in Predigten ihren Niederschlag fand211 und auf die Fortentwicklung der Dogmatik, der Sozial­ 207  Vgl. dazu K. Köhler, Die altprotestantische Lehre von den drei kirchlichen Ständen, in: ZKR 21 (1886), S. 137 ff.; A. Franz, Evangelische Kirchenverfassung in den deutschen Städten des 16. Jahrhunderts. Leipzig 1878, S. 33 ff.; W. Elert, Morphologie des Luthertums (wie Anm. 178), S. 57 ff.; E. Uhl, Die Sozialethik Johann Gerhards (Forschungen zur Geschichte und Lehre des Protestantismus 5. Reihe Bd. 4), München 1932, S. 60 ff.; R. Anselm, Ekklesiologie als kontextuelle Dogmatik. Das lutherische Kirchenverständnis im Zeitalter des Konfessionalismus und seine Rezeption im 19. und 20. Jahrhundert (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie 94), Göttingen 2000, S. 211 ff.; L. Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 54), S. 390–452; M. Honecker, cura religionis (wie Anm. 182), S. 160–197; M. He­ckel, Staat und Kirche (Jus Ecclesiasticum 6), München 1968, S. 139–162; H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre. München 1980; R. Schwarz, Ecclesia, oeconomia, politia (wie Anm. 180), S. 78–88; ders., Luthers Lehre von den drei Ständen (wie Anm. 118), S. 15–34; N. Haag, Predigt und Gesellschaft (wie Anm. 39), S. 185–216; S. Holtz, Theologie und Alltag (wie Anm. 41), S. 236–257; T. M. Schröder, Das Kirchenregiment der Reichsstadt Esslingen. Grundlagen – Geschichte – Organisation (Esslinger Studien. Schriftreihe 8), Sigmaringen 1987, S. 131 ff. 208  Martin Luther 1483–1983. Werk und Wirkung. 6. Internationaler Kongress für Lutherforschung. Erfurt 1983. Die Beiträge sind abgedruckt im Luther-Jahrbuch 52 (1985); Vgl. dazu V. Görnitz, Die Begründung des Staates bei Luther und den Berliner Aufklärungstheologen. Diss. 1960, S. 61 u. 118. 209  C. E. Luthardt, Die Ethik Luthers in ihren Grundzügen. Leipzig 1867. 210  O. Bayer, Natur und Institution. Eine Besinnung auf Luthers Dreiständelehre, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 81 / Nr. 3 (1984), S. 352–282. Hier S. 375 f. Zitiert nach T. Vogt, Die Drei-Stände-Lehre bei Martin Luther (wie Anm. 197), S. 41. 211  Vgl. dazu W. Sommer, Die Stellung lutherischer Hofprediger im Herausbildungsprozeß frühmoderner Staatlichkeit und Gesellschaft, in: ders., (Hg.), Politik,

64

III. Voraussetzungen: Luther und Melanchthon

ethik und des Kirchenrechts im orthodoxen Luthertum nur geringen Einfluss ausgeübt habe.212 In diesem Zusammenhang betont sie auch, dass Luthers Zwei-Reiche-Vorstellung hinter die Dreiständelehre zurücktrat und dass sich die orthodoxen Theologen für die Bestimmung des Verhältnisses von Kirche und Obrigkeit der Dreiständelehre bedient haben.213 Der wirkungsgeschichtliche Aspekt der Dreiständelehre beschränkt sich nicht nur auf lutherische Theologen, wie Martin Chemnitz,214 Johannes Wigand, Joachim Mörlin,215 Tilemann Heshusius, Johann Gerhard (1582–1637)216 oder Johann Althusius (1563–1638)217, sondern findet sich in den juristisch-politischen Quellen des 16. und 17. Jahrhunderts ebenso wie z. B. in Dietrich Reinkings (1590–1664) „Biblischer Policey“218 und Veit Ludwig von Seckendorffs (1626–1692) „Christen-Stat“219. Die Dreiständelehre nahm, wie noch zu zeigen sein wird, die zentrale Rolle im politischen Denken und Handeln des Luthertums ein.220 Die Dreiständelehre, das heißt die Lehre von politia, ecclesia und oeco­ nomia, ist in erster Linie als ein theologisches Deutungsschema sozialer Theologie und Frömmigkeit im Luthertum der Frühen Neuzeit. Göttingen 1999, S.  84 ff. 212  Vgl. I. Mager, The Reception of the Two Kingdom Idea in Lutheran Orthodoxy up to Johan Gerhard, in: Iustus ordo e ordine della natura. Sacra Doctrina e saperi politici fra XVI e XVIII Seculo. Convegno di studi, Milano 5–6 marzo 2004, a cura di Fausto Arici e Franco Todescan (Bibliothekca di Lex Naturalis 55), 2007, S. 155–172. Hier, S. 159–160. 213  Ebd. S. 160. 214  Zur Dreiständelehre von Chemnitz vgl. K. G. Appold, Orthodoxie als Konsensbildung (wie Anm. 43), S. 155–156. 215  Vgl. L. Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 54), S. 401 ff. 216  Zur Dreiständelehre Gerhards vgl. I. Mager, The Reception of the Two Kingdom (wie Anm. 212), S. 9–16; R. Anselm, Ekklesiologie als kontextuelle Dogmatik (wie Anm. 207), S. 211 ff.; Zu Johann Gerhard als Visitator und kirchenordnender Theologe vgl. J. A. Steiger, Kirchenordnung, Visitation und Alltag. Johann Gerhard (1582–1637), in: ZRGG 55 / 3 (2003), S. 227–252. 217  L. Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 54), Kapitel VII; M. Honecker, cura religionis (wie Anm. 182), S. 160–197; M. Heckel, Staat und Kirche (wie Anm. 207), S. 139–162. 218  Vgl. dazu H. Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre (wie Anm. 207), S. 136; R. Schwarz, Ecclesia, oeconomia, politia (wie Anm. 180), S. 78– 88. Hier S. 85 u. 87. 219  Vgl. dazu V. Seresse, Politische Normen in Kleve-Mark während des 17. Jahrhunderts. Argumentationsgeschichtliche und herrschaftstheoretische Zugänge zur politischen Kultur der frühen Neuzeit (Frühneuzeit-Forschungen 12), Epfendorf / Neckar 2005, S. 308–342; W. Elert, Morphologie des Luthertums (wie Anm. 178), S. 60; M. Heckel, Staat und Kirche (wie Anm. 207), S. 141. 220  Dazu vgl. R. Anselm, Zweireichelehre (wie Anm. 186), S. 778 ff.; Hierzu auch L. Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 54), S. 390–452.



1. Vorbemerkung65

Wirklichkeit zu bezeichnen,221 das im frühen Mittelalter in Anknüpfung an antike Traditionen wiederbelebt worden ist. Es erlebte seine Blütezeit im Hochmittelalter. Im ausgehenden Mittelalter wurde das Konzept u. a. durch die Armutsbewegung in Frage gestellt und durch den Nominalismus des 15. Jahrhunderts zudem in seiner erkenntnistheoretischen Grundlage erschüttert. Sowohl Luther als auch die katholische Reform nahmen die Dreiständelehre wieder auf und erneuerten sie zur Charakterisierung der rechten Ordnung der Gesellschaft.222 Nach Maurer223 und Schwarz224 ist Luthers Dreiständelehre aus zwei mittelalterlichen Hintergründen bzw. Traditionszu221  Eine klassische Darstellung der Dreiständelehre in ihrem kirchenrechtlichen Kontext gibt Martin Honecker, cura religionis (wie Anm. 182), S. 73–83; ders., Einführung in die theologische Ethik. Grundlagen und Grundbegriffe. Berlin / New York 1990, S. 293 ff. Eine neuere Sicht, welche die unterschiedlichen politischen und sozialen Anwendungsmöglichkeiten dieser Lehre anhand von mehreren historischen Fallbeispielen aus dem späten 16. und 17. Jahrhundert darstellt, bietet L. SchornSchütte, Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 54), S. 416–433. Zur Dreiständelehre und ihrem Einfluss auf Berufungen in Rostock vgl. T. Kaufmann, Universität und lutherische Konfessionalisierung (wie Anm. 42), S. 233–250. Ebenfalls zu Rostock, J. Strom, Orthodoxy and Reform. The Clergy in Seventeenth Century Rostock (Beiträge zur historischen Theologie 111), Mohe Siebeck 1999, S. 19–31; ders., Kirchenzucht und Obrigkeitskritik, in: Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 92 (1994); R. Dürr, Politische Kultur in der Frühen Neuzeit. Kirchenräume in Hiledesheimer Stadt- und Landgemeinden 1550–1750 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 77), Gütersloh 2006; Zur Rezeption der Dreiständelehre im 20. Jahrhundert vgl. R. Anselm. Ekklesiologie als kontextuelle Dogmatik (wie Anm. 207), S. 129–133; Kenneth G. Appold, Orthodoxie als Konsensbildung (wie Anm. 43), S. 155–156. 222  L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik im Luthertum? (wie Anm. 54), S. 257; Zu dem Teilbereich in der Traditionsgeschichte der Dreiständelehre vgl. O. G. Oexle, Die funktionale Dreiteilung als Deutungsschema der sozialen Wirklichkeit in der ständischen Gesellschaft des Mittelalters, in: W. Schulze (Hg.), Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 12), München 1988, S. 19–51 und vgl. G. Duby, Die drei Ordnungen. Das Weltbild des Feudalismus (1978), Frankfurt a. M. 1986. Zur Funktion als Deutungsmuster bei der Verarbeitung und Kanalisierung des sozialen Umbruchs im Mittelalter vgl. G. Schmidt, Einleitung. Integration im Alten Reich, in: ders., (Hg.), Stände und Gesellschaft im Alten Reich (VIEG Beiheft 29), Stuttgart 1989, S. 1–16; Aus Sicht der ideengeschichtlicher Tradition vgl. M. Weiß, […] weltliche hendel werden geistlich“ Zur politica christiana des 16. Jahrhunderts, in: L. Raphael / H. E. Tenorth (Hg.), Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft (wie Anm. 56): 109–124. 223  W. Maurer, Luthers Lehre von den drei Ständen (wie Anm. 118), S. 9  ff.; 15 ff.; 45 ff.; 67 ff. 224  Zu zwei verschiedenen Traditionszusammenhängen vgl. R. Schwarz, Ecclesia, oeconomia, politia (wie Anm. 180), S. 78–88; O. Bayer, Natur und Institution. Eine Besinnung auf Luthers Dreiständelehre, in: ZThK 81 (1984); Eine knappe, aber gehaltvolle Zusammenfassung in L. Schorn-Schütte, Die Drei-Stände-Lehre (wie Anm. 6), S. 435. Dazu Anm. 2.

66

III. Voraussetzungen: Luther und Melanchthon

sammenhängen entstanden, zum einen aus der katechetischen Unterweisung – vor der Auslegung des vierten Gebots – und zum anderen aus der ständischen Hierarchienlehre, die besonders aus den Schriften des Pseudo-Dionysius Areopagita stammt. Damit kommt dem Aristotelismus für den tradi­ tionsgeschichtlichen Hintergrund eine gewichtige Rolle zu. Schwarz betont, dass die aristotelische Moralphilosophie – die Ethik, die Ökonomik und die Politik – im Mittelpunkt stehe.225 Luther sprach bereits in seiner Adelsschrift von 1520 ausdrücklich vom „christlichen Körper“, in dem Geistlichkeit und weltliche Obrigkeit gleichberechtigte Mitglieder seien, auch wenn sie unterschiedliche Ämter hätten. Damit hob er die herkömmliche Unterscheidung von geistlichem und weltlichem Stand in einem „Geistlichkeit“ und „weltliche Gewalt“ umfassenden christlichen Stand auf: Da Christus nur einen Körper habe, seien alle Glieder von einem gemeinsamen Stand, begründet durch die Taufe, das Evangelium und den Glauben.226 Er entwickelte sein Konzept der Zwei-ReicheFormel jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht vom ordnungskonzeptionellen Standpunkt aus, sondern vom Aspekt der Gegenüberstellung bzw. des Gegensatzes vom Reich Gottes zum Reich der Welt.227 Erst 1525 nach Ende der Bauernunruhen versuchte Luther, angesichts der veränderten politischen und sozialen Lage seine Zwei-Reiche-Vorstellung insoweit zu erneuern, dass er sich bemühte, in zwei oder drei göttlichen Ordnungen bzw. Ständen möglichst alle Lebensbereiche des Menschen vom Wort Gottes aus zu erfassen und damit das Verhältnis der weltlichen Obrigkeit zum Wort Gottes einerseits und die Aufgaben der weltlichen Obrigkeit als dem von Gott eingesetzten Regiment auf dieser Welt andererseits zu bestimmen und zu beschreiben.228 Das heißt konkret, dass Luther dadurch die Landesfürsten zu beeinflussen versuchte, geistliche und weltliche Angelegenheiten ihrer Territorien neu zu ordnen und in den Griff zu bekommen. So orientierte 225  R. Schwarz, Ecclesia, oeconomia, politia (wie Anm. 180), S. 78 ff.; ders., Luthers Lehre von den drei Ständen (wie Anm. 118), S. 18 ff. 226  WA 6, 407, 13 ff.; 408, 26 ff. Zu bemerken ist, dass Thomas Brady die Ansicht vertrat, dass Luther noch 1519 unter dem Begriff die Stände als eine voneinander getrennte Bevölkerungsgruppen verstanden hat. Ihm zufolge trat zu diesem Zeitpunkt kaum die „Innovation“ Luthers bezüglich der Dreiständelehre, nämlich als eine drei funktionale Lebensbereiche zum Vorschein auf, sondern nur noch spätmittelalterliche funktionale dreigliederige Teilung. Vgl. Thomas Brady, Luther and Society. Two Kingdoms or Three Estates? Tradition and Experience in Luther’s Social Teaching. In: Lutherjahrbuch 52 (1985), S. 197–212, hier S. 202, sowie ders., Luther’s Social Teaching and the Social Order of his Age. In: Michigan Germanic Studies 10 (1984), S. 270‑290, hier S. 278. 227  Dazu vgl. H. J. Gänssler, Evangelium und weltliches Schwert (wie Anm. 187), S.  94 ff. 228  Ebd. S. 94–95.



1. Vorbemerkung67

Luther nach 1526 sein Konzept von den zwei Reichen mehr an den Ordnungskategorien der Dreiständelehre und sprach demzufolge eher von Amt, Regiment und Ordnung als von der Unterscheidung und dem Kampf zweier Reiche. Im Folgenden soll die Analyse Gänsslers zu Luthers DreiständeVorstellung skizziert werden: Es gäbe nach Luther zweierlei Obrigkeiten, eine weltliche, die mit dem Schwert straft, und eine geistliche, die ihr Amt mit dem Predigen des Wortes ausrichtet. Nach Luthers Auffassung wird das Predigtamt von Pfarrern, Priestern, Predigern und Schulmeistern ausgeübt; sein vornehmstes Ziel sei es, Menschen zum ewigen Leben zu führen und von Sünde und Tod zu erlösen. Durch dieses Amt des geistlichen Standes werde das Reich Gottes in der Welt erhalten, betont Luther. Das Amt der weltlichen Obrigkeit betreffe Werke des zeitlichen, vergänglichen Lebens. Es erhalte Leib, Weib, Kind, Haus, Gut, Ehre und alles, was zur Notdurft des irdischen Lebens gehöre. Neben den beiden Ämtern, Regimenten oder Reichen gebe es noch ein drittes Reich bzw. Orden, Stift oder Stand: den Ehestand, auch bezeichnet als oeconomia oder Hausregiment. Alle drei Stände seien Einrichtungen Gottes zur Erhaltung der Welt und stehen so der wahren Seligkeit des Menschen nicht im Wege. Bei den drei von Gott geordneten und gestifteten Regimenten Himmelreich, Königreich und Hausregiment sei Gott nur im ersten Herr und Fürst seit Beginn der Welt. Die beiden anderen Regimente habe Gott den Menschen übertragen. Das Amt bleibe nach der Unterscheidung von res und persona recht und fromm, auch wenn sein Inhaber ein Verbrecher sein mag. Wo das Wort Gottes ist, da sei ordinatio dei und da werde Gott auch das weltliche Regiment in der Ausrichtung guter oeconomia und politia nicht verlassen. „Väter“ heißen alle, die regieren, und alle Obrigkeit stamme letztlich von der durch das 4. Gebot von Gott geschützten elterlichen Autorität ab. Zu einem guten Regiment gehöre: „instituere bonam oeconomiam, ex qua venit politia et ecclesia“. Politik und Theologie seien wesentlich abhängig von einer guten Kindererziehung im Hausregiment, denn wenn die Kinder nicht belehrt oder geschult würden, gebe es weder Prediger für das geistliche, noch Amtsleute für das weltliche Regiment. Also müssen Kinder erzogen werden, damit Menschen für beide Ämter ausgebildet werden, sodass die Theologen Gottes Wort lehren und die Juristen Friede und Recht erhalten können. Nur so könne das weltliche Regiment aus wilden Tieren Menschen und das Predigtamt aus Sündern Heilige machen. Die Kirche liege im Schutz- und Fürsorgebereich der weltlichen Obrigkeit. Wenn ein politisches Gemeinwesen das Wort Gottes und den wahren Gottesdienst hat, könne man es als populus Dei bezeichnen.229 229  Ebd.

S. 94–104.

68

III. Voraussetzungen: Luther und Melanchthon

Dass Luther in seiner Dreistände-Vorstellung das weltliche Regiment nun auch von der oeconomia her entwickelt, weist einerseits auf das territorialfürstliche Bestreben hin, das Land – besonders nach den Bauernkriegen – wirtschaftlich und sozial zu entwickeln, und verrät zum anderen die Notwendigkeit, bisher rein geistlich-kirchlich gehandhabte Dinge wie etwa die Ehe nun auch weltlich-juristisch zu ordnen. Die Priesterehe und die Laisierung der Mönche verlangten nach einem neuen ordo. Da weltliches Schwert und Ehe nach der Lehre Luthers nicht mehr nach dem kanonischen Recht zu beurteilen sind, andererseits aber von der Bibel her nur prinzipiell als christlich notwendig oder erlaubt abgeleitet werden können, mussten sie vom Landesfürsten juristisch neu geregelt werden. Die Unterscheidung zweier Reiche oder Regimente bei Luther steht hier – ganz anders als in seiner früheren Obrigkeitsschrift – schon fast völlig unter territorialfürst­ licher Prämisse. Im Zusammenhang mit Luthers Dreiständelehre soll Folgendes noch angemerkt sein: Einig ist man sich in der Frühneuzeitforschung und der kirchengeschichtlichen Forschung, dass sich Luthers Auffassung der Dreiständelehre in einigen Punkten von der mittelalterlichen Dreiständelehre unterscheidet. Jedoch gibt es hinsichtlich der Charakterisierung des Wesens von Luthers Version der Dreiständelehre zwei unterschiedliche Positionen: Während Ernst Troeltsch, Wilhelm Maurer, Otto Gerhard Oexle und Luise Schorn-Schütte die lutherische Dreiständelehre im Wesentlichen für eine Fortführung des mittelalterlichen Schemas einer funktionalen Dreiteilung der Gesellschaft in oratores (klerus), bellatores (Adel), laboratores (Bauern und Stadtbürger) hielten, hoben andere Frühneuzeithistoriker und Kirchenhistoriker wie z. B. Werner Elert,230 Reinhard Schwarz und Werner Conze231 usw. in Abgrenzung dazu die grundlegenden Unterschiede zur herkömmlichen Unterteilung hervor und vertreten die Auffassung, Luther habe doch in seiner Auffassung eine „Innovationen“ vollzogen, nämlich er habe die Gesellschaft nicht mehr in drei Großgruppen geteilt, sondern in drei Funk­ tionsbereiche, das heißt, er habe die Person also in alle drei Stände gleichmäßig eingebunden. Ein Mensch innerhalb dieses Gesellschaftsmodell gehöre nach Luther nicht einem der drei Bevölkerungssegmente an, aus denen die Gesamtgesellschaft sich zusammensetzt, sondern alle Menschen gehören darin allen drei Teilbereichen (Kirchen, „staatlicher“ Bereich, Haus) zu230  Für ihn ging es bei Luthers Version um ein allgemeiner Ordnungsbegriff, der es gestattet, eine Anzahl von Menschen zusammenzufassen, die in irgendeiner Hinsicht eine nur sie auszeichnende Gemeinsamkeit haben. W. Elert, Morphologie des Luthertums (wie Anm. 178), S. 51; T. Vogt, die Dreiständelehre bei Martin Luther (wie Anm. 197), S. 61. 231  O. G. Oexle / W. Conze / R. Walther, Artikel „Stand, Klasse“ (wie Anm. 204), S. 201 ff.; R. Schwarz, Ecclesia, oecnomoia, politia (wie Anm. 180), S. 79.



1. Vorbemerkung69

gleich an.232 Die Frage ist nur, ob die Nachfolger Luthers das Gesellschaftsmodell der drei Stände genau so verstanden haben wie Luther selbst, wie die Innovationen, nämlich die gleichzeitige Zugehörigkeit zu allen drei Ständen oder Lebensbereichen, die man bei Luther gegenüber dem hergebrachten Ordnungsmodell der funktionalen Dreiteilung festgestellt hat, im Laufe des 16. und 17. Jahrhundert rezipiert wurde, mit anderen Worte ob sich ein Bedeutungswandel der Dreiständelehre vollzogen hat. Die Beantwortung dieser Frage hängt damit zusammen, wie eigentlich die „spätmittelalterliche Dreiständelehre“233 aussah, von der Luther ausging, und wie viel von dem, was für Luthers Gesellschaftsmodell prägend war, in jener schon vorgeformt war.234 Unsere Studie geht davon aus, dass sich dieser Bedeutungswandel unter Luthers Nachfolgern vollzogen hat: Das heißt sie verwendeten die Dreiständelehre nicht mehr im Sinne der Funktionsbereiche, sondern vielmehr als eine normativ-praktische Soziallehre und zugleich als Herrschafts- und Ordnungsmodell, dessen Kern das gleichberechtigte, unabhängige und kooperative Nebeneinander von status politicus, status ecclesiasticus und status oeconomicus war. Wie in den folgenden Abschnitten zu zeigen sein wird, gebrauchten z. B. Heshusius und die Zeitgenossen der so genannten lutherischen Orthodoxie die Dreiständelehre zwar gelegentlich im Sinne der Funktionsbereiche, aber überwiegend als eine funktionale Dreiteilung der Gesellschaft im Sinne des Spätmittelalters. Wie es zu diesem Bedeutungswandel gekommen ist, kann vorläufig nicht explizit beantwortet werden. Vermutlich trug Philipp Melanchthon dazu maßgeblich bei. Zwar übernahm Melanchthon die wesentliche Intention von Luthers Ständelehre, wie aus seiner Lehre von ordo politicus a Deo institutus235 deutlich hervorgeht, führte er sie aber in Anknüpfung an die antik-römische Rechts­tradition hinausgehend aus. Er behauptete, im Unterschied zu Luthers Absicht, dass die drei Stände nämlich nicht auf den Aufbau des „Reiches 232  Die Forschung ist sich umstritten darüber, ob Luther selbst diese Innovation bis Ende seines Leben aufbewahrt hat oder ob sich bei ihm selbst ein Bedeutungswandel vollzog, nämlich ob er die Auffassung der spätmittelalterlichen funktionale Dreiteilung wiederum vertreten hat. Vgl. dazu W. Behrendt, Lehr-, Wehr- und Nährstand (wie Anm. 203), S. 25 ff. Unsere Studie geht von der ersteren Position aus. 233  Nach Oexle sollte es mindestens vier unterschiedliche Version der Dreiständelehre im späten Mittelalter gegeben haben: Neben der funktionalen Dreiteilung, der dreifachen Gehorsamspflicht aus der Tradition der Katechese und der aristotelischen Dreiteilung der Ethik, sprach man auch von einer gesellschaftlichen Dreiteilung in Ordensleute, Weltklerus und Laien. O. G. Oexle / W. Conze / R. Walther, Artikel „Stand, Klasse“ (wie Anm. 204), S. 177; Vgl. dazu W. Behrendt, Lehr-, Wehrund Nährstand (wie Anm. 203), S. 30 ff. 234  Ebd. S.  30 ff. 235  Vgl. dazu R. B. Huscke, Melanchthons Lehre vom Ordo politicus (wie Anm. 177), S. 136 f.

70

III. Voraussetzungen: Luther und Melanchthon

Christi“, sondern auf die Kirche als „verfasste Kirche“ bezogen werden müssten. Seither ist die Dreiständelehre als ein partikularkirchliches Verfassungsprinzip zu betrachten, mit deutlichem Bezug auf das konkrete Gesellschaftssystem.236 Diese von Luther abweichende Vorstellung von den drei Ständen zeigt sich ebenfalls in seiner Bearbeitung der Evaskinder-Geschichte von 1539, worin er das althergebrachte Modell der funktionalen Dreiteilung eingefügt hat.237 Nach Behrendt soll Melanchthon neben der Einführung des Motivs der Katechismus­prüfung an den Kindern Evas durch Gott bei der Stände­ ver­ teilung neben Herren und Knechten auch noch einem dritten Stand einen Platz eingeräumt haben, der den Geistlichen zukommt. Damit habe Melanchthon, so Behrendt der eigentlich dualen Struktur des Evas-Kinder-Motivs die Dreigliede­rung aufgeprägt, indem er Gott dem Seth die Obrigkeits­funktion zuteilen lässt und die Figur Abel für die Priester­rolle frei macht. Mit dem Evaskinder-Motiv wurde eine Bestimmung des dritten Standes aktualisiert, die bei Luther durch die Verwendung der Symbolfigur des Bauern eher latent vorhanden war: die Bestimmung des dritten Standes nicht nur als dessen, der mit der Hand arbeitet, sondern als des Standes, der den beiden Herrschaftsständen untertan sei.238 Im Zusammenhang mit Melanchthons Dreiständelehre soll ebenfalls Folgendes noch bemerkt werden. Zwar legte Melanchthon unter Rückgriff auf die Dreiständelehre die Rechte und Pflichten der Obrigkeit als custodia utriusque tabulae legis aus, vertrat zugleich aber die These von der Superio­ rität des weltlichen Standes innerhalb der Kirche – die Obrigkeit als prae­ cipuum membrum ecclesiae239, als besonders hervorgehobener Christ.240 Die von ihm als Konsequenz der funktionalen Differenzierung der Dreiständelehre zugestandenen iura episcopalia beschränkten die Herrschaftsmöglichkeiten der Landes- und Ratsherren bzw. deren Einflussnahme in der Kirche keineswegs, sondern erweiterten diese.241 Seit den 30er bzw. 40er Jahren könnte sich Luthers Dreiständelehre in zahlreichen Konflikten um die soziale und politische Rolle der neuen luthe236  R.

Dürr, Politische Kultur in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 221), S. 32 ff. Folgenden stütze ich mich auf die Darstellung von W. Behrendt, Lehr-, Wehr- und Nährstand (wie Anm. 203), S. 69 ff. 238  W. Behrendt, Lehr-, Wehr- und Nährstand (wie Anm. 203), S. 69–71. 239  Zum Bedeutungsgehalt und zur Begriffsprägung und Begriffsgeschichte des membrum praecipuum ecclesiae vgl. J. Heckel, cura religionis (wie Anm. 134), S. 24–32. 240  Diese qualitative Beurteilung des Fürsten als das vornehmsten Gliedes der Kirche findet sich ebenfalls in der Dogmatik von Johann Gerhard. Vgl. dazu R. Anselm, Ekklesiologie als kontextuelle Dogmatik (wie Anm. 206), S. 226 ff. 241  Vgl. I. Mager, Die Rezeption der Zwei-Reiche-Vorstellung (wie Anm. 212), S. 2–4. 237  Im



1. Vorbemerkung71

rischen Konfessionskirche in Städten und Territorien schließlich als ein politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip manifestiert haben, das für das politische Denken und Handeln um das Verhältnis zwischen Obrigkeit und Kirche im Alten Reich eine zentrale Rolle spielte.242 Seitdem war sie in der Gesellschaft und im zeitgenössischen Denken allgemein anerkannt und üblich. Ihr Geltungsanspruch bezog sich auf die gesamten vormodernen Lebenswelten, umfasste also den kirchlichen ebenso wie den politischweltlichen Raum. Sie war ein jedem frei verfügbarer Ordnungsdiskurs, der die individuellen Erfahrungen und Überzeugungen überformte. Dieser Bedeutungswandel der Dreiständelehre spiegelte sich am deutlichsten in dem Wandel der Vorstellung von den drei Ständen bei Justus Menius wider. Menius griff die Dreiständelehre in seiner Oeconomia chris­ tiana von 1529243 sowie in seinem Katechismus von 1532244 noch im Rahmen der Zwei-Reiche-Lehre Luthers auf. Für Menius war sie noch nicht so bedeutend wie die Zwei-Reiche-Lehre von Luthers.245 Aber seine angesichts der Gefahr des Interims 1547 verfasste Schrift „Von der Notwehr“246, die 242  Diese Tatsache ist jüngst durch mehrere Studien detailliert und plausibel nachgewiesen worden. Außer der jüngsten und umfangreichsten Studie von SchornSchütte führen mehrere Einzelstudien den Nachweis darüber. Siehe dazu N. Haag, Predigt und Gesellschaft (wie Anm. 39), S. 185–216; S. Holtz, Theologie und Alltag (wie Anm. 41), S. 236–257; Zu Hildesheim R. Dürr, Politische Kultur in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 221); Zu Esslingen T. M. Schröder, Das Kirchenregiment der Reichsstadt Esslingen. Grundlagen – Geschichte – Organisation (Esslinger Studien. Schriftreihe 8), Sigmaringen; Zu Rostock vgl. T. Kaufmann, Universität und lutherische Konfessionalisierung (wie Anm. 42), S. 233–250. Ebenfalls zu Rostock, J. Strom, Orthodoxy and Reform (wie Anm. 220), S. 19–31; ders., Kirchenzucht und Obrigkeitskritik (wie Anm. 221); Zu Bremen vgl. C, S. Park, Die Dreiständelehre als politische Sprache, in: Bremisches Jahrbuch 83 (2004), S. 55–61; Zu Wesel, ders., Politica christiana und die politische Kommunikation (wie Anm. 163), S. 75–98. 243  Oeconomia Christiana: das ist, von Christlicher haushaltung. Wittenberg 1529. An die hochgeborne Furstin, fraw Sibilla Hertzogin zu Sachsen, Oeconomia Christiana, das ist, von Christlicher haushaltung / Justi Menij. Mit einer schönen Vorrede D. Martini Luther [SBB Cu 4456]. Im Folgenden Oedonomia christiana. 244  Catechismus Iusti Menij. Ein Trawbüchlin für die einfeltigen Pfarherrn. Martinus Luther. Menius, Justus. Erfurt 1532. 245  Menius ging zunächst von der Unterscheidung der Schöpfungsordnung im Sinne Luthers Zwei-Reiche-Lehre bzw. Zwei-Regimenten-Lehre aus: „Leibliche regiment ist zweyley. oeconomia vnd politia […] Gott /  beide der oeconomia vnd politia.“ Oesonomia christiana (wie Anm. 243), Bl. B iiiv. Dazu vgl. L. SchornSchütte, Politikberatung im 16. Jahrhundert. Zur Bedeutung von Theologischer und Juristischer Bildung für die Prozesse politischer Entscheidungsfindung m Protestantismus, in: R. von Friedeburg / L. Schorn-Schütte (Hg.), Politik und Religion: Eigenlogik oder Verzahnung? Europa im 16. Jahrhundert (Historische Zeitschrift. Beihefte. Neue Folge; Bd. 45), München 2007, S. 49–66. Hier. S. 58 ff. 246  Von der Notwehr vnterricht /  Nützlich zu lesen Durch Justum Menium. 1547 Wittenberg [HAB Yt 5. 4° Helmst. 7]. Im Folgenden Von der Notwehr.

72

III. Voraussetzungen: Luther und Melanchthon

von Melanchthon moderat – und mehr naturrechtliche Argumente einbeziehend247 – überarbeitet wurde,248 zeigt ein ganz anderes Bild über die Dreiständelehre. Hier vertrat Menius unmissverständlich die Dreiständelehre als ein Modell politischer und sozialer Ordnung, in der er die naturrechtliche und spätmittelalterliche ständische Notwehrargumentation nahtlos verband und diese beiden Legitimationstheorien in die ständisch ordnende Vorstellung der Dreiständelehre einband: „Wie weit ein jder gewalt /  so Gott dem menschen in allerley stenden off erden gegeben hat /  sich erstrecke /  vnd wie ferne man dem selbigen gehorsam leisten schuldig sey […] Denn so viel erstlich den Ehestand oder Hausregiment betrifft /  darinnen Vater vnd Mutter die oberkeit haben /  saget die Schrifft also Deut. 6 […] Vnd daruff befilhet auch Gott vnd gebuert den Kindern vnd Gesind solcher hausoberkeit der Eltern /  gehorsam vnd vntertheinig zu sein […] Do aber Vater vnd Mutter jres gewalts vnd Hausoberkeit missbrauchen /  vnd jre Kinder vnd gesinde /  wider Gottes wort vnd befehl /  zu abgötterey /  gotes lesterung vnd offentlichen sünden vnd schanden zwingen wollten /  So sind die Kinder in dem selbigen jnen keinen gehorsam schuldig /  sondern sollen viel mehr Gott fürchten vnd gehorsam sein /  vnd der Eltern gottloser tyranney vnd wüterey widerstehen vnd weren /  denn es heisst also /  jhr Kinder seit den Eltern gehorsam IN DEM HERREN […] Jtem /  die Oberkeit sey Gottes ordnung /  vnd gottes dienerin […] Da nu die Oberkeit diesem allem zu wider handeln /  vnd das gepieten oder schaffen wolt /  das öfentliche wider Gottes wort vnd willen /  vnd den Gewissen beschwertlich vnd verletztlich were /  weil jr denn solches von gott verbotten ist So jst man jr auch in solchem nicht schuldig gehorsam zu sein /  […] Also ist auch den die­ nern der Kirchen /  als Bischoffen /  Pfarrherrn vnd predigern /  von Gott geboten das sie nichts anders /  denn Gottes wort predigen vnd lernen sollen /  Daranch die Kirche gott recht erkennen /  anruffen […] So sie aber etwas anders predigen oder leren /  den Gottes wort /  von dem heiligen Propheten vnd aposteln beschrieben /  solche Lere sol man gar nichten wedder hören noch annemen /  sondern die selbigen meiden vnd fliehen als den Teuffel selbst  / […].“249

Wie in der Forschung zu Recht festgestellt wurde, will Menius zweifelsfrei mit dieser äußerst komplexen Dreiständekonstruktion postulieren, dass Reichsstände und Städte als inferior magistratus zum Recht auf Widerstand 247  „Vnd ist allen Menschen /  gleichen vnd Vnterthanen natürlich Recht vorbehalten /  welches auch ein Göttlich Recht ist /  nemlich ein liecht /  das Gott selbst in menschliche vernunfft gepflantzet /  nemlich in der Not /  so einem offentliche grausmakeit /  atrox iniuria zugefüget wird /  vnd jm von der Oberkeit nicht geholffen wird /  das jm als denn von Gott erleubet ist /  sich selbst mit seiner Hand zu reden /  vnd zu schützen /  ja es sind viel felle /  da solchs nicht allein erleubet /  sondern auch geboten ist /  als das ein Man sein Weib /  ein Vater seine Kinder /  ein Herrschaft seine Vnter­ thanen schütze.“ Ebd. Bl. F iiv–F iii. 248  Dazu vgl. Luther D. Peterson, Justus Menius, Philipp Melanchthon, and the 1547 Treatise, Von der Notwehr Unterricht, in: Archiv für Reformationsgeschichte 81 (1990), S. 138–157. 249  Von der Notwehr (wie Anm. 246), Bl. C iii–E.



1. Vorbemerkung73

gegen den Kaiser befugt seien. Das heißt, er will hier betonen, dass niederen Magistraten, wie z. B. Reichsständen oder Städten, gegenüber höheren Magistraten (gemeint war freilich der Kaiser selbst), die ihre Fürsorgepflicht bzw. Schutzpflicht vernachlässigen, ein Recht auf Notwehr bzw. Gegenwehr zugestanden ist, genauso wie dem Hausgesinde, Tagelöhnern oder auch Dienstboten gegenüber einer Hausobrigkeit, die den Schutz nicht sicherstellt, ein Recht auf Widerstand gegeben ist.250 Aus der zitierten Stelle geht deutlich hervor, dass Menius nicht nur die Hausstandethik auf eine politische Ebene zu übertragen versucht, sondern auch umgekehrt die politische Ethik auf die Hausregimentsebene geführt wird. Oder um es anders zu formulieren: Menius legitimiert hier die Herrschaft der weltlichen Obrigkeit in Analogie zur Herrschaftslegitimation des patriarchalischen Hausvaters.251 Das heißt: Wenn die politische Obrigkeit aus der hausväterlichen Herrschaft erwächst, müssen beide unter denselben Bedingungen stehen, und was für die eine gilt, das muss auch für die andere verbindlich sein.252 Deshalb forderte er Gesinde und Dienstboten auf, gegen die Hausobrigkeit zu widerstehen, wenn diese einen gewissen zwingenden Befehl erlässt, genauso wie die Untertanen gegen die weltliche Obrigkeit ihr Recht auf Widerstand gebrauchen. Das heißt, er überträgt das politische bzw. ständische verfassungsrechtliche Verhältnis von Obrigkeit und Untertanen auf die Hausregiments­ ebene und verschafft damit den untersten Sozialgruppen, die keine verfassungsrechtlichen Herrschaftsansprüche hatten, einen Zutritt in die ständische Herrschaftsordnung. Diese Auffassung der Dreiständelehre unterscheidet sich deutlich von dem Bild der Dreiständelehre von 1529 und 1532. Die darin vertretene Vorstellung der Dreiständelehre Menius’ kann keineswegs im lutherischen Sinne als Darstellung der Funktionsbereiche charakterisiert werden. Damit ist der Aspekt der Anpassung der politischen Sprache an veränderte politische Strukturen angesprochen, nämlich wie soziale und politische Interessen die Deutung der Dreiständelehre beeinflusst haben (oder umgekehrt) oder ob und wie die politische Sprache sich mit den politischen und sozialen Interessen ihrer Anwender ändert.253 250  L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht (wie Anm.  55), S. 209–211. 251  Vgl. P. Münch, Die Obrigkeit im Vaterstand – Zu Definition und Kritik des Landesvaters während der Frühen Neuzeit, in: Daphnis 11 (1982), S. 15–40. 252  Vgl. dazu M. Scattola, Widerstandsrecht und Naturrecht im Umkreis von Philipp Melanchthon, in: L. Schorn-Schütte (Hg.), Das Interim 1548 / 50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 203. Heidelberg 2005, S. 459–487. Hier S. 481. 253  Diese äußerst interessante Untersuchung der Verzahnung der politischen Sprache und politischer Wirklichkeit am Beispiel des Bedeutungswandels der Dreistän-

74

III. Voraussetzungen: Luther und Melanchthon

Am Ende dieser skizzenhaften Ausführung muss noch die Frage diskutiert werden, in welchem Verhältnis die Zwei-Reiche-Lehre bzw. Zwei-Regimenten-Lehre zu der Dreiständelehre steht. Da dieses Verhältnis für unsere Frage nach der Obrigkeitsauffassung Hesusius’, und insbesondere für dessen Rechtfertigungsmuster, von nicht unerheblicher Bedeutung ist, soll an dieser Stelle auf die Zuordnung beider Lehren skizzierend eingegangen werden. Ich stütze mich hierbei weitgehend auf die Ausführung von Titus Vogt in seiner Studie.254 Die Darstellung des Zusammenhangs beider Lehren sei offensichtlich nicht einfach, wie der katholische Lutherforscher Peter Manns äußert: „Die in der Überschrift angesprochenen Lehrstücke [die Zwei-Reiche-Lehre und die Dreiständelehre. Hervorhebung durch Ch. P.] gehören zweifellos zu den schwierigsten und umstrittensten der modernen LutherForschung“.255 Ebenfalls stelle Reinhard Schwarz am Anfang seines Referates folgendermaßen fest: „Wir sind immer noch nicht recht darüber im klaren, wie wir Luthers Rede von den drei Ständen historisch zu beurteilen haben. Wir können darum auch noch nicht deren sachliche Bedeutung hinreichend abschätzen.“256 Der Münsteraner Kirchenhistoriker Martin Brecht warne vor falschen Unterscheidungen: „Man darf diese, Dreiständelehre […] nicht in einen falschen Gegensatz zur Zweireichelehre bringen, als wäre hier die Unterscheidung von geistlichem und weltlichem Amt aufgehoben. Der Aspekt ist jeweils ein anderer.“257 Das Verhältnis zwischen Zwei-Reiche-Lehre und Dreiständelehre sei insgesamt gesehen, so Schwarz, noch weitgehend unbekannt. Hier sei deshalb nur ein Versuch bzw. Möglichkeiten und Perspektiven angeboten: Es gebe zwei mögliche Varianten, so Vogt, die erste Variante wäre, die Dreiständelehre im Rahmen der Zwei-Reiche-Lehre zu sehen. Das heißt, das weltliche Regiment aufzusplittern in Obrigkeit und Hausstand, wie Justus Menius es in seiner Oeconomia christiana von 1529 und dem Katechismus von 1532 tut.258 Davon sei Heiko Obermann überzeugt, wenn er äußert, delehre bleibt vorerst als ein dringendes Forschungsdesiderat. Zu bemerken ist, dass die Ansicht, die Dreiständelehre wirke nur als ein theoretischer Konstrukt und die Herrschaftsverhältnisse seien in der Wirklichkeit dadurch kaum angetastet gewesen, kann, wie sich in den nächsten Abschnitten deutlich zu zeigen wird, nicht vertretbar sein. 254  T. Vogt, Die Drei-Stände-Lehre bei Martin Luther (wie Anm. 197), S. 77–81. 255  P. Mann, Luthers Zwei-Reiche-Lehre und Drei-Stände-Lehre, in: Iserloh /  G. Müller (Hg.), Luther und die politische Welt. Stuttgart 1984. Hier S. 24. 256  R. Schwartz, Luthers Lehre von den drei Ständen (wie Anm. 118), S. 15. 257  M. Brecht, Martin Luther (wie Anm. 177), Bd. 2 Studienausgabe von 1994, S. 119. Zitiert nach T. Vogt, Die Drei-Stände-Lehre bei Martin Luther (wie Anm. 197), S. 77. 258  Vgl. Anmerkungen 243. Nach Titus Vogt geht Paul Althaus in diese Richtung. T. Vogt, Die Drei-Stände-Lehre bei Martin Luther (wie Anm. 197), S. 77.



2. Ursprung der Obrigkeit75

die Dreiständelehre sei nichts anderes als einer der verschiedenen usus der Zwei-Reiche-Lehre.259 Eine andere Variante wäre, die Zwei-Reiche-Lehre im Rahmen der Dreiständelehre einzubinden, gewissermaßen als Spezialfall. Gustav Törnvall gehe in diese Richtung, wenn er äußerte: es zeige sich bei Luther außer der oben erwähnten Dreiteilung der Regimente noch ein anderes Bild des Regimentsbegriffs. Dies komme dadurch zustande, dass das Hausregiment oder die oeconomia und die Obrigkeit oder politia unter einer gemeinsamen Bezeichnung zusammengefasst würden, nämlich im weltlichen Regiment. Am Ende gäbe es dann nur zwei Regimente, das geistliche und das weltliche.260 Davon sei auch Wilhelm Maurer überzeugt: Streng genommen könne man bei Luther nicht eine Lehre von den beiden Regimenten feststellen, sondern muss von den drei Regimenten reden.261 Unsere Studie geht von der zweiten Variante aus.

2. Ursprung der Obrigkeit Bei beiden Reformatoren herrscht in der Zwei-Reiche / Regimenten-Lehre die Überzeugung, Gott habe die Obrigkeit eingesetzt und nicht der Papst, wie die scholastische Theologie262 behauptet. Gott ist Schöpfer, er erhält die Obrigkeit. Gott selbst hat den ordo politicus zum Heil des Menschen eingesetzt. Der „Staat“ bzw. die Obrigkeit erhält daher seine Würde, Heiligkeit und Selbständigkeit nicht von Gnaden des Klerus, sondern unmittelbar von Gott. Die Obrigkeit dient Gott mit ihren Werken so gut wie andere Stände. Der Stand der Obrigkeit darf nicht auf die anderen Stände herunterblicken. 259  H. A. Obermann, Thesen zur Zwei-Reiche-Lehre, in: Luther und die politische Welt (wie Anm. 255), Stuttgart 1984, S. 27–34. Hier S. 29. Zitiert nach T. Vogt, Die Drei-Stände-Lehre bei Martin Luther (wie Anm. 197), S. 40. 260  G. Törnvall, Geistliches und weltliches Regiment bei Luther. Studien zu Luthers Weltbild und Gesellschaftsverständnis, in: E. Wolf (Hg.), Forschungen zur Geschichte und Lehre des Protestantismus II / 10. München 1947, S. 40. Zitiert nach T. Vogt, Die Drei-Stände-Lehre bei Martin Luther (wie Anm. 197), S. 40. 261  W. Maurer, Luthers Lehre von den drei Hierarchien (wie Anm. 118), S. 31. Martin Honecker vertritt die Ansicht, die Dreiständelehre sei ein von der ZweiReiche-Lehre völlig unabhängiges Sozialordnungsprinzip. M. Honecker, Einführung in die theologische Ethik (wie Anm. 221), S. 293. 262  Damit ist nicht die Scholastik in einem einheitlichen Sinn gemeint. Wenn das so ist, müsste man nicht nur Ockham, Marsilius und Dante ignorieren, sondern auch den wohl wichtigsten Traktat mittelalterlicher Politiklehre, De regimine principum von Thomas von Aquin. Zum Problem der Einheit der Scholastik vgl. dazu T. Dieter, Die junge Luther und Aristoteles (wie Anm. 181), S. 29–37. Zur mittelalterlichen Politiklehre vgl. die ausführliche und klassische Darstellung von J. Miethke, Politiktheorie im Mittelalter. Tübingen 2008; ders., De potestate papae. Die päpstliche Amtskompetenz im Widerstreit der politischen Theorie von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockahm. Tübingen 2000.

76

III. Voraussetzungen: Luther und Melanchthon

Jeder Stand hat eine eigene Selbständigkeit. Der politische Stand bedarf keiner Legitimation durch den klerikalen Stand.263 Melanchthon erklärt den Ursprung der Obrigkeit jedoch anders als Luther nach antiker, insbesondere ciceronischen Gesellschaftsauffassung. Für Luther ist die göttliche Einsetzung von ausschließlicher Bedeutung. Gott bewirkt, dass das weltliche Regiment geschichtlich hier oder dort entsteht oder dass bestimmte Personen in das Amt des weltlichen Regiments kommen. Dabei wird die Aufrichtung des weltlichen Regiments mit der Beauftragung des Fürsten, Magistratus usw. zusammengebracht. Für Luther bedeutet einsetzen auch bestätigen: Gott bestätigt durch sein Wort ein bereits bestehendes weltliches Regiment. Aber Bestätigen bezieht sich mehr darauf, dass – gegenüber Schwärmern und Anarchisten – ein bereits bestehendes Regiment durch Gottes Gebot Legitimation und Weisung erhält: Weltliche Obrigkeit soll nach Gottes Wort sein. Das bedeutet gerade nicht, dass damit dann auch Tyrannei und Unrecht gebilligt sind. Im Gegenteil: Die Legitimation und die Weisung sind miteinander verschränkt. Einsetzung und Beauftragung, Sein und Sollen des weltlichen Regiments der Fürsten sind bei Luther untrennbar. Das heißt konkret, die Ordnung des „Staates“ ist bei Luther keine naturhafte, sondern sie bezieht sich auf Gottes geschichtlich ergehende Einsetzung der Obrigkeiten in ihr Amt.264 Der Staat ist also ein von Gott gesetztes Faktum menschlicher Gemeinschaft, aber dennoch keine natür­ liche Schöpfungsordnung im Sinne Melanchthons. Deshalb hat das Wort ordinatio bei Luther eine doppelte Bedeutung: Gott schafft eine Ordnung, innerhalb derer ihm die Funktionsträger weisungsgebunden sind. Dementsprechend war Luther das Verständnis der ordinatio in der sozialethischen Bedeutung von „Mandat“, als sittlicher Auftrag Gottes, der dem „Staat“ vorzuordnen sei, fremd. „Anordnung“ ist bei Luther weder ein metaphysisches Wesen des „Staates“ noch eine teleologische Beauftragung der natürlichen Größe „Staat“, sondern die gegen die von Satan beherrschte Ordnung gerichtete Herrschaftsfunktion Gottes, die Gott selbst durch sein kontingentes Handeln aufrichtet und in der Geschichte auch immer wieder gegen die Sünde der Menschen, u. a. Fürsten, Könige und Obrigkeiten durchsetzt. Bei Luther schließt die Anordnung stets eine geschichtsmächtige Individuation des göttlichen Willens mit ein. Das heißt konkret, dass Gott Fürsten und Staaten einsetzen und wieder verschwinden lassen kann. Wo eine weltliche Obrigkeit tyrannisch wird, das Recht verletzt 263  Mit Selbständigkeit ist hier nicht im Sinne von Eigengesetzlichkeit gemeint. Luther hat diese Auffassung nie vertreten. vgl., B. Lohse, Martin Luther (wie Anm. 177), S. 192–193; vgl. auch dazu R. B. Huschke, Melanchthons Lehre vom Ordo politicus (wie Anm. 177), S. 136 ff. 264  M. Jacobs, Die evangelische Staatslehre (wie Anm. 177), S. 11–12.



2. Ursprung der Obrigkeit77

oder gar wider Gott gestritten wird, wird Gott selbst seinen Willen durchsetzten und ein so geartetes weltliches Regiment ausmerzen. Gott greift in die Geschichte der Staaten ein, sei es dadurch, dass er andere Könige und Fürsten als Rächer herbeiruft, sei es dadurch, dass er die Bauern als „Zuchtruten“ der tyrannischen Fürsten gewähren lässt.265 Zusammenfassend hat der Ursprung der Obrigkeit folgende Bedeutung für Luther: Gott sitzt im Regiment. Er regiert gleichsam oberhalb der menschlichen Beauftragungsebene ständig im Heil und Unheil der Staaten, Herrscher und Völker; nicht durch ein Legitimitätsprinzip, sondern durch göttliches Geschichtshandeln. Gott setzt die Obrigkeit bzw. „Staat“ ein und der Mensch entwickelt und verändert die geschichtlichen Formen und Rechte dieses weltlichen Regiments. Melanchthon versteht aber unter dem Ursprung der Obrigkeit nicht nur göttliche Einsetzung, sondern verfolgt auch einen antiken Ansatz, den er mitunter der ciceronischen Oikeiosis-Lehre entnimmt: Die Fähigkeit zur Ausübung des ordo politicus ist der menschlichen Natur angeboren. Die notitiae, d. i. die dem Menschen angeborene Kenntnis von Gott, vom Unterschied zwischen Gut und Böse und von den logischen Gesetzen, wird von Melanchthon deshalb wiederholt als Ausgangspunkt für die politische Ordnung bezeichnet.266 Die Größen „Staat“ und Kirche sind für Melanchthon die von Gott eingesetzten natürlichen Ordnungen, die sich bei allen Völkern und Gesellschaften, bei Christen wie bei Heiden, finden, und durch die der Staat zu einem natürlichen, gesellschaftlichen Phänomen wird. Sie sind soziologische Größen und gerade als solche sind sie göttliche Ordnungen. Entsprechend geht die christliche Erkenntnis der Obrigkeit nicht von Christus bzw. vom Schöpferglauben aus, sondern ist in der natürlichen Ordnungserkenntnis der Menschen allgemein angelegt. Aus diesem Grund erhält der Begriff societas bei Melanchthon eine zentrale Bedeutung und die Reflexionen über das positive Staatsrecht des römischen Rechts oder auch des Vertragsrechts einen bedeutenden Akzent.267 Es gilt allerdings zu beachten, dass Melanchthon mit seiner „soziologischen“ Sicht die natürliche Ordnung von „Staat“ und Kirche zwar als allgemeingesellschaftliches Phänomen, die politischen Institutionen aber nur als Folge des menschlichen Wissens bzw. Vernunft (notitae) von Gut und Böse verstanden hat. Für Melanchthon ist Gott der Urheber der Obrigkeit. Hervorzuheben ist auch, dass die Ursprungs- und Ordnungsproblematik bei 265  Ebd. 266  R.

S. 12–13. B. Huschke, Melanchthons Lehre vom Ordo politicus (wie Anm. 177),

S.  125 ff. 267  M. Jacobs, Die evangelische Staatslehre (wie Anm. 177), S. 19.

78

III. Voraussetzungen: Luther und Melanchthon

ihm nachweislich vorhanden ist, obwohl er nicht im Sinne Calvins davon ausgeht, dass die Größen „Staat“ und Kirche Gegenstand juridischer Ana­ lyse seien. Diese sind vielmehr allgemeingesellschaftliche, auch bei den Heiden auffindbare Phänomene natürlichen Ursprungs. Nicht Gott hat sie eingesetzt, sondern Gott billigt sie durch sein Wort; er legitimiert sie.268

3. Aufgabe und Pflicht der Obrigkeit Beide Reformatoren betrachten diesen Punkt nicht aus ontologischer, sondern aus funktionaler Sicht. Der Begriff der weltlichen Obrigkeit schließt ein alle Ordnungsfaktoren in der menschlichen Gemeinschaft, die das Zusammenleben, Recht, Frieden, Erhaltung und Ernährung ermöglichen und so Gottes Heiligkeitswillen in dieser Welt vollbringen helfen und schließlich Gott dienen.269 Luther hat das weltliche Regiment primär im Sinne eines göttlichen Heilsplans als Schutzraum für die Kirche verstanden, und zwar nicht im Sinne eines ideologischen Schutzes, sondern im Sinne objektiver Lebensordnung, in der die Gemeinde Christi zu leben vermag. Luther hielt daran fest, dass die Obrigkeit nur natürliche Aufgaben erfüllen könne und darin ihrer Natur am besten gerecht werde und gerade dadurch auch das rechte Verhältnis zu Gott als prima causa wahre.270 Also hat nach Luther der Fürst die Aufgabe des Schutzes, der Wahrung von Frieden und Recht und schlechterdings der Erhaltung des Lebens.271 Luther unterschied zwischen dem Glauben des Einzelnen, der den Fürsten nichts angeht, und der öffentlichen Irrlehre, die zu Aufruhr führen kann und die der Fürst deshalb bekämpfen soll. Er ging in dieser Frage jedoch nie so weit wie Melanchthon und betonte erst wieder gegen Ende seines Lebens die Notwendigkeit, die officia ecclesiae von der officia aulae zu trennen.272 Seine Gedanken über das Notepiskopat des Fürsten waren ihm aufgezwungen worden, weil die Bischöfe versagt hatten. Luther wies die Vorstellung einer christlichen Gesellschaft, wie sie von Melanchthon gestaltet wurde, leidenschaftlich zurück. Seine Auffassung über das obrigkeitliche Amt war eine rein reformatorische Vorstellung. Melanchthon geht jedoch noch einen Schritt weiter und entwickelte in den Jahren 1534–1537 seine Theorie, die in den bekannten Formeln custo­ 268  Ebd.

S. 21. S. 13. 270  R. B. Huschke, Melanchthons Lehre vom Ordo politicus (wie Anm. 177), S. 137. 271  B. Lohse, Martin Luther (wie Anm. 177), S. 197. 272  M. S. Lausten, König und Kirche, in: G. Leder (Hg.), Johannes Bugenhagen – Gestalt und Wirkung. Berlin 1984, S. 155. 269  Ebd.



3. Aufgabe und Pflicht der Obrigkeit79

dia utriusque tabulae und praecipuum membrum ecclesiae konzentriert enthalten ist. Die Obrigkeit gehöre als geschaffene Ordnung in den Bereich der causa secunda, also in den Bereich der Natur oder des Natürlichen und sei von Gott als der prima causa geschaffen. Der Mensch müsse sein Handeln nicht nur auf natürliche Ziele, sondern auch und vor allem auf das übernatürliche Ziel richten. Daraus folgerte Melanchthon, dass die Obrigkeit nicht nur Aufgaben im Bereich des Natürlichen, sondern vor allem im Bereich des Übernatürlichen habe: Die Sorge für die Religion der Untertanen, die Sorge für die erste Tafel, die Sorge für die Beseitigung von Häretikern.273 Aus dieser Begründung der Religionssorgepflicht der Obrigkeit zog Melanchthon seine Schlussfolgerung: Es handle sich bei der Obrigkeit nicht um einen Viehhirten oder um den Wächter der vollen Bäuche. Deshalb betonte Melanchthon oft, dass die Religionssorgepflicht aus der Verantwortung der Obrigkeit für die Ausführung von Gottes Gesetz, wozu beide Tafeln gehörten, abzuleiten sei. Der Staat habe natürlicherweise für die rechte Gottesverehrung im Lande zu sorgen. Mit seiner hoheitlichen Sorge über die äußeren Ordnungen der Kirchen (Güterverwaltung, Liturgie) hängt nach Melanchthon die cura religionis zusammen, mit der Sorge für den Bestand der Religion auch in Sachen der öffentlichen Lehre. Der Fürst hat zwar keine Macht über das Wort Gottes, aber übt in der Kirche eine Art schiedsrichterliche Aufgabe zwischen den streitenden Parteien der Theologen aus. Im Allgemeinen hat Melanchthon unter der bekannten Formel „custodia utriusque tabulae“ dem Wächteramt des „Staates“ über beide Tafeln des mosaischen Gesetzes folgende vier Aufgaben zugewiesen274: a) b) c) d)

Verkündung des Dekalogs Exekutive der Dekaloggesetze Legislative Tätigkeit Exekutive dieser Gesetze.

Danach ist es für Melanchthon die vornehmste Pflicht der christlichen Obrigkeit, für die erste Tafel des Gesetzes, für den wahren Gottesdienst und für die Abwehr falscher Lehre Sorge zu tragen. Diese cura religionis kommt dem Fürsten als der weltlichen Obrigkeit zu. Er ist das vornehmste Glied der Kirche und zu dieser Aufgabe verpflichtet, so wie er in bürgerlichen Angelegenheiten seinen Untertanen vorangehen soll.275 Diese patriarchalische Auffassung des Fürstenamtes ist im eigentlichen Sinne nicht reformatorischen, sondern humanistischen Ursprungs. Bei Erasmus ist der Fürst immer noch der mittelalterliche princeps christianus. 273  R. B. Huschke, Melanchthons Lehre vom Ordo politicus (wie Anm. 177), S. 136–137. 274  Ebd. S. 138. 275  M. S. Lausten, König und Kirche (wie Anm. 272), S. 155.

80

III. Voraussetzungen: Luther und Melanchthon

4. Verhältnis von Obrigkeit und Kirche Diese Zuordnung und Unterscheidung der beiden Regimente bildet nicht nur für beide Reformatoren, sondern im Protestantismus, insbesondere im lutherischen, überhaupt den Kern der christlichen Herrschaftslehre.276 Die Entwicklung dieser Lehre begann nach Schorn-Schütte in den 30er Jahre des 16. Jahrhunderts, in den folgenden Jahrzehnten kam es zu immer weiteren Ausdifferenzierungen: zum einen in eine aristokratische Struktur der Dreiständelehre, die auf die gleichberechtigte Mitwirkung aller drei Ständen abhob und von führenden lutherischen Theologen als gültig postuliert wurde, zum anderen in eine mehr monarchische Struktur der Dreiständelehre, die von zahlreichen Juristen herausgestellt wurde und bei der der status politicus die Herrschaftslegitimation gegenüber den anderen beiden Ständen der Kirche beanspruchte.277 Nach Wolfgang Sommer dient diese Fundamentalunterscheidung Luthers in allen drei Traditionslinien der Obrigkeitskritik im Luthertum als theologische Rechtfertigungsgrundlage, nämlich sowohl in Luthers Prophezeiungen einer bald hereinbrechenden, unverantwortlichen „Cäsaropapie“ der weltlichen Obrigkeit wie vor allem auch in seiner Auslegung des 101. Psalms, die seine sog. Zwei-Reiche- bzw. Zwei-Regimenten-Lehre an konkreten geschichtlichen Beispielen aufzeigt und in ihrem mittleren Teil eine grundlegende Darlegung der Unterscheidung und Zuordnung des weltlichen und geistlichen Regiments im Rahmen der Dreiständelehre bietet.278 Im Unterschied zur mittelalterlichen Schwerterlehre gehen Luther und Melanchthon von der Selbständigkeit des weltlichen Regiments neben der kirchlichen Leitungsgewalt aus. Sie gehen auch in Abwehr gegen eine schwärmerische Auffassung davon aus, dass Staat und Kirche ihre eigenen Zuständigkeitsbereiche hätten, deren Grenzen eingehalten werden müssen. Das bedeutet zunächst: Der „Staat“ darf nicht zur Kirche und die Kirche darf nicht zum Staat werden. Ferner besagt dies, dass man im Bereich des weltlichen Regiments nicht mit dem Liebesgebot regieren kann, wie man umgekehrt in der Kirche keine Zwangsmittel anwenden darf, weil das Gewissen nicht mit Gewalt bedrängt werden dürfe.279 Damit verbindet sich 276  H. Meier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre (wie Anm. 207); ders., Absolutismus und ständische Verfassung in Deutschland, Mainz 1992; R. v. Friedeburg, Kommunalismus und Republikanismus in der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung 21 (1994), S. 65–91. 277  L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik im Luthertum? (wie Anm. 54), S. 264 ff. 278  W. Sommer, Obrigkeitskritik und Frömmigkeit im deutschen Luthertum, in: R. v. Friedeburg (Hg.), Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit (wie Anm. 70), S. 245–263. 279  M. Jacobs, Die evangelische Staatslehre (wie Anm. 177), S. 17.



5. Verhältnis von Obrigkeit und Untertanen – Widerstandsauffassung 81

die Frage nach der rechten Beziehung zwischen den Zwangsnotwendig­ keiten weltlichen Handelns und der Gehorsamsforderung der christlichen Liebe. Beide Reformatoren sind sich einig: „Staat“ und Kirche stehen als selbständige Ordnungen in Kooperation bzw. Koordination. Bei Luther jedoch trägt die Koordination beider Regimente die Züge einer deutlichen Trennung. Dennoch bedeutet diese Trennung keine Teilung der Welt in eine Sphäre der Religion und eine weltliche Sphäre. Vielmehr gehören weltliche Gewalt und Predigtamt als Regimente des einen Gottes aufs Engste zusammen.280 Es geht Luther also nicht um die Abschottung getrennter Sphären. Die Träger des Wortes sind den Gesetzen der Obrigkeit unterworfen, und die Träger des Schwertes dem Wort Gottes. Dagegen ordnete Melanchthon „Staat“ und Kirche als auf einer Ebene liegende soziologische Größen in antiker Tradition. Der „Staat“ wird dementsprechend ein auf die Kirche bezogenes gesellschaftliches Phänomen. Für Melanchthon rücken „Staat“ und Kirche in ihrer Kooperation zu einem, wenn auch in sich differenzierten, Regimentssystem zusammen. Die Unterscheidung und Trennung der beiden Regimente ist im Wesentlichen nur eine Scheidung ihrer Funktionen und Kompetenzbereiche. Also treten die beiden Regimente als ein von Gott gesetztes Zuordnungssystem geteilter Gewalt nach dem Muster von „innerlich-äußerlich“ auf. Der Gegensatz der beiden Regimente ist nicht mehr primär in Gott verborgen, sondern besteht in ihrer unterschiedlichen Zweckrichtung und Instrumentierung (Schwert – Wort Gottes)281. Der „Staat“ tritt mit seinen Kompetenzen in die Leitung der Kirche ein. Jene die beiden Größen „Staat“ und Kirche umgreifende Ordnung ist bei Melanchthon die ordo im umfassenden Sinne, nämlich die Ordnung der Natur, die Ordnung der Gestirne. An dieser Ordnung hat der „Staat“ Anteil. Nicht die Funktion des weltlichen Regiments im Sinne des Heiligkeitswillens Gottes, wie bei Luther, sondern die Ordnung „Staat“ ist als solche von Wert.282

5. Verhältnis von Obrigkeit und Untertanen – Widerstandsauffassung Beide Reformatoren haben ursprünglich, bis etwa 1530, nur passiven oder „moralischen“ Widerstand bzw. das Erleiden des Unrechts als geistliche Waffen in Betracht gezogen, kaum aber den aktiven Widerstand, das heißt 280  K.

D. Schmidt, Luthers Staatsauffassung (wie Anm. 151), S. 193 ff. Jacobs, Die evangelische Staatslehre (wie Anm. 177), S. 18–19. 282  Ebd. 281  M.

82

III. Voraussetzungen: Luther und Melanchthon

die gewaltsame Bekämpfung der unrecht handelnden bzw. unrechtmäßigen Macht.283 Beide haben die Übertragung des aus dem römischen Privatrecht stammenden Satzes „vim vi repellere licet“ zur Begründung eines Widerstandsrechts stets abgelehnt.284 Die Gründe hierfür liegen in dem paulinischen Konzept von der göttlichen Einsetzung der Obrigkeit. Jedoch war für beide der Aspekt der Ordnung bzw. Rechtssicherheit das stärkere Motiv gewesen.285 Dies gilt besonders für Melanchthon. Deshalb kommt auch der ordo-Begriff in den Gutachten, in denen er sich für ein aktives Widerstandsrecht aus dem naturrechtlichen Notwehrargument heraus einsetzt, nicht vor.286 Dementsprechend stellen beide Reformatoren für das Verhalten der ­ ntertanen gegenüber ihrer Obrigkeit folgenden Verhaltenskodex auf: Die U Macht der Obrigkeit ist weder vom Volk noch von den höheren oder niederen Magistraten selbst, sondern allein und einzig von Gott abgeleitet. Da die Gewalt der Obrigkeit durch Gottes Anordnung gestiftet ist, steht die Obrigkeit im Dienst Gottes und bleibt ihm allein verantwortlich und nicht den Untertanen. Die Obrigkeit muss sich im Falle von Gewaltmissbrauch und anderen Vergehen Gott gegenüber verantworten und ist den Untertanen nicht rechenschaftspflichtig. Der dem Mittelalter vertraute Lehns- und Ständerechtsgedanke der wechselseitigen Verpflichtung von Obrigkeit und Un283  An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass die Position Luthers und Melanch­ thons zu diesem Zeitpunkt keineswegs die dominante war, sondern dass es innerhalb der Gruppe der Wittenberger Reformatoren eine gänzlich differenzierte Ansätze gab. Johannes Bugenhagen (1485–1558) entwickelte eine eigenständige Position hinsichtlich des Widerstandsrechts, an die zweite und dritte Generation der Reformatoren u. a. Heshusius ebenfalls anknüpfen konnte. Zwar sprach Bugenhagen dem einfachen Untertan kein Recht auf Widerstand zu, aber unter Berufung auf theologische Rechtfertigung in Verbindung mit dem Reichsrecht der Reichsstände bzw. der niedere Obrigkeit ein Recht auf Widerstand. Vgl. bes. E. Wolgast, Die Wittenberger Theologie (wie Anm. 44), S. 136 ff.; Zur Bugenhagens Widerstandsauffassung aus der Sicht der politischen Kommunikation vgl. L. Schorn-Schütte, Politische Kommunikation (wie Anm. 56), S. 297 ff. 284  Vgl. bes. E. Wolgast, Die Wittenberger Theologie (wie Anm. 44), S. 154 ff.; Dazu auch J. B. Klautke, Recht auf Widerstand gegen die Obrigkeit? Eine systematisch-theologische Untersuchung zu den Bestreitungs- und Rechtfertigungsbemühungen von Gewaltanwendung gegen die weltliche Macht (bis zum 18. Jahrhundert), Kampen 1994, S. 262–292, 320–371; K. D. Erdman, Luther über Obrigkeit, Gehorsam und Widerstand, in: H. Löwe u. C. J. Röpke (Hg.), Luther und die Folgen. München 1983, S. 29–59; H. Lüthje, Melanchthon und das Widerstandsrecht, in: ZKG 47 (1928), S. 513–542. 285  R. B. Huschke, Melanchthons Lehre vom Ordo politicus (wie Anm. 177), S. 138–143; vgl., A. Kaufmann, Vom Ungehorsam gegen die Obrigkeit. Heidelberg 1991, S. 21–23. 286  R. B. Huschke, Melanchthons Lehre vom Ordo politicus (wie Anm. 177), S. 139.



5. Verhältnis von Obrigkeit und Untertanen – Widerstandsauffassung 83

tertanen, welcher der Angelpunkt eines legitimen Widerstandsrechtes im Falle eines Pflichtversäumnisses der Obrigkeit war, existiert bei den Reformatoren nicht. Die Gehorsamspflicht der Untertanen gilt sogar gegenüber einer ungerechten und bösen Obrigkeit, solange sie – hierin liegt die Grenze – nicht über leibliche Dinge hinaus gebietet. Wenn aber die Obrigkeit mit ihrem Herrschaftsanspruch in das geistliche Amt eingreift und geistliche Dinge wider Gott, Gottes Wort und das göttliche, natürliche und positive Gesetz gebietet, haben die Untertanen eine Pflicht zum Ungehorsam. Die Untertanen sollen dann mit dem Bekenntnis der Wahrheit, mit dem geistlichen Schwert und mit dem Wort Gottes der Obrigkeit den Gehorsam verweigern und offen widerstehen.287 Diese ursprüngliche Haltung begann sich um 1530 zu verändern. Luther setzte sich nun für ein aktives Widerstandsrecht aufgrund des sowohl reichsrechtlichen und des naturrechtlichen Notwehrarguments ein.288 Im Zusammenhang mit der Entstehung des Schmalkaldischen Bundes289 vertrat auch Melanchthon – Luthers Argumentation unterstützend – in seinen Schriften und Gutachten das aktive Widerstandsrecht, ebenfalls auf Grundlage des reichsrechtlichen und naturrechtlichen Notwehrarguments.290 Einem apokalyptischen Tyrannen brauche man sich nicht zu beugen, gegen ihn sei Gegenwehr zulässig, die bis zum Tyrannenmord gehen könne.291 Luther betrachtete den Tyrannenmord sogar als einen Akt kollektiver Notwehr.292 Melanchthon betonte, es müsse zwar eine positiv-rechtliche Grundlage für die Durchführung von aktivem Widerstand gegen eine übergeordnete Gewalt existieren, doch sei dieser schon aufgrund des Naturgesetzes grundsätzlich möglich.293 Bezeichnenderweise erfolgte die Begründung hierfür nicht theologisch, sondern juristisch: Die Untertanen haben Lehns- und Stände287  T. P. Koops, Die Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes gegen die weltliche Obrigkeit in der lutherischen Theologie des 16.und 17. Jahrhudnerts. Diss. Kiel 1968, S. 28–40. 288  Vgl. dazu E. Wolgast, Die Wittenberger Theologie (wie Anm. 44), S. 173 ff.; W. Schulze, Zwingli, lutherisches Widerstandsdenken (wie Anm. 44), S. 205. 289  Dazu vgl. G. Haug-Moritz, Der Schmalkaldische Bunde 1530–1541 / 42. Eine Studie zu den genossenschaftlichen Strukturelementen der politischen Ordnung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 44), Leinfelden-Echterdingen 2002. 290  Vgl. dazu E. Wolgast, Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts im 16. Jahrhundert. Heidelberg 1980, S. 20–21; ders., Die Wittenberger Theologie (wie Anm. 44), S. 125 ff. 291  K. D. Erdmann, Luther über Obrigkeit, Gehorsam und Widerstand (wie Anm. 284), S. 43 ff. 292  Ebd. S. 46. 293  R. B. Huschke, Melancthons Lehre vom Ordo politicus (wie Anm. 177), S. 139.

84

III. Voraussetzungen: Luther und Melanchthon

recht ebenso wie unveräußerliche Rechte, Naturrechte, denen sich auch der Fürst unterzuordnen habe.294 Zu beachten ist, dass Luther und Melanchthon nicht eine privatrechtliche Widerstandstheorie im Sinne Skinners vertreten haben. Beide vertraten ausdrücklich eine lehns- und ständerechtliche Widerstandstheorie.295 Ebenso hervorzuheben ist, dass Melanchthons Zugeständnis an einen aktiven Widerstand gegen die Obrigkeit lediglich eine Episode zur Zeit des Schmalkaldischen Bundes blieb und auch nur hinsichtlich des Verhältnisses der Fürsten gegenüber dem Kaiser erfolgte, d. h. für ein Verhältnis, in dem der Widerstand bereits reichsrechtlich legitimiert war. Diese Beobachtung kann mit der Tatsache erklärt werden, dass in den Schriften, in denen Melanchthon einen aktiven Widerstand gestattet, die Begriffe ordo und ordo politicus nicht vorkommen.296 Abschließend bleibt zu betonen, dass die Widerstandsauffassung beider Reformatoren nicht von den frühneuzeitlichen Ideen, sondern vom Fortleben des mittelalterlichen Widerstandsrechts bzw. spätmittelalterlichen juristischen Denkens und politischen Handelns motiviert worden ist. Zwar brachte ihr theologisches Obrigkeitsverständnis die in allen mittelalter­ lichen Rechtskreisen – dem Natur-, Lehens- und Stände-, römischen und kanonischen Recht – stark fundierte Vorstellung von der Legitimität der „Gegenwehr“ ins Wanken297. Sie verwendeten den durch die spätmittelalterlichen Lehns- und Ständerechte und naturrechtlichen Grundsätze als Schutz des Menschen gegen unrechte Gewalt definierten Begriff „Gegenwehr“. „Gegenwehr“ (d. h. gegebenenfalls zu aktivem gewaltsamem Widerstand zu greifen), fassten die Reformatoren im Sinne der mittelalterlichen Vorstellung auf: Schutz, Erhalt oder Verteidigung des Eigenen, nicht Rache – d. h. die Beschädigung des Anderen. Die Verwendung der militärischen Gewalt gilt den Reformatoren als letztes Mittel, nicht als vorrangiges Instrument der Selbstbehauptung. Mit anderen Worten verschafften sie der Notwehrregel des Naturrechts (vim vi repellere licet) Geltung, mit Ausnahme bezüglich der Obrigkeit.298 294  K. D. Erdmann, Luther über Obrigkeit (wie Anm. 284), S. 46 ff.; A. Kaufmann, Vom Ungehorsam gegen die Obrigkeit (wie Anm. 285), S. 22; H. Lüthje, Melanchthon und das Widerstandsrecht (wie Anm. 284), S. 530 ff. 295  W. Schulze, Zwingli, lutherisches Widerstandsdenken (wie Anm. 44), S. 204– 205. 296  R. B. Huschke, Melanchthons Lehre vom Ordo politicus (wie Anm. 177), S. 124. 297  E. Wolgast, Die Wittenberger Theologie (wie Anm. 44), S. 67–72. 298  G. Haug-Moriz, Widerstand als „Gegenwehr“. Die Schmalkaldische Konzeption der Gegenwehr und der „gegenwehrliche Krieg“ des Jahres 1542, in: R. v. Friedeburg (Hg.), Widerstandsrecht in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 70), S. 141– 161; D. Böttcher, Ungehorsam oder Widerstand? (wie Anm. 44).



5. Verhältnis von Obrigkeit und Untertanen – Widerstandsauffassung 85

Nach diesem nur groben Überblick über Analogien und Unterschiede der Obrigkeitslehre Luthers und Melanchthons soll nun im Folgenden Heshu­ sius’ Obrigkeitsverständnis in den Mittelpunkt der Darstellung rücken. Nach einer Erläuterung seiner Begriffsvorstellungen im politischen Denken soll auch darauf eingegangen werden, ob und wie die Auffassungen Luthers und Melanchthons von Heshusius rezipiert oder revidiert worden sind und welche Stellung er bezog. Es soll ebenfalls danach gefragt werden ob es einen Wandel im politischen Denken des Heshusius gegeben hat und ob sich seine Auffassungen bezüglich Widerstand und Dreiständelehre ebenfalls veränderten.

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius 1. Methodische Vorbemerkung299 Wie sich im vorigen Abschnitt über Leben und Schriften des Heshusius andeutete, wurde Heshusius aufgrund seines Studiums an den traditionell ausgerichteten Universitäten, insbesondere der Wittenberger Universität, in besonderer Weise durch Melanchthon und den von ihm vermittelten Aristotelismus geprägt.300 In den Äußerungen zur Obrigkeit griff Heshusius wie Melanchthon immer wieder auf traditionell wichtige Normen und Begriffe der Philosophie und Theologie, der Politik und des Rechts zurück, die seinerzeit bereits eine Geschichte von mehr als 2000 Jahren durchlaufen hatten. Heshusius erwähnte nicht nur antike Autoren und zitierte deren Lehrsätze, sondern berief sich in seiner Argumentation auf sie, wie z. B. auf Seneca, Cicero und Xenophon, auch auf die politische Ethik des Aristoteles und dessen Naturechtslehre sowie auf die römische Rechtslehre. Sofern sie sich in seine Argumentation fügten, übernahm er die Zitate frei, wie das folgende Beispiel zeigt: In seiner 1586 dem Herzog Heinrich Julius gewidmeten Predigt über Mt. 22 „Geb dem Keyser /  was des Keysers“ führte Heshusius aus, die Obrigkeit solle sich wie Eltern verhalten. Im Anschluss zitierte er Xenophons Aussage: „Bonus Princeps nihil differt à bono Patre“,301 die ebenfalls in seinem Kommentar zum Psalm 101 von 1586 zu finden ist.302 Melanchthons Einfluss auf Heshusius ging so weit, dass jener nicht nur Melanchthons Lehre wörtlich übernahm, sondern sogar dessen Einschätzung der antiken politischen Weisheit, insbesondere der aristotelischen, teilte und nachahmte. Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen: In seiner 1561 in Magdeburg verfassten Schrift „Vom Ampt vnd Gewalt der Pfarherrn“ behandelt Heshusius ganz im Sinne der lutherischen Zwei-Regimenten-Vor299  Hier sei ausdrücklich erwähnt, dass alle Kursive in den folgenden Zitaten von mir (Ch. P.) stammen. 300  Vgl. G. Kisch, Melanchthons Rechts- und Soziallehre. Berlin 1967; I. Deflers, Lex und Ordo. Berlin 2005, S. 177. 301  Postilla (wie Anm. 137), Mat 22. Bl. 130. 302  „Bonus Princeps nihil differt à bono Patre“. Centesimum Primum psalmum. Commentarius in librum Psalmorum. Authore D.Tilemanno Heshusio, in: Biblia, VT., Psalmi. Helmstedt 1586 [HAB Wf. H: C 156 2°], S. 387b. Im Folgenden Psalm 101. Psalmi LXXXII, in Biblia VT., (wie Anm. 302), Im Folgenden Psalm 82.



1. Methodische Vorbemerkung87

stellung drei grundsätzliche Unterschiede zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt. Als ersten Unterschied benennt er den jeweiligen Zweck der Obrigkeit. Dazu führt er wie folgt aus: Die weltliche Obrigkeit, wie Kaiser, Könige, Fürsten und Bürgermeister, sei Lehrer, Diener und Schutzherr des göttlichen Gesetzes. Sie sei von Gott nicht dazu berufen, willkürlich zu regieren und anzuordnen, sondern Gottes Gesetz an seiner Stelle zu verwalten und zu schützen, die Frommen zu verteidigen und die Bösen zu strafen, weswegen die Schrift (gemeint ist Psalm 82. Hervorhebung durch Ch. P.) auch die weltliche Obrigkeit als Götter nennt. Danach zitiert Heshusius den berühmtesten Satz aus Aristoteles’ politischer Ethik, an dem ihm offensichtlich besonders viel gelegen war: „vnd ist derwegen gantz fein vom Aristotele gesagt: Magistratus est custos Legis, die Oberkeit ist eine Hüterin des Gesetzes.“303 Dieses Zitat und vor allem die damit verbundene außerordentliche Wertschätzung der politischen Weisheit des Aristoteles unterscheidet sich kaum von dem, was Melanchthon in seiner Berufung auf Aristoteles formuliert hat. In seinen Loci praecipui von 1559 argumentierte Melanchthon, die Obrigkeit sei Wächter des Staates über beide Gesetzestafeln und über die äußere Kirche. Dabei berief er sich zur Bekräftigung seiner Position auf dieselbe aristotelische Aussage: „Aristoteles hat die Definition der Obrigkeit gar fein gelehrt mit wenigen Worten … die Obrigkeit ist der Wächter des Gesetzes.“304 Melanchthon hat sich in seinem Römerbrief-Kommentar 1556 hinsichtlich der Definition ordo politicus folgendermaßen geäußert: „Est enim ordo ipse legis divinae notitia, et gradus eorum, qui regunt et reguntur, et leges latae vera autoritate magistratuum, coniugia, contractus, iudicia, poenae, defensio, legitima militia, legitima tributa, disciplina in pace, studia doctrinarum et aliarum honestarum artium.“305 Diese Äußerung unterscheidet sich ebenfalls kaum von dem, was Heshusius in seinem RömerbriefKommentar 1572 dazu ausgeführt hat: „Distinguant ergo pij inter ordinem qui à Deo est et salutaris est societati humanae, vt sunt leges, iudicia, functiones, paenae, contractus, bella legitima, disciplina, distinctio dominiorum.“306 Ob Heshusius dieselbe gründliche Kenntnis wie sein Lehrer vom aristotelischen Werk und dessen terminologischer Stringenz besaß und ob er an der aristotelischen staatstheoretisch-philosophischen Tradition festhielt, ist eine andere Frage. Fest steht aber, dass Melanchthons Aristotelesbild Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B iiijv; D viiiv. Stupperich (Hg.), Melanchthons Werke in Auswahl 1–7 / 2. Gütersloh 1951–1975: Bd. II, 2, S. 726, 26 ff. 305  CR Bd. 15, 1011. 306  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 392. 303  Vom 304  R.

88

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Heshusius stark beeinflusste, so dass man diese Elemente der traditionsgeschichtlich wichtigen Voraussetzungen im Zusammenhang mit den politischen Begriffen bei Heshusius erforschen muss. Bemerkenswert ist, dass Heshusius seine Wertschätzung für die politische Weisheit des Aristoteles307 und dessen politische Begriffe bis an sein Lebensende beibehielt,308 während Luther die griechisch-römischen philosophischen Begriffe absichtlich vermied (z. B. anstelle von ordo den Begriff status verwendete), um sich von der philosophischen Tradition zu distanzieren,309 zumal im 16. Jahrhundert Aristoteles gut bekannt war. Dies gilt nicht nur für Luther, sondern für die nicht wenigen protestantischen Autoren. Sie verweisen nur selten auf den Einfluss der philosophischen Ethik und gebrauchen ausdrücklich theologische Begründungen, weshalb die philosophische Lehrtradition für die Bereiche der politischen Ethik schwer nachzuweisen ist. Dies scheint bei Heshusius nicht der Fall zu sein, was wiederum die theologische Einordnung erschwert. Die Tatsache, dass Heshusius zwar die antike Terminologie, auf der seine Obrigkeitsvorstellung basiert, von Melanchthon übernimmt, sie aber mit anderen Bedeutungsinhalten als Melanchthon füllt, trägt noch erschwerend dazu bei. Auf die Ursache dafür wird noch näher einzugehen sein.310 Es scheint somit notwendig zu sein, die Terminologie der Obrigkeitsvorstellung von Heshusius mit dem Analyseverfahren der historischen Semantik, insbesondere in lexikalischer und semantischer Ebene zu untersuchen. Wünschenswert wäre es auch, die Frequenzanalyse der Terminologie in statistischer Form zu erstellen und dabei Veränderungen der Bedeutung im politischen und sozialen Kontext zu beobachten. Aber eine solche umfassende begriffsgeschichtliche Untersuchung würde den Rahmen dieser Studie sprengen. Deshalb sollen stattdessen im Rahmen dieser Arbeit ausschließlich die am häufigsten verwendete Obrigkeitsterminologie, seine Herrschertugendvorstellung und sein Legitimationsmuster der Obrigkeitskritik skizzierend dargestellt werden. Um die verschiedenen weiteren Besonderheiten in der heshusianischen Terminologie jedoch aufzeigen zu können, bedarf es dabei des Vergleiches mit denjenigen Lehren, die Heshusius aufgenommen 307  In seiner Herzog Julius gewidmeten Predigt „Euangelium am 14.Sontage nach Trinitatis / Luce 17“ von 1586 berief er sich wiederum auf die Aussage des Aristoteles: „Recht wol sagt der Heyde Aristoteles: Gott /  den Eltern /  vnd Praeceptoribus können wir nimmermehr gnugsam dancken.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 14. Sontage nach Trinitatis / Luce 17. Bl.  81. 308  „et petit vt ipse aeternus Deus velit esse custos et defensor politici ordinis sui operis.“ Psalm 82 (wie Anm. 288), S. 328. 309  R. B. Huschke, Melanchthons Lehre vom Ordo politicus (wie Anm. 177), S. 59. 310  I. Mager, T. Heshusius (wie Anm. 80), S. 354–355.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius89

oder gegen die er sich gewendet hat. Da es bisher keine entsprechenden Untersuchungen gibt, kann im Folgenden auch nicht auf Belegliteratur verwiesen werden. Nach einer kurzen zusammenfassenden Übersicht über den Gebrauch seiner politischen Terminologie soll deshalb Heshusius’ Begriffsvorstellung erstmals eingehend untersucht werden. Die daraus gewonnenen Ergebnisse werden zusammenfassend dargestellt.

2. Die Begriffsbildung bei Heshusius311 a) Die Obrigkeitsterminologie312 Überblickt man die Begriffe in den ausgewerteten Quellen, derer sich Heshusius in Fragen der Obrigkeit bediente, fällt auf, dass die Bezeichnung Obrigkeit in seinen Schriften in einem größeren Bezugsfeld steht und mit verschiedenen Ausdrücke kombiniert wird, die mit einem patriarchalen Obrigkeitsstaat kaum im Zusammenhang stehen, wie z. B. respublica, patria, respublica christiana, politia, status, ordo politicus, weltliches Schwert, weltliches Regiment, Reich und Stände, Kaisertum, Obrigkeit, König, Fürst und Ratsherren usw. Diese erste Beobachtung erweckt den Eindruck, dass er dabei diese Synonyme ohne klare inhaltliche Differenz und Bestimmung gebraucht hat. Tatsächlich verwendet er sie oft in einem Atemzug. Wie beliebig diese scheinbar unreflektierte Aneinanderreihung von Begriffen 311  Die folgenden Ausführungen stützen sich zum großen Teil auf die grundlegenden Forschungsarbeiten von Werner Elert. W. Elert, Zur Terminologie der Staatslehre Melanchthons (wie Anm. 178), S. 522–534; ders., Societas bei Melanchthon (wie Anm. 178), S. 101–115; ders., Morphologie des Luthertums Bd. 2 (wie Anm. 178), S.  57 ff. 312  Wir verstehen unter dem Begriff „Obrigkeit“ die Personen, denen die Handhabung von legitimer Gewaltanwendung vertraut ist. Der Begriff Obrigkeit trat wohl seit dem 14. Jahrhundert (Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache 23. Berlin / New York 1999, S. 596) bereits auf, der die Inanspruchnahme herrschaftlicher Gebotsgewalt (vor allem Gesetzgebungs- und Ordnungsbefugnisse) dokumentiert. Die deutsche Form des lateinischen Rechtsbegriffs superioritas (Josua Maaler übersetzt sie jedoch mit magistratus. J. Maaler, Die Teütsch spraach. 1561. Dicitionarium Germanicolatinum novum. Mit einer Einführung von Gilbert de Smet. Hildesheim / New York 1971. 310) manifestierte sich dann gegen Ende des 15. Jahrhunderts als einer der häufigsten Begriffe der deutschen, politischen wie juristischen Sprache. Dieser Begriff bezeichnet allgemein ein komparatistisches Verhältnis herrschaftlicher Überordnung (Herrschaft), vorwiegend die Gewalt von Reichsstädten und -fürsten über ein Land als Phänomen eigenen Rechts, das nicht mehr auf einzelnen Rechtstiteln beruht (Landesobrigkeit, lat. superioritas territorialis, Territo­ rialherrschaft), Er beinhaltet auch die herrschaftsausübende Person und Institution bzw. das der Herrschaft unterworfene Gebiet. Vgl. V. Sellin, Regierung, Regime, Obrigkeit, in: Geschichtliche Grundbegriffe 5 (wie Anm. 59), S. 361–421.

90

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

unterschiedlicher Tradition erscheint, lässt sich am Beispiel seiner Auslegung über den Vers 21 im Mt. 22 in den Postilla, die er dem Herzog Heinrich Julius gewidmet hatte, gut dokumentieren: „Erstlich ist alhie zumercken /  das Herr Christus /  der eingeborne Son Gottes mit seinem herlichen Göttlichen zeugnis das Keyserthumb /  das ist /  die Weltliche Obrigkeit /  alle Regiment /  Gericht straffe: stende /  Empter vnd Handwercke /  so zu Keyser­ thumb gehören /  bestetiget vnd begrefftiget.“313 Erst bei genauerem Hinsehen ergibt sich ein völlig anderes konsequentes Bild in der Begriffsverwendung bei Heshusius. In seinen Schriften ist die für die Obrigkeit relevante Terminologie durch exakte inhaltliche Unterschiede und Bestimmungen, wie es bei Melanchthon der Fall war, vertreten.314 aa) societas Wenn in Heshusius’ Schriften von der Obrigkeit die Rede ist, fällt sofort auf, dass er sie sehr häufig im Zusammenhang mit dem so genannten aristotelischen bzw. humanistisch-naturrechtlichen Begriff societas verwendet. Ehe wir uns der weiteren inhaltlichen Differenz der für die Obrigkeit relevanten Terminologie nähern, soll deshalb die Bedeutung und Stellung der societas in den Begriffvorstellungen Heshusius’ betrachtet werden. Zunächst ist festzuhalten: Wie bei Melanchthon ist der Begriff societas in Heshusius’ Denkgebäude hinsichtlich der Obrigkeitsauffassung von zentraler Bedeutung, denn hierbei geht es keineswegs nur um einen formalen Oberbegriff, sondern um die Überdachung von Obrigkeit bzw. „Staat“ und Kirche. Heshusius misst wie Melanchthon und im Unterschied zu Luther in seiner Lehre von der Obrigkeit neben dem Stiftungs- und Einsetzungsgedanken dem antiken Sozietätsgedanken große Bedeutung zu, weshalb er die Obrigkeit als ein Fundament rechtlicher Institutionen wie der Ehe, Gesetze, Gerechtigkeit, Strafe, Verträge, Kriege, Disziplin, d. h. als vincula societatis betrachtet, deren Hauptzweck und Funktion nicht im Dienst für den „Staat“, sondern in der Herstellung eines Zustandes der societas humana liegt: „Et si autem ratio ipsa aliquo intelligit ciuilem gubernationem, leges, iudicia, poenas, contractus, esse pulchrum ordinem, necessarium salutarem societa­ ti humanae.“315 Heshusius betrachtet folglich das obrigkeitliche Amt keines313  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mat. 22, S. 129. Siehe dazu den Abschnitt IV. 2. a) hh) status. 314  Vgl. W. Elert, Zur Terminologie der Staatslehre Melanchthons (wie Anm. 178), S.  523 ff. 315  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 388b; „Distinguant ergo pij inter ordinem qui à Deo est et salutaris est societati humanae, vt sunt leges, iudicia, functiones, poenae, contractus, bella, legitima, disciplina, distinctio dominiorum: et inter personas quae saepè sunt vasa irae, et organa Satanae.“ Ebd. S. 392; „vel minus turbare societatem



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius91

wegs als ein bloßes Regieramt, sondern als das Amt zur Erhaltung der so­ cietas humana: „etiam actio in eum datur coram magistratus cogit eum ciuile pena, haec enim iustitia seueritas pertinet ad conseruationem humanae societatis.“316 Im Anschluss an Melanchthon vertrat Heshusius die Auffassung, die Obrigkeit sei ein Werk Gottes, durch das die societas humana bzw. civilis erhalten werde.317 Daher heißt es in seinem berühmten dogmatischen Lehrbuch: „Der ewige Allmechtige Gott hat aus sonderlichem weisen rath /  vnter dem Menschlichem geschlecht ein solche ordnung gemacht /  das er an seine stet gesetzt hat /  die weltliche Oberkeit /  vnnd wil das sie die anderen Menschen regieren sollen /  jnen gebieten vnnd verbieten /  was recht ist /  auff das die Gerechtigkeit /  gemeiner friede /  vnd gute zucht ge­ hand habet /  vnnd gefürderet werde /  vnnd die bürgerliche nachbarliche gesellschaft vnnd gemeinschaft in still vnnd ruhe erhalten werde.“318 Obrigkeit und Kirche haben nach Heshusius für die gesellschaftliche Ordnung bzw. die menschliche Gemeinschaft konstitutive Funktion. Deshalb spricht er im Anschluss von Melanchthons Auslegung „De Magistratibus ciuilibus et dignitate rerum politicarum“ in dessen Schrift „Theologicae Hypotyposes“319: „Necessaria est in Ecclesia, doctrina de politico magistratu. Cum enim Ecclesia in hac vita inter homines colligatur, egeat cibo, potu, hospicio, defensione, legibus, iudiciis, contractibus, sciri necesse est.“320 Diese Ansicht über Kirche und Obrigkeit als Träger der gesellschaftlichen bzw. menschlichen Ordnung kommt an anderer Stelle im RömerbriefKommentar noch deutlicher zum Ausdruck: „Cum enim Ecclesia in hac vita inter homines colligatur, et egeat cibo, potu, hospicio, defensione, lehumanam, quam vel seditiosus, vel adulter, vel fur, vel homicida, delinquit contra Deum; et nocet vitae hominum.“ Ebd. S. 393b; „sunt autem causae grauisimae cur velit Deus externis sceleribus delinquentes contra Deum, et societatem humanam turbantes ciuili et corporali poena per magistratum adfici.“ Ebd. S. 398b; „Si quis debet alteri, nec soluit tamen, magistratus cogit eum ciuili poena, haec enim iustitia et seueritas pertinet ad conseruationem humanae societatis.“ Ebd. S. 400; „Caetus et comitia et societates hominum non casu coeunt.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 325– 325b; „ipse tamen Deus stat in caetu Dei et seruat leges, disciplinam, pacem et societatem hominum.“ Ebd. S. 325b; „Hac verò seueritate principes et magistratus, non sòlum vti debent contra eos, qui externis sceleribus turbant hominum societa­ tem, quales sunt.“ Ebd. 326; „scelera quae societatem humanam perturbant, inuitat, sed et Satanae viam aperit tumultuandi in politia.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 388b. 316  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 400. 317  W. Elert, Morphologie des Luthertums Bd. 2 (wie Anm. 177), S. 49–65. 318  Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 3. 319  W. Strickhausen, Staatstheorie – Sozialethik – Fürstenerziehung, in: B. Bauer (Hg.), Melanchthon und die Marbuger Professoren. Marburg 1999, S. 277 f. 320  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 388–388b.

92

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

gibus, iudicijs, contractibus […] imperia.“321 Dieser vincula-Katalog erinnert an Melanchthons Schrift von 1550, „Declamatio de legum fontibus et causis“, worin dieser die politischen Institutionen wie leges, doctrina virtus, iustitia, imperium, veritas, contractus, iudicium, poena usw. ausdrücklich als vincula societatis bezeichnete.322 In dieser Äußerung drückt sich deutlich aus, dass Heshusius in Anlehnung an die Lehre Melanchthons von der so­ cietas die Auffassung vertritt, die Kirche existiere in der Gesellschaft. Das heißt, die Kirche sei eine der vielen vincula societatis, wie Johann Brenz in seinem Brief an Melanchthon geäußert hat: civitas non est in ecclesia, sed ecclesia est in civitate.323 Der Friede und die öffentliche Ruhe im Gemeinwesen, welche die Obrigkeit als ihre höchste Aufgabe herzustellen hat, soll der societas humana dienen: „Tertia, Vt in societate humana pax et tranquillitas conseruetur.“324 Für Heshusius ist deshalb das Spektrum der Bedeutung von „Gemeinwohl“325 bzw. pax publica viel umfangreicher als nur ‚das Wohl der Obrigkeit als politische Institution‘. Es geht ihm vielmehr um das jeden Menschen betreffende Wohl.326 Zumeist verwendet Heshusius den Begriff societas in Kombination huma­ na bzw. hominum im Sinne der antiken Moral- und Tugendlehre bzw. mit Aristoteles und Cicero als societas humana bzw. societas hominum,327 auch 321  Ebd. 322  R.

S. 388b. B. Huschke, Melanchtons Lehre vom Ordo politicus (wie Anm. 177),

S. 82–83. 323  Zitiert nach W. Elert, Societas bei Melanchthon (wie Anm. 178), S. 111. 324  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 398b. 325  Zum Begriff des Gemeinwohls im Luthertum vgl. B. Eckert, Der Gedanke des gemeinen Nutzen in der lutherischen Staatslehre des 16. und 17. Jahrhunderts. Diss. Frankfurt a. M. 1976. 326  Vgl. W. Strickhausen, Staatstheorie, in: B. Bauer (Hg.), Melanchthon und die Marbuger Professoren (wie Anm. 319), S. 270. 327  „Distinguant ergo pij inter ordinem qui à Deo est salutaris societati humanae, vt sunt leges, iudicia, functiones, poenae, contractus, bella, legitima, disciplina, distinctio dominiorum: inter personas quae saepem sunt vasa irae, organa Satanae.“ Römer 13 (wie Anm. 137), S. 392; „vel minus turbare societatem humanam, quam vel seditiosus, vel adulter, vel fur, vel homicida, delinquit contra Deum; nocet vitae hominum.“ Ebd. S. 393b; „sunt autem causae grauisimae cur velit Deus externis sceleribus delinquentes contra Deum, societatem humanam turbantes ciuili corporali poena per magistratum ad fici.“ Ebd. S. 398b; „Si quis debet alteri, nec soluit tamen, magistratus cogit eum ciuili poena, haec enim iustitia et seueritas pertinet ad conseruationem humanae societatis.“ Ebd. S. 400; „Caetus et comitia et societates hominum non casu coeunt.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 325–325b; „ipse tamen Deus stat in caetu Dei et seruat leges, disciplinam, pacem et societatem hominum.“ Ebd. S. 325b; „Hac verò seueritate principes et magistratus, non sòlum vti debent contra eos, qui externis sceleribus turbant hominum societatem, quales sunt.“ Ebd.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius93

aber in Verbindung mit der Dreiständelehre Luthers als societas civiles.328 Unter dem Begriff der societas humana verbanden Heshusius wie auch Melanchthon die Vorstellung von einer überstaatlichen bzw. überterritorialen Kirche und darüber hinaus von einer Staaten übergreifenden Verbundenheit der gesamten Menschheit, im Sinne eines säkularisierten corpus christia­ num329 bzw. einer respublica christiana, in denen Ehe, Gesetze, Gerechtigkeit, Freundschaft, bürgerliche Kontakte, Obrigkeit, Staat, Staatenbündnisse und Kirche jeweils als vinculum societatis fungieren und deren Hauptzweck nicht im Dienst für die weltliche Obrigkeit bzw. den „Staat“ selbst, sondern in der Herstellung eines Zustandes der societas humana liegt: Mvltorum animi turbantur, eò quòd vident tantum esse confusionum et scelerum: vident teterrima saepè portenta praeesse imperijs, quae nec leges, nec hones­ tatem, nec scholas nec Ecclesiam, nec Rempubl[icam].330 Mit dem Begriff societas civilis verbunden, steht bei Heshusius häufig die Vorstellung von einem politischen Gemeinwesen, sei es kommunal oder territorial, das in drei Stände gegliedert ist, die zur Wohlfahrt und Harmonie der Gesellschaft aufeinander wechselseitig und gleichberechtigt wirken: „das Got niemand anders die gewalt Prediger oder Seelsorger zu beruffen vnnd zuerwelen vbergeben […] solchs aber ist der gantzen Christenheit /  vnd nicht einem besondern Stand vbergeben. Darumb offenbar /  dz die Christen an welchem ort sie sind /  freyheit /  gewalt vnd recht haben /  Seelsorger zu erwelen […].“331 Hervorzuheben ist, dass Heshusius die säkulari326b; „scelera quae societatem humanam perturbant, inuitat, sed et Satanae viam aperit tumultuandi in politia.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 388b. 328  „Adde, quod Psalmi muniunt totam ciuilem societatem, Ecclesiastica, Politi­ ca, Oeconomica officia non solum ornant testimonio, sed etiam grauissima doctrina instruunt ac praecepta sapientiae plena proponunt.“ Zitiert nach P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 138; „Hi tyranni sunt vere organa Satane, per quae turbat imperia et ciuilem societatem.“ Römer 13 (wie Anm. 137), S. 391b. 329  „Also ist auch zu mercken /  das der HERR Christus spricht: Der heilige Geist werde die Welt straffen /  Nicht allein die Heyden /  sondern auch die Juden /  Nicht eine Stadt /  nicht ein Königreich /  Nicht nur ein Dorff /  sondern die Welt sol er straffen. Nicht allein der Pöbel vnd gemeine Mann sol sich straffen vnd lehren lassen /  sondern auch Keyser vnnd Könige /  Regenten vnd Obrigkeiten  /  Nicht allein grobe eusserliche Sünder /  sondern auch was heilig scheinet für der Welt […] Der HERR Christus nennet das Ampt des Geistes ein Strafampt. Denn alle Welt ist in Irrthumb vnd sünd ersoffen.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am vierdten Sontag nach Ostern /  Cantate / ohan. 16. Bl. 39v; Vgl. W. Elert, Societas bei Melanchthon (wie Anm. 178), S. 110 ff. 330  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 390b–391; „Intereà vel non tanguntur cura Ec­ clesiae, scholarum, Reipublicae, pacis, legum, disciplinae subditorum.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 327. 331  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. M vv; „Fürs erst /  mag niemand verneinen /  das der HERr Christus das gericht vnd Vrteil vber seiner Lere nicht ei­

94

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

sierte respublica christiana bzw. societas christiana332 zugleich in Verbindung mit Luthers Dreiständelehre vorstellt: „Summa der Herr Christus sitzet zur Rechten Gottes im Himmel /  regieret die gantze Welt /  sihet auff die gantze Kirche /  auff alle Prediger vnd Lerer /  auff alle Obrigkeiten vnd Regenten /  auff alle Hauuater vnd Hausmütter.“333 Kennzeichnend ist, dass Heshusius die Sozietätsidee nicht nur in seinem Obrigkeitsverständnis bewahrt hat, sondern auch in seiner Lehre von der Kirche, weshalb er die Kirche ausdrücklich als eine ecclesia visivilis bzw. eine societas externa, also als einen gegliederten Verband mit Eigenleben, der sich gegen fremde Eingriffe zur Wehr setzt, zu verstehen bevorzugte.334 Anzumerken ist auch, dass Heshusius den Sozietätsgedanken mit denselben Bedeutungsinhalten Melanchthons bis zu seiner Zeit in Helmstedt in allen Zeugnissen konstant beibehalten hat. Darum enthalten sowohl der Widmungsbrief von 1557 an Johann Friedrich II. („Adde, quod Psalmi muniunt totam ciuilem societatem, Ecclesiastica, Politica, Oeconomica officia non solum ornant testimonio, sed etiam grauissima doctrina instruunt ac praecepta sapientiae plena proponunt“335) und sein Kommentar über den Römerbrief von 1570336 als auch sein großer Psalmenkommentar von 1586 folgende nem stand insonderheit befohlen /  weder Geistlichen noch Weltlichen /  auch an keine Person noch Ort /  an kene gaben noch Ampt gebunden /  sondern vnuerdinglich der Gemeine vnd allen Christen vbergeben. Ebd. M iiij; „Das eine Christliche Versam­ lung oder gemeine /  recht vnd macht habe /  alle lere zu vrteilen /  vnd Lerer zu beruffen […]  /  nicht allein der Weltlichen Oberkeit noch einigen stand allein /  sondern der christlichen Kirchen vbergeben vnd auffgetragen habe.“ Ebd. O iiijv. 332  Vgl. W. Elert, Societas bei Melanchthon (wie Anm. 178), S. 110 ff. 333  Postilla (wie Anm.  137), Euangelium am tage der Himmelfarth Jesu Chrsti / Marc. 16. Bl.  S. 5. 334  Anzumerken ist hier aber, dass Heshusius zwar die Kirche unter Verwendung des aristotelischen Begriffes von societas, das heißt, die Kirche in Analogie zu einer menschlichen Gesellschaft zu verstehen beschreibt, definierte jedoch sie nicht im Sinne der naturrechtlichen Körpergemeinschaft. Vgl. dazu den Abschnitt Gemeindeprinzip. 335  P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 138. 336  „Hi tyranni sunt vere organa Satane, per quae turbat imperia et ciuilem so­ cietatem.“ Römer 13 (wie Anm. 137), S. 391b; „Distinguant ergo pij inter ordinem qui à Deo est et salutaris est societati humanae, vt sunt leges, iudicia, functiones, poenae, contractus, bella, legitima, disciplina, distinctio dominiorum: et inter personas quae saepè sunt vasa irae, et organa Satanae.“ Römer 13 (wie Anm. 137), S. 392; „vel minus turbare societatem humanam, quam vel seditiosus, vel adulter, vel fur, vel homicida, delinquit contra Deum; et nocet vitae hominum.“ Ebd. S. 393b; „sunt autem causae grauisimae cur velit Deus externis sceleribus delinquentes contra Deum, et societatem humanam turbantes ciuili corporali poena per magistratum adfici.“ Ebd. S. 398b; „Si quis debet alteri, nec soluit tamen, magistratus cogit eum ciuili poena, haec enim iustitia et seueritas pertinet ad conseruationem humanae societatis.“ Ebd. S. 400.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius95

Worte: „Hac vero seueritate principes et magistratus, non solum vti debent contra eos, qui externis sceleribus turbant hominum societatem, quales sunt.“337 Dieser Begriff trat also in Heshusius’ Obrigkeitslehre nie in den Hintergrund. Die Gründe dafür liegen wohl wie bei anderen Spätreformatoren auch in seinem unermüdlichen Versuch, den spätmittelalterlichen Dualismus zwischen „Staat“ und Kirche einerseits, Staatsomnipotenz und Theokratievorstellung338 andererseits zu widerlegen, wie dies in den weiteren Abschnitten gezeigt werden soll. Subsumierend lässt sich sagen, dass Heshusius wie sein Lehrer Melanchthon in seinem societas-Begriff die antike Tradition übernommen und sie mit den reformatorischen Grundprinzipien verbunden hat.339 bb) respublica340 Auch diesen häufig für die Obrigkeit gebrauchten Begriff verwendet Heshusius sehr oft im Sinne von Melanchthon (dessen Begriffsvorstellung Elert341 herausgearbeitet hat). In seinen unterschiedlichen Verwendungen342 lässt sich der Begriff bei Heshusius folgenden Kontexten zuordnen: (1)  Mitunter verwendet er den Begriff der respublica im Sinne einer öffentlichen Angelegenheit ohne notwendigen Bezug auf ein bestimmtes Staatswesen. Kirche und Universitäten sind darin inbegriffen. In dieser Anwendungsform schwingt das auf zeitgenössische Verhältnisse projizierte stolze, aber auch verantwortungsbewusste Staatsgefühl des antiken Staats337  Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 326b; „Caetus et comitia et societates hominum non casu coeunt.“ Ebd. S. 325–325b; „ipse tamen Deus stat in coetu Dei et seruat leges, disciplinam, pacem et societatem hominum.“ Ebd. S. 325b; „scelera quae so­ cietatem humanam perturbant, inuitat, sed et Satanae viam aperit tumultuandi in politia.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 388b. 338  W. Elert, Societas bei Melanchton (wie Anm. 178), S. 106. 339  Vgl. W. Elert, Societas bei Melanchthon (wie Anm. 178), S. 110 ff.; I. Deflers, Lex und Ordo (wie Anm. 300), S. 177. 340  Zu Geschichte der Begriffsvorstellung respublica ausführlich vgl. W. Mager, Republik (wie Anm. 59), S. 549–651; ders., Respublica und Bürger. Überlegungen zur Begründung frühneuzeitlicher Verfassungsordnungen, in: G. Dilcher (Hg.), Res publika. (Der Staat Beiheft 8), 1988. S. 67–94. 341  Vgl. W. Elert, Zur Terminologie der Staatslehre Melanchthons und seiner Schuüler (wie Anm. 178). 342  Zu bemerken ist, dass er diesen Begriff wie bei Luther in verschiedenen Synonymen gebraucht: „Erstlich ist alhie zumercken /  das der Herr Christus /  der eingeborne Son Gottes mit seinem herlichen Göttlichen zeugnis das Keyserthumb /  das ist /  die Weltliche Obrigkeit /  alle Regiment /  Gericht Straffe: stende /  Empter vnd Handwercke /  so zu Keyserthumb gehören /  bestäeiget vnd bekrefftiget.“ Postilla (wie Anm. 138), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mat. 22. Bl.  129.

96

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

bürgers, wie er u. a. bei Cicero343 chrakterisiert ist, mit. Heshusius spricht z. B. von Heil, Frieden, Ruhe, Freiheit und Gerechtigkeit der respublica: „quod sua dissensione non solum pacem publicam et Reipublicae foelicem statum infringat, uerum etiam tristissimorum uulnerum Ecclesiae sanationem et salutarem in religione concordiam et pulcherrimum consensum.“344 (2)  Am häufigsten jedoch bezeichnet Heshusius mit dem Begriff der res­ publica, den er an einigen Stellen wiederum als Synonym zu senatus bzw. Obrigkeit verwendet,345 eine selbständige Verbandseinheit, also ein vinculum societatis. Diese wird chrakterisiert als Träger der gesellschaftlichen bzw. menschlichen Ordnung im Sinne der anderen vincula societatis, insofern sie Gesetze, Gerechtigkeit, Wissenschaft, Friede, Disziplin sowie die Kirche einschließt. Aus diesem Grund erwähnt Heshusius respublica immer zusammen mit anderen vincula societatis: „Id est, homines peruersos, improrsus […] voluntatibus potentum posse accommodare quibus religio, veritas, Ecclesia, schola, respublica, iustitia, non est curae.“346 Er gebraucht den 343  Dazu vgl. J. Christes, Populus und res publica in Ciceros Schrift über den Staat, in: E. Richter / R. Voigt / H. König (Hg.), Res Publica und Demokratie. Die Bedeutung von Cicero für das heutige Staatsverständnis. Baden-Baden 2007, S. 85– 103. Hier S. 90 ff. 344  Zitiert nach P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 133; „Doctrinae diuinitus pate factae, quae summa Religione est adseruanda […] ut paci publicae perniciosam odio prosequatur. ebd., S. 132; „Tùm vt pendamus tributa, vectigalia, reditus, prestemus alacri animo labores à Magistratu pro necessitate temporis et in salutarem rei publicae nobis iniunctos“ Römer 13 (wie Anm. 137), S. 395.; „quia vulpina essentia, et monachorum simulatione regunt animi morbum […] nec saluti Ecclesiae neq; reipublicae“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 390. 345  „Honestus vir, et amicus noster vetus Arnoldus Harden exhibuit mihi confessionem Senatus et Ecclesiae, quae filio Dei in patria mea colligitur“ EKAW Gefach 2, 1. 4; „cum graui detrimento Ecclesiae et Reipublica in vestris articulis mutari sinas, quantum in te est.“ Ebd. „sed sexto die Maji severe et crudeliter mandavit Senatus, ut a munere docendi abstinerem, et amovit me atrocibus verbis ab inspecione hujus Ecclesiae.“ P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 56.; „Qua igitur impudentia, quo scelere Senatus me nunc pellat in exilium et perturbarit hanc ecclesiam.“ Ebd. S. 56; „Fouentur multae sectae et Senatus multiplici negligentia peccat.“ Ebd. S. 54. 346  „Id est, homines peruersos, improbos […] voluntatibus potentum posse accommodare quibus religio, veritas, Ecclesia, schola, respublica, iustitia, non est curae.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 389b.; „Intereà vel non tanguntur cura Eccle­ siae, scholarum, Reipublicae, pacis, legum, disciplinae subditorum.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 327.; „Superbi verò non student nec gloriae Dei, nec saluti Ecclesiae neq; reipublicae, sed omnia ad suum fastum dirigunt premunt alios vt ipsi soli emineant et ambitione saepe turbant Ecclesiam et respublicam.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 390.; „Verè enim sunt hostes Ecclesiae acerbissimi, et pestes reipub­ licae nocentissimi“. Ebd. S. 391; „quod sua dissensione non solum pacem publicam et Reipublicae felicem statum infringat […] ac Euangelij ad alias nationes et ad posteritatem propagationem magno cum scelere impediat et tanquam pestis sit Rei­



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius97

Begriff respublica also häufig in Verbindung mit dem reformatorischen Glaubensgrundsatz an einen von Gott gestifteten Grundriss rechtlicher Institutionen, die der Mensch aufgrund seiner Begabung zur Ordnung übernehmen und ausgestalten kann und deren Aufgabe darin besteht, nicht nur für pax publica zu sorgen, sondern auch als custos legis der Kirche hospitium und domicilium zu gewähren: „darumb dann jederzeit die weltliche Oberkeit wissen sol /  das fürnemlich in jr ampt gehöret /  das jre vnterthanen /  mit Gottes wort trewlich versorget /  die Prediger vnterhalten vnnd die reine lehre erhalten werde /  vnnd also die Kirche Gottes ein friedliche wonung vnter jrem schutz haben möge.“347 Diese Verwendung kommt in seinem Psalm-Kommentar zum Ausdruck: „Verè enim sunt hostes Ecclesiae acerbissim, et pestes reipublicae.“348 (3) Heshusius versteht respublica ebenfalls sehr häufig als Synonym zu civitas als das personale Gefüge der freien, politische handelnden Bürger im Sinne der römisch-rechtlichen Verfassungslehre, die die societas civium für einen Rechtsverband ansah und den cives alle obrigkeitliche oder richterliche Gewalt zugestand. Nach dieser Auffassung, die sich mit der Aura römischer Bürgertugend und Vaterlandsverbundenheit umgibt, ist respublica also eine Stadtrepublik römischer Rechtsradition349: „Superbi verò non student nec gloriae Dei, nec saluti Ecclesiae neq; reipublicae, sed omnia ad suum fastum dirigunt premunt alios vt ipsi soli emineant et ambitione saepe turbant Ecclesiam et respublicam. Marius ex ambitione excitat ciuile bellum in republica Rom.“350 In diesem Sinn fällt der Gebrauch von respublica häufig publicae et Ecclesiae a potentissimis principibus et praecipuae authoritatis doctoribus accusari,“ in: P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 133; „Siue enim te angit communis Ecclesiae calamitas et impendens periculum siue et Reipubl[licae] labentis miser status excruciat […]“ ebd. S. 138.; „Si quis sola incrustatione illa et morborum dissimulatione sperat Ecclesiae con sultum iri, hunc necesse est aut non uidere uulnera Ecclesaiae aut ijs non adfici, eumque posthabito Christi regno tantum de Reipub[licae] tranquillo statu esse sollicitum.“ Ebd. S. 139–140; „Honestus vir, et amicus noster vetus Arnoldus Harden exhibuit mihi confessionem Senatus et Ec­ clesiae, quae filio Dei in patria mea colligitur“ EKAW Gefach 2, 1. 4; „cum graui detrimento Ecclesiae et Reipublica in vestris articulis mutari sinas, quantum in te est.“ EKAW Gefach 2, 1. 4.; „Respublica floret, squalet Ecclesia.“ P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 54; „Ideo florere rempubl[icam] dixi. Sed tristis est facies Ecclesiae“ ebd. 347  Examen Theologicum (wie Anm.  137), Bl. Tt 5; Oratio funebris (wie Anm. 166), S. 10; „Tandem precatur Deum pro conseruatione et salutari statu politiarum […] fouere studia doctrinarum, et omnia reipublicae ornamenta promouere, vt inter homines sancta Dei Ecclesia colligatur, et Deus vocé nostra celebretur.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 325. 348  Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 390b–391. 349  W. Mager, Republik (wie Anm. 59), S. 559. 350  Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 390; Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 328.

98

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

mit patria zusammen: „Honestus vir, amicus noster vetus Arnoldus Harden exhibuit mihi confessionem Senatus et Ecclesiae, que filio Dei in patria mea colligitur.“351 Heshusius bezeichnet deshalb an einigen Stellen seine Heimatstadt Wesel als Vaterland: „Si Ecclesiae quae in patria est necessites postularet.“352 Bei der Beschreibung der Aufgabe, die der Obrigkeit als Garant rechtlicher Institution zukommt, verwendet Heshusius häufig den Begriff „Obrigkeit“ in Verbindung mit „Vaterland“: „Darum auch ein Christ nicht allein mit gutem gewissen /  solchen Oberstandt füren kan /  ein Oberkeit /  ein Bürgermeister /  ein Rathsherr sein /  die sachen für vnnd im gericht handeln /  darinnen vrteilen Krieg füren /  zur rettung des vaterlandes /  Sondern auch der jene /  so das richtliche ampt verwaltet /  in aller furcht Gottes /  das er damit dem vaterland /  der Kirchen Gottes /  vnd der gantzen gemeine /  nützlich dienet vnd vorstehet.“353 Aus dem Gebrauch der Terminologie um respublica, civitas, patria lässt sich folgern, dass nicht nur Heshusius’ Obrigkeitsterminologie, sondern auch sein Herrschaftsverständnis antike Wurzeln hatte.354 Dabei ist zu beachten, dass Heshusius’ Vorstellungen weder einem patriarchalischen Obrigkeitsstaat, in der die weltliche Obrigkeit allein die höchste Gewalt innehat und öffentliche Angelegenheiten nur als solche der Herrschenden betrachtet werden, noch einer Oligarchie bzw. Aristokratie nach aristotelischem Begriff gleichkommen. Vielmehr stellte sich Heshusius einen zwar geschichteten, aber von grundsätzlicher politischer Gleichberechtigung gekennzeichneten Bürgerverband, nämlich ein gemeindlich strukturiertes, gleichberechtigtes bürgerliches Regiment, vor. Darin kommt die summa po­ testas den drei Ständen status politicus, status ecclesiasticus und status oeco­ nomicus gleichermaßen zu. Alle öffentlichen Angelegenheiten gelten als Sache aller freien, politische handelnden Bürger. Deshalb heißt es in seiner an den Bürgermeister und die Ratsherren von Magdeburg gerichteten Schrift: „ /  Wann nu von auffstellung vnd annemung eines Pfarherns oder Predigers ist beratschlagt /  vnd die nota in der Gerbkammer colligirt worden sindt /  haben jmmerdar die Bürgermeister /  Kemmerer vnd Rathmannen die ersten stimmen in der sachen gehabt /  vnd hat ohn jhr consens vnd verwilligung nichts könne geschlossen werden. Diese Christliche nützliche ordnung /  hat meines wissens niemandt von vns Predigern angefochten […].“355 Die Rats351  EKAW 352  Ebd.

Gefach 2, 1. 4.

353  Examen 354  W.

Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 3–Tt 3b. Elert, Zur Terminologie der Staatslehre Melanchthons (wie Anm. 178),

S. 526. 355  D. Tielemanni Heshusij andere notwendige verantwortung /  wieder der verfolger vnnd falschen prediger zu Magdeburg grausame Schmachschrifft /  vnter dem vermeinten titel Notwehr ausgangen. Magdeburg 1564 [HAB Wf. 228.7 Theol. 14].



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius99

herrschaft sei, so Heshusius, also auf den Konsens der Kirche und Bürgerschaft angewiesen und an wenigstens in Krisenfällen aktivierbare Möglichkeiten der Partizipation gebunden. Die aktive Teilnahme der Bürgergemeinde am Stadtregiment sei durch Wahl, Kontrolle und Mitsprache ermöglicht,356 und insbesondere solle der Magistrat lediglich als ein vertretender Hauptstand des nach drei Herrschaftsständen geordneten Gemeinwesens angesehen werden, damit alle Grundsatzentscheidungen von dieser ebenfalls nach drei Herrschaftsständen gegliederten Bürgergemeinde mitgetragen und im kooperativen Diskurs mit den anderen beiden Herrschaftsständen, nämlich Bürgerschaft und Kirche getroffen werden können. Heshusius beschreibt hier das Herrschafts- und Ordnungsmodell der so genannten „konsensgestützten Herrschaft“,357 die sich zwar am Gemeinwohl orientiert, aber letztlich auf Gott ausgerichtet ist. Ein solches Herrschafts- und Verfassungsmodell sieht Heshusius in einzelnen Städten wie Ulm, Magdeburg und Lübeck bereits verwirklicht, so dass er diese als civitas bezeichnet: „Ut in Germania nostra multae amplae et potentes civitates, Argentina, Ulma, Ratispona, Brunsv­ vicum, Magdeburgum, Lubecum.“358 Hervorzuheben ist, dass Heshusius zur Rechtfertigung seine Theorie die „konsensgestützte Herrschaft“ in Verbindung mit der Dreiständelehre bringt: „Zum Neunden /  in der alten Kirchen bald nach den Aposteln /  ist der Welt­ lichen Oberkeit Consens vnd verwilligung in dere erwelung vnd bestetigung der Seelsorger /  so gar nicht gesucht noch gefoddert worden /  das sie alten Consens /  die man Apostolicos nennet /  vnd kein zweiuel ist […] Also lautet der alte Canon […] Das ist /  so ein Bischoff mit hüllfe der weltlichen fürsten / mechtig wird der Kirchen /  der werde entsetzt /  vnd vom brauch der Sacrament abgesondert /  Er /  vnd alle die mit jhm gemeinschafft haben […] Damit nu nicht etliche Gottlose vnd geitzige Leute /  durch Geschenck oder heucheley gegen den Gewaltigen /  die Bischoffliche Empter an sich brechten /  vnd hernach predigten /  was den Tyrannen gefiel /  nur das sie die Bl. E iiij–E iiijv. Im Folgenden Notwehr; „Die Weltweisen vnd Philosophie haben wetliche Obrigkeit /  als eine feine Ordnung /  wol etwas gerühmet /  denn sie haben gesehen /  das die Welt one solche ordnung nicht stehen könne.“ Auslegung vber den XIX Psalm Dauids. Jena 1571 [HAB H 14 Helmst 4° 8]. Bl. Ov. Im Folgenden Psalm 19. 356  Vgl. A. Kroker, So machet solches eine democratiam. Konflikt und Reformbestrebungen im reichsstädtischen Regiment Goslars 1666–1682 (Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar Goslarer Fundus 50), Bielefeld 2001, S. 160–161; dies., Goslarer Verfassungsgeschichte in der Frühen Neuzeit, in: C. H. Hauptmeyer / J. Rund (Hg.), Goslar und die Stadtgeschichte. Forschungen und Perspektiven 1399– 1999 (Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar 48), Bielefeld 2001, S. 123–135. 357  A. Kroker, So machet solches eine democratiam (wie Anm. 356), S. 141 ff. 358  In prophetam Jesaiam commentarius Tilemanni Heshusii, in: Johannis Olearii (Hg.), Halae Saxonum 1617. [HAB 4° Jh 78]. S. 461. Im Folgenden Jesaja 49.

100

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Pfründen behielten /  vnd von der Gemeine sich nehren möchten /  haben die Allten mit dem Canone solchem vnheil fürkomen wollen. Jtziger zeit hats viel ein andere meinung /  da sich die Chrisltiche Oberkeit zum heiligen Euangelio bekennet /  vnnd ein fürnemes Gliedmas ist der Christlichen Kir­ chen. Derwegen sie sampt vnd mit der gemeine Gottes in erwelung der Prediger vnd Seelsorger zustimmen […] wenn der Weltlichen Oberkeit die wahl vnd beruffung der Prediger zu stendig gewesen were /  würd er keinsweges seine gewalt /  hoheit vnd herrschafft also haben schwechen lassen vnd sein Ampt dem Volck vbergeben.“359 Es wird deutlich, dass sich die so genannte politica christiana zumindest seit Mitte des 16. Jahrhunderts als dritte politiktheoretische Kraft herausgebildet haben muss und als eigenständige Richtung des politischen Denkens von Tacitismus, Aristotelismus und einer dem J. Althusius folgenden calvinistischen Ausrichtung deutlich unterschieden ist.360 Aus diesem Zusammenhang erhellt, dass bei Heshusius der Begriff civis mit respublica korreliert, entsprechend dem Verhältnis von subditus und magistratus. Die cives sind für ihn zwar, sofern sie einen magistratus haben, subditi. Daraus folgt jedoch nicht, dass alle subditi auch cives seien. Heshusius kannte wie Melanchthon diese Unterscheidung des römischen Rechts.361 (4) Statt respublica im Sinne civitas begegnet dem Leser an vielen Stellen im Werk des Heshusius auch der Begriff politia, der die gesetzliche Ordnung der civitas im Sinne eines Rechtsverbandes bezeichnet, nach welcher die einen regieren und die anderen gehorchen.362 Hier gebraucht Heshusius also politia als Synonym zu societas civiles, und dies immer dann, wenn der Gehorsamsanspruch der magistratus gegenüber den subdi­ tis betont wird: „Monet ergò principem debere pietate et virtute praeire si volelt esse felix in gubernatione, et obedientes habere subditos, princeps impius, et flagitijs se contaminans non solum alios ad simile vitae genus, et scelera quae societatem humanam perturbant, inuitat, sed et Satanae viam aperit tumultuandi in politia.“363 Diese Ansicht kommt auch in seiAmpt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. N viiiv–O ii. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik im Luthertum? (wie Anm. 54), S. 264. Dort Anm. 31. 361  Vgl. dazu W. Elert, Zur Terminologie der Staatslehre Melanchthons (wie Anm. 178), S. 526–527. 362  Vgl. W. Elert, Zur Terminologie der Staatslehre Melanchthons (wie Anm. 178), S. 528. 363  Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 388b; „Si quis mundi imperia aspiciat, et singulas examinet politias, non aliam gubernationis formam inueniet.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 326; „Tandem precatur Deum pro conseruatioe et salutari statu poli­ tiarum, vt ipse Deus excitare velit sapientes et bonos gubernatores: reprimere tyran359  Vom 360  L.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius101

nem Psalm-Kommentar zum Ausdruck: „Vt salutaris sit status Reipublicae et aliquid boni in politia geri possit, a Deo adsiduis presibus petendum esse.“364 Wie Melanchthon oder Johann Gerhard kennt auch Heshusius die feinere Differenzierung von politia im Sinne des Aristoteles.365 Er gebraucht politia deshalb nicht nur als den status reipublicae,366 sondern sehr häufig auch im Sinne von Regiment und Administration, d. h. Ordnung und Verwaltung einer Herrschaft.367 Deshalb heißt es in seiner Magdeburger Schrift: „als gewisse ordnung vnd process im Gericht /  gewisse vnterscheidene straffe /  gesetze von Erbscheidung /  von Testamenten Policey ordnung vnd dergleichen /  weltlichen gesetzen der Oberkeit die Vnterthanen nicht weniger schuldig sind zu gehorsamen /  denn wenn sie Gott selbst hette im Gesetz ausgedruckt […] Darumb Moises selbst in seinem Regiment muste auch Policey ordnung machen /  von straffen vnd Erbscheidungen /  vnnd wenn ein newer fall kam /  dauon kein gesetz war aus gedruckt /  muste er ein new gesetz auffrichten. Dieweil wir Christen nu durch die ankunfft Christi von allen Policey ordnungen vnnd Kirchengesetzen Moisis gefreyet sind /  mus vnser Oberkeit die gewalt haben /  gesetz vnd ordnung zu machen die zu erörterung der jrrigen sachen /  vnd zur Regierung nötig sind.“368 norum audaciam: largiri pacem: conseruare disciplinam: tueri iudicia: fouere studia doctrinarum, et omina reipublicae ornamenta promouere, vt inter homines sancta Dei Ecclesia colligatur, et Deus vocè nostra celebretur.“ Ebd. S. 325.; „PRimùm docet Spritus sanctus, regna et politias non casu enatas esse, neq; humana sapientia constitutas: sed Deum omnipotentem authorem esse imperiorum et totius politici ordninis, qui velit certos homines suo loco praeesse alijs, ius dicere inter homines et populos certis regere legibus.“ Ebd. S. 325.; „Vt salutaris sit status Reipublicae et aliquid boni in politia geri possit, a Deo adsiduis precibus petendum esse.“ Ebd. S. 328. 364  Ebd. S. 328. 365  W. Elert, Zur Terminologie der Staatslehre Melanchthons (wie Anm. 178), S. 528. 366  „Tandem precatur Deum pro conseruatioe et salutari statu politiarum, vt ipse Deus excitare velit sapientes et bonos gubernatores: reprimere tyrannorum audaciam: largiri pacem: conseruare disciplinam: tueri iudicia: fouere studia doctrainarum, et omina reipublicae ornamenta promouere, vt inter homines sancta Dei Ecclesia colligatur, et Deus vocè nostra celebretur.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 325. 367  „PRimùm docet Spritus sanctus, regna et politias non casu enatas esse, neq; humana sapientia constitutas: sed Deum omnipotentem authorem esse imperiorum et totius politici ordninis, qui velit certos homines suo loco praeesse alijs, ius dicere inter homines et populos certis regere legibus.“ Ebd. S. 325; „Vt salutaris sit status Reipublicae et aliquid boni in politia geri possit, a Deo adsiduis precibus petendum esse.“ Ebd. S. 328. 368  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B viiv–B v iii; „ /  als gewisse ordnung vnd proces im Gericht /  gewisse vnterscheidene straffe /  gesetze von Erbscheidung /  von Testamenten Policey ordnung vnd dergleichen /  weltlichen gesetzen

102

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

(5) Heshusius versteht unter dem Begriff der respublica auch die Herrschaftsordnung im abstrakten Sinne soweit er die allgemeinen öffentlichen Angelegenheiten des Landes bezeichnet: „Vt salutaris sit status Reipublicae et aliquid boni in politia geri possit, a Deo adsiduis presibus petendum esse.“369 (6) Als deutsche Entsprechung der respublica nutzt Heshusius häufig den institutionell-politischen Begriff „gemein“ bzw. Gemeinde, das heißt Bürgergemeinde. Der Begriff bezieht sich in der Regel auf das städtische Wohl, aber auch auf die dörfliche Gemeinschaft als Korporation. Gemeinde bezeichnet im eigentlichen Sinn die Versammlung der (männlichen) Bürger mit eigenem Hausstand und besteht vor allem aus den drei Ständen der Kirche – status politicus, status ecclesiasticus und status oeconomi­ cus  ­– deren Gemeinde(versammlung) als beschließendes Organ der Bürgerschaft einer Stadt oder der Bewohner eines Dorfes vielfältige Formen gemeinsamen Handelns sanktionierte, von der Festsetzung des Erntebeginns bis hin zu politischen Aktionen. In dieser Lesart kommt dem Begriff res­ publica die Bedeutungskomponente vom „gemeinen nutz“ bzw. „Gemeinwohl“ zu: „quod sua dissensione non solum pacem publicam et Reipubli­ cae foelicem statum infringat […].“370 Als freie Varianten treten die Ausdrücke „gemeiner friede“371 oder „bürgerlicher friede“ auf: „Das andere ampt der weltlichen Oberkeit /  ist […] vnd gemeinen frieden zuerhalten […] Daranch das die Oberkeit dafür sorge /  vnnd daran sey /  das bürgerli­ che friede.“372 der Oberkeit die Vnterthanen nicht weniger schuldig sind zu gehorsamen /  denn wenn sie Gott selbst hette im Gesetz ausgedruckt.“ Ebd. Bl. B viiv. 369  Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 328; „Vt salutaris sit status Reipublicae et aliquid boni in politia geri possit, a Deo adsiduis precibus petendum esse.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 328; „His principibus saluis consistit status Reipublicae, et hostes timent eam conuellere.“ Ebd. S. 327; „Da hat S.F.G. den zuestand beide der kirchen, Schuelen vnd landregierung durchaus verwirret vnd verdrehet befunden […] damit sie wiederum inn den Stande gebracht wurden.“ Oratio funebris (wie Anm. 166), Bl. 51. 370  P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 133; „sondern suche den gemeinen nutz / vnd rette die Freyheit der Bürger.“ Postilla (wie Anm. 137) Fünfftzen Passionspredigt  / vom Leiden vnd Sterben vnsers Herrn vnd Heilandes Jhesu Christi. Die neunde Passionspredigt (Matth. 27), Bl. K iii. 371  „auff das die Gerechtigkeit / gemeiner friede /  vnd gute zucht gehand habet.“ Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt3.; „ / damit Gott verunehret wird /  vnd der gemeine friede vnter den leuthen verunrüget.“ Ebd. Tt 4; „Das andere ampt der weltlichen Oberkeit /  ist das recht handzuhaben /  vnd gemeinen frieden zuerhalten.“ Ebd. Tt 4b; „Das wir schuldig sind /  Gott von hertzen zudancken für die bestellung vnser lieben oberkeit /  als für einen sonderlichen schutz gemeines friedes.“ Ebd. Tt 5b. 372  Ebd. Bl. Tt 4b–Tt 5.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius103

Aus dem Vorgenannten ergibt sich, dass Heshusius den Begriff respublica zwar in der antiken, insbesondere aristotelischen Tradition in Gestalt aristokratischer Herrschaftsvorstellungen präsentiert, ihn jedoch zumeist in Verbindung mit der Dreiständelehre als Herrschafts- und Ordnungskonzept verwendet. Hierbei ist an den in drei Ständen der Kirche, status politicus, status ecclesiasticus und status oeconomicus geschichteten, aber von grundsätzlicher politischer Gleichberechtigung gekennzeichneten Bürgerverband im Sinne der „konsensgestützten Herrschaft“ gedacht.373 Nur innerhalb dieses Konzepts wird die so genannte aktive Teilnahme der Bürgergemeinde am Stadtregiment durch Wahl, Kontrolle und Mitsprache gesichert und ermöglicht: „Mit dem Wort gemeine schließe ich zwar die Oeberkeit nicht aus /  wen sie sich mit zu Christo /  vnd seiner leer bekennet.“374 cc) respublica christiana Neben respublica greift Heshusius in seinen Äußerungen zum Thema Obrigkeit häufig auf den Begriff respublica christiana zurück. Anders als später im 17. Jahrhundert375 interpretiert Heshusius diesen Begriff nicht als eine Gesamtheit der christlichen Staaten bzw. Gesellschaften, sondern wie Luther als einen corpus christianum in spätmittelalterlicher Einheitsvorstellung, d. h. als einen überstaatlichen Einheitsverband der kirchlichen Christenheit, dem die christlichen Staaten, Städte und Dörfer natürlich als solche eingegliedert sind: „ein Herr vnd Heupt seiner Kirche sey /  vnd sendet Aposteln /  propheten /  Pfarherrn vnd Lerer /  nit der weltlichen Oberkeit insonderheit /  besondern der gantzen Christenheit /  vnd heiligen Gemein an einem jedern ort da Christen sind /  voll gewalt vnd macht gegeben /  Prediger vnd Seelsorger zu welen vnd aufzustellen.“376 Gemeint ist damit nicht die mittelalterliche Theokratievorstellung, sondern ein eigenständiger, sich 373  Obwohl die Gemeinde in der Praxis kein Kollektiv von Gleichrangigen bildete und auch nicht nach modernen demokratischen Prinzipien funktionierte, erschöpfte sich ihre Bedeutung nicht einfach darin, ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Ungleichheit abzubilden. Vgl. R. Hildebrandt, Rat contra Bürgerschaft (wie Anm. 49), S. 221–241. Hier S. 236; W. Mager, Republik (wie Anm. 59). 374  Gründtliche wiederlegung der abwitzigen vnnd Lesterlichen Protestation Doct. Frantzen Pfeil syndici der altern Stadt Magdeburg. Magdeburg 1564 [HAB Wf. 228. 7 Theol. 15]. Bl. Dv. Im Folgenden Gründtliche wiederlegung. 375  W. Elert, Zur Terminologie der Staatslehre Melanchthons (wie Anm. 178), S. 529. 376  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. M iiiv–M iiiij.; „ /  nicht allein der Weltlichen Oberkeit noch einigen stand allein /  sondern der christlichen Kirchen vbergeben vnd auffgetragen habe /  vnd das derhalben ein jede Gemeine /  an einem jeden ort /  mit Recht befugt sey Prediger zu welen vnd zu beruffen /  wenn gleich keine regierende Person sich zur Warheit an dem ort bekennete.“ Ebd. Bl. O iiijv.

104

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

selbst steuernder institutioneller Organismus, der von der weltlichen Herrschaft geschützt, aber nicht geleitet werden soll.377 An anderer Stelle setzt Heshusius für dieses Konzept die Begriffe univer­ sa ecclesia378 und totus orbis christianus379 ein: „Primum itaque sciendum est complecti Psalmos totum doctrinae Christianae corpus et de omnibus articulis, qubibus salus nostra continetur integre concionari […] Vtque a Propheta uniuersa Ecclesiae doctrina aptissimo ordine proposita discenda est.“380 Mitunter spricht Heshusius hierbei auch einfach von Kirche: „das sie mügen Herren sein der Christenheit /  vnd nach jhrem eigen willen Prediger auff vnd abzusetzen /  recht haben /  sondern werden die gantze Gemeine jre Freiheit vnd Gerechtigkeit /  gern vnperturbiret lassen besitzen vnd gebrauchen.“381 Am häufigsten versteht Heshusius unter respublica christiana ein Gemeinwesen bzw. einen korporativen Bürgerverband in Verbindung mit der Dreiständelehre, deren drei Stände der Kirche, status politicus, status eccle­ siasticus und status oeconomicus gleichberechtigt und nebeneinander und wechselseitig zur Harmonie und Wohlfahrt des Gemeinwesens beitragen, d. h. also die societas humana bzw. societas civilis als corpus christianum, sowohl auf städtischer und territorialer als auch auf Reichsebene382: „Summa der Herr Christus sitzet zur Rechten Gottes im Himmel /  regieret die gantze Welt /  sihet auff die gantze Kirche /  auff alle Prediger vnd Lerer /  auff alle Obrigkeiten vnd Regenten /  auff alle Hauuater vnd Hausmütter.“383 377  Vgl. T. Simon, Gute Policey. Ordnungsbilder und Zielvorstellungen politischen Handelns in der Frühen Neuzeit (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 170), Frankfurt a. M. 2004, S. 146. 378  P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 135; „et mediatorem ac defensorem uniuersae Ecclesiae.“ ebd., S. 134; „Oro autem filium Dei, custodem vniuersae Ecclesiae“ ebd. S. 221. 379  „Cerete gemitus vnius piae mentis sitien-tis veritatem apud Ecclesiae ministrum pluris fieri debebat quam vniuersi orbis uel gratia vel furor ac odium“ Ebd. S. 220, 221, 217; Römer 13 (wie Anm. 137), S. 398. 380  P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 135. 381  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. P viv. 382  „Die Keiser aber greiffen in die Geistliche Iurisdiction. Mit solchem schein haben sie grewlich Blutvergiessen im Deutschenlande angerichtet.“ Postilla (wie anm. 137), Fünfftzen Passionspredigten /  vom Leiden vnd Sterben vnsers Herrn vnd Heilandes Jhesu Christi. Bl. E 6. Mit dieser Charakterisierung der Gegenüberstellung vom weltlichen und geistlichen Regiment im Sinne der Dreiständelehre macht Heshusius deutlich, dass der Kaiser eben nur ein Teil der christlichen Gesellschaft als corpus christianum neben der anderen beide Teile ist. 383  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am tage der Himmelfarth Jesu Chrsti /  Marc. 16. Bl. S 5; „das Gott niemand anders die gewalt Prediger oder Seelsorger zu beruffen vnnd zuerwelen vbergeben […] solchs aber ist der gantzen Christenheit /  vnd nicht einem besondern Stand vbergeben. Darumb offenbar /  dz die Christen an



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius105

Diese respublica christiana-Vorstellung kommt an anderer Stelle deutlich zum Ausdruck. In seiner an Heinrich Julius gewidmeten Postilla hieß es: „Nun sol aber alhie niemand gedencken /  das der HERR Christus allein den Pfarherrn vnd Kirchendienern diesen rath vnd befehl gegeben habe /  Sondern vielmehr allen Menschen auff Erden /  was Standes vnd wirden sie sind […] Prediger vnd Seelsorger […] Also auch ein Weltlicher Regent /  hohes oder nidriges Standes […] Gleicher gestalt gilt dieser befehl vnd Regel den Hausvätern vnd Müttern /  Kindern vnd Gesinde /  den Gott wol /  das allen Menschen zur seligkeit gedienet werde. Ein Handwercker /  Ackerman /  Hausvater /  Hausmutter Kind vnd Gesind sol von jugend auff dahin bedacht sein.“384 Allerdings ist anzumerken, dass Heshusius in Bezug auf das Gemeinwesen hinsichtlich der Herrschafts- und Ordnungsvorstellung im Unterschied zu Melanchthon385 mehr gemeindlich als nur aristokratisch denkt. Deshalb wird an einigen Stellen hinsichtlich der Trägergruppe des Wahlverfahrens der Begriff „Gemeinde“ bzw. „Kirche“ synonym zu „Volk“ verwendet: „das die Christliche Gemeine macht habe /  Seelsorger on verwilligung der Weltlichen Oberkeit zu erwelen. Also leret auch Lutherus im Büchlin wie man Diener der Kirchen welen […]  /  das dem Volck gebüre zu welen /  denn dis sind seine wort. Der Papisten Priester werden ohn verwilligung vnd wahl des Volcks eingesetzt.“386 „Volk“ tritt hierbei auch in Konjunktion zum welchem ort sie sind / freyheit /  gewalt vnd recht haben / Seelsorger zu welen […].“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. M VV; „ /  nicht allein der Weltlichen Oberkeit noch einigen stand allein /  sondern der christlichen Kirchen vbergeben vnd auffgetragen habe /  vnd das derhalben ein jede Gemeine / an einem jeden ort /  mit Recht befugt sey Prediger zu welen vnd zu beruffen /  wenn gleich keine regierende Person sich zur Warheit an dem ort bekennete.“ Ebd. Bl. O iiijv. 384  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matths.6. Bl. 86. 385  Vgl. E. Winkler, Melanchthons Amtsverständnis, in: U. Sträter (Hg.), Melanch­ thonsbild (wie Anm. 117), S. 41. 386  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. O iiiv; „Zum dritten /  Das er die Kirche nach gottes wort regiere /  nicht als ein Herr vbers Volck /  sodnern als der fürnemest Diener /  der für die Gemeine wachen soll.“ Ebd., D vv; „Das eine Christliche Versamlung oder gemeine /  recht vnd mach thabe /  alle lere zu vrteilen /  vnd Lerer zuberuffen /  ein vnd ab zu setzen […]  /  nicht allein der Weltlichen Oberkeit noch einigen stand allein /  sondern der christlichen Kirchen vbergeben vnd auffge­ tragen habe /  vnd das derhalben ein jede Gemeine /  an einem jeden ort /  mit Recht befugt sey Prediger zu welen vnd zu beruffen /  wenn gleich keine regierende Person sich zur Warheit an dem ort bekennete.“ Ebd. O iiij–O iiijv; „ /  der gantzen Gemei­ ne zu predigen /  oder auff die Cantzel zu steigen /  vnd das Volck zu leren /  des ein oder zween sind nicht die gantze Gemeine.“ Ebd. Bl. P viii; „Wenn aber jemand auff eines Bürgers oder zweier befehl fur dem gantzen Volck wollte aufftreten (von welchen fall Lutherus redet. Hervorhebung durch Heshusius)“ Ebd. l. Q; Postilla (wie Anm. 137) Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl.  86–87b; „Ein

106

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Begriff „Untertan“: „Der Heilige Geist lehret /  Das Weltliche Obrigkeit kein Viehehirten Ampt füre /  Noch allein auff die zeitlichen Guter vnd Narung bescheiden sey /  vnd dieselbigen allein zu reigeren habe /  Sondern sey viel mehr Gotes Stadthalterin /  vnd gebüre jhr wegen Ampts /  das sie darob sey /  do mit jr volck vnd Vnterthan /  recht von Gott vnterrichtet werde.“387 Heshusius stellt deshalb „Obrigkeit“ und „Volk“ gegenüber: „ /  das die Weltliche Oberkeit an vielen Orten in diesem Stück sehr fahrlessig ist /  vnd dem Volck Heidnische Abgötterey gestadtet.“388 Dem Begriff „gemein“ wird an vielen Stellen die „weltliche Obrigkeit“ oder der „Magistratus“ gegenübergestellt.389 In diesem Fall bezeichnet er nur die Regierten: „Darumb auch die Gemeine Gottes /  vber der Oberkeit nachlessigkeit in diesem fall jungsten Gericht hefftiglich wird klagen“.390 Prediger sol dahin sehen /  das er fleissig studiere /  das Volck trewlich vnterrichte.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl.  88.; „ /  wenn nicht Gott von Himmel die Regiment erhielt /  friede gebe /  die Volcker zum gehorsam brechte /  alle Kongireiche vnd Furstenthme musten zu boden gehen.“ Hauptartickel. Christliche Lehre /  ordentlich in Predigten gefasst. Allen Gleubigen vnd rechtschaffenen Christen /  so nach dem rund jres Glaubens mit ernst forschen /  vnd die vnuerfelschte warheit Gottes von Herten lieb haben /  sehr nutzlich zulesen. Helmstedt 1584 [HAB Wf. 434. 18. Theol. 2°] Bl. 149. Im folgenden Hauptartickel.; „ /  gibt trewe Gottselige Prediger /  die dem Völkclin Gottes erkentniss fürtragen /  die heilsame Warheit fleissig leren vnd pfaltzen.“ Der Prediger zu Bremen (wie Anm. 155), Bl.  F; „ /  die das arme Völcklin mit jhrer falscher Lere vergrifften.“ Ebd. Bl. F ii; „Wenn die Leut wollen offentlichen Abgötterey treiben […] Gottes Wort verachten vnd lestern /  falsche Lehr vnter das Volck sprengen /  da gebüret der Obrigkeit die Leute zunötigen /  das sie müssen from werden.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am II. Sontage nach Trinitatis Luce. 14. Bl. 19. 387  Sechs Hundert Jrthumb /  lügen vnd Gotteslesterung /  welche die Romischen papstliche Kirche /  als des Endte christs Synagoga wider Gottes Wort /  vnd fast alle Heupt Articul Chrislticher Lere /  halsstarrigi vnd freuentlicher Lere verthedidiget. Muhlhausen 1588 [HAB Wf. 740. Theol.]. Bl. Z vii–Z viiv. Im Folgenden Sechs Hundert. 388  Trewe Warnung /  für den Heidelbergischen Calunischen Catechismum /  sampt weiderlegung etlicher jrthumen desselben. Erfurt 1564 [HAB Wf Yk 76. 8° Helmst. 2]. Bl. J iiij. Im Folgenden Trewe Warnung.; „Quòd ad officium magistratus pertineat, vt curet populum rectè doceri: prohibeant falsa dogmata et impios cultus: praebeant hospitia Ecclesae.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 328; „sed Deum omnipotentem authorem esse imperiorum et totius politici ordinis […] ius dicere inter homines et populos certis egere legibus.“ Ebd. S. 325. 389  „Der Rath mus sich fürchten für der Gemeine.“ Postilla (wie Anm. 137), Fünfftzen Passionspredigten /  vom Leiden vnd Sterben vnsers Herrn vnd Heilandes Jhesu Christi. Die neunde Passionspredigt. Bl. K v. 390  Vrsach vnd Grundt / Warumb (wie Anm. 128), Bl.  B ii; da die Gemeinen mit den Personen vnd jrer lere zu frieden bestellen /  vnd vnterhalten […] Das aber nu die gemeine Gottes in christo Jesu beruffen die freyheit /  macht vnd gerechtigkeit habe /  Prediger oder Kirchendiener zubeurffen /  zuwehlen vnd auffzustellen /  ist leichtlich aus Gottes wort zubeweisen. Der gemeine zu Corintho /  da die Oberkeit



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius107

Im Zusammenhang mit der Frage, wem das ius vocandi innerhalb eines Gemeinwesens zustehe, kommen auch häufig die Begriffe „Christenheit“, „Gemeinde“ bzw. „Christliche Kirche“ und „Volk“ bzw. „Volk Gottes“ im Rahmen der Dreiständelehre als gleichbedeutend ins Spiel: „da sich die Christliche Oberkeit zum heiligen Euangelio bekennet /  vnnd ein fürnemes Gliedmas ist der Christlichenn Kirchen. Derwegen sie sampt vnd mit der gemeine Gottes in erwelung der Prediger vnd Seelsorger zustimmen […] wenn der Weltliche Oberkeit die wahl vnd beruffung der Prediger zustendig gewesen were /  würd er keinsweges seine gewalt /  hoheit vnd herrschafft also haben schwechen lassen vnd sein Ampt dem Volck vbergeben /  […] Aus diesen Argumentis vnd gewissen gründen erscheinet nun gnugsam /  das die wahl vnd beruffung der Seelsroger nicht zur Weltlichen Regierung gehöret /  sondern vom Son Gottes Jesu Christo der lieben Kirchen GOTes /  mechtiglichen vbergeben sey […] Dieser Artieckel /  Nemlich das die Bawren setzen /  eine gantze Gemeine sol macht haben einen Pfarherrn zuwelen […]  /  das die Chrisltiche Gemeine macht habe /  Seelsorger on Verwilligung der Welltichen Oberkeit zu erwelen […]  /  das dem Volck gebüre zu welen /  denn dis sind seine wort. Der Papisten Priester werden ohn verwillgung vnd wahl des Volcks eingesetzt […] Das eine Christliche Versamlung oder gemeine /  recht vnd macht habe /  alle lere zu vrteilen /  vnd Lerer zu beruffen […]  /  nicht allein der Weltlichen Oberkeit noch einigen stand allein /  sondern der christlichen Kirchen vbergeben vnd auffgetragen habe.“391

Ebenfalls räumte Heshusius mit Verweis auf die Dreiständelehre beispielsweise der Gemeinde nicht nur beim Wahlverfahren einen Teilhabeanspruch ein,392 sondern gestattete ihr auch bei der Kontrolle des Stadtreginoch Heidnisch war […] der gantzen gemeine zu Corinth befhel /  vnd volkomene gewald /  Prediger vnter jnen zu wehlen /  vnd die Oberkeit nicht ein mal drübm zubegrüssen […] Jst der gemeine erleubt gewesen /  Prediger in Heusern auffzustellen /  da die Oberkeit gantz Heidnisch. Wie viel mehr sol es der Gemeine frey vnd zugelassen sein /  bei Christlicher Oberkeit.“ Dr. Tielmanni Heshusij notwendige entschuldigung /  vnd gründliche verantwortung /  wider den etlicheten Bericht /  des Raths der alten Stad Magdebrugk /  von der Ausführung der Prediger daselbst. Magdeburg 1562 [HAB Wf. 228. 7. Theol. 2] Bl. P 3–P 3b. Im Folgenden Notwendige entschuldigung. 391  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 157), Bl. O–O iiijv; „ /  das sie mügen Herren sein der Christenheit.“ Ebd. Bl. P viv. 392  „ /  das er ohn alle besprechung vnd Consens /  der Gemeine nach eignem gutdüncken allein sollte die Stedte mit Eltersten besetzen /  vnd der Kirchen Prediger fürstellen /  sondern das er mit rath /  wissen vnd willen der Kirchen /  allenthalben solches verrichten sol /  vnd die Gemeine dahin vermanen vnd halten /  das sie neben jm richtige Personen zum Kirchendienst erwelen.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. P viv; „Wenn die wahl der Prediger /  das oberste Gericht in Kirchen sachen /  die Regierung der Kirchen einem stand allein /  entweder der weltlichen Oberkeit /  oder den Geistlichen vbergeben were /  wollte daraus folgen.“ Ebd. Bl.  M viii; „So ists offenbar /  das die wahl /  beruffung /  vnd bestellung der Kirchendiener nicht stehe bey der Oberkeit / “ Ebd. Bl. N vi; „Vnd diese höheste vnd letzte Execution des Predigampts /  stehe nicht bey der Oberkeit /  die niemands aus der Kirchen

108

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

ments mehr Kontrollbefugnis.393 Somit ist die Teilung von Herrschaft als ein Charakteristikum für Heshusius’ Gemeindebegriff zu bezeichnen. Aus dem gleichem Grund erlaubte Heshusius häufig auch der Gemeinde bzw. dem Volk selbst die Kritik an der Obrigkeit: „Darumb auch die Ge­ meine Gottes /  vber der Oberkeit nachlessigkeit in diesem fall am jungsten Gericht hefftigklich wird klagen.“394 Es lässt sich also beobachten, dass in Heshusius’ respublica christiana-Auffassung Luthers Ständelehre – neben vielfältigen anderen antiken naturrechtlich-humanistischen Elementen – eine wichtige Rolle zukam.395 dd) imperia (1) Am häufigsten erscheint dieser Begriff als Synonym der civiles so­ cietas bzw. respublica christiana im Sinne einer von Gott gestifteten Herrhat zu bannen /  sonderen bey der Gemeine Gottes.“ Ebd., Bl.  N viv.; „ /  da sich die Christliche Oberkeit zum heiligen Euangelio bekennet /  vnd ein fürnemes Gliedmass ist der Christlichen Kirchen. Derwegen sie sampt vnd mit der gemeine Gottes in erwelung der Prediger vnd Seeslorger zustimmen […] Aus diesen Argumentis vnd gewissen gründen erscheinet nun gnugsam /  das die wahl vnd beruffung der Seelsorger nicht zur Weltlichen Regierung gehöret /  sondern vom Son Gottes Jesu Christo der lieben Kirchen GOTes /  mechtiglichen vbergeben sey.“ Ebd. Bl. O–O ii; „Dieser Artickle /  Nemlich das die Bawren setzen /  eine gantze Gemeine sol macht haben einen Pfarherrn zuwelen vnd entsetzen.“ Ebd. Bl. O iii; „Das eine Chrisltiche Ver­ samlung oder gemeine /  recht vnd macht habe /  alle lere zu vrteilen /  vnd Lerer zu beruffen /  ein vnd ab zu setzen.“ Ebd. Bl. O  iiij; „ /  nicht allein der Weltlichen Oberkeit noch einigen stand allein /  sondern der christlichen Kirchen vbergeben vnd auffgetragen habe /  vnd das derhalben ein jede Gemeine /  an einem jeden ort /  mit Recht befugt sey Prediger zu welen vnd zu beruffen /  wenn gleich keine regierende Person sich zur Warheit an dem ort bekennete.“ Ebd. Bl. O iiijv; „Matth. 18 vbergibt der Herr Christus nicht der weltlichen herschafft /  sondern seiner Gemeine das höheste gericht /  vnd gewalt in Kirchen sachen /  vnter welchen fast die furnembsten sind /  die wahrl vnd beruff der prediger /  vnd das vrteil vber der Lere /  vnd die vntrewen Lerer abzusetzen […] Wer die Gemeine nicht hören /  den sol man als einen verbaneten Heiden vnd Zölner halten […]  /  sondern das die Gemeine in allen Kirchen sachen /  Censuren /  Kirchenstraffen /  die spaltung in der lere zu vrteilen /  die Pfardienst zubestellen.“ Notwendige entschuldigung (wie Anm. 390), Bl. P 3b.–P 4; „Eine gantze gemeine soll macht haben einen Pfarhern zu erwehlen vnd zu entsetzen.“ Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. E; „Das aber nach Lutheri bekentnis /  die gemeine Gottes macht habe Pfarhern zu wehlen“ Ebd. Bl.  E ii. 393  „Der Rat mus sich fürchten für der Gemeine“. Postilla (wie Anm. 137), Fünfftzen Passionspredigten /  vom Leiden vnd Sterben vnsers Herrn vnd Heilandes Jhesu Christi. Die neunde Passionspredigt. Bl. K v. 394  Vrsach vnd Grundt / Warumb (wie Anm. 128), Bl.  B ii. 395  Hierbei anzumerken ist, dass ein weiterer, von der humanistischen Idee getragener und von Melanchthon modifizierter Nachbarbegriff wie „societas christiana“ nirgendwo in den Schriften Heshusius’ zu finden ist.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius109

schaft bzw. politischen Ordnung. Deshalb findet sich der Begriff imperia häufig im Kontext der ordinatio, also einer Anordnung Gottes: „Hi tyranni sunt vere organa Satane, per quae turbat imperia et ciuilem societatem: ipsum Deum contumelia adficere conatur. Nihilominus ipsa imperia quaegerunt, suntà Deo. Elias execratur impium tyrannum Achab, vt idolatram et contemptorem verae religionis: Ipsum tamen imperium Achab venerator Elias, vt ordinationem Dei: paret legibus subijcit se iudicijs, et Deum orat pro conseruatione regni.“396 An anderer Stelle bezeichnet er imperia gleichbedeutend mit der politischen Ordnung selbst: „Alioquin imperia lena sunt confusionum, turbarum et seclerum. Ipsi boni principes sunt insigne Dei donum […] et tam variae Satanae insidiae, subindè turbantis politicum ordinem.“397 (2)  imperia wird von Heshusius weiterhin als eine der vincula societatis, d. h. als eine selbständige Verbandseinheit zum salus societais humanae bzw. als einen Grundriss rechtlicher Institutionen der societas hominum bzw. civilis aufgefasst. Deshalb findet sich dieser Begriff immer wieder im Kontext des vincula-Katalogs: „Distinguant ergo pij inter ordinem quià Deo est et salutaris est societati humanae, vt sunt leges, iudicia, functiones, poenae, contractus, bellas legitima, disciplina, distincito dominiorum […] Ipsam potestatem seu imperium, quòd vnus aut plures praesunt multitudini: quod alij subiecti sunt aliorum imperio.“398 396  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 391b. Allerdings kommt diese Synonymität bei Melanchthon noch deutlicher zum Ausdruck: Etsi vera est haec sentientia, tamen nondum satis de causa civilis societatis seu imperiorum dixit. Vgl. CR Bd. 21, 991; „ita et de ordine politico rectè erudit mentes, ostendit quis constituat, transferat et conseruet imperia […] Et licet multi tyrannidem exerceant in imperijs: tamen quantum beni adhuc reliquum est in imperijs, vt sunt iudicia, leges, poenae scelerum, legitima bella, sunt insignia Dei dona, et vt Paulus vocat, ordinatio.“ Römer 13 (wie Anm. 137), S. 389–390b; „agnoscit ordinem politicum esse Dei donum, et Deum precatur, vt pacem et successum in imperio largiatur.“ Ebd. S. 391b; Deus stat in coetu, est praecipuus rex et magistratus: ipse transfert et consituit regna; Dan: 2. In ipsius manu sunt omnia imperia […] Etsi igitur saepè immanes tyranni et scelerati homines ad se rapiunt imperia. Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 325b. 397  Pslam 101 (wie Anm. 302), S. 388b; „sed Deum omnipotentem authorem esse imperiorum et totius politici ordinis.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 325. 398  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 392; „Necessaria est in Ecclesia doctrina de politico magistratur. Cum enim Ecclesia in hac vita inter homines colligatur, et egeat cibo, potu, hospicio, defensione, legibus, iudicijs, sciri necesse est, à quo sint impe­ ria: quis ea constituerit, conseruet et regat.“ Ebd. S. 388b; Et licet multi tyrannidem exerceant in imperijs: tamen quantum beni adhuc reliquum est in imperijs, vt sunt iudicia, leges, paenae scelerum, legitima bella, sunt in signia Dei dona, et vt Paulus vocat, ordinatio.“ Ebd. S. 389–390; „Mvltorum animi turbantur, eò quòd vident tantum esse confusionum et scelerum: vident teterrima saepè portenta praeesse impe­ rijs, que nec leges, nec honestatem, nec scholas, nec Ecclesiam, nec Rempub.“ Ebd.

110

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

(3) An einigen anderen Stellen bedeutet der Begriff der imperia schlicht das römische Kaiserreich: „Sub Galieno imperatore 30. Tyranni adfectarunt imperium tumultus contra imperatorem per totum impium concitarunt, sed omnes dederunt poenas, tristem sortiti exitum.“399 (4)  Ebenfalls steht imperia bei Heshusius synonym zur Amtsgewalt bzw. Befehlsgewalt mit Gehorsamsanspruch oder auch zum magistratus im Sinne von Gewalt, der von Gott gestiftet ist: „Haec monet Paulus, cum dicit: Quae enim potestates sunt, à Deo ordinatae sunt; ideò qui potestati resistit, Dei ordinationi resistit: Ipsam potestatem seu imperium.“400 ee) ordo politicus In Heshusius’ Definition des ordo politicus zeigt sich, dass seine Ansicht über den Sozietätsgedanken deutlich unter dem Einfluss von Melanchthons eigener Lehre des ordo politicus stand. In jenem wiederum drückte sich eine ganze Reihe von verschiedenen Traditionen in einer neuen Systematik aus, wie Huschke in seiner Studie deutlich herausgestellt hat: So z. B. die aristotelische Lehre von der Verwirklichung der menschlichen Natur durch politische Praxis, die mittelstoisch-ciceronische Oikeiosis-Lehre von den dem Menschen eignenden Kenntnissen (notitiae), die paulinische Lehre vom Gehorsam gegenüber den bestehenden Behörden.401 Bei Heshusius lässt sich der Begriff folgenden Kontexten zuordnen: (1) Heshusius versteht den Begriff ordo politicus als politische Ordnung im Sinne von Luthers Ständelehre als einen politischen Stand mit eigener Würde und Selbständigkeit, die auf dem Willen Gottes für das Heil des Menschen gegründet und eingesetzt bzw. gestiftet worden ist. Er versteht ihn also wie auch die anderen beiden Ordnungen nur als einen Stand. Deshalb findet sich dieser Begriff sehr häufig als weltliche Obrigkeit bzw. magistratus im Sinne der lutherischen Dreiständelehre: „Es ist keine Ober­ keit /  sie ist von Gott. Dan. 2. Gott vom Himmel hat dir König /  Königreiche /  Macht  /  Strecke vnd Ehre gegeben. Diese Ordnung hat Gott also gefallen /  das Er auff Erden eingesetzt hat Könige /  Fürsten /  Herren /  Oberkeit /  S. 390b–391; „Que cum expendunt transuersi saepè abripiuntur vt existiment ipsa imperia, quae maximè premunt innocentem Ecclesiam, et sceleratissimis concedit impunitatem non esse à Deo.“ Ebd. S. 391. 399  Ebd. S. 398; „Interea quod praerat imperia Diocletianus, puniebat seditionsos, bellis arcebat hoswtes, ius decebat, Dei erat ordinatio. Ebd. S. 392. 400  Ebd. S. 392; „ Atq; etiam bonos gubernatores tetra committere errata: dubitat ratio, nec certi quidquam statuere potest, num imperiorum constitutio sit à Deo. Ebd. S. 389. 401  R. B. Huschke, Melanchthons Lehre (wie Anm. 177), S. 143 ff.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius111

Bürgermeistern /  Ratsherren /  Scheppen /  Richter.“402 Diese Auffassung zeigt sich in seinem Römerbriefkommentar noch deutlicher: „Docet totum ordi­ nem politicum et omnem magistratum esse à Deo constitutum, et congruere sapientiae dinina.“403 (2)  Mitunter verwendet Heshuisus den Begriff ordo politicus in der Tradition der paulinischen Lehre von der Erkennbarkeit Gottes aus den Schöpfungswerken als ein Ding der Natur, mit anderen Worten als eine Teilordnung der von Gott geschaffenen Gesamtordo aller Dinge. Deshalb wird der Begriff ordo politicus, als eine von Gott gestiftete politische Ordnung im Sinne der Ständelehre Luthers, immer wieder aus schöpfungstheologischer Sicht interpretiert: „Darumb sollen wir aus diesem Spruch lernen / das die Obrigkeit Gottes Geschöpf vnd Ordnung sey […] Aber das sol E.L. wissen /  das man Gottes ordnung /  Geschöpf vnd werck mus vnterscheiden.“404 402  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Tage Jacobi des Grössern /  Marci am 10. Capitel. Bl.  Ef 4; „Darumb auch ein Christ nicht allein mit gutem gewissen /  solchen Oberstand füren kann /  ein Oberkeit /  ein Rathsherr sein /  die sachen für vnnd im gericht handeln /  darinnen vrteilen krieg füren /  zur rettung des vaterlandes /  Sondern auch der jene /  so das richtliche ampt verwaltet /  in aller furcht Gottes /  das er damit dem vaterland /  der Kirchen Gottes /  vnd der gantzen gemeine /  nützlich dienet vnd vorsteht.“ Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 3b–Tt 4; „Die Weltweisen vnd Philosophie haben weltliche Obrigkeit /  als eine feine Ordnung /  wol etwas gerühmet /  denn sie haben gesehen /  das die Welt one solche ordnung nicht stehen könne.“ Psalm 19 (wie Anm. 355), Bl. Ov; „Dis gehet auff den Geistlichen Stand /  denn die Schrifft vergleichet die Prediger den Ackerleuten […] Dis kan fein auff den Weltlichen Stand der Obrigkeit gezogen werden /  denn die Schrifft vergleichet offt die mechtigen vnd starcken Regenten /  den starcken fetten ochsen vnd Farren […] Der dritte spricht /  er hab ein Weib genommen /  darumb könne er nicht kommen /  Hiermit wird die sicherheit vnd Gottlosigkeit des gemeinen Mannes gedeutet in dem vntersten Stande gehet es auch also zu.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am II. Sontage nach Trinitatis Luce 14. Bl. 16b–17b; Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am II. Sontage nach Trinitatis Luce. 14. Bl. 16b; Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl.  86; „Die Herrn Regenten so im Stand der Oberkeit“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Tage Mischaleis des Ertzengels / Matth. 18. Bl.  Kf 4. 403  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 389. 404  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mat. 22. Bl.  129; Ich bedinge voraus vnd ausdrücklich /  das ich allhie nicht schreibe wider die Weltliche Oberkeit /  welche ich ehre vnd liebe /  als ein Geschepff /  Werck /  vnd herrliche gabe Gottes“, Notwendige entschuldigung (wie Anm. 390), Bl. B 4b; „In hoc psalmo Spiritus sanctus alloquitur magistratum politicum et rectores orbis, ac docet, politicum ordinem a Deo constitutum esse.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 325; „Wer sich wider die Oberkeit setzet /  der wiederstrebet Gottes Ordnung“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Tage des Apostels Bartholome / Luce am 22. Bl. Gg 3; „Darumb ist das die rechte Ehre /  ds du in deinem hertzen erkennest /  die Obrig­ keit sey Gottes ordnung vnd wolthat.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mat. 22. Bl.  130; „Denn wie man im weltlichen Regiment

112

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

(3) Heshusius gebraucht ordo politicus zur Chrakterisierung der weltlichen Obrigkeit im Sinne der Ständelehre Luthers sowie in Anlehnung an die augustinische Tradition und die Autoren mittelalterlicher Fürstenspiegel.405 Auch Luthers Gedanke, den ordo politicus als Notordnung Gottes nach dem Sündenfall zu interpretieren, kommt bei Heshusius zum Ausdruck: „Ne igitur abijcias politicum ordinem propter confusiones quas Satan et eius organa inuehunt.“406 Damit stand Heshusius’ Ansicht über die politische Ordnung ganz wie jene eines Konrad Heresbach (1496–1576) in einer langen Tradition.407 (4) Heshusius versteht sehr häufig die politische Ordnung408 als unentbehrliche Institution der gesamten menschlichen Ordnung. Hier steht Heshusius erneut an Melanchthon orientiert in der Tradition der aristotelischen Lehre von der Verwirklichung der menschlichen Natur durch politische Praxis und der mittelstoisch-cieronischen Oikeiosis-Lehre von den dem Menschen eignenden Kenntnissen (notitiae). Darum versteht Heshusius unter dem Begriff ordo politicus immer wieder einen durch Gott zum Heil und Frieden der Menschen gestifteten Grundriss rechtlicher Institutionen der societas hominum bzw. civilis409 – „Staat“ bzw. Obrigkeit, Kirche, Ehe, Personen vnnd ampt mus vnterscheiden /  das ampt vnd die hoheit zu jeder zeit für Gottes geschepff vnnd ordnung mus erkennen.“ Gründtliche vnd bestendige widerlegung /  der grausamen vnartigen Calumnien M.Seigfridi Lügensacks /  Mgadeburgischen Schulmeisters. 1564 Magdeburg [HAB Wf. 228. 7 Theol. 17]. Im Folgenden M. Siegfridi Lügensacks. Bl. E iiijv. 405  Dazu ausfhrlich W. Stürner, Peccatum und potestas. Der Sündenfall und die Entstehung der herrscherlichen Gewalt im mittelalterlichen Staatsdenken. Sigmaringen 1987. 406  Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 328; „tanta est hominum malicia, et tam variae Satanae insidiae, subindè turbantis politicum ordinem.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 388b; „Aber da sol E.L. wissen /  das man Gottes ordnung /  Geschöpf vnd werck mus vnterscheiden von dem misbrauch vnd vnrodnung /  so der Teuffel anrichtet /  auch von den Personen /  so offt vom Teuffel regiert /  vnd in alle sünd vnd schand gefüret werden.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mat. 22. Bl.  129b. 407  Dazu vgl. V. Seresse, Politische Normen in Kleve-Mark (wie Anm. 219), S. 280. Dort Anm. 82. 408  Zur Definition des ordo politicus Melanchthons jüngst ausführlich I. Deflers, Lex und Ordo (wie Anm. 300), S. 178 ff. 409  „tanta est hominum malicia, et tam variae Satnae insidiae, subindè turbantis politicum ordinem.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 388b; „In hoc psalmo Spiritus sanctus alloquitur magistratum politicum et rectores orbis, ac docet, politicum ordinem à Deo constitutum esse et conseruari.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 325; „sed Deum omnipotentem authorem esse imperiorum et totius politici ordinis, qui velit certos homines suo loco prae esse alijs, ius dicere inter homines et populos certis regere legibus.“ Ebd.; „Nihil magnificentius neq; ausgustius de politico ordine dici potest.“ Ebd. S. 327b; „et petit vt ipse aeternus Deus velit esse custos et defensor



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius113

Eigentum, Vertragsrecht, Strafrecht – sowie die natürliche Veranlagung des Menschen zur Übernahme und Ausgestaltung dieser Institutionen bzw. der politischen Ordnung schlechthin: „Quod ordo politicus sit status vitae Deo placens, siquidem pro salutari gubernatione Dauid gratias agit Deo, et regnum suum vocat ciuitatem Dei, in qua ipse Deus sit praesens.“410 Es ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass bei Heshusius dieser antike Ansatz, der von der menschlichen Natur ausgeht, oder auch die antike Auffassung, dass der Mensch durch sein Mitwirken in der Polis zu seinem wahren Wesen kommt, stets an die reformatorischen Grundsätze geknüpft sind. Hierbei steht Heshusius in strenger Traditionen seines Lehrers Melanchthon411, der Rechtfertigungslehre (sola scriptura, sola fide) und christliche politici ordinis sui operis.“ Ebd. S. 328; „Ne igitur abijcias politicum ordine propter confusiones quas Satan et eius organa inuehunt.“ Ebd.;  /  vnd die nota in der Gerbkammer colligir worden sindt /  haben jmmerdar die Bürgermeister /  Kemmerer vnd Rathmann die ersten stimmen in der sachen gehabt /  vnd hat ohn jr consens vnd verwilligung nichts könne geschlossen werden. Diese Christliche nützliche Ordnung /  hat meines wissens niemandt von vns Predigern angeforchten.“ Notwehr (wie Anm. 355), Bl. E iiij–E iiijv; „ /  aus der Gottlichen zuhauff fugung vnd Erhaltung des ehrlichen Ehestandes […] /  dz solche heusliche regiment vnd richtliche ordnung in stedten vnd Landen […] /  Das ein Gott sey dem solche heusliche Regiment vnnd richtliche Ordnung gefalle /  Vnnd derwegen Er selbst /  den ehrlichen Ehestandt ordne […]Auch nach seinem willen Haus vnnd weltliche Regiment erhalte oder verendere.“ Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. 21–22. 410  Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 391; „tanta est hominum malicia, et tam variae Satnae insidiae, subindè turbantis politicum ordinem.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 388b; „In hoc psalmo Spiritus sanctus alloquitur magistratum politicum et rectores orbis, ac docet, politicum ordinem à Deo constitutum esse et conseruari.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 325; „sed Deum omnipotentem authorem esse imperiorum et totius politici ordinis, qui velit certos homines suo loco prae esse alijs, ius dicere inter homines et populos certis regere legibus.“ Ebd.; „Nihil magnificentius neq; ausgustius de politico ordine dici potest.“ Ebd. S. 327b; „et petit vt ipse aeternus Deus velit esse custos et defensor politici ordinis sui operis.“ Ebd. S. 328; „Ne igitur abijcias politicum ordine propter confusiones quas Satan et eius organa inuehunt.“ Ebd.; „Den Keyser vnd alle Weltliche Obrigkeit hat Gott von Himel auff Erden gestifftet vnd eingesetzt.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mat. 22. Bl.  130b; „ /  das wo Gott nicht werte vnd bere seiner ordnung hielete /  wurde kein Mensch auff erden vom ehestandt zusagen wissen. Aber das erwecket Gott erware hertzen /  die den Ehestand als eine lobliche ordnung hoch vnd werde achten.“ Hauptartickel (wie Anm. 386), Bl. O  iii; „ /  aus der Gottlichen zuhauff fugung vnd Erhaltung des ehrlichen Ehestandes […] /  dz solche heusliche regiment vnd richtliche ordnung in stedten vnd Landen […] /  Das ein Gott sey dem solche heusliche Regiment vnnd richtliche Ordnung gefalle /  Vnnd derwegen Er selbst /  den ehrlichen Ehestandt ordne […]Auch nach seinem willen Haus vnnd weltliche Regiment erhalte oder verendere.“ Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. 21–22. 411  Vgl. dazu R. B. Huschke, Melanchthons Lehre (wie Anm. 177), S. 140 ff.; I. Deflers, Lex und Ordo (wie Anm. 300), S. 177 ff.

114

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Schöpfungslehre mit den Lehren der Antike harmonisierte. Das heißt, die notitiae des Menschen haben ihren direkten Gottesbezug durch den Sündenfall verloren. Gott hat den ordo politicus als eine res a Deo ebenso wie die Dinge der Natur geschaffen. Sie sind also gute Schöpfungen Gottes, aber von sich aus kennt der Mensch diese Wahrheit nicht. Erst durch den Glaube erkennt er sie als solche. Das Wort Gottes bzw. der Heilige Geist machen dem Glaubenden die Institutionen als res a Deo offenbar. Deshalb betont Heshusius immer wieder die Grenze der ratio, wenn er die Thematik der weltlichen Obrigkeit behandelt. Im Zusammenhang mit der Frage, warum die biblische Obrigkeitslehre nötig sei, antwortet er folgendermaßen: Die Vernunft bzw. Philosophie könne die politische Ordnung gar nicht richtig und ausreichend erfassen: „Et si autem ratio ipsa aliquo modo intelligit ciuilem gubernationem, leges, iudicia, poenas, contractus, esse pulcherum ordinem, necessarium salutarem societati humanae: vnde apud Ethnicos commendationes elegantes huius ordinis leguntur: tamen nec conscientiam satis erudit Philosophia de his rebus, nec stabili sententia ostendit.“412 Ebenfalls zeigt sich diese Ansicht im Psalmen-Kommentar: „Humana sapi­ entia par non est politiae gubernationi, non videt in omni casu, et deliberatione, quid potissimum sequi oporeat saepissimè errat turpissimè, quando sibi imaginatur, quod sapeintissimè instituerit consilia.“413 (5) Heshusius verwendet den Begriff ordo politicus häufig in der paulinischen Tradition vom Gehorsam gegenüber den bestehenden Behörden, die in der Ausübung ihres Amtes einen göttlichen Auftrag erfüllen. Deshalb findet sich der Begriff ordo politicus immer wieder im Kontext der ordina­ tio, also einer Anordnung Gottes: „vt sunt iudicia, leges, poenae scelerum, legitima bella, sunt insignia Dei dona vt Paulus vocat, ordinatio.“414 Aus 412  Römer

13 (wie Anm. 137), S. 388b. 101 (wie Anm. 302), S. 387b; IN hoc psalmo Spiritus sanctus alloquitur magistratum politicusm et rectores orbis, ac docet, politicum ordinem à Deo consitutum esse et coseruari.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 325. 414  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 390b; „Contra hanc tentationem munit Apostolus Paulus mentes, et docet discrimen esse faciendum inter Dei ordinationem seu politicum magitsratum, et inter personas, et earum vicia. Ipse ordo politicus, et quidquid ad politicam gubernationem pertinet.“ Ebd. S. 391; „sed potius verò adfectu cordis agnoscimus magistratum politicum esse ordinationem diuinam eumq; bono nostro constitutum.“ Ebd. S. 394b; „QVòd politicus ordo, sit opus et ordinatio Dei, in qua Deus sit praesens, et quae curae sit Deo.“ Psalm 82 (wie Anm. 288), S. 328; Römer 13 (wie Anm. 137), S. 389; „Contra hanc tentationem munit Apostolus Paulus mentes, et docet discrimen esse faciendum inter Dei ordinationem seu politicum magitsratum, et inter personas, et earum vicia. Ipse ordo politicus, et quidquid ad politicam gubernationem pertinet.“ Ebd. S. 391; „sed potius verò adfectu cordis agnoscimus magistratum politicum esse ordinationem diuinam eumq; bono nostro constitutum.“ Ebd. S. 394b. 413  Psalm



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius115

diesem Grund wurde der Begriff magistratus mit dem Begriff ordinatio im Kontext des Begriffs ordo politicus gleichbedeutend verwendet. „Contra hanc tentationem munit Apostolus Paulus mentes, et docet discrimen esse faciendum inter Dei ordinationem seu politicum magitsratum, et inter personas, et earum vicia. Ipse ordo politicus, et quidquid ad politicam gubernationem pertinet.“415 Deshalb wurde die deutsche Entsprechung „politische Ordnung“ im Sinne von Obrigkeit als Synonym für konkrete Amtsträger bzw. Amtsinhaber verwendet: „Es ist keine Oberkeit /  sie ist von Gott […] Diese Ordnung hat gott also gefallen /  das Er auff Erden eingesetzt hat Könige /  Fürsten /  Herren /  Oberkeit /  Bürgermeistern /  Rathsherren /  Schep­ pen /  Richter.“416 ff) magistratus (1) Wie bei Melanchthon erscheint magistratus als Synonym zu ordo politicus: „Docet totum ordinem politicum et omnem magistratum esse à Deo constitutum, et congruere sapientiae dinina.“417 Sehr häufig bedeutet magistratus, wie oben bereits erwähnt, für Heshusius jenen von Gott gestifteten Grundriss im Sinne von Melanchthons Sozietätsidee, d. h. einen Träger und zugleich eine Hüterin418 der gesellschaftlichen Ordnung: „necessaria est in Ecclesia, doctrina de politico magistratu. Cum enim Ecclesia in hac vita inter homines colligatur, et egeat cibo, potu, hospicio, defensione, legibus, iudicijs, contractibus.“419 Also ist für Heshusius die Obrigkeit eine der ge415  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 391; „sed potius verò adfectu cordis agnoscimus magistratum politicum esse ordinationem diuinam eumq; bono nostro constitutum.“ Ebd. S. 394b. 416  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am tage der Himmelfarth Jesu Christi /  Marc. 16. Bl.  Ef 4; „Weltliche Oberkeit /  Keiser /  Könige /  Fürsten vnd Bürgermeis­ ter sind Lerer /  Diener vnd Schutzherrn des Göttlichen gesetzes.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B iiijv. 417  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 389. „Contra hanc tentationem munit Apostolus Paulus mentes, et docet discrimen esse faciendum inter Dei ordinationem seu poli­ ticum magitsratum, et inter personas, et earum vicia. Ipse ordo politicus, et quidquid ad politicam gubernationem pertinet.“ Ebd. S. 391; „sed potius verò adfectu cordis agnoscimus magistratum politicum esse ordinationem diuinam eumq; bono nostro constitutum.“ Ebd. S. 394b; „QVòd politicus ordo, sit opus et ordinatio Dei, in qua Deus sit praesens, et quae curae sit Deo.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 328. 418  „etiam actio in eum datur coram magistratus cogit eum ciuile poena, haec enim iustitia seueritas pertinet ad conseruationem humane societatis.“ Römer 13 (wie Anm. 137), S. 400; „Hac vero seueritate principes et magistratus, non solum vti debent contra eos, qui externis sceleribus turbant hominum societatem, quales sunt.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 326b. 419  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 388–388b; „Et si autem ratio ipsa aliquo modo intelligit ciuilem gubernationem, leges, iudicia, poenas, et contractus, esse pulch­

116

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

setzlich verfassten Formen politischer Ordnung bzw. ein Träger vieler Träger der politischen bzw. gesellschaftlichen Ordnung. Heshusius verwendet magistratus vor allem auch in Verbindung mit respublica420, an einer Stelle auch gleichbedeutend mit imperia421. rum ordinem, necessarium salutarem societati humanae.“ Ebd.; „Contra hanc tentationem munit Apostolus Paulus mentes, et docet discrimen esse faciendum inter Dei ordinationem seu politicum magitsratum, et inter personas, et earum vicia. Ipse ordo politicus, et quidquid ad politicam gubernationem pertinet.“ Ebd. S. 391; „sed potius verò adfectu cordis agnoscimus magistratum politicum esse ordinationem diuinam eumq; bono nostro constitutum.“ Ebd. S. 394b; „Primum, est agnoscere et sapientiam bonitatem Dei in constituendo ordine politico: amore Magistra­ tum vt ministrum Dei et custodem tuae vitae et facultatum.“ Ebd. S. 394b–395; „PLura quidem sunt discrimina inter politicum ordinem et ministerium Euangelij.“ Ebd. S. 396b; „etiam actio in eum datur coram magistratus cogit eum ciuile poena, haec enim iustitia seueritas pertinet ad conseruationem humane societatis.“ Römer 13 (wie Anm. 137), S. 400; „In hoc psalmo Spiritus sanctus alloquitur magistratum politicum et rectores orbis, ac docet, politicum ordinem a Deo constitutum esse.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 325; „Hac vero seueritate principes et magistratus, non solum vti debent contra eos, qui externis sceleribus turbant hominum societa­ tem, quales sunt.“ Ebd. S. 326b. 420  „Id est, homines peruersos, improbos […] voluntatibus potentum posse accommodare quibus religio, veritas, Ecclesia, schola, respublica, iustitia, non est curae.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 389b; „Intereà vel non tanguntur cura Eccle­ siae, scholarum, Reipublicae, pacis, legum, disciplinae subditorum.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 327; „Superbi verò non student nec gloriae Dei, nec saluti Ecclesiae neq; reipublicae, sed omnia ad suum fastum dirigunt premunt alios vt ipsi soli emineant et ambitione saepe turbant Ecclesiam et respublicam.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 390; „Verè enim sunt hostes Ecclesiae acerbissimi, et pestes reipub­ licae nocentissimi“. Ebd. S. 391; „quod sua dissensione non solum pacem publicam et Reipublicae foelicem statum infringat […] ac Euangelij ad alias nationes et ad posteritatem propagationem magno cum scelere impediat et tanquam pestis sit Rei­ publicae et Ecclesiae a potentissimis principibus et praecipuae authoritatis doctoribus accusari,“ in: P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 133; „Siue enim te angit communis Ecclesiae calamitas et impendens periculum siue et Reipubl[licae] labentis miser status excruciat siue premant.“ ebd. S. 138; „Si quis sola incrustatione illa et morborum dissimulatione sperat Ecclesiae consultum iri, hunc necesse est aut non uidere uulnera Ecclesaiae aut ijs non adfici, eumque posthabito Christi regno tantum de Reipub[licae] tranquillo statu esse sollicitum.“ Ebd. S. 139–140; „Honestus vir, amicus noster vetus Arnoldus Harden exhibuit mihi confessionem Senatus et Ecclesiae, quae filio Dei in patria mea colligitur.“ StA W Gefach 2, 1. 4; „cum graui detrimento Ecclesiae et Reipublica in vestris articulis mutari sinas, quantum in te est.“ StA W Gefach 2, 1. 4; „Respublica floret, squalet Ecclesia.“ P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 54; „Ideo florere rempubl[icam] dixi. Sed tristis est facies Ecclesiae“ ebd. 421  „Distinguant ergo pij inter ordinem qui à Deo est et salutaris est societati humanae, vt sunt leges, iudicia, functiones, paenae, contractus, bella legitima, disciplina, distinctio dominiorum: et inter personas quae saepè sunt vasa irae, et organa Stanae […] Quae enim potestates sunt, à Deo ordinatae sunt; ideò qui potestati resistit, Dei ordinationi resistit: Ipsam potestatem seu imperium, quòd vnus aut plures



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius117

(2) Am häufigsten aber gebraucht Heshusius magistratus, wenn er von weltlicher Obrigkeit, also als Hüterin der weltlichen Ordnung bzw. custos et executor legis, spricht. Deren Aufgabe besteht – gemäß Luthers Dreiständelehre422 – nicht nur darin, für die pax publica, sondern auch für die vera praesunt multitudini: quod alij subiecti sunt aliorum imperio, et legibus sunt adstricti, nominat ordinationem Dei.“ Römer 13 (wie Anm. 137), 392. 422  Zu bemerken ist, dass Heshusius ebenfalls wie Johann Gerhard die christliche Obrigkeit grundsätzlich personal versteht. Allerdings bevorzugt Heshusius mit seinem personalen Verständnis der Obrigkeit nicht wie Johann Gerhard die monarchische Staatsform, sondern wie sich im nächsten Abschnitt zu zeigen wird, aristokratische Staatsform. Vgl. M. Honecker, cura religionis (wie Anm. 182), S. 111. „vnd ist derwegen gantz fein vom Aristotele gesagt: Magistratus est custos Legis, die Oberkeit ist eine Hüterin des Gesetzes. Es füret aber die Oberkeit nicht das gantze Gesetz /  sondern nur ein stücklin desselbigen /  nemlich /  so viel die eusserlich ezucht vnd gehorsam belanget /  den die Weltliche Herrschaft richten kann.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 155), Bl. B iiijv–B v; „Hoc autem loco tradit Apostostus praecipuem haec mem­ bra de politico magistratu.“ Römer 13 (wie Anm. 138), S. 389; „Darumb erinnert auch alhie der HERR Christus den Keyser vnd alle Obrigkeit jres Ampts […]  /  tag vnd nacht für seine Vnterthanen sorget /  zucht vnd erbarkeit handhabet /  Gericht vnd Gerechtigkeit helt /  frieden schützet /  sünde vnd laster straffet /  dem vbel wehret /  Widwen vnd Waisen errettet /  den Armen vnd dürfftigen hilffet /  Kirchen vnd Schulen befördert.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage anch Trinitatis / Mat. 22. Bl. 129b.; „Mancher Fürst vnd Regent /  mancher Rath oder Amptman an sehe offt gerne /  das es allenthalben wol zugienge /  die Gerechtigkeit befördetn /  das vbel gestraffet /  die Armen geschützet /  jrrungen auffgehaben /  Vnrodnung abgeschafft /  Friede gestiffet /  vnd erhalten /  Kirchen vnd Schulen angerichtet würden /  gute Künste vnd tugend vnd Erbarkeit im schwange giengen.“ Euamgelium am Tage Mischaelis des Ertzengels / Matth. 18. Bl. Ji 3b; „Denn weil sie der geist Gottes in der schirfft Götter Nennet /  dazu pfleger /  neerer /  vnnd Seugamme der Christlichen Kirchen /  sol ihr Ampt nicht allein den Bauch versorgen /  sondern auch mit auff das Geistlich achtung geben /  vnd so vil jhr müglich verschaffen /  das die vnterthanen in Gottes wort recht vnterwiesen werden.“ Gründtliche widerlegung (wie Anm. 374), Bl. D iii; „Nachdem auch die Christlichen Regenten im Propheten Iesaja der Kirchen nehrer vnd pfleger: Vnd im Psa. Dauids götter genennet werden.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. O viiv; „Der Heilige Geist lehret /  Das Weltliche Obrigkeit kein Viehehirten Ampt fure /  Noch allein auff die zeitlichen Güter vnd Narung bescheiden sey /  vnd dieselbigen allein zu regieren habe /  Sondern viel mehr Gotes Stadthalterin /  vnd gebüre ihr wegen Ampts /  das sie darob sey /  do mit jr volck vnd Vnterthan /  recht von Gott vnterrichtet werde /  vnd die ob dem rechtschaffen Gottesdienst /  vnd der heilsamen Lehre mit ernst halte /  vnd ein nutritius Ecclesiae, nehrer der kirchen sey.“ Sechs Hundert Jrthumb (wie Anm. 373), Bl. Z vii–Z v iiv; „ /  das das Weltliche Regiment nicht allein diesem zeitlichen leben der Menschen /  vnd gemeinen friede /  sondern zu forderst Gott dienen solle.“ Ebd. Bl. Z viiv; „ /  Sondern will das sie auch in vnd mit jhrer gantzen Regierung Gott dienen sollen /  nemlich die heilsame Lehre des Euangelij handthaben vnd befordern /  Gottselige Lehrer beschutzen falsche Lehrer sampt jhrer Gottlosen lehre vonder Kirchen weg thun vnd abschaffen.“ Ebd. Bl. Z viii; „die Weltliche Obrigkeit sey das furnembste glied der Kirchen Christi /  […] Das solt wol ein tück sein vom Bepstlichen Keiserthumb /  von dem der liebe Lutherus lengst zuuor geweissagt.“ Notwendige entschuldigung (wie Anm. 390), Bl. P 2; „Doctor Frantz

118

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

doctrina zu sorgen und der Kirche hospitium und domicilium zu gewähren: „darumb dann jederzeit die weltliche Oberkeit wissen sol / das fürnemlich in jr ampt gehöret /  das jre vnterthanen /  mit Gottes wort trewlich versorget /  die Prediger vnterhalten vnnd die reine lehre erhalten werde /  vnnd also die Kirche Gottes ein friedliche wonung vnter jrem schutz haben möge“423. Die Obrigkeit fungiert nach Heshusius als Wächterin über das ewige Gesetz, lex Dei, lex naturae bzw. den Dekalog und die lex humana: „Weltliche Obrigkeit wie z. B. Kaiser, Könige, Fürsten und Bürgermeister seien Lehrer, Diener und Schutzherrn des göttlichen Gesetzes […] Gottes Gesetze an seiner Stelle zu verwalten und schützen und die Frommen zu verteidigen und die Bösen zu strafen vnd ist derwegen gantz fein vom Aristotele gesagt: Magistratus es custos Legis, die Oberkeit ist eine Hüterin des Gesetzes.“424 Pfeil /  als ein newer weltlicher Bapstesel /  vnd schreibt /  das die weltliche Oberkeit sey das furnembste glied der Kirchen /  welches doch jm nicht were einzureumen.“ Ebd. Bl.  P 2b; „ Als dan hat die Oberkeit /  […]  /  nicht als das furnembste glied /  sondern als mitgliedmassen.“ Ebd. P 4b; „ /  vnd die weltliche Oberkeit /  die Chrsitum rechtschaffen bekennet /  hat hiezu als ein fürnemes glied der Kirchen /  neben andern Eltesten vnd Pfarherrn /  fug vnd macht einzureden.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. K iiv; „ /  zweifel ich nicht diese predig werde desto mehr ansehens haben bei fromen christen weil E.E. als ein fürnemes glied der kirchen Jr zeügung geben.“ DJe Dritte Predig Das Der Heilige Geist Warer Allemchtiger Gott sey. Heydelberg 1559 [HAB J 205 Helmst. 4° 14]. Bl. A iiv. Im folgenden DJe Dritte Predig.; Von der wahl /  beruff vnd annemung der Seeslorger /  vnd Kirchendiener /  leren vnd bekennen wir /  das der Son Gottes Jesus Christus /  da er das Predigampt gestifft vnd geornet /  die gerechtigkeit vnd gewald Prediger zu wehlen vnd auffzustellen /  nicht der weltlichen Obrigkeit als Obrigkeit /  sondern seiner lieben Kirchen vnd Christli­ chen gemeinen /  gegeben /  vnd sie damit herrlichen verehret.“ Notwendige entschudlgung (wie Anm. 390), Bl.  P; „ /  auch die Oberkeit macht habe Prediger zubeurffen /  ohn Ortern da die Oberkeit Gottlos ist /  sonst hat Christliche Oberkeit gleiche stimme mit vnd neben andern Christen.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. M vii. 423  Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 5; „Ach, der kluege fromme Furst hat wol vorstanden, das dieses die aller groste vnd schonste zier der gemeinen Regiment sey, Wenn Gottes wahres erkentnus darinne leuchtet. Wenn die Kirche Gottes herberge bey Ihnen findet. Wenn Sie der Ehr Christi diene. Er hat Recht geurteilet, das ein land, also dann im aller besten zuestande sey, wenn das Volck vonn Gott Recht vnterreichtet vnd gelehret wirt. Wenn die himlische Gottliche Lehr mit Vleis getrieben vnd geubet wirt, Wenn man falscher lehr vnd [vnrechten. Hervorhebung durch Heshusius] Gottes diensten weder Raum noch Stadt leáet.“ oratio fvnebris (wie Anm. 166), S. Bl.  39–39 v; „Solche Predigt von der versünung mit Gott durch das Blut Christi /  führet die Oberkeit nicht /  denn jhr Ampt vnd Beruff ist nicht gerichtet auff das ewige leben /  sondern auff dieses  /  zu erhaltung der zucht /  vnd das die Kir­ che Gottes /  die hie auff Erden durchs Predigamt mus bekeret werden /  eine friedliche /  rugige wonung habe.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 137), Bl. B viiv. 424  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. Biiij; „Cum ergo Paulus dicit: Magistratum esse ministrum Dei, tibi in bonum: non tantum intelligatur de custodia externae pacis et diciplinae: sed etiam de cura et defeinsione religionis. Est enim Magistratus custos vtriusq; tabulae, quod ad externam discipinam attinet.“ Römer



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius119

Da aber Heshusius wie Melanchthon die reine Religion bzw. die konfessionelle Geschlossenheit als die wichtigste geistige Basis für das Bestehen eines politischen Gemeinwesens erachtet, steht die Sorge um die beiden Tafeln des Dekalogs bei Heshusius an erster Stelle der Regentenpflichten eines magistratus christianus: „Vnd sind fürwar grobe vnuernünfftige Leut /  die da fürgeben /  weltliche Oberkeit habe nichts mit der ersten Tafel der Gebot Gottes zu schaffen /  gleich als were Weltliche Oberkeit nicht mehr denn ein Viehirt /  der allein auff die narung des Bauchs sihet. Die Regiment sind darzu fürnemlich von Gott eingesetzt /  das sie dem Reich Christi dienen sollen /  darumb will jenen auch gebüren /  das sie Gotteslesterung /  öffentliche Abgötterey /  Zeuberey /  vnd falsche Lere straffen /  vnnd mit gewalt abschaffen.“425 (3) Heshusius bezeichnet mit magistratus auch eine Befehlsgewalt mit Gehorsamsanspruch: „quod omnis potestas seu Magistratus politicus sit à Deo.“426 Heshusius gesteht der Obrigkeit auch das ius reformandi zu, den Glauben ihrer Untertanen erzwingen zu dürfen: „Die Obrigkeit hat auch fug vnd recht die Vnterthanen zu zwingen /  das sie die Predigt Göttliches Worts besuchen /  vnd anhören müsen /  vnd alles /  dadurch der Gottesdienst verhindert /  vnd die Leute vom heiligen Predigampt abgehalten werden /  abzuschaffen.“427 Heshusius hat der Obrigkeit in Sachen der Religion und 13 (wie Anm. 137), S. 393b; „Vult enim Deus conseruari honestatem in mundo, magistratum vult esse executorem legis, qui sit terrori malo operi, verem probis nocet. (vt Seneca dixit.)“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 391; Postilla (wie Anm. 137), Mat. 22. S. 130b; „Denn die weltliche Oberkeit ist ein hüter vnd Schützherr /  beider tarffeln Moisis /  so viel die eusserliche zucht betrifft.“ Der Prediger zu Bremen (wie Anm. 155), Bl. Gv; „Darumb Moises selbst in seinem Regiment muste auch Policey ordnung machen von straffen vnd Erbscheidungen […]  /  muss unser Oberkeit die gewalt haben /  gesetz vnd Ordnungen zu machen /  die zu erörterung der jrrigen sachen vnd zur Regierung nötig sind […]  /  das sie mögen gesetz oder satzungen machen /  die dem Göttlichen gesetz vnd worte oder auch der vernunft zu wider sind.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B viiv–C; „Alterum quod in pio principe requiritur, est iudicium, natura et legum executici magistratum mandata est.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 388. 425  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B vv; „Quòd ad officium magist­ ratus pertineat, vt curet populum rectè doceri: prohibeant falsa dogmata et impios cultus: praebeant hospitia Ecclesae.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 328. 426  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 390, 389b; „Si magistratus obedientes expetit subditos, praeundum est ei pietate et virtute.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 391; 388b; 389; Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am ersten Sontage nach der Offenbarung / Luc. 2. Bl.  K 2b. 427  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am II. Sontage nach Trinitatis Luce 14. Bl.  19b; „Aber die heilige Schrifft gibt allererst der Obrigkeit jre gebürliche ehre /  vnd erhebt sie zu rechten wirde […] Also zwingt sie die vnterthanen zum rechten gehorsam /  Denn sie drawet den vngehorsamen vnd auffrührischen.“ Psalm 19 (wie Anm. 355), Bl. Ov.

120

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Kirche jedoch keinen unbegrenzten Herrschaftsanspruch zugesprochen. Vielmehr wird der Gehorsamsanspruch der weltlichen Obrigkeit sowohl in externa und interna ecclesiae, auf mehrfacher Ebene durch verschiedene Faktoren stark begrenzt. Hierauf werden wir in den nächsten beiden Abschnitten ausführlich eingehen. Es sei daher nur ein Beispiel genannt. In seiner Helmstedter Predigt äußert sich Heshusius im Zusammenhang mit seiner Auslegung „Gebt Gott was Gottes ist“ folgendermaßen: „Derwegen steckt hie der HERR Christus der Obrigkeit das ziel /  was vnd wie viel Gott jnen habe eingreumet /  vnd woran sie sich sollen genugen lassen /  vnd wie man vnserm HERRN Gott das seine auch geben solle /  welchs dann eine hohe /  heilsame vnd sehr verstehet /  greifft vber das ziel /  vnd gehet weiter denn jr gebürt /  vnd da sie sein sol eine dienerin gottes /  wird sie eine Zerstörerin des Reichs Christi. Denn viel hoher Potentaten /  weil sie das Schwerdt vnd jhre grosse gewalt haben /  lassen sie sich düncken /  sie mögen setzen ordnen /  gebieten /  machen was jnen gefelt vnd gut dünckt /  vnd jederman mus jnen gehorchen /  vnd sich für dem Schwerdt fürchten /  Befehlen /  ordnen vnd setzen also nicht allein in Weltlichen vnd zeitlichen sachen /  so jnen vntergeben sind /  sondern auch in Religion vnd Glaubens sache /  vnterstehen sich newe Götzen auffzurichten /  wie Nebucadnezar zu Babel: newe Religion zu machen /  wie Carolus Quintus das Jnterim den Stenden wolt auffdringen /  wie die Papistischen Fürsten vnd Bischoffedie Vnterthanen zwingen wollen Messe zuhören /  vnd nur einen Theil des Sacraments zunemen: Wie die Caluinistischen Fürsten jre Vnterthanen zu falscher Lehre […] Etliche Tyrannen gehen so weite /  das sie nicht allein die Religion nach jrem gutdüncken /  Örtern vnd richten wollen /  Sondern wollen auch vber die Natur und vernunfft /  vnd vber alle recht sein /  wie dann Demetrius ein Gesetz hat ausgehen lassen.“428

Heshusius erklärt also, die Obrigkeit dürfe zwar im äußeren Bereich den Herrschaftsanspruch erheben, aber das bedeute noch lange nicht, dass sie allen Dinge gebieten darf, sondern nur Dingen, die gegen Natur, Billigkeit, Gewissen und Vernunft, mit anderen Worten gegen das göttliche Gesetz, Naturrecht und das positive Gesetz nicht verstoßen. Die Herrschaft eines magistratus in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist also von begrenzter Natur. 428  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mat. 22. Bl. 130v–131; „Ein rechter Christ helt seine Obrigkeit in allen ehren /  vnd leistet gern vnd willig gehorsam /  Ja Leib /  Gut vnd Blut setzt er gern bey seiner Obrigkeit auff /  Aber was wider Gott vnd sein Gewissen ist /  dessen lest er sich nicht vberreden /  denn er weis /  das er Gott mehr fürchten sol /  denn die Menschen.“ Ebd. S. 131v; „Darumb wenn Keyser vnnd Könige /  Bürgermeister /  vnd wer im Ampt ist /  etwas gebeut /  wider Gottes Gebot leuffe /  haben wir nicht allein fug vnd macht /  sondern sind auch bey verlust vnser Seelen seligkeit zu vnterlassen schuldig /  vnd allein bey Gottes Wort zu bleiben. Das heißt Gott geben /  was Gottes ist. Ebd; „ /  das die Weltliche Oberkeit von Gott gefügt ist /  ist Ordnung /  gesetzt /  Statuten /  vnd decreten zu machen /  im Weltlichen Leibssachen /  die nicht wieder Gott oder billig­ keit seindt.“ Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. Bl. A iiijv.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius121

(4)  Der Begriff magistratus bezieht sich bei Heshusius auch auf konkrete Amtsträger: „Es ist keine Oberkeit /  sie ist von Gott […] /  das er auff Erden eingesetzt hat Könige /  Fürsten /  Herren /  Oberkeit /  Bürgermeistern /  Rathsherren /  Scheppen /  Richter“.429 (5)  Aus schöpfungstheologischer Sicht wiederum verbinden sich im Werk des Theologen magistratus und ordo politicus untrennbar zu einem von Gott geschaffenen Teil der Naturordnung: „Darumb sollen wir aus diesem Spruch lernen /  das die Obrigkeit Gottes Geschöpf vnd Ordnung sey.“430 gg) subditi et cives (1)  Oft verwendet Heshusius subditi als komplementären Begriff zu ma­ gistratus. Dabei steht der Gehorsam im Vordergrund, denn ebenso wie Luther ist Heshusius der Ansicht, dass Ungehorsam gegenüber der weltlichen Obrigkeit gleichermaßen zu einem Akt des Ungehorsams gegenüber Gott werde. Denn Gott habe die Vertreter des magistratus als Administratoren 429  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Tage der Himmelfarth Jesu Christi /  Marc. 16. Bl.  Ef 4; „In allen Historien sihet man /  das GOTT die Könige /  Fürsten /  Herren /  vnd Obrigkeiten hoch erhaben“. Postilla (wie Anm. 137), Vorrede, A vv; „E.L.wissen /  wenn ein weltlicher Fürst oder König /  als der König von Franckreich /  oder der römische Keiser seinen ersten Einzug in seine Heubstad thun solle“. Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am ersten Sontage des Aduents / Matth. 21. Bl. A 2; „da wird man gar wenig Fürsten vnd Herren /  Amptleut /  Edeleut /  Bürgermeister /  Rathshern.“ Euangelium am II.Sontage nach Trinitatis Luce 14. Bl. 17; „Wenn Keyser /  Fürsten /  Amptleute /  Rehte /  Bürgermeister /  Juristen geitzig sind /  so vergessen sie der Gerechtigkeit.“ Euamgelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl. 83v.; „Wenn gleich ein weiser König /  Fürst /  oder Bürgermeister vernünfftig regieret /  sein Königreich /  Früstenthum oder Stadt auffs beste anrichtet.“ Ebd. Bl. 87; „Denn da sind viel vom Adel /  Rathe /  Amptleute /  Bürgermeister /  vnd Richter“ Fünfftezn Passionspredigt /  vom Leiden vnd Sterben vnsers Herrn vnd Heilandes Jhesu Christi. Die neunde Passionspredigt. Bl. K iiv; „Ob nun gleich den Cantzler /  den Rathen /  etlichen Amptleuten /  Bürgermeistern die vnschuld jhres Predigers bewust.“ Ebd. K iii; „Cantzler /  Räthe /  Secretarien /  Amptleute /  Juristen /  Bügermeister /  die offt zu wunderlichenhendelen gezogen werden.“ Ebd. 430  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 25. Sontage nach Trinitatis / Matth am 24. Bl.  129; „Ich bedinge voraus vnd ausdrücklich /  das ich allehie nicht schreibe wider die Weltliche Oberkeit /  welche ich ehre vnd liebe /  als ein Geschepff  /  Werck /  vnd herrlcihes gabe Gottes.“ Notwendige entschuldigung (wie Anm. 390) Bl.  B 4b; „ /  wir haben jmer dar trewlich geleret /  das die weltliche Obrigkeit /  Got­ tes ordnung vnd schönes geschepff sey /  vnd die Welt so wenig der Obrigkeit als der Sonnen kann entrathen.“ Ebd., Bl.  P.; „Darumb ist das die recht Ehre /  das du in deinem hertzen erkennst /  die Obrigkeit sey Gottes ordnung vnd wolthat.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mat. 22. Bl.  130; „Aber da sol E.L. wissen /  das man Gottes ordnung /  Geschöpff vnd werck mus vnterscheiden von dem misbrauch vnd vnordnung.“ Ebd. Bl. 129b.

122

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

mit ihrem Herrscheramt betraut, weswegen er auch unmittelbar hinter den Geboten der weltlichen Obrigkeit stehe: „Jederman sey vnterthan der Obgerkeit /  die gewalt vber jn hat /  den es ist kein Oberkeit ohn von Gotte /  wo aber Oberkeit ist /  die ist von Gott geordnet /  wer sich nun wider die Oberkeit setzet /  der widerstrebet Gottes Ordnung /  die aber widerstreben /  werden vber sich ein vrtheil empfangen.“431 So erscheint bei Heshusius häufig die Gegenüberstellung magistratus-subditis: „Docet qualem obedientiam pij subditi debeant suis magistribus, qua conscientia ad obedientiam sind obligat.“432 An anderer Stelle zeigt sich deren Gegensätzlichkeit: „Der Heilige Geist lehret /  Das Weltliche Obrigkeit kein Viehhirten Ampt füre /  Noch allein auff die zeitlichen Guter vnd Narung bescheiden sey /  vnd dieselbigen allein zu reigeren habe /  Sondern sey viel mehr Gotes Stadthalterin /  vnd gebüre jhr wegen Ampts /  das sie darob sey /  do mit jr volck vnd Vnterthan /  recht von Gott vnterrichtet werde.“433 „Volk“ tritt auch in Konjunktion zu „Untertan“, weshalb Heshusius „Obrigkeit“ und „Volk“ gegenüberstellt: „das die Weltliche Oberkeit an vielen Orten in diesem Stück sehr fahrlessig ist /  vnd dem Volck Heidnische Abgötterey gestadtet.“434 An vielen Stellen wird die „weltliche Obrigkeit“ oder der magistratus im Zusammenhang mit dem Begriff „gemein“ im Sinne der Untertanen gegenübergestellt435: „Da­

431  Examen

Theologicum (wie Anm. 137), S. Tt 3. 13 (wie Anm. 137), S. 389b; „Si magistratus obedientes expetit subditos, praeundum est ei pietate et virtute.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 391, 388b, 389; „nec docet exactè qualem obedientiam flagitet Deus cùm à magistratu, tùm à subditis.“ Römer 13 (wie Anm. 137), S. 388b–389; „cuius voluntati serurant politici gubernatores, et subditi obtemperantes legibus […] quas habeant cùm pij magistra­ tus, tùm fideles subditi à Deo consolationes in varijs difficultatibus.“ Ebd. S. 389; „Vertrauwet aber an etlichen örtern die gemeine solch Recht der Oeberkeit /  in betrachtung /  das die Regenten mehr verstandts vnnd erkenntnis der Schrifft haben sollten /  denn der gemeine Mann“ Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. D iiiv; „Neben diesem gemeinen Gehorsam ist ein jeder Vnterthan auch seiner Obrigkeit.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mat. 22. Bl. 130b; „Nicht das sie die Vnterthanen aussaugen wie die Vhuger.“ Ebd.; „Bedürffen also Obrigkeit vnd Vnterthanen berichts aus Gottes Wort.“ Ebd. Bl. 131; „So sollen aber auch die Vnterthanen wissen /  das sie nicht schuldig sind der Obrigkeit“. Ebd. 433  Sechs Hundert Jrthumb (wie Anm. 387), Bl. Z vii – Z viiv. 434  Trewe Warnung (wie Anm. 388), Bl. J iiij; „Quòd ad officium magistratus pertineat, vt curet populum rectè doceri: prohibeant falsa dogmata et impios cultus: praebeant hospitia Ecclesae.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 328; „sed Deum omnipotentem authorem esse imperiorum et totius politici ordinis […] ius dicere inter homines et populos certis egere legibus.“ Ebd. S. 325. 435  „Der Rath mus sich fürchten für der Gemeine.“ Postilla (wie Anm. 137), Fünfftzen Passionspredigten /  vom Leiden vnd Sterben vnsers Herrn vnd Heilandes Jhesu Christi. Die neunde Passionspredigt. Bl. K v. 432  Römer



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius123

rumb auch die Gemeine Gottes /  vber der Oberkeit nachlessigkeit in diesem fall jungsten Gericht hefftiglich wird klagen.“436 Heshusius unterteilt wie Luther und Melanchthon die Untertanen in mere subditi, also den „gemeinen Mann“437 bzw. die Herrn Omnes oder Pöbel438, die keine Macht und Gewalt haben.439 Hinzu kommen die mixti, die zwar einerseits Untertanen sind, aber zugleich Macht und Gewalt haben, nämlich inferior magistratus wie z. B. die Obrigkeiten reichsunmittelbarer Gebiete, Adelige oder städtische Magistrate.440 436  Vrsach vnd Grundt / Warumb (wie Anm. 128), Bl.  B ii; da die Gemeinen mit den Personen vnd jrer lere zu frieden bestellen /  vnd vnterhalten […] Das aber nu die gemeine Gottes in christo Jesu beruffen die freyheit /  macht vnd gerechtigkeit habe /  Prediger oder Kirchendiener zubeurffen /  zuwehlen vnd auffzustellen /  ist leichtlich aus Gottes wort zubeweisen. Der gemeine zu Corintho /  da die Oberkeit noch Heidnisch war […] der gantzen gemeine zu Corinth befhel /  vnd volkomene gewald /  Prediger vnter jnen zu wehlen /  vnd die Oberkeit nicht ein mal drübm zubegrüssen […] Jst der gemeine erleubt gewesen /  Prediger in Heusern auffzustellen /  da die Oberkeit gantz Heidnisch. Wie viel mehr sol es der Gemeine frey vnd zugelassen sein /  bei Christlicher Oberkeit.“ notwendige entschuldigung /  (wie Anm. 390), Bl. P 3–P 3b. 437  „Der dritte spricht /  er hab ein Weib genommen /  darumb könne er nicht kommen /  Hiermit wird die sicherheit vnd Gottlosigkeit des gemeinen Mannes gedeutet. In dem vntersten Stande gehet es auch also zu /  das ihm der gemeine Mann lest Weib vnd Kindt /  Haus vnd Hoff /  zeitliche narung /  vnd dieser Welt Güter so hart angelegen sein“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am II. Sontage nach Trinitatis Luce 14. Bl.  17b; „Der gemeine Man hat auch die Ordnung /  am ersten vnd vor allen dingen trachtet er darnach /  das er seine Narung habe /  nicht mangel leide /  Gelt vnd gut samle /  Weib vnd Kind versorge“ Postilla (wie Anm. 137. Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl.  87; „Das die Regenten mehr verstandts vnnd erkenntnis der Schrifft haben sollten /  denn der gemeine Mann.“ Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. D iiiv. 438  „Vnd domit der Pfarherr Ottho Ohmnes /  möchte vngedultig werde“ Antwort Doc.Tilemanni Heshusij auff der Lügenprediger von Magdeburg vermeinte vnnd vngegründte Apologia. Magdeburg 1564. [HAB Wf. 228. 7. Theol. 16] Bl. J iii–J iiij. Im Folgenden Apologia; „Nicht allein der Pöbel vnd gemeine Mann sol sich straffen vnd lehren lassen /  sondern auch Keyser vnnd Könige /  Regenten vnd Obrigkeiten  /  Nicht allein grobe eusserliche Sünder /  sondern auch was heilig scheinet für der Welt […] Der HERR Christus nennet das Ampt des Geistes ein Strafampt. Denn alle Welt ist in Irrthumb vnd sünd ersoffen.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am vierdten Sontag nach Ostern /  Cantate /  ohan. 16. Bl.  39v. 439  „Den Vntertahnen aber /  denen das Schwert nicht befohlen ist /  gilt dieser Spruch.“ Postilla (wie Anm. 137), Fünfftzen Passionspredigten /  vom Leiden vnd Sterben vnsers Herrn vnd Heilandes Jhesu Christi. Bl. E 5. 440  „Denn die Erbarn Stätte eben so wol schuldig /  für die seligkeyt jrer vndterthanen zu sorgen /  also die Fürsten vnd hohen Potentaten.“ Vrsach / Warumb (wie Anm. 156), Bl. B iiv; „Wann ein Fürst oder Stadt /  einen offentlichen vnd gefärlichen Feind hat /  so ists nicht gnug /  das die Oberkeyt den vndterthanen anzeyge /  Es sey ein Feind vorhanden.“ Vrsach / Warumb (wie Anm. 156), Bl.  D–Dv.

124

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Ausdrücklich hervorzuheben ist, dass Heshusius dem „Gemeinen Mann“ in Verbindung mit der vom egalitären Prinzip des allgemeinen Priestertums geprägten Dreiständelehre ein Recht auf Obrigkeitskritik und ein Widerstandsrecht gegen unrechtmäßige öffentliche Gewalt genauso wie der weltlichen Obrigkeit zusprach, worauf wir im nächsten Abschnitt noch ausführlicher eingehen werden. Deshalb fordert Heshusus in seiner Magdeburger Kampfschrift von 1561 gegen den Landesfürsten unter Berufung auf die Dreiständelehre nicht nur die Gruppe der Ratsmitglieder als inferior magis­ tratus (niederer Magistrat), sondern einen jeden Christen ausdrücklich auf, gegen das Lüneburgische Mandat bzw. den Landesfürsten zu widerstehen: „Wann aber die Weltliche Oberkeyt angehetzt durch gefährliche vnd der wahrheyt feyndtliche geneygte personen /  vnnd sunst aus vnwissenheyt der Religion streyten /  sich dahin bereden lassen […] vnd zu vndtertruckung vnd verhinderung der reynen vnuerfelschten Götlichen worts misbrauchet /  ist nöttig vnnd von Gott ei­ nem jeden Christen gebotten /  dan man jn ihm dem nicht gehorche /  sondern vil mehr Gott als den Eltesten vnd oberherrn gehorsam leyste /  vnnd ist solche /  abschlagung des gehorsams ein rechter dienst Gottes /  mit dem befelch stymmende. Gebt dem Keyser was des Keyser ist /  vnnd gotte /  was Gottes ist.“441

Selbstverständlich darf man die Formulierung „nöttig vnnd von Gott ei­ nem jeden Christen gebotten“ nicht mit der modernen naturrechtlichen bzw. privatrechtlichen Gleichheitstheorie identifizieren.442 Heshusius vertritt hier keine individuelle Widerstandsauffassung in Richtung einer „privaterechtlichen Widerstandstheorie“ („private-law theory“), wie Quentin Skinners es vortrug.443 Zwar räumt Heshusius ein, dass jeder einzelne Gläubige befugt sei, sowohl zum Schutz eigenen Glaubens und Besitzes als auch zum Schutz des politischen Gemeinwesens das Widerstandsrecht auszuüben, das heißt aber nicht, dass er jedem einzelnen amtlosen Privatmann (homo privatus), nämlich Hausgesinde, Mägde, Kinder, Fremde, Tagelöhner usw. im Sinne des „modernen“ Privatrechtes ein Recht auf Obrigkeitskritik und Widerstand zusprach. Schorn-Schütte hat dies im Zusammenhang mit der ständisch bindenden Funktion der Dreiständelehre deutlich herausgearbeitet: Jedem angegriffenen einzelnen Hausvater ist zwar das Recht auf aktiven Widerstand bzw. das der Gegenwehr zugestanden, jedoch handele es sich beim Hausvater nicht um einen amtlosen Untertan, sondern um einen Haushaltungsvorstand, also einen Amtsträger, der zum Schutz der Familienangehörigen verpflichtet ist. Das heißt Notwehr, Widerstand übt nicht jeder Einzel(wie Anm. 156), Bl. A ii–A iiv. O. Dann, Gleichheit und Gleichberechtigung. Die Gleichheitstheorie in der alteuropäischen Tradition und in Deutschland bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert (Historische Forschungen 16), Berlin 1980, S. 93 ff.; 99; 115; 120. 443  Q. Skinner, The Foundation of Modern political Thought. 2 Bde. Cambridge 1978, S.  194 ff. 441  Vrsach / Warumb 442  Vgl.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius125

ne aus, sondern immer nur der legitimierte Amtsinhaber, das Haupt jedes der drei Stände.444 Deshalb bindet Heshusius seine Äußerung „nöttig vnnd von Gott einem jeden Christen gebotten“ in die Dreiständelehre ein: „sondern vil mehr Gott als den Eltesten vnd oberherrn gehorsam leyste“. Das Urteil Böttschers, dass Skinners These, die sächsischen Juristen hätten Widerstand mit Hilfe einer „private-law theory“ begründet und damit letztlich jeden Privatmann zum Widerstand gegen unrechte Gewalt eines Herrschers befugt, ein Anachronismus sei, trifft angesichts dieser Befunde zu;445 ebenso die Kritik von Horst Carl446 und Robert von Friedeburg,447 die privatrechtliche bzw. individuelle Argumentation erscheine im zeitgenössischen Kontext der Widerstandskonzeption zu modern. Diese privatrechtliche bzw. individuelle Interpretation der Rolle der zeitgenössischen Juristen, Geistlichen oder auch politischen Entscheidungsträger wurde auch in jüngeren Diskusssionen448 skeptisch betrachtet, weil das Widerstandskonzept zu „modern“ erschien. Das Beispiel Heshusius belegt allerdings, dass diese Interpretation zumindest doch Gründe hat. Ebenfalls zeigt sich diese Vorstellung in seiner Helmstedter Predigt deutlich: „Wenn die Eltern [d. h. „Hausväter“, Hervorhebung durch Ch. P.] die Kinder /  oder die Obrigkeit die Vnterthanen zu falscher Lehre vnd vnrechten Gottesdienst zwingen wollen. Die Kinder vnd Vnterthanen aber /  aus Gottes furcht nicht gehorchen noch folgenn /  sondern vber reiner vnd heilsamer Lehre bestendig halten /  Oder wenn die Schüle jren Lehrern in allen corruptelen vnd jrrthumen nicht beyfal geben /  sondern vielmehr sie aus Gottes Wort widerlegen /  vnd ihre Glaubens grund anzeigen schreyet die weit feinselig vber grosse vndanckbarkeit so man den Eltern /  Preceptoribus vnd der Obrigkeit beweiset […]  /  vnd das man Gott weit mehr schuldig ist /  denn den Eltern /  Praecetorbus /  vnd Obrigkeit […] wir sind jm auch mehr schuldig denn den Eltern /  Preceptoribus /  Obrigkeiten vnd allen wolthetern so auff Erden sein mögen.“449 444  Vgl. L. Schorn-Schütte, Kommunikation über Herrschafts (wie Anm. 56), S. 78; 102. 445  D. Böttscher, Ungehorsam oder Widerstand (wie Anm.  43), S. 146. Dort Anm. 51. 446  H. Carl, Landfriedeneinung und Ungehorsam – der Schäwbische Bund in der Geschichte des vorreformatiorischen Widerstandsrecht im Reich, in: F. v. Friedeburg (Hg.), Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit (wie Anm. 97), S. 85–112. Hier S. 88–89. 447  R. v. Friedeburg, Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt (wie Anm. 97), S. 56. Dort Anm. 20. 448  H. Carl, Landfriedeneinung und Ungehorsam, in: F. v. Friedeburg (Hg.), Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit (wie Anm. 97), S. 89. Dort Anm. 14. 449  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 14. Sonntage nach Trinitatis / Luce 17. Bl.  81b; „Oder im Hausregiment /  Hastu deine Kinder vnd Gesinde zu Gottes

126

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Die Erweiterung des Kreises der Obrigkeitskritik- und Widerstandsberechtigten unter dem Begriff „ein jeder Christ“ in Verbindung mit der ständisch strukturierenden Dreiständelehre kommt auch in Heshusius’ berühmter Magdeburger Schrift zum Ausdruck. Im Zusammenhang mit der Frage, wer das ius vocandi und die Lehrurteilsmacht habe, antwortet Heshusius folgendermaßen: „Hie mus alle Welt bekennen /  das der Herr einen jeden Christen gewalt gibt /  die lere vnd Weissagung zu vrteilen vnd zu richten. […]  /  das Got niemand anders die gewalt Prediger oder Seelsorger zun beruffen vnnd zuerwelen vbergeben […]  /  solchs aber ist der gantzen Christenheit /  vnd nicht einem besondern Stand vbergeben. Darumb offenbar /  dz die Christen an welchem ort sie sind /  freyheit /  gewalt vnd recht haben /  Seelsorger zu welen es ein gleich Weltliche oder Geistliche Personen dabey oder nicht dabey […] Jhr Christen zu Corintho /  welet zween oder dey Prediger /  vnd stellet die auff /  das sie das Volck ein […] So denn nu die Christen zu Corintho /  so von Paulo die lere des Euangelij gelernet /  vnd mit der Weltlichen Oberkeit nichts zu schaffen hetten /  sondern priuat Personen waren.“450 Mit dem Beispiel Korinther Gemeinde und der Äußerung „der gantzen Christenheit /  vnd nicht einem besondern Stand“ und „Privatperson“ macht Heshusius deutlich, dass nicht nur die Obrigkeit oder Amtsgeistlichkeit allein das Recht haben, Prediger zu wählen und abzusetzen und Lehrurteile zu sprechen, sondern auch Hausvaterstand bzw. „Pöbel oder Gemeiner Mann“. Hierauf werden wir im nächsten Abschnitt „Gemeindeprinzip“ und custos utriusque tabulae noch näher eingehen. Diese Ansicht kommt an anderer Stelle in derselben Schrift ebenfalls zum Ausdruck: „Fürs erst /  mag niemand verneinen /  das der HERr Christus das gericht vnd Vrteil vber seiner Lere nicht einem stand insonderheit befohlen /  weder Geistlichen noch Weltlichen /  auch an keine Person noch Ort /  an kene gaben noch Ampt gebunden /  sondern vnuerdinglich der Gemeine vnd allen Christen vbergeben.“451 Die Äußerung „der Gemeine vnd allen Christen vbergeben“ macht deutlich, dass bei Heshusius hier nicht nur ein Stand bzw. einige Stände, nämlich Obrigkeit und Amtsgeistlichkeit, gemeint waren, sondern auch alle „Hausväter“ Magdeburgs. Diese Auffassung findet sich auch in seiner an die Rostocker Ratsherren gerichteten Streitschrift: „Dieses bekenntnus haben wir gern gethan, wie Furcht gehalten.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Sonntage Septuagesima / Matth. 20. Bl.  N 5b; „Darvnter gehöret auch der Hausvater vnd Hausmutter nötigen /  die haben befehl von Gott /  das sie Kinder vnd Gesind nicht gestatten sollen /  in sicherheit vnd verachtung Göttliches Worts zu leben.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am II. Sontage nach Trinitatis Luce 14. Bl. 19b. 450  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. M iiij–M vi. 451  Ebd. Bl. M iiij.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius127

auch ein jder Christ schuldig ist anzuzeigen welcher Kirche glidmaß er sey“.452 Auch vertritt er diese Vorstellung in seiner Helmstedter Predigt, dass ein jeder Christ beanspruchen dürfe, im Falle von Pflichtversäumnissen der Pfarrer oder der weltlichen Obrigkeit Kritik auszuüben.453 Das heißt, Heshusius’ Eintreten für diese sozial erweiterte Trägergruppe von Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht im Rahmen der ständisch bindenden Dreiständelehre war keineswegs situationsbedingt oder einmalig, sondern blieb konstant. Wie Inge Mager zutreffend bemerkt hat, scheint es jedenfalls kein Zufall zu sein, dass Heshusius in seinen Schriften immer wieder versuchte, die obrigkeitliche Teilnahme und ihre Kompetenz in der Kirche auf das Niveau allgemeinpriesterlicher und gemeindlicher Aktivität zu beschränken, um damit die Laienkompetenz – fast über Luther hinausgehend – zu betonen und dessen laientheologisches Grundsatzprogramm zu verbreiten.454 Im Sinne des allgemeinen Priestertums455 postuliert Heshusius die seelsorger­ liche, pastorale Mitverantwortung und Kompetenz der Strafamtübung und Obrigkeitskritik für alle Gemeindemitglieder, das heißt nicht nur für die Amtsgeistlichkeit, sondern auch für die Laien, konkret für den „Gemeinen Mann“. So könne sich die gegenseitige Fürsorge und Strafamtübung der Glieder des Leibes Christi entfalten, weshalb es in seiner Helmstedter Predigt ausdrücklich heißt: „Im fall da ein Pfarr oder Seelsorger vber das ziel seines Ampts schritte /  vnd falsche lehre aussprengete /  hat nicht allein die Obrigkeit /  sondern ein jeder Christ ihn darumb zubesprechen /  vnd aus Gottes Wort zu straffen.“456 Deshalb stufte Heshusius an einer Stelle in seiner Magdeburger Schrift die Gemeindeglieder bzw. Christen auf der gleichberechtigten Ebene der weltlichen Obrigkeit ein: „  /  dz die Gemeine GOTTes /  auch die Oberkeit macht habe Prediger zuberuffen /  ohn Orten da 452  Antwort

(wie Anm. 137), S. 345. fall da ein Pfarr oder Seelsorger vber das ziel seines Ampts schritte /  vnd falsche lehre aussprengete /  hat nicht allein die Obrigkeit /  sondern ein jeder Christ ihm darumb zubesprechen /  vnd aus Gottes Wort zu straffen /  auch da er halsstarrig befunden wird /  ist eine christliche Obrigkeit schuldig in abzuschaffen.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am ersten Sontage nach Ostern /  Quasimodo geniti /  Johan 20. Bl. 19. 454  I. Mager, T. Heshusius (wie Anm. 80), S. 354 ff. 455  Vgl. dazu E. Winkler, Melanchthons Amtsverständnis, In. U. Sträter (Hg.), Melanchthonsbild (wie Anm. 117), S. 46; H. Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt bei Luther (Marburger Theologische Studien 46), Marburg 1997. 456  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am ersten Sontage nach Ostern /  Quasimodo geniti /  Johan 20. Bl.  19; „Sie leret Hausväter vnd Hausmütter /  kinder vnd Gesinde /  wie ein jeder in seinem Stande frömblich /  vnd Gott wolgefellig sich verhalten möge.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Sontage Esto Michi / Luc. 2. Bl. O 5b. 453  „Im

128

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

die Oberkeit Gottlos ist /  sonst hat Christliche Oberkeit gleiche stimme mit vnd neben andern Christen“.457 In seiner Helmstedter Predigt kommt dazu nicht die übliche Dreistände-Formel, sondern Vierstände-Formel zum Ausdruck: „an seine Diener /  Prediger /  Obrigkeit /  Eltern /  Nechsten“458 (2) Am Gebrauch des subditi-Begriffs als Komplement zum Obrigkeitsbegriff lässt sich weiter beobachten, dass Heshusius auch jene mit dem antiken cives-Begriff verbundene Tradition bewahrt hat,459 die eine aktive politische Mitverantwortung des Bürgers im Stadtregiment durch Wahl, Kontrolle und Mitsprache beinhaltet, um die gleichberechtigte Stellung aller Gesellschaftsmitglieder zu betonen. Sie haben alle eine bestimmte Aufgabe innerhalb dieser Ordnung zu erfüllen, die sie als Dienst an Gott verstehen müssen: „Denn so die Weltliche Obrigkeit jres Schwerts misbrauchet zur Tyrinney /  Gott verkündiget beiden ein schrecklich Wehe […] Darumb auch die Gemeine Gottes /  vber der Oberkeit nachlessigkeit in diesem fall am jungsten Gericht hefftglich wird klagen.“460 Deshalb kommt auch die Gegenüberstellung magistratus vs. civis häufig vor: „Vos, vero, politici Guber­ natores ac ciues, ministerium Euangelij qua debetis reuerentia colatis et tueamini.“461 hh) status (1) Zumeist gebraucht Heshusius diesen Begriff im Sinne von „Stand“ gemäß Luthers Dreiständelehre, also – wie oben bereits erwähnt – als einen allgemeinen Ordnungsbegriff mit funktionaler Unterscheidung, der es gestattet, eine Anzahl von Menschen zusammenzufassen, die in irgendeiner Hinsicht eine nur sie auszeichnende Gemeinsamkeit haben: „Wenn falsche Lere /  epicurische verachtung /  Gotteslos wesen /  die heilige Orden vnd Stende /  das heilige Predigampt /  das Weltliche Regiment /  vnd den Haus­ 457  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 155), Bl. M vii. Damit ist der Aspekt des Verhältnisses zwischen dem Prinzip des allgemeinen Priestertums und dem politischen und sozialen Ordnungsmodell der Dreiständelehre angesprochen, worauf wir im nächsten Abschnitt noch ausführlicher eingehen werden. Es scheint, dass das Prinzip allgemeinen Priestertums für Heshusius der einzige Bindeschlüssel ist, welcher die andere Stände aneinander bindet und heftet, auch voneinander leben macht. Mit anderem Wort das allgemeine Priestertum erhält für Heshusius die drei Stände, das heißt das Prinzip des allgemeinen Priestertums ist ihre Seele. Dazu vgl. W. Schulze, Einführung in die Neuere Geschichte (4. Auflg.), Stuttgart 2002, S. 148 ff. 458  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 18. Sontage nach Trinitatis / Matth. 22. Bl. 98–98b. 459  „Denn die Bürger vnd Bürgerinnen vnd gantze Gemeine […] sondern eines Erbarn Radts vnterthanen.“ der Prediger zu Bremen (wie Anm. 155), Bl. G ii. 460  Vrsach vnd Grundt / Warumb (wie Anm. 128), Bl.  B ii. 461  P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 221.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius129

stand hat eingenommen /  das Abgeötterey für Gottesdienst /  elsterung für Gottes Wort /  heucherley für Heiligkeit /  epicurische verachtung für Weisheit […] In allen Stenden mercket man den grewel der verwüstung […] Jm Weltlichen Regiment gehets auch also /  Wenn das Gotlose Leute das Regiment jnne haben /  vnd die gantze Regierung Gottlos wird […] Insondernheit richtet der grewel im heiligen Predigampt /  welche die recht heilige Stete Gottes ist /  schreckliche vnsagliche verwünstung an […] Nun will aber der HERR Christus anzeigen /  das solcher grewel am ende der Welt nicht ein Standt /  sondern fast alle Stende werde einnemen […] Das wird er sich setzen ins Predigampt /  in die Weltliche Regierung /  in das Hausregiment /  vnd wir allenthalben ein Gottlos Epicurisch leben sein. Die Prediger werden offentliche Lügen und lesterung füren […] Die Weltliche Regenten werden zu Ryrannen werden /  keine trewe Lehrer mehr dulden wollen […] Der gemeine Mann wird auch mehr lust zu lügen vnd lesterung.“462 Am häufigsten erscheint dieser deutsche soziologisch-politische Ständebegriff in der bekannten Dreistände-Formel: „vnd redet mit seinem wort in allen Stenden […] Manchem Regenten /  Prediger /  Hausvater /  gegenet so mancherley vnglück.“463 In anderer Reihenfolge erscheint sie in der „Vierstände-Formel“: „an seine Diener /  Prediger /  Obrigkeit /  Eltern /  Nechsten“.464 An anderer Stelle sind die Stände mit Attributen versehen: „Vnd wenn ­eine  Christliche Obrigkeit /  oder trewer Seelsorger /  oder ein fleissiger 462  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 25. Sontage nach Trinitatis / Matth. Am 24. Bl. 139–139v; Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am II. Sontage nach Trinitatis Luce 14. Bl. 16b–17b.; Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am fünfften Sontage nach der Offenbarung / Matth 13. Bl.  N2b; Euangelium am 3. Sontage nach Trinitatis / Luce 15. Bl.  21; Euangelium am 5. Sontage nach Trinitatis / Luce am 5. Bl.  31b; 33; Euangelium am 14. Sontage nach Trinitatis / Luce 17. Bl.  81; Euange­ lium am 15. Sontage nach Trinitatis / Matth. 6. Bl.  83b; 86; 88b; Euangelium am 18. Sontage nach Trinitatis / Matth. 22. Bl.  98–98b. 463  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 5. Sontage nach Trinitatis / Luce am 5. Bl.  33; Euangelium am 25. Sontage nach Trinitatis / Matth. Am 24. Bl.  140–140v; Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl. 83b; 86–87b; 88.; Euangelium am andern Sontage nach der Offenbarung / Johan. 2. Bl.  N 2b; N 3.; Euange­ lium am Sontage Sexagesima / Luc. 8. Bl.  O 4; Euangelium am Sontage Michi / Luc. 2. Bl.  O 5b; Euangelium am Sontage Inuocauit / Matth. 4. Bl.  P 4b; Euangelium am ersten Sontage nach Ostern / Quasimodo geniti /  Johan 20. Bl. 18b; 19; 21b; Euangelium am vierdten Sontag nach Ostern / Cantate / Johan. 16. Bl.  39; 39b; Euangelium am II. Sontage nach Trinitatis Luce. 14. Bl. 16b–17b; 19–19b; Euangelium am 3. Sontage nach Trinitatis / Luce 15. Bl.  21; Euangelium am 5. Sontage nach Trinitatis / Luce am 5. Bl. 31b; 33; „  /  wie viel feiner trefflicher Leut /  Lehrer /  Regenten /  hausvater“. Euangelium am 25. Sontage nach Trinitatis / Matth am 24. Bl.  140b. 464  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 18. Sontage nach Trinitatis / Matth. 22. Bl.  98–98b; „das heilige Predigampt /  das Weltliche Regiement /  vnd den Hausstand“ Euangelium am 25. Sontage nach Trinitatis / Matth am 24. Bl.  139.

130

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Hausvater“465 oder gar mit gegenüberstellenden Attributen: „Wir haben klaren bericht aus GOTTES Wort /  von allen Stenden /  Vom heiligen Predig­ ampt /  Von der weltlichen Obrigkeit /  Vom heiligen Ehestande.“466 Zu beachten ist, dass Heshusius den Begriff status an die berühmte Formel des Aristoteles bindet: „Recht sagt der Heyde Aristoteles: Gott /  den Eltern /  vnd Praeceptoribus können wir nimmermehr gnugsam dancken […]  /  denn den Eltern /  Preceptoribus /  vnd Obrigkeit […] wir sind jm auch mehr schuldig denn den Eltern /  Preceptoribus /  Obrigkeiten vnd allen wolthaten so auff Erden sein mögen […] Matth. 10 Vnter die Menschen gehören auch Eltern /  Preceptoribus /  Obrigkeiten /  Woltheten /  vnd wie sie ein Namen haben mögen.“467 Heshusius spricht wie auch Luther problemlos innerhalb eines Standes von verschiedenen Ständegruppen: „Ein Hausvater /  Hausmutter /  Knecht vnd Magd /  Kind /  Schüler /  vnd was Standes einer ist.“468 Solche Belege 465  Ebd.

Euangelium am 22. Sontage nach Trnitatis / Matth. 18.Bl. 126b. (wie Anm. 137), Vorrede. Bl. 5v; „Ein hochschedlicher Jrrthum ists /  wenn man das heilige Predigampt vnd Weltliche Herrschaft in einander menget“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Tage des Apostels Bartholome / Luce am 22. Bl. Gg 2–Gg 2v; „Wenn falsche Lere /  epicurische verachtung /  Gotteslos wesen /  die heilige Orden vnd Stende /  das heilige Predigampt /  das Weltliche Regiment /  vnd den Hausstand hat eingenommen.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 25. Sontage nach Trinitatis / Matth. Am 24. Bl.  139; Jm Weltlichen Regiment gehets auch also /  Wenn das Gotlose Leute das Regiment jnne haben /  vnd die gantze Regierung Gottlos wird […] Insondernheit richtet der grewel im heiligen Predigampt /  welche die recht heilige Stete Gottes ist /  schreckliche vnsagliche verwünstung an.“ Ebd; Wie man Gott in allen stenden sol diene /  im heyligen Predigampt /  in weltlicher Regierung /  im Ehestande /  vnd in allerley Ampt vnd beruffe.“ Hauptartickel (wie Anm. 386), Bl. A iiv. 467  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 14. Sontage nach Trinitatis / Luce. 17. Bl. 81–81b. 468  Ebd. Euangelium am 5. Sontage nach Trinitatis / Luce. am 5. Bl.  31b; Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / Matth. 6. Bl.  88b; „Sie leret Hausväter vnd Hausmütter /  Kinder vnd Gesinde /  wie ein jeder in seinem Stande frömblich /  vnd Gott wolgefellig sich verhalten möge.“ Euangelium am Sontage Esto Michi / Luc. 2. Bl.  O 5b; „Wenn aber Gottselige Prediger gesunde lehre führen […]  /  als denn hat inen kein Mensch einzureden /  er sey hohes oder nidrige Standes /  Keyser /  König oder Fürst.“ Euangelium am ersten Sontage nach Ostern / Quasimodo /  Johan 20. Bl. 19; „Die Herrn Regenten so im Stand der Oberkeit.“ Euangelium am Tage Mischaelis des Ertzengels / Matth. 18. Bl.  Kf 4.; „die hohen Weltlichen Stende /  die Obrigkeit vnnd der Ehestand in so grosser verachtung gerathen.“ Sechs Predigten vom Ampt vnd Wolthaten Jesu Christi. 1584 Helmstadt [HAB Wf. 434.18 Theol. 2°]. Bl. 625. Im folgenden Sechs Predigten vom Ampt vnd Wolthaten.; „Darumb auch ein Christ nicht allein mit gutem gewissen /  solchen Oberstandt füren kann /  ein Oberkeit /  ein Bürgermeister /  ein Rathsherr sein.“ Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 3–Tt 3b; „Ein Hausvater /  Hausmutter /  Knecht vnd Magd /  Kind /  Schüler /  vnd was Standes einer ist /  sol auch so sagen /  Herr /  auff dein Wort vnd 466  Postilla



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius131

finden sich etwa für Ehestand,469 Witwenstand, Schülerstand oder Juristenstand.470 Man kann deshalb bei Heshusius wie bei Luther je nachdem auch von einer Vier- oder Fünf- oder Zehnständelehre reden.471 (2) Sehr oft bedeutet status für Heshusius auch Regiment.472 Also beinhaltet sein Standesbegriff, wechselnd zwischen verwaltungsrechtlicher und institutioneller Sicht, Regiment, Herrschaft und Ordnung473 sowie die konBefehl bin ich den Ehestand getreten /  trieb ich dis oder jenes Handwerck /  du hasts befohlen /  darumb gib mir glück vnd Segen /  wie du verheissen hast.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 5. Sontage nach Trinitatis / Luce am 5. Bl.  33; Postilla (wie Anm. 138), Euangelium am 3. Sontage nach Trinitatis / Luce 15. Bl.  21; Postilla (wie Anm. 138), Mat. 22. Bl. 131; Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am andern Sontage nach der Offenbarung /  Johan. 2. Bl. K 4b; K 5.; Vrsach / Warumb (wie Anm. 156), Bl. B iiiv. 469  „Der ewige allmechtige Gott /  ist der stifter vnd schützer des heiligen ehstan­ des […] Jst der ehestande eingesetzet /  von wegen der Kinderzucht /  so aus dem ehestand geboren werden“ Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 7; „Also lehret vns Gottes wort /  das Gott ein Stiffter vnd Einsetzer sey des heyligen Ehe­ standes vnd hohen Obrigkeit /  das er die Eheleute vnd die Obrigkeit beschrime /  jnen beystehe /  vnd sie beware.“ Hauptartickel (wie Anm. 386), Bl. A ii; „ /  Wie man Gott in allen stenden sol diene /  im heyligen Predigampt /  in weltlicher Regierung /  im Ehestande /  vnd in allerley Ampt vnd beruffe.“ Ebd. Bl. A iiv; „Aber das erwecket Gott erbare hertzen /  die den Ehestand als eine lobliche ordnung hoch vnd werde achten.“ Ebd. Bl. O  iii; „die hohen Weltlichen Stende /  die Obrigkeit vnnd der Ehe­ stand in so grosser verachtung gerathen.“ Sechs Predigten vom Ampt vnd Wolthaten Jesu Christi (wie Anm. 468), Bl.  625; „ /  sollten sie in dem Weltlichen Stand also verharren […]  /  denn man hielt den Ehestand für eine fleischlichen Stand.“ Ebd.; „Dje Weltliche Obrigkeit aber  /  vnd der heilige Ehestand sind in Gottes wort gegründet vnd geheilgt […] Durch dieses wort Gottes /  ist die Obrigkeit vnd der Ehe­ stand dermassen geheiliget /  das die so im Regiment sind /  oder im Ehestand leben.“ Ebd. 626. 470  „Das der Juristen standt vnd ampt von Gott ist.“ Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. E iii. 471  Vgl. dazu W. Elert, Morphologie des Luthertums Bd. 2 (wie Anm. 178), S. 52. 472  „Im Weltlichen Stande gehet es nicht viel besser zu /  […] die trachten am ersten nach der Welt Reich /  wie sie jre Königreiche /  Fürstenthüme /  Stedte vnnd Regiment erhaltne vnd beschirmen /  […] So gehet es leider fast in allen Regimen­ ten.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6 Bl. 87; „Jm Hausregiment gehets auch also gemeiniglich zu.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / Matth. 6. Bl.  87b; „Dje Weltliche Obrigkeit aber  /  vnd der heilige Ehestand sind in Gottes wort gegründet vnd geheiligt […] Durch dieses wort Gottes /  ist die Obrigkeit vnd der Ehestand dermassen geheiliget /  das die so im Regiment sind /  oder im Ehestand leben.“ Sechs Predigten vom Ampt vnd Wolthaten Jesu Christi (wie Anm. 468) Bl. 626. 473  „Wir haben klaren bericht aus GOTTES Wort /  von allen Stenden /  Vom heiligen Predigampt /  Von der weltlichen Obrigkeit /  Vom heiligen Ehestande“. Postilla (wie Anm. 137), Vorrede. Bl. 5v; „Ein hochschedlicher Jrrthum ists /  wenn man das heilige Predigampt vnd Weltliche Herrschaft in einander menget“. Postilla (wie

132

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

kreten Träger der Ämter, Handwerker, Kaufleute, Prediger: „das Keyserthumb /  das ist /  die Weltliche Obrigkeit /  alle Regiment /  Gericht straffe: stende /  Empter vnd Handwercke.“474 Oder er ist mit dem Amt, Regiment und Beruf gleichbedeutend: „Wenn falsche Lere /  Epicurische verachtung /  Gottes wesen /  die heilige Orden vnd Stende /  das heilige Predigampt /  das Weltliche Regiment /  vnd den Hausstand hat eingenommen / “475. Daneben bedeutet status einfach Beruf: „Dis gehet auff den Geistlichen Standt […] Dis kann fein auff den Weltlichen Stand der Obrigkeit gezogen werden […] Hiemit wird die sicherheit vnd Gottlosigkeit des gemeinen Mannes gedeutet. In dem vntersten Stande gehet es auch also zu /  das ihm der gemeine Mann lest Weib vnd Kindt /  Haus vnd Hoff […] Das andere nötigen gehöret der Weltlichen Obrigkeit vnd dem Hausvater […] Darvnter gehöret auch der Hausvaterr vnd Hausmutter nötigen […] Das alles meinet der HERR ChrisAnm. 138), Euangelium am Tage des Apostels Bartholome / Luce am 22. Bl.  Gg 2– Gg 2v; „ /  aus der Gottlichen zuhauff fugung vnd Erhaltung des ehrlichen Ehestandes […] /  dz solche heusliche regiment vnd richtliche ordnung in stedten vnd Landen […] /  Das ein Gott sey dem solche heusliche Regiment vnnd richtliche Ordnung gefalle /  Vnnd derwegen Er selbst /  den ehrlichen Ehestandt ordne […]Auch nach seinem willen Haus vnnd weltliche Regiment erhalte oder verendere.“ Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. 21–22; „Matth. 18. vbergibt der Herr Christus nicht der weltlichen herschafft /  sondern seiner Gemeine das höheste gericht /  vnd gewald in Kirchen sachen /  vnter welchen fast die furnembste sind.“ Notwendige entschuldigung (wie Anm. 390), Bl. P 3b. 474  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis  / Mat. 22. Bl. 129; „Bestetiget auch alhie alle Gericht /  alle Empter /  vnd das was zum Regi­ ment gehöret /  Denn ohne Gericht /  Empter /  Straff /  Krieg /  Fürsten /  kann kein Keyserthumb bestehen.“ Ebd. Bl. 129b; „Wie man Gott in allen stenden sol diene /  im heyligen Predigampt /  in weltlicher Regierung /  im Ehestande /  vnd in allerely Ampt vnd beruffe“ Hauptartickel (wie Anm. 386), Bl. A iiv; „Wenn falsche Lere /  Epicurische verachtung /  Gottlos wesen /  die heilige Orden vnd Stende /  das heilige Predigampt /  das Weltlcihe Regiment /  vnd den Hausstand hat eingenommen ]…] Jm Weltlichen Regiment […] im heiligen Predigampt […] Wie es im Weltlichen Regiment vnd Hausstand stehe.“ Postilla (wie Anm. 138), Euangelium am 25. Sontage nach Trinitatis / Matth am 24. Bl.  139–139v; „Aber ir Acker /  das ist ir Geistlicher Standt /  Bischoffliche wirden /  Fürstliche Regierung /  reiche Thumstifften /  gros einkommen.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am II. Sontage nach Trinitatis Luce. 14. Bl. 16b; „ /  Gott nicht versuchen /  in vnserm Beruff /  im Predigampt /  oder Weltlichen Regimenten /  oder Hausstand trewlich vnd vleissig arbeiten.“ Euangelium am Tage Mischaelis des Ertzengels / Matth. 18. Bl.  Ji 5; „Darumb auch ein Christ nicht allein mit gutem gewissen /  solchen Oberstandt füren kann /  ein Oberkeit /  ein Bürgermeister /  ein Rathsherr sein.“ Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 3– Tt 3b; „Das will ich vermög meines beruffs straffen /  vnd verdammen.“ Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. E iiiv; „ /  Wie man Gott in allen stenden sol diene /  im heyligen Predigampt /  in weltlicher Regierung /  im Ehestande /  vnd in allerley Ampt vnd beruffe.“ Hauptartickel (wie Anm. 386), Bl. A iiv. 475  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 25. Sontage nach Trinitatis / Matth am 24. Bl. 139; Vgl. dazu M. Brecht, Martin Luther Bd. II. (wie Anm. 177), S. 312.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius133

tus mit dem wort /  Nötige sie herein zukommen /  ein jeglicher nach vermö­ ge seines beruffs.“476 Also ist für Heshusius eine geteilte bzw. getrennte Amts-, Berufs-, Stände- und Regimententerminologie undenkbar. (3) An einer Stelle kommt der Begriff des status als ein konkretes Gemeinwesen vor,477 sei es ein Territorialgebiet oder ein städtisches Gemeinwesen. (4)  status erscheint auch im Sinne von Schöpfungsordnung bzw. Naturordnung.478 (5) Außerdem versteht Heshusius darunter den politisch-verfassungsrechtlichen Stand: „ /  die Erbarn Sechssischen Stätte /  hetten keinen Stand imm krays /  on ettliche? Jst darauff inn aller billigkayt zu antworten /  das die Krays stände vom Römischen Reych /  nicht der vrsachen verordnet […] Als haben auch die loblichen Stände /  des Krayses weder von Gott /  noch vom heyligen Reich den befelch oder gewalt.“479 (6)  Schließlich dient der Terminus zur Bezeichnung von Zuständen (sta­ tus Reipublicae)480: „Da hat S.F.G. den zuestand beide der kirchen, Schuelen vnd landregierung durch aus verwirret vnd verdrehet befunden […] damit sie wiederum inn den Stande gebracht wurden.“481

476  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am II. Sontage nach Trinitatis Luce. 14. Bl.  19b; Euangelium am 22. Sontage nach Trinitatis / Matth. 18. Bl.  126b; „Das will ich vermög meines beruffs straffen“ Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. E iiiv; „Darumb sol ein jeder in seinem beruff vnd stande sich hütten“ Euangelium am 5. Sontage nach Trinitatis / Luce am 5. Bl. 31b; „ /  vnd heiligen Predigampt würden nach Weltlicher Herrschaffte traten […]  /  das jnen mit nichten gebüre nach Weltlicher Herrschaft zu trachten /  vnd leret sie das jr Ampt vnd Beruff ein lauter Dienstampt sey.“ Euangelium am Tage des Apostels Bartholome / Luce am 22. Bl.  Gg 5; „ /  Gott nicht versuchen /  in vnserm Beruff /  im Predigampt /  oder Weltli­ chen Regimenten /  oder Hausstand trewlich vnd vleissig arbeiten.“ Euangelium am Tage Mischaelis des Ertzengels / Matth. 18. Bl.  Ji 5; „ /  führet die Oberkeit nicht /  denn jhr Ampt vnd Beruff ist nicht gerichtet auff das ewige Leben.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B viiv. 477  „all die grausame tyrannei vnd vngerechtigkeit /  die in allen Regimenten /  in allen Königreichen /  Fürstenhoffen vnd stedten.“ Sechs Predigten vom Ampt vnd Wolthaten Jesu Christi (wie Anm. 468), Bl. 701. 478  „ /  das die Obrigkeit Gottes Geschöpff vnd Ordnung sey“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mat. 22. Bl.  129b. 479  Vrsach / Warumb (wie Anm. 156), Bl.  B iii–B iiiv; „ /  das Er solche hohe Ingenia giebt in den hohen Stenden /  vnd auch zu bitten.“ Postilla (wie Anm. 137), Vorrede. Bl. A 5. 480  Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 328. 481  Oratio funebris (wie Anm. 166), Bl. 22.

134

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

ii) ordo Zuletzt soll Heshusius’ Ordoauffassung skizziert werden, um die Bedeutung der Obrigkeit für die Aufrechterhaltung der guten gesellschaftlichen Ordnung noch deutlicher zu erfassen. Denn seine Obrigkeitsauffassung geht am besten aus diesem Verständnis hervor, und so kann eine mögliche Fehlinterpretation vermieden werden. (1)  Häufig versteht Heshusius den Begriff ordo in Kombination mit Gu­ te Policey. Die Policey wird als Lehnwort Ende des 15. Jahrhunderts in die deutsche politische Sprache übernommen. Sie steht einerseits synonym für Ordnung und ist auch eng mit dem Bereich der Disziplin, der Zucht, das heißt der sittlichen Ordnung verbunden. Die Policey ist eine zumindest im 16. Jahrhundert geläufige Bezeichnung für einzelne (Ver)ordnungen,482 die zur Verwirklichung des geregelten Verhältnisses eines Gemeinwesens erlassen werden. In der Regel erscheint auch dieser Begriff in den Schriften Heshusius’ nicht allein, sondern mit einem Attribut wie z. B. gut. Als meist zweigliedrige Kombination tritt dieser Begriff auf als Policey und Ordnung oder Gesetz und Ordnung483 oder auch Prozess und Ordnung484, wobei es sich jeweils um eine „Synonymkombination“ handelt. Deshalb heißt es in Heshusius’ berühmter Magdeburger Streitschrift: „als gewisse ordnung vnd proces im Gericht /  gewisse vnterscheidene straffe /  gesetze von Erbscheidung /  von Testamenten Policey ordnung vnd dergleichen /  weltlichen gesetzen der Oberkeit die Vnterthanen nicht weniger schuldig sind zu gehorsamen /  denn wenn sie Gott selbst hette im Gesetz ausgedruckt […] Darumb Moises selbst in seinem Regiment muste auch Policey ordnung machen /  von straffen vnd Erbscheidungen /  vnnd wenn ein newer fall kam /  dauon kein gesetz war aus gedruckt /  muste er ein new gesetz auffrichten. Dieweil wir Christen nu durch die ankunfft Christi von allen Policey ordnungen vnnd Kirchengesetzen Moisis gefreyet sind /  mus vnser Oberkeit die gewalt haben /  gesetz vnd ordnung zu machen die zu erörterung der jrrigen sachen /  vnd zur Regierung nötig sind.“485 482  „Wie auch Moise in seiner Policey ordnet.“ Sechs Predigten vom Gesetz Gottes. Lauingen 1569 [HAB Wf ALVENSLEBEN Dm 228. 2]. Bl. H. Im Folgenden Sechs Predigten vom Gesetz Gottes. 483  „Weltliche Oberkeit füret nicht allein Gottes gesetz /  als die zehen Gebot /  sondern hat auch macht newe Gesetz vnd ordnung zu machen /  die in den Zehen Geboten oder in der Schrifft nicht ausgedruckt sind.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B viiv. 484  „ /  als gewisse ordnung vnd proces im Gericht /  gewisse vnterscheidene straffe /  gesetze von Erbscheidung /  von Testamenten Policey ordnung vnd dergleichen /  weltlichen gesetzen der Oberkeit die Vnterthanen nicht weniger schuldig sind zu gehorsamen /  denn wenn sie Gott selbst hette im Gesetz ausgedruckt.“ Ebd. Bl.  B viiv. 485  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B viiv–B v iii.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius135

Diese „Synonymkombination“ findet sich ebenfalls an anderer Stelle, so z. B. in der Bremer Protestschrift: „Dadurch denn nicht allein der zeitliche Fried zerstöret /  alle gute Ordnung vnd Policey zerrüttet /  grausame vneinigkeit misstrew vnnd empörung vnter dem Bürgern gestifftet wird /  Sondern das viel ein grössers ist Gottes Name gelestert /  der ware Gottes dienst vnterdruckt /  vnd der armen Leut seligkeit vnd ewige wolfart verhindert wird […] Wie man denn sihet in allen Kirchen Historien /  […].“486

Auch findet sich die „Synonymkombination“ in seiner Leichenpredigt auf den Herzog Johann Wilhelm von Sachsen, dieses Mal steht der Begriff der Regierung anstelle von Ordnung: „Daranch hat er gar weishlich vorsehungen getahn, erstlich der Kirchen vnd Schuelen, daranch der Regierung vnd pollicey, zum dritten der haushaltung.“487 Auffallend ist, dass Heshusius den Begriff der Policey in Verbindung mit der Dreiständelehre innerhalb des Hausregiments ebenfalls gebraucht. In seiner Helmstedter Predigt heißt es: „Jm Hausregimment gehets auch also gemeiniglich zu /  […]  /  Sol denn einer nicht vernünfftiglich regieren: jm lassen ein ernst sein /  gute Policey ordnen: sol denn einer nicht arbeiten /  nicht wol Haushalten /  weil es so bald wiederum verderbet ist. Antwort? Man sol ja vernünfftig regieren /  gute ordnung machen /  nach frieden trachten arbeiten /  vnd wol Haushalten /  Aber inn seiner Ordnung sein datum sol er nicht darauff setzen /  es sol nicht das fürnmeste sein.“488 Es lässt sich feststellen, dass Heshusius die Magistrate und Fürsten unter dem Zeichen der Guten Policey nicht mehr als bloße Verwalter des Rechts und des Gesetzes begriff, sondern ihnen legislative Gewalt zugestand. Sie waren berechtigt, in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und vor allem ins Kirchenwesen einzugreifen und ihren Wirkungsbereich zu erweitern, um durch eine Fülle von Edikten (Landes-, Stadt-, Dorf-, und Kirchenordnungen usw.) die als Missstände wahrgenommenen Zustände zu beseitigen. In diesem Zusammenhang war Heshusius’ Vorstellung von Policey eng verknüpft mit dem im 16. Jahrhundert bereits gängigen Begriff der Guten Ordnung. Diese bildete eine vergleichsweise neue obrigkeitliche Norm, die teilweise sogar als ausufernde Verordnungsmanie bzw. eine potentielle Allzuständigkeit der Obrigkeiten bezeichnet werden darf. Eine solche konnte nicht folgenlos für Herrschaft und Herrschaftsverständnis bleiben, wie Seresse zu Recht bemerkt hat.489 Prediger zu Bremen (wie Anm. 155), Bl. Fv–F iiv. funberis (wie Anm. 137), Bl. 47. 488  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl. 87v. 489  Vgl. V. Seresse, Politische Normen in Cleve-Mark (wie Anm. 219), S. 174 ff. 486  Der

487  Oratio

136

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

(2) Heshusius gebraucht den ordo-Begriff als das Prinzip geordneter Verhältnisse des Gemeinwesens und als Voraussetzung für die Verwirklichung des Gemeinwohls im Sinne der Dreiständelehre. In seiner Beantwortung einer umstrittenen Frage, ob die weltliche Obrigkeit bei der Pfarrerbestellung und Amtsenthebung völlig ausgeschlossen werden solle, äußert sich dieses Verständnis: „Wann nu von auffstellung vnd annemung eines Pfarherns oder Predigers ist geratschlagt /  vnd die nota in der Gerbkammer colligirt worden sindt /  haben jmmerdar die Bürgermeister /  Kemmerer vnd Rathmannen die ersten stimmen in der sachen gehabt /  vnd hat ohn ihr consens vnd verwilligung nichts könne geschlossen werden. Diese Christliche nützliche Ordnung /  hat meines wissens niemandt von vns Predigern angefochten“490.

(3) Der Begriff ordo wird von Heshusius ähnlich wie von Melanchthon sehr häufig als der durch Gott zum Heil der Menschen und zum salus so­ cietatis humanae gestiftete Grundriss rechtlicher Institutionen491 – wie z. B. Obrigkeit, Ehe, Eigentum, Vertragsrecht, Strafrecht – sowie als die natürliche Veranlagung des Menschen zur Übernahme und Ausgestaltung dieser Institutionen schlechthin aufgefasst: „Et si autem ratio ipsa aliquo modo intelligit ciuilem gubernationem, leges, iudicia, poenas, contractus, esse pulcherum ordinem, necessarium salutarem societati humanae: vnde apud Ethnicos commendationes elegantes huius ordinis leguntur: tamen nec conscientiam satis erudit Philosophia de his rebus, nec stabili sententia ostendit.“492 In der Regel erscheint deshalb ordo in den Schriften von Heshusius nicht allein, sondern zumeist, wie oben erwähnt, mit politicus als Grundinstitutionen der societas civilis, also als Träger der gesellschaftlichen Ordnung bzw. als ein unentbehrlicher Teil der gesamten menschlichen Ordnung: „In hoc psalmo Spritus sanctus alloquitur magistratum politicum et rectores orbis, ac docet, politicum ordniem à Deo constitutum esse et conseruari.“493 Also zeigt sich (wie Anm. 355), Bl. E iiij–E iiiijv. Dazu R. B. Huschke, Melanchthons Lehre vom Ordo politicus (wie Anm. 177), S. 125 ff. 492  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 388b; „necessaria est in Ecclesia, doctrina de politico magistratu. Cum enim Ecclesia in hac vita inter homines colligatur, et egeat cibo, potu, hospicio, defensione, legibus, iudicijs, contractibus. Ebd. 388–388b; „Distinguant ergo pij inter ordinem qui à Deo est et salutaris est societati humanae, vt sunt leges, iudicia, functiones, poenae, contractus, bella legitima, disciplina, distincito dominiorum: et inter personas quae saepè sunt vasa irae, et organa Satanae. Ebd. S. 392. „Id est, homines peruersos, improbos […] voluntatibus potentum posse accommodare quibus religio, veritas, Ecclesia, schola, respublica, iustitia, non est curae.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 389b; „Intereà vel non tanguntur cura Ecclesiae, scholarum, Reipublicae, pacis, legum, disciplinae subditorum.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 327. 493  Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 325; „tanta est hominum malicia, et tam variae Satanae insidiae, subindè turbantis politicum ordinem.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), 490  Notwehr 491  Vgl.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius137

die antike, insbesondere aristotelische Tradition, das heißt naturrechtliche ordo-Auffassung, im Verständnis des ordo-Begriffs von Heshusius so, wie es bei seinem Lehrer Melanchthon der Fall war.494 (4)  Ebenfalls findet sich ordo zusammen mit politicus, wie oben bereits erwähnt, sehr häufig als politischer Stand im Sinne der lutherischen Ständelehre, das heißt als ein Stand neben den beiden anderen Ständen, deren Aufgabe und Pflicht darin besteht, Hüterin der bestehenden gesellschaft­ lichen bzw. menschlichen Ordnung zu sein, also als magistratus bzw. weltliche Obrigkeit: „Es ist keine Oberkeit /  sie ist von Gott. Dan. 2. Gott vom Himmel hat dir König /  Königreiche /  Macht  /  Strecke vnd Ehre gegeben. Diese Ordnung hat Gott also gefallen /  das Er auff Erden eingesetzt hat Könige /  Fürsten /  Herren /  Oberkeit /  Bürgermeistern /  Ratsherren /  Scheppen /  Richter.“495 S. 388b; „sed Deum omnipotentem authorem esse imperiorum et totius politici ordinis, qui velit certos homines suo loco prae esse alijs, ius dicere inter homines et populos certis regere legibus.“ Ebd.; „Nihil magnificentius neq; ausgustius de politico ordine dici potest.“ Ebd. S. 327b; „et petit vt ipse aeternus Deus velit esse custos et defensor politici ordinis sui operis.“ Ebd. S. 328; „Ne igitur abijcias po­ liticum ordine propter confusiones quas Satan et eius organa inuehunt.“ Ebd.; „Die Weltweisen vnd Philosophie haben weltliche Obrigkeit /  als eine feine Ordnung /  wol etwas gerühmet /  denn sie haben gesehen /  das die Welt one solche ordnung nicht stehen könne.“ Psalm 19 (wie Anm. 355), Bl. Ov; „Quod ordo politicus sit status vitae Deo placens, siquidem pro salutari gubernatione Dauid gratias agit Deo, et regnum suum vocat ciuitatem Dei, in qua ipse Deus sit praesens.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 391; „tanta est hominum malicia, et tam variae Satanae insidiae, subindè turbantis politicum ordinem.“ Ebd. S. 388b; „sed Deum omnipotentem authorem esse imperiorum et totius politici ordinis, qui velit certos homines suo loco prae esse alijs, ius dicere inter homines et populos certis regere legibus.“ Ebd; „In hoc psalmo Spiritus sanctus alloquitur magistratum politicum et rectores orbis, ac docet, politicum ordinem a Deo constitutum esse.“ Ebd. S. 325; „Nihil magnificentius neq; ausgustius de politico ordine dici potest.“ Ebd. S. 327b; „et petit vt ipse aeternus Deus velit esse custos et defensor politici ordinis sui operis.“ Ebd. S. 328; „Den Keyser vnd alle Weltliche Obrigkeit hat Gott von Himel auff Erden gestifftet vnd eingesetzt.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mat. 22. Bl.  130b; „Es ist keine Oberkeit /  sie ist von Gott. Dan. 2. Gott vom Himmel hat dir König /  Königreiche /  Macht  /  Strecke vnd Ehre gegeben. Diese Ordnung hat Gott also gefallen /  das Er auff Erden eingesetzt hat Könige /  Fürsten /  Herren /  Oberkeit /  Bürgermeistern /  Ratsherren /  Scheppen /  Richter.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Tage Jacobi des Grössern /  Marci am 10. Capitel. Bl.  Ef 4; „Wer sich wider die Oberkeit setzet /  der wiederstrebet Gottes Ordnung“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Tage des Apostels Bartholome / Luce am 22. Bl.  Gg. 3. 494  Dazu ausführlich I. Deflers, Lex und Ordo (wie Anm. 300), S. 178 ff. 495  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Tage Jacobi des Grössern /  Marci am 10. Capitel. Bl.  Ef 4; „Darumb auch ein Christ nicht allein mit gutem gewissen /  solchen Oberstand füren kann /  ein Oberkeit /  ein Rathsherr sein /  die sachen für

138

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

(5) Heshusius vertritt in seinem ordo-Gedanken ohne Zweifel die Auffassung, das Ziel jeglichen politischen Handelns bzw. politiktheoretischer Überlegung solle in der Wiederherstellung besserer, geordneterer oder gerechterer Ursprungszustände liegen. Heshusius steht hier in Übereinstimmung mit einer sogar bis in die Antike bzw. auf Augustinus zurückgehenden Überzeugung. In seinem dogmatischen Lehrbuch erläutert Heshusius: „Der ewige Allmechtige Gott hat aus sonderlichem weisen rath /  vnter dem Menschlichem geschlecht ein solche ordnung gemacht /  das er an seine stet gesetzt hat /  die weltliche Oberkeit /  vnnd wil das sie die anderen Menschen regieren sollen /  jnen gebieten vnnd verbieten /  was recht ist /  auff das die Gerechtigkeit /  gemeiner friede /  vnd gute zucht gehand habet /  vnnd gefürderet werde /  vnnd die bürgerliche nachbarliche gesellschaft vnnd gemeinschaft in still vnnd ruhe erhalten werde.“496

Da diese Auffassung geradezu ein Ordnungsleitbild für Heshusius darzustellen scheint, ist sie im Zusammenhang mit der Dreiständelehre als Herrschafts- und Ordnungsvorstellung von nicht unerheblicher Bedeutung: Der allmächtige Gott, so drückt Heshusius unmissverständlich aus, habe die weltliche Obrigkeit eingesetzt, damit die bürgerliche und menschliche Gesellschaft in Stille und Ruhe erhalten wird. Hinter dieser Äußerung lässt sich die bereits von Augustinus vertretene und von der mittelalterlichen politischen Literatur geprägte Friedens- und Harmonievorstellung „Ruhe in der Ordnung“ (tranquillitas ordinis) deutlich erkennen, die im geordneten Zusammenspiel der Teile des politischen Körpers den anzustrebenden Ideal­ zustand der politischen Ordnung sieht.497 Ebenfalls thematisiert Heshusius vnnd im gericht handeln /  darinnen vrteilen krieg füren /  zur rettung des vaterlandes /  Sondern auch der jene /  so das richtliche ampt verwaltet /  in aller furcht Gottes /  das er damit dem vaterland /  der Kirchen Gottes /  vnd der gantzen gemeine /  nützlich dienet vnd vorsteht.“ Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 3b–Tt 4; „Die Weltweisen vnd Philosophie haben weltliche Obrigkeit /  als eine feine Ordnung /  wol etwas gerühmet /  denn sie haben gesehen /  das die Welt one solche ordnung nicht stehen könne.“ Psalm 19 (wie Anm. 355), Bl. Ov; „Dis gehet auff den Geistlichen Stand /  denn die Schrifft vergleichet die Prediger den Ackerleuten […] Dis kan fein auff den Weltlichen Stand der Obrigkeit gezogen werden /  denn die Schrifft vergleichet offt die mechtigen vnd starcken Regenten /  den starcken fetten ochsen vnd Farren […] Der dritte spricht /  er hab ein Weib genommen /  darumb könne er nicht kommen /  Hiermit wird die sicherheit vnd Gottlosigkeit des gemeinen Mannes gedeutet in dem vntersten Stande gehet es auch also zu.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am II. Sontage nach Trinitatis Luce 14. Bl. 16b–17b; Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am II. Sontage nach Trinitatis Luce. 14. Bl. 16b; Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl.  86; „Die Herrn Regenten so im Stand der Oberkeit“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Tage Mischaleis des Ertzengels / Matth. 18. Bl.  Kf 4. 496  Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 3. 497  Dazu vgl. O. G. Oexle, Konflikt und Konsens, in: H. Münkler / H. Bluhm (Hg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn (wie Anm. 203), S. 65 ff.; T. Simon, Gute Policey (wie Anm. 377), S. 127.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius139

seine Tugendlehre im Rahmen dieser Ordnungszielvorstellung. Im Zusammenhang mit der Aufgabe und Rolle der Obrigkeit als executor legis äußert er sich in seinem Psalm-Kommentar folgendermaßen: „Vult enim Deus conseruari honestatem in mundo, magistratum vult esse executorem legis, qui sit terrori malo operi, verè probis nocet.. (vt Seneca dixit) qui parcet improbis Magna ergò virtus est, haec seueritas in puniendis, et tollendis è medio impijs et sceleratis, vt à talibus vormicis liberetur ciuitas Dei, ne amplius blasphemetur nomen Dei, et ne pij boni malorum consortio corrumpantur, sed singui potis pietatem et virtutem colent, et tranquillè viuant.“498 Diese Äußerung macht deutlich, dass Heshusius, wie z. B. die Juristen des 16. Jahrhunderts Johannes Ferrarius (1486–1555), Johannes Oldendorf, Melchior von Osse und Konrad Heresbach,499 von einer von Gott geordneten menschlichen Gesellschaft ausging, mit anderen Worten von einer von Gott vorgegebenen, richtigen Ordnung, die mit der Zeit, bedingt vor allem durch die Bosheit der Menschen, in Verfall geraten war und wieder rekonstituiert werden musste. Es bedurfte daher auch für Heshusius keiner systematischen, auf ein zukünftiges Entwicklungsziel ausgerichteten Handlungsstrategie. Aus seiner Sicht war der angestrebte Ordnungszustand eines „fehler-, mängel- und störungsfreien“ Systems in der Vergangenheit schon existent gewesen; er musste demnach auch nicht neu entwickelt werden, sondern nur von einzelnen Störungen und Fehlern, von Missbräuchen, Mängeln und Unordnung befreit werden. Da dieser „störungsfreie Urzustand“ als etwas Vorgegebenes und nicht erst vom Menschen neu zu konstituierendes betrachtet wurde, stand nicht er bei Heshusius im Mittelpunkt der Policeyordnungen bzw. -vorstellungen, sondern die Störungen, Missbräuche, Mängel und die Unordnung, die das Gemeinwesen von diesem vollkommenen Ausgangszustand entfernten.500 Die Begriffe Missbrauch, Unordnung und Mängel bezeichneten bei Heshusius typischerweise solche Veränderungen bzw. Störungen, eine Begriffskette, die auch für die Autoren der Regimentstraktate des 16. Jahrhunderts charakteristisch ist. Bei Heshusius stehen aber im Unterschied zu z. B. Johannes Ferrarius501 besonders die religiösen Missbräuche, die den grund498  Psalm

101 (wie anm. 302), S. 391. Ordnungsgedanke bei Luther und im Luthertum vgl. M. Honecker, Einführung in die theologische Ethik (wie Anm. 221), S. 291–303; T. Simon, Gute Policey (wie Anm. 377), S. 129–130. Insbesondere S. 126 ff. 500  T. Simon, Gute Policey (wie Anm. 377), S. 129–130. Insbesondere S. 126 ff. 501  Ebd. S. 131. Dazu auch L. Schorn-Schütte, „den eygen nutz hindansetzen und der Gemeyn wolfart suchen“. Überlegungen zum Wandel politischer Normen im 16. / 17. Jahrhundert, in: H. Neuhaus / B. Stollberg-Rilinger (Hg.), Menschen und Strukturen in der Geschichte Alteuropas. Festschrift für Johannes Kunisch, Berlin 2002, S. 167–184. Insbeosndere S. 171 ff. 499  Zur

140

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

sätzlich positiven Ordnungszustand des Gemeinwesens im Laufe der Zeit durcheinander bringen, an erster Stelle. Konfessionelle Vielfalt bzw. Uneinigkeit, „unreine“ Lehre (die sektierische Lehre, insbesondere Calvinismus, Täufertum usw.), sie sind für das Gemeinwesen besonders schädlich und verlangen daher zuerst nach Abhilfe. In der Leichenpredigt auf Herzog Johann von Wilhelm von Sachsen stellt Heshusius heraus, dass der Fürst befohlen habe, gottesfürchtige Diener statt falscher Lehrer anzustellen, denn jene seien besonders „den Kirchen vnd gemeinem nutz vor schedlich vnd vorderblich“.502 Zu diesen Missbräuchen gehören auch insbesondere die Veränderung bzw. Zerstörung des Gleichgewichts der drei Stände der Kirche. Sei es in Gestalt des Eingreifens bzw. der Einmischung der weltlichen Obrigkeit in die Belange der Kirche ohne Konsens der anderern Stände (status ecclesi­ asticus und status oeconomicus) oder auch umgekehrt, durch die Grenzverletzung der Geistlichkeit, wo sie in das Amt der Obrigkeit eindringe.503 Diese Einmischung in Gestalt des cäsaropapismus oder papocäsarismus ist aus Heshusius’ Sicht als wichtigste Ursache aller Ordnungsstörungen bzw. Ordnungsveränderungen anzusehen. Für Heshusius befindet sich das Gemeinwesen erst dann in guter, von Gott geordneter Ordnung, das heißt in Harmonie, Frieden, Ruhe und sogar Freiheit, wenn das Gleichgewicht bzw. das gleichberechtigte Kräfteverhältnis zwischen den drei Teilen des christlichen Körpers, ecclesia, politia und oeconomia, bewahrt wird, das heißt, wenn das bürgerliche Gemeinwesen im geordneten funktionalen Zusammenspiel und gleichberechtigten und gleichrangigen Nebeneinander der drei Stände des corpus christi ist. Versucht sich aber die weltliche Obrigkeit eben mit ihrer obrigkeitlichen Kompetenz in kirchliche Angelegenheiten einzumischen, wird dieses Gleichgewicht der von Gott geordneten drei Stände-Grundordnung zerstört und in Unordnung und Unharmonie des Gemeinwesens gebracht. Deshalb warnt Heshusius die weltliche Obrigkeit sowie auch die Geistlichkeit vor der Einmischung und vor dem Eingreifen in das fremde Amt und gemahnt unermüdlich an das gleichberechtigte Kräfteverhältnis der drei Stände, sobald dieses Gleichgewicht von einer Störung bedroht ist: „Dann der Son Gotes gestehet keinem Regenten einiges gebots oder verbots in seinem Geystlichen reych /  welches er mit seinem tewren 502  Oratio

fvnebris (wie Anm. 166), Bl. 48. dritte bschuldigung /  ist von misbrauch der Kirchenschlüssel […] Den misbrauch der Kircheschlüssel heist /  das ein Prediger die gewalt so jm von der hohen Maiestet Gottes auff Erden gegeben /  den armen betrübten vnd zur Hellen verstossenen /  […]  /  Also verkeren /  vnd aus Gottes verachtung /  böser adfection /  oder gesucht seines nutzes dahin misbrauchen das die jenigen so er zu gnaden auff­ nemen /  vnd mit dem Euangelio trösten sol /  zur Hellen verdammet /  absolutio /  trost vnnd reichung der Sacrament abschlegt.“ Notwehr (wie Anm. 355), Bl. F–Fv. 503  „DJe



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius141

Blut erworben /  vnnd mit seinem klaren Wort gefasset vnnd befridet hat /  Dann da Christus sagt /  Gebt dem Keyser was des Keysers ist /  vnd Gottes was Gottes ist /  verbeut es dem Keyser vnd allen Regenten /  das sie dem lieben Gott inn sein geystlich Reych als inn einer frembden Herrschafft keinen eingryff thun sollen /  sondern das gehn lassen wies Gott verordnet.“504 Unmittelbar danach folgen diejenigen Missbräuche seitens der weltlichen Obrigkeit, welche im Versäumnis und in der Vernachlässigung der ihr von Gott anvertrauten Aufgaben und Pflichten als custos legis und insbesondere als custos utriusque tabulae bestehen. Deshalb bezeichnet er auch Abgötterei als höchste Ungerechtigkeit bzw. als falsche und unreine Lehre, die für das Gemeinwohl schädlich und verderblich sei. Neben diesem Versäumnis der Aufgabe und Pflicht stehen ebenfalls die Mängel im Schul- und Universitätswesen. Das Leitmotiv von Heshusius’ Policeylehre kommt ebenfalls im Abschnitt „De causis poenarum ciuilium“ in seinem Kommentar über Römerbrief 13 deutlich zum Ausdruck: „Armauit Deus politicum magistratum gladio, et iubet eum de sontibus ciuiles sumere poenas. Non frustra inquit Paulus gerit gladium. Est enìm minister Dei, et vindex ad iram ei qui peratur malum: sunt atuem cause grauißimae cur velit Deus externis sceleribus delinquentes contra Deum, et societatem humanam turbantes ciuile et corporali poena per magistratum adfici […] Tertia, Vt in societate humana pax et tranquillitas conseruetur.“505

Hinter der Äußerung „Vt in societate humana pax et tranquillitas conseruetur“ im Kontext der exekutiven Gewalt der weltlichen Obrigkeit lässt sich ebenfalls unmissverständlich das mittelalterliche Ordnungsideal tran­ quillitas ordinis erkennen.506 Dieses Beispiel macht bereits deutlich, wie eng juristische und theologische Bildung, Argumentation und Handlung im 16. Jahrhundert verzahnt waren, wie Schorn-Schütte zutreffend bemerkt hat.507 Hervorzuheben ist, dass sich Heshusius zwar zur Beschreibung des politischen Gemeinwesens und vor allem zur Verwirklichung des von Gott geordneten Gemeinwesens der Körpermetapher bedient, womit er gleichfalls 504  Vrsach / Warumb (wie Anm. 156), Bl.  A iiiv–A iiij; Dazu vgl. L. SchornSchütte, Überlegungen zum Wandel politischer Normen im 16. / 17. Jahrhundert (wie Anm. 501), S. 169. 505  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 398–398b. 506  Dazu vgl. O. G. Oexle, Konflikt und Konsens, in: H. Münkler / H. Bluhm (Hg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn (wie Anm. 202), S. 65 ff.; T. Simon, Gute Policey (wie Anm. 377), S. 127. 507  L. Schorn-Schütte, Politische Kommunikation in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 56), S. 304.

142

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

dem mittelalterlichen Sprachgebrauch folgt: Die „Gemein“ ist „ein leib von vielen gliedmassen,“508 von denen jedem eine bestimmte, nicht veränderbare Funktion zukommt. Heshusius lehnt jedoch strikt die so genannte mo­ narchische Herrschafts- und Ordnungsvorstellung, die aus diesem Körpervergleich resultiert, ab, derzufolge die weltliche Obrigkeit die Steuerungsfunktion und -kompetenz des politischen Gemeinwesen habe, weil sie allein das Haupt des „eigenständigen“ politischen Körpers sei, das ihn führt und lenkt. Dagegen vertrat er im Unterschied zu vielen Juristen des Mittelalters und des 16. Jahrhunderts wie z. B. Johanne Ferrarius509 die Idee eines cor­ pus christianum als aristokratische Herrschafts- und Ordnungsvorstellung, in welcher die weltliche Obrigkeit nur ein Teil der ecclesia als corpus christi neben den anderen beiden Teilen dieser ecclesia ist, dessen Haupt wiederum allein Jesus Christus ist. Deshalb widersprach Heshusius in seiner Magdeburger-Streitschrift der Argumentation des Ratssyndikus Frantz Pfeil,510 „Die Oeberkeit sei der Kirchen fürnemes Glied“,511 mit der dieser den Herrschaftsanspruch der Obrigkeit auf das geistliche Amt und insbesondere auf das ius vocandi hervorhob. Heshusius betonte: „Man werde den wahren Wortsinn des Rats noch deutlicher erkennen, wenn man dieses Wort auf den Körper bezöge. Man verstehe unter „das fürnehme Glied“ nicht ein Auge oder eine Hand, sondern das Haupt selbst […] Also der Kirchen fürnemes gliedt sei niemand anders als Jesus Christus selbst.“512 Ebenfalls kommt diese aristokratische Herrschafts- und Ordnungsvorstellung in seiner anderen Magdeburger Streitschrift deutlich zum Ausdruck: „Jtziger zeit hats viel ein andere meinung /  da sich die Christliche Oberkeit zum heiligen Euangelio bekennet /  vnnd ein fürnemes Gliedmas ist der Christlichen Kir­ chen. Derwegen sie sampt vnd mit der gemeine gottes in erwelung der Prediger vnd Seelsorger zustimmen.“513 Für Heshusius war die weltliche Obrigkeit zwar das Haupt innerhalb des politischen Körpers, aber keineswegs das Haupt innerhalb des corpus chris­ tianum, das die Funktion und Tätigkeit aller anderen Glieder des christlichen 508  Zitiert

nach T. Simon, Gute Policey (wie Anm. 377), S. 128. Simon, Gute Policey (wie Anm. 377), S. 128. 510  Der Altenstadt Magdeburgk Syndici d. Frantzen Pfeyls Notwendige Protestation. Kegenbericht und Erklerung wider Tilemanni Heshusij Schmachbucht. Magdeburg 1563 [HAB Alv. 2080 10]. Bl. D iii. Im Folgenden Notwendige Protestation; Des Radts der Altenstadt Magdeburgk. Bericht, was beweglichen ursachen sich jtziger hendel zugetragen, sampt angehengter Christlicher bitt, ermanung und erbietung. Magdeburg 1562 [HAB Alv. 2080 1]. Bl. B ii. Im Folgenden Des Radts der Altenstadt. 511  Gründliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. C ii. 512  Ebd. 513  Vom Ampt und gewalt (wie Anm. 154), Bl. O–Ov. 509  T.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius143

Körpers allein bestimmt und lenkt. Die weltliche Obrigkeit ist daher nur ein Teil der ecclesia als corpus christi neben den anderen beiden Teilen dieser ecclesia, und das Haupt des corpus christianum ist allein Jesus Christus. Die ecclesia habe nur als membrum des corpus christi wie die Glieder des menschlichen Körpers dem Haupt, d. h. Jesus Christus, zu folgen. Für Heshusius war die weltliche Obrigkeit lediglich ein Stand der ecclesia als corpus christi neben den beiden anderen, der über ein Mitbestimmungsrecht verfügte. Dieses Legitimationsmuster von Heshusius, die weltliche Obrigkeit sei nur unum membrum christi, kommt an anderer Stelle in derselben Schrift noch deutlicher zum Ausdruck: „Das die Oeberkeit sei das Heupt der Kirchen ist ein elend der behelff. Denn mit dem lesterlichen wort /  darin er gesetzt die Oeberkeit sei der Kirchen Gottes fürnemes gliedt /  hat er sie nicht allein zum Häupt desselben /  sondern auch zum Schöpffer vnd Heilandt /  ja zum Gott vber Himmel vnd Erden gesetzt /  vnd vber alles erhaben. Wenn jemandts on allen vorbehalt geding /  oder erklerung des Leibs fürnems gliedt nennet vnnd deutet /  ist niemandts so grob /  der es von der handt oder vom Auge verstehe /  sondern iedermenniglich der vernunfft hat /  vnd der Reden art kennet /  deutet auffs Häupt. Also wenn man von fürnemen gliedt des Leibs Christi /  der Allgemeinen Gottes Kirche redet /  sol vnd muss es von keinem andern /  von Häupt /  Herrn vnd Heilandt Jhesu Christo verstanden werden. Wenn mann von andern fürnemen Gliedern Reden will die zum Leibe Jhesu Christ gehöre /  vnd doch das Häupt nicht seint /  muss solches mit guter bescheidenheit geschehen.“514

In der Magdeburger Debatte zeigt sich deutlich eine Fortsetzung zweier Argumentationsstränge mit unterschiedlichen Kirchen- und Staatsauffassungen, worauf wir im Abschnitt „Dreiständelehre“ noch ausführlicher eingehen werden. (6) Heshusius gebraucht den Begriff ordo sehr häufig auch als Synonym für Stand im Sinne der reformatorischen Dreiständelehre, also status bzw. Regiment: „aus der Gottlichen zuhauff fugung vnd Erhaltung des ehrlichen Ehestandes […] /  dz solche heusliche regiment vnd richtliche ordnung in stedten vnd Landen […] /  Das ein Gott sey dem solche heusliche Regiment vnnd richtliche Ordnung gefalle /  Vnnd derwegen Er selbst /  den ehrlichen Ehestandt ordne […] Auch nach seinem willen Haus vnnd weltliche Regi­ ment erhalte oder verendere.“515 wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. C iiij–C iiijv. Theologicum (wie Anm. 137), Bl. 21–22; „ /  das wo Gott nicht werte vnd bere seiner ordnung hielete /  wurde kein Mensch auff erden vom ehestandt zusagen wissen. Aber das erwecket Gott erware hertzen /  die den Ehestand als eine lobli­ che ordnung hoch vnd werde achten.“ Hauptartickel (wie Anm. 386), Bl. O iii; „Wenn falsche Lere /  Epicurische verachtung /  Gottes wesen /  die heilige Orden vnd Stende /  das heilige Predigampt /  das Weltliche Regiment /  vnd den Hausstand hat eingenommen / “. Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 25. Sontage nach Trinitatis / Matth am 24. Bl. 139; Vgl. dazu M. Brecht, Martin Luther Bd. II. (wie Anm. 177), S. 312. 514  Gründliche 515  Examen

144

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

(7) Heshusius versteht unter ordo auch, wie oben bereits erwähnt, eine ordinatio, eine Anordnung Gottes: „vt sunt iudicia, leges, poenae scelerum, legitima bella, sunt in signia Dei dona vt Paulus vocat, ordinatio.“516 (8) Heshusius verwendet den Begriff ordo ebenfalls mit Bezug auf konkrete politische Ämter bzw. Amtsträger: „Es ist keine Oberkeit /  sie ist von Gott […] Diese Ordnung hat gott also gefallen /  das Er auff Erden eingesetzt hat Könige /  Fürsten /  Herren /  Oberkeit /  Bürgermeistern /  Rathsherren /  Scheppen /  Richter.“517 (9) Heshusius versteht ordo im Zusammenhang mit dem Gemeinwesen als Synonym für disciplina. Deshalb hieß es in seinem Römerbrief-Kommentar, in dem er im Kontext des Untertanengehorsams äußerte: „primum legibus diuinis quarum custos et executor est Magistratus: Deinde honestis etiam legibus Magistratus, quae disciplinae et ordinis causa sunt promul­ gatae, nec pugnant cum verbo Dei, neq; cum iurae naturae.“518 Ebenfalls findet sich diese Auffassung in seinem Psalm-Kommentar: „primum iusta seueritas et Zelus detestans impietatem et scelera. Nisi enim princeps abhorreat plane a sceleribus, et statuat se à Deo constitutum esse disciplinae, et honestatis custodem, negliget plane iudicium neQ; ad se pertinere putabit, siue honesti, siue turpiter viuant subditi.“519 jj) Fazit Melanchthon und seine Schüler haben ihre Lehre vom „Staat“ bzw. von der Obrigkeit auf der antiken Begrifflichkeit und Tradition aufgebaut. Dies hat Werner Elert durch seine Untersuchung des societas-Begriffs und anderer aus der antiken Moral- und Staatslehre übernommener Begriffe wie res publica, politia, civitas belegt.520 Diese These Elerts vom Einfluss der An516  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 390b; „QVòd politicus ordo, sit opus et ordina­ tio Dei, in qua Deus sit praesens, et quae curae sit Deo.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 328. „Contra hanc tentationem munit Apostolus Paulus mentes, et docet discrimen esse faciendum inter Dei ordinationem seu politicum magitsratum, et inter personas, et earum vicia. Ipse ordo politicus, et quidquid ad politicam gubernationem pertinet.“ Ebd. S. 391; „sed potius verò adfectu cordis agnoscimus magistratum politicum esse ordinationem diuinam eumq; bono nostro constitutum.“ Ebd. S. 394b. 517  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am tage der Himmelfarth Jesu Christi /  Marc. 16. Bl.  Ef 4; „Weltliche Oberkeit /  Keiser /  Könige /  Fürsten vnd Bürgermeis­ ter sind Lerer /  Diener vnd Schutzherrn des Göttlichen gesetzes.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B iiijv. 518  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 395b. 519  Pslam 101 (wie Anm. 302), S. 388. 520  W. Elert, Zur Terminologie der Staatslehre Melanchthons (wie Anm. 178), Allerdings bleiben die Nachweise Elerts etwas äußerlich, wie Huschke zutreffend



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius145

tike findet auch in Heshusius’ politischer Ethik Bestätigung. Heshusius blieb in seiner Begrifflichkeit der antiken römischen Philosophie- und Rechtstradition, insbesondere der Nikomachischen Ethik des Aristoteles, der ciceronianischen Oikeiosis-Lehre verhaftet. Antike Motive und der Einfluss humanistisch-naturrechtlicher Elemente sind bei Heshusius virulent. Es erscheint schon deswegen für das Beispiel Heshusius unangebracht, von einem Patriarchalismus des lutherischen Obrigkeitstaates zu sprechen. An Heshusius’ Obrigkeitsterminologie lässt sich darüber hinaus ablesen, dass er vor allem von der eigenständigen Lehre Melanchthons vom ordo politicus stark beeinflusst wurde, die ihrerseits durch eine Synthese des antiken Ansatzes bzw. einer humanistischen Philosophie mit dem reformatorischen Glaubens gekennzeichnet ist, wie Bernhard Huschke in seiner grundlegenden Studie deutlich herausgestellt hat.521 Heshusius blieb zeitlebens diesem Gedanken verpflichtet. Für ihn existierte die politische Ordnung wie bei Melanchthon als eine Teilordnung des von Gott geschaffenen Gesamtordo aller Dinge. Der Begriff Obrigkeit bzw. „Staat“ war für Heshusius zumeist im Sinne von Melanchthons Lehre ein von Gott, wie die Dinge der Natur, geschaffener Grundriss rechtlicher Institutionen. Die Obrigkeit war dabei nur ein Träger der politischen sowie gesellschaftlichen Ordnung und existierte neben vielen anderen Trägern der menschlichen Ordnung – ein Glied bzw. ein Stand neben den anderen beiden Ständen. Dieses Verständnis zieht sich wie ein roter Faden durch die Schriften des Heshusius. Zudem hat die Untersuchung zeigen können, dass in seiner Begriffsbildung nicht nur die antike Tradition sowie die naturrechtlich-humanistischen Elemente Melanchthons vorkommen, sondern auch, insbesondere hinsichtlich der Begriffe respublica christiana und ordo, mittelalterliche Traditionen, nämlich die Einheits- und Ordnungsvorstellung im Sinne des corpus christianum. Hervorzuheben ist weiter, dass Heshusius nicht durchgehend der antiken, mittelalterlichen und melanchthonischen Begrifflichkeit und deren Inhalten verhaftet war, sondern dass er die „neuen“ reformatorischen Inhalte in die antiken und mittelalterlichen Begriffshüllen füllte. Die Analyse zeigte deutlich, dass er in den antiken und mittelalterlichen Begriffen wie z. B. respu­ blica, respublica christiana, ordo politicus, civitas, politia, ordo, status, cives und subditi immer wieder die reformatorischen Inhalte der vom Prinzip des allgemeinen Priestertums geprägten Dreiständelehre integrierte. So waren im Begriffsapparat des Heshusius also nicht die Inhalte des antiken bemerkt hat, da er nicht die ontologische und theologische Systematik der politischen Ethik Melanchthons in den Blick genommen hat. Vgl. dazu R. B. Huschke, Melanch­thonslehre (wie Anm. 177), S. 149. 521  R. B. Huschke, Melanchthonslehre (wie Anm. 177), S. 143 ff.

146

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

und alteuropäischen Republikanismus repräsentiert, sondern nur noch diejenigen des „konsensgestützten“ Herrschafts- und Ordnungsmodells. Deshalb sprach Heshusius jedem Stand der ecclesia als corpus christi die Trägerfunktion der Obrigkeitskritik und ein Widerstandsrecht zu. Das Konzept eines „Neuanstrichs“ praktizierte Heshusius aber auch bei den aus Melanch­ thons ordo-Lehre übernommenen Begriffen. Entscheidende Begrifflichkeiten und Inhalte, wie z. B. die Definition der Obrigkeit als praecipuum membrum ecclesiae, die Bezeichnung der obrigkeitlichen custodia utriusque tabulae, werden zwar von Melanchthon entlehnt,522 aber deren Deutung, die Obrigkeit sei „das vornehmste Glied der Kirche“, wird durch jene vom unum de praecipuis membris ecclesiae (ein Glied der Kirche) in Rückgriff auf die vom reformatorischen Prinzip des allgemeinen Priestertums geprägte Dreiständelehre Luthers ersetzt. Unter den vielfältigen Elementen in Heshusius’ Obrigkeitsterminologie sind es gerade die Gedanken Luthers, denen neben den antiken Elementen und der Lehrtradition Melanchthons große Bedeutung eingeräumt werden muss. Man kann zusammenfassen, dass Heshusius’ Obrigkeitsterminologie von der römisch-antiken Tradition fundiert und von mittelalterlichen, lutherischen und melanchthonschen Traditionen modelliert wird, und sein Werk somit eine Verzahnung bzw. ein Zusammenspiel von antiken, mittelalterlichen und reformatorischen Wissensbeständen repräsentiert. b) Heshusius’ Tugendverständnis Heshusius’ Äußerungen über den Topos Obrigkeit bzw. seine Überlegungen zur Gestaltung der politischen Ordnung berühren häufig den Themenkomplex der „Herrschertugenden“. Zwar definierte Heshusius keinen systematischen Tugendkatalog für den princeps christianus, wie es die Verfasser von Fürstenspiegeln, z. B. Melchior von Osse (1506 oder 1507–1557) oder Konrad Heresbach (1496–1576), oder die Verfasser von Regimentstraktaten, z. B. Johannes Ferrarius (1486–1558) oder Johannes Oldendorp (1487–1567), taten;523 jedoch stellt Heshusius seine Überlegungen zum Thema, insbesondere in seiner Leichenpredigt und seinem Psalm-Kommentar, abgerundet dar. Wie die Autoren der Fürstenspiegel vertrat er dabei die Ansicht, die weltliche Obrigkeit müsse eine entsprechende Erziehung und Bildung erhalten, um das Ideal eines princeps christianus zu erreichen und in angemessener Weise regieren zu können. Heshusius’ Äußerungen zu Tugendfragen des princeps christianus sind zwar nicht originell, aber seine theologisch 522  I.

Mager, T. Heshusen (wie Anm. 80), S. 357. dazu V. Seresse, Politische Normen im Kleve-Mark (wie Anm. 219), S. 273 ff.; T. Simon, Gute Policey (wie Anm. 377), S. 126 ff. 523  Vgl.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius147

und ethisch solide Argumentation ist für unsere Frage nach seinem Obrigkeitsverständnis, nach seinen Normen- und Wertvorstellungen sowie seine Charakterisierung der frühneuzeitlichen politischen Ordnung von großer Bedeutung. Deshalb soll hier ein Überblick über die Tugendelehre des Heshusius gegeben werden.524 aa) timor Dei Für Heshusius ist Gottesfurcht wie bei Luther und vielen anderen zeitgenössischen Verfassern der Fürstenspiegel die Hauptsäule der politischen Tugend. Sie soll eine fromme und christliche Obrigkeit vor allem auszeichnen. In seiner Herzog Heinrich Julius gewidmeten Postilla erörtert Heshusius: „Gott hat E. G. G. zu den hohen Wirden erhaben /  Land vnd Leute zu Regieren befohlen /  vnd ein Schweres Ampt auffgelegt. Wiewol nu gar viel zu solcher Regierung der Vnterthanen gehöret /  vnd die Weltweisen /  vnd Rechtsgelerten /  E. F. G. mancherley vnterrichten vnd erinnern können /  so will doch das furnempste sein /  das E. F. G. Gott fürchten /  sein heiliges Wort stets fur augen haben /  alle jre Rathschlege nach Gottes Wort richten[…].“525

Diese Auffassung zieht sich wie ein roter Faden durch seine Schriften. Hier seien ein paar Beispiele genannt: In seiner Leichenpredigt auf den Herzog Johann Wilhelm von Sachsen betonte Heshusius im Zusammenhang mit der Regierungsbilanz des Herrschers: „Gott recht erkennen der größte Tugend der weltlichen Obrigkeit sei.“526 In seiner Helmstedter Predigt präzisiert er: „Wir müssen je vnsere eltern vnd Preceptores nicht vber oder neben vnsern Herrn Gott lieben sondern die furcht Gottes /  glaube vnd lieb /  524  Zum Tugendbegriff in Antike, im Mittelalter und in der Neuzeit vgl. M. Honecker, Einführung in die Theologische Ethik (wie Anm. 221), S. 161–165. Wünschenswert wäre es, im Rahmen dieses Abschnittes all die Tugenden, die Heshusius in seinen Schriften behandelte, in die Analyse miteinzubeziehen, um seine Tugendlehre im vollen Umfang herauszustellen. Da Heshusius zumeist viele Tugenden lediglich am Rande einer Ausführung abhandelte, soll im Folgenden hauptsächlich auf die Tugenden eingegangen werden, mit denen er sich ausführlicher auseinandergesetzt hat. Dennoch zeigen die einschlägigen Tugendkataloge sowohl einen wesent­ lichen Teil der persönlichen Virtutes des Fürsten als auch dessen spezielle soziale Tugenden, die die unverzichtbare Grundlage seiner politischen Qualifikation bildeten. Bedeutsamer ist, dass Heshusius diese Tugendenkataloge bzw. die Einstellung und das Verhalten des Monarchen oft im engen Zusammenhang mit den Tugenden der Untertanen behandelt. Vermutlich misst er dem Verhalten des Fürsten gegenüber den Untertanen bzw. subditi zentrale Bedeutung zu. Vgl. dazu W. Weber, Prudentia gubernatoria. Studien zur Herrschaftslehre in der deutschen politischen Wissenschaft des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1992, S. 184 ff. 525  Postilla (wie Anm. 137), Bl. A 5. 526  Oratio fvnebris (wie Anm. 166), Bl. 40v.

148

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

vnd bekenntnis der warheit /  sol allen tugenden vorleuchten.“527 Die Gottesfurcht wird also als Primärtugend einer wahren christlichen Regierung akzentuiert. Sie bildet den zentralen Orientierungspunkt für alle persönlichen und amtlichen Handlungen der weltlichen Obrigkeit528: „IN hoc psalmo Spiritus sanctus alloquitur magistratum politicum et rectores orbis, ac docet, politicum ordinem à Deo constitutum esse et coseruari […], ac docet, quae nam officia Deus à magistratu politico postulet, quo timore Dei subditis praeesse debeant.“529 Für Heshusius ist mangelnde Gottesfurcht deshalb die Quelle allen Übels. Jedoch verwendet Heshusius diesen Begriff nicht wie Johann Arndt530 mit einer stärkeren ethischen Akzentuierung, sondern so wie Luther in einem streng theologischen, in der Souveränität Gottes begründeten Verständnis von Gottesfurcht. Bei Heshusius treten die moralischen Appelle zu einer frommen Lebensführung der weltlichen Obrigkeit kaum in den Vordergrund, sondern hinter die leidenschaftliche Betonung der Befehlsgewalt Gottes in Rekurs auf das 1. Gebot des Dekalogs zurück. Der persönliche aktive Lebenswandel der Regenten im öffentlichen Leben ist ihm daher nur Nebensache. Wie der Herrscher seine Regierung im Einzelnen „praktiziere“ oder ob er sich „einheitlich sein in Gedanken und Taten in der Nachfolge Christi übe“, scheint Heshusius nicht hauptsächlich. Der Fürst ist passiv von Gott abhängig. Deshalb bringt Heshusius in seiner Leichenpredigt an den Herzog Johann Wilhelm von Sachsen Gottesfurcht mit dem Gelingen der Regierung und pax et salus publica folgendermaßen in Zusammenhang: „Die weil Er nu ja ein frommer Gottfurchtiger furste war, so hat Gott sonderlich gluck vnd segen zue seiner Regierunge vorliehen, drum ja die land allezeit gueten gedeylichen friede vnd Ruhe gehabt, so lange es von diesem fursten beherrschet vnd Regieret worden.“531 Auf die Frage, warum der Herzog seiner religiösen Fürsorgepflicht so treu nachgegangen sei, antwortete Heshusius: Der Grund für solche Wohltaten wurzele in dem Wissen des Herzogs, dass Gott einer Regierung nur dann Heil und Glück schenken werde, wenn die527  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 14. Sontage nach Trinitatis / Luce 17. Bl. 81v. 528  Vgl. W. Sommer, Gottesfurcht und Fürstenherrschaft (wie Anm. 33), S. 127. 529  Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 325; „Gottselige Oeberkeit die gemeine Christi aus recht furcht Gottes schützet“ Gründliche vnd bestendige widerlegung /  der grausamen vnartigen Calumnien M. Siegfried Lügensacks (wie Anm. 404), Bl. Cv; „Ein fürst /  ein Amptman /  ein Bürgermeister /  ein richter fürete sein Ampt mit furcht vnd zittern“. Sechspredigten vom Ampt (wie Anm. 468), Bl. 625; „Ac Paulus primum ingenere dicit subiditi estote: Deinde verò in specie iubet, vt quisq; prompto animo pendat tributum, vestigal, honorem, et timorem.“ Römer 13 (wie Anm. 137), S. 394b. 530  Vgl. dazu W. Sommer, Gottesfurcht und Fürstenherrschaft (wie Anm. 33), S.  184 ff. 531  Oratio fvnebris (wie Anm. 166), Bl. 42.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius149

se ihrer obrigkeitlichen Pflicht treu nachginge.532 Damit will Heshusius betonen, dass der Herzog eine gottesfürchtige Obrigkeit gewesen sei, welche die Gottesfurcht als Königsweg zum Segen der Regierung anerkannt habe. Es zeigt sich also, dass Heshusius wie andere lutherische Hofprediger die Gottesfurcht als Hauptsäule der politischen Tugend ansah. Deshalb forderte er in seinem Psalmkommentar die weltliche Obrigkeit auf, dass sie bei der Erfüllung ihrer Pflichten bedenken müsse, gegenüber dem höchsten Richter und Lenker Rechenschaft abzulegen: „Ita et metum omnibus gubernatoribus incutere debet, vt cogitent non sibi licere pro arbitrio praeesse subditis et tyrannidem exercere: sed reddendam sibi esse supremo iudici et rectori rationem administratae functionis.“533

An anderer Stelle heißt es entsprechend: „Ein fürst /  ein Amptman /  ein Bürgermeister /  ein richter fürete sein Ampt mit furcht vnd zittern“.534 Auch zeigt sich diese Ansicht Heshusius’ in seinem Psalm deutlich: „Hoc est, iudicum non est hominum sed Dei, is semper praesidet iudicio, et vult iudices in timore Dei ius dicere populo.“535 Auffallend ist, dass Heshusius die timor Dei verschiedentlich im Kontext mit anderen Herrschertugenden präsentiert, so dass ihre Unterscheidung oder gar Abgrenzung von weiteren Herrschertugenden kaum möglich ist. Heshusius fordert die weltliche Obrigkeit z. B. ausdrücklich auf, die höchste oberste politische Norm „iustitia“ ebenfalls mit Gottesfurcht auszuführen: „non permittant hanc summam iniustitiam in suo territorio, vt innocentes pastores, vel pij auditores Euangelij, ab impijs haereticis vel Epicureis luce verbi spolientur vel opprimantur: sed iustitiam administrent in timore Domini“.536

In dieser Klassifizierung der timor Dei unterscheidet sich Heshusius stark von Johann Arndt, welcher das äußere Leben in der Gerechtigkeit als Schale und Frucht des inneren Lebens des Glaubens in der Gottesfurcht charakterisiert hatte.537 Ebenfalls ist die timor Dei mit dem Begriff der Treue bei Heshusius stets eng verzahnt. Im Zusammenhang mit der Frage, wer der „treue Diener“ sei, beschreibt Heshusius in seinem Psalm-Kommentar die Tugend „Treue“ folgendermaßen: „Dauid dicit se eligere fideles in terra, et ambulantes in via Bl. 29v. 82 (wie Anm. 302), S. 325: „ /  Gottselige Oeberkeit die gemein Christi aus rechter furcht Gottes schützet / .“ Siegfried Lügensacks (wie Anm. 404), Bl.  Cv. 534  Sechs Predigten vom Ampt (wie Anm. 468), Bl. 625. 535  Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 325b. 536  Ebd. S. 326b. 537  W. Sommer, Gottesfurcht und Fürstenherrschaft (wie Anm. 33), S. 188. 532  Ebd.

533  Psalm

150

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

perfecta, seu immaculata. Non autem simpliciter intellgit fideles, qui in rebus externis fidem praestent, sed in primis sanctos et vere pios, qui DEO seruant fidem.“.538 Treue bedeutet für ihn dabei nicht nur Loyalität in äußeren Angelegenheiten im juristischen Sinn, sondern vor allem die Treue zu Gott. Deshalb betont er diese Auffassung unmittelbar danach noch einmal: „Omnium hominum fiedelissimi sunt, in quibus lucet fides in DEVM, timor DEI, studi­ um religionis, Hi in moni negocio metuunt DEI iram.“539 Gemeint ist also: Gottesfurcht ist Treue. Heshusius führt weiter aus, dass gute Diener stets den Zorn Gottes fürchteten, weil sie wüssten, dass er alle Dinge überprüfe und die Herzen kenne. Solche Diener beschreibt Heshusius wie folgt: „Hi non querunt quae sua sunt, sed summa fide administrant negocia sibi demandata, vt gloria DEI illustretur, et regnum CHRISTI amplificetur, et pax publ. conseruetur.“540 Ebenfalls findet sich die Verbindung der timor Dei mit anderen politischen Tugenden in der Helmstedter Predigt: „Vnd sind zwey Stück /  die alle Vnterthanen dem Keyser /  oder jrer Obrigkeit schuldig sind. Das erste ist /  Ehre /  das ander /  Gehorsam […] Darum ist das die recht Ehre /  ds du in deinem hertzen erkennest /  die Obrigkeit sey Gottes ordnung vnd wolthat /  das du sie fürchtest vnd liebest /  als Gottes Dienerin.“541 Hier zeigt sich die Verzahnung der politischen Norm „Gemeinwohl“ mit der theologischen Norm. An eine Autonomie des Politischen lässt sich auch bei Heshusius in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kaum denken. Die timor Dei ist bei Heshusius nicht nur die Primärtugend der politischen Obrigkeit. Allen Bereichen bzw. Ordnungen des menschlichen Zusammenlebens, die gesamte Erziehung der Kinder und Untertanen, soll die timor Dei zugrunde liegen. In seiner Predigt über das vierte Gebot heißt es: „Hie verbeut Gott alle verachtung vnd vngehorsam /  gegen den Eltern vnd Oberkeit /  mutwillen vnd fürwitz der Kinder oder vnterthanen /  vnfleiß oder vntrew im beruff /  versmamnus der Kinder vnd vnterthanen /  das sie nicht zu Gottes forcht erzogen /  noch von Gott recht vnterweisen werden /  Tyranne /  auffruhr. Hergegen fordert Gott Ehrerbietung /  Forcht /  Liebe vnd Danckbarkeit /  in den Kindern vnterthanen /  gegen den Eltern vnd Oberkeit /  trew vnd fleiß im beruff /  beschirmung des fridens vnd gerechtigkeit /  standhafftigkeit in aller gefahr /  gehorsamb gegen der Oberkeit. Dis alles aber sol aus rechter Gottesforcht /  liebe /  vnd glauben stiessen / von gantzen Hertzen vnd von gantzer Seelen geschehen.“542 538  Psalm 539  Ebd. 540  Ebd.

101 (wie Anm. 302), S. 390.

541  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mat. 22. Bl. 130. 542  Sechs Predigten vom Gesetz (wie Anm. 482), Bl. 229; Ein Hausvater aber vnd Hausmutter /  die ire Kinder in Gottes furcht azuffziehen.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 15. Sonntage nach Trinitatis / matth. 6. Bl.  83v.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius151

Ebenfalls zeigt sich diese Auffassung in seiner Helmstedter Predigt deutlich. Im Zusammenhang mit der Auslegung „Trachtet nach dem Reich Gottes“ äußert Heshusius: „Ein Prediger sol dahin sehen /  das er fleissig studiere /  das Volck trewlich vnterrichte […] Gottes Wort nicht verkehre /  sein Ampt nicht misbrauche / neimandt verseume /  die Sacramena trewlich ausspende /  vnnd inn rechter GOTes furcht alles thue /  was seines Ampts ist. Ein weltliche Regent /  wenn er Gottes Reich gesucht /  vnd ein geleubiger Christ worden ist /  soll er auch Gerechtigkeit Gottes /  die er inn den zehen Gebotten erkleret hat /  trachten /  fleissig in Gottes furcht eerwegen.“543 Für Heshusius ist also Gottesfurcht die Basis aller Herrschertugenden und somit Orientierungspunkt für alle persönlichen und amtlichen Handlungen der weltlichen Obrigkeit, der Geistlichkeit sowie der Kinder und Untertanen. bb) iustitia (1) Heshusius versteht diesen Begriff zunächst ethisch als die Forderung, jedem das Seine zukommen zu lassen (suum cuique) bzw. Gleiches grundsätzlich gleich zu behandeln, wie es Josua Maaler in seinem Wörterbuch544 für „Gerechtigkeit“ erläutert hat: „Die einem yeden das im gehoert zuspricht vnd gibt. Iustitia“. Die iustitia weist jedem das ihm zustehende zu, sie ist ein Verhältnis- oder Relationsbegriff in aristotelischer Tradition, der mit den sozialen Beziehungen zu tun hat. Im Examen Theologicum545 heißt es daher: „ /  vnd jedermans recht befürderen /  wie dauon Dauid die vermanung setzet Psa. 82. schaffet recht den armen /  vnd erlöset jn aus der Gottlosen gewalt /  helfft dem elenden vnd dürfftigen zum recht /  erretet den geringen vnnd armen /  vnd erlöset jn aus der Gottlosen gewalt.“546 Auch findet sich dieses Verständnis in Heshusius’ Leichenpredigt auf Herzog J­ohann Wilhelm von Sachsen. In der Passage über die Verordnung und Bestellung des weltlichen Konsistoriums und Hofgerichts, in welches der Herzog erfahrene 543  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl.  88; „Also ein Hausvater /  Hausmutter /  Kind /  Dienstbote /  vnnd wes Standes einer ist /  […] sol er ferner trachten nach seiner Gerechtigkeit /  seinem Hause wol vorstehen /  Weib /  Kind vnd Gesinde zu Gottes furcht vnd ehren ziehen /  seine Hauszucht halten.“ Ebd. 544  J. Maaler, Spraach: Die Teütsch spraach [1561]. Dictionarium Germanicolatinum novum. Mit einer Einführug von Gilbert de Smet. Hildesheim / New York 1971. 170. Zum Begriff der Gerechtigkeit aus dem theologiegeschichtlichem Aspekte ausführlich M. Honecker, Einführung in die Theologische Ethik (wie Anm. 221), S. 188–191. 545  Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 5. 546  Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 387b.

152

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Rechtsexperten eingesetzt hat, betont Heshusius, der Herzog habe in der Juristenfakultät einen „Schopstuel“ (gemeint ist wohl ein Richterstuhl. Hervorhebung durch Ch. P.) eingerichtet, um eine gerechte Rechtsprechung zu erreichen sowie seine Hofregierung gemäß dem ordentlichen Gesetz und den Satzungen geführt: „das, sie (gemeint ist Hofrichter bzw. Rechtsexperten. Hervorhebung durch Ch. P.) jedem gleich vnd Recht wiederfahrn ließen, vnd gedencken wolten, das sie gericht hielten, nicht dem Menschen, sondern Gott dem herrn selbst.“547 Auch kommt diese Ansicht in seinem Kommentar über Psalm 101 deutlich zum Ausdruck: „Tertia virtus est iustitia, qua magistratus suum cuiq; tribuat, et controuersias non proprio arbitrio, sed secundum ius scripitum dirimat.“548 In der Helmstedter Predigt heißt es: „Ein Weltlicher Regent /  wenn er Gottes Reich gesucht /  vnd ein Christ geworden ist /  soll er auch Gerechtigkeit Gottes /  […] trachten […] Darumb soll er sorge tragen für die gantze Gemeine /  aller Abgötterey /  falscher Lehre /  Zauberey /  vnrechten Gottesdienst /  vnd was den Namen Gottes entheiliget /  mit rechtem ernst mehren /  mit höchstem fleis dahin trachten /  das die Vnterthanen in Gottes Wort recht vnterrichtet vnd zur Busse stets geruffen werden /  trewen vnschuldigen Lehrern schutz vnd schirm halten /  Kirchen vnd Schulen jhm lassen befohlen seyn /  Gerichte bestellen /  das ein jeglicher zu seinem Rechte kommen könne /  zucht vnd erbarkeit handhaben /  frieden verschaffen / .“549 Hierbei ist zu beachten, dass Heshusius den Begriff nicht im Sinne individueller Rechte versteht – das hieße, wenn jeder das Seinige erhielte und besäße, wäre die Gerechtigkeit erfüllt. Heshusius aber verwendet den Begriff ausschließlich bezogen auf das Gemeinwohl bzw. den Gemeinfrieden. Deshalb äußert sich Heshusius ausdrücklich in Bezug auf die Handhabung des Friedens und Rechts der weltlichen Obrigkeit. Im Abschnitt „Gerichtsbarkeit der weltlichen Obrigkeit“ der Jenaer Schrift fordert er von der Obrigkeit, bei der Ausübung ihrer Gerechtigkeit Gemeinwohl bzw. -frieden im Blick zu halten: „vnd jedermans recht befürderen […] Darnach das die Oberkeit dafür sorge /  vnnd daran sey /  das bürgerlicher friede /  vnd ordentliche gerecht gehalten werden“550. (2) Heshusius klassifiziert die iustitia in seinem gesamten Werk als Norm des obrigkeitlichen Handelns.551 Er verwendet im Unterschied zu den Fürs547  Oratio

fvnebris (wie Anm. 166), Bl. 41. 101 (wie Anm. 302), S. 387b. 549  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl. 88–88v. 550  Examen Theologicum (wie anm. 137), Bl. Tt 5. 551  „Ein Diener aber des heiligen Euangelij hat einen höhern vnnd grössern befehl /  der sich viel weiter streckt. Er predigt nicht allein von Bürgerlicher gerechtig­ 548  Psalm



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius153

ten und Ständen, die die Gerechtigkeit zwar als die Normen obrigkeitlichen Handelns erwähnten, aber im konkreten Argumentationszusammenhang nicht benutzten,552 die iustitia sowohl als die Normen obrigkeitlichen Handelns als auch als Argument fassbarer Normen tagespolitischen Handelns. Im zweiten Abschnitt Examen Theologicum über die zweite Aufgabe der Obrigkeit (Friedens- und Rechtssicherung im Gemeinwesen) heißt es: „Das andere ampt der weltlichen Oberkeit /  ist das recht handzuhaben /  vnd ge­ meinen frieden zuerhalten […] Es wird aber im rechten zugleich mit verstanden /  der rechte Gottesdienst neben aller Gottseligkeit /  dann die Abgötterey ist die höchste vngerechtigkeit.“553 Aus der Formulierung „die höchste Ungerechtigkeit“554, in der sich, wie oben bereits erwähnt, Heshusius’ Rezeption des berühmten paradoxen Sprichwortes der römisch-antiken Rechtstradition Summum ius – summa iniuria widerspiegelt,555 ergibt sich, dass die Aufgabe der Gerechtigkeit eng mit der Definition des Gesetzes verbunden ist556. Heshusius macht deutlich, dass er die Gerechtigkeit als Kernpunkt des Staatszwecks557 bzw. als wichtigste Herrschertugend und vor allem als oberste Grundlage eines politischen Gemeinwesens erachtet, d. h. sie zur Erhaltung und Entwicklung des Gemeinwesens für nötig hält. Deshalb lautet es in seinem dogmatischen Lehrbuch: „Vnd Ps. 82. Jch hab gesagt jr seid Götter /  vnd annzumal kinder des Höchsten. Das ist /  Jr verwaltet ein göttliches ampt /  welches jr zur ehre des heiligen Namens Gottes verrichten sollt […] das die fürnembste sorge sein der weltlichen Oberkeit /  das alle Abgötterey abgeschaffet.“558 keit von eusserlicher zucht /  gehorsam vnd erbar leben für den Menschen.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B viv. 552  Wohl geht es in ihren Konflikten um die Durchsetzung von Steuern und stehendem Heer. Bei solchen Konflikt kann der Begriff iustitia sicherlich als Argument fast kaum verwendet werden. Vgl. V. Seresse. Politische Normen in Kleve-Mark (wie Anm. 219), S. 168–172. 553  Oratio fvnebris (wie Anm. 166), Bl. Tt 4b. 554  Dieser Ausdruck findet sich ebenfalls in demselben Kontext in seinem PsalmKommentar: „Hos ergò egenos iudicent, et adflictos iustificent principes: ostendant se amplecti vertatem Christi: non ermittant hanc summam iniustitiam in suo teeritorio, vt innocentes pastores, vel pij auditores Euangelij, ab impijs hareticis vel Epicureis luce verbi spolientur vel oprimanturs: sed istituam admnistrent in tiomre Dominj, verè hoc reges habent magnificum et ingens, nulla quod rapiet dies, prodesse miseris supplices fido lare protegere.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 326b. 555  G. Kisch, Summum ius summa iniuria. Basel 1955, S. 195–211. 556  Dazu vgl. I. Deflers, Lex und Ordo (wie Anm. 300), S. 161 ff. 557  Vgl. W. Elert, Morphologie des Luthertums (wie Anm. 178); E. Uhl, Die Sozialethik Johann Gerhards (wie Anm. 207), S. 98 ff. 558  Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 4–Tt 4v.

154

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Im Zusammenhang mit der Äußerung Heshusius’ „die Abgötterey ist die höchste vngerechtigkeit“, ist zu bemerken, dass Heshusius die Norm der concordia (Einigkeit)559 hochschätzt. Heshuisus argumentiert hier in Übereinstimmung mit der antiken Überzeugung, dass die Religion das entscheidende vinculum rei publicae bzw. vinculum societatis560 sei. Ihr zufolge ruft die konfessionelle Uneinigkeit nur Spaltung, Verachtung der weltlichen Obrigkeit und andere Übel hervor. Deshalb ist eine einzige Konfession im Land besser als viele,561 die zu Uneinigkeit und Abgötterei Anlass geben, ein Gefahrenpotenzial, welches die weltliche Obrigkeit erkennen und entschärfen müsse. Darum verwendet Heshusius die Gegenbegriffe discordia (Uneinigkeit), Mißtrauen usw. im Argumentationszusammenhang häufiger als die Gegenbegriffe bzw. Untugenden der anderen politischen Normen: „Dadurch denn nicht allein der zeitliche Fried zerstöret /  alle gute Ordnung vnd Policey zerrüttet /  grausame vneinigkeit misstrew vnnd empörung vnter dem Bürgern gestifftet wird /  Sondern das viel ein grössers ist Gottes Name gelestert /  der ware Gottes dienst vnterdruckt /  vnd der armen Leut seligkeit vnd ewige wolfart verhindert wird […] Wie man denn sihet in allen Kirchen Historien /  […].“562

Des Weiteren ist anzumerken, dass diese enge Verbindung von reiner Lehre und öffentlichem Frieden bzw. die enge Verzahnung von theologischen und politischen Normen für Heshusius’ Auffassung über das Verhältnis von Kirche und Obrigkeit ein Charakteristikum ist. Heshusius charakterisiert wie sein Lehrer Melanchthon die weltliche Obrigkeit als Hüterin der weltlichen Ordnung und zugleich als membrum praecipuum ecclesiae. Doch warnt er, dass diese verstärkte Position der weltlichen Obrigkeit keineswegs ein landesherrliches Kirchenregiment zur Folge haben dürfe. Die Ansicht, die enge Verbindung von reiner Lehre mit dem Begriff des öffentlichen Friedens habe den Weg für das landesherrliche Kirchenregiment vor­ bereitet,563 oder die damit verbundene Stärkung des pius magistratus könne als Beginn unbegrenzter Herrschaft, eines patriarchalischen Absolutismus charakterisiert werden,564 erweist sich angesichts dieses Befundes als dringend korrekturbedürftig. Nach Heshusius soll die enge Verbindung beider 559  Zu dieser Norm ausführlich vgl. V. Seresse, Politische Normen in Kleve-Mark (wie Anm. 219), S. 129–140. 560  Vgl. dazu K. Schreiner, Iura et libertates (wie Anm. 52), S. 59–106. 561  Zitiert nach V. Seresse, Politische Normen in Kleve-Mark (wie Anm. 219), S. 131–132. 562  Der Prediger zu Bremen (wie Anm. 155), Bl. Fv–F iiv. 563  Vgl. dazu R. Nürnberger, Kirche und weltliche Obrigkeit bei Melanchthon. Diss. Freiburg i. Br. 1937, S. 54 f.; Ebenfalls vertritt diese Auffassung Isabela Deflers in ihrer jüngsten Studie, Lex und Ordo (wie Anm. 300), S. 196. 564  Zur Diskussion für diese Problematik vgl. dazu L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht (wie Anm. 56), S. 220. Dort Anm. 88.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius155

Faktoren vielmehr zur Wiederherstellung und Bewahrung der Schöpfungsordnung und der Gerechtigkeit als unentbehrlicher Grundlage einer stabilen gesellschaftlichen Ordnung führen. Heshusius akzentuiert also die ethische und juristische Norm iustitia als vornehmste Tugend einer christlichen Obrigkeit bei der Ausübung ihrer Regierungsgeschäfte. Dieses Motiv durchzieht seine Schriften wie ein roter Faden. In seinem Kommentar über Psalm 82 heißt es: „Ne ego vlli neq; per vim, neq; per calumniam fiat iniuria, legum custos et interpres constituitur magistratus. Hoc atuem officium magistratus vt iustitiam ad­ minstret, non solùm de prophanis et ciuilibus causis: sed inprimis de religiosis et Ecclesiasticis causis accipiendum est.“565

Gemeint ist hier, der Magistrat soll die Gerechtigkeit nicht allein in politischen und bürgerlichen Fällen, sondern vor allem in religiösen und kirchlichen ausüben. Interessant ist, dass der zunächst abstrakte Begriff Gerechtigkeit in diesem Argumentationszusammenhang auf konkretes Regierungshandeln, insbesondere im Bereich der Kirche, bzw. auf die cura religionis bezogen wurde, die aber mit Gerichtsbarkeit überhaupt nichts zu tun hatte.566 Der Begriff iustitia erscheint also in einem weiteren umfassenden Verständnis. Bemerkenswert ist, dass Heshusius die iustitia in den Inhaltskatalogen der cura religionis einerseits und jenen des custos utriusque tabulae andererseits synonym verwendet: „His ergò pius magistratus non minus quàm alijs orphanis et aduenis iustitiam administret. Ad iustitiam ergò pertinet, vt curet subditos rectè doceri de Deo, et praebeat ecclesiae Iesu Christi hospitium: patrocinium suscipiat verae et salutaris doctrinae Euangelij: vt soueat fideles et sinceros verbi praecones: aperiat et cons­ tituat scholas, in quibus pia iuuentus rectè instituatur, et doctrina salutaris ad posteritatem propagetur; vu pijs etiam auditoribus propeter consessioné exulantibus, vel iniuriam patrienribus benefaciat, consolationem et protectionem prae­beat.567

Heshusius lässt sogar den Begriff iustitia neben dem Begriff religionis erscheinen, hier stellt er sogar ein Synonym für die Kirche dar: „Non enim tantùm corporum est custos magistratus, veluti armentarius: sed multò magis relgionis et iustitiae.“568 Gemeint ist, der Magistrat müsse sich in Bezug auf den Dekalog nicht nur als Viehhirte um irdische bzw. politische Angelegenheiten (zweite Tafel), sondern vielmehr als Hüter der Religion und Gerechtigkeit (erste Tafel) kümmern. Hier erweist sich die ethische Norm iustitia in 565  Psalm

82 (wie Anm. 302), S. 326. war in einem anderen Sinn auch die Norm für das Tun und Lassen eines Herrschers. Vgl. V. Seresse, Politische Normen in Cleve-Mark (wie Anm. 219), S. 171. 567  Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 326b. 568  Ebd. 566  iustitia

156

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

ihrer engen und besonders häufigen Verbindung mit den Begriffen cura reli­ gionis und custos utriusque tabulae als relativ inhaltsoffene Norm der politischen Argumentation. Als solche fand sie auch bei Heshusius’ praktischen Auseinandersetzungen in den jeweiligen Städten und Territorien Verwendung. In der Helmstedter Predigt heißt es: „Wann einem Fürsten oder Stadt eintracht geschicht an jrer Jurisdiction /  Gerechtigkeit  /  oder Einkomen /  so ist man bald im Harnisch /  da will man Land vnd Leute /  Leib vnd Gut anwagen. Wo findet man aber solche eifrige Fürsten vnd Regenten /  die sich also bewegen liessen /  Wenn Gottes Name verletzt /  falsche Lehre eingefüh­ ret /  jre eigene Seligkeit in die höchste gefahr gesetzt wird.“569 Da diese Argumentation des Heshusius für unsere Frage nach einer Verzahnung des Politischen mit dem Religiösen sowie nach einem idealen Obrigkeitsverständnis von Bedeutung ist, sei diese hier am Beispiel des ersten Teils seiner Leichenpredigt auf Herzog Johann Wilhelm von Sachsen etwas näher dargestellt. Heshusius entfaltet seine Überlegungen in drei Teilen. Im ersten Teil zeigt er in dreierlei Hinsicht, wie der Herzog seiner obrigkeitlichen Pflicht gegenüber Kirche und Regierung nachgekommen sei: Zum ersten, wie er seine kirchliche Sorgepflicht als custos utriusque tabulae erfüllt habe; zum zweiten, wie er als custos legis sein obrigkeitliches Amt ausgeführt habe; zum dritten, wie er sich als „Hausvater“ des Hofes verhalten habe. Diese drei Punkte seien im Folgenden ausführlicher dargestellt. Im Hinblick auf den ersten Punkt hebt Heshusius hervor, wie sehr sich Herzog Johann Wilhelm von Sachsen (1530–1573) mit äußerster Kraft und höchstem Einsatz darum bemüht habe, den betrüblichen Zustand der Kirche in Sachsen zu verbessern. Der Herzog sei sehr darum bemüht gewesen, die vor seinem Antritt vorherrschende schwärmerische Lehre, die „Declaratio Victorini“, die unter seinem Vorgänger Johann Friedrich des Mittleren (1529–1595) Bedeutung erlangt hatte, abzuschaffen und stattdessen die „reine lutherische Lehre“ einzuführen: „wünschte Er nichts hohers, begehrte nichts hefftiger, beflischet sich nichts mehr, Denn das den betruebten Zue­stande der Kirchen zur rechte geholfen werden muchte.“570 Zur Erklärung dieses eifrigen Einsatzes erwähnt Heshusius, der Herzog habe gewusst, dass seine Regierung durch Gott Heil und Glück erfahren würde, wenn er in erster Linie für die Kirche sorgte: „Er wusste auch wol, das Er wenig gluck inn der Regierung haben werde, woh Er nicht zue aller erst suchete.“571 Damit will Heshusius betonen, dass der gottesfürchtige König die ideale 569  Postilla

B. 87.

570  Oratio 571  Ebd.

(wie Anm. 137), Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6.

funebris (wie Anm. 166), Bl. 23. Bl. 23v.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius157

christliche Obrigkeit verkörpere und dass der Weg zum Segen der Regierung allein davon abhänge. Heshusius schildert dann rückblickend konkrete Einzelheiten bei der Durchsetzung der reinen Lehre. Als Erstes nennt er die Einsetzung einiger treuer Männer zur Abschaffung der schwärmerischen Lehre, wie z. B. Eberhard von der Thann (1495–1574)572, der als Kanzler und Statthalter eingesetzt wurde, und Wolfen von Kateritz, den Luther selbst unterrichtete und welcher im Religionsstreit sehr erfahren gewesen sei.573 Als Zweites erwähnt er die Übertragung des ius vocandi auf die Gemeinde: „vnd zue einem gantz loblicen exempel, vbergab Er den Kirchen vnd gemeinden wiederumb, Ihr Macht vnd Recht, kirchen diener zue beruffenen, thet auch den Vnterthanen beuehl, das sie ihre Pfarrherr vnd prediger so hiebeuor vnbillich entsetzt vnd vortrieben wahren, wieder berueffen vnd an ihre Ampten einsetzen sollenn.“574 Heshusius hebt an dieser Stelle seine Anerkennung für den Herzog besonders hervor, weil dieser das umstrittene ius vocandi gerade nicht wie andere Obrigkeiten sich selbst vorbehalten, sondern an die Gemeinde übergeben habe. Wiederum offenbart sich indirekt seine Vorstellung von einer idealen Obrigkeit, die sich als ein Glied der Kirche verstehe und darum der ganzen Kirche die vollständige Freiheit bzw. die Gemeindeautonomie übertrage. Angesprochen ist damit auch Heshusius’ laientheologisches Grundsatzprogramm, dem gemäß er sich, im Unterschied zu Luther und Melanchthon, zeitlebens für die Praxis eines allgemeinen Priestertums engagiert hat.575 Auch die großen Schwierigkeiten, die Herzog Johann Wilhelm in Ausführung seiner obrigkeitlichen Pflicht zu überwinden gehabt habe, schildert Heshusius. So sei dieser von seinen Räten und Professoren heftig bedrängt worden, die „Declaratio Victorini“ nicht zu ändern. Für den Fall einer Veränderung hätten jene ihm sogar gedroht, ihre Vorlesungen einzustellen.576 Damit begründet Heshusius noch einmal, warum er dem Herzog so großes Lob und hohe Anerkennung zolle und diesen mehr als die Könige des Alten Testaments schätze. Der Herzog Johann Wilhelm habe nämlich im Vergleich zu anderen Königen seine obrigkeitliche Pflicht unter schlimmsten Bedingungen und inmitten des heftigsten Widerstands durchgesetzt. Beispielsweise wurde der König Hiskia zwar von seinen Untertanen ver572  Zu Eberhards Biographie vgl. S. G. Lebheldt, Eberhard von der Thann, in: Programm des Großherzoglichen Realgymnasium zu Eisenach. Eisenach 1878, S. 1–25. Eine Gesamtdarstellung über sein Leben und Werk fehlt. 573  Oratio fvnebris (wie Anm. 166), Bl. 24v–25v. 574  Ebd. Bl. 26. 575  Vgl. E. Winkler, Melanchthons Amtsverständnis (wie Anm. 108), S. 45; I. Mager, T. Heshusen (wie Anm. 80), S. 355. 576  Oratio funebris (wie Anm. 166), Bl. 26–27.

158

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

lacht, doch hielt die Versammlung der Priester zu ihm und unterstützte ihn. Vor allem hätten ihm vortreffliche Männer wie der Prophet Jesaja, der Hofmeister Eljakim, der Kanzler Joach, der Schreiber Schneba und auch der Hohepriester Jojada beigestanden. Ebenso hätten dem König Josia, der die Kirche reinigte, indem er die Abgötterei vertrieb und den Kirchenstand wiederherstellte, vortreffliche Fürsten mit Rat und Tat zu Seite gestanden.577 Anhand vier weiterer konkreter Beispiele belegt Heshusius, wie der Herzog seiner religiösen Fürsorgepflicht unentwegt nachgegangen sei. a)  Der Herzog habe vier Professoren für das lutherische Bekenntnis zurückgewonnen. Der Superintendent Johannes Stössel (1524–1576) hätte einst einen Teil der „Sächsischen Confutatio“ (Weimarer Konfutationsbuch) verfasst, um die Lehre der Synergisten, Majoristen und Calvinisten zu widerlegen, dann aber aufgrund von Verfolgung seine Meinung geändert und sich sogar dem Herzog widersetzt. Herzog Johann Wilhelm aber sei dem wahren Glauben treu geblieben und habe mit ihm diskutiert, was schließlich dazu geführt habe, dass vier Professoren zum lutherischen Bekenntnis zurückgekehrt seien. Im Zuge dieser Auseinandersetzung habe sich der Herzog auch dem Aufbau der Schule gewidmet, um dort die reine Lehre zu erhalten. Er habe neue Professoren und Lehrer bestellt und die Schule mit Privilegien, Statuten und reichlichen Stipendien ausgestattet. Er habe den Rektor und die Professoren auf den „Schmalkaldischen Artikel“ und die fürstliche „Sächsische Confutatio“ verpflichtet, damit keine Verfälschung der lutherischen Lehre in die Schule gelange. Am Tag der „Connoctiae“ habe er persönlich vor Ort die Rede gehalten, in welcher er die Notwendigkeit des Schulaufbaus und den Erhalt der unverfälschten Lehre als Ziele seiner Religionspolitik betont habe.578 Heshusius wiederholt dann, dass sein fester Glauben den Herzogs hierzu bewogen habe, da dieser gewiss sei, dass Gott einer Regierung nur dann Heil und Glück schenken würde, wenn die Obrigkeit ihrer Pflicht treu nachginge.579 b) Der Herzog habe den Konkordienversuchen des Jakob Andreae (1528–1590) widerstanden, der die reine lutherische Lehre mit falschen Lehren zu vermischen versucht habe. Heshusius betont, dass der Herzog beim Kolloquium sogar selbst zugegen gewesen sei und tapfer an der reinen Lehre festgehalten habe. c) Der Herzog habe ein neues Konsistorium eingerichtet, um die Lehrstreitigkeit und insbesondere die „philippistische“ Lehre „Declaratio Victorini“ im Lande abzuschaffen. Er habe eine neue Bekenntnisschrift, die flaBl. 27–27v. Bl. 28–29. 579  Ebd. Bl. 29v. 577  Ebd. 578  Ebd.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius159

cianische Lehre „Corpus doctrinae christianae“, in Lateinisch und Deutsch herausgegeben und die Untertanen die reine lutherische Lehre gelehrt. Dies habe er auch gegen die Klage und Bedrohung durch die Landstände durchgesetzt, sodass er als treuer Pfleger der lutherischen Kirche in ganz Deutschland bekannt geworden sei: „da sind balt schier aller Deutschen Fursten Legaten vnd botschafftenda, erstlich ebesonders vnd nach der ordnung daranch semptlich, setzen an den Ernsten bekenner der Warheit Gottes, an den Treuen Pfleger vnd beistand der kirchen“.580 Heshusius betont dann noch einmal, wie tapfer der Herzog Johann Wilhelm den hartnäckigen Angriff durch Jakob Andreae, der Christum und Belial miteinander zu vereinigen suchte,581 abgewehrt habe. d)  Der Herzog habe auch den heftigen Erbsündestreit um die Lehre des Matthias Flacius per Disputation beendet und die falsche Lehre abgewehrt, sodass schließlich im Lande die reine lutherische Lehre erhalten bleiben konnte: „Ach, wie das fromme hertz nichts hertzlichers wuntschete vnd begerte, denn das die Reine Lehre inn der Kirchen erhalten wurde […] Er gerne die Reine Euangelische Lehre erhalten hette, da legete er alle seine sorge vnd gedancken drauff, wie Er doch diese imer erhalten, schutzen, nehren vnd zieren mochte“582 Im Anschluss an die Schilderung dieser konkreten Beispiele vergleicht Heshusius den Herzog mit einem alttestamentlichen pius nutricius, der die reine Lehre im Land erhalte und die Kirche und Schule wieder in gottgefälligen Stand versetze. Nochmals fasst er dessen Wirken zusammen: „Ach, der kluege fromme Furst hat wol vorstanden, das dieses die aller groste vnd schonste zier der gemeinen Regiment sey, Wenn Gottes wahres erkentnus darinne leuchtet. Wenn die Kirche Gottes herberge bey Ihnen findet. Wenn Sie der Ehr Christi diene. Er hat Recht geurteilet, das ein land, also dann im aller besten zuestande sey, wenn das Volck vonn Gott Recht vnterreichtet vnd gelehret wirt. Wenn die himlische Gottliche Lehr mit Vleis getrieben vnd geubet wirt, Wenn man falscher lehr vnd [vnrechten. Hervorhebung durch Heshusius] Gottes diensten weder Raum noch Stadt leáet.“583 Der Ausdruck „wenn die Kirche Gottes Herberge bei ihnen findet“ spiegelt wiederum Melanchthons Lehre vom ordo politicus und dessen Bestimmung, der Kirche hospitium und domicilium zu gewähren, wider. Mehrfach beschreibt Heshusius die Motivation Johann Wilhelms mit dessen Streben nach der göttlichen Segnung seiner Regierung. Diese oftmalige Wiederholung zeigt, wie sehr sich Heshusius wünscht, dass die Obrigkeit Bl. 34v. 581  Ebd. Bl. 36. 582  Ebd. Bl. 38–39. 583  Ebd. Bl. 39–39v. 580  Ebd.

160

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Gott fürchte und so für die Kirche sorgte: „Denn das Er sein vnd seiner Vntertahn heil vnd seligkeit suechte vnd beforderen mochte. Das mag wol ein formmer ntzlicher furste sein.“584 Heshusius hebt hervor, wer das tue, der sei ein rechter Landesvater. Er sei wirklich ein Gott auf Erden.585 Heshusius beendet diesen ersten Punkt der Predigt, indem er noch einige Beispiele der praktischen Wohltaten des Herzogs erwähnt. So habe er sich diesen vertriebenen Predigern gegenüber sehr herzlich und großzügig gezeigt und sie durch Empfehlungen unterstützt. Auch sei er sehr einfühlsam auf Prediger eingegangen, die von seinen Untertanen geschmäht und verspottet worden seien.586 Es wird an diesem Beispiel deutlich geworden sein, wie eng das Religiöse mit dem Politischen bzw. die theologische Norm mit der ethisch-juristischen und politischen Norm „Gemeinwohl“ bzw. öffentlichen Friedens verbunden war. Angesichts dieses Befundes muss, wie Schorn-Schütte zu Recht bemerkt hat, die Existenz einer Verzahnung beider Sphären für das 16. Jahrhundert anerkannt werden.587 (3)  Für Heshusius war die weltliche Obrigkeit mit Blick auf die Vorstellung von den Erfordernissen der Norm iustitia lediglich ausführendes Organ. Sie verwaltet und handhabt, wahrt das Recht und die Privilegien. Somit waren Magistrate und Fürsten nur rechtswahrend tätig, wie es die Norm der iustitia verlangte, doch sie schufen kein neues Recht und setzten es nicht. Heshusius versteht deshalb den Fürsten und Magistraten ausschließlich als Verwalter der Gerechtigkeit und nicht als Gesetzgeber des neuen Rechts.588 Deshalb tauchen im obigen Psalm-Kommentar immer wieder die mit der Norm iustitia, die als Maßstab des fürstlichen Handelns gilt, verknüpften Ausdrücke wie z. B. „Etwas, was er einem jeden administriren sollte“ auf: „Hoc autem officium magistratus vt iustitiam adminstret, non solùm de prophanis et ciuilibus causis: sed inprimis de religiosis et Ecclesiasticis causis accipiendum est […] His ergò pius magistratus non minus quàm alijs orphanis et aduenis ius­ Bl. 39v. Bl. 40. 586  Ebd. Bl. 40v. 587  Vgl. dazu L. Schorn-Schütte, Historische Politikforschung (wie Anm. 56), S. 100. Sicherlich muss hier die prägnante Unterscheidung von bürgerlicher und ewiger Gerechtigkeit erwähnt werden. Heshusius wusste diese Unterscheidung zwischen iustitia evangelica, spiritualis und iustitia civillis. Also er hat wie Luther und Calvin zwischen theologischer Rede von Gerechtigkeit Gottes (iustita Dei) und Gerechtigkeit als Verhalten des Menschen (iustitia hominis), Tugend, Wert schärfer differenziert. Vgl. dazu M. Honecker, Einführung in die Theologische Ethik (wie Anm. 221), S. 188–191. 588  Dazu vgl. V. Seresse, Politische Normen in Cleve-Mark (wie Anm. 219), S. 173–174. 584  Ebd.

585  Ebd.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius161 tituam administret […] sed iustituam admnistrent in tiomre Dominj, verè hoc reges habent magnificum et ingens, nulla quod rapiet dies, prodesse miseris supplices fido lare protegere“589

Auch findet sich dieses Verständnis in seinem Kommentar über Psalm 101: „Magistratus officium esse administrare misericordiam, et iudicium. Hoc est parcere subiectis, et debellare superbos.“590

Auch zeigt sich diese Auffassung in seiner Helmstedter Predigt: „Ein Regent soll nicht allein dahin sehen /  das er Gerechtigkeit handhabe /  vbelthat straffe /  Gelt vnd Gut samle /  ein wolgeordnet Regiment habe /  sondern soll gedencken /  das er ein Christ sein möge /  aus der Tyranney des Sathans errettet /  mit Gott versünet /  vnd ein Kind des ewigen Leben swerde.“591 cc) clementia „Wenn die Normen fürstlichen Handelns erwähnt wurden, dann fehlt die Norm iustitia nicht, aber in argumentativer Funktion erschien sie in den kleve-märkischen Quellen nicht“, stellte Seresse in seiner Studie fest.592 Diese Beobachtung bestätigt sich besonders in Heshusius’ Tugendvorstellung über clementia. Er schätzt zwar diese Norm als eine der wichtigsten Herrschertugenden sogar neben der Furcht Gottes und vorrangig vor der Gerechtigkeit593 hoch, doch erwähnt er sie ausschließlich nur in seinem Kommentar über Psalm 101 und in seiner Leichenpredigt. Er behandelt sie jedoch kaum in seinen Streit- und Protestschriften, macht also von dieser politischen Norm kaum argumentativ Gebrauch. Hesusius versteht den Begriff Milde in Anlehnung an die römische Rechtstradition und antike stoische Tugendlehre, insbesondere an Senecas De clementia,594 als die gütige Nachsicht des Herrschers oder eines Höher589  Psalm

82 (wie Anm. 302), S. 326–326b. 101 (wie Anm. 302), S. 391. 591  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl. 86. 592  V. Seresse, Politische Normen in Kleve-Mark (wie Anm. 219), S. 172. 593  „Totam vero politicam gubernationem vocat, misericordiam et iudicium mirum est, cur non potius dixerit iustitiam et iudicium cantabo […] sed maluit hic Dauid misericordiam dicere, quàm iustitiam, vt statim in exordio moneret clementiam veluti solem in imni gubernatione ’plucere oportere, neq; vllù imperiù absq; insigni lenitate diu stare, vel admnistrari posse.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 387b. 594  Hehusius zitiert selbst die Tugendlehre Senecas im Zusammenhang mit der Rolle und Funktion der Obrigkeit als Vollstreckerin des Gesetzes in seinem PsalmKomentar: „Vult enim Deus conseruari honestatem in mundo, magistratum vult esse 590  Pslam

162

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

gestellten gegenüber dem Untergebenen, auch und gerade dann, wenn sich dieser einer Verfehlung schuldig gemacht habe.595 Diese Grundgedanken kommen in seinem Kommentar über Psalm 101 sehr deutlich zum Ausdruck: „Totam vero politicam gubernationem vocat, misericordiam et iudicium mirum est, cur non potius dixerit iustitiam et iudicium cantabo, cum omnes prophetae sic loquantur de gubernatioe politica administranda, se maluit hic Dauid misericor­ diam dicere, quàm iustitiam, vt statim in exordio moneret clementiam veluti solem in omni gubernatione plucere oportere, neq; vllum imperium absq; insigni lenita­ te diu stare, vel administrari posse.“596

Aus dieser Textstelle geht deutlich hervor, dass Heshusius hier die cle­ mentia mit anderen antiken moralischen Herrschertugenden, insbesondere misericoridam oder lenitas, identisch gebrauchte. Dieser Synonymgebrauch kommt im Psalmenkommentar häufig vor: Heshusius kombiniert mit cle­ mentia bevorzugt die Tugenden misercordia (Gnade)597 moderatio (Mäßigkeit), mansuetudo (Sanftmut bzw. Milde)598, am häufigsten jedoch lenitas (Milde)599.600 In seiner Leichenpredigt auf Herzog Johann Wilhelm tritt der executorem legis, qui sit terrori malo operi, verè probis nocet. (vt Seneca dixit) qui parcet improbis Magna ergò virtus est, haec seueritas in puniendis, et tollendis è medio impijs et sceleratis, vt à talibus vormicis liberetur ciuitas Dei, ne amplius blasphemetur nomen Dei, et ne pij boni malorum consortio corrumpantur, sed singui potis pietatem et virtutem colent, et tranquillè viuant.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 391. Dazu vgl. T. Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 10), Stuttgart 1978, S.  36 ff. 595  Vgl. dazu B. Stoeckle, Milde, in: LexMA 6 (1993), S. 622 f. 596  Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 387b. 597  „Hae virtutes atq; etiam aliae vicinae omnino in magistratu lucere debent, vt misericordiam, et clementiam in officio praestet“. Ebd. S. 388. 598  „Quarta virtus pertines ad misericordiam magistratus est mansuetudo seu clementia, vt non semper summum ius vrgeat et in vno rigore imperet. Verissime enim dicum est, saepe summum ius, suuma est iniuria.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 387b. 599  Wie z. B. in oben erwähntem Zitat: „Secunda virtus quae ad clementiam ma­ gistratus pertinet, est diligentia, et ad siduitas in audiendis causis et patientia laborum in dicendo ire, et lenitas in admittendis personis miseris, et adflicitis, crudelis est qui non audit miserorum causas, nec adficitur iniurijs adflictorum, nec opem fert, cum ferre potest. Magna autem moderatione, et lenitate est opus, vt quis miserorum causas agnoscat Moises, Solomon, Cyrus, Agustus non solum laboriosè, sed et magna lenitate ius dxerunt.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 387b. 600  Damit bewegt sich Heshusius’ Milde-Vorstellung ebenfalls im Rahmen der Einträge in Maalers Wörterbuch: „Milt /  Gütig /  Nit bald erzürnt. Placidus, Mitis, Humanus, Natus animo leni sowie Miltigkeit (die) Gütigkeit. Lenitas, Benignitas, Humanitas, Lenitudo, Facilitas, Mansuetudo, Placabilitas, Clementia.“ J. Maaler, Spraach (wie Anm. 544), 290.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius163

Begriff der aequitas (Billigkeit) hinzu.601 In diesen verschiedenen Synonymkombinationen lässt sich der Begriff clementia bei Heshusius folgenden Bedeutungsschichten zuordnen: (1)  Mitunter bedeutet clementia eine kindliche Liebe gegenüber den Untertanen. Der Magistrat müsse die Untertanen mit echter und väterlicher Liebe behandeln und sich sorgfältig um sie kümmern. „Prima est pietas erga subditos, vt eos vero et paterno amore, compectatur, eroum curam sollicitè agat […] Bonus princeps nihil differt à bono patre. Qui subditos amore paterno non complectitur hin nec sollicitus est pro eis, vt eis benè sit, nec corum defensionem suscipit, nec fungitur suo offcio, sed suis tantum studet commodis.“

Das gängige Attribut väterlich und das in diesem Kontext herangezogene Zitat Xenophons „Bonus princeps nihil differt à bono patre“ unterstreichen, dass Milde für Heshusius kein Ausdruck einer sachlich-verrechtlichten oder verpflichtenden, sondern einer personalen, am Vorbild von Vater und Kind orientierten Herrschaftsbeziehung zwischen Fürst und Untertanen ist. Die Wortwahl deutet an, wie sehr Milde von Heshusius als Wesenhaftes der Fürstentugend verstanden wurde. Milde ist für Heshusius eine der wichtigsten Herrschertugenden. (2) Heshusius bezeichnet mit clementia auch die Tugenden Sorgfalt und Strebsamkeit. Gemeint ist dabei eine sorgfältige Anhörung der Rechtsfälle durch den Regenten, Geduld in der Rechtsprechung, Sanftmut im Prozess, besonders wenn die Angeklagten arm oder bedürftig sind: „Secunda virtus quae ad clementiam magistratus pertinet, est diligentia, et adsiduitas in audiendis causis et patientia laborum in dicendo ire, et lenitas in admittendis personis miseris, et adflicitis, crudelis est qui non audit miserorum causas, nec adficitur iniurijs adflictorum, nec opem fert, cum ferre potest. Magna autem moderatione, et lenitate est opus, vt quis miserorum causas agnoscat Moises, Solomon, Cyrus, Agustus non solum laboriosè, sed et magna ius dxerunt.“602

Wie in den bereits zitierten Beispielen erscheint die clementia für Heshusius häufig im Kontext einer milden Anwendung des Gesetztes und unterstreicht die Forderung nach einer bewussten, gnädigen und großzügigen Zuwendung des Herrschers zu den Beherrschten. Besonders die Rücksichtnahme auf die Rechte der Untertanen, insbesondere der Armen und Hilf­ losen macht ihre gottgefällige Umsetzung aus. Für Heshusius meint clemen­ tia auch Verzicht auf fürstliches Recht oder Entgegenkommen des Herrschers, der von seinem Recht keinen Gebrauch macht. Deshalb hält Heshu601  „Das es ein gerechter furst vnd ein Liebhaber der billigkeit gewesen sey.“ Oratio fubrines (wie Anm. 166), Bl. 41. 602  Pslam 101 (wie Anm. 302), S. 387b.

164

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

sius ein unnachgiebiges Beharren des Herrschers auf sein herrschaftliches Recht für sehr grausam.603 Er fordert deshalb in seinem Psalmenkommentar die weltliche Obrigkeit auf, beim Vollzug des Gesetzes bzw. der Strafe als executor legis die Mäßigung zu bewahren.604 Er führt das Beispiel des Kaisers Augustus an, der sein Recht nicht nur mit Eifer und Strenge gebrauchte, sondern auch mit großer Milde (lenitas) bzw. Mäßigung (moderatio), indem er sogar einen von seinem Herrn zum Tode verurteilten Sklaven befreit hat, weil dieser aus Versehen eine Kristallvase seines Herrn namens Pollio zerbrochen hatte.605 (3) Er versteht clementia auch, wie oben erwähnt, als Gerechtigkeit im Sinne der von Josua Maaler in seinem Wörterbuch606 gegebenen Erläuterung: „Die einem yeden das im gehoert zuspricht vnd gibt. Iustitia“, nämlich als die Instanz, die jedem das ihm zustehende gerechterweise zuwies. Er bezeichnet vor allem mit diesem Begriff das Schlichten bei Streitigkeiten nicht nach eigenem willkürlichen Urteil, sondern nach dem positiven Recht.607 (4)  Clementia wird bei Heshusius ebenso wie mit der misericordia auch mit dem Begriff mansuetudo (= Mitleid) verknüpft. Der Magistrat, so Heshusius, solle die Untertanen nicht ständig nur mit Strenge beherrschen, sondern auch Mitgefühl zeigen. Milde als Barmherzigkeit erscheint auch in den drei aufeinander folgenden Zitaten aus verschiedenen Quellen.608 Heshusius stellt darüber hinaus einen Katalog aus Gegensätzen zur clemen­ tia zusammen: Verachtung, Hass, Hochmut, Arroganz, Ungerechtigkeit und übertriebene Strenge gegen ihre Untertanen.609 Bereits die Auswahl der hier 603  „crudelis est qui non audit miserorum causas, nec adficitur iniurijs adflictorum, nec opem fert, cum ferre potest.“. Ebd. S. 387b. 604  Quartò ad iudicij iustam seueritatem pertinet modertatio […] vt poena non excedat modum delicti, et ne seueritas in immanezm crudelitatem degeneret.“ Ebd. S. 388. 605  Ebd. 606  J. Maaler, Spraach (wie Anm. 544), 170. 607  „Tertia virtus est iustitia, qua magistratus suum cuiq; tribuat, et controuersias non proprio arbitro, sed secundum ius scriptum dirimat.“ Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 387b. 608  „Verissime enim dicutm est, saepe summum ius, summa est iniuria. Et in hanc sententiam Salomon inquit: Ne sis nimium iustus, memor ergo humanae imbecillitatis multa subditis errata condonabit, praesertim sanabillibus, et qui non consulto peccarunt humanissimi versiculi sunt Nazianzeni. Si nullius delicit tibi conscius es, et existimas te nihil poaenarum debere Deo, non est quod commiseratione mouearis erga delinquentes. Quod sie verò conseius tibi es propriae infirmitatis, impertias et alijs clementiam, misericordiam enim miserikordia ponderare Deus solet.“ Ebd. S. 387b–388. 609  Ebd. S. 388.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius165

zitierten Todsünden deutet an, wie sehr Heshusius clementia als eine Hauptsäule der politischen Tugenden eines princeps christianus erachtet. (5)  Clementia wird auch in Kombination mit dem Begriff aequitas (Billigkeit) häufig bei Heshusius verwendet.610 Wie bei Melanchthon wird diese, im Anschluss an Aristoteles, als Billigkeit, im Sinne der Mäßigung des geltenden Gesetzes unter bestimmten Umständen definiert. Wie auch andere zeitgenössische Juristen, z. B. Johannes Oldendorp,611 hebt Heshusius die clementia als Ideal der Gerechtigkeitspflege und Rechtsverwirklichung hervor.612 Damit wird deutlich, dass die Aufgabe der clementia wie die der iustitia eng mit der Definition des Gesetzes verbunden war und dass Heshusius mit der Nikomachischen Ethik des Aristoteles bzw. Melanchthons Lehre zum Billigkeitsprinzip wohl vertraut war.613 Der Einfluss der römischantiken bzw. aristotelischen und ciceronianischen Rechtstradition614 ist dabei unübersehbar. Bemerkenswert ist hierbei, dass Heshusius die juristische Norm aequitas auf derselben Ebene mit der theologischen Norm einstuft. Diese besagt, dass die Aussagekraft juristischer Norm identisch mit der der theologischen Norm war und dass juristische Norm in Heshusius’ Normenkatalog mit theologischen Normen ausgeprägt existiert. 610  „Wie wir oft sehen /  wenn die Eltern Gottlos sind /  vnd die Kinder zwingen zu falscher Lere /  Abgötterey /  oder vnbillichen Sache /  […]  /  denn so ferne sie etwas gebieten /  das nicht wider Gott ist /  denn das vierde Gebot muss das erste nicht vmstossen […]  /  das Gottlose Obrigkeit den Vnterthanen etwas auffleget /  das stracks wider Gottes Gebot ist […] Jin solchen Fellen /  wenn die Obrigkeiten etwas gebieten wollen /  das wider Gott /  vnd die Billigkeit ist /  Sollen die Vnterthanen in aller Gottes Furcht antworten: Lieber Keiser /  Lieber fürst /  Du bist wol meine Obrigkeit vnd Herrschaft /  aber der im Himmel wohnet /  Der ist mein Gott […] Vnd gott mehr gehorsam sein /  denn den Menschen.“ Postilla (wie Anm. 138), 3. Euangelium am ersten Sontags nach der Offenbarung / Luc. 2. Bl. K2v; „das die Weltliche Oberkeit von Gott gefügt ist /  ist Ordnung /  gesetzt /  Statuten /  vnd decreten zu machen /  im Weltlichen Leibssachen /  die nicht wieder Gott oder billigkeit seindt.“ Gründtliche widerlegung (wie Anm. 360), Bl. A iiij v; „Wann sie denn ja wieder Gott vnd die billigkeit mit vnschuldigen dienern handeln wollten.“ Notwehr (wie Anm. 355), Bl. N iiv.; „Das es ein gerechter furst vnd ein Liebhaber der billigkeit gewesen sey.“ Oratio fubrines (wie Anm. 166), Bl. 41. 611  Vgl. B. Bauer, Jurisprudenz und Naturrecht, in: ders., (Hg.), Melanchthon und Marburger Professoren (wie Anm. 319), S. 551–597. 612  Vgl. dazu C. Strohm, Die Voraussetzungen reformatorischer Naturrechtlehre in der humanistischen Jurisprudenz, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 117 / 86 (2001), S. 398–413. 613  Ebd. S. 551–559; I. Deflers, Lex und Ordo (wie Anm. 300), S. 159 ff. 614  Vgl. C. Strohm, Die Voraussetzungen reformatorischer Naturrechtlehre (wie Anm. 612), S. 410, ders., Ethik im frühen Calvinismus. Humanistische Einflüsse, philosophische, juristische und theologische Argumentationen sowie mentalitätsgeschichtliche Aspekte am Beispiel des Calvin-Schülers Lambertus Danaeus, in: AKG 65 (1996), S. 197–395.

166

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Subsumierend lässt sich Folgendes sagen: Erstens war Heshusius’ cle­ mentia-Vorstellung von der aristotelischen Rechtstradition und stoischen Tugendlehre, insbesondere von Senecas De clementia geprägt, welche die Legitimität der Herrschaft auf die vorzügliche ethische Überlegenheit des Amtsinhabers gründet. Zweitens war Heshusius clementia-Begriff wie sein Begriff der iustitia eng mit der Definition des Gesetzes verbunden. Im Werk des Heshusius ist eine nach rechtlichen und moraltheologischen Aspekten unterschiedene Normenwelt undenkbar. dd) obedientia et honor Heshusius betrachtet obedientia et honor als Leitbegriffe der alteuropäischen Gesellschaft.615 Damit steht er in enger Tradition mit anderen Reformatoren oder gar den Ständen in Kleve-Mark616, welche darin die höchste Tugend der Untertanen und Kinder erblickten.617 Auf die Frage „Welche dienst sind die vnterthanen schuldig jrer ordentlichen Oberkeit?“618 antwortet Heshusius in seinem dogmatischen Lehrbuch bestimmt: „Diese beyde /  ehr vnd gehorsam /  wie Petrus schreibt 1 Pet. 2 fürchtet Gott ehret den König. Vnd Paulus Röm. 13 So seid nu vnterthan /  nicht allein vmb der straffen wollen /  sondern auch vmb des gewissen willen.“619 Diese Ansicht findet sich auch in seinem Römerbrief-Kommentar: „Quae officia debeant subditi prestare magistratui?“,620 fragt Heshusius und antwortet: „Possunt autem omnia officia, quae subditi debent magistratui duabus his vocibus comprehendi, scilicet honoris et obdientiae.“621 Entsprechendes findet sich in seiner Helmstedter Predigt: „Vnd sind zwey Stück /  die alle Vnterthanen dem Keyser /  oder jrer Obrigkeit schuldig sind. Das erste ist /  Ehre /  das ander /  Gehorsam.“622 615  Einen guten Überblick von der Antike bis zum Beginn der Aufklärung bietet F. Zunkel, Ehre, Reputation, in: GG 2 (1975) S. 1–63. Hier S. 1–23. 616  V. Seresse, Politische Normen in Kleve-Mark (wie Anm. 219), S. 199–224. 617  „Zum dritten /  Haben wir hie ein sonderlich Exempel am Kindlein Jhesu /  welches vnd hie vorgehet /  wie wir rechtschaffenen Gehorsam leisten sollen /  beide Gott /  vnsern Eltern vnd Oberkeit […] Das ist eine sehr nötige Lehre /  wie man die Eltern ehren /  vnd der Weltlichen Obrigkeit gehorsam leisten.“ Postilla (wie Anm. 137), 3. Euangelium am ersten Sontages nach der Offenbarung / Luc. 2. Bl. K–K2v. 618  Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 5. 619  Ebd. Bl. Tt 5–Tt 5v. 620  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 394b. 621  Ebd. 622  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis /  mat. 22. S. 130.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius167

Wenn von obedientia et honor bezogen auf die Untertanen die Rede ist, gebraucht Heshusius das Begriffspaar häufig in Verbindung mit einem oder mehreren anderen Substantiven, vor allem mit den inhaltlich verwandten, ständischen Tugenden Liebe und Dankbarkeit oder Respekt und Ehrfurcht bzw. Frömmigkeit: „Hergegen fordert Gott Ehrerbietung /  Forcht /  Liebe vnd Danckbarkeit /  in den Kindern vnterthanen /  gegen den Eltern vnd Oberkeit /  trew vnd fleiß im beruff /  beschirmung des fridens vnd gerechtigkeit /  standhafftigkeit in aller gefahr /  gehorsamb gegen der Oberkeit. Dis alles aber sol aus rechter Gottesforcht /  liebe /  vnd glauben stiessen / von gantzen Hertzen vnd von gantzer Seelen geschehen.“623 Diese Verbindung kommt ebenfalls in seinem Römerbrief-Kommentar deutlich zum Ausdruck: „Honor est reu­ erentia et pietas coniuncta cum vera fide.“624 Der Übergang zu den anderen Begriffen ist also oft inhaltlich fließend, gleiches gilt für Respekt, Frömmigkeit bzw. Ehrfurcht, Liebe und Dankbarkeit. Diese für Untertanen und Kinder verbindlichen Tugenden bildeten also ein größeres Bezugsfeld, ähnlich wie iustitia oder clementia. Die Begriffe traten vor allem als kombinierte Substantive auf und sind meist mit einem Attribut versehen. Die gängigsten Attribute sind untertänig(st), schuldig, gebührend, beharrlich. So ist die Rede von untertänigstem Gehorsam und Treue, ehrfürchtiger Hochachtung, Respekt und Liebe. Gelegentlich treten auch die Adjektive gehorsam, hochachtungsvoll und ehrfürchtig hinzu. Die Opposi­ tionsbegriffe Ungehorsam, Untreu, Verachtung erschienen auch häufig.625 Kennzeichnend ist, dass die theologische bzw. religiöse Dimension in Heshusius’ Verständnis von der obedientia et honor der Untertanen sehr stark mitschwingt: Die enge Verzahnung von politischen und theologischen Normen wird hier wieder deutlich. Wenn von der Ehre die Rede ist, meint Heshusius deshalb, wie Zunkel herausgestellt hat,626 nicht nur allein einen politischen Leitbegriff, der in einer hierarchisch gegliederten Gesellschaft Rang- und Ehrunterschiede wesenhaft implizierte. Einerseits ist damit das Ansehen, die Würde, die ein Mensch seiner sozialen Stellung nach hatte, gemeint und andererseits geht es nicht nur um die Ehrbezeugung und Ehrerbietung, die ihm aufgrund dieses Ranges zukam,627 sondern auch um das 623  Sechs

Predigten vom Gesetz (wie Anm. 482), Bl. 229. 13 (wie Anm. 137), S. 394b; Tertium quod ad honorem debitum magistratibus pertinet est verecundia et reuerentia, ne dubia facta Magistratus calum­ niöse interpretemur.“ Ebd. S. 395. 625  „Hie verbeut Gott alle verachtung vnd vngehorsam /  gegen den Eltern vnd Oberkeit /  mutwillen vnd fürwitz der Kinder oder vnterthanen /  vnfleiß oder vntrew im beruff / “. Sechs Predigten vom Gesetz (wie Anm. 482), Bl.  229. 626  F. Zunkel, Ehre, Reputation (wie Anm. 615), S. 1 f. 627  Vgl. V. Seresse, Politische Normen in Kleve-Mark (wie Anm. 219), S. 212 f. 624  Römer

168

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Verhältnis zu Gott. Deshalb stellt Heshusius die Tugenden Respekt und Ehrfurcht ausdrücklich in den Kontext des wahren Glaubens: „Honor est reuerentia et pietas cniuncta cum vera fide.“628 Ein Beispiel geben seine Predigten vom Gesetz, in welchen er die Tugenden der Liebe, Dankbarkeit an die Gottesfurcht koppelt: „Dis alles aber sol aus rechter Gottesforcht /  liebe /  vnd glauben stiessen / von gantzen Hertzen vnd von gantzer Seelen geschehen.“629 Die wechselseitige Verbindung kommt auch in seiner Auslegung der Ehre im Römerbrief-Kommentar zum Ausdruck: Zu ehren bedeute, so Heshusius, zum einen Gottes Wohltaten anzuerkennen und Einsicht in die Einsetzung der politischen Ordnung zu zeigen. Es bedeute ferner, die Obrigkeit als Dienerin Gottes, Hüterin des Lebens und des Vermögens zu lieben. Die Obrigkeit sei Dienerin Gottes, die an dessen Stelle über die Menschen bestimme solle.630 Zu ehren heiße auch, täglich für die Obrigkeit zu beten und Gott zu danken, dass er eine fromme und heilbringende Obrigkeit eingesetzt habe. Ein gutes Beispiel dafür sei der Prophet Jeremia, der verordnet hatte, für die Könige Babylons zu beten, und der Apostel Paulus, der im 1. Timotheus Brief Kapitel 2 dazu ermahnte, Fürbitte für jeden Menschen und jeden König einzulegen. Zu ehren bedeute schließlich, Ehrfurcht und Respekt zu haben. Auch zweifelhafte Taten der Obrigkeit sollten nicht aufrührerisch beantwortet, sondern wohlwollend akzeptiert werden. Das schließe insbesondere Nachsicht für versehentliche Fehler ein.631 Ebenfalls kommt diese wechselseitige Verzahnung von politischer Tugend und Theologischem in seiner Äußerung über die Tugend „Gehorsam“ im Römerbrief-Kommentar zum Ausdruck. Deshalb bezeichnete Heshusius den Gehorsam nicht nur allein als eine Reaktion auf eine durch Befehle akzentuierte Herrschaft, sondern als eine Tugend der Untertanen, die aus dem Glauben erwachsen wird: „Obedientia est virtus orta ex fide qua propeter mandatum Dei promto batemperarmus“.632 Charakteristisch ist auch, dass sich Heshusius’ Ansicht über obedientia et honor im Rahmen eines Systems wechselseitiger Rechte und Pflichten bewegt. In diesem System bildete die weltliche Obrigkeit als pater familias das Oberhaupt und war für das Wohlergehen der Kinder und Untertanen zuständig. Diese schuldeten ihr als Gegenleistung „kindliche“ Ehre bzw. Respekt 628  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 394b; Tertium quod ad honorem debitum magistratibus pertinet est verecundia et reuerentia, ne dubia facta Magistratus calum­ niöse interpretemur.“ Ebd. S. 395. 629  Sechs Predigten vom Gesetz (wie Anm. 482), Bl. 229. 630  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 394b–395. 631  Ebd. 632  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 395.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius169

und Gehorsam. Der Gehorsam der Kinder gegenüber den Eltern lässt sich demgemäß als Gebot Gottes (vierte Gebot) und die Familie als eine von Gott gewollte Ordnung im Sinne der Dreiständeordnung interpretieren. In seiner oben erwähnten Predigt über das vierte Gebot heißt es deshalb: „Hie verbeut Gott alle verachtung vnd vngehorsam /  gegen den Eltern vnd Oberkeit /  mutwillen vnd fürwitz der Kinder oder vnterthanen /  vnfleiß oder vntrew im beruff /  versmamnus der Kinder vnd vnterthanen /  das sie nicht zu Gottes forcht erzogen /  noch von Gott recht vnterweisen werden /  Tyranne /  auffruhr. Hergegen fordert Gott Ehrerbietung /  Forcht /  Liebe vnd Danckbarkeit /  in den Kindern vn­ terthanen /  gegen den Eltern vnd Oberkeit /  trew vnd fleiß im beruff /  beschirmung des fridens vnd gerechtigkeit /  standhafftigkeit in aller gefahr /  gehorsamb gegen der Oberkeit. Dis alles aber sol aus rechter Gottesforcht /  liebe /  vnd glauben stiessen / von gantzen Hertzen vnd von gantzer Seelen geschehen.“633

Dieses Verhältnis lässt sich deshalb nicht ausschließlich als eines von Rat und Hilfe für Schutz und Schirm charakterisieren. Kennzeichnend ist, dass Heshusius aus diesem Verhältnis zwar obrigkeitliche Autorität, aber kaum herrschaftsbegrenzende Argumente ableitet. Für Heshusius bleiben eine weltliche Obrigkeit bzw. ein Vater auch dann legitim, wenn sie ihren Kindern / Untertanen innige Bitten abschlagen und dadurch in den Verdacht geraten, eine schlechte Obrigkeit oder ein schlechter Vater zu sein, weil das Amt selbst von Gott geordnet ist. Aus diesem Grund äußert sich in seinen Schriften immer wieder folgender Gedanke: Die Anerkennung der Obrigkeit als die Ordnung Gottes sollte sich in Achtung und Ehrfurcht vor den Stellvertretern Gottes äußern. Ebenso sollte für die Obrigkeit und die Erhaltung der politischen Ordnung gebetet werden.634 In seinem dogmatischen Lehrbuch heißt es deshalb, als er den Begriff „Ehre“ erläutert: Die Obrigkeit sei Dienerin Gottes, die an dessen Stelle über die Menschen bestimme solle. Die Untertanen sollen die Obrigkeit wie einen Vater lieben und ehren. Die Untertanen müssen dankbar sein für die göttliche Bestellung der weltlichen Obrigkeit. Denn es sei ihre Funktion, als Schutz und Schirm für den Frieden des weltlichen Gemeinwesens zu sorgen („als für einen sonderlichen schütz gemeines friedes“635) und diese biete die Grundlage für Heil und Glück der Untertanen. Die Untertanen sollen Geduld und Mitleid mit der weltlichen Obrigkeit also auch im Falle von krisenhaften Bewährungsproben haben. Jedoch bedeutet das noch lange nicht, dass Heshusius die Auffassung vertritt, der Forderung der Obrigkeit nach Gehorsam unbegrenzt nachzugeben. Wie sich bei der Begriffsbildung magistratus andeutete, war die Pflicht der Untertanen zu obedientia et honor ebenfalls in mehrfacher Hinsicht 633  Sechs

Predigten vom Gesetz (wie Anm. 482), Bl. 229. 13 (wie Anm. 137), S. 394b. 635  Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 5b. 634  Römer

170

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

beschränkt, worauf wir im nächsten Abschnitt noch ausführlicher eingehen werden. Heshusius’ Auffassung über das Tugendverhalten der Untertanen gegenüber ihrer Obrigkeit kann in folgendem Verhaltenskodex dargestellt werden: Die Untertanen seien der Obrigkeit Gehorsam, Ehre und Respekt schuldig, weil diese von Gott als seine Ordnung in der Funktion der custo­ dia utriusque tabulae zum Wohl der Untertanen, zum Schutz der wahren Lehre und zur Unterdrückung der Gotteslästerer eingesetzt worden sei: „Ein rechter Christ helt seine Obrigkeit in allen ehren /  vnd leistet gern vnd willig gehorsam /  Ja Leib /  Gut vnd Blut setzt er gern bey seiner Obrigkeit auff / .“636 Die Pflicht zum Gehorsam mit Respekt und Ehre gilt nach Heshusius sogar gegenüber einer ungerechten und bösen Obrigkeit, solange diese – und hier liegt die Grenze – nicht über weltliche bzw. zeitliche Dinge hinaus gebiete. Im weltlichen bzw. äußeren Bereich müssen die Untertanen sogar einer wunderlichen Obrigkeit gehorchen, solange diese Obrigkeit nicht gegen Gott, Gewissen,637 Billigkeit,638 Natur, Gottes Gebot,639 das Naturrecht640 und das positives Gesetz641 verstößt: „Die Obrigkeit hat alhie zu lernen /  das jnen gott nicht alles hat eingereumpt /  sondern nur das zeitliche. Die Vnterthanen haben hie zulernen /  das sie der Obrigkeit gehorsam zu leisten schuldig sind /  Aber nicht jnn allem /  Sondern in dem /  was des Keysers ist. Der Weltlichen Obrigkeit hat gott eingereumpt /  was zu diesen Leben gehöre /  Nemlich /  eusserliche zucht vnd gehorsam /  der zum Regiment nötig. Wenn die Obrigkeit in diesem jren Kreis bleibet /  vnd das jenige gebeut /  das nicht wider Gott /  noch das natürliche Recht ist /  so ist man jr nicht weniger zu gehorsam schuldig /  als Gott selbst.“642

Erst wenn die weltliche Obrigkeit ihren Herrschaftsanspruch ausweite, in das geistliche Regiment eingreife und über geistliche Dinge gebiete, sei sie nicht mehr christliche Obrigkeit, und die Untertanen seien ihr dann keinen Gehorsam mehr schuldig. Das heißt, Obrigkeitskritik und Widerstand wer636  Postilla

(wie Anm. 137), Mat. 22. S. 131b. was wider Gott vnd sein Gewissen ist /  dessen lest er sich nicht vberreden /  denn er weis /  das er Gott mehr fürchten sol /  denn die Menschen“ Ebd. S. 131b. 638  „ /  das die Weltliche Oberkeit von Gott gefügt ist /  ist Ordnung /  gesetzt /  Statuten /  vnd decreten zu machen /  im Weltlichen Leibssachen /  die nicht wieder Gott oder billigkeit seindt.“ Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. Bl. A iiijv. 639  „Darumb wenn Keyser vnnd Könige /  Bürgermeister /  vnd wer im Ampt ist /  etwas gebeut /  wider Gottes Gebot leuffe /  haben wir nicht allein fug vnd macht /  sondern sind auch bey verlust vnser Seelen seligkeit zu vnterlassen schuldig /  vnd allein bey Gottes Wort zu bleiben. Das heißt Gott geben /  was Gottes ist. Postilla (wie Anm. 137), S. 131b. 640  Wenn die Obrigkeit in diesem jren Kreis bleibet /  vnd das jenige gebeut /  das nicht wider Gott /  noch das natürliche Recht ist /  so ist man jr nicht weniger zu gehorsam schuldig /  als Gott selbst. Postilla (wie Anm. 137), Mat 22. S. 131. 641  Sondern wollen auch vber die Natur und vernunfft /  vnd vber alle recht sein /  wie dann Demetrius ein Gesetz hat ausgehen lassen.“ Postilla (wie Anm. 137), Mat 22. S. 131. 642  Ebd. 637  Aber



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius171

den legitim. Eine das pastorale Strafamt hindernde Obrigkeit sowie eine, die ihre von Gott auferlegte Aufgabe als custos utriusque tabulae versäumt, ist für Heshusius keine Dienerin Gottes mehr, sondern ein Tyrann, eben weil sie damit ihren Zuständigkeitsbereich überschreitet und in den Bereich des geistlichen Amts eingreift: „Etliche Tyrannen gehen so weite /  das sie nicht allein die Religion nach jrem gutdüncken /  Örtern vnd richten wollen /  Sondern wollen auch vber die Natur und vernunfft /  vnd vber alle recht sein /  wie dann Demetrius ein Gesetz hat ausgehen lassen.“643 Die Untertanen sollen dann mit dem Bekenntnis zur Wahrheit der Obrigkeit den Gehorsam verweigern und offen widerstehen, weil man, wie im Römerbrief gefordert, Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen. Wenn sie diesen Widerstand leisteten, würden sie einen Gott genehmen Dienst erweisen. Hervorzuheben ist, dass Heshusius sein Tugendverständnis in Verbindung mit der Herrschaft begrenzenden Zwei-Regimenten-Lehre bzw. Dreiständelehre besonders häufig thematisiert. Im Zusammenhang mit den Tugenden der Untertanen obedientia et honor greift Heshusius die sensible und umstrittene zeitgenössische Problematik des Strafamts der Prediger gegen die weltliche Obrigkeit auf: „Oder heist das auch ehren /  wenn man sie schamrot machet?“644 Heshusius rechtfertigt daraufhin die Ausübung des Strafamts der Prediger in zweierlei Hinsicht. Zum einen mit der strikten Abgrenzung von Amt und Person: Er betont, das Strafamt gehe nicht die Obrigkeit in ihrer Amtsfunktion an, sondern nur die Person, den Christen, der Unrecht begehe, und es betreffe daher allein dessen Seligkeit.645 Zum anderen rechtfertigt er das Strafamt der Prediger gegenüber der Obrigkeit mit der Berufung auf die strikte Unterscheidung von geistlichem und weltlichem Regiment bzw. auf die Grenze zwischen externa und interna ecclesiae: „Zu dem so straffen wir nicht den Keyser /  oder die Herren für vnser Person als Vntertahnen /  sondern als Diener Christi /  vnd als Befehlshaber in einem andern Reich /  da der Keyser vnd alle Welt dem HERRN Christo vnd vnserm Ampt vnterworffen ist.“646 Heshusius ist sich wohl aufgrund seiner eigenen Erfahrung und anderer Beispiele seiner Zeit bewusst, dass die Obrigkeit die Strafamtübung der Prediger in Gestalt von Herrschaftskritik als das Eingreifen in das obrigkeitliche Amt betrachtet und die Prediger als Aufrührer verurteilt. Aus diesem Grund geht er nochmals verschärft auf diese Problematik ein. Er bezeichnet diejenige Obrigkeit, welche die Strafamtübung ablehnt und die Prediger vor den Augen der Untertanen schmäht, als Aufrührer im Reiche Gottes: „Denn wir sind hie in einem andern Reich /  643  Ebd. 644  Ebd. 645  Ebd. 646  Ebd.

S. 130.

172

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

damit die Obrigkeit nichts zu schaffen hat. Wenn sie auch die straffe nicht annhmen wollen /  Sondern sich widersetzig machen /  so sind sie recht Auff­ rhürer im Reich Christi /  sie sind gleich Keyser oder Bürgermeister.“647 Subsumierend lässt sich sagen, dass die Herrschaft der weltlichen Obrigkeit bei Heshusius einen Teilhabeanspruch der Untertanen implizierte. ee) pax et salus publica In der politischen Literatur der Antike und im Mittelalter sowie in Regimentstraktaten des 16. Jahrhunderts gelten die Garantie von pax et salus publica als oberster und höchster Zweck des politischen Handelns. Auch bei Heshusius beherrscht die Forderung nach Frieden und öffentlichem Wohlergehen einen Teil seines Werkes. Pax et salus publica werden dabei oft mit anderen Synonymen, also den typischen Inbegriffen der korporativen Verhaltensnormen des 16. Jahrhunderts bezeichnet: Wohlfahrt648 des Gemeinwesens, Gemeiner Nutzen,649 Gemeines Beste,650 Frieden und Heil des Gemeinwesens, Gemeiner Frieden651 oder auch auf Latein utilitas et salus 647  Ebd.

648  „Wann wir weislich vnnd vernunfftig betrachten den Vrsprung /  die ankunfft vnnd Vermehrung des Menschlichen Geschlecht /  aus der Gottlichen zuhauff fügung vnd Erhaltung des ehrlichen Ehestandes /  daher die Leute daranch fridlich bey einander wohnen /  hausen /  leben vnnd sich einer von dem andern nehret /  Darumb sie Stedte bawen darinnen fuglich vnnd Bequem zu leben /  jhnen Oberkeit wehlen vnd Fürstellen /  vnd Eigene Gesetz haben /  daranch sich ein jeder schicke vnd richte /  damit jedermenniglich an Leib /  Leben vnd bescherter Wohlfart moge geschutzet befridiget vnd erhalten werden /  müssen wir bekennen /  dz solche heusliche regiment vnd richliche ordnung in stedten vnd Landen /  nicht durch eigene Weisheit /  mogen bestellet /  noch bestendig sein /  noch erhalten werden. Sondern damit wird erweisen /  Das ein Gott sey dem solche heusliche Regiment vnd richtliche Ordnung gefalle.“ Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. 21–22. 649  „Wenn jemand Meuterey vnnd Aufruhr anrichtet /  vnd legt sich wider die Oberkeit /  vnd protestieret doch /  er handelt nicht wider die Oberkeit /  sondern suche den gemeinen nutz /  vnd die Freyheit der Bürger.“ Postilla (wie Anme. 137), Die neunde Passionspredigt (Matth. 27), Bl. K iiv.; Darumb auch ein Christ nicht allein mit gutem gewissen /  solchen Oberstandt füren kann /  ein Oberkeit /  ein Bürgermeister /  ein Rathsherr sein […] das er damit dem vaterland /  der Kirchen Gottes /  vnd der gantzen gemeine /  nützlich dienet vnd vorsteht.“ Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 3–Tt 3v; „seien sie doch den Kirchen vnd gemeinen nutz vor schedlich vnd vorderblich“ oratio fvbneris (wie Anm. 137), Bl. 48. 650  „Das wir mit willigem hertzen vnseren Schos geben /  Zoll /  Zinse /  vnnd andere pflichte leisten /  vnd ein Jeder für sich /  mit mit arbeit dienst vnd gelt /  dz ge­ meine beste helffen befürderen wie Petrus saget 1. Pet. 2.“ Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 6–Tt 6v. 651  „Jn der Regierung sihet sie nur nach zeitlichem friede vnd wolfart /  nach Reichtumb vnd weltlicher Ehre.“ Psalm 19 (wie Anm. 355), Bl. L iiv.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius173

publica, bonum commune, salus societas hominum, pax et tranquillitas public.652 Heshusius verzichtet darauf, die semantische Bedeutung der Begriffe eindeutig festzulegen. Am häufigsten gebrauchte er für pax et salus publica den Begriff vom „Gemeinen Frieden“653. Hierbei deutet sich bereits der für Heshusius wahre Gehalt des Gemeinwohlbegriffs an: Er versteht darunter „einen ruhigen, friedlichen und harmonischen Zustand“ bzw. einen wohlgeordneten Zustand ähnlich wie in der mittelalterlichen Ordnungsvorstellung der tranquillitas ordinis (Ruhe in der Ordnung). Wenn von Gemeinem Frieden bzw. pax publica die Rede ist, bezieht sich dieser Begriff bei Heshusius, wie Simon654 zu Recht herausgestellt hat, nicht auf einen Zustand eines bloßen gewaltfreien Gemeinwesens, sondern auf einen Zustand guter Ordnung bzw. auf einen idealen Ordnungszustand, analog zur Ordnungsvorstellung Augustins, die er in seinem De civitate Dei formulierte: Der Friede des menschlichen Körpers besteht hier in dem geordneten Maß seiner Glieder. Heshusius’ versteht den Gemeinen Frieden also im Kern als harmonisches Zusammenwirken einer zur Einheit zusammengeschlossenen Vielheit, so wie Augustin das gesellschaftliche Ordnungsideal mit einem harmonisch zusammenklingenden Chor unterschiedlicher Stimmen verglichen hat. Hervorzuheben ist, dass dieser Ordnungszustand, wie oben im Abschnitt ordo erwähnt, nicht ein Zustand ist, den man erst als von Menschen neu zu Konstituierendes betrachtet und den man durch eine systematische, auf ein zentrales Entwicklungsziel ausgerichtete Handlungsstrategie entwickeln, erreichen oder verbessern kann, sondern als ein von Gott bereits geordneter 652  „Tertia, Vt in societate humana pax et tranquilitas conseruetur.“ Römer 13 (wie Anm. 137), S. 398b. 653  „Jst derwegen das erste ampt der weltlichen oberkeit /  eusserlicher sünde vnd schande zustewren vnd zustraffen /  damit Gott verunehrt wird /  vnd der gemeine friede /  vnter den leuthen verunrüget /  als Abghötterey /  falsce lehren /  Gotteslesterung /  zeuberey /  falsche Eyde /  den misbrauch des heiligen namen Gottes /  verachtung vnnd verseumnisdes Kirchendienstes /  auffruhr /  todschlege /  ehebruch /  hurerey /  trungckenheit /  diebstall /  reuberey /  verleumdung /  lügen vnd dergleichen eusserliche laster […].Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 4v; „Das andere ampt der weltlichen Oberkeit /  ist das recht handzuhaben /  vnd gemeinen friede zuerhalten /  Es wird aber im rechten zugleich mit verstanden /  der rechte Gottesdienst neben aller Gottseligkeit /  dann die Abgötterey ist die höchste vngerechtigkeit.“ Ebd. Bl.  Tt 4v– Tt 5; „Darnach das die Oberkeit dafür sorge /  vnnd daran sey /  das bürgerlicher friede /  vnd ordentliche gericht gehalten werden“. Ebd. Bl.  Tt 5; „Das wir schuldig sind /  Gott von hertzen zudancken für die bestellung vnser lieben oberkeit /  als für einen sonderlichen schütz gemeines friedes /  vnd auch derwegen Gott anruffen /  das Gott solche bestelte vnnd verordnete oberkeit /  mit seinen Geist erleuchten /  regieren vnd schützen wolle /  ihr das lebe verlengeren vnd zu jrer regierung heil /  glück vnd segen geben.“ Ebd. Bl. Tt 5v. 654  Vgl. dazu T. Simon, Gute Policey (wie Anm. 377), S. 22 ff.

174

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Ursprungszustand. Wenn von Gemeinwohl die Rede ist, bezieht Heshusius also diese Norm immer auf die von Gott vorgegebenen, vollkommenen, wohlgeordneten und gerechteren Ordnungszustände. Deshalb geht es in Heshusius’ Ansicht zur Grundstruktur des politischen bzw. obrigkeitlichen Handelns ähnlich wie in den großen politischen, rechtlichen und kirchlichen Reformprogrammen des Mittelalters und noch des 16. Jahrhunderts um die Wiederherstellung besserer, wohlgeordneterer oder gerechterer Ursprungszustände, deren Ordnungsniveau wiedergewonnen werden sollte.655 Es lässt sich feststellen, dass sich Heshusius’ Ansicht über das Ordnungsleitbild ausschließlich im Rahmen der Grundstruktur der politischen Handlungsprojektionen der Regimentstraktate bzw. der korporativen Sozialverhaltensnormen des 16. Jahrhunderts bewegt. Im Mittelpunkt seiner Überlegungen zum politischen Denken und Handeln steht die Beseitigung der Störungen, Mängel oder Missbräuche, die das Gemeinwesen von dem vollkommenen Ausgangszustand entfernt haben. Deshalb konzentriert sich die ordnungspolitische Zielvorstellung des Heshusius auf die Beseitigung der Ordnungsstörungen.656 Diese Stellung des Gemeinwohls als wichtigstes ordnungspolitisches Ziel bei Heshusius kann durch die Frage nach ihrem Gegenteil verdeutlich werden. Diese Art Polarisierung kann uns sein Normensystem und seine Vorstellung von einem idealen Gemeinwesen noch deutlicher machen. Das Gegenteil von Wohlfahrt, Heil, Frieden des Gemeinwesens war Unheil, Verderben, Schaden, Eigennutz657 und Nachteil. In einer solchen Gegenüberstellung und den Vorschlägen, sich dagegen zu wenden, liegt eine erhebliche argumentative Kraft. Sie verstärkt sich, wenn dem Gegenüber eine dem Gemeinwohl zuwiderlaufende Verhaltensweise direkt vorgeworfen wird. Kennzeichnend ist dabei, dass die Gegenteile des Gemeinwohlbegriffs, wie z. B. Unheil, Schaden und Eigennutz, sehr häufig im Zusammenhang mit der Grenzverletzung bzw. Einmischung der drei Herrschaftsstände zum Ausdruck kommt: „Ejne reiche /  heilsame vnd sehr nötige Lere ists /  wie man sol das heilige Predigampt von Weltlicher Herrschafft vnterscheiden Denn sol bald die Empter in einander vermenget werden /  so ists nicht 655  Ebd.

S.  128 ff. S.  129 ff. 657  „DJe dritte bschuldigung /  ist von misbrauch der Kirchenschlüssel […] Den misbrauch der Kircheschlüssel heist /  das ein Prediger die gewalt so jm von der hohen Maiestet Gottes auff Erden gegeben /  den armen betrübten vnd zur Hellen verstossenen /  […]  /  Also verkeren /  vnd aus Gottes verachtung /  böser adfection /  oder gesucht seines nutzes dahin misbrauchen das die jenigen so er zu gnaden auff­ nemen /  vnd mit dem Euangelio trösten sol /  zur Hellen verdammet /  absolutio /  trost vnnd reichung der Sacrament abschlegt.“ Notwehr (wie Anm. 355), Bl. F–Fv. 656  Ebd.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius175

auszureden /  was für Vnheil daraus entsteht /  Wie solches an den Bäpstlichen Bischoffen /  vnd dem Bapst selbst leider zu sehen.“658 Diese Auffassung wird auch an anderer Stelle deutlich: „Denn wie einem Lande oder einer Stad /  grosser Schade nicht kann zu gefüget werden /  denn so man Verrether vnd Mordbrenner /  die alles anzuzünden vnd zuuerderben vorhabens sind /  für ehrliche vnbeschüldigte Leute passieren lesset.“659 Am deutlichsten kommt Heshusius’ Verständnis in seiner berühmten Magdeburger Schrift zum Ausdruck.660 Heshusius beginnt den ersten Hauptteil dieser Schrift bereits ausdrücklich mit der Feststellung, welches Unheil die Vermischungen und Grenzüberschreitungen in Gestalt von Papocäsarie und Cäsaropapie hervorgebracht haben, um daran anknüpfend vor jedem absoluten Herrschafts- und Machtanspruch beider Gewalten zu warnen: „Denn was für vnheil vnd jamer daraus entstehet /  wenn diese zwey vnterschiedene Empter in einnander gemenget vnd geworffen werden […] in dem verfluchten Teufflichem Bapsthum wol erfaren […]  /  vnd ist aus dem Bischoff­ lichem lehrampt ein Keiserlichs tyrannisch Bapstum […] Denn die Keiser­ liche Bepst vnd Königliche Bischoffe haben mit jrem weltlichen Schwert /  auch pracht so viel zu thun gehabt /  das sie des Geistlichen Schwerts des Göttlichen worts nicht haben warten können.“661 Hierin zeigt sich ein Charakteristikum von Heshusius’ Ansicht über das Verhältnis von Kirche und Obrigkeit: die enge Verbindung reiner Lehre und öffentlichen Friedens bzw. Gemeinwohls im Rahmen der Dreiständelehre; dabei ist also von wechselseitiger Verzahnung theologischer und politischer Normen die Rede. Für Heshusius ist weder politische Normsetzung noch die Durchsetzung reiner Lehre bzw. Theologie und Kirche getrennt voneinander denkbar. Die politischen Anstrengungen, wie z. B. die Erlangung von Frieden, müssen zur Ehre Gottes, für die Verbreitung des Evangeliums und den Aufbau der Kirche dienstbar sein. Umgekehrt ist reine Lehre ohne öf658  Postilla (wie Anm. 137), 25. Euangelium am Tage Jacobi des Grösseren /  Marci am 10. Capitel. Bl. Ff4; „Denn was für vnheil vnd jamer daraus entsteht /  wenn diese zwey vnterschiedene Empter in einander gemenget vnd geworffen werden […] Denn die Kaiserliche Bepst vnd Königliche Bischoffe haben mit jrem weltlichen Schwert /  auch pracht so viel zu thun gehabt.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B iiv. 659  Widerlegung der falschen Lere d. Christophorie Pezelij vnd seiner Mitpre­ diger zu Bremen. Von der Person Jesu Christi vnd H. Abendmal. 1592. Bremen [ALVENSLEBEN Ab 255.2]. Bl. A iiv. 660  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154). 661  Ebd. Bl. B iiv–B iii; „Ein Prediger sol dahin sehen /  das er fleissig studiere /  das Volck trewlich vnterrichte […] Gottes Wort nicht verkehre /  sein Ampt nicht misbrauche /  neimandt verseume /  die Sacramena trewlich ausspende /  vnnd inn rechter GOTes furcht alles thue /  was seines Ampts ist.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl.  88.

176

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

fentlichen Frieden undenkbar. Die Erhaltung pax publica ist nur mit der Feststellung der reinen Lehre im Rahmen der Dreiständeordnung zu erreichen. In dieser Hinsicht sind Heshusius’ und Melanchthons Ansichten ähnlich.662 Anders als Luther, der der weltlichen Obrigkeit nur eine Liebespflicht abverlangte und allein auf die Kraft von Gottes Wort vertraute, vertraute Heshusius auf das Zusammenwirken von weltlicher Obrigkeit und Geistlichkeit. Diese untrennbare Verbindung von theologischer und politischer Norm kann an anderer Stelle verdeutlicht werden. „Verè enim sunt hostes Ecclesiae acerbissim, et pestes reipublicae.“663 In seiner berühmten dogmatischen Buch hieß es wie oben bereits erwähnt deshalb so: „Es wird aber im rechten zugleich mit verstanden /  der rechte Gottesdienst neben aller Gottseligkeit /  dann die Abgötterey ist die höchste vngerechtigkeit.“664 Für Heshusius zerstört die Abgötterei nicht nur das Gemeinwohl, den zeitlichen Frieden, das glückselige Regiment, gute Policey und Ordnung des Gemeinwesens usw., sondern sie bildet vielmehr die höchste Untugend des politischen Handelns. Mit anderen Worten ist die theologische Norm identisch mit der politischen Norm. Die Dreiständelehre als Herrschafts- und Ordnungsmodell bietet bei Heshusius die rechtliche Grundlage der Entfaltung dieser Normen. Damit ist der Aspekt des Zusammenhangs der Dreiständelehre mit der Unterscheidung von Tugend und Untugend angesprochen. Betrachtet man den Katalog politischer Untugenden in Heshusius’ Schriften, wie z. B. Uneinigkeit, Schaden und Eigennutz usw., lässt sich deutlich feststellen, dass Heshusius immer wieder seine Vorstellungen von Tugend und Untugend in Verbindung mit der Dreiständelehre behandelte. Wie oben erwähnt, ist cura religionis bzw. ecclesiae die höchste Aufgabe eines princeps christianus. Wenn eine christliche Obrigkeit diese Aufgabe versäumt, das heißt ihre Grenze verletzt, wie z. B. die Untertanen mit Unrecht und Gewalt zu zwingen, eine andere Lehre anzunehmen, bedeutet diese Grenzverletzung für Heshusius die höchste Untugend einer christlichen Obrigkeit. Hingegen war es für ihn die höchste Tugend eines princeps christianus, innerhalb der Grenze zu bleiben. Deshalb betont er in seiner Helmstedter Predigt, dass jeder Stand in seiner Grenze bleiben soll, um das Gemeinwohl und den Segen Gottes zu erhalten: „Darum wenn die Prediger sich mengen in Weltliche hendel /  dessen sie keinen befehl haben /  ist kein glück noch segen dabey. Als Johannes Funck /  Pfarher in der Altenstadt Königsberg in Preus662  Vgl. dazu R. Nürnberger, Kirche und weltliche Obrigkeit bei Melanchthon (wie Anm. 551), S. 54 ff.; I. Deflers, Lex und Ordo (wie Anm. 300), S. 185 f.; vgl. dazu L. Schorn-Schütte, Überlegungen zum Wandel politischer Normen im 16. / 17. Jahrhundert (wie Anm. 501), S. 169. 663  Psalm 101 (wie Anm. 302), S. 390b–391. 664  Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 4v–Tt 5.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius177

sen /  sich in viel weltliche hendel gemenget […] Also /  wenn sich weltliche Regenten vnterstehen die Kirche zureformieren /  das Predigampt zu meistern /  Gottesdienst anzurichten /  newe Lere einzufüren /  des sie keinen befehl haben /  ist kein glück noch Segen debey. Johannes von Leida wolt ein neu Königreich zu Münster anrichten /  hat dessen feinen befehl gehabt /  ist hernach mit eiseren Zangen zerrissen […] Darumb soll ein jeder in seinen beruff vnd stande sich hüten / “.665 Deshalb wies Heshusius in seiner Magdeburger Streitschrift die Anschuldigung des den Magdeburger Rat stützenden Predigers strikt zurück, er habe mit seiner Strafamtübung die Grenze seines Amtes überschritten, in das Amt der Obrigkeit eingegriffen und damit concordia et pax publica gestört: „Aber wie kemen sie darzu /  das sie die jenigen sollten ausführen /  die alles thun /  was die Oeberkeit gebeut /  die den verfoglern in allen Sünden recht geben /  die do öffentlich schrein […]  /  Heshusius haben allen friedt /  ruhe /  vnd ei­ nigkeit im regiment /  Kirchen vnd Schulen zerstöret.“666 Diese Äußerung macht deutlich, wie eng das Kriterium, nach dem die Tugend oder Untugend der weltlichen Obrigkeit beurteilt werden soll, mit der Dreiständelehre verbunden war, und dass Gemeinwohl und die Freiheit vom Konsens eines Gemeinwesens und von dem Gleichgewicht der drei Stände abhängig waren. Daher äußert sich Heshusius im weiteren Verlauf derselben Streitschrift, wie folgt: „Jst auch meines bedenckens schwerlich zu gleuben /  das so lang Magdeburg stehen were /  jemals eine rechtschaffne bestendige einigkeit unter den Predigern /  Regenten /  vnnd Bürgerschafft möge widerauff gerichtet vnnd gepflantzt werden.“667 Deshalb fordert Heshusius in seiner Magdeburger Streitschrift die weltliche Obrigkeit eindringlich auf, dass sie nicht über ihre Grenze hinaus in das fremde Amt eingreift, sondern sich damit zufrieden geben sollte, dass Gott sie ebenfalls als einen heiligen Stand der Kirche gemacht hat: „Christliche Gottselige Oberkeit lasse sich an dem genügen /  vnd neme die hohe gabe Gottes mit danckbaren Hertzen an /  das durch den Mann Gottes Lutherum die Lehre von der Oberkeit dermassen erklret ist /  das die Oe­ berkeit aus Gottes Wort nu gewiss sein kann /  das sie jhm Recht /  Seligen /  Gott beheglichen Stande /  sey auch ein furnemes Gliedt der Kirchen /  sofern sie trewe Lehrer handt habe /  vnd nicht verfolget reine Lehre vnnd den Gottesdienst fürdert /  vnd die Abgötterey /  vnnd andere grewel wieder Gottes Wort abschaffet.“668 Die wahre Tugend, so meint also Heshusius, verlange 665  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 5. Sontage nach Trinitatis / Luce am 5. Bl. 31v. 666  Notwehr (wie Anm. 355), Bl. G iii–G iiiv. 667  Ebd. Bl. N iiij. 668  Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. C iiijv. Ebenfalls kommt das Verstädnis der politischen Norm diskordia in Verbindung mit der Dreiständelehre zum Ausdruck: „ /  denn das damit vneinigkeit /  empörung /  vnruhe im Regimendt im

178

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Demut einer christlichen Obrigkeit gegenüber Gott, sie soll die Grenzen ihres Amtes kennen und sich mit der Gewalt, die sie hat, zufrieden geben. Gott habe die weltliche Obrigkeit zu einem göttlichen Stand gemacht. Dieser große Segen Gottes und diese Gnade solle ihr genug sein. Hervorzuheben ist, dass, wenn immer von der Erlangung des Gemeinwohls die Rede ist, sich dieses bei Heshsius, wie Grünberg zu Recht bemerkt hat,669 nicht auf eine Zielvorgabe der politischer Obrigkeit bzw. auf deren politisches Handeln bezieht, sondern auf die Gnade bzw. den Segen Gottes. Für Heshusius war Wohlfahrt des Gemeinwesens keineswegs Eigenleistung des Politischen, sondern Gnade Gottes. Deshalb heißt es in seinem berühmten dogmatischen Buch: „Wann wir weislich vnnd vernunfftig betrachten den Vrsprung /  die ankunfft vnnd Vermehrung des Menschlichen Geschlecht /  aus der Gottlichen zuhauff fügung vnd Erhaltung des ehrlichen Ehestandes /  daher die Leute daranch fridlich bey einander wohnen /  hausen /  leben vnnd sich einer von dem andern nehret /  Darumb sie Stedte bawen darinnen fuglich vnnd Bequem zu leben /  jhnen Oberkeit wehlen vnd Fürstellen /  vnd Eigene Gesetz haben /  darnach sich ein jeder schicke vnd richte /  damit jedermenniglich an Leib /  Leben vnd bescherter Wohlfart moge geschutzet befridiget vnd erhalten werden /  müssen wir bekennen /  dz solche heusliche regiment vnd richliche ordnung in stedten vnd Landen /  nicht durch eigene Weisheit /  mogen bestellet /  noch bestendig sein /  noch erhalten werden. Sondern damit wird erweisen /  Das ein Gott sey dem solche heusliche Regiment vnd richtliche Ordnung gefalle.“670 Diese Ansicht kommt auch in seiner Bremer Schrift deutlich zum Ausdruck: „Ersame /  wolweise /  grossgünstige liebe herrn /  Dieser Segen Gottes (gemeint die Bestellung treuer und guter Prediger. Hervorzuheben durch Ch. P.) […] ist weit vber die zeitliche leibliche güter /  das Gott mancher Stadt oder landtschafft /  weise vnd vernünfftige wolthetige Obrigkeit /  guten frieden /  zeitliche narung /  gesunde lufft /  glückselige Regiment /  vnd dergleichen […]“671 Ministerio /  in der Schulen /  vnd vnder der Bürgerschaft gestifft würde /  wollen das daraus spinnen /  das ich von den Regenten /  Predigern /  vnd Schuldiener vnterschiedlich rede /  etliche lobe /  etliche strafe. Apologia (wie Anm. 438), Bl.  B ii. 669  H. Grünberger, Wege zum Nächsten, in: H. Mnkler / H. Bluhm (Hg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn (wie Anm. 202), S. 166. 670  Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl.  21–22; „Das wir schuldig sind /  Gott von hertzen zudancken für die bestellung vnser lieben oberkeit /  als für einen sonderlichen schütz gemeines friedes /  vnd auch derwegen Gott anruffen /  das Gott solche bestelte vnnd verordnete oberkeit /  mit seinen Geist erleuchten /  regieren vnd schützen wolle /  ihr das lebe verlengeren vnd zu jrer regierung heil /  glück vnd segen geben.“ Ebd. Bl. Tt 5v. 671  Der Prediger zu Bremen (wie Anm. 155), Bl. F–Fv.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius179

ff) Fazit Fasst man die Ausführungen zusammen, ergibt sich Folgendes: Erstens: Heshusius Tugendauffassung und seine Obrigkeitsterminologie baut Heshusius zweifelsfrei auf antiker Tradition, insbesondere auf aristotelischer Rechtstradition und stoischer Tugendlehre auf und verbindet sie mit dem reformatorischen Grundsatz. Zweitens: Nicht nur die antike naturrechtlich-humanistische Tradition, der Einfluss Melanchthons und die Regimentraktate des 16. Jahrhunderts haben Heshusius Begriffsdefinitionen wesentlich geprägt. Insbesondere bei Heshusius’ Definition der pax et salus publica bzw. seinen Vorstellungen von Ordnung und Policey und des Gemeinwohls treten die mittelalterlichen Elemente im Sinne tranquillitas ordinis stark hervor. Die Ausführung hat zeigen können, dass das Ziel politischen Handelns und Denkens eines princeps christianus bei Heshusius in der Beseitigung jener Störungen bzw. störenden Missbräuche bestehen sollte, welche die von Gott geordnete ursprüngliche Grundordnung und Harmonie des Gemeinwesens gefährden und so die Schöpfungsordnung wiederherzustellen und zu bewahren. Hier sollte alle Regierungstätigkeit einer frommen christlichen Obrigkeit ansetzen. Drittens: Gottesfurcht ist für Heshusius die Hauptsäule christlicher Herrschertugend. Iustitia und clementia bilden dennoch gemeinsam die Haupttugenden des politischen Handelns eines princeps christianus. Jedoch rangiert die clementia bei Heshusius im Unterschied zu anderen Theologen vor der iustitia. Die Stellung dieser Tugenden bzw. deren Rang und Würde in Heshusius’ Tugendkatalogen gehört aber nur dem äußeren Bereich bzw. der externa an. In seinem Tugendverständnis zeigt sich, dass Heshusius ebenfalls wie sein Lehrer Melanchthon einen stark von der Moral geprägten Obrigkeitsbegriff im antiken Sinne verwendet. Heshusius ist der Ansicht, dass Erhalt und Bewahrung von Autorität und Herrschaft bei einer frommen christlichen Obrigkeit durch Steigerung tugendhaften Verhaltens und Selbstbeherrschung erreicht werden können. Jedoch zeigt die Untersuchung, dass Heshusius die Auffassung vertritt, die fromme Obrigkeit könne nicht allein durch die antiken Tugenden pax et salus publica schaffen, sondern eine gute Regierung sei nur durch Gottes Gnade zu erreichen. Deshalb akzentuiert Heshusius in seinen Schriften die Gottesfurcht als Königsweg zum Segen der Regierung und stellt die Herrschertugenden iustitia, clementia, concordia, Treue, Gehorsam, Ehre ebenso wie die Untertanentugenden als an christliche Gottesfurcht gebunden dar.

180

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Viertens: Für Heshusius sind alle Normen und Werte aneinander gebunden.672 Die Untersuchung hat nachweisen können, wie eng das Religiöse mit dem Politischen oder das Juristische mit dem Theologischen bei Heshusius ineinander verzahnt ist. So waren die Tugenden iustitia, clementia sowie honor et obedientia der Untertanen und vor allem auch die Ziele „Gemeinwohl“ bzw. öffentlicher Frieden (pax et salus publica) immer mit timor Dei untrennbar verbunden, so dass z. B. iustitia mit der cura religionis gleichbedeutend verwendet bzw. kommuniziert wurde. Die Ausführung hat zeigen können, dass Heshusius sein Tugendverständnis immer wieder in enge Verbindung mit der Definition des Gesetzes bringt. Das heißt, die juristische Norm wurde mit der moraltheologischen Norm kommuniziert. Politisches Handeln war identisch mit juristischem Handeln sowie ethisch gutem Handeln. Von einem eigenen Begriff der juristischen Normen in Abgrenzung zu theologischen und politischen Tugenden und Werten kann in der zweiten Hälften des 16. Jahrhunderts noch nicht gesprochen werden. Es ist also ein Kennzeichen für Heshusius’ Tugendkatalog, die juristische als theologische und die theologische als juristische Argumentation formuliert zu haben. Fünftens: Die Tugendlehre war bei Heshusius ein Bestandteil der Dreiständelehre. Unsere Ausführung hat deutlich zeigen können, dass Heshusius Tugend und Untugend in seinen Schriften immer wieder in Verbindung mit der Dreiständelehre behandelte. Das Kriterium, nach dem die Tugend oder Untugend der weltlichen Obrigkeit beurteilt werden soll, liegt für Heshusius darin, ob sie in den Grenzen der Zuständigkeit blieb oder diese Grenzen verletzte. Deshalb betont er immer wieder, dass das oberste Leitmotiv der Policey eines princeps christianus die Wiederherstellung und Bewahrung des Gleichgewichts des trifunktionalen Ordnungsmodells sein soll. Es ist zwar unverkennbar, dass in Heshusius’ Tugendverständnis die moralische Ordnungsfunktion der weltlichen Obrigkeit wesentlich ist, dennoch betrachtet er das zentrale politische Problem seiner Zeit, wie er es häufig in der „Vorrede“ seiner Schriften schildert, nicht im Verfall der moralischen Ordnung, sondern in der „Störung“ bzw. Veränderung des Gleichgewichts der von Gott eingesetzten Dreiständeordnung im Sinne der Schöpfung. Deshalb ging es Heshusius in seinem Herrschertugendverständnis nicht um die Wiederherstellung einer rechten und gottgefälligen moralischen Ordnung, sondern ausschließlich um die Wiederherstellung und Bewahrung des Gleichgewichts der von Gott gestifteten Dreiständeordnung als vorrangiges obrigkeitliches Ordnungsziel. Wie dargestellt wurde, resultiert nach Heshusius’ Auffassung der Zorn Gottes (manifestiert in Unheil, Schaden, Eigen672  Vgl. dazu L. Schorn-Schütte, Historische Politikforschung (wie Anm. 56), S. 100.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius181

nutz usw.) in erster Linie nicht aus dem Zerfall moralischer Ordnung, sondern aus der Störung des Gleichgewichtsverhältnisses der drei Ordnungen. Weil die Obrigkeit ihre von Gott auferlegten Aufgaben und Pflichten versäume und in das fremde Amt eingreife, wie z. B. nach Gefallen Prediger zu berufen oder abzusetzen, die die reine Lehre und den rechten Gottesdienst zu verkünden hatten, weil sie also die Grenze von externa und inter­ na ecclesiae verletze, trifft der Zorn Gottes die Herrschaft in Gestalt von Unordnung und Unruhe. Der Sinn politischer Durchsetzung einer gottwohlgefälligen moralischen Ordnung liegt nach Heshusius ohne Zweifel in der Besänftigung des zornigen Gottes. Zur Besänftigung des erzürnten Gottes muss der Fürst die Bereitschaft zu erkennen geben, seine Pflicht und Aufgabe im Rahmen der Dreiständelehre zu erfüllen, die Lästerer zu bestrafen, indem er mit anderen Ständen der Kirche zusammenwirkt. Alles politische Handeln, wie z. B. Frieden und Schutz, Gericht und Gerechtigkeit, soziale Wohltätigkeit, Disziplin und Erlass der Policeyordnung, soll über die Grenzen der Ordnungen, die sich aus der Dreiständelehre ergeben, hinaus nicht überschritten werden. Die so bei Heshusius erteilte religiöse Legitimation der weltlichen Obrigkeit bewirkt eine Verstärkung ihrer Autorität und damit verbunden eine Erhöhung der normativen Kraft ihrer Gebote. Jedoch ist eine Verstärkung der Legitimität durch die religiöse Überhöhung der weltlichen Herrschaft kein intendierter politischer Zweck, der in der politischen Reflektion als Handlungsziel herausgestellt worden wäre. Subsumierend lässt sich für Heshusius sagen, dass die moralische Ordnungsfunktion eines princeps christianus nur im Rahmen der christlichen Dreiständelehre Berechtigung hat. c) Heshusius’ Rechtfertigungsmuster in seiner Obrigkeitskritik Zu Recht wurde in der Forschung darauf hingewiesen, dass die Epoche der Frühen Neuzeit einerseits durch Diskurse über die Legitimität von Herrschaft gekennzeichnet ist. Zumeist sind jene in theologischen Debatten sichtbar und werden häufig in Rekurs auf antike Modelle oder Theorien geführt. Andererseits, so stellte man fest, wurden auch teils heftige Debatten über Obrigkeitskritik, Not und Gegenwehr geführt.673 Ein zentrales, tradi­ tionelles Anliegen der Menschen der Frühen Neuzeit sei es also gewesen, so Sven Tode, Herrschaft und obrigkeitliche Handlungen durch eine hinrei673  R. v. Friedeburg, Widerstandsrecht in Europa der Neuzeit, in: Ders., Widerstandsrecht in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 97), S. 11–59; L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht, in: Dies., Aspekte (wie Anm. 56), S. 195–232; S. Tode, Zwischen Gott und der Welt: Obrigkeit und Seelsorger als Weltapostel? Zur Funktion von Predigt als politische Kommunikation, in: L. Schorn-Schütte / ders. (Hg.), Debatten über die Legitimation von Herrschaft (wie Anm. 56), S. 87–123.

182

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

chend theologisch und politisch-theologisch fundierte Basis zu legitimieren. Theologisches Wissen bildete offenbar eine zentrale Vorraussetzung für die Legitimation von Ordnungen.674 In diesem Abschnitt sollen die Argumentationsmuster, die Heshusius während seiner Konfessionskonflikte zur Legitimation seiner Ansichten zu den bezeichneten Themen verwendete, in ihrem umfassenden Kontext und unter Berücksichtigung der deutenden Wahrnehmung und Sinnzuschreibungen der Zeitgenossen analysiert werden. Auf diese Weise lässt sich Heshusius’ Ansicht über das Politische deutlicher erfassen, artikulierte er sie doch vor allem in seiner Charakterisierung von Herrschaft und dem Verhältnis von Obrigkeit und Untertan bzw. Obrigkeit und Kirche. Betrachtet man jene Schriften des Heshusius, die Fragen zur Funktion von Obrigkeit bzw. Obrigkeitskritik thematisieren, lassen sich mehrere Argumentationsmuster bzw. -strategien erkennen. Zusammengefasst lassen sich acht Argumentationsschwerpunkte, mit denen Heshusius seine Ordnungsvorstellungen artikulierte bzw. Obrigkeitskritik und Widerstandsrechts gegen die weltliche Obrigkeit legitimierte, herausarbeiten: – Die protestantische Dreiständelehre – Zwei-Regimenten-Lehre – Das göttliche, natürliche und weltliche Recht (die leges divinae, naturae und humanae) – Mahn- und Wächterpflicht der Geistlichkeit bzw. das „geistliche Sonderbewusstsein“ – Gemeindeprinzip – Die Unterscheidung vom Amt und Person – Hüter der ersten und zweiten Tafel des Dekalogs (custos utriusque tabu­ lae) – Das Konzept des Rechtes auf Widerstand, Gegenwehr und Notwehr. Ein Blick auf diesen „Modell-Katalog“ macht deutlich, dass Heshusius (und mit ihm weitere Vertreter der lutherischen Geistlichkeit) spezifisch argumentiert.675 Vor allem Heshusius’ stetiger Rekurs auf die Dreiständelehre, in deren Kontext er auch alle weiteren Legitimationsmuster entwickelte, ist dabei eigentümlich und unterscheidet sich gravierend von den Argumentationslinien z. B. der protestantischen Stände in Ober- und Niederösterreich, für welche das „alte Herkommen“ das Kernargument in Konfliktfällen mit 674  S. Tode, Zwischen Gott und der Welt, in: L. Schorn-Schütte / ders. (Hg.), Debatten über die Legitimation von Herrschaft (wie Anm. 56), S. 88–89. 675  Ebd. S.  447 ff.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius183

der Obrigkeit bildete. Man kann also sagen, dass die Dreiständelehre in Hesusius’ Überlegungen zu den Themen Herrschaft, Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht stets im Zentrum steht. Heshusius’ Argumentationsstrategie soll im Folgenden näher untersucht werden. Formal wird die Analyse nach folgenden Gesichtspunkten durchgeführt: Erstens: Anhand des Entstehungshintergrunds der jeweils zu behandelnden Schriften wird die jeweilige konkrete historische Situation, aus der heraus Heshusius’ Schriften entstanden sind und in den hinein sie gewirkt haben, skizzierend einbezogen. Heshusius’ Schriften werden historisch verortet, damit seine oft unterschiedlichen Positionen besser erklärt werden können. Denn diese hängen entscheidend davon ab, wo Heshusius sich gerade befindet, an wen er schreibt und welche Interessen er verfolgt. Eine ausführliche stadtgeschichtliche Analyse, unter Einbeziehung des politischen, sozia­ len und kirchlich-theologischen Kontexts, folgt im nächsten Abschnitt V. Zweitens: Bei der Analyse der Texte werden literaturgeschichtliche Aspekte berücksichtigt: Welcher Gattung gehört der Text an (Predigt, Traktat, Streitschrift, Pamphlet, Kommentar usw.)? In welcher Sprache hat Heshusius geschrieben? Wurde die Schrift auf Deutsch oder Latein, für die Öffentlichkeit oder den Hof, für den Druck oder einen Briefpartner verfasst? Die Zeitgebundenheit der Ansichten des Heshusius’ in Bezug auf die weltliche Obrigkeit und ggf. die Rücksichtnahme auf die Interessen der Adressaten kann so deutlicher herausgestellt werden. Drittens wird gefragt, ob ein Bruch oder einen Neuansatz innerhalb Argumentationsstrategien auftritt, wenn Heshusius in andere Lebenssituationen wechselt. Lässt sich hier eine Entwicklung seiner Argumentationsstrategien, eine Akzentverschiebung, eine Verdichtung bestimmter Standpunkte oder ein Wandel derselben ablesen? Es bietet sich dabei an, die oben vorgenommene biographische Einteilung seiner Lebensabschnitte heranzuziehen. aa) Das „geistliche Sonderbewusstsein“676 Diese Mahn- und Wächterpflicht der Geistlichkeit, eine Art „ausgeprägtes Elitebewusstsein“677 der Geistlichkeit, mit dessen Hilfe der status ecclesias­ ticus als eigenständige Gruppierung sozial verankert wurde, geleitet von Luthers Zwei-Reiche-Lehre und vom mittelalterlichen sakralen Amtsverständ676  Zur Entwicklung dieses Legitimationsmusters zusammenfassend vgl. L. Schorn-Schütte, Die Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 6), S. 393 ff. 677  Dieser Terminus stammt von R. Anselm, Ekklesiologie als kontextuelle Dogmatik (wie Anm. 207), S. 221 f.

184

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

nis, zählt neben der Dreiständelehre zu den am häufigsten eingesetzten Legitimationsmustern. Das Rechtfertigungsmuster hat seinen Kern wesentlich in drei Ansprüchen der Geistlichkeit, die sie seit der Reformation, konkret seit der Confessio Augustana von 1530, beanspruchten: Hierzu gehört erstens das Schlüssel- und Wächteramt. Die Geistlichkeit erhebt den Anspruch, mit der Strafpredigt, dem Kirchenbann und der Forderung nach öffentlicher Buße, mit anderen Worten kraft ihres „geistlichen Schwertamtes“ (potestas iurisdicitionis) den Eingang der „Weltkinder“ in das geistliche Reich (interna ecclesia) zu verwalten (auf- und zuschließen). Zum zweiten hat die Geistlichkeit wie die römische Kirche den Anspruch auf die Weihegewalt (potestas ordnis), das heißt der „geistliche Stand“ zu sein, jedoch nicht im mittelalterlich-sakralen Sinne, sondern ausschließlich im Rahmen der Verkündigung der reinen Lehre und Ausspendung der beiden Sakramente und der damit verbundenen Pflicht der Verteidigung des reinen Bekenntnisses und einer entsprechenden Einflussnahme auf die Gestaltung der Kirchenordnung. Zum dritten hat sie das Recht zur Formulierung und Umsetzung des Bekenntnisses in die praktische Kirchenordnung.678 In allen Phasen seiner Konflikte mit der weltlichen Obrigkeit von Goslar bis Helmstedt machte Heshusius besonders vom Anspruch auf die potestas iurisdicitionis Gebrauch. In Goslar kritisierte Heshusius die sittenlose Lebensführung der Obrigkeit. Als der Goslarer Rat ihm vorwarf, er habe mit seiner Kanzelkritik in das Amt der Obrigkeit eingegriffen, wies er diesen Vorwurf strikt zurück, indem er die Strafamtübung als heilige Wächterpflicht der Prediger bzw. als göttlichen Amtsauftrag hervorhob. In seiner kleinen Streitschrift, die er während seines Exils in Magdeburg 1556 / 1557 verfasst hatte, welche aber erst 1573 in Jena gedruckt wurde, betonte er zur Rechtfertigung seiner Position das von Gott befohlene Löse- und Bindeschlüsselamt: „vnd allenthalben viel Prediger sind /  denen das hohe Ampt des Geistes kein sonderer ernst ist […]  /  sollte nicht ein Pfarrherr vnd Seelsorger aus Gottes wort so viel studiret haben /  das er wuste was seines Beruffs vnd ampts ist /  wie er mit reichung der Sacrament gebrauchen /  dz Ampt der Schlusseln seliglichen brauchen /  mit Busfertigen vnd vnbusfertigen vmbgehen solle: Lieget doch der klare vnd helle Befehl Jhesu Christi des grossen Herren so klar für Augen […] Was jr auff Erden koset /  das auch im Himel los sein /  was jr auff Erden bindet /  das sol auch im Himel gebuden sein. Beides hat Christus befohlen /  die sünde auffzulösen /  nach dem heiligen Euangelio /  vnnd die Sünde der vnbusfertigen nach dem Gesetz zu binden.“679 678  Dazu ausführlich vgl. L Berndorff, Die Prediger der Grafschaft Mansfeld. Eine Untersuchung zum ‚geistlichen Sonderbewusstsein‘ in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Diss. Potsdam 2008 (Im Druck), S. 80–82. 679  Vrsach vnd Grundt / Warumb (wie Anm. 128).



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius185

Ebenfalls gebrauchte er in Rostock das Strafamt für seine Obrigkeitskritik am Rostocker Magistrat. Wie schon in Goslar kritisierte Heshusius die sittenlose Lebensführung der Obrigkeit als „Sonntagshochzeit“680 auch in Rostock von der Kanzel herab schonungslos. Als der Rostocker Rat ein in Plakatform auf einen Bogen gedrucktes Mandat681 gegen Heshusius veröffentlichte und ihn darin unter Berufung auf Römer 13,1 zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit aufforderte und zugleich beschuldigte,682 er habe mit seiner Kanzelkritik und Strafamtübung in das Amt der Obrigkeit eingegriffen,683 verfasste Heshusius zur Rechtfertigung seines Vorgehens eine polemische Handschrift, um die Rechte der Bürger auf Mitherrschaft und Kontrolle am Stadtregiment bzw. am Teilhabeanspruch der Untertanen hervorzuheben. Darin bezeichnete er sie sogar als „Hurrenvogt“684: „Den ein Obrikeit were nicht dazu beruffen, das sie sollten hurren vogte sein, wie sie jn vielen steden sein, sonder götter nennt sie die Schrifft [Ps. 82. Hervorhebung durch Heshusius], das sie an gots stedt zucht vnd Erbarkeit solten erhalten.“685 Gemeint ist, dass Gott der Obrigkeit die Schwertgewalt, d. h. die gesetzgebende, richterliche und strafende Gewalt, anvertraut habe, damit sie an Gottes statt alle Gotteslästerungen, Abgötterei und falschen Gottesdienst abschaffen und für eine reine Lehre im Lande bzw. in der Stadt sorgen solle, nicht aber für zuchtlose Freiheit. Auf Vorwürfe des Rostocker Rats äußerte er selbstbewusst: „den so viel vnser person belanget haben wir mit gots hülfe die obrikeit geliebte vnd geheret, so viel aber vnser ampt betrifft, haben wir nicht allein bauern vnd Bürger, sondern auch Bürgermeistern vnd Radtmannen ein jeden vnangesehen, welchen standt er geführet, gestraffet, da er wider godt vnd sein wort gehandelt.“686 Gemeint ist damit zweierlei: Zum einen solle die Geistlichkeit als persona civilis der weltlichen Gerichtsbarkeit unterstehen, als Amtsperson aber nicht. Zum anderen übe die Geistlichkeit ihr Strafamt nicht gegen die Obrigkeit als Amt, sondern 680  Zu historischen Einzelheiten vgl. dazu J. Wiggers, Tilemann Heshusius und Johann Draconites, in: JmGA 19 (1854), S. 65–137. Im Folgenden Draconites. 681  Ebd. S. 74–78. 682  „Woruor de Ouericheyt tho holden, vnd der tho gehorsamen, leret Paulus thon Römern am 13. Kap.: Welcker der Ouericheyt (secht he) weddersteit, de wedderstreit Gade, vnd welcker wedderstreit, bekumpt sick de vordamenisse.“ ebd. S. 75. 683  „Wo se dar nicht mit gesediget, sonder ock jn vnsere Politisch Regiment getastet.“ ebd. S. 75; „das wir jhn in ihr politisch regiment haben gegriffen.“ Antwort (wie Anm. 137), S. 376. 684  „Denn eine Obrigkeit wäre nicht dazu berufen, daß sie sollten Hurenvögte sein, wie sie in vielen Städten sind.“ K. Koppmann, Dr. Johannes Draconites, Professor der Theologie und Superintendent zu Rostock, in: BGR I / 3 (1893), S. 90. Im Folgenden Johannes Draconites. 685  Antwort (wie Anm. 137), S. 377. 686  Ebd. S. 392.

186

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

gegen die Person.687 Heshusius fährt fort, dass es sich bei dem Verbot der Strafamtübung um einen Eingriff der Obrigkeit in das geistliche Regiment und die ganze Gemeinde Gottes handele: „Vber das, so hat er nicht wider meine person gehandelt, wie Christus sagt, sundiget deine Brüder O sonder wider die hohe gotliche Maistat die er gelestert, wider das hochwirdiges predigampt das er teufflichs verachtet, wider die gantze gemeine gots, die er geergert et betrübt, hat er gesundiget. Darumb war auch nötig öffentlich die Sunde zu straffen, vnd wir können ampts wegen nicht vmbgehen.“688

Der Rostocker Rat beschuldige ihn, so Heshusius, gegen das Wort Gottes nach Römer 13,1 verstoßen zu haben – das aber sei ein Missverständnis. Wiederum weist er den Vorwurf unter Verweis auf die Unterscheidung von Amt und Person zurück: „Den so viel unser Person belanget, haben wir mit gots hülfe die Obrikeit geliebte vnd geheret.“689. An dieser Stelle zeigt sich auch, dass Heshusius wie Johann Gerhard mit der zeitgenössischen Frage, inwieweit die kirchlichen Amtsträger der weltlichen Gerichtsbarkeit unterstehen, sehr wohl vertraut gewesen ist.690 Zwar thematisiert er diese Problematik hier nicht weiter, doch geht aus dem Beleg hervor, dass er wie Melanchthon und Johann Gerhard die Trennung des geistlichen oder politischen Amts von der jeweiligen persona civilis vertritt. Deshalb betont er immer wieder, dass die Obrigkeit auch im Falle des Banns ihr Amt nicht verliere und die Untertanen ihren Gehorsam gegenüber der Obrigkeit schuldig seien, worauf wir im nächsten Abschnitt „Die Unterscheidung von Amt und Person“ noch näher eingehen werden: „Vnser Bann setzet niemand von seinem Ampt /  verweiset niemand des Landes. Wenn gleich ein Pfarrer einen Bürgermeister /  Amptmann /  oder Fürstlichen Rath vmb seines Gottlosen wesens /  lesterung vnd halsstarigkeit willen in den Bann erklerte /  so were doch damit der Bürgermeister / Amptmann /  oder Rath seines Ampts /  oder diensts nicht entsetzt /  die Vnterthanen weren auch ihrer eydt vnnd pflicht nicht los gezehlet. Denn der geistliche Bann schleust nur aus der Gmeinschafft der Kirchen /  vnd verkündiget dem Menschen /  das er kein theil am Reich Gottes habe /  mit den weltichen Empten hat er nichts zuschaffen /  wiell hernach die hohe weltliche Obrigkeit einen solchen verbanneten /  halsstarrigen vnd gottlosen menschen in den Emptern /  oder auch im Lande nicht leiden /  wie sie dann schuldig ist /  mit weltlicher straffe nachzudrucken /  vnd verfluchte Leute in Emptern nicht zudulden /  das mag sie für sie thun /  die Kirche vnd Predigampt hat damit nichts zuthun.“691 dazu Abschnitt IV. 2.3.8 custos utriusque tabulae. (wie Anm. 137), S. 405. 689  Ebd. S. 392. 690  Vgl. M. Honecker, cura religionis (wie Anm. 182), S. 128–129. 691  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am ersten Sontage nach Ostern /  Quasimodo geniti /  Johan 20. Bl.  22. 687  Vgl.

688  Antwort



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius187

Hinsichtlich ihrer Amtsführung unterstehen die ministri ecclesiastici nicht der weltlichen Gerichtsbarkeit. Aber als persona civilis sind die Geistlichen dagegen membra et partes reipublicae, also Untertanen, die der weltlichen Gerichtsbarkeit unterworfen sind.692 Für Heshusius sind Amtsverfehlungen Sache des Konsistoriums und nicht der weltlichen Gerichtsbarkeit. Im Unterschied zu Johann Gerhard räumt er die Notwendigkeit einer eigenständigen geistlichen Gerichtsbarkeit unter Mitwirkung und Zustimmung der christlichen Obrigkeit ein und weist die Zuständigkeit der weltlichen Obrigkeit für diese Konsistorien zurück.693 In Heshusius’ Verständnis wird durch Kanzelkritik und Strafamtübung die von Gott anvertraute heilige Wächterpflicht der Prediger gegenüber den anderen Ständen erfüllt. Somit können diese gar keinen Eingriff in ein fremdes Amt bedeuten, sondern entsprechen genau dem göttlichen Amtsauftrag. Das Verbot der Strafamtübung dagegen stelle einen solchen Eingriff dar.694 Diesem Rechtfertigungsmuster begegnet man auch in seiner Bremer Bekenntnisschrift.695 Als der Domprediger Albert Hardenberg696 trotz heftiger Kritik von Seiten der Lutheraner Bremens seine calvinistische Lehre weiter verbreitete und der Rat die Entlassung Hardenbergs nicht durchzusetzen vermochte – nicht zuletzt, weil Hardenberg nicht dem Rat, sondern dem Erzbischof und dem Domkapitel unterstand sowie vom Oldenburger Grafen unterstützt wurde –, verfasste er 1560 eine Schrift. Er widmete sie der Stadt Bremen, um das dortige Luthertum zu unterstützen. Adressiert war sie auch an die Landesherren. Im Anschluss an die Vorrede machte Heshusius von seiner Mahn- und Wächterpflicht Gebrauch und erinnerte den Magistrat der Stadt Bremen an seine von Gott befohlene obrigkeitliche Amtspflicht als custos primae ecclesiae, für das Seelenheil der Untertanen Sorge zu tragen: „Daneben wil auch von nöten sein /  das E. Erb: W. als die Christliche Obrigkeit ein ernstliches einsehen haben /  vnd vermög jres tragenden /  vnd von Gott aufferlegten Ampts /  der falschen Lere /  vnd öffentlichen lesterungen wehre /  vnd die arme Vnterthanen von der Verführung vnd gifft abhalte.“697

Besonders deutlich zeigt sich das „pastorale Sonderbewusstsein“ in seiner Magdeburger Schrift „Vom Ampt vnd gewalt“. Heshusius verfasste diese hinsichtlich des evangelisch-pastoralen „Sonderbewusstseins“ geradezu 692  Vgl.

M. Honecker, cura religionis (wie Anm. 182), S. 128–129. Vrsach vnd Grundt / Warumb (wie Anm. 128), Bl.  Bv–B ii. 694  Draconites (wie Anm. 680), S. 91. 695  Der Prediger zu Bremen (wie Anm. 155). 696  H. Engelhardt, Das Irrlehrverfahren des niedersächsischen Reichskreises gegen Albert Hardenberg 1560 / 1561. In: Jahrbuch für Niedersächsische Kirchen-Geschichte 61 (1963), S. 32–62. 697  Der Prediger zu Bremen (wie Anm. 155), Bl. G. 693  Vgl.

188

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

klassisch zu nennende Amtsschrift auf Bitten einiger Amtsbrüder, die über die Ausübung ihres Zuchtamts verunsichert waren.698 Er widmete sie dem Landadligen Andreas von Meyendorff,699 um damit möglicherweise eine gefälligere Aufnahme durch die aristokratischen Leser zu erzielen. Darin bezeichnete er die Strafamtübung als heilige Wächterpflicht der Prediger und göttlichen Amtsauftrag gegenüber der Gemeinde: „Offt haben wir gesagt /  das ein Pfarherr schuldig sey /  vom brauch der Sacrament abzzusondern /  die offentliche /  bekandt /  vberzeugte /  halsstarrige /  vnbusfertige /  Sünder vnd Lesterer /  die da Notoria scelera /  das ist /  grobe /  offentliche laster begehen /  oder falsche Lere /  in GOTTes wort verdampt /  verteidigen […] Das Pfarherrn vnd Kirchendiener macht haben die Kirchenstraffe /  nemlich /  separationem die absonderung der Gottlosen von den Sacramenten zu gebrauchen.“700 Diese Argumentation kommt wiederum in seiner anderen Magdeburger Schrift701 deutlich zum Ausdruck. Im August 1562 wurde von den Ständen des Niedersächsischen Reichskreises in Lüneburg ein Mandat „Wider das Schelten auf den Cantzeln“702 veröffentlicht. In diesem Mandat wurde den Pfarrern unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die vielfältigen Kontroversen um die geistliche Kanzelkritik und deren schädliche Wirkung auf das Volk die Kirchenzucht untersagt. Auch durfte künftig im niedersächsischen Kreis kein theologisches Buch ohne obrigkeitliche Erlaubnis publiziert werden.703 Heshusius betrachtete wie die anderen Gnesiolutheraner dieses Mandat als Eingriff in das geistliche Amt und veröffentlichte unmittelbar darauf eine Gegenschrift, in der er seinerseits von seiner Mahn- und Wächterpflicht Gebrauch machte, indem er die Obrigkeit des niedersächsischen Kreises an ihre gravierende kirchenpolitische Fehlentscheidung erinnerte. Heshusius beginnt bereits seine Ausführungen mit der Erinnerung an die obrigkeitlichen Pflichten und Aufgaben im Sinne Melanchthons (cura religionis als custodia utriusque tabulae).704 698  Vgl.

I. Mager, T. Heshusen (wie Anm. 80), S. 347. Meyendorff und entsprechende Literatur vgl. I. Mager, Die Konkordienformel im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel (wie Anm. 172), S. 46 f. 700  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. K iii–K iiiv. 701  Vrsach / Warumb (wie Anm. 156). 702  Zum Folgenden die Einzelheiten bei C. A. Salig. Vollständige Historie der Augsburgischen Confession (wie Anm. 157), S. 766 ff. 703  W. D. Hauschild, Theologische Aspekte der lutherischen Konsensübung in Norddeutschland, in: W. Lohff /  L. W. Spitz (Hg.): Widerspruch, Dialog und Einigung. Stuttgart 1977, S. 41–63. 704  „nach dem dann des Newe hällische Edict /  welches sich auff den Lüneburgischen krays abschyd berufft […]  /  als ists nötig /  das wir Prediger vnd Seelsorger vermög Göttliches wort /  solchen Edict widersprechen /  vnnd die weltlichen Oberkeyt eines besseren berichten.“ Vrsach / Warumb (wie Anm. 156), Bl. A ii. 699  Für



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius189

Weiter schreibt Heshusius, dass die Prediger und Seelsorger in ihrer Wächterfunktion verpflichtet seien, dem gottlosen Edikt zu widersprechen und die weltliche Obrigkeit in ihrer politischen Verantwortung daran zu erinnern, dass dieses Mandat nicht nur der Bibel, sondern auch der apostolischen Lehre und auch der Augsburgischen Konfession zuwider sei.705 Mit Mt. 22, 21 warnt er die weltliche Obrigkeit davor, sich in das geistliche Amt einzumischen: „Dann der Son Gotes gestehet keinem Regenten einiges gebots oder verbots in seinem Geystlichen reych /  welches er mit seinem tewren Blut erworben /  vnnd mit seinem klaren Wort gefasset vnnd befridet hat /  Dann da Christus sagt /  Gebt dem Keyser was des Keysers ist /  vnd Gottes was Gottes ist /  verbeut es dem Keyser vnd allen Regenten /  das sie dem lieben Gott inn sein geystlich Reych als inn einer frembden Herrschafft keinen eingryff thun sollen /  sondern das gehn lassen wies Gott verordnet.“706 Weil seines Erachtens derartige Übergriffe auf eine unwissende Beratung der Obrigkeit durch die Juristen zurückzuführen seien, unterstreicht Heshusius, dass Predigtamt und Strafamt nicht Sache der Juristen, sondern einzig und allein der Prediger sei. Nach diesen Ausführungen setzt sich Heshusius dann mit einigen Einwänden gegen das pastorale Strafamt auseinander,707 indem er ausdrücklich wiederholt, dass die Strafamtübung keinen Eingriff in das Amt der Obrigkeit bedeute, sondern der heiligen Wächterpflicht der Prediger entspreche: „Weil es vns keines wegs gebüren /  dz wir stillschweigen /  sonder müssen bey verlust götlicher huld vnd gnad /  das maul redlich auf thün […] Dann hie mus man vil mehr auf die gantze Kirchen vnd gemeyn sehen /  das die nicht mit vnserm stillschweygen verlassen […]  /  das sie nicht allein Gottes wort /  laut der Augspurgischen vnd Magdaburgischen Confession […] Weyl es dann Gottes befelch ist /  das wir schrey müssen […] vnnd seinen gantzen anhang warnen /  müssen wir Gott mehr gehorsam sein /  dann dem Newen Hällischen Edict.“708 Er bekräftigt die Rechtfertigung der Strafamtübung durch eine Analogie zur obrigkeitlichen Strafamtübung: „Wann ein Fürst oder Stadt /  einen offentlichen vnd gefärlichen Feind hat /  so ists nicht gnug /  das die Oberkeyt den vndterthanen anzayge /  Es sey ein Feind vorhanden /  wider den man sich rüsten vnd gefast machen mus /  sonder den Feind zaygt man namhafftig an /  wie er heysse /  wo er seinen sus habe /  wie mächtiger sey /  was er für hülff /  vnd welchen anhang er habe /  auff das sich ein jeder vndterthan destoleüchter gegen werth stellen. Also ists auch imm reych Christi nicht gnug /  das man den schäflein vermelde /  es seyen Rotten geis(wie Anm. 156), Bl. A iii–Aiiiv. 706  Ebd. Bl. A iii –A iiij. 707  Ebd. Bl. C–C iii. 708  Ebd. Bl. E ii–F iiijv. 705  Vrsach / Warumb v

190

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

ter vnd verfurer vorhanden /  sondern mir namen mus man sie zaygen /  vnd wol bekandt machen /  jhre falsche leere auffdecken / .“709 Damit will Heshusius den gleichberechtigten Status von geistlichem und weltlichem Regiment postulieren. In seiner dem Herzog Heinrich Julius gewidmeten Predigt über Mt. 22, 21 „Geb dem Keyser /  was des Keysers“ führt Heshusius noch selbstbewusster aus, warum die Prediger mit ihrer Strafamtübung im Sündenbindeschlüssel die Obrigkeit immer wieder hart angegriffen und auch bloßgestellt hätten, obwohl der Obrigkeit doch aufgrund der Worte Christi alle Ehre zu erweisen sei: „Ehre gebühret nur das Amt, wenn wir straffen, ist nicht mit dem Amt zu tun, sondern mit der Person zu schaffen, die Übel tut. Zu dem straffen wir nicht den Keyser /  oder die Herren für vnser Person /  als Vnterthanen /  sondern […] Befehlshaber in einem anderen Reich /  da der Keyser vnd alle Welt den herrn Christio vnd vnserem Ampt vnterworfen ist […] Wenn sie auch die Straffe nicht annehmen wollen /  sondern sich wiedersetzig machen /  so sind sie recht Auffrüher im Reich Christi.“710

Hervorzuheben ist, dass Heshusius dieses Legitimationsmuster immer wieder in Verbindung mit der Zwei-Regimenten-Lehre bzw. Dreiständelehre gebraucht. Diese Tatsache zeigt sich bereits in seiner oben erwähnten Goslarer Schrift. Hier beruft sich Heshusius zur Bekräftigung seiner Argumente auf das Beispiel der kompromisslosen Strafamtübung des Ambrosius am Kaiser Theodosius711, weil er die Gefahr und den Einfluss der mittelalter­ lichen Theokratievorstellung und die zeitgenössische cäsaropapistische Tendenz zu erkennen glaubte. Er hebt deshalb ausdrücklich hervor, dass die Kompetenz und Zuständigkeit der geistlichen Gerichtsbarkeit weder allein den Geistlichen, noch der Obrigkeit allein zukomme, sondern der Kirche insgesamt: „Das er jn als bald in den Bann thun wolte /  aus eigenem praeiudicio wil den Pastori alein nicht gebüren […] Darumb sol die Kirche die Sache erst erkennen /  vnd ist der Pfarrher schuldig /  den vnbusfertigen vnd Gotteslesterer /  dem Consistorio oder Geistlichen Gericht anzuzeigen /  auff dz er ordentliche verklagt /  vnd seiner beschuldigung vberzeugt werde […] D–Dv. 710  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis  /  Mt. 22. Bl.  130; „Also ist auch zu mercken /  das Her HERR Christus spricht: Der heilige Geist werde die Welt straffen /  Nicht allein die Heyden /  sondern auch die Juden /  Nicht eine Stadt /  nicht ein Königreich /  Nicht nur ein Dorff /  sondern die Welt sol er straffen. Nicht allein der Pöbel vnd gemeine Mann sol sich straffen vnd lehren lassen /  sondern auch Keyser vnnd Könige /  Regenten vnd Obrigkeiten /  nicht allein grobe eusserliche Sünder /  sondern auch was heilig scheinet für der Welt […] Der HERR Christus nennet das Ampt des Geistes ein Straffampt.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am vierdten Sontag nach Ostern /  Cantate /  ohan. 16. Bl.  39v. 711  Vrsach vnd Grundt / Warumb (wie Anm. 128), Bl. A iii. 709  Ebd.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius191

vnd denen die Kirche Gottes Geistlich Gericht befohlen hat.“712 Gemeint ist damit, dass zur Übung der Kirchenzucht durch den gemeinen Pfarrer die Mitwirkung und Zustimmung aller drei Stände, Rat, Geistlichkeit und Gemeinde, soweit diese im Konsistorium zum Ausdruck kam, unbedingt erforderlich seien. Der Gebrauch des „geistlichen Sonderbewusstsein“ in Verknüpfung mit der Dreiständelehre kommt ebenfalls in derselben Schrift noch einmal zum Ausdruck. Im weiteren Verlauf der Schrift erklärt Heshusius, dass ein Pfarrer, der Menschen nach seinem Gutdünken vom Sakrament abweise und verbanne, ein Tyrann sei,713 womit diesem ebenfalls Cäsaropapismus vorzuwerfen sei. Heshusius fordert die Geistlichen noch einmal eindringlich und unter Berufung auf die Dreiständelehre auf, sich in der Strafamtübung der Zustimmung und Mitsprache der anderen Stände zu vergewissern: „Den Pfarrherrn vnd Seelsorgern gebüret nicht on vorgehende erkentnis vnd Vrteil der Kirchen jemands in den Bann zu erkleren.“714. Diese Wiederholung verdeutlicht, wie sehr Heshusius versucht, Kompetenzüberschreitungen der Obrigkeit in das fremde Amt unter Berufung auf die Herrschaft begrenzende Dreiständelehre zurückzuweisen. Deshalb betont er ausdrücklich, dass Papocäsarie wie Cäsaropapie gleichermaßen zu verwerfen seien: „Ein Gottsehliger trewer Seelsorger thut nichts nach eigenem gut bedüncken /  Sondern fürchtet Gott […] Wil aber ein vntrewer Seelsorger dieser seiner habenden gewalt misbrauchen /  der hat sein Vrteil vnd viel schwere straff drüber zugewarten. Denn so die Weltliche Obrigkeit jres Schwerts misbrauchet zur Tiranney /  Gott verkündiget beiden ein schrecklich Wehe.“715 Ebenfalls kommt die Verwendung des „geistlichen Sonderbewusstseins“ in Verbindung mit der Dreiständelehre in seiner obigen Rostocker Schrift deutlich zum Ausdruck. Heshusius fordert die Rostocker Bürgergemeinde auf, im Falle des Pflichtversäumnisses der christlichen Obrigkeit den Anspruch auf Obrigkeitskritik zu verwirklichen. Zur Legitimation seiner Position berief er sich auf die Dreiständelehre: „Dieses bekenntnus haben wir gern gethan, wie auch ein jder Christ schuldig ist anzuzeigen welcher Kir­ che glidmaß er sey“.716 Bv–B ii. ein jglicher Pfarrer vnd Seelsorger also sol macht haben /  die Leute nach seinem gutbedüncken /  vom Sacrament abzuweisen vnd zuuerbannen /  so wird dadurch ein grosses zerrüttung auch Tyranney im Predigamt erfolgen“ Vrsach vnd Grundt / Warumb (wie Anm. 128), Bl.  C iii. 714  Ebd. Bl. C iiiv; „Die Worten Luthers lauten also. Eine gantze gemeine soll macht haben einen Pfarherrn zu erwehlen vnd zu entsetzen.“ Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. E. 715  Vrsach vnd Grundt / Warumb (wie Anm. 128), Bl.  C iii. 716  Antwort (wie Anm. 137), S. 345. 712  Ebd.

713  „Wenn

192

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Diese Äußerung macht deutlich, dass Heshusius’ Eintreten für das Prinzip des allgemeinen Priestertums und die Laienkompetenz und Gemeindeautonomie wohl keineswegs situationsbedingt oder einmalig war, sondern konstant blieb. So betont er auch in Helmstedt, dass ein jeder Christ im Falle von Pflichtvergessenheit der Pfarrer oder der Obrigkeit beanspruchen dürfe, Kritik zu üben.717 Heshusius schien anders als viele Schüler von Melanchthon, wie z. B. Johann Gerhard, die dem allgemeinen Priestertum kaum eine Bedeutung für die kirchlichen Strukturen einräumten, der Linie des Lehrers nicht gefolgt zu sein. Bemerkenswert ist, dass sich Heshusius unermüdlich um das allgemeine Priestertum bemühte, als sich selbst Luther bereits von dieser Vorstellung allmählich löste und auch Melanchthon zum Landeskirchentum tendierte.718 Die Bedeutung von Heshusius’ Beitrag für das Laienkirchenprogramm bzw. für die Fortsetzung der Idee vom allgemeinen Priestertum, die bis jetzt von der Forschung weitgehend verkannt wurde, muss also neu bewertet werden. Diese Rechtfertigung der Strafamtübung durch die Dreiständelehre zeigt sich auch in seiner Bremer Schrift.719 Im Anschluss an die Vorrede erinnert Heshusius mit seiner Mahn- und Wächterpflicht den Magistrat der Stadt Bremen an seine von Gott befohlene obrigkeitliche Amtspflicht als custos primae ecclesiae, für das Seelenheil der Untertanen Sorge zu tragen: „Daneben wil auch von nöten sein /  das E. Erb: W. als die Christliche Obrigkeit ein ernstliches einsehen haben /  vnd vermög jres tragenden /  vnd von Gott aufferlegten Ampts /  der falschen Lere /  vnd öffentlichen lesterungen wehre /  vnd die arme Vnterthanen von der Verführung vnd gifft abhalte.“720

Die Begründung dieser Forderung steht wiederum in Bezug zur Dreiständelehre, indem die Pflicht des Bremer Rats, die falsche Lehre zu beseitigen, betont wird: „sondern Gott fordert auch von E.Erb: W. Das sie als Gottes dienerin vnd Stadt­ halterin der falscher lere wehre /  vnd die lesterung bey jnen nicht leide.“721 717  „Im fall da ein Pfarr oder Seelsorger vber das ziel seines Ampts schritte /  vnd falsche lehre aussprengete /  hat nicht allein die Obrigkeit /  sondern ein jeder Christ ihm darumb zubesprechen /  vnd aus Gottes Wort zu straffen /  auch da er halsstarrig befunden wird /  ist eine christliche Obrigkeit schuldig in abzuschaffen.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am ersten Sontage nach Ostern /  Quasimodo geniti /  Johan 20. Bl. 19. 718  Deshalb heißt es in seiner in Helmstedt verfassten Passionspredigt: „Der Rath mus sich fürchten für der Gemeine“. Postilla (wie Anm. 137), Die neunde Passionspredigt Bl. K v. Vgl. E. Winkler, Melanchthons Amtsverständnis, in: U. Sträter (Hg.), Melanchthonsbild (wie Anm. 117), S. 44–46. 719  Der Prediger zu Bremen (wie Anm. 155). 720  Ebd. Bl. G. 721  Ebd.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius193

Die weltliche Obrigkeit sei Hüter und Schutzherr beider Tafeln Moses. Ein christlicher Regent müsse ein custos utriusque tabulae sein und sei deshalb nicht nur für das äußere Wohl der Untertanen, sondern auch für deren Seelenheil zuständig.722 Gleichzeitig beschränkt Heshusius die Gültigkeit der Gewaltanwendung durch die Obrigkeit in Bremen auf den äußeren Bereich der Kirche.723 Ein „pastorales Sonderbewusstsein“ in Anknüpfung der Dreiständelehre findet sich ebenfalls in der Magdeburger Schrift,724 in der er sich besonders intensiv mit der Legitimität der Strafamtübung eines Pfarrers und deren widerrechtlichem Verbot auseinandergesetzt hat. Heshusius will darin insbesondere die cäsaropapistischen Einmischungen der weltlichen Obrigkeit in kirchliche Angelegenheiten unter Berufung auf die Dreiständelehre begrenzen. Deshalb betont Heshusius bereits zu Beginn seiner Argumentation, dass die Obrigkeit in das Predigtamt nicht eingreifen dürfe, da sie nur einen Teil der Kirche darstelle: „Die Verfolger vnd Feinde des Predigampts sündigen on zweiuel herter denn die ander Feind der Christenheit […] Diese Tyrannen wissens vnnd bekennens /  das vnser Predigampt Gottes vnd des H. Geistes sey vnd nichts desto weniger drucken sie es mit macht /  hemmen vnd hindern mit höhesten fleis /  […]  /  vnd stercken die hals starrigen in irer bosheit /  sperren den Herrn Christo sein geistlich Reich darinn sie doch nichts zu gebieten noch zuuerbieten haben /  sondern (wie die Gottes Diebe) on fug vnd recht sich der hohen gewalt anmassen /  das sie auch dem H. Geist den mund thüren zubinden /  vnd im den Predigstuel verbieten /  vngeachtet das er Gottes wort füret /  vnnd aus habendem Göttlichen befehl die Welt strafft […]  /  denn solcher gewalt wollen sie /  als die Christliche Oberkeit /  vnd gliedemassen der Kirchen gebrauchen.“725 Auch erweist sich die Verbindung des geistlichen Sonderbewusstseins mit der Dreiständelehre in der Magdeburger Schrift „Vom Ampt vnd gewalt“. Wie oben erwähnt, erinnerte Heshusius die niedersächsischen Fürsten und Stände daran, dass im Falle eines Pflichtversäumnisses der Obrigkeit den Untertanen das Recht des Widerstandes gegeben sei. Zur Rechtfertigung seiner Position bezieht er sich auf die in der lutherischen Orthodoxie oft verwendete Belegstelle zum Widerstand aus Mt. 22, 21 und Apg. 5, 29 in Verbindung mit der vom Prinzip des allgemeinen Priestertums geprägten Dreiständelehre: 722  „Denn die weltliche Oberkeit ist ein hüter vnd Schützherr /  beider taffeln Moisis / .“ Ebd. 723  „so viel die eusserliche zucht betrifft.“ Ebd. 724  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154). 725  Ebd. Bl. A vii–A iii.

194

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

„[…] ist nöttig vnnd von Gott einem jeden Christen gebotten /  das man jn inn dem nicht gehorche /  sondern vil mehr Gott als den Eltesten vnd oberherrn gehorsam layste /  vnnd ist solche /  abschlagung des gehorsams ein rechter dienst Gottes /  mit dem befelch stymmende. Gebt dem Keyser was des Keyser ist /  vnnd Gotte /  was Gottes ist.“726

Die Äußerung „sondern vil mehr Gott als den Eltesten vnd oberherrn gehorsam layste“ macht deutlich, dass Heshusius seine Strafamtübung ausdrücklich in Verbindung mit dem Dreistände-Ordnungsmodell bringt. Er fordert die Obrigkeit im Anschluss nochmals auf, zwischen beiden Regimenten deutlich zu unterscheiden und Grenzüberschreitungen in Gestalt von Cäsaropapie und Papocäsarie zu vermeiden: „ /  Darumb sol die weltlich Oberkeyt hie die nöttigie vndterscheid so zwischen der weltlichen Regierung /  vnd dem geystlichen Predigampt ist gemerckt /  vnd nicht inn einander gemengt haben.“727 Dann setzt sich Heshusius mit der von den Obrigkeiten bzw. ihren Juristen wiederholt vorgebrachten These auseinander, dass sich die Obrigkeit wegen ihres vorrangigen Standes in der Kirche als praecipu­ um membrum ecclesiae in die Sachen der Kirche einmischen dürfe: „Vnnd ob gleych die Oberkeyt anziehen wolte /  sie hette die vereinigung des Mandatas fürgenommen /  als glidmassen der Kirchen /  so kan doch nyemandt leüg­nen /  das wir Pfarrer vnnd Seelsorger /  auch ein thayl der Kirchen seind /  vnnd gebürt sich das man vnnsere Stymme auch höre inn den hohen Geystlichen sachen / “728

Heshusius legitimiert seine Obrigkeitskritik auch mit dem Argument, ein Prediger übe sein Strafamt nicht als Untertan, sondern als Befehlshaber in einem anderen Reich aus. Widerstehe die Obrigkeit dieser Strafamtübung, werde sie zum Aufrührer: „Ja wenn trewe Prediger als verordnete Wächter warnemen für falsche Lehrer /  iren betrug aus Gottes Wort auffdecken vnd widerlegen /  so sind viel die noch darüber zurünen […] sagen […] das diene nicht zum frieden […] vnnd nennet die falsche Lehrer Diebe vnnd Mörder /  so schreyen die Weltweisen.“729

Heshusius betont mithin, das Predigtamt sei nicht Teil der weltlichen Regierung.730 Die weltlichen Regenten seien keine Herren oder Lehnsherren über die Prediger, obwohl sie jene besoldeten: 726  Ebd.

727  Ebd. 728  Ebd.

Bl. A iiv. Bl. A iiijv.

729  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Pfingsttage /  Johannis am 10. Capittel. Bl. 83. 730  „Das Predigtamt nicht ein teil sey der weltlichen Regierung /  das auch die prediger mit nichten verpflicht sind /  sich in der lere verreichung der Sacrament  /  vnd kirchendiensten /  nach dem Befehl der Oberkeit zurichten.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. O iiij.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius195 „Ein Prediger soll wissen /  das die weltlichen Regenten ihm nichts haben einzureden /  was Gottes Wort vnnd das Ampt des Geist betrifft /  denn sie sind nicht Lehnherrn des Predigamts /  sie habens nicht gestiffet /  sondern der Sohn Gottes hats erworben vnnd eingesetzt […] Das ist aber ein sehr vnbillicher handel /  Denn die weltliche Regenten sind je nicht Herrn vbers Predigampt /  Sie habens nicht erworben noch eingesetzt […] Wenn gleich fürsten vnd Herrn /  Edelleut /  Bürgermeister den Predigern besoldung geben /  so sind sie doch darumb nicht Herrn vbers Predigampt […] Das Ampt aber geht nicht von ihnen /  sondern vom HERRn. Christo zu leyn /  der es mit seinem Blut erworben hat.“731

Die weltliche Obrigkeit habe nur für den Schutz der reinen Lehre zu sorgen, dürfe aber der Kirche keine Vorschriften machen und nicht in das Recht der Kirche auf Kirchenzucht eingreifen: „Wenn gleich Keyser /  könige vnd fürsten die helffte ihres Einkommens den Predigern geben wollten /  so dürffte doch niemand das Euangelion predigen von Jhesu Christo /  ow es geistliche Aufführer im Reich Christi sie sind wer sie wollen /  hohes oder niedriges Standes /  die sich vnterstehen /  den Predigern fürzu­ schreiben /  wie sie das Ampt des Geistes führen /  wenn sie absoluiren /  vnd wen sie in den Bann thun sollen.“732

Schließlich findet sich auch die Verbindung mit der Dreiständelehre in seiner dem Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel (1564– 1613) gewidmeten Helmstedter Predigt. Im Zusammenhang mit der Frage, ob der Prediger sein Strafamt gegen die Obrigkeit ausüben dürfe, mit anderen Worten ob die Obrigkeit als Amtsperson der geistlichen Amtsausübung unterstehe oder nicht, äußerte Heshusius: „Hie möchte einer sagen: Warlich du bindest vns hart ein /  das wir vnser Obrigkeit in allen ehren halten sollen /  vnd ist ja billich /  wie kömpst denn dazu vnd andere prediger /  dz jr die Obrigkeit vnd hohe Personen offt so hart angreiffet: Oder heist das auch ehren /  wenn man sie schamrot machet? Antwort. Hie mustu einen vnterschied halten. Die Ehre /  dauon wir reden /  gebühret der Obrigkeit vnd dem Ampt /  wenn aber wir Prediger straffen /  so haben wir nicht mit dem Ampt sondern 731  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am ersten Sonntage nach Ostern /  Quasimodo geniti /  Johan 20. Bl.  18b; „ein prediger sol wissen /  das die Weltlichen Regenten ihm nichts haben einzureden /  was Gottes Wort vnnd das Amt des Geistes betriffe /  denn sie sind nicht Lehnsherrn des Predigtamts /  […] weil sie den Prediger Besoldung geben […] sie nicht gestiffet /  sondern der Sohn Gottes hat erworben vnnd eingesetzt […] Denn die weltlichen Regenten sind nicht Herrn vbers Predigtamt.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am I. Sontage. Bl.C viv. 732  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am ersten Sonntage nach Ostern /  Quasimodo geniti /  Johan 20. Bl.  18; „Soll ein armer madensack vnnd Sünder dem heiligen Geist fürschreiben /  wz er leren vnd predigen sol: nicht allein die Weltliche Oberkeit /  sondern auch die Geistliche Prelaten vnd der gemeine Pöbel /  dürffen sich offe vnderstehen /  den Predigern zu gebieten /  das sie so vnd so Predigen /  dieser vnd jener sachen vnd sünden nicht gedencken sollen /  bey vermeidnung grosser ­vngnade.“ Euangelium am vierdten Sontag nach Ostern /  Cantate /  ohan. 16. Bl.  39– 39b.

196

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

mit der Person zuschaffen /  die da vbel lebet vnd vnrecht Haus helt /  der mus mans eben so wol sagen /  als dem armesten Kürhirten /  wie will er sonst selig werden. Zu dem so straffen wir nicht den Keyser /  oder die Herren für vnser Person /  als Vnterthanen /  sondern als Diener Christi /  vnd als Befehlshaber in einem anderen Reich /  da der Keyser vnd alle Welt den herrn Christio vnd vnse­ rem Ampt vnterworfen ist […] Denn wir sind hie in einem andern Reich /  damit die Obrigkeit nichts zu schaffen hat.“733

Diese Belegstelle macht deutlich, dass Heshusius sein „geistliches Sonderbewusstsein“ ausschließlich in Verbindung der Dreiständelehre betont. Bemerkenswert ist hierbei, dass für Heshusius das Amt der Geistlichkeit auf gleichberechtigter Ebene wie das „Amt“ der weltlichen Obrigkeit steht. Er übt sein Strafamt gegen die unchristliche Obrigkeit weder als Untertan noch als Person, sondern als Amtsperson bzw. Institution aus. Das heißt, die Dreiständelehre bietet dem Legitimationsmuster des geistlichen Sonderbewusstseins einen institutionellen Rahmen bzw. rechtlichen Garanten an. Interessant ist, dass Heshusius hier die Terminologie von Amt, Beruf, Stand und Glied unzweifelhaft als ein Synonym gebrauchte.734 Die zwei Ämter waren für ihn mit den zwei Ständen oder Gliedern der Kirche sowie den zwei Regimenten und zwei Berufen bzw. Aufgaben identisch. Es handelt sich hier also nicht um zwei unterschiedliche Terminologien, sondern um ein und dieselbe: Amts-, Berufs-, Ständelehre sind als ein Bestandteil der Dreiständelehre anzusehen. bb) Zwei-Regimenten-Lehre735 Heshusius’ Auffassung über die Zwei-Regimenten-Lehre lässt sich als ein typisches Beispiel für die nahezu nahtlos vollzogene Synthese von Luthers Zwei-Reiche-Lehre und Melanchthons Zwei-Regimenten-Lehre mit allerdings ausdrücklich melanchthonischer Akzentuierung zusammenfassen. Heshuius versteht die Regimente als konkrete und getrennte soziologische Größen, nämlich Obrigkeit und Kirche. Jedoch stellen beide ein zusammenhängendes, durch verschiedene Rechtskompetenzen in sich gegliedertes 733  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis  /  Mt. 22. Bl. 130. 734  Dieses Verständnis kommt auch in seiner Helmstedter Predigt deutlich zum Ausdruck: „ /  vnd heiligen Predigampts würden nach Weltlicher Herrschaft trachten […]  /  vnd leret sie das jr Ampt vnd Beruff ein lauter Dienstampt sey. Ein hochschedlicher Jrrthumb ists /  wenn man das heilige Predigampt vnd Weltliche Herrschaft ein einander menget.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Tage des Apostels Bartholome / Luce am 22. Bl.  Gg 2–Gg 2v. 735  Ich stütze mich bei der folgenden Darstellung und Graphik weitgehend auf die Ausführungen von T. Vogt, Die Dreiständelehre bei Martin Luther (wie Anm. 197) S. 39–83. Hier S. 79–82.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius197

Institu­ tionssystem dar, das auf Basis der Zwei-Reiche-Lehre Luthers im Sinne von Augustins Werk de civitate Dei gebaut ist. Wenn von der Zwei-Reiche-Lehre bzw. Zwei-Regimenten-Lehre die Rede ist, gebraucht Heshusius den Begriff „Reich“ wie Luther in doppeltem Sinne.736 Heshusius nimmt wie Luther die Scheidung zwischen den Reichen Christi bzw. Gottes als nicht von dieser Welt und der diesseitigen Welt vor. Zu dem Reich Gottes gehören alle Christen. Auf der anderen Seite steht das Reich der Welt bzw. dasjenige Satans oder des Bösen. Ihm gehören alle Menschen an, die noch nicht errettet sind, die nicht wiedergeboren sind. Für dieses Reich hat Gott die weltliche Obrigkeit eingesetzt, um den Sünden zu wehren. Das Reich Gottes steht hier ausschließlich im Sinne von Augustins Civitas Dei. Nach dieser Definition von „Reich“ ist es also unmöglich, dass ein Mensch beiden Reichen angehöre. Deshalb unterteilt Heshusius noch einmal zwei Reiche. Und wieder nennt er sie „Reich Gottes“ und „Reich der Welt“. Jedoch hat nunmehr das Reich Gottes nichts mit dem Reich Gottes im Sinne von Augustins Civitas Dei zu tun und das Reich der Welt ist nicht mehr einfach das Reich des Satans bzw. des Bösen, sondern es korrespondiert mit den zweierlei Herrschaftsweisen Gottes in zweierlei Herrschaftsbereichen, das heißt Regimenten. Gott herrscht in beiden Reichen, nämlich in geistlichen und weltlichen Regimenten – wenn auch auf je unterschiedliche Art und Weise. Zum weltlichen Regiment gehört der ganze Bereich der menschlichen Gesellschaft auf jeder Ebene: Obrigkeit, Kirche, Ehe, Familie, Eigentum, Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst, Stand und Beruf usw. Jedoch gebraucht Heshusius diese Terminologie zumeist im Sinne von beiden konkreten soziologischen Größen, nämlich die weltliche Obrigkeit und Kirche. Die Ansicht von Heshusius ähnelt der oben erwähnten Ansicht Luthers über das Verhältnis zwischen der Zwei-Reiche-Lehre und der Dreiständelehre. Seine Auffassung lässt sich folgendermaßen graphisch skizzieren737: Reich Gottes

Reich der Welt

Gott herrscht Reich der Gnade Christus herrscht über alle Christen

Satan herrscht Reich der Sünde Weltliche Obrigkeit herrscht über alle Heiden (Fortsetzung nächste Seite)

736  Dazu ausführlich T. Vogt, Die Dreiständelehre bei Martin Luther (wie Anm. 197), S. 42–45; R. Anselm, Zweireichelehre (wie Anm. 186), S. 776 ff. 737  Diese graphische Skizze basiert auf der Vorlage von T. Vogt, Die Drei-StändeLehre bei Martin Luther (wie Anm. 197), S. 80–81.

198

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

(Fortsetzung) Gott regiert Auf zweierlei Weise Ein Christ gehört zu beiden Reichen Reich mit der rechten Hand Reich Gottes / Reich Christi

Reich mit der linken Hand Reich der Welt

Geistliches Reich Christi Amt Kirchliches Regiment (Gnade und Vergebung regieren) Kirche ecclesia

Weltliches Reich Alle anderen Ämter und Stände Weltliches Regiment (das Schwert regiert) Hausregiment et weltliche Obrigkeit Oeconomia et politia

Zu bemerken ist, dass Heshusius dieses Legitimationsmuster in seinen Schriften ausschließlich im Sinne der Dreiständelehre sieht und verwendet, das heißt, wie Gustaf Törnball zu Recht bemerkt hat, als einen Spezialfall.738 Das Hausregiment bzw. status oeconomicus und die Obrigkeit bzw. status politicus fasste Heshusius deshalb unter einer gemeinsamen Bezeichnung zusammen, nämlich als das weltliche Regiment. Wie Wilhelm Maurer festgestellt hat,739 ging es in Heshusius’ Zwei-Regimenten-Lehre nicht nur um eine Lehre von den beiden Reichen, sondern vielmehr um die Grenze zwischen externa und interna ecclesiae.740 Aus diesem Grund thematisierte Heshusius die Zwei-Regimenten-Lehre immer wieder in Verbindung mit der Grenze zwischen externa ecclesiae und interna ecclesiae bzw. Dreiständelehre. Im Abschnitt „Von der Obrigkeit“, seiner Stellungnahme von 1562 zum Wesler Bekenntnis, zeigt sich dieses Verständnis. Im Zusammenhang mit dem Gehorsam der Untertanen gegenüber der Obrigkeit äußert Heshusius daher: „Wir halten vnd glauben von der Obrigkeit vnd Macht des Schwerts, dass man die Obrigkeit hören vnd ihr gehorsam sein muss, nicht allein der guten, sondern auch der wunderlichen und bösen, es sei denn, bis dahin, dass sie irgendetwas gegen Christus gebietet.“741 Gehe es um den Bereich der externa ecclesiae, sollten die Untertanen der Obrigkeit unbe738  G. Törnball, Geistliches und weltliches Regiment bei Luther – Studien zu Luthers Weltbild und Gesellschaftsverständnis, in: E. Wolf (Hg.), Forschungen zu Geschichte und Lehre des Protestantismus 10 /  II. München 1947, S. 40. 739  Vgl. dazu W. Maurer, Luthers Lehre von den drei Hierarchien (wie Anm. 118), S. 31 u. 126. 740  Zum Verhältnis von Zwei-Regimenten-Lehre und Dreiständelehre vgl. ausführlich T. Vogt, Die Dreiständelehre bei Martin Luther (wie Anm. 197), S. 77–79. 741  EKAW 2.1.3. Tilemann Heshusius’ Stellungnahme zum Weseler Bekenntnis. 1562; Examen Theologicum (wie Anm. 137), B. Tt 4.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius199

dingt gehorchen. Die Gehorsamspflicht der Untertanen gegenüber einer ungerechten und bösen Obrigkeit gelte, solange die Obrigkeit – und hierin liege die Grenze – nicht über leibliche Dinge hinaus gebiete. Ebenfalls zeigt sich diese Auffassung in dem anlässlich der Neuausgabe seiner oben erwähnten Magdeburger Schrift von 1575 erschienenem Zusatz mit dem Titel „Wer gewalt /  fug vnd recht habe /  Prediger zuberuffen“, wo er sich besonders ausführlich mit dem Thema „Gemeindeautonomie“ befasst. Im Kontext des alleinigen Herrschaftsanspruches der Obrigkeit hinsichtlich des Pfarrerwahlrechtes betont Heshusius: Die weltliche Obrigkeit habe lediglich Einfluss auf die externa ecclesiae. Sie sei weder Herr der Kirche noch des geistlichen Standes.742 Anschließend behandelt Heshusius die Gefahr des Eingriffs der Obrigkeit in das geistliche Amt und hebt hervor, dass das Predigtamt kein Teil der weltlichen Obrigkeit sei: „Wenn nu die gewalt Prediger zuberuffen /  auffzustellen /  vnd wider abzusetzen /  allein bey der Oberkeit vermög jhres tragenden Ampts stehen sollte /  müste dadruch der nötige vnterschied zwischen den beiden Regimennten sehr verdunckelt werden /  denn daraus wolt /  folgen /  das das heilige Predigtampt ein stück were der Weltlichen Regierung /  vnd müsten die prediger nicht anders reden noch leren /  nicht weiter schreiten noch gehen in ihrem Dienst /  den jhnen von der Oberkeit zu gelassen /  vnd fürgeschrieben würde /  […] Das das Predigampt nicht ein teil sey der Weltlichen Regierung /  das auch die Prediger mit nicht verpflichtet sind.“743 Heshusius verbindet hier deutlich die Doppelung der Regimente mit der Dreigliederung der Herrschaftsstände: status politicus und status oeconomicus bilden demnach zusammen das weltliche Regiment.744 Auch findet sich diese Vorstellung der Zwei-Regimenten-Lehre an anderer Stelle in derselben Schrift, allerdings ausführlicher erläutert. Heshusius beginnt diesen Zusatz bereits analog zum Anfang des Hauptteils mit einer Schilderung des Unheils, das durch „Cäsaropapie“ und „Papocäsarie“ in der Geschichte hervorgebracht worden ist,745 um vor dem absoluten Herrschaftsanspruch je einer der Gewalten zu warnen. Dann betont er im Kontext des ius vocandi: „Es ist nicht schwer Gott lob /  aus klarem /  stracken grund Göttlichs Worts zubeweisen vnd zuerhalten /  das der ewige Son Bl. Nv–N v. Bl. N v–N vv. 744  Gewiss war Heshusius nicht der erste. Seit den 30er Jahre des 16. Jahrhunderts zeigt sich diese Verbindung. Dazu vgl. L. Schorn-Schütte, Beanspruchte Freiheit: die politica christiana, in: G. Schmidt / M. v. Gelderen / C. Snigula (Hg.), Kollektive Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa (1400–1850), 2006, S. 329–352. Hier S. 347. 745  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. L v ii–M iii. 742  Ebd. 743  Ebd.

200

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Gottes Jhesus Christus /  ein HERR vnd Heupt seiner Kirchen sey /  […] nit der weltlichen Oberkeit in sonderheit /  besondern der gantzen Christenheit /  vnd heiligen Gemein an einem jeden ort da Christen sind /  volle gewalt vnd macht gegeben /  Prediger vnd Seelsorger zu welen und auffzustellen /  sie zu enturlauben vnd abzusetzen /  wenn sie vntüchtig befunden werden.“746 Damit ist gemeint, nur das ganze, in drei Stände geordnete Gemeinwesen könne das Recht der Predigerberufung ausüben. Diese Ansicht wiederholt Heshusius: „solchs aber ist der gantzen Christenheit /  vnd nicht einem be­ sondern Stand vbergeben. Darumb offenbar /  dz die Christen an welchem ort sie sind /  freyheit /  gewalt vnd recht haben /  Seelsorger zuwelen es ein gleich Weltliche oder Geistliche Personen dabey oder nicht dabey.“747 Niemand kann also verleugnen, dass der Herr Christus das Gericht und Urteil über seine Lehre nicht einem Stand allein befohlen habe, sondern dass der ganzen Christenheit das ius vocandi übertragen wurde. Hierin spiegelt sich deutlich die Zwei-Regimenten-Lehre als Dreiständelehre in einem Verfassungs- und Ordnungsmodell wider, das mit der mittelalterlichen Einheitsvorstellung zum corpus christianum verbunden ist. Zudem wird deutlich, dass Heshusius die Zwei-Regimenten-Lehre nicht in Form einer Theokratievorstellung gebraucht, wohl aber in jener der mittelalterlichen Einheitsvorstellung von einer respublica christiana. Das zeigt die nochmalige Wiederholung desselben Argumentationsmusters: „Aus diesem allen ist nu genugsam erwiesen /  das der Herr Christus die gewalt /  herrligkeit vnd freyheit Kirchendiener zuwelen /  zuberuffen vnd auffzustellen […]  /  nicht allein der Weltlichen Oberkeit noch einigen stand allein /  sondern der christlichen Kirchen vbergeben vnd aufgetragen habe.“748 Dass es sich in der Zwei-Regimenten-Lehre um die Gegenüberstellung beider Regimente bzw. um die Grenze von externa und interna ecclesiae im Sinne der Dreiständelehre als Herrschafts- und Verfassungskonzept handelt, zeigt sich auch in Heshusius’ Widerlegung der Vertreter des „Cäsaropapismus“ und „Papocäsarismus“ am Beispiel der Gemeinde von Korinth. Er t­ he­matisiert an dieser Stelle ebenfalls die Zwei-Regimenten-Lehre in Verbindung mit der Dreiständelehre: Er betont im Kontext des ius vocandi wiederum, dass die weltliche Obrigkeit nur ein Mitwirkungsrecht bzw. Mitbestimmungsrecht bei der Wahl der Prediger habe, gleichsam als eine gleich­berechtigte Stimme ­neben denen der anderen Christen fungiere: „sonst hat Christliche Oberkeit gleiche stimme mit vnd neben andern Christen.“749 Der Herr der Kirche und der ganzen Christenheit sei weder der geistliche Stand noch der weltliche Bl. M iiiv–M iiij. 747  Ebd. Bl. M vv. 748  Ebd. Bl. O iiijv. 749  Ebd. Bl. M v ii. 746  Ebd.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius201

Stand, sondern Christus allein. Das Recht der Predigerwahl gehöre darum allein der ganzen Gemeinde: „ /  der ewige Sohn Gottes Jesus Christus /  ist vnd bleibt allein das Heupt seines Leibs /  vnd der HERR /  Heiland vnd Selig­ macher seiner Christenheit […]  /  vnd nicht die Geistliche allein /  noch die weltliche Regenten allein […] das oberste Gericht /  Bottmessigkeit vnd Zwang hat in allen Geistlichen Sachen die Seligkeit antreffende /  so erweiset sichs /  das auch die Christliche Gemeine /  vnd nicht die weltliche noch Geistliche personen berechtiget vnd befugt sey /  Prediger zu beruffen /  vnd wenn sie es verdienen /  wider zu enturlauben […] Wenn die wahl der Prediger /  das oberste Gericht in Kirchen sachen /  die Regierung der Kirchen einem stand allein /  entweder der weltlichen Oberkeit /  oder den Geistlichen vbergeben were /  wollte daraus folgen /  das der son Gottes seine Herschafft vber der Kirchen gewissen Leuten auff Erden vbergeben hette […] Denn wer im allein anmasset die wahl vnd entsetzung der prediger /  der setzt sich stracks zum Herrn der Kirchen: Weil nu Christus stets bleibt das heupt der Kirchen.“750 Heshusius führt weiter aus, dass die weltliche Obrigkeit lediglich Einfluss auf die externa ecclesiae habe. Sie sei weder Herr der Kirche noch des geistlichen Standes.751 Anschließend behandelt Heshusius die Gefahr des Eingriffs der Obrigkeit in das geistliche Amt und hebt hervor, dass das Predigtamt kein Teil der weltlichen Obrigkeit sei: „Wenn nu die gewalt Prediger zuberuffen /  auffzustellen /  vnd wider abzusetzen /  allein bey der Oberkeit vermög jhres tragenden Ampts stehen sollte /  müste dadruch der nötige vnterschied zwischen den beiden Regimennten sehr verdunckelt werden /  denn daraus wolt /  folgen /  das das heilige Predigtampt ein stück were der Weltlichen Regierung /  vnd müsten die prediger nicht anders reden noch leren /  nicht weiter schreiten noch gehen in ihrem Dienst /  den jhnen von der Oberkeit zu gelassen /  vnd fürgeschrieben würde /  […] Das das Predigampt nicht ein teil sey der Weltlichen Regierung /  das auch die Prediger mit nicht verpflichtet sind.“752 Ebenfalls artikuliert sich Heshusius’ Ansicht in seiner Beantwortung der umstrittenen Frage, ob die weltliche Obrigkeit bei der Pfarrbestellung und Amtsenthebung völlig ausgeschlossen werden solle. Er räumt zuerst ein, dass es derartige Fälle in der politischen Praxis der alten Kirche gegeben hat: „ /  in der alten Kirchen bald nach den Aposteln /  ist der Weltlichen Oberkeit Consens vnd verwilligung in der erwelung vnd bestellung der Seelsorger /  so gar nicht gesucht noch gefoddert worden /  das sie alten Consens /  die man Apostolicus nennet.“753 Er führt zwei Gründe dafür an. Zum Bl. M v ii–M v iiiv. 751  Ebd. Bl. Nv–N v. 752  Ebd. Bl. N v–N vv. 753  Ebd. Bl. N v iii–v iiiv. 750  Ebd.

202

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

einen wurde im 30. Buch der „Canones Apostolici“ der von den alten Bischöfen kurz nach der Apostelzeit zum Schutz der Kirche verfassten „Canones Apostolici“ der Beschluss des Konzils von Nicaea 325 über die Pfarrwahl in der Gemeinde und in der Synode wegen des so genannten „Papocäsarismus“ nicht berücksichtigt.754 Zum zweiten komme die Praxis der alten Kirche, Pfarrbestellung und Amtsenthebung ohne Mitsprache der Obrigkeit durchzuführen, daher, dass die weltliche Obrigkeit damals heidnisch war: „Solchen Canonem würde man ja in der Gemeine Gottes /  vnd in den Synodis keines weges gedultet haben […]  /  das der erwelung vnd beruffung der Prediger ohn wissen vnd willen der Oberkeit nicht hette geschehen noch bestehen mügen. Man hat aber zu der zeit dahin gesehen /  das die Oberkeit damals Heidnisch gewesen. […] Jtziger zeit hats viel ein an­ dere meinung /  da sich die Christliche Oberkeit zum heiligen Euangelio bekennet /  vnnd ein fürnemes Gliedmas ist der Christlichen Kirchen. Derwegen sie sampt vnd mit der gemeine gottes in erwelung der Prediger vnd Seelsorger zustimmen.“755 Gemeint ist, die weltliche Obrigkeit habe nur ein Mitbestimmungsrecht bei der Pfarrerwahl, sofern sie Christ bzw. ein Glied der Kirche ist. Auch findet sich diese Auffassung an anderer Stelle von Heshusius’ Schrift. Deshalb äußert er im Kontext des ius vocandi: „Wann nu von auff­ stellung vnd annemung eines Pfarherns oder Predigers ist geratschlagt /  vnd die nota in der Gerbkammer colligirt worden sindt /  haben jmmerdar die Bürgermeister /  Kemmerer vnd Rathmannen die ersten stimmen in der sachen gehabt /  vnd hat ohn ihr consens vnd verwilligung nichts könne geschlossen werden. Diese Christliche nützliche Ordnung /  hat meines wissens niemandt von vns Predigern angefochten“.756 Solche Belegstellen fänden sich zahlreich, abschließend sei noch eine aus seiner Helmstedter Predigt erwähnt: „Das ist aber ein sehr vnbillicher handel /  Denn die weltliche Regenten sind je nicht Herrn vbers Predigampt /  Sie habens nicht erworben noch eingesetzt […] Wenn gleich Fürsten vnd Herrn /  Edelleut /  Bürgermeister den Predigern besoldung geben /  so sind sie doch darumb nicht Herrn vbers Predigampt […] Das Ampt aber geht nicht von ihnen /  sondern vom HERRn. Christo zu leyn […] wo es geistliche Auffrührer im Reich Christi sie sind wer sie wollen /  hohes oder niedriges Standes /  die sich vnterstehen /  dem Predigern fürzuschreiben /  wie sie das Ampt des Geistes führen /  wen sie absoluiren /  vnd wen sie in den Bann thun sollen.“757 Bl. N v iiiv–O. Bl. O–Ov. 756  Notwehr (wie Anm. 355), Bl. E iiij–E iiiijv. 757  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am ersten Sontage nach Ostern /  Quasimodo geniti /  Johan 20. Bl.  18v. 754  Ebd. 755  Ebd.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius203

Es dürfte auch kein Zufall sein, dass, wenn von der Regimentenlehre bzw. Dreiständelehre die Rede ist, Heshusius immer wieder in seinen Schriften folgende zwei klar voneinander abgegrenzte bzw. gegenübergestellte Attribute gebraucht: „Wir haben klaren bericht aus GOTTES Wort /  von allen Stenden /  Vom heiligen Predigampt /  Von der weltlichen Obrigkeit /  Vom heiligen Ehestande.“758 Die Unterscheidung zwischen „heilig“ und „weltlich“ hat zwar nichts mit den mittelalterlichen Klassifizierungen zu tun, bei denen der sakrale Bereich dem nichtsakralen Bereich gegenübergestellt wurde, sondern mit einer funktionalen Unterscheidung. Dennoch zeigt diese stetige Verwendung in Bezug auf die Zwei-Regimenten-Lehre bzw. Dreiständelehre, wie sehr sich Heshusius bemüht, die Grenzziehung von beiden Regimenten wieder in Gang zu setzen. Subsumierend lässt sich sagen: Mit der Zwei-Regimenten-Lehre wird die Herrschaft der Obrigkeit in geistlichen und kirchlichen Sachen durch Herrschaftsverteilung begrenzt, jedoch nicht als solche negiert. Mit anderen Worten ging es um ein kooperatives, kommunikatives Miteinander beider Regimente. Das weltliche Regiment ist Teil des geistlichen und einzig durch dieses und in diesem legitim. Deshalb betont Heshusius in dem Zusatz der Magdeburger Schrift „Vom Ampt vnd gewalt“ noch einmal ausdrücklich, dass die Obrigkeit unter Mitwirkung und Zustimmung der Untertanen bzw. der Gemeinde vom ius vocandi Gebrauch machen dürfe: „ /  das die welt­ liche Oberkeit solche gewalt vnd Gerechtigkeit /  Prediger zu welen vnd anzunemen vbet /  weiset er dahin /  das er denn seines Beruffs gewis sey /  wenn jn die Oberkeit die im Ampt vnd Regiment sitzet /  ordentlicher weise /  mit vorbewust /  rath /  consens vnd beliebung der Vnterthanen hat angenomen.“759 Heshusius gebraucht dieses Rechtfertigungsmuster in jeder Phase seiner Lebenssituation, sowohl in Konfliktzeiten als auch in idealtypischen Zeiten. Hier seien ein paar Beispiele genannt: (wie Anm. 137), Vorrede. Bl. 5v; „Ein hochschedlicher Jrrthum ists /  wenn man das heilige Predigampt vnd Weltliche Herrschaft in einander menget“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Tage des Apostels Bartholome /  Luce am 22. Bl. Gg 2–Gg 2v; „Wenn falsche Lere /  epicurische verachtung /  Gotteslos wesen /  die heilige Orden vnd Stende /  das heilige Predigampt /  das Weltliche Regiment /  vnd den Hausstand hat eingenommen.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 25. Sontage nach Trinitatis / Matth. Am 24. Bl. 139; Jm Weltlichen Regiment gehets auch also /  Wenn das Gotlose Leute das Regiment jnne haben /  vnd die gantze Regierung Gottlos wird […] Insondernheit richtet der grewel im heiligen Predigampt /  welche die recht heilige Stete Gottes ist /  schreckliche vnsagliche verwünstung an.“ Ebd; Wie man Gott in allen stenden sol diene /  im heyligen Predigampt /  in weltlicher Regierung /  im Ehestande /  vnd in allerley Ampt vnd beruffe.“ Hauptartickel (wie Anm. 386), Bl. A iiv. 759  Notwehr (wie Anm. 355), Bl. P viii. 758  Postilla

204

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

(1) Rostock Wie oben erwähnt, betonte Heshusius in seiner Verteidigungsschrift „Antwort“ die strikte Trennung von geistlichem und weltlichem Regiment, um cäsaropapistische Tendenzen seitens weltlichen Obrigkeit zu kritisieren. Auf letzteres verweist Heshusius bereits kurz nach der Einleitung ausdrücklich: „Das sie in vnser kirche nicht zue gebieten gehabt.“760 Die Obrigkeit dürfe das Predigtamt nicht hindern, andernfalls sei sie ein Tyrann.761 Gott allein sei Richter des Predigtamtes, nicht die Obrigkeit. Damit lehnt Heshusius den absoluten Herrschaftsanspruch der Obrigkeit auf das Predigtamt strikt ab und besteht auf die Gleichrangigkeit und Gleichberechtigtung beider Regimente, des ordo ecclesiasticus und des ordo politicus. Ersteres hat das Recht auf Mitherrschaft bzw. Kontrolle des Stadtregiments. Heshusius führt weiter aus, dass es sich bei dem Verbot der Strafamtübung um einen Eingriff der Obrigkeit in das geistliche Regiment und die ganze Gemeinde Gottes handle: „Vber das, so hat er nicht wider meine person gehandelt, wie Christus sagt, sundiget deine Brüder O sonder wider die hohe gotliche Maistat die er gelestert, wider das hochwirdiges predigampt das er teufflichs verachtet, wider die gantze gemeine gots, die er geergert et betrübt, hat er gesundiget. Darumb war auch nötig öffentlich die Sunde zu straffen, vnd wir können ampts wegen nicht vmbgehen.“762 Es zeigt sich deutlich, dass Heshusius die Mitwirkung der anderen Stände zur Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Herrschaft macht. Für ihn ist ausgeschlossen, dass die Obrigkeit ohne Zustimmung der anderen Stände bzw. Untertanen die Gesetze des Verbots der Strafamtübung auferlegen könne. (2) Magdeburg Ebenfalls zeigt sich der Gebrauch dieses Rechtfertigungsmusters in seiner oben erwähnten Magdeburger Schrift „Vom Ampt und gewalt“.763 Heshusius beginnt den ersten Hauptteil dieser Schrift bereits mit der Feststellung, dass die Vermischungen und Grenzüberschreitungen in Gestalt von Papocäsarie und Cäsaropapie Unheil hervorgebracht hätten. Daran anknüpfend warnt er vor absoluten Herrschafts- und Machtansprüchen beider Gewalten: „Denn was für vnheil vnd jamer daraus entstehet /  wenn diese zwey vnterschiedene Empter in einnander gemenget vnd geworffen werden […] in dem verfluchten Teufflichem Bapsthum wol erfaren […]  /  vnd ist aus dem 760  Antwort

(wie Anm. 137), S. 353. S. 357. 762  Ebd. S. 405. 763  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154). 761  Ebd.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius205

Bischofflichem lehrampt ein Keiserlichs tyrannisch Bapstum […] Denn die Keiserliche Bepst vnd Königliche Bischoffe haben mit jrem weltlichen Schwert /  auch pracht so viel zu thun gehabt /  das sie des Geistlichen Schwerts des Göttlichen worts nicht haben warten können.“764 Anschließend beschreibt er in drei Punkten den Unterschied zwischen obrigkeitlichem Amt und Predigtamt. Die Trennung bzw. Gegenüberstellung beider Regimente sowie die Grenzen der Herrschaftskompetenzen der Obrigkeit über das Religiöse bilden hier die Grundlage. Diese Unterschiede lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Die weltliche Obrigkeit unterscheide sich vom geistlichen Amt durch den Zweck ihrer Berufung. Sie sei zum Diener und Schutzherrn des göttlichen Gesetzes von Gott ernannt: „Weltliche Oberkeit /  Keiser /  Könige /  Fürsten vnd Bürgermeister sind Lerer /  Diener vnd Schutzherrn des Göttlichen gesetzes.“765 Gott habe sie als seinen Stellvertreter auf Erden eingesetzt, um durch sie sein Gesetz durchzuführen und zu schützen: „ /  Sondern Gott hat sie an seine Stat verordnet /  das sie sein Gesetz handhaben vnd schützen /  doe fromen verteidigen vnnd die Bösen straffen sollen /  auff das zucht vnd erbarkeit /  nach Gottes befehl erhalten werde /  wie sie darumb in der Schrifft Götter genennet werden.“766 Aufgabe der Regierenden sei es, über die Religion, die Ordnung, den Frieden und vor allem die Gesetze zu wachen und die Untertanen mit Wachsamkeit und Treue zu beschützen. Zur Bekräftigung seiner Argumentation beruft sich Heshusius dann auf die Aussage des Aristoteles von der Obrigkeit als der Hüterin des Gesetzes.767 Die weltliche Obrigkeit habe zwar legislative Gewalt; sie sei aber nicht nur der custos legis im Dekalog, sondern besitze auch Gesetzgebungsrecht zur guten Ordnung im Gemeinwesen: „Weltliche Oberkeit füret nicht allein Gottes gesetz /  als die zehen Gebot / sondern hat auch macht newe Gesetz vnd ordnung zu machen /  die in den Zehen Geboten oder in der Schrifft nicht ausgedruckt sind.“768 Damit räumt Heshusius der weltlichen Obrigkeit das Recht zur bewussten Gestaltung der Ordnung des Gemeinwesens ein. Deshalb verwendet er auch den Begriff „Policeyordnung“769 in Bezug auf den Gehorsam der Untertanen: „als gewisse ordnung vnd proces im Gericht /  gewisse vnterscheidene straffe /  gesetze von Erbscheidung /  von Testamenten Policey ordnung vnd dergleichen /  Bl. B iiv–B iii. Bl. B iiijv. Bei Heshusius ist wie auch bei Melanchthon nie von dem Recht der Obrigkeit die Rede, sondern vielmehr von einem debere, einem Schuldigsein oder einem Dienst. Vgl. J. Heckel, cura religionis (wie Anm. 134), S. 13. 766  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 155), Bl. B iiijv. 767  Ebd. 768  Ebd. 769  Für einen Überblick zum Begriff der frühneuzeitlichen „Policey“ vgl. F. L. Knemeyer, Policey in: Geschichtliche Grundbegriffe 4 (1978), S. 875–897. 764  Ebd. 765  Ebd.

206

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

weltlichen gesetzen der Oberkeit die Vnterthanen nicht weniger schuldig sind zu gehorsamen /  denn wenn sie Gott selbst hette im Gesetz ausgedruckt […] Darumb Moises selbst in seinem Regiment muste auch Policey ordnung machen /  von straffen vnd Erbscheidungen /  vnnd wenn ein newer fall kam /  dauon kein gesetz war aus gedruckt /  muste er ein new gesetz auffrichten. Dieweil wir Christen nu durch die ankunfft Christi von allen Policey ordnun­ gen vnnd Kirchengesetzen Moisis gefreyet sind /  mus vnser Oberkeit die gewalt haben /  gesetz vnd ordnung zu machen die zu erörterung der jrrigen sachen /  vnd zur Regierung nötig sind.“770 Heshusius führt weiter aus, dass die Untertanen dieser legislativen Gewalt der Obrigkeit gehorchen sollen, weil diese menschlichen, weltlichen Gesetze auch die Stimme Gottes seien: „die Vnterthanen nicht weniger schuldig sind zu gehorsamen  /  denn wenn sie Gott selbst hette im Gesetz ausgedruckt“.771 Die unlösbare Verbindung mit der juristischen und theologischen Norm bzw. Gleichsetzung von positivem Gesetz und Gottes Stimme spiegelt Heshusius’ Übernahme von Melanchthons Gesetzesauffassung wider.772 Jedoch betont Heshusius, dass die Obrigkeit von der Gesetzgebungskompetenz nicht willkürlich Gebrauch machen dürfe: „denn dazu sind sie von Gott nicht beruffen /  das sie regieren setzen vnd ordnen /  wie vnd was sie wollen“.773 Diese Kompetenz gehöre nur in den Rahmen der externa eccle­ siae: „Es füret aber die Oberkeit nicht das gantze Gesetz /  sondern nur ein stücklin desselbigen /  nemlich /  so viel die eusserliche zucht vnd geborsam belanget /  den die Weltliche Herrschafft richten kann. Mit dem jnerlichen vnd geistlichen gehorsam des hertzens hat die Oberkeit nichts zu schaffen.“774 Diese Grenzsetzung in Verbindung mit der Zwei-Regimenten-Lehre zeigt sich auch an anderer Stelle deutlich: „Es sage dazu weltliche Oberkeit was sie wolle /  denn sie hat im Reich Christi vnnd Predigampt das geringst nicht zu gebieten /  noch zuuerbieten /  thut jemands wider Gottes wort /  oder füret einer falsche Lere /  den mag sie straffen /  als Custos legis /  wenn sie in des jrthums vberzeuget vnd vberwunden hat.“775 Die Begrenzung der legislativen Gewalt der Obrigkeit im Rahmen der Zwei-Regimenten-Lehre kommt ebenfalls an anderer Stelle deutlich zum Ausdruck: „das sie nicht zu weit schreiten /  Denn das ist jnen nicht erleubet /  das sie mögen gesetz oder satzungen machen /  die dem Göttlichen gesetz oder wort /  oder auch der Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B viiv–B v iii. Bl. V iii. 772  Vgl. Vgl. B. Bauer, Jurisprudenz und Naturrecht, in: ders. (Hg.), Marburger Professoren (wie Anm. 319), S. 551–597; I. Deflers, Lex und ordo (wie Anm. 300), S.  42 ff. 773  Ebd. Bl. B iiijv. 774  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B iiijv–B v. 775  Ebd., Bl. D viiiv. 770  Vom 771  Ebd.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius207

Vernunft zu wider sind.“776 Die Obrigkeit könne nur Gesetze erlassen, die nicht gegen das göttliche Gesetz, gegen Gottes Wort und die Vernunft gerichtet seien. Der Rekurs auf die Dreier-Formel (vgl. Abschnitt ff)) Melanch­ thons zur Rechtfertigung seiner Position kommt an anderer Stelle in derselben Schrift deutlicher zum Ausdruck: „ /  das sie kein gesetz wider Gottes wort /  noch wider aus trückliche Gebot /  auch nicht wider das natürliche recht /  welchs ein reuir ist des Göttlichen vnd ewigen gesetzes /  mache /  Sondern was sie für satzung vnd Ordnung machtet /  das die mit Gott vnnd der natur vbereinstimmen.“777 Die Betonung der Gegenüberstellung und der Grenze zwischen beiden Regimenten kommt auch in Heshusius’ Auffassung über die Schwärmer und Wiedertäufer zum Ausdruck, die jegliches Wirken der weltlichen Obrigkeit in Fragen der Religion vollständig ablehnten. Er hebt zur Abwehr solcher Auffassungen hervor, dass Pflicht und Aufgabe der Obrigkeit beide Tafeln betreffe: „Denn sie ist Gottes Stadthalterin vnd Dienerin zur Rache vber die /  so böses thun /  nicht allein wider die ander Tafel /  sondern auch wider die erste.“778 Die Obrigkeit solle also auch für eine reine Lehre und den rechten Gottesdienst sorgen.779 Zugleich aber beschränkt Heshusius sofort den Einfluss der Obrigkeit auf das geistliche Amt, indem er betont, die Obrigkeit habe mit der Predigt, der Schlüsselgewalt und Sakramentsverwaltung nichts zu tun, und sie auf die äußere Zucht und den Kirchenbau verweist. Die Funktion des „Staates“ sei es, der Kirche eine friedliche und ruhige Wohnung zu bieten: „Solche Predigt von der versünung mit Gott durch das Blut Christi /  führet die Oberkeit nicht /  denn jhr Ampt vnd Beruff ist nicht gerichtet auff das ewige leben /  sondern auff dieses  /  zu erhaltung der zucht /  vnd das die Kirche Gottes /  die hie auff Erden durchs Predigamt mus bekeret werden /  eine friedliche /  rugige wonung habe.“780 Die Grenzen der obrigkeitlichen Gewalt in Bezug auf das geistliche Amt verknüpft Heshusius mit der Zwei-Regimenten-Lehre. Dies zeigt sich auch, wenn Heshusius von der obrigkeitlichen Exekutiven spricht, die von der Zustimmung Dritter eigentlich unabhängig sein soll. Die weltliche Obrigkeit unterscheide sich in der Form ihrer Gewaltanwendung vom Predigtamt. Sie habe anders als die Prediger eine exekutive Gewalt, um ihre Auf776  Ebd.

Bl. C. Bl. Cv–C ii. 778  Ebd. Bl. B vv. 779  „Vnd sind fürwar grobe vnuernünfftige Leut /  die da fürgeben /  weltliche Oberkeit habe nichts mit der ersten Tafel der Gebot Gottes zu schaffen /  gleich als were Weltliche Oberkeit nich tmehr denn ein Viehhirte /  der allein auff die narung des Bauchs sihet.“ Ebd. Bl. B vv. 780  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B viiv. 777  Ebd.

208

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

gabe zu erfüllen: „Die Weltliche Oberkeit prediget Gottes vnd jr eigen Gesetz /  nicht allein mit worten /  sondern braucht auch das Schwert dazu /  auff das sie den Gehorsam mit gewalt erhalte /  wie Paulus sagt Sie (die Oberkeit) tregt das Schwert nicht umb sonst /  Sie ist Gottes Dienerin /  eine Racherin zur straffe vber den /  der böses thut. Ro.13.“781 Diese Schwertgewalt schließe die straf- und zivilrechtliche Gerichtsbarkeit, die Finanzen, Güter und Schlösser, das Zollamt sowie die Herrschaft über Menschen ein. Zweck der von Gott befohlenen Schwertgewalt sei es, ein Überhandnehmen des Bösen zu verhindern, die Menschen vor dem zukünftigen Gericht zu warnen und durch Abschreckung den Frieden im Gemeinwesen zu bewahren: „Weil denn die Weltliche Oberkeit das Schwert mus füren /  die freuler zum gehorsam zu zwingen […]  /  weil es vnmüglich ist das man on Leute /  Gelt vnnd gut /  regieren /  den bösen weren /  vnnd den frieden schützen kundt […] Denn weil die Oberkeit dazu ist verordnet /  das sie eusserliche zucht vnd den frieden sol erhalten /  mus sie dazu mit gewalt gefast sein /  sonst würde die bosheit der Leut vberhandt nehmen /  vnd were vnmüglich /  das ein Menschen neben dem anderen köndte leben. Zu dem /  so will Gott /  das die weltliche leibliche straffen dr Oberkeit /  seyen eine erinnerung des zukünfftigen Gerichts /  vnnd ein fürbild der ewigen straffe /  auff das dadurch die Leut zur Busse vermanet werden /  vnd die Freuler Gottes zorn fürchten lernen.“782 Auffallend ist, dass Heshusius bezüglich der obrigkeitlichen Exekutive die Zustimmung Dritter für unnötig hält, während er deren Zustimmung im Hinblick auf die Gesetzgebungskompetenz verlangt. Die Ursache dafür könnte wohl auf seine theologieund kirchenpolitischen Motive zur Gestaltung der lutherischen Konfession zurückzuführen sein. Jedoch warnt Heshusius die Obrigkeit davor, in der Exekutive strafrechtlich in das geistliche Amt einzugreifen. Dies konnte z. B. dadurch geschehen, dass die Obrigkeit bestimmte Predigtinhalte anordnete bzw. kriminalisierte oder die Form der Bestrafung von Gotteslästerern vorschrieb, falsche Lehre widerlegte oder entschied, welche Personen zum Abendmahl eingeladen werden. Heshusius klassifiziert solches Handeln als aufrührerisch oder tyrannisch.783 Dass es bei Heshusius’ Zwei-Regimenten-Lehre um die Grenze zwischen externa und interna ging, zeigt sich wenn er die unscharfe Trennlinie zwischen den Regimenten hervorhebt und als problematisch einstuft. Wie Johann Gerhard klagt auch Heshusius, dass trotz der Begrenzungsversuche die Trennung von weltlicher und kirchlicher Rechtssphäre undeutlich und Bl. C vv–C vii Bl. C vi–C viiv. 783  Ebd. Bl. D iiir. 781  Ebd. 782  Ebd.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius209

schwer fassbar sei. Die Obrigkeit sei zur Hälfte in die Kirche miteinbezogen worden; mit ihren weltlichen Rechten bleibe sie jedoch vor der Kirchentür stehen: „Vnd warlich im Weltlichen Regiment findet man mehr Cleones die einen Fuss auff der Rathstube /  den andern auff der Cantzel in der Kirchen haben wollen.“784 Dieselbe Problematik ist Heshusius auch von Seiten der Prediger bekannt. Er ermahnt daher Vertreter beider Regimente, die feinen Unterschiede zu erkennen und in ihrem jeweiligen Wirkungskreis zu verbleiben. Beide Regimente sollen nebeneinander getrennt stehen, jedoch zur Harmonie, zum Wohl und zum Frieden des Gemeinwesens aufeinander angewiesen sein und sich gegenseitig unterstützen: „Darumb /  man vnterscheide die Empter fein richtig /  vnd bliebe ein jder in seinem abgerissenem Circkel /  vnnd helffe ein Ampt das ander /  so wird beides geschehen. Das der Balsam vom Heupt Aaronis fliesse in seinen Bart vnnd kleid /  vnd der leibliche thaw des friedes wird vom Hermon auff das gebirge Zion fallen /  vnd der HERR wirdt daselbs seinen Segen geben /  etc. Psal 133.“785 Die Verwendung der Zwei-Regimenten-Lehre zur Grenzsetzung zwischen externa und interna ecclesiae als Argument findet sich ebenfalls in seiner anderen Magdeburger Schrift „Vrsach /  Warumb“, dieses Mal geht es Heshusius nicht um dogmatische, sondern realpolitische Fragen. Um eine brisante politischen Frage des Widerstandes zu beantworten, nämlich jene, ob die Städte wegen ihrer begrenzten Stadtbefugnisse in Sachen Religion kein Mitspracherecht auf den Kreistagen in Anspruch nehmen und damit gegen die Kreisständen nicht wiederstehen konnten, „So yemandts hie wolt fürgeben /  die Erbarn Seschssischen Stätte /  hetten keinen Stand imm krays /  on ettliche? Jst darauff inn aller billigkayt zu antworten,“786 berief sich Heshusius zur Rechtfertigung seiner Position auf die strikte Trennung von weltlichem und geistlichem Regiment. Die Stände des niedersächsischen Kreises hätten keine Rechte in Glaubensfragen, sondern lediglich die Pflicht, für weltlichen Frieden zu sorgen. Die Augsburger Konfession sei keineswegs Ursache der so genannten Fürstenaufstände von Passau oder der Volksaufstände bzw. Bauernunruhen: „das die Krays stände vom Römischen Reych /  nicht der vrsachen verordnet /  das sie jres gut achtens /  Religion vnd Stattuta vom Predigampt fürschreyben sollen /  sondern auff die Kriegsubung acht haben /  empörungen vnnd auffwicklung wören /  vnnd imm heyligen Reych den Weltlichen friden erhalten helffen. Dieweil man dann der waren augspurgischen Confession /  zu deren vir vnns alhie zu Magdeburg bekennen /  nicht mit warhayt schuld geben /  das sie zu einiger empörung /  oder auffstand des Volcks /  nicht imm geringesten vrsach gebe. Als haben auch 784  Ebd. 785  Ebd.

D iiij.

786  Vrsach / Warumb

(wie Anm. 156), Bl.  B iii–B iiiv.

210

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

die loblichen Stände /  des Krayses weder von Gott /  noch vom heyligen Reich den befelch oder gewalt /  dz sie vns newe Religions Stattuta wider vnser gewissen vnd willen auffdringen /  vnd vnnsere jetzt habende /  vnd Gottes wort gegründetete Religion schwechen oder einsperren mügen.“787 Auffallend ist, dass Heshusius hier mit der Formulierung „zu einiger emporung /  oder auffstand des Volcks“ auf die Fürstenaufstände von Passau gegen den Kaiser zu Beginn der 1550er Jahre und die Bauernunruhen gegen die legitime weltliche Obrigkeit anspielt. Er beurteilt beide Ereignisse kritisch, weil sie gegen die geltende positive Rechts- und Verfassungsordnung verstoßen hätten. Daran ist zu sehen, dass Heshusius das Alte Reich als oberste politische Institution anerkennt, die nach seiner Obrigkeitsauffassung von Gott eingesetzt ist. Für ihn ist Widerstand, in welcher Form auch immer, nur im Falle von Versäumnissen bzw. bei Nichtwahrnehmung der Aufgaben und Pflichten durch die weltliche Obrigkeit zulässig, nicht bei wirtschaftspolitischen oder sozialpolitischen Auseinandersetzungen schlechthin, wie solche Aufstände sie darstellen. Heshusius weist hier deutlich die Kompetenz der niedersächsischen Landesherren dem Bereich der externa ecclesia zu. cc) Die Dreiständelehre Was von Historikern und von Kirchenhistorikern für Luther und Melanch­ thon bereits festgestellt wurde,788 trifft ebenfalls für Heshusius’ Verständnis der Dreiständelehre zu. Heshusius weitete diesen Terminus allerdings noch entschieden aus. In seinen Schriften gab er ihm unterschiedliche Bedeutungsinhalte: a) Als theologisches Deutungsmusters der Gesellschaft steht tres ordines in Verbindung zu Luthers Stiftungs- und Einsetzungsgedanken sowie Melanchthons Sozietätsgedanken. Gott wolle die drei Stände, da er die Gemeinschaft wolle. Heshusius verwendet die „drei Stände“ wie Luther789 als ein allgemeines Ordnungs- und Einteilungsprinzip für die bürgerliche Gesellschaft: „Wie man Gott in allen stenden sol dienen /  im heyligen Predigamt /  in weltlicher Regierung /  im Ehestand /  vnd in allerey Ampt vnd Beruffe.“790 Sie sind von Gott als Ordnungen gegen die Teufelsmacht Bl. B iiiv. Behrendt, Lehr-, Wehr- und Nährstand (wie Anm. 203), S. 23–77. Hier

787  Ebd. 788  W.

S.  25 ff. 789  Siehe den Abschnitt III.1.b) Die Dreiständelehre; W. Elert, Morphologie des Luthertums (wie Anm. 178), S. 49 ff. 790  Hauptartickel (wie Anm. 386), Bl. A iiv; „ /  Dis gehet auff den Geistlichen standt […] Dis kann fein auff den Weltlichen Stand der Obrigkeit gezogen werden



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius211

eingerichtet,791 um die Guten zu beschützen und den Bösen zu bestrafen.792 Sehr häufig erscheint dieses allgemeine Ordnungsmodell in der bekannten drei Stände-Formel „Obrigkeit /  Prediger /  Hausvater“: „vnd redet mit seinem wort in allen Stenden […] Manchem Regenten /  Prediger /  Hausvater /  begegnet so mancherley vnglück“,793 Heshusius weist den Vertreteren die gängigen Attribute zu: „Vnd wenn eine Christliche Obrigkeit /  oder trewer Seelsorger /  oder ein fleissiger Hausvater“.794 An anderer Stelle setzt er Bürgerschaft statt Hausvater: „ jemals eine rechtschaffene bestendige einigkeit vnter den Predigern /  Regenten /  vnnd Bürgerschafft möge widerauff […]  /  Hiemit wird die sicherheit vnd Gottlosigkeit des gemeinen Mannes gedeutet. In dem vntertsten Stande gehet es auch als zu […] Also erzeiget sich nun die sichere vnd gottlose Welt fast in allen Stenden gegen den gütigen /  gnedigen vnd barmhertzigen Gott.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am II. Sontage nach Trinitatis Luce. 14. Bl.  16b–17b; Euangelium am Tage Mischaelis des Ertzengels / Matth.18. Bl. Kf 4.; Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis /  mat. 22. B. 129b; Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 3; Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Tage des Apostels Bartholome / Luce am 22. Bl. Gg 2b–Gg 3; „ /  Dis gehet auff den Geistlichen standt […] Dis kann fein auff den Weltlichen Stand der Obrigkeit gezogen werden […]  /  Hiemit wird die sicherheit vnd Gottlosigkeit des gemeinen Mannes gedeutet. In dem vntertsten Stande gehet es auch als zu […] Also erzeiget sich nun die sichere vnd gottlose Welt fast in allen Stenden gegen den gütigen /  gnedigen vnd barmhertzigen Gott.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am II. Sontage nach Trinitatis Luce. 14. Bl. 16b–17b. 791  „Ne igitur abijcias politicum ordinem propter confusiones quas Satan et eius organa inuehunt.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 328; „Aber da sol E.L. wissen /  das man Gottes ordnung /  Geschöpf vnd werck mus vnterscheiden von dem misbrauch vnd vnrodnung /  so der Teuffel anrichtet /  auch von den Personen /  so offt vom Teuffel regiert /  vnd in alle sünd vnd schand gefüret werden.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mat. 22. Bl.  129b. 792  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis /  mat. 22. B. 129b; Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 3; Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Tage des Apostels Bartholome / Luce am 22. Bl.  Gg 2b–Gg 3. 793  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 5. Sontage nach Trinitatis / Luce am 5. Bl.  33; Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl.  83b; 86–87b; 88; Euangelium am andern Sontage nach der Offenbarung / Johan. 2. Bl.  N 2b; N 3; Euangelium am Sontage Sexagesima / Luc. 8. Bl.  O 4; Euangelium am Sontage Michi / Luc. 2. Bl.  O 5b; Euangelium am Sontage Inuocauit / Matth. 4. Bl.  P 4b; Euangelium am ersten Sontage nach Ostern /  Quasimodo geniti / Johan 20. Bl.  18b; 19; 21b; Euangelium am vierdten Sontag nach Ostern /  Cantate / Johan.16. Bl.  39– 39b; Euangelium am II. Sontage nach Trinitatis Luce. 14. Bl. 16b–17b; 19–19b; Euangelium am 3. Sontage nach Trinitatis / Luce 15. Bl.  21; Euangelium am 5. Sontage nach Trinitatis / Luce am 5. Bl.  31b; 33; Euangelium am tage der Himmel­ farth Jesu Christi / Marc.16. Bl.  S. 5; Euangelium am 25. Sontage nach Trinitatis /  Matth am 24. Bl. 139; 140b; Euangelium am Tage Mischaelis des Ertzengels / Matth.18. Bl.  Ji 5. 794  Postilla (wie Anm. 137) Euangelium am 22. Sontage nach Trnitatis / Matth. 18.Bl. 126b.

212

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

gerichtet vnnd gepflantzt werden.“795 Dann wieder treten im negativen Zusammenhang Pöbel und Gemeiner Mann anstelle des Hausvater-Begriffs: „Weil dann der heilig Geist selbst die Welt straffet /  was vnderstehen sich die Leute denn das Ampt das Geistes zu Reformiren: Soll ein armer madensack vnnd Sünder dem heiligen Geist fürschreiben /  wz er lehren vnd predigen sol: Nicht allein die Weltliche Oberkeit /  sondern auch die Geistliche Prelaten vnd der gemeine Pöbel /  dürffen sich offen vnderstehen /  den Predigern zu gebieten /  das sie so vnd so Predigen /  dieser vnd jener Sachen vnd sünden nicht gedencken sollen.“796 Auch der Ehestand erscheint als begriffliche Alternative zum Hausvaterstand: „Wie man Gott in allen stenden sol diene /  im heyligen Predigampt /  in weltlicher Regierung /  im Ehe­ stande /  vnd in allerley Ampt vnd beruffe.“797 Anderswo wieder sind es einfach Christen in Verbindung des Prinzips des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen, die statt Prediger und Bürgerschaft genannt werden: „dz die Gemeine GOTTes /  auch die Oberkeit macht habe Prediger zuberuffen /  ohn Orten da die Oberkeit Gottlos ist /  sonst hat Christliche Oberkeit glei­ che stimme mit vnd neben andern Christen“.798 An einer Stelle erscheint der allgemeine Ordnungsbegriff in der vier Stände-Formel: „an seine Diener /  Prediger  /  Obrigkeit /  Eltern /  Nechsten“.799 Dann wieder kommt patria statt politia bzw. Obrigkeit zum Ausdruck: „ /  Sondern auch der jene /  so das richtliche ampt verwaltet /  in aller furcht Gottes /  das er damit dem Vaterland [patria=politia] /  der Kirchen Gottes [ecclesia] /  vnd der gantzen Gemeine [oeconomia] /  nützlich dienet vnd vorstehet.“800 Dies verdeutlicht, dass antike Staatsauffassung, mittelalterliche Einheitsvorstellung und die

795  Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. N iiij; Oder auch Schuldiener statt Hausväter: „ /  das ich von den Regenten /  Predigern /  vnd Schuldienern vnterschiedlich rede,“ Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. B ii. 796  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am vierdten Sontag nach Ostern / Cantate / ohan. 16. Bl.  39. 797  Hauptartickel (wie Anm. 386), Bl. A iiv. 798  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 155), Bl. M vii. Damit ist der Aspekt des Verhältnisses zwischen dem Prinzip des allgemeinen Priestertums und dem politischen und sozialen Ordnungsmodell der Dreiständelehre angesprochen, worauf wir im nächsten Abschnitt noch ausführlicher eingehen werden. Es scheint, dass das Prinzip allgemeinen Priestertums für Heshusius der einzige Bindeschlüssel ist, welcher die andere Stände aneinander bindet und heftet, auch voneinander leben macht. Mit anderem Wort das allgemeine Priestertum erhält für Heshusius die drei Stände, das heißt das Prinzip des allgemeinen Priestertums ist ihre Seele. Dazu vgl. W. Schulz, Einführung in die Neuere Geschichte (4.  Auflg.), Stuttgart 2002, S.  148 ff. 799  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 18. Sontage nach Trinitatis / Matth. 22. Bl. 97b. 800  Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 3b.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius213

reformatorischen Grundprinzipien in Heshusius’ Obrigkeitsauffassung verzahnt sind. Hervorzuheben ist, dass Heshusius bei der Verwendung der Dreiständelehre auch die berühmte Formel von Aristoteles wörtlich übernimmt und gebraucht: „Recht sagt der Heyde Aristoteles: Gott /  den Eltern /  vnd Praeceptoribus können wir nimmermehr gnugsam dancken […]  /  denn den Eltern /  Preceptoribus /  vnd Obrigkeit […] wir sind jm auch mehr schuldig denn den Eltern /  Preceptoribus /  Obrigkeiten vnd allen wolthaten so auff Erden sein mögen […] Matth.10 Vnter die Menschen gehören auch Eltern /  Preceptoribus /  Obrigkeiten /  Woltheten /  vnd wie sie ein Namen haben mögen.“801 Die bürgerliche Gesellschaft entspricht für Heshusius im umfassenden Sinn der Schöpfungsordnung, als gottgewollte Gliederung der Christenheit. Sie gilt für Kirche, Obrigkeit und Gemeinde, die gemeinsam die societas humana entstehen lassen: „DEr ewige Allmechtige Gott hat […] vnter dem Menschlichem geschlecht eine solche ordnung gemacht /  das er an seine stet gesetzt hat /  die weltliche Oberkeit […] auff das die Gerechtigkeit /  gemeiner friede /  vnd gute zucht gehand habet /  vnnd gefürderet werde /  vnnd die bürgerliche nachbarliche gesellschaft vnnd gemeinschaft in still vnnd ruhe erhalten werde.“802 In Heshusius’ Definition der Dreiständelehre war diese nicht nur ein allgemeines Ordnungsprinzip, sondern Heshusius parallelisierte wie bereits Luther Hausstandsethik und politische Ethik in der Lebens- und Gesellschaftsordnung. Das heißt, ein Hausvater steht nie nur allein für die oeconomia, sondern ist in seinem Hausregiment sowohl Herrscher (politia) als auch Pfarrer (ecclesia). Gegenüber Gesinde, Dienstboten und Mägden verkörpert er die Obrigkeit, gegenüber seinen Kindern den Vater, gegenüber seiner Frau steht er als eine gleichberechtigte Obrigkeit. Deshalb kann er auch den Hausvaterstand mit dem Bischof und Papst gleichsetzen: „Denn 801  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 14. Sontage nach Trinitatis / Luce.17. Bl. 81–81b. Dieser Gebrauch weist deutlich darauf hin, dass die intensive Beschäftigung an der Universität Wittenberg mit der aristotelischen Ethik in den 30er Jahren einen Einfluss auf Hesusius sowie die andere neue Generation von Theologen hatte, die ihre Ausbildung in den 30er und 40er Jahren in Wittenberg erhielt. Vgl. Günter Frank, Die zweite Welle der Wiederaneignung des Corpus Aristotelicum in der frühen Neuzeit: die ethische und politische Tradition. Ein Forschungsbericht. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 26 (2003), S. 89–100. 802  Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 3; „allen Menschen auff Erden /  was Standes vnd wirden sind […] Prediger vnd Seelsorger […] Also auch ein Weltlicher Regent /  hohes oder nidriges Standes […] Hausvätern vnd Müttern /  Kindern vnd Gesinde / .“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl.  86.

214

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

ein christlicher Hausvater ist Bischoff vnd Bapst in seinen Hause /  vnnd ist schüldig den seinem zur ewigen Seligkeit beföderderlich zu sein.“803 Nach diesem Verständnis kann die Dreiständelehre kaum als ein allgemeines Ordnungsmuster bezeichnet zu werden, sondern ist vielmehr zugleich Dreiämter-, Berufs-, Regimenten- und Aufgabenlehre. Wie Reinhard Schwarz zutreffend bemerkt hat, bezeichnet sie die gleichzeitige Zugehörigkeit zu ­allen drei Ständen oder Lebensbereichen, die auszufüllen der Mensch verpflichtet ist.804 Deshalb beschreibt Heshusius die Regierungsbilanz des Herzogs Johann Wilhelm von Sachsen in seiner Leichenpredigt folgendermaßen: „Darnach hat er gar weishlich vorsehungen getahn, erstlich der Kirchen vnd Schuelen, daranch der Regierung vnd pollicey, zum dritten der haushaltung.“805 Heshusius fasst hier die drei Stände nicht mehr als einen unter einem allgemeinen Ordnungsbegriff zusammen, sondern beschreibt sie deutlich als drei Lebensbereiche bzw. drei Aufgaben, Ämter oder auch Regimente, die der jeweilige Stand auszufüllen verpflichtet war. Diese Auffassung zeigt sich auch in seinem Psalm-Kommentar: Adde, quod Psalmi muniunt totam ciui­ lem societam, Ecclesaistica, Politica, Oeconomica officia non solum ornant testimonio, sed etiam grauissima doctrina instruunt ac praecepta sapientiae plena proponunt.“806 Diese Vorstellung von der Dreiständelehre kommt an vielen Stellen bei Heshusius zum Ausdruck. Hier seien noch einige Beispiele genannt. In seinem Römerbrief-Kommentar hieß es: „Alij enim docuerunt politicos gubernatores in hoc genere vitae difficulter salutem consequi posse. Alij contenderunt prorsus tollendum esse omnem magistratum.“807 Im Abschnit IV 2.1.8 o. ä „status“ wurde bereits darauf hingewiesen, dass bei Heshusius problemlos die Vier-, Fünf und Zehnständelehre gezählt werden kann. Die Verwendung dieses Schemas erschwert die Einordnung von Heshusius’ Verständnisses über die Dreiständelehre zusätzlich. Heshusius’ Dreiständelehre lässt sich grafisch darstellen: Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. R iiv. Schwarz, Ecclesia, oeconomia, politia (wie Anm. 180), S. 85. 805  oratio fvbnebris (wie Anm. 137), Bl. 47. 806  P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 138. 807  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 388b.; „Nulla enim pars generis humani magis vexatur, iniurijs, calumnijs et improborum violétia, quam Ecclesia Christi.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 326–326b; „in hoc capite 49 ipse filius Dei Dominum noster Jesus Christus concienatur et totum genus humanum invitat ad sidem.“ Jesaja 49 (wie Anm. 358), S. 445; „ut in genere humano voce Evaangelij colligeret Ecclesiam“ Ebd.; sed potius in totius generis humanii et omnium gentium“ Ebd.; „Spiritus S.concionantur de redemptione generis humani, et de collectione Ecclesaie […] qui totum genus humanum alloquitur.“ Ebd. S. 446.; „Unigenitus De filius Messias mones gentes, et totum genus humanum vocat“. Ebd. S. 447; „hoc est, quomodo legis satisfiat pro genere humano.“ Ebd. S. 462. 803  Vom 804  R.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius215

b) Das Kirchenverfassungsprinzip bzw. „Gewaltenteilungssystem“ sind für Heshusius ebenfalls relevant. Nach Kruse808 war es nicht Johann Gerhard, der zuerst die Dreiständelehre als das Kirche und Gesellschaft bestimmende Verfassungsprinzip fortgeführt hatte. Er sah als dessen Urheber bereits die Gnesiolutheraner in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Besonders eifrig bezieht sich Heshusius auf die Dreiständelehre als Kirchenverfassungsprinzip. In seiner Schrift an die niedersächsischen Städte (1562) heißt es beispielsweise: „Vnnd ob gleych die Oberkeyt anziehen wolte /  sie hette die vereinigung des Mandatas furgenommen /  als glidmassen der Kirchen /  so kan doch nyemandt leügnen / das wir Pfarrer vnnd Seelsorger /  auch ein thayl der Kirchen seind /  vnnd gebürt sich das man vnnsere Stymme auch höre inn den hohen Geystlichen sachen /  sonderlich da man für hat /  vnsers von Gott aufferlegtes Ampt einzusperren /  vnnd vnsere gewissen zu beschwären /  Wie wenig auch dies Newe exempel stymmet mit den Hystorien der alten Kirchen /  vnnd der loblichen Christlichen Keyseren.“809 Dieses Verständnis kommt auch an anderer Stelle zum Ausdruck: „Wen die wahl der Prediger /  das oberste Gericht in Kirchen sachen /  die Regierung der Kirchen einem stand allein /  entweder der weltlichen Oberkeit /  oder den Geistlichen vbergeben were /  wollte daraus folgen /  das der son Gottes seine Herrschafft vber der Kirchen gewissen Leuten auff Erden vbergeben hette /  vnd müste stets ein gewisser Stadthalter JHEsu CHRJSTJ sein auff Erden /  auch müste die Kirche wie ander Königreich /  vnd weltliche Regiment gefüret werden.“810 808  M. Kruse, Speners Kritik (wie Anm. 25), S. 78 ff. Anm. 155. Martin Honecker vertritt ebenfalls die Ansicht, Johann Gerhard habe erst die Dreiständelehre aus der Sozialtethik in die Kirchenverfassung übertragen. M. Honecker, Einführung in die theologische Ethik (wie Anm. 221), S. 294. 809  Vrsach / Warumb (wie Anm. 156), Bl.  A iiijv–B.; „Jr Regenten seit jha nicht allein Gottes Kirche /  so ist man euch auch keins wegs gestendig /  das jhr allein in Kirchen Geistlichen sachen vrtheil fellet /  wie wenig jr von Gottes Wort /  vnd heiligem Predigampt verstehet.“ Notwehr (wie Anm. 355), Bl. G iiv. 810  Ebd. Bl. M viii–M viiiv

216

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Das Prinzip einer solchen Kirchenverfassung bzw. Gewaltenteilung ist das gleichberechtigte, unabhängige und kooperative Nebeneinander der drei Stände: status politicus, status ecclesiasticus und status oeconomicus. Jeder Stand hat seine eigene und gleichberechtigte Würde vor Gott,811 da er von Gott gestiftet und eingesetzt ist812. Er verfügt über eine spezifische Funktion, Aufgabe und Gewalt, die gemeinsam Gott, Kirche und der societas hominum dienen: „Et si autem ratio ipsa aliquo modo intelligit ciuilem gubernationem, leges, iudicia, poenas, et contractus, esse pulchrum ordinem, necessarium und salutarem societati humanae.“813 Die ecclesia dient durch die Verkündigung und Lehre des Evangeliums dem Heil der Seele und hat zugleich die Aufgabe der Strafamtübung und Mahnpflicht eines Wächters.814 811  „Sondern vielmehr alle Menschen auff Erden /  was Standes vnd wirden sie sind […] Prediger vnd Seelsorger […] also auch ein Weltlicher Regenten /  hohes oder nidriges Standes […] Hausvätern vnd Müttern /  Kindern vnd Gesinde […] Ein Handwercker /  Ackerman /  Hausvater Mutter Kind vnd Gesind sol von jugend auff dahin bedacht sein.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl.  86. 812  „Es hat zwar der HERR im Paradis das Ampt des Geistes eingesetzt vnd angefangen /  vnd für vnd für in der Welt erhalten […] Der HERR Christus zeiget vns allhie /  wer der Stiffter /  Einsetzer /  Beschirmer vnd Erhalter sey des heiligen Predigampts /  Nicht die weltliche Obrigkeit /  gewaltige Potentaten /  auch nicht weise vnd hochverstendige Leute […]  /  Sondern die hohe Göttliche Maiestet /  der ewige Vater Schöpffer Himels vnd der Erden /  habe selbst eingesetzt vnnd verordnet.“ Postilla (wie Anm. 138), Euangelium am ersten Sontage nach Ostern /  Quasimodo geniti / Johan 20. Bl.  18; „denn sie sind nicht Lehnherrn des Predigamts /  sie habens nicht gestiffet /  sondern der Sohn Gottes hats erworben vnnd eingesetzt […] Das Ampt aber geht nicht von ihnen /  sondern vom HERRN Christo zu leyn.“ Ebd. Bl.  18b; „das wir daran zu lernen haben /  das Gott vom Himel der Stiffter vnd Erhalter sey des Predigampts.“ Ebd. Bl. 23; „DEr ewigeAllmechtige Gott hat aus sonderlichem weisen rath /  […] ein solche ordenung gemacht /  das er an seine stet gesetzt hat /  die weltiche Oberkeit.“ Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 3.; „Der Allmechtige ewige Gott […] hat er baldt im Paradies dis heilige Ministe­ rium vnd lehrampt eingesetzt vnd bestellt.“ Ebd. S. 541; „ /  Also lehret vnd Gottes wort /  das Gott ein Stiffter vnd Einsetzer sey des heyligen Ehestandes vnd hohen Obrigkeit /  das er die Eheleute vnd die Obrigkeit beschirme /  jnen beystehe /  vnd sie beware.“ Hauptartickel (wie Anm. 386), Bl. A v iiv. 813  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 388b. 814  „Ja wenn trewe Prediger als verordnete Wächter warnemen für falsche Lehre /  jren betrug aus Gottes Wort auffdecken vnd widerlegen“. Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Pfingsttage /  Joahnnis am 10. Capitel. Bl. 83; „Wenn einer Oberkeit angezeigt würde /  es weren etlliche Mordbrenner in die Stadt geschlichen /  die giengen damit vmb /  das sie an etlichen orten wollten Fewr anlegen /  meinstu auch das die Oberkeit solchs würde in den wind schlagen: Keines weges; sondern sie würde die Bürgerschafft zusammen fordern /  jederman heissen wachen […] Wie viel mehr sollten denn wir allhie wachker vnd munter seyn /  wenn ein falscher Lehrer wie ein Mordbrennr daher schleicht /  vnd gerne ein Fewr wollte anzünden.“ ebd. Bl.  83b; „dann es ist offenbar /  das Got vom Himel geboten /  dz man solle vnd müsse straf­



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius217

Die politia als custodia utriusque tabulae dient dem Frieden, dem Schutz, der Freiheit und der Ruhe des kirchlichen und bürgerlichen Gemeinwesens.815 Die oeconomia dient der Ernährung und Erziehung der Kinder: fen /  die Schäflein vor falsche Lere warnen /  vnd jrrthummen verdammen.“ Vrsach / Warumb (wie Anm. 156), Bl.  C iiiv–C iiij; „Weil es vns keines wegs gebüren /  dz wir stillschweigen /  sonder mussen bey verlust gotlicher hund vnd gnad  /  das maul redlich auf thun.“ Ebd. Bl. E ii; „Wann aber die kerzery will vmb sich fressen /  wie der Kreps /  vnd die verfurer mit predigen vnd schreiben /  jre Lugen weyt vmbher saet […] da hat die heimliche vermanung nit stadt /  sonder da mus man woren mit schreiben vnd predigen /  vnd offentlich warnen vnd vermanen /  vnd mus jnen das maul stopffen. Ebd. Bl.  E iiij; „  /  das sie nicht allein Gottes wort /  laut der Augspurgischen vnd Magdaburgischen Confession /  in allen Artickeln lauter vnd reyn wollen Predigen /  sondern auch alle falsche Leer straffen /  vnd ihn sonderheit die Kirche vor deer Adiaphoristerey /  Synergisterey /  Mayoris lesterung /  Osiandri schwermerey /  Stenckfelds lugen /  der widertaüfer vnd Zwingliander vnd anderer Secten mit allen vleis vnd trewen warnen /  vnd sie namhafftig straffen […] Weyl es dann Gottes befelch ist /  das wir schreyen müssen.“ Ebd. Bl. F iiij–F iiijv; „vnnd seinen gantzen anhang warnen / .“ Ebd. Bl.  F iiijv. 815  „Darumb auch ein Christ nicht allein mit gutem gewissen /  solchen Oberstandt füren kann /  ein Oberkeit /  ein Rathsherr sein /  die sachen für vnnd im gericht handeln /  darinnen vrteilen Krieg füren /  zur rettung des vaterlandes /  Sondern auch der jene /  so das richtliche ampt verwaltet /  in aller furcht Gottes /  das er damit dem vaterland /  der Kirchen Gottes /  vnd der gantzen gemeine /  nützlich dienet vnd vorsteht.“ Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 3b–Tt 4; „Darumb erinnert auch alhie der HERR Christus den Keyser vnd alle Obrigkeit jres Ampts […]  /  tag vnd nacht für seine Vnterthanen sorget /  zucht vnd erbarkeit handhabet /  Gericht vnd Gerechtigkeit helt /  frieden schützet /  sünde vnd laster straffet /  dem vbel wehret /  Widwen vnd Waisen errettet /  den Armen vnd dürfftigen hilffet /  Kirchen vnd Schu­ len befördert.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage anch Trinitatis / Mat. 22. Bl.  129b; „Mancher Fürst vnd Regent /  mancher Rath oder Amptman an sehe offt gerne /  das es allenthalben wol zugienge /  die Gerechtigkeit befördetn /  das vbel gestraffet /  die Armen geschützet /  jrrungen auffgehaben /  Vnrodnung abgeschafft /  Friede gestiffet /  vnd erhalten /  Kirchen vnd Schulen angerichtet würden /  gute Künste vnd tugend vnd Erbarkeit im schwange giengen.“ Euamgelium am Tage Mischaelis des Ertzengels / Matth.18. Bl.  Ji 3b; „Denn weil sie der geist Gottes in der schrifft Götter Nennet /  dazu pfleger /  neerer /  vnnd Seugamme der Christlichen Kirchen /  sol ihr Ampt nicht allein den Bauch versorgen /  sondern auch mit auff das Geistlich achtung geben /  vnd so vil jhr müglich verschaffen /  das die vnterthanen in Gottes wort recht vnterwiesen werden.“ Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. D iii; „Nachdem auch die Christlichen Regenten im Propheten Iesaja der Kir­ chen nehrer vnd pfleger: Vnd im Psa. Dauids götter genennet werden.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. O viiv; „Der Heilige Geist lehret /  Das Weltliche Obrigkeit kein Viehhirten Ampt fure /  Noch allein auff die zeitlichen Guter vnd Narung bescheiden sey /  vnd dieselbigen allein zu regieren habe /  Sondern viel mehr Gotes Stadthalterin /  vnd gebüre ihr wegen Ampts /  das sie darob sey /  do mit jr volck vnd Vnterthan /  recht von Gott vnterrichtet werde /  vnd die ob dem rechtschaffen Gottesdienst /  vnd der heilsamen Lehre mit ernst halte /  vnd ein nutricius Ecclesiae, nehrer der kirchen sey.“ Sechs Hundert Jrthumb (wie Anm. 387), Bl. Z vii–Z v iiv; „ /  das das Weltliche Regiment nicht allein diesem zeitlichen leben der Men-

218

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

„Sondern vielmehr allen menschen auff Erden /  […] Prediger vnd Seelsor­ ger sollen […] das sie ihr Ampt recht füren /  die Heilige Schrifft recht auslegen /  die Artickel des Glaubens erkleren /  falsche Lehre widerlegen /  die Sünde straffen /  vnd den Weg zur Seligkeit zeigen […] Also auch ein Weltlicher Regent /  hohes oder nidriges Standes […] das er Gerechtigkeit handhabe /  vbelthat straffe /  Gelt vnd Gut samle /  ein wolgeordnet Regiment habe /  sondern sol gedencken /  das er ein Christ sein möge /  aus der Tyranney des Sathans errettet […] Gleicher gestalt gilt dieser befehl vnd Regel den hausvätern vnd Müttern /  Kindern vnd Gesinde […] sol von jugend auff dahin bedacht sein /  das sie Gott jren Schöpffer lernen erkennen /  die Wohlthaten Jesu Christi verstehen.“816 Um der Aufgabe der salus respublica christiana gerecht zu werden, hat jeder Stand seine eigene spezifische potestas; die ecclesia die Binde- und Löseschlüsselgewalt,817 die politia die Exekutive und Legislative (Schwertschen /  vnd gemeinen friede /  sondern zu forderst Gott dienen solle.“ Ebd. Bl. Z viiv; „ /  Sondern will das sie auch in vnd mit jhrer gantzen Regierung Gott dienen sollen /  nemlich die heilsame Lehre des Euangelij handthaben vnd befordern /  Gottselige Lehrer beschutzen falsche Lehrer sampt jhrer Gottlosen lehre von der Kirchen weg thun vnd abschaffen.“ Ebd. Bl. Z viii. 816  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl. 86–87b; „Ein Prediger sol dahin sehen /  das er fleissig studiere /  das Volck trewlich vnterrichte /  für falsche Lehre warne /  Sünde vnd Laster straffe /  jederman zur Busse ruffe /  […] Ein weltliche Regent /  […] Gelt vnd Gut samle /  schaffe was jhm gelüste /  vnd seines gefallesn herrsche /  Sondern das er Recht schaffe den Armen vnd Waisen /  vnd helffe den elenden vnd dürfftigen zum Recht /  vnd errette den gringen vnd armen /  vnd erlöse ihn aus der Gottlosen gewalt […] Also ein Hausvater /  Haus­ mutter /  Kind /  Dienstbote /  vnnd wes Standes einer ist /  […] sols einem Haus wol vorstehen /  Weib /  Kind vnd Gesinde zu Gottes furcht vnd ehren ziehen /  seine Hauszucht halten.“ Ebd. Bl. 88; „Ein Hausvater aber vnd Hausmutter /  die ire Kinder in Gottes furcht auffziehen /  Ein Prediger der trewlich lehret /  vnd für falsche lehre warnet /  Eine Obrigkeit die fleissig regiere /  den kann rühmen das er Gott dienet /  denn da steht sein befehl.“ Ebd. Bl. 83b; „Denn ein christlicher Hausvater ist Bischcoff vnd Bapst in seinen Hause /  vnnd ist schüldig den seinem zur ewigen Selikeit beförderlich zu sein.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. R iiv. Im Folgenden Frage ob eine priuat Person; Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am fünfften Sontage nach der Offenbarung / Matth.13. Bl. N 2b; Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Sontage Septuagesima / Matth. 20. Bl.  N 5b; Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am II. Sontage nach Trinitatis Luce 14. Bl. 16b – 19; Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Tage Mischaelis des Ertzengels / Matth.18. Bl. Ji 3b; Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Sontage Esto Michi / Luc. 2. Bl. O 5b; „Ein Furst vnd Obrigkeit sol red vnd antwort geben […] Ein Pfarrherr vnd Lerer sol rechtschafft geben […] ein Hau­ suater vnd Hausmutter mus nicht allein für sich /  sondern für jre Kinder vnd gesinde antworten.“ Psalm 19 (wie Anm. 355), Bl. S iiijv. 817  „Als denn auch die Sepraratio /  das ist /  Absonderung vom brauch vnd gemeinschafft der Hochwirdigen Sacramenten /  ein groser teil ist des Bindeschlüssels /  von welchem ein trewer Seeslorger am Jüngsten tage nicht weniger wird rechen-



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius219

gewalt) und die oeconomia die Mahngewalt.818 Kein Stand darf sich in die Bereiche anderer Stände einmischen, sondern muss im definierten Funktionsbereich bleiben.819 Die Obrigkeit darf nicht in das geistliche Regiment, schafft geben müssen /  als von geübtem löseschlüssel /  vor müge der Wort Christi.“ Ein andere Schrift D. Tilemann Heshusij /  vnd etlicher Theologen im Fürstenthum Beuburgk an der Tonaw. 1573 Jhena [HAB Wf. 523. 22 Theol. 17]. Bl. D iiv. Im Folgenden Eine andere Schrift; „Beides hat Christus befohlen /  die Sünde auffzulö­ sen /  nach dem heiligen Euangelio /  vnnd die Sünde der vnbusfertigen nach dem Gesetz zu binden.“ Vrsach vnd Grund /  Warumb (wie Anm. 128), Bl. A iii; „sondern als der fürnemest Diener /  der für die Gemeine wachen sol.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. D vv; „ /  vnd die Gemeine warne für die Jrthum“ Ebd. Bl.  D vii; „Daraus folget /  das die Pfarrherrn die jetz stumme Hunde sind“ Ebd. D viiv; „ /  vnd die jrthumen vermög Göttliches worts straffet“ Ebd. Bl.  D viiiv; E viiv; E viii; E viiiv; F iiv–F vv; G–G iii; G viv–J iiiv; K iiv–K iiij; K iiijv–L vi. 818  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am II. Sontage nach Trinitatis Luce 14. Bl.  17b–19b; Euangelium am andern Sontage nach der Offenbarung / Johan.2. Bl.  N 2b–N 3; Euangelium am ersten Sontage nach Ostern /  Quasimodo geniti / Johan 20. Bl.  19; „Wissen sie dann nicht /  das zweyerley Bann ist /  ein weltlicher vnd ein geistlicher. Die weltliche Obrigkeit hat auch ihren Bann /  Ein Bürgermeister verweilet eine Bübin /  oder halsstarigen Bürger /  an dem keine hoffnung der Besserung ist /  aus der Satdt /  Ein Fürst verbeut einem Buben das land /  Ein König oder Keyser erkleret die Rebellen vnd vngehorsamen in die Acht vnd Oberacht. Das ist ein welticher Bann /  damit haben wir Prediger nichts zuschaffen /  massen vns dessen nicht an /  so wenig als wir mitdem Schwert zuthun haben […] Unser Bann ist geistliche Mutterzucht vnd Kirchenstraffe die niemandts das Landt verweiset […] Vnser Bann setzet niemand von seinem Ampt /  verweiset niemand des Landes.“ Ebd. Bl.  21b -22; „Weltliche Oberkeit ist von Gott dazu gesetzt /  das sie eusserliche Zucht vnd Erbarkeit sol erhalten /  darumb prediget sie auch das Gesetz /  die zehen Gebot /  verkündiget was recht vnd vnrecht sey /  was Gott gefalle /  was jm misfalle […]  /  das die Wetliche Oberkeit nicht allein die zehen Gebot führet /  vnd darüber helt /  Sondern hat auch macht newe Gesetz /  Satzungen vnd Ordnungen zu machen […]  /  denn ohne Gesetz vnd Ordnung kann man nicht regieren.“ Euangelium am Tage des Apostels Bartholome / Luce am 22. Bl.  Gg 3; Euangelium am Tage Mischaelis des Ertzengels / Matth. 18. Bl.  J i 2. 819  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. A viii; „Also will auch der HERR Christus /  das die Apostel /  Bischof vnd Seelsorger keiner weltlichen Regierung sich anmassen oder vnterwinden sollen […] Das heilige Predigampt ist keine Regierung oder Herrschaft /  sondern ein Dienstampt“. Postilla (wie Anm. 138), Euangelium am ersten Sontage nach Ostern /  Quaismodo geniti / Johan 20. Bl. 19; „Ejne reiche /  heilsame vnd sehr nötige Lere ists /  wie man sol das heilige Predigampt von Weltlicher Herrschaft vnterscheiden /  Denn so bald die Empter in einander vermenget werden /  so ists nicht auszureden /  was für Vnheil daraus entstehet /  Wie solches an den Bäpstlichen Bischoffen /  vnd dem Bapst selbst leider zu sehen.“ Euangelium am Tage Jacobi des Grössern / Marci am 10. Capitel. Bl.  Ff 4;  /  denn die Bäpstlichen Bischoffe /  haben nicht anders denn wie Könige vnd Fürsten regieret /  wie noch auff den heutigen Tag zu sehen.“ Ebd. Bl. F f 4b; „Von dem Geistlichen vnd jnnerlichen Gehorsam prediget sie nicht /  […] im Hertzen aber deinen Nehesten hasset /  vnd voller böser Lüste bist /  da gehet die Oberkeit nicht /  darüber helt sie kein Gerichte /  lest sich also mit dem eusserlichen Gehorsam genügen /  das Euangelium von Jhesu

220

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

die Kirche nicht in das weltliche Regiment eingreifen.820 Jede Vermischung und Grenzüberschreitung in Gestalt von Cäsaropapismus bzw. Papocäsarismus ist strikt verboten: „Denn was für vnheil vnd jamer daraus entsteht /  wenn diese zwey vnterschiedene Empter in einander gemenget vnd geworffen werden […] in dem verfluchten Teufflichem Bapsthum wol erfaren […]  /  vnd ist aus dem Bischofflichem lehrampt ein Keiserlichs tyrannische Bapstum […] Denn die Keiserliche Bepst vnd Königliche Bischoffe haben mit jrem weltlichen Schwert /  auch pracht so viel zu thun gehalbt.“821 DemChristo /  vnd von Vergebung der Sünden /  ist der Oberkeit nicht befohlen.“ Euangelium am Tage des Apostels Bartholome / Luce am 22. Bl.  Gg 2b; „Es sind ja die zwey Reich der weltlichen herrschafft /  vnd des Herrn Jhesu Christi weit von einander vnterschieden /  vnd können nicht on grossen nachteil der Regligion in einander gemischet werden.“ Notwendige entschuldigung (wie Anm. 390), Bl. P. 820  „Die Keiser aber greiffen in die Geistliche Iurisdiction, Mit solchem schein haben sie grewlich Blutergiessen im Deutschlande angerichtet /  vnd Auffruhr wider die Keiser erreget.“ Postilla (wie Anm. 137), Fünfftzen Passionspredigt /  vom Leiden vnd Sterben vnsers Herrn vnd Heilandes Jhesu Christi. Die vierde Passionspredigt. Bl.  E 6; „Also /  wenn sich weltliche Regenten vnterstehen die Kirche zu reformieren /  das Predigampt zu meistern /  Gottesdienst anzurichten /  newe Lere einzufüren /  des sie keinen befehl haben /  ist kein glück noch segen dabey.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 5. Sontage nach Trinitatis / Luce am 5. Bl. 31b; „ /  Denn Gottes Weisheit im HErrn Christo offenbaret /  ist den Fürsten dieser Welt verborgen /  laset euch nicht düncken /  Die Diener Christi müssen euch predigen /  wie es euch gefellet /  vnd die Sacramenta austheilen nach ewerem befehl. Denn das Predigampt ist nicht ewer.“ Fünfftzen Passionspredigt /  vom Leiden vnd Sterben vnsers Herrn vnd Heilandes Jhesu Christi. Die neunde Passionspredigt (Matth. 27), Bl. J 6b–K; Ebd. K iiv; „Diese Tyrannen […]  /  vnd strecken die halsstarrigen in irer bosheit /  sperren den herrn Christo sein geistlich Reich darinne sie doch nichts zu gebieten noch zuuerbieten haben /  sondern (wie die Gottes Diebe) on fug vnd recht sich der hohen gewalt anmassen […]  /  vnd im den Predigstuel verbieten /  vnd geachtet das er Gottes wort füret.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. A viiv; „Also schreiten auch die Regenten vber jhren gemessen vnd von Gott gegebenen befehl /  die den Pfarrherrn vnd Seelsorgern fürschreiben wollen /  wie sie die sünde straffen /  die Sacrament reichen /  wie vnd wenn sie den Christlichen Bann gebrauchen sollen /  gleich als sey jnen in dem /  das sie zu Oberherrn verordnet sind /  auch macht gegeben /  das Geistlich Schwert vber die gewissen zu füren.“ Ebd. Bl.  B iii–B iiiv; „ /  vnd dich des Geistlichen Schwerts vnterstehest /  vnd wilt dem Prediger fürschrei­ ben /  wie er sol Predigen /  die Laster straffen /  die jrthum widerlegen oder ver­ schweigen /  wilt jm furmalen /  wie er die Sacrament sol austeilen /  wie er niemand on deine verwillgung vom Sacrament sol abweisen etc.“ Ebd. D iiiv; Sechs Predigten vom Ampt (wie Anm. 468), Bl. 668. 821  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B iiv–B iii; „ /  denn daraus wolt folgen /  das das heilige Predigampt ein stück were der Weltlichen Regierung /  vnd müsten die Prediger nicht anders reden noch leren /  nicht weiter schreiten noch gehen in jhrem Dienst /  denn jhnen von der Oberkeit zu gelassen /  vnd fürgeschrieben würde.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. N v–N vv; „Das das Predigampt nicht ein teil sey der Weltlichen Regierung /  das auch die Prediger mit nicht verpflicht sind /  sich in der lere verreichung der Sacrament /  vnd Kirchendiensten /  nach



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius221

gegenüber darf jeder Stand sich kooperativ, wechselseitig aufeinander bezogen unterstützen.822 Für Heshusius ist der magistratus politicus deshalb keineswegs, wie es viele politische Beratern und Entscheidungsträger deuteten, das „fürnemste“ Glied in der Kirche,823 sondern nur ein Stand neben den anderen, der grunddem befehl der Oberkeit zuricht /  sondern viel mehr /  auffs herteste verbunden /  Gott zu geben was Gottes ist /  vnd on aller Menschen /  auch aller gewaltigen vnd Potentaten ansehen /  zu leren /  zu Predigen /  zu trösten /  zu straffen /  zu binden.“ Ebd. Bl. N vv; Fünfftzen Passionspredigt /  vom Leiden vnd Sterben unsers Heilandes Jhesu Christi. Die neunde Passionspredigt (Matth. 27), Bl. D viiiv; Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am ersten Sontage nach Ostern /  Quasimodo geniti / Johan 20. Bl. 21b; Darumb wen die Prediger sich mengen in Weltliche hendel /  dessen sie keinen befehl haben /  ist kein glück noch segen dabey.“ Euangelium am 5. Sontage nach Trinitatis / Luce am 5. Bl.  31b; „ /  wenn man das heilige Predigampt vnd Welt­ liche Herrschaft in einander menget /  Denn daraus mus als bald folgen vertuckerlung des Euangelij vnd der gantzen Lere Christi /  wie man in dem blinden Bapsthumb wol hat er fahren.“ Euangelium am Tage des Apostels Bartholome / Luce am 22. Bl. Gg 2; „  /  Die Keiser aber greiffen in die Geistliche Iurisdiction, Mit solchem schein haben sie grewlich Blutergiessen im Deutschenlande angerichtet /  vnd Auff­ ruhr wider die Keiser erreget.“ Fünfftzen Passionspredigt /  vom Leiden vnd Sterben vnsers Herrn vnd Heilandes Jhesu Christi. Die vierde Passionspredigt. Bl. E 6; „Prediger sollen sich aber weltlichen Herrschafft allerdings enthalten.“ Ebd. Die neunde Passionspredigt (matth. 27), Bl.  L; „ /  eine newe vnd viel gefehrlicher Tyranney /  denn etwa vnter dem Bapsthumb gewesen anstifften wollen.“ Notwendige entschuldigung (wie Anm. 390), Bl.  Q 2; „ /  vnd hat sich kein Oeberkeit solcher Herligkeit anmassen dürffen wie sich jtzt die Päbstlichen Fürsten vnd Herren /  von denen Lutherus geweissaget /  vnterstehen.“ Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. E. 822  „Im fall da ein Pfarr oder Seelsorger vber das ziel seines Ampts schritte /  vnd falsche lehre aussprenget /  hat nicht allein die Obrigkeit /  sondern ein jeder Christ ihn darumb zubesprechen /  vnd aus Gottes Wort zu straffen /  auch da er halsstarrig befunden wird /  ist eine christliche Obrigkeit schuldig in abzuschaffen. Im gleichen /  wenn Pfarrer oder Seelsorger ärgerlich leben /  […] entweder in vnzucht fallen /  oder ehebruch treiben /  mord begehen /  gelt auff wucher geben /  […] hat eine Christliche Obrigkeit fug vnd recht sie zu straffen /  nicht weniger denn andere Vnterthanen.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am ersten Sontage nach Ostern /  Quasimodo geniti / Johan.20. Bl.  19; „Das ander nötigen gehöret der Weltlichen Obrigkeit vnd dem Hausvater /  die sollen auch dazu hellfen /  das die geladene Geste herein kommen /  vnd die Tische alle vol werden. Solche gehet nun nicht allein mit worten zu /  sondern auch mit eusserlicher gewalt /  mit dem Schwerd /  mit Gefencknus /  Leib­ licher straffe.“ Euangelum am II. Sontage nach Trinitatis Luce. 14. Bl. 19; „Das ist /  das Reich Christi vnd H.Predigampt strecket sich vber den gantzen Weltkreis /  vnd ist an keinen ort /  noch person /  noch zeit gebunden.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. R vv. 823  Melanchthon war gewiss nicht der Urheber dieser Deutungstendenzen. Er hat mit der Bezeichnung vom praecipuum membrum ecclesiae weder als „das vornehmste Glied der Kirche“ gemeint noch das Prinzip des allgemeinen Priestertums der Gläubigen aufgehoben noch damit die Rechtfertigung des Herrschaftsanspruches

222

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

sätzlich gleichberechtigt ist. Deshalb kann er auch den Hausvaterstand und die Kirche auf derselben Ebene mit der weltlichen Regierung einstufen: „daraus alle stende in die Welt erfolgen /  Jn Weltlicher vnd heuslicher rei­ gerung /  in Kirchen vnd Schulen.“824 Im gleichen Sinne fordert Heshusius die Geistlichkeit auf, nicht als Herr über die Gemeinde ihr Amt auszuüben: „Zum dritten /  das er die Kirche nach Gottes wort reigere /  nicht als ein Herr vbers Volck /  sondern als der fürnemest diener /  der für die Gemeine wachen sol. Vnd steht die regierung der Kirchen in dem /  das man tüchtige /  geschickte Diener des Euangelij erwele […] Vnd teglich für die gemeine /  so jm befohlen ist /  fleissig Bete /  Dis ist die rechte Reigerung der Kirchen.“825 Deshalb weist Heshusius in seinen Schriften immer wieder strikt die Argumentation der obrigkeitlichen Juristen zurück, wenn diese die Obrigkeit als das vornehmste Glied der Kirche betrachten. Gegen die Argumentation des Juristen Franz Pfeils in Magdeburg, die weltliche Obrigkeit sei das vornehmste Glied der Kirche,826 antwortet über die andere Stände der Kirche auf die weltlichen Obrigkeit übertragen. Er bezeichnete die weltliche Obrigkeit nur als ein bedeutendes Glied der Kirche, um mit Hilfe der weltlichen Obrigkeit die reine Lehre und rechten Gottesdienst effektiv auszubreiten. Er hat weltliche Obrigkeit als Glied der christlichen Gemeinde und als weltliche Gewalt klar unterschieden. Jedoch erhielt die weltliche Obrigkeit dadurch sowohl als Hüterin der externa und zugliech als membrum praecipuum ecclesiae eine unschätzbare Bedeutung in der Kirchenfrage. Daraus entwickelte sich eine Tendenz der Deutung die weltliche Obrigkeit als „das vornehmste Glied der Kirche“ und mit dieser Deutungstendenz ergab sich die Rechtfertigungsgrundlage der Herrschaftserweiterung der Obrigkeit in der Kirchenfrage. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts soll sich diese Deutungstendenz zu einer monarchischen Herrschaftslehre entwickelt haben, wie im nächsten Abschnitt zu zeigen wird. Vgl. R. Nürnberger, Kirche und weltliche Obrigkeit bei Melanchthon (wie Anm. 563), S.  33 ff. 824  „Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl.  Tt 7b; „ /  aus der Gottlichen zuhauff fugung vnd Erhaltung des ehrlichen Ehestandes […] /  dz solche heusliche regiment vnd richtliche ordnung in stedten vnd Landen […] /  Das ein Gott sey dem solche heusliche Regiment vnnd richtliche Ordnung gefalle /  Vnnd derwegen Er selbst /  den ehrlichen Ehestandt ordne […]Auch nach seinem willen Haus vnnd weltliche Regiment erhalte oder verendere.“ Ebd. Bl. 21–22.; „es sey gleich im Welt­ lichen Regiment /  oder in der hausahltung /  ausrichten.“ Trewe Warnung an meinen lieben Preussen. Für Der vnchristlichen Gemeinschafft mit den Gottlosen vnd hochschedlichen CALVINISTEN. Königsperg 1575 [HAB Wf. 231. 23. Theol. 11]. Bl. C iiij. Im Folgenden Trewe Warnung an meine lieben Preussen. 825  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. D vv–D vi. 826  „ /  Nemlich /  die Weltliche Obrigkeit sey das furnembste glied der Kirchen Christi /  die Weltliche Obrigkeit habe /  vermöge jrer Weltlichen herschafft /  frey vnd gerechtigkeit Krichendiener zu wehlen /  zuberuffen /  vnd auffzustellen. Das solt wol ein wtück sein vom Bepstlichen Keiserthumb /  von dem der liebe Lutherus lengst zuuor geweissagt.“ Notwendige entschuldigung (wie Anm. 390), Bl. P 2; „Doctor Frantz Pfeil /  als ein newer weltlicher Bapstesel /  vnd schreibt /  das die weltliche



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius223

Heshusius: „Als dan hat die Oberkeit /  die Christum nicht allein mit worten /  sondern auch mit der that bekennet /  fug vnd recht /  nicht als das furnembste glied /  sondern als mitgliedmassen /  vnd pfleger der gemeine Gottes /  trewe rechtschaffene  / reine Lerer zuberuffen vnd auffzustellen.“827 Heshusius wendet sogar ein, dass selbst wenn man die Dreiständelehre in solcher Weise auslegen wollte, der status ecclesiasticus wohl ein höherer Stand als der status politicus sei: „Wenn man redet vom Reich Jhesu Christi vnd seiner Kirchen /  so mus das heilig predigamt dem Weltlichen Regierstand furgezogen werden. Wenn das bestehen sol /  das die Weltliche Regenten vngeachtet ihres Christenthum das furneme glied der Kirchen Christi were /  von wegen jhrer Oberkeit vnd habenden gewalt […] Also ist die ander proposition in diesem Argument /  das die wahl der Pfarherr allein bey den furnemen gleid stehen müsse /  falsch vnd nichtig […] so wolte daraus folgen /  das nicht die Oberkeit /  sondern die Bischoffen vnd Lerer als die in höhere stand sind /  die gewalt haben müssen.“828 An den Aufgaben der Kirche bzw. Gemeinde (Electio, Vocatio, Examen, Confirmatio usw.) nehmen alle ihre Glieder gleichberechtigt teil,829 und sie handeln insoweit in gemeindlich-genossenschaftlicher Weise,830 denn in der wahren Kirche stehen alle Glieder zu Christus als dem Haupt in gleichem Verhältnis: „Also wenn man der Kirchen fürnemes gliedt /  ohn alle vergleichung vnd anhang nennet /  versteht man ja anders niemandt denn Jesum Christum selbst.“831 Deshalb ist jede Art weltlicher Herrschaft in der Kirche Oberkeit sey das furnembste glied der Kirchen /  welches doch jm nicht were einzureumen.“ Ebd. Bl. P 2v. 827  Notwendige entschuldigung (wie Anm. 390), Bl. P4v; „ /  vnd die weltliche Oberkeit /  die Chrsitum rechtschaffen bekennet /  hat hiezu als ein fürnemes glied der Kirchen /  neben andern Eltesten vnd Pfarherrn /  fug vnd macht einzureden.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. K ii v; „ /  zweifel ich nicht diese predig werde desto mehr ansehens haben bei fromen christen E.E. als ein fürnemes glied der kirchen Jr zeügnus geben.“ DJe Dritte Predig (wie Anm. 422), Bl. A iiv. 828  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. O vv–O viv. 829  „Jr Regenten seit jha nicht allein Gottes Kirche /  so ist man euch auch keins wegs gestendig /  das jhr allein in Kirchen Geistlichen sachen vrtheil fellet /  wie wenig jr von Gottes Wort /  vnd heiligem Predigampt verstehet.“ Notwehr (wie Anm. 355), Bl. G iiv. 830  „ /  Sondern werden die gantze Gemeine jre Freiheit vnd Gerechtigkeit /  gern vnperturbiret lassen besitzen vnd gebrauchen /  denn auch mit nichten zu dencken /  als hette Paulus dem Tito mechtiglichen heimgestellt /  das er ohn alle besprechung vnd Consens /  der Gemeine nach eignem gudüncken allein sollte die Stedte mit Eltesten besetzen /  vnd der Kirchen Prediger fürstellen /  sondern das er mit raht /  wis­ sen vnd willen der Kirchen /  allenthalben solches verrichten sol /  vnd die Gemeine dahin vermanen vnd halten.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. P viv. 831  Gründltliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. C iiv; „Von der wahl /  beruff vnd annemung der Seelsorger /  vnd Kirchendiener /  leren vnd bekennen wir /  das der

224

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

ausgeschlossen.832 Auch die Regenten bzw. reichen Leute und Stifter der Kirche dürften ihr ius patronatus nicht so deuten, dass sie dadurch ihre Macht in der Kirche erweiterten, indem sie z. B. bei der Wahl der Kirchendiener eingriffen: „wenn man aber Ius patronatus so weit will extendiren /  das man will haben die macht Kirchendiener zu welen /  anzunemen vnd zu bestetigen /  vnd wenn es jnen gefellig /  wider anzuschaffen vnd zu verjagen /  wie es viel im Bapstum also practiciret haben /  auch etliche noch zur zeit gefunden werden /  die aus vnuerstand das Ius patronatus so weit /  lang vnd breit deuten wollen /  solchs ist keins weges nachzugeben /  denn es were ein vnbilliger vnd vnchristlicher handel.“833 Am besten soll die Kirche das ius patronatus verwalten, indem sie geeignete Leute aufstellt: „Das solchs wol kann nachgegeben werden /  Nemlich /  tüchtige Personen zu denominiren vnd Praesentiren.“834 Das ius patronatus dürfe gewährt werden, solange es die Freiheit der Kirche gewährleiste: „Wenn dz Ius patronatus in diesen terminis bleibet /  das der /  so der Kirchen etwas vermachet /  Rente gestiffet /  vnd von alters er Ius patronatus hat /  macht habe in mangel der Kirchendiener /  eine gelerte vnd tüchtige Person um Predigampt zu nominieren /  vnd der Kirchen zu praesentiren /  also das der Kirhce jre freie wahl /  vnd das Son Gottes Jesus Christus /  da er das Predigampt gestifft vnd geordnet /  die gerechtigkeit vnd gewald Prediger zu wehlen vnd auffzustellen /  nicht der weltlichen Obrigkeit als Obrigkeit /  sodnern seiner lieben Kirchen vnd Christlichen gemeinen /  gegeben /  vnd sie damit herrlichen verehret.“ Notwendige entschuldigung (wie Anm. 390), Bl.  P; „ /  da sich die Christliche Oberkeit zum heiligen Euangelio bekennet /  vnnd ein fürnemes Gliedmass ist der Christlichen Kirchen. Derwegen sie sampt vnd mit der gemeine Gottes in erwelung der Prediger vnd Seelsorger zustim­ men […]  /  das die wahl vnd beruffung der Seeslroger nicht zur Weltlichen Regierung gehöret /  sondern vom Son Gottes Jesu Christo der lieben Kirchen GOTes /  mechtiglichen vbergeben sey.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. O–Oii. 832  „denn solcher gewalt wollen sie /  als die Christliche Oberkeit /  vnd gliedmas­ sen der Kirchen gebrauchen.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. A viiv– A viii; „Vnd diese höheste vnd letzte Execution des Predigampts /  steht nicht bey der Oberkeit /  die niemands aus der Kirchen hat zu bannen /  sondern bei der Gemeine Gottes.“ Ebd. Bl. N viv. 833  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. P iiiv–P iiij; „ /  wenn man aber Ius patronatus soweit will extendiren /  das man will haben die macht Kirchendiener zu welen /  nazunemen vnd zu bestetigen /  vnd wenn es jnen gefellig /  wider abzu­ schaffen vnd zu verjagen /  wie es viel im Bapstum also practicirt haben /  auch etliche noch zur zeit gefunden werden.“ Ebd. Bl. P iii v; „Wenn man aber Ius partronatus so weit extendiret /  das wer dasselbige hat /  sol auch macht haben Prediger seines gefallens zubeurffen /  anzunemen /  der Kirchen auffzudringen /  die vocation zu con­ firmiren /  wenn es jhm gefellet /  den Prediger abzuschaffen /  die Kirchen Reten einem ander /  den die Kirche nicht vociret hat /  zuuerleihen /  das ist dem Göttlichen wort stracks zu wider /  kann auch aus grund des Rechtens nicht dargethan werden.“ Ebd. Bl. P v. 834  Voma Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. P iiiv.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius225

Iudicium in examine vnuerhindert bleibe /  vnd das absetzen der Prediger nicht bey den Patronis, sodnern bey dem Iudicio Ecclesaistico stehe.“835 Heshusius bejaht zwar das Ansehen und die Würde der Obrigkeit in der Kirche wie sein Lehrer Melanchthon. Deshalb übernimmt er Melanchthons Bezeichnung für die Obrigkeit als praecipuum membrum ecclesiae wörtlich: “Hoc autem loco tradit Apostostus praecipuè haec membra de politico magistratu.“836 Aber er lehnt, wie oben erwähnt, im Begriff der Obrigkeit als praecipuum membrum ecclesiae deren verfassungsrechtlichen Aspekt, auf den die monarchische Dreiständelehre gerne zielen will, strikt ab: „Aber dieser frecher Jurist /  vnd feind Gottes /  setzt auch newe Lere vnd Artickel des Glaubens /  Nemlich /  die Weltliche Obrigkeit sey das furnembste glied der Kirchen Christi /  die Weltliche Oberkeit habe /  vermöge jrer Weltlichen herschafft /  frey vnd gerechtigkeit Kirchendiener zu wehlren /  zuberuffen /  vnd aufzustellen. Das solt wol ein stück sein vom Bepslichen Keiserthumb /  von dem der liebe Lutherus lengst zuuor geweissagt.“837 Für ihn darf die Obrigkeit in der externa der Kirche gerade nicht vorangehen, wie sie im bürgerlichen Leben den Untertanen vorangeht. Die Obrigkeit darf sich aus der Reihe der übrigen Kirchenmitglieder trotz ihres sonstigen Ranges als das „fürneme“ Glied nicht herausheben, was auch von den zeitgenössischen Juristen bevorzugt so interpretiert wurde und den Weg zum patriarchalen Obrigkeitsstaat öffnete. Heshusius‘ Auffassung nach könne die Obrigkeit an kirchlichen Angelegenheiten nicht als Monarch bzw. Souverän, sondern nur als Christ bzw. Glied der Kirche aus der Liebespflicht heraus teilnehmen: „Von der wahl /  beruff vnd annemung der Seelsorger /  vnd Kirchendiener /  leren vnd bekennen wir /  das der Son Gottes Jesus Christus /  da er das Predigtampt gestifft vnd geordnet /  die gerechtigkeit vnd gewad Prediger zu wehlen vn dauffzustellen /  nicht der weltlcihen Obrigkeit als Obrigkeit /  sondern seiner lieben Kirchen vnd Christlichen gemeinen /  gegeben /  vnd sie damit herrlichen verehret.“838 In der Kirchen- und Bürgergemeinde könne es nur ein gemeinP iiijv–P v. 13 (wie Anm. 137), S. 389. 837  Notwendige entschuldigung (wie Anm. 390), Bl. P 2. 838  Ebd. Bl. O 4v. „ /  Nemlich /  die Weltliche Obrigkeit sey das furnembste glied der Kirchen Christi /  die Weltliche Obrigkeit habe /  vermöge jrer Weltlichen her­ schafft /  frey vnd gerechtigkeit Krichendiener zu wehlen /  zuberuffen /  vnd auffzustellen. Das solt wol ein wtück sein vom Bepstlichen Keiserthumb /  von dem der liebe Lutherus lengst zuuor geweissagt.“ Notwendige entschuldigung (wie Anm. 390), Bl.  P 2; „Als dan hat die Oberkeit /  die Christum nicht allein mit worten /  sondern auch mit der that bekennet /  fug vnd recht /  nicht als das furnembste glied /  sondern als mitgliedmassen /  vnd pfleger der gemeine Gottes /  trewe /  rechtschaffene /  reine Lerer zuberuffen vnd auffzustellen“. Ebd. P 4v; „das die Oeberkeit aus Gottes Wort 835  Ebd.

836  Römer

226

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

sames aristokratisches Regiment geben, was ein deutliches Zeichen dafür ist, dass sich Heshusius’ Herrschafts- und Ordnungsvorstellung völlig im Rahmen der „konsensgestützten“ Herrschaftsformen bewegte.839 Heshusius gebrauchte also die Dreiständelehre ausschließlich in ihrer vom reformatorischen Prinzip des allgemeinen Priestertums geprägten, egalisierenden Fassung. Diese Auffassung zeigt sich ebenfalls in seiner Schrift „Vom Ampt vnd gewalt“. Im Zusammenhang mit der Argumentation der obrigkeitlichen Juristen, die Obrigkeit habe das ius vocandi, da sie das vornehmste Glied der Kirche ist, antwortete Heshusius: „Fürs Erst /  Wird von etlichen fürgewand /  als müste die wahl vnd beruff der prediger aus der vrsachen bey der weltlichen Oberkeit beruhen vnd stehen /  das dieselbige sein sollte der Kirchen fürnemes glied.“840 Heshusius weist diesen Herrschaftsanspruch des status politicus strikt zurück: „Aber ein Christ hat hie gar leicht zu mercken /  das solchs gantz vnbescheidentlich geredt wird. Denn aus Gottes Wort nicht zubeweisen ist /  das die Weltliche Herrschaft der Kirchen fürnemes Glied sey /  viel mehr zeuget die heilige Göttliche Schrifft /  das der Kirchen einiges Heupt vnd fürnemstes Glied sey Jesus Christus Gottes eingeborner Son.“841 Heshusius wendet zudem ein, dass selbst wenn man die Dreiständeordnung in dieser Weise auslegen wollte, der status ecclesiasticus wohl ein höherer Stand als der status politicus sei: „Wenn man redet vom Reich Jhesu Christi vnd seiner Kirchen /  so mus das heilig predigamt dem Weltlichen Regierstand furgezogen werden. Wenn das bestehen sol /  das die Weltliche Regenten vngeachtet ihres Christenthum das furneme glied der Kirchen Christi were /  von wegen jhrer Oberkeit vnd habenden gewalt […] Also ist die ander proposition in diesem Argument /  das die wahl der Pfarherr allein bey den furnemen gleid stehen müsse /  falsch vnd nichtig […] so wolte daraus folgen /  das nicht die Oberkeit /  nu gewis sein kann /  das sie ihm Rechten /  Seligen /  Gott behaglichen Stande /  sey auch ein fürnemes Gliedt der Kirchen /  sofern sie treuwe Lehrer handt habet /  vnd nicht verfolget reine Lehrer vnnd den Gottesdienst fürdert /  vnd die Abgötterey /  vnnd andre grewel wieder Gottes Wort abschaffent. Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. C iiijv. 839  „Von der wahl /  beruff vnd annemung der Seeslorger /  vnd Kirchendiener /  leren vnd bekennen wir /  das der Son Gottes Jesus Christus /  da er das Predigampt gestifft vnd geordnet /  die gerechtigkeit vnd gewald Prediger zu wehlen vnd auffzustellen /  nicht der weltlichen Obrigkeit als Obrigkeit /  sondern seiner lieben Kirchen vnd Christlichen gemeinen /  gegeben /  vnd sie damit herrlichen verehret.“ Notwendige entschudlgung (wie Anm. 390), Bl.  P; „ /  auch die Oberkeit macht habe Prediger zubeurffen /  ohn Ortern da die Oberkeit Gottlos ist /  sonst hat Christliche Ober­ keit gleiche stimme mit vnd neben andern Christen.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. M vii. 840  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. O v. 841  Ebd.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius227

sondern die Bischoffen vnd Lerer als die in höhere stand sind /  die gewalt haben müssen.“842 Heshusius’ Betonung der aristokratischen Dreiständelehre kommt am deutlichsten in seiner „Gründtlichen wiederlegung“843 zum Ausdruck. Da die hier geführte Argumentation für unsere Fragestellung von Belang ist, wird die Schrift an dieser Stelle ausführlicher behandelt. Als der Rat von Magdeburg zur Rechtfertigung seines Vorgehens gegen Heshusius zwei Schriften des Ratssyndikus Frantz Pfeil844 veröffentlichte und darin unter Berufung auf die monarchische Dreiständelehre den Herrschaftsanspruch der Obrigkeit auf das geistliche Amt und insbesondere das ius vocandi hervorhob, verfasste Heshusius diese Streitschrift zur Widerlegung. Bevor er seine Argumentation beginnt, erinnert Heshusius den Rat von Magdeburg zunächst daran, dass Herrschaft der weltlichen Obrigkeit in zweierlei Hinsichten begrenzt ist: Erstens: Die weltliche Obrigkeit sei nicht aus eigenem Vermögen entstanden, sondern von Gott eingesetzt. Damit will Heshusius deutlich machen, dass das obrigkeitliche Amt und dessen Status allein von Gottes Gnaden seien und die Amtsführung dementsprechend an klare Bedingungen geknüpft sei. Zweitens: Die Obrigkeit dürfe ihre Herrschaft gegen Gott und Billigkeit bzw. das göttliche Gesetz, das Naturrecht und das positive Gesetz nicht ausüben: „ /  das die Weltliche Oberkeit von Gott gefügt ist /  ist Ordnung /  gesetzt /  Statuten /  vnd decreten zu machen /  im Weltlichen Leibssachen /  die nicht wieder Gott oder billigkeit seindt.“845 Diese Auffassung wiederholt sich im Zusammenhang mit der Gehorsamsforderung der Obrigkeit im weltlichen Bereich: „in Weltlichen Leibssachen /  die nicht wieder Gott oder billigkeit /  Erkenne mich auch Schuldig denen zu gehorsamen.“846 Die Formulierung erinnert an Melanchthons Rechtfertigung für den Widerstandsanspruch der Untertanen (lex Dei, naturae und humanae).847 Die Grenze des Gehorsams liege in Gott und Billigkeit bzw. in göttlichem, natürlichem und menschlichem Gesetz begründet. Hinsichtlich der Gewissens- und Religionssache könne der Untertan der Gehorsamsforderung der weltlichen Obrigkeit nicht nachkommen, wenn diese wider Gott und Billigkeit sei. Diese Argumentation bekräftigt Heshusius mit der Bibelstelle aus Apg. 5, 29: „Wolte aber Jeroboam dem armen Küh hirten Bl. O vv–O viv. wiederlegung (wie Anm. 374). 844  Notwendige Protestation (wie Anm. 510), Bl. D iii; Des Radts der Altenstadt (wie Anm. 510), Bl. B ii. 845  Ebd. Bl. A iiijv; Siehe dazu den Abschnitt clementia. 846  Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. A iiijv. 847  Siehe den nächsten Abschnitt IV. 2.3.6 Die leges divinae, naturae und humanae. 842  Ebd.

843  Gründtliche

228

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Amos mit dem Schwert drawun must man sagen: Acto Oportet Deo magis obedire quam hominibus.“848 Erst dann beginnt Heshusius seine Argumentation. Zunächst gibt er die Meinung seines Widersachers Franz Pfeil bzw. des Magdeburger Rats wieder, in der Heshusius ein Missverständnis vorgehalten wird. Der Rat habe nicht, wie Heshusius behaupte, geäußert, die Obrigkeit sei das vornehmste Glied der Kirche und das Haupt der Gemeinde. Diese Formulierung stamme vielmehr von Heshusius selbst.849 Heshusius widerlegt diese Behauptung von Pfeil, indem er zunächst darauf aufmerksam macht, dass dieser ausdrücklich gesagt habe: „Die Oeberkeit sei der Kirchen fürnemes Glied“.850 Heshusius räumte allerdings ein, diese Formulierung von Pfeil „verdeutlicht“ zu haben, indem er aus dem Positiv „fürnemes“ den Superlativ „fürnemstes“ gemacht habe. Pfeils Empörung darüber sei aber gegenstandslos, weil dadurch lediglich hervorgehoben werde, was dieser ohnehin gesagt habe. Letztlich sei der Sinn bereits durch die Wortstellung bestimmt, wie Heshusius demonstriert, indem er diejenigen, die Deutsch sprächen, befragt, ob sie denn tatsächlich keinen Unterschied zwischen den folgenden Sätzen merkten: „Die Oeberkeit ist der Kirchen fürnems gliedt /  vnd wenn ich sage. Die Oeberkeit ist ein fürnems gliedt /  der Kirchen.“851 Heshusius fährt fort, dass man den Unterschied zwischen beiden Sätzen noch deutlicher merke, wenn diese ins Lateinische übersetzt werden: „Magistratus est praecipuum membrum ecclesiae. Laut viel anders /  denn wenn man sagt /  Magistratus est unum de praecipuis membris Ecclesiae, Denn wenn das (Praecipuum) das (fürneme) so gar allein stehet /  weiset es stracks auff das höheste vnd fürnembste.“852 Damit scheint Heshusius die hochraffinierte Strategie des Rates zu entzaubern und macht deutlich, dass er den wahren Sinn verstanden habe, als Frantz Pfeil die Worte „fürnehmes Glied“ gebrauchte. Er führt dazu weiter aus: Wenn jemand frage, wer der „fürnehme“ Herr im Römischen Reich sei, wüssten alle, dass damit keinesfalls ein Kurfürst noch irgendein anderer Fürst, sondern nur der römische Kaiser selbst gemeint sein könne.853 Und an einem weiteren Beispiel zeigt sich: Man werde den wahren Wortsinn des Rats noch deutlicher erkennen, wenn man dieses Wort auf den Körper bezöge. Man verstehe unter „das fürnehme Glied“ nicht ein Auge oder eine Hand, sondern das Haupt selbst. Ostentativ schließt Heshusius den ersten Abschnitt seiner Argumentation ab: 848  Gründliche 849  Ebd. 850  Ebd. 851  Ebd. 852  Ebd. 853  Ebd.

C ii.

wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. B.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius229

„Also der Kirchen fürnemes gliedt sei niemand anders als Jesus Christus selbst.“854 In dieser Körpermetapher erweist sich deutlich Heshusius’ aristokratische Dreiständelehre als Herrschafts- und Ordnungsvorstellung. Heshusius blieb zwar der Idee des corpus christianum im Sinne des Mittelalters verhaftet, doch er gebrauchte zum Verhältnis der Rangordnung von Kirche und „Staat“ innerhalb des corpus Christi keineswegs die Argumentation der Kirche im Mittelalter – die sich als in der Herrschaft der Seele über den Körper in Erscheinung tretende hierarchische und funktionale Analogie artiukuliert –, um die Vorrangstellung der geistlichen Gewalt gegenüber der weltlichen Gewalt innerhalb des corpus Christi zu stabilisieren.855 Er bediente sich kaum des die augustinische Anthropologie beherrschenden Dualismus von Seele und Körper bzw. des aus dem zwischen Seele und Körper bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses zur Regelung der Rangordnung beider Gewalten. Die weltliche Obrigkeit war für ihn nur ein Teil der ecclesia als corpus Christi neben den beiden anderen Teilen des christlichen Körpers, dessen Haupt allein Jesus Christus ist. Für Heshusius war die weltliche Obrigkeit keineswegs das Haupt des christlichen Körpers, das die Funktion und Tätigkeit aller anderen Glieder des Körpers allein bestimmt und lenkt. Aus einer solchen Sichtweise nämlich war der christliche Körper bzw. das Gemeinwesen nur als ein von dieser Steuerungsinstanz, nämlich von diesem Haupt abgelöstes Objekt beschrieben worden. Deshalb betont Heshusius im Zusammenhang mit dem ius vocandi in seiner Magdeburger Schrift „Vom Ampt vnd gewalt“: Der Herr der Kirche und der ganzen Christenheit sei weder der geistliche Stand noch der weltliche Stand, sondern Christus allein. Das Recht der Predigerwahl gehöre darum allein der ganzen Gemeinde: „ /  der ewige Sohn Gottes Jesus Christus /  ist vnd bleibt allein das Heupt seines Leibs /  vnd der HERR /  Heiland vnd Seligmacher seiner Christenheit […]  /  vnd nicht die Geistliche allein /  noch die weltliche Regenten allein […] das oberste Gericht /  Bottmessigkeit vnd Zwang hat in allen Geistlichen Sachen die Seligkeit antreffende /  so erweiset sichs /  das auch die Christli­ che Gemeine /  vnd nicht die weltliche noch Geistliche personen berechtiget vnd befugt sey /  Prediger zu beruffen /  vnd wenn sie es verdienen /  wider zu enturlauben […] Wenn die wahl der Prediger /  das oberste Gericht in Kirchen sachen /  die Regierung der Kirchen einem stand allein /  entweder der weltlichen Oberkeit /  oder den Geistlichen vbergeben were /  wollte daraus folgen /  das der son Gottes seine Herschafft vber der Kirchen gewissen Leuten auff Erden vbergeben hette […] Denn wer im allein anmasset die 854  Ebd.

855  T. Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung (wie Anm. 594), S. 87–98.

230

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

wahl vnd entsetzung der prediger /  der setzt sich stracks zum Herrn der Kirchen: Weil nu Christus stets bleibt das heupt der Kirchen.“856 Diese aristokratische Herrschafts- und Ordnungsvorstellung im Zusammenhang mit dem Gebrauch der Körpermetapher kommt, wie oben erwähnt, an anderer Stelle in derselben Schrift deutlicher und ausführlicher zum Ausdruck. Die Obrigkeit, so Heshusius, habe nur als membrum Christi wie die Glieder des menschlichen Körpers dem Haupt, das heißt Jesus Christus zu folgen: „Das die Oeberkeit sei das Heupt der Kirchen ist ein elend der behelff. Denn mit dem lesterlichen wort /  darin er gesetzt die Oeberkeit sei der Kirchen Gottes fürnemes gliedt /  hat er sie nicht allein zum Häupt desselben /  sondern auch zum Schöpffer vnd Heilandt /  ja zum Gott vber Himmel vnd Erden gesetzt /  vnd vber alles erhaben. Wenn jemandts on allen vorbehalt geding /  oder erklerung des Leibs fürnems gliedt nennet vnnd deutet /  ist niemandts so grob /  der es von der handt oder vom Auge verstehe /  sondern iedermenniglich der vernunfft hat /  vnd der Reden art kennet /  deutet auffs Häupt. Also wenn man von fürnemen gliedt des Leibs Christi /  der Allgemeinen Gottes Kirche redet /  sol vnd muss es von keinem andern /  von Häupt /  Herrn vnd Heilandt Jhesu Christo verstanden werden. Wenn mann von andern fürnemen Gliedern Reden will die zum Leibe Jhesu Christ gehöre /  vnd doch das Häupt nicht seint /  muss solches mit guter bescheidenheit geschehen.“857 Heshusius vertritt damit dieselbe Ansicht wie die Theologen und Juristen im Mittelalter und noch des 16. Jahrhunderts, dass das Gemeinwesen erst dann in guter und harmonischer Ordnung ist, wenn alle seine Glieder innerhalb der ihnen von Gott jeweils zugedachten Funktionsbereiche als memb­ rum corpus Christi gleichberechtigt und kommunikativ mitwirken. Der „Staat“ bzw. der politische Körper kann erst dann seinem göttlichen Bauplan gemäß reibungslos funktionieren, wenn er nur im Rahmen des corpus Christi als deren Einzelteil mitwirkt und harmonisch mit den beiden anderen Teilen des corpus Christi im Zusammenspiel steht und so das Gleichgewicht bzw. das gleichberechtigte Kräfteverhältnis innerhalb der drei Stände des corpus Christi bewahrt, das heißt nicht in des anderen Amt eingreift. Deshalb rief er unermüdlich das gleichberechtigte Kräfteverhältnis der drei Stände des corpus Christi auf, sobald dieses Gleichgewicht gestört werden könnte: „Dann der Son Gotes gestehet keinem Regenten einiges gebots oder verbots in seinem Geystlichen reych /  welches er mit seinem tewren Blut erworben /  vnnd mit seinem klaren Wort gefasset vnnd befridet hat /  Dann da Christus sagt /  Gebt dem Keyser was des Keysers ist /  vnd Gottes was Gottes ist /  verbeut es dem Keyser vnd allen Regenten /  das sie 856  Vom

Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. M v ii–M v iiiv. wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. C iiij–C iiijv.

857  Gründliche



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius231

dem lieben Gott inn sein geystlich Reych als inn einer frembden Herrschafft keinen eingryff thun sollen /  sondern das gehn lassen wies Gott verordnet.“858 Im zweiten Abschnitt seiner Widerlegung setzt sich Heshusius mit den Argumentationen der monarchischen Dreiständelehre auseinander und vergleicht diese mit der aristokratischen Dreiständelehre. Das vornehmste Glied der Kirche sei nicht die weltliche Obrigkeit, sondern Christus: „Die Oeberkeit sei der Kirchen fürnems gliedt /  das hab ich angefochten /  vnd fechte es noch an /  zur rettung der ehr /  vnd herrligkeit /  vnseres Herrn vnd Heilandts Jesu Christi /  der das fürneme /  erste höheste vnd beste gliedt der Kirchen ist“.859 Die Obrigkeit sei nur ein vornehmes Glied der Kirche neben den beiden anderen: „das die Oeberkeit wol ein fürnemes /  für anderen gemeinen Gliedern /  aber doch nicht der Kirchen fürnemes Gliedt were /  welchs Christus Jesus allein ist.“860 Die Obrigkeit habe demzufolge keineswegs das Recht, Pfarrer ein- und abzusetzen: „das die Oeberkeit besondere freiheit vnnd Recht habe an Wahl /  Beruff /  Bestellung /  vnnd absetzung der Kirchendiener /  fast auff diesen grund bauwen wol /  das die Oeberkeit der Kirchen fürnemes Gliedt sein solle“.861 Aber auch der geistliche Stand habe keinen Anspruch, Prediger zu berufen und zu entlassen, obwohl er im Vergleich zum Stand der Obrigkeit ein höherer sei: „das wir ein Pfarrer /  Bischoff […]  /  ob er wol ein fürnemes gliedt der Kirchen ist /  vnd in etwas höhern stande /  denn die weltliche Regenten /  dennoch im nicht anmassen soll /  besondere Gerechtigkeit oder Recht /  an beruffung oder absetzung der Kirchendiener […] also auch aus dem /  das die Oeberkeit ein fürnemes gliedt der Kirchen /  doch im geringen stande denn die Pfarrherrn nicht folgete das sie darumb befügt weren mit der freiheit vnd Herrligkeit.“862 Schließlich schreibt Heshusius das ius vocandi der ganzen Gemeinde zu, weil Christus ihr dazu das Recht verliehen habe: „die der gemeine Gottes von rechtswegen /  aus begnadung Jhesu Christi /  des sons Gottes zustendig ist.“863 Er fordert dann mit Bezug auf Luthers Obrigkeitsverständnis, diese solle nicht versuchen, das Haupt der Kirche zu sein, was eine gottlästerliche Handlung sei,864 sondern sich damit zufrieden geben, dass sie ein von Gott eingesetzter Stand der Kirche wäre. Ihren Rang und Wert erhalte sie nur, wenn sie als Gliedmaß der Kirche ihre Pflicht und Aufgabe als custos utri­ usque tabulae erfülle: „das die Oeberkeit aus Gottes Wort nu gewis sein (wie Anm. 156), Bl. A iiiv–A iiij. wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. C iii. 860  Ebd. Bl. C iiiv. 861  Ebd. 862  Ebd. 863  Ebd. 864  Ebd. Bl. C iiijv. 858  Vrsach / Warumb 859  Gründliche

232

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

kann /  das sie ihm Rechten /  Seligen /  Gott behanglichen Stande /  sey auch ein fürnemes Gliedt der Kirchen /  sofern sie treuwe Lehrer handt habet /  vnd nicht verfolget Reine Lehrer vnnd den Gottesdienst fürdert /  vnd die Abgötterey /  vnnd andre grewel wieder Gottes Wort abschaffent.“865 Es lässt sich feststellen, dass Heshusius die Dreiständelehre als Kirchenverfassungs- und Gewaltenteilungsprinzip in paulinischer, mittelalterlicher Tradition866 in Verbindung mit der vom reformatorischen Grundsatz, insbesondere vom Prinzip des allgemeinen Priestertums geprägten, egalisierenden Auffassung vertrat und anwendete. Für Heshusius war die weltliche Obrigkeit nur ein Teil des Gemeinwesens, sei es einer Stadt, eines Territoriums und / oder eines Reiches. Heshusius war durchaus die mittelalterlich-hierarchische Dreiständestruktur innerhalb der Kirche bekannt, also die Dreiständelehre in ihrer auf die mittelalterliche Tradition zurückgehenden, differenzierend-hierarchischen Gestalt, wie sie in der lutherischen Theologie wieder heimisch geworden war.867 Der Stand der Kirche wurde bei ihm auch als höherer Stand dargestellt: „weil die Pastores vnd Lerer /  nach dem spruch Pauli /  im höheren stand sein /  vnd etwas herrlichere glieder /  denn die Regierer vnd Obrigkeit /  so haben die Lerer vnd Pastores mehr fry vnd gerechtigkeit /  andere Prediger / der Gemeine für zustellen /  denn weltliche Regenten“868. Der Stand der Obrigkeit war der Kirche – wohl nicht nur auf Funktionsebene, sondern 865  Ebd.

866  Gemeint ist die von Paulus im 1. Korintherbrief dargelegte und von Luther wieder entdeckte Ansicht, in der die in der ecclesia zusammengeschlossene Gemeinschaft aller Gläubigen als ein corpus Christi verstanden wurde. Folglich werden auch der „Staat“ und die Kirche als irdische Organisationen als gleichberechtigter Teil dieses corpus Christi aufgefasst. Heshusius begreift somit das Herrschafts- und Ordnungswesen in diesem von der ecclesia als corpus Christi gebildeten organischen Zusammenhang in Übereinstimmung mit der als ein gleichberechtigtes Zusammenwirken aller Glieder des corpus Christi zum gegenseitigen Nutzen. T. Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter (wie Anm. 594), S. 92–93. Die Ansicht, dass dem status ecclesaisticus der Primat gegenüber den anderen beiden Ständen zukommt, soll angesichts dieses Befundes revidiert werden. Vgl. R. Anselm, Art. Zweireichelehre (wie Anm. 186), S. 779. 867  Ausdrücklich zu betonen ist, dass Heshusius keineswegs diese Ansicht vertrat. Vgl. dazu R. Anselm, Ekklesiologie als kontextuelle Dogmatik (wie Anm. 207), S.  219 ff. 868  Nowendige entschuldigung (wie Anm. 390), Bl. P 3; „Matth.18 vbergibt der Herr Christus nicht der weltlichen herschafft /  sondern seiner Gemeine das höheste gericht /  vnd gewald in Kirchen sachen /  vnter welchen fast die furnembsten sind“ Ebd. Bl. P 3b; „Ein Diener aber des heiligen Euangelij hat einen höhern vnnd grössern befehl /  der sich viel weiter streckt. Er prediget nicht allein von Bürgerlicher gerechtigkeit.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B vi v; „dz die Oberkeit /  die doch ein geringer ampt füret /  solche macht hat /  vnd ein Pfarrherr der viel ein



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius233

auch auf Statusebene – untergeordnet: „Vnd dis ist die vrsache dieses vnterscheids /  dz die Oberkeit /  doe doch ein geringer ampt füret /  solche macht hat /  vnd ein Pfarrherr der viel ein hoher /  herrlicher vnd heilige ampt hat /  den alle Keiser vnd Könige /  solche macht nicht hat.“869 Der Stand des Hausvaters wurde als niederster Stand bezeichnet: „In dem vn­ tersten Stande gehet es auch also zu /  das ihm der gemeine Mann lest Weib vnd Kindt /  Haus vnd Hoff /  zeitliche narung /  vnd dieser Welt Güter so hart angelegen sein.“870 Heshusius waren auch die hierarchischen Gliederungen innerhalb jedes Standes bekannt: „Wenn die Eltern die Kinder /  oder die Obrigkeit die Vn­ terthanen zu falscher Lehre vnd vnrechtem Gottesdienst zwingen wollen. Die Kinder vnd Vnterthanen aber /  aus Gottes furcht nicht gehorchen noch folgen / sondern vber reiner vnd heilsamer Lehre bestendig halten /  Oder wenn die Schüle jren Lehrern in allen corrupteten vnd jrrthumen nicht beyfal geben.“871 Im Zusammenhang mit der Dreiständelehre als Kirchenverfassungs- bzw. Gewaltenteilungsprinzip muss noch geklärt werden, ob Heshusius Luthers Ansicht über die Dreiständelehre weiter differenzierte, ob sich also Heshusius von der Deutung der Dreiständelehre als ein bloßes Einteilungsprinzip bzw. ein allgemeines Ordnungsprinzip872 distanzierte. Die Vorstellung von hoher /  herrlicher vnd heiliger ampt hat /  denn alle Keiser vnd Könige.“ Ebd. Bl.  C iiij. 869  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. C iiij; „Nach dem Herrn Christo sind die fürnemesten Glieder der Kirchen /  Wie Paulus zeuget /  zum ersten die Apostel /  zum andern die Propheten /  darnach die Lerer vnd Pfarherrn /  daranch Wundertheter /  daranch Regenten /  etc. Weil denn Paulus die Regenten fast zu letzt zelet vnter die glieder der Kirchen /  vnd die Pfarherrn vnnd Lerer weit fürzeucht /  mag ja mit keinem schein der Warhheit fürbracht werden /  als sollte die Weltliche Oberkeit des Leibs Christi fürnemes glied sein […] Wenn man redet vom Reich Jhesu Christi vnd seiner Kirchen /  so mus das heilig Predigampt dem Weltlichen Regierstand furgezogen werden.“ Ebd. O v–O vv. 870  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am II. Sontage nach Trinitatis Luce 14. Bl. 17b. 871  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 14. Sontage nach Trinitatis / Luce 17. Bl.  81b; „Hie verbeut Gott alle verachtung vnd vngehorsam /  gegen den Eltern vnd Oberkeit /  mutwillen vnd fürwitz der Kinder oder vnterthanen /  vnfleiß oder vntrew im beruff /  versaumnus der Kinder vnd vnterthanen […] Hergegen aber fordert Gott Ehrerbietung /  Forcht /  Liebe vnd Danckbarkeit /  in den Kindern vnd vnterthanen /  gegen den Eltern vnd Oberkeit.“ Sechs Predigten vom Gesetz (wie Anm. 482), Bl. 229. 872  Heshusius bringt auch wie Luther in den verschiedensten Zusammenhängen ander Aufzählungen von verschiedenen Stände: „ /  das Gott ein gnediges wolgefallen daran hat /  wenn wir das recht auge /  so vns ergern will /  ausreissen /  vnd die rechte hand abhawen /  Vater /  Mutter /  Bruder /  Schwester /  Preceptores /  Oberkeit /  Freund / 

234

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

der Dreigliedrigkeit des kirchlichen bzw. politischen Körpers als Schöpfungsordnung ist bei Heshusius deutlich erkennbar. Wie sich bereits in der bisherigen Ausführung andeutete, bildeten die Stände bei Heshusius’ scharf voneinander geschiedene Sozialgruppen von Menschen. Jeder Mensch gehörte immer nur einer Sozialgruppe an. Das heißt, zum ordo politicus gehörten nun nicht mehr Könige, Fürsten, städtische Magistrate und alle möglichen Untertanen, wie z.  B. Bürger, Schiffsleute, Hausgesinde und Mägde usw., sondern nur die Amtsinhaber. Ebenso gehörten zum ordo ec­ clesiasticus nur die Amtsgeistlichkeiten. Da Heshusius dieses Verständnis von der dreigliedrigen Gesellschaft in seinen Schriften überwiegend verwendete, kann man davon ausgehen, dass es bei seiner Dreiständelehre tatsächlich um Dreigliedrigkeit des kirchlichen bzw. politischen Körpers bzw. um eine normativ-praktische Gesellschaftslehre ging. Folgt man der Ansicht des Sprachphilosophen John L. Austin (1911–1960), dass der Sinn und die Bedeutung eines Begriffs und einer Idee dadurch bestimmt sei, wie sie praxis- und wirkungsbezogen Verwendung finden,873 lässt sich diese Annahme bekräftigen. Eine Reihe von Belegstellen, wie im weiteren Verlauf zu zeigen sein wird, unterstreicht diese Annahme. Hier seien ein paar Beispiele genannt. In Heidelberg wurde Heshusius zum Pfarrer an der Heiliggeist-Kirche, zum Professor der Theologie, zum Präsidenten des Kirchenrats und zum Generalsuperintendenten der Kurpfalz ernannt. In diesen neuen Positionen, insbesondere aber als Pfarrer, blieb Heshusius seinen bisher verfochtenen Positionen treu. Seine Predigten sind häufiger Themenpredigten als Homi­ lien. Einige davon wurden in der Predigtsammlung „Acht Predigten von [der] Erkentnis Gottes“ gesammelt. In diese Predigtsammlung nahm Heshusius auch seine erste und die bald darauf gedruckte zweite Predigt auf. Letztere, „Die Andere Predig, Das Jesus Christus warer vnd Allmechtigker Gott sey“ erschien 1558 bei Carbo in Heidelberg.874 Heshusius widmete sie am 21. September 1558 dem kurpfälzischen Großhofmeister Graf Eberhard zu Erbach. Diese Predigt, die auch lehrhafte Züge der lutherischen Orthodoxie enthält, handelt von der rechten Erkenntnis Gottes zur Erlangung des christWohltheter vbergeben.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 14. Sontage nach Trinitatis / Luce 17. Bl.  81v. 873  Vgl. dazu E. Hellmuth / C. v. Ehrenstein, Intellechtual History Made in Britain: Die Cambrigdge School und ihre Kritiker (wie Anm. 66), S. 154 ff. und die dortige Anmerkungen; H.  Rosa, Ideengeschicht und Gesellschaftstheorie (wie Anm. 66), S. 207 ff.; Q. Skinner, Meaning and Unterstanding in der History of Ideas, in: Historical Thought 8 (1969), S. 3–53. Hier S. 45–48. 874  DJe Andere Predig Das Jesus Christus warer vnd Allmechtiger Gott sey. Heydelberg 1558 [HAB Wf. J 205. 4! Helmst. 13]. Vgl. P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 158–160.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius235

lichen Glaubens. Nach einem seelsorgerlichen Trost durch die Verheißung Jesu, die christliche Arbeit und Kirche auf Erden sei nicht vergeblich, da die Christen an der Herrlichkeit des Herrn teilnehmen würden, hebt Heshusius die Aufgabe eines Predigers hervor: „das wir gottes wort lauter vnd rain haben /  vnd glieder sind der gemeinen Gottes“875. In dieser Äußerung spiegelt sich deutlich die Definition der Dreiständelehre als eine dreigliedrige Gesellschaftslehre, in der zum ordo ecclesiasticus nur die Amtsgeistlichkeit und nicht mehr die Laien gehörten. Als normativ-praktische Soziallehre präsentiert sich die Dreiständelehre ebenfalls in seiner anderen Heidelberger Predigt. Heshusius widmete diese Predigt dem kurpfälzischen Hofrichter Erasmus von Venningen zu Küngspach. In dieser Predigt äußerte er: „weil E. E. als ein fürnemes glied der kirchen Jr zeügnus geben“.876 Mit der Bezeichnung „E. E.“ ist Ottheinrich, der Landesherr, Kurfürst und Pfalzgraf bei Rhein gemeint.877 Am deutlichsten kommt der Gebrauch der Dreiständelehre als normativ-praktische Soziallehre in der Bremer Schrift von 1562 an die niedersächsischen Städte zum Ausdruck: „Vnnd ob gleych die Oberkeyt anziehen wolte /  sie hette die vereinigung des Mandatas furgenommen /  als glidmassen der Kirchen /  so kan doch nyemandt leügnen / das wir Pfarrer vnnd Seelsorger /  auch ein thayl der Kirchen seind /  vnnd gebürt sich das man vnnsere Stymme auch höre inn den hohen Geystlichen sachen / “878 Die Äußerung „wir Pfarrer vnnd Seelsorger“ macht deutlich, dass zum ordo ecclesiasticus nur die Amtsgeistlichkeit gehörte und nicht mehr die Laien. Und die Äußerung „die Oberkeyt“ bezieht sich hier eindeutig auf die niedersächsischen Fürsten und Stände. Das heißt, dem ordo politicus gehörten nur die Amtsträger an und nicht mehr die Amtslosen wie Bürger, Hausmägde, Knechte, Schiffsleute und Hausgesinde usw. Ebenfalls kommt diese Verwendung der Dreiständelehre als eine dreigliedrige Gesellschaftslehre in seiner Magdeburger Schrift vor: „Jr Regenten seit jha nicht allein Gottes Kirche /  so ist man euch auch keins wegs gestendig /  das jhr allein in Kirchen Geistlichen sachen vrtheil fellet /  wie wenig jr von Gottes Wort /  vnd heiligem Predigampt verstehet.“879 Die Äußerung „Jr Regenten“, die sich auf Magdeburger städtische Magistrate und den Magdeburger Erzbischof Sigismund bezog, macht deutlich, dass zum ordo politicus nun nicht mehr die Amtslosen, sondern nur die Amtsträger gehörten. Ebenfalls zeigt sich diese Ansicht über die dreigliedrige Gesellschaft in seiner Helmstedter Predigt: „Ein Hauvater aber vnd Hausmutter /  die ire Kinder in Gottes furcht auffziehen /  Ein Prediger der trewlich lehret /  vnd für falsche Lehre warne /  Andere Predig (wie Anm. 875), Bl. A iiv. Dritte Predig (wie Anm. 510) Bl. A iiv. 877  Zur Person vgl. A. v. Reitzenstein, Ottheinrich von der Pfalz. Bremen 1939. 878  Vrsach / Warumb (wie Anm. 156), Bl. A iiijv–B. 879  Notwehr (wie Anm. 355), Bl. G iiv. 875  DJe 876  Dje

236

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Eine Obrigkeit die fleissig regiere […] Also wenn der Geitz in Weltliche Regenten gereth /  hilff gott welchen jammer richtet er da an: Wenn Keyser /  Fürsten /  Amptleute /  Rehte /  Bürgermeister /  Juristen geitzig sind /  so vergessen sie der Gerechtigkeit  /  schinden vnd schaden die arme Vnterthanen /  nehmen Geschenck /  beuten das Recht /  vnd wird die gantze Regierung gehindert /  vnd alles guten verderbet.“880 Also fasst Heshusius unter dem ordo politicus nur die Amtsinhaber zusammen. Ebenfalls findet sich diese Ansicht in seiner Magdeburger Schrift. Im Kontext des Missbrauchs der Schlüsselgewalt der Geistlichkeit äußerte sich Heshusius folgendermaßen: „Diese vnsegliche Sünde begehet der /  die Gewalt der Schlüssel zur Tyranney misbrauchet /  vnnd fromen Christen das Sarcrament aus hass vnd rachgir wegert […]  /  will sich’s gebüren /  das solchs an das Geistlich gericht /  oder Eltesten in der Gemeine werde gelanget /  vnd da es dermassen geschaffen vnd der Kirchendiener seiner Tyranney vberzeuget würde /  sol er billich in straff genomen /  vnd des Ampts entsetzt werden /  vnd die weltliche Oeberkeit /  die Christum rechtschaffen bekennet /  hat hiezu als ein furnemes glied der Kirchen /  neben andern Eltesten vnd Pfarherrn /  fug vnd macht einzureden.“881 Die Äußerung „Eltesten“ bezieht sich hier auf die Kirchenväter, nämlich auf die so genannten vermögenden Bürgerhauptleute. Das heißt, die drei Stände, die Heshusius hier verwendet, waren eindeutig identisch mit den drei Sozialgruppen, die scharf voneinander getrennt waren. Auch kommt diese Ansicht in seiner Helmstedter Predigt deutlich zum Ausdruck: „Das wird er sich setzen ins Predigampt /  in die Weltliche Regie­ rung /  in das Hausregiment /  vnd wir allenthalben ein Gottlos Epicurisch leben sein. Die Prediger werden offentliche Lügen und lesterung füren […] Die Weltliche Regenten werden zu Ryrannen werden /  keine trewe Lehrer mehr dulden wollen […] Der gemeine Mann wird auch mehr lust zu lügen vnd lesterung.“882 Heshusius gebraucht zwar die Begriffe Amt, Regierung und Regiment abwechselnd, aber er bezieht deutlich diese drei Stände (Predigtamt, weltliche Regierung und das Hausregiment) auf konkrete drei voneinander scharf getrennte Sozialgruppen, Prediger, Regenten und den gemeinen Mann. Abschließend sei noch eine Belegstelle genannt. Im Zusammenhang mit der Unterscheidung der Rolle und Funktion vom Predigtamt und von der 880  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl. 83v. 881  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. K iiv. 882  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 25. Sontage nach Trinitatis / Matth. Am 24. Bl. 139–139v.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius237

Obrigkeit äußert sich Heshusius in seiner Helmstedter Predigt folgendermaßen: „Denn das Predigampt ist nicht ewer […] Christliche Regenten sollen hie lernen /  das sie mit armen Vnterthanen nicht jhres gefalles fahren sollen […] Wenn gliech gorsse Hansen bitter vnd bös sind […] Ob nun gleich den Cantzler /  den Rathen /  ethlichen Amptleuten /  Bürgermeistern die vnschuld jhres Predigers bewust […] Solches sollen die Cantzler /  Räte /  Secretarien /  Amptleute /  Juristen /  Bürgermeister /  die offt zu wunderlichen hendelen gezogen werden.“883 Heshusius fasst hier wiederum unter den christlichen Regenten nur die soziale Gruppe der Amtsinhaber zusammen. Die angeführten Belegstellen machen deutlich, dass Heshusius zumeist die drei Stände mit den drei Sozialgruppen synonym setzt. Also gehörten zum Predigtamt nur die Prediger und nicht mehr die Laien; zur weltlichen Regierung bzw. zum ordo politicus ausschließlich die weltlichen Regenten, also nur die Amtsträger und nicht mehr die Bürger und Hausgesinde usw.; zum Hausregiment allein der gemeine Mann, das heißt die Bürger, Handwerker, Kaufleuten, Knechte, Mägde usw. Wohl bevorzugte Heshusius eine aristokratische Struktur der Ordnung als Herrschaft der Besten. Diese Anschauung kann in einem Diagramm veranschaulicht werden:

c) Schorn-Schütte884 und Renate Dürr885 konnten nachweisen, dass die Dreiständelehre nicht nur als Kirchenverfassungsprinzip886 wirkte. Auch die 883  Postilla

(wie Anm. 137), Die neunde Passionspredigt (Matth. 27), Bl. K-K ii. Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 54); dies., Die DreiStände-Lehre im reformatorischen Umbruch (wie Anm. 6), S. 435–437. 885  R. Dürr, Politische Kultur in der Frühen Neuzeit. Kirchenräume (wie Anm. 220), S. 32–36. 886  Diesen Gesichtspunkt der Dreiständelehre im Dienste der orthodoxen Kirchenverfassung betont M. Heckel, Staat und Kirche (wie Anm. 207), S. 149. M. Honecker, cura religions (wie Anm. 182), S. 73–83; L. Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 54), Kap. VII. 884  L.

238

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

normativ-praktische Soziallehre887 bzw. das sozialethische Prinzip888 firmierten als soziopolitisches Ordnungsmodell,889 insbesondere als ein politisches Legitimitätsmuster, mit dem das orthodoxe Luthertum das zeitgenössische politische Verhältnis zwischen „Staat“ und Kirche zu erfassen, zu legitimieren und zu steuern suchte. Auf diese Weise sollte ein Gegengewicht zu den territorialen herrschaftlichen Bestrebungen der weltlichen Obrigkeiten etabliert bzw. die herrschaftszentrierenden Tendenzen der weltlichen Obrigkeit zu unterbunden werden. Auch Heshusius verwendete die Dreiständelehre in diesem Sinne. Jedoch zeigt sich bei ihm ein „neuer“ Aspekt bzw. ein „Neuansatz“, da er die Lehre ausdrücklich mit der stadtpolitischen Diskussion verband. Diese damit zusammenhängende Verzahnung von Religiösem und Politischem wurde in der Forschung als politische Kommunikation bezeichnet.890 So forderte er die niedersächsischen Städte auf, dem Lüneburgischen Mandat zu widerstehen, indem er auf zu jener Zeit verbreitete Vorstellungen und politische Diskussionen in den Städten zurückgriff: „Es währe auch nicht allein wider der Erbarn Stätte freyheit vnd Priuilegien /  sonder auch wider Gottes wort /  vnnd des heyligen Reychs abschyd.“891 Diese frühneuzeitspezifische Form der Politikkommunikation kann auch an einem anderen Beispiel aus der 887  Zu dieser Auffassung die Dreiständelehre als Sozialordnungsprinzip vgl. M. Honecker, Einführung in die theologische Ethik (wie Anm. 221), S. 293. Gegen die Auffassung Martin Heckels, der den Gebrauch der Dreiständelehre als theologische Soziallehre von ihrer Anwendung als kirchliches Verfassungsprinzip der eccle­ sia patricularis abgrenzt. Nicht die Unterscheidung zwischen Soziallehre und Kirchenverfassungsprinzip, sondern die zwei unterschiedlichen Deutungstendenzen führen auf der einen Seite zur Beförderung und Affirmation einer frühabsolutistischen Obrigkeit, wie sie auf der anderen Seite die Opposition gegen ebendiese Entwicklung begründen und unterstützen. Vgl. dazu R. Anselm, Ekklesiologie als kontextuelle Dogmatik (wie Anm. 207), S. 211 ff. 888  Vgl. dazu J. Hübner, Die Theologie Johannes Keplers zwischen Orthodoxie und Naturwissenschaft. Tübingen 1975. S. 311. Hübner vertritt die Ansicht, dass christliches Handeln im Luthertum „nicht primär als Programm“ postuliert werden könne, weil die Sozialethik hier „Folge vom Heil“ und nicht dessen Prinzip sei. Aus diesem Grund sei die Frage der Transformation von Glaubenslehren in sozialethische Normen in den systematisch-theologischen Schriften nicht vorrangig thematisiert worden. Doch wie sich im folgenden Abschnitt (Abschnitt V.) zeigen wird, ist die für die Fortentwicklung der orthodoxen Dogmatik und Sozialethik bedeutsame Instrumentalisierung der lutherische Dreiständelehre in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzen. Vgl. dazu. I. Mager, The Reception of the Two Kingdom (wie Anm. 212), S. 8. 889  L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht (wie Anm.  56), S.  225 ff. 890  L. Schorn-Schütte, Einleitung, in: Aspekte der politischen Kommunikation (wie Anm. 56), S. 1–12. 891  Vrsach / Warumb (wie Anm. 156), Bl.  B iii.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius239

Zeit in Wesel nachvollzogen werden: „Sie auch ihre Priuilegien erinnert […] Das man keynen Burger oder burgers Sohn, aus der Stadt Wesel soll verjagen, vnerkantes rechtnes vnd vnerhörrter sachen keynes Fursten, jnn sonderheit des herzogen zu Gulich erfordern.“892 Darauf werden wir im nächsten Abschnitt noch ausführlicher eingehen (vgl. Abschnitt V.). Im Zusammenhang mit der aristokratischen Dreiständelehre soll auch hier die so genannte monarchische Dreiständelehre skizzierend erläutert werden, die von den politischen Beratern, insbesondere von Juristen und auch et­liche Theologen des 16. Jahrhunderts beim Konfessionskonflikt bevorzugt verwendet wurde und neben dem aristokratischen Deutungsmuster als Gegenparadigma bzw. Gegendeutungsmuster auftrat (vgl. ausführlich Abschnitt V.). Die monarchische Dreiständelehre lässt sich nicht anders bezeichnen als ein im Zuge der Aristotelesrezeption (seit dem Hochmittelalter mit säkularisierenden bzw. Kirche und Theologie trennenden Tendenzen des politischen Denkens) entwickeltes Politikkonzept, das mit der lutherischen Dreiständelehre verknüpft wurde, genauer gesagt mit einer hierarchischen Deutungstendenz aufgrund der melanchthonschen Dreiständelehre. Deren wesentliches Merkmal lag darin, dass sie von einem verselbstständigten politischen Körper bzw. einer weltlichen Ordnung als Sphäre weltlicher Herrschaft ausging und der weltlichen Obrigkeit allein die Steuerungsfunktion und -kompetenz in dieser autonomisierten weltlichen Ordnung beimaß. Das wichtigste von ihr gesteuerte Gesellschaftsglied war die Kirche, weil sie das Haupt bzw. das vornehmste Glied dieses von der sacerdotium unabhängigen politischen Körpers war, das ihn führt und lenkt.893 Die monarchische Herrschaftslehre leugnet ebenfalls wie die aristokratische Dreiständelehre nicht die Tatsache, dass die weltliche Ordnung bzw. politische Ordnung ein Teil der Schöpfungsordnung ist, deren Zweck darin liegt, letztendlich Gott zu dienen. Doch sie will die Steuerungs- und Herrschaftskompetenz allein beanspruchen und damit unbegrenzte Herrschaft in Richtung der naturrechtlichen Vorstellung im Sinne des 17. Jahrhunderts ausüben. Sie gebraucht auch organologische Ordnungsvorstellungen und bedient sich deshalb der Metapher von Haupt und Gliedern. Dennoch unterschieden sich die beiden Paradigmen in Bezug auf das Herrschafts- und Ordnungskonzept diametral. Das heißt: Während sich das Hauptaugenmerk der auf der Idee des corpus chris­ tianum basierenden aristokratischen Dreiständelehre auf das „konsensgestützte“ Herrschafts- und Ordnungsmodell richtete, also auf die nichthierarchische Gliederung in status politicus, status ecclesiasticus und status oeco­ nomicus, die gleichberechtigt, nebeneinander und aufeinander angewiesen waren, richtete sich das Hauptaugenmerk der auf der mittelalterlichen säku892  StA

893  Vgl.

W 3, 1. 67. Bl. 311 b. dazu ausführlich T. Simon, Gute Policey (wie Anm. 377), S. 34 ff.

240

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

laren Politiktheorie basierenden monarchischen Dreiständelehre auf die monarchische Form der Herrschaft und die Gegenüberstellung von Obrigkeit und Untertan.894 Deshalb bediente sie sich bevorzugt der Metapher von Herz oder Gehirn bzw. des Bildes eines Arztes, der in der Lage ist, die Ursache der Krankheit der Patienten herauszufinden und sie zu heilen. Wie Truve herausgestellt hat, versuchten seit dem 12. Jahrhundert die Verteidiger des Königtums gegenüber der Übermacht der Herrschafts- und Ordnungsidee des corpus christianum – mit der die Theoretiker auf kirchlicher Seite der geistlichen Gewalt bzw. sacerdotium den Vorrang einräumten und damit eine Unterordnung der weltlichen Gewalt bzw. des regnum unter die Botmäßigkeit der Kirche anstrebten – mit der Theorie der Gleichstellung bzw. Gleichberechtigung der Sphären von regnum und sa­ cerdotium die autonomen Herrschaftsbereiche hervorzuheben.895 Diese verwendeten die seit Hugo von St. Viktor (um 1096–1141) und Hugo von Fleury (gest. um 1120) herausgebildete und über Johann von Salisbury (um 1115–1180) entwickelte egalisierende und abgrenzende Vorstellung, wonach Kirchen und „Staat“ als membra des corpus christi selbst wiederum als selbstständige organische Körper bzw. unabhängige Körperschaften verstanden werden, welche ihrerseits einem Haupt unterstellt sind.896 Nach ihrer Ansicht gehörten Kirche und „Staat“, das heißt die beiden ordines, aufgrund ihrer unterschiedlichen Funktion dem corpus Christi getrennt und unabhängig an. Sie waren der Auffassung, die beiden ordines Kirche und „Staat“ seien Organismen, an deren Spitze sich jeweils ein besonderes Haupt befinde, wie die Glieder des menschlichen Körpers verschiedene Funktionen zu verrichten haben, hierbei aber nicht allein um ihrer selbst willen, sondern zum Wohle des Ganzen tätig sind.897 Ihrer Ansicht nach soll den weltlichen und geistlichen Bereichen jeweils ein Haupt gegenüberstehen. Wie der Papst an der Spitze der Kirche als caput steht, so regiert der irdische Herrscher gleichsam als Haupt den politischen Körper, mit anderen Worten das autonome, von der Kirche getrennte politische Gemeinwesen. Das regnum erschien in dieser gleichberechtigten Vorstellung der innerhalb der übergreifenden Ordnung des corpus christi herrschenden organischen Verbundenheit von sacerdotium und regnum als eine „Gegenkirche“ zur geistlichen Gewalt. Aus diesem Grund bedienten sich Vertreter des Königtums zur Bezeichnung des Fürsten der Metaphern des Herzens, des Gehirns oder auch des Architekten und nicht mehr nur der Metaphern 894  Vgl. dazu L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht (wie Anm. 56), S. 228 ff. 895  Vg. T. Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter (wie Anm. 594), S. 110 ff. 896  Ebd. S.  98 ff. 897  Ebd. S.  123 ff.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius241

des Hauptes und der Glieder.898 Damit wollten die Theoretiker des Königtums erreichen, dass das Königtum die höchste Gewalt auf seinem Herrschaftsgebiet darstellt, kraft derer es Herrschaft auch über die Kirche ausübt. Das heißt, dieser starke Trend des Politischen, sich zu verselbstständigen, setzte sich nach der Reformation fort. Warum die Juristen und Verteidiger des Königtums ihre Ideen mit der Dreiständelehre verknüpften, lässt sich durch die Beantwortung dieses Vorgangs nicht eindeutig erklären. Hier sei nur ein Versuch unternommen: Seit der Reformation zeichnete sich bei den Lösungsversuchen seitens der politischen Berater der Obrigkeit ein Paradigmenwechsel ab. Bis dahin neigte man dazu, weitere Befestigung, Gleichberechtigung und Gegenüberstellung zwischen sacerdotium und regnum als eine Entwicklung zu gesteigerter Befreiung von Theologie bzw. Kirche und der Herstellung des eigenständigen, autonomisierenden Herrschaftsbereichs anzusehen. Eine gleichberechtigte Gegenüberstellung der weltlichen Obrigkeit zur Kirche galt als eine gelungene politische Autonomisierung. Deshalb waren die Verteidiger des Königtums von politischer Euphorie erfüllt. Die bisherige säkulare bzw. scholastische Politiktheorie, die im ganzen Mittelalter das Verhältnis von Religion und Politik bestimmte, schien dafür ein günstiger institutioneller Rahmen zu sein. Als durch die Reformation die Grenze der sakralen und weltlichen Sphäre im Sinne des Mittelalters vollständig gewichen und die weltliche Ordnung nun ein Teil der Schöpfungsordnung bzw. ein Teil der ecclesia im Sinne des corpus christianum geworden war, erschienen diese bisherigen Lösungsversuche bedeutungslos. Nun ging es bei der politiktheoretischen Debatte seitens der politischen Berater des Fürsten nicht mehr um das Ziel der gleichbrechtigten Gegenüberstellung von sacerdotium und regnum, sondern um die Frage der Herrschaftsbegründung und -gestaltung in einer von sakraler Herrschaft der Kirche vollständig befreiten weltlichen Ordnung bzw. Herrschaftserweiterung und -befestigung der in der gesellschaftlichen Ordnung bzw. im politischen Körper ansässigen Glieder, das heißt Institu­ tionen bzw. Körperschaften, insbesondere die Kirche. Doch wird man inzwischen einräumen müssen, dass das in Kirche bzw. Religion eingeschlossene Konfliktpotenzial doch wesentlich größer war, als es die politische Euphorie noch im Zuge der Konfessionalisierung wahrhaben wollte. Der Stabilisierungsprozess der Herrschaft in dieser Umbruchszeit entwickelte sich ebenfalls nicht so, wie man erwartet hatte. Die Kirchenfrage war keineswegs eine leicht zu bewältigende Aufgabe, insbesondere wegen der Gegenbewegung der neuen Geistlichkeit. Diese versuchte aufgrund des „geistlichen Sonderbewusstseins“ vor allem der – auf der Idee des corpus christianum 898  Vgl.

dazu ausführlich T. Simon, Gute Policey (wie Anm. 377), S. 50 ff.

242

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

basierenden und von den reformatorischen Grundprinzipien geprägten aristokratischen – Dreiständelehre den sozialen und politischen Aufstieg und vor allem die Eigenständigkeit der Kirche zu erreichen. In den Augen der politischen Berater erschien die Selbstbehauptung bzw. der Versuch der Autonomisierung der neuen Geistlichkeit als eine Rückkehr des Papocäsarismus im Sinne des mittelalterlichen sacerdotium der Kirche. Die Theoretiker der Obrigkeit dachten, die Geistlichkeit formiere sich unter Berufung auf die aristokratische Dreiständelehre als neues Papsttum im Sinne des Mittelalters. Wann immer angesichts dieser neuen politischen, religiösen und sozialen Konstellation von dem Verhältnis der Obrigkeit und der Kirche bzw. von Politik und Religion die Rede war, stellte sich die Frage, ob die bisherige säkulare Politiktheorie für die „Gegenwart“ ausreiche. Um den papocäsarisch erscheinenden Tendenzen und der darin enthaltenen Rückkehr des sacerdotium der neuen Geistlichkeit, die sich immer wieder dabei auf das mittelalterliche trifunktionale Ordnungsmodell berief, zu widerstehen und dabei den Prozess der Herrschaftserweiterung und -festigung zu beschleunigen, versuchten die politischen Berater, dem starken Trend des Religiösen bzw. Theologischen, sich zu verselbständigen, durch die Verkopplung mit der Dreiständelehre entgegenzuwirken. Deshalb deuteten sie Melanchthons Bezeichnung der weltlichen Obrigkeit als praecipuum membrum ecclesiae in die hierarchische Form des vornehmsten Gliedes der Kirche um und banden diese Umdeutung in ihr bisheriges säkulares Politikkonzept ein. Daraus entstand eine monarchische Herrschaftslehre, mit der sie den Festigungsprozess der Herrschaft, insbesondere in kirchlichen Belangen, beschleunigen wollten, wie sich dies in Heshusius’ Äußerung aus seiner Magdeburger Streitschrift zeigt: „Als dann auch Frantz Pfeil seine newe meinung /  das die Oeberkeit besondere freiheit vnnd Recht habe an Wahl /  Beruff /  Bestellung /  vnnd absetzung der Kirchendiener /  fast auuf diesem grund bauwen wol /  das die Oeberkeitn der Kirchen fürnemes Gliedt sein solle.“899 Die monarchische Dreiständelehre wurde von vielen Juristen, politischen Beratern und Entscheidungsträgern des 16. Jahrhunderts wie z. B. Johanne Ferrarius900 und, wie oben bereits erwähnt, vom Magdeburger Syndikus Franz Pfeil901 oder von politischen Entscheidungsträgern sowie Theologen rezipiert und vertreten (vgl. Abschnitt V. 2. a) dd) (2)). Aus dem Gesagten ist erkennbar, dass sich zwei unterschiedliche Deutungskonzepte mit deren anhängigen Argumentationen, Körpermetaphern und unterschiedlichen Herrschafts- und Ordnungsvorstellungen, Normen und Werten wie im Mittelalter wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. C iiiv. T. Simon, Gute Policey (wie Anm. 377), S. 128. 901  Notwendige Protestation (wie Anm. 510). 899  Gründtliche 900  Vgl.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius243

auch nach der Reformation weiterhin gegenüberstanden. Allerdings in quasi umgekehrter Reihenfolge: Im Mittelalter gebrauchte die Kirche bzw. die Geistlichkeit die „monarchischen“ Dreistände-Argumentation und die Körpermetapher „Haupt und Glieder“, um die beiden ordines zu lenken und zu leiten, während das Königtum bzw. die wetliche Obrigkeit die egalisierende „aristokratische“ Fassung des trifunktionalen Herrschafts- und Ordnungsmodells mit der Körpermetapher des Herzens, des Gehirns oder auch des Architekten verwendete, um sich gegen den monarchischen Herrschaftsanspruch der Kirche zu wehren und den Verselbständigungsprozess des Politischen fortzusetzen. Nach der Reformation gebrauchte nun die weltliche Obrigkeit die „monarchischen“ Dreistände-Argumentationen und die Körpermetapher „Haupt und Glieder“, um die beiden ordines zu lenken und zu leiten. Die Kirche bzw. die Geistlichkeit bediente sich nun – allerdings unter der traditionell mittelalterlichen Verwendung der Körpermetaper von Haupt und Gliedern – der egalisierenden „aristokratischen“ Fassung des trifunktionalen Herrschafts- und Ordnungsmodells, um sich gegen den monarchischen Herrschaftsanspruch der weltlichen Obrigkeit im Zuge der Konfessionalisierung zu verteidigen und den Verselbständigungsprozess des Theologischen zu stabilisieren bzw. fortzusetzen. Der Konflikt war deshalb vorprogrammiert. dd) Unterscheidung vom Amt und Person In Heshusius’ Argumentationen kommt eine Synthese aus Luthers und Melanchthons Ansichten über die Unterscheidung vom Amt und Person zum Ausdruck. Jedoch akzentuiert Heshusius deutlich Melanchthon folgend den institutionellen Charakter des Amtes, wie er in dessen Ausführungen sowohl zu Artikel XVI der Confessio Augustana von 1530, Policey und weltlichen Regimenten, in seinem humanistischen Einführungstraktat zur Moralphilosophie, als auch in seinem Aristoteleskommentar zur Politia formuliert ist.902 Wie Melanchthon versteht Heshusius das Verhältnis der Obrigkeiten zu den Untertanen im Sinne einer streng einzuhaltenden Institu­ tionenhörigkeit, wonach die Stände zunehmend als eine starre intransigente Ordnung gefasst werden. Beim Gebrauch von Heshusius’ Rechtfertigungsmuster steht der Institutionencharakter des Amtes zwar im Vordergrund, aber Heshusius interessierte sich wie Luther für die Akteure, also die Personen in den kirchlichen, politischen und (haus-)wirtschaftlichen Ordnungen. Diese Personenkreise, politische Akteure sind in der Regel auch der Adressat seiner ermahnenden und gutachterlichen Schriften.903 902  Vgl. dazu. H. Grünberger, Wege zum Nächsten, in: H. Münkler / H. Bluhm (Hg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn (wie Anm. 202), S. 150 ff. 903  Ebd. S.  151 f.

244

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Heshusius hielt ebenfalls wie Melanchthon die Ämter für gut und ewiglich, da sie von Gott eingesetzt sind. Deshalb hieß es in seinen Helmstedter Schriften: Die weltliche Obrigkeit als Amt sei Gottes Geschöpf, Ordnung und Werk. Darum sei sie heilig und göttlich. Diese Ordnung sei von der bösen, schändlichen, tyrannischen und sogar oft vom Teufel besessenen Trägerperson unabhängig. Der Amtsinhaber bzw. Amtsträger müsse schließlich im Falle eines Missbrauchs seines Amtes vor Gott Rechenschaft ablegen.904 Das Amt bleibe ewig und göttlich, aber die Person werde zugrunde gehen, falls sie ihr Amt missbrauche. Diese Auffassung macht Heshusius an einem Beispiel deutlich: Das Kaisertum von Tiberius oder Nero gehörte Gott, obwohl diese Personen vom Teufel besessen gewesen seien und vielerlei Sünden auf sich geladen hätten.905 Das Amt, von Gott gesetzt, wird bei Heshusius wie bei Luther durch Funktionsbeschreibungen definiert, die konstant gehalten werden. Das Amt ist gleichsam der Stand in Funktion, dessen Beschreibungen immer dann aufgeführt werden, wenn es um den Nachweis geht, dass das Amt schlecht ausgefüllt wird oder wurde, wie etwa in den zahlreichen die politia betreffenden Fällen von Tyrannis. Diese Ansicht über die strikte Trennung von Amt und Person zeigt sich ebenfalls in seiner Jenaer Schrift: Zu Beginn des Abschnitts in seinem Römerbrief-Kommentar setzt Heshusius zunächst die Diskussion über die Legitimität von tyrannischer Herrschaft, die sich kaum um Gesetze, Ehre, Wissenschaft, Kirche und „Staat“ kümmerte,906 aber Vergnügen und Schwelgerei anstrebte und die Untertanen gewaltsam unterdrücke,907 fort. Er führt aus: Bedenkt man die Fragestellung, könne man im Extremfall auch meinen, dass die Regierung selbst, die die Kirche am stärksten unterdrücke und die übelsten Verbrecher straflos gewähren lasse, nicht von Gott sei.908 Dieser Sichtweise setzt Heshusius ganz im Sinne Melanchthons909 die strikte Un904  Heshusius hielt zwar das Amt für gut und göttlich, aber Amtsträger im Unterschied zu Melanchthon nicht für gut. Vgl. dazu. H. Grünberger, Wege zum Nächsten, in: (Hg.), H Münkler / H. Bluhm, Gemeinwohl und Gemeinsinn (wie Anm. 202), S.  150 ff. 905  Postilla (wie Anm. 137), Mat. 22. S. 129b; „Denn wie man im weltlichen Regiment Personen vnnd ampt mus vnterscheiden /  das ampt vnd die hoheit zu jeder zeit für Gottes gescehpff vnnd ordnung muss kernnen /  ob gleich bisweilen die Person so im Regiment sitzet ein scheulicher /  verlfuchter Tyran ist /  wie Antichous /  Epiphanes /  Heordes /  Nero vnd vil andere  /  also ist auch alhie der vnerscheidt nötig.“ Siegfried Lügensacks (wie Anm. 404), Bl. E iiijv. 906  „vident teterrima saepè portenta praesse imperijs, quae nec leges, nec hone­ staté, nec scholas, nec Ecclesiam, nec Rempub.“ Römer 13 (wie Anm. 137), S. 390b–391. 907  Ebd. 908  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 391. 909  Vgl. M. Honecker, cura religionis (wie Anm. 182), S. 128–129.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius245

terscheidung zwischen der göttlichen Ordnung einerseits und der Person der jeweiligen Amtsträger andererseits entgegen. Die politische Ordnung und die politischen Ämter seien von Gott und stimmen mit der göttlichen Intelligenz überein. Dagegen seien die Personen, die die Regierung innehaben, sehr unterschiedlich: In einigen leuchte Gottes Licht und der Glaube an Jesus Christus, den Vermittler. Andere richteten die Herrlichkeit des Herrn und das Heil der Kirche auf. Aber andere wiederum seien gottlos und der Kirche fremd. Diesen Unterschied zwischen vorbildhaften und tyrannischen Herrschern bebildert Heshusius auch historisch. Er erwähnt die historischen Vorbilder: „vt in Aristidé, Themistocle, Solone, Scipione, Lelio, Flaminio, Paulo AEmylio Similibus.“910 Aber er nennt auch die grausamen, schänd­ lichen und unfreundlichen Tyrannen, wie z. B. „Cambyses, Xerxes, Ochus, Ptolemeus Eupator, Ptolemeus Physcon, Auletes, Antiochus Epiphanes, Nero, Tiberius, Caligula, Eliogabalus“,911 die wirklich Satans Werkzeug gewesen seien und die Regierung und bürgerliche Gesellschaft verwirrt und sogar Gott zu misshandeln versucht hätten. Heshusius führt dann weiter aus, dass auch deren Regierung von Gott sei, und begründet dies mit Beispielen aus dem Alten Testament. Obwohl der Prophet Elias den gottlosen Tyrannen Ahab als Götzendiener und Verächter der wahren Religion verflucht hatte, ehrte er dessen Regierung als Ordnung Gottes und gehorchte dem Gesetz und unterwarf sich dem Richter. Er betete sogar zu Gott für die Bewahrung des Königtums. Auch der Tyrann Domitian war schändlich und grausam. Trotzdem gehorchte der Evangelist Johannes dem römischen Gesetz und räumte ein, dass die politische Ordnung in Rom die Gabe Gottes sei, und bat Gott um Frieden und reichen Erfolg in der Regierung.912 Deshalb müsse zwischen der Ordnung Gottes, welche die menschliche Gemeinschaft überhaupt erst begründet, und den darin wirkenden Personen strikt unterschieden werden: „Distinguant ergo pij ordinem qui à Deo est et salutaris est societati humanae, vt sunt leges, iudicia, functiones, paenae, contractus, bella legitima, disciplina, distincito dominiorum: et inter personas quae saepè sunt vasairae, et organa Satanae.“913 Heshusius hebt dann hervor, dass die Frevel des Menschen, die Ungerechtigkeit des Tyrannen, Chaos und Ähnliches nicht mit der göttlichen Ordnung verwechselt werden dürften. Um den Unterschied zwischen Amt und Person noch deutlicher zu machen, gibt Heshusius ein weiteres Beispiel: Die Grausamkeit des Kaisers Diocletian gegenüber den Christen entspreche nicht Gottes Ordnung, sondern sei das Werk des Satans. Den910  Römer 911  Ebd.

912  Ebd. 913  Ebd.

13 (wie Anm. 137), S 391b.

S. 392.

246

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

noch entsprach es durchaus Gottes Ordnung, dass Diocletian regierte, Aufruhr bestrafte, durch Krieg Feinde abwehrte und Recht sprach.914 Ebenfalls zeigt sich diese Ansicht in seiner oben erwähnten Stellungnahme zum Wesler Bekenntnis von 1562: „Wir halten vnd glauben von der Obrigkeit vnd Macht des Schwerts, dass man die Obrigkeit hören vnd ihr gehorsam sein muss, nicht allein der guten, sondern auch der wunderlichen und bösen, es sei denn, bis dahin, dass sie irgendetwas gegen Christus gebietet.“915 Für Heshusius ist deshalb ein Widerstandsrecht gemäß einer obligatio mutua für den Christen als Weltperson verpflichtend. Das heißt, der Widerstand richtet sich gegen die Person, die das obrigkeitliche Amt missbraucht, nicht aber gegen die Institution der Obrigkeit, welche Gottes Setzung ist. Deshalb hieß es in seiner Magdeburger Streitschrift so: „Ich bedinge voraus vnd ausdrücklich /  das ich alhlhie nicht schreibe wider die Weltliche Oberkeit /  welche ich ehre vnd liebe /  als ein Geschepff /  Werck /  vnd herrliche Gabe Gottes […] Vnd will den Leser vermant haben /  das er das Ampt der Oberkeit /  welches von Gott ist /  von der Person die wider Gott handelt /  wolle vnterscheiden.“916 Es ging zum einen um die Wahrung des allgemein verbindlich zu machenden Dekalogs, zum anderen aber um die Nichteinmischung der Politik in den Dienst am Wort.917 Anders als Melanchthon und Johann Gerhard führt Heshusius in Bezug auf die Ausübung des geistlichen Amtes gegenüber der Obrigkeit zwei Unterschiede an. Zum einen unterstehe die Obrigkeit als Amtsperson nicht der geistlichen Amtsübung, d. h. der Prediger übe sein Strafamt nicht gegen die Obrigkeit, sondern ausdrücklich gegen die Person: „Das hohe Ampt /  so offt die Bischoffe /  Prelaten /  Superintendenten führen /  ist wol von Gott /  aber man mus Ampt vnd Personen vnterscheiden /  Denn die Personen /  die in den hohen Emptern sitzen /  werden /  offt nicht von Gott regieret.“918 Ähnlich heißt es in seiner dem Herzog Julius gewidmeten Auslegung: 914  Römer

13 (wie Anm. 137), S. 392. 2. 1. 3. T. Heshusius, Stellungnahme zum Wesler Bekenntnis. 1562. 916  Notwendig entschuldigung (wie Anm. 390), Bl. B 4v; „Haben dan die groben gesellen so viel nicht studieret /  das sie wessen wie man die Personen vnd Empter vone einander sol vnterscheiden. Das Predigampt ist von Gott /  wie auch die Obrigkeit /  vnd sol weder verbannt noch an galgen gehenget werden /  weil aber verzweiffelte böse buben sitzen im Predigampt /  vnd in weltlicher Herrschaft die vom Teufel sind /  vnd beide den Bann /  vnd die galge offte verschuldet haben /  darum soll man mit besserem Vnterscheid von sachen reden.“ Ebd. Bl. Q 4. 917  Vgl. H. Grünberger, Wege zum Nächsten, in: H. Mnkler /  H. Bluhm (Hg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn (wie Anm. 202), S. 154 ff. 918  Postilla (wie Anm. 137), Fünfftzen Passionspredigten /  vom Leiden vnd Sterben vnsers Herrn vnd Heilandes Jhesu Christi. Die fünffte Passionspredigt (Matth. 26), Bl.  F3b; „Aber da sol E.L. wissen /  das man Gottes ordnung /  Geschöpff vnd werck mus vnterscheiden von dem misbrauch vnd vnordnung /  so der Teuffel anrich­ 915  EKAW



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius247 „Hie möchte einer sagen: Warlich du bindest vns hart ein /  das wir vnser Obrigkeit in allen ehren halten sollen /  vnd ist ja billich /  wie kömpstu denn dazu vnd andere prediger /  dz jr die Obrigkeit vnd hohe Personen offt so hart angreiffet: Oder heist das auch ehren /  wenn man sie schamrot machet? Antwort. Hie mustu einen vneterscheid halten. Die ehre /  dauon wir reden /  gebüret der Obrigketi vnd dem Ampt /  Wenn aber wir Prediger straffen /  so haben wir nicht mit dem Ampt son­ dern mit der Person zuschaffen /  die da vbel lebet vnd vnrecht Haus helt /  der mus

tet /  auch von den Personen /  so offt vom Teuffel regiert /  vnd in alle sünd vnd schand gefüret werden […] Das Keyserthumb Tiberij vnd Neronis war Gottes /  ob gleich die Personen dem Teuffel sich ergeben /  vnd in allen Sünden lebten.“ Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mat. 22. Bl. 129b; „man hienge die weltliche Obrigkeit oder das Predigampt an galgen. Haben dan die groben gesellen so viel nicht studieret /  das sie wissen wie man die Personen vnd Empter von einander sol vnterscheiden. Das Predigampt ist von Gott /  wie auch die Obrigkeit /  vnd sol weder verbannet noch an galgen gehenget werden /  weil aber verzweiffelte böse buben sitzen im Predigampt /  vnd in weltlicher herschafft die vom Teufel sind /  vnd beide den Bann /  vnd die galge offte verschuldet haben /  darumb sol man mit besserem vnterscheid von sachen reden.“ Notwendige entschuldigung (wie Anm. 390), Bl. Q 4; „Das es heisse Aus dem ampt der Oeberkeit setzen /  vnnd die vnterthanen von jrem gehorsam /  vnd pflichten legen die Oeberkeit ledig geben /  vnd zeelen. Dis ist ein auffrührischer jrthumb /  der gewislich ein grewlich Blubadt in allen Landen würde anrichten […] War nicht Nero der grausame Blutschaender /  Muttermörder /  vnd öffentlicher Feindt der Christenheit im Bann /  vnd von der gemeine Gottes gar abgesondert: noch hat weder Paulus noch keinen Apostel schuldig sein. Vielmehr beurfft sich Paulus auff den Keiser zur Rom Neronem /  vnd erkennet in für seine Oeberkeit.“ Apologia (wie Anm. 438), Bl. E iiij–E iiijv; „Wenn nu der Bann das mit brechte /  das er die weltliche Oeberkeit auffhübe /  vnd alle pflicht vnd gehorsam der vnterthanen einstellete /  so wollte folgen /  das Bischoffe /  das ist /  Pfarherr vnd Prediger machet hetten /  Keisern /  Königen /  vnd Fürsten abzusetzen […] Das sie damit jrer Oeberkeit vnd Herrschafft entnehmen /  vnd die Vnterthanen jrer pflicht vnnd gehorsams frey gegeben werden /  sondern das jhre Oeberkeit vnd Herrschafft in gleicher Krafft vnd Wirde bleibe /  die Vnterthanen nichts desto weniger zum gehorsam verpflicht vnd verbunden seindt. Denn die Person /  so im Regiment sitzet sey from oder Gottlos /  ein Christ oder Heyd ein glied der Kirchen oder verbannet /  so ist doch die Oeberkeit von Gott vnd Gottes Ordnung.“ Ebd. Bl. F–Fv; „Jch muss aber fast dahin dencken vnd schliessen /  weil die Lügenprediger von Magdeburg solchen auffrürischen Artickel in jhrer schmachschrifft setzen /  Wenn ein Regent in den Bann gethan wird /  so müsse das also verstanden werden /  Das er domit seiner Oeberkeit entsetzt /  vnnd die Vnterthanen von jrer Pflicht vnd gehorsam erledigt sein sollte. Das meine verfolger vnd verleumbder /  nach jrem gefasten Jrthumb also von mir tichten vnnd schlieesen /  weil ich den Bann Bartholomei für recht erkenne /  so müsse daraus folgen /  das ich sie für keine Oeberkeit weiter halte. Das aber solche folge falsch Affrürisch vnnd wider Gottes Wort /  ist droben genug beweiset.“ Ebd. G iiijv.; „ /  oder die Obrigkeit veracht machen /  sondern damit wird angezeigt /  das Christi Jhesu Reich vber der Welt reich sey /  auch das man Ampt vnd Personen mus vnterscheiden.“ Psalm 19 (wie Anm. 355), Bl. Ov; „Das Keyserthumb Tiberij vnd Neronis war Gottes /  ob gleich die Personen dem Teuffel sich ergeben /  vnd in allen Sünden lebten.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mat. 22. Bl.  129.

248

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

mans eben so wol sagen /  als dem armesten Kühirten /  wie will er sonst selig werden. Zu dem so straffen wir nicht den Keyser / oder die Herren für vnser Per­ son /  als Vnterthanen /  sondern als Diener Christi /  vnd als Befehlshaber in einem anderen Reich / da der Keyser vnd alle Welt den herrn Christo vnd vnserem Ampt vnterworfen ist […] Denn wir sind hie in einem andrn Reich /  damit die Obrigkeit nichts zu schaffen hat.“919

Für Heshusius bleibt Obrigkeit auch im Falle der Exkommunikation als Obrigkeit bestehen. Deshalb äußert er sich in seiner Magdeburger Streitschrift gegen den Vorwurf, er würde die Obrigkeit nicht mehr anerkennen, da er den Gebrauch des Exkommunikationsrechtes durch seinen Kaplan Bartholomäus für richtig hielt: „Das es heisse Aus dem ampt der Oeberkeit setzen /  vnnd die vnterthanen von jrem gehorsam /  vnd pflichten legen die Oeberkeit ledig geben /  vnd zeelen. Dis ist ein auffrührischer jrthumb /  der gewislich ein grewlich Blubadt in allen Landen würde anrichten […] War nicht Nero der grausame Blutschaender /  Muttermörder /  vnd öffentlicher Feindt der Christenheit im Bann /  vnd von der gemeine Gottes gar abgesondert: noch hat weder Paulus noch keinen Apostel schuldig sein. Vielmehr beurfft sich Paulus auff den Keiser zur Rom Neronem /  vnd erkennet in für seine Oeberkeit.“920 Diese Ansicht wiederholt sich an anderer Stelle in derselben Schrift: „Wenn nu der Bann das mit brechte /  das er die weltliche Oeberkeit auffhübe /  vnd alle pflicht vnd gehorsam der vnterthanen einstellete /  so wollte folgen /  das Bischoffe /  das ist /  Pfarherr vnd Prediger machet hetten /  Keisern /  Königen /  vnd Fürsten abzusetzen […] Das sie damit jrer Oeberkeit vnd Herrschafft entnehmen /  vnd die Vnterthanen jrer pflicht vnnd gehorsams frey gegeben werden /  sondern das jhre Oeberkeit vnd Herrschafft in gleicher Krafft vnd Wirde bleibe /  die Vnterthanen nichts desto weniger zum gehorsam verpflicht vnd verbunden seindt. Denn die Person /  so im Regiment sitzet sey from oder Gottlos /  ein Christ oder Heyd ein glied der Kirchen oder verbannet /  so ist doch die Oeberkeit von Gott vnd Gottes Ordnung.“921 Ebenso kommt diese Auffassung an anderer Stelle in derselben Schrift deutlich zum Ausdruck: „Jch muss aber fast dahin dencken vnd schliessen /  weil die Lügenprediger von Magdeburg solchen auffrürischen Artickel in jhrer schmachschrifft setzen /  Wenn ein Regent in den Bann gethan wird /  so müsse das also verstanden werden /  Das er domit seiner Oeberkeit entsetzt /  vnnd die Vnterthanen von jrer Pflicht vnd gehorsam erledigt sein sollte. Das meine verfolger vnd verleumbder /  nach jrem gefasten Jrthumb also von mir tichten vnnd schlieesen /  weil ich den Bann Bar­ 919  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mt. 22. Bl. 130. 920  Apologia (wie Anm. 438), Bl. E iiij–E iiijv. 921  Ebd. Bl. F–Fv.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius249 tholomei für recht erkenne /  so müsse daraus folgen /  das ich sie für keine Oeber­ keit weiter halte. Das aber solche folge falsch Affrürisch vnnd wider Gottes Wort /  ist droben genug beweiset.“922

Anzumerken ist hierbei, dass Heshusius zwar den Institutionencharakter jeglicher politischer Ordnung gegenüber den Personen als Machtträgern betont, den Stand ecclesia unter die Fürsorge und das Regiment der politischen Ordnung stellt und die cura religionis der politischen Ordnung zuwies, aber im Unterschied zur Ansicht von Vertretern der monarchischen Dreiständelehre dennoch weder deren Herrschaftsanspruch bzw. Machtposition stärkte, noch die Möglichkeiten aktiven Widerstandes einschränkte. Charakteristisch ist, dass Heshusius diese Thematik immer wieder in Verbindung mit der Dreiständelehre bringt. In seiner Jenaer Schrift kommt diese Ansicht deutlich zum Ausdruck: Heshusius klagt die Schwämer an, welche unter dem Deckmantel des allgemeinen Priestertums die tyrannische Herrschaft als Vorwand benutzten, um Gehorsamsverweigerung und die Abschaffung jeglicher Obrigkeit zu legitimieren. Demgegenüber fordert Heshusius die Christen auf, auch einer tyrannischen Obrigkeit als Amtsträger zu gehorchen, selbst wenn diese etwas vorschreibe, was gegen Gottes Wort oder das Naturgesetz verstoße: „sed sciamus propeter mandatum Dei obtemperandum esse, cùm regibus, tùm regum ministris, cum ea praecipiunt, quae nec cum Dei verbo, nec cum iure naturae pugnant.“923 Diese Formel erinnert wiederum an Melanchthons Lehre von den Gesetzen. Heshusius’ Aufforderung scheint in krassem Widerspruch zu seiner Widerstandsauffassung zu stehen, schließlich hat er immer wieder betont, dass die Untertanen Widerstand leisten sollten, wenn die Obrigkeit wider göttliches, natürliches oder positives Gesetz handele.924 Doch das ist hier nicht gemeint. Heshusius geht es in der Erörterung der Gehorsamspflicht der Untertanen nur um den äußeren Bereich, wie in der bisherigen Ausführung bereits deutlich anklingt, nicht um den inneren Bereich der Kirche. In seiner Widerstandsauffassung bezieht er sich wie Luther und Melanchthon stets auf die strikte Trennung von geistlichem und weltlichem Regiment. Geht es um den Bereich der externa ecclesiae, sollen die Untertanen der Obrigkeit unbedingt gehorchen, aber nicht in dem Bereich der interna ecclesiae. Am deutlichsten zeigt sich dieses Charakteristikum in seiner Helmstedter Predigt. Im Zusammenhang mit der Aufforderung, man solle mit der Obrigkeit Geduld haben, weil auch sie nur von einer gebrechlichen menschlichen Konstitution sein könne, greift Heshusius die sensible und umstrittene StrafBl. G iiijv. 13 (wie Anm. 137), S. 392b. 924  Vgl. z. B. den Abschnitt IV. 2. c) ee) Das Konzept des Rechtes auf Widerstand, Gegenwehr und Notwehr. 922  Ebd.

923  Römer

250

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

amtübung der Prediger gegen die weltliche Obrigkeit auf: „Oder heist das auch ehren /  wenn man sie schamrot machet?“925 Heshusius rechtfertigt daraufhin die Strafamtübung der Prediger zum einen mit der strikten Abgrenzung von Amt und Person im Sinne Melanchthons. Er betont, die Straftamtübung gehe nicht die Obrigkeit als Amt an, sondern nur die Person, die Unrecht begehe, und sie betreffe allein deren Seligkeit.926 Zum anderen beruft er sich auf die strikte Unterscheidung von geistlichem und weltlichem Regiment: „Zu dem so straffen wir nicht den Keyser /  oder die Herren für vnser Person als Vntertahnen /  sondern als Diener Christi /  vnd als Befehlshaber in einem andern Reich /  da der Keyser vnd alle Welt dem HERRN Christo vnd vnserm Ampt vnterworffen ist.“927 Heshusius ist sich aber aufgrund seiner eigenen Erfahrung und anderer Beispiele seiner Zeit bewusst, dass die Obrigkeit die Strafamtübung der Prediger in Gestalt von Obrigkeitskritik als das Eingreifen in das obrigkeitliche Amt betrachtet und die Prediger als Aufrührer verurteilt. Aus diesem Grund geht er nochmals und verschärft auf diese Problematik ein. Er bezeichnet diejenige Obrigkeit, welche die Strafamtübung ablehne und die Prediger vor den Augen der Untertanen schmähe, als Aufrührer im Reiche Gottes: „Denn wir sind hie in einem andern Reich /  damit die Obrigkeit nichts zu schaffen hat. Wenn sie auch die straffe nicht annhmen wollen /  Sondern sich widersetzig machen /  so sind sie recht Auffrhürer im Reich Christi /  sie sind gleich Keyser oder Bürgermeister.“928 Diese selbstbewusste Formulierung, die uns mehrfach auch in anderen Schriften von Heshusius bereits begegnet war, zeigt, dass Heshusius das Argumentationsmuster der Unterscheidung von Amt und Per­ son in die Zwei-Regimenten-Lehre bzw. Dreiständelehre adaptiert. Heshu­ sius nennt zur Bekräftigung seiner Position als konkrete Beispiele den Tadel des Propheten Nathans an König David, Elias und Johannes den Täufer.929 Von diesem Argumentationsmuster machte Heshusius ebenfalls in verschiedenen Phasen seiner Konflikte Gebrauch. Hier sei nur ein exemplarisches Beispiel in seinen Rostocker Schrift erwähnt. Wie oben bereits erwähnt, führt Heshusius weiter aus, dass Obrigkeitskritik keineswegs einen illegitimen Eingriff in das politische Regiment darstelle, sondern vielmehr göttlicher Amtsauftrag sei. Damit fordert er für die Geistlichkeit und wohl auch für die Bürgerschaft das Recht auf Kontrolle des Stadtregiments bzw. Teilhabeanspruch der Untertanen ein. Zur Rechtfertigung seiner Argumentation beruft er sich dann auf die Trennung von Amt 925  Postilla 926  Ebd. 927  Ebd. 928  Ebd. 929  Ebd.

(wie Anm. 137), Mat. 22. S. 130.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius251

und Person sowie auf sein Strafamt im Rahmen der Dreiständelehre: „den so viel vnser person belanget haben wir mit gots hülfe die obrikeit geliebte vnd geheret, so viel aber vnser ampt betrifft, haben wir nicht allein bauern vnd Bürger, sondern auch Bürgermeistern vnd Radtmannen ein jeden vnangesehen, welchen standt er geführet, gestraffet, da er wider godt vnd sein wort gehandelt.“930 Gemeint ist damit zweierlei: Zum einen solle die Geistlichkeit als persona civilis bzw. privata der weltlichen Gerichtsbarkeit unterstehen, als Amtsperson aber nicht; zum anderen übe die Geistlichkeit ihr Strafamt nicht gegen die Obrigkeit als Amt, sondern gegen die Person aus.931 Auch an diesem beidseitigen Unterschied zwischen Amt und Person in Verbindung mit der Dreiständelehre wird deutlich, dass Heshusius die Gleichstellung von Geistlichkeit und Obrigkeit postulieren will, das heißt die Gleichrangigkeit der Ordnung bzw. Institutionaliserung von Herrschaft. Heshusius fährt fort, dass es sich bei dem Verbot der Strafamtübung um einen Eingriff der Obrigkeit in das geistliche Regiment und die ganze Gemeinde Gottes handele: „Vber das, so hat er nicht wider meine Person gehandelt, wie Christus sagt, sundiget deine Brüder wider die hohe gotliche Maistat die er gelestert, wider das hochwirdiges predigampt das er teufflichs verachtet, wider die gantze gemeine gots, die er geergert et betrübt, hat er gesundiget. Darumb war auch nötig öffentlich die Sunde zu straffen, vnd wir können ampts wegen nicht vmbgehen.“932 Es zeigt sich, dass Heshusius das Recht auf Mitwirkung der anderen Stände zur Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Herrschaft überhaupt macht. Für ihn ist ausgeschlossen, dass die Obrigkeit ohne die Zustimmung der anderen Stände bzw. Ordnungen Gesetze auferlegen könne. Bei Heshusius sind die drei Ordnungen stets gleichrangig, wechselseitig aufeinander bezogen. Der Rostocker Rat beschuldige ihn dabei, so Heshusius, gegen das Wort Gottes nach Römer 13,1 verstoßen zu haben. Das aber sei ein Missverständnis. Wiederum weist er den Vorwurf unter Verweis auf die Unterscheidung von Amt und Person zurück: „Den so viel unser Person belanget, haben wir mit gots hülfe die Obrikeit geliebte vnd geheret.“933. Wie erwähnt, vertritt Heshusius, wie Melanchthon und Johann Gerhard, die Trennung des geistlichen oder politischen Amts von der jeweiligen per­ sona civilis bzw. privata.934 Deshalb unterstrich er immer wieder, dass die Obrigkeit auch im Falle des Banns ihr Amt nicht verliere und die Untertanen ihren Gehorsam gegenüber der Obrigkeit zu tun schuldig seien: 930  Antwort

(wie Anm. 137), S. 392. den Abschnitt IV. 2. c) hh) custos utriusque tabulae. 932  Antwort (wie Anm. 137), S. 405. 933  Ebd. S. 392. 934  Vgl. M. Honecker, cura religionis (wie Anm. 182), S. 128–129. 931  Vgl.

252

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

„Vnser Bann setzet niemand von seinem Ampt /  verweiset niemand des Landes. Wenn gleich ein Pfarrer einen Bürgermeister /  Amptmann /  oder Fürstlichen Rath vmb seines Gottlosen wesens /  lesterung vnd halsstarigkeit willen in den Bann erklerte /  so were doch damit der Bürgermeister / Amptmann /  oder Rath seines Ampts /  oder diensts nicht entsetzt /  die Vnterthanen weren auch ihrer eydt vnnd pflicht nicht los gezehlet. Denn der geistliche Bann schleust nur aus der Gemeinschafft der Kirchen /  vnd verkündiget dem Menschen /  das er kein theil am Reich Gottes habe /  mit den weltichen Empten hat er nichts zuschaffen /  wiell hernach die hohe weltliche Obrigkeit einen solchen verbanneten /  halsstarrigen vnd gottlosen menschen in den Emptern /  oder auch im Lande nicht leiden /  wie sie dann schuldig ist /  mit weltlicher straffe nachzudrucken /  vnd verfluchte Leute in Emptern nicht zudulden /  das mag sie für sie thun /  die Kirche vnd Predigampt hat damit ncihts zuthun.“935

Hinsichtlich ihrer Amtsführung unterstehen die ministri ecclesiastici nicht der weltlichen Gerichtsbarkeit. Aber als persona civilis bzw. privata sind die Geistlichen dagegen membra et partes reipublicae, also Untertanen, sind sie der weltlichen Gerichtsbarkeit unterworfen.936 Für Heshusius sind Amtsverfehlungen Sache des Konsistoriums und nicht der weltlichen Gerichtsbarkeit. Im Unterschied zu Johann Gerhard räumt er die Notwendigkeit einer eigenständigen geistlichen Gerichtsbarkeit unter Mitwirkung und Zustimmung der christlichen Obrigkeit ein und weist die Zuständigkeit der weltlichen Obrigkeit für diese Konsistorien zurück.937 Subsumierend lässt sich sagen, Heshusius unterschied, den zwei Regimenten entsprechend, zwischen Amt und Person bzw. die persona privata und die persona publica, und verwendet diese Unterscheidung in Verbindung mit der Dreiständelehre. Das Legitimationsmuster der Unterscheidung von Amt und Person war also ebenso ein Bestandteil der Dreiständelehre. ee) Das Konzept des Rechtes auf Widerstand, Gegenwehr und Notwehr Das Thema Widerstand im Luthertum in der Frühen Neuzeit gehört seit Jahrzehnten im deutschen Sprachraum zu den intensiv bearbeiteten Forschungsthemen. Viele Forschungen belegen, dass im Alten Reich des 16. und 17. Jahrhunderts lutherische Bürger, Geistlichkeit und ländliche Bevölkerung gegenüber den Herrschaftsträgern keineswegs nur in Gehorsam und dumpfer Ergebenheit verharrten. Bei genauerer Beobachtung lässt sich vielmehr ein breites Spektrum von Widerstands- und Konfliktformen aufdecken, die nicht 935  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am ersten Sontage nach Ostern / Quasimodo geniti / Johan 20. Bl.  22. 936  Vgl. M. Honecker, cura religionis (wie Anm. 182), S. 128–129. 937  Vgl. Vrsach vnd Grundt /  Warumb (wie Anm. 128), Bl.  Bv–B ii.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius253

nur aus gewaltsamen Erhebungen wie z. B. bäuerlichem Widerstand bestanden, sondern sich auch in weniger spektakulären Vorgängen äußerten: etwa in Obrigkeitskritik der Geistlichkeit, in rechtlichen Auseinandersetzungen vor gerichtlichen Instanzen oder in einem Ungehorsamsverhalten bzw. in passivem Widerstandsverhalten. Auch bei Heshusius lässt sich ein breites Spektrum von Widerstandsstrategien aufdecken: etwa in seiner Obrigkeitskritik, das heißt in „passivem“ Widerstandsverhalten in Gestalt einer leidenden Gehorsamsverweigerung938 oder auch in einem Widerspruch939 (d. h. sich mit Worten gegen etwas zu wenden, es für falsch oder ungültig zu erklären und zu verwerfen). Bei Heshusius äußerte sich dieser Widerstand immer dann, wenn er Brüche des göttlichen, natürlichen und positiven Rechts zu erkennen glaubte oder Pflichtversäumnisse der weltlichen Obrigkeit als custos legis bzw. custos utriusque tabulae legis vorzuliegen schienen. Daneben kannte Heshusius auch ein „aktives“, d. h. tätiges, mit Waffengewalt durchzusetzendes Widerstandsrecht zur Beseitigung einer tyrannischen bzw. unchristlichen 938  „Wenn die Eltern die Kinder /  oder die Obrigkeit die Vnterthanen zu falscher Lehre vnd vnrechten Gottesdienst zwingen wollen. Die Kinder vnd Vntertahen aber /  aus Gottes furcht nicht gehorchen noch folgen“ Postilla (wie Anm. 137) Euangelium am 14.Sontage nach Trinitatis / Luce.17. Bl.  81b; Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am ersten Sontage nach der Offenbarung / Luc. 2. Bl.  K 2b; K 3.; „Wenn die Obrigkeit in diesem jren Kreis bleibet /  vnd das jenige gebeut /  das nicht wider Gott /  noch wider das natürliche Recht ist /  So ist man jr nicht weniger zu gehorsamen schuldig /  als Gott selbst /  […] Sobald nun die Obrigkeit vber dis Ziel springt /  will auch vber das gebieten /  was Gottes ist /  will newe Götezn auff­ richten /  newe Jnterim machen /  newe Religion stifften /  gebieten falsche Lehre anzunemen /  oder sonst etwas zuthun oder zulassen /  das dem klaren Wort GOTtes zuwider ist […]Mann mus Gott mehr gehorsam sein /  dann den Menschen.“ Postilla (wie Anm.137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mat. 22. Bl.  131.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am ersten Sontage des Aduents / Matth. 21. Bl. K 2b. 939  „Nach dem dann des Newe hällisches Edict […] auch der Augspurigischen Confession vnd den ausgetruckten befelch Christi stracks zuwider seind /  als ists nöttig /  das wir Prediger vnd Seelsorger vermög Göttliches worts /  solchen Edict widersprechen.“ Vrsach / Warumb (wie Anm. 135), Bl.  A iiv–A iii; Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl.  J; Postilla (wie Anm. 137), Fünfftzen Passionspredigten /  vom Leiden vnd Sterben vnsers Herrn vnd Heilandes Jhesu Christi. Die fünftte Passionspredigt. Bl.  F3b; „Es ist keinen Keiser noch König erlaubt newe Religion /  on vnd wider GOTes wort zu erdichten vnd den Leuten auffzubinden. Vielmehr sol vnd mus der falschen Lehr widersprochen werden.“ Trewe Warnung (wie Anm. 390), Bl. C vi; „Weil nu dis mein richtig bekenntnis offenbar vnd ich micht allhie gnugsam verwaret vnd angezeigt /  wie weit vnd fern die Oeberkeit mit der Wahl der prediger zu scahffen /  das sie wann sie Christen sindt /  für jre Person jre Stimme mit haben /  […] widersprochen /  das die wahlt vnd beruffung der Prediger nicht in die weltliche Herrschaft und Regierung gehöre /  vnnd also der Oeberkeit mechtiglich sampt dem Schwerdt vbergeben sey.“ Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. D iiiv–Diiij.

254

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Obrigkeit940, zum Schutz der eigenen Person, Familie und Besitz, zum Schutz des politischen Gemeinwesens und zur Bewahrung der geltenden Herrschafts- und Verfassungsordnung. Da das „Widerstandsrecht“941 bei Heshusius für unsere Frage nach dem Charakter des Luthertums im Alten Reich und des Obrigkeitsverständnisses von Heshusius selbst von großer Bedeutung ist, wird das Thema in diesem Rahmen etwas ausführlicher behandelt. Zuvor sollen die zentralen Thesen der Widerstandsforschung und die deutsche Forschungslage zum „Wider­ stands­recht“942 zusammengefasst werden. 940  „Auch will E.F.G. als dem Landsfürsten /  vnd Obrigkeit /  gebüren /  nicht allein vber der Zucht vnd Gerechtigkeit zu halten /  vnd das Vbel zu straffen /  sondern auch die Abgötterey /  vnd den falschen Gottesdienst /  so noch im Lande im schwange gehet /  abzuschaffen /  vnd keine weges zu dulden.“ Postilla (wie Anm. 137), Vorrede. Bl. A vi; „ /  Denn welches Königreich oder fürstentuhmb dem Reich CHRISTI nicht dienet /  das wird ausgerottet vnd vertilget werden.“ Ebd. Bl. A vi v; „ /  Gottes heiligen Namen zu fördern /  vnd aller Lesterung zu wehren.“ Ebd. Bl. A viv; „So wolle es doch einem Erbarn Radt gelichwol Amptswegen gebüren /  den Lesterer abzuschaffen /  nach dem er von dem Dumpfaffen auff vielseitiges anhalten eines Erbarn Radts nicht entsetzt wird.“ Der Prediger zu Bremen (wie Anm. 155) Bl. G ii–G iiv; „Wenn auch halsstarrige Buben sind /  die nach keinem befehl noch züchtigung fragen […] die nimmt die Obrigkeit dem Kopff /  vnd lest jnen durch Meister Hansen in Recht thun.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am II. Sontage nach Trinitatis Luce 14. Bl. 19b; „Wenn die Leut wollen affentlichen Abgötterey treiben […]  /  falsche Lehr vnter das Volck sprengen /  da gebüret der Obrigkeit die Leute zunötigen /  das sie müssen from werden […] gebüret der Obrigkeit abzuschaffen.“ Ebd.; Bl. 19; „ /  Sondern will das sie auch in vnd mit jhrer gantzen Regierung Gott dienen sollen /  nemlich die heilsame Lehre des Euangelij handthaben vnd befordern /  Gottselige Lehrer beschutzen falsche Lehrer sampt jhrer Gottlosen lehre von der Kirchen weg thun vnd abschaffen.“ Sechs Hundert Jrthumb (wie Anm. 387), Bl. Z viii; „ /  vnd falschen Lerer Wolfgangum Amelungum /  ehe dann das Calunische Fewr im Fürstehnthumm Anhalt vberhand neme /  das niemand wird leschen können /  derselbige gütige Gott stere vnd wehre auch.“ Extrackt oder auszug /  aus einem Christlichen Sendbrieff vnd Warnung. Eisleben 1585 [HAB Alven. Dn 254 (6)]. Bl. C iiiv–C iiij. Im Folgenden Extrackt oder auszug. 941  Es handelt sich bei diesem Begriff keineswegs um ein Ausdruck freiheitlicher Opposition gegen den Staat und dessen Organe im Sinne einer im Vormärz entstandenen, dem Staatsdenken des 19. und 20. Jahrhunderts verpflichteten Vorstellung. Es ging ausdrücklich um den Begriff „ius resistendi“ in den zeitgenössischen Quellen, und nicht das „Widerstandsrecht“ als eine Sammelbezeichnung der Forschng, also eine Art Kunstbegriff für Rechtskonstruktion der verschiedensten Art, die das Verhältnis zwischen Obrigkeit und Untertanen regelten, also die Herrschaftsordnung festlegten. Vgl. dazu A. Strohmeyer, Konfessionskonflikt und Herrschaftsordnung (wie Anm. 31), S. 15–18; J. B. Klautke, Recht auf Widerstand gegen die Obrigkeit (wie Anm. 283), S. 262–359; P. Hüttenberger, Vorüberlegung zum „Widerstandsbegriff“, in Geschichte und Gesellschaft. Sonderheft 3. Göttingen 1977; D. Böttcher, Ungehorsam oder Widerstand (wie Anm. 43); R. v. Friedeburg (Hg.), Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit (wie Anm. 97), 942  Die Forschung zum frühneuzeitlichen Widerstandsrecht vollzieht gerade einen Perspektivenwechsel. Die Erkenntnis leitenden Interessen neigen derzeit nicht mehr



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius255

Erstens: Es habe im Luthertum bzw. im Alten Reich der frühen Neuzeit zwar ein Recht auf Widerstand und Gegenwehr im Extremfall gegeben, doch sei ein solches im 16., noch im 17. oder im 18. Jahrhundert niemals ausgeübt worden.943 Zweitens: Der Begriff ius resistendi und Gegenwehr in den zeitgenössischen Quellen impliziere kein Recht der Untertanen gegen die Herrschaft aufzubegehren, sondern kennzeichne nur den Anspruch von Herrschaften bzw. privilegierten Ständen: Der Begriff ius resistendi existiere also in den Quellen in Zusammenhang etwa mit den Reichsfürsten oder den Reichsstädten.944 So sei z. B. der Schmalkaldische Bund nicht als Repräsentant des Volkes oder gar einer bürgerlichen Privatrechtsgesellschaft aufgetreten, sondern als eigentliche Obrigkeit im Reich. Ein naturrechtliches Notwehrrecht der einzelnen Untertanen habe mit der Gegenwehr der reichsunmittelbaren Obrigkeit im Verständnis der Zeitgenossen nichts zu tun. Ein naturrechtliches Notwehrrecht stehe nur dann allen Untertanen zu, wenn keine Obrigkeit zur Hilfe bereit oder in der Lage war. Die einschlägigen Artikel der Carolina (1532) zur Notwehr gestatteten allein die Verteidigung der Familie – gegebenenfalls auch von Nachbarn und Privatgütern – bei rechtsbrüchigen Angriffen auf die Hausstätte. Diese Notwehr, welche einen Restbestand des Naturrechts des „vim vi repellere“ allein in dieser Engführung im Rahmen des Strafrechts einhegte, um im Fall eines Todschlages in Notwehr einen Freispruch zu ermöglichen, unterscheide sich klar von kollektiver und organisierter Widersetzlichkeit von Untertanen gegen die Obrigkeit oder Organe der Obrigkeit. dazu, die Rekonstruktion konkurrierender Verfassungsprinzipien oder konfessionsgeleiteter Verhaltensformen, die jeweils ein wichtiges und möglichst auf die Moderne weisendes Prinzip repräsentieren sollten, zu analysieren, sondern „Argumenta­ tionszusammenhänge“ und Topoi in den Mittelpunkt der Untersuchung zu rücken, welche die Zeitgenossen unter dem Druck verfassungs-, ereignis- und kirchengeschichtlicher Veränderungen und Konflikte entwickelten. Aus dieser Perspektive ist das Thema Widerstandsrecht nicht mehr Ausdruck von Opposition zur Staatsbildung oder ein Deckmantel zur Konsolidierung ständischer Partizipation, sondern ein Teil der das Gemeinwesen allererst formenden Verfassungsdiskussion, wie Friedeburg zu Recht bemerkt hat. Vgl. A. Strohmeyer, Konfessionskonflikt und Herrschaftsordnung (wie Anm. 31), S. 21. 943  L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht (wie Anm.  6), S. 195. 944  R. v. Friedeburg, Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt (wie Anm. 97); ders., Widerstandsrecht im Europa der Neuzeit (wie Anm. 97), S. 11–59. Hier S. 26– 31; ders., Magdeburger Argumentationen zum Recht auf Widerstand gegen die Durschsetzung des Interims (1550–1551) und ihre Stellng in der Geschichte des Widerstandsrechts im Reich, 1523–1626, in: L. Schorn-Schüte (Hg.), Das Interim (1548 / 50), Herrschaftskrise und Glaubenskonflikte (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 203), Gütersloh 2004, S. 389–437.

256

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Ebenfalls geht Strohmeyer in diese Richtung, wenn er sich folgendermaßen äußert: Gegenwehrrecht bzw. Widerstandsrecht – auf ständischer Ebene in Anspruch genommen – bedeute vielmehr die Verteidigung spezifischer Standesprivilegien, darunter des Vorrechts, selbst Obrigkeit zu sein und sich von minder privilegierten Untertanen abzuheben. Deshalb seien adlig-ständischer und bäuerlicher Widerstand voneinander unbedingt zu unterscheiden.945 Die Gegenwehr obliege im Gegensatz zur naturrechtlichen Notwehr den ständischen Eliten oder den städtischen Magistraten, nicht jedoch allen Untertanen.946 Gabriele Haug-Moriz hält den Begriff „Widerstand“ ebenfalls nicht für einen zeitgenössischen relevanten Quellenbegriff. In ihrer jüngsten Untersuchung zum „Widerstand“ im Schmalkaldischen Bundes pointiert HaugMoriz, das Recht auf „präventive“ Gegenwehr stehe nur den Herrschaftsträgern wie den Reichsständen oder der niederen Obrigkeit zu und nicht allen Untertanen, nicht den einzelnen, geschweige den amtlosen Untertanen. Der Bund habe seine Werbung um weitere Bundesgenossen ausgedehnt, jedoch nur auf Städte und hohen Adel eingeschränkt.947 Drittens: Ein stringentes Konzept für ein aktives Widerstandsrecht aller Untertanen, also auch unprivilegierter amtloser Untertanen gegen die Obrigkeit sei im Reich nach der Reformationszeit nicht entwickelt worden.948 Subsumierend lässt sich sagen, dass die gegenwärtige Widerstandsforschung die These der ständischen Widerstandsauffassung vertritt. Ob diese These sich als zutreffend erweist, wird im Folgenden anhand der Analyse zweier Schriften des Heshusius und den unmittelbar verbundenen Werken anderer lutherischer Geistlichkeiten geprüft. Zu bemerken ist, dass sich die Ausführung nicht darauf konzentrieren wird, den sicherlich interessanten Aspekt des Zusammenhangs zwischen den Argumentationsmustern und den Verfassungsvorstellungen zu analysieren, sondern sich eher auf die Charakterisierung des zeitgenössischen Verständnisses des Begriffs „Widerstand“, Gegenwehr und Notwehr und auf die Analyse der Trägergruppe beschränkt.

945  A.

S. 18.

Strohmeyer, Konfessionskonflikt und Herrschaftsordnung (wie Anm. 31),

946  Ebd.

S. 336. Dort Anm. 661. Haug-Moritz, Der Schmalkaldische Bund 1530–1541 / 42 (wie Anm. 289), S. 89–92; dies., Widerstand als Gegenwehr. Die schmalkaldische Konzeption der Gegenwehr und der „gegenwehrliche Krieg“ des Jahres 1542, in: R. v. Friedeburg (Hg.), Widerstandsrecht in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 97), S. 141–161. 948  E. Wolgast, Obrigkeit und Widerstand in der Frühneuzeit der Reformation, in: G. Vogler (Hg.), Wegscheiden der Reformation. Altertatives Denken vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Weimar 1994, S. 235–258. 947  G.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius257

(1) Der Prediger zu Bremen Bekanntnis / vom Nachtmal Jesu Christi949 Um Heshusius’ Gedanken noch deutlicher zu erfassen, soll zuvor ihr Entstehungshintergrund skizzierend dargestellt werden. In der Hansestadt Bremen kam es 1555 zu einem folgenschweren Streit um die Abendmahlslehre, in dessen Folge die gesamte lutherische Geistlichkeit vertrieben sowie 16 Ratsherren und etwa 150 Bürger zur Emigration gezwungen wurden.950 Als der Domprediger Albert Hardenberg951 trotz heftiger Kritik von Seiten der Lutheraner Bremens seine calvinistische Lehre weiter verbreitete und der Rat die Entlassung Hardenbergs nicht durchzusetzen vermochte – nicht zuletzt, weil Hardenberg nicht dem Rat, sondern dem Erzbischof und dem Domkapitel unterstand und vom Oldenburger Grafen unterstützt wurde –, verfasste Heshusius 1560 während seiner Amtszeit als Superintendent in Magdeburg eine Bekenntnisschrift und widmete sie der Stadt Bremen, um das dortige Luthertum zu unterstützen. Adressiert war sie auch an die Landesherren. Heshusius beginnt seine Argumentation nach einer ausführlichen Darlegung der lutherischen Abendmahlslehre. Er hebt die Bedeutung des geistlichen Segens hervor. Der Prediger solle das Wort Gottes lehren und das Volk Gottes zur richtigen Erkenntnis der Wahrheit und damit zur ewigen Seligkeit führen. Dabei bezeichnet Heshusius den geistlichen Segen als den höchsten und herrlichsten, den ein Land oder eine Stadt überhaupt erfahren könne: „Ersame /  wolweise /  grossgünstige liebe Herrn /  Dieser Segen Gottes /  vnd diese wolthat ist ohn allem zweiffel die höhiste vnd herrlichste /  so einem Land oder Stadt mag widerfaren /  wenn Gott nach seiner grossen güte /  sein liebes heiliges Wort /  an einem ort lest auffgehen /  gibt trewe Gottselige Prediger /  die dem Völcklin Gottes erkenntniss fürtragen /  die heilsame Warheit fleissig leren vnd pflantzen /  vnd den weg zur ewigen Seligkeit richtig weisen.“952

Der Wert dieses geistlichen Segens sei höher einzuschätzen als die weltliche Segensbekundungen Gottes, wie z. B. eine vernünftige Obrigkeit, reiche Nahrung usw.953 Anschließend zählt Heshusius die Konsequenzen auf, die Versäumnisse eines Predigers nach sich zögen. Wenn eine Stadt oder ein Land nur von Lügenpredigern, Irrgeistern und Verführern beherrscht werde, erfahren sie Gottes Strafe und Gericht in Gestalt der Zerstörung des 949  Der

Prediger zu Bremen (wie Anm. 155). vgl. P. F. Barton, Umsturz in Bremen (wie Anm. 79), S. 66–76. 951  H. Engelhardt, Das Irrlehrverfahren (wie Anm. 696), S. 32–62. 952  Der Prediger zu Bremen (wie Anm. 155), Bl. F–Fv. 953  „Dieser Segen ist weit vber die zeitliche leibliche güter /  das Gott mancher Stadt oder landschafft /  weise vnd vernünfftige wolthetige Obrigkeit /  guten frieden /  zeitliche narung /  gesunde lufft /  glückselig Regiment /  vnd der gleichen“ Ebd. Bl. Fv. 950  Dazu

258

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Friedens sowie soziale und polizeiliche Unordnung. Weitere Konsequenzen können sich in einer Empörung des Volkes, Aufruhr, Gotteslästerung und der Unterdrückung des Gottesdienstes artikulieren, wofür man im Alten Testament und in der Kirchengeschichte genügend Beispiele finden könne.954 Heshusius warnt so den Bremer Rat davor, den schrecklichen Zorn Gottes durch mangelnde Sorge um die reine Lehre und stillschweigende Duldung falschen Gottesdienstes auf die eigene und auch fremde Städte und Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu ziehen.955 Im Anschluss an die Vorrede erinnert Heshusius den Magistrat der Stadt Bremen an seine von Gott befohlene obrigkeitliche Amtspflicht, als custos primae ecclesiae für das Seelenheil der Untertanen Sorge zu tragen: „Daneben wil auch von nöten sein /  das E. Erb: W. als die Christliche Obrigkeit ein ernstliches einsehen haben /  vnd vermög jres tragenden /  vnd von Gott aufferlegten Ampts /  der falschen Lere /  vnd öffentlichen lesterungen wehre /  vnd die arme Vnterthanen von der Verführung vnd gifft abhalte.“956

Zugleich appelliert er an den Rat der Stadt Bremen, den calvinistisch predigenden Schwärmer Albert Hardenberg957 abzusetzen und auszuweisen: „vnd erwiesenen Rottenkopff vnd Schwermer Doct. Albert Hardenberg /  Humblerer /  endlichen abschaffen. Denn an dem ist nicht gnug /  das E. Erb: W. jre helle vnnd klare bekandtnis /  die dem Göttlichen wort /  vnd Augspurgischen Confession gemess ist /  haben öffentlichen lassen ausgehen /  vnd sich samt jren trewen Seelsorgern von dem Jrregeist Doct: Alberten absondern / “958

Die Begründung dieser Forderung steht wiederum in Bezug zur Dreiständelehre, indem die Pflicht des Bremer Rats, die falsche Lehre zu beseitigen, betont wird: 954  „ /  wenn Gott vmb der Welt vndancks vnnd bösheit willen /  einem Landt oder Stadt /  das heilsame liecht der warheit entzeucht /  vnnd an jre Stadt schickt finsterniss /  lügen vnd jrthumb /  vnd lest Lügenprediger /  Jrregeister vnd Verfürer aufftreten /  die das arme Völcklin mit jhrer falscher Lere vergifften /  vnd einnemen […] Dadurch denn nicht allein der zeitliche Fried zerstöret /  alle gute Ordnung vnd Po­ licey zerrüttet /  grausame vneinigkeit misstrew vnnd empörung vnter dem Bürgern gestifftet wird /  Sondern das viel ein grössers ist Gottes Name gelestert /  der ware Gottes dienst vnterdruckt /  vnd der armen Leut seligkeit vnd ewige wolfart verhindert wird […] Wie man denn sihet in allen Kirchen Historien /  […].“ Ebd. Fv–F iiv. 955  „Das nu die Obrigkeit /  vnd viel Lerer vnd Regenten der Kirchen /  solchen jamer vnd angehende finsternis nicht achten /  sondern dazu stillschweigen /  ist auch ein teil des Göttlichen zorns vnnd straffe […] in Erb: Stadt gantzer Deutscher Nation /  vnd allen stedten /  so Gottes wort noch haben zum Exempel vnd zur warnung / “ Ebd. Bl.  F iiij–F iiijv. 956  Der Prediger zu Bremen (wie Anm. 155), Bl. G. 957  H. Engelhardt, Das Irrlehrverfahren (wie Anm. 696), S. 32–62. 958  Der Prediger zu Bremen (wie Anm. 155), Bl. Gv.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius259 „sondern Gott fordert auch von E.Erb: W. Das sie als Gottes dienerin vnd Stadt­ halterin der falscher lere wehre /  vnd die lesterung bey jnen nicht leide.“959

Die weltliche Obrigkeit sei Hüter und Schutzherr beider Tafeln Moses. Ein christlicher Regent müsse ein custos utriusque tabulae sein und deshalb sei er nicht nur für das äußere Wohl der Untertanen, sondern auch für deren Seelenheil zuständig.960 Gleichzeitig beschränkt Heshusius die Grenzen der Gewaltanwendung durch die Obrigkeit in Bremen auf den äußeren Bereich der Kirche.961 Es wird ersichtlich, wie er sich um ein Gleichgewicht zwischen verfassungsgemäßer Pflichterfüllung und verfassungswidriger Kompetenzerweiterung der Obrigkeit in Fragen der Kirche müht. Im Übrigen sei die Obrigkeit, wie die Schrift (Ps. 82) es vorschreibe, dazu berufen, nicht nur für den Bauch bzw. das leibliche Wohlergehen der Untertanen zu sorgen, sondern Gottes Wort und die Seligkeit der Untertanen zu fördern.962 Heshusius zählt nun viele Vorbilder gottseliger Regenten aus dem Alten Testament und aus der Kirchengeschichte auf: „wie denn auch die Exempeln der Gottseligen Regenten ausweisen. Als Dauidis / Assa / Josaphat / Ezechie / Josie / Constantini Magni / Theodosij vnd anderer.“963 Zudem beruft er sich auf Psalm 24 und betont nochmals, die cura reli­ gionis sei der Obrigkeit Pflicht und ein Befehl Gottes. Die Funktion eines öffentlichen Amtes bestehe keineswegs im Selbstzweck, sondern diene der Kirche und damit Gott: „Das ist jr Regenten vnd Herrn /  darnach richtet ewre gantze regierung /  das Christus mit seiner warheit bey euch platz habe /  vnd nicht der Teuffel mit seinen lügen. Jtem /  jr Könige vnd Richter auff Erden dienet dem HErrn. Sol nu die gantze regierung Christo dienen.“964 Im Folgenden greift Heshusius dann ein umstrittenes und sensibles Thema der zeitgenössischen stadtpolitischen Diskussion auf, nämlich den Konflikt zwischen landesherrschaftlicher Kompetenzerweiterung in der Stadtpolitik und dem Autonomiestreben der Stadt. Er wusste, dass die Stadt Bremen wegen ihrer begrenzten Befugnisse Maßnahmen gegen Hardenberg nicht durchführen konnte, da dieser nicht der Stadt Bremen, sondern dem Erzbischof und dem Oldenburger Grafen unterstand: „Hie weiss ich nu wol das 959  Ebd.

960  „Denn die weltliche Oberkeit ist ein hüter vnd Schützherr /  beider taffeln Moisis / .“ Ebd. 961  „so viel die eusserliche zucht betrifft.“ Ebd. 962  „Darumb sie vom heiligen Geist Götter genenet werden /  das sie nicht allein den bauch versorgen /  sondern auch die Göttliche sachen /  Gottes wort vnd des Menschen seligkeit fordern vnd handhaben sollen.“ Ebd. 963  Ebd. 964  Ebd. Bl Gv–G ii.

260

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

man fürwirfft /  Der Lügengeist Doct: Albert gehöre nicht vnter eines Erb: Radts gebiete /  sey der Dumpfaffen diener.“965 Dennoch fordert er von der Stadt Bremen, sich durchzusetzen. Den Aufruf zum aktiven Widerstand rechtfertigt Heshusius mit drei Argumenten. Die strikte Trennung von geistlichem und weltlichem Regiment bedeute, dass der Erzbischof keine weltliche Gerichtsbarkeit mehr besitze, wie das Wort Gottes eindeutig beweise. Daher könne die Stadt Bremen von ihrer Schwertgewalt Gebrauch machen. Doch selbst wenn der Erzbischof über weltliche Gerichtsbarkeit verfügte, müsse die Stadtregierung als von Gott beauftragte Obrigkeit, die dieselbe Amtspflicht und Aufgabe trage wie der Landesfürst, die eigenen Untertanen vor falschen Lehren, öffentlichen Gotteslästerungen und unrechter Gewalt schützen: „Aber wens gleich also were /  das die Dumpfaffen jre weltliche Jurisdiction on alle einrede an den vnd dergleichen örtern hetten /  […] So wolle es doch einem Erbarn Radt gleichwol Amptswegen gebüren /  den Lesterer abzuschaffen /  nach dem er von den Dumpfaffen auff vielseitiges anhalten eines Erbarn Radts nicht entsetzt wird.“966

Heshusius verwendet hier nicht explizit die Begriffe „niedere Obrigkeit“ und „höhere Obrigkeit“ sowie die „persona privata“ und die „persona publica“ und erwähnt auch nicht das Widerstandsrecht der niederen Magistrate. Es ist dennoch deutlich erkennbar, dass er von den Vorstellungen der reichsrechtlichen Widerstandsauffassung der lutherischen Theologen und Juristen, insbesondere Bugenhangens und der sächsisch-hessischen Juristen, die sich angesichts der reichspolitisch verhärteten Fronten der 30er Jahre des 16. Jahrhunderts vor die Notwendigkeit gestellt sahen, sich „in einer bis dahin nicht gekannten umfassenden, detaillierten und zugleich grundsätzlichen Weise zum Verfassungsrecht des Reiches zu äußeren“967 und die dabei das spätmittelalterliche reichsrechtliche bzw. ständische Widerstandsrecht aus Sicht der aristokratischen Reichsverfassung in Fragen der Religion uneingeschränkt anerkannt hatten, ausgeht. 965  Ebd. 966  Ebd.

Bl. G ii.

967  Vgl. dazu E. Isenmann, Widerstandsrecht und Verfassung im Spätmittelalter und früher Neuzeit, in: Helmut Neuhaus / Barbara Stollberg-Rilinger (Hg.), Menschen und Strukturen in der Geschichte Alteuropas. Berlin 2002. S. 37–52. Hier S. 50; W. Schulze, Zwingli. Lutherisches Widerstandsdenken (wie Anm. 44), S. 204; Zur Bugenhagens Argumentationen, die Unterscheidung zwischen zwei personae der christlichen weltlichen Obrigkeit in seiner Widerstandsauffassung vgl. bes. E. Wolgast, Die Wittenberger Theologie (wie Anm. 44), S. 136 ff. sowie D. Böttcher, Ungehorsam oder Widerstand (wie Anm. 43), S. 23–25; Zur Position sächsischer und hessischer Juristen vgl. E. Wolgast, Die Wittenberger Theologie (wie Anm. 44), S.  169 ff.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius261

Zum dritten beruft Heshusius sich zur Rechtfertigung des aktiven Widerstandes auf das Naturrecht der Notwehr in römisch-rechtlicher Tradition: „Der vrsachen wurd ein Erbar Radt zu solcher abschaffung /  als zur gebürlicher Christlicher notwehr gedrungen vnd genötiget.“968 Für Heshusius ist das Naturrecht der Notwehr ein weiterer legitimer Grund für den aktiven Widerstand. Denn gegenüber einer weltlichen Obrigkeit, die ihre von Gott anvertrauten Aufgaben und Pflichten versäumt und die Untertanen gegen Gott, Naturrecht und sogar geltendes positives Gesetz zur falschen Lehre zwingt, ist Notwehr legitim. Interessant ist, dass er dieses naturrechtliche Notwehrargument aus römisch-rechtlicher Tradition mit der protestantisch-theologischen Rechtfertigung in Verbindung bringt. Deshalb gebraucht er den Ausdruck „Christlicher notwehr“. Das ist eine Formulierung, die den Begriff „Notwehr“ keineswegs exklusiv nur an einen juristischen Wissensbestand oder theologischen Traditionsbestand bindet, sondern vielmehr an die juristisch-theologische Deutungstradition der zeitgenössischen Theologen und Juristen. Diese Formulierung macht deutlich, dass bei Heshusius die juristischen und theologischen Traditionsbestände wechselseitig kommuniziert wurden und dass sich die Verbindungen zwischen theologischer und juristischer Perspektive offensichtlich bei ihm vollzogen, wie es bei Bugenhagen bereits der Fall war.969 Heshusius führt weiter aus: Die Stadt Bremen sei berechtigt, dem Landesfürsten aktiv zu widerstehen, weil sie sich in einer ernsten leiblichen Not befände. Sie müsse darum vom Notwehrrecht Gebrauch machen, genauso wie ein Hausvater angesichts einer leiblichen Not gegenüber einem Mörder und Räuber vom naturrechtlichen Notwehrrecht Gebrauch machen könne: „Gleich wie ein Haussuater schüldig ist seine Kindlin wider eines vntrewen bösen Nachbawren gewalt vnd bössheit zu schützen /  wens gleich ins Nachbawren hauss geschehen muste.“970

Die zitierte Stelle „wens gleich ins Nachbawren hauss geschehen muste“ macht deutlich, dass der Begriff Notwehr bei Heshusius nicht mehr nur auf den natürlichen Schutz des Menschen gegen unrechte Gewalt bzw. eine nur 968  Der

Prediger zu Bremen (wie Anm. 155), Bl. G ii. vgl. bes. L. Schorn-Schütte, politische Kommunikation (wie Anm. 56), S. 297 f.; Zum Begriff und seiner Bedeutung aus Sicht der zeitgenössischen politische Kommunikation siehe G. Haug-Moritz, Widerstand als „Gegenwehr“ Die schmalkaldische Konzeption der „Gegenwehr“ und der „gegenwehrliche“ Krieg des Jahres 1542, in: R. v. Friedeburg (Hg.), Widerstandsrecht im Europa (wie Anm. 97), S. 141–161. Zum zeitgenössischen Notwehr-Begriff auch siehe A. Knetsch, Der Begriff der Notwehr nach der peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karl V und dem Strafgesetzbuch für das deutsche Reich. Berlin 1906, S. 8–10; 19–24, sowie D. Böttcher, Ungehorsam oder Widerstand (wie Anm. 44), S. 31–39. 970  Der Prediger zu Bremen (wie Anm. 155), Bl. G iiv. 969  Dazu

262

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

zur Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs erforderliche Selbstverteidigung beschränkt ist. Heshusius setzt ihn in Verbindung mit „präventiver Gegenwehr“. Die von Luther und Melanchthon nach 1530 vertretene Widerstandsauffassung des „vim vi repellere licet“ bedeutet ein grundsätzlich jedem Menschen naturrechtlich zukommendes „Werk Gottes“, das potenziell jedem angegriffenen Menschen oder politischen Gemeinwesen bei der Selbstverteidigung seiner Person und seiner Familie, seines Eigentums, seines Glaubens und Gewissens als Recht zur Verfügung steht.971 Heshusius beschreibt aber Notwehr als einen zur Abwehr „böswilliger“ Angriffe zweckdienlichen, „vorsorglichen und vorbeugenden“ Gegenangriff. „Notwehr“ tritt demzufolge auch in militärischen Konflikt- und Notsituationen in Erscheinung, nicht nur als bloße Abwehr im Falle eines unrechten Angriffs, sondern auch „präventiv“ als gewaltsame Gegenwehr gegen erwartete Gefahren. Der Begriff „präventiv“ erscheint zwar zu „modern“, doch er ist in Bezug auf das Nachbarhaus für die Frühe Neuzeit bzw. das 16. Jahrhundert anwendbar. Es ging zu jener Zeit rechtlich immer um das Problem, bei einem Notfall bzw. einer Straftat im Nachbarhaus zu helfen. Dies war zu jener Zeit nicht nur zulässig, sondern vielmehr soziale und z. T. sogar rechtliche Pflicht jedes Bürgers oder Einwohners eines Dorfes, einer Stadt und eines Territoriums. Grundsätzlich waren alle Nachbarn durch soziale Normen, Gewohnheitsrecht und älteres Recht (z. B. Weistümer) sowie auch durch Gesetze dazu verpflichtet, bei Straftaten einzugreifen,972 Hilfe zu leisten, Täter zu verfolgen oder Straftaten zumindest der Obrigkeit anzuzeigen.973 Es ging hier wesentlich um den Problemkomplex, ob und inwiefern der Frieden eines Hauses, der so genannte „Hausfrieden“974, durch das helfende Eingreifen verletzt werden dürfe bzw. ob jemand, der einem bedrängten Nachbarn hilft und dabei in dessen Haus geht, als „Eindringling“ einer Verletzung des Hausfriedens beschuldigt werden könne. 971  R. v. Friedeburg (Hg.), Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit (wie Anm. 97), S. 16–17. 972  Zur Eingriffs- und Anzeigepflicht vgl. S. Leutenbauer, Das Delikt der Gotteslästerung in der bayerischen Gesetzgebung. Köln / Wien 1984; F. Loetz, Mit Gott handeln. Von den Zürcher Gotteslästern der Frühen Neuzeit zu einer Kulturgeschichte des Religiösen. Göttingen 2002; C. Birr, Weistümer und „Ländliche Rechtsquellen“, in: J. Pauser /  M. Scheutz /  T. Winkel­bau­er (Hg.), Quellenkunde der Habs­ burgermonarchie (16.–18. Jahrhundert), Ein exemplarisches Handbuch. München 2004, S. 390–408. 973  Vgl. B. Carpzov, Practica Nova Imperialis Saxonica Rerum Criminalium. In Partes III. Divisa. Wittenberg 1646. 974  Vgl. E. Osenbrüggen, Der Hausfrieden. Ein Beitrag zur deutschen Rechtsgeschichte. Aalen 1968.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius263

In den Grundsätzen des „Stadtrechts“, des Gewohnheitsrechts oder älteren Rechts (Weistümer) im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, insbesondere im 16. Jahrhundert, ist das Recht, dass jeder Bürger in seinem Haus Frieden haben solle, mit Nachdruck verbürgt – bisweilen fast im Sinne des englischen Spruchs „my house is my castle: Unicuique civium domus sua sit pro munitione“.975 „Hausfrieden“ bedeutet die Unverletzlichkeit der Wohnung oder des Hauses als eines besonderen Friedensbezirks.976 Sogar die Statuten von Nordhausen fassen den Hausfrieden als Grundlage der Bürgerfreiheit auf: „des haben sich dy borgere von erst voreynt, das ein iglich borger sal haben frede in syneme husz.“977 Heshusius’ Erwähnung der Belegstelle, „wens gleich ins Nachbawren hauss geschehen muste“, ist umso bedeutsamer und interessanter, als er damit die Stadt Bremen auffordert, in ein „souveränes“ benachbartes Fremdgebiet einzugreifen bzw. sich einzumischen, wenn dort eine lebensbedroh­ liche Lage erkennbar ist. Dass die Stadt Bremen durch diesen Eingriff als „Eindringling“ einer Verletzung des Stadt- und Landfriedens bezichtigt und auch bestraft werden könnte und dass die Grundlage der Bürgerfreiheit in dieser dritten Stadt verletzt würde, ist für Heshusius offenbar von geringerer Bedeutung. Modern ausgedrückt hieße das, ein souveräner Staat könne einen anderen souveränen Staat „präventiv angreifen“ und sozusagen Fürsorge-Aufgaben bzw. Pflichten leisten, wenn jener andere von unrechter und lebensbedrohlicher Gewalt heimgesucht wird, auch wenn dieser Staat als „Eindringling“ einer Verletzung des Staatsfriedens bzw. Grundmenschenrechts schuldig würde und die souveräne Freiheit tatsächlich verletzt wäre. Die zitierte Stelle ist im Kontext von Heshusius’ politischer Norm- und Ordnungsvorstellung978 interessant und bedeutsam, da er hier die bürgerliche Freiheit im Sinne des autonomen ständischen Teilhaberechts am landesherrlichen Regiment bzw. des Konsensrechts der freien und eigenständigen Landstände neben das Gemeinwohl als höchsten politischen Grundwert stellt und diesen politischen Grundwert in der institutionalisierten Herr975  Stadtrecht von Enns 1212, bei Schwind-Dopsch, Ausgew. Urk., 1895, Nr. 26. Zitiert nach A. Erler /  E. Kaufmann (Hg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Berlin 1971. Bd. 1, S. 2023. 976  B. Diestelkampf, Die Städteprivilegien Herzog Ottos des Kindes, ersten Herzogs von Braunschweig-Lüneburg (1204–1252), (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 59), Hildesheim 1961, S. 195 ff. 977  E. G. Förstermann (Hg.), Die Gesetzsammlung der Stadt Nordhausen im 15. und 16. Jahrhundert. 1843. I § 1. Zitiert nach Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (wie Anm. 975), S. 2023. 978  Vgl. C. S. Park, Politica christiana und die politische Kommunikation (wie Anm. 163), S. 75–98.

264

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

schaftsordnung der „konsensgestützten Herrschaft“979 verwirklicht sieht. Das heißt, Heshusius’ Notwehr-Vorstellung beinhaltet ganz bewusst keine reagierende Abwehrhandlung, sondern einen zur Abwehr „böswilliger“ und rechtswidriger Angriffe zweckdienlichen „präventiven“ Gegenangriff. Die Stadt Bremen könne und dürfe in die benachbarten Städte oder Territorien „präventiv“ eingreifen, auch wenn durch diese Einmischung Bremen einer Verletzung des Landfriedens und eines Reichsverbrechens980 beschuldigt worden wäre und die politische institutionalisierte Ordnung ins Wanken geraten würde. Heshusius setzt nun den Begriff „präventiver“ Widerstand“ bzw. Gegenwehr in direkte Beziehung zum Krieg. Er vergleicht die ernste Lage der Stadt Bremen mit einer bedrohlichen Kriegslage, um seine dringende Forderung zur unmittelbaren Verwendung des „Präventivschlags“ zu bekräftigen. Der Magistrat Bremens müsse dem Landesfürsten unverzüglich aktiv und vorbeugend widerstehen bzw. sich gegen ihn wehren, da er sich in einer höchst gefährlichen Notlage, quasi im Krieg, befinde: „Solche necessariam defensionem würde man bald verstehen vnnd die Argument bald finden /  wenn leibliche not fürhanden were /  Als wenn die Dumbpfaffen im Thumb zu Bremen wolten eine Mordgruben anrichten /  vnnd teglich etliche Bürger drein würgen /  oder mit Bürger Töchter vnd Weiber vnzucht vnd alle schand vben /  müsten nicht ein Erbar Radt Ampts wegen /  dem grawsamen ergernis weh­ ren /  vnnd jre Vnterthanen beim leben vnd bey ehren erhalten.“981

Nach Heshusius versuchten die Calvinisten, die Dächer der Stadt vom Kirchturm aus in Brand zu setzen, so dass niemand zu Hause sicher leben könne. Sie töteten die Bürger täglich.982 Deshalb müsse die Bremer Stadt­ obrigkeit aus Notwehr diesen präventiven Krieg führen, denn sie sei als niedere Obrigkeit bzw. Amtsinhaber verpflichtet, ihre Untertanen vor Gewalt zu schützen: 979  Vgl.

K. Schreiner / U. Meier, regimen civitatis (wie Anm. 51), S. 9–34. Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (wie Anm. 975), Bd. 2, S. 1465–1481. Zum Schutz des rechten Glaubens die Waffen „präventiv“ zu ergreifen war sittlich zu jener Zeit bereits erlaubt. Wenn die rechtmäßige Obrigkeit zur Rettung seiner um ihres Glaubens willen verfolgte Untertanen einen anderen „Staat“ um Hilfe ersuchen, so ist dessen politisches „präventive“ Eingreifen eine Tat christlicher Nächstenliebe. Eine christliche Obrigkeit kann zugunsten bedrängter Glaubensgenossen in anderen Staaten intervenieren. Vgl. M. Honecker. cura religionis (wie Anm. 182): S. 133. 981  Der Prediger Bremen (wie Anm. 155), Bl. G iiv. 982  „Als wenn die Dumbpfaffen im Thumb zu Bremen wolten eine Mordgruben anrichten /  vnnd teglich etliche Bürger drein würgen /  oder mit Bürger Töchter vnd Weiber vnzucht vnd alle schand vben /  […] oder wenn man aus dem Thumb fewr in die Stadt schiessen wolt /  das niemand in seinem Haus sicher wonen köndte.“ Ebd. Bl. G iiv. 980  Vgl.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius265 „es würde ein Erbar Radt zur Notwehr gedrungen /  vnd hette es von Gott befehl /  die vnterthanen für gewalt zu schützen.“983

Damit wird deutlich, dass Heshusius hierbei den „Krieg“ als Notwehr im Sinne eines „Präventivschlags“ anerkannt hat. Zwar versteht Heshusius darunter in erster Linie einen geistlichen Krieg um die Seele, verbindet damit jedoch eine reale Kriegsvorstellung, da das Widerstandsrecht gegen die geistlichen Feinde in Bremen zugleich auch ein Widerstand gegen die weltliche Obrigkeit ist. Dieser Aufruf an die Stadt Bremen zum „präventiven“ Widerstand gipfelt schließlich in der rhetorischen Frage: „Jst hie keine wehr vnd widerstant von nöten.“984 Es ist an dieser Stelle wichtig, die Frage zu stellen, was Heshusius bzw. die lutherische Geistlichkeit in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts unter „Widerstand“ verstanden hat und unter welchen Voraussetzungen dieser als legitim galt. Dies lässt sich aus begriffsgeschichtlicher Perspektive durch umfassende Auswertung der Quellen beantworten.985 Wie für die christlichen Staats- und Rechtsdenker der Antike, des Spätmittelalters und auch der Reformationszeit spielt für Heshusius die Frage, was ein Tyrann sei und welche Merkmale die tyrannische Herrschaft kennzeichnen, für die Auffassung des Widerstandsrechts eine zentrale Rolle. Zwar befasste sich Heshusius nicht systematisch mit dieser Frage, dennoch kann festgestellt werden, dass für Heshusius solche als Tyrannen galten, die ihre von Gott anvertrauten Aufgaben und Pflichten, die Schwert- und Schlüsselgewalt nach den Normen der Bibel, des göttlichen Gesetzes, des Naturrechts, des geltenden positiven Rechts, der Billigkeit, der Vernunft und auch des Gewissens nicht wahrnehmen und über die Definitionen der Dreiständelehre hinaus zu missbrauchen und auszuweiten trachteten,986 indem sie die von Gott gezogenen Grenzen der Schöpfungsordnung verletzten und in ein fremdes Amt eingriffen.987 Im Anschluss an die von Johannes Bugenhagen (1485–1558), Justus 983  Ebd. 984  Ebd.

985  Vgl. T. Quilisch, Das Widerstandsrecht und die Idee des religiösen Bundes bei Thomas Müntzer (Beiträge zur Politischen Wissenschaft 113), Berlin 1999, S. 19–50; E. Wolgast, Obrigkeit und Widerstand (wie Anm. 948), S. 236–237. 986  „Diese vnsegliche sünde begehet der /  die gewalt der Schlüssel zur Tyranney misbrauchet /  vnnd fromen christen das Sacrament aus hass vnd rachgir wegert“. Vom Ampt und gewalt (wie Anm. 154), Bl. K iiv; „Denn so die Weltliche Obrigkeit jres schwert misbrauchet zur Tiranney.“ Ebd. Bl. C iiiv. 987  „Diese Tyrannen wissens vnnd bekennens /  das vnser Predigampts Gottes vnd des H. Geistes sey vnd nichts desto weniger drucken sie es mit macht /  hemmen vnd hindern mit höhesten fleis /  das man den armen sichern Sündern […]  /  sperren den Herrn Christo sein geistlich Reich darinnen sie doch nichts zu gebieten noch zuuer­ bieten haben […]  /  denn solcher gewalt wollen sie /  als die Christliche Oberkeit /  vnd gliedmassen der Kirchen gebrauchen.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154),

266

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Menius (1499–1558) und Friedrich Mykonius (1490–1546) im Kontext des Schmalkaldischen Krieges vertretene Ansicht, eine Obrigkeit, die ihren von Gott auferlegten Schutzauftrag nicht erfüllt, höre auf, eine obrigkeitliche Gewalt bzw. überhaupt eine Gewalt zu sein,988 vertritt Heshusius ohne Zweifel dieselbe Auffassung. Deshalb bezeichnete er solche Obrigkeit mit einem polemischen Begriff als politischen Antichrist in Analogie zum religiösen Antichrist,989 gegen den jedes Mittel, auch „präventive“ Gegenwehr legitim ist. Zu bemerken ist, dass Heshusius hier den Begriff „Notwehr“ nach der römischen Rechts- und Staatstradition von dem Begriff „Widerstand“ nicht deutlich unterscheidet, eher gebraucht er beide Begriffe synonym. Unter dem Begriff „Widerstand“ versteht Heshusius, wie bereits dargestellt, zunächst den spätmittelalterlichen naturrechtlichen Grundsatz des natürlichen Schutzes gegen unrechte Gewalt.990 Jedoch ist der Begriff „Widerstand“ für Heshusius nicht nur eine reaktive Abwehrhandlung aus Notwehr, sondern vielmehr auch ein aktiver und vorbeugender, „präventiver“ Gegenangriff, der nicht einfach einen Sonderfall von Notwehr darstellt, sondern Gegenwehr gegen eine unrecht handelnde Obrigkeit und deren rechtswidrige Angriffe bedeutet. Die naturrechtliche Legitimation zum „präventiven“ Gegenangriff überwiegt in diesem Fall das Recht der Obrigkeit, für den Erhalt der Gemeinschaft Gehorsam zu erzwingen. Heshusius fordert schließlich die Obrigkeiten benachbarter Städte sowie die Fürsten des niedersächsischen Kreises auf, soweit sie das Augsburgische Bekenntnis abgelegt hätten, der Bremer Obrigkeit in ihrem „präventiven“ Notwehrrecht bzw. in ihrem „präventiven“ Krieg kollektiv beizustehen: „Auch die Durchleuchtige vnd Hochgebornen fürsten vnnd Herrn /  des Niedersechsischen Kreisses /  vnd die Erbarn benachbarten Stedte /  meine gnedige vnd günstige Hern /  die sich zu der ware vnuerfelschten Augspurgischen bekandtniss bekennen /  Vermane vnd erinnere ich vnterthenig vnd dienstlich /  Jre F. G. vnd Erb: wolens Bl. A viiv–viii; „Denn was für vnheil vnd jamer daraus entstehet /  wenn diese zwey vnterschiedene Empter in einnander gemenget vnd geworffen werden […] in dem verfluchten Teufflichem Bapsthum wol erfaren […]  /  vnd ist aus dem Bischofflichem lehrampt ein Keiserlichs tyrannisch Bapstum […] Denn die Keiserliche Bepst vnd Königliche Bischoffe haben mit jrem weltlichen Schwert /  auch pracht so viel zu thun gehabt /  das sie des Geistlichen Schwerts des Göttlichen worts nicht haben warten können.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B iiv–B iii. 988  Vgl. L. Schorn-Schütte, Politische Kommunikation in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 56), S. 296ff; G. Haug-Moritz, Der Schmalkaldische Bund 1530–1541 / 42 (wie Anm. 289), S. 87 ff. 989  „Das auch die weltliche Regenten so gar wollen Hern sein des Predigampts /  richtet nicht viel guts an /  wie für augen. Denn es der Polticus Anchristus schier zu vnser zeit dahin bracht.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. M. 990  D. Böttcher, Ungehorsam oder Widerstand (wie Anm. 44), S. 32.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius267 Christlich behertzigen /  was sie in jren Landen vnd Stedten haben zubesorgen /  Wenn diesem jamer lenger sol zugesehen werden /  Denn wie Paulus sagt: Die falsche Lehre frist vmb sich her wie der Krebs /  […] Darumb wolten Jre F.G.vnd Erbarkeiten /  beide aus Christlichem mitleiden vnd liebe /  auch einer der warheit /  vnd auch jren eigen Vnterthanen zum bestehen /  der guten Stadt Bremen /  die vnter den Stedten in gantz Deutschland fast die erste gewesen ist /  so nach Wittenberg das liebe Euangelion angenommen /  vnd zur zeit des verfluchten Jnterims bestendiglich bekandt hat /  mit radt vnd beystand zu hülff kommen /  das die falsche Lere daselbst ausgerottet /  vnd die Christliche Kirche wider zur recht mag gebracht werden. Welches on zweiffel dem lieben Gott ein angenemer dienst sein wird.“991

Damit wird deutlich, dass für Heshusius „Notwehr“ nicht nur eine gegenseitige Schutzzusage im Falle militärischer Aggression umfasst, sondern wie bei dem Begriff der „Gegenwehr“ im Schmalkaldischen Bund992 jede Form offensiven gewaltsamen Handelns beinhaltet. Die „präventive“ Verpflichtung zur Hilfe in militärischen Notfällen ist für Heshusius ein fester Bestandteil der Fürsorge-Aufgabe des Bundes. Heshusius zieht somit nicht nur eine individuelle „vorsorgliche“ Gewaltanwendung gegen die unrechtmäßigen Übergriffe der Obrigkeit, sondern auch organisierte, kollektive Präventivschläge als gerechtfertigt in Betrachtung. Er ist überzeugt davon, dass ein verbündeter „Staat“ auch das Recht hat, „souveräne“ Nachbarstaaten militärisch zu unterstützen, wenn diese gewaltsam angegriffen werden. Fasst man diese skizzenhaften Ausführungen zusammen, so ergibt sich Folgendes: 1. Heshusius vertrat die Auffassung eines aktiven und „präventiven“ Widerstandsrechts im Falle einer militärischen Not- und Konfliktsituation. Er unterschied kaum zwischen der Gegenwehr der reichsunmittelbaren Obrigkeit und dem naturrechtlichen Notwehrrecht einzelner Untertanen. Vielmehr bringt er die beide Begriffe in Verbindung. Insbesondere sah er nicht nur die „individuelle“ vorbeugende Gewaltanwendung, sondern auch den kollektiven „Präventivschlag“ gegen eine rechtswidrig handelnde Obrigkeit als legitim an. 2. Der Widerstandsgedanke von Heshusius ist als ein typisches Beispiel für eine „neuerliche“ Verzahnung von theologischen und juristischen Wissensbestände zu charakterisieren. Er nahm in seine Widerstandsauffassung beide juristische Hauptströmungen der spätmittelalterlichen Widerstandstheorie im Luthertum in einer Form der Synthese auf, nämlich das naturrechtliche Widerstandsrecht in römisch-rechtlicher Tradition993 sowie das reichsPrediger zu Bremen (wie Anm. 155), Bl. G iii – G iiiv. Haug-Moritz, Der Schmalkaldische Bund 1530–1541 / 42 (wie Anm. 289),

991  Der 992  G.

S. 89–92. 993  Vgl. W. Schulze, Zwingli, lutherisches Widerstandsdenken (wie Anm. 44), S. 199–216.

268

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

rechtliche bzw. ständische Widerstandsrecht der niederen Obrigkeit und setzte sie in Form einer politischen Kommunikation mit der natürlichen göttlichen Ordnung, der Schöpfungsordnung neu zusammen. Wie die juristischen und theologischen Politikberater, die im Schmalkaldischen Krieg und in der Magdeburger Auseinandersetzung gegen den Kaiser Karl V. zur Formulierung einer lutherischen politischen Grundlinie in enger Abstimmung kooperierten und dabei die jeweiligen Wissensbestände wechselseitig kommunizierend zusammensetzten,994 führte Heshusius ebenfalls theologische und juristische Legitimitätsstränge zusammen und formulierte daraus eine lutherisch-politische Widerstandsauffassung bzw. Ethik und verbreitete sie. Zwar hat er diese Thematik nicht ausführlich theoretisiert, dennoch müssen seine Vorstellungen als eine „neue“ Qualität im Widerstandsdenken anerkannt werden. (2) Vrsach / Warumb das Newe Hällische Mandat / 995 Im August 1561 veröffentlichten die Stände der Niedersächsischen Reichskreise in Lüneburg ein Mandat „Wider das Schelten auf den Cantzlen“,996 da sie aufgrund der „Hardenbergschen Unruhen“997 befürchteten, dass theologische Zänkerei und geistliche Kanzelkritik dem Land weder öffentliche Ruhe noch Frieden bringen würden. In diesem Mandat wurde den Pfarrern – mit ausdrücklichem Bezug auf die vielfältigen Kontroversen um geistliche Kanzelkritik und deren schädliche Wirkung auf das Volk – die Fortsetzung dieser Art der Kirchenzucht untersagt. Der theologischen Zänkerei sollte seitens der Obrigkeiten hinfort gewehrt werden. Fortan sollte im niedersächsischen Kreis kein theologisches Buch mehr ohne obrigkeitliche Erlaubnis publiziert werden.998 Der Erzbischof von Magdeburg, Sigismund, druckte dieses Mandat in Halle und veröffentlichte es in der Stadt Magdeburg, um seine oberhoheitlichen Ansprüche in der Stadt Magdeburg zu stabilisieren. Doch sein kirchenpolitisches Vorhaben bzw. sein Herrschaftsanspruch stießen auf nicht unerheblichen Widerstand. Heshusius betrachtete 994  Vgl. L. Schorn-Schütte, Politische Kommunikation (wie Anm. 56), S. 295; T. Kaufmann, Konfession und Kultur (wie Anm. 42), S. 34 ff; ders., Das Ende der Reformation (wie Anm. 42), S. 145; G. Haug-Moritz, Der Schmalkaldische Bund 1530–1541 / 42 (wie Anm. 289), S. 89–92. 995  Vrsach / Warumb (wie Anm. 156). 996  Zum Folgenden die Einzelheiten bei C. A. Salig. Vollständige Historie (wie Anm. 157), S. 766 ff. 997  Zu historischen Einzelheiten vgl. H. Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen, Bd. 1. Bremen 1975, S. 231–252. 998  W. D. Hauschild, Theologische Aspekte der lutherischen Konsensusbildung in Norddeutschland, in: W. Lohff u. L. W. Spitz (Hg.), Widerspruch, Dialog und Einigung. Stuttgart 1977, S. 41–63.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius269

wie die anderen Gnesiolutheraner999 dieses Mandat als Eingriff in das geistliche Amt und veröffentlichte unmittelbar darauf die hier in Rede stehende Gegenschrift, in der er der Obrigkeit des niedersächsischen Kreises eine gravierende kirchenpolitische Fehlentscheidung vorwarf. Der gesamte Tenor dieser Schrift zielt darauf, Herrschaft zu begrenzen, und zwar unter Berufung auf die strikte Trennung von weltlichem und geistlichem Regiment. Heshusius beginnt seine Schrift mit der Erinnerung der Obrigkeit an ihre Pflichten und Aufgaben im Sinne Melanchthons (custodia utriusque tabulae).1000 Wiederum argumentiert Heshusius, dass im Falle eines Pflichtversäumnisses der weltlichen Obrigkeit den Untertanen das Recht des Widerstands gegeben sei. Mit Untertanen bezeichnet Heshusius, wie oben im Abschnitt subditi et cives bereits erwähnt, nicht nur mixti sub­ diti, sondern auch mere subditi, d. h. den gemeinen Mann bzw. Hausvater, der als Hausvaterstand eine „öffentliche“ Funktion habe, aber kein Amtsträger ist. Zur Rechtfertigung seiner Position bezieht er sich auf die in der lutherischen Orthodoxie oft verwendete Belegstelle zum Widerstand aus Mt. 22, 21 und Apg.5, 29: „Wann aber die Weltliche Oberkeyt angehetzt durch gefährliche vnd der wahrheyt feyndtliche geneygte personen /  vnnd sunst aus vnwissenheyt der Religion streyten /  sich dahin bereden lassen […] vnd zu vndtertruckung vnd verhinderung der reynen vnuerfelschten Götlichen worts misbrauchet /  ist nöttig vnnd von Gott ei­ nem jeden Christen gebotten /  dan man jn ihm dem nicht gehorche /  sondern vil mehr Gott als den Eltesten vnd oberherrn gehorsam leyste /  vnnd ist solche /  abschlagung des gehorsams ein rechter dienst Gottes /  mit dem befelch stymmende. Gebt dem Keyser was des Keyser ist /  vnnd gotte /  was Gottes ist.“1001

Wie schon erwähnt, spricht Heshusius in Kombination von ständischer Widerstandsargumentation und Dreiständelehre dem „Herrn Omnes“ bzw. dem „Gemeinen Mann“ ein Recht auf Gegenwehr gegen die weltliche Obrigkeit zu. Ob dieses Zugeständnis auch den aktiven Widerstand einschließt, wird hier nicht erkennbar. Jedoch ist diese Frage aus der Sicht der Widerstandsauffassung von Heshusius in dreierlei Hinsicht zu bejahen. Einmal betrachtet Heshusius den Gewissen zwingenden Befehl der weltlichen Obrigkeit in Glaubensfragen als „einen Akt des geistlichen Mordes“1002 und 999  Hervorzuheben ist, dass viele von ihnen bereits 10 Jahre zuvor bei der erbitterten publizistischen Debatte gegen das Interim mitgewirkt und ein Recht auf aktiven Widerstand jedem einzelnen Christen gegen das Interim, d. h. das individuelle Widerstandsrecht zugesprochen hatten: z. B. Pfarrer Hennig Frede (St. Catharina), Pfarrer Ambrosius Hitfeld (St. Petri), Johann Baumgarten (St. Heiliger Geist), stellvertretend durch Tilemann Heshusius. 1000  Vrsach / Warumb (wie Anm. 156), Bl. A ii. 1001  Vrsach / Warumb (wie Anm. 156), Bl. A ii–A iiv. 1002  „Solche necessariam defensionem würde man bald verstehen vnnd die Argument bald finden /  wenn leibliche not fürhanden were /  Als wenn die Dumbpfaffen

270

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

hat deshalb in Bremen sogar das „präventive“ Widerstandsrecht bzw. Notwehrrecht nicht nur der niederen Magistraten, sondern auch dem Hausvaterstand zugebilligt.1003 Zum Zweiten kommt für Heshusius die Gehorsamsverweigerung bei Befehlen, die die Gewissen zwingen sollen, einem Akt des aktiven Widerstandes gleich. Deshalb betonte er in seiner bereits dargestellten Bremer Schrift: „Jst hie keine wehr vnd widerstant von nöten.“1004 Und schließlich bringt Heshusius in derselben Magdeburger Schrift eine historische Argumentation zur Rechtfertigung seiner Forderung: „Hat man sie doch im Jnterim /  von Kayse. Maye. nicht wollen newe Forma der Religion fürschreyben /  noch das bekandtnus schwechen lassen. Warumb wollten dann jetzt die Fürsten denen man keine Jurisdiction noch gewalt /  inn Geystlichen sachen vber die Stätte gestähet /  mit newen Stattuten /  die Kirchen vnd Prediger der seschssischen Stät beschweren /  vnd von vnserem bekandtnus dringen“.1005 Heshusius greift hier die Stränge vergangener Widerstandsdiskussionen auf. Er bezieht sich auf den militärischen Widerstand der protestantischen Territorien und Städte, darunter auch der niedersächsischen Fürstentümer und Städte, insbesondere Magdeburgs, gegen das kaiserliche Interim zehn Jahre zuvor. Warum er in seiner Aufforderung gegen die kirchenpolitischen Maßnahmen des Landesherren Erzbischof Sigismund auf diese widerstandsrechtliche Debatte zurückgreift, versteht sich von selbst. Heshusius will die Stadt Magdeburg, genauer gesagt lutherische Magistrate, Bürger, Amtgeistlichkeit und Privatpersonen auffordern, nach dem Vorbild der Stadt Magdeburg ebenfalls dem neuerlichen Herrschaftsanspruch der Landesfürsten in geist­lichen Dingen wie damals aktiv zu widerstehen. Der wahre Gehalt der geäußerten Gehorsamsweigerung bezieht sich keineswegs auf einen passiven Widerstand in Gestalt des leidenden Ungehorsams, sondern auf einen aktiven Widerstand mit militärischer Gewalt. Die Auseinandersetzung der Stadt Magdeburg mit Kaiser Karl V. im Kontext der Interimskrise und die Vorgehensweisen der Trägergruppen des aktiven Widerstandes sind von zentraler Bedeutung für unsere Fragestellung. Ebenfalls wichtig ist die Frage, ob die hier entfachte widerstandsrechtliche Debatte nach dem Augusburger Religionsfrieden von 1550 aufgehört im Thumb zu Bremen wolten eine Mordgruben anrichten /  vnnd teglich etliche Bür­ ger drein würgen /  oder mit Bürger Töchter vnd Weiber vnzucht vnd alle schand vben /  müsten nicht ein Erbar Radt Ampts wegen /  dem grawsamen ergernis wehren /  vnnd jre Vnterthanen beim leben vnd bey ehren erhalten.“ Der Prediger zu Bremen (wie Anm. 155), Bl. G iiv. 1003  Vgl. den Abschnitt IV. 2.3.5.1 Der Prediger zu Bremen. 1004  Der Prediger zu Bremen (wie Anm. 155), Bl. G iiv. 1005  Vrsach /  Warum (wie Anm. 156), Bl.  B iii.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius271

hat oder fortgesetzt wurde. Daher soll die Interimskrise in diesem Rahmen skizzierend dargestellt werden. Die Auseinandersetzung der Magdeburger städtischen Magistrate, Bürger und Prediger gegen eine bewaffnete Durchsetzung des Interims und die ihr zugrunde liegenden Argumentationsmuster wurden bereits seit den 1970er Jahren in mehreren einschlägigen Untersuchungen ausführlich dargestellt: So wies beispielsweise Heinz Schilling auf die stadtrepublikanischen Aspekte. Georg Schmidt betonte die Bedeutung der Freiheiten und Rechte der Nation und des Vaterlandes. Thomas Kaufmann untersuchte die apokalyptischen Elemente in Flugschriften. Robert von Friedeburg verwies auf die ständischen Elemente in der Publizistik. Luise Schorn-Schütte verwies auch auf die Dreiständelehre, die vielen Schriften zum Interim zugrunde lag.1006 Darum verzichtet die folgende Ausführung auf eine weitere Analysedarstellung. Sie konzentriert sich stattdessen auf die Argumentationsmuster und die Trägergruppen, die im Hinblick auf unsere Fragestellung von Bedeutung sind. Als Kaiser Karl V. die Stadt Magdeburg (seit 27. Juli 1547 war die Stadt in Reichsacht) aufforderte, das am 15. Mai 1548 auf dem Reichstag in Augsburg verabschiedete Rekatholisierungsgesetz, das Interim,1007 zu befolgen, betrachteten die Geistlichkeiten und die Ratsherren diese Anordnung ausdrücklich als Eingriff in die Freiheit und Autonomie der Bürgergemeinde. Der Magdeburger Rat wandte sich zunächst mit fünf Schreiben an die Öffentlichkeit im Alten Reich. Die fünf Ratsschreiben1008 fordern gegen die Interimsordnung und gegen die kaiserlichen Herrschaftsansprüche zum bewaffneten Widerstand1009 auf.1010 Im dritten öffentlichen Rats1006  Dazu ausführlich vgl. R. v. Friedeburg, Magdeburger Argumentationen (wie Anm. 934), S. 389–437. Hier S. 389–341. Zum Verhältnis Apokalyptk und Widerstand jüngst siehe A. Moritz, Interim und Apokalypse. Die religiösen Vereinheitlichungsversuche Karls V. im Spiegel der magdeburgischen Publizistik 1548–1551 / 52. Spätmittelalter, Humanismus, Reformation. Tübingen 2009, S. 252–275. 1007  Zu den politischen Rahmenbedingungen zuletzt zusammenfassend H. Rabe, Zur Entstehung des Augsburger Interim 1547 / 48, in: Archiv für Reformationsgeschichte 94 (203), S. 6–104; zum Versuch der Einordnung des Interims in die europäische politiktheoretische und religionspolitische Entwicklung siehe L. SchornSchütte, Das Interim (1548 / 50) im europäischen Kontext. Eine wissenschaftsgeschichtliche Einleitung, in: Dies. (Hg.), Das Interim 1548 / 50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt. Gütersloh 2005. S. 15–44. 1008  Dieser erbitterten Debatte und ihrer von Magdeburg ausgehenden kontroverstheologischen Publizistik hat sich Thomas Kaufmann in seiner Studie ausführlich gewidmet. T. Kaufmann, Das Ende der Reformation (wie Anm. 42), 1009  „Vnnd dieweilen denn nicht alleine die gesatzten /  sondern auch die natürlichen recht /  wider die für stehde bescheidigunge /  die gegenwehr vnnd defension nachlassen /  vnd solche Satzunge der Weltlichen vnnd natürlichen recht /  wie der

272

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

schreiben1011 vom 24. März 15501012, das im Angesicht der bevorstehenden militärischen Maßnahmen des Kaisers gegen die Stadt Magdeburg verfasst wurde, appelliert der Magdeburger Rat ebenfalls an alle Christen im Alten Reich. Die Argumentation ist klar: Da die kaiserliche Obrigkeit ihre von Gott anvertrauten Aufgaben und Pflichten versäumt und die Untertanen gegen das göttliche Recht, Naturrecht und positives Gesetz sowie Reichsrecht zur falschen Lehre zwingt und damit die bestehende Rechtsordnung in diabolischer Weise pervertiert, besteht eine christliche Pflicht, ihr und den sie unterstützenden Kräften zu widerstehen.1013 Die Rechtfertigung lautet: 1010

„Vnd die Christen seint des nuhmehr durch die heylige Göttliche Schrifft wol berichtet /  das sich ein yeder Christ bey verlust seynet seelen heyl vnnd seligkeit zu GOTtes wort /  frey vnnd offentlichen bekennen […]  /  sondern in dem Gott dem Herrn mehr denn dem Menschen /  gehorsam sein muss […] Zu dem wenn die Oberigkeit vber yhre beuolen ampt vbergreyffet /  das man yhr denn inn dem nicht alleine keinen gehorsam darff leisten /  sondern sich auch dagegen des vnrechten gewalts mag auffhalten. Nuhn musse yhe ein jeder bekennen […]  /  das die Oberigkeit die macht nicht habe vnserm lieben GOTT als dem aller Obersten inn sein Recht vnd gewalt zu greiffen.“1014

Die Ordnungsvorstellung bzw. Verfassungsvorstellung und der Kern des Obrigkeitsverständnisses des Magdeburger Rats werden hier deutlich greifbar. Das organologische, ordnungspolitische Konzept, das von der Idee des christlichen Körpers getragen ist, in dem die drei Stände, politia, oeconomia und ecclesia, nebeneinander gleichberechtigt und wechselseitig zum Wohl und zur Harmonie eines christlichen Gemeinwesens mitwirken, ist klar erheilige Paulus spricht /  Göttliche ordenungen sein /  so folget daraus notwendig /  das vnns dem Rade zu Magdeburgk auch als den Christen nachgeben vnnd zu gelassen gewesen. Die weile aber diese sache Gottes ehre /  sein heiliges Wort /  vnnd der christen seel vnd heil /  vnnd nicht alleine vns als die wenigsten /  sondern auch alle Christen vnd die gemeine Christliche wolfurt antriff /  vnnd das in solchen Sachen ein Bruder vermüge des Göttlichen Worts für den andern sein leben lassen sol /  So müsse diese sache mit Christlichen Geist vnnd augen angesehen vnd dahin bedacht werden.“ Der von Magdeburgk Verantwortung alle vnglimpffs […]. Magdeburg 1550 [SBB Te 7768 (9)]. Bl. B–B ii. Im Folgenden Verantwortung. 1010  Magdeburg war neben Bremen die einzige große Stadt, die das Interim offen ablehnte. 1011  A. Würgler, Das Modernisierungspotential von Unruhen im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Entstehung der politischen Öffentlichkeit in Deutschland und der Schweiz, in: Geschichte und Gesellschaft, 21, 1995, S. 195–217. 1012  Der von Magdeburgk ausschreiben an alle Christen. Magdeburg 28. März 1550. [SBB Te 7768 (8)]. Im Folgenden Der von Magdeburgk. Zum Inhalt und Hintergrund dieses dritten Schreibens siehe T. Kaufmann, Das Ende der Reforma­tion (wie Anm. 42), S. 143–146. 1013  T. Kaufmann, Das Ende der Reformation (wie Anm. 42), S. 145. 1014  Der von Magdeburgk (wie Anm. 1012), A iiij–B ii.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius273

kennbar. Diese Verfassungsvorstellung kommt auch in anderen Ratsschreiben deutlich zum Ausdruck: „Vnd bitten dem allen nach dienstlichen vnnd freuntlichen /  yhr lieben Christen /  wolle vns als ewer mitbrüder vnnd mitgelieder Christi […] sondern vns in dieser gemeinen sache /  mit aller Christliche hülffe vnd beystandt /  nicht verlassen.“1015

Demnach ist die weltliche Obrigkeit bzw. der Kaiser nur ein Teil bzw. ein Glied dieses corpus christianum bzw. dieser respublica christiana und die Herrschaftsübung des Kaisers an die Wechselseitigkeit der Herrschaftsbeziehung zwischen weltlicher Obrigkeit und Untertanen gebunden. Mit anderen Worten: Die weltliche Obrigkeit, das geistliche Amt und die Untertanen sind in eine ständische Ordnung bzw. in eine Herrschaft begrenzende Dreigliedrigkeit des christlichen Gemeinwesens einbezogen, die aufgrund ihrer wechselseitigen Funktionszuweisungen Schutz ermöglicht. Wenn die weltliche Obrigkeit für den äußeren Schutz der Kirche sorgt, erweist sie sich als christliche Obrigkeit. Tut sie dies aber nicht, erfüllt sie ihre Schutzpflicht nicht mehr. Damit endet das durch den Treueid begründete Gehorsamsgebot für die Untertanen, und die Obrigkeit wird zum Tyrannen. Der Kaiser kann und darf nur innerhalb dieser Zuordnung des corpus christianum seinen Herrschaftsanspruch erheben. Seine Herrschaftsübung bzw. Obrigkeitsgewalt ist immer an die Teilhabe anderer Stände, das heißt an die Partizipation anderer Stände der respublica christiana gebunden. Außerhalb dieses vernetzten Systems kann und darf der Kaiser keine Herrschaft ausüben bzw. keinen Herrschaftsanspruch erheben. Offensichtlich betrachtet der Rat dieses ordnungspolitische Konzept des corpus christianum als das legitime Verfassungsmodell für das Alte Reich, zu dessen Ganzem auch er als Teil gehört. Nach der Auffassung des Magdeburger Rates ist der dem Reichsrecht verpflichtete Wahlkaiser nur dann Obrigkeit, wenn er zugleich die Fürsorgepflicht der weltlichen Obrigkeit wahrnimmt. Für den Fall aber, dass der Kaiser seiner Pflicht des Schutzes der Religion nicht nachkommt oder in das Amt der anderen Stände der Kirche eingreift, ist er ein unchristlicher Kaiser, für den das Gehorsamsgebot nicht mehr gültig ist. Gegenüber dieser unchristlichen Obrigkeit ist dann auch der aktive Widerstand der Untertanen zulässig. Interessant ist, dass der Magdeburger Rat hier die Trägerfunktion des gewaltsamen Widerstandes gegen den Kaiser nicht nur der weltlichen Obrigkeit allein zugesteht, sondern allen Untertanen bzw. jedem einzelnem Christen. 1015  „Vnd bitten dem allen nach dienstlichen vnnd freuntlichen /  yhr lieben Christen /  wolle vns als ewer mitbrüder vnnd mitgelieder Christi […] sondern vns in dieser gemeinen sache /  mit aller Christliche hülffe vnd beystandt /  nicht verlassen.“ Ebd. C iiv.

274

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

„vnnd nicht alleine vns als die wenigsten /  sondern auch alle Christen vnd die gemeine Christliche wolfurt antriff /  vnnd das in solchen Sachen ein Bruder vermüge des Göttlichen Worts für den andern sein leben lassen sol.“

Das ist eine Formulierung, die die Widerstandspflicht keineswegs exklusiv an einen magistratus inferior bindet, also konkret nicht an die Magdeburger städtischen Magistrate bzw. an einen der privilegierten Stände. Der Magdeburger Rat vertrat das Konzept eines verallgemeinerten Naturrechts der Gegenwehr aus römisch-rechtlicher Tradition, das allen Untertanen, also auch amtlosen Untertanen zustehen sollte, um sich gegen vermeintliche Rechtsbrüche des Monarchen zur Wehr setzen zu können. Diese Widerstandsauffassung kommt in der ca. drei Wochen später publizierten „Confessio“1016 der Magdeburger Prediger deutlich zum Ausdruck: „Also widerumb /  wenn die Obrigkeit vnd Eltern /  die jren von der waren Gottesfurcht vnd erbarkeit abfüren wollen /  So ist man ihn nach Gottes wort keinen gehorsam schüldig /  Wenn sie aber auch in den fürhaben sind /  das sie ausrottung der Relgion vnd guter sitten suchen /  vnnd die ware Religion vnd erbarkeit verflegen /  so entsetzen sie sich jhrer ehr selbst /  das sie nicht mehr für Obrigkeit oder eltern inn dem selben können gehalten werden /  wider für Gott noch für den gewissen jhrer vnterthanen. Vnd werden nu aus Gottes ordnung ein ordnung des Teuffels welcher ordnung ein jeder nach seinem beruff mit gutem gewissen wid­ derstehen kann vnd soll.“1017

Wie in den einschlägigen Untersuchungen bemerkt wurde,1018 hat der Magdeburger Rat dieser Gemeinschaftsschrift der Prediger zugestimmt. Der im Rahmen der Dreiständelehre bzw. der Auffassung der weltlichen Obrigkeit als ein Teil bzw. Glied des corpus christianum entfaltete gesamte Tenor dieser Schrift ähnelt dem Ausschreiben des Rates an die Öffentlichkeit: Die ordentliche Obrigkeit (magistratus legitime vocatus) habe die Bürger, besonders die Kirche, mit dem Schwert vor unrechter Gewalt zu schützen und die Unterweisung in Gottes Wort sicherzustellen. Sofern die Obrigkeit ihre Untertanen von der wahren Gottesfurcht und Ehrbarkeit abführe, verwirke sie die ihr gegenüber geltende Gehorsamspflicht. Sofern die Obrigkeit versuche, Religion und gute Sitten auszurotten, habe sie weder vor Gott noch vor dem Gewissen ihrer Untertanen als Obrigkeit zu gelten, da nun aus Gottes Ordnung eine Ordnung des Teufels geworden sei. 1016  Bekentnis Vnterricht vnd vermanung /  der Pfarhern vnd Prediger /  der Christlichen Kirchen zu Magdeburgk. Anno 1550. Den 13. Aprilis [HAB Wf. Yt Helmst. 4° 21]. Im Folgenden Bekentnis. Zur Verfasserschaft und Inhalt dieser Schrift aus dem kirchengeschichtlichen Perspektive siehe ausführlich T. Kaufmann, Das Ende der Reformation (wie Anm. 42), S. 157–207. 1017  Bekentnis Vnterricht (wie Anm. 1016), Bl. G iiiv–G iiij. 1018  T. Kaufmann, Das Ende der Reformation (wie Anm. 42), S. 176 ff.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius275

Interessant ist, dass die Verfasser dieser Schrift, nämlich die politischen Entscheidungsträger und die Geistlichkeiten, wie im dritten Ratsschreiben hinsichtlich der Trägergruppe des gewaltsamen Widerstandes anmerkten, dass „ein jeder nach seinem beruff mit gutem gewissen widderstehen kann vnd soll.“1019 (cui ordine pro vocatione etiam resisti potest ach debeat). Das heißt ein jeder Christ ist gemäß seiner Berufung gegen eine illegitime und die wahre Religion und gute Sitten bekämpfende pervertierende weltliche Herrschaft zum Widerstand berechtigt und verpflichtet.1020 Das ist wiederum eine Formulierung, die die Widerstandspflicht keineswegs exklusiv an einen magistratus inferior bindet und auch eine Auslegung im Sinne des Widerstandsrechts der amtlose Privatpersonen in den durch ihren Beruf gesteckten Grenzen nicht prinzipiell ausschließt. Die lutherischen Geistlichkeiten und die Magdeburger städtischen Magistrate vertraten hiermit deutlich die individualethischen exempla legitimen christlichen Widerstands. Sie schlossen eine Anwendung des Widerstandsrechts auf die einzelne Privatpersonen, das heißt „Gemeinen Mann“ bzw. Hausvater ein und beschränkten sich nicht auf den „magistratus inferior“.1021 Heshusius’ Widerstandsauffassung steht also deutlich in der Tradition des Schmalkaldischen Krieges und der Magdeburger militärischen Auseinandersetzung gegen das Interim. Bei Heshusius’ Äußerung bzw. Aufruf zur Gehorsamsweigerung in seiner Magdeburger Streitschrift gegen das Lüneburgische Mandat geht es ebenfalls keineswegs um einen passiven, sondern aktiven Widerstand. Bei der Definition der Trägergruppe beschränkt sich auch Heshusius nicht auf den magistratus inferior, sondern weist das Recht jedem einzelnen Christen, d. h. jedem Hausvater zu. Die Argumentationen des Heshusius und der Magdeburger Geistlichkeit und städtischen Magis­ trate ist geradezu identisch. Wenn die weltliche Obrigkeit ihre Fürsorgepflicht nicht erfüllt, das heißt der Pflicht des Schutzes der Religion nicht nachkommt oder in das Amt der anderen Stände der Kirchen eingreift, ist sie ein unchristlicher Herrscher, für den das Gehorsamsgebot nicht mehr gültig ist. Gegenüber diesem unchristlichen magistratus superior ist dann auch der aktive Widerstand aller Untertanen zulässig. Exkurs: Matthias Judex (1528–1564) Um die sozial erweiterte, ständisch aber noch strukturierende Widerstandsvorstellung in Heshusius’ Auseinandersetzung mit dem Erzbischof in 1019  Bekentnis 1020  Ebd. 1021  T.

Vnterricht (wie Anm. 1016), Bl. G iiiv–G iiij.

Kaufmann, Das Ende der Reformation (wie Anm. 42), S. 189.

276

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

ihrem Bezug zu erklären, soll neben der widerstandsrechtlichen Debatte nach 1550 mit dem Fall des Matthias Judex noch ein weiteres Beispiel angeführt werden, das ebenfalls aus demselben Konfliktpotential schöpfte. Es muss aber vorweggenommen werden, dass die Argumentationen des Judex Folgen einer Sonderentwicklung sind,1022 die spezifisch eng mit der politischen und sozialen Lage Magdeburg zusammenhängt. Dennoch hilft eine Untersuchung, den Standpunkt des Heshusius besser zu systematisieren und ihm schärfere Konturen zu geben. Die Konfliktlage in Magdeburg spitzte sich im Zusammenhang mit dem Vokationsstreit von Johannes Wigand (1523–1587) dramatisch zu, sogar bis zur Verhaftung einiger Kirchenväter.1023 Als die Meldung schließlich Matthias Judex1024 erreichte, der als Professor der Theologie noch an der Universität Jena im Amt war, verfasste er im Oktober 1561 eine Schrift1025. Er tat dies ohne ausdrückliche Genehmigung des Herzogs Johann Friedrich II. des Mittleren (1529–1595) und versuchte so, in den Kampf seiner Gesinnungsgenossen gegen den Landesherren in Koalition mit den Juristen und Ratsherren in Magdeburg einzugreifen. Judex musste Jena verlassen, da er

1022  Hier ist noch zu bemerken, dass es in der Forschung keinerlei Anerkennung einer Vier-Stände-Lehre gibt. 1023  Vgl. dazu L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik im Luthertum? (wie Anm. 54), S. 253–270. 1024  Geboren 21.9. 1528 Dippoldiswalde bei Meißen. Luth. Theologe (Flacianer), Nach dem Studium der Rechtswissenschaft und Theologie an der Universität Wittenberg (1549 Magister-Examen) wurde J., aus ärmlichen Verhältnissen stammend, Konrektor am Magdeburger Ratsgymnasium und 1553 zu dem Diakon an St. Ulrich. Wie auch Johann Wigand, der hier Pfarrer war, wurde J. im Frühjahr 1560 als Professor der Theologie an die Universität Jena berufen, aber bereits nach einem Jahr wegen Verstoßes gegen das Zensurgesetz von seinen Verpflichtungen entbunden. J. ging nach Magdeburg zurück und zog 1562, nachdem ihm der Rat der Stadt die Auswanderung nahegelegt hatte, nach Wismar, wo er vergeblich auf eine Pfarrstelle wartete. – J. gilt als produktiver und auch streitbarer Theologe. Er entwarf die Magdeburger Kirchenordnung vom 3.4.1554, und neben Wigand war er der Hauptbearbeiter der „Magdeburger Zenturien“, einem bedeutenden Kirchengeschichtswerk, dessen erster Band (von 9 Bänden) 1559 in Basel erschien. Sein „Kleines Corpus Doctrina“, in mehreren europäischen Sprachen übersetzt und in über 60 Ausgaben nachgewiesen, zählt neben Luthers „Kleinem Katechismus“ zu den meistverbreiteten katechetischen Handbüchern der frühen Neuzeit. Zu ihm vgl. R. Kolb, Matthaeus Judex’s Condemnation of Princely Censorship of Theologians’Publications, in: ders., (Hg.), Luther’s Heirs Define his Legacy. Studies on Lutheran Cofessionalization. Variorum 1996, S. 401–414. 1025  Der Ewigen / Allmechtigen Göttlichenn Mayest. Mandat /  vnd ernstlicher Befelc /  wes sich ein yeder Christ /  nach seinem Beruff vnnd stande /  gegen dem offenbarten Antichrist /  das ganze Babstumb /  halten sole /  wiederholet vnd erkleret. Magdeburg 1561. [SBB DG 6110]. Im Folgenden Der Ewigen / Allmechtigen.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius277

gegen das Zensurgesetz des Herzogs verstoßen hatte.1026 Ursache gaben der öffentliche Druck in Magdeburg sowie Judex’ Protest gegen den obrigkeit­ lichen Eingriff des Herzogs in das geistliche Amt.1027 Die Schrift richtete sich an die Bürgermeister und Ratsherren, die Innungsmeister und an 100 Männer in Magdeburg sowie ausdrücklich auch an die Vorsteher und Kirchenväter der Kirchen zu S. Ulrich, S. Johannes, S. Catharinen, S. Peter und S. Jakob und schließlich an alle „gemeinen Leute“. Die Protestschrift zielt darauf, Bürgermeister und Ratsherren, Geistlichkeit und Bürger sowie alle Einwohner in Magdeburg gegen den Landesherrn zum bewaffneten Widerstand aufzufordern. Nachdem Judex bereits in seiner Vorrede ausdrücklich die Übung des Strafamts als heilige Wächterpflicht jedes Christen betont hatte,1028 forderte er die Adressaten dazu auf, dem Landesherrn gewaltsam zu widerstehen.1029 Iudex betont, dass die Bürger und Bürgerinnen sowie alle „gemeinen Leute“ gegen diejenigen von ihrem bewaffneten Widerstandsrecht Gebrauch machen müssten, die die so genannte päpstliche Lehre bzw. die adiaphorische und synergistische Lehre verbreiteten. Das Argumentationsmuster von Judex ähnelt dem des Heshusius und dem der Magdeburger städtischen Magistrate und Prediger bei der Interimskrise. Interessant ist aber, dass Judex die Trägergruppe des aktiven Widerstandes nicht wie üblich in drei Stände, sondern in vier Stände1030 einteilt:

1026  Dazu vgl. R. Kolb, Matthaeus Judex’s Condemnation (wie Anm. 1024), S.  403 f. 1027  Ebd. S. 404. 1028  „Vnd weil ein yeder Christ schuldig ist /  andere für jhrem schaden zuwar­ nen /  vnd das man sünde erkennen lerne /  zu dienen /  habe ich der Göttlichen Mayestat mandat vnd gebott /  so an vns Euangelischen gestellet Apoca. 18. wes sich ein yeder nach seynem stande /  gegen dem Antichrist soll Christlich verhalten /  ein wenig wöllen erkleren: vnnd anderen /  der sachen ferner nach zudenken /  anleitung geben.“ Der Ewigen / Allmechtigen (wie Anm. 1025), Bl.  B iij–B iijv. 1029  „alle vnnd yede seine diener ritterlich wider dz Babstumb /  als den Antichrist /  ein yder in seinem regiment /  ordnung vnd glied zukempfen […]“. Ebd. Bl. 48v. 1030  Zu bemerken ist allerdings, dass Luther auch die Vier-Stände-Formel gebrauchte. Vgl. W. Elert, Morphologie des Luthertums (wie Anm. 178), S. 52; T. Vogt, Die Drei-Stände-Lehre bei Martin Luther (wie Anm. 197), S. 64–65; 76. Von großer Wichtigkeit ist, dass Judex diese Vierständelehre als normativ-praktische Soziallehre gebrauchte. Dazu ist Folgendes zu bemerken: Es gab in Magdeburg in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wegen der florierenden Wirtschaft eine beträchtliche Anzahl von Einwohnern der untersten Sozialgruppe, deren Untersuchung wegen der dürftigen Forschungslage nicht möglich war. Ein erster Hinweis ist im Exkurse zu erfahren. Judex kannte wohl als einheimischer Pfarrer diese soziale Lage.

278

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

„Gehet aus von jr mein volck. Jn diesen worten seind zwey stücke zubedencken: eins /  mit welchem Gott rede /  nemmlich mit seinem volck /  welches zur zeit der Offenbarung des Antichrists entweder vnder dem Babstumb /  oder nahe darbey /  oder ferne dauon lebet. Nun ist aber Gottes volck in diese stende verordnet /  das etliche seyn in geistlichen /  etliche in weltlichen /  etliche im haus vnnd preuat stende.“1031

Und dann erläutert er, wer zu diesen „Privatständen“ gehöre: „Jtem es gehet diese stimme oder warnung vom ausghen an /  alle vnnd yede pri­ uat person /  menner vnnd wybet /  junge vnnd alte /  reyche vnnd arme /  burger vnnd bawr /  knechte vnnd megde /  handtwerker /  kauffleüte /  taglöner /  sye seynd noch vnder dem Bapsthumb /  oder bey dem Euangelischen.“1032

Judex entfaltete sein Argument zwar im Rahmen der ständisch bindenden Vierständelehre, aber das Spektrum des Begriffs Privatstände wird sozial gedehnt und umfasst sowohl das Hausgesinde, die Dienstboten, Tagelöhner und Mägde, mit anderen Worten jede Privatperson. Das heißt, Judex wendet den Begriff der Privatstände hier nichr nur auf die Hausväter und Vollbürger, die das Bürgerrecht besaßen, sondern auch auf die Einwohner an, die buchstäblich amtlos absolut „privati“ sind. Besondere Aufmerksamkeit verdient Judex’ Schrift insofern, weil sie ausdrücklich den Privatstand und die weltliche Obrigkeit als gleichberechtigte Träger von weltlicher Gewalt nebeneinander stellt. Im Rahmen der Vierständelehre wurden diese amtlosen „privati“ ebenfalls auf einer gleichberechtigten Ebene mit der weltlichen Obrigkeit und Geistlichkeit sowie den Hausvätern, das heißt Herrschaftsträgern eingestuft, denen aufgrund ihrer Herrschaftsrechte ein Recht auf Widerstand zugestanden wurde. Gleich dem Magdeburger Magistrat, der sich selbst im Stand der weltlichen Obrigkeit durch Gott in sein Amt eingesetzt verstand, erschienen hier auch die Privatstände als eine der vier Schöpfungsordnungen bzw. als eines der vier „Regimente“ und „Ämter“.1033 Folglich lag die Ausübung des Widerstandsrechts angesichts einer Bedrohung des politischen Gemeinwesens nicht allein bei Magistrat, Geistlichkeit und Hausvaterstand, sondern auch bei der ständisch niedrigsten Gruppe, nämlich beim „Privatpersonen-Stand“: „Jm vierdten glid /  sollen alle gemeine Christen stehen mit jrem Bekenntnis vnd gebett das Babstumb täglich stürmen /  bittende /  Gott wölle ja dem selben in seiner Abgötterey /  Sodomiterey /  seelmorderey /  verfolgung der Christen /  steuwren vnd wehren /  […] Helfen auch yederman vermanen /  das ja niemand bey jhm bleibe /  sondern das alle ausgehen von jm /  vnd sich absondern. Verlassen auch ehrgelt /  güt /  weyb /  kind /  vnd jr eigen läben /  denn sy sich sollten wider zum 1031  Der

Ewigen / Allmechtigen (wie Anm. 1025), Bl.  7. Bl. 8. 1033  Vgl. T. Vogt, Die Drei-Stände-Lehre bei Martin Luther (wie Anm. 197), S. 76–77. 1032  Ebd.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius279 Babstumb /  in vielen oder wenigen begeben. Helffen auch /  da es die Oberkeit gebeutt vnnd zügibt /  die Abgötterey vnnd Sodomiterey der Baaliten abschaffen /  vnnd sy zweifach bezalen /  wie 4. Regum. 11 geschriben steht. Da (verstehe /  das der Künig Joas vnd hohe priester Joiade es befohlen hatten) gieng alles volck des Landes in das haus Baal /  vnnd brachen seine Altar abe /  vnd zurbrachen seine bildtnis mit gewalt /  vnnd Nathan den priester Baal erwurgeten sy für dem Altar. Vnnd Deuter. 13. gebeutt Gott nicht allein der Oberkeit /  sonderen auch dem volck /  das sy die falsche Propheten erwürgen sollen.“1034

Nach Ansicht von Judex kam diesen absoluten „privati“ ebenfalls eine Funktion als öffentlicher Amtsträger zu. Deshalb spricht er in seiner Widerstandsüberlegung diesen absolut „mere subditi“ bzw. „privati“ eine Trägerfunktion des aktiven Widerstands- und Notwehrrechts zu: „Verflücht sey /  der in diesem krieg des Herrn seyn schwerdt lest feyern Jere. 48. Dieses mus man auch /  wie droben auff die stende im menschlichen geschlecht von Gott geordnet vnd approbirt /  ziehen /  als auffs predigampt /  oberkeit /  haus­ regiment /  vnd gemeinen priuat stand. Denn dieses seind /  als vier heupt fahnen oder glieder in der schlachtordnung /  die der Herr Jesus Christus wider den Antichrist zustreitten gemacht hat /  vnd einem yegklichen seine waffen vnd wehr gegeben /  damit dz Bapstumb zubezahlen vnd zustürmen.“1035

Judex sprach diesen absolut amtlosen Privatpersonen sogar ein Recht auf einen „Präventivschlag“ in Form eines Krieges zu: „Vnnd Deuter. 13. gebeutt Gott nicht allein der Oberkeit /  sonderen auch dem volck /  das sy die falsche Propheten erwürgen sollen: ja er heisset auch /  so Burger in einer statt abgötterey anrichten /  das die benachtbarten /  die selben erstlich abhalten /  mit vermanungen: so sy aber nicht gehorchen /  sy mit krieg angreiffen /  vnnd vertilgen sollen. Das aber solchen zweyen gebotten Gottes vom ausgehen /  vnnd zweyfacher Bezalung des Babstumbs /  ein yeder nach seinem stande nach­ komme /  vnd gehorsam leiste /  weil es nicht in unser macht vnnd krafft allein stehet /  wöllen wir gott den Vatter jm nammen des Herrn Jesu Christi anruffen […].“1036

Für den Fall, dass benachbarte Städte und Territorien beobachten, dass sich in einer Stadt bzw. einem Territorium eine sektiererische Lehre verbreite, sollten diese benachbarten Städte und Territorien die Vorsteher dieser Nachbargebiete zunächst ermahnen. Falls Städte und Fürsten diese Mahnung nicht annähmen, müssten die Nachbarstädte und Territorien mit militärischer Gewalt gegen sie vorgehen und sie vernichten. Damit wird deutlich, dass Judex, in der Tradition der Magdeburger Auseinandersetzung gegen das Interim, eine „vorsorgliche und vorbeugende“ organisierte Kollektiv-Gewaltanwendung gegen die unrechtmäßigen ÜberEwigen / Allmechtigen (wie Anm. 1025), Bl.  65v. Bl. 48v–49. 1036  Ebd. Bl. 65v–66. 1034  Der

1035  Ebd.

280

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

griffe der höheren Obrigkeit verlangte.1037 Das heißt, er vertrat das konfessionelle Interventionsrecht der weltlichen Obrigkeit und des Volkes in einer Radikalität, die gleichbedeutend mit einem Bruch des Landfriedens und einem Außerkraftsetzen der Reichsverfassung1038 ist. Hervorzuheben ist, dass Judex hier für ein „präventives“ Widerstandsrecht votierte, das gemeinsam vom Volk und den Fürsten bzw. städtischen Magistraten zur Verfolgung der Gottlosen bzw. Tyrannen, die sektierische Lehren verbreiten, ausgeübt werden sollte. In dessen Rahmen ist sogar der Übergriff auf fremde Territorien erlaubt. Dieser Thematik widmete er sich im Abschnitt „Jm andern glied sollen alle weltliche Regenten“ ausführlich. Judex ging es ähnlich Heshusius nicht mehr darum, ob der weltlichen Obrigkeit ein Recht auf „präventiven“ Widerstand bzw. Gegenwehr zugestanden dürfe oder könne, sondern vielmehr darum, ob ihnen ein „präventives“ Widerstandsrecht auf fremde, souveräne Gebiete, seien es Territorien oder Städte, erlaubt sei.1039 Und er bejaht gegenüber der weltlichen Obrigkeit aus mehreren Gründen den „präventiven“ Widerstand oder die „intervenierende“ Gegenwehr zur Abwehr „böswilliger“ und rechtswidriger Angriffe zugunsten Dritter in einem fremden und souveränen Gebiet: Erstens, aus der von Gott auferlegten Fürsorge- und Schutzpflicht der Obrigkeit als custos utri­ usque tabulae: „ein yede oberkeit habe zwey empter: eines zü regieren /  das ander /  jhre vnderhanen züschützen /  wider die so schaden züfügen. Das regier vnnd gebiet ampt /  gehet so weit /  als ein yedes Regenten vnderhanen seind. Das schutzampt aber /  das erstrecket sich auch an die örter /  die sonsten dem Herrn nicht seind vnderworffen.“1040 Für Judex verletzte diese Fürsorge- und Schutzpflicht der Obrigkeit nicht die Gerichtsbarkeit der fremden und souveränen Gebiete und sei kaum strafbar.1041 Diese Position 1037  „Wie weiland die heyligen mertyrer Christum /  die Magdeburger /  in werender jhrer belegerung Anno L. in jrem wolgegründten aus schreiben bekennen.“ Ebd. S. 64v. 1038  E. Wolgast, Die Obrigkeit- und Widerstandslehre Thomas Münzers, in: S. Bräuer / H. Junghans (Hg.), Der Theologe Thomas Müntzer. Berlin / Göttingen 1989, S. 195–220. Hier S. 205. 1039  „Hie fragen etliche /  Wie /  wenn denn zuischen vnserm gebiet die Bäbstlischen jre Iurisdiction hetten /  oder in der nachtbarschafft woneten /  vnd Abgötterey vnd Sodomiterey trieben /  vnd damit den vndsern schaden thäten /  was sol man darzü thün.“ Der Ewigen / Allmechtigen (wie Anm. 1025), S. 60v- S. 61. 1040  Ebd. S. 61v. 1041  „Denn man mag in ein ander land einfallen /  vnnd da seinem feind der da kömpt schaden züthün /  begegnen /  in schlagen vnd fahen /  vnd ist gleyschwol der Iurisdiction desselben damit nicht benommen. Denn weil das ampt vnnd Iurisdiction einer yeden oberkeit ist /  die /  so andere beschedigen /  zü straffen: wie kann dan solchs wider die Iurisdiction seyn /  sonderlich wenn der Regent desselben orts jhnen nicht selbst wehren will /  vnnd ein herbergierer der übeltheter erfunden wirt.“ Ebd. S. 63.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius281

kommt an anderer, späterer Stelle noch deutlicher zum Ausdruck: Jst das in sachen der andern taffel war. Wie solte es auch nicht in der ersten taffel /  da sieben böse geister /  durch die Baaliten abgötterey vnd Sodomiterey treiben /  vnnd damit die vnderthanen oder benachtbarten oberkeit beschedigen an leib vnd seel /  zü gelassen seyn.“1042 Zweitens bezog sich Judex auf die Ordnungsidee des Völkerrechts aus römisch-rechtlicher Tradition: „Solches gibt auch das Ius gentium /  welches ist Ius Dei /  Gottes recht in diesem falle. Denn wenn die nachtbaren aus ihren örtern dem andern schaden thün /  so hat der andern achtbar in darumb zübesprechen /  vnnd zü wehren. Denn ob wol ein yeder in seinem hause vnnd vier pfelen züthün vnd zü lassen hatt. So hat gleychwol niemand macht züthün /  was wider Gott vnnd recht ist /  vnd des andern nachtbarn der dem gemeinen nutz schadet. Also wen die Bäbstischen in einem Thüm oder kloster /  wollten etlich fenlein knecht legen /  die da sollten aus dem ort  in des nachtbarn gebiet schiessen /  vnnd desselben vnderthanen be­sche­ di­gen.“1043 In Anknüpfung an das bonum commune aus völkerrechtlicher Sicht und das bereits in der Carolina zugestandene naturrechtliche Gegenwehrrecht des Einzelnen gestattete Judex der weltlichen Obrigkeit zugunsten Dritter die Einleitung „intervenierender“ Maßnahmen gegen Gewalttäter, im Falle dass eine lebensbedrohliche Lage herrsche, wie z. B. hier in Magdeburg Gewaltexzesse oder Zerstörung geschähen. „Präventive“ Gegenwehr der weltlichen Obrigkeit gegen andere, z. B. höhere Obrigkeiten in anderen fremden, souveränen Gebieten, ist für Judex ein legitimiertes und rechtmäßiges Ordnungsprinzip zum Erhalt des „internationalen“ Gemeinwohls in einem politischen Gemeinwesen. Drittens berief sich Judex auf das Naturrecht der Notwehr bzw. Gegenwehr: „so lest das natürlich recht zü /  das man solchen bösen büben /  die aus einem anderen gebiet schaden thün /  widerstehen /  vnnd jnen were“.1044„Widerstand“ ist bei Judex wie bei Heshusius wohl nicht mehr nur als grundsätzlich jedem Menschen naturrechtlich zukommendes „Werk Gottes“ zu verstehen, das potenziell jedem angegriffenen Menschen oder politischen Gemeinwesen bei der Selbstverteidigung seiner Person und seiner Familie, seines Eigentums, seines Glaubens und Gewissens, und seines politischen Gemeinwesens als Recht zur Verfügung stand. Für Judex und damit die Zeitgenossen bedeutete der Begriff „Widerstand“ vielmehr, sich „präventiv“ bzw. „intervenierend“ zu wehren, zum Schutz und zur Erhaltung als auch zur Wiederbeschaffung des eigenen und anderen Eigentums und Rechts. Vorrausgesetzt, dass unrechte Gewalt oder heimlicher Zugriff S. 63v. S. 63v. 1044  Ebd. S. 63v. 1042  Ebd. 1043  Ebd.

282

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

zum Verlust führten, sei es also gestattet, sich zur gewaltsamen Gegenwehr vorsorglich zusammenzufinden und sich zu wappnen, um zukünftigen Gefahren zu begegnen. Die naturrechtliche „präventive“ Gegenwehr des Einzelnen zugunsten Dritter wurde mit dem kollektiven „präventiven“ Widerstandsrecht der Untertanen gegen die höhere Obrigkeit direkt verknüpft. Viertens erklärte Judex seine Forderung aus der Sicht der Schöpfungsordnung: „Vnnd weil Iurisdicition ein ordnung Gottes vnnd gewalt ist /  das böse züstraffen vnnd das güte züschützen /  Rom. 13. So ist vnmüglich /  das es wider die Iurisdiction solt seyn /  da man abgeötterey vnnd Sodomiterey damit seinen vnderthanen schaden zügefüget wirt /  abschaffet /  vnnd verbeut.“1045 Eben weil das Amt und die Gerichtsbarkeit der weltlichen Obrigkeit zur Schöpfungsordnung gehören, kann die Ausübung des Rechtes auf „präventiven“ Widerstand der weltlichen Obrigkeit zugunsten Dritter kaum gegen Gott und Gottes Ordnung verstoßen, egal welche Verfassungsformen das betroffene Gebiete besitzt: „es geschehe an welchem ort es wolle /  da man entweder merum /  oder mixtum oder sonsten nullum imperi­ um hat.“1046 Damit ist der Aspekt der „neuerlichen“ Verzahnung der theologischen und juristischen Wissensbestände und Neuverteilung einer lutherischen politischen Grundlinie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wiederum angesprochen. Das theologische Argument der Aufgabe der weltlichen Obrigkeit als custos utriusque tabulae und dessen Gerichtsbarkeit und Schutzamt als Schöpfungsordnung wurde mit dem juristischen Argument des Völkerund Naturrechts aus römisch-rechtlicher Tradition verknüpft und neu zusammengesetzt und verteilt. Der bislang wegen des theologischen Aspekts verhinderte Magdeburger Stadtrat bzw. die Ratsherren konnten nun unter Berufung auf diesen neu zusammengesetzten Begriff einer lutherischen politischen Ethik den „präventiven“ Widerstand bzw. „intervenierende“ Gegenwehr bzw. einen zur Abwehr „böswilliger“ und rechtswidriger Angriffe zweckdienlichen Gegenangriff zugunsten Eigener und auch Dritter gegen die höhere Obrigkeit in anderen fremden, souveränen Gebiete ergreifen. Von seiner Konzeption eher in die Horizontale ausgerichtet, kann dieses „neuerliche“ Widerstandsrecht sich auf Grund der konfessionellen VerhältS. 63v–S. 64. S. 64; „Darum so lasse man sich keinen gottlosen schalck oder pfaffenknecht bereden /  das man möge mit Gott /  vnnd gütem gewissen den dienern des Antichriste /  in jren greweln eine werckstadt /  an einem ort /  da man mixtum imperi­ um hat /  vergonnen /  vnd daro zü schützen“. Ebd. S. 64v; Denn so abgötterey in keiner Iurisdiction oder gebiet befördert werden solle noch kan /  Rom. 13. Deut. 12. So kann man sy viel weniger in mero oder mixto imperio hausen vnd schützen.“ Ebd. S. 64v–S. 65. 1045  Ebd. 1046  Ebd.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius283

nisse des Reiches auch gegen das kaiserliche Regiment selbst wenden. In diesem gemeinsamen Wirken von Fürsten und Volk, in dem ein neues Amtsund Ordnungsverständnis zum Ausdruck kommt, hat Judex vermutlich auch eine neue „Herrschaftsform“ erkannt: die Vierstände-Verfassung.1047 Zu bemerken ist, dass Judex das Widerstandsrecht nicht allein dem Volk übergab. Ob er hier ein aktives Aufsichts- und Widerstandsrecht des Volkes darstellte, das heißt, ob er die Auffassung vertrat, dass die Obrigkeit vom Volk zur Erfüllung ihrer Aufgaben und zur Aufrechterhaltung der Ordnung gemahnt werden kann, bedarf noch näherer Untersuchung. Judex zufolge kann eine Obrigkeit – die ihre Herrschaftsgewalt missbraucht, insbesondere eine solche, die ihrem göttlichen Auftrag zur Verfolgung der Gottlosen nicht nachkommt – vom Volk dazu ermahnt und zuletzt auch dazu gezwungen werden. Ob und inwieweit er wirklich dazu aufgerufen hat, dieses Recht des Volkes zur verwirklichen, geht aus dieser Schrift nicht hervor. Judex meint mit seinem Begriff „die benachtbarten“ keineswegs nur die städtische und territoriale Obrigkeit bzw. die Repräsentanten der städtischen und territorialen Korporation und Herrschaftsträger oder Korporation aller Vollbürger (oder auch das Haupt jedes der drei Stände,1048 ecclesia, oeco­ nomia und politia), sondern die Korporation aller Einwohner in einer Stadt bzw. einem Territorium.1049 Weder der Magistrat noch der Landesherr und 1047  Ob er hiermit unter dem Begriff Volk auch wie Althusius die Lehre der Volkssouveränität vertrat und den Begriff des Volkes Gottes als christliche Gemeinde, die sich aus der göttlichen Gnadenwahl ausgebildet hat, auf das politische Volk überträgt und es als Träger des ius maestatis in seinen korporativ verfassten Gemeinwesen einfügt, bedarf noch näherer Untersuchung. Bei Althusius ist die Ausübung des Interventionsrechts aber nicht dem Volk als dem eigentlichen Rechtsträger überlassen. Seine Vorstellung vom Volk gemäß hatte das Volk Gottes nur eine theologische und politische Funktion. Für ihn ist es wie bei Thomas Münzer keine Rechtsperson, das Verträge schließen und erfüllen kann und dabei von seinen ständischen Repräsentanten vertreten werden muss. Es ist als Volk Gottes verbunden, Träger seiner Souveränität und damit gleichzeitig die Grenze obrigkeitlicher Herrschaftsansprüche, die weit über die denkbaren ständerechtlichen Begrenzungen herrschaftlicher Gewalt hinausgeht. Vgl. dazu O. v. Gierke: Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorie, Berlin 1880, unveränderte 7. Auflage Aalen 1981, S. 132 ff. 1048  L. Schorn-Schütte, Kommunikation über Herrschaft (wie Anm. 56), S. 102. 1049  Damit unterscheidet Judex deutlich von der Ansicht Johann Gerhards, der die Auffassung vertrat, eine militärische Intervention (defensio legitima) sei nur statthaft, wenn ihr ein Hilfesuchen von an der Regierung beteiligten Adeligen vorhergeht. Auf die Bitten bloßer Untertanen (mere subditi) hin dürfe sie nicht geleistet werden, da diese kein Recht zur Rebellion gegen ihre legitime Obrigkeit haben. Vgl. M. Honecker, cura religionis (wie Anm. 182), S. 133. Vgl. dazu L. Schorn-Schütte, Kommunikation über Herrschaft (wie Anm. 56), S. 102; R. v. Friedeburg, Magdeburger Argumentationen (wie Anm. 944), S. 436.

284

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Adel als Repräsentant der städtischen Korporation und Obrigkeit bzw. der städtischen und territorialen Obrigkeit über ihre Untertanen oder Korpora­ tion aller Vollbürger allein, sondern auch jede Privatperson selbst ist be­ rechtigt zum Handeln bzw. zur Ausübung der Gewaltanwendung. Dem ge­ meinen Privatmann ist es erlaubt, gegen den Tyrannen vorzugehen. Zu bemerken ist, dass Judex militärische Gewalt im Falle des Kriegs gegen den Antichrist nicht nur als letztes Mittel verstanden hat, sondern vorrangig als ein Instrument der Selbstbehauptung. Er vertrat, über die mittelalterliche Widerstandsauffassung hinausgehend, die Auffassung, dass die Gegengewalt nicht nur zur Verteidigung oder zum Zweck eines Gegenangriffs eingesetzt werden dürfe, sondern auch der Rache dienen solle. Die Rache (vindicta) diente damit seiner Auffassung nach nicht nur der Bestrafung begangenen Unrechts, sondern auch dem Schutz, dem Erhalt bzw. der Wiederschaffung: „zum fenlein des Herren Jesu Christi in der tauff geschworen /  vnd sein volck seyn wollen /  angehet: also will auch der selbe vnüberwindtlichste /  sieghafftigsten Herr der herrschaften /  mit diesem feldgeschrey /  alle vnnd yede seine diener rit­ terlich wider dz Babstumb /  als den Antichrist /  ein yder in seinem regiment /  ordnung vnd glied zukempfen vnnd rache zu üben /  ermanet haben. Rachgirig züseyn /  vnd rache zu üben /  ist sonsten verbotten /  vnnd man kann sonsten leicht im rachgier zuuil thun: Aber wider den Antichrist /  das ist /  das gantze Babstumb rache zuüben /  hat vnser kriegsfürste /  der rechte Michael /  alhier gebotten /  vnd zwifach in zubezalen befolhen /  hier kann man nicht zuuil thun.“1050

Ob es hierin um eine politische Alternative zur Herrschaftsordnung bzw. zum Verfassungsmodell ging, das aus vier Ständen, nämlich Obrigkeit, Geistlichkeit, Hausväter und „Privatstände“ besteht, das heißt, ob es darum ging, die vorhandene ständische Herrschaftsordnung auszuheben und stattdessen ein neues Vierstände-Verfassungsmodell zu strukturieren, oder sich Zutritt zur vorhandenen ständischen Herrschaftsordnung zu verschaffen bzw. sich in ihr neu zu positionieren und die eigenen Rechte womöglich zu erweitern, bedarf noch näherer und ausführlicher Untersuchung. Versteht man aber widerstandsrechtliche Argumente, wie Friedeburg zu Recht bemerkt hat, als einen Teil der das Gemeinwesen allererst formenden Verfas­ sungsdiskussion, mochten Judex’ Argumente auf jeden Fall auf die Verände­ rung ständischer Sozialordnung gerichtet gewesen sein,1051 auch wenn es in keiner Weise beabsichtigt war. Die Einbindung des „Privatstands“ in die Schöpfungsordnung zur Legitimationsgrundlage von politischer Herrschaft und die Verknüpfung der tradiEwigen / Allmechtigen (wie Anm. 1025), Bl.  48v. V. Friedeburg, Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit (wie Anm. 97),

1050  Der 1051  R.

S. 48–49.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius285

tionellen Figur des Tyrannen mit jener des Antichristen sowie die Verortung der Jüngsten Zeit in der Gegenwart müsste eine Re-Formation gesellschaftlicher Ordnung in Magdeburg geradezu unvermeidbar gemacht haben. So wie die apokalyptische Argumentation als Korrektiv politischer Herrschaft wirken konnte, bettete die Vierständelehre den Privatstand in die ständisch gegliederte Gesellschaft ein und machte somit diesen Stand gleichberechtigt und gleichrangig auf derselben Ebene der weltlichen Obrigkeit. Die Vierständelehre bettete überdies die weltliche Obrigkeit in die ständisch gegliederte Gesellschaft ein und wirkte somit herrschaftsbegrenzend. Judex’ Vierständelehre bzw. sein gelehrtes Wissen musste zu einer neuen Formulierung sozialer Ordnungsvorstellungen motivieren.1052 Es hat den Anschein, dass sich Judex’ Aufforderung zum „Präventivschlag“ aller Einwohner nur auf eine Extremsituation beziehen würde. Ähnlich wie Luther, der in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts im Fall der apokalyptischen Herausforderung der Gottesordnung durch den Papst sogar dem Hausvaterstand ein Recht zur Notwehr zugesprochen hatte,1053 radikalisierte Judex die Erweiterung des rechtmäßigen „präventiven“ Widerstands auf einen äußerst breiteren Personenkreis durch seine Konzeption der „Privatstände“. Nur wenn der Antichrist auftrete und damit die Ordnung Gottes zerstörte oder wenn einer Tyrannei wirklich nichts anderes zu entgegnen sei und damit das Gemeinwesen bedroht werde, sei die „präventive“ Gegenwehr aller Untertanen erlaubt. Berücksichtigt man aber die Apokalyptik als kulturellen Code und geistiges Instrumentarium, wie Kaufmann sie zutreffend bezeichnet,1054 können Judex’ widerstandsrechtliche Argumente in apokalyptischer Gestalt nicht mehr als Ausnahme- bzw. Sonderfall, sondern eher als Tagesordnung, gebaut vor einem allgemein verständlichen Deutungshorizont, bezeichnet werden. Es ist bemerkenswert, dass Judex zwar wie die zeitgenössischen lutherischen Geistlichkeiten die apokalyptische Geschichts- und Gegenwartsdiagnose in eine ordnungstheologische und heilgeschichtliche Deutungsmatrix einbezog, aber im Unterschied zu seinen Zeitgenossen die Sozialordnung bzw. Herrschaftsordnung in Gestalt der Vier-Stände zu konstruieren bzw. aufrechtzuerhalten versuchte. Angesichts der Tatsache, dass die rechtmäßige Anwendung des ius resis­ tendi nicht nur den Herrschaftsträgern mit eigener Legitimität aufgrund ihrer 1052  Vgl. L. Schorn-Schütte, „Die Zeitliche Sachen mit und neben den religion sachen zusuchen.“ Zum Verhältnis von protestantischen gelehrten Wissen und politisch-sozialen Wandel im 16. Jahrhundert. Forschungsbericht. Frankfurter sonderforschungsbereich 435 „Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel“. Teilprojekt E 3. Frankfurt a. M. 2006, S. 69–76. Hier S. 71. 1053  Ebd. S. 58–59. 1054  T. Kaufmann, Konfession und Kultur (wie Anm. 42), S. 34 ff.

286

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Herrschaftsrechte in Repräsentation des politischen Gemeinwesens, sondern auch den „Privatständen“ zugestanden wurde, kann das ius resistendi der Quellen nach der Terminologie der Zeitgenossen des 16. Jahrhunderts nicht mehr nur als ein Recht von Herrschaft bzw. als Privileg privilegierter Stände, sondern vielmehr als ein Recht und Privileg aller Untertanen, also auch amtloser Untertanen bzw. unprivilegierter Stände gegen die Herrschaft innerhalb des Gemeinwesens verstanden und gedeutet werden.1055 Zusammenfassend kann festgehalten werden: Ein Recht auf „präventive“ Gegenwehr bzw. Widerstand stand nicht nur jedem angegriffenen Amtsträger in Gestalt der Obrigkeit, den Geistlichkeiten und Hausvätern, sondern auch jeder angegriffenen Privatperson, dem gemeinen Privatmann bei der Verteidigung seines Gemeinwesens, seiner Person und Familie rechtmäßig zur Verfügung. Das heißt, dieses Recht stand allen Untertanen, also auch amtloser Untertanen zu, um sich gegen vermeintliche Rechtsbrüche des Monarchen oder der niederen Magistrate zur Wehr setzen zu können.1056 Judex’ bemerkenswerte Auffassung über die Vierständelehre lässt sich vielleicht mit folgendem Diagramm noch deutlicher veranschaulichen:

1055  Vgl.

430.

R. v. Friedeburg, Magdeburger Argumentationen (wie Anm. 944), S. 428–

1056  Eine Erweiterung des Kreises der Not- und Gegenwehrberechtigten lässt sich bereits bei Luther, politischen Entscheidungsträgern, weiteren evangelischen Theologen und Juristen sowie 1550 beim Magdeburger Bekenntnis beobachten. Judex erweiterte diesen Kreis bis auf den Privatstand. Wie in der Forschung zu Recht darauf betont wurde, hatten sich die Evangelischen Fürsten bei der Debatte in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts über frühe Interpretationen lutherischer Theologen nur dann hinweggesetzt, wenn deren Obrigkeitsverständnis die Anwendung von Gegenwehr und Notwehr im Kontext der Religionsfrage zunächst verhindert hatte. Erst später änderten Luther und Melanchthon ihre Ansichten. Melanchthon modifizierte 1535 / 36 seine Haltung sogar dahingehend, dass er unter Gegenwehr ein grundsätzlich allen Menschen naturrechtlich zukommendes Werk Gottes verstand, das potentiell jedem angegriffenen Hausvater bei der Verteidigung seiner Person und Familie rechtmäßig zur Verfügung stand. Vgl. A. Strohmeyer, Konfessionskonflikt und Herrschaftsordnung (wie Anm. 31), S. 335. Dort Anm. 659.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius287

(3) „Präventivschlag“ als zeitgenössisches politisches Vokabular im 16. Jahrhundert Im vorangehenden Abschnitt wurde festgestellt, dass Heshusius und Judex sowie die lutherische Geistlichkeit im Blick auf die Geschichte des politischen Denkens im Alten Reich und Europa eine bemerkenswerte Auffassung der „präventiven“ Gegenwehr zur Legitimierung von Widerstand vertreten hatten. Umso bedeutsamer ist, dass Judex sogar dem Privatstand die Trägerfunktion des „Präventivschlags“ zusprach. Nun möchte ich in diesem Abschnitt der Frage nachgehen, ob die Vorstellung des „Präventivschlages“ und die Auffassung einer bis auf den Privatstand ausgedehnten Trägergruppe allein besondere Überlegungen auf theoretischer Ebene waren oder ob sie als politische Begriffe im Diskurs des 16. Jahrhunderts verbreitet waren. Das heißt, ob sie von den zeitgenössischen politischen Entscheidungsträgern, Theologen und Juristen bei der Debatte um die Legitimität von Widerstand, Notwehr und Gegenwehr häufig verwendet wurden. Angesichts der Tatsache, dass sie sich keineswegs oder wie Johann Gerhard oder Johann Althusius als Theoretiker, Systematiker oder Dogmatiker mit der Thematik befassten, ist diese Frage umso inte­ressanter und brisanter. Im Folgenden wird diese Frage in zweierlei Hinsicht beantwortet: Erstens: „Präventivschlag“. Dieser „präventive“ Widerstand bzw. die Gegenwehr war in den Diskursen der ersten und zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im Alten Reich als politisches Vokabular verbreitet und sogar praktiziert worden. Die Beispiele der Weimarer Verbündeten beim „Packschen Händel“ 1528 und des Schmalkaldischen und Schwäbischen Bundes sind bereits bekannt.1057 Die Schmalkaldischen Verbündeten haben die „Gegenwehr“ der ständischen Obrigkeit wie oben erwähnt nicht nur als eine Art „Präventivschlag“ gedeutet, sondern auch diese als eine tagespolitische Praxis ausgeübt.1058 Hinzuzufügen sind die erbitterten publizistischen Diskussionen um 1057  Zur Debattem um den Präventivkrieg 1528 beim „Packschen Händel“ siehe grundlegend E. Wolgast, Die Wittenberger Theologie (wie Anm. 44), S. 114–125. Zur Diskussion um die Legitimität der Gegenwehr beim Schmalkaldischen Bund siehe bes. G. Haug-Moritz, Der Schmalkaldische Bund (wie Anm. 289), S. 89–92; dies., Widerstand als Gegenwehr, in: R. v. Friedeburg (Hg.), Widerstandsrecht in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 97), S. 141–161. Über den Diskurs um den Präventivkrieg in den Schwäbischen Verbündeten vgl. H. Carl, Der Schwäbische Bund 1488–1534. Landfrieden und Genossenschaft im Übergang vom Spätmittelalter zur Reformation (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 24), Leinfelden-Echterdingen 2000, S. 169 ff. 1058  Diese Praxis ist beim Goslarer und Braunschweiger sowie Bremer Konflikt mit Herzog Heinrich der Jüngere von Braunschweig-Wolfenbüttel deutlich zu beobachten. Dazu vgl. G. Haug-Moritz, Der Schmalkaldische Bund (wie Anm. 289),

288

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

die Annahme des Interims in der politisch sehr selbstständigen Stadt Magdeburg. Wie Friedeburg bemerkt hat, beanspruchten die Magdeburger Räte und auch Prediger in ihren Schriften ebenfalls das Recht eines „Präventivschlages“ gegen den Herzog Georg von Mecklenburg (1528–1552): „sie haben unseren vorterb und untergng gesucht /  auch viel boese Anschläge gemacht /  so seind wir gedrungen zuvor kommunge unsers verterbes /  der in allen gesatzten und nartuerlichen Recht erleubten defension zu gebrauchen […] Denn hatten wir ihre Flecken und Doerfer nicht eingenommen /  so hätten sich unsere Feinde zu unserem Nachteil und Verderb darein gelegt /  und also die unvermeid­ liche Faehr und Not erfordert /  unser in allen gesatzen und natuerlichen Rechten erlaubte Defension und Gegenwehr zu gebrauchen.“1059

Zweitens: Die Auffassung einer bis auf den Privatstand ausgedehnten Trägergruppe des „präventiven“ Widerstandes wurde von der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts an von den zeitgenössischen politischen Entscheidungsträgern, Theologen und Juristen bei der Debatte um die Legitimität von Widerstand, Notwehr und Gegenwehr nicht vertreten, aber eine immer wieder sozial nach unten erweiternde Tendenz ist deutlich zu erkennen. Zwar sprachen Luther und die Wittenberger Theologen sowie die Weimarer Verbündeten beim „Packschen Händel“ 1528 noch immer ausschließlich den Reichsständen ein Recht auf präventiven Widerstand zu, aber die Schmalkaldischen Verbündeten haben bereits Anfang der 30er Jahre des 16. Jahrhunderts nicht nur den Reichständen, die nur auf dem Reichstag vertreten waren, sondern auch all denjenigen, die ihre „eigene Beschirmung“ haben, eine Trägerfunktion der „präventiven“ Gegenwehr zugesprochen.1060 Ebenfalls finden sich solche Tendenzen in einem „theologischen Ratschlag“ von 1531. Darin wurde argumentiert, dass nicht mehr nur die Reichstände, sondern alle „ordentliche Gewalt“ von Gott ist, unabhängig davon, ob sie nun einem höheren oder unteren Stand zugehören. Das heißt, dass nicht mehr nur Reichsständen als Trägergruppe „Gegenwehr“ zugesprochen wurS. 82 ff.; G. Bluhme, Goslar und der Schmalkaldische Bunde 1527 / 31–1547 (Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar 26), Goslar 1969; H. Lucke, Bremen im Schmalkaldischen Bund 1540–1547 (Veröffentlichungen aus dem Staatsarciv der Freien Hansestadt Bremen 23), Bremen 1955. 1059  Der von Magdeburg Verantwortung alles Unglimpfs so ihnen in ihrer Belagerung von den Magdeburgischen Baals Pfaffen und andern ihren unnd der Christen Feinden begegnet, 13.12.1550, der auf die Wegnahme der Neustadt durch Moritz nd seine zweite aufforderung zur Aufgabe antwortete. [HAB Wf. 118 Helmstedt Nr. 6]. Bl. Ei–Eii. Zitiert nach R. v. Friedeburg, Magdeburger Argumentation (wie Anm. 944), S. 419. 1060  Vgl. dazu G. Haug-Moritz, Widerstand als Gegenwehr, in: R. v. Friedeburg (Hg.), Widerstandsrecht in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 97), S. 149. Zur Position Luthers und der Wittenberger Theologen sowie Weimarer Verbündeten siehe bes. E. Wolgast, Obrigkeit und Widerstand (wie Anm. 948), S. 236–237; ders., Die Wittenberger Theologie (wie Anm. 44), S. 120 ff.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius289

de, sondern auch der so genannten niederen Obrigkeit (magistratus inferior).1061 Auch legten die Magdeburger Räte und Prediger in den 40er Jahren die bereits von den Schmalkaldenern zugrunde gelegte breite Vorstellung von Obrigkeit weiter nach unten aus, nämlich auf städtische Magistrate bzw. bürgerliche Ratsmitglieder, die eigentlich nicht ohne weiteres als reichsunmittelbar gelten konnten.1062 Ende der 30er Jahre radikalisierte Luther schließlich die Erweiterung der rechtmäßigen Notwehr auf einen noch breiteren Personenkreis unter Berufung auf die Dreiständelehre. Nicht nur die weltliche Obrigkeit und Geistlichkeit, sondern sogar der Hausvaterstand sei von Gott in der Welt gegen den Teufel geordnet und im Fall der apokalyptischen Herausforderung der Gottesordnung durch den Papst zum aktiven Widerstand berechtigt.1063 Ebenso vertrat Justus Menius während des Schmalkaldischen Krieges von 1546 / 47 Luthers radikalisierte Auffassung der Trägergruppe des aktiven Widerstands und sprach dem Hausvaterstand gemäß der Drei-Schöpfungsordnungen die Berechtigung zum aktiven Widerstand zu.1064 Im Jahre 1550 setzten die Magdeburger Theologen in ihrer einflussreichen Schrift „Bekentnis Vnterricht“1065 die von Menius vertretene Argumentationslinie des Widerstandsrecht des gemeinen Mannes fort und sprachen ebenfalls wie Menius dem Hausvaterstand eine Trägerfunktion des aktiven Widerstandes gegen den Kaiser zu1066, jedoch nicht als amtlose Untertanen, sondern als Haushaltungsvorstand bzw. Amtsinhaber im Rahmen der Dreiständelehre. Auch Heshusius sprach dem Hausvaterstand im Rahmen der Dreistände­ lehre die Berechtigung zum aktiven Widerstand zu.1067 1061  Vgl. dazu R. v. Friedeburg, Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt (wie Anm. 97), S. 58. Dort Anm. 28. 1062  Vgl. R. v. Friedeburg, Magdeburger Argumentation (wie Anm. 944), S. 422. 1063  R. v. Friedeburg, Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt (wie Anm. 97), S. 58–59. Dort. Anm. 29. 1064  Vgl. dazu T. Kaufmann, Konfession und Kultur (wie Anm. 42), S. 59–65; R. v. Friedeburg, Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt (wie Anm. 97), S. 62–63. 1065  Bekentnis Vnterricht vnd vermanung (wie Anm. 1016). 1066  Vgl. R. v. Friedeburg, Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt (wie Anm. 97), S. 63–64; ders., Magdeburger Argumentationen (wie Anm. 944), S. 415 ff.; L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht (wie Anm. 56), S. 207 ff. 1067  „Wann aber die Weltliche Oberkeyt angehetzt durch gefährliche vnd der wahrheyt feyndtliche geneygte personen /  vnnd sunst aus vnwissenheyt der Religion streyten /  sich dahin bereden lassen […] vn dzu vndtertruckung vnd verhinderung der reynen vnuerfelschten Götlichen worts misbrauchet /  ist nöttig vnnd von Gott einem jeden Christen gebotten /  dan man jn ihm dem nicht gehorche /  sondern vil mehr Gott als den Eltesten vnd oberherrn gehorsam leyste /  vnnd ist solche /  abschlagung des gehorsams ein rechter dienst Gottes /  mit dem befelch stymmende. Gebt dem Keyser was des Keyser ist /  vnnd gotte /  was Gottes ist.“ Vrsach / Warumb (wie Anm. 156), Bl. A ii–A iiv.

290

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Schließlich räumte Judex, wie oben erwähnt, in den 60er Jahren sogar dem „Privatstand“ die Trägerfunktion des „Präventivschlags“ ein. Er schloss mit anderen Worten im Rahmen der Vierständelehre alle einzelnen gemeinen Christen mit ein. Die klare Fixierung des aktiven Widerstandsrechtes auf die Reichsstände wurde innerhalb von dreißig Jahren sozial bis aufs äußerste gedehnt. Die Ursache hierfür könnte mit dem apokalyptisch motivierten bzw. sensibilisierten politik- und gesellschaftstheoretischen Verständnis des Luthertums zusammenhängen.1068 Es lässt sich sagen, dass in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einem jeden Christen – nicht nur dem Hausvater als Vollbürger im Sinne der Dreiständelehre, der seine Funktion als Haushaltungsvorstand bzw. Amtsinhaber erfüllt, sondern im Sinne der Vierständelehre den amtlosen „privati“, die kein Bürgerrecht besitzen – ein Recht auf einen „präventiven“ Widerstand gleich wie den anderen ständischen „öffentlichen Amtsträgern“ zugesprochen wurde. (4) Fazit Fasst man diese skizzenhaften Ausführungen zusammen, so ergibt sich Folgendes: Erstens: Der Begriff des „ius resistendi“ oder der Gegenwehr in den Quellen des 16. Jahrhunderts ist keineswegs nur als ein Recht von Herrschaft oder als ein Vorrecht privilegierter Stände zu verstehen, sondern vielmehr als ein Recht aller Untertanen, sogar amtlosen und ein Vorrecht unprivilegierter Stände gegen die Herrschaft. Für sowohl die Ratsherren bzw. politischen Entscheidungsträger, als auch die lutherische Geistlichkeit, die Verfasser der „Confessio“, für den Theologieprofessor Judex und Heshusius war das Recht zur Gewaltanwendung im Rahmen der „präventiven“ Gegenwehr nicht a priori ständisch eingeschränkt. In ihrem Widerstandskonzept orientierte sich die Möglichkeit der „präventiven“ Gewaltanwendung nicht allzu sehr an der korporativen und spätmittelalterlich-ständischen Qualifikation. Wie die Bremer und Magdeburger Magistrate sich selbst als Herrschaftsträger aufgrund ihrer Herrschaftsrechte in ihr Amt von Gott eingesetzt verstanden hatten, so galt dies ebenso für den Pfarrerstand und Hausväterstand, vor allem den Privatstand als eine der vier Schöpfungsordnungen. Deshalb lag die Ausübung der „präventiven“ Gegenwehr gegen die Bedrohung des politischen Gemeinwesens nicht allein beim Magistrat, Pfarrerstand und Hausväterstand, sondern auch beim Privatstand als öffentlichem Amtsträger im Sinne der Vierständelehre. 1068  Vgl.

dazu T. Kaufmann, Konfession und Kultur (wie Anm. 42), S. 29–66.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius291

Zweitens: Verweise auf ein Recht zu „präventivem“ Widerstand bzw. Gegenwehr fanden nicht nur in ganz bestimmten Regionen und Grenzsituationen Verwendung. Der „präventive“ Widerstand bzw. die Gegenwehr sowohl auf ständischer als auch individueller Ebene war als eine Widerstandssprache bzw. als politische Sprache im Diskurs des 16. Jahrhunderts konzeptionell verbreitet. Wie Schorn-Schütte zutreffend formulierte, war diese konzeptuelle Ausbreitung auf der Grundlage zunehmender Institutionalisierung der Wissenskommunikation zwischen den Disziplinen Theologie und Rechtswissenschaft möglich.1069 Sie wurde von den zeitgenössischen politischen Entscheidungsträgern, Theologen und Juristen in der ersten und auch zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bei der politischen Debatte häufig diskutiert und praktiziert. Diese Widerstandsterminologie war sowohl auf Reichsebene, als auch auf Territorial- und Städteebene gängig. Der „Präventivschlag“ entwickelte sich zu einem Konzept einer verallgemeinerten Gegenwehr bzw. Notwehr, das allen Untertanen, sowohl mixti als auch mere zustehen sollte, um sich gegen vermeintliche Rechtsbrüche des Monarchen oder der niederen Magistrate zur Wehr setzen zu können, wie bei Heshusius und Judex deutlich festzustellen ist. Sie gebrauchten dieses Argumentationsmuster in der zweiten Hälften des 16. Jahrhudnerts noch immer. Drittens: Die „präventive“ Notwehr bzw. Gegenwehr war fester Bestandteil der Drei- bzw. Vierständelehre, die schließlich darauf ausgerichtet war, Bewahrung oder Wiederherstellung der göttlichen Schöpfungsordnung, nämlich corpus christianum zu erreichen.1070 In den Debatten über das Recht zum aktiven Widerstand wurde sie immer wieder von den politischen Entscheidungsträgern, Juristen und Theologen als vorbeugende bzw. vorsorgliche Gewaltmaßnahme zur Begrenzung weltlicher Herrschaft und Bewahrung des Gleichgewichts zwischen den drei bzw. vier Ständen gedeutet. Mit dem „ius resistendi“ sollte Sorge dafür getragen werden, dass das Gleichgewicht der von Gott geschaffenen Drei- bzw. Vierständeherrschaftsordnung bewahrt würde. Viertens: Heshusius steht zusammen mit Judex in deutlichem Kontrast zu Johannes Althusius,1071 der sich bemühte, die Partizipationsmöglichkeiten ausschließlich auf die Emdener Bürger am Stadtregiment einzuschränken und das ius resistendi in der Regel nur im Hinblick auf die Ephoren zuzusprechen,1072 weil er von der Gefährlichkeit des gemeinen Volkes über1069  Vgl. L. Schorn-Schütte, „Die Zeitliche Sachen mit und neben den religion sachen zusuchen.“ (wie Anm. 1052). 1070  Vgl. L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik (wie Anm. 54), S. 227–229. 1071  R. v. Friedeburg, Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt (wie Anm. 97), S.  78 ff. 1072  Ebd. S. 29. Dort Anm. 59.

292

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

zeugt war. Folgerichtig müssen der Stellenwert und die Bedeutung von Judex und Heshusius für das politische Denken und Handeln im gesamten Luthertum nicht nur unter den Gnesiolutheranern eine Neubewertung erfahren, sondern auch unter den frühneuzeitlichen Klassikern bzw. Theoretikern des Widerstandsrechts von Calvin1073 über Beza1074 (der dem gemeinen Privatmann nicht erlaubte gegen den Tyrannen vorzugehen) bis hin zu Al­ thusius. Fünftens: Die gegenwärtige Frühneuzeitforschung beschreibt in ihren grundlegenden und wegweisenden Studien Widerstandsauffassungen im Luthertum. Bisher waren ihre vorherrschenden Annahmen: 1. Es gab im Luthertum bzw. Alten Reich der Frühen Neuzeit zwar ein Recht auf Widerstand bzw. auf Notwehr im Extremfall, aber dessen ernstzunehmende Handhabung gab es weder im 16. noch im 17. oder im 18. Jahrhundert. 2. Im Luthertum gab es nur ein Recht von Herrschaft und das Privileg privilegierter Stände, aber keinen Widerstand der amtlosen Untertanen gegen die Herrschaft. Diese bisherigen Thesen sind jedoch angesichts der eben angeführten Befunde korrektur- und differenzierungsbedürftig. Ebenfalls muss auch das von Ernst Troeltsch und Max Weber gezeichnete, Jahrhunderte alte Bild des obrigkeitshörigen, obrigkeitsdienstbaren Luthertums dringend differenziert werden. Die Forschung zur Geschichte der Widerstandsauffassung einerseits, des politischen Denkens im Luthertum bzw. Alten Reich andererseits soll neu begonnen werden. ff) Die leges divinae, naturae und humanae Dieses Argumentationsmuster spielt eine nicht weniger wichtige Rolle als die anderen Legitimationsmuster von Heshusius. Häufig greift Heshusius auf das göttliche Recht, Naturrecht und das positive Gesetz zurück, insbesondere wenn von der Grenze des Gehorsamkeitsanspruchs der Obrigkeit die Rede ist und wenn die Obrigkeitskritik und das Widerstandsrecht der Untertanen gerechtfertigt werden müssen. In seiner oben erwähnten, dem Herzog Heinrich Julius gewidmeten Predigt hieß es daher: „Wenn die Obrigkeit in diesem jren Kreis bleibet /  vnd das jenige gebeut /  das nicht wider Gott /  noch wider das natürlichen Recht ist /  So ist man jr nicht weniger zu gehorsamen schuldig /  als Gott selbst.“1075 1073  Calvin sprach der privatis hominibus kein Widerstandsrecht zu, sondern allein den populares magistratus ad moderandam regum libidinem constituti. Dazu vgl. R. v. Friedeburg, Magdeburger Argumentationen (wie Anm. 945), S. 395. 1074  T. Quilisch, Das Widerstandsrecht (wie Anm. 985), S. 219. 1075  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mt. 22. Bl. 131.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius293

Sehr häufig erscheint dieses Legitimationsmuster im Zusammenhang mit der Grenzsetzung der Gesetzgebungskompetenz der weltlichen Obrigkeit. In seiner oben erwähnten Magdeburger Schrift hieß es: „das sie kein gesetz wider Gottes wort / noch wider aus trückliche Gebot / auch nicht wider das natür­ liche recht /  welchs ein reuir ist des Göttlichen vnd ewigen gesetzes /  mache /  Sondern was sie für satzung vnd Ordnung machet / das die mit Gott vnnd der Natur vbereinstimmen.“1076 Auch zeigt sich dieses Argumentationsmsuter in der Magdeburger Schrift in dreigliedriger Formel deutlich: „Dieses Gött­ lichen vnd Weltlichen auch natürlichen rechten sollte der verfluchte man D. Pfeil /  als magdeburgischer Syndicus /  die Regenten berichtet haben, aber darin hat er […] wider alle Göttliche vnd Weltliche recht begangen /  leihen vnnd gebrauchen.“1077 Der Rekurs auf die Dreier-Formel Melanchthons kommt an anderer Stelle deutlicher zum Ausdruck: „ /  das sie kein gesetz wider Gottes wort /  noch wider aus trückliche Gebot /  auch nicht wider das natürliche recht /  welchs ein reuir ist des Göttlichen vnd ewigen gesetzes /  mache /  Sondern was sie für satzung vnd Ordnung machtet /  das die mit Gott vnnd der natur vbereinstimmen.“1078 Häufig zeigt sich der Bezug auch in der Zweier-Formel von Gottes Wort und Vernunft: „Doch ist der Oberkeit nicht erleubet /  Gesetz zu machen jres gefallens  /  sie hat nicht macht Gesetz zu machen /  Die Gottes Wort zuwider sind /  denn sie sol Gottes Dienerin sein /  sie sol auch nichts gebieten wider Zucht vnd Erbarkeit /  oder das wider die Vernunfft /  Sondern nach der Vernunfft sol sie Gesetz vnd Ordnung machen /  von Straffe der Sünden /  von Erbfallen /  von Testament /  von Gericht /  von Process /  vnd dergleichen Weltsachen /  die zum Frieden dienen.“1079 An anderer Stelle in oben erwähnter Bremer Schrift findet sich ebenfalls die Zweier-Formel mit demselben Inhalt: „ /  doch ist auch der weltlichen Oberkeit das ziel dabey gesteckt /  das sie nicht zu weit schreiten /  denn das ist jnen nicht erleubet /  das sie mögen gesetz oder satzungen machen /  die dem Göttlichen gesetz oder wort /  oder auch der Vernunft zu wider sind.“1080 Auch kommt dieses Legitimationsmuster in seinem dogmatischen Jenenser Buch deutlich zum Ausdruck, dieses Mal steht es in Zusammenhang mit dem Naturrecht: „Das wir nach denen Statuten vnseren Oberkeit /  so nicht wider Got­ tes wort sind /  auch nicht wider das natürliche recht lauffen /  sondern zu guter ordnung dienstlich sein / vns verhalten sol“1081 Im Kontext der Grenzen Ampt vnnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. Cv. (wie Anm. 341), Bl. H–H ii. 1078  Vom Ampt und gewalt (wie Anm. 154), Bl. Cv–C ii. 1079  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Tage des Apostels Bartholome / Luce am 22. Bl. Gg 3. 1080  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. C. 1081  Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl.  Tt 6; „ /  vnd die Christen sind schüldig in solchen Gesetzen vnd Geboten /  die nicht wider Gottes Wort /  auch nicht 1076  Vom

1077  Notwehr

294

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

des Gehorsams bei rechts- und glaubenswidrigen Satzungen der weltlichen Obrigkeit lautet es: „Das wir nach denen Statuten vnseren Oberkeit /  so nicht wider Gottes wort sind /  auch nicht wider das natürliche recht lauffen /  sondern zu guter ordnung dienstlich sein /  vnd verhalten sol.“1082 Gelegentlich stellt Heshusius auch den Bezug zur Natur her: „Sondern was sie für satzung vnd Ordnung machtet /  das die mit Gott vnnd der natur vbereinstimmen.“1083 In seiner Helmstedter Predigt zeigt sich ebenfalls diese Zweier-Formel. Im Zusammenhang mit dem Gehorsamsanspruch der Obrigkeit hebt Heshusius hervor, dass dieser nur in Bezug auf die äußerliche Sphäre erhoben werden dürfe. Zwar sei die Obrigkeit Schutzherr und Prediger des Gesetzes, die auch mit Gewalt wirke, aber sie könne im inneren Bereich der Kirche keinen Gehorsam verlangen. Im äußeren Bereich müssten sich die Untertanen dem Gehorsamkeitsanspruch des weltlichen wie des kirchlichen Gemeinwesens unterwerfen, d. h. nicht nur den Zehn Geboten, sondern auch den weltlichen Gesetzen und Polizeiordnungen, sofern diese nicht wider Gott und die Natur sprächen.1084 Auch bezieht sich Heshusius auf das Gewissen: Im Zusammenhang mit dem Gehorsamsanspruch macht Heshusius in seiner Helmstedter Predigt die Untertanen unter Berufung auf Apg 5,29 darauf aufmerksam, dass sie im Falle einer Grenzüberschreitung der Obrigkeit nicht dazu verpflichtet seien, Gehorsam zu leisten. Heshusius betont: „Ein rechter Christ helt seine Obrigkeit in allen ehren /  vnd leistet gern vnd willig gehorsam /  Ja Leib /  Gut vnd Blut setzt er gern bey seiner Obrigkeit auff /  Aber was wider Gott vnd sein Gewissen ist /  dessen lest er sich nicht vberreden /  denn er weis /  das er Gott mehr fürchten sol /  denn die Menschen.“1085 An anderer Stelle verweist Heshusius auf Gottes Gebot: Im Zusammenhang mit der Legitima­ wieder natürliche Recht sind /  vmb des gewissens willen gehorsam zu leisten.“ Vrsach vnd Grundt / Warumb (wie Anm. 128), Bl. C iii; „Frage. Ob man auch vber der Ehe in verbotenen Grade dispensieren vnd nachsehen künne […] Denn Gott gibt den Menschen nicht solche gewalt /  das sie freye macht haben /  sein Gebot vnd Gesetz auffzuheben […]  /  Nemlich /  was in Göttlichen vnd natürlichen Rechten verbotten ist.“ Ebd. Bl. G iii–G iiiv; „Von Schwangerschafften […]  /  lehret beye Göttliche vnd beschrie­ ben /  ja auch das natürliche Recht /  vnd alle Menscheliche Vernunfft […] Hierauff ist zu wissen /  das gegenwertiger Fall in Gottes Wort nicht ist ausgedruckt /  noch verboten. Wie auch die Keyserlichen Rechte davon stilschweigen.“ Ebd. Bl. D iiv–F iiiv; „Aus diesem allen kann nun ein Pfarherr /  auch Gottseliger Christ wol verstehen /  welche Gradus beyde in Gottes Wort /  in keyserlichen /  in gemeinen /  vnd vblichen landsordnungen verboten sind /  vnd nicht zugelassen werden.“ Ebd. Bl. F iiijv. 1082  Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 6. 1083  Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. A iiijv. 1084  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mt. 22. S. 130b. 1085  Ebd. S. 131b.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius295

tionsgrundlage des Herrschaftsanspruches der Obrigkeit sagt Heshusius: „Darumb wenn Keyser vnnd Könige /  Bürgermeister /  vnd wer im Ampt ist /  etwas gebeut /  wider Gottes Gebot leuffe /  haben wir nicht allein fug vnd macht /  sondern sind auch bey verlust vnser Seelen seligkeit zu vnterlassen schuldig /  vnd allein bey Gottes Wort zu bleiben. Das heißt Gott geben /  was Gottes ist.“1086 Auch der Bezug auf die Billigkeit ist bei Heshusius vorhanden:1087 Im Kontext des Ursprungs der Obrigkeit erinnerte Heshusius in seiner Magdeburger Streitschrift den Rat von Magdeburg zunächst daran, dass die weltliche Obrigkeit nicht aus eigenem Vermögen entstanden, sondern von Gott eingesetzt worden sei. Damit will er deutlich machen, dass Amt und Stand allein von Gottes Gnaden seien und die Amtsführung dementsprechend an klare Bedingungen geknüpft sei: „ /  das die Weltliche Oberkeit von Gott gefügt ist /  ist Ordnung /  gesetzt /  Statuten /  vnd decreten zu machen /  im Weltlichen Leibssachen /  die nicht wieder Gott oder billigkeit seindt.“1088 Die Obrigkeit habe zwar Gesetzgebungskompetenz im äußeren Bereich bzw. in externa, doch das bedeute noch lange nicht, dass sie willkürlich neue Gesetzte erlassen könne, sondern nur so lange, wie diese – hier liegt die Grenze – nicht über Gott und Billigkeit hinaus verstoßen. Aus diesem Gesagten lässt sich folgendes bereits feststellen. Erstens: Heshusius hinterließ keine Kommentare zum Naturrecht und zu den positiven Gesetzen, doch zeigt seine exakte und häufige Anwendung der Terminologie1089, dass er sich im Unterschied zu Luther von den klassisch-antiken Theorietraditionen nicht distanzierte, sondern vielmehr mit beiden Rechts­ traditionen wohlvertraut war. Der Einfluss der römisch-antiken bzw. aristotelischen und ciceronianischen Rechtstradition1090 ist dabei unübersehbar. Heshusius hat ohne Zweifel seine Rechtslehre, insbesondere Naturrechts­ lehre von seinem Lehrer Melanchthon übernommen, der sie auf der Basis 1086  Ebd; „Es ist keinem Keiser noch König erlaubt newe Religion  /  on vnd wider GOTtes wort zu erdichten vnd den Leuten auffzubinden.“ Trewe Warnung (wie Anm. 386), Bl. C vi. 1087  Zu Verständnis der Billigkeit siehe den Abschnitt clementia. 1088  Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. A iiijv. 1089  „Von Schwangerschafften […]  /  lehret beye Göttliche vnd beschrieben /  ja auch das natürliche Recht /  vnd alle Menscheliche Vernunfft […] Hierauff ist zu wissen /  das gegenwertiger Fall in Gottes Wort nicht ist ausgedruckt /  noch verboten. Wie auch die Keyserlichen Rechte davon stilschweigen.“ Vrsach vnd Grundt / Wa­ rumb (wie Anm. 128), Bl. D iiv–F iiiv. „Aus diesem allen kann nun ein pfarherr /  auch Gottseliger Christ wol verstehen /  welche Gradus beyde in Gottes /  in keyser­ lichen /  in gemeinen /  vnd vblichen Landsordnungen verboten sind /  vnd nicht zugelasen werden.“ Ebd. Bl. F iiij. 1090  Vgl. B. Bauer, Jurisprudenz und Naturrecht, in: ders., (Hg.), Marburger Professoren (wie Anm. 319), S. 551–597.

296

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

seiner philosophischen Beschäftigung mit Ciceros De officis, aber auch mit Aristoteles’ Politik und Ethik entwickelte und daran sein Verständnis der gesellschaftlichen und politischen Ordnung aufgebaut hatte.1091 Die häufige Verwendung der dreifachen Formel des „natürlichen, göttlichen und menschlichen Gesetzes“1092 zeigt auch, dass Heshusius im Verständnis beider Rechte ebenso wie Melanchthon nicht nur in der aristotelischen, ciceronianischen Tradition der Antike, sondern auch in derjenigen des Mittelalters stand, da diese drei Formen mit dem mittelalterlichen Schema des Gesetzes identisch sind.1093 Indem aber Heshusius die traditionelle Gleichstellung von Naturrecht und Dekalog Dei beibehalten hat, zeigt sich, dass Heshusius wie sein Lehrer Melanchthon in seiner Naturrechtslehre nicht nur die antike Tradi­ tion einfach übernommen, sondern sie mit den reformatorischen Grundprinzipien verbunden hat,1094 im Unterschied zu David Cyträus, der den naturrechtlichen Sozietätsgedanken mehr als den Stiftungsgedanken anerkannte als die Synthese beider Gedanken. Zweitens: Für Heshusius wie für Melanchthon sind natürliches und göttliches Gesetz letzten Endes ein und dasselbe, also Synonyme,1095 weil sie 1091  Zur Beurteilung der Reformatoren über das Naturrecht vgl. M. Honecker, Einführung in die Theologische Ethik (wie Anm. 220), S. 119–120. Dazu auch I. Deflers, Lex und ordo (wie Anm. 300), S. 32–54. 1092  „Brüdern vnd Schwestern /  sich mit einander zu verehelichen /  ist in Göttli­ chen /  natürlichen /  vnd allen Rechten verbotten.“ Vrsach vnd Grundt / Warumb (wie Anm. 128), Bl. B iiiv; „ /  vnd die Christen sind schüldig in solchen Gesetzen vnd Geboten /  die nicht wider Gottes Wort /  auch nicht wieder natürliche Recht sind.“ Ebd. Bl.  C iii; „ /  was in Göttlichen vnd natürlichen Rechten verbotten ist.“ Ebd. Bl. G iii; „Dieses Göttlichen vnd Weltlichen auch naturlichen rechten solt der verfluchte man D. Pfeil /  als Magdeburgischer Syndicus /  die Regenten berichtet haben […] wieder alle Göttliche vnd Weltliche recht begangen /  leihen /  vnnd gebrauchen.“ Notwehr (wie Anm. 355), Bl. H – H iiv. 1093  Zum christlichem Naturrecht im Mittelalter vgl. M. Honecker, Einführung in die Theologische Ethik (wie Anm. 221), S. 114–118: Dazu auch M. Scattola, Melanchthons Naturrechtslehre, in: B. Bauer (Hg.), Melanchthon und die Marburger Professoren (wie Anm. 319), S. 868 ff. 1094  Zu bemerken ist, dass Heshusius ebenfalls wie die zeitgenössischen Reformatoren die Auffassung vertrat. Das heißt, er betont zwar die Bedeutung des Naturrechts für die Ethik, aber ein „christliches“ Naturrecht war für ihn kein integrierender Bestandteil der Theologie, so wie dies bei Thomas von Aquin der Fall war. Da er den Willen Gottes immer wieder wie Luther als geschichtliches Gebieten verstanden hat, ist es für ihn unmöglich, eine zeitlose gültige Naturrechtsmetaphysik und Naturrechtsontologie zu erstellen. Eine Naturrechtsmetaphysik widerstreitet dem Ansatz reformatorischer Theologie mit ihrem Ausgangspunkt bei der Rechtfertigung und mit ihrem Sündenverständnis. Vgl. M. Honecker, Einführung in die Theologische Ethik (wie Anm. 221), S. 119. Dazu auch I. Deflers, Lex und Ordo (wie Anm. 300), S. 177. 1095  Vgl. dazu M. Scattola, Melanchthons Naturrechtslehre, in: B. Bauer (Hg.), Melanchthon und die Marburger Professoren (wie Anm. 319), S. 874; I. Deflers, Lex und Ordo (wie Anm. 300), S. 32 ff.; 206.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius297

zwei Formen des einzigen Gesetzes Gottes sind. Der Dekalog, das mosaische Gesetz, sei daher mit dem Naturrecht identisch: „Daher der Keyser herrlich vnd wol redet /  da er sagt: Die natürlichen Rechte /  welch bey allen Völckern durchaus gleich gehalten werden /  vnd von Gott sonderlicher Gött­ licher versehung gestellet /  vnd dar Natur eingepflantzt sein /  sollen allzeit fest /  vnwandelbar vnd vnuerbrüchlich bleiben: Sed naturalia super de jure natural.“1096 Heshusius setzt auch das göttliche Gesetz, das heißt den Dekalog, mit dem positiven Gesetz gleich. Im Zusammenhang mit dem Gehorsamsanspruch der Obrigkeit gegenüber den Untertanen mit Bezug auf die paulinischen Worte im Römerbrief Kapitel 13 „Jeder Man sei untertan der Obrigkeit, die die Gewalt haben“, hebt Heshusius die Notwendigkeit des Gehorsams gegenüber der Obrigkeit hervor. Dieser sei unabdingbar und entspreche den göttlichen Gesetzen. Deshalb sündige ein Meineidiger sowohl gegen Gott als auch gegen die Obrigkeit: „Periurus et in Deum peccat et in Magistratum, qui est custos legis diuinae. Quod verò etiam legibus positis à Magistratu obedientiam debeamus.“1097 Drittens: Heshusius setzt die weltlichen Gesetze mit dem Gesetz Gottes gleich. Im Zusammenhang mit der legislativen Gewalt der Obrigkeit in seiner oben erwähnten Magdeburger Schrift heißt es: Die Untertanen sollen dieser legislativen Gewalt der Obrigkeit gehorchen, weil diese menschlichen, weltlichen Gesetze auch die Stimme Gottes seien: „die Vnterthanen nicht weniger schuldig sind zu gehorsamen  /  denn wenn sie Gott selbst hette im Gesetz ausgedruckt“.1098 Heshusius setzt auch das positive Recht mit dem Naturrecht in der römischen Rechtstradition gleich. Deshalb gebraucht er in seiner oben erwähnten Bremer Schrift das naturrechtliche Notwehrrecht im Rahmen des Strafrechts oder in dessen Verbindung : „Der vrsachen wurd ein Erbar Radt zu solcher abschaffung /  als zur gebürlicher Christlicher notwehr gedrungen vnd genötiget. Gleich wie ein Hausuater schüldig ist seine Kindlin wider eines vntrewen bösen Nachbawren gewalt vnd bössheit zu schützen /  wens gleich ins Nachbawren hauss geschehen muste.“1099 Für ihn ist die Stellung des Naturgesetzes als Rechtfertigungs1096  Vrsach 1097  Ebd.

1098  Vom

vnd Grundt / Warumb (wie Anm. 128), Bl.  G iiiv.

Ampt und gewalt (wie Anm. 154), Bl. V iii. Prediger zu Bremen (wie Anm. 155), Bl. G ii–G iiv; „Hie fellt nu eine Frage für /  Wenn jemand auff im Felde /  im Walde /  oder sonst bey der Nacht vberfallen würde /  da er die Oberkeit vmb Schütz nicht köndte anruffen /  solt er sich nicht wehren /  vnd sein Leben /  so es möglich were /  retten? Antwort: Die heilige Schrifft saget /  Exod. 22 […] Vnd die Rechte sagen: […] Wenn ein Dieb bey Nächtlicher weile einbricht /  vnd Wehre treget /  mag man jn wol todschlagen. So ist auch ein alter Spruch: […] Es ist einem erleubet /  das er sich wehre. […] Die Rechte erleuben einem /  das man eine Notwehre thun mag. Man sol aber nicht weiter gehen /  denn das man sein Leben rette /  die Notwehre thue /  Seine Rache sol man nicht 1099  Der

298

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

grundlage mit der des Wortes Gottes identisch. Im Kontext der Grenzen des Gehorsams bei rechts- und glaubenswidrigen Satzungen der weltlichen Obrigkeit betont er, wie oben erwähnt: „Das wir nach denen Statuten vnseren Oberkeit /  so nicht wider Gottes wort sind /  auch nicht wider das natür­ liche recht lauffen /  sondern zu guter ordnung dienstlich sein /  vnd verhalten sol.“1100 Ebenfalls zeigt sich diese Zweier-Formel in seinem RömerbriefKommentar. Im Kontext des Gehorsams der Untertanen bezeichnet er den Gehorsam als eine Tugend, die aus dem Glauben erwachse. Dann zählt Heshusius auf, wem Gehorsam zu leisten sei: „primum legibus diuinis quarum custos et executor est Magistratus: Deinde honestis etiam legibus Magistratus, quae disciplinae et ordinis causa sunt promulgatae, nec pugnant cum verbo Dei, neq; cum iurae naturae.“1101 In diese unlösbare Verbindung von juristischer Norm (Recht) und theologischer Norm (Gottes Stimme) einerseits, Gleichsetzung von Gottes Wort und Naturgesetz andererseits, in der sich Heshusius’ Übernahme von Melanchthons Gesetzesauffassung deutlich widerspiegelt, lässt sich feststellen, dass von voneinander getrennten juristischen und theologischen Argumentationen bzw. Wissensbestände kaum gesprochen werden kann. Viertens: Heshusius’ Herrschaftsverständnis sowie Gesetzeslehre bewegen sich ebenfalls im Rahmen der gesetzgeberischen Zielvorstellung der Regimentstraktate im 16. Jahrhundert, deren Kernmerkmal, wie Simon bemerkt hat,1102 darin liegt, dass nicht die Gesetzgebung im Mittelpunkt des politischen Handelns steht, sondern die Normdurchsetzung, das heißt die Erzwingung der Normen mit Hilfe der den Herrschaftsträgern zu Gebote stehenden Zwangs- und Gewaltmitteln, eng verbunden mit der starken Betonung der gerechtigkeitswahrenden Funktion des Fürsten. Diese Tatsache zeigte sich in der unermüdlichen Betonung der Bindung der Dreiteilung des Gesetzes u. a. an Natur, Vernunft, Gewissen und Billigkeit, die Heshusius zur Rechtfertigung der Obrigkeitskritik und des Widerstandes und vor allem der Begrenzung der legislativen Gewalt der Obrigkeit verwendete. Für Heshusius handelt es sich bei der Policeygesetzgebung der weltlichen Obrigkeit nicht um die Neuregulierung, sondern um die normative Verstärkung überlieferter, aber an Geltungskraft und Akzeptanz nachlassender Normen. Deshalb spricht Heshusius in seinen Schriften immer wieder nur vom custos legis, der über die Unverletztheit der Normenordnung nur wacht, ohne sie indes wesentlich zu gestalten, wenn er die Funktion der weltlichen Obrigkeit im suchen /  noch anderen beleidigen /  wenn wir one Gefahr des Lebens dauon kommen können.“ Postilla (wie Anm. 137), Fünfftzen Passionspredigten /  vom Leiden vnd Sterben vnsers Herrn vnd Heilandes Jhesu Christi. Bl. E 5b. 1100  Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 6. 1101  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 395b. 1102  Vgl. dazu T. Simon, Gute Policey (wie Anm. 377), S. 164 ff.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius299

Hinblick auf das Recht und Gesetz thematisiert. In seiner Magdeburger Schrift „Vom Ampt vnd gewalt“ hieß es deshalb: „Weltliche Oberkeit /  Keiser /  Könige /  Fürsten vnd Bürgermeister sind Lerer /  Diener vnd Schutzherrn des Göttlichen gesetzes denn dazu sind sie von Gott nicht beruffen /  das sie regieren setzen vnd ordnen /  wie vnd was sie wollen / .“1103 Noch deutlicher kommt dieses custos legis-Verständnis an anderer Stelle zum Ausdruck: Jene dürfe nichts anordnen oder ausführen, was dem göttlichen Recht widerspricht. Gott habe sie als seinen Stellvertreter auf Erden eingesetzt, um durch sie sein Gesetz durchzuführen und zu schützen: „Sondern Gott hat sie an seine Stat verordnet /  das sie sein Gesetz handhaben vnd schützen /  doe fromen verteidigen vnnd die Bösen straffen sollen /  auff das zucht vnd erbarkeit /  nach Gottes befehl erhalten werde /  wie sie darumb in der Schrifft Götter genennet werden.“1104 Aufgabe der Regierenden sei es, so Heshusius, über die Religion, die Ordnung, den Frieden und vor allem die Gesetze zu wachen und die Untertanen mit Wachsamkeit und Treue zu beschützen. Ohne Zweifel spricht sich Heshusius, wie oben bereits hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz der Obrigkeit dargestellt, folgendermaßen aus: die weltliche Obrigkeit sei nicht nur der custos legis bezogen auf den Dekalog, sondern besitze auch Gesetzgebungsrecht zur guten Ordnung im Gemeinwesen: „Weltliche Oberkeit füret nicht allein Gottes gesetz /  als die zehen Gebot / sondern hat auch macht newe Gesetz vnd ordnung zu machen /  die in den Zehen Geboten oder in der Schrifft nicht ausgedruckt sind.“1105 Damit räumt Heshusius der weltlichen Obrigkeit das Recht zur bewussten Gestaltung der Ordnung des Gemeinwesens ein. Deshalb verwendet er auch den Begriff „Policeyordnung“1106 im Bezug auf die Gehorsamsforderung an die Untertanen: „ /  als gewisse ordnung vnd proces im Gericht /  gewisse vnterscheidene straffe /  gesetze von Erbscheidung /  von Testamenten Policey ordnung vnd dergleichen /  weltlichen gesetzen der Oberkeit die Vnterthanen nicht weniger schuldig sind zu gehorsamen /  denn wenn sie Gott selbst hette im Gesetz ausgedruckt […] Darumb Moises selbst in seinem Regiment muste auch Policey ordnung machen /  von straffen vnd Erbscheidungen /  vnnd wenn ein newer fall kam /  dauon kein gesetz war aus gedruckt /  muste er ein new gesetz auffrichten. Dieweil wir Christen nu durch die 1103  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 137), Bl. B iiijv. Bei Heshusius ist wie auch bei Melanchthon nie von dem Recht der Obrigkeit die Rede, sondern vielmehr von einem debere, einem Schuldigsein oder einem Dienst. Vgl. J. Heckel, Cura religionis (wie Anm. 134), S. 13. 1104  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B iiijv. 1105  Ebd. 1106  Für einen Überblick zum Begriff der frühneuzeitlichen „Policey“ vgl. F. L. Knemeyer, Policey in: Geschichtliche Grundbegriffe 4 (1978), S. 875–897. Im Folgenden Policey.

300

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

ankunfft Christi von allen Policey ordnungen vnnd Kirchengesetzen Moisis gefreyet sind /  mus vnser Oberkeit die gewalt haben /  gesetz vnd ordnung zu machen die zu erörterung der jrrigen sachen /  vnd zur Regierung nötig sind.“1107 Jedoch darf diese Stelle in Heshusius’ Verständnis nicht auf solche Weise interpretiert werden, das Recht und Gesetz solle als Instrument politischlegislativen Handelns fungieren, sondern vielmehr vorrangig als übergeordneter normativer Richtungsgeber für die Politik, an der sich das politische Handeln seinerseits ausrichtet.1108 Das rechtsangeleitete Politikverständnis,1109 der legislative Gestaltungsspielraum der Obrigkeit bestehe nur darin, das Recht zu schützen und es zu handhaben, kommt in derselben Magdeburger Schrift deutlich zum Ausdruck: „Es füret aber die Oberkeit nicht das gantze Gesetz /  sondern nur ein stücklin desselbigen /  nemlich /  so viel die eusser­ liche zucht vnd gehorsam belanget /  den die Weltliche Herrschafft richten kann. Mit dem jnerlichen vnd geistlichen gehorsam des hertzens hat die Oberkeit nichts zu schaffen.“1110 Heshusius’ Obrigkeitsverständnis entspricht ganz der traditionellen rechtsdienenden Funktion des Herrschers, wie sie schon das frühere Mittelalter kannte. Fünftens: Für Heshusius ist die Obrigkeit ausschließlich von Gott eingesetzt. Eine Interpretation über Obrigkeit von naturrechtlicher Seite im Sinne des 17. Jahrhunderts bringt Heshusius nicht vor. Es gibt in seinem Werk keinen Vorrang der Obrigkeit bzw. des „Staates“ vor der Kirche. Sechstens: Dieses Argumentationsmuster ist ebenfalls ein Bestandteil der Dreiständelehre. Wenn Heshusius die Grenze des obrigkeitlichen Handelns sowohl im Hinblick auf die Gesetzgebungskompetenz, also in Bezug auf die Legitimation der Obrigkeitskritik und des Widerstands der Untertanen thematisierte, setzte er die Zwei- bzw. Dreiteilung der Gesetze oder ihre Verbindung mit Billigkeit, Vernunft, Gewissen, Gottes Wort und sogar Natur immer wieder in Zusammenhang mit der Zwei-Regimenten-Lehre im Sinne der Dreiständelehre. Deshalb hieß es in derselben Magdeburger Schrift: „Es sage dazu weltliche Oberkeit was sie wolle /  denn sie hat im Reich Christi vnnd Predigampt das geringst nicht zu gebieten /  noch zuuerbieten /  thut jemands wider Gottes wort /  oder füret einer falsche Lere /  den mag sie straffen /  als Custos legis /  wenn sie in des jrthums vberzeuget vnd vberwunden hat.“1111 Ebenfalls kommt diese Ansicht in seiner Helmstedter Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B viiv–B v iii. dazu T. Simon, Gute Policey (wie Anm. 377), S. 173 ff. 1109  Ebd. S.  181 ff. 1110  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B iiijv–B v. 1111  Ebd. Bl. D viiiv. 1107  Vom 1108  Vgl.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius301

Predigt deutlich zum Ausdruck: „Wenn die Obrigkeit in diesem jren Kreis bleibet /  vnd das jenige gebeut /  das nicht wider Gott /  noch wider das natürlichen Recht ist /  So ist man jr nicht weniger zu gehorsamen schuldig /  als Gott selbst.“1112 gg) Gemeindeprinzip Zunächst soll Heshusius’ Kirchenverständnis skizziert werden, um dieses Rechtfertigungsmuster noch deutlicher zu erfassen. Sowohl nach Heshusius’ Auffassung als auch nach der seines Lehrers Melanchthon, der die ecclesia als coetus vocatorum1113 definierte, ist die Kirche ausdrücklich eine ecclesia visibilis, eine sichtbare Versammlung aller Berufenen bzw. Getauften, das heißt, die zwar institutionell aufzugliedern, aber von anderen menschlichen Versammlungen zu unterscheiden sind, und eine aktive Gliedschaft auf Grund des allgemeinen Priestertums der Gläubigen vorsieht. Diese Kirche erscheint Heshusius gleichsam als eine societas externa, aber nicht als „Gesellschaft bzw. Körpergemeinschaft im Sinne des aristotelischen bzw. naturrechtlichen Sozietätsbegriffs“, sondern als ein Gemeindevolk bzw. ein gegliederter, quasi-lebendiger Verband, der aber dabei die naturrechtlichen Konsequenzen in Bezug auf die kirchliche Mitgliedschaft bzw. Gemeinschaft kaum gezogen hat. Seine Schrift „Von der wahren Kirche Christi“1114 handelt deshalb nicht etwa, wie man dem Titel nach erwarten möchte, von der rein geistlichen Glaubensgemeinschaft im Sinne Luthers vera ecclesia oder Augustins civitas Dei-Lehre, sondern ausdrücklich von der ecclesia visibilis im Sinne des von Melanchthon geerbten Kirchenbegriffs. Auf diese sichtbare Kirche überträgt Heshusius einen großen Teil der Aussagen, die in den Bekenntnisschriften zu Gunsten der Kirche Christi gemacht wurden.1115 Ausdrücklich verneint Heshusius in seinem im Namen der Heidelberger Prediger für Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz (1502–1559) verfassten Herxhamer Gutachten von 1558 die schwenkfeldische Auffassung von Bernhard Herxheimer, der die äußerliche Kirche in Heidelberg nicht als solche anerkannte: „den der ausdrückliche befehl Gottes saget, daß wir vns 1112  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mt. 22. Bl. 131. 1113  Zu diesem Melanchthons Kirchenbegriff vgl. K. G. Appold, Orthodoxie als Konsensbildung (wie Anm. 43), S. 163–165; M. Honecker, cura religionis (wie Anm. 182), S. 160; W. Maurer, Problematik ders kirchlichen Mitgliedschaftsrechtes, in: G. Müller / G. Seebass (Hg.), Die Kirche und ihr Recht. Tübingen 1976, S. 393– 517. 1114  De Vera Iesv Christi Ecclesia eiusque authoritate. Ihnae 1572 [HAB H: G 84. 8º Helmst]. 1115  J. Heckel, cura religionis (wie Anm. 134), S. 47.

302

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

zu der sichtbarlichen Kirche Gottes halten sollen vndt keine trennung noch spaltung anrichten.“1116 Er beruft sich dabei auf verschiedene Bibelstellen, z. B. auf Eph 2,19, 1 Kor 3, Mt 18 und auch 1 Kor 1, worin Paulus ausdrücklich betont, dass die sichtbare Kirche in Korinth den Geheiligten in Jesu Christo anerkenne, gleichwohl es in der Korinther Kirche unzählige Probleme gab (Unzucht, Verleugnung der Auferstehung der Toten etc.).1117 Diese Kirchenvorstellung tritt in Heshusius’ Schriften immer wieder hervor. In der Schrift „Vom Ampt vnd gewalt“ heißt es: „Der HERR Christus beschreibet die Kirche […] Wo zween vnter euch eines werden auff Erde […] da bin ich mitten vnter jnen. Weil denn zween oder drey in Christi Namen versammlet /  Gottes Kirche sind.“1118 Er will den suchenden Christen unter den verschiedenen irdischen Kirchengebilden diejenige Kirche zeigen, die Gott wohlgefällig ist und der sich die Gläubigen anschließen müssen. In seinem Kirchenverständnis spiegelt sich ein kirchenpolitisches Moment mittelalterlicher Tradition wider: Gegenüber der Übermacht des weltlichen Regiments gilt es, die Autorität der sichtbaren Kirche zu erhöhen. Darum soll die Kirchengewalt der ecclesia visibilis der obrigkeitlichen Gewalt als Gegenstück von höherem Rang entgegengehalten und das kirchliche Eigenleben nachdrücklich vor hoheitlichen Eingriffen oder der Vernachlässigung durch den Fürsten verteidigt werden.1119 Deshalb bezeichnet er das Predigtamt als Oberherrn eines anderen Reiches: „Zu dem straffen wir nicht den Keyser /  oder die Herren für vnser Person /  als Vntertanen /  sondern […] Befehlshaber in einem anderen Reich /  da der Keyser vnd alle Welt den hernn Christo vnd vnserem Ampt vnterworfen ist.“1120 Gleichzeitig sei die Obrigkeit verpflichtet, dieser Regierung zu dienen: „Jtem /  ir Könige vnd Richter auff Erden dienet dem Herrn. Sol nu die gantze regierung Christo dienen / so muss sie auch der Lügen wehren /  welche das Reich Christi bindet.“1121 Subsumierend lässt sich sagen, dass Heshusius weder eine reine Pastorenkirche noch eine landesherrliche Kirche noch Laienkirche anstrebt, sondern sich für eine durch die Gemeinden – als ein Miteinander aller berufenen Christen im Sinne des allgemeinen Priestertums in Gestalt der Repräsentanten der drei Stände – geführte Kirche einsetzt. In dieser kurzen Erläuterung der Kirchenvorstellung, verbunden mit der Idee einer starken Gemeindeautonomie, ist bereits ein wesentlicher Teil 1116  P.

F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 170–171.

1117  Ebd.

1118  Vom

Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. N ii. J. Heckel, cura religionis (wie Anm. 134), S. 46–48. 1120  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mt. 22. Bl. 130. 1121  Der Prediger zu Bremen (wie Anm. 155), Bl. Gv–G ii. 1119  Vgl.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius303

dessen erkennbar, was das Argumentationsmuster „Gemeindeprinzip“ für Heshusius ausmacht. Für Heshusius steht der Begriff Gemeindeprinzip ebenfalls wie bei den Autoren im lutherischen Kirchenrecht eng im Zusammenhang mit der Frage nach der Zuordnung von Amt und Gemeinde und Verteilung der weltlich-rechtlichen Leitungsgewalt in der Kirche. Zumeist versteht er das Gemeindeprinzip im Sinne der Übertragungstheorie. Das Kernmerkmal derselben ist das göttlich gestiftete Amt. Es solle als Teil der Heilsordnung allen Gläubigen durch das allgemeine Priestertum (sacerdoti­ um) zuteil werden. Um der Ordnung willen solle aber die vom Herrn stammende Vollmacht zur öffentlichen Wort- und Sakramentsverwaltung von der Gemeinschaft auf einzelne Amtsträger übertragen werden. Dieses funktionale Predigtamt als Teil der weltlichen Kirchenordnung stelle sich als eine Einrichtung der Gemeinde dar. Die geistliche Kirchenleitung sei dem Inhaber des Predigtamtes übertragen, aber die Gemeinde bleibe Trägerin des Kirchenregiments.1122 Das heißt, nicht die Gemeinde als Organisationsform der Gemeinschaft hat das ius vocandi, sondern jeder einzelne Christ erhielt zunächst durch dessen individuelles Christsein die Befugnis und Vollmacht, die Lehre zu beurteilen, Pfarrer zu berufen und abzusetzen usw. Da aber jeder einzelne Christ bzw. alle Christen nicht handeln können, überträgt sie der Ordnung halber die Lehrurteils- und Berufungsvollmacht dem Haupt jedes der drei Stände, das heißt dem status politicus, status ecclesiasticus und status oe­ conomicus als Repräsentanten der jeweiligen Stände, konkret dem status ecclesiasticus als Vertreter der örtlichen Pfarrerschaft, dem status politicus als Repräsentanten der öffentlichen Amtsträger, jedoch als unum de praeci­ puis membris ecclesiae, und dem status oeconomicus als Repräsentanten der Bürgerschaft und aller Einwohner. Mit anderen Worten „delegiert“ die Versammlung der ganzen Gemeindeglieder diesen drei Hauptständen ihre Befugnis und Vollmacht. Die drei Repräsentanten sollen im Simme der ganzen Versammlung der Christen sozusagen als beauftragte Organe der ganzen Gemeinde für jede kirchliche Angelegenheit handeln. Diese Vorstellung kommt ebenfalls in der Dreiständeauffassung des Magdeburger Dompredigers und Schulrektors Siegfried Sack deutlich zum Ausdruck. Im Zusammenhang mit der Debatte, ob die Obrigkeit bei der Pfarrerwahl ausgeschlossen werden soll, lehnte Heshusius unter Berufung auf die Dreiständelehre dieses Ansinnen einiger Geistlichen in Magdeburg strikt ab: „Aus solchen offentlichen gebet /  ist der gantzen gemein /  der Obrigkeit /  Predigern /  vnd allen vnderthanen offenbar worden […] Darzu aber gehörte das gantze 1122  Dazu ausführlich vgl. M. Rauhaus, Das kirchenrechtliche Gemeindeprinzip und seine Auswirkungen auf die kirchliche Verfassungsgestaltung (Schriften zum Staatskirchenrecht 23), Frankfurt a. M. 2005, S. 7 ff.

304

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Corpus Ecclesiae, das ist alle Stende so in Corpore Ecclesiae hier zu Mag­ deburg verfasset sein. Dazu aber gehören diese stende. Zum Ersten /  das Ministerium Zum Andern /  die Obrigkeit Zum Dritten /  die Sacristey oder ausschuss von wegen der gemeine“1123 Die Äußerung „ausschuss von wegen der gemeine“ macht deutlich, dass Sack hier wie Heshusius eine vom Prinzip des allgemeinen Priestertums geprägte, egalisierende Auffassung der Dreiständelehre mit dem „Delega­ tionsgedanken“ bzw. „Übertragungsprinzip“ vertrat. Das heißt, jeder Christ aufgrund seines Christseins sei befugt zu handeln, aber nicht alle könnten handeln, weshalb nur die drei Hauptstände, die Geistlichkeit, Obrigkeit und der Ausschuss der Gemeinde als die delegierten bzw. von der Versammlung aller Christen des corpus christianum übertragenen Vertreter auftreten und handeln sollten. Nach Auffassung von Sack ist der Rat nur ein „delegierter“ Teil dieses corpus christianum ebenso wie die anderen Stände der Kirche. Deshalb hat die Obrigkeit ebenfalls das ius vocandi. Für Heshusius ist die Versammlung aller Gläubigen die originäre Trägerin des Kirchenregiments bzw. Subjekt der kirchlichen Amtsgewalt und nicht die Amtsgeistlichkeit, die Obrigkeit und Vertreter der Bürgerschaft selbst. Deshalb hieß es in seiner Magdeburger Schrift: „Denn das Ampt des Euangleij ist nicht an Personen oder Ceremonien gebunden /  Sondern der gantzen Gemeine Gottes hat Christus diesen thewren Schatz vertrawet /  vnd jhr macht gegeben /  alles zu binden vnd zu lösen im Himelreich. Darumb wenn kein Kirchendiener furhanden ist ein jeder Christ /  der ein gliedmas ist der gemeine Gottes  /  mit dieser herrligkeit die Sacrament auszuteilen /  von Christo belehnet.“1124 Aus demselben Grund betonte Heshusius bereits 1123  Kurtzer vnterricht von gerechtigkeit Christlicher Obrigkeit in erwelung vnd beruffung der Kirchendiener /  zu sammen gezogen /  aus heiliger Göttlicher schrifft /  aus den Patribus /  vnd den fürnembsten Theologen zu vnser zeit /  Luthero vnd andern mehr. Durch Siegfridum Saccum Rectorem der Schulen zu Magdeburg. Magdeburg 1565 [DrSLUB. Theol. ev. Pol. 140°, 4]. Bl. A iiij. Im Folgenden Kurtzer vnterricht von gerechtigkeit Christlicher Obrigkeit. Vgl. dazu H. Georz, Allegemeines Priestertum (wie Anm. 455), S. 272 ff.; 290 ff. Diese Auffassung vertritt ebenfalls Schorn-Schütte, wenn sie im Zusammenhang mit der ständisch bindenen Funktion der Dreiständelehre folgendermaßen äußert: „Notwehr, Widerstand übt nicht jeder einzelne aus, sondern immer nur der legitimierte Amtsinhaber, das Haupt jedes der drei Stände.“ Vg. Dazu L. Schorn-Schütte, Kommunikation über Herrschat (wie Anm. 56), S. 102. Nur sie berücksichtigt die Verbindung des Prinzips des Allgemeinen Priestertums zur Dreiständelehre als Herrschafts- und Ordnungskonzept. 1124  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Ev; „Hie mus alle Welt bekennen /  das der Herr einen jedern Christen gewalt gibt /  die lere vnd Weissagug zu vrteilen vnd zu richten. Ebd. M v; „Das Got niemand anders die gewalt Prediger oder Seelsorger zu beruffen vnnd zuerwelen vbergeben […]  /  solchs aber ist der gantzen Christenheit /  vnd nicht einem besondern Stand vbergeben“. Ebd. M vv; „Wen die wahl der Prediger /  das oberste Gericht in Kirchen sachen /  die Regierung der Kir-



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius305

in seiner Goslarer Protestschrift, dass das Verfahren der Kirchenzuchtübung weder von der Geistlichkeit noch der weltlichen Obrigkeit oder Bürgerschaft allein, sondern von der Gemeinde ausgeübt werden soll: „Das er jn als bald in den Bann thun wollte /  aus eigenem praeiudicio will den Pastori alein nicht gebüren […] Darumb sol die Kirche die Sache erst erkennen […] Den Pfarrherrn vnd Seelsorgern gebüret nicht on vorgehende erkennt­ nis vnd Vrteil der kirchen jemands in den Bann zu erkleren.“1125 Diese vom allgemeinen Priestertum geprägte Auffassung des Gemeindeprinzips im Sinne der „Übertragungstheorie“ bzw. des „Delegationsgedankens“ äußert sich auch an anderer Stelle deutlich: „Dieweil das höheste vnd letzte Vrtheil /  vber der Lehr /  vnnd in allen hohen Geistliche Kirchen sachen /  nicht bey einem Pfarherr oder Seelsorger allein /  viel weniger aber auch bey Weltlichen Regenten stehet /  sondern bey der christlichen Gemeine […] nicht allein hoher Pfarherrn vnd Bischoffen /  sondern auch der Aposteln Lehre /  nach der Heiligen Schrifft zu Vrtheilen auch zu örtern  /  welche Personen sie für Gliedemasse jhres Liebs erkennen […]“1126 Heshusius beruft sich wie Melanchthon auf die altkirchliche Praxis, nach welcher das Gemeindevolk, also die Gemeinde im kollektiven Sinne, ihre Pastoren wählte. Allerdings stellt er sich unter dem Begriff der Gemeinde nicht die Organisationsform einer Gemeinschaft im Sinne einer Körperschaft, sondern eine Versammlung aller Christen, das heißt die Gemeinschaft aller Gläubigen, vor. Deshalb wird von Heshusius gelegentlich der Begriff „Gemeinde“ bzw. „Kirche“ synonym mit dem „Volk“ verwendet: „das die Christliche Gemeine macht habe /  Seelsorger on verwilligung der Weltlichen Oberkeit zu erwelen. Also leret auch Lutherus im Büchlin wie man Diener der Kirchen welen […]  /  das dem Volck gebüre zu welen /  denn dis sind chen einem stand allein /  entweder der weltlichen Oberkeit /  oder den Geistlichen vbergeben were /  wollte daraus folgen /  das der son Gottes seine Herrschafft vber der Kirchen gewissen Leuten auff Erden vbergeben hette /  vnd müste stets ein gewisser Stadthalter JHEsu CHRJSTJ sein auff Erden /  auch müste die Kirche wie ander Königreich /  vnd weltliche Regiment gefüret werden“. Ebd. M viii–M viiiv. 1125  Vrsach vnd Grundt / Warumb (wie Anm. 128), Bl.  Bv–B iiiv. 1126  Apologia (wie Anm. 424); „Zum dritten /  Das er (Pfarrer und Seelsorger. Hervorhebung durch Ch. P.) die Kirche nach Gottes wort regiere /  nicht als ein Herr vbers Volck /  sondern als der fürnemest Diener /  der für die Gemeine wachen sol. Vnd steht die regierung der Kirchen in dem /  das man tüchtige /  geschickte Diener des Euangelij erwele /  vnnd zum Predigampt mit aufflegung der hende ordne vnd bestehtige. Jtem /  das man gute zierliche ordnung der Kirchengeseng vnnd eusserlichen Ceremonien mache. Jtem /  das man die Krancken besuche /  tröste /  vnd in schweren fellen vnnd hohen bekümmernüssen den gewissen guten rath aus Gottes wort mitteile. Vnd teglich für die gemeine /  so jm befohlen ist /  fleissig Bete /  Dis ist die rechte Regierung der Kirchen.“ Vom Ampt vnd Gewalt (wie Anm. 154), Bl. D vv–D vi.

306

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

seine wort. Der Papisten Priester werden ohn verwilligung vnd wahl des Volcks eingesetzt.“1127 Dieses Gemeindeverständnis kommt an anderer Stelle sehr deutlich zum Ausdruck: „Derwegen sie sampt vnd mit der gemeine Gottes in erwelung der Prediger vnd Seelsorger zustimmen […] wenn der Weltlichen Oberkeit die wahl vnd beruffung der Prediger zustendig gewesen were /  würd er keinsweges seine gewalt / hoheit vnd herrschaft also haben schwechen lassen vnd sein Ampt dem Volck vbergeben.“1128 Das heißt, eine Versammlung aller Christen als Volk hat die Befugnis und Vollmacht, Pastoren zu wählen und Lehrurteile zu sprechen. Ausdrücklich betont er an anderer Stelle im Zusammenhang mit der Thematik, wer das ius vocandi innerhalb eines Gemeinwesens hat, in derselben Magdeburger Streitschrift: „Fürs erst /  mag niemand verneinen /  das der HERr Christus das gericht vnd Vrteil vber seiner Lere nicht einem stand insonderheit befohlen /  weder Geistlichen noch Weltlichen /  auch an keine Person noch Ort /  an kene gaben noch Ampt gebunden /  sondern vnuerdinglich der Gemeine vnd allen Christen vbergeben.“1129 Die Äußerung „nicht einem Stand […]  /  sondern vnerdinglich der Gemeine vnd allen Christen“ macht deutlich, dass Heshusius hier keineswegs ein monarchisches, sondern gemeindliches bzw. „demokratisches“ Gemeindeprinzip in Verbindung mit der vom egalitären Prinzip des Allgemeinen Priestertums geprägten Dreiständelehre denkt. Diese Ansicht findet sich auch an anderer Stelle: „Das eine Christliche Versamlung oder gemeine /  recht vnd mach thabe /  alle lere zu vrteilen /  vnd Lerer zuberuffen /  1127  Ebd. Bl. O iiiv; „Zum dritten /  Das er die Kirche nach gottes wort regiere /  nicht als ein Herr vbers Volck /  sodnern als der fürnemest Diener /  der für die Ge­ meine wachen soll.“ Ebd. D vv; „ /  der gantzen Gemeine zu predigen /  oder auff die Cantzel zu steigen /  vnd das Volck zu leren /  des ein oder zween sind nicht die gantze Gemeine.“ Ebd. Bl. P viii; „Wenn aber jemand auff eines Bürgers oder zweier befehl fur dem gantzen Volck wollte aufftreten (von welchen fall Lutherus redet. Hervorhebung durch Heshusius)“ Ebd. l. Q; Postilla (wie Anm. 137) Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl.  86–87b; „Ein Prediger sol dahin sehen /  das er fleissig studiere /  das Volck trewlich vnterrichte.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl.  88.; „ /  wenn nicht Gott von Himmel die Regiment erhielt /  friede gebe /  die Volcker zum gehorsam brechte /  alle Kongireiche vnd Furstenthme musten zu boden gehen.“ Hauptartickel (wie Anm. 372), Bl.  149; „gibt trewe Gottselige Prediger /  die dem Völkclin Gottes erkentniss fürtragen /  die heilsame Warheit fleissig leren vnd pfaltzen.“ Der Prediger zu Bremen (wie Anm. 155), Bl.  F; „ /  die das arme Völcklin mit jhrer falscher Lere vergrifften.“ Ebd. Bl. F ii; „Wenn die Leut wollen offentlichen Abgötterey treiben […] Gottes Wort verachten vnd lestern /  falsche Lehr vnter das Volck sprengen /  da gebüret der Obrigkeit die Leute zunötigen /  das sie müssen from werden.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am II. Sontage nach Trinitatis Luce. 14. Bl. 19. 1128  Vom Ampt vnd Gewalt (wie Anm. 154), Bl. Ov-O ii. 1129  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. M iiij.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius307

ein vnd ab zu setzen […]  /  nicht allein der Weltlichen Oberkeit noch eini­ gen stand allein /  sondern der christlichen Kirchen vbergeben vnd auffgetra­ gen habe /  vnd das derhalben ein jede Gemeine /  an einem jeden ort /  mit Recht befugt sey Prediger zu welen vnd zu beruffen /  wenn gleich keine regierende Person sich zur Warheit an dem ort bekennete.“1130 Heshusius betont, das ius vocandi sei nicht einigen Ständen allein, sondern der ganzen Kirche, also gemeindlich übertragen worden. Noch deutlicher zeigt sich die vom allgemeinen Priestertum geprägte Gemeindevorstellung in Anknüpfung an die Dreiständelehre an anderer Stelle in derselben Schrift: „Hie mus alle Welt bekennen /  das der Herr ei­ nen jeden Christen gewalt gibt /  die lere vnd Weissagung zu vrteilen vnd zu richten. […]  /  das Got niemand anders die gewalt Prediger oder Seelsorger zun beruffen vnnd zuerwelen vbergeben […]  /  solchs aber ist der gantzen Christenheit /  vnd nicht einem besondern Stand vbergeben. Darumb offenbar /  dz die Christen an welchem ort sie sind /  freyheit /  gewalt vnd recht haben /  Seelsorger zu welen es ein gleich Weltliche oder Geistliche Personen dabey oder nicht dabey […]“.1131 Mit dem Beispiel der Korinther Gemeinde meint Heshusius zweifelsfrei, das ius vocandi und Lehrurteilungsmacht seien nicht gewissen Ständen, nämlich der weltlichen Obrigkeit, dem Amtspfarrer und auch den Hausvätern allein, sondern der Gemeinschaft einer jeden einzelnen Christen übergeben worden.1132 Kennzeichnend ist, wie sich bereits oben zeigte, dass Heshusius das vom Prinzip des allgemeinen Priestertums geprägte Legitima1130  Ebd. O iiij–O iiijv; „Wenn die wahl der Prediger /  das oberste Gericht in Kirchensachen /  die Regierung der Kirchen einem Stand allein /  entweder der weltlichen Oberkeit /  oder den Geistlichen vbergeben were.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. M viii. Ausdrücklich zu betonen ist, dass Heshusius wie sich in der bisherigen Ausführungen zeigte, mit der Dreiständelehre weder die juristische Souveränitätstheorie hinsichtlich der Obrigkeit noch das Primat der Geistlichkeit noch das Postulat der Gemeindeautonomie postulierte Vgl. dazu M. Honecker, cura religionis (wie Anm. 182), S. 75. 1131  Ebd. Bl. M iiij–M vi. Vgl. E. Winkler, Melanchthons Amtsverständnis, in: U. Sträter (Hg.), Melanchthonsbild (wie Anm. 117), S. 45. 1132  Vgl. dazu H. Goerz, Allgemeines Preistertum (wie Anm. 455), S. 302. 304 ff. Nach ihm war es Luthers Auffassung, eine ordinierte Amtsgeistlichkeit müsse zu­ allererst durch das individuelle Christsein von Gott potestas divina erhalten haben. Erst danach kann er die Befugnis, Berechtigung, Vollmacht, Funktion und Würde erhalten, sein Amt auszuüben, Sakrament auszuteilen, Gottes Wort zu verkündigen und sogar als Wächter über andere beide Stände der Kirche ihr Strafamt auszuüben. Wer die „priesterliche“ und „königliche“ Vollmacht und Befugnisse zuvor von Gott nicht empfangen hat, kann auch durch keine andere menschliche Handlung wie etwa die bischöfliche Weihe oder den institutionellen Einsetzungsakt der Ordination in der Kirche, durch die jeder Pfarrkandidat die rechtliche Zuständigkeit, also potestas humana übertragen bekommt, erlangen. Ebd. S. 185–186.

308

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

tionsmuster des Gemeindeprinzips immer wieder in Verbindung mit der aristokratischen Dreiständelehre gebraucht. Deshalb stellte er die Christen mit der weltlichen Obrigkeit gleichberechtigt nebeneinander: „ /  dz die Gemeine GOTTes /  auch die Oberkeit macht habe Prediger zuberuffen /  ohn Orten da die Oberkeit Gottlos ist /  sonst hat Christliche Oberkeit gleiche stimme mit vnd neben andern Christen“.1133 Die Gründe liegen darin, dass die Gemeindeautonomie ihren Halt und ihre Legitimation nur im Rahmen des trifunktionalen Herrschafts- und Ordnungsmodells finden. Aus diesem Grund betonte Heshusius, dass hinsichtlich der Zuständigkeit der geistlichen Gerichtsbarkeit der Kirche Vermischungen und Grenzüberschreitungen in Gestalt von Papocäsarie und Cäsaropapie zu verwerfen seien: „ /  vnd ist aus dem Bischöfflichem lehrampt ein Keiserlichs tyrannische Bapstum […] Denn die Keiserliche Bepst vnd Königliche Bischoffe haben mi tjrem weltichen Schwert /  auch pracht so viel zu thun gehabt.“1134 1133  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 155), Bl. M vii. Damit ist der Aspekt des Verhältnisses zwischen dem Prinzip des allgemeinen Priestertums und dem politischen und sozialen Ordnungsmodell der Dreiständelehre angesprochen, worauf wir im nächsten Abschnitt noch ausführlicher eingehen werden. Es scheint, dass das Prinzip allgemeinen Priestertums für Heshusius der einzige Bindeschlüssel ist, welcher die anderen Stände aneinander bindet und heftet, auch voneinander leben macht. Mit anderem Wort das allgemeine Priestertum erhält für Heshusius die drei Stände, das heißt das Prinzip des allgemeinen Priestertums ist ihre Seele. Dazu vgl. W. Schulze, Einführung in die Neuere Geschichte (wie Anm. 457), S. 148 ff. 1134  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B iiiv–B iii; „Also will auch der HERR Christus /  das die Apostel /  Bischof vnd Seelsorger keiner weltlichen Reigerung sich anmassen oder vnterwinden sollen […] Das heilige Predigampt ist keine Regierung oder Herrschaft /  sondern ein Dienstampt“. Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am ersten Sontage nach Ostern /  Quaismodo geniti / Johan 20. Bl. 19; „Ejne reiche /  heilsame vnd sehr nötige Lere ists /  wie man sol das heilige Predigampt von Weltlicher Herrschaft vnterscheiden /  Denn so bald die Empter in einander vermenget werden /  so ists nicht auszureden /  was für Vnheil daraus entstehet /  Wie solches an den Bäpstlichen Bischoffen /  vnd dem Bapst selbst leider zu sehen.“ Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Tage Jacobi des Grössern / Marci am 10. Capitel. Bl.  Ff 4;  /  denn die Bäpstlichen Bischoffe /  haben nicht anders denn wie Könige vnd Fürsten regieret /  wie noch auff den heutigen Tag zu sehen.“ Ebd. Bl.  Ff 4b; „Von dem Geistlichen vnd jnnerlichen Gehorsam prediget sie nicht /  […] im Hertzen aber deinen Nehesten hasset /  vnd voller böser Lüste bist /  da gehet die Oberkeit nicht /  darüber helt sie kein Gerichte /  lest sich also mit dem eusserlichen ehorsam genügen /  das Euangelium von Jhesu Christo /  vnd von Vergebung der Sünden /  ist der Oberkeit nicht befohlen.“ Ebd. Euangelium am Tage des Apostels Bartholome / Luce am 22. Bl.  Gg 2b; „Es sind ja die zwey Reich der weltlichen herrschafft /  vnd des Herrn Jhesu Christi weit von einander vnterschieden /  vnd können nicht on grossen nachteil der Regligion in einander gemischet werden.“ Notwendige entschuldigung (wie Anm. 376), Bl. P; „Die Keiser aber greiffen in die Geistliche Iurisdiction, Mit solchem schein haben sie grewlich Blutergiessen im Deutschlande angerichtet /  vnd Auffruhr wider die Keiser erreget.“ Postilla (wie Anm. 137), Fünfftzen Passionspredigt /  vom Leiden vnd Sterben vnsers Herrn vnd Heilandes Jhesu Christi. Die vierde



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius309

Im Zusammenhang mit dem Rechtfertigungsmuster des Gemeindeprinzips soll noch folgender Fragenkomplex geklärt werden, nämlich ob das egalitäre Prinzip des allgemeinen Priestertums selbst als Argumentationsmuster bzw. Rechtfertigungsfigur in den politisch-sozialen Auseinandersetzungen verwendet wurde. Anders formuliert: Lässt sich dieses allgemeine Priestertum als eine politische Konzeption charakterisieren, die für den Individualisierungsprozess bzw. die Relativierung der Ständegesellschaft eine Rolle gespielt hat? Die Beantwortung dieser Frage ist jedoch nicht einfach, da der Ausgangspunkt und Aspekt des egalitären Prinzip des allgemeinen Priestertums ein ganz anderer ist, was mitnichten im Horizont der „orthodoxen“ lutherischen Sozialtheoretiker gelegen haben dürfte. Die Idee des allgemeinen Priestertums bestimmt das Verhältnis des in der Welt lebenden Menschen zu seinem Schöpfer und Erlöser; es gehört also der Heilsordnung an. Es definiert den Menschen coram deo. Insofern ist es eine Lehre im Horizont des Evangeliums. Es ging bei diesem Prinzip, was Luther in Abgrenzung zum römischen Priestertums formuliert hatte, ausschließlich um die Beziehung des Individuums bzw. Christen zu Gott. Die Idee des Priestertums aller Gläubigen liefert von ihren historischen Ursprüngen her den ekklesiologischen Interpretationsgehalt der Rechtfertigungslehre. Sie dient also als Begründungstheorie dafür, laikales Engagement im Zusammenhang der Kirchenreform zu ermöglichen und zu legitimieren. Das heißt, Freiheit und Gleichheit eines Christenmenschen vor Gott bezieht sich allein und einzig auf dieses Passionspredigt. Bl.  E 6.; „Also /  wenn sich weltliche Regenten vnterstehen die Kirche zu reformieren /  das Predigampt zu meistern /  Gottesdienst anzurichten /  newe Lere einzufüren /  des sie keinen befehl haben /  ist kein glück noch segen dabey.“ Postilla (wie Anm. 137) Euangelium am 5. Sontage nach Trinitatis / Luce am 5. Bl.  31b; „ /  wie es euch gefellet /  vnd die Sacramenta austheilen nach ewerem befehl. Denn das Predigampt ist nicht ewer.“ Ebd. Fünfftzen Passionspredigt /  vom Leiden vnd Sterben vnsers Herrn vnd Heilandes Jhesu Christi. Die neunde Passionspredigt (Matth. 27), Bl. J viv–K; Ebd. K iiv; „Diese Tyrannen […]  /  vnd strecken die hals starrigen in irer bosheit /  sperren den herrn Christo sein geistlich Reich darinne sie doch nichts zu gebieten noch zuuerbieten haben /  sondern on fug vnd recht sich der hohen gewalt anmassen […]  /  vnd im den Predigstuel verbieten /  vndgeachtet das er Gottes wort füret.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. A viiv; „Also schreiten auch die Regenten vber jhren gemessen vnd von Gott gegebenen befehl /  die den Pfarrherrn vnd Seelsorgern fürschreiben wollen /  wie sie die sünde straffen /  die Sacrament reichen /  wie vnd wenn sie den Christlichenbann gebrauchen sollen /  gleich als sey jnen in dem /  das sie zu Oberherrn verordnet sind /  auch macht gegeben /  das Geistlich Schwert vber die gewissen zu füren.“ Ebd. Bl. B iiiv; „ /  vnd dich des Geistlichen Schwerts vnterstehest /  vnd wilt dem Prediger fürschreiben /  wie er sol Predigen /  die Laster straffen /  die jrthum widerlegen oder verschweigen /  wilt jm furmalen /  wie er die Sacrament sol austeilen /  wie er nie­ mand on deine verwillgung vom Sacrament sol abweisen etc.“ Ebd. D iiiv.

310

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Verhältnis des Individuums zu Gott. Von einer ständischen Ordnung und einem politisch-sozialen und rechtlichen Willen in der Gesellschaft ist bei der Lehre des allgemeinen Priestertums kaum die Rede. Jeder Mensch soll vielmehr ohne aufzubegehren an seinem Platz in der ständischen Ordnung verharren. Jedoch kann, wie sich in den bisherigen Ausführungen andeutete, von einer völligen Zusammenhangslosigkeit nicht gesprochen werden. In Bezug auf die Verantwortung des Menschen für die weltliche und sichtbare Gestalt der Kirche hat sie aber eine politisch-soziale und rechtliche Bedeutung erhalten. Überdies gelangte auch mit der Rezeption des römisch-kanonischen Rechts seit dem Mittelalter das römische Rechtsdenken nach Deutschland. Das römische Privatrecht beruht u. a. auf der freien Entscheidungskraft jedes freien Bürgers (Römers). Jeder kann allein entscheiden, mit wem er welche Rechtsbeziehungen eingeht (so, wie es etwa auch heute ist). Diese Individualisierung des rechtlich relevanten Willens hat möglicherweise dazu beigetragen, die ständische Ordnung des Mittelalters zu relativieren. Nun zählte nicht mehr nur die Gemeinschaft, in der man etabliert war (Stand), sondern auch der individuelle Wille, den man nun auch artikulieren konnte. Sicherlich bedarf es noch weiterer Untersuchung, ob es eine Verbindung bzw. ein Zusammenspiel zwischen dieser römischen Privatrechtstradition und dem allgemeinen Priestertum gab, aber das passt unseres Erachtens gut zum allgemeinen Priestertum, denn das allgemeine Priestertum sieht ebenso wie die römische Privatrechtstradition keine Zwischenstationen zwischen den gläubigen Christen und Gott. Es wäre wünschenswert, im Rahmen dieser Studie dieses äußerst interessante Zusammenspiel beider Wissensbestände in die Analyse einzubeziehen, aber das würde den Rahmen dieser Studie sprengen. Darum bleibt diese Untersuchung vorerst ein Forschungsdesiderat. Um diese Fragenkomplex zu stützen, sollen im Folgenden ein paar weitere Beispiele aus der lutherischen Geistlichkeit angeführt sein. Auch Andreas Schoppe (1544–1614), Pfarrer in Erxleben, war wie die gesamte zeitgenössische lutherische Geistlichkeit mit der Frage konfrontiert, wer die Kompetenz habe, in kirchlichen Angelegenheiten zu urteilen, d. h. zu entscheiden, ob Obrigkeitskritik zu üben bzw. ein Strafamt auszuüben sei. Ausführlich befasste er sich in seiner Schrift „Gründtliche vnd richtige antwort“1135 mit dieser Frage. Darin entfaltete er seine Argumentation unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Prinzip des allgemeinen Priestertums von Luther folgendermaßen: 1135  Gründtliche vnd richtige antwort auff die frage: Ob eine gantze Christliche Gemein /  vnd ein jeder Christ in sonderheit /  von Gottes wegen recht vnd macht habe /  allerley Lere zu vrtheilen vnd zu richten /  dawieder jetziger zeit aber mal von etlichen Kluglingen gestrieten vnd gehandelt wird. Eisleben 1570. [HAB Wf. 1119. 1 Theol. (2)]. Im Folgenden Gründtliche vnd richtige antwort.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius311 „Sondern dis ist der status vnd Summa dieses stücks /  das nicht allein die Lehrer vnd Prediger /  so jm öffentlichen Ampt der Kirchen sitzen /  vnd dazu Beruffen /  Sondern auch die gantze gemeine /  vnd ein jeglicher verstendiger vnd Gott fürch­ tiger zuhörer oder Leye /  wie man sie nennet /  von GOtt recht vnd macht habe /  alle Lehre vom rechten Glauben vnd Christlichem wesen /  sie werde gesprenget von wem sie wolle /  nach Gottes wort vnd der Warheit zu vrtheilen vnd zu richten /  vnd endweder anzunemen oder zu meiden. Jtem zu loben oder zu verdammen /  ja das ein jeglicher solches zu thun /  so viel jhm müglich /  bey vermeidung Gottes Vngenade vnd der verlust seiner Seelen Seligkeit schüldig sey. […] Zum siebenden /  bestetiget der Leyen Vrtheil auch diess /  das alle Christen für Gott recht Priester vnd König sein […] Es gleuben aber nicht allein die Menner /  die zum Ampt vnd Dienst der Kirchen erwelet vnd verordnet sein /  sondern auch die Leyen /  darunter viel sind von den armsten /  vngelertesten vnd verechtlichsten aus allen Stenden I. Cor. 1. Derwegen haben die Zuhörer für Gott auch der Priester vnd Könige recht /  ob sie gleich das eusserliche Ampt nicht füren derwegen wer da fürgibt /  das den Zuhörern ncht gebüre von allen Leren in der Kirchen zurichten /  der leugnet damit das Königliche Priesterthum der Christen vnd alles was zu demselbigen gehöret vnd folget.“1136

Nicht nur die Amtsgeistlichkeit allein dürfen die Lehre beurteilen und die religiöse Sache entscheiden, sondern vielmehr jeder einzelne Christ und damit jeder „Laien-Stand“, nicht nur Hausvater, sondern sogar Hausgesinde und Tagelöhner. Interessant ist, dass er hier jeden einzelnen Christ, egal in welchem Stand er sich befinde, nicht nur als Priester, sondern auch als König, das heißt als eine weltliche Obrigkeit wie Reichsstände bezeichnet. Sicherlich bedarf es noch näherer Untersuchung, ob er den Aspekt des allgemeinen Königtums hier nur assoziativ in den Blick nimmt, das heißt zur Veranschaulichung des recht verstandenen allgemeinen Priestertums, aber es lässt sich vorläufig sagen, dass er doch eigenes Gewicht auf die Erwähnung des Königtums legt. Dass er von einem derartigen Begriff Gebrauch macht, versteht sich von selbst. Er will jedem einzelnen Christen die „ständische“ Freiheit der weltlichen Obrigkeit übertragen, so dass ihm ein Recht auf Strafamtübung bzw. Obrigkeitskritik zugestanden wird. Damit ist der Aspekt der Rolle des allgemeinen Priestertums bzw. Königtums als eine politische Konzeption zur Relativierung der Ständegesellschaft bzw. Individualisierung des rechtlich relevanten Willens angesprochen. Die ständische bzw. korporative Freiheit und Privilegien wandelten sich durch das allgemeine Priestertum bzw. Königtum zum individualrechtlichen Anspruch auf ein Recht auf Strafamtübung bzw. Obrigkeitskritik. Zwar bedarf es noch weiterer Untersuchung, man muss aber die Rolle des allgemeinen Priestertums bzw. Königtums als eine politische Konzeption zum Individualisierungsprozess bzw. Recht des Individuum und damit Relativierung der Ständegesellschaft neu durchdenken. 1136  Ebd.

Bl. B iiijv–Bl. D viv.

312

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Ähnliche Deutungsversuche können bei Pfarrer Andreas Hondorff aus Dräyssig gefunden werden. In seiner Schrift „Der Eltern und Kinder Spiegel“1137 von 1568 spricht er sogar den Kindern ein Recht auf passiven Widerstand in Gestalt der Gehorsamsweigerung zu, wenn ein Hausvater gegen seine Kinder einen gewissenszwingenden Befehl erlässt, wobei er die Allgemeingültigkeit seiner Aussage für andere Stände erweiternd hervorhebt: „IN diesem Capitel werden die Kinder gelert /  wie fern vnd ihnn welchen sachen sie jhren Eltern nicht sollen gehorsam sein /  sonderlich wenn es den Glauben /  die Seel /  vnd das gewissen anlangt /  vnd was hie von Kindern und gelert vnnd gesa­ get wird /  betrifft auch alle Christen /  das man die Regel halte /  vnnd Gott mehr gehorsam sey /  denn der Menschen.“1138

In Analogie zum Herrschaftsverhältnis im patriarchalischen Hausstand gelte die Widerstandsregel also für alle Christen in anderen Ständen, was sich wohl zweifellos auch auf Hausgesinde, Dienstboten und Tagelöhner bezieht. Das heißt, dass er unter dem Begriff „alle Christen“ auch die untersten Sozialgruppen berücksichtigt. Auch sprach Daniel Hofmann (ca. 1538–1611), ein Schwager von Heshusius, jedem einzelnen Christen ein Recht auf Obrigkeitskritik und Widerstand zu. Gegen den theologiepolitischen Herrschaftsanspruch der Hofräte bzw. weltlichen Obrigkeit in den kirchlichen Angelegenheiten betonte Hofmann im Hinblick auf den theologischen Streit,1139 dass in einem solchen die Regelungskompetenzen den Theologen gehören. Zur Rechtfertigung seiner Position berief sich Hofmann dann ausdrücklich auf die Mahn- und Wächterpflicht bzw. auf das „geistliche Sonderbewusstseins“ jedes einzelnen Christen in Verbindung mit dem Prinzip des allgemeinen Priestertums: „Das aber kummet mir seltzam fur das man mir hatt furgeschlagen, Ich habe nicht uber ketzereyen zuerkennen, sondern solces gebuehre dem Pas­ torn D. Scheurlin, wan es schon also were, welches doch nicht ist, sondern es ist absurdum absurdorum, das ein Professor Theologiae et Doctor, nit sol 1137  Der Eltern und Kinder Spiegel. Darin zuschawen und zu erkennen, was der Eltern vnd Kinder Ampt sey, Auch wie die Kinder recht unnd Christlich gezogen sollen werden. Leipzig 1568. [SBB 2810–2811]. Im Folgenden Der Eltern und Kinder. 1138  Ebd. Bl. L iiijv. 1139  Dazu ausführlich M. Friedrich, Die Grenzen der Vernunft. Theologie, Philosophie und gelehrte Konflikte am Beispiel des Helmstedter Hofmannstreits und seiner Wirkungen auf das Luthertum um 1600 (Schriftenreihe der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 69), Göttingen 2004; ders., Der Streit um das Streiten. Wahrnehmung von Dissens um 1600 – das Beispiel des Helmstedter Hofmannstreits, in: W. Schulze / R. Gerhard / W. Oesterreicher (Hg.), Autorität der Form – Autorisierungen – Institutionelle Autoritäten. Münster / Hamburg / London 2003, S. 293–308.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius313

macht haben, das alle Christen haben, so bedencket liebe Herrn, was das für eine cognitio sein wurde […]“1140. Ebenfalls kommt diese Vorstellung bei Simon Musäus (1521 oder 1529– 1576 oder 1582), einem der streitbarsten Gnesiolutheraner, und bei säm­ lichen sächsischen Geistlichkeiten zum Ausdruck. Kurfürst August von Sachsen veröffentlichte am 18. Juni 1566 ein Mandat im Zusammenhang mit der Türkengefahr. In diesem Mandat wurde den Pfarrern unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die vielfältigen Kontroversen um die geistliche Kanzelkritik im Kontext des vorangegangenen flacianischen Streits im benachbarten ernestinischen Herzogtum und dessen schädlicher Wirkung auf das Volk im eigenen albertinischen Sachsen die Zuchtpraxis untersagt. Es sollte der theologischen Zänkerei und Zuchtpraxis seitens der Obrigkeiten hinfort gewehrt werden: „Wie wir dann auch wollen vnnd gebieten, do einiger miszuorstandt vnnd zwispalt der Lehrehalben, entstünde vnnd wehre, das man solches auff der Cantzel, vor gemeinem Volck nicht erwehnen, Sondern für vns, vnsere superattendenten, vnd der sachen notturfft nach, an vnsere Vniversiteten gelanten solle.“1141

Die 33 angeschriebenen Superintendenten und Stadt- und Landpfarrer betrachteten dieses Mandat als Eingriff in das geistliche Amt und veröffentlichten unmittelbar danach eine Protestschrift,1142 in der sie nicht nur die weltliche Obrigkeit, Hausväter und die Geistlichkeit, das heißt konkret die Landstände, Stadt- und Landpfarrer oder Hofprediger, juristisch gebildete politische Berater und vermögende Kaufleute, sondern auch alle gemeine Leute im sämtlichen Kurfürstentum aufforderten, gegen dieses Mandat Widerstand zu leisten. Zur Rechtfertigung ihrer Position beriefen sie sich im Abschnitt „von der Dreyen heiligen Stende vnd Orden /  als der Kirchen /  Landes vnd Hausuäter /  eigentlich ein Ampt /  in Gottes /  oder Religionssachen“ auf folgende Argumentationen hinsichtlich der Trägergruppe der Obrigkeitskritik. „Von einem jeden Christen vnd gemeinen Zuhörer /  was der in Religionssachen zuthun schüldig.“ Hannover Cal. Br. 21—4206 II, fol. 278v. Zitiert nach M. Friedrich. Die Grenzen der Vernunft (wie Anm. 1139), S. 114. Dort. Anm. 460. 1141  Zitiert nach T. Distel, Der Flacianismus und die schönburgische Landesschule zu Geringswalde. Leipzig 1879, S. 21. 1142  Confessionsschrifft: Etlicher Predicanten in den Herrschafften / Graitz / Geraw / Schonborg / vnd ander hernach vnterschriebenen: Gestellet Zu Notwendiger Ablenung vieler Ertichten Calumnien vnd Lesterungen /  vnd dagegen zu erklerung vnd beförderung der Warheit /  zu förderst aber wie ein jeder Christ /  die jetzt schwebenden schedlichen Corruptelen vnd Jrthume /  nach dem Heiligen Catechisimo Lutheri erkennen /  Wederlegen vnd fliehen müge: Anno Domini 1567. [HAB Wf. 202. 4b Quod. (10)]. Im Folgenden Confessionsschrifft. 1140  HstA

314

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Sie betonten in Verbindung mit dem Prinzip des allgemeinen Priestertums, dass nicht nur Amtgeistlichkeit, sondern auch jeder Christ, egal in welchem Stand er sich befinde, berechtigt und verpflichtet sei, Obrigkeitskritik und Strafamt zu üben. Und dann erläuterten sie, wer zu diesen gemeinen Zuhörern gehöre: „EJnes jeden Christen Ampt /  Er sey Eheman /  oder Ehefrawe /  Eltern oder Kin­ der /  Herr oder frawe /  Gesinde /  Knechte /  Magde /  Arbeiter oder Tagelöhner /  Widwe oder Waise /  Jung oder alt /  Neben dem /  das er sich in seinem Stande vnd Beruff /  nach Gottes Befehl /  wie dauon die HaussTaffel vnterschiedlich lehret /  Vnstreflich /  Trew vnd fleissig halten /  Stehet fürnemlich in den /  Erstlich /  Das er Gottes Wort sol fleissig hören /  Lernen /  vnd Behalten /  seinen glauben vnd Leben darnach richten /  Auch seine Pfarherr vnd Prediger Ehren vnd Nehren. Zu dem  /  Ein jeder Christ /  der durch das Wasserbad im Wort /  vnd die Ernewerung des Heiligen Geistes /  ein Priester Gottes oder Christ wird /  der gelobet Gott an /  […]. Da die gantze Gemeine vrtheilen sol /  was die vnuorderchtigen Lehrer /  geschweige denn die Verführer leren Eben so befielt er der gantzen Gemeine. 2. Corinth. 6. […] Daraus denn gnugsam zuuernemen /  was in diesem Fall /  einem jeden Christen gebüre /  Nemlich /  das er nicht allein reine Lehre seines Glaubens gründlich lerne vnd wisse /  ehre vnd fördere /  sondern das er auch die Jrthume /  so Gottes Wort vnd dem Christlichen Glauben zuentgegen /  wisse /  vrtheile /  richte /  fliche /  verdamme /  vnd andere dafür warne.“1143

Die Äußerung „Zu dem /  Ein jeder Christ /  der durch das Wasserbad im Wort /  vnd die Ernewerung des Heiligen Geistes /  ein Priester Gottes oder christ wird /  der gelobet Gott an / “ macht deutlich, dass sie auch in Verbindung des Prinzip des allgemeinen Priestertums betonten, dass ein jeder Christ aufgrund des Prinzips des allgemeinen Priestertums allein entscheiden kann, mit wem er welche Rechtsbeziehungen eingeht. Das heißt, jede einzelne Privatperson, sogar das Hausgesinde kann und darf allein entscheiden, wenn er Christ geworden ist und ein Priester Gottes wird, ob er die weltliche Obrigkeit kritisiert oder nicht, unabhängig von dem Willen des Hausvaters bzw. des hausobrigkeitlichen Willens, mit anderen Worten unabhängig von seinem Stand. Er braucht keine Zwischenstationen mehr. Nun zählt nicht mehr nur die Gemeinschaft, in der er etabliert war (Rechtsgrundlage: Stand), sondern auch sein individueller Wille, den er nun auch artikulieren konnte. Es lässt sich also sagen, dass das Prinzip des allgemeinen Priestertums zwar eine ekklesiologische Konzeption ist, aber in seinem Gebrauch, der von ihr gemacht wurde, als eine politische Konzeption charakterisiert werden kann, mit anderen Worten, dass sie eine wichtige Rolle zur Relativierung der frühneuzeitlichen Ständeordnung bzw. Individualisierung des rechtlich relevanten Willens und für die Entwicklung des Privatrechts spielte. 1143  Ebd.

Bl. m iiij–n iii.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius315

Diese das Individum bzw. die Relativierung der frühneuzeitlichen Ständeordnung stärkende Funktion des allgemeinen Priestertums lässt sich auch bei Heshusius selbst beobachten. Zwar betont er, dass jedem einzelnen Christ und damit allen Laien im Rahmen des Prinzips des allgemeinen Priestertums nur im Falle des Nicht-Vorhandenseins von Amtsgeistlichen dann die Kompetenz eingeräumt werden darf, den Kirchendienst zu leisten, ein Sakrament zu erteilen, das Strafamt zu üben, zu predigen und zu taufen, er sieht jedoch im allgemeinen Priestertum die Macht, andere zu unterrichten und zu trösten und zu ermahnen und zu lehren: „Denn wen die Prediger jhr Ampt nicht verrichten wie sie schüldig sind /  oder keine furhanden sind /  kömpt je das Ampt wider auff die Kirche /  der es gebürt zuuerleihen […] Vnnd dieweil vnleugbar /  das die ware Kirche gottes macht hat /  gewissen Personen das Predigampt zubefehlen / .“1144 Im Notfall, wenn kein rechter Pastor erreichbar ist, darf ein Laie auch die Sakramente spenden, zumal die priesterlichen Werke der Seelsorge höher stehen als die Spendung der Sakramente. Ein Laie darf die seelsorgerliche Mitverantwortung für andere Gemeindemitglieder tragen, in der gegenseitigen Sorge der Glieder des Leibes Christi füreinander. Aus disem Grund bezeichnet er den Hausvaterstand als Bischof und Papst: „ /  das ein Christlicher Hausvater sein Kind vom antichristlichen Messpaffen nicht sol teuffen lassen /  sondern sol sein Kind /  als ein Hausvater ehe selbs teuffen. Denn ein christlicher Hausvater ist Bischoff vnd Bapst in seinen Hause /  vnnd schuldig den seinem zur ewigen Seligkeit beförderlich zu sein.“1145 Heshusius gesteht diesem Hausvaterstand auch zu, eine Hauskirche zu bilden: „Jn der ersten Welt /  vnd vor dem Gesetz ist das Predigampt so wol als die herrschafft bey den hausvetern gestanden /  vnd hat ein jeglicher hausvater die seinen vnterrichten müssen /  wie den nehest dem Son Gottes Adam der erste Prediger gewesen /  […] Nach jm Seth /  Noach /  Sem /  Embet /  Thare /  Abraham /  Jsaack /  Jacob /  welche alle als Hausvater ohn besondern beruff jre Hauskirche vnterrichtet vnd vnterwie­ sen haben.“1146 Heshusius hat allerdings im Sinne Luthers die Seelsorge Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. Q v–Q vv; „Jm fall der noth /  da man ordentliche beruffene Kirchendienst nicht handhaben /  ist kein zweiuel /  das ein jeglicher Christ Macht habe aus GOTTes Wort /  vnnd nach Christlicher Liebe befugt sey /  der Kirchendienst mit verkündigung GOTTes Worts /  vnd austeilung der Sacrament zuuerrichten.“ Ebd. Bl. Qv; „Wenn nu die Kirchendiener nicht vorhanden sind /  so ist ja ein jeder Christ berechtiget solche gewalt zu vben.“ Ebd. Q vv; „Denn wenn die Prediger jhr Ampt nicht verrichten wie sie schüldig sind /  oder keine furhanden sind […] Da hat ein jeder Christ für sich macht /  den Bann also zu vben.“ Ebd. Q vv-R. 1145  Ebd. Bl. R iiv. 1146  Ebd. Bl. R iiv–R iii. 1144  Vom

316

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

über den Bereich der Hauskirche hinaus im Blick. Nicht um öffentliche Lehre geht es dabei, „sondern das ein Freund ein Nachbarwr /  ein Bürger /  ein christ den andern mag und sol unterrichten und leren.“1147 Interessant ist, dass Heshusius dieser Hauskirche ein Recht auf Widerstand einräumt, falls die Obrigkeit gegen Gott und Recht die Versammlung verbiete: „Die siebende Frage. Wenn die Obrigkeit per edicta publica die Heusliche Versammlung vnd Predigt verbuet /  Ob man solche Edicta halten sole. Antwort. Nein […] Darumb hat die Obrigkeit nicht macht solches zuerbieten /  vnd wenn sie es verbeut den fromen Christen /  die das offent­ liche ministerium nicht haben können /  ist man nicht schuldig zu pariren. Die achte Frage. Ob man die Hauskirche mit gutem Gewissen halten möge /  weil es die Obrigkeit nicht leiden wile. Antwort. Ja.“1148 Ob diese Argumentation von Heshusius als die sogenannte charakteristische Trennung zwischen dem gehorsamen politischen Untertanen, der als solcher die Gesetz befolgt und seine Steuern zahlt, und dem religiösen Subjekt, das der dissentierenden Meinung fähig wird und sich so einen staatsfreien, „privaten“ Innenraum schafft, zu werten sei, bedarf noch näherer Untersuchung, aber es lässt sich durchaus ein Ansatz für eine politische Konzeption bzw. ein individualethisches bzw. rechtliches Sozialverhalten, motiviert vom Prinzip des allgemeinen Priestertums, beobachten.1149 hh) custos utriusque tabulae Auch dieses in der lutherischen Dogmatik als zentraler Begriff zur Beschreibung obrigkeitlicher Aufgaben und Pflichten bezeichnete Legitima­ tionsmuster gebraucht Heshusius sehr häufig. Ausschließlich folgt Heshusius der seit Melanchthon gültigen officia-Auffassung1150: „Cum ergo Paulus 1147  Zitiert nach E. Winkler, Melanchthons Amtsverständnis, in: U. Sträter (Hg.), Melanchthonsbild (wie Anm. 117), S. 44–46; Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 137), Bl. Q vi. 1148  Antwort /  Auff etliche fürgestelte Fragen Tilemanni Heshusij /  Fromen Christen vnd Liebhanern der Warheit /  so jetziger zeit vnter den Caluinisten vnd Bapisten sein vnd leben müssen /  sehr nötig zu wissen /  vnd wol zubetrachten. Auch Andere Quaestiones, wie man die jenigen /  so des Caluinissmi halber suspect vnd verdechtig sind /  sol examinieren vnd auff die Prob setzen. 1585 Jhena [HAB H 212 4° Helst. 4]. Bl. A 4–A 4b. 1149  Vgl. dazu W. Schulz, Das Wagnis der Individualisierung, in: T. Cramer (Hg.), Wege in die Neuzeit (Forschungen zur Geschichte der älteren Deutschen Literartur 8), München 1988, S. 270–286. Dort. Anm. 33. 1150  Vgl. J. Heckel, cura religionis (wie Anm. 134); M. Honecker, cura religionis (wie Anm. 182), S. 105–136; M. Heckel, Staat und Kirche (wie Anm. 207), S. 131– 139; T. Simon, Gute Policey (wie Anm. 377), S. 120 ff.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius317

dicit: Magistratum esse ministrum Dei, tibi in bonum: non tantum intelligatur de custodia externae pacis et disciplinae:sed etiam de cura et defensione religionis. Est enim Magistraus custos vtriusque; tabulae, quod ad externam disciplinam attinet.“1151. Die Obrigkeit sei deshalb nicht nur für das äußere Wohl der Untertanen, sondern auch für deren Seelenheil zuständig: „denn der weltlichen oberkeit ampt verstrecket sich nicht nur allein auff die ander Tafel der 10. gebot /  so den eusserlichen friede verhindern /  sondern auch auff die erste Tafel /  welche Gottes ehre verletzten /  so viel die eusserliche zucht vnd erbarkeit belangen ist /  den vber der Menschen hertzen gedancken vrteylet die weliche oberkeit nicht“1152. Heshusius verwendet allerdings auch den Terminus cura ecclesiastica anstelle von cura religionis: „Inepti et stolidi sunt, qui magistratum ab omni cura Ecclesiae et religionis“.1153 1151  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 393 b; „Nec verò tantum secundae tabulae debent esse custodes, verum etiam primae.“ Ebd. S. 392b–393; Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. D iiv. 1152  Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 4–Tt 4b; „Auch wil E. F. G. als dem Landesfürsten /  vnd Obrigkeit /  gebüren /  nicht allein vber der Zucht vnd Gerechtigkeit zu halten /  vnd das Vbel zu straffen /  Sondern auch die Abgötterey /  vnd den falschen Gottesdienst /  so noch im Lande im Schwange gehet /  abzuschaffen /  v nd keines weges zu dulden.“ Postilla (wie Anm. 137), Vorrede. Bl. A vi; „Das auch die Chrisltiche Churfürsten /  Fürsten Grauen /  vnd andere Herrschaftten […] Denn weil sie der Geist Gottes in der schrifft Götter nennet /  dazu pfleger /  neere /  vnnd Seumamme der christliche Kirchen /  sol ihr Ampt nicht allein den Bauch ver­ sorgen /  sodnern auch mit auff das Geistlich achtung geben /  vnd so vil jhr müglich verschaffen /  das die Vnterthanen in Gottes Wort recht vnterwiesen werden.“ Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 390), Bl. D iiv; „Die Weltliche Obrigkeit ist von Gott gesetzt /  das sie das Gesetz Gottes in den beyden Taffeln der Zehen geboten /  soviel den eusserlichen Zwang zu disciplin vnd zucht belanget /  handhaben sollen /  denn die weltliche Oeberkeit hat von Gott gewalt vnd beuelch zuuerbieten vnd zustraffen /  die Abgötterey /  schmehliche lesterung Gottes fluchen /  scwheren /  falschelehren […]“. Examen Theologicum (wie Anm. 137), S. 542b–543. 1153  Römer 13 (wie Anm. 137), S. 393; „quod curam Ecclesiae susceperunt, indixerunt Synodos ad dijudicationem controuer siarum“ ebd.; „Sic Dauid, Assa, Iosaphat, Hiskia […] Dux Saxoniae Ioannes Fridericus, réctè iudicarunt à Deo sibi mandatum esse, vt curam Ecclesiae.“ Psalm 82 (wie Anm. 302), S. 326b; „Desunt ergò officio suo principes, qui Ecclesaie cura non tanguntur.“ Ebd., S. 327.; „Intereà vel non tanguntur cura Ecclesiae, scholarum, Reipbulicae, pacis, legum, disciplinae subditorum.“ Ebd.; „Quando enim spiritus Sanctus reges appelat Nutricios Eccle­ siae, non solum alimenta, et hospitium, verum etiam defensionem et monis generis officia“ Jesaja 49 (wie Anm. 358), S. 461; Johannes Wilhelmus, dux Saxoniae, insigne fuerunt nutritij Ecclesiae.“ Ebd.; „quod reges et principes sint futuri nutritij eius: Ita etiam admonet reges et principes sui officij, et quem cultum et obedientiam ab illis reguirat Deus […] sed ante monia sint nutritij Ecclesaie, curet subditos recte erudiri de Deo et vita aeterna.“ Ebd.; „Damit E.F.G. mögen gerühtm werden: Pius Nutricius Ecclesiae, Ein Gottseliger Pfleger der Kirchen.“ Postilla (wie Anm. 137), Vorrede. Bl. A vv; „ /  Der auch ein trewer Nutriccius vnd Pfleger sey der christlichen Kirchen. Gott hat E. G. G. zu den hohen Wirden erhaben /  land vnd

318

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Obwohl Heshusius die Argumente zur theologischen Begründung bzw. Legitimierung der Religionspflicht für die christliche Obrigkeit anders als Melanchthon1154 und Johann Gerhard1155 nicht systematisch entwickelt, geht aus der oben angeführten Belegstelle hervor, dass er mit ihnen in drei Punkten übereinstimmt.1156 Zum Ersten in der Definition der alttestamentlichen Theokratie, in welcher der König nicht nur politische Aufgaben erfüllt, sondern auch über die Befolgung des göttlichen Gesetzes wacht, weshalb Heshusius die Obrigkeit als Wächter des göttlichen Gesetzes bezeichnet.1157 Zum Zweiten greift Heshusius auch auf die antike Staatsvorstellung zurück, nach welcher die cura religionis vornehmste und oberste Aufgabe der Regierung sei, weil die Religion das sittliche Fundament des Staatsgemeinwesens darstelle, wie es in einer Abwandlung eines Cicero-Satzes heißt: „religio est societatis humanae fundamentum.“ Heshusius erklärt die cura religi­ onis zum zentralen Aufgabenbereich der Obrigkeit, sie rangiert vor der Aufgabe der Wahrung von Frieden und Ordnung. Das Gemeinwohl kann nur dann gesichert werden, wenn für wahre Religion im Lande gesorgt ist, da die Religion das notwendige geistige Band zwischen den Untertanen darstellt. In seiner Helmstedter Predigt hieß es: „Ein Weltlicher Regent /  wenn er Gottes Reich gesucht /  vnd ein Christ geworden ist /  soll er auch Gerechtigkeit Gottes /  […] trachten […] Darumb soll er sorge tragen für die gantze Gemeine /  aller Abgötterey /  falscher Lehre /  Zauberey /  vnrechten Gottesdienst /  vnd was den Namen Gtotes entheiliget /  mit rechtem ernst mehren /  mit höchstem fleis dahin trachten /  das die Vnterthanen in Gottes Wort recht vnterrichtet vnd zur Busse stets geruffen werden /  trewen vnschuldigen Lehrern schutz vnd schirm halten /  Kirchen vnd Schulen jhm lassen befohlen seyn /  Gerichte bestellen /  das ein jeglicher zu seinem Rechte kommen könLeute zu Regieren befohlen /  vnd ein Schweres Ampt auffgelegt.“ Ebd. Bl.  A v; „ /  spricht der Prophet Jesaias am 60. Capitel […] ein berühmbter Nutricius Ecclesiae sein.“ Ebd. Bl. A viv; „Der Heilige Geist lehret /  Das Weltliche Obrigkeit kein Vieh­ hirten Ampt fure /  […]  /  Sondern sey viel mehr Gotes Stadthalterin /  […]  /  vnd ein nutritius Ecclesiae, nehrer der kirchen sey.“ Sechs Hundert Jrthumb (wie Anm. 387), Bl. Z viiv; „Aber die heilige Schrifft gibt allererst der Obrigkeit jre gebürliche ehre […] Denn sie leret /  wie sie von Gott sey eingesetzt /  wie Gott bey jr im Regiment sey /  wie Gott vber jr halte /  nennet sie Götter /  nehrer vnd pfelger der Kirchen /  vnd Gottes dienerin.“ Psalm 19 (wie Anm. 355), Bl. Ov; „ /  vnuerdrossen das ampt des heiligen Euangelij on vnterlass fürdere die Kirche schütze vnd neere /  vnd dem Herrn Christo willigklich diene.“ Dje Andere Predig wie Anm. 875), Bl. A iiv. 1154  Zu der bei Melanchthon vollzogenen Synthese von Antike und Christentum in der Kirchenrechtstheorie vgl. J. Heckel, cura religionis (wie Anm. 134), S. 225– 298. 1155  M. Honecker, cura religionis (wie Anm. 182), S. 110–136. 1156  Die folgende Darstellung stützt sich auf die grundlegende Forschungsarbeit von J. Heckel, cura religionis (wie Anm. 134), S. 225–298. 1157  Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 4–Tt 4b.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius319

ne /  zucht vnd erbarkeit handhaben /  frieden verschaffen / .“1158 In seinem dogmatischen Lehrbuch führt Heshusius aus: „Vnd Ps. 82. Jch hab gesagt jr seid Götter /  vnd annzumal kinder des Höchsten. Das ist /  Jr verwaltet ein göttliches ampt /  welches jr zur ehre des heiligen Namens Gottes verrichten sollt […] das die fürnembste sorge sein der weltlichen Oberkeit /  das alle Abgötterey abgeschaffet.“1159 Etwas später heißt es hier: „Das andere ampt der weltichen Oberkeit /  ist das recht handzuhaben /  vnd gemeinen frieden zuerhalten […] der rechte Gottesdienst neben aller Gottseligkeit /  dann die Abgötterey ist die höchste vngerechtigkeit“1160. Zum Dritten greift Heshusius wie Gerhard und Melanchthon auf die Dreiständelehre zurück, nach der die Obrigkeit als unum de praecipuis membris ecclesiae allein die Schwertgewalt innerhalb der Kirche innehabe. Die christliche Obrigkeit kann mit ihrer gesetzgebenden, richterlichen und strafenden Gewalt beim Aufbau der Kirche im Territorium bzw. in der Stadt lediglich mitwirken. Die Auseinandersetzung mit dieser Problematik kommt in Heshusius’ Schriften sehr häufig vor, wie bereits gezeigt worden ist.1161 Im Unterschied zu Melanchthon und Johann Gerhard stellt sich Heshusius beim Aufbau der Kirche jedoch kaum ein historisch vorgegebenes Staatskirchentum vor, sondern eher eine Volkskirche mit einer starken Gemeindeauto­nomie.1162 Zu beachten ist, dass Heshusius im Zusammenhang mit der Schutz- und Fürsorgepflicht über den Dekalog die weltliche Obrigkeit immer wieder auffordert, sich im wahren Christentum zu üben, das heißt ein wahrer Christ zu sein. Nur so kann sie die cura religionis ausüben. Heshusius verbindet die Fürsorgepflicht der weltlichen Obrigkeit mit der vom Prinzip des allgemeinen Priestertums geprägten Dreiständelehre. Das heißt, er zieht zur Stützung der Lehre von der custodia utriusque tabulae die Anschauung vom membrum praecipuum ecclesiae in Verbindung mit dem allgemeinen Priestertum heran. Der Obrigkeit steht ratione offici die custodia utriusque tabu­ lae zu; die Ausübung dieses Rechtsanspruchs ist jedoch ratione personae davon abhängig, ob der Landesherr bzw. die weltliche Obrigkeit Glied der Kirche, das heißt, gläubiger Christ ist. In seiner Helmstedter Predigt heißt es: „Ein weltlicher Regent /  wenn er Gottes Reich gesucht /  vnd ein gleubi­ ger Christ worden ist /  sol er auch nach Gerechtigkeit Gottes /  die er inn den zehen Gebotten erkleret hat /  trachten /  fleissig in Gottes furch erwegen /  wozu er von Gott beruffen /  was sein Ampt sey /  was Gott von jhm fordere /  1158  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl. 88–88v. 1159  Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 4–Tt 4v. 1160  Bl. Tt 4b. 1161  Siehe den Abschnitt IV. 2. c) cc) Die Dreiständelehre. 1162  E. Winkler, Melanchthons Amtsverständnis, in: U. Stärter (Hg.), Melanchthonsbild (wie Anm. 117), S. 42–45.

320

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

nemblich /  das er nicht darumb zuum Regeten gesetzt sey /  das er hoch angetragen werde.“1163 Ebenfalls zeigt sich diese Vorstellung in seiner Magdeburger Streitschrift deutlich. Im Kontext der heftigen Debatte um das ius vocandi gegen die Argumentation Franz Pfeils, der für eine monarchische Dreiständelehre votierte, äußerte Heshusius: „Weil nu dis mein richtig bekenntnis offenbar vnd ich micht allhie gnugsam verwaret vnd angezeigt /  wie weit vnd fern die Oeberkeit mit der Wahl der prediger zu scahffen /  das sie wann sie Christen sindt /  für jre Person jre Stimme mit haben /  […] widersprochen /  das die wahlt vnd beruffung der Prediger nicht in die weltliche Herrschaft und Regierung gehöre /  vnnd also der Oeberkeit mechtiglich sampt dem Schwerdt vbergeben sey.“1164 Dieselbe Auffassung findet sich in der Magdeburger Schrift „Vom Ampt vnd gewalt“: „da sich die Christliche Oberkeit zum heiligen Euangelio bekennet /  vnnd ein fürnemes Gliedmass ist der Christlichen Kirchen. Derwegen sie sampt vnd mit der gemeine Gottes in erwelung der Prediger vnd Seelsorger zustimmen […]  /  das die wahl vnd beruffung der Seeslroger nicht zur Weltlichen Regierung gehöret /  sondern vom Son Gottes Jesu Christo der lieben Kirchen GOTes /  mechtiglichen vbergeben sey.“1165 Diese Belegstellen machen deutlich, dass Heshusius wie Luther die Auffassung vertrat, der Fürst solle als ein Christ um die Übernahme der Für1163  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6 Bl.  88; „Ein Weltlicher Regent /  wenn er Gottes Reich gesucht /  vnd ein Christ geworden ist /  soll er auch Gerechtigkeit Gottes /  die er inn den zehen Gebotten erkleret hat /  trachten /  fleissig in Gottes furcht erwegen /  wozu er von Gott beruffen /  was sein Ampt sey /  was Gott von jhm fordere /  nemblich /  das er nicht darumb zum Regenten gesetzt sey /  das er hoch angetragen werden /  Gelt vnd Gut sammle /  schaffe was jhm gelüste /  vnd seines gefallens herrsche /  Sondern das er Recht schaffe den Armen vnd Waisen /  vnd helffe den eleenden vnd dürfftigen zum Recht /  vnd errette den geringen vnd armen  /  vnd erlöse ihn aus der Gottes gewalt /  Ps. 82. Er soll sich erinnern das er zum trost /  schutz vnd hülffe den armen vnd geringen der gesetzt sey. Darumb soll er sorge tragen für die gantze Gemeine /  aller Abgötterey /  falscher Lehre /  Zauberey /  vnrechten Gottesdienst /  vnd was den Namen Gottes entheiliget /  mit rechtem ernst mehren /  mit höchstem fleis trachten.“ Ebd. Euangelium am 15. Sontage nach Trinitatis / matth. 6. Bl.  88; „Von der wahl /  beruff vnd annemung der Seelsorger /  vnd Kirchendiener /  leren vnd bekennen wir /  das der Son Gottes Jesus Christus /  da er das Predigampt gestifft vnd geordnet /  die gerechtigkeit vnd gewald Prediger zu wehlen vnd auffzustellen /  nicht der weltlichen Obrigkeit als Obrigkeit /  sodnern seiner lieben Kirchen vnd Christlichen gemeinen /  gegeben /  vnd sie damit herrlichen verehret.“ Notwendige entschuldigung (wie Anm. 390), Bl. P; „Christliche Gottselige Oeberkeit lasse sich an dem genügen […] sey auch ein fürnemes Gliedt der kirchen /  so fern sie trewe Lehrer handthabet /  vnd nicht verfolget reine Lehrer vnnd den Gottesdienst fürdert […]. Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), C iiijv. 1164  Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. D iiiv–Diiij. 1165  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. O–Oii.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius321

sorgenpflicht auftreten und nicht als Obrigkeit selbst bzw. als Herrscher. Die weltliche Obrigkeit sorgt als Christ für die kirchlichen Angelegenheiten und nicht als Obrigkeit.1166 Der Landesherr übt seine Kirchengewalt nicht als Herrscher aus, sondern kraft seiner Stellung als Christ in der Kirche. Das obrigkeitliche Mitwirkungsrecht bzw. der Teilhabeanspruch an das Religiöse steht für Heshusius also nur in dessen individuellem Christsein, mit anderen Worten in dem allgemeinen Priestertum. Warum machte Heshusius die Fürsorgepflicht der weltlichen Obrigkeit von dessen Christsein abhängig? Diese Frage kann aus dem zeitgenössischen Kontext in doppelter Hinsicht beantwortet werden: Erstens, Heshusius will, wie Martin Honecker in seiner Studie „cura religionis“ (wie Anm. 182. S. 115–116) betont hat, den tradierten Ausschließlichkeitsanspruch des christlichen Glaubens auch im lutherischen Glauben bewahren. Aufgrund der antiken und ebenfalls lutherischen Anschauung kann theoretisch die cura religions auch einer heidnischen und häretischen Obrigkeit zustehen, da auch eine heidnische und häretische Obrigkeit ihre Autorität von Gott hat. Das heißt, ratione offici könnte auch einer nichtchristlichen Obrigkeit die custodia utriusque tabulae zukommen. Heshusius als Gnesiolutheraner will sich dieser Konsequenz dadurch entziehen, dass er die theoretischen Folgerungen eines derartigen staatskirchlichen Prinzips praktisch außer Kraft setzt. Das heißt, er will der calvinistischen, zwinglianischen, reformierten Obrigkeit, die in seinen Augen zweifelsfrei Heiden und Häretiker waren, diesen Rechtsanspruch nicht gewähren. Deshalb macht er den Rechtsanspruch der Ausübung der Fürsorgepflicht nicht vom obrigkeitlichen Amt, sondern ausschließlich von der Person des Amtsträgers als Christ, mit anderen Worten als Lutheraner abhängig. Zweitens, Heshusius will den Herrschaftsanspruch der weltlichen, auch lutherischen Obrigkeit auf die Kirche begrenzen. Das heißt, wie sich oben bereits gezeigt hat, er will obrigkeitliche Mittätigkeit und ihre Kompetenz in der Kirche auf das Niveau allgemeinpriesterlicher Aktivität beschränken. 1166  „Von der wahl /  beruff vnd annemung der Seelsorger /  vnd Kirchendiener /  leren vnd bekennen wir /  das der Son Gottes Jesus Christus /  da er das Predigampt gestifft vnd geordnet /  die gerechtigkeit vnd gewald Prediger zu wehlen vnd auffzustellen /  nicht der weltlichen Obrigkeit als Obrigkeit /  sodnern seiner lieben Kirchen vnd Christlichen gemeinen /  gegeben /  vnd sie damit herrlichen verehret.“ Notwendige entschuldigung (wie Anm. 390), Bl. P; „Als dan hat die Oberkeit /  die Christum nicht allein mit worten /  sondern auch mit der that bekennet /  fug vnd recht /  nicht als das furnembste glied /  sondern als mitgliedmassen /  vnd pfleger der gemeine Gottes /  trewe /  rechtschaffene /  reine Lerer zuberuffen vnd auffzustellen“. Ebd. P 4v; „das die Oeberkeit aus Gottes Wort nu gewis sein kann /  das sie ihm Rechten /  Seligen /  Gott behaglichen Stande /  sey auch ein fürnemes Gliedt der Kirchen /  sofern sie treuwe Lehrer handt habet /  vnd nicht verfolget reine Lehrer vnnd den Gottesdienst fürdert /  vnd die Abgötterey /  vnnd andre grewel wieder Gottes Wort abschaffent. Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. C iiijv.

322

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Damit ist der Aspekt einer politischen Konzeption des allgemeinen Priestertums im Luthertum wiederum angesprochen. Eine Obrigkeit muss nach Heshusius zuvor mit dem christlichen Glauben von Gott die potestas divina erhalten. Erst danach erhält sie die Befugnis, Vollmacht, Funktion und sogar Würde, als praecipuum membrum ecclesiae und als custos et excecutor le­ gis mitzuwirken. Wer die allgemeinpriesterliche Vollmacht und Befugnisse zuvor mit seinem Glauben (der ihn erst zum wahren Christen macht) von Gott nicht empfangen hat, kann zwar im äußeren Bereich eine von Gott eingesetzte Obrigkeit bleiben, aber kann nicht in der Kirche wirken. Die Herrschaft einer nichtchristlichen Obrigkeit wird also erheblich begrenzt. Die gegenwärtige Forschung vertritt die Ansicht, das allgemeine Priestertum sei nach Luther überhaupt nicht mehr thematisiert worden. Bereits Luther selbst habe sich allmählich von dieser Vorstellung gelöst und habe es durch die Pastorenkirche ersetzt. Melanchthon habe zum Landeskirchentum tendiert. Der bedeutende Systematiker Johann Gerhard habe dem allgemeinen Priestertum gar keine Bedeutung für kirchliche Strukturen mehr eingeräumt. Angsichts der dargelegten Befunde muss diese These revidiert werden.1167 Heshusius betont, ebenso wie andere lutherische Theologen, dass der Weg zum wahren Christentum – d. i. der Weg, zu einer pius nutricius eccle­ siae1168 zu gelangen – das Studium der Heiligen Schrift sei. Durch das Bibellesen werde christliche Tugend von Herzen eingeübt und falsche Lehre erkannt und verkehrter Gottesdienst abgeschafft. Aus diesem Grund widmete sich Heshusius immer wieder der Auslegung der Bibel im Sinne eines Fürstenspiegels,1169 der die Richtlinien für die Ausübung des obrigkeitlichen Schwertamtes darstellt. Hinsichtlich des Inhalts der cura religionis rekurrierte Heshusius auf zwei Punkte. Zum einen solle die christliche Obrigkeit die rechte Lehre und den richtigen Gottesdienst im Land erhalten.1170 Zum anderen solle sie vom ius reformandi kraft ihrer Schwertgewalt Gebrauch machen, wenn im Lande Irrlehre und verkehrter Gottesdienst herrsche.1171 Zur Erhaltung der rechten Gotteserkenntnis und des wahren Gottesdienstes sei es die Aufgabe der Obrigkeit, die Berufung und Einsetzung von Predigern zusammen mit anderen Ständen der Kirche, den Erlass von Kirchengesetzen, die widmungsgemäße Verwaltung des Kirchengutes und die Aufsicht über das kirchliche Leben, welche durch Visitationen und Synoden erfolgt, zu übernehmen. 1167  Vgl. E. Winkler, Melanchthons Amtsverständnis, in: U. Sträter (Hg.), Me­ lanch­thonsbild (wie Anm. 117), S. 45. 1168  Postilla (wie Anm. 137), Vorrede Bl. A vv. 1169  Z. B. Postilla (wie Anm. 137). 1170  Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 4–Tt 4b. 1171  Der Prediger zu Bremen (wie Anm. 155), Bl. G; Gv–G ii.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius323

Heshusius erkennt in der Pflicht zur Bestellung geeigneter Prediger auch die Notwendigkeit der Fürsorge für das Schulwesen an: „tag vnd nacht für seine Vnterthanen sorget /  zucht vnd erbarkeit handhabet /  Gericht vnd Gerechtigkeit /  frieden schützet /  sünde vnd laster straffet /  dem vbel wehret /  Widewen vnd Waisen errettet /  den Armen vnd dürfftigen hillfet /  kirchen vnd Schule befördert“1172. Hervorzuheben ist, dass Heshusius bei der Vokation und Entlassung aus dem Predigtamt die im Zusammenhang mit der Dreiständelehre dargestellten Beschränkungen des obrigkeitlichen Rechts strikt beachtet.1173 Hinsichtlich des Gesetzgebungsrechts der Obrigkeit räumt Heshusius dieses nur dann ein, wenn dieses Recht sich nur auf die äußere Ordnung der Kirche erstrecke. Und auch dies sei in dreierlei Hinsicht begrenzt: Die Obrigkeit solle keine Kirchenordnung erlassen, ohne vorher den Rat der Prediger einzuholen. Sie solle keine Gesetze erlassen, wie oben zur Genüge gezeigt wurde, welche dem Gebot des göttlichen Wortes, dem Naturgesetz, dem positiven Gesetz, der Natur, der Vernunft, dem Gewissen und Gott selbst widersprechen. Ebenso dürfe sie nicht die Ausübung der Kirchenzucht verbieten. Gemäß ihrer Aufsichtspflicht habe die christliche Obrigkeit die Aufgabe, Visitationen durchzuführen, durch welche die Amtsführung der Pfarrer, das Verhalten der Pfarrkinder und die Einhaltung der kirchlichen Ordnung überprüft werden. Hinsichtlich des ius reformandi solle die Obrigkeit auch das Recht zur Ketzerverfolgung und Ketzergerichtsbarkeit sowie das Recht zur Beseitigung falschen Gottesdienstes haben. Für Heshusius umfasst die cura religionis der christlichen Obrigkeit die gesamte äußere Ordnung des Gottesdienstes und der religiösen Sitten im Lande bzw. in der Stadt.1174 Seiner Auffassung nach kann und soll die Obrigkeit unter ihren Untertanen wahre Frömmigkeit und aufrichtige Gottesfurcht zwar nicht schaffen, aber sie kann kraft ihrer obrigkeitlichen Gewalt allen äußerlichen Übertretungen mit der ersten Tafel des Dekalogs wehren. Deshalb fordert er in seiner Bremer Schrift die bremischen Magistrate auf: „das E.Erb:W.als die christliche Obrigkeit ein ernstliches einsehen haben /  vnd vermög jres tragenden /  vnd von Gott auferelgten Ampts /  der falschen Lehre /  vnd öffentlichen lesterungen wehre /  vnd die arme Vnterthanen von der Verführung vnd gifft abhalte.“1175 So soll die custodia primae tabulae decalogi nach Heshusius’ Meinung lediglich ein Recht der äußeren Aufsicht 1172  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mat. 22. S. 129; Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. T t 5; Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am Sontage Inuocauit / Matth. 4. Bl.  P 4b. 1173  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. M vv. 1174  Römer 13 (wie Anm. 137), Bl. 393b. 1175  Der Prediger zu Bremen (wie Anm. 155), Bl. G.

324

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

über die Kirche und das Recht zur Beseitigung kirchlicher Missstände beinhalten.1176 Heshusius wusste aber aus eigener und anderer Erfahrung seiner Zeit, dass in Wahrheit der Einfluss der Obrigkeit tief in den Bereich der geistlichen Gewalt, der potestas ecclesiastica interna hineinreichte, etwa weil diese kraft ihrer potestas ecclesiastica externa ermächtigt war, Kirchengesetze zu erlassen, Synoden einzuberufen und den Gottesdienst ihrem politischen Willen gemäß zu reformieren. In dieser Hinsicht verweist Heshusius die Obrigkeit in seinen Schriften – ganz im Sinne Luthers und Melanchthons – auf die Grenzen ihrer Macht. Für den Fall einer Grenzüberschreitung legitimiert er den Widerstand der Untertanen gegen eine Obrigkeit, die zum Tyrannen bzw. Antichristen geworden sei. Zur Begründung dieser Legitimation beruft er sich auf Gottes Wort aus Mt. 22 und Apg. 5, 291177 sowie das Naturrecht und auch das reichsrechtliche Ständerecht: „Wenn die Obrigkeit in diesem jren Kreis bleibet /  vnd das jenige gebeut /  das nicht wider Gott /  noch wider das natürlichen Recht ist /  So ist man jr nicht weniger zu gehorsamen schuldig /  als Gott selbst.“1178

ii) Fazit Fasst man diese skizzenhafte Ausführung zusammen, ergibt sich Folgendes: Erstens: Die antike Tradition ist bei Heshusius Argumentationsmustern ausgeprägt. Die Analyse hat deutlich nachweisen können, dass Heshusius trotz der reformatorischen Glaubensgrundsätze der griechsisch-römischen Rechts- und Ethiktradition verpflichtet ist. Es lässt sich sagen, dass die antike Tradition in Heshusius’ Debatten über die Herrschaft bzw. für dessen Obrigkeitsbild erkenntnisleitend gewesen ist. Zweitens: Heshusius bediente sich vieler zeitgenössischer Traditionen und Wissenreservate, um den Herrschaftsanspruch der weltlichen Obrigkeit auf 1176  Examen Theologicum (wie Anm. 137), Bl. Tt 5; „Weltliche Oberkeit aber handelt nicht nur den Hertzen oder Seelen des menschen /  sondern lest jr gnügen an dem gehorsam der eusserlichen Glider […] Der Weltlichen Oberkeit ist auch weiter nicht befohlen von Gott /  denn eusserlich zucht vnd frieden zu erhalten /  zu dem kann sie auch das Hertz nicht vrtheilen /  wann auch die Oberkeit die alle sollte straffen /  so mit gedancken vnd Hertzen sündigen […] Aber das Vrtheil vber das Hertz hat im Gott fürbehalten.“ Sechs Predigten vom Gesetz Gottes (wie Anm. 482), Bl. 206. 1177  Vrsach / Warumb (wie Anm. 156), Bl. A iii–A iiiv. 1178  Postilla (wie Anm. 137), Euangelium am 23. Sontage nach Trinitatis / Mt. 22. Bl. 131.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius325

kirchliche Angelegenheiten zu beschränken und die Eigenständigkeit der Kirche zu verteidigen. Doch steht die von der Idee des allgemeinen Priestertums geprägte Dreiständelehre stets im Zentrum seiner Überlegungen. Sie findet sich in allen Untersuchungstexten gleichsam als ein Duktus. Die Dreiständelehre ist für Heshusius’ Obrigkeitsverständnis das zentrale Referenzsystem. Die Analyse hat deutlich zeigen können, dass sich in der Dreiständelehre mit ihren wechselseitigen Steuerungsmechanismen des Politischen und Religiösen alle Elemente der spannungsbeladenen Debatten über die Herrschaftslegitimation miteinander verbanden. Durch ihre wiederholte Postulierung in zahlreichen Schriften beteiligte sich Heshusius folglich an der politischen Kommunikation, hier den zeitgenössischen Diskursen über frühneuzeitliche Herrschafts- und Ordnungskonzepte. Wenn bei Heshusius Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht begründet werden mussten, war immer von der Dreiständelehre die Rede. Auch die Legitimation des Teilhabeanspruches der Untertanen wurde in Verbindung mit der Dreiständelehre gebracht, ebenso der Herrschaftsanspruch der weltlichen Obrigkeit in der Kirche. Die Ausführung hat nachweisen können, dass Heshusius in Zusammenhang mit dem Widerstandsrecht und der Obrigkeitskritik acht weitere Legitimationsmuster verwendete, die jedoch immer in Verbindung mit der Dreiständelehre gebracht wurden. Er band z. B. die Bezeichnung der welt­ lichen Obrigkeit als custos utriusque tabulae und ihren Aufgabenbereich (cura religionis, salus reipublicae bzw. pax publica, „gute policey“, custos et executor legis) in die Dreiständelehre ein. Ob in Auseinandersetzung mit dem Rat der Stadt Bremen oder im Zwist mit der Goslarer und Rostocker Obrigkeit, Heshusius argumentierte mit der Dreiständelehre, die ihm zur Betonung der strikten Unterscheidung von geistlichem und weltlichem Regiment das Werkzeug lieferte. Zwei Regimente gehörten, wie dargestellt, für Heshusius als Spezialfall der Dreiregimentenlehre an. Er verband das Argumentationsmuster Gemeindeprinzip, die Unterscheidung zwischen Amt und Person, das Konzept des Rechtes auf Widerstand, Gegenwehr und Notwehr mit der Dreiständelehre, dasselbe gilt für das Argumentationsmuster der leges divinae, nautrae und humanae. Es lässt sich sagen, dass diese Argumentationsmuster bei Heshusius ein Bestandteil der Dreiständelehre waren bzw. der Dreiständelehre als dem zentralen Referenz- und Steuerungssystem angehörten. Drittens: Der Kern frühneuzeitlicher Herrschaftsvorstellung bestand keineswegs in einem Gegensatz zwischen obrigkeitlichem Herrschaftsanspruch und gemeindlichem Autonomiestreben, sondern in einem spezifisch verschränkten, kommunikativen Miteinander von Herrschenden und Beherrschten. Mit anderen Worten waren die fraglose Akzeptanz der Existenz einer souveränen Obrigkeit und die als unverzichtbar angesehene Zustimmung der Untertanen ein Teil der praktischen Entscheidungen der Herrschaftsträger.

326

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Die zu beobachtenden acht Legitimationsmuster bei Heshusius haben verdeutlichen können, dass sich Streitigkeiten immer dort entzündeten, wo die Obrigkeit ihre von Gott verordnete Grenze überschritt, mit anderen Worten, wo Konsens bzw. Mitbestimmungsrecht der Untertanen bei politischen Entscheidungen in Frage gestellt und verweigert wurden. So betonte Heshusius z. B. ein „geistlichen Sonderbewusstsein“, als die Goslarer, Rostocker, Bremer und Magdeburger Obrigkeit versuchte, in die interna ecclesiae einzugreifen bzw. sich einzumischen. Ebenso verwendete er das Legitimationsmuster „Zwei-Regimenten-Lehre“, „Unterscheidung von Amt und Person“, Dreiständelehre, das Gemeindeprinzip, custos utriusque tabulae und weitere Legitimationsmuster, als die Obrigkeit über ihre Grenze hinaus in das fremde Amt eingriff. Das heißt, Heshusius kannte weder einen „städtischen“ Republikanismus noch einen „Kommunalismus“ oder ein Mischverfassungssystem, sondern ausschließlich eine „konsensgestützte Herrschaft“ als legitimes Verfassungsprinzip. Die acht ausgeführten Legitimationsmuster zeigten deutlich, dass Heshusius in seiner Legitimationsdiskussion über Herrschaftsformen kaum auf antike Modelle oder Theorien zurückgriff, sondern ausschließlich auf die wechselseitige und gleichberechtigte Dreiteilung von Herrschaft, die auf der Wiederbelebung der Dreiständelehre seit den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts fußte. Mit der Dreiständelehre verfügte das Luthertum über eine fundierte stabile politisch-theologische Argumentation, mit deren Hilfe die Dreiteilung von Herrschaft als Verfassungsprinzip legitimiert wurde. Die Analyse hat deutlich zeigen können, dass es im Kerninhalt von Heshusius’ Legitimationsdebatte immer um das Gleichgewicht der drei Stände der Kirche ging. Sobald sich dieses Gleichgewicht zu verändern schien, entfachten sich bei Heshusius die Legitimationsdiskussionen. Die frühneuzeitliche Herrschaft war durch den Teilhabeanspruch bzw. die Teilhaberechte der Untertanen wechselseitig verzahnt. Viertens: Die frühneuzeitliche Herrschaft war für Heshusius ihrem Wesen nach äußerst begrenzt, die obrigkeitliche Herrschaftsausübung war an einen strukturellen und institutionellen Rahmen gebunden. Dieser Sachverhalt zeigte sich bereits bei den Herrschafttugenden: Der Fürst soll bei der Handhabung der Gerechtigkeit Strenge, aber auch Milde walten lassen. Allerdings muss er Gott als übergeordnete Instanz stets anerkennen. Die obrigkeitliche Fürsorgepflicht erstreckte sich nur auf den äußeren Bereich. Zwar war die Obrigkeit von Gott als custos utriusque tabulae eingesetzt, doch ihre Schutzpflicht erstreckte sich nie in die interna ecclesiae. Sobald sie aber diese Grenze überschreitet, wird sie als Tyrannei charakterisiert. Die Untertanen durften gegen eine solche unchristliche Obrigkeit nicht nur von einem Recht auf Obrigkeitskritik, sondern sogar von einem Recht des „präventiven“ Widerstandes und der Gegenwehr Gebrauch machen. In externa eccle­ siae durfte die Obrigkeit zwar ihre Fürsorgepflicht als custos et executor



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius327

legis ausüben. Doch zeigte die Ausführung, dass diese Gesetzgebungs- und Exekutionskompetenz ebenfalls durch eine ganze Reihe von Faktoren blockiert war. Die Obrigkeit darf bei Heshusius nur dann Gesetze und Verordnungen erlassen und ihre exekutive Gewalt ausüben, wenn sich diese nicht gegen Gott, Gottes Gebot bzw. Gottes Wort, Gewissen, Billigkeit, Vernunft, Natur, leges divinae, leges naturae und humanae richteten. Bei einer Grenzverletzung wird die christliche Obrigkeit zur unchristlichen Obrigkeit, gegen welche der Widerstand legitim und gottgewollt ist. Die Analyse machte deutlich, dass auch gesetzgebungspolitische Maßnahmen des Herrschers nach Heshusius nicht der Stabilisierung der Herrschaft dienen, sondern auf die Wahrung der christlichen Normen und Werte gerichtet sein sollten. Ebenso sollte sich das Ziel des politischen Handelns nach Ansicht Heshusius’ darauf richten, Störungen der von Gott verordneten Dreistände-Ordnung zu beseitigen und dadurch tranquillitas ordinis zu schaffen. Das heißt, der geltende Auftrag zur custodia utriusque tabulae war einer wichtigen Voraussetzung unterworfen, nämlich der inhaltlichen Gleichsetzung von lex divinae, naturae und moralis. Jedoch bedeutet für Heshusius diese Unterwerfung keine zu starke Begrenzung von Herrschaft, wie sie in Mischverfassungssystemen organisiert war und in der Forschung als die Besonderheit der politischen Theorie bzw. Herrschaft im 16. Jahrhundert charakterisiert wurde.1179 Heshusius ging es vielmehr um eine kooperative und kommunikative Beziehung zwischen Herrschaft und Partizipation. Fünftens: Heshusius’ Widerstandsauffassung ist zwar nicht originär, aber von grundsätzlicher Natur. Die Untersuchung seines Gegenwehr- und Widerstandskonzeptes hat zeigen können, dass seine Legitimationsmuster im Unterschied zu z. B. widerstandsrechtlichen Anschauungen der österreichischen Stände weder von den politisch-sozialen kontextuellen Voraussetzungen, in denen der Konfessionskonflikt stattfand, noch als einzelner Akt der Obrigkeit interpretiert werden können.1180 Dass Heshusius’ Widerstandsauffassung weder situationsbedingt noch kontextabhängig noch von obrigkeitlichem Akt jederzeit revidierbar war, lässt sich vor allem aus der Tatsache ableiten, dass seine Ansicht über dieses Widerstandskonzept sowohl in den ideal­typischen Schriften, wie z. B. Kommentaren, Predigten und dogmatischen Lehrbüchern, die er in Jena oder Helmstedt verfasst hatte, als auch in den Protest- und Streitschriften, die er nach dem heftigen Konfessionskonflikt in Goslar, Rostock, Bremen und Magdeburg verfasst hatte, auftauchte. Für ihn war das Widerstandsrecht ein auf derselben Ebene der Glaubensund Gewissensfreiheit stehendes Ding, in der der weltlichen Obrigkeit keine 1179  Vgl. 1180  A.

S.  450 ff.

dazu E. Uhl, die Sozialethik Johann Gerhards (wie Anm. 207), S. 22–49. Strohmeyer, Konfessionskonflikt und Herrschaftsordnung (wie Anm. 31),

328

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Kompetenz zugesprochen wurde. Die Analyse hat außerdem zeigen können, dass das Konzept des Rechtes auf Widerstand, Gegenwehr und Notwehr ein fester Bestandteil der Dreiständelehre als Herrschafts- und Ordnungssystem war. Dieses Legitimationsmuster wurde bei Heshusius immer dort eingesetzt, wo das Gleichgewicht der drei Stände der Kirche sich zu verändern und zu verschieben schien. Aus einem Reservoir an widerstandsrechtlich einsetzbaren Denkfiguren, Normen und Ordnungsvorstellungen wurde das entnommen, was unter den gegebenen Verhältnissen zur Legitimation von Obrigkeitskritik und Widerstand, das heißt zur Durchsetzung der konfes­ sionspolitischen Ziele, am besten geeignet schien. Dort, wo es notwendig war, erfolgten immer Erweiterungen. Der Ungehorsam und die Obrigkeitskritik sowie der „präventive“ Widerstand waren deshalb kaum auf einzelne Akte der weltlichen Obrigkeit zurückzuführen, sondern die Untertanen als ein Teilsystem wurden dazu aufgefordert. Sechstens: Die Amts-, Berufs-, Stände- und (Zwei-)Regimententerminologie ist bei Heshusius als ein Teil bzw. Ausdruck der Dreiständelehre anzusehen, die ihm immer als Referenz- und Steuerungssystem dient. Die Ausführung hat belegen können, dass Heshusius die Begriffe Amt, Beruf, Stand, Glied und schließlich Regimente immer wieder synonym verwendete. Wenn von den drei Regimenten die Rede ist, sind immer die drei Stände der Kirche gemeint. Wenn von den drei Ämtern bei der Obrigkeitskritik die Rede ist, bezeichnet Heshusius ebenfalls die drei Glieder der Kirche, status politicus, status ecclesiasticus und status oeconomicus. Von einer geteilten Terminologie kann nicht länger gesprochen werden. Wie Rieker zu Recht bemerkt hat, war die eigentümliche lutherische Wertschätzung der weltlichen Obrigkeit als custos utriusque tabulae gerade der exakte Ausdruck der Dreiständelehre. Das heißt, hier ging es nicht um eine unterschiedliche Lehre und Terminologie, sondern um ein und dieselbe Terminologie und Lehre. Dass die Obrigkeit nicht bloß Hüterin des zweiten Teils des gött­ lichen Gesetzes war, das von den Pflichten gegen den Nächsten handelte, sondern auch der ersten Tafel, die Pflichten gegen Gott aufzählt, kommt in Heshusius’ Ausführungen klar zum Ausdruck. Die custodia primae tabulae macht einen Teil des ordentlichen Berufes der weltlichen Obrigkeit aus, so dass diese, wenn sie für die reine Lehre und den richtigen Gottesdienst in ihrem Lande bzw. in ihren Städten tätig wird, nur tut, was ihres Amtes ist – nicht anders, als wenn die Obrigkeit Maßregeln für gute Ordnung und allgemeinen Wohlstand trifft.1181

1181  K. Rieker, Staat und Kirche nach lutherischer, reformierter, moderner Anschauung, in: Historischer Vierteljahrschrift 1 (1898), S. 374.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius329

Exkurs: Konrad Heresbach (1496–1576) Wie sich im folgenden Abschnitt zeigen wird, machten lutherische und reformierte Geistlichkeiten sowie Ratsherren oder Bürgeropposition häufig wie Heshusius von verschiedenen Arugmentationsmustern und Terminologien Gebrauch, dies gilt besonders für die politischen Entscheidungsträger. Beispielsweise wurde der Widerstand der oppositionellen Ratsherren gegen die regierenden Ratsherren in Bremen oder der Widerstand lutherischer bzw. reformierter Geistlichkeit gegen den Eingriff der Obrigkeit in die Belange der Kirche mit der Verantwortung der Obrigkeit für beide Tafeln des Dekalogs oder die Aufforderung zu Ungehorsam bzw. zum aktiven Widerstand mit der strikten Unterscheidung zwischen geistlichem und weltlichem Regiment begründet. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Kontrahenten auf völlig unterschiedliche Amts-, Berufs-, Stände-, (Zwei-)Regimentenlehre und Gesetzesund Tugendlehre rekurrierten, um ihr politisches Denken und Handeln zu legitimieren oder die zeitgenössischen Verhältnisse zwischen Religion und Politik zu erfassen und zu steuern. Sie beriefen sich schlicht auf die lutherische Dreiständelehre, die als zentrale Referenz zur Widerstandsbegründung diente. Die Frage ist, ob es sich dennoch um Einzelerscheinungen handelt. Im Folgenden wird am Beispiel von Konrad Heresbachs Gebrauch jener Terminologie auf diese Frage geantwortet. Konrad Heresbach1182 wirkte als Fürstenerzieher und als einer der wichtigsten herzoglichen Räte am klevischen Hof. Fast fünf Jahrzehnte war er an den herzöglichen politischen Entscheidungen maßgeblich beteiligt. Er gehörte zur politischen Eliten seiner Zeit, wie die breite Rezeption seiner Schriften und seine persönliche Vernetzung – er unterhielt Kontakte insbesondere zu Erasmus von Rotterdam und Philipp Melanchthon, mit dem er einen über 30 Jahre langen Briefwechsel pflegte – zeigen. Heresbach kann als einer der bedeutendsten Fürstenerzieher und Politikberater in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bezeichnet werden, wie Bruno Singer und Hans Petri in ihren Untersuchungen feststellten.1183 1182  Zu Person, Leben und Wirken vgl. C. Beutler u. F. Irsigler. Konrad Heresbach (1496–1576), in: Rheinische Lebensbilder 8. Köln 1980, S. 81–104; F. Irsigler, Konrad Heresbach. Leben und Werk eines großen rheinischen Humanisten (1496– 1576), in: M. Pohl (Hg.), Der Niederrhein im Zeitalter des Humanismus. Konrad Heresbach und sein Kreis (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar 5), Bielefeld 1997, S. 93–110; A. Wolters, Konrad von Heresbach und der clevische Hof zu seiner Zeit. Elberfeld 1867; T. Arand, Heresbach in klevischen Diensten. Ein Humanist als Pädagoge und Politiker, in: J. Prieur (Hg.), Humanismus als Reform am Niederrhein (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar 4), Bielefeld 1996, S. 35–47; D. Scheler, Die Juristen des Herzogs und der Hof, in: M. Pohl (Hg.), Der Niederrhein im Zeitalter des Humanismus (wie Anm. 226), S. 75–92. 1183  B. Singer, Die Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des Humanismus und der Reformation. Bibliographische Grundlagen und ausgewählte Interpretatio-

330

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Heresbach verfasste im Jahr 1570 eine 52 Kapitel umfassende Schrift zur Fürstenerziehung und zur Regierung eines christlichen Gemeinwesens,1184 die nicht nur am Jülicher Hof und in anderen Territorialstaaten, sondern auch in Italien breit rezipiert wurde und 1592, 1598, 1670 und 1692 aufgelegt wurde. Sein Werk darf nach Singer unter zeitgenössischen „juristischen Fürstenspiegeln“, bei denen Fürstenspiegel und staatsrechtliche Abhandlung nebeneinanderstehen, als „die bedeutendste Fürstenlehre“ bzw. als bedeutendste christliche Regierungslehre (so genannte politica christiana) des 16. Jahrhunderts im Alten Reich gelten. Zugleich stellte das Werk eine der ersten, breit angelegten Herrschaftslehren des konfessionellen Zeitalters dar.1185 Es bietet einerseits eine Zusammenstellung humanistischer Fürstenmoral und -pädagogik, andererseits fasst es die lutherisch-reformatorische Lehre von der Aufgabe und Pflicht der weltlichen Obrigkeit zusammen. In seinem Werk identifizierte Heresbach nicht nur den Aufgaben- und Pflichtenbereich der weltlichen Obrigkeit als custos utriusque tabulae, cura religionis, „gute policey“, Schutz und Schirm, cura defensionis, Sorge für die securitas, Wahrung der Privilegien und Besteuerung mit der Dreiständelehre, sondern er verband bezeichnenderweise die ganze terminologische Palette der politischen Normen und Herrschertugenden eines princeps chris­ tianus mit der Dreiständelehre – darunter z. B. salus Reipublicae, utilitas Reipublicae, subditiorum utilitas, publica utilitas, publica pax, concordia, Gerechtigkeit, Gottesfurcht, iustitia, aequitas, clementia, liberalitas, fides, veritas. Heresbach leitete die gesamte Terminologie der politischen Normen von Fürsten und Ständen aus der Dreiständelehre ab.1186 Im Abschnitt „De custodia Legum, rerumque tam Ecclesiasticarum quam politicarum“ heißt es dementsprechend: „Nam cum tres sint in Repub. ordines, politicus, ecclesiasticus, et oeconomicus, Deus constituit Mosen et Aaronem fratres, qui in suo populo Rempub. et Ecclesam ad ministrarent, indicare volensinter illos duos ordines summam concordiam nen: Jakob Wimpfeling, Wolfgang Seidel, Johann Strum, Urban Rieger. München 1981, S. 118–121; H. Petri, Staatsrecht und Staatslehre bei Konrad Heresbach. Diss. Bonn 1938, S. 3–11. 1184  K. Heresbach, De educandis erudiendisque principum liberis rei publicae gubernandae destinatis deque republica christiana administranda epitome libri duo. Francofvrti Ad Moenvm 1592 [SBB HA 2 Tm 7670: E1853–E 1855]. Im Folgenden De educandis. Benutzt wurde das Exemplar der Staatsbibliothek zu Berlin. 1185  B. Singer, Die Fürstenspiegel in Deutschland (wie Anm. 1183), S. 121; Vgl. dazu M. Philipp, Reigerungskunst im Zeitalter der konfessionellen Spaltung. Politische Lehren des Mansfeldischen Kanzlers Georg Lauterbeck, in: H. O. Mühleisen /  T. Stammen (Hg.), Politische Tugendlehre und Regierungskunst. Studien zum Fürstenspiegel der Frühen Neuzeit. Tübingen 1990, S. 71–115. Hier. S. 82. 1186  Vgl. dazu V. Seresse, Politische Normen in Kleve-Mark (wie Anm. 219), S. 273–291.



2. Die Begriffsbildung bei Heshusius331 esse debere, vtiq cundem sinem praescribens Doctorib. Ecclesiarum, vt es Die verbo docerent, qua ad verum Die cultum, pietatem vitaeue innocentiam pertinent, Magistratus sua auctoritate doctrinam veram tueretur, aduersarios coctceret.“1187

Heresbach setzt hier res publica mit dem durch die drei Stände der Kirche geordneten Gemeinwesen gleich. Damit erkennt er die Dreiständeordnung als Herrschaftsmodell bzw. legitime Verfassungsform im Herzogtum an. Für Heresbach können die zentralen Normen des politischen Handelns (Gemeinwohl bzw. Gemeinnutz, Gerechtigkeit, Freiheit, friedliches Miteinander, Ordnung des Zusammenlebens in einem politischen Gemeinwesen) nur dann in die Realität umgesetzt werden, wenn die Herrschaft der drei Stände gleichberechtigt verteilt wird. Um eine solche harmonische Ordnung in einem politischen Gemeinwesen zu schaffen, sind nach Heresbach die oben erwähnten Herrschaftstugenden, aber auch die strikte Unterscheidung und Zuordnung von geistlichem und weltlichem Regiment nötig. Beispielhaft dafür kann für Heresbachs Überlegungen folgendes Zitat stehen: „Der Fürst habe die Aufgabe, die Religion zu schützen. Gott befiehlt der Obrigkeit die Erhaltung, Verbreitung und Reinheit der christlichen Lehre. Drei Ordnun­ gen bestehen: die politische, die kirchliche und die häusliche. Zwischen ihnen soll Eintracht und Frieden herrschen, und aus diesem Grund ist die Obrigkeit verpflichtet, durch ihre Autorität und Kraft die Lehre zu schützen und die Gegner zu bezwingen. Die Fürsten sind daher gleichsam die Nährväter der Kirchen und sollen das Evangelium nach Kräften befördern.“1188

Frieden, Gemeinwohl, Gemeinnutzen können nur durch die tradierte Balance der Kräfte der in den drei Ständen angelegten christlichen Herrschaftsordnung erreicht werden. Ohne diese gleichberechtigte Herrschafts- bzw. Kompetenzverteilung gibt es bei Heresbach kein Gemeinwohl in einem politischen Gemeinwesen bzw. einer bürgerlichen Gesellschaft. Alle drei Stände sind für ihn für die Existenz und Aufrechterhaltung einer christ­ lichen, guten Lebensordnung (Policey) unverzichtbar. Der Sinn und Zweck menschlicher Gemeinschaftsbildung ist für Heresbach die Wahrung des „Gemeinen Besten“, der „Guten Policey“, als einer Ordnung, innerhalb derer jeder Teil seine notwendige Funktion auszuüben habe, nämlich die Errichtung einer gerechten – und das heißt christlichen – Lebensordnung bzw. Schöpfungsordnung. Deshalb benötige die weltliche Obrigkeit Autorität und Macht. Ausdrücklich betont Heresbach, die weltliche Obrigkeit sei aus diesem Grund custos utriusque tabulae und custos legis. Heresbach entfaltet dann die Aufgabe und Pflicht der weltlichen Obrigkeit im Rahmen der Dreiständelehre: 1187  De

educandis (wie Anm. 1184), Bl. 264. nach H. Petri, Staatsrecht und Staatslehre bei Konrad Heresbach (wie Anm. 1183), S. 16. 1188  Zitiert

332

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

„Denn das Schwert, das der Obrigkeit verliehen sei, sei nicht geeignet, die innere Frömmigkeit zu bewirken. Nur die äußere Ordnung in der Religion solle es aufrechterhalten, Ausartungen verhindern und das Wort Gottes ausbreiten.“1189 „Es sei die Pflicht und das Recht der Obrigkeit, das Schwert zu führen, um das Unrecht und Böses abzuwehren und die Ordnung zu erhalten oder wiederherzustellen. Das Amt der Obrigkeit sei notwendig und rechtfertigt, Krieg zu führen, um Unrecht und Böses zu strafen, und Frieden zu halten.“1190

Über die Beachtung der beiden Gesetzestafeln wache also die Obrigkeit, die jedoch nicht in die Bereiche der interna ecclesiae eingreifen dürfe, da die Fürsten nur ein Glied der Kirche seien und als ein gleichberechtigtes Glied der Kirche den anderen Ständen helfen sollten. Wer in das fremde Amt eingreife, sei unchristliche Obrigkeit, gegen die Ungehorsam und Notwehr berechtigt seien. Der Missbrauch der obrigkeitlichen Macht darf und muss immer begrenzt werden. Die Dreiteilung der Gemeinschaft dient diesem Zweck. Für Heresbach war dementsprechend die Amts-, Berufs-, Stände- und (Zwei-)Regimenten-Terminologie ein Bestandteil bzw. fester Ausdruck der Dreiständelehre als zentraler Referenz für die Artikulation von Obrigkeitskritik und Widerstand.

3. Zusammenfassende Darstellung von Heshusius’ Obrigkeitsauffassung a) Ursprung der Obrigkeit Zunächst ist festzustellen, dass Heshusius im Einklang mit Luther Gott ausdrücklich als den Urheber und Erhalter der Obrigkeit betrachtete. Die Obrigkeit bzw. der „Staat“ erhält durch Gott seine Eigenwürde, Ehre, Heiligkeit und Selbstständigkeit. Er wird weder von sich selbst noch von Gnaden des Papstes oder des Klerus legitimiert. Jedoch zeigte die Analyse, dass Heshusius nicht nur von der göttlichen Einsetzung bzw. Stiftung der Obrigkeit im Sinne Luthers, sondern auch von der naturrechtlichen Auffassung Melanchthons ausging. Die notitiae, d. h. die dem Menschen angeborenen Kenntnisse von Gott, vom Unterschied zwischen Gut und Böse und von den logischen Gesetzen werden von Heshusius (wie auch von Melanchthon) wiederholt als Ausgangspunkt für die politische Ordnung bezeichnet. Bei der Annahme von angeborenen Kenntnissen hat sich Heshusius wie Me­ lanch­thon auf Ciceros Oikeiosis-Lehre berufen oder, genauer gesagt, er hat die notitiae-Lehre von Melanchthons „eigenständiger“ Lehre zum ordo poli­ 1189  Zitiert 1190  Ebd.

nach H. Petri, Staatsrecht und Staatslehre (wie Anm. 1183), S. 40. S. 50.



3. Zusammenfassende Darstellung333

ticus übernommen. Deshalb ist für Heshusius die Einsicht in Ordnung und Maß von Natur aus dem Menschen bereits mitgegeben. Dasselbe gilt für die Anlagen zum Selbstschutz oder für den Wunsch nach legitimierter Herrschaft, zur Wahrung von Eigentum, Ehe, Verträgen, Gerichten, zur ­ Verhängung von Strafen und zur Ordnung der Gemeinschaft bzw. Gesellschaft (societas). Die Zahl dieser vinculae-Kataloge wechselt bei Heshu­ sius – mitunter zieht er auch die Wissenschaft und die Künste hinzu. Für Heshusius ist deshalb ein allgemein gesellschaftliches, d. h. auch bei den Heiden auffindbares Phänomen stets von naturrechtlichem Ursprung, also ein naturrechtliches gesellschaftliches Phänomen, das bei allen Völkern und Gesellschaften vorhanden ist. Die Obrigkeit ist für ihn ein das Naturgesetz fördernder Bestandteil der gesellschaftlichen Ordnung bzw. eine naturrechtliche und soziologische Größe. Daher ist der Begriff societas bei Heshusius wie bei Melanchthon in seinem Denkgebäude zentral, die Reflexion über das positive Recht hat einen wichtigen Akzent. Zu beachten ist aber hierbei, dass Heshusius trotz seiner naturrechtlichen und soziologischen Sicht die Obrigkeit bzw. die politische Ordnung nicht allein als Folge des angeborenen menschlichen Wissens (notitiae) herleitet, sondern Gott ausdrücklich als Schöpfer und Urheber der Obrigkeit und politischen Ordnung bezeichnete. Wenn Heshusius sagt, dass alle Obrigkeit bzw. politische Ordnung von Gott eingesetzt und gestiftet sei, dass also Gott selber der Urheber dieser Institutionen sei, so ist das ein grundsätzlich anderer Ansatz als die Herleitung der politischen Ordnung allein aus diesen notitiae, wie dies in der Naturrechtslehre des 17. Jahrhunderts geschehen ist. Aus dieser Schöpfungsordnung leitet sich die entscheidende Legitimation der Fürsorgepflichten der christlichen Obrigkeiten ab. Die Analyse hat gezeigt, dass Heshusius wie Melanchthon ausdrücklich und wiederholt ordo und personae unterschieden hat. Diese Unterscheidung macht deutlich, dass der ordo politicus als bona res a Deo vor aller geschichtlichen Konkretion von Gott instituiert ist und dass die historische Verwirklichung des Herrschaftsauftrags partiell und unvollkommen ausfallen kann. Heshusius lichtet immer wieder die begriffliche Verwirrung in Bezug auf den ordo politicus, wenn er von der Störung in den politischen Verhältnissen spricht. Für Heshusius ist eindeutig, dass Gott den ordo poli­ ticus eingerichtet hat. Die confusiones stammten aber vom Diabolus oder den schlechten Menschen, die der Ordnung nicht folgen und ihr zuwiderhandeln. Damit bringt die Unterscheidung von ordo und personae Heshusius’ Auffassung auf den Punkt: Die Unvergänglichkeit und Übergeschichtlichkeit der Institutionen wird umso schärfer hervorgehoben. In der Analyse des Römer 13 zeigt sich, dass Heshusius diesen Brief, genauer gesagt, Paulus’ Intention in Vers 1 aus Römer 13 nicht nur als Aufforderung zur

334

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

Anerkennung der bestehenden politischen Ordnungen versteht, sondern auch als ausdrückliche Einsetzung des ordo politicus durch Gott. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Heshusius deutlich von Calvin, der die soziologischen Größen „Staat“ und Kirche bloß als einen Gegenstand juristischer Analyse in Betracht zieht. Heshusius betont deshalb sehr häufig im Sinne Luthers, dass Segen und Fluch, Glück und Unglück einer Regierung bzw. einer politischen Ordnung ausschließlich von Gott abhingen. Damit wird wie bei Luther das geschichtsmächtige Handeln Gottes im Regiment bezeichnet. Gott setze die Obrigkeit ein und ab. Insgesamt ergibt sich daraus, dass Heshusius’ Auffassung vom Ursprung der Obrigkeit eine Synthese der Gedanken beider Reformatoren mit melanchthonschem Akzent darstellt. Heshusius’ Betonung der göttlichen Einsetzung führt indessen dazu, die Kompetenzerweiterung bzw. Herrschaftszentrierung der Obrigkeit, insbesondere in Bezug auf das Kirchenwesen zurückzuweisen. Göttliche Autorisierung bedeutet für Heshusius deshalb keineswegs einen Freibrief für Willkürherrschaft (absoluta potestas bzw. summa potestas). Sie erzwingt im Gegenteil ein verantwortungsbewusstes Regiment vor Gott. Heshusius erteilt jeglichem Versuch, die Obrigkeit als summa potestas darzustellen, eine klare Absage. b) Aufgabe und Pflicht der Obrigkeit Wie sich in den bisherigen Ausführungen andeutete, folgt Heshusius in seinem Verständnis der Aufgabe und Pflicht der Obrigkeit ausschließlich der Lehre Melanchthons, nach der die Obrigkeit zusammen mit der Kirche als vincula societatis zur Wahrung der societas humana bzw. civilis die Rolle einer custos utriusque tabulae bzw. custos legis im Dekalog übernehmen muss. Das heißt, dass sie nicht nur als Hüterin der weltlichen Ordnung für das äußere Wohl der Untertanen, sondern auch für deren Seelenheil zuständig sein soll. Also hat Heshusius der Obrigkeit nicht nur die Aufgabe des Schutzes und der Wahrung des öffentlichen Friedens und Rechts zugebilligt, sondern auch die der cura religionis, d. h. im jeweiligen Herrschaftsbereich die wahre, reine und selig machende Lehre zu erhalten. Er akzentuiert die cura ecclesiae als zentrale Aufgabe der Obrigkeit und ihres politischen Handelns. Mit anderen Worten, er ordnet das Staatsinteresse der Kirche unter. Zu bemerken ist, dass Heshusius die obrigkeitliche Durchführung dieser Fürsorgepflicht an der für ihn vorbildlichen antiken römischen Rechtstradition und den stoischen Tugendlehren, insbesondere an Senecas De clementia orientierte. Hieraus erklärt sich auch seine Wertschätzung der „Billigkeit“



3. Zusammenfassende Darstellung335

bzw. „Milde“ als eine wesentliche Grundlage für die politische Tugend einer frommen christlichen Obrigkeit. Damit zeigt sich, dass Heshusius’ Obrigkeitsbegriff nicht allein aus einer reformatorischen Auffassung hervorgeht, sondern seine Wurzeln auch im Humanismus bzw. in antiker und mittel­ alterlicher Tradition hat. Offenbar begreift Heshusius die Obrigkeit immer noch als den mittelalterlichen princeps christianus. Die Durchführung dieser „patriarchalischen“ Fürsorgepflicht der christ­ lichen Obrigkeit ist bei Heshusius in mehreren Faktoren begrenzt. Wie sich zeigte, hat Heshusius im Unterschied zu vielen Vertretern der monarchischen Dreiständelehre des 16. Jahrhunderts diese Schutzpflicht, insbesondere Religionssorgepflicht einer Obrigkeit nie dem Bereich der inneren Kirche, sondern ausdrücklich dem Bereich der externa ecclesia zugeordnet. Auch im äußeren Bereich wurde der Fürst nur als ein Glied der Kirche bzw. als Christ aus Liebe mit seiner Aufgabe betraut und nicht qua ihres Amtes als Obrigkeit. Ein Landesherr übt seine Kirchengewalt nicht kraft seiner Stellung über die Kirche, sondern in der Kirche aus. Sie dürfe folglich keine Gesetze formulieren, die gegen das göttliche Gesetz, Naturrecht und das positive Gesetz oder Vernunft, Gewissen, Billigkeit und Gottes Wort verstießen. Ebenfalls dürfe die Obrigkeit bei der Exekutive des Gesetzes nicht gegen Gott, Gottes Wort, Billigkeit und Milde verstoßen bzw. ihr Amt, Recht und ihre Kompetenz missbrauchen. Damit räumt Heshusius der Obrigkeit im inneren Bereich der Kirche keinerlei Gewalt über das Wort Gottes und die Sakramentsverwaltung ein, sondern überträgt ihr lediglich eine Art schiedsrichterliche Aufgabe im Streit der Theologen. In der genauen Definition der obrigkeitlichen Pflichten und Aufgaben, die keineswegs nur Fragen der Frömmigkeit und des Kirchenregiments umfasste, sondern sich auf politische Fragen grundsätz­ licher Art erstreckte, macht Heshusius deutlich, dass er jeglichen Herrschaftsansprüchen im Sinne einer absoluta potestas die Legitimation verweigert. Seine damit verbundene Obrigkeitskritik rechtfertigt Heshusius immer wieder unter Hinweis auf die göttlichen, natürlichen, positiven Gesetze und auf Billigkeit, Vernunft, Natur, Gewissen und Gottes Wort, denen ein jeder Herrscher unterworfen sei. Dieses Postulat der Bindung eines Herrschers an genannte Normen und Werte lässt sich als Absage an die absolute Herrschaftsform deuten. c) Das Verhältnis von Obrigkeit und Kirche Heshusius folgt in seinem Verständnis der Zuordnung und Unterscheidung der beiden Regimente zunächst einmal Melanchthons Theorie, nach der beide Regimente ein zusammenhängendes, durch verschiedene Rechts-

336

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

kompetenzen in sich gegliedertes Institutionensystem bilden, durch welche die societas gelenkt und regiert wird. Für Heshusius besteht der Sinn beider vinculae societatis ausdrücklich darin, die Kompetenzen beider Regimente voneinander abzugrenzen und die staatliche und kirchliche Gewalt je nach ihrer spezifischen Funktion und Zuständigkeit hin zu begründen und dabei zu zeigen, dass beide in ihrer von Gott gegebenen Ordnung doch ein und demselben Ziel dienen. Also versteht Heshusius unter Obrigkeit und Kirche naturrechtlich und soziologisch getrennte Institutionen mit unterschiedlichen Funktionen und Kompetenzbereichen. In diesem Sinne konzipiert er die beiden Regimente als ein von Gott eingesetztes Zuordnungssystem geteilter innerer und äußerer Gewalt. Der Gegensatz der beiden Regimente besteht in ihrem unterschiedlichen Zweck als göttliche Instrumente. Als zentrale Grundstruktur der Zuordnung und Unterscheidung von „Staat“ und Kirche misst Heshusius der vom allgemeinen Priestertum geprägten Dreiständelehre als Herrschafts- und Ordnungsmodell eine noch viel größere und grundsätzlichere Bedeutung zu als dem bloßen vinculae-Konzept. Obrigkeit und Kirche existieren demnach zwar als eigenständige Institution bzw. Träger der gesellschaftlichen Ordnung, sollen darüber hinaus aber als gleichberechtigte Herrschaftsstände nebeneinander stehen und in wechselseitiger Fürsorge zur Wahrung des pax et salus societas christiana bzw. respublica christiana einander dienen. Wie sich in der Analyse deutlich zeigte, beschrieb Heshusius die Parallelität der Herrschaft begrenzenden drei Ordnungen immer wieder. Darin beanspruchte er die Unabhängigkeit des geistlichen Wächteramts gegenüber weltlicher Obrigkeit. Deshalb erteilte Heshusius jeder Grenzüberschreitung in Gestalt des „Papocäsarismus“ oder Cäsaropapismus“ eine Absage. Charakterisitikum von Heshusius’ Ansicht über das Verhältnis von Obrigkeit und Kirche ist die wechselseitige Verzahnung von Politischem und Religiösem: Konkret greifbar ist hier die enge Verbindung des Herrschaftsanspruches der weltlichen Obrigkeit sowie des Teilhabeanspruches der Untertanen mit der theologischen Legitimation. Die Analyse zeigte, wie eng theologische Normen mit den politischen sowie rechtlichen Normen verbunden waren. Es gab kaum eine geteilte Normen- und Wertvorstellung. Politisches Handeln war identisch mit juristischem Handeln sowie ethisch gutem Handeln, das heißt mit einem Handeln im Sinne der Schöpfungsordnung (politica christiana bzw. Dreiständelehre). Es gab weder eine Autonomie des Politischen noch des Juristischen oder des Theologischen. Die Ausführung hat zeigen können, dass sich in Heshusius’ Ansicht über das Politische bzw. in seinem Politikverständnis ein eigener Begriff des Politischen entfaltete, der in den ganz konkreten Kontroversen über theologisch-politische Probleme immer aufs Neue als politische Sprache identifiziert werden kann. Demzufolge zeigt sich in seiner Auffassung über das Politische kaum ein



3. Zusammenfassende Darstellung337

antikes, naturrechtliches Politikverständnis in aristotelischer, ciceronianischer Tradition. Heshusius versteht Politik als kommunikativen Raum bzw. als Prozess des Austausches zwischen externa und interna ecclesiae, als wechselseitige Beziehung zwischen Politik und Religion. Das Ordnungsziel bestand dabei nicht allein in pax et salus publica, sondern in Gottendienst und Evangeliumsverbreitung. Wie Schorn-Schütte zutreffend darauf hingewiesen hat,1191 sollte für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts von einer strikten Trennung gelehrter juristischer, politischer und theologischer Bildung, Argumentation und Handlung nicht länger gesprochen werden. Stattdessen ist es sinnvoller, von einer gemeinsamen Sprache des Politischen auszugehen. d) Das Verhältnis von Obrigkeit und Untertan Maaler hat in seinem Wörterbuch von 15611192 Befehl und Gehorsam als die Kernmerkmale des Verhältnisses von Obrigkeit und Untertan, eines Begriffspaares, in dem die hierarchische Zuordnung der Betroffenen bereits im Wortkörper anschaulich wird, gekennzeichnet. Auch bei Heshusius fehlten, wie gezeigt wurde, diese Begriffe nicht. Jedoch war nach Heshusius der Herrschaftsanspruch der Obrigkeit durch Teilhabeanspruch der Untertanen auf Basis der Dreiständelehre als Herrschafts- und Ordnungskonzept stark begrenzt. Ein gleichberechtigtes Verhältnis im Sinne eines Nebeneinander und Füreinander zwischen den drei Herrschaftsständen in Gestalt von status politicus, status ecclesiasticus und status oeconomicus wurde von Heshuius stattdessen betont. Das heißt, Heshusius maß als zentraler Grundstruktur der Beziehung von Obrigkeit und Untertan der Dreiständelehre eine ausschließliche Bedeutung bei, anstatt die Obrigkeit dem Untertan in autoritärer Form gegenüberzustellen. Im Rahmen des Dreistände-Ordnungsschemas waren Untertanen für Heshusius nicht bloße Objekte im politischen Handeln der Obrigkeit, sondern verfügten über einen Teilhabeanspruch in einem „konsensgestützten“ Herrschaftsmodell. Die kommunikative Wechselseitigkeit der Beziehungen zwischen weltlicher Obrigkeit und Untertanen wurde ebenso wie das Wechselverhältnis von Kirche und Obrigkeit stark akzentuiert. Der Diskurs über aktiven Widerstand und „präventive“ Notwehr bzw. Gegenwehr und Obrigkeitskritik war daher für Heshusius von zentraler Bedeutung. 1191  L. Schorn-Schütte, Politische Kommunikation in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 56), S. 304. 1192  J. Maaler, Spraach (wie Anm. 544), 310. Hier hat er Oberkeit im Sinne magistratus übersetzt. Vgl. V. Seresse, Politische Normen in Kleve-Mark (wie Anm. 219), S. 234. Dort Anm. 517.

338

IV. Das Obrigkeitsverständnis des Tilemann Heshusius

In der Analyse zeigte sich, dass für Heshusius die Formulierung von obrigkeitlichen Mandaten und Befehlen, die gegen das göttliche Gesetz, das Naturrecht und das positive Gesetz oder gegen das Gewissen, die Natur, Gottes Wort, die Vernunft und Gott zu verstoßen schienen, die Untertanen verpflichtete, der Obrigkeit nicht mehr zu gehorchen. Darüber hinaus konnte Heshusius in solchen speziellen Fällen die Untertanen zu „präventiver“ Gegenwehr mit militärischer Gewalt auffordern. Die Obrigkeit, die ihre von Gott auferlegte Schutzaufgabe nicht erfüllte, galt Heshusius als tyrannisch, das Gehorsamsgebot verlor dann seine Gültigkeit. Das Widerstandsrecht beruhte bei Heshusius einerseits auf dem Naturrecht der Notwehr. Andererseits war es christliche Verpflichtung jedes Amtsinhabers sowie jedes amtlosen Untertanen. Drittens bezog sich Heshusius zur Begründung auf die Reichsverfassung. Unsere Analyse hat zeigen können, dass Heshusius’ Ansicht über das Widerstandsrecht im Rahmen der vom allgemeinen Priestertum geprägten Dreiständelehre von grundsätzlicher Natur war, das heißt die Untertanen haben einen ausschließlichen Anspruch auf dieses Recht. Für ihn war das Widerstandsrecht nicht dasjenige Ding, was situationsbedingt abänderbar oder als obrigkeitlicher Akt jederzeit revidierbar sein konnte, sondern vielmehr ein Teilsystem, das eine bestimmte Funktion für das Gesamtsystem erfüllte (siehe oben den Abschnitt IV. 2. c) ii)).

4. Fazit Am Ende dieses ersten Hauptteils sei noch einmal die Frage gestellt, wie Heshusius mit den Obrigkeitsvorstellungen seiner beiden Lehrer umgegangen ist. Das Charakteristikum in den herangezogenen Quellen ist in Bezug auf die Obrigkeitslehre melanchthonisch. Der Name Melanchthon fällt jedoch kaum, schon gar nicht wird Melanchthon als Legitimations­ figur herangezogen. Der Name Luther erscheint dagegen oft. Beide Posi­ tionen werden aber indirekt kritisiert, wie Mager deutlich gemacht hat.1193 Immer wieder beruft sich Heshusius auf Luther, obwohl er in vielen theologischen Punkten, wie z. B. dem Kirchenverständnis, deutlich von ihm Abstand nimmt. Die Ursache hierfür liegt vermutlich darin, dass Melanchthons Stellung im Luthertum der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sehr umstritten gewesen war.1194 1193  Im Folgenden stütze ich mich auf die Darstellung von I. Mager, T. Heshusen (wie Anm. 80), S. 357. 1194  Vgl. J. Wallmann, Das Melanchthonbild im kirchlichen und im radikalen Pietismus, in: U. Sträter (Hg.), Themata Leucoreana (wie Anm. 117), S. 11–24; K. G. Appold, Das Melanchthonsbild bei Abraham Calov (1612–1686), in: U. Sträter (Hg.), Themata Leucoreana (wie Anm. 117), S. 81–91; M. Beyer /  G. Wartenberg (Hg.), Humanismus und Wittenberger Reformation. Leipzig 1996.



4. Fazit339

Abgesehen von einem gemeinreformatorischen Konsens scheinen uns in der auffälligen Betonung des Laientums, in der zunehmenden Herausarbeitung des Gemeindeprinzips, in der Anspielung auf den anfänglichen fürstlichen Notepiskopat, in der Wachsamkeit gegenüber politischen Obrigkeiten, in der Forderung nach Unabhängigkeit des Predigtamtes sowie in der Ablehnung der Auszeichnung einer Obrigkeit als praecipuum membrum eccle­ siae deutliche lutherische Elemente vorzuliegen. Demgegenüber gingen in Heshusius’ Obrigkeitsvorstellung wesentliche Konzepte und Anliegen Melanchthons ein. So die societas-Lehre, die Obrigkeit als vinculum societatis und custos legis im Dekalog und ihre reli­ giöse Sorgepflicht, die antike philosophische Tradition und Tugendlehre (insbesondere die aristotelische politische Ethik und deren Begrifflichkeit), die soziologische Sichtweise auf den Ursprung der Obrigkeit, die Gleichsetzung des natürlichen Rechts mit dem göttlichen Gesetz im Dekalog, die Definition von „Staat“ und Kirche als getrennte soziologische Größen und die Vorliebe für die ecclesia visibilis. Bemerkenswert bleibt also, dass Heshusius sich auch bei den mehr melanchthonischen Elementen seiner Obrigkeitslehre bewusst auf Luther stützte und Melanchthon als Autorität absichtlich gemieden hat.1195 Dessen ungeachtet scheint uns sein Obrigkeitsverständnis ein typisches Beispiel für die nahezu nahtlos vollzogene Synthese der Gedanken beider Reformatoren mit allerdings ausdrücklich melanchthonischer Akzentuierung zu sein.

1195  Dieses Phänomen findet man auch in seiner Amtslehre. Vgl. I. Mager, T. Heshusen (wie Anm. 80), S. 356–357.

V. Heshusius’ praktisch-politische Auseinandersetzung mit den Obrigkeiten. Die Fallstudien 1. Methodische Vorbemerkung Im vorangegangenen Abschnitt haben wir festgestellt, dass die Dreiständelehre als ein Referenzsystem in der Obrigkeitsauffassung Heshusius’ eine zentrale Rolle gespielt hat. Um aber die Rolle, Funktion und Bedeutung dieser lutherischen bedeutsamen politiktheoretischen Linie im Kontext der Neubewertung des Verhältnisses lutherischer Theologie und Geistlichkeit zur Obrigkeit deutlicher herauszustellen und zu würdigen, soll dies, wie oben in der Einleitung erwähnt, an konkreten Auseinandersetzungen ausgeführt werden. Das heißt, wir untersuchen in diesem Abschnitt, ob die Dreiständelehre als eine politische Sprache bzw. als ein operatives Paradigma im Sinne Skinners und Pococks, mit anderen Worten, ob die Dreiständelehre als eine frühneuzeitliche politische Kommunikation1196 in den tagespolitischen Auseinandersetzungen ebenfalls eine wesentliche Rolle spielte, und ob sie ein eigenständiges Modell „konsensgestützter Herrschaft“1197 bzw. eines „konsensgestützten Ratsregiments“1198 in Gestalt wechselseitiger Steuerungsmechanismen des Politischen und Religiösen zur Verfügung stellte. Erst dann kann die Bedeutung der Dreiständelehre in ihrem vollen Umfang gewürdigt werden. 1196  Zum Begriff siehe H. Rosa, Ideengeschichte und Gesellschaftstheorie (wie Anm. 66), S. 197–223; E. Helmuth / C. Ehrenstein, Intellectual History Made in Britain (wie Anm. 66), S. 149–172; Für eine aspektreiche Analyse der frühneuzeitlichen Politikkommunikationsforschung vgl. L. Schorn-Schütte, Einleitung, in: dies., (Hg.), Aspekte der politischen Kommunikation (wie Anm. 56), S. 1–12; dies., Politikberatung im 16. Jahrhundert (wie Anm. 6), S. 49–66; I. Hampsher-Monk, Neuere angloamerikanische Ideengeschichte, in: J. Eibach / G. Lottes (Hg.), Kompass der Geschichtswissenschaft. Göttingen 2002, S. 293–306, v. a. S. 297; H. Münkler, Ideengeschichte (Politische Philosophie), in: O. Jarren u. a. (Hg.), Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch mit Lexikonteil. Opladen 1998, S. 65. 1197  U. Meier / K. Schreiner, regimen civitatis (wie Anm. 51), S. 9–34. 1198  Vgl. W. Mager, Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment, in: L. Schorn-Schütte (Hg.), Aspekte der politischen Kommunikation (wie Anm. 56),



1. Methodische Vorbemerkung341

Die so genannte frühneuzeitliche Politikkommunikation lässt sich – wie Hampsher-Monk in Anlehnung an Ansätze aus der „Cambridge School“ es formuliert – als „Verwendung eines stabilen Deutungsmusters sozialer und politischer Realität, um ein anderes, neues und dennoch stabiles Muster der Deutung zu erzielen bzw. zu erschließen“1199, charakterisieren; oder auch mit Münkler als „Wechselverhältnis zwischen politischer Ordnung und den jeweiligen politischen Normen und Werten bezeichnen“.1200 Dessen sachlicher Kern bestand darin, die spätmittelalterliche Notwehrtradition der weltlichen Obrigkeit und deren Notwehr- und Widerstandsdiskussion mit der Dreiständeordnung als Herrschaftsmodell zu verbinden bzw. darin einzubinden. Ein Kernthema dieses frühneuzeitlichen Kommunikationsprozesses ist insbesondere gewesen, Herrschaft durch Teilhaberecht zu begrenzen. Dieser frühneuzeitliche kommuikative Prozess über die politischen Normen kann in den Debatten um die Legitimität von Gegenwehr, Notwehr oder Widerstand bis hin zum Recht der Obrigkeitskritik sowie in den Debatten um die Form und Notwendigkeit „konsensgestützter Herrschaft“ und schließlich in den Debatten um das Verständnis von res publica evident erkennbar sein. Die Träger dieser frühneuzeitspezifischen politischen Kommunikation waren neben Theologen und Juristen auch politische Entscheidungsträger. Das Netz dieser Kommunikation ist bislang nur in Ansätzen eruiert, die Forschungen dazu stehen erst am Anfang. Auch im Rahmen dieser Untersuchung kann die Analyse nur einen Ausschnitt in den Blick nehmen, der wenige Theologen und Juristen und einige politische Entscheidungsträger erfasst. Der zentrale Untersuchungsgegenstand dafür sind die Auseinandersetzungen zwischen orthodoxen Lutheranern und (Krypto-)Kalvinisten in Bremen und Emden. Der Versuch, am Beispiel der politischen Auseinandersetzungen1201 in Bremen und Emden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die soeben gestellten Fragen durch eine Vergleichsstudie zu beantworten, stützt sich hinsichtlich des ersten Hauptteils darauf, dass zum einen Heshu1199  I. Hampsher-Monk, Neuere angloamerikanische Ideengeschichte (wie Anm. 1196), S. 293–306. Hier S. 297. 1200  So die Definition bei H. Münkler, Ideengeschichte (wie Anm. 1196), S. 65. 1201  Die vier anderen praktisch-politischen Auseinandersetzungen, an denen Heshusius unmittelbar beteiligt war, sind gesondert als Exkurse beigefügt. Dass sie nicht auch im Hauptteil besprochen werden, liegt wie gesagt nicht etwa an der geringeren Bedeutung dieser Auseinandersetzungen, sondern hauptsächlich an mangelndem Quellenmaterial, das deutlich weniger detailliert überliefert ist als das der Beispiele Bremen und Emden. Dennoch werden auch die Konfliktmuster dieser Exkurse nicht nur unsere Forschungsthese zusätzlich stützen, sondern auch einen systematischen Überblick über Verlauf und Inhalt des Dauerkonflikts zwischen Heshusius und den jeweiligen Stadtobrigkeiten erlauben.

342

V. Die Fallstudien

sius an diesen politischen Konflikten unmittelbar oder indirekt beteiligt war und dass zum anderen in seinen Äußerungen zu den Auseinandersetzungen die Dreiständelehre als zentraler Bezugspunkt evident wird, wie bereits gezeigt werden konnte. Heshusius wie auch seine Kontrahenten bedienten sich ihrer beim Räsonnement über Staat, Gesellschaft und Recht einer „poli­ tischen Sprache“. Die Gegner Heshusius’ in Bremen und Emden nutzten die Dreiständelehre als strategische Waffe bzw. als „tactic knowledge“ bei der Durchsetzung der reformierten Konfessionalisierung bzw. Calvinisierung und argumentierten dabei politisch mit dem theologischen Modell des Gleichgewichts der drei Stände. In den konfliktträchtigen Auseinandersetzungen um politische Interessen galt die Dreiständelehre in ihrer jeweiligen Ausdeutung als Legitimitätsnachweis und wirkte insgesamt als Regulativ für das Spannungsverhältnis bzw. den konstitutiven Zusammenhang zwischen politischer Ordnung und den jeweiligen Normen und Werten. Weiterhin zählen die beiden Städte im nordwestdeutschen Küstenraum zu den wenigen deutschen Städten, in denen der Calvinismus auf Dauer Herrschaft erlangte. Über mehrere Jahrzehnte hinweg gehörte Bremen wie Emden zu den wichtigsten und geistig wie politisch aktivsten Zentren des nordwesteuropäischen Reformiertentums; erinnert sei hier z. B. an die Emdener Synode von 1571 und die politische Initiative des hansischen Föderalismus, die vom Bürgermeister Bremens, Dr. Heinrich Kreffting, ausgelöst wurde.1202 Ebenso wie Emden wurde Bremen von zwei tief greifenden ­politischen und gesellschaftlichen Wandelprozessen transformiert, nämlich vom Katholizismus zum Luthertum und dann vom Luthertum zum Calvinismus.1203 Jedoch unterscheidet sich die frühneuzeitliche Entwicklung Bremens wesentlich von jener Emdens, wie Schilling festgestellt hat1204: Während es in Bremen zu einem Reformiertentum ohne Konsistorium mit Bezügen zur lutherischen Magistratskirche kam, konnte sich in Emden die Kirchenzucht durchsetzen und die Kirche teils gegen den Willen, teils mit Hilfe der welt1202  Vgl. W. v. Bippen, Heinrich Kreffting und das engere Bündnis der sechs korrespondierenden Hansestädte, in: Bremisches Jahrbuch 18 (1896), S. 151–174; für eine Kreffting-Biographie vgl. H. Entholt, Bürgermeister Kreffting und seine Familie, in: Bremisches Jahrbuch 29 (1924), S. VII–XII; vgl. auch J. P. Cassel, Historische Nachrichten von dem Leben und Schriften Herrn Heinrich Kreffting [UB Bremen. Brem.c. 1479]. Bd. 2, S. 425–460. 1203  Vgl. J. Moltmann, Christoph Pezel (1539–1604) und der Calvinismus in Bremen (Hospitium Ecclesiae 2), Bremen 1958; F. Iken, Die Wirksamkeit des Christoph Pezelius in Bremen 1580 bis 1604, in: Bremisches Jahrbuch 9 (1871), S. 1–54. 1204  H. Schilling, Reformierte Kirchenzucht als Sozialdisziplinierung?, in: W. Ehbrecht / H. Schilling (Hg.), Niederlande und Nordwestdeutschland (Städteforschung Reihe A / 15), Köln / Wien 1983, S. 261–327. Hier S. 265.



1. Methodische Vorbemerkung343

lichen Obrigkeit Unabhängigkeit und Selbständigkeit neben dem weltlichen Bereich erlangen. Der Emder Kirchenrat konnte sich sogar in Verwaltung, Regierung und Gesetzgebung ein ausgedehntes Betätigungsfeld erschließen, während die reformierte Kirche Bremens ohne eigenes Vertretungsgremium dem Kirchenregiment des Stadtrats unterstand. In Emden mündete darüber hinaus als einzigem Ort innerhalb des Alten Reiches die Dynamik calvinistischer Reformation in eine „Revolution“ ein, die das Verfassungsleben der Stadt und des Territoriums grundlegend veränderte. Dieser geschichtliche Sachverhalt ist umso bemerkenswerter und auffälliger angesichts der Tatsache, dass es sich bei diesem tief greifenden politischen und sozialen Wandel in beiden reformierten Zentren oft um dieselben Träger handelte: Johann Timann, der Verfasser der Bremer Kirchenordnung, und Johann Pelt, Prediger in St. Ansgari in Bremen, welche sich maßgeblich an der Konsolidierung des Luthertums in Bremen beteiligten, haben auch an der Ausarbeitung der Kirchenordung in Emden entscheidend mitgewirkt. Ebenso hat Leo Vassmann, Pastor in St. Stephani in Bremen, der an der Konvertierung des bremischen Kirchenwesens zum Calvinismus beteiligt war, zuvor in Emden gewirkt. Albert Hardenberg, der in Bremen die so genannten „Hardenbergschen Unruhen“1205 ausgelöst und die calvinistische Umgestaltung des bremischen Kirchenwesens mit beeinflusst hatte, wurde nach seiner Entlassung nach Emden berufen und wirkte dort intensiv an der Umgestaltung des emdischen Reformiertentums mit. Gottfried Heshusius, der Sohn Tilemann Heshusius’ und eifriger Verfechter des Luthertums in Bremen, wirkte in Emden auf Seiten des Landesfürsten gemeinsam mit seinem Vater als Verteidiger des Luthertums. Und nicht zuletzt Christoph Pezelius, der bei der Einsetzung und Stabilisierung des calvinistischen Kirchenwesens in Bremen eine zentrale und entscheidende Rolle spielte, beeinflusste auch den Übertritt des emdischen Kirchenwesens zum Calvinismus entscheidend.1206 Dennoch ist die frühneuzeitliche Entwicklung Bremens von jener Emdens zu differenzieren. Es kam in Bremen anders als in Emden nicht zu einem Reformiertentum mit einem eigenständigen Konsistorium, sondern zu einer reformierten Kirche mit lutherischem Kirchenregiment des „Staates“1207. Von außerordentlicher Bedeutung ist, dass die kirchenverfassungsrechtliche Entwicklung Emdens nach 1595, d. h. nach der „Revolution“, wiederum in 1205  Vgl. H.  Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S. 231–252. 1206  Vgl. J. Moltmann, Christoph Pezel (wie Anm. 1203); vgl. auch J. F. Iken, Die Wirksamkeit des Christoph Pezelius (wie Anm. 1203), S. 1–54. 1207  Vgl. O. Veeck, Geschichte der reformierten Kirche Bremens. Bremen 1909, S.  61 ff.

344

V. Die Fallstudien

so traditioneller Form verlief wie eben auch in Bremen und damit schließlich demselben Verlauftypus folgte, der sich seit dem ausgehenden Mittelalter in der stadtbürgerlichen Gesellschaft im Alten Reich durchgesetzt hatte. Die calvinistische Kirche in Emden war also auch zwischenzeitlich keineswegs zu einer selbständigen und von magistratlicher Aufsicht unabhängigen Größe geworden.1208 Diese Tatsache ist für unsere Fragestellung in höchstem Maße interessant und von großer Wichtigkeit, wird sie uns doch dahin führen, die Bedeutung der hier verfolgten Forschungsfragen in ihrem Ausmaß richtig einschätzen zu können. Bei der Analyse der politischen Auseinandersetzungen sollen insbesondere folgende drei Fragen intensiv behandelt werden, um den Ansatz der Cambridge School in unserer Untersuchung deutlicher werden zu lassen bzw. stärker einzubeziehen: Erstens, ob die Dreiständelehre in den zu behandelnden politischen Auseinandersetzungen von den jeweils beteiligten Sozialgruppen allgemein anerkannt, gängig und üblich war und ob diese Gruppen in den Auseinandersetzungen die Dreiständelehre als Argumentationsmuster bzw. Rechtfertigungsfigur verwendeten. Anders formuliert: Wurde mit dem theologischen Modell des Gleichgewichts der drei Stände politisch argumentiert bzw. spielte die Dreiständelehre bei den Auseinandersetzungen um die Verteilung politischer Herrschaft eine Rolle? Zweitens, ob und zu welchen Zwecken die Dreiständelehre instrumentalisiert, verändert bzw. manipuliert wurde. Drittens, worin die paradigmatischen Unterschiede zwischen den Kontrahenten bestanden. Mit anderen Worten, welche unterschiedlichen Paradigmen, das heißt Begriffsnetze, Argumentationsfiguren, Narrationen und Rechtfertigungsideen von den jeweils Beteiligten ins Feld geführt wurden. Um die Dreiständelehre als ein operatives Paradigma zu charakterisieren bzw. den Zusammenhang von politischer Sprache und konkreter Anwendung im politischen Diskurs zu beschreiben, wird schließlich geprüft: Erstens, ob die Dreiständelehre den an den politischen Auseinandersetzungen beteiligten Sozialgruppen Bedeutung und Charakter zuweist. Zweitens, ob und wie sie das politische Denken und Argumentieren der jeweiligen Sozial­ gruppen bestimmt und deren politische Handlungsmöglichkeiten festlegt. Drittens, ob und wie sie als operatives Paradigma für die jeweilige städtische Realität, in der sich die politischen Akteure bewegen, konstitutiv und normativ wirkt. Zusammenfassend kann gefragt werden: Hat die Dreiständelehre das Spannungsverhältnis bzw. den konstitutiven Zusammenhang zwischen politischer Ordnung und den jeweiligen politischen Normen und Werten intensiviert und gesteuert? 1208  Vgl. H. Schilling, Reformation und Bürgerfreiheit, in: B. Möller (Hg.), Stadt und Kirche im 16. Jahrhundert (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 190), S. 128–161. Hier S. 160.



1. Methodische Vorbemerkung345

Um aber eventuelle Missverständnisse zu vermeiden, seien hier ausdrücklich drei Punkte betont: a) Es geht bei der Fragestellung keineswegs darum zu untersuchen, ob der Ansatz der Cambridge School für eine bestimmte Epoche bzw. Auseinandersetzung der deutschen Geschichte taugt und ob die Dreiständelehre nur ein Beispiel für diesen methodischen oder metatheoretischen Punkt ist, sondern es geht hier in erster Linie um die Dreiständelehre, also um eine ideengeschichtliche Frage, die da lautet: Wie wichtig war die Dreiständelehre und wie wurde sie eingesetzt? Der Ansatz der Cambridge School ist demzufolge nur die Methode bzw. das Instrument, das für dieses Ziel, die Bedeutung der Dreiständelehre in der politiktheoretischen Geschichte der Frühneuzeit hervorzuheben, verwendet wird. b)  Bei der Untersuchung geht es, wie in der Einleitung angedeutet, nicht so sehr darum zu analysieren, wie soziale und politische Interessen die Deutung der Dreiständelehre beeinflusst haben (oder umgekehrt). Es ist sicherlich eine reizvolle Aufgabe herauszufinden, ob und wie die politische Sprache sich mit den politischen Interessen ihrer Anwender ändert oder umgekehrt, d. h. den Aspekt der Anpassung der politischen Sprache an veränderte politischen Strukturen zu untersuchen. Es geht in dieser Studie viel­ mehr darum, ob der Dreistände-Diskurs insgesamt als konsistentes Ideen­ gebäude angewendet wurde. Die äußerst interessante Analyse der Wechselbeziehung von der Dreiständelehre und dem gesellschaftlichen Wandel bleibt vorerst ein Desiderat. In den politischen Auseinandersetzungen, die im Folgenden nachgezeichnet werden sollen, ließen sich überdies zweifelsohne personelle, sozialgeschichtliche und politische Bezüge zwischen den einzelnen Diskussionen nachweisen. Diese sind bisher nicht erforscht und gerade deswegen ein essentieller Teil der Aufgaben des vorliegenden Forschungsprojekts, das eben gerade die Verbindung von theologischer Deutung und realhistorischer Konfliktanalyse zum Thema hat. a) Der Begriff „Politische Sprache“1209 Eine „Politische Sprache“ im Sinne Skinners und Pococks ist in erster Linie als ein Paradigma im Sinne des Wissenschaftshistorikers Thomas 1209  Die folgende erläuternde Skizze zum Begriff der politischen Sprache erfolgt wesentlich nach: H. Rosa, Ideengeschichte und Gesellschaftstheorie (wie Anm. 66), S. 197–223; ders., Operatives Paradigma und objektiver Geist, in: A. Reckwitz /  H. Sievert (Hg.), Interpretation, Konstruktion, Kultur, Opladen / Wiesbaden 1999, S. 158–180; ders., Paradigma und Wertbeziehung, in: M. Sukale / H. J. Wendel (Hg.), Logos. Zeitschrift für systematische Philosophie 2 (1995); E. Helmuth / C. Ehrenstein,

346

V. Die Fallstudien

Kuhn zu charakterisieren, nämlich als großer Traditionszusammenhang, innerhalb dessen bestimmte Regeln der Argumentation, bestimmte Textstrukturen und Textsorten vorherrschen, der kognitiv fundiert ist und normativen (bindenden und regelhaften) Charakter hat. Deshalb ist eine solche politische Sprache keineswegs nur als abstrakt-theoretisches Paradigma zur Beschreibung der sozialen und politischen Wirklichkeit zu interpretieren, sondern als ein operatives oder moralisches Paradigma, das Autoritäts- und Wertestrukturen einer Gesellschaft bestimmt, die Grundlage des sinnhaften, intelligiblen und rationalen Verhaltens bildet1210 und durch dessen intersubjektivnormative Dimension politische Handlungen oder Zustände implizit als erstrebens- oder empfehlenswert bzw. als negativ charakterisiert werden, indem es die entsprechenden sozialen Phänomene mit einer handlungsleitenden Bedeutung ausstattet, d. h. die politische und soziale Praxis eines Gemeinwesens konstituiert und legitimiert. In kognitiver Hinsicht kann ein solches Paradigma als „System“ von Überzeugungen ontologischer, erkenntnistheoretischer und methodologischer Natur verstanden werden, durch das die generellen Ziele, Möglichkeiten und legitimen Vorgehensweisen politischen und sozialen Handelns festgelegt werden. Ebenso definiert und produziert es in diesem Verständnis die politisch und sozial zu bearbeitenden relevanten Fragen sowie das Spektrum überhaupt möglicher Antworten darauf, was als legitimer Lösungsweg gelten könne. Implizit enthalten sind in einer solchen politischen Sprache auch ontologische Annahmen über den Aufbau der politischen und sozialen Welt und die in ihr vorhandenen Einheiten sowie eine Konzeption dessen, was wichtig ist oder worauf es ankommt im politischen Gemeinwesen. Entscheidend ist dabei allerdings, dass ein solches Paradigma nicht über formal­ logische und theoretische Regeln, Systeme und Entwürfe konstruiert wird, sondern dass zunächst immer von konkreten sozio-politischen Lösungen, d. h. einzelnen paradigmatischen Musterbeispielen (exemplars) ausgegangen wird.1211 Des Weiteren ist eine solche politische Sprache als das verbindende Zentralelement zu verstehen, welches die politische Theorie und die politische Intellectual History Made in Britain (wie Anm. 66), S. 149–172; M. Richter, Zur Rekonstruktion der Geschichte der Politischen Sprachen (wie Anm. 66), S. 134–174; J. G. A. Pocock, Die andere Bürgergesellschaft. Frankfurt a. M. / New York 1993.; L. Hampsher-Monk, Neuere angloamerikanische Ideengeschichte (wie Anm. 1196), S. 293–298; L. Schorn-Schütte, Neue Geistesgeschichte, in: J. Eibach / G. Lottes (Hg.), Kompass der Geschichtswissenschaft (wie Anm. 1196), S. 270–280; K. Palonen, Die Entzauberung der Begriffe. Das Umschreiben der politischen Begriffe bei Quentin Skinner und Reinhart Koselleck (Politische Theorie 2), Münster 2004. 1210  H. Rosa, Paradigma und Wertebeziehung (wie Anm. 1209), S. 74–75. 1211  H. Rosa, Ideengeschichte und Gesellschaftstheorie (wie Anm. 66), S. 160 f.



1. Methodische Vorbemerkung347

Praxis bzw. das politische Denken und Handeln in einen wechselseitig konstitutiven Zusammenhang bringt und operativ, handlungsleitend oder auch handlungsblockierend in die Gesellschaft wirkt, in der es deren Beziehungsgeflecht, Rollen und Identitäten sowie die Matrizen psychischer Mobilisierung und damit politischer Handlungsmöglichkeiten festlegt.1212 Sie ist ein Medium, in dem politische Theorie oder politiktheoretisches Denken operiert bzw. umgesetzt wird und mit dessen Hilfe die historischen Akteure miteinander kommunizieren und den Gebrauch ihrer Sprache metasprachlich reflektieren können. Sie wirkt als ein Diskurssystem, in dessen vorgegebenem Rahmen sich die beteiligten Akteure mit ihren Äußerungen prinzipiell halten müssen.1213 Abgesehen von revolutionären Umbruchsituationen, in denen es keine dominante politische Sprache mehr gibt, werden alle Argumente in der dominanten politischen Sprache vorgebracht, um Gehör zu finden. Eine politische Sprache umfasst dabei nicht nur die Elemente eines grundlegenden gesellschaftlichen Konsenses, sondern schafft zugleich die Voraussetzungen für das Auftreten von Konflikten und „Cleavages“, indem sie erst den Bezugspunkt für unterschiedliche politische Programme und Forderungen liefert und den Rahmen politischer Auseinandersetzungen konstituiert. Sie kann ganz bestimmte politische Probleme erzeugen bzw. definieren, zu deren Lösung dann Regeln, Verfahren und Institutionen bereitgestellt werden. Zugleich ermöglicht sie die Einordnung politischer Gruppierungen in ein Richtungsspektrum, wozu beispielsweise die rationalen politischen Richtungsbegriffe rechts oder links dienen. Sie gibt Werte und Autoritätsstrukturen einer politischen Gemeinschaft vor, bestimmt legitime und illegitime politische Handlungsweisen und vermittelt durch das strikte Sozialisations- und Erziehungsmuster das ihr angemessene Weltbild und sichert sogar eine bestimmte Wahrnehmungsweise der politischen und sozialen Welt.1214 Sie ist, wie Rosa bemerkt, auf drei unterschiedlichen Ebenen gesellschaftlich und politisch wirksam: Sie impliziere erstens jeweils eine Reihe von Überzeugungen und Erwartungen hinsichtlich des Wesens und der Aufgabe von Politik und Gemeinschaft, von sozialer und politischer Ordnung, welche dann, zweitens, in der rechtlichen Verfassung und den institutionellen Arrangements eines politischen Gemeinwesens wirksam werden, die schließlich, drittens, wiederum die konkreten politischen und sozialen Handlungsweisen bestimmen.1215 1212  Ebd.

S. 200. Helmuth / C. Ehrenstein, Intellectual History Made in Britain (wie Anm. 66), S. 159. 1214  H. Rosa, Ideengeschichte und Gesellschaftstheorie (wie Anm. 66), S. 200. 1215  Ebd. S.  160 ff. 1213  E.

348

V. Die Fallstudien

Der Begriff „politische Sprache“ ist ferner als eine Art objektiver Geist zu verstehen, welcher jenes normative Feld an Bedeutungen und Begriffen aufspannt, das den sozialen Praktiken ihren Sinn und ihre Gestalt verleiht. Doch sie kann ebenso wenig unabhängig von einer konkreten sozialen Wirklichkeit existieren, wie diese ohne die sie konstituierenden Begriffe auskommt. Sie wird deshalb wirkmächtig und realitätskonstituierend, nicht nur und nicht in erster Linie dadurch, dass sie unmittelbaren Zwang auf die Ausbildung von individuellen Identitäten, Überzeugungen und Handlungsweisen ausübt, sondern dadurch, dass sie – als „tacit knowledge“ – deren unüberschreitbaren Rahmen darstellt und deren Möglichkeitsraum definiert.1216

2. Bremen a) Die Hardenbergschen Unruhen (1547–1568) aa) Die soziale und politische Konstellation in ihren Grundzügen Der folgenschwere Streit um die Abendmahlslehre, die sog. „Hardenbergschen Unruhen“,1217 die im Jahre 1547 durch den Prediger Albert Hardenberg1218 begannen und erst nach zwei Jahrzehnten, im Jahre 1568, mit einem umfassenden Vertragswerk zwischen Rat und Erzbischof endeten, gliedert 1216  H. Rosa,

169.

Ideengeschichte und Gesellschaftstheorie (wie Anm. 66), S. 168–

1217  Zu historischen Einzelheiten aus allgemeingeschichtlicher Sicht vgl. W. v. Bippen, Geschichte der Stadt Bremen. 3 Bde. Bd. 2. Bremen 1898, S. 147–194; ders., Bericht Daniels von Büren über die bremischen Vorgänge im Januar 1562, in: Bremisches Jahrbuch 17 (1895), S. 181–193; J. H. Duntze, Geschichte der freien Stadt Bremen. Bd. 3. Bremen 1848, S. 222–290; H. Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S. 231–252. Aus dem biographie- und kirchengeschichtlichen Gesichtspunkt, C. Rottländer, Der Bürgermeister Daniel von Büren und die hardenbergschen Religionshändel. Diss. Göttingen 1892; B. Spiegel, Albert Rizäus Hardenberg (Bremisches Jahrbuch 4), Bremen 1869; E. Wagner, Dr. Albert Hardenbergs im Dom zu Bremen geführtes Lehramt und dessen nähere Folgen. Bremen 1779. Aus dem juristischen Blick: H. Engelhardt, Der Irrlehreprozess gegen Albert Hardenberg 1547–1561. Diss. Frankfurt / M. 1961; ders., Das Irrelehreverfahren des niedersächsischen Reichskreises gegen Albert Hardenberg (wie Anm. 696), S. 33–62; ders., Der Irrlehrstreit zwischen Albert Hardenberg und dem Bremer Rat, in: Hospitium Ecclesiae 4 (1964), S. 29–52. Aus der theologischen Sichtweise: W. Jansen, Albert Hardenberg als Theologe. Profil eines Bucer-Schülers. Leiden / New York / Köln 1994; ders., Albert Rizäus Hardenberg und sein Wirken als Domprediger 1547–1561, in: Hospitium Ecclesiae 22 (2003), S. 43–53. 1218  Die umfassendste Biographie Hardenbergs bietet immer noch B. Spiegel, D. Albert Rizäus Hardenberg (wie Anm. 1217).



2. Bremen349

sich in zwei Perioden: Zuerst der Sturz und Niedergang des Luthertums (1547–1562). Die fünf lutherischen Geistlichkeiten, die Anhänger Hardenbergs von der Kanzel aus bekämpft hatten, wurden ihrer Ämter enthoben und schließlich ins Exil geschickt. Aus Protest verließen in der Kar- und Osterwoche 1562 drei Bürgermeister, 16 Ratsherren und ihr Anhang, im ganzen etwa 150 Bürger, die Stadt. Damit bereitete sich die reformierte Konfessionalisierung Bremens strukturell wie inhaltlich vor.1219 Zum Zweiten die Auseinandersetzung zwischen exilierten und dagebliebenen Ratsherren (1562–1568), die durch den Verdener Vertrag vom 3. März 1568 ihren endgültigen Abschluss fand. Der Domprediger Albert Ritzäus Hardenberg verbreitete seit 1547 trotz heftiger Kritik von Seiten der lutherischen Geistlichkeit Bremens seine kryptocalvinistische Abendmahlslehre. Stellvertretend für die lutherische Geistlichkeit forderte Johann Timann (um 1500–1517) in seiner bereits 1550 verfassten Schrift1220 den Rat auf, diesen Gotteslästerer zu entfernen. Der Rat wollte ihn verbannen, nicht nur aus theologischen Motiven, sondern auch aus politischen Beweggründen: Gemäß dem 1555 verkündeten Augsburger Religionsfrieden waren außer der alten Religion nur die Anhänger der Augsburger Konfession reichsrechtlich anerkannt. Da Hardenberg selbst die Unterschrift unter die geänderte Augsburger Konfession von 1530 verweigerte und damit den Boden des Religionsfriedens verließ, befürchtete der Rat, durch seine Duldung selbst den Schutz des Religionsfriedens zu verlieren. Um das Verhältnis zu Kaiser und Reich zu bestärken und reichsrechtliche Sicherheit zu schaffen, wollte und musste der Rat gegen Hardenberg vorgehen. Darüber hinaus beabsichtigte der Rat, durch die Beseitigung Hardenbergs auch den Einfluss des Erzbischofs zu mindern oder ganz auszuschalten. Bremen war zu diesem Zeitpunkt nicht reichsunmittelbar. Es unterstand grundsätzlich der landesherrlichen Gewalt des Erzbischofs. Im Laufe der Jahrhunderte hatte die Stadt allerdings eine faktisch selbständige Stellung errungen, die durch eine Reihe von Privilegien gestärkt worden war. Trotzdem hatte der Erzbischof seine oberhoheitlichen Ansprüche keineswegs aufgegeben. Für seine hoheitlichen Bestrebungen bildeten Dom 1219  Vgl. H.  Engelhardt, Der Irrlehreprozess gegen Albert Hardenberg (wie Anm. 1217); ders., Der Irrlehrstreit zwischen Albert Hardenberg und dem Bremer Rat (wie Anm. 1217), S. 29–52. 1220  Etliche warhafftige weissagung /  vnd fürneme spruche des Ehrwirdigen Vaters /  hern Doctor Martini Luthers /  des dritten Heile /  vom trübsam /  abfal /  finsternisen /  oder aber verfelschungen reiner Lere /  so Deutschlandt künfftigliche nach seinem tode /  widerfaren solle. 1552 Magdeburg [HAB yv 1614 8° Helst.(3)] Im Folgenden Etliche weissagung; ein lateinisch verfasstes Exemplar „Prophetiae aliquvot vere […] Magdeburgae 1552“ findet sich unter Signatur [WLB, Theol. Oct. 321].

350

V. Die Fallstudien

und Domkapitel die zentralen Machtmittel in der Stadt. Für den Rat bedeutete dieser „Staat im Staate“ eine dauernde Bedrohung. So ist das Vorgehen des Rates gegen Hardenberg, der einen Rückhalt in Erzbischof und Kapitel fand, zugleich als Kampfmaßnahme gegen die landesherrlichen Mächte zu werten, deren Einfluss auf die Stadt der Rat möglichst beseitigen wollte. Schließlich gab es auch handelspolitische bzw. wirtschaftliche Beweggründe. König Christian III. (1503–1559), der von den Hansestädten Lübeck, Hamburg und Lüneburg auf den Religionsstreit hingewiesen worden war, nahm die Angelegenheit ernst und forderte in seinen Briefen vom 13. April und 17. Mai 1557 und auch 18. Januar 1558 den Bremer Rat nachdrücklich auf, Hardenbergs Entfernung zu veranlassen, wobei er dem Rat androhte, dem bremischen Handel schweren Schaden zuzufügen, indem er den bremischen Schiffen den Zugang zur Ostsee versperren würde. Da der Wohlstand Bremens und damit seine politische Unabhängigkeit von einem erfolgreichen Seehandel abhingen, musste der Rat die gewünschte politische Maßnahme gegen Hardenberg durchführen.1221 Jedoch konnte der Rat die Entlassung Hardenbergs nicht durchsetzen. Dies lag zum einen – wie bereits erwähnt – an den begrenzten Stadtbefugnis­ sen,1222 eben weil Hardenberg nicht dem Rat, sondern dem Erzbischof und dem Domkapitel unterstand. Zum anderen aber auch an der starken innerstädtischen Opposition, weil Hardenberg nicht nur von der kryptocalvinistisch gesinnten oppositionellen Ratsminderheit, darunter Bürgermeister Daniel von Büren und die vier Ratsherren Dierich Schriver,1223 Johann Brand, Brun Reiners und Hermann Vasmer, sondern auch von der handwerklichen Mittel- und Unterschicht Rückhalt erhielt. Als der Rat aus diesen innen- und außenpolitischen sowie juristischen Gründen zögerte, kirchenpolitische Maßnahmen gegen Hardenberg zu treffen, forderte Timann erneut in seiner 1555 verfassten Schrift „Farrago“1224 den Rat auf, Hardenberg aus der Stadt zu weisen. In dieser Auseinandersetzung konvergieren zum einen der seit dem 12. Jahrhundert bestehende und seit der Einführung der Reformation und dem Aufstand der 104 Männer (1530–1532) sich weiter zuspitzende außen1221  Vgl. H. Engelhardt, Der Irrlehrestreit zwischen Albert Hardenberg und dem Bremer Rat (wie Anm. 1217), S. 32–33. 1222  Die Religionshoheit der Stadt erstreckte sich grundsätzlich nur auf die Stadtkirchen, nicht auf den Dom. Vgl. H. Engelhardt, Der Irrlehrestreit zwischen Albert Hardenberg und dem Bremer Rat (wie Anm. 1217), S. 35. 1223  Dieser ist allerdings Anfang 1561 gestorben. Vgl. W. v. Bippen, Bericht Daniels von Büren über die bremischen Vorgänge im Januar 1562 (wie Anm. 1217), S. 185. 1224  Farrago sententiarum consentientium in vera et catholica doctrina de coena domini, collecta per Joh. Timannum Amsterodamum, Pastorem Bremensem in Ecclesia Martiniana. Francof. 1555 [UB Bremen, Brem.c. 670]. Im Folgenden Farrago.



2. Bremen351

politische Herrschaftskonflikt zwischen dem Landesherrn und dem stadtbürgerlichen Autonomie- und Freiheitsstreben des Bremer Rates, zum anderen der innenpolitische Herrschaftskonflikt zwischen dem Kräftedreieck aus Rat, Geistlichkeit und Bürgerschaft in Gestalt der Elterleute und der Ämter, die ihren traditionellen Machteinfluss in der Außen- und Innenpolitik verteidigten, und schließlich auch der konfessionspolitische Konflikt zwischen lutherischer Ratsmehrheit und kryptocalvinistisch gesinnter Ratsminderheit sowie der soziale Konflikt zwischen der kaufmännischen Oberschicht und der handwerklichen Mittel- und Unterschicht. (1) Der außenpolitische Konflikt Bremen unterstand seit dem Privileg Arnulfs von 888 und der Übertragung der königlichen Besitzungen und Rechte an Adaldag 937 der Herrschaft der Bremer Erzbischöfe und war als Territorialstadt im Erzstift Hamburg-Bremen verfassungsrechtlich dem Erzbischof unterstellt.1225 Innerhalb des Erzstifts war die Stadt Bremen ein Landstand neben Stade und Buxtehude.1226 Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts war Bremen Hauptstadt der Erzdiözese Hamburg-Bremen und Sitz des Domkapitels. Doch zeigen sich bereits seit der Mitte des 12. Jahrhunderts aufgrund der wirtschaftlichen Stärke die ersten Ansätze eines politischen Selbstbewusstseins der bremischen Bürgergemeinde, z. B. in den Versuchen der Stadt, die Reichsunmittelbarkeit zu erhalten.1227 Bereits 1159 trat die Bürgergemeinde als handelnde Körperschaft in Erscheinung. 1220 schlossen die „cives Bremenses“ ihren ersten nachweisbaren auswärtigen Vertrag. 1225 wurden die Bremer Bürger vom Zoll bei der erzbischöflichen Burg Bremervörde befreit. Unter den Zeugen der darüber ausgestellten Urkunde finden sich zum ersten Mal Ratsherren (consules). In den achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts überschritt Bremen erstmals die engeren Stadtgrenzen zur Gewinnung von Stützpunkten im erzbischöflichen Territorium.1228 Der Rat dehnte seine Herrschaft auf 1225  Zum Folgenden H. Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S. 18–26 und 40–65; T. Hill, Die Stadt und ihr Markt. Bremens Umlands- und Außenbeziehungen im Mittelalter (Vierteljahrschrift für Sozialund Wirtschaftsgeschichte. Beihefte 172), München 2004, S. 234–262. 1226  Zur Struktur der bremischen Landstände, ihrem Verhältnis zum Landesherrn und ihrer Teilhabe an der Landespolitik vgl. Handbuch der niedersächsischen Landtags- und Ständegeschichte Bd. 1: 1500–1806 (Hg.), Bei der Wiedern Brage (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 216), Hannover 2004, S. 23–32; 205–229. 1227  H. Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S.  45 ff. 1228  Ebd. S. 46–146.

352

V. Die Fallstudien

mehrere Dörfer und Landstriche im Gebiet um die Stadt herum aus und übte hier hoheitliche Rechte aus.1229 In die Zeit der erfolgreichen Territo­ rialpolitik des Rates um 1400 fiel der Bau des gotischen Rathauses an der Nordseite des Marktplatzes. Das alte Rathaus zwischen der Sögestraße und dem Liebfrauen-Kirchhof entsprach nicht mehr den Ansprüchen und dem Repräsentationsbedürfnis eines zu freiheitlicher Macht gelangten Stadtrates. Der Neubau wurde bereits 1410 vollendet.1230 Beim Eintritt in die frühe Neuzeit hatte die Stadt Bremen praktisch den Status einer Freien Stadt. Sie war faktisch keine Territorialstadt des Erzbischofs mehr, da sie dessen Herrschaftsrechte zum größeren Teil beseitigen konnte oder diese auf den Rat übergegangen waren. Dennoch geriet Bremens Autonomie- und Freiheitsstreben durch die nominelle Stadtherrschaft des Erzbischofs immer wieder ins Stocken, denn der Erzbischof hatte seine oberhoheitlichen Ansprüche keineswegs aufgegeben. Deshalb hatte die Stadt Bremen noch nicht die Anerkennung als Reichstadt erwerben können, obwohl sie zwischen den Jahren 1431 und 1481 auf der Städtebank-Liste in den Reichsmatrikeln erschienen war.1231 Durch die erfolgreiche Einführung der Reformation1232 1522 wurde dieser außenpolitische Konflikt nicht verringert, sondern ganz im Gegenteil zugespitzt. Zum machtpolitischen Gegensatz trat nun noch ein ideologischer Konflikt hinzu. Bereits 1525 wurde in den Bremer Kirchen der alte Ritus beseitigt, der Dom jedoch blieb katholisch. Bremen schloss sich 1529 der Speyerer Protestation der evangelischen Stände an – konnte aber als Landstadt für sich kein Selbstbestimmungsrecht in Religionsfragen in Anspruch nehmen.1233 Die Stadt verband das Gesuch daher mit einer Klage gegen den Erzbischof vor dem Reichskammergericht und beabsichtigte, mit ihrem Territorium aus dem Erzstift gelöst, dem Reich unterstellt und damit eine freie Reichsstadt zu werden. Dies scheiterte jedoch. Die eingeschränkte Stadtherrschaft des Erzbischofs blieb weitgehend unbestritten.1234

1229  Ebd.

S. 87–88. Stein, Romanische, Gotische und Renaissance-Baukunst in Bremen. Bremen 1962, S. 240 ff. 1231  H. Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S. 345–346. 1232  Ebd. S. 171–184. 1233  Vgl. H. Engelhardt, Der Irrlehrestreit zwischen Albert Hardenberg und dem Bremer Rat (wie Anm. 1217), S. 35 ff. 1234  H. Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S. 171–184. 1230  R.



2. Bremen353

(2) Der innerstädtische Herrschaftskonflikt zwischen dem Kräftedreieck (a) Kräfteverhältnisse zwischen Rat und Bürgerschaft Der innenpolitische Konflikt zwischen dem Rat und der oppositionellen Bürgerschaft in Gestalt der kaufmännischen Elterleute,1235 der handwerklichen Ämter und der Gemeinde, die auf ihre traditionelle Teilhabe an der Herrschaft pochten und sogar eine erweiterte Beteiligung aufgrund ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beanspruchten, ähnelte dem in den Reichstädten.1236 Wie in einer Vielzahl von anderen Städten, entwickelte sich der Rat in Bremen im 12. und 13. Jahrhundert aus einem Ausschuss der Bürger, der sich einerseits mit städtischen Verwaltungsangelegenheiten, andererseits mit der Vertretung städtischer Interessen gegenüber äußeren Gewalten, insbesondere den Stadtherren, befasste und dessen Versammlungsprinzip auf genossenschaftlicher Grundlage der „universitas civitatis“ stand.1237 Im Rat saßen während des 13. und auch zu Beginn des 14. Jahrhunderts nicht nur eine Reihe von Ministerialen und Bürgern ministerialischer Abkunft, die sich aber bald auf Kaufmannschaft umstellten, sondern auch Handwerker. In Bremen haben also Ministerialität, Kaufmannschaft und Handwerker Anteil am städtischen Ratsregiment gehabt.1238 Die Ratsfähigkeit war ursprünglich nicht beschränkt. Im 13. Jahrhundert konnte der Bremer Rat nicht selbstherrlich normative Satzungen und Verfügungen erlassen oder Verträge schließen. Er war in allen die Stadt betreffenden Angelegenheiten an die Zustimmung bzw. Mitwirkung von Vogt und Gemeinde gebunden, wobei der Stadtvogt allerdings allmählich verdrängt wurde. In den städtischen Interna, den Gemeinangelegenheiten, urkundeten und siegelten Rat und Gemeinde gemeinsam. Der Rat war eine von der Gemeinde beauftragte Instanz, die im Namen der Gemeinde urkundete und siegelte. Die Bürgerschaft hatte noch ein reales Mitbestimmungsrecht bei der Regelung der 1235  R. Prange, Die bremische Kaufmannschaft des 16. und 17. Jahrhunderts in sozialgeschichtlicher Betrachtung (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen 31), Bremen 1963, S. 58–80. 1236  Bremens innenpolitischer Konflikt ähnelte dem in den Reichsstädten, vgl. O. Brunner, Souveräntitätsproblem und Sozialstruktur in den deutschen Reichsstädten der frühen Neuzeit, in: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 50 (1963), S. 329–360. 1237  Zum Folgenden vgl. T. Hill, Die Stadt und ihr Markt (wie Anm. 1225), S. 234–251. 1238  Vgl. B. Scheper, Frühe bürgerliche Institutionen norddeutscher Hansestädte. Köln / Wien 1975, S. 121 ff.

354

V. Die Fallstudien

inneren und äußeren Angelegenheiten der Stadt. Das galt nicht nur für die Wählbarkeit der Handwerker, sondern auch für die Kaufleute. Doch auch in Bremen wie in der Mehrzahl anderer Städte im Alten Reich nahm der Entwicklungsprozess von der so genannten „städtischen Willkür“ zur „Ratswillkür“ seinen Lauf. Um bzw. kurz vor 1350 vollzog sich in Bremen eine gewichtige verfassungsrechtliche Änderung, die von hohem Belang für die Ausbildung der Ratsgewalt war, nämlich die Einrichtung der „Wittheit“, die sich aus den zwei Dritteln der jeweils nicht im Eide sitzenden Ratmänner zusammensetzte. Mit der Einrichtung der Wittheit wurde das Zustimmungs- bzw. Mitwirkungsrecht der Gemeinde abgeschafft, so dass die genossenschaftliche Grundlage der „universitas civitatis“ faktisch gegenstandslos und zur leeren Formel wurde, obschon sie keineswegs aus den Urkunden verschwand. Zugleich trat an die Stelle der Wahl des Ratsherren das Prinzip der Selbstergänzung. Seit 1366 war die Ratsherrschaft in Bremen gefestigt wie nie zuvor.1239 Diese einschneidende Neuerung des Rats zur Erweiterung bzw. Konsolidierung der Vollmächtigkeit konnte sich dennoch in der Praxis nur schwer durchsetzen, was sich in den Bürgererhebungen von 1330, 1359 und 1366 erwies, durch welche die Wahl eines neuen Rates immer wieder erzwungen wurde. Unter dem massiven Druck der Bürgerschaft musste das scheinbar unumschränkte Ratsregiment doch der Bürgergemeinde das Mitwirkungsrecht bei den Ratswahlen zugestehen. Es waren zwar keine ausgesprochen revolutionären Akte, aber doch deutliches Indiz dafür, dass die Bürgerschaft ihr Mitspracherecht bei den Ratswahlen sowie ihr Mitbestimmungs- und Kontrollrecht in allen wichtigen Stadtangelegenheiten unter Berufung auf das genossenschaftliche Prinzip fixiert haben wollte. Auch nach der so genannten Ratswahlordnung von 1398, durch die dem Rat sogar die Kooptation1240, d. h. das Selbstergänzungsrecht, verfassungsrechtlich eingeräumt wurde, auf Grundlage dessen er gegenüber den gemeindlich-genossenschaftlichen Tendenzen seinen umfassenden Herrschaftsanspruch schließlich durchsetzen konnte,1241 wurde die innerstädtische Realität nur allmählich von diesem Statut geprägt. Letztlich wurde dennoch im Stadtrecht von 1433 durchgesetzt, dass für einen Ratsherren-Kandidaten 100 Bremer Mark Grundbesitzvermögen gefordert waren; hinzu kamen neben der bisherigen einen Mark für die Abtragung der städtischen Rentenschuld vier Mark für die Stadtmauer sowie die Finanzierung eines Gastmahls für 1239  Ebd.

S.  127 ff. Selbstergänzung in den Seestädten, M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1956, S. 755–773. 1241  Vgl. H.  Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S. 114. 1240  Zur



2. Bremen355

die ganze Wittheit inklusive Schreibern, Boten und Dienern des Rates. Mit diesen Festlegungen wurde die politische Macht und Einflussnahme der Bürgergemeinde faktisch beendet. Das Ratskollegium wurde exklusiver denn je und nicht nur zum dominierenden, sondern faktisch zum einzigen Regierungsorgan, das alle wesentlichen Befugnisse in Legislative, Justiz und Exekutive an sich gezogen hatte. Dennoch scheint das Verfassungsmodell der „Ratswillkür“ in der Praxis kaum vollständig umgesetzt worden zu sein. Im November 1427 entstand wieder eine ernsthafte Verfassungskrise,1242 die durch außenpolitische Schwierigkeiten ausgelöst wurde. Die Bürgergemeinde forderte 1428 ein neues Stadtrecht, an dessen Ausarbeitung ein neu gewählter Rat der Sechzehn (vier Vertreter je Kirchspiel) sowie je vier Elterleute der Kaufmannsund Handwerkerämter beteiligt waren. Im 5. Buch dieser Verfassung von 1428 verankerte die Bürgerschaft das Recht, den Rat jährlich neu zu wählen. Die Ratsfähigkeit rekurrierte allerdings allein auf den ökonomischen Erfolg der freien Bürger und nicht auf ihre Zugehörigkeit zum Patriziat.1243 So setzte sich der Rat im Wesentlichen aus dem Umkreis der vermögenden Kaufleute, insbesondere der Fern- und Großhändler, zusammen, da nur sie finanziell in der Lage waren, ein Ratsmandat wahrzunehmen. Rein rechtlich waren Handwerker aber keineswegs ausgeschlossen.1244 Das Stadtrecht von 1433, durch welches die Grundsätze der Ratswahl­ gesetze, die bis ins 19. Jahrhundert im Wesentlichen unverändert blieben, festgelegt wurden, bestärkte den Konsolidierungsprozess der Ratsgewalt: Der Rat sollte sich aus vier Bürgermeistern und 24 Ratsherren zusammensetzen – geteilt in vier Viertel zu je einen Bürgermeister und sechs Ratsherren.1245 Halbjährlich sollte ein Viertel des amtierenden Rates rotieren. Alle Mitglieder des Rates sollten ihr Amt auf Lebenszeit bekleiden und Nachwahlen nur für ausgeschiedene Ratsherren stattfinden. Zur Wahl sollte je ein 1242  D. R. Ehmck / W. v. Bippen (Hg.) Bremisches Urkundenbuch. Bremen 1876 ff. Bd. II, Nrn. 248, 250, 251, 261. Im Folgenden BUB. 1243  Vgl. F. Seven, Die Bremer Kirchenordnung von 1534 – Ihre reformatorische Bedeutung und kirchenrechtliche Tragweite, in: Hospitium Ecclesiae 21 (1998), S. 25–72. Hier S. 27. 1244  Zum Beispiel Gert Puttemann, 1562 in den Rat gewählt, war der Sohn eines Schwertfegers; Jacob Sanders, 1580 Ratsherr, war der Sohn eines Schmieds. Vgl. R. Prange, Die bremische Kaufmannschaft (wie Anm. 1235), S. 113. 1245  Zu dieser innerstädtischen Auseinandersetzung vgl. E. Pitz, Bürgereinung und Städteeinung. Studien zur Verfassungsgeschichte der Hansestädte und der deutschen Hanse (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte 52), Böhlau 2001, S. 164–172. Hierin belegt er eindrucksvoll den neuen Forschungsbegriff der „konsensgestützten Herrschaft“ von Meier und Schreiner durch viele Beispiele, was eine Zuordnung von Bremens Ratsregiment zum „städtischen Republikanismus“ unplausibel macht.

356

V. Die Fallstudien

Ratsviertel einen Wahlmann („Koherr“) auslosen. Die vier so bestimmten Wahlmänner sollten im Ratsstuhl eingeschlossen werden. Die Wahl durfte auf keine Person fallen, die mit einem Ratsherrn eng verwandt war. Im Falle einer Pattsituation sollte aus der Wittheit, d. h. dem gesamten Ratskollegium, ein Ratsherr als zusätzlicher Wahlmann ausgelost werden. Die Bedingungen für die Ratsfähigkeit waren wie in der Ratswahlordnung von 1398 geregelt (also freie und eheliche Geburt, 100 Mark Grundbesitzvermögen in der Stadt, eine Mark zur Abtragung der Stadtschuld, vier Mark zum Bau der Stadtmauer, Ausrichtung eines großen Gastmahls).1246 Durch den festgelegten Wahlmodus stand dem Rat erneut die Kooptation zu und der Rat konnte sich wiederum vollmächtig einsetzen. Dieser Konsolidierungprozess der Ratssouveränität geriet allerdings bald wieder durch politische Offensiven der Bürgergemeinde in eklatanten Widerspruch zur stadtpolitischen Realität.1247 Die Exklusivität des Ratskollegiums blieb nicht lange bestehen. Dieser Zusammenhang gilt auch für die Zeit nach der Einführung der Reformation 1522.1248 Der Etablierungsprozess der Ratsmacht setzte sich gegenüber den gemeindlich-genossenschaftlichen Tendenzen der Bürgergemeinde nie vollständig durch, sondern resultierte immer wieder in dem Kompromiss einer gleichberechtigten Kräftebalance. Zum Zeitpunkt der Einführung der Reformation hatte der Rat keineswegs eine dominante, bestimmende Rolle inne, sondern musste vielmehr defensiv autonome Aktivitäten der Bürgergemeinde gewähren lassen. Die erste Predigt des Heinrich von Zütphen und auch die Fortsetzung seiner Predigttätigkeit beispielsweise geschahen zwar nicht ohne Wissen und Kontrolle des Rates; die Initiative dazu ging jedoch nicht vom Rat aus, sondern von der Bürgergemeinde.1249 Die Position der Bürgergemeinden in der Frage des Kirchenwesens war 1523 so stark, dass bereits ein Zehnerausschuss1250 durch Gemeindewahl mit Bestätigung des Rates gebildet werden konnte, um die Reformation in Bremen voranzutreiben. So wurden weitere evangelische Prediger berufen, unter ihnen 1524 Jacob Probst1251 und 1525 Johann Ti1246  Vgl. H.  Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 999), S. 114. 1247  BUB (wie Anm. 1242) IV, Nr. 227, S. 296. Dazu H. Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 1205), S. 107 ff. 1248  Vgl. J. F. Iken, Die erste Epoche der Bremischen Reformation 1522–1529, in: Bremisches Jahrbuch 8 (1876), S. 41–113. 1249  Vgl. H.  Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S. 171 ff. 1250  Ebd. 1251  Für Biographisches vgl. H. Q. Janssen, Jacobus Praepositus, Amsterdam 1862; zu seinen Schriften vgl. O. Rudolff, Jacob Probst, in: Hospitium Ecclesiae 14 (1985).



2. Bremen357

mann.1252 Das Verhältnis zwischen Rat und Bürgergemeinde zum Zeitpunkt der Reformation kann nach Seven1253 so zusammengefasst werden: Der Rat weiß sich zuständig für die ordnungsgemäße Einführung der Reformation in der Stadt und nimmt das ius speculari und das ius visitationis wahr, demgegenüber bestätigt der Rat den Bürgergemeinden mit der freien Predigerwahl ihr ureigenstes Kollegialrecht. Mit der freien Predigerwahl waren die Kirchspielgemeinden in der Besonderheit ihres geistlichen Wesens und mit dem Bestätigungsrecht für den Rat als „souveräne“ Obrigkeit anerkannt worden. Diese Art gleichberechtigter Kräftebalance, mit der sich Rat und Bürgergemeinde im reformatorischen Prozess rechtlich aufeinander zu bewegt hatten und derart ihre jeweiligen eigentümlichen Ansprüche einlösen konnten, wurde bald gestört, und zwar sowohl durch den Herrschaftsanspruch des Landesherrn und des Rates als auch durch den weiteren Mitwirkungsanspruch der politischen Vertretung der Bürgergemeinde. In Erscheinung trat dieser Konflikt in einer Bürgerbewegung, die sich bis zur Ermordung eines Komturs des Deutschen Ritterordens und bis zu einer kurzfristigen Verfassungsänderung steigerte und schließlich in den sog. „Aufstand der 104“ in den Jahren 1530–1532 mündete.1254 Aus den Forderungen der Bürgergemeinde lassen sich die verschiedenen Ursachen dieses verfassungspolitischen Wirrens erschließen: allgemeine soziale und wirtschaftliche Unzufriedenheit der Mittel- und Unterschicht auch bezüglich der Nutzung der Bürgerweide, Antiklerikalismus, der soziale Gegensatz zu den vornehmen Ratsherren und der privilegierten Oberschicht der Kaufmannschaft und Gutsbesitzer und auch des Komturs des Deutschen Ritterordens. Es ging letztendlich um den politischen Anspruch der Mittel- und Unterschicht von Handwerkern und Kleinhändlern, aber auch von Mitgliedern der kaufmännischen Oberschicht, die politisch ins Abseits geraten waren, auf ihre bürgerrepublikanische politische Teilhabe an der Herrschaft und ihren gleichberechtigten Status gegenüber dem sich durch Selbstergänzung immer wieder erneuernden Rat und der Oberschicht der Kaufmannschaft. Dement1252  Zu Johann Timann vgl. J. H. Pratje, Altes und Neues aus den Herzogthümern Bremen und Verden 4. Stade 1771, S. 99–128; zu seinen Schriften vgl. O. Rudolff, Johann Timanns Sermon „Von Christlicher Freiheit und Menschengeboten“ (1533) und der „Unterricht der Visitatoren“ (1528), in: Hospitium Ecclesiae 18 (1991), S. 117–154; Johannes Amsterdamus Bremensis als Kirchenrechtler, in: M. Heckel (Hg.), Gesammelte Aufsätze (Jus Ecclesiasticum 74), Tübingen 2004, S. 448–512. 1253  Vgl. F. Seven, Die Bremer Kirchenordnung von 1534 (wie Anm. 1243), S. 32. 1254  Vgl. H.  Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S. 185–206; Der Bericht des Ratssekretärs Jacob Louwe über den Aufstand der 104 Mannen, in: StA B 2-E.6.b.1.

358

V. Die Fallstudien

sprechend gehörten zu den Gegnern der Aufstandsbewegung neben den Kapitelherren, dem Komtur des Deutschen Ritterordens, vornehmen Ratsherrn und Gutsbesitzern auch die wirtschaftlich erfolgreichen Fern- und Großhändler, obwohl sich die Bewegung selbst zum Teil aus Kaufleuten rekrutierte.1255 Am Anfang der Auseinandersetzung stand der Streit um die Bürgerweide,1256 doch ab 1532 entwickelte sich daraus ein Verfassungskonflikt. Am 2. Januar 1532 versammelte sich die ganze Gemeinde unter Leitung von Johann Dove, einem Goldschmied. An Stelle des Vierzigerausschusses, der für die Weideangelegenheit zuständig war, wurden nach Lübecker und Hamburger Vorbild 104 Männer ausgewählt, aus jedem der vier Kirchspiele 26, die in allen städtischen Angelegenheiten mitbestimmen sollten. Unter dem Druck der auf dem Domshof versammelten Menge musste der Rat die Mitbestimmung der 104 anerkennen und am 13. Januar eine für die bremische Verfassungsgeschichte bedeutsame Urkunde besiegeln,1257 in der die Rechte der 104 festgeschrieben wurden. Den 104 wurde das politische Mitwirkungsrecht, vor allem bei der Kontrolle der städtischen Finanzen, eingeräumt; auch wurde die wirtschaftliche Macht des Großhandel treibenden Kaufmanns begrenzt. Am 7. Februar wurden die Elterleute des Kaufmanns gezwungen, das Vermögen und das Haus des Kaufmanns, den Schütting, der Gemeinde zu übergeben.1258 Mit Wirkung der Urkunde trat das Regiment der 104 neben das des Rates. Damit war die Vollmacht des Rats zugunsten einer konsensuellen Mitwirkung der Kirchspielgemeinden am Stadtregiment faktisch gebrochen. Mit der Besetzungsaktion vom 24. März 1532 wurde im Dom der evangelische Gottesdienst eingeführt. Damit beanspruchten die 104 Männer auch erzbischöfliche Rechte für die Stadt. Diese Zuspitzung der bürgerlichen Macht­ usurpation führte schließlich dazu, dass die Bürgerbewegung aus innen- und außenpolitischen Gründen scheiterte: Zum einen war die Stellung Bremens im Reich durch die Einführung des evangelischen Gottesdienstes im Dom gefährdet. Zum Zweiten verließen vier Bürgermeister und einige Ratsherren sowie die Prediger Johann Timann und Jakob Probst – d. h. das ordentliche Regiment sowie die von der Gemeinde bestellten Prediger – die Stadt, sodass sich die politische und geistliche Unsicherheit in der Stadt verschärfte. 1255  H. Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S. 185–206. 1256  Zu historischen Einzelheiten über den Streit um die Bürgerweide 1530–1532 vgl. H. Schwarzwälder, Geschichte der Bremer Bürgerweide, in: Bremisches Jahrbuch 48 (1962), S. 139–202. Hier S. 162–172. 1257  StA B 2-E.6.b.3. 1258  StA B 2-E.6.b.3. Bl. 55.



2. Bremen359

Zum Dritten begann die Bürgerbewegung mit dem gezielten Angriff auf die Kaufmannschaft bzw. der Übernahme von deren Genossenschaftshaus allmählich unter die Herrschaft der Handwerker zu geraten, was zur Folge hatte, dass dem Regiment der 104 von den Bürgergemeinden das Vertrauen entzogen wurde.1259 Durch das Scheitern der Bürgerbewegung wurde die Herrschaft des Rates als vollmächtiger Rat wiederhergestellt. Auch wurde der Erzbischof als Stadtherr erneut anerkannt. Die alte Verfassung mit ihren Elementen des vollmächtigen Rats und des Prinzips der Selbstergänzung wurde in einem großen Vertragsdokument, der so genannten „Neuen Eintracht“, restituiert; die darin festgelegte obrigkeitliche Relation zwischen Rat und Bürgergemeinden wurde dabei noch verschärft, indem die Versammlungsfreiheit eingeschränkt und die Vereinigung zur politischen Erörterung und Interessenvertretung untersagt wurde.1260 Der Bürgerschaft stand nach dieser „Eintracht 1534“ nur dann ein Mitspracherecht zu, wenn der Rat ausdrücklich darum ersuchte. (b) D  ie Kräftekonstellation zwischen Rat, Geistlichkeit und Bürgerschaft Diese verfassungsmäßige Erweiterung der Herrschaftskompetenz des Rates setzte sich in der Praxis wiederum nicht durch, aufgrund der Ansprüche der neuen Sozialgruppe der Prediger und auch wegen der Bürgergemeinde, die weiterhin um ihre stadtrepublikanische politische Partizipation am Stadtregiment kämpfte. Vielmehr wurde in der von Johan Timann1261 entworfenen Kirchenordnung von 1534,1262 die auch vom Rat eine rasche Bestäti1259  Vgl. F. Seven, Die Bremer Kirchenordnung von 1534 (wie Anm. 1243), S. 37–38. 1260  Zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit vgl. StA B 2-E.6.a. Bl. 14 ff.; H. Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S. 185–206. 1261  Er war auch der Verfasser der Ostfriesischer Kirchenordnung von 1529 und Lipper Kirchenordnung von 1538. Siehe dazu A. Sparengler-Ruppenthal, Johannes Amsterdamus Bremensis als Kirchenrechtler, in: M. Heckel (Hg.), Gesammelte Aufsätze (Jus Ecclesiasticum 74), Tübingen 2004, S. 448–512. 1262  Zur Bremer Kirchenordnung von 1534 vgl. J. F. Iken, Die Bremer Kirchenordnung von 1534 (Bremisches Jahrbuch 2) Serie II. Bremen 1891; dazu A. Kühtmann, Die Bremische Kirchenordnung von 1534, in: Bremisches Jahrbuch 8 (1876), S. 115–143; F. Seven, Der Aufstand der 104 Männer und die Bremer Kirchenordnung von 1534, in: Bremisches Jahrbuch 64 (1986), S. 15–31; ders., Die Bremer Kirchenordnung von 1534 (wie Anm. 1243), S. 25–72; B. Heyne, Von der Kirchenordnung 1543 zur Kirchenverfassung 1920, in: Hospitium Ecclesiae 7 (1971), S. 7–35; A. Sparengler-Ruppenthal, Untersuchungen zur Bremer Kirchenordnung

360

V. Die Fallstudien

gung erhielt, erneut ein tragfähiger Kompromiss zur Kräftebalance gefunden. Es kam zu einer rechtlichen Stabilisierung des gerade in den verfassungspolitischen Unruhen problematisch gewordenen Verhältnisses zwischen Rat, Geistlichkeit und Bürgerschaft in Richtung eines geordneten, gleichberechtigten, gleichrangigen Miteinanders von weltlichem und geistlichem Bereich. Wie Gerhold1263 und Seven1264 richtig bestimmen, ist der Rat zwar der rechtliche Garant des Kirchenwesens, übt jedoch seine Aufgabe nicht als Inhaber des Kirchenregiments, sondern nur als ein Glied der Kirche aus.1265 Von einer Stellung des Rats als einem „Notbischof“ kann deshalb keine Rede sein. Nur in einer Hinsicht war eine direkte Mitwirkung des Rates bei der Ordnung innerkirchlicher Angelegenheiten vorgesehen, nämlich bei der Wahl der Prediger.1266 Die Gemeinde hielt ihre Autonomie in der freien Wahl ihrer Prediger. Die rechtliche Garantie des Rats wurde aber gerade darin wirksam, dass er frei gewählte Prediger bestätigte. Die freie Predigerwahl durch die Gemeinden geschah nach einem Wahlverfahren, an dem jedoch nicht die ganze Gemeinde, sondern nur die Baumeister und Kirchengeschworenen beteiligt waren.1267 Nach Seven entwickelte sich an diesem Punkt die Kirchenordnung der vorreformatorischen Laienverwaltung in Bremen einfach weiter; konstant blieb auch die Aufgabe der Baumeister, denen die Verwaltung des Gemeindevermögens und auch die ordnungsgemäße Besoldung der Prädikanten aus der kirchlichen Vermögensmasse und eventuellen Kirchensteuergeldern oblag. Der Rat nahm seine Aufsichtspflicht durch das Amt des Superintendenten wahr, über den die Kirchenordnung freilich nur einzelne seiner Funktionen mitteilt: Der Superintendent beaufsichtigt die Prediger und ihre Wahl durch die Gemeinden, er ist zuständig für die Examinierung und Visitation der Landprediger und verpflichtet sich zur Abhaltung lateinischer Vorlesungen für seine Kollegen. Im Unterschied zu vielen Kirchenordnungen von Bugenhagen wurde der Superintendent nicht im Zusammenspiel von Rat und Predigern gewählt, sondern vom Rat eingesetzt und war zugleich Pfarrer in der Kirche „Unser Lieben Frauen“. von 1534 (wie Anm. 1261), S. 374–447. Zur juristischen Bedeutung und Dimension der Kirchenordnung im Allgemeinen vgl. K. Sichelschmidt, Recht aus christlicher Liebe oder obrigkeitlicher Gesetzesbefehl? (Jus Ecclesiasticum 49), Tübingen 1995. 1263  W. Gerhold, Die Verfassung der Bremischen Evangelischen Kirche. Diss. Hamburg 1931, S. 38 ff. Im Folgenden Die Verfassung der Bremischen. 1264  F. Seven, Die Bremer Kirchenordnung von 1534 (wie Anm. 1243), S. 38 ff. 1265  W. Gerhold, Die Verfassung der Bremischen (wie Anm. 1263), S. 38–39. 1266  „Darna denn alse frame unde gelerde, truwe dener des evangeli erwelet syn […] dorch des carspels buwemesters unde vorordeten borgern, nicht ane /  willen /  unde /  volworth des erbaren rades unde superrattendentes.“ Abdruck bei J. F. Iken, Die Bremer Kirchenordnung von 1534 (wie Anm. 1262), Cap. I. 2. 1267  Ebd.



2. Bremen361

Zur Unterstützung sieht die Kirchenordnung im Anschluss an Bugenhagen das Amt des Koadjutors vor. Erster Superintendent in Bremen war Jakob Probst, das Amt des Koadjutors soll Johann Timann ausgeübt haben.1268 Diese Verschiedenheit der Kompetenzen hat ihren Sinn darin, dass Rat, Prediger und Bürgergemeinde aufeinander angewiesen waren. Es handelte sich dabei keineswegs um eine gewaltengeteilte Herrschaft bzw. eine Art Gewaltenteilung zwischen Rat, Geistlichkeit und Bürgerschaft, in der dem Rat Jurisdiktion und Administration obliegen und Gesetzgebung und Kon­ trolle über die Stadtfinanzen der Bürgerschaft und Geistlichkeit zugeordnet werden. Vielmehr kann dieses Regiment als eine konsensuelle Herrschaft charakterisiert werden, in der ein Gleichgewicht zwischen Rat, Geistlichkeit und Bürgergemeinde immer wieder austariert wird. Damit weist die Kirchenordnung von 1534 eindrucksvoll auf die Bedeutung der Dreistände­ lehre als Kirchenverfassungsprinzip und politisches Ordnungsprizip hin. Die Dreiständelehre spielte für die Ordnung des neuen Kirchenbaus und die Zuordnung der Funktionen aller drei Verfassungskräfte eine zentrale Rolle1269: Die Gemeinde bedarf der äußeren Durchsetzung der Kirchenordnung durch den Rat, indem die Ordnung städtisches Recht wird, und der Rat bedarf demgegenüber einer sachgerechten Kirchenordnung, insofern es zu seinen obrigkeitlichen Verpflichtungen nach weltlichem Gesetz gehört, für die rechte Predigt des Wortes Gottes zu sorgen. Damit ist auch zu erklären, weshalb der Rat die Prediger gebeten hat, die Kirchenordnung in Wittenberg überprüfen zu lassen: Der Rat wollte damit nur seiner Verantwortung für die rechte Predigt des Wortes Gottes gerecht werden und ließ die Prediger seines obrigkeitlichen Bereiches durch eine höhere geistliche Instanz kontrollieren.1270 Die Kirchenordnung garantierte jedoch den Landgemeinden keine Gemeindeautonomie im Sinne der freien Predigerwahl: Landprediger wurden einfach vom Rat eingesetzt. Hier machte sich der strukturell vorreformatorische Unterschied zwischen Stadtgemeinden mit entwickelter Laienverwaltung und Landgemeinden mit direkter Unterordnung unter Kirchherr und 1268  Jacob Probst von 1534–1559, wahrscheinlich kommissarische Leitung 1559– 1561; Tilemann Heshusius 1559 für ein halbes Jahr; Simon Musäus von 1561–1562; Marcus Mening von 1571–1584; Christoph Pezel von 1584–1605. In der Zeit von 1562–1570 war die Stelle des Superintendenten in Bremen vakant. Vgl. W. v. Bippen, Geschichte der Stadt Bremen (wie Anm. 1217), Hier Bd. 2 S. 98, 153, 157, 198, 205. 1269  Vgl. K. Köhler, Die altprotestantische Lehre von den drei kirchlichen Ständen (wie Anm. 207), S. 99–150; A. Franz, Evangelische Kirchenverfassung in den deutschen Städten des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 207), S. 33–38. 1270  F. Seven, Der Aufstand der 104 Männer (wie Anm. 1262); ders., Die Bremer Kirchenordnung von 1534 (wie Anm. 1243), S. 34–42.

362

V. Die Fallstudien

Dompropst weiter geltend. In dieser Frage erweist sich die Dreiständelehre auch nicht als entwickeltes soziales Strukturprinzip, sondern zeigt ausschließlich ständebewahrenden Charakter.1271 Die bischöfliche Macht blieb in Bremen dadurch unmittelbar präsent, dass diese Kirchenordnung nur für die vier Stadtkirchen, nicht aber für den Dom galt und die Rechte des Domkapitels und der capitula inferiora nicht tangiert wurden.1272 Zu beachten ist weiterhin, dass Kirchenordnung bzw. Dreiständelehre nicht nur das Verhältnis zwischen Rat und Gemeinde bestimmte, sondern darüber hinaus auch das zwischen Prediger bzw. geistlichem Ministerium und der Gemeinde unter Berufung auf die strikte Trennung von geistlichem und weltlichem Regiment. Sie unterstützt und begründet das geistliche Regiment und den Gehorsam der Gemeinde: Das Predigtamt ist das geistliche, von Christus gestiftete Regiment, dem die Gemeinde Gehorsam schuldet. Es ist das geistliche Regiment, das ohne die äußeren Zwangsmittel der weltlichen Obrigkeit allein durch das Wort Gottes regiert. Ziel der Kirchenordnung ist es gerade, dieses Wesen des geistlichen Regiments voll zur Geltung zu bringen. Mit allem Nachdruck wird die äußere Unterstützung vonseiten der weltlichen Obrigkeit für die regimentliche Tätigkeit des Predigers gefordert. Die Stellung der Prediger bzw. des geistlichen Ministeriums gegenüber den Kirchspielgemeinden, die durch die sozialen Unruhen in Bremen aufs Äußerste gefährdet schien, wurde nun mit dieser Kirchenordnung gestärkt. Nicht die Prediger waren der Gemeinde Rechenschaft schuldig, wie es das Regime der 104 von ihnen verlangt hatte, sondern umgekehrt die Gemeinde den Predigern.1273 Die so genannte Institutionalisierung des geistlichen Amtes bzw. Ministeriums als dritte Verfassungskraft vollzog sich also bereits zu diesem Zeitpunkt in der Bremer Stadtverfassung. In den letzten Jahren hat die moderne Stadtgeschichtsforschung für das Ratsregiment in der spätmittelalterlichen Stadt den Begriff der „konsensgestützten Herrschaft“1274 entwickelt und dabei insbesondere auf die Bedeutung hingewiesen, die der Mitwirkung und Teilhabe der Korporationen, also der Zünfte und Kaufmannsgilden, und der Gemeinde bei der Wahl des Rates zukam, ohne dass die kontinuierliche Besetzung der Ratsämter durch eine kleine, relativ geschlossene Elite bezweifelt worden wäre. In Städten 1271  L.

Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 54), S. 393. Seven, Der Aufstand der 104 Männer (wie Anm. 1262), S. 15–31; ders., Die Bremer Kirchenordnung von 1534 (wie Anm. 1243), S. 34–42. 1273  Dazu vgl. F. Seven, Die Bremer Kirchenordnung von 1534 (wie Anm. 1243), S. 34–42. 1274  U. Meier / K. Schreiner, Regimen civitatis (wie Anm. 52), S. 9–34. Vgl. auch W. Mager, Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment, in: L. Schorn-Schütte (Hg.), Aspekte der politischen Kommunikation (wie Anm. 56), S. 13–122. 1272  F.



2. Bremen363

wie Köln, Nürnberg oder Augsburg bestanden zumindest Große Räte oder „Bürgerausschüsse“, die als Vertreter der Gesamtgemeinde Kontroll- und Einspruchsrechte in Steuerfragen, bei Stadtrechtsänderungen etc. wahrgenommen haben. Ulrich Meier und Klaus Schreiner haben hinsichtlich der Rolle des Rates innerhalb dieser Herrschaftsordnung festgestellt, dass sich die regierenden Ratsherren durchaus nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen konnten. Sie hätten die Legitimität ihrer Amtsführung immer neu unter Beweis stellen müssen. Das reichte von konkreten Kontrollen ihrer Entscheidungen in Krisenfällen über die Anhörung des Großen Rates in wichtigen Angelegenheiten bis hin zur jährlich zelebrierten – und nicht immer problemlos verlaufenden – Ratserneuerung. Jede Verletzung des Konsenses hatte Folgen. Protest setzte sich im – nicht seltenen – Extremfall auf der Straße fort. Diese Deutung der spätmittelalterlichen Stadtunruhen ist jüngst von Ernst Pitz eindrucksvoll gestützt worden.1275 Er betont, dass in den niederdeutschen Städten auf der Grundlage des Einigungsrechtes der Rat nur dank des Einvernehmens mit der Gemeinde vollmächtig und nach außen handlungsfähig gewesen sei. Gerade am Beispiel zahlreicher Bürgerunruhen in norddeutschen Städten zwischen 1340 und 1458 zeige sich, dass der Rat seine Herrschaft immer nur im Einklang mit der Gemeinde wiederherstellen und ohne das Einverständnis der Stadt nicht regieren konnte. Erst Rat und Gemeinde im Verein konstituierten eine praktisch lebensfähige und rechtlich vollkommene Stadtgemeinde. Dieses Modell soll nun nicht nur wie von Hill1276 für den Zeitraum im Spätmittelalter, sondern auch auf das frühneuzeitliche Bremen angewendet werden. Auch auf das Ratsregiment Bremens in dem von ihm untersuchten Zeitraum solle und könne der Begriff „konsensgestützte Herrschaft“ bezogen werden, obwohl in Bremen nur bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts ein ausdrücklicher Konsens der Gemeinde zu Ratsbeschlüssen überliefert ist und es keinen Großen Rat oder „Bürgerausschuss“ gegeben hat, sondern seit Mitte des 14. Jahrhunderts die Wittheit (mit den nicht im Eide sitzenden Ratsherren), welche die Entscheidungen des Rats legitimierte und damit im eigentlichen Sinne konsenstiftend wirkte, da der Rat, wie sich oben gezeigt hat, nur in Rückbindung an die Bürgerschaft politisch handeln konnte. Tat1275  E.

Pitz, Bürgereinung und Städteeinung (wie Anm. 1245), S. 65–245. Hill, Die Stadt und ihr Markt (wie Anm. 1225), S. 235–291 bes. S. 250; Die Forschungen zum Mittelalter machen ebenso die Realität „konsensgestützter Herrschaft“ immer deutlicher. Vgl. dazu B. Schneidmüller, Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: P.-J. Heinig / S. Jahns / H.-J. Schmidt / R. C. Schwinges / S. Wefers (Hg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit (Historische Forschungen 67), Berlin 2000, S. 53–87. Die gegenwärtige Frühneuzeitforschung betont in zunehmendem Maße die „Nicht-Existenz“ des traditionellen Absolutismus. Vgl. dazu zuletzt H. Duchhardt, Die Absolutismusdebatte – eine Antipolemik, in: HZ 275. 2002, S. 323–332. 1276  T.

364

V. Die Fallstudien

sächlich konnte der Rat nur unter Mitwirkung und Teilhabe der Korpora­ tionen, also der Gemeinde, Ämter und Kaufmannsgilden und vor allem der Geistlichkeit regieren. Hammel-Kiesow stellt somit zu Recht fest, dass die Gemeinde in Bremen im hier interessierenden Untersuchungszeitraum oberstes Organ der Stadt gewesen sei, aufgrund ihrer Größe aber nicht mehr selbständig handeln konnte, sondern nur über ein eigenes Initiativrecht verfügte. Der Rat konnte also nicht anders handeln, als die Gemeinde wollte, wobei sich seine Zustimmung in der Regel durch Stillschweigen äußerte.1277 In Bremen bestimmte die Rechtsfigur der Identität das Verhältnis von Rat und Gemeinde. Wie in anderen niederdeutschen Städten war auch im nordwestdeutschen Bremen auf der Grundlage des Einigungsrechtes der Rat zur Kooperation mit der Gemeinde gezwungen, wie Ernst Pitz demonstriert hat.1278 Die Bürgergemeinde beanspruchte immer wieder Kontroll- und Einspruchsrechte bei wichtigen politischen Fragen, und ihr Protest konnte im Extremfall zu einem Regimentswechsel führen. Die Bürgerunruhen von 1530–32 zeigen besonders deutlich, dass der Rat seine Herrschaft immer nur im Einklang mit der Gemeinde wiederherstellen und ohne ihren Konsens die Stadt nicht regieren konnte. Bei wichtigen politischen Grundsatzentscheidungen wie z. B. der „Neuen Eintracht“ von 1534, der Bewilligung der Kirchenordnung von 1534 und der Einführung der Reformation wirkten Gemeinde und Geistlichkeit immer mit. Zudem war das Ratsregiment angehalten, nicht nur die rechtlich verbrieften Privilegien, sondern auch die allgemein als berechtigt eingeschätzten Interessen der Gemeinde, der Kaufmannsgilde und der Ämter zu beachten und zu schützen. Auch wenn der Rat gravierende politische Fehler beging, wurde die Ratsherrschaft selbst nie in Frage gestellt. Bei den Bürgerprotesten ging es darum, Fehlentwicklungen auf Seiten des Rates zu korrigieren und im Sinne des „Einigungsrechts“ die Eintracht zwischen Rat und Gemeinde wiederherzustellen, wie sich dies in der folgenden Darstellung der „Hardenbergschen Unruhen“ zeigen wird.1279 1277  R.

Hammel-Kiesow, Die Hanse. München 2004, S. 70 f. Pitz, Bürgereinung und Städteeinung (wie Anm. 1245), S. 164–172. 1279  Es ist darauf hinzuweisen, dass die heutige Forschung zu den niederdeutschen Städten, etwa zu Goslar, Lübeck, Hamburg und Lüneburg, noch überwiegend das Deutungskonzept Schillings, den „städtischen Republikanismus“, verwendet. Vgl. H. Schilling, Gab es im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit in Deutschland einen städtischen „Republikanismus“ (wie Anm. 51), S. 101–143. Die hier vorgelegte Untersuchung soll zeigen, dass das Deutungskonzept von Ulrich Meier, das „konsensgestützte Ratsregiment“, der frühneuzeitlichen Wirklichkeit Bremens eher entspricht. Vgl. U. Meier / K. Schreiner, Regimen civitatis (wie Anm. 52), S. 9–34. 1278  E.



2. Bremen365

Die nun geschaffene Kräftebalance zwischen den drei Verfassungskräften wurde in den folgenden Jahrzehnten wiederholt gestört, und zwar sowohl durch den Herrschaftsanspruch des Rates als auch durch den Mitwirkungsanspruch der Bürgergemeinde, insbesondere der handwerklichen Mittel- und Unterschicht. Im Jahre 1555 ergänzte der Rat die Bestimmung der Visita­tion in der Kirchenordnung von 1534 dahingehend, dass er dem geistlichen ­Visitator zwei Ratmänner zur Seite stellen ließ, die so genannten Kirchenvisitatoren. Damit beschränkte der Rat die Kompetenz des Superintendenten.1280 Später wurde, wie aus Quellen vom Anfang des 17. Jahrhunderts hervorgeht,1281 die Visitation vom Rat allein durchgeführt, der zwei Mitglieder aus seinem Kreis abstellte, die im Übrigen allgemein für die politische Regelung der kirchlichen Angelegenheiten zuständig waren. Auf den Anspruch der politischen Teilhabe der handwerklichen Mittel- und Unterschicht, der sich in dem erzwungenen Ratswechsel bzw. fast revolutionären Sturz der lutherischen Ratsmehrheit am 19. Januar 1562 deutlichen Ausdruck verschaffte und damit den Übergang zum Calvinismus vorbereitete, soll noch eingegangen werden. (3) Der konfessionspolitische Konflikt Seit 1544 zeichnete sich der konfessionspolitische Konflikt zwischen den lutherischen und den kryptocalvinistisch orientierten Ratsherren ab; letztere wollte ihre politische Einflussnahme im Rat noch vergrößern. Die Stellung der Lutheraner – Ratsherren und kaufmännische Elterleute – hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits gefestigt. Die Kirchenordnung von 1534 hatte die Realpräsenz aus der potestas ordinis argumentativ abgeleitet.1282 Der Anteil der zugewanderten lutherischen Kaufleute an der Stadtverwaltung dürfte groß gewesen sein.1283 Einige dieser Zugewanderten gelangten sogar in den Rat. Doch mit der Berufung Hardenbergs zum Domprediger wurde die Stellung der Lutheraner problematisch. Denn Hardenberg und die kryptocalvinistisch gesinnten Ratsherren wurden sowohl vom Erzbischof und dem 1280  Aktennotiz zum Beschluss des Rats über Einrichtung einer gemeinsamen christlichen der Kirchengüter 1551, StA B 2-Q.1.b.1.; Liste der Kirchenvisitatoren: StA B 2-Q.1.b.1. Nr 2.; ausführlich dazu J. F. Iken, Die früheren Kirchen und Schulvisitationen des Bremer Rats im Landgebiete, in: Bremisches Jahrbuch 17 (1895), S. 100–127. 1281  Gravamina ministerii Bremensis proposita exhibita DD visiotaroibus ut eas ad Senatum referunt 1601. StA B 2-T.2.a.1. (Ministerialakten) Nr 7. Im Folgenden Gravamina; vgl. F. Seven, Die Bremer Kirchenordnung von 1534 (wie Anm. 1243), S. 44. 1282  Vgl. F. Seven, Die Bremer Kirchenordnung von 1534 (wie Anm. 1243), S. 47; A. Sprengler-Ruppenthal, Bremer Kirchenordnung von 1534 (wie Anm. 1262), S.  416 ff. 1283  R. Prange, Die bremische Kaufmannschaft (wie Anm. 1235), S. 58–80.

366

V. Die Fallstudien

Domkapitel als auch von der Masse der mittleren und unteren Bürgerschichten unterstützt.1284 Damit sind die sozialen und politischen Konstellationen angesprochen, die zum Zeitpunkt der Hardenbergschen Unruhen in Bremen herrschten und in die der Konflikt um die Abendmahlslehre eingewoben war. Offen zu Tage traten die jeweiligen Koalitionen in der Auseinandersetzung um die Abendmahlslehre, wobei die lutherische Geistlichkeit die lutherische Ratsmehrheit unterstützte, wohingegen die kryptocalvinistische Ratsminderheit zusammen mit den handwerklichen Mittel- und Unterschichten den Domprediger Albert Hardenberg unterstützte. Die hier sichtbar werdenden Verbindungen zwischen der lutherischen Geistlichkeit und den lutherischen Ratsherren einerseits und dem Domprediger Hardenberg, dem kryptocalvinistisch gesinnten Bürgermeister Daniel von Büren, vier weiteren Ratsherren sowie der handwerklichen Mittel- und Unterschicht andererseits zeigen den Verlauf der Konfliktlinie an. Die auf die Stärkung der obrigkeitlichen Stellung beharrende lutherische Ratsmehrheit verband sich mit der lutherischen Geistlichkeit gegen die den Zentrierungsbestrebungen des Erzbischofs mehr oder weniger zuarbeitenden Kräfte in Rat und Domkapitel, die eine größere Einflussnahme in der Politik beanspruchten, gestützt von einer Mittel- und Unterschicht,1285 welche ihre traditionelle, politische und wirtschaftliche Lebensordnung wiederherzustellen suchte. bb) Die politische und soziale Kräftekonstellation aus sozialgeschichtlicher Sicht Die obige Skizzierung unter allgemeingeschichtlichem Aspekt machte die Kräftekonstellation bei der Auseinandersetzung um die Abendmahlslehre deutlich. Diese zunächst noch thesenhafte Skizzierung soll im Folgenden aus sozialgeschichtlicher Sicht noch detaillierter und differenzierter dargestellt werden, denn dieser politische Konflikt in Bremen um die Mitte des 16. Jahrhunderts hängt mit den zeitgenössischen sozioökonomischen Verhältnissen eng zusammen. Insbesondere verlief die Grenzziehung zwischen den Ständen in Bremen in erster Linie nach der Höhe des jeweiligen Vermögens und Einkommens, wie sich im Folgenden zeigen wird. Wie in der Bremer Historiographie einschlägig dargestellt, entstand die politische und soziale Zäsur der Hardenbergschen Unruhen nicht aufgrund 1284  H. Schwarzwälder,

S. 233.

Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997),

1285  Aufgrund der dürftigen Forschungslage ist es schwer, die Sozialstruktur Bremens um die Zeit von 1560 zu bestimmen. Vgl. R. Prange, Die bremische Kaufmannschaft (wie Anm. 1235), S. 59. Dort Anm. 174.



2. Bremen367

einer einsamen Entscheidung der regierenden oder oppositionellen politischen Führung der Stadt, sondern durch eine sich geschickt inszenierende und pressierende Massenbewegung in der Bürgerschaft. Bei diesem Vorgang handelten die jeweiligen Koalitionen der politischen Eliten,1286 d. h. derjenigen, die im Rat saßen (Ratsherren) oder die aufgrund ihres Ansehens und Vermögens im Rahmen der jeweiligen Stadtverfassung prinzipiell Anspruch auf einen Ratssitz anmelden konnten, und der bürgerlichen Eliten bzw. Vertreter der Bürgerschaft, die aus der Bürgergemeinde legitim gewählt wurden. Diese Tatsache wirft bereits in einem besonderen Maße die für unsere Untersuchung äußerst interessante Frage nach den Trägern des Konflikts, deren Motiven und Verhalten sowie nach der sozialen und wirtschaftlichen Lage überhaupt auf. Bislang schenkte die Frühneuzeitforschung zu Bremen – sowohl die ältere als auch die neuere – der Untersuchung der Sozialstruktur beider Konfliktparteien kaum Aufmerksamkeit, sondern stellte die Vorgänge lediglich nach allgemeingeschichtlichen, biographie- und kirchengeschichtlichen, juristischen und theologischen Gesichtspunkten dar.1287 Die sozialgeschicht­ liche Fragestellungen aufwerfende Studie von Prange1288 ist zwar für das Thema von Bedeutung, trifft aber lediglich prosopographische Aussagen über die sozioökonomischen Verhältnisse dieser Elitetypen, da sich zu ihrem Entstehungszeitpunkt die Originale der Schossregister im Deutschen Zen­ tralarchiv in Potsdam befanden.1289 Die von Schütze angefertigte Transkriptionsausführung über die Steuerlisten1290 ist zweifelsohne für die Bereitstellung von weiterem Material zur Erforschung der bremischen Familien von 1286  Im Fall von Bremen erscheint es sinnvoll, den Begriff „politische Elite“ ebenso weit zu fassen, wie im Fall der anderen norddeutschen Städte, denn eine so definierte politische Elite lässt sich relativ einfach gegenüber den nicht ratsfähigen Gruppen abgrenzen. Was den Begriff „Elite“ selbst anbelangt, so ist er besser als der Terminus „Führungsschicht“, da auf die Funktion abhebend, und dazu geeignet, die Realität der ständisch-rechtlich nicht abgegrenzten Führungsgruppe bzw. Führungsschicht Bremens zu erfassen. Vgl. H. Schilling, Die politische Elite nordwestdeutscher Städte in den religiösen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts, in: W. J. Mommsen (Hg.), Stadtbürgertum und Adel in der Reformation (Veröffent­ lichungen des Deutschen Historischen Instituts London 5), Stuttgart 1977, S. 235– 308. Hier S. 237. 1287  Siehe Anm. 1217. 1288  R. Prange, Die bremische Kaufmannschaft (wie Anm. 1235). 1289  Seit 1987 sind sie wieder unter den Signaturen StA B 2-R.3.G.3.a.1–33 und 2–R.3.G.3.b.1–31 zu finden. Sie decken den Zeitraum 1407 bis 1551 ab. 1290  Herr Ernst Schütze ist ehrenamtlich in der Gesellschaft für Familienforschung „Die Maus“ tätig. Er hat diese Steuerliste nicht vollständig, sondern nur auszugsweise bzw. exemplarisch transkribiert. Die folgende Datenanalyse basiert zum größeren Teil auf seiner Arbeit. An dieser Stelle bedanke ich mich sehr herzlich für seine freundliche Unterstützung.

368

V. Die Fallstudien

Bedeutung, versucht aber keine verfassungs- und sozialgeschichtliche Einordnung, was selbstverständlich auch nicht beabsichtigt wurde. Hingegen betrachtet Seven1291 die Ereignisse um die Hardenbergschen Unruhen durchaus vom verfassungs- und sozialgeschichtlichen Standpunkt, zieht jedoch in seiner Studie kaum quantifizierbares Quellenmaterial heran. Die vorliegende Ausführung will diese Forschungslücke schließen. Wenn man den Versuch unternimmt, die soziale Physiognomie der Bremer Bürgerschaft um die Mitte des 16. Jahrhunderts zu skizzieren, dann bieten die relativ detaillierten Schossregister,1292 die durch glückliche politische Umstände wieder zugänglich geworden sind, viele interessante und brauchbare Anhaltspunkte. Sie geben zwar vornehmlich einen Eindruck von der Vermögenslage der Stadtbewohnerschaft, sagen aber auch etwas über quantitative Verhältnisse aus und ermöglichen insofern erst Fragen nach der Sozialstruktur der Konfliktträger, ihren Motiven und vor allem ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lage. Die Sozialstrukturanalyse des Schossregisters ergibt für Bremen einige exakte Aussagen vor allem auch über die Sozialgruppe der Ratsherren hinsichtlich ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lage. Sie befähigt, die beiden politischen und ökonomischen Eliten in die Sozialstruktur der Stadt einzuordnen bzw. ihre soziale Stellung zueinander deut­ licher zu diagnostizieren. Darüber hinaus trägt eine sozialgeschichtliche Untersuchung anhand des Schossregisters auch dazu bei, das Bild vom Gesamtvermögensstand und der Verteilung des Reichtums in Bremen um die Mitte des 16. Jahrhunderts zu vervollständigen.

1291  F.

Seven, Die Bremer Kirchenordnung von 1534 (wie Anm. 1243), S. 25–72. Originale der vier Schossregister, die hier benutzt wurden, St. Ansgari 1539, St. Stephani 1539, Unser Lieben Frauen 1540 (?) und St. Martini 1548, befanden sich früher im Deutschen Zentralarchiv Potsdam und sind seit 1987 wieder unter den Signaturen StA B 2-R.3.G.3.b.07, 08, 01 und 24 im Staatsarchiv Bremen zu finden. Diese Register sind für unsere exemplarische Untersuchung aus folgenden Gründen wichtig: Die Schossregister von St. Ansgari 1539 (dieses Register ist besonders übersichtlich und gut lesbar geschrieben), von ULF 1540 (?) und St. Stephani 1539 enthalten vollständige Angaben über Barvermögen und Hauswert bzw. Wert der Immobilien, was nicht für alle erhaltenen Schossregister des 16. Jahrhunderts zutrifft. Für St. Martini liegen nur für 1546–1548 verwertbare Register vor, das von 1548 ist am besten erschlossen. Die jüngsten Register des 16. Jahrhunderts stammen von 1551, hier fehlt aber nicht nur das Register für St. Martini, sondern auch das für St. Stephani. Ein vollständiger Vergleich aller erhaltenen Schossregister war für diese Untersuchung nicht durchführbar. Eine genauere und umfassende sozialgeschichtliche Untersuchung für das 16. Jahrhundert mit Berücksichtigung der Schoss- und Akzisenbücher ist ausdrücklich erwünscht. 1292  Die



2. Bremen369

(1) Die politische und bürgerliche Elite Wenn in der folgenden Darstellung die sozioökonomischen Verhältnisse der politischen und bürgerlichen Elite analysiert werden, dann handelt es sich dabei nicht um eine vollständige Analyse aller Ratsherren und Vertreter der Bürgerschaft, die gewollt und ungewollt zu den Hauptakteuren der dramatischen Ereignisse wurden und also im Untersuchungszeitraum von 1547 bis 1568 tätig waren, sondern um die Analyse lediglich jener Ratsherren, die im Schossregister vertreten sind,1293 sowie jener Vertreter der Bürgerschaft, deren Namen in den Quellen überliefert sind. Im Folgenden wird deshalb das Hauptaugenmerk auf den bisher kaum beachteten sozioökonomischen Verhältnissen dieser politischen und bürgerlichen Elite liegen, um die politische und soziale Kräftekonstellation bzw. den Machtkonflikt zur Zeit der Hardenbergschen Unruhen sozioökonomisch zu fundieren. Im Untersuchungszeitraum kommen für unsere Sozialstrukturanalyse 31 Ratsherren, darunter 26 der lutherischen Ratsmehrheit und fünf der oppositionellen Ratsminderheit, sowie 39 Vertreter der Bürgerschaft, deren Namen in den Quellen überliefert wurden, in Betracht. Bevor nun die Einschätzung der sozioökonomischen Verhältnisse und die Einordnung dieser beiden Elitetypen in die Sozialstruktur Bremens vorgenommen wird, soll zunächst der Gesamtvermögensstand und die Verteilung des Reichtums in Bremen anhand der Schossregister analysiert werden, um diese Daten als Basis bzw. Indikator zur Verortung der sozialen bzw. ständischen Stellung der Ratsherren und der bürgerlichen Opposition heranzuziehen. Die Gesamtzahl der Steuerpflichtigen, die in den vier Schossregistern verzeichnet ist, beträgt insgesamt 2.123.1294 Damit beträgt der Anteil der Gesamtschosspflichtigen an allen ca. 4.000 Haushalten1295 53,1 %, also über 1293  Die Ratsherren, die ab 1563 im Rat tätig waren, konnten in der Untersuchung nicht berücksichtigt werden, da die entsprechenden Schossregister fehlen. 1294  Die Unvermögenden, d. h. die Besitzlosen, deren Vermögensstand im Schossregister mit „0“ angegeben wird, und die Steuerzahler, deren Vermögenstand im Schossregister nicht enthalten ist, sind hier nicht mitberücksichtigt. Von den Besitzlosen gab es in der Stadt sicher mehr, als die Steuerregister ausweisen. Als „Gäste“ wurden anscheinend nur vermögende Nichtbürger aufgeführt. Die genaue Zahl der Unvermögenden bzw. Besitzlosen und Armen wird man also aus den Schossregistern nicht ermitteln können. 1295  Wir haben mit einer Haushaltsgröße von 4,5 Personen gerechnet. Die Einwohnerzahl Bremens im 16. Jahrhundert ist unsicher. In seinem „Großen Bremer Lexikon“ gibt Schwarzwälder für das 16. Jahrhundert ca. 18.000 an, in seiner „Geschichte der Freien Hansestadt Bremen“ allerdings 20.000. Wir folgen der Zahlangabe im „Großen Bremer Lexikon“, zu der jedoch anzumerken ist, dass die Vorstadtbewohner, die in den Schossregistern fehlen, miteinbezogen sind.

370

V. Die Fallstudien

die Hälfte. Davon hat das Kirchspiel St. Ansgari 574 Steuerzahler, St. Stephani 942, also umfasst dieses Stadtviertel den größten Teil der besteuerten Bürger. Unser Lieben Frauen hatte 415 Steuern zahlende Bürger und St. Martini 192, womit dieses Viertel den kleinsten Anteil aufweist. Hinsichtlich der Anzahl der Steuerpflichtigen überragt das Kirchspiel St. Stephani zwar deutlich die anderen Kirchspiele; bezüglich der Anteile der Gesamtvermögensbeträge zeichnet sich jedoch ein anderes Bild ab. Zunächst sollen Aussagen über das Gesamtvermögen der Schosszahler der Stadt Bremen zur Untersuchungszeit getroffen werden. Das Gesamtvermögen der Steuerzahler der Stadt Bremen um die Mitte des 16. Jahrhunderts betrug 1.168.026 Bremer Mark und war ungleichmäßig über die Stadt verteilt. Der Anteil des Kirchspiels St. Ansgari betrug 425.365 Bremer Mark bzw. 36,4 % der Gesamtvermögensbeträge der Stadt Bremen, also deutlich über ein Drittel des Vermögens. Der Anteil von St. Stephani betrug 375.126 Bremer Mark bzw. 32,1 %. Diese beiden Kirchspiele besaßen also mit 800.491 Bremer Mark 68,5 % des Gesamtvermögens der Steuerzahler. St. Martini besaß 184.993 Bremer Mark, ihr Anteil betrug also 15,8 %. Unser Lieben Frauen besaß nur 182.542 Bremer Mark und war nur mit 15,6 % am Gesamtvermögen beteiligt. Damit erwies sich das Kirchspiel St. Ansgari als das reichste Stadtviertel. Dieses Ergebnis ist nicht erstaunlich, weil dort die meisten vermögenden Kaufleute und wohlhabenden Handwerker wohnten.1296 Auffällig ist, dass das Kirchspiel St. Martini trotz seiner geringen Quote an Steuerpflichtigen (nur 9 %) im Vergleich zu den anderen Kirchspielen beträchtlichen Reichtum besaß. Die Ursache hierfür war zunächst unklar, doch bei der Analyse der Daten ergab sich, dass dort erstaunlich viele reiche und vermögende Bürger bzw. Ratsherren wohnten, sodass hierin der Grund für den Reichtum zu vermuten sein dürfte. Bemerkenswert ist weiterhin, dass das Kirchspiel St. Stephani mit seiner hohen Anzahl von Steuerpflichtigen (höchste Steuerzahlerquote von 44,4 %) keinen beachtlichen Anteil am Gesamtvermögen der Stadt Bremen besaß. Die Vermutung liegt nahe, dass das Stephaniviertel zwar kein reines Handwerkerquartier war – hier waren auch niedrig bezahlte Dienstleistungsberufe zahlreich vertreten –, doch zum größeren Teil von Handwerkern bewohnt gewesen sein dürfte. Das Kirchspiel Unser Lieben Frauen erwies sich trotz seiner günstigen politischen Lage und trotz der relativ hohen Steuerzahlerquote als ärmstes Kirchspiel; dort wohnten nur wenige vermögende Bürger.1297 Tabellarisch zusammengefasst heißt das: 1296  R.

Prange, Die bremische Kaufmannschaft (wie Anm. 1235), S. 18. Bild ändert sich im Laufe der Zeit. Im 18. Jahrhundert wohnten in diesem Kirchspiel verhältnismäßig viele vermögende Steuerzahler. Vgl. H. Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S. 291. 1297  Dieses



2. Bremen371 Kirchspiele

Summe (prozentualer Anteil)

Anzahl (prozentualer Anteil)

St. Ansgari

425.365 (36,4 %)

574 (27,0 %)

St. Stephani

375.126 (32,1 %)

942 (44,4 %)

ULF

182.542 (15,6 %)

415 (19,5 %)

St. Martini

184.993 (15,8 %)

192 (9,0 %)

1.168.026 Bremer Mark

2.123 Steuerzahler

* Die Prozentwerte sind gerundet.

Im Folgenden sollen die Daten in Diagrammen veranschaulicht werden, zunächst der Anteil der jeweiligen Kirchspiele am Gesamt der Steuerpflichtigen: Verteilung der Steuerpflichtigen 192; 9 %

A

574; 27 %

415; 20 %

S U M

942; 44 %

* Abkürzung: A: St. Ansgari, S: St. Stephani, U: Unser Lieben Frauen, M: St. Martini

Als nächstes werden die Vermögensanteile der vier Kirchspiele am Gesamtvermögen der Stadt Bremen dargestellt:

Summe

Verteilung des Reichtums 450.000 400.000 350.000 300.000 250.000 200.000 150.000 100.000 50.000 0

Daten…

A

S

Kirchspiele

U

M

* Abkürzung: A: St. Ansgari, S: St. Stephani, U: Unser Lieben Frauen, M: St. Martini

372

V. Die Fallstudien

Nun sollen Ratsherren und Bürgerschaft in der Sozialstruktur der Stadt Bremen verortet werden, in einem zweiten Schritt werden dazu den einzelnen Steuerzahlern Rangnummern zugeordnet. Die Rangnummer in Klammern, die in der folgenden Tabelle über die Vermögensverhältnisse der einzelnen Ratsherren und Bürger zu finden ist, wurde ebenfalls aus den vier Schossregistern herausgearbeitet, indem das angegebene Barvermögen und der Wert der Immobilien bzw. des Grundvermögens der Steuerzahler addiert wurden.1298 Anzumerken ist, dass beim Erstellen der Rangliste auf den Schossbetrag der besteuerten Bürger als Größe verzichtet wurde. Das hat folgende Gründe: Zum einen basiert der im Schossregister angegebene Steuerbetrag in unserem Untersuchungszeitraum nur auf Schätzungen der jeweiligen Personen,1299 während die Angaben über Barvermögen und Wert der Immobilien zumindest eidesstattlich angegeben sind; es wäre also weit weniger verlässlich, vom Wert des Schossbetrags auf den realen Wert des Vermögens der Schosszahler zu schließen. Zum anderen sind – wie bereits erwähnt – in den Schossregistern St. Ansgari (1539) und Unser Lieben Frauen (1540 ?)1300 zwar relativ vollständige, in den anderen beiden Schossregistern St. Martini (1548) und St. Stephani (1539) aber nur sehr lückenhafte Angaben über den Wert des Steuerbetrags enthalten. Die Vergabe der Rangnummer richtet sich also nach der Größe des so errechneten Vermögens. Bei gleicher Vermögenssumme wird dieselbe Rangnummer zugeteilt. Zur Orientierung gilt also: Je höher die Rangnummer, desto kleiner das damit bezeichnete Vermögen. Die niedrigste Rangnummer in Bremen um die Mitte des 16. Jahrhunderts liegt bei 402. Die Rangnummern der Schosszahler werden nun auf eine Einteilung in sieben ökonomische Gruppen bezogen, um damit die ständische Stellung der politischen Elite, der Ratsherren und vor allem der Bürgerschaft deutlicher hervortreten zu lassen.1301 Für die Gruppeneinteilung wurden neben 1298  Zu beachten ist, dass beim Register St. Martini 1548 im Gegensatz zu den anderen Registern die Hauswerte in der Vermögensangabe bereits enthalten sind, wie sich sowohl aus dem Wortlaut als auch aus der Höhe der Schosszahlung ergibt. Deshalb wurden hier die Hauswerte nicht noch einmal zum Vermögen hinzugerechnet. 1299  Die so genannte geheime Zahlung des Schosses gab es in Bremen erst seit 1653. Vgl. R. Prange, Die bremische Kaufmannschaft (wie Anm. 1235), S. 14–15. 1300  Zur richtigen Datierung bedarf es einer genaueren Untersuchung. Das früher auf 1504 datierte Register stammt nach der sorgfältigen Untersuchung von Herrn Schütze von 1540. In Frage kommt nach Mitteilung von Herrn Dr. Hofmeister, Staatsarchiv Bremen, vielleicht noch 1541. 1301  Aufgabe der folgenden Ausführungen kann es nicht sein, eine in der Tat wünschenswerte umfassende Darstellung der Sozialstruktur Bremens im 16. Jahrhunderts zu liefern. Die folgende Datenanalyse versteht sich deshalb ausschließlich als kleiner Beitrag zu einer noch zu leistenden umfassenden sozialgeschichtlichen



2. Bremen373

der bremischen Ständeordnung und der realen Verteilung der Anzahl der Steuerzahler im Schossregister auch die folgenden Kriterien berücksichtigt: 1. 100 Bremer Mark Vermögen. Dieses Vermögen markierte in der Schossordnung eine wichtige Grenze, weil Bürger mit geringerem Vermögen als 100 Bremer Mark nur den halben Vorschoss zahlen mussten. Dieser Unterschied soll im Folgenden als Grenze zwischen Mittel- und Unterschicht interpretiert werden. 2. Die Vorschrift in der Ratswahlordnung von 1398, dass ein Ratsherr erblichen Grundbesitz bzw. Hausbesitz in der Stadt im Wert von 100 Bremer Mark haben müsse. Zwar entspricht dieser Wert um die Mitte des 16. Jahrhunderts nicht mehr dem Wert eines Hauses, das zu diesem Zeitpunkt auf mindestens 200 Bremer Mark geschätzt wurde, und bestimmt also nicht die Zugehörigkeit zur vermögenden Oberschicht. Dennoch soll dieser Wert als Kriterium herangezogen werden. 3.  Schmidtmayers Register zum Akzisebuch von 1539 / 401302, in dem die Namen der Großhändler Bremens um die Mitte des 16. Jahrhunderts zusammengestellt sind. Darin werden die großen Zahler der gemeinen, Korn- und Ochsenakzise aufgeführt. An der Spitze steht Eler Esich, ein Kornhändler, mit ca. 122 Gulden Akzise. An zwölfter Stelle steht der Bürgermeister Detmar Kenckel, der etwas mehr als 5 Gulden für Tuche, Weizen und Verschiedenes zahlen musste. Daraus ergibt sich, dass Detmar Kenckel mit einem Warenvermögen ca. 500 Gulden1303 (etwa 560 Bremer Mark) bereits der zwölftgrößte Großhändler Bremens gewesen ist. Zwar erscheint als Maßstab für große Vermögen diese Summe als zu gering, dennoch haben wir diese Aussage Schmidtmayers als Kriterium mitberücksichtigt. Nach diesen Kriterien sind die sieben ökonomischen Gruppe folgendermaßen aufgestellt: Zur ersten Gruppe der Spitzenvermögenden1304 gehören diejenigen Steuerpflichtigen, die über 3.000 Bremer Mark besaßen. Die Untersuchung für das 16. Jahrhundert. Das Exemplar der bremischen Ständeordnung, das im Folgenden für unsere Untersuchung benutzt wurde, ist unter der Signatur Brem. a. 842 in der Staatsbibliothek Bremen zu finden. Vgl. dazu R. Prange, Die bremische Kaufmannschaft (wie Anm. 1235), S. 108–121. 1302  Register zum Akzisebuch 1539 / 40 von A. Schmidtmayer. StA B 2-ad R.2. A.o.2.b.2. In diesem Akzisebuch fehlen bei der gemeinen Akzise 16 Tage im Oktober. 1303  Gemäß der Akziseordnung zahlte jeder Händler ca 1,25 % vom Gesamtwarenwert als Akzise. Ebd. 1304  Der Begriff „Spitzenvermögen“ scheint wohl etwas übertrieben zu sein, denn über 3.000 Bremer Mark hatten nach unserer Tabelle mit 62 noch recht viele. Man kann diese Summe realistischer als „hohes Vermögen“ bezeichnen, die Bezeichnung „Spitzenvermögende“ soll lediglich die Rangfolge der ökonomischen Gruppen ein wenig deutlicher werden lassen.

374

V. Die Fallstudien

zweite ökonomische Gruppe der Hochvermögenden bedeutet ein jeweiliges Vermögen zwischen 1.000 und 3.000 Bremer Mark. Beide Gruppen gehören zur Oberschicht, dem 1. und 2. Stand der Ständeordnung. Die dritte Gruppe bilden die Gutvermögenden, die zwischen 500 und 1.000 Bremer Mark besaßen. Die vierte sind die Mittelvermögenden, die über 100 bis 500 Bremer Mark verfügten. Diese beiden Gruppen gehören zur Mittelschicht und entsprechen etwa dem 3. Stand der Ständeordnung. Die fünfte Gruppe bilden die Niedervermögenden, die über bescheidene Vermögen von 50 bis 100 Bremer Mark verfügten.1305 Die sechste Gruppe ist die der Geringvermögenden, die zwischen 10 und 50 Bremer Mark besaßen. Diese beiden Gruppen gehören zur Unterschicht und entsprechen dem 4. Stand der Ständeordnung. Die siebte und letzte ökonomische Gruppe der Stadt Bremen bilden die Armen (pauperes), die weniger als 10 Bremer Mark besaßen.1306 Ordnet man diesen sieben ökonomischen Gruppen die entsprechenden Rangnummern zu, dann ergibt sich folgendes Bild: Die Rangnummern 1 bis 42 von insgesamt 402 Rangnummern gehören zu der Gruppe der Spitzenvermögenden, die Rangnummern 43 bis 124 zu den Hochvermögenden, 125 bis 182 zu den Gutvermögenden, 183 bis 320 zu den Mittelvermögenden, 321 bis 361 zu den Niedervermögenden, 362 bis 392 zu den Geringvermögenden und 393 bis 402 zu den Armen. Die Gesamtzahl der Spitzenvermögenden in Bremen um die Mitte des 16. Jahrhunderts beträgt 62 Personen, ihr Anteil an der Zahl der Gesamtsteuerpflichtigen der Stadt Bremen 2,9  %. Der Anzahl der Gruppe der Hochvermögenden beträgt 287 Personen bzw. 13,5 %. Die weiteren Zahlen: 280 Gutvermögende (13,2 %), 660 Mittelvermögende (31,1 % und damit die größte Gruppe), 242 Niedervermögende (11,4 %), 363 Geringvermögende (17,1 %), 229 Arme (10,8 %). Angesichts dieser Zahlen kann die einschlägige Feststellung bestätigt werden, dass es in Bremen bis ins 18. Jahrhundert wohl einen verhältnismäßig breit verteilten mittleren Besitz gab.1307 1305  Ob man diese Gruppe mit 50 bis 100 Bremer Mark noch zur Mittelschicht rechnet oder eher als obere Unterschicht bezeichnen sollte, ist umstritten. Wie schon erwähnt, war die Summe von 100 Bremer Mark in der Schossordnung eine wichtige Grenze, weil auf Vermögen unter 100 Bremer Mark nur der halbe Vorschoss erhoben wurde. Aus diesem Grund wurde hier die Grenze zwischen Mittel- und Unterschicht gesetzt. Ohne eigene Behausung und mit bescheidenem Vermögen entspricht diese Gruppe ungefähr dem 4. Stand der Ständeordnung (Dienstboten, Bootsleute, Binnenschiffer), 1306  Diese fast Vermögenslosen (pauperes) kommen in der Ständeordnung gar nicht vor. 1307  R. Prange, Die bremische Kaufmannschaft (wie Anm. 1235), S. 20.



2. Bremen375

Bezüglich des Anteils der jeweiligen ökonomischen Gruppe am Gesamtvermögen der Stadt Bremen um die Mitte des 16. Jahrhunderts ergibt sich natürlich ein anderes Bild: Der Anteil der „Spitzenvermögenden“ an den Gesamtsteuerpflichtigen betrug nur 2,9 %, ihr Anteil aber am Gesamtvermögen der Stadt Bremen betrug 29,4 %. Das heißt, diese kleine Minderheit besaß fast ein Drittel des Gesamtvermögens der Stadt Bremen. Ähnliches gilt für die ökonomische Gruppe der Hochvermögenden. Ihr Anteil an den Gesamtsteuerpflichtigen betrug 13,5 % gegenüber einem Anteil von 38 % am Gesamtvermögen, also deutlich mehr als einem Drittel des Gesamtvermögens der Stadt Bremen. Hervorzuheben ist, dass die „Mittelvermögenden“ 31,1 % der Gesamtsteuerzahler ausmachten, also fast ein Drittel der Gesamtsteuerpflichtigen der Stadt Bremen, ihr Anteil am Gesamtvermögen jedoch nur 13,6 % beträgt. Das bedeutet, dass Bremen keine stabile vermögende Mittelschicht hatte. Auch der Anteil der Geringvermögenden an den Gesamtsteuerzahlern betrug 17,1 % gegenüber einem Anteil an der Gesamtvermögenssumme von lediglich 0,7 %. Der Anteil der Armen am Gesamtvermögen der Stadt Bremen betrug schließlich nur 0,1 %. Das bis hierhin Dargestellte wird nun tabellarisch zusammengefasst: Gruppe

Anzahl (Anteil)

Summe des Vermögens (Anteil)

Über 3.000

 62  (2,9 %)

343.694 (29,4 %)

1.000–3.000

287 (13,5 %)

444.425 (38,0 %)

500–1.000

280 (13,2 %)

194.442 (16,6 %)

100–500

660 (31,1 %)

158.519 (13,6 %)

50–100

242 (11,4 %)

 17.452  (1,5 %)

10–50

363 (17,1 %)

  8.477  (0,7 %)

Unter 10

229 (10,8 %)

  1.017  (0,1 %)

2.123 Schosszahler

1.168.026 Bremer Mark

* Die Prozentangaben beim Anteil sind gerundet

Diese Tabelle zeigt noch einmal deutlich, dass fast 70 % des Gesamtvermögens der Schosszahler der Stadt Bremen in den Händen der beiden ökonomischen Gruppen „Spitzen- und Hochvermögende“ lag. Daraus geht hervor, dass der Reichtum in Bremen sehr ungleichmäßig verteilt war. Diese Ergebnisse der Analyse sollen in folgenden Diagrammen veranschaulicht werden. Zunächst ein Diagramm hinsichtlich des Anteils der jeweiligen ökonomischen Gruppe an den Gesamtsteuerpflichtigen:

376

V. Die Fallstudien

Anzahl

Vermögensverhältnisse in Bremen um 1540 700 600 500 400 300 200 100 0

Datenr…

über 3000 1000–3000

500–1000

100–500

50–100

10–50

unter 10

Ökonomische Gruppe

Als nächstes stellt ein Diagramm den Vermögensanteil der jeweiligen ökonomischen Gruppen am Gesamtvermögen der Stadt Bremen um die Mitte des 16. Jahrhunderts dar: Vermögensanteil der ökonomischen Gruppe 17.452; 1 % 158.519; 14 %

8.477; 1 % 1.017; 0 % 343.694; 29 %

über 3000 1000–3000 500–1000 100–500

194.442; 17 % 444.425; 38%

50–100 10–50 unter 10

Nun geht es um den wesentlichen Punkt der Einordnung der beiden Sozial­ gruppen der Ratsherren und der Bürgerschaft in die ökonomische Stellung. Zunächst die Bürgeropposition bzw. die so genannten „gemeinen Leute“, die von der Forschung oft genug als „Masse“ oder „Ausführende“ oder „Aufrührer“ bezeichnet und disqualifiziert wurden. Im Folgenden werden die Namen von 39 Vertretern der Bürgerschaft aus drei unterschiedlichen Perioden genannt und tabellarisch zusammengestellt: 1.  Die Vertreter der Bürgerschaft, an die Daniel von Büren sein Schreiben vom 21. Mai 1560 mit den sieben heiklen Fragen der lutherischen Ratsmehrheit adressierte: Hinrich Trupen, Peter Egerdes und Cord Kenckel aus der Gemeinde, Cersten Polemannes, Johann von Hoven und Luder Lüdersen von den Elterleuten, Thieses von Stade, Cord Mestmackers und Hinrich Hoses von den Ämtern.1308 Zwar sind wegen der dürftigen Forschungslage zur Sozialstruktur Bremens die erwähnten Namen dieser Vertreter der Bürgerschaft nicht alle zu identifizieren, jedoch geht aus den 1308  StA

B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr 1° Teil 2.



2. Bremen377

Akziserechnungsbüchern, vor allem aus den Registern für 1539 / 401309 und 15461310 und 15701311 hervor, dass Cord Kenckel, Peter Egerdes (= Eg­ gers),1312 Hinrich Trupen1313, Johann von Hoven1314 und Lüder Lürsen1315 Kaufleute, und zwar Großhändler bzw. Fernhändler waren. Zudem ist auch ein Repräsentant der Ämter namens Cord Mestmakers festzustellen.1316 2.  Die Vertreter der Bürgerschaft vom 19. Januar 1562, d. h. die bürgerliche Elite der sog. „Fast-Revolution“ von 1562.1317 Die Herkunft dieser aus 25 Mitgliedern bestehenden Vertretergruppe ist ebenfalls wegen der dürftigen Forschungslage nicht vollständig zu identifizieren, jedoch geht aus den Registern für 15461318 und 15701319 klar hervor, dass Dirick Bolemann,1320 Johann Gronink, Hermen Velthusen, Peter Bolecken, Hermen Hußmann, Jost Brockmann, Luder van der Heide, Gert Puttemann und Hermen Kreffting1321 allesamt Kaufleute waren. Aus dem Register für 15461322 geht hervor, dass Berent Speckhan ein Schottherr war, d. h. er hatte die Aufsicht über die Schottkammer (das Waffenarsenal). Im Akziserechnungsbuch von 15701323 ist über Gert Davemann festzustellen, dass er als Warenhändler genannt wird. Er erscheint aber in den Rechnungsbüchern des Rates ab 1552 auch als Buchbinder.1324 Im 1309  Register zum Akzisebuch 1539 / 40 von Alfred Schmidtmayer. StA B 2-ad R.2.A.o.2.b.2. 1310  Register zum Akzisebuch 1546 von Alfred Schmidtmayer. StA B 2-ad R.2.A.o.2.b.4. 1311  Register zum Akzisebuch 1570 von Alfred Schmidtmayer. StA B 2-ad R.2.A.o.2.b.14. 1312  Er war offenbar einer der Großhändler Bremens im Jahr 1546, denn er kommt im Akzisebuch von 1546 häufig mit größeren Beträgen vor. 1313  Er war 1534–44 Ratsherr, zog sich aber zurück, als er Bürgermeister werden sollte. Später war er als Bauherr (Kirchenvorsteher) tätig, StA B 2-E.7.e.3. fol.100. 1314  R. Prange, Die bremische Kaufmannschaft (wie Anm. 1235), S. 163. 1315  Er war Schiffer. Vgl. R. Prange, Die bremische Kaufmannschaft (wie Anm. 1235), S. 113. 1316  Er war Schmiedemeister. Vgl. H. Fatthauer, Das bremische Metallgewerbe vom 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der freien Hansestadt 13), Bremen 1936, S. 180. 1317  StA B 2-E.7.e.3. fol. 87. 1318  StA B 2-ad R.2.A.o.2.b.2. 1319  StA B 2-ad R.2.A.o.2.b.14. 1320  Er war 1552–1554 auch Eltermann. 1321  Er war der Vater des um Bremen und das hansische Bündnis sehr verdienten Bürgermeisters Heinrich Kreffting.Vgl. R. Prange, Die bremische Kaufmannschaft (wie Anm. 1235), S. 185. 1322  StA B 2-ad R.2.A. o.2.b.4. 1323  StA B 2-ad.R.2.A.o.2.b.14. 1324  Vgl. J. Focke, Bremische Werkmeister aus älterer Zeit. 1890 Bremen.

378

V. Die Fallstudien

Akziserechnungsbuch von 15701325 ist wiederum Swer Schulte1326 (= Sweder Schulte) als Kaufmann festzustellen. Die vier Repräsentanten der Elterleute sind leicht nachzuweisen, denn alle Elterleute stammten zu diesem Zeitpunkt ausnahmslos aus der Kaufmannschaft. Die fünf Vertreter der Ämter waren ebenfalls festzustellen, da ihre Berufe neben den Namen miterwähnt waren: Johann Becker, Schneider; Johann Roder, Fischer; Berent Hoffsleger und Gert Kalckmann, Schmiede; Berend Zuckerbeker, Kramer.1327 Cord Kenckel und Ratke Groning aus der Gemeinde, Carsten van Hamme von den Elterleuten, Johan Becker, Gert Kalckmann und Berend Zuckerbeker aus den Ämtern gehörten wiederum zu dem so genannten 14-köpfigen Bürgerausschuss vom 8. Mai 1562.1328 Ratke Groning, Cord Kenckel, Lüder Lürsen, Cort Bockelmann, Gert Puttemann, Harmen Werenberch und Jurgen Meyer wurden am 16. Juli 1562 in den Rat gewählt. Heinrich Winkel und Carsten van Hamme wurden nicht am 16. Juli, sondern am 20. und 23. Juli 1562 in den Rat gewählt. 3. Die Vertreter der Bürgerschaft vom 8. Mai 1562, der so genannte 14-köpfige Bürgerausschuss, eine Art Nebenregiment, das die Gemeinde aus eigener politischer Initiative neben dem Rat gebildet hatte und das an die Vorgänge der sozialen Aufstandsbewegung von 1530–1532 erinnert.1329 Folgende tabellarische Darstellung (siehe nächste Seite) fasst die Aufgezählten zusammen. Nun werden in einer Tabelle (siehe Seite 380) die Vermögensverhältnisse dieser 39 Vertreter der Bürgerschaft zur Einordnung ihrer sozialen Stellung im Untersuchungszeitraum aufgeführt.1330 1325  StA

B 2-ad R.2.A.o.2.b.14. war 1565–1584 Ratsherr und Schwiegersohn von Cord Kenckel. 1327  Er war Kramer. Vgl. R. Prange, Die bremische Kaufmannschaft (wie Anm. 1235), S. 174. dort Anm. 622. 1328  StA B 2-E.7.b.1. 1329  StA B 2-E.7.b.1. 1330  Die meisten Daten konnten allein aus dem Schossregister St. Ansgari 1539 herausgefunden werden, doch einige der Repräsentanten sind dort nicht zu ermitteln. Deshalb mussten auch die anderen drei Schossregister herangezogen werden. In Klammern vermerkt ist das jeweilige Schossregister: Bockelman Cort (ULF 1540?); Winkel Hinrich (St. Stephani 1539); Van Hamen Carsten (St. Stephani 1539); Gronink Rathke (St. Martini 1548); Meier Jorgen (St. Stephani 1539); Trupen Hinrich (St. Martini 1548); Von Hoven Johannes (St. Stephani 1539); Lange Johann (St. Stefanie 1539); Von Stade, Thieses (St. Stephani 1539); Velthusen, Hermen (St. Stephani 1539); Brockmann Jost (ULF 1540?); Zuckerbeker Berent (ULF 1540?); Boleken, Peter (ULF 1540?); Hußmann Peter (ULF 40); Von der Heiden, Luder (ULF 1540?); Roder Johann (St. Stephani 1539). Es ist darauf hinzuweisen, dass zum Erstellen der Tabelle hauptsächlich das Schossregister St. Ans1326  Er



2. Bremen379 Vertreter der Bürgerschaft 21. Mai 1560

Ratsherren 16. Juli 1562

Gemeinde

Elterleute

Ämter

Cord Kenckel Peter Egerdes Hinrich Trupen

Luder Lüdersen Cersten Polemannes Johannes von Hoven

Thieses von Stade Cord Mestmackers Hinrich Hoses

19. Januar 1562 Gemeinde

Elterleute

Ämter

Cort Kenckell Ratke Gronink Berent Speckhan Johann Gronink Jurgen Meyer Hermenn Velthusenn Herrmenn Krefftingk Gert Davemann Swer Schulte Peter Bolecken Hermen Hußmann Dirick Bolemann Jost Brockmann Reyner Hertkenn Luder van der Heiden

Luder Luersen Hinrich Winkell Carsten van Hamenn Jochim Brannt

Johann Becker (Snider) Johann Roder (Vischer) Berent Hoffsleger u. Gert Kalckmann (Smede) Berent Zuckerbecker (Kramer) Luesse (Smackenschipper)

Cort Kenckel Ratke Groning Gert Puttemann Luider Luiderßen Hermen Werenberch Cort Bockelmann Gert Schnedermann Johan Schulte Carsten Steding Borchert Hemeling Jorgen Meir Arnt Lavas Dirck van Kappeln Claus van Buckelte Erich Hoisers der rechten Doctor Johann Holste

8. Mai 1562 Gemeinde

Elterleute

Ämter

Cordt Kenckel Ratk Gronink Gert Puttemann Cordt Bockelmann Erick von Borcken Peter Eggers

Harman Werenberch Carsten van Hamme

Johan Lange Johan Becker Wiln Sadelmacken Hinrich Cords Gert Kalkmann Berent Suckerbecker

(Kursiv = Repräsentanten, die sowohl in den Bürgerausschuss als auch in den Rat gewählt wurden. Hinrich Winkel, Carsten van Hamen nicht am 16. Juli, sondern am 20. und 23. Juli 1562.)

gari

1539 verwendet wurde, für die folgenden Repräsentanten aber auch die Register St. Ansgari 1547 und 1551, da die Angaben über Barvermögen und den Wert der Immobilien in St. Ansgari 1539 entweder nicht angegeben oder nicht vollständig waren: Kenkel Cord (1547), Lüdersen Luder (1547), Puttemann Gert (1547), Werenberch Hermann (1547), Speckhan Berent (1551), Bolemann Dirick (1547), Becker Johann (1547), Von Borcken Erick (1551), Gronink Johann (1551) und Cords Hinrich (1547).

380

V. Die Fallstudien

Name (Kirchspiel)   1.  Kenkel, Cordt (A)   2.  Lüdersen, Luder (A)   3.  Puttemann, Gert (A)   4.  Werenberch, Hermann (A)   5.  Bockelman, Cort (U)  6. Winkel, Hinrich (S)   7.  Von Harmen, Carsten (S)   8.  Gronink, Ratke (M)   9.  Meier, Jorgen (?) 10.  Eggerdes, Peter (A) 11.  Trupen, Hinrich (M) 12.  Poleman, Carsten (A) 13.  Von Hoven, Johannes (S) 14.  Gronink, Johann (A) 15.  Von der Heiden, Luder ((U) 16.  Speckhan, Berent (A) 17.  Velthusen, Hermen (S) 18.  Bolemann, Dirick (A) 19. Kreffting, Hermen (?) 20.  Daveman, Gert (?) 21.  Hußmann, Hermen (U) 22.  Bolecken, Peter (U) 23.  Hertken, Reyner (?) 24.  Schulte, Swer (?) 25.  Von Borcken, Erick (A) 26.  Brannt, Joachim (A) 27.  Brockmann, Jost (U) 28. Becker, Johann (A) 29.  Hoffsleger, Berent (A) 30.  Roder, Johann (S) 31.  Kalckmann, Gert (A) 32.  Zukerbecker, Berent (U) 33.  Luesse (?) 34.  Mestmaker, Cord (A) 35.  Cords, Hinrich (A) 36.  Sadelmaker, Wiln (?) 37.  Lange, Johann (S) 38.  Von Stade, Thieses (S) 39.  Hoses, Hinrich (?)

Vermögen (Rangnummer) 6000 2000 2600 4260 1060 2920   800 1500

  (14)   (71)   (51)   (27) (116)   (44) (146)   (86)

1500 3600 2320 2350 1750 3100 2695 2340 3000

  (86)   (33)   (61)   (59)   (77)   (40)   (49)   (60)   (42)

1000 (124) 1400   (95)

2520   (55)   400 (206)   500 (182) 1000 (124)   80 (337)   300 (229)   240 (249)   850 (140)   70 (344)   140 (296)



2. Bremen381

Ein kurzer Blick auf diese Tabelle zeigt deutlich, dass die meisten Repräsentanten aus dem Kirchspiel St. Ansgari stammen. Von den 31 Mitgliedern der Bürgerschaft, deren Herkunft ermittelt werden konnte, stammen 16 Repräsentanten aus dem Kirchspiel St. Ansgari, also 51,6 %. Zwei Repräsentanten stammen aus St. Martini, sieben aus St. Stephani und sechs aus Unser Lieben Frauen. Diese Verteilung deutet bereits an, dass die Bremer Bürgerschaft zumeist der kaufmännischen Oberschicht angehörte, da – wie oben erwähnt wurde – die meisten vermögenden Kaufleute im Kirchspiel St. Ansgari wohnten. Von den 29 Personen der Bürgerschaft, deren Vermögensangaben aus den Schossregistern ermittelt werden konnten, gehören 5 Personen (17,2 %) zur ökonomischen Spitzengruppe. Ihre Rangnummern bewegen sich innerhalb der ersten 42. Ihr Gesamtvermögen beträgt insgesamt 19.960 Bremer Mark, damit beträgt ihr Anteil am Gesamtvermögen aller Spitzenvermögenden 5,8 %. D. h. diese fünf reichen Repräsentanten besaßen zumindest über ein Zwanzigstel des Gesamtvermögens der Spitzenvermögenden der Stadt Bremen. Ihr Anteil an der Anzahl der 62 Gesamtspitzenvermögenden im Untersuchungszeitraum beträgt 8,0 %. 15 Repräsentanten gehören zur Gruppe der Hochvermögenden, also 51,7 %. Ihr Gesamtvermögen beträgt 28.955 Bremer Mark, ihr Anteil am Gesamtvermögen der Hochvermögenden der Stadt Bremen 6,5 %. Rechnet man beide, Spitzen- und Hochvermögende, zusammen, ergibt sich Folgendes: 20 Repräsentanten, also 69 % der Gesamtbürgerschaft gehörten zur Gruppe der Spitzen- und Hochvermögenden. Daraus wird deutlich, dass die Vertreter der Bremer Bürgerschaft insgesamt zur Oberschicht der Stadt Bremen gehörten. Die Gesamtsumme des Vermögens der oben erwähnten 29 Repräsentanten beträgt 52.295 Bremer Mark, ihr Anteil an der Gesamtvermögenssumme der Stadt Bremen um 1540 liegt bei 4,5 %. Das heißt, dass die Vertreter der Bürgerschaft fast ein Zwanzigstel des Gesamtvermögens der Stadt Bremen besaßen. Die durchschnittliche Rangnummer der Sozialgruppe Bürgerschaft beträgt 122,2, ihr durchschnittliches Vermögen liegt damit bei 1.018 Bremer Mark. Auch diese Zahl belegt, dass die Sozialgruppe Bürgerschaft um die Mitte des 16. Jahrhunderts zu den ökonomischen Hochvermögenden der Stadt Bremen gehörte. Ein weiterer Blick auf die Tabelle macht deutlich, dass die Vermögensbeträge der Repräsentanten aus den Ämtern (Nummern von 28 bis 39) sichtlich geringer sind als die der kaufmännischen Bürgerschaft (Nummern von 1 bis 27). Während sich die Rangnummer der kaufmännischen Bürgerschaft der Elterleute und der Gemeinde zwischen 16 und 124 bewegt (Ausnahme: Brockmann Jost), bewegt sich die Rangnummer der handwerklichen Bürgerschaft zwischen 124 und 344. Auch die durchschnittliche Rangnummer der kaufmännischen Bürgerschaft liegt mit 73,4 deutlich über der durchschnitt-

382

V. Die Fallstudien

lichen Rangnummer der handwerklichen Bürgerschaft von 250,1. Und auch die Gesamtsumme der kaufmännischen Bürgerschaft liegt mit 49.115 Bremer Mark deutlich über der Gesamtsumme der handwerklichen Bürgerschaft mit 3.180 Bremer Mark. Zwar verfügt ein einzelner Repräsentant der handwerklichen Mittelschicht, Hofsleger Berent, mit seinem Vermögen von 1000 Bremer Mark über eine beachtliche Summe; die meisten anderen gehören jedoch zu den Nieder- und Geringvermögenden. Hingegen gehören fast alle aus der kaufmännischen Bürgerschaft zu den Gut- und Hochvermögenden, Cord Kenkel, Hinrich Trupen, Hermann Werenberch, Luder von der Heiden und Dirick Bolemann sogar zu den Spitzenvermögenden der Stadt Bremen. Cord Kenkel und Hinrich Trupen verfügen mit der Rangnummer 14 bzw. 33 über eine außerordentliche hohe Summe als Privatvermögen. Die folgende Tabelle fasst die Ergebnisse noch einmal zusammen: Ökonomische Gruppe

Anzahl der KB

Anzahl der HB

Über 3000

 5

0

1000–3000

14

1

500–1000

 1

2

100–500

 1

3

50–100

 0

2

* KB: Kaufmännische Bürgerschaft, HB: Handwerkliche Bürgerschaft

Siehe auch das folgende Diagramm:

Anzahl

Vermögensverhältnisse der Bürgerschaft im Vergleich 16 14 12 10 8 6 4 2 0

KB HB

über 3.000

1.000–3.000

500–1.000

100–500

Ökonomische Gruppe * KB: Kaufmännische Bürgerschaft. HB: Handwerkliche Bürgerschaft

50–100



2. Bremen383

Wie sich aus diesem Diagramm deutlich ergibt, besitzen 20 Repräsentanten der Sozialgruppe Bürgerschaft eine beträchtlich hohe Summe als Vermögen. Zwar ist hier die Summe des Vermögens von Gerd Puttemann nur mit 2.600 Bremer Mark angegeben, aber eine andere Quelle belegt, dass er über eine weitaus höhere Summe verfügte. Aus dem Tagebuch des Ratsherrn Salomon geht hervor, dass er ein überaus reicher Mann gewesen sein muss. Er hat den Armen 16.000 Bremer Mark zukommen lassen, 40 Arme auf Lebenszeit versorgt und ihnen jährlich 10 Bremer Mark vermacht.1331 Damit gehörte er ohne Zweifel zu der reichsten Bürgergruppe. Cord Kenckel war sogar noch vermögender als sein Vetter Detmar Kenckel, der von 1540 bis 1562 als Bürgermeister amtierte und als einer der zwölf Großhändler Bremens bekannt war.1332 Auch die anderen kaufmännischen Repräsentanten Luder Lüdersen, Hinrich Trupen, Berent Speckhan und Gert Puttemann gehörten schon um diese Zeit zu den Hoch- und Spitzenvermögenden der Stadt Bremen. Hervorzuheben ist, dass sich die Bremer Bürgerschaft nicht nur aus Großkaufleuten und vermögenden Fernhändlern, sondern auch in zunehmendem Maße aus Akademikern, in erster Linie aus an der Universität ausgebildeten Juristen, zusammensetzte. Die im Folgenden kursiv gedruckten Repräsentanten sind Akademiker, vermutlich juristisch gebildet. Hinrich Winkel studierte in Wittenberg,1333 Hinrich Trupen in Rostock,1334 Berent Speckhan in Wittenberg,1335 und Johann Groning in Heidelberg.1336 Der gleichnamige Sohn von Cord Kenkel studierte in Wittenberg.1337 Nach der Bürgerschaft sollen nun die Vermögensverhältnisse der Ratsherren in unserem Untersuchungszeitraum dargestellt werden, um damit die ständische Stellung der Ratsherren innerhalb der Sozialstruktur Bremens ebenfalls deutlicher darzulegen. Im Folgenden sind zunächst die Vermögensverhältnisse der Ratsherren1338 tabellarisch zusammengestellt: 1331  Vgl. H. Hertzberg, Das Tagebuch des bremischen Ratsherrn Salomon 1568– 1594, in: Bremisches Jahrbuch 29 (1924), S. 58. Dazu R. Prange, Die bremische Kaufmannschaft (wie Anm. 1235), S. 165 ff. 1332  Register zum Akzisebuch 1539 / 40 von Alfred Schmidtmayer. StA B 2ad R.2.A.o.2.b.2. 1333  Vgl. A. Schmidtmayer, Bremische Studenten im Jahrhundert der Reforma­ tion, in: Bremisches Jahrbuch 36 (1936), S. 181. 1334  Ebd. S. 179. 1335  Ebd. S. 178. 1336  Ebd. S. 169. 1337  Ebd. S. 172. 1338  Die meisten Daten stammen wiederum aus dem Schossregister St. Ansgari 1539, aber auch hier konnten einige Ratsherren nicht ermittelt werden. In Klammern ist wiederum das jeweilige Schossregister angegeben: Von Bobart, Arnold (St. Mar-

384

V. Die Fallstudien

Name (Kirchspiel) (Dienstzeit)

Vermögen (Rangnummer)

 1. Havemann, Johann (A) (24–47–60)

4000   (29)

  2.  Von Bobart, Arnold (M) (29–62)

6713   (12)

  3.  Herde, Borcher (A) (30–62)

4800   (23)

  4.  Schrieber, Diedrich (M) (31–61)

2000   (71)

  5.  Strecke, Heinrich (S) (31–62)

7000   (10)

  6.  Schulte, Gerard (A) (32–65)

8700   (6)

 7. Esich, Arnold (A) (33–39–47)

2550   (54)

 8. Von Büren, Daniel d. J. (S) (38–44–91)

7258   (9)

  9.  Von Belmer, Lüder (M) (39–49–62)

4000   (29)

10.  Von Rheden, Lüder (M) (39–62)

1000 (124)

11.  Schnedermann, Carsten (M) (41–62)

3820   (30)

12.  Wulf, Gottschalk (M) (44–61)

2600   (51)

13.  Wachmann, Cord (S) (44–62)

2800   (47)

14.  Bredeloh, Dethmar (M) (44–62)

1500   (86)

15.  Brand, Johann (M) (48–62–74)

3200   (38)

16.  Reyner, Bruno (M) (48–93)

2500   (56)

17.  Vagt, Hermann (A) (48–62)

1980   (72)

18.  Lose, Bernhard (M)(48–62)

5800   (16)

19.  Wencke, Jacob (A) (59–62)

1000 (124)

20.  Kenkel, Dethmar (A) (49–54–62)

4100   (28)

21.  Vasmer, Hermann (A) (49–62–67)

2400   (58)

22.  Baller, Heinrich (M) (53–62)

2000   (71)

23.  Wehrenberch, Heinrich (M) (54–62)

1800   (75)

24.  Plander, Johann (M) (54–80)

1900   (73)

25.  Eisch, Johann (A) (55–60–62)

3100   (40)

26.  Weselow, Johann (A) (56–62)

  750 (151)

27.  Vulgreve, Lüder (M)) (57–62)

3300   (36)

28.  Reineke, Rudolph (U) (58–65)

1020 (121)

29.  Houmest, Johann (A) (58–62)

4000   (29)

30.  Pestorp, Werner (M) (61–62)

3800   (31)

31.  Meckelin, Moritz (?) (61–62) * (Kursive = studierte bzw. akademisch gebildete Ratsherren)



2. Bremen385

Die Tabelle zeigt, dass von den 30 Ratsherren, deren Herkunft ermittelt werden konnte, 14 Ratsherren, also 46,7 %, aus dem Kirchspiel St. Martini stammen. Damit erweist sich, dass das Stadtviertel St. Martini hinsichtlich der Funktionsträgerschaft und Verteilung des Reichtums in Bremen eine bedeutsame Rolle spielte, obwohl es das kleinste Kirchspiel war. Hervorzuheben ist auch, dass vier oppositionelle Ratsherren (nicht: Hermann Vasmer) nicht aus dem Kirchspiel St. Ansgari stammen, sondern drei von ihnen aus St. Martini und einer aus St. Stephani.1339 Die Vermutung liegt nahe, dass die soziale Konfliktlinie doch zwischen den Kirchspielen verlaufen sein könnte. Dass 11 Ratsherren aus dem Kirchspiel St. Ansgari stammen, belegt die anerkannte These, dass das Kirchspiel St. Ansgari für das politische und wirtschaftliche Leben eine wichtige Rolle spielte. Von den 30 Ratsherren, deren Vermögensangaben aus den Schossregistern ermittelt werden konnten, gehören 15 zur Gruppe der Spitzenvermögenden; genau die Hälfte gehörte also zu den reichsten Bürgern in Bremen. Ihre Rangnummer bewegt sich innerhalb der ersten 42. Ihr Gesamtvermögen beträgt 73.591 Bremer Mark, ihr Anteil am Gesamtvermögen der Spitzenvermögenden der Stadt Bremen 21,4 % und ihr Anteil am Gesamtvermögen der Stadt Bremen um die Mitte des 16. Jahrhunderts 6,3 %. Sie stellen auch fast ein Viertel der 62 steuerpflichtigen Gesamtspitzenvermögenden im Untini 1548), Schrieber, Diedrich (St. Martini 1548), Strecke, Heinrich (St. Stephani 1539), Von Büren, Daniel d. J. (St. Stephani 1539), Von Belmer, Lüder (St. Martini 1548), Von Rheden, Lüder (St. Martini 1548), Schnedermann, Carsten (St. Martini 1548), Werenberch, Heinrich (St. Martini 1548), Wulf Gottschalk (St. Martini 1548), Bredeloh, Dethmar (St. Martin 1548), Wachman, Cord (St. Martini 1548), Brand, Johann (St. Martini 1548), Reyner, Bruno (St. Martini 1548), Plander, Johann (St. Martini 1548) und Reineke, Rudolph (ULF 1540?), Anzumerken ist, dass auch beim Erstellen dieser Tabelle zwar hauptsächlich das Schossregister St. Ansgari 1539 verwendet, aber für die folgenden Ratsherren die Register St. Ansgari 1547 und 1551 herangezogen wurden, da die entsprechenden Angaben in St. Ansgari 1539 nicht vollständig waren: Vagt, Hermann (1547), Lose, Bernhard (1547), Vasmer, Hermann (1551), Esich, Johann (1547), Houmest, Johann (1547), Wencke, Jacob (1547) und Pestrop, Werner (1547), Als Ratsherren in unserem Untersuchungszeitraum von 1547 bis 1568 kommen eigentlich 70 Personen in Betracht. Es wurden aber beim Erstellen der Tabelle nur die 31 Ratsherren, die von 1560 bis 1562 im Amt waren, berücksichtigt, da auch nur die Bürgerschaft, die in demselben Zeitraum tätig war, herangezogen wurde. Die Ratsherren, die nach dem Sturz der lutherischen Ratsherren erst am 16., 20., 23. oder 28. Juli 1562 in den Rat gewählt wurden, wurden nicht berücksichtigt, da 9 von ihnen bereits in der Tabelle über die Vermögensverhältnisse der Bürgerschaft erscheinen und weitere Ratsherren in anderen Tabelle berücksichtigt wurden. 1339  Zu diesem Kirchspiel vgl. B. Scheper, Frühe bürgerliche Institutionen norddeutscher Hansestädte (wie Anm. 1238), S. 39 ff.; K. Schwarz, Kompanien, Kirchspiele und Konvent in Bremen 1605–1814, in: Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen 37 (1969), S. 9–15.

386

V. Die Fallstudien

tersuchungszeitraum dar. 14 Ratsherren gehören zu den Hochvermögenden, also 46,7 % und damit fast die Hälfte der Gesamtzahl der Ratsherren im Untersuchungszeitraum. Rechnet man beide zusammen, ergibt sich Folgendes: 29 Ratsherren, also 96,7 % – fast alle Ratsherren – gehörten zur Gruppe der Spitzen- und Hochvermögenden. Die durchschnittliche Rangnummer dieser Sozialgruppe liegt bei 53,3, ihr durchschnittliches Vermögen beträgt damit 2.560 Bremer Mark. Das heißt, die Sozialgruppe der Ratsherren gehörte insgesamt ebenso wie die der Vertreter der Bürgerschaft zu den ökonomischen Hochvermögenden bzw. Spitzenvermögenden der Stadt Bremen. Die Gesamtsumme des Vermögens der 30 Ratsherren beträgt 101.391 Bremer Mark, also liegt ihr Anteil am Gesamtvermögen der Stadt Bremen um 1540 bei 8,7 %, sie besaßen demnach fast ein Zehntel des Gesamtvermögens der Stadt Bremen. Bezeichnet man diejenigen Personen, die über 7.000 Bremer Mark besaßen (Rangnummer 1–9) als Bremer Millionäre, dann gehörten 3 Ratsherren zu dieser Millionärsgruppe; sie bildeten 30 % der gesamten Millionärsgruppe. Der Ratsherr Gerard Schulte war mit seinem Vermögen in Höhe von 8.700 Bremer Mark unter der politischen Elite der reichste Bürger der Stadt Bremen um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Auch der Oppositionsführer Daniel von Büren mit einem Vermögen von 7.258 Bremer Mark gehörte zu dieser Millionärsgruppe. Die anderen Oppositionsratsherren, Reiner Bruns und Hermann Vasmer, gehören zwar nicht zu der Millionärsgruppe, aber auch zu den Hochvermögenden. Zu beachten ist, dass sich die Sozialgruppe „Ratsherren“ in Bremen nicht nur aus Großkaufleuten bzw. Fernhändlern, sondern auch aus akademisch Gebildeten zusammensetzte; ebenso wie bei der Bürgerschaft gab es hier vor allem Universitätsjuristen. Die kursiv gedruckten Ratsherren sind die akademisch gebildeten Ratsherren (vermutlich Juristen): Johann Havemann1340, Arnold Esich1341, Daniel von Büren1342, Cord Wachman1343, Johann Brand1344, Dethmar Kenkel1345, Hermann Vasmer1346, Heinrich Werenberch1347 und Werner Pesdorff1348. Von den 31 Ratsherren waren also 9 Akademiker bzw. bereits 29 %. Das belegt, dass sich in Bremen nicht erst 1340  Vgl.

A. Schmidtmayer, Bremische Studenten (wie Anm. 1333), S. 170. S. 167. 1342  Ebd. S. 165. 1343  Ebd. S. 179. 1344  Ebd. S. 165. 1345  Ebd. S. 172. 1346  Ebd. S. 168. 1347  Ebd. S. 180. 1348  Ebd. S. 180. 1341  Ebd.



2. Bremen387

am Ende des 16. oder zu Beginn des 17. Jahrhunderts, sondern bereits zu diesem Zeitpunkt die so genannte „Bürokratisierungs- und Versachlichungstendenz“ im städtischen Regiment beobachten lässt.1349 Vergleicht man nun die Ergebnisse der Ratsherren mit denen der Bürgerschaft, dann ergibt sich: Das Vermögen der Sozialgruppe Ratsherren ist deutlich größer als jenes der Sozialgruppe Bürgerschaft. Während 15 Ratsherren zu den Spitzenvermögenden Bremens im Untersuchungszeitraum gehörten, traf dies auf nur fünf Repräsentanten der Bürgerschaft zu. An der Gesamtzahl der Spitzenvermögenden von 62 im Untersuchungszeitraum betrug der Anteil der Ratsherren also 21,4 %, der Anteil der Bürgerschaft aber nur 5,8 %. Und während die Gesamtsumme des Vermögens der Ratsherren 101.391 Bremer Mark betrug (8,7 % des Bremer Gesamtvermögens), umfasste die Gesamtsumme des Vermögens der Bürgerschaft nur 52.295 Bremer Mark (4,5 % des Bremer Gesamtvermögens). Die durchschnittliche Rangnummer der Sozialgruppe Ratsherren liegt mit 53,3 deutlich unter der durchschnittlichen Rangnummer der Bürgerschaft, die bei 122,2 liegt. Auch gehörten zu der sog. Millionärsgruppe keine Repräsentanten der Bürgerschaft, sondern nur Ratsherren. Dennoch ist hinsichtlich der Größe des Vermögens die Sozialgruppe Bürgerschaft, insbesondere die kaufmännische Bürgerschaft, kaum gering zu achten, denn bei der Gruppe der Hochvermögenden, zu denen selbstverständlich nur Vertreter der kaufmännischen Bürgerschaft gehörten, zeigt sich ein anderes Bild. Der Anteil der Bürgerschaft an dieser ökonomischen Gruppe liegt ungefähr gleichauf mit jenem der Ratsherren. 15 Repräsentanten der Bürgerschaft mit einem Gesamtvermögen von 28.955 Bremer Mark stehen 14 Ratsherren mit einem Gesamtvermögen von 27.050 Bremer Mark gegenüber. Der prozentuale Anteil beider Gruppen am Gesamtvermögen der Hochvermögenden beträgt gleichermaßen 6,5 %. Auch die durchschnittliche Rangnummer der kaufmännischen Bürgerschaft liegt mit 73,4 keineswegs signifikant niedriger als die durchschnittliche Rangnummer der Ratsherren derselben Vermögenskohorte. Die folgende Tabelle gibt eine Zusammenfassung des Dargestellten:

1349  O. Brunner, Souveränitätsproblem und Sozialstruktur in den deutschen Reichsstädten der frühen Neuzeit, in: Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte. 2 Aufl. Göttingen 1963, S. 294–321. Hier S. 312.

388

V. Die Fallstudien

Gruppe

Anzahl (Ges.Anteil)

Vermögen (Anteil am GesV. der Gruppe)

Ratsherren

Bürgerschaft

Ratsherren

Bürgerschaft

Über 3.000

15 (24,2 %)

  5 (8,3 %)

73.591 (21,4 %)

19.960 (5,8 %)

1.000–3.000

14   (4,8 %)

15 (5,2 %)

27.955   (6,3 %)

28.955 (6,5 %)

500–1.000

 1  (0,4 %)

  3 (1,6 %)

   750  (0,4 %)

  2.150 (1,1 %)

100–500

0

  4 (0,6 %)

0

  1.080 (0,7 %)

50–100

0

  2 (0,8 %)

0

   150 (0,1 %)

Summe

30

29

101.391 (8,7 %)

52.295 (4,5 %)

*  Die Zahlangabe 8,7 % und 4,5 % bei der Summe des Gesamtvermögens des Ratsherren und der Bürgerschaft bezeichnet den Anteil am Gesamtvermögen der Stadt Bremen um die Mitte des 16. Jahrhunderts.

Diese Tabelle belegt deutlich den Zusammenhang zwischen dem Bekleiden eines politischen Amts und sozialem Aufstieg einerseits und einer entsprechenden Höhe des Vermögens andererseits. Von den 59 politischen und ökonomischen Funktionsträgern gehörten 49, also 83,1 %, zur ökonomischen Spitzengruppe, nämlich zu den Spitzen- und Hochvermögenden der Stadt Bremen. Ihr Gesamtvermögen betrug 150.461 Bremer Mark, also lag ihr Anteil am Gesamtvermögen der Stadt Bremen in der Mitte des 16. Jahrhunderts bei 12,9 %. Das heißt: 2,3 % der ökonomischen Spitzengruppe aller Steuerpflichtigen (2.123) besaßen 12,9 % des Bremer Gesamtvermögens. Die Größe des Vermögens determinierte also die Chance, in die Oberschicht aufzusteigen. Zur besseren Veranschaulichung dienen wiederum Diagramme. Zunächst ein Diagramm zum Vergleich der Zugehörigkeit von Ratsherren und Bürgerschaft zu den Vermögensklassen:

Anzahl

Vermögensanteil im Vergleich I 16 14 12 10 8 6 4 2 0

Ratsherren

über 3000 1000–3000 500–1500

100–500

Ökonomische Gruppe

50–500



2. Bremen389

Als Zweites wird vergleichend das Gesamtvermögen von Ratsherren und Bürgerschaft in den einzelnen ökonomischen Gruppen dargestellt:

Summe

Vermögensverhältnis im Vergleich II 80000 70000 60000 50000 40000 30000 20000 10000 0

Ratsherren Bürgerschaft

über 3000 1000–3000 500–1000 100–500

50–100

Ökonomische Gruppe

Fasst man nun diese skizzenhaften Ausführungen zusammen, so waren die sozialen Verhältnisse in der Bremer Bürgerschaft demnach von folgenden wesentlichen Aspekten bestimmt: 1.  Die Bremer Bürgerschaft setzte sich zum größeren Teil aus vermögenden Fernhändlern1350 zusammen und gehörte ebenso wie die Bürgerschaft in anderen Hansestädten, wie z. B. Lübeck und Hamburg, mehrheitlich zu jener neuen sozialen Gruppe der wirtschaftlich erfolgreichen Großkaufleute, nämlich der „Newcomer“, die als sozial aufsteigende bürgerliche Politikelite gegen den patrizisch geschlossenen Rat um politische Teilhabe kämpfte.1351 Neun dieser Großkaufleute wurden später in den Rat gewählt. Die Untersuchungen zur Sozialstruktur der Bremer Politik- und Wirtschaftselite zeigten deutlich, dass es sich bei der bürgerlichen Elite Bremens ebenso wie in anderen Hansestädten in der Regel um vermögende Kaufleute handelte, die Großhandel betrieben und die exklusiv auftretenden Fernhändler in ihrem ökonomischen Erfolg längst überrundet hatten.1352 Von nicht unerheblicher Bedeutung ist, dass sich die Bremer Bürgeropposition zum Teil aus akademisch bzw. juristisch geschulten Fachleuten zusammensetzte. 2.  Für die Bremer Ratselite lässt sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die sozial- und allgemeingeschichtlich folgenreiche Entwicklung einer „Tendenz zur Bürokratisierung und Versachlichung“ des städtischen Regiments feststellen. Neben den Kaufmann ohne spezielle Ausbildung für die Regierungs- und Verwaltungsgeschäfte trat in Bremen der akademisch 1350  Zu Bremens Fernhandel im späten Mittelalter vgl. T. Hill, Die Stadt und ihr Markt (wie Anm. 1225), S. 183–233. 1351  L. Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 54), S. 419–420. 1352  Ebd.

390

V. Die Fallstudien

bzw. juristisch geschulte Fachmann. In Ergänzung zu dem alten, durch Geburt und / oder Vermögen regulierten Zugang zum Ratsmandat führte ein neuer „moderner“ Weg über die akademische Ausbildung und die fachliche Qualifikation. Zur „Qualifikation“ im altständischen Sinne gesellt sich also die beruflich-leistungsmäßige Qualifikation des neuzeitlichen Bildungsbürgertums. Und ebenso wie die Bürgerschaft besaßen die neuen, ausgebildeten politischen Eliten eine andere Rechtfertigungsbasis: nicht Tradition, Stand oder auch Vermögen, sondern berufliche Leistungen und objektivierbare Fähigkeiten.1353 Zum Vordringen der Akademiker in das Regiment bedarf es jedoch weiterer Untersuchungen, ob bei diesem Übergang vom KaufmannsRatsherrn zum Akademiker- bzw. Juristen-Ratsherrn tatsächlich von einer „Professionalisierung“ gesprochen werden kann, da im Vergleich zu den Kaufmanns-Ratsherren das Auftreten der Juristen-Ratsherren eine „Spezialisierung und Verwissenschaftlichung des Regiments bedeutete.1354 3.  Das maßgebliche Kriterium für die unterschiedliche soziale bzw. ständische Stellung in Bremen war der wirtschaftliche Erfolg bzw. die Größe des Vermögens. Es gab in Bremen kein abgeschlossenes differenziertes Ständesystem. Wer Vermögen hatte, konnte bis in den ersten Stand aufsteigen. Sozialer Aufstieg1355 war in Bremen durch den finanziellen Status bedingt, worauf Prange zu Recht hingewiesen hat. Die Kaufleute Cord Bockelman, Jürgen Meyer, Luder Lüdersen und Gert Puttemann verkörpern diese Gruppe einer aufgrund wirtschaftlichen Erfolgs sozial aufsteigenden bürgerlichen Elite. Luder Lüdersen war Sohn eines Schiffers,1356 Cord Bockelman1357 und Jürgen Meyer1358 waren ebenfalls Schiffer und gehörten gemäß der Kleiderordnung von 1546 bzw. 1646 zum dritten Stand. Aber auch sie wurden in den ersten Stand erhoben. Ebenso gehörte Gert Puttemann1359 als Sohn eines Schmieds zum dritten Stand und konnte bis in den ersten Stand aufsteigen. Auch konnte ein auswärtiger Zuwanderer aufgrund 1353  H. Schilling, Vergleichende Betrachtung zur Geschichte der bürgerlichen Eliten in Nordwestdeutschland und in den Niederlanden, in: H. Schilling / H. Diederiks (Hg.), Bürgerliche Eliten in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland (Städteforschung Reihe A / 23), Köln 1985, S. 1–32. Hier S. 11. 1354  Ebd. 1355  Vgl. G. Schulz (Hg.), Sozialer Aufstieg – Funktionseliten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. München 2002. 1356  Dazu vgl. R. Prange, Die bremische Kaufmannschaft (wie Anm. 1235), S. 113. 1357  Ebd. S. 127–128. 1358  J. Focke, Das Seefahrtenbuch des Brüning Rulves, in: Bremisches Jahrbuch 26 (1916), S. 91–144. 1359  R. Prange, Die bremische Kaufmannschaft (wie Anm. 1235), S. 113; H. Hertz­ berg, Tagebuch des bremischen Ratsherrn Salomon, in: Bremisches Jahrbuch 29 (1924), S. 27–81.



2. Bremen391

seines wirtschaftlichen Erfolgs in die Bremer Oberschicht aufsteigen. Luder von Belmer aus der Grafschaf Hoya,1360 Johann Weselow aus Verden1361 oder Detmar Kenkel aus Verden1362 belegen dies deutlich. Johann Weselow war Frachtherr der Bergenfahrer und gehörte dem dritten Stand an; dennoch erhob ihn sein wirtschaftlicher Erfolg in den ersten Stand. Detmar Kenckel ist in den Akzisebüchern 14-mal verzeichnet; er handelte vor allem mit Tuch („laken“),1363 aber auch mit Butter, Talg und Weizen. Im Akzisebuch von 15461364 erscheint er zweimal, und zwar mit Butter und Wachs. Im Akzisebuch von 15701365 ist wiederum entweder Detmar Kenckel selbst oder sein gleichnamiger Sohn (geboren 1549, später Eltermann) als aktiver vermögender Kaufmann genannt. Er erscheint viermal als Händler von größeren Mengen an Wolle und Wachs. Durch erfolgreichen Handel wurde er zu einem der zwölf Großhändler Bremens1366 und stieg somit in die Oberschicht der Stadt auf. Hermann Krefftting aus Neustadt Gödens kann auch als Beleg dafür gelten, dass ein auswärtiger Zuwanderer in die Funktionsträgerschaft Bremens aufsteigen konnte, sofern er Vermögen besaß. Kreffting erhielt erst 1553 das Bürgerrecht, gehörte jedoch bereits wenige Jahre später zu den Repräsentanten der Bürgerschaft. Dieser schnelle soziale Aufstieg wäre ohne entsprechendes Vermögen nicht möglich gewesen. Zwar spielten andere Faktoren, wie z. B. seine Heirat, eine wichtige Rolle, doch das entscheidende Kriterium blieb der wirtschaftliche Erfolg. Cord Kenckel, der als Wortführer der Bürgerschaft mit der lutherisch-oligarchischen Ratsmehrheit politische Angelegenheiten, insbesondere Religionssachen, verhandelte,1367 Ratke Groning und Johann Groning, Dirick Bolemann, Jost Brockmann und Cordt Bockelmann, die zwar vermögenden kaufmännischen Ratsfamilien entstammten und zur Bremer Funktionselite gehörten, aber nicht im Rat vertreten waren, hatten durch ihren wirtschaftlichen Erfolg das Recht, im Rat aufzutreten. 1360  R.

Prange, Die bremische Kaufmannschaft (wie Anm. 1235), S. 184.

1361  Ebd. 1362  Ebd.

1363  Deshalb wird er auch als Tuchhändler bezeichnet. Vgl. H. Entholt, Kaufmannschaft und Staatsverwaltung, in: Bremisches Jahrbuch 20 (1926), S. X. 1364  Register zum Akzisebuch 1546 von Alfred Schmidtmayer. StA B 2-ad R.2. A.o.2.b.4. 1365  StA B 2-ad R.2.A.o.2.b.14. 1366  Laut Herrn Dr. Hofmeister aus dem Staatsarchiv Bremen könne nicht als sicher gelten, dass Detmar Kenckel mit seinen verzollten Waren im Wert von ca. 500 Gulden (ca. 560 Bremer Mark) 1539 / 1540 wirklich der zwölfgrößte Händler war; möglicherweise hat ihn Schmidtmayer nur wegen seines häufigen Vorkommens und seines bekannten Namens ausgewählt. Herr Hofmeister meinte, dass ihm die Summe als Maßstab für große Vermögen zu gering erscheine. 1367  StA B 2-E.7.e.3. fol. 97.

392

V. Die Fallstudien

4. Eine Ratsoligarchie hat es in Bremen in Wirklichkeit nicht gegeben. Der Rat wurde im Wesentlichen aus Kaufleuten, und zwar Großkaufleuten bzw. Fernhändlern, gebildet, da nur sie zur Wahrnehmung eines Ratsmandats finanziell in der Lage waren. Zwar waren Handwerker rechtlich nicht ausgeschlossen, doch durch entsprechende Vorschriften zur Ratsfähigkeit so gut wie ausgeschlossen.1368 Die oben dargestellte Tabelle der Bürgerschaft belegt dies ebenfalls deutlich. Zwar war der Anteil der Repräsentanten der handwerklichen Mittel- und Unterschicht in der Bürgerschaft mit 12 Personen im Vergleich zum Anteil der Großkaufleute mit 27 Personen nicht gering, jedoch wurde keiner der Vertreter aus den handwerklichen Ämtern in den Rat gewählt, sondern stets nur kaufmännische Repräsentanten, die zu den ökonomischen Spitzen- und Hochvermögenden gehörten. Die folgende Vergleichstabelle zwischen den ausgewichenen und den neu gewählten Ratsherren im Jahr 1562 belegt diesen Tatbestand: Die ausgewichenen Ratsherren

Vermögen Die neu gewählten Ratsherren

Vermögen

Von Bobart, Arnold (M) (29–62)

6713   (12) Kenkel, Cordt (A)

6000   (14)

Herde, Borcher (A) (30–62)

4800   (23) Lüdersen, Luder (A)

2000   (71)

Von Belmer, Lüder (M) (39–49–62)

4000   (29) Puttemann, Gert (A)

2600   (51)

Von Rheden, Lüder (M) (39–62)

1000 (124) Werenberch, Hermann (A)

4260   (27)

Schnedermann, Carsten (M) (41–62) 3820   (30) Bockelman, Cort (U)

1060 (116)

Wachmann, Cord (S) (44–62)

2800   (47) Winkel, Hinrich (S)

2920   (44)

Bredeloh, Dethmar (M) (44–62)

1500   (86) Von Harmen, Carsten (S)

  800 (146)

Lose, Bernhard (M)(48–62)

5800   (16) Gronink, Ratke (M)

1500   (86)

Wencke, Jacob (A) (59–62)

1000 (124) Meier, Jorgen (?)

Kenkel, Dethmar (A) (49–54–62)

4100   (28) Schnedermann, Gerd (M)

Baller, Heinrich (M) (53–62)

2000   (71) Schulte, Johann

Wehrenberch, Heinrich (M) (54–62)

1800   (75) Steding, Carsten (U)

Eisch, Johann (A) (55–60–62)

3100   (40) Von Cappeln, Diderich

Havemann, Johann (A) (24–47–60)

4000   (29) Hemeling, Borchert

Pestorp, Werner (M) (61–62)

3800   (31) Lavas, Arnt (S)

3060   (41) 2000   (71)

Dr. Hoyer, Erich

Meckelin, Moritz (?) (61–62) Houmest, Johann (A) (58–62)

4000   (29) Van Buckelte, Claus (A)

2400   (58)

Weselow, Johann (A) (56–62)

  750 (151) Holste, Johann (S)

2300   (62)

Vulgreve, Lüder (?) (57–62)

Salomon, Heinrich (S)

3830   (30)

(Kursive = Ratsherren, die akademisch gebildet waren) 1368  R.

Prange, Die bremische Kaufmannschaft (wie Anm. 1235), S. 161 ff.



2. Bremen393

Auffallend ist, dass unter den neu gewählten Ratsherren eine Vielzahl von Bürgern war, die nicht aus dem Kirchspiel St. Ansgari, sondern aus anderen Kirchspielen stammten, nämlich aus St. Stephani (5), St. Martini (2) und Unser Lieben Frauen (2). Von den 15 Ratsherren, deren Herkunft ermittelt werden konnte, stammten 10 nicht aus dem Kirchspiel St. Ansgari. Die Vermutung liegt nahe, dass der neue Rat doch zu der ungewöhnlichen Maßnahme gezwungen war,1369 sich nicht mehr aus dem Kirchspiel St. Ansgari rekrutieren zu können, da eine Vielzahl der vermögenden Fernhändler aus diesem Kirchspiel ausgewichen war. Dennoch konnte der neue Rat nicht jeden beliebigen Bürger, sondern nur die vermögenden Großkaufleute rekrutieren, obwohl er die zur Beschlussfähigkeit fehlenden Stimmen dringend benötigte. Die fünf Ratsherren aus St. Stephani weisen vermutlich darauf hin, dass bei dieser Wahl der Ratsherren verwandtschaftliche Beziehungen eine Rolle gespielt haben, da der Bürgermeister Daniel von Büren aus diesem Kirchspiel stammte. Der Sachverhalt macht wiederum deutlich, dass der soziale Konflikt bzw. die Gegensätze zwischen kaufmännischer Oberschicht und handwerklicher Mittel- und Unterschicht trotz der zahlreichen Zunfterhebungen im 14. Jahrhundert und der sozialen Aufstandsbewegungen 1530–1532 nicht aufgelöst waren. Dass die Ratsfähigkeit allein auf wirtschaftlicher Prosperität der freien Bürger und nicht auf ihrer Zugehörigkeit zum Patriziat beruhte, führte einerseits zwar zu einem regen sozialen Mobilierungsprozess, andererseits aber zwangsläufig zu einer Zunahme sozialer Konflikte zwischen kaufmännischer Oberschicht und handwerklicher Mittel- und Unterschicht. Soziale Spannungen entstanden insbesondere aufgrund der privilegierungspolitischen Grundsätze wie der sog. „Lebenslänglichkeit des Ratsherrenamtes“ und des Selbstergänzungsprinzips in einem vielseitigen Differenzierungsprozess der handwerklichen Mittel- und Unterschicht, der genug Sprengstoff enthielt, um die Lage in der Stadt während der Hardenbergschen Unruhen immer weiter zu destabilisieren, bis am 19. Januar 1562 diese Entwicklung mit der „Fast-Revolution“ ihren Höhepunkt erreichte. Deshalb sind die Verfassungskonflikte und Konfessionskonflikte in Bremen aus sozioökonomischer Perspektive deutlicher zu erkennen und werden phänomenologisch nicht von der Auseinandersetzung zwischen einfachen Bürgern und Ratsaristokratie bzw. Fast-Patriziat überlagert.

1369  Gegen die Interpretation von Prange, die äußerte, dass der neue Rat keineswegs zu einer ungewöhnlichen Maßnahme gezwungen gewesen sei. Vgl. R. Prange, Die bremische Kaufmannschaft (wie Anm. 1235), S. 128.

394

V. Die Fallstudien

(2) Das geistliche Ministerium Im Folgenden geht es nun um den dritten Faktor des Kräftedreiecks in Bremen um die Mitte des 16. Jahrhunderts, nämlich die Stadtgeistlichkeit.1370 Wie bereits erwähnt wurde, war das geistliche Ministerium in Bremen keineswegs eine weisungsgebundene Angestelltenschaft der welt­ lichen Obrigkeit und der Bürgergemeinde, sondern eine von drei gleichberechtigten Verfassungskräften der Stadt Bremen. Nach Weygoldt hatten die Stadtgeistlichen seit den Tagen der Ausarbeitung der Kirchenordnung von 1534 eine gewisse Verbindung untereinander, da sie sich zusammengeschlossen hatten, um sich über die wesentlichen Fragen der Religion und der sonstigen kirchlichen Angelegenheiten zu beraten. Vor der Reformation war die Sozialgruppe des Klerus in Bremen ein festgeschlossener Berufsverband wie die Zünfte, Gilden oder Hansen gewesen.1371 Die Prediger der neuen Lehre in Bremen standen ebenso wie in anderen Städten in dieser Tradition und schlossen sich zusammen, um die Interessen ihres Standes wirkungsvoller durchsetzen zu können. Zwar ist nicht eindeutig feststellbar, ob die Gesamtheit der Stadtprediger bereits zu diesem Zeitpunkt unter einem Begriff – dem geistlichen Ministerium – zusammengefasst werden kann und ob ihr Zusammenschluss als Predigerkollegium ähnlich wie das Ratskollegium und das Eltermannskollegium wahrgenommen wurde; aber spätestens ab 1550 ist nachweisbar, dass sich die Stadtgeistlichkeit unter dem Begriff des „geistlichen Ministeriums“ zusammengeschlossen hat. Beispielsweise hatte Johannes Molanus (1510–1583) am 13. Juni 1557 seine schriftliche Abendmahlsauffassung nach dem so genannten Verhör beim Ratsherrn Dethmar Kenkel am 7. Juni 1556 dem geistlichen Ministerium, dem Kollegium der Geistlichen, überreicht.1372 Auch trug die von Simon Musäus verfasste neue Kirchenordnung bezeichnenderweise den Titel „Articuli de instaurati1370  Zum geistlichen Ministerium gehörten ursprünglich nur die Stadtgeistlichen der vier altstädtischen Kirchengemeinden, nämlich Unser Lieben Frauen, St. Martini, St. Ansgari und St. Stephani. Im Lauf des Jahrhunderts kommt in unserem Untersuchungszeitraum noch eine hinzu: 1596 St. Remberti. Da aber nur zwei Pastoren in unserem Untersuchungszeitraum in Betracht kommen, wurden die Amtsinhaber dieser Kirche in unserer Untersuchung nicht berücksichtigt. Vgl. E. Weygoldt, Die rechtliche Stellung des Ministeriums der stadtbremischen Pfarrkirchen. Diss. Kiel. Düsseldorf 1964. S. 4. 1371  Vgl. O. v. Gierke, Das Deutsche Genossenschaftsrecht. 2 Bde. 1868. Neuauflage 1954. Hier Bd. I, S. 498. 1372  Vgl. J. Moltmann, Johannes Molanus (1510–1583) und der Übergang tremens zum Calvinismus, in: Jahrbuch der Wittheit zu Bremen 1 (1957), S. 119–141. Hier S. 127. Dort Anm. 20; J. P. Cassel, Bremensia II, S. 556 f.



2. Bremen395

one ministerii“1373, was die Erneuerung des Ministeriums wortwörtlich vor Augen führt. Ihrem Inhalt nach setzen diese Artikel zudem voraus, dass es in Bremen einen Zusammenschluss der Stadtgeistlichkeit zu gemeinsamen Beratungen bereits gegeben haben muss. Die rechtliche Stellung und Funktion des geistlichen Ministeriums1374 in Bremen bestand nicht nur in der Organisation der Stadtgeistlichkeit zu gemeinsamen Beratungen, sondern auch in einem eigenen Rechtswesen bzw. in einer den Zünften ähnlichen Amtskörperschaft. Das geistliche Ministe­ rium unterschied sich jedoch wesentlich in der Übernahme der öffentlichrechtlichen und hoheitlichen Funktionen und demzufolge in seiner öffent­ lichen Stellung von den Zünften.1375 Die Gesamtpersönlichkeit des geist­ lichen Ministeriums trat in das allgemeine Bewusstsein. Alle Schreiben des Rates und auswärtiger Absender ergingen an das geistliche Ministerium und auch die Eingaben der Geistlichen selbst waren unterzeichnet mit „Das Ministerium“ oder „membra ministerii“. Es lässt sich auch nachweisen, dass das geistliche Ministerium in Bremen nicht nur eine besondere körperschaftliche Ehre als Venerandum Ministe­ rium, sondern vor allem ein wichtiges genossenschaftliches Recht, nämlich das Recht auf Autonomie im Sinne korporativer Selbstgesetzgebung1376 innehatte. Es hatte auch die genossenschaftliche Korporationsgerichtsbarkeit inne, besaß ausgeprägte Körperschaftsautonomie sogar gegenüber dem Rat und stand dem Rat als einziges, oberstes und vor allem verfassungsmäßig berufenes Organ der Bremer Kirche gleichberechtigt gegenüber. Es wurde als Spitze des geistlichen Staates angesehen, so wie der Rat die Spitze des weltlichen Staates bildete. Das geistliche Ministerium hatte vor allem auch den Status einer gleichrangigen Selbstregierung, um gemeinsame Interessen der Pastoren in dem selbstgeschaffenen Rahmen durchzusetzen und zu diesem Zwecke notfalls auch gegen einzelne Mitglieder vorzugehen. Nach Weygoldt1377 und Hogrefe1378 1373  Articuli de instauratione (restauratione) ministerii in inclyta urbe Bremensi a toto collegio ministrorum sedulo deliberati et unanimiter conclusi. StA B 2T.1.c.2.b2.c.2.b.2. 1374  Vgl. C. W. H. Schoß, Die rechtliche Stellung, Struktur und Funktion der frühen Evangelischen Konsistorien nach den evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts. Diss. Heidelberg 1980. 1375  E. Weygoldt, Die rechtliche Stellung des Ministeriums der stadtbremischen Pfarrkirchen (wie Anm. 1370), S. 15–56. 1376  O. v. Gierke, Das Deutsche Genossenschaftsrecht (wie Anm. 1371), Bd. II, S. 889. 1377  Ebd. 1378  M. Hogrefe, Wohin hat die geschichtliche Entwicklung der bremischen Kirchenverfassung geführt? Diss. Leipzig 1914, S. 30–46.

396

V. Die Fallstudien

wurde das geistliche Ministerium in Bremen als gleichberechtigter Repräsentant der Kirche neben dem Rat als Repräsentant des weltlichen Staates angesehen. In großem, auch vom Rat anerkanntem Umfang war das geistliche Ministerium in Bremen zur Wahrung der kirchlichen Rechte berechtigt. Es leitete die kirchlichen Angelegenheiten in einer Art Selbstverwaltung. Die Bremer Kirche war im Unterschied zu anderen Hansestädten, wie z. B. Hamburg, keine Rat- und Bürgerkirche, deren Einfluss immer vom sachlichen Gewicht der Vorschläge des Rates und dem Wohlwollen der Bürgerschaft abhängig war, sondern eine Pastorenkirche, deren Einfluss und Initiative hinsichtlich der kirchlichen Dinge von Rat und Bürgerschaft unabhängig war. Deshalb waren Rat und Bürgerschaft in Bremen stets an die Meinung des geistlichen Ministeriums gebunden, wie dies in anderen Hansestädten, insbesondere in Hamburg, weitgehend nicht der Fall war. Die rechtliche Stellung und Funktion des geistlichen Ministeriums in Bremen ist auch keineswegs vergleichbar mit der eines zu gutachtlichen Äußerungen verpflichteten Kollegiums von Sachverständigen, die dem kirchlichen Verwaltungsressort ohne Recht auf Anhörung beigeordnet waren (wie dies in Hamburg der Fall gewesen ist), sondern entspricht eher einer selbständigen Kirchenregierung.1379 Nach Weygoldt ging es deshalb dem Rat auch nicht so sehr um die Fragen der obrigkeitlichen Gewalt im Verhältnis zur ursprünglichen korporativen Freiheit und Macht des geistlichen Ministeriums als vielmehr um Machtfragen zwischen weltlicher und geistlicher Obrigkeit.1380 Es lässt sich auch feststellen, dass die Stadtgeistlichkeit in Bremen keine sozial isolierte Gruppe war, sondern vielmehr in die bremische Funktionsträgerschaft bis hin zur politischen Selbständigkeit eingebunden gewesen ist. Die im Anhang angeführte Tabelle1381 zur lutherischen und reformierten 1379  E. Weygoldt, Die rechtliche Stellung des Ministeriums der stadtbremischen Pfarrkirchen (wie Anm. 1370), S. 104 ff. 1380  Ebd. S. 59. 1381  Diese Tabelle basiert hauptsächlich auf folgenden Quellen und Literaturen, die allerdings mit Vorbehalt auszuwerten sind, denn die dort enthaltenen Angaben sind oft unsicher und mitunter sogar fehlerhaft. An dieser Stelle sei ausdrücklich betont, dass es bei dieser Liste keineswegs um Vollständigkeit gehen kann, sondern lediglich um eine einführende Anregung zu weiteren sozialgeschichtlichen Studien über die Geistlichkeit in Bremen: O. Müller-Benedict / H. Ammann, Bremer Pfarrerbuch Bd. 1. Bremen 1990; H. Ammann, Bremer Pfarrerbuch Bd. 2. Bremen 1996; Die „Grauen Mappen“ und Stammtafeln (alphabetisch) der Familiengeschichtlichen Sammlung in der Gesellschaft für Familienforschung in Bremen „Die Maus“; 6 Kartons Stammtafeln und biographische Nachrichten (alphabetisch, mit Register), StA B 2-P.1–149; C. A. Heineken, Das „Goldene Buch“. 1808. StA B 1-P.1–144; H. Post, Familiarum Bremensium Stemmata. StA B 2-P.1–144; ders., Supplementband und Register. StA B 2-P.1–145; ders., Fasti Consulares et Senatorii. 1726; Wappenbuch bremischer Prediger; H. W. Rotermund, Lexikon aller Gelehrten. 1818; H. Iben, Die



2. Bremen397

Stadtgeistlichkeit im Untersuchungszeitraum vom 1547 bis 1605 verdeutlicht diese Feststellung.1382 Die Gesamtzahl der Kinder jener 46 Stadtgeistlichen, deren Kinderzahl für den hier untersuchten Zeitraum ermittelt werden konnte, beträgt 138; durchschnittlich hatte ein Pfarrer also 3,0 Kinder.1383 Das zeigt, dass der Topos vom Pastor, der viele Bücher und viele Kinder besitze,1384 auch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Bremen zutreffend gewesen ist. Prange vermutete in ihrer Untersuchung, dass sich die Pastoren aus dem Kleinbürgertum, d. h. der Mittelund Unterschicht rekrutiert hätten, denn die zahlreichen Studierten aus Kaufmannsfamilien seien fast alle Juristen und nur selten Theologen geworden.1385 Richter, Anwälte und höhere Beamten würden demzufolge fast ausnahmslos aus der bürgerlichen bzw. kaufmännischen Oberschicht stammen, zu der sie auch als Studierende gehörten. Diese Einschätzung erweist sich nun als korrekturbedürftig. Keineswegs rekrutierten die bremische Pastoren sich aus der mittleren bzw. unteren Sozialschicht, sondern vielmehr ebenso aus der bürgerlichen Oberschicht. Der Anteil bremischer Pastoren aus dem Großbürgertum ist sehr viel größer gewesen, wie die angesprochene Tabelle dies eindrucksvoll belegt. Von den 35 Stadtgeistlichen, die von 1547 bis 1605 dem geistlichen Ministerium angehörten und deren akademischer Grad ermittelt werden konnte, waren ohne Ausnahme alle graduiert1386, davon 8 (also 23 %) sogar promoviert. Anhand der seit 1546 Prediger des Herzogtums Oldenburg; R. Miessner, Die bremischen Pastoren seit der Reformation; Leichenpredigten der Staatsbibliothek Bremen; H. J. v. Witzendorff, Die Personalschriften der Bremer Staatsbibliothek bis 1800. Bremen 1960; Deutscher Biographischer Index; O. Müller-Benedict, in: Bremisches Jahrbuch 57, S. 271 und 278 ff.; 60 / 61, S. 132 und 134 f.; D.v. Reeken (Hg.), Unser Lieben Frauen. Die Geschichte der ältesten Kirchengemeinden Bremens von den Anfängen bis zur Gegenwart. 2002. Bremen, S. 277–283. 1382  Siehe Anhang I. Anzumerken ist, dass bei dieser Liste die Doppelamtsinhaber nur einmal gezählt wurden. 1383  In der Auswertung der Angaben zur Anzahl der Kinder wurde bei „mehreren Kinder“ mit vier gerechnet und bei „Fragezeichen“ die vordere Zahl übernommen. 1384  W. Sippel, Die Geistlichen des Metropolitanats Sontrag 1525–1975, 3 Bde. Göttingen 1980 ff. Hier Bd. 1, S. 16. 1385  Vgl. R. Prange, Die bremische Kaufmannschaft (wie Anm. 1235), S. 108; H. Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S. 289–290. 1386  In den Quellen sind die akademischen Bezeichnungen in den meisten Fällen nicht so klar erkenntlich; oft bleibt unklar, ob einer mit einem Magister Artium oder Magister Phil. graduiert hat. In solchen Fällen bezeichnet „Mag.“ diejenigen, die ihr Studium mit einem Mag. phil. oder theol. angeschlossen haben. Von den 38 Geistlichen, deren Bildungsweg für die untersuchte Zeitspanne ermittelt werden konnte und die eine Universität besucht haben, haben 20 (53 %) an der Universität Wittenberg

398

V. Die Fallstudien

(bzw. 1656) festgeschriebenen Kleiderordnung, durch welche die Einbindung der Pfarrergeistlichkeit in die bremische städtische Gesellschaft deutlich sichtbar festgelegt wurde,1387 lässt sich erschließen, dass fast ein Viertel der bremischen Amtsinhaber sogar dem obersten Stand zuzurechnen ist.1388 Der Bildungsstand der bremischen Stadtgeistlichen lag über demjenigen der Mehrzahl der Ratsherren. Dieser hohe soziale Rang, welcher der graduierten Geistlichkeit in der Stadt zukam, erleichterte ganz offensichtlich die soziale Verflechtung zwischen altständischem Bürgertum, nämlich der Geistlichkeit und anderen städtischen Funktionsträgern. Es wird deutlich, dass die akademische Graduierung zur Festlegung des sozialen Ranges der Geistlichkeit diente. Der hohe Anteil akademisch Graduierter unter den bremischen Geistlichen beschleunigte deren Integration und sozialen Aufstieg in Bremen. Die ausgeprägte soziale Offenheit in Bremen trug wahrscheinlich wesentlich zur Erleichterung derartiger Inte­ gration der neuen Sozialgruppe bei.1389 Die Chance des sozialen Aufstiegs eröffnete sich mit Hilfe des geistlichen Amtes, von hier aus war der Schritt zur Beamtenfunktion, die juristische Schulung voraussetzte, einfach zu vollziehen. Die geistlich und juristisch geschulten Funktionsträger verbanden sich zu einer eng miteinander verflochtenen Sozialgruppe der „gelehrten Beamten“. Von den 25 Stadtgeistlichen, deren Väter und Schwiegerväter beruflich eingeordnet werden konnten, kamen 9 (also 36 %) aus Juristenund Ratsherrenfamilien oder vermögenden Handwerkerfamilien. Weitere 16 (also 64 %) heirateten wiederum in diese Sozialgruppe, und zwar in Juristen- wie Theologenfamilien.1390 studiert. Damit erweist sich Wittenberg als der am häufigsten besuchte und beliebteste Studienort. Die weiteren Studienorte sind Helmstedt (6), Rostock (5), Heidelberg (4), Marburg (3), Erfurt, Frankfurt /  O., Köln, Jena und Leipzig (je 2) sowie Leiden und Basel (je 1). Interessant ist, dass es auch Geistliche gab, die keine Universität besucht hatten. Von den 58 Amtsinhabern in der untersuchten Zeitspanne hatten zumindest 38 eine Universität besucht. Vermutlich muss diese Zahl noch erhöht werden, da in vielen Fällen der Bildungsstand nicht richtig erfasst werden konnte. 1387  Vgl. H.  Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S. 289–290; R. Prange, Die bremische Kaufmannschaft (wie Anm. 1235), S. 109. 1388  Während in anderen Städten, z. B. in Braunschweig, die Geistlichkeit, die den Magistertitel einer philosophischen Fakultät erworben hatte, zum ersten Stand gehörte, scheint dies in Bremen nicht der Fall gewesen zu sein; dort gehörte diese Geistlichkeit zum zweiten Stand. Sollte aber diese Geistlichkeit auch mitgezählt werden, steigt der Anteil der bremischen Pfarrer an der Zugehörigkeit zum ersten Stand auf 100 %. Vgl. H. Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S. 289. 1389  Beispielsweise Konrad Hildebrand, Sohn des Pastors Konrad Hildebrand, heiratete die Tochter eines Bürgermeisters und Ratsherrn. Siehe Anhang 6. 1390  Siehe Anhang 1.



2. Bremen399

Zu beachten ist, dass das stadtbremische Pfarramt diese „Aufstiegsfunktion“ offensichtlich auch für Handwerkersöhne erfüllte. Die Beispiele von Urban Pierius, Sohn eines einfachen Bürgers, Elard Segebade, Sohn einer Handwerkerfamilie, und auch Simon Musäus, Sohn eines Bauern, mögen diese Tatsache verdeutlichen: Diese heirateten die Töchter eines bremischen Bürgermeisters und damit in eine Juristenfamilie ein, die zum ersten Stand gehörte.1391 Hervorzuheben ist, dass diese neue Sozialgruppe durch intensive Endo­ gamie geprägt war.1392 Das heißt, dass es in Bremen besonders exklusive Beziehungen zwischen den Pfarrersfamilien gegeben hat; anders als die Pfarrersfamilien in anderen Städten (wie z. B. Braunschweig), wo sich unter den Pfarrersöhnen / -schwiegersöhnen fast immer neben Theologen auch Juristen und Mediziner fanden, verbanden sich die Geistlichen in Bremen stärker unmittelbar miteinander als mit juristischen Funktionsträgern. Nicht nur Pastoren selbst, sondern auch deren Frauen, Söhne und Töchter, sogar in ihrer zweiten, dritten, sogar vierten Ehe, verbanden sich untereinander: Die im Anhang aufgeführte Tabelle1393 und die Stammtafeln von einigen Pfarrersfamilien, Christoph Pezelius1394, Urban Pierius1395, Markus Mening1396, Joachim Grevenstein1397 und Johannes Hildebrand I.1398, verdeutlichen diesen Befund. Tobias, der erste Sohn des Pezelius heiratete Anna Pierius, die Tochter des Pastors Urban Pierius. Katharine, die Tochter von Tobias, heiratete wiederum Ludwig Crocius, einen Pastor und Professor der Theologie zu St. Martini. Die zweite Tochter des Christoph Pezelius, Dorthea, heiratete einen Super­ intendenten, eine weitere Stieftochter des Christoph Pezelius heiratete Titus Wittich, Pastor St. Ansgarii. Elisabeth, die dritte Tochter des Pezelius, heiratete August Sagittarius, Pastor St. Ansgarii. Dessen Tochter, Anne Sagittarius, heiratete wiederum einen Pastor, Ulrich Pierius in Lippe, den Sohn des Pastors Urban Pierius. Marcus Johan, der Sohn von Pastor und Superintendent Marcus Mening, war Pastor in Wesermünde. Auch seine Tochter Wubbeke heiratete einen Pastor in Oldensal. Hermann Markus wurde hingegen Pastor in St. Stephani und heiratete wiederum Anna Voß, eine Tochter des einheimi1391  Siehe

Anhang 1. man damit die These von der ausgeprägten geistlichen Selbstergänzung vertreten kann, bleibt noch zu untersuchen. 1393  Siehe Anhang 1. 1394  Siehe Anhang 2. 1395  Siehe Anhang 3. 1396  Siehe Anhang 5. 1397  Siehe Anhang 4. 1398  Siehe Anhang 6. 1392  Ob

400

V. Die Fallstudien

schen Pastors Wilhelm Voß. Andreas Dithamr, Pastor zu ULF, heiratete die Tochter von Pastor Johannes Becker. Heinrich Broyel, der Sohn von Pastor Gerhard Broyel zu St. Stephani, heiratete die Tochter von Pastor u. Prof. Johann Esich, dem Sohn des Bürgermeisters Johann Esich. Die Töchter der Pastoren mit dem Sternzeichen sind außer Metke,1399 der Tochter von Pastor Meinharts Meinhard, in 2. Ehe wieder mit Pastoren verheiratet. Elisabeth, die Tochter von Christoph Pezelius, heiratete in 2. Ehe einen Pastor, Urban Pierius. Dorthea, die Tochter von Christoph Pezelius, heiratete in 2. Ehe einen Professor an der Universität Frankfurt / O. Der erste Sohn von Christoph Pezelius heiratete in 2. Ehe eine Tochter des Pastors Urban Pierius. Frau Elisabeth Pegel, die Frau des Pastors August Sagittarius, heiratete in 2. Ehe den Pastor Urban Pierius, der insgesamt 4 Ehen erlebte. Zwar waren die bremischen Pfarrersfamilien in ein überstädtisches bzw. überregionales1400 Geflecht von Theologen- und Juristenfamilien eingebunden; aber die Tatsache, dass 15 Amtsinhaber von insgesamt 58 bremischen Stadtgeistlichen, also 25,9 %, aus drei Pfarrhäusern1401 stammten, belegt die ausgeprägte verwandtschaftliche Verflechtung innerhalb dieser Gruppe in Bremen. Rechnet man nicht nur bremische Amtsinhaber, sondern auch auswärtige Amtsinhaber mit hinzu, tritt diese Tatsache noch deutlicher hervor, denn die Zahl der Pfarrer, die aus lediglich drei Pfarrhäusern stammen, erhöht sich damit auf 26. Vermutlich wurde in Bremen diese Art Exklusivität des geistlichen Amtes als Abgrenzung verstanden, die sich in der untersuchten Zeitspanne jedenfalls belegen lässt. Allerdings setzte sich diese Abgrenzung auch in der folgenden Generation fort. Sofern die Söhne und Töchter dem geistlichen Amt verbunden blieben, taten sie das häufig in Pfarrämtern der Stadt.1402 Der Wechsel in einen anderen Beruf kam ebenso selten vor wie der Wechsel von Kaufleuten und Juristen in das geistliche Amt. 1399  Sie

men.

heiratete in 2. Ehe einen Ratsherrn und in 3. Ehe einen Lehrer in Bre-

1400  Von den 46 Amtsinhabern, die von 1547 bis 1605 dem geistlichen Ministerium angehörten und deren Herkunft festgestellt werden konnte, kamen nur 12 aus Bremen (Anteil der einheimischen Geistlichkeit: 26 %), Das bedeutet, dass die Mehrzahl des bremischen Predigerministeriums in einen auswärtigen Dienst eingebunden gewesen ist, sei es als Professor, Superintendent, Hofprediger oder Pfarrer. Diese heirateten aber, wie bereits gezeigt, in die bremische Funktionselite ein, d. h. in Juristen- und Theologenfamilien und konnten so rasch nach oben aufsteigen. 1401  Im Anhang finden sich eigentlich fünf Pfarrerhäuser, die aber auf drei Pfarrerhäuser zurückgeführt werden können. 1402  Es war durchaus üblich, dass Pfarrerssöhne nach einem Jura-, Medizin- oder Theologiestudium wieder in die Dienste ihrer Vaterstadt traten und dass die Pfarrerstöchter zu Ehefrauen von bremischen Theologen, Medizinern oder Juristen wurden. Siehe Anhang 6.



2. Bremen401

In den Kindergenerationen überwog also die Tendenz, ebenfalls das Pfarramt zu bekleiden. Von den 68 Söhnen und Schwiegersöhnen, deren Beruf ermittelt werden konnte, waren 51, also 75 %, wiederum Pfarrer bzw. Superintendent, Professor der Theologie oder Hofprediger. In Bezug auf die Gesamtzahl aller Pfarrerskinder (138) sinkt der Prozentsatz zwar auf 37 %, was aber beeindruckend genug bleibt. Es zeigt sich hierin die viel beschriebene Familientradition des geistlichen Amtes, die sich oft nicht nur über zwei Generationen, sondern über vier oder sogar sechs Generationen erstreckte: Die Stammtafeln der Pastoren Pierius, Grevenstein, Mening und Hildebrand mögen diese Tatsache verdeutlichen. Im Gegensatz zu anderen Städten wie z. B. Braunschweig setzten die Kindergenerationen also die Linie der Eltern fort. Von den erwähnten 68 wählten nur 13 (19 %) einen anderen Beruf, nämlich Kaufmann, Lehrer oder Bürgermeister. Nach diesem Überblick über die historisch-tagespolitische und sozioökonomische Grundkonstellation im bremischen Kräftedreieck soll im Folgenden die Rolle und Funktion der Dreiständelehre in den konkreten politischen Auseinandersetzungen in den Mittelpunkt der Darstellung rücken. Nach einer Darlegung des Gebrauchs der Dreiständelehre als Legitimitätsgrundlage soll insbesondere darauf eingegangen werden, ob die Dreiständelehre als ideologisches Manöver bzw. als Manipulation ideologischer Konventionen mit dem Ziel der Legitimierung oder Unterminierung bestimmter, problematisch gewordener Elemente der politischen Praxis verwendet wurde. cc) Verwendung der Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster (1) Die Geistlichkeit Wie in der einleitenden Konfliktschilderung bereits erwähnt wurde, forderte Timann den Rat auf, Hardenberg aus der Stadt auszuweisen. Zur Rechtfertigung seines Vorgehens verwies Timann in seiner Schrift von 1550 ausdrücklich auf seine Amtspflicht, die er auf der Grundlage der Dreiständelehre zu üben habe: „Denn gleich wie wir vorgeblich zu Gottseligkeit das Volck vermanen /  wo die Obrigkeit sich der Religion gar nicht annimpt /  Also wenn die Obrigkeit recht vnterweiset /  vnnd Christlich lebt /  bringet vnnd füret sie auch den gemeinen Man /  durch ihre exempel vnnd ernst zur zucht /  liebe vnd vleiss der ehrbarkeit. Darumb sol die erste sorge vnd arbeit sein eines frommen trewen lerers /  das er die Obrigkeit jhres beruffs vnd ampts erinnert /  vnnd von der gewohnlichen freiheit /  so sie jr anmasset jres willens zuthun vnd zuleben /  abwende Das aber wie könnte es geschehen /  so er zu allen sünden stillschweigen vnd durch die finger sehen solt oder wollte?“1403 1403  Etliche

weissagung (wie Anm. 1220), Bl. D iii.

402

V. Die Fallstudien

Timann betont hier seine Pflicht, die Obrigkeit an ihre christliche Verantwortung im politischen Regiment zu erinnern und ihre Sünde auch öffentlich zu strafen.1404 Deshalb warnt er den Rat davor, dass Gottes Strafe und Gericht die Stadt treffen werde, wenn die Obrigkeit ihre von Gott befohlene Amtspflicht als custos primae ecclesiae nicht erfüllen werde, nämlich ihre Untertanen vor falschen Lehren und öffentlichen Gotteslästerungen zu schützen und in der Stadt für eine reine Lehre zu sorgen.1405 Dass Timann die Pflicht und das Recht der weltlichen Obrigkeit an das Dreistände-Deutungsmuster anknüpft, ist besonders daran zu erkennen, dass er den Rat ausdrücklich auf Luthers Auslegung des dritten Kapitels der Genesis verweist, worin jener betont, wie man sich in einer Zeit des Unglücks und der Verfolgung in einem durch die drei Stände geordneten Gemeinwesen zu verhalten habe: „Veniant igitur, sicut Dominus singulis distribuit aduersitates, siue in Oeconomia, siue in Politia, Ecclesia, non tamen paciemur nos commoueri ad impacientiam. Non ideo, uel Politiam, uel Oeconomiam, uel Ecclesiae curam abijciemus.“1406

Bemerkenswert ist, dass der Übersetzer Albert Christian1407 diese Terminologie der tres ordines mit unterschiedlichen Bedeutungsinhalten verband, einmal als Regiment, zum zweiten als Beruf und schließlich als Stand. Daran lässt sich erkennen, wie und in welchem Verständnis zu jener Zeit der Terminus tres ordines unter den Gelehrten gebraucht wurde. Die Amts-, Berufs-, Stände- und (Zwei-)Regimententerminologie bzw. -lehre war kaum von der Dreiständelehre zu unterscheiden, wie oben bereits deutlich herausgestellt wurde. Da dieser unterschiedliche Gebrauch für unsere Fragestellung in Bremen auch von Bedeutung ist, folgt jetzt das Zitat der übersetzten Stelle: „Lass derhalben komen das vnglück auff einen jeden /  auff wem es wolle /  es sey im Hausregimente /  Stadt Regimente /  oder Kirchen Regimente /  so wollen wir vnns doch nicht bewegen lassen zur vngedult. Das wir vnseren beruff /  es sey für was standes es wollt /  wollten verlassen /  vnnd hinweg werffen.“1408

Der Ausdruck „es sey für was standes es wollt“, der im Verständnis des Dreistände-Ordnungsmusters gebraucht wird, findet sich auch in der von Johann Timann verfassten Kirchenordnung von 15341409 und in einer Pro1404  „So will derhalben Gott /  das Regenten sünden nicht sollen verschweigen /  sondern gestrafft werden. Vnnd im newen Testament /  ist ein gemein offentlich gebot /  das amn die busse predigen soll.“ Ebd. Bl.  D iiiv. 1405  Ebd. 1406  Prophetiae aliquvot vere (wie Anm. 1220), Bl. E 3. 1407  Zur Person des Albertus Christianus konnte ich nichts ermitteln. Der Titel „Magister“ deutet auf einen Gelehrten hin. 1408  Prophetiae aliquvot vere (wie Anm. 1220), Bl. H iiijv–J. 1409  Siehe dazu den Abschnitt V. 2. a) a)) (2) (b).



2. Bremen403

testschrift der ausgewichenen lutherischen Ratsmehrheit.1410 Daraus lässt sich schließen, wie sehr die Geistlichkeit, der Bürgermeister und die Ratsherren in Bremen von dem Dreistände-Ordnungsmuster geprägt waren. Dieses Rechtfertigungsmuster Timanns mit Bezugnahme auf die Dreiständelehre kehrt in seiner fünf Jahre später verfassten Schrift „Farrago“, eine Art der kommentierten Kompilation von Stellen aus den Werken Luthers, Melanchthons und zeitgenössischen Reformatoren zur Frage nach den Aufgaben und Pflichten der Obrigkeit, dem Verhältnis zwischen Obrigkeit und Kirche usw., wieder,1411 mit welcher der heftige Streit um die Abendmahlslehre erneut ausgelöst wurde, darin sogar in ungewöhnlich deutlicher Form. Im Abschnitt über die Pflicht der Obrigkeit beruft sich Timann zur Legitimierung seiner Forderung nach Hardenbergs Beseitigung auf die Dreiständelehre, indem er den Rat ausdrücklich auf Melanchthons Lehre von der Obrigkeit als „custos utriusque tabulae“ verweist: „Errant Magistratus, qui diuellunt gubernationem á fine societatis humanae, is autem proprius et praecipus est, ut Deus innotescat, Et se tantum pacis et uentris, corporum et fortunarum custodes esse existimant. Aliud habent maius officium, uidelicet, custodiam et defensionem totius legis, primae et secundae tabulae, quod ad externam disciplinam attinet.“1412

Dass Melanchthon diese berühmte Bestimmung der weltlichen Obrigkeit als custos legis im Dekalog gerade an das Dreistände-Deutungsmuster anknüpft, ist wie oben bereits erwähnt, in der Forschung bekannt.1413 Nach Timanns Auffassung dürfe und müsse der Rat die kirchenpolitische Maßnahme durchsetzen und dabei sogar seine Herrschaftskompetenz in den kirchlichen Bereich ausweiten, weil er das praecipuum membrum ecclesiae sei.1414 Ob Timann hierbei die weltliche Obrigkeit als das erste bzw. vornehmste Glied der Kirche im Sinne der monarchisachen Dreiständeauffassung bestimmt hat, ist nicht eindeutig zu erkennen. Festzustellen ist, dass Timann in demselben Abschnitt über das Recht und die Pflicht der Obrigkeit nicht nur Melanchthons Obrigkeitsauffassung, 1410  Aelen vnd Jeden /  wess Standes oder wesens die sein […] Demnach vnd solcher anderer mehren nit geringen vrsachen halber /  wollen wir hiemit sein deren in gemein vnnd in sonderheit /  wes Standes er ist oder sey.“ Schreiben vom 28. August 1562. StA B 2-E.7.b.2. 1411  Farrago (wie Anm. 1224). 1412  Timann verweist in „Farrago“ bezüglich der Pflicht der weltlichen Obrigkeit auf zahlreiche Stellen aus verschiedenen Schriften Melanchthons. Ebd. S. 543; 546; 550; 551–552; 556–557; 562–564; 600. 1413  Vgl. K. Köhler, Die altprotestantische Lehre von den drei kirchlichen Ständen (wie Anm. 207), S. 129–137; K. Rieker, Staat und Kirche nach lutherischer, reformierter, moderner Anschauung (wie Anm. 1181), S. 374 ff. 1414  Ebd.

404

V. Die Fallstudien

sondern auch die von anderen lutherischen Geistlichen zusammenstellt, so von Martin Luther, Martin Bucer, Urbanus Rhegius, Joachim Westphal, Johann Brenz und Nikolaus Amsdorf,1415 deren Grundsätze er bereits in seinem Sermon von 1533 („Van Christliker Fryheyt unde Mynschen Gebaden“) und seiner Kirchenordnung von 1534 entfaltet hatte, welche letztere er nach dem sog. „Aufstand der 104 Männer“ auf Bitten des Bürgermeisters Daniel von Büren d. Ä in bis zur wörtlichen Übernahme gehenden Anlehnung an den „Unterricht der Visitatoren“ von Melanchthon verfasst hatte.1416 In allen zitierten Stellen geht es um das Recht und die Pflicht der Obrigkeit als custos utriusque tabulae; die Obrigkeit habe nicht nur die Aufgabe, für das zeitliche Wohl ihrer Untertanen, sondern auch für ihr Seelenheil zu sorgen. Sie sei verpflichtet, reine Lehre und richtigen Gottesdienst auszurichten und falschen Gottesdienst und falsche Lehre zu unterdrücken, eben weil sie ein Glied der Kirche ist.1417 Welche Absicht Timann damit verfolgt, versteht sich von selbst. Er will, dass der Rat die sofortige Verbannung Hardenbergs vollzieht. Timann ermahnt in „Farrago“ unter Berufung auf die Dreiständelehre allerdings nicht nur die Obrigkeit, sondern auch die Bürger von Bremen. Dafür gibt er einen Abschnitt über die Pflicht der Bürger von Nikolaus Amsdorf wieder, in dem betont wird, dass jeder Bürger zur Meldung bei Pfarrer oder Obrigkeit verpflichtet sei, wenn er mit falscher Lehre oder Sektierern konfrontiert werde. Im Falle des Versäumnisses dieser Pflicht handle es sich um einen Eidbruch: „Vnd ein Bürger ist schuldig /  wo solcher Winckelschleicher einer zu jm kompt /  ehe denn er deselbigen höret /  oder leren less /  das erst seiner Oberkeit ansaget /  vnd auch dem Pfarrherr /  des Pfarrkind er ist /  thut er das nicht /  so sol er wissen /  das er als ein vngehorsamer seiner Oberkeit /  wider seinen Eid thut.“1418

Die hierin sichtbar werdende Gleichstellung und Gleichrangigkeit der Geistlichkeit und Obrigkeit einerseits, das Mahn- und Aufsichtsrecht der Geistlichkeit über die Weltlichen in Anknüpfung an das Verfassungwissen, die Wahrnehmung von Herrschaftskritik der Bürger als ein Ausdruck der städtisch-korporativen Teilhabe am Stadtregiment andererseits, weist deutlich darauf hin, dass die Geistlichkeit in Bremen als dritte gleichberechtigte institutionelle Kraft die Stadtverfassung bereits real beeinflusste.1419 Sie war 1415  Farrago

(wie Anm. 1224), S. 534–601. bei O. Rudloff, Johann Timanns Sermon „Von Christlicher Freiheit und Menschengeboten (wie Anm. 1252), S. 117–141. 1417  Ebd. 1418  Ebd. S. 600. 1419  Vgl. L. Schorn-Schütte, Die Drei-Stände-Lehre im reformatorischen Umbruch (wie Anm. 6), S. 453. 1416  Abdruck



2. Bremen405

kein obrigkeitliches Instrument, das nur im Auftrag der weltlichen Obrigkeit handelte. Es sei noch besonders hervorgehoben, dass sich die Verwendung der Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster nicht nur bei der Hardenbergschen Auseinandersetzung beobachten lässt, sondern bereits bei der sozialen Aufstandsbewegung der 104 Männer. Wie oben erwähnt wurde, verschärfte sich der Konflikt um die Bürgerweide ab Anfang des Jahres 1532 zu einem Verfassungskonflikt. Am 2. Januar 1532 versammelte sich die ganze Bürgergemeinde unter Leitung von Johann Dove,1420 dem Goldschmied, der sich bereits früher zum Sprecher der Bürger gemacht hatte. Anstelle des Vierzigerausschusses, der nur für die Weideangelegenheit zuständig war, wurden nach Lübecker und Hamburger Vorbild 104 Männer gewählt, 26 aus jedem der vier Kirchspiele, die in allen städtischen Angelegenheiten mitbestimmen sollten. Unter dem Druck der Aufständischen musste der Rat am 13. Januar eine für die bremische Verfassungsgeschichte bedeutsame Urkunde besiegeln,1421 in der die Rechte der 104 festgeschrieben wurden. Den 104 wurde das politische Mitbestimmungsrecht in allen städtischen Angelegenheiten, vor allem bei der Kontrolle der städtischen Finanzen, eingeräumt; auch wurde die wirtschaftliche Macht des Großhandel treibenden Kaufmanns begrenzt. An der Enteignung dieses Kaufmanns vom 7. Februar übten die Prediger, stellvertretend Jacob Probst und Johann Timann, von der Kanzel aus heftige Kritik, indem sie die Legitimität des Regiments der 104 bestritten, da dieses mit dem göttlichen Recht nicht übereinstimme: „aver die Predicanten geklaget, wo de degliken de gekaren Menne vom Predikestole schulden maken öhre Beropinge bedechtig unter den borgeren ock fromden, wo öhre Beropinge noch handelinge nicht recht wehren, sunder allenthalven wedder Gades Wort.“1422

Timann rechtfertigte seine Kritik mit dem ihm auferlegten Strafamt, das er gemäß der Dreiständelehre zu üben habe. Aus der Antwort des Bürger1420  Interessant ist, dass dieser den Rat aufforderte, von einem gewaltsamen Widerstandsrecht bei der Beseitigung des katholischen Gottesdienstes im Dom Gebrauch zu machen. Zur Bekräftigung seiner Position berief er sich ebenfalls wie Johann Timann auf die lutherische Widerstandslehre: „Hier up brachte Johan Dove na bospracke wedder in: se ssporden leider alle tit des rades kleinmodicheide unde dat gades wort unde erheb so nicht gefordert, wo sick wolle egede unde van noden were, unde were daruth to mercken, dat se noch mehr de minschen alse gade sulvest vor ogen hedden unde fruchteden, so doch de propheten unde apostele vele anders dar entjegens lerden.“ Abdruck bei J. F. Iken, Auszüge aus Chroniken, in: Bjb II. Ser. 1 (1885), S. 236. Daraus könnte man schließen, dass Johan Dove ebenfalls die Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster für seine Position genutzt haben dürfte. 1421  StA B 2-E.6.b.3. Vgl. H. Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S. 191 ff. 1422  StA B 2-E.6.b.3. Bl. 55–56.

406

V. Die Fallstudien

meisters Meinern von Borcken geht deutlich hervor, dass sich das Regime der 104 am 19. Februar 1532 beim Rat über die heftige Kanzelpolemik der Prediger beschwert hatte: „Darup antwortete H. Meinern von Borcken Wortholdender Borgermeister: Nah deme de Raht ock underwielen von den Predicanten gestraffet, nah gebrechlich nide als wol in fellen, in maten wo ock in velen Gottlicken Historien gefunden, dat de Propheten sehr harde hebben angegrepen Konigen und ander over Persoh­ nen der Landen mit scharpen Worden gestraffet, dat ock umme der Straffe willen vele grote Propheten gedodet sien worden, gelick ock am Doper des Hern wol tho wetande wehre.“1423

Hierin klingt die lutherische Widerstandslehre an, dass man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen.1424 Zwei Jahre später bestimmte Timann die Amtspflicht eines Predigers in der Kirchenordnung mit folgender Formulierung: „Dat predigtampt schal sick yn de wertliken saken nicht steeken, sonder laten de doden ere doden begraven […] overst truwlick vam predigstole vormanen, wo alle wertlicke (doch goetdtlike stende) vam hoegesten beth thom needersten moe­ gen yn erem wesend unde mit guder conscientien vor Gade handelen unde alse christen recht leeven unde gudt don schollen, eyn yglick na synem stande und beropinge.“1425

Bei der Erläuterung der Amtspflicht der Geistlichkeit hebt er ausdrücklich mit Klammern hervor, dass die weltliche Obrigkeit doch ein göttlicher Stand sei, d. h. ein geistlicher Stand oder mit anderen Worten ein Glied der Kirche. Hierin wird deutlich, dass Timann beim Verfassen der Kirchenordnung von der Dreiständelehre ausging. Ebenfalls lässt sich der Gebrauch der Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster bei seiner Aufforderung zum Widerstand gegen das Interim beobachten. Gegen das kaiserliche Bedrängen der norddeutschen Territorien und Städte veröffentlichte er 1549 einen kurzen polemischen Traktat zum Interim. Er fordete darin die weltlichen Obrigkeiten im norddeutschen Raum 1423  StA

B 2-E.6.b.3. Bl. 56. Daniel, Daniel 6[,7–19]; dar se recht ungehorsam ghewesen synt, unde Gade mehr gehorker den de mynschen, Acto. 5[,29]“ Abdruck bei O. Rudolff, Johann Timanns Sermon „Von Christlicher Freiheit und Menschengeboten“ (wie Anm. 1252), S. 140. 1425  Abdruck bei J. F. Iken, Die Bremer Kirchenordnung von 1534 (wie Anm. 1203), S. 21–22. Auch lässt sich dieses Argumentationsmuster in seinem Sermon von 1533 nachweisen: „Alse ock Paulus Titum 2[9–10] leret. Vormane se, dath se den Försten und der Overicheyt underdanisch unde gehorsam syn […] Unde myt dessen stucken alle syl ock Godt de Overicheyt vormaneth haben, dat se nicht Tirannisch, sunder vederlick yegen ere undersaten scholen stellen.“ Abdruck bei O. Rudolff, Johann Timanns Sermon „Von Christlicher Freiheit und Menschengeboten (wie Anm. 1252), S. 131–132. 1424  „Darius



2. Bremen407

auf, gegen das Interim Widerstand zu leisten.1426 Er rekurriert hier zwar nicht explizit auf das Widerstandsrecht der niederen Magistrate, bezieht aber deutlich den Begriff des „magistratus superior“1427 auf den Kaiser. Wie Hauschild zu Recht hingewiesen hat,1428 findet sich hierin der zentrale Ansatzpunkt des lutherischen politischen Denkens, das so genannte Widerstandsrecht der niederen Magistraten in Religionssachen seit der Magdeburger „Confessio“ – und bereits unabhängig davon schon bei Timann. Damit knüpft dieser an die Position an, die Bugenhagen und Amsdorff seit 1523 in der Widerstandsfrage vertreten haben.1429 Zur Rechtfertigung seiner Position beruft er sich wiederum auf die Dreiständelehre: „Zum achtzehenden /  Alle Potentaten vnd magistratus, das ist /  alle oberickeit /  die das Interim vorstellen /  fordern /  dazu raten vnnd selbst annemen /  die ergern die ganze Christenheit […] Vnnd sündigen solche Oberkeit am ersten widder den gemeinen aller Christen Gottesdienst vnd ampt /  […] Zum andern widder jhr sonderliche Göttliche ampt /  welcher fordert das sie abgötterey sollen abschaffen /  vnnd rechte Gottesdienst anrichten […] vnnd alle frome geleubigen Christen schützen vnnd schirmen […] Dis sein aller Regenten rechte /  vnd vornemste gute wercke /  die jhnen niemandt verbieten mag /  das sie von ampts wegen /  aus Gött­ lichem befehl /  bey jhrer seelenseligkeit zu verpflichtete seind /  Ob ach jhnen solchs die Beschoffe jhre leenherren vnnd die höheste oberickeit nicht wollten vergünnen /  vnd sich dawidder setzen /  Denn man muss Gott fürchten /  ehren /  gehörchen vnnd gehorsam sein über alle Engel /  Gala.i. vber alle öbriickeit.“1430

Die weltliche Obrigkeit der norddeutschen Territorien und Städten sei ebenfalls wie der Kaiser eine Obrigkeit mit eigenständiger Legitimität, die von Gott zum custos utriusque tabulae berufen war. Deshalb dürfe und müsse sie ihre vornehmste Amtspflicht und Aufgabe der cura religionis erfüllen, jedoch müsse sie diese Fürsorgepflicht nur als ein Glied der Kirche 1426  „Darumb wenn Oberickeit /  oder ander liebe vertraute freunde /  wollen vnrecht leisten /  rathen /  leren vnnd gebieten /  vnd von der erkentnisse Gottes abwenden /  soll man sie abhawen /  absstreiffen /  wegwerffen /  das ist meiden vnnd nicht folgen noch gehorchen“. Was vor grosse vnd mannichfaltige sünde /  vnehre vnd ferlickeit /  alle die jenigen, so das Jnterim odder Adiaphora annemen /  odder einigerley weisse bewilligen /  auff sich laden […]. 1549. Benutzt wurde das Exemplar [UB München 4 Theol. 2206]. Bl. C 4. Im Folgenden das Interim odder Adiaphora. 1427  „Ob auch jhnen solchs die Bischoffe jhre leenherren vnnd die höheste öberickeit nicht wollten vergünnen vnd sich dawidder setzen“. Ebd. Bl. C 2v. 1428  Vgl. W. D. Hauschild, Der theologische Widerstand der lutherischen Prediger der Seestädte gegen das Interim und die konfessionelle Fixierung des Luthertums, in: B. Sicken (Hg.), Herrschaft und Verfassungsstrukturen im Nordwesten des Reiches (Städteforschung A / 35), S. 253–264. Hier S. 259. 1429  Vgl. H. Scheible (Hg.), Das Widerstandsrecht als Problem der deutschen Protestanten 1523–1546 (Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte 10), Gütersloh 1969, S. 18–20. 1430  Das Interim odder Adiaphora (wie Anm. 1426), Bl. C 2–C 3v.

408

V. Die Fallstudien

neben den anderen beiden Ständen Gemeinde und Geistlichkeit ausüben. Im Rahmen der Dreiständelehre fordert Timann die Obrigkeit sogar auf, gegenüber dem Kaiser von ihrem ständischen Widerstandsrecht Gebrauch zu machen, und erhöhte diese Position mit der lutherischen Widerstandslehre, nach der man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen. Damit vertrat Timann ein Herrschafts- und Ordnungsmodell der betreffenden Territorien und Städten, in der Situation 1548 / 1549 konkret für die Stadt Bremen und die Grafschaft Hoya. Für Timann ist, wie Hauschild zu Recht darauf hingewiesen hat1431, die Regelung der Religionsangelegenheiten weder die Sache der Geistlichkeit noch der weltlichen Obrigkeit (des Bischofs oder Kaisers) allein, sondern betrifft das durch die drei Stände geordnete Gemeinwesen jeweils vor Ort und wird durch deren Zusammenwirken unter dem Wort Gottes als der ausschlaggebenden Instanz gelöst, also ein „konsensgestütztes“ Herrschaftsmodell. Zurück zum Konflikt um die Ausweisung Hardenbergs. Wie bereits dargestellt, distanzierte sich der Rat von der Forderung Timanns aus innen- und außenpolitischen Gründen. Daraufhin forderte Tilemann Heshusius, der Ende 1559 an die Stelle des alten Jakob Probst als neuer Superintendent vom Rat berufen worden war, den Rat in seiner 1560 verfassten Schrift1432 in äußerst scharfer Form auf, Hardenberg aus der Stadt auszuweisen. Zur Rechtfertigung seines Vorgehens argumentierte er ebenso wie Timann unter Berufung auf die Dreiständelehre und verwies ausdrücklich auf die Amtspflicht der Obrigkeit im Sinne Melanchthons: „Danebn wil auch von Nöten sein /  das E. Erb: W. als die christliche Obrigkeit ein ernstliches einsehen haben /  vnd vermög jhres tragenden /  vnd von Gott auff­ erlegten Ampts /  der falschen Lere /  vnd öffentlichen lesterungen wehre /  vnd die arme Vnterthanen von der verführung vnd gifft abhalte […] Denn an dem ist nicht gnug /  das E. Erb: W. jre helle vnnd klare bekandtnus /  die dem Göttlichen wort /  vnd Augspurgischen Cofession gemess ist /  haben öffentlichen lassen ausgehen /  vnd sich sampt jren tewen Seelsorgern von dem Jrregeist Doct: Alberten absondern /  sondern Gott fordert auch von E. Erb: W. Das sie als Gottes dienerin vnd Stadthalterin der falscher lere wehre /  vnd die lesterung bey jnen nicht leide. Denn die weltliche Oberkeit ist ein hüter vnd Schützherr /  beider taffeln /  Moisis /  so viel die eusserliche zucht betrifft.“1433

Da in der Analyse im ersten Hauptteil diese Schrift bereits ausführlich behandelt wurde, wird auf weitere Ausführungen verzichtet. Es sei nur der folgende Punkt noch einmal erwähnt: Heshusius wies die mit der Bezeichnung der weltlichen Obrigkeit als custos utriusque tabulae formulierten 1431  Vgl.

W. D. Hauschild, Der theologische Widerstand (wie Anm. 1428), S. 260. Prediger zu Bremen (wie Anm. 137). 1433  Ebd. Bl. G–Gv. 1432  Der



2. Bremen409

Herrschaftsansprüche der Obrigkeit auf die interna ecclesiae strikt zurück und beschränkte die Herrschaftskompetenz der Obrigkeit auf die externa ecclesiae, lehnte also die Jurisdiktionsgewalt der weltlichen Obrigkeit in der Kirche strikt ab, da sie nach seiner Auffassung eben nicht das vornehmste Glied der Kirche, sondern ein vornehmes Glied der Kirche ist. Jedoch räumte er zugleich dem Bremer Rat unter Berufung auf die Dreiständelehre bezüglich der exekutiven Gewalt der weltlichen Obrigkeit die Unabhängigkeit von der Zustimmung Dritter ein. Das heißt, er wies dem Bremer Rat für den Fall der Befreiung der Gemeinde von sektiererischer Lehre die sog. Magistratssouveränität zu, die eine Jurisdiktionsgewalt in der Kirche und die Berechtigung, in das Amt der Geistlichkeit einzugreifen und sogar gegen den Landesherrn das „präventive“ Widerstandsrecht zu gebrauchen, ausnahmsweise erlaubte. Damit ist der Aspekt der Instrumentalisierung der Dreiständelehre angesprochen, auf den im nächsten Abschnitt noch ausführlich einzugehen ist. Der Gebrauch der Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster für kirchenpolitische Handlungen ist ebenfalls bei Simon Musäus erkennbar, der am 10. Oktober 1561 als Superintendent an die Stelle von Heshusius berufen wurde. Unmittelbar darauf entwarf er eine neue Kirchenordnung, „Articuli de instauratione ministerii“1434, mit der er forcieren wollte, dass sich die Bremer Geistlichkeit zu einem festen Verband zusammenschließt und durch schonungslose Anwendung des Strafamtes gegen die weltliche Obrigkeit und das Volk ihren beherrschenden Einfluss stärkt.1435 In dieser Kirchenordnung forderte er auch eine eigene Organisation der Kirche, deren Hauptorgan die zusammengefasste Geistlichkeit mit dem Superintendenten an der Spitze sein sollte. Außerdem verlangte er darin die politisch hochbrisante Neuregelung des Kirchenbanns, um weitere Anhänger Hardenbergs entfernen zu können. Er legte dem Rat die Kirchenordnung mit der Aufforderung vor, diese zu genehmigen. Die Begründung seines Vorgehens steht wiede­ rum auf der Grundlage der Dreiständelehre: „De framen Regenten auerst de alse Nutricii Ecclesiae jn erem ampte auer Gades Wort Jueren vnd holden, de trostet de hilligen Schrifft, dat gott all ere hare uperen houde telle, vnd alle uprorer straffe […] Nhu will he se nicht wieder bewaren, den so feren se idt mith einholt, vn dem mith seine worde vnde Predigampt herbergen gifft, wo desuluige Psalm secht […] erem endtlicken Beschede, billigk nicht Gott dem heren tho hoch vorsaken, vnd machte nith woll vorschwegen sin, dath se bether dorch Liedheit vnd nha latinge der Excommunication vnd scherper 1434  Articuli de instauratione (restauratione) ministerii in inclyta urbe Bremensi a toto collegio ministrorum sedulo deliberati et unanimiter conclusi (wie Anm. 1373). 1435  M. Hogrefe, Wohin hat die geschichtliche Entwicklung der bremischen Kirchenverfassung geführt (wie Anm. 1378), S. 31 ff.

410

V. Die Fallstudien

disciplin, so lange frede in der Stadt erholden, vnd alle upror auffgeschweden hebben.“1436

Ausgesagt wird, dass der Rat von Gott zum custos utriusque tabulae berufen sei. Deshalb müsse und dürfe er in die interna ecclesiae eingreifen und als Richter in Religionssachen handeln, eben weil er auch ein Glied der Kirche sei. Das Beispiel von Timann, Heshusius, Musäus und dem geistlichen Ministerium führt nochmals vor Augen, dass die Geistlichkeit in Bremen nicht weisungsgebunden gegenüber dem Rat, sondern eine eigenständige institutionelle Verfassungskraft war.1437 Allerdings ist zu beachten, dass bei der Hardenbergschen Auseinandersetzung auch andere Geistliche außerhalb Bremens die Dreiständelehre als Rechtfertigungsidee für ihre eigene Argumentation verwandten. Der Hamburger Superintendent Joachim Westphal (1510–1574), der durch regen Briefverkehr mit Johann Timann bereits über den Abendmahlsstreit informiert war und an den Timann seine Schrift „Farrago“ zur Begutachtung geschickt hatte,1438 übermittelte dem Rat seine Abendmahls­ auffassung samt Urteil über das Bekenntnis der bremischen Prediger. Da­ rin stellte Westphal die Aussagen reformierter Theologen zur Abendmahlslehre zusammen bzw. gegeneinander, um ihre Widersinnigkeit zu erweisen. Hierin griff er zwar nicht direkt auf die Dreiständelehre als Legitimationsmuster zurück, jedoch kann an seiner Schrift „Verlegung des Gründlichen Berichte der Adiaphoristen“1439, die er im Jahre 1551 gegen das Interim verfasst und die Timann als beste Schrift von ihm gerühmt hatte,1440 zweifelsfrei nachvollzogen werden, dass er die Dreiständelehre doch als Rechtfertigungsmuster verwendet hat. Westphal lehnte in dieser Schrift, in der er sich ebenfalls mit der Frage gegen die Adiaphora befasst hatte, die Forderung der Interimisten nach Gehorsam der politischen Entscheidungsträger, Bürger und der Geistlichkeit der norddeutschen Territorien und Städten, insbesondere Hamburg, strikt ab. Zur Rechtfertigung berief er sich 1436  Antwort der Kerckendener tho Bremen up des Erbaren Rades tho Bremen entlichen Beschett van erhec auergeuene Kercken ordninge resolution. 1561. StA B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr 1° Teil 2. 1437  Vgl. L. Schorn-Schütte, Die Drei-Stände-Lehre im reformatorischen Umbruch (wie Anm. 6), S. 449. 1438  C. H. W. Hillem, Briefsammlung des hamburgischen Superintendenten Jo­ achim Westphal aus den Jahren 1530–1575. Hamburg 1903. [UB Bremen, 61.c.47], S. 99. 1439  Verlegung des Gründlichen Berichte der Adiaphoristen /  zu diesen bösen zeiten /  sehr nutzlich zu lesen. Durch W: Joach: Westpha: Pfarherrn zu Hamburg. 1551 [UB Bremen, Brem. B. 72 Nr 2.] Im Folgenden Verlegung. 1440  C. H. W. Hillem, Briefsammlung (wie Anm. 1438), S. 99.



2. Bremen411

auf die strikte Trennung vom geistlichen und weltlichen Regiment in Verbindung mit der Dreiständelehre: „Es sind vnterschiedliche Beruff von Empter der kirchendiener vnd Weltlicher oberkeit. Die weltlichen Regenten haben jhr Regiment auff dem Marckt /  vnd inn Weltlichen Sachen. Jn Religionssachen aber vom Geistlichem gehorsam /  sind oberkeit vnd vnterthanen einander gleich /  vnd sind beide pflichtig jren Pfarrherrn /  die mit Gottes worte regieren /  gehorsam zu leisten. Mann soll der oberkeit nicht gehorsam sein /  in dem /  das widder Gott ist. […] Das die Weltlichen nicht fallen sollen ins Kirchenampt /  welchs Gottes dienern vnd haushaltern befohlen ist /  Das auch die kirchendiener sich nicht mengen sollen in Weltliche Empter. Sie sind beide straffens wird /  wenn sie jhr Ampt vberschreitten /  vnd in ein frembd Ampt greiffen […] Darinn hat die weltliche oberkeit zu schaffen /  vnd zu regieren /  Was Geistliche sachen /  vnd den Beruff der Priester betrifft /  da haben die jenigen /  die zum kirchenampt verordent sein /  zu ordnen /  vnd zu gebieten. Vnd gleich wie inn eusserlichen dingen /  die Priester /  vnter der Jurisdiction /  Gericht /  vnd gehorsam der Weltlichen oberkeit sitzen /  Also auch wid­ derumb /  sind die weltlichen Regenten /  vnter der Jurisdicition der kirchen /  vnd sind schuldig den kirchendienern gehorsam zu leisten. Sie sind darumb nicht Herrn der Kirche /  haben darumb nicht mehr gewalt in der lehr vnd zeremonien /  denn die kirchendiener /  vnd ein jglich glied der kirche /  das sie in weltlichen sachen grössere gewalt vnd ansehen haben. Jnn der kirche (sofern sie glieder vnd bürger der Kirche sein) sind sie alle gleich /  oberkeit vnd vnterthanen /  Schüler vnd lerer /  Sie haben alle gleich vnd einerley recht /  in denen dingen /  die die Religion /  lehr vnd Gottesdienst betreffen […] vnd haben nicht macht jhres gefallens /  one bewilligung der Kirche /  zu ordnen /  endern /  auffzurichten /  abzuthun /  was sie wollen […] das sie Gott zu ehren /  vnd der Kirche zu nutz jhrer oberkeit vnd gaben gebrauchen. Jhres Ampts halben aber /  haben sie in kirchensache nicht weiter gewalt /  denn so fern sich etwas zutregt /  dadurch das Weltliche regiment vnd Bürgerliche gemeinschafft berurt wird […] Weil nu der Weltlichen oberkeit nicht geburt /  inn geistlichen sachen /  wenn sie gleich an sich selbs zugelassen vnd gut sein /  sich einer herrschafft oder gewalt anzumassen /  etwas zu verordnen oder auffzurichten /  one bewilligung der kirche /  so gebürt jhr viel weniger /  Gotlos ding zu gebieten /  oder die wolgeordneten kirchen mit Gottloser Reformation zu beschweren.“1441

Die Äußerung „Jnn der kirche (sofern sie glieder vnd bürger der Kirche sein) sind sie alle gleich /  oberkeit vnd vnterthanen /  Schüler vnd lerer /  Sie haben alle gleich vnd einerley recht /  in denen dingen /  die die Religion /  lehr vnd Gottesdienst betreffen […] vnd haben nicht macht jhres gefallens /  one bewilligung der Kirche /  zu ordnen /  endern /  auffzurichten /  abzuthun /  was sie wollen“ macht deutlich, dass Westphal hier von der vom Prinzip des allgemeinen Priestertums geprägten, egalisierenden Fassung der Dreiständelehre ausging. Ausdrücklich betonte er das Mitwirkungsrecht der drei Stände der Kirche bei der kirchenpolitischen Angelegenheit. Offensichtlich 1441  Verlegung

(wie Anm. 1439), Bl. D iiij–E ii.

412

V. Die Fallstudien

stellt er ein „konsensgestütztes“ Herrschafts- und Ordnungsmodell vor, in dem das Gleichgewicht der drei Stände der Kirche postuliert wird. Die Geistlichkeit Magdeburgs – Matthias Flacius, Johann Wigand sowie 14 mitunterzeichnende Pastoren – forderte am 20. Dezember 1556 ebenso unter Berufung auf die Dreiständelehre den Rat von Bremen auf, Hardenberg zu beseitigen: „sulches haben wir verwahr mit betrübten Hertzen erfaren, denn weil wir alle gliedtmassen seyn unsers lieben Herrn Jhesu Christi […] darumb wer zu besorgen, eß wurde Gott auch über E. E. W. gantze Stadt und gemeine, wo men sich nit jn der Zeit mit Ernst wird bekennen, und die gotteslestersche Sacrament Schwermery abzuschaffen ernstlig sich beweisen.“1442

Einen Monat später forderten sie in ihrem Urteil über das Bekenntnis der Bremischen Prediger vom 15. Januar 1557, das sie an den Bremer Rat gesandt hatten, wiederum unter Berufung auf die Dreiständelehre, Hardenberg zu entfernen: „Und Esaias sagt, dass Konige, das ist die Obrichkeit i. e. erhalter der Kirchen solen sein, und wo die Obrichkeit falsche lehre leiden, oder fürderen, thun sie nicht anders, denn das sie Christum verfolgen, es ist auch das Abendmal ein Testament des Herrn Christi welcher es aus groser Gnade geordnet, unsern Glauben damit zu strecken, und von Vergebung der Sünden uns zu vergewissern, dar sollten alle Christen fürnemlich aber die Regimenten tzu sehen.“1443

Auch lässt sich die Verwendung der Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster bei der braunschweig-lüneburgischer Geistlichkeit nachweisen. Diese versammelte sich am 21. Januar 1561 auf Anordnung der Herzöge Heinrich und Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg in Celle, um sich mit dem Hardenbergschen Streit zu befassen. Sie legten ihre Meinung in einem Beschluss „Judicium Theologorum in Ducatu Brunsvicensi et Luneburgensi“1444 nieder und erklärten Hardenberg zu einen Sacramentierer, ähnlich wie die Geistlichkeit der Hansestädte Lübeck, Hamburg und Lüneburg, die am 16. Januar 1561 im Auftrag ihrer städtischen Obrigkeiten in Mölln zusammengekommen waren, um eine theologische Entscheidung zu fällen,1445 dabei 1442  Der Magdeburgischen Prediger Schreiben an den Rath in Bremen 1556 d: 20 Decbr. StA B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr 6. 1443  Der Magdeburgischen Prediger Urtheil über das Bekenntnis der Bremischen Prediger 1557 d: 15 Jan. StA B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr. 6. 1444  Judicium Theologorum in Ducatu Brunsvicensie et Luneburgensi de propositionibus Doctoris Alberti hardenbergii et concionatroum Civitatis Bremae in controversia praesentiae corporis et samuinis in coena. StA B 2-ad T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr 6. Im Folgenden Judicium Theologorum. 1445  Vgl. H. Engelhardt, Das Irrlehreverfahren des niedersächsischen Reichskreises gegen Albert Hardenberg (wie Anm. 696), S. 46 ff.



2. Bremen413

Hardenbergs Zwinglianismus verwarfen und urteilten, dass er die Gemeinde zu Bremen verführt und verstört habe. Dabei betonten sie die Pflicht und das Recht der weltlichen Obrigkeit und knüpften darin ausdrücklich an das Deutungsmuster der Dreiständeordnung an: „Nam si quis impias de Turcis, Judois, Jdolatris et Similibus verbum Euangelii non habentibus intelligit, satis notum est toti Ecclesiae, illas non esse membra Ecclesiae, nec in hujus contineri societate, sique nec accedere, nec admitti ad coenam Domini, ideo Paulum de iis non loqui.“1446

Der Gebrauch der Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster für die eigene politische Argumentation ist besonders deutlich bei dem Braunschweiger Superintendenten Joachim Mörlin zu erkennen. Anlässlich der Disputation vom 20. Mai 1560, die die lutherische Ratsmehrheit in Bremen veranstaltet hatte, um Hardenberg durch ein Kolloquium zu beseitigen,1447 und bei welcher die Bürgermeister Johann Esich und Daniel von Büren, die Superintendenten Konrad Becker von Stade und Paul von Eitzen aus Hamburg sowie Tilemann Heshusius zugegen waren, machte der präsidierende Bürgermeister Daniel von Büren – bezeichnenderweise unter Berufung auf die Dreiständelehre – der lutherischen Mehrheit des Rates Vorwürfe wegen ihres Vorhabens: „und legen also der Radt midt uns under ainer decken, wollen dennoch gleichwohl tzundt gegen D. Albertinum Richter sein. Nhun were es woll war wie auch Phi­ lippus geschrieben, dat der Magistratus were Custos non tantum secundae, verum etiam primae tabulae. Ehr were aber darume nicht Richter sunder das Judicium horet der Kirchen. Musten derhalben mer geistliche Leute dasein weil dis aine gaistliche Sache das gewisent belangete.“1448

Er behauptete im Anschluss an die Melanchthonsche Obrigkeitsbezeichnung, die weltliche Obrigkeit könne in Glaubenssachen niemals Richter sein, selbst wenn sie als Hüter der ersten Tafel fungiere. Stünde der Obrigkeit die Jurisdiktionsgewalt in der Kirche zu, würden alle Ketzergerichte gerechtfertigt. Der Bremer Rat, der Richter sein wolle, sei offenbar Partei, denn er habe mit den fremden Theologen lange geheime Verhandlungen gepflogen.1449 Darauf antwortend wies der Braunschweiger Superintendent Joachim Mörlin die Auffassung von Bürens strikt zurück und rechtfertigte das Vorgehen des Bremer Rates ebenfalls unter Berufung auf die Dreiständelehre: 1446  Judicium 1447  O.

Theologorum (wie Anm. 1444), Bl. 6. Veeck, Geschichte der Reformierten Kirche Bremens (wie An. 1207),

S. 9–10. 1448  Joachim Mörlins Bericht vom 24. Mai 1560. StA B 2-ad. T.1.c.2.b.2.c.2.b.Nr 6. 1449  C. Rottländer, Der Bürgermeister Daniel von Büren (wie Anm. 1217), S. 43– 44.

414

V. Die Fallstudien

„Daniel seine Klage jmer widerholet, ein Erbar Rath hette es alleine nicht zu thuen, weil es gewissen belangte, sundern do muste mehr zu komen. Habe jck geantwordt. H. Bürgermeister mein her will auch die gemeine darbey haben, verstehe woll wor mein Her heraussen will. Hatt er sich entschuldiget midt anzaiung das er’s nicht rede als setze ehr seine sache auff den gemeine mahn, den man wuste woll wie der hielte, dennoch were das Judicium totius Ecclesiae. Jst darauff main antwordt gewesen, das hiemidt ainen E. Radt gar nichts were genommen, dan deweil das Judicium Ecclesiae und der Magistratus hujus urbis vero1450 pars Ecclesiae die ohne zweiuell Gotts wordt aine solche lange zeidt nicht unachtsam ohne frucht gehöret, sundern recht vorstand daraus genohmen, so stunde das Ju­ dicium noch bey Jhnen auch.“1451

Nach Mörlin dürfe der Bremer Rat in Religionsangelegenheiten eingreifen und ohne Mitwirkung anderer Stände in dieser Glaubenssache entscheiden, da er und die Geistlichkeit ein Glied der Kirche seien, also die weltliche Obrigkeit als status politicus habe dieselbe Kompetenz wie der status eccelsiasticus. Durch eine bemerkenswerte Umdeutung der Dreiständelehre gesteht Mörlin damit dem Bremer Rat die Jurisdiktionsgewalt in der Kirche zu. Bezeichnenderweise berief sich auch Hardenberg, der die Zuständigkeit und Befugnis des Bremer Rats als Schiedsrichter bei der bevorstehenden Disputation mit Tilemann Heshusius ablehnte, da er nicht dem Rat, sondern dem Domkapitel unterstehen würde,1452 zur Rechtfertigung seiner Position auf die Dreiständelehre. Er formulierte in seinem zweiten Antwortschreiben vom 5. Januar 1560 an den Rat seine Bedenken dagegen, ob der Rat überhaupt in Religionssachen entscheiden dürfe, wie folgt: „darmede se genoch tho vorstahn geuen, dat se ehrer Predicanten Confession, de doch ahne de ubiquitet nicht bestann en kann, und von dem Wittenbergischen gedadelt is, noch vor gut kennen, willen se nun vor Custodes primae Tabulae geholden werden, so will jck öhn heme geuenn tho bedenckenn, so se Ampts haluen und met guden gewetenn deme tho sehen konnen.“1453

Gemeint ist, dass der Rat die Einwilligung des Domkapitels benötige, da sich seine Kirchenhoheit nur auf die Stadtkirchen erstrecke, nicht aber auf den Dom,1454 auch wenn er Hüter der ersten Tafel sei. Zwar drückte er sich 1450  Oder verso. Im Original ist schwer zu lesen. Interessant ist, dass Mörlin zunächst das Wort retro verwendete, aber dieses Modalwort weggestrichen hat. 1451  Joachim Mörlins Bericht vom 24. Mai 1560. StA B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr 6. 1452  „Den Rat erkenne ich als meinen Richter nicht an. Ich gehorche nur meinen Vorgesetzten, dem Erzbischof und dem Domkapitel“. C. Rottländer, Der Bürgermeister Daniel von Büren (wie Anm. 1217), S. 47. 1453  StA B 2-ad. T.1.c.2.b.2.c.2.b.Nr 6. 1454  Vgl. H. Engelhardt, Der Irrlehrestreit zwischen Albert Hardenberg und dem Bremer Rat (wie Anm. 1217), S. 43 ff.



2. Bremen415

hierin nicht so klar wie Daniel von Büren aus; es ist jedoch nicht zu übersehen, dass sein Rechtfertigungsmuster dem von Bürens sehr ähnlich ist. Ebenso wie dieser besteht er bei den interna ecclesiae auf dem Urteil der ganzen Kirche, ohne Zweifel mit anderer kirchenpolitischen Absicht. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass sich die Institutionalisierung des geistlichen Amtes als dritte Kraft zu jener Zeit vollzog und die Geistlichkeit in Bremen damit in der realen Stadtverfassung neben den Rat und die Gemeinde trat. Also war sie ein Teil der Herrschaftsstände, in dessen Teilhabeanspruch die Herrschaft des Bremer Rates bedingt war. (2) Die weltliche Obrigkeit Die Verwendung der Dreiständelehre als Legitimationsmuster der politischen Auseinandersetzung ist auch bei der weltlichen Obrigkeit unzweifelhaft nachweisbar. Wie oben erwähnt, lehnte Hardenberg die Schiedsrichterrolle des Bremer Rates bei der Disputation ab, da die Religionshoheit nicht dem Rat, sondern dem Domkapitel zustünde. In einem Antwortschreiben auf Hardenbergs Petitionsschrift vom 14. Dezember 1559 bekräftigte jedoch der Rat seinen Entschluss, ein Kolloquium1455 zu veranstalten und dieses auch zu leiten. Und auch in seiner Argumentation ist die Dreiständelehre als Deutungshintergrund zu erkennen: „Sonder wo de sake recht und Christlich gemeint würde men sich des lichtlich und wolle vergelicken, dat sick auerst de Rhadt des Articuls vom Auentmale hadd angenohmen wehre wahr, und beharredenn dar ock nach by so woll ehrer Conscientien haluen als öhres Amptes nahdeme de Ouericheit Custodes secundae sede­ tiam primae Tabulae.“1456

Der Rat war sich eigentlich dessen bewusst, dass er keine Religionshoheit am Dom hatte und deshalb die Einwilligung des Domkapitels benötigte, um ein Kolloquium zur Beurteilung der Hardenbergschen Lehre veranstalten zu können.1457 Dennoch argumentiert er hier, er könne und dürfe nicht nur ohne Einwilligung des Domkapitels eine öffentliche Disputation veranstalten, sondern die Sache auch selbst entscheiden, weil er als custos legis im Dekalog von Gott berufen sei. Nach dieser Auffassung dürfe der Rat nicht nur das ius episcopale in den externa ecclesiae wahrnehmen, sondern auch von dem in die interna ecclesiae eingreifenden ius episcopale Gebrauch machen. Zwar bezieht sich der Rat nicht explizit auf die in der gewählten 1455  Zu den Vorgängen um die Veranstaltung des Kolloquiums vgl. C. Rottländer, Der Bürgermeister Daniel von Büren (wie Anm. 1217), S. 38 ff. 1456  StA B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr 6. 1457  Vgl. H. Engelhardt, Der Irrlehrestreit zwischen Albert Hardenberg und dem Bremer Rat (wie Anm. 1217), S. 43 ff.

416

V. Die Fallstudien

Formulierung zumindest durchscheinende monarchische Dreiständeauffassung; es ist aber ohne Zweifel anzunehmen, dass er von dieser ausgegangen ist. Bei der Disputation im Mai 15601458 argumentierte Bürgermeister Johann Esich erneut gegen die Einwände des präsidierenden Bürgermeisters Daniel von Büren und verwies ausdrücklich auf seine Amtspflicht im Sinne von Melanchthons Obrigkeitslehre als „custos utriusque tabulae“: „Vnd is Esyckes oration summa gewesen[…] Thom andern vam Ambte der Ouericheit, wo der nicht geböre dem lenger tho tho sehende, sundern ghude Vpsicht tho hebben, dat einen falsche lehr inrite, dan öhne alse custodibus tam primae quam secundae tabulae daran gelegen, wat Religion se dulden p.“1459

Mit diesen Worte meinte er, der Rat dürfe Richter über die Religions­ sache sein und könne ohne Mitwirkung bzw. Mitbestimmung anderer Stände in Glaubenssachen entscheiden,1460 da er als custos utriusque tabulae von Gott als vornehmstes Glied der Kirche berufen sei. Offensichtlich war dem Rat, genauer gesagt der lutherischen Ratsmehrheit der Gedanke, dass er sein obrigkeitliches Amt aus den Händen der Bürgerschaft empfangen haben sollte, sehr zuwider. Daher hob Esich hervor, dass die Kirchenhoheit allein dem Rat zustehe. Daraus wird deutlich, dass der Rat die Auffassung vertrat, die Souveränität eines politischen Gemeinwesens stehe einzig und allein dem Rat zu, nicht der aus Rat und Bürgerschaft bestehenden Gesamtheit. Der Rat bestritt damit deutlich das Recht der Bürgerschaft auf ständisch-korporative Teilhabe am Stadtregiment. Die lutherische Mehrheit des Rats setzte ihre souveräne Position tatsächlich in die Praxis um und veröffentlichte am 3. Januar 1562 ein gegen die Anhänger Hardenbergs gerichtetes Mandat ohne den Konsens mit dem gesamten Rat und der Bürgerschaft. Eine Klageschrift Daniel von Bürens und drei der oppositionellen Ratsherren, die 1566 beim Reichskammergericht eingereicht wurde, nimmt darauf deutlich Bezug: „Neuwe Mandata /  ohne vorwissen des gesampten Rahts vnd gemeiner Burger­ schafft /  als deren Consens darzu gehörich /  in Religion Sachen /  zu dem effect publiciertet / “1461 1458  Zu Einzelheiten vgl. C. Rottländer, Der Bürgermeister Daniel von Büren (wie Anm. 1217), S. 37 ff. 1459  Schreiben von Daniel von Büren an Johan Borck vom 15. Dezember 1560. StA B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr 6. 1460  Vgl. B. Spiegel, Albert Rizäus Hardenberg (wie Anm. 1217), S. 249. 1461  Summarische erholung des Rahts zu Bremen /  der Gerichtlichen Acten /  so in jrrung vnd Sachen /  darein sie mit etzlichen selbmutigk ausgetretenen daselbst gewesenen des Rahts /  vnuerschulter weis gerhaten /  auff den /  solcher Sachen angesatzten keyserlichen Summarischen Process /  einn vnd anders theils einbracht. Bremen 1566. [ StA B 2-ad.E.7.d] Bl. B; eine andere Abschrift befindet sich in der UB



2. Bremen417

Vor allem aber führte der Rat diese politische Amtshandlung ohne Zustimmung der Geistlichkeit durch. Aus der Protestschrift von Musäus1462 an den neu konstitutierten Rat, die er nach seiner erzwungenen Ausweisung auf Lateinisch verfasste und die Martin Chemnitz zum Andenken an Bürgermeister Johann Esich 1578 übersetzt herausgab,1463 geht diese Tatsache deutlich hervor: „Nach vollendung solcher vnser Predigten /  von des HErrn Abendmal /  hat als dann ein Erbar Rath /  ohn vnser erfordern auß eignem Gottseligen bedencken /  zu befurderung Göttlicher warheit /  Christlicher Disciplin, und guter ordnung /  ein Edict und Mandat lassen anschlagen“1464.

Die lutherische Ratsmehrheit hatte sogar beschlossen, dem Bürgermeister Daniel von Büren, der turnusgemäß am 9. Januar 1562 das Präsidium im sitzenden Rat übernehmen sollte, ohne Kirchenhoheit die Regierung zu übergeben,1465 denn sie waren sich dessen genau bewusst, dass Daniel von Büren im Falle der Übernahme der Regierung die Religionssache ohne Zustimmung bzw. Bewilligung des gesamten Rates, der Bürgerschaft und Geistlichkeit allein souverän verhandeln werde. Deshalb waren sie auch fest entschlossen, bei hartnäckigem Widerstand Daniel von Büren abzusetzen,1466 was durch heftigen Protest und Aufstand der Bürgerschaft scheiterte und einen sechs Jahre andauernden Verfassungsstreit bis hin zum Reichskammergericht1467 auslöste: „de Radt wolden my de Regeringe fullenkamen avergeuen nah olden gebruke, de Religionssaken uthgenamen, mit begehre ohnen de alleine tho beffelen […] Und wenn wy ohnen de Religions sacke alleine beffolen, wo se begereden, so willigenden wy jo nicht alleine jn duth ubgehangene Mandatt, darjegen wy protesteredt, sundern ock jn alledt, so se kunfftig darup thor execution vorordnen wurden vns suluest vnd vnsen Borgern tho hogester beschweringe […] und wen wy ohnen de Bremen unter der Signatur [UB Bremen, Brem.b. 3820 Nr c]. Im Folgenden Summarische erholung. 1462  De Bremen si sedicione Exclcitata a Sacramentarijs, uera narratio: conscripta. StA B 2-e.7.d. Nr 9. 1463  Wahre Historia Sacramentirischer Auffruhr in der Stadt BREMEN. Rostock 1617 [UB Bremen, Brem. c. 3820 Nr a]. Im Folgenden Wahre Historia. 1464  Wahre Historia (wie Anm. 1463), Bl. A iii. 1465  „unnd ann Rade arup gebedenn, se wolde den Eydt leistenn, darup men öhme wolde dat Regimente na oldenn Gebrucke avergeuen, uth genamen de Reli­ gions sacke de öjhme tuh volgenden Orsacken hir geweigert.“ Recess zwischen den übrigen des Raths an einem und Dan. Von Büren et Consortes andern theils auf dem Rathhause d: 13. 14. und 15. Jan: 1562. StA B 2-ad. T.1.c.2.b.2.c.2.b.Nr 6. 1466  Vgl. C. Rottländer, Der Bürgermeister Daniel von Büren (wie Anm. 1217), S. 74 und dort Anm. 2. 1467  Vgl. H.  Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S. 242 ff.

418

V. Die Fallstudien

Religionssake leng alleine beffolen, so fullborden wy jo darmede nicht alleine in alle ohre vorige Handell, ock dutt Mandat jegen unse Protestation, sundern ock jnn all dath, so se herfurder vorordnen wurden.“1468

Die unter Berufung auf die Dreiständelehre in die interna ecclesiae und auch in die Gemeindeautonomie eingreifende Haltung kommt in einem summarischen Antwortschreiben der lutherischen Ratsmehrheit an Daniel von Büren und die vier oppositionellen Ratsherren vom 24. Juni 1560 zum Ausdruck, nachdem dieser ebenfalls bezeichnenderweise unter Berufung auf die aristokratische Dreiständelehre in Schreiben vom 19.1469 und 23. Juni 15601470 an die Wittheit der orthodoxen Mehrheit des Rates die vollmächtige Anmaßung in Sachen der Religion vorgeworfen hatte: „dat wy uns der sake angenahmen, dan wy alse Custodes beyder tafelen, und dat unsen Borgeren Wyff, Kyndt und Nakommelingen thom besten, alse de in Ampt der Ouericheydt sitten und keynes weges vor unse personen der ubiquitet uns nycht angenhamen.“1471

Die Position der lutherischen Ratsmehrheit ist auch in ihrer Klageschrift von 1566 beim Reichskammergericht gegen Daniel von Büren und die oppositionelle Ratsminderheit zu erkennen, in der sie an die christliche Tugendlehre anknüpfend argumentieren: „Zum dritten, was ist das für eine christliche Liebe, daß man die ordentliche Obrigkeit zwinget, daß sie den Predigern gebieten sollte, verführische Lehre nichts zu strafen, vnd die Leute davor zu warnen […] Zum fünften, was ist das für eine christliche Liebe, daß die Obrigkeit nichts ordnen, oder exequiren, soll in Religions Sachen ohne Consens, vnd fulbort des gemeine Mannes?“1472

Die derart Beklagten, zum einen der kryptocalvinistisch orientierte Bürgermeister Daniel von Büren – ein humanistisch gebildeter Jurist, der bereits 1538 Ratsherr wurde und von 1544 bis 1591 52 Jahre lang als Bürgermeister tätig war1473 –, und zum anderen die vier oppositionellen Ratsherren Dierich Schriver, Johann Brand, Brun Reiners1474 und Hermann Vasmer 1468  Schreiben von Daniel von Büren an Johann Borck vom Februar 1562. StA B 2-ad. T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr 6. 1469  Daniel v. Büren et consorten Vorstellung an die Erb. Wittheit in der Hardenbergischen sache 1560 d. 19. Juny. StA B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr° 1 Teil 2. 1470  Siehe unten Anm. 1471. 1471  Summaria des Rahtes Antwort auf die von Dan: von Büren und Consortes den 20 und 23. Juni übergebene Schrifften 1560 d. 24. Juny. StA B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr 6. 1472  StA B 2-ad. E.7.d. Bl. 128–129. 1473  H.  Hertzberg, Das Tagebuch des bremischen Ratsherrn Salomon (wie Anm. 1331), S. 32. 1474  Er hatte ähnlich wie Daniel von Büren das Amt des Bürgermeister bis 1593 50 Jahre lang inne. Vgl. H. Hertzberg, Das Tagebuch des bremischen Ratsherrn Salomon (wie Anm. 1331), S. 58.



2. Bremen419

gründeten ihre Unterstützung für Hardenberg1475 ebenso auf die Dreiständelehre wie ihre Gegner. Sie bauten allerdings ihre politische Argumentation, dass die lutherische Ratsmehrheit kein Recht zu jenem Kolloquium sowie überhaupt zur Bestimmung über die innerreligiösen Angelegenheiten hätte, auf einer anders gewichteten Sicht der Dreiständelehre auf. In diesem Sinne setzten sie der Auffassung der lutherischen Ratsmehrheit entgegen: „Vp idt ander hebbe jck gesecht, offt woll de Ouericheit Custos primae tabulae sy, so strecke sick doch dat nicht forder, alse up de uthwendige Disciplin, dat Ordel auerst der Lehre höre der gantzen Kercken tho p ex Philippi Postilla super Dominica 5 post Epiphan: de Zizaniis, darhen jck mi refereredt. Wenn nu darumme by der Ouericheit stan scholde, wat lehre de dulden wolde edder nicht, so hedden de hoge Potentaten, alse Kaiser vnd Köninge, ja dat Pavestdom fele vor sick, de anders nine lehre gestaden willen.“1476

Nach ihrer Auffassung war die weltliche Obrigkeit zwar tatsächlich Hüterin der ersten Gesetzestafel, ihre Macht erstrecke sich aber nicht auf die innerkirchlichen Belange, sonst sei sie Cäsaropapismus. Daniel von Büren und die vier Ratsherren beschränkten also ebenfalls mit Verweis auf die Dreiständelehre die Herrschaftskompetenz der weltlichen Obrigkeit zugunsten der ganzen Kirche.1477 Mit der „ganzen Kirche“ wird die Mitwirkung aller drei Stände, der politia, ecclesia und oeconomia, adressiert. Der Rat könne nur im Konsens mit der Geistlichkeit und der Bürgerschaft die kirchlichen Angelegenheiten regeln und verfassungsrechtliche Grundsatzentscheidungen treffen. Von Büren und die anderen empfanden das eigenmächtige kirchenpolitische Handeln des Rates als unzulässigen Eingriff in die Sphäre der Bürger und das überkommene Recht der Bürgerschaft. Die für einen Bürgermeister und Ratsherrn äußerst bemerkenswerte Präferenz für das aristokratische Herrschafts- und Ordnungsmodell als Grundlage verfassungspolitischer Argumentation kommt im Schreiben Daniel von Bürens vom 23. Juni 1560 an die Wittheit nochmals zum Ausdruck: „Vnd offt woll J: E: W: alse de Ouericheit Custodes primae tabulae mede syn, so höred doch dat ordell van der lehre der ganzen Kercken tho, deren de Ouericheid men ein deill ys, vnd geböret dersuluen woll tho to sehenn, dat se öhres Ordells gewisse sy, nicht nach twyer edder tryer starriger Koppe, sunder der besten vnd gelerdesten meynung, wo dann de Historien tugen, dat de louelycken Keisere in sollicken fellen, wann spaltinge vnnd Twist in Religions saken vorfallen, de gelerden uth allen enden des gantzen Ryckes tho hope forderden, vnd darinne ordele lathen, daraver se den helden als Custodes primae tabulae. Wann nhu Vormoege des, edder der darumme vorth by der Ouericheidt stahen edder de de macht 1475  H. Schwarzwälder,

S. 233.

Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997),

1476  Schreiben des Daniel von Büren an Johann Borck vom 15. Dezember 1560. StA B 2-ad. T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr 6. 1477  Vgl. B. Spiegel, Albert Rizäus Hardenberg (wie Anm. 1217), S. 251.

420

V. Die Fallstudien

habben scholde, wat lehre se lyden edder nicht lyden konden, so wolde daruth volgen, dath de Keninge tho Franckryck vnnd Hispanien recht deden, dath se so vele vnschuldiges blodes so gruwelick vorgeten, alse dat se ock ehren egene blodes vorwanten nicht verschonen.“1478

Wiederum imponiert seine Haltung, dass die weltliche Obrigkeit zwar Hüterin der ersten Tafel sei, aber dennoch keine Jurisdiktionsgewalt in der Kirche ausüben dürfe. Sie sei weder Herr noch Haupt der Kirche, weil sie eben nur ein Glied der Kirche sei. Deshalb sei sie auf die Mitbestimmung der Bürgerschaft und der Geistlichkeit angewiesen. Jede Vermischung und Anmaßung in Form von Cäsaropapismus aber sei verboten. Ob sie wirklich ein „konsensgestütztes“ Ratsregiment bevorzugt, ist hier nicht ersichtlich. Fest steht, dass sie die aristokratische Dreiständelehre als Legitimationsgrundlage für ihre verfassungspolitische Position verwendet. Dieses bemerkenswerte Rechtfertigungsmuster von Bürens kommt wiederum in seinem Schreiben vom 10. April 1562 an seinen Freund und Schwager Johann Borck, Professor der Rechtwissenschaft zu Frankfurt / O. zum Ausdruck, dieses Mal auf lateinisch: „So mosten wy denoch vor erst bedingen doch dat Judicium de doctrina nicht vnsen jegenteiln vnd vns, als der Ouericheit aleine, sunder der gantzem Kerckenn cujus pars est magistratus geborede vnd horede vor de Gelerden.“1479

Insgesamt ergibt sich aus dem bisher Dargestellten, dass mit dem wirksamen Vorhandensein zweier konsistenter Deutungen der Dreiständelehre, d. h. zweier operativer Paradigmen, zu rechnen ist, deren Konkurrenz konfliktverschärfend gewirkt hat. Wie in der Forschung darauf hingewiesen wurde, beruhte die Behauptung einer Kirchenhoheit des Landesfürsten ursprünglich auf der Episkopaltheorie. Diese Theorie gab den staatsrechtlichen Titel für die Inanspruchnahme des ius episcopale durch den Landesherrn ab. Sie legitimierte staatskirchenrechtlich den landesherrlichen Summepiskopat.1480 Jedoch machte die bisherige Analyse deutlich, dass sich die Bremer Ratsherren in ihren tagespolitischen Auseinandersetzungen über ihre Kirchenhoheit kaum auf diese staatsrechtliche Legitimationsgrundlage beriefen, sondern ausschließlich auf die Dreiständelehre. Nicht die staatskirchenrechtliche Theorie legitimierte den stadtherrlichen Summepiskopat, sondern die Dreiständelehre. Die Ausführung hat deutlich zeigen können, dass kaum unterschiedliche politische Konzepte zur Debatte standen: Episokopaltheorie 1478  StA

B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr° 1 Teil 2. B 2-E.7.b.1.; ebenso lässt sich sein Argumentationsmuster nachweisen in seinem Schreiben an Borck vom Februar 1562; „vorerst mosten wy dat judicium de doctrina uthbedingen, welckedt der gantzen kercken und vormemlick den gelerden (doch unparthiegen) thoqueme.“ StA B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr 6. 1480  M. Honecker, cura religionis (wie Anm. 182), S. 74. 1479  StA



2. Bremen421

versus die Dreiständelehre. Auch bildete gegenüber der staatsrechtlichen Theorie in der Welt bzw. den externa ecclesiae die Dreiständelehre keinen innerkirchlichen Verfassungsgrundsatz bzw. interna ecclesiae, sondern vielmehr standen sich gegenüber die aristokratische Dreiständelehre der oppositionellen Ratsminderheit und die monarchische Dreiständelehre der orthodoxen Mehrheit des Rates. Deutlich wird, wie allgemein gültig und üblich die Dreiständelehre in den politischen Auseinandersetzungen als Argumentationsmuster bzw. Rechtfertigungsfigur gewesen ist. Sie bildete den diskursiven Bezugspunkt und damit die argumentative Grundlage und gemeinsame Sprache der jeweiligen politischen Gegner. Die Dreiständelehre als politische Sprache ist das verbindende Element, das politische Praxis und politisches Denken in einen wechselseitigen konstitutiven Zusammenhang setzt, Institutionen und Praktiken Kontext und Bedeutung zuweist und damit handlungsleitende Funktion hat. Und sie ist eine solche Sprache nicht nur für die eine Seite der politischen Kontrahenten, sondern ebenso z. B. für die oppositionelle Ratsminderheit, deren politiktheoretisches Konzept der „konsensgestützten Herrschaft“ durch die Dreiständelehre konstituiert wird. Belegt werden kann dies auch anhand ihrer Klageschrift1481 für das Reichskammergericht gegen die verfassungsrechtliche Fehlentscheidung der Ausgewichenen, d. h. der früheren lutherischen Ratsmehrheit: „ /  dann so den gemeinen beschriebenen Rechten der Bürgerlichen freiheit /  dem alten loblichen gebrauch der christlichen Kirchen /  der Christlichen liebe /  des Kreisses abscheide /  vnnd jren Aidtlichen pflichten gemess vnd eben /  gesucht /  noch gebeten wurden /  zu willigen fürgestaldt /  Alss des vnzeittigen lesterens /  condemnierens vnd scheltens /  vff vnuerdampter personen leere /  ante cognitionem /  sich zu enthalten /  Jn Religions sachen /  ohne fulbordt der Gemeinde /  deren Consens darzu gehörich /  keine Mandata ferner zu publicieren /  Vnruhige prediger zuenturlauben /  doch an derselben personen vnd guettern /  sich nicht zuuergreif­ fen /  Vnd andere so ohne vrsach jres Ampts entsetzet /  widderumb auffzustellen /  Jnn stehender Appelanten /  (do er widder offentlich beschworn Stadtrecht beschweret) die Stadt /  biss zu erorterung solcher Appellation Sachen /  zuuergunstigen / .“1482

Die Ausgewichenen hätten also das Mandat vom 3. Januar 15621483 veröffentlicht und damit gegen die herkömmliche Tradition der „konsensgestützten Herrschaft“ verstoßen. Der dadurch ausgelöste Verfassungsstreit konzentriert sich auf die sich in dem Mandat ausdrückende herrschaftszen1481  Summarische

erholung (wie Anm. 1461). Zitiert nach der Abschrift der UB Bremen [UB Bremen, Brem.b.3820 Nr c]. Bl. B iii. 1483  Ausführlich dazu C. Rottländer, Der Bürgermeister Daniel von Büren (wie Anm. 1217), S. 64 ff. 1482  Ebd.

422

V. Die Fallstudien

trierende verfassungspolitische Handlung, die den Konsens mit der Bürgerschaft übergehe und selbstherrlich in die Religionssache eingreife. Zur Bekräftigung ihrer Position fügt die oppositionelle Ratsminderheit ein zeittypisches Beispiel für die Beschränkung der Herrschaftskompetenz des Rates hinzu: „dat se so lange tho geseen, jtem dat de Radt neue macht hebbe, denn hundertsten Pennick tho nehmen, idt wurden dann de Borger dartho vorbadet, vele weniger auerst inn desser ane der Borger bewilligung etvas donn konnen.“1484

Die oppositionelle Ratsminderheit klagte also gegen die orthodoxe Mehrheit des Rates, dass diese der Bürgerschaft das Recht auf ständisch-korporative Teilhabe am Stadtregiment verweigert und ihr damit eine öffentliche politische Funktion nicht zugestanden hätte.1485 Hintergrund bzw. Grundlage dieser Klage ist die „konsensgestützte Herr­ schaft“,1486 d. h. eine gemeindlich-genossenschaftlich strukturierte, gleichberechtigte stadtbürgerliche Aristokratie, in welcher die summa potestas den drei Verfassungskräften gleichermaßen zukommt und die Teilhaberechte bzw. der Teilhabeanspruch der Bürgergemeinde am Stadtregiment durch Wahl, Kontrolle und Mitentscheidung ermöglicht wird, sodass der Magistrat lediglich als beauftragter Vertreter der Bürgergemeinde fungiert und somit alle Grundsatzentscheidungen von der Bürgergemeinde mitgetragen und im Konsens mit der Bürgerschaft getroffen werden – ein solches Regiment werde durch die Dreiständelehre wirkmächtig und überhaupt erst konstituiert.1487 Am Klagetext der Ratsopposition zeigt sich also die normativ-konstitutive Rolle der Dreiständelehre für die politische und soziale Wirklichkeit, z. B. hinsichtlich der Frage, wem nun die „summa potestas“ gehöre, dem Rat allein oder der aus Rat und Bürgerschaft bestehenden „universitas“1488 bzw. – um mit Johannes Althusius’ Worten zu sprechen – wem die Souveränität, die „jura majestatis“, zustehe, dem Herrscher oder der in Stände und Korporationen sich gliedernden Gesamtheit1489: „So haben doch /  deme zuwieder /  die jtzo ausgetretene /  dasjenige /  so sie mit gemeiner Burgerschafft /  altem wolhergebrachtem dieser Stadt gebrauche /  freiheit /  vnd Rechte nach /  zu erhaltung wahrer Christlicher Religion vnd Bürgerlicher 1484  Recess zwischen den ubrigen des Raths an einem und Dan. Von Büren et Consortes andern theils auf dem Rathhause d: 13.14. und 15. Jan: 1562. StA B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr 6. 1485  Vgl. J. Asch, Rat und Bürgerschaft in Lübeck 1598–1669 (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck 17), Lübeck 1961, S. 157 ff. 1486  Vgl. U. Meier / K. Schreiner, Regimen civitatis (wie Anm. 52), S. 18–20. 1487  Ebd. 1488  Vgl. J. Asch, Rat und Bürgerschaft in Lübeck (wie Anm. 1485), S. 54. 1489  Ebd. S.  142 ff.



2. Bremen423 eindracht /  zur billigheit /  einheilligklich geschlossen jres gefallens /  zu sorglicher weitterung /  nicht allein geendert /  Sondern auch das wiederspiell ins werck gerichtet /  Vnerhörte /  vngewöhnliche examina Theologica /  vnd eine vnordentliche Jnqusition /  vndter der Burgerschafft angerichtet /  Newe confoederationes mit den Ansehe Stetten /  zu schmelerung vnser wohler gebrachter freiheit vnnd Priuile­ gien /  gewilliget /  Neuwe Mandata /  ohne vorwissen des gesampten Rahts vnd gemeiner Burgerschafft /  als deren Consens darzu gehörich /  in Religion Sachen /  zu dem effect publiciertet /  […] Haben doch die Ausgetretene /  ein besonder Man­ dat in Religion Sachen (das sie jtzo /  do jnen jr furnehmen messlungen /  zu beschonung desselben /  vnd furgenommener wuterey /  eine Amnistiam aller furgelauffener handlung /  vnbetrachtet /  sie doch die Execution darauff /  wiewol widder form aller Rechte verhengt /  nennen) ohne mitwissen vnd volbortt des gesambten Rahts vnd derjenigen /  deren Consenss darzu /  alter wolhergebrachter /  der Stadt Bremen freyheit nach /  gehörich /  Jnhalt der Copy mit M publiciert.“1490

Mit „alter wohlhergebrachter Freiheit der Stadt Bremen“ ist selbstverständlich die Freiheit im Mittelalter gemeint, d. h. eine obrigkeitlich privilegierte Freiheit, aber auch das gegen die Obrigkeit zu verteidigende, überkommene Recht ständisch-korporativer Mitbestimmung, z. B. Steuern bewilligen oder ablehnen zu dürfen, sodass eine Steuererhebung nach willkürlichem Ermessen des Rates als unzulässiger Eingriff in die Sphäre der Bürger empfunden wurde.1491 Genauso galt die Veröffentlichung des Religionsmandats ohne Wissen und Beteiligung der Bürgerschaft als unzulässiger Eingriff in die Freiheitssphäre der Bürgerschaft. Die Souveränitätsrechte, die jura superioritatis, standen also nach Auffassung Daniel von Bürens und dreier Oppositioneller der Ratsminderheit nicht dem Rat allein, sondern der aus Rat, Geistlichkeit und Bürgerschaft bestehenden Bürgergemeinde zu und waren dem Rat nur zur Verwaltung übertragen,1492 weil der Rat nämlich sein obrigkeitliches Amt aus den Händen dieser Bürgergemeinde erhalten habe. Damit wollte die oppositionelle Minderheit des Rates das Ansinnen der lutherischen Ratsmehrheit, die Bürgerschaft unter Berufung auf die (monarchische) Dreiständelehre auf die Funktion des Untertanen bzw. auf die rein wirtschaftlichen Rechte, die „jus Collegiij“, zu beschränken, ebenfalls mit Verweis auf die (aristokratische) Dreiständelehre vereiteln, indem sie Geistlichkeit und Bürgerschaft als politische Korporationen auftreten ließen.1493 Damit ist der Aspekt der frühneuzeitlichen Politikkommunikation als wechselseitiger Steuerungsmechanismus von politischen Normen und Werten und politischer Ordnung angesprochen. So spielen auch in der Klage1490  Summarische

erholung (wie Anm. 1461), Bl. B–D. J. Asch, Rat und Bürgerschaft in Lübeck (wie Anm. 1431), S. 146 ff. 1492  Ebd. S.  147 f. 1493  Ebd. S.  157 ff. 1491  Vgl.

424

V. Die Fallstudien

schrift der Ratsopposition – wenn auch nicht so explizit wie bei Heshu­ sius – die politischen Grundwerte, v. a. Freiheit (allerdings wie bei Musäus im Sinne von „Mitsprache“  /  „Partizipation der Bürger“ bzw. Freiheit im Sinne von Rechtssicherheit oder als Forderung nach freien politischen Entscheidungsprozessen), eine wesentliche Rolle, auf die im nächsten Abschnitt noch näher einzugehen sein wird. Die „konsensgestützte“ Herrschaftsauffassung Daniel von Bürens wurde von dessen Schwager, dem Professor der Rechtswissenschaft Johann Borck aus Frankfurt / O., den von Büren durch regen Briefverkehr sowohl über die Hardenbergsache als auch über die Verfassungskonflikte mit der lutherischen Ratsmehrheit informierte, unterstützt. Deshalb befasste sich Borck in einer Schrift, die in einem Sammelband1494 erschienen ist, ausführlich und detailliert mit der verfassungsrechtlichen Frage1495 unter juristischen Gesichtspunkten und setzte sich für von Bürens „konsensgestütztes Ratsregiments“ ein: „In quo absque omni dubio exules contra antiquas consuetudines et statuta ciuitatis, quibus Senatui sine consensu populi causis Religionis et aliis grauioribus deliberationibus nihil permittitur attentare, nedum ea quae à toto Senatu populoque sancita sunt, retractare vel immutare, grauiter deliquerunt, atq; hac ratione ipsam ciutaté, dignitatem et bona sua omnia amiserunt.“1496 1494  Ioannis à Borck, In Causa Religionis, in: Lavrentio Kirchovio (Hg.), Consiliorvm sev Responsorvm Ivris, Germanorvm, Italorvm, Gallorvm, et Hispanorvm, I.C. Hodie Celebratissimorvm Penv, de rebus et cavsis non minvs ardvis, et controversis quam in primo volumine elaboratum est, superiorum Inferorum’q; statuum atq; personarum iura spiritualia, tum ciuilia concernentibus, perpenso iudicio atq; opera depromptorum. Vol. V. Frankfurt / O 1605, S. 218–283 [StA B. 2-ad E.7.e.4.]. Im Folgenden In Causa Religionis. 1495  Es handelt sich hauptsächlich wie beim Goslarer Verfassungskonflikt zwischen Rat und Bürgerschaft im 17. Jahrhundert um jene Frage, die die verfassungsrechtlichen Dispute der frühen Neuzeit auf allen Ebenen bestimmten: Wem steht die obrigkeitliche Gewalt innerhalb eines politischen Gemeinwesens zu? Auf welchen Rechtsgrund kann sich dieser Anspruch stützen? Welchen Beschränkungen müssen die Träger der Gewalt unterworfen sein? Auf speziell Bremer Verhältnisse angewandt hießen diese Fragen: War die obrigkeitliche Gewalt des Rates bzw. der lutherischen Ratsmehrheit in der Stadt originär oder wurde dem Rat die Regierungsgewalt von der durch die Kaufmannschaft und die Zünfte repräsentierten Bürgerschaft nur auf Zeit übertragen, blieb sie letztlich also ein Mandat der Bürger? Welchen Mitwirkungs- und Kontrollrechten der Bürgerschaft war der Rat bei seinen politischen Amtshandlungen folglich unterworfen? Die unterschiedlichen Standpunkte und die Debatten der verschiedenen Staatsrechtler im Einzelnen nachzuvollziehen, würde den Rahmen dieser Studie sprengen; hier sollen daher schwerpunktmäßig die Topoi aufgegriffen werden, die den Hardenbergschen Ereignissen und den von den streitenden Kontrahenten vorgebrachten Argumenten besonders nahe stehen. Vgl. A. Kroker, Goslarer Verfassungsgeschichte in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 356), S. 123–135. 1496  In Causa Religionis (wie Anm. 1494), S. 228.



2. Bremen425

Borck argumentiert, dass die ausgewichene lutherische Ratsmehrheit gegen die alte herkömmliche Stadtverfassung der „Alten“ und „Neuen Eintracht“ von 1433 und 1534 verstoßen habe, nach der ihr in Sachen der Religion und auch in anderen politischen Angelegenheiten ohne Bewilligung und Zustimmung der Bürgerschaft gar nichts durchzuführen gestattet sei, da die Verfassung nicht allein vom Rat, sondern von dem aus Rat und Bürgerschaft bestehenden politischen Gemeinwesen beschlossen wurde und die Souveränität eben nicht dem Rat allein, geschweige denn einem, wenn auch mehrheitlichen Ratsteil, sondern nur der gesamten Bürgergemeinde zukomme. Borck bezeichnet deshalb die politische Amtshandlung der lutherischer Ratsmehrheit als einen schwerwiegenden strafbaren Eidbruch bzw. Meineid1497 und vertritt die Ansicht, dass denjenigen, die gegen diese Stadt­ verfassung verstoßen hätten, in keiner Weise Ehre und Würde zustehen würden,1498 eben weil Ehre und Würde einem Bürgers nur der Ordnung nach bzw. nach Anordnung der eidlich beschlossenen Verfassung übertragen werden.1499 Borck wusste allerdings vom verfassungsrechtlichen Standpunkt der orthodoxen Mehrheit des Rates, nämlich dass die summa potestas innerhalb eines politischen Gemeinwesens dem Rat bzw. der Mehrheit des Rates allein zukomme, da der Rat das gesamte Bürgergemeinwesen repräsentiere, und dass die Mehrheit des Rates ohne Zustimmung und Bewilligung der Bürgerschaft allein politische Amtshandlungen durchführen dürfe, eben weil die Mehrheit des Rates den ganzen Rat repräsentieren könne und aus diesem Grund ihre alleinige Amtshandlung gleichbedeutend sei mit der des ganzen Rates. Diesen obrigkeitlichen Standpunkt der lutherischen Ratsmehrheit lehnte Borck nicht völlig ab, indem er einräumte, dass der Rat die ganze Bürgergemeinde und die Mehrheit des Rates den ganzen Rat repräsentiere: „Non obstat, quod Senatus cuiusque ciuitatis totam ciuitatem repraesentat. […] Et quod maior pars Senatus totum Senatum repraesentet, vt factu à maiore parte Senatus, à toto Senatu factum censeatur.“1500

Er setzt dann aber fort, dass der weltlichen Obrigkeit die Gewalt und Autorität nur im Rahmen der von allen Bürgern eidlich beschlossenen 1497  „Namque dubio omni caret, eum qui delinquit contra statuta iurata, poenam in illis expressam incurrere […] Similiter clari iuris est, quod veniens siue delinquens contra statuta iurata, periurus efficiatur, et incurrat poenam periurii.“ Ebd. 1498  „Quod etiam is ciuis, qui contra statuta ciuitatis deliquit, ad nullos honores atque dignitates in ciuitate admittendus sit.“ Ebd. S. 229. 1499  „Quod etiam confirmatur ex eo: Nam in ciuitatibus plerunque dignitates et honores conseruntur ex dispositione, siue secundum dispositionem statutorum, sed sic est, quod is, qui visus fuit im pugnare statuta, siue delinquere contra statuta, omni fructu, omnique commodo statutorum carere debeat.“ Ebd. 1500  Ebd.

426

V. Die Fallstudien

Stadtverfassung zustehe. Sollte sie entgegen der Verfassung eine politische Amtshandlung durchführen, repräsentiere sie nicht mehr die Bürgergemeinde.1501 Außerdem haben die durch die ganze Bürgerschaft gewählten Entscheidungsträger keine Befugnis, von sich aus politische Handlungen zu beschließen, da ihre Autorität nur von den Bürgern verliehen sei. Damit steht Borck deutlich in der Interpretationstradition von Bartolus von Saxoferrato (1314–1357).1502 Borck bezeichnet auch die Herrschaftsform Bremens als Republik bzw. civitas,1503 jedoch nicht im Sinne der aristotelischen Politiktheorie oder der römisch-rechtlichen Verfassungslehre, sondern eben im Sinne der „konsensgestützten Herrschaft“, in der es zweierlei Arten von Partizipation gab, eine passive Teilhabe in Gestalt der Kontrolle und Zustimmung und eine aktive Partizipation in Gestalt der Wählbarkeit zu den höchsten Ämtern1504. Deshalb sind ihm die Begriffe res publica und civitas gleichbedeutend: „prout etiam tales priores ciuitatum nihil possunt constituere vel ordinare, quod in praeiudicium Reipublicae vel ciuitatis, à qua potestatem habent vergat […] Et est ratio, quia Respublica vel ciuitatis non intelligitur illis prioribus arbitrium siue potestatem contra seipsam concessisse.“1505

Damit ist wiederum der Aspekt der frühneuzeitlichen Politikkommunikation angesprochen, der in den Debatten um das Verständnis von res publica greifbar wird. Zwar erwähnt Borck hierin die Dreiständelehre als Legitimationsgrundlage nicht explizit. Dass er dennoch die res publica-Diskussion mit der Dreiständeordnung als legitimem Herrschafts- und Ordnungsmodell verbunden haben dürfte, kann anhand einiger ernst zu nehmender Belege plausibel gemacht werden. In dem Abschnitt zur obrigkeitlichen Pflicht rekurriert er auf die strikte Trennung von geistlichem und weltlichem Regiment in Verbindung mit der von der mittelalterlichen Politikliteratur geprägten Ordnungszielvorstellung (tranquillitas ordinis): „Cum ad officium Magistratus spectet, quietem et transquillitatem publicam conseruare, omnibusq; illis resistere, per quae publica quies vel tranquillitas turbari posset, periura superiusallegata […] Quodq; suadente necessitate, siue in defectum 1501  „Quod potestates et alii Magistratus nostri temporis nullam habeant autoritatem, nisi quatenus ipsis per statuta attribuatur […] Ideoque priores ciuitatis nihil possunt facere, statuere, vel ordinare contra statuta vel ordinationes à toto populo factas, neque hoc facientes ciuitatis populum repraesentant.“ Ebd. 1502  Vgl. U. Meier / K. Schreiner, Regimen civitatis, in: Stadtregiment und Bürgerfreiheit (wie Anm. 52), S. 15. 1503  Zum Begriff „res publica“ vgl. W. Mager, Republik (wie Anm. 340), S. 549– 651; ders., Res publica und Bürger (wie Anm. 340), S. 67–94. 1504  Vgl. U. Meier / K. Schreiner, Regimen civitatis, in: Stadtregiment und Bürgerfreiheit (wie Anm. 52), S. 15–16. 1505  In Causa Religionis (wie Anm. 1494), S. 229.



2. Bremen427 aliorum etiam illi qui alioquin parum idonei siue habiles essent, ad officia tam politica quam Ecclesiastica admittantur.“1506

Zudem rechtfertigt er seine Argumentation, dass die lutherische Ratsmehrheit mit der Mandatsveröffentlichung gegen die alte Stadtverfassung verstoßen habe, immer wieder durch Verweis auf die Kirchenordnung von 1534, die von der Dreiständelehre als Kirchenverfassungsprinzip und politischem Ordnungsprinzip durchdrungen ist.1507 Die intersubjektiv-normative Dimension der Dreiständelehre als politisches Vokabular, welches bestimmte politische Handlungen oder Zustände implizit als erstrebens- oder empfehlenswert charakterisiert, indem es die den Begriffen entsprechenden politischen und sozialen Phänomene mit einer intelligiblen und handlungsleitenden Bedeutung versieht, kommt in einer anderen Klageschrift der Ratsopposition1508 noch präziser zum Ausdruck: „Vnnd seindt also auff bestimbte zeit /  zu jrem verdechtigen Partheilichen Colloquio geschritten /  Darein die jtzo Ausgetrettene /  allen Rechten vnnd gueter Ord­ nung zuwidder /  als weldtliche Obrigkeidt /  denen doch in Geistlichen vnnd Glaubens Sachen /  zuuertheilen noch zuerkennen /  oder aber auch /  jemande durch vnd mit vnordentlichen Processen zubeschweren nicht gebüret /  Part /  (nachdem sie offtermals sich erklerte /  Das diese Sache nicht jrer Prediger /  sondern jrer /  der itzo Ausgerettenen selbs wehre) vnnd Richter zugleich zu sein /  sich an zumassen kein abschew getragen /  Vnd D. Albrechten /  darüber sie doch keine jurisdiction /  vielweniger jchts zuerkennen /  gehabt /  für sich /  zu solchem Colloquio /  zum ersten /  Andern /  vnd dritten mahle /  Peremptorie vermendtlich Citieren lassen […] Vnd die Sachen so weidt befurdert /  das auff sein bedencken ein Mandat in Religion Sachen /  in eine Taffel /  ohne vorwissen vnd bewilligung des gesambten Rahts /  vnd gemeiner Burgerschafft /  alter wohlergebrachter dieser Statt freyheit vnd Rechte zuwidder /  verfasset /  vnd den 3.  Januarij des verschienen 62. Jares /  von den itzo Ausgetrettenen gewesenen des Rahts Publicieret worden /  […] Vnd /  dieser Stadt /  altem löblichen herkommen vnd Aidtlich beterten Statuten /  (vermu­ ge welcher /  ohne besondere des gesambten Rahts vnd gemeinde bewilligung /  in Religion Sachen keine Mandata Publicieret werden sollen).“1509

In der Formulierung „alter wohlhergebrachter dieser Statt freyheit vnd Rechte“ begegnet man wiederum dem Ausdruck des alten Doppelbegriffs „Freiheit und Gerechtigkeit“ des Mittelalters. Daran wird deutlich, dass 1506  Ebd.

S. 260. Dazu vgl. den Abschnitt IV. ordo. B 2-E.7.c. 1508  Nottwendige verantwortung vnd bestendiger beweislicher gegenbericht des Rahts vnd Gemeinde der Stadt Bremen /  widder die vnchristliche vngegeründete /  derselbigen Widderweertigen /  dero Aussgetrettenen gewesenen des Rahtss daselbst /  hin vnnd widder gesprengete verleumdung /  Vnd in sonderheit /  widder die meuchlings abgetruckte Ehrenrührige lesterliche Schriffte Dithmar Kenckels gewesenen Burgermeisters. [StA B 2-ad E.7.d]. Bremen 1566. Im Folgenden Nottwendige gegenbericht. 1509  Nottwendige gegenbericht (wie Anm. 1508), Bl. C iiiv–D iiij. 1507  StA

428

V. Die Fallstudien

bürgerliche Freiheit zu jener Zeit in Bremen ebenso wie in Lübeck noch in mittelalterlicher Tradition als das Recht der Bürgerschaft auf ständischkorporative Teilhabe am Stadtregiment aufgefasst wurde.1510 Daniel von Büren und die drei Ratsherren unterstreichen unter Heranziehung der Dreiständelehre, dass die Bürgerschaft und ebenso die Geistlichkeit Stände und damit politische Korporationen im Stadtregiment seien.1511 Das heißt, sie seien ebenfalls die Herrschaftsstände und die Herrschaft der bremischen Magistrate sei durch deren Teilhabeanspruch wechselseitig verbunden und somit ihre Herrschaftsübung durch die Herrschaftsteilung begrenzt. Die Verwendung der Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster in den politischen Auseinandersetzungen betrifft keineswegs nur die bremischen Magistraten, sondern auch die politischen Entscheidungsträger der anderen Territorien und Städte. Auch der Erzbischof Georg, Herzog zu BraunschweigLüneburg (1494–1566), der an die Stelle seines am 23. Januar 1558 gestorbenen Bruders, Christoph Herzog zu Braunschweig-Lüneburg (1487–1558), vom Domkapitel zum Nachfolger berufen wurde, ein mild-katholischer friedfertiger Mann,1512 dessen politisches Interesse allein darin lag, den Einfluss des Rates auf die Verhältnisse des Doms möglichst gering zu halten,1513 verwendete zur Legitimation seiner Argumentation die Dreiständelehre, etwa als der Bremer Rat ihn aufforderte, Hardenberg des Amtes zu entheben.1514 In seinem Antwortschreiben vom 24. Mai 1560 an den Bremer Rat lehnte er diese Forderung bemerkenswerterweise mit Verweis auf die doch häufig umstrittene Grenze zwischen weltlichem und geistlichem Amt bzw. Regiment1515 ab: „desgleichen der Augspurgischen confession verwandt wehren, sich gegen und unter einander friedlich haltenn, und kein Theil den andern in seiner habenden Jurisdiction und gerechtigkeit Sperung oder Jngriffe thun sollte, wie dann solchem auch bis daher an andere ortere jm heiligen Reiche festiglich were gehalten worden, und zugeleiche misuerstanden in der Religion eingreiffen, so wehre doch dieselbigen vor der weltlichen Obrigkeit nicht gehört, besunder an ordentlich orten und vor gelehrten Leuten der heiligen Schriftt determiniert worden.“1516 1510  Vgl.

J. Asch, Rat und Bürgerschaft in Lübeck (wie Anm. 1485), S. 146 ff. S.  157 ff. 1512  H. Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S. 235–236. 1513  Vgl. H. Engelhardt, Der Irrlehrestreit zwischen Albert Hardenberg und dem Bremer Rat (wie Anm. 1217), S. 45. 1514  Vgl. O. Veeck, Geschichte der Reformierten Kirche Bremens (wie Anm. 1207), S. 11. 1515  Zu der Beobachtung, dass sich die Präsenz der Dreiständelehre in dieser Diskussion zeigt, vgl. L. Schorn-Schütte, Die Drei-Stände-Lehre im reformatorischen Umbruch (wie Anm. 6), S. 452. 1516  StA B 2-ad. T.1.c.2.b.2.c.2.b.Nr.6. 1511  Ebd.



2. Bremen429

Ebenso wandte er sich gegen die entscheidende Funktion des Rats bei jenem Kolloquium über die Enthebung Hardenbergs. Der Erzbischof verfolgte dabei freilich außenpolitische Interessen, wenn er unter Berufung auf die Dreiständelehre die Kompentenzerweiterung des Rates in die interna ecclesiae und in die Gemeindeautonomie und damit die Vermehrung des Einflusses des Rates auf den Dom zu verhindern suchte. Im Zusammenhang mit der Verwendung der Dreiständelehre durch den Erzbischof stellt sich die Frage, ob dieser tatsächlich Bezug auf die lutherische Dreiständeauffassung nimmt. Auf jeden Fall lässt sich konstatieren, wie sehr zu jener Zeit die Dreiständelehre unabhängig von der jeweiligen Konfession unter allen politischen Gruppen verbreitet war.1517 Auch andere Bürgermeister und Ratsmänner in den niedersächsischen Städten Lübeck, Hamburg, Braunschweig und Lüneburg nutzten das Rechtfertigungsmuster der Bezugnahme auf die Dreiständelehre im Sinne von Melanchthons Obrigkeitslehre des custos utriusque tabulae. In einem gemeinsamen Schreiben vom 18. Juni 1560 forderten sie den Bremer Rat auf, die kirchenpolitische Maßnahme der Absetzung Hardenbergs durchzusetzen, und argumentierten dabei wie folgt: „Nu sie gy erstlich von dem Almechtigen, und darnecht dorch ordentliche wohl tho dem Ampt der Ouericheit in Juwer Stadt verordnet, de ehr befahlen ampt tho erholdung und beforderung Göttlicker Ehre der ersten und andere Taffeln seines wortdes tho gebrucken, und an dem alle, notwendig jnsehent tho donnde schuldig und plichtig und sich ohne allen Tweifel frundlich tho erinnerenn weten, da unse Christliche Lehre und Religion der Augsburgischen Confession in Röm: Kaysers Mayst: und des hilligen Rickes Religion und Landfreden begrepen geschuttet und gehandhauet.“1518

Wiederum wird die Kompetenz des Bremer Rates in Religionsangelegenheiten auf seine von Gott verliehene Funktion als custos legis im Dekalog zurückgeführt. Die Argumentation steht dabei wohl in der Tradition der monarchischen Dreiständeauffassung, nach welcher der Rat das vornehmste Glied der Kirche gemäß Melanchthons Bestimmung darstellte. Ebenso bezog sich der König Christian III. aus Dänemark, der von den Obrigkeiten in Lübeck, Hamburg und Lüneburg auf den Hardenbergschen Streit aufmerksam gemacht worden war, auf die Dreiständelehre, als er in seinem Schreiben vom 13. April 15571519 den Bremer Rat aufforderte, Har1517  Zur Verbreitung der Dreiständelehre vgl. L. Schorn-Schütte, Die Drei-StändeLehre im reformatorischen Umbruch (wie Anm. 6), S. 440 ff. 1518  StA B 2-ad. T.1.c.2.b.2.c.2.b.Nr.6; Eine andere Abschrift findet sich unter der Signatur StA B 2-ad. T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr° 1 Teil 2. 1519  „Darzu doch die Oberckeit jn solchen hohen sachen aus gottlichem befehl vorplicht und vorhafftet, gescheen solle, der Kirchen nicht zu geringe beschwer vnd

430

V. Die Fallstudien

denberg zu entfernen. Seine monarchische Auffassung von der Dreiständelehre kommt in seinem zweiten Schreiben an den Bremer Rat vom 17. Mai 1557 noch präziser zum Ausdruck: „Wan aber alle fleis und vorwendungh bei dem Ehrwürdigen Kapittel in dem falle nichts zu erheben sein sollte […] Es wollte dan über zuuersicht ewige und zeitliche beschedigung gegont und euch zu zuschicken gesucht werden wollen (da gott vor sey) den wolt unsers erachtens euch als der Obrigkeit von gott berufen und verordnet ohne schew gebühren, und mit nichten zu unterlassen sein auf furgehende Beredung mit den vornehmbsten gliedtmassen des Ertzstiftts, auch ewer Christlichen Bürgerschafft und Einwohner den ernst jegem diese schendliche handlung vorzuwenden und wehre nützer und treglicher das die kirch, da die spaltige Lehr erreget und getrieben, geschlossen oder gentzlich zu einem Steinhaufen gemacht würde.“1520

Der Rat solle also in Sachen Hardenberg alles mit dem Domkapitel und der Bürgerschaft regeln. Sollten sich jedoch das Domkapitel und die Bürgerschaft nicht auf ein entschiedenes Vorgehen gegen Hardenberg einlassen, dann müsse der Rat in seiner Eigenschaft als Obrigkeit, auch ohne Zustim­ mung des Domkapitels und ohne Konsens mit der Bürgerschaft, die der Stadt drohende Gefahr abzuwenden suchen.1521 Auch nach Christians Auffassung also könne der Bremer Rat in seinem politschen Handeln die letztliche Unabhängigkeit von der Zustimmung Dritter in Anspruch nehmen, da er das vornehmste Glied der Kirche sei. Schließlich zeigt sich das Dreiständelehremuster auch in einem Schreiben des sächsischen Fürsten Johann Friedrich an den Rat von 1557, in dem dieser ebenfalls den Bremer Rat aufforderte, Hardenberg zu entfernen: „so hebben wy als Christliche forsten de idt sunder rhom gnediglich und guet meinen, ock ohne dat begehrig geueget und solches schuldich syn Gottes reine wort so vele an vns beforderen und vorth tho setten helpen, nicht unterlaten, wollen dusse unse gnedige Vormanungs Schrifft an juv gnediger meinung tho dede.“1522

(3) Die Bürgerschaft Weniger explizit als im Falle der Geistlichkeit und der weltlichen Obrigkeit, aber dennoch belegbar fand die Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster in der politischen Argumentation auch in der Bürgerschaft Anwenergernis der Zuhörer.“ Schreiben des Königs in Dennemarck an den Rath wegen Hardenbergs 1557 d: 13 April. StA B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr.6. 1520  StA B 2-ad. T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr 6. 1521  Vgl. B. Spiegel, Albert Rizäus Hardenberg (wie Anm. 1217), S. 211–212. 1522  Schreiben der Sachsischen fursten an den Rath wegen Hardenberg 1557 am Sonntage Trinitatis. StA B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr 6.



2. Bremen431

dung, insbesondere zur Rechtfertigung ihres traditionellen Anspruchs auf politische Teilhabe an der Herrschaft bzw. auf ein Mitsprache- bzw. Mitbestimmungsrecht. In seinem Schreiben vom 21. Mai 1560 antwortete Daniel von Büren auf die sieben Fragen der lutherischen Ratsmehrheit kurz und förmlich Die siebte Frage lautete, ob der Rat keine Macht habe, die Religionssache allein zu entscheiden, wo er doch als custos utriusque tabulae von Gott berufen worden sei,1523 und ob der Rat etwa nicht von dem in die interna ecclesiae eingreifenden ius episcopale Gebrauch machen dürfe, wo er doch das vornehmste Glied der Kirche sei. Zwar antwortete Daniel von Büren in jenem Schreiben nicht auf diese Frage, aber Tatsache ist, dass das Antwortschreiben mit den sieben Artikeln nicht nur an die ganze Wittheit, sondern auch an die Bürgerschaft, d. h. an die Vertreter aus den Kirchspielen1524, an die Elterleute und vor allem an die Ämter weitergegeben worden ist.1525 Von den Mitgliedern der Bürgerschaft, deren Namen bezeichnenderweise vollständig erwähnt wurden, sind Cord Kenckel und Lüder Lürsen besonders hervorzuheben, denn sie gehörten zu denjenigen Vertretern der Bürgerschaft, die am 19. Januar 1562 gewaltsam die Übergabe der Regierung an Daniel von Büren erzwungen hatten, und beide wurden am 16. Juli 1562 an die Stelle eines der Ausgewichenen in den Rat gewählt.1526 Von besonderer Bedeutung ist, dass Lüder Lürsen bereits zu den 104 Männern von 1530– 1532 gehörte. Ob er bereits zu jener Zeit von der Dreiständelehre als Legitimationsmuster Gebrauch machte, bedarf weiterer Untersuchung. Zu beachten ist wiederum, dass Cord Kenckel und ein anderer Vertreter aus den Kirchspielen namens Peter Eggerdes als Mitglied in den so genannten 14-köpfigen Bürgerausschuss, eine Art Nebenregiment, gewählt wurden, den die Gemeinde am 8. Mai 1562 aus eigener politischer Initiative heraus gebildet hatte und der an die Vorgänge der sozialen Aufstandsbewegung von 1530–1532 erinnert.1527 Diese politische Handlung der Vertreter der Bürgerschaft war umso bemerkenswerter und verfassungspolitisch bedeutsamer, als 1523  StA B 2-ad. T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr° 1 Teil 2; eine andere Abschrift findet sich unter der Signatur 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr 6. 1524  Zur Einteilung der Bürgerschaft nach Kirchspielen vgl. K. Schwarz, Kompanien, Kirchspiele und Konvent in Bremen 1605–1814 (wie Anm. 1339); B. Scheper, Frühe bürgerliche Institutionen (wie Anm. 1265), 1525  Vertreter dieser Bürgerschaft waren vor allem bei der Disputation vom 20. Mai 1560 anwesend, bei der sich die Geistlichkeit, die regierende Ratsmehrheit und die oppositionelle Ratsminderheit der Dreiständelehre als Legitimationsgrund­ lage für ihre Argumentation bedienten. Vgl. B. Spiegel, Albert Rizäus Hardenberg (wie Anm. 1217), S. 249. 1526  J. Renner, Chronica der Stadt Bremen. Bremen 1995, S. 267. 1527  StA B 2-E.7.b.1.

432

V. Die Fallstudien

nach den beiden „Eintrachten“ von 1433 und 1534 der Bürgerschaft nur dann ein Mitbestimmungsrecht zustand, wenn der Rat ausdrücklich darum ersuchte. Dies deutet an, dass das politische Denken und Handeln in Gestalt der „konsensgestützten“ Herrschaft in der Mittel- und Unterschicht durchaus lebendig gewesen war, und belegt wiederum die normativ-konstitutive Rolle der Dreiständelehre für die politische und soziale Wirklichkeit, die erst plausibel macht, warum der Rat die Erweiterung seiner Herrschaftskompetenz in die Bereiche der Gemeindeautonomie in der Praxis nur schwer durchzusetzen konnte. Cord Kenckel wurde bei diesen verfassungspolitischen Auseinandersetzungen faktisch für einen Vertreter der oppositionellen Ratsminderheit gehalten und auch so behandelt; diese hatte sich zur Legitimation ihrer Position stets auf die Dreiständelehre berufen: „War, das he mit solcher lehre, den meisten deil der borgerschop, sampt wif und kindern vorgiefftet, vorwerret, und besmittet, und dat sich de redlin forers [das heißt Rädelsführer. Hervorhebung durch Ch. P.] to ome geslagen, solcke sine sacramenterische lehre vorth to setten, und tho vordedingen, Daniel van Büren borgermeister, Johan Brandt, Brun Reiners, und Hermen Vaßmer rathmanne, ock Cort Kenckel borger.“1528

Die Zuordnung Kenkels zur Opposition geht auch aus der Protestschrift der ausgewiesenen lutherischen Geistlichkeit hervor. Ein paar Beispiele hierfür sind: „Denn wir wollen euch hiemit lieber Daniel von Buren /  Brant /  Vasmer /  Kenckel [Cord Kenckel. Hervorhebung durch Ch. P.]  /  wie ihr heist /  mit ewrem anhange semptlich vnd sonderlich /  trotz haben geboten /  für jedermenniglich hohes vnd nidriges standes /  das jr vns nicht eine vrsache mit warheit könnet oder müget anzeigen.“1529 „oder sprechet den darumb an /  der vns das Ampt befohlen hat /  welcher heißt nicht Daniel /  oder Curt Kenckel /  sondern der lebendige Gott vom Himel /  der wird euch in seinem Worte eine kurtze vnd richtige antwort geben.“1530 „Nu hat es sich zugetragen /  das etliche /  als Vasmer /  Curt Kenckel /  vnd andere /  so vnsere Predigte nicht achten /  sondern gelestert vnd geschendet /  vnd es mit der irrigen verdampten Lehre des hardenberges vnd Caluini gehalten.“1531 1528  J.

Renner, Chronica der Stadt Bremen (wie Anm. 1526), S. 270. Entschuldigung /  vnd warhafftiger Bericht /  der vorjagten Prediger zu Bremen /  auff die vorleumdung vnd falsche aufflage jhres gegentheils /  Daraus leichtlich zu sehen /  welch theil bey der warheit Augspurgischen Confession /  vnd Schrifften des heiligen D. Lutheri geblieben oder Dauon abgetretten /  vnd des Lermens ein vrsach sey. [UB Bremen, Brem.b.1472] Im Folgenden Notwendige Entschuldigung. Bl. G ii. 1530  Ebd. Bl. G iiij. 1531  Ebd. Bl. G vi. 1529  Notwendige



2. Bremen433

Weiterhin erschienen Daniel von Büren und die oppositionellen Ratsherren gemeinsam mit 24 Vertretern der Bürgerschaft, deren Wortführer Cord Kenckel war, am 19. Januar 1562 vor dem Rat und übergaben eine Liste von Beschwerden und sechs Vergleichspunkten, die auf eine Aufhebung aller Maßnahmen gegen die Anhänger Hardenbergs hinausliefen.1532 Die erste Beschwerde lautet so: „wo de Rath in so langen Jahren in dissen wichtigen Religions saken de Gemennte nicht hedde tho hope gehadt, und dat were jegen unse Bock Statuorum primo, dat men Kopman, Ampte, und Gemeinheit by older Fry und Gerechtigkeit scholde laten, so were dat ock gegen den olden Gebruck, dat vor einem Jahr de ath de Gemennte by Rotten hedde vor sick bescheden und in Gelouens Sacken examineret, uth welcken allen de Rath ehr bock suluast hedden auertreden.“1533

Der Rat habe also der Stadtverfassung zuwidergehandelt, indem er in einer so überaus wichtigen Sache die Bürgerschaft nicht einberufen habe, obwohl doch nach dem ersten Statut des Stadtbuches der Kaufmann, die Ämter und die Gemeinde in ihren löblichen Freiheiten und Gerechtigkeiten nicht beschränkt werden sollten. „Freiheit und Gerechtigkeit“ ist selbstverständlich wiederum als Freiheit im mittelalterlichen Sinne zu denken, d. h. als das obrigkeitlich privilegierte, aber auch gegen die Obrigkeit zu verteidigende überkommene ständischkorporative Recht politischer Mitbestimmung. Damit wird deutlich, dass die Bürgerschaft dieselbe alteuropäische, bürgerkonsensuale politische Ordnungsvorstellung teilte und in ihren politischen Forderungen ausdrücklich auf dem traditionellen konsensuellen Mitbestimmungsrecht beharrte. In ihrer Beschwerdeliste erhoben Ratsopposition und Bürgerschaft konkrete Forderungen zur künftigen Behandlung der religiösen Angelegenheiten: „dat Religions Saken ohne Ruggesprake mith ehrem Borgeren vnnd der Merheit, ock ohne medeweten vnnd fullbordt desulfften nichts staturen noch ordnen willen odder scholenn.“1534

Der Ausdruck „ohne Ruggesprake mith ehrem Borgeren vnnd der Merheit“ weist deutlich darauf hin, dass die Bürgerschaft mit der oppositionellen Ratsminderheit über mehrere Punkte eine sehr intensive Diskussion geführt haben dürfte und dass beide übereingekommen waren, die eigenmächtige Mandatsveröffentlichung vom 3. Januar 1562 als eine gravierende politische Fehlhandlung der orthodoxen Ratsmehrheit zu bewerten. Dabei 1532  H. Schwarzwälder,

S. 242.

Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997),

1533  Ausführliche Beschreibung des Auffstandes von 19. 21. und 22. Jan: 1562 auf dem Rathhause zu Bremen. StA B 2-ad. T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr 6. 1534  StA B 2-E 7.b.1 Nr 15a.

434

V. Die Fallstudien

haben sie sicherlich ihre politischen Positionen zur Dreiständelehre und dem traditionellen konsensgestützte Mitwirkungsrecht ausgetauscht. In dieser Forderung selbst kann keine explizite Berufung auf die Dreiständelehre erblickt werden. Die Tatsache aber, dass die Bürgerschaft einerseits die Formulierungen der oppositionellen Ratsminderheit, die ihre politische Machteinflussnahme im Rat ausdrücklich unter Berufung auf die Dreiständelehre rechtfertigte, stützte, andererseits bei der Forderung ausdrücklich ihr traditionelles konsensgestütztes Mitbestimmungsrecht anmeldete, belegt, dass auch sie zur Rechtfertigung ihrer politischen Forderungen von der Dreiständelehre ausging. Von den 25 Vertretern der Bürgerschaft, deren Namen in den Quellen vollständig überliefert wurden,1535 ist Hinrich Winkel besonders hervorzuheben, denn auch er gehörte ebenso wie Lüder Lürsen zu den 104 Männern der Aufstandsbewegung zwischen 1530 und 1532. Sie beide wurden in den Rat gewählt. Wie sich in der Analyse der Sozialstruktur der Bremer Politikund Wirtschaftselite gezeigt hat, handelte es sich bei diesen Vertretern der Bürgerschaft in Bremen ebenso wie in anderen Hansestädten um vermögende Kaufleute, die Großhandel betrieben und die sozial exklusiv auftretenden Fernhändler in ihrem ökonomischen Erfolg längst überrundet hatten.1536 Daraus ergibt sich das Folgende: Ebenso wie in Braunschweig bestand eine Affinität zwischen der politischen Nutzbarmachung der Dreiständelehre durch die oppositionelle Ratsminderheit und der „konsensgestützten“ Herrschaftstradition im politiktheoretischen Denken der Bürgeropposition. Ebenso wie die oppositionelle Ratsminderheit ihren Anspruch auf politische Einflussnahme am Stadtregiment mit der Dreiständelehre begründete, belegten die Vertreter der Bürgerschaft ihren Anspruch auf Bewahrung der Mitbestimmungsrechte mit der traditionellen bürgerkonsensuellen Formel, wonach die lutherische Ratsmehrheit nur unter Mitwissen und Einwilligung der Bürgerschaft zur politischen Handlung berechtigt sei. Aufgrund dieser Konvergenz unterstützten die Vertreter der Bürgerschaft zeitweise die um ihren politischen Einfluss auf das Stadtregiment kämpfende oppositionelle Ratsminderheit. Dabei rekurrierten sie auf die traditionellen „konsengestützten“ Selbstverwaltungsrechte der Bürgergemeinde und der lutherischen Dreiständelehre, die in ihrem konsensualen Kern zu jener Rechtstradition passte. Deshalb hoben die oppositionelle Ratsminderheit und die Bürgerschaft unmittelbar nach dem Wechsel der Regierung das alte Mandat vom 3. Januar 1562 auf und verabschiedeten ein neues Mandat am 22. sowie am 28. Januar 1562: 1535  StA

1536  Ebd.

B 2-E.7.e.3. fol. 87.



2. Bremen435 „Zum andern, Das auch hiefurter der Raht in Religions Sachen, ohne rugk­schprach mit Jhren Bürgern, vnd der merheit, auch ohne mit wissen vnd fulbort derselben, nicht staturen, noch ordnen wollen, oder sollen.“1537

Mit dieser eindeutigen Einbeziehung des Gleichgewichts der Bürgerschaft als Herrschaftsstände im „konsensgestützten“ Ratsregiment wird deutlich, dass die Bürgerschaft ebenso wie die Geistlichkeit und die Ratsminderheit die folgenden politischen Grundsätze kommunizieren wollte: Die Freiheit im Sinne von Konsens und Partizipation der Bürger wird nur in Verbindung mit einer bestimmten Verfassungsform realisierbar, also im Rahmen des „konsensgestützten“ Ratsregiments, indem das Gleichgewicht der drei Stände der Kirche bewahrt wird. Auch hier zeigt sich also das Ziel eines „konsensgestützen Ratsregiment“ in Gestalt der Dreiständeordnung. Dabei leugnete die Bürgerschaft ebenso wie die Geistlichkeit und die oppositionelle Ratsminderheit nicht die Herrschaft der orthodoxen Mehrheit des Rates, gleichwohl sie in Koalition mit der oppositionellen Ratsminderheit unter Androhung von Gewalt vor dem Rat erschienen war.1538 Sie betonte allerdings, dass die lutherische Ratsmehrheit einzig und allein im Konsens mit der oppositionellen Ratsminderheit und den Bürgern ihre Herrschaft ausüben dürfe. Das neue Mandat bedeutete eine völlige Umkehrung der bisherigen Politik der lutherischen Ratsmehrheit, die auf die Stärkung der obrigkeitlichen Stellung gerichtet war, insbesondere in dem Punkt, dass der sich neu konstituierende Rat nunmehr verpflichtet war, in allen Religionsangelegenheiten vorher die Bürger zu befragen. So wurde durch die Dreiständelehre das politische Denken des sog. „konsensgestützten Ratsregiment“ wirkmächtig. Nicht nur entließ das amtierende Ratsviertel, d. h. die vormalige oppositionelle Ratsminderheit, im Bündnis mit der Bürgerschaft den Superintendenten Simon Musäus und die lutherische Geistlichkeit, sondern ersetzte sie auch durch melanchthonisch gesinnte Vertreter.1539 In der Forschung zu Bremen gilt diese Ersetzungswelle, wie schon die Besetzung mit lutherischen Geistlichen in den Jahren 1522 bis 1525 während der Einführung der 1537  StA B 2-E-7.b.1. Bl. 1045–1049, hier 1046. In anderer Abschrift lautet dieser Teil auf niederdeutsch: „Thom andern, Dat ock herfurder der Radt jn Religionssaken, ohne ruggesprake mit öhren Borgeren vnde der merheidt, ock ohne medeweten vnde fulbort der sulpften, nicht statueren noch ordnen willen edder scholen.“ StA B 2-E.7.b. 1. Bl. 438–445. 1538  H. Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S.  241 ff. 1539  Diese waren: Jakob Grevenstein (St. Stephani), Joh. Faber (St. Martini), Philipp Rocholl (St. Ansgar), Wilh. Voß (U. L. Frauen), Leo Wasmann (St. Stephani), Caspar Isselburg (St. Martini), Vgl. O. Wenig, Rationalismus und Erweckungsbewegung in Bremen. Bonn 1966, S. 20.

436

V. Die Fallstudien

Reformation, als eine der wichtigsten Voraussetzungen für die sog. reformierte Konfessionalisierung.1540 Durch die Dreiständelehre kam es also insgesamt zu einem Wandel der sozialen und politischen Wirklichkeit. Unmittelbar danach akzeptierte die lutherische Ratsmehrheit die Forderung der Bürgerschaft und zog das gegen die Anhänger Hardenbergs gerichtete Mandat vom 3. Januar 1561 zurück. Wiederum wird damit deutlich, dass die politica christiana als allgemein angewandte Politiklehre eine zentrale Rolle in den frühneuzeitlichen Debatten um die Struktur der politischen Ordnung spielte und dass sie der Rechtfertigung des Anspruchs auf Verteilung politischer Herrschaft diente. dd) Umdeutung und Instrumentalisierung der Dreiständelehre Wir haben im vorangehenden Abschnitt festgestellt, dass die Dreiständelehre als politische Sprache paradigmatisch von allen Sozialgruppen bzw. allen beteiligten Kontrahenten in der Stadt gebraucht wurde, um ihre Inte­ ressen vorzubringen und ihre Stellung in den politischen Auseinandersetzungen zu legitimieren und formulieren. In diesem Abschnitt soll nun untersucht werden, wie und zu welchem Zweck die beteiligten Sozialgruppen die Dreiständelehre umdeuteten und instrumentalisierten. Im Vordergrund steht also der instrumentelle Charakter der Dreiständelehre bzw. ihrer Gebrauchsweisen als „tactic knowledge“. Dabei geht es vor allem um die Fragen, wann, wo und auf welche Weise von der Dreiständelehre Gebrauch gemacht wird. Das heißt: Ob neue politische Ansprüche und Ziele mit der Dreiständelehre begründet werden, ob aus der Dreiständelehre neue Argumente abgeleitet werden oder ob die Dreiständelehre in einer bestimmten Absicht auf neue Probleme bzw. Felder angewandt wird. Oder ob neue Ansprüche abgewehrt und alte Verhältnisse verteidigt werden. Um aber eventuelle Missverständnisse hinsichtlich des Begriffs der In­ strumentalisierung zu vermeiden, sei zunächst Folgendes betont: Eine politische Sprache, die die verschiedenen Verständnisse von politischer Wirklichkeit hintergeht, ist in der Tat so offen und vielfältig, dass verschiedene, auch diametral entgegengesetzte, politische Überzeugungen in ihr ausgedrückt werden können. Die Dreiständelehre ist als dominante politische Sprache jener Zeit ein universell einsetzbares Instrument und als solches selbst gewissermaßen nicht hintergehbar. Die beteiligten Sozialgruppen manipulieren folglich nicht die Sprache, sie instrumentalisieren sie auch nicht, denn in einer anderen Sprache zu denken und zu kommunizie1540  Vgl. F. Seven, Die Bremer Kirchenordnung von 1534 (wie Anm. 1243), S. 50–51.



2. Bremen437

ren ist ihnen gar nicht möglich. Was geändert wird, sind vielmehr politische Überzeugungen, neue politische Ziele, die – da sie nur in der politischen Sprache der Dreiständelehre ausdrückbar sind – aus anderen Argumenten oder neuen Kompositionen bereits bekannter Argumente bestehen. Da die Sprache vielschichtig und keineswegs widerspruchsfrei ist, wie z. B. in dem Gegensatz zwischen monarchischer und aristokratischer Auslegung deutlich zu sehen ist, sind diese neuen Argumente, die uns instrumentell und manipulativ erscheinen, in der zeitgenössischen Sicht als aufrichtig einzuschätzen. Oder sie können es auf jeden Fall sein. Dennoch ist die Wahl der Metaphern, Vokabeln und Beispiele immer mit politischer Absicht verknüpft. Der Sprecher überlegt sich, mit welchen Sprachfiguren die Interessen am besten zu vertreten sind. Die beteiligten Kontrahenten diskutieren also gar nicht die Dreiständelehre, sondern die politische Realität Bremens, so wie sie sie verstehen, und greifen dabei immer wieder auf das Repertoire der Dreiständelehre zurück, das ihnen selbstverständlich vorkommt und selbst kein Gegenstand der Diskussion ist. Die politischen Kontrahenten verstehen die wechselseitigen Argumente, weil sie dieselbe Sprache verwenden. (1) Die Geistlichkeit Die Instrumentalisierung bzw. strategische Gebrauchsweise der Dreiständelehre ist besonders bei Heshusius deutlich zu erkennen. Die Stände der Niedersächsischen Reichskreise veröffentlichten im August 1561 in Lüneburg ein Mandat „Wider das Schelten auf den Cantzlen“1541, weil sie vor dem Hintergrund der Hardenbergschen Unruhen die geistliche Kanzelkritik als Gefahr für den öffentlichen Frieden erkannten. In diesem Mandat wurde den Pfarrern unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die vielfältigen Kontroversen um die geistliche Kanzelkritik und deren schädliche Wirkung auf das Volk die Fortsetzung dieser Art der Kirchenzucht untersagt. Die „theologische Zänkerei“ sollte vonseiten der Obrigkeit hinfort unterbunden werden. Auch sollte in den niedersächsischen Kreisen kein theologisches Buch ohne obrigkeitliche Erlaubnis publiziert werden.1542 Heshusius betrachtete dieses Mandat wie die anderen Gnesiolutheraner1543 als Eingriff in das geistliche Amt und veröffentlichte unmittelbar 1541  Für Einzelheiten zum Folgenden vgl. Chr. Aug. Salig. Vollständige Historie (wie Anm. 157), Bd. 3, S. 766 ff. 1542  W. D. Hauschild, Theologische Aspekte der lutherischen Konsensusbildung in Norddeutschland, in: W. Lohff /  L. W. Spitz (Hg.), Widerspruch, Dialog und Einigung. Stuttgart 1977. S. 41–63. 1543  Wie z. B. Joachim Mörlin und Martin Chemnitz. Vgl. L. Schorn-Schütte, Die Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 56), S. 400. Auch David Chyträus, Conrad

438

V. Die Fallstudien

darauf seine Gegenschrift „Vrsach /  Warumb“,1544 in der, wie bereits ausführlich gezeigt werden konnte, die Dreiständelehre als Legitimationsbasis dient: „Vnnd ob gleych die Oberkeyt anziehen wolte /  sie hette die vereinigung des Mandatas furgenommen /  als glidmassen der Kirchen /  so kan doch nyemandt ­leügnen /  das wir Pfarrer vnnd Seelsorger /  auch ein thayl der Kirchen seind /  vnnd gebürt sich das man vnsere Stymme auch höre inn den hohen Geystlichen sachen.“1545

Heshusius betonte das Mitbestimmungsrecht der Prediger bei kirchen­ politischen Diskussionen und griff dabei bemerkenswerterweise – im Unterschied zu vielen anderen Theologen – die aktuellen sowie herkömlichen stadtpolitische Diskussionen um das Verhältnis zwischen dem Landesherrn und Landständen bzw. Stadt auf. Der Magistrat müsse sich gegen das Lüneburgische Mandat wehren, weil es nicht nur gegen den Reichsabschied, sondern auch gegen die Privilegien und die Freiheit der Stadt gerichtet sei: „Es wäre auch nicht allein wider der Erbarn Stätte freyheit vnd Priuilegien /  sonder auch wider Gottes wort /  vnnd des heyligen Reychs abschyd /  Wann die Fürsten ein newe Forma der Religion geschmidet /  vnnd newe Stattuta von heyligen Predigampt gemacht /  das als dann /  die Stätte solches one einiges bedencken /  müsten annemen /  vnd jnen also von andern Herrschafften /  newe Religion fürschreyben lassen.“1546

Damit wird deutlich, dass Heshusius die Dreiständelehre instrumentalisiert. Heshusius, der zwei Jahre zuvor den Bremer Rat unter Berufung auf die Dreiständelehre aufgefordert hatte, Richter über Religionsangelegenheiten zu sein und in das Amt der Geistlichkeit einzugreifen, sogar gegen den Landesherrn und, wenn nötig, mit Hilfe des „präventiven“ Widerstands­ rechts,1547 lehnte nun dasselbe Ansinnen der Stände des niedersächsischen Kreises ab, nämlich Richter über eine Religionssache zu sein. Rhetorisch geschickt griff Heshusius sogar in die stadtpolitische Diskussion ein und forderte die niedersächsischen Städte auf, um ihrer Privilegien und der Freiheit der Stadt willen das lüneburgische Mandat abzuwehren und dabei von ihrem ständischen Widerstandsrecht Gebrauch zu machen.1548 Er erinnerte die Stadtobrigkeiten an ihre von Gott befohlene Pflicht, ihre Untertanen zu schützen: Pistor und Simon Pauli veröffentlichten eine Gegenschrift „Christliches demütiges Bedencken vam deme Lüneborgschenn Mandat“ [UB Bremen, Brem. 496]. 1544  Vrsach / Warumb (wie Anm. 156). 1545  Ebd. Bl. A iiijv. 1546  Ebd. Bl. B iiv–B iii. 1547  Vgl. den Abschnitt IV. 2. c) ee). Das Konzept des Rechtes auf Widerstand, Gegenwehr und Notwehr im ersten Hauptteil dieser Studie. 1548  Vrsach / Warumb (wie Anm. 156), Bl. A iii.



2. Bremen439

„Dann die Erbarn Stätte eben so wol schuldig /  für die seligkeyt jrer vndterthanen zu sorgen /  als die Fürsten vnd hohen Potentaten.“1549 Damit ist gemeint, der bremische Magistrat sei ebenfalls eine Obrigkeit mit eigener Legitimität, da er auch von Gott als custos utriusque tabulae berufen ist. Zur Bekräftigung seiner Position vom Gebrauch des ständischen Widerstandsrechtes betonte er die strikte Trennung von weltlichem und geistlichem Regiment unter Berufung auf Mt. 22,21: „Wann aber die Weltliche Oberkeyt angehetzt […] zu vndterdrückung vnd verhinderung der reynen vnuerfelschten Götlichen worts misbrauchet /  ist nötig vnnd von Gott einem jeden Christen gebotten /  das man jn inn dem nicht gehorche /  sondern vil mehr Gott als den Eltesten vnd oberherrn gehorsam leyste /  vnnd ist solche /  abschlagung des gehorsams ein rechter dienst Gottes /  mit dem befelch stymmende. Gebt dem Keyser was des Keyser ist /  vnnd Gottes /  was Gottes ist.“1550

Wie im Abschnitt des ersten Hauptteils in der Analyse von Heshusius’ Schriften „Vrsach /  Warumb“ ausführlich behandelt wurde, räumte Heshusius hier jedem einzelnen Gläubigen in Verbindung mit der vom Prinzip des allgemeinen Priestertums geprägten, egalisierenden Auffassung der Dreiständelehre die Trägerfunktion des aktiven Widerstandsrechts ein. Das heißt jeder einzelner Christ sei befugt, sowohl zum Schutz eigenen Glaubens und Besitzes als auch zum Schutz des politischen Gemeinwesens gegen eine Bedrohung dieses Gemeinwesens aktiven Widerstand zu leisten.1551 Auch erinnerte er die niedersächsischen Städte daran, dass die Fürsten keine Juris­ diktionsgewalt in geistlichen Dingen hätten: „Hat man sie doch im Jnterim /  von Keyse. Maye. nicht wollen newe Forma der Religion fürschreyben /  noch das bekandtnus schwechen lassen /  Warumb wolten dann jetzt die Fürsten denen man keine Jurisdiction noch Gewalt /  inn Geystlichen sachen vber die Stätte gestähet /  mit newen Statuten /  die Kirchen vnd Prediger der sechssichen Stät beschweren /  vnd vns von vnserm bekandtnus dringen.“1552

Aus dem ganzen Vorgang wird deutlich, dass Heshusius je nach Interessenkonflikt die Dreiständelehre umdeutete und instrumentalisierte. Hervorzuheben ist, dass er unter Berufung auf die Dreiständelehre sogar in rein stadtpolitische Angelegenheiten eingriff und politische Ansprüche öffentlich und deutlich erhob. Daran erkennt man den hauptsächlichen Zweck seiner Umdeutung, nämlich den Erhalt der Eigenständigkeit und der Autonomie der Geistlichkeit innerhalb eines „konsensgestützten“ Landesregiments. Das Bl. B iiv. Bl. A iiv. 1551  Vgl. den Abschnitt IV. 2.3.5 Das Konzept des Rechtes auf Widerstand, Gegenwehr und Notwehr im ersten Hauptteil dieser Studie. 1552  Vrsach / Warumb (wie Anm. 156), Bl.  B iiv–iiiv. 1549  Ebd. 1550  Ebd.

440

V. Die Fallstudien

heißt, weder leugnete Heshusius die obrigkeitliche Herrschaft des Landesherrn noch den Teilhabeanspruch der Landstände, sondern er wollte ein konsensuelles Herrschafts- und Verfassungsmodell, in dem das Gleichgewicht der drei Stände gewahrt wird, in dessen institutionellem Rahmen Herrschaftsanspruch der Obrigkeit und Teilhabeanspruch der Untertanen wechselseitig verbunden sind. Damit ist ein wesentlicher Aspekt der sog. frühneuzeitlichen Politikkommunikation angesprochen, nämlich der Kommunikationsprozess über Herrschaft und Ordnung, um mit Hampsher-Monk zu sprechen, die Verwendung eines stabilen Deutungsmusters sozialer und politischer Realität zur Erschließung eines anderen, neuen und dennoch stabilen Musters der Deutung. Heshusius wirkte mit seinem theologischen Ansatz tief in die stadtpolitische Diskussion um die Freiheit hinein. Diese Verknüpfung der aristokratischen Dreiständelehre mit der stadtpolitischen Diskussion bzw. Wertedebatte war weder Politisierung der Theologie noch ein Eingriff in das Amt der Obrigkeit im mittelalterlichen Sinne noch eine bloße Wahrnehmung seiner politischen Funktion als Geistlichkeit,1553 sondern ein deutlicher Ausdruck der Kommunikation des Politischen bzw. Kommunikation über Herrschaft. Heshusius verwendet in seiner Argumentation als politischer Akteur ein stabiles Deutungsmuster, um damit ein neues stabiles Muster der Deutung (die Dreiständerealität bzw. Dreiständeordnung) zu erschließen, mit anderen Worten um eine eigenständige Form der „konsensgestützten Herrschaft“ als legitimes Herrschafts- und Ordnungsmodell zu erzielen, in der die drei Stände in beschriebener Weise zusammenwirken. Für die niedersächsischen Städte war die Freiheit, das autonome ständische Teilhaberecht am landesherrlichen Regiment bzw. das Konsensrecht als freie und eigenständige Gemeinde wohl neben dem Gemeinwohl der höchste politische Grundwert. Ebenso wie für die anderen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städte war für sie diese Freiheit gleichbedeutend mit der Stadt selbst.1554 Stadt und Freiheit bzw. Stadtregiment und Freiheit gehörten untrennbar zusammen. Die städtische und stadtbürgerliche Freiheit war mit der politischen Ordnung in Gestalt der „konsensgestützten Herrschaft“ eng verknüpft.1555 Wie andere Städte im Alten Reich erstrebten auch die niedersächsischen Städte seit dem Mittelalter diese „konsensgestützte Herrschaft“, in der obrigkeitliche Herrschaft einerseits und die Partizipation der Bürger andererseits nicht gegensätzlich, sondern aufeinander angewiesen waren und 1553  L. Schorn-Schütte, Prediger an protestantischen Höfen der Frühneuzeit (wie Anm. 148), S. 279. 1554  Vgl. dazu U. Meier / K. Schreiner, Regimen civitatis, in: Stadtregiment und Bürgerfreiheit (wie Anm. 52), S. 18–20. 1555  Ebd.



2. Bremen441

in der Konsens ein unverzichtbares Element sowohl bei der Herrschaftsausübung als auch bei der institutionellen Sicherung des Gemeinwohls war und in allen Formen von Herrschaft die Legitimationsgrundlage bildete. Diese Verfassungs- und Ordnungsvorstellung wird auch aus den Äußerungen Heshusius’ ersichtlich, in denen er die Freiheit der Stadt neben die erzbischöflichen und kaiserlichen Privilegien stellte. Ob er dabei die Autonomie der Stadt mit juristischen Argumenten und mit den kaiserlichen und erzbischöflichen Privilegien zu begründen versuchte, wie die italienische Stadt des Mittelalters es getan hat,1556 ist vorläufig nicht zu beantworten. Die Tatsache, dass er Freiheit und Privilegien nebeneinander stellte, deutet da­ rauf hin, dass die niedersächsischen Städte nach einer „konsensgestützten Herrschaft“ suchten, in der sogar bischöfliche Höchstgerichtsbarkeit bzw. Privilegien mit dem Freiheitsstreben der Stadt vereinbar wurden und in der die Herrschaft des Landesherren auf den Konsens der Stadt als Landstände angewiesen war und nur im Konsens mit der Stadt ausgeübt werden konnte. Im Zuge der Reformation und insbesondere der Konfessionalisierung war das Streben nach diesem Herrschafts- und Ordnungskonzept jedoch nicht mehr zu halten. Obrigkeitliche Herrschaftsansprüche erstreckten sich in alle Lebensbereiche der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Der Wert von „Freiheit“ im Sinne von Konsens stand in Gefahr, seine Kraft zu verlieren. Das Spannungsverhältnis, das Herrschaft und Freiheit in niedersächsischen Städten immer positiv konstituierte und in Koexistenz treten ließ, drohte zusammenzubrechen. Als die niedersächsischen Landesherren mit ihrem Herrschaftsanspruch den Wert „Konsens“ und die politische Ordnungsrealität der „konsensgestützten Herrschaft“ der niedersächsischen Städte bedrohten, verwendete Heshusius für das durch das Lüneburgische Mandat prekär gewordene politische Verhältnis zwischen niedersächsischen Landesherren und niedersächsischen Städten ein stabiles Deutungsmuster, nämlich das Dreiständedeutungsmuster, damit die niedersächsischen Städte mit Hilfe daran zu knüpfender Assoziationen den Wert „Konsens“ und ihre zu verschwinden drohende „konsensgestützte Herrschaft“ mit einer ganz neuen und anderen Bedeutung, nämlich der Dreiständeordnung, erfassen und so das Spannungsverhältnis zwischen Herrschaft und Freiheit bzw. Stadtregiment und Bürgerfreiheit erhalten konnten. Anders formuliert verwendete er das Dreiständedeutungsmuster, um die wechselseitige Prägung von politischer Ordnung als „konsensgestützter Herrschaft“ und den Wert „Freiheit“ im Sinne von Konsens wieder zu intensivieren und zu steuern. Subsumierend lässt sich sagen, dass der Prozess des politischen Austauschs über Herrschafts- und Ordnungskonzepte durch die Wirksamkeit der 1556  Ebd.

442

V. Die Fallstudien

Dreiständelehre als politische Sprache rekonstruiert wird. Das heißt, der Kommunikationsprozess über das Konzept der Herrschaftsformen, -ausübung, -grenzeverteilung usw. wird wiederhergestellt, intensiviert und gesteuert. Vor allem ist auch die Umdeutung und Instrumentalisierung der Dreiständelehre bei Simon Musäus (1521–1576) und dem geistlichen Ministerium deutlich zu erkennen. Wie oben erwähnt wurde, legten Musäus und die Prediger dem Rat eine neue Kirchenordnung zur Bestätigung vor. Diese Kirchenordnung, die zwar vorgab, eine Neuauflage der alten Ordnung von 1534 zu sein, ging in Wirklichkeit wegen der Neuregelung der Exkommunikation über die Verhältnisbestimmung zwischen Rat und Predigern, wie sie die alte Ordnung festgelegt hatte, erheblich hinaus. So wurde hier die schon in der Kirchenordnung von 1534 angestrebte Korrespondenz von Kirchenbann und weltlicher Acht zum Gesetz erhoben, und „Irrgläubige“, d. h. die Anhänger Hardenbergs, sollten von der Patenschaft ausgeschlossen und mit dem Kirchenbann belegt werden. Dass Musäus damit aber keinen Papocäsarismus intendiert hatte, geht aus seiner Protestschrift „Sedicione“ deutlich hervor: „sondern de forme des ampts tho fören angenamen, aberst dorch versumniß gefallen, hebbe ich wedder upgerichtet, und dat mit bewilligung der Obericheit, jck hebbe de thohörer gelegret.“1557

Musäus wollte mit der neuen Regelung des Kirchenbanns die Forderung nach einer autonomen Kirchenzucht betonen. Diese Forderung stieß beim Rat auf Vorbehalte, denn sie erweckte nicht nur den Eindruck, der Rat werde nun der politischen Gewalt der Kirche untergeordnet, sondern bedeutete vor allem auch ein ernstes Hindernis für den eigenen Anspruch des Rates auf ein ratsherrliches Kirchenregiment.1558 Als der Rat deshalb seine Bedenken gegen die Bannregelung in den Vorwand des Stadtfriedens kleidete und die Prediger vor einem extensiven Banngebrauch gegen die Hardenbergianer warnte, protestierten Simon Musäus und die Prediger in ihrer Schrift „Resolutio“1559 gegen diese Haltung des Rats unter Berufung auf die strikte Trennung von geistlichem und 1557  Eine warhaffte vorstellung van der bremischen Upror, errögt von der Sacramentere, beschreben von Symone Musaeo, der hiligen Schrifft Doctoren. StA B. 2-E.7.d. Eine auf lateinisch verfasste Schrift „De Bremen si sedicione exclicitata a sacramentarijs, uera narratio: conscripta“ findet sich ebenfalls unter derselben Signatur. Brem c 3783 Nr 1; StA B 2-E.7.d. Nr 7. 1558  F. Seven, Die Bremer Kirchenordnung von 1534 (wie Anm. 1243), S. 46 ff. 1559  Resolutio, vnde Erkleringe etliker Fragen de ein Erbar Rath tho Bremen erem Kercken deneren up de gestelte vnde auergegeben Kercken ordeninge vorgelecht hett. StA B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.2.b Nr° 1 Teil 2. Im Folgenden Resolutio.



2. Bremen443

weltlichem Regiment in Verbindung mit der Dreiständelehre.1560 Sie betonten, dass die Strafamtübung und insbesondere der Banngebrauch zum Predigtamt bzw. zur Aufgabe und Amtspflicht eines Predigers gehören und dass ein Bannverbot folglich einen Eingriff in die ganzheitliche Amtsführung sowie eine ernste Beeinträchtigung des geistlichen Regiments darstelle: „denn offtwoll ein Werltlicke Ouericheit, alse ein Nutritius Ecclesiae et Custos utriusque Tabulae macht hett mith Vorwilgunge der gemene dat Predigampt mith getruwen Seelsorgern tho bestellen, se tho schutten vnd tho erneren, ja ock afftosetten wenn se erren, vnde mit gudem Grunde eres erdoms auerwiset nicht willen affstahn, Jedoch geboreten nenes weges den Kerckendennern de sick recht nha Christi Befehel holden, En in er ampt tho gripen, en vorthe schrivenn, teel unde Mochte setten, wo vnd wat se predigen, jn der Kerckenordening vnde de Seelen regieren scholen, vele weiniger hebben se macht ethwas wedder Godes helle wort vnd Befehl tho hinderen, tho gebeden oder tho vorbeden: denn dat is eine sundt­ liche vnd schedtliche Polijpragmohyne1561 welche de schrift allenthaluen thom hogesten vordampt […] Nemand manck jou lide alse ein Morder vnd Deff, edder Oueldeder edder de in eyn frompt ampt gript.“1562

Der Rat verfüge zwar als custos primae tabulae über Kompetenz in Religionsdingen, wie z. B. die Berufung oder Beurlaubung von Predigern, dies jedoch nur unter Zustimmung der Gemeinde; d. h. der Rat könne seine Macht nur unter Mitwirkung bzw. Mitbestimmung der drei Stände ausüben, da er nur ein Glied der Kirche sei. Jeder Eingriff in das Amt des Predigers sei aber strikt verboten. Damit wiesen sie jeden Herrschaftsanspruch des Rates in die interna ecclesiae strikt zurück und beschränkten die Herrschaftskompetenz des Rates auf die externa ecclesiae. Hervorzuheben ist, dass in ihrer Argumentation traditionelle Selbstverwaltungsrechte der Bürgergemeinde und lutherische Dreiständelehre miteinander verbunden sind. Dies belegt, dass die politische Dimension der Dreiständelehre in ihrem politiktheoretischen Kern zu den Rechtstraditionen und der politischen Ordnungsvorstellung der alteuropäischen „konsensgestützten“ Herrschaft“1563 passte. Wie Heshusius betonte Musäus dabei auch die strikte Trennung von geistlichem und weltlichem Regiment: 1560  „Ock alle dejnigen alse uproresche in Gades Regimente strafen, wenn’s ock ein Engel vom Hemmel were, de sick wedder unse Amptt setten, den geylck alse wy in politischen sacken vns billck alse gehorsam vnderdanen der Wertlicken Oue­ richeit vnderwerpfen, vnde alse uprorer tho straffende sind, wen wy ere gesette vnd Stadtordeninge meisteren, voranderen vnd vorbrecken.“ Resolutio (wie Anm. 1559), 1561  Dieser griechische Begriff weist zumindest darauf hin, dass Musäus die Obrigkeitskritik Luthers in dessen Auslegung des 101. Psalms gelesen haben muss. Vgl. W. Sommer, Gottesfurcht und Fürstenherrschaft (wie Anm. 32), S. 52. 1562  Resolutio (wie Anm. 1559). 1563  Vgl. U. Meier / K. Schreiner, Regimen civitatis (wie Anm. 52).

444

V. Die Fallstudien

„vnde Schrift Math 22 Geut dem Kaiser wat des keisers idt das ys Gott hett dat Regiment mith dem Kaiser also bestellt, dat se sick suluest jn der Kercken dorch dat Predigampt de Seelen hett vorbehalden tho regieren wedder de logen des duvels […] Der haluen gelick alse idt ein vordamlyick Upror vnd Vorstoringe is wedder des Keisers Regiment, de se ock nicht liden schall, wenn die Kerckenden­ ner vnter dem Schin der geistlicken Dignitet und Superioritet up dat Rathus ghan, vorwitzig fragen woldin, wat se macken woldenn, vnd de deue vnd Morder de se thor Galgen edder Swerte de vorordelden, wolden mith Gewalt loff macken. Also vnd noch vele ein vordamlicker vnd vnlidtlicker upror vnd Vorstrinige is dit, ock wedder Gades geistlicker Regiment, de se nicht ungestraffet lathen will, noch kan, wenn de Werltlicke Ouericheit vnder dem Schin der Wertlicken dignitet vnd supe­ rioritet erem Voth in der Kercke setten, willen den Kerckendennern vorschriuen, wat se vor eine Ordninge stellen, vnd wat se predigen scholen, scharp offn liede, ja wreuentlick in dat ampt der schlottel vallen, dessuluige vorbeden, alse eine Orsacke des upros vnd apentlicke bouen vnd lesteres darwedder schutten vnd befreden, de doch Got se hart gebuth alse de auffgeschendenn Ledemate van dem Corper der Christlicken Gemeine uth tho schluthen.“1564

Seiner Auffassung zufolge solle der Rat also nicht über das von Gott ihm gesetzte Ziel hinausgehen und in ein fremdes Amt greifen. Gott habe das weltliche Regiment der Obrigkeit gegeben, aber die Kirche durch das Predigtamt zu regieren sich vorbehalten. Gleichwie es nun ein verdammenswerter Aufruhr sein würde, wenn die Lehrer der Kirche sich in Dinge einmischten, welche der weltlichen Obrigkeit zustehen, so sei es ein weit schlimmerer Aufruhr, wenn die Obrigkeit den Lehrern vorschreibe, welche Kirchenordnung diese stellen sollen oder wie sie zu predigen haben. Es falle den Predigern auch nicht ein, in die weltliche Gerichtsbarkeit des Rats eingreifen zu wollen, auch nicht unter dem Vorwand geistlicher Superiorität und Dignität. Ebenso dürfe die weltliche Obrigkeit nicht in das Amt der Prediger eingreifen, auch unter dem Vorwand weltlicher Superiorität nicht. Jede Vermischung und Grenzüberschreitung in Gestalt von Papocäsarismus wie Cäsaropapismus sei strikt verboten. Die weltliche Obrigkeit müsse die zwei Herrschaftsbereiche als grundsätzlich getrennte Sphären der christlichen Lebenswelt anerkennen. Jene neue Variante der frühneuzeitlichen Politikkommunikation – die Wiederbelebung der Dreiständelehre im Kontext der politica christiana – zeigt sich auch bei Musäus darin, dass er, wenn auch nicht so explizit wie Heshusius, seine politische Ordnungsvorstellung vor allem in der Aussage „denn offtwoll ein Werltlicke Ouericheit, alse ein Nutritus Ecclesiae et Custos utri­ usque Tabulae macht hett mith Vorwiligunge der gemene“, deutlich macht und dabei dieselben Grundwerte meint, die im Kontext der innenpolitischen Konfliktlinien nur anders akzentuiert waren: der Ruf nach dem Schutz des 1564  Resolutio

(wie Anm. 1559).



2. Bremen445

Bürgers vor den Übergriffen eines herrschsüchtigen Magistrats, auch im Sinne von Rechtssicherheit, sowie die Forderung nach autonomen politischen Entscheidungsprozessen. Oder anders ausgedrückt: die Freiheit des unzensierten Ratschlags vor der Willkürherrschaft des Magistrats.1565 Damit kommt eine weitere Dimension des Freiheitsbegriffs in den Blick, die genuin politisch-partizipatorische Züge und Konnotation trägt, nämlich Konsens und Partizipation der Bürger am Stadtregiment.1566 Musäus’ Konfrontation mit der lutherischen Ratsmehrheit war somit eingebunden in den Kampf der Bürger in Bremen um ihre korporativ-ständischen Teilhaberechte. Wie in anderen Städten gehörten in Bremen Konsens und Kontrolle der Bürger beim Stadtregiment zum Wesen „bürgerlicher Freiheit und Herr­ schaft“.1567 Der Konsens der Bürger war somit eine Legitimationsgrundlage der Rechtsordnung der Stadt. Er äußerte sich auch als gesetzgeberische Tätigkeit unter Beteiligung der Bürgerschaft und war in Bremen wie z. B. auch in Köln1568 ein unverzichtbares Element der institutionalisierten Sicherung des „Gemeinwohls“.1569 Diese politischen Werte haben in Bremen, wie oben erwähnt, trotz der zahlreichen Zunfterhebungen und vor allem gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Rat und Bürgerschaft wie dem „Aufstand der 104“1570 und der „Hardenbergschen Unruhen“1571 und trotz des Vertrags der „Alten Eintracht“ von 14331572 und der „Neuen Eintracht“ von 1534, die allerdings zu Gunsten des Rates abgeschlossen waren, nie ihre Kraft verloren.1573 Deshalb herrschte in Bremen wie in vielen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten ein „konsensgestütztes Ratsregiment, in dem der Rat sein Regiment auf den Konsens der Bürgerschaft angewiesen ausübte“.1574 Die oben erwähnten Bürgerproteste bzw. Bürgerunruhen zielten ebenfalls stets darauf ab, einen konkreten Missstand zu beseitigen und nicht etwa, die poli1565  Vgl.

U. Meier / K. Schreiner, Regimen civitatis (wie Anm. 52), S. 18–20. S. 20. 1567  F. Seven, Die Bremer Kirchenordnung von 1534 (wie Anm. 1243), S. 27; Vgl. dazu O. Brunner, Souveränitätsproblem und Sozialstruktur (wie Anm. 1236), S. 329–360. 1568  U. Meier / K. Schreiner, Regimen civitatis (wie Anm. 52), S. 20. 1569  Ebd. S. 16–18. 1570  H. Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S. 185–206. 1571  Ebd. S. 231–252. 1572  Ebd. S. 114. 1573  Eine gute Zusammenfassung hierzu bei F. Seven, Die Bremer Kirchenordnung von 1534 (wie Anm. 1243), S. 25–62. 1574  U. Meier / K. Schreiner, Regimen civitatis (wie Anm. 52), S. 16–18. 1566  Ebd.

446

V. Die Fallstudien

tische Ordnung zu verändern.1575 Die obrigkeitliche Herrschaft stand dabei nie zur Disposition. Auch die Konflikte zwischen Rat und Bürgerschaft waren nie darauf gerichtet, den Rat in die Abhängigkeit der Bürgerschaft zu bringen. Es ging den Bürgern stets um die Behebung von Unrecht, nicht um Veränderungen bzw. Erneuerungen. Ziel war dabei die Wiederherstellung der als gestört betrachteten alten Ordnung.1576 Doch durch Reformation und Konfessionalisierung wurde das Spannungsverhältnis, das bisher die obrigkeitliche Herrschaft und den bürgerlichen Teilhabeanspruch gravitätisch konstituiert hatte, zersetzt und entspannt. Im Jahre 1555 ergänzte der Rat bereits die Bestimmung der Visitation in der Kirchenordnung von 1534 dahingehend, dass er dem geistlichen Visitator zwei Ratmänner zur Seite stellte, die sog. Kirchenvisitatoren.1577 Zum Ausgang des 16. Jh. schließlich wurde die Visitation vom Rat sogar allein durchgeführt, der zwei Mitglieder aus seinem Kreis abstellte, die auch allgemein für die politische Regelung der kirchlichen Angelegenheiten zuständig waren.1578 Zu der Zeit aber, als jenes Spannungsverhältnis durch die Vorbehalte der lutherischen Ratsmehrheit gestört zu werden begann, forderte Musäus unter Berufung auf die Dreiständelehre den Rat auf, seine Vorbehalte zurückzuziehen. Mit Hampsher-Monk kann darin das Zunutzemachen eines stabilen Deutungsmusters (Dreiständelehre) für das durch die Vorbehalte in Frage gestellte politische Verhältnis zwischen Rat, Geistlichkeit und Bürgerschaft gesehen werden, um damit eine neue, zugleich alte, „konsensgestützte“ politische Rea­lität als Restitution des legitimen Herrschafts und Ordnungsmodells, indem das Gleichgewicht der drei Stände innerhalb eines Gemeinwesens aufbewahrt wird, zu erreichen. Musäus bediente sich dieses Deutungsmusters, um die realen innerstädtischen Konflikte in eine neue stabile „konsensgestützte Herrschaft“ nach dem tradierten Vorbild der konsensuellen Herrschaftsordnung zu überführen, in der obrigkeitliche Herrschaft und die Partizipation der Bürger nicht gegensätzlich, sondern aufeinander angewiesen waren und in der Konsens ein unverzichtbares Element bildete. Notwendigerweise also band er ebenso wie Heshusius die Widerstandsdiskussion gegen die unchristliche Obrigkeit in die Dreiständeordnung ein, um ihre Herrschaft durch bürgerliches Teilhaberecht zu begrenzen. Unmittelbar nach Musäus’ Forderung hatte die lutherische Ratsmehrheit ihre Vorbehalte zurückgezogen und die neue Kirchenordnung doch bewilligt 1575  Vgl. W. Mager, Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment, in: Aspekte der politischen Kommunikation (wie Anm. 56), S. 99–101. 1576  Vgl. F. Seven, Die Bremer Kirchenordnung von 1534 (wie Anm. 1243), S. 34–52; ders., Der Aufstand der 104 Männer (wie Anm. 1262), S. 15–31. 1577  J. F. Iken, Die früheren Kirchen und Schulvisitationen (wie Anm. 1280), S. 100–127. 1578  F. Seven, Die Bremer Kirchenordnung von 1534 (wie Anm. 1243), S. 44.



2. Bremen447

und am 3. Januar 1562 sogar ein Mandat gegen die Hardenberg’schen Anhänger veröffentlicht. Die lutherische Ratsmehrheit hatte somit ihre Herrschaft im Konsens mit den Bürgern ausgeübt. Damit erwies sich die politi­ ca christiana keineswegs als eine ungebräuchliche, in den Hintergrund der zeitgenössischen politischen Diskussionen getretene Lehre des Politischen, sondern als eine handhabbare Politiklehre, die eine zentrale Rolle in den frühneuzeitlichen konfessionellen Debatten und Auseinandersetzungen um das Verhältnis von „Staat“ und „Kirche“ spielte. Allerdings ist in der Erklärung von Musäus und dem geistlichen Ministerium auffällig, dass diese wie Heshusius dem Rat für den Vollzug der exekutiven Gewalt Ausnahmen einräumen. Der Rat habe Disziplinargewalt über die Prediger; er könne sie absetzen, wenn sie gegen das Wort Gottes lehrten. Nicht aber dürfe er unter dem Vorwand weltlicher Superiorität Lästerer und andere Verbrecher vor der verdienten Strafe schützen. Das heißt, in bestimmten Fällen könne der Rat seine exekutive Gewalt unabhängig von der Zustimmung Dritter ausüben. Insgesamt wird deutlich, dass Musäus und das geistliche Ministerium ebenso wie Heshusius je nach Interessenslage die Dreiständelehre umdeuteten und instrumentalisierten. Musäus und die Prediger, die den Bremer Rat unter Berufung auf die Dreiständelehre aufforderten, die Einführung der Regelung der Exkommunikation anzunehmen, verboten nun dem Bremer Rat das Eingreifen in das Amt der Geistlichkeit, eben weil er nur ein Glied der Kirche sei. Am 19. Januar 1562 stürzten bewaffnete Bürger unter der Führung Da­niel von Bürens und der oppositionellen Ratsherren die Regierung in Bremen. Unter dem Druck der Bürgerschaft wurde der alte Rat gezwungen, das Religionsmandat vom 3. Januar, das ursprünglich gegen die Anhänger Hardenbergs gerichtet war, zurückzuziehen; Simon Musäus, der Superintendent, wurde entlassen und musste Bremen binnen acht Tagen verlassen. Daraufhin kritisierte die lutherische Geistlichkeit auf den Kanzeln den neuen Rat heftig, indem sie ihm vorwarf, er hätte das von Gott verordnete Regiment zerstört und Gottes Zorn und Strafe auf die Stadt Bremen gezogen. Der Prediger Johann Elberfeld von St. Ansgari brandmarkte insbesondere Da­niel von Büren als den Zerstörer beider Regimenter: „Tu es perturbatur huius Reipub: atquae Religionis vnnd sprack vordann dudesch, gelick alse de Prophet Helias tho dem Konige Achab sede. du borgermeister vann Bremen bist eyne vorstorer des weltlichenn vnnd geistlichem Regiments, vnnd will dy gades tornn vnnd straffe, vorkundigt hebben, dat gott dy vnnd die hus wert straffenn, thom exempell duser gantzem stadt vnnd landeschup.“1579 1579  StA

B 2-E.7.e.3. Bl. 99b.

448

V. Die Fallstudien

Bereits die Gegenüberstellung von Republik und Kirche belegt wiederum die fundamentale Wirksamkeit der Dreiständelehre. Unmittelbar darauf, vermutlich im Februar 1562, veröffentlichte das amtierende Ratsviertel der früheren oppositionellen Ratsminderheit ein Mandat, das dem Lüneburgischen Mandat vom August 1561 ähnelte und mit dem Mandat vom 24. August 1562 identisch ist.1580 Darin wird den lutherischen Prediger die Kanzelkritik verboten, um die öffentliche Ruhe wiederherzu­ stellen:1581 „Nachdem aus dem vnauffhörlichem vnzimlichen schelten vnnd lestern /  auff den Predigstulen […] So will ein Erbar Raht der Statt Bremen /  alle Jre Prediger […] vermanet /  jnen auch hiemit aufferlegt vnd ernstlich befohlen haben /  Das sie sich solchs vnzeittigen scheltens enthalten.“1582

Dabei rechtfertigte der amtierende Minderheitsrat diese Vorschrift mit seinem obrigkeitlichen Wächteramt: „Sich auch in jrem Ampte /  vnser Kirchen ordnung /  so bey dreissigk Jaren alhie gewesen vnd gemacht /  durch aus gemess vnd gleichformich halten /  vnd dagegen keine newerung einfurenn /  Damit ein Erbar Raht /  zu gebürlicher straffe /  gegen die vbertretter nicht verursachet.“

Gemeint ist, dass der Rat die Macht habe, die Strafamtübung der Geistlichkeit zu untersagen, da er von Gott als custos utriusquae tabulae berufen sei. Bereits hierin zeichnete sich der Zentrierungstrend des neu konstituierten Rates in Religionsdingen als Summus Episcopus ab. Diese die Stellung der Obrigkeit in den interna ecclesiae verstärkende Tendenz kommt beim Religionsmandat vom 25. Juli 1562, ihrer ersten politischen Amtshandlung, nachdem der neue Rat am 16. Juli 1562 die fehlenden 16 Ratsherren ergänzt hatte, noch deutlicher zum Ausdruck: „auch des vnnottrufftigen disputierens /  lesterens vnd Condemnierens /  auff der Cantzel /  der jenigen /  so noch keines jrthumbs vberzeuget /  (dadurch dann die gemeine Gottes nicht allein nicht gebauwet /  Sondern viel mehr geergert) gentz­ lichen zuenthalten /  Mit der fernern ernstlichen verwarnung /  da jemandt vnser Predicanten /  so wol ausswendig alss inwendig Bremen  /  sich diesem vnserm abermaligen Mandat /  nicht gemess verhalten würde /  das derselbige bey vns nicht geduldet /  Sondern seines dienstes von stundt an /  soll verurlaubet werden /  Dar­ nach sich ein jeder vnuerweigerlich zurichten / .“1583

Dem hierin ausgedrückten Selbstverständnis nach wird deutlich, dass das in die interna ecclesiae eingreifende ius episcopale der weltlichen Obrigkeit zusteht.1584 1580  StA

B 2-E.7.b.2. B 2-E-7.b.2 Bl. 143. 1582  StA B 2-E.7.b.2. Bl. 143. 1583  StB 2-ad E.7.d. 1584  Vgl. das Zitat in Anm. 1603. 1581  StA



2. Bremen449

Die lutherische Geistlichkeit widersetzte sich allerdings diesem Mandat und antwortete dem neuen, von ihr nicht anerkannten Rat im Sinne der lutherischen Widerstandstheorie: „Vorerst de beidenn Buwmeisters gebedenn se vnbeschwert wollen synn, denn borgermeister Daniell dith antwort jn tho bringenn, se konnen sick der taffelnn aller dinge mit guder conscientien nicht annemmen, sundernn mostenn godt mehr alse denn minschen gehorsam synn.“1585

Daraufhin enthob der Rat sie ihrer Ämter mit der Begründung, die Strafamtübung wirke auf das Volk schädlich und zerstöre den Stadtfrieden,1586 und schickte sie schließlich ins Exil. Die ausgewiesene lutherische Geistlichkeit wertete diese kirchenpolitischen Maßnahmen des neuen Rates als Eingriff in ihr geistliches Amt und verteidigte das Strafamt als öffentlich wirksame Form der Kirchenzucht, wobei sie sich in ihrer Protestschrift1587 auf die Dreiständelehre beriefen: „Aber hie mus man das Ampt vnd Person wol von einander sondern. Ein Amptman oder Landesfurst (da er sein Ampt vbet) ist ein ander man /  den Hans oder Friderich /  ein Apostel oder Prediger ein ander man /  denn Petrus oder Paulus /  Denn ein Prediger ist er /  nicht für seine Person /  sondern von Gottes wegen […] Aber wo man wider vnsere Tauffe /  Sacramente /  Predigampt gehet /  so vns von Gott befohlen /  vnd seine Wort vnd seine ordnung handelt /  da gebüret vns nicht zu schweigen /  sondern vber vnserem befohlenen Ampte zu halten /  mit vermanen /  drewen vnd straffen /  wie S. Paulus sagt) mit allem ernst /  beide zur zeit vnd vnzeit /  vngeacht wer sie sein /  oder wie es jnen gefalle / .“1588

Die Geistlichkeit argumentierte also, dass die Wahrnehmung des Strafamtes keinen Eingriff in das Amt der weltlichen Obrigkeit bedeutete. Dafür sei das Verbot der Kirchenzucht durch die weltliche Obrigkeit allerdings ein Eingriff in das geistliche Amt. Auch hieraus wird deutlich, dass die Geistlichkeit die Dreiständelehre je nach Interessenlage umdeutete bzw. manipulierte. Denn dieselben Prediger, die den Bremer Rat unter Berufung auf die Dreiständelehre aufgefordert hatten, Hardenberg zu entlassen, und diesem damit faktisch eingeräumt hatten, ohne Konsens mit der oppositionellen 1585  StA

B 2-E.7.e.3. Bl. 101b. Standpunkt lässt sich ebenfalls in ihrem Schreiben vom 17. August 1562 an die Stände des niedersächsischen Kreises erkennen. Darin betonten sie ausdrücklich, nicht wegen der unterschiedlichen Auffassung zur Abendmahlslehre, sondern um des Stadtfriedens willen ein Verbotsmandat veröffentlicht zu haben. „Es sei gelich vom heiligen abentmall der Tauffe oder andren nichts geredett haben, sondern vielmer vns dem Religions friede gemeß zuuorhalten geneigt sein, vnnd derwegen ein offentlich Mandath publicieren lassen, Darinne wir allen predicanten jn vnser Stadt vnd gebiette ernstlich aufferlegt vnnd beuolhen, sich vntzeitiges scheltden zuentfernen.“ StA B 2-E.7.b.2. Nr 145. 1587  Notwendige Entschuldigung (wie Anm. 1529). 1588  Ebd. Bl. G iii. 1586  Dieser

450

V. Die Fallstudien

Ratsminderheit und Gemeinde von seiner exekutiven Gewalt Gebrauch zu machen, warfen dem neuen Rat nun das Eingreifen in das Amt der Geistlichkeit vor, als er sie ihrer Ämter enthob und ins Exil schickte. Genauso lässt sich bereits die Umdeutung und Instrumentalisierung der Dreiständelehre bei Johann Timann während der sozialen Aufstandsbewegung der 104 beobachten. Wie oben erwähnt wurde, übte Timann unter Berufung auf die Dreiständelehre gegen die 104 Männer sein Strafamt1589 und bezeichnete diesen Aufstand sogar als Werk des Teufels.1590 Als aber die 104 Männer am 24. März 1532 entgegen den Mahnungen der Geistlichkeit und Warnungen des Rats in den zum Erzbistum gehörenden Bremer Dom eingedrungen waren, den Messgottesdienst gewaltsam abgebrochen (damit war erstmals im Reich in die territorialen, landesfürstlichen Rechte eines Erzbischofs eingegriffen worden) und Jakob Probst auf die Kanzel geführt hatten, rechtfertigte Timann das gewaltsame Eindringen in den Dom durch Berufung auf die strikte Trennung von geistlichem und weltlichem Regiment, was die Präsenz des Dreistände-Ordnungsmusters bestätigt: „Doch schölen alle unterdanen gewyß unde seker weten, off wol die Overicheyt gantz böse were, ya des Düvels eyghen alse Pilatus, unde Tyrannickliken handelde alse Pharao, dath se den noch „nicht deste weynyger gehorsammicklick unde underdanischlyck yeghen de harde“ unde unardige „Overicheyt sick tho holdende“ schüldich syn, unde neynerley wyse sick wedder die Overicheyt mothen streven myt wrevel, uprhror edder ghewalt […] Darumme, wylle wy eyne gude Conscientie hebben unde wedder godt noch syne ordenynghe nicht vechten und uns nicht vorgrypen, so möten wy uns hebben yegen alle wrede, unardige Overicheyt, wel­ cker der undersatenn bößheyt rode is.“1591

Timann zufolge gelte die Gehorsamspflicht der Untertanen also sogar gegenüber einer ungerechten Obrigkeit, solange sie über leibliche bzw. weltliche Dinge gebiete. Wenn aber die weltliche Obrigkeit mit ihrem Herrschaftsanspruch in das geistliche Regiment eingreife und geistliche Dinge gegen Gott, Gottes Wort und das göttliche, natürliche Recht gebiete, haben die Untertanen eine Pflicht zum Ungehorsam, der sich auch in gewaltsamem Widerstand äußern dürfe. Deshalb hieß es in seinem Sermon so: „De wyle nu des Pawstes kerckordenynge Ceremonien, observantie, densten und geprenge gedyet thom nadeel des gelovens, dat me mynschen Ceremonien de rechtverdichmakynaghe tho schryvet […] Uth dessem alle ys nu wol auffthone1589  Vgl.

die Zitate in den Anmerkungen 1423 u.1425. O. Rudloff, Johann Timanns Sermon „Von Christlicher Freiheit und Menschengeboten (wie Anm. 1252), S. 118. 1591  Abdruck bei O. Rudloff, Johann Timanns Sermon „Von Christlicher Freiheit und Menschengeboten“ (wie Anm. 1252), S. 133–134. 1590  Vgl.



2. Bremen451 mende, up wath wyse wy gefryet syn van des Pawstes unde syner Römschen kercken ynsettinge, overst ghar nichtes ghefreyet van em Keyser unde der werltliken overicheit ordeninge unde ghesetten, „de wyle se nenen nyen Gades denst anrichten, sunder maken ordeninge thom frede“, uthwendyge tucht, guden seden ordentlik wesent […] Darius Daniel, Daniel 6[,7–19]; dar se recht unge­ horsam ghewesen synt, unde Gade mehr gehorket den de mynschen, Acto, 5 [,29].“1592

Damit hat Timann nicht nur den gewaltsamen Widerstand der Bürgerschaft gegen landesfürstliche Obrigkeit unter Berufung auf die Dreiständelehre nachträglich gerechtfertigt, sondern auch den Bremer Rat ermutigt, bei einer Restitution der römischen Gottesdienste im Dom auch gewaltsam Widerstand zu leisten.1593 Daraus wird deutlich, dass Timann wie Heshusius je nach Interessenkonflikt die Dreiständelehre zweckhaft umdeutete. Timann, der unter Berufung auf die Dreiständelehre den sozialen Aufstand der 104 Männer als Zerstörung des von Gott geordneten Regiments tadelte und ein Eingreifen in das Herrschaftsrecht der weltlichen Obrigkeit und auch in das Amt der Geistlichkeit verbot, legitimierte diese spätere gewaltsame Absetzungsaktion der Bürgerschaft. Ebenfalls ist die Umdeutung und Instrumentalisierung der Dreiständelehre bei der Geistlichkeit außerhalb Bremens, insbesondere bei den Kreistheologen des Braunschweiger Kreistags vom 3. bis 8. Februar 15621594, u. a. bei David Chyträus und Martin Chemnitz, erkennbar. An diesem Kreistag beteiligten sich nicht nur der Kreisgesandte und Ratsgesandte aus Bremen, Dr. Johann Rollwagen, sondern auch die Braunschweiger Superintendenten Joachim Mörlin, Tilemann Heshusius sowie auch Hardenberg im Beisein des Bürgermeisters Daniel von Büren und des Magisters Rudolf Mönkhu­ sen1595. Die Kreisstände waren sich im Klaren darüber, dass sie keine Kompetenz und kein Recht hatten, in das Amt der Geistlichkeit bzw. in die in­ terna ecclesiae einzugreifen. Deshalb hatten sie den Kreistheologen nicht nur die Beurteilung der Lehre Hardenbergs aufgetragen, sondern gleichzeitig auch um legitimierende Argumente für die Verbannung Hardenbergs ersucht. Die Theologen lieferten den Kreisständen folgende Argumentation – nachdem sie in ihrem Urteil zunächst festgestellt hatten, dass Hardenbergs Lehre den alten Kirchenvätern, der Augsburgischen Konfession, ihrer Apologie und den Schmalkaldischen Artikeln ganz zuwiderlaufe und dass selbiger ein Zwinglianer, Calvinist und Sakramentierer sei: 1592  Abdruck bei O. Rudloff, Johann Timanns Sermon „Von Christlicher Freiheit und Menschengeboten“ (wie Anm. 1252), S. 133–140. 1593  Vgl. das Zitat in Anm. 1591. 1594  Zu den Einzelheiten vgl. H. Engelhardt, Das Irrlehreverfahren des niedersächsischen Reichskreises gegen Albert Hardenberg (wie Anm. 696), 1595  StA B 2-T.1.c.2.b.2.c.2.b.2. Teil 1.

452

V. Die Fallstudien

„Zum andern so wehr ehr [Hardenberg. Hervorhebung durch Ch. P.] ein Sacramentierer caluinischen vnd Zwinglischer Lehrer. Zum dritten so wehr ehr Turbatur publicae pacis.“1596

Damit wird deutlich, dass die Kreistheologen die Dreiständelehre umdeuteten und manipulierten. Sie wussten sehr genau, dass sie mit dem theologischen Urteil über Hardenberg die Angelegenheit für die Bereiche der Kirche bereits abgeschlossen hatten und dass jedes weitere Wort darüber hinaus einen unzulässigen Eingriff in das Amt der weltlichen Obrigkeit bedeutete. Insbesondere wussten sie auch, dass die Kreisstände das ius epi­ scopale nicht innehatten. Dennoch bezeichneten sie Hardenberg als „turbator publicae pacis“ und forderten die Kreisstände auf, für die Entfernung Hardenbergs Sorge zu tragen, da sie als custos utriusque tabulae von Gott berufen und zudem ein Glied der Kirche seien.1597 Zu jenen Kreistheologen gehörte David Chyträus aus Rostock. Als die Stände der Niedersächsischen Reichskreise im August 1561 in Lüneburg ein Mandat „Wider das Schelten auf den Cantzlen“ veröffentlicht hatten, veröffentlichte auch er unmittelbar darauf eine Gegenschrift, „Christliches demütiges Bedencken vam deme Lünebborgschenn Mandat“,1598 in der er der Obrigkeit des niedersächsischen Kreises eine gravierende politische Fehlentscheidung vorwarf. Und auch er gründet seine Kritik auf die Dreiständelehre: „sundern eyne Christliche Ouerigkeitt sol mit Radt vnnd hulffe, verstendiger, got­ seliger, gelerter Prediger vnnd Theologen, ein gewisse eigentliche vntzweiuel hafftige formam der lere, vam demselben artickel stellen lassen, vnnd befhelenn die reinen lere bestendichlich vnd ernstlich zu treiben, vnd die Jrthume zu straffen vnnd wenn ein toller Koff, dieselbige gewisse formam der lere, anfechtenn, vnd zu schelten vnnd lesten nicht auffhorenn wollte, so soll jnn die Obrigkeit seynes amptes entsetzen.“1599

Auch für Chyträus kann also festgestellt werden, dass er die Dreiständelehre situationsbezogen zu nutzen verstand. Obwohl er im Februar 1562 beim Braunschweiger Kreistag die niedersächsischen Kreisstände unter Berufung auf die Dreiständelehre aufforderte, in das Amt der Geistlichkeit und in die Religionssache einzugreifen, hatte er nur wenige Monate zuvor den niedersächsischen Ständen das Eingreifen in das Amt der Geistlichkeit verboten und sie aufgefordert, die kirchenpolitischen Amtshandlungen nur unter Mitwirkung bzw. Zustimmung der Geistlichkeit durchzuführen. 1596  Ebd. Bl. 14. In den wörtlichen Abschriften des Gutachtens des Kreistheologens (StA B 2-T.1.c.2.b.2.c.2.b.2. Convolut de 1561 und 1562 Nr 1. Bl. 6 ff.) findet sich das Zitat, das Engelhardt in seinem Aufsatz erwähnt hat, jedoch nicht. 1597  Ebd. 1598  Christliches demütiges Bedencken vam deme Lünebborgschenn Mandat [UB Bremen, Brem. 496]. Im Folgenden Christliches demütiges Bedencken. 1599  Ebd. Bl. 144.



2. Bremen453

Ebenfalls lässt sich die Umdeutung und Instrumentalisierung der Dreiständelehre bei Joachim Mörlin (1514–1571) nachweisen. Zwar herrschte seit dem von der Bürgerschaft erzwungenen Exil der lutherischen Bürgermeister und Ratsherren in der Stadt Bremen politische Ruhe, jedoch gab es keine innerkirchliche Einigkeit unter den an die Stelle der lutherischen Geistlichkeit neu berufenen Predigern. Um die Ruhe in der Stadt herzustellen, entließ der Rat (die frühere Ratsminderheit, Daniel von Büren und die oppositionelle Ratsherren) die nicht kryptocalvinistisch gesinnte Geistlichkeit, die auch auf öffentliche Kritik gestoßen war, aus der Stadt. So waren die beiden Prediger an St. Stephani nach vorheriger Verwarnung wegen ihrer hardenbergianischen Abendmahlslehre entlassen worden. Und nicht nur sie: Auch Cornelius Becker an St. Ansgari, Johannes Becker an UnserLieben-Frauen, Werner Hartmann an St. Martini und Andreas Dithmar an St. Stephani, Beckers Schwiegersohn, die die lutherische Abendmahlslehre vertraten und dem Rat von der Kanzel her öffentlich vorwarfen, der Rat bekenne nur noch mit dem Munde das Augsburger Bekenntnis, wurden später ihrer Ämter enthoben. Daraufhin griff Mörlin 1565 in seiner Streitschrift „Von dem Beruff der Prediger“1600 die kirchenpolitische Praxis des neu amtierenden Rats, solche Prediger, die sich neuen Lehrnormen widersetzend am lutherischen Abendmahlsverständnis festhielten, ohne Zustimmung Dritter zu entlassen, scharf an. Der Bremer Rat wiederum wies in seiner Gegenschrift „Notwendige Verantwortung des Rats der Stadt Bremen“ alle kritischen Einwände Mörlins zurück. Zur Rechtfertigung seiner Argumentation berief sich auch Mörlin auf die Dreiständelehre: „HJermit komen wie auff die rechten heubtfrage /  daran fürnemlich alles gelegen /  vnd ist itzvnd darüber ein grosser zanck vnd hader /  bey wem denn die gewalt stehe /  Prediger zu beruffen /  denn aus dem will ohne zweiffel folgen /  das derselbigen auch widerumb macht vnd gewalt habe (seiner massen) Prediger abzusetzen /  vnd sind fürnemlich dreyler Opinion oder meinung. Etliche als vnsere Pa­ pisten /  wollen /  das allein die Bischoffe solches zu thun […] Die andern geben es allein /  oder ja fürnemlich /  der Weltlichen Obrigkeit /  das dieselbige diese Christliche frey vnd Gerechtigkeiten /  an wahl /  Beruffung  /  vnd Bestelung der Kirchendiener habe /  dere sie auch keinerley weise sol oder möge entsetzt vnd beraubet werden /  das sie dieselbigen zu vocirn /  auch widerumb zu vrlauben habe nach jhrer gelegenheit /  Wie sie denn das large, largius, largissime verstehen. […] Die dritte sagen /  Es gehöre dem Gemeinen hauffen in der Kirchen […] Es ist aber Christliche Obrigkeit /  so fern sie Christen gewesen /  nie daruon ausgeschlossen /  sondern haben in solchem wichtigen Handel helffen mit zurathen /  vnd zu sehen […] /  sol die Obrigkeit sich solcher sachen auch keines weges allein vnterstehen /  1600  Von dem Beruff der Prediger vnd wie fern weltliche Obrigkeit Macht hat /  dieselbigen jres Amts zuentsetzen /  Nötiger Christlicher bericht aus Gottes wort. Eisleben 1565 [HAB Wf. K 311 4° Helmst. (1)] Im Folgenden Von dem Beruff.

454

V. Die Fallstudien

sondern dieselben darzunemen /  die der Sachen verstand haben /  Denn wenn es bey der Obrigkeit allein sein solle /  wie keme denn Paulus darzu /  das er an Timotheum vnd Titum schreibet /  sie sollen neben der Gemein solch werck auszurichten haben /  vnd sonderlichen bey jnen das Judicium stehen /  welche Personen und dem ampt düchtig sein oder nicht.“1601

Die Formulierung „vnd sonderlichen bey jnen das Judicium stehen“ erinnert an die Disputation vom Mai 1560 in Bremen, bei der er selbst zugegen war. Nach seiner Auffassung könne die weltliche Obrigkeit nicht allein die Geistlichkeit absetzen oder berufen, auch wenn sie von Gott zum custos legis im Dekalog berufen sei, weil sie nur ein Glied der Kirche sei. Ebenso könnten Bürgerschaft und Geistlichkeit nicht allein vom ius vocandi Gebrauch machen, eben weil auch sie nur je ein Glied der Kirche seien; erst das Zusammenwirken aller drei Stände biete die Gewähr einer rechtmäßigen Berufung und Entlassung.1602 Damit wird deutlich, dass auch Mörlin die Dreiständelehre umdeutete und instrumentell anpasste. Gleichwohl er fünf Jahre zuvor bei der Disputation vom Mai 1560 dem Bremer Rat unter Berufung auf die Dreiständelehre in das Amt der Geistlichkeit einzugreifen gestattet hatte, lehnte er nun alle Versuche der weltlichen Obrigkeit ab, die anderen Stände dem obrigkeitlichen Wächteramt unterzuordnen. Nun betonte er ausdrücklich, die Berufung oder Entlassung der Geistlichkeit sei nur unter Mitwirkung aller drei Stände möglich. (2) Die weltliche Obrigkeit Die Umdeutung, Anpassung und Instrumentalisierung der Dreiständelehre zu eigenen politischen Zwecken ist auch bei der weltlichen Obrigkeit, besonders bei der oppositionellen Ratsminderheit, zweifelsohne zu erkennen. Nach der Regierungsübernahme am 19. Februar 1562 hatte der neu konstitutierte Rat Superintendent Simon Musäus entlassen und die Stelle des Superintendenten unbesetzt gelassen. Diese politische Amtshandlung weist bereits darauf hin, dass die neue Obrigkeit als Summus Episcopus auftrat. Erst nach achtjähriger Pause berief der neue Rat am 7. September 1570 Markus Mening zum neuen Superintendenten, um innerkirchliche Konfes­ sionsstreitigkeiten zu regeln. Diese neuerliche Besetzung der so lange vakant gebliebenen Stelle kommentierte der Rat wie folgt: „Wjr Burgermeister vnnd Radt der Stadt Bremen thun kundt vnd bekennen jm vnnd mit diesem brief […] vnd von Godt empfolenen amts halber, jm alle wege 1601  Von

1602  Vgl.

S. 402–403.

dem Beruff (wie Anm. 1600), Bl. E iv–F ii. L. Schorn-Schütte, Die Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 54),



2. Bremen455 gebuhren wollte, nicht allein was zur erhaltunge einer christlichen, friedtfertigen Regierung vnd guter policey jn weldtlichen sachen vnd handelnn, vnseren Burgern vnd vndterthanen zu nutz vnd guetem kohmen, sondern auch vnnd viele mehr was zu befurderung der Ehren Gottes vnd seines heilwertigen, seligmachenden wortes, vnnd das dasselbe lauter vnnd rein, mit hochsten Ernste, fleiß vnd trewen, den vnsernn fürgetragen, auch folgendes also, bey vnd nebenn dem rechten gebrauche der hochwurdigenn Sacramente, auff vnsere Kinder vnnd Nachkommen transmittiret vnnd gebracht werden mochte, jmmerdar geraichenn vnd gelangen könne.“1603

Es geht deutlich daraus hervor, dass sie bei der Berufung des Superintendenten sich als Summus Episcopus betrachteten und folglich vom ius vocandi selbstherrlich Gebrauch machten. Auch schlug sich ihr Zentrierungsbestreben in Sachen der Religion in ihrem Religionsmandat vom 25. Juli 1562 nieder: „auch des vnnottrufftigen disputierens /  lesterens vnd Condemnierens /  auff der Cantzel /  der jenigen /  so noch keines jrthumbs vberzeuget /  (dadurch dann die gemeine Gottes nicht allein nicht gebauwet /  Sondern viel mehr geergert) gentz­ lichen zuenthalten /  Mit der fernern ernstlichen verwarnung /  da jemandt vnser Predicanten /  so wol ausswendig alss inwendig Bremen  /  sich diesem vnserm abermaligen Mandat /  nicht gemess verhalten würde /  das derselbige bey vns nicht geduldet /  Sondern seines dienstes von stundt an /  soll verurlaubet werden /  Dar­ nach sich ein jeder vnuerweigerlich zurichten / .“1604

Aus dem sich hierin widerspiegelnden Selbstverständnis geht deutlich hervor, dass das in die interna ecclesiae eingreifende ius episcopale der weltlichen Obrigkeit allein zustehe. Auch dieser neue Minderheitsrat machte sich also die Dreiständelehre zweckhaft zu Eigen. Daniel von Büren und die drei kryptocalvinistisch gesinnten Ratsherren, die bei der Hardenbergschen Auseinandersetzung unter Berufung auf die Dreiständelehre den Herrschaftsanspruch des alten Rates in kirchlichen Angelegenheiten strikt zurückgewiesen und immer wieder betont hatten, das Urteil stehe allein der ganzen Kirche zu,1605 beanspruchten nun wiederum unter Berufung auf die Dreiständelehre das ius vocandi für sich allein. Sie ließen die Superintendentur acht Jahre lang unbesetzt1606 und beriefen schließlich einen Superintendenten ohne die Zustimmung Dritter, eben weil sie sich als das vornehmste Glied der Kirche begriffen. Während sie also vormals im Einklang mit der Dreiständelehre die Geistlichkeit als dritte institutionelle Kraft neben Rat und Gemeinde behauptet und sich gegen die 1603  StA

B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.3.a.Nr 13a. 2-ad E.7.d. 1605  Vgl. B. Spiegel, Albert Rizäus Hardenberg (wie Anm. 1217), S. 251. 1606  Auch von 1584–1590, 1604–1608 und 1624–1628 blieb die Stelle unbesetzt. Vgl. E. Weygoldt, Die rechtliche Stellung des Ministeriums der stadtbremischen Pfarrkirchen (wie Anm. 1370), S. 24. 1604  StB

456

V. Die Fallstudien

Kompetenzerweiterung des alten Rates in die interna ecclesiae und die Gemeindeautonomie gewehrt hatten, verweigerten sie nun der Geistlichkeit die Rolle als dritte Verfassungkraft und rechtfertigten dies ebenfalls mit der Dreiständelehre. Besonders gut zu erkennen ist die Instrumentalisierung der Dreiständelehre anhand der unterschiedlichen Verhaltensweisen der niedersächsischen Stände in ihren jeweiligen kirchenpolitischen Angelegenheiten. Auf dem Kreistag im Februar 1561 in Braunschweig räumten die Stände des niedersächsischen Kreises ein, dass der Bremer Rat über die Jurisdik­ tionsgewalt in Religionssachen verfügen durfte, da die öffentliche Ruhe wegen des Abendmahlstreits in Bremen gefährdet gewesen sei. Sie hatten unter Berufung auf die Dreiständelehre sogar die Kreistagstheologen um konkrete Vorschläge zur Beendigung des Streits und zur Beseitigung Hardenbergs ersucht. Als der Abendmahlsstreit zu einem Problem wurde, das die öffentliche Ruhe und Ordnung im Land zu gefährden schien, griffen sie sogar noch weiter in die Glaubenssachen ein, sodass kein theologisches Buch ohne obrigkeitliche Erlaubnis publiziert werden durfte. Aus gleichem Grund veröffentlichten sie das Lüneburgische Mandat, das sie wie folgt rechtfertigten: „Vnnd ob gleych die Oberkeyt anziehen wollte /  sie hetten die vereinigung des mandats furgenommen /  als gliedmassen der Kirchen.“1607

Sie rechtfertigten ihre kirchenpolitische Maßnahme durch die Dreiständelehre und veröffentlichten das Mandat, eben weil auch sie ein Glied der Kirche seien. Zu bemerken ist, dass diese Verknüpfung des Politischen niedersächsischer Stände an die Dreiständelehre keineswegs als eine Theologisierung des Politischen zu werten war, sondern ebenfalls, wie das bei Heshusius bzw. der Geistlichkeit der Fall ist, als ein Kommunikationsprozess über Herrschaft zu charakterisieren ist, nur in umgekehrter Reihenfolge. Die niedersächsische Stände verwendeten hier in ihrer Argumentation ein stabiles Deutungsmuster wie Heshusius, um damit ein neueres stabiles Muster der Deutung (die monarchische Dreiständegesellschaft) zu erschließen und um damit ein monarchisches Herrschafts- und Ordnungsmodell zu erzielen, in dem der status politicus die beiden anderen ordines lenkt und leitet. Der AustauschProzess über das monarchische Herrschafts- und Ordnungskonzept wurde durch die Wirksamkeit der monarchischen Dreiständelehre als politische Sprache rekonstruiert. Das heißt, der Kommunikationsprozess über das Konzept der monarchischen Herrschaftsform und -ausübung wurde durch die Dreiständelehre wiederhergestellt, intensiviert und gesteuert. Wie sehr zu jener Zeit die Instrumentalisierung der Dreiständelehre bei den Obrigkeiten verbreitet war, ist an der Schrift Timanns „Etliche weissa1607  Ursach / 

Warumb (wie Anm. 156), Bl. A iiijv.



2. Bremen457

gung“ zu erkennen. Obwohl Johann Timann und die lutherische Geistlichkeit den Rat aufforderten, Hardenbergs schädlichen Einfluss nicht zu dulden, sondern ihn zu entfernen, unternahm der Rat nichts, sondern ließ ihn am 17. Januar 1548 sein Bekenntnis vom Abendmahl übergeben. Der Rat legte dann sein Bekenntnis, versehen mit der Unterschrift Melanchthons, den Predigern vor, um damit den Streit beizulegen. Timann jedoch warnte in seiner „Etlichen Weissagung“ von 1550 den Rat davor, dass Gott die Abgötterei und falsche Lehre mit Krieg und Verwüstung strafen werde, wenn solche schändlichen Dinge zugelassen würden.1608 Dabei griff Timann selbstverständlich die Dreiständelehre in ihrer monarchischen Auslegung auf und mahnte den Rat, dass er unter dem Vorwand, in Religionssachen nicht eingreifen zu dürfen, seine Pflicht als custos utri­ usque tabulae nicht vernachlässigen solle. Er erinnerte den Rat daran, dass die Gefahr des Papocäsarismus im Mittelalter eben dadurch entstanden war, dass die Obrigkeit gerade unter jenem Vorwand ihre von Gott verordneten Rechte und Pflichten als custos primae tabulae versäumt hatte: „Darum sollten fürnemlich alle Regenten /  fürsten vnnd herrn vleiss vorwenden /  das /  weil sie doch sonst für ihr eigen Person Gottes wort vnd die Religion nicht gross achten /  dennoch die andern nicht Abgötterey vnnd falsche gottesdienst trieben vnd aussbreiten /  wie jetzt leider geschieht. Die Oberckeit dencket /  es sey nicht jres ampts /  zu beschaffen /  wie es in den Kirche gehet /  vnd bestellt /  Darumb die Gotteslosen des Bapstes Gräuel mit desto grosser freydigkeit treiben vnd stercken. Aber wehe denen /  welches do sie ans Gottes befelich solches sollten /  vnn konnten verbitten vnd weren /  sie dennoch nichts dazu thun /  gleich als gienge sie die Sache nicht ann.“1609

Genauso lässt sich die Instrumentalisierung der Dreiständelehre beim Verhalten des Rates während der sozialen Aufstandsbewegung der 104 Männer beobachten. Wie bereits erwähnt wurde, übten die Prediger, stellvertretend Jacob Probst und Johann Timann, unter Berufung auf die Dreiständelehre von der Kanzel aus heftige Kritik am Regiment der 104, indem sie die Legitimität deren Regiments bestritten: „aver die Predicanten geklaget, wo de degliken de gekaren Menne vom Predikestole schulden maken öhre Beropinge bedechtig unter den borgeren ock fromden, wo öhre Beropinge noch handelinge nicht recht wehren, sunder allenthalven wedder Gades Wort.“1610

Am 19. Februar beschwerten sich die 104 beim Rat über die heftige Kanzelpolemik der Prediger. Diese Beschwerde wies der Rat bemerkenswerterweise mit folgender Argumentation zurück: 1608  Etliche

weissagung (wie Anm. 1220), Bl. C iiij. Bl. C iiijv. 1610  StA B 2-E.6.b.3. Bl. 55–56. 1609  Ebd.

458

V. Die Fallstudien

„Darup antwortete H. Meinern von Borcken Wortholdender Borgermeister: Nah deme de Raht ock underwielen von den Predicanten gestraffet, nah gebrechlich nide als wol in fellen, in maten wo ock in velen Gottlicken Historien gefunden, dat de Propheten sehr harde hebben angegrepen Konigen und ander over Persoh­ nen der Landen mit scharpen Worden gestraffet, dat ock umme der Straffe willen vele grote Propheten gedodet sien worden, gelick ock am Doper [= Täufer – Anm. Ch. P.] des Hern wol tho wetande wehre.“1611

Der Rat vertrat die Auffassung, dass schon die Propheten Könige zurechtgewiesen hätten, darum könne auch den Predigern die Kritik am weltlichen Regiment nicht verboten werden. Die Ausübung des Strafamtes durch die Geistlichkeit im Rahmen der Dreiständelehre entspreche ihrer von Gott verordneten Pflicht. Damit wird deutlich, dass der Rat die Dreiständelehre umdeutete. Er wertete die Wahrnehmung der Strafamtübung der Geistlichkeit nicht als Eingriff in die Bereiche der politia, sondern hob vielmehr hervor, dass ein Verbot der Kirchenzuchtübung viel eher einen Eingriff in die Amtsführung des geistlichen Regiments darstelle. Damit räumte der Rat den Predigern faktisch das Recht auf autonome Kirchenzucht und folglich Kompetenzen im Bereich der politia ein, was selbst wiederum als Eingriff in das weltliche Regiment und als Beeinträchtigung des politischen Regiments bewertet werden könnte. Der Zweck dieser Umdeutung der Dreiständelehre des Rates liegt auf der Hand: Der Rat wollte die Legitimität des Regiments der 104 bestreiten. Deshalb bildete er zeitweise sogar eine Koalition mit der Geistlichkeit gegen die 104 Männer. Dass beide die Affinität ihrer jeweiligen Interessen in der gemeinsamen Sprache der Dreiständelehre auszudrücken vermochten, zeigt deren politische Dimension. ee) Konkurrierende Paradigmen Ein „Corpus christianum im Kleinen“, in dem die drei Stände gleichberechtigt und wechselseitig zur Harmonie einer unabhängigen bürgerlichen Gesellschaft beitragen und in dem den drei Verfassungskräften unterschiedliche Kompetenzen und ein jeweils spezifischer Status zugunsten eines geordneten genossenschaftlichen Miteinanders in Form der „konsensgestützten Herrschaft“ zugewiesen sind – dies war das aus der mittelalterlichen Tradition heraus angestrebte politische Ordnungsideal der Stadt Bremen. Jedoch setzte sich dieser politiktheoretische Anspruch in den Interessenkonflikten der Praxis gar nicht oder nur schwer durch, insbesondere wegen der Bestrebungen nach Herrschaftszentrierung der weltlichen Obrigkeit. Die lutherische Ratsmehrheit als eine solche weltliche Obrigkeit in der Stadt griff wiederum die mit der Dreiständelehre begründete, gegen sie ge1611  StA

B 2-E.6.b.3. Bl. 56.



2. Bremen459

richtete Forderung der lutherischen Geistlichkeit (insbesondere Timann, Heshusius und Musäus) auf, um dem Zentrierungsbemühen auf nächsthöherer Ebene durch den Landesherrn zu begegnen und den Status der Reichsunmittelbarkeit zu erhalten. Dabei konnte die Affinität zwischen der politischen Dimension der Dreiständelehre und der politischen Ordnungsvorstellung eines eigenständigen städtischen Gemeinwesens gemäß dem „konsensgestützten Ratsregiment“ genutzt werden. Als aber die lutherische Ratsmehrheit gegen die genossenschaftliche Tradition des politiktheoretischen Denkens seine Herrschaftskompetenz in die Bereiche der Gemeindeautonomie zu erweitern versuchte, gingen die oppositionelle Ratsminderheit und die Bürgerschaft im Bündnis entschieden dagegen vor und begründeten ihre politischen Handlungen mit der Dreiständelehre, da diese als politisches Ordnungsprinzip der Realität des städtischen Machtdreiecks entsprach. Ihre Kompatibilität mit Strukturprinzipien des Modells städtischer, sozialer und politischer Ordnung als Corpus christianum im Kleinen wird durch die ihr zugrunde liegende Ordnung einer Harmonie durch Ungleichheit offenkundig.1612 Als aber die lutherische Geistlichkeit merkte, dass die orthodoxe Mehrheit des Rates ihre Kirchenhoheit auf die interna ecclesiae auszudehnen versuchte, wehrte sie sich unter Berufung auf die Dreiständelehre gegen deren Herrschaftsanspruch auf das Amt der Geistlichkeit und instrumentalisierte die Dreiständelehre als Mittel zur Rechtfertigung der Kirchenautonomie, eben weil die Dreiständelehre in ihrer Eigenschaft als politisches Ordnungsprinzip dem status politicus und status ecclesiasticus seinen wohldefinierten Platz zuwies. Die Dreiständelehre wirkte keineswegs nur als abstrakt-theoretisches Paradigma zur Beschreibung der politischen und sozialen Wirklichkeit, sondern war als Rechtfertigungsmuster operativ bzw. handlungsleitend oder handlungsblockierend. Der Einsatz der Dreiständelehre brachte das bürgerrepublikanische politiktheoretische Denken und dessen politische Praxis in einen wechselseitig konstitutiven Zusammenhang. So ermöglichte die Dreiständelehre, die Autonomie und Freiheit der Stadt Bremen mitzugestalten und ihr Emanzipationsstreben zu legitimieren, vor allem aber das „konsensgestützte Herrschaftsmodell“ umzusetzen und die Eigenständigkeit der Geistlichkeit zu bewahren. Besonders darin erwies sich die Handlungsmächtigkeit und Initialfunktion1613 der Dreiständelehre für die soziale bzw. politische Realität. Sie kann als politische Sprache der frühneuzeitlichen Gesell1612  O. G. Oexle, Deutungsschemata der sozialen Wirklichkeit im frühen und hohen Mittelalter, in: F. Graus (Hg.) Mentalitäten im Mittelalter. Sigmaringen 1987, S. 66–67. 1613  Vgl. H.  Rosa, Ideengeschichte und Gesellschaftstheorie (wie Anm.  66), S. 197–223.

460

V. Die Fallstudien

schaft im Sinne der angloamerikanischen Forschung bzw. als politisches Kommunikationsmittel innerhalb der Gesellschaft aufgefasst werden. Insgesamt stellt sich dabei heraus, dass es zwischen den Kontrahenten paradigmatische Unterschiede in ihren Rechtfertigungsmustern gegeben hat und dass vor allem zwei konsistente Paradigmen miteinander konkurrierten. Die oppositionelle Ratsminderheit und die Bürgerschaft bevorzugten das aristokratische Dreistände-Rechtfertigungsmuster, das den traditionellen Anspruch politischer Teilhabe an der Herrschaft betonte, während die regierende lutherische Ratsmehrheit, die lutherische Geistlichkeit und die Stände des niedersächsischen Kreises das monarchische Legitimationsmuster einsetzten, das ihrer Herrschaftserweiterung in das geistliche Amt und ihren kirchenpolitischen Zwecken zuarbeitete. Mit der Verkehrung der Machtverhältnisse aber bevorzugte auch die oppositionelle Ratsminderheit, Daniel von Büren und die drei Ratsherren, die monarchische Deutungsvariante, welche die nun von ihnen selbst angestrebte Kompetenzerweiterung in die interna ecclesiae und die Gemeindeautonomie unterstützte, während die ausgewiesene lutherische Geistlichkeit nun umgekehrt ein aristokratisches Legitimationsmuster anwandte, um die Autonomie und Eigenständigkeit der Kirche und ihr politisches Mitbestimmungsrecht als dritte Kraft in der Stadtverfassung zu bewahren. Auf Grundlage dieser Zusammenfassung kann die These formuliert werden, dass die Wahl zwischen den konkurrierenden Paradigmen der Dreiständelehre eine politische Entscheidung darstellte und politische Konsequenz erfolgte, deren höchste Norm die Billigung durch die jeweilige politische Gemeinschaft gewesen ist,1614 und dass die Spannung zwischen den konkurrierenden Paradigmen zur Veränderung politischer und sozialer Realität geführt hat, worauf noch zurückzukommen sein wird. b) Jodocus-Glanäus-Streit (1572–1582) Der folgenschwere Streit um die Abendmahlslehre, die sog. „Hardenbergschen Unruhen“ endete schließlich durch den Vertrag vom 3. März 15681615 zwischen Rat und Erzbischof. Im Jahre 1572 kam es jedoch zu einem neuen Konflikt zwischen dem Rat, den Predigern und den Gemeinden, der über Jahrzehnte andauerte, der sog. „Jodocus-Glanäus-Streit“,1616 dessen Anfänge bereits in dem Verdener Vertrag zu finden sind. 1614  H. Rosa,

Operatives Paradigma und objektiver Geist (wie Anm. 66), S. 163. B 2-E.7.b.8.; Druck, bei C. F. Eichhorn, Rechtsgutachten über die Verhältnisse der St. Petri Domgemeinde der Freien Hansestadt Bremen, Hannover 1831. Anl. 1, S. 114–193. 1616  Zum Folgenden vgl. A. Walte, Mitteilungen aus der bremischen Kirchengeschichte zur Zeit der Reformation. Zweiter Artickel: Die bremische Kirchenge1615  StA



2. Bremen461

Die Konstellationen dieses Konflikts ähnelten denen der „Hardenbergschen Unruhen“. Was sich verändert hatte, waren die innerstädtischen, konfes­ sionspolitischen und außenpolitischen Rahmenbedingungen: Nicht mehr standen sich die lutherische Ratsmehrheit in Koalition mit der lutherischen Geistlichkeit und die kryptocalvinistisch gesinnte Ratsminderheit im Bündnis mit der Mittel- und Unterschicht gegenüber, sondern die kryptocalvinistische Ratsmehrheit im Bündnis mit reformierter Geistlichkeit einerseits und der lutherische Erzbischof, die lutherische Ratminderheit und Geistlichkeit andererseits. Den Gegenstand der Auseinandersetzung bildete einmal mehr die Autonomie der Strafamtübung gegenüber dem weltlichen Regiment.1617 Zwar bestätigte der Verdener Vertrag die Legitimität des neuen Rats, zugleich aber wurde die Religionshoheit des Erzbischofs restituiert. Die Hauptursache dafür lag vor allem in der taktischen Einbeziehung des Erzbischofs durch den neu konstituierten Rat beim Kampf gegen die ausgewichenen Ratsherren, der sechs Jahre, von 1562 bis 1568, andauerte.1618 Die ausgewichenen Ratsherren mobilisierten unmittelbar nach ihrem Exodus die orthodoxen Stände Norddeutschlands, die lutherische Hanse und den König von Dänemark, um ihre politischen Ansprüche und den Erhalt des orthodoxen Luthertums in Bremen durchzusetzen. Durch diesen Kampf kam es zu einer massiven wirtschaftlichen Bedrohung der Stadt Bremen, vor allem durch die zeitweilige Verhansung und die Aufhebung der Befreiung vom Sundzoll durch den König von Dänemark.1619 Der neue Rat suchte deshalb Schutz beim Erzbischof und vertraute sich einer kaiserlichen Kommission an, die schließlich im Verdener Vertrag von 1568 den Konflikt einer rechtlichen Lösung zuführte. Der Preis für die mit kaiserlicher Autorität herbeigeführte Befriedung war freilich hoch: Das ius reformandi war faktisch an den Erzbischof verloren gegangen. Damit hatte der Vertrag den Weg zu weiteren Konflikten der Stadt mit dem Erzbischof und zwischen dem Rat, der Geistlichkeit und der Bürgerschaft gewiesen. Die wiederhergestellte Religionshoheit des Erzbischofs konnte nur so lange keine Beeinträchtigung für Bremen bedeuten, wie sich der Erzbischof nicht in die religiösen Auseinandersetzungen in Bremen einschaltete. Durch den schichte zur Zeit des Superintendenten Marc. Mening, in: Zeitschrift für die historische Theologie 30 (1866), S. 339–428. [UB Bremen, Brem.c.636b]. Im Folgenden Superintendent Marc. Mening; O. Veeck, Geschichte der reformierten Kirche Bremens (wie Anm. 1207), S. 30–41. 1617  Vgl. J. Moltmann, Christoph Pezel (wie Anm. 1203), S. 45 ff. 1618  Dazu H. Schwarzwälder, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen (wie Anm. 997), S. 244–252. 1619  Ebd.

462

V. Die Fallstudien

Verdener Vertrag wurden diese Auseinandersetzungen eher noch gefördert als wirklich beigelegt, denn der Vertrag hielt gerade die religiösen Verhältnisse zwischen orthodoxem Luthertum und gemäßigtem Kryptocalvinismus in der Schwebe, zwang also zwei im Grunde unvereinbare Positionen rechtlich zusammen.1620 Neue Konflikte bahnten sich also an, als Bremen mit einem lutherischen Erzbischof Heinrich III. (1550–1585), Herzog zu Sachsen (Lauenburg), konfrontiert wurde.1621 Dieser versuchte sofort, die Bestimmungen des Verdener Vertrages durch Wahrnehmung seiner Religionshoheit für sich auszulegen. In Erscheinung trat dieser Konflikt bei der Jahrzehnte dauernden Auseinandersetzung zwischen dem Lutheraner Jodocus Glanäus (1538–1614),1622 der auf Empfehlung Hardenbergs 1564 an die St. Ansgarii-Kirche gekommen war, dem Superintendenten Marcus Mening (gest. 1584),1623 einem Melanchthonianer, und dem mehrheitlich reformiert gesinnten Ministerium. Mening verfasste, als er 1571 Pastor an der Kirche Unser Lieben Frauen und Superintendent wurde, zur Beilegung des konfessionellen Streits eine Bekenntnisschrift1624 über den wesentlichen Streitgegenstand, die Abendmahlsauffassung, um dabei zwischen der orthodoxen und der reformierten Position innerhalb der bremischen Kirchen zu vermitteln und die theologischen Streitigkeiten innerhalb der Stadt zu beenden. Er forderte alle Prediger auf, einem Lehrkonsens zuzustimmen, doch der Lutheraner Glanäus lehnte die Unterschrift ab, weil die Bekenntnisschrift nur die kryptokalvinistische Lehre vertrat. Damit begann ein heftiger Streit zwischen Glanäus und Mening bzw. dem Ministerium, der sowohl durch Schriftenwechsel als auch auf den Kanzeln geführt wurde. Dazu verschärfte die Ablehnung des lutherischen Konkordienwerks den Dissens zwischen Glanäus und Marcus Mening. Glanäus warf dem Rat, Mening und den reformiert gesinnten Pre1620  Ebd.

1621  Vgl. W. v. Bippen, Geschichte der Stadt Bremen Bd. 2 (wie Anm. 1217), S.  196 ff. 1622  Zu ihm vgl. F. Ritter /  W. de Boer, Briefe des Rektors Johannes Molanus an den Domherrn Herbert v. Langen, in: Bremisches Jahrbuch 36 (1936), S. 209–258. Hier S. 253. Dort Anm. 16. 1623  Menings Berufungschreiben vom 7. September 1570. StA B 2-T.1.c.2.b.2.c.3.a. Nr 13a. In diesem Schreiben zeichnete sich bereits die Ausdehnung des ius episco­ pale des Bremer Rates in die interna ecclesiae ab. Vgl. O. Wenig, Rationalismus und Erweckungsbewegung in Bremen (wie Anm. 1539), S. 19. 1624  Des Ministerii zu Bremen einfeltiger und einhelliger verstant und verliechung in den furnembsten stucken der christlichen lehre […] 1572. [UB Bremen, Brem.b. Nr 702]; Druck bei O. Rudolff, Des Ministeriums zu Bremen vergleich in den vornehmsten Stücken christlicher Lehre, in: Hospitium Ecclesiae 19 (1993), S. 75–100; StA B 2-T.1.c.2.b.2.c.3.c.1. Nr 1.



2. Bremen463

digern vor, vom Augsburger Bekenntnis abgefallen zu sein und damit den Verdener Vertrag von 1568 verletzt zu haben.1625 Daraufhin forderten Marcus Mening und das Ministerium den Rat auf, als Richter in dieser Religionssache die Streitigkeit schnellstmöglich zu entscheiden und Glanäus aus der Stadt zu weisen. Der Rat gab dem Drängen von Mening und dem Ministeriums jedoch nicht nach, sondern distanzierte sich von deren Forderung. Denn Daniel von Büren und der Rat hatten zwischen zwei außenpolitischen Gefahren abzuwägen: Weil die Mehrheit der reformierten Geistlichen in der Stadt auf die letztliche Durchsetzung der reformierten Theologie und Kirchenverfassung sann und tendenziell dafür war, die Verbindlichkeit der Confessio Augustana vollständig aufzuheben, entstand die Gefahr, dass durch ein Abrücken Bremens von der Confessio Augustana seine Stellung im Reich in Frage gestellt werden würde. Mit der Durchsetzung der orthodoxen Strömung in Bremen hingegen wäre das ius reformandi nicht nur de iure, sondern auch de facto an den Erzbischof zurückgegangen, und die Reichsunmittelbarkeit auf dem Wege über die Religionsangelegenheit wieder verspielt worden. Der Rat musste sich somit nach innen gegenüber konkurrierenden Interessen in den Bremer Gemeinden und nach außen gegenüber dem Erzbischof und Reich behaupten. Sein Bestreben konnte es deshalb nur noch sein, einen Ausgleich weiter voranzutreiben und die Balance der Kräfte zu erhalten.1626 Darum wünschte sich der Rat freundliche Unterredung und einen Vergleich zwischen Mening und Glanäus in Gegenwart einiger Ratsherren. Glanäus lehnte jedoch diesen Vorschlag des Rats ab und forderte den Rat in seiner Supplikationsschrift vom 23. November 15761627 auf, einen unparteiischen Richter wie z. B. den Erzbischof, der nach dem Verdener Vertrag darauf als der von allen Ständen des Reichs anerkannte Ordinarius Anspruch hatte, bei der Disputation aufzustellen. Daraufhin verzichtete der Rat aus außenpolitischen Gründen auf weitere Maßnahmen gegen Glanäus, eben weil das einen Eingriff in die Episcopalrechte des Erzbischofs bedeutet hätte. Die Untätigkeit des Rates veranlasste wiederum Mening und das geistliche Ministerium, eine Disputation zu veranstalten, um die Streitangelegenheit zu regeln. Zur Rechtfertigung seines Vorgehens beriefen sich Mening und das geistliche Ministerium in einer Supplikationsschrift1628 gegen Jodocus Glanäus 1625  StA B 2-T.1.c.2.b.2.c.3.c.1. Nr 2, 3, 8; Vgl. A.Walte, Superintendent Marc. Mening (wie Anm. 1616), S. 339–428. 1626  StA B 2-T.1.c.2.b.2.c.3.c.1. Nr 2, 3, 8. 1627  StA B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.3.c.1. Nr 7. 1628  StA B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.3.c.1. Nr 8.

464

V. Die Fallstudien

vom 21. Dezember 1576 auf die Dreiständelehre, allerdings im Unterschied zur orthodox-lutherischen Dogmatik, die die weltliche Obrigkeit nur als ein vornehmes Glied der Kirche bezeichnete: „So halte ich auch dafur vnnd gleube, das dennoch alhie zu Bremen eine Christ­ liche Kirche vnnd Gemeine, vnd das Senatus auch zugleich mit potissima pars Ecclesiae DEJ sey, vnnd das dennoch Niemand vielweniger E. Erb. Ve. als einer Christlichenn vnnd ordenlichenn Obrigkeit, welche vonn Gotte almechtigen zu huteren, so will der ersten als der andern Taffeln Moisis gesetzt, das bescheidenliche vrtheilen zu dieser Sache mit nichte benommen noch zunemmen, sondern das E. Erb. Ve. viellmehr schuldich seien, so woll vber der reinen Lehre Gottliches worttes, vermuge der ersten Taffeln Moisis als vber zucht, Erbarkeit, vnnd allem was die andere Taffel vermag, zuhaltenn, vnnd dagegen falsche Lehre, welche der sehlengifft ist, dieselbenn tottedt, vnnd jn abgrunndt der hellen verfuhret, eben so woll als auchswendigen Mordt vnnd Totschläge, Ehrbruch, Diebstale vnnd andern dergleichen Sunden vnnd lastern, mit ernste zu wehren.“1629

Damit ist gemeint, der Rat habe die Jurisdiktionsgewalt in den interna ecclesiae, da er das vornehmste Glied der Kirche Gottes sei. Der Rat stehe sogar über der Kirche, nicht in der Kirche. Mening und das Ministerium räumten unter Berufung auf die Dreiständelehre dem Rat das in die interna ecclesiae eingreifende ius episcopale faktisch ein. Mit dieser monarchischen Ausdeutung der Dreiständelehre lieferten sie dem Rat jene Rechtfertigung für ein landesherrliches Kirchenregiment bzw. eine Magistratskirche, die sich bei der lutherischen Geistlichkeit während der „Hardenbergschen Unruhen“ nicht finden ließ. Dieses Argumentationsmuster kommt in einer anderen Supplikationsschrift1630, in der die Stellung des Rats innerhalb der Kirche noch deutlicher formuliert wird, zum Ausdruck: „Und weil eine Obrigkeit potissima et principalissima pars Ecclesiae zugleich ist, so will E. E. g. aus dem Befelig gottes obliegen, diese sachen christlichen zu decidiren, die warheit und den fried in irer gemeine, ohne weitleuffigkeit und vorletzung der gewissen zu befurdern. Sie seind godt lob des hohen verstandes, das sie diesen handel mit scherffern sinnen urtheilen konnen, dan viell Theologen, die mit den praejudiciis eingenommen seind. E. E. g. hat hiezu andere Obrigkeiten zu einem Exempell. Es wird auch Jodocus desfals von E. E. g. zu seynen anhang, der die falsche Lehre mit gewalt neben ihm treibet, nit billigheit nit appeliren konnen.“1631

Nach der hierin vertretenen Aufassung müsse und dürfe der Rat sich die Jurisdiktionsgewalt in der Kirche Christi anmaßen und sich auch zum Kö1629  Ebd.

(Nr. 8.). Ministerii zu Bremen kurze Widerlegung Jodoci Glanaei nichtiger Supplication an den Rath zu Bremen, in: Ph.Cassel, Historische Nachrichten und Urkunden zur Geschichte der St. Ansgarii-Kirche [UB Bremen, C.S. XLIII. 1.] Bl. 81–86. Im Folgenden Des Ministerii zu Bremen. 1631  Des Ministerii zu Bremen (wie Anm. 1630), Bl. 86. 1630  Des



2. Bremen465

nig, Haupt und Herrn der Kirche erheben, da „der Rat das vornehmste, das würdigste Glied der Kirche“ sei. Der Bremer Rat sei damit verpflichtet, in die Religionssache einzugreifen, da er nicht lediglich ein gleichberechtigtes oder gleichrangiges Glied der Kirche, sondern das Glied der Kirche überhaupt sei und über der Kirche stehe. Von außerordentlicher Bedeutung ist, dass nicht nur die reformierte Geistlichkeit allein von dieser monarchischen Dreiständeauffassung Gebrauch machte, sondern auch die Bürgerschaft. Als die Pest in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Bremen erneut ausbrach,1632 entzündete sich eine heftige Debatte unter den Sozialgruppen darüber, ob die Gesundheitspflege in solcher Pestzeit der weltlichen Obrigkeit als deren Aufgabe und Pflicht obliege. Während einige Geistliche und Bürger die Ansicht vertraten, dass Regenten und Obrigkeit bei der Abwehr der Pest nicht tätig werden sollten, betonte hingegen Johann von Ewich, ein Stadtarzt, dass die Gesundheitspflege doch eine öffentliche Aufgabe und Pflicht der weltlichen Obrigkeit sei, weil es in ihrer Verantwortung liege, die Untertanen vor solchen gefährlichen Krankheiten zu schützen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Zur Rechtfertigung seiner Position berief er sich in seiner 1582 unter dem Titel „De officio fidelis et prudentis magistratus“1633 erschienenen und im darauffolgenden Jahr übersetzten Schrift1634 bezeichnenderweise auf die monarchische Dreiständeauffassung: „So vergleicht auch der Apostel Paulus an einem andern ort die Gemeine mit dem Menschlichen Cörper /  denn gleich wie alle Glieder wol jhre eigene krafft vnd wirchung haben /  vnd doch gleich wol dieselben alle von dem einigen Heupt regiert werden /  vnd aus desselben krafft /  was jnen dienstlich ist /  begern vnd annemen /  was jnen aber schedlich ist /  vermeiden: Also auch die Obrigkeit /  welche in diesem eusserlichen Leben das Heupt des gemeinen Volcks ist /  so jren Vnderthanen was jnen heilsam /  fürtragen /  was aber schedlich /  weg thun /  damit von jnen /  1632  Vgl. K. Schwarz, Die Pest in Bremen. Epidemien und freier Handel in einer deutschen Hafenstadt 1350–1713 (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen 60), S. 116 ff. 1633  „Praeterea alibi idem Apostolus comparat Ecclesiam cum humano corpore: sicut enim membra suam singula habent facultatem et functionem, vna tamen vi cerebri cunta reguntur, vtilia appetunt atque amplectuntur, noxia declinant: ita quoque Magistratus, qui in externa hac societate caput vulgi sunt, reliquis ciuibus salutaria proponere, dánosa verò arcere debét, vt verè pastorum et nutritiorum munus implere dici possint.“ De officio fidis et prudentis magistratus tempore pestilentiae Rempub. Á contagio praeseruandi liberandique Libri duo. 1582 [SBB Ju 6020], S. 25–26. Im Folgenden De officio. 1634  Pestilentzordnunge: Nützer vnd notwendiger vnderricht /  von dem Ampt der Obrigkeit /  in Pestilentzzeiten /  wie durch Jhren fleis die Pestilentz verhütet /  vnd da dieselbe eingerissen /  gedempfft werde könne. 1583 [SBB Ju 2699]. Im Folgenden Pestilentzordnunge.

466

V. Die Fallstudien

das sie dem Ampte der getrewen Pfleger vnd Hirten fleissig nachkommen /  warhafftig müge gesagt werden.“1635

Die weltliche Obrigkeit bzw. die Personen in amtlichen Stellungen seien als custos utriusque tabulae von Gott berufen1636 und dazu verpflichtet worden, nicht nur in Friedenszeiten, sondern auch in einer solchen Seuchenzeit für das öffentliche Wohl zu sorgen, da sie nicht ein vornehmes Glied der Kirche Christi, sondern das vornehmste Glied der Kirche und Haupt und Herr der Kirche überhaupt sei. So beginnt sich abzuzeichnen, warum der Bremer Rat trotz der reformierten Konfessionalisierung so selbstherrlich wie sonst nur ein lutherischer fürstlicher Summus Episcopus jener Zeit seine Kirchenhoheit immer mehr auch auf die interna ecclesiae ausdehnen konnte, in Folge dessen Bremen seinen besonderen sozialen und politischen Wandel – anders als in üblichen reformierten Gemeinden wie Emden oder Genf – erfuhr, nämlich hin zu einem Reformiertentum mit Bezügen zur lutherischen Magistratskirche.1637 Es war die Dreiständelehre, die eine zentrale Rolle spielte für diesen bemerkenswerten Übergang Bremens, der in der Forschung bis jetzt weitgehend verkannt worden ist. Wesentlich dafür ist die Umdeutung und Instrumentalisierung der Dreiständelehre durch den Bremer Rat, dessen Kern Bürgermeister Daniel von Büren und die früheren drei oppositionellen Ratsherren bildeten.1638 Wie oben erwähnt wurde, wiesen jene bei der Hardenbergschen Auseinandersetzung unter Berufung auf die Dreiständelehre den Herrschaftsanspruch des alten Rates in kirchlichen Angelegenheiten strikt zurück und verlangten von der Obrigkeit die Mitwirkung bzw. Mitbestimmung der drei Stände, nun aber nahmen sie abermals unter Berufung auf die Dreiständelehre in An(wie Anm. 1634), Bl. V iiv–V iii. melanchthonische Bezeichnung kommt in seiner anderen Schrift noch deutlicher zum Ausdruck. „Ach du Christliche Oberkeit /  las dich doch weisen /  vnd verstehe einmal /  das dein Ampt nit sey allein zeitliche rhüw zu verschaffen /  sondern auch vnd fürnemlich das Reich Gottes /  das ist die Kirche Christ zu schützen /  vnnd die mit gutèr Göttlicher ordnung vnd frommen Lehrern versorgen vnd weyden.“ Berichtbüchlein /  Von erkendtnis des willen vnd der genaden Gottes. Jtem von den zeichen vnd früchten der waren erkendtnis /  sampt viel anderer guter Lehre /  zum theil aus französischer sprach auff Deutsch gestelt /  zum theil new darzu gethan /  vnnd alles fleissig gebessert vnd gemehret. 1583 [SBB Cx 150a]. Bl. A iiij–A iiijv. Im Folgenden Berichtbüchlein. 1637  Vgl. H. Düselder, Die Geschichte der Gemeinde Unser Lieben Frauen von der Reformation bis zur Franzosenzeit, in: D. v. Reeken (Hg.), Unser Lieben Frauen (wie Anm. 1381), S. 35–42.; O. Veeck, Geschichte der Reformierten Kirche Bremens (wie Anm. 1207), S. 63 ff. 1638  Ratsherr Johann Brandt gab sein Amt am 28. Januar 1580 auf. Vgl. J. Renner, Cronica der Stadt Bremen (wie Anm. 1526), S. 383. 1635  Pestlientzordnunge 1636  Diese



2. Bremen467

spruch, das ius episcopale in die interna ecclesiae auszudehnen und dort tätig zu sein. Zwar sprachen sie selbst nicht von der Obrigkeit als dem vornehmsten Glied der Kirche; es geht jedoch aus dem Rechtfertigungsmuster Menings und des geistlichen Ministeriums deutlich hervor, dass sie sich bereits als das vornehmste Glied der Kirche wahrnahmen. Mit dieser monarchischen Dreiständeauffassung distanzierten sie sich einerseits von der Forderung der reformierten Geistlichkeit, andererseits griffen sie in die kirchlichen Angelegenheiten machtbewusst ein. Acht Jahre später supendierten sie Glanäus vom Amt und zwei weitere Jahre darauf verwiesen sie ihn schließlich der Stadt.1639 Beide politischen Amtshandlungen konnten sie durchsetzen, eben weil sie inzwischen das vornehmste, wichtigste Glied der Kirche geworden waren. Sie führten auch ohne Konsens mit der Bürgerschaft und dem gesamten Rat, sondern lediglich mit einfacher Ratsmehrheit die reformierte Lehre und die entsprechenden Zeremonien ein und hoben die alte lutherische Kirchenordnung von 1534 auf.1640 Deutlich wird allemal, dass Daniel von Büren und die drei oppositionellen Ratsherren je nach politischer Interessenlage die Dreiständelehre umdeuteten und instrumentalisierten. Als Oppositionspartei verwandten sie die aristokratische Dreiständelehre, um ihren politischen Einfluss auf das Stadtregiment zu verteidigen. Sie protestierten auf das Heftigste gegen die absolutistischen Amtshandlungen der lutherischen Ratsmehrheit und zogen sogar vor das Reichskammergericht, als diese ohne Bewilligung der Bürgerschaft und des gesamten Rates das Mandat vom 3. Januar 1562 veröffentlicht hatte. Sie baten auch um juristische Unterstützung durch Verfassungsrechtler, um diesen verfassungsrechtlichen Streit zu gewinnen. Nachdem sie jedoch als Regierungspartei an die Macht gekommen waren, deuteten sie diese aristokratische zur monarchischen Dreiständeauffassung um und taten damit genau das, wogegen sie früher protestiert und geklagt hatten. Die Abschaffung der lutherischen Kirchenordnung von 1534 und die Einführung der reformierten Lehre und deren Zeremonien setzten sie sogar allein mit der reformierten Mehrheit von 10 bis 12 Mitgliedern des Rates durch. Ein Antwortschreiben von Glanäus vom 10. November 1580 an den Rat, das er ebenso an die Räte des Erzbischofs Heinrich schickte, hebt diese Tatsache deutlich hervor: 1639  StA B 2-T.1.c.2.b.2.c.3.c.1.; Über Suspension des Glanäus StA B 2T.1.c.2.b.2.c.3.c.1. Nr. 10; Vgl. O. Veeck, Geschichte der reformierten Kirche Bremens (wie Anm. 1207), S. 36 ff. 1640  StA B 2-T.1.c.2.b.2.c.3.c.1.; Vgl. O. Veeck, Geschichte der reformierten Kirche Bremens (wie Anm. 1207), S. 37.

468

V. Die Fallstudien

„datt de anno 34 upgerichtede kercken ordening, so dattmahl mitt raht der vornemesten theologen reiner lehre in Dudschlandt geschlaten, vann dem rahde und gantzer borgerschup bewylliget und angenamen were, derwegen so wolde nuhmer dem rahde, vele weiniger 10, 12 mehr oder weiniger persoenen des rahdes allei­ ne, alß sonderlich erluteden personen in dußen lesten thyden gebören, solche kercken ordening öhres gefallens aufftho schaffen, edder dar inne etwas tho en­ deren, vele weiniger dargegen frembde lehre undt ceremonien in thofohren, sondern moste solchs mitt einhelligem rahde, undt bewilligung des rahdes, und der gantzen borgerschup geschehen.“1641

Zwar verwendet Glanäus hier zur Rechtfertigung seiner Position den Ausdruck der „konsensgestützten“ Herrschaft in Verbindung mit der Dreiständelehre nicht direkt, aber das zum Ausdruck kommende Selbstverständnis deutet an, dass die Dreiständelehre die Grundlage seiner Argumentation bildet. In der Weiterführung seiner Position zählt er Beispiele auf Reichsund Landesebene auf, etwa dass die Reichstände bei Entscheidungen des Kaisers in religiösen Angelegenheiten ihr ständisch-korporatives Teilhaberecht beim Reichsregiment nutzen würden oder dass der Erzbischof nur unter Mitwirkung sämtlicher Stiftstände entscheidet: „inn maten im Hylligen Romischen Ryke de lofflicken keysers sulvest beht anhero dußen gebruck geholden, so vaken in religions saken etwas gehandelt, geendertt, edder geschlaten hefft mohten werden, hedden öhre keiserliche majestet alle wege dattsulvige mitt belevinge, raht undt bewylligung alle der stende des Hylligen Ro­ mischen Rykes affschede im boekstave betuiget. Ock weilandt de vorige ertzbischup in dußem styfft densulven gebruck ock geholden, datt se ahne der samptlicken styffts stende, raht und bewylligung in religions saken jegen des Hylligen Romischen Rykes affschede, nicht alleine hedde vorgenamen, oder geendertt.“1642

Die Instrumentalisierung der Dreiständelehre des Bremer Rates ist ebenfalls an dessen Umgang mit dem lutherischen Erzbischof Heinrich festzustellen. Die endgültige Entlassung des bereits 1580 suspendierten Glanäus im Jahre 1582 nahm Erzbischof Heinrich zum Anlass, am 19. Februar 1582 erneut eine Gesandtschaft aus Räten, Vertretern des Domkapitels, der Ritterschaft und der Städte des Erzstiftes nach Bremen zu senden. Die Gesandtschaft führte vor der versammelten Wittheit Beschwerde, dass der Rat die calvinistische Lehre annehme, und forderte den Rat auf, Glanäus wieder einzusetzen und den Erzbischof nach den Bestimmungen des Verdener Vertrags als Richter über die Religionssache anzuerkennen.1643 Nach einem Tag Bedenkzeit, der zu Beratungen mit der Bürgerschaft genutzt wurde, beschied der Rat der Gesandtschaft, dass es in Bremen keinen Religionsstreit gebe 1641  J.

Renner, Chronica der Stadt Bremen (wie Anm. 1526), S. 391.

1642  Ebd.

1643  StA B 2-T.1.c.2.b.2.c.3.c.1.; J. Renner, Cronica der Stadt Bremen (wie Anm. 1526), S. 405.



2. Bremen469

und folglich auch kein Richter nötig sei. Zudem würden die Prediger solange bei ihrer Lehre bleiben, bis man sie durch die Bibel einer Irrlehre überführe; eine Wiedereinstellung von Glanäus käme nicht in Frage.1644 Der Rat rechtfertigte sich wie folgt: „[…] dann ein erbar raht heddenn öhre kercken mitt predigernn tho bestellen, und nicht de bischup, se wolden öhren gnedigen heren gerne mitt live undt gude in politischen saken gehorsamen, averst in religions saken, mosten se Gade gehor­ samen etc.“1645

Bekräftigt wird also, dass das Pfarrbestellungsrecht in der Stadt beim Rat allein liege, nicht beim Erzbischof. Der Rat sei bereit, dem Erzbischof in politischen Dingen zu gehorchen, in religiösen aber sei er Gott allein Gehorsam schuldig. Der Bremer Rat hebt somit die strikte Trennung von geistlichem und weltlichem Amt hervor, wie sie aus der aristokratischen Dreiständelehre hervorgeht1646 und mit der lutherischen Widerstandstheorie verbunden in Erscheinung tritt. Unter Berufung auf die (aristokratische) Dreiständelehre lehnt er eine Ausdehnung des ius episcopale des Erzbischofs auf die Stadt Bremen ab. Damit wird auch in diesem Fall deutlich, wie die Dreiständelehre politisch instrumentalisiert wurde. Während der Rat bei der Berufung und Entlassung von Predigern innerhalb der Stadt Bremen unter Berufung auf die (monarchische) Dreiständelehre das ius episcopale in die interna ecclesiae ausdehnte, lehnte er eine solche Ausdehnung auf die Bereiche der Stadt durch den Erzbischof unter Berufung auf die (aristokratische) Dreiständelehre ab. Eine Umdeutung und Instrumentalisierung der Dreiständelehre ist auch bei Mening und dem geistlichen Ministerium nachzuweisen. 1582 forderten Mening und das geistliche Ministerium den Rat auf, Heiligenbilder sowohl aus kirchlichen Räumen als auch aus Privathäusern zu entfernen. Dabei bedienten sie sich der Dreiständelehre im Sinne von Melanchthons Obrigkeitsauffassung: „Das aber Christliche Obrigkeit nicht allein macht habe /  sondern auch ihres Ampts halben schuldig sey /  zu rettung vnd erhaltung des rechtschaffenen Gottesdiensts /  vnd zu müglicher abwendung aller schmach Christlicher Religion vnd Namens /  die abgöttlichen bilder /  als die der fürnembsten grewel des Bapstumbs einer gewesen vnd noch sindt /  gebürlichen abzuschaffen /  […]  /  nicht allein forthin vnuorehret bleiben /  sondern auch durch die Obrigkeit /  welche ist custos utrius­ quae tabulae hinweg gereumet vnd vortilget werden soll.“1647 1644  StA B 2-T.1.c.2.b.2.c.3.c.1.; J. Renner, Cronica der Stadt Bremen (wie Anm. 1526), S. 406. 1645  J. Renner, Cronica der Stadt Bremen (wie Anm. 1526), S. 406. 1646  Vgl. L. Schorn-Schütte, Die Drei-Stände-Lehre im reformatorischen Umbruch (wie Anm. 6), S. 452 ff. 1647  Notwendige vnd warhaffte entschuldigung des Ministerij zu Bremen. 1583 Bremen. [UB Bremen, Brem. b. 704 Nr 1]. Bl. C ii–C ii r. Im Folgenden warhaffte

470

V. Die Fallstudien

Wiederum begegnet man hier der melanchthonischen Bestimmung, dass der Rat bzw. die weltliche Obrigkeit das vornehmste Glied der Kirche sei. Jedoch unterstützte der Rat die Beseitigung der Bilder nur für die Kirchen. Auch wiederholten Forderungen von Mening und dem geistlichen Ministerium begegnete er aus innenpolitischen Gründen ablehnend: Ein weiteres fanatisches Vorgehen vonseiten der Geistlichkeit außerhalb der Kirche würde den innerstädtischen Frieden gefährden. Mening und das geistliche Ministerium beharrten auf ihrer Position und begründeten diese wiederum in Rekurs auf die Dreiständelehre: „Solche geht die gar nichts an welche entweder zum Predigambt /  oder zur Weltlichen Obrigkeit von Gott gesetzt sind /  Denn gleich wie die Kirchendiener wieder solchen aberglaubischen Gottesdienst sollen predigen /  Also soll auch die Weltliche Obrigkeit aus jhrem befohlnen ampt die bilder hinweg nehmen /  da es von nöten ist. Denn soviel die eusserliche zucht vnd politzey anlangt /  sol die Obrigkeit beyde taffeln des gesetzes Gottes schutzen vnd handhaben.“1648

Hierin argumentieren sie also, dass der Rat als custos utriusque tabulae sein Amt nur in Bezug auf die externa ecclesiae wahrnehmen dürfe. Sie betonen damit in diesem Konflikt eine selbstbewusste gleichberechtigte Stellung der drei Stände, d. h. sie nutzen naheliegender Weise die aristokratische Dreiständeauffassung als Rechtfertigungsmuster, weil sie den Rat in jener aktuellen Frage nicht auf ihrer Seite wussten. Zugleich geben sie die Weigerung des Rates als übermächtigen Eingriff in die interna ecclesiae aus. Die Verwendung der aristokratischen Dreiständelehre findet sich auch in ihrer Klageschrift1649 von 1579 an den Rat wieder, in der sie gegen die Waller Bauern vorgehen, die den Besuch des Gottesdienstes ihres Pastors Johann Slunckrave1650 boykottiert hatten: „Großgunstige Hern, weil wir nicht onhe große Schmertzen und Betrübnus erfharen, das die Lansleute zu Walle E. E. W. große Sanftmut und Lindigkeit in Nichtstrafung sehr missbrauchen, alßo das sie selbmutig, zu Trotz ihrer von Gott geor­ denter Obrigkeit und dem Ministerio zu Vordries […] Alßdan wan solchs geschehen, soll und will Her Johan Schlungrabe auf der Paueren Claglibel (davon er Copiam bogheret) richtig Andtwort geben, und, da er alßdan strafbruich befunden, kan E. E. W. als verordente Obrigkeit mit Einhelling des Ministerii mit im nach Gebur verfahren.“1651 entschuldigung. Eine andere Abschrift findet sich unter der Signatur StA B 2T.1.c.2.b.2.c.3.a. Nr  4 f. 1648  Warhaffte enschuldigung (wie Anm. 1647), Bl. D ii. 1649  StA B 2-Q.2.B.2.a.1.[1 e] 1650  Zu ihm vgl. O. Müller-Benedict, De Kercke Sunte Michaelis tho Walle, in: Bremisches Jahrbuch 60 / 61 (1999), S. 117–148. Hier S. 143–146. 1651  StA B 2-Q.2.B.2.a.1.[1 e].



2. Bremen471

Die Hauptaussage besteht in der Ermahnung des Rats, dieser möge sein obrigkeitliches Wächteramt als custos utriusque tabulae gegen die Bauern nur unter Zustimmung des geistlichen Ministeriums ausüben. Ebenfalls kommt die Verwendung der aristokratischen Dreiständelehre in einer Streitschrift gegen Johan Naso zum Ausdruck: „ /  vnd vnser ministerium mit vnerfindtlichen calumnien /  in vnd ausser der Stadt /  auff mancherley weis zu beschweren /  Bis er endtlich kurz verzuckter zeit /  zwey buchlein zu Lemgow /  ohne vorwissen auch desselben orths ministerij vnd Ober­ keit ( die daran ein höchlichs misfallen getragen) durch den druck hinderlistiger weiss ausgelassen.“1652

c) Der Konflikt zwischen Rat und geistlichem Ministerium (1595–1601) Zum Ausgang des 16. Jahrhunderts kam es in Bremen erneut zu Konflikten zwischen Rat und dem geistlichen Ministerium1653 um die Durchsetzung der reformierten Lehre. Christoph Pezel (1539–1604),1654 einer der bedeutendsten deutsch-reformierten Theologen, geboren in Plauen, studierte in Jena und Wittenberg unter Melanchthons Lehrkanzel Theologie und verfasste im Jahr 1595 in Übereinstimmung mit dem geistlichen Ministerium den sog. „Consensus Bremensis Ecclesiae“,1655 eine reformierte Kirchenverfassung nach Genfer und Emdener Vorbild. Diese Kirchenordnung sah eine autonome Kirchenleitung vor und sollte der reformierten Kirche in Bremen als Abschluss und Krönung seiner Reformationsarbeit ein neues Bekenntnis geben, nachdem sein Reformwerk mit Hilfe des Rates, insbesondere Daniel von Bürens, durchgesetzt worden war und im Streit mit Jodocus Glanäus und den auswärtigen Lutheranern, z. B. Nicolaus Selneccer, sowie der innerbremischen spätzwinglianischen Oppositionspartei (Joseph Naso) die Ordnung und der dogmatische Konsens gefestigt worden war. Am 2. Mai 1595 wurde der „Consensus“ von allen Predigern eigenhändig unterzeichnet. Er sollte als neue Kirchenordnung – die dritte nach 1534 und 1572 – jene früheren ersetzen, die in Bremen geltende Lehre und Gottes1652  An Bürgermeister vnd Rath /  sampt der gantzen gemeinde vnd Bürgerschaft der loblichen Stadt Bremen. [UB Bremen, Brem.b.704]. Bl. A ii r. 1653  Zur rechtlichen Stellung des geistlichen Ministeriums in Bremen und zu dessen Verhältnis zum Rat zur Zeit Pezels vgl. E. Weygoldt, Die rechtliche Stellung des Ministeriums des stadtbremischen Pfarrkirchen (wie Anm. 1370), S. 15–56. 1654  Über ihn vgl. J. Moltmann, Christoph Pezel (wie Anm 1203); J. F. Iken, Die Wirksamkeit des Christoph Pezelius (wie Anm. 1203), S. 1–54. 1655  Zum Consensus vgl. J. F. Iken, Der Consensus Ministerii Bremensis Ecclesiae von 1595, in: Bremisches Jahrbuch 10 (1878), S. 84–103; Abdruck bei E. F. K. Müller, Die Bekenntnisschriften der reformierten Kirche, Leipzig 1903.

472

V. Die Fallstudien

dienstordnung zusammenfassen und vor allem der Kirche Selbständigkeit und Freiheit geben. Als Pezel und das Ministerium dem Rat eine entsprechende Bekenntnisschrift zur Bestätigung vorlegten, distanzierte sich dieser jedoch von der Forderung Pezels und und schwieg bis 1601 zum „Consensus“, weil das von Pezel hier so energisch vorgetragene Desiderat einer eigenständigen Kirchenleitung wie in Emden und Genf in diametralem Gegensatz zur Kirchenpolitik des Bremer Rats stand. Im Februar 1601 wandten sich Pezel und das Ministerium schließlich mit einer ausführlichen Beschwerde1656 an den Rat und kritisierten dessen ratsherrliche Kirchenpolitik, der es nur um die Stärkung der obrigkeitlichen Stellung ginge. In dieser Beschwerde verlangten Pezel und die Prediger vom Rat vor allem, er solle die Privatkommunion der Lutheraner verbieten. Weiterhin solle der Rat die Geistlichkeit in ihrer Strafamtübung unterstützen, da er von Gott als custos utriusque tabulae berufen sei.1657 Keineswegs werde die Geistlichkeit weiter schweigen.1658 Der Rat habe vor allem ihr Ansehen und ihre Rechte gemindert. Auch ganz und gar geistliche Angelegenheiten habe die Obrigkeit an sich gezogen und unterscheide nicht mehr zwischen politischem und geistlichem Regiment.1659 Von den Predigerwahlen seien die Geistlichen entgegen den Bestimmungen der Kirchenordnung von 1534 ausgeschlossen; der Rat berufe sogar Prediger, ohne das geistliche 1656  Beschwerungen des Ministery zu Bremen. Den hern Visitatoren vorgehalten, vndt vbergebene, zu dem ende, daß die dieselbigen dem Rahde referiren, vndt vor bringen sollen. Anno 1601. StA B 2-T.2.a.1. Nr 4. Im Folgenden Beschwerungen des Ministery; In lateinischer Abschrift „Gravamina ministerii Bremensis“ (wie Anm. 1281). 1657  „Weilen aber die Obrichkeitt eine hueterin beider Taffeln des gesetzes Gottes, so weitt vnd fern denselben die eusserliche Zuchtt vnd disciplin belangett. Vnd dan der Zorn vnd Straffe Gottes, durch solche ergernuss, vnd vertrettung, so da mit der ersten Taffeln streiten, geretzet wurdet vnd worfern dieselben vngestraffet hingehen sollten, zubesorgen, sein muste, das sowoll die Obrichkeitt, als auch die vnderthänen, Gottes zorn vff sych laden mugte. Alß haben wyr gebetten, Bitten auch nochmals jnstendich, das solchen vbell jn zeiten begegnett werde. Sonderlich aber, das der gleichen Miedtlingen die in ein frembd ambt greiffen, vnd falschen Bischoffen, die rechtmeßige Ordnung des Ministery, turbieren vnd vorvnruchigen, solche kuf­ chert nichtt zu guete gehalten werden muchten. Sintemalen bewust ist, das sie widder jhr gewissen, sych in ein frembdt […]“ Beschwerungen des Ministery (wie Anm. 1656), Bl. 8. 1658  „[…] Das vns nichtt gebuhren will jn ordentlichem berueff vnseres Ministery stumme hunde zu sein, 8 …]“ Ebd. Bl. 10. 1659  „Wie geringe aber heufiges tages das Ministerium geachtet vndt gehalten werde […]Es wirdt fast kein vnterscheidt mehr gehalten vnter denen Personen so Gott vndt der Kirchen in Ministerio dienen, vndt andere des Rahtes vndt gemeiner Statt dienern, die burgerliches sache verwalten, vndt der obrigkeit schlechter dinge oder vollkomlich mit dienstbarkeit verstrickt vnd verbunden sein“ Ebd. Bl. 29.



2. Bremen473

Ministerium zu hören. Jeglicher Einfluss auf das Gymnasium sei dem Ministerium genommen; Lehrer und sogar der Rektor, Nathan Chyträus, würden ohne Rücksprache mit den Pastoren in ihr Amt eingesetzt.1660 Als Minderung des Ansehens empfänden die Geistlichen auch, dass ihr Gehalt seit vierzig Jahren gleich geblieben sei und dass sie bei öffentlichen Anlässen nicht mehr wie früher üblich nach Rang und Dienstalter bei den Ratsherren eingeordnet würden.1661 Zur Rechtfertigung ihrer Vorwürfe und ihrer heftigen Obrigkeitskritik beriefen sich Pezel und die Geistlichkeit auf die Dreiständelehre: „So wirdt auch in beruffung, vndt abdanckung der Kirchendiener, die ordnung vndt der rechtmesige Process nicht obsorbiret noch gehalten, der da mit gottes wordes vndt den exempeln der alten kirchen vbereinstimete, Die Weltliche obrigkeit allein, schleuset vnd decretiret, von erfurderung vnd vorenderung der Diener, Vndt ob wir wol erkennen, das die Obrigkeit das edelste glidt der Kirchen ist, deren wir auch hertzlich gern den vorzug deferiren vnd geuen, so verwundert vns jedoch vnd beclagen wir, das ein solches ohne alle vorhergehente communication vndt berathschlagung, zum weinigsten mit etzlichen aus dem Ministerio, geschiehet, sintemaln ein vnterscheidt ist zwuschen denen handlungen so da gantz vnd alle politisch, oder aber gantz vnd alle geistlich, vnd denen sachen, so da vermischet sein, die nicht schlecht vnd aller dinge, zum politischen Regiment gehören, sondern das Kirchenambts.“1662

Sie behaupteten, der Rat sei zwar das edelste Glied der Kirche, jedoch bedeute das noch lange nicht, dass der Rat von dem in die interna ecclesiae eingreifenden ius episcopale Gebrauch machen dürfe. Der Rat dürfe seine politische Maßnahme nur unter Mitwirkung bzw. Mitbestimmung der Geistlichkeit durchführen, eben weil auch die Geistlichkeit ein Glied der Kirche sei. Daraus wird deutlich, dass Pezel und das geistliche Ministerium in Bremen als dritte Verfassungskraft institutionell verankert waren. Deshalb gebrauchten sie ausdrücklich dieselbe Formulierung des Verfassungswissens der Bürgerschaft, nämlich die ständisch-korporative Teilhabe am Stadtregiment, als sie sich wegen der obrigkeitlichen Amtshandlung des Rates bei der Berufung des Schulrektors beklagten: „Vns zwar fiele es beschwerlich der schulen halber vnd was darinne gehandeltt wurtt, vns zubemuhen, sintemalen der Rector, ohne vnser vorwissen vnd mitbelie­ bung oder vulbort anhero gefurdert […]“1663 1660  „Vns zwar fiele es beschwerlich der schulen halber vnd was darinne gehandeltt wurtt, vns zubemuhen, sintemalen der Rector, ohne vnser vorwissen vnd mit­ belliebung oder vulbort anhero gefurdert, vnd gleichsam mitt einer selbmechtigen gewaltt trenieret oder bewaffnett, keine freundschafft mitt vns heltt.“ Ebd. Bl. 17. 1661  Ebd. Bl. 30–32. 1662  Ebd. Bl. 30. 1663  Ebd. Bl. 17.

474

V. Die Fallstudien

Dieses für reformierte Geistliche bemerkenswerte aristokratische Rechtfertigungsmuster Pezels und der übrigen Geistlichkeit kommt in mündlichen Verhandlungen vom 28. März 1601 mit dem Rat wiederholt zum Ausdruck: „Item Magistratum politicum, vtpota custodem externa disciplina, iuxta vtramquae tabulam, nobilissimum Ecclesiae membrum agnoscimus, et primas ei ex animo deferimus.“1664

Damit wird deutlich, dass das sog. geistliche Sonderbewusstsein, das einen sozialen und politischen Sonderstatus für die Geistlichkeit beanspruchte, sich nicht nur auf die führenden Gnesiolutheraner beschränkte, sondern auch ­unter reformierten Geistlichen existierte. Die im Entwurf des reformierten Theologen Hermann Fabronius1665 anerkannte Unterordnung des geistlichen unter den weltlichen Bereich blieb beim reformierten geistlichen Ministerium in Bremen ebenso wie bei der lutherischen Geistlichkeit ein zentraler Konfliktstoff zwischen weltlicher Obrigkeit und Geistlichkeit.1666 Die reformierte Geistlichkeit rechtfertigte ebenso wie die lutherische Orthodoxie ihre geistliche Obrigkeitskritik mit der öffentlichen Wirkung des Strafamtes. Sie beanspruchte unter Berufung auf die aristokratische Dreiständelehre auch die Gleichrangigkeit und den gleichberechtigten Status der drei Stände. Ebenfalls kommt diese bemerkenswerte Berufung auf die aristokratische Dreiständelehre in Pezels Beantwortung einer schottischen Anfrage von 1597 über Rechte und Pflichten der weltlichen Obrigkeit zum Ausdruck. Auf die erste Frage, „Hat eine christliche Obrigkeit, sofern sie christlich ist, mehr Jurisdiktionsgewalt als eine heidnische Obrigkeit nach der Art ihres Amtes, und fügt das Christentum zum Wesen des Amtes irgendein Recht hinzu?“, antwortete Pezel wie folgt: „Magistratus omnis, sic recte suo fungatur officio, debet esse custos legis, quo ad externam disciplinam. Sed de hoc officio novit Magistratus Christianus, divinitu sibi hoc mandatum esse, tu sit non modo secundae, sed et primae tabulae Decalog custos, sequitur Deo rationem reddere debere pro administrato officio […] Est autem officium Magistratus Politici res extra Christianismum, qui ad conscientiam coram Deo proprie pertinet, et vitam ac salutem aeternam concernit.“1667

Die weltliche Obrigkeit sei zwar custos utriusque tabulae, habe jedoch Jurisdiktionsgewalt nur in den externa ecclesiae. Damit lehnte Pezel den Herrschaftsanspruch der weltlichen Obrigkeit in den interna ecclesiae ab. Auf die zweite Frage, „Ist das kirchliche Amt der zivilen Herrschaft subaltern, und welche Zivilgewalt besteht in den zu ordnenden oder zu ändernden kirchlichen Dingen?“, antwortete Pezel: 1664  StA

B 2-T.2.a.1. Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 54), S. 412–416. 1666  Ebd. S. 410–416. 1667  Abdruck bei J. Moltmann, Christoph Pezel (wie Anm. 1203), S. 173–174. 1665  L.



2. Bremen475 „Evangelium non tollit, neque abolet Politicas. Sunt igitur potestas Civilis et Ministerium Ecclesiasticum, officia non pugnantia inter se, sed subordinata, neque tamen uni sed diversis personis legitime vocatis competentia. Cumque scriptum sit […] Magistratus vero Christianus, non quatenus Magistratus politicus est, sed quatenus est unum ex Nobilissimis membris Ecclesiae, non contra, sed secundum verbum divinum constituere vel abrogare, quae ad promovendum verum Dei cultum, et tollendos errores, superstitiones, idolatriam, et quae ad Ecclesiam pertinent.“1668

Ausdrücklich benannte Pezel hier die weltliche Obrigkeit als eines von den vornehmsten Gliedern der Kirche. Für Pezel waren alle drei Stände „vornehmste“ Glieder der Kirche. Nach seiner Auffassung war die Obrigkeit weder König noch Haupt und Herr der Kirche, sondern nur ein Glied der Kirche, und zwar gleichberechtigt und gleichrangig neben den anderen Ständen. Sie stehe keineswegs über der Kirche, sondern in der Kirche und habe dort keine Jurisdiktionsgewalt. Sie müsse sich gemäß dem göttlichen Wort ordnen oder ändern, was der Förderung des wahren Gottesdienstes, der Abschaffung von Irrtümern, Aberglauben und Götzendienst und der rechten Ordnung einer gut gelenkten Kirchen diene. Die Rechtfertigung des landesherrlichen Kirchenregiments war im reformierten Kirchenrechtsdenken in Bremen ebenso wie im orthodoxen Luthertum keineswegs verankert, sodass die Bemühungen der weltlichen Obrigkeit um eine Herrschaftszentrierung fortdauernd Konflikte hervorriefen. Aus der erwähnten „Gravamina“ Pezels und des Ministeriums geht dieser Umstand deutlich hervor: „Das vns nichtt gebuhren will jn ordentlichem berueff vnseres Ministery stumme hunde zu sein, vnd weder der Obrichkeitt noch auch vnseres zuhöreren einig nachdencken zu machen, als sollte vnsere lehre, jn heiliger Gottlicher schrifft nichtt fundierett, vnd begrundett sein. Oder das wyr fur das vns von Godtt befholenes ambtt, keine geburliche sorge trugen Gottes ehr mitt liebeten, auch keinen eiffer so du Kirchendienern ansehett, hetten.“1669

Für die reformierte Geistlichkeit von Bedeutung war auch die Idee des öffentlich in die Welt wirkenden sozialen Vorbildcharakters des status ec­ clesiasticus. Die Bedeutung des geistlichen Strafamts beschränkte sich auch im reformierten Bremen nicht auf den geistlichen bzw. kirchlichen Raum. Vielmehr hatte dieses Strafamt bzw. die mit ihm verbundene kirchliche Ordnung ebenso wie im lutherischen Denken Vorbildcharakter für die Ordnung der Weltkinder, was zu einer politischen Wirkkraft von erstaunlichem Ausmaß führte. Aus dem „Gravamina“ geht dieser Anspruch eines sozialen und politischen Sonderstatus eindeutig hervor: 1668  Ebd.

S. 174.

1669  Beschwerungen

des Ministery (wie Anm. 1656), Bl. 10.

476

V. Die Fallstudien

„Wie geringe aber heutiges tages das Ministerium geachtet vndt gehalten werde, dessen seindt mehr dan zuviel anzeige vndt grunde, welche wir bitten die hern Visitatoren mit gedultigen vndt ruhigem gemutte anzusehen, vndt zu betrachten, vndt einen Erb. Raht daraus zuermahnets, vmbs schwert sein, vnd vns nicht so alberen vndt aller dinge vnerfahren, oder auch so vnvernunfftig achten wollen, alse sollten wir gantz, vndt gahr nicht anmercken, vndt behertzigen, worhin der anfang der verachtung des Ministery, so jedermanne erkant, gemeinet, vndt hinaus wolle. Es wirdt fast kein vnterscheidt mehr gehalten vnter denen Personen so Gott vndt der Kirchen in Ministerio dienen, vndt andere des Rahtes vndt gemeiner Statt dienern, die burgerliches sache verwalten, vndt der obrigkeit schlechter dinge oder vollkomlich mit dienstbarkeit verstrickt vnd verbunden sein […] welche, wan sie dem gemeinen Man zu ohren kumen weder den Regenten selbst ehre bringen noch auch den kirchendienern ihres Lehrambts audtoritet lasen, Woraus dan anders nicht erfolgen kann, alse mit aufhörung der prophecei vnd weisegung, auch die Disciplin vnd Zucht unter dem Volk aufhören. Es werden auch offt von den Ce­ mereres vnd von dem Rahte, anders keine, aus Ministerium, also Stattknechte, oder diebleitere, welche doch des aller niedrigesten standes leute sein, geschicket, Jnwie vielen dingen, wirde auch heufiges tages, dem Ministerio entweder gantz, oder jn zum mehrern teill, das jenige endtzogen vndt genommen, dz doch von des Ministery eigendtlichen ambte nicht abgesondert werden sollte, noch konnte.“1670

Deshalb dokumentieren die Protokolle des Ministeriums umfassend die zahlreichen Kompetenzstreitigkeiten in kirchlichen Dingen mit dem Rat,1671 die weiterer Untersuchung bedurften. Der Rat wies in seinem Antwortschreiben vom 24. März 16011672 die Vorwürfe Pezels und des Ministeriums strikt zurück, indem er herausstrich, dass die Irrenden durch Gottes Wort und nicht durch Schelten und harte Angriffe zur Besserung gebracht werden sollten.1673 Damit verbot der Rat die Ausübung des Strafamtes der Geistlichkeit gegenüber weltlichen Belangen. Auch die Berufung der Lehrer und des Rektors bedürfe nach Überzeugung des Rats keiner Zustimmung des Ministeriums.1674 Auch die Berufung 1670  Ebd.

Bl. 29–32. pro und contra inter Ampl. Senatum Brem. Und dem Ehrw. PredigerAmt hieselbst ist anno 1645 gehandelt worden. StA B 2-T.2.t. [5]. 1672  Anno etc. 1601. den 24 Martij ist den samptlichen Herrn des Ministerij alse D. Pezelio, D. Pierio, Leoni Waßman, M. Rudolpho Monnickhusen, Dno [=Domino – Anm. Ch. P.] Capitoni, Johanni Hillebrandt, M. Augusto, L. Tobiae Pezelio et Meinhardo Meinhardes diese des Raths erklerung angezeigt. StA B 2-T.2.a.1. [7] Nr 2. Im Folgenden Raths erklerung. 1673  So heldt es der Rahdes vor das sicherste, vnd beste zu sein, das die noch jrrenden, aus Gotes wortt, nicht zwar mit stettigen schelten, vnd hartem angreiffen, sondern mit glimpflicher bescheidenheit, eines anders vnd bessern vnterrichtet, vnd also mit der zeitt, vnd algemechlich, durch heillsame lehre herbeygebracht werden möchten.“ Raths erklerung (wie Anm. 1672), Bl. 5. 1674  „Daß also der Rahdt bey sich nicht ermessen kan, woher doch das Ministerium vrsach genommen, sich der diuulsion, oder disiunction scholae ab ecclesia, zu 1671  Was



2. Bremen477

der Prediger bestimmte der Rat zu seiner Aufgabe1675 und nahm damit das alleinige ius vocandi für sich in Anspruch. Auch die weiter gehenden Forderungen des Ministeriums nach Gleichstellung der Prediger mit der welt­ lichen Obrigkeit und Gleichberechtigung der drei Stände lehnte der Rat rundweg ab. Der Bremer Rat bewirkte also durch seine Politik ein landesherrliches Kirchenregiment bzw. eine Magistratskirche, worauf schon Veeck hingewiesen hat.1676 In Abkehr vom gemeindlich-genossenschaftlichen Gründungskonsens entwickelte er sich mehr und mehr von einer die obrigkeitlichen Rechte bloß wahrnehmenden Instanz zu einer obrigkeitlichen Instanz. Und obwohl sich seine Auffassung von Ratsherrschaft offensichtlich geändert hatte, berief sich der Rat bezeichnenderweise immer noch auf die Dreiständelehre: „So sehe der Rath nicht, das sie sich einigen contempts halber fuglich zu beschweren, oder diessfals mehr zu begeren, Es wehre dan sach, das man etwa in die gedancken gerathen, vnd sich einbilden wollte, dieweill in hac vita, et societa­ te humana furnemblich diese drey Stende erzelet werden, alse der Geistliche, der Weltliche vnd haußstandt, vnd das Ministerium zu, vnd in den Geistlichen Standt gehörete, daß derwegen auch die herrn des Ministerij indifferenter et absoluté dem Weltlichen Stande, vnd also auch dero zum Weltlichen Regiment verordneter Obrigkeit mit, etiam in ciuilibus et politicis congressibus, furzuziehen sein solten. Vff welchem fall dan auch ein jeder Torffprediger, welcher eben so woll in den geistlichen Stande gehöret, sich dergleichen furzugs wurde anzumaßen haben. Dieweill aber eben aus demselben fundament eermals, wie auch noch die Römische Päbst vber die Römische Kayser vnd Könige vnd alle andere Weltliche Potentaten sich erhoben vnd deren Exempell zuuolgen, apud Ecclesias reformatas beschweren, oder eine mehrere coniunction cum schola zu begeren es wehre dan sach, das sie eine solche coniuncionem scholae cum ecclesia gern haben wolten, dadurch sie zu gleich das gebiete vber die Schull, vnd bestellung der Schuldiener, wo nicht gantz, doch zum theill mit an sich ziehen möchten. Dieweill aber solchs also von alters nicht hergebracht, so ist auch dem Rahde bedencklich, sich deßfals jhr hergebrachtes jus verschmeleren, oder endtziehen zu lassen. Darnegst wirds auch ein Erb. Rahdt von den herrn des Ministerij vast vnbillich insimulieret, alse sollten sie durch die beschehene endturlaubung zweyer Schuldiener zur distruction der Schulen vrsach geben wollen.“ Ebd. Bl. 8–9. 1675  „Ohne das gleichwoll auch ein Erb. Rahdt nicht weniger, alß ein jeder ander herr vnd Obrigkeit gemechtiget, jhre diener, so jhnen in jhrem dienst lenger zubehalten nicht gelegen noch gefallig, nach gelegenheit zuendturlauben, wie auch hin­ wiederum einem diener frey stehet, seinen herrn den dienst vfzukundigen, vnd also die annehmung vnd bestellung der diener alle zeit tacitam, illam conditionem jn sich hetten, quamdiu vtrisquae ita placuerit. D[as]z sie eben darumb beiderseits super causa dimissionis aut renunciationis keine besondere disputation oder ordinarium processum juris anstellen durffen vnd mußen.“ Ebd. Bl. 11. 1676  Vgl. O. Veeck, Geschichte der reformierten Kirche Bremens (wie Anm. 1207), S. 63.

478

V. Die Fallstudien

etwas frembdt sein wurde […] Vnd diewell auch bey diesem Punckt die herrn des Ministriy klagsweise anziehen, alse sollte zwuschen des dienern der kirchen, vnd denen, so da ciuiles funciones sutinieren, kein vnterscheidt gehalten werden, vnd diese magis absolutè der Obrigkeit vntereworffen, vnd mit diensten verpflichtet seyn.“1677

Der Rat erkenne das durch die drei Stände geordnete Gemeinwesen an, jedoch seien der status ecclesiasticus und der status oeconomicus dem sta­ tus politicus absolut untergeordnet, denn der Rat sei nicht ein vornehmes Glied der Kirche, sondern das vornehmste Glied der Kirche. Wären Pezel und das Ministerium, die zum geistlichen Stand gehörten, unter Berufung auf die aristokratische Dreiständelehre dem weltlichen Stand und den Regierenden bei öffentlichen und politischen Zusammenkünften vollkommen gleichgestellt, würde dies auch für die Dorfprediger gelten, da auch sie genau wie das Ministerium dem geistlichen Stand angehörten.1678 Der Rat lehnte also die Gleichrangigkeit der drei Stände und die Eigenständigkeit des geistlichen Regiments ab und forderte von den beiden anderen Ständen Gehorsam und dienende Funktion gegenüber der weltlichen Obrigkeit, worauf wiederum das geistliche Ministerium in rege schriftlichen Verkehr das Ansinnen des Rates als Eingriff in ein fremdes Amt strikt zurückwies und Mitbestimmungsrecht des geistlichen Ministeriums bei der Berufung des Predigers ausdrücklich unter Berufung auf die aristokratische Dreiständelehre forderte.1679 In Zusammenfassung all dieser Konflikte ergibt sich also, dass sich zwei konkurrierende operative Paradigmen konfliktverschärfend gegenüberstanden: Die aristokratische Dreiständelehre der reformierten Geistlichkeit und die monarchische Dreiständelehre der reformiert gesinnten weltlichen Obrigkeit. Die hier vertretene Forschungsthese lautet: Die Spannung zwischen den konkurrierenden operativen Paradigmen bzw. Deutungsmustern in den politischen Auseinandersetzungen führt zur Veränderung historischer Reali­ 1677  Raths

erklerung (wie Anm. 1672), Bl. 16–17. Stellung eines Dorfpredigers war die eines einfachen Untertans. Vgl. J. F. Iken, Die früheren Kirchen- und Schulvisitationen (wie Anm. 1280), S. 100–127; O. Veeck, Geschichte der reformierten Kirche Bremens (wie Anm. 1207), S. 46–65. 1679  „Er (Urbanus Pierius. Hervorhebung durch Ch. P.) hatt etwas anzuzeigen, welches theils jhme selbst, theils des samptlche Ministerium anginge, alse vorerst, dieweill er aus des Raths erklerung verstand, das der Rath allein die potestatem vocandi et dimitendi Ministros Ecclesai etiam inscio et non approbante Ministerio anhero vocieret, mit vermeldung, was er solchs gewust, das er das lieber wollte, das er keines fues anhero jn Bremen gesatzett hette, sollte jhme auch noch anjetzo leidt sein […] Seiner (gemeint Johas Capito. Hervorhebung durch Ch. P.) vocatio sey auch autoritate publica geschehen, vnd sey er mit bewilligung des Raths, des Car­ spels, vnd Ehrwurdigen Ministery angenommen.“ Raths erklerung (wie Anm. 1672), Bl. 27–28. 1678  Die



2. Bremen479

tät. In Bremen existierte weder ein Reformiertentum wie in Genf oder Emden noch ein Luthertum, sondern die Mischform eines Reformiertentums mit Bezügen zur lutherischen Magistratskirche. Wesentlich dabei ist, dass sich der Rat zur Legitimation seiner Position als Summus Episcopus nicht auf die Lehre einer unteilbaren und unübertragbaren, keine zeitliche und sachliche Beschränkung duldenden Souveränität des alleinig Gott verantwortlichen Staates des französischen Juristen Jean Bodin (1529 / 30–1596 / 97) bezog, sondern auf die Dreiständelehre. Das heißt, obwohl sich die Auffassung von rechter Ratsherrschaft unter den Ratsherren innerhalb des hier betrachteten Zeitraums veränderte und obwohl diese Ratsherren folglich neue Argumente benötigten, behielten sie dennoch die Dreiständelehre als grundlegendes Paradigma bei. Dieser Tatbestand ist umso bemerkenswerter, als sich in Bremen zu diesem Zeitpunkt bereits eine „Bürokratisierungs- und Versachlichungstendenz im städtischen Regiment bzw. eine Spezialisierung und Verwissenschaftlichung des städtischen Regiments“1680 durchzusetzen begann1681, was an der Ersetzung kaufmännischer Ratsherren durch studierte Juristen belegbar ist. Hervorzuheben ist weiterhin, dass Heinrich Kreffting (1562–1611),1682 ein promovierter Jurist, der aufgrund seiner juristischen Sachkompetenz als offizieller Stellvertreter des Rates auftrat, die Dreiständelehre ausdrücklich zur Rechtfertigung seiner Position gebrauchte, obwohl er zugleich Bodins „Sechs Bücher über den Staat“ ausführlich zitierte, um die hansischen Privilegien in England zu verteidigen. Er hat auch das herkömmliche Bremer Recht, die „Alte und Neue Eintracht“ von 1433 und 1534 im römischrechtlichen Sinne umgeformt und die sog. „Statuta reformata“1683 verfasst, die allerdings von der Bürgerschaft abgelehnt wurden. Es ist anzunehmen, dass die „Statuta reformata“ gegen die herkömmliche genossenschaftliche Rechtstradition konzipiert waren und dass sich die Bürgerschaft zur Legiti1680  Vgl. H. Schilling, Aufbruch und Krise. Deutschland 1517–1648. Berlin 1994, S. 341 ff.; Vgl. O. Brunner, Souveränitätsproblem und Sozialstruktur (wie Anm. 1349), S. 312; Vgl. H. Schilling, Vergleichende Betrachtungen zur Geschichte der Bürger­ lichen Eliten in Nordwestdeuschland und in den Niederlanden, in: Bürgerliche Eliten in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland (Städteforschung A / 23) Köln / Wien 1985, S. 1–35. Hier S. 9–11. 1681  Vgl. W. Barkhausen, Der Entwurf eines Verbeterden Stadtbooks und die Glossen zum Stadtrecht von 1433, in: 700 Jahre Bremer Recht 1303–2003 (Ver­ öffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen 66) Bremen 2003, S. 205. 1682  Zu ihm vgl. W. v. Bippen, Heinrich Kreffting (wie Anm. 1202), S. 151–174; Historische Nachrichten von dem Leben und Schriften Herrn Henrich Krefting. [UB Bremen. Brem.c. 1479]. Bd. 2, S. 425–460. 1683  A. Kühtmann, Die Statuta reformata und der Codex glossatus, in: Bremisches Jahrbuch 16 (1892), S. 97–130.

480

V. Die Fallstudien

mation ihrer Position ebenso wie die Geistlichkeit auf die Dreiständelehre berufen haben dürfte.1684 Damit wird deutlich, dass die Rolle der Dreiständelehre in den politischen Auseinandersetzungen des 17. Jahrhunderts keineswegs von der Souveränitätstheorie verdrängt wurde, sondern weiterhin eine zentrale Rolle spielte. Die weitere Entwicklung der bremischen Geschichte zeigt, dass die reformierte Geistlichkeit ebenso wie die lutherische Geistlichkeit auf das anmaßende Selbstverständnis weltlicher Obrigkeit als Summus Episcopus mit der Intensivierung des geistlichen Autonomieanspruchs antwortete, d. h. Konzentration auf die Parallelität von status politicus und status ecclesiasticus. Die rechtliche Stellung des geistlichen Ministeriums unterlag kaum Schwankungen. Wie das geistliche Ministerium in der Zeit der Superintendenten Musäus und Pezel hatte es als Berufsgenossenschaft der Geistlichen die autonome genossenschaftliche Korporationsgerichtsbarkeit inne und besaß ausgeprägte Autonomie sogar gegenüber dem Rat. Es stand dem Rat als oberstes Organ der Kirche gleichberechtigt gegenüber und hatte nach wie vor den Status einer gleichrangigen Selbstregierung, um das gemeinsame Interesse der Pastoren in dem selbst geschaffenen Rahmen durchzusetzen und zu diesem Zweck notfalls auch gegen einzelne Mitglieder vorzugehen.1685 Die reformierte Geistlichkeit wirkte in den folgenden Jahren keineswegs als ein obrigkeitliches Instrument des Rates,1686 selbst wenn sie wegen der angestrebten Umgestaltung Bremens zu einem Reformiertentum wie Genf oder Emden mit dem Rat in Koalition gehen musste. Sie bildete auch weiterhin die gleichberechtigte institutionelle Kraft neben dem Rat und der Gemeinde in der realen Stadtverfassung; zumindest die Schriften der reformierten Theologen in Bremen belegen dies. Im Jahre 1656 entbrannte ein heftiger Kompetenzstreit zwischen Rat und geistlichem Ministerium wegen der Besetzung einer Superintendentenstelle. Als der Rat einen jüngeren auswärtigen Prediger in das ehrenvolle Amt des Vorsitzes des geistlichen Ministeriums einsetzte, protestierte das geistliche Ministerium gegen diese absolutistische politische Amtshandlung des Rates und wandte sich am 7. August 1656 schließlich mit einer ausführlichen Beschwerde1687 an den Rat. Darin kritisierte es die ratsherrliche Kirchenpo1684  Vgl. dazu auch W. Barkhausen, Der Entwurf eines Verbeterden Stadtbooks (wie Anm. 1681), S. 200–211; W. v. Bippen, Geschichte der Stadt Bremen (wie Anm. 1217), Bd. 3, S. 485. 1685  Vgl. E. Weygoldt, Die rechtliche Stellung des Ministeriums der stadtbremischen Pfarrkirchen (wie Anm. 1372), S. 31–56. 1686  L. Schorn-Schütte, Die Drei-Stände-Lehre im reformatorischen Umbruch (wie Anm. 6), S. 449. 1687  W. v. Bippen, Geschichte der Stadt Bremen (wie Anm. 1217), S. 248–252.



2. Bremen481

litik und den anmaßenden Gebrauch des ius episcopale, womit der Rat nur auf die Stärkung der obrigkeitlichen Stellung zielen würde. Der Rat habe Ansehen und Rechte des Ministeriums stark beschädigt und die geistlichen Angelegenheiten voll an sich gezogen. Er unterscheide nicht mehr zwischen politischem und geistlichem Regiment und berufe einen auswärtigen jüngeren Prediger, ohne auf Rang und Dienstalter der Stadtprediger zu achten und ohne Rücksprache mit dem geistlichen Ministerium zu halten. Die Stadtprediger empfanden dieses willkürliche Verhalten des Rats als Ehrverletzung.1688 Zur Rechtfertigung ihrer Vorwürfe berief sich das geistliche Ministerium wiederum auf die Dreiständelehre: „Edle, Ehrnveste, Großachtbahre, Hochgelahrte, Hoch- und Wolweise, Hoch geehrte, großgunstige liebe Herren. Es hat der Allerhöchste nach seinem ewigen wolbedachten Raht und Willen Euer Ehren Herrlichkeit und Gunsten an diesem Ort zu Regenten erhoben und als eine christliche Obrigkeit gesetzt, zu pflegern und Seugammen seiner Kirchen, die demnach nicht alleine Recht und Gerechtig­ keit in der Policey sollen handhaben, sondern auch in heiliger Sorgfalt nach dem Exempel Davids, Psalem 122, der Kirchen Gottes ihr Bestes suchen und darüber seyn, gleich wie Gott nicht ist ein Gott, der Unordnung, sondern des Friedens; 1. Corinter14. Daß auch also gute Ordnung und Friede in der Gemeine der Heiligen und in Sonderheit unter denen, die solche Gemeine in dem Herrn fürstehen, erhalten werde.“1689

Der Rat sei zwar als custos legis im Dekalog von Gott berufen, dürfe aber nicht in die interna ecclesiae eingreifen. Aber nicht nur der status ecclesiasticus, sondern auch der status oecono­ micus geriet aufgrund der Zentrierungsbemühungen des Rates in Konflikt mit selbigem. Zwar bedarf diese These noch näherer Untersuchung, sei aber anhand folgender Beispiele illustriert: Im Jahre 1676 gab es zwischen Rat und Bürgerschaft Differenzen darüber, ob Schoss oder Kollekten gezahlt werden sollten. Als die Elterleute dem Rat rieten, wegen der wirtschaftlich schwierigen Zeit die Bürger nicht mit zuviel Monatsgeld zu belegen und stattdessen lieber den Schoss anzunehmen, entgegnete der Bürgermeister in souveräner Geste: Der Schoss sei abgeschafft, weil man perjuria gespürt habe, dass seit langer Zeit nur zweimal Schoss gegeben wurde. Ob das Collegium Seniorum denn meine, dass es die Obrigkeit selbst oder zumindest eine Mittelobrigkeit wäre? Und auf den Einwand eines Bürgers, dass der gemeine Mann keine 12 Monate Kollekten ausgeben könnte und dass er sich an die Elterleute halten würde, fragte der Bürgermeister, ob dieser dem Rat oder den Elterleuten geschworen hätte. Weil der 1688  Ebd. 1689  Ebd.

S. 248.

482

V. Die Fallstudien

Rat den Bürgern also das alleinige ius concludendi bestritt, protestierten die Elterleute in ihrer Supplikationsschrift vom 12. April 1676: „Der Schluss, ob man Schoss oder Kollekten willigen wolle, stände nicht bei dem Rat, sondern bei der Bürgerschaft. Wer dem zuwider handle, handle Tafel und Buch [gemeint ist das Stadtrecht von 1433 – Anm. Chan Park] zuwider. Es hänge hieran ein grosses Stück libertatis civicae.“1690

Daraus wird deutlich, dass die Elterleute das politische Ordnungsideal einer gemeindlich-genossenschaftlich strukturierten, gleichberechtigten stadtbürgerlichen Aristokratie bzw. des „konsensgestützten Ratsregiments“ hatten, in dem die „summa potestas“ den drei Verfassungskräften gleichermaßen zukommt und die politische Handlung als eine aller Bürger, nicht nur der Herrschenden verstanden wird, damit die aktive Teilnahme der Bürgergemeinde am Stadtregiment durch Wahl, Kontrolle und Mitentscheidung ermöglicht und der Magistrat lediglich als beauftragter Vertreter der Bürgergemeinde angesehen wird. Der Ausdruck „libertatis civicae“ referiert wiederum auf die Freiheit im Mittelalter, d. h. auf das ständisch-korporative Recht der Bürgerschaft. Die inhaltlichen Parallelen zu Daniel von Büren, der oppositionellen Ratsminderheit und Johann Borck sind dabei schlagend. Im Jahre 1688 entstand wiederum ein Verfassungsstreit zwischen dem Rat und den Bergenfahrern. Die Elterleute nahmen sich der Bergenfahrer in deren Prozessen gegen den Rat an, sodass diese sich „Elterleute der Stadt Bremen“ nannten und ihr politisches Argumentationsmuster wie folgt zusammenfassten: „Omnis potestas descendit a Deo in populum, a populo in magistratum.“1691 Damit war gemeint, dass die Souveränität des politischen Gemeinwesens nicht beim Rat allein liege, sondern beim aus Rat und Bürgerschaft bestehenden Gemeinwesen. Damit bestritten sie dem Rat das alleinige ius ordinandi. Sie fuhren fort: „Auch es laut der Neuen Eintracht bei demselben stände, quid e republica sit vel non sit, item was der Bürgerschaft vorträglich sei oder nicht, und ginge diese Sache das collegium im geringsten nicht an. Die Veränderung dessen, was utriumque zum gemeinen Besten einmal beliebt worden, kommt soli magistratui irrequieto populo keineswegs zu.“1692

Der Rat könne sein politisches Regiment ohne Mitwirkung bzw. Zustimmung der Bürgerschaft nicht durchführen, da die summa potestas nicht dem Rat allein, sondern der aus Rat und Bürgerschaft bestehenden Gesamtheit zustehe. Die Elterleute bezeichneten die Staatsform Bremens als Republik im 1690  Zitiert nach E. Dünzelmann, Die Bremische Kaufmannsgilde und ihre Elterleute, in: Bremisches Jahrbuch 18 (1896) S. 77–115. Hier S. 101–102. 1691  Ebd. 107. 1692  Ebd.



2. Bremen483

Sinne eines Gemeinwesens mit „konsensgestütztem Ratsregiment“, in dem die Souveränität mehreren anvertraut ist. Der Rat argumentierte dagegen: „Man will den Schütting gar dem Rathause gleich setzen und diese Stadt fast zweihäuptig machen. Das Recht politicas hac in civitate ordinationes zu statuieren und zu publicieren ist von alten Zeiten her unstreitig bei uns und unsern Vorfahren am Regiment gewesen […] Es ist ungereimt, dass existente magistratu ordinario, der ein vollmächtiger Rat ist, den Elterleuten zustehen sollen allen unruhigen Bürgern contra Senatum zu assistieren. Nach allgemeiner Observanz deutscher Nation schaffen in den Reichsstädten Bürgermeister und Rat in Regiments- und Polizeisachen Ordnung und Wandel, eo quod cives non aliter senatui parere teneantur quam subditi suo principi.“1693

Der Rat besteht also auf der summa potestas und verbittet sich die Mitbestimmung der Bürgerschaft bei städtischen Angelegenheiten. Ein weitgehend paralleles Argumentationsmuster lässt sich bei der verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung zwischen Rat und Bürgerschaft in zahlreichen weiteren Dokumenten des 17. Jahrhunderts nachweisen. Die vielen Konfliktquellen im Bremen des 17. Jahrhunderts machen diese in der Forschung weitgehend verkannte, interessante und bedeutsame Tatsache deutlich.1694 d) Fazit Am Beispiel Bremens kann Folgendes festgehalten werden: 1.  Die Dreiständelehre als politische Sprache war also von ausschlaggebender Bedeutung für die Stabilität oder Instabilität der Hansestadt Bremen im Spannungsfeld von „monarchischer“ bzw. obrigkeitlicher Zentralisierung und „ständischer“ Behauptungsversuche, insofern in ihr und durch sie die Selbstwahrnehmung einer politisch-sozialen Ordnung als gerecht oder ungerecht, legitim oder illegitim, stabil oder krisenhaft präfiguriert ist. Die so­ zialen und politischen Faktoren kommen in Bremen in der Tat nicht unmittelbar zur Wirkung, sondern nur in ihrer begrifflich-theoretischen Vermittlung, mit anderen Worten durch die Dreiständelehre. Nicht wirtschaftliche und soziale Zustände und Entwicklungen oder die Verteilung von Macht und Einfluss oder der politische „Calvinismus“, sondern die „ideologische“ Kontroverse bzw. der sehr ausdehnbare und auslegbare instrumentelle ­Gebrauch der Dreiständelehre als „tactic knowledge“ von den beteiligten Kontrahenten bei allen Auseinandersetzungen in Bremen durfte die eigentliche Ursache aller Konflikte und vor allem der Herausbildung des ratsherr1693  Ebd.

107–108. W. Barkhausen, Der Entwurf eines Verbeterden Stadtbooks (wie Anm. 1681), S. 200–211. 1694  Vgl.

484

V. Die Fallstudien

lichen Kirchenregiments sein. Die Zeitgenossen haben insbesondere ihre Kritik der vorherrschenden politischen Theorien bzw. theoriegeleiteten politischen Sprache unter Berufung auf die Dreiständelehre als politische Intervention unzweifelhaft verstanden. Hier entschied sich vor allem, ob die politische Ordnung stabil oder instabil war, ob innerer Friede herrschte oder eine Unruhe wütete. Also spielte die Dreiständelehre unzweifelhaft eine Rolle als ein Referenzsystem in Gestalt der wechselseitigen Steuerungsmechanismen des Religiösen und Politischen in den sozialen und politischen Auseinandersetzungen um das Verhältnis zwischen „Staat“ und Kirche in Bremen im 16. und 17. Jahrhundert. 2.  Die Analyse hat nachweisen können, dass die Rolle und Funktion der Dreiständelehre als operatives Paradigma beim politischen Austauschprozess über Herrschaft und Ordnung nicht in einem luftleeren, abstrakten, theoretischen und theologischen Raum geschah, sondern in einer präzise bestimmten, das heißt einer ganz konkreten tagespolitischen und sozialen Auseinandersetzung. Die unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Subsysteme bzw. Institutionen und Gruppen machten von der Dreiständelehre für ihre unterschiedlichen politischen und sozialen Interessen Gebrauch. Insofern war die Dreiständelehre tatsächlich eine allgemein verbreitete, handhabbare Politiklehre der frühneuzeitlichen Debatten um die Struktur der politischen Ordnung, die der Rechtfertigung des Anspruchs auf Verteilung politischer Herrschaft diente. 3. Politik als politische Kommunikation bzw. als „kommunikativen Raum“ zu charakterisieren, ist für die Frühe Neuzeit geeignet. Die zu beobachtende wechselseitige Verzahnung des obrigkeitlichen Herrschaftsanspruchs mit der theologischen Legitimation oder des Teilhabeanspruchs der Untertanen mit der religiösen Rechtfertigung machte deutlich, dass es sich in den Legitimationsdebatten weder um eine Debatte über eine Autonomisierung des Politischen noch um eine Diskussion über die Trennung des Politischen vom Theologischen handelte, sondern ausschließlich um einen politischen Kommunikationsprozess über Herrschaft und Ordnung in Gestalt der wechselseitigen Verzahnung von Politischem und Religiösem. Die Analyse hat zeigen können, dass es in den Auseinandersetzungen Heshusius’ ausschließlich um eine Debatte über die Grenze zwischen externa und in­ terna ecclesiae ging, kaum aber um eine Diskussion über die verschiedenen aristotelischen Herrschaftsformen. Hatte Heshusius mit seinem theologischen Ansatz auf die stadtpolitische Debatte zurückgegriffen, mit anderen Worten, seinen theologischen Ansatz mit dem Politischen verbunden, um zu versuchen, dem starken Trend des Politischen, sich zu verselbständigen, durch die Verkopplung des Religiösen mit dem Politischen entgegenzuwirken, leiteten die politischen Entscheidungsträger und Juristen ihren politischen Ansatz aus der theologische Diskussion her, das heißt, sie verbanden



3. Emden485

ihren politischen Ansatz mit dem Theologischen, um ihren Herrschaftsanspruch zu legitimieren und um ihre Herrschaftsgestaltung zu festigen. In beiden Fällen ging es um einen politischen Austauschprozess über Herrschaft und Ordnung. Da sich das politische Handeln bei beiden Kontrahenten (Obrigkeit und Untertanen) als ein kommunikatives Miteinander erwies, ist es angebracht im Untersuchungszeitraum den Begriff Politik als „politische Kommunikation“ bzw. als „kommunikativer Raum“ zu bezeichnen. 4.  Das deutsche Reformiertentum führt ebenso wie das Luthertum Auseinandersetzungen um die konfessionspolitische Stellung der neuen Sozialgruppe ‚Geistlichkeit‘. Die argumentative Nutzbarmachung der Dreiständelehre als ein Referenzsystem unterscheidet sich dabei nicht in Hinsicht auf die Konfessionen. Vielmehr war die Dreiständelehre Teil eines überkonfessionellen Wissensbestandes bzw. ein theologisch und juristisch kommunizierbarer Grundwissensbestand politischer Legitimität.1695

3. Emden a) Vorbemerkungen Bevor im Folgenden die Konflikte zwischen ostfriesischen Landesherren und der Stadt Emden, die innerstädtischen Auseinandersetzungen zwischen Magistrat und Kirchenrat sowie der Kompetenzstreit zwischen Magistrat und den „Vierzigern“ im Untersuchungszeitraum analysiert werden sollen, müssen zunächst folgende Aspekte Berücksichtigung finden: 1.  Es handelt sich bei allen Auseinandersetzungen um einen Strukturkonflikt, in dem das Verhältnis zwischen den drei politischen Kräfte bzw. Sozialgruppen, d. h. der weltlichen Obrigkeit (Landesherren bzw. der Emder Magistrat),1696 der Geistlichkeit (Kirchenrat) und der Bürgerschaft („Vierziger“) in Emden ausbalanciert wird. Nach Smid1697 und Kappelhoff1698 ging es dabei hauptsächlich um verfassungsrechtliche Fragen der Herrschaftver1695  Vgl. L. Schorn-Schütte, Kommunikation über Herrschaft: Obrigkeitskritik im 16. Jahrhundert, in: L. Raphael / H. E. Tenorth (Hg.), Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit. München 2006, S. 71–108. Hier S. 108. 1696  Der Magistrat Emden war bis zur „Emder Revolution“ ausschließlich vom Grafen abhängig. Die Ratsherrn wurden als gräfliche „Offizianten“ (= Bedienstete) bezeichnet. Vgl. M. Smid, Kirche zwische Burg und Rathaus, in: Res Frisicae 54 (1978), S. 131–150, S. 132. 1697  Ebd. S. 138. 1698  Vgl. B. Kappelhoff, Emden als Quasiautonome Stadtrepublik 1611–1749, in: Geschichte der Stadt Emden. Bd. II (Ostfriesland im Schutze des Deiches 11), Leer 1994, S. 56–62. Im Folgenden Quasiautonome Stadtrepublik.

486

V. Die Fallstudien

teilung in Vermittlung zwischen dem monarchischen Herrschaftsanspruch des Landesherrn und dem Teilhabeanspruch der Bürgerschaft bzw. Geistlichkeit, die ihr überkommenes Recht der Bürger- und Kirchengemeinde und ihre Autonomie gegenüber der obrigkeitlichen Kompetenz behaupten wollten.1699 Sowohl die reformierte Geistlichkeit als auch die Bürgerschaft engagierten sich gegen entsprechende Eingriffe des Landesherrn in ihre tradierten Domänen.1700 Die Kirchen- und Bürgergemeinde in Emden strebte also nach einer Verteilung politischer Herrschaftskompetenz.1701 Letztlich ging es auch bei der so genannten „Emder Revolution von 1595“ um nichts anderes als um den Kampf für die Bewahrung bzw. Erneuerung derjenigen Ordnung, die der Kirchen- und Bürgergemeinde den überkommenen Rechten gemäß die rechtliche Selbständigkeit zusicherte. Die Bürger in Emden hatten ihr Selbstbestimmungsrecht also revolutionär durchgesetzt und verteidigten dieses auch in der späteren innerstädtischen Auseinandersetzung zwischen Magistrat und Kirchenrat1702 bzw. Rat und „Vierzigern“. Der Kirchenrat und die „Vierziger“ forderten nur ihre herkömmliche Autonomie bzw. ihren alten politischen Teilhabeanspruch am ratsherrlichen Kirchenregiment. Ob in dieser Auseinandersetzung die tatsächlich bestehenden Kräfte- und Rechtsverhältnisse, wie Smid betont,1703 eine entscheidende Rolle bei der Regelung des Strukturkonflikts gespielt haben, bedarf einer näheren Untersuchung, die in der folgenden Analyse vorgelegt werden soll. 2. In Bezug auf die politische Ordnungsvorstellung der an den Auseinandersetzungen beteiligten Kontrahenten scheint es berechtigt zu sein, ebenso wie im Falle Bremens eher von „konsensgestützter Herrschaft“1704 zu sprechen1705 als von dem so genannten „alteuropäischen Bürgerrepublika­ nis­mus“1706 bzw. „städtischen Republikanismus“. In Emden vermochten 1699  Ebd.

S.  438 ff. M. Smid, Die Bedeutung von Theologie und Kirche für die „Emder Revolution“, in: H. v. Lengen (Hg.), Die „Emder Revolution“ von 1595. Aurich 1995, S. 39–48. Hier S. 41. 1701  M. Smid, Kirche zwischen Burg und Rathaus (wie Anm. 1696), S. 138. 1702  Dazu B. Kappelhoff, Quasiautonome Stadtrepublik (wie Anm. 1698), S. 56 ff. 1703  Vgl. M. Smid, Die Bedeutung von Theologie und Kirche (wie Anm. 1700), S. 41. 1704  Vgl. U. Meier / K. Schreiner, Regimen civitatis (wie Anm. 52), S. 9–34; W. Mager, Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment, in: L. Schorn-Schütte (Hg.), Aspekte der politischen Kommunikation (wie Anm. 56), S. 13–122. 1705  Vgl. B. Kappelhoff, Quasiautonome Stadtrepublik (wie Anm. 1698), S. 436. 1706  Vgl. H. Schilling, Calvinismus und Freiheitsrechte. Die politisch-theologische Pamphletistik der ostfriesisch-groningischen „Patriotenpartei“ und die politi1700  Vgl.



3. Emden487

wie in Bremen insbesondere der wohlhabende „copman“ und der vermögende „emter“ immer wieder, ihren Einfluss geltend zu machen.1707 Bei wichtigen Grundsatzentscheidungen, wie z. B. Steuern, wirkte die Gemeinde mit. Die Bürger pochten gegenüber der landesherrlichen Verfügungsgewalt, mit welcher der 24er-Ausschuss eigenmächtig ein- und abgesetzt wurde, auf ihr Wahlrecht, und beriefen in einer vom Grafen nicht autorisierten Versammlung statt der bisher 24 Deputierten ein Gremium von vierzig Bürgervertretern, das so genannte „Vierzigerkollegium“. Dieses bildete eine Art Nebenregiment, das die Bürgergemeinde aus politischer Eigeninitiative neben dem Rat gebildet hatte und das die Bürgerschaft umfassend repräsentieren und in allen Dingen – nicht nur in Steuerfragen – die städtische und bürgerliche Freiheit und Autonomie garantieren sollte. Dieser Bürgerausschuss stellte im Kern eine genossenschaftlich-bürgerliche Gegeninstitution zum landesherrlichen Magistrat dar. Dennoch haben die Emder Bürger nie die obrigkeitliche Herrschaft des Grafen oder des Rates in Frage gestellt. In ihrer „Apologia“1708 wird stattdessen immer wieder der Begriff „consens“ betont.1709 Der restitutive Charakter der Emder Bürgerinitiative, die lediglich ihre herkömmliche Freiheit und Privilegien zurückforderte, wird damit deutlich.1710 Eine Infragestelsche Kultur in Deutschland und in den Niederlanden, in: L. Schorn-Schütte / O. Mörke (Hg.), Ausgewählte Abhandlungen zur europäischen Reformations- und Kon­ fessionsgeschichte (Historische Forschungen 75), Berlin 2002, S. 121–156. Dieses Deutungskonzept geht wie oben erwähnt von der Annahme eines Gegensatzes von positiv bewertetem Republikanismus und negativ bewerteter monarchischer Herrschaft aus, die jedoch wohl an der Realität der frühneuzeitspezifischen Verzahnung von bürgerlicher Partizipation und obrigkeitlicher Herrschaft vorbeigeht. Vgl. dazu die ausführliche und informative Einleitung von L. Schorn-Schütte in: dies. (Hg.), Aspekte der politischen Kommunikation (wie Anm. 56), S. 1–12; dies., Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht, in: dies. (Hg.), Aspekte der politischen Kommunikation (wie Anm. 56), S. 195–206. 1707  Vgl. H. Schmidt, Geschichte der Stadt Emden von 1500 bis 1575, in: Geschichte der Stadt Emden Bd. 1 (Ostfriesland im Schutze des Deiches 11), Leer 1994, S. 161–269. Hier S. 206 ff. 1708  Apologia, das ist /  Volkommene Verantwortung /  so Bürgermeister vnd Rath /  sampt den Viertzigern /  vnd der ganzen Burgerschaft der Stadt Embden, zur entdeckung ihrer vnschuldt mussen ausgeben […]. Groningen 1602. [Jal. Hist. 133]. Im Folgenden Apologia. 1709  „ /  sondern an stat desselben deines aigenen gefallens ein appelation gericht eingeführt /  dan auch nicht aufhorest den Vnderthanen vor dich selbst /  vnd ohne consens vnd verwilligung der landstende Collecten vnd Schatzung auff zudringen“. Apologia (wie Anm. 1708), S. 19, 57. In der „Apologia“ begegnet dieses Argumentationsmuster häufig: zum Beispiel S. 37, 38, 43, 46, 365, 373. 374. 375. 376. 442; Beilegung, S. 3, 5. 7; Folgen der Beilegung, S. 6–9. 20, 29. 32, 36. 1710  „Jtem das jden grösten oder geringsten Bürgern das allergeringst jhrer vralten habenden Privilegien, auch versiegelten vnd verbrieften freyheiten dieser Stadt nicht

488

V. Die Fallstudien

lung der Herrschaft des Landesherrn und damit der Ratsherrschaft wurde dabei nie akzeptiert. Es ging vielmehr darum, vom Landesherrn bzw. vom Rat verursachte Fehlentwicklungen zu korrigieren und im Sinne des „Einigungsrechts“ die Eintracht zwischen Landesherrn, Rat und Gemeinde wiederherzustellen. Das „Vierzigerkollegium“ und auch der Kirchenrat, besonders unter der Leitung von Menso Alting, forderten nur eines: Der Graf bzw. der Rat müsse die Stadt stets im Einklang mit der Gemeinde bzw. in Rückbindung an die Bürgerschaft regieren und deren Teilhabe also wiederherstellen und dürfe nicht ohne den Konsens mit der Bürgerschaft die Stadt regieren.1711 Die Gravamina der Stadt Emden von 1593 und 1594 bezeugen diesen Tatbestand eindrucksvoll. Erst Graf und Gemeinde bzw. Rat und Gemeinde gemeinsam konstituierten eine praktisch lebensfähige und rechtlich vollkommene Stadtgemeinde. Jede Verletzung des Konsenses hatte Folgen. Die so genannte „Emder Revolution“ war nichts weiter als ein Protest gegen die Verletzung des Rechts auf Konsens mit der Bürgerschaft bzw. Kirchengemeinde. Sie wollten im Besitz ihrer alten rechtmäßigen Sitten, Gewohnheiten, Freiheiten1712 und Rechte bleiben, mit anderen Worten: Sie verlangten nach „konsensgestützter Herrschaft“. Konkret ging es ihnen lediglich um Mitwirkung und Teilhabe am landesherrlichen Regiment und um Kontroll- und Einspruchsrechte in Steuerfragen, bei Stadtrechtsänderungen etc.1713 Die „Vierziger“ forderten also nur ihre politische Freiheit in Gestalt der alten Privilegien, des autonomen Wahlrechts und des Rechts auf Konsens. Als diese politische Norm1714 durch die ständigen Eingriffe des Landesherrn in Frage gestellt wurde, leisteten sie in Koalition mit der reformierten Geistlichkeit und dem „Dritten Stand“ bzw. „Hausmannsstand“ Widerstand. Der Kirchenrat förderte und trug in religiöser Hinsicht zur Legitimität der bürgerschaftlichen Herrschaftsteilhabe bei. Die späteren Verträge zwischen dem Landesherrn und der Stadt Emden bzw. den Landständen in der Zeit von 1595 bis 1611, wie z. B. der Vertrag von Delfzyl vom 15. Juli 1595, die Konkordate vom 7. November 1599, der Haagische Vergleich vom 8. April 1603 zu wissen kommen mag /  wiewol sie solche vom Rath etliche mahl dienstfleisig gebeten.“ Ebd. S. 47. 1711  Selbstverständlich ist die Oberfläche der Argumentation der eigentliche Kern. Vgl. H. Antholz, Die politische Wirksamkeit des Johannes Althusius in Emden (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands 32), Aurich 1955, S. 27. 1712  Vgl. H. Antholz, Die politische Wirksamkeit (wie Anm. 1711), S. 29. 1713  Vgl. H. Schmidt, Geschichte der Stadt Emden (wie Anm. 1707), S. 218. 1714  Zu bemerken ist, dass diese Norm bis zum letzten Viertel des 16. Jahrhunderts nicht in die Praxis umgesetzt worden ist. Vgl. H. Schmidt, Geschichte der Stadt Emden (wie Anm. 1707), S. 218.



3. Emden489

etc.,1715 zeigen dies ebenso. Exemplarisch kann das Protestschreiben der radikalen Partei vom Juli 1601 gegen den Landesherrn und den gemäßigten Magistrat wegen der so genannten „Schornstein-Steuer“ angeführt werden: „Davon, vnd das der von Burgermeisters vnd Rath ohne Consentz vnd vorwissen der Viertziger, vnd Burgerschafft wegen des Embstrombs vnd nesterlandischen haubts S. G. gegebener vnd zugestellten Reuers jhnen ahn jhren vf dem Embsstrom von altters hero, vnd noch habenden Recht, vnd Gerechtigkeit im geringsten nit praejudicieren noch schadlich sein soll, kan, oder mogh […]“1716

In den genannten Verträgen wurde die Bewahrung der überkommenen Rechte und Freiheiten ausdrücklich festgeschrieben und verfassungsrechtlich verankert. Mitwirkungsrecht und Teilhabeanspruch am landesherrlichen Regiment sowie Kontroll- und Einspruchsrechte in Steuerfragen, bei Stadtrechtsänderungen etc. wurden damit befestigt. Resümierend ist festzuhalten, dass in diesen Verträgen zwischen dem Grafen und der Gemeinde Emden die politische Ordnungsvorstellung von „konsensgestützter Herrschaft“ zum Ausdruck kommt. Auf dieser Grundlage konnten Graf und Emder Rat nur durch die Mitbestimmung der Bürgerschaft „vollmächtig“ sowohl nach innen als auch nach außen handlungsfähig sein. Dieser Tatbestand gilt ebenfalls nach der „Emder Revolution“. Was sich dadurch änderte, waren die Rahmenbedingungen. An die Stelle des Landesherrn trat nun der Magistrat im Kompetenzstreit zwischen Rat und „Vierzigern“ bzw. Rat und Kirchenrat.1717 Der Rat konnte sich nie mehr auf seinen Lorbeeren ausruhen, sondern musste fortan die Legitimität seiner Amtsführung immer neu unter Beweis stellen. Das jährlich erneuerte Versprechen der Emder Führung, zum Wohle der gesamten Stadt zu handeln, musste mit Leben erfüllt werden. Kam der Rat dieser Aufgabe nicht nach, vernachlässigte er die Wirtschafts- und Rauminteressen der Bürgerschaft und gefährdete dadurch die Existenzmöglichkeiten seiner Bürger und die Lebensgrundlagen der Stadt, so verlor seine Politik ihre Legitimität. 3.  Die Entwicklung der frühneuzeitlichen Geschichte Emdens unterscheidet sich, wie oben erwähnt, wesentlich von derjenigen Bremens. Doch warum verhält es sich so? Warum kam es in Emden zu einem Reformiertentum mit einem eigenständigen Konsistorium, während es in Bremen, wie Veeck es formuliert hat,1718 zu einer reformierten Kirche mit lutherischem Kirchenregiment des „Staates“ kam? 1715  Vgl. H. Wiemann, Die Grundlagen der landständischen Verfassung Ostfrieslands (Quellen zur Geschichte Ostfrieslands 8), Aurich 1974, S. 15–110; 114–261. 1716  StA E Reg. I. Nr. 959a. 1717  Vgl. B. Kappelhof, Quasiautonome Stadtrepublik (wie Anm. 1698), S. 56 ff. u. S.  438 f. 1718  Vgl. O.Veeck, Geschichte der reformierten Kirche Bremens (wie Anm. 1207), S.  61 ff.

490

V. Die Fallstudien

Mehrere Deutungsversuche konkurrierten in der Frühneuzeitforschung. Veeck erklärte,1719 die reformierte Kirche in Bremen sei wegen der „staatskirchlichen Verhältnisse“ nicht zur Selbständigkeit gelangt. Hogrefe1720 betonte den kirchenverfassungsrechtlichen Aspekt: „alle Versuche der Kirche scheitern an der hartnäckigen Wahrnehmung des ius episcopale durch den Rat“.1721 Ähnlich äußerten sich Wenig,1722 Wygott1723 und jüngst Barkhausen1724, auch Schilling1725 folgte dieser Einschätzung. Zwar berücksichtigt er in seiner Studie die religiös-kirchlichen und gesellschaftlich-politischen Faktoren, kommt aber in seiner Analyse nicht zu einer grundsätzlichen Revision und endet schließlich mit demselben Ergebnis wie Hogrefe: In Emden hätte es aufgrund andersartiger politischer, gesellschaftlicher und theologisch-kirchengeschichtlicher Rahmenbedingungen bereits seit den 1540er Jahren mit dem Kirchenrat ein eigenständiges Vertretungsgremium der Gemeinde gegeben, das sich innerhalb einer Generation zu einem gemeinde­ autonomen Regierungsgremium fortentwickeln konnte.1726 Auch Moltman1727 versucht, die Antwort aus dem biographie- und theologiegeschichtlichen Aspekt zu gewinnen. Er betont, dass die „reformierte Religion“ in Bremen zwar Staatsreligion geworden sei, aber keine reformierte Gestalt nach Maßgabe einer calvinistischen Kirchenordnung hätte gewinnen können. Die Wurzeln für diese Entwicklung seien u. a. auch in der Existenz und in den Gedanken der spätzwinglianischen Oppositionspartei um Molanus zu suchen.1728 Damit hob er die Emder Verhältnisse von der staatskirchlichen Entwicklung in Bremen deutlich ab.1729 Zwar sind diese Erklärungsversuche bzw. Deutungsmuster der Sache durchaus angemessen und enthalten auch bedeutsame stadt- und kirchengeschichtliche sowie biographie- und theologiegeschichtliche Sachverhalte und Beobachtungen, doch beleuchten sie einerseits die Ursachen weder 1719  Ebd.

S. 63. M. Hogrefe, Wohin hat die geschichtliche Entwicklung der bremischen Kirchenverfassung (wie Anm. 1378). 1721  Ebd. S. 27. 1722  Vgl. O. Wenig, Rationalismus und Erweckungsbewegung (wie Anm. 1539), S. 18–30. 1723  Vgl. E. Weygott, Die rechtliche Stellung des Ministeriums der stadtbremischen Pfarrkirchen (wie Anm. 1372), S. 48 ff. 1724  Vgl. W. Barkhausen, Der Entwurf eines Verbeterden Stadtbooks (wie Anm. 1681), S. 205. 1725  Vgl. H. Schilling, Reformierte Kirchenzucht (wie Anm. 1204), S. 261–327. 1726  Ebd. S.  265 ff. 1727  Vgl. J. Moltmann, Johannes Molanus (wie Anm. 1372), S. 119–141. 1728  Ebd. S. 141. 1729  Vgl. J. Moltmann, Christoph Pezel (wie Anm. 1203), S. 111. 1720  Vgl.



3. Emden491

hinreichend noch vollständig und verkennen andererseits die Mächtigkeit weiterer Faktoren. Mit Moltmans Ansatz verliert man z. B. die Masse der Träger des politischen und sozialen Wandels aus den Augen. Weiterhin bewegen sich die genannten Erklärungen im Grunde immer in demselben Argumentationsmuster bzw. im selben Fragehorizont: Es geht in der Hauptsache nur um den staatskirchenrechtlichen Faktor, nämlich das ius episco­ pale, als grundlegende Ursache des unterschiedlichen Verlauftypus, wobei die Forschungsergebnisse von Hogrefe oder Veeck übernommen werden. Die folgende Analyse will versuchen, der Frage nach den Ursachen für die unterschiedlichen Entwicklungen in Emden und Bremen noch einmal von Grund auf nachzugehen. 4. Die kirchenverfassungsrechtliche Entwicklung Emdens verlief Schilling zufolge1730 nach der „Emder Revolution“ ganz in den traditionellen Formen, wie sie sich seit dem ausgehenden Mittelalter in der stadtbürgerlichen Gesellschaft durchgesetzt hatten. Die calvinistischen Kirchen in Emden sind dabei keineswegs zu einer selbständigen und von magistratlicher Aufsicht unabhängigen Größe geworden. Unmittelbar nach dem Erringen der kirchlichen und politischen Autonomie entwickelte sich vielmehr ein ratsherrliches Kirchenregiment, das sich zwar der Form nach, aber kaum im Inhalt von demjenigen in den übrigen deutschen Städten – lutherischer wie reformierter Konfession – unterschied. Die calvinistische Kirche in Emden wurde wie in Bremen zur „Staatskirche“ bzw. entwickelte ein landesherrliches Kirchenregiment. Wie aber konnte es in Emden trotz einem derartig sonderbaren, fast revolutionären Verlauftypus dennoch zu diesem obrigkeitlichen Kirchenregiment wie jenem Bremens kommen, und nicht zur Unabhängigkeit der presbyterial geleiteten Kirchen wie der von Genf? Welche Faktoren spielten für diese frühneuzeitgeschichtliche Sonderentwicklung Emdens die entscheidende Rolle? War es die calvinistische Theologie bzw. ein politischer Calvinsmus? Oder war es tatsächlich ein Mechanismus der Konfessionalisierung, wie in der Forschung häufig erwähnt wurde? Oder gibt es einen Zusammenhang mit dem juristischen Faktor, und spielte auch die naturrechtliche Politiktheorie von Johann Althusius oder auch Bodins Souveränitätstheorie eine Rolle? Oder waren es die tatsächlich bestehenden Rechtverhältnisse? Um die Antwort auf solche Fragen geht es im folgenden Abschnitt.

1730  Vgl.

161.

H. Schilling, Reformation und Bürgerfreiheit (wie Anm. 1208), S. 160–

492

V. Die Fallstudien

b) Die politische und soziale Konstellation in ihren Grundzügen aa) Emden bis zur „Emder Revolution“ von 1595 Wie in der bisherigen Emden-Forschung1731 konstatiert wird, nahm die Entwicklung des frühneuzeitlichen Emdens einen eigen- und andersartigen Verlauf im Vergleich zu den meisten deutschen Städte im Alten Reich. Emden besaß bis in die 40er Jahre des 16. Jahrhunderts kein bürgerliches Gemeinwesen mit bereits fertigen Verfassungsformen und einem schon fein differenzierten Sozialkörper. Es gab keine innerstädtischen Auseinandersetzungen bzw. Bürgerkämpfe und auch keinen ausdrücklichen Konsens der Gemeinde zu den Ratsbeschlüssen. Erst seit Mitte des 16. Jahrhunderts entwickelte sich Emden durch den demographischen und wirtschaftlichen Wandel von einem vorkommunalen Gemeinwesen zu einer Stadt mit einem selbstbewussten, genossenschaftlich strukturierten und agierenden Bürgerverband. Erst im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts erkämpfte sich Emden die politische Freiheit, seinen Rat selbst wählen zu können.1732 Durch die so genannte „Emder Revolution“ von 1595 konnte sich Emden von der Hoheit des Landesherrn vollständig lösen und erlangte die Selbstbestimmung bzw. Autonomie der Bürgerund Kirchengemeinde, welche die anderen deutschen Städte des Alten Reichs über zwei Jahrhunderte lang erkämpfen mussten. Erst im 17. Jahrhundert holte Emden jene Entwicklung durch Bürgerkämpfe bzw. innerstädtische politische und soziale Machtkonflikte nach,1733 die das Bürgertum in anderen großen Städten im Alten Reich bereits vollzogen hatte.1734 Trotz alledem ist hervorzuheben, dass die sich wandelnde Balance innerhalb des Kräftedreiecks in dessen atypischer Form „Landesherr – Geistlichkeit – Bürgerschaft“ die verspätete Entwicklung Emdens maßgeblich bestimmt hat.1735 1731  Die folgende Darstellung basiert hauptsächlich auf der Darstellung von H. Schilling, Reformation und Bürgerfreiheit (wie Anm. 1183); H. Schmidt, Geschichte der Stadt Emden (wie Anm. 1707), S. 160–269; ders., Politische Geschichte Ostfrieslands (Ostfriesland im Schutze des Deiches 9), Leer 1975; B. Kappelhoff, Quasiautonome Stadtrepublik (wie Anm. 1698); M. Smid, Ostfriesische Kirchengeschichte (Ostfriesland im Schutze des Deiches 6), Pewsum 1974. Im Folgenden Ostfriesische Kirchengeschichte; H. P. Jürgens, Sozialregulierung der Stadtgemeinde Emden. Nach den Kirchenratsprotokollen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Magisterarbeit. Hamburg 1993. Im Folgenden Sozialregulierung; H. de Buhr, Die Entwicklung Emdens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Diss. Hamburg 1967. 1732  Vgl. H. Schmidt, Geschichte der Stadt Emden (wie Anm. 1707), S. 218. 1733  Vgl. H. Antholz, Die politische Wirksamkeit des Johannes Althusius (wie Anm. 1711), S. 38. 1734  Aus diesem Grund werden zwei Konfliktfelder im 17. Jahrhundert in die Untersuchung einbezogen. 1735  Vgl. H. Schmidt, Geschichte der Stadt Emden (wie Anm. 1707), S. 160–269. Hier S.  218 ff.



3. Emden493

(1) Emden: Landstadt und Herrschaftssitz bis zur Regierungszeit der Gräfin Anna Emden war bis zur Regierungsübernahme durch Gräfin Anna (1501–1575) um 1542 eine kleine territoriale Landstadt im nordwestlichen Küstenraum, entstanden aus einer Siedlung, die seit dem 9. Jahrhundert nachzuweisen ist. Bis Anfang des 15. Jahrhunderts war Emden Sitz mächtiger Häuptlingsgeschlechter – zunächst der Abdena, dann der tom Broke.1736 Im 15. Jahrhundert machte Emden einige wichtige Schritte auf dem Weg der Stadtwerdung, wie z. B. das Zollprivileg von 1412 und das Führen eines Stadtsiegels seit 1427.1737 Nach einem Zwischenspiel hamburgischer Herrschaft vom 1433 bis 1453 ging die Stadtherrschaft an das Häuptlingsgeschlecht der Cirksena über, die ab 1464 als Grafen die Landesherrschaft über Ostfriesland ausübten und Emden für fast ein Jahrhundert zu ihrer Residenzstadt machten.1738 Als Stellvertreter setzte Ulrich Cirksena, der spätere erste Graf von Ostfriesland, einen auf der Burg residierenden Drosten ein, der in alle Angelegenheiten der Stadt eingreifen und damit die politische Eigenständigkeit der Stadt zurückdrängen konnte. Zwar wurden 1442 in Emden erstmals vier Bürgermeister auf Lebenszeit ernannt und 1492 der Magistrat der Stadt um zusätzlich acht Ratsherren und einen Schreiber aufgestockt, doch war das Ratsgremium dem Landesherrn rechenschaftspflichtig und wurde von ihm ernannt. Es hatte insofern eher den Charakter eines landesherrlichen Instruments als den eines genossenschaftlichen bürgerlichen Verfassungsorgans, in dem der Bürgerverband als Partner oder Widersacher des Rates am politischen Regiment der Stadt hätte Anteil nehmen können. Die Abhängigkeit des städtischen Magistrats von der Landesherrschaft zeigte sich besonders in der fehlenden Vertretung der Bürgerschaft.1739 Mit der Reformation von 1520 war zwar der politische, ökonomische und geistig-kulturelle Einfluss Emdens, der mit dem ausgehenden 15. Jahrhundert begonnen hatte, innerhalb des ostfriesischen Territoriums gewachsen, doch änderte sich das Kräfteverhältnis zwischen Landesherrn und der Stadt Emden kaum. Mit der Sicherung des „Vorbeifahrtrechts“ durch die Cirksena im ersten bis dritten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, dem so genannten Stapelprivileg für den Emshandel und der Erweiterung der Hafenanlagen, wodurch erstmals ein Schiff von mehr als 150 m Länge von Emder Reedern betrieben wurde, erlebte Emden zwar einen überregionalen Handelsauf1736  Vgl. H. v. Lengen, Geschichte Emdens von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters, in: Geschichte der Stadt Emden Bd. 1 (Ostfriesland im Schutze des Deiches 11), Leer 1994, S. 59–159. 1737  Ebd. 1738  Ebd. 1739  Vgl. H. Schilling, Reformation und Bürgerfreiheit (wie Anm. 1208), S. 132.

494

V. Die Fallstudien

schwung; dies hatte jedoch auf die Sozialstruktur keine wesentliche Wirkung. Für diese Zeit lassen sich in Emden kaum innerstädtische Sozial- und Verfassungskonflikte nach Art jener Bürgerkämpfe finden, wie sie aus der mittelalterlichen Geschichte der meisten mitteleuropäischen Städte überliefert sind. Zur Zeit der Reformation lebten in Emden etwa 3.000 Einwohner. Eine Ober- und Unterschicht von etwa je 25 % der Bewohner umschloss eine breite Mittelschicht. Die Erwerbsstruktur war noch nicht so sehr vom Fernhandel geprägt, der Bereich Handel und Schifffahrt und dessen Folgegewerbe hatten nur einen Anteil von etwa 20 % der städtischen Erwerbstätigen. Die große Mehrheit arbeitete im Handwerk des täglichen Bedarfs und im Bauhandwerk, auch das Luxushandwerk, wie Goldschmiede oder Steinmetze, war vertreten.1740 Das Kräfteverhältnis zwischen dem Landesherrn und der Kirchengemeinde in Emden zeigt indes ein ganz anderes Bild. Die in der Bürgerschaft erst spät einsetzenden Selbstständigkeitsbestrebungen waren im Bereich der Religion bzw. Kirche schon längst anzutreffen.1741 Bereits in den 30er Jahre des 16. Jahrhunderts zeichnete sich, aufbauend auf der spezifischen Entwicklung der Kirchengemeinde Emdens im Spätmittelalter wie z. B. der Herausbildung der Institution der Laienpröpste und dem Erhalt des freien Pfarrwahlrechts,1742 ein konflikthaftes Gegenüber der beiden Verfassungskräfte ab.1743 1529 versuchte Graf Enno II. (gestorben 1540) unter Hinzuziehung der beiden vom Bremer Rat erbetenen lutherischen Theologen Johann Timann und Johann Pelt1744, der Kirche in Ostfriesland eine lutherische Kirchenordnung1745 zu geben, um die seit dem Beginn der Reformation herrschende Vielfalt theologischer Richtungen1746 aufzuheben und zur Etablierung eines landesherrlichen Kirchenregiments eine geordnete und einheitliche Durch1740  Ebd.

S.  130 ff. H. Schmidt, Geschichte der Stadt Emden (wie Anm. 1707), S. 228. 1742  Vgl. H. Schilling, Reformation und Bürgerfreiheit (wie Anm. 1208), S. 132– 134. 1743  Ebd. S.  132 ff. 1744  Zur Biographie beider vgl. E. Kochs, Die Anfänge der ostfriesischen Reformation. 3 Bde. I. Teil, in: JBE 19 /  (1916), S. 109–172. II. Teil, ebd. 19 (1918), S. 173–273. III. Teil. Ebd. 20 (1920), S. 1–125. Hier Band III, S. 38 f. 1745  Vgl. E. Sehling (Hg.), Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts. Bd. 7. Niedersachsen, 2. Hälfte, 1. Halbband. Tübingen 1969, S. 360 ff. Im Folgenden Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts. 1746  Hauptgrund dieser Vielfalt war, dass die ersten Ordnungsversuche durch Graf Enno II., die Kirchenordnung von 1529 in allen Gemeinden des Landes einzuführen, wegen des heftigen Widerstands der einzelnen Kirchengemeinden gescheitert war. M. Smid, Die Bedeutung von Theologie und Kirche (wie Anm. 1700), S. 41. 1741  Vgl.



3. Emden495

führung der Reformation vorzubereiten. Doch sein kirchenpolitisches Vorhaben eines landesherrlichen Kirchenregiments scheiterte am heftigen Widerstand der Prediger der unterschiedlichen konfessionellen Richtungen in Ostfriesland, u. a. auch in Emden.1747 Als Enno II. diese Widerstände der Geistlichkeit mit Gewalt zu brechen versuchte, indem er die Taufgesinnten des Landes verwies, Karlstadt verbannte, nicht-lutherische Prediger aus dem Amt jagte und den Auricher Prädikanten Johann Oldeguil1748 vorübergehend inhaftieren ließ, protestierten die Prediger dagegen und veröffentlichten unmittelbar darauf die so genannten 16 Artikel der „Christelike overheyt in Evangelijsche saecken“.1749 Von nicht unerheblicher Bedeutung ist, dass sie darin die strikte Trennung von geistlichem und weltlichem Regiment betonten: Die weltliche Obrigkeit sei zwar als Dienerin Gottes von Gott berufen, aber ihre Kompetenz in den kirchlichen Angelegenheiten müsse beschränkt werden. Ihr stehe nur ein Mitwirkungsrecht in Religionsdingen zu, sofern sie ein rechtgläubiger Christ sei. Demnach könne und dürfe der weltlichen Obrigkeit die Aufsicht über die Pastoren und deren Lehre nur zugebilligt werden, wenn sie Gottes Wort, Christus und den Glauben recht bekenne1750, oder mit anderen Worten, wenn sie selbst im Bekenntnis der Kirche stehe und vor Gottes Wort als der obersten Norm sich in Demut und Gehorsam beuge.1751 1747  Vgl. B. Kappelhoff, Die Reformation in Emden, in: Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden 58 (1978), S. 23–67; J. R. Weerda, Der Emder Kirchenrat und seine Gemeinde (Emder Beiträge zum Reformiertentum Protestantismus 3), Wuppertal 2000, S. 7–20. Im Folgenden Der Emder Kirchenrat. 1748  Er wurde nach seiner Entlassung sofort als Prediger in der Emder Kirche angestellt. J. R. Weerda, Der Emder Kirchenrat (wie Anm. 1747), S. 15. 1749  Hoe die Christelike overheyt in Evangelijsche saecken behoort te handelen. Abgedruckt in H. Reimers, Die Gestaltung der Reformation in Ostfriesland (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands 20), Aurich 1917, S. 57–59. 1750  Vgl. K. Rieker, Staat und Kirche (wie Anm. 1181), S. 376; H. Reimers, Die Gestaltung der Reformation in Ostfriesland (wie Anm. 1749), S. 57–58; Vgl. F. Weber, Sendrecht, Policey und Kirchenzucht (Jahrbuch für Religionskultur 9), Frankfurt a. M. 1998. Frankfurt a. M. 1998, S. 160–162. 1751  „VII. Waer die overheyt gods woert, Christum ein den geloeven recht bekent, daer canse wel nüt die christelie gemeynte kennen en richten, wie recht heeft ofte niet, dat is, wie die schrift, so veel onser salicheit angaet, op Christum en den geloeven recht bedudet en wie niet; die scapen kennen haren herder. Jo. X. VIII. Waer die overheit gods woort, Christum ein den geloeben niet ofte niet recht bekent, daeromme derparychsche saken sich niet vestaet, so salse nochtan, wanthe, gods ordeninge en dienerinne is, laten godse woort reyn predigen, leschen den geest niet ut, verbieden die prophecien niet, allerley proeven en dat goet beholden, de gemeinte laten richten, als Paulus leert, I. Tessa. V. en I. Cor. XIIII. Waer die gemeinte om der lere willen in tween parten gedeilt is, gehoert der overheit, die leeraers ofte predicanten sodaner tewerley llere te roegen en comen laten bey malcander vor die

496

V. Die Fallstudien

Dasselbe Argumentationsmuster kommt in ihrer Supplikationschrift1752 zum Ausdruck: Sie seien bereit, in den äußeren Zeremonien zu gehorchen, aber nicht in der Sache des christlichen Gewissens. Die weltliche Obrigkeit habe kein Recht, sich in Kirchen- und Lehrefragen einzumischen.1753 Wie Weber angemerkt hat, standen der Geistlichkeit damit im beginnenden ­Ordnungsprozess des landesherrlichen Kirchenregiments bereits diejenigen Macht­ faktoren gegenüber, die auch im Fortgang der Kirchenordnungsbildung langfristig gewirkt haben.1754 Sechs Jahre nach seinem ersten Versuch erließ Graf Enno II. wiederum eine lutherische Kirchenordnung, die so genannte Lüneburger Kirchenordnung, die dieselben Zielstellungen verfolgte und den Prozess der Herrschaftszentrierung intensivieren sollte. Doch wiederum protestierten die Prediger gegen diese kirchenpolitischen Maßnahmen derart heftig, dass 1537 das Einführungsmandat1755 in schärferer Form wiederholt werden musste und zwei Emder Pastoren, Dakma und Oldeguil, ausgewiesen wurden. Zur Rechtfertigung ihrer Proteste beriefen diese sich auf das herkömmliche freie Pfarrwahlrecht der Kirchen- und Bürgergemeinde: „Dat se sick ahne vorweten vnde beleuen der Gemeinde Christi vnd also ahne jenigen rechtmetigen Berop der Kirchen hebben laten vpdringen.“1756

Die Kirchenordnung von 1535 sei ohne Wissen und Zustimmung der Kirchen- und Bürgergemeinde erlassen worden, deshalb könne sie nicht gebilligt werden.1757 Daraus wird deutlich, dass das Kräfteverhältnis zwischen beiden Verfassungskräften als ein gleichberechtigtes Gegenüber entworfen wird. Von nicht unerheblicher Bedeutung ist, dass Johann Oldeguil gemeinte en aldaer gront en reden laten geven hoerder lere in goeder duitscher spracken […] dat hi dat ganse volc mit den valschen Baalscen propheeten by malcander liet comen, un Elias die propheeet sprac totter ganscer gemeinte, hoe lange wildi op beide siden hinken?“. Zitiert nach H. Reimers, Die Gestaltung der Reformation (wie Anm. 1749), S. 57–58. 1752  Dazu F. Weber, Sendrecht, Policey und Kirchenzuch (wie Anm.  1750), S. 161–162; E. Kochs, Die Anfänge der ostfriesischen Reformation (wie Anm. 1744), Bd. I, S. 86 ff.; Bd. III, S. 94–98. 1753  Siehe auch F. Weber, Sendrecht, Policey und Kirchenzucht (wie Anm. 1750), S. 161. 1754  Ebd. S. 161–162. 1755  M. Alting, Gründtlicker Wahrhafftiger Bericht: Van der euangelischen Reformation /  der Christlicken Kercken tho Embden vnd in Ostfrießland /  Van 1520. beth vp den hüdigen dach […] Gestellet dorch de samptlicke Dener Christi vnde ordentlicke Prediger des Hilligen Euangelions darsüluest […] Bremen 1594. [Jal. Theol. 8° 0237 R], S. 121 ff. Im Folgenden Gründtlicker Wahrhafftiger Bericht. 1756  Ebd. S.  117 ff. 1757  Vgl. F. Weber, Sendrecht, Policey und Kirchenzucht (wie Anm.  1750), S. 162–163.



3. Emden497

nach seiner Entlassung sofort in Emden als Prediger eingestellt wurde. Dies belegt, dass eine nicht unbedeutende Gruppe von Bürgern als Träger dieser Berufung entweder eine starke Rechtsposition für sich beanspruchen konnte oder über größeren Einfluss verfügt haben muss.1758 (2) Emden in der Regierungszeit der Gräfin Anna (1542–1575) Mit der Regierungsübernahme durch die Gräfin Anna von Oldenburg trat im Kräfteverhältnis insbesondere zwischen Landesherrn und dem Bürgertum von Emden ein bedeutsamer Wandel ein, der als eine grundsätzliche Verschiebung der innerstädtischen Machtverhältnisse gedeutet werden kann. Dazu trugen mehreren Anlässen und Faktoren bei: Die Kirchenpolitik eines sog. bikonfessionellen Koexistenzsystems von Gräfin Anna1759: Die Berufung von Johannes a Lasco (1499–1560)1760 und die Gründung des Kirchenrats um etwa 15431761 durch diesen sowie die Entstehung eines Kollegiums der Schüttenhoeftlinge1762 aufgrund der sprunghaft gestiegenen Bevölkerungszahl und des wirtschaftlichen Wachstums,1763 nicht zuletzt der sog. Bruderzwist, deren Hauptursache auf die bemerkenswerteste politische Entscheidung von Gräfin Anna zurückzuführen ist.1764 Für die ostfriesische Weidewirtschaft und ihre Milch-, Fett- und Fleischproduktion war die langfristige Konjunkturlage des 16. Jahrhunderts außerordentlich günstig. Emden hat als wichtigstes Gewerbe- und Handelszentrum 1758  Vgl.

B. Kappelhoff, Die Reformation in Emden (wie Anm. 1747), S. 41–42. vgl. H. E. Janssen, Gräfin Anna von Ostfriesland – eine hochadelige Frau der späten Reformationszeit (1540 / 42–1575), (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 138), Münster 1998, S. 132. 1760  Vgl. H. P. Jürgens, Johannes a Lasco in Ostfriesland (Spätmittelalter und Reformation Neue Reihe 18), Tübingen 2002; C. Strohm (Hg.), Johannes a Lasco (1499–1560) Polinischer Baron, Humanist und europäischer Reformator. Tübingen 2000. 1761  Vgl. J. R. Weerda, Der Emder Kirchenrat (wie Anm. 1747), S. 45–56. 1762  Dieses Gremium war zusammen mit dem Magistrat für die Erhebung von Zöllen auf Wein und Bier zuständig. Vgl. H. P. Jürgens, Sozialregulierung (wie Anm. 1731), S. 51 f. 1763  Vgl. B. Hagedorn, Ostfriesischer Handel und Schiffahrt vom Ausgang des 16. Jahrhunderts bis zum Westfälischen Frieden (1580–1648), (Abhandlungen zur Verkehrs- und Seegeschichte 6), Berlin 1912.; H. de Buhr, Die Entwicklung Emdens (wie Anm. 1731), 1764  Dazu vgl. H. E. Janssen, Gräfin Anna von Ostfriesland (wie Anm. 1759), S. 175–226; B. Kappelhoff, Politik in Ostfriesland im Zeitalter von Ubbo Emmius, in: W. J. Kuppers (Hg.), Ubbo Emmius Een Oostfries gelerde in Groningen /  Ein Ostfriesischer Gelehrter in Groningen. Groningen und Emden 1994, S. 31–48. 1759  Dazu

498

V. Die Fallstudien

davon profitiert. Die daraus resultierenden wirtschaftlichen Wachstumsimpulse wurden seit Mitte der 50er Jahre wesentlich verstärkt durch eine sprunghaft ansteigende Zuwanderung von Religions- und Wirtschaftsflüchtlingen zunächst aus London, dann auch aus den benachbarten Niederlanden.1765 Die bereits seit den 30er Jahren langsam, aber stetig gewachsene Zahl dieser Flüchtlinge erreichte um die Mitte des Jahrhunderts 5.0001766 und in den 70er Jahre 20.000.1767 Der dadurch eingeleitete Handels- und Gewerbeaufschwung hatte weitreichende politische und gesellschaftliche Folgen wie z. B. die Herausbildung einer genossenschaftlichen Institution, nämlich des Deputiertengremiums, und eine rasche Differenzierung des Sozialkörpers.1768 Deutlich greifbar ist das nordwestlich bis nach England und westlich in die Niederlande bis nach Frankreich reichende internationale Beziehungsgeflecht, in das Emden als Vorort und Mutterkirche des nordwesteuropäischen Reformiertentums in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und im frühen 17. Jahrhunderts einbezogen war.1769 Zwar hatte diese Neugründung des Kirchenrats auf das Kräfteverhältnis zwischen Landesherrn und Kirchen- und Bürgergemeinde in Emden anfangs wohl keine großen Auswirkungen, da sich die ersten Mitglieder des Kirchenrats aus Beamten des Hofkreises rekrutierten.1770 Dennoch ist festzustellen, dass mit der prinzipiellen Unabhängigkeit1771 von der weltlichen Obrigkeit ein Schritt zur Stärkung der Gemeindeautonomie und zur Mitbestimmung am landesherrlichen Kirchenregiment getan wurde. Die obrigkeitliche Einflussnahme konnte schließlich dadurch aufgehoben werden, dass sich der Kirchenrat in Emden ausschließlich aus Pastoren und Kirchenältesten aus der Bürgerschaft zusammensetzte – im Unterschied zum Genfer 1765  Vgl.

H. Schilling, Reformation und Bürgerfreiheit (wie Anm. 1208), S. 141 ff. H. de Buhr, Die Entwicklung Emdens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 1731), S. 53. 1767  Zur Bevölkerungsentwicklung vgl. H. Schmidt, Geschichte der Stadt Emden (wie Anm. 1707), S. 203–205; H. Schilling, Reformation und Bürgerfreiheit (wie Anm. 1208), S. 141 ff. 1768  Vgl. H. Schilling, Reformation und Bürgerfreiheit (wie Anm. 1210), S. 141 ff. 1769  Vgl. H. Schilling, Reformierte Kirchenzucht als Sozialdisziplinierung (wie Anm. 1204), S. 261–327. Hier S. 267–268. 1770  Schilling vertritt die Ansicht, dass die Kirchenzucht ein obrigkeitliches Instrument sei und dass die Tätigkeit des Kirchenrats im Auftrag der Obrigkeit geübt wurde. Demzufolge existierte auch in Emden keine eigenregierte Kirchengemeinde. Die Emder Kirchengemeinde unterstand weiterhin der staatlich-öffentlichen Verwaltung. Vgl. H. Schilling, Reformation und Bürgerfreiheit (wie Anm. 1208), S. 144. 1771  Vgl. M. Smid, Kirche zwischen Burg und Rathaus (wie Anm. 1696), S. 139. Dort wird betont, dass der Kirchenrat nicht durch Einsetzung des Landesherrn entstand, sondern von vornherein eigenständig und der unmittelbaren Lenkung durch den Grafen und seine Beamten entzogen gewesen sei. 1766  Vgl.



3. Emden499

oder Züricher Kirchenrat,1772 der sich ausschließlich aus Ratsherren zusammensetzte und bei dem der Magistrat bei der Besetzung des Presbyteriums und der Berufung der Prediger ein entscheidendes Wort mitzureden hatte und auf diese Weise der Verpflichtung zur Reinerhaltung des christlichen Gemeinwesens nachkam. Deshalb konnte in Emden eine obrigkeitliche Omnipotenz nicht geschaffen werden.1773 Mit der Berufung von Johannes a Lasco und der Gründung des Kirchenrats verschärfte die Emder Kirchengemeinde die Konfrontation mit dem Landesherrn. Die Kirchengemeinde in Emden betrieb sogar unabhängig von der gräflichen Obrigkeit eine „internationale“ Konfessionspolitik. Doch diese Stärkung der Emder Kirchen- und Bürgergemeinde in wachsendem Maße wäre wie oben erwähnt ohne tolerierte, taktische und von Kompromissbereitschaft geprägte Kirchenpolitik von Gräfin Anna undenkbar. Wie Janssen zu Recht bemerkt hat, hatte Gräfin Anna, obwohl sie persönlich zur reformierten Konfession neigte, offensichtlich erkannt, dass gegenüber dem Adel, in dem Luthertum wie Zwinglianismus gleichermaßen verbreitet war, keine der beiden protestantischen Konfessionen als territoriales Landesbekenntnis durchsetzbar war. In ihrer Regentschaftzeit wurden auch Katholiken und Spiritualisten weiterhin geduldet und an ihrer Glaubensausübung nicht gehindert. Allein auf Druck des Kaisers verbot sie 1549 den Täufern den Aufenthalt in der Grafschaft.1774 Die Stadt Emden wurde noch vom gräflichen Drosten und vom gräflichen Magistrat verwaltet, der weiterhin vom Grafen besetzt wurde. Die Bürgerschaft hatte keine Freiheit, ihren Rat selbst zu wählen. Doch die Entstehung des Deputiertengremiums, das so genannte bürgerliche Selbstverwaltungsgremium, zeigt deutlich, dass das Selbstbewusstsein der Emder Bürgergemeinde gewachsen war.1775 Zwar war dieses Gremium immer noch vom gräflichen Magistrat abhängig, doch entstand daraus die für die Erweiterung und Stärkung des bürgerlichen Mitsprachesrechts der Emder Bürgergemeinde bedeutende genossenschaftliche Institution des 24er-Ausschusses, welcher 1574 im Zuge der Verlängerung außergewöhnlicher Verbrauchssteuern, die die Bürgerschaft nur gegen Zugeständisse des Landesherrn zu zahlen bereit war, durchgesetzt werden konnte. Aus diesem Finanzgremium entstand 1589 das so genannte „Vierzigerkollegium“, das zum Zentrum des Widerstandes während der „Emder Revolution“ wurde. Der 24er-Ausschuss verlangte zunächst ein Mitspracherecht bei der Bewilligung neuer Abgaben. 1772  Vgl. W. Köhler, Züricher Ehegericht und Genfer Konsistorium. 2 Bde. Leipzig 1932. Bd. 1, S. 202. 1773  Vgl. J. R. Weerda, Der Emder Kirchenrat (wie Anm. 1747), S. 21–43. 1774  Dazu vgl. H. E. Janssen, Gräfin Anna von Ostfriesland (wie Anm. 1759), S. 119–132. 1775  Vgl. J. R. Weerda, Der Emder Kirchenrat (wie Anm. 1747), S. 52 f.

500

V. Die Fallstudien

Zwar behielt sich der Graf seine Zustimmung vor, doch kontrollierten diese Deputierten der Bürgerschaft in der Folgezeit nicht nur die Finanzen der Stadt, sondern erhoben die Steuern auch selbst.1776 Das derart gestiegene bürgerliche Selbstbewusstsein manifestierte sich insbesondere in dem prächtigen Rathaus, das von 1574 bis 1576 gebaut wurde und mehr als 60.000 Gulden gekostet hat.1777 Das Rathaus nahm die Entwicklungen des letzten Viertels des 16. Jahrhunderts vorweg, in denen die Bürgerschaft den im Rathaus symbolisch ausgedrückten Selbstbestimmungsanspruch revolutionär umsetzte. Doch bereits Ende der 40er Jahre kann ein gestiegenes Selbstbewusstsein der Bürger- und Kirchengemeinde in Emden festgestellt werden, als sich in der Interimskrise Prediger und Gemeinde der Einführung des so genannten „ostfriesischen“ Interims widersetzten, auf das noch einzugehen sein wird. Diese Auseinandersetzung wurde von den Beteiligten als ein Vorbild für das Verhältnis von Kirche und Obrigkeit verstanden. Zwar wurde Johannes a Lasco durch Gräfin Anna entlassen, doch das ostfriesische Interim wurde in Emden nicht eingeführt. Der Verlauf dieser Auseinandersetzung hatte einen Autoritätsverlust der landesherrlichen Obrigkeit einerseits und die Stärkung des Selbstbewusstseins der kirchlichen und bürgerlichen Gemeinde andererseits zur Folge.1778 Insbesondere trug zur Stärkung des Emdener Bürgertums der Bruderzwist bei. Gräfin Anna bestimmte im Jahr 1558, dass die Regierung über das ostfriesische Territorium nach ihrer Regentschaft von ihren drei Söhnen Edzard, Christoph und Johann gemeinsam ausgeübt werden sollte. Mit diesem Schachzug wollte sie vor allem den Einfluss des Hauses Wasa in der Grafschaft eindämmen, das durch die Ehe ihres ältesten Sohnes Edzard mit der ältesten Tochter des schwedischen Königs begründet worden war. Nach dem Tode des zweitgeborenen Sohnes Christoph im Jahre 1566 verschärfte sich der zuvor schon vorhandenen Zwist unter den Grafenbrüdern Edzard und Johann, der einerseits eine Ausübung landersherrlicher Macht geradezu blockierte und den Adel und das Emdener Stadtbürgertum stärkte. Durch diesen Bruderzwist konnte sich andererseits aber auch die Garantie für eine Koexistenz der Glaubensbekenntnisse herausbilden, da sich keiner der beiden gegen den anderen durchsetzen konnte. Deshalb gelang es dem Lutheraner Edzard auch nicht, eine Landeskirche einzurichten.1779

1776  H. P.

Jürgens, Sozialregulierung (wie Anm. 1731), S. 59. S. 52. 1778  Ebd. S. 146. 1779  H. E. Janssen, Gräfin Anna von Ostfriesland (wie Anm. 1759); B. Kappelhoff, Politik in Ostfriesland im Zeitalter von Ubbo Emmius (wie Anm. 1764). 1777  Ebd.



3. Emden501

(3) Emden im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts Verschob sich das Kräfteverhältnis zwischen Landesherrn und Bürgertum in Emden in der Regierungszeit der Gräfin Anna lediglich in Ansätzen, trat im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts nun eine grundsätzliche Verschiebung ein. Dies zeigt sich bereits in der Verhandlung über die Mitgliedschaft in der Hanse, denn die Initiative dazu ging von der Bürgerschaft aus.1780 Zu dieser Entwicklung trugen vor allem zwei konfessionelle und politische Faktoren bei: 1. Die Berufung von Menso Alting (1541–1612) zum ersten Pastor an der Großen Kirche und Vorsitzenden des Coetus des Kirchenrats. Mit ihm wurde der Kirchenrat zum tatsächlich wichtigsten Instrument im Kampf um die Autonomie der Kirchen- und Bürgergemeinde Emden.1781 Schon wenige Wochen nach dem Amtsantritt der neuen Prediger1782 wurde die Stadt vom Kirchenrat in fünf neue Seelsorgebezirke eingeteilt.1783 Diese Bezirke wurden jeweils von einem Prediger mit einem ihm zugeordneten Ältesten betreut, die vor allem für die Kirchenzucht verantwortlich waren. Neben seinen organisatorischen und theologischen Tätigkeiten, wie der Neuregelung der Berufung der Prediger, der Wahl der Ältesten, der Aufgabe der Visitatoren und der neuen Ordnung des Gottesdienstes, der Feiertage und dem Erlass einer neuen Abendmahlsordnung von 1576, intensivierte Menso Alting auch die Bemühungen um die Kirchenzucht, die Selbstzucht des Kirchenrats, die Gottesdienstzucht und die Sonntagsheiligung.1784 Die entscheidende politische Bedeutung Altings liegt vor allem darin, dass er als führender reformiert-calvinistischer Prediger an der Spitze der Bewegung stand, die sich gegen die Lutheranisierungstendenzen des Grafen, allen voran Edzards II., wandte. Gegen diese Versuche Edzards leistete die Bürgerschaft in Emden Widerstand, der sowohl politisch motiviert als auch konfessionell und theologisch, vor allem verfassungsrechtlich begründet war. Wesentlich ist, dass der Kirchenrat dabei als Übungsstätte für die bürgerliche Partizipation diente. Im Kirchenrat, der bereits zur Regierungszeit der Gräfin Anna weitgehend unabhängig geworden war, fanden sich nun jene Männer, die zu den Kreisen der innerstädtischen Opposition 1780  H. P.

Jürgens, Sozialregulierung (wie Anm. 1731), S. 53–54. H. Schilling, Reformation und Bürgerfreiheit (wie Anm. 1208), S. 149. 1782  Neben Menso Alting waren das Johannes Suitlarensis (1576–1604), Oyerus Althes (1576–1584) und Rudolf Landius (1575–1576), Vgl. H. P. Jürgens, Sozialregulierung (wie Anm. 1731), S. 57. Dort Anm. 264. 1783  Vgl. H. P. Jürgens, Sozialregulierung (wie Anm. 1731), S. 57–58. 1784  Ebd. S. 59. Dort Anm. 270. 1781  Vgl.

502

V. Die Fallstudien

zählten,1785 die sich als „Patrioten“ bezeichneten und sich auf die Tradition der „friesischen Freiheit“ beriefen1786 und deren politisches Anliegen der Anschluss Emdens an die Generalstaaten war. Menso Alting hatte als Vorsitzender des Kirchenrats erheblichen Einfluss auf diese Kreise, ohne ihnen unmittelbar anzugehören. Beide Parteien koalierten ohne Hindernisse in ihrem Kampf um die Freiheit gegen den Grafen Edzar II. Der Konflikt zwischen der verbündeten Emder Bürgeropposition und dem Grafen zeigte sich nun offen in verschiedenen Auseinandersetzungen und Vorfällen, wie z. B. dem Verbot des Coetus und der Einrichtung eines lutherischen Gottesdienstes in der Neuen Münzen von 1586, dem Vorfall beim Begräbnis der Tochter des Grafen von 1588, der literarischen Auseinandersetzung zwischen Reformierten und Lutheranern in den Jahren 1589 bis 1593, dem Seepässe-Vorfall von 1594, dem Verbot der regelmäßigen Zusammenkünfte der Emder Geistlichen und Kirchenältesten von 1595, das sich schließlich in der „Emder Revolution“ vom März 1595 zuspitzte.1787 2. Die Einrichtung des „Vierzigerkollegiums“ von 1589. Um die Mitte der 80er Jahre des 16. Jahrhunderts setzte Graf Edzard II. (1532–1599) die Mitglieder des 24er-Ausschusses eigenmächtig ein und ab. Die Bürgerschaft protestierte daraufhin gegen dieses willkürliche politische Handeln. Als der Graf auf die Proteste der Bürgerschaft nicht reagierte, erklärte diese die Deputierten für abgesetzt und wählte ein neues Gremium von 40 Deputierten, das so genannte „Vierzigerkollegium“, unter denen sich zwölf Mitglieder des alten 24er-Ausschusses befanden. Diese Vierzig bestimmten, wie oben bereits erwähnt wurde, nicht nur in Steuersachen, sondern in allen städtischen und bürgerlichen Angelegenheiten. Mit Vertretern der Vierziger beteiligte sich die Bürgerschaft Emdens erstmals auch an den Landtagen und schloss sich der Ständebewegung gegen Graf Edzard II. an. In Emden existierten nun mit Kirchenrat und Vierzigerkollegium Repräsentativorgane sowohl der kirchlichen als auch der bürgerlichen Gemeinde. Hervorzuheben ist, dass beide Gremien aufs engste personell miteinander verbunden waren. Die Hälfte des Vierzigerkollegiums, die zum kaufmännischen und grundbesitzenden Großbürgertum gehörte, war zugleich Mitglied des Kirchenrats oder der Diakonie.1788 Von den zwölf Kirchenäl1785  Vgl. H. P. Jürgens, Sozialregulierung (wie Anm. 1731), S. 59 ff.; M. Weber, Emden – Kirche und Gesellschaft in einer Stadt der Frühneuzeit, in: Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden 69 (1989), S. 39–81, S. 39 ff. 1786  Vgl. H. Schilling, Calvinismus und Freiheitsrechte (wie Anm. 1706), S. 403– 434. 1787  Vgl. H. P. Jürgens, Sozialregulierung (wie Anm. 1731), S. 60–62. 1788  Vgl. F. Weber, Sendrecht, Policey und Kirchenzucht (wie Anm.  1750), S. 256; H. Schilling, Reformation und Bürgerfreiheit (wie Anm. 1208), S. 154.



3. Emden503

testen des Jahres 1590 gehörten sogar acht gleichzeitig zu den neugewählten „Vierzigern“.1789 Ebenfalls meldete die handwerkliche Mittelschicht als genossenschaftlicher Bürgerverband ihren Anspruch auf politische Teilhabe am Regiment an und beteiligte sich am Protest gegen die landesherrlichen Ansprüche.1790 c) Konfliktfelder aa) Die Auseinandersetzung um das Interim 1548 Gegen Ende der 1540er Jahre kam es in Emden zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen der Gräfin Anna und der reformierten Geistlichkeit in Koalition mit der Bürgergemeinde um die Einführung der speziell für Ostfriesland ausgearbeiteten Interimsordnung.1791 Als die Gräfin angesichts einer innen- und außenpolitisch bedrängenden Lage die Stadt Emden unter Strafandrohung aufforderte, diese „ostfriesische Sonderform des Interims“ zu befolgen – das hieß z. B. die Privatbeichte, lateinische Gesänge, die Heiligenverehrung und das Fleischverbot am Freitag und in der Fastenzeit wieder einzuführen –, betrachtete die starke Bürgerkoalition diese Anordnung ausdrücklich als Eingriff sowohl in das geistliche Amt1792 als auch in die Autonomie der Bürgergemeinde und formierte sich gemeinsam gegen diese spezifische Interimsordnung bzw. zum Widerstand gegen die landesherrlichen Herrschaftsansprüche. Es kam in der Stadt zu aufruhrartiger Unruhe und öffentlicher Obrigkeitskritik, was zum Verbot des Predigens für die gesamte Geistlichkeit, zur Schließung der Kirche und letztlich zur Entlassung von Johannes a Lasco führte. Die reformiert gesinnte Geistlichkeit und die Gemeindevertreter, stellvertretend Gerhard thom Camp1793, betonten in dieser Auseinandersetzung das 1789  Vgl. H. de Buhr, Die Entwicklung Emdens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 1731), S. 107; M. Weber, Emden – Kirchen und Gesellschaft einer Stadt der Frühneuzeit (wie Anm. 1785), S. 46. 1790  Vgl. G. Canzler, Zünfte und Gilden in Ostfriesland bis 1744. Weener 1996, S. 117. 1791  Dazu ausführlich J. R. Weerda. Der Emder Kirchenrat (wie Anm. 1747), S. 91–105; M. Smid, Ostfriesische Kirchengeschichte (wie Anm. 1731), S. 173 ff.; B. Kappelhoff, Die Reformation in Emden (wie Anm. 1747), S. 23–67. Dort S. 61–64. 1792  Vgl. Menso Alting, Gründtlicker Wahrhafftiger Bericht (wie Anm. 1755). 1793  Gerhard tom Camp war ein wohlhabender und vermögender Kaufmann und Kirchenältester, wie auch Harmen Maler, Johannes Kuill, D. Hans Evers, Gert van Gelder und Albertus van Haren. Es finden sich auch Überschneidungen mit dem Stadtrat (van Haren und Kuill), Vgl. F. Weber, Sendrecht, Policey und Kirchenzucht (wie Anm. 1750), S. 328. Dort Anm. 1070; H. Schilling, Reformierte Kirchenzucht (wie Anm. 1204), S. 261–327. Hier. S. 270.

504

V. Die Fallstudien

Selbstbestimmungsrecht von Predigern und Gemeinde.1794 Die weltliche Obrigkeit habe kein Recht, in die interna ecclesiae einzugreifen. Zudem habe die Gemeinde das Recht, an der Vokation der Prediger beteiligt zu werden, denn die jetzigen Prediger seien nicht allein von der weltlichen Obrigkeit, sondern unter Zustimmung der Geistlichkeit und der Bürgergemeinde berufen worden.1795 Gräfin Anna pochte dagegen unter dem Vorwurf des Aufruhrs gegen die weltliche Obrigkeit auf ihre obrigkeitlichen Befugnisse und beanspruchte die uneingeschränkte Herrschaft über die Kirche und damit die Stadt Emden. Sie könne nicht nur das ius vocandi für sich allein in Anspruch nehmen, sondern auch in die kirchlichen Belange eingreifen. Beide Seiten beziehen dabei die Rechtfertigung ihrer Positionen aus der Dreiständelehre. Die reformierte Geistlichkeit und die Gemeindevertreter betonten, dass die weltliche Obrigkeit als status politicus lediglich ein Stand der Kirche neben den beiden anderen Ständen der Kirche sei: „Das geistliche Amt gehöre Gottes, nicht zur weltlichen Obrigkeit oder den Menschen. Die weltliche Obrigkeit müsse mit der Kirche übereinstimmen. Sie sei nicht die Kirche, sondern nur ein Glied. Wenn die Obrigkeit mit Gewalt gegen die Kirche vorgehe, habe sie kein Teil an der Kirche. Sie sei noch viel weniger Herr der Kirche. […] Eine uneingeschränkte Verfügungsfreiheit der Obrigkeit über die Kirche gebe es nicht.“1796

Die Gräfin Anna dürfe also nur bei Zustimmung der reformierten Geistlichkeit und unter Mitwirkung der Bürgergemeinde ihre kirchenpolitischen Maßnahmen durchführen, da sie eben lediglich ein Stand der Kirche neben den anderen Ständen sei. Eine Unter- und Überordnung zwischen Kirche und Welt gebe es nicht, alle drei Stände, Gräfin, Geistlichkeit und die Bürgergemeinde Emden müssten gleichberechtigt nebeneinander und aufeinander angewiesen stehen. Bedeutsam ist, dass Geistlichkeit und Bürgerschaft in gemeinsamer Koalition argumentierten. Dieser aristokratischen Dreiständeauffassung setzte Gräfin Anna die anders gewichtende Sicht der monarchischen Dreiständelehre entgegen.1797 1794  Vgl. F. Weber, Sendrecht, Policey und Kirchenzucht (wie Anm.  1750), S.  232 f. 1795  Die Emder Prediger Hermannus Henrici, Gellius Faber, Thomas Bramius und Hermann Brassius wurden bereits von den drei politischen Kräften, nämlich Landesherrin, Gemeinde und Stadt (Bürgermeister), gemeinsam berufen, ohne dass eine institutionelle Scheidung der Rechte der drei Sozialgruppen sichtbar geworden wäre. Vgl. B. Kappelhoff, Die Reformation in Emden (wie Anm. 1747), S. 56 f. 1796  Zitiert nach J. R. Weerda, Der Emder Kirchenrat (wie Anm. 1747), S. 101– 102. 1797  Vgl. F. Weber, Sendrecht, Policey und Kirchenzucht (wie Anm.  1750), S. 208–210.



3. Emden505

Zwar gebraucht sie dieses Argumentationsmuster in dieser Auseinandersetzung nicht direkt, doch spiegelt es sich deutlich in der Argumentation der Bürgerkoalition wider: „Sie sei noch viel weniger Herr der Kirche […] Eine uneingeschränkte Verfügungsfreiheit der Obrigkeit über die Kirche gebe es nicht.“1798

Die Aussage „Sie sei nicht viel weniger Herr der Kirche“ belegt deutlich, dass die Gräfin von der monarchischen Dreiständeauffassung ausging und damit sich selbst als das vornehmste Glied der Kirche betrachtete. Dieses Rechtfertigungsmuster findet sich auch in der von ihr erlassenen Polizeiordnung von 15451799: „Nachdem alle Vbericheit tho beschermen de Framen /  und tho straffen die Oveldederen /  von GOtt dem Allmächtigen geordnet sinnen /  up dat die Gemeine und Underdanen in die Fruchte des HErn gelehret /  in gutder Tucht unterholden und ertogen /  mit Justitie, guder Ordung und Politie stedes wohl geregert und vorgegahn werden /  darmede Gades-Lästerung /  BloetVergeten Ehebreckerey /  Wöckerey /  Overflodigheit und alle andere Bosheit /  deß de Werrelt nunmehro leyder voll ist /  nicht gestedet; Dann schuldig /  so vole ein jeder Aberigkeit mögelyck /  öhre Lande und Lüde in Ruste /  Frede und Einigheit tho erholden; […] Wy willen Pastoren und Kercken-Diener oeck ernstlick vermahnet habben /  dat ji eene flietige Upsicht hebben up jn Hus-sittende Armen die in jewer Stadt /  Fleick oder Dorp gebohren /  und wohnhafftig sinnen […]  /  van den Predigstohl vacken vermahnen na gemeene Christlicke Ordnungen /  so idt in alle Lande geholden werdt.“1800

Der weltlichen Obrigkeit sei von Gott befohlen, die Frommen zu beschützen und die Übeltäter zu bestrafen. Ihre vornehmste Pflicht und Aufgabe sei die cura religionis als custos utriusque tabulae. Deshalb habe die weltliche Obrigkeit das uneingeschränkte Recht über die Kirche und könne auch Prediger ermahnen und in die Belange der Kirche eingreifen. Wie Weber richtig bemerkt hat, betont die Gräfin Anna hier den Herrschaftsanspruch der weltlichen Obrigkeit nicht nur in den externa ecclesiae, sondern auch in den interna ecclesiae. Als praecipuum membrum ecclesiae, das heißt als das vornehmste Glied der Kirche, wie es bei den Vertretern der monarchischen Dreiständeauffassung heißt, dürfe sie ihr landesherrliches Kirchenregiment führen.1801 1798  Zitiert

102.

nach J. R. Weerda, Der Emder Kirchenrat (wie Anm. 1747), S. 101–

1799  Von Bedeutung ist, dass der Hofrichter Eggerik Beninga zu den Verfassern dieser Polizeiordnung gehörte. Vgl. H. Schilling, Reformation und Bürgerfreiheit (wie Anm. 1208), S. 143. 1800  Gerichts-und Policey-Ordnung der Gräfin Anna von 1545 [UB HU Sm 8240a], S. 182–185. Vgl. F. Weber, Sendrecht, Policey und Kirchenzucht (wie Anm. 1750), S. 205–214. 1801  Vgl. F. Weber, Sendrecht, Policey und Kirchenzucht (wie Anm. 1750), S. 184.

506

V. Die Fallstudien

Es zeichnet sich bereits hier deutlich ab, dass nicht die tatsächlich bestehenden Rechtsverhältnisse dem Handlungsspielraum der Gräfin Anna Grenzen setzten, sondern vielmehr die Dreiständelehre. Diese war es, die eine Ausübung landesherrlicher Macht geradezu blockierte und den Strukturkonflikt um die politische Ordnung bzw. um die Herrschaftsverteilung zwischen den politischen Kräften regelte und für die Wiederherstellung der alten, überkommenen Gemeinderechte und vor allem zur Bildung einer Koexistenz der Glaubensbekenntnisse die Grundlage bot. Sie diente nicht nur als Legitimierung des Widerstands gegen das Interim, sondern intensivierte den organisatorischen und geistigen Zusammenhalt der Kirchen- und Bürgergemeinde Emdens, steigerte das gemeindliche Selbstbewusstsein des Emder Bürgertums1802 und begründete Ansätze für einen „konsensgestützt“ agierenden Bürgerverband im politisch-weltlichen Bereich. Mit anderen Worten setzte die Dreiständelehre die Entwickung und Verfolgung eines „bikonfessionellen Koexistenzsystems“ bzw. einer „konsensgestützten Herrschaft“ in Emden in Gang, die schließlich in den 1570er und 1580er Jahren rasch an innerer Stärke gewann. Durch sie wurde der Ausbau landesherrlicher Macht gehemmt. Hervorzuheben ist, dass sich die Dreiständeargumentation bereits bei ­Johannes a Lasco findet. Nachdem Graf Enno II. am 24. September 1540 gestorben war, übernahm seine Witwe Gräfin Anna, die aus dem Hause Oldenburg stammte, die vormundschaftliche Regierung. Zur Gestaltung des Kirchenwesens berief sie Johannes a Lasco als Superintendenten, um den Prozess der Herrschaftzentrierung voranzutreiben. Zwischen beiden kam es jedoch zum Streit sowohl über das ius vocandi als auch über die Grenzen der obrigkeitlichen Aufgaben und Pflichten in der Kirche. Gräfin Anna betonte wohl unter Berufung auf die Dreiständelehre, die weltliche Obrigkeit habe das uneingeschränkte Recht über die Kirche. Sie könne das ius vocandi allein in Anspruch nehmen und in die kirchlichen Belange eingreifen, nicht nur in die externa ecclesiae, sondern auch in die interna ecclesiae. Johannes a Lasco wies diese Ansicht strikt zurück, wobei er mit der aristokratischen Dreiständeauffassung argumentierte: „Gräfin Anna habe ein öffentliches Amt in der Kirche erhalten. Die Gräfin dürfe nicht die Sache der Kirche allein entscheiden, sondern sie und Kirche gemeinsam über sie entscheiden, da sie nur ein Glied der Kirche ist. Ein uneingeschränktes Recht der weltlichen Obrigkeit über die Kirche erkenne er nicht an. Die Gräfin Anna habe als weltliche Obrigkeit zwar die vornehmste Pflicht zur cura religionis als custos utriusque tabulae, jedoch könne sie diese nur in den Bereichen der äußeren Kirche üben.“1803 1802  Vgl.

147.

H. Schilling, Reformation und Bürgerfreiheit (wie Anm. 1208), S. 145–

1803  Vgl. A. Kuyper, Johannis a Lasco opera. 2 Bände. Amsterdam 1866, zitiert nach J. R. Weerda, Der Emder Kirchenrat (wie Anm. 1747), S. 25–26.



3. Emden507

Gräfin Anna dürfe nur als ein gleichberechtigtes Glied der Kirche neben den anderen Ständen wirken. Für a Lasco war die Kirche nicht mehr nur Gegenstand des obrigkeitlichen Waltens, sondern wandelt sich von einer Domäne staatlicher Regierung zu einer einflussreichen selbständigen Macht,1804 dem Pendant zur Landesherrschaft. bb) Der Konflikt um das Mandat gegen Prophezey (um 1560) Die Argumentationsweise der oppositionellen Bürgerkoalition beim Interimsstreit kehrte etwa zehn Jahre später bei der Auseinandersetzung zwischen Gräfin Anna und den Emder Predigern, insbesondere Gellius Faber de Bouma (1490–1564), um das Mandat gegen Prophezey wieder.1805 Auch hier ging es um die Abgrenzung von externa und interna in Verbindung mit der Dreiständelehre, und auch hier erwies sich die innerstädtische Machtfrage als Strukturkonflikt der politischen Ordnung. Die Prophezey war eine besondere Einrichtung der Londoner Kirchenordnung, die interessierten Gemeindemitgliedern Gelegenheit gab, sich zum Predigttext und dessen Auslegung durch den Prädikanten zu äußern.1806 Es gibt unterschiedliche Deutungen der Prophezey. In der Londoner Ausgabe des Großen Katechismus von 1546 wird die Prophezey als eine in der Londoner Gemeinde geübte Praxis der Predigtbesprechung erwähnt. In Emden kommt die Prophezey – wohl unter dem Einfluss der „Ordinancien“ Microns – 1558 als sonntägliches Gespräch über die Predigt in Übung.1807 Nach Microns „Ordinancien“ wird die Prophezey nicht anders als eine ­öffentliche Prüfung der Lehre der Prediger anhand des Wortes Gottes bestimmt, durch welche die anwesende Gemeinde gebessert werden soll. Zugleich ist sie ein Mittel, einer gewissen Faulheit der Prediger vorzubeugen und die Gemeinde vor neuer Lehre zu bewahren. Das Gesprächsverfahren ist bei Maarten Micron genau geregelt.1808 Insofern geht die Prophezey wesentlich weiter, als ihre Charakterisierung als Predigtgespräch vermuten 1804  J.

R. Weerda, Der Emder Kirchenrat (wie Anm. 1747), S. 41. Inhalt der Prophezey vgl. F. Weber, Sendrecht, Policey und Kirchenzucht (wie Anm. 1750), S. 279–281. 1806  Vgl. E. Sehling, Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 1745), S. 352, 558. 1807  Vgl. H. Schilling (Hg.), Die Kirchenratsprotokolle der reformierten Gemeinde Emden 1557–1620. Teil 1 (1557–1574), Köln / Wien 1989. Teil 2 (1575–1620), Köln / Weimar / Wien 1992 (Städteforschung C / 3 / 1+2), KRP. I, S. 105; KRP. I: von 14. Feb. 1558. Im Folgenden KRP. I. und II. 1808  Vgl. F. Weber, Sendrecht, Policey und Kirchenzucht (wie Anm.  1750), S. 279–280. 1805  Zum

508

V. Die Fallstudien

lässt. Sie stellt einen Versuch dar, christliches Leben durch Einsicht und nicht allein durch äußere Ordnung zu sichern. Als die Gräfin ein Mandat gegen die Prophezey erließ,1809 betrachteten die Emder Prediger, besonders Gellius Faber, dieses Vorgehen als Eingriff in das geistliche Amt und in die Autonomie der Kirchengemeinde. In zwei Briefen von 1559 an die Gräfin Anna und den Emder Magistrat übte Faber sein Zuchtamt gegenüber der Gräfin und dem Magistrat von Emden, um dem Kirchenrat bzw. der Gemeinde die Autonomie zu sichern. Darin betonte er, dass die Gemeinde nicht einfach Gegenstand obrigkeitlicher Anordnungen sein könne. Die Gräfin habe Regierungsrechte in der Kirche nur als ein Glied derselben. Sie müsse die Befugnisse der Amtsträger anerkennen und die Selbständigkeit der Gemeinde in der Gestaltung ihrer Ordnung achten. Zur Rechtfertigung seines Vorgehens berief er sich auf die Dreiständelehre: „J. G. werden lichtlycken by sick suluest sehen, wel dat meiste recht hefft, vnd höret doch ein mahl thom lesten vp, vns tho martern vmme der Kercken ceremonien willen, de nun ein jeder so ock buthen de kercken ys, na syn wollgefallen regeeren will, vnd syn doch vnsem ampte thobehörich, dat wy de na gelegenheit vnserer Kercken richten vnd öven mothen, dar J. G. als ein levendig littmakt der Kercken tho helpen schall, vnd vnse saeke handthaven.“1810

Nach Weerda sieht Faber in der Intervention der Gräfin nicht einfach eine gewöhnliche Äußerung ihrer Regierungshoheit. Deshalb betonte er, die Rechte des kirchlichen Amtes dürften von der Gräfin nicht beschnitten werden. Die Kirche stehe selbständig neben der gräflichen Regierungsgewalt, der status ecclesiasticus habe als ein Glied der Kirche die gleiche Berechtigung wie der status politicus.1811 Damit wird deutlich, dass Gellius Faber unter Berufung auf die Dreiständelehre ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis zwischen Landesherrin und reformierter Geistlichkeit bzw. der Bürgergemeinde in Emden anstrebte.1812 Das Rechtfertigungsmuster der Dreiständelehre kommt ebenfalls in dem Brief an den Magistrat in Emden zum Ausdruck,1813 allerdings in Form einer strikten Gegenüberstellung bzw. Unterscheidung von geistlichem und weltlichem Regiment: „dat Gott sülvest vnse denste gesettet, E. G. dat vtherlicke Regiment, vns averst de Regieringe der Kercken hefft vpgelecht vnd bevolen, Act. 20, welcker E. G. 1809  StA

A, Rep. 241, Nr. A 92; Rep. 135, Nr. 9: Stück 2 und 3 (Abschriften), Consist. Archiv. Nr. 8. Zitiert nach J. R. Weerda, Der Emder Kirchenrat (wie Anm. 1747), S. 188. 1811  J. R. Weerda, Der Emder Kirchenrat (wie Anm. 1747), S. 188. 1812  Zum weiteren Konflikt um das ius vocandi vgl. J. R. Weerda, Der Emder Kirchenrat (wie Anm. 1747), S. 165–235. 1813  Ebd. S. 115–116. 1810  StA A,



3. Emden509 sampt J. E. W. schüldig sick tho vnder werpende, so ferne wy buten Gades wort nicht treden, wo de Kaiser Constantinus Theodosius Valentinianus, mit mehr anderen gedaen, dartho ock schüldich sind vnse dienste vortostan vnd handhaben wo an densülvigen gespröret. De Könige, segt Jesaias (am Rande: Jesaias 49) schölen dyne Plegers vnd ere Fürsten dyne Sögeammen seyn, se werden vor dy nedderfal­ len. Da Joseph van Arimathia, Nicodemus de twe Centuriones vnd Sergius Paulus Christen geworden, hebben se sich öhrer vocation, ahne tuiwelen flietig geholden, averst der Kercken Policie vnder sick nicht gelecht, sundern sick dersulvigen in gehorsamheit vnderworpen.“1814

Der Magistrat sei ein Glied der Kirche, nur sofern er sich als christlich erweise, indem er als custos utriusque tabulae seiner Pflicht und Aufgabe, der cura religionis, nachkomme. Ein Herrschaftsanspruch auf die interna ecclesiae sei damit in keinem Fall verbunden. Auf Grundlage der unbedingten Gleichberechtigung von geistlichem und weltlichem Regiment forderte Gellius Faber vom gräflichen Magistrat, sich nicht in die interna ecclesiae einzumischen, sondern mit Zustimmung der Geistlichkeit kirchenpolitische Maßnahmen nur im äußeren Bereich der Kirche durchzuführen. Wie sehr Gellius Faber vom Dreiständedeutungsmuster geprägt war, zeigt sich beim Konflikt gegen die Wiedertäufer. Die Täufer betrachteten die Obrigkeit gerade nicht als Glied der Kirche und gestanden ihr kein Amt in der Gemeinde zu. Diese Position wiesen Faber und die reformierte Geistlichkeit strikt zurück: „Item schöllen se herbergich edder gastfry syn, wo Paulus gebüth, so möthen se yo hebben wor van se ydt don, dat ys ere dagelike brodt. Effet se dat nur ein pröue nömen, denn se em ein andern namen geuen, bekummert vns gar weinich, wo ydt vns ock in der warheit gar weinich bekümmert, nha welcker wyse vns de gemene (der de öuericheit ein deel ys) vnderholden will.“1815

Ausdrücklich betonte Gellius in dem in Klammern gesetzten Zusatz, dass die weltliche Obrigkeit ebenfalls ein Stand der Kirche sei und dass sie folglich ihre Aufgabe und Pflicht als custos utriusque tabulae erfüllen müsse, indem sie unreine Lehre und Sektierertum beseitige. Dass sich Gellius Faber eine „konsensgestützt“ strukturierte, gleichberechtigte stadtbürgerliche Aristokratie, in der die summa potestas den drei Verfassungskräften gemeinsam zukommt, vorstellt, zeigt sich darin, dass er bei der Wahl der Kirchenältesten in der Gemeinde ausdrücklich von der 1814  Ebd.

S. 116. antwert Gellij Fabri dener des hilligen wordes, binnen Embden, vp einen bitter- hönischen breeff der Wedderdöper, darynne se etlicke orsaken menen tho geuen, worumme se in onse Kercken umme Gades wortdt tho hören, vnd mit der Gemene de hilligen Sacramente tho bruken nicht kamen willen, vnde de Kercke Gades sampt eren denern schentliken lasteren vnde schelden.“ Bl. Biij. (Benutzt nach einer Transkriptionsarbeit der Johannes a Lasco Bibliothek 2004), 1815  „Eine

510

V. Die Fallstudien

Mitwirkung aller drei Stände der Kirche ausging. In seiner Schrift gegen die Wiedertäufer heißt es deshalb wie folgt: „Idt ys ungeverlick aber söss, söven yar, dat wy dar etlike predige int apenbar van gedan, unde senioren edder olderlingen, alse richters aber der Kercken saken, darto erwelet hebben, de beyde van unser övericheit unde Gemene in erem ampte bestediget synn“1816

Alle drei beteiligten Sozialgruppen werden hier erwähnt: die Prediger, die Obrigkeit (vermutlich in diesem Fall nicht Bürgermeister und Rat, sondern die Gräfin Anna) und die Bürgergemeinde bzw. die Bürgerschaft, die sie nun bestätigen.1817 Diese Stelle belegt, dass die reformierten Prediger, zumindest aber Gellius Faber, dasselbe Gesellschaftsverständnis wie die lutherische Geistlichkeit von einem corpus christianum im Kleinen besaßen, mit anderen Worten dieselbe politische Vorstellung von einem durch die drei Stände der Kirche geordneten Gemeinwesen, in dem die drei Stände gleichberechtigt nebeneinander wirken und die aktive Teilnahme der Bürgergemeinde am landesherrlichen Regiment durch Wahl, Kontrolle und Mitentscheidung ermöglicht wird und Grundsatzentscheidungen im Konsens mit der Bürgergemeinde getroffen werden.1818 cc) Der Konflikt um das Begräbnis (1588) Aus der Vielzahl der noch wenig erforschten Beispiele sei der folgenschwere Streit um das Begräbnis der Tochter des Grafen Edzard von 1588 herausgegriffen, bei dem bereits ernst zu nehmende Anzeichen von Aufstandsbereitschaft zu beobachten sind, die sich als eine Vorstufe der „Emder Revolution“ andeuten. Auch hier ging es im Kern um einen Strukturkonflikt der politischen Ordnung und damit um die Kompetenz- und Machtverteilung zwischen den Verfassungskräften. Graf Edzard II. hatte 1586 auf der Neuen Münze in Emden einen lutherischen Gottesdienst einrichten lassen. Als Prediger amtierten dort Johannes da Prato und der frühere reformierte Schullehrer Jacob Sartorius. Die Geistlichkeit unter der Führung Menso Altings betrachtete dieses kirchenpolitische Handeln als Eingriff in das geistliche Amt. Als die älteste Tochter Margarethe am 10. September 1588 in Aurich starb, benachrichtigte der Graf den Emder Rat, dass am Sonnabend, dem 14. September, sein Hofprediger Gottfried Heshusius bzw. ein lutherischer Prediger nach der Beiset1816  Ebd. 1817  Vgl.

Giiij. B. Kappelhoff, Die Reformation in Emden (wie Anm. 1747), S. 23–67.

Hier S. 59. 1818  Vgl. B. Kappelhoff, Quasiautonome Stadtrepublik (wie Anm. 1698), S. 436.



3. Emden511

zung im Cirksenaschen Erbbegräbnis in der Großen Kirche die Leichenpredigt halten solle. Die Geistlichkeit protestierte gemeinsam mit der Bürgerschaft gegen diesen Eingriff in das geistliche Amt und in die Autonomie der Bürgergemeinde. Diese gemeinsame Opposition forderte sogar die lutherischen Prediger zum Widerstand gegen die Eingriffe des Landesherrn auf. Zur Rechtfertigung ihres Vorgehens beriefen sie sich in ihrer schriftlichen Erklärung1819 auf die strikte Trennung von geistlichem und weltlichem Regiment und führten die berühmte Belegstelle Matth. 22 an: „sie [die reformierten Prediger; Anm. Ch. P.] seien der Obrigkeit des Grafen untertan und hätten ihm zu gehorchen, doch nicht gegen Gott und ihr Gewissen, denn man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen, dem Kaiser, was des Kaisers sei, doch Gott, was Gottes sei. Aus der gräflichen Anordnung könne ein Präjudiz entstehen, und sie seien die vor 13 Jahren mit Wissen und Willen der Obrigkeit berufenen Diener der Emder Gemeinde.“1820

Gemeint ist hier, dass sie zwar bereit seien, dem Landesherrn in politischen Dingen gehorsam zu sein, nicht aber in Angelegenheiten der Kirche. Die weltliche Obrigkeit dürfe nur in die externa ecclesiae eingreifen und nicht in die interna ecclesiae, da sie nur ein Glied der Kirche sei. Dieses Dreiständeargumentationsmuster kommt in der Leichenpredigt Menso Altings für den Grafen Johann,1821 die er am 9. Oktober 1591 in der Großen Kirche hielt, noch deutlicher zum Ausdruck. In dieser griff er die Tagespolitik des Grafen direkt an und nutzte die Kanzel als politisch wirksame Tribüne. Er betonte dabei die Grenzen des obrigkeitlichen Amtes vor Gott und forderte die absolute Unabhängigkeit des Predigtamtes von der weltlichen Obrigkeit: „Die gute Vnterthanen waren durch mancherley Grewel der vielfeltigen Secten nicht so zerrüttet /  Einigkeit vnd Fried wonet zwischen allen stenden /  Moses stund bey Aaron /  Aaron bey Mosi /  vnd war in Summa die Landschaft aus dem Himmel mit Gott seligiert vnd Erbarkeit /  mit Gerechtigkeit vnd mit Reichtumb vnd Narung von Gott gesegnet /  wie alle die bekennen /  welche die Gnadenzeit erlebt haben.“1822 1819  Vgl. L. Hahn, Das Begräbnis der Grafentochter, in: Emder Jahrbuch 24 (1936), S. 55–69. Hier S. 57 ff. 1820  Vgl. H. K. Hesse, Menso Alting. Eine Gestalt aus der Kampfzeit der calvinistischen Kirchen. Berlin 1928, S. 169. 1821  Zur Rolle des Grafens Johann zur Stärkung des Calvinismus im ostfriesischen Territorium vgl. H. E. Janssen, Gräfin Anna von Ostfriesland (wie Anm. 1759), S. 175–226; B. Kappelhoff, Politik in Ostfriesland im Zeitalter von Ubbo Emmius (wie Anm. 1764), S. 31–48. 1822  M. Alting, Leichpredig So zu Begrebnus des Wolgebornen Herrn /  Herrn Johans Grafen und Herrn zu Ostfrießlandt /  Christseliger Gedächnus /  in der Kirchen zu Embden ist gehalten worden /  Anno 1591. den 9. Octobris. Bremen 1592. [Jal. Theol. 8° 372]. Bl. C iiijv. Im Folgenden Leichpredig.

512

V. Die Fallstudien

Die Verknüpfung des gesellschaftlichen Modells ständischer Harmonie mit dem Gleichnis des Zusammenwirkens von Mose und Aaron zeigt deutlich, dass Alting seine Vorstellung einer idealen Gesellschaft aus dem „konsensgestützten“ Herrschaftsordnungsmodell, in dem das Gleichgewicht der drei Stände aufbewahrt wird, bezieht. Auch zeigt sich diese Argumentation an weiteren Stellen der Leichenpredigt: „vnd so billich dis Königliche Exempel alle Menschen /  wes Standes oder Würden die seyn /  bewegen /  das Wort gottes mit groster Ehrerbeitung vnd Reuerentz anzuhören /  vnangesehen.“1823 dd) Auseinandersetzung um die Kirchenordnung von 1593–1594 Menso Alting hat in seinem Brief an den Grafen Enno II. vom 11. Dezember 1592 die Inkonsequenz in der Handhabung der Lehrverfahren seiner Hofprediger aufgrund mangelnder einheimischer Lehrgrundsätze beklagt.1824 Daraufhin ließ Graf Edzard II. kurz vor dem Norder Landtag durch seinen Hofprediger Peter Hesse eine neue lutherische Kirchenordnung, die so genannte Marienhafer Kirchenordnung von 1593,1825 für Ostfriesland erarbeiten, um endlich entsprechend den Möglichkeiten des Augsburger Religionsfriedens, der das ius reformandi eingeräumt hatte, die Kirche in ganz Ostfriesland ausschließlich lutherisch zu gestalten.1826 Zur Rechtfertigung seines landesherrlichen kirchenpolitischen Handelns berief sich auch Graf Edzard II. auf die Dreiständelehre: „Wir Edzardtt, graffen und herrn zu Ostfreeßlandt etc.[…] als haben wir yn der furchte Gottes beherzigt, wie ein christliche obrigkeit schuldig ist, dem almechtigen gehorsamlich zu dienen, nicht allein yn ehrhaltung guter policey, burgerliche friede, ruhe, zucht und erbarkeit, sondern auch vielmehr zum preis und ehr seines heiligen namens, furderung und ausbreitung seines heilsamen wortes und ehrbauwung seiner vielgeliebten kirchen, und das die burgerliche polecey und regierung nicht godselig mag sein noch fur Gotdt gesegnet, da die religion und das reich Gottes nicht ahm ersten gesucht und gehandhavet wirt (Psalm.2; Esa. 49; Deut. 17). Haben derohalben als ein mytgenosse der h. christlichen kirchen /  der wyr auch geneigt und vonherzen begierich) diese kirchenordnung Bl. B iiv. M. Smid, Ostfriesische Kirchengeschichte (wie Anm. 1731), S. 244. 1825  Vgl. E. Sehling, Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 1745), S. 683–724. 1826  Diese Kirchenordnung wurde zwar außer vom Hofprediger Hesse noch von 18 weiteren lutherischen Pastoren Ostfrieslands unterschrieben, konnte aber wegen der folgenden „Emder Revolution“ keine größere Geltung erlangen. Vgl. M. Smid, Ostfriesische Kirchengeschichte (wie Anm. 1731), S. 245. 1823  Ebd. 1824  Vgl.



3. Emden513 nach ehrvorderung der sachen und gelegentheit unser graffschaft lassen verfer­ tigen.“1827

Der Ausdruck „ein mytgenosse der h. christlichen kirchen“ macht deutlich, dass der Graf seine Pflicht und Aufgabe als christliche Obrigkeit im Rahmen der Dreiständelehre formuliert, nämlich: Dass es ihm als der christlichen Obrigkeit obliege, über beide Tafeln der heiligen zehn Gebote zu wachen.1828 Der Graf identifiziert sich also mit dem custos utriusque tabu­ lae und dem custos totius legis.1829 Aus dieser Auffassung folgt natürlich, dass der Graf in die Belange der Kirche eingreifen könne und dürfe, da er ein Glied der Kirche sei.1830 Hervorzuheben ist, dass der Graf sich zwar in dieser Kirchenordnung als ein Glied der Kirche bezeichnete, in der Praxis allerdings nicht als ein Glied der Kirche, sondern als das vornehmste Glied der Kirche gehandelt hat. Wie Sprengler-Ruppenthal berichtet, setzte der Graf z. B. ohne Zustimmung der Landstände und der Kirchengemeinde Prediger ein und ab, obwohl seine Kirchenordnung eine gewisse Beteiligung der Gemeindemitglieder an der Pfarrstellenbesetzung vorsah.1831 Auch die Hintergründe dieser Kirchenordnung weisen darauf hin, dass sich der Graf in der Tat für das vornehmste Glied der Kirche hielt. Angesichts des im Verlaufe der Zeit immer stärker hervortretenden Selbstbewusstseins der ostfriesischen Landstände und ihres Mitwirkungsanspruchs am landesherrlichen Regiment, wobei die Stadt Emden hinsichtlich dieser Forderungen eine führende Rolle spielte, diente die Kirchenordnung der Stärkung der landesherrlichen Obrigkeit.1832 Der Graf berief sich dabei zur Rechtfertigung seiner Obrigkeitsstellung und seiner landesherrlichen Kirchenpolitik als „Summus Episcopus“ auf die monarchische Dreiständelehre. Ubbo Emmius (1547–1625) zufolge1833 soll diese monarchische Dreiständeauffassung des Grafen vom Hofprediger Johannes Ligarius (1529–1596) 1827  E. Sehling, Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 1745), S. 683–684. 1828  Vgl. A. Sprengler-Ruppenthal, Zur reformatorischen Kirchenrechtsbildung in Ostfriesland, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 10. Bd. 3. / 4 Heft (1964), S. 314–367. Hier S. 345 f. 1829  Ebd. S. 316 f.; J. Heckel, cura religionis (wie Anm. 134), S. 224 ff. 1830  Vgl. A. Sprengler-Ruppenthal, Zur reformatorischen Kirchenrechtsbildung in Ostfriesland (wie Anm. 1828), S. 345 ff. 1831  Ebd. S. 351. 1832  Ebd. S. 345. 1833  U. Emmius, Mensonis Altingi […] vita […] Accedunt Henrici Altingii […] Historia de ecclesiiis Palatinis […] nec non Adami Mensonis Isinck Brevis historia de reformatione in urbe Groninga et Omlandia […] cura Adami Mensonis Isinck. Groningen 1728, S. 60. Im Folgenden Vita Mensonis Altingi.

514

V. Die Fallstudien

vermittelt worden sein, der den Grafen als alleinigen Inhaber des ius vocan­ di und als vornehmstes Glied der Kirche kommunizierte.1834 Dieselbe Auffassung zur Pfarrerwahl vertrat auch Garrelts1835. Ligarius protestierte deshalb gegen Christoph Pezels Ansinnen des gewaltsamen Widerstandes gegen den Landesherrn, worauf noch einzugehen sein wird.1836 Die monarchische Dreiständeauffassung zur Rechtfertigung der Obrigkeitsstellung ist für einen Lutheraner selten und bemerkenswert, zumal am Hof auch Gottfried Heshusius als Hofprediger und geistlicher Berater tätig war, der die aristokratische Dreiständeaufassung seines Vaters Tilemann Heshusius und dessen Vorstellungen zum politischen Gemeinwesen und zur Rolle der Obrigkeit gut gekannt haben dürfte. Gegen die landesherrlichen Maßnahmen vom 1. August 1593 wandten sich Menso Alting und die reformierte Geistlichkeit – ohne Zweifel unter Zustimmung der Kirchenältesten, d. h. also als eine gemeinsame Opposition von Pfarrern und Bürgerschaft – und erließen eine reformierte Gegenkirchenordnung, die so genannte Emder Kirchenordnung von 1594, die in Bremen gedruckt wurde.1837 Zur Rechtfertigung ihres Vorgehens beriefen sie sich auf die Dreiständelehre: „Van dem ampte der slötelen edder der kerckenregeringe und disciplyn. To der handhave der kercken und des wahren gadesdenstes hefft Godt twyerley ampt vorordenet, nemlick dat ampt der slötelen und der werktlicken overicheit, welcke twar vorscheidene und dennoch nicht wedderwertige aempter sind […] Wy bekennen, dat neffens dem ampte der slötelen ock dat ampt der wertlicken overicheit van Godt to erholdinge synes denstes unde kercken, ja des ganzen menschlicken geslechtes vorordenet sy und derwegen van nemande beter und nütlicker als van einem uprichtigen, framen christen könne bedenet werden […] Wenn nu eine overicheit na dem van Godt sülvest vorgeschrevenen park van herten strevet, so ist dem allerhögesten sonderlick angenehm und wert van syner godtlicken majestat ehrer trüwe unde amptes halven mit hogen, herlicken ehrentitulen vor anderen 1834  E. Sehling, Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 1745), S. 686. Dort Anm. 30. 1835  „quod Ligarius hac quoque opinione aulam imbuerat, jus patronatus solium esse Comitis per omnes ejus ditiones, et per id potestatem eum habere absolutam dandi ministros Ecclesiis et admendi quos vellet, nec fas esse iisdem Ecclesiis voluntati ipsius morem non gerere“, zitiert nach H. Garrelts, Johannes Ligarius. Sein Leben und seine Bedeutung für das Luthertum Ostfrieslands und der Niederlande. Emden 1915, S. 150. Dort Anm. 5; ders., Die Reformation Ostfrieslands nach der Darstellung der Lutheraner vom Jahre 1593 (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands 22 / 23), S. 59. Dort Anm. 6. 1836  H. Garrelts, Die Reformation Ostfrieslands (wie Anm. 1835), S. 58. 1837  Die Emder Kirchenordnung von 1594 befasste sich ausführlich mit dem Problem des Vokationsrechts und betonte dabei das Mitwirkungsrecht aller drei Verfassungskräfte. Vgl. M. Smid, Ostfriesische Kirchengeschichte (wie Anm. 1731), S. 245–246.



3. Emden515 menschen gezyret, und werden göder, kinder des allerhögesten, vaders, herden, knechte und dener Gades, pleger und sögammen der kercken, genedige, woldedige heren etc. genöhmet […] Is derhalven ut dem vorigen afftonehmen, dat godt beyde regiment der kercken im worde vorordnet und doch eines van dem anderen fyn unterscheiden hefft. Der werltlicken overicheit heft Godt dat wertlicken swert und wat dem anklevet, wedder allerleye unterlicke unordnunge und fyende gegeven, der kercken dargegen dat twesnydige swert des Geistes, wedder alle geistlicke fyende […]De Overicheit richtet nicht allein na Gades wort, sonder ock na keyserlicken und andern landrechten und ordnungen, averst der kercken ordel moet in Gades wort gegründet syn. De Ouericheit is eine bewarerinne der beyden tafelen der tein gebaden /  by allen underdanen und de sick sonst in ehrem lande vorholden, sovele de vterlicke tucht vnd ordnunge belanget. Dat regiment der kercken ist ock innerlick kreftich im herten, unde strecket sick ehr gerichte alleine to den lidtmahten […] Wy wdderspreken de erdome deren, so meinen, dat de ordnunge der kercken dem ampte der overicheit towedderen sy und derwegen neen platz hebbe, war eine christlicke overicheit is, item des pawestes tyranne, de sick des amptes der slötelen, welckes Christus der ganzen gemein to ehrer beteringe gegeven, alleine anmahtet […] Gelyckfals wedderspreken wy allen mißbruck des werltlicken swerdes, wenn idt wedder Godt, syne kercke und denst, ock to underdruckinge der underdanen mißbrucket werde, des pawestes homet, de sick und syne vormeinte geistlicken der gewalt der overicheit entagen und dat werlt­ licke swert wedder Christi befehl to sick gereten.“1838

Mit dem Begriff „göder, kinder des allerhögesten“ kommt zum Ausdruck, dass die Obrigkeit ebenfalls ein geistlicher Stand bzw. ein Glied der Kirche sei. Das heißt, die weltliche Obrigkeit verfüge als custos utriusque tabulae nur über Gewalt in den externa ecclesiae, habe aber keine Macht, in die interna ecclesiae einzugreifen. Wenn die weltliche Obrigkeit ihre von Gott befohlene Pflicht und Aufgabe gut erfülle, sei sie ein Glied der Kirche und habe wie die beiden anderen Stände der Kirche ein Mitwirkungsrecht. Hinsichtlich der beiden von Gott eingesetzten Regimenter betonten Alting Menso und die Mitglieder des Kirchenrats gemäß dem Obrigkeitsverständnis der Gnesiolutheraner ausdrücklich die je eigene Aufgabe, die je eigene normative Grundlage und die je eigenen Mittel derselben und verwarfen jegliche Form von Papocäsarie und Cäsaropapie. Daraus wird deutlich, dass sie unter Berufung auf die Dreiständelehre gegenüber dem Landesherrn eine verfassungsrechtliche Gleichstellung verlangten. Auch zeigt sich die Verwendung der Dreiständelehre als Legitimationsgrundlage an einer andern Stelle der Emder Kirchenordnung: „Wird also in disser der predige runde oldesten wekentlicke vorsamling allein gehandelt, wat ehres amptes ist und to erholdinge reiner lehre und ceremonien, 1838  Zitiert nach E. Sehling, Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 1745), S. 502–504; vgl. auch F. Weber, Sendrecht, Policey und Kirchenzucht (wie Anm. 1750), S. 368–371.

516

V. Die Fallstudien

guder ordnung und desciplyn der kercken notwendich unde gehörich, unde mit nichten etwas vorgenahmen, dar to beratslagen edder to vorhandelen, dat de werltlicken overicheit unde ehrem ampte tosteit unde geböhret.“1839

Ebenso kommt das Dreiständedeutungsmuster im so genannten „Kortebekenntnis“ von 15941840 zum Ausdruck, das Menso Alting und das geistliche Ministerium unter Zustimmung des „Vierzigerkollegiums“ im Kontext des theologiepolitischen Streites mit dem Landesherrn veröffentlichten. Im 26. und 27. Artikel zur „weltlichen Obrigkeit“ entfalten die Autoren ihre Argumentation ausschließlich unter Berufung auf die strikte Trennung von geistlichem und weltlichem Regiment gemäß dem Obrigkeitsverständnis Me­ lanch­thons: „De Ouericheit ist eine bewarinne der beyden Tafelen der Tein Gebaden by allen Underdanen und de sick sonst in ehrem Lande vorholden, sovele de utherlicke Tucht und Ordnunge belanget: Dat Regiment der Kercken is ock jnnerlick krefftich im Herten, unde strecket sick ehr Gerichte allein tho denn Lidmahten. De Ouericheit fahret mit ehrer Straffe vorth, wenn gelyck de Sünder Bohte deit, de Kercke nimpt de Boetferdigen in gnaden an. Ock werden in der Policey unde Borgerlicken gemeinschop Lüde geduldet /  welcke de Kercke nha Gades Wort van ehrer gemeinschop wehret und uthslütet.“1841

Das äußere Regiment der obrigkeitlichen Sittenzucht diene dabei „Gades ehr, der christlicken kercken erbouwinge in der godtsalischheit und der samptlicken unteredanen erholdinge by uterlicken freden, gerechticheit unde erbarheit“. Wiederum erwies sich die Dreiständelehre als Legitimitäts- und Delegitimitätsgrundlage theologie- und kirchenpolitischer Auseinandersetzungen. Darum gelang es dem Lutheraner Edzard auch nicht, eine lutherische Landeskirche im Lande einzurichten. ee) Die „Emder Revolution“ von 1595 In dieser so genannten „Revolution“, die sich an mehreren Anlässen und Vorfällen entzündete und durch die das Bürgertum in Emden jene genossenschaftliche Autonomie bzw. politische Freiheit verspätet erlangte, welche die meisten anderen deutschen Städte über zwei Jahrhunderte lang erkämpfen mussten, ging es, wie eingangs bereits erwähnt, um einen Strukturkon1839  Zitiert nach E. Sehling, Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 1745), S. 503. Vgl. F. Weber, Sendrecht, Policey und Kirchenzucht (wie Anm. 1750), S. 270–272. 1840  M. Alting, Korte Bekendtenisse der Christlicken Lehre /  so in der Gemeinde Gades tho Embden /  vt synem Worde gelöuet /  gelehret /  vnd geprediget werdt. Sampt bygefügter Kercken=Ordnung tho Embden. Bremen 1594. [HU 886 vx: F8]. Im Folgenden Korte Bekendtenisse. 1841  Ebd. S. 117.



3. Emden517

flikt der politischen Ordnung bzw. um die Machtverteilung zwischen den drei politischen Kräften. Die auf ihrer traditionellen, politischen und wirtschaftlichen Lebensordnung beharrende bzw. einen größeren Einfluss in der landesherrlichen Politik beanspruchende Bürgerschaft, repräsentiert durch das „Vierzigerkollegium“, verband sich mit dem die Autonomie der Kirchengemeinde anstrebenden Kirchenrat gegen den auf Herrschaftszentrierung zuarbeitenden Landesherrn. Im Rahmen dieser Darstellung soll auf die Details der Vorgeschichte verzichtet werden, um das Hauptereignis konzentriert zu beschreiben.1842 Am 28. Juli 1594 hielt Menso Alting auf Bitten der Grafen Moritz und Wilhelm Ludwig von Nassau-Dillenburg (1560–1620) und der Generalstaaten im befreiten Groningen in der Martinikirche die erste Predigt, und zwar über den Psalm 118.1843 Weil Graf Edzard II. um das Wohlwollen der Spanier fürchtete und weil Alting gegen seinen Befehl nach Groningen gegangen war, forderte er in einem Mandat vom 10. August 1594 die Bürgermeister und den Magistrat Emdens, die sich neutral zu Altings Groninger Aufenthalt verhalten hatten, auf, Alting die Kanzel zu verbieten und ihm auch keine Abschiedspredigt zu gestatten. Die Bürger widersprachen in einer Erklärung vom 14. August dem Eingriff des Grafen, da die Berufung und Absetzung der Kirchen- und Schuldiener stets bei der Bürgerschaft gelegen habe. Als Graf Enno im Oktober nach Emden kam und mit Menso Alting durch mehrere Gespräche die Streitigkeiten zwischen dem Grafen Edzard II. und der gemeinsamen Opposition von Bürgerschaft und Pfarrern beizulegen versuchte, beklagte Alting die durch eingedrungene Lutheraner entstandene Verwirrung und übergab ein Exemplar seines „Gründlicken Warhafftigen Berichts“, auf den noch einzugehen sein wird. Die Unruhe in der Bürgerschaft hielt indessen weiter an. Graf Edzard wandte sich an den Kaiser in Prag und erlangte am 21. Januar 1595 ein ­Poenalmandat des Kaisers, in dem alle Zusammenkünfte der Bürger verboten wurden und mit dem Edzard in der Folge versuchte, die Forderungen der Bürger zu unterdrücken. Als Edzard unter Berufung auf das kaiserliche Mandat durch seinen Sekretär und Notar das Verbot aller kirchlichen Zusammenkünfte, also vor allem der des Presbyteriums und der Diakone, verkünden ließ und am 15. März die Stadt Emden aufforderte, die Armenrechnungen der Gemeinde vor seinem Beamten offenzulegen, kam es am 18. März 1595 zu einem offenen Aufruhr der Bürgerschaft gegen den Stadt- und Landesherrn. 1842  Zu diesem Ereignis ausführlich H. de Buhr, Die Entwicklung Emdens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 1731); W. Deeters, Geschichte der Stadt Emden von 1576 bis 1611, in: Geschichte der Stadt Emden (wie Anm. 1707), S. 296–306. 1843  Vgl. M. Smid, Ostfriesische Kirchengeschichte (wie Anm. 1733), S. 249–254.

518

V. Die Fallstudien

Der Kirchenrat trat unter dem Vorsitz Menso Altings in der Großen Kirche zusammen, in der viele Gemeindemitglieder versammelt waren. Als Menso Alting die Entscheidung des Konsistoriums der Gemeinde vorstellte und demonstrativ seinen Rücktritt anbot, ergriff Gerhard Bolardus, Mitglied des Kirchenrats und des „Vierzigerkollegiums“, das Wort und forderte die in der Großen Kirche versammelten Bürger zum bewaffneten Widerstand1844 gegen die gräfliche Unterdrückung der städtischen Freiheit auf: „Das ist /  nach seinem gefallen die Burger ins Gefengnus zu werffen /  sie zu trucken /  in die eusserste servitot zu setzen /  auch ihrer Guter vnd Religion zu berauben /  woferne man in zeiten nit zusehen /  vnd sich versichern wollte: Jnsonderheit hette er /  neben dem Vesten-Hause in der stadt /  welches mit Soldaten gefullet /  vnd mit anderer zur Gewaldt dienender notturft versorget /  die gantze Vnter-Obrigkeit /  so der Stadt freyheit vnd Burgerliche Wolfart billich sollte vertheitigen /  vollkommen an seiner handt /  die nit allein dem herrn Grafen in seinem vnpillichen vornehmen /  keinen wiederstandt thete /  sonder auch zu vntertruckung der Guten Burgerschaft /  […]  /  so GOTT durch den Burgermeister gegeben /  den samptlichen Burgern vernunftiglich zu bedencken /  ob sie den dingen so lang wolten zusehen /  bis sie mit Weib vnd Kinder in dem netz /  das bereits geschoren /  verstricket /  oder aber ob sie gemeinet /  notwendige /  vnd in solchem fal zugelassene /  Gebürliche mittel anzuferdigen /  dardurch sie sich vnd die Jhrige vor Tyran­ nei vnd Gewalt /  vnd die gantze Stadt vor Feindtlichen ein: vnd vberfal versicheren vnd bewaren möchten.“1845

Auffallend ist, dass Bolardus die ständische Widerstandstheorie der niederen Obrigkeit nach der Magdeburger „Confessio“1846 in Verbindung mit dem Notwehrrecht zur Rechtfertigung des aktiven Widerstands gebrauchte. Er warnte davor, die Tyrannei des Grafen zu unterschätzen. Graf Edzard II. warte nur darauf, sich der Stadt Emden mit Gewalt zu bemächtigen. Vom landesherrlichen Rat könne man keine Hilfe erwarten, da er dem Grafen in allem nachgebe und nur dessen „Handlanger“ zur Unterdrückung der Bürgerschaft sei.1847 Der sachliche Kern dieser frühneuzeitspezifischen politischen Kommunikation besteht darin, die spätmittelalterliche Notwehrtradition und deren 1844  „Das aus diesen vnd andern mehr Vrsachen /  so die Getreuwe Burgerschafte zu gelegener zeit in offentlichen Druck zuverfertigen bedacht /  dieselbige Burgerschaft /  nicht animo offendendi, sed sui defendendi et assecurandi causa, solchs vnd was dem anhengig /  nohttrenglich /  wiewohl vngerne /  thun vnd vernichten müssen.“ Apologia (wie Anm. 1708), S. 102. Vgl. H. de Buhr, Die Entwicklung Emdens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 1731), S. 119. 1845  Apologia (wie Anm. 1708), S. 97. 1846  Dazu W. Schulze, Zwingli, lutherisches Widerstandsdenken, (wie Anm. 44), S. 199–216; L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht (wie Anm. 54), S.  211 ff. 1847  Vgl. W. Deeters, Geschichte der Stadt Emden von 1576 bis 1611, in: Geschichte der Stadt Emden (wie Anm. 1707), S. 296–297.



3. Emden519

Notwehr- und Widerstandsdiskussion, insbesondere die stadtpolitischen Diskussionen um politische Grundwerte und Normen, wie Freiheit im Sinne des Teilhaberechts am landesherrlichen Regiment, mit der Dreiständeordnung als Herrschaftsmodell zu verbinden bzw. darin einzubinden. Zwar kommt bei dieser Rede die Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster nicht explizit zum Ausdruck, doch zweifellos rekurrierte Bolardus, wie im folgenden Abschnitt deutlich gezeigt wird, auf die Dreiständelehre zur Rechtfertigung der zeitgenössisch-aktuellen Diskussion um das Recht auf Notwehr, Widerstand und die Pflicht zur Obrigkeitskritik. Die Wirkung der Rede muss ungeheuer gewesen sein, denn die anwesenden Bürger beschlossen, sich sofort zu bewaffnen. Statt der alten vom Rat bestimmten Colonelle wurden sechs neue bestimmte: Johann Amelingh, Peter Visscher und Gerhard Bolardus für die alte Stadt, Joachim Winhilt, Hans Wilhelms und Hans Behout für Faldern.1848 Mit Ausnahme des letzten gehörten alle dem „Vierzigerkollegium“ an. Aus der Bürgerschaft wurden 21 Kompanien gebildet und noch am selben Tage besetzte man alle wichtigen Plätze der Stadt, das Rathaus, die Marktplätze, die Stadtwälle und den Hafen. In bewaffneten Aktionen der Bürgerschaft in Koalition mit dem Kirchenrat setzte sich die nun ausgebrochene „Revolution“ über vier Monate lang fort, bis der Vertrag zu Delfzijl zwischen der Stadt Emden und einer Kommision der Generalstaaten der Vereinigten Provinzen der Niederlande am 15. Juli 1595 ein vorläufiges Ende markierte.1849 Im Vertrag von Delfzijl wurde die alleinige Geltung des reformierten Bekenntnisses in Emden festgelegt. Hinsichtlich der Predigerwahl wurde das alte freie Pfarrwahlrecht der Kirchen- und Bürgergemeinde statuiert. (1) Die Verwendung der Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster (a) Die gemeinsame Opposition von Bürgerschaft und Pfarrern1850 Für die Verwendung der Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster durch die Bürgerkoalition1851 gibt es eine Reihe von Belegstellen: 1848  Vgl. H. de Buhr, Die Entwicklung Emdens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 1731), S. 118. 1849  Ebd. S.  119 ff. 1850  Im Emanzipationsprozess bzw. beim Kampf um die Erneurung bzw. Bewahrung der alten Rechte und Freiheiten der Stadt Emden waren nicht nur vermögende Kaufleute bzw. das Großbürgertum, sondern auch der Handwerkerstand beteiligt, vgl. G. Canzler, Zünfte und Gilden in Ostfriesland bis 1744. Weener 1996, S. 117. 1851  Anzumerken ist, dass die Hälfte der „Vierziger“, die bei der „Emder Revolution“ das Zentrum des Widerstands gegen den Stadtherrn bildeten, entweder dem Kirchenrat oder Diakonie angehörten. Das bedeutet, dass die Argumentation des

520

V. Die Fallstudien

(aa) Die Vorrede Pezels von 1593 Während der heftigen literarischen Auseinandersetzung1852 zwischen Lutheranern und Reformierten, die 1589 aufgrund eines Abendmahlliedes von Alting1853 begann und schließlich bis 1594 andauerte und in deren Kern es um das Abgrenzungsproblem von geistlichem und weltlichem Regiment ging, veröffentlichte Christoph Pezel, der zu der Zeit als Superintendent in Bremen tätig war, 1593 eine Vorrede zu einer Abendmahlsstreitschrift, die von Menso Alting und weiteren reformierten Geistlichen wohl unter Zustimmung des Kirchenrats verfasst worden war.1854 Er richtete seine Vorrede an alle Bürger in Emden sowie an die Landstände, d. h. die Ritterschaft, Städte und den Bauernstand in Ostfriesland. Von außerordentlicher Bedeutung ist, dass Pezel darin die Emder Bürger und alle Landstände, nicht nur die niederen Obrigkeiten, sondern auch den einzelnen Bürger, zum aktiven Widerstand gegen den Eingriff des Landesherrn in die städtische und landständische Freiheit aufforderte. „Derhalben G. L. in disen /  Gottes ehre /  das Gewissen vnd ewige seligkeit belangenden sachen /  niemand mit fuge beschuldigen kan einiges vngehorsam oder Rebellion (als vielleicht G. L. mancherley vngleich vrtheil viler widerwertigen vber sich gehen lassen müssen) dieweil auch in weltlichen Politischen Rechten einem jeglichen Vnderthanen erlaubt ist /  seine angeerbte natürliche freyheit vnd gut gegen seiner von Gott gegebner Obrigkeit gebürlich zu verbiten /  wie dann Naboth mit gutem Gewissen gethan hat /  1. Reg. 21. […] Dann diese Iustina brachte jhren sohn den Keyser so weit /  dass er einen haufen kriegsknechte mit wehr vnd waffen hinschickte /  die mit gewalt die Kirchen eynnemen vnd Ambrosium zu der stat hinauß treiben sollten. Die Bürger setzten sich darwider /  vnd erklärten sich rund /  dass sie lieber sterben /  als jhres Lehrers wollten beraubet werden /  mussten also des Keysers Soldaten /  vnverrichter sache /  wiederumb abziehen /  vnd Ambrosium bey seiner Gemeine bleiben lassen.“1855

Dabei bezog Pezel wie bei der Auseinandersetzung mit dem Magistrat in Bremen seine Ausführungen bezeichnenderweise auf die Dreiständelehre: Kirchenrates faktisch mit der Argumentation des „Vierziger“ identisch war. Vgl. M. Weber, Emden – Kirche und Gesellschaft in einer Stadt der Frühneuzeit (wie Anm. 1785), Hier. S. 68. 1852  Dazu ausführlich M. Smid, Ostfriesische Kirchengeschichte (wie Anm. 1731), S. 234 ff.; H. K. Hesse, Menso Alting (wie Anm. 1820), S. 212. 1853  Zitiert nach E. R. Brenneysen, Ost-Friesische Historie und Landes-Verfassung (Quellensammlung), Ostfriesland 1720. [UB HU Sm 8240a], S. 470 ff. 1854  Historischer Warhafftiger Bericht vnd Lehre Göttliches Worts von dem gantzen streit vnd handel des heiligen Abendmals: in gewisse vnderschiedene Capitel ordentlich verfasset. Herborn 1595 [UB HU Dk 5791 (1)]. Im Folgenden Historischer Warhafftiger Bericht. 1855  Ebd. Bl. 2–3.



3. Emden521 „Es ermahnet auch Ambrosius den Keyser seines Amts mit grossem ernst /  wie auß seinen Sendbriefen an Valentinianum, auß der Oration wider Auxentium, vnd auß einem Sendbrief an seine schwester zu vernemen ist. Jn der Oration sagt er vnder andern: Tributum Caesaris est. Non negatur. Ecclesia Dei est: Caesari vtique non debet addici; quia ius Caesaris esse non potest Dei templum. Quod cum honorificentia Imperatoris dictum, nemo potest negare. Quid enim honoricentius, quam vt Imperator Ecclesiae filius dicatur? Et addit: Imperator bonus intra Eccle­ siam, non supra Ecclesiam est. Vnd anderswo werden dies seine wort erzehlet: nec mihi fas est tradere (templum scilicet) nec tibi accipere, Imperator, expedit. Domum priuati nullo potest iure temerare: domum Dei existimas auferendam? Noli te grauare Imperator, vt putes te in ea quae diuina sunt, Imperiale aliquod ius habere, noli te extollere. Sed si vis diutius imperare, esto Deo subditus. Scriptum est, Quae Dei Deo, quae Caesaris Caesari. Ad Imperatorem palatia pertinent, ad Sacerdotem Esslesiae. Publicorum tibi moenium ius commissum est, non sacrorum. Item Epist. 30. ad Valent. Nullius iniuria est, cui Deus omnipotens antefertur. Das ist : Dem Keyser gebürt Tribut /  den wegern wir jhm nicht : die Kirche ist gottes vnd mag ja dem Keyser nit zugeeignet werden. Denn der Tempel Gottes kan nicht des Keysers gerechtigkeit oder eigenthumb seyn /  vnd kann niemand in abrede seyn /  dass solches dem Keyser zu ehren gesagt werde. Denn was ist ehrlicher /  denn dass der Keyser ein sohn der Kirchen genennet werde? Vnd bald darnach: Ein frommer Keyser ist in der Kirchen /  vnd nicht vber die Kirchen. Jtem anderswo: Es gebüret mir nicht dir die Kirchen eynzureumen /  es ist dir auch /  Keyser /  nicht nutz dieselbe zu nehmen. Du hast keine macht /  eines priuat Menschen hauß der vngebür zu verwüsten /  vnd vermeynest Gottes hauß zu dir zu reissen? Belade dich nicht /  lieber Keyser /  mit solcher last /  dass du dich vberredest /  als hettest in Götlichen sachen Keyserliche macht. […] Derhalben wol zu wünschen were /  daß /  gleich wie den vnderthanen gebüret zu betrachten /  was jhnen von Gott befohlen ist: Also auch alle Christliche Obrigkeit oftermals auß Gottes wort bedechten /  was jhnen selbst von Gott dem almechtigke sey aufgeleget […] Es gebühret auch /  nechst der Christlichen Obrigkeit /  allen ständen des lands /  diese sache mit grossem fleiß vnd ernst zu befördern […] Darnach auch mit flehlichem bitten vnd anhalten bey der hohen Obrigkeit /  dass dieselbe ein gebührliches eynsehen in die sache haben /  vnd jhr die ehren Götlicher Maiestet /  vnd aller Vnderthanen nutzen vnd besten Christlich vnd vätterlich wollen angelegen seyn lassen /  vnd nicht mehr gestatten /  dass vnrühige leute /  nach jhren eigenen affecten /  so grossen schaden vnd nachtheil /  den wolbestelten Kirchen zufügen.“1856

Nach Pezel habe der Graf also keine Kompetenz, in die Belange der Kirche der Stadt Emden als auch der Landstände einzugreifen, da er nicht Herr der Kirche, sondern nur ein Glied der Kirche sei. Der Graf Edzard II. stehe nicht über der Kirche, sondern in der Kirche. Da er seine Pflicht und Aufgabe als christliche Obrigkeit, nämlich als custos utriusque tabulae die reine Lehre und den rechten Gottesdienst zu fördern, nicht erfüllt habe, sei er zu einem Tyrannen geworden. Deshalb dürften die Emder Bürger und 1856  Ebd.

Bl. 3v–6.

522

V. Die Fallstudien

alle Landstände gegen ihn aktiven Widerstand zur Verteidigung ihrer ständischen und städtischen Freiheiten und Privilegien leisten, wie das historische Beispiel des Ambrosius gegen den römischen Kaiser deutlich mache. Offensichtlich wollte Pezel also die Dreiständeordnung als legitimes Herrschaftsmodell in der Stadt Emden und im Territorium Ostfriesland festlegen. Damit wird deutlich, dass Pezel wie Heshusius auf zu jener Zeit verbreitete Vorstellungen und Diskussionen in den Städten und in den Landständen zurückgriff, die sich gegen einen Eingriff ihrer jeweiligen Obrigkeit zur Wehr setzten. Zwar drückte er sich in seiner Äußerung1857 nicht so deutlich aus wie Heshusius, doch ohne Zweifel griff er unter Berufung auf die Dreiständelehre tief in die stadtpolitische Diskussion ein. Zwar begründet er seine gegen äußere Feinde gerichtete Freiheitsmetaphorik nicht explizit, doch kann anhand seiner Äußerung Folgendes gedeutet werden: Die Freiheit der Stadt Emden und der Landstände im ostfriesischen Territorium bzw. ihre Unabhängigkeit von fremder Herrschaft ist im Kontext dieser Auseinandersetzung nur in Bezug auf eine bestimmte Verfassungsform realisierbar. Und diese ist selbstverständlich die Dreiständeordnung als ein Herrschaftsmodell, in dem die drei Stände des Landesherrn, der Städtekommune (bzw. der Landstände) und der Geistlichkeit jeweils mit autonomen korporativ-ständischen Teilhaberechten gleichberechtigt und zum wechselseitigen Nutzen für das politische Gemeinwesen zusammenwirken. Seine Konfrontation mit den ostfriesischen Landesherren ist somit in den Kampf des emdischen und bremischen Bürgertums um seine ständischen Teilhaberechte eingebunden. Zweifellos dürften die Emder Bürger Pezels Widerstandsaufruf rezipiert und in der „Emder Revolution“ verwirklicht haben. Für eine diskursive Rezeption sprechen eine Reihe von Indizien: Eine Gegenschrift von Johann Ligarius, „Warhafftiger Gegenbericht der rechtgläubigen Praedicanten in Ostfrißlandt auff des D. Pezels Vorrede vber das Embdisches Buch, Vom handel des Abentmals. Emden 1593.“, in der er die Vorrede Pezels ausführlich zu widerlegen versucht, wurde in Emden gedruckt.1858 Auch eine weitere Gegenschrift, in der sich Ligarius ebenfalls mit der Vorrede Pezels befasste, wurde in Emden gedruckt.1859 Betrachtet man den oben angeführ1857  „dieweil auch in weltlichen Politischen Rechten einem jeglichen Vnderthanen erlaubt ist /  seine angeerbte natürliche freyheit vnd gut gegen seiner von Gott gegebner Obrigkeit gebürlich zu verbiten.“ Ebd. Bl. 2. 1858  Vgl. M. Tielke, Das Rätsel des Emder Buchdrucks (1554–1602), Aurich 1986, S. 111. 1859  Antwort der rechtgläubigen Praedicanten in Ostfrießland, auf die Missive oder Sende-Briefe, etlicher erdichteter Studenten und Brem-Emdische kauffleuten, um das Emdische Buch und des D. Pezelii Vorrede zu bschirmen. Emden 1593



3. Emden523

ten Bericht von der Rede Gerhard Bolardus’, enthält dieser eindrucksvolle Parallelen zum Inhalt der Vorrede Pezels. Vor allem geben die Gravamina sämtlicher Landstände in Ostfriesland von 1594 einen gewichtigen Hinweis darauf, dass die Aufforderung Pezels zum aktiven Widerstand gegen den Landesherrn ebenfalls vom so genannten „Dritten Stand“ bzw. „Hausmannsstand“ rezipiert und verbreitet worden ist, denn in den Gravamina kommt eine ähnliche Äußerung wie jene Pezels zum aktiven Widerstand vor: „So hat die hohe noht und gefahr /  so teglich wuchs und zunahm /  uns ferner getrungen /  unsere Gesandten umb mehr hülf und Beystand /  zu den Hern Staten General, welcher Kriegsherr dazumal vom Brabntschen Zug zurück kommen /  und die Stadt Grave auf die mase liegend /  belägert hätte /  wiederumb anzufertigen […] hieltens auch für besser /  ehrlicher und echtmessiger /  dassselb zu tun /  als unsere Eltern  / Frauwen und Kinder /  und uns selber zu verlassen /  auch in unserer heftigsten Feinden mutwillen /  hohn schmach und spot uns zu übergeben […] und andern Tyrannischen erschrecklichen Gerichten zu unterwerffen […] diese gute Stadt /  […] alte Herberg der Gemeine GOttes /  welche sich unsern schutz und schirm /  nechst GOtt  /  übergeben […] In vernünfftiger erwegung /  das nit gewissers und in Göttlichen Welt: und Natürlichen Rechten nit allen frey gelassen /  sondern auch gepotten das ein jeder wider Gewalt mit Gewalt /  oder wie es ihm am besten thunilich /  sich verteidigen möge und solle. Ja /  das der /  so ein Leben /  nahm und fam zu vertheidigen sich nit angelegen sein lesst /  ein fauler /  träger, schendlicher Mensch und sich selbst feynd sey: (text in jure dd) Jtem /  wer keinen gepürlichen Widerstand tuht /  Wann ihm Gewalt und unrecht getan wird /  das der so wol schuldig und strafwirdig seye /  als ob er seine Eltern /  freund oder Vaterland in der Not verlassen hette.“1860

Gemeint ist, dass wenn die Herrschaft zur Tyrannei ausarte, es die Pflicht der Untertanen sei, sich gegen den Herrscher zu wehren, ebenso wie ein Hausvater aus Notwehr jemanden töten dürfe. Die Landstände rechtfertigten also ihr Widerstandsrecht mit Notwehr und Gegenwehr. Das Recht zum aktiven Widerstand erweist sich als integraler Bestandteil der politica chris­ tiana bzw. der Dreiständelehre. Kernthema der sog. frühneuzeitlichen Politikkommunikation im Kontext der Dreiständelehre war es, Herrschaft durch Teilhaberechte zu begrenzen und die Kräftebalance zwischen den sozialen Gruppen zu sichern. Durch die Verbindung der spätmittelalterlichen Notwehrtradition und der stadtpoliti[HAB Microfische 1466]. M. Tielke, Das Rätsel des Emder Buchdrucks (wie Anm. 1859), S. 111. 1860  Benutzt wird hier die Ausgabe aus der handschriftlichen Abteilung der Staatsbibliothek zu Berlin. Apologia Das ist /  Volkommene Verantwortung /  so Bürgermeister vnd Rath /  sampt den Viertzigern /  vnd der gantzen Burgerschaft der Stadt EMBDEN […]. Groningen 1602. [SBB HA 2 Tm 7670. F 3360–F 3361], S. 554. Im Folgenden B-Apologia. Vgl. U. Wangerin, Der geistige Hintergrund der Auseinandersetzung Emdens und der ostfriesischen Stände zur Zeit der Emder Revolution 1595. Diss. Hamburg 1949, S. 60.

524

V. Die Fallstudien

schen Diskussionen um politische Grundwerte und Normen mit der Dreiständeordnung als Herrschaftsmodell sollte unter Verwendung eines stabilen Deutungsmusters sozialer und politischer Realität ein anderes, neues und dennoch stabiles Muster der Deutung erschlossen werden. Pezel wirkte wie Heshusius mit seinem theologischen Ansatz tief in die stadt- und territo­ rialpolitischen Diskussionen um die Freiheit hinein. Seine Teilnahme am territorial- und stadtpolitischen Diskurs bedeutete weder einen Eingriff in das Amt der Obrigkeit im mittelalterlichen Sinne noch eine bloße Wahrnehmung seiner politischen Funktion als Geistlichkeit, sondern war vielmehr deutlicher Ausdruck der Politikkommunikation. Pezel verwendete in seiner Argumentation als politischer Akteur ein stabiles Deutungsmuster, um damit ein neues stabiles Muster der Deutung (die „konsensgestützte Herrschaft“ als Herrschafts- und Ordnungsmodell im Sinne der Dreiständelehre im ostfriesischen Territorium) zu erschließen, d. h. um eine eigenständige Form der „konsensgestützen Herrschaft“ als legitimes Herrschafts- und Verfassungsmodell zu erzielen, in der die drei Stände in beschriebener Weise zusammenwirkten. Für die Stadt Emden und ebenso für die Landstände bedeutete Freiheit das autonome ständische Teilhaberecht am landesherrlichen Regiment bzw. das Konsensrecht als freie und eigenständige Gemeinde und stellte wohl neben dem Gemeinwohl den höchsten politischen Grundwert dar.1861 Ebenso wie für die anderen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städte war für sie diese Freiheit gleichbedeutend mit der Stadt selbst. Die städtische und stadtbürgerliche Freiheit war mit der politischen Ordnung in Gestalt der „konsesgestützten Herrschaft“ eng verknüpft. Zwar verspätet, erstrebte auch Emden seit den 70er Jahre des 16. Jahrhunderts diese „konsensgestützte Herrschaft“, in welcher obrigkeitliche Landesherrschaft und die Partizipa­ tion der Bürgergemeinde1862 nicht gegensätzlich, sondern vielmehr aufeinander angewiesen waren und in der Konsens ein unverzichtbares Element sowohl bei der Herrschaftsübung als auch bei der institutionellen Sicherung des Gemeinwohls bildete. Doch im Zuge der Konfessionalisierung war das Streben nach diesem Ordnungskonzept nicht mehr zu halten. Der Wert von „Freiheit“ im Sinne von Konsens stand in Gefahr, seine Kraft zu verlieren. Als der Graf Edzard II. mit seinem Herrschaftsanspruch den Wert des „Konsenses“ und die politische Ordnungsrealität der „konsensgestützten Herrschaft“ der Stadt Emden und 1861  Dazu ausführlich B. Kappelhoff, Politische Partizipation und frühmoderner Staat. Ostfriesland vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, in: H. v. Lengen (Hg.), Collectanea Frisica (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands 74), S. 267– 290. Hier. S. 274 ff. 1862  Ebd.



3. Emden525

der Landstände bedrohte, verwendete Pezel für das prekär gewordene politische Verhältnis zwischen Stadt bzw. Landständen und Landesherrn ein stabiles Deutungsmuster, nämlich das Dreiständedeutungsmuster, damit die Stadt Emden und Landstände mit Hilfe daran gebundener Assoziationen den Wert des „Konsenses“ und ihre zu schwinden drohende „konsensgestützte Herrschaft“ mit einer ganz neuen und anderen Bedeutung, nämlich der Dreiständeordnung, erfassen und so das Spannungsverhältnis zwischen Herrschaft und Bürgerfreiheit erhalten konnten. Anders formuliert verwendete er das Dreiständedeutungsmuster, um die wechselseitige Prägung von politischer Ordnung als „konsensgestützter Herrschaft“ und der Freiheit im Sinne von „Konsens“ wieder zu intensivieren und zu steuern. Also wurde der Kommunikationsprozess über Herrschafts- und Ordnungskonzept durch die Dreiständelehre wiederhergestellt, intensiviert und gesteuert. (bb) Die Gravamina von 1593 Der Gebrauch der Dreiständelehre als Legitimationsgrundlage begegnet auch in den Gravamina vom 9. August 1593, die die Bürgerschaft1863 in Emden den kaiserlichen Kommissaren und dann dem Landtag in Norden vorlegte: „ /  dieweil die noht der vorfallenden Stadt freyheit es gentzlich erheischete /  haben die Viertziger mit bewilligung vnd erfurderung der gantzen Gemeine zehn aus ihrem mittel /  sampt einem Worhalter gen Norden geschickt /  die in namen der gantze Burgerschaft ihrer gravamina bey den Subedelriten sollten einbringen /  vnd abschaffung derselben bitten: Vnd seindt die Gravamina diese gewesen. Ecclesi­ astica. Das sie die wahre Christliche Religion /  welche sie von anfanck der Reformation nun siebentig jahr hero gehabt /  auch dabey Gott /  vnd der gnedigen hohen Obrigkeit geschworen /  in Einigkeit vnd Friede behalten […] Das die ge­ meine Burgerschaft ihre freye wahl vnd Vocation, der Diener wie vor alters hero behalten /  vnd die Confirmatio, bey den hohen Obrigkeit gesucht /  […] Politica. Das de ganze Rath der Stadt Embden /  des Wolgeborn vnsers gnedigen Herrn Grafen Diener sein /  vnd nicht der Burger in ansiehung /  sie sampt vnd sonders wider vhralten gebrauch /  dem Wolgedachten Hern Grafen vnd nicht der Stadt vnd Burgerschaft geschworen.“1864

Die Forderungen Emdens nach freier Predigerwahl, Stadtautonomie und überkommenen Privilegien treten auch in den Gravamina aller Landstände 1863  Hervorzuheben ist, dass nicht nur die Mitglieder des „Vierzigerkollegiums“ wie z. B. Gerhard Bolardus und Luppo Sicken, sondern auch die Vertreter sämtlicher Gilden die Gravamina mitunterzeichnet haben. Die Namen derer, die eigenhändig unterschrieben haben, sind aus der Gravamina nicht zu erfahren, können jedoch anhand der heftigen Debatte im Vorfeld der Gravamnia erkannt werden. Vgl. StA E. 1. Reg. 955a. Nr. 13. 1864  B-Apologia (wie Anm. 1860), Bl. 37–39.

526

V. Die Fallstudien

von 1594 wieder auf. In der Stadtforschung zu Emden ist bekannt, dass die Aufnahme der Emder Forderungen deshalb möglich war, weil sie gerade das wichtige Element der gemeindlichen Beteiligung am landesherrlichen Regiment, mit anderen Worten die „konsensgestützte Herrschaft“, beinhalteten, das die stadtbürgerliche, ritterschaftliche und bäuerliche Ständebewegung einte. Auch weist die Aufnahme der Emder Forderungen darauf hin, dass der politische Einfluss und das Gewicht Emdens innerhalb des ostfriesischen Territoriums gewachsen war. Es waren auch die Emder Calvinisten, Mitglieder des Kirchenrats und Mitglieder des „Vierzigerkollegiums“, die bei der Entstehung der Gravamina sämtlicher Landstände in Ostfriesland von 1594 maßgeblich mitgewirkt haben.1865 Aus der Emden-Forschung ist ebenfalls bekannt, dass Emden den Ausbau der landständischen Verfassung mit Macht vorangetrieben hat.1866 Das heißt, dass die Gravamina der Landstände vermutlich durch die Dreiständelehre wieder lebendig geworden sind. Alle Landstände, auch der so genannte dritte Stand („Hausmannsstand“), unterstützten die politische Handlung und das Vorhaben der Emder Bürgerschaft zumindest zeitweilig. Und beide, die ständisch-politischen Kräfte und die Emder Bürgeropposition, konnten in Koalition treten, da sich beide zur Rechtfertigung ihrer Obrigkeitskritik und ihres politischen Handelns auf die Dreiständelehre beriefen: „Wann nun dasselbig an jhme selbst also bewant vnd beschaffen /  das gemelte vnd dergleichen in der Religion eingeführte Newerung /  pillig geendert würden /  vnd hinfuhro vermitten pleiben /  bevorab GOTT der Almechtige allein die Gewissen vnd Conscientz der Menschen durch dessen guten Geist regiert /  in seiner Hand dreget /  leitet vnd führet /  der Weltlichen Obrigkeit auch nit wol geziemet /  vber die Gewissen der Menschen zu herrschen /  oder dieselben mit gehörte verhinde­ rung vnd eintracht zuvervnruigen /  sunderlich wol erwogen […]  /  J: Gn: geruhen gnedig angehörete Newerung in REligions sacken /  vnd was zu hinderung Göttliches Worts vnd dessen lauffes /  in einem oder dem anderen wege dissifals furgeschützt vnd fovirt worden /  nunmehr /  J: Gn: Wollöblicher Vorfahren Christlichen Exempel nach /  hiewider abzuschaffen /  vnd aus dem wege zu raumen /  die Gewissen gehörter oder anderer massen nicht zu beengstigen /  jhren die ordentliche Beruffung vnd Wahl der Prediger /  vnd Kirchendiener /  Diaconen /  vnd Kirchvog­ ten wie von alters herkommen frey zugestatten /  auch sie der kirchen und Pasto­ reyen geselle vnd ausskunfften /  nicht bekürzen ganz oder zum theil zu beeintrechtigen /  sondern eine jede kirche vnd Pastoriat /  bey alter fundation verpfleiben /  vnd sie deroselben würcklich geniessen zu lassen /  für eins.“1867 1865  Vgl. H. de Buhr, Die Entwicklung Emdens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 1731), S. 109 f.; U. Wangerin, Der geistige Hintergrund (wie Anm. 1860), S. 62. 1866  B. Kappelhoff, Die „Emder Revolution“ und die Ausbildung der landständischen Verfassung in Ostfriesland bis 1611, in: H. v. Lengen (Hg.), Die „Emder Revolution“ (wie Anm. 1700), S. 95–111. Hier S. 95. 1867  B-Apologia (wie Anm. 1860), Folgen der Beilagen, S. 8–9.



3. Emden527

Sie banden hier deutlich ihre Beschwerde in Melanchthons Obrigkeitslehre ein und knüpften ihre Obrigkeitskritik und ihr Mitbestimmungsrecht an die strikte Trennung zwischen geistlichem und weltlichem Regiment. Damit verwendeten sie für ihr politisches Handeln die Dreiständelehre und die alte, überkommene Rechtstradition. Offensichtlich wurde die „konsensgestützte Herrschaft“ als politisches Ordnungsmodell1868 durch die Dreiständelehre kommuniziert und verstärkt. (cc) Gründtlicker Warhafftiger Bericht von 1594 Wie oben erwähnt wurde, übergab Menso Alting diese Schrift dem Graf Enno, die dieser auch zu lesen versprach und zu deren Mitverfassern auch die reformierte Geistlichkeit gehörte. Darin legitimierten Alting und seine Mitautoren rückblickend die Forderung der Gemeinde nach dem herkömmlichen ius vocandi und ius patronatus unter Berufung auf die Dreiständelehre. Bezüglich des Streits mit dem lutherischen Hofprediger Johann Ligarius, der der weltlichen Obrigkeit das alleinige ius vocandi immer wieder zugesprochen hatte, wies der „Bericht“ diese monarchische Dreiständeauffassung mit Hilfe der anders gewichtenden aristokratischen Dreiständeauffassung strikt zurück. Im Zusammenhang mit dem kirchenpolitischen Handelns des Grafen Enno II. in den 30er Jahre heißt es: „Dat ein jeder Gemene Gades macht hebbe /  ehre Dener tho beropen /  vnde nicht schuldich sy /  solcke vn sick suluest lopende vnde jn goderngene Gesellen anthonemen. Denn ein framer Keyser /  nha dem Tuchenisse Ambrosij /  nicht auer /  sonder in der kercken is.“1869

Gemeint ist, dass der Graf Enno II. weder Herr der Kirche noch das vornehmste Glied der Kirche, sondern nur ein Glied der Kirche sei. Er solle nicht über die Kirche, sondern in der Kirche stehen. Er habe keine Kompetenz, sich in die Belange der Kirche einzumischen, und dementsprechend kein ius vocandi und ius patronatus. Dieses Argumentationsmuster begegnet auch an einer anderen Stelle des Berichts, wo es um die kirchenpolitische Maßnahme der Gräfin Anna vom 8. April 1552 bei dem Streit zwischen lutherischen und zwinglichen Prediger geht: „ / dat he darmit dersuluen genoch gedan (alse uth E.G. (Gräfin Anna. Hervorhebung durch Ch.  P.) schryuen Anno 52. den 8.  Aprils /  darjnne se Lemsium vnd 1868  „Was massen auch dem alten herkommen zuwider /  ohne Rath /  Zuziehung vnd Consens der Getrewen Landtstende /  mit einteichung der newen angewachsenen Landen in J. Gn: Amptern /  jetziger Zeit vnerwogen /  ob die einteichung füglich /  sicq; tempestivé beschen /  auch bestandt haben könne oder nicht /  procediret […].“ B-Apologia (wie Anm. 1860), Folgen der Beilagen, S. 20. 1869  Gründtlicker Wahrhafftiger Bericht (wie Anm. 1755) S. 85.

528

V. Die Fallstudien

Forstium thom Frede vormanet /  tho sehende) hette E.G. Christmilder Gedechnisse /  welchek tho vnde vor der eydt /  ein Lidtmatte disser Gemeine gewest /  mit thodoende des Wolgebaren vnser Gnedigen Herr Greuen Etzard / .“1870

(dd) Die schottische Anfrage von 1597 In der sog. „schottischen Anfrage“ von 1597 kommt der Gebrauch des Dreiständerechtfertigungsmusters durch Menso Alting und die reformierte Geistlichkeit in Emden am deutlichsten zum Ausdruck. Wie Moltmann anmerkt, haben Menso Alting und das geistliche Ministerium dabei die Gefahr eines tyrannischen Absolutismus in Schottland im Blick. Deshalb versuchten sie, unter Berufung auf die Dreiständelehre den dortigen landesherrlichen Konfessionalisierungsprozess in ihrem Sinne zu beeinflussen. Auf den ersten Punkt der Anfrage über Rechte und Pflichten der weltlichen Obrigkeit, „Hat eine christliche Obrigkeit, sofern sie christlich ist, mehr Jurisdiktionsgewalt als eine heidnische Obrigkeit nach der Art ihres Amtes, und fügt das Christentum zum Wesen des Amtes irgendein Recht hinzu?“, antworteten Alting und das geistliche Ministerium wie folgt: „Jam in Confesso est apud Christianos omnes Magistratum Ethnicum, qua Magistratus nullam habere jurisdictionem in Ecclesiam Christi, proinde nec Magistratus Christianus habet. Etenim quisquis sibi jurisdictionem in Ecclesiam Christi arrogat, is se Regem Dominum et caput Ecclesiae facit. Atque Magistratus Christianus non est Rex in Ecclesia Christi, sed subditus, Regemque osculari jubetur: non Dominus, sed nutricius: non caput, sed membrum: non supra Ecclesiam, sed in Ecclesia, ut Ambrosius Valentinianum et Theodosium Imperatores docuit.“1871

Die weltliche Obrigkeit sei zwar custos utriusquae tabulae, jedoch beschränke sich ihre Jurisdiktionsgewalt auf die externa ecclesiae. Die welt­ liche Obrigkeit dürfe sich nicht zum König, Haupt und Herrn der Kirche erheben, da sie nur ein Glied der Kirche sei. Auf die zweite Frage, „Ist das kirchliche Amt der zivilen Herrschaft subaltern, und welche Zivilgewalt besteht in den zu ordnenden oder zu ändernden kirchlichen Dingen?“, antworteten sie: „Si subalterna in hac quaestione dicantur, quae non pugnant, sed mutuo sibi ser­ viunt, fateor tam Civile Imperium Ecclesiastico ministerio subalternum esse, quam hoc illi, nam alterius sic altera eget ope, res et conjuvat amice. At si subalternum dicitur, quod alteri tanquam superiori subsit, ab eo pendeat, vim et authoritatem habeat, nego ministerium Ecclesiasticum. […] Unum enim legislatorem Ecclesia agnoscit Christum, non plures, Ministri autem sive Ecclesiastici, sive Politici, custodes sunt et executores legum a Domino latrarum, pro sua quisque ratione 1870  Ebd.

S. 126. bei J. Moltmann, Christoph Pezel (wie Anm. 1203), S. 176.

1871  Abdruck



3. Emden529 […] Illa si abroget [externam formam et disciplinam], non potestas a Deo, sed a tenebris est, nullamque obedientiam meretur […] et numquam confundere discrimen, quod inter ordinem utrumque Christus constituit.“1872

Damit wird gesagt, dass die weltliche Obrigkeit und das geistliche Ministerium sich wechselseitig untergeordnet seien und sich gegenseitig unterstützen müssten. Die weltliche Obrigkeit habe ein Mitwirkungsrecht bei der Wahl der kirchlichen Amtsträger, eben weil sie auch ein Glied der Gemeinde sei. Jedoch habe sie keine Macht, in die interna ecclesiae einzugreifen oder kirchliche Dinge abzuschaffen. Sie sei zur Unterstützung der Kirche und zur Überwachung der äußeren Form und Disziplin verpflichtet. Gleichzeitig müsse sie sich auch in Fragen der menschlichen Ordnung den Rat der frommen Diener einholen. Es ist deutlich zu erkennen, dass Menso Alting und das geistliche Ministerium ihre Antworten aus der Emder Situation und dem Kontext der ständigen Auseinandersetzungen mit der weltlichen Obrigkeit schöpfen1873 und dass sie angesichts des nach der „Emder Revolution“ begonnenen Herausbildungsprozesses eines ratsherrlichen Kirchenregiments bzw. Staatskirchentums in Emden unter Berufung auf die aristokratische Dreiständelehre den Herrschaftsanspruch der weltlichen Obrigkeit genau zu definieren versuchen. Ebenfalls ist deutlich erkennbar, dass sie die Kirche in Emden in Richtung einer selbständigen, unabhängigen und sogar ihr politisches Wächteramt wahrnehmenden Kirche führen wollten und nach Moltmann auch geführt haben.1874 (ee) Johannes Acronius Der reformierte Pastor aus Groningen veröffentlichte im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit dem Grafen Edzard II. eine Schrift über das umstrittene Problem des ius patronatus und ius vocandi,1875 um damit die Position von Menso Alting und der reformierten Geistlichkeit zu stärken. Darin betonte er wie Menso Alting, dass nicht der Graf Edzard II. allein diese Rechte beanspruchen dürfe, sondern nur das in drei Stände geordnete Gemeinwesen. Ihm zufolge habe die weltliche Obrigkeit als ein Glied der Kirche nur ein Mitwirkungsrecht bei der Predigerwahl: 1872  Ebd.

S. 176–177. M. Smid, Ostfriesische Kirchengeschichte (wie Anm. 1731), S. 271 ff.; J. Moltmann, Christoph Pezel (wie Anm. 1203), S. 162. 1874  J. Moltmann, Christoph Pezel (wie Anm. 1203), S. 162. 1875  Erinneringe van de Beropinge der Prediger /  wodanich /  vnd dorch wehn desulve geschen sal /  sampt ock wat van den Iure Patronatus, offte Collationsrechte over de kercklicke Beneficien tho holden sy. Gronningen 1594. [Jal. Theol. 293]. Im Folgenden Erinneringe van de Beropinge. 1873  Vgl.

530

V. Die Fallstudien

„Als wy overst de Beropinge der Prediger /  einer gantzen Gemeine tho schryven […] De Regerers der kercken sinte eigentlick nicht de Werldtlicke Overicheide /  sunder de Presbyteri, Prester esst kerckendener /  welcker de Schriffte daher Episcopos, Praefectos et gubernatores ecclesie nomet […] Averst hir werden vns velichte etlicke vorwerpen /  dat wy mit deser bewehringe der freyen wahl eines Predigers /  der Werldtlicken Overcheit ein vorneme stücke ehrer hocheit auffschnyden /  welcker se gantz beswerlck sick begeven werden. Darop antworden wy /  dat der Christlicken Overicheit /  welcker de Pawest vnd Wedderdoper van alle kercklicke handel gantz affwysen /  van vns twar ehr geborlicke Recht in de Beropinge der Prediger gelaten werde. Wente thom ersten seggen wy /  dat ehre stemme /  alse de ein ansehnlick Lidmate der kercken is /  dartho insunderheit solle versocht werden. Vnde demnach setten wy ock ehr Ampt mit in der Kercken /  in dem wy ehr curam architectonicam, dat ist /  de hoge vplicht beide aver kercklicke vnd politische handel thoschryven: nicht dat se sulvest allerleye ampter voren vnde vthrichten /  sunder daraver sorgen vnd regeren sollen /  dat se wol vthgerichtet vnde bedenet werden. Derhalven gelick de Overricheit sulvest nicht prediget /  esst de Sacramenta vthdelet sunder vp de prediger suhet /  dat se ditsulve recht vthrichten: also beropt se ock de kerckendener vt hehrer macht nicht /  sunder suhet darop /  dat de Gemeine sulckes ordentlick vnd na Gades Wordt verichte /  vnde alle vngebör darin nablive. Vnde also wen se alles rechtmetich vthgerichtet vindet /  kann se ock sulckes bestedigen vnde vortsetten: wen se averst vnordninge spöret /  mach se desunlve mit ehrer austhoriteit wehren vnd affschaffen. Sal averst nen Christlicke Overicheit sick de absolute macht /  Prediger tho beropen vnd inthostellen /  anmatigen. […] Vnde sint ock de Werldtlicke Ryken /  van den Geistli­ cken Regimente der kercken wydt vnderscheiden.“1876

(ff) Apologia1877 Die Verwendung der Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster kommt auch in dem Protestschreiben der gemeinsamen Bürgeropposition gegen den Grafen Edzard II. deutlich zum Ausdruck. Als der Graf II. durch sein Mandat1878 mit Hilfe des Magistrats die regelmäßigen Zusammenkünfte der Emder Geistlichkeit und Kirchenältesten verbot, protestierten Kirchenrat und Emder Bürger dagegen. Zur Rechtfertigung ihrer Position beriefen sie sich auf die Dreiständelehre: „Was nun in Presbyterio oder versamlung der Eltesten wird gehandelt /  das haben wir eygentlich vnd nach notturft /  in der Beschreibung vnser Kirchenordnung /  vnlangst /  durch offentlichen Druck /  zu erkennen gegeben als nemlich /  das darin vor vnd nach /  der Nahme GOTtes angeruffen /  von erhaltung der reynen Lehr /  1876  Ebd.

S. 26–31. (wie Anm. 1860). 1878  Ebd. Folgen der Beilagen, S. 59–60. 1877  B-Apologia



3. Emden531 guter Zucht erbarkeit /  auch abschaffung der gegebenen ergernussen /  vnd mit nicht von den dingen so dem Ampte der Weltlichen Obrigkeit zugehörig /  gehandelt wird /  wie ausführlicher in vnserer ausgegangenen Bekäntinus /  im 26. vnd 27. Artickeln aus dem Worte GOttes beweisen.“1879

Hervorzuheben ist, dass sich Kirchenrat und Emder Bürgerschaft bezeichnenderweise auf die Emder Kirchenordnung von 1594 und auf den 26. und 27. Artikel des „Korte Bekendtnis“ von 1593 beriefen, in denen es um die Obrigkeitslehre nach der Dreiständelehre ging. Die entsprechenden Stellen seien hier nochmals erwähnt: Im „Korte Bekendtnis“ heißt es; „De Ouericheit ist eine bewarinne der beyden Tafelen der Tein Gebaden by allen Underdanen und de sick sonst in ehrem Lande vorholden, sovele de utherlicke Tucht und Ordnunge belanget: Dat Regiment der Kercken is ock jnnerlick krefftich im Herten, unde strecket sick ehr Gerichte allein tho denn Lidmahten. De Ouericheit fahret mit ehrer Straffe vorth, wenn gelyck de Sünder Bohte deit, de Kercke nimpt de Boetferdigen in gnaden an. Ock werden in der Policey unde Borgerlicken gemeinschop Lüde geduldet /  welcke de Kercke nha Gades Wort van ehrer gemeinschop wehret und uthslütet.“1880

In der Emder Kirchenordnung von 1594 heißt es: „Van dem ampte der slötelen edder der kerckenregeringe und disciplyn. To der handhave der kercken und des wahren gadesdenstes hefft Godt twyerley ampt vorordenet, nemlick dat ampt der slötelen und der werktlicken overicheit, welcke twar vorscheidene und dennoch nicht wedderwertige aempter sind […] Wenn nu eine overicheit na dem van Godt sülvest vorgeschrevenen park van herten strevet, so ist dem allerhögesten sonderlick angenehm und wert van syner godtlicken majestat ehrer trüwe unde amptes halven mit hogen, herlicken ehrentitulen vor anderen menschen gezyret, und werden göder, kinder des allerhögesten, vaders, herden, knechte und dener Gades, pleger und sögammen der kercken, genedige, woldedige heren etc. […] De Overicheit richtet nicht allein na Gades wort, sonder ock na keyserlicken und andern landrechten und ordnungen, averst der kercken ordel moet in Gades wort gegründet syn. De Ouericheit is eine bewarerin­ ne der beyden tafelen der tein gebaden /  by allen underdanen und de sick sonst in ehrem lande vorholden, sovele de vterlicke tucht vnd ordnunge belanget […].“1881

Hier zeigt sich erneut deutlich, dass die Argumentation beider Sozialgruppen konvergierte. Das hing vor allem mit der personellen Überschneidung beider genossenschaftlichen Institutionen zusammen. Acht Mitglieder des 1879  Ebd.

S. 63. Bekendtenisse (wie Anm. 1840). 1881  Zitiert nach E. Sehling, Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 1745), Ausführlich dazu den Abschnitt V. 3. c) dd). 1880  Korte

532

V. Die Fallstudien

Kirchenrats gehörten zugleich dem „Vierzigerkollegium“ an.1882 Die Namen sind: Garlich Fewen (1567), Lüppe Sicken (1575), Henricus Artopaeus (1575), Harmen Eilards (1580), Gerhard Bolardus1883 (1580), Tiaert Eek (1583), Johannes Aldrichs (1589) und Dirk Allers (1589).1884 Man kann deshalb davon ausgehen, dass Argumentation und Rechtfertigungsmuster von Kirchenrat und „Vierzigerkollegium“ während der „Emder Revolution“ de facto identisch waren.1885 (gg) Der Delfzijler Vertrag vom 15. Juli 15951886 Dieser unter generalstaatlicher Vermittlung zustande gekommene Vertrag zwischen dem Grafen Edzard II. und dem Emder Bürgertum, der zugleich die innerstädtischen Verfassungs- und Konfessionsverhältnisse und die Beziehungen zwischen der Landesherrschaft und der Stadt regelte, belegt deutlich, dass die gemeinsame Bürgeropposition den aktiven Widerstand bei der „Emder Revolution“ und ihre vorangegangenen politischen Aktionen im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts unter Berufung auf die Dreiständelehre legitimiert hat. Im 2. Artikel, in dem die Pfarrbestellung nun eindeutig festgelegt wurde, werden sowohl Ratsherren als auch Mitglieder des „Vierzigerkollegiums“ als Glied der Kirche bezeichnet: „Zum andern soll die vocatio, praesentatio, et collatio der Prediger und Kirchendiener bey der Gemeinde und ihren Gliedmassen /  aber die Confirmation derselben bey uns stehen und verbleiben […] Und stehet Bürgermeister und Rath jederzeit frey und bevor /  einen aus ihrem collegio oder den Vierzigen /  welcher ein Glied­ maß der Kirchen ist /  zu committiren in demselben Consistorio zu erscheinen.“1887 1882  Zur Verzahnung der Sozialgruppe aus sozialgeschichtlichen Aspekten vgl. M. Weber, Emden – Kirche und Gesellschaft in einer Stadt der Frühneuzeit (wie Anm. 1785), S. 39–81. Hier S. 43 ff. 1883  Zu ihm vgl. H. Wiemann, Die Grundlagen der landständische Verfassung (wie Anm. 1715), S. 171. Dort Anm. 21. 1884  Vgl. H. de Buhr, Die Entwicklung Emdens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 1731), S. 107–108; U. Wangerin, Der geistige Hintergrund (wie Anm. 1860), S. 55. 1885  Zur Entstehung des „Vierzigerkollegiums“ vgl. E. Sehling, Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 1745), S. 416. Dort. Anm. 27. 1886  Zu diesem Vertrag siehe H. Wiemann, Die Grundlagen der landständischen Verfassung Ostfriesland (wie Anm. 1715), S. 112–137. 1887  E. R. Brenneysen, Ost-Friesische Historie und Landes-Verfassung (wie Anm. 1855), S. 144. Im Original: „burgermeestern end raet [sal] vry staen, uuyt haren collegio ofte uuyt den veertigen, eener (wesende een litmaet der kercken) te committeren, um in die voorschreven cosistoriaelsche vergaderinghe de comparen.“ Zitiert nach H. Wiemann, Die Grundlagen der landständischen Verfassung Ostfriesland (wie Anm. 1715), S. 114–137. Hier S. 118.



3. Emden533

Dem Vertrag nach stand es der städtischen Obrigkeit (Ratsherren des Magistrats) nun jederzeit frei, am Konsistorium bzw. an Kirchenratssitzungen teilzunehmen, da sie ebenso ein Glied der Kirche seien wie die Mitglieder der Kirchenrats selbst. Die Möglichkeit der Teilnahme der städtischen Obrigkeit an den Kirchenratssitzungen wurde also mit der Dreiständelehre begründet. Der Magistrat konnte künftig seine Herrschaftsansprüche auch in Belangen des Kirchenrats erheben, eben weil auch die weltliche Obrigkeit ein Glied der Kirche sei. Dass die Emder Bürgerschaft ihren aktiven Widerstand gegen den Landesherrn unter Berufung auf die Dreiständelehre legitimiert hat – wie die Vertragsformulierungen belegen –, ist anzunehmen, da an den Verhandlung zum Delfzijler Vertrag vier Bürgermeister und acht Ratsherren der Stadt Emden, stellvertretend der Bürgermeister Luppo Sicken1888, der Mitglied des Kirchenrats und des „Vierzigerkollegiums“ während der „Emder Revolution“ gewesen war, sowie Peter de Visscher und Johan Amelingh1889, ebenfalls ehemalige Mitglieder des „Vierzigerkollegiums“, als Bevollmächtigte teilnahmen.1890 Das heißt, alle vier Bürgermeister und acht Ratsherren, die den Vertrag unterschrieben haben, gehörten entweder zu den ehemaligen Mitgliedern des „Vierzigerkollegiums“ oder des Kirchenrats. Die den Vertrag unterzeichnenden Bürgermeister und Ratsherren haben auch bei einer späteren Auseinandersetzung mit dem Kirchenrat wiederum zur Rechtfertigung ihrer Position die Dreiständelehre genutzt, allerdings nach der monarchischen Auslegung, worauf noch einzugehen sein wird. Von außerordentlicher Bedeutung ist, dass derselbe Artikel des Delfzijler Vertrags ebenfalls bei der Verhandlung1891 zwischen dem Grafen Enno III. und den Landständen noch einmal Verwendung fand, was darauf hinweist, dass die Landstände sich die Dreiständelehre ebenfalls zunutze machten und die Dreiständeordnung bzw. die „konsensgestützte Herrschaft“1892 als Herrschaftsmodell anwandten: 1888  H. Wiemann, Die Grundlagen der landständischen Verfassung Ostfriesland (wie Anm. 1715), S 137. Dort. Anm. 30. 1889  Siehe dazu den Abschnitt V. 3. c) ee). 1890  H. Wiemann, Die Grundlagen der landständischen Verfassung Ostfriesland (wie Anm. 1715), S. 137. 1891  Die Konkordate vom 7. November 1599, in: H. Wiemann, Die Grundlagen der landständischen Verfassung (wie Anm. 1715), S. 160–194. 1892  „Und wir, ritterschaft, stedte und stende in Ostfrießlandt, bekennen offentlich, daß alle und iede obbeschribene puncten und articulm mit unserm guten wissen und willen vorgenommen und geschlossen sein, willigen auch dieselbe alle sambt und sonders, soviel deren uf unserm consens beruhen, in und mit craft dieses breifes, gereden und vorsprechen in guetten, wahren treuwen ub dieselbe wolgedachtem unserm gnedigen hern den erbhuldigungseid zu leisten, zu volzihen und deme nach allem unserm vermögen nachzukommen und zu geleben, alleß getreulich sonder gefehrde.“ Die Konkordate, in: H. Wiemann, Die Grundlagen der landständischen

534

V. Die Fallstudien

„So mögen zum dritten die consistorial- und classicalversamblungen nach einhalt ietztgemelter kirchenordnung unterhalten werden, jedoch daß niemandt zu dem wochentlichen coetu zu zwingen und in dieser versamblung anders nicht alß kyrchensachen verhandelt werden, und stehet burgermeister und raet iederzeit frei und bevor, einen auß ihrem collegio oder den vierzigern, welcher ein gliedmaß der kyrchen ist, zu committieren, in demselben consistoria zue erscheinen.“1893

Die Dreiständelehre als politische Sprache erweist sich als das verbindende, stärkende Element, das politische Praxis und politisches Denken in einen wechselseitig konstitutiven Zusammenhang bringt, dabei Institutionen und Praktiken definiert und mit Bedeutung versieht und letztlich handlungsleitend wirkt.1894 Zwar bedarf dies weiterer Untersuchung; die Belegstelle deutet aber zumindest darauf hin, dass die angesprochene Tradition des politiktheoretischen Denkens, die „konsensgestützte Herrschaft“, bei den Landständen durch die Dreiständelehre vermittelt wirkmächtig wurde. Durch die Dreiständelehre kam es nicht nur in Emden, sondern in allen Landständen Ostfrieslands zu einer Wiederherstellung der alten Privilegien, Freiheiten, Rechte und Gebräuche. Auch die überkommenen kirchenverfassungsrechtlichen Verhältnisse, die der einzelnen Kirchen- und Bürgergemeinde die Hoheit der Autonomie gewährten, wurden so wiederhergestellt. (b) Die weltliche Obrigkeit: Graf Edzard II. In den Auseinandersetzungen während der „Emder Revolution“ lässt sich die Anwendung der Dreiständelehre bei Edzard II. nicht direkt beobachten. Doch ohne Zweifel muss auch er unter Berufung auf die Dreiständelehre sein Vorgehen und seine Position legitimiert haben, denn wie oben bereits erwähnt wurde, begründete er die Veröffentlichung der Marienhafer Kirchenordnung von 15931895 in seinem Territorium mit der Dreiständelehre. Hier sei die entsprechende Stelle noch einmal zitiert: Verfassung (wie Anm. 1715), S. 193–194; die Argumentation der Ordnungsvorstellung einer konsensgestützten Herrschaft kommt wiederum in dem Osterhusischen Akkord vom 21. Mai 1611 zum Ausdruck: „Wat het dyk- unde sylrecht angaet, sal geachterfolgt werden, den inholt van de concordaten, ende S. G. sal geene indulten verleenen sonder consent van de landstenden, daerby einige landen der dykagie subject daervan befryt souden werden nochte frydom gunnen van upsettingen ende ommeslaegen […].“ H. Wiemann, Die Grundlagen der landständischen Verfassung (wie Anm. 1715), S. 212–261; 234. 1893  Zitiert nach Konkordate, in: H. Wiemann, Die Grundlagen der landständischen Verfassung (wie Anm. 1715), S. 185. 1894  Vgl. dazu C. S.  Park, Die Dreiständelehre als politische Sprache (wie Anm. 242), S. 50–69. 1895  E. Sehling, Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 1745), S. 683–724.



3. Emden535 „Wir Edzardtt, graffen und herrn zu Ostfreeßlandt etc.[…] als haben wir yn der fruchte Gottes beherzigt, wie ein christliche obrigkeit schuldig ist, dem almechtigen gehorsamlich zu dienen, nicht allein yn ehrhaltung guter policey, burgerliche friede, ruhe, zucht und erbarkeit, sondern auch vielmehr zum preis und ehr seines heiligen namens, furderung und ausbreitung seines heilsamen wortes und ehrbau­ wung seiner vielgeliebten kirchen, und das die burgerliche polecey und reigerung nicht godseaelig mag sein noch fur Gtdt gesegnet, da die religion und das reich Gottes nicht ahm ersten gesucht und gehandhavet wirt (Psalm. 2; Esa. 49; Deut. 17). Haben derohalben als ein mytgenosse der h. christlichen kirchen /  der wyr auch geneigt und vonherzen begierich) diese krichenordnung nach ehrvorderung der sachen und gelegentheit unser graffschaft lassen verfertigen.“1896

(c) Fazit Die Analyse der Konfliktfelder zeigt deutlich, wie allgemein gängig und üblich die Dreiständelehre in der politischen Auseinandersetzungen als Argumentationsmuster bzw. Rechtfertigungsmuster zu jener Zeit in Emden und im ostfriesischen Territorium wie in Bremen gebraucht wurde. Die notgedrungen knappe Skizze einiger Konfliktfelder, in denen die Dreiständelehre in Zeitschritten von rund 50 Jahren wirksam wurde, macht deutlich, wie unzureichend die Charakterisierung dieser Kontinuitätslinie in der Emder und Ostfriesischen Forschung bisher gewesen ist. Zudem konnten wir die Trägergruppen bzw. Akteure der frühneuzeitspezifischen politischen Kommunikation herausarbeiten: Gelehrte Juristen wie z. B. Eggerik Beninga waren an ihr beteiligt, ebenso gelehrte Theologen wie Johannes a Lasco, Gellius Faber und Menso Alting sowie Vertreter der politisch-sozialen Führungsgruppen des Stadtbürgertums, wie z. B. Gerhard tom Camp und Gerard Bolardus, des Bauernstandes und der lutherisch gesinnten Landadligen. Deshalb findet sich jene typische Verbindung der Notwehr- und Widerstandsdiskussion mit der Dreiständeordnung als Herrschaftsmodell eben nicht nur bei der lutherischen und reformierten Geistlichkeit, sondern auch bei den politischen Entscheidungsträgern, der Bürgerschaft und den Juristen wieder. Die vorangegangenen Ausführungen haben deutlich gezeigt, dass weder juristische Faktoren noch die politische Theorie, z. B. von Johann Althusius, noch die calvinistische Theologie bzw. der politische Calvinismus (wie in der Forschung immer wieder angenommen) in den betrachteten Auseinandersetzungen, insbesondere beim bewaffneten Konflikt der „Emder Revolution“, eine zentrale Rolle spielten, sondern vielmehr die Dreiständelehre.1897 1896  Ebd.

S. 683–684. politiktheoretischen Einbindung der Dreiständelehre vgl. L. SchornSchütte, Obrigkeitskritik im Luthertum (wie Anm. 54), S. 253–270; dies., Die DreiStände-Lehre im reformatorischen Umbruch (wie Anm. 6), S. 435–461. 1897  Zur

536

V. Die Fallstudien

Deshalb gelang es weder in der Regentschaftzeit von Gräfin Anna noch Edzar II., ein landesherrliches Kirchenregiment einzurichten. Durch sie wur­ de eine Ausübung landesherrlicher Macht blockiert und das Selbstbewusstsein des Adels und des Emdener Stadtbürgertums gestärkt, aber auch die Garantie für eine Koexistenz der Glaubensbekenntnisse gebildet. Vor allem macht die Analyse deutlich, dass die politica christiana als allgemein angewandte Politiklehre in den frühneuzeitlichen Debatten um die Struktur der politischen Ordnung, die der Rechtfertigung der Verteilung politischer Herrschaft dienten, im Reformiertentum wie im Luthertum eine wesentliche Rolle spielte. Mit anderen Worten stellte die politica christiana auch im Reformiertentum ein eigenständiges Modell „konsensgestützter Herrschaft“ in Form von wechselseitiger Steuerung des Politischen und Religiösen zur Verfügung. Die Dreiständelehre konstituierte dabei ein Spannungsverhältnis zwischen politischen Grundwerten und entsprechender Ordnung. Als politisches Ordnungsideal wirkte sie in Emden konsensstiftend bzw. konsensfördernd, mitunter jedoch auch konfliktverschärfend, wenn die Legitimität des konsensgestützten Herrschaftsmodells in Frage gestellt zu werden drohte. ff) Die Auseinandersetzung zwischen Stadtrat und dem Kirchenrat (1608–1609) Die folgenschwere „Emder Revolution“ von 1595 endete schließlich mit dem Delfzijler Vertrag vom 15. Juli 15951898 durch Vermittlung der Generalstaaten. Emden hatte damit die autonome genossenschaftliche politische Partizipation der Kirchen- und Bürgergemeinde erreicht, die andere deutsche Städte über zwei Jahrhunderte lang erkämpfen mussten. Zwar hatte das Emder Bürgertum noch 15 Jahre lang bis zum Osterhusischen Akkord von 1611, in dem ein dauerhafter Kompromiss zwischen Emden und dem Grafen geschlossen wurde, Konflikte mit dem Landesherrn zu bestehen, konnte aber die autonome politische Position aus dem Delfzijler Vertrag behaupten.1899 1898  Vgl. H. Wiemann, Die Grundlagen der landständischen Verfassung Ostfrieslands (wie Anm. 1715), S. 111. 1899  Mit den Konkordaten von 1599 hat z. B. die Kirche in Emden eine völlige Loslösung vom landesherrlichen Kirchenregiment der ostfriesischen Grafen erreicht. Zwar sah auch der Haagische Vergleich von 1603 noch das Konfirmationsrecht des Grafen bei Predigerwahlen in Emden vor. Jedoch konnte er dieses nur unter Zustimmung und nur innerhalb von 14 Tagen ausüben. Neben dieser verfassungsrechtlichen Autonomie war der Kirchengemeinde in Emden durch die Landesverträge ausdrücklich garantiert, dass es neben ihr in der Stadt keine andere Kirchengemeinde geben dürfte. Vgl. M. Smid, Ostfriesische Kirchengeschichte (wie Anm. 1731), S. 271 ff.



3. Emden537

Ein solcher Konflikt zwischen dem Magistrat und dem Kirchenrat, der fast zwei Jahre andauerte, war der sog. „Fall Peter van Eeck“, dessen Anfänge bereits im Delfzijler Vertrag lagen. Der Delfzijler Vertrag bestätigte zwar das traditionelle Pfarrwahlrecht der Kirchen- und Bürgergemeinde, zugleich aber wurde die Möglichkeit der Teilnahme der städtischen Obrigkeit an den Kirchenratssitzungen eingeräumt. Der Magistrat konnte fortan seine Ansprüche im Kirchenrat selbst erheben.1900 Damit kündigte sich der bevorstehende Konflikt zwischen Magistrat und Kirchenrat im 17. Jahrhundert bereits im Delfzijler Vertrag an. In Erscheinung trat dieser Konflikt in einer zwei Jahre andauernden Auseinandersetzung um die Kirchenzucht1901 zwischen Kirchenrat und Magistrat.1902 Der Kirchenrat hatte Blutschande, Ehebruch, Hurerei und andere schwere Sünden bei den Ratsherren1903 festgestellt und beklagt, dass viele von diesen nicht die gebührende Strafe erhalten hätten. Daraufhin beschloss der Kirchenrat am 20. Juni 1608, dass alle Mitglieder des Kirchenrats ihr Zuchtamt ernst nehmen und gegen alle Mitglieder der Kirche, besonders gegen die Ratsherren stärker ausüben sollten.1904 Der Magistrat wurde am 27. Juni aufgefordert, „bloetschande, ehebreckerie, horerie und andere grave sunde“1905 unter Strafe zu stellen und gerichtliche Verfolgung derselben nicht zu verhindern. Zur Rechtfertigung ihrer Ausübung des Zuchtamts beriefen sie sich ausdrücklich auf die Dreiständelehre. Im Protokoll vom 27. Juni 1608 hieß es: „Iß van den semptlicken predigern ingebracht, dat se mit etlicken oldesten bi borgmeister und rhadt angeholden, dat se doch erwegen wolden, wat der prediger ampt eschede, sowol gegen de overigheit alß alle menschen, sonderlick lidtmaten, 1900  Anzumerken ist, dass sich die Bedeutung des Stadtrats in den letzten drei Jahrzehnten grundlegend wandelte. Vorher trat das Rathaus in seiner Bedeutung eher hinter Kirche und Bürger zurück. Vgl. C. Lamschus, Emden unter der Herrschaft der Cirksena. Studien zur Herrschaftsstruktur der ostfriesischen Residenzstadt 1470– 1527 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen 23), Hildesheim 1984, S. 84. 1901  Zur Kirchenzucht-Tätigkeit des Emder Kirchenrats siehe H. Schilling, Reformierte Kirchenzucht (wie Anm. 1204), S. 261–327. 1902  Vgl. M. Röhling, Menso Alting und die Konfessionalisierung in Ostfriesland. Magisterarbeit 1995, S. 110 ff. 1903  „und darup witlofftig uth Gades Worde bewiset, dat blietschande, ehebreckerie, horerie und andere grave sunde solcke sunde sin, umme welcker willen Got seer vertornet.“ KRP. II. (wie Anm. 1807), S. 991. 1904  „Iß beschlaten, dat alle prediger und oldesten sollen tokumpstigen donnerdach up’t rhadthuß ghan und borgemeister und rhadt vermanen, dat se doch Gade de ehre wolden geven und nicht alleine Johan Boeckbinder, sonder alle grave und apenbare sunder ampteshalven wolden in straffe nehmen.“ Ebd. S. 991. 1905  Ebd. S. 991.

538

V. Die Fallstudien

so se nicht wolden, dat dat bloet erer tohorer van eren handen gefordert werden […] Derhalven einen Ehrbaren Rhadt vermanet, dewile se christlicke overigheit, lidtmaten und broder der gemeine, und wi unß to en versehen, dat se leefhebber desser stadt und darumme mit unerlatinge eres amptes in straffe graver sunde den torne Gades aber desse stadt nicht trecken werden.“1906

Die weltliche Obrigkeit müsse unter das Kirchenzuchtverfahren gestellt werden, selbiges müsse unabhängig von der politischen und sozialen Stellung und Ranghöhe ausgeübt werden.1907 Noch deutlicher kommt dies im Protokoll der Sitzung vom 8. Juli 1608 zum Ausdruck: „dat ordentlicke berupene dener macht hebben, alle averikgheit, ock konige und keiser, sonderlick de lidtmaten der gemeine, eres amptes to vermanen.“1908

Doch der Magistrat nahm die Aufforderung des Kirchenrats nicht an. Der wortführende Bürgermeister Herman Eilartz1909 bedankte sich zwar für die Ermahnung des Kirchenrats, wies die Klage selbst jedoch zurück, indem er darauf verwies, dass in Holland solches nicht als Sünde behandelt und gestraft würde.1910 Er forderte vom Kirchenrat eine schriftliche Ermahnung.1911 Als Menso Alting im Namen des Kirchenrats dieses Ansinnen mit der Erklärung ablehnte, eine schriftliche Übergabe der Ermahnung sei unnötig, entgegnete der Ratsherr Peter van Eeck1912, dass er eine schriftliche Ausfertigung der Ermahnung des Kirchenrats erwarte, weil er es nicht dabei bewenden lassen wolle.1913 Der Kirchenrat beschloss daraufhin, Peter van 1906  Ebd.

1907  Der Fall „Johan Bockbinder“ macht dies deutlich. Er war Kirchenratsmitglied; da er aber Blutschande beging, übte der Kirchenrat sein Zuchtamt gegen ihn aus. Vgl. KRP. II. (wie Anm. 1807), S. 990. Dort Anm. 1. 1908  KRP. II. (wie Anm. 1807), S. 993. 1909  Er tauchte mit Luppo Sicken in der Schüttenhöflingsliste von 1582 mit 11 weiteren späteren „Vierzigern“ auf: Johann Peters Brögelman (1582), Sicke Fewen (1582), Arent Wolters (1584), Hinrich Buurmann (1584), Hans Syssen (1585), Lüppe Sicken (1586), Dirk Stypel (1586), Arent Schinkel 81586), Harmen Eilads (1588), Reiner Kype (1588), Wibbe Lisingh (1589) und Lambert Mepe (1589), Vgl. M. Weber, Emden, Kirche und Gesellschaft in einer Stadt der Frühneuzeit (wie Anm. 1785), S. 66 ff.; StAE Emder Offiziantenbuch (HS 4), Bl. 29. Zitiert nach H. de Buhr, Die Entwicklung Emdens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 1731), S. 103. 1910  KRP. II. (wie Anm. 1807), S. 992. 1911  „idt were mit unser vermaninge to vele geschehen, und begerden derhalven gedane vermaninge schriftlick.“ Ebd. S. 992. 1912  Er gehörte zu den Anführern der radikalen Partei beim so genannten „Schornsteinsteuerstreit“ vom Juli 1601 / 1603. Vgl. H. Wieman, Die Grundlagen der Landständischen Verfassung Ostfrieslands (wie Anm. 1715), S. 52–53. 1913  „in sockler vermaninge hefft sick Peter van Eeck apenbaret, dat he idt dafur holde, wie ghan to with und komen em to nham in der vermaninge, und dat he idt



3. Emden539

Eeck vor das Konsistorium treten zu lassen. Als dieser sich Bedenkzeit erbat, um sich mit den anderen Ratsherren zu beraten, wurde am 4. Juli beschlossen, ihn an seine Ladung vor das Konsistorium zu erinnern. Der Kirchenrat rechtfertigte seine Amtshandlung mit der Dreiständelehre. Im Protokoll der Sitzung vom 4. Juli heißt es: „Den 4. Julii sollen avermhal de furgenomeden oldesten rhades-heren Peter van der Eeck anseggen, dewil he sin bedencken genamen mit den anderen rhadesverwanten erst sick to beraden, off he up dat consistorium erschinen solde, wo he dan sick bedacht, und en to vermanen, dat he Gadeß ordninge und desser kercken gebrueck, to welcker he sick, alß he fur ein lidmate der gemeine Christi angenamen, verplichtet, gehorsam ertogede und nicht weigerde, in dem consistorio to erscheinen.“1914

Gemeint ist, dass Peter van Eeck als ein Teil der Kirche unter das Kir­ chenzuchtverfahren gestellt werden könne. Damit wird deutlich, dass die Bestimmung als „Glied der Kirche“ als definitorisches Kriterium für die Anwendbarkeit obrigkeitlicher Befugnisse diente. Am 8. Juli 1608 erschien van Eeck tatsächlich vor dem Konsistorium. Die Frage des Kirchenrats, warum er stärker als andere Ratsmitglieder auf einer schriftlichen Ermahnung bestünde,1915 erwiderte er mit der Gegen­ frage, warum ihm diese verweigert würde. Darauf antwortete der Kirchenrat, es gehöre sich nicht, „darjegen to disputeren, noch muntlick noch schrifftlick“,1916 weswegen sie den Stadtrat ermahnt hätten. Der Kirchenrat habe die Macht, die weltliche Obrigkeit zu ermahnen und Kirchenzucht zu üben, weil diese Zuchtamtsübung ihre von Gott befohlene Pflicht und Aufgabe als ein Glied der Kirche sei: „dat ordentlicke beropene dener macht hebben, alle averigkheit, ock konig und keiser, sonderlick de lidtmaten der gemeine, eres amptes to vermanen. Und wenn sie gegen Gades Wort gedaen, se besonderlick und ock apentlick wenn de daet apenbaer, to straffen“.1917

Peter van der Eeck verneinte diese Argumentation des Kirchenrats und sagte, der Kirchenrat lästere wider den Stadtrat, wenn er die Obrigkeit ermahne, was nicht erlaubt sei. Er betonte, dass er die Anwendung der Kirchenzucht wegen sittlicher Verfehlungen nicht akzeptieren würde. Zur darbei nicht wille bliven laten, und iß in torne uth dem rhade uthgelopen […] dat he begere, dat de gescheene vermaninge em schrifftlick togestellet werde, den [n] de also geschapen gewesen, dat he idt bi dersulvigen nicht gedencke to laten.“ KRP. II. (wie Anm. 1807), S. 992. 1914  Ebd. S. 992. 1915  Ebd. S. 992. 1916  Ebd. S. 993. 1917  Ebd. S. 993.

540

V. Die Fallstudien

Rechtfertigung seiner Position berief er sich bezeichnenderweise auf das Bild des Gleichnisses von Mose und Aaron: „Rizius und Isaac de Vogeler bringen in, dat Peter sick geweigert, unsen rhadt to folgen, sonder dewile wi (:wo he secht:) ovel gedaen in der vermhaninge und de em schrifftlick medetodelen gewegert, en uthgebannet, indem wie em dat nachtmahl upgesecht und dat wegen deß, alß off he Johan Boeckbinders sacke verdedige, dat he doch nicht endo, dat dan nicht he, sonder wi unse schult beckennen solden. So wi dat nicht doen wilen, so wete he darto rhadt, und he wille mit den, de em dat nachtmhal des consistorii halven upgesecht hebben, to doen hebben. So si ock de overi[g]heit, wo Moses Aarons, der prediger Got, de en seggen solde, wat se reden sollen.“1918

Nach Veeck müsse der Kirchenrat sich der weltlichen Obrigkeit unterordnen, da er lediglich die Funktion eines Sprachrohrs der weltlichen Obrigkeit habe, so wie Moses für Aaron Gott war und wie Aaron nur zu verkünden hatte, was Moses ihm eingab. Dieses Argumentationsmuster kommt wiederum im Protokoll der Sitzung vom 26. September 1608 noch deutlicher zum Tragen: „Item sine schult beckennen, dat he buten sinen beroep sick angel[na]men macht, den predigern und oldesten dat nachtmhal uptosegegen; item, „prediger und oldesten sin nicht beter alß de boeckbinder, konnen nicht tugen, hebben Johan Boeckbinder to kort gedaen“; item, dat he gesecht, borgemeister und rhadt sol unse Got sin und wi er mundt, gelick Aaron Mosis, und nicht reden, alß wat unß de averigheit bevele und er wille were“; item, dat he gedrewet, „he wete rhadt, so wi unse schuldt nicht bekennen willen, dat he idt mit den to doen hebben wille, de em dat nachtmhal upgesecht, und gegen en to procederen.“1919

Das Gleichnis von Aaron und Moses war unter den Gelehrten als typische Metaphorik der Dreiständelehre bekannt – sie kam auch in der Leichenpredigt Menso Altings für den Grafen Johann zum Einsatz –1920 und findet sich ebenfalls in der „Politica“ des Johann Althusius, der mit diesem Bild im Kompetenzstreit zwischen Magistrat und Kirchenrat der Magistratsseite Gewicht verleiht.1921 Das bedeutet, dass Peter van Eeck bzw. der Magistrat ihre Position mit der monarchischen Dreiständelehre rechtfertigten, indem sie in der Überlegenheit Moses gegenüber Aaron die Überlegenheit der Ratsherren und Bürgermeister gegenüber den anderen beiden Ständen der Kirche, dem status oeconomicus und status ecclesiasticus, ausdrückten.1922 1918  Ebd.

S. 996. KRP II. (wie Anm. 1807), S. 998. 1920  Siehe dazu das Zitat in Anm. 1821. 1921  Vgl. H. Janssen, Die Bibel als Grundlage der politischen Theorie des Johannes Althusius. Diss. Münster 1990, S. 183 ff. 189. 238. 1922  Zum Verhältnis von Ehegericht und Konsistorium vgl. W. Köhler, Züricher Ehegericht und Genfer Konsistorium (wie Anm. 1772), Bd. 1, S. 184–203; TRE 19, S.  176 ff. 1919  Ebd.



3. Emden541

Demzufolge wurde der Magistrat dabei nicht als ein Glied der Kirche, sondern als das vornehmste Glied der Kirche gesehen, während die beiden anderen Stände nur gewöhnliche Glieder bildeten. Zusammengefasst heißt das: Während Pfarrer und Älteste im Kirchenrat das Recht des Zuchtamtes auch an der weltlichen Obrigkeit betonten, pochte der Rat auf seine obrigkeitlichen Befugnisse und beanspruchte, die Kirchenzuchtübung unter dem Vorwurf des Aufruhrs zu verbieten. Beide Seiten beriefen sich zur Rechtfertigung ihrer Positionen auf die Dreiständelehre. Der Kirchenrat betonte, die weltliche Obrigkeit sei als status politicus ­lediglich ein Stand der Kirche neben den beiden anderen Ständen. Diese Gleichberechtigung unterwerfe notwendigerweise alle Stände gleichermaßen der Kirchenzucht des Kirchenrats. Dieser Auffassung setzten der Bürgermeister und der Stadtrat das Gleichnis von Moses und Aaron entgegen, in dem sich ihre anders gewichtende Sicht der Dreiständelehre zeigte. Demnach sei die weltliche Obrigkeit tatsächlich ein neben den beiden anderen Gliedern der Kirche existierendes Glied, aber sie sei das vornehmste Glied der Kirche, wie dies im Verhältnis von Moses zu Aaron der Fall wäre. Damit begründete der Stadtrat seinen Herrschaftsanspruch auch in den kirchlichen Angelegenheiten und insbesondere seine Verweigerung der Anwendung der Kirchenzucht. Der Kirchenrat wies mit der aristokratischen Dreiständelehre diesen Herrschaftsanspruch des status politicus zurück. Zwar könne man mit dem Gleichnis von Moses und Aaron anerkennen,1923 dass die Obrigkeit auch ein Teil der Kirche sei, aber nur sofern sie sich als christlich erweise. Eine Herrschaft über die Belange der Kirche und das Verbot der Kirchenzucht könnten damit jedoch nicht legitimiert werden. Insgesamt wird deutlich, dass sich zwei konkurrierende operative Paradigmen konfliktverschärfend gegenüberstanden: die aristokratische Dreiständelehre des Kirchenrats und die monarchische Dreiständeauffassung der Ratsherren. Damit ist der Aspekt der Instrumentalisierung der Dreiständelehre als politische Sprache angesprochen: Bürgermeister und Ratsherren instrumentalisierten die Dreiständelehre je nach politischer Lage und ihren Interessen. Wie bereits erwähnt,1924 gehörten manche Bürgermeister und Ratsherren, wie Herman Eilartz, Peter van Eeck und Luppo Sicken, sowohl dem Kirchenrat als auch dem „Vierzigerkollegium“ an, und zwar vor und während 1923  Vgl. H. Janssen, Die Bibel als Grundlage der politischen Theorie des Johannes Althusius (wie Anm. 1921), S. 183 f. 189. 238; B. Hagedorn, Ostfriesischer Handel und Schiffahrt (wie Anm. 1763), S. 448 ff. 1924  Siehe dazu den Abschnitt V. 3. c) ee).

542

V. Die Fallstudien

der „Emder Revolution“ von 1595. Zu jener Zeit gebrauchten sie die aristokratische Dreiständelehre zur Rechtfertigung ihres aktiven Widerstandes gegen den Landesherrn, um dessen Herrschaftsanspruch und obrigkeitliche Befugnis in der Kirchen- und Bürgergemeinde abzuwehren. Nachdem sie allerdings selbst an die Macht gekommen waren, gingen sie zur monarchischen Dreiständelehre über, um nun ihrerseits einen Herrschaftsanspruch in der Kirche zu begründen bzw. ein politisches Übergewicht des Kirchenrats oder papocäsarische Übergriffe in die Belange der weltlichen Obrigkeit zu verhindern. Damit ist die unter 3. a) fomulierte vierte Frage nach den Ursachen für den sog. Herausbildungsprozess des ratsherrlichen Kirchenregiments bzw. Staatskirchentums in Emden angesprochen. Die kirchenverfassungsrecht­ liche Entwicklung Emdens nach der „Emder Revolution“ verlief ganz in traditioneller Art und Weise, so wie sie sich seit dem ausgehenden Mittelalter in der stadtbürgerlichen Gesellschaft durchgesetzt hatte. An die Stelle des Kirchenregiments des ostfriesischen Grafens in Emden trat nur in weit geringerem Maße als in allen anderen Orten Ostfrieslands die Autonomie der Kirchengemeinde, sondern vielmehr ein Kirchenregiment des Magis­ trats, das die Kirche weitaus konsequenter im Griff hatte, als es je ein ostfriesischer Landesherr hätte handhaben können.1925 Es wurde hier argumentiert, dass der Grund für diese Entwicklung weder in der calvinistischen Theologie bzw. im politischen Calvinismus noch in einem Mechanismus der Konfessionalisierung1926 (worauf in der Forschung häufig abgestellt wird), weder in juristischen Faktoren noch in der naturrechtlichen Politiktheorie von Johann Althusius oder Bodins Souveränitätstheorie zu sehen ist, sondern vor allem in der Dreiständelehre. Sie war es, die dem Rat die Legitimation bot, trotz der beinahe einzigartigen „Emder Revolution“ seine Kirchenhoheit immer mehr auf die interna ecclesiae auszudehnen und schließlich so selbstherrlich wie sonst nur ein lutherischer fürstlicher „Summus Episcopus“ jener Zeit zu walten; die calvinistische Kirche Emdens wurde in Folge dessen trotz ihres zeitweiligen Sonderwegs nicht zu einer selbständigen und von magistratlicher Aufsicht unabhängigen Größe. Indem der Bürgermeister und die Ratsherren im Magistrat – das heißt: die früheren Mitglieder des Kirchenrats und „Vierzigerkollegiums“ – nach der „Emder Revolution“ anfingen, die monarchische Dreiständelehre in den politischen Auseinandersetzungen erfolgreich anzuwenden, wurde Emden trotz der wichtigen „Revolution“, die ein großer Schritt in Richtung einer vollständigen Autonomie der Kirchengemeinde hätte sein können, zum landesherrlichen bzw. ratsherrlichen Kirchenregiment. 1925  Vgl. 1926  W.

M. Smid, Ostfriesische Kirchengeschichte (wie Anm. 1731), S. 271 ff. Reinhard, Zwang zur Konfessionalisierung (wie Anm. 27), S. 257–278.



3. Emden543

Damit ist nun die unter 3. a) gestellte dritte Frage, weshalb sich in Emden vor der „Emder Revolution“ die Kirchenzucht im Gegensatz zu Bremen durchsetzen und die Kirche teils gegen den Willen, teils mit Hilfe der weltlichen Obrigkeit Unabhängigkeit und Selbständigkeit neben dem weltlichen Bereich erlangen konnte, während es in Bremen zu einem Reformiertentum ohne Konsistorium bzw. mit Bezügen zur lutherischen Magistratskirche kam, angesprochen. Warum konnte sich der Emder Kirchenrat in Verwaltung, Regierung und Gesetzgebung ein ausgedehntes Betätigungsfeld erschließen, während die reformierte Kirche Bremens ohne eigenes Vertretungsgremium dem Kirchenregiment des Stadtrats unterstand? Wie oben dargestellt, führten Pflichtversäumnisse der Emder Stadtobrigkeit in ihrer Aufgabe als custos utriusque tabulae dazu, dass der Kirchenrat an Stelle des Rates diese Pflichten übernahm. Das heißt, der Kirchenrat erfüllte obrigkeitliche Aufgaben und Pflichten.1927 Dabei leitete der Kirchenrat über den Kreis des Glieds der Kirche hinaus, wie Weber festgestellt hat,1928 das Recht ab, in den Verantwortungsbereich der Obrigkeit einzugreifen. Das ganze Gemeinwesen wird so durch den Kirchenrat einer religiösen, sittlichen und sozialen Kontrolle unterworfen. Kirchenzucht und Sittlichkeit der Obrigkeit sind hier nicht einander gegenübergestellt, sondern ineinander verschränkt. Dies wird auch daran deutlich, dass der Kirchenrat aus eigenem Antrieb die gesamtgesellschaftlichen Probleme, wie z. B. das Lotteriespielen, in eigener Verantwortung zu lösen versucht hat,1929 obwohl durch die Kirchenordnung und das „Korte Bekendtniss“ der Stadtobrigkeit die Sorge für die beiden Tafeln des Gesetzes übertragen war. Die Rechtfertigung für diese Kompetenzausdehnung liegt für den Emder Kirchenrat in der Dreiständelehre. Die erfolgreiche Anwendung der Dreiständelehre ist der Grund, warum der Kirchenrat anders als in Bremen im politischen Bereich agieren konnte.1930 Deshalb war die calvinistische Kirche in Emden vor der „Emder Revolution“ zu einer selbständigen und von magistratlicher Aufsicht unabhängigen Größe geworden. Doch nach der „Emder Revolution“ änderte sich die Lage, als der Rat begann, zur monarchischen Dreiständeauffassung überzugehen. Die Kirche in Emden wurde daraufhin schließlich zur „Staatskirche“. So gipfelt die hier vertretene Forschungsthese in folgender Formulierung: Die Spannung zwischen den konkurrierenden operativen Paradigmen bzw. 1927  Vgl. F. Weber, Sendrecht, Policey und Kirchenzucht (wie Anm.  1750), S. 367–368. 1928  Ausführlich dazu F. Weber, Sendrecht, Policey und Kirchenzucht (wie Anm. 1750), S. 366–370. 1929  Ebd. S. 369. 1930  Ebd.

544

V. Die Fallstudien

Deutungsmustern in den politischen Auseinandersetzungen führte zu einer Veränderung historischer Realität. Die Hauptursache für den emdischen Sonderweg lag weder im ius episcopale noch in den staatskirchlichen Verhältnissen oder staatskirchenrechtlichen Entscheidungen, sondern im Spannungsverhältnis zwischen den konkurierenden Paradigmen. In Emden kam es durch diese konfliktverschärfende Spannung der Dreiständelehre in den politischen und religiösen Auseinandersetzungen zu einer veränderten historischen Realität; schließlich entstand wie in Bremen ein Reformiertentum mit Bezügen zur lutherischen Magistratskirche. Der reformierte Prediger Daniel Bernhard Elisehmius veröffentlichte eine umfangreiche Streitschrift1931, um die Position des Kirchenrats zu bekräftigen. Darin erörterte er ausführlich seine Obrigkeitsauffassung ganz im Sinne des lutherischen Obrigkeitsverständnisses. Im Abschnitt „Overicheit Ampt“ heißt es: „Derhalven ist der Overicheit Ampt dertho van GOdt verordent /  dat dardorch Godt­ salicheit vnde /  Erbarheit vnder den Minschen erholden vnde vortgeplantet werde. Godtsalicheit wert in der ersten Taffel des Gesettes Gades gelehret /  Erbarheit överst in der andern. Vnde ist also de handthave vnde bewaringe der beiden Taffeln des Gesettes /  der overickeit van GOdt bevolen. Werden ersten Taffel ist ehr Ampt /  dat se vor allen dingen bestelle vnde verordene /  dat de recht Gadesdenst vnde ware Religion /  vnder allen ehre Vnderdanen /  bwaret /  gedreven vnde vortgeplantet werde. Overst hyrby is wol an thomercken / dat de Overicheit nene macht hefft eing Lehr /  Religion edder Gadesdenst /  vnde. noch ock einige form edder wyse densulven vthwendich tho verrichten /  nha erem eigen gutduicken vnder eren Vnderdanen anthostellen /  vnde en vor thoschriven. […] Thom drudden sol se vor allen dingen den Soene Gades kussen /  vnde dem HRren denen mit furcht: vnde sol ein Pleger vnde Sögamme der Christlicken Kercken syn /  darmit /  dat se Kerckendener /  Schulldener /  Almosenpleger /  vnde alle güde ordningen der Gemeine befordere /  Handthave vnde wedder allen mothwillen der Bösen bescherme.“1932

Die weltliche Obrigkeit sei zwar custos utriusque tabulae, doch sie sei nicht das vornehmste Glied der Kirche wie bei Melanchthon, sondern ein Glied der Kirche. gg) Der Kompetenzstreit zwischen Rat und „Vierzigern“ (1615–1626) Um 1615 kam es in Emden zu einer heftigen verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung zwischen den beiden Gremien, die zwischenzeitlich 1931  Oestfrießlandisch klenodt /  Deß waren Gelovens vnde bestendigen trostes /  darin de vornmeste hovet Löehren der Christlicken Religion grundtlick bewehret /  verlerley Erdomt överst weddericht werden. Emden 1612. [Jal. Theol. 236]. Im Folgenden Oestfrießlandische klenodt. 1932  Ebd. S. 905.



3. Emden545

immer wieder neu entflammte und so fast ein Jahrzehnt andauerte. Sogar die Generalstaaten in Den Haag mussten wiederholt schlichtend eingreifen. Bereits im Osterhusischen Akkord von 1611 lagen allerdings die Wurzeln des Konflikts. Verfassungsrechtlich waren die „Vierziger“ als das Repräsentationsorgan der Bürgergemeinde, das den Rat wählte, diesem vorgeordnet, woraus auch ihre Kontrollrechte erwuchsen. Doch der Osterhuser Akkord von 1611 bestimmte, dass dem Magistrat die Besetzung aller städtischen Ämter und Bedienungen zustand und ihm in allen Amtsgeschäften der Stadt freies Verfügungsrecht einzuräumen sei. Konsequenterweise mussten die „Vierziger“ alle Kandidaten beim Rat zur Bestätigung präsentieren. Damit war ein Machtkonflikt zwischen beiden Seiten vorbestimmt. In Erscheinung trat dieser bei der Staatsrechtsdiskussion. Der Konflikt erwuchs zunächst aus einem konkreten Anlass, einer alltäglichen Frage zu Deichwesen und Baupolizei, entwickelte sich jedoch im weiteren Verlauf zu einem grundsätzlichen Verfassungsstreit. Hauptsächlich ging es wie beim Goslarer Verfassungskonflikt1933 zwischen Rat und Bürgerschaft im 17. Jahrhundert um jene Frage, die die verfassungsrechtlichen Dispute der frühen Neuzeit auf allen Ebenen bestimmte: Wem kommt die höchste Gewalt innerhalb des politischen Gemeinwesens zu? Auf die spe­ ziellen Emder Verhältnisse angewandt bedeutete dies: War die obrigkeitliche Gewalt des Magistrats in der Stadt originär oder wurde ihm die Regierungsgewalt von der durch die „Vierziger“ repräsentierten Bürgerschaft nur auf Zeit übertragen, blieb sie letztlich also ein Mandat der Bürger? Welchen Mitwirkungs- und Kontrollrechten der Bürgerschaft in Gestalt der „Vierziger“ war der Magistrat bei seinen politischen Amtshandlungen folglich unterworfen? Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzung war die in der Stadt herrschende Regierungsform und die damit einhergehende Festlegung, wem die Souveränität im Gemeinwesen zukomme.1934 Während Bürgermeister und Rat den status aristocraticus1935 als gültige Regierungsform forderten, strebten die „Vierziger“ dagegen den status democraticus an; mit anderen Worten verlangten letztere eine „konsensgestützte Herrschaft“ mit aktiver Teilnahme der Bürgergemeinde am Stadtregiment durch Wahl, Kon1933  Vgl. A. Kroker, So machte solches eine democratiam (wie Anm.  356), S. 160–161; dies., Goslarer Verfassungsgeschichte in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 356), S. 123–135. Hier S. 124 ff. 1934  Dazu ausführlich B. Kappelhoff, Quasiautonome Stadtrepublik (wie Anm. 1698), S. 56 ff. 1935  Mit dem Begriff der „Aristokratie“ verband man in Emden ebenfalls wie in Goslar im 17. Jahrhundert die Vorstellung, dass der Rat zwar souverän regiere und doch von der Bürgerschaft kontrolliert werden solle und ihr gegenüber Rechenschaft über die Regierung schuldig sei. Vgl. A. Kroker, Goslarer Verfassungsgeschichte in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 356), S. 132 ff.

546

V. Die Fallstudien

trolle und Mitspracherecht.1936 Die „Vierziger“ forderten ein auf Konsens und Konsultation beruhendes bürgerliches Gemeinwesen, in dem der Ma­ gistrat lediglich als beauftragter Vertreter der Bürgergemeinde angesehen würde. Es dauerte bis 1626, bis beide Seiten sich schließlich unter dem Druck der Generalstaaten auf eine Vereinbarung einigten, die jedoch keineswegs eine Kräftebalance herstellte, sondern das Gewicht deutlich zugunsten des Magistrats verschob. Endgültig aufgehoben wurde die Kräftebalance, als die städtische Regierung mit staatlichem Militär im Rücken den oppositionellen Teil der „Vierziger“ als „Friedenstörer“ gefangennahm und so für längere Zeit jede Tätigkeit und Versammlung dieses Repräsentationsorgans unterband. Auf die folgenden Ergänzungswahlen der „Vierziger“ nahm der Rat entscheidenden Einfluss und beschnitt damit die politischen Entfaltungsmöglichkeiten des Gremiums erheblich.1937 Schließlich wurde zwischen beiden Kontrahenten ein Kompromiss zur Regelung der Machtverteilung ausgehandelt. Von großer Bedeutung ist, dass Johannes Althusius (1563– 1638)1938, der das politische Primat bei der Herrschaftsverteilung immer wieder dem Magistrat übertrug, dieses Mal in seinem 30 Punkte umfassenden Ratsprotokoll bezeichnenderweise die Qualifikation eines Ratsherrn oder „Vierzigers“ auf die lutherische Dreiständelehre bezog. Im 7. und 10. Punkt des Protokolls vom 29. September 16271939 hieß es: „Bey der qualiteten vndt requisiten des Rahts persohnen, so in das Collegium des Rahts zuerthehlen, in acht thonehmen, dat solche persohnen der wahren Religion zuegethaen sein, ock Lidtmaten der Gemeinten vndt kercken alhier, vndt mit keinen verdächtigen Secten behaftet […] Jn erwaehlung eines vierzigers, ahn stath des verstorbenen, oder abgehenten, ist des Colligij ampt, in acht zunehmen, dass derselbige, welcher in Plaz des abgehenten zuerthehlen, sendt in Jhr Collegium ahn zunehmen, ein Burger seyn, mit dem burger Eydt verpflicht, ein wol qualificirte persohn, der reformierten Religion dieser Christlichen Kirchen zugethan, undt ein Lidtmath deser Gemeinte sendt Kirchen, undt mit keiner verdächtlichen secterien, oder opinion behaftet.“1940

Diese Formulierung von Althusius, „Lidtmaten der Gemeinten vndt kercken alhier“, vermittelt den Eindruck, dass er den Ratsherren und Vierzigern 1936  Vgl. A. Kroker, Goslarer Verfassungsgeschichte in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 356), S. 132 ff. 1937  Vgl. B. Kappelhoff, Quasiautonome Stadtrepublik (wie Anm. 1698), S. 56 ff. 1938  Zwar gibt es keine eigenhändige Unterschrift von Althusius, doch bestehen keine Zweifel, dass er an dieser wichtigen verfassungsrechtlichen Verhandlung mitgewirkt hat, schließlich war er der fachkundige Rechtsexperte in Emden überhaupt. 1939  StA E Reg. I. Nr. 960a Nr. 4. Dasselbe Dokument findet sich ebenfalls in den Ratsdiarien unter der Signatur Prot.Reg. IV. 4, S. 548–550. 1940  StA E Reg. I. Nr. 960a Nr. 4.



3. Emden547

die Zugehörigkeit zur reformierten Gemeinde als unabdingbare Voraussetzung auferlegt. Doch betrachtet man das politische und soziale Umfeld jener Zeit, zeigt sich, dass das reformierte Bekenntnis in Emden nach der „Revolution“ die allein gültige und herrschende Lehre gewesen ist. Es gibt keinerlei Indizien dafür, dass ein Lutheraner geneigt gewesen wäre oder versucht hätte, ins Rathaus aufzusteigen oder zu den „Vierzigern“ zu gehören. Dies war kirchenrechtlich, konfessionell, gesellschaftspolitisch und verfassungsrechtlich kaum möglich und nicht vorstellbar. Nach Smid waren der Einfluss des Grafen und der Lutheraner, der mächtigen Gegenspieler des Refomiertentums in Emden, seit Jahrzehnten restlos ausgeschaltet.1941 Damit stellt sich die Frage, warum Johannes Althusius die Mitgliedschaft in der reformierten Gemeinde zur Bedingung für die Ratsherren und „Vierziger“ machte. Die Antwort findet sich in dem oben aufgeführten Rechtfertigungsmuster von Johann a Lasco, Gellius Faber oder Menso Alting in den politischen Auseinandersetzungen mit den Landesherren. Dabei beschränkten sie die Rechte der weltlichen Obrigkeit ebenso auf die Gliedschaft der Kirche und begrenzten ihre Regierungshoheit. Aber es ging dabei nicht um eine bloße Mitgliedschaft der Kirche, sondern um die Dreiständelehre als das trifunktionale Ordnungsmodell. Erinnert sei auch noch einmal daran, dass der Kirchenrat den Ratsherrn Peter van Eeck mit derselben Begründung aufforderte, vor dem Konsistorium zu erscheinen, eben weil er als ein Glied der Kirche schuldig sei, unter das Kirchenzuchtverfahren gestellt zu werden. In diesem Argumentationsmuster ging es ebenfalls um die Dreiständelehre als Herrschafts- und Ordnungssprinzip. Daraus kann geschlossen werden, dass mit der Bedingung des Johannes Althusius keineswegs die bloße Zugehörigkeit zur reformierten Gemeinde gemeint war, sondern vielmehr die Theorie der gleichberechtigten Gliedschaft der Kirche, die im Rahmen der Dreiständelehre als Herrschafts- und Ordnungsmodell in dieser reformierten Gemeinde so lebhaft verfochten worden ist. Althusius zielte offenbar darauf, Funktion, Rolle und Rechte eines Ratsherrn oder „Vierzigers“ unter Berufung auf das trifunktionale Ordnungssystem zu beschränken! Wie Johannes a Lasco, Gellius Faber und Menso Alting begrenzte er die Regierungshoheit des Magistrats mit der Dreiständelehre und ebenso die Rechte der „Vierziger“ als repräsentatives Organ der Bürgerschaft.1942 Unter Berufung auf die Dreiständelehre als 1941  Vgl.

M. Smid, Ostfriesische Kirchengeschichte (wie Anm. 1731), S. 276. begrenzt die Herrschaftsausübung der weltlichen Obrigkeit unter Rückgriff auf Melanchthons Obrigkeitsverständnis des custos utriusque tabulae legis und die Theorie der Gliedschaft der Kirche bzw.die Dreiständelehre. Für ihn ist die Obrigkeit genauso, wie es die Untertanen sind Teil der Gemeinschaft. Diese sind verpflichtet, sich im Sinne Gottes gerecht zu verhalten, denn die Untertanen müssen der Obrigkeit gehorsam sein, falls diese nicht gottlos und ungerecht ihre Herrschaft 1942  Althusius

548

V. Die Fallstudien

Herrschafts- und Ordnungsvorstellung beabsichtigte er wohl, den endlos schwelenden Strukturkonflikt zwischen Magistrat und „Vierzigern“ zu regeln und ein Gleichgewicht zwischen beiden Verfassungskräften herzustellen. Ob dieses Programm umgesetzt worden ist, ist eine andere Frage. Als Theoretiker aber zielte er zweifellos darauf ab, das Gleichgewicht zwischen den beiden politischen Kräften zu erhalten. hh) Der Konflikt zwischen Stadtrat und Kirchenrat um das ius vocandi (um 1665) Um die Mitte des 17. Jahrhunderts kam es erneut1943 zu einer heftigen Debatte zwischen dem Magistrat und dem Kirchenrat um das ius vocandi, die erst nach fast fünf Jahren am 14. Juli 1670 durch eine Erneuerung der alten Kirchenordnung von 1594 beendet werden konnte.1944 Bei der Pest 1665 starb die Hälfte der Prediger, sodass drei Stellen neu besetzt werden mussten. Als der Kirchenrat im September 1665 die drei von ihm nominierten Kandidaten im Rathaus bekanntgab, setzte der Rat einen vierten Namen auf Liste. Dieses Vorgehen betrachtete der Kirchenrat als Eingriff in seine Autonomie und lehnte unter Berufung auf die aristokratische Dreiständeauffassung das „Herkommen“1945, d. h. den vom Magistrat zusätzlich benannten Kandidaten zu einer Probepredigt einzuladen, ab. Daraufhin verfasste der Magistrat „Drei Artikel“1946 über den seiner Ansicht nach richtigen Ablauf einer Predigerwahl. Demnach solle bei Vakanzen das Kleine Konsistorium bis zu drei geeignet scheinende Kandidaten aus­ suchen und dem Magistrat präsentieren. Nach deren Probepredigten und öffentlichen Examina solle das erweiterte Konsistorium eine Vorauswahl treffen. Zum erweiterten Konsistorium gehörten außer dem eigentlichen ausübt. Wer gottlos und ungerecht herrscht, hört auf, Teil der Gemeinschaft zu sein und wird Individuum und lebt daher wider die Gebote Gottes. Vgl. dazu S. de Vries /  P. Nitschke, Politische Gemeinschaft als religiöse Ordnungs- und Rechtseinheit, in: F. S. Carney / H. Schilling / D. Wyduckel (Hg.), Jurisprudenz, Politische Theorie und Politische Theologie (Beiträge zur Politischen Wissenschaft 131), Berlin 2004, S. 103–119. Hier S. 111–112. 1943  Zu den Konflikten um das ius vocandi zwischen Magistrat und Kirchenrat in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts vgl. H. Antholz, Die politische Wirksamkeit des Johannes Althusius (wie Anm. 1711), S. 69–98. 1944  Dazu ausführlich B. Kappelhoff, Quasiautonome Stadtrepublik (wie Anm. 1698), S. 438–446. 1945  In den Quellen steht der Terminus „auf das Herkommen“. Dieses Recht des „Herkommens“ wurde in der reformierten Kirchenordnung von 1594 im Zusammenhang mit der Dreiständelehre verfassungsrechtlich geregelt. Dazu vgl. den Abschnitt V. B. 3.4. 1946  StA E Ratsdiarien Bd. III. (1663–1682), Prot. Reg. Abt. IV. 6, S. 103 ff.



3. Emden549

(Kleinen) Kirchenrat zwei Deputierte des Magistrats sowie mindestens je ein Vertreter aus den Diakonen der Haussitzenden Armen. Die bei dieser Vorauswahl ausgesuchten Kandidaten solle das Kleine Konsistorium dann einem Gremium aus insgesamt drei Deputierten des Magistrats und des Großen Konsistorium zur Approbation oder Ablehnung vorstellen. Als der Kirchenrat dem Magistrat vorwarf, dieser wolle mit seinen „Drei Artikeln“ Neuerungen einführen, obwohl doch in Emden eine Kirchenordnung bereits existierte, berief der Magistrat sich zur Rechtfertigung seines Vorgehens bezeichnenderweise auf die monarchische Dreiständeauffassung: „Dießer dreiy Nomination gaben sollen offentlich gehort werden, samt auß denselben einer einhellig oder per zweien Deputierten auß Herren Burgermeister, vndt Rahtsherrn, alß furnemsten membris Ecclesiae, so dan einigen Deputierten auß den samptlichen Diaconien zum weinigsten einem auß jedweder Diaconie.“1947

Damit meinte er, dass es drei Verfassungskräfte gebe, aus denen sich das Konsistorium zusammensetze: Obrigkeit, Geistlichkeit (in Gestalt des Kirchenrats) und Bürgerschaft (in Gestalt der „Vierziger“). Diese seien zwar alle ein Glied der Kirche, doch Bürgermeister und Ratsherren, die weltliche Obrigkeit, seien nicht nur ein vornehmes Glied der Kirche, sondern das vornehmste Glied der Kirche und haben demzufolge den höchsten Rang von allen drei politischen Kräften. Demzufolge könne und dürfe der Magistrat den Anspruch vertreten, in die interna ecclesiae einzugreifen, eben da er nicht ein Teil der Kirche, sondern das vornehmste Glied der Kirche sei. Warum der Magistrat bei diesem Kompetenzstreit sein Vorgehen mit der monarchischen Dreiständeauffassung rechtfertigte, wird deutlich, wenn man diesen Fall im Kontext der vorherigen lang andauernden Machtkonflikte um das ius vocandi zwischen beiden Kontrahenten in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts berücksichtigt. Wie bereits erwähnt, betonte Johannes Al­ thusius das politische Primat des Rates, obwohl er als Kirchenältester dem Kirchenrat angehörte. Nach seinem Tod verlor der Rat bei der Machtverteilung deutlich an Gewicht.1948 In einer innenpolitisch bedrängenden Lage berief sich der Magistrat in dieser Auseinandersetzung auf die monarchische Dreiständeauffassung, um seine geschwächte Stellung wieder zu stärken. Wiederum zeigt sich hier, dass sich zwei konkurrierende operative Paradigmen konfliktverschärfend gegenüberstanden: die aristokratische Dreiständelehre beim Kirchenrat, die monarchische Dreiständeauffasung bei den Ratsherren. Damit wird deutlich, wie sehr zu jener Zeit in Emden das Dreiständeargumentationsmuster verbreitet war. Die Dreiständelehre trat 1947  Ebd.

S. 104. H. Antholz, Die politische Wirksamkeit des Johannes Althusius (wie Anm. 1711), S. 69–98. 1948  Vgl.

550

V. Die Fallstudien

keineswegs hinter die aristotelische, bodinsche und althusius’sche Politiktheorie zurück, sondern spielte im Reformiertentum wie im Luthertum die entscheidende Rolle als eine handhabbare Politiklehre für die Gestaltung des Verhältnisses von „Staat“ und Kirche bzw. Religion und Politik. ii) Fazit Was an den Beispielen Bremens und Emdens gezeigt werden konnte, soll im Folgenden zusammengefasst werden: 1. Die Dreiständelehre war eine politische Sprache der zeitgenössischen Gesellschaft, welche die politische Praxis und das politische Denken in einen wechselseitig konstitutiven Zusammenhang brachte und operativ bzw. handlungsleitend in der Gesellschaft wirkte. Sie war eine politische Sprache, derer sich die verschiedenen Sozialgruppen – die regierende lutherische Mehrheit des Rats, die oppositionelle kryptocalvinistische Ratsminderheit, die lutherische, kryptocalvinistische und reformierte Geistlichkeit sowie die Bürgerschaft in der Hansestadt Bremen oder auch die lutherischen Landesherren im ostfriesischen Territorium, die reformierte Geistlichkeit und die Bürgerschaft in der Stadt Emden und ebenfalls die Obrigkeiten in anderen Fürstentümern und Städten – bei ihrem Räsonnement über „Staat“, Gesellschaft und Recht zur Kommunikation ihrer Normen und Werte bedienten. Jede beteiligte Partei berief sich in den Auseinandersetzungen auf diese Sprache, wenn sie ihre politischen Interessen durchsetzen wollte. Auch wenn die beteiligten Akteure neue politische Ziele verfolgten, griffen sie lediglich zu anderen Argumenten derselben Sprache oder setzten alte Argumente neu zusammen, denn sie verfügten über keine Alternative, um sich miteinander zu verständigen. Die Beispiele Bremen und Emden zeigen vor allem, dass die Kontrahenten auch immer wieder auf das Repertoire der Dreiständelehre zurückgriffen und ihre Argumente und ihre Interessen in das Gewand der Dreiständelehre kleideten, wenn sie die politische Realität Bremens und Emdens diskutierten, so wie sie sie verstanden. Die Dreiständelehre war zweifelsfrei die dominante politische Sprache im politischen Diskurs jener Zeit. Von ihr wurde überall dort strategischer Gebrauch gemacht, wo neu aufscheinende Interessen politisch gerechtfertigt werden mussten. Als die kryptocalvinistische oppositionelle Ratsminderheit in Bremen oder die reformierten Ratsherren in Emden plötzlich ihre Herrschaftsansprüche mit der Dreiständelehre begründeten, als die regierende lutherische Ratsmehrheit in Bremen oder die lutherischen Landesherren in Ostfriesland ihre politischen Ziele und ihre Argumente zur Herrschaftserweiterung in die Bereiche der Kirchen- und Bürgergemeinde ebenfalls aus der Dreiständelehre ableiteten, als die lutherische und reformierte Geistlich-



3. Emden551

keit in Bremen oder die reformierte Geistlichkeit in Emden ihre Ansprüche zur Bewahrung der Autonomie der Kirche und Blockierung des landesherrlichen Herrschaftsanspruchs mit der Dreiständelehre begründeten und als die bremische und emdische Bürgerschaft ihre politischen Ziele und Argumente zur Beteiligung am Stadregiment auf die alteuropäische Ordnungsvorstellung der „konsensgestützten Herrschaft“ gründeten, wurde ein jedes Mal strategischer Gebrauch von diesem dominanten Paradigma gemacht. Die Dreiständelehre war die schärfste, weitreichendste und bedeutendste strategische Waffe, mit anderen Worten „tactic knowledge“ oder, um forschungsstrategisch zu formulieren: essentieller Teil eines gesamteuropäischen Wissensbestandes, der sich in seiner argumentativen Struktur gerade nicht nach Konfessionen unterschied. Sie war ein theologisch und juristisch kommunizierbarer Grundwissensbestand politischer Legitimität, der erfolgreich in den politischen Auseinandersetzungen jener Zeit angewendet werden konnte. Sie war ein sehr dehnbares und auslegbares Instrument, mit dem jeder beteiligte Kontrahent in das politische Geschehen zu seinen Gunsten eingreifen konnten. Sie war ein politisches Vokabular, mit dessen Hilfe die unterschiedlichen politischen Akteure miteinander kommunizieren und den Gebrauch ihrer Sprache auch auf einer Metaebene reflektieren konnten. Sie war eine Aktion, mit der sprachliche Konventionen bestätigt oder delegitimiert werden konnten. Die an den Auseinandersetzungen beteiligten Akteure konnten sich deshalb mit ihren Äußerungen prinzipiell nur im Rahmen dieser vorgegebenen „politischen Sprache“ bewegen. Die Dreiständelehre konnte somit politisches Handeln eröffnen, aber auch blockieren. Sie war ein Medium, in dem die genossenschaftliche Tradition des politiktheoretischen Denkens bzw. der „konsensgestützten Herrschaft“ umgedeutet wurde. Mit anderen Worten: Sie war das Mittel, mit dem sich die jeweilige Sozialgruppe politische Phänomene intelligibel machte. 2.  Die Dreiständelehre ist keineswegs nur als abstrakt-theoretisches Paradigma zur Beschreibung politischer und sozialer Wirklichkeit zu interpretieren, oder als ein bloßer Aufhänger für andere, an sich interessante Argumente, sondern wirkte als ein politisch operatives Paradigma in der Gesellschaft, also als ein Referenzsystem. Sie wies den Obrigkeiten – sowohl den regierenden und auch oppositionellen Ratsherren als auch den Landesherren – der reformierten und lutherischen Geistlichkeit und der Bürgerschaft ihren Platz und Charakter und deren politischen Handlungen und Argumentationen Bedeutung zu. Sie bestimmte, strukturierte und programmierte das politiktheoretische Denken der beteiligten Kontrahenten, die „konsensgestützte Herrschaft“. Sie legte politische Handlungsmöglichkeiten jeweiliger Sozialgruppen fest und hatte dabei normativ-regulative Funktion. Als operatives und sinnstiftendes Paradigma wirkte sie konstitutiv und normativ für die jeweilige städtische und territoriale Realität, in der sich die politischen Ak-

552

V. Die Fallstudien

teure bewegten, indem sie deren Beziehungsgeflechte, Rollen und Identitäten sowie die Matrizen psychischer Mobilisierung und damit politischer Handlungsmöglichkeiten transzendierte. 3. In Bremen wie in Emden standen zwei operative Paradigmen spannungsreich einander gegenüber bzw. nebeneinander: die aristokratische Dreiständelehre als Herrschafts- und Ordnungsmodell auf der Oppositionsseite versus die monarchische Dreiständeauffassung auf der Seite der regierenden Partei. Die Ausführung hat deutlich zeigen können, dass kaum verschiedene politische Konzepte bei den politischen Auseinandersetzungen in Bremen und Emden konkurrierten bzw. zur Debatte standen: wie z. B. Episokopaltheorie versus die Dreiständelehre oder Souveränitätstheorie versus ius episcopale. Auch standen sich nicht gegenüber staatsrechtliche Theorie in der Welt bzw. externa ecclesiae und die Dreiständelehre als innerkirchlicher Verfassungsgrundsatz bzw. interna ecclesiae, sondern vielmehr standen sich die aristokratischen Deutungsmuster und die monarchische Dreiständelehre gegenüber. Diese spannungsgeladene Konkurrenz beider Paradigmen bildet die grundsätzliche Einleitung der Stadtgeschichte in Bremen und Emden in der Frühen Neuzeit. So richtete sich das politische Denken und die politische Praxis der kryptocalvinistischen oppositionellen Ratsminderheit in Bremen, der bremischen Bürgerschaft, der lutherischen Geistlichkeit in Bremen sowie der reformierten Geistlichkeit und Bürgerschaft in Emden auf die aristokratische Interpretation der Dreiständelehre, während die regierende Ratsmehrheit in Bremen ebenso wie die lutherischen Landesherren immer die monarchische Dreiständeauffassung bevorzugten. Bemerkenswert war hierbei, dass sich die oppositionellen Parteien ebenfalls der monarchischen Dreiständelehre bedienten, sobald sie an die Macht kamen, auch wenn sie während der Oppositionszeit ein aristokratisches Gleichgewichtsmodell verwendeten. Umgekehrt funktionierte diese Tatsache ebenfalls. Die regierenden Parteien bedienten sich wieder des aristokratischen Herrschafts- und Ordnungsmodells, sobald sie in die Opposition zurückkehrten. Das politische Handeln im Zeichen der aristokratischen Dreiständelehre – zur Rechtfertigung von Obrigkeitskritik und politischer Koalition – hatte zum gemeinsamen Ziel, die Herrschaftszentrierung der ­ welt­lichen Obrigkeit im Zeitalter der Konfessionalisierung auf Stadt- und Landesebene durch Herrschaftsverteilung zu begrenzen,1949 während das politische Handeln im Zeichen der monarchischen Dreiständelehre zur Kompetenzerweiterung und Herrschaftsbefestigung der weltlichen Obrigkeit in den Bereichen der interna ecclesiae und der Gemeindeautonomie führen sollte. Die Wahl zwischen diesen konkurrierenden Paradigmen führte zu 1949  Vgl. L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik im Luthertum? (wie Anm.  54) S.  269 f.



3. Emden553

einer politischen Entscheidung bzw. Konsequenz, und die Spannung zwischen ihnen in den politischen Auseinandersetzungen führte zur Veränderung historischer Realität. Deshalb kam es in Bremen zu einem Reformiertentum mit Bezügen zur lutherischen Magistratskirche. Auch in Emden kam es nach der „Emder Revolution“ zu dieser Mischform. 4. Zur Erforschung des Zusammenhangs von Religion und Politik bzw. zur Charakterisierung der frühneuzeitspezifischen Struktur der Herrschaft und Ordnung sind die so genannten mondernisierungstheoretischen Forschungskonzepte in Anknüpfung an die aristotelischen Herrschaftsformen ungeeignet. Die Analyse hat deutlich nachweisen können, dass der Charakter der Herrschaft im Untersuchungszeitraum sowohl in Bremen als auch in Emden wechselseitiger Natur war. Das heißt, die frühneuzeitspezifische Form der Herrschaftswirklichkeit war eine Wechselverzahnung von obrigkeitlicher Herrschaft und Teilhaberecht bzw. Teilhabeanspruch der Untertanen, also als eine „konsensgestützte“ Herrschaft in Gestalt der wechelseitigen Steuerung des Politischen und Religiösen zu charakterisieren. Die mondernisierungstheoretischen Forschungsparadigmen, die jene Herrschafts­ charakter als schlichten Gegensatz monarchischer und nicht-monarchischer bzw. Gegenüberstellung von positiv bewertetem Republikanismus und negativ bewerteter monarchischer Herrschaft, wie z. B. der „städtische“ Republi­ kanismus, der konservative Monarchismus sowie der Kommunalismus, bewerten, können diese früheuzeitspezifische Wirklichkeit in ihrem Umfang und Ausmaß nicht erfassen. Deshalb muss das zeitgenössische Deutungskonzept, die politica christiana in Gestalt der Dreiständelehre zur Erforschung der Charakterisierung der frühneuzeitliche Herrschaft und Ordnung verstärkt berücksichtigt werden. 5. Die Dreiständelehre spielte auch bei dem neuen frühneuzeitspezifischen Politikverständnis als „politische Kommunikation“ eine zentrale Rolle: Das heißt sie stellte den wechselseitigen Kommunikationsprozess bzw. politischen Austauschprozess über Herrschaft und Ordnung wieder her. Die zu beobachtende wechselseitige Verzahnung von politischem Herrschaftsund Teilhabeanspruch und dessen religiöser bzw. theologischer Legitimation hat zeigen können, dass die beteiligten Kontrahenten in allen Auseinandersetzungen ihre Debatte immer mit der Dreiständelehre verbanden. So banden sowohl Heshusius als auch die lutherische und reformierte Geistlichkeit und die politischen Entscheidungsträger in Bremen sowie die oppositionellen Koalitionsparteien in Emden ihre aktuelle Diskussion um das Recht auf Notwehr, Widerstand und die Pflicht zur Obrigkeitskritik in die Dreiständelehre ein. Ebenso verbanden die lutherische Geistlichkeit in Bremen und die reformierte Geistlichkeit in Emden bei der Debatte um die Grundwerte und Normen Freiheit im Sinne von „Konsens“ mit der Dreiständelehre. Nicht nur diente sie als Legitimitätsgrundlage politischer Argumentation, sondern

554

V. Die Fallstudien

auch zur Konstitutionierung der „konsensgestützten“ Herrschafts- und Ordnungsrealität. So aktivierte sie ein Spannungsverhältnis zwischen dem politischen Grundwert „Freiheit“ im Sinne von Konsens und entsprechender Herrschafts- und Ordnungswirklichkeit zur Stabilisierung der „konsensgestützten“ Rats- und Landesregimente in Bremen und Emden. Sie wirkte konsensstiftend bzw. konsensfördernd, mitunter auch konfliktverschärfend, wenn die Legitimität des „konsensgestützten Herrschaftsmodells“ in Frage gestellt und zu schwinden drohte. In diesem Sinne stellte sie eine wechselseitige Steuerung des Politischen und Religiösen zur Verfügung. Die Akteure dieser frühneuzeitspezifischen politischen Kommunikation waren neben Theologen und Juristen auch politische Entscheidungsträger. Deshalb findet sich jene typische Verbindung von Notwehr- und Widerstandsdiskussion mit der Dreiständelehre oder ein Wechselverhältnis von politischer Grundnorm und politischer Ordnung eben nicht nur bei der Geistlichkeit, sondern auch in Teilen der Obrigkeit, Bürgerschaft und bei Juristen wieder. 6.  Obrigkeitskritik und Widerstandsgedanke im Luthertum sind grundsätzlicherer Natur. Die Analyse hat deutlich nachweisen können, dass die politi­ ca christiana in Gestalt der Dreiständelehre keineswegs in allen Formen der Auseinandersetzungen in Bremen und Emden eine nachgeordnete Rolle spielte, sondern eine allgemein verbreitete Politiklehre bzw. ein Referenzsystem der frühneuzeitlichen Debatten um die Struktur der politischen Ordnung bot, das der Rechtfertigung sowohl des Herrschaftsanspruchs als auch des Teilhabeanspruchs der Untertanen auf Verteilung politischer Herrschaft diente. Am Beispiel der Auseinandersetzung Tilemann Heshusius’ bzw. der lutherischen Geistlichkeit mit den Obrigkeiten, insbesondere im niedersächsischen Reichskreis, in der Stadt Bremen und Magdeburg wird deutlich, dass sich die in der bisherigen Forschung viel diskutierte Grundfigur des Widerstandsgedankens im Luthertum nicht mehr auf einzelne Akte der Obrigkeit zurückführen, sondern auf eine grundsätzlichere Art erfassen lässt. 7.  Daraus ergibt sich, dass die Bedeutung und Rolle der Dreiständelehre sowohl für das politische Denken und Handeln des Luthertums als auch des Reformiertentums in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nachdrücklich betont werden muss, was von der Forschung bisher weitgehend verkannt und erst seit einiger Zeit rezipiert worden ist.1950 Die Bezugnahme auf die Dreiständelehre in den jeweiligen politischen Auseinandersetzungen als eine politische Sprache im Sinne Skinners und Pococks einerseits und als eine neue Variante der politischen Kommunikation zwischen den beteiligten Kontrahenten andererseits belegt, dass diese bedeutsame lutherische politiktheoretische Linie, die sich von Tacitismus und Aristotelismus und von einer 1950  Vgl. L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik im Luthertum (wie Anm.  54), S. 264–270.

Exkurse555

dem Johann Althusius folgenden calvinistischen Ausrichtung deutlich unterscheidet,1951 in den folgenden Jahrzehnten von Theologen, Juristen und auch politischen Entscheidungsträgern übernommen und vertieft wurde und weitere Konturen gewann. Ihr Beitrag zur ideengeschichtlichen Tradition der Frühneuzeit in Gestalt der politica christiana1952 als eigenständiger politiktheoretischer Kraft muss stärkere Berücksichtigung finden. Exkurse Zuvor soll in Bezug auf das Untersuchungsziel und die methodische Erwägung Folgendes angemerkt sein. Die äußerst interessante Untersuchung aus einem komparativen Ansatz bleibt hier als ein Defizit, da diese Arbeit den Rahmen unserer Studie deutlich sprengt. Die Beobachtungen zu ausgewählten Problemkreisen der Geschichte der politica christiana der Städten und Territorien sollen dennoch dazu dienen, die am Beispiel von Bremen und Emden gewonnenen Ergebnisse zum systematisierenden Aspekt und schärferen Konturieren einzuführen. Sie werden sich dabei auf unsere zentrale Fragestellung konzentrieren. Die Stadt Magdeburg bietet sich aufgrund ihres annähernd ähnlichen Gewichts wie Bremen und Emden zum Vergleich an, der das Spektrum der Alternativen der politischen Kommunikation deutlich widerspiegelt. Deshalb wird sie ausführlicher als die anderen Städte behandelt. Allerdings lässt die Erforschung der Geschichte der politica christiana in dieser Stadt wegen des erheblichen Quellenverlustes noch viele Desiderate offen. (1) Goslar Das Goslarer Kirchenwesen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist durch eine starke Dominanz des Rates geprägt. Die Ansätze zu dessen Kompetenzerweiterung reichen bereits in die vorreformatorische Zeit zurück. Durch den Erwerb des Anrechts auf den vom welfischen Herrscherhaus bereits im 14. Jahrhundert an die Goslarer Bürger verpfändeten Zehnten, mit der Berghoheit über das Erzbergwerk am Rammelsberg und die dazugehörigen Hüttenwerke und Forste,1953 gelang es dem Rat bereits im 15. Jahrhun1951  Vgl. H. Dreitzel, Monarchiebegriff in der Fürstengesellschaft Bd. 2. Köln /  Weimar / Wien 1991, S. 484 ff., ders., Absolutismus und ständische Verfassung in Deutschland. Mainz 1992, S. 11 f. 1952  Vgl. H.  Meier, Die ältere Deutsche Staats- und Verwaltungslehre (wie Anm. 207), S. 281. 1953  Vgl. P. J. Meier, Der Streit Herzog Heinrichs d. J. von Braunschweig-Wolfenbüttel mit der Reichsstadt Goslar um den Rammelsberg (Quellen und Forschungen zur Braunschweigischen Geschichte 9), Goslar 1928, S. 7 ff.

556

V. Die Fallstudien

dert, einen wirtschaftlichen Aufschwung zu erzielen, dabei alle Anrechte selbst zu erwerben und das Vertretungsorgan des Bergwesens, die sog. „Sechsmannen“, als eigentliches Regierungsorgan zu etablieren.1954 Dadurch wurde nicht nur die politische Macht der begildeten und unbegildeten Bürgerschaft in Gestalt der sog. „Meinheit“, die seit den Verfassungkämpfen der 1450er Jahre als erweiterter Rat an der Stadtverwaltung beteiligt gewesen war,1955 stark beschränkt, sondern auch das genossenschaftliche Präsenta­ tionsrecht und Vokationsrecht der Gemeinde in den vier großen Pfarrkirchen, die auch von Stiften und Klöstern umgeben waren,1956 erheblich beschnitten. Mit der Einführung der Reformation im Jahre 1525 konnte der Rat seinen Einfluss sowohl auf die Gemeinde als auch auf die Kirche noch weiter festigen. Im Oktober 1528 wurde dem Rat von den Vertretern der Gilden und der Gemeinde ein Artikel hinsichtlich der Maßnahmen zur Finanzierung der Armenfürsorge und zur Besoldung der Prediger vorgeschlagen. Kaum ein Jahr später aber zog der Rat sowohl die Einkünfte der Bruderschaften als auch die der Kirchenlehen ein. Am 30. Juli 1529 setzte er ein Kollegium aus sechs Personen als Kastenherren ein, damit diese die Vermögen der Bruderschaften und Kirchenlehen einfordern konnten.1957 Das Pfründenwesen wurde damit durch ein festes Besoldungssystem abgelöst. Durch die Neuordnung der Kirchenfinanzen stärkte der Rat seine Verwaltungsmacht und Stellung als kirchliche Obrigkeit. In der Kirche erhöhte der Rat ebenso wie in der Gemeinde seinen Einfluss, indem er sich gegen jegliche Ansätze der Geistlichen zum Aufbau eines unabhängigen Kirchenregiments stellte. So brachte der Rat alle Versuche der Geistlichkeit, ihre Ausübung der Kirchenzucht und damit ihre Strafgewalt bei religiösen oder sittlichen Vergehen durchzusetzen, zu Fall.1958 Der Rat erteilte sogar am 24. April 1528 dem ersten Superintendenten, Dr. Johann Amandus,1959 und allen Predigern die Anweisung, an 1954  Ebd.

1955  Vgl. K. Frölich, Verfassung und Verwaltung der Stadt Goslar im späteren Mittelalter (Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar 1), Goslar 1921, S. 16–21. 1956  S. Graf, Von der Pfründe zur Pfarrerbesoldung, in: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 94 (1996), S. 23–29; 49. 1957  S. Graf, Von der Pfründe (wie Anm. 1956), S. 35–36. 1958  U. Hölcher, Die Geschichte der Reformation in Goslar (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 7), Hannover / Leipzig 1902. Im Folgenden: Die Geschichte der Reformation in Goslar. 1959  Zu ihm vgl. O. Hesse, Die Superintendenten Goslars 1528–1552, in: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 94 (1996), S. 98–102; P. Tschackert, Johannes Amandus, der erste Superintendent der freien Reichsstadt Goslar, in: Zeitschrift der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 8 (1904), S. 5–45.

Exkurse557

welchen Tagen und zu welchen Zeiten sie in den Pfarreien zu predigen hätten.1960 Die 1531 eingeführte Goslarische Kirchenordnung von Nikolaus Amsdorf bestimmte, dass kein Pfarrer ohne Wissen und Zustimmung des Superintendenten und des Rates sowie kein Kaplan und kein Opfermann ohne Wissen seines Pfarrers angenommen werden könne. Durch diese Bestimmung wurde dem Rat die Oberaufsicht gesichert und gleichzeitig eine strenge Hierarchie der Kirchendiener geschaffen (in dem Sinne, dass der Pfarrer dem Superintendenten, der Kaplan wiederum dem Pfarrer und dem Superintendenten gehorsam sein sollte).1961 Das Mitwirkungsrecht der Geistlichkeit beim Vokationsrecht wurde stark eingeschränkt und hinsichtlich der Kir­ chenzucht und der Eheangelegenheiten vom Rat völlig negiert. Der Rat selbst konnte in Ehefällen in erster Instanz urteilen, das Ehegericht wurde allein durch ihn eingesetzt.1962 Darüber hinaus fehlte die Beteiligung der Gemeinde an der Pfarrerwahl.1963 Der Gemeinde kam nach dieser kirch­ lichen Verfassung keine aktive Funktion mehr zu. Festgesetzt war zudem, dass diese Goslarische Kirchenordnung von 1531 jährlich einmal vom Predigtstuhl aus verlesen werden musste. Das Amt des Superintendenten als oberste Aufsichtsbehörde über die Pfarrer wurde allerdings nie in der projektierten Form, sondern nur in sehr eingeschränkter Weise verwirklicht, denn der Rat befürchtete eine Schwächung seiner obrigkeitlichen Stellung durch einen zu einflussreichen Superintendenten. Infolgedessen war der Superintendent in seinen Befugnissen stark eingeschränkt. So übte der Rat nach wie vor die Aufsicht über die Geistlichen aus und schränkte deren Kompetenzen und Disziplinarbefugnisse ein. Dem Superintendenten kam in Angelegenheiten des Kirchenwesens – von rein geistlichen Aufgaben einmal abgesehen – gegenüber dem Rat lediglich beratende Funktion zu. Dem Rat gelang es um die Zeit der Superintendentur von Heshusius, auch die wirtschaftlichen Grundlagen des Kirchenwesens unter seine Gewalt zu bringen. Die Besoldung der Pfarrer wurde nicht mehr aus den zur Pfründe gehörenden Renten und Erträgen, sondern aus dem „gemeinen Kasten“ bzw. Kirchenamt geleistet, deren Verwalter, die Kastenherren des Rats, von Vertretern der Gilden und der Gemeinde auf ein Jahr gewählt wurden.1964 So sperrte der Rat sogar die Be1960  S. Graf, Von der Pfründe (wie Anm. 1956), S. 32; U. Hölcher, Die Geschichte der Reformation in Goslar (wie Anm. 1958), S. 47. 1961  S. Graf, Von der Pfründe (wie Anm. 1956), S. 32–34. 1962  A. Franz, Die Evangelische Kirchenverfassung in den deutschen Städten des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 206), S. 54 ff. 1963  Ebd. S. 64. 1964  S. Graf, Von der Pfründe (wie Anm. 1956), S. 40.

558

V. Die Fallstudien

soldung des Superintendenten Dr. Eberhard Widensee, als dieser im Amt erkrankte.1965 Die Einschränkung der Kompetenz der Geistlichkeit ist besonders bei der Interimsangelegenheit deutlich zu erkennen. Gegen das vom Kaiser am 15. Mai in Augsburg verkündete Interim1966 formulierte die Geistlichkeit in einem an den Rat gerichteten Schreiben vom 12. Juli 1548 ihre Bedenken,1967 und zwar unter Rückgriff auf das Argument der strikten Trennung von geistlichem und weltlichem Regiment. Mit Verweis auf Apg. 5,29 begründeten sie ihre Gehorsamsverweigerung.1968 Der Rat setzte jedoch sein kirchenpolitisches Interesse rücksichtlos durch und Goslar unterwarf sich dem Interim ohne jede Bedingung.1969 Als Heshusius seine Superintendentenschaft aufnahm, hatte der Rat nicht nur im organisatorischen äußeren Kirchenaufbau, sondern vor allem auch in inhaltlichen Fragen seinen Einfluss gefestigt. Die Geistlichen konnten die Besetzung der Pfarrerstellen zumindest insofern beeinflussen, als sie mit der Examinierung der Kandidaten hinsichtlich der fachlichen Kompetenz und deren Predigtstil beauftragt waren. Sie wurden auch gutachterlich für den Rat tätig, z. B. im Armen- und Schulwesen.1970 Allerdings konnten die Geistlichen nicht von sich aus die Visitationen durchführen, die Initiative dazu war stets dem Rat vorbehalten. Als Heshusius diese Visitationspraxis reformieren wollte, wusste der Rat dies zu verhindern.1971 Der Rat hatte im Kirchenwesen alle Fäden in seiner Hand. Heshusius publizierte deshalb 1555 unter Mitwirkung der Geistlichkeit eine Visitations- und Konsistorialordnung.1972 Diese Visitationsordnung be1965  U. Hölcher, Die Geschichte der Reformation in Goslar (wie Anm. 1958), S. 133, 156. 1966  J. Mehlhausen (Hg.), Das Augsburger Interim von 1548. Neukirchen 1970. 1967  StA G B 4552; U. Hölscher, Die Geschichte der Reformation in Goslar (wie Anm. 1958), S. 159–161. 1968  „E. E. Rade alse unser rechten overicheit gehorsam syn mit aller underdanicheit, of unse parlude dartho na gotlickem bevel leren und vormanen, alse wy of susher stedes gedaen und of vort hen gerne dhon willen. Wat averst gots wort und ehre und unser und aller manschen salicheit belanget, wo vor gesecht, moten wy godde mehr gehorken und gehorsam syn alse den mynschen, und willen also na christus unses heren gots und unses heylandes bevele geven dem Keysere, wat des Keysers ist und godde, wat goddes ist.“ U. Hölscher, Die Geschichte der Reformation in Goslar (wie Anm. 1958), S. 161. 1969  F. Seven, Die Goslarer Reformation und der Kampf um die Rechte am Rammelsberg, in: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 94 (1996), S. 89–90. Dort Anm. 67. Im Folgenden Die Goslarer Reformation. 1970  Vgl. H. Dreves, Das Armenwesen der Stadt Goslar. Goslar 1992. 1971  P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 54.

Exkurse559

inhaltete primär Anweisungen zur Lehr- und Kirchenzucht, daneben aber auch solche zum sittlichen Lebenswandel. Außerdem ordnete sie das Besoldungswesen für Kirchendiener und Lehrer neu.1973 Mit ihr erhöhten sich Stellenwert und Kompetenz des Superintendenten sowohl gegenüber dem Rat als auch gegenüber der Predigerschaft erheblich, was Heshusius sofort den Vorwurf des Papocäsarismus einbrachte: 1972

„Er [Heshusius – Hervorhebung durch Ch. P.] […] hebbe nicht gemenet de Visitation allene, sonder hebbe unter solckem shine de gewalt beider regimente, geistlikes und weltlikes, alse welde he macht hebben um dem Radhuse und in der kercken alle ding thosetten und thoordenen nach sinem gevallen.“1974

Durch die Konsistorialordnung von 1555 übernahm die Geistlichkeit offensichtlich eine Aufgabe innerhalb der weltlichen Amtsgewalt: Das Konsistorium wird darin als ein Sondergericht innerhalb der allgemeinen Gerichtsbarkeit bezeichnet und zur Eherechtsprechung eingesetzt: „so ihrer art und eigenschaft nach, auch nach vermöge beschriebener rechte, nicht stracks weltliche sachen und hendel, sondern zum teil die conscientien mit belangen seind.“1975

Der enge Zusammenhang von Konsistorialordnung und allgemeiner Rechtsprechung erklärt auch, weshalb die Ordnung Parallelen zum Stadtrecht von 1548 aufweist.1976 Die Anbindung des Kirchenzuchtsrechts an das Konsistorium war also nicht nur eine Maßnahme zur Stärkung der Kirche, sondern zugleich eine Abgrenzung gegen die hegemonialen Ansprüche des Rates, die auch zu sozialen und politischen Konflikten mit den Gemeinden führten bzw. diese verschärften. Damit wurde die Kompetenz des Superintendenten und der Geistlichkeit in Ehesachen erheblich gestärkt. Die so geschaffene Kräftebalance wurde jedoch im darauffolgenden Jahr wieder gestört, durch erneute Ansprüche des Rates wie auch der Meinheit, die durch den Übergang des Anrechts auf das Erzbergwerk am Rammelsberg und die dazugehörigen Hüttenwerke und Forste an den Stadtrat seit dem 14. Jahrhundert stark an Einfluss verloren hatte, sodass auch durch die Einführung der Reformation die politische Vertretung der Gemeinde nur noch über einen sehr begrenzten Mitwirkungsanspruch verfügte.1977 1972  Visitationsordnung. StA G VOA2EE; Konsistorialordnung in Abschrift im Corpus Doctrinae Goslariensis. StA G B 4350, S. 27–50. 1973  F. Seven, Die Goslarer Reformation (wie Anm. 1969), S. 90–91. 1974  StA G B 4554, hier S.  12; F. Seven, Die Goslarer Reformation (wie Anm. 1969), S. 91.Dort Anm. 70a. 1975  F. Seven, Die Goslarer Reformation (wie Anm. 1969), S. 91. Dort Anm. 71. 1976  Ebd. Dort Anm. 72. 1977  Ebd. S. 77–84.

560

V. Die Fallstudien

In diese soziale und politische Konstellation 1556 in Goslar ist auch die Kirchenzuchtfrage von Heshusius einzuordnen. In Erscheinung trat sie bei der Auseinandersetzung um die geistliche Kanzelkritik zwischen dem Superintendenten Tilemann Heshusius und dem Magistrat.1978 Heshusius rügte öffentlich die sittenlose Lebensführung der Söhne der beiden Bürgermeister, wodurch er auch die 38 Punkte1979 der Beschwerde der Bürgerschaft von 1525 rückwirkend rechtfertigte,1980 die auf eine Änderung der Ratsverfassung und eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation in der Stadt zielten und in fünf Artikeln Fragen des kirchlichen Bereichs behandelten. Die hier sichtbar werdende Koalition zwischen dem Superintendenten Heshusius und der Bürgerschaft (d. h. der „Meinheit“ bzw. der „Freunde von Gilden und Gemeine“), die sich aus landwirtschaftlich Beschäftigten und stadtbürgerlichen Handwerkern bzw. Berg- und Kaufleuten zusammensetzte,1981 macht die Konfliktzone deutlich.1982 Die Bürgeropposition strebte seit der Reformation im Bündnis mit der Geistlichkeit die bürgerliche Freiheit und Gleichheit in der Stadt an und versuchte, sich gegen die obrigkeitlichen Übergriffe der amtierenden Stadtregierung zu behaupten und eine aktive Teilnahme der Bürgergemeinde am Stadtregiment durch Wahl, Kontrolle und Mitsprache zu verwirklichen. Insbesondere verlangte sie, dass alle Grundsatzentscheidungen von der Bürgergemeinde mitgetragen und im Diskurs mit der Bürgerschaft getroffen werden müssten. Ihre politischen Vorstellungen waren geleitet vom mittelalterlichen genossenschaftlichen Verfassungsmodell bzw. der frühneuzeit­ lichen „konsensgestützten Herrschaft“,1983 d.  h. einem auf Konsens und Konsultation beruhenden bürgerlichen Gemeinwesen1984, in dem die Herr1978  Zu historische Einzelheiten vgl. J. M. Heineccius, Antiquitates Goslariensium et vicinarum regionum libri VI, in: Scriptores Rerum Germanicarum I. Frankfurt a. M. 1707, S.  502 ff. 1979  Die Beschwerden wie auch die Antworten des Rats befinden sich im Stadtarchiv Goslar. StA G B 4546. Vgl. F. Seven, Die Goslarer Reformation (wie Anm. 1969) S. 29. Anm. 27. 1980  J. M. Heineccius, Antiquitates Goslariensium (wie Anm. 1978), S. 502. 1981  H. Dreves, Das Armenwesen (wie Anm. 1970), S. 47. 1982  Der Forschungsstand zur Sozialstruktur der Stadt Goslar in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist immer noch sehr unbefriedigend. Vgl. S. Graf, Goslar im Mittelalter, in: C. H. Hauptmeyer / J. Rund (Hg.), Goslar und die Stadtgeschichte. Bielefeld 2001, S. 75–108. 1983  Vgl. U. Meier / K. Schreiner, Regimen civitatis (wie Anm. 52), S. 18–20. 1984  Zu den politischen Vorstellungen von einer Mitwirkungs- und Kontrollbefugnis der Bürgeropposition in Goslar vgl. A. Kroker, So machet solches eine democratiam (wie Anm. 356); dies., Goslarer Verfassungsgeschichte in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 356), S. 124 ff.

Exkurse561

schaft des Magistrats mit dem Teilhabenanspruch der Untertanen wechselseitig verbunden und damit begrenzt war.1985 Aufgrund des Riechenberger Vertrags von 1552,1986 der für Goslar einen fast vollständigen Verzicht auf das Bergwerk und den Verzicht auf obrigkeitliche und richterliche Gewalt am Rammelsberg bedeutete, hatte die Bürgeropposition große wirtschaftliche Verluste und damit auch den Verlust des Mitspracherechts erlitten.1987 Während der Rat Heshusius’ Vorgehen als Aufruhr1988 gegen die Obrigkeit und als Eingriff in ein fremdes Amt zurückwies und dabei auf seine obrigkeitlichen Befugnisse pochte, betonte Heshusius den Zuchtanspruch des geistlichen Amtes. Beide Seiten beriefen sich zur Legitimation ihrer Positionen auf die Dreiständelehre. Heshusius verwies in der unmittelbar darauf verfassten, aber erst 1573 veröffentlichten Schrift1989 auf sein Strafamt, das im Rahmen der Dreiständelehre ihm zugeordnet sei: „Darumb ist derselbige Prediger ein vntrewer Haushalter der Geheimnis Gottes /  er verkündiget dem Gottlosen nicht Gottes Zorn wie er schuldig ist […] dessen wird er zu seiner zeit schwere rechenschafft geben müssen. Aus diesem Grund ist gewis /  das ein Prediger recht thut /  denn er einen offentlichen /  hartneckigen /  verstockten Papisten vnd Gotteslesterer […] oder sonst Gottlosen Epicurer vnd verechter Gottes / einen Wucherer /  der seine Sünde nicht leugnen kan /  Sondern noch recht haben wil in seinen Sünden […]“1990

Dieses habe er gegen eine unchristliche Obrigkeit ebenso zu üben wie gegen den sittenlosen Lebenswandel des gemeinen Mannes: „Darumb mus ein Prediger nicht allein die trostliche verheissung erkleren /  […] sondern auch die Predigt des Gesetzes treiben /  vnnd das Straffampt vben /  […] DEr halben wenn der prediger oder Seelsorger vernimpt /  das in seiner Gemeine /  die jm zu leren befohlen ist etliche sind /  die in vnzucht /  Ehrbruch /  Diebstal /  Wucher /  Feindschafft vnd anderen groben sünden leben […] Predigamt schmehen vnd lestern […]  /  ist er von Gottes wegen schuldig /  dem Sünder seine Süne anzuzeigen.“1991 1985  Ebd.

1986  Zur Bedeutung des Bergbaus am Rammelsberg für die Stadt vgl. S. Graf, Goslar im Mittelalter (wie Anm. 1982), S. 75–99. 1987  W. Hesse, Der Haushalt der freien Reichsstadt Goslar im 17. Jahrhundert (1600–1682), (Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar 7), Goslar 1935, S. 9; 155; F. Seven, Die Goslarer Reformation (wie Anm. 1969), S. 90. 1988  „Heshusius quare sit pulsus ab urbe /  In promptu causa est: seditiosus erat.“ J. G. Leuckfeld, Historia Heshusiana (wie Anm. 71), S. 6. 1989  Vrsach vnd Grundt / Warumb (wie Anm. 128). 1990  Ebd. Bl.C–Cv. 1991  Ebd. Bl. B r–B iiv.

562

V. Die Fallstudien

Heshusius betrachtete das geistliche Amt als einen der drei ordines und leitete daraus einen sehr realen Auftrag für das geistliche Wirken in der Welt ab. Er erinnerte die Obrigkeiten an ihre von Gott befohlene Amtspflicht als custos utriusque tabulae, der die cura religionis zur vornehmlichen Aufgabe habe: „Wje denn alle Christliche Oberkeit von wegen jhres Ampts schuldig sind /  Geistliche Gericht vnd Consistoria an zurichten /  vnd kein zweiuel dran ist /  dz die aus vnachtsamkeit vnd sicherheit /  oder auch aus andern vrsachen die Consistoria lest vnbestellet bleiben /  daruber die Kirche grossen vnd mercklichen schaden nimpt /  als dadurch falscher vnd jrriger Lehre raum gegeben wird /  grewliche Laster vnd Sunde gestattet /  verdampte Gotteslesterung vnd allerey vbels vberhand niemet /  vnd also Gottes Zorn auff mancherley weise vber die Kirche geheuffet […] Denn so die Weltliche Obrigkeit jres Schwerts misbrauchet zur Tiranney,“1992

Auch die Bürgerschaft habe legitimen Anspruch, Obrigkeitskritik üben zu dürfen, wenn die Obrigkeit nicht die ihr von Gott auferlegte Amtspflicht ausübe, da auch die Bürgerschaft ein Glied der Kirche sei: „Darumb auch die Gemeine Gottes /  vber der Oberkeit nachlessigkeit in diesem fall am jungsten Gericht hefftiglich wird klagen.“1993

Das Rechtfertigungsmuster der Goslarer Stadtobrigkeit in dieser kirchenpolitischen Auseinandersetzung ist nicht eindeutig zu bestimmen. Aus der Forderung von Heshusius nach Mitwirkung der drei Stände1994 bei der geistlichen Gerichtsbarkeit geht jedoch deutlich hervor, dass sie ebenso wie er mit Hinblick auf die Dreiständelehre argumentiert haben muss: „DAs er jn als bald in den Bann thun wollte /  aus eigenem praeiudicio will den Pastori alein nicht gebüren […] Darumb sol die Kirche die Sache erste erkennen  /  vnd ist der Pfarrherr schuldig /  den vnbusfertigen vnd Gotteslesterer /  dem Consistorio oder Geistlichen Gericht anzuzeigen /  auff dz er ordentliche verklagt /  vnd seiner beschuldigung vberzeugt werde […] denen die Kirche Gottes Geistlich Gericht befohlen hat […] Den Pfarrherrn vnd Seelsorgerrn gebüret nicht on vor­ gehende erkentnis vnd Vrteil der Kirchen jemands in den Bann zu erklern.“1995

Ein ernst zu nehmender Beleg dafür ist vor allem die Tatsache, dass die Goslarer Stadtobrigkeit zu den Mitverfassern der sog. „Rekusationsschrift von 1546“1996 gehörte, in der ausdrücklich die Laienteilnahme am Konzil betont wurde, da auch diese Gliedmaß der Kirche seien: Bl. B ii–C iiiv. Bl. B ii. 1994  Vgl. K. Köhler, Die Altprotestantische Lehre von den drei kirchlichen Ständen (wie Anm. 207), Hier S. 119 ff. 1995  Vrsach vnd Grundt / Warumb (wie Anm. 128), Bl.  B r–B iiiv. 1996  Recusationsschrift der Christlichen Augspurgischen Confessions verwandten Stende /  wider das vermeint  /  von Bapst Paulo dem dritten /  weiland zu Trient indicirt vnnd angefangen Concilium /  sampt einer gebürlichen Prouocation vnnd erbie1992  Ebd. 1993  Ebd.

Exkurse563 „Dieweil die Leyen (Fürstentümern und Städte, die im Schmalkaldischen Bund zusammengeschlossen sind; Goslar gehörte auch zu diesem Bund. Anmerkung durch Ch.  P.) eben so wol als die genannten geistlichen /  Christen /  auch inn den todt vnsers Seligmachers /  getaufft /  vnd als glider der Kirchen sein /  Warumb sollen sy dann von den beratschlagungen vnnd erörterungen der glaubens sachen /  abgesündert vnd außgeschlossen werden.“1997

Es ist also von einer breiten Strömung innerhalb der Obrigkeiten der protestantischen Fürstentümer und Städte auszugehen, welche die Argumentationsmuster der Dreiständelehre in kirchenpolitischen Auseinandersetzungen bereits vor der Veröffentlichung des „Magdeburger Bekenntnisses“ von 1550 genutzt hat, das allgemein als Beginn der Wiederbelebung der Dreiständelehre gehandelt wird.1998 Fasst man diese skizzenhaften Ausführungen zusammen, so ergibt sich: Das auf seiner traditionellen, genossenschaftlichen Teilhabe an der politischen Herrschaftsübung beharrende Stadtbürgertum in Gestalt der Meinheit verband sich mit Heshusius, der dieselben politischen Vorstellungen von genossenschaftlichen Regierungsformen politischer Herrschaftsübung wie die Bürgerschaft verfolgte,1999 gegen die Zentralisierungsbestrebungen des Rates. Die Dreiständelehre wurde in diesem Konflikt zur Rechtfertigung politischer und sozialer Ansprüche verwendet. (2) Rostock Dem Goslarer Argumentationsmuster begegnet man auch in der Stadt Rostock. Auch hier ging es um die Abgrenzung von weltlichem und geistlichem Regiment und wie in Goslar erwies sich, dass sich die Kirchenzuchtfrage bzw. das Vokationsrecht genau dann zur innerstädtischen Machtfrage entwickelte, wenn der Grundkonsens genossenschaftlicher Herrschaftsübung zwischen Rat und Gemeinde gefährdet schien. Das traf in Rostock bei jenem Streit um die Absetzung des Superintendenten Johann Draconites und tung Lauf ein allgemein oder National /  frey /  christlich von vnpatrisch Concilium inn Deutschen Landen. Magdeburgk 1551 [HAB Wf. 231, 161 Theol. 17]. Im Folgenden Recusationsschrift. 1997  Recusationsschrift (wie Anm. 1996), Bl. Cv. 1998  L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik im Luthertum (wie Anm. 54), S. 256. dort Anm. 9. 1999  Heshusius’ politische Vorstellung von der genossenschaftlichen Verfasstheit ist ebenfalls aus einem Brief an Rutger Brecht ersichtlich, denn er gebraucht darin den Begriff „respublica“ neben dem Begriff „ecclesia“, was wohl bedeutet, dass er den Staat bzw. die Obrigkeit als gleichberechtigte Stände neben der Kirche bzw. als rechtliche Institution versteht. „Respublica floret, squalet Ecclesia […] Ideo florere rempubl[icam] dixi. Sed tristis est facies Ecclesiae.“ P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 54.

564

V. Die Fallstudien

das Vokationsrecht zu, der seit der gewaltsamen Vertreibung der Prediger Peter Eggerdes und Tilemann Heshusius zwischen dem Rat und der Bürgerschaft im Bündnis mit der Geistlichkeit geführt worden war.2000 Das Rostocker Kirchenwesen war in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im Unterschied zu dem Goslars nicht vom Rat dominiert, die Kirche genoss eine relativ große Unabhängigkeit vom Rat. Die Gründe hierfür liegen vor allem darin, dass der ersehnte Status einer unabhängigen Reichsstadt schließlich durch den Erbvertrag von 1573 endgültig nicht erreicht werden konnte.2001 Zwar erhielt der Rostocker Rat durch den Erbvertrag Kompetenzen in kirchlichen Fragen, wie z. B. bei der Berufung der Prediger, und war erste Instanz in der Rechtsprechung über Ehefälle,2002 dennoch blieben durch diesen Vertrag viele kirchenrechtliche Fragen ungeklärt, z. B. wie die Wahl eines Pfarrers stattfinden sollte. Auch das Patronatsrecht über die Hauptkirchen, St. Marien und Jakobi, wurde nicht im Vertrag geregelt. In Bezug auf das Verhältnis des Erbvertrags zur Konsistorialordnung von 1570 und zur Kirchenordnung von 1552 war ebenfalls unklar, welches Gesetz im Konfliktfall gelten sollte.2003 Innerhalb dieser etwas verworrenen Kirchenrechtsverhältnisse konnten die Rostocker Geistlichen einige Freiheit für sich behalten. Neben dem Bürgerrecht behielten sie die Steuerfreiheit im Land und in der Stadt. In geistlichen Fragen waren sie nicht dem fürstlichen Konsistorium unterstellt, sondern unmittelbar dem Herzog. In Personalangelegenheiten waren sie wie andere Akademiker in der Stadt der Universitätsgerichtsbarkeit unterworfen. Gemeinsam bildeten die Prediger in der Stadt das geistliche Ministerium. Und die Predigerschaft wählte zusammen mit zwei Ratsherrn von den vier Hauptpastoren den städtischen Superintendenten aus. Diesem geistlichen Ministerium stand es zu, über Leben und Lehre der neugewählten Prediger in Rostock zu urteilen. 1555 gelang ihm die Absetzung eines papistisch gesinnten Prädikanten und die Berufung des lutherisch gesinnten Nachfolgers Peter Eggerdes.2004 Die Besoldung des Ministeriums stammte aus einer von den Stadtfinanzen getrennt verwalteten Kirchenökonomie. Als Haupt wurde dem Rostocker Superintendenten die Aufsicht über alle Prediger, Kirchen- und Schuldiener in Rostock zugebilligt. Dem Rat gegenüber besaß der Superintendent erhebliche Macht. Am Ende des 16. Jahrhunderts wurde 2000  Zu

den historischen Einzelheiten vgl. J. Wiggers, Draconites (wie Anm. 680). der Wieden, Rostock zwischen Abhängigkeit und Reichsunmittelbarkeit, in: Pommern und Mecklenburg. Köln 1981, S. 128 ff. 2002  K. Schmaltz, Kirchengeschichte Mecklenburgs (wie Anm. 89), S. 162 ff. 2003  Vgl. dazu J. Strom, Orthodoxy and Reform (wie Anm. 221), S. 19–31; ders., Kirchenzucht und Obrigkeitskritik (wie Anm. 221), S. 126–127; T. Kaufmann, Universität und lutherische Konfessionalisierung (wie Anm. 42), S. 233–250. 2004  K. Schmaltz, Kirchengeschichte Mecklenburg (wie Anm. 89), S. 163. 2001  H. Bei

Exkurse565

dem neugewählten Superintendenten Lucas Bacmeister sogar der Rang über dem Bürgermeister Rostocks zuerkannt. Die Prediger konnten zudem selbstständig die Kirchenzucht ausüben.2005 Diese eigenartige Lage verlieh den Geistlichen sehr viel Unabhängigkeit und das umso mehr, als das herzogliche Kirchenregiment relativ schwach war. Als Heshusius als Theologieprofessor und Pfarrer von St. Jakobi nach Rostock kam, herrschte dort also viel Unbestimmtheit und Unklarheit im Verhältnis von weltlichem und geistlichem Regiment. Bis zum Ende des 30-jährigen Krieges bestand in Rostock sogar eine Art Gleichgewicht zwischen den Geistlichen und dem Rat.2006 Ein ebensolches Gleichgewicht kann für die Mitte der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Rostock auch für das Verhältnis von Rat und Bürgerschaft postuliert werden. Zwischen 1561 und 1565 kam es sogar zu einer sog. Doppelherrschaft von Rat und Bürgerausschuss. Selbstbewusst vertraten die sog. „Sechziger“ aus 30 Kaufleuten und Brauherren sowie 30 Handwerkern im Namen der Gemeinde die modern anmutende Auffassung, der Rat habe ein Organ der Gemeinde zu sein und müsse von ihr gewählt und kontrolliert werden. Wenn er mit dieser Gemeinde nicht zufrieden sei, möge er sich eine andere suchen.2007 Am Ende des 16. Jahrhunderts konstatierte der Rostocker Chronist Peter Lindenberg, Verfasser der ersten gedruckten Chronik Rostocks, dass mit der Gründung des Hundertmännerkollegiums als ständigem Bürgerausschuss 1583 das Verhältnis zwischen den beiden Seiten der „Aristocratia“ und „Democratia“ nunmehr ausgeglichen sei.2008 Diese auf den ersten Blick völlig eindeutig erscheinende Aussage enthält jedoch bei genauerem Hinsehen einen ganz anderen Inhalt. Mit dem Begriff „Aristokratie“ wurde damals nicht die übliche Vorstellung der gleichberechtigten Beteiligung der drei Stände am Stadtregiment verbunden. Vielmehr ist damit gemeint, dass der Rat souverän regiert und weder von der Bürgerschaft kontrolliert wird, noch ihr Rechenschaft über die Regierungsmaßnahmen schuldig sei.2009 Mit dem Begriff „Democratia“ verband man auch nicht die heute üblichen Vorstellungen von Volkssouveränität und Demokratie. Vielmehr bedeutete dieser Begriff die aktive Teilnahme der Bürgergemeinde am Stadtregiment durch Wahl, Kontrolle und Mitspracherecht. Dabei wurde zwar großer 2005  J.

Strom, Kirchenzucht (wie Anm. 221), S. 127–129. S. 129. 2007  I. Ehlers / B. Keipke (Hg.), Rostocks Bürger auf dem Weg zur Demokratie. Rostock 1999, S. 6 ff. 2008  Ebd. S. 7. 2009  A. Kroker, Goslarer Verfassungsgeschichte in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 356), S. 132 ff. 2006  Ebd.

566

V. Die Fallstudien

Wert auf die Gleichberechtigung aller Bürger gelegt, nicht jedoch verband sich damit die Vorstellung einer Teilhabe aller Stadteinwohner, wie z. B. auch der Tagelöhner.2010 Daraus ergibt sich, dass am Ende 16. Jahrhunderts in Rostock die aktive Teilnahme der Bürgerschaft am Stadtregiment durch Wahl, Kontrolle und Mitsprache schließlich ermöglicht wurde und dass zwischen Obrigkeit und Bürgerschaft eine Art Gleichtgewicht der politischen Macht bestand. Damit erweist sich Rostock ebenso wie Goslar als Vertreter der von Meier und Schreiner beschriebenen „Konsensgestützten Herrschaft“,2011 allerdings ein halbes Jahrhundert früher als Goslar. Der bei Geistlichkeit und Bürgerschaft durch die Schrift von Heshusius2012 entstandene Eindruck, die Prediger Eggerdes und Heshusius seien gegen ihren eigenen Willen und gegen den Willen des Predigerministe­ riums und der Gemeinde entlassen worden und auch der Superintendent Johannes Draconites2013 sei gegen ihren Willen berufen worden, führte zu scharfen Widersprüchen sowohl seitens der Bürgerschaft als auch der lutherischen Geistlichkeit. Der seit dem Anfang des Jahrhunderts bestehende Konflikt zwischen den drei Ständen wurde dabei evident. Laut mecklenburgischer Kirchenordnung von 15522014 sollte die Berufung und Entlassung der Pfarrer durch Mitwirkung der drei Stände geschehen. In der Praxis setzte sich dies jedoch nicht durch. Deshalb revidierte Heshusius die mecklenburgische Kirchenordnung und schloss durch das Verbot der Sonntagshochzeit ausdrücklich einen Übergriff der Obrigkeit auf das Strafamt aus.2015 2010  A.

Kroker, So machet solches eine democratiam (wie Anm. 356), S. 182 ff. Meier / K. Schreiner, Regimen civitatis (wie Anm. 52), S. 18–20. 2012  Antwort (wie Anm. 137), Heshusius sagt in dieser Schrift ausdrücklich, dass die Kanzelkritik die von Gott anvertraute Wächterpflicht der Prediger gegenüber anderen Ständen darstelle. Sie sei keineswegs ein Eingriff in das politische Regiment, sondern ein göttlicher Amtsauftrag. Es handele sich bei dem Verbot der Strafamtübung vielmehr um einen Übergriff der Obrigkeit auf das geistliche Regiment und die ganze Gemeinde Gottes: „Vber das, so hat er nicht wider meine person gehandelt, wie Christus sagt, sündiget deine Brüder O sonder wider die hohe götliche Maistat die er gelestert, wider das hochwichtiges predigampt das er teufflichs verachtet, wider die gantze gemeine gots, die er geergert er betrübt, hat er gesündiget. Darumb war auch nötig öffentlich die Sünde zu straffen, vnd wir könnens ampts wegen nicht vmbgehen.“ Ebd. S. 405. 2013  K. Koppmann, Draconites (wie Anm. 680), S. 1–14. 2014  E. Sehling, Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 1745), S. 161–221. 2015  Ebd. S. 206–211. Anzumerken ist vor allem, dass Heshusius bei der Abfassung der Mecklenburger Ordnung die Goslarer zugrunde gelegt haben muss. Vgl. E. Sehling, Die evangelischen Kirchenordnungen (wie Anm. 1745), S. 231 ff. 2011  U.

Exkurse567

Während die Pfarrer2016 und die Vertreter der Bürgerschaft2017, die „Sechziger“, das Mitspracherecht von Geistlichkeit und Gemeinde betonten, pochte der Rat auf seine obrigkeitlichen Befugnisse und beanspruchte das ius vocationis für sich allein2018, gestützt auf den Vorwurf des Aufruhrs gegen die Obrigkeit. Die Geistlichkeit2019 im Bündnis mit der Bürgerschaft berief sich zur Rechtfertigung ihrer Positionen auf die Dreiständelehre. Sie verwies in ihrer Schrift „Der Prediger zu Rostock feste Antwort an die Herrn Burgermeister vnd ettliche Radsheren daselbst, von wegen des Mandats, so wider das heilige Predigampt offentlich vnter evnes Erbarn Rathsnamen publiciret ist, Vnd von wegen der veriagten Prediger“2020 auf ihr Strafamt, das sie im Rahmen der Dreiständelehre auszuüben hätten: „Wiewohl vns nu befohelen ist, nicht ferner von dieser sache zu dispütieren vnd vns dieser Wort das eine Erbar Radt seine Sünde erkhennen solte, zuenthalten. So erforderts doch vnser heilgen Predigampts hohe naturffe die wie die nechste eines Erbarn Radts scharffe […] Erstlich Gottes ernster vnd vnwandelbarer will vnd befehl ist, das alle trewe Prediger ihren Zuhoreren, Oberkeit vnd vnterthanen trewlich sollen Büsse vnd vergebung der Sünden predigen.“2021 2016  „Die Obrigkeit habe keine Macht, nach ihrem Gefallen, ohne Consens und Vollmacht (Vullbort) der Pastoren und Prediger in einer Stadt, einen Superintendent oder Bischof anzunehmen, zu behalten oder abzusetzen.“ Draconites (wie Anm. 680), S. 107. 2017  „so ys under anderen herna der Borgerschop ock solcker artikel vorgeholden /  welcke darvan solenniter hebben protesteret und angetöget /  dat ein Erbar Radt ane eren Radt /  wetenschop unde bewilliging desülven prediger hedden vororlovet unde uth der Stadt geschaffet /  Derwegen so gedachten se neinen heller noch pennick /  so wor deshalven F.G.straffgeldt scholde gegeven werden /  dartho tholeggende /  hebben ock thogelick gebeden.“ N. Gryse, Historia von Lehre, Leben und Tod Joachim Slüters mit anschließender Chronik. Rostock 1593, in: (Hg.), S. Pettke, Veröffent­ lichungen der Historischen Kommission für Mecklenburg 1. Rostock 1997, S. 117. 2018  „Die weltliche Obrigkeit habe eigene Macht, die Prediger, die wider die Obrigkeit handeln, abzusetzen und zu bestrafen.“ Draconites (wie Anm. 680), S. 134. 2019  Pfarrer Simon Pauli war auch Mitverfasser der Schrift „Christlich und demütiges Bedenken von dem Lüneburgischen Mandat“, die 1562 David Chytraeus zusammen mit Conradus Pistrius gegen das Lüneburgische Mandat veröffentlicht hat. In dieser Schrift gebrauchte die Geistlichkeit zur Rechtfertigung Ihres Vorgehens die Dreiständelehre noch deutlicher: „so ist es recht /  das getreue Prediger nicht Stumme Hunde seyn“ (J. G. Bertram, Das evangelische Lüneburg. Braunschweig 1719. Beylagen zum II. Theile Num. XI, S. 61), Das Bild der stummen Hunde war gerade der Topos der Legitimierung des geistlichen Strafamtes. Deshalb forderte die Geistlichkeit ausdrücklich ihr Mitwirkungsrecht: „sondern eine Christl.Obrigkeit soll mit Raht und Hüllffe verständiger /  Gotseliger /  gelehrter Prediger und Theologen.“ Ebd. S. 70. 2020  StA Rostock 1. 1. 17 XI. S. 439–474. 2021  Ebd. S. 445.

568

V. Die Fallstudien

Eine entsprechend explizite Berufung auf die Dreiständelehre als Grundlage politischer Argumentation findet sich bei der Bürgerschaft in dieser politischen Auseinandersetzung nicht. Bei einigen kirchenpolitischen Auseinandersetzungen mit dem Rat (7. Februar und 7. April 1565) weist jedoch die beharrliche Aufforderung der Bürgerschaft2022, der Rat möge doch in die Kirche kommen (was so viel bedeutet wie: Die Kirche ist unser), darauf hin, dass auch sie die Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster verwendete. Der Rat berief sich jedoch – anders als der Goslarer Rat – zur Legitimation seiner Position nicht auf die Dreiständelehre, sondern auf das Herrschaftsprinzip staatlicher Gewalt nach den 83 Canones Apostolorum. Für ihn waren alle Bürger gleichermaßen „gemeine Bürger, also Untertanen oder gemeine Mann“.2023 Damit war gemeint: „Allein die städtische Obrigkeit führe die Regierung, die oppositionelle Gemeinsamkeit von Geistlichkeit und Bürgerschaft sei deshalb Aufruhr.“2024

Der Rat betonte weiter seinen monopolen Herrschaftsanspruch über die beiden Gruppen, indem er erklärte: „Die Verfolgung des Predigtamts sei christliche und rechtliche Tat der Obrigkeit.“2025

Zwei verschiedene Auffassungen vom geistlichen Amt standen sich gegenüber, eingebunden in zwei einander ausschließende ordnungspolitische Konzepte: Die Dreistände-Ordnung als Verfassungsmodell einerseits, die Untertanengesellschaft andererseits. Hierin spiegelt sich die Strukturkrise politischer Herrschaft jener Zeit wider. Die Prediger antworteten darauf mit dem traditionellen Widerstandsrecht: „Wenn eine Obrigkeit auser ihrem Amt schreitet und öffentlich unrecht Sache wider Gott und sein heiliges Predigtamt vornimmt, daß in diesem Fall nicht allein die prediger, sondern auch die anderen Unterthanen (gemeint ist die Bürgerschaft. Hervorhebung durch Ch. P.) nicht sollen ihrer Obrigkeit gehorsam sein, nach dem Spruch Petri: Opportet Deo magis obedire quam hominibus. Item: Time dominum, mi fili, et regem.“2026

Für Rostock kann also Folgendes festgehalten werden: Die gemeinsame Opposition von Bürgerschaft und Pfarrern war funktionaler und damit vo­ rübergehender Natur, denn in dem Fall ging es um den Beteiligungsanspruch einer sozial aufsteigenden, wirtschaftlich leistungsstarken Gruppe. Die Bür2022  Neue

wöchentliche Rostocker Nachrichten. Rostock 1838, S. 359; 372. (wie Anm. 680), S. 111. 2024  Ebd. S. 117. 2025  StA Rostock 1.1.17 S. 468–469. 2026  Ebd. S. 462. 2023  Draconites

Exkurse569

gerschaft gehörte zu einer Gruppe wirtschaftlich erfolgreicher Kaufleute,2027 der es um Teilhabe an der Herrschaft ging.2028 Zur Legitimation dieses Anspruchs boten sich die Dreiständelehre und das zeitweilige politische Bündnis mit der Geistlichkeit geradezu an. Die weitere Entwicklung in Rostock zeigte, dass diese Interessengemeinschaft dann rasch beendet werden konnte, wenn die Teilhabeforderungen erfüllt waren. Immer wieder aber ergaben sich neue, wiederum nur zeitweilige Koalitionen zwischen lutherischer Geistlichkeit und solchen Gruppen, die aufgrund des Festhaltens an traditionellen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen mit städtischer oder territorialer Obrigkeit in Interessenkonflikte gerieten. Das war im Zusammenhang mit dem seit der Berufung des Superintendenten Johann Kittel geführten Streit um dessen Absetzung der Fall.2029 Analog zum Konflikt in Goslar bot die Dreiständelehre auch in diesem Konflikt eine die traditionell genossenschaftliche Herrschaftslegitimation ideal erweiternde Rechtfertigung politisch-sozialer Ansprüche. (3) Magdeburg In der Handelsmetropole2030 Magdeburg, der Wiege des Widerstandsdenkens der niederen Magistrate,2031 kam es 1562 zu einem folgenschweren 2027  J. Schildhauer, Die Sozialstruktur der Hansestadt Rostock von 1378–1569, in: Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 8. Berlin 1961, S. 341–353. 2028  Zwei Vertreter der Bürgerschaft, nämlich Hinrich Dosse und Baltzer Gule, sind jeweils 1560 und 1567 in den Rat gelangt. Draconites (wie Anm. 680), S. 116. 2029  Vgl. K. Koppmann, Dr. Johann Kittel, in: JmGA 59 (1894), S. 144–176. 2030  Magdeburg war Mitte des 16. Jahrhunderts mit ca. 34–40.000 Einwohnern und mit einem beträchtlichem Wohlstand nach Köln vielleicht zweitgrößte deutsche Stadt. Diese Angaben stammt von Krause, Art. Magdeburg. Stadtkreis, in: E. Keyser (Hg.), Deutsches Städtebuch – Handbuch städtischer Geschichte. Stuttgart 1941, S. 592–603. Hier S. 594; H. Asmus, 1200 Jahre Magdeburg. Von der Kaiserpfalz zur Landeshauptstadt. Bde. I und II. Magdeburg 2000. Hier Bd. I. 2000, S. 474. Im Folgenden Asmus Bd. I. Er gibt die Einwohnerzahl der Altstadt, also ohne Neustadt und Sudenburg (zusammen ca. 10.000) mit 30.000 an. Schilling entziffert aber die Zahl ca. 40.000. Vgl. H. Schilling, Die Stadt in der Frühen Neuzeit (EDG 24), München 1993, S. 11. 2031  Dazu vgl. R. R. Benert, Inferior Magistrates in Sixteenth-Century Political and Legal Thought. Diss. Ann Arbor 1968; W Schulze, Zwingli, lutherisches Widerstandsdenken, monarchomachischer Widerstand, in: P. Blickle (Hg.), Zwingli und Europa (wie Anm. 44), S. 199–216; I. Höss, Zur Genesis der Widerstandslehre Bezas, in: ARG 54 (1963), S. 198–214; C. G. Shoenberger, The Confession of Magdeburg and the Lutheran Doctrine of Resistance. Diss. Ann Arbor 1975; R. v. Friedeburg, Widerstandsrecht und Konfessionspolitik (wie Anm. 97); ders., (Hg.), Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit (wie Anm. 97); ders., Welche Wegscheide in die Neuzeit? Widerstandsrecht, „gemeiner Mann“ und konfessioneller Landspatriotismus zwischen „Münster“ und „Magdeburg“, in: HZ 270 (2000), S. 561–616.

570

V. Die Fallstudien

Streit um die Wiederbesetzung einer Pfarrerstelle.2032 Tilemann Heshusius, der seit März 1560 als Pfarrer an St. Johannis und als Superintendent der Stadt Magdeburg berufen war, wollte die Anstellung seines aus Jena vertriebenen Gesinnungsgenossen Johann Wigand2033 in Koalition mit den Gemeindevertretern (die so genannten Kirchenväter. Hervorhebung durch Ch. P.) als Pfarrer betreiben. Als nun die Vertreter der Bürgergemeinde die Angelegenheit der Gerber-Kammer (Vertreterausschuss der Bürgerschaft. Anmerkung durch Ch. P.) vorlegten, ließen jedoch die regierenden Bürgermeister, Bernhard Lose und Marcus Gerike, das Vorhaben der Gemeindevertreter untersagen mit der Begründung, dass das ius vocandi nicht der Bürgergemeinde, sondern allein dem Rat bzw. der weltlichen Obrigkeit gehöre. Daraufhin protestierten Heshusius und das geistliche Ministerium im Bündnis mit den Vertretern der Bürgergemeinde gegen das Ansinnen des Rates, indem sie betonten, das Kirchenregiment gehöre nicht dem Magistrat, sondern dem geistlichen Ministerium und die Freiheit und das Berufungsrecht des Pfarrers stamme nicht vom Magistrat, sondern gehöre der Bürgergemeinde. Es kam zu öffentlicher Ratskritik und in deren Folge zu einem Straßentumult und schließlich zur Verhaftung einiger Kirchenväter. Bereits 1561 waren beide Parteien im Zusammenhang mit der Einführung des sog. Hallischen Mandates von Erzbischof Sigismund in eklatanten Widerspruch geraten.2034 Damit war der seit dem 13 Jahrhundert bestehende und seit der Einführung der Reformation noch zugespitzte, während der Interimskrise und Belagerung vorübergehend beigelegte, jedoch wiederum sich bei der Einführung des Frankfurter Rezesses von 1558 und des niedersächsischen Mandats von 1561 dramatisch eskalierende Herrschaftskonflikt zwischen dem Landesherrn und dem Autonomiestreben des Magdeburger Rates einerseits, der Herrschaftskonflikt zwischen Magdeburger Magistrat und der durch Innungen und Gemeinheit repräsentierten Bürgerschaft in Koalition mit dem geistlichen Ministerium, die ihre traditionelle politische Machteinflussnahme in der Innenpolitik beanspruchte, andererseits und schließlich 2032  Zu den historischen Einzelheiten vgl. C. A. Salig, Vollständige Historie der Augspurgischen Confession (wie Anm. 157), S. 917–949; W. Preger, Matthias Flacius und seine Zeit, Erlangen 1859 / 61, Bd. 1. S. 245 ff.; F. W. Hoffmann, Geschichte der Stadt Magdeburg. Magdeburg 1871, S. 316–362. 2033  Wie oben erwähnt, waren er und Matthias Judex von 1553 bis 1559 als Pfarrer an St. Ulrich Kirchengemeinde in Magdeburg tätig. Seit 1560 bis 1561 waren die beide als Theologieprofessor an die Jenaer Universität berufen und kehrten von Jena nach Magdeburg wieder zurück, da sie mit dem Herzog Johann Friedrich der Mittlere wegen dessen philippistisch gesinnten Kirchenpolitik in Konflikt geraten waren. 2034  Vgl. dazu den Abschnitt „Das Konzept des Rechtes auf Widerstand, Gegenwehr und Notwehr.

Exkurse571

der soziale Konflikt innerhalb der Bürgerschaft, nämlich zwischen der dem Innungsverbande angehörenden Bürgerschaft und der nicht dem Innungsverbande angehörenden Bürgerschaft zum dritten angesprochen. (a) Der außenpolitische Konflikt Magdeburg unterstand seit den Ottonischen Privilegien der Herrschaft von Magdeburger Erzbischöfen2035 und war als eine aus drei Teilstädte, nämlich der Altstadt, der Neustadt und der Sudenburg bestehende Bischofsstadt im Erzstift Magdeburg verfassungsrechtlich dem Erzbischof unterstellt. Seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts zeigten sich bereits die ersten Ansätze eines politischen Selbstbewusstseins der Bürgergemeinde, insbesondere der Altstadt, deren Ursache auf die wirtschaftliche und rechtliche Stärke zurückzuführen ist. Magdeburg war der privilegierte Hauptort des mitteldeutschen Getreidehandels im Rahmen des sächsischen Städtebundes der Hanse und zugleich als Sitz des Schöffenstuhles der größten deutschen Stadtrechtsfamilie des Mittelalters, der des „Magdeburger Rechts“, die oberste Auskunfts- und Schiedsinstanz für ca. vierhundert Städte zwischen Elbe und Dnjepr, Ostsee und Schwarzem Meer.2036 Der sich verfassungsmäßig formierenden Bürgerschaft der Magdeburger Altstadt, die bereits seit 1188 über eigene Stadtrechtsprivilegien verfügte,2037 war es gelungen, die stadtherrliche Gewalt der Erzbischöfe in wesentlichen Teilen einzuschränken bzw. in Teilen an sich zu ziehen. Dieses Emanzipationstreben zeichnete sich in dem gewaltsam ausgetragenen Konflikt zwischen Stadtherrn und Bürgerschaft im Jahre 1238 und insbesondere in der Gründung des Magdeburger Rates, des so genannten „Meliorats“.2038 Dieser Meliorat bzw. Stadtrat setzte seine Zuständigkeit in Innungsangelegenheiten Mitte des 13. Jahrhunderts durch. Durch den Erwerb des Schultheissenamtes im Jahre 1294 erlangte der Magdeburger Rat das Designationsrecht bei der 2035  Vgl. dazu R. Schranil, Stadtverfassung nach Magdeburger Recht. Magdeburg und Halle (Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 125), Breslau 1915, S. 10; W. Ulmann, Art. Magdeburg, in: TRE 21. 1991, S. 677–686. Hier S. 678. G. Althoff, Die Gründung des Erzbistums Magdeburg, in: M. Puhle (Hg.), Otto der Grosse. Magdeburg und Europa. Katalog der 27. Ausstellung des Europarates und Landesaustellung Sachsen-Anhalt. Bd. 1. Mainz 2001, S. 344–352; C. P. Hasse, Otto der Große und Magdeburg, in: M. Puhle (Hg.), Otto der Grosse. Bd. 2 (wie Anm. 2035), S. 427–443. 2036  T. Kaufmann, Das Ende der Reformation (wie Anm. 42), S. 120 ff. 2037  M. Kleinen, Vom Grenzhandelsplatz zur Stadt – Magdeburg zwischen 805 und 1251, in: M. Puhle /  P. Petsch (Hg.), Magdeburg. Die Geschichte der Stadt 805–2005. Dössel 2005, S. 43–74. Hier S. 67. 2038  Ebd. S. 70–71.

572

V. Die Fallstudien

Besetzung der zentralen Gerichts- und Administrationsfunktion der stadtherrlichen Gewalt und beseitigte damit und mit der weitgehenden Einflussmöglichkeit auf die Schöffen den wichtigsten Schutz der erzbischöflichen Stadtherrschaft.2039 Seit dem 14. Jahrhundert wurde das sog. Niederlagsrecht sichergestellt, so dass die Verschiffung des Getreides nicht mehr von dem Erzstift Magdeburg aus erfolgen musste. Im Verlauf des 15. und 16. Jahrhunderts gelang es Magdeburg, von einer vom Erzbischof beherrschten zu einer lediglich durch das Treuegelöbnis beim Regierungsantritt des Erzbischofs verpflichteten Gemeinde aufzusteigen, deren Magistrat zum eigentlich regierenden Kollegium in der Stadt wurde. Dennoch verlief Magdeburgs Autonomie- und Freiheitsstreben nicht zügig, sondern geriet durch die nominelle Stadtherrschaft des Erzbischofs immer wieder ins Stocken. Unter Erzbischof Burchard III. spitzten sich die Konflikte um die städtische Unabhängigkeit noch dramatisch zu,2040 in deren Gefolge die Stadt dem päpstlichen Bann und der kaiserlichern Acht verfiel und dem Rat und der Bürgerschaft die Ablegung eines Treueides bei Amtsantritt eines neuen Erzbischofs zur Pflicht gemacht wurde, eine Regelung, die wie Kaufmann zu Recht bemerkte hat,2041 als Niederlage der Bürger zu bewerten ist, bis ins 16. Jahrhunderts hinein als Anlass immer neuer Eskalation wirkte, den Freiheitsdrang der stolzen Handelsbürger demütigte, aber auch entsprechend den jeweiligen Kräfteverhältnissen Gelegenheit zu städtischer Selbstbehauptung und „konsensgestütztem herrschaftlichen“ Eigensinn bot.2042 In Verträgen des späten 15. Jahrhunderts mussten die wesentlichen Rechte des bischöflichen Stadtherrn, auch die Huldigung seitens der Magdeburger Bürgerschaft, anerkannt werden. Magdeburg war bis 1483 selbstständig auf dem Reichstag vertreten, jedoch ließ Erzbischof Ernst (1476–1513) sie 1487 aus der Reichsmatrikel als Reichsstadt wieder streichen. Da Magdeburg bei derartig vielfältigen Auseinandersetzungen mit dem Erzbischof im Schutzbündnis mit niedersächsischen Hansestädten stand, kam es zu einem zeitweiligen Gleichgewicht beider Kräfte. Obwohl der Stadt 1497 ihre Privilegien vertraglich bestätigt wurden, konnte sie sich 2039  Vgl.

R. Schranil, Stadtverfassung (wie Anm. 2035), S. 155–160. dazu, H. Asmus, Bd. I. 2000 (wie Anm. 2030), S. 295–316. Zu bemerken ist, dass die Darstellung nicht ganz von der Tendenz der schematischen herrschaftssoziologischen Dichotomisierung der „Klassengegensätze“ frei ist und dass die Ergebnisse bedingt überzeugend sind T. Kaufmann, Das Ende der Reformation (wie Anm. 42), S. 13. Dort Anm. 52. 2041  T. Kaufmann, Das Ende der Reformation (wie Anm. 42), S. 121–122. 2042  Im Fall von Magdeburg erscheint es sinnvoll, diesen Begriff zu verwenden wie im Fall der anderen norddeutschen Städte, denn diese politische Ordnungsvorstellung erscheint geeigneter als der so genannten „Stadtrepublikanismus“ für die frühneuzeitliche politische Realität Magdeburg, auf die wir im nächsten Abschnitt ausführlich eingehen werden. 2040  Ausführlich

Exkurse573

von der formellen Oberherrschaft der Stadtherren nicht lösen. Nur der Gegensatz zwischen beiden Kontrahenten vertiefte sich. Durch die erfolgreiche Einführung der Reformation 15242043 und durch den mit Magdeburgs Beitritt zum Torgauer 1526 und zum Schmalkaldischen Bund 1531 reichspolitisch gehobenen Status als „Semi-Reichsstadt“ bzw. „Autonomiestadt“ und durch den Rückhalt des ernestinischen Kursachsens als politischen und religiösen Protektor, die mit der sukzessiven Annährung der städtischen Politik an das ernestinischen Sachsen verbunden war, wurde dieser außenpolitische Herrschaftskonflikt nicht verringert, sondern ganz im Gegenteil zugespitzt. Zwar konnte der Magdeburger Rat den katholischen Gottesdienst im April 1546 ganz verbieten und die Domimmunität im Juli desselben Jahres absperren und die bisher im Dom gefeierten Messen und Stundengebete abschaffen, aber die Domherren warfen dem Magdeburger Rat im Kontext der militärischen Auseinandersetzungen der späten 1540er Jahre vor, die ihm gesteckte Grenze seiner judizialen Kompetenz gezielt zu überschreiten.2044 Dieser Herrschaftskonflikt zeigt sich ebenfalls in dem Vorwurf des Domkapitels von 1551 gegen die Stadt Magdeburg bei der publizistischen Auseinandersetzung deutlich. Während die Ratsherren sich selbst als den von Gott geordneten magistratus betonten, pochte der Erzbischof bzw. das Domkapitel auf seine landesherrlichen obrigkeitlichen Befugnisse und beanspruchte die Stadtherrschaft unter dem Vorwurf der Rebellion gegen die Obrigkeit.2045 Die eingeschränkte Stadtherrschaft des Erzbischofs blieb weitgehend unbestritten, auch nach der Dreiteilung der Herrschaft, dem Tripartit. Das zeigt sich auch daran, dass der Magdeburger Administrator, als er 1579 die Aufhebung des Tripartit schließlich erreichte, sich wiederum um die alleinige Herrschaft über die Stadt bemühte.2046 Um die Wende vom 16. und 17. Jahrhundert versuchte das Domkapitel noch immer die Stellung der Stadt Magdeburg zu schwächen, indem es beim Konflikt zwischen Hamburg und Magdeburg um die Privilegien auf dem Gebiete der Kornverschiffung im Elbehandel ausdrücklich Hamburg unterstützte.2047 2043  Vgl. dazu F. W. Hoffmann, Geschichte der Stadt Magdeburg (wie Anm. 2032), S. 1–118. 2044  T. Kaufmann, Das Ende der Reformation (wie Anm.  42), S. 130. Dort Anm. 58. 2045  „Nachdem /  vnd weil die Echter vnnd Rebellen Rathmanne vnd Jnungsmeister der Altenstadt Magdeburgk“. Wahrhafftige vnd gegrünter bericht […]. Magdeburg 1549 [SBB Te 7768 (3)]. Bl. A ii. Vgl. dazu T. Kaufmann, Das Ende der Reformation (wie Anm. 6), S. 133–155. Hier 149 ff. Asmus Bd. I (wie Anm. 2030), S. 507. 2046  Ebd. 2047  M. Tullner, Magdeburg – eine Hansestadt im 17. Jahrhundert, in: A. Grassmann (Hg.), Niedergang oder Übergang? Zur Spätzeit der Hanse im 16. und 17. Jahrhundert. Köln 1998, S. 47–61. Hier S. 48.

574

V. Die Fallstudien

(b) Der innerstädtische Herrschaftskonflikt zwischen dem Kräftedreieck (aa) Kräfteverhältnis zwischen Rat und Bürgerschaft Der innenpolitische Konflikt zwischen dem Rat und der durch Innungen und Gemeinheit repräsentierten oppositionellen Bürgerschaft, die einerseits auf ihre traditionelle Teilhabe an der Herrschaft pochten und andererseits eine erweiterte Beteiligung aufgrund ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beanspruchten, ähnelte dem in den Norddeutschen Hansestädten und Reichsstädten.2048 Wie in einer Vielzahl von anderen Bischofsstädten entwickelte sich der Rat in Magdeburg im Zuge des beträchtlichen Aufschwungs von Handel und Handwerk im 12. und 13. Jahrhundert aus einem Bürgerausschuss, dem so genannten „Meliorat“, bestehend aus den ansässigen Ministerialgeschlechtern und den einflussreichsten Bürgerfamilie, den „meliores“ oder „ potissimi burgensium“, den „civitatis maiores“, wie sie in den Urkunden auch genannt werden, der sich einerseits mit städtischen Verwaltungsangelegenheiten, andererseits mit der Vertretung der genossenschaftliche organisierten Bürgergemeinde, der „universitas ci­ vium“, gegenüber auswärtigen Gewalten, insbesondere den Stadtherren, befasste.2049 Im Rat saßen bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts nur Ministerialien und die Schöffen, die im Gericht des Stadtherrn saßen, oder Bürger ministerialischer Abkunft, die sich aber bald auf Groß- und Fernhändler umstellten. In Magdeburg haben also nur die Ministerialität, die Schöffen und die Kaufmannschaft bzw. das in fünf großen Innungen organisierte Handelspatriziat Anteil am städtischen Ratsregiment gehabt.2050 Die Ratsfähigkeit war von Anfang an auf diese soziale Oberschicht beschränkt. Die nicht zu diesem „Meliorat“ gehörende Bürgerschaft in Gestalt der kleineren gemeinen Innungen bzw. Handwerkerzünfte hatte kein Mitbestimmungsrecht bei der Regelung der inneren und äußeren Angelegenheiten der Stadt. Doch auch in Magdeburg wie in der Mehrzahl anderer Hansestädte im Alten Reich vollzog sich um 1330 eine gewichtige verfassungsrechtliche Änderung bzw. eine einschneidende Reform der Stadtverfassung, die von hohem Belang für die Ausbildung des Zustimmungs- bzw. Mitwirkungsrechts der nicht zum Meliorat gehörenden Groß- und Fernkaufleute und Zunftbürgern war und die Vorherrschaft des in fünf großen Innungen organisierten Handelspatriziats (Gewandschneider, Krämer, Kürschner, Schuh2048  Beispielsweise Braunschweig. Vgl. dazu L. Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 54), S. 392 ff. 2049  H. Asmus, Bd. I. (wie Anm. 2030), S. 248 ff. 2050  Ebd. S. 253.

Exkurse575

macher und Gerber, Leinwandschneider) beendete.2051 Die im Zuge des Aufschwungs der einfachen Warenproduktion entstandenen neuen Zünften bzw. kleineren gemeinen Innungen wie z. B. der Messermacher, der Hosenmacher, der Riemenschneider, der Wollenweber, Lakenmacher und Fettmenger beanspruchten bald aufgrund ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eine Beteiligung an der Herrschaft. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts entzündete sich eine Bürgerunruhe zwischen den alten großen fünf Innungen und den „gemeinen“ Innungen, durch welche die Wahl eines neuen Rates erzwungen wurde. Unter dem massiven Druck dieser oppositionellen Kräfte musste das scheinbar unumschränkte, aus den fünf großen Innungen bestehende Ratsregiment doch das Mitwirkungsrecht dieser kleineren Innungen bei den Ratswahlen zugestehen. Der Rat wurde nun von fünf Ratsmännern aus den patrizischen, fünf Ratsmännern aus den gemeinen Innungen und zwei Ratsmännern aus der gemeinen Bürgerschaft gebildet. Diese zwölf regierenden Ratsmänner, deren Amtszeit ein Jahr war, bildeten zusammen mit den zwölf aus dem alten Rat und zwölf aus dem oberalten das aus 36 Ratmännern bestehende Ratskollegium, an dessen Spitze zwei Bürgermeister standen. Neben diesem Ratskollegium gab es ein Innungsmeisterkollegium, eine Art Beirat des Rates, da die fünf Ratsmänner aus den gemeinen Innungen verpflichtet waren, in wichtigen Angelegenheiten mit diesen Meistern ihrer jeweiligen Innung Rücksprache zu nehmen, und die Gemeindeversammlung, das so genannte Burding, die der verfassungsrechtlich maßgebliche politische Willens- und Entscheidungsträger war.2052 Bereits diese kurze Skizze macht deutlich, dass sich der Magdeburger Rat nie vollmächtig einsetzen konnte. Der sog. Konsolidierungsprozess der Ratssouveränität geriet in Magdeburg immer wieder durch politische Offensiven der Bürgergemeinde in Gestalt der Innungen und der „Gemeinheit“ in eklatanten Widerspruch. Die Exklusivität des Ratskollegiums bestand kaum. Der Etablierungsprozess der Ratsmacht in Magdeburg vollzog sich gegenüber den gemeindlich-genossenschaftlichen Tendenzen der Bürgergemeinde nie vollständig, sondern resultierte immer wieder in dem Kompromiss einer gleichberechtigten Kräftebalance. Dieser Zusammenhang gilt ebenfalls für die Zeit während der Einführung der Reformation in den 1520er Jahren. Wie in den einschlägigen Untersuchungen2053 zutreffend bemerkt wurde, hatte der Rat zum Zeitpunkt der Einführung der Reformation keineswegs ei2051  Ebd.

S.  284 ff. S.  314 ff. 2053  T. Kaufmann, Das Ende der Reformation (wie Anm. 42), S. 26  ff.; F. W. Hoffmann, Geschichte der Stadt Magdeburg (wie Anm. 2032), S. 56 ff. 2052  Ebd.

576

V. Die Fallstudien

ne dominante, bestimmende Rolle inne, sondern musste vielmehr defensiv autonome Aktivitäten der Bürgergemeinde in Gestalt der „Gemeinheit“ gewähren lassen. Die Initiative der Einführung der Reformation in Magdeburg ging nicht vom Rat und den Innungsmeistern oder der den Innungsverbänden angehörenden Bürgerschaft aus, sondern von den „gemeinen Leuten“, das heißt, den nicht zünftigen Handwerkern und Kaufleuten, die von der politischen Mitbestimmung bislang ausgeschlossen waren. Dass es ihnen bei diesem reformatorischen Handeln um eine Verbesserung ihrer politischen Partizipationsmöglichkeiten gegenüber der dem Innungsverbande angehörenden Bürgerschaft ging, zeigt sich bei ihrer Forderung in dem Reformations-Artikel für Magdeburg vom 22. Mai 1524 deutlich, künftig zwei Ratsmänner aus ihrer Mitte direkt und selbst wählen zu dürfen und nicht mehr wie bisher aus den Ratsmitgliedern der Innungen. Diese Forderung nach politischer Gleichberechtigung weist auch darauf hin, dass der soziale Konflikt bzw. die Gegensätze zwischen den vornehmen Ratsherren und den privilegierten Großund Fernkaufleuten und vermögenden Handwerkmeistern in den Innungsverbände und der „Gemeinheit“ trotz der zahlreichen Zunfterhebungen im 14. und 15. Jahrhundert nicht aufgelöst waren. Unter dem massiven Druck der „gemeinen Leute“ musste schließlich der aus den alten fünf großen Innungen und den „gemeinen“ kleineren Innungen bestehende Rat das Mitwirkungsrecht dieser nicht zünftigen „Gemeinheit“ bei den Ratswahlen zugestehen. Diese einschneidende Neuerung des Rats bzw. diese Art gleichberechtigter Kräftebalance zwischen Rat und Bürgergemeinde wurde verfassungsrechtlich nun in der Ordnung der gemeinen Kasten von 1524,2054 die auch vom Rat eine rasche Bestätigung erhielt,2055 befestigt. Hervorzuheben ist, dass das Verfahren der Reformation, wie in den lutherischen norddeutschen Städten, in Magdeburg in derselben Form verlief, nämlich Rat und Bürgergemeinde gemeinsam beschlossen die Annahme der Reformation, immer unter beratender Mitwirkung der Geistlichkeit. Am Sonntag, dem 22. Mai, berieten die 48 Vertreter der Pfarrgemeinden und die acht Prediger von St. Peter, St. Jakob, St. Johannes, St. Katharinen, St. Ulrich und Heiliggeist im Augustinerkloster unter Leitung von Melchior Mirisch eine evangelische Kirchenordnung für die Stadt Magdeburg und legten sie zur Bestätigung dem Rat vor.2056 Eine konsensuelle Herrschaft, in der ein Gleichgewicht zwischen Rat, Geistlichkeit bzw. geistlichem Ministerium2057 und Bürgerschaft austariert wird, zeigt sich darin deutlich: 2054  Ebd.

436 ff. W. Hoffmann, Geschichte der Stadt Magdeburg (wie Anm. 2032), S. 46. 2056  F. W. Hoffmann, Geschichte der Stadt Magdeburg (wie anm. 2032), S. 42; H. Asmus, Bd. I. (wie Anm. 2032), S. 436. 2057  Das geistliche Ministerium soll bereits seit 1522 in Magdeburg existiert haben. Auffallend ist, dass dieses Ministerium nicht nur allein aus der städtischen Geist2055  F.

Exkurse577 „Ein erbare rath der keiserlichen stadt Mayderburg hat aus hohem bedenken und durch vleissige anregen in heiliger schrift vorständiger personen sampt den gemeinen bürger sich voreiniget, das das armut und kranke nothdirftige volk möchte erquicket und erhalten werden […] ist derhalben in S. Johannes kirchen ein kasten gesatzt und zu S. Augustin auch einer, das ein man vorsameln soll […] also das ein erbar rath einen hab, die kirchveter auch einen, und itzlicher von den acht personen aus den purgern und der gemeinheit sal auch einen haben.“2058

Damit weist die Kirchenordnung von 1524 eindrucksvoll auf die Bedeutung der Dreiständelehre als Kirchenverfassungsprinzip und ordnungspolitisches Konzept hin. Die Dreiständelehre spielte hierin für die Ordnung des neuen Kirchenbaus und die Zuordnung der Funktion aller drei Verfassungskräfte in der Umbruchszeit eine zentrale Rolle. Wie Köhler und Franz zu Recht bemerkt haben,2059 ist der Rat zwar der rechtliche Garant des Kirchenwesens, übt jedoch seine Aufgabe nicht als Inhaber des Kirchenregiments, sondern nur als ein Glied der Kirche aus. Dieses unter Berufung auf der strikten Trennung zwischen geistlichem und weltlichem Regiment basierende Obrigkeitsverständnis zeigt sich bei der Auseinandersetzung zwischen Domkapitel und dem Magistrat während der Einführung der Reformation. Am 17. Juli 1522 wurde in der St. Petri Gemeinde die erste evangelische Messe vom Pfarrer Marcus Seultetus gehalten. Als die Räte im Domkapitel dem Magistrat vorwarfen, dass dieser den Predigern zu predigen erlaubte, antwortete der Rat darauf folgendermaßen: „Was die Prediger anlange, so stehe es ihm [dem Magistrat. Anmerkung durch Ch. P.] nicht zu, dieselben zu richten, und da er keinen Eingriff in seine Jurisdiktion liebe […] Der Rat habe den Bürgern zur Antwort gegeben, dass er die ihm vorgelegten Artikel nicht beurteilen könne, dies sei die Sache der Geistlichkeit.“2060

Diese „konsensgestützte“ Herrschaft der drei Stände lässt sich ebenfalls aus den am 9. August 1524 von Melchior Mirisch, Eberhardus Wydensee, Johannes Fritzhans und allen Predigern der Stadt Magdeburg (also Sudenburg und Neustadt auch) verfassten achtzehn Artikel, die sie zur Diskus­ sionsgrundlage gegen die katholischen Predigern gestellt hatten, deutlich erkennen. In dem 11. Artikel hieß es: lichkeit bestand, wie es in einer Vielzahl der anderen Hansestädte der Fall ist, sondern aus Ratsbeamten und Geistlichkeit. Vdl. H. Asmus, Bd. I (wie Anm. 2030), S. 439. 2058  Ordnung der gemeinen kesten, den dürftigen armut zu gute, in der löblichen stadt Maydeburg aufgerichtet. 1524, in: E. Sehling, Evangelische Kirchenordnung des XVI. Jahrhundert II. Sachsen und Thüringen nebst angrenzen des Gebieten; 2. Halbband. Leipzig 1904. ND Aalen 1970, S. 449. 2059  K. Köhler, Die altprotestantische Lehre von den drei kirchlichen Ständen (wie Anm. 207), S. 137 f.; A. Franz, Evangelische Kirchenverfassung in den deutschen Städten des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 207), S. 33 ff. 2060  Zitiert nach F. W. Hoffmann, Geschichte der Stadt Magdeburg (wie Anm. 2032), S. 58.

578

V. Die Fallstudien

„Eynn Christlich Gemeyn odder Vorsamlung hat recht und macht, alle Lere und Lerer zu urtheylen, und Diener des worts GOttes zu erwelen, nach Jnhalt der Schriyfft, und nicht alleyn die Bischoff, Gelerten und Consilia, wy sy sich röhmen.“2061

Diese 11. These erinnert deutlich an Luthers Antwort an die Leisniger Gemeinde im albertinischen Sachsen im Jahre 1523, als sich diese wegen des umstrittenen ius vocandi an Luther wandte.2062 Dass die Leisniger Gemeinde unter Berufung auf die Dreiständelehre nun eine Ordnung eines gemeinen Kasten gemacht hat, ist bekannt.2063 Nach Luthers Auffassung bzw. Auffassung der Leisniger Gemeinde steht das ius vocandi weder dem Rat noch dem geistlichen Ministerium noch der Bürgergemeinde allein, sondern der aus Rat, Geistlichkeit und Bürgerschaft bestehenden Bürgergemeinde zu. Lediglich übt der Rat das ius vocandi als ein Glied der Kirche aus. Da aber die Vokationsfrage immer zu einer innerstädtischen Herrschaftsfrage wurde, können wir nicht ausschließen, dass es in dieser 11. These ebenfalls um die Machtfrage ging, das heißt, wem die höchste Macht innerhalb eines politischen Gemeinwesens zukommt. Im Falle Magdeburgs heißt es dann, dass diese Souveränitätsrechte nach der Auffassung des geistlichen Ministeriums weder dem Magistrat allein, sondern der aus Rat, geistlichem Ministerium und Bürgerschaft bestehenden Bürgergemeinde zustehen und dass der Rat nur als ein Glied der Kirche seine obrigkeitliche Aufgabe und Pflicht erfüllt. Ebenfalls zeigt sich dieses Herrschaftsmodell auch während der Interimskrise von 1548 bis 1551, auf die wir noch einmal zurückkommen werden, und in der Kirchenordnung von 15542064 ebenso wie in der Kirchenordnung von 15692065 eindrucksvoll. Hier sei ein Beispiel davon erwähnt: 2061  Ebd.

S. 66. Brecht, Martin Luther. Ordnung und Abgrenzung der Reformation 1521– 1532 (wie Anm. 178), S. 75–77. 2063  K. Köhler, Die altprotestantische Lehre von den drei kirchlichen Ständen (wie Anm. 207), S. 121–122. 2064  „Versehen vns die jenigen welche das Weltliche Regiment oder das Schwert befohlen, wereden das ihre auch dabei thun, damit auch sie Gottes zorn entfliehen mügen.“ Etliche artikel zu notwendiger kirchenordnung zugehörig, welcher sich die pfarherr und diacon der kirchen zu Magdeburg, wie sie den meisten teil bereits bisher breuchlich gewesen, einmütiglich vereiniget und entschlossen haben, darüber mit gottes hülf hoförder auch fleissiglich zu halten. Vom 3. April 1554, in: E. Sehling, Evangelische Kirchenordung (wie Anm. 2058), zitiert nach A. Frantz, Die evangelische Kirchenverfassung in den deutschen Städten des 16. Jahrhunderts (wie Anm. 207), S. 51. 2065  Ordenung vom kirchengerichte, bann, auch beruf und enturlaubung der prediger. Vom 17. Januar 1569, in: E. Sehling, Evangelische Kirchenordnung (wie Anm. 2058), 2062  M.

Exkurse579 „Damit auch künftiglich der vocation halben und entsetzung der kirchendiener von ihrem amt irrung und gefehrliche ergerliche spaltung zwischen einem erbarn rath, dem ehrwirdigen ministerio und der gemein möchten vorhütet werden, ist nach volgende vorordnung einhellig beschlossen worden, weil solchs der kirchenbefohlen und demnach beides die obrigkeit und christliche gemein neben den kirchendienern jhr stim billich haben und behalten sollen.“2066

In dieser Kirchenordnung wurde eine konsensuelle Herrschaft verfassungsrechtlich charakterisiert, in der ein Gleichgewicht zwischen Rat, Geistlichkeit und Bürgerschaft immer wieder austariert wird. Von einer Stellung des Rates als „Notbischof“ kann deshalb kaum die Rede sein. Bei der Wahl der Prediger war nur eine Mitwirkung des Rates vorgesehen. Die Gemeinde bestätigte demgegenüber ihre Autonomie in der freien Wahl der Geistlichkeit. Die rechtliche Garantie des Rats bzw. die obrigkeitliche Stellung des Rates wurde aber gerade darin wirksam, dass er frei gewählte Prediger bestätigte. Die freie Predigerwahl durch die Bürgergemeinde geschah nach einem Wahlverfahren, an dem jedoch nicht die ganze Gemeinde, sondern nur Vertreter der drei Stände der Kirche, also status politicus (Ratsherren), status ecclesiasticus (Geistlichkeit) und status oeconomicus (die Gemeindevertreter = die so genannten Kirchenväter. Hervorherbung durch Ch. P.) beteiligt waren. Es kam unter Berufung auf die Dreiständelehre zu einer rechtlichen Stabilisierung des gerade in den verfassungspolitischen Unruhen problematisch gewordenen Verhältnisses zwischen Rat, Geistlichkeit und Bürgerschaft in Richtung eines geordneten, gleichberechtigten, gleichrangigen Miteinanders von weltlichem und geistlichem Regiment bzw. Bereich. Das Verhältnis zwischen Rat und Bürgerschaft zum Zeitpunkt der Reformation kann so zusammengefasst werden: Der Rat weiß sich zuständig für die ordnungsgemäße Einführung der Reformation in der Stadt und nimmt das ius speculari und ius visitationis wahr, demgegenüber bestätigt der Rat den Bürgergemeinden mit der freien Predigerwahl ihr ureigenstes Kolle­gial­ recht. Mit der freien Predigerwahl2067 waren die Kirchengemeinden in der Besonderheit ihres geistlichen Wesens und mit dem Bestätigungsrecht für den Rat als „souveräne“ Obrigkeit anerkannt worden.2068 Wie Kaufmann zu Recht bemerkt hat, kam in Magdeburg eine ernsthafte Gefährdung der „konsensgestützten“ politischen Struktur, der obrigkeitlichen Stellung des Rates und der sie tragenden sozialen Oberschicht in keiner Phase der Magdebur2066  Ebd.

S. 454. Rat hat dieses umstrittene ius vocandi gerade nicht sich selbst vorbehalten, sondern an die Gemeinde übergeben bzw. der Pfarrgemeinde die vollständige Freiheit bzw. die Gemeindeautonomie übertragen. Vgl. H.  Asmus, Bd. I (wie Anm. 2030), S. 438. 2068  T. Kaufmann, Das Ende der Reformation (wie Anm. 42), S. 32 ff. 2067  Der

580

V. Die Fallstudien

ger Reformation durch die Aufstände der „Gemeinheit“ vor, denn es ging ihnen um den Teilhabeanspruch an der Herrschaft und nicht um eine „Revolution“. Damit ist der Aspekt der politischen Ordnungsvorstellung in Magdeburg vom Mittelalter bis zu dem Zeitpunkt der Reformation angesprochen. In Bezug auf die Struktur der Ordnung der an den Auseinandersetzungen beteiligten beiden bzw. drei Verfassungskräften scheint es berechtigt zu sein, ebenso wie im Falle Bremens und Emdens eher von „konsensgestützter Herrschaft“2069 zu sprechen2070 als von dem so genannten „alteuropäischen Bürgerrepublikanismus“2071 bzw. „städtischen Republikanismus“. In Magdeburg vermochten wie in Bremen und Emden insbesondere der wohlhabende Groß- und Fernkaufmann und der vermögende Handwerksmeister immer wieder, ihren Einfluss geltend zu machen.2072 Bei wichtigen Grundsatzentscheidungen, wie z. B. Steuern, wirkte die durch Innungen und Gemeinheit repräsentierte Bürgergemeinde mit. Wie erwähnt pochte die nicht zünftige Bürgerschaft gegenüber der stadtherrlichen Verfügungsgewalt auf ihr Wahlrecht. Der Rat, wie sich oben gezeigt hat, konnte nur in Rückbindung an die Bürgerschaft politisch handeln. Tatsächlich konnte der Rat nur unter Mitwirkung und Teilhabe der Korporationen, also der große und kleinere Innungen und der nicht zünftigen Bürgerschaft und vor allem der Geistlichkeit regieren. Bei wichtigen politischen Grundsatzentscheidungen wie z. B. der Einführung der Reformation in den 1520er Jahren, der Bewilligung der Ordnung des gemeinen Kastens von 1524, der Kirchenordnungen von 1554 und 1569 wirkten Gemeinde und Geistlichkeit immer mit. Zudem war das Ratsregiment angehalten, nicht nur die rechtlich verbrieften Privilegien, sondern auch die allgemein als berechtigt eingeschätzten Interessen der Gemeinde, der Kaufmannsinnungen zu beachten und zu schützen. Was Hammel-Kiesow für Bremen somit zu Recht festgestellt hat,2073 dass die Gemeinde in Bremen das oberste Organ der Stadt gewesen sei, aufgrund ihrer Größe aber nicht mehr selbständig handeln konnte, sondern nur über ein eigenes Initia2069  Vgl. U. Meier / K. Schreiner, Regimen civitatis (wie Anm. 52), S. 9–34; W. Mager, Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment, in: L. Schorn-Schütte (Hg.), Aspekte der politischen Kommunikation (wie Anm. 56), S. 13–122. 2070  Vgl. B. Kappelhoff, Quasiautonome Stadtrepublik (wie Anm. 1698), S. 436. 2071  Vgl. H. Schilling, Calvinismus und Freiheitsrechte (wie Anm. 1706), S. 121– 156; L. Schorn-Schütte, Einleitung, in: dies. (Hg.), Aspekte der politischen Kommunikation (wie Anm. 56), S. 1–12; dies., Obrigkeitskritik und Widerstandsrecht, in: dies. (Hg.), Aspekte der politischen Kommunikation (wie Anm. 56), S. 195–206. 2072  Vgl. H. Schmidt, Geschichte der Stadt Emden (wie Anm. 1707), S. 161–269. Hier S.  206 ff. 2073  R. Hammel-Kiesow, Die Hanse. München 2004, S. 70 f.

Exkurse581

tivrecht verfügte, trifft auch für Magdeburg zu. Der Magdeburger Rat konnte also nicht anders handeln, als die Bürgergemeinde wollte, wobei sich ihre Zustimmung in der Regel durch Stillschweigen äußerte.2074 Dennoch haben die Magdeburger Bürger nie die obrigkeitliche Herrschaft des Rates in Frage gestellt. Der restitutive Charakter der Magdeburger Bürgerinitiative, die lediglich ihre herkömmliche Freiheit und Privilegien zurückforderte, wird damit deutlich.2075 Eine Infragestellung der Herrschaft des Ratsherrn und damit der Ratsherrschaft wurde dabei nie akzeptiert. Es ging vielmehr darum, vom Rat verursachte Fehlentwicklungen zu korrigieren und im Sinne des „Einigungsrechts“ die Eintracht zwischen Rat und Gemeinde wiederherzustellen. Die Bürgerschaft und auch das geistliche Ministerium besonders unter der Leitung von Nikolaus von Amsdorf forderten nur eines: Der Rat müsse die Stadt stets im Einklang mit der Gemeinde bzw. in Rückbindung an die Bürgerschaft regieren und deren Teilhabe also wiederherstellen und dürfe nicht ohne den Konsens mit der Bürgerschaft die Stadt regieren.2076 Die Bürgerunruhen von 1330 und 1524 bezeugen diesen Tatbestand eindrucksvoll. Erst Rat und Gemeinde im Verein konstituierten eine praktisch lebensfähige und rechtlich vollkommene Stadtgemeinde. Jede Verletzung des Konsenses hatte Folgen. Die erwähnten innerstädtischen Auseinandersetzungen war nichts weiter als ein Protest gegen die Verletzung des Rechts auf Konsens mit der Bürgerschaft bzw. Kirchengemeinde. Sie wollten im Besitz ihrer alten rechtmäßigen Sitten, Gewohnheiten, Freiheiten2077 und Rechte bleiben, mit anderen Worten: Sie verlangten nach „konsensgestützter Herrschaft“. Konkret ging es ihnen lediglich um Mitwirkung und Teilhabe am städtischen Regiment und um Kontroll- und Einspruchsrechte in Steuerfragen, bei Stadtrechtsänderungen etc.2078 (bb) D  ie Kräftekonstellation zwischen Rat, Geistlichkeit und Bürgerschaft Diese gleichberechtigte und gleichrangige politisch-soziale Konstellation, mit der sich Rat, Geistlichkeit und Bürgergemeinde im reformatorischen Prozess institutionell und rechtlich aufeinander zubewegt hatten und derart 2074  Vgl.

S. 49.

dazu. W. Hoffmann, Geschichte der Stadt Magdeburg (wie Anm. 2032),

2075  Dazu

vgl. den Abschnitt V. 2. a) aa) (2) (b). H. Antholz, Die politische Wirksamkeit des Johannes Althusius in Emden (wie Anm. 1711), S. 27. 2077  Vgl. H. Antholz, Die politische Wirksamkeit (wie Anm. 1711), S. 29. 2078  Vgl. H. Schmidt, Geschichte der Stadt Emden (wie Anm. 1707), S. 218. 2076  Vgl.

582

V. Die Fallstudien

ihre jeweiligen eigentümlichen Ansprüche legitimierend einlösen konnten, setzte sich im Großen und Ganzen bis zur Interimskrise und Belagerung in der Hälfte des 16. Jahrhunderts fort, auch wenn 1526 die direkte Wahl-Regelung der „Gemeinheit“ wieder dahingehend geändert wurde, dass nicht mehr die Gemeindeversammlung der Kirchspiele, sondern die Ratmänner selbst das Wahlmännergremium für die Bestellung der beiden Ratsvertreter der Gemeinheit nominierten. Diese verfassungsmäßige Erweiterung der Herrschaftskompetenz des Rates setzte sich in der Praxis kaum durch, aufgrund der Ansprüche der neuen Sozialgruppe der Geistlichkeit und auch wegen der Bürgergemeinde in Gestalt der „Gemeinheit“, die weiterhin um ihre „konsensgestützte“ politische Partizipation am Stadtregiment kämpfte.2079 Vielmehr wurde immer wieder erneut ein tragfähiger Kompromiss zur Kräftebalance gefunden, wie sich während der Zeit der Interimskrise in dem Bemühen um eine enge Kooperation bzw. Abstimmung mit den drei Verfassungskräften, nämlich den Ratsherren und Innungen und der Bürgerschaft, aber auch mit der Geistlichkeit zur Verteidigung des politisch lebensbedrohlich bedrängten Gemeinwesens besonders deutlich zeigt. Wie in der Forschung zutreffend betont wurde, spielte die Dreiständelehre bei diesem außenpolitischen Herrschaftskonflikt sowohl als Legitimationsgrundlage der berühmten Magdeburger Resistenz als auch als Legitimitätsgrundlage für das politische Bündnis der drei innerstädtischen Verfassungskräfte in Magdeburg wiederum eine zentrale Rolle.2080 In der „Confessio“2081 der Magdeburger Theologen von 1550 zeigt sich diese 2079  Diese Art Konflikt zeigt sich auch bei der Auseinandersetzung um die Einführung der neuen Regelung des Kirchenbanns im Jahre 1554 deutlich. Am 3. April 1554 verfasste das geistliche Ministerium eine Kirchenordnung, in der es mit der neuen Regelung der Exkommunikation die Forderung nach einer autonomen Kirchenzucht betonte. Als aber ein Geistlicher in Sudenburg, Andreas Hoppe, die Einführung dieser Kirchenordnung in Sudenburg nicht billigte, forderte Matthäus Judex und Joachim Bonus im Namen des ganzen Ministeriums den Rat auf, die Erlaubnis zur Einführung in dieser Teilstadt zu erteilen. Diese Forderung stieß beim Rat jedoch auf Vorbehalte, denn sie erweckte nicht nur den Eindruck, der Rat werde nun der politischen Gewalt der Kirche untergeordnet, sondern bedeutete vor allem auch ein ernstes Hindernis für den eigenen Anspruch des Rats auf ein ratsherrliches Kirchenregiment. Der Rat veranlasste deshalb wegen seiner Bedenken gegen diese Forderung ein Gutachten von Nikolaus von Amsdorf einzuholen. Als Amsdorf doch einen der Kirchenordnung des geistlichen Ministeriums Magdeburg zustimmenden Brief an den Rat schickte, musste der Rat zwar die Erlaubnis der Einführung der Kirchenordnung von 1554 in Sudenburg erteilen, bereute aber sofort diese Nachgiebigkeit. Vgl. dazu F. W. Hoffmann, Geschichte der Stadt Magdeburg (wie Anm. 2032), S. 334–338. 2080  L. Schorn-Schütte, Beanspruchte Freiheit (wie Anm. 744), S. 347–351. 2081  Bekentnis Vnterricht vnd vermanung (wie Anm. 1016), Zur Verfasserschaft und Inhalt dieser Schrift aus den kirchengeschichtlichen Perspektive siehe ausführlich T. Kaufmann, Das Ende der Reformation (wie Anm. 42), S. 157–207.

Exkurse583

Tatsache deutlich. Wie in den einschlägigen Untersuchungen deutlich bemerkt wurde,2082 hat der Magdeburger Rat diese Schrift zustimmend zur Kenntnis genommen. Der Rat und die Geistlichkeit sahen in ihr kein neues Bekenntnis, sondern eine aktuelle Auslegung der Confessio Augustana vor dem Horizont der durch das Interim ausgelösten Orientierungskrise. Wie Schorn-Schütte deutlich herausgestellt hat,2083 bündelten die Verfasser die Dreiständelehre als Verfassungsmodell der gleichberechtigte Herrschaftverteilung / -begrenzung einerseits, die Bestimmung des Wesens und der Aufgabe weltlicher Obrigkeit andererseits klar und prägnant, denn erst deren Verletzung legitimierte Widerstand bzw. Gegenwehr. Die Verfasser der „Confessio“ gingen von der parallelen Existenz einer Ordnung der Kirche und einer Ordnung des „weltlichen und Hausregiments“ aus. Alle drei Ordnungen seien Gottes Ordnungen, ihre innere Struktur sei vergleichbar: „Er hat auch alle drei Regiment /  der Kirche odder das Geistliche /  Weltliche und Hausregiment also von einander gescheiden /  das er einem jedern sein sonderlich ampt und werck /  auch seine sonderliche weyse zu straffen gegeben hat.“2084

Die drei Ordnungen sollten zwar nicht wechselseitig in ihre Aufgaben eingreifen, aber jeder Stand dem anderen dienen. Das weltliche Regiment, die politia, habe deshalb in erster Linie die Aufgabe, den Bestand der ec­ clesia zu schützen. Da es deren Aufgabe sei, das Wort Gottes zu lehren, den Gebrauch der Sakramente zu sichern und die Zuhörer zum rechten Leben anzuhalten, müsse es der weltlichen Obrigkeit auch um den Schutz dieser Inhalte gehen. Mit dieser Zuschreibung wird innerhalb der „Confessio“ eine systematische Verbindung zwischen Dreiständelehre und Notwehrdiskussion hergestellt. Allerdings bezieht der Verfasser der „Confessio“ die Hausväter, also den „gemeinen Mann“ explizit in die Argumentation mit ein. Gegenüber einer weltlichen Obrigkeit ebenso wie gegenüber einem Hausvater, die diesen Schutz nicht sicherstellen, vielmehr Untertanen bzw. Hausgesinde vom Gottes Wort wegführen oder zu gottlosem Handeln verpflichten wollen, ist das Recht des Widerstehens, der Notwehr gegeben. Angesichts der Verschärfung der Gegensätze innerhalb des protestantischen Lagers galt diese Position der „Confessio“ nicht nur gegenüber dem „unchristlichen“ Kaiser, sondern auch gegenüber einer protestantischen Obrigkeit, sofern sie ihrer Pflicht des Schutzes der Glaubensfreiheit und der Gemeindeautonomie nicht nachkommt. Die größte Gefahr für die Freiheit des Glaubens und Autonomie der Bürgergemeinde gehe von solchen weltlichen Obrigkeiten aus, die in das Amt der anderen Stände der Kirche 2082  T.

Kaufmann, Das Ende der Reformation (wie Anm. 42), S. 176 ff. Schorn-Schütte, Beanspruchte Freiheit (wie Anm. 744), S. 348–351. 2084  Zitiert nach L. Schorn-Schütte, Beanspruchte Freiheit (wie Anm.  744), S. 349. 2083  L.

584

V. Die Fallstudien

eingreifen. Also gehen die Verfasser von der Freiheits- und Autonomiebewahrung durch Institutionalisierung des Gleichgewichts der drei Stände aus. Dieses gleichrangige, gleichberechtigte Ordnungsprinzip der drei Stände der Kirche soll nicht nur auf Stadtebene, sondern auch auf Territorialund Reichsebene gelten.2085 Dass die Dreiständelehre als Legitimitätsgrundlage für den Strukturkonflikt der politischen Ordnung eine zentrale Rolle spielte, zeigt sich wiederum wie oben erwähnt bei der Auseinandersetzung um die Einführung des so genannten Hallischen Mandates von Erzbischof Sigismund im Jahre 1561 eindrucksvoll. Die Stände der Niedersächsischen Reichskreise veröffentlichten am 27. August 1561 in Lüneburg ein Mandat „Wider das Schelten auf den Cantzelen“, da sie wegen der „Hardenbergschen Unruhen“ in Bremen die Gefahr deutlicher erkannten, dass die theologische Zänkerei und die geistliche Kanzelkritik im Lande keine öffentliche Ruhe und Frieden bringen würde. Erzbischof Sigismund ließ sofort in Halle dieses Mandat drucken und überschickte es neben einem die Befolgung desselben anbefehlenden Schreiben von Halle aus dem Magdeburger Rat, um damit seine politische Machteinflussnahme in die Innenpolitik der Stadt Magdeburg zu erheben. Als der Magdeburger Magistrat zur Einführung dieses Mandates das geistliche Ministerium begutachten ließ, betrachtete Heshusius wie auch das geistliche Ministerium die kirchenpolitischen Maßnahmen des Erzbischofs und des Rates als Eingriff in das geistliche Amt und Eingriff in die Autonomie der Bürgergemeinde und veröffentlichte unmittelbar danach die Protestschrift,2086 in der er sowohl den Landesherren des niedersächsischen Kreise, insbesondere den Erzbischof von Magdeburg, als auch den den Zentralisierungsbestrebungen des Stadtherrn zuarbeitenden Kräften in Magistrat und Domkapitel eine gravierende kirchenpolitische Fehlentscheidung vorwarf. Er forderte die oppositionellen Ratsherren, Innungen, Hundertmannen und die Gemeinde auf, gegen den Landesherrn und zugleich gegen den Magistrat aktiven Widerstand zu leisten. Wie oben erwähnt unterstützte Matthäus Judex, der in Jena als Theologieprofessor noch im Amt war, die Position der lutherischen Geistlichkeit in ihrem Kampf gegen den Landesherrn und forderte in seiner Schrift die Ratsherren, Innungen und Hundertmannen und auch den gemeinen Mann auf, gegen den Stadtherrn und zugleich gegen den den Zentrierungsstrebun2085  Die These von Kaufmann, die Dreiständelehre spiele nur als ekklesiologischer Basistheorie eine Rolle, ist angesichts dieser Tatsache nicht plausibel. Vgl. T. Kaufmann, Das Ende der Reformation (wie Anm. 42), S. 180. 2086  Auch Judex veröffentlichte von Jena aus eine Protestschrift. Siehe dazu den Abschnitt IV. 2.3.5 Das Konzept des Rechtes auf Widerstand, Gegenwehr und Notwehr.

Exkurse585

gen des Landesherrn zuarbeitenden Magistrat aktiven Widerstand zu leisten. Da im vorherigen Abschnitt die hier anzuwendende Analyse von beiden Schriften ausführlich dargestellt wurde, sollen an dieser Stelle lediglich die Kernpunkte seiner Argumentation noch einmal angemerkt sein. Es ist die Vierständelehre in ihrer aristokratischen Lesart als „konsensgestützte“ Herrschafts- und Ordnungsvorstellung, in der die Autonomiebestrebungen der Städte, insbesondere Magdeburgs, bürgerliche Freiheit, Privilegien und Gerechtigkeit sowie gemeindliche Selbstverwaltung eine Rechtfertigung finden können und nach der die Stadt als gottgewolltes corpus christianum im Kleinen das legitime Verfassungsmodell schlechthin widerspiegelt. Äußerst bemerkenswert ist, dass Judex hier die sozial unterste Gruppe unter Berufung auf die Vierständelehre als gleichberechtigten Stand neben Obrigkeit und Geistlichkeit miteinbezieht und damit ein Vierstände-Ordnungskonzept als ein legitimes Herrschafts- und Verfassungsmodell auf Territorial- und Stadtebene vertritt, in dem die vier Stände, politia, oeconomia, ecclesia und privatia nebeneinander gleichberechtigt, gegenseitig und aufeinander angewiesen zur Harmonie einer unabhängigen bürgerlichen Gesellschaft mitwirken. Selbstverständlich bleibt in der äußerst interessanten Untersuchung als ein dringendes Desiderat offen, inwiefern die Vierständelehre Judex’ gesellschaftlichen Wandel in Magdeburg erzeugt, verstärkt oder motiviert und wie dieser Wandel wiederum auf die Vierständelehre in ebensolcher Weise zurückwirkt. Hervorzuheben ist, dass nicht nur Heshusius und Judex, sondern auch die Bürger diese Auffassung der Herrschafts- und Ordnungsvorstellung unter Berufung auf die Dreiständelehre vertraten. Aus der Protestschrift von Domprediger und zugleich Schulrektor Sigfried Sack, die er gegen das Ansinnen einiger lutherischen Geistlichkeit, die weltliche Obrigkeit solle bei der Predigerwahl ausgeschlossen sein, zur Betonung des Mitwirkungsrecht der weltlichen Obrigkeit verfasst hat, lassen sich dieses Ordnungsvorstellungen deutlich erkennen: „Aus solchen offentlichen gebet /  ist der gantzen gemein /  der Obrigkeit /  Predi­ gern /  vnd allen vnderthanen offenbar worden […] Darzu aber gehörte das gantze Corpus Ecclesiae, das ist alle Stende so in Corpore Ecclesiae hier zu Magdeburg verfasset sein. Dazu aber gehören diese stende. Zum Ersten /  das Ministerium Zum Andern /  die Obrigkeit Zum Dritten /  die Sacristey oder ausschuss von wegen der gemeine“2087

Nach Auffassung von Sack ist der Rat auch ein delegierter und repräsentativer Teil dieses corpus christianum ebenso wie die anderen beiden Stände der Kirche. Deshalb gehört ihr das ius vocandi. Die nun geschaffene 2087  Kurtzer vnterricht von gerechtigkeit Christlicher Obrigkeit (wie Anm. 1123), Bl. A iiij.

586

V. Die Fallstudien

Kräftebalance zwischen Rat, Geistlichkeit und Bürgergemeinde in Gestalt der Innungen und „Gemeinheit“ wurde in den folgenden Jahren wiederholt gestört, und zwar sowohl durch den Herrschaftsanspruch des Rates als auch durch die Ansprüche der neuen Sozialgruppe der Prediger und auch wegen des Mitwirkungsanspruchs der Bürgergemeinde, insbesondere der handwerklichen Mittel- und Unterschicht, aber auch von Mitgliedern der kaufmännischen „Newcomer“ in den kleineren und großen Innungen, die politisch ins Abseits geraten waren, auf ihre politischen Teilhabe an der Herrschaft und ihren gleichberechtigten Status gegenüber dem sich durch Selbstergänzung immer wieder erneuernden Rat und der privilegierten Oberschicht der Kaufmannschaft. In Erscheinung trat dieser Konflikt bei der Auseinandersetzung um das ius vocandi, in die Heshusius und Wigand eingewoben waren, indem sie die Gemeindevertreter,2088 insbesondere der Pfarrgemeinden St. Ulrich und St. Johannis, unterstützten. Die hier sichtbar werdende starke Bürgerkoalition zwischen Heshusius und den Gemeindevertretern, gestützt wohl von den nicht zünftigen Handwerkern und Kaufleuten2089 einerseits, gegen den aus Fern- und Großkaufleuten der alten fünf Innungen bestehenden Rat im Bündnis mit einigen der Geistlichen macht die Konfliktzone deutlich. Die auf ihrer traditionellen, politischen und wirtschaftlichen Lebensordnung beharrenden kaufmännischen und handwerklichen Innungen, die eine größere Einflussnahme in der Innenpolitik beanspruchten, verbanden sich mit Teilen der lutherischen Geistlichkeit, gestützt von dem geistlichen Ministe­ rium gegen die den Zentrierungsbestrebungen des Erzbischofs mehr oder weniger zuarbeitenden Kräfte im Rat. Sie wurden dabei gestützt von der privilegierten Oberschicht der Kaufmannschaft in den großen fünf Innungen, die ihre traditionelle, politische und wirtschaftliche Lebensordnung befestigen wollten.

2088  Aufgrund der bislang noch dürftigen Forschungslage ist es schwer, diese Sozialgruppe zuzuordnen. Aus der älteren Literatur sind folgende Namen zu erfahren: Heinrich Mergärten, David Wolfher, Urban Pfrem, Kilian Conrad, Philip Gernerick, Lenhard Kerckwortte, Hans Roggentin, Thomas Bennemann, Heinrich Brückner, Thomas Schofelt. Vermutlich gehörten sie zu einer Gruppe wirtschaftlich erfolgreiche Kaufleute, der es um Teilhabe an der Herrschaft ging, wie der zeitgenössische Spruch bezeugt: St. Ulrich die Reichen, St. Johannis die Gleichen, St. Katharinen das Mittelgut, St. Jacob die Armut, St. Peter die Fischer und Heiligen Geist die Tischler. Vgl. H. Asmus, Bd. I (wie Anm. 2032), S. 434; ders., Geschichte der Stadt Magdeburg. Berlin 1975, S. 68; G. Hertel, Zur Geschichte der heshusianischen Bewegung in Magdeburg, in: Geschichtsblätter Magdeburg 34 (1926), S. 72– 151. Hier S. 84. 2089  Vgl. dazu H. Asmus Bd. I (wie Anm. 2030), S. 508–511; G. Hertel, Zur Geschichte der heshusianischen Bewegung in Magdeburg (wie Anm. 2088), S. 73.

Exkurse587

(c) Verwendung der Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster (aa) Die Geistlichkeit Wie in der einleitenden Konfliktschilderung bereits erwähnt wurde, protestierte Heshusius im Bündnis mit den Kirchenvätern zu St. Ulrich gegen das Ansinnen des Rates, indem er betonte, das Kirchenregiment gehöre nicht dem Rat allein, sondern das durch die drei Stände geordnete Gemeinwesen und das Privileg und das ius vocandi der Kirchenväter und der Geistlichkeit stamme nicht vom Rat bzw. von der weltlichen Obrigkeit. Zur Rechtfertigung seiner Position berief er sich auf die Dreiständelehre: Die christliche Obrigkeit sei weder allein Kirche Gottes2090 noch das vornehms­ te Glied in der Kirche2091, sondern ein vornehmes Glied der Kirche.2092 Sie 2090  „Jr Regenten seit jha nicht allein Gottes Kirche /  so ist man euch auch keins wegs gestendig /  das jhr allein in Kirchen Geistlichen sachen vrtheil fellet.“ Notwehr (wie Anm. 355), Bl. G iiv. 2091  „Als dan hat die Oberkeit /  die Christum nicht allein mit worten /  sondern auch mit der that bekennet /  fug vnd recht /  nicht als das furnembste glied /  sondern als mitgliedmassen /  vnd pfleger der gemeine Gottes /  trewe /  rechtschaffene /  reine Lerer zuberuffen vnd auffzustellen.“ Notwendige entschuldigung (wie Anm. 390), P iiijv; „Von der wahl /  beruff vnd annemung der Seelsorger /  vnd Kirchendiener /  leren vnd bekennen wir […]  /  nicht der weltlichen Obrigkeit als Obrigkeit /  sondern seiner lieben Kirchen vnd Christlichen gemeinen /  gegeben.“ Notwendige entschuldigung (wie Anm. 390) Bl.  P; „Aber dieser frecher Jurist /  vnd feind Gottes /  setzet auch newe Lere vnd Artickel des Glaubens /  Nemlich /  die Weltlichen Obrigkeit sey das furnembste glied der Kirchen Christi /  die Weltliche Oberkeit habe /  vermöge jrer Weltlichen herschafft /  frey vnd gerechtigkeit Kirchendiener zu wehlen /  zuberuffen /  vnd aufzustellen. Das solt ein Schwermerey an diesem ort /  […]  /  das die Oeberkeit der Kirchen fürnemes gliedt sei /  vnnd also ampts stück sein vom Bepstlichen Keiserthumb /  von dem der liebe Lutherrus lengst zuuor geweissagt.“ Ebd. Bl. P 2; „Doctor Frantz Pfeil /  […]  /  schreibt /  das die weltliche Oberkeit sey das furnembste glied der Kirchen /  welches doch jm nicht were einzureumen.“ Ebd. Bl. P 2v; „Was nu D. Frantz als ein newer Rottengeist für newe wegen befugt sei /  Prediger anzunemen /  abzusetzen oder zuuertreiben.“ Notwehr (wie Anm. 355), Bl. E iiijv; „Das die Oeberkeit sei das Heupt der Kirchen ist ein elender behelff. Denn mit dem lesterlichen wort /  darin er gesetzt die Oeberkeit sei der Kirchen Gottes fürnemes gliedt /  hat er sie nicht allein zum Häupt desselben /  sondern auch zum Schöpfer vnd Heilandt /  ja zum Gott vber Himmel vnd Erden gesetzt /  vnd vber alles erhaben.“ Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. C iiij. 2092  „Das die Oeberkeit wol ein fürnemes /  für anderen gemeinen Gliedern /  aber doch nicht der Kirchen fürnemes Gliedt were.“ Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. C iiiv; „Die Oeberkeit ist ein fürnems gliedt /  der Kirchen. Jm Lateinischen ist der vnterscheidt ehe zu mercken /  Magistratus est praecipuum membrum Ecclesiae, Laut viel anders /  denn wenn man sagt /  Magistratus est unum de praeci­ puis membris Eccleisae.“ Ebd. Bl. C iiv; „Christliche Gottselige Oeberkeit lasse sich an dem genügen /  vnd neme die hohe gabe Gottes mit danckbaren Hertzen an /  […]  /  das sie jhm Rechten /  Seligen /  Gott beheglichen Stande /  sey auch ein fürnemes Gliegt

588

V. Die Fallstudien

habe bei der Wahl der Prediger nicht das alleinige Bestimmungsrecht, sondern nur ein Mitwirkungsrecht,2093 weil sie eine gleichberechtigte Stimme mit und neben den anderen Ständen der Kirche habe. Heshusius schloss zwar bei der Wahl der Prediger die Obrigkeit nicht aus,2094 bestritt aber ihren alleinigen Herrschaftsanspruch auf Vokation der Predigerwahl und betonte immer wieder ausdrücklich die Gleichrangigkeit und das gegenseitig ergänzende Mitwirken der drei Stände der Kirche2095 und damit das „konsensgestützte Herrschaftsmodell“ in Verbindung mit der Dreiständelehre. Zu bemerken ist, dass Heshusius den Pfarrerstand sogar als den im Vergleich zur Obrigkeit höheren Stand2096 bezeichnete. Kein einzelner Stand, sondern nur das Zusammenwirken aller drei Stände der Kirche könne eine rechtmäßige Berufung der Prediger gewährleisten.2097 Heshusius vertrat demnach der Kirchen /  so fern sie trewe Leher handt habet /  vnd nicht verfolget Reine Lehrer vnnd den Gottesdienst fürdert /  vnd die Abgötterey /  vnnd andere gewel wieder Gottes Wort abschaffet.“ Ebd., Bl. C iiijv; „Als dan hat die Oberkeit /  […]  /  sondern als mitgliedmassen /  vnd pfleger der gemeinen Gottes /  trewe /  rechtschaffene /  reine Lerer zuberuffen vnd auffzustellen.“ Notwendige entschuldigung (wie Anm. 390), P 4v. 2093  „Jtziger zeit hats viel ein andere meinung /  da sich die Christliche Oberkeit zum heiligen Euangelio bekennet /  vnnd ein fürnemes Gliedmas ist der Christlichen Kirchen. Derwegen sie samt vnd mit der gemeine Gottes in erwelung der Prediger vnd Seelsorger zustimmen.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. O–Ov. 2094  „Wann nu von auffstellung vnd annemung eines Pfarherns oder Predigers ist geratschlagt /  vnd die nota der Gerbkammer colligirt worden sindt /  haben jmmerdar die Bürgermeister /  Kemmerer vnd Rathmannen die ersten stimmen in der sachen gehabt /  vnd hat vnd hat ohn jhr consens verwilligung nicht könne geschlossen wer­ den. Diese Christliche nützliche Ordnung /  hat meines wissens niemandt von vns Predigern angefochten.“ Nothwehr (wie Anm. 355), Bl. E iiij–E iiijv; „Zum neunden /  in der alten Kirchen bald nach den Aposteln /  ist der Weltlichen Oberkeit Consens vnd verwilligung in dere erwelung vnd bestetigung der Seelsorger /  so gar nicht gesucht noch geforrdert worden /  das sie alten Conens /  die man Apostolicos nennet /  vnd kein zweuel ist […] Jtziger zeit hats viel ein andere meinung /  da sich die Christliche Oberkeit zum heiligen Euangelio bekennet /  vnnd ein fürnemes Gliedmas ist der Christlichen Kirchen. Derwegen sie sampt vnd mit der gemeine Gottes in erwelung der Prediger vnd Seelsorger zustimmen […] wenn der Weltlichen Oberkeit die wahl vnd beruffung der Prediger zustendig gewesen wer /  würd er keinsweges seine gewalt /  hoheit vnd herrschafft also haben schwechen lassen vnd sein Ampt dem Volck vbergeben.“ Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. N viii–O ii. 2095  „Die Oeberkeit sei der Kirchen fürnemes gliedt /  das hab ich angefochten /  vnd fechte es noch an /  zur rettung der ehr /  vnd herrligkeit /  vnseres Herrn vnd Heilandts Jesu Christi /  der das fürneme /  erste höheste vnd beste gliedt der Kirchen ist.“ Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 374), Bl. C iii. 2096  „weil die Pastores vnd Lerer /  nach dem spruch Pauli /  im höhrern stand /  vnd etwas herrlichere glieder /  denn die Reigerer vnd Obrigkeit /  so haben die Lerer vnd Pastoren mehr frey vnd gerechtigkeit /  andere Prediger der Gemeine für zustellen /  denn weltliche Regenten.“ Notwendige entschuldigung (wie Anm. 390), Bl. P 3. 2097  Vom Ampt vnd gewalt (wie Anm. 154), Bl. B iiv–E vii; „Matth. 18 vbergibt der Herr Christus nicht der weltlichen herschafft /  sondern seiner Gemeine das hö-

Exkurse589

die aristokratische Dreiständelehre und die Dreistände-Ordnung als legitimes Herrschafts- und Verfassungmodell Magdeburgs. (bb) Die weltliche Obrigkeit Während Heshusius gemeinsam mit den Gemeindervertretern unter Berufung auf die aristokratische Dreiständelehre das Mitwirkungsrecht der Geistlichkeit und die Gemeindeautonomie betonte, bestand der Rat auf einem alleinigen ius vocationis und begegnete bezeichnenderweise anderslautenden Ansinnen mit dem Vorwurf des Aufruhrs gegen die Obrigkeit.2098 Der Rat setzte der Auffassung von Heshusius und den Kirchenvätern eine anders gewichtende Sicht der Dreiständelehre entgegen. Danach sei die weltliche Obrigkeit tatsächlich eines neben den beiden anderen Gliedern der Kirche, aber sie sei das vornehmste Glied: „Die Obrigkeit ist der Kirchen fürnemes Glied“2099. Der Rat vertrat damit deutlich die monarchische Dreiständelehre. heste gericht /  vnd gewald in Kirchen sachen /  vnter welchen fast die furnembsten sind /  die wahl vnd beruff der prediger /  vnd das vrteil vber der Lere /  vnd die vntrewen Lerer abzusetzen.“ Notwendige entschuldigung (wie Anm. 390), Bl. P 3v; „Das der beruff der gemeine on die Oeberkeit sollte vnrecht sein“.Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 390), Bl. E; „Eine gantze gemeine soll macht habe einen Pfarherrn zu erwehlen vnd zu entsetzen.“ Ebd. 2098  „Wie kompts denn das dieser zeit frömigen /  so zarte Ohren haben /  das sie Auffrhur /  auffruhr schreyen /  so halt ein trewer diener Jesu Christi /  ein hartes wort zum grossen Hansen redet.“ Notwehr (wie Anm. 355), Bl. D iiij. 2099  Notwehr (wie Anm. 355), Bl. E iiijv; Notwendige Protestation (wie Anm. 510), Bl. D iii; „Die Oeberkeit sei der Kirchen furnemes Glied vngestrafft haben […]  /  als setzte er die Oeberkeit were das furnembste Gliedt /  der Kirchen /  hette aus dem Positiuo eine Superlatiuum gemacht.“ Gründtliche wiederlegung (wie Anm. 390), Bl. C ii; „Jch frage aber alle /  so die art der Deutschen sprachen verstehen /  obs nicht weit vnterschiedene reden sindt. Die Oeberkeit ist der Kirchen fürnems gliedt /  vnd wenn ich sage. Die Oeberkeit ist ein fürnems gliedt /  der Kirchen. Jm Lateinischen ist der vnterscheidt ehe zu mercken /  Magistratus est praecipuum membrum Eccle­ siae, Laut viel anders /  denn wenn man sagt /  Magistratus est unum de praecipuis membris Ecclesiae.“ Ebd. Bl. C iiv; „Als dann auch Frantz Pfeil seine newe meinung /  das die Oeberkeit besonder freiheit vnnd Recht habe an Wahl /  Beruff /  Bestellung /  vnnd absetzung der Kirchendiener /  fast auff diesen grund bauwen wol /  das die Oeberkeit der Kirchen fürnemes Gliedt sein soll.“ Ebd. Bl. C iiiv. Zu bemerken ist, dass keineswegs Heshusius allein dieser Meinung war. Matthias Judex war ebenso der Ansicht, dass der Rat sich selbst als das vornehmste Glied der Kirche bezeichnete. Das weist deutlich darauf hin, dass die Argumentation der monarchischen Dreiständelehre nicht nur auf der Ebene des Argumentationsmusters, das gelegentlich je nach Situation gebraucht wurde, sondern vielmehr als ein gefestigtes Herrschafts- und Ordnungskonzept in Betracht gezogen werden muss: „Das aber Doctoris Tilemanni bericht warhafftig sey /  wie er berichtet /  ist auch aus seiner widersachern schrifften offenbart: denn sie dz fürnehmste nicht leugnen konnen /  ob sie gleich bisweil etwas sich zuuerdrehen vnterstehen.“ M. Judex, Ein vnterricht vnd

590

V. Die Fallstudien

Wiederum erweist sich hier wie in Bremen die Wirksamkeit zweier konkurrierender und konsistenter Deutungen als operative Paradigmen. (cc) Die Bürger Wie oben erwähnt, gab es bei diesem Streit einige Geistliche, die betonen, der weltlichen Obrigkeit bzw. dem Magistrat solle man das ius vocan­ di nicht zugestehen. Es war der Kaplan Wilhelm Eccius zu St. Ulrich, aber auch einige Geistliche.2100 Hervorzuheben ist, dass Sigfried Sack, der Schulrektor, wie oben bereits erwähnt, nicht den Kaplan Eccius, sondern den Superintendent Heshusius beschuldigte, dass er dem Rat das ius vocan­ di wegnehmen wolle. Eben diese Vorwürfe Sacks wies Heshusius, wie oben erwiesen wurde, strikt zurück mit der Begründung, dass das ius vocandi der weltlichen Obrigkeit ebenfalls zustehe wie den anderen beiden Ständen der Kirche. Gegen die Auffassung einiger Geistlicher, der Rat habe kein Recht, an der Predigerwahl beteiligt zu sein, verfasste Sack eine Schrift, in der er wie Heshusius unterstrich, dass das ius vocandi der weltlichen Obrigkeit ebenfalls zustehe. Zu Rechtfertigung seiner Position berief er sich bezeichnenderweise auf die aristokratische Dreiständelehre: „Darzu aber gehörte das gantze Corpus Ecclesiae, das ist alle Stende so in Cor­ pore Ecclesiae hier zu Magdeburg verfasset sein. Dazu aber gehören diese stende. Zum Ersten /  das Ministerium Zum Andern /  die Obrigkeit Zum Dritten /  die Sac­ ristey oder ausschuss von wegen der gemeine. Billich aber werden alle drey Stende /  darzugenommen /  weil sie alle gliedmassen der Kirchen sein /  vnd allen Stenden viel daran gelegen ist /  was für Prediger sonderlich zu diesen letzten zeiten eingenommen werden […] Darbeneben hat auch ein Erbar Rath Personen furzuschlagen macht gehabt vnd zum offternmal furgeschlagen /  vnd wenn denn auff eine Person in der wahl geschlossen /  hat man mit gemeinen Consens den beruff im namen Gottes furgenommen.“2101

Damit wird deutlich, wie allgemein gängig die Dreiständelehre in der politischen Auseinandersetzung als Legitimitätsgrundlage zu jener Zeit in Magdeburg gebraucht wurde und wie üblich die vom Mittelalter her erstrebTrostschrifft /  an die betrübte /  vnd von inwendigen geistlichen feinden beengstigete Kirche zu Magdeburg. Mühlhausen /  Elsaß 1563. [SBB Dm 2120]. Bl.  C iiijv. 2100  Interessant ist, dass Nikolaus von Amsdorf ebenfalls Heshusius beschuldigte, dass dieser die weltliche Obrigkeit vom ius vocandi ausschließen will. Dazu vgl. H. Kühne, „Bestechlich? Nikolaus von Amsdorf im Streit zwischen dem Magdeburger Rat und lutherischen Theologen um die Amtsenthebung Tileman Heshusens“, in: Tagungsbericht von Kerstin Größ über Nikolaus von Amsdorf zwischen Reformation und Politik. VII. Frühjahrstagung zur Wittenberger Reformation. 08.03.2007– 10.03.2007 Witten, S. 1–4. Hier S. 4. 2101  Kurtzer vnterricht von gerechtigkeit Christlicher Obrigkeit (wie Anm. 1123), Bl. A iiij–Bv.

Exkurse591

te politische Vorstellung, nämlich „Corpus christianum im Kleinen“, in dem die drei Stände, politia, oeconmia und ecclesia nebeneinander gleichberechtigt und gegenseitig zur Harmonie einer unabhängigen bürgerlichen Gesellschaft mitwirkten, in der Stadt Magdeburg verbreitet war. (dd) Fazit Aufgrund der bislang noch dürftigen Quellen- und Forschungslage2102 ist es schwer, diese Auseinandersetzung auf den sozialen und politischen Wandel der Stadt zu beziehen. Soviel wird allerdings, wie Schorn-Schütte2103 zutreffend vermutet, deutlich: In außenpolitisch bedrängter Lage begann der Rat, gestützt auf juristisch geschulte Beamte, den obrigkeitlichen Charakter seines Amtes zu betonen. Dagegen wandte sich eine starke Bürgerkoalition, die einerseits auf ihre traditionelle Teilhabe an der Herrschaft pochte, andererseits die erweiterte Beteiligung aufgrund ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beanspruchte. Auch in diesem Konflikt bot die Dreiständelehre nicht nur obrigkeitlichen Herrschaftsanspruch, sondern auch eine die traditionell genossenschaftliche Herrschaftslegitimation erweiternde Rechtfertigung politisch-sozialer Ansprüche. Die Vierständelehre bot sogar eine die traditionell genossenschaftliche Herrschaftslegitimation erweiternde Rechtfertigung politisch-sozialer Ansprüche der sozial untersten Gruppe. (d) Die Instrumentalisierung der Dreiständelehre In diesem Abschnitt werden wir versuchen zu verdeutlichen, wie und zu welchem Zweck die beteiligten Sozialgruppen bei dieser politischen Auseinandersetzung die Dreiständelehre instrumentalisierten und auch manipulierten. (aa) Die Geistlichkeit (α) Tilemann Heshusius Ob und zu welchem Zweck Heshusius die Dreiständelehre instrumentalisiert, ist in seiner Schrift an die niedersächsischen Städte „Vrsach /  2102  Der Forschungsstand zur Sozialstruktur der Stadt Magdeburg in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist immer noch unbefriedigend. Vgl. K. H. Kaufhold, Städtische Bevölkerungs-und Sozialgeschichte in der frühen Neuzeit, in: Geschichte Niedersachsens 3.1. Hannover 1998, S. 733–840. 2103  L. Schorn-Schütte, Obrigkeitskritik im Luthertum (wi eanm. 54), S. 260. Dort. Anm. 21.

592

V. Die Fallstudien

Warumb“2104 von 1561, die er im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Mandats von Erzbischof Sigismund verfasst hatte, eindeutig zu erkennen. Da wir bereits im vorherigen Abschnitt2105 den hier anzuknüpfenden Aspekt ausführlich behandelt haben, soll hier Folgendes noch ergänzend angemerkt sein: Es handelt sich in dieser Verwendungsform der Dreiständelehre nicht um eine ekklesiologische Basistheorie bzw. um eine Kirchenkonzeption oder eine Konzeption des corpus christianum, wie Kaufmann betont,2106 sondern um einen Kommunikationsprozess über ein Herrschafts- und Verfassungskonzept. Betrachtet man noch einmal Heshusius’ Rechtfertigungsmuster, erkennt man dies deutlich: „Vnnd ob gleych die Oberkeyt anziehen wolte /  sie hette die vereinigung des mandats furgenommen /  als gliedmassen der Kirchen /  so kann doch nyemandt leügnen /  das wir Pfarrer vnnd Seelsorger /  auch ein thayl der Kirchen seind /  vnnd gebürt sich das man vnsere Stymme auch höre inn den hohen Geystlichen sachen.“2107

Heshusius betonte hier deutlich die Wechselseitigkeit der Herrschaftsbeziehung speziell für das Verhalten zwischen dem Landesherrn und dem geistlichen Ministerium, der allgemeinen weltlichen Obrigkeit und den Untertanen, da er der Auffassung war, nicht nur die weltliche Obrigkeit allein sei ein Gliedmaß der Kirche, sondern auch die Prediger. Heshusius betonte das Mitbestimmungsrecht der Prediger bei kirchenpolitischen Diskussionen unter Berufung auf die Dreiständelehre. Dadurch, dass darin die dienende und mitwirkende Funktion der weltlichen Obrigkeit, ihre Rolle als ein Glied der Kirchen deutlich eingeschärft wurde, wirkte das aristokratische Herrschaftsmodell der Dreiständelehre. Heshusius wusste auch als Superintendent von Magdeburg genau, wie sehr sich die Magdeburger Bürgergemeinde bisher und immer noch darum bemühte, sowohl die landesherrliche Herrschaft zu begrenzen und zugleich ihren Teilhabeanspruch am Landesregiment zu stabilisieren. Er wusste, dass die Stadt Magdeburg noch immer heftig darüber diskutierte, wie sie einen Status als Reichsstadt und damit die Reichsfreiheit erhalten könne. Deshalb griff er wie oben bereits dargestellt, auf zu jener Zeit verbreitete Vorstellungen und Diskussionen in den Städten zurück, die sich gegen einen Eingriff ihrer Stadtherren wehrten, um seine Argumentation und Vorgehensweise unter Berufung auf die Drei2104  Vrsach / Warumb 2105  Siehe

(wie Anm. 156). Abschnitt Das Konzept des Rechtes auf Widerstand, Gegenwehr und

Notwehr. 2106  T. Kaufmann, Das Ende der Reformation (wie Anm.  42), S. 180. Dort Anm. 68. 2107  Vrsach / Warumb (wie Anm. 156), Bl. A iiijv.

Exkurse593

ständelehre zu bekräftigen. Der Magdeburger Magistrat müsse sich gegen das Lüneburgische Mandat wehren, weil es nicht nur gegen den Reichsabschied, sondern auch gegen die Privilegien und die Freiheit der Stadt gerichtet sei: „Es wäre auch nicht allein wider der Erbarn Stätte freyheit vnd Priuilegien /  sonder auch wider Gottes wort /  vnnd des heyligen Reychs abschyd /  wann die Fürsten ein newe Forma der Religion geschmidet /  vnnd newe Stattuta von heyligen Predigampt gemacht /  das als dann /  die Stätte solches one einiges bedencken /  müsten annemen /  vnd jnen also von andern Herrschafften /  newe Religion fürschreyben lassen.“2108

Damit wird deutlich, dass Heshusius hier das Mitwirkungsrecht der Stadt Magdeburg beim landespolitischen Handeln zum Kernpunkt der Teilhabe der Landstände macht. Im Zusammenhang mit dem oben erwähnten Mitbestimmumgsrecht der Geistlichkeit lässt sich deutlich feststellen, dass Heshusius hier im Grunde genommen das Recht mitzubestimmen am Landesregiment nicht nur den Landständen allein, sondern allen Ständen des corpus christianum zuspricht. Das heißt, durch die Dreiständelehre wurde ein Austauschprozess über Herrschaft und Ordnung rekonstruiert bzw. intensivierend wiederhergestellt. (β) Der Magdeburger Rat Die Instrumentalisierung der Dreiständelehre des Magdeburger Rates zu ihrem kirchenpolitischen Zweck ist ebenfalls bei dieser Auseinandersetzung nicht eindeutig zu erkennen. Doch in ihrem Ausschreiben,2109 das der Rat angesichts der Interimskrise von 1548 bis 1550 verfasst hatte, ist diese Umdeutung der Dreiständelehre deutlich erkennbar. Als Kaiser Karl V. die Stadt Magdeburg aufforderte, das am 15. Mai 1548 auf einem Reichstag verabschiedete Rekatholisierungsgesetz, das so genannte Interim2110 zu befolgen, betrachteten die Ratsherren diese Anordnung des Kaisers ausdrücklich als Eingriff in die Freiheit und Autonomie der Bürgergemeinde und in das Amt der Geistlichkeit und formierten sich 2108  Ebd.

Bl. B iii. Inhalt und Hintergründen dieses Ausschreibens ausführlich T. Kaufmann, Das Ende der Reformation (wie Anm. 42), S. 133–155. 2110  Zu den politischen Rahmenbedingungen zuletzt zusammenfassend H. Rabe, Zur Entstehung des Augsburger Interim 1547 / 48, in: Archiv für Reformationsgeschichte 94 (203), S. 6–104; Zum Versuch der Einordnung des Interims in die europäische politiktheoretische und religionspolitische Entwicklung siehe L. SchornSchütte, Das Interim (1548 / 50) im europäischen Kontext. Eine wissenschaftsgeschichtliche Einleitung, in: dies. (Hg.), Das Interim 1548 / 50 (wie Anm. 1007), S. 15–44. 2109  Zu

594

V. Die Fallstudien

gemeinsam in starker Bürgerkoalition gegen die Interimsordnung und zum aktiven Widerstand2111 gegen die kaiserlichen Herrschaftsansprüche.2112 Zur Rechtfertigung ihres Vorgehens und ihrer Position berief sich der Rat bezeichnenderweise auf die aristokratische Dreiständelehre2113: „Vnd die Christen seint des nuhmehr durch die heylige Göttliche Schrifft wol berichtet /  das sich ein yeder Christ bey verlust seyner seelen heyl vnnd seligkeit zu GOTtes wort /  frey vnnd offentlichen bekennen […]  /  sondern in dem Gott dem Herrn mehr denn dem Menschen /  gehorsam sein muss […] Zu dem wenn die Oberigkeit vber yhre beuolen ampt vbergreyffet /  das man yhr denn inn dem nicht alleine keinen gehorsam darff leisten /  sondern sich auch dagegen des vnrechten gewalts mag auffhalten. Nuhn musse yhe ein jeder bekennen […]  /  das die Oberigkeit die macht nicht habe vnserm lieben GOTT als dem aller Obersten inn sein Recht vnd gewalt zu greiffen.“2114

Nach der Auffassung des Magdeburger Rates, ist der dem Reichsrecht verpflichtete Wahlkaiser nur dann Obrigkeit, wenn er zugleich diese Fürsorgepflicht der politia als Teil der christlichen Gemeinde /  Kirche (ecclesia) wahrnimmt. Für den Fall aber, dass der Kaiser seiner Pflicht des Schutzes der Religion nicht nachkommt oder in das Amt der anderen Stände der Kirche eingreift, ist er ein unchristlicher Kaiser, für den das Gehorsamsgebot nicht mehr gültig ist. Gegenüber dieser unchristlichen Obrigkeit ist dann auch der aktive Widerstand jedes einzelnen Bürgers bzw. Christen legitim. Der Magdeburger Rat hat ebenfalls, wie oben erwähnt, bei der ersten Gemeinschaftsschrift der Magdeburger Pfarrer von 1550, in der ausdrücklich die parallele, gleichberechtigte und gleichrangige Ordnung der drei Regimente innerhalb 2111  „Vnnd dieweilen denn nicht alleine die gesatzten /  sondern auch die natür­ lichen recht /  wider die für stehde bescheidigunge /  die gegenwehr vnnd defension nachlassen /  vnd solche Satzunge der Weltlichen vnnd natürlichen recht /  wie der heilige Paulus spricht /  Göttliche ordenungen sein /  so folget daraus notwendig /  das vnns dem Rade zu Magdeburgk auch als den Christen nachgeben vnnd zu gelassen gewesen.Die weile aber diese sache Gottes ehre /  sein heiliges Wort /  vnnd der christen seel vnd heil /  vnnd nicht alleine vns als die wenigsten /  sondern auch alle Christen vnd die gemeine Christliche wolfart antrifft /  vnnd das in solchen Sachen ein Bruder vermüge des Göttlichen Worts für den andern sein leben lassen sol /  So müsse diese sache mit Christlichen Geist vnnd augen angesehen vnd dahin bedacht werden.“ Der von Magdeburgk Verantwortung alle vnglimpffs […]. Magdeburg 1550 [SBB Te 7768 (9)]. Bl. B–B ii. 2112  Magdeburg war neben Bremen die einzige große Stadt, die das Interim offen ablehnte. 2113  Vnd bitten dem allen nach dienstlichen vnnd freuntlichen /  yhr lieben Christen /  wolle vns als ewer mitbrüder vnnd mitgelieder Christi […] sondern vns in dieser gemeinen sache /  mit aller Christliche hülffe vnd beystandt /  nicht verlassen.“ Der von Magdeburgk ausschreiben an alle Christen. Magdeburg 28. März 1550. [SBB Te 7768 (8)]. Bl. C iiv. Im Folgenden Der von Magdeburgk. 2114  Ebd. A iiij–B ii.

Exkurse595

eines politischen Gemeinwesens bzw. das Recht der Mitwirkung und Zustimmung der anderen Stände der Kirche für die Angelegenheiten der Kirche unter Berufung auf die Dreiständelehre betont wurde, zugestimmt. Damit wird deutlich, dass der Rat je nach seiner politischen Interessenlage die Dreiständelehre umdeutete und instrumentalisierte. Der Rat, der angesichts der politischen Herausforderung unter Berufung auf die aristokratische Dreiständelehre die Mitwirkung und Zustimmung der anderen Stände der Kirche ausdrücklich betont hatte, da sie auch Glieder der Kirche seien, hatte sogar eingeräumt, dass jeder einzelner Bürger bzw. jeder einzelne Christ das Mitbestimmungsrecht habe, in die Belange der Kirche und Politik einzugreifen und gegen die kaiserlichen kirchenpolitischen Maßnahmen sogar aktiven Widerstand zu leisten,2115 eben da er auch ein Glied der Kirche sei. Dieser Magdeburger Rat verweigerte aber nach zwei Jahren bei dem Streit um das ius vocandi von 1562 unter Berufung auf die monarchische Dreiständelehre jedes Recht der Zustimmung bzw. Mitwirkung anderer Stände der Kirche bezüglich der Sache der Kirche und betonte ausdrücklich, dass der Rat allein Jurisdiktionsgewalt in der Kirche habe und ohne Zustimmung bzw. Mitwirkung anderer Stände die religiöse Sache entscheiden könne, eben weil er das vornehmste Glied der Kirche sei und die anderen beiden Stände der Kirche eben nur einfache Glieder der Kirche seien. (e) Fazit Ebenso wie in Bremen war die Dreiständelehre in Magdeburg eine politische Sprache der zeitgenössischen Gesellschaft, welche die politische Praxis und das politische Denken in einen wechselseitig konstitutiven Zusammenhang brachte und operativ, handlungsleitend oder auch handlungsblockierend in der Gesellschaft wirkte. Sie war das Instrument, mit dem der Magdeburger Rat, Heshusius und die Bürgerschaft in das politische Geschehen eingreifen konnten. Sie war Aktion, mit der sprachliche Konventionen bestätigt oder unterminiert und delegitimiert werden konnten. Oder um es anders zu formulieren: Sie konnte politisches Handeln eröffnen, aber auch blockieren. Sie war ein Medium, in dem politische Theorie operiert bzw. manipuliert wurde. Mit anderen Worten: Sie war das Mittel, mit dem sich die jeweilige Sozialgruppe politische Phänomene intelligibel machte. Sie war keineswegs nur als abstrakt-theoretisches Paradigma zur Beschreibung 2115  Diese Position des Rates unter Berufung auf die Dreiständelehre zeigte sich auch bei der Zustimmung zur Veröffentlichung der oben erwähnte Schrift „Confessio Magdeburgensis“. Der Rat hat ausdrücklich seine Zustimmung unter Berufung auf die aristokratische Auffassung der Dreiständelehre der Magdeburger Geistlichkeit gegeben.

596

V. Die Fallstudien

politischer und sozialer Wirklichkeit zu interpretieren, sondern wirkte als politisch operative Initialfunktion in der Gesellschaft. Sie verlieh dem Rat, Heshusius und der Bürgerschaft ihren Platz, Charakter, Bedeutung ihrer Handlungen. Sie bestimmte das politische Denken und Argumentieren des Rates, Heshusius’ und der Bürgerschaft. Sie legte politische Handlungsmöglichkeiten jeweiliger Sozialgruppen fest und spielte dabei eine Autoritätsund Wertstruktur bestimmende normativ-regulative Funktion. Als operatives Paradigma wirkte sie konstitutiv und normativ für die jeweilige städtische Realität, in der sich politische Akteure, der Rat, Heshusius und die Bürgerschaft bewegten, indem es deren Beziehungsgeflecht, deren Rollen und Identität sowie die Matrizen psychischer Mobilisierung und damit politische Handlungsmöglichkeiten festlegte. (4) Wesel In der Hansestadt Wesel kam es 1564 aufgrund der Ausweisung von Heshusius zu einer heftigen Auseinandersetzung2116 zwischen Herzog Wilhelm V. (1539–1592)2117 und dem Weseler Rat, die zu innerstädtischer Unruhe führte und sich auch als außenpolitische Krise manifestierte. Heshusius, der sich seit Mai 1563 in Wesel aufgehalten hatte2118, veröffentlichte zwei publikumswirksame Bücher gegen den Papismus2119 und den Heidelberger Katechismus,2120 deren Intention darin bestand, cäsaropapistische Tendenzen2121, die in der Veränderung einer erasmisch-humanistischen reli2116  EKAW,

Gefach 3, 1. 67, S. 307–313. Konfessionspolitik unter Herzog Wilhelm V. vgl. C. Schulte, Versuchte konfessionelle Neutralität im Reformationszeitalter, Diss. Münster 1995, S. 67 ff.; W. Janssen, Gute Ordnung als Element der Kirchenpolitik in den Vereinigten Herzogtümern Jülich-Kleve-Berg, in: B. Dietz / S. Ehrenpreis (Hg.), Drei Konfessionen in einer Region (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 136), Köln 1999, S. 33–48. 2118  Er korrespondierte seit seiner Goslarer Amtszeit als Superintendent mit seiner Heimatstadt und widmete 1560 dem Weseler Rat eine Schrift über die lutherische Abendmahlslehre („De praesentia corporis Christi in coena Domini“), Er nahm auch an der Abfassung des sog. „Weseler Bekenntnisses“ von 1561 aktiv teil. Vgl. P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 217; W. Stempel, Die Reformation in der Stadt Wesel (wie Anm. 94), S. 43 ff. 2119  Kurtzer Vnterschied zwischen Christlicher Lehre /  zu der sich die Catholische Kirche oder gemeinde Jesu Christi bekennet /  vmb der lesterlichen jrthumen /  greweln vnd Abgöttereyen der Pebstlichen Antichristlichen Rotten. Helmstedt 1564. [HAB Wf. S 295.8° Helmst. 3]. 2120  Trewe Warnung (wie Anm. 374). 2121  „das Pebstliche Keisertuhumb /  von dem Lutherrus geweisaget /  das es der Kirchen einen weidlichen stos geben würde /  ansehender augen zu neme.“ Ebd. Bl. A iii. 2117  Zur

Exkurse597

gionspolitischen Linie hin zu einer mehr römisch-katholisch akzentuierten Kirchenpolitik2122 des Herzogs ihren Ausdruck fanden, anzugreifen: „Es ist keinem Keiser noch König erlaubt newe Religion /  on vnd wider GOTes wort zu erdichten vnd den Leuten auffzubinden. Vielmehr sol vnd mus der falschen Lehr widersprochen werden […]  /  das die Weltliche Oberkeit an vielen Orten in diesem Stück sehr fahrlessig ist /  vnd dem Volck Heidnische Abgötterey gestadtet.“2123

Heshusius warf dem Herzog insbesondere vor, dass dessen Verbot der Strafamtsübung der Geistlichkeit im politischen Regiment einen Eingriff in das Amt des Predigers darstelle: „Denn gar viel Herrschafften vnd Regenten /  sonderlich die Juristen auff die meinung gerathen /  das sie dem heiligen Geist /  seine freie Zunge /  die Sünde vnnd Sünder /  falsche Lehre vnd deerselbern Lehrer nach Gottes befehl zu straffen /  nicht mehr gönnen noch gestatten wollen.“2124

Er betonte auch, dass die Obrigkeit keine Macht habe, der Kirche zu gebieten: Sie dürfe dem Predigtamt weder Vorschriften machen noch dieses behindern.2125 Damit lehnte Heshusius den Herrschaftsanspruch der Obrigkeit auf das Predigtamt strikt ab. Er erinnerte vor allem den Herzog an dessen ursprüngliche obrigkeitliche Pflicht und Aufgabe, an die „cura religionis“ als „custodia utriusque tabulae“.2126 Gott habe der Obrigkeit das Schwertamt anvertraut, damit sie an Gottes statt alle Gotteslästerung abschaffen und für eine reine Lehre im Land sorgen möge, nicht jedoch, damit sie in das Amt der Kirche eingreife. Sollte die Obrigkeit dennoch in Glaubensdingen eingreifen, so müssten die Untertanen Widerstand leisten. Am 30. Mai 1564 forderte der Herzog die Stadt Wesel auf, Heshusius unverzüglich aus der Stadt zu vertreiben, da er sektiererische Lehre verbreite und damit die Städte im Herzogtum Kleve in Aufruhr versetze.2127 Der Magistrat ging jedoch nicht ohne weiteres auf die Forderung des Herzogs 2122  Vgl. D. Coenen, Die katholische Kirche am Niederrhein von der Reformation bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 93), Münster 1967, S. 12–23; 33–53. 2123  Trewe Warnung (wie Anm. 388), Bl. C vi–J iiij. 2124  Ebd. Bl. A iii. 2125  „Sondern viel mehr im /  vnd seinen getrewen Dienern ziel vnd mass stecken /  wie weit vnd fern sie mit ihrem Predigtampt gehen vnd schreiten sollen.“ Ebd. 2126  „Auch weil der kleine Catechismus ein gemein Gut dr gantzen Kirchen ist /  sollte billich die Weltliche Oberkeit solchen Falsarium zu red stellen vnd dahin halten /  das er der Kirchen das jhre müste wider darreichen /  vnd gnugsam erstattung thun.“ Ebd. Bl. B iiiv. 2127  „Das vnter dem Nahmen des hertzogen von Gulich an den Rath zu Wesel, ein Ernst schreiben ergangen darinne vermeldet. Das Tilemannus Heßhusius hette wollen mit dem vorgenanten Buche frembde stete zu auffruhr vnd vngehorsam be­ wegen, zu dem wehre der Ertzbischoff von Koln, aus befehlich Kay: Mayt: Oberster

598

V. Die Fallstudien

ein, sondern forderte Heshusius lediglich auf, eine Stellungnahme zu verfassen – deren Inhalt den Rat zunächst zufrieden stellte.2128 Daraufhin erließ der Herzog ein zweites Mandat an den Rat und kündigte an, mit noch schärferen Maßnahmen gegen die Stadt vorzugehen, sollte der Rat Heshusius nicht aus der Stadt weisen. Wiederum aber ging der Rat nicht darauf ein.2129 Erst ein drittes Mandat des Herzogs, verbunden mit der Drohung, die Entscheidung des Rates mit Gewalt zu übergehen2130, veranlasste den Rat schließlich, dem Drängen des Herzogs nachzugeben und Heshusius doch aus der Stadt zu entfernen.2131 In diesem Szenario wird der seit dem 13. Jahrhundert bestehende und seit der Einführung der Reformation und der Kirchenordnung von 1532 sich zuspitzende Herrschaftskonflikt zwischen dem Landesherrn und dem nach politischer Selbständigkeit strebenden Weseler Rat offenbar, ebenso wie der seit dem Eindringen des Calvinismus um 15452132 eskalierte konfessionelle Konflikt lutherischer Ratsherren und Bürgerschaft einerseits und calvinistischer Ratsherren und Bürgerschaft andererseits2133 sowie der innerstädtische Herrschaftskonflikt zwischen dem Rat und der Bürgerschaft2134, die ihre traditionelle genossenschaftliche Einflussnahme in der Innenpolitik beanspruchte.2135 auffsehr jnn seynem Lande, verordnet, der s.f.g. geschrieben, das s.f.g. solche Secten vnd vnruhige Leuthe nicht leyden sollten.“ EKAW Gefach 3, 1. 67. S. 311. 2128  „Als nun dem Doctor Tilemanns solche Mandat furgehaltten. Er auch sein Andtwordt vnd vorlegung gruntlich hirauff gethan, sich daneben Erboten persönlich sich des bey dem Hertzog zuverantwortten vnd viel jm Rahde mit der Andtwort zufrieden.“ ebd. S. 311; Vgl. W. Stempel, Die Reformation in der Stadt Wesel (wie Anm. 94), S. 50 ff. 2129  „Haben die Predicanten abermahl ein Mandat des Herzogen das noch scharffer, an den Rath außbracht. Vnd als den Doctor bey voriger entschuldigung vnd erbieten geblieben, vnd der Anschlagk mit außtreibung des Doctoris noch nicht angehen konnen.“ EKAW Gefach 3, 1. 67, S. 311–311 b. 2130  „Do ist das dritte Mandat mit den alderhefftigsten wordten des herzogen ankohmen mit Leiblicher bedrawung wo man den Heßhusium seines wegs aus der Stat nicht weisen, vnd von sich kohmen lassen wurde, muste der Herzogk auff an­ dere wege gedencken, die der Stadt nicht zutrechtig.“ ebd. S. 311 b. 2131  Vgl. A. Wolters, Die Reformationsgeschichte der Stadt Wesel (wie Anm. 85), S. 250; 264. 2132  Dazu vgl. D. Coenen, Die katholische Kirche am Niederrhein (wie Anm. 2122), S. 42. 2133  H. Kipp, „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes“. Landstädtische Reformation und Rats-Konfessionalisierung in Wesel (1520–1600), (Schriften der HeresbachStiftung Kalkar 12), Bielefeld 2004, S. 426–441. 2134  Vgl. M. W. Roelen, Wesel im Spätmittelalter, in: J. Prieur (Hg.): Geschichte der Stadt Wesel Bd. 1. Düsseldorf 1991, S. 110–165. Hier S. 122–138. 2135  Vgl. H. Schilling, Niederländische Exulanten im 16. Jahrhundert, in: Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 187. Gütersloh 1972, S. 13–200. Hier S. 65–94.

Exkurse599

Seit dem Erwerb des Stadtrechtprivilegs 12412136, vor allem aber seit der Einführung der Kirchenordnung von 1532 versuchte die Stadt Wesel, auf außenpolitischem (insbesondere konfessionspolitischem) Gebiet ihre eigenen Wege zu gehen, und widersetzte sich damit der landesherrlichen Kirchenpolitik. Den kirchenpolitischen Herrschaftsanspruch des Landesherrn über die Weseler Kirche erkannte der Weseler Rat nicht an, sodass die von jenem für die ganze Landeskirche erlassene Kirchenordnung in der Stadt keine Gültigkeit besaß.2137 Diese ratsherrliche Politik wird besonders deutlich an den folgenden zwei Beispielen: Als der Fürst 1537 durch seinen Richter eine neue Münzordnung verkünden lassen wollte, heißt es im entsprechenden Ratsbeschluss: „hebben dieseluen Burgermeister Schepen jnd Rait van wegen vnsers g.heren sulchen verkündigung tdoin nyet wollen gestaiden, angesien ind vermerckt, dat vnser g.heer jn deesenn falle, ind anderen Bürgerlyken saicken gheyn gebot noch verbot auer die Bürger bynnen Wesell hedde.“2138

1546 zwang der Rat einen Mann zur Ehe, weil dieser das Eheversprechen gegeben und bereits mit der Frau zusammengelebt hatte. Als der Mann unter Berufung auf die papistische Entscheidung sein Vorgehen begründete, wies der Rat seine Rechtfertigung mit folgender Argumentation ab: „dass man nicht gestatte, dass ein Bürger dieser Stadt außerhalb vor Gericht gezogen würde.“2139

Trotz allem ließ der Herzog diese eigenständige innen- und konfessionspolitische Entwicklung in der Stadt Wesel nicht einfach zu, sondern versuchte immer wieder, landesherrlichen Einfluss auf die Innen- und Kirchenpolitik Wesels zu nehmen.2140 Die Einsetzung des herzoglichen Hofpredigers Nikolaus Rollius2141 war auch ein Ausdruck der Herrschaftsausdehnung des Herzogs auf die ratsherrliche Kirchenpolitik des Weseler 2136  Zur Entstehung des Stadtprivilegs vgl. M. Pohl, Wesel im Hohen Mittelalter, in: J. Prieur (Hg.), Geschichte der Stadt Wesel, Bd. 1. Düsseldorf 1991, S. 77–109. Hier S. 87–92. 2137  So setzte der Rat z. B. die Forderung des Herzogs, bestimmte Übeltäter der Bürgerschaft zu bestrafen, nicht in die Tat um. Vgl. J. Hillmann, Die Evangelische Gemeinde Wesel und ihre Willibrodikirche. Düsseldorf 1896. S. 73. 2138  Zitiert nach J. Heidemann, Vorarbeiten zu einer Geschichte des höheren Schulwesens in Wesel. 1. Abt. von 1516 bis 1543, in: Jahresberichte des Gymnasiums zu Wesel für 1852 / 53. Wesel 1853. Hier S. 3. 2139  Zitiert nach J. Hillmann, Die Evangelische Gemeinde Wesel (wie Anm. 2137), S. 64. 2140  C. Schulte, Versuchte konfessionelle Neutralität im Reformationszeitalter (wie Anm. 2117), S. 67–110; 157–205. 2141  EKAW Gefach 3, 1. 66a, Bl. 305–305v.

600

V. Die Fallstudien

Magistrats.2142 Dazu trugen die reformiert bzw. melanchthonisch-kryptocalvinistisch gesinnten Ratsherren wie Dietrich van Groen,2143 Henrich Lynner2144 und Jakob Gey2145 sowie Teile des Rats und der Bürgerschaft bei,2146 die die Einmischung des Landesherrn in die Stadtselbstverwaltung um des Friedens willen mehr oder weniger akzeptierten und dadurch für die Zentralisierungspolitik des Landesherrn innerhalb des städtischen Gemeinwesens je nach politischer Interessenlage zumindest potenziell zuarbeitende Kräfte waren.2147 Damit ist die konfliktträchtige Spannung sowohl innerhalb des Rats als auch der Bürgerschaft angesprochen, die sich insbesondere in dem seit 1540 andauernden Konfessionskonflikt um die Zulassung der Kommunion „sub utraque specie“ zeigte, woran auch Heshusius beteiligt war.2148 Wegen seiner Ausweisung griff Heshusius auch den Weseler Rat an, wobei er zur Rechtfertigung seiner Position unter Berufung auf die Dreiständelehre bemerkenswerterweise wie bei der Auseinandersetzung mit den Landesherren im niedersächsischen Reichskreis auf zu jener Zeit verbreitete Vorstellungen und Diskussionen in den Städten zurückgriff, die sich gegen das Eingreifen ihrer Stadtherren zur Wehr setzten. Der Magistrat müsse sich gegen das Mandat des Herzogs wehren, weil es gegen die Privilegien2149 und die Freiheit der Stadt gerichtet sei.

2142  Vgl. W. Martens, Das Kirchenregiment in Wesel zur Zeit der letzten klevischen und der ersten brandenburgischen Fürsten. Diss. Göttingen 1913, S. 244–256; W. Stempel, Die Reformation in der Stadt Wesel (wie Anm. 94), S. 42 ff. 2143  Er war ein gelernter Jurist und mit Melanchthon befreundet. Vgl. H. Forsthoff, Rheinische Kirchengeschichte. Bd. 1. Essen 1929, S. 403–404; A. Wolters, Die Reformation der Stadt Wesel (wie Anm. 85), S. 255. 2144  H.  Kipp, Landstädtische Reformation und Rats-Konfessionalisierung (wie Anm. 2133), S. 434. 2145  Ebd. S. 441. 2146  Vgl. H. Schilling, Niederländische Exulanten (wie Anm. 2135), S. 65–95, insbesondere S. 76, 90. 2147  Diese Tatsache zeigt sich am deutlichsten in der Flüchtlingspolitik des Weseler Magistrats. Obwohl Bürgermeister Dietrich van Groen mit Melanchthon befreundet war, vertrieb er trotz einem vermittelnden Gutachten Melanchthons die englischen Flüchtlinge aus Wesel. Vgl. dazu W. H. Neuser, Die Aufnahme der Flüchtlinge aus England in Wesel (1553) und ihre Ausweisung trotz der Vermittlung Calvins und Melanchthons (1556 / 1557), in: Weseler Konvent 1568–1968 (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 29), Düsseldorf 1968, S. 28–49. 2148  J. Hillmann, Die Evangelische Gemeinde Wesel (wie Anm. 2137), S. 81–83. 2149  Zu den Privilegien vgl. K. Flink (Hg.), Klevische Städteprivilegien (1247– 1609), (Klever Archiv 8), Kleve 1989, S. 13–90; 104–140.

Exkurse601 „Sie auch ihre Priuilegien erinnert […] Das man keynen Burger oder burgers Sohn, aus der Stadt Wesel soll verjagen, vnerkantes rechtens vnd vnerhöreter sachen keynes Fursten, jnn sonderheit des Herzogen zu Gulich erfordern.“2150

Dieser bemerkenswerte Rückgriff auf die stadtpolitischen Diskussionen unter Berufung auf die Dreiständelehre kommt in seinem Brief an Johann Marbach (1521–1581) vom 16. Dezember 1564, in dem er über dieses Ereignis berichtet, noch deutlicher zum Ausdruck: „Senatus etsi fatetur palam, se non reperire in libello, quod ex fundamento divini verbi refelli possit, tamen eo dementiae devenit, ut non dubitarit, contra suam consci­ entiam et confessionem, etiam contra jus civitatis, mandatatum principis exequi.“2151

Zwar äußerte sich Heshusius in beiden Fällen nicht explizit, doch beabsichtigte er unbestreitbar folgende zwei Punkte zum Ausdruck zu bringen: Erstens fordert er, dass der Magistrat als christliche Obrigkeit seine von Gott befohlene Pflicht, die Untertanen zu schützen, erfüllen müsse.2152 Sollte der Magistrat diese Pflicht vernachlässigen, sei er als unchristliche Obrigkeit zu bezeichnen, gegenüber der ein Gehorsamsgebot nicht mehr gelte. Zweitens steht Heshusius im Begriff, den Weseler Rat aufzufordern, gegen das Vorgehen des Herzogs das Widerstandsrecht der niederen Magistrate wie bei der Auseinandersetzung mit dem niedersächsischen Reichskreis zu gebrauchen, eben weil er es als „inferior magistratus“ schuldig sei, seine Untertanen zu schützen. Hieran ist wiederum der Aspekt jener neuen Variante der frühneuzeitlichen Politkommunikation – die Wiederbelebung der Dreiständelehre im Kontext der politica christiana – zu bemerken. Zwar erwähnt Heshusius bei dieser innerstädtischen Auseinandersetzung nicht so explizit wie beim Konflikt mit den niedersächsischen Landesherren die politischen Grundwerte wie besonders die Freiheit, doch machen seine Äußerungen, insbesondere der Hinweis auf das „ius civitatis“, deutlich, dass er dieselben Grundwerte meint, die im Kontext der innenpolitischen Konfliktlinien nur anders akzentuiert werden: Als Ruf nach dem Schutz des Bürgers vor den Übergriffen eines herrschsüchtigen Landesherrn bzw. Schutz vor willkürlichen Übergrif2150  EKAW

Gefach 3, 1. 67. S. 311 b. Fecht, Historiae ecclesiasticae seculi A.N.C. XVI. Supplementum, Durlach 1684 [SBB Be 9140]. S. 177–178. 2152  Dieses Obrigkeitsverständnis geht auch aus seinem früheren Schreiben an den Bürgermeister und Rat von Wesel vom 20. Oktober 1559 deutlich hervor: „Languet zelus in principibus et gubernatoribus, qui solent esse nutritij Ecclesiae– Et plaerique gubernatores politici tranquillitatem ciuilem et gloriae Christi et hominum saluti anteferentes ad humana consilia volunt inflecti Euangelion[…].“ Zitiert nach P. F. Barton, Um Luthers Erbe (wie Anm. 79), S. 218. 2151  J.

602

V. Die Fallstudien

fen des Magistrats im Sinne von Rechtssicherheit sowie als Forderung nach autonomer Eigenständigkeit beim politischen Entscheidungsprozess. Anders ausgedrückt: Es galt, die Freiheit des Bürgers vor der Willkürherrschaft des Magistrats zu verteidigen.2153 Damit kommt eine weitere Dimension des Freiheitsbegriffs in den Blick, die genuin politisch-partizipatorische Züge und Konnotation trägt, nämlich Konsens und Partizipation der Bürger am Stadtregiment.2154 Heshusius’ Konfrontation mit der reformiert gesinnten Ratsmehrheit war somit eingebunden in den Kampf der Bürger in Wesel um ihre korporativ-ständischen Teilhaberechte.2155 Wie in anderen Städten gehörten auch in Wesel Konsens und Kontrolle der Bürger beim Stadtregiment zum Wesen „bürgerlicher Herrschaft“.2156 Der Konsens der Bürger war somit Legitimitätsgrundlage der Rechtsordnung der Stadt Wesel.2157 Er äußerte sich als gesetzgeberische Tätigkeit unter Beteiligung der Bürgerschaft und war in Wesel wie z. B. auch in Köln2158 ein unverzichtbares Element der institutionalisierten Sicherung des „Gemeinwohls“.2159 Diese politischen Werte hatten in Wesel trotz der zahlreichen Verfassungskonflikte bzw. heftigen Auseinandersetzungen zwischen Rat und Bürgerschaft nie ihre Kraft verloren, wie Roelen in seiner Untersuchung treffend formuliert: Letztlich blieb der Bürgerschaft allein die Schöffen- und Ratsmännerkür sowie die Mitbestimmung bei der Wahl der Werkmeister. Die Interessen der Bürgerschaft vertraten aber weiterhin die schon seit 1514 bestehenden, gewählten Gremien der zwölf Rechnungsprüfer, der zwölf Gemeinsfreunde oder auch die 100 trefflichen Bürger.2160 Deshalb herrschte in Wesel wie in vielen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten ein „konsensgestütztes Ratsregiment“, in dem der Rat sein Regiment auf den Konsens mit der Bürgerschaft stützte, wie Coenen in ihrer Untersuchung vermerkt: Alles in allem setzten sich seit 1540 rasch spezifisch evangelische Elemente im Gottesdienst, der in deutscher Sprache stattfand, und auch bei der Zuteilwerdung der Sakramente durch. Das Abendmahl wurde an allen Feierta2153  Vgl.

U. Meier / K. Schreiner, Regimen civitatis (wie Anm. 52), S. 18–20. S. 20. 2155  Vgl. M. W. Roelen, Wesel im Spätmittelalter (wie Anm. 2134), S. 122–138. 2156  Vgl. dazu O. Brunner, Souveränitätsproblem und Sozialstruktur (wie Anm. 1236), S. 329–360. 2157  Vgl. dazu M. W. Roelen, Wesel im Spätmittelalter (wie Anm. 2134), S. 122– 138. 2158  U. Meier / K. Schreiner, Regimen civitatis (wie Anm. 52), S. 20. 2159  Ebd. S. 16–18. 2160  M. W. Roelen, Wesel im Spätmittelalter (wie Anm. 2134), S. 122–138. Hier 138. 2154  Ebd.

Exkurse603

gen in der Willibrordskirche gehalten. Das evangelische Kirchenwesen, das sich solchermaßen entwickelte, war gewiss in seiner entscheidenden Phase ein Werk der Obrigkeit, hätte sich aber ohne Mitwirkung von entschieden evangelischen Männern aus der Bürgerschaft vermutlich nicht so ohne Weiteres aufrichten lassen.2161 Die oben erwähnten Verfassungskonflikte bzw. Bürgerproteste zielten ebenfalls stets darauf ab, einen konkreten Missstand zu beseitigen und nicht etwa die politische Ordnung zu verändern2162. Die obrigkeitliche Herrschaft stand dabei nie zur Disposition. Auch die Konflikte zwischen Rat und Bürgerschaft waren nicht darauf gerichtet, den Rat in die Abhängigkeit von der Bürgerschaft zu bringen. Es ging den Bürgern stets um die Behebung von Unrecht wie z. B. die Abschaffung bzw. Aufhebung des Erbschöffentums, nicht um Veränderungen im Sinne von Umsturz. Allgemeines Ziel war die Wiederherstellung der als gestört betrachteten alten Ordnung.2163 Doch durch Reformation und vor allem Ratskonfessionalisierung wurde das Spannungsverhältnis, das obrigkeitliche Herrschaft und Bürgerkonsens gravitätisch konstituiert hatte, zersetzt und entspannt. Zu der Zeit aber, als jenes Spannungsverhältnis durch den willkürlichen Übergriff der reformiert gesinnten Ratsmehrheit gestört zu werden begann, forderte Heshusius unter Berufung auf die Dreiständelehre den Rat auf, seiner Willkürherrschaft abzuschwören. Mit Hampsher-Monk kann man darin das Zunutzemachen eines stabilen Deutungsmusters (Dreiständelehre) für das durch die Willkürherrschaft in Frage gestellte politische Verhältnis zwischen Rat und Geistlichkeit bzw. Rat und Bürgerschaft sehen, zum Zwecke einer neuen Dreiständerealität als Restitution der Dreiständeordnung (des legitimen Herrschaftsmodells). Heshusius bediente sich dieses Deutungsmusters, um die realen innerstädtischen Konflikte in eine neue stabile „konsensgestützte Herrschaft“ nach dem tradierten Vorbild der Dreiständeordnung zu überführen, in der obrigkeitliche Herrschaft und die Partizipa­ tion der Bürger nicht gegensätzlich, sondern aufeinander angewiesen waren und in der Konsens ein unverzichtbares Element darstellte. Notwendigerweise also verbindet Heshusius ebenso wie bei der Ausei­ nandersetzungen mit den niedersächsischen Landesherren die Widerstandsdiskussion gegen die unchristliche Obrigkeit (in diesem Fall: den Weseler Rat. Hervorhebung durch Ch. P.) mit der Dreiständeordnung als legitimer Verfassungsform, um Herrschaft durch bürgerliches Teilhaberecht zu begrenzen. 2161  D. Coenen, Die katholische Kirche am Niederrhein (wie Anm. 2122), S. 36; 51–53; 72. 2162  Vgl. W. Mager, Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment, in: Aspekte der politischen Kommunikation (wie Anm. 56), S. 99–101. 2163  M. W. Roelen, Wesel im Spätmittelalter (wie Anm. 2134), S. 122–138.

604

V. Die Fallstudien

(a) Träger der politischen Kommunikation (aa) Politische Entscheidungsträger2164 (α) Johan van Bert und die oppositionelle lutherische Ratsminderheit Die frühneuzeitliche Politkommunikation im Sinne der politica christiana findet sich ebenfalls in der konfliktträchtigen Spannung unter den Ratsherren, also bei den innerstädtischen Auseinandersetzungen zwischen den politischen Entscheidungsträgern. Einer der lutherischen (und damit: oppositionellen) Ratsherren, Johan van Bert, der im Bündnis mit Heshusius gegen das außen- und innenpolitische Handeln des Rats und des Bürgermeisters Dietrich van Groen aufbegehrte, griff bezeichnenderweise auf die insbesondere von Heshusius aktualisierten stadtpolitischen Diskussionen um politische Werte zurück: „D: Tilemannus vnd seyne freunnschafft erjnnern vns vnser privilegien, die mochten wyr woll besser bedencken vnd wahrnehmen.“2165

Bezug genommen wird damit auf das Verhalten von Bürgermeister und Rat gegenüber jenem (bereits erwähnten) Mandat des Herzogs, dem im Sinne der Argumentation von Heshusius Widerstand zu leisten sei, um die Freiheit der Stadt bzw. die autonomen ständischen Teilhaberechte am landesherrlichen Regiment bzw. das Konsensrecht der freien und eigenständigen Gemeinde – zusammengefasst also: das „konsensgestützte Ratsregiment“ – zu bewahren. Wiederum findet sich auch in dieser Äußerung zwar kein expliziter Bezug auf die Dreiständelehre, doch kommt in einem Schreiben van Berts vom 21. Juni 1572 an den Magistrat von Essen deutlich zum Ausdruck, dass seiner politischen Argumentation das theologische Modell des Gleichgewichts der drei Stände zugrunde liegt: „Darzu ihnen dan Ew. Ers. Christliches Ampt nit weniger nutz als nodig sein wirt; nemblich daß die jhenige, so durch gute lehr vnd vermanung sich nit willen ziehen lassen noch weisen, E. Ers. dieselbigen mit gebuhrlichen ernst dahin halten vnd zwingen wollen, damit alle ergernuß auffgehaben vnd christlicher fried vnd einigkeit des geistes gestifft vnd erhalten möge werden.“2166 2164   Aufgrund der bislang noch dürftigen sozialgeschichtlichen Forschungslage ist es schwierig, die Zusammensetzung des Rats, vor allem die konfessionelle und soziale Zuordnung der einzelnen Ratsmitglieder genau zu bestimmen. Zu den politischen Führungsschichten in Wesel vgl. F. Weinforth, Studien zu den politischen Führungsschichten in den klevischen Prinzipalstädten vom 14. bis 16. Jahrhundert (Kölner Schriften zu Geschichte und Kultur 2), Köln 1982. 2165  EKAW Gefach 3, 1. 67, S. 312.

Exkurse605

Gemeint ist, dass der Essener Rat als „custos primae ecclesiae“ seine von Gott befohlene Amtspflicht erfüllen müsse, nämlich seine Untertanen um ihr Seelenheil willen vor falschen Lehren und öffentlichen Gotteslästerungen zu schützen und in der Stadt für die „reine Lehre“ bzw. einen reinen Gottesdienst zu sorgen. 2166

Auch bei anderen, wohl oppositionellen Ratsherren ist die Einbindung der politischen Werte in die Dreiständeordnung als legitimem Herrschaftsmodell innerhalb der politischen Auseinandersetzung zu bemerken. Zu belegen ist insbesondere ihre Kritik am Vorgehen des Bürgermeisters Dietrich van Groen2167: „Das auch frome gelarte anseheliche Leuthe jm Rathe nicht darein willigen woltten.“2168

Eine explizite Bezugnahme auf die Dreiständelehre als Legitimationsgrundlage politischer Argumentation findet sich bei ihnen zwar nicht, allein ihre ablehnende Haltung aber legt nahe, dass auch sie, wie Heshusius und Johan van Bert, mit dem theologischen Modell des Gleichgewichts der drei Stände politisch argumentiert haben dürften, und dass sie somit von derselben politischen Vorstellung, nämlich vom „konsensgestützten Ratsregiment“ ausgingen. (β) Der Bürgermeister Dietrich van Groen und die regierenden Ratsherren Mit Dietrich van Groen, einem Schwager Tilemann Heshusius’, tritt nun ein Jurist ins Blickfeld. Nicht nur Theologen und politische Entscheidungsträger, sondern auch Juristen sind als Akteure der frühneuzeitlichen Politkommunikation zu berücksichtigen, wiewohl die Forschung hierzu erst am Anfang steht. Auf die Kritik von Seiten Johan van Berts und der anderen lutherischen Ratsherren an seinem Vorgehen erwiderte van Groen: „wen schon die Stadt vnd die privilegien alle zu boden gehen soltten, so muste doch Heßhusius aus der Stadt.“2169

Auch dieser Beleg macht – bei allem erkennbaren Zorn und der Entschlossenheit gegenüber Heshusius – deutlich, dass auch van Groen eine genossen2166  Zitiert nach A. Wolters, Reformationsgeschichte der Stadt Wesel (wie Anm. 85), S. 468. 2167  Ebenso wie Johan van Bert war auch van Groen mit Heshusius verschwägert. Vgl. W. Stempel, Die Reformation in der Stadt Wesel (wie Anm. 94), S. 44. 2168  EKAW Gefach 3, 1. 67, S. 312. 2169  Ebd. S. 312.

606

V. Die Fallstudien

schaftliche Ordnungsvorstellung, d. h. Konsens und Partizipation der Bürger am Stadtregiment bzw. mit anderen Worten das „konsensgestützte Ratsregiment“ grundsätzlich akzeptierte und bei der außenpolitischen Auseinandersetzung mit dem Landesherrn auf das traditionelle Freiheitsordnungskonzept zurückzugreifen gedachte.2170 Die wechselseitige Steuerung von politischer Norm und politischer Ordnung ist hierbei von wesentlicher Bedeutung. Dafür, dass Dietrich van Groen seine Argumentation durch Berufung auf die Dreiständelehre, und zwar die monarchische Dreiständelehre, gerechtfertigt haben dürfte, gibt es einige ernst zu nehmende Belege. Im Oktober 1561 wurde in Wesel ein städtisches Bekenntnis verabschiedet, die „Confessio Vesaliensis“. Dieses so genannte Weseler Bekenntnis, das von den Bürgermeistern, Schöffen und Ratsmitgliedern, dazu von allen Geistlichen und den Lehrern der städtischen Schule unterzeichnet wurde, schloss in der Tauf- und Obrigkeitslehre jedes Täufertum, in der Abendmahlslehre jede reformierte Tendenz aus. Hervorzuheben ist, dass der Weseler Rat dabei dem Vorbild und der Maßgabe der niedersächsischen Entscheidung gegen den Bremer Domprediger Albert Hardenberg gefolgt war, wie Goeters feststellt.2171 Ohne Zweifel musste auch Dietrich van Groen das Rechtfertigungsmuster der Maßgabe dieser niedersächsischen Entscheidung gekannt haben. Ein halbes Jahr zuvor, am 18. Juni 1560, hatten die niedersächsischen Städte Lübeck, Hamburg, Braunschweig und Lüneburg in einem Schreiben den Bremer Rat, der in die Belange der Kirche sich einzumischen zögerte, aufgefordert, die Absetzung Hardenbergs als kirchenpolitische Maßnahme durchzusetzen, da dieser die kryptocalvinistische Abendmahlslehre verbreitete. Zur Rechtfertigung ihres Vorgehens beriefen sie sich als „custos utriusque tabulae“ ausdrücklich auf die Dreiständelehre im Sinne von Melanchthons Obrigkeitslehre: „Nu sie gy erstlich von dem Almechtigen, und darnecht dorch ordentliche wohl tho dem ampt der Ouericheit in Juwer Stadt verordnet, de ehr befahlen ampt tho erholdung und beforderung Göttlichker Ehre der ersten und andere Taffeln seines wortdes tho gebrucken, und an dem alle, notwendig jnsehent tho donnde schuldig und plichtig und sich ohne allen Tweifel frundlich tho erinnerenn weten, da unse Christliche Lehre und Religion der Augsburgischen Confession in Röm: Kaysers mayst: und des hilligen Ricks Religion und Landfreden begrepen geschuttet und gehadhauet.“2172 2170  Der Begriff der Stadt war untrennbar mit dem Begriff von Freiheit verbunden. Vgl. dazu U. Meier / K. Schreiner, Regimen civitatis (wie Anm. 52), S. 12–13; 18–20. 2171  J. F. G. Goeters, Die Entwicklung des Protestantismus im Herzogtum Kleve, in: J. F. G. Goeters / J. Prieur (Hg.), Der Niederrhein zwischen Mittelalter und Neuzeit (Studien und Quellen zur Geschichte von Wesel 8), Wesel 1986. S. 142–168. Hier S. 147. 2172  StA B 2-ad T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr 6; Eine andere Abschrift findet sich unter der Signatur StA B 2-ad T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr°1 Teil 2.

Exkurse607

In ihrer Auffassung dürfe und müsse der Bremer Rat also in die Reli­ gionsangelegenheit eingreifen und Hardenberg entfernen, da der Rat von Gott als „custos legis“ im Dekalog berufen sei. Sie meinten damit, dass der Bremer Rat nicht irgendein Glied der Kirche sei, sondern das vornehmste Glied der Kirche, „praecipuum membrum ecclesiae“, wie es auch bei Melanchthon heißt. Die Anwendung der Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster bei der politischen Auseinandersetzung ist auch in der Äußerung Iman Ortzens, genannt Zelander, gegen den Rat deutlich erkennbar: „ein Erb. Raitt qweme in erfarunngh, alß solde Er geprediget heben, dat der Oevericheit nit getemen solde, innige Confessiones eintostellen, dan dat anderen, also den Geistligen getemen soll. Und dweil dan ein Erb. Raith tuh Gotliger schrift sich toberichten, datselve und dergelicken der Oevericheitt wael bevalen tesein, Derwegen sich deß und dessen evenmetiges toenthalden“.2173

Gemeint ist, dass der Rat zwar als „praecipuum membrum ecclesiae“ die von Gott befohlene Pflicht als „custodia utriusque tabulae“ erfüllen müsse, jedoch keine Gewalt habe, in die Belange der Kirche einzugreifen.2174 Die Dreiständelehre als Legitimation wurde vom Weseler Rat bereits bei der kirchenpolitischen Auseinandersetzung um die Zulassung der „Communio sub utraque specie“, insbesondere bei der Abendmahlsfeier von 1540, gebraucht. Im Bericht eines Augenzeugen über den Auftritt des Weseler Rats bei dieser Abendmahlsfeier von 1540 (d. h. also, nachdem der Herzog die „Communio sub utraque specie“ zugelassen hatte), heißt es: „Im Jahre 1540 am Ostertage hat man in der großen (Willibrord) Kirche das hl. Abendmahl ausgeteilt auf dem Hochaltare; und es ging voran der (fürstliche!) Richter und die meisten vom Rate, und es folgten 1500 Personen.“2175

Zwar geht es hier scheinbar lediglich um die Art und Weise des Auftretens der Stadtobrigkeit bei der Abendmahlsfeier, doch steht hinter dieser Formulierung wohl die Melanchthon’sche Auffassung von der Obrigkeit als „praecipuum membrum ecclesiae“. Der Rat nahm der Schilderung zufolge an jener Feier im Gestus eines „praecipuum membrum ecclesiae“ teil.2176 Das Rechtfertigungsmuster der Dreiständelehre scheint sich in Wesel zu jener Zeit verankert zu haben.2177 Der Rat setzte sich von da an tatsächlich 2173  Zitiert

S. 249.

2174  Ebd.

2175  Zitiert

S. 61.

2176  Vgl.

S. 33.

nach W. Martens, Das Kirchenregiment in Wesel (wie Anm. 2142), nach J. Hillman, Die evangelische Gemeinde Wesel (wie Anm. 2137),

D. Coenen, Die katholische Kirche am Niederrhein (wie Anm. 2122),

2177  So auch W. Martens, Das Kirchenregiment in Wesel (wie Anm.  2142), S. 244–256, insbesondere S. 249.

608

V. Die Fallstudien

als Kirchenherr durch und fungierte als „Notbischof“.2178 Damit stößt man wiederum wie beim Niedersächsischen Reichskreis und den niedersächsischen Städten auf das verbreitete Argumentationsmuster der Dreiständelehre, diesmal innerhalb der weltlichen Obrigkeiten in Wesel.2179 Der weitere Verlauf der Geschichte zeigt jedoch, dass die politische Kommunikation auf dieser Grundlage in letzter Konsequenz scheiterte. Heshusius wurde ausgewiesen. Die Ursache dessen lag nicht in der Qualität der Argumentation, sondern, nach Schilling, in der zeitgenössischen politischen und ideologischen Offensive der herrschaftlich-territorialstaatlichen Ordnungsprinzipien.2180 Das Aufkeimen der Ideen bürgerlicher Selbstverwaltung und politischer Mitsprache entstand damit zu einer Zeit, die solchen Gedanken nicht entsprechen konnte2181 (besonders deutlich tritt dieser Widerspruch im angeführten Zitat Dietrich van Groens hervor. Anmerkung durch Ch. P.). (γ) Herzog Wilhelm V. Die frühneuzeitliche Politkommunikation im Kontext der politica chris­ tiana kann auch an Äußerungen des Herzogs Wilhelm V. nachvollzogen werden. Unabhängig davon, ob der Herzog in den Auseinandersetzungen explizit mit dem theologischen Modell des Gleichgewichts der drei Stände argumentiert hat, steht zumindest außer Zweifel, dass er sich der Dreiständelehre als einer Legitimitätsgrundlage für seine politischen Interessen bediente. Häufig gebrauchte er die Dreiständelehre zur Rechtfertigung innenpolitischer Maßnahmen oder bei außenpolitischen Auseinandersetzungen mit den Städten und anderen Territorialen. Am 23. März 1540 übermittelten die beiden Weseler Bürgermeister dem Klever Hof die Bitte der Bürgerschaft, die Kommunion zukünftig unter beiderlei Gestalt empfangen zu dürfen. Der Herzog erteilte daraufhin durch seinen Kanzler Heinrich Bars die entsprechende Genehmigung. Seine Position begründete er wie folgt: „Ferner sachte die voress. Wessel vann Bert, woe dat D. Alysleger jnn bysynn des Erff-Hoffmeisters Dercks van Wylich die doch hyr gewest gystern des morges na der predige onne den Burgermeistern vurss beide angesacht, Vur vnnsers g. hern meynung vp dat communiciren onnder beider gestalt, nementlich Vnnser g. her 2178  Vgl. D. Coenen, Die Katholische Kirche am Niederrhein (wie Anm. 2122), S. 12–23. 2179  Vgl. dazu W. Martens, Das Kirchenregiment in Wesel (wie Anm. 2142), S. 292, 303. 2180  H. Schilling, Gab es im späten Mittelalter (wie Anm. 51), S. 101–143. Hier S. 139. 2181  R. Hildebrandt, Rat contra Bürgerschaft (wie Anm. 49), S. 221–241.

Exkurse609 were eynn weltlich Fürst jnnd sulches genge die gestlyke Ouericheit ann, jnnd hedde dairumb derwegen nyet to gebeiden noch to verbeiden.“2182

Damit wird gesagt, dass der Herzog als weltlicher Landesherr in dieser kirchlichen Frage weder zu gebieten noch zu verbieten habe, da solches in den Kompetenzbereich der geistlichen Obrigkeit falle. Diese für einen erasmisch-humanistisch gesinnten Landesherrn überaus bemerkenswerte Ansicht von der strikten Trennung weltlichen und geistlichen Regiments ist geradewegs ein exakter Ausdruck jenes Argumentationsmusters der aristokratischen Dreiständelehre.2183 Demzufolge wies der Herzog jede Einmischung der weltlichen Obrigkeit in Religionsdinge zurück, weil er nur ein Glied der Kirche sei. Damit erkennt er – vor dem Hintergrund der Dreiständelehre – das Geschiedensein von weltlichem und geistlichem Bereich bzw. die Annahme zweier voneinander getrennter Sphären des Weltlichen und Geistlichen an, d. h. er bejaht die politisch wirksame Eigenständigkeit des geistlichen Amts und die Autonomie des geistlichen gegenüber dem weltlichen Regiment, und somit: die Dreiständeordnung als Herrschaftsmodell bzw. legitime Verfassungsform. Andererseits: Als der Herzog im Juni 1542 von der Priorin der Prämonstratenserinnen das Patronatsrecht über die beiden Weseler Pfarrkirchen erwerben2184 und das Pastorat an der Stadtkirche neu besetzen wollte2185, berief er sich zur Rechtfertigung dieses Mal auf das gegenteilige Argumentationsmuster, ein Rechtfertigungsmuster, das als „summus episcopus“ bekannt ist. Er betonte: „dwyll syn f. g. die Kercke an sich hebbe.“2186 Dieses typisch Melanchthon’sche Argumentationsmuster zur Legitimation des Herrschaftsanspruchs in der Kirche, Fürsten als „praecipuum membrum ecclesiae“ zu bezeichnen, ist Ausdruck der monarchischen Dreistände­ lehre2187: Der Herzog dürfe den Herrschaftsanspruch in der Kirche geltend machen, weil er das fürnehmste Glied der Kirche sei. In dieser Widersprüchlichkeit tritt, nach Skinner und Pocok, der Aspekt der Instrumentalisierung der Dreiständelehre für die jeweilige politische Praxis hervor.2188 Obwohl er zwei Jahre zuvor im Sinne der aristokratischen 2182  StA W A 3 1540 / 41 fol.10 v f. Zitiert nach Heidemann, Vorarbeiten 1 Abt. (wie Anm. 2138), S. 39. 2183  Vgl. L. Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit (wie Anm. 54), S. 394– 406. 2184  StA W A 3 1541 / 42, fol.  41v u. 4v. 2185  StA W A 3 1542 / 43. fol.  20v. 2186  Ebd. Zitiert nach Heidemann, Vorarbeiten 2. Abt (wie Anm. 2138), S. 39. 2187  Vgl. J. Heckel, cura religionis (wie Anm. 134), S. 105–136. 2188  Siehe dazu C. S. Park, Die Dreiständelehre als politische Sprache (wie Anm. 242), S. 50–69.

610

V. Die Fallstudien

Dreiständelehre die Bitte des Weseler Rates entschieden hatte, nahm der Herzog beim Vokationsstreit an der Stadtkirche seinen Herrschaftsanspruch ausdrücklich unter Berufung auf die monarchische Dreiständelehre wahr. Daran ist deutlich zu erkennen, dass aktuelle politische Interessen die jeweils gültige Lesart der Dreiständelehre dominierten. Dass Herzog Wilhelm V. die Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster für seine Politik und insbesondere Kirchenpolitik zu gebrauchen wusste, kommt in dem gesetzgeberischen Reformwerk der Entwürfe der Kirchenordnung von 1545, 1558 / 1559 und 15672189 zum Ausdruck. An diesen allerdings nicht veröffentlichten Versuchen war dem Herzog selbst so gelegen, dass er persönlich zur Feder gegriffen hatte. Er entfaltete darin Pflichten und Rechte der weltlichen Obrigkeit ausdrücklich anhand des Dreiständedeutungsmusters: „Jtem dat die Menner jre Huysfrauwen lief hauen vnd regieren /  wie Christus syne bruyt die heilige kirche lief gehabt vnd regirt. Jtem dat die kynder jren aldern gehorsam syn /  vnd Christum jn denseluigen eheren. Herwiederumb dat die alderen jre kynder lieff hauen vnd zu- chtigen […] Herwiderumb dat die herrn gedencken  /  dat sie mith diener Christi syn /  vnd eynem gemeynen herren hauen /  by wilchem duck die geringen die angenemste synt. Jtem dat die vnderdanen jrer ouricheit vnderdenig vnd gehorsam syn /  dwyil sulchs Christus beuolhn /  vnnd jn der ouricheit Gott gehorsam geleyst wirdet. Herwiderumb dat die ouricheit vnd beuelhsluide den gemeinen nutz furderen /  vnd die vnderdanen reigeren als glid­ massen Christis /  vor den sy auch rechenschafft geuen sullen.“2190

Hervorzuheben ist, dass dieser Abschnitt mit jenem der alten Kirchenordnung von 1532 / 1533, die im Herzogtum Kleve bis 1570 gültig war, vollständig übereinstimmt.2191 Das impliziert, dass der Verfasser der Kirchenordnung von 1532 / 1533 offenbar ebenfalls an die Dreiständelehre angeknüpft hatte. Zwar bedarf eine solche Feststellung weiterer Untersuchung, anzunehmen ist aber, dass die Dreiständelehre im Herzogtum von JülichKleve-Berg sowohl als Kirchenverfassungsprinzip als auch als politisches Ordnungsprinzip bereits in den 1530er Jahren angewandt wurde. Auch in späterer Zeit lässt sich im Übrigen bei Herzog Wilhelm V. die Bezugnahme auf die Dreiständelehre zur Rechtfertigung in der politischen Auseinandersetzung nachweisen. 2189  Genutzt wird hier allerdings die Kirchenordnung für Jülich, Kleve und Berg. Düsseldorf. 3. Januar 1565 [SBB Th 5632 Nr. 2], Exemplar der Staatsbibliothek zu Berlin. Im Folgenden Kirchenordnung. Vgl. dazu C. Schulte, Versuchte konfessionelle Neutralität (wie Anm. 2117), S. 177–182; S. 196–205. 2190  E. Sehling, Kirchenordnung (wie Anm. 2058), Bl. D 2–D 2v. 2191  Benutzt wurde das Exemplar der Staatsbibliothek zu Berlin. Die Kirchenordnung Herzog Johann III. [SBB Th 5632 Nr. 1]. Zu den jülich-klevischen Kirchenordnungen und Kirchenordnungsentwürfen vgl. H. Smolinsky, Kirche in Jülich-Berg, in: Römische Quartalschrift 84 (1989), S. 104–119; C. Schulte, Versuchte konfes­ sionelle Neutralität (wie Anm. 2117), S. 34–44.

Exkurse611

Als Herzog Wilhelm V. Anfang Juni 1583 dem Kurfürsten Ernst von Bayern (1554–1612) für dessen Kampf gegen die Truppen Gebhards fünf Stück schweres Geschütz überließ, beschwerten sich die klevische Städte darüber und bedrängten die klevischen Räte, den Herzog dahingehend zu beeinflussen, dass er das verliehene Geschütz zurückfordern möge. Der Herzog reagierte unwirsch und wies die Forderung der Städte als anmaßend zurück. Wiederum diente ihm die Dreiständelehre als argumentative Grundlage: „Wann eß dan nimmer beßer In der weldt stehen und gehen kann, dan wan ein Jeder in seinem standt, Ampt und beruff verpleibet, und keiner dem anderen vor noch in seinem Amptt greiffett, So Ist dem allem nach abermalen unsere getrewe ernste ermanungh Ir wollett alß getrewe unterdanenen, uns mit unser Regerungh gewerden laßenn, Euch in ewerem officio unnd dienst aller gepuir befleißigen, gegenn uns gehorsam unnd gefolglich erzeigen, ettliger affectionenn nitt zuvil nachgebenn, noch In dese sach mischen.“2192

Angesichts solcher Worte stellt sich die Frage, woher die darin durchscheinende reformatorische bzw. christliche Obrigkeitslehre (politica chris­ tiana) des Herzogs, der als erasmisch-humanistisch bzw. reform-katholisch gesinnter Landesherr bekannt war, stammen könnte. Zu vermuten ist zumindest, dass sie auf den Einfluss der Staatsauffassung bzw. Obrigkeitslehre seines Erziehers Konrad Heresbach – zugleich eines der wichtigsten Mitglieder des herzoglichen Rates –2193 zurückzuführen ist, der bei der Kirchenpolitik bzw. den herzöglichen kirchenpolitischen Formulierungen entscheidend mitgewirkt hat.2194 Heresbach hatte seine Staatsauffassung in einer Schrift mit dem Titel „Erziehung und Unterweisung von Prinzen“ kundgetan,2195 die den jülichklevischen Hof, insbesondere den Herzog selbst, maßgeblich beeinflusste. Die wichtigsten Komponenten der Staatsverfassung sind auch bei Heresbach am Dreiständedeutungsmuster entwickelt. Im Abschnitt „De custodia Legum, rerumque tam Ecclesiasticarum quam politicarum“ heißt es: 2192  Schreiben des Herzogs an die klevisch-märkischen Städte (Düsseldorf, 9. Juli 1583), StA R Abt. II, 5, f. 54–59. Zitiert nach A. Dünnwald, Konfessionsstreit und Verfassungskonflikt (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalker 7), Bielefeld 1998. S. 60. 2193  Zu Person und Leben vgl. C. Beutler u. F. Irsigler. Konrad Heresbach (wie Anm. 1182), S. 81–104; F. Irsigler, Konrad Heresbach. Leben und Werk eines großen rheinischen Humanisten (1496–1576), in: M. Pohl (Hg.), Der Niederrhein im Zeitalter des Humanismus (wie Anm. 1182), S. 93–110; A. Wolters, Konrad von Heresbach (wie Anm. 1184). 2194  Vgl. dazu T. Arand, Heresbach in klevischen Diensten (wie Anm. 1182), S. 35–47; D. Scheler, Die Juristen des Herzogs und der Hof, in: Der Niederrhein im Zeitalter des Humanismus (wie Anm. 1182), S. 75–92. 2195  K. Heresbach, De educandis (wie Anm. 1184).

612

V. Die Fallstudien

„Nam cum tres sint in Repub. ordines, politicus, ecclesiasticus, et oeconomicus, Deus constituit Mosen et Aaronem fratres, qui in suo populo Rempub. et Ecclesiam ad ministrarent, indicare volens inter illos duos ordines summam concordiam esse debere, vtiq cundem sinem praescribens Doctorib. Ecclesiarum, vt et Dei verbo docerent, qua ad verum Die cultum, pietatem vitaeue innocentiam pertinent, Magistratus sua auctoritate doctrinam veram tueretur, aduersarios coctceret.“2196

Gemeint ist, dass es in einem politischen Gemeinwesen bzw. in einer „res publica“ drei Stände gibt – Obrigkeit, Geistlichkeit und Bürger. Gott hat aber die Brüder Moses und Aaron angewiesen, in ihrem eigenen Volk Staat und Kirche zu leiten. Interessant ist, dass Heresbach unter Rückgriff auf die aristokratische Dreiständelehre das Bild von Moses und Aaron bemüht. Von außerordentlicher Bedeutung ist, dass er das durch die drei Stände geordnete politische Gemeinwesen als „res publica“ bezeichnete. Damit ist der Aspekt der politischen Kommunikation in den Debatten um das Verständnis von res publica auch angesprochen. Wie Petri in seiner Untersuchung deutlich macht,2197 spielte für die res publica-Auffassung Heresbachs die Dreiständelehre, in der die weltliche Obrigkeit als „custos utriusque tabulae“ charakterisiert wird, die bestimmende Rolle. Beispielhaft führt er an: „Der Fürst habe die Aufgabe, die Religion zu schützen. Gott befiehlt der Obrigkeit die Erhaltung, Verbreitung und Reinheit der christlichen Lehre. Drei Ordnun­ gen bestehen: die politische, die kirchliche und die häusliche. Zwischen ihnen soll Eintracht und Frieden herrschen, und aus diesem Grund ist die Obrigkeit verpflichtet, durch ihre Autorität und Kraft die Lehre zu schützen und die Gegner zu bezwingen. Die Fürsten sind daher gleichsam die Nährväter der Kirchen und sollen das Evangelium nach Kräften befördern.“2198

Offensichtlich erkennt Heresbach die Dreiständeordnung als Herrschaftsmodell bzw. legitime Verfassungsform im Herzogtum an. „Denn das Schwert, das der Obrigkeit verliehen sei, sei nicht geeignet, die innere Frömmigkeit zu bewirken. Nur die äußere Ordnung in der Religion solle es aufrechterhalten, Ausartungen verhindern und das Wort Gottes ausbreiten.“2199 „Es sei die Pflicht und das Recht der Obrigkeit, das Schwert zu führen, um das Unrecht und Böses abzuwehren und die Ordnung zu erhalten oder wiederherzustellen. Das Amt der Obrigkeit sei notwendig und rechtfertigt, Krieg zu führen, um Unrecht und Böses zu strafen, und Frieden zu halten.“2200 2196  De educandis (wie Anm. 1184) Bl. 264; Zu Übersetzung des Exemplars vgl. M. Philipp, Konrad Heresbach (wie Anm. 1185), S. 166–218. 2197  H.  Petri, Staatsrecht und Staatslehre bei Konrad von Heresbach (wie Anm. 1183), S. 33–40. 2198  Ebd. S. 16. 2199  Ebd. S. 40. 2200  Ebd. S. 50.

Exkurse613

Über die Beachtung der beiden Gesetzestafeln wache also die Obrigkeit, die jedoch nicht in die „interna ecclesiae“ eingreifen dürfe, da die Fürsten nur ein Glied der Kirche seien und als ein gleichberechtigtes Glied der Kirche den anderen Ständen helfen sollten. Wer in das fremde Amt eingreife, sei unchristliche Obrigkeit, gegen die Ungehorsam und Notwehr berechtigt seien. Mit dieser Zuordnung ist die nahtlose Verbindung zwischen Dreiständeordnung und Widerstandsdiskussion hergestellt. Es kann insofern kaum überraschen, dass in der Kirchenordnung von 1532 / 1533 und den später folgenden Entwürfen der Kirchenordnung von 1545, 1558 / 1559 und 1567 die Pflicht und das Recht der weltlichen Obrigkeit anhand des Dreiständedeutungsmusters konzipiert wurden. Heresbach selbst war am Zustandekommen der Kirchenordnung von 1532 / 33 stark beteiligt.2201 Ebenfalls kann nicht überraschen, dass Herzog Wilhelm V. in seiner Kirchenpolitik von der Dreiständelehre als Rechtfertigungsmuster wiederholt Gebrauch machte, denn Heresbach als sein engster Berater war selbstverständlich an seiner Politik beteiligt. Die Vermutung liegt nahe, dass die politica christiana, die christliche Staatslehre, als dritte politiktheoretische Kraft, die in deutlicher Absetzung vom zeitgenössischen Aristotelismus und Machiavellismus auf einer unauflöslichen Verzahnung von Politik und Religion beharrte, in der Politik und insbesondere Kirchenpolitik des Herzogs bzw. seiner Räte in den Vereinigten Herzogtümern im 16. Jahrhundert in der Tat eine paradigmatische Rolle gespielt hat. Das von der älteren Forschung als „via media“2202 oder „versuchte konfessionelle Neutralität“2203 charakterisierte und mitunter gebetsmühlenartig bemühte Bild von der Kirchenpolitik bzw. Konfessionspolitik des Herzogs Wilhelm V. muss also im Licht dieser Rolle und Funktion der politica chris­ tiana bei der Kirchenpolitik in den Vereinigten Herzogtümern neu bewertet bzw. überprüft werden. (bb) Bürgerschaft Die frühneuzeitliche Politkommunikation der politica christiana kann schließlich auch beobachtet werden an den konfliktträchtigen Spannungen zwischen Herzog Wilhelm V. und der lutherischen Bürgerschaft in Wesel, 2201  T.

Arand, Heresbach in klevischen Diensten (wie Anm. 1182), S. 38. Stöve, Via media: Humanistischer Traum oder kirchenpolitische Chance? Zur Religionspolitik der vereinigten Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg im 16. Jahrhundert, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 39 (1990), S. 115–133. 2203  C. Schulte, Versuchte konfessionelle Neutralität im Reformationszeitalter (wie Anm. 2117). 2202  E.

614

V. Die Fallstudien

die in Koalition mit dem Weseler Rat und der lutherischen Geistlichkeit stand2204 und die in Gestalt der Gemeinsfreunde aufgrund ihres wirtschaftlichen Erfolgs ihr soziales und politisches Gewicht im Rat vertreten sehen wollte.2205 Veranschaulicht werden kann dies am Konflikt um die Zulassung der Kommunion „sub utraque specie“, der von 1540 bis einschließlich 1565 währte.2206 Die lutherische Bürgerschaft war bei der Interimskrise – im Bündnis mit der lutherischen Geistlichkeit und unterstützt von den lutherischen Ratsherren – gegen die kirchenpolitischen Maßnahmen des Herzogs Wilhelm V. (und damit gegen die fürstliche Herrschaftspolitik) gegenüber den kompromissbereiten Kräften im Rat aufgetreten. Nach der Annahme des Interims im August 1548 wurde ein Teil der lutherischen Prediger aus Wesel vertrieben und durch katholische Geistliche ersetzt. Mitte November 1548 forderte die lutherische Bürgerschaft den Rat auf, bei Herzog Wilhelm V. die Erlaubnis zu erwirken, dass die Kommunion weiterhin unter beiderlei Gestalt gereicht werden könne.2207 Zur Rechtfertigung ihres Vorgehens berief sie sich auf die Dreiständelehre, indem sie auf einer außerordentlichen Versammlung die Maxime postulierte, dass „vur allen dat rycke Gotz yrst to soicken sy“.2208 Jedoch signalisierte die klevische Regierung keinerlei Entgegenkommen. Im März 1552 war die Geduld der Bürgerschaft erschöpft. Sie entschloss sich, die Feier des Abendmahls auch ohne die Zustimmung des Herzogs wieder einzuführen. Zur Rechtfertigung ihres Vorgehens bezog sich die Bürgerschaft schließlich auf die lutherische Widerstandslehre: 2204  J.

Hillmann, Die Evangelische Gemeinde in Wesel (wie Anm. 2137), S. 73. derzeitige Forschungsstand zur Sozialstruktur der Stadt Wesel in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert ist unbefriedigend. Vermutlich aber dürfte die Vertretung der Gemeinsfreunde zumeist aus den wirtschaftlich erfolgreichen Kaufleuten und u. a. vermögenden Handwerkern bestanden haben. Vgl. dazu H. Schilling, Niederländische Exulanten im 16. Jahrhundert (wie Anm. 2135), S. 65–95; H. Kipp, Landstädtische Reformation und Rats-Konfessionalisierung (wie Anm.  2133), S. 357–359.; C. Schnurmann, Ghen Engellandt. Der Weseler Stahlhändler Franz Brecht und seine Kölner Konkurrenz 1565–1594, in: W. Arand / J. Prieur (Hg.), Zu Allen theilen Inß mittel gelegen. Wesel 1991, S. 156–167; dazu A. Langhans, Die Bürgerbücher der Stadt Wesel. Listen der Neubürger 1303–1677. Duisburg 1950, S. XL–LVI. 2206  Die folgende Ausführung basiert wesentlich auf der Darstellung von H. Kipp, Landstädtische Reformation und Rats-Konfessionalisierung (wie Anm.  2133), S.  357 ff. 2207  StA W A 3 1548 / 49 fol.  34v. Zitiert nach H. Kipp, Landstädtische Reformation und Rats-Konfessionalisierung (wie Anm. 2133), S. 361. 2208  Ebd. Diese Formulierung ist die typische Metaphorik der Dreiständelehre, derer sich die Lutheraner bei der Auseinandersetzung mit der weltlichen Obrigkeit bedienten. Vgl. dazu T. Heshusius, Postilla (wie Anm. 137), Bl. 86. 2205  Der

Exkurse615 „Diesen na sint die XII gekoiren vurbenampt widderumb vur Burgermeister Skepen vnnd Rait ann der obgmelter Capellen erschienen vnnd hebben jn annhoiren der gantzer Gemeynt vnnd vyt der beuelh angesacht, woe Sy leyder vann der hilger Comunnion des nachtmails na Christi Insettung benomen […] So hedden Sy sich nu enslotten dairumb noch vp dat flytigste antohalden vnnd woe sulchs vorweigert, assdan wolden Sy, dat oick die ander deil mit der vytdeilung vann eyner gestalt stille haldenn solle, vnnd alss ferner solchs mit tolaiten vnsers g. hern Jahe nicht to erhalden synn wolde, assdann gedechte Sy dat Got mehr dann den Menschen to gehoirsamen were.“2209

Die lutherische Bürgerschaft versuchte also, unter Berufung auf die Dreiständelehre ihr traditionelles genossenschaftliches Ordnungskonzept, die „konsensgestützte Herrschaft“, gegen den Hegemonialanspruch des Herzogs durchzusetzen. Zu diesem Zweck band sie die Widerstandsdiskussion in die Dreiständeordnung als Herrschaftsmodell ein.

2209  StA W A 3 1552 / 53 fol. 1 v; 3 v u. 4v. Zitiert nach Heidemann, Vorarbeiten 2. Abt. (wie Anm. 2138), S. 36.

Vl. Zusammenfassung und Ausblick Die vorliegende Untersuchung hatte sich zum Ziel gesetzt, am Beispiel des lutherischen Geistlichen Tilemann Heshusius das Verhältnis zwischen Luthertum und Obrigkeit in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts neu zu ergründen, um damit zu einer differenzierten Bewertung des traditionell kontrovers beurteilten Verhältnisses der lutherischen Theologie und Geistlichkeit im 16. und 17. Jahrhundert zur Obrigkeit zu gelangen. Zugleich strebte sie danach, einerseits das Obrigkeitsverständnis von Heshusius, das in der Forschung bis jetzt kaum Beachtung und Würdigung gefunden hat, aus seinen Schriften herauszuarbeiten, andererseits die Bedeutung der Dreiständelehre als theologisches Deutungsmuster und realhistorisches Konfliktmittel nachzuweisen, um damit über eine Neubewertung der Funktion der lutherischen Dreiständelehre bzw. der so genannten politica christiana (christliche Herrschaftslehre) einen Beitrag zum besseren Verständnis der politischen Kultur und Ethik im älteren Luthertum bzw. im Alten Protestantismus zu leisten. Dabei bediente sich die Studie des Konzepts der political languages der Cambridge School (Quentin Skinner / John G. Pocock), weil diese Ansätze der angelsächsischen Forschung für das Verständnis der Dreiständelehre geeignet schienen, die politisch-soziale wirklichkeitsprägende Kraft der Dreiständelehre und ihre Rolle für das politische Denken und Handeln in der lutherischen Orthodoxie in ihrem ganzen Ausmaß richtig zu erfassen und die Dreiständelehre in der politiktheoretischen Geschichte und ideengeschichtlichen Tradition einzuordnen und zu würdigen. Das heißt, die Studie war vor allem darum bemüht, die Dreiständelehre als eine politische Sprache der zeitgenössischen Gesellschaft zu postulieren und darzustellen, welche Rolle sie nicht nur als abstrakt-theoretisches Gebilde zur Beschreibung politischer und sozialer Wirklichkeit, sondern vor allem als politisch-operatives Paradigma spielte, das als intervenierendes Korrektiv in diskursivoperativen Abläufen charakterisierbar ist, mit dessen Hilfe die Autoritätsund Wertestruktur sozialer Ordnung beschrieben, in Frage gestellt oder legitimiert werden kann. Die Studie hat nachweisen können, dass die Dreiständelehre sowohl in der Obrigkeitsauffassung von Heshusius als auch als Referenzsystem in den politischen und sozialen Auseinandersetzungen um das Verhältnis zwischen „Staat“ und Kirche in der Frühen Neuzeit eine zentrale Rolle spielte und



VI. Zusammenfassung und Ausblick617

dass sie auf die frühneuzeitliche Entwicklung der lutherischen und reformierten Städte und Territorien maßgeblich gewirkt hat. Angesichts dieser Befunde soll Folgendes festgehalten und als Ausblick formuliert werden: 1. Das Sprechen von „der“ Politik im aristotelischen Sinne ist, wie Schorn-Schütte anmerkt,2210 unangebracht. Ohne Zweifel war in der Frühen Neuzeit die Orientierung an der aristotelischen Politik von Gewicht, doch entzündeten sich die im Untersuchungszeitraum betrachteten Auseinandersetzungen immer wieder an der Grenzziehung zwischen den interna und externa. Dabei standen nie verschiedene aristotelische Herrschaftsmodelle zur Diskussion, vielmehr ging es um die Abgrenzung zwischen den Ständen der Kirche bzw. um Definitionen innerhalb des von Theologen, Juristen und Politikern gleichermaßen anerkannten und verwendeten Ständemodells. Hierzu bietet die Lehre des Aristoteles keine Entsprechung, so dass deren unkritische Übertragung auf die Frühe Neuzeit unzulässig ist. Wegen dieses zentralen Spannungsverhältnisses zwischen weltlicher und geistlicher Herrschaft ist für das 16. und 17. Jahrhundert ein spezifischer Begriff des Politischen eher angebracht als die Anwendung des aristotelischen Konzepts. Das Spezifische dieses Begriffs einer „politischen Kommunikation bzw. politischen Sprache“ liegt in der Rezeption einer Tradition, nach der politisches Handeln im Sinne der Schöpfungsordnung auf Herrschaftsbegrenzung durch Herrschaftsverteilung gerichtet war. Die Studie zeigt eine für diese Zeit typische grundlegende kommunikative Beziehung zwischen Politischem und Religiösem, deren Gegenstand die politischen Grundwerte und die institutionalisierte Herrschaftsordnung sind. 2. Die Konfessionalisierungsforschung geht von der Annahme aus, dass dieser Kommunikationsprozess durch die Konfessionen bestimmt ist. Diese These ist für die Erforschung der Geschichte des politischen Denkens und Handelns bzw. die Erforschung der frühneuzeitlichen Debatten um die Struktur politischer Ordnung im Alten Reich wenig hilfreich. Die Gemeinsamkeit der Argumentationsmuster im Luthertum und Reformiertentum bzw. Calvinismus resultierte weniger aus den von der Konfessionalisierungsforschung konstatierten strukturell ähnlichen Strategien in den politischen Auseinandersetzungen zwischen frühmodernem „Staat“ und der jeweils vorherrschenden Konfessionskirche, sondern aus einem überkonfessionellen Wissensbestand bzw. gemeinsamen Gedankengut. Gewiss entwickelte sich in der Frühen Neuzeit eine konfessionsspezifische politische Kultur und Ethik, die den politischen und sozialen Wandel geprägt hat. Die vorliegende Studie belegt allerdings, dass die als strategische Waffe und operatives Paradigma verwendete Dreiständelehre, die in der Gestaltung der frühneuzeit2210  Vgl.

S. 107.

L. Schorn-Schütte, Kommunikation über Herrschaft (wie Anm. 56),

618

VI. Zusammenfassung und Ausblick

spezifischen sozialen und politischen Wirklichkeit die zentrale Rolle spielte, sich in ihrer argumentativen Struktur zwischen den Konfessionen und deren je eigener politischer Kultur kaum unterschieden hat. Die entscheidende Gemeinsamkeit des Legitimationsmusters lag eben nicht in einer konfes­ sionsspezifischen Ausrichtung, sondern in der Kommunikation theologisch und juristisch vorstrukturierter Grundwissensbestände politischer Legitimität. Diese Konzepte waren in allen Regionen der Alten Reichs als aktivierbares Wissen aus der Zeit vor der Reformation vorhanden und konnten im Konfliktfall abgerufen werden.2211 3.  Zur Erforschung politischer Kultur und Ethik im Luthertum muss die Dreiständelehre stärker als bisher einbezogen werden. Sie ist von der bisherigen Forschung nicht ernst genommen worden. Die Diskussion über das politisch-soziale Denken in der lutherischen Orthodoxie konzentriert sich immer noch auf die Thematik der Zwei-Reiche-Lehre. Die Studie stellte deutlich heraus, dass die Dreiständelehre sowohl das Obrigkeitsverständnis von Heshusius als auch die theologisch-sozialen Unruhen des 16. und 17. Jahrhunderts bzw. die protestantischen „Staats“- und Gesellschaftslehren der Nachfolgerzeit stärker als die Zwei-Regimenten-Lehre beeinflusst hat. Luthers Zwei-Reiche-Lehre hat auf die Fortentwicklung der Dogmatik, der Sozialethik und des Kirchenrechts im orthodoxen Luthertum nur geringen Einfluss ausgeübt. Die Obrigkeitsauffassung von Heshusius und dessen sozialpolitische Kontroversen zeigen vor allem deutlich, dass Luthers ZweiReiche-Lehre als Konzept hinter die Dreiständelehre zurücktrat. Nicht nur orthodoxe Theologen und Juristen, sondern auch politische Entscheidungsträger haben sich dieses Konzepts zur Bestimmung des Verhältnisses von Obrigkeit und Kirche bedient. Die Rezeption der Dreiständelehre beschränkt sich daher nicht nur auf lutherische Theologen, sondern umfasst auch Juristen, Politiktheoretiker und deren Staatslehren. Die Dreiständelehre war für das politische Denken und Handeln des Luthertums zentral. 4. Die so genannte Sonderwegsthese, nach der es einen deutschen Sonderweg lutherischer obrigkeitsdienlicher Theologie zugunsten des absoluten Fürstenstaates gegeben hatte, muss endgültig verabschiedet werden. Die Tatsache, dass die Dreiständelehre als politische Sprache und politische Kommunikation über Herrschaftsordnung und Verfassungsstrukturen seit den 30er Jahre des 16. Jahrhunderts von protestantischen Theologen und Juristen, aber auch städtischen und adligen politischen Entscheidungsträgern sowohl im Luthertum als auch Reformietentum genutzt wurde, widerlegt diese These. Die Untersuchung hat gezeigt, dass es kein spezifisch lutherisches und reformiertes bzw. calvinistisches Verhältnis zur weltlichen Obrigkeit gegeben hat, und das heißt auch: kein Sonderverhältnis der lutherischen 2211  Ebd.

S. 108.



VI. Zusammenfassung und Ausblick619

oder auch calvinistischen Seite. Es handelte sich vielmehr um ein allgemeingültiges Verhältnis, das allen Bekenntnissen und Konfliktparteien gemeinsam war, eben weil die Dreiständelehre tiefgreifenden Strukturen des juristischen, politischen und theologischen Denkens entsprach. Sie beantwortete die allgemeine, allen Konfessionen gemeinsame Frage nach einer Tradition bzw. einem politischen Denken und Handeln im Sinne der Schöpfungsordnung, nach dem Recht und der Möglichkeit der Verteidigung gegen ungerechte Gewalt. Die von ihr gegebene Antwort wurde von den jeweiligen Konfessionen unterschiedlich interpretiert und gewichtet. 5.  Zur Erforschung der Komplexität der Wechselwirkungen von Sprache und politischer Realität in der Frühen Neuzeit muss das angelsächsische Konzept weiter vorangetrieben werden. Die Studie hat die Bedeutung der Theologie in ihrer politisch-sozialen wirklichkeitsprägenden Kraft deutlich werden lassen. Diese bedeutsame Tatsache kann nur durch die angelsächsischen Forschungsansätze in ihrem ganzen Ausmaß richtig erfasst werden, eben weil nach deren Kernsatz Sprache Handeln ist. Die Untersuchung hat auch deutlich herausgestellt, dass im Untersuchungszeitraum zahlreiche restitutive bzw. konservative Momente gegenüber dem sozialen und politischen Wandel existierten. Die von der modernisierungstheoretischen Annahme ausgehende begriffsgeschichtliche Forschungsmethode will und kann diese beharrenden Momente kaum berücksichtigen, eben weil sie ihren Schwerpunkt allein auf den Nachweis der Modernisierung historischer Gesellschaften setzt und demzufolge ihren Blick auf jene Schlüsselbegriffe verengt, die die Modernisierung der Gesellschaften am nachhaltigsten verdeutlichen. Die Ansätze der Cambridge School vermeiden gerade diese Verengung des Blicks, weil es ihnen nicht um den Nachweis einer Modernisierung historischer Gesellschaften geht, sondern vielmehr darum, „kommunikative Absichten des Begriffs“ deutlich zu machen. Es geht der Cambridge School um die Traditionen, in denen bestimmte Sprachmuster stehen, und um die Untersuchung jener Leitbegriffe, die das beharrende Moment im sozialen und politischen Wandel bezeichnen. Daher muss die Forschung der Frühen Neuzeit diesen Ansatz verstärkt berücksichtigen. Nicht zuletzt angesichts der gewichtigen Bedeutung des neuen Forschungsfeldes der politischen Kommunikation in der frühneuzeitspezifischen Debatte um die Struktur des Zusammenhangs von Religion und Politik als der Grundfrage politischer Legitimität im 16. und 17. Jahrhunderts muss die Methode der „New Intellectual History“ eingesetzt werden. Sie zieht stärker als bisherige Forschungsansätze die politischen Normen und Weltdeutungsmuster als Teil einer auf die Überzeugung des Gegners oder Partners ausgerichteten komplexen Argumentationsstrategie in Betracht.

VII. Anhänge Anhang 1 Die Tabelle der lutherischen und reformierten Geistlichkeit von 1547–1605 1. St. Ansgarii Name Dienstzeit /  Herkunftsort Hosenius, Lüder 1524–um 1560 / ?

Beruf

Studienort /  Akd. Grad

Vater /  Schwiegervater

Kinder /  Schwiegerkinder

Pastor

Pastor / Pastor (s.e.k)

Pelte, Johannes 1525–um 1560 /  Pelte bei Lüttich Kelner gen. Slunck- Richter rave, Johannes 1550–1556 / Soest Segebade, Elard um 1550–1562 /  Bremen

Goldschmied

/ Pastor u. Sup.

1 Wittenberg

1

Marburg / Mag.

1

Rostock, ­Wittenberg /  Mag. Lic. theol

2

Pastor (2)

Blaustein, Joachim 1555–1567 /  Oberneuland

2

Holstein, Nikolaus 1561 / ?

Wittenberg, Magdeburg / Mag.

Elverfeld, Johannes 1562 / ?

Köln, Helmstedt /  Mag.

Sum, Johannes 1562–1563 /  Osnabrück Becker, Cornelius 1562–1566 /  Elburg in Niederlande

 / Dr. Jurist

/ Bgm.

/ Pas. u. Dr. Prof. Theol.

Zahl der Kinder /  Einkom.

Wittenberg / Mag.

2

1

1

Name Dienstzeit /  Herkunftsort

Anhang 1621 Beruf

Studienort /  Akd. Grad

Vater /  Schwiegervater

Kinder /  Schwiegerkinder

Glaneus, Jodocus 1564–1580 /  Rothenburg

Schloßhauptmann / Prof.

Pastor (1) /  Pastor(1)*

Rocholl, Philipp 1567–1581 / ?

/ Eltermann

Pezelius, Christoph 1581–1598 / Plauen

Rtr. / Prof. Med.

Rostock / Mag. /  Dr. theol.

Zahl der Kinder /  Einkom. 8 / 

1 Pas. (1), Konpr. (1) /  Pas. u.Sup.(1) Pas. (1)* Sup.(1)

Jena, Leipzig, Wittenberg /  Mag. / Dr. theol.

5

/ Pas. u.Sup. Wittich, Titus 1582–1585 / Herborn (Dr. theol.)

Pastor

Sagittarius, August Hofprediger /  1591–1604 / Dresden Prof. Theol.

Lehrer (1) /  Pastor (1)*

Marburg / Mag.

Meinharts, Meinhard Pastor /  1597–1638 /  Eltermann Friesland

/ Kaufm. (1)*

Wittenberg /  Mag. phil.

T2 / mehrere Kinder starb a. d. Pest

Pas. (3), Lehr. (1), Med. (1) Kaufm. (1) /  Pas. (1)

Frankfurt a.O /  Mag. Dr. u. Prof.theol.

9 / 300 Thlr.

Hofp.u. Sup (1)

Helmstedt / Mag.

Pierius von Birnfeld, Urban 1599–1616 /  Schwedt

Bürger / Prof. Jurist

Hofmeister, Jodokus Pastor /  1605–1637 /  Pas. u. Sup. Hannover

1 2

1

2. St. Martini Name Dienstzeit /  Herkunftsort

Beruf Vater /  Schwiegervater

Studienort /  Akd. Grad Kinder /  Schwiegerkinder

Zahl der Kinder /  Einkom.

Stunneberg, Ludolf 1525–1561 / ?

Pastor (1)

2

Timann, Johannes 1525–1557 /  Amsterdam

Pas.(1), Hofm.(1), Rekt. (1) Mag. Phil (2)

8

(Fortsetzung nächste Seite)

622

VII. Anhänge

Tabelle (Fortsetzung) Name Dienstzeit /  Herkunftsort

Beruf Vater /  Schwiegervater

Studienort /  Akd. Grad

Zahl der Kinder /  Einkom.

Rostock, Wittenberg

S1 u. mehrere Töchter

Kinder /  Schwiegerkinder

Timann, Detmar Pastor 1557–1562 / Bremen

1

Warner, Christian 1561–1562 / ? Lic. Theol (1)

Wittenberg

1

Isselburg, Caspar 1571–1578 / Köln

Pas. u. Prof.Theol. (1)

Köln / Mag.

2 / 150 Rthlr 49 Gro.

Voß, Wilhelm, Vv 1578–1580 / Westerkappeln

Pas. (1) /  Kauf. (1)

/ Dr. theol. Prof. Hebräisch

8

Naso, Joseph 1580–1583 /  Halberstadt

Wittenberg / Mag.

2 (?)

Klostervorsteher /  Pastor (2) /  Hildebrand, Sup. u. Pastor Pas. u. Rektor. Johannes I 1583–1610 / Bremen (1)

Helmstedt / Mag. Lic. theol

4

Capito, Johann 1585–1624 / Wesel

Heidelberg (theol. u. med.)

2 (?)

Schmidt, Johannes 1562–1582 / ? Hartmann, Werner 1562–1570 / ?

3. St. Stephani Name Dienstzeit /  Herkunftsort

Beruf Vater /  Schwiegervater

Schütte, Martin 1524–1562 / Bremen Pastor (?) Kock, Henning 1530–1562 / Bremen V. Elmendorp, Rabe 1531–1562 / ?

Kinder /  Schwiegerkinder Pastor

Studienort /  Akd. Grad

Zahl der Kinder /  Einkom. 1

Name Dienstzeit /  Herkunftsort

Anhang 1623 Beruf Vater /  Schwiegervater

Emptes, Christian 1548–1562 / BremerLehe Havemann, Christian Vor 1553–1562 /  Bremen

Bgm. / Bgm.

Kinder /  Schwiegerkinder

Studienort /  Akd. Grad

Zahl der Kinder /  Einkom.

Pastor

Wittenberg, Heidelberg / Mag.

1

Eltermann (1) /  Eltermann (1)

Wittenberg /  Dr. theol.

5

Stephanus, Henrich 1562–1565 / ? 2 (?) /  100 Thlr.

Franke, Franciscus 1562–1565 /  Franken (?) Grevenstein, Jacob Pastor 1565–1582 / Bremen

Pastor (2), Mag. theol. (2)

Wittenberg /  Mag. Lic. theol.

Dithmar, Andreas 1565–1570 /  Braunschweig

/ Pastor

Wittenberg / Mag.

/ 14 Thlr

Wasmann, Leo 1572–1603 / Düren

2 /  25–40 Thlr.

Broyel, Gerhard 1583–1607 /  Westphalen Bgm. / Rtr. Esich, Johannes 1590–1602 / Bremen Lampadius, Johann 1603–1621 /  Braunschweig

4

 / Pastor

Schulrektor /  Prof. Med.

Wittenberg, Leiden, Basel /  Prof. Dr. theol.

1

Helmstedt, Rostock, Jena Leipzig /  Mag. Prof. theol.

1

4. Unsere Lieben Frauen Name Dienstzeit /  Herkunftsort Probst, Jakob 1524–1562 / Ypern

Beruf Vater /  Schwiegervater

Kinder /  Schwiegerkinder

Studienort /  Akd. Grad

Zahl der Kinder /  Einkom.

Wittenberg /  Bacc.bibl. u. Lic. theol.

S1 (?)

(Fortsetzung nächste Seite)

624

VII. Anhänge

Tabelle (Fortsetzung) Name Dienstzeit /  Herkunftsort

Beruf Vater /  Schwiegervater

Kinder /  Schwiegerkinder

Selstius, Johannes 1525–1562 /  Herzogenbusch Grevenstein, Anton I 1534–1572 /  Bremen

Studienort /  Akd. Grad

Zahl der Kinder /  Einkom.

/ Mag. Lic. theol.

Pastor

Pastor

1

?, Peter 1546–1548 / ? Helmstedt, Erfurt /  Mag.

Buchheister, Johannes 1561–1562 /  Braunschweig Musaeus, Simon 1561–1562 /  Vetschau

Landmann / Bgm. / Prof.Theol. (2), Frankfurt O., Lehrer (1) Wittenberg /  Prof. Dr. theol.

11

Sup.

Quakenbrügge, Johannes 1562–1566 /  Quakenbrück / Pas. u. Sup.

/ Mag. phil.

1

Meningus, Marcus Sen. 1571–1584 / Mäthlitz bei Magdeburg

Pastor (1), Richter (1) /  Pastor (2)

Wittenberg /  Mag. phil.

4

Heshusius, Tileman Rtr. / Rtr. Um 1559 / Wesel

Pastor (1), Prof. (2)

Wittenberg, Paris, Oxford / Dr. theol.

Pastor (2) /  Pastor (2)

Erfurt / Mag.

Becker, Johannes 1567–1570 /  Helmstedt

Meningus, Marcus, Jun 1572–1583 /  Wittenberg Varrelmann, Johannes 1582–1588 /  Bremen

Pas. u. Sup.

/ Pastor

7 / 300 Guld. 6

3 (?)

Name Dienstzeit /  Herkunftsort

Anhang 1625 Beruf

Studienort /  Akd. Grad

Zahl der Kinder /  Einkom.

Monnichusen, Rudolf 1584–1610 /  Bremen-Horn

Rostock, Wittenberg /  Mag. phil.

2

Dedekinus, Eberhard 1588–1595 / Bremen

Helmstedt, Heidelberg / Mag.

Vater /  Schwiegervater

Limbrecht, Hinrich 1598–1600 / Höxter

Rtr.

Pezelius, Tobias 1600–1631 /  Wittenberg

Prof. u. Sup. u. Pas.

Marcellus, Daniel 1604–1607 / Lublau

Kinder /  Schwiegerkinder

Pastor

Marburg / Mag.

1

Wittenberg /  Lic. theol., Prof.

3

Heidelberg / Mag.

2

Pezelius, Katharina ∞ Crocius Ludwig (P.St.Mart.u.ULF)

Pezelius, Tobias (P.ULF.) ∞ Pierius, Anna

Pezeilus, … (Stieftochter) ∞ Wittich, Titus (P.St.Steph.)

Pezelius, Christoph (P.u.Sup.St. Ansgari u.ULF)

Anhang 2

Sagittarius, Anne Cath ∞ Pierius, Ulrich (P.i.Lippe:)

Pezelius, Elisabeth ∞ Sagittarius, Aug. (P.St.Steph.)

626 VII. Anhänge

Gandela, Amalie ∞ Hoffschläger, Bernhard. (s.d.Johann Hoffschläger P.ULF.)

Herlin, Elisab. ∞ Peter, Lampe (Kfm.)

Pierius, Elisabeth ∞ Herlin, Jaques (Eltermann.+ 1662) Pi., Ulrich (P.i.Lippe) ∞ Sagitt, Anna Cath. ∞ Sagitt, Anna

Menken,Gottfried (1802–1825) (P. u. Dr. Theol.)

Tilling, Maria Sophia Eleonore (1742–1793) ∞ Goetje, Menken (Kfm.)

Lampe, Wilhelmine Maria Amalie (1717–1781) ∞ Tilling, Johann Henrich (P.i.Oberneuland 1730 –1770)

Rothbar, Lorenz Lampe, Hnr. (HP.i.Königsberger 1709 –1729) ∞ Chrne, v. Lasrn. ∞ Zeller, Christine Elisabeth (t.P.) (e.t.Nikol Uchtemann P.i.St.Steph.) Lampe, Fried.Adolph (P.St.Step.u.Ansgari 1709–1729)

Pierius, Elisabeth ∞ Rotbar, Lorz. (P.i.Bederkesa)

Pezelius, Cath. ∞ Ludwig, Crocius (P.u.Prof.Theol.)

Crotius, Erika ∞ Gondela, Georg (P.St.Ansgri)

Pierius, Urban (P.) ∞ II (Goldwirtin)

Pierius, Anna ∞ Pezelius, Tobias (P.u. Prof. Theol.)

Pierius, Urban (P.St.Ansgari) (1546–1616)

Anhang 3

Pi., Andr.Ch. (P.St.Ma.u.Step.) (1638–62)

Anhang 3627

Anton Grevenstein (P.) ( Uni.Witt.)

Magareth Grevenstein Johann Grevenstein (∞ P. i.St. Ansgari 1595) (Uni. Marb.)

Henricus Grevenstein (Mag.Phil.)

Anton Grevenstein (P. ULF) 1544–1572

Bernhard Grevenstein (P.i.Oberneuland) Jakob Grevenstein (P.i.UlF u.St. Stephani: 1562–82)

Joachim Grevenstein (P.St. Ansgari)

Anhang 4 628 VII. Anhänge

Mening Anna ∞ Hildebrand Joh. I. (P.St. Martini)

Mening Gertrud

Flocke Anna Katarina Noch heute in Bremen ∞ Reinhard Matthias Martin, dessen Vater Sebastian Reinhad (P.1649–1653) (P.St.Stephani 1650–1689)

Hildebrand Johann II. (P.St. Martini)

Hildebrand Hermann (P.St.Stephani)

Mening Magareth ∞ Jodocus Hoffmeister (P.St.Ansgari)

Flocke Heinrich (P.St.Remb.u.Steph.)

Mening Anna ∞ Flocke Gerhard (P.St.Remberti) (1622–1633)

Mening Marcus d.J. (P.u.Sup. i.ULF u.St. Ansgari)

Mening Marcus d.Ä (P.u.Sup.i.ULF) (1571–1584)

Anhang 5 Anhang 5629

Margarethe ∞ P.

Wubbeke ∞ P.

Herman (Dr. u. Prof. Theol.) Elisabeth ∞ Mus.

Hermann (P.u.Prof. Theol.1620–1649) ∞ t.P. Heinrich (P.u.Sup.)

Hermann (Dr. u. Prof. Phil.) Arnold (Dr. Jur.)

Johannes II. (P.1658–1679) ∞ t.Rtr.

Marcus (P. 1625–36)

Conrad Johannes H. I.(P.St. Martini 1583–1610) ∞ (t.d.Johann Esich (Bgm. u.Rtr) ∞ t.d. Marcus Mening (P.u.Sup.)

Anna ∞ Jur.

Johann (P.um 1610)

Rudolph (Rektor)

Hildebrand, Conrad, deren Mutter Tochter von Pastor und Superintendent

Anhang 6 630 VII. Anhänge

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Ungedruckte Quellen Aurich: – StA A, Rep. 241, Nr. A 92; Rep. 135, Nr. 9; 21–22 – StA A, Consist. Archiv. Nr. 8. Bremen: a) Staatsarchiv: – StA B 2-E.6.b.1. – StA B 2- E.6.b.3. – StA B 2-E.6.a – StA B 2-Q.1.b.1 – StA B 2-T.2.a.1. – StA B 2-R.3.G.3.a.1-33 – StA B 2-R.3.G.3.b.1-31 – StA B 2-ad R.2.A.o.2.b.2 – StA B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr. 1° Teil 2. – StA B 2-T.1.c.2.b.2.c.2.b.2. Teil 1. – StA B 2-ad T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr. 1. – StA B 2-T.1.c.2.b.2.c.2.b.2. Convolut de 1561 und 1562 Nr. 1 – StA B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.2.b. Nr. 6. – StA B 2-T.1.c.2.b.2.c.2.b.2. – StA B 2-ad R.2.A.o.2.b.2. – StA B 2-ad R.2.A.o.2.b.4. – StA B 2-ad R.2.A.o.2.b.14 – StA B 2-E.7.e.3. – StA B 2-E.7.b.1. – StA B 2-E.7.b.2 – StA B 2-E.7.e.3. – StA B 2-E. 7.d. – StA B 2-P.1-164 – StA B 1-P.1-144 – StA B 2-P.2.n.3.d.2.b.

632

Quellen- und Literaturverzeichnis

– StA B 2-ad.E.7.d – StA B 2-e.7.d. Nr. 9. – StA B 2-E 7.b.1 Nr. 15° – StA B 2-E.7.d. Nr. 2 – StA B 2-E.7.b.2. Nr. 145. – StA B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.3.a. Nr. 13° – StA B 2-T.1.c.2.b.2.c.3.a. Nr. 13a – StA B 2-E.7.b.8 – StA B 2-T.1.c.2.b.2.c.3.c.1. Nr. 1 – StA B 2-T.1.c.2.b.2.c.3.c.1. Nr. 2, 3, 8 – StA B 2-ad.T.1.c.2.b.2.c.3.c.1. Nr. 7. – StA B 2-T.1.c.2.b.2.c.3.c.1 – StA B 2-T.1.c.2.b.2.c.3.c.1. Nr. 10 – StA B 2-T.1.c.2.b.2.c.3.a. Nr. 4f – StA B 2-Q.2.B.2.a.1.[1 e] – StA B 2-T.2.a.1. Nr. 4. – StA B 2-T.2.a.1. – StA B 2-T.2.t. [5]. – StA B 2-T.2.a.1. Nr. 2. – StA B BB 1532–1587 b) Staats- und Universitätsbibliothek Bremen: – C. S. XLIII. 1. – Brem a. 230; 492; 581; 588; 590; 591; 842. – Brem b. 264; 521; 588; 698; 702. – Brem c. 992; 1479. Emden: – StA E. 1. Reg. 955a. Nr. 13. – StA E Emder Offiziantenbuch (HS 4). – StA E Reg. I. Nr. 960a Nr. – StA E Reg. I. Nr. 960a Nr. 4. – Prot.Reg. IV. 4. S. 548–550. – StA E Ratsdiarien Bd. III. (1663–1682). Prot. Reg. Abt. IV. 6. Goslar: – StA G VOA2EE. – StA G B 4350 – StA G B 4546



2. Gedruckte Quellen633

– StA G B 4552 – StA G B 4554 Gotha (Forschungs- und Landesbibliothek): – Chart. A 31–32; 40–43; 55; 65–66; 71; 93. – Chart. B 304. Rostock: – StA R 1. 1. 17 XI. – StA R Abt. II, 5. – StA R 1. 1. 3. 21 / 0159 v 3. – StA R 1. 1. 17 VIII. – StA R 1. 1. 3. 7. 3–9. – StA R 1. 1. 3. 13. 38. Bd. 4. Wesel: – EKAW Bestand B. – EKAW Gefach 2, 1. 3. – EKAW Gefach 3, 1. 67. – EKAW Gefach 3, 1. 66a. – EKAW Gefach 2, 1. 4. – StA W A 3 1540 / 41. – StA W A 3 1541 / 42. – StA W A 3 1542 / 43. – StA W A 3 1548 / 49. – StA W A 3 1552 / 53.

2. Gedruckte Quellen Alting, M.: Korte Bekendtnisse der Christlicken Lehre /  so in der Gemeinde Gades tho Embden /  vtu synem Worde gelöuet /  gelehret /  vnd geprediget werdt. Sampt bygefügter Kercken=Ordnung tho Embden. Bremen 1594. [HU 886 vx: F8]. – Leichpredig So zu Begrebnus des Wolgebornen Herrn /  Herrn Johans Grafen und Herrn zu Ostfrießlandt /  Christseliger Gedächnus /  in der Kirchen zu Embden ist gehalten worden /  Anno 1591. den 9. Octobris. Bremen 1592. [Jal. Theol. 8° 372]. – Gründtlicker Warhafftiger Bericht: Van der euangelischen Reformation /  der Christlicken Kercken tho Embden vnd in Ostfrießland /  Van 1520. beth vp den hüdigen dach […] Gestellet dorch de smaptlicke Dener Christi vnde ordentlicke Prediger des Hilligen Euangelions darsüluest […] Brenem 1594. [Jal. Theol. 8° 0237 R].

634

Quellen- und Literaturverzeichnis

– Historischer Warhafftiger Bericht vnd Lehre Göttliches Worts von dem gantzen streit vnd handel des heiligen Abendmals: in gewisse vnderschiedene Capitel ordentlich verfasset. Herborn 1595 [UB HU Dk 5791 (1)]. Anno etc. 1601. den 24 Martij ist den samptlichen Herrn des Ministerij alse D. Pezelio, D. Pierio, Leoni Waßman, M. Rudolpho Monnickhusen, Dno [= Domino – Anm. Ch. P.] Capitoni, Johanni Hillebrandt, M. Augusto, L. Tobiae Pezelio et Meinhardo Meinhardes diese des Raths erklerung angezeigt. StA B 2-T.2.a.1. Nr. 2. Antwort der rechtgläubigen Praedicanten in Ostfrießland, auf die Missive oder Sende-Briefe, etlicher erdichteter Studenten und Brem-Emdische kauffleuten, um das Emdische Buch und des D. Pezelii Vorrede zu beschirmen. Emden 1593 [HAB Microfische 1466]. Apologia Das ist /  Volkommene Verantwortung /  so Bürgermeister vnd Rath /  sampt den Viertzigern /  vnd der gantzen Burgerschaft der Stadt EMBDEN […]. Groniu­ gen 1602. [SBB HA 2 Tm 7670. F 3360-F 3361]. Apologia, das ist /  Volkommene Verantwortung /  so Bürgermeister vnd Rath / sampt den Viertzigern /  vnd der ganzen Burgerschaft der Stadt Embden, zur entdeckung ihrer vnschuldt mussen ausgeben […]. Groningen 1602. [Jal. Hist. 133]. Bekentnis Vnterricht vnd vermanung /  der Pfarhern vnd Prediger /  der Christlichen Kirchen zu Magdeburgk. Anno 1550. Den 13. Aprilis [HAB Wf. Yt Helmst. 4° 21]. Berichtbüchlein /  Von erkendtnis des willen vnd der genaden Gottes. Jtem von den zeichen vnd früchten der waren erkendtnis /  sampt viel anderer guter Lehre /  zum theil aus französischer sprach auff Deutsch gestelt /  zum theil new darzu gethan /  vnnd alles fleissig gebessert vnd gemehret. 1583 [SBB Cx 150a]. Vom Beruff vnd enturlaubung der Prediger /  fürtrefflicher Lerer bedencken. Eisleben 1571. [HAB yv 1217 Helmst 8° (3)]. Ioannis à Borck, In Causa Religionis, in: Lavrentio Kirchhovio (Hg.), Consilorvm sev Responsorvm Ivris, Germanorvm, Italorvm, Gallorvm, et Hispanorvm, I. C. Hodie Celebratissimorvm Penv, de rebus et cavsis non minvs ardvis, et controversis quam in primo volumine elaboratum est, superiorum Inferorum’q; statuum atq; personarum iura spiritualia, tum ciuilia concernentibus, perpesno iudicio atq; opera depromptorum. Vol. V. Frankfurt /  O 1605. S. 218–283 [StA B. 2-ad E.7. e.4.]. De Bremen si sedicione exclcitata a sacramentarijs, uera naaratio: conscripta [StA B 2-E.7.d. Nr. 7.]. Brenneysen, E. R.: Ost-Friesische Historie und Landes-Verfassung (Quellensammlung). Ostfriesland 1720. 2 Bde. [UB HU Sm 8240a]. An Bürgermeister vnd Rath /  sampt der gantzen gemeinde vnd Bürgerschaft der loblichen Stadt Bremen. [UB Bremen, Brem.b.704]. Carpzov, B.: Practica Nova Imperialis Saxonica Rerum Criminalium. In Partes III. Divisa. Wittenberg 1646.



2. Gedruckte Quellen635

Cassel, J. P.: Historische Nachrichten von der Regimentsverfassung und dem Rath der Kaiserlich. Freien Reichsstadt Bremen. Bremen 1768. [UB Bremen, Brem. c. 1479]. – Historische Nachrichten von dem Leben und Schriften Herrn Heinrich Krefting [UB Bremen, Brem. c. 1479]. Bd. 2. S. 425–460. – Bremensia II. Christliches demütiges Bedencken vam deme Lünebborgschenn Mandat“ [UB Bremen, Brem. 496]. Confessionsschrifft: Etlicher Predicanten in den Herrschafften /  Graitz /  Geraw /  Schonborg /  vnd ander hernach vnterschriebenen: Gestellet Zu Notwendiger Ablenung vieler Ertichten Calumnien vnd Lesterungen /  vnd dagegen zu erklerung vnd beförderung der Warheit /  zu förderst aber wie ein jeder Christ /  die jetzt schwebenden schedlichen Corruptelen vnd Jrthume /  nach dem Heiligen Catechisimo Lutheri erkennen /  Wederlegen vnd fliehen müge: Anno Domini 1567. [HAB Wf. 202. 4b Quod. (10)]. CR. 3;15; 16;21. Die Deputierten (1567–1589) und Vierziger (1589–1811) der Stadt Emden. Emden 1967. S. 1–26. Ehmck, D. R. / v. Bippen, W. (Hg.): Bremisches Urkundenbuch (BUB). Bremen 1876 ff. Emmius, U.: Mensonis Altingi […] vita […] Accedunt Henrici Altingii […] Historia de ecclesiiis Palatinis […] nec non Adami Mensonis Isinck Brevis historia de reformatione in urbe Groninga et Omlandia […] cura Adami Mensonis Isinck. Groningen 1728. Erinneringe van de Beropinge der Prediger /  wodanich /  vnd dorch wehn desulve geschen sal /  sampt ock wat van den Iure Patronatus, offte Collations-rechte over de kercklicke Beneficien tho holden sy. Gronningen 1594(?). [Jal. Theol. 293]. Faber, G.: „Eine antwert Gellij Fabri dener des hilligen wordes, binnen Embden, vp einen bitter-hönischen breeff der Wedderdöper, darynne se etlicke orsaken menen tho geuen, worumme se in onse Kercken umme Gades wortdt tho hören, vnd mit der Gemene de hilligen Sacramente tho bruken nicht kamen willen, vnde de Kercke Gades sampt eren denern schentliken lasteren vnde schelden.“ Bl. Biij. (Benutzt von einem Transkriptionsarbeit von Johannes a Lasco Bibliothek 2004. Fecht, J.: Historiae ecclesiasticae seculi A.N.C. XVI. Supplementum, Durlach 1684 [SBB Be 9140]. Förstermann, G. (Hg.): Die Gesetzsammlung der Stadt Nordhausen im 15. und 16. Jahrhundert. 1843. Gerichts- und Policey-Ordnung von Gräfin Anna von 1545 [UB HU Sm 8240a]. Gryse, N.: Historia von Lehre, Leben und Tod Joachim Slüters mit anschließender Chronik. Rostock 1593. Heresbach, K.: De educandis erudiendisque principum liberis rei publicae gubernandae destinatis deque republica christiana administranda epitome libri duo. Francofvrti Ad Moenvm 1592 [SBB HA 2 Tm 7670: E1853-E 1855].

636

Quellen- und Literaturverzeichnis

Hertzberg, H.: Das Tagebuch des bremischen Ratsherrn Salomon 1568–1594, in: Bremisches Jahrbuch 29 (1924) S. 27–81. Heshusius, Tilemann: Vrsach vnd Grundt / Warumb ein trewer Pfarrherr oder Seelsorger /  einen offentlichen Vnbusfertigen Sunder /  Als Gotteslersterer / halstarrigen Papisten /  vberfurten Caluinisten /  vberwiesenen Huren /  Ehebrechern oder wucherer /  der keine Busse zusagen will /  bey der hei. Tauffe nicht solle Geuatter stehen lassen /  noch im das H. Nachtmal reichen. Jhena 1573 [HAB Wf 523.22 Theol.17]. – Examen Theologicum D.Tilemanni Heshusij. Wittenberg 1587 [HAB ALVENSLEBEN Ba 99]. – Römer 13,1–7. Explicatio epistolae pavli ad romanos. Ienae 1572 [HAB Wf 817.10 Theol.]. – Postilla Das ist /  Auselgung Der Sontaglichen Euangelien /  Durchs gantze jahr Durch D. Tilemanum Heshusium. Eisleben 1586 [HAB Wf 305.5 Theol.2°]. – Antwort d. Tilemanni Heshusy vnd Petri Eggerdes auff das mandath der Burgermeister vnd des Radts der Stadt. Rostock 1557. StA Rostock 1.1.17 XI. Bl. 343– 410. – Vom Ampt vnd gewalt der Pfarrherr. Auch Wer macht /  fug vnd recht hab Pfarrherrn zuberufen. 1601 Wittenberg [HAB Wf. 919. 87 Theol. 2]. – Der Prediger zu Bremen Bekantniss /  vom Nachtmal Jesu Christis vnd Doctoris Tilemann Heshusij Bekanntniss vom Nachtmal Jesu CHRJsti. Dem Churfürsten Pfalzgrauen beym Rein vberantwortet. Anno M.D.LIX. Den i. Septembris. 1561 Magdeburg [HAB Wf. 183.9 Theol. 2]. – Vrsach /  Warumb das Newe Hällische Mandat /  einem trewen Leerer nicht anzunemmen sey. 1562 Leipzig [HAB Wf.156. 22 Theol.13]. – Centesimum Primum psalmum. Commentarius in librum Psalmorum. Authore D.Tilemanno Heshusio, in: Biblia, VT., Psalmi. Helmstedt 1586 [HAB Wf. H: C 156 2°]. – D. Tielemanni Heshusij andere notwendige verantwortung /  wieder der verfolger vnnd falschen prediger zu Magdeburg grausame Schmachschrifft /  vnter dem vermeinten titel Notwehr ausgangen. Magdeburg 1564 [HAB Wf. 228.7 Theol. 14]. – Auslegung vber den XIX Psalm Dauids. Jena 1571 [HAB H 14 Helmst 4° 8]. – In prophetam Jesaiam commentarius Tilemanni Heshusii, in: Johannis Olearii (Hg.), Halae Saxonum 1617. [4° Jh 78]. – Hauptartickel. Christliche Lehre /  ordentlich in Predigten gefasst. Allen Gleubigen vnd rechtschaffenen Christen /  so nach dem rund jres Glaubens mit ernst forschen /  vnd die vnuerfelschte warheit Gottes von Herten lieb haben /  sehr nutzlich zulesen. Helmstedt 1584 [HAB Wf. 434. 18. Theol. 2°]. – Sechs Hundert Jrthumb /  lügen vnd Gotteslesterung /  welche die Romischen papstliche Kirche /  als des Endte christs Synagoga wider Gottes Wort /  vnd fast alle Heupt Articul Chrislticher Lere /  halsstarrigi vnd freuentlicher Lere verthedidiget. Muhlhausen 1588 [HAB Wf. 740. Theol.].



2. Gedruckte Quellen637

– Dr. Tielmanni Heshusij notwendige entschuldigung /  vnd gründliche verantwortung /  wider den etlicheten Bericht /  des Raths der alten Stad Magdebrugk /  von der Ausführung der Prediger daselbst. Magdebrug 1562 [HAB Wf. 228. 7. Theol. 2] – Gründtliche wiederlegung der abwitzigen vnnd Lesterlichen Protestation Doct. Frantzen Pfeil syndici der altern Stadt Magdeburg. Magdebrug 1564 [HAB Wf. 228. 7 Theol. 15]. – Gründtliche vnd bestendige widerlegung  /  der grausamen vnartigen Calumnien M.Seigfridi Lügensacks /  Mgadeburgischen Schulmeisters. 1564 Magdeburg [HAB Wf. 228. 7 Theol. 17]. – Sechs Predigten vom Gesetz Gottes. Lauingen 1569 [HAB Wf. ALVENSLEBEN Dm 228. 2]. – DJe Dritte Predig Das Der Heilige Geist Warer Allemchtiger Gott sey. Heydelberg 1559 [HAB J 205 Helmst. 4° 14]. – Sechspredigten vom Ampt vnd Wolthaten Jesu Christi. 1583 Helmstedt [HAB 434. 18 Theol. 2°]. – Antwort Doc.Tilemanni Heshusij auff der Lügenprediger von Magdeburg vermeinte vnnd vngegründte Apologia. Magdeburg 1564. [HAB Wf. 228. 7. Theol. 16]. – Extrackt oder auszug /  aus einem Christlichen Sendbrieff vnd Warnung. Eisleben 1585 [HAB Alven. Dn 254 (6)]. – Von der Notwehr vnterricht /  Nützlich zu lesen Durch Justum Menium. 1547 Wittenberg [HAB Yt 5. 4° Helmst. 7]. – Von Eheverlübnissen vnd verbotenen Gradibus Wie nahe vnd fern der Verwandtnis ein Christ mit gutem Gewissen /  freyen möge. Erffurdt 1591 [HAB Wf. 459.19. Theol. 9]. – Ein andere Schrift D. Tilemann Heshusij /  vnd etlicher Theologen im Fürsten­ thum Beuburgk an der Tonaw. 1573 Jhena [HAB Wf. 523. 22 Theol. 17]. – Trewe Warnung an meinen lieben Preussen. Für Der vnchristlichen Gemeinschafft mit den Gottlosen vnd hochschedlichen CALVINISTEN. Königsperg 1575 [HAB Wf. 231. 23. Theol. 11]. – Antwort /  Auff etliche fürgestelte Fragen Tilemanni Heshusij /  Fromen Christen vnd Liebhanern der Warheit /  so jetziger zeit vnter den Caluinisten vnd Bapisten sein vnd leben müssen /  sehr nötig zu wissen /  vnd wol zubetrachten. Auch Andere Quaestiones, wie man die jenigen /  so des Caluinissmi halber suspect vnd verdechtig sind /  sol examinieren vnd auff die Prob setzen. 1585 Jhena [HAB H 212 4° Helst. 4]. – Der Altenstadt Magdeburgk Syndici d. Frantzen Pfeyls Notwendige Protestation. Kegenbericht und Erklerung wider Tilemanni Heshusij Schmachbucht. Magdeburg 1563 [HAB Alv. 2080 10]. – Des Radts der Altenstadt Magdeburgk. Bericht, was beweglichen ursachen sich jtziger hendel zugetragen, sampt angehengter Christlicher bitt, ermanung und erbietung. Magdeburg 1562 [HAB Alv. 2080 1].

638

Quellen- und Literaturverzeichnis

– Trewe Warnung / für den Heidelbergischen Calunisten Catechismum /  sampt wiederlegung etlicher irthumen desselben. Erfurdt 1585 [HAB Wf. 8° Gk 76 Helmst. 2]. – Vrsach /  Warumb das Newe Hällische Mandat /  einen trewen Leerer nicht anzunemen sey. 1562 Leipzig [HAB Wf. 156. 22 Theol. 13.]. – Kurtzer Vnterschied zwischen Christlicher Lehre /  zu der sich die Catholische Kirche oder gemeinde Jesu Christi bekennet /  vmb der lesterlichen jrthumen /  greweln vnd Abgöttereyen der Pebstlichen Antichristlichen Rotten. Helmstedt 1564. [HAB S 295.8° Helmst. 3]. – Widerlegung der falschen Lere d. Christophorie Pezelij vnd seiner Mitprediger zu Bremen. Von der Person Jesu Christi vnd H. Abendmal. 1592. Bremen ­[ALVENSLEBEN Ab 255.2]. – De Vera Iesv Christi Ecclesia eiusque authoritate. Ihnae 1572 [H: G 84. 8º Helmst]. Hillem, C. H. W.: Briefsammlung des hamburgischen Superintendenten Joachim Westphal aus den Jahren 1530–1575. Hamburg 1903. [UB Bremen, Brem. 61.c.47]. Historische Nachrichten von dem Leben und Schriften Herrn Henrich Krefting. [UB Bremen. Brem. c. 1479] Bd. 2. Hondorff, A.: Der Eltern und Kinder Spiegel. Darin zuschawen und zu erkennen, was der Eltern vnd Kinder Ampt sey, Auch wie die Kinder recht unnd Christlich gezogen sollen werden. Leipzig 1568. [SBB 2810–2811]. Ihken, J. F.: Die Bremische Kirchenordung von 1534, in: Bremisches Jahrbuch 2 (1891). Serie II. S. 1–116. – Der Conensus Ministerii Bremensis Ecclesiae von 1595, in: Bremisches Jahrbuch 10 (1878). S. 84–103. – Kirchenordnung fuer Juelich, Kleve und Berge. Düsseldorf 1565. [SBB Th 5632 Nr 1 und 2]. – Die Kirchenordnung Herzog Johann III. [SBB Th 5632 Nr. 1]. Judex, M.: Der Ewigen /  Allmechtigen Göttlichenn Mayest. Mandat /  vnd ernstlicher Befelc /  wes sich ein yeder Christ /  nach seinem Beruff vnnd stande /  gegen dem offenbarten Antichrist /  das ganze Babstumb /  halten sole /  wiederholet vnd er­ kleret. Magdeburg 1561. [SBB DG 6110]. – Ein vnterricht vnd Trostschrifft /  an die betrübte /  vnd von inwendigen geistlichen feinden beengstigete Kirche zu Magdeburg. Mühlhausen /  Elsaß 1563. [SBB Dm 2120]. Kuyper, A. (Hg.): Johannis a Lasco opera tam edita quam inedita[…]. 2 Bde. Amsterdam 1866. Leuckfeld, J. G.: Historia Heshusiana, Quedlinburg 1716.



2. Gedruckte Quellen639

Lücke, E.: Der Bremer Rat vom 1225 bis 1433 und die Ratsherren mit ihren verwandtschaftlichen Beziehungen, in: Zeitschrift für niedersächsische Familienkunde 17 (1935). S. 17–75. Maaler, J.: Spraach: Die Teütsch spraach [1561]. Dictionarium Germanicolatinum novum. Mit einer Einführug von Gilbert de Smet. Hildesheim / New York 1971. Der von Magdeburgk ausschreiben an alle Christen. Magdeburg 28. März 1550. [SBB Te 7768 (8)]. Der von Magdeburgk Verantwortung alle vnglimpffs […]. Magdeburg 1550 [SBB Te 7768 (9)] Der von Magdeburg Verantwortung alles Unglimpfs so ihnen in ihrer Belagerung von den Magdeburgischen Baals Pfaffen und andern ihren unnd der Christen Feinden begegnet, 13. 12. 1550, der auf die Wegnahme der Neustadt durch Moritz nd seine zweite aufforderung zur Aufgabe antwortete. [HAB Wf. 118 Helmstedt Nr. 6]. Meiners, E.: Oostvrieschlands Kerkelyke Geschiedenisse of een historisch en oordeelkundig verhaal van het gene nopens het Kerkelyke in Oostvrieschlandt […]. Gronnigen 1738 / 39. Melanchthon, P.: Christianis an liceat litigare in iudicio. Hagenau 1529. – Tractatus de potestae Papae (Die Bekenntnisschriften). 1537. Menius, J.: Oeconomia Christiana : das ist, von Christlicher haushaltung. Wittenberg 1529. An die hochgeborne Furstin, fraw Sibilla Hertzogin zu Sachsen, Oeconomia Christiana, das ist, von Christlicher haushaltung / Justi Menij. Mit einer schönen Vorrede D. Martini Luther [SBB Cu 4456]. – Catechismus Iusti Menij. Ein Trawbüchlin für die einfeltigen Pfarherrn. Martinus Luther. Menius, Justus. Erfurt 1532. – Von der Notwehr vnterricht /  Nützlich zu lesen Durch Justum Menium. 1547 Wittenberg [HAB Yt 5. 4° Helmst. 7]. Miessner, R.: Die bremischen Pastoren seit der Reformation. Bremen 1951. Müller-Benedict, O. / Ammann, H.: Bremer Pfarrerbuch. Bd. 1. Bremen 1990. Neue wöchentliche Rostocker Nachrichten. Rostock 1838. „Notel“ Herzog Wilhelms V. von 1545 [HStAD, Jülich-Berg II Nr. 200]. Nottwendige verantwortung vnd bestendiger beweislicher gegenbericht des Rahts vnd Gemeinde der Stadt Bremen /  widder die vnchristliche vngegeründete /  derselbigen Widderweertigen /  dero Aussgetrettenen gewesenen des Rahtss daselbst /  hin vnnd widder gesprengete vnleumdung /  Vnd in sonderheit /  widder die meuchlings abgetruckte Ehrenrührige lesterliche Schriffte Dithmar Kenckels gewesenen Burgermeisters. [StA B 2-ad E.7.d] Bremen 1566. Notwendige Entschuldigung /  vnd warhafftiger Bericht /  der vorjagten Prediger zu Bremen /  auff die vorleumdung vnd falsche aufflage jhres gegentehils /  Daraus leichtlich zu sehen /  welch theil bey der warheit Augspurgischen Confession /  vnd Schrifften des heiligen D. Lutheri geblieben oder Dauon abgetretten /  vnd des Lermens ein vrsach sey. [UB Bremen, Brem.b.1472].

640

Quellen- und Literaturverzeichnis

Notwendige vnd warhaffte entschuldigung des Ministerij zu Bremen. 1583 Bremen. [UB Bremen, Brem. b. 704 Nr 1]. Oestfrießlandisch klenodt /  Deß waren Gelovens vnde bestendigen trostes /  darin de vornmeste hovet Löehren der Christlicken Religion grundtlick bewehret /  verlerley Erdomt överst weddericht werden. Emden 1612. [Jal. Theol. 236]. De officio fideis et prudentis magistratus tempore pestilentieae Rempub. Á contagio praeseruandi liberandique Libri duo. 1582 [SBB Ju 6020]. Pestilentzordnunge: Nützer vnd notwendiger vnderricht /  von dem Ampt der Obrigkeit /  in Pestilentzzeiten /  wie durch Jhren fleis die Pestilentz verhütet /  vnd da dieselbe eingerissen /  gedempfft werde könne. 1583 [SBB Ju 2699]. Pezel, C.: Missive Oder Sendbriefe etlicher Guthertzige /  vnnd Gelehrten Studenten /  sampt einer Bäpstlichen Bulla. [UB Bremen, Brem. B. 86 Nr 25]. Post, H.: Fasti Consulares et Senatorii. Bremen 1726. Recusationsschrift der Christlichen Augspurgischen Confessions verwandten Stende /  wider das vermeint /  von Bapst Paulo dem dritten /  weiland zu Trient indicirt vnnd angefangen Concilium /  sampt einer gebürlichen Prouocation vnnd erbietung lauf ein allgemein oder National /  frey /  christlich von vnpatrisch Concilium inn Deutschen Landen. Magdeburgk 1551 [HAB Wf. 231, 161 Theol. 17]. Renner, J.: Chronica der Stadt Bremen. Bremen 1995. Rudloff, O.: Johann Timanns Sermon „Von Christlicher Freiheit und Menschengeboten“ (1533) und der „Unterricht der Visitatoren“ (1528), in: Hospitium Ecclesiae 18 (1991). S. 117–154. – Des Ministeriums zu Bremen vergleich in den vornehmsten Stücken christlicher Lehre, in: Hospitium Ecclesiae 19 (1993). S. 75–100. Sack, S.: Kurtzer vnterricht von gerechtigkeit Christlicher Obrigkeit in erwelung vnd beruffung der Kirchendiener /  zu sammen gezogen /  aus heiliger Göttlicher schrifft /  aus den Patribus /  vnd den fürnembsten Theologen zu vnser zeit /  Luthero vnd andern mehr. Durch Siegfridum Saccum Rectorem der Schulen zu Magdeburg. Magdeburg 1565 [DrSLUB. Theol. ev. Pol. 140°, 4]. Schilling, H. (Hg.): Die Kirchenratsprotokolle der reformierten Gemeinde Emden 1557–1620. Teil 1 (1557–1574). Köln / Wien 1989. Teil 2 (1575–1620). Köln / Weimar / Wien 1992 (Städteforschung C / 3 / 1+2). Schoppe, A.: Gründtliche vnd richtige antwort auff die frage: Ob eine gantze Christliche Gemein /  vnd ein jeder Christ in sonderheit /  von Gottes wegen recht vnd macht habe /  allerley Lere zu vrtheilen vnd zu richten /  dawieder jetziger zeit aber mal von etlichen Kluglingen gestrieten vnd gehandelt wird. Eisleben 1570. [HAB Wf. 1119. 1 Theol. (2)]. Sehling, E. (Hg.): Die evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts. Bd. 7. Niedersachsen, 2. Hälfte, 1. Halbband. Tübingen 1969. S. 307–751; ders., Abt. 1 Sachsen und Thüringen nebst angerenzenden Gebieten. Leipzig 1902. Summarische erholung des Rahts zu Bremen /  der Gerichtlichen Acten /  so in jrrung vnd Sachen /  darein sie mit etzlichen selbmutigk ausgetretenen daselbst gewese-



3. Literatur641 nen des Rahts /  vnuerschulter weis gerhaten /  auff den /  solcher Sachen angesatzten keyserlichen Summarischen Process /  einn vnd anders theils einbracht. Bremen 1566. [UB Bremen, Brem.b. 3820 Nr c]

Timann, Johann: Etliche warhafftige weissagung /  vnd fürneme spruche des Ehrwirdigen Vaters /  hern Doctor Martini Luthers /  des dritten Heile /  vom trübsam /  abfal /  finsternisen /  oder aber verfelschungen reiner Lere /  so Deutschlandt künfftigliche nach seinem tode /  widerfaren solle. 1552 Magdeburg [yv 1614 8° Helst.(3)]. – Prophetiae aliquvot vere […] Magdeburgae 1552. [WLB, Theol. Oct. 321]. – Farrago sententiarum consentiertium in vera et catholica doctrina de coena domini, collecta per Joh. Timannum Amsterodamum, Pastorem Bremensem in Eccelsia Martiniana. Francof. 1555 [UB Bremen, Brem.c. 670]. Verlegung des Gründlichen Berichte der Adiaphoristen /  zu diesen bösen zeiten /  sehr nutzlich zu lesen. Durch W: Joach: Westpha: Pfarherrn zu Hamburg. 1551 [UB Bremen, Brem. B. 72 Nr. 2.]. Wahrhafftige vnd gegrünter bericht […]. Magdeburg 1549 [SBB Te 7768 (3)]. Wahre Historia Sacramentirischer Auffruhr in der Stadt BREMEN. Rostock 1617 [UB Bremen, Bremn. c. 3820 Nr. a]. Was vor grosse vnd mannichfaltige sünde /  Vnehre vnd ferlickeit /  alle die jenigen, so das Jnterim odder Adiaphora annemen /  odder einigerlie weisse bewilligen /  auff sich laden. 1549. [UB München 4 Theol. 2206]. Was pro und contra inter Ampl. Senatum Brem. Und dem Ehrw. Prediger-Amt hieselbst ist anno 1645 gehandelt worden. [StA B 2-T.2.t. 5]. Wigand, J.: Von dem Beruff der Prediger vnd wie fern weltliche Obrigkeit Macht hat /  dieselbigen jres Amts zuentsetzen /  Nötiger Christlicher bericht aus Gottes wort. Eisleben 1565 [HAB Wf. K 311 4° Helmst. (1)]. v. Witzendorf-Rhediger, H. J.: Die Personalschriften der Bremer Staatsbibliothek bis 1800. Bd. 1. Bremen 1960.

3. Literatur Althaus, P.: Luthers Lehre von den beiden Reichen im Feuer der Kritik, Berlin 1957. Althoff, G.: Die Gründung des Erzbistums Magdeburg, in: M. Puhle (Hg.), Otto der Grosse. Magdeburg und Europa. Katalog der 27. Ausstellung des Europarates und Landesaustellung Sachsen- Anhalt. Bd. 1, Mainz 2001, S. 344–352. Ammann, H.: Bremer Pfarrerbuch Bd. 2, Bremen 1996. Anselm, R.: Ekklesiologie als kontextuelle Dogmatik. Die lutherische Kirchenverständnis im Zeitalter des Konfessionalismus und seine Rezeption im 19. und 20. Jahrhundert (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie 94), Göttingen 2000. – Zweireichelehre. Art, in: TRE 36 (2004), S. 776–784.

642

Quellen- und Literaturverzeichnis

Antholz, H.: Die politische Wirksamkeit des Johannes Althusius in Emden (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands 32), Aurich 1955. Appold, K. G.: Orthodoxie als Konsensbildung (Beiträge zur historischen Theologie 127), Tübingen 2004. Arand, T.: Heresbach in klevischen Diensten. Ein Humanist als Pädagoge und Politiker, in: J. Prieur (Hg.), Humanismus als Reform am Niederrhein (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar 4), Bielefeld 1996. S. 35–47. Asch, G.: Das Common Law als Sprache und Norm der politischen Kommunikation in England (ca. 1590–1640), in: H. Duchhardt / G. Melville (Hg.), Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit. Köln 1997, S. 103–136. Asch, J.: Rat und Bürgerschaft in Lübeck 1598–1669 (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck 17), Lübeck 1961. Asmus, H.: 1200 Jahre Magdeburg. Von der Kaiserpfalz zur Landeshauptstadt. Bde. I und II, Magdeburg 2000. – Geschichte der Stadt Magdeburg, Berlin 1975. Bahlcke, J. / Strohmeyer, A. (Hg.): Konfessionalisierung in Ostmiteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur, Stuttgart 1999. Barkhausen, W.: Der Entwurf eines Verbeterden Stadtbooks und die Glossen zum Stadtrecht von 1433, in: 700 Jahre Bremer Recht 1303–2003 (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen 66), Bremen 2003. Barth, R.: Argumente und Selbstverständnis der Bürgeropposition in den städtischen Auseinandersetzungen des Spätmittelalters, Lübeck 1403–1408 – Braunschweig 1474–1446 – Köln 1396–1400, Köln 1976. Barton, P. F.: Tilemann Heshusius und die lutherische Lehre vom Bann, Diss. Wien 1­957 – Um Luthers Erbe. Studien und Texte zur Spätreformation. Tilemann Heshusius. Witten 1972. – Das Amtsverständnis Tilemann Heshusen, in: Kerygma und Dogma 7 / 1961, S. 115–127. – Tilemann Heshusius, in: TRE 10, S. 258 – Umsturz in Bremen, in: Geschichtsmächtigkeit und Geduld. Festschrift d. Ev. Theol. Fakultät, München 1972, S. 66–76. – Bibliographia Heshusiana 95, Witten 1972. Bartori, I.: Das Patriziat der deutschen Stadt, in: Zeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalspflege 2 (1975), S. 1–30. Bauer, B.: Lutheranische Obrigkeitskritik in der Publizistik der Kipper- und Wipperzeit (1620–1623), in: W. Brückner / P. Blickle / D. Breuer (Hg.), Literatur und Volk im 17. Jahrhundert. Probleme populärer Kultur in Deutschland. Teil II. Wiesbaden 1985, S. 649–677.



3. Literatur643

Bauer, J.: Die Leuchte Thüringen. Johann Gerhard (1582–1637), Zeitgerechte Rechtgläubigkeit im Schatten des Dreißigjährigen Krieges, in: ders., (Hg.), Luther und seine klassischen Erben. Tübingen 1993, S. 335–356. – Lutherische Christologie, in: H. C. Rublack (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung, S. 83–124. Baumgart, P.: Dr. Chyträus und die Gründung der Universität Helmstedt, in: Braunschweigisches Jahrbuch 42 (1961), S. 31–48. Bayer, O.: Natur und Institution. Eine Besinnung auf Luthers Dreiständelehre, in: ZThK 81 (1984) Beck, K.: Rat und Kirche. Der Rat der freien Reichstadt Frankfurt / M. und das evangelisch-lutherische Predigerministerium, Frankfurt / a. M. 1981. Behrendt, W.: Lehr-, Wehr- und Nährstand. Haustafelliteratur und Dreiständelehre im 16. Jahrhundert. Diss. 2009 Berlin. Benedict, O. M.: Der Kercke Sunte Michaelis tho Walle. Anmerkungen zur Bremer Kirchengeschichte im 16. Jahrhundert, in: Bremisches Jahrbuch 60 / 61 (1982 / 83), S. 117–147. Benert, R. R.: Inferior Magistrates in 16th Century Political and Legal Thought. Ph. D. University of Minnesota 1967. Benzing, J.: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts in deutschen Sprachgebiet, Wiesbaden 1963, 2. Aufl. 1982. Berndorff, L.: Die Prediger der Grafschaft Mansfeld. Eine Untersuchung zum „geistlichen Sonderbewusstsein“ in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Diss. Potsdam 2006 (Im Druck). Bernitt, H.: Zur Geschichte der Stadt Rostock, Rostock 1956. Bertram, J. G.: Das evangelische Lüneburg, Braunschweig 1719. Beylagen zum II. Theile Num. XI. Beutin, L.: Ein Stalherr der Tuchhändlergilde zu Bremen. Ratsherr Diedrich Dieckhoff (1560–1624), Bremen 1933. Beutler, C. / Irsigler, F.: Konrad Heresbach (1496–1576), in: Rheinische Lebensbilder 8. Köln 1980, S. 81–104. Beyer, M. / Wartenberg, G. (Hg.): Humanismus und Wittenberger Reformation, Leipzig 1996. Beyreuther, E.: Die Kirche in der Neuzeit, in: Geschichte Thüringens. Köln / Wien 1972, Bd. 4, S. 1–52. v. Bippen, W.: Heinrich Kreffting und das engere Bündnis der sechs korrespondierenden Hansestädte, in: Bremisches Jahrbuch 18 (1896), S. 151–174. – Luthers Brief an Jacob Probst vom 10. Juli 1529, in: Bremisches Jahrbuch 17 (1895), S. 162–166. – Bericht Daniels von Büren über die bremischen Vorgänge im Januar 1562, in: Bremisches Jahrbuch 17 (1895), S. 181–193.

644

Quellen- und Literaturverzeichnis

– Bericht des Bürgermeisters Diedrich Vasmer an den Rat, in: Bremisches Jahrbuch 17 (1895), S. 166–181. – Vertheidigungsschrift des Bremisches Schiffers Johann Meier von circa 1580, in: Bremisches Jahrbuch 12 (1881), S. 155–159. – Biographie des Bremischen Bürgermeisters Heinrich von Zobel 1539–1615, in: Bremisches Jahrbuch 9 (1875), S. 74–106. Birkner, H. J.: Kulturprotestantismus und Zwei-Reiche-Lehre, in: N. Hasselmann (Hg.), Gottes Wirken in seiner Welt. Bde. 1–2, Hamburg 1980 / 1982. Birr, C.: Weistümer und „Ländliche Rechtsquellen“, in: J. Pauser / M. Scheutz / T. Winkel­ bau­ er (Hg.), Quellenkunde der Habs­ burgermonarchie (16.–18. Jahrhundert), Ein exemplarisches Handbuch. München 2004, S. 390–408. Black, A.: Political Thought in Europe. 1250–1450, Cambridge 1992. Blickle, P.: Kommunalismus. Skizzen einer gesellschaftlichen Organisationsform. 2 Bde. München 2000. Bluhme, G.: Goslar und der Schmalkaldische Bunde 1527 / 31–1547 (Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar 26), Goslar 1969. Bormann-Heischkeil, S.: Die soziale Herkunft der Pfarrer und ihrer Ehefrauen, in: M. Greifenhagen (Hg.), Das evangelisches Pfarrhaus. Eine Kultur- und Sozial­ geschichte. Stuttgart 1984, S. 149–174. Böttcher, D.: Ungehorsam oder Widerstand?. Zum Fortleben des mittelalterlichen Widerstandsrechtes in der Reformationszeit (Historische Forschungen 46), Berlin 1991. Brady, T. A.: Turning Swiss: Cities and Empire, 1450–1550, Cambridge 1985. – Luther and Society. Two Kingdoms or Three Estates? Tradition and Experience in Luther’s Social Teaching. In: Lutherjahrbuch 52 (1985), S. 197–212. – Luther’s Social Teaching and the Social Order of his Age. In: Michigan Ger­ manic Studies 10 (1984), S. 270–290. Brage, B. W. (Hg.): Handbuch der niedersächsischen Landtags- und Ständegeschichte Bd. 1: 1500–1806 (Veröffentlichungen der historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 126), Hannover 2004. Brecht, M.: Martin Luther. 3 Bde. Stuttgart 1981 / 1987. – Lutherische Kirchenzucht bis in die Anfänge des 17. Jahrhunderts im Spannungsfeld von Pfarramt und Gesellschaft, in: H. C. Rublack (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung, S. 400–420. Bremme, R.: Johann Esich, Bremer Bürgermeister und Verteidiger der lutherischen Abendmahlslehre, Bad Oeynhausen 2001. Brockmann, T.: Die Konzilsfrage in den Flug- und Streitschriften des deutschen Sprachraumes 1518–1563 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 57), Göttingen 1998. Brunner, O.: Das ganze Haus und die alteuropäische Ökonomik, in: Neue Wege der Sozialgeschichte. Vortärge und Aufsätze, Göttingen 1956, S. 33–61.



3. Literatur645

– Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte. 2. Aufl., Göttingen 1968. – Souveränitätsproblem und Sozialstruktur in den deutschen Reichsstädten der frühen Neuzeit, in: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 50 (1963), S. 329–360. Brunner, O. / Conze, W. / Koselleck, R. (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bde. 1–8, Stuttgart 1972–1997. de Buhr, H.: Die Entwicklung Emdens in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Diss. Hamburg 1967. Canzler, G.: Zünfte und Gilden in Ostfriesland bis 1744, Weener 1996. Carl, H.: Schwäbische Bund 1488–1534. Landfrieden und Genossenschaft im Übergang vom Spätmittelalter zur Reformation (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 24), Leinfelden-Echterdingen 2000. – Landfriedeneinung und Ungehorsam – der Schwäbische Bund in der Geschichte des vorreformatorischen Widerstandsrechts im Reich, in: R. v. Friedeburg (Hg.), Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit, S. 85–112. Christes, J.: Populus und res publica in Ciceros Schrift über den Staat, in: E. Richter / R. Voigt / H. König (Hg.), Res Publica und Demokratie. Die Bedeutung von Cicero für das heutige Staatsverständnis. Baden-Baden 2007, S. 85–103. Coenen, D.: Die katholische Kirche am Niederrhein von der Reformation bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 93), Münster 1967. Crusius, G. F. E.: Geschichte der vormals kaiserlichen freien Reichsstadt Goslar, Oster­ode 1842. Dann, O.: Gleichheit und Gleichberechtigung. Das Gleichheitstheorie in der alteuropäiscen Tradition und in Deutschland bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert (Historische Forschungen 16), Berlin 1980. Dauber, N.: Deutsche Reformation: Philipp Melanchthon, in: Christoph Horn / Ada Neschke-Hentschke (HG.), Politischer Aristotelismus. Stuttgart / Weimar 2008. Deeters, W.: Geschichte der Stadt Emden von 1576 bis 1611, in: Geschichte der Stadt Emden Bd. 1, Leer 1994. Deflers, I.: Lex und Ordo, Berlin 2005. Deneken, A. G.: Die bremischen Bürgermeister Daniel von Büren, der ältere und Daniel von Büren, der jüngere, Bremen 1836. Dettmann, G. / Schörder, A.: Die bremische Gold und Silberschmiede (Veröffent­ lichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen 7), Bremen 1931. Deventer, J.: Confessionalisation – a Useful Theoretical Concept fort the Study of Religion, Politics, and Society in Early Modern East-Central Europe, in: European review of History – Revue européenne d’ Histoire 11 (2004).

646

Quellen- und Literaturverzeichnis

Diestelkampf, B.: Die Städteprivilegien Herzog Ottos des Kindes, ersten Herzogs von Braunschweig-Lüneburg (1204–1252), (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 59), Hildesheim1961. Dieter, T.: Die junge Luther und Aristotelismus. Eine historisch-systematische Untersuchung zum Verhältnis von Theologie und Philosophie, Walter de Gruyter /  Berlin / New York 2001. Dingel, I.: Concordia Contro­ versa (Quellen und Forschungen zur Reformations­ gesch­ichte 63), Gütersloh 1997. Distel, T.: Der Flacianismus und die schönburgische Landesschule zu Geringswalde, Leipzig 1879. Dörfler-Dierken, A.: Luthertum und Demokratie: deutsche und amerikanische Theologen des 19. Jahrhunderts zu Staat, Gesellschaft und Kirche (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 75), Göttingen 2001. S. 11–17. Dreitzel, H.: Monarchiebegriffe in der Fürstengesellschaft, Bd. 2, Köln / Weimar / Wien 1991. – Absolutismus und ständische Verfassung in Deutschland, Mainz. 1992; R. v. Friedburg, Kommunalismus und Republikanismus in der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung 21 (1994). Duby, G.: Die drei Ordnungen. Das Weltbild des Feudalismus (1978), Frankfurt a. M. 1986. Duchhardt, H.: „System“ im „System“? Die „späte“ Hanse und die internationale Politik, in: E Müller-Mertens / H. Böcker (Hg.), Konzeptionelle Ansätze der Hanse-Historiographie (Hansische Studien 14), Trier 2003. S. 63–68. – Die Absolutismusdebatte – eine Antipolemik, in: HZ 275 (2002), S. 323–332. Duchrow, U.: Nachwort – Typen des Gebrauchs und Missbrauchs einer Lehre von zwei Reichen und Regimenten, in: ders., (Hg.), Zwei Reiche und Regimente. Ideologie oder evangelische Orientierung? Gütersloh 1977, S. 272–304. – Christenheit und Weltverantwortung. Traditionsgeschichte und systematische Struktur der Zweireichelehre. 2. Aufl., Stuttgart 1983. van Dülmen, R.: Protestantismus und Kapitalismus. Max Webers These im Lichte der neueren Sozialgeschichte, in: C. Gneuss / J. Kocka (Hg.), Max Weber, Ein Symposion, München 1988, S. 88–101. – Entstehung des frühneuzeitlichen Europa 1550–1650 (Fischer Weltge­ schichte 24), Frankfurt / a. M. 1984. – Die Formierung der europäischen Ge­sellschaft in der Frühen Neuzeit. Ein Versuch, in: Geschichte und Gesellschaft 7 (1981), S. 5–41. Dünnwald, A.: Konfessionsstreit und Verfassungskonflikt (Schriften der HeresbachStiftung Kalker 7), Bielefeld 1998. Dünzelmann, E.: Die Bremische Kaufmannsgilde und ihre Elterleute, in: Bremisches Jahrbuch 18 (1896), S. 77–115. Dürr, R.: Mägde in der Stadt. Das Beispiel Schwäbisch-Hall in der Frühen Neuzeit. Frankfurt / a. M. 1995.



3. Literatur647

– Politische Kultur in der Frühen Neuzeit. Kirchenräume in Hildesheimer Stadtund Landgemeinden 1550–1750 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 77), Gütersloh 2006. Düselder, H.: Die Geschichte der Gemeinde Unser Lieben Frauen von der Reformation bis zur Franzosenzeit, in: D. v. Reeken (Hg.), Unser Lieben Frauen. Die Geschichte der ältesten Kirchengemeinden Bremens von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bremen 2002, S. 35–42. Eckert, B.: Der Gedanke des gemeinen Nutzen in der lutherischen Staatslehre des 16.und 17. Jahrhunderts. Diss. Frankfurt / a. M. 1976. Ehlers, I. / Keipke, B. (Hg.): Rostocks Bürger auf dem Weg zur Demokratie, Rostock 1999. Ehrenpreis, S. / Lotz-Heumann, U.: Reformation und konfessionelles Zeitalter, Darmstadt 2002, S. 67–71. Eichhorn, C. F.: Rechtsgutachten über die Verhältnisse der St. Petri Domgemeinde der Freien Hansestadt Bremen, Hannover 1831. Eisenstadt, S. N.: Wandel, Tradition und Modernität, Frankfurt / a. M. 1979. Eitel, P.: Die oberschwäbischen Reichsstädte im Zeitalter der Zunftherrschaft. Untersuchungen zu ihrer politischen und Sozialstruktur unter besonderer Berücksichtigung der Städte Lindau, Memmingen, Revensburg und Überlingen, Stuttgart 1970. Elert, W.: Morphologie des Luthertums. 2 Bde., München 1953. – Societas bei Melanchthon, in: Das Erbe Martin Luthers und die gegenwärtige theologische Forschung. Festschrift Ludwig Ihmels, Leipzig 1928, S. 101–115. – Zur Terminologie der Staatslehre Melanchthons und seiner Schüler, in: ZST (1932), S. 522–534. Elmshäuser, K. / Hofmeister, A. E.: 700 Jahre Bremer Recht 1303–2003 (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen 66), Bremen 2003. Elsmann, T.: Der Fall Rudolf von Münchhausen (1559 / 60), in: Mecklenburgische Jahrbücher 110 (1995), S. 77–96. Elstermann, E.: Die Lederarbeiter in Bremen (Veröffentlichungen aus dem Staats­ archiv der Freien Hansestadt Bremen 17), Bremen 1941. Engelhardt, H.: Das Irrlehreprozess gegen Albert Hardenberg 1547–1561. Diss. Frankfurt / a. M. 1961. – Das Irrelehreverfahren des niedersächsischen Reichskreises gegen Albert Hardenberg 1560 / 1561, in: Jahrbuch der niedersächsischen Kirchen Geschichte 61 (1963), S. 33–62. – Der Irrlehrstreit zwischen Albert Hardenberg und dem Bremer Rat, in: Hospitium Ecclesiae 4 (1964), S. 29–52. Entholt, H.: Bürgermeister Krefting und seine Familie, in: Bremisches Jahrbuch 29 (1924), S. VII–XII. – Kaufmannschaft und Staatsverwaltung, in: Bremisches Jahrbuch 20 (1926), S. X.

648

Quellen- und Literaturverzeichnis

Erdman, K. D.: Luther über Obrigkeit, Gehorsam und Widerstand, in: H. Löwe /  C. J. Röpke (Hg.), Luther und die Folgen, München 1983. Erler, A. / Kaufmann, E.: (Hg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Bd. 1, Berlin 1971. Fatthauer, H.: Die bremische Metallgewerbe vom 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhundert (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen 13), Bremen 1936. Fenske, H. / Mertens, D. / Reinhard, W. / Rosen, K.: Geschichte der politischen Ideen – vom Homer bis zur Gegenwart. Frankfurt / a. M. 1991. Fink, G.: Die rechtliche Stellung der Deutschen Hanse in der Zeit ihres Niedergangs, in: Hansische Geschichtsblätter 61 (1936), S. 122–137. Fischer, F.: Die Auswirkungen der Gegenreformation auf das deutsche und west­ europäisch-amerikanische politische Leben, in: F. K. Schumann (Hg.), Europa in evangelischer Sicht, Stuttgart 1953. Fischer, H.: Luther und seine Reformation in der sicht Ernst Troeltschs, in: Neue Zeitschrift für systematische Theologie 5 (1963), S. 132–172. Flink, K. (Hg.), Klevische Städteprivilegien (1247–1609), (Klever Archiv 8), Kleve 1989. Focke, J.: Das Seefahrtenbuch des Brüning Rulves, in: Bremisches Jahrbuch 26 (1916), S. 91–144. Forsthoff, H.: Rheinische Kirchengeschichte. Bd. 1, Essen 1929. Frank, G.: „Politica Aristotelis“. Zur Überlieferungsgeschichte der aristotelischen „Politica“ im Humanismus und in der frühen Neuzeit, in; G. Frank / A. Speer (Hg.), Der Aristotelismus in der Frühen Neuzeit – Kontinuität oder Wiederaneignung? Wiesbaden 2007. Franz, A.: Evangelische Kirchenverfassung in dem deutschen Städten des 16. Jahrhunderts, Leipzig 1878. v. Friedeburg, R. (Hg.): Widerstandsrecht und Konfessionskonflikt. Notwehr und Gemeiner Mann im deutsch-britischen Vergleich 1530–1669 (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 27), Berlin 1999. – Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 26), Berlin 2001, S. 245–263. – Welche Wegscheide in die Neuzeit? Widerstandsrecht, „gemeiner Mann“ und konfessioneller Landspatriotismus zwischen „Münster“ und „Magdeburg“, in: HZ 270 (2000), S. 561–616. – Kommunalismus und Republikanismus in der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung 21 (1994), S. 65–91. Friedrich, M.: Die Grenzen der Vernunft. Theologie, Philosophie und gelehrte Konflikte am Beispiel des Helmstedter Hofmannstreits und seiner Wirkungen auf das Luthertum um 1600 (Schriftenreihe der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 69), Göttingen 2004.



3. Literatur649

– Der Streit um das Streiten. Wahrnehmung von Dissens um 1600 – das Beispiel des Helmstedter Hofmannstreits, in: (Hg.), W. Schulze / R. Gerhard / W. Oesterreicher, Autorität der Form – Autorisierungen – Institutionelle Autoritäten. Münster / Hamburg / London 2003, S. 293–308. Fritze, K.: Bürgervertretungen in wendischen Hansestädten vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, in: W. Ehbrecht (Hg.), Verwaltung und politik in Städten Mitteleuropa (Städteforschung A / 34), Köln / Weimar / Wien 1994, S. 147–157. Frölich, K.: Verfassung und Verwaltung der Stadt Goslar im späteren Mittelalter (Beiträge zur Geschichte der Stadt Gosalr 1), Goslar 1921. Frostin, P.: Luther’s Two Kingdoms Doctrine, Oslo 1994. S. 26–34. Frotscher, G.: Tilemann Heshusen, Plauen 1938. Gänssler, H. J.: Evangelium und weltliches Schwert (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für abendländische Religionsgeschichte 109), Wiesbaden 1983, S. 138–145. Garrelts, H. (Hg.): Die Reformation Ostfrieslands nach der Darstellung der Lutheraner vom Jahre 1593 nebst einer kommentierten Ausgabe ihrer Berichts (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands 22 / 23), Aurich 1925. – Johannes Ligarius. Sein Leben und seine Bedeutung für das Luthertum Ostfrieslands und der Niederlande, Emden 1915. Gerecke, R.: Studien zu Urbanus Rhegius’ kirchenregimentlicher Tätigkeit in Norddeutschland, in: Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 74 (1976), S. 131–177. Gerhold, W.: Die Verfassung der Bremischen Evangelischen Kirche, Diss. Hamburg 1931. Geschichte der deutschen Protestantismus in den Jahren 1555–1581, Bde. 1–4, Marburg / ­Lahn 1852–1859. v. Gierke, O.: Das Deutsche Genossenschaftsrecht, 2 Bde. 1868, Neuauflage 1954. – Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorie, Berlin 1880, unveränderte 7. Auflage Aalen 1981. Girnth, H.: Sprache und Sprachverwendung in der Politik (Germanistische Arbeitshefte 39), Tübingen 2002. Goertz, H.: Allgmeines Priestertum und ordiniertes Amt bei Luther (Marburger Theologische Studien 46), Marburg 1997. Goeters, J. F. G.: Die Entwicklung des Protestantismus im Herzogtum Kleve, in: J. F. G. Goeters / J. Prieur (Hg.), Der Niederrhein zwischen Mittelalter und Neuzeit (Studien und Quellen zur Geschichte von Wesel 8), Wesel 1986, S. 142–168. Görnitz, V.: Die Begründung des Staates bei Luther und den Berliner Aufklärungstheologen, Diss. 1960. Graf, S.: Von der Pfründe zur Pfarrerbesoldung, in: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 94 (1996), S. 21–49.

650

Quellen- und Literaturverzeichnis

– Goslar im Mittelalter, in: Goslar und die Stadtgeschichte, Bielefeld 2001, S. 75– 108. – Goslar im Mittelalter, in: C. H. Hauptemyer / J. Rund (Hg.), Goslar und die Stadtgeschichte S. 75–99. – Die Reichsstadt Goslar in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts und die Kodifizierung des Goslarer Stadtrechts, in: D. Pötschke (Hg.), Stadtrecht, Roland und Pranger. Zur Rechtsgeschichte von Halberstadt, Goslar, Bremen und Städten der Mark Brandenburg (Harz-Forschungen 14), Berlin 2002, S. 55–83. Greiffenhagen, M. (Hg.): Das evangelische Pfarrhaus. Eine Kultur- und Sozialgeschichte, Stuttgart 1984. – Von Potsdam nach Bonn – 10 Kapitel zur politischen Kultur Deutsch­lands, München 1986. v. Greyerz, K. / Jakubowskie-Tiessen, M. / Kaufmann, T. / Lehmann, H. (Hg.): Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese (Schriften des Vereins für Reforma­ tionsgeschichte 201), Gütersloh 2003. Grünberger, H.: Wege zum Nächsten. Luthers Vorstellungen vom Gemeinen Nutzen, in: H. Mnkler / H. Bluhm (Hg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn. Historische Semantiken politischer Leitbegriffe Bd. 1, Berlin 2001. Gryse, N.: Historia von Lehre, Leben und Tod Joachim Slüters mit anschließender Chronik, Rostock 1593, in: (Hg.), S. Pettke, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Mecklenburg 1, Rostock 1997. Haag, N.: Predigt und Gesellschaft (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte 145), Mainz 1992. Hagedorn, B.: Ostfriesisches Handel und Schiffahrt vom Ausgang des 16. Jahrhunderts bis zum Westfälirschen Frieden (1580–1648), (Anhandlungen zur Verkehrsund Seegeschichte 6), Berlin 1962. Hagenmeier, M.: Predigt und Policey. Der gesellschaftspolitische Diskurs zwischen Kirche und Obrigkeit in Ulm 1614–1639, Baden-Baden 1989. Hahn, A.: Diefferenzierung, Zivilisationsprozess, Religion. Aspekte einer Theorie der Moderne, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 27 (1986), S. 214–231. Hahn, L.: Das Begräbnis der Grafentochter, in: Emder Jahrbuch 24 (1936), S. 55–69. Hampsher-Monk, I.: Neuere angloamerikanische Ideengeschichte, in: J. Eibach / G. Lottes (Hg.), Kompass der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2002, S. 293–306. Hasse, C. P.: Otto der Große und Magdeburg, in: M. Puhle (Hg.), Otto der Grosse, Bd. 2, S. 427–443. Hatsch, N. O.: The Democratization of American Christianity and the Character of American Politics, New Haven 1999. Haug-Moritz, G.: Der Schmalkaldische Bunde 1530–1541 / 42. Eine Studie zu den genossenschaftlichen Strukturelementen der politischen Ordnung des Heiligen



3. Literatur651 Römischen Reiches Deutscher Nation (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 44), Leinfelden-Echterdingen 2002.

– Widerstand als „Gegenwehr“. Die Schmalkaldische Konzeption der Gegenwehr und der „gegenwehrliche Krieg“ des Jahres 1542, in: R. v. Friedeburg (Hg.), Widerstandsrecht in der Frühen Neuzeit. Hauschild, W. D.: Theologische Aspekte der lutherischen Konsensübung in Norddeutschland, in: W. Lohff / L. W. Spitz ( Hg.): Widerspruch, Dialog und Einigung, Stuttgart 1977, S. 41–63. – Der theologische Widerstand der lutherischen Prediger der Seestädte gegen das Interim und die konfessionelle Fixierung des Luthertums, in: B. Sicken (Hg.) Herrschaft und Verfassungsstrukturen im Nordwesten des Reiches (Städteforschung A / 35), S. 253–264. Häusser, L.: Geschichte der rheinischen Pfalz nach ihren politischen, kirchlichen und literarischen Verhältnissen 2 Bde., Heidelberg 1924. Heckel, J.: cura religionis. Ius in sacra – ius circa sacra, 2. Aufl., Darmstadt 1962. Heckel, M.: Staat und Kirche nach den Lehren der evangelischen Juristen Deutschlands in der 1. Hälfte des 17. Jahrhundert (Jus Ecclesiasticum 6), München 1968. Heidemann, J.: Vorarbeiten zu einer Geschichte des höheren Schulwesens in Wesel. 1. Abt. von 1516 bis 1543, in: Jahresberichte des Gymnasiums zu Wesel für 1852 / 53, Wesel 1853. Heimpel, H.: Der Mensch in seiner Gegenwart, Göttingen 1957. Heineccius, J. M.: Antiquitates Goslariensium et vicinarum regionum libri VI, in: Scriptores Rerum Germanicarum I. Frankfurt / a. M. 1707. Helm, K.: Die bremischen Holzarbeiter vom 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen 8), Bremen 1931. v. Helmholt, K.: Tilemann Heßhus und seine 7 exilia, Leipzig 1859. Helmuth, E. / Ehrenstein, C.: Intellectual History Made in Britain: Die Cambridge School und ihre Kritiker, in: W. Hardtwig (Hg.), Geschichte und Gesellschaft 27 / 1 (2001), S. 149–172. Hennig, W.: Die Ratsgeschlechter Bremens im Mittelalter. Ein Beitrag zur hansischen Sozialgeschichte, Diss. Göttingen 1957. Heppe, H.: Kirchengeschichte beider Hessen, 2 Bde., Marburg 1876. Hertel, G.: Zur Geschichte der heshusianischen Bewegung in Magdeburg, in Geschichte der Blätter Magdeburg 34 (1899), S. 72–151. Hesse, H. K.: Menso Alting. Eine Gestalt aus der Kampfzeit der calvinistischen Kirchen, Berlin 1928. Hesse, O.: Die Superintendenten Goslars 1528–1552, in: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 94 (1996), S. 98–102. Hesse, W.: Der Haushalt der freien Reichsstadt Goslar im 17. Jahrhudnert (1600– 1682), (Beiträge zur eschichte der Stadt Goslar 7), Golsar 1935.

652

Quellen- und Literaturverzeichnis

Heyne, B.: Von der Kirchenordnung 1543 zur Kirchenverfassung 1920, in: Hospi­ tium Ecclesiae 7 (1971), S. 7–35. Hildebrandt, R.: Rat contra Bürgerschaft. Die Verfassungskonflikte in den Reichsstädten des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalspflege 1 (1974), S. 221–241. Hill, T.: Die Stadt und ihr Markt. Bremens Umlands- und Außenbeziehungen im Mittelalter (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte 172), München 2004. Hillmann, J.: Die Evangelische Gemeinde Wesel und ihre Willibrodikirche, Düsseldorf 1896. Hoffmann, J.: Die Hausväterliteratur und die Predigten über den christlichen Hausstand, Weinheim / Berlin 1959. Hoffmann, W.: Geschichte der Stadt Magdeburg, Magdeburg 1871. Höfinghoff, E.: Die bremsichen Textilgewerbe vom 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen 9), Bremen 1933. Hogrefe, M.: Wohin hat die geschichtliche Entwicklung der bremischen Kirchenverfassung geführt? Diss. Leipzig 1914. Hölcher, U.: Die Geschichte der Reformation in Golsar (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 7), Hannover / Leipzig 1902. Holl, K.: Luther und das landesherrliche Kirchenregiment, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte Bd. 1, Tübingen 1927. Holtz, S.: Gesellschaft und Luthertum bei Max Weber, in: H. Lehmann / J. M. Ouédraogo (Hg.), Max Webers Religionssoziologie in interkultureller Perspektive (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 194), Göttingen 2003, S. 175–192. – Theologie und Alltag. Lehre und Leben in den Predigten der Tübinger Theologen 1550–1750, Tübingen 1993. – J. Vom Umgang mit der Obrigkeit. Zum Verhältnis von Kirche und Staat im Herzogtum Württemberg, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 55 (1996), S. 131–159. Honecker, M.: Sozialethik des Luthertums, in: H. C. Rublack (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland, S. 316–343. – Cura religionis magistratus christiani. Studien zum Kirchenrecht im Luthertum des 17. Jahrhundert insbesondere bei J. Gerhard (Jus Ecclesiasticum Bd. 7), München 1968. – Einführung in die Theologische Ethik. Grundlagen und Grundbegriffe, Berlin / New York 1990. Höss, I.: Zur Genesis der Widerstandslehre Bezas, in: ARG 54 (1963), S. 198–214. Huber, W.: Protestantismus und Demokratie, in: W. Huber (Hg.), Protestanten in der Demokratie. Positionen und Profile, Neukirchen 1990, S. 11–36.



3. Literatur653

– Christianity and Democracy in Europe, in: J. Witte (Hg.), Christianity and Democrazy in Global Context (1993), S. 31–46. Hübinger, G.: Kulutrprotestantismus und Politik, Tübingen 1994. Hübner, J.: Die Theologie Johannes Keplers zwischen Orthodoxie und Naturwissenschaft, Tübingen 1975. Hülsse, F.: Die Stadt Magdeburg im Kampf für den Protestantismus während der jahre 1547–1551, Halle 1892. Huschke, R. B.: Melanchthons Lehre vom Ordo politicus, Gütersloh 1968. Hüttenberger, P.: Vorüberlegung zum „Widerstandsbegriff“, in Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 3, Göttingen 1977. Iben, H.: Die Prediger des Herzogtums Oldenburg seit der Reformation, 2. Bd. ­Oldenburg 1941. Iken, J. F.: Die Bremische Kirchenordnung von 1534, in: Bremisches Jahrbuch 2 (1891), Serie II, S. 1–83. – Der Conensus Ministerii Bremensis Ecclesiae von 1595, in: Bremisches Jahrbuch 10 (1878), S. 84–103. – Die Wirksamkeit des Christoph Pezelius in Bremen 1580 bis 1604, in: Bremisches Jahrbuch 9 (1877), S. 1–54. – Die früheren Kirchen und Schulvisitationen des Bremer Rats im Landgebiete, in: Bremisches Jahrbuch 17 (1895), S. 100–127. – Die erste Epoche der Bremischen Reformation 1522–1529, in: Bremisches Jahrbuch 8 (1876), S. 41–113. Irsigler, F.: Konrad Heresbach. Leben und Werk eines großen rheinischen Humanisten (1496–1576), in: M. Pohl (Hg.), Der Niederrhein im Zeitalter des Humanismus. Konrad Heresbach und sein Kreis (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar 5), Bielefeld 1997, S. 93–110. Isenmann, E.: Widerstandsrecht und Verfassung im Spätmittelalter und früher Neuzeit, in: Helmut Neuhaus( Barbara Stollberg-Rilinger (Hg.), Menschen und Strukturen in der Geschichte Alteuropas, Berlin 2002, S. 37–52. – Reichsrecht und Reichsverfassung in Konsilien reichsstädtischer Juristen (15.– 17. Jahrhundert), in: Roman Schnur (Hg.), Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des moderne Staates, Berlin 1968.S. 545–628. Jacobs, M.: Confessio und Res Publica, Göttingen 1994; ders., Die evangelische Staatslehre (Quellen zur Konfessionskunde Reihe B Hefte 5), Göttingen 1971. Janssen, H.: Die Bibel als Grundlage der politischen Theorie des Johannes Althusius. Diss. Münster 1990. Janssen, H. E.: Gräfin Anna von Ostfriesland – eine hochadelige Frau der späten Reformationszeit (1540 / 42–1575), (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 138), Münster 1998. Janssen, H. Q.: Jacobus Praepositus, Amsterdam 1862.

654

Quellen- und Literaturverzeichnis

Janssen, W.: Gute Ordnung als Element der Kirchenpolitik in den Vereinigten Herzogtümern Jülich-Kleve-Berg, in: B. Dietz / S. Ehrenpreis (Hg.), Drei Konfessionen in einer Region (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 136), Köln 1999, S. 33–48. – „Zur befurderungder stadt besten“. Zwei Schreiben an den Herzog Wilhelm V. von Jülich-Kleveberg im Zusammenhang mit den „Hardenbergschen Unruhen“, in: Bremisches Jahrbuch 66 (1988), S. 157–163. Jünke, W. A.: M. Chemnitz. Bischof der Stadt Braunschweig, in: Evangelisch-lutherischer Stadtkirchenverband (Hg.), Der zweite Martin der lutherischen Kirche. Festschrift zum 400. Todestag von M. Chemnitz, Braunschweig 1986, S. 283–327. Jürgens, H. P.: Johannes a Lasco in Ostfriesland (Spätmittelalter und Reformation Neue Reihe 18), Tübingen 2002. – Sozialregulierung der Stadtgemeinde Emden. Nach den Kirchenratsprotokollen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Magisterarbeit, Hamburg 1993. Kappelhoff, B.: Emden als Quasieautonome Stadtrepublik 1611–1749, in: Geschichte der Stadt Emden Bd. II (Ostfriesland im Schutze des Deiches 11), Leer 1994. – Die Reformation in Emden, in: Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden 58 (1978), S. 23–67. – Politische Partizipation und frühmoderner Staat. Ostfriesland vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, in: H. v. Lengen (Hg.), Collectanea Frisica (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands 74), S. 267–290. Kaufhold, K. H.: Städtische Bevölkerungs-und Sozialgeschichte in der frühren Neuzeit, in: Geschichte Niedersachsens 3,1, Hannover 1998, S. 733–840. Kaufmann, A.: Vom Ungehorsam gegen die Obrigkeit, Heidelberg 1991. Kaufmann, T.: Universität und lutherische Konfessionalisierung (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 66), Gütersloh 1997. – Das Ende der Reformation (Beiträge zur historischen Theologie 123), Tübingen 2003. – Die Konfessionalisierung von Kirche und Gesellschaft. Sammelbericht über eine Forschungsdebatte, in: Theologische Literaturzeitung 121 (1996). – Die Brüder David und Nathan Chytreus in Rostock, in: K. H. Glaser( Hg.): David und Nathan Chytreus. Humanismus in konfessioneller Zeitalter, UbstadtWeiher 1993, S. 103–116. Kießling, R.: Städtischer Republikanismus. Reigmentsformen des Bürgertums in oberschwäbischen Stadtstaaten im ausgehenden Mittelalter und der beginnenden Frühneuzeit, in: P. Blickle (Hg.), Politische Kultur in Oberschwaben, Tübingen 1993. Kipp, H.: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes“. Landstädtische Reformation und Rats-Konfessionalisierung in Wesel (1520–1600), (Schriften der Heresbach-Stiftung Kalkar 12), Bielefeld 2004. Kisch, G.: Melanchthons Rechts- und Soziallehre, Berlin 1967. – Summum ius summa iniuria, Festgabe für August Simonius, Basel 1955.



3. Literatur655

Klaus, B.: Soziale Herkunft und theologische Bildung lutherischer Pfarrer der reformatorischen Frühzeit, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 80 (1969), S. 22–49. Klautke, J. B.: Recht auf Widerstand gegen die Obrigkeit? Eine systematisch-theologische Untersuchung zu den Bestreitungs- und Rechtfertigungsbemühungen von Gewaltanwendung gegen die weltliche Macht (bis zum 18. Jahrhundert), Kampen 1994. Kleinen, M.: Vom Grenzhandelsplatz zur Stadt – Magdeburg zwischen 805 und 1251, in: M. Puhle / P. Petsch (Hg.), Magdeburg. Die Geschichte der Stadt 805– 2005, Dössel 2005, S. 43–74. Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache 23. Berlin / New York 1999. Knemeyer, F. L.: Policey in: Geschichtliche Grundbegriffe 4 (1978), S. 875–897. Knetsch, A.: Der Begriff der Notwehr nach der peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karl V und dem Strafgesetzbuch für das deutsche Reich, Berlin 1906. Koch, B.: Zur Dis- / Kontinuität mittelalterlichen politischen Denkens in der neuzeitlichen politischen Theorie. Marsilius von Padua, Johannes Althusius und Thomas Hobbes im Vergleich (Beiträge zur Politischen Wissenschaft 137), Berlin 2005. Koch, W.: Johann Marbach in seiner Bedeutung für die Pfälzische Kirchengeschichte, in: BPfKG 29 (1962), S. 119–129. Kochs, E.: Die Anfänge der ostfriesischen Reformation. Bde. 3. I. Teil, in: JBE 19 / (1916), S. 109–172. II. Teil, ebd. 19 (1918), S. 173–273. III. Teil. Ebd. 20 (1920), S. 1–125. Kocka, J.: Der deutsche Sonderweg, in: German Studies Review 5 (1982), S. 365– 380. Köhler, K.: Die altprotestantische Lehre von den drei kirchlichen Ständen, in: Zeitschrift für Kirchenrecht 21 (1886), S. 99–150. Köhler, W.: Züricher Ehegericht und Genfer Konsistorium. 2 Bde., Leipzig 1932– 1942. Kolb, R.: M. Chemnitz. Gnesiolutheraner, in: Evangelisch-lutherischer Stadtkirchenverband (Hg.), Der zweite Martin der lutherischen Kirche. Festschrift zum 400. Todestag von M. Chemnitz, Braunschweig 1986, S. 115–129. – Matthaeus Judex’s Condemnation of Princely Censorship of Theologians’ Publications, in: ders., (Hg.), Luther’s Heirs Define his Legacy. Studies on Lutheran Confessionalization, Variorum 1996, S. 401–414. – The Flacian Rejection of the concordia. Prophetic Style and Action in the Germann late Reformation, in: Archiv für Reformationsgeschichte 73 (1983), S. 196–217. Konersmann, F.: Kirchenregiment und Kirchenzucht im frühneuzeitlichen Kleinstaat – Studien zu den herrschaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen des Kirchenregiments der Herzöge von Pfalz-Zweibrücken 1410–1793 (Veröffentlichungen des Vereins für Pfälzische Kirchengeschichte 16), Speyer 1996.

656

Quellen- und Literaturverzeichnis

Koops, T. P.: Die Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes gegen die weltliche Obrigkeit in der lutherischen Theologie des 16.und 17. Jahrhunderts, Diss. Kiel 1968. Koppmann, K.: Dr. Johannes Draconites, Professor der Theologie und Superintendent zu Rostock, in: BGR I / 3 (1893), S. 1–14. – Dr. Johann Kittel, in: JmGA 59 (1894), S. 144–176. Koselleck, K. / Schreiner, K. (Hg.): Bürgerschaft. Rezeption und Innovation der Begrifflichkeit vom hohen Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert (Sprache und Geschichte 22), Stuttgart 1994. Kracht, K. G.: Fritz Fischer und der deutsche Protestantismus, in: Zeitschrift für neuere Theologiegeschichte 10 (2003), S. 224–252. Krause, G.: Art. Magdeburg. Stadtkreis, in: E. Keyser (Hg.), Deutsches Städtebuch – Handbuch städtischer Geschichte, Stuttgart 1941, S. 592–603. Kroker, A.: So machet solches eine democratiam. Konflikt und Reformbestrebungen im reichsstädtischen Regiment Goslars 1666–1682 (Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar Goslarer Fundus 50), Bielefeld 2001. – Goslarer Verfassungsgeschichte in der Frühen Neuzeit, in: C. H. Hauptmeyer /  J. Rund (Hg.), Goslar und die Stadtgeschichte. Forschungen und Perspektiven 1399–1999 (Beiträge zur Geschichte der Stadt Goslar 48), Bielefeld 2001 S. 123–135. Krüger, T.: Empfangene Allmacht. Die Christologie Tilemann Heshusens (1527– 1588), Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 87, Göttingen 2004. Krumwiede, H. W.: Zur Entstehung des landesherrlichen Kirchenregiments in Kursachsen und Braunschweig / Wolfenbüttel, Göttingen 1967. Kruse, M.: Speners Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment und ihre Vorgeschichte, Witten 1971. Kühne, H.: „Bestechlich? Nikolaus von Amsdorf im Streit zwischen dem Magdeburger Rat und lutherischen Theologen um die AmtsenthebungTileman Heshusens“, in: Tagungsbericht von Kerstin Größ über Nikolaus von Amsdorf zwischen Reformation und Politik. VII. Frühjahrstagung zur Wittenberger Reformation, 08.03.2007–10.03.2007 Witten, S. 1–4. Kühtmann, A.: Die Bremische Kirchenordnung von 1534, in: Bremsiches Jahrbuch 8 (1876), S. 115–143. – Die Statuta reformata und der Codex glossatus, in: Bremsiches Jahrbuch 16 (1892), S. 97–130. Kuropka, N.: Philipp Melanchthon: Wissenschaft und Gesellschaft, Tübingen 2002. Lamschus, C.: Emden unter der Herrschaft der Cirksena. Studien zur Herrschaftsstruktur der ostfriesischen Residenzstadt 1470–1527 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen 23), Hildesheim 1984. Langhans, A.: Die Bürgerbücher der Stadt Wesel. Listen der Neubürger 1303–1677, Duisburg 1950.



3. Literatur657

Lausten, M. S.: König und Kirche, in: G. Leder (Hg.), Johannes Bugenhagen – Gestalt und Wirkung, Berlin 1984. Lebheldt, S. G.: Eberhard von der Thann, in: Programm des Großherzoglichen Realgymnasium zu Eisenach, Eisenach 1878, S. 1–25. v. Lehe, E.: Bremen und Land Wursten im 16. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der bremischen Territorialpolitik an der Niederweser, in: Bremisches Jahrbuch 49 (1964), S. 105–133. Lehmann, H. / Ouédraogo, J. M.: (Hg.), Max Webers Religionssoziologie in interkultureller Perspektive (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 194), Göttingen 2003. – Max Webers „Protestantische Ethik“. Beiträge aus der Sicht eines Historikers, Göttingen 1996. – Katastrophe und Kontinuität, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 25 (1974), S. 129–149. Lemke, G.: St. Ansgarii-Gemeinde zu Bremen 1229–1979, Bremen 1979. v. Lengen, H.: Geschichte Emdens von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters, in: Geschichte der Stadt Emden Bd. 1 (Ostfriesland im Schutze des Deiches 11), Leer 1994, S. 59–159. Leutenbauer, S.: Das Delikt der Gotteslästerung in der bayerischen Gesetzgebung, Köln / Wien 1984. Lieberg, H.: Amt und Ordination bei Luther und Melanchthon, Berlin 1962. Loetz, F.: Mit Gott handeln. Von den Zürcher Gotteslästern der Frühen Neuzeit zu einer Kulturgeschichte des Religiösen, Göttingen 2002. Lohse, B.: Luthers Theologie, Göttingen 1995. – Martin Luther, Eine Einführung in seiner Leben und sein Werk, München 1981. Lonke, A.: Das älteste Lassungsbuch von 1434 bis 1558 als Quelle für die Topographie Bremens (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen 6), Bremen 1931. Lucke, H.: Bremen im Schmalkaldischen Bund 1540–1547 (Veröffentlichungen aus dem Staatsarciv der Freien Hansestadt Bremen 23), Bremen 1955. Luthardt, C. E.: Die Ethik Luthers in ihren Grundzügen, Leipzig 1867. Luther, R.: Gab es eine Zunftdemokratie? Berlin 1968. Lüthje, H.: Melanchthon und das Widerstandsrecht, in: ZKG 47 (1928), S. 513–542. Mager, I.: Die Konkordienformel im Fürstentum Braun­schweig-Wolfenbüt­tel. Entstehungsbeitrag – Rezeption – Gestaltung (Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens 33), Göttingen 1993. – Ich habe dich zum Wächter gesetzt über das Haus Israel. Zum Amtsverständnis des Braunschweigischen Stadtsuperintendenten und Wolfenbütteler Kirchenrates M. Chemnitz, in: Braunschweiger Jahrbuch 69 (1988), S. 57–69.

658

Quellen- und Literaturverzeichnis

– Melanchthons Impulse für das evangelische Theologiestudium, in: U. Sträter (Hg.), Themata Leucoreana, Wittenberg 1999. S. 105–126. – T. Heshusen. Geistliches Amt, Glaubensmündigkeit und Gemeindeautonomie, in: H. Scheible (Hg.), Melanchthon in seinen Schülern, Wolfenbüttel 1996, S. 341– 359. – The Reception of the Two Kingdom Idea in Lutheran Orthodoxy up to Johan Gerhard, in: Iustus ordo e ordine della natura. Sacra Doctrina e saperi politici fra XVI e XVIII Seculo. Convegno di studi, Milano 5–6 marzo 2004, a cura di Fausto Arici e Franco Todescan (Bibliothekca di Lex Naturalis 55), 2007, S. 155–172. Mager, W.: Republik, in: O. Brunner / W. Conze / R. Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Stuttgart 1984, Bd. 5, S. 549–651. – Respublica und Bürger, Überlegungen zur Begrundung frühneuzeitlicher Verfassungsordnungen, in: G. Dilcher (Hg.), Res publika. (Der Staat Beiheft 8), 1988, S. 67–94. – Genossenschaft, Republikanismus und konsensgestütztes Ratsregiment, in: L. Schorn-Schütte (Hg.), Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts, München 2004, S. 13–122. Maier, H.: Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 1. Aufl., München 1980. – Zur Genesis des Obrigkeitsstaates in Deutschland, in: Stimmen der Zeit 174 (1964), S. 18–35. Mann, P.: Luthers Zwei-Reiche-Lehre und Drei-Stände-Lehre, in: Iserloh / G. Müller (Hg.), Luther und die politische Welt, Stuttgart 1984. Mantey, V.: Zwei Schwerter – Zwei Reiche. Martins Luthers Zwei-Reiche-Lehre vor ihrem spätmittelalterlichen Hintergrund (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 26), Tübingen 2005. Martens, W.: Das Kirchenregiment in Wesel zur Zeit der letzten klevischen und der ersten brandenburgischen Fürsten, Diss. Göttingen 1913. Maurer, W.: Luthers Lehre von den drei Hierarchien und ihr mittelalterlicher Hintergrund, München 1970. – Problematik ders kirchlichen Mitgliedschaftsrechtes, in: G. Müller / G. Seebass (Hg.), Die Kirche und ihr Recht, Tübingen 1976, S. 393–517. Mehlhausen, J. (Hg.): Das Augsburger Interim von 1548, Neukirchen 1970. Meier, P. J.: Der Streit Herzog Heinrichs d. J. von Braunschweig-Wolfenbüttel mit der Reichsstadt Goslar um den Rammelsberg (Quellen und Forschungen zur Braunschweigischen Geschichte 9), Goslar 1928. Meier, U.: Mensch und Bürger. Die Stadt im Denken spätmittelalterlicher Theologen, Philosophen und Juristen, München 1994. – Der falsche und der richtige Name der Freiheit. Zur Neuinterpretation eines Grundwertes der Florentiner Stadtgesellschaft (13.–16.  Jahrhundert), in: K. Schreiner / U. Meier (Hg.), Stadtregiment und Bürgerfreiheit. Handlungsspielräu-



3. Literatur659 me in deutschen und italienischen Städten des Späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Göttingen 1994, S. 31–83.

– Konsens und Kontrolle. Der Zusammenhang von Bürgerrecht und politischer Partizipation im spätmittelalterlichen Florenz, in: K. Schreiner / U. Meier (Hg.), Stadtregiment und Bürgerfreiheit. Handlungsspielräume in deutschen und italienischen Städten des Späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Göttingen 1994, S. 147–187. Merk, W.: Der Gedanke des gemeinen Besten in der deutschen Staats- und Rechtsentwicklung, in: Festschrift Alfred Schultze zum 70.Geburtstag, Weimar 1934, S. 451–520. Meumann, M. / Pröve, R. (Hg.): Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, Münster 2004. – Die Faszination des Staates, in: dies., Herrschaft in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 58), S. 11–49. Miethke, J.: Politiktheorie im Mittelalter, Tübingen 2008. – De potestate papae. Die päpstliche Amtskompetenz im Widerstreit der politischen Theorie von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockahm, Tübingen 2000. Möller, B.: Deutschland im Zeitalter der Reformation, Göttingen 1981. – Die Reformation in Bremen, in: Jahrbuch der Wittheit 17 (1973), S. 51–73. – Luther und Gesellschaft, in: Luther- Jahrbuch 54( 1985), S. 225–229. – Pfarrer als Bürger (Göttinger Universitätsreden 56), Göttingen 1972. Moltmann, J.: Christoph Pezel (1539–1604) und der Calvinismus in Bremen (Hospitium Ecclesiae 2), Bremen 1958. – Johannes Molanus (1510–1583) und der Übergang tremens zum Calvinismus, in: Jahrbuch der Wittheit zu Bremen 1 (1957) S. 119–141. Mommsen, W. J. / Schwentker, W. (Hg.): Max Weber und seine Zeitgenossen, Göttingen 1988, S. 313–336. Moritz, A.: Interim und Apokalypse. Die religiösen Vereinheitlichungsversuche Karls V. im Spiegel der magdeburgischen Publizistik 1548–1551 / 52. Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, Tübingen 2009. – Die Aristotelesrezeption der protestantischen Geistlichen zwischen theologischer und praktischer Ethik, in: A. Fidora / J. Fried / M. Lutz-Bachmann / L. SchornSchütte (Hg.), Politischer Aristotelismus und Religion in Mittelalter und Früher Neuzeit, Berlin 2007. Mörke, O.: Der Konflikt als Kategorie städtischer Sozialgeschichte der Reformationszeit. Ein Diskussionsbeitrag am Beispiel der Stadt Braunschweig, in: B. Distelkamp (Hg.), Beiträge zum spätmittelalterlichen Städtewesen, Köln 1982, S. 144–161. Müller, E. F. K.: Die Bekenntnisschriften der reformierten Kirche, Leipzig 1903. Müller-Benedict, O. / Ammann, H.: Bremer Pfarrerbuch Bd. 1, Bremen 1990.

660

Quellen- und Literaturverzeichnis

– De Kercke Sunte Michaelis tho Walle, in: Bremisches Jahrbuch 60 / 61 (1999) S. 117–148. Münch, P.: Die Obrigkeit im Vaterstand – Zu Definition und Kritik des Landesvaters während der Frühen Neuzeit, in: Daphnis 11 (1982), S. 15–40. – Zucht und Ordnung. Reformierte Kirchenverfassungen im 16. und 17. Jahrhundert (Nassau-Dillenburg, Kurpfalz, Hessen-Kassel), Stuttgart 1978. Münkler, H.: Ideengeschichte (Politische Philosophie), in: O. Jarren u. a. (Hg.), Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch ­ mit Lexikonteil, Opladen 1998. – Politische Theorie und praktische Politik. Zur Bestimmung ihres Verhältnisses in ideengeschichtlicher Perspektive, in: R. S. Bruns (Hg.), Politische Theorie und Demokratie, Baden-Baden 1998. Münkler, H. / Grünberger, H. / Mayer, K. (Hg.): Nationenbildung – Die Nationalisierung Europas im Diskurs humanistischer Intellektueller. Italien und Deutschland (Politische Ideen 8), Berlin 1998. Münter, W. O.: Begriff und Wirklichkeit des geistlichen Amtes, München 1955. Neuser, W. H.: Die Aufnahme der Flüchtlinge aus England in Wesel (1553) und ihre Ausweisung trotz der Vermittlung Calvins und Melanchthons (1556 / 1557), in: Weseler Konvent 1568–1968 (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 29), Düsseldorf 1968, S. 28–49. Nürnberger, R.: Kirche und weltliche Obrigkeit bei Melanchthon, Diss. Freiburg i. Br. 1937. Obermann, H. A.: Thesen zur Zwei-Reiche-Lehre, in: Luther und die politische Welt (Historische Forschungen 19), Stuttgart 1984, S. 27–34. Oestreich, G.: Verfassungsgeschichte vom Ende des Mittelalters bis zum Ende des Alten Reiches, München 1974. – Die Idee des religiösen Bundes und die Lehre vom Staatsvertrag, in; ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates, Berlin 1969, S. 157–178. Oexle, O. G.: Deutungsschemata der sozialen Wirklichkeit im frühen und hohen Mittelalter, in: F. Graus (Hg.), Mentalitäten im Mittelalter, Sigmaringen 1987, S. 65–117. – Konflikt und Konsens, in: H. Münkler / H. Bluhm (Hg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn. Historische Semantiken politischer Leitbegriffe Bd. 1, Berlin 2001, S. 65–83. – Die funktionale Dreiteilung als Deutungsschemta der sozialen Wirklichkeit in der ständischen Gesellschaft des Mittelalters, in: W. Schulze (Hg.), Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 12), München 1988, S. 19–51. – Die Statik ist ein Grundzug des mittelalterlichen Bewusstseins. Die Wahrnehmung sozialen Wandels im Denken des Mittelalters und das Problem ihrer Deutung, in: J. Miethke / K. Schreiner (Hg.), Sozialer Wandel im Mittelalter, Sigmaringen 1994, S. 45–70.



3. Literatur661

Oexle, O. G. / Conze, W. / Walther, R.: Artikel „Stand, Klasse“, in: O. Brunner / W. Conze / R. Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 6, Stuttgart 1990, S. 155–284. Olson, O. K.: Matthias Flacius and the survival Luther’s reform, Wiesbaden 2002. – Theology of Revolutions. Magdeburg 1550–1551, in: 16th Century Journal 3 (1972), S. 56–79. Osenbrüggen, E.: Der Hausfrieden. Ein Beitrag zur deutschen Rechtsgeschichte, Aalen 1968. Palonen, K.: Die Entzauberung der Begriffe. Das Umschreiben der politischen Begriffe bei Quentin Skinner und Reinhart Koselleck (Politische Theorie 2), Münster 2004. Park, C. S.: Politica christiana und die politische Kommunikation in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts – am Beispiel des Tilemann Heshusius (1527–1588), in: M. W. Roelen (Hg.), ecclesia Wesele (Studien und Quelle zur Geschichte von Wesel 28), Wesel 2005. – Die Dreiständelehre als politische Sprache, in: Bremisches Jahrbuch 83 (2004), S. 55–61. – Rat und Bürgerschaft in Bremen. Soziale und wirtschaftliche Verhältnisse zur Zeit der Hardenbergschen Unruhen, in: Bremisches Jahrbuch 85 (2006), S. 15– 41. Patze, H.: Geschichte Niedersachsens 3 / 2: Kirche und Kultur von der Reformation bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, Hildesheim 1983. Pauli, G.: Die bremischen Steinhauer um 1600, in: Bremisches Jahrbuch 16 (1892), S. 29–96. Pauser, J. / Scheutz, M. / Winkel­bau­er, T. (Hg.), Quellenkunde der Habs­burgermonarchie (16.–18. Jahrhundert), Ein exemplarisches Handbuch, München 2004. Petersen, P.: Geschichte der aristotelischen Philosophie im protestantischen Deutschland, Leipzig 1921. Peterson, L. D.: Justus Menius, Philipp Melanchthon, and the 1547 Treatise, Von der Notwehr Unterricht, in: Archiv für Reformationsgeschichte 81 (1990), S. 138–157. Petri, F.: Unser Lieben Frauen Diakonie. Vierhundert Jahre evangelischer Liebes­ tätigkeit in Bremen, Bremen 1925. Petri, H.: Staatsrecht und Staatslehre bei Konrad Heresbach, Diss. Bonn 1938. Pettke, S.: Stadtobrigkeit und Landesherren im Streit um das lutherische Kirchenregiment, dargestellt an der Reformation Rostocks im vierten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, in: Herbergen der Christenheit 14 (1985 / 86), S. 73–89. Philipp, M.: Konrad Heresbach. De educandis erudiendisque pricipum deque republica Christianè administranda, in: H. O. Mühleisen / T. Stammen / M. Philipp (Hg.), Fürstenspiegel der Frühen Neuzeit (Bibliothek des deutschen Staatsdenkens 6), Frankfurt a. M. / Leipzig 1997, S. 166–218.

662

Quellen- und Literaturverzeichnis

– Reigerungskunst im Zeitalter der konfessionellen Spaltung. Politische Lehren des Mansfeldischen Kanzlers Georg Lauterbeck, in: (Hg.), H. O. Mühleisen / T. Stammen, Politische Tugendlehre und Regierungskunst. Studien zum Fürstenspiegel der Frühen Neuzeit, Tübingen 1990, S. 71–115. Pitz, E.: Bürgereinung und Städteeinung. Studien zur Verfassungsgeschichte der Hansestädte und der deutschen Hanse (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte 52), Köln / Weimar / Wien 2001. – Einstimmigkeit oder Mehrheitsbeschluss? Ein heimlicher Verfassungstreit um die Vollmachten der Ratssendeboten auf den Hansetagen, in: W. Ehbrecht (Hg.), Verwaltung und Politik in Städten Mitteleuropas (Städteforschung A / 34), Köln / Weimar / Wien 1994, S. 115–147. Pocok, J. G. A.: Die andere Bürgergesellschaft. Frankfurt a. M. / New York 1993. Pohl, M.: Wesel im Hohen Mittelalter, in: J. Prieur (Hg.), Geschichte der Stadt Wesel, Bd. 1, Düsseldorf 1991, S. 77–109. Postel, R.: Die Reformation in Hamburg, Gütersloh 1986. Prange, R.: Die bremische Kaufmannschaft des 16. und 17. Jahrhunderts in sozialgeschichtlicher Betrachtung (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen 31), Bremen 1963. Pratje, J. H.: Altes und Neues aus den Herzogthümern Bremen und Verden 4, Stade 1771, S. 99–128. Preger, W.: Matthias Flacius und seine Zeit, Erlangen 1859 / 61. Press, V.: Stadt und territoriale Konfessionsbildung, in: F. Petri (Hg.), Kirche und gesellschaftlicher Wandel in deutschen und niederländischen Städten der werdenden Neuzeit, Köln / Wien 1980, S. 251–296. Prüser, F.: Achthundert Jahre St. Stephanikirche. Ein Stück bremischer Geschichte, Bremen 1940. Quilisch, T.: Das Widerstandsrecht und die Idee des religiösen Bundes bei Thomas Müntzer (Beiträge zur Politischen Wissenschaft 113), Berlin 1999, S. 19–50. Rabe, H.: Zur Entstehung des Augsburger Interim 1547 / 48, in: Archiv für Reformationsgeschichte 94 (203), S. 6–104. Rauhaus, M.: Das kirchenrechtliche Gemeindeprinzip und seine Auswirkungen auf die kirchliche Verfassungsgestaltung (Schriften zum Staatskirchenrecht 23), Frankfurt a. M. 2005. Raunio, A.: Luthers politische Ethik, in: R. Vinke (Hg.), Luther Forschung im 20. Jahrhundert. Rückblick – Bilanz – Ausblick, Mainz 2004, S. 151–170. Redlich, O. R.: Staat und Kirche am Niederrhein zur Reformationszeit, in: Schrif­ten des Vereins für Reformationsgeschichte 164, Leipzig 1938. v. Reeken, D. (Hg.): Unser Lieben Frauen. Die Geschichte der ältesten Kirchengemeinden Bremens von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bremen 2002. Reichel, P.: Politische Kultur der Bundesrepublik, Opladen 1981.



3. Literatur663

Reimers, H.: Die Gestaltung der Reformation in Ostfriesland (Abhandlungen und Vorträge zur Geschichte Ostfrieslands 20), Aurich 1917. Reinhard, W.: Gegenreformation als Modernisierung? In: Archiv für Reformationsgeschichte 68 (1977), S. 226–252. – Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu einer Theorie des Konfessionellen Zeitalters, in: Zeitschrift für Historische Forschung 10 (1983), S. 257–278. – Konfession und Konfessionalisierung in Europa, in: ders., (Hg.), Bekenntnis und Geschichte, Augsburg 1981, S. 165–189. – Möglichkeiten und Grenzen der Verbindung von Kirchengeschichte mit Sozialund Wirtschaftsgeschichte, in: G. Klingenstein / H. Lutz (Hg.), Spezialforschung und Gesamtgeschichte. Beispiele und Methodenfragen zur Geschichte der Frühen Neuzeit, München 1981, S. 243–278. Reinicke, W.: Landstände im Verfassungsstaat, Göttingen 1975. v. Reitzenstein, A.: Ottheinrich von der Pfalz, Bremen 1939. Rendtorff, T.: Die Zweireichelehre oder die Kunst des Unterscheidens. Bemerkungen zur theologischen Deutung des Politischen, in: U. Duchrow (Hg.), Zwei Reiche und Regimente. Ideologie oder evangelische Orientierung? Gütersloh 1977, S. 53–63. Rendtroff, T. / Paulter, S. (Hg.): Schriften zur Bedeutung des Protestantismus für die moderne Welt (Kritische Gesamtausgabe Ernst Troeltsch 8), Berlin 2001. Richter, M.: Zur Rekonstruktion der Geschichte der Politischen Sprachen: Pocok, Skinner und die Geschichtlichen Grundbegriffe, in: H. E. Böder / E. Heinrichs (Hg.), Alteuropa – Ancien Regime – Frühe Neuzeit, Stutgart 1991, S. 134–174. Rieker, K.: Staat und Kirche nach lutherischer, reformierter, moderner Anschauung, in: Historischer Vierteljahrschrift 1 (1898). Ritter, F. / de Boer, W.: Briefe des Rektors Johannes Molanus an den Bremer Domherrn Herbert v. Langen aus dem Jahren 1560–1575, in: Bremisches Jahrbuch 36 (1936) S. 209–258. Ritter, G.: Die Neugestaltung Deutschlands und Europas im 16. Jahrhundert (Deutsche Geschichte 2), Berlin 1967, S. 165 ff. Roelen, M. W.: Wesel im Spätmittelalter, in: J. Prieur (Hg.): Geschichte der Stadt Wesel Bd. 1, Düsseldorf 1991, S. 110–165. Rogge, J.: Für den Gemeinen Nutzen. Politisches handelns und Politikverständnis von Rat und Bürgergesellschaft in Augsburg im späten Mittelalter, Tübingen 1996. Röhling, M.: Menso Alting und die Konfessionalisierung in Ostfriesland, Magisterarbeit 1995. Rolffs, E.: Das kirchliche Leben der evangelischen Kirchen in Niedersachsen, Tübingen 1917. Roosbroeck, R.: Nienderländische Glaubensflüchtlinge in Bremen (1585–1600) und ihr Briefwechsel, in: Bremisches Jahrbuch 52 (1972), S. 85–112.

664

Quellen- und Literaturverzeichnis

Rosa, H.: Ideengeschichte und Gesellschaftstheorie, in: Politisches Vierteljahresschrift 35 (1994), S. 197–223. – Operatives Paradigma und objektiver Geist, in: A. Reckwitz / H. Sievert (Hg.), Interpretation, Konstruktion, Kultur, Opladen / Wiesbaden 1999, S. 158–180. – Paradigma und Wertbeziehung, in: M. Sukale / H. J. Wendel (Hg.), Logos. Zeitschrift für systematische Philosophie 2 (1995), S. 59–94. Rotermund, H. W.: Lexikon aller Gelehrten, Bremen 1818. Rottländer, C.: Der Bürgermeister Daniel von Büren und die hardenbergischen Religionshändel, Diss. Göttingen 1892. Rublack, H. C.: Lutherische Predigt und soziale Wirklichkeiten, in: ders., (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung (Schriften des Vereins für Reformations­ geschichte 197), Gütersloh 1992, S. 344–399. Rudloff, O.: Johann Timanns Sermon „Von christlicher Freiheit und Menschengeboten“ (1533) und der „Unterricht der Visitatoren“ (1528), in: Hospitium 18 (1991), S. 117–141. – Bibliographie der gedruckten Schriften des Bremer Reformators Johann Timann von Amsterdam, in: Hospitium Ecclesiae 18 (1991), S. 143–154. – Der Briefwechsel des Rates der Stadt Soest mit dem Bremer Rat und den Bremer Predigern Jakob Probst und Johannes Zelst. April bis Juni 1532, in: Hospitium Ecclesiae 18 (1997), S. 109–115. – Des Ministeriums zu Bremen Vergleiche in den vornehmsten Stücken christlicher Lehre 1572, in: Hospitium Eccleisae 19 (1993), S. 63–100. – Luther’s Schüler Probst, in: Hospitium Ecclesiae 14 (1985), S. 115–116. – Häretische Sätze aus dem Bremer Predigten Heinrichs von Zütphen Januar und Februar 1523, in: Hospitium Ecclesiae 15 (1987), S. 71–76. – Die Väterverweise in der niederdeutschen Bremer Kirchenordnung von 1534, in: Hospitium Ecclesiae 17 (1989), S. 53–76. – Lutherische Reformation und reformierte Konfessionalisierung 1522–1648, (unveröffentlicht). Salig, C. A.: Vollständige Historie der Augspurgischen Confession, Bd. 3; 9, Halle 1735. Sasse, H.: Das bremische Krameramt, in: Bremisches Jahrbuch 33 (1931), S. 108– 157. Scattola, M.: Widerstandsrecht und Naturrecht im Umkreis von Philipp Melanchthon, in: L. Schorn-Schütte (Hg.), Das Interim 1548 / 50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 203, Heidelberg 2005, S. 459–487. – Melanchthons Naturrechtslehre und ihre Wirkung im 16. Jahrhundert, in: B. Bauer (Hg.), Melanchthon und die Marburger Professoren, Marburg 1999, S. 865– 882.



3. Literatur665

Schaefer, O.: Der niedersächsische Kreis von 1558 bis 1562 mit besonderer Berücksichtigung Braunschweig-Calenbergs, Braunschweig-Lüneburgs und Mühlhausens, Diss. Halle-Wittenberg 1914. Scheible, H. (Hg.): Melanchthon in seinen Schülern (Wolfenbütteler Forschungen 73), Wiesbaden 1997. – Melanchthon und die Reformation, Mainz 1996. – Das Widerstandsrecht als Problem der deutschen Protestanten: 1523–1546 (Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte 10), Mohn 1969. – Aristoteles und die Wittenberger Universitätsreform, in: M. Bayer / G. Wartenberg (Hg.), Humanismus und Wittenberger Reformation, Leipzig 1997, S. 123–144. – Die Lebensernte eines amtsbewussten Streittheologen. T. Heshusens Postil­ la (1580), in: E. Müller (Hg.), Bibliotheca Palatina Ausstellungskatkalog, Heidelberg 1986, S. 184 f. Scheler, D.: Die Juristen des Herzogs und der Hof, in: P. Meinhard (Hg.), Der Niederrhein im Zeitalter des Humanismus, Bielefeld 1997, S. 75–92. Scheper, B.: Frühe bürgerliche Institutionen norddeutscher Hansestädte, Köln / Wien 1975. Schildhauer, J.: Die Sozialstruktur der Hansestadt Rostock von 1378–1569, in: Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 8, Berlin 1961. Schilling, H.: Konfessionskonflikt und Staatsbildung, Gütersloh 1981. – Calvinismus und Freiheitsrechte. Die politisch-theologische Pamphlestistik der ostfriesisch-gronngischen „Patriotenpartei“ und die politische Kultur in Deutschland und in den Niederlanden, in: L. Schorn-Schütte / O. Mörke (Hg.), Ausgewählte Abhandlungen zur europäischen Reformations und Konfessionsgeschichte (Historische Forschungen 75), Berlin 2002, S. 121–156. – Reformierte Kirchenzucht als Sozialdisziplinierung?, in: W. Ehbrecht / H. Schilling (Hg.), Niederlande und Nordwestdeutschland (Städteforschung Reihe A / 15), Köln / Wien 1983, S. 261–327. – Aufbruch und Krise. Deutschland 1517–1648, Berlin 1994. – Vergleichende Betrachtungen zur Geschichte der Bürgerlichen Eliten in Nordwestdeuschland und in den Niederlanden, in: Bürgerliche Eliten in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland (Städteforschung A / 23) Köln / Wien 1985, S. 1–35. – Reformation und Bürgerfreiheit, in: B. Möller (Hg.), Stadt und Kirche im 16. Jahrhundert (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 190), S. 128– 161. – Die politische Elite nordwestdeutscher Städte in den religiösen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts, in: W. J. Momsen (Hg.), Stadtbürgertum und Adel in der Reformation (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 5), Stuttgart 1977, S. 235–308. – Niederländische Exulanten im 16. Jahrhundert, in: Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 187, Gütersloh 1972, S. 13–200.

666

Quellen- und Literaturverzeichnis

– Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der zweiten Reformation, Gütersloh 1986. – Die Konfessionalisierung im Reich, in: Historische Zeitschrift 246 (1988), S. 1–45. – Gab es im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit in Deutschlandeinen städtischen „Republikanismus“?, in: H. Königsberger (Hg.) Republiken und Republikanismus im Europa der Frühen Neuzeit (Schriften des Historischen Kollegs / Kolloquien 11), Oldenburg 1998, S. 101–143. – Konfessionskonflikte und Hansestädtische Frieheit im 16. und frühen 17. Jahrhundert. Der Fall „Lemgo“ contra „Lippe“, in: Hansische Geschichtsblätter 97 (1979), S. 36–59. – Vergleichende Betrachtung zur Geschichte der bürgerlichen Eliten in Nordwestdeutschland und in den Niederland, in: H. Schilling / H. Diederiks (Hg.), Bürgerliche Eliten in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland (Städteforschung Reihe A / 23), Köln 1985, S. 1–32. – Neue Gesichtspunkte zur ostfriesischen Ständegeschichte, in: Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden 55 (1975), S. 80–89. – W. Reinhard / H. Schilling (Hg.), Die katholische Konfessionalisierung, Münster 1995. – Die Stadt in der Frühen Neuzeit (EDG 24), München 1993. Schilling, J.: Klöster und Mönche in der hessischen Reformation, Gütersloh 1997. Schlaich, K.: Kollegialtheorie. Kirche, Recht und Staat in der Aufklärung (Jus ­Ecclesiasticum 8), München 1969. Schlee, E.: Der Streit des Daniel Hofmann über das Verhältnis der Philosophie zur Theologie, Marburg 1862. Schlegel, J. K. F.: Kirchen- und Reformationsgeschichte von Norddeutschland und den Hannoverschen Staaten, Bd. 2, Hannover 1829. Schlögl, R. (Hg.): Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt (Historische Kulturwissenschaft 5), Konstanz 2004. – Vergesellschaftung unter Anwesenden. Zur kommunikativen Form des Politischen in der vormodernen Stadt, in: ders., (Hg.), Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt (Historische Kulturwissenschaft 5), Konstanz 2004, S. 9–60. – Differenzierung und Integration: Konfessionalisierung im frühneuzeitlichen Gesellschaftssystem, in: Archiv für Reformationsgeschichte 91 (2000), S. 238–284. Schmaltz, K.: Kirchengeschichte Mecklenburgs 2: Reformation und Gegenreformation, Schwerin 1936. Schmidt, G.: Einleitung. Integration im Alten Reich, in: ders., (Hg.), Stände und Gesellschaft im Alten Reich (VIEG Beiheft 29), Stuttgart 1989. Schmidt, H.: Geschichte der Stadt Emden von 150 bis 1575, in: Geschichte der Stadt Emden Bd. 1 (Ostfriesland im Schutze des Deiches 11), Leer 1994, S. 161–269.



3. Literatur667

Schmidt, H. R.: Die Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert (EDG 12), München 1992. Schmidt, K. D.: Luthers Staatsauffassung, in: G. Wolf (Hg.), Luther und die Obrigkeit, Darmstadt 1972. Schmidt, S.: Glaube – Herrschaft – Disziplin. Konfessionalisierung und Alltagskultur in den Ämtern Siegen und Dillenburg (Forschungen zur Regionalgeschichte 50), Paderborn 2005. Schmidtmayer, A.: Bremische Studenten im Jahrhundert der Reformation, in: Bremisches Jahrbuch 36 (1936), S. 116–181. Schnabel-Schüle, H.: Vierzig Jahre Konfessionalisierungsforschung – eine Standortbestimmung, in: P. Frieß / R. Kießling (Hg.), Konfessionalisierung und Region (Forum Suevicum 3), Konstanz 1999, S. 23–40. – Distanz und Nähe. Zum Verhältnis von Pfarrern und Gemeinden im Herzogtum Württemberg vor und nach der Reformation, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 5 (1986), S. 339–348. Schneidermüller, B.: Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: P.-J. Heinig / S. Jahns / H.-J. Schmidt / R. C. Schwinges / S. Wefers (Hg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit (Historische Forschungen 67), Berlin 2000, S. 53–87. Schnurmann, C.: Ghen Engellandt. Der Weseler Stahlhändler Franz Brecht und seine Kölner Konkurrenz 1565–1594, in: W. Arand / J. Prieur (Hg.), Zu Allen theilen Inß mittel gelegen. Wesel 1991, S. 156–167. Schorn-Schütte, L.: Historische Politikforschung, München 2006. – Politikberatung im 16. Jahrhundert. Zur Bedeutung von Theologischer und Juristischer Bildung für die Prozesse politischer Entscheidungsfindung m Protestantismus, in: R. von Friedeburg / L. Schorn-Schütte (Hg.), Politik und Religion: Eigenlogik oder Verzahnung? Europa im 16. Jahrhundert (Historische Zeitschrift. Beihefte. Neue Folge; Bd. 45), Oldenbourg 2007, S. 49–66. – Einleitende Bemerkungen, in: dies. / S. Tode (Hg.), Debatten über die Legitima­ tion von Herrschaft. Politische Sprachen in der Frühen Neuzeit (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 19), Berlin 2006, S. 9–17. – Kommunikation über Herrschaft: Obrigkeitskritik im 16. Jahrhundert, in: L Raphael / H. E. Tenorth (Hg.), Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit, München 2006, S. 71–108. – Beanspruchte Freiheit: die politica christiana, in: G. Schmidt / M. v. Gelderen /  C. Singula (Hg.), Kollektive Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa (1400–1850), 2006, S. 329–352. – Forschungsbericht. Frankfurter sonderforschungsbereich 435 „Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel“. Teilprojekt E 3, Frankfurt a. M. 2006, S. 69–76. – Das Interim (1548 / 50) im europäischen Kontext. Eine wissenschaftsgeschichtliche Einleitung, in: dies., (Hg.), Das Interim 1548 / 50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikte (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 203), Gütersloh 2004, S. 15–43.

668

Quellen- und Literaturverzeichnis

– Einleitung, in: dies., (Hg.), Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts, München 2004, S. 1–12. – Obrigkeitskritk und Widerstandsrecht. Die politica christiana als Legitimitätsgrundlage, in: dies., (Hg.), Aspekte der politischen Kommunikation, S. 195–232. – Neue Geistesgeschichte. S. 270–280, in: J. Eibach / G.Lottes (Hg.), Kompass der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2002. – „den eygen nutz hindansetzen und der Gemeyn wolfart suchen“. Überlegungen zum Wandel politischer Normen im 16. / 17. Jahrhundert, in: H. Neuhaus /  B. Stollberg-Rilinger (Hg.), Menschen und Strukturen in der Geschichte Alteuropas. Festschrift für Johannes Kunisch, Berlin 2002, S. 167–184. – Evangelische Geistlichkeit in der Frühneuzeit (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 62), Gütersloh 1996. – Obrigkeitskritik im Luthertum?, in: M. Erbe u. a. (Hg.) Querdenken. Dissens und Toleranz im Wandel der Geschichte. Festschrift zum 65.Geburtstag von H. R. Guggisberg, Mannheim 1995, S. 253–270. – Prediger an protestantische Höfen der Frühneuzeit, in: H. Schilling / H. Diederiks (Hg.), Bürgerlichen Eliten in den Niederlanden und in Norddeutschland, Köln / Wien 1985, S. 275–336. – Ernst Troeltschs Soziallehren und die gegenwärtige Frühneuzeitforschung. Zur Diskussion um die Bedeutung von Luthertum und Calvinismus für die Entstehung der modernen Welt, in: F. W. Graf / T. Rendtorff (Hg.), Troeltsch-Studien 6, Gütersloh 1993, S. 133–151. – Die Drei-Stände-Lehre im reformatorischen Umbruch, in: S. E. Buckwalter /  B. Möller (Hg.) Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 199), Gütersloh 1999, S. 435–461. – Die Reformation: Vorgeschichte – Verlauf – Wirkung (Beck’sche Reihe 2054), München 1996; dies. Luther im Gedächnis der Nachwelt in: Martin Luther ungewohnt (Herrenalber Forum 20), Karlsruhe 1998, S. 120–140. – Konfessionalisierung als wissenschaftliches Paradigma?, in: M. G. Müller /  W. Eberhard / J. Bahlcke (Hg.), Konfessionalisierung und Staatsbildung in Ostmitteleuropa, Stuttgart 1999, S. 63–77. – Gefährtin und Mitregentin. Zur Sozialgeschichte der evangelischen Pfarrfrau in der Frühen Neuzeit, in: H. Wunder / C. Vanja (Hg.), Wandel der Geschlechterbeziehungen zu Beginn der Neuzeit(Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 913), S. 109–153. – Altprotestantismus und moderne Welt, in: dies., (Hg.), Alteuropa und Frühe Moderne. Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 23 (1999), S. 45–54. – Religion, Kultur und Staat. Deutungsmuster aus dem Krisenbewusstsein der Republik von Weimar. Eine Einleitung, in: dies., (Hg.), Alteuropa oder Frühe Moderne, S. 7–24. – Politikberatung im 16. Jahrhundert, in: A. Kohne (Hg.), Zwischen Wissenschaft und Politik. Festschrift für E. Wolgast, Stuttgart 2001, S. 49–66.



3. Literatur669

– Glaube und weltliche Obrigkeit bei Luther und im Luthertum, in: M. Walther (Hg.), Religion und Politik, Baden-Baden 2004, S. 87–103. – „Die Zeitliche Sachen mit und neben den religion sachen zusuchen.“ Zum Verhältnis von protestantischen gelehrten Wissen und politisch-sozialen Wandel im 16.  Jahrhundert. Forschungsbericht. Frankfurter sonderforschungsbereich 435 „Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel“. Teilprojekt E 3, Frankfurt a. M. 2006, S. 69–76. Schoss, K. W. H.: Die rechtliche Stellung, Struktur und Funktion der frühen evangeli­ schen Konsistorien nach den evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts. Eine rechtsgeschichtlich-rechtsvergleichende Untersuchung, Diss. Heidelberg 1980. – Evangeli­ sche Geistliche Ministerium im 16. Jahrhun­ dert. Eine Untersuchung norddeutscher Stadt­ministerien unter Einbeziehung des Predigermi­nisteriums in Frankfurt am Main und des Geistlichen Ministeri­ums in Regensburg, Diss. Heidelberg 1983. Schranil, R.: Stadtverfassung nach Magdeburger Recht. Magdeburg und Halle (Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 125), Breslau 1915. Schreiner, K.: Jura et libertas. Warhnehmungsformen und Ausprägungen „bürgerlicher Freyheyten“ in Städten des Hohen und Späten Mittelalters, in: H. J. Puhle (Hg.), Bürger in der Gesellschaft der Neuzeit. Wirtschaft – Politik – Kultur, Göttingen 1991, S. 59–106. – Die mittelalterliche Stadt in Webers Analyse und Deutung des occidentalen Rationalismus, Typus. Legitimität, Kulturbedeutung, in: J. Kocka (Hg.), Max Weber, Der Historiker, Göttingen 1986, S. 119–150. Schreiner, K. / Meier, U. (Hg.): Stadtregiment und Bürgerfreiheit (Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte 7), Handlungsspielräume in deutschen und italienischen Städten des Späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Göttingen 1994. – Regimen civitatis. Zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Ordnung in alt­ europäischen Stadtgesellschaften, in: dies., (Hg.), Stadtregiment und Bürgerfreiheit, S. 11–34. Schröder, T. M.: Das Kirchenregiment der Reichsstadt Esslingen. Grundlagen – Geschichte – Organisation (Esslinger Studien. Schriftreihe 8), Sigmaringen 1987. Schubert, E.: Stadt und Kirche in Niedersachsen vor der Reformation, in: Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsischen Kirchengeschichte 86 (1988), S. 9–39. Schulte, C.: Versuchte konfessionelle Neutralität im Reformationszeitalter, Diss. Münster 1995. Schulz, G. (Hg.): Sozialer Aufstieg – Funktionseliten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, München 2002. Schulz, W.: Reformation und Recht in Ostfriesland – eine Problemskizze, in: H. Schmidt / W. Schwarz / M. Tielke (Hg.), Tota Frisia in Teilansichten, Aurich 2005, S. 235–254.

670

Quellen- und Literaturverzeichnis

Schulze, W. (Hg.): Ständische Gesellschaft und soziale Mobilität, München 1988. – Zwingli, lutherisches Widerstandsdenken, monachomachischer Widerstand, in: P. Blickle (Hg.), Zwingli und Europa. Zürich 1985, S. 199–216. – Vom Gemeinwohl zum Eigennutz. Über den Normenwandel in der ständischen Gesellschaft der Frühen Neuzeit (Schriften des Historischen Kollegs. Vorträge 13), München 1987. – Einführung in die Neuere Geschichte (4. Aufl.), Stuttgart 2002. – Das Wagnis der Individualisierung, in: T. Cramer (Hg.), Wege in die Neuzeit (Forschungen zur Geschichte der älteren Deutschen Literartur 8), München 1988, S. 270–286. Schwarz, H.: Ratsherren, Senatoren, Bürgermeister Präsidenten der Wittheit und des Senats der Freien Hansestadt Bremen 1433–1849, Bremen 2002. – Bremeische Lexikon. Bremen. Schwarz, K.: Kompanien, Kirchspiele und Konvent in Bremen 1605–1814 (Ver­ öffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen 37), Bremen 1969. Schwarz, R.: Luthers Lehre von den drei Ständen und die drei Dimensionen der Ethik, in: LuJ 45 (1978), S. 15–34. – Ecclesia, oeconomia, politia. Sozialgeschichtliche und fundamentalethische Aspekte der protestantischen Drei-Stände-Theorie, in: H. Renz / F. W. Graf (Hg.), Protestantismus und Neuzeit (Troeltsch Studien Bd. 3), Gütersloh 1984, S. 78–88. Schwarzwälder, H.: Geschichte der Freien Hansestadt Bremen, Bd. 1, Bremen 1975. – Geschichte der Bremer Bürgerweide, in: Bremisches Jahrbuch 48 (1962), S. 139– 202. – Das Haus Ottersberg unter der Herrschaft der Stadt Bremen 1547–1562, in: Bremisches Jahrbuch 66 (1984), S. 115–155. Schwebel, K. H.: Zwei Briefe Bürgermeister Johann Brands an seinen Sohn, Lizentiat der Rechte Johann Brand, in: Bremisches Jahrbuch 43 (1954), S. 460–465. – Das bremische Patriziergeschlecht Brand, Herren zu Riensberg und Erbrichter von Borgfeld, in: Bremisches Jahrbuch 41 (1944), S. 86–183. Sellin, V.: Regierung, Regime, Obrigkeit, in: O. Brunner (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe 5 (1984), S. 361–421. Seresse, V.: Politische Normen in Kleve-Mark während des 17. Jahrhunderts. Argumentationsgeschichtliche und herrschaftstheoretische Zugänge zur politischen Kultur der frühen Neuzeit (Frühneuzeit-Forschungen 12), Epfendorf / Neckar 2005. Seven, F.: Die Bremer Kirchenordnung von 1534 – Ihre reformatorische Bedeutung und Kirchenrechtliche Tragweite, in: Hospitium Ecclesiae 21 (1998), S. 25–72. – Der Aufstand der 104 Männer und die Bremer Kirchenordnung von 1534, in: Bremsiches Jahrbuch 64 (1986), S. 15–31. – Die Goslarer Reformation und der Kampf um die Rechte am Rammelsberg, in: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 94 (1996), S. 75–99.



3. Literatur671

– Niederländische Einflüsse auf die 1. und die 2. Reformation in Bremen, in: Jahrbuch der Wittheit 95 / 96 (1997), S. 62–68. Sewing, W.: John G. A. Pocock und die Wiederentdeckung der republikanischen Tradition., in: J. G. A. Pocock. Die andere Bürgergesellschaft. Zur Dialektik von Tugend und Korruption. Frankfurt / a. M. 1993, S. 7–189. Shoenberger, C. G.: The Confession of Magdeburg and the Lutheran Doctrine of Resistance, Diss. Ann Arbor 1975. Sichelschmidt, K.: Recht aus christlicher Liebe oder obrigkeitlicher Gesetzesbefehl? (Jus Ecclesiasticum 49), Tübingen 1995. Simon, T.: Gute Policey. Ordnungsbilder und Zielvorstellungen politischen Handelns in der Frühen Neuzeit (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 170), Frankfurt / a. M. 2004. Singer, B.: Die Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des Humanismus und der Reformation. Bibliographische Grundlagen und ausgewählte Interpretationen: Jakob Wimpfeling, Wolfgang Seidel, Johann Strum, Urban Rieger, München 1981. Sippel, W.: Die Geistlichen des Metropolitanats Sontrag 1525–1975, 3 Bde., Göttingen 1980 ff. Skinner, Q.: The Foundations of Modern Political Thought. Bd. 2: The Age of Reformation, Cambridge 1978. Smid, M.: Ostfriesische Kirchengeschichte (Ostfriesland im Schutze des Deiches 6), Pewsum 1974. – Kirche und Religion in der Neuzeit, in. K. E. Behre / H. v. Lengen (Hg.), Ostfriesland. Geschichte und Gestalt einer Kulturlandschaft, Aurich 1995. – Kirche zwischen Burg und Rathaus, in: Res Frisicae 54 (1978), S. 131–150. – Die Bedeutung von Theologie und Kirche für die „Emder Revolution“, in: H. v. Lengen (Hg.), Die „Emder Revolution“ von 1595, Aurich 1995, S. 39–48. Smidt, H.: Des Syndicus Widekindt Bericht, in: Bremisches Jahrbuch 6 (1872), S. 155–200. Smolinsky, H.: Kirche in Jülich-Berg, in: Römische Quartalschrift 84 (1989), S. 104– 119. Sommer, W.: Gottesfurcht und Fürstenherrschaft, Göttingen 1988. – Die Stellung lutherischer Hofprediger im Herausbildungsprozeß fürhmoderner Staatlichkeit und Gesellschaft, in: ders., (Hg.), Politik, Theologie und Frömmigkeit im Luthertum der Frühen Neuzeit. Göttingen 1999. – Obrigkeitskritik und die politische Funktion der Frömmigkeit im deutschen Luthertum des konfessionellen Zeitalters, in: R. v. Friedeburg (Hg.), Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 26), Berlin 2001, S. 245–263. – Politik, Theologie und Frömmigkeit im Luthertum der Frühen Neuzeit (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 74), Göttingen 1999, S. 286–307.

672

Quellen- und Literaturverzeichnis

Sparengler-Ruppenthal, A.: Johannes Amsterdamus Bremensis als Kirchenrechtler, in: M. Heckel (Hg.), Gesammelte Aufsätze (Jus Ecclesiasticum 74), Tübingen 2004, S. 448–512. – Zur reformatiorischen Kirchenrechtsbildung in Ostfriesland, in: Zeitschrift für evangelische Kirchenrecht 10. Bd. 3. / 4 Heft (1964), S. 314–367. Sparn, W.: Preußische Religion und lutherische Innerlichkeit. Ernst Troeltschs Erwartungen an das Luthertum, in: F. W. Graf / T. Rendtorff (Hg.), Troeltsch-Stu­ dien 6, Gütersloh 1993, S. 152–177. – Die Krise der Frömmigkeit und ihr theologischer Reflex im nachreformatorischen Luthertum, in: H. C. Rubulack (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung, S. 54–82. Spiegel, B.: Albert Rizäus Hardenberg (Bremisches Jahrbuch 4), Bremen 1869. Steiger, J. A.: Kirchenordnung, Visitation und Alltag. Johann Gerhard (1582–1637), in: ZRGG 55 / 3 (2003). Stein, R.: Romanische, Gotische und Renaissance-Baukunst in Bremen, Bremen 1962. Stempel, W.: Die Reformation in der Stadt Wesel, in: J. Prieur (Hg.), Geschichte der Stadt Wesel Bd. 1, Düsseldorf 1991, S. 107–147. Stoeckle, B.: Milde, in: LexMA 6 (1993). Stöve, E.: Via media: Humanistischer Traum oder kirchenpolitische Chance? Zur Religionspolitik der vereinigten Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg im 16. Jahrhundert, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 39 (1990), S. 115–133. Strickhausen, W.: Staatstheorie – Sozialethik – Fürstenerziehung, in: B. Bauer (Hg.), Melanchthon und die Marbuger Professoren, Marburg 1999, S. 264–276. Strohm, C. (Hg.): Johannes a Lasco (1499–1560) Polinischer Baron Humanist und europäischer Reformator, Tübingen 2000. – Die Voraussetzungen reformatorischer Naturrechtlehre in der humanistischen Jurisprudenz, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 117 / 86 (2001), S. 398–413. – Ethik im frühen Calvinismus. Humanistische Einflüsse, philosophische, juristische und theologische Argumentationen sowie mentalitätsgeschichtliche Aspekte am Beispiel des Calvin-Schülers Lambertus Danaeus, in: AKG 65 (1996), S. 197–395. Strohmeyer, A.: Konfessionskonflikt und Herrschaftsordnung (Veröffentlichungen des Institutes für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für Universal­ geschichte 201), Mainz 2006. – Vom Widerstand zur Rebellion: Praxis und Theorie des ständischen Widerstands in den österreichischen Ländern im Werden der Habsburgermonarchie, in: R. v. Friedeburg (Hg.), Widerstandsrechts in der frühen Neuzeit. Erträge und Perspektiven der Forschung im deutsch-britischen Vergleich (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 26), Berlin 2001, S. 207–244.



3. Literatur673

Strom, J.: Orthodoxy and Reform. The Clergy in Seventeenth Century Rostock (Betiräge zur historischen Theologie 111), Mohe Siebeck 1999. – Kirchenzucht und Obrigkeitskritik, in: Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 92 (1994), S. 125–138. – Katalog der herrschenden Sünden in Rostock 1657, in: Mecklenburgische Jahrbücher 10 (1993), S. 95–105. Struve, T.: Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 10), Stuttgart 1978. Stupperich, R. (Hg.): Melanchthons Werke in Auswahl Bd. II. / 2, Gütersloh 1953. Stürner, W.: Peccatum und potestas. Der Sündenfall und die Entstehung der herrscherlichen Gewalt im mittelalterlichen Staatsdenken, Sigmaringen 1987. Tanner, K.: Die fromme Verstaatlichung des Gewissens. Zur Auseinandersetzung um die Legitimität der Weimarer Reichsverfassung in Staatsrechtwissenschaft und Theologie der 20er Jahre, Göttingen 1989. Theiss, M.: Pfarrer und Gemeinde in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in den Stiften Magdeburg und Merseburg, Diss. Freiburg 1966. Thikötter, E.: Die Zünfte Bremens im Mittelalter (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen 4), Bremen 1930. Tholuck, A.: Vorgeschichte des Rationalismus. Zweiter und letzter Theil, Berlin 1861. Tielke, M.: Das Rätsel des Emder Buchdrucks (1554–1602), Aurich 1986. Törnvall, G.: Geistliches und weltliches Regiment bei Luther. Studien zu Luthers Weltbild und Gesellschaftsverständnis, in: E. Wolf (Hg.), Forschungen zur Geschichte und Lehre des Protestantismus II / 10, München 1947. Troeltsch, E.: Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Tübingen 1912 (Neudruck Aalen 1977). – Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt, in: Historische Zeitschrift 97 (1906), S. 1–66. – Luther, der Protestantismus und die moderne Welt, in: H. Baron (Hg.), Aufsätze zur Geistesgeschichte und Religionssoziologie (Gesammelte Schriften Bd. 4), Tübingen 1925, S. 202–254. Tschackert, P.: Johannes Amandus, der erste Superintendent der freien Reichsstadt Goslar, in: Zeitschrift der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 8 (1904), S. 5–45. Tullner, M.: Magdeburg – eine Hansestadt im 17. Jahrhundert, in: A. Grassmann (Hg.), Niedergang oder Übergang? Zur Spätzeit der Hanse im 16. und 17. Jahrhundert, Köln 1998, S. 47–61. Uhl, E.: Die Sozialethik Johann Gerhards (Forschungen zur Geschichte und Lehre des Protestantismus 5. Reihe Bd. 4), München 1932. Ulmann, W.: Art. Magdeburg, in: TRE 21 (1991), S. 677–686.

674

Quellen- und Literaturverzeichnis

Vahle, H.: Calvinismus und Demokratie im Spiegel der Forschung, in: Archiv der Reformationsgeschichte 66 (1975), S. 182–212. Veeck, O.: Geschichte der Reformierten Kirche Bremens, Bremen 1909. – Daniel von Büren der Jüngere, in: Bremisches Jahrbuch 25 (1914), S. 184–189. Vinke, R. (Hg.): Luther Forschung im 20. Jahrhundert. Rückblick – Bilanz – Ausblick, Mainz 2004. Vogt, T.: Die Drei-Stände-Lehre bei Martin Luther. Darstellung derselben und Diskussion der biblischen Begründung, in: T. Schirrmacher (Hg.), Die vier Schöpfungsordnungen Gottes. Kirche, Staat, Wirtschaft und Familie bei Martin Luther und Dietrich Bonhoeffer, Nürnberg 2001, S. 39–83. Volkmann, U.: Risse in der Rechtsordnung. Frankfurter Allgemeine Zeitung (11. März 2004). Voß, K.-D.: Das „mennonitische“ Obrigkeitsverständnis im Emder Religionsgespräch von 1578, in: H. Schmidt / W. Schwarz / M. Tielke (Hg.), Tota Frisia in Teilansichten, Aurich 2005, S. 255–282. de Vries, S. / Nitschke, P.: Politische Gemeinschaft als religiöse Ordnungs- und Rechtseinheit, in: F. S. Carney, H. Schilling / D. Wyduckel (Hg.), Jurisprudenz, Politische Theorie und Politische Theologie (Beiträge zur Politischen Wissenschaft 131), Berlin 2004, S. 103–119. Wagenmann, H.: J. Mörlin, in: Realenzyklopädie für Protestantische Theologie und Kirche Bd. 13, Leipzig 1903, S. 237–247. Wagner, E.: Dr. Albert Hardenbergs im Dom zu Bremen geführetes Lehramt und dessen nähere Folgen, Bremen 1779. Wallmann, J.: Zwischen Reformation und Humanismus, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 74 (1977), S. 342–370. – Das Melanchthonbild im kirchlichen und im radikalen Pietismus, in: U. Sträter (Hg.), Melanchthonsbild und Melanchthonrezeption in der lutherischen Orthodoxie und im Pietismus (Themata Leucoreana 5), Wittenberg 1999, S. 11–24. Walte, A.: Mitteilungen aus der bremischen Kirchengeschichte zur Zeit der Reformation. Zweiter Artickel: Die bremische Kirchengeschichte zur Zeit des Superintendenten Marc. Mening, in: Zeitschrift für die historische Theologie 30 (1866), S. 339–428. Walter, J.: Rat und Bürgerhauptleute in Braunschweig 1576–1604, Braunschweig 1971. Wangerin, U.: Der geistige Hintergrund der Auseinandersetzung Emdens und der ostfriesischen Stände zur Zeit der Emder Revolution 1595, Diss. Hamburg 1949. Weber, F.: Sendrecht, Policey und Kirchenzucht (Jahrbuch für Religionskultur 9), Frankfurt a. M. 1998. Weber, G.: Grundlagen und Normen politischer Ethik bei Melanchthon, in: K. G. Steck / G. Eichholz (Hg.), Theologische Existenz Heute. N. F. 96 (1962), S. 5–41.



3. Literatur675

Weber, M.: Emden – Kirche und Gesellschaft in einer Stadt der Frühneuzeit, in: Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden 69 (1989), S. 39–81. – Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. D. Kaesler (Hg.), Vollständige Ausgabe, München 2004. – Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie Bd. I. 5. Auflage Tübingen 1963. – Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der Verstehenden Soziologie, Tübingen 1956. Weber, W.: Prudentia gubernatoria. Studien zur Herrschaftslehre in der deutschen politischen Wissenschaft des 17. Jahrhunderts, Tübingen 1992. Weerda, J. R.: Der Emder Kirchenrat und seine Gemeinde (Emder Beiträge zum reformiertentum Protestantismus 3), Wuppertal 2000. Wehler, H. U.: Deutsche Gesellschaftsgeschichte Bd. 1. Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur defensiven Modernisierung der Reformära 1700–1815, München 1987. S. 270–278. – „Preußen vergiftet uns“. Frankfurter Allgemeine Zeitung (23. Feb. 2002). Weinforth, F.: Studien zu den politischen Führungsschichten in den klevischen Prinzipalstädten vom 14. bis 16. Jahrhundert (Kölner Schriften zu Geschichte und Kultur 2), Köln 1982. Weinnmann, B.: Eine andere Bürgergesellschaft. Klassischer Republikanismus und Kommunalismus im Kanton Zürich im späten 18. und 19. Jahrhundert. Göttingen 2002. Weiß, M.: […] weltliche hendel werden geistlich“ Zur politica christiana des 16. Jahrhunderts, in: L. Raphael / H. E. Tenorth (Hg.), Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit, München 2006, S. 109–124. Wenig, O.: Rationalismus und Erweckungsbewegung in Bremen. Vorgeschichte, Geschichte und theologischer Gehalt der Bremer Kirchenstreitigkeiten von 1830 bis 1852, Bonn 1966. Weygoldt, E.: Die rechtliche Stellung des Ministeriums der stadtbremischen Pfarrkirchen, Diss. Kiel 1964. bei der Wieden, H.: Rostock zwischen Abhängigkeit und Reichtsunmittelbarkeit, in: Pommern und Mecklenburg, Köln 1981. Wiemann, H.: Die Grundlagen der landständischen Verfassung Ostfrieslands (Quellen zur Geschichte Ostfrieslands 8), Aurich 1974. – Die geistige Hintergründe der Emder Revolution von 1595, in: Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer 29 (1949), S. 44– 62. v. Wietzendorff, H. J.: Bremens Handel im 16. und 17. Jahrhundert, in: Bremisches Jahrbuch 44 (1955), S. 128–174. Wiggers, J.: Tilemann Heshusius und Johann Draconites, in: JmGA 19 (1854), S. 65–137.

676

Quellen- und Literaturverzeichnis

Wilkens, C. A.: Tilemann Heßhusius, Ein Streittheologe der Luther-Kirche, Leipzig 1860; K. A. Schierenberg, Tilemann Heshusen 1527–1588, in: Mecklenburgische Kir­chengesc­hichte 14 (1965), S. 190–204. v. Witzendorff, H. J.: Die Personalschriften der Bremer Staatsbibliothek bis 1800, Bremen 1960. Wohlfeil, R.: Einführung in die Geschichte der deutschen Reformation, München 1982, S. 87. Wohlfeil, R. / Wohlfeil, T.: Stände und Konfessionen. Lucas Cranach d. J. Die Predigt Johannes des Täufers. Bartholomäus Bruyn d. Ä. Die drei Stände der Christenheit im Vergleich, in: H. Timmermann (Hg.), Die Ausbildung des frühmodernen Staates – Stände und Konfessionen, Saarbrücken 1989, S. 263–290. Wolf, E.: Johannes Bugenhagen und die Ordnung der Gemeinde, in: Festschrift für K. Kupische zum 60. Geburtstag, München 1963, S. 281–296. – Zur Selbstkritik des Luthertums, in: ders., Peregrinatio II. Studien zur reformatorischen Theologie, zum Kirchenrecht und zur Sozialethik, München 1965, S. 82–103. – Das wissenschaftliche Lutherbild der Gegenwart in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, Hannover 1982. Wolf, K. (Hg.): Nassauische Lebensbilder Bd. 3 (Veröffentlichungen der historischen Kommission für Nassau X 3), Wiesbaden 1948. Wolgast, E.: Die Wittenberger Theologie und die Politik der evangelischen Stände (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 47), Gütersloh 1977. – Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts im 16. Jahrhundert. Heidelberg 1980. – Obrigkeit und Widerstand in der Frühneuzeit der Reformation, in: G. Vogler (Hg.), Wegscheiden der Reformation. Altertatives Denken vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Weimar 1994, S. 235–258. – Die Obrigkeit- und Widerstandslehre Thomas Münzers, in: S. Bräuer / H. Junghans (Hg.), Der Theologe Thomas Müntzer, Berlin-Göttingen 1989, S. 195–220. – Die Stellung von Johannes Brenz zu Bauernkrieg und Widerstandsrecht, in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 100 (2000), S. 297–326. Wolters, A.: Konrad von Heresbach und der clevische Hof zu seiner Zeit, Elberfeld 1867. – Die Reformationsgeschichte der Stadt Wesel, Bonn 1868. Würgler, A.: Das Modernisierungspotential von Unruhen im 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Entstehung der politischen Öffentlichkeit in Deutschland und der Schweiz, in: Geschichte und Gesellschaft 21(1995), S. 195–217. Zeeden, E. W.: Die Entstehung der Konfessionen. Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung im Zeitalter der Glaubenskämpfe, München 1965. – Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung im Zeitalter der Glaubenskämpfe, in: Historische Zeitschrift 185 (1958), S. 249–299. Zunkel, F.: Ehre, Reputation, in: GG 2 (1975), S. 1–64.

Personenregister Acronius  529 Albert Christian  402 Albrecht I  46, 47 Althusius  38, 100, 283, 291, 422, 488, 492, 540, 541, 546–549, 581, 641, 649, 653, 655 Alting  488, 496, 501–503, 511, 512, 514–518, 520, 527–529, 535, 537, 538, 547, 651, 663 Amelingh  519, 533 Amsdorf  50, 404, 557, 581, 582, 590, 656 Andreae  52, 158, 159 Andreas Dithmar  453 Anna  399, 493, 497, 499–501, 503–508, 510, 511, 527, 536, 635, 653 Aristoteles  42, 56, 75, 86–88, 92, 101, 130, 145, 165, 205, 213, 296, 617, 665 Arnold Esich  386 August von Sachsen  313 Becker  48, 378–380, 400, 413, 453, 620, 624 Bernhard Lose  570 Beza  292 Bodin  479 Bolardus  518, 519, 523, 525, 532, 535 Borck  416, 418–420, 424–426, 482, 634 Brand  264, 350, 384–386, 418, 670 Brenz  92, 404, 676 Bucer  348, 404 Bugenhagen  78, 82, 261, 265, 360, 407, 657, 676 Büren  348, 350, 366, 376, 384–386, 393, 404, 413–419, 421, 422, 424, 428, 431–433, 447, 451, 453, 455,

460, 463, 466, 467, 482, 643, 645, 664, 674 Calvin  60, 61, 160, 165, 292, 334, 672 Chemnitz  51–53, 54, 64, 417, 437, 451, 655, 658 Christian III.  350, 429 Christoph Herzog zu BraunschweigLüneburg  428 Chyträus  437, 451, 452, 473, 643 Cicero  86, 92, 96, 318, 645 Cirksena  493, 537, 656 Cord Kenckel  376, 378, 379, 383, 391, 431–433 Dakma  496 Detmar Kenckel  373, 383, 391 Dietrich van Groen  600, 604–606 Eberhard zu Erbach  234 Eberhardus Wydensee  577 Ebers  43 Edzard  500, 502, 510, 512, 516–518, 521, 524, 529, 530, 532, 534 Edzard II  502, 510, 512, 517, 518, 521, 524, 529, 530, 532, 534 Eilards  532 Eilartz  538, 541 Eitzen  48, 413 Eler Esich  373 Elisehmius  544 Enno II  494–496, 506, 512, 527 Erasmus von Venningen zu Küngspach  235 Ernst von Bayern  611 Erzbischof Ernst  572 Erzbischof Georg  428 Erzbischof Heinrich III.  462

678 Personenregister Fabronius  474 Ferrarius  139, 142, 146, 242 Flacius  52, 159, 412, 570, 661, 662 Friedrich III  47, 52 Gallus  52 Gellius Faber  507–510, 535, 547 Georg von Mecklenburg  288 Gerard Schulte  386 Gerd Puttemann  383 Gey  600 Glanäus  460, 462, 463, 467, 468, 471 Gottfried  343, 510, 514 Grafen Johann  511, 540 Grevenstein  399, 401, 435, 623, 624 Hans Behout  519 Hans Wilhelms  519 Hardenberg  48, 49, 187, 257–259, 343, 348–350, 352, 365, 366, 401, 408, 412–416, 419, 428, 430, 431, 447, 449, 451, 452, 455, 606, 607, 647, 672 Heinrich der Jüngere  287 Heinrich Julius  54, 86, 90, 105, 147, 190, 195, 292 Heinrich Julius von BraunschweigWolfenbüttel  54, 195 Heresbach  112, 139, 146, 329–332, 598, 611–613, 635, 642, 643, 646, 653, 654, 661, 662, 676 Heshusius  29–35, 37–55, 57, 64, 69, 82, 85–105, 107–112, 114, 115, 117–121, 123–128, 130, 131, 133–136, 138–169, 171–210, 212–215, 221, 223, 225–234, 236–238, 242–246, 248–254, 256–270, 275–277, 280, 281, 287, 289, 290–292, 294–308, 312, 315, 316, 318–320, 322–329, 332–343, 361, 408–410, 413, 414, 424, 437–441, 443, 444, 446, 447, 451, 456, 459, 484, 510, 514, 522, 524, 553, 554, 557–566, 570, 584–587, 589–593, 595–597, 600, 601,

603–605, 608, 614, 616, 618, 624, 638, 642, 661, 675 Hinrich Trupen  376, 379, 382, 383 Hofmann  312, 666 Hondorff  312, 636 Hugo von Fleury  240 Hugo von St. Viktor  240 Jacob Probst  356, 361, 405, 457, 643 Jacob Sartorius  510 Johann Althusius  64, 287, 491, 535, 540, 542, 555 Johann Dove  358, 405 Johann Elberfeld  447 Johann Esich  400, 413, 416, 417 Johann Friedrich Coelestin  52 Johann Friedrich II  46, 94, 276 Johann Gerhard  29, 38, 64, 70, 101, 117, 186, 187, 192, 208, 215, 246, 251, 252, 287, 318, 322, 643, 672 Johann Slunckrave  470 Johann von Salisbury  240 Johann Wilhelm  52, 135, 147, 148, 151, 156–159, 162, 214 Johann Wilhelm von Sachsen  52, 135, 147, 148, 151, 156, 214 Johannes Becker  453 Johannes da Prato  510 Johannes Fritzhans  577 Johannes Funck  176 Johannes Hildebrand  399 Johannes Oldendorp  146, 165 Judex  275–287, 290, 291, 570, 582, 584, 585, 589, 636, 655 Karl V  261, 268, 270, 271, 593, 655 Kateritz  157 Klebitz  49 Kreffting  342, 377, 380, 391, 479, 643 Kurfürsten August  53 Lasco  12, 497, 499, 500, 503, 506, 507, 509, 535, 547, 635, 636, 654, 672

Personenregister679 Ligarius  513, 514, 522, 527, 649 Lindenberg  565 Lüder Lürsen  377, 378, 431, 434 Luther  12, 15–18, 23, 25, 29, 30, 32, 37–39, 45, 48, 52, 56–63, 65–69, 71, 72, 74–78, 80–84, 88, 90, 95, 103, 121, 123, 127, 130, 132, 139, 143, 147, 148, 157, 160, 176, 192, 196–198, 210, 213, 232, 233, 243, 244, 249, 262, 276–278, 285, 286, 288, 289, 295, 296, 309, 310, 320, 322, 332, 334, 338, 339, 404, 578, 637, 643, 644, 646–649, 652, 655, 657–662, 664, 667–669, 673, 674, 676 Lynner  600 Maaler  89, 151, 162, 164, 337, 636 Marbach  47, 51, 601, 655 Marcus Gerike  570 Mecklenburg  46, 564, 567, 650, 675 Melanchthon  31, 32, 37, 39, 43–48, 56–61, 69, 70, 72, 73, 76–84, 86–95, 100, 101, 105, 108, 109, 112, 115, 118, 123, 136, 144–146, 154, 157, 165, 176, 179, 186, 192, 205, 210, 221, 225, 243, 244, 246, 249, 251, 262, 286, 295, 296, 299, 301, 305, 316, 318, 322, 329, 332, 333, 338, 339, 403, 404, 544, 600, 607, 609, 637, 645, 647, 656–658, 660, 661, 665, 672, 674 Melchior Mirisch  576, 577 Melchior von Osse  139, 146 Mening  361, 399, 401, 454, 461–464, 469, 470, 674 Menius  62, 71, 72, 74, 266, 289, 637, 661 Meyendorff  53, 188 Micron  507 Molanus  394, 462, 490, 659, 663 Mörlin  48, 51, 64, 413, 414, 437, 451, 453, 454, 674 Musäus  52, 313, 361, 394, 399, 409, 410, 417, 424, 435, 442–444, 446, 447, 454, 459, 480 Mykonius  266

Naso  471, 622 Nicolaus Selneccer  471 Oldeguil  495, 496 Oldendorf  139 Ottheinrich  235, 301, 663 Peter Egerdes  376, 379 Peter van Eeck  537–541, 547 Pezel  342, 343, 361, 461, 471–475, 478, 480, 490, 520–522, 524, 525, 528, 529, 637, 659 Pezelius  342, 343, 399, 471, 621, 625, 653 Pfeil  103, 118, 142, 222, 227, 228, 242, 293, 296, 587, 589, 639 Pierius  399, 401, 478, 621 Pollio  164 Reiners  350, 418, 432 Rhegius  404, 649 Sack  303, 304, 585, 590, 638 Schoppe  310, 638 Schriver  350, 418 Seneca  86, 119, 139, 162 Sicken  407, 525, 532, 533, 538, 541, 651 Sigismund     235, 268, 270, 570, 584, 592 Strigel  52 Thann  157, 657 Timann  343, 349, 350, 357–359, 361, 401–408, 410, 450, 451, 457, 459, 494, 621, 622, 641, 664 Ubbo Emmius  497, 500, 511, 513 Ulrich Cirksena  493 van Bert  604, 605 van Eeck  539 Vasmer,  350, 384–386 Visscher  519, 533 Werner Hartmann  453 Westphal  404, 410, 411, 636

680 Personenregister Wigand  50, 52, 53, 64, 276, 412, 570, 586, 641 Wilhelm V  596, 608, 610, 611, 613, 614, 654 Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg  412

Winhilt  519 Wolfgang von Zweibrücken und Neuburg  51 Xenophon  86